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REFORMA I ONSCESCHICHTE
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.
Im Auftrag
des Vereins für Reformationsgeschichte
herausgegeben von
D. Walter Friedensburg.
XVII. Jahrgang. 1921.
Leipzig
Verlag von M. Heinsius Nachfolger
1921.
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llann .
Inhaltstibersicht.
A. V. Müller, Rom, Der Augustiner-Observantismus und
die Kritik und Psychologie Luthers . . . . . . 1—34
G. Loesche, Hofrat, Professor D. Dr. in Königssee, Die
Seite
reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und Inner-
österreichs IIE IV . . . . . . . . . 85—62; 121—154
O. Clemen, Professor D. Dr. in Zwickau, Der Prozeß des
Johannes Pollicarius . . . . . . . . . 608—174
: P. Kalkoff, Professor D. Dr. in Breslau, Kardinal
Schiner, Ein Mitarbeiter Aleanders auf dem Wormser
Reichstage . . . . . . ......-. 81—120
Mitteilungen: Aus Zeitschriften S. 75—80. — Neu-
erscheinungen S. 155—160.
Von der preuflischen Kommission zur Erforschung
der Geschichte der Reformation und Gegenreformation
S. 1*— 6*.
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OCT 31 1922 .
E BE : T GEMMAE
ARCHIV FUR REFORMATIONSGESCHICHTE.
u TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.
Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte
herausgegeben von
. D. Walter Friedensburg.
Nr. 69/70. XVIII. Jahrgang. Heft 1/2.
Der Augustiner-Observantismus und die Kritik
und Psychologie Luthers
von Alphons Victor Müller.
& Die reformatorischen Kirchenordnungen
Ober- und Innerösterreichs III.
von Georg Loesche.
Eine noch unveröffentlichte Vorarbeit Luthers
zu seiner Schrift: „Daß diese Worte Christi ‘das ist
mein Leib’ noch fest stehen“
von Georg Buchwald.
Der Prozeß des Johannes Pollicarius
von Otto Clemen,
Mitteilungen
Aus Zeitschriften.
Von der preuBischen Kommission zur Erforschung
der Reformation und Gegenreformation.
. Leipzig
Verlag von M, Heinsius Nachfolger
1921.
| Ausgegeben im Mai 1921.
Preis für Subskribenten 10,— M., einzeln bezogen 11,— M.
Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig.
Quellen und Forschungen
zur Reformationsgeschichte
(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation)
Herausgegeben vom
Verein für Reformationsgeschichte
Band L Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen.
8°, [XII, 316 S.] A 9,—; geb. A 11,25
Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus, Humanismfis
und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°.
[XXXH, 343 S. ‘A 1350; geb. A 15,55 7
Band Ill. Leonid Arbusow, Die Einführung der Reformation in
Liv-, Est- und Kurland. - Im Druck.
Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation.
Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und
der Entscheidungsjahre der ‘Reformation. (1517—1523.)
[XVI, 602 S] A 40,—
Soeben erschien:
Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte
38. Jahrgang (Nr. 133):
Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M.
Von
Lic. Karl Bauer,
Privatdozent an der Westfälischen Wilhelmsuniversitat zu Münster i. W.
Preis 6 Mark.
Die Preise verstehen sich einschließlich
Teuerungszuschlag des Verlegers —————
Der Augustiner-Observantismus und die
Kritik und Psychologie Luthers.
Von Alphons Victor Müller.
Dem Observantenstreit im Augustinereremitenórden zur
Zeit Luthers wird seit einigen Jahren von den Forschern
eine gewisse Bedeutung beigelegt für die Beurteilung der
Psychologie und des Charakters von Luther. Leider ist sich
aber die Lutherforschung bis heute nicht klar genug geworden
über Ziele und Eigentümlichkeiten dieser Obser-
vanzbewegung, um gewisse Kritiken Luthers richtig verstehen
zu können. Luther macht zwar abschätzige Bemerkungen
über die übertriebene Bedeutung, die die Observanten gewissen
AuBerlichkeiten beilegen und tadelt eine solche Richtung
mit fast denselben Worten, die Tauler längst vor ihm gegen
die Observanten seiner Zeit gebraucht hat, wie ich in meinem
Luther und Tauler (Bern 1917, S. 130) gezeigt habe. Luther
macht aber auch den Observanten seiner Zeit und seines Ordens
den Vorwurf „Schismatiker“ zu sein, d. h. zu ver-
suchen sich dem schuldigen Ordensgehorsam
durch „Privilegien“ und ,Ezemptionen* zu entziehen.
Bisher haben die Forscher gerade dieser Eigentümlichkeit
in der Augustinerobservanzbewegung fast keine Aufmerk-
samkeit geschenkt und diese Vorwürfe Luthers kurz auf den
Streit zwischen den „sieben Konventen“ und Staupitz
bezogen, was erstens nicht zutrifft und zweitens
. Luther in den Verdacht bringen mußte weiter nichts als ein
= Parteigünger von Staupitz zu sein, der pro domo et Domino
- gesprochen habe.
a Die drei Hauptstellen gegen die Unbotmäßigkeit der
'"'Observanten lauten: Quaecumque ergo, quantacumque, qua-
liacumque quis fecerit opera, si oboedientiam alibi
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. t, H
2 2
debitam relinquit, huie dieitur hie: Non intelligit
opera Domini sed sentit opera sua inflata sensu carnis
suae. Tales hodie esse timendum est omnes observantes
et exemptos sive privilegiatos. Qui quid noceant Ecclesiae
nondum apparuit, lieet faetum sit. Apparebit autem tempore
suo. Quaerimus autem cur sic eximi (sie!) sibi et dispensari
(sic!) in oboedientia velint? Dicunt propter vitam
regularem. Sed praeest lux angeli Sathanae. Quia eum
oboedientia sit simplieiter indispensabilis et non eximibilis,
quam magnam quaeso causam esse necesse esf ut dispensetur
indispensabile? (WA. III, 155) . . . Sie etiam omnibus
superbis contingit et pertinacibus, superstitiosis et inoboedi-
entibus atque ut timeo Observantibus nostris, qui
sub specie regularis vitae incurruntinoboedientiam
et rebellionem ... (WA. IV, 83) Similiter et Super-
stitiosi et Schismatici abiciunt per singularitatem suum
praelatum in quo Christus eis praeficitur, quorum Aodie est
major numerus . . . (WA. III 17.)
Wie aus dem „hodie“ in der ersten und dritten Stelle
zu ersehen ist und ebenso aus dem Indikativ-Praesens der
Zeitform, schildert Luther Zustände, die, als er diese Worte
sprach, noch andauerten. Um diese Anspielungen Luthers
besser zu begreifen, müssen wir in ganz kurzen Zügen Ent-
stehung und Entwicklung des Observantismus im Augustiner-
eremitenorden schildern.
Als gegen Ende des vierzebnten Jahrhunderts der
Augustinereremitenorden von der genauen Befolgung seiner
Regel und seiner Konstitutionen abgewichen war, suchten
die Ordensgeneräle die Eiferer für eine genaue Befolgung
der alten Vorschriften in einzelnen Konventen zu sammeln,
und damit die Insassen dieser reformierten Klöster ganz un-
behindert und unvermischt mit den nicht reformierten
Elementen ihrem Ideale dienen könnten, entzogen die Ordens-
generäle diese Klöster der Jurisdiktion der gewöhnlichen
Provinzoberen und unterstellten sie direkt sich selbst oder,
wenn sie zahlreich waren, einem Vikar, der nicht vom
Provinzial sondern von ihnen direkt abbing. Auf diese Weise
entstanden im Augustinerorden die „Kongregationen“
der ,Observanten“, denen die „Provinzen“ der
3 3
„Konventualen“ gegenüberstanden. Um die Hälfte des
XV. Jahrhunderts herum finden wir in Italien bereits mehrere
dieser Kongregationen, nämlich diejenigen von Lecceto
(Toscana), S. Giovanni in Carbonaria (Neapel), S. Maria del
Popolo in Rom, später nach dem Hauptkloster in Perugia
benannt, Monte Ortona (Venezien), diejenige von Genua,
und endlich die bedeutendste von allen, diejenige der
Lombardei, die sich über einen großen Teil von Nord-
und auch von Mittelitalien erstreckte. Bei Beginn des XVI.
Jahrhunderts zählte sie weit über 1000 Mitglieder und hatte
bei der hohen Geistlichkeit wie beim Adel einen derartigen
Einfluß, daß sie, wie wir sehen werden, sogar den päpstlichen
Befehlen trotzen konnte, bis sie zurückgenommen worden
waren. Als einzige Auslandskongregation figuriert gegen
Ende des XV. Jahrhunderts nur diejenige „des Andreas
Proles in Deutschland“, wie sie noch lange nach Proles’
Tod auch in offiziellen Aktenstücken der Kurie genannt wurde.
Um die Mitte des XV. Jahrhunderts war der Versuch
gemacht worden die damals schon bestehenden italienischen
kongregrationen zu vereinigen unter einem gemeinsamen
Generalvikar wie unter einem gemeinsamen Generalkapitel.
Doeh es fanden nur zwei Generalkapitel 1446 und 1449
statt, dann ging diese Union wieder auseinander. Es wurde
nun beschlossen, daß in Zukunft jede Kongregation unter
einem eigenen Generalvikar selbstherrlich sein sollte. Damit
hatte die Entwieklung begonnen, die uns hier interessiert.
Jede Kongregation suchte jetzt ein Orden im Orden
zu werden und ließ sich dureh Fürsprache seiner Gönner
von der Kurie Privilegien auf Privilegien und
Exemptionen auf Exemptionen erteilen. Ja, auf
Grund kurialer Erlasse tauschten sogar die Kongregationen
diese Privilegien unter sich aus, so daß bald die Autorität
des Ordensgenerals „de facto“ fast ganz ausgeschaltet war.
So sehen wir z. B. Eugen IV. der Kongregation von lliceto
(Leeeeto bei Siena in Toscana) folgende Privilegien erteilen:
Dem Generalvikar der Kongregation wird durchaus über
alle Klöster und Brüder seiner Kongregation dieselbe
Gewalt erteilt, die der General über Klöster und Brüder
des ganzen Ordens hat. Damit war doch indirekt gesagt,
1*
4 4
daß sich innerhalb der Kongregation die Gewalt des
Generalsunddes Generalvikars gleich waren,
daß der General nicht mit seinen Befehlen denjenigen des
Generalvikars zuwiderlaufen durfte. Ja, dem Generalvikar
wurden sogar Befugnisse erteilt, die der General anscheinend
nicht hatte, denn der Generalvikar konnte gemeinsam mit
den Visitatoren von Statuten und Ordinationen dispensieren,
selbst wenn sie kraftApostolischer Autorität
bestätigt worden waren. Auch direkt wurde die
Gewalt des Generals stark eingeschränkt. So wurde dem
General die Befugnis entzogen, irgend jemand in die Kon-
gregation zu versetzen oder irgend ein Mitglied der Kon-
gregation nach auswärts zu versetzen. Selbst wenn
Mitglieder der Kongregation sich außerhalb derselben
vergangen hatten, durfte sie der General nicht strafen.
Ohne schriftliche Erlaubnis des Generalvikars durfte der
General kein Mitglied der Kongregation zu irgend einem
Amt in der Ordensleitung berufen. Ein Kongregationsmitglied,
das sich ohne schriftliche Erlaubnis des Generalvikars durch
den General aus der Kongregation herausnehmen ließ, ver-
fiel der Exkommunikation! Auf Grund derselben Privilegien
wurde die Autorität der Generalkapitel über die Kongrega-
tion zum großen Teil abgelehnt. Als ferner der General
Aegidius 1512 in Viterbo das Generalkapitel abhalten wollte,
mußte er, der doch gerade zu dieser Kongregation von
Ilieeto gehörte, vom Generalvikar derselben die schrift-
liche Erlaubnishierzuerbitten. Diese Privilegien
durfte die Kongregation ohne Erlaubnis des Generals an
andere Kongregationen mitteilen. So sehen wir denn auch
1487, 1493, 1510 die Kongregation von lliceto mit den
Lombarden Gemeinschaft eingehen. 1506 hatte Lliceto
gleich den Lombarden, die schon früher dieses Privileg besessen
hatten, einen eigenen Generalprokurator an der Kurie
ernannt, so daß der General über das Treiben an der Kurie
dieser Kongregationen keine Kontrolle mehr hatte. (Ambr.
Landucci: Sacra llieetana Silva . . . Siena 1653. S. 50f.)
Bald erstreckte sich die Autorität des Ordensgenerals
nur noch auf die Konventualen, die zwar die Mehrheit des
Ordens ausmachten aber weit weniger angesehen
5
und einflußreich waren. Um die Observanten zu
fördern, hatten die Päpste die Autorität des Generals durch
ihre Privilegienkonzessinonen geschädigt. Später suchten sie
diesen Irrtum dadurch wieder gut zu machen, daß sie unter
sroßem Druck auf die Wähler eifrige Anhänger der Observanz
zu Ordensgenerülen zu machen suchten. So wurde unter
Sixtus IV. den Generalswählern unter Strafe der Ex-
kommunikation am 2. Mai 1482 befohlen, den
bisherigen Generalim ÀAmítzubestátigen und ja
keinen neuen zu wáhlen, und damit der Erfolg um so sicherer
eintrete, erhielt der General die Vollmacht nach Bedürfnis
das Wählerkollegium zu seinen Gunsten zu „ergänzen“.
Als so unter páüpstliehem Druck 1497 in Rom ein
energischer General, Mariano von Genazzano gewählt wurde,
der die Einheit des Ordens und seine Autorität wieder herstellen
wollte, da war die Kriegserklärung der Ordensleitung an
die Observanten unausbleiblich. Die — im Juniheft der
Analecta Augustiniana 1919 nun veröffentlichten — Akten
dieses Generalkapitels sind eine Kampfansage an
die Kongregationen und werden auf Jahrzehnte hinaus
das Programm bilden, das die Generäle zu verwirklichen
suchen werden. Diese hochwichtigen Akten zeigen uns
diejenigen Privilegien, die am meisten bei der Ordensleitung
anstieBen und auf Grund derer die Kongregationen sich
selbstherrlich gemacht hatten.
Zuerst befiehlt das Kapitel, daß der General des
Ordens, der gegenwärtige wie der zukünftige, volle Autorität
haben muß gemäß der Verfassung des Ordens und gemäß
der ProfeBformel über alle Ordensbriider wie über alle
Klöster, mögen sie nun der Observanz oder den Konventualen
angehören, und mögen die Observanten innerhalb oder
außerhalb Italiens sein (sic)! . . . Damit wird ausdrücklich
gefordert, daß der General nicht nur Jurisdiktion über den
Generalvikar der Kongregationen hat, sondern auch und
zwar unmittelbar über alle Brüder und Klöster, so
daß er ihnen direkt, ohne sich an den Generalvikar zu
wenden, befehlen kann. Wir werden bald sehen wie Stanpitz
sich durch die Bulle des päpstlichen Legaten an dieser
Forderung vorbeidrücken wollte.
Zweitens schärft das Generalkapitel die Vorschrift
der Konstitutionen ein, wonach die Provinzangehörigen ihrem
Provinzoberen immer nur zu gehorchen haben unter Wah-
rung der Rechte des Generals und erklärt, daß
wer dem General nicht gehorcht als ein Sohn der Verderbnis
und als faules Glied am Ordenskörper auszustoßen ist,
möge er nun Konventuale oder Observant sein, in
Italien oder außerhalb! ... Diese Forderung geht gegen
die Aufstellung der meisten Kongregationen wonach der
Kongregationsvikar in seiner Kongregation dieselbe Gewalt
hat wie der General im ganzen Orden, was alsdann wie
aus diesem Kapitelbefehl hervorgeht so ausgelegt wurde,
daß wenn der Generalvikar einen Befehl erteilt hatte, der
General ihn nicht widerrufen konnte.
Drittens betont das Kapitel, daß der General
seine Autorität unmittelbar vom Papste erhält, während
dagegen die Provinziale und Kongregationsvikare
ibre Autorität durch den General erhalten. . . .
Das ist wiederum ein Protest gegen die Behauptung der
Observanten, ihre Vikare amtierten „Auctoritate Apostolica".
Viertens gebraucht das Generalkapitel sehr scharfe
Ausdrücke gegen diejenigen, die neue Konstitutionen
und ein neues Ordinarium einführen. Einige — so
heißt es — sind durch Unwissenheit derartig verblendet
oder mehr noch von Herrschsucht derartig entflammt, daß
sie das hl. Kleid Augustins zu spalten und zu
teilen suchen (Schismatiker!), dadurch daß sie sich
nicht gescheut haben, sowohl im Ordinarium wie in den
Konstitutionen Widersprachvolles zusammenzuflicken. In
geradezu unverschämter Weise (nefarium et impudentissimum)
hätten sie ohne irgend eine Ordenserlaubnis die Konstitutionen
geändert und zwar so geändert, daß sie sich der ei-
gzeutlichen Ordenskonstitutionen nicht mehr
bedienen. ,Wir befehlen daher allen Provinzialen, allen
Generalvikaren aller beliebigen Kongregationen, allen Lokal-
prioren und einzelnen Brüdern, daß sie unter Strafe der
Rebellion alle Konstitutionstexte, die nicht wörtlich vom alten
Konstitutionstext abgeschrieben sind, sofort ins Feuer
werfen, damit sie ewig untergehen“... Das
7
,riehtete sich gegen alle Observanten! Diesem Befehl zum
Trotz führte (siehe unten S. 9) Staupitz neue Konstitationen
und ein neues Ordinarium ein.
Fünftens werden die von Sixtus IV den Observanten
gestatteten Anderungen am Ordinarium „reverenter“ zurück-
genommen. Das Ordinarium enthielt die Zeremonieen und
den Cantus des Ordens. l
Sechstens wird befohlen, daß sich kein Kongrega-
tionsvikar als Generalvikar titulieren darf. Sie sollen
sich einfach unter Angabe ihrer Kongregation z. B. so nennen:
Vikar der Kongregation von Lecceto, Vikar der Lombardi-
dischen Kongregation usw. . . . Die Observanten und
namentlich die Lombarden nannten sogar ihre Kongregations-
kapitel: Generalkapitel.
Siebentens werden diese Kongregationsvikare ver-
pflichtet, den Generalkapiteln des Ordens beizuwohnen . . .
Wenn sie das aber getan hätten, würden sie damit die Ver-
bindlichkeit der Bestimmungen, die auf diesen Versamm-
lungen getroffen wurden, auch für ihre Kongregationen aner-
kannt haben. Daher haben, wie aus den wenigen Akten,
die erhalten sind, hervorgeht, die Kongregationsvikare um
diese Zeit die Generalkapitel gemieden.
Achtens wird, um die Autorität des Generals zu stär-
ken befohlen, daß es dem General zusteht, den Präsidenten
der Kongregationskapitel zu ernennen, wenn er nicht selbst
prüsidiert . . . Wir werden unten sehen, wie die Lombar-
den auf Grund der Privilegiengemeinschaft mit Leeceto auch
diese Forderung abgelehnt haben.
Neuntens müssen die Kongregationskapitel dem Gene-
ral zur Bestätigung eingeschickt werden ... Auch diese For-
derung mußte später zum großen Teil fallen gelassen werden.
Zehntens dürfen ohne Erlaubnis des Generals keine
Veräußerungen von beweglichen und unbeweglichen Gütern
vorgenommen werden.
Elftens: Ohne Erlaubnis des Generals dürfen die
Observanten keine Klöster der Konventualen sich angliedern,
keinen Bruder aus einer Provinz in die Kongregation auf-
nehmen und auch keinen Bruder aus der eigenen Kongre-
gation ausstoßen.
Zwölftens wird endlich bestimmt, daß in Rom nur
ein einziger allgemeiner Ordensprokurator die Geschäfte an.
der Kurie besorgen darf. Keine Kongregation darf
sich einen eigenen Prokurator halten. Wer
ohne Erlaubnis des allgemeinen Ordensprokurators etwas an
der Kurie zu erreichen sucht, kann mit Kerkerstrafe bis zu
einem Jahre bestraft werden. Die Observanten sollen in
Rom in S. Maria del Popolo, die Konventualen in S. Ago-
stino oder anderswo absteigen ... Wir werden bald auf
den diesbezüglichen Versuch von Staupitz einen anderen
Proeurator an der Kurie zu halten, zu reden kommen.
Alle diese Aufstellungen des Generalkapitels von 1497
bedeuteten natürlich eine Stärkung der Ordenszentralgewalt,
muBten aber bei den Kongregationen auf starken Widerstand
stoßen. Unter dem 26. Mai bestätigte Alexander Vl. den
„gewählten“ Ordensgeneral Mariano von Genazzano und
ordnete an, daß alle Kongregationen, auch
diejenige des Andreas Proles, die genannten Vor-
schriften des Kapitels zu befolgen hätten. Die Lombardische
Kongregation nahm diesen Befehl nicht ohne weiteres hin.
Ihr Generalvikar Lucchino von Bergamo schickte Bartholo-
mäus von Palazzolo, den einflußreichen jBeichtvater ‘der
Gebieterin von Mailand und anderer Fürstlichkeiten sowie
Augustin von Bergamo nach Rom, damit sie durch die Für-
sprache von Kardinälen und Fürsten das päpstliche Schreiben
rückgängig machen könnten. Die anderen Kongregationen
werden nicht müßig abseits gestanden haben, da es sich
im Sinne der Observanten um Sein oder Nichtsein handelte.
So konnte der Erfolg nicht ausbleiben. Durch ein neues
Schreiben von 26. Januar 1498 nahm Alexander VI. sein
erstes Schreiben zurück, da er keine Beunruhigung unter
den Observanten hervorrufen wollte.
Trotz dieser Niederlage betrachtete die Ordensleitung,
wie aus den päpstlichen Akten der folgenden Jahre hervor-
geht, die Forderungen des Kapitels von Rom als Programm
und suchte nicht nur an ihrer Hand den verlorenen Boden wie-
derzugewinnen, sondern auch jede weitere Absplitte-
rungvonderZentralemitallerEnergiefernzu-
halten. So entstand der Konflikt mit der deutschen Kongregation.
9
ce
Im Jahre 1503 war Staupitz in der Leitung der „Kon-
gregation des Andreas Proles“ dem Proles gefolgt und ent-
wickelte sofort eine Tätigkeit, die vom General nicht gern
gesehen sein konnte. Während wir nämlich von seinem
Vorgänger wissen (Comp. ex reg. Ms. lat Monac. Aug. 123.
Kolde: Z.1.Kgsch.Il. S.467f.), daß er seine Wahl zum Vikar 1497
durch den General Mariano von Genazzano und 1500 durch
dessen Nachfolger Gratianus Fulgineo bestätigen ließ, wissen
wir von Staupitz nicht, daß er um die Bestätigung
seiner Wahl nachgesucht hätte. Es ist auch nicht
wahrscheinlich, daß er es getan hat, weil er ein Jahr später
in seine Konstitutionen den Passus aufnehmen ließ (Kap. 32).
daß der Vikar sofort nach seiner Proklama-
mation ipso facto auctoritate Apostolica als
bestätigt gilt. Auf Grund welcher Privilegienkommu-
nikation die deutsche Observanz vom bisherigen Brauche
abwich, ist noch nicht klargestellt. Dem General konnte
das aber keine Freude machen. Alsdann gab Staupitz gegen
Punkt vier und fünf des oben erwähnten Ordensprogrammes
einen neuen Konstitutionstext und ein neues
Ordinarium heraus. Wenn auch der Text der neuen
Konstitutionen sehr vorsichtig abgefaßt ist, so tritt er doch
aus äußeren und inneren Gründen der Autorität des Gene-
rals zu nahe, wenn auch nur in indirekter Weise, so daß
profane Augen kaum etwas merken werden. Aber bezüglich
der Punkte eins, zwei und drei des sogenannten Ordens-
programmes erfüllen die Staupitzkonstitutionen weder die
Anordnungen des Generalkapitels von 1497 noch diejenigen,
die Leo X, wie wir sehen werden, bald aufstellen wird. Er-
sehen wir doch aus dem Schreiben des Nürnberger Magi-
strats an Staupitz vom 19. September 1511, dab die deut-
schen Observanten dem General nur gehorchen wollten, wenn
er ,zZiemlichs*" gebiete und was der geistlichen
Zuchtund Observanz „fürträglich“ sei. Sie wel-
gern sich, dem General zu gehorchen, es sei denn, dab er
gemäß den Privilegien unter Achtung der Ob-
zervanz befehle...
Noch unangenehmer mußte es in Rom empfunden wer-
den, daß Staupitz 1505 (nicht 1506) seinen Vertrauensmann
10 10
Besler nach Italien schickte, um über eine „Union“
mit der lombardischen Kongregation zu verhandeln, die nach
Besler nur den Zweck haben sollte, eine Privilegienkommu-
nikation mit den Lombarden zu veranlassen und zu erreichen,
daß der lombardische Prokurator in Rom die Geschäfte der
deutschen Kongregation an der Kurie gleichfalls vertreten
sollte. In Wirkliehkeit war aber die Sache nicht so harm-
los, wie sie Besler nachträglich schildern möchte, denn da
die lombardische Kongregation dem h. Stuhl un mittelbar
unterstellt war, handelte es sich darum, die deutsche Kon-
gregation gleichfalls vollständig und faktisch
vom General unabhängig zu machen. Daß Stau-
pitz gerade diese Unabhängigkeit durchsetzen wollte, geht
aus dem bald zu zitierenden päpstlichen Schreiben mit Deut-
lichkeit hervor. Die Lombarden nahmen in Vercelli im
April 1505 den deutschen Vorschlag an. Schon am
1 2.M ai hatte die Ordensleitung in Rom, noch bevor der Papst
diese Union gebilligt hatte, Wind von der Sache bekommen.
Wie sehr man darüber aufgebracht war, geht aus der Notiz
hervor (Generalregest: bei Böhmer 8.51, Anm. 4), daß der inter-
emistische Leiter des Ordens und spätere General Augustinus
von Interamna (Terni) am 12, Mai, als er das Generalkapite!
für den ersten Sonntag im September nach Interamna(?)
ausschrieb — es fand jedenfalls in Perugia statt — zugleich
öffentlich der deutschen Kongregation das Erscheinen
auf demselben verbot, offenbar weil man sie als
„schismatisch“ betrachtete. Erst am 21. Juni wurde das
päpstliche Bestätigungsschreiben für die Union ausgestellt
und am 15. März 1506 beauftragte Julius II. die Erzbischöfe
von Mainz, Magdeburg und Salzburg mit der Exekution
dieser Bulle (Milensius bei Böhmer: Luthers Romfahrt S. 20).
Wie der Orden über diesen Schritt von Staupitz geur-
teilt hat, ist auch aus verschiedenen anderen Zeugnissen zu
ersehen. Die bis zum Jahre 1550 ergänzte Ordenschronik
des Ordensgenerals Seripandus, die sich gewöhnlich als
Anhängsel zu seinen Konstitutionen findet, schreibt zum Jahre
1505: Hoc anno Congregatio Alemaniae, quae etiam Andreae
Proles dicta est, oceulte, inscioque Generali Bullam obtinuit
qua immediate subesset Summo Pontifiei, eoque colore
il il
ab uniome ordinis separata est, quae quidem
separatio pessimum in ecclessia fructum fecit, ut circa annum
Domini 1517 videbitur. Zu dem letzgenannten Jahre heißt
es alsdann: Annus nostro ordini gravissimus ac pestilentissi-
mus, quo Martini Lutheri haeresiarchae omnium qui fuere:
quique futuri sunt scelestissimi infandum nomen ex Andreae
Proles sive Alemaniae Congregatione audiri coeptum est,
qua in re illa dumtaxat utimur consolatione, quod ea
Congregatio longe priusquam hoe monstrum
pareret ab UnioneOrdinis subreptiis se Bullis
segregaverat exemeraíque.
Diese Behauptungen und Entschuldigungen des Seri-
paudus sind etwas übertrieben und treffen auch das Ziel
nicht, weil sich gerade Luther gegen dieses
„Schisma“ seiner Kongregation, längst bevor
ersich von der Kirche trennte, ganz ent-
schieden ausgesprochen hat.
Die „schismatischen“ Bestrebungen von Staupitz bleiben
aber Tatsache. Das geht zuerst hervor aus den Absichten,
die er bei der Union mit den Lombarden verfolgte, wie aus
dem Breve Julius Il. vom 26. März 1506 erhellt. Die
Ordensleitung hatte sich nämlich nicht mit dem Verbot die
deutschen Observanten zum Generalkapitel zuzulassen be-
gnügt, sondern war auch beim Papst wegen dieses Privilegs
vorstellig geworden. Aus der Antwort des Papstes, die
nur zehn Tage später als die vorhin erwähnte Exekutions-
bulle erfolgte, geht nun hervor, welchen Gebrauch Staupitz
von dieser Privilegienkommunikation machte. Der Papst
schreibt dem Ordensgeneral: Cum autem sicut Nobis nuper
exponi fecisti Congregatio praedicta Lombardiae
Sedi Apostolicae immediate subsit et dicti
loannes Viearius Generalis et alii Provinciales Vicarii, Visi-
tatores et Diffinitores dicti Ordinis qui literas praedictas
absque licentia seu scientia Protectoris aut
Prioris seu Procuratoris Generalis dicti
Ordinis impetrarunt, praetextu confirmationis,
extensionis et concessionis huiusmodi se a Superioritate
tua et pro tempore existentis Prioris Gene-
ralis praefati Ordinis (exemptos?) et Sedi
12 12
praedictae immediate sesubiectos praeten-
dant, quod si foret in grave dispendium dicti Ordinis tam
de Observantia quam Conventualium Fratrum
dicti Ordinis etiam in Alemania existentium
cederet, cum ipsi se a dieto Priore Generali totius Ordinis
exemptos et Sedi praedietae subiectos praetendentes,
reliquos Fratres favore Principum saecularium, et
alias multipliciter molestarent pro parte tua Nobis fuit
humiliter supplicatum, ut in praemissis oportune providere
paterna diligentia curaremus... Der Papst erklärt alsdann,
daß die deutschen Observanten nicht „eximiert“ worden
sind von der „obedientia“, „superioritas“ und
„subiectio“ gegenüber dem General und seinen Nach-
folgern (siehe oben Luthers Vorwurf S. 2). Man beachte, wie
der Papst hier bezüglich dieser Unterordnung unter den
General nieht nur vom Generalvikar spricht. Hoehn
(S. 135.) glaubt, daß Sigfridus Caleiator, der Provinzial der
Provinz „Rhein und Schwaben“, der Ende 1505 oder An-
fang 1506 nach Rom gegangen war, um die Interessen seiner
Provinz gegen Staupitz und seine Leute zu verteidigen, ein
Mitverdienst an der Erlangung dieses Breve gehabt hat.
Der Hinweis im Text auf die Stänkereien der Obsvervanten
gegen die Konventualen in Deutschland bestätigt diese Auf-
fassung. Auch war Caleiator der richtige Mann, um die
Praktiken des Staupitz und seiner Observanten zu schildern,
wie sie sich durch Vermittlung des Adels in den Besitz der
Klöster der Konventualen setzten.
Hat Staupitz sich dieser päpstlichen Entscheidung ge-
fügt? Es ist nicht wahrscheinlich, daß er seine vom Ehr-
geiz eingegebenen Unabhängigkeitsbestrebungen aufgab, um
so weniger als er die Lombarden auf seiner Seite hatte.
die ihm gezeigt hatten, wie man päpstliche Entscheidungen
rückgängig macht. Der offizielle Geschichtsschreiber der
lombardischen Kongregation Calvi erzählt nämlich, daß die
Verbindung (sie!) zwischen der deutschen und seiner Kongre-
gation ungefähr sechs Jahre lang Wirkungen her-
vorgebracht hat, also ungefähr bis -1510/11. Merken wir
uns vorläufig dieses Datum, weil es ziemlich genau den
Zeitpunkt angibt zu dem die deutsche Kongregation sich
13 13
wieder unter das ,Joch* des Generals begeben hat. Qui
si trattò e conchiuse (Vercelli 1505) "unione della Congre-
gazione Sassonica d’ Andrea Proleá con la nostra di Lom-
bardia benche solo per sei anni in circa se ne vedessero
gl'effetti, stante la distanza, de’ climi e diversità di
genii. (Calvi: Memorie etc. Mailand 1669 S. 182.)
Daß Staupitz bei seinen ehrgeizigen Plänen verharrte
und auf Umwegen das wieder zu erreichen suchte, was der
Papst zurückgenommen hatte, zeigt sein ganzes weiteres
Verhalten. Kolde (S. 232) möchte, ohne eine Quelle zur
Verfügung zu haben, annehmen, daß Staupitz 1507 nach
Rom gekommen sei und der Wahl des Agidius von Viterbo
auf dem Generalkapitel von Neapel am 23. Mai beigewohnt
habe. Wie gesagt, beruft sich Kolde hierfür auf keine
Quelle. Aber Besler, der Vertrauensmann und Vertreter
von Staupitz in Rom, der damals in der Ewigen Stadt weilte
und zwar bis zum Jahre 1509, schließt einen Besuch von
Staupitz in Rom in diesem Jahre indirekt dadurch aus, dab
er uns berichtet, Staupitz sei im Januar 1507 in Bologna,
(wo gerade damals die Kurie war) gewesen und habe
ihn dorthin kommen lassen um ihm Aufträge
zugeben. Ware Staupitz nach Neapel gegangen, hatte
Besler, der sonst über jedes Zusammentreffen mit ihm getreu
berichtet, dieser Begegnung Erwähnung getan, und Staupitz
wäre nicht nach Neapel gegangen ohne auf der Hin- oder
Rückreise Rom zu berühren. Auch hätte er in diesem Falle
Besler nicht nach Bologna kommen zu lassen brauchen,
und endlich pflegten die Kongregationsvi-
kare geradeindiesenJahren diesen General-
kapiteln nicht beizuwohneao. (Siehe oben S. 7)
Staupitz hatte auch ein zu böses Gewissen, um sich bei der
Ordensleitung blieken zu lassen; trug er sich doch mit
Plänen, die ihre Dilligung nieht finden konnten. Möglich
wäre es schon gewesen, dab Staupitz, wenn er sich länger
in Italien aufgehalten hätte, dem sogenannten General-
kapitel der Lombarden beigewohnt hätte, aber so
kurz nach der „Union“ konnte er unmöglich eine von der
lombardischen verschiedene Marschroute einschlagen, und
die führte nicht nach Neapel aufs Kapitel.
14 14
Hatte sich Staupitz bisher direkt an die Kurie und an
die Observanten gewandt, um sich vom General unabhängig
zu machen, so versuchte er jetzt sein Glück auf anderem
Wege. Er unterhandelte mit dem im August 1507 nach
Deutschland als Legaten geschickten Kardinal Carvajal und
schlug ihm eine neue Union seiner Kongregation mit den
Konventualen der Provinz Sachsen vor. Jedes
Mittel war ihm recht, wenn es ihn zu seinem Ziel führte.
Er versuchte nämlich durch die von ihm beeinflußte Unions-
urkunde, wie wir sehen werden, sich seine Machtstellung
neuerdings garantieren zu lassen, ahnte aber in seinem blin-
den Ehrgeiz nicht, daß er gerade damit sowohl den General
wie seine Observanten herausfordern mußte.
Einige Historiker haben sich bemüht, auch bei dieser
Gelegenheit den Reformeifer von Staupitz zu preisen.
Man muß aber über Observanzfragan nicht gut unterrichtet
sein, um in dem Staupitzschen Projekt keine Gefahr für
die Observanz zu erblicken. Die Aggregation von 23 bez.
25 neuen Konventen, d. h. die Vereinigung von fast eben-
sovielen Nichtobservanten mit den Observanten entsprach
nicht dem Prinzip, aus dem sich die Observanten in Kon-
gregationen abgesondert hatten. Wenn man ferner ge-
pau zusieht, waren in dem Unionsdokument vom 15. De-
zember 1507 keine ernsten Garantien fiir das Weiterbe-
stehen der intakten Observanz gegeben. Es wurde darin
wohl angeordnet, daß keine plötzliche (sic!) Vermischung
von Brüdern aus der Kongregation mit denen aus der Pro-
vinz stattfinden sollte, aber damit war — abgesehen davon,
daß „plötzlich“ hier ziemlichzusammenschrumpfen konnte — die
Vermischung im Prinzip bereits zugegeben,
und wurde zudem noch besonders dadurch nahe gerückt, daß in
demselben Satze indirekt zugestanden wurde, daß in der
Provinz Sachsen genügend reformierte Konvente existierten,
mit denen natürlich eine Vermischung keine Gefahr für die
Observanz verbunden sein konnte, wenigstens im Sinne des
Hintermannes dieses Dokumentes. Ebenso gewolltzwei-
deutig ist der Satz über den Observantismus des Unions-
leiters. Manche Forscher haben auf Grund einer flüchtigen
Betrachtung des Textes geglaubt, daß dieser Leiter immer
[d
15 15
der Kongregation zu entnehmen sei, obne zu bedenken,
daß die Sachsen doch niemals einer solchen Bedingung zu-
gestimmt hätten! Das steht aber auch durchaus nicht im
Text, der nur bestimmt, daß der Unionsleiter in der „regu-
lären Observanz genährt sein müsse“ und nicht in „irgend
einer Weise die Observanz geringgeschätzt haben dürfe“. Die
Observanz der Kongregation wird aber unmittelbar
darauf die peer herve Observanz“ genannt, während
es später auch von den Sachsen heißt, daß sie in Zu-
kunft ungestört in der „regulären Observanz* leben
sollen. Am meisten mußten aber die Observanten sich da-
durch abgestoßen fühlen, daß ihr Generalvikar ihnen durch
das neue Unionsdekret eine neue Verfassung aufhalste, die
ihm persönlich das Heft in die Hand gab. Da nämlich die
Sachsen je zwei und die Observanten je zwei Diffini-
toren bei der ständigen Regierung der Union stellen sollten,
hätte der Unionsleiter dadurch, daß er von einer Gruppe
zar anderen pendelte, stets die Entscheidung in
seiner Hand gehabt, was Staupitz ja bezweckte. Daß
sich in der Kongregation ein Widerstand gegen dieses Pro-
jekt regte, ist begreiflich.
Noch mehr mußte sich die Ordensleitung in Rom gegen-
dieses Projekt auflehnen, und es ist geradezu unbegreiflich
daß neuere Forscher sich zu der Behauptung versteigen
konnten, Staupitz habe mit dem General die Einzelheiten
dieser Union durchgesprochen! Das Dokument erwähnt
nämlich nicht ein einziges Mal irgendwie die Zustimmung
des Generals, die doch als diejenige eines Hauptbeteiligten
notwendig gewesen wäre. Wie konnte man ohne diese Zu-
stimmung eine dem General zweifellos unmittelbar
unterstellte Provinz, wie die Saxonia, mit einer privilegierten
Kongregation vereinigen, besonders wenn dadurch, wie wir
sehen werden, die Jurisdiktion des Generals empfindlich
leiden mußte? Allerdings schreibt das Dokument mit
niehtswürdiger Zweideutigkeit vor, daß sich der General-
vikar unter keinem Vorwand der Obödienz des Generals
entziehen, sondern ihn als Haupt des ganzen Ordens „ehren“
und „pflegen“, ibm die Kontributionen zahlen und ihm
"wenn er Erlaubtes (!) befehle ehrerbistigst gehorchen
16 16
solle. Welch eine raffinierte Frechheit! Man beachte, daß
hier an dieser Stelle und auch sonstwo nirgends im Doku-
ment auch nur mit einem Wort die Rede ist von der Ge-
horsamspflicht und Untergebenheit aller anderen
Unionsmitglieder, sondern nur von derjenigen des
Unionsleiters, wahrend von den Unionsmitgliedern anderswo nur
gefordert wird, daß sie „sub obedienta“ des Unions-
leiters leben sollen. Damit wird indirekt die oben S. 5
von der Ordensleitung verworfene These aufgestellt, wonach
der General nicht unmittelbarer Oberer der einzelnen
Brüder ist und ihnen daher nur durch die Vermitt-
lung des Unionsleiters befehlen kann, und
zwar auch dann nur, wenn er Erlaubtes be-
fiehlt. Welch eine Zweidentigkeit! Das kann nämlich
heißen, daß der Unionleiter zu gehorchen gehalten ist, wenn
der General nichts gegen die Gebote Gottes oder der Kirche
befiehlt, aber es kann auch heißen, daß der General nichts
gegen die Observanz der Konstitutionen und Privilegien der
Union befehlen darf, und jedenfalls bleibt dem subjektiven
Gewissen des Unionleiters die Befolgung der Befehle über-
lassen (siehe oben S. 6).
Mißfallen mußte es ferner der Ordensleitung, daß ohne
ihre Zustimmung die Bestätigung des Provinzials der Saxonia
ihr durch dieses Dokument entzogen wurde, denn in Zukunft
sollte der Provinzial dieser Provinz durch seine Wahl kraft
apostolischer Autorität bestätigt sein und wohl
auch sein Amt ausüben kraft derselben Autorität, da vom
(General überhaupt keine Rede ist. Mißfallen mußte es end-
lich auch der Ordensleitung, daß die Konstitutionen der
Kongregation nun auch in der Provinz Saxonia ein-
geführt werden sollten. Alle diese Anordnungen der Unions-
urkunde verstoßen nämlich gegen die obenerwähnten Punkte
1—4 des Ordensprogrammes! Bezeichnend ist es
auch für Staupitz, daß er durch den päpstlichen Legaten in
diesem Dokument seiner Kongregation alle dureh Julius II.
verliehenen Privilegien der Lombarden (exemptiones,
immunitates,libertates etc.)nochmals „bestätigen“
läßt, ohne jedoch des oben besprochenen Widerrufes Er-
wähnung zu tun. Der Text des Dokumentes ist offenbar
17 17
von Staupitz oder von einem seiner Vertrauten stark beein-
flußt worden, wenn er nicht in den interessierten Partieen
von ihnen direkt hergestellt worden ist. So klingt beson-
ders der Satz tiber die Konstitutionen, dort wo er von der
„sinceritas Regulae“ redet und sagt, daß man das alles
bei Seite lassen solle, was der Orden mehr duldet als be-
fiehlt (dimissis eis quae potius Ordo tolerando patitur
quam fieri iubeat) stark an die Einleitung zu den
Staupitzkonstitutionen an. Daß jedoch der für dieses Schrift-
stück verantwortliche Legat ein Haar in dieser ihm von
Staupitz eingebroekten Suppe gefunden hat und sich durch
vier Worte davor bewahrt hat, sie ganz auslöffeln zu müssen,
ist bisher nicht beachtet worden. Er vollzieht nämlich die
Aggregation nur: sine praeiudicio dieti Genera-
lis! Durch diese Klausel wird auch ein vorheriger Konsens
des Generals, den gewisse Forscher angenommen haben,
ausgeschlossen.
Staupitz hat fast drei Jahre lang diese Urkunde, wenn
man Hoehn (S. 141) glauben darf, nicht veröffentlicht. Er
wollte offenbar den Boden für sie in der Kongregation, in
Sachsen und eventuell auch in Rom beim General vorbe-
reiten. Trotz seiner Nichtveréffentlichung konnte ein solches
Dokument nieht geheim gehalten werden. Wie Bóhmer
unter Berufung auf die Nürnberger Ratserlasse (S. 55) mit-
teilt, wußte man schon 1508 in Nürnberg, daß eine Ver-
fassungsänderung in der Kongregation bevorstehe, und der
Rat entzog darauf den Augustinern das Trinkwasser und
gewährte es ihnen auf Widerruf nur unter der Bedingung
wieder, dab sie sich mit der Erlaubnis des Staupitz in Rom
um den Bestand der Freiheiten ihres Klosters bemühten,
Wir wissen zwar nichts über einen etwaigen Widerstand
der Sachsen, aber der sächsische Provinzial konnte einer
solchen Union, die für ihn einer Amtsabtretung an Staupitz
gleiehkam, nieht zustimmen. Mit vollem Recht haben Kolde
und Böhmer angenommen, daß der in der Urkunde erwähnte
ciumütige Konsens der Sachsen von Staupitz nur vor-
zegeben worden ist, denn man kann nieht gut annehmen,
dab eine ganze Provinz, von der vorber zugegeben wird.
daß manche ihrer Konvente noch reformbedürftig seien
Archiv für Reformationsgeschichte XVIII 1. o
æ]
18 18
und zur Reform eventuell gezwungen werden könnten, ein-
mütig den Wunsch nach einer solchen Union ausgesprochen
habe, die im Grunde zur Abschaffung ihres Provinzialates
und ihrer Selbständigkeit führen mußte. Es ist sogar sehr
wahrscheinlich, daß der durch die Unionsurkunde bloDge-
stellte Provinzial, dem die Sache nicht verborgen bleiben
konnte, nach Rom berichtete, um sich zu rechtfertigen. Stau-
pitzens Plan war wiederum vereitelt worden!
Bevor wir nun die weitere Haltung von Staupitz schil-
dern, müssen wir eine Untersuchung über gewisse Quellen
anstellen, die die modernen Forscher bisher gutgläubig über-
nommen und benutzt haben, ohne irgendwie ein Bedenken
zu äußern. Ich meine damit die Regesten aus den
Generalregistern des Augustinerordens. Diese Regesten
(siehe Böhmer S. 25 ff.) sind in zweifacher Form auf uns
gekommen. Die einen sind Fragmente des „Manual-
registers“ des Agidius von Viterbo aus den Jahren 1508 bis
1509, 1512—1513 und befinden sich heute noch im General-
archiv des Ordens, die anderen dagegen sind uns nur durch
zwei späte Abschriften, von denen die eine, verschiedene
Jahre umfassend, in München liegt und die andere, die
Jahre 1510—1513 betreffend, heute in Berlin auf der Staats-
bibliothek sich befindet, überliefert worden.
Über die Paläographie dieses vorgeblichen Manualregisters,
die Hände oder die Hand, den Ductus und Charakter der
einzelnen Eintragungen im Vergleich zu den vorhergehenden
und folgenden, sagt uns sogar Böhmer weiter nichts, obschon
dieses zur kritischen Würdigung dieser Quelle sehr not-
wendig gewesen wäre. Wenn wir es nämlich mit Eintra-
gungen zu tun hätten, die sofort, von Fallzu Fall,
und an der Hand der Urdokumente, so lange diese
noch nicht abgeschickt waren, sorgfältig ausgezogen und
eingetragen worden wären, dann hätten wir eine
Quelle ersten Ranges vor uns. Anders würde die
Sache sich verhalten, wenn diese Eintragungen erst nach
geraumer Zeit, auf Grund von flüchtigen Notizen
und nicht auf Grund der bereits abgesandten Urdokumente,
haufenweise, hintereinander eingetragen worden wären.
Was ist nun in Wirklichkeit geschehen? Keinem Forscher
19 19
ist es bisher in den Sinn gekommen, dieser Frage nach-
zugehen.
Zuerst habe ich meine Bedenken bezüglich der Jahres-
daten dieser Regesten.
Unter dem 5. Juli 1508 (Böhmer S. 27) wird dem
Provinzial der Kölner Provinz aufgetragen, den Observanten,
die den Kölner Konvent angenommen hatten, zu befehlen, unter
Androhung der „excommunicatiolatae sententiae“, ihn innerhalb
zebn Tagen zu verlassen. Nun ist aber das Schreiben des
Kölner Rates an Staupitz, in dem dieser gebeten wird, den
Kölner Konvent zu übernehmen und zu reformieren, vom
27. Januar 1509 und nicht 1508, und wir wissen aus einer
anderen Quelle, daß Staupitz den Konvent nach Pfingsten
1509 persönlich übernommen hat (vgl. Kolde S. 236). Die
von Kolde angerufenen Urkunden dürften über die Jahres-
zahl keinen Zweifel lassen. Ferner: Die Regesten melden
unter demselben Jahre 1508 (Böhmer S. 27) am 28. Oktober:
Bruder Siegfried von Speier wird als Provinzial der Rhein-
ischen Provinz bestätigt unter der Bedingung, daß er die
Provinz reformiert und die Akten des (Provinzial)-Kapitels
einschickt. Nun wissen wir aber durch Höhn (Chrono-
logia Provinciae Rheno Suevicae Würzburg 1774 S. 140.)
daß Sigfridus Caleiator von Speyer auf dem Provinzial-
Kapitel von Hagenau wiedergewählt worden ist, das aber
nicht 1508 sondern 1509 stattgefunden hat. Drittens: Zum
25. Mai 1509 bemerkt unser Regest (Böhmer S. 29): Hor-
tamur Fratres Congregationis Alemaniae ad pacem et chari-
tatem mandamusque ut dum Vicarius et Romae
nihil innovetur. Böhmer S. 29, Anm. 1 bemerkt dazu: Also
beabsichtigte Staupitz wohl schon im Friihjahr 1509 nach
Rom zu gehen. Wenn Staupitz erst nach Rom hätte reisen
wollen, dann hätte es doch, streng genommen, heißen müssen:
dum erit Romae. Dagegen verlangt der strenge Wortlaut
dum est Romae, daß Staupitz bereits an diesem 25. Mai
sich in Rom befand. Das war aber ganz genau 1510 der
Fall Er wurde nämlich 1510 Anfang Mai, wie wir unten
sehen werden, erwartet und war am 26. Juni noch immer
in der Nähe von Rom in Soriano bei Viterbo. Wäre Stau-
pitz bei der Abfertigung dieses Schreibens in Deutschland
Po
20 20
gewesen — und das war 1509 der Fall — dann wäre das
Schriftstück auch an ihn als den Oberen gerichtet worden,
während seine vollständige Außerachtlassung dafür spricht,
daß er nicht dort war. Wenn ferner im Monat Mai 1509
der Gerneral ein Schreiben dieser Art nach Deutschland zu
befördern gehabt hätte, würde er sich der beiden Vertrauens-
leute von Staupitz bedient haben, die aber bereits am
9. Mai die ewige Stadt verlassen haben (siehe weiter unten
S. 21). Auffällig ist es auch, daß der Befehl an Staupitz
vom 30. Juli 1509, seine Leute aus den Provinzen zurück-
zurufen, und der Befehl an die Provinziale vom Rhein und
von Bayern, sie nicht aufzunehmen oder richtiger gesagt,
nieht zurückzubehalten, von Calciator,. wie Höhn S. 140 be-
richtet, bereits dureh Dekret 1508 ausgeführt worden war.
Zweitens bestehen Bedenken bezüglich der sachlichen
Genauigkeit bei den Eintragungen. So heißt es unter dem
35. Juni 1509: Confirmamus (sie!) in Vicarium Congrega-
tionis Alemaniae et Provincialem Rheni (sic!) Magi-
strum Johannem Staupitz. Lassen wir vorläufig bei Seite,
dab Staupitz, wie wir sehen werden, am 26. Juni, aber
nieht 1509 sondern 1510 zum Generalvikar der Kongregation
und Provinzial von Sachsen „dezerniert” worden ist, und
achten wir jetzt nur auf die Textungenauigkeiten. Wie
konnte Staupitz 1509 vom General als Vikar seiner Kon-
gregation ,konfirmiert^ werden, da doch diese Vikare
kraft Apostolischer Autorität durch die Proklamation ihrer
Wahl konfirmiert waren, wie aus den Staupitzkonstitutionen
klar hervorgeht. Noch weniger konnte Staupitz 1509 zum
Provinzial von Rhein und Schwaben „konfirmiert“
werden, da er nachweislich niemals zu diesem Provinzialat
gewählt oder auch nur ernannt worden ist, da Calciator von
1503—1514 ununterbrochen Provinzial geblieben ist. (Höhn
S. 137) Unter dem 29. Januar 1513 wird dann Staupitz
sogar als ,Vikar“ von Rhein uud Schwaben be-
zeichnet! Ebenso wird von Staupitz unter dem 14. Juni
1510 behauptet: Magister Johannes Staupitz Vicarius
iterum (sic!) creatur tam Congregationis tam Saxonum,
wihrend wir doch aus der erhaltenen Bestallungsurkunde
wissen, daB er am 26. Juni nicht zum Vikar, sondern zum
21 D
zum Provinzial der Sachsen bestimmt worden ist und
zwar nicht „iterum“ sondern zum ersten Mal (siehe weiter
unten S. 23). Das möge genügen, um zu zeigen, daß bei
den Eintragungen der Inhalt der Urkunden sehr flüchtig be-
achtet worden ist. |
Welche Schritte Staupitz unternommen hat, nachdem
sein Unionsplan sowohl dureh den Widerstand eines Teiles
der Observanz als auch dureh denjenigen des Generals und
der Sachsen ins Stocken gekommen war, entzieht sich eine
Zeit lang unserer Nachforschung. Anfang 1510 trifft einer
seiner Vertanensleute, der Mtinchener Prior Georg Mayr, in
Rom ein. Uber seine Mission schweigt sich Besler, der uns
die Nachricht gibt, vollstindig aus. Vielleicht sollte Mayr
zuerst versuchen, die Lombarden, die ja die Interessen der
deutschen Kongregation jetzt an der Kurie zu vertreten
hatten, für Stauqitz Plan zu gewinnen. Aller Voraussicht
nach mußten jedoch die Lombarden gegen eine solche Ver-
mischung von Observanten mit Konventualen eingenommen
sein. Hat natürlich alsdann Mayr die Politik bereits einge-
leitet, die wir Staupitz im nächsten Jahre treiben sehen ?
Hat Mayr versucht, wieder mit dem General
anzubändeln? Wenn der General wirklich — was ich
allerdings, wie gesagt, aus versehiedenen Gründen nicht an-
nehmen kann — bereits im Mai 1509 mit dem Hinweis auf
die Reise von Staupitz, die deutschen Observanten zum
. Frieden ermahnt hätte, dann würde ich mit Sicherheit an-
nehmen, daß Mayr beim General einen Fühler ausgestreckt
habe. So können wir nur mit Sicherheit feststellen, daß
nicht nur Mayr, sondern auch Besler am 5. Mai 1509
aus Rom abgereißt ist (Vita Bésleri a. a. O.) so daß die
deutsche Kongregation keinen Vertreter mehr bei den
Lombarden hatte. Bedeutete das schon den Bruch mit den
Lombarden oder bereitete es ihn nur vor? Sicher wissen
wir auch, daß Staupitz Anfang Mai 1510 in Rom eintraf.
Das äußerst wichtige Regest über diese Ankunft ist aber
bis jetzt, was eine darin erwähnte Einzelheit betrifft, von
der Forschung nicht gebührend beachtet worden. Unter dem
1, Mai 1510 heißt es in der Berliner Abschrift aus dem
sogenannten Manualregister: Germanicae Congregationis Vica-
32 22
rius Romam se confert Congregationis colla Reli-
gionis jugo subieeturus. Sehr deutlich wird also
mit diesen Worten gesagt, daß Staupitz seine Kongregation
wieder, soweit es an ihm lag, der Ordenszentralleitung
unterstellte Das Schisma, von dem wir oben gesprochen
haben, hätte damit aufhören sollen. Auf welche Privilegien
und Exemptionen Staupitz verziehtet hat, wissen wir leider
nicht genau, aber auf Grund des eingangs erwähnten Ordens-
programmes und der weiter unten noch näher anzuführenden
Dokumente können wir sie folgendermaßen charakterisieren:
Anerkennung des Generals und seiner vollen Konstitutions-
gewalt über den Vikar und die einzelnen Kongregationsmit-
glieder wie sie oben S. 5 gefordert wurde, wie sie Leo X
in dem weiter unten zu erwähnenden Schreiben fordern wird
(siehe S. 31), und wie sie der General in den Regesten von
den Renitenten fordern wird, nämlich vollen Gehorsam
gegenüber dem Orden und seinem Leiter. Ferner:
Anerkennung der Generalkapitel und Verpflichtung der
Kongregation, sich darauf vertreten zu lassen und deren
Befehlen nachzukommen, endlich Verzieht auf einen beson-
deren Ordensprokurator in Rom. Wenigstens diese Zu-
geständnisse wird Staupitz gemacht haben.
Für die Ordenszentralleitung war das ein großer Erfolg
und ihn muß man vor Augen haben, wenn man begreifen
will, warum der General dafür im Rahmen seines Programmes
Staupitz große Gegenzugeständnisse machte
und sie mit seiner ganzen Autorität gegen die Observanten
durchdriicken wollte.
Warum Staupitz wieder unter das „Joch“ des Ordens-
generals kroch, ist nicht schwer za begreifen. Für nichts
hat er dieses Opfer nicht gebracht. Durch die Memminger
Unionsurkunde hatte Staupitz nieht nur den Widerstand eines
Teiles der Observanz, der Sachsen und des Generals hervor-
gerufen, sondern sich auch stark blamiert. Um sich zu
retten, verschacherte er wieder die Unabhängigkeit seiner
Kongregation an den General unter der Bedingung, daß der
General ihn dazu mache wozu die Unionsbulle ihn vergeblich
zu machen gesucht hatte, nämlich zum Provinzial vcn
Sachsen.
23 23
Das Bestallungsschreiben ist uns noch zum größten
Teil erhalten. Es ist datiert aus Soriano bei Viterbo vom
26. Juni 1510 (Höhn S. 154). Auf die einleitenden Freund-
liehkeitsfloskeln ist kein großer Wert zu legen. Staupitz
wird darin gerühmt, daß er um „Alles“ (Was?) zu ordnen
und zu schlichten den unbequemen Weg nach Rom nicht ge-
scheut habe und dort eine sehr große Bereitwilligkeit gezeigt
habe, alles zu tun, was zum Frieden und zur Ruhe aller
führen könne, Damit er diese Aufgabe um so leichter lösen
könne, ernennt ihn der General zum Provinzial von Sachsen
und zwar in folgender Form:... per has litteras
nostras te Provincialem Saxoniae et Vicarium Con-
gregationis Alemaniae decernimus, declarantes te potiri
utraque auetoritate ac potestate sicut hactenus tam Pro-
vincialis praedictae Provinciae quam Vicarius praedictae
Congregationis potiti sunt ..... mandantes omnibus tam
Provinciae quam Congregationis eiusdem Patribus ac Fratribus
sub poena rebellionis ac privationis activae et passivae vocis
in perpetuum ut (cie) iis omnibus quae tibi ad pacem quietem
salutem et religionis honorem pertinere videbuntur, tan quam
personae nostrae oboediant ... Man beachte, wie
hier der General Staupitz nicht zum Vikar „ernennt“,
sondern nur „bestimmt“, daß er Provinzial von Sachsen und
Vikar sei. Durch diese juristische Feinheit maßt sich der
General nicht das Recht an den Vikar ernennen zu können.
Er bestimmt nur, daß Staupitz Provinzial und Vikar sein
soll; woher er Vikar ist, bleibt dahingestellt. Man vergleiche
mit dieser feinen juristischen Schattierung die klotzige Aus-
drucksweise der Regesten, die den General Staupitz bald
zum Vikar „kreieren“ lassen, bald ihn als Vikar „be-
stätigen“ lassen, beides Ausdrücke, die einer Heraus-
forderung der Observanten gleichgekommen wären, weil
sie direkt gegen Kap. 32 ihrer Konstitutionen
verstoßen, wonach die Wahl des Generalvikars ihnen
zusteht und keiner anderen Konfirmation bedarf. Man
beachte ferner, daß Staupitz „durch diesesSchreiben“
zum Provinzial und Vikar bestimmt wird. Wenn er es
vorher schon gewesen wäre, würde das hier in irgend einer
Weise zum Ausdruck gekommen sein. Wir können daher
24 24
auch aus diesem Grunde die oben erwähnten Regesten fallen
lassen. Wenn ferner Staupitz zu derselben Zeit auch noch
Provinzial oder gar Vikar von Rhein und Sehwaben
gewesen wäre, dann hätte doch der General hier dieser
Eigenschaft irgendwie gleichfalls Erwähnung getan, weil sie
sonst dadurch hätte verfallen können. Bezüglich der Voll-
machten, die Staupitz durch die Bestallungsurkunde des
Generals gewährt werden, kann ich nicht umhin der Meinung
Ausdruck zu geben, daß eine gewollte Zweideutig-
keit in ihrer Formulierung herrscht. Anscheinend werden
nur die Vollmachten des Provinzials (in der Provinz?) und
die Vollmachten des Vikars (in der Kongregation?) und
zwar immer nur die bisherigen Vollmachten in der
Person von Staupitz vereinigt ohne vermischt zu
werden. So könnte man den betreffenden Passus der
Urkunde auslegen, wenn der darauffolgende Satz
nicht wäre, in dem Staupitz soweit Ruhe, Frieden,
Heil und Ehre des Ordens in Frage kommen, die
Vollmachten des Generals übertragen werden oder
doch wenigstens sowohl von den Vikarianern wie von den
Provinzlern verlangt wird, daß sie ihm wie dem General
in Person gehorchen müssen: tamquam personae nostrae-
Angesichts einer solchen Formel war nun doch der Verdacht
am Platze, dab Staupitz auf Grund dieser Vollmacht Ver-
setzungen aus dem Vikariat in die Provinz und aus der
Provinz ins Vikariat, hätte vornehmen können, was gegen
die Privilegien der Observanten verstieß (siehe S. 4). Be-
sonders mußte die vom General gebrauchte Formel bei den
Observanten anstoßen, weil sie, wenn auch nur indirekt.
aber dennoch ziemlich deutlich dartut, daß der General un-
mittelbarer Oberer aller Brüder, der Provinzler wie
der Vikarianer ist und daß die Provinzoberen, mögen
sie nun Provinziale oder Kongregationsvikare
sein, ihre Gewalt vom General und nieht
direkt vom Papste haben. Welch eine Tragikomódie,
dab derselbe Staupitz, der aus Ehrgeiz dieses Prinzip jahre- .
lang bekämpft hatte, nun wiederum aus Ehrgeiz sieh zum
Instrument des Generals hergibt, um es gerade dort durch-
zuführen, wo er es bekämpft hatte! Noch in der Memminger
25 2
IND
5
Unionsurkunde hatte Staupitz dieses Prinzip, wie wir S. 15/16
gesehen haben, wegzudeuten gesucht!
Dieses berüchtigte Dokument wird übrigens in der Be-
stallungsurkunde des Generals mit keinem Wort erwähnt.
Im Gegensatz zu ihm behält der General die fünf süd-
deutschen Konvente, um die sich die Kongregation und die
rheinsehwübische Provinz stritten, und die das Memminger
Instrument in die neue Organisation einbezogen hatte, vor-
läufig sich selbst vor. |
Wann Staupitz Jtalien verlassen hat, entzieht sich unserer
Kenntnis. Am 30. September muß er aber wieder in Deutsch-
land gewesen sein, denn unter diesem Datam des Jahres 1510
veröffentlichte er von Wittenberg aus (naeh Höhn a. a. O.
S. 141) die Unionsbulle von Memmingen und wie ich ais
selbstverstindlich annehme, die Bestallungsurkunde des
Generals,
Zweck und Tragweite der Veröffentlichung des
Memminger Dokumentes sind leider von den Forschern bis-
her stark verkannt worden. Man hat die Sache so dar-
stellen wollen, als hätte sich Staupitz damit auf das ganze
Dokument berufen wollen, um eine Union mit den Sachsen
nach dem Wortlaut dieser Memminger Ur-
kunde herzustellen. Das ist aber schon aus Rechtsgründen
ausgeschlossen gewesen! Wir haben oben gezeigt, daß eine
solehe Union der Ordensleitung widerstreben mußte und
daß diese Union in dem genannten Dokument nur vorze-
nommen wurde unter Wahrung der Rechte des
Generals. Wir haben ferner gezeigt, daß Staupitz
aus der Hand der Ordensleitung eine ganz
andere Art Union mit den Sachsen ange-
nommen hat als sie die Memminger Urkunde vorsah.
In ihren Hauptbestimmungen widersprechen sich nämlich
die beiden Unionsprojekte. Durch die Annahme eines „wider-
sprechenden“ Projektes verzichtete aber Staupitz. gemäß dea
Bestimmungen über die Privilegien rechtlich auf den
Unionsteil der Memminger Urkunde, so daß er sich nicht
mehr darauf berufen konnte.
Trotzdem war es angebracht, das Memminger Privileg
zu veröffentlichen. Bei solchen Urkunden kann nämlich der
26 26
eine Teil ungültig werden unbeschadet der anderen Teile
So war es auch hier der Fall. Durch den Verzicht auf
den Unionsteil verlor der erste Teil der Urkunde, der eine
neue Aufzählung und neue Bestätigung aller Privi-
legien der Kongregation enthielt, keineswegs seine Gültigkeit.
Staupitz konnte also sehr gut, wahrscheinlich gedrängt durch
die Observanz, dieses Memminger Privileg zugleich mit der
Bestallungsurkunde des Generals veröffentlichen, weil alsdann
für keinen Rechtskenner eine Konfusion zu befürchten war.
Nur wäre es jetzt ein großer Fehler, wenn man Luther und
seine Freundegegen Windmühlen,dasheißtgegen
den UnionsteilderMemminger Urkunde statt
gzegendasBestallungssehreiben des Generals
und die Preisgabe verschiedener Kongre-
g£ationsprivilegien dureh Staupitz kämpfen
ließe. Die Opposition in Observantenkreisen gegen das
Memminger Unionsprojekt hatte zwar bestanden, war aber
nun, nachdem dieses aufgegeben worden war und einem
anderen Platz gemacht hatte, abgelöst worden durch die
neue Opposition gegen das neue vom General gebilligte
Projekt des Staupitz und den damit verbundenen Privilegien-
verzicht. DaB es sich um dieses neue Projekt handelt, geht
auch daraus hervor, daß, wie wir aus den Akten des Streites
erkennen können, der General auf Seiten von
Staupitz gegen die Renitenten stand. Für die
Memminger Union hätte aber der General niemals eintreten
kónnen, wie wir oben gezeigt haben.
Sieben Konvente der Observanz, darunter auch der
Erfurter und der Nürnberger erhoben sich gegen diese An-
ordnung des Generals. Innerhalb von zehn Tagen nach
Zustellung des Dokumentes mußten die Apellanten, da der
,iudex a quo^, nümlieh der General nicht zu erreichen war,
ihre ,apellatio extra iudicialis“ Öffentlich bekanntgeben oder
die Reise nach Rom antreten. Martin Luther war einer der
beiden Abgesandten. Bevor jedoch Luther die Romreise
antrat, begab er sich nach Halle zusammen mit dem Magister
Nathin, um vom dortigen Domprobst Adolf von Anhalt eine
Empfehlung an den Erzbisehof von Magdeburg zu
erhalten. War doeh der Magdeburger Erzbischof nieht nur
27 27
durch die Memminger Urkunde zum Exekutor aller ihrer
einzelnen Teile, also auch der darin enthaltenen Bestätigung
der Kongregationsprivilegien bestellt worden, sondern
auch durch Papst Julius I. (siehe oben S. 10) zum
Exekutor der Bulle, die der Kongregationdie
Privilegien der Lombarden gewährte, er--
nannt worden. Die sieben Konvente sahen also offenbar
in der Anordnung des Generals einen Eingriff in die Privi-
legien ihrer Kongregation. Jedenfalls noch im Oktober
wird Luther alsdann nach Rom aufgebrochen sein, wo die
lombardische Kongregation ihm gegen Staupitz und den
General beigestanden haben wird. Aus einem Regest des
,Manualregisters^ vom 1). Januar 1511 wissen wir, dab
diese Apellation „verboten“ wurde. Es heißt nämlich
darin, daß: Appellare ex legibus Germani prohibentur.
Böhmer (S. 57) hat das auf die Klausel „appellatione post-
posita^ in der Memminger Urkunde beziehen wollen. Eine
solehe Klausel hätte aber erstens nicht jede, sondern
höchstens eine „appellatio frivola“ unmöglich gemacht, und
zweitens handelte es sich in unserem Falle nicht um eine
Appellation gegen die Memminger Urkunde, sondern gegen
die Generalsurkunde und den damit zusammen-
hängenden Privilegienverzicht durch Staupitz. Aus welchem
Grunde wurde aber die Appellation „verboten“? Welche
„leges“ haben dabei die „Germani“ außer Acht gelassen?
Da wenigstens für die „sieben Konvente“ die Union mit
den Lombarden noch andauerte, wird sich Luther nicht an
den allgemeinen Ordensprokurator, sondern an den speziellen
Prokurator der Lombarden gewandt haben, und der wird
die Angelegenheit auf Grund ihrer gemeinsamen Privilegien
zu denen auch (siehe Höhn S. 139) das direkte Rekurs-
recht an den Papst gehörte, dem sie ja auch unmittelbar
unterstanden, betrieben haben. Nach den allgemeinen
Vorschriften hätten dagegen die Deutschen zuerst die Apell-
ationserlaubnis beim „judex a quo“ d. h. beim General
nachsuchen müssen und dann hätten sie an den ,judex ad
quem“ aber „gradatim“ ohne Überspringung einer Instanz,
herantreten müssen. In unserem Falle wäre das aber noch
nicht der Papst gewesen sondern der Kardinalprotektor des
28 28
Ordens! Sollte sich also, wie man mit ziemlicher Sicherheit
annehmen kann, der lombardische Prokurator direkt auf
Grund der Privilegien an den Papst gewandt haben, obschon
Julius ll wie wir oben S. 12 gesehen haben erklürt hatte,
daß die deutsche Kongregation dem General so untertan
sein müsse als sei die Mitteilung der lombar-
dischen Privilegien dureh ihn niemals er-
folgt, dann hatte der General Grund genug gehabt, Ein-
spruch gegen die Apellation zn erheben. Daß es wirklich
der General gewesen ist, der Einspruch gegen die
Appellation erhoben hat, geht auch aus dem Umstand her-
vor, daß der Nürnberger Magistrat, wie wir bald sehen
werden, sich an den General wenden wird mit der Bitte,
den Appellanten den Rechtsweg nicht zu ver-
sperren. Nur drei Jahre später erleben wir einen ähn-
lichen Fall. Im Jahre 1514 befiehlt ein Kommissar des
Generals dem Generalvikar der Kongregation von lliceto
(Leeeeto) das Kloster von Viterbo zu räumen. Der General-
vikar erklärt diesen Befehl für null und nichtig und
appelliert direkt an den Papst. Der Magistrat
von Viterbo schreibt daraufhin einen sehr ernsten Brief an
den Ordensgeneral Aegidius zu Gunsten dieser
Appellation. (Landucci A, Sacra Ilicetana Silva, Siena
1653. S. 61)
Luther kehrte im Frühjahr 1511 nach Deutschland zu-
riick. Sehr wahrseheinlieh wird der General in seinen
Gesprächen mit ihm denselben Standpunkt vertreten haben,
den er zu derselben Zeit als Luther noeh in Rom war,
nämlich Januar 1511 (Berl. Regestabschrft.) nach Deutschland
durch den Abgesandten des Staupitz übermitteln lied, näm-
lich, daß die deutsche Angelegenheit zwar in Liebe aber
unter Achtung des vollen Gehorsams zu erledigen sei. Das
nennt man suaviter in modo sed fortiter in re. Auf Luther
muß das großen Eindruck gemacht haben. Er kehrte aus
Rom als ein anderer zurück.
Es hatte sich in ihm eine Anderung insofern vollzogen,
als er sich von nun an, wie das auch bei einem Skrupulanten
leicht begreiflich ist, auf die Seite der Autoritát stellte, weil
dadurch sein infolge des bitteren Streites geängstigtes Gewissen
29 29
auch eine äußere Sicherheit einen äußeren Halt erhielt
und da die oberste Autorität im Orden für
Staupitz war, so entschied auch er sich für
Staupitz. Die sieben Konvente, die ihn nach Rom geschickt
hatten, verharrten in ihrer Opposition und schickten bereits
im April 1511 eine neue Gesandschaft nach Rom, wie aus
einem Schreiben des Nürnberger Magistrates vom 2. April
dieses Jahres hervorgeht. (Vgl. Böhmer S. 166.) Die neuen
Abgesandten sollten sich zuerst an den General wenden
und (wenn er es gestatte) mitihm die Angelegenheit
diskutieren. Jedenfalls sollte der General
den Apellanten nicht den Rechtsweg ver-
sperren. Aus diesem Briefe ist ersichtlich, woran die
erste Gesandschaft mit ihrem Appell gescheitert ist, nämlich
am Widerstand des Generals. Die zweite Gesandtschait
konnte keinen besseren Erfolg als die erste haben, weil der
General, wie wir aus der Berliner Regestabschrift ersehen,
bereits am 11. Januar, als Luther noch in Rom war, ent-
schlossen war den „vollen Gehorsam“ (integra
oboedientia) durchzusetzen. Er bestand auch noch im
März auf diesem Standpunkt und wandte sich an den Kaiser,
damit dieser die Renitenten dazu bringe, dem Orden und
seinem Leiter zu gehorchen. Die zweite Gesandt-
schaft hat also noch weniger erreichen können als die erste,
weil es dem General darauf ankam, die Absplitterung
vom Ordenszentrum energisch zu bekämpfen.
Im Hochsommer 1511 fand in Jena eine nene Versammlung
zwischen den streitenden Parteien statt, über deren Verlauf
wir einigermaßen durch einen Brief des Nürnberger Magistrats
vom 19. September unterrichtet sind. Die sieben Konvente
bebielten sich vor, die Vorschläge von Jena ihren einzelnen
Kommunitäten zu unterbreiten und innerhalb zweier Monate
eine Antwort darauf zu geben. Die Vorschläge waren
schriftlich gegeben worden, ibr Inhalt jedoch ist uns aus
der Antwort des genannten Magistrats an Staupitz nur an-
nühernd bekannt. Erstens will der Nürnberger Magistrat
dab ,in keinerlei Weise* der Nürnberger Konvent
einem Provinzial von Sachsen unterstellt werde. Danach
müssen verschiedene Weisen einer Unterstellung
30 30
unter den Provinzial von Sachsen zur Sprache gekommen
sein. Was die Nürnberger dann weiter vorbringen, geht
gegen die vom General befohlene Union. So
wird auf Grund der Privilegien gegen die Unterstellung von
Observanten unter Obere, die der Observanz nicht an-
gehören, protestiert, was nämlich geschehen wäre durch
Versetzungen aus der Kongregation in die Provinz. (Siehe
oben S. 24.) Zweitens protestieren die Nürnberger ebenso
energisch gegen die Befehlsgewaltdes Generals
(siehe oben S. 9). In hom war man entschlossen nicht
nachzugeben, und der General soll sogar am 1. Oktober
Staupitz beauftragt haben, die Widerspenstigen zu
exkommunizieren. (Vgl. Böhmer S. 166.) Nun scheint
aber Staupitz nachgegeben zu haben. Der Vorschlag des
Generals, durch ein Observantenkapitel die Frage
lösen zu lassen, wurde angenommen unter der Bedin-
gung, daß dieses Kapitel gemäß den Privi-
legien derKongregation tagen würde, zu denen
wahrscheinlich auch der Anspruch gehörte, daß dieses
Kapitel vom General nicht gutgeheißen zu
werden brauchte. Dieses Kapitel fand im Mai 1512
in Köln statt, nachdem Staupitz durch Johann von Mecheln
mit dem General über die Lösung unterhandelt hatte. Wir
wissen nichts näheres über die Beschlüsse dieses Kapitels,
aber angesichts der Folgen, die es gehabt hat, stehen folgende
Punkte für uns fest: Staupitz muß auf alle seine Unions-
projekte verzichtet haben, denn von ihnen ist nicht mehr
die Rede. Er wurde daher zum Vikar wiedergewählt. Er
muß aber auch die Zugeständnisse an den General teilweise
zurückgenommen haben, wie wir aus einer bald zu zitierenden
Äußerung des Generals Gabriel Venetus sehen werden
Meiner Ansicht nach gab Staupitz klein bei und kehrte
zum „status quo ante“ zurück, d.h. zur Lage
der Kongregation, wie er sie vor seinen
Unionsprojekten vorgefunden hatte. Wenn
nämlich die Kongregation unter dem „Joch“ des Generals
geblieben wäre, hätte Gabriel Venetus nicht am 25. August
1518 an den Provinzial von Sachsen schreiben kónnen:
Cum vero is de Congregatione illa sit, quae ab
3] 31
oboedientia nostra se exemptam putat.
Damals also behauptete die Kongregation noch vom Generai
exempt zu sein!!! Staupitz wird 1512 vor dem Kólner Kapitel
den General überzeugt haben, dab sie beide nachgeben und
sich mit der Hoffnung einer Besserung in der Zukunft
begnügen muften . . |
Was Luther nach seiner Rückkehr aus Rom im Früh-
Jahr 1511 während dieser Wirren gemacht hat, wissen wir
leider nicht. Er wurde nach Wittenberg versetzt und
seine Erfurter nahmen ihm noch im Herbst 1512, also noch
mehr als ein Jahr später, seine Stellung im Observantenstreit
so übel, dab sie ihm wie bekannt Schikanen bei seiner
Doktorpromotion in Wittenberg zu machen suchten und
sich bei der Feier nicht vertreten ließen. Das dürfte auch
ein Beweis dafür sein, daß sie über den Ausgang des Streites
nicht ganz zufrieden gewesen sind. Luthers Stellung zu den
Observanten hat seitdem keine Änderung mehr erfahren.
Auf die kleinen Heiligen ist er niemals mehr gut zu sprechen
gewesen.
Gegenüber den anderen Kongregationen hatte die
Ordensleitung keinen leichteren Stand. Beständig suchten
jedoch die Generäle durch Inanspruchnahme der Hilfe des
Papstes die Wiederspenstigen zu zähmen. So erwirkte
Aegidius von Viterbo am 10. Juni 1513 ein Schreiben Leo X.,
in dem dieser dem General apostolische Vollmacht
über den ganzen Orden und auch über die Kongre-
gationen erteilt. Die Bestimmungen des General-
kapitels von Neapel, auf dem Agidius gewählt wurde, sollen,
wie auch seine eigenen Erlasse, im ganzen Orden
befolgt werden, auch von der Kongregation des
AndreasProles, der Spanischen, derjenigen von Lecceto,
derjenigen der Lombardei, von Monte Ortona, von Perugia
Genua und Carbonaria. Der ganze Orden müsse ihm
plene, simplieiter, in omnibus et per omnia
untertan sein. Das ist nun doch ein anderer Gehorsam,
ale ihn das Memminger Instrument vorsah und eine offene
und klare Verurteilung des „licita praeeipienti“. Ferner
gewährte Leo X. unter dem 10. Juni 1515 dem General,
daß alle „Impetrationes“ gegen die Rechte und Kon-
32 32
stitutionen des Ordens ohne Zustimmung des Generals null
und nichtig seien.
Trotzdem gaben die Kongregationen den Kampf nicht
für verloren. Am 30. Januar 1551 suchte Julius IIL wieder
energisch einzugreifen und verordnete: Der Eremitenorden
umfaßt Konventuale und Observanten, die alle dem
General zum Gehorsam verpflichtet sind. Die Konstitutionen des
Gesamtordens, die in Rom 1543 und in Recanati 1547 gut-
geheißen wurden, sind allein und ausschließlich
von allen im ganzen Orden als Konstitutionen zu be-
betrachten. Die Beschlüsse der Observantenkapitel dürfen
nicht als Konstitutionen bezeichnet werden, sondern nur
noch als Definitionen. Die Definitionen der Observanten,
die Wahl ihrer Vikare, die Akten ihrer Kongregationskapitel
haben nur insofern Gültigkeit, als sie vom General
gutgeheißen sind. Diese Gutheißung muß innerhalb
eines Monates nachgesucht werden und der General muß
sie nach Eintreffen des Gesuches innerhalb von zehn Tagen
erteilen oder verweigern. Im Weigerungsfalle hat er die
Gründe anzugeben. Den Abgewiesenen steht das Rekurs-
recht an den Papst oder an den Kardinalprotektor zu. So-
lange der General einem Kongregationsvikar die Bestätigung
nicht erteilt hat, kann der Vorgänger weiter amtieren. Unter
Strafe des Bannes darf sich kein Kongregationsvikar kurz
General nennen, sondern nur Vikar der Kongregation so
und so. Keine Kongregation darf ihre Kapitel General-
kapitel nennen. Die Pflicht, auf den Geueralkapiteln zu
erscheinen, gilt auch für die observanten Kongregationen .. .
Hierob erhoben die Lombarden — sie stehen immer an de:
Spitze der Unabhängigkeitsbewegung — derartigen Wider-
stand, daß bereits am 27. Februar desselben Jahres die
Vertreter des Generals, der damals Seripandus war, eine
Vergleichsurkunde unterzeichneten, in der sie den Lombarden
eine Reihe Konzessionen machen mußten.
Für die Charakteristik der Observaptenbewegung im
Augustiner-Orden, nümiieh für ihre Exemptions- und Privi-
legiensucht gegenüber dem General, genügen die vorge-
brachten Dokumente und Tatsachen, Es erübrigt uns nur
noch an der Hand dieser Charakteristik den Charakter und
33 33
die Haltung Luthers in diesen Kämpfen näher zu würdigen.
Über Staupitz wollen wir kein Wort weiter verlieren. Sein
ehrgeiziger aber schwacher Charakter ist uns genügend
durch seine Bestrebungen geschildert worden. Hätte er
gegen Ende seines Lebens nicht einen Helfer und rück-
sichtslosen Machtmenschen wie Kardinal Lang gefunden, er
wäre niemals Benediktinerabt von S. Peter in Salzburg ge-
worden. Es ist aber bezeichnend für Staupitz, daß er sich
zu einer solchen „Wahl“ hergegeben hat!
Anders liegt die Sache bei Luther. Während Staupitz
seinen Ehrgeiz zu befriedigen suchte, sehen wir Luther aus
diesem Kampfe mit einer verstärkten Hochachtung vor der
Autorität hervorgehen. Manche seiner Mitbrüder mögen bei
diesem Streit ihre Achtung vor der geistlichen Obrigkeit
verloren haben. Bei ihm jedoch ging sie erneut und gestärkt
hervor, und das ist für mich der beste Beweis für die bona
fides und die Ehrlichkeit, mit denen er diesen Kampf geführt
hat. Wenn wir jetzt noch einmal uns die eingangs an-
geführten Stellen Luthers über die Observanten ansehen,
werden wir sie in einem ganz neuen Lichte betrachten
können. Vergessen wir dabei nicht, daß sie gefallen sind,
zwar zwei oder drei Jahre nach dem heftigen Streit, aber
dennoch zu einer Zeit, als die Bestrebungen, gegen die sie
sich richten und vor denen sie warnen sollen, in Deutsch.
land noeh existierten, wenn sie auch dort
nicht voll zum Durchbruch kommen konnten,
wie in Italien. Luther hätte pflichtwidrig gehandelt,
wenn er seine Zuhörer nicht nachdrücklichst gewarnt hätte.
In der ersten Stelle tadelt Luther die „Observanten“,
„Exempten“ oder „Privilegierten“, die sich vom
schuldigen Gehorsam „eximieren“ und „dis-
pensieren lassen wollen unter dem trügerischen Vorgeben,
dadurch das Ordensleben zu fördern. Luther findet, daß solche
Bestrebungen der Kirche höchst schädlich sind, denn er ist der
Meinung, daß man von diesem Gehorsam überhauptnicht
dispensiert werden könne. An derzweiten Stelle
spricht Luther direkt von „unseren“ Observanten, die
unter dem Scheine des Ordenslebeng in ihrem Hochmut, in
ihrer Diekkópfigkeit und in ihrem Afterkult in Ungehorsam
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII, 1. 3
34 | 34
und Rebellion verfallen. Auch der dritte Satz klagt über
jene dem Afterkult ergebenen „Schismatiker“, die aus
Absonderungsbestrebungen ihrem Prälaten den Gehorsam
aufkündigen, deren Zahl heute groß ist.
Alle drei Stellen Luthers, besonders aber die erste und
die dritte, treten ein für den General und die Zen-
tralordensleitung. Sie können nicht auf Staupitz be-
zogen werden, weil die „sieben Konvente“ sich nicht von
ihm ,eximieren^ und von seinem Gehorsam „dis-
pensieren“ lassen wollten. Besonders der Ausdruck
„Schismatiker“ zeigt, daß es sich um Bestrebungen
gegen die Ordenseinheit, also gegen den
General handelt, die Luther hier bekämpft. Staupitz
und seine Bestrebungen, wie wir sie kennen gelernt haben,
werden gerade durch diese Stellen verurteilt. Mit weit
größerem Rechte hätte daher Cochlaeus sagen müssen, dab
Luther zu seinem General statt zu „seinem Staupitz“
abgefallen sei. Wer unseren Ausführungen gefolgt ist, kennt
jetztin- und außerhalblItaliensim Augustiner-
orden die Exemptions- und Privilegiensucht sowie die Be-
strebungen, sich vom General unabhängig zu machen.
Luthers Stellung zur Observanz während der Zeit der
Psalmenvorlesung läßt sich kurz so zeichnen, daß Luther
für die „Reguläre Observanz“ gegen die
„Exempte und Privilegierte Observanz“ war.
Er war für eine genaue Befolgung der Regel und der Kon-
stitutionen und gerade darum war er gegen die Absonderungs-
bestrebungen gegenüber der Ordensleitung. Er will von einer
Trennung von der Zentralleitung des Ordens aus Observanz-
gründen nichts wissen und verurteilt entschieden solche Be-
strebungen. Der Versuch gewisser Historiker, auf Grund des
Observantenstreites Luther als einen lauen Befolger seiner
Ordensgesetze und als einen halben Rebell zu schildern, um
alsdann hieraus das Werden des „Haeresiarchen“ psycho-
logisch zu erklären, wird durch das Studium der Quellen
„ad absurdum" geführt; denn aus ihnen geht hervor, daß
der zukünftige „Rebell“ in diesem Streite ein entschie-
dener Verfechter der Autorität des Generals
und der „Regulären Observanz“ gewesen ist.
Die reformatorischen Kirchenordnungen
Ober- und Innerösterreichs. -
Mitgeteilt, eingeleitet und erläutert von Georg Loesche.
Fortsetzung?)
Inner-Osterreich. 21. Februar 1578.
E. A. Doleschall, Die Kirchenordnung Inneröster-
reichs im 16. Jahrhundert. Jahrbuch 5, 164—183.
J. Loserth, Die steirische Religionspazifikation
1572—78. 1896. S. 65—77. Dazu: Derselbe, Die Refor-
mation und Gegenreformation in den innerösterr. Ländern
1898. $.279f. Ed. Böhl, S. 330 (s. ob. S. 211).
Doleschall gibt einen Teil einer durch die Erzherzogin
Maria Dorothea?) in das Archiv des Generalkonvents der
evang. Kirche A. C. in Ungarn nach Budapest gekommenen
Handsehrift, die einen Auszug aus steirischen Religions-
schriften von 1578 enthält. Loserth druckt den Anfang der
KO ab und gibt ihr den geschichtlichen Rahmen.
Im Folgenden ist die ganze KO aus dem Original im
Landesarchiv zu Graz Fase: 519 zum erstenmal ganz ver-
öffentlicht; Loserth benutzte den jüngeren Codex A 56b, der
in der Rechtschreibung von jenem abweicht.
Auf die Vorrede folgt der erste Teil tiber die Wahr-
heitsnorm der christlichen Lehre mit Ablehnung von Flacius
und einer eingehenden Darlegung der Lehre von der Erbsünde;
darauf eine Erinnerung, daß man rechten Unterschied zwischen
dem Notwendigen und dem nicht Notwendigen halten soll. Der
zweite Teil handelt von den Agenden, der dritte vom Kirchen-
ministerium und der Kirchenregierung.
1) Vgl. Jahrg. 17 S. 209ff., 277 ff.
?) Über sie Jahrbuch 25, 41f.
3%
36 | 36
Die KO. ist durchaus keine ursprüngliche, bodenständige
Schöpfung, sondern aus verschiedenen zusammengesetzt; sie
bezieht sich auf Augsburg, Graz, Jena, Klagenfurt, Laibach,
Marburg, Nürnberg, Pfalz, Steyr, Straßburg i. E., Thüringen,
Wittenberg, Württemberg.
Sie gibt sich in der damals beliebten Form!) eines
„Berichtes“ von Vertretern des Kirchen- und Schulministeriums
von Steiermark und Kärnten an die Verordneten Inner-
Osterzeichs. Er wurde genehmigt. Krain’) erklärte sich
diesen Abmachungen auszuschließen.
Vorredt.
Nachdem der Augsburgischen confession verwandte herrn
vnd landleüth der lande Steir, Khrain und Khernten sambt
der fürstlichen grafschaft Görtz, so beneben anderen in dem
ausschuß dieses 1578' jares zu Pruekh an der Muhr von
dem durchleüchthigisten hochgebornen fürsten und herrn, herrn
Carolo erzherzogen zu Oesterreich ete., iren gnedigisten herrn
und Landsfürsten versamblet, naeh verrichten anderen den
gemainen nuz belangenden geschefften, auch der paeifikation
halben, welcher sich J. F. Dt. hiebevor in der religion mit woler-
melten stenden genedigist verglichen, wider aufs neue vom
J. F. Dt. genedigist antwort und genugsame versicherung
bekhommen, das sie nemblieh mógen prediger und lehrer
halten, so in darzu erlangten und bestellten khirehen und
schuelen der Augsburgischen confession gemäß lehren und
den wahren gottesdienst sambt allem, was zur aufbauung
evangeliseher kirchen notwendig und nutzlich ist, friedlich
und ordentlieh ohn jedmanns schaden verriehten, doch mit
den condition, das sie nirgends kainer rotten, ketzerei oder
secten, ermelter confession zu wider, noch einigen ergerlichen
gezenk und spaltung, nach einiger solchen unruege raum
geben, sondern ein guete ordnung, wolstehende und frid-
liche gleichformigkheit in lehren und aller notwendigen ver-
waltung des evangelischen predig- und lehrambts allenthalben
anrichten und halten, so haben wolermelte herrn und land-
leute uns, welcher namen zu end dieses schreibens unter-
zeichnet, gnediglich auferlegt, daß wir dem vertrauen nach,
so ire gnaden und herrn in uns gesetzt, die gleichformig-
1) Z, B. Luther, Erl. A. XXX, 773, Köstlin, M. Luther 18835
3, 646. Anm. zu S, 150. Loesche, Mathesius 1, 264.
2) Vgl. dazu: Erzherzog Karl zu Österreich an die Landstände
von Krain; betr. Kirchenordnung in den windischen Landen. Kopie 28.
Wien 6. Sept, 1564. Stadtarchiv Regensburg. Eccl. I. XXIII. 19.
en E ae
37 37
khait, so wir aus irem bevelch im predig- und lehrampt
hieher und auch hinfort und allezeit zu halten verpflichtet,
beschreiben geben, und was zu soleher bestendigen gleich-
formigkait und gueter ordnung in kirchen und schuelen vor
dieser zeit Doctor Chyträus!) darzu in Steyr erfordert und
andern geraten und wie noch rathsam und diesen landen
bequem und dienstlich achteten, in ermelten schreiben ein-
brächten, das dann ihre gnaden mit guetem, zeitigem rath
und nachdenkhen erwiegen und mit gemeiner verwilligung
einer solchen kirchen- und schuelordnung sich vergleichen
und dieselbige in druckh verfertigen möchten, damit der
unterthenigiste gehorsam, welchen sie allezeit beidt in andern
und auch in dieser sachen der F. Dt. als ihren genedigisten
und von gott selbs verordneten herrn und landsfürsten zu
erzeigen sich bevlissen und hinfurt allezeit in rechter gottes-
furcht bevlejssen wollen, soviel desto mer erschine und
J. F. Dt. so oft es von nótten, ihrer lehre, khirchen- und
schuelwesens halben, gehorsambste antwort geben, auch so
etwa unbilliche verleumbdung und unbegründet angeben,
irer selbs oder der lehrer halben forbracht oder ausgebreitt
wurden, sie sich dagegen desto leichter verantworten und
gebürlicherweise schützen, desgleichen die noch anzunemen
-sein wolten, in schuel- und kirchenümptern desto besser
verpflichten und auf sie alle und alle kirchen und schuelen,
denen sie fürgestellt, desto vleißiger aufsehen, und beyde,
lehrer und zuhörer desto bequemer sich darnach richten
khönten und also der lauf des hl. evangeli mit mehrer frucht
befördert, auch weiter und auf die lieben nachkömbling
gebracht und also auch in diesen lendern dem herrn Christo
durch desselbigen gnadenreichen geist und segen, so er ver-
heißen, und diß werkh allen menschen und sonderlich dem
lehr- und regierampt befollen, ein ewige kirch versamblet,
gepflanzet und biß zu seiner herrlichen zukhunft erhalten
werden möchte. Hierauf und diesem christlichen und wol-
gemainten bewelch gehorsamblich nachzukhomen, haben wir,
ermelte lerer, welcher namen unterzeichnet, sambt den zuge-
ordneten herrn beysitzern uns nach anruffang gottes mit
einem freundlichen und christlichen gespräch, darin wir
auch ermeltes Chyträi und anderer bedenkhen gar wol er-
wogen, vleBiig und in rechter foreht gottes unterredt und
endlich befunden, das bisheer ein gottselige ainigkait fttr-
nemblieh in lehr und dann auch in anderer der lehrampts
verwaltung bei allen der Ausburgischen Confession zugethanen
kirehen und schuelen in diesen lündern, so vil immer in
dieser schwachhait und manicherlei beschwärlichait und
1) RGG. 1, 1816,
38 38
gefahr, so diesen zarten kaum aufgehenden unsers herrn
Christi würtsgärtlein zugestanden, möglich gewesen, gehalten
ist, und sollen in Gott bochen Daukh allezeit dafür sagen,
daß er sein werk in disen vom erzfeind der Christen hoch-
bedrangten landen so wunderbarlich angefangen und geför-
dert, da wol an etlichen orten im reich, ob man schon ge-
lerte leut genueg und leichlich bekhommen und des obste-
henden stadt zu ersetzen hat, kaum eine solehe einigkheit
zu erhalten gewesen.
Damit aber auch, wolermelter vnsrer genedigen herrn
bevälch nach, solehe gleichformige lehre und ordnung bayde
in kirehen und schuehlen mit der zeit schriftlich verfasset
und durch den druckh zu vorgemeltem nutz aufgebracht werden
möchte, haben wir auß unserem und anderer guetbedunkhen,
gleich als ein modelle solcher gemainen kirehen- und schaell-
ordnung entworfen. Welches wir hiemit ihren gnaden und
herren gehorsamblieh und naeh ihrem hochen christlichen
bedenkhen zu erwegen, zu endern, zu vermehren oder zu
khürzen oder gar einzustellen übergeben, der gewissen zu-
versicht, dab ihre gnaden an unserem gehorsamb und treu-
herziger wolmainung ein gnedigs gefallen haben und auch
anders nicht von uns erfordern werden, denn was wir in
warer furcht und liebe Gottes fürnemen oder verwilligen
khönnen, wollen uns hiemit in iren gnedigen schutz mit
demüttiger erpietung alles christlichen gehorsambs befohlen
haben. |
Ende der vorred.
Kirchenordnung.
Nachdem ein christliche wohlgestellte kirchenordnung
fürnemblich in drey stugh verfasset kan werden, also das
das erste die lehrpunkte, das ander die agenden, wie es
gemainghlich genent wirdt, nemblich die form und weise,
die sacrament zu raichen und desgleichen sachen in der
kirchen zu verrichten, das dritte die bestallung des ministerii
sampt aller zugehörenden billigs zucht und ordnung begreiffe,
so thuen der lehre halben wir theologen und eolloquenten
diesen gehorsamen bericht, wie folget:
Das erste thail der kirehenordnung.
De norma veritatis, das ist von der regel oder richt-
schnur, vom grunde und gewissen probierstain, alle lehre
zu richten, die reine lehre zu erhalten und sich für falsche
lehre zu hüetten notwendig.
Die ware christliche lehre gesundt und ganz allent-
halben unverfelschet zu erhalten und sieh fur allen irthumben,
39 39
teuscherei und verfüerungen zu hüetten, ist fur allen dingen
von nötten, das man die rechte, gewisse, genuegsame, un-
widerlegliche normam veritatis, das ist, den grundt und
regel der warheit, die gewise richtschnuer und unbetruglichen
pruefstain woll lerne erkhennen und allezeit zur handt und
in stettiger Uebung habe, damit und darnach man alle
predig, glauben und lehre, baidt in schuelen und kirchen
recht urteln und richten, die gesunde lehre behalten und
die falsche verwerfen khönne, denn solches gott nicht allein
von den predigern, sondern auch von der obrigkheit und
regenten, ja von einem jegkhlichen menschen haben will,
nach dem gebot Christi Matthäi VII: Hüetet euch fur den
falschen propheten und |. Joh. IV: Glaubt nicht einem jegkh-
lichen geist, sondern probiert die Geister, ob sie aub Gott
seien!) vnd gotes. So wir oder ein engel vom Himel euch
anders predigen wurden, dann wir euch schon gepredigt
haben, der sei verfluecht.?) Demnach ist die einige gewise
unuberwintliche norma veritatis und unbetruegliche richtschnur
und prüfstein, unbeweglicher pfeiler und grundfest der war-
heit das heilige Wort Gottes, nemblich die gewissen und
mit göttlichen unwidersprechlichen zeugnissen bestettigte
schriffte der Propheten und- Apostel, welche in ein buech
vom heilligen geiste durch ermelte Propheten und Apostel
zusammengebracht und in zwey theill unterschieden, also
das das erste so der Propheten schriffte begreifet, das Neue
Testament und das gantze buch, so baide testament zusammen-
fasset, mit dem griechischen namen, so bey jederman in
gebrauch khommen ist, die Bibel genennt wierdt.
Antithesis.
Hiewider ist, das die Papisten die Menschensatzung, so
sie der kirchen zueschreiben, ebenso hoch und höber wollen
gehalten haben als gottes wortt und heissen die heilige
schrifft ein ketzerbuch.
Erinnerung der sprachen halben.
Daß man nun dieser richtschnur desto besser gebrauchen
müge, soll man verschaffen, das die hebraische und grie-
chische sprachen vleißig in den größeren schuelen gelehrt
und zum wenigsten den furnemen hirtten und lehrern, bei
welchen man sich etwa raths und verstands erholet, wol
bekhant seien: denn das alte testament ist anfengkhlich mit
hebraischer und das neue mit griechischer sprache gepredigt
1) 1. Joh. 4, 1.
?) Galat. 1, 8.
40 40
und beschrieben. Darauß das heilige wort gottes den leutten,
so nicht hebraisch und griechisch verstehen, muß treulich
verdolmetschet werden, welches unmüglich, denen ermelte
zwo sprachen nicht wol bekhant seint.
Matthaeus hat sein evangelium auch erstlich mit hebra-
ischer sprache geschrieben, wie dann auch zu unseren zeiten
dasselbig evangelium Munsterus!) hat ausgehen lassen; aber
weill Munsterus selbs bekennet, er habs zurissen bey den
juden funden und an vill orten erstatten?) müssen, so ist
dem griechischen, welches mit genugsamen zeugnissen
befestiget, besser zu vertrauen.
Erinnerung der Dolmetschung halben.
Wiewoll alle Dolmetschung und der ursprunkhlichen
sprache inn der rechten meinung zutreffen solte, jedoch mueß
man der alten kirchen Dolmetschung, ob sie gleich nicht
allenthalben mit den ursprunklichen texten stimmen, nicht
verwerffen, sondern damit zufrieden sein, daß sie fast alles
also verdolmetschet haben, daß es nicht ist wider die Artikel
des glaubens, so auf} den klaren und jedermann verstendlichen
spruchen der Schrift gestellet sein.
Darumb man die griechische und alte lateinische Dol-
metschung, weil von den beiden uralten kirchen kein andere
vorhanden, gern annemen, auch in offentlichen lectionen und
von man lateinisch das Wort Gottes verlehren?) mus, furlesen
und brauchen soll, damit die kirch etwab gewisses habe,
doch das erlaubt sey aus den originalsprachen den rechten
eigentlichen sinn, wo es not ist zu erklehren.
Der neuen lateinischen Dolmetschung sonderlich dar
berumpten als Erasmi*) des neuen testaments, Vatabli?)
des alten, mag ein jekhlicher fur sich gebrauchen, das er
durch vergleichung und zusammenhaltung der dolmetschung
den sinn des göttlichen worts desto besser verstehen müge.
1) Sebastian Münster, 1489—1552, Franziskaner, dann reformiert,
seit 1529 das Hebräische an der Universität Basel lehrend, Reuchlin
fast ebenbürtig, ließ 1535 eine Ausgabe der hebräischen Bibel mit
vollständiger Übersetzung erscheinen. RGG. 4, 562.
?) ergänzen.
3) erklären bei Loserth.
4) 1516 Ausgabe des griechischen Urtextes, „trotz der Flüchtig-
keit und unsoliden Grundlage seine größte Tat“, mit Annotationen und
später angeschlossenen Paraphrasen. RGG. 2, 425.
5) Franc. Vatablus (Watebled), aus der Pikardie, gest. 1547;
1530 Prof. der hebr. Sprache am Collège de France. Biblia Vatabli.
Paris 1545. RES®. 20, 431.
41 4]
Inn deutscher sprache ist khein besseren denn des D.
Martini Lutheri, welche so eigentlich den sinn des gotlichen
worts gibt, das man schier kheiner außlegung daruber bedarit
und darumb in der Augspurgischen confession verwanten
kirchen billich khein andere inn deutscher sprache furgelesen
und gebrauchet werden soll.
Was aber in Windischer?) und andern frembden sprachen
gedolmetschet, sagt man, das auß Luthers gedolmetschet
worden, welchs auch das Rathsamste gewesen ist. Die
gewiße Versicherung, das ainer nicht durch mancherlay
dolmetschung oder auch unbequehme anziehung des Original-
textes irre gemacht werde, ist die analogia fidei,’) so auch
corpus doctrinae auf Lateinisch genandt wird, das ist die
Summa der Christlichen lehre, ordenlich aub den klaren
und jederman verstendlichen spruchen zusammengefueget, wo
derselbigen zuwider irgents etwaß verdolmetscht oder an-
gezogen wurde, das wehre zu verwerifen.
Antithesis, dasist gegenlehr.
Wieder obgemelte meinung ist, daß das Tridentinische
concilium khein andere Dolmetschung als die alte lateinische ja
auch den originaltext selbs nicht gelten lassen will?) dann
wo er mit der alten lateinischen Dolmetschung zutrifft, und
hierin suchen sie nichts andres denn etliche grobe irthumb
als von heiligen anruffen‘) und dergleichen zu besehutzen.
Erinnerung von dem underscheidt der
bueeher, so in der Bibel begriffen.
Man soll auch merkhen, das die Bibel zwaierley bucher
hat, etliche und die meisten, welche in allen stiickhen und
wortten ohn alles bedenkhen angenommen, ettlich aber, welche
aus den gemelten sollen verlehret werden und in etlichen
wenig worten einer solchen außlegung bedurffen, das die
lehre so in vorigen gegeben ist, nicht verdunkhelt werde.
Als dan sonderlich im Neuen Testament S. Jacobi brief ist,
in welchem etliche wortte des Pauli lehr zum Römern wider-
werttig lauten?, vm diesen underschaidt der Bucher in
heiliger schrifft werden nützlich gelesen die Vorreden Lutheri’),
1) Primus Trubers slovenische Übersetzung des N, T. 1. Teil war
1557 erschienen, Th. Elze, Jahrbuch 14, 121; 15, 15f.
?) Über deren Entwicklung RGG. 4, 2137 (5, 1031).
*) Sessio 4. Pastor, Geschichte d. Püpste 5 (1909), 546.
4) Uber sie im Tridentinum sessio 25.
5) Über die ganze Frage: RGG. 3, 1022.
6) Sie wurden später fortgelassen.
42 42
so er fur einen jekhlichen buch gethan und mit der alten
lehrer zeugnus bewiesen hat.
Antithesis, gegenlehre.
Wiederobgemelte lehre ist des Tridentinischen coneiliiums
meinung!) das die buecher, welche bey den alten bedenkhens
gewesen, nicht aus den ersten erkhleren lasset, sondern
denselbigen in allem gleichwirdig gehalten will haben, damit
sie anders nichts suchen, dann etlich grobe irthumb zu
vertheidigen, das sie doch nicht hilffet.
Von dem corpore doctrinae, das ist, furbilde
der rainen lehre.
Weil oben gemelt ist, das ein corpus doetrinae gemacht
sey, das ist, wie's Paulus Rom. VI?) deutschet?), ein furbildt
der lehre, welches die haubtstuckh der christlichen lehre
auf hellen, unleugbaren zeugnussen der heiligen schrifft
fein ordentlich zusammen verfasset furtregt, dadurch man
sich durch hülffe gottes hueten khan, das unzeittige anziehung
der schrifft und ungeschickhte dolmetschung einen nicht
verfuehren, ists nun an dem, das solche furbilde der reinen
lehre namhafftig gemacht werden: so haben wir nun von
den alten gottseligen lehrern die drey symbola: Apostolicum‘),
Nieenum?) und Athanasii®), dazu aueh nicht unbillig gesetzt
wirdt der Hymnus Te Deum laudamus, welchen Ambrosius
und Augustinus sollen gemacht haben’); in diesen symbolis
wirdt die ewige gottliche maiestet in der allerheiligisten drey-
einigkeit sampt den wohltaten, so uns von ihr erzeigt
werden, khürzlieh bekent und gerühmet, darnach haben wir
von unser kirehen den kleinen Catechismum Lutheri und zu
desselbigen weiterer Erkhlerung seine zween grofPen?) Zwar
für die einfeltigen ist khein besser buch geschrieben denn
der kleine katechismus Lutheri, welehen man billieh in alien
kirchen behalten soll. Darauf soll billieh gesetzt werden ,
1) Sessio IV.
?) V. 17.
3) wohl statt: deutet, oder ,Paulus Rom. VI“ ist als Zitatform
gemeint, ,wie es die Stelle P. R. VI* usw.
4) Näheres RGG. 1, 599.
8) Ebd. 4, 767.
6) Ebd. 1, 749.
7) Vgl. Buchberger, Kirchl, Handlexikon 2, 2314,
$) Über Luthers Katechismen: RGG. 3, 985. Luthers Werke,
Weimar. Ausgabe 30a, 426—665. „seine zween großen“ ist eine selt-
same Entgleisung.
43 43
die Augspurgische confession sampt derselbigen apologia’),
welche also genanndt ist, weil sie von den stenden des
Romischen Reichs, welche ihre kirchen hatten von dem
bapstumb reformieren lassen, auf dem reichstag zu Augspurg
anno 1530 kayser Carolo Quinto in beysein aller Stende
des Reichs miindlich und schriftlich, deutsch und lateinisch,
furbraeht worden ist, welche symbolum und bekhantnus
keine pforten der hellen?) umbstoßen khönnen und dergleichen
nicht von der Apostelzeit an noch so volkhomen erfurkhommen,
drumb man sich billich darauff berueffet. Und haben diesen
Lande Theologen solche exemplaria, wie sie zu Augsburg
übergeben seint, darauf guet achtung zu geben ist, sintemall
im nachtrug offtmals gefehlet wirdt.
Weil aber der satan mit den sacramentierern wolt
schaden thuen und furgeben, als lehreten dieselbigen der
Augsburgischen Confession nicht zuwider, und gegen die
Papisten etliche artikhel mit ernst auf dem concilio zu
Mantua?) sollten vertedigt werden, wurden die schmalkal-
dischen artikhel*) anno 1537 gestellet, darauff man sich auch
billig berueffet. Da nun Lutherus von dieser welt abgeschieden
war, meinte der Teuffel, er wollte die Augsburgsche confession
gar vertulgen, brachte das Interim?) herfur, machte viel
Gezenkh und rotten, welche doch etlich nicht wolten den
namen haben, daß sie der Augsburgschen confession entgegen
wahren; darumb die Theologen und kirchen, denen die
wahrheit mehr denn aller menschen gunst oder ungunst, ja
mehr dann alles guet und ehre angelegen war, sich dawider
satzten, und rathen die Theologen, daß man in diesen
landen under die Schriften der richtschnur sunderlich das
bueblein der Duringischen Theologen, anno 15599) auß-
gangen, setze, weill darin die corruptelen, so etliche listigk-
lich eingefuert hatten, kürzlich und aus gewissem grunde
der heiligen schrifft widerlegt werden, welches buchlein
bierumb von den kirchen, so der Augsburgischen confession
auffrichtig zugethan sein, hochgeruhmet und werdt gehalten
wirdt.
Das buch Philippi Melanchthonis loci communes’), das
ist hauptstuckh der christlichen lehre genanndt, ist ein sehr
t) RGG. 1, 587.
2) Ev. Matth. 16, 18,
*) Am 2. Juni 1536 auf den 28. Mai 1637 einberufen; Köstlin
l. c. 2, 870.
4) RGG. 5, 339.
») Ebd. 3, 573.
© Das Weimarer Konfutationsbuch, von Flacius und Genossen.
7) Seit 1520/21, bzw. 1535; RGG. 4, 250f,
44 44
edler schatz und soll vleißig von denen, so die heilige
schrift lernen und andern etwo erkhleren wollen, gelesen
werden, aber weils za funfmahlen ausgangen und in dem
Artikhel von freien willen im letzten nachdrukh nicht on
ursach angefochten worden, kans nicht ad normam veritatis
gerechnet werden. Er ist uns ja ein lieber praeceptor und
hat sich nach Luthero keiner so woll umb die Christenhait
verdienet, aber doch muessen wir Christum höher halten
und menschliche schwacheit auch an dem lieben preceptor
seligen erkhennen, wie man alle patres nach der Norma
veritatis urteilen muß. Und bricht Ihnen doch damit an
Ihren ehren nichts ab. In der ersten edition des gemelten
buchs Philippi ist vom selbigen artickhel nichts unsers
wissens unrecht gelehret; darauß möcht man auch die
folgenden editiones corrigieren, denn so solche warnung
stadt hat, ist es fürwar ein nutzlich und notwendig buch zu
lesen dem, der ein gueter Theologus zu werden wünschet.
Das ist also von der norma veritatis gesagt, und khan
niemandt mit warheit sagen, das die evangelischen ein vil-
feltige und weitleuffige normam veritatis haben. Denn wie
vor zeiten die Ketzer Arius’) und andere machten, daß aus
der schrifit symbola wider sie, die warheit zu beschützen,
gemacht worden, und doch Ihr einiger grundt die hl. schrifft
blieben ist, also auch zu unsern zeiten haben die Papisten
und secten ursach geben, das bekenntnuf und confutationes
errorum gemacht sein, darin man aub der hl. schrifft alle
irthumb widerlegt; und bleibt doch die hl. schrifft der einige
Pfeiler und grundfest der warheit in der kirchen gottes
und ist die einige norma veritatis.
Antithesis, das ist gegenlehre.
Auß obgemelten buchern der Richtschnur lassen unb
die Papisten nichts mehr dann die symbola und die bibel;
sie lassen auch die Bibel nicht in anderer als nur in der
alten Lateinischen Dolmetschung,? auch in den Original-
sprachen nicht anders, dann wofern sie sich mit ermelter
Dolmetschung reimet, gelten; darzu lassen sie der schrifft
khein andern verstandt denn der kirchen, welche sie an
Römischen Bapst und Cardinal binden?), gefallen, als zum
Exempel Matthai XVI‘): Du bist Petrus vnd auf diesen
fels wil ich meine kirchen bauen. Das legen sie allso auf,
1) RGG. 1, 679.
7| S. oben S. 41. RGG. 5, 1810.
3) Ebd. 1, 1170.
^) V. 18.
45 45
das damit der Römische Bapst zum haupt der oristenheit
soll bestelt sein. Weill solche meinung dem Bapst und
seinem anhang gefelt, muß Ihnen alle andern außlegung
ein verdampte ketzerei sein, ob man schon auf gewissem
grunde die Außlegung der falscheit uberzeuget und die
rechte auflegung anzeiget, wollen sie doch recht behalten,
also gehen sie fast allenthalben mit der hl. gottlichen schrifft
umb, daß sie entweder mue unaußgelegt und unverstanden
bleiben oder auff ire verkherte meinung gezwungen werden,
welehs zwar nichts anders ist denn das liecht scheuhen,
damit Ihre bösen werkh nicht offenbar werden. Summa
sie geben nicht zue, das die hl. schrifft sey norma veritatis,
darnach man alle lehre richten und allen streit, so sich über
der religion erhebet, schlichten soll, sondern sprechen, die
Bibel sey materia litis, ein Zankhbuch, sey dunkhel, hab
zweifelrede, da es nur an einem gueten ausleger stehe.
Dagegen geben sie khein ander normam veritatis, denn die
kirche, welche sie an Rom binden, nennen dieselbige den
Pfeiler und grundtfest der warheit und wenn man sölche
Lhermeinung grundlich erwiget, fueren sie die leutt nirgent
anders hin denn ad scrinium pectoris pontificii, zum schrein
des Bapstischen herzens, darin alle rechte sollen verborgen
ligen; was der redet, das muß vom Himmel geredt sein,
was er mit seinen Cardinälen, Jesuitern, Mönchen und Pfaffen
auf coneiliis und sonst beschleust und recht oder unrecht
heiBet, das muß also sein und bleiben, doch auch nicht
lenger dans Ihm gefellet. Heist das nicht ein greuliche
Tyranney in der kirchen geübet under dem Prächtigen
namen und schein der kirchen? Darumb, wer seelig werden
will, muß sich vor dieser gottlosen rotten als von der
grundtsuppen aller lügen, verfuerung und gottlichs namens
. lesterung absondern, wie Paulus II Timothei II?) rathet, da
er spricht: Discedat ab iniquitate omnis, qui nominat nomen
Christi, es weiehe von der ungerechtigkheit ein jegkhlicher,
der den Namen Christi nennet, und Apocalypsis XVIII?):
Exite de illa populus meus, ut ne participes sitis delictorum
eius et de plagis eius non aceipiatis usque ad coelum et
recordatus est Deus iniquitatum eius. Gehet auß von Ihr
mein Volekh, dab ir nieht teilhaftig werdet Ihrer sünden,
auf daß ihr nicht empfahet etwas von ihren Plagen, denn
1) Über die Ungeschichtlichkeit des Ausspruches RGG. 4, 1410,
Neueste Auslegung von A. Harnack in den Abhandlungen der Preuß.
Akademie der Wissenschaften 1919.
2) V. 19. Seltsam, den lateinischen Wortlaut zu benutzen.
s
) V. 4.
46 : 46
Ihre sunde reichen bif an den himel und Gott gedenkht an
Ihren freuel. —
Mit diesen wortten wirdt allen christen bey verlust
ihrer seelen seligkheit gebotten, das sie sich von dem Anti-
christischen Reich absondern; wer khan aber ein besser
khennzaichen haben, daran der Antichristische greuel müge
bekhannt werden, als dif ist, das er das wort Christi nicht
gelten lest, sondern dasselbig und alles dem gutdunkhen
seines gottlosen herzens unterwirfft und spricht: Wens
gleich Christo so gefelt, so will iehs doch anders haben,
wie im Tridentischen!) und Costnitzer concilio?) die wortt
vom Nachtmall des herrn klar außweisen. So böse hats
noeh khein khetzer nie gemacht; denn die haben doch
gemeinigkhlich als noch die schrifft für die normam veritatis
gerühmet, ob sie Ihrer schon mißbraucht haben; aber der bapst
will nieht allein die coneilila sondern auch die. heilige
schrifft unter einer gewalt haben und heist bei Ihm kurzumb:
Sic volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas?), welchs woll die
christen in weltlichen sachen wie alle Truebsal und verfolgung
geduldig leiden, aber in Religions- glaubens- und gewissens-
sachen gantz und garnicht vertragen sollen, sie wollten dann
nicht mehr Christen und gottes diener sein.
Von den hauptstuckhen der Christlichen lehre kurze
erinnerung. Nachdem wir nun unsere normam veritatis an-
gezeigt, achten wirs nicht für notwendig oder rathsam, von
allen artickheln der Christlichen lehre eine ausfuehrlich
bekhantnuß alhie zu beschreiben und der kirchenordnung
einverleiben, obschon solehs etliche hin und wider gethan
haben. Sondern das achten wir genugsam und fürs aller-
rathsambste, das bücher in Norma veritatis genandt zu-
sammengefasset und Treulich nachgedruckth werden, darauf
man sich jederzeit zu referieren habe und darumb auch bey
einer jegklichen kirchen neben der Agenden ein besonders
exemplar niderleg und dem predicanten als in einer Biblio-
theken zu verwahren und bei der kirchen zu lassen als einem
getreuen depositario gebueret beföhle; dieß ist vill rath-
samer, das man also bey einerlay form und wortten der
bekhentnus bleibe, denn das ein jegkhliche kirche Ihr eigen
’ bekhentnus habe, wenn schon die meinung tibereintrifft, denn
es ist baldt in soleher verentrung geschehen, das etwa ein
dunkhele rede, ungewönlich wortt unbekhante form etwas
verdaeht macht oder in zweiffel setzt, darumb in den meisten
sachsischen, preußischen und andern wollbestelten kirchen
1) Communio sub una, sessio 21, doch vgl. sessio 22, RGG. 3, 1056.
*) Sessio 13. RGG. l. c.
23) Juvenal, Satir. 6, 223.
47 z 47
nieht gestattet worden, neue confessiones zu schreiben, sondern
nur die alte, nemblich die Augsburgische sambt den Schmal-
khaldischen zu widerhollen, mit vermeldung und manhaffiger!)
verdammung deren Ihrtumb und verfuerung, so unterdes
der Teuffl erweckhet hat, die einfeltigen zu betrueben; so
haben auch vor zeiten die vetter nieht neue symbola gemacht,
sondern die alten immer widerholet und die Irthumb - da-
wider entstanden verfluchet.
Diesem exempel naeh gebuerts sich auch in dieser
Landtkirehen, die alte confession als normam veritatis zu be-
halten und was teuscherey und Verfelsehung daran und
darwider der Satan versuecht hat, austruckhlich zu vermelden
und die einfeltigen warnen, das sie das zill nicht verruckhen
und dureh verkherte rede die bekhantnus nicht verdunkhelen
noch aufschrauben und in zweiffel setzen lassen. Diß ist
auch gottes gebott als I. Joh. 11?): Brüder, ich schreib euch
nieht ein neue gebott, sondern das alte.
Von den irthumben so der reinen Augsburgischen con-
fession als veritatis normae zuwider sind und von corruptelen,
damit der teuffel ermelte confession zu verfelschen unter-
standen. Was dann nun belangt die Irthumb, so der Teufel
der reinen Augsburgischen confession zuwider erweckhet hat, als
Serveti) Arianismum, Swenkfeldii*) enthusiasmum, Antino-
morum?) vaesaniam, der widerteuffer?) und sacramentierer?)
lesterung, Osianders?) und Stankhers?) widerwertige verkberung
des ampts und wolthat Christi und andere dergleichen
Teuscherey und Teufelische verfuerung. Item die coruptelen,
das ist die verkherte vergifte reden, damit der Teufel die
Augsburgisehe confession hat unterstanden zu verdunkheln
und zu verfelschen, alsdann ist das leidige Interim!?) gewesen,
welehs darnaeh hat die ergerlichen gezenkhe von gueten
werkhen und mitteldingen, von freien willen, von der genade und
rechtfertigung fiir Gott erweckhet und die einfeltigen irre
gemacht und die kirche jemerlich zurissen und betruebet,
da doch unterdeß der guetige heylandt Jesus Christi (sie!)
durch dreue werkhzeuge gesteuert und das zurissen wider
1) Loserth: nambhaftigen, wohl richtiger.
?) V. 7.
8) RGG. 5, 610.
4) Ebd. 5, 510.
5) Ebd. 1, 501.
*) Ebd. 5, 2016.
?) Ebd. 5, 217.
*) Ebd. 4,1069.
?) Ebd, 5, 888.
10) S. oben 8, 48, 5.
46 48
geheilet. Solche irthumb und verfelschung all miteinander
werden kurz und griindlich widerleget in den Duringschen
buch, dessen oben!) sub norma veritatis gedacht wirdt,
darumb nicht von nöten ist, das hier ein besondere refutatio
solcher irthumben ausfuerlich geschrieben werde, ist genueg,
das wir, dieser Landschafften Theologen und kirchen, unb
erkMeren, das wir solcher irthumben unß nicht theilbafftig
gemacht noch machen wöllen, sondern dieselbige verwerffen
und verdammen mit der waren kirchen. So aber jemandt
weiter davon lesen will, ist sehr nutzlich, das er die
6 predige doctoris Jacobi Andreae?), so von solchen irthumben
gepredigt und geschrieben, vleißig lese, und in methodis —
Simonis Pauli?) werden aus gewissen grundt alle dermassen
irthumb widerleget, da auch dieselbigen sampt ihrem ursprung
entdeckht und offenbar bekhant gemacht werden.
Doetor Jacobs predige sein auch darzue nutze, das
man den irthumb erkhenne der Calvinisten, welche in
Sachsen wolten einschleichen und gaben nicht zu Realem
communicationem Idiomatum, damit sie der menscheit Christi
die Maiestet, derer sie durch persönliche Vereinigung mit
der gottlichen Natur teilhaftig werden, entziehen wollten, dar-
gegen man sich auch für Schwenkfelds*) alzu hoch fliegenden
geist hüeten soll, welcher nach der Eutyehianer?) irthumb,
so auß beiden Naturen ein machten, die exequation beyder
Naturen in Christo hat erstreiten wóllen. Wie aber vor
zeiten die heilige christliche Kirche nicht allein die Nesto-
rianer®), welche die Naturen christi als zwo Personen von
einander zogen, sondern auch die Eutychianer, welche die-
selbigen zwo Naturen also vermischten, das nur eine daraub
wardt, verdammet, also geburet auch jetzt der waren
kirchen gottes eben als woll der Schwenkhfeldischen exe-
quation, als der Zwinglianer und Calvinisten spaltung und
trennung der Naturen in Christo zu verwerfen und zu ver-
dammen; denn wie die Zwinglianer Nestorium also die
Schwenkhfeldianer weckhen und fueren Eutychem gleich als
auß der hellen wider in die kirchen und schuelen, auf die
Kanzel und Cathedram. Von diesem irthumb soll man mit
vleiß lesen der Wirtembergischen?) und Braunschweigischen?)
1) S. oben S. 43, 6.
2) RGG 1, 471,
8) RE s. v.
4) RGG 5, 510.
5) RGG 2. 69.
6) Ehd. 4, 730.
7) 1551. RGG 5, 2131.
8) corpus doctrinae Julium 1576, RGG 1, 1832.
49 49
offentlich außgangene bekhantnuD, item Komnitii buch
von beiden Naturen!) in Christo. Hie ist genug, das solche
irthomb berueret und namhaftig gemacht werden, damit
offentlich bekhant werde, das diser Lande evangelische
kirchen der Augsburgischen confession inne behalten und
solche irthumbe und verfelschung offentlich mit der waren
kirchen gottes verwerffen und verdammen.
Von Mathiae Flacii?) und etlicher mehr
irthumb von der erbsünde.
M. Matthias Flacius Illyrieuus, da er als ein hochgelerter
scharfsinniger eyfriger man wider Victorini) Synergiam ge-
stritten, des gueten willens, daß er den erbschaden nicht
verkhleinern, der genade gottes und verdienst Christi nichts
entziehen, den knechtischen zum guet erstorbenen willen des
menschens nicht als frey hat rühmen und sich dardurch
sicher machen und aller hoffnung der seeligkheit berauben
lassen wöllen, ist er zu weit auf die ander seiten hinauß
gefallen und mit aller macht erstreiten wöllen, der mensch
oder des menschen Natur und Substanz oder sein fehle und
vernunft sei selbs die erbsünde, und weil er sonst vil guets
geschrieben, auch in einer gueten sach wider Victorinum
stundt, da er in diesen irthumb heraus fiel, kriegt er baldt
ein großen anhang von trefflichen umb die kirch wol ver-
dienten mennern, darüber im das Herz wuchs, das er sich
nicht hat der treuherzigen warnung und vermanung, von Nicolao
Gallo’) und anderen vielen geschehen, weißen lassen wollen,
sondern hat gern jedermann in seinen irthumb gezogen, wie
er dann mit wunderbarlichen listen viele zu sich gelockhet,
verdechtig gemacht und wenn sie der sachen noch ungewiß,
etwaß an Ihn besonders geschrieben oder sunst etwa von
der sach in utramque partem disputieret hatten, wo er nur
‘etwas, das ein schein eins beifals hatte, kont erwischen,
bracht ers flugs durch den druckh unter die Leute, darumb
viel gueter herziger Theologen als Simon Musaeus®), Jere-
mias Homberger?) uud andere mehr ursaeh gehabt, offentlich
von Ihrer Unschuld oder wie sie betrogen und verfüert, zu
protestieren. Er aber ist in seinem irthumb, wie leider zu
1) de duabus naturis in Christo 1570, RGG 1, 1662.
?) RGG 2, 905,
3) Strigel, RGG 5, 962.
4) RGG 2, 1195.
5) RGG 4, 577,
6) S. u.
Archiv für Reformationsgeachichte. XVIII. 1. 4
50 | 50
besorgen, gestorben; wiewoll Mathias Ritther!) an etliche
geschrieben, er habe sich den abent zuvor etwas bessers
vernemen lassen, das eins widerruefs zu hoffen gewesen,
wo er nicht mit dem Todt übereilet werden.
Ob aber nun woll viell hoch erlauchte menner als
Johannes Wigandus?), Tilemannus Hesshusius?, Jacobus
Andreas?) (sic), diesen Manicheischen®) irthumb gewaltig
aus gewissem grundte der heiligen schrifft widerlegt haben,
und man an derselbigen schrifften genug hat, jedoch weill
etliche unruige wilde geister auch in disen Landen®) mit
solcher seiten die einfeltigen irre gemacht und etliche ver-
fueret, aufrichtig Lehrer verdechtig gemacht und in Gefahr
leibs und lebens gebracht und zarten kirchen jemerlich
betruebet, so sollen alhie die furnembsten gründe gesetzt
werden, durch welche solche ketzerei auf der kirchen
gottes verstoßen wirdt und damit niemandts sich bekhlagen
künne, die sache sey ime zu hoch, er köns nicht verstebn,
so sollen die grunde nur in unserm hl. catechismo gezeiget
werden. Den ersten findestu inn den zehen geboten, da
gott spricht zum menschen: Du solst nicht andere gotter
haben, nicht begeren. Ich bin ein eyferiger gott, der die
sünde der Vatter heimsucht an den khindern. Hir hörestu
ja von gott selbs den unterscheidt der sünde und des
menschen, denn den menschen nennet er mit seinem Naturliehen
leib und seele, da er spricht: Nicht andere gotter haben,
nieht begeren, item die sunde der Väter an den khindern.
Denn ob hie jemandt wolt furwenden, der herr redete
nicht von der Erbsünde, sondern nur von den wurkhlichen,
wird er nicht bestehen, denn wir wissen, das das gesetze
aller meist die erbsunde strafet, die von den Vätern in die
khinder fortgepflanzt wirdt sampt dem Todt und ver-
damnis, wie Paulus bezeiget Róm. V?) und David Ps.
519), 149), 5619),
So uns dann unsere norma veritatis ganz bleiben soll,
nemblich der liebe catechismus, muessen wir fürwar diesen
Irthumb verwerfen und verdammen und die beschreibung
der erbsünde also lassen wir sie in der Augspurgischen
Konfession und Schmalkaldischen artikeln gesetzt ist.
1) In Frankfurt; Ed. Böhl, l c. S, 387.
?) RGG 5, 2029.
3) Ebd. 3, 1.
4) S. ob. S. 48, 2.
5 RGG 4, 121.
*) Vgl. Ed. Böhl, 1. ce. 8. 96f.
?) V. 12. 8) V. 7.
?) V. 3. 19) 68, 24,
51 51
Nun ist ie die erbsünde nicht nur?) ein schult frembder
sunden, sondern ist fürnemblieh die bóse art, neygung, be-
gierde, sucht und lust zusündigen, weliche der her rueret
und aufweckt, wie das wasser das feuer im kalck auf-
wekhet, da er sprieht, nieht begeren, welehs uns Paulus aueh
also ausleget Röm. 7. So spricht auch Christus Johan 16 ?):
Der heilige geist wirdt die welt straffen umb die sünde, das
sie nieht glauben an mieh, da ia die welt heisset alle
menschen und der angeborne unglaube die sünde. Solehs
wirdt auch bestetiget auß den wortten Christi Joh. 39): Also
hat gott die welt geliebet, das ist alle menschen. Wer wolt
aber so verkheret sein, das er den 5 Psalmen‘) entgegenspreche,
gott wehre ein liebhaber der sunde und bofheit. Den an-
dern grundt zeuget und das bekhantnus unsers christlichen
glaubens Symbolum Apostolicum genandt; denn im ersten
artickhel bekhennen wir, dab unß Gott geschaffen habe und
den leib mit allen geliedern, die sehle mit all ihren natür-
lichen krefften, vernunft, sinnen, willen gemacht und gegeben
habe, auch erhalte auf vätterlicher guete, dafur wir ihm
danekhen und solcher gaben und gelieder zu seinem wol-
gefelligen dienst gebrauchen. Nun ist aber offentwar, daß
Gott die sünde nieht geschaffen oder gemacht und gegeben
noch dagegen ein vatterliche liebe hat. Denn er hat sie ie
verbotten Gen. 25, zurnet druber Gen. 3, hat khein gefallen
daran Ps. 5, und wie solt iemandt für die sünde als ein
guet geschenekhe des schöpffers dankhen oder wie soll einer
mit der stinde Gott dienen und gefallen khónnen? Weil
den Gott den menschen mit allen natürlichen beyd inner-
liehen und eusserlichen Krefften geschaffen und aber die
sünde nieht geschaffen hat, so mueß ie folgen, das der mensch
oder sein natürlich vernunft nicht selb die sünde sey.
Wir wissen au8 dem 3. Capitel Geneseos, das die sünde
durchs teuffels verfuerung ins menschen seele und substanz
erweckht und angezündet ist. Solt nun die sunde nichts
anders dann der mensch oder des menschen seel, vernunft
und sinne selbert sein, so müßte der teuffel den menschen
geschaffen und ihm die vernünftige seele und natürliche
sinne gegeben haben; wehr aber das nicht ein schrecklich
ding, das wir den teuffel für unsern schöpffer solten erkhennen
und da wir zuvor gesagt, ich glaube, das mich gott geschaffen,
solten wir nun sprechen, ich glaub, das mich der teuffel
geschaffen, mir leib und seel, augen und ohren mit allen
*) Cod. A 56 b, b hat statt nur: mehr.
?) V. 8. 3) V. 16.
*) In einer anderen Hdschrft: fünften Psalm; V. 5.
S) V. 17.
4*
52 | 52
geliedern, vernunfft und alle sinne gegeben hatt und noch
erhelt!) Jesus, Jesus, Jesus! Der grausamen lesterung
wolte das sein! Das durffen die ehlenden verblendeten laut
sprechen, der teufel hab Adams und Euen substanz und
naturlich wesen in ein ander wesen verwandelt, als wean
einer auf einem menschen einen affen machete, der darnach
andere affen durch naturliche geburt zeugete. Pfui der
schande! soll einer so grob anlauffen, Gott erkhent ie noch
den Adam für sein geschöpff, da er in suechet und spricht:
Adam, wo bista? er findet ie auch denselbigen Adam, den
er geschaffen hatte und zeucht ihn unter den buschen her-
fur zu seinem richterstuell; so saget ie unser artickhel anstat
eins ieglichen auch sündhafftigen menschens: Ich glaub,
das mich Gott geschaffen hat sampt allen ereaturen?), das
ist, wie er andere ereaturen geschaffen hat, also auch mich
und hat doch die sünde nicht geschaffen, sondern die ist
vom teufel und meineidigen willen der ersten menschen und
ist darnach durch die zwei menschen khommen in die welt,
das ist in alle andere menschen, so naturlieh von ihnen
gezeuget werden, Róm. 5?) darauf) offenbar, daß der teuffel
weder dureh verwandelung der wesentlichen gestalt noch
auf einige andere weise ein neue substanz im mensehen
gemacht hat, sondern hat ihn am geist gethótet, des waren
güttlichen liechts und lebens beraubet und was an ihn über-
blieben von Gott zu sich gewendet, ihm anhengig und dienst-
bar gemacht mit Ketten der finsternus*), die niemandts dann
Gott auflösen khan, an sich gebunden, das er sein mancipium
und jumentum, leibeigen knecht und esell worden, zuthuen
mit herzlicher lust nach all seinem (des teuffels) willen
und gefallen. Solcher geistlicher todt sampt allem jamer,
zeitlichen todt und hellischer ewiger verdamnis ist aus dem
gerechten urtl Gottes erfolget über den meineydigen ab-
gefallenen menschen, welchs Genes. 2 und Genes. 3 be-
schrieben ist.
Ob aber woll dureh einen menschen in die andern die
sünde fortgepflanzet wirdt, so ist doch derselbig mensch
nieht der anderen menschen schöpffer, der sie mache. Es
ist vil ein anders Vatter, dann schöpffer. Adam hat Seth
gezeuget, aber Gott hat den Seth geschaffen und gemacht
auf Adams samen in muetter leibe, Also ists umb alle
menschen. So hat demnach Seth allein von Adam die
sünde, aber sein leib und seel hat er nicht allein von ihm,
1) Worte aus Luthers Katechismus.
2) Luthers Katechismus.
5 V. 12,
4) 9. Petr. 2, 4.
53 53
sonder von der schöpffung Gottes, ohn welche Adams same
nieht wer zum persönlichen menschen worden. So soll
einer doch schier greiffen, das ein großer undterscheidt
zwischen des menschen substanz und der sünden ist.
Es wehre ie erschröckhlich zugedencken, das Gott ein
wesentliche gestalt, so des teuffels werkh solte sein, fort-
pflanzete, noch viel erschröckhlicher, das man halten soll,
er liese den teufel mit der fortpflanzung des menschen
seines gefallens walten; wie wolte sich das mit Jobs be-
khentnus am X capitel mit Dauides ps. 119 item 139
reimen? Ic dem andern artickhel unsers christlichen glaubens
bekhennen wir’), das Jesus Christus warer Gott vom vatter
in ewigkheit geborn auch warer menseh von Maria der
Jungfrauen geboren sey. Waß heist aber ein mensch?
Aller ding wie Cain, Saul, Judas, Arins und wir alle, auß-
genommen die sünde, denn Christus ist volkhommener mensch
worden ohn sünde, Heb. 4?), Phil. 2 darauss unwiderleglich
folget, das substantia hominis quantumvis corrupti non sit
peecatum, das die substanz des menschen, ob er schon gar
verderbet ist, nieht selbs die sünde sey.
Es seint gar klare zeugnis vorhanden, das christus
kein sunde gehabt noch gethan 2. Cor. 5°) Jes. 534) Johan. 8°)
und aber gleichwol warer mensch worden sey, unß armen
stindern in allem gleich, ohn das er nicht sunder ist oder sunde in
sich hat. So khan ie warlich ein iegklicher hierau8 schliessen,
das sunde und mensche nicht ein Ding sey. Waß sich doch
die‘), welche sagen, der Sohn Gottes hab ein ander fleisch
und bluet an sich genommen, das nemblich dem ersten
fleisch, so Adam vor dem Fall gehabt, gleich sey; sagt doch
der Heillig geist Heb. 2°): Er hab den samen Abrahams
angenommen; ist dann Abraham nicht Adams bluet und
fleich? Lutherus in Genes. 38°) sagt, auf Judae lenden
sei khommen die natur, die christus hab an sich genommen:
aber er habe sie von stünden gereiniget und die sünde nicht
angenommen. Lieber, wer ist doch der gewest, den christus
der sohn Gottes mit seinem bluet erlöst hat auf des teufels
gewalt, auf das er sein (des herrn christi) eygen sey und
unter ihm in seinem reich lebe und ihm diene in ewiger
gerechtigkheit, unschuldt und seeligkheit, gleich wie er ist
aufferstanden, lebt und regiert in ewigkheit, das ist gewis-
1) in Lutbers Katechismus,
?) V. 15. 3 V. 21.
4) V. 9. 5) V. 46.
?) se. merken müssen.
?) V. 16.
*) Weimar. Ausg. 44, 311.
54 54
lich war?!) Ist die sünde erlöst auß des teuffels gewalt,
ist dann der teuffel nicht mehr derjenige, der zur sünden
reitzet, ist die sünde des herren christi also eigen worden,
das sie unter ihm lebe und ihm diene in ewiger gerechtig-
kheit, unschult und seeligkheit, Jesus, was will darauß
werden? Khan die sünde Gott dienen, under christi reich
leben, unschuldig und seelig sein in ewigkheit? Es soll
sich doch einer entsetzen vor solcher blindheit, 2. Corinth. 4.
Ich meine, der teuffel beweise sich als ein Gott diser welt,
der die hertzen derer, so ihrem freien willen nachgehen,
blenden khan. Ich meine, Gott sey ein ernster richter über
die, so halstarrig sein und sich nicht weisen lassen wollen.
Johannes 1 Epist. 1 sagt, das bluet Jesu christi seines:
sohnes macht uns rein von allen unsern sünden. Der engel
Gabriel sagt Matth. 1:?) Er wirdt sein volekh seelig machen
von ihren sünden. Lieber, waß ist das gesagt? wirdt er
den menschen ausfegen, das er nicht mehr mensche sey
und menschliche substanz habe? Das sei ferne! Er will
das silber reinigen Mal. 3?), nicht gar zu nichte machen.
Im 3. artickhel*) bekennen wir, der heillig geist hab uns
durehs wortt erleuchtet, mit seinen gaben. geheiliget und
erhalten. Sollt er woll die sünde erleuchten, mit seinen
gaben heiligen und erhalten? O heilliger geist, öffne doch
die augen der verblendeten, die in solcher finsternis sitzen,
handele nieht mit uns naeh unserer undankhbarkeit verdienst,
sondern naeh deiner grossen barmherzigkheit, óffne uns die
augen des herzens, das doch auch die verfüereten sehen,
wie gar in grobe irthumb sie sich versenkhen. Der heillige
geist samblet ihm ein kirche und gemeinschaft der heilligen,
samblet er ihm dan ein hauffen sünde? seint vill sünde ein
gemeinschaft der heilligen? bekhombt sünde vergebung der
sünde? wirdt sünde auferstehen vom todt und ewigs leben
haben? wer hat gemeinet, das der teuffel auch hoche leutte
also verblenden solte? darumb last uns in furcht und zittern.
für Gott wandelen, dann er ists, der in unĝ wirckhen mues
beyd das wollen und das volbringen?); ohn ihn khönnen
wir nichts guets thun. Job sagt cap. 19°): ich weiß, das
mein erlöser lebet und er wirdt mich hernach auß der erden
aufferweckhen, und werde darnach mit diser meiner haut
umbgeben werden und werde in meinem fleische Gott sehen ;
denselbigen werde ich mir sehen und meine augen werden
1) Aus Luthers Katechismus.
?) V. 21. 3) V. 8.
t) Luthers Katechismus.
5) Philipp. 2, 15.
6) V. 25.
55 55
in schauen und khein frembder. Wer disen spruch vleissig
erwiget, der sollt in verstehen, das sünde vill einanders sey,
denn des menschen substanz oder wesen, nemblich leib und
seel; denn der glaubig mensch, wie Job ist gewesen, wirdt
ganz aufferstehen, ohn alle sünde. Wie khann dann die
sünde sein substanz sein? denn das einer sagen wolt, Gott
würde dem menschen, den er will seelig machen, ein neuen
leib und seel machen, das ist nichts, weil hie Job’) sagt,
das er eben in dem fleische, so er ietzt hab, Gott sehen
werde, und wir glauben ein aufferstehung des fleisches, das
wir ietzunder am halse tragen.
Den dritten grundt zeigt uns das heillig gebet Vatter
unser. Seint sie sünde, die also Gott anreden, so mues gott
ein vatter der sünden sein. Wolte einer sagen, weil sie
wider geboren seint, so seint sie nicht sünde, so weisen
wir denselbigen leib und seele, welche sie vor der wider-
geburt gehabt; und der da spricht, vatter unser, der spricht
auch, vergib und unser schuldt und David ps. 51: tilg ab
meine missethat. Er bitt aber ie nicht, das er ihm sein
Substanz vertilge, das er nicht mehr ein mensch sey. Also
sagt er, erlóse unf vom übel, das ist freilich auch von der
erbsünde, welche das allergroste übell und alles andern
übels ein ursprunckh und quel ist. Soll nun die sünde von
und abgesondert und wir dieselbigen menschen ohn sünde
werden und bleiben, so muß ie sünde nicht des menschen
Substanz sein. Solchs folget auch auß der absolution, Item
auß der tauff und abentmall des herren; denn ie die sünde
nicht loßgesprochen wirdt, sondern der mensch von den
sünden. So wirdt ie die sünde nicht getauffet noch mit
dem leib und bluet unsers herrn christi gespeiset, das sie
khrefitig sey und ewig lebe, sondern der mensch waschet
seine sünde ab durch die tauffe, und tröst sein gewissen
mit vergebung der sünden, sterkht sich am inwendigen
menschen mit des herren christi leib und bluet. Auß dem
allen erscheint khlerer als der mittag, das die menschliche
substanz nieht selbst sei die erbsünde. So unß dann nun
unser Norma veritatis ganz bleiben soll, nemblich der liebe
Catechismus, müssen wir fürwar diesen irthumb verwerffen
und verdammen und die beschreibung der erbsünde also
lassen, wie sie in der Augsburgischen Confession und
Schmalkhaldischen artiekheln gesetzt wird?)
1) 19, 26, nach dem Grundtext vielmehr: „Und ledig meines
Fleisches werde ich Gott schauen.“
2) Von hier an eine andere Hand.
(Schluß folgt.)
—— zum —— — — -
Eine noch unveröffentlichte Vorarbeit
Luthers zu seiner Schrift: „Dass diese
Worte Christi ‚das ist mein Leib‘ noch
fest stehn.“
Von &. Buchwald.
Die Lutherhandschrift, von der im Folgenden die Rede
sein soll, ist Eigentum der Stadt Baden-Baden, wo sie seit
1895 in den Stadtgeschichtlichen Sammlungen aufbewahrt wird.
Vorbesitzer war der am 13. Dez. 1893 zu Baden-Baden
verstorbene Musikdirektor a. D. Franz Pechatscheck') aus
dessen Nachlaß die Handschrift im Jahre 1895 in den Besitz
der Stadt gelangte. Die früheren Schicksale des Dokuments
kennen wir leider nicht; es ist namentlich auch unbekannt,
wann und auf welchem Wege es in den Besitz des Pechatscheck
gekommen ist.
Nach ihrer Uebergabe an die Stadtgeschichtlichen
Sammlungen wurde die Lutherhandschrift der Autographen-
sammlung einverleibt, deren Neuordnung Ende 1919 durch
den Konservator Dr. O. Schmitz zur genaueren Prüfung des
wertvollen Stückes Anlaß gab.
Ende Januar 1525 erschien der zweite Teil der Schrift
Luthers „Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern
und Sakrament“?), in der er ausführlich Sinn und Bedeutung
der Schriftstellen, die vom Abendmahl handeln, erläutert.
1) Franz Willibald Schmidt, gen. Pechatscheck, geb. in Wien am
1. April 1820, hatte sich anfangs der 70er Jahre in Baden-Baden
niedergelassen, wo er bis zu seinem Tode als Tonkünstler tätig war.
*) Weim, Ausg. 18, 44.
57 57
Dabei wird Luther der Wunsch gekommen sein, auch die
Meinungen der. Alten über das Abendmahl festzustellen. In
demselben Briefe (vom 2. Februar 1525), in dem er Nikolaus
Hausmann von der Vollendung seiner Streitschrift berichtet,
schreibt er: Negotium dedimus aliquibus nostrum eruditis,
ut non modo, quid Tertullianus, sed omnes veteres de
Sacramento isto senserint, colligendi, ut obstruatur os
loquentium iniqua!. Noch besonders aber wurde Luther
veranlaßt, sich mit den Aussagen der Väter über das Abend-
mahl zu beschäftigen, durch Ökolampads Mitte September
1525 erschienene Schrift De genuina verborum domini Hoc
est corpus meum iuxta vetustissimos authores expositione
liber?). Okolampad behandelt hier die Aussagen von
Augustin, Cyprian, Ambrosius, Chrysostomus, Basilius,
Tertullian, Origenes, Ignatius, lrenáus, Cyrill Hilarius,
Gratian, Hieronymus.
Darauf geht Luther in seiner im April 1527 im Druck
vollendeten Streitschrift: Daß diese Worte Christi „Das ist.
mein Leib“ noch fest stehen?) ein. „Am letzten wollen wir
aueh der veter sprüch ein oder zween handeln, zu besehen,
wie sie D. Ecolampad handelt?),“ Er beschäftigt sich
insbesondere mit Augustin, Tertullian, Irenäus, Hilarius
und Cyprian.
In der hier zum ersten Male mitgeteilten Niederschrift
Luthers haben wir dessen Vorarbeit für Weim. Ausg. 229, 21
bis S. 237, 7 vor uns. Luther setzt sich mit Ökolampads.
Aussagen über Irenáus?) auseinander.
Die drei Stellen aus Irenäus sind folgende:
l. Lib. IV. 29. 4. (Gr. IV. 32) — suis discipulis dans
consilium, primitias Deo offerre ex suis creaturis, non quasi
indigenti, sed ut ipsi nec infruetuosi, nec ingrati sint, eum
qui ex ereatura est panis, accepit, et gratias egit, dicens:
Hoe est meum corpus. Et calicem similiter, qui est ex ea
!) Enders 5, 115.
?) Vgl. Weim. Ausg. 19, 447.
3) Weim, Ausg. 23, 38 ff.
^) A. a. O, S. 209, 28,
5) De gennina expositione Bl. Giij s ff,
°) Zitiert nach der Ausgabe von Harvey (Cantabr. 1857).
58 58
creatura, quae est secundum nos, suum sanguinem confessus
est, et novi Testamenti novam docuit oblationem, quam
Ecclesia ab Apostolis accipiens, in univero mundo offert
Deo ei qui alimenta nobis praestat primitias suorum munerum.
2. Lib. IV. 31. 3. (Gr. IV. 34): Quomodo autem constabit
eis, eum panem, in quo gratiae actae sint, corpus esse
Domini sui, et calicem sanguinis eius, si non ipsum fabricatoris
mundi Filium dieant id est, Verbum eius, per quod lignum
fructificat, et effluunt fontes, et terra dat primum quidem
foenum, post deinde spieam, deinde plenum triticum in spica?
Quomodo autem rursus dicunt carnem in corruptionem devenire
et non percipere vitam, quae a eorpore Domini et sanguine
alitur? — Quemadmodum enim qui est a terra panis,
pereipiens invoeationem Dei, iam non communis panis est,
sed Eucharistia ex duabus rebus consistens, terrena et
coelesti: sic et corpora nostra percipientia Eucharistiam iam
non sunt corruptibilia, spem resurrectionis habentia.
3. Lib. V. 2. 1 (Gr. V. 2): Et quoniam membra eius
sumus, et per creaturam nutrimur; creaturam autem ipse
nobis praestat, solem suum oriri faeiens et pluens, quem
admodum vult, eum calicem, qui est creatura, suum sanguinem,
qui effusus est, ex quo auget nostrum sauguinem; et eum
panem, qui est a creatura, suum corpus confirmavit, ex quo
nostra auget corpora. Quando ergo et mixtus calix et factus
panis pereipit Verbum Dei, et fit Eucharistia sanguinis et
corporis Christi, ex quibus augetur et consistit carnis nostrae
substantia; quomodo carnem negant capacem esse donationis
Dei, quae est vita aeterna, quae sanguine et corpore Christi
nutritur et membrum eius est?
Zum Teil hat Luther diese Vorarbeit wörtlich in seine
Schrift übernommen. Nur den ersten Spruch hat er unver-
wertet gelassen, da das, was er darüber sagt, sich vornehm-
lieh gegen die Papisten richtet.
Noch sei bemerkt, daß das Papier, das Luther benutzt
hat, 31,4 em lang und 21 em breit ist und als Wasser-
zeichen die Sehlange hat.
Unsere Handschrift bietet eine Ergänzung zu der dankens-
werten Zusammenstellung der Originalhandsehriften Luthers
in ,Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation
veröffentlicht vou den Mitarbeitern der Weimarer Luther-
ausgabe. Weimar 1917“. S. 256 ff.
59 99
Drey spruche stehen ym Irengo, welche vom Sacrament /
lauten, (... schlecht von sich macht bose gedancken / kriegen )
Der Erst Lib 4 cap 32, laut also
Vnser Herr (gab) da er seinen iungern radgab, das
sie von seinen creaturn / solten erstlinge Gott opffern (nicht
als durfft ers sondern auff das/sie nicht vn-
fruchtbar noch vndanekbar weren) Nam er das
brod / welchs eine creatur ist, vnd danck vnd sprach,
das ist mein leib / Desselbigen gleichen den kelch,
welcher auch ist eine creatur vnsers dinges [vnsers dinges
über (fur vns)/bekandte er das sein blut sey/
vnd lerete [lerete über (hat)] damit eine [damit über eine]
new opffer ym newen testa / ment (damit gelert), Welchs
die Christenheit von den Aposteln angenomen / hat, vnd
opfert ynn der gantzen welt, Gott, der vns neeret, die
erstlin / ge yhrer gaben,
Dieser spruch (get) laut auffs erst, als sey die messe
ein papisten opffer [papisten über opffer], (vnd» das lassen /
wir gleuben wer do wil. Wir gleubens nieht, vnd halten
das lreneus/ meynung sey, das brod vnd wein (das Chr»
welche Christus ynn sein / fleisch vnd blut segenet, werde
Gott also geopffert Nicht das ers bedurff /odder wir damit
vergebung der sunden erlangen solten, wie die Papisten /
yhre messe opffern, denn Ireneus streit an dem selbigen ort
hart,/das gott nichts gebiete odder fodder von vns, als
bedurffe ers, sondern / vmb vnser willen, das wir sollen vns
danckbar vnd fruchtbar beweisen / wie seine eigen [eigen am
Rande zugefügt] wort auch ynn diesem spruch da stehen
Nicht als/durfft ers, Sondern das sie nicht
vndanekbar noeh vn/fruchtbar seyen, weil
denn seine eigen wort stehen, mussen / wir den sprach
aueh naeh den selbigen seinen worten vnd nieht naeh /
vnsern gedanekn richten, Das opffern bey yhm nichts anders
sein / kan denn (lere? Gott dancken durch das sacrament
brods vnd weins / welchs doch Christus leib vnd blut ist,
Denn er spricht, man opffere / odder daneke damit dem
Gott der vns neeret, das ist, brod vnd wein / ist vnser
speise von gott geben drumb opffert man es ym sacrament /
zu(m) dancken unserm Gott der vns neeret, Wenn die
Papisten auff / die weise das opffer liessen bleiben, das es
nur zu dancken, (vnd als ein) / geschehe, so hette es nicht
hadder, Aber nu machen sie ein solch werck / draus damit
sie gott versunen vnd den hymel verdienen vnd andern /
erwerben / |
Item zum andern laut er, als sey das sacrament eitel
brod vnd wein / weil er spricht, Christus habe die Jungern
60 | 60
gelert von den creaturn / opffern vnd das brod vnd der
kelch seyen Creaturn / Aber hie / ist aber mal seinen eigen
worten zu folgen, da er spricht, das Christus / habe das
brod, welchs eine Creatur ist (vnd) nach dem er gedanckt
hat / dasselbige brod, seinen leib genennet, vnd den selbigen
kelch sein blut / bekennet / Denn da stehen aber mal seine
wort durr vnd klerlich / [Seite 2] Calicem similiter
sanguinem suum confessus est, Et (Pane) Gratias egit /
dicens, hoc est meum corpus, Denn wir leucken nicht, das
brod vnd / wein ym sacrament [ym sacrament am Rande
zugefügt] Creatur sind, aber gleichwol der leib vnd blut
Christi, wie Ireneus / hie auch sagt Diesen spruch wird
niemand anders mugen deuten / vnd ist der schwermer-
geister glosen nichts, Denn er ist zu klar, /
Der ander spruch lib 4 cap. 34
Wie wollen sie wissen, das, das brod, daruber man
danck, yhres herrn leib sey / vnd der kelch sein blut wenn
sie nicht bekennen (den son des schepffers) / das er sey
der son des schepffers der wellt? Diser spruch ist seer /
starck vnd fest, Das ym sacrament Christus leib vnd blut '
sey Denn / er spricht Wenn (sie) die ketzer [die ketzer am
Rande für (sie)| Christum nicht lassen Gotts son (seyn)
vnd vnsern / herrn sein, so kennen sie viel weniger gleuben,
das (g» das brod vnd / kelch sein leib vnd blut sey, also sey
solehs von Christo geordent / vnd von den ketzern gehalten
vnd sie doch [sie über doch| Christum nicht lassen herrn
noeh / Gotts son sein /
Item Gleich wie das brod [corr aus bros] von der erden,
wenn es (empfehet bẹ vberkomt / das nennen (d) von Gott.
so ists nicht mehr (ge) schlicht brod, sondern / sacrament
(vnd be) welches |welches über (vnd beð] steht ynn zweyen
dingen, einem yrdischen vnd einem / hymlisschen Also auch
wenn vnser leibe das sacrament empfahen / sind sie (al)
alsdenn nicht mehr verweselich weil sie die hoffnung / der
aufferstehung haben, / Hie spricht er, wenn Got das yr/
dissche brod nennet odder namen gibt, ists nicht mehr schlecht
brod,/ wo nennet ers aber? Da er spricht, Das ist mein
leib, da nennet / ers seinen leib(t? / Item das Sacrament
bestehet ynn zwey dingen / yrdisschem vnd hymlisschen,
/ Oecolampadius (sp) deutet das also / Die zwey ding sind
brod vnd wort, Aber man heisst nicht verbum /res Ireneus
spricht aber, duabus rebus constat Eucharistia, Vnd/
Eucharistia constans illis duabus rebus [constans bis rebus
am Rande zugefügt] fit vocatione dei [dei oben nach
vocatione] ./. verbo, vt verbum sit efficiens Eucha / ristiam
constantem duabus rebus celesti & terrena. Der spruch /
61 61
steht auch gewaltig Item (ym) am [am über (ym)] selbigen
ort, spricht Ireneus / Wie sagen sie, das, das fleisch musse
vergehen, vnd muge das leben / nicht bekomen, So es doch vom
leibe vnd blut des HErn gespeyset wird. /Da sihestu das
ym sacrament Christus leib vnd blut ist, weil vnser / fleisch
vom leib vnd blut Christi geneert wird, Das ist noch mehr
/ gesagt, denn das wir leiblich Christus leib vnd blut ym
sacrament essen / vnd trincken Die ketzer hielten, das alleine
die seele selig wurde/der leib müste vergehen, daraufit
sagt Ireneus, wie solt der leib nicht / auch selig werden,
geneusst er doch hie auft erden einer ewigen lebendigen /
speise, das ist des leibs vnd bluts Christi? /
[Seite 3] Der dritte spruch Lib. 5. cap 5.
Gleich wie er auch den kelch (welcher ein creatur ist,
(se) bekennet, das/sein leib ist, durch welchen er unser
leibe (mehret) stercket [stercket über (mehret)], Wenn nu /
der eingeschencke kelch, vnd das gemachte brod (das) gotts
wort [wort gotts} (so) bekomet/so wirds das sacrament
des leibs vnd bluts Christi Durch welche / vnsers leibs natur
(wechst) zu nympt vnd erhalten wird Wie thuren / sie denn
leucken, das der leib nicht solte (der gottlichen gaben gotts) /
fehig sein der gaben Gotts, welche ist das ewige leben, so
er doch vom/leibe vnd blut (das her) Christi gemeeret
wird vnd sein gelied ist /
Hie sagt er ia auch durre eraus, Das vnser leib ge-
mestet wird, durch / den leib vnd blut Christi, ym sacrament
empfangen, Welehs doch gar/ein vngehorte rede ist Zu
vnsern Zeiten, Ja auch Zu Augustins Zeiten / welcher spricht,
Es sey eine speyse nicht fur den bauch, sondern fur / die
seele, Aber Gott hatt wollen Ireneum vnd seins gleichen so /
grob (wollen) dauon reden lassen, auff das die zukünfitigw
ketzer musten / greiffen, wie die veter habens gewis gehalten,
Das Christus leib/ vnd blut leiblich wurde genomen ym
sacrament, Denn freylich / der leib vnd blut Christi nicht
verdawet wird ym bauch noch / den leib mestet, Aber gleich
wol sprieht Ireneus, das das brod / welchs eine Creatur ist
vnd durehs wort gotts Christus leib wird / vnser narung sey
vnd [vnser narung sey vad am Rande zugefügt] So [So
über (So)] wird der leib damit gespeyset, nicht allein mit
dem brod natur / lich, sondern auch mit dem leibe Christi
geistlich, also, das (der) vuser /leib solle unsterblich sein
vnd werden, vmb des vusterblichen leibs / Christi willen, den
er Zu sich nympt vnd sampt dem brod isset, / Das ist
Ireneus meynunge, das geben seine wort gewaltiglich /
Hierumb konnen vnd sollen vos die wort Ireneus nicht
yrren, da er/den keleh vnd brod Creatur nennet, (Abe)
62 62
Denn er unterscheidet / brod vnd kelch, wenn sie on Gotts
wort sind, vnd wenn Gotts wort dazu kompt, On Gotts wort
(spricht er) [(spricht er) am Rande zugefügt] ists schlecht
brod, Aber durch gotts/ wort, wirds Christus leib, Er gibt
Gotts wort die allmechtickeit / (wie billich) denn Gen primo
(da) alle ding von yhn selbs nichts / waren, Als aber Gotts
wort dazu kam vnd sprach, Es sey liecht 2c. / da war es
80 bald liecht, wie das wort laut, Also hie auch, ehe / denn
Gotts wort (dazu k) da ist, so ists schlecht brod, Aber
wenn / das wort (da) Gotts dazu kompt vnd spricht, das ist
mein leib, so ists / also bald sein leib, denn solch wort ist
nicht vnser wort, das wir /sprechen, sondern Gotts wort,
vnd Gott sprichts durch vns, Denn / wir habens nicht erdacht
noch erfunden, sondern ist vns von yhm befolhen /
Der ProzeB des Johannes Pollicarius.
Von Otto Clemen.
Zu den zahlreichen Korrespondenten des Zwickauer
Rektors Christian Daum!) gehört Jakob Thomasius, der Vater
des Christian Th., 1650 Konrektor, 1670 Rektor der Nikolai-
schule in Leipzig, daneben Universitätsprofessor ?). 53 Original-
briefe von ihm an Daum befinden sich in des letzteren
Briefsammlung auf der Zwickauer Ratsschulbibliothek; dazu
kommen Daums Antworten in dessen Konzeptbüchern. Die
in flüssigem und durchsichtigem, nur manchmal etwas künst-
lichem Latein abgefaßten Briefe gewähren eine anziehende
Lektüre, und es macht Spaß, zu verfolgen. wie die beiden
yelehrten sich mit grammatisch-lexikalischen und literar-
historischen Fragen bombardieren und sich gegenseitig auf
allerlei in Vergangenheit und Gegenwart aufmerksam machen,
was den anderen interessieren könnte, — mitunter freilich
scheinbar nur zu dem Zwecke, dem anderen mit den eigenen
ausgebreiteten Kenntnissen zu imponieren. So weist z. D.
Thomasius einmal (10. Juni 1653) den Zwickauer Rektor auf
einen „Johannes Pollicarius Cygneus“ hin, „cuius extat
historia de vita Lutheri“, und fragt jenen, ob dieser Polli-
carius — das ist ja die Latinisierung von „Daum“ — ein
Verwandter von ihm wäre. Daum beeilt sich, zu antworten
(29. Juni 1653): „Pollicarius ille Cygneus, pastor Weißen-
felsensis", habe nicht nur eine vita Lutheri verfaßt, sondern
habe sieh auch in deutscher Sprache gegen den Naumburger
1) Vgl.sein von R. Beck gezeichnetes Lebensbild in den Mit-
teilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend, Heft 3,
Zwickau 1891, S. 1 ff.
*) Vel. Beck, M. Christian Daums Beziehungen zur Leipziger
gelehrten Welt während der sechziger Jahre des 17. Jahrh., 2. Teil,
Zwickauer Gymnasialprogramm 1894, S. 1f.
64 64
Bischof Julius von Pflug schriftstellerisch betätigt, er sei aber
nur weitliufig mit ihm verwandt: ,fuit vel propatrui mei
vel abpatrui filius“ 4),
Zu den beiden Briefstellen macht sich ein kleiner Kom-
mentar nötig. Daß Pollicarius eine Lutherbiographie ver-
faßt habe, ist ein Irrtum beider Gelehrten. P. hat nur unter
dem Titel „Historia de vita et actis reverendissimi viri
D. Mart. Lutheri^ Melanchthons bekannte Vorrede zu dem
„Tom. Il omnium operum M. Lutheri“ herausgegeben und
Carmina quaedam de beneficiis, quae Deus per Lutherum
orbi terrarum contulit. Item disticha aliquot de actis Lutheri“
beigefügt. Das Werkchen erschien erstmalig 1548 bei Ger-
vasius Stürmer in Erfurt? Voraus geht eine Widmung an
Fürst Georg von Anhalt vom 20. Okt. 1547. Das Auftreten
des Polliearius gegen Pflug, auf das Daum Bezug nimmt,
fällt ins Jahr 1557. Zuerst erschien von ihm folgende
Schrift: Antwort / Auff das vergiffte büch / des Bischoffs
zů Naumburg, welchs erst / lich blind, hernachmals aber
vnder seinem na-/ men, zů Erffurd im offentlichen truck
ist auf / gangen, wider vnsere Lehr vnd / Kirchen. / Durch
/ Johannem Pollicarium, Pre- / diger zi Weissenfelß. / ...
Getruckt zů Straßburg / durch Samuel Emmel. /M.D.LVIL®)/
Von Pflugs Schrift, die Pollicarius auf den Plan rief, besitzt
die Zwickauer Ratsschulbibliothek folgenden Druck: Christ-
liche er- /innerung vn ermanung Herrn Julij, Bisch- / offen
zur Naumburgk: / an sein Volck*). / Als dann in Mainz
„unter dem Namen Martini Venatorii^ eine Verteidigung jenes
Hirtenbriefs erschien, erließ Pollicarius folgende Entgegnung:
Von der Kirchen / Wider die zwey Bücher, des Bischoffs /
zur Naumburg, -vñ Martini Venatorij, zů / Mentz vnd Erffurd
im Truck außgangen, / wider vnsere Lehr vnnd / Kirchen, 2c. /
Andere Antwort. / Magistri Johannis Pollicarij, Predigers /
1) Beck, Daums Beziehungen S. 14.
2) Ex, Zw. RSB. 11, 9. 44,. Vgl. Karl Hartfelder, Philipp
Melanchthon als Praeceptor Germaniae, Berlin 1879, S. 604 Nr. 130;
Christof Schubart, Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis,
Weimar 1917, S. 22f, 132.
5, Zw. RSB. 8, 6. 6,.
t) Zw. RSB. 9. 6. 5,.
65 65
zů Weissenfelß, im Churfürstenthumb /Sachssen. /... Gedruckt
zů Straßburg, bey Samuel Emmel, im Jar / M.D.LVII!). /
Zum Schluß Abdruck eines Abschnitts aus Luthers „Wider
Hans Worst“ 1541, der 1543ff, unter dem Titel „Von der
alten, rechten Kirchen, was, wo u. wer sie sei u. warbei man
sie erkennen soll“ u. „Von der neuen, falschen Kirchen ...“
erschienen ist?).
Unter den Druckschriften des Pollicarius ist noch manches
interessante Stück. Ein Zeugnis von ungewöhnlicher Ver-
trautheit mit den altklassischen Autoren ist seine Ausgabe
der Declamatio des Zacharias Lilius von Vicenza?) de fuga-
eitate, miseria ef inconstantia vitae et omnium rerum hu-
manarum mit zwei Anhängen: Eiusdem generis aliquot
sapientum apophthegmata et Zrıyoduuera Graeca una cum
interpretatione Latina, erschienen 1553 bei Georg Hantzsch
in Leipzig*). Voraus geht ein Widmungsschreiben an den
kursächsischen Kanzler Hieronymus Kiesewetter vom 3. Juni
1553. Pollicarius bittet darin den Kanzler, einstweilen mit
dieser Schrift verlieb zu nehmen, bis er ein großes auf
fünf Bände berechnetes Geschichtswerk, an dem er seit fünf
Jahren arbeite, vollendet habe. Noch erstaunlicher ist der
SammelfleiB und die Vertrautheit mit der Bibel und den
Vätern, die Pollicarius in folgender 1560 gleichfalls bei
Hantzsch erschienenen Schrift offenbart: ENCHIRI DION. /
Von den vor-/ nemesten Stücken vnd Ar- /tickeln Christ-
licher Lahr, grund / vnd beweis, aus heiliger Sehrifft, /
vnd den alten bewerten Patri-/ bus vnd Concilien,... Der
Verfasser hat sie dem Rate seiner Vaterstadt gewidmet; das
sehr schón gebundene Dedikationsexemplar verwahrt die
Ratssehulbibliothek?). Polliearius hat auch ein Gesangbuchs-
lied gedichtet: Ein naw andechtigs Lied vom ende der Welt
1) Zw. RSB. 8. 6. 6,.
2) Vgl. W. A. 51, 166, wo aber die Bezugnahme auf ones Ver-
öffentlichang des Pollisrins fehlt.
3?) Vgl. über ihn Hurter, Nomenclator literarius theologiae
catholicae t. II, Oeniponte 1906, col. 1061sq. Hier wird von diesem
Regularkanoniker nur angeführt: Breviarium orbis, Florenz 1493.
*) Zw. RSB. 6, 10. 49, — 17. 9. 35,.
5 1. 7. 1.
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII 1. 5
66 66
vnd Jüngsten tage, Vnd wie die Gotlosen sollen doran ge-
strafft werden,...in dem er über die sittlichen Schäden
der Zeit klagt und immer wieder mit dem Refrain schließt:
Wenn will ein end draus werden?!) Wir können uns jedoch
hier nicht weiter mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit?)
befassen — sein Erstlingswerk wird unten noch zu erwähnen
sein —, sondern müssen zu der Korrespondenz Thomasius-
Daum zurückkehren. |
Ogleich Daum für den Sohn seines Urgroßonkels kein
sonderliches Interesse bekundet hatte, behielt Thomasius den
"Weißenfelser Pastor weiter im Auge und übersandte zunächst
am 4. Oktober 1653 dem Zwickauer Freunde einiges Quellen-
material über seinen Ahnen. Darunter befand sich eine
Beichte, die Pollicarius am 26. Juli 1569 abgelegt hat und
die uns unten noch beschäftigen wird. Am 17. Dez. 1653
trug Thomasius dazu noch nach, daß diese confessio, die er
aus einer Handschrift abgeschrieben hätte, im zweiten Teile
der „Trostsprüche“ des Nikolaus Selnecker gedruckt stände,
„sed dempto Pollicarii nomine“. Die Abschrift und die
übrigen Notizen von der Hand des Thomasius sind jetzt in
der Daumschen Briefsammlung nicht zu finden, jedoch ist
der Verlust nicht weiter schmerzlich, da außer dem Abdruck
1) Wackernagel, Bibliographie zur Geschichte des deutschen
Kirchenliedes, Frankfurt a. M. 1855, Nr. 743. Das Lied des Pollicarius
ist abgedruckt bei Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied 3,
Leipzig 1870, Nr. 1257.
?) Vgl. Rolermund, Fortsetzung und Ergänzungen zu Jóchers
Allgemeinem Gelehrtenlexikon 10, Bremen 1819, Sp. 532 und Gódeke,
Grundrifü 22, 190f. 98. — Der libellus megl dixacoovyns a pastore
Leucopetraeo scriptus, den Melanchthon am 6, April 1552 nach Nürn-
berg schickt (CR 7, 977), ist des Pollicarius „Antwort auf das Buch
Osiandri von der Rechtfertigung des Menschen“, erschienen bei Veit
Creutzer in Wittenberg (Bibliothek K. F. Knaake Abt. 3 = Oswald
Weigel, Leipzig, Auktionskatalog N. F. 6 Nr. 858; W. Möller, Andreas
Osiander, Elberfeld 1870, S. 491). — Über Übersetzungen Brenzscher
Schriften von P. vgl. P. Flemming in der Zeitschrift des Vereins f.
Kirchengesch. der Provinz Schsen 16, 11 Anm. Eine Schulpredigt des
Job. Mathesius („Von der schule Elise, des großen Propheten Gottes, II,
Regum III....*; Zw. RSB. 20. 7. 11) hat P. 1560 bei Georg Hantzsch in
Weißenfels erscheinen lassen (Georg Loesche, Johannes Mathesius 2,
Gotha 1895, S. 395 Nr. XIV 1).
67 67
bei Selnecker noch ein zweiter Abdruck der confessio vor-
liegt und ein späteres Schreiben in der Daumschen Brief-
sammlung ftir die tibrigen verloren gegangenen Notizen reich-
lich Ersatz bietet, Thomasius suchte nämlich auch noch
später Daum bei dessen genealögischen Studien gefällig zu
sein und bat Christian Weise, den nachmaligen Zwickauer
Rektor und bekannten Pädagogen und Dramatiker, als dieser
Professor für Politik, Eloquenz und Poesie am Weißenfelser
Gymnasium Augusteum geworden war’), nach dem einstigen
dortigen Superintendenten archivalische Nachforschungen an-
zustellen. Weise, der nicht wußte, daß Thomasius diese
Anfrage Daum zuliebe an ihn gerichtet hatte, antwortete
zunächst kurz, vertiefte sich aber dann in die Akten und
teilte das wichtigste daraus Daum unterm 3. Aug. 1676 mit.
Dieses Stück, die Hauptquelle für die interessanteste Episode
aus dem Leben des Pollicarius, da er vielleicht gar nicht so
schlimme sittlicheVerfehlungen mit unverhältnismäßigschwerer
und langer Kerkerhaft büßen mußte, ist im Anhang abgedruckt.
Ehe wir jedoch auf diese mit dem Jahre 1569 einsetzende
Episode eingehen, müssen wir einfügen, was sich über die
vorausgehenden Lebensschicksale des Pollicarius ermitteln läßt.
Er wird 1524 geboren sein?) Im Winter 1542 wurde
er in Leipzig, am 21. Jan. 1545 in Wittenberg immatrikuliert:
am 1. Sept. 1545 wurde er hier magister artium. Zwischen
seiner Leipziger und Wittenberger Studentenzeit war er an
der Schule in Rochlitz tätig. Wir besitzen nämlich eine
1544 bei Joh. Oporinus in Basel erschienene Schrift von ihm:
De recta et ordinata voeum compositione libri III. Joannis
Polliearii Cygnaei opera in studiosorum gratiam collecti
nuneque primum in lucem editi?) Das an den Zwickauer
Bürgermeister Oswald Lasan gerichtete Widmungsschreiben
ist datiert: Rochlicii ex schola nostra 1544 in ipsis feriis
Johannis Baptistae, hoc est VIII idus Junij (24. Juni). Der
Verfasser bezeichnet sich darin als Schüler des Petrus Pla-
teanus und des Joachim Camerarius; er wird also auf dem
1) Vgl. über Weise ADB 41, 523 ff.
?) In der bei Flemming a. a. O, zitierten Vorrede von 1584
schreibt er: „Meins Alters im 60,“
3) Zw. RSB. 4. 10, 18,.
68 68
Zwiekauer Gymnasium, das unter dem Rektorate des Plateanus
seine höchste Blüte erreichte !) für die Leipziger Universität
vorgebildet worden sein. Gleich nach seiner Magisterpromotion
richtete er an Antonius Musa, Superintendenten in Merseburg,
ein Gesuch um Anstellung in dessen Ephorie; Musa gab das
Gesuch unterm 20. Sept. 1545 an Fürst Georg von Anhalt,
den neugeweihten Bischof, weiter °); am 20. Dez. wurde er
von diesem für das Diakonat in Laucha (Ephorie Freiburg
an der Unstrut) ordiniert?). Von hier siedelte er bald als
Diakonus nach Weißenfels über. Schon am Schlusse des
oben erwähnten Widmungsschreibens an Fürst Georg vom
20. Okt. 1547 nennt er sich „apud Weisenfelsenses verbi
Dei minister“. Desgleichen erscheint er in einer mir un-
bekannt gebliebenen Druckschrift mit Vorrede vom 16. Jan. 1548
(,Etzliche Bußpredigten Brentii verdeutschet^) als „Prediger
zu Weißenfels“ *). Hiermit ist schwer zu vereinigen, daß er -
unterm 6. Mai 1548 eine Vorladung vor das Merseburger
Konsistorium erhielt, „weil er das Pastorat von Querfurt
aufgegeben habe und das Diakonat von Weißenfels, über
das er vorher so oft wegen der vielen Arbeit und des ge-
ringen Einkommens Klage geführt hatte, wiederzubekommen
wünsche“. 5)
Auch über der weiteren geistlichen Laufbahn des Polli-
carius liegt ein Schleier. Nach dem Weißenfelser Chronisten
Heydenreich®) wurde er am 24. März 1561 vom Kurfürst
1) Herzog, Gesch. des Zwickauer Gymnasiums, Zwickau 1869,
8.8.17. 76f. E. Fabian, M. Petrus Plateanus, Zwickauer Gymnasial-
programm 1878, S. 8ff,
2) O, Clemen, Archiv für Reformationsgesch. 9, 49. Musa schreibt
ausdrücklich: „Est doctus et bonus, sed in ministerio Euangelico
hactenus non est versatus, quare nihil gravaretur diaconi vices
interim subire.“ Schon hieraus folgt, daß er nicht schon 1540 Pfarrer
zu St. Afra in Meißen gewesen sein kann, wie Kreyßig, Album der
evangelisch-lutherischen Geistlichen im Königreiche Sachsen?, Crim-
mitschau 1898, S, 3 meint.
3) Flemming a. a. O. S. 10.
4) Flemming S. 11 Anm.
5) Ebd.
* G. H. Heydenreich, Kirchen- und Schulchronik der Stadt
und Ephorie Weißenfels seit 1539, Weißenfels 1810, S. 167,
69 69
August zum Superintendenten von Weißenfels und Freiburg
bestellt, Dem widerspricht, daß er sich schon im Titel der
oben erwähnten, wohl im März 1552 erschienen „Antwort
auf das Buch Osiandri^ Pfarrer und Superintendent zu
Weißenfels nennt. Dagegen stimmt zu Heydenreichs Angabe
ein Brief des Pollicarius vom 2. Juli 1555, adressiert: „Jacobo
Wigando, Pastori ac Superintendenti WeiDenfelsensi*, in dem
er diesem einen Verwandten für das Pfarramt in Weischiitz
(Ephorie Freiburg) empfiehlt!) Auffällig ist nun aber wieder
an dem Briefe, daß er datiert ist: „Fryburgi ...“ War
Polliearius vertretungsweise oder sonst vorübergehend dort
tätig? In Veröffentlichungen von 1554 (Historia von der
Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, Vor-
rede vom 19. Nov. 1553)?), 1556 (Trostspiegel der armen
Sünder, Vorrede vom 12. April 1556)°), den Streitschriften
gegen Pflug von 1557 und der Ausgabe von Mathesius’
Sehulpredigt von 1560 (s. o. nennt er sieh einfach, wie
sehon 1548, darum freilich vom Merseburger Konsistorium
zur Rede gestellt, „Prediger zu Weißenfels“.
Sicher war er Superintendent, als er wegen ürgerlichen
Lebenswandels abgesetzt und am 23. Sept. 1568 auf das
Weißenfelser Schloß abgeführt wurde. Wir folgen nun den
Nachrichten, die wir Christian Weise verdanken. Als er
sich weigerte, Angaben tiber den Verkehr mit einer Dirne,
die er aus Furcht vor der Tortur getan hatte, zu wieder-
holen, befahl Kurfürst August unterm 4. Mai 1569. dem
Hauptmann, ihn einmauern zu lassen, bis er verhungere.
Weise meint, das Gebot sei nicht ernst gemeint*), sondern
darauf berechnet gewesen, Pollicarius zu erschreeken und das
Schuldbekenntnis, das man von ihm hören wollte, aus ihm
herauszupressen; der Hauptmann habe die Nebeninstruktion
erhalten, den Polliearius, wenn er die Aussage verweigere,
in einem unterirdischen Gefüngnis bei Wasser und Brot fest-
) Enders, Beiträge zur bayerischen Kirchengesch, 3, 146f.
?) Zw. RSB. 12. 6. 19,.
3) Zw. RSB. 36. 3. 1.4.
^) Bei der Grausamkeit, die ,Vater August“ gegen Peucer,
Cracow, ferner gegen Wilddiebe betätigt hat, wäre ihm dies aber doch
zuzutranen!
10 10
zuhalten. Dieser Fall trat ein, und Pollicarius wurde in
eine finstere, feuchte Höhle, neun Ellen unter dem Erdboden,
geworfen. Am 26. Juli wurde er vorübergehend daraus be-
freit, beiehtete in einer Stube des Schlosses den beiden
Diakonen Augustin Jonas!) und Georg Lysthenius?) und
empfing darauf die Absolution und das heilige Abendmahl.
Aber erst 1570 wurde ihm eine etwas mildere Behandlung
zu teil, und erst am 22. Sept. 1573 verfügte der Kurfürst,
daf er in ein helles Gemach überführt wurde, wo er lesen
und meditieren konnte. Seine volle Freiheit erlangte er
erst 1578 wieder. i
Die confessio des Pollicarius vom 26. Juli 1569 ist außer
bei Selnecker *) abgedruckt in der „Fortgesetzten Sammlung von
Alten und Neuen Theologischen Sachen“ 1728, S. 506 —21.
Lysthenius hat diesen Bericht als „Beichtvater der Frau
Äbtissin in Weißenfels“ für dieselbe aufgesetzt. Es ist das
eben die Schwester des Kurfürsten August Sidonia, die mit
Herzog Erich U. von Braunschweig-Calenberg vermählt ge-
wesen war, auf deren Fürsprache Weise die Milderung in
dem Verfahren gegen Pollicarius zurückführt. Die beiden
Diakonen trafen den Unglücklichen in einem ganz elenden
Zustand: „Da wir denn beyde einen anderen Pollicarium an
Form und Gestalt mit aufgelaufenem Leibe, als ob er wasser-
süchtig wäre, auf der rechten Seite ineinandergewachsen und
gekrümmet, darzu verdorret und gar vermattet gefunden .. .“
Und Pollicarius selbst schilderte seine Lage: , und obwohl dieser
mein armer, niehtiger, ausgehungerter, verdorreter, krummer
1) Vgl. über ihn Flemming 8. 20. Er wurde 1574 Superintendent
von Weißenfels (Pollicarius Nachfolger?), starb aber schon 1575,
2) Vgl. über ihn ADB. 18, 778; Kreifig S. 122. Er wurde 1572
Superintendent in Liebenwerda, 1573 Hofprediger in Dresden, 1587
Superintendent in Weißenfels und starb 1596.
3) Christliche, / Vnd / Sehr Schóne / Trostsprüche, vor engstige, /
betrübte, vnd verfolgte Christen: / .. . In Leypzig, bey Johan. Beyer.
1593 / 2. Teil S. 185—201: „Confessio cuiusdam. captivi pastoris ex
carcere ad absolutionem et communionem accedentis et multis lacrymis
effusis ita loquentis." — Herausgeber der ,Trostsprüche" ist Nikolaus
Selneckers Sohn Georg, Superintendent in Delitzsch. In der Vorrede
erwähnt dieser, daß sein Vater den 2. Teil als Flüchtling „in seinem
dazumal miihseligen Zustande Anno 90 im Kloster Berga vor Magde-
burg colligiert^ habe.
71 Ti
und vermatteter Leib ... unter die Erden gesteckt, den giftigen
Würmern, Schlangen und Kröten zur Speise an einer Ketten
vorgelegt wurde, denn, lieben Brüder, ich hange mit meinem
Bein an einer Eisenfessel, da setzen mir die giftigen Würmer
sehr zu, muß mich immer mit ihnen schlagen ...“ — Aber
fleischlicher Sünden bekannte er sich nicht schuldig, sondern
beklagte nur den „verdammten schrecklichen Saufteufel“,
der ihn „dazu bracht“ hätte.
Ruft schon diese confessio unser Mitgefühl wach, so erst
recht noch ein zweites Aktenstiick, das uns im Wortlaut
bekannt geworden ist’). Es ist ein Gnadengesuch, das der
gleichnamige Sohn des Johannes Pollicarius für seinen Vater,
bald nachdem dieser jene Beichte abgelegt hatte, an die
Kurfürstin Anna gerichtet hat. Der Bittsteller trägt hier
zunächst über seine Personalien folgendes vor: Er habe sich
vor ungefähr vier Jahren von seinem Vater getrennt und sich
erstlich nach Rostock auf die Universität zum Studio be-
geben, hernachmals sei er nach Kopenhagen gezogen und,
nachdem er dort auch eine Zeit lang studiert, habe er einem
Rufe auf die dänische Insel Fehmarn Folge geleistet und
allda Schule und Kirche gedient. Vor kurzem sei nun sein
jüngerer Bruder zu ihm gekommen mit der Botschaft, daß
ihr Vater „in einem thurm vormauert, an eine ketten ge-
schlossen und den dag nicht sehen kan, ihm auch nicht
mehr des dages den auf einmal ein wenig trucken brod und
eine kandel wassers tzur speise und tranck gereichet wurde“.
Er sei sofort nach Weißenfels abgereist und habe dort die
Lage seines Vaters noch schlimmer gefunden, als sie ihm
gemeldet worden sei. Er habe gar nicht zu ihm vordringen,
kein Wort mit ihm reden können; an dem alten Manne sei
nicht mehr als Haut und Bein zu sehn, tags und nachts
müsse er sich mit Schlangen, Kröten und Ratten herum-
schlagen, „wie mich die leute berichtet, die ihnen gesehen,
da er seine confessionem oder bekentnus gedan.“ Der Bitt-
steller fleht nun um Gnade für den alten Vater und schließt
— ein rührendes Zeugnis opferwilliger Kindesliebe — mit
dem Erbieten: „so will ich selbest zu erledigung meines
1) Th. Distel, ZKG. 11, 167 ff.
72 72
armen vaters, da er es verwirket haben sollte, mein leben
lassen und, so er keine gnade erlangen mag, mich an seine
stadt, darmit er entlediget, stellen."
Der Bittsteller ist sicher identisch mit dem in Weises
Briefe erwähnten ältern Sohne Johannes, von dem es dort
heibt: in eausa parentis fuit oceupatissimus, zugleich auch
mit dem ebenda begegnenden angeblieh dritten namenlosen
Sohne, der ecclesiastes in Dania gewesen sein soll. Daß
Johannes Polliearius iunior Geistlicher in Guhrau in Schlesien
gewesen sei ist dagegen wohl eine Verwechslung Weises
mit einem aus Sehlesien stammenden Magister Daumius, von
dem Thomasius am 10. Juni 1653 an Daum schreibt, daf er
ihn vor zwölf Jahren in Wittenberg kennen gelernt habe.
Ganz dunkel sind die Lebensausgänge des einstigen
Weißenfelser Superintendenten. Einer Nachricht zufolge
erhielt er nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis aus
Kommiseration und zur Pönitenz die Pfarre Mark werben }),
Aus der Vorrede an den Rat zu Regensburg von 1584 zu
einer mir nicht vorliegenden Drucksehrift von ihm von 1586
(„Zwo erschreckliche Historien erklärt durch Brentium und
hirnach verdeudschet“) scheint sich zu ergeben, daß er 1584
als exul in Regensburg weilte?). Vielleicht ist er 1588 über
Rostock nach Kurland gereist, dort Hofprediger der Herzogin-
witwe Anna geworden und in diesem Amte in hohem Alter
gestorben ?).
Polliearium WeiBenfelsensem quod attinet, equidem
memini Thomasium ex me quaerere, num aliqua mihi de
viro essent cognita. Sed nesciens talia quaeri in gratiam
elarissimi viri et tum respondi brevius et in posterum ne
1) Tob. Schmidt, Chronica Cygnea, Zwickau 1656, S. 484.
? Flemming S. 11 Anm.
3) Davidis Chytraei epistolae, Hanoviae 1614, S. 824 (vgl.
Joachim Feller, Cygni quasimodogeniti, Lipsiae 1686, Fol. C 2a):
Chytráus an Jeremias Homberger aus Graz, damals in Regensburg
(wo P. 1584 als exul weilte!), Rostock 22, Sept. 1588: ,Misi in Cur-
Jandiam Joh. Pollicarium senem, qui casu ad nos venit, cum ante
- 90 annos Weisenfelsae in Misnia Superintendens fuisset.“ — Nach
Theodor Kallmeyer, Die evangelischen Kirchen und Prediger Kur-
lands, 2. Ausg. v. G. Otto, Riga 1910, S. 576 wurde hier M. Joh. Poli,
aus Weißenfels, der seit 1567 in Rostock studiert hatte, Hofprediger
73 13.
quidem fui solicitus, ut accuratiora cognoscerem. Nune, quae
ex archivo Praefecturae nostrae excerpere potul, hie habe.
D. 23. Sept. 1568 in custodiam areis Weißenfelsensis (quae
nune plane aliam induit faciem) missus est. Postea et pla-
cide et rigide, fallor? et per torturam de eriminibus fuit
examinatus. Cum autem [fateretur quidem se cum tribus
ancillis, quo tempore fuisset viduus, imo post repetitas nup-
tias, rem habuisse, quarum una pulchrae Lenae s. Magda-
lenae, ut arbitror, nomine fuerat celebris, neque tamen, quod
ob metum torturae affirmaverat, confirmare vellet, se cum
Lena, quamdiu habuisset maritum, consuevisse, d. 4. Maji 1569
rescripsit Elector ut muro undique clauderetur, donee fame
periret. Monitus interim Praefectus est, talia saltem esse
seripta in terrorem, ut promptiorem ederet confessionem:
quod si tamen perseveraret negare, mitteret eum in carcerem
subterraneum, ibidemque tenui pane et aqua sustentaret.
Ita coniectus in speluneam novem ulnas profundam cum
tenebris, eum tentationibus Diabolieis, imo cum lacertis et
serpentibus est conflictatus. Extractus inde d. 26. Julii
eiusdem anni, antequam in conclavi areis sacram indipis-
ceretur synaxin, confessionem edidit plane singularem, euius
copiam a Thomasio tibi faetam suspicor. Sed remissus est
in custodiam, donee 1570 mansuetiori carceri traderetur, ubi
tamen lucis usura nondum frui potuit. D. 22. Sept. 1575
Electori demum placuit, ut in lucido conclavi detineretur,
ubi lectionibus et meditationibus indulgere sine impedimento
posset. Quo anno fuerit liberatus, in actis non invenio: eolligo
tamen ex circumstantiis infra exponendis faetum 1578. Liberos
ex priori matrimonio habuit plures. In aetis nominantur
Johannes et Philippus. Johannes postea Magister factus
funetionem Eeclesiastieam Gurae in Silesia impetravit ac in
eausa Parentis fuit occupatissimus. Aliquis etiam dieitur
Praedicans s. Ecclesiastes in Dania, euius nomen non additur.
Filiam habuisse inde constat, quod Pastor Karsdorfensis
eiusdem gener audit. Altera uxor Agnes Mackenrodia
Franekenhusensis, ut auguror, paulo ante captivitatem ei
nupsit. Primum enim in vincula coniectus ad Electorem
seribit Pollicarius gravidam prima vice esse uxorem. Sororem
ea habuit Pauli Müldneri Civis Weissenfelsensis uxorem, qui
—————M—— — ——
der Herzoginwitwe Anna und war als solcher am 5, u. 6. Nov. 1590
nebst mehreren anderen kurländischen Pastoren als geistlicher Richter
in einem Injurienprozeß auf dem Mitauer Schlosse tätig. Steht die
Identifizierung des Hofpredigers mit dem Rostocker Studenten quelien-
mäßig fest, dann wäre Joh, Pollicarius jun. gemeint, und der Vater
würe wohl nur zum Besuche des Sohnes 1588 von Rostoek nach Kur-
land gereist,
74 74
eum Pollicario gravissimas ac atrocissimas habuit contro-
versias. Ipsa Agnes maritum e custodia dimissum sequi
noluit eumque in finem e Consistorio Lipsiensi 1578 saepius
admonita tandem e civitate fuit eiecta. Johannes privignus
novercae objicit scelera turpissima, consuescere ipsam cum
juvenibus, et esse Sartorem, cui quasi maritalem benevo-
Jentiam concederet, unde factum, ut 1579 in exilium missa
poenas malitiae dederit. Pollicarius senior in libertatem
redaetus dieitur in popina quadam Martisburgensi ad cantum
fidieinis ancillas in choream protraxisse, ne quid addam
amplius. Sed quantum conjicio, fabulae a Muldenero, pessi-
maque et perfida uxore traxerunt originem. Si enim vel
maxime proclivis ad libidinem fuisset animus, certe senem
tot malis et miseriis fractum tam subito rediisse ad castra
eupidinis vix est probabile. Alii referunt eum, in dieendi
suavitate incomparabilem, in Churlandia denuo ad eathedram
Ecclesiasticam fuisse promotum. At sieut de loco certi nihil
habeo, sie, quousque talia eredi debeant, non video ..
Iam scripseram literas, ubi amicus antiquitatum Weissen-
felsensium callentissimus refert Polliearium ad perpetuos
carceres destinatum intercessione Sidoniae fuisse liberatum.
Fuit ea Augusti Electoris soror ac Erico juniori Duci Brunsvic.
nupía; quod decem annis maritum aetate superaret!), ab
eodem contempta in coenobio Weissenfelsensi vixit. Sed
ista iam d. 5. Jan. 1575 diem obiit, ut exinde brevior in-
carcerationis terminus videatur ponendus. Antea enim augu-
rabar pene completum fuisse decennium. Sane Acta tempo-
ribus bellieis nimium mutilata dubium non solvunt. Forte
etiam Sidonia 1573 impetravit molliorem custodiam.
1) Sidonia geb. 8. März 1518, Erich 10. Aug. 1528.
Mitteilungen.
Aus Zeitschriften’).
(Schluß von Heft 68).
Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrichs II von der
Pfalz (1544—1556) gibt A. Hasenclever in ZGOberrh. NF. 35,3
S. 278—312. Im ersten verfolgt er an der Hand der gedruckten
Auszüge aus den Ordensprotokollen Friedrichs Stellung als Ritter des
Goldenen Vließes und zeigt, daß der Pfälzer sich nicht zu einem willen-
losen Werkzeug der den Orden beherrschenden kaiserlichen Politik
herabgewürdigt, dafür aber auch als Vließritter keine bedeutsame
Rolle gespielt hat. Der zweite Beitrag betrifft Friedrichs Verhalten
in dem zwischen der kurpfälzischen Regierung und dem kaiserlichen
Kabinett schwebenden, unerledigt gebliebenen Streitfall um die sog.
Kirchengüter von Deventer, der zur antikaiserlichen Richtung der
kurpfälzischen Politik wesentlich beigetragen hat. Zum Schluß stellt
H. auf Grund des von Bossert in dieser Zeitschr. veröffentlichten
Melanchthonbriefes (Bd. XVII S.70) fest, daß der Sekretär und Biograph
Friedrichs, Hubertus Leodius, seinen Herrn überlebt hat.
In den Monatsh. f. Rhein. KG, 14. Jahrg. S. 126—137 veröflent-
licht Th. Wotschke („Ein Freund Paul Ebers“) aus der Gothaer
Staatsbibliothek Briefe des Kölner Professors der hebr. Sprache Johann
Isaak an Paul Eber literarischen Inhalts von 1558, 1562 und 1565
nebst einem Trostbriefe Ebers an Adolf von Strahlen in Köln von 1563
(Schluß soll folgen).
Den Originaldruck der Tabula über 1. Joh. 2 von Johannes
Mathesius (Loesche I, 639) weist O, Clemen in einem Sammelband
der Zwickauer Ratsschulbibliothek nach (Nürnberg 1563). Gleichzeitig
führt er die ebendort befindlichen sonstigen Druckschriften des M.
auf. Mitt. V. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen 58 Heft 1/2 (1919)
S. 105 f.
Über Balthasar Merklin aus Waldkirch, Propst dort und Reichs-
vizekanzler unter Karl V., in seiner politischen Wirksamkeit handelt
auf Grund der gedruckten Literatur Ad. Hasenclever in ZGOberrh.
NF. 34 S. 485—502 und 35 S. 36—80. Der Schwerpunkt der amtlichen
1) Die Schriftleitung ersucht die Herren Verfasser hóflichst um
Zusendung einschlägiger Zeitschriftenaufsätze zur Anzeige an dieser
Stelle.
76 | 76
Tätigkeit Merklins liegt in seiner wichtigen Mission nach Deutsch-
land 1528, der Hasenclever im einzelnen nachgeht. Damit enden die
ausführlicheren Nachrichten über M., der anscheinend kurz vor seinem
Tode (+ 28. Mai 1531) vom Kaiser in Ungnaden entlassen worden ist.
Das Schlußurteil H.'s über M. ist doch wohl, obschon er auch der
Schwächen dieses gedenkt, zu günstig gehalten.
Einen Neudruck der nur in wenigen Abzügen des Originaldrucks
(von 1528) noch vorhandenen Streitschrift Th. Murners „Des alten
christlichen Bären Testament“ veranstaltet mit ausführlicher Einleitung
M. Scherrer im Anz. f. Schweiz. G. Jahrg. 50 (NF. Bd. 17) S, 6—88,
P. Althaus, Der Verfasser und die ursprüngliche Gestalt des
Liedes , Aus meines Herzens Grunde" (des angeblichen Lieblingsliedes
Gustav Adolfs) weist als Verfasser den ,frommen Hauptmann" Georg
Niege (Nigidius) zu Allendorf (1525—1588) nach und bespricht die
auf der Berliner Staatsbibliothek befindliche hsl. Hinterlassenschaft
Nieges an geistlichen Liedern. Theol. Festschrift für G. N. Bonwetsch
(1918) S. 80—103.
Eine sorgfältige ,Oekolampad-Bibliographie, Verzeichnis der
im 16. Jahrhundert verfaßten Oekolampad-Drucke“ veröffentlicht E.
Staehelin in Basler Zeitschrift für Gesch. u, A. Bd. 17, 1 (SA., 119 S).
In einer Abhardlung über die Anfänge der Hildesheimer Stifts-
fehde würdigt Elsa Varnové auch die Chronik des Luthergegners
Johann Oldecop und stellt fest, daß die von O. erst 1561 begonnenen
Aufzeiehnungen nicht nur ungenaue Zeitangaben, sondern auch un-
richtige Wiedergabe der Tatsachen und falsche Begründung der Er-
eignisse enthalten: ZHV. Niedersachsen Jahrg. 84 (1919) S, 169—240
(bes. 224 ff.).
Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten
Theologen der polnischen Reformation, stellt bis zum Jahre 1562, wo
er nach dem Bruch mit der reformatorischen Kirche eine eigene Ge-
meinde, die ecclesia minor, bildete, Th. Wotsohke in Z. f. Brüder-
gesch. 14. Jahrg. S. 1—32 dar unter Beigabe von fünf Stücken seines
Briefwechsels (aus dem Herrnhuter Archiv).
Auf Grund von Briefen des Weimarer Ges. À., die anhangsweise
mitgeteilt werden, schildert P. Vetter den gelehrten Pfarrer von
Oelsnitz und dramatischen Dichter Paul Rebhuhn in den wirtsehaft-
lichen Nöten, in die ihn die Übernahme der Pfarre gestürzt hatte:
NASG, 41 S, 43—78.
P. Kalkoff, Wimpfelings letzte lutherfreundliche Kundgebung,
würdigt die Stellung des Elsässischen Humanisten im beginnenden
Glaubensstreit unter besonderer Rücksicht auf die anonym erschienene
und damals nicht gedruckte Streitschrift „Apologia Christi pro Luthero":
ZGOberrh. NF. 35,1 S. 1—35.
Landschaftliches. Im Jahrgang 22 (1918) 8. 3—41 der
NF. der Bll. f. Württemberg. KG, beendigt Pf, Rentschler die Gesch.
der „Einführung der Reformation in der Herrschaft Limpurg“.
77 77
In den Franziskan. Studien VII, 9 S. 156—165 beschreibt und
veröffentlicht A. Schaefer die Aufzeichnungen des Franziskaner-
observanten Joh. Ulrich von Kaisersberg über seine Verhandlungen
mit Konrad Sam vor dem Ulmaer Rat am 5. August 1527 aus einer
Hs. der Stuttgarter Landesbibliothek.
Das Freiburger Diözesanarchiv gibt auch in den Bänden 19
und 20 der Neuen Folge (46. und 47. Bd. der ganzen Reihe) über-
wiegend „Beiträge zur Reformationsgeschichte Badens“, meist
aus den Akten geschöpft, leider jedoch nicht unbefangen, sondern
von einseitig katholischem Standpunkt aus dargestellt. So vor allem
Bd. 19 S. 1—80 P. Albert, Die reformatorische Bewegung zu Freiburg,
wo ein der katholischen Sache abgünstiger Bericht eines Augenzeugen
kurzweg als „in allen Stücken unzutreffend* bezeichnet wird, während
was Bürgermeister und Rat an König Ferdinand — offensichtlich
dessen Wünschen angepaßt — über ihre kirchliche Haltung schreiben,
„um so wahrer“ ist. Daß die Reformation in F. durch Ferdinand nur
mittels brutaler Gewalt unterdrückt werden konnte, liegt j& ohnehin
durchaus zu Tage. — Die weiteren Beiträge sind: H. Lauer, Die
Glaubensneuerung in der Baar (S. 71—119); K. Gröber, Die Refor-
mation in Konstanz von ihrem Anfang bis zum Tode Hugos von
Hohenlandenberg 1517—1532 (S. 120—322); Jos. Sauer, Reformation
und Kunst im Bereich des heutigen Baden (S. 328—506). — Bd. 20:
K. Fr. Lederle, Zur Geschichte der Reformation urd Gegenreformation
in der Markgrafschaft Baden-Baden vom Tode Phiiiberts bis zum Ende
der kirchlichen Bewegangen (S. 1—45); E. Fleig, Die Aufhebung des
Klosters Herrenalb (S. 46—112); H. Lauer, Die theologische Bildung
des Klerus der Diózese Konstanz in der Zeit der Glaubensneuerung
(S. 118—164). Vgl. auch Fr. Hefele, Die kirchengeschichtliche Lite-
ratur Badens 1914—1918 (S. 184—199).
Die Mäagel und Einseitigkeiten des Aufsatzes von K. Rieder zur
Reformationsgesch. des Dominikanerinnenklosters in Pforzheim (im
Freiburger Diözesanarchiv, s. diese Zeitschr. Bd. 16 S, 112) ergänzt
und berichtigt G. Bossert in ZGOberrh. NF. 34 S. 465—484.
Seine Beiträge „Zur Geschichte der Gegenreformation im Bistum
Konstanz“ (vgl. diese Ztsch. Bd. 16 S. 112£.) bringt K. Schellhaß
in 2 weiteren Abschnitten (ZGOberrh. NF, 34 S. 145—171 u. 278—299)
zu Ende; in der Buchausgabe wird sich jedoch noch ein Schlußkapitel
anschließen, die beiden Abschnitte behandeln im wesentlichen die
Schicksale des Abtes Oechsli im Jahre 1581.
Einen Brief des Peter van Ceulen an Beza über die von Rom
aus wie durch die Umtriebe der Sektierer gefährdete Lage der Kölner
Gemeinde vom 3. März 1570 veröffentlicht Th. Wotschke aus der
Gothaer Staatsbibliothek in Monatsbl. f. Rhein. KG. 14. Jahrg. 8. 41—43.
Aus der Feder eines jungen, im Weltkriege gefallenen Doktoranden
H. Kessel veröffentlicht das Düsseldorfer Jahrbuch 1918/19 (Beiträge
z. G. des Niederrheins Bd, 30) S. 1—160 den Abriß einer Geschichte
78 78
der Reformation und Gegenreformation im Herzogt. Cleve
1517—1609, vermebrt um eine nach den einzelnen Amter und Ge-
meinden geordnete statistische Ubersicht der Verbreitung der Kon-
fessionen im Herzogt. Cleve von 1609.
Im Jahrb. d. V. f. die ev. KG. Westfalens 22 (1920) S. 27—30
stellt Th, Wotschke die 17 Westfalen zusammen, die zwischen 1573
und 1631 in Wittenberg ordiniert worden sind, mit Vorgeschichte und
Angabe ihrer Pfarre.
Am gleichen Orte Jahrg. 20 S, 92—129 gibt Kl. Lóffler eine
kurze ,Reformationsgeschishte der Stadt Münster“. Hauptsächlich
durch die Wirksamkeit Bernhard Rothmanns wurde Münster zu Anfang
der 30er Jahre für das Evangelium gewonnen und durch den Vertrag
mit dem Bischof vom 14. Februar 1533 rechtlich als evangelische
Stadt anerkannt. Dann hat bekanntlich die Errichtung des Wieder-
täuferreichs in M. und die Einnahme der Stadt im Jahre 1535 die
Herstellung des Katholizismus eingeleitet.
Aus einem Aktenstiicke im Ephoralarchive zu Grimma macht
G. Müller Mitteilungen über die von Sehling nur zum Teil berück-
sichtigten Kirehenordnungen für Colditz von 1529 und 1534 ein-
schlieBlich der Kirchenordnungen für das Gebiet des Amtes Colditz:
NASG. 41 S. 296—303.
Eine Geschichte der Reformation in der Stadt Northeim von
H, Bartels ist in den Forschungen zur Geschichte Niedersachsens
(98 S., 1918) erschienen.
Die ,Gestaltung der Reformation in Ostfriesland" stellt H.
Reimers im 20. Heft der Abhandlungen und Vortráge zur Geschichte
Ostfrieslands dar (VIII, 64 S.).
Nur wenige Daten, die Th. Wotschke zusammenstellt, geben
über die Reformation in der Stadt Nakel Auskunft. Ihre Einführung
um 1522 wurde dem Inhaber der Starostei, Christoph Danaborz ver-
dankt, der aber schon 1528 starb. Aber erst 1597 wich der letzte
evangelische Prediger in Nakel der Verfolgung. Auch in der Um-
gebung Nakels entstanden evangelische Gemeinden, die hernach eben-
falls der Gegenreformation erlagen. Histor. Monatsbll. f. die Prov.
Posen XX, 6 (Febr./Márz 1920) S. 81—84.
Ausland, In Zwingliana 1918 Nr. 1 [Bd. III Nr. 11]
5. 829—337 beendigt W. Köhler seinen Aufsatz über Martin Seger
aus Maienfeld, einen eifrigen Mitarbeiter am Werke Zwingli's (mit
3 Beilagen aus dem Züricher St. A.) und teilt E. Gagliardi den neu
aufgefundenen ausführlichen Auszug eines Zuhürers aus der Predigt
mit, die Zwingli am 12. Marz 1525 unter dem Eindruck der Schlacht
von Pavia gegen den Fremdendienst hielt (S. 387—347). — Die folgende
Doppel-Nr. (1918 Nr. 2 und 1919 Nr. 1 — Bd. III Nr. 12/13) gilt als
Gedenknummer auf Neujahr 1919 (S. 357—460) und setzt sich aus
folgenden Beiträgen zusammen: S. 357—370 O. Farner, Zwingli und
sein Werk; S. 371—384 A. Eckhof (Leiden) Zwingli in Holland;
79 79
S. 885—395 K. Gauss, Die Beziehungen Zs zu den Pfarren des
Baselbiets; 8. 396—404 M. v. K., Zur Vorgeschichte der Berner
Reformation; S. 404—413 E. Bernoulli, 2 vierstimmige Sätze von
7.s Kappeler-Lied („Herr, nun selbst den Wagen halt“); 8..414—417
W. Köhler, Z. Student in Paris? (hält ein Studium Z.s in Paris
für mindestens wahrscheinlich); S. 418—435 Joh. Ficker, Z.'s Bildnis
(mit 2 Abbild.). Am Schluß gedenken G. Anrich der Zwinglifeier in
Straßburg 1819 (S. 435—437). Th. Häring des Reformationsfestes der
Sehweizer im Tübinger Predigerinstitut 31. Dez. 1818 und 1. Jan. 1819
(S. 487—441) und Helen Wild des Züricher Reformationsjubiläums
von 1819 (S. 441—460).
W. Köhler, Ulrich Zwingli (Rede bei der Zwinglisäkularfeier
der Universität Zürich, 3. Januar 1919) feiert Zw. als denjenigen, bei
dem die Verbindung Christentum und Antike den Gipfelpunkt ihres
Wertes erreicht. Internat. Monatschr. XIII (1919) Sp. 362—386,
In Beitrr. z. vaterl. Gesch. hersg. vom histor.-antiquar. V. des
Kantons Schaffhausen Heft 9 S. 78—99 schildert H. Werner nach den
Akten des dortigen Staatsarchivs den Versuch des vom Kaiser und
Papst unterstützten Propstes im Kloster Sölden (bei Freiburg i. B.),
Heinrich von Jestetten, i. J. 1555, die vor 2 Jahrzehnten von Schaff-
hausen säkularisierte Abtei Allerheiligen wieder aufzurichten, einen
Versuch, den die Stadt mit Hilfe der evangelischen Eidgenossenschaft
abschlug.
Am gleichen Orte Heft 9 S. 1—62 gibt J. Wipf ein anschauliches,
aus den Quellen geschöpftes Bild des Reformators von Schaffhausen
Sebastian Hofmeister, ehemaligen Franziskaners, der von 1522 bis
1525 mit großen Erfolg in seiner Vaterstadt wirkte, dann einer Reak-
tion erliegend von hier verbannt wurde und hernach 1528 bis an
seinen Tod als Pfarrer in Zofingen wesentlich beitrug, diese Stadt für
die Reformation zu gewinnen.
Die Reformation im baslerisch-bischöflichen Lanfen schildert
auf Grund der Akten des Staats- und bischöflichen Archivs K. Gauss
im Basler Jahrbuch 1917 S. 37—95. Erst nachdem Laufen mit Basel
in ein Burgrecht getreten war und sich dadurch der Gewalt des
Bischofs entzogen hatte (1525), konnte die Reformation zum Siege
gelangen; um das Jahr 1536 kam sie zum Abschluß,
Das Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N. S. Deel 15
(1919) enthält folgende Beiträge zur Niederländischen Refor-
mationsgeschichte: S, 49—60 J.C. Overvoorde, Uit de eerste
jaren van de Luthersche gemeente te Leiden; S. 115—193 M. van Rhijn,
Wilhelmus Sagarus (Nachtrag dazu S. 239); S. 124—189 Johanna
M. Sernée, Bijdrage tot de kennis der finantiéele administratiön van
de geestelijke stichtingen in Delfland na 1572; S, 133—149 G. A,
Hulsebos, De handelingen van de erste classicale bijeenkomst van
de Classis Over-Veluwe gehouden te Harderwijk 15 Juli 1599;
S. 234—238 J. S. van Veen, De Geldersche kerkelijke Rekenkamer.
80 80
Im NA Veneto NS. a. 17 Tomo 34 p. 1 S. 13—32 bespricht
A. Serena an der Hand einer bei den Augustinern in Rom auf-
gefundenen anschaulichen Relation des Ordensgenerals der Augustiner
Gabriel Veneto eine Augustinersynode in Treviso von 1526, in
der besonders MaGregeln gegen das Eindringen des Luthertums in
den Orden getroffen wurden.
Uber 2 wichtige Veröffentlichungen der Norwegischen Theologie
zum Reformationsjubelfest von 19171) referiert eingehend H. Stocks
in ZKG. NF. I, 2 S. 407—410.
1) (0. Kolsrud, Utkast til en norsk Kirkeordinants ... for-
fattend 1604, und A. Brandrud und O. Kolsrud, To og tredive prae-
dikener holdt i Aarene 1578—1586 av M. Jens Nilssøn.
Druck von C, Schulze & Oo., ts, m, b, Ha Grüfenhainiehen,
Von der preussischen Kommission
zur Erforschung der Reformation und
Gegenreformation.
l. Instruktion für die Mitarbeiter
an der prosopographischen Abteilung.
1. Die Literatur von 1500 bis 1585 ist biographisch erschöpfend
durchzuarbeiten. In erster Linie ist die gedruckte Literatur aufzu-
arbeiten. Das handschriftliche Material wird aushilfsweise und nach
Bedarf herangezogen, namentlich das mit der Bewegung der Wieder“
täufer sich befassende Quellenmaterial. Der Leiter der Abteilung gibt
die Literatur an, die durchgearbeitet werden soll. Er führt ein Ver-
zeichnis über die verarbeitete Literatur.
2. Es wird eine Kartothek angelegt, die alle Namen enthält, die
sich in der verarbeiteten gedruckten und ungedruckten Literatur finden.
Die Kartothek befindet sich beim Leiter der Abteilung und wird von
ihm fortlaufend ergänzt und geordnet.
3. Die Mitarbeiter ziehen aus der ihnen zugewiesenen Literatur
alle Namen aus und verzeichnen sie auf den ihnen übergebenen Zetteln,
Jeder Name erhält einen eigenen Zettel. Das Gleiche gilt von den
Varianten (z. B. Mayr, Mair, Maier, Meyer, Meier u. à), den Über-
setzungen in die gelehrten Sprachen, den Spitznamen, Kosenamen,
Decknamen, Pseudonymen, den Namensbezeichnungen nach dem Ort
(z.B. Dr. Islebius) usw. Auch für die Bezeichnung mit Sigeln (z. B. P. M.)
ist ein besonderes Blatt anzulegen. Bei jeder Namensform wird auf
die Hauptform verwiesen. Beispiel: Dr. Gratianus s. Zwingli, Huld-
reich; Dr. Philippus s. Melanchthon, Philipp; Crasitius s. Mornhinweg.
Ist die Identifizierung fraglich, so muß das durch ein in Klammern
gesetztes Fragezeichen kenntlich gemacht werden. Da in den Quellen
oft bloß der Vorname angegeben ist, so muß die Identifizierung mit
sroßer Vorsicht vorgenommen und lieber zu häufig als zu selten das
Fragezeichen verwendet werden.
Es sind Leitblätter anzulegen, die an erster Stelle die gebräuch-
lichste Namensform enthalten, der dann alle übrigen Namensformen
2*
folgen. Die MS-Zettel tragen als Stichwort die gebrauchlichste Namens-
form. Oft wird erst im Laufe der Arbeit sich ergeben, welches die
gebriiuchlichste Form ist. In solchen Fällen kann erst der Leiter der
Abteilung, dem alle Unterlagen zur Verfügung stehen, das Stichwort
endgültig feststellen. Der Mitarbeiter darf auf keinen Fall das einmal
gewählte Stichwort stillschweigend ändern. Meint er, es ändern zu
müssen, so hat er den Leiter der Abteilung zu benachrichtigen. In
vielen Fällen wird er sofort oder bald das richtige Stichwort wissen.
Die Melanchthon betreffenden biographischen Notizen werden natürlich
nicht unter das Stichwort Schwarzerd, sondern Melanchthon gebracht,
4. Einrichtung der MS-Zettel. Auf jedem Blatt, das eine bio-
graphische Notiz enthält, ist über dem Doppelstrich in der linken
Spalte der Familienname mit dem Vornamen, bzw. den Vornamen ver-
zeichnet, mit dem Herkunftsort und Datum der Quelle, bei Briefen,
wenn möglich, mit dem Aufenthaltsort des Empfängers in Klammern.
Kann der Aufenthaltsort des Empfängers nicht sicher ermittelt werden,
so ist der vermutete Aufenthaltsort mit einem Fragezeichen zu ver-
sehen. Ist die Vermutung zu unsicher, so unterbleibt eine Angabe.
In der rechten Spalte über dem Doppelstrich wird der Fundort der
Quelle angegeben, entweder bibliographisch genau oder abgekürzt
(vgl. Ziffer 9).
Beispiel:
n Ambr. Blarer an Konrad Hubert
(Konstanz) Tr. Schieß, Briefwechsel der Brüder
Ambr. u. Th. Blaurer, Bd. 2, 180
Konstanz l
1543 Apr. 16
die Verweise Text
Unter dem Doppelstrich rechts sind die biographischen Notizen
einzutragen, links die Verweise (vgl. Schema). Es genügt, auf der
linken Spalte unter dem Doppelstrich den Namen mit Rufnamen zu
vermerken, Der Benutzer des Blattes weiß, daß er das Blatt auf-
zasuchen hat, das den gleichen Orts- and Datumsvermerk trägt. Falls
auf ein anderes Blatt verwiesen werden soll, so ist neben dem Namen,
auf den verwiesen wird, der entsprechende Orts- und Datumsvermerk
anzugeben. Da die Blätter nicht paginiert werden können, müssen
die Orts- und Datumsangaben an die Stelle der Seitenangaben treten.
Werden die Verweise sorgfältig vorgenommen, so ist ein Irrtum aus-
geschlossen, Jedes Blatt, auf das verwiesen wird, kann mühelos ge-
funden werden. Beispiel: Auf dem Blatt Bullinger, Heinrich Zürich
1543 März 25 wird verwiesen auf Coccius, Sebastian. Es ist also auf-
zusuchen das Blatt Coccius, Sebastian Zürich 1543 März 25. Auf dem
Blatt Bullinger, Heinrich Zürich 1543 Febr. 27 wird verwiesen auf
3%
Blarer, Ambrosius Konstanz 1543 Febr. 24. Es ist also aufzusuchen
das Blatt Blarer, Ambrosius, Konstanz 1543 Febr. 24.
Wenn ein Exzerpt sich über mehrere Blätter erstreckt, ist auf
jedem neuen Blatt in der linken Spalte über dem Doppelstrich das
Stichwort samt Orts- und Datumsangabe zu wiederholen. Diese
Blatter sind auch rechts oben mit arabischen Ziffern fortlaufend zu
paginieren. Das Datum ist nach den Kalendertagen anzugeben, doch
ist der Heiligenname mit aufzunehmen, wenn er, was sehr oft der
Fall sein wird, in der Quelle enthalten ist.
5. Behandlung des Textes. Aus den Quellen ist alles anfzunehmen,
was unmittelbare biographische Bedeutung besitzt. Alle Angaben über
Herkunft, Verwandtschaft, Familie, Erziehung, Unterricht, äußere Er-
scheinung, Krankheiten, Reisen, Frau, Kinder, Freunde, Gegner u.dgl.m.
sind sorgfältig zu registrieren. Besonders ist zu achten auf die Bücher,
die der Betreffende gelesen hat oder in seiner Bibliothek besitzt, die
er selbst unter der Feder hat oder herausgegeben hat, auf die Gut-
achten, an denen er beteiligt gewesen ist u.& Es muß auf Grund
der MS-Blätter möglich sein, die „Bibliothek“ des Betreffenden fest-
zustellen. Auch Notizen über nicht beförderte oder nicht angekommene
Briefe sind aufzunehmen. |
Ebenfalls sind die Urteile zu notieren, die der Betreffende über
— sich selbst und andere Personen fällt, auch die Urteile über Schriften,
die erschienen sind oder deren Erscheinen erwartet wird. Doch nur
solehe Urteile sind aufzunehmen, die sich auf die reformatorische und
gegenreformatorische Bewegung beziehen oder den Charakter, das
Können und Wissen dieser und jener Person zum Gegenstand haben,
Auch Verleumdungen und die Urteile über Verleumdungen müssen auf-
geführt werden. Sich wiederholende, banale, selbstverständliche Urteile
über führende Persönlichkeiten (z. B. Martin Luther ist ein Gottes-
mann, ein Werkzeug des Satans) sind nur einmal zu notieren. Die
individuellen und charakteristischen Urteile müssen vollständig ver-
zeichnet werden, auch wenn sie sich wiederholen. Es ist zugleich
darauf zu achten, ob die Urteile sich gleich bleiben oder schwanken.
Inhaltsangaben über Schriften, Gutachten, Vorschláge usw. werden
nicht verlangt. Es muß aber zu erkennen sein, welche Stellung
dieser und jener zu den dogmatischen und kirchenpolitischen Fragen
der Zeit eingenommen hat, an welchen Reformen und Gegenreformen
er sich beteiligt hat (z. B. Säuberung der Kirchen von Nebenaltären,
Heiligenbildern usw., Schulreformen u. dgl) Es muß darum auch
notiert werden, in welche ‚Streitigkeiten er verwickelt worden ist.
Das Streitthema ist kurz anzugeben und mit den charakteristischen
Worten der Quelle hinzuzufügen, wie dazu Stellung genommen wurde.
Für alles weitere wird auf die Quelle verwiesen. |
Berichte über das Sterben dieser oder jener Person sind nicht
ausführlich abzuschreiben. Liegt ein längerer Sterbebericht vor, so
genügt es, auf ihn hinzuweisen, Jedoch sind alle Personen, die zu-
l*
gegen waren, unter dem jeweiligen Stichwort aufzuftihren. Beispiel:
Die Berichte über L. Hetzers Hinrichtung in Konstanz. Hier wäre
für die Einzelheiten auf die Quellen hinzuweisen, dagegen vollständig
anzugeben, wer bei der Vorbereitung des Verurteilten auf den Tod und
bei der Hinrichtung zugegen war und wie die Anwesenden über
Hetzers Haltung in den letzten Stunden seines Lebens urteilten.
6. Die Exzerpte müssen möglichst knapp gehalten werden.
Seitenlange Auszüge müssen Ausnahmen bleiben. Wenn die wört-
liche Zitierung zu ausführlich sein würde, muß ein zuverlässiges
Regest gegeben werden.
Die MS-Blätter dürfen nur einseitig beschrieben werden. Die
Schrift muß leicht leserlich sein. Die Namen müssen so sorgfältig
eeschrieben sein, daß ein Irrtum ausgeschlossen ist.
7. Angaben über Büchertitel, über bekannte oder anonyme Ver-
fasser von Schriften, kurz bibliographische Angaben, die sich im
Schrifttum des 16, Jahrhunderts finden, sind auf einem besonderen
Zettel zu notieren und mit den prosopographischen MS-Blättern dem
Leiter der biographischen Abteilung einzusenden, der sie an den Leiter
der bibliographischen Abteilung weiter gibt.
8. Die MS-Blätter sind monatlich alphabetisch geordnet an den
Leiter der biographischen Abteilung zu schicken. Falls in einem
Monat keine versendungswerte Ausbeute gewonnen worden ist, muß
dies dem Leiter der biographischen Abteilung gemeldet werden,
9. Auf besonderen Kartons, die den Mitarbeitern übergeben werden,
sind die durchgearbeiteten Quellen bibliographisch genau zu ver-
zeichnen. Falls auf den MS-Blättern eine Quelle abgekürzt angeführt
wird, muß sie in der gleichen Abkürzung auf einem Karton ver-
zeichnet werden, mit einem Verweis auf die bibliographisch vollständig
angegebene Quelle. Auch diese Kartons werden an den Leiter der
biographischen Abteilung geschickt. Der Mitarbeiter kann für seinen
eigenen Gebrauch ein Exemplar dieser Kartons zurückbehalten.
0. Scheel.
Il. Instruktion
für die Arbeiten der bibliographischen Abteilung,
im wesentlichen aus den „Instruktionen
für die alphabetischen Kataloge der Preuß. Bibliotheken“
(Berlin 1909) übernommen.
I. Für das Schrifttum der Reformation und Gegenreformation.
Die Beschreibung der Schriften der Reformation und Gegen-
reformation hat 5 Teile zu umfassen:
a) die bibliograpbische Notiz mit dem Namen des Verfassers,
dem Sachtitel, Druckort, Drucker und Herausgeber (Verleger), Datum
und Format;
b) die Kollation mit Angabe über Blattzahl, Signaturen und
Ausschmückung;
` €) die textliche Beschreibung mit genauer Wiedergabe des Titel-
blattes und der Schlußschrift, mit Kennzeichnung von Widmungen,
Vorreden und sonstigen Beigaben, mit kurzem Schlagwort des Inhaltes,
wenn dieser aus dem Titel nicht erschlossen werden kann;
.. 4) bibliographische oder literarische Belege;
e) den Fundort mit Angaben über besondere Merkmale (hand-
schriftliche Einträge, Einbünde usw.).
Beispiel:
Leo X.: Bulla contra errores Martini Lutheri et sequacium. Rom,
Jacobus Mazochius [1520]. 4°,
12 Bl, das letzte leer. Sign. aij—ciij. ^ Eine Titeleinfassung.
Zwei Holzschnitte. l
Bulla contra erro2e8 || Martini Qutheri || 2 fequacium. || Holz-
schnitt: Päpstliches Wappen. Einfassung: Unten Urne mit zwei Füll-
hörnern.
Bl. ajj@ vor dem Textbeginn: Rundbildnis Papst Leos X. Bl. 11»
21: (| Impreffum Rome per Jacobum Mazochium || De Mandato.
D. N. Pape. ||
Vgl. Zeitschrift für Bücherfreunde N.F. 9.2 (1918) S. 206 N. 1
mit Abb. des Titelblattes.
München, Staatsbibl. (4. Hom 487, 6 mit amtl. Ausfertigung durch
Girolamo Ghinueci, Bischof von Ascoli, und Notar Pantaleo).
Z.
S.
6*
II. Für die Briefe der Reformatoren und ihrer Gegner.
. Das Verzeichnis nimmt auf:
a) die Namen von Absender und Empfinger, Ort und Datum,
b) den Textanfang [ohne die Formeln],
c) die Belege, wo gedruckt oder verwertet,
d) den Fundort.
Beispiel:
Luther Martin an den Hofprediger Wolfgang Stein in Weimar.
Wittenberg, 10. September 152-4
Beginnt: Primum veniam péto pro nostra...
Abgedr. v. Flemming in: Theol. Studien und Kritiken 86 (1913)
S. 288 N. 1. l
Jena, Univ. Bibl. (Rörer).
III. Für die Literatur über Reformation und Gegenreformation.
Die Literaturbibliographie bringt Verfasser, Titel, Erscheinungsort,
Verlag oder Druckerei, Jahr, Seitenzahl und Format, bei Zeitschriften-
aufsätzen Verfasser, Titel und Hinweis mit „In:“ auf die Zeitschrift
samt Angabe des Jahrgangs und der Seitenzahl.
Beispiele:
a) Keller Ludwig: Die Reformation und die älteren Reform-
parteien. Leipzig, S. Hirzel, 1885. X, 516 S. 8°.
b) Barge Herm.: Luther und Karlstadt in Wittenberg, In:
Historische Zeitschrift 99 (1907) S. 256—324.
K. Schottenloher.
KROHN FÜR. REPORMATIONSGESCHICHT,
herausgegeben von
D. Walter. Friedensburg.
————
Nr. 71/72. XVIII: Jahrgang. Heft 3/4.
Kardinal Schiner, ein Mitarbeiter Aleanders
auf dem Wormser Reichstage
E von Paul Kalkoff.
Die reformatorischen Kirchenordnungen .
Ober- und Innerósterreichs IV.
von Georg Loesche.
Mitteilungen
Neuerscheinungen.
$
Leipzig |.
Verlag von M. Heinsius Nachfolger
1921.
Er RE EEE a Er ES eh a Ee OR rte T EMI Y
Ausgegeben im Oktober 1921,
„Preis für Subskribenten 10,— M., einzeln bezogen'tt— M.
Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig.
Quellen und Forschungen
zur Reformationsgeschichte
(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation)
Herausgegeben vom
Verein für Reformationsgeschichte
Soeben erschien:
Band III.
Die Einführung der Reformation
in Liv-, Est- und Kurland,
Im Auftrag der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde.
zu Riga l
bearbeitet. von
Dr. Leonid Arbusow.
gr. 8°. XIX, 851 Seiten. Preis 70 Mark.
Früher sind erschienen:
Band I. Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen.
8°, [XII, 316 SJ A 9,—.
Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfiinge des Erasmus, Humanismus
und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°.
[XXXII, 343 S] A 13,50.
Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation.
Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und
der Entscheidungsjahre der Reformation. (1517— 1523.)
gr. 8°. [XVI, 602 S.] | A 40,—.
Kardinal Schiner, ein Mitarbeiter
Aleanders auf dem Wormser Reichstage.
Von Paul Kalkoff,
Zu den bedeutenderen Räten Karls V., den Männern
von militärisch-diplomatischem Rufe, die sich auf dem Reichs-
tage von 1521 den Nuntien bei ihrem Kampfe gegen Luther
zur Verfügung stellten, gehört auch ein in der europäischen
Geschichte vielgenannter Abenteurer, der Bischof von Sitten,
Kardinal Matthäus Schiner'). Er nimmt eine hervorragende
Stelle ein in der langen Reihe der kriegerischen Prälaten
oder Bandenführer im geistlichen Gewande, die von unseren
kampflustigen Bischöfen in der Zeit des Investiturstreites
und der Kreuzzüge über die furchtbaren Söldnerhänptlinge
des vierzehnten Jahrhunderts, den „baskischen Erzpriester“
und den Kardinal Albornoz hinabreicht bis zu dem tollen
Christian von Halberstadt und dem Werbeoffizier Ludwig XIV,
dem Bischof Bernhard von Münster. Er zeichnet sich unter
ihnen aus durch die Vereinigung diplomatischer Talente mit
volkstümlicher Derbheit und urwüchsiger Leidenschaftlichkeit.
Man geht wohl zu weit, wenn man ihn als „einen der ge-
waltigsten Schweizer, die je gelebt haben“ ?), feiert, oder als
„einen der größten Männer, die die Schweiz hervorgebracht
Abkürzungen: ADB. = Allgem. Deutsche Biographie. DRA.
== Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Gotha 1896.
BDB. = Kalkoff, Briefe, Depeschen u. Berichte über Luther. Halle 1898,
DA. = Derselbe, Depeschen des Nuntius Aleander. Halle 1897. Agh.
= Ders., Aleander gegen Luther, Leipzig 1908. WE. = Ders., Die
Entstehung des Wormser Edikts. Leipzig 1913.
1) Diese Schreibung seines Namens (statt Schinner) verdient den
Vorzug; sie erklärt sich aus seinem Wappenzeichen, den drei Schienen,
und er schrieb sich auch selbst so.
2) H., Escher in der heute noch recht brauchbaren Übersicht seines
Lebens in der ADB. 33, 735.
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 6
82 2
hat^! Seine unermüdliche Tatkraft, seine Gewandtheit in
Behandlung der Menschen aller Stände, seine kriegerische
Unerschrockenheit in den schwierigsten Lagen seines wechsel-
vollen Lebens sicherten ihm einen gewissen Einfluß auf den
Gang der großen Politik; doch war er immer nur ein Werk-
zeug erst in der Hand Julius IL, dann Maximilians I. und
Karl V.; seine „Herrschsucht“ war schwerlich auf höhere Ziele
gerichtet, als auf die Mehrung seines Besitzes an Land und
Leuten, an Geld und Gut. Wenn Escher ibm die Absicht zu-
traut, die Weltmachtstellung der Schweizer durch Befestigung
ihrer Herrschaft über Oberitalien zu stützen, so übersieht er,
daß Schiner bei seinen kriegerischen Agitationen sich meist
in den Dienst jener beiden Mächte und sehr oft in den
.. 1) L. v. Pastor, Gesch. der Päpste III, 647f. Die Literaturangaben
S. 701 Anm. und bei Joh. Dierauer, Gesch. der Schweizerischen Eid-
genossenschaft. Gotha 1913. II, 456, Anm. 67 sowie in der Arbeit von
Alb. Büchi über „Kard. Sch. u. die Reformbewegung“ in der Ztschr.
f. Schweiz. Kirchengeschichte, hrsg. von A. Büchi und I. P. Kirsch.
X. Jahrg. Stans 1916. S. 1—24. Letzteres eine nach Tendenz und
Technik gleich bedenkliche Leistung, die es bedauern läßt, daß der
Vf. sich die Herausgabe des Briefwechsels Sch.’s und seine Biographie
zur Aufgabe gemacht hat, beides in nicht weniger als vier Bänden.
Abgesehen von dem mit größter Unbefangenheit unternommenen Ver-
‘such der kirchlichen Idealisierung Schiners gibt er folgende Proben
seiner Geschichtskenntnisse: er verzeichnet die Schlacht von Bicocca
(S. 29) als Ergebnis der zähen Ausdauer Sehiners und verlegt sie in
das Jahr 1521, wührend sie am 27. April 1522 ohne jede Mitwirkung
Schiners bei diesem Feldzuge geschlagen wurde (H. Baumgarten, Gesch,
Karls V, II, 1, 35f. 61£). Dagegen war Sch. an der Uberrumpelung
Mailands am 29. Nov. 1521 beteiligt. Die „Bannbulle* gegen Luther
verlegt er auf den 15. Januar 1520, wührend doch erst am 15, Juni
die Verdammung seiner Lehre erfolgte und diese Bulle durch die
Begleitschreiben vom 8. und 17. Juli ihm mitgeteilt wurde, die jedoch
durchaus nicht speziell an den Kardinal Sch., sondern an alle Bischöfe
gerichtet waren, denen Aleander begegnen würde. Daß dieser schon
1591 Kardinal gewesen wäre, trifft ebensowenig zu, wie daß dieser
hochmütige Italiener ,Deutschland wohlgesinnt" gewesen sei (S. 12f).
Der S. 14 mehrfach zitierte „Ungenannte“ ist von mir schon in den
BDB. S. 71£. als der Nuntius Raffael de’ Medici nachgewiesen worden.
Nach S. 17 erscheint Luther am 16. April vor dem Reichstage; ob Sch.
zugegen war, wissen wir nicht; ehr möchte ich das Gegenteil vermuten,
Ga er nicht mehr als Reichsfürst betrachtet wurde und Aleander sonst
seine guten Dienste auch bei dieser Gelegenheit hervorheben würde;
3 83
schärfsten Gegensatz zur eidgenössischen Zentralgewalt stellte.
Auch widerspricht die rohe Gewalttätigkeit, die skrupellose
Verschlagenheit, die zynische Selbstsucht, die seine Schritte
kennzeichnen, einer solchen Bewertung seiner Persönlichkeit.
Richtig ist es, daß er auch nicht für die weltliche Macht
der Kirche sich aufopfern wollte, und vollends verfehlt ist
es, ihn zu einem von reformatorischen Ideen erfüllten Kirchen-
fürsten, einem Musterbischof zu stempeln, der „von inniger
Liebe zur Kirche und ihrem Oberhaupt, dem Papste, durch-
drungen“ gewesen sei. Es wird sich zeigen, dab er auch
dem Papste mit trotzigem Groll und kirchenfeindlichen De-
monstrationen begegnen konnte; „seine Strenge in geistlichen
die Stelle aus dem Bericht Contarinis vom 25. April bezieht sich auf
dessen an diesem Tage abgehaltene Antrittsaudienz, bei der Sch. als
kaiserlicher Rat nicht fehlen durfte (DRA. II, 876, 10, BDB. S. 18.).
Daß das Billet Gattinaras (S. 17. Anm. 6) über die dringliche Bearbei-
tung des Wormser Edikts (DRA. II, 638) fälschlich auf ihn bezogen
worden ist, während es an den Erzbischof von Salzburg gerichtet war,
habe ich schon im AgL. S. 126, Anm. 2 gezeigt. Derselbe ist bei der
von Spengler geschilderten Szene im Fürstenrate (S. 514, 45) gemeint, in
dem Sch. nichts zu suchen hatte (S.16). Die S. 18 erwähnten Drohungen
der Deutschen waren gegen Aleander gerichtet und von Sch. nur durch
seine Leute in Erfahrung gebracht worden, wie der Vf. mit leichter
Mühe hätte festhalten können, wenn er statt des ihm rätselhaften
italienischen Textes bei Balan S. 104 meine DA. S. 81 und für die
Stelle aus der Depesche Medicis („man solle nicht dulden, daß Luther
seine Bücher einpacke[!]^ statt „auf die Bahn bringe, verbreite“) die
Übersetzung in den BDB. S. 28 benutzt hätte. Zu Aleander verweist
er S. 20 Anm. auf zwei völlig veraltete Arbeiten, darunter einen
wertlosen Artikel von Gaß in der ADB., in die dieser Italiener über-
haupt nicht hätte aufgenommen werden sollen. Das Schlimmste aber
ist, daß der Aufsatz A. Büchi’s im wesentlichen nur eine verwässerte
Wiedergabe der in ihrer Art tüchtigen Arbeit Jollers über „Kardinal
Sch. als katholischen Kirchenfürsten“ ist, einer „historischen Skizze“
in den „Blättern aus der Walliser Geschichte“ (Sitten 1895. I, 49— 62.
65—69). Auch hier waltet die Tendenz vor, den Bischof von der „An-
schuldigung“ zu retten, daß er nicht nur die „Reformbetrebungen
Luthers und Zwinglis begünstigt habe, sondern bei längerem Leben
wahrscheinlich zum Protestantismus übergetreten wäre“; aber hier ist
wenigstens die ältere Literatur sorgfältig benutzt und die lokale Über-
lieferung fleißig gesammelt worden, während Büchi seine Selbständig-
keit fast nur in den oben angeführten und weiter zu rügenden Fehlern
und Mißverständnissen bekundet.
6%
84° 4
Dingen und sein untadelhafter Wandel“') erklärt sich zur
Gentige aus seiner beschränkten Bildung und seiner Lust
am Herrschen und Gewinnen: der Bischof und Kardinal war
sich wohl bewußt, was die Kirche ihm leisten konnte, und
seine bäuerliche Erziehung, seine kriegsmäßige Lebensweise
schützte ihn vor der gewöhnlichen Schwäche genußsüchtiger,
schwelgerischer Priester”). Eine gute Begabung befähigte
ihn trotz einer nur dürftigen schulmäßigen Ausbildung, sich
der für sein Handwerk unentbehrlichen Sprachenkenntnis
zu bemächtigen, auch das landläufige Latein zu schreiben,
und eine wilde Beredsamkeit ließ ihn die Gemüter seiner
Reisläufer beherrschen, wie der Wind die Wogen, zumal
wenn er mit päpstlichem Gold und reicher Beute winken
konnte — wenn beides ausblieb, mußte auch er oft erfahren,
wie wandelbar die Gunst seiner Landsleute war. Den
Venetianern scheute er sich nicht, von der Nationalkrankheit
der Schweizer zu reden, die durch Geld schnell zu heilen
sei®), und einen päpstlichen Zahlmeister, der sich mit dem
Solde verspätet hatte, drohte er, er hätte ihn hängen lassen,
wenn er nicht zufällig Bischof wäre‘). Um zu zeigen, was
es mit dem kirchlichen Reformeifer dieses Condottiere auf
sich hat oder gar mit einer ihm gelegentlich angedichteten
Hinneigung zu Luthers Lehre, genügt es, auf seine Tätigkeit
in Worms zu verweisen. Indessen müssen, um seine da-
malige politische Rolle zu verstehen, die Hauptpunkte seines
1) v. Pastor III, 647. „Er sah seine Lebensaufgabe darin, die
kriegerische Kraft seines Volkes für die Verteidigung des heiligen
Stuhles zu gewinnen“, — so lange dieser zahlte und nicht mit Frank-
reich verbündet war.
2) Zu Joller, S. 59. Eine treffende Charakteristik liegt daher in
dem einen Worte, mit dem A. Burer am 17. November 1519 aus Basel
meldet, der Kardinal sei beritten bei ihrem Bürgermeister erschienen,
„miles ad militem divertens“. Horawitz-Hartfelder, Briefwechsel des
Beatus Rhenanus S. 192, — Es ist ein weit verbreiteter Unfug, jeden,
der eine Lateinschule durchlaufen hat oder, was bei Schiner nicht einmal
der Fall ist, ein paar Jahre eine Universität besucht hat, „humanistisch
gebildet“ zu nennen, wie es Büchi in einem Artikel des kirchlichen
Handlexikons (hreg. v. M. Buchberger, München 1912. II, 1963) tut.
3) Dierauer II, 459 Anm. 75.
4) So geschehen dem Dr. iur. utr. Michael Claudi, Bischof von
Monopoli. Eubel, Hierarchia catholica III, 265. 295.
5 | 85
Lebensganges und dessen entscheidender Wendepunkt kurz
gesehildert werden.
Der Aufstieg Schiners ist durch zwei politische Faktoren
in der Geschichte seiner Heimat bedingt: einmal durch den
Gegensatz zwischen den Bauerngemeinden des oberen Wallis
und den mehr im untern Rhönetal gebietenden Herren-
geschlechtern, die sich beide den in der Mitte des Landes
belegenen Bischofssitz streitig machten. Schon im Anfang
des 15. Jahrhunderts war es zu einem Zusammenstoß mit
dem Hause Raron gekommen, das zugleich die Landeshaupt-
mannschaft und das Bistum an sich gerissen hatte. Schiners
ganzes Öffentliches Leben ist beherrscht von dem Kampfe
gegen die Herren auf der Flüe (Supersaxo), die von 1457—82
den bischöflichen Stuhl innehatten und deren von Jörg auf
der Flüe, dem Todfeinde Schiners, geführte Partei!) nach
seinem Tode einen ihrer Anhänger einzusetzen versuchte,
der dann aber 1529 dem Erwählten ihrer Gegner, Adrian
von Riedmatten, der als Begleiter Schiners in Worms war?),
weichen mußte. Diese Kämpfe spielten sich in heftigen Volks-
erhebungen ab, als deren Sinnbild, ähnlich wie in Deutsch-
land der Bundschuh, eine phantastisch geschnitzte Keule,
die Mazza, galt?). Schon unter dem Bichof Walter auf der
Flüe war 1475 ein enger Bund zwischen den oberen Zehnten
des Wallis und den Urkantonen zu Stande gekommen, deren
Einfluß nun so weit reichte, daß sie ihren als diplomatischen
Unterhändler erprobten Landsmann, den Propst Jobst von
Sillenen, als Bischof von Sitten durchsetzen konnten. Unter
dessen Regierung machte sich nun die zweite politische
Verwicklung geltend, die Schiners Lebensgang dauernd
beherrschen sollte: der Zug Karls VIIL nach Neapel und
die zunächst auf die Eroberung Mailands gerichtete Politik
1) Es ist daher zum mindesten sehr mißverständlich, wenn
v. Pastor von diesem Gegner Schiners als von „dem kühnen Demagogen,
dem Hochverräter, dem Aufrührer gegen geistliche und weltliche Ge-
walt“ redet (III, 701. Anm.) Heute noch ist in Sitten das Haus des
Landeshauptmanns Georg Supersaxo mit einem schön getäfelten Saale
von 1505 erhalten. Bei der Vertreibung Sch.’s setzte er seinen eigenen
Sohn als Administrator ein.
*) DRA. II, 990: als Domkustos und Hofmeister.
3) Dieraner S. 9. Anm. 9.
86 6
Ludwigs XII. führte zu einer jähen Umwälzung auch im
Bistum Sitten: die kriegslustigen und beutegierigen Bauern
der obern Zehnten, die schon 1482 einen freilich erfolglosen
Zug ins Mailändische gewagt hatten!), waren über den Wett-
bewerb Frankreichs erbittert, verjagten 1496 den Bischof
Jodocus, weil er Karl VIII. unterstützt hatte, und erhoben
den aus einer Bauernfamilie des Oberwallis stammenden Niko-
laus Schiner. Wir erfahren aus einer an Papst Alexander VI.
gerichteten Beschwerde Ludwigs XIL, daß dieser Usurpator
an der Vertreibung seines Schützlings beteiligt gewesen sei;
der König wünscht, daß der Papst ihn absetze und den von
Frankreich empfohlenen Dechanten Peter von Hertenstein
ernenne?). Dies geschah jedoch nicht, sondern die Gegner
Frankreichs befestigen ihre Stellung im Bistum noch, indem
schon 1499 der betagte Nikolaus zu Gunsten seines riistigen
Neffen Matthäus abdankte, den er bald nach seiner eigenen
Erhebung zum Dechanten der Marienkirche auf dem Schloß
Valeria in Sitten gemacht hatte. Selbstverständlich waren
es nicht die Tugenden des „einfachen Dorfpfarrers“, die die
Aufmerksamkeit des Bischofs auf diesen gelenkt hatten, so-
daß er „in der geistlichen Laufbahn“ so erfreulich „empor-
rückte“ 3), sondern seine Rührigkeit im Dienste der volks-
tümlichen Politik, durch deren Überlieferungen auch seiner
ersten kriegerischen Aktion als Bischof die Wege gewiesen
waren: im Jahre 1500 erneuerte er den Bund seines
Bistums mit den Eidgenossen und führte die erste Hilfs-
truppe nach der Lombardei, um die Herrschaft der Sforza
gegen Frankreich zu stützen, und im Bellenzer Kriege (1503)
legte er seine erste Probe als Diplomat ab‘). Infolge des
Zusammenbruchs der Sforza sah er sich dann zur Anlehnung
an die kaiserliche Politik genötigt,und so erschien er 1507
1) Dierauer S. 3351.
2) Schreiben vom 7. Dez. 1498. Eubel II, 257.
3) Diese naive Auffassung Eschers (a. a. O. S. 7291.) klingt noch
bei Dierauer S. 456 nach.
4) Ildephons Fuchs, Die mailändischen Feldzüge der Schweizer.
St. Gallen 1812. II, 17ff. Durch die Fülle charakterischer Züge und
Mitteilungen aus den ersten Quellen heute noch beachtenswert. Die-
rauer II, 456.
7 87
auf’ dem Reichstage zu Konstanz als Führer einer eid-
genössischen Gesandtschaft, die besonders zu einer engeren
Verbindung zwischen Maximilian 1. und Zürich führte. Hin-
fort war gerade Zürich immer der dankbarste Boden für
die antifranzösische Werbetätigkeit Schiners!), während sein
bisheriger Mitarbeiter, der Freiherr Jórg auf der Flüe, sich
schon damals von Frankreich gewinnen lieb und sieh so
mit dem Bischof tödlich verfeindete.
Dieser trat jetzt in das Getriebe der großen euro-
päischen Politik ein und war im Rahmen der gewaltigen Er-
eignisse, die auf den Abschluß der Liga von Cambrai folgten,
als Mitarbeiter bald der päpstlichen, bald der kaiserlichen
Unternehmungen, als Unterhändler bei den Eidgenossen und
Werbegeneral tätig. Er durfte bald von Rom im Purpur
der Kardinalswürde und mit den Vollmachten eines Legaten
zu seinen Landsleuten zurückkehren ??); Julius II. löste sein Stift
ferner aus dem Verband der französischen Metropoliten von
Tarentaise, was Leo X. bestätigte, und verlieh ihm aus den ein-
gezogenen Pfründen der schismatischen Kardinäle der „Winkel-
synode“ von Pisa die Einkünfte der Augustinerpropstei St. Maria
von Cressenzago im Mailänder Sprengel sowie die Admini-
© stration des Bistums Novara, das ihm 2—3000 Gulden Ein-
kommen sicherte). In der Heimat siegte sein Einfluß über
den Georgs auf der Flüe, der vertrieben und dem „heiligen
Vater vom Wallis“, wie er spottete, zu Gefallen in Freiburg
eingekerkert wurde: seine Flucht kostete den franzésich
gesinnten Schultheißen das Leben. Und wenn auch zwei der
von Schiner geleiteten Züge der Schweizer, der „Chiasser“ Zug
und die Unternehmung von 1511 kläglich scheiterten, so er-
reichte er doch den Höhepunkt seines Glücks, als er, soeben
schimpflich aus seiner Heimat vertrieben und flüchtig, am päpst-
lichen Hofe erschien, um nun als Legat des heiligen Stuhles und
diplomatischer Führer des „Pavier Zuges“ die Eroberung von
1) H. Ulmann, Kaiser Maximilian I. Stuttgart 1891. II. 323f.
2) Schon 1508 in petto kreiert, doch erst 1511 promulgiert.
Eubel III, 13. v. Pastor III, 619. 677: Kardinal-Priester vom Titel
S. Pudentiana, nicht wie in älteren Werken oft zu lesen ist „Potentiana“.
3) Eubel III, 278. Sein Sekretär Dr. Sander erhielt 1515 ein
Benediktinerkloster bei Bergamo als Kommende, Hergenróther, Regesta
Leonis X. Nr. 15324,
88 8
Mailand (1512) vorzubereiten?). Die Sforza sorgten jedoch
dafür, daß er die Regierungsgewalt nicht dauernd an sich
reißen konnte, und entschädigten ihn mit der Grafschaft
Vigevano, deren reiche Einkünfte er durch Erpressungen und
Unterschlagungen zu ergänzen verstand, die, wie Escher ur-
teilt, „das Maß des Gewöhnlichen nicht allzusehr überschritten
zu haben scheinen“.
Als Vertreter des kaiserlichen Gesandten im Konklave
konnte er eine gewichtige Stimme für die Wahl Leos X. in
die Wagschale werfen, ohne jedoch selbst Aussicht auf die
Tiara zu haben. Der Sieg der Schweizer bei Novara (1513)
befestigte seine Stellung noch mehr, so daß er sich heraus-
nehmen durfte, dem Neugewählten bei der Aussöhnung mit
den abgesetzten Kardinälen der französischen Partei trotzige
Opposition zu machen”); kein Wunder: hatte er sich doch
an ihren Spolien bereichert. Immerhin war der herrische
Kriegsmann so unentbehrlich, dab Georg auf der Flüe, der
als sein Ankläger in Rom erschienen war, in die Engelsburg
wandern mußte. Es ist nun ein beachtenswertes Zeugnis
für den staatsmännischen Blick und die unermüdliche Tat-
kraft Schiners, daß er den seit der Thronbesteigung Franz I.
immer deutlicher hervortretenden Anschlägen der Franzosen
auf die Rückeroberung der Lombardei mit allen Kräften
entgegenarbeitete. Hierin liegt vielleicht das größte Verdienst
seiner politischen Tätigkeit, die rastlos auf die Vereinigung
der Kräfte des Kaisers und des Papstes, der Spanier und
Schweizer gerichtet war, um den Stoß zu parieren. Nur
schade, daß er die Frucht dieser Bemühungen in seiner allzu
eigenmächtigen, hitzigen und brutalen Art aufs Spiel setzte,
als er die in Mailand lagernden Schweizer zu dem schlecht
vorbereiteten Angriff auf das französische Lager bei Marig-
nano (13./14. Sept. 1515) verleitete. Schon hatte die Eid-
genossenschaft am 8. September ihren Frieden mit Frankreich
gemacht, der, vom Heere verworfen, doch die Zwietracht der
Führer zur Folge hatte. Unter solchen Umständen war es
doch ein unerhörter Frevel, wenn der Kardinal es unter-
1) Dierauer S. 453. 469. 476, v. Pastor IIl. 700. 718. 718.
Ulmann S. 458,
2) v, Pastor IV, 1, 16. 2, 769. 1, 30, 38.
9 8%
nahm, die Truppen ohne ihren freien Entschluß und ohne
alle Vorbereitung in einen Entscheidungskampf zu verwickeln:.
indem er den Hauptmann der herzoglichen Garde an-
stiftete, auf eigene Faust anzugreifen, und ihm persönlich
mit den päpstlichen Truppen folgte, versetzte er das Haupt-.
heer in die Zwangslage, aus landsmannschaftlichen Rück-
sichten in das Scharmiitzel einzugreifen 1).
- Die furehtbare Niederlage der Schweizer hatte zaxleieh
den Sturz Schiners zur wohlverdienten Folge: die Schweiz
schloß mit Frankreich Frieden, und als auch der Papst sich
in Bologna vor dem Sieger beugte, mußte er sich auch ver-
pflichten, Schiners Feind aus der Haft zu entlassen; hinfort
war dieser aus seiner engeren Heimat hoffnungslos verbannt,
bei den Eidgenossen höchst mißliebig und seiner mailän-
dischen Güter wie des Bistums Novara beraubt. Auch von
der Kurie verleugnet, fand er eine Zufluchtstätte bei der
Regierung in Innsbruck und war fortan nichts weiter als ein
von des Kaisers Gnade abhängiger Agent.
Als solcher machte er sich zunächst nützlich, indem er
als Gesandter in London an einer antifranzösischen Verbin-
dung zwischen dem Kaiser und England arbeitete?); aber als-
dann der Kriegszug Maximilians im Jahre 1516, den Schiner
durch Anwerbung einer stattlichen Schweizertruppe mit eng-
lischem?) Gelde unterstützt hatte, statt der Eroberung Mai-
lands nur Zwietracht und Meuterei und endlich einen kläg-
lichen Mißerfolg brachte*), da war seine Rolle in der großen
Politik bis auf weiteres ausgespielt.
1) Dierauer S. 512f., wo nur das Urteil über die frivole Handlungs-
weise Schiners viel zu milde gehalten ist. Von dem Geschicht-
schreiber der Päpste wird die ruchlose Tat des Kirchenfürsten mit
der wohlklingenden Wendung übergangen, daß er „die Schweizer zur
Schlacht angefeuert habe“. v. Pastor IV, 1, 81f. 97f.
2 DRA. I, 8f. 11ff. über diese Verhandlungen, die Maximilian
und „sein vertrauter Rat“, der Kardinal Sch. in den Niederlanden fort--
setzten. Sch.s Korrespondenz mit Wolsey bei Brewer, Letters and
Papers II, III.
$) v. Pastor IV. 1, 110. Ulmann II, 565. 667. 678. A. Walther,
Die Anfänge Karls V. Leipzig 1911. S. 178f,
t) Dierauer S. 523. Ulmann II, 667. 678. Dabei läßt sich nicht
leugnen, daß er bei seiner Werbetätigkeit für die Sache des Kaisers-
90 10
Er machte daher jetzt noch einen verzweifelten Versuch,
sich in seinem Bistum wieder einzudrängen. Schon hatte
dort der offene Kampf begonnen, indem Jörg auf der Flüe
an der Spitze der französischen Partei gegen die Brüder des
Bischofs aufgetreten war und ihnen das Schloß Martinach
entrissen hatte. So würde der Kardinal im Herbst 1517 aus
seinem Bistum vertrieben. Gleichzeitig machten seine Gegner
ihre Klagen bei der Kurie wieder anhängig, während Schiner
die Fürsprache des Kaisers anrief: am 23. August 1518 wurde
im Konsistorium ein Schreiben verlesen, in dem Maximilian
das heilige Kollegium ersuchte!), seinem Mitglied in dessen
Streitsache mit den Wallisern beizustehen, und am 4. Sep-
tember forderte er den Papst auf, den Bischof gegen seine.
rebellischen Untertanen zu schiitzen und ihm wieder zum
Genuß seiner Einkünfte zu verhelfen?), aber alles vergebens.
So blieb ihm als einziger Rückhalt nur sein Verhältnis
zur kaiserlichen Regierung, das auch über den Tod Maxi-
milians hinaus fortdauerte; denn der aus burgundisch-nieder-
ländischen Staatsmännern und alten kaiserlichen Räten
gebildete Ausschuß zur Betreibung der Wahl Karls I. sicherte
sich alsbald die Mitwirkung Schiners, der nun unter der be-
sondern Leitung des bedeutendsten unter jenen Diplomaten,
des Herrn von Zevenberghen, die Aufgabe erhielt, die
Schweizer für die habsburgische Kandidatur zu gewinnen oder
sie wenigstens von einer Unterstützung Frankreichs abzu-
in der Schweiz mit Umsicht und Weitblick verfuhr. So empfahl er
am 2. Nov. 1517 von Zürich aus einige Schweizer Studenten ihrem
Landsmanne Joachim von Watt, damals noch Professor in Wien, damit
sie nicht nach Paris gehen möchten: ,,quotquot enim eo vadunt,
perduntur Caesari“. Mitteilg. d. hist. Vereins von St. Gallen (Va-
dianische Briefsammlung I) XXIV, 200f.
1) Bei Eubel III, 13. Note 7 dahin mißverstanden, als ob LeoX.
dem Kaiser die Sache des Kardinals empfohlen hätte: aber das konnte
der Papst bei seiner damaligen Abhängigkeit von Frankreich gar
nicht wagen.
2) Kalkoff, Forschungen zu Luthers röm. Prozeß. Rom 1905.
S. 126. Im Zusammenhang mit diesen Streitigkeiten ließ Schiner eine
genaue Aufstellung der Rechte und Einkünfte des Bistums wie seiner
Privatgüter im Wallis anfertigen, die D. Imesch in der Ztschr. f, Schweiz.
Kirchengesch. X. Jahrg. S. 162—168, abgedruckt hat.
11 91
halten!). Er sollte seinen Landsleuten zu Gemüte führen, daß
Franz I. sie bei dieser Gelegenheit zu unterjochen gedenke,
wie es in einer Instruktion der Statthalterin Margarete heißt?).
An diese hat Schiner auch unmittelbar Bericht erstattet, indem
er seinen auch in Worms erschienenen Begleiter, den Grafen
Matthäus von Beccaria, mit mündlichen und schriftlichen Mel-
dungen an sie abordnete?); diese empfahl ihn dann wieder
dem Könige als „personnage trés-expert“ und „sehr begierig,
ihm zu dienen und die Franzosen zurückzuweisen“. Während
die deutschen Kommissare es wohl für ausreichend hielten,
sich der Hilfe des Schwäbischen Bundes zu versichern, drang
Schiner darauf, daß man die Schweizer durch hohe Pensionen
gewinnen solle: „der Weise sagt, daß ein Strick aus drei
Schnuren schwerer zu zerreißen ist, als ein einfacher*)*.
Dazu konnte sich nun freilich die spanisch-habsburgische
Regierung, die ihr Geld zur Befriedigung der Wahlfürsten
nötiger brauchte, nicht entschließen; immerhin wurde das
nächste Ziel erreicht: die Eidgenossen erklärten, daß sie
keinen Nichtdeutschen als Kaiser dulden würden, ohne freilich
Karl als den ihnen etwa genehmen Bewerber zu nennen.
Denn, wie Zevenberghen ganz richtig beobachtete, wünschten
sie im Grunde ebenso wie der Papst den Machtzuwachs, den
1) Vgl. die fleißige Arbeit von Joller, Kard. Sch.s Beziehungen
zur Wahl Karls V. in den Blättern aus der Walliser Geschichte I,
128—142, in der die ältere Literatur besonders bei Le Glay, Négocia-
tions dipl.entrela France et l'Autriche. Paris1845 und in den State Papers
erschöpfend benutzt worden ist. Leider wird sie entwertet durch die
Tendenz, Sch.'s Persönlichkeit zu idealisieren und die Bedeutung seiner
Mission zu übertreiben; er habe es verstanden, die Eidgenossen ,für
Kaiser und Reich zu begeistern“,
*) DRA. I, 114. 181 Anm. 4, 182. 185, Für gewöhnlich berichtete
Sch. an Zevenberghen. S. 234. 240, 548.
3) DRA. I, 185. Anm. 1. 278ff. II, 960.
4) DRA. I. 360. 278, Anm. 1. 474, In der Denkschrift Schiners-
vom l. Febr. 1519 heiót es, die schon sehr geschwundene Neigung
der Schweizer für Habsburg sei ,aere et pensionibus^ aufzufrischen.
F. J. Mone, Anzeiger f. Kunde der Deutschen Vorzeit, Karlsruhe
1836. V, 18. Joller S. 135. In der sehr verdienstlichen Arbeit von
W. Gisi, Der Anteil der Eidgenossen au der europäischen Politik
während der Jahre 1517—1521, Archiv. f. Schweiz. Gesch. Zürich 1871.
XVII., tritt Sch. wie es den Tatsachen entspricht, durchaus hinter
Zevenberghen zurück (vgl. z.B. S. 98ff.).
92 12
Frankreich oder Spanien durch die Kaiserwiirde gewinnen
mußten, zu verhindern; und da Frankreich, falls Franz I.
nicht gewählt würde, entschlossen war, mit dem Papste für
die Wahl eines Dritten einzutreten, so wollten sich auch die
Schweizer nicht dazu hergeben, durch Stellung einer Truppen-
macht einen Druck auf die Kurfürsten auszuüben, um die
Erhebung des Spaniers zu sichern‘). Für diese bedenklichen
Anschläge auf die Unabhängigkeit der Wahlberechtigten waren
die Kommissare somit auf die Hilfe des Schwäbischen Bundes
und, als dieser versagte, auf den allzeit käuflichen Banden-
führer Sickingen angewiesen, der ihnen in der Tat in wirk-
samster Weise half, „die Freiheit der Wahl zu schützen“ °).
Auch ein anderer Versuch, eine Beeinflussung der Kur-
fürsten mit Hilfe des Papstes herbeizuführen, bei dem Schiner
eine Hauptrolle spielen sollte, scheiterte an der geheimen
Abneigung der Kurie gegen die Wahl des Beherrschers von
Neapel. Schon im Februar 1519 richtete König Karl I. das
Ersuchen an den Papst, den Kardinal Schiner zum Legaten
a latere zu ernennen, um seine Wahl zu fördern; er hoffte,
daß auch Heinrich VIH. diesen Plan unterstützen werde,
und auch die Statthalterin war (6. März) sehr davon einge-
nommen): der Papst sollte den Kardinal durch eine Bulle
bevollmächtigen, die Kurfürsten an ihre Pflicht zu mahnen,
genau nach den Vorschriften der Goldenen Bulle zu wählen
bei Strafe des Bannes, des Verlustes ihres Wahlrechtes und
der Ungültigkeit der Wahl; so könne man den Umtrieben
der Franzosen begegnen, denn Schiner würde schon diese
Fakultäten zugunsten Karls zu gebrauchen wissen. Aber
abgesehen davon, daß Leo X. vielmehr daran dachte, die
Bestimmungen der Goldenen Bulle außer Kraft zu setzen,
um die Wahl eines Dritten, des Kurfürsten von Sachsen,
durch eine Minderheit zu ermöglichen‘), durfte er schon aus
1) Am 16. März weist Karl seine Gesandten an, nach dem Rate
Schiners über die Stellung von 10—12000 Schweizern zu verhandeln,
um die Freiheit der Wahl gegen die Franzosen zu schützen, und
zugleich ein Bündnis vorzubereiten. DRA. I, 481.
2) DRA. I. 702, AgL. S. 78f.
3 DRA. I, 179. Anm. 1. 226. 340. 360. 392. Joller a. a, O. S. 141.
4) ZKG. XXV, 414.
13 93
Rücksicht auf den ihm verbtindeten König von Frankreich
nicht daran denken, dessen geschworenen Gegner derartig
auszuzeichnen. Man hörte denn auch bald aus Rom, dab
der Papst den Kardinal nicht nach Frankfurt entsenden werde,
da er neutral zu bleiben wünsche !).
Immerhin war die spanische Regierung mit den von
Schiner geleisteten Diensten so zufrieden oder wenigstens
von seiner Unentbehrlichkeit so überzeugt, daß Karl I. ihm
zweimal die Summe von 1000 Gulden anweisen lied und
ihm Ende Mai durch Zevenberghen eine Urkunde übermittelte,
in der ihm bis zur Verleihung einer größeren Pfriinde ein
Jahrgeld von 2000 Gulden verbürgt wurde?) Der Kaiser
lóste dann sein Wort ein, als das Bistum Catania mit einem
taxmäßigen Einkommen von 3—4000 Gulden dureh den Tod
seines Inhabers erledigt wurde; wenn der Papst am 1. No-
vember 1520 Schiner als Administrator bestätigte, so ist
auch darin ein Zeichen seiner grundsátzlieh schon kurz vorher
beschlossenen Lösung von der französischen Vormundschaft
zu erblicken ë). :
Als Diener Karls V. wurde er nun bald nach dessen
Landung im Sommer 1520 an den Hof beschieden, wo er
Anfang September eintraf, um nun zunächst bei höfischen
Anlässen den Glanz der kaiserlichen Umgebung zu erhöhen:
1) DRA. I, 482 (3. März) 510. Wenn Karl am 31. Mai an Mar-
garete schreibt, der Papst werde Sch. zur Wahl delegieren, so war
dies nur eine Finte, um die Stimmung seines Anhangs zu heben.
*) Die Statthalterin hatte ihm schon beizeiten zugesagt, man
werde ihn so bezahlen, daß er zufrieden sein werde. DRA. I, 279
Anm. 1. 226. 360. 481. 735. Dankschreiben Karls vom 18. Juli bei
Joller S. 131.
3) Es ist eine schiefe Auffassung, wenn Escher 8.734 erzählt, „der
Papst habe Sch. als einen der einflußreichsten Räte des Kaisers ge-
würdigt, indem er ihn am 1. Nov. 1521 (so!) zum Bischof von Catania
ernannte“. Aber über die Bistümer des Königreichs beider Sizilien
verfügte die spanische Krone unbedingt. — Seit seinem Sturz und dem
Verlust seiner mailändischen Pfründen und Güter scheint der Kardinal
nicht immer zahlungsfähig gewesen zu sein, denn am 5. Nov. 1520
bittet er von Köln aus, einen Züricher Bürger, von dem er ein Haus
gekauft hatte, das dieser wegen Ausbleibens der restlicheu Zahlungen
zurücknehmen wollte, zu vertrüsten, A.P. v. Segesser, Eidgenössische
Abschiede S. 1263,
94 14
$0 erschien er schon beim Einzug in Antwerpen wie be-
sonders bei dem in Aachen am 22. Oktober mit zwei andern
„roten Hütlein“, den Kardinälen M. Lang und W. von Croy,
oder bei der Leichenfeier des letzteren und bei der Unter-
zeichnung des Wormser Edikts im Dome zu Worms, wo er
. am 27. Januar bei der Eröffnung des Reichstages auf be-
sonderen Wunsch des Kaisers die Messe vom heiligen Geist
singen mufte?) Uber seine Teilnahme an den Beratungen
über Luthers Angelegenheit mag vorläufig nur bemerkt werden,
dab er regelmäßiges Mitglied des Redaktionsausschusses war,
der über Aleanders Entwürfe zu befinden hatte; auch in
dieser Stellung fungierte er aber nur als kaiserlicher Rat,
da diese Körperschaft nicht von den Reichsständen, sondern
vom burgundischen Kabinett gebildet wurde. Aber so eifrig
der Kardinal sich den Nuntien zur Bekämpfung der deut-
schen Ketzerei zur Verfügung stellte, weit mehr lag ihm der
von Karl V. geplante „Romzug“ am Herzen und die schon
in der Proposition vom 27. Januar angekündigte Rücker-
oberung Mailands. Der „Kardinal von Bellis“, wie Hermann
von dem Busche den alten Werbegeneral in „Dr. Martin
Luthers Passion“ mit treffendem Spott bezeichnete”), brannte
darauf, „nur zwei Monate Sold für ein Schweizer Heer zu
erhalten, um Mailand zurückzugewinnen und alle Franzosen
aus Italien zu verjagen“: so berichtete der englische Ge-
sandte am 9. Februar’). So vermutete man auch gewib
nicht mit Unrecht, daß Schiner den Prediger beeinflußt hatte,
der bei der Leichenfeier des Kardinals von Croy am 22. Fe-
1) DRA. IL, 73. Anm. 5. 94. 157. 800, BDB. S. 31. ADS, 249.
Ferner erscheint er beim Einzug Erzherzog Ferdinands in Worms am
3. April. DRA. II, 888. Ende Sept. 1520 übermittelt er von Antwerpen
aus den Eidgenossen unbedeutende Mitteilungen des Kaisers betr. das
Ausbleiben ihrer Gesandtschaft bei der Krönung und die Verhandlungen
seines obersten Kommissarsin Deutschland, M. v. Zevenberghen,
Segesser, Abschiede S. 1263,
2) AD. S. 168. Anm. 2.
8) DRA. II, 792, 23f. 794, 6f BDB. 8. 74, Anm, 75. Die gleich-
zeitig auftauchende Nachricht, daß bei der Abreise des Kaisers Ferdi-
nand als Statthalter im Reiche bleiben sollte mit Schiner als Beirat,
wird nur von einem Italiener berichtet und hat nur geringe Bedeu-
tung. DRA. II, 801, 1.
15 95
bruar die leidenschaftliche Aufforderung zum Kriegszug nach
Italien an den Kaiser richtete. Wenn dann der Sekretär
Schiners, Dr. Michael Sander, den Redner getadelt hatte, so
war es nur geschehen, weil dieser zugleich den Papst wegen
seiner Freundschaft mit Frankreich angegriffen und eine kon-
ziliare Entscheidung in Luthers Sache gefordert hatte. Sander,
ein früherer päpstlicher Zeremonienmeister, beschwerte sich
nun sofort bei seinem Herrn, den er in der Umgebung des
Kaisers wußte, über die Drohungen, die ihm diese Äußerung
von einigen Deutschen eingetragen hatte’): vermutlich wußte
er schon, daß sich im Geheimen ein völliges Einvernehmen
zwischen Kaiser und Papst auch in den italienischen Fragen
vorbereitete ?).
Die Haltung der Schweizer mußte nun bei der sich so
deutlich ankündigenden Auseinandersetzung mit Frankreich
eine große Rolle spielen, und so war die kaiserliche Re-
sierung beizeiten darauf bedacht, sich auch die Mitwirkung
der Reichsstände bei der Beschiekung der Eidgenossen zu
sichern. Da diese ablehnten, ging die Gesandtschaft aus-
schließlich im Auftrage des Kaisers ab, geführt von Zeven-
berghen; indessen erlangte sie von der Tagsatzung in Zürich
nur einen sehr unbefriedigenden Bescheid, und schon Ende
April erneuerten die Eidgenossen ihren Bund mit Frankreich’).
Daf man den Kardinal nicht mitgeschickt hatte, erklärt sich
daraus, daß man, solange die Stellungnahme der Schweizer:
noch nicht entschieden war, sie nicht durch das Auftreten-
eines so ausgesprochenen Feindes der Franzosen stutzig
machen wollte. Zugleich aber stieg die Mitwirkung des er-.
fahrenen Kriegsmannes für Kaiser und Papst, die sich in
denselben Tagen zum Bündnis gegen Frankreich vereinigten
(8. Mai), im Werte.
Der Kaiser hatte daher in der Instruktion vom 4. April.
nieht unterlassen, die Sehweizer zu bitten, gegen Schiners
Feinde im Wallis einzuschreiten, die schon in der Acht
seien“), und schon am 17. März hatte er auch ein dringen-.
1) BDB. S. 13. 28 ff.
?) ZKG. XXXII, 61 f.
*) DRA, II, 362, Baumgarten, Gesch. Karls V. II, 1, 30.
4) DRA, II, 380.
"96 16
-des Fürsehreiben an den Papst gerichtet!) Denn in Sehiners
Prozess wegen seiner Vertreibung aus dem Bistum Sitten
und der Vorenthaltung seiner Einkünfte hatte zwar die Rota
zu seinen Gunsten entschieden, aber solange der französische
Einfluß an der Kurie maßgebend war, konnte dem Urteil
keine weitere Folge gegeben werden. Nun ersuchte zwar
‚der Kaiser den Papst dringend, die Wiedereinsetzung des
Bischofs zu bewirken und mit allen pflichtschuldigen Mitteln -
„dafür einzutreten, daß dem widerrechtlich beraubten Reichs-
fürsten Genugtuung widerfahre; doch fehlte auch ihm die
Macht, in dem tatsächlich jedem Einflusse des Reiches ent-
rückten Gebiet seinem Schützling wirksam beizustehen.
Nur durch die Verdrängung der Franzosen aus Ober-
italien und die dann zu erwartende Schwächung ihres Ein-
‘flusses in der Schweiz konnte der Bischof von Sitten hoffen,
auch in seiner Heimat wieder das Heft in die Hand zu
bekommen. Kein Wunder, daß er sich mit dem größten
Eifer für den von Spanien und Lec X. geplanten Kriegszug
einsetzte. Er begleitete den Kaiser noch nach den Nieder-
landen, reiste dann aber am 29. Juni eiligst von Brüssel
nach Zürich?), um im Verein mit den dortigen Vertretern der
1) Karl V. an Leo X.: Cum magnis revmi cardinalis Seda-
nensis erga Nos meritis tantum moveremur, saepe per literas et per
oratorem Nostrum illius causam Sanctitati Vestrae commendavimus.
Accessit postea ratio imperii, in qua cum non tantum de Sedunensi
quam de existimatione Nostra ageretur, Sanctitatem Vestram obsecravi-
mus, ut, cum causa iudicibus cognoscenda data esset hique sententias
protulissent, Sedunensem pro aequitate in integrum restitui vellet. De
Sanctitatis Vestrae in hominem voluntate, cum, qua ille in Eam ob-
servantia sit, non ignoremus, ne tantillum quidem dubitamus; si quid
autem est, quod obsit, quamquam nihil Sanctitati Vestrae ad conser-
vandam auctoritatem suam obstare debet, obsecramus, ut apposito studio
Nostro, qui pro dignitatis Nostrae existimatione cardinali, principi
imperii iniuriose dispoliato, accurrimus, id faciat, quod a Sanctitate
Vestra debetur et ab omnibus, qui bene sentiunt, expectatur. Male
enim agetur, si qui erunt, qui sibi, quaecunque libuerint, licere putent,
Der Gesandte ist instruiert.
Ex civitate imperiali Vormaciae XVII. Martii MDXXI.
Carolus. El rey. G. Argillensis.
Original, Arch. Vatic., Arm. II, c. 1, Nr. 23.
2) Marino Sanuto, Diarii XXXI, col 47; nach den Lettere di
principi I, fol. 94a am 30, Juni.
17 97
Kurie die Aufstellung eines Söldnerheeres zu betreiben. Es
kam ibm dabei sehr zu statten, daß Zürich dem Bündnis .
mit Frankreich nicht beigetreten war und nun 2000 Mann
bewilligte, jedoch nur zur Verteidigung des Kirchenstaates.
Es war das Meisterstück des alten Werbeoffiziers, daß er
nun bald ein ansehnliches Heer zusammenbrachte, und bei
seiner skrupellosen Verschlagenheit war es ihm dann auch
ein Leichtes, die Hauptleute zur Teilnahme an der gegen
Mailand gerichteten Offensive zu verleiten, obwohl eidge-
nössische Gesandte sich die größte Mühe gaben zu verhüten,
daß Schweizer mit Schweizern handgemein würden!)
Die beiden Legaten, Mediei und Schiner, unter deren
Augen am 19. November Mailand erstürmt wurde, mußten bald
darauf zur Papstwahl nach Rom eilen. Im Konklave hat
der erfahrene Staatsmann eine nicht unerhebliche Rolle ge-
spielt, da er einmal der Vertrauensmann des kaiserlichen
Gesandten war und als solcher dahin arbeitete, die Wahl
eines französisch gesinnten Papstes zu verhüten; zugleich war
er der Korrespondent des ehrgeizigen englischen Ministers,
der sich Hoffnungen auf die Tiara gemacht hatte; endlich
erbielt er selbst in mehreren Wahlgängen eine ansehnliche
Zahl von Stimmen; doch hätte die französische Partei seine
Erhebung nicht zugelassen?). Wenn nun der Kardinal Kajetan
in einem bisher noch nicht verwerteten Bericht über seinen
entscheidenden Anteil an der Wahl Hadrians VI. erzählt, daß
er sich mit diesem Vorschlag zuerst an einen führenden Kar-
dinal der kaiserlichen Partei gewendet, von diesem aber eine
ausweichende Antwort erhalten habe3), so gewinnt es den
Anschein, als ob Schiner — denn nur dieser kann gemeint
sein — sich selbst als Papabile gefühlt und deshalb den
neuen Mitbewerber habe fernhalten wollen. Aber ernste
Aussichten hat er keinesfalls gehabt‘), da das Geplänkel bei
*) v. Pastor IV, 1, 386 ff. Baumgarten II, 1, 35. 61.
?) v. Pastor IV, 2, 3.5.7 Anm. 6, 14 Anm.1. 15 Anm. 5.
?) Vgl. meine Untersuchungen „Zur Geschichte Hadrians VI.“ im
Hist. Jahrbuch 1918, S. 37.
‘) Gegen Escher S 734 und Joller S. 55; auch ist es irrig, daß
der neue Papst ihm und zwei anderen Kardinälen die interimistische
Verwaltung des Kirchenstaates übertragen hätte. Selbstverständlich
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4, 7
98 18
den vorbereitenden Abstimmungen fiir die wirklichen Ab-
sichten der Wahler wenig zu bedeuten hat. Jedenfalls aber
hat er sich bei seinen Verdiensten um die Sicherung des
Kirchenstaates gegen die Franzosen und seiner Stellung zum
Kaiser mit der Absicht getragen, sich unter dem neuen
Papste eine hervorragende Stellung an der Kurie und einen
gewichtigen Anteil an der Leitung der päpstlichen Politik
zu sichern. Denn die Denkschrift vom 1. März 1522, in
der er nach der Auffassung katholischer Forscher ein „Re-
formprogramm“ „im Sinne Hadrians VI.“ entworfen haben
soll?), ist nur darauf berechnet, die päpstliche Regierung nach
der verschwenderischen Wirtschaft Leos X. wieder leistungs-
fähig zu machen: sie handelt also allenfalls von einer Reform
einiger Behörden der Kurie, nicht aber von einer Besserung
der Kirche und ist weit davon entfernt, auch nur die von
den deutschen Reichsständen gerügten Mißbräuche in Recht-
sprechung und Pfründenvergebung gründlich in Betracht zu
ziehen. Das überschwengliche Lob, das dem Verfasser gleich-
wohl von A. Büchi?) wegen der „großen Einsicht und des
festen Willens zu einschneidenden Maßnahmen“ gespendet
wird, gipfelt in der Feststellung, daß er „nicht in das rein
kirchliche Gebiet des Glaubens und der Sittenlehre eingreife“,
das allerdings „dem ausgesprochenen Diplomaten“ sehr fern
lag. Dabei wird völlig verschwiegen, daß die erste Hälfte
des Schriftstückes nur der augenblicklichen politischen Lage
gewidmet ist mit der dreisten Zumutung an den neuen Papst,
sich von vornherein, an Händen und Füßen gebunden, der
kaiserlichen Mächtegruppe auszuliefern. Hadrian VI. soll ein
Bündnis mit dem Kaiser und mit den Königen von England
und Portugal schließen, in das der Herzog von Mailand
aufzunehmen ist. Er soll in dieser Richtung festgelegt
werden durch ein englisches Darlehen von 200000 Dukaten,
wodurch die Verschuldung des heiligen Stuhles erleichtert
und den dringenden Bedürfnissen — d. h. vor allem der
ist auch Büchi (Kirchl. Handlexicon II, 1963) der Meinung, daß
Schiner „als Nachfolger Leos X. ernstlich in Frage gekommen sei",
1) y. Pastor IV, 2, 61f. 66 f. 72. 82; abgedruckt S. 722—724.
2) Sonderabdruck S, 21 f.
19 99
Bezahlung der Schweizer Söldner?!) — genügt werden sollte.
Die doppelte Summe könne mit gutem Recht durch Be-
steurung der getauften Juden (der Marranos?), der Rebellen,
d. h. der französischen Partei in der Romagna und Emilia,
und der Spekulanten erzielt werden. Der Papst soll nicht
nur den König von Frankreich auffordern, auf alle Er-
oberungspläne in Italien zu verzichten, sondern auch den
Vasallen der Kirche den Anschluß an Frankreich und die
Bekämpfung der mit der Kirche verbündeten Mächte — wie
des Bischofs von Sitten — verbieten. Vor allem suchte er
den Papst von dem Gedanken an einen baldigen Friedens-
schluß abzubringen, indem er ihn darauf aufmerksam machte,
daß ein solcher Friedensschluß die Gefahr in sich berge,
von den Feinden hintergangen und so geschädigt zu werden,
daß ein noch heftigerer Krieg unvermeidlich werde. Darauf
seien die Umtriebe der Franzosen und Venetianer bei der
Türkei gerichtet, die sie mit Geld unterstützten, um durch
ihre Angriffe die Westmächte zu einem solchen tiberstürzten
Frieden zu nötigen. Bevor aber die Franzosen völlig aus
Italien vertrieben seien, könne weder dieses Land noch das
übrige Europa zu einem dauernden Friedenszustand gelangen.
Seit dem Einbruch Karl VIII. in Italien seien mehr als
200 000 Menschen im Kampfe gefallen; so lange also Frank-
reich bei Kräften bleibe, könne man auch den Türken nicht
mit Erfolg entgegentreten. So viel Wahres nun auch diese
Sätze enthielten, so waren die übrigen Ratschläge um so
bedenklicher.
Denn Schiner suchte den Papst ferner bei der Gewalt-
politik festzuhalten, die Alexander VI. und Leo X. zur Ver-
groSerung des Kirchenstaates und zur Mehrung ihrer Haus-
macht verfolgt hatten?) und die vor allem zu dem ruchlosen
1) Leo X. schuldete der Schweiz noch 36000 Dukaten und Hadrian
hatte die größte Mühe, wenigstens das Geld für Zürich aufzubringen.
v. Pastor IV, 2, 101,
2) Vgl. über diese meine Anfänge der Gegenreformation in den
Niederlanden. Halle 1903. I. 41ff,
3) Dies spricht sich auch in dem Absatze aus, in dem er den
Papst dringend beschwört, nicht zu dulden, daß die Kardinäle irgend
eine der Besitzungen, die unter Leo X. oder seinen Vorgängern ge.
T*
100 20
und aufreibenden Kampfe um das Herzogtum Urbino und
zur Vertreibung des kriegerischen Rovere Francesco Maria
geführt hatte. Die bedrohten Dynasten hatten sich ge-
wöhnlich dea Franzosen in die Arme geworfen oder auf
eigene Faust die Ruhe des Kirchenstaates gestört. Schiner
suchte nun den Papst mit Argwohn und Furcht vor diesen
bewafineten Umtrieben zu erfüllen, indem er ihm vorstellte,
wie diese „Tyrannen“, die Urbino und — wie die Baglioni —
Perugia zu unterdrücken bestrebt seien, auch Bologna durch
Zurückführung der Bentivogli der päpstlichen Herrschaft
entfremden würden. Abgesehen von dem Wichtigsten, daß
Hadrian VI. sich keineswegs sofort der kaiserlichen Partei
anschloß, sondern ehrliche Versuche machte, mit Frankreich
zum Frieden zu kommen, daß er ferner die Türkengefahr
sofort und mit allen erreichbaren Mitteln zu bekämpfen sich
anschickte, kann man auch an diesem Nebenpunkte sehen,
wie hoch er die politische Weisheit Schiners einschitzte:
er hat die großen Vasallen der Kirche, die Herzöge von
Ferrara und Urbino, durch größte Milde und weitgehende
Zugeständisse versöhnt und so auch den kleinen Fried-
brechern wie den Bentivogli für den Augenblick die Lust
zu ferneren Streichen benommen oder sie wie die Baglioni
durch Wiederaufnahme beschwichtigt 1),
Und so war er erst recht nicht gesonnen, sich diesem
Mentor zu fügen in dem für die persönliche Geltung des
Papstes bedenklichsten Punkte, der zugleich die frevelhafte
Selbstsucht und rohe Machtgier des alten Ränkeschmieds
enthüllt. Unter dem gleisnerischen Ratschlag, daß Hadrian VL,
wenn er in Wahrheit der Herr sein wolle, sich keinen
wonnen wurden, verloren gehen ließen oder dem Kirchenstaate ert-
fremdeten. Er müsse vielmehr alle Sorge darauf richten, diesen Be-
stand zu verteidigen, wobei dann freilich Kriegsmänner wie Schiner
und seine Schweizer unentbehrlich waren. Eine ähnliche Absicht ver-
birgt sich hinter dem Rate, daß der Papst keinesfalls auf die Vor-
schläge eingehen möchte, die die Kardinäle ihm wegen der Besatzungen
der festen Plätze des Kirchenstaates machen könnten.
1) v. Pastor IV, 2, 110ff, 196. Uber das Auftreten der italienischen
Verbannten in Worms vgl. BDB. S. 13ff. 74f. Die Baglioni stießen
dort am kaiserlichen Hof auf Mißtrauen (S. 29), wie es ihnen auch
Schiner hier entgegenbringt.
21 101
Kardinal als leitenden Staatsmann — wie Giulio de’ Medici
im Amte des Vizekanzlers — an die Seite setzen dürfe —
er müsse vielmehr alle gleichmäßig lieben und nur dem
Verdienst größeren Einfluß gestatten’) —, suchte er zunächst
dem noch in Spanien weilenden Oberhaupte der Kirche
die bisher einflußreichsten Staatsmänner der Kurie zu ver-
düchtigen. Denn die Erläuterung zu diesem Satze sollte
der mit der Denkschrift entsandte Vertrauensmann mündlich
geben, weil es zu gefährlich sei, dies alles schriftlich zu
melden. Sodann suchte er der Möglichkeit zu begegnen,
daß Hadrian VI. schon in Spanien die wichtigsten Posten
besetzte, indem er ihm riet, erst nach seiner Ankunft in
Rom erprobte Männer in diese Ämter zu berufen: die wür-
digsten und unbestechlichsten Anwärter würden ihm dort
der Kardinal von Sitten und der Landsmann Hadrians,
Wilhelm van Enkevoirt, namhait machen, mit dem sich also
Schiner schon verbündet hatte, da das Freundschaftsver-
hältnis der beiden Niederländer allgemein bekannt war?)
Auch sorgte Schiner dafür, daß zwei der einflußreichsten
Stellen, die des Geheimsekretärs und des Subdatars, doch
womöglich schon von Spanien aus mit von ihm genannten
Personen besetzt werden möchten. Seine eigentliche Ab-
sicht aber liegt in dem Vorschlage, der Papst möge, wenn
er nicht sehr bald in Rom einzutreffen gedenke, einen Le-
gaten ernennen und dies keinesfalls dem Kollegium der
Kardinäle überlassen: es ist unverkennbar, daß er selbst
zunächst bis zur Ankunft des Papstes die Herrschaft über
den Kirchenstaat in die Hand zu bekommen suchte, und
dann würde der gelehrte Herr schwerlich im Stande ge-
wesen sein, den neuen Vitelleschi®) wieder abzuschütteln.
7) Diese schöne Wendung wird von Pastor und von Büchi ge-
hörig unterstrichen, die Tendenz des Ratschlags aber übersehen.
?) Auch Aleander hat daher sofort nach der Wahl Hadrians den
Skriptor Enkevoirt umschmeichelt. ZKG. XXVIII, 226ff,
*) Die Charakteristik des Kardinals Giov. Vitelleschi, des Bischofs
von Recanati, der, 1434—40 als Vertreter des abwesenden Eugen IV,
in Rom bestellt, dort seine Gewaltherrschaft aufrichtete, kann im
wesentlichen auf den deutschen Condottiere übertragen werden: „ehr-
geizig, verschlagen, habsüchtig, grausam, dabei aber entschlossen und
tapfer“, v. Pastor I, 240ff.
102 99
Auch die Reformvorschlige des ungebetenen Beraters
haben ihre bedenkliche Kehrseite. Einige von ihnen waren
ja zweifellos vernünftig und schon so oft und von so vielen
Seiten erörtert worden, daß Hadrian VI. wahrlich nicht von
Schiner dazu inspiriert zu werden brauchte!) Dab die
Herabsetzung der Zahl der Beamten und Hofleute, die er
dem Papste empfahl, auch die Kardinäle zur Vereinfachung
ihrer Hofhaltung bestimmen würde, war eine Täuschung,
die nur um so auffälliger wird, je gründlicher Hadrian VI.
aus eigenstem Antriebe in dieser Richtung vorging. Dab
die Auditoren des päpstlichen Schatzes und die Kammer-
kleriker, also die Beamten der mit umfassender Gerichts-
barkeit ausgestatteten höchsten Finanzbehörde sowie die
Abbreviatoren als die wichtigsten Kanzleibeamten ihre Stellen
nicht mehr dureh Kauf erlangen sollten, sondern daß diese
an kenntnisreiche Personen unentgeltlich vergeben werden
müßten, damit das Recht nicht käuflich sei, war eine For-
derung, die längst auch von den deutschen Reichsständen
erhoben worden war, die aber daran scheitern mußte, dab
auch diese Amter nur deshalb vermehrt worden waren, um
päpstliche Anleihen zu fundieren, d. h. den Geldgebern ihr
Kapital nebst Zinsen durch die Erträgnisse dieser Behörden
sicher zu stellen?). Dasselbe galt von Ämtern der Pöni-
tentiarie und der Rota, die aus demselben Grunde nicht so
leicht auf die tatsächlich nötige Zahl der Beamten zu be-
schränken waren. Und wenn Schiner vorschlug, ihnen einen
festen Gehalt anzuweisen, ihnen und den ,Seriptores aposto-
liei?)" die Einhaltung der Taxen zur Pflicht zu machen
und die Annahme der üblichen Geschenke (der „propina“)
über den Betrag von zwei Dukaten hinaus zu verbieten *),
1) Wie v. Pastor S. 66f bei zwei der von Schiner berührten
Beamtenklassen annimmt.
? Zu diesen hier nur andeutungsweise zu behandelnden Ver-
hältnissen vgl. die gründlichen archivalischen „Forschungen“ von
W. v. Hofmann, „zur Gesch. der kurialen Behörden“ (Bibl. des Preuß.
Hist, Instituts XII) Rom 1914.
8) Mit diesem Ausdruck können die Scriptores literarum aposto-
licarum ebenso gut wie die Secretarii apostolici gemeint sein.
4) Über diesen Brauch vgl. v. Hofmann I, 29.
23 103
s0 klingt das sehr verständig und war ebenfalls schon oft
gefordert worden; aber die Inhaber dieser Ämter, diese
Vakabilisten, die ansehnliche Summen hergegeben hatten,
um sie durch derartige Sporteln verzinst zu bekommen,
empfanden ein solches Vorgehen als Raub, was auch Schiner
dadurch anerkannte, daß er vorschlug, die Gehälter aus
den Einkünften der großen Abteien zu decken, die er also
den betreffenden Kongregationen einfach wegnehmen wollte.
Noch radikaler wollte er mit denjenigen Ämtern ver-
fahren, die nur dem Geldbedürfnis der letzten Päpste ihre
Entstehung verdankten: so waren die von Leo X. 1514 ge-
schaffenen 612 „portionarii Ripae“, „überhaupt keine Be-
amten mehr, sondern nur Rentenempfänger“, die einen An-
leihebedarf von 281000 Dukaten gedeckt hatten, und zwar
in kleineren Anteilen, da auch die kleinen Kapitalisten heran-
gezogen werden sollten!) Der Ertrag des Flußzolles und
der Markttaxen mußte daraufhin stark vermehrt werden,
was natürlich eine drückende Steigerung der Preise der
notwendigsten Lebensmittel zur Folge hatte. Wenn Schiner
nun riet, diese auf die Hälfte herabzusetzen, da die dann
zu erwartende Steigerung der Einfuhr den Ausfall decken
werde, und die Abgabe nieht mehr verpachtet, sondern durch
festbesoldete Beamte erhoben wissen wollte, so war diese
schöne „Reform“ eben nur möglich, wenn man die ver-
kauften Amter einfach aufhob, was er denn auch ohne viel
Federlesens auch für die von Leo X. stark vermehrten
Stellen. der Cubieularii und Seutiteri sowie der Milites S.
Petri?) vorschlug. Gerade an dem letzteren Falle erhellt
deutlich, daß diese Maßregel nichts Anderes bedeutete, als
einen Staatsbankerott: denn diese 400 Petersritter
hatten auf Grund einer Bulle vom 29. Juli 1520 für ihren
Titel je 1000 Dukaten gezahlt, d. h. sie hatten eine auf be-
stimmte Einkünfte der Kurie angewiesene Leibrente erworben °),
1) v. Hofmann I, 160f, wo auch über die drei folgenden ,Ehren-
chargen“ nühere Angaben gemacht werden.
2) Hier ist bei v. Pastor IV, 2, 724, Zeile 30 zwischen militum
scutiferorum ein Komma zu setzen.
3) Vgl. über diese Gründung Leos X. ZKG. XXXV, 168f und die
dort angegebene Literatur.
104 24
die ihnen nach Schiners Plan kurzweg entzogen werden
solite. Die Inhaber der beiden anderen Hofümter hatten bei
der 1515 erfolgten Neuordnung nicht weniger als 200 000
Gulden aufgebracht !).
„Einschneidend“ war also wenigstens die letztere Maßregel
gewiß, und estraf auch zu, daß die Vezinsung dieser Anleihen fast
die gesamten Einkünfte des ,, Patrimoniums Petri“ verschlang ?),
die Sehiner gern für die von ihm vorgeschlagene kriegerische
Aktion freigemacht hätte; aber völlig unerfindlieh ist es,
wie man in diesem wunderlichen Komplex militärischer,
politischer, finanzieller, administrativer und höchst persönlicher
Vorsehlüge einen kirchlichen Reformplan erblicken kann.
Gewib war Schiner bei der Ankunft Hadrians VI. in Rom
eine Persönlichkeit, die wegen ihrer jüngsten kriegerischen
Verdienste und ihres Verhältnisses zum Kaiser Beachtung
fordern konnte; doch darf man dem Umstande, daß der
Papst ihn allein weiter im Vatikan wohnen ließ, während
die bisherigen „Palastkardinäle“ sich zurückziehen mußten ?),
keine besondere Bedeutung beilegen, da Sehiner der einzige
war, der in Rom keine eigene Wohnung hatte, Bei der
grundversehiedenen Natur beider Münner war eine Ver-
trauensstellung Schiners, wie sie Hadrian VI. nur jenem
Enkevoirt einräumte, von vornherein ausgeschlossen; schon
die Fragen der auswärtigen Politik würden sich bald als
Hindernis für die selbstsüchtigen Pläne des alten Kriegs-
mannes erwiesen haben, der sehon einen Monat nach dem
Einzug des Papstes einer Seuche erlag (1. Oktober 1522).
1) Kalkoff, Miltitziade, Leipzig 1911. S. 60f. Ztschr. f. G. d. Ober-
rheins XXXII, 308 Anm.
?) Nach v, Hofmann I, 288f war die Zahl der käuflichen Ämter
von 1518 bis 1521 von 936 auf 2232, das darin angelegte Kapital auf
21/|, Millionen und die Rente auf rund 300000 Dukaten gestiegen;
diese konnte aus kirchenstaatlichen Einnahmen nur zu einem Drittel
gedeckt werden.
3) Pastor IV, 2, 66. Abgesehen von dem Inhalt der Denkschrift
kann man auch deshalb, weil sie nur dem Papste bekannt geworden
ist, kaum sagen, daß schon „Schiners Name ein Reformprogramm
bedeutete",
25 105
Auf Grund dieser Übersicht seines Lebensganges er-
hellt nun schon zur Genüge, was von der angeblichen Be-
günstigung Luthers und seiner Lehre zu halten ist, einer
Auffassung, die in einem älteren Werke in der Formel zu
Tage tritt, er sei „ein Freund von Erasmus, Luther und
Zwingli^ gewesen‘). Da wir nun unwiderleglich feststellen
können, daß er zur Zeit des Wormser Reichstags zu den
schärfsten Gegnern der ketzerischen Bewegung gehört und
auf die grausame und restlose Ausrottung der Lutheraner
im engsten Einvernehmen mit den Vertretern des Papstes
hingearbeitet hat, so könnte es allerdings scheinen, als ob
die früheren lutherfreundlichen Auslassungen des Kardinals
auf einen „Gesinnungswechsel“ schließen ließen. Wenn sein
künftiger Biograph sich die größte Mühe gibt, ihn von
diesem Makel zu reinigen?), so heißt das eigentlich, offene
Türen einrennen. Freilich erschwert er sich diese schöne
Aufgabe, indem er den Beziehungen Schiners zu Zwingli und
einigen gelegentlichen Äußerungen über Luther eine ebenso
übertriebene Bedeutung beilegt wie seinen Reformbestrebungen
die ihn zeitweilig sogar als einen „Bewunderer Luthers“
hätten erscheinen lassen. Man kann ihm dabei zugeben,
dab der Umsehwung in Sehiners Haltung nieht in erster
Linie auf bloße „Geldverlegenheiten“ zurückzuführen ist?).
1) E. F. v. Mülinen, Helvetia sacra. Bern 1858. I, 27. Bet
A. Horawitz u. K. Hartfelder, Briefwechsel des Beatus Rhenanus,
Leipzig 1886. S. 275, Anm. 3, erscheint er 1521 als „früherer Gönner
Capitos“.
2) Büchi, S. 11, 18. 23.
3) Ein arger Verstoß ist dem Biographen Schiners (S. 11, Anm. 3.)
nachzuweisen, wenn er aus einem Briefe Martin Butzers an Beatus
Rhenanus, der sich mit der Schilderung der Lage auf dem Wormser
Reichstage in der Zeit kurz vor dem Schlusse beschäftigt — dieser,
wie ein Brief an Zwingli, sind auf den 22. und 23. Mai anzusetzen;
vel. WE. S. 261, Anm. 1 — eine Äußerung über die Todeskrankheit
des bisher leitenden Staatsmannes anführt, die auch in den Depeschen
Aleanders ihrer politischen Wichtigkeit entsprechend, wiederholt er-
wähnt wird; am 26. Mai berichtet der Nuntius (DA. S. 256), daß jener‘
bereits seit sechs oder sieben Tagen von den Ärzten aufgegeben worden
sei, was genau zu der Äußerung Butzers paßt (Horawitz-Hartfelder,.
S. 275), daß er dem Tode nahe sein solle. Butzer macht dann die
völlig zutreffende Bemerkung, daß Wilhelm von Croy schon wegen.
106 26
Immerhin wurde er durch die Zuwendungen Karls I. und die
Verleihung des Bistums Catania aus einer sehr driickenden
Lage befreit, und schon seit dem Frühjahr 1519 sind daher
keine Kaberingen kirchlichen Mißvergnügens mehr über-
liefert. Der entscheidende Umstand aber, der den Schlüssel
zum Verständnis seines bisherigen Verhaltens bietet, ist seine
Rehabilitierung an der Kurie, die angesichts der unerbitt-
lichen Feindschaft Frankreichs erst möglich war, als Leo X.
seinen Übertritt ins kaiserliche Lager vorbereitete. Sie fand
ihren Ausdruck in der Bestätigung jener Bistumsverleihung;
die Hauptsache aber für Schiner war, daß sich ihm nun
wieder eine glänzende Aussicht im Dienste der vereinigten
Mächte, des Kaisers und des Papstes, eröffnete.
Somit erklären sich jene viel erörterten Äußerungen
als Zeichen der Mißstimmung über seine Zurücksetzung durch
Leo X., über die Begünstigung seiner Feinde im heimatlichen
Bistum. Der rohe Söldnerführer reiht sich also einfach der
‘Gruppe der mißvergnügten Kirchenfürsten an, die wie Albrecht
von Mainz oder Matthäus Lang oder Eberhard von der Marck
die kirchlichen Schwierigkeiten in Deutschland benutzten,
um dem Papste ihre Unentbehrlichkeit fühlbar zu machen
und die Erfüllung ihrer selbstsüchtigen Wünsche zu erpressen.
Schon das Verhältnis Schiners zu Zwingli läßt sich ohne
die Annahme einer Hinneigung des Kardinals zu den
reformatorischen Ideen des Züricher Leutpriesters erklären.
Zu einem Briefwechsel ist es zwischen beiden nie gekommen ?);
wohl aber hat Schiner mit Hilfe seiner vom Papste be-
soldeten Freunde am Großmünster darauf hingewirkt, dem
einflußreichen Politiker diese Stelle zu verschaffen, und ist
mit ihm dann bei ihrer gemeinsamen antifranzösischen
Richtung Hand in Hand gegangen. Das für Kaiser und
seiner auch von dem venetianischen Botschafter bezeugten Habgier (BDB.S
24, 69) mit den römischen Machthabern in Luthers Sache Hand in Hand ge-
gangen sei. Die Herausgeber haben nun das „Dominus de Schiuer“, die Uber-
setzung seines Titels , Seigneur de Chiévres*, verlesen und „Schiner“ ge-
druckt; doch mußte Büchi, von allem andern abgesehen, auch von der
robusten Gesundheit seines alten Wallisers, wissen, daß dieser nicht dem
Herrenstande angehörte und also niemals „Dominus de“ genaant wird.
. 1) Büchi, a. a. 0., S. 3.
27 107
Papst gleich günstige Ergebnis ihrer vereinten Bemühungen,
das besonders in der Haltung Zürichs beim Ausbruch des
Krieges von 1521 zu Tage trat, mußte den Kirchenfürsten
bestimmen, die damals schon sehr entschieden reformatorische
Richtung Zwinglis zu übersehen.
Dessen unwillige Äußerungen über den Piacenzer Zug
(1521) dürften ihm kaum zu Gehör gekommen sein; und
selbst die Kurie würde gegen ein opportunistisches Ver-
halten zu dem Züricher Prediger nichts einzuwenden gehabt
haben, da Hadrian VI. noch im April 1523 diesen durch
ein Schreiben zur Unterstützung seines Nuntius in der
Bündnisfrage aufforderte und ihm Belohnung dafür in Aus-
sicht stellte). Man braucht deshalb aber nicht von „warmer
Zuneigung Schiners zu seinem Freunde Zwingli“, zu reden
mit dem er „eines Sinnes“ gewesen sei, oder von „freund-
schaftlichen Beziehungen, die in ungeteilter Herzlichkeit bis
zur Verurteilung Luthers auf dem Reichstage in Worms
(Mai 1520) fortgedauert“ hätten?). Die ausgetauschten Höf-
lichkeiten brauchen keineswegs „im Sinne reformatorischer
Neigungen“ des Kardinals gedeutet zu werden, ebensowenig
wie dessen abfällige Äußerungen über das Papsttum „die
Deutung eines Abfalls vom Dogma und kirchlicher Lehre“
erlorderlich machen.
Zwingli berichtet nämlich i. J. 1525°), er habe schon
vor acht Jahren in Gegenwart Schiners nachgewiesen, daß
die Einrichtung des Papsttums sich aus der Schrift nicht
begründen lasse; dieser habe dann wiederholt geäußert, er
werde, wenn ihm Gott wieder zur Macht verhelfe („zum
Bret“), dafür sorgen, daß „der Übermut und die Falschheit,
die der römische Bischof brauche, an den Tag komme und
gebessert werde“. Aber Zwingli gibt gleichzeitig einen
1) v. Pastor IV, 2, 101.
*) Büchi, S. 8f. Abgesehen davon, daß der Reichstag i. J. 1521
stattfand, wurde Luther auch nicht von den Reichsstünden „verurteilt“;
das hatte der Papst sich vorbehalten und auch schon ausgeführt; der
Reichstag aber hat die Ausführung des Urteils wenigstens in der von
Aleander und Karl V. gewünschten Form beharrlich abgelehnt.
*) Huldreich Zwinglis sämtl. Werke. Hrsg. von Egli, Finsler
und Köhler. Leipzig 1915, IV, 50. Büchi, S. 4,
108 28:
Wink, wie derartige Außerungen eines Schiner zu erklären
seien: er sei damals bei Papst und Kardinälen in Ungnade
gewesen! Und genau so steht es mit dem zweiten Bericht,
den wir Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte!) ver-
danken; wieder geht die Anregung von Zwingli aus, der
seinen Bischof bestürmt, die Predigt des reinen Gotteswortes
zu gestatten und die Kirche von den vielen groben Miß-
bräuchen und Superstitionen befreien zu helfen; er beteuert,
daß er sich verpflichtet fühle, im Notfalle der Wahrheit die
Ehre zu geben und den Trug zu bekämpfen. Es war die
Ankündigung, daß er dem Beispiel Luthers folgen werde,
wenn ihm in der Schweiz durch ähnliche Vorkommnisse wie
die Ablaßpredigt Tetzels Anlaß dazu gegeben werden sollte.
Sehiner stimmte nun auch in diesem Falle ein: er werde,
wenn ihn Gott wieder in sein Bistum Wallis zurückführe,
dort die Irrtümer abstellen und das Wort Gottes fördern
helfen,
Wieder ist es nun ein recht überflüssiges Bemühen, die
Glaubwürdigkeit Bullingers zu erschüttern, der seine Chronik
erst sehr viel später abgefaßt habe, oder die zweite Er-
zählung als eine bloße „Paraphrase“ der ersten hinzustellen,
die Zwingli in einer tendenziösen Streitschrift verwerte, in
der er sich mit der angeblichen Zustimmung zweier Bischöfe
zu decken suche. Auch dessen bedarf es nicht, um Schiner
vor dem Verdacht zu schützen, als ob er ein „Gesinnungs-
genosse* Zwinglis gewesen sei. Denn wieder gibt der zeit-
genössische Bericht den für den ultramontanen Historiker
allerdings nicht ganz angenehmen Fingerzeig, daß damals.
schon niemand an eine „völlige Übereinstimmung“ des
Kardinals mit dem werdenden Reformator geglaubt habe:
„Es waren schöne Worte, aber sonst nichts dahinter“. Biichi
selbst verweist schließlich auf die Warnung, die Beatus
Rhenanus am 6. Dezember 1518 an Zwingli richtete: Schiner
scheine ihm nicht zuverlässig zu sein, da er (in Luthers.
Sache) es doch wohl mit der Gegenpartei halte, wenn nicht
etwa das Unglück seinen Sinn geändert haben sollte?). Und
(0003) Hrsg. von Hottinger uud Vögeli, Frauenfeld 1838. I, 10.
2) Horawitz-Hartfelder a. a. O., S. 123. Büchi nennt S. 6, Anm. 1
den 8. Dez. als Tag des hl. Nikolaus! Man kann auch nicht einfach
29 109
schließlich trifft er wenigstens annähernd das richtige, wenn
er sich damit tröstet, daß Schiners Äußerung auch auf „eine
bloß kirchliche Reformnotwendigkeit“ bezogen oder als
„Verurteilung der päpstlichen Politik“ aufgefaßt werden könne.
Im Ärger über die franzosenfreundliche Haltung Leos X.,
die ihn zur Armut, Verbannung und Untätigkeit verurteilte,
konnte es Schiner leicht fertig bringen, Zwingli den Druck
einer antirömischen Spottschrift zu empfehlen‘), und mehr
hat es auch mit der angeblichen „Bewunderung“ nicht auf
sich, die Schiner anfänglich dem Auftreten Luthers gezollt
haben soll. Wenn Luthers Anhänger gelegentliche Äußer-
ungen hochgestellter Personen, die in jener Anfangszeit die
Entwicklung der Dinge natürlich nicht ahnten, zu Luthers
Gunsten zu verwerten suchten, so will dies für die kirch-
liche Haltung solcher Machthaber wenig besagen. Besonders
Erasmus und Capito haben in dieser Hinsicht wiederholt
mit kluger Berechnung auf die öffentliche Meinung einzu-
wirken gesucht. So kann Capito an Luther am 18. Februar
.1519 berichten, daß mehrere Schweizer Prälaten, darunter
der Kardinal, ihm eine Zufluebtstátte und pekuniäre Unter-
stützung in Aussicht gestellt hätten, falls der Bann gegen
übersetzen: „da er ein Komödiant sein dürfte“, sondern mit der
„comoedia“, die der Kardinal stillschweigend begünstige, sind die Um-
triebe der Gegner Luthers, insbesondere der von den Dominikanern
betriebene römische Prozeß gemeint.
1) A. a. O., S. 142 (März 1519), Büchi S. 8. Ob eine Schrift
Huttens in Frage kommt, ist sehr zweifelhaft; der Inhalt war „gegen
den Papst und die geldgierigen Kardinäle“ gerichtet, also der rein
politischen Opposition Schiners angemessen. — Praktisch völlig be-
deutungslos war der angebliche Liebesdienst, den Schiner Luthern er-
wiesen haben soll, indem er bei dem Bischof von Basel ein Druck-
verbot gegen die Schrift des St. Gallener Augustiners Peter Käs er-
wirkt habe (Büchi S. 8f). Aber einmal richtete sich die an sich un-
bedeutende Polemik auch gegen Schiners politischen Freund Zwingli,
und dann war es von vornherein ausgeschlossen, daß sich ein Drucker
dazu hergegeben hätte, „diesen Narrenspossen“ (frascas, italienisch
frasche) gegen Luther seine Presse zur Verfügung zu stellen“, wie
der Franziskaner Conr. Pellican in Basel am 16. März 1520 Luthern
versicherte. Th. Kolde, Analecta Lutherana, Gotha 1883, S. 13, wo
die Beziehung der Briefstelle nicht festgestellt ist. °
-
110 30
ihn vollstreckt werden sollte’), Aber gerade der landflüchtige
Bischof von Sitten verfügte damals weder über Geld noch
über ein sicheres Heim, so daß es sich auch in diesem
Falle nur um eine Äußerung seiner antipäpstlichen Stimmung
handelt. Und deshalb darf man auch dem von dem Baseler
Verleger Froben berichteten Worte Schiners keine tiefere
Bedeutung beilegen, der bei Überreichung der ersten
Schrift Luthers gesagt habe: „Luther, tu vere es luter“;
oder vor den Leipziger Tagen: „Eck mag disputieren, so viel
er will; Luther schreibt die Wahrheit“?). Es folgt daraus
nicht einmal, daß Schiner Luthers Schriften wirklich gelesen
hatte. Und vollends das Zeugnis des braven Spalatin, der
von Augsburg aus im August 1518 die Rechtfertigungsschrift
Luthers zu den Ablaßthesen an Schiner übersandte und
diesen Luther gegenüber dann „als warmen Anhänger des
deutschen Reformators“ bezeichnete?®), ist für die Gesinnung
des Kardinals völlig belanglos. Abgesehen davon, daß man
von weitergehenden reformatorischen Absichten Luthers da-
mals noch nichts wußte, handelt es sich hier nur um einen
klug berechneten Schritt des Kurfürsten von Sachsen, der
eifrig darauf bedacht war, für seinen Schützling gerade in
der Umgebung des Kaisers, von der die gegen Luther und
ihn selbst gerichtete Denunziation vom 5. August ausgegangen
war, hochgestellte Fürsprecher zu werben, die dem Kardinal
Lang in diesem Falle die Wage halten könnten ?).
Er hat sich daher auch nicht erst durch die Verdammungs-
bulle vom 15. Juni 1520 oder die durch den Nuntius
Aleander auch ihm übermittelte päpstliche Aufforderung da-
von abbringen lassen, „Luthers Vorgehen zu bewundern,
ja, seine Person zu unterstützen“; wenn er auch von theo-
1) Enders: Luthers Briefwechsel I, 424, 3. Es ist eine arge
Übertreibung Büchis, wenn er von dieser Gruppe als von „begeisterten
Anhängern Luthers“ spricht. S. 10,
2) Enders l, 421, 38ff.
3) ,tui mirum in modum studioso". Enders I, 232, 35ff. Mit
dem Urteil des Herausgebers über Schiner, daß er „den Humanisten
zugetan und anfangs auch der Reformation scheinbar nicht abgeneigt“
gewesen sei.
4) Kalkoff, Forschungen zu Luthers rómischem Prozeß. S.126. 148f.
31 111
logisehen Dingen blutwenig verstand, so hatte er doch da-
mals schon begreifen müssen, daß Luthers Angriffe auf das
Papsttum die weltliehe und geistliche Macht der gesamten
Hierarchie erschüttern mußten. Luthers heftiger Gegner
Johann Fabri, der damals Generalvikar des Bischofs von
Konstanz war und bei seinem Aufenthalt in Rom i. J. 1522
von Schiner lebhaft begünstigt wurde, berichtet!), daß dieser
Luthers Lehre getadelt habe wegen der Verwerfung der Autorität
der Konzilien und aller kirchlichen Überlieferung: so käme man
durch Ablehnung der Beschlüsse des Konzils von Nizäa in.
die Gefahr arianischer Irrlehren und, wenn er nun gar nichts
weiter gelten lasse als das Neue Testament und das
apostolische Glaubensbekenntnis (novum testamentum et
essentia in divinis), so müßten alle äußeren Einrichtungen
der Papstkirche dahinsinken. Es war also wirklich nicht
nötig, daß der „Appell des Papstes“ ihm erst „die Augen
öffnete“, und es ist ohne viel Umschweife „mit völliger
Sicherheit festzustellen“ daß Schiner ganz von selbst den
„Bruch mit Rom“ vermieden haben würde?)
Besonders deutlich geht das aus seinen Äußerungen
gegenüber dem Nuntius Medici hervor: er sprach am 4. Fe-
bruar 1521 vor diesem und anderen italienischen Großen
seine Befürchtung aus, dad nach der Abreise des Kaisers
diese Bestien, die Deutschen, dem Papste den Gehorsam
kündigen und über die Priester herfallen würden; er sprach
damit die infame Verdächtigung nach, die Aleander im ersten
Entwurf des Wormser Edikts, über den Schiner gerade in
jenen Tagen im Redaktionsausschuß zu beraten hatte, gegen
Luther erhob: daß er die Laien allerorten zur Ermordung
1) Die Stelle ist wiedergegeben bei Büchi S. 11, Anm. 4. Die
theologische Formulierung ist das Werk Fabris.
2) Büchi (S. 13) verwickelt sich dabei in den Widerspruch, daB.
er gleichzeitig betont, daß dabei „für den aus seinem Bistum ver-
triebenen, seiner Einkünfte beraubten, auf die Gnade und Pension der
Fürsten und das Wohlwollen des Papstes angewiesenen Kardinal weit
mehr auf dem Spiele stand* als für arme Teufel wie Luther und
Zwingli, und doch behauptet, daß die religiösen Motive für Schiner
ausschlaggebend gewesen seien. Nach ultramontanem Rezept wird.
dabei die von Luther angestiftete „Revolution“ mit der Erhebung der
Walliser gegen ihren ehrgeizigen Bischof auf eine Stufa gestellt.
112 39
der Priester aufreize, in deren Blute sie ihre Hände waschen
sollten‘). Er benutzte nun zwar diese Gelegenheit, um
seinem alten Groll gegen die Kurie Luft zu machen, indem
er auf die Erbitterung der deutschen Fürsten hinwies, die
sich über das Treiben der Ablaßkrämer beschwerten, die
mit Hilfe der mönchischen Prediger alles Geld zusammen-
gerafft hätten. Er tadelte auch die Eingriffe des römischen
Hofes in die Pfründenbesetzung und die Schwächung der
bischöflichen Gewalt. durch die zahllosen Privilegien der
Bettelorden, besonders ihre Exemtion von der Gerichtsbar-
keit des Ordinarius: wenn der Bischof einen Priester fest-
nehme, um an ihm Gerechtigkeit zu üben, so wüßten ihn
die Mönche alsbald seiner Hand zu entziehen — offenbar
eine Erfahrung, die dem gewalttätigen Manne von seinen
Kämpfen mit der heimatlichen Gegenpartei in schmerzlicher
Erinnerung geblieben war. Doch lieb er dem Nuntius
keinen Zweifel daran, daB ihm selbst dieses Gebaren der
Deutschen sehr mibfale und dab er die Verzógerung in der
Fertigstellung des Verfolgungsgesetzes lebhaft bedaure.
Auch was er nach Luthers Abreise von Worms dem
neuen venetianischen Gesandten Contarini über Luther mit-
teilte, läßt darauf schließen, daß von irgend welcher Vor-
liebe für seine Person oder von Verständnis für seine Lehre
bei diesem alten Kriegsknecht nie die Rede gewesen sein
kann?). Er erklärte, daß Luther sich als sehr unklug, un-
mäßig und unwissend erwiesen habe; er lehre außer andern
Torheiten, daß die Konzilien irren könnten, das jeder Laie
das Sakrament des Altars vollziehen könne, daß die Ehe
auflósbar und Hurerei keine Sünde sei sowie daß alles nach
1) BDB. S. 38f, Theologische Studien und Kritiken 1917,
S. 953—959. Im Dezember-Entwurf heißt es, daß Luther das Volk
in deutschen und lateinischen Schriften ,ad rebellionem et odium
Suae Sanctitatis et sacerdotum provocaret, quos ut armis omnibus
impeterent et manus in istorum sanguine lavarent laicos omnes ubicunque
incitavit . . . WE. S. 52—58, 302, 2—7.
?) DRA, II, 880. AD. S. 172, Anm. BDB. S. 19, 57. WE. S.
257, Anm. 4 (zu der Depesche Contarinis vom 27. April). Zu der De-
hauptung über Luthers Fatalismus s. WE S, 253if, zu den andern
Äußerungen vgl. S. 202f, 205f und die deutsche Fassung des Wormser
Vdikts DRA. II, 646f.
33 113
dem Gesetz der Notwendigkeit vor sich gehe. Diese Kennt-
nisse verdankte er seiner Mitarbeit an dem kaiserlichen Edikt
und seinem Verkehr mit Aleander, der, soweit diese Angaben
nicht schon in den früheren Fassungen vorkamen, sie in
dem von Karl V. am 8. Mai genehmigten Entwurf unter-
brachte. Dieselbe ebenso rohe als oberflächliche Beurteilung
der Lehre Luthers spricht sich denn auch in dem Schreiben
an Herzog Georg von Sachsen aus, das Schiner am 29. August
1522 in Rom diktiert und eigenhändig unterzeichnet hat.
Indem er den Adressaten an ein Gespräch erinnert, das er
mit ihm auf dem Wormser Reichstage über Luthers Lehre
geführt habe, beginnt er sogleich mit jenem berüchtigten
Ausdruck des Wormser Edikts, daß Luther alle längst ver-
dammten Ketzereien „in eine stinkende Pfiitze“
vereinigt habe!) Nur daß Schiner den Mund dabei recht
voll nimmt: „Lutheri haeresiarchae impurissima doctrina
omnium damnatarum, reiectarum et superatarum haeresum
infernali sentina ac impudentissima suscitatrice, cui a Christi
ad eaelos ascensu truculentior, scelestior et execrabilior
haetenus vixit nemo...“ Wenn er erst von den Kümmer-
nissen der Verbannung erlöst und wieder in den Besitz
seines verlorenen Bistums gelangt sei, werde er alles daran-
setzen, um die ,spurcitia haeresis Lutheranae“ ausrotten
zu helfen?) *
Man braucht also den Kardinal wahrlich nicht gegen
den Verdacht eines „Gesinnungswechsels* zu verteidigen
oder Zeugnisse für „seine unverdächtig katholische Gesinnung“
1) ,quamplurimorum haereticorum damnatissimas haereses in
unam sentinam congesserit^ Joh. Cochläus, Commentaria de vita et
scriptis Lutheri. Moguntiae 1549. p. 331, 33sq. WE. S. 60. "Theol.
Stud, u. Krit. 1917, S. 268.
?) Fel. Ge8: Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs
v. S., Leipzig 1905, I, 347, Der Herausgeber hat weitere „rein phrasen-
hafte Ergüsse über Luthers Schändlichkeiten“ durch Punkte angedeutet;
Büchi aber hat an dem Mitgeteilten solches Wohlgefallen, daß er
meint: „Leider sind die kräftigsten Stellen einfach aus-
gelassen“ (S. 19, Anm, 2), Daß Schiner selbst der Verfasser ist, geht
auch daraus hervor, daß ein Schreiben seines Sekretärs Sander an
Beatus Rhenanus (Horawitz-Hartfelder S, 145) in elegantem Latein
gehalten ist.
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII, 3/4. 8
ES
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zu häufen, zumal jene Äußerungen aus der Zeit seines
ärgsten Mißgeschicks schwerlich über den Kreis seiner
erasmiseh gerichteten Landsleute hinausgedrungen waren).
Ohne sich über die religiösen Fragen viel Kopfzerbrechens
zu machen, trat er unbedenklich und rticksichtslos für die
Aufrechterhaltung der päpstlichen Macht ein, sobald ihm
durch die Annäherung der Kurie an den Kaiser sich wieder
Aussicht auf gebührende Berücksichtigung seiner Leistungen
eröffnete.
Er ist in Worms als Mitglied des kaiserlichen Redaktions-
ausschusses, der gelegentlich in seiner Wohnung tagte, nicht
1) Auf ein sonderbares Zeugnis für Schiners Glaubenstreue be-
ruft sich Büchi, wenn er S. 23, Anm. 1 ein Schreiben des General-
schatzmeisters der Niederlande (trésorier général des finances; des
„Pfenningmeisters‘“ der Statthalterin, den A. Dürer in Antwerpen
porträtierte; K, Lange und F. Fubse, Dürers schriftl. Nachlaß. Halle
1893, S. 124, 7) Jean Marnix, seigneur de Thoulouse, an Schiner mit-
teilt, in dem jener in vielen diplomatischen Geschäften und so auch in
dem Wahlfeldzug von 1519 gebrauchte und nach Deutschland ent-
sandte Beamte (vgl. DRA. I) am 28. Dezember 1519 versichert, daß
sein Kollege Jean d'Ostin, genannt Hesdin, über die Verdienste des
Kardinals unterrichtet sei. Dieser Hesdin war ebenfalls Rat der
burgundischen Regierung und führte den Titel eines maitre d’hötel
des Königs Karl I.; er wurde 1522 als ,maréchal des logis“ des
Kaisers bestellt mit der Verpflichtung, diesem in den Krieg zu folgen,
Auch er wird in den diplomatischen Korrespondenzen bei Le Glay,
Lanz, Brewer sehr oft erwähnt, ganz besonders aber bei Sendungen
an den englischen Hof, mit dem ja auch Schiner in engen Beziehungen
stand, und in kriegerischen Angelegenheiten, da er u. a. für die nieder-
ländische Artillerie zu sorgen (Brewer, Letters und Papers III, 957,
1007f) und darüber mit Wolsey zu verhandeln hatte. Diese beiden
Männer hatten also schwerlich eine genauere Vorstellung von dem
Stande der lutherischen Angelegenheit und erblickten in Schiner eine
hervorragende diplomatisch-militärische Kraft, deren religiöse Ge-
sinnung ihnen außer Frage gestanden hat. Keinesfalls hatten sie
schon Ende 1519 Kunde von kirchlicher Unzuverlässigkeit deutscher
Fürsten, von der auch in der Tat, den einzigen Friedrich von Sachsen
ausgenommen, noch nicht die Rede sein konnte. Nun schreibt Marnix:
Hesdin habe von ihm erfahren, wie Schiner sich eifrig bemüht habe,
während geistliche und weltliche Fürsten sich schwierig gezeigt hätten
(adversis principibus); nichtsdestoweniger habe Schiner sich wie ein
Fels in seiner „fides catholica“ gezeigt (in f. c. petram firmari), Auf
diesen Umstand (super quo; von den Personen spricht Marnix als von.
35 115
besonders hervorgetreten!), wozu auch kein Anlaß vorlag,
da diese von Aleander ausgewählten Vertrauensmünner eigent-
lieh nur die Aufgabe hatten, die Entwürfe des Nuntius móg-
lichst unverändert zur Vorlegung an die Reichsstände zu
empfehlen. Aber er hat sich dem Vertreter des Papstes
dureh Erteilung von Auskunft und Warnungen nach Kräften
gefällig gezeigt und höchst wahrscheinlich ihm auch als
Übersetzer gedient, als Aleander unmittelbar nach der Kró-
nung in Aachen zwischen dem 23. und 26. Oktober mit
seinem Vorentwurf zu dem nachmaligen am 29. Dezember
von dem Gesamtstaatsrate gutgeheiBenen Edikt an das kaiser-
liche Kabinett herantrat. Der Nuntius hatte damals noch
keine Verbindungen mit den deutschen Räten angeknüpft,
die ihm die Übertragung der späteren Entwürfe besorgten
und sieh dabei der hochdeutschen Kanzleisprache bedienten.
der „Excellentia‘“ Hesdins und der ,,Paternitas Rev.“ des Kardinals) werde
Hesdin bei der Katholischen und.Kaiserlichen Majestüt sich berufen
(bildlich gesprochen: ,fundamentum suum est factura), in der festen
Hoffnung, den Kaiser dahin zu bringen, daß es dem Kardinal niemals
gereuen solle, „fidem catholicam conservasse‘“. Da es nun nach dem
ganzen Sachverhalt und der Stellung der beteiligten Personen vóllig
ausgeschlossen ist, daß es sich am ein Urteil über die religiöse Über-
zeugung handeln könnte, so bleibt nur die Erklärung übrig, daß hier
ein Wortspiel vorliegt mit dem Titel des Königs von Spanien, des
„rex catholicus‘, dessen Wahl Schiner trotz des Widerstrebens vieler
Fürsten hatte durchsetzen helfen, wofür er nun bemüht war, die schon
zugesagte Belohnung dureh die Fürsprache einflufreicher Finanz- und
Hofbeamter sich baldigst zu sichern (Hesdin als Korrespondent Schiners
auch bei Le Glay, Négociations II, 158—165).
Büchi legt auch einer gesinnungstüchtigen Äußerung Schiners
vom 24. Juni 1517 (3. 22, Ànm. 1) eine allzu idealistische Bedeutung
bei: wenn dieser da erklärt, daß er allen, die ein Schisma erregen
oder die Kirche stürzen wollen, entgegentreten werde, so bezieht sich
dies auf die von Leo X, aus gewinnsüchtigen Absichten stark über-
triebene Kardinalsversehwórung dieses Frühjahrs, die mit „antikirch-
lichen Strömungen“ oder auch nur einer politischen Intrige, wie das
Pisanum von 1511 war, nichts gemein hatte.
1) Vgl. die Nachweisungen im WE. und DA. nach dem Personen-
verzeichnis. Daß „die Freunde Luthers“ ihn nicht „insbesondere für
die scharfe Fassung des Mandats verantwortlich machten", geht auch
daraus hervor, daß die von Büchi S, 18 mißverstandenen Mitteilungen
Aleanders über die Drohungen der Deutschen schon vom 8. Februar
stammen, als noch niemand Näheres von einem Mandat wuBte.
Sr
116 36
Die Übersetzung des Aachener Entwurfs ist jedoch in der
schweizerischen Mundart gehalten!) und die ungelenke Hand-
habung der Sprache?) erinnert an das grobschlächtige Latein
in dem Briefe Schiners an Herzog Georg. Überdies ist da-
bei Papier mit schweizerischem Wasserzeichen verwandt
worden; da nun der Sekretär Schiners, Dr. Michael Sander,
aus dem Wormser Sprengel stammte), so dürfte als Ver-
fasser dieser Übersetzung in erster Linie der Kardinal selbst
in Betracht kommen.
Für sein lebhaftes Interesse an der Bekämpfung der
gefährlichen Sekte zeugt dann auch der Umstand, daß er
sich eine Abschrift der kaiserlichen Erklärung vom 19. April
1521 verschafft hatte*) und daß er das kaiserliche Seque-
strationsmandat vom 10. März dem Vertreter des Papstes in
der Schweiz tibersandte®). Und obwohl seine Beziehungen
1) Vgl. meine Nachweisungen in WE. S. 106, Anm. 2.
?) J. Kühn in ZKG, XXXV, 389, Anm. 3 und meine Bemerkung
ARG, XIII, 257, Anm. 1. |
3) Wie Büchi S. 15, Anm. 5, leider ohne Quellenangabe mitteilt.
Sander erwies sich noch naeh dem Tode seines Brotherrn als leiden-
Schaftlicher Gegner der Reformation, der er als Domherr in Konstanz
(1523) nach Kräften zu wehren suchte. Auch dem Erasmus suchte
er (1524) in Rom Widerpart zu halten. Förstemann und Günther,
Briefe an Erasmus v. Rotterdam (Beiheft z. Zentralbl. f, Bibliotheks-
wesen 27. 1904) S. 93f, 84, 415f. Über seine Lebensumstünde vgl.
BDB. S, 75f.
4) Ein Hinweis auf diese Vorlage (‚ex archetypo cardinalis Sedu-
nensis,“ DRA. II, 594, 26) ist von Büchi dahin mißverstanden worden,
daß eine „deutsche Übersetzung davon in der Druckerei des Kar-
dinals Schiner („ex archetypis“) hergestellt wurde.“ Allerdings sei
„ihm von einer solchen Druckerei sonst nichts bekannt“, und, wie
wir ihm versichern können, andern auch nicht. Trotzdem ist er mit
der weitern Folgerung bei der Hand, daß Sch. „auch an der Ab-
fassung des Originals mehr beteiligt gewesen sein dürfte, als bisher
-angenommen war.“ Bisher aber wurde nur „angenommen“, daß dieses
Schriftstück die erste völlig selbständige Kundgebung des jungen
Herrschers gewesen sei. Allenfalls könnte dabei an den Einfluß des
von Aleander inspirierten Beichtvaters Glapion gedacht werden; keines-
falls aber stand Sch. dem Monarchen nahe genug, um an der Ent-
stehung dieser Urkunde beteiligt gewesen zu sein.
5) Büchi S. 17, Anm. 6 nimmt mit dem Herausgeber der ,,Akten-
sammlung zur Schweiz. Reformationsgeschichte* J. Strickler, irrtüm-
licherweise an, daß es sich um das Wormser Edikt handelte; aber
37 | 117
zu den literarischen Kreisen nur sehr oberflächliche waren,
bemühte er sich nun auch, Luthers Gegner heranzuziehen
und zu fördern. Am wenigsten Glück hatte er dabei mit
Erasmus, der ihn zwar im März 1521 wie andere einfluß-
reiche Staatsmänner am kaiserlichen Hofe mit einer Zuschrift
bedacht hatte, um sich gegen die Verdächtigungen Aleanders
zu decken. Dann hatte er dem Kardinal in Brüssel seine
Aufwartung gemacht und dabei von seinen Bemühungen um
die Erläuterung der neutestamentlichen Schriften gesprochen:
er unterlieS nicht, der von Schiner empfangenen Auf-
munterung zu gedenken, als er im Herbst das Evangelium
seines Namenspatrons mit Paraphrase dem kaiserlichen Hofe
übersandte!) | Aber er war viel zu klug, um auf die auch
von Schiner unterstützte Einladung zur Übersiedelung nach
Rom einzugehen ?). |
Dieser hat dann dem bald naeh dem Tode Leos X. in
Rom angelangten Generalvikar von Konstanz Johann Fabri?)
seine Gunst angedeihen lassen und seine dort erst vollendete
und am 14. August 1522 aus der Presse gekommene Streit-
dieses war bei dem eiligen Aufbruche des Hofes Ende Mai auch in
der in Worms gedruckten deutschen Fassung noch nicht für den Ver-
sand fertig und die für den Italiener W. de Falconibus wichtigere
lateinische Fassung wurde erst in Lówen gedruckt. Vgl. zur Ge-
schiehte des Sequestrationsmandats WE. Kap. VI.
!) Die Nachweise in den Anfángen der Gegenreformation in den
Niederlanden I, 88. II, 55f., 98.
2) Büchi S. 19. Die Tätigkeit Schiners beschränkte sich in diesem
Falle darauf, daß er, wie Fabri am 7. April 1522 an Beatus Rhenanus
schrieb, den Konstanzer Generalvikar beauftragte, in seinem Namen
auf Erasmus in diesem Sinne einzuwirken, dem er auf die von Fabri
geäußerten Bedenken seinen Schutz zusagte. Horawitz-Hartfelder S.
304f. Die Bedeutung einiger schmeichelhaften Äußerungen des Eras-
mus bei Widmung der Paraphrase des illl u. a. wird von
Joller S. 50 stark übertrieben.
3) Über dessen Auftreten in Rom vgl. den von mir im ARG. III,
711i abgedruckten Bericht des Jakob Ziegler an Erasmus vom 16. Febr.
1522, dessen bezüglicher Abschnitt S. 78, wie Schottenloher a. a, O.
V, 81f gezeigt hat, auf Fabri bezogen werden muß; in einem ebenda
mitgeteilten Aufsatze gibt Ziegler nähere satirisch gefärbte Be-
. obachtungen über die Entstehung der oben erwähnten Schrift und die
Arbeitsweise Fabris.
118 | 38
schrift, das „Opus adversus nova quaedam dogmata M. Lutheri“ :
schon am 29, August mit jenem Schreiben an Herzog Georg von
Sachsen übersandt. Es fehlt dabei neben dem tiberschweng-
lichen Lobe dieser Leistung wiederum nicht an wüsten
Sehimpfereien über Luthers ketzerische Lehre, die als , eine
- hóllisehe Brutstätte der schmutzigsten und verrticktesten Irr-
tümer“ bezeichnet wird. Der Kardinal wird alle Kraft
darauf verwenden, diese jetzt in Deutschland wiitende Pest
zu bekämpfen, wozu das Werk Fabris besonders geeignet
sel. Der Zweck der Empfehlung ist ebenso durchsichtig,
wie das Anerbieten Schiners, die etwaigen Anliegen des
Herzogs bei dem neuen Papste zu vertreten, bei dem er
alles durchzusetzen hoffe dürfe: eine etwas voreilige Be-
hauptung, da der Papst erst am Tage vorher in Ostia ge-
landet war und am 29. August erst seinen Einzug in die
ewige Stadt hielt».
Bei dieser Roheit, die sieh in den Worten des alten
Kriegsmannes über Luther kundgibt und den abfälligen
Äußerungen, die er in Worms vor dem venetianischen Bot-
schafter über Luthers Unmäßigkeit und seine frivole Be-
urteilung des Geschlechtslebens getan hatte, ist nun die Ver-
mutung nicht von der Hand zu weisen, daß „der berühmte
Bisehof^ (,apud magni nominis hominem ex episcoporum
numero“), an dessen Tafel Jakob Ziegler das Urteil über
Luther hörte, daß er „ein Hurer und Säufer“ sei’), eben
unser Kardinal von Sitten war. Bei demselben Gastmahle
hatte sich auch ein erbitterter Gegner des Erasmus, der
Spanier Jakob Lopez Zufiga (Stuniea) eingefunden, der
dann eine scharfe Kritik der literarischen Tätigkeit des
Rotterdamers zu Besten gab.?).
Jedenfalls geht auch aus diesen spärlichen Zeugnissen
über die Berührung Schiners mit der Gelehrtenwelt hervor,
daß er bisher zu Unrecht als ein Gönner des Humanismus
1) v, Pastor IV, 2, 46ff. Da Schiner bei Erwähnung des Papstes
berichtet, daß dieser „schon die italienische Küste erreicht habe und
in vier bis sieben Tagen in Rom erwartet werde“, so muß der größte
Teil des Schreibens einige Tage früher entstanden sein. F. Geß, a.
a. O. S. 347, 21f, 348.
2) ARG. III, 70f.
39 119
aufgeführt worden ist und daß er bei seiner dürftigen Bildung
und seinen rein materiellen Interessen den wissenschaftlichen
Bestrebungen seiner Zeit ebenso gleichgültig gegenüberstand,
wie er sich in seinen kirchlichen „Reformplänen“ oberfläch-
lich und eigennützig und der religiösen Bewegung gegen-
über schlechthin feindselig erwies. Dieses Bild wird auch
nicht wesentlich gemildert durch den Hinweis auf seine
Rührigkeit in Wahrnehmung seiner bischöflichen Pflichten
durch Visitationen, Kirchenbauten und Verwaltungsmaßregeln *).
Abgesehen davon, daß einige überschwengliche Äußerungen
der Urkunden über das Wesen der Kirche und die Herr-
lichkeit der Mutter Gottes ihrem Wortlaut nach das Werk
des beteiligten Kanzlers oder Generalvikars sind, daß die
korrekte Umschreibung des Ablasses in den bezüglichen
Briefen den überlieferten Formeln entspricht, hatten die
Visitationen doch auch den deutlich erkennbaren Zweck,
durch Geltendmachung der geistlichen Disziplinargewalt auch
die fiskalischen Interessen zu fördern?). Seine Bautätigkeit
wie einige kostspielige Schenkungen entsprechen dem Zuge
des Renaissancefürsten, durch prunkvolle Denkmäler und
Stiftungen seines Namens Gedächtnis zu sichern. Es ist be-
zeichnend, daß man dabei keine Einrichtung zu karitativen
Zwecken nachzuweisen vermag; und der erbauliche Charakter
seiner im Dome von Sitten gehaltenen Predigten wird denn
doch durch ein Werk wie die Elogia des Italieners Paolo
Giovio (Jovius) nicht elaubwürdig genug bezeugt). Wenn
er sich um die Wiederpringung entfremdeten Kirchengutes
bemüht, also den Herzog von Mailand bestimmt, die „dem
Hochstift Novara widerrechtlich entzogene Herrschaft Vespo-
late zuriickzustellen“*), so handelte er eben nur in nackter
Habgier zur Mehrung des ihm zugefallenen Beuteanteils.
Auch läßt sich leicht übersehen, daß ihm selbst für eine
derartige Erfüllung seiner bischöflichen Pflichten bei seinem
1) Vgl. die von Joller gesammelten Zeugnisse, Blätter aus d.
Walliser Gesch. I, 511f, |
2) Vgl. die hohen Bußen, die er auf Gotteslästerung, zu frühe
Öffnung der Wirtshäuser u, dgl. setzte. Joller S. 60.
3) Joller S. 59.
*) Joller S. 61.
3
&
120 ; 40
unsteten Leben als Heerführer und politischer Unterbändler
nur wenig Zeit übrig bleiben konnte.
So darf denn sowohl die ältere Legende von dem
lutherfreundlichen, humanistisch angeregten Oberhirten, wie
die neuere von dem zwar reformeifrigen, aber theologisch
wohlgerüsteten und allzeit loyalen Kirchenfürsten, dem wegen
seiner vorbildlichen Tugenden und seiner staatsmännischen
Größe die Tiara angeboten wurde, als beseitigt gelten. Es
bleibt bei dem Bilde des tatkräftigen und wagemutigen
Kriegers, des verschlagenen und schlagfertigen Politikers,
des herrschsüchtigen, rücksichtslosen Parteimannes. Auch
Schiner war ein Bauernsohn wie Luther und deshalb frei
von den Lastern der höheren Stände, aber weder durch
tiefere Geistesbildung noch durch edlere Ziele in der Be-
tätigung seiner rohen Selbstsucht und seiner urwüchsigen
Begabung gezügelt oder gemildert.
Die reformatorischen Kirchenordnungen
Ober- und Innerösterreichs.
Mitgeteilt, eingeleitet und erläutert von Georg Loesche.
Schluß!).
Erinnerung vonderkirchenordnung, dasman
rechten unterscheidt halte zwischen dem das
notwendig und dem das nicht notwendig,
sondern frey ist.
Also haben wir theologen dieser landschaften, welche,.
wie obgemeldet, zu diesem werckh ordentlich erfordert seindt,
uns von unser und unser mitbrieder wegen der lehr halben
erklehret, darauß unser aller lehr, gleichförmigkeit genug-
sam erscheinet, darby wir auch durch gottes hülf biß inn.
unsere endte zuverharren gedenckhen, wenn schon nümer
nichts davon beschrieben würde; den diß ist die einigkeit,
die da nottwendig und durch auß ganz in alen stückhen
muß für und für gesucht und erhalten werden; wenn hierin
auch das aler geringste pünctlin verruckht würde, so wehr-
es schon umb die wahre einigkheit geschehen, darumb ein.
aufrichtig lehrer und bekenner des Evangelions Christi sich
hierin garab nieht muß bereden lassen, daß er in etwab
weichen oder nach geben wollt, und wo man die reine lehre
und wahre einigheit deb Geistes in der khürchen erhaltten
will, da sol man sehen, daß einer mitt dem andern allso.
stimme, und, wehr nicht gleich mit zu stymmet, abgesetzt
werde; dahin auch eigentlich beharret, daß Paulus sagt, ein
wenig saurteig verseuret den ganzen teig Gal. 5°). Diese
einigkeit hatt auch Augustinus?) vor zeiten allein von den
lehrern erfordert in allen khürchen, in ceremonien aber und.
eusserlicher verwaltung hatt er uf eine gleichförmigkheit
alb ein nottwendige sache gar nicht gedrungen, sonder einer
jeglichen khürchen ihre weiße frey gelassen, ja auch für
eine zierde gerechnet, wens schon mancherly weißs ge-
haltten werdt, nur daß verhuettet würde, ales, waß dem.
1) Vel. Bd. 17 S. 209—230, 277—800, Bd. 18, 35—55.
2) V. 9,
3) (In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas.)
122 42
wahren glauben und gottseligkeit entgegen wehr, dahin er
dan den spruch psal. 45!) zeucht: tota pulchritudo filiae
regis, seu ut nostra habet translatio: omnis gloria filiae regis
ab intus in fimbriis aureis circumamicta varietatibus, welchs
uff deutsch also lautet: def kinigs dochter ist ganz herlich
innwendig, sie ist mit gülden stückhen bekleidtet, man fieret
sie in gestickhten kleidern zum keinige, daß ist nach der
außlegung Augustini?), so viel, die nottwendige einigkeit der
christlichen kürchen stehet aler Ding im glauben und lehre,
nemblich in der Norma veritatis, grundtfest und pfeiler der
Wahrheit, davon wir anfencklich meldung gethan; in cere-
monien aber und eusserlicher ordnung haltts ein jegkliche
kürche nach gelegenheit deß ortts, der zeit, der leutt und
anderer umbstende, wenn nur die Lehre und glaube der-
massen ist, dab man dardurch die leutt zum künige, dem
heren Christo, füere, so liegt nichts daran, daß in einer
kürchen diefe und in der anderen ein andere weiße sey
Ja, wie es woll stehet, wenn die brautt am gebrüm ihres
rokhs und den eussersten enden der aub wendigen bekhleidung
gollt, sammett, seidten und mancherley farrben hatt, daß sie
in gulden stiickhen und gestückhten mit berrlin und edlin
gesteinen gezieret kleidern daher zum brüedigam gefüertt
wiirtt, Also gibts ein zierde der algemeinen christlichen
kürchen, welche def) herren Christi brautt ist, wenn allent-
halben ein glaube, ein wortt oder Lehre, ein tauffe?), ein
geist ist, dardureh sie allein zu Christo ihrem breudtigam
und nieht beneben hin gefuert würdt und aber nach gelegenheitt
der maneherley lande und volckher mancherley weiße im eusser-
lichen wandel und verwaltung der kürchenempter ist, wenn nur
die brautt zum rechten brüedigam gefiert württ, dab dan allein
dureh gesunde lehre und glauben geschieht, so stehetts alent-
halben woll und ist die eusserliche ungleichformigkeit mehr ein
zierde dan ein übelstandt; wo man aber auff die eusserliche
gleiehfürmigkeit dringt und der innerlichen nicht achtet, wie
die papisten thun, da stehet die sach gar übel, wan sehon
die eusserliche weiße in ihrer gleichförmigkeit ein prächtigen
schein hatt und hoch gerühmet würdt; den da würdt die
brautt nieht dem rechten brüedtigam, sondern seinem feindt,
dem teuffel, zugefüeret; wehr wollt deß lachen, dan der
teuffel selbert alein? Dieße lehre hatt Augustinus von Am-
brosio*) seinem seelhirtten gelernet und derselbige, wie auch
andere hatts von den vatern, so für im gewesen sein, wie
dan Eusebius?) Socrates?) und Sozomenos’) viel schreiben,
1) 45, 14f. 2) Migne, Patr. lat. 36, 512, *) Ephes. 4, 5,
4) RGG. 1, 426. 6) Ebd. 2, 695. 6) Ebd. 5, 732.
^ Ebd. 5, 772.
43 123
da etliche geister nicht auD gottseligem euffer uff ein gleich-
förmigkeit in mitel dingen, alb uff ein nottwendigkheit sehr
drungen, großen streitt und lerme hin und wider in der
khürchen erregten, dab gottförchtige, friedt liebende, ver-
nünftige bisehoffe und lehrer die saehe zum friede also
bracht, das sie nur gerathen, uff den glauben und gesunde
lehr aehtung zu geben und dan einer jegklichen khurchen
ihre weibe nach dem einer jegklichen Gelegenheit erfordert
frey liessen und ziehen Ireneum!) und Polyearpum?) an,
welche solche christliche weißheit und bescheidenheit in
dem kürchenregiment gebrauchet haben; daher deb Irenaei
meinung berümpt worden: jeiunii disonantia (!) fidei conso-
nantiam minime rumpit, welches von allerley ceremonien
und eusserlicher kürchenzucht gleichsialß verstanden wiirdt,
und zwahr dieße lehre haben die väter auß gottes wortt
gelernet, wie dan Polyearpus sein lehre von Johanne dem
apostel und evangelisten zu Epheso gelernet und härnach
. den Irenaeum gelehret hat; den Paulus sagt von der nott-
wendigen gleichförmigkeit, so in glauben und gesunder lehr
stehet, Philiper 3°) also: wievill nu unser volkhomme seindt,
die laßet uns albo gesünet sein, und solt ir sonst etwaß
halten, dab lasset euch gott offenbaren, doch so ferne, dab
wir naeh einer regel, darein wir khommen seindt, wandelen
und gleich gesünet seyen und zun Ephes. 4: Seyt vleißig
zu halten die einigkeit im geist dureh das band des friedes;
ein leyb und ein geist, wie ihr auch beruffen seidt uf einerley
hofinug euers beruffs, ein her, ein glaube, ein tauffe, ein
gott und vatter unser aler, der da ist über euch ale und
durch euch ale und in euch alen. Item in 2. Timotheo 1 5):
halt an dem fürbülde der heilsamen wortte, die du von mir
gehört hast vom glauben und von der liebe in Christo Jesu;
diesen guten beylag bewahre dureh den heiligen geist, der
in uns wonnet; item 2. Timotheo 3°): bleibe in dem, daß
du gelehrnet hast und dir vertraut ist. 1. Thimothe 6°):
leh gebiete dir für gott, der ale dinge lebendig machet und
für Jesu Christo, der under Pontio Pilato bezeuget hat ein
gutt bekenntnus, daß du haltest diß gebott ohn flecken un-
vertadelich biß auf die erscheinung unsers heren Jesu
Christus. Timothee, Bewahre, das dir verthrawet ist und
meide die ungeistlichen, loen geschwetze. 1. Timotheo 5”):
ich bezeuge für Gott und dem herrn Jesu Christo und den
außerwelten engeln, daß du solches haltest ohn eigen gutt
dunkhel. 1. Thimotheo 15): dif gebott befellhe ich dir,
mein son Timothee, nach den vorigen weißsagung über dir,
1) Ebd. 8, 670.
2) Ebd. 4, 1662. *) V. I5.
5 V.13. 5) V. M.
6) V, 18. ?) V. 21. 8) V. 18.
124 44
das!) du in denselbigen eine guete riterschaft übest und
habest den glauben und guet gewissen, in der ander
Timotb. 4: so bezeuge ich nun fur gott und den herrn
Jesu Christo, der da zukunftig ist zu richten die lebendigen
und die todten mit seiner erscheinung und mit seinem reich,
predige das wort, haldt an, es sey zu rechter zeit oder zur
unzeit. Gal. 1%): So auch iemandt evangelium prediget
anderst dan das ir empfangen habt, der sey verflucht!
Joan. in epist. 2°): Wer übertritt und bleibet nicht in der
lehr Christi, der hat keinen Gott. Wer in der lehr Christi
bleibet, der hat beide den vatter und den sohn; so iemandt
zu euch khomet und bringt dise lehr nicht, den nemet nicht
zuhause und grüesset in auch nit, den wer in grüesset, der
macht sich theilhaftig seiner losen werke. Auß disen und
dergleichen sprichen lernen wir die nottwendige gleichformig-
keit des glaubens und lehre oder bekenntnus, davon auch
der herr Christus sagt: Luc. am 10.*) Unum est necessarium,
eins ist vonnótten. Von ceremonien aber und euserlicher
weise, sagt Paulus zum Colloss. am 2.5): So lasset nun
niemand euch gewissen machen über speise oder dranck
oder über bestimbten feiertag oder neumonden oder sabbather,
welches ist der schatten von dem, das zukunftig war, aber
der eörper selbst ist in Christo. Lasset euch niemand das
zill verrucken, der nach eigner wall einher gehet in demuet
und geistlichkeit der engel; so ir den nun abgestorben seit
mit Christo den satzungen der welt, waß lasset ir euch den
fangen mit satzungen, als lebeten ir noch in der welt, die
do sagen, du sollt das nicht angreifen, du soll das nicht
kosten, du soll das nicht anruren, welchs sich doch alles
under handen verzeret und ist menschen gebott und lehre,
welche haben einen schein der weißheit durch selb erwölte
geistlichkeit und demuet und dadurch, das sie des leibes
nicht verschonen und dem fleisch nicht seine ehre thun zu
seiner notturft. In der 1. Timoth. 4: Der geist aber saget
deutlich, das in den letzten zeiten werden etliche von dem
glauben abtretten und anhangen den verfurischen geistern
und lehren der teuffel, durch die so in gleisnerei lugenreder
seint und brandtmall in ihren gewissen haben und verbieten,
ehlich zu werden und zu meiden die speise, die gott ge-
schaffen hatt. Der ungestlichen®) und altvätterischen fablen
entschlage dich. Auf disen und dergleichen sprüchen lernen
wir, das Paulus nicht allein die Menschen satzung verwirfiet,
die gottes wort entgegen sein, sondern auch, wenn iemandt
auf die, so etwa ohn sünde einem andern zur liebe móchten
1) Von hier an wieder eine andere Hand. $) V.9. *)V.9,
5 V. 41. 5) V. 16. ^| ungeistlichen,
45 125
gehalten werden, als auf notwendige sachen drunge, woll
ers ganz und gar nicht gestatten, weil solch nötigen der
christlichen Freiheit zu wider und under dem schein der
eusserlichen ordnung und gleichformigkeit nichts anders dan
verdunckelung und vertilgung des reinen evangelii und waren
seeligmachenden glaubens gesuecht wird. Darumb sagt er
auch zum Gal. am 2. eapitel!); Es werd auch Titus nit ge-
zwungen sich zu beschneiden, ob er woll ein Grieche war;
denn da etliche falsche brüeder sich mit eindrungen und
neben eingschlichen waren zu verkundtschaften unsere frei-
heit, die wir haben in Christo Jesu, das sie unß gefangen
nemen, wichen wir denselbigen nicht eine stunde underthan
zu sein, auf das die wahrheit des evangelii bei euch be-
stünde. Da aber Petrus gen Antiochiam kam, widerstund
ich ihm underaugen, denn es war klage über ihn komen.
Den zuvor, ehe etliche von Jacobo kamen, aß er mit den
heiden. Da sie aber kamen, entzog er sich und sondert
sich, darumb das er die von der beschneidung fürchte, und
heuchelten mit ihm die andern juden, also das auch Barnabas
verfueret werdt mit ihnen zu heuchlen; aber da ich sahe,
das sie nicht richtig wandleten nach der wahrheit des evan-
gelii, sprach ich zu Petro fur allen offentlich: so du, der
du ein jude bist, heidenisch lebest und nicht judisch, warumb
zwingest du dan die heiden, judisch zu leben?
Ob aber woll der liebe apostel da so ernst gewesen ist,
weils die nott des evangelions wahrheit zu verteidigen
forderte, hat er doch anderswo, damit er die schwachen
nicht ergere, beide, beschneidung und andere weise, willig
gehalten, damit also auf beiden seitten die christliche frei-
heit in diesen sachen bestünde, denn hierin weder zur
rechten noch zur linken ein zwang oder nottwendigkeit ge-
sucht werden soll; wolle iemandt sagen, es were solch eusser-
liche weise also und nicht anderst zu halten, notwendig zur
seeligkeit, der stritte wider den glauben, welchs unzeittige
gesetzprediger das evangelium zu verdunkelen zur apostel-
zeit understanden. Act. a. 15, Gal. 4, Phil. 3. Wolle aber
hergegen iemandt sagen, es were zur seeligkeit notwendig,
solche dinge allezeit bei iedermann an allem ort, es driege
sich zu, wal} da woll, zu meiden, der süchte?) die liebe an,
welehe mit den schwachen gedult hat und ohn verletzung
des gewissens ihnen vill zu liebe freiwillig helt; und zwar
dise seind eben so hardt wider den glauben als die andern,
weil sie sündt machen, da keine sünde ist, wollen die ge-
wissen verstricken in sachen, über welche kein gewissen
zu nennen ist, wen nur der glauben und glaubens lehre ge-
1) V. 3. 2) Am Rand: sichte = sehe.
126 46
sundt und die liebe des nechsten knecht bleibet; diesen un-
zeittigen gebrauch der freiheit straffet Paulus mit wortten
und thatten villmall; als Act. ap. 16 lest er Timotbeum be-
schneiden, damit er die juden, so noch schwach im glauben
waren, nicht ergerte. Act. ap. 18!) et 21?) bezalet er sein
gelübte, lest sein haubt bescheren nach der juden gebrauch.
In der 1.Cor.9®): Den wiewoll ich frei bin von iederman, spricht
er, hab ich doch mich selbs jedermann zum knecht gemacht, auf
das ich ihrer vill gewünne. Den juden bin ich worden als ein
jude, auf das ich die juden gewunne; deren die under dem gesetz
sind, bin ich worden als under dem gesetz, auf das ich die,
so under dem gesetz sind, gewinne; denen die ohn gesetz
sindt, bin ich als ohne gesetz worden; (so ich doch nit ohn
gesetz bin für gott, sondern bin in dem gesetze Christi), auf
das ich die, so ohne gesetz sindt, gewinne. Ich bin ieder- -
mann allerlei worden, auf das ich allenthalben ia etliche
seelig mache; solchs aber thue ich umb des evangelii willen,
auf das ich sein teilhaftig werde. Eben diesen rath gibt er
auch allen anderen Christen, als in derselbig epistel am 8.
capitel*) spricht er, die speise fordert?) unß nicht for Gott;
essen wir, so werden wir darumb nicht besser sein; essen
wir nicht, so werden wir darumb nichts weniger sein; sehet
aber zue, das dise eure freybeit nicht geradt zu einem an-
sto der schwachen; wen ir aber also sündiget an den
brüedern und schlegt ihr schwages®) gewissen, so sündiget
ir an Christo. Darumb, so die speise meinen brueder ergert,
wolte ich nimmer mehr fleisch essen, auf das ich meinen
brueder nieht ergere. Und in der 1. Corinth. 10°) spricht
er: ich hab es zwar alles macht, aber es frommet nicht
alles; ich hab es alles macht, aber es bessert nicht alles;
niemandts sueche, waß sein ist, sonder ein iegklicher, wab
des andern ist. lr esset nun oder drinket oder was ir thuet,
80 thuet es alles zu Gottes ehre; seit nicht ergerlieh weder
den jud noeh den griechen noch der gemeine gottes, gleich
wie ich auch iedermann in allerlei mich gefellig mache, und
sueche nicht, waß mir, sondern waß vielen frommet, das sie
selig werden; seit meine nachfolger, gleich wie ich Christi;
und denen, so sich unzeittiger freiheit gebrauchen, das sie
irgendts einer kirchen gemeinen brauch und weise sich
wegern zu halten, wöllen sonderlinge werden, richten zank
und unrube an ohn alle ursachen, antworttet er nichts mehr
den diß, in der 1. Corinth. 11°): Ist aber iemandt under
euch, der lust zu zanken that, der wisse, das wir solche
weise nicht haben, die gemeine gottes auch nicht. Zum
1) V. 18. 2) V. 26. ?) V. 19. 4) V. 8.
5) fördert. 6) schwaches. ?) V. 28. 8) V, 16.
4T 127
Röm. 14 et 15: Redet er vill von disen sachen, wie man
darin der christlichen freiheit recht gebrauchen und nicht
ein fleislichen mutwillen zu betruebnus der schwachglaubigen
under dem schönen mandel der christlichen freiheit treiben
soll. Den schwachen im glauben, spricht er, nemet auf und
verwirret die gewissen nicht; einer glaubet, der möge allerlei
essen, welcher aber schwach ist, der isset kraut; welcher
isset, der verachte den nicht, der da nicht isset, und welcher
nicht isset, der richte den nicht, der da isset, den Gott hat
in aufgenommen. Wer bistu, das du ein frembden knecht
richtest; einer helt einen tag für den andern, der ander aber
helt alle tag geleich, ein iegklicher sey in seiner meinung
gewiß; welcher auf die tage helt, der tutß dem herren und
weleher nicht drauf helt, der thuets auch dem herren; welcher
isset, der isset dem herren, den er danket Got, welcher nit
isset, der isset dem herren nicht und danket Gott; den
unser keiner lebet ihm selber. Du aber, waß richtestu deinen
Brueder oder du ander, was verachtestu deinen brueder?
wir werden alle fur den richterstul Christi gestelt werden.
Darumb lasset unß nicht mer einer den andern richten,
sondern das richtet vill mehr, daß niemandt seinen brueder
einen anstoß oder ergernus darstelle. Ich weiß und bins
gewiß in dem herren Jesu, das nichts gemein ist an im
selbs, ohn der es rechnet für gemein, demselbigen ists ge-
mein; so aber dein brueder über deiner speise betrüebt
wirdt, so wandelst du schon nicht naeh der liebe; lieber,
verderbe den nieht mit deiner speise, umb welches willen
Christus gestorben ist. Darumb schaffet, das eur schatz nicht
verlestert werde, denn das reich Gottes ist nicht essen und
drinken, sonder gerechtigkeit und Friede in dem heiligen
geiste; wer darinnen Christo diener, der ist Gott gefellig
und den menschen werdt, darumb lasset unß dem nach-
streben das zum friede dienet und wab zur besserung unter-
einander dienet. Lieber, verstere nicht umb der speise
willen Gottes werk, es ist zwar alles rein, aber es ist nicht
guet dem, der es isset mit einem anstoß seines gewissens;
es ist vill besser, du essest kein fleiß (!) und drinkest kein
wein oder daß, daran sich dein brueder stosset oder ergert
oder schwach wird. Hastu den glauben, so hab in bei dir
selbs for Got. Seelig ist, der im selbst kein gewissen macht
in dem, das er annimmet; wer aber dartiber zweifelet und
isset doch, der ist verdambt, den es get nicht auß den
glauben; was aber nicht auf} dem glauben gehet, das ist
sünde; wir aber, die wir stark sind, sollen der schwachen
gebrechlichkeit tragen, und nicht gefallen an unß selber
haben; es stelle sich aber ein iegklicher under und also, das
128 48
er seinem nechsten gefalle zum guetten zur besserung, den
-auch Christus [nicht] an ihm selber gefallen hatte. Darumb
nemmet euch undereinander auf gleich, wie auch Christus
hat aufgenommen zu Gottes lobe.
Diese lehre und exempel des apostels Pauli sindt alle
zeit hoch in der kirehen Gottes gehalten, darauß Polycarpus,
Irenaeus, Ambrosius, Augustinus, Lutherus in gleichen fellen
.gueten radt beide für schwache und starke gegeben haben
und wie sie die unvernünftigen gesetztreiber auf verange-
zogenen spruchen gestraft haben, also haben sie nicht we-
niger die frechen verächter aller schwachen und die so aub
der christelichen freiheit ein fleischlichen ergerlichen mut-
willen gemacht haben, hierauß ires gottlosen frevels über-
wiesen. Lutherus hat zu unser zeit nicht allein der papisten
notzwang, da sie auf menschen satzung als weren sie zur
seeligkeit vonnótten gedrungen, ernstlich gestraffet, und in
dem die ware seeligmachende gerechtigkeit und christliche
freiheit erörtert und offenbaret, er hat aber auch nieht we-
niger ernst gebraucht gegen die bildstürmer und kirchen-
wuester, als Carlstat!) und seinesgleichen, da er gesehen
hat, das sie von einem ehrgeitzigen, frechen, frevelen, zän-
ekisehen, unrubigen, aufrurischen geist getrieben wurden, de-
nen kein kirchrecht reformiert ware, sie wer den wie ein
verwuesteter stadel oder scheuren zugerichtet, und frevelich
iederman urteillen, dem teuffel gaben?) die noch ein khor-
rock oder etliche ander ceremonien dulteten, ob schon solehf
mittel dinge?) sind, die außer dem fall der ergernuf weder
geben noch nemen, und, do Carlstat die elevation des ca-
eraments für sieh selbs wolte für ein gotlof werk und todt-
sünde aufschreien, ließ er sie ihm zu drutze bleiben noch
ein zeitlang*), damit auch in solchem fall unser christlichen
freiheit nichts benommen und Carlstat sampt seinen schwarm
nieht zum neuen pabst wurde, sünde zu machen, da kein
sünde ist, und solche grosse ergernuß zugeben; es hat der
framme Lutherus wie auch Pomeranus?) Vitus Dietrich)
gar fein sauberlich und weißlich gefaren in der reformation
und abgetan der pübstischen greuel; waß mittel ding gewe-
sen, hat er nicht abgetan umb der sehwaehen willen, und
damit will gewunnen wurd, hat er vill dings, das man auch
entraden kan, ein guette zeit bleiben lassen. Solchs exem-
pell sollen woll wahrnemen, die auch zu dieser zeit an di-
sen und anderen ortten, da man noch das pabstumb umb
sich hat und nicht allenthalben lange zeit die evangelische
lehre und freiheit geprediget und gnugsam erkläret hat, die
1) RGG 3, 942. 2) überantworteten. 3) RGG 1, 148.
+) Sehling s. v. Elevation. 5 RGG 1, 1420. 6) S. ob. S. 228, 8.
49 129
kirchen geschefft anzuordenen beruffen werden. Was nun
Paulus da in einem fall, nemblich von speise, fasten gesagt,
kan man auf alle dergleichen fille ziehen: als, wer den
chorrock, liechte, westerhembt'), handtauflegen und derglei-
chen ceremonien nicht braucht, der verachte den nicht, der
sie brauchet, und hergegen, wer sie brauchet, der richte die
nicht, so sie nicht gebrauchen, ein iegklicher sehe, das er
das reich Gottes durch waren glauben in sich habe und der
waren gerechtigkeit, die fur Gott gilt, nemblich der verge-
bung der sünden durch Christum sich tröste und sein herz
zufriden stelle, ware freidt im heiligen geist, dessen tempel
er worden ist, habe und diene dem herren au diesem wa-
ren glauben auch in eusserlichen kirchengebreuchen und
ceremonien, kein unruhe anstifte, dem schwachen kein anstob
setze, niemandts ergernuß gebe, gern iedermans knecht sey
durch die liebe, das viele bekeret und christo gewunnen
werden. Was aber die formen und ordenung belangt, die
sacrament zu reichen, den catechismum zu lehren und zu
examenieren, das wort zu predigen und mit singen und lesen
zu treiben, das es reichlich under unß wohne, ist nicht
vonnöten, das ein einige weise und masse allen kirchen al-
lenthalben furgeschriben werden; denn das seint mancher-
lei farbe von außwendigen gebreme an den guldenstück ?),
darin Christo dem könig seine braudt fur aller menschen
augen zugefuert wird, welcher braut herligkeit und schöne
nur inwendig und allein dem breutigam und ir selbst bekant
ist, nemblich der glaube, welcher ware gerechtigkeit und
dardurch friede und freude dem herzen bringt im heilligen
geiste; zu der außwendigen zierde ist genag, das man die
regeln sanct Pauli helt, die er hiezu gibt, in Cer 1.Corinth. 14°):
Lasset es alles geschehen zur besserung; trachtet darnach,
das ir die gemeine bessert, auf das ihr alles reichlich habt.
Item: Got ist nicht ein Gott der unornung, sondern des frie-
des, wie in allen gemeinen der heiligen; darumb, lieben
brueder, lasset alles ehrlich und ordentlich zu gehen.
Wo dann einer in ein gemeine kombt, do begere er
ihm nicht ein sonders zue machen; klügele, maistere, tadtle
nichts unberuffen, richte oder verachte nicht freuelich*), mach
kein gezenke noch unruhue über unnötigen sachen, gebe
kein ergernuß, sondern suche den friede und jage in nach?)
angesehen das Gott ist ein Gott des friedes; halte sich gern
an die ornung und weise, die er da findet, wie des Ambrosii
rath, welchen er Augustino und seiner muetter gab: wen ich
zu Rom bin, sagt er, so faste ich mit inen am sabbath, wen
1) Taufkleid. 2) Psalm 45, 10. S. ob. S. 122. 3) V. 33, 40.
+) freventlich. 6) Ps. 34, 15, 1. Petr. 3, 11.
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII 3/4. 9
130 | 50:
ich zu Meilandt bin, so faste ich nicht am Sabbath; so thuet
ihr auch, zu welcher kirchen ir kombt, derselbigen sitten,
weise und gewonheit haltet, wen ihr anders nicht geergert
wolt werden oder anderen ergernusse geben. Diß haben die
Theologen etwaß weitleuffiger wollen vermelden und erinnern,
damit in disem notwendigen und ganz christlichen furnemen
wohlbetrachtet werde, waß rechte einigkeit und gleich-
formigkeit sey, welche das rechte merkzeichen der waren
christlichen kirchen ist, und das ia nicht in solchem für-
nemen der papisten lesterung mehr den sich gebueret
betrachtet werde, welche nur mit irem eusserlichem meß-
halten und unnutzen larven grosse einigkeit furgeben und
wen mans beim lieht besuehet!, haben sie weder under
sich selbs noch mit Gott und seiner waren kirchen frid und
einigkeit,
Dagegen haben die herrn und landleut, so in disen
dreuen?) landen derreinen A. K. zugethan sein, Gott hoch
zu danken, das ein wahre christliche einigkeit, die Gott
allein in der lehre und glauben von seiner kirchen fordert,
bei inen und in ibren kirchen durchauß ist, obschon in
eusserlichen ceremonien nicht allenthalben so genau alles.
tibereintreffen kan, da man doch in keiner form noch weise
etwaß dem forbild der lehr Christi zu wider findet.
Es ist solche erinnerung nicht vergebens, den wen man
gleichformigkeit anzurichten furnimbt, muß man wol acht
nemen, warin die notwendige gleichformigkeit stehe, das.
man nicht etwo durch ein schein einer gleichformigkeit die
hochste ungleicheit und uneinigkeit anrichte, wie oftmals,
da man an eusserlichen unnötigen Dingen angefangen hat,
geschehen ist. Damit wir aber doch auch in disen Dingen,
sovil immer müglich, ein gleicheit haben möchten, haben
wir gegeneinander die Agenden, derer wir uns bisher ge-
braucht, gehalten, und wab hierin on ergernuß ein theil dem
andern zu lieb hat annemen und ablegen®) können, freund-
lich und auf christlicher liebe getan, doch mit der be-
dingung, das wir unsern gnedigen herren solch unser christ-
lichs bedenken underwerfen und I. Gn. bedenken darüber
hören, das dann, wo es ihren gnaden gefelt, ein gemeiner
schluß darüber ausgesprochen möcht werden. Weß (sich
nun die theologen)*) nun in Agenden vergliechen, folget iez.
im andern theile dieser kirchenordnung.
1) statt besiehet. 2) dreien. 3) statt: ablehnen.
*) Das eingeklammerte ist durchgestrichen, und es sind die Worte
‚wir uns nu“ darübergeschrieben.
51 131
Das Andertheil der Kirchenordenung, darin
von der Agenden gehandelt.
Die Agenda begreift farnemblich 6 stuckhe.
1. Daß erste sein die zusamenkunft am feiertag und
in der wochen, Gottes wort zu hören und seinen heillig
namen anzuruffen und zu ehren.
2. Daß ander ist der catechismus.
3. Das dritte die beichte und absolutio.
4. Daß vierde die aufteilung der sacrament, nemb-
lich der heilligen tauffe und des abentmals unsers herrn
Christi.
5. Daß fünfte das einsegen der ehleut.
6. Daß sechste die begrebnus der tothen.
Vergleichung in ersten und 2.
Die feiertage sampt den sambstag werden am abent
des vorgeenden tags angefangen mit dem abentgebet und
lobgesang, welche man gemeinklich vesper") nendt.
Ordnung der vesper am feierabend in stetten,
da latinische schuelen sein?)
1. Veni sancte®), oder deus in adiutorium‘). Deutsch
oder latinisch.
2. Ein psalmen Davids latinisch mit vorgehender Anti-
phon), wo es geschehen kan.
3. Ein deutscher psalm aus D. Luthers sangbuch ô).
4. Der hymnus?) deutsch oder lateinisch, nach der zeit.
5. Darauf liset man ein stuck auß der bibel fur mit
der summarien Viti Dieterichs°).
6. Darauf singet man das magnificat deutsch?) oder
latinisch.
1) S ob. 17, 227,1.
2) Über die damals in Innerösterreich in Betracht kommenden
Schulen vgl. Loserth, die protestantischen Schulen der Steiermark
im 16 Jahrhundert, 1916. Dazu F. Bischoff, Beiträge zur Geschichte
der Musikpflege in Steiermark In ,,Mitteil. d. Historischen-Vereins für
Steiermark“ 37 (1859), 108. „In protestantischen Schulen und Kirchen
wurde Choral und volkstiimliches Kirchenlied gepflegt. Laut ordo
lectionum in schola Runensi um 1567 fand hier täglich außer Samstag
um 12 Uhr exercitium musices statt; dasselbe findet sich auch in den
Schulplänen der Protestanten. Mit den Protestanten kamen gewiß
auch protestantische Gesangbücher nach Steiermark, die während der
Gegenreformation wohl zum größten Teil verbrannten.“
3) Julian S. 1212. Simrock S. 200.
4) Psalm 76, 2. Herold 5. 122. 5) 8. ob. 17, 227, 2.
9) Seit 1524. 2) S. ob. 17, 227, 3. 5) S. ob. 17, 228,8.
9) S. ob. 17, 227, 4.
9%
132 | | 52
7. Darauf liset oder singet der diener des worts die
eolleetam nach der zeit, deutsch.
8. Darauf singet man, Erhalt unß herr bey deinem
wort’), oder das gewöhnliche benediecamus?) teusch oder
latinisch. Man mag auch wol singen das nunc dimittis?)
Lue. 2 deutsch oder latinisch.
9. Darnach spricht der Diener des worts den segen
über das volk auß Num. 6: der Herr segne.
Nota 1: Hie ist zu merken, das der diener des worts
möcht fur dem altar stehen, wenn er die lection und das
gebät verrichtet. Zu Gratz aber thuet ers auf der canzel,
weil die kirche nicht bequehmlich gebauet, das furm altar
möcht verrichtet werden. Man könt aber woll beyde, den
altar und auch die canzl, ins obertheill verruckhen, dann
khöntz nutzlieh und zierlieh furm altar verrichtet werden.
Nota 2: Weiter isí zumerken, das ob schon in dorfen
und mirkten, da keine oder gar kleine und etwa nur teutsche
schuelen seint, gleichwoll vesper halten kan, also, das nur
ein psalm und das magnificat teutsch gesungen und mit der
eolleeten, vatter unser und segen beschlossen werde.
Nota 3: Zum dritten wehr rathsam, das das stuck auf
der bibel zu Gritz von einem stipendiaten‘), so E. E. L.?)
daselbs helt, gelesen wurde, weil sie sie sieh doch sonst
mit predigen üben, damit sie keck werden und woll und
verständlich aussprechen lerneten das gebet. Sägen könt
gleichwoll vom diener des worts furm altar geschehen. Zum
lesen hat man zu Klagenfurt ein besonderen stuhl unter der
eanzel, könt zu Gritz auch nutzlich geschehen.
Nota 4: Wo nieht latinische und große schuelen noch
viel leut seint, die lateinisch verstehen, da soll man alles
teutsch singen.
Vergleichung in der ordenung gesenge, gebät, lection
in den zusammenkönften am Sontag und Feiertagen.
Am Sontag kombt die gemeine Gottes dreymall zu-
samen, nemblich in der fruepredig, mittags und abentpredig.
In der fruepredig wird dise ordenung gehalten.
1. Kom heilliger Geist®), oder ein ander gesang umb
ware bekerung und erleuchtung des herzens zu bitten, denn
niemandt kan sich zu Christo bekeren, ihn ein herren
nennen?) noch Gott dienen, loben ohn durch den heilligen
Geist, den man hierumb aufs demütigste anzurufen schuldig ist.
1) 8.06.17,228,5. ?) 8.0b.17,227,5. 3) Luc.2,29. Julian 8.822.
4) Loserth a. a. O., S. 491. 5) Eine ehrsame Landschaft.
€) Mützell 1, 12, Fischer 2, 6. Julian S. 631. ?) 1. Cor. 12, 3.
53 133
2. Hierauf spricht der diener des worts die gemeine
beicht dem ganzen volck fur und darauf die absolution mit
ernster warnung der unbußfertigen. Denn, weil wir als
arme siinder an dem suntag zusamenkommen und aber des
unbueßfertigen sünders gebätt Gott nicht angenemb ist, so
sollen wir fürs aller erste unsere sünde bekennen und unb
davon absolvieren lassen, das darnach unser gebät lob und
Gottesdienst Gott angenemb sey. Und dessen haben wir
ein fein exempel Jes. 6, und ist der waren kirchen gebrauch
von anfang her gewesen, wirdt auch zu Nurnberg’) auß
Luthers anordnung und in andern wolbestelten kirchen also
gehalten.
3. Hierauf singt der chor mit dem volke ein kurzen
lobgesang, als den 117. psalm, oder der engel gesang Luc. 2.
4. Darauf folget die lection auß dem alten testament oder
epistel nach alter gewonheit, oder mit ein ander. und mag
diß ein diener des worts thun, oder zu Gratz ein stipendiat,
wie vorgemeldet. Man möcht auch ein geschickten meßner
darzubrauchen, wo einer vorhanden.
5. Hierauf soll der diener des worts die hochzeiten und
wa sonst furfelt verkündigen und das gemeine gebät forderen.
Ein collecte nach der zeit und das vatter unser betten.
6. Nach disem singt der chor figurate?) und die ganze
gemein schlecht?) ein lobgesang, thuet auch der organiste
das sein zu Gottes lob, und vor der predig singt man: nun
bitten wir den heilligen geist‘).
7. Darauf folget die predig, in welcher das verordenet
evangelium außgelegt wird.
8. Wenn die predig ein ende hatt, spricht man das gebät
für alle stende und not sampt dem vatter unser.
9. Darauf singt die gemeine den glauben?) oder ein
danck psalm.
10. Wenn dann communicanten da sein, wirdts gehalten
wie an seinem ort folget.
Nota. Die prediger zu Clagenfort und Laubach) sprechen
ein gebät aub der wirttenbergischen Agenden?) fur das
predigampt, das mögen sie gleich nach der absolution sprechen,
welche droben mit der zall 2 verzeichnet oder mögens nach
der epistel lesen.
1) Nürnberger Kirchenordnung 1538f, 1536, 1540, 1543, 1556,
1564, 1591f. Exemplare auf den Universitäts-Bibliotheken in Erlangen,
Jena, Leipzig. 2) S. ob. 17, 224, 6. 3) schlicht.
+) Mützell 1, 13. Fischer 2, 99. Julian S. 821.
5) S. ob. 17, 223, 2. 6) Laibach.
?) Württembergische Kirchengeschichte 1893 S. 387 ff.
134 54
Nota. Die Clagenfurdischen wolten gern beide lection
halten, erstlich der epistel, darnach der bibel nach Viti
Dieterichs ordenung’). Wenn sies nun an der zeit haben,
können sies thun. Seint doch auch von alters her zwo lection
vor der predig furm altar gelesen worden, eine der epistel
und die andere des evangelii latinisch. So mag nun anstat
des latinischen evangelii die teutsche lection des alten testaments
genommen werden.
Nota 3. Wo zweer oder mehr prediger sein, da soll
billich der, so nicht die fruepredigt thuet, die gepet furm
altar verrichten. Und zur lection, wo nicht stipendiaten, so
allgemachsam zum predigampt angefueret werden, seint, da
kont der schuelenhelfer einer die lection auf der untern
canzel lesen. Denn die praeceptores in den schuelen sollen
ie zum theil auch mit der zeit zum predigampt sich bereitten.
An vilen ortten wünschete ihm ein praeceptor solche ubung.
Nota 4. Die verkündigung der hochzeitter, welche mit
der zall 5 verzeichnet”), wöllen die Kharntischen lieber zu
endt der predig thuen, das mögen sie nun woll nach irer
gelegenheit anstellen. In der Grützer kirchen, weil so groß
volk zusammen kömet, und wen die predig auf) ist, die
hoffleut hinauseilen, schicket sich’s besser vor der predig, wie
auch von alters her gebräuchlich, und in den grossen stetten
Nurnberg?), Augsburg^), der jungen Píalz?) und in vill mehr
ortten gehalten wird. Es ist auch dem prediger bequehmer,
weil er sich fast) müde predigt und ihm das verlesen der
zetteln beschwerlich, wie auch zwar’) den zuhörern, die
auch etwaß müde worden und nu nicht gern so lange ver-
kündigung anhören.
Von der Mittagspredig am Sontag.
Die Mittagspredig am sontag ist furnemblich des cate-
chismi halben angestelt, es komme dann ein groß fest, als
ostern, pfingsten, da hat man besondere lectiones außzulegen,
wie an seinem ort soll gemeldet werden. Mit dem catechismus
halt mans also.
1. Zum ersten singt man ein stuck aub dem catechismo.
9. Liset der Diener des worts die sex haubtstuck der
- christlichen lehre mit D. Luthers worten und nach der form
und ordenung, die er selbs gestelt und gewisen in seinem
catechismo. -
3. Legt derselbige prediger ein stück des catechismi
auß. Die predig soll nicht lenger als ein halbe stund weren.
T) S. ob. 17, 298, 1. 2) S. ob. S. 133. 3) S. ob. S, 133, 1.
4) 1555, Exemplare in Erlangen und Jena, =
5) 1554. 1556, 1557. Exemplare ebd. 1559 beginnt die jüngere Linie.
6) sehr. 7 in Wahrheit.
5b 135
4. Sagen zwen schueler ein stuck auß dem kleinen
catechismo Lutheri mit der außlegung.
5. Werden darnach die andern kinder und junge leut
alle verhöret.
6. Wenn nun die verhórung ganz vollendet, soll man
fur die kinder das gebät, so im gedruckten agendabuch zu
Gritz furgeschrieben, sampt dem vater unser sprechen.
7. Singt man darauf ein kurzen lobgesang.
8. Sprieht der Diener darauf den gewünlichen segen
Num. 6.
Nota 1. In Khrain und Khärnten‘) haben sie auch des
Brentii?) kleinen catechismum ?), den mugen sie woll behalten,
doch das sie furnemblich des Lutheri catechismum vleissig
treiben und dem volck einbilden.
Nota 2. Dieselbigen meinen auch, es schick sich bei
ihnen am besten, das sie die sechs stucke nach der predig
dem volk furlesen und sein es bib her also gewonet. Dad
miigen sie woll thuen, bringt kein sonderliche ungleicheit.
Nota 3. Zu Gritz könt man woll nach dem ersten
gesang lassen die sechs hauptstück der christlichen lehre
ein stipendiaten lesen, der sich nun algemachsam zum predigen
bereittet, wie auch vor zeitten*) in der kirchen die anfahenden
erstlich lectores wurden. Anders wo könt auch ein schul-
maister, so mit der zeit ein prediger zu werden gedechte,
solche lection verrichten. Darauf singe man: Nun bitten
wir’), und gienge dann der catechista auf die canzel und
lese nur das stuck, so er predigen und außlegen woll.
Nota 4. Es ist fein, das man die catechumenos in
classes theilet. Also haben wir zu Gritz vier classes gemacht.
In die erste setzen wir die kleinen, so am wenigsten
künnen; die sollen nur den text der sechs stück blob ohn
die außlegung aufsagen. In die ander classem setzen wir
die, welche den text nun woll gelernet und fertig können.
Die sollen nu des Luthers außlegung auß seinem kleinen
catechismo aufsagen. In die dritte classem ordenen wir die,
welche nu auch die gemelde außlegung können, die sollen
hinfort die Haustaffel lernen und aufsagen, wie die zu ende
des catechismi Lutheri gesetzt ist. Der vierde hauf seint
die, welche die obgemelten stucke alle können und sollen
nu etliche haubtstuck der christlichen lehre vleissiger lernen,
betraehten und aufsagen. Solehe fragstuck hatJoachimus Mör-
lin ®) bey den catechismum drucken lassen und könt hieher auch
1) „und Khärnten“ ist durchgestrichen. 2) RGG 1, 1339.
8) 1527/28; ebd. 3, 986, 996. 4) RGG 1, 987.
6) Von Luther. Mützell 1,13. Julian 5. 821.
6) RGG 4, 447. Enchiridion Catecheticum 1544,
136 06
des Brentii catechismus dienen. Man möcht sie auch spruche
und psalmen lassen auß der schrift aufsagen. Diese ordenung
ist sehr nutzlich. Denn so sieht man, wie die kinder zunemen,
und thun die nieht woll, die die kleinen kindlein oder andere
einfeltig leut als bald die auflegung mit dem text anfahen
zu lernen; denn sie lernen gemeingklich keins volkommen
und reeht, und sonderlich ist vill daran gelegen, das sie die
blossen wort des Textes recht lernen nachsprechen. Denn,
wen sies in der jugend nicht recht lernen, so sagen sies fur
und fur unreeht auf. Drumb haben wir an Strafburg exempel
genommen und die catechumenos also in classes getheilet.
Nota 5. Damit die kinder alle möchten verhóret werden,
wehre guet, das zu Gratz die stipendiaten, so man zue predigern
machen will an andern orten aber die deutschen schuhl-
meister, hülfen verhéren, kónt man sie in die classes theilen,
wie zu Strabburg!) die studenten, so von almusen gehalten,
solehe hulf erzeigen. Darauf vill nutz beyd den kindern
und den studenten kompt. Denn die kinder werden alle ver-
hóret, das sonst in so kurzer zeit nicht woll müglich, so
gewonen die studenten, wie sie sich zum ampt schieken sollen.
Nota 6. Guet wers, das der pastor seine gewisse zeit
hette, da er die jhenigen kinder, so von wegen ihres ver-
standts, den sie auf dem catechismo gelernet, nu zum nacht-
mall des herren sollen gelassen werden, fur den altar lief
fur sich stellen, und dem volck, wie sie zugenommen und
drumb zur gemeinschaft solchesgeheymnus solten aufgenommen
werden, erklerete und darzu das gepet über sie forderte.
Dadureh wurden die kinder gelocket, vleissig zu lernen,
kónnten auch in der beicht leichtlicher verhóret werden, auch
wurde verhuettet, das nicht die kinder oder andere, so noch
zu junek und ungeschickt, sich zu diesem hochwirdigen
geheymnus eindrungen. In allen soll man vorsichtig und
ordentlieh handeln. Dif hat man bej der ersten kirchen
die confirmatio?) genennet, das sovil heist als bestettigung,
weil ein solcher catechumenus verhöret und zu der gemein-
schaft des hochwirdigen sacraments bestettiget werd. Denn
ehe dureh solche offentliche verhórung fur der gemeine
bezeuget ward, das er die stiicke des catechismi verstunde,
ward er nicht zu disem hohen geheimnus zugelassen. Disen
brauch sampt dem ganzen catechismo haben die bäpste fallen
lassen und dargegen ein unnutze salbung und schmirens
angerichtet, das sie Gott bessern; wie haben sie so übel
gehandelt. Wir aber, weil wir die kirche gern also reformiret
sehen, wie sie zur apostel zeit gewesen und viell iare blieben,
1) S. unten S. 151. ?) RGG 3, 1642,
57 137
sollen solchen gueten gebrauch wider an die handt nemen,
wie dann an vielen orten geschehen.
Von der Abentpredig oder Vesper am Sontag.
Die Vesper am sontag wird gehalten wie am feierabent,.
allein, das die predig anstadt der leetion kompt. In der
predig soll die lection auß der epistel außgelegt werden.
1. Nota von feiertagen.
An feyertagen, so in der wochen gefallen, sollen nur
zwo zusamenkonft gehalten werden, eine zur fruepredig, da
mans helt wie am sontag. Die ander nach mittage; da sol
nur ein psalm auf dem catechismo gesungen, darauf die
kinder im catechismo verhóret werden, wie am sontag. Soll
aber kein predig nach mittag gehalten werden. Von hohen
festen folget hernach an seinem orte.
Nota 2. Diß seint aber die feste der heilligen, so man
mit der evangelischen kirehen feiret.
Der tig s. Stephani protomartyris’). s. Johannis evan-
gelistae?). conversionis Pauli?) Matthiae apostoli*) Phi-
lippi und Jacobi?) Joannis Baptistae. Petri und Pauli.
Jacobi apostoli). Bartholomai*) Matthaei evangelistae °)..
. Michaelis archangeli?) oder das fest der heilligen und keuschen.
engel. Simonisund Judae !?^). Thomae apostoli !!). s. Andreae'?).
Der hohen festen, so in evangelischen Kirchen zu halten,
seint zwolf, wie folget:
1. Natalis Domini, der heilige christtag, mit beiden
nachvolgenden tagen.
2. Das fest circumcisionis oder der beschneidung Christi,
so man nent den neuen jarstag;
3. Das Fest Epiphaniae, das man nennet der heiligen
drei könig tag.
2. Das fest purificationis Mariae +°), da Christus zu Jeru-
salem in tempel dem herrn vorgestellet ward.
5. Das fest annunciatiationis Mariae**) von der empfenknis-
unsers herrn Christi.
6. Der tag coenae Domini, den man heist antlab +°) tag.
7. Der tag passionis Domini von den leiden unsers herrn
Christi, den man nennet chorfreitag.
8. Der heillig Ostertag von der auferstehung unsers
herrn Christi mit den zweien folgenden tagen.
1) 26. Dez. 2) 27. Dez. 3) 25. Jan. *) 24. Febr.
5) 1. Mai. $) 25. Juli. 7) 24. Aug. 8) 21. Sept..
?) 29. Sept. 19) 28. Okt. 11) 21. Dez. 12) 30. Nov..
13) 2. Febr. ^j 25, Mürz. 15) Ablaß; Dienstag vor Ostern.
138 58
3. Das fest ascensionis oder der himelfahrt Christi;
10. Der heilige Pfingstag mit den zweien nach-
folgenden tagen;
11. Das fest trinitatis von der heilligen Dreifaltigkeit;
12. Das fest visitationis Mariae!), do Maria zu Elisa-
beth gieng Lucae.
Auf diese tage helf man den eatechismum nicht, sondern
die geordneten lectiones legt man in predigten au.
Nota 2. Bäpstischen Festen.
Wo in den stetten noch die papisten ihre kirchen haben,
ist die sorge, wenn wir nicht predigen, das das volk zum
bäpstischen greueln lauffe, weil sie ohn das feiren müssen;
wie nu dem unrat zu wehren sey, werden unsere genedige
herrn sampt un8 ein christlichs nachgedenken fürnehmen.
Zue Grätz haben wir bißher auf dieselbigen tage unsere
gemein an vorgehenden sontag fur solchen abgöttischen
festen und greueln gewarnet, und, damit sie nicht ursach
hetten, anselbigen festen zun papisten zulauffen, haben wir
an selbigen tagen ein predig vorher verkündiget und sie
darzu zu kommen ernstlich vermanet. In derselbigen predig
haben wir die babstischen abgötterei und greuel auß Gottes
wort gestraffet und dann etwaß guets unser zuhórer gelehret.
Und zwar, wenn wir zu Grätz allentag predigten, dürften
wir un solcher tag halben nicht fast?) bekummern, weil
wir ohn das zusammen kemen. Sonst hats ein ansehen, als
hielten wir dieselbigen feste mit den papisten, daran sich
unser brueder in Kharnten ergern möchten.
Nota 3. Wo nicht schuelen sein, welche zur vesper
dienen können, da ist man billig mit dem examen des
<satechismi zufriden.
Von den zusamenkunften in der wochen.
Vor dem sterben?) zu Gratz hat man zwehn tage zur
predig in der wochen gehabt, den erichtag*) und den frei-
tag. Aber im werenden sterben haben wir alle tag ge-
predigt, und stünde sehr woll, das die weise fur und fur
gehalten wurde, weil der f. Hof und landthauß, auch vill
stadtlicher®) leut, da seint und allen tag frembd volk hin-
kompt. Wenn dann allen tag gepredigt wurde, gieng einer
heut der ander morgen drein, nach dems im gelegen, wehre
1) 2, Juli. 2) sehr.
8) 1564/65, 1572f., 1577. R. Peinlich, Geschichte der Pest in
Steiermark 2, 485,
4) S. ob. 17, 298, 4. 5) aus der Stadt.
59 139
das gepet allen tag fiir die ganze gemeine. Stunde auch
woll bey einer so woll bestellten grossen schuele, wie
dann gemeingklich, wo solche berimpte schulen sein und
andere treflich leut, allen tag gepredigt!) wird, als zu Jena
in Duringen, Wittemberg in Sachsen, Marburg?) in Hessen.
Den erichtag hat man dise ordenung gehalten.
1. Erstlich singt man das vatter unser?) oder kom
heiliger Geist‘).
2. Darnach ein teutschen psalmen?).
3. Zum dritten: nu bitten wir den heilligen Geist®).
4. Darauf folget die predige.
5. Naeh der predig ein dankpsalm und
6. Darauf den segen Num. 6.
Am freittage singt man vor der predig wie am erichtag
aber nach der predig die litaniam?) aus Luthers sangbuch,
also das zwen schueler vorsingen und die ganze kirch
antwort. Wenn die litania auf ist, liset der diener des
worts ein collect furm altar oder auf der canzel, und darauf
das vatter unser sampt den segen Num. 6.
Diß wirdt in Kharnten und Khrain gleichfals gehalten,
allein das sie nach ihrer gelegenheit den mitwochen haben,
da wir den erichtag zur ersten wochen predig. Wenn aber
in der Grätzischen kirchen solte allentag gepredigt werden,
solte man ausser dem freitag nur das einige gebät, nun
bitten wir den heilligen Geist fur der predig singen und
nach der predig den 117. psalmen oder sonst ein Dank psalm,
der nur ein gesetz®) hat. So wurde niemandt zulange auf-
gehalten. Es kónte sich also auch, wer da woll, allen tag .
speisen lassen mit dem abentmal des herren; das off sonst
als im winkel und ohn beysein der gemeine Gottes fast?)
heimlieh geschicht von den hoff leuten und adel, ist ein bóse
gewonheit. Könte auch die kinder tauffe also allen tag
für der gemeine gereichet werden, wehre ehrlieh und
besserlich.
Von den zusamenkunften am werktagen zur vesper.
Wo schuelen sein, soll billich allen tag ein vesper von
zweien lobpsalmen und darzwisehen ein collect sampt dem
vatter unser gelesen werden, das der segen alles beschlosse.
Es könte zu Gretz durch die schuele solchs gar woll geschehen,
1) Vgl. dazu Sehling 1, s. v.: Predigt in der Woche und Wochen-
predigt. 2) K. O. 1566, 1574, Exemplare in Erlangen, Jena, Leipzig.
3) Mützell 1,19. Julian S. 1205. *) S. ob. S. 132, 6. 5) S. ob.
S. LE 6. 9) S. ob. S. 135, 6. ?) S. ob. 17, 223, 1. 5) Strophe.
) sehr.
140 60
wies dann vor den sterben geschehen ist, und wehre solchs
auch ein ehre der heilligen tauffe, weil umb dieselbige stunde
die meisten kinder zur tauffe gebracht werden. Am mitt-
wochen zur vesper soll man auch den catechismum mit den
kindern halten, wie dann ein weile zu Grätz geschehen, das
die kinder allein zur kirchen kemen. Und als denn könt
man auch ein singe schul under ihnen anrichten, wie an
etlichen orten geschieht, da sonst kein bequehme zeit zu ist.
Das hat die meinung: Wenn man singt in kirchen, singen
die meisten nit mit, weil sies nicht können; vill singen gar
vill wort unrecht, und werden dem lieben Luthero mit der
zeit seine worte gefelscht, wie am „nu bitten wir“ und in
mehr psalmen zusehen, das auß der bösen gewonheit durch
die setzer hernach unrechte wort in den druck gebracht
werden, Solchen unrath furzukommen und die kirch mit
gueten lieblichen gesängen zuerfullen und zu zieren, sollen
nicht allein die schueler in der schuele, sondern auch die
andern einfaltigen zu weilen in der kirchen, wie zum cate-
chismo allein versamblet werden, und da soll ihnen einer
ein gesetzlein nach dem andern furlesen und vorsingen, bif
so lange, das sies wol könten. Es seint woll unter un, die
erfaren haben, waf guets inen solche übung gebracht habe.
Daß 3. stuck der agenden, welches begreift
die vergleichung von der besonderen
beicht und absolutio.
Wer da begeret zum abentmall zu gehen, der soll sich
dem (capellenmaister oder meßner zeitlich anzeigen und sein
namen aufschreiben lassen. Der capellenmeister oder meßner
soll solche verzeichnuß dem pastori zustellen, das man die
zall und namen wisse. Wer sich nun also an hat schreiben
lassen, soll sich!)) den feierabent in die vesper verfuegen,
und sollen nach der vesper alle solche verzeichnete (gegen
den altar?)) stehen, da soll diener des worts ein kurze ver-
manung zu ihnen auß einem buch lesen, das sie wissen, was
inen zubedenken zur wirdigen niessung des abentmals und
rechtschaffener beichte. Dise vermanung ist darumb in einer
gewissen algemeinen form an einen ort wie am andern zu
lesen furgeschrieben, das durch stettig furlesen die einfeltigen
und ein iegklicher mit der zeit von wort zu wort außwendig
lerne. Darauß kompt vill mehr nutzes, denn wenn alle
1) Die eingeklammerte Stelle ist durchgestrichen. Darüber
steht ,,kiirchendiener anzaygen und“; am Rande ist vermerkt: DiS
stück mag noch bleiben, das die anzeigung den dienern des worts
geschehe und so dem pastori zu wissen ward. ?) Das einge-
klammerte ist durchgestrichen, Darüber steht ‚vor der canzel‘“.
61 141
beichtage ein neue predig oder vermanung gemacht wird.
Denn der einfeltigen ist allweg am meisten und muessen
aufs aller einfeltigst immer mit einerlei worten unterricht
werden. Darumb auch Paulus zu Philippern am 4’) spricht,
es sey ihnen guet, das er inen immer einerlei zuschreibe,
und diß ist auch Latheri rat in der vorrede des catechismi:
weill dann der heillige Geist die herzen erleuchtet durchs
gehörte wort, ist ie offantwar, wen die leut das wort also
ins herz fassen, daß sie desto ehr erleuchtet werden. Darumb
scheme sich kein prediger, solche vermanung immer füzulesen,
habe auch kein verstendiger daran verdruß, sondern ihm
selbs und den einfeltigen zu guet höre ers gerne und merke
vleissig drauf; denn esist hie nicht darumb zuthun, das der
prediger sein konst beweise oder der zuhörer durch mancherlei
erlustiget werde, sondern das die einfeltigen aufs beste mügen
unterrichtet werden. Seint doch sonst predig genug, da beid
prediger und zuhörer solchen ihren lust mit frucht büssen
können. Auf solche vermanung weiset der, so die vermanung
gelesen hat die confitenten zun beichtstull, da soll nun ein
ieglicher nach seiner gelegenheit freundlich und wies das
hirtenampt erfordert verhört, gefragt und unterricht werden.
Die forme der beicht, so Lutherus gestelt, soll ein ieder
wissen und brauchen, auch nach desselbigen kurzen frag-
stucken examiniert werden. Sonderlich aber soll er auch
außgeforscht werden, ob er die gethone vermanung fur dem
altar gehört und verstanden und die furnembsten stucke
darauß behalten hab und vermelden könne. Waß auch weitter
ein beichtkind zu erinnern, wird ein vernunftiger beichtvatter
zuthuen wissen. So nun die buse recht erkleret wird, soll
er in nach der anweisung Lutheri in seinem catechismo von
sünden absolvieren und entbinden. So aber das beichtkind
nicht geschickt mit rechtem verstande oder an der buse
mangel erscheinet, soll er in auf einander zeit wider heissen
kommen, und so er in sünden halsterrig befunden, ihm des
bindeschlüssels kraft erkleren, ihn warnen und zur furcht
Gottes aufmunteren. Es soll aber ein iegklicher beichtvatter
dem pastori anzeigen und namhaftig machen, wie viel und
welche er abgeschafet, damit er sie auß der verzeichnus
sondere und also eigentlich und leichtlich bekant werde,
wievill iederzeit zuspeisen seien. Hierauß kömbt auch dise
frucht, das der pastor kan merken, wie sich ein iegliches
seiner befohlenen schäflein halte und das seine darzu “thuen.
Hierumb soll auch einer bestelt werden, der auf die abgeschaften
achtung gebe, das sie nicht zu der anderen beichtvatter einem
gehen, wie die lent dan in der thorheit listig sein und meinen,
1) 8, 1.
142 62
sie haben Gott betrogen, wenn sie seinen diener, ia vill mehr
sich selbs, betrogen haben.
Das 4, stück der Agenden, welchs begreift die ver-
gleichung in der außteilung der zweien sacrament.
Und erstlich von der tauffe.
In der tauffe ist kein andere ungleicheit zwischen den
evangelischen kirchen in disen dreien landschaften, dann nur
in der ordenung, wie eins vor oder nachgesetzt. Denn wah
wir etwa mitten in der handlung haben, das haben die in
Khärnten und Khrain im ersten oder andern stuck, wie in
folgender furbildung zu sehen.
Der steirischen taufordenung’), wenn das kind
genand ist von gefattern, folget
1. Vermanung zur andacht und gebat.
2. Das erste gebät.
3. Das ander gebät.
4. Das evangelium Mare. 10 von den kindlein anzuhören.
5. Nach solchem exempel Christi und auf seinen befehl
und zusage, das vatter unser zusprechen mit auflegung des
taufers hand.
6. Wunsch, das Gott des kindes eingank und auSgang
behuette.
7. Verpflichtung des kindts zur absagung den teufel und
zum glauben an den waren Gott und die frage, ob es darauf
wolle getauft sein, da als die guattern von des kinds wegen
antwort geben.
8. Die Aufgiessung des wassers im namen des vatters ete.
9. Der wunsch, das Gott das getaufte kindt stercken
wolle zum ewigen leben.
10. Vermanung zur danksagung fur die empfangene tauffe.
11. Die form der danksagung.
12. Vermanung an die eltern, gevattern etc.
13. Der segen Num. 6.
Der Kharntischen und Khrainischen taufordenung.
. Evangelium Marei 10 und daraub
. vermanung.
Gebät.
Gebät.
Vatter unser.
. vermanung zum gevattern.
o ou Or
1) Vgl. Jahrbuch 25, 166,
63 143.
7. verpfliehtung wie in Steyr.
8. Die aufgiessung wie in Steyr.
9. wunsch, das wie in Steyr.
10. form der danksagung.
11. Vermanung zum gevattern und eltern.
12. Der segen.
Diese kleine ungleicheit kompt daher, das der steyrischen
taufordenung, so im druck vorhanden, auß anweisung und
nach dem taufbuchlen Lutheri und Viti Dieterichs') gestellet
ist, der Khürnter aber und der Khrüner taufordenung ist auf
der Wirttenbergischen agenden?) Daß aber die wort
und weise fast übereinstimmen, ist kein ander ursach, dann
das die Wirtenbergische agenda aus des Luthers und Viti
Dieterichs genommen und nach des landts gelegenheit gelenket
ist. Wie woll nun geratten hat mügen werden, das die eltere,
nemblieh die nach Viti und Lutheri anweisung von steirischen
gebrauchet wird, den furzog hett haben mugen, iedoch seint
andere ursachen, die uns beweget haben, einen igkliehen
theill sein ordenung zu lassen. Denn einmahl ists und in
ewigkeit war, das beyde ordenung guet und so woll gestelt,
das niemandt verbessern kan. furs ander so bezeugen die
Kharnter und Khrainer, das die Wirttembergiseh ordenung
bey ihnen nun von etlichen pharn her eingewurtzelet sey;
dagegen kónnen die Steirischen auch zeugen, das die ihrige,
so sie von Luthero und Vito haben, auch von villen jaren
zu Gritz und sonst in Steirmarckht gebraucht sey worden.
Was kan man dann in disen fall bessers rathen, dann das
man ein iegklich theill bei seyner ordenung, die an sich
selbs guet ist, bleiben lasse? Was ist fur ursache, das die
braut Christi ihres eussersten kleides gebreme?) müsse
menschen zugefallen mit einer farbe schmucken, so sie doch
die freiheit hat, das sie mancherlei farbe daran brauche,
wann sie nur inwendig am glauben und des herzen heilig-
keit schön und herlich bleibe. Last uns Gott für die grossen
wolthat daneken, daß er unb gesunde lehr und glauben geben
hat, und nicht der christlichen freyheit in eusserlichen
seremonien und weisen etwas abbrechen. So ist nun unser
rath, das man beide taufordenung in die agenden drueke;
kans mit der Zeit ohn ergernus in eine gebracht werden,
ists so vill desto besser; wo nieht, bringts der waren
einigkeit so gar keinen schaden, das wir wolten gewunschet
haben, das allenthalben solche einigkeit funden wurde.
Nota 1. Wir zu Gritz brauchen in der tauffe das auf-
legen der hende, das die Khernter und Khrainer nicht
1) S. ob, 17,998, 1. 8) S. ob, 18, 133,7. 3) S. ob. 122, 129, 2..
144 64.
brauchen; solches soll nicht für ein ungleicheit gerechnet
werden; denn wir brauehens nicht als ein nottwendig stuck,
sondern als ein frei mittel Ding, das mag gebraucht oder
nicht gebraucht werden ohn sünde. Wir habens also funden
im taufbuchlein Lutheri und Viti Dieterichs, denen wir ge-
folget, aber niemandt daran verbunden haben wöllen.
Nota 2. Weill vill unehliche Kinder zur tauffe kommen,
soll man den vatter soleher kinder erfordern. So man in
nicht haben kan, soll der pastor von der kirchen wegen das
Kindt annemen, die so es bringen aussehaffen, für sich
von der kirehen wegen gottfurchtige leut zu zeugen und
gevattern bestellen und das kindt getauft ihnen wider zu
hauf schicken. Dem Magistrat aber solche muetter in ver-
warung zunehmen vermanen, das das übel gestraffet; und
sollen solehe personen zu den sacramenten nicht gelassen
werden, sie haben dann óffentliche busse gethan und bitten,
unsere genedige herrn wollen doch etwaß ernstlichs in diser
sach furnemen; dann es lasset sich ansehen, als wöllen diese
sündn, so bib in himel hinauf schreien, diese lender in
srundt erseuffen.
Nota 3. Es ist auch ein elender iamer, das der
‘teuflische hoffart so groß ist, das ihnen die hófischen und
dem adel verwandt, wen sie schon nicht so hohes standts
sein, gleich woll nur in heussern wollen getauft haben; die
sollen treulich vermanet sein, das sie die gemeine Gottes nicht
verschmehen, sondern in die offentlichen Gottesheuser ihre
kinder tragen lassen. Wenn aber eins krankheit oder
anderer unvermeidlicher nott halben nicht kan, so ists
entschuldiget.
Nota 4. Der gevattern halben ist auch guet, aufsehen
zu haben, das sie nieht frembder lehre und religion an-
hengig sein.
Nota 5. Es soll sieh auch daran niemandt ergern,
das etliche das köpflein des kindts nur entblóssen und be-
gieBen, wies zu Gratz geschieht, weils lang also gebraucht,
etliche aber das kindt ganz bloß begieBen oder in wasser
hineintauchen, wie von alters her in Sachsen noch gebreuchlich
und auch Luthero am besten gefelt'. Aber hieran ist
niemandt verbunden. Den die menge des wassers thuet
nicht darzu, sondern das wort und der geist Gottes.
Nota 6. Wenn ein Judt oder Turekh oder heydt zu
-taufen fur keme, kan man sieh einer form vergleichen.
Jst die summa darvon, das mit ihm gehalten werde wie mit
den Kinden, allein, das er selbs fur sieh antworte, drumb
er zuvor muf unterrichtet werden.
1) Vgl. RGG 5, 1107.
65 . 145
Nota 7. In der jaehtauf!) halts einer wie der ander
wie dann die ordenung im truck aufweiset.
Vergleichung in reichung des abentmals unsers herren
Jesu Christi.
In austheilung des abentmals des Herren halten wir
aller ding eine weise und einerley wortte, wie folget. Nach
der predig und lobgesang tretten die communicanten zum
altar; daselbs wirdt zum ersten ein vermanung furgelesen
auD der getruckten agenden.
2. Folget auf die vermanung die gemeine beicht.
3. Darauf ein gebit.
4. Die absolutio, so sonderlich auf die eommunieanten
gerichtet ist, wie woll auch sonst niemandt außgeschlossen
ist derer, die recht bueßfertig sein.
5. Das vatter unser umb wirdigen gebrauch und niessung
des sacraments.
6. Die wortte der einsatzung Matth. 26, Marci 14,
Lucae 22, 1. Corinth 2.
7. Nach disen wortten heisset man die, so sich angezeigt
und zugelassen sein, herzutretten. Indes singt die kirch:
Jesaia dem propheten?). Jes. 6. Jesus Christus unser hei-
landt?). Got sey gelobet*). O sacrum convivium 5). Sanc-
tus). Wo schuelen sein, Mugen auch die musici figurate’)
singen, wens gelegen ist.
8. Der prister, so den leib, item der, so das bluet reichet,
hat sein furgeschriebene wortte, die den glaubigen tröstlich
sein und den sacramentierern entgegen.
9. Auf soleh communion folget die danksagung und der
segen Num. 6.
Nota 1. Die Khernter und Khrainer haben bibher
zwischen der beicht und absolution kein. gebät gebraucht,
wollens aber nun thun, weils kurtz ist. Hergegen haben sie
ein gebät umb wirdige niessung des abentmals nach der
absolution. Das haben die Steirer gern angenommen. Die
Kharnter und Khrainer haben ein brauch, das sie das vatter
unser, die worte der einsatzung, die danksagung und den
segen singen. Die Steirer aber habens bißher gelesen: wab
ist dran gelegen? weils einerley worte sein, mag ich nieht
singent also woll baten als lesent?
Nota 2. Die Kharnter und Khrainer singen post ora-
tionem commemoratam.
1) Über die Jähtaufe vgl. RGG 5, 1108. 2) S. ob. 17, 295, 9.
*) von Luther, Mützell 1, 22. Julian S. 598. 4) Mützell 1, 24.
Fischer 1, 165. Julian S, 441, 5) Antiphon zur 2. Vesper des Fron-
leichnamsfestes (im Brevier). 6) S. ob, 17, 224, ?) S. ob, 17, 224, 6,
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 10
146 66
Nota 3. Von communion der kranken. In besuechung
und trost der kranken seint wir gleichformig, wie die ge-
drucketen agenden, denen bisher gefolget, außweisen. Nur
das wird tröstlicher geachtet in der steirischen, das die ver-
manung, gebät, danksagung sampt dem segen auf die kranke
person in numero singulari gerichtet wird. Ist hie nicht
schwer, ein volkommene gleicheit zu treffen.
Nota 4. Die Steirischen zu Gratz sonderlich haben bibher
zugesehen, das der capellenmeister, welchen sie da funden,
kertzen darzu angezundet hat; waß wir funden, haben wir
weder gelobet noch gescholten in solchen dingen, die unb
weder geben noch nemen, ausser dem fal der ergernuß. Do
aber die brueder in den andern landen gerathen, das mans
abgehen lasse, weil bei ihnen solehe ceremonien nieht sein,
lassen wirs auch gut sein, doch das mit willen unser herren
und ohn ergernüs mit der zeit abgepredigt werde und von
sich selbs falle. Welche forsichtigkeit in allen unnotwendigen
und doch unschedlichen ceremonien zugebrauchen ist.
Das 5. stück der agenden, welchs ist von dem
einsegen der ehleut.
In disem stuck seint wir gar einig, denn das werk
weisets auß, das die wirttenbergisch ordenung, welcher die
in Kharnten und Khrain fast in allem folgen, auf Viti
Dieterichs genommen und zu des wirttenbergischen volcks
bequehmlichkeit gelenket ist.
Erstlich werden die ehleut drey sontag nacheinander
verkündiget und das gemein gebät fur sie begeret. Wenn
niemandts einredet und sie zur kirchen kommen, geschicht
das einsegnen wie der truck außweiset, den wir bey handen
haben. Erstlieh wird bey der verwilligung gefragt.
2. wirdt in Gottes wort furgehalten von der einsatzung,
Gens. 27); von der kraft und bestendigkeit dieses bundts,
Matth. 192); von der pflicht gegen einander, Ephes. 5°); von
den kreutz beyden auferlegt, Gens. 39; von dem trost under
dem kreuz, Proverb. 18°).
3. Redt man die ehleut an, das sie mit zeichen, hand
und mund sich verloben und solehs der priester bestattige
in der heilligen dreyfaltigkeit namen und gibt sie Gott in
seinen schutz, das sie niemandt dann derselbige zu scheiden
habe, weil sie er allein zusamen gefuegt hat.
4. Darauf folget das gebát für den ehstand.
5. Der 128. psalm®), welchen man singen oder lesen mag.
Zu Gritz, weil die hochzeiten am abent gemeinlich zusamen-
geben werden, pflegt man den psalm vorher zu singen.
)1,92 9 V.6 à 5V.92f *59292,16f 5) V. 22.
6) Von Luther, Mützell 1,81. Julian 8. 1291.
67 147
6. Der segen schleust die handlung wie alle andere,
Nota 1. In der wirttenbergischen ordenung ist ange-
merkt, daß der priester fast alles zu der ktirchen*) von den
ehleuten redet, biß er sie umb ihren willen der pflicht halben
fraget. Aber in Luthers und Viti, welche von alters her in
der kirchen gewesen, wirdt alles zu brautt und breuttigam
geredt fur der gemeine, die zu zeugen darüber genommen
wird. Solchs ist fur bequehmer geachtet; doch wöllen wir
auch hie kein nottwendigs machen auf dem, das ein frey
ding ist und keinem kein ergernus bringen kann.
Nota 2. Das straffet man billich, das nicht allein die
herren und landtleuet, sondern auch die hofdiener, wenn
sie schon nicht so hoch geadelt, nicht wöllen sich aufbieten,
noch öffentlich in der kirchen zusamen geben lassen. Man
soll ihnen ihres adels halben auch etwaß besonders machen.
Solten sie nicht des gebäts mehr achten und der gemeine
Gottes sich nicht schemen! Ist doch Christus’ reich nicht
von diser welt, das er mueste ein anders machen mit einem
edelman, als mit einem beuren. Es wehr bald ein hoher
christlicher furst zu nennen und wer mit genugsamen zeug-
nussen zu beweisen, das er nicht hat etwab in solchem fall
sonders wöllen haben, sondern mit fleiß gebetten, man soll
gleicher Agenden und weise mit ihm gebrauchen und ihm
solchs fur ein grosse ehre gerechnet.
Nota 3. Die, so sich verloben wöllen, sollen auch vorher
vom pastore gefordert und außgefragt werden, ob sie den
eatechismum können, zum sacrament sich halten, christlich
leben. Denn weil sie nun sollen hauß halten, kinder und
gesinde regieren, gebüert ihnen gottforchtigkeit und die wege
zu wissen, darauf ehleut gottseligklich wandelen sollen,
psalm 128.
Nota 4. In solehem examine möcht auch gestrafet
werden, wann ein junger gesell ein alts weib gelts halben
nimpt und sonst etwa nicht gesuecht wird, was furnemblich
zu bedenken. Item das zweierlei glaubens leut einander umb
guets willen begeren. Aber diß kan doch nicht so enge
gespannet werden. Man lest’s bey christlicher wolgemeinter
erinnerung bleiben. Das übrig behielt man einsiegklichen
gewissen, ia auch der obrigkeit, dem kirchenrath, so einer
bestelt, und Gottes gericht. Denn wir haben nichts weiter
mit solchen sachen zu schaffen, denn das wir den gewissen
durch Gottes genade raten.
Nota 5. Die Herrn und Lantleut möchten zu wenigsten
doch das gemein gebät für ihren furgenommen heyrat in der
1) d, h. zur Gemeinde,
10*
148 68
gemeine Gottes fordern, dann die aufkundung ist nicht allein
darzu erfunden, das hinderung furkommen, sondern furnemblich,
das Gott angeruffen werde umb hülfe und segen, dessen fürwar
iederman vonnöten, und ie Gott woll werdt ist, das man ihn
umb seine gaben bitte; so gefelt ihm auch, das einer nicht
sonderlichs fur sich sueche, sondern sein heilige kirche und
gemeine großachte und bei gemeiner weise bleibe. |
Das 6. stück der Agenden, welchsistvon der
begrebnuß.
In der weise die leichen zu bestatten ist gar kein un-
gleicheit, dann das zu Gratz an des ersten und andern
leuttens die verkindigung in offenen predigen zuvor geschicht,
da man den verstorbenen nennet und die leut zu beleidt!)
vermanet, leichpredig verkündet, und wenn man die weise
allen tag zu predigen behält mag das desto leichter geschehen.
Das aber nieht so, wie zu Clagenfort geleuttet wird, geschicht
auf mangel der glocken, denn in stift zu Gritz nur ein
kleines glöcklein ist, das man nicht weit hóret. Wenn aber
der prediger mit den sehuelern die leich holt und zum
stift sich nahet, so leuttet man, bib sie herzugetragen wird.
In dem die leieh auf dem hause getragen wird, singt man:
mitten wir im leben”); Auß tiefer not?) So ein leiehpredig
begeret, setzt man die leich in die kireh. Nach der predig
singt man: mit fridt und freud*) und tregt in des die leich
nach dem gottesacker. So das lied ein ende hat, hebt man
ein anders an als: Ich ruef zu dir herr Jesu Christ). Beym
grabe, wenn man die leichte (sic!) hinein legt, singt man:
Nun last uns den leib begraben), bib auf die letzten zwei
gesetze’). Da liset der diener des worts ein collectam und
das vatter unser. Darauf singt man die letzten zwei gesetze:
Nu lassen wir ihn hie schlaffen. Hierauf spricht der prediger
den segen. Dann get man zu hause. Die freundschaft
pflegt auch einen zu bestellen, der den leutten danket der ehr-
lichen volge. Welchs keinen prediger soll aufgelegt werden,
wie wir in unserm gedruckten agendt buchlein weittern
bericht thun. Wenn kein leiehpredig begeret, liset man auf
den gottesacker die -érmanung, so im agend büchlein vor
dem gebät geschrieben stehet.
Nota 1. Zu Gritz haben die ietzigen predicanten und
die zu nechst vor denen gewesen ein solehe weise funden,
das man etwa 2, 4, 6, 8, 16 arme knaben aus der leutschuel
begeret, dieselbige in schwarz kutten gekleidet und iegklichen
1) Beileid. 2) Mützell 1,38. Fischer 2,928, Julian S. 1405.
3) Mützell 1,32. Fischer 1, 59. Julian S. 96. 4) Miitzell 1, 8.
Fischer 2,91. Julian S. 760, 6) Miitzell 1, 87. 9) von Weiße
(RGG. 5,1879) 1531. Mützell, 1,164. Julian 8.822. ?) Strophen.
69 149
ein brennend fackel in die hende geben, das sie der leich
zu beiden seiten giengen. Solche weise haben die predicanten
woll nicht gern gesehen; doch weil das wort rein gelehret
wird und sie kein ergernus darauß haben noch zur zeit folgen
sehen, auch woll durch unzeittigs abthun der schwachen
ergernuß besorgen müssen, haben sies also bißher gehen
lassen, als den Chorrock und andere mittel-dinge, die weder
geben noch nehmen und das so viel desto mehr, weil die
kutten seint in stift gesamblet und die armen jungen auch
etwa arme veriagte!) prädicanten und andere, so umb hülfe
angesuecht, darin seint gekleidet wurden, die sonst bloß und
nacket hatten gehen und erfrieren müssen. Denn woll etwa
ein jar mit 50 gulden?) nicht hatte soviel tuchs als gefallen
könt erzeuget werden. Weil aber die sach in diser zu-
samenkunft so weit disputieret, das den Grätzern solchs
umb gleichformigkeit willen, weils die ander lande nicht in
brauch haben, abgehen zulassen gebüeren wolle, seint sie
auch nicht darwider, allein das bescheidentlich und mit
bewilligung der obrigkeit darin gehandelt und nicht plötzlich,
sondern allgemachsam und mehr mit predigen und vermanen,
dan mit zwang und gebieten solche ceremonien abgethan
werde: das ist aber der Grätzer bitt, das ihre g. H.?) auf
andere wege genedigklich bedacht sein wöllen, dadurch der
abgang an kleidung ersetzt und die armen jungen gleich-
woll bedecket werden mögen.
Das 3.theilder Kirchenordenung.
Welchs begreift die bestallung des heiligen
ministerii und waß zu der kirchenregierung
gehöret.
Das dritte theil der kirchenordenung begreift fürnemblich
achte stück in sich. Daß erste ist die bestallung des heilligen
predigampts. Daß ander ein wolgeordente schuele. Das
dritte bestallung eins kirchenrats. Daß vierde die visitation
oder besuechung und aufsicht auf kirchen und schuelen, das
fünfte notwendiger und nutzlicher synoden anstellung. Daß
sechste die kirchenzucht, so in offeutlichem und besonders
ernstlichem gebrauch des himmelischen schliissel*) stehet;
daß sibende von einkommen und almusen, davon kirchen
und schuelen unterhalten werden; das achte einer recht-
schaffenen bibliotheken anrichtunge und notwendigen büchern.
Waß nun dise stuck belangt, können wir kein bessern
rat geben, dann doctor Chytraeus E. E. L. in Steier®) gehen
1) Erst stand: verachte; das ist durchgestrichen und veriagte
darüber geschrieben. ?) S. ob. 17, 281. 3) gnüdigen Herren.
$) Matth. 16,19. 5) d. bh. Steiermark.
150 70
hat, welche unsere genedige und gepietund herren, wo es
ihren genaden gefellig, möchten offentlich verlesen lassen,
das dann, was einem lande zu guet gerathen worden, auch
den andern nach dem sichs schicken wolt, zum besten
gereichen möchte.
Von visitation und synodis.
Von visitationibus und synodis ist das nnsers bedunkens
fast!) nützlich, wo nicht notwendig, das ein iegklichs
lant sein generalpastor in der hauptstat oder wo es am
bequehmbsten ist habe, und dan ein iegklichs land in,
etlich viertel oder theile unterseheiden und einen iegklichen
viertel sein special aufseher, so etwa viertelsprediger genand,
furgesetzt sei. Was dann der special in seiner aufsicht
befünde, könt er dem general und derselbig, wo es not sein
würde, den herren inspectoribus und verordenten zu wissen
machen, das dann gebürlich einsehen geschehe. Es könte
ein iegklicher special zu bestimbten zeitten etwa einmall
oder zweimall in seinen viertel sampt einem politico, so ihm
von der obrigkeit ordentlich zugeben, visitieren und aui-
merken, vermüg der instruction, so man ihm geben müeste,
und könten dann einmal im jar oder, wo es vonnöten, mehr-
mall die speciales mit dem general ein synodum halten;
dem die herren inspectores und verordente selbs oder die
so I. G. auf ihres ordens mittel an ihre stadt ordenten
praesidieren; darin man von allerhand sachen zu aufnemen
der kirchen gottes ratschlagen und handelen könte. Weil
aber A. K.?) zugetone herrn und lantleute in diesen vier
landen einer christlichen bruederlichen coniunction und zu-
samenhaltung in religion sachen sich verwilligt, wehr solche
coniunction zuerhalten und derselbigen nutzlich zugebrauchen
gar rathsam, das auf ein bestimbte zeit eines jeden landts
hauptpastor oder general, mit einem seiner brüeder von
ihren oberherrn, nemblich den herren inspectoribus und
verordenten, gesand und die generales allesampt ihnen zu-
geordenten an ein ort zusammen komen, da ihnen auch die
herrn inspectores und verordnete oder von ihnen gesandte
könten beywonen; da möchte dan ein iegklicher bericht
thun, waß sich in den kirchen seins kreises zugetragen und
waß sonst notwendig geacht worden und könt viel guets
außgericht werden und damit solch guet nicht durch aemu-
lation und eiffer verhindert würde, könte man umbwechslen,
das man ein jhar in der, das ander jar in iener lantschaft
hauptstad zusamenkehme und nichts ohn vorwissen und
1) sehr. 2) Augsb. Konfession.
71 151
befelch der herrn verordneten und inspectoren fürgenommen
wurde. Dise bede special- und general-synodi könten auch
an stadt eines kirchenraths ein zeitlang gehalten werden.
Von der schulen‘).
Von den schulen ist erstlich bedacht, das vonnöten,
das ein einige grammatica in allen gebraucht werde, und
ist darzu erwehlet die zu Straßburg?) in schwange gehet,
beyde latinisch und griechisch. Darnach ist auch bedacht,
das die schuelen sollen den kirchen unterworfen sein, das der
rector dem ordentlichen aufsehen des pastors eben so woll
untergeben sey, als ein prediger und die subinspectores, so
den herrn inspectoribus und verordneten?), so fern diselbigen
treulich ihrer instruction nachgehen fur augen habe und
gutem rate villich und gern nachkomme, wie dann noch
zur zeit, gott lob, kein beschwerung ist. Wie aber nicht
allein alle schuler, sondern auch die praeceptores und
oeconomus dem rectori gehorchen, also wird er auch gern
den hern subinspectoribus, als denen, so in gemessenen
bevelch an der herren verordneten und inspectorn stadt
sein, dem gemeinem schulwesen zum pesten folgen.
Wie aber der rector sambt seinen collegis und oeconomo
also beyd subinspectores und pastores sampt allen, so der
kirchen und schuelen furgesetzt sein, erkennen for ihre von
Gott verordnete obrigkeit E. E. L. Verordnete und inspectores,
denen sie ieder zeit geburliehen gehorsamb in aller demueth
zuerzeigen schuldig und willig sein.
De legibus scholae.
Erinnerung.
Waß die leges scholae anlangt, hat Chytraeus die not-
wendigsten gesetzt, welche die Khärnter und Khrainer auch
schon als vil ihnen bequehm vorhin in ihren schuelen haben
und naeh gelegenheit ihrer schuelen mehr herauß oder sonsten
her zuwelen urpietig*) sein, doch als auf bewilligung und
beveleh ihrer genedigen und gepietunden herrn E. E. L.
Khärnten und Khrain verordneten. Die landtschule zu Gritz
hat nu drei jar etliche leges im brauch und nicht ohne frucht
gehabt. Wird aber für rathsam angesehen, das die subin-
spectores und wer mehr darzu gehiret oder ordentlieh er-
lordert wirdt, vermog ihrer instruction, alle leges beyde, die,
1) Siehe Loserth, a. a. O. ?) Loserth a. a. O. S. 30 Anm.
Der Einfluß Straßburgs auf die ev. Kirche in den habsburgischen
Ländern war sehr groß. S. ob. S. 136. 3) sc. unterworfen sind.
*) erbótig.
152 72
so in gebrauch schon sein und auch die, so noch nicht
gebraucht worden, gegeneinander vergleichen und das ganz
schulwesen also mit geburlichen notwendigen legibus fassen
und umbwicklen, das merklicher nutz darauß könne verhoffet
werden, Wenn dann das ganz schulwesen ordentlich be-
schriben sein wird, das sies dann den herrn verordneten
und inspectoribus zu examinieren übergeben und wens dann
I. G. auch wurde gefallen, das diselbigen dann in ihrem
beisein und namen fur der ganzen schuel liessen iren secre-
tarium promulgieren, dann hetten die leges ire volkomene
autoritet.
Beschluß.
Diß ist also unser gehorsambe antwort von der ganzen
kirchenordnung, als vil wir unß in disem gesprechn haben
erinnern und darnach zusamen schreiben können, und wehr
woll gut gewesen, das etliche artickel ausfürlicher hetten
ercleret können werden; aber weil unb nicht gebüret, unser
g. H. zulange aufzuhalten, und nur ietzt ein andeuttung ge-
geben hat sollen werden, wie ein iegklichs stück solcher
kirehenordnung unsers bedunkens gestelt werden möcht, und
hernach etwa, so es unsere gn. und gepietunde herrn für
rathsam achten wurden, alles aufs klarlichste außgefüret
werden soll, dann die stück, so im andern und drittenteil
nur kurtzlich beruehret, mussen werden von wort zu wort
außgefueret werden, habens wir bei disen anzeigungen und
erinnerungen bleiben lassen. Und wie im anfang also auch
hie zum beschluß wollen wir alles dem christlichen hohen
bedenken unser gn. und gepietunden herren und derselbigen
g. u. h. un auch selbs gehorsambist underworfen haben,
mit demutigster erbietung zu weiterer erclerung, wo es von-
nöten sein wolt.
Der almechtige Gott, der da ist ein Gott des friedes
und aller gueten ordenung, wölle sein werk in disen und
anderen landen genediglich befordern und ihm beyde
reg[ierjlenden und underthonen, lehrer und zuhörer ganz vatter-
lich zu sehutzen und mit seinen heilligen geist zu regieren
getreulieh allezeit befolhen sein lassen durch Jesum Christum
seinen einigen sohn und unsern allergenedigsten herren und
heiland, weleher ist hochgelobet von ewigkeit zu ewigkeit.
amen amen.
Absolutum et theologorum ad hoe opus vocatorum
subscriptione usque ad Dominorum declaratam censuram
et approbationem perspieue declaratam et nostram olim
recognitionem comprobatam vigesima prima mensis Fe-
bruarii, anno millesimo quingentesimo septuagesimo
octavo in oppido Brugg ad Murreham.
73 153
Es folgen 6 aufgedruckte Siegel.
Jeremias Homberger!) D. E. E. L. in Steier dieser zeit
pastor zu Gratz subscripsi manu propria.
M. Bernhardinus Stainer?) E. E. L. des erzherzogtumbs
Karnden provisionirter am evangelio diener und der gemaine
zue Clagenfurt pfarrar manu sua subscripsit.
Christophorus Freius?). Magister und E. E. L. in Stair
prediger.
Philippus Marbachius*) L. E. E. L. in Steier bestelter
schulrector zu Gritz.
M. Jacob Prantl®), E. E. L. in Kürnthen prediger zu
Klagenfurt, manu sua propria.
M. Andreas Laborator9). E, E. L. in Karndten bestelter-
schuelrector zu Clagenfurt, weil ich der zeit kein manu pro-
pria pedtschaft gehabt, hab ich herrn M. Bernhardi Stainer
erbetten, daß er an meiner statt gefertigt.
Bedencken der ordenung halben in die sontäg und
feiertage früpredig.
l. Erstlich soll man den heiligen Geist mit einem gar
kurzen gesang umb hilf anruefen.
2. Darauf soll ein diener des worts die offene beicht
sambt der absolution in sehr kurzer form, wie sie gestelt
auf der canzel, sprechen; folget darauf ein kurzer psalm:
allein Gott in der höhe‘). Dann lieset der diener auf der
eanzel die epistel oder so man will sonst ein stück auf der
bibel nach der ordenung der bücher. Wen er solches gethan,
3. verkündet er, waß zuverkündigen ist, al neue ehe-
leut, feste und deßgleichen und fordert das gebet fur die
aufgezeichnete kranke und noturftige personen.
4. Darauf singt man wider in figuris®) oder simpliciter,
und nach anruefen des heiligen geistes folget die verlesung
des evangelii und predig daruber, daß nach der predig alß
bald das gebät gesprochen und ohn lengern aufhalt zur
administration coenae domini gesehritten und damit wie
biBher gehalten werde.
1) Loserth l. c. s. v. ?) Ebd. 3) Frey, Loserth s. v.
3) Loserth s. v. 5) ebd. °) ebd, ?) S. ob. 17, 291, 12..
8) S. ob. 117, 224, 6.
154 74
Ursach zn solehen ordenung bewegent seint diese.
1. Erstlich ists der uralten kirchen ordenung gemehs,
wie daß confitemini!) ausweisen.
2. Furß ander ists ie billich, das man mit bekantnus
-der sünde und absolution den gottesdienst zu verrichten an-
fange, den die sünder will Gott nicht erhören, sie demütigen
sich den und bitten fur allen dingen umb vergebung.
3. Furß dritte wirds also im wolbestelten kirchen der
A. K. gehalten, al in der Neuburgischen Pfalz?, zu Ulm),
Norimbergae*) und andern vill orten zu sehen.
4. Zum vierten ists gemhes der kirchen ordenung, so
mit rath ern Chytraei gestellet°),
5. Zum funften wird das volk desto zeitlicher zur
kirchen zu kommen dadurch gelocket und beweget.
6. Zum sechsten ists ein grosse beforderung, das der
prediger nach gehabter predig desto schleuniger daf) gepát
verriehten, niehts dureh mudigkeit oder eylem vergesse, die
leutte nicht mit verdrieß aufhalte.
Letzlich seint woll mehr ursach und nutz, so nicht hie
vermelt werden mögen, und ist leichtlich anzurichten, wen
mans nur ein mahl auf der eanzl vermeldet dab sich ein
jeder darnach richten möge. Es möcht auch privatim etwa
versucht werden, das man sehe, wie es ein gestaldt haben
und abgehn wolte.
1) Ps. 118. 2) S. ob. S. 184, 5, 3) Wiirttemb. K. G. a. a, O.
S. 319. 713. 4) S. ob. S. 1833, 1. 5) Sie ist bisher nicht auf-
findbar; vgl. ob. 18, 37.
Nachtrag.
Soeben erschien: Paul Graff, Geschichte der Auflósung der
-alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutsch-
lands bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus. 1921.
‚Siehe S. 64f.
»
Mitteilungen.
Neuerscheinungen.
Alfred Götzes „Frühneuhochdeutsches Glossar“ ent-
sprach schon bei seinem ersten Erscheinen im Jahre 1912 einem fühl-
baren Bedürfnis, indem es zumal dem Anfänger ein Eindringen in den
reichen hochdeutschen Wortschatz von Ende des 15. bis gegen die
Mitte des 17. Jahrhunderts sei es überhaupt erst ermöglichte, sei es
wenigstens ungemein erleichterte. Daß der Verf. aber inzwischen die
Hände nicht in den Schoß gelegt hat, zeigt die nunmehr vorliegende
zweite Auflage, die auf nochmaliger sorgfältigster Durcharbeitung des
gesamten Stoffes beruht und so zahlreiche Ergänzungen gegenüber der
ersten Ausgabe zeigt, daß deren Umfang sich fast verdoppelt hat.
Möge das Studium unserer älteren originalen Literatur — Luthers und
seiner Zeitgenossen sowie der nächstfolgenden Geschlechter — aus der
Neubearbeitung entsprechenden Nutzen schöpfen! Bonn, A. Marcus
u. E. Weber 1920. (Kleine Texte usw. hrsg. von H. Lietzmann 101.)
XI, 240 S. M. 15, geb. M. 20.
Eine sehr willkommene chronologische Übersicht der gesamten
Vorlesungstütigkeit Luthers in Wittenberg gibt mit bedeut-
samer Einführung |H. von Schubert in SB. Heidelb. Ak. d. W., phil.-
hist. Kl. 1920 Nr. 9. Dazu treten Konjekturen und Emendationen
K. Meissingers zur Veróffentlichung der Galaterbrief-Vorlesung
1516/1517 durch v. Schubert (s. „Archiv“ Bd. XVI S. 125f,). Heidel-
berg, Winter 1920. 47 S. M. 4,30.
Die Abhandlung von Lic. theol Hedwig Thomas, einer
Schülerin F. Loofs, ,Zur Würdigung der Psalmenvorlesung
Luthers von 1513—1515“ ist ein wichtiger Beitrag zur zeitlichen
Feststellung des Reformationserlebnisses Luthers. Verfasserin zeigt
durch eindringende Untersuchung und Vergleichung, daß in der Aus-
legung der Psalmen bei Luther zwei Gruppen zu unterscheiden sind:
in der einen steht er noch vor dem neuen Verständnis von Römer 1, 17,
während die andere diese Erkenntnis schon vorträgt. Nun stellt sich
aber auch heraus, daß Luthers Einleitungs- und Schlußbemerkungen
zur ersten Kollegstunde auf den neuen Standpunkt gestellt sind.
Folglich war Luther schon bei Eröffnung der Psalmenvorlesung zur
neuen Erkenntnis vorgedrungen; er hat letztere während der Vor-
arbeiten für die Vorlesung gewonnen. So bleibt nur die Frage, wann
156 76
Luther die Vorlesung eröffnet habe, worüber völlig Sicheres vorerst
noch nicht festzustellen ist. Verfasserin nimmt den Juli 1513 an, doch
ist dies nur der terminus a quo, Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1920.
X, 518. gr. 4. M. 7.
Zwei wertvolle Beiträge zu Luthers Frühentwicklung
bietet die Festgabe zum 70. Geburtstag Julius Kaftans, 30. Septb. 1918
(Tübingen, Mohr): O. Scheel handelt (S. 298—318) über „Taulers
Mystik und Luthers reformatorische Entdeckung“ (Betonung
des Neuen, das Luther über den ganz im Gottesgedanken des Katho-
lizismus stehenden Tauler und die Mystik hinaus darstellte); ebendort
S. 150—169 beschäftigt sich Em. Hirsch, Initium theologiae
Lutheri, mit dem Wesen der entscheidenden Entdeckung Luthers
über Römer 1, 17. — In der gleichen Festschrift S. 170—914 unter.
sucht F. Kaltenbusch den Begriff des Deus absconditus bei.
Luther; ferner bespricht S. 87—102 E. Förster „Fragen zu Luthers
Kirchenbegriff aus der Gedankenwelt seines Alters“, an der Hand
der späteren Schriften L.s die Entwicklung seines Kirchenbegriffs.
Endlich verfolgt S. 260—272 O. Ritschl das Wort „dogmaticus“
in der Geschichte des Sprachgebrauchs bis zum Aufkommen des Aus-
drucks theologia dogmatica, wobei u. a. gezeigt wird, daß von den
Reformatoren allein Melanchthon das Wort dogmaticus braucht.
In einem Festvortrag ,Luther und der 10. Dezember 1520*
behandelt H. Bóhmer in vielfach neuem Lichte die Fragen: was ist
am 10. Dezember 1520 eigentlich geschehen? was hat Luther zu dieser
so vielumstrittenen Tat veranlaßt? was haben die Zeitgenossen zu ihr
gesagt? und worin besteht die geschichtliche Bedeutung jenes Ereig-
nisses? U. a. zeigt Verf. daß die Verbrennung der Bannbulle eigent-
lieh eine ,programmwidrige Improvisation" war und die Bedeutung
des Akts wesentlich auf der Verbrennung des kanonischen Rechts be-
ruhte. Überhaupt egt Böhmer dem „Feuergericht vor dem Elstertore“
eine hohe Bedeutung bei als einem Flammenzeichen, das unmittelbar
auf die Phantasie und das Gefühl der Massen wirkte und aus dem
auch die Ungelehrten ohne weiteres die Botschaft herauslasen: , Vogt,
deine Uhr ist abgelaufen! Der Vortrag ist aufgenommen in die
würdig ausgestattete, mit zahlreichen Abbildungen geschmückte Ver-
öffentlichung „Wittenbergs Feier der Tat Dr. Martin Luthers
10. Dezember 1520“. Wittenberg, Kommissionsverlag M. Senf 1921.
878 £.
Richard Wolffs „Studien zu Luthers Weltanschauung“
sind Ernst Tröltsch gewidmet und von dessen Geist befruchtet. Sie
nehmen die These des Meisters wieder auf, wonach die Neuzeit erst
mit der Ablösung der christlich-supernaturalen Weltordnung durch die
natürlich-diesseitige im Zeitalter der Aufklärung beginne und Luther
daher restlos ins Mittelalter gehöre. Daß diese Auffassung durck
Wolff glaubwürdiger gemacht werde, kann Verf. nicht finden. Es ist
ja nicht schwer, aus Luthers Aussprüchen solche herauszuheben, die
77 l 157
den Zusammenhang mit der Vergangenheit besonders stark betonen;
nur übersieht oder unterschätzt man neben den Worten die befreiende,
in die Zukunft weisende und bis heute fortwirkende Tat des Re-
formators. So ist auch die Anschauung grundfalsch, als ob im Zeit-
alter der sog. Aufklärung die christlich-supernaturale Weltanschauung
alsbald und für immer zum alten Eisen getan worden sei. Richtig
ist im Grunde nur, daß gewisse Kreise erlesener Geister sie verließen
and daß das konfessionelle Element aufhörte in der europäischen
Politik ausschlaggebend zu sein. Historische Bibl. 43, München,
Oldenbourg 1920. 65 S, M. 10,
Wie verfehlt alle Versuche sind, zwischen Luther und der Gegen-
wart einen trennenden Strich zu ziehen, zeigt aufs neue die prüchtige,
gedankenreiche Skizze von Max Lenz über ,Luthers Tat in
Worms", Diese Tat bedeutet die nicht von L. ausgehende, sondern
ihm abgenótigte Auflehnung gegen die höchste Staatsgewalt. Daß
Luther, obschon er den Zusammenhang seines Evangeliums mit den
nationalen Hoffnungen und Notwendigkeiten damals lüngst begriffen
hatte, die antirömische Stimmung, die die ganze deutsche Nation be-
herrschte, nieht benutzt, sich nicht zum Führer der Nation gegen
Rom gemacht hat, billigt der Verf, indem er zeigt, wie unter den
gegebenen Verhältnissen auch das Luthertum eine nationale Monarchie
in Deutschland im Sinne der Nachbarstaaten zu errichten nicht ver-
mocht hätte. Trotzdem sind die Staatsgedanken der Reformation
(beim Luthertum wie beim Calvinismus) politisch von ungleich höherer
Kraft gewesen, als die in Trient neu zusammengefaßte, nun ganz
hispanisierte Lehre der römischen Kirche. Ferner aber hat auf der
Grundlage des Protestantismus der nationale Genius Deutschlands, der
im Mittelalter in allen seinen Schöpfungen von fremden Kulturelementen
abhängig gewesen war, in neuerer Zeit, besonders auf dem Gebiete des
geistigen Lebens, sich zu Hervorbringungen erhoben, die alles hinter
sich ließen, was frühere Jahrhunderte hervorgebracht hatten. Und
noch immer sind, Lenz zufolge, die Grundformen der Weltordnung,
so wie Luther sie gesehen und im Geiste gestaltet hat, nach allen
Wandlungen, allen Katastrophen, auch allen Triumphen des mensch-
lichen Geistes und seiner sittlichen wie intellektuellen Krüfte unver-
loren und unerschüttert. Schr. des Vereins f. Ref.-Gesch. Nr. 134.
Leipzig, in Komm. bei M. Heinsius Nachf, 1921, 45 S. M.5.
Indem Joh. Luther, Martin Luthers Auslegung des
90. Psalms schildert, wie es kam, daß die Wittenberger Theologen
der Kónigin Dorothea von Dünemark bei ihrem Besuche in Wittenberg
1548 Luthers Auslegung des 90, Psalms, bereichert um eine Vorrede
Georg Majors, als literarisches Festgeschenk darbrachten, gibt uns der
Vert. zugleich ein Bild von den Beziehungen, die sich, besonders seit
der Thronbesteigung des an den Fortschritten des Evangeliums
innigsten Anteil nehmenden Kónigs Christians III, zwischen Dünemark
und Wittenberg herausgebildet hatten, Reiche Literaturangaben be-
158 | 78
gleiten den Text. Das schön ausgestattete, mit Wiedergabe des
Titelblattes der angezeigten Schrift ausgestattete Schriftchen bildet
Heft 2 der „Bibliographien und Studien, herausg. von Martin Bres-
lauer.“ Berlin, M. Breslauer 1920. 50 S. 4°, M. 60.
Die Wirkung der Geisteswelt Zwinglis hat unter seinem poli-
tischen Schicksal gelitten. Indem mit Zwinglis Tode Zürich die
politische Initiativkraft zur Fortführung seines Werkes verlor, rückte
Genf unter Calvin vor und eroberte sich eine Welt mit der Macht des
Gedankens und der Kraft des Schwertes. Auf der anderen Seite hielt
und verfestigte sich das Luthertum. So drohte zwischen Luther und
Calvin Zwingli hindurchzufallen. Daß gleichwohl des letzteren Geistes-
art Gegenwartswert besitzt, daß Zwingli neben Luther am Brückenbau
unserer Kultur mitzuwirken berufen ist, unternimmt Walther Köhler
in seiner Schrift „Die Geisteswelt Ulrich Zwinglis. Christen-
tam und Antike“ (= Brücken, Bd. 3. Gotha, F. A. Perthes 1920.
153 S. M. 6) zu zeigen, in der er knapp, aber lichtvoll, aus ein-
gehendster Kenntnis das Wesen und die Eigenart der religiösen Per-
sönlichkeit des Schweizers vor uns erstehen läßt. Die organische, im
Innersten der Persönlichkeit vollzogene Verknüpfung von Christentum
und Antike, wie sie für Zwingli wesenhaft ist, der Hauch antiker
Sophrosyne über dem christlichen Glauben — schließt der Verfasser —
kann nicht nur, sondern muß Brücke für unsere Zeit sein.
Die Beziehungen Calvins zu Frankfurta.M. haben nicht
dazu geführt, die Stadt für seine Lehre zu gewinnen, und in ihr
seinemreformierten Gesamtprotestantismus ein Ausfallstor nach Deutsch-
land zu eröffnen; nicht einmal in den Fremdengemeinden hat Calvin
sein Ziel erreicht. Doch bleibt darum die Untersuchung, die K, Bauer
jenen Beziehungen widmet, nicht ergebnislos, sondern liefert wertvolle
Beiträge sowohl zur Reformationsgeschichte Frankfurts wie zu dem
Verhältnis zwischen den evangelischen Kirchen besonders in den fünt-
ziger Jahren und endlich für Calvins Bestrebungen und Charakter.
Schr. VRG. 133. Leipzig, Kom.-Verl. Heinsias 1920, 76 S. M. 6.
Von H. Dechents Kirchengescbichte von Frankfurt a. M.
seit der Reformation (deren erster, 1913 erschienener Band im „Archiv“ XI
S. 239 angezeigt wurde) ist der zweite und Schlußband erschienen,
der, mit gleicher Liebe und Sorgsamkeit wie sein Vorgänger bearbeitet,
den Zeitraum von 1618 bis zur Gegenwart behandelt. Leipzig und
Frankfurt a. M., Keßelring 1921. VIII, 588 S., mit 54 Illustrationen,
M. 36.—.
Das Corpus Catholicorum, Werke katholischer Schriftsteller im Zeit-
alter der Glaubensspaltung (vgl. „Archiv“ XVI S. 253ff.) eróffnet Dr.
Johann Ecks Defensio routra amarulentas D. AndreaeBoden-
stein Carolostatini Invectiones von1518, hrsg. vonJ os. Greving,
dem eigentlichen Schöpfer des Unternehmens, der die Ausgabe des
Hefts jedoch nicht mehr erlebt hat (+ 6. Mai 1919). Doch bot ihm
dieses Gelegenheit, die von ihm mit großer Umsicht ausgearbeiteten
79 159
Grundsätze für die Herausgabe des C. C. zu erproben und zu
bewáhren. Die ausführlich eingeleitete Ausgabe selbst zeigt auf jeder
Seite die Hand des sachkundigen und sorgsamen Forschers. Münster,
. Aschendorff 1919. S. 1*—75*, 1—96. M. 9.
Mit Eck beschäftigt sich auch Heft 2 des C. C., das Joh.
Metzler S. I. bearbeitet hat. Er vereinigt darin Ecks Epistola
de ratione studiorum suorum von 1538 (Darstellung des eigenen
Studienganges) und die Schrift des Kollegen Ecks und Ingolstádter
Professors Erasmus Wolph, ,de obitu Joan. Eckii adversus
ealumniam Viti Theodorici*. Diese Schrift richtet sich gegen die
Angaben, die der Nürnberger Professor Veit Dietrich über Ecks Aus-
gang gemacht hatte. Herausgeber verbreitet sich weitlüuftig über
diese , Verleumdungen“, ohne des Satzes eingedenk zu sein: peccatur
intra muros et extra! Es herrschte in jenen Zeiten scharfer kon-
fessioneller Kämpfe auf beiden Seiten die Überzeugung, daß beim Tode
des Gegners irgendwie zutage treten müsse, daß seine Sache nicht die
der Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht die Sache Gottes sei. Ge-
fällige Zwischenträger fanden sich wohl immer und ihre Erfindungen
und Entstellungen wurden auf der Gegenseite nur allzu gern geglaubt,
Münster, Aschendorff 1921. 106 S. M. 19. — Über den Stand der-
Arbeiten zur Herausgabe des C. C. gibt Auskunft der Jahresbericht
der Gesellschaft für 1920. Münster, Aschendorff 1991. 12 S.
(mit Liste der erschienenen, in Arbeit befindlichen und in Aussicht ge-
nommenen Schriften).
Die BuBlehre Ecks behandelt systematisch ein Schüler Grevings,
H, Schauerte. Er gibt im Hauptteile, von Eck ausgehend, eine Dar-
legung der sehr verwickelten katholischen Buflehre des endenden
Mittelalters, der er die abweichenden Lehren Luthers und der
Seinen gegenüberstellt. In den ersten Abschnitten wird eine Ana-
lyse der einschlügigen Schriften Ecks gegeben und dessen Arbeits-
weise (Art der Quellenbenutzung, Polemik usw.) geschildert. Am
Schluß untersucht Verf. Ecks Stellung zu den Mißständen im Buß-
wesen und den Erfolg, den seine Ausstellungen an diesem gehabt
haben. Greving, Reformationsgeschichtl. Studien und Texte, Heft 38/39.
Münster, Ascliendorff 1919. XX, 250 S, M. 11,90.
lagebuchaufzeichnungen des Regensburger Weih-
bischofs Dr. Peter Krafft von 1500—1530", erhalten in einem
Druckexemplar des lateinischen Almanachs von Joh. Stóffler und Jakob
Pflaum von 1499 anf der Münchener Universitütsbibliothek, veróffent-
licht mit überaus reichen Erläuterungen K. Schottenloher. Die
Eintragungen des der beginnenden Reformation feindlichen „Pladen-
weihers“ lassen diesen auf seinen Amtsreisen durch das gesamte Bis-
tum Regensburg und bis nach Böhmen hinein verfolgen und geben
außerdem mancherlei schätzbare Notizen und Betrachtungen zur Zeit--
geschichte. Greving, Reformationsgeschichtl. Studien und Texte, .
Heft 37, Münster, Aschendorff 1920, VII, 71 S. M. 6.
160 - 80
Von O. Braunsberger, Petrus Canisius, (vgl. „Archiv“
Bd. XVII, S. 70) ist die 2./3. Auflage erschienen, wesentlich ein
"Wiederabdruck der ersten. Nur ist ein Abschnitt über das innere
Leben des C, hinzugekommen, wodurch der erbauliche Charakter des
Werkes nur noch verstärkt wird. Freiburg, Herder 1921. XII, 334 S.
M, 20, geb. M. 26 und Zusehlüge. (Bildet einen Teil von K. Kempf,
.S. J., Jesuiten. Lebensbilder großer Gottesstreiter.)
Johannes Janssens Briefe, hrsg. von L. Frhr. v. Pastor.
2 Bünde. Freiburg, Herder 1920. Mit einem Bildnis J.s. XV, 411 S.
mund XXXV, 336 S. M. 30, geb. M. 36 (dazu Zuschläge). In den
Briefen, die in 812 Nr. von 1847 bis 1891 reichen, suchen wir zu-
nächst nach Angaben über die Entstehung der „Deutschen Geschichte“.
Wir finden das genaue Datum des entscheidenden Entschlusses zu
ihrer Abfassung (8. September 1857) und zahlreiche Nachrichten über
-das Fortschreiten des Werks und die steigende Anerkennung, die es
in katholischen Kreisen erfuhr. Wichtiger noch ist die durch die
Briefe uns vermittelte Kenntnis der Umwelt, in der Janssen lebte und
-emporkam. Im übrigen bestätigen die Briefe, was die „Deutsche Ge-
schichte“ auf jeder Seite lehrt, daß ihr Verfasser zwar ein sehr ge-
-schickter Kompilator, aber nichts weniger als ein Gelehrter war. Be-
zeichnenderweise hat J. zu keinem Fachgenossen engere und dauerndere
Beziehungen unterhalten als zu dem berüchtigten Onno Klopp. Für
J.s historische Methode sei z. B. auf II, 293 vom Jahre 1890 ver-
wiesen, wo er mit heißem Bemühen einen Jesuiten ausfindig zu
machen sucht, der sich mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigt
und für das Los der geknechteten Bauern ein Herz gehabt habe, Von
befremdlicher Einseitigkeit und Kurzsichtigkeit, selbst für einen J., ist
-der Ausspruch II, 246 (1888), die wirklich begabten Dichter seien
doch fast sämtlich Katholiken und der Schmutz sei nirgends auf katho-
lischer Seite! Goethe scheint freilich nicht zu den „begabten“ Dichtern
gerechnet zu werden; wettert Janssen doch II, 216 (1877) gegen die
„Goethefreudigkeit“ katholischer Kreise. So bleibt auch nach dieser
Veröffentlichung des opus epistolarum J.s noch immer im Werte, was
Max Lenz schon vor längerer Zeit über die Persönlichkeit Janssens
und sein Geschichtswerk ausgeführt hat (Histor. Zeitschr. N. F. 14,
S. 281—284 ; Preuß. Jahrbch, 71, 3, 540—547).
Druck von C, Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen,
ARUHTT
hl DRIATIONSBESCHICHT f
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.
Im Auftrag
des Vereins für Reformationsgeschichte
herausgegeben von
D. Walter Friedensburg.
XIX. Jahrgang. 1922.
oQo— —
Leipzig
Verlag von M. Heinsius Nachfolger
Eger & Sievers.
1922.
Inhaltsübersicht.
J. Haubßleiter, D. Geh. Kons.-Rat, Das Rätsel der Gothaer
Luther-Handschrift A. 402 und seine Lösung 1—21;
Th. Wotschke, D. Dr., Pfarrer in Eutzsch, Georg Weigel,
Hin Beitrag zur mn. Altpreußens
und Lithauens .
K. A. MeiBinger, Lic. theol. in Frankfurt Die Lund d:
sammlung des Brettener Melanchthonhauses
E. Kórner, Lic. theol., Domprediger a. D., Leipzig, Dietrich
von Starschedel, ein Zeuge vom Wormser Reichs-
tage 1521 ; ee er re
G. Bossert, D., Pfarrer a. D. in Meitioart, Briefe aus dem
16, Jahrhundert .
W. Kohler, D., Univ.-Prof. in Zürich, Brenta anil ändere
Böformatoria
K.Schornbaum, D. Dr. Pana in Alfeld bal Bosak
Die brandenbursisch. -nürnbergische Norma doctrinae
1573, I a ae ak RE GH A s
K. Bauer, Lic. theol., Universitätsprofessor in Münster,
Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a, M., I
Mitteilungen: G.Stuhlfauth, Zum Passional Christi
und Antichristi S. 154f, — K.Schornbaum, Zum
Briefwechsel Veit Dietrichs S, 155f. — Neuer-
scheinungen S. 72 — 75, 156—158. — Aus Zeit-
schriften S. 75—80, 159—160, 252—256.
Seite
81—105
. 22—47
48—71
106—137
138—148
149—153
161—193
194—251
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23 soos ttt
ARCHIV FÜR. REPORMATIONSGESCHICHTR
Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte
herausgegeben von
D. Walter Friedensburg.
Nr. 73. XIX. Jahrgang. Heft 1.
4
E
Das Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402
und seine Lósung
von J. Haußleiter.
Georg Weigel. Ein Beitrag zur Reformations-
geschichte Altpreußens und Lithauens
von Th. Wotschke.
Die Urkundensammlung des Brettener Melanchthon-
hauses
von Karl August Meißinger.
. Mitteilungen
Neuerscheinungen, — Aus Zeitschriften.
Leipzig 1922
Verlag von M. Heinsius Nachfolger
Eger & Sievers.
——————————————————smá€
Ausgegeben im April 1922,
Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. -
Quellen und Forschungen
zur Reformationsgeschichte
(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation)
Herausgegeben -vom
Verein für Reformationsgescichte
Soeben erschien:
Band III.
Die Einführung der Reformation
in Liv-, Est- und Kurland.
— Im en der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde
zu Riga Ä
bearbeitet von
Dr. Leonid . Arbusow.
gr. 8°. XIX, 851 Seiten. u Preis 70 Mark.
AN STEER
Früher sind erschienen:
Band I. Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen.
8°, [XIL 316 SJ AI.
Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus, Humanismus
und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°.
[XXXII, 343 8] A 13,50
Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation*
Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und
der Entseheidungsjahre der Reformation. (1517— 1523)
gr. 8°, [XVI, 602 S.] "P A 40,—:
tha. us
Das Rätsel der Gothaer Luther-
Handschrift A 402 und seine Lösung.
Ein Beitrag zur Tischredenforschung.
Von J. HauBleiter.
l.
Die grobe Sammelhandsehrift der Landesbibliothek
in Gotha: Farrago litterarum ad amieos et colloquiorum in
mensa Reverendi Patris Domini Martini Lutheri ete, die etwa
150 Briefe Luthers, 33 Melanchthons, 3 Bugenhagens und
eine sehr große Anzahl von Tischreden Luthers enthält, und
deren Inhalt sachlich naeh 93 Titeln geordnet ist (1 De Deo
et operibus eius bis 93 Litterae commendatieiae et testimonia),
hat wiederholt die Aufmerksamkeit der Luther- und Melanchthon-
forscher auf sich gezogen (so nennt z. B. Bretschneider im
Corp. Ref. I, S. XCVI sie einen 'eodex ob antiquitatem fide
dignissimus); man hat sich aber damit begnügt, ibr einzelne
Stücke zu entnehmen, ohne doch dem Rätsel ihrer Entstehung
nachzusinnen und dasselbe, so gut es geht, der Lósung náher
zu bringen. Der hochverdiente Herausgeber der Tischreden
Luthers in der Weimarer kritischen Gesamtausgabe, Professor
D. Dr. Ernst Kroker, hat fiir die sechs Bände der Ausgabe
(1912 — 1921) mit bewundernswertem Fleiß und Scharf-
sinn mehr als dreißig Handschriften geprüft. Er mußte
aber seine Arbeit, sollte sie nicht ins Uferlose sich ausdehnen,
(die Zahl der mitgeteilten Tischreden beläuft sich auf 7075),
auf die Veröffentlichung der Urschriften beschränken, d. h. der
Handschriften, in denen uns die Nachschriften der einzelnen
Tischgenossen Luthers ohne Beimisehung fremden Gutes in
. Ihrer ursprünglichen chronologischen Reihenfolge erhalten
sind; von den späteren Sammelhandschriften mußte er im
z groben und ganzen absehen. Von unserer Handschrift urteilte
er so (V, S. XXVIII): „Die Texte von Farr. sind gut; im
Archiv für Reformationsgeschichte XIX. 1. 1
2 | 2
übrigen hat Farr. für die Tischredenforschung nur geringen
Wert, da es die einzelnen Reden unter Rubriken ordnet, und
zwar scheint es die älteste Handschrift zu sein, die das ge-
tan hat, denn auf dem vorderen Einbanddeckel von Farr.
steht: M. B. 1551. Ob das der Sammler oder nur der Eigen-
tümer der Handschrift gewesen ist, das läßt sich nicht nach-
weisen, ebensowenig, wer dieser M. B. gewesen ist. Da er
aber seine Tischredensammlung schon 1551 hat binden lassen,
so scheint der Sammler von Farr. als erster auf den Ge-
danken gekommen zu sein, Luthers Tischreden nach Rubriken
zu ordnen, denn Lauterbachs Umarbeitung seiner Sammlung
fällt erst in die Jahre 1551—1560. Die Rubriken selbst
sind in Farr. andere als in Lauterbachs Sammlung B.“
Immerhin hat Kroker in einzelnen Abteilungen der Ausgabe
Varianten von Farr. mitgeteilt, so namentlich im 11. und 12. Ab-
schnitt, der Kaspar Heydenreichs Nachschriften aus den
Jahren 1542 und 1543 und die dem Hieronymus Besold zu-
geschriebenen Tischreden aus dem Jahre 1544 enthält; für
Heydenreich steht unter den Parallelhandschriften Farr. mit
120 Stücken voran.
Das Rätsel der Buchstaben M. B. reizt den Forscher
um so mehr, als die Handschrift ohne Frage sehr wertvolles
Gut enthält. So stehen z. B. auf den Blättern 444b bis
451b 7 Briefe Luthers an Johann Staupitz aus den Jahren
1518—1522, die uns sonst nur aus späteren Drucken
bekannt sind. Chronologisch geordnet sind es in der Aus-
gabe des Briefwechsels Luthers von Enders die Nummern
90, 121, 154, 223, 388, 398, 549; für Nr, 121 liegt eine
Abschrift im Cod. Jen. B. 24, für 549 im Cod. Goth. 451 vor.
Enders hat Farr. nicht verglichen; für die kritische Gesamt-
ausgabe muß die Vergleichung nachgeholt werden. Auf
Bl. 411—411b steht eine Formula promotionis in doctoratu,
qua Luth(erus) uti volebat, sed impeditas adversa valetudine.
In Köstlin-Kaweraus Leben Luthers (5. Aufl, II 282) wird
sie in deutscher Übersetzung aus unserer Handschrift mit-
geteilt mit der Bemerkung, sie verbinde mit den herkömm-
lichen feierlichen Ausdrücken des Reformators großartigen
Stil. Sie lautet: „Kraft apostolischer, göttlicher und ferner
kraft kaiserlicher und staatlicher Vollmacht — welche beide
-
göttlich sind, die eine himmlisch, die andere irdisch — be-
rufe, verkündige, erkläre ich Dich zum Doktor der heiligen
Theologie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geistes. Das ist Dir gesagt, damit Du eingedenk seiest, wer,
welcher Art, wie groß der ist, welcher Dich berufen hat,
und ferner, gegen welche, welcherlei und wie große Leute
Du berufen bist, auf daß Du seiest Führer, Bote, Gesandter
Gottes gegen die Widersacher dessen, der Dich sendet,
gleichwie ich gesandt bin. So stärke Dich denn der Herr
und sei stark. Fürchte Dich nicht, der Herr ist mit Dir,
Amen“), Wir kennen diese Formel auch noch aus einem
der vielen Handschriftenbände des unermüdlich nach-
schreibenden und sammelnden Wittenberger Diakonus
Georg Rörer (Bos. q. 24p Bl. 256b in der Jenaer Universitäts-
bibliothek). Dort steht bei der Überschrift der Zusatz: qua
uti volebat promoturus C(asparum) C(rucigerum) ete. in
doctoratum (vgl. Tisehreden IV, S. XVI?) Es handelte sich
also um die am 17. Juni 1533 in Gegenwart des Kurfürsten
Johann Friedrich in feierlichster Form erfolgte Promotion
Crucigers, Bugenhagens und des Hamburger Superintendenten
Aepinus zu Doktoren der Theologie; es war die erste Pro-
motion unter den neuen Statuten der theologischen Fakultät,
überhaupt die erste seit 1525. Promotor war der Dekan
Justus Jonas. Daß Luther selbst die Promotion vollziehen
wclite und nur durch Unwohlsein daran verhindert wurde,
erfahren wir lediglich aus dem mitgeteilten Schriftstück.
1) (fol. 411) Autoritate apostolica et divina, deinde imperiali et
politica, utraque divina, altera caelesti, altera terrena voco te vocatumque
pronuntio, pronuntiatum declaro doctorem sacrae theologiae in nomine
patris etc, Haec dicuntur tibj, ut memor sis, quis, qualis, quantus sit,
qui te vocavit. Deinde contra quos, quales et quantos voceris, ut sis
dux, nuntius, legatus Dei contra adver - (411b) sarios illius, qui te mittit,
sicut ego missus sum. l
Confirmet ergo te dominus et robustus esto. Noli timere,
dominus tecum. Amen.
?) Ein dritter Zeuge ist nach Band V, S. 293 Anm, 3 die
Münchener Handschrift Clm, 937, 174. Auf Nr. 5658 (Responsio D. M.
in tentationibus cuiusdam Doctoris Jacobi Schenck) folgt dort: Formula,
qua uti voluit in promotione Doctorum Crucigeri et Pomerani. Die
Handschrift entstammt nach Bd. IT, S. IX ff. dem Wellerschen Kreis.
Sie ist ums Jahr 1550 von einem jungen süchsischen Geistlichen,
Georg Steinert oder Steinhart, geschrieben und 1564 von ihm dem
Chemnitzer Superintendenten M. Johann Tettelbach geschenkt worden.
1*
4 4
Was mich veranlafte, der Handschrift ein eingehendes
Studium zu widmen, ist die in ihr auf Bl. 262b— 264b ent-
haltene Niederschrift der Koburger Trostsprüche Luthers,
über die ich zweimal in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift 1917
S. 149—187 und 1918 S. 430—457 gehandelt habe. Professor
Paul Flemming in Pforta hatte mich freundlicher Weise
auf diese Niederschrift aufmerksam gemacht. Die Vergleichung
mit der ersten Ausgabe der Sprüche durch Matthias Flaeius
(1550) und mit ihrer Verwertung in Aurifabers handschrift-
lichem, dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich ge-
widmeten Trostheft (1549) übertraf meine Erwartungen.
Farr. bietet den reinsten Text dar, der, da er keinerlei
Zusätze aufweist, als ursprünglich gelten darf. Wie ist der
Sammler von Farr. in den Besitz dieses reinen Textes ge-
kommen? Man darf annehmen, daß alle Kunde von den
Koburger Trostsprüchen auf Luthers damaligen Famulus,
den Nürnberger Veit Dietrich, zurückgeht.. Man wird um
so mehr auf diese Spur gewiesen, als das nächste Stück in
unserer Handschrift fol. 264b —267, Luthers gewaltige Trost-
rede an den schwer angefochtenen M. Johannes Bernhardi
Feldkirch (vom 1. Febr. 1534 — Tischreden UI, S. 503—508
Nr. 3669 —) ebenfalls durch Veit Dietrich zur Kenntnis der
Tischreden-Sammler gekommen ist (vgl meinen Nachweis
in der Allg. Ev.-luth. Kirchenzeitung 1917, Nr. 21, Sp. 485—487)
Die Frage taucht auf, welche Beziehung zwischen dem rätsel-
haften M. B. und Veit Dietrich bestanden hat.
| Il.
Wir miissen eine Beschreibung der Handschrift voraus-
schicken, bevor wir auf den Inhalt näher eingehen. Die
Angaben in den „Beiträgen zur älteren Litteratur oder Merk-
würdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha,
herausgegeben von Fr. Jacobs und F. A. Ukert, dritter Band,
Leipzig 1838“, S. 304 und 305 genügen nicht. Der starke
Folioband ist fest in zwei mit Schweinsleder überzogene
Holztafeln gebunden, mit reich verzierten Rändern. Die
größere Hälfte der vorderen Decke nimmt eiue Tafel ein,
deren obere Leiste die Buchstaben M. B. enthält, während
die untere Leiste die Jahreszahl 1551 trägt. In die Innen-
seite der Deckel sind zwei Bildnisse eingeklebt, vorn ein
5 5
Bild Luthers mit dem Malerzeichen A. S. — Sin A geschlungen,
hinten ein Bild des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen,
„anno captivitatis quarto, Anno Christi 1551“. Unter dem
Bilde stehen 4 Disticha Paul Ebers, die unter anderem be-
sagen, daß „Lucae (d.h.des Lukas Cranach) docta manus“ diese
Züge abgebildet hat, Der Band enthält jetzt 474, von alter
Hand gezählte Blätter, denen 8 ungezählte Blätter voraus-
gehen. Das erste Blatt enthält oben einen Katalog-Vermerk
„Catal. MSS. p 111“ und dann in roter Farbe von der Hand
des Schreibers die fünf Zeilen:
FARRAGO LRARVM AD AMICOS ET COL: || loqui-
orum in mensa R. P. Domini Martini Lutheri || Sacrae Theo-
logiae Doctoris ete. | PESTIS ERAM VIVYS, MORIENS
ERO MORS TVA | PAPA | Dann folgen, von gleicher Hand
mit schwarzer Tinte geschrieben, drei Zeilen: DE OBITV
EIVSDEM DISTICHON || Magniloquus subiit coelestia tecta
Lutherus | Anno quo paulus papa rebellis obit. | uber
spätere Eintragungen von zwei andern Händen vgl. Jacobs-
Ukert S. 304 Anm.
Die Rückseite des ersten Blattes ist leer. Auf dem
zweiten Blatt steht ein INDEX LOCORVM (rote Überschrift).
Es handelt sich um 93 Rubriken, die in 3 Spalten geschrieben
sind; die dritte Spalte (Nr. 63—93) befindet sich auf der
Rückseite. Die Zahlen (sowohl die Ordnungszahl, wie die
Angabe der Blattzahl) sind mit roter Farbe, der Inhalt mit
sehwarzer Tinte geschrieben, also: 2 De Deo et operibus
eius folio 7, 2. De maiestate Dei inscrutabili fo: 2, 3 De
Christo fo: 4, 4 De communicatione idiomatum fo: 6 usw.
Am umfangreichsten sind folgende 3 Abteilungen: 22 Expositio
aliquot locorum scripturae fo: 28 (bis fol. 55); der vorgesehene
Raum reichte aber nicht aus, so daß noch 3 ungezählte Blätter
eingeklebt sind; die Rückseite von fol. 55 quater ist leer.
Daneben erscheint noch als besondere Abteilung: 23 In
epistolam ad Titum scholia fo: 56 (—60). Diese Scholien
sind unverwertet und ungedruckt. Sie hängen zusammen mit
der Vorlesung über den Titusbrief im Nov. und Dez. 1527,
die unter dem Titel: Annotationes Lutheri in epistolam Pauli
ad Titum nach einer Nachschrift Rörers im 25. Bande der
W. A. S. 6—69 (1902) veröffentlicht ist, sind aber von ihr
zu unterscheiden. Die Bezeichnung der zweiten umfangreichen
6 3 6
Abteilung lautet: 60 Consolationes pro tentatis, infirmis, et
quibus defuncti amici fo: 247 (bis 288); am Schluß von
fol. 288b stehen die Worte: plura fo: 480. Da die Hand-
schrift jetzt nur 474 Blätter zählt, ergibt sich aus dieser
Bemerkung, daß mindestens 6 oder 8 Blätter am Schluß
verloren gegangen sind; denn am Schluß der Abteilung 75:
De militibus et rusticis heißt es (fol. 376b): plura infra fo: 482.
In der 60. Abteilung befinden sich Luthers Koburger Trost-
sprüche, fol. 262b— 264b, und die im Jahre 1547 erschienenen
Loci consolatorii philosophici und theologici Melanchthons,
fol. 279—281. Im Corp. Ref. VI 483—488 sind diese Loci
abgedruckt, und Varianten unserer Handschrift sind angegeben.
Die eigentiimliche Fassung des 9. theologischen Trostgrandes
Interea etiam gratias (nicht: gratiam) agamus usw. ist von
Bretschneider vermerkt; hinzuzufügen ist die Mitteilung, daß
die Fassung mit der deutschen Übersetzung der Loei über-
einstimmt, die Veit Dietrich noch im Jahre 1547 veröffent-
licht hat, Eine dritte, sehr umfassende Abteilung ist den
Ehefragen gewidmet: 68 De matrimonio fo: 305(—320b) und
69 De easibus matrimonii fo: 321(—344); für diese Abteilung
war noch mehr Raum vorgesehen: Bl. 344b und die gezählten
Blätter 345, 346, 347, 349, 350, 351 und ein ungezähltes
Blatt sind leer; die Zahl 348 ist bei der Zählung versehent-
lich übergangen.
Das dritte Blatt der Handschrift bringt unter der Über-
schrift Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri
ein lateinisches und ein deutsches Akrostichon auf die Namen
Martinus Lutheras. Am Schlusse des deutschen Akrostichons
(Martinus heist ein streitbar man, Am Bapst man solchs wol
sehen kan usw.) steht auf Blatt 3b Z. 5 als Unterschrift:
Erasmus Alberus Lutheri theodidactus'). Dann folgen sechs
deutsche Reimpaare „Von S. Cristoff“, die wohl auch dem
Alberus angehören:
1) Alber rechnete es für seine „höchste Ehre, wenn er als
D. Martini Schüler von Gott gelehrt verachtet wird“. (Widder die
Carlst., Bl. s 4; Aj? — vgl. Emil Körner, Erasmus Alber 1910,
S. 13). Erasmus hatte für ihn die Bezeichnung gebraucht: e schola
Lutheri Feodiðaxtos; Alber verwandelte das hóhnende Wort in eineu
Ehrentitel (ebenda S. 22.)
„Von S. Cristoff ist kein geschicht,
Sondern ein fein christlich gedicht.
Das Bilt bedeut ein Christen Mann,
Der sich uf Gott verlaßen kan.
Durchs mehr(— Meer) soltu vorstan
Dadurch mus man in himmel gahn’).
Der Baum in seiner rechten hand, das ist
Das liebe Wort von Jehsu Christ,
Daran der Christen glaub sich helt
Vnd vberwindet damit die welt. 1 Joh. 5.
Des helff vns Gott durch seinen Sohn,
‚Dis sey die Summa kurtz darvon.“
Das sind in Verse gebrachte Gedanken Luthers?), die er in
einer Predigt am Christophstag (25. Juli) 1529 vorgetragen
hat. Aurifaber hat einen Predigtauszug in seine Tischreden-
Sammlung aufgenommen (Förstemann-Bindseil 4, 314 [53, 6];
W. A. VI, Nr. 6990); eine handschriftliche Vorlage dieses
Auszugs ist nicht nachzuweisen,
Die folgenden fünf Blätter der Handschrift waren ur-
sprünglich leer gelassen und sind dann hernach, als der
Band schon gebunden war, mit Nachträgen A—G zu ver-
schiedenen Loci (A: Deus alit per media. Vide de illo loco
fo: 1; B: De Christo fo: 4 usw.) ausgefüllt worden. Wir
sehen in die Entstehungsgeschichte des Bandes hinein. Es
sind zwei Personen zu unterscheiden: der Sammler und der
Schreiber, und zwei Zeiten der Niederschrift — die erste
Zeit für die große Masse der ursprünglichen Stücke vor dem
Einbinden des Bandes und eine spätere Zeit für die Er-
günzungsstüeke, die in den schon gebundenen Band eingetragen
wurden. Auch die Verschiedenheit der Tinte und des Ductus
der gleichen Sehreiberhand sprieht für die Unterscheidung
zweier Zeiten. Die Schrift ist gut leserlich; nur einzelne
1) „Von S. Christoffeln, der mit dem kind Christo durchs vn-
gestümme Meer geht, bedeut, das ein Christen durch viel trübsal in
Gottes Reich kumpt, Act, 14^ — in der Vorrede zu den Fabeln des
Erasmus Alberus (nach der Ausgabe von 1550) — in den „Neudrucken
deutscher Litteraturwerke des 16. und 17, Jahrh.“ Nr. 101—107, heraus- -
gegeben von W. Braune. 1892, S. 3.
*) Vgl die Predigt vom 25. Juli 1529 in der W. A, 29,
S. 497—506.
i
8 8
Buchstaben (z. B.r und e) ähneln einander sehr. In der
Tischrede Nr. 5394 (V, S. 124) — Farr. f. 360 — ist
ein Satz verschieden gelesen worden: „Darumb lasse man
einen jungen gesellen eheliche Freude haben; kompt er zum
regiment, so wirt jn der kutzel wol vorgehen.“ So las Kroker
in Übereinstimmung mit Aurifaber. In der Handschrift steht
aber: „ehrliche Freude“. Der Schreiber hat sich bei seiner
Arbeit manchmal wenig gedacht; er läßt fol. 173b einen
Brief Luthers an Nikolaus Hausmann (Enders III 320, Nr. 501)
mit den Worten beginnen: „Hie vir nunctius tuus nullicolas
quaestiones tuo nomine mihi proposuit“; statt nullicolas muß
es heißen: mi Nicolaé (so im Original des Briefes). Noch
auf dem letzten Blatt — f. 474b — ändert er den Ausdruck
Saulina poenitentia, quae non diu durat in „paulina sententia"
(vergl. Nr. 5519—V, S. 211). Dagegen war der Sammler
ein gelehrter Mann, der in den Erinnerungen der Lutherzeit
lebte, und der den reichen Vorrat von Briefen und Tisch-
reden Luthers, den er gesammelt hatte, zu bequemer Be-
nutzung in 93 Abteilungen gebracht hatte. Aus der Bevor-
zugung der von der heiligen Schrift, vom Trost bei An-
fechtungen und von der Behandlung schwieriger Ehefälle
handelnden Abschnitte darf man wohl einen Schluß auf
den Beruf des Sammlers ziehen; er wird im geistlichen Amte
gestanden haben. Als der Band eingebunden wurde, blieb
bei vielen Abteilungen ein größerer oder kleinerer Raum
(einmal von 7 Blättern) für Ergänzungsstücke frei. Aber
häufig reichte, als diese Stücke nachgetragen wurden, der
freigelassene Raum nicht aus. Nun wurden zunächst die
5 vorderen Blätter, dann der ganze Schluß des Bandes von
fol. 457 an (Überschrift: De fide et ineredulitate et spe,
de eodem supra fo: 18 usw.) mit Ergänzungsstücken gefüllt.
An fünf Stellen sind in den gebundenen Band ungezählte
Ergänzungsblätter eingeschaltet worden: nach Bl. 55 (Nr 22
Expositio aliquot locorum scripturae) 3 Blätter, nach Blatt 360
(Nr. 71 De magistratibus) 2 Blätter und ebenso viele nach
Bl. 383 (Nr. 76 De bello), nach Bl. 412 (Nr. 83 De linguis)
und naeh Bl. 423 (Nr. 85 Artes liberales. Die Zählung der
Blätter hatte natürlich nur den beim Binden des Buches
vorhandenen Bestand berücksichtigen können. Kennzeichnend
9 9
für das Interesse des Sammlers ist der Umstand, dab sämt-
liche Ergänzungsstücke sich innerhalb der Lutherzeit halten
und auf die Ereignisse der Jahre 1546—1551 nicht ein-
gehen. Auch bei den ursprünglichen Stücken der ersten
Niederschrift war der Raum der Lutherzeit nur ein paarmal
überschritten worden. Das war der Fall bei der Aufnahme
der Loci consolatorii Melanchthons aus dem Jahre 1547
fol. 279—281, zweier Briefe Melanchthons an Johannes
Mathesius: fol 337b — 338 die brumae (1547), vgl. Corp.
Ref. VI 745, Nr. 4089 und fol.443 b vom 24. August 1547 = Corp.
Ref. VI 643, Nr. 3982, ferner einer Entscheidung Bugenhagens
„sampt anderu vorordenten“ in einer Ehesache fol. 338—339
vom 23. April 1547 (vgl den Auszug bei Lie. O. Vogt,
Bugenhagens Briefwechsel 1888, S. 393, Nr. 194) und end-
lich eines Briefes Melanehthons an Andreas Huetel(= Hugel),
pastor Brandenburgensis fol. 239 vom 12. Januar 1548, vgl.
Corp. Ref. VI 779, Nr. 4122. Ein späterer Termin kommt
in der ganzen Handschrift nicht vor. Ganz anders
spielt das Gegenwartsinteresse herein in die in mancher
Beziehung vergleichbare große Sammlung des Naumburger
Ratsherrn Valentin Bavarus oder Bayer, deren zweiter Band
am 14. Januar 1549 begonnen wurde (Goth. B. 15 und 16:
Rhapsodiae et dieta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutheri
in familiaribus colloquiis annotata etc.; vgl. Tischreden I,
S. XVII und XXXIX); namentlieh im zweiten Baud tritt in
einer Reihe von Stücken die ungeheure Aufregung der
Interimszeit deutlich zutage (vgl. Jacobs - Ukert a. a. O.
S. 300—304). In Farr. herrscht der Friede der Erinnerung |
an Luther.
IM.
Unter den fremden Benutzern der Handschrift Farr., die
wir nachweisen können, nimmt die erste Stelle Johannes
Aurifaber ein, der zur Herstellung seines im Juli 1566 zu
Eisleben erschienenen Tischredenbandes starke Anleihen bei
unserer Handschrift gemacht hat. Mit dieser überaus wichtigen
Feststellung rückt die Handschrift für die Tischredenforschung
in den Rang der Quellenschriften ein. Der Beweis läßt sich .
bei genauer Vergleichung des Aurifaberbandes (in der vier-
bändigen Ausgabe von Förstemann-Bindseil, 1844—1848=FB.)
10 10
mit Farr. so deutlich führen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen
bleibt. Wertvollste Hilfe bei der Vergleichung leistet der
20. Abschnitt der Krokerschen Ausgabe: Tischreden aus
Johannes Aurifabers Sammlung FB. (= VI, S. 1—369).
Kroker vereinigt in dieser Abteilung alle die von Aurifaber
dargebotenen Tischreden, für welche eine handschriftliche
Yorlage bisher nicht nachgewiesen werden konnte; ihre Zahl
ist noch beträchtlich genug (Nr. 6508—7075 = 568 Stücke.)
Davon sind abzuziehen die zahlreichen Reden, die Aurifaber
selbst als Famulus und Begleiter Luthers während seines
letzten Aufenthaltes in Eisleben aufgezeichnet hat; schon
Nr. 6508 gehört, wie Kroker anmerkt, in diese Klasse; ferner
Nr. 6516, 6526, 6527 usw. Bei einer anderen Reihe von
Reden konnte jetzt erst festgestellt werden, daß die Quellen-
belege schon an früherer Stelle begegnen. Das gilt z. B.
von Nr. 6529. „Es ist Nr. 1265 in.“, bemerkt Kroker, d. h,
eine der Nachschriften Schlaginhaufens; die Feststellung war
dadurch erschwert, daß Aurifaber mit Weglassung der ersten
Sätze nur ein Stück der Rede wiedergibt. Eine dritte Reihe
bilden die Entlehnungen aus Farr., zu denen wir uns nun wenden,
Im Tischredenband VI, S. 345 lesen wir: FB. 4, 538
(66,57) = Nr. 2831 + X. Die aus der Sammlung des
Konrad Cordatus entnommene Tischrede Nr. 2831 (III, S. 10)
lautet: Studium iuris est sordidum et quaestuosum, ae ultimus
finis eius est pecunia; neque enim propter delectationem aut
cognitionem rerum in iure student. Lauterbachs Sammlung
(Bindseil 1, 290) bietet — als Verbindung zwischen Nr. 3690
und Nr. 2809 — nur die Worte: Nam Juris ‚studium est
sordidum, tantum captat quaestum. Aurifaber aber gibt
folgenden umfassenden Text (FB. 4, 538 — 66, 57): Um
Genusses willen studiret man gemeiniglich
Jura. Doct. M.L. sagte: „Studium Juris, im Rechten studiru,
wäre ein sordidum, unfläthig und garstig Ding, da man nur
GenieB, Geld und Gut mit suchte, daß man reich würde.“
Da spraeh Peter Weller, der bey ihm im Hause war und
zu Tisch ging: ,,Er hatte den Sinn nicht, und thate es
nicht.““ Da rief D. M. L. überlaut, und sprach zu seinem
Famulo: „Wolf, gehe und laß die große Glocke lauten, und
bring Wasser her, dab man ihn kühle.^ Da er aber drauf
bestand, und es theur verjahete; fragte ihn der Doctor: „Ob
er allein von wegen des Erkenntniß der Händel, und daß
er móge wissen, was Recht ist, oder Lust halben in Jure
11 | ii
studirte? So wäre er unsinnig; sondern die endliche Ursach
darum ihr zu Juristen werdet und Jura studiret, ist das Geld,
daß ihr reich werdet.“
Kroker bemerkt in einer Anmerkung (S. 10 A. 13):
Aurifaber hat den ursprünglichen Text vollständiger, aber
auf wen geht seine Vorlage zurück? Die Handschrift Farr.
gibt die Antwort; sie enthält in ihrem 71. Abschnitt: De
magistratibus auf fol. 357b das gesuchte Stück X und
die Vorlage für Aurifaber:
Luth: dixit (rot) studium luris esse sordidum et
questuosum Tune P[etrus Wjeller dixit hune animum non
habere, Exclamavit Luth: Wolff, gehe, las die groBe glocke
leuten vnd bring wafer hehr, das man jn kule. Is vero
eum perseveraret. affirmando, quaesivit Luth: , an propter
rerum cognitionem et delectationem in iure studuerit, tune
esset plane insensatus, sed ultimum finem iurium esse peeuniam.
Daß Aurifabers Übersetzung eine Bearbeitung dieser
Vorlage ist, steht außer Frage. Aber es wäre immerhin
noch denkbar, daß er sie nicht aus Farr. geschöpft hat,
sondern daß er sowohl wie Farr. von einer uns unbekannten,
verloren gegangenen Sammlung abhängen. Wir müssen
daher unsre Untersuchung erweitern und auf die Frage ein-
stellen, ob nicht Aurifaber sich abhängig von der Sach-
ordnung der Handschrift Farr. zeigt und zusammenhängende
Reihen von Tischreden übernommen hat. Erst dann wirkt
die Beweisführung zwingend.
Der 34. Abschnitt Aurifabers „Tischreden Luthers von
Ceremonien" (FB. 3, 329—332, sechs Stücke) lockt zur
Vergleichung mit dem 48. Abschnitt von Farr.: De Ceremoniis
fol. 169—170 (neun Stücke) Aurifaber folgt (mit Weg-
lassungen) genau dem Gang unsrer Handsehrift; der deut-
lichste Beweis liegt in der Aufnahme zweier Lutherbriefe,
die ja gar nieht zu „Tischreden“ gehören. Doch sehen wir
näher zu.
Das 1. Stüek (Ceremoniae ... sunt ex se licitae ac
liberae — W. A. I, Nr. 800) übergeht Aurifaber, weil er es
schon in dem Abschnitt „von guten Werken“ FB.2, 226
(14, 46) gebracht hatte.
Das 2. Stück lautet: Paterfamilias dicit familiae suae :
Estote studiosi voluntatis meae, sunst esset, trineket, kleidet
euch, ut vultis. Sie Deus non eurat, quomodo edamus et
12 12
vestiamur. Das Stück ist uns auch, wie Kroker VI, S. 241
angibt, in Veit Dietrichs Nachschriften erhalten (W. A. I,
Nr. 59). Aber Aurifabers Übersetzung (Nr. 1) folgt nieht
dem Texte Dietrichs, sondern unsrer Handschrift. (Beweis:
Weglassen von Quemadmodum an der Spitze; ,kleidet euch,
wie ihr wollt“ gegen Dietrichs „wie ihrs habt“; „was wir
essen uud wie wir uns kleiden* gegen Dietrich: quomodo
vestiamus auf edamus). Aus freien Stücken fügt dann Auri-
faber hinzu. „Er (Gott) läßt uns alles frey, Ceremomien
und was Mittelding, Adiaphora, sind, allein daß man nicht
daran schmiere, als wären sie noth oder nütz zur Seligkeit.“
Das 3. Stück ist der kurze Satz: Oseulum manuum
optima eeremonia, deponit suspitionem veneni. Der Satz
findet sich in Johannes Schlaginhaufens Nachschriften vom
30. August 1532 (W. A. II, Nr. 1785); er wird von Auri-
faber übergangen. |
. Von nun an bleibt die Reihenfolge der Texte die gleiche.
Der Handschrift viertes Stück: Licetne vesci carnibus
feria sexta? ist Aurifabers zweites Stück: Ob man auch
Fleisch am Freytage und andern verbotenen Zeiten essen
möge. In VI, S. 341 wird das Stück als Nr. 6866 gezählt,
ohne daß eine handschriftliche Vorlage angegeben wire;
Farrago bietet sie dar. Der Text lautet:
Licetne vesci carnibus feria sexta? Licet et probo
(rot). Quia Christus inquit: quod intrat os, non coinquinat
(Matth. 15, 11). Item: omnia munda mundis
(Tit.1, 15). Contra (rot): Potestas ecelesiastica prohibuit esum
carnium feria sexta. Ergo haec traditio est observanda.
R(espondit): Humana traditio servanda est in ecclesia propter |
finem politicum et non est assuenda opinio iustificationis,
Aurifaber gibt eine genane Ubersetzung, die nur am
Schluß in eine erweiternde Umschreibung ausläuft. Aber
in der Handschrift ist ein Votum Melanchthons hinzugefügt,
das Aurifaber natürlich übergeht. Es lautet: R(espondit)
Phil. Mel. (cot): Libertas constituta est in evangelio, nulla
humana autoritate potest mutari. Evangelium docet nos,
non esse pro necessariis rebus habendas traditiones extra
casum scandali. Ergo autoritas episcoporum non potest efficere,
ut hae traditiones sint necessariae.
13 13
Es folgt als fünftes, bei Aurifaber als drittes Stück das
Bruchstück eines lateinischen Briefes Luthers an Nikolaus
Hausmann vom 17. November 1524 (= Enders, Briefwechsel
Luthers, V 52f. Z. 21—37). Aurifaber gibt der Übersetzung,
die genau den in Farrago mitgeteilten Abschnitt umfaßt,
die Überschrift: „An M. Nicolaum Hausmann Bericht und
Bedenken D. M. Luthers von Ceremonien.^ Am Schluß läßt
er die Worte weg: „post Martini 1524.“
Auch das niichste, sechste, bei Aurifaber vierte Stück
ist ein Brief Luthers ,an die Kirchendiener zu Nordhausen“
= Ad verbi ministros Northusiae; vgl. Enders XV 298f.
(1543 ?). Text und Übersetzung stimmen im Schlufisatz (gegen
die Rezension bei Enders) überein. ,,Derselbige unser Herr
Christus erhalte und vollführe das Werk, wie ers in Euch
angefangen hat, bis an jenen Tag unser Hoffnung und Er-
lósung! Amen.“ — Qui sieut coepit in vobis opus suum, ita
servet et perfieiat usque in illum diem spei nostrae Christus.
Amen. Im Enders'sehen Text fehlt Christus.
In VI, S. 241 und 242 sind die beiden Lutherbriefe
als Nr. 6867 und 6868 aufgeführt ohne Angabe einer hand-
schriftlichen Vorlage. Dagegen steht bei den folgenden
Nummern die Angabe FB. 3, 331 (34, 5) = X + Nr. 882
+ 430 d.h. die Nummer ist aus drei Stücken zusammen-
gesetzt, von denen das erste keine bekannte Vorlage in den
,Urschriften* hat, während das zweite (Nr. 882) in V. Dietrichs
und Medlers Sammlung, das dritte (Nr. 430) in V. Dietrichs
Naehsehriften steht. Aber die drei Stücke folgen in Farrago
unmittelbar hintereinander als Nr. 7, 8 und 9; damit ist
die bisher vermißte Vorlage für den Umfang des (fünften)
Aurifaber-Stückes gefunden, das die drei kleinen Texte ver-
einigt. Die Vorlage lautet:
(f.169b) „Festum (rot) Ioannis sol man bleiben lassen,
est enim initium novi testa: (menti) Denn es heist: lex et
prophetae usque ad Ioannem (Matth. 11, 13). So sol mans
auch halten propter illa cantica, welche wir noch haben in
papatu gele-(f.170) sen, aber nicht vorstanden. Tune
(rot) quidam: Canticum Zachariae, ist fein. Dioctor): Ja,
er ist fein, denn die praefation zeigt es wol an, die Lucas
macht, da er spricht: repletus spiritu sancto (Luk. 1, 67).“
4 14
Damit verbindet nun Aurifaber das in der Handschrift
getrennt stehende achte Stück „Nos pastores debemus vigi-
lare, das also ceremonien gemacht und gehalten werden,
das das volek nicht so gar wilde, noch zu gar heiligk werde“.
Das Stück findet sich zuerst in V. Dietrichs und Medlers
Sammlung (Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger
Jahre) Nr. 882 (Bd. I, S. 440).
Die Handschrift fährt mit neuem Absatz fort: „Wer
ein ceremonien anrichten wil, sie sey so geringe, als sie wolle,
der muß das schwerdt zu beiden henden fassen“ usw. Die
Worte hat Luther nach V. Dietrichs Nachschriften Nr, 430
(I, S. 185) Weihnachten 1532 gesprochen. Daß aber nicht
Veit Dietrichs Text, sondern unsre Handschrift die Vorlage
für Aurifaber war, beweisen die Varianten, Dietrich hat,
„anfechten“ (wohl richtiger als „anrichten“) und „zu beyden
seytten“ ; Aurifaber aber folgt dem Text unserer Handschrift
Das zeigt sich noch am Schlußsatz des Abschnitts: „Es ist
unmüglich, dab ein Gläubiger so viel Bücher könnte schreiben
als Erasmus, und nicht ein einigen Vers und Zeilichen von
Christo mit untersprengen und mischen“ — Impossibile est.
qaod credens homo tot libros possit scribere ut Erasmus
et ne unum versum inserere de Christo. Dietrich dagegen
schreibt, „nit ein zeyl de Christo setzen“.
Mit diesem neunten Stück schließt in der Handschrift
der ganze Abschnitt. Die Hälfte von fol. 170, dann die
Rückseite und fol. 171 sind leer. Aurifaber hat den Abschnitt
in der Urausgabe auch hier geschlossen; erst in der Frank-
furter Folioausgabe mit der Vorrede vom 1. Juli 1568 ist
ein weiteres, in der Urausgabe 1566 im Anhang (Bl. 622)
nachgetragenes Stück hierher gesetzt worden (ebenso in dem
Abdruck der Frankfurter Ausgabe bei Walch 22, 1511 nnd
FB.3, 332): Omnis spiritus laudat Dominum, ergo omni lin-
gua et sermone est laudandus (Ps. 150, 6’. Die Vorlage des
Stücks ist in der Sammlung von Konrad Cordatus nachgewiesen
= Nr.2388 b (II, S. 443). Es ist die Rede von dem Gebot des
Kaisers, in allen Ländern die Messe nur in lateinischer Sprache
zu celebrieren. EinParalleltext mit eigentümlichen Wendungen
(z. B. dem Zusatz: et in Britannia etiam rustici coguntur
' latine orare) findet sich in Dietrichs uud Medlers Sammlung
15 16
Nr. 969 (I, S. 491), und eben diesen Text bietet auch Farrago
in dem Abschnitt De linguis (immer ist liguis geschrieben)
fol. 412 bis. '
Was den Text der besprochenen Stücke betrifft, so ist
der Zusammenklang unsrer Handschrift mit den Varianten
Rórers hervorzuheben. Das gilt mit Bezug auf die Tisch-
reden I, Nr. 59 und 430 betreffs des Rórerbandes Ror. Bos. q.
24e, in bezug auf I, Nr, 882 und 969 betreffs des Bandes
Ror. Bos. q. 24f.
Ein noch viel umfangreicherer Beleg für die Abhäng-
igkeit Aurifabers von Farr. kann dem in unsrer Handschriit
ja mit besonderer Liebe ausgebauten 69, Abschnitt: De casibus
matrimonii entnommen werden. Aurifaber hat in seinem
43. Kapitel , Tischreden Luthers vom Ehestand* nieht weniger
als 184 Stücke gesammelt; eine ziemliche Anzahl davon
entstammt unsrer Handschrift fol. 334—344, wie die Texte
und besonders die Aufeinanderfolge der Stücke beweisen.
Es folgt auf Nr. 108 (FB.4, 101) ,Ob der Aussatz die
Ehe scheide“ Nr. 109 Luthers Bedenken, da einer eine Magd
geschwängert ; beides steht auf fol. 334. Uber den Ehefall
eines gewissen Ezold, der eine Witwe heiratete, die uxor
avunculi gewesen war, findet sich in der Handschrift eine
Reihe von Gutachten von Brenz, Amsdorf, Melanchthon, Luther
und Jonas (vgl. Zeitschr. für Kirchengeschichte VI 1884
S. 425 Nr. 5). Aurifaber übernimmt in Nr. 110 natürlich
nur das Urteil Luthers in einem Brief an Spalatin (vgl.
Enders VIL 232, Nr. 1602). Mit welcher Flüchtigkeit er
mitunter arbeitete, zeigt der Schluß des Briefes, dessen Datum
4 eal: Mart: 1530 (= 26. Februar) er in „den dritten Martii
1530“ verwandelt. Die nächste Nr. 111, das Urteil des
Wittenberger Consistoriums in einem Ehefall, ist von Auri-
faber anderer Quelle entnommen. Aber die sieben Stücke
Nr. 112—118, die bei Aurifaber die Überschriften tragen:
Nr. 112: Von heimlichen Verlöbnissen und von der Eltern
Gewalt, Nr. 113: Von Graden in Ehesachen, Nr. 114: Von
Vormünden-Gewalt in der Ehestiftung, Nr. 115: Frage (betr.
der Trauung heimlich Verlobter), Nr. 116: Vom Weglaufen,
Nr, 117: Von einem seltsamen Fall (za Frankfurt an der
Oder) und Luthers Bedenken drauf, Nr. 118: Des Papstes
16 16
Entschuldigung, warum er den Ehestand verbiete, finden sich
in gleicher Aufeinanderfolge auf Blatt 342—344; dazu kommt
noch Bl, 341 für die zweite Hälfte von Nr. 118 in Betracht.
Nur übergeht Aurifaber wiederholt kleinere Stücke, wie er
an Stücken auf Bl. 340 vorübergegangen war, die er aus
anderer Vorlage schon früher gebracht hatte (Causae divortii
= IV, Nr. 4499, in FB. Nr. 93; zwei Casus = IV, Nr. 4068,
in FB. Nr. 82 (Schluß) und 83 usw.)
Vergleicht man hierzu in der W. A. den 6. Band der
Tischreden S, 267—269, so ist für Nr. 6915, 6916 und 6917,
die Aurifabers Stücken 108, 109, 110 entsprechen, nunmehr
die vermißte Vorlage nachgewiesen. Und wenn auf S. 269
zu Nr. 115, das aus zwei Stücken besteht, bemerkt ist, es
entspreche dieser Tischrede Nr. 5566 (aus Heydenreichs
Nachschriften) + X, so ist die unbekannte Größe nun gefunden;
denn die Worte auf fol 343b: Haec dicebat interrogatus,
an pastor posset bona conscientia duos copulare, qui contra
parentum voluntatem contraxissent matrimonium ef iuris-
periti tá (= tamen) confirmassent usw., bildeten die Vorlage für
Aurifabers Übersetzung. Zugleich wird die Lesart der Ur-
ausgabe ,D as sagte er“ gegen die Anderung ,D a sagte
er“ bestätigt. Bemerkenswert und für die spätere Unter-
suchung von grofer Bedeutung ist der Umstand, dab nicht
nur das Äquivalent für die Hälfte von Nr. 115, sondern die
von Kroker angenommenen Áquivalente für die Nr. 112 —117
überhaupt sämtlich in Kaspar Heydenreichs Nachschriften
aus den Jahren 1542 und 1543 sich finden (Nr. 5541, 5542,
5561, 5566, 5569, 5578; vgl. VI, S. 269).
Mit „des Papstes Entschuldigung, warum er den Ehe-
stand verbiete“ (Nr, 118, 1. Hälfte) war Aurifaber in fol. 344
an den Schluß des Farr.-Abschnittes gelangt; fol. 344b und
noch sechs Blatter sind leer. Die Handsehrift gefiel ihm
aber so gut, daß er nun rückwärts blütterte und in den
Nr. 119—124 eine Reihe von Lutherbriefen über Ehefragen
der an solchen ja so reichen Vorlage entnahm. So ist
Nr. 119, ,Luthers Bedenken vom Scheiden ums Weglaufens
willen an einen Kirchendiener zu N.“, der auf fol. 326
stehende, ins Deutsche übersetzte Brief an den minister
eeclesiae Simon Wolferinus in Eisleben (vom 19. September
17 17
1544; vgl. Enders XVI, 85). Nochmals wird rückwärts
geblättert, und es folgen zwei übersetzte Briefe an Nikolaus
Hausmann, der eine f, 324b— 325 (= Nr. 120) vom 26. Oktober
1530 (Enders VIII, 293f), der andere f. 325—325 b (= Nr. 121)
vom 10. Mai 1531 (Enders IX, 9). Im Rückwärtsblättern
fortfahrend, bietet Aurifaber aus fol. 321—321b als Nr. 122
eine Zitation Luthers dar. „Ich, Martinus Luther, der heiligen
Schrift Doktor, zu Wittenberg Prediger, füge Dir B. H. zu
N. zu. wissen, daß die tugendsame Frau A. verlassene
Witwe N. zu N., bei mir gewest und klagende angezeigt“ usw.
In der Handschrift sind natürlich die unterdrückten
Namen ausgeschrieben; es handelt sich um die Zitation des
Brosius Heinrich in Dittersdorfvom 29. April 1531 (EndersIX, 4).
Mit dieser Zitation verbindet Aurifaber aus anderer Quelle
„eine andere Zitation“ Nr. 123 (vom 22. Juni 1538 an Hans
Schwalb; Enders Xl, 375) Aber noch einmal kehrt er
dann zu Farr. zurück. Dem Abschnitt de matrimonio ent-
nimmt er aus fol, 314b—315 als Nr. 124 Luthers „Bedenken
von gemeiner Weiber Häuser an D. Hieroymum Weller“.
Der Brief vom 3. September 1540 (Enders XIII, 174) schließt
mit den Worten: „Summa: contra Deum nihil possumus
nec faeere nec permittere nec tollerare. Fiat iustitia et
pereat mundus,“ Aurifaber übersetzt dies geflügelte Wort:
„Man lasse gehen, was recht ist, sollte gleich die Welt
darüber zu scheitern gehen.“
Im 6. Band der Tisehreden der W. A. entsprechen den
Nummern 119—124 die Nummern 6919— 6924, Die Luther-
briefe sind natürlich richtig nachgewiesen; aber die Auswahl
gerade dieser Briefe und ihre Aufnahme in Aurifabers
Tischreden-Sammlung ist erst jetzt erklärt. Aurifaber ging
beharrlich in den Spuren der Handschrift Farr. Das zeigt
sich auch noch bei Nr. 6926 (Nr. 131 bei Aurifaber;
FB. 4, 115). Aurifaber leitet den Fall mit den Worten
ein: „Da D. M. L. gefragt ward von etlichen Predigern um
einen Fall im Ehestande, sprach er usw.“ Dazu wird.
VI, S. 274 mit Recht bemerkt: „Trotz dieser Worte haben
wir keine Tischrede, sondern einen Brief oder ein Gutachten
vor uns.“ Die lateinische Vorlage steht Farr. fol. 316b. Es
ist. ein Brief der Theologi Wittebergenses vom 11. Febr. 1542
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1. 9
18 18
ad ministros ecelesiae Nordthausianae in bezug auf den
Ehefall des Jakob Lewer oder Liwer. Der Brief stammt
übrigens aus der Feder Melanchthons (= Corp. Ref. IV 776,
Nr. 2447); er ist das Begleitschreiben zu einem ausführ-
licheren Gutachten (Enders XIV 178, Nr. 3101), das, weil
auch für den Rat in Nordhausen bestimmt, deutsch abgefaßt
ist. Auch dieses wird von Farr. mitgeteilt, aber nicht schon
fol. 316b, sondern erst fol. 339b—340. Dem Schluß des
Gutachtens sind die Worte beigefügt: Wite: ex manu Phil. Mel,
Wir haben in die Arbeitsweise Aurifabers einige Ein-
blicke getan. Was wir wahrnehmen, veranlaßt uns, nament-
lich die Einführungsformeln der einzelnen Tischreden mit
allem Bedacht zu prüfen. Es sei noch ein Beispiel angeführt.
Luther hat, um die schlimmen Früchte des erzwungenen
Coelibats zu kennzeichnen, öfters auf eine dem Bischof
Ulrich von Augsburg zugeschriebene Epistel de continentia
clericorum hingewiesen und sogar eine Wittenberger Aus-
gabe aus dem Jahre 1520 mit einer Vorrede versehen
(vgl. meinen Nachweis in den „Beiträgen zur bayrischen
Kirchengeschichte“ von Kolde, VI. Band, 1900, S, 121—126).
Auf diese Epistel nimmt das 182. Stück der Tischreden vom
Ehestand Bezug (FB. 4, 151; W. A. Nr. 6941). Aurifaber
führt es mit den Worten ein: „Doktor M. L. sagte einmal
in einer Predigt, dab ers gelesen hätte, daß S. Ulrich
schrieb und klagte usw.^ Was er aber aus der Epistel
mitteilt und weiter dureh ein Beispiel ,zu unserer Zeit im
österreichischen Nonnenkloster Neuburg“ bekräftigt, ent-
stammt mit nichten einer Predigt, sondern ist die Übersetzung
eines Stückes des großen Kommentars zur Genesis. Die
lateinische Vorlage steht in der Auslegung von Gen. 4,1
(W. A, 42, S. 178, Z. 1—22). Wenn in der W. A., in der
Anmerkung zu S. 178 es zweimal heißt: „Aus den Tisch-
reden*, so ist diese Quellenangabe irreführend. Wie sollte
in den im Jahre 1544 erschienenen ersten Band des Genesis-
Kommentars eine erst 1566 veröffentlichte angebliche Tisch-
rede gedrungen sein?- Umgekehrt hat vielmehr Aurifaber
ein Stück der Vorlesung in eine „Tischrede“ verwandelt
und mit dem Exzerpt einen anderen Ausspruch Luthers ver-
bunden. Der letzte Absatz von Nr. 182 beginnt: „Und sprach
19 . 19
D. Luther, als er ein junger Knabe gewesen wäre, da hätte
man die Hochzeit und den Ehestand für sündlich und un-
ehrlich Wesen gehalten usw.“ Dieser Absatz stammt aus
einem anderen Zusammenhang.
IV.
Die Feststellung, daß Aurifaber die Handschrift Farrago
als Quellenschrift für seinen Tischredenband benutzt hat,
erleichtert die Frage nach der Person des Sammlers. Wir
müssen ihn unter den Tischgenossen Luthers suchen;
er gehört zu denen, die sich selber am Tisch des Reformators
Aufzeichnungen gemacht haben. Woher sollte er sonst sein
Sondergut haben?
Es bleibt Aufgabe der Forschung, alle Stücke in Farr.
festzustellen, die keine andere Tischreden-Handschrift, auch
Rörer nicht, darbietet. Und ferner ist zu untersuchen, mit
welchen von diesen Stücken Aurifaber seine Ausgabe be-
reichert hat. Es ist merkwürdig, daß das erste Ergänzungs-
blatt A der Handschrift mit einem solchen Stücke beginnt.
Die allererste Rede, die Farr. mitteilt, ist Sondergut. Sie lautet:
Deus alit per media. Vide de illo loco fo: 1. „Gott
kondt vns wol an (= ohne) alle vnsere arbeit vnd an alle
mittel ernehren, aber er wil die handt aufithun, das man
sehen sol, er sey ein reicher Herr vnd ist doch alles mirabile
opus Dei, das wir mussen sagen, wir habens alles von jm,
quia videmus quaedam flumina gignere pisces, do man keine
hat eingesetzt. Also jn dem bechlein, das durch meinen
garten fleust, sein feine hechtlein, schmirlen, vnd wenn man
sie jn ein ander wasser setzt, so werden große hechte daraus.“
Aurifaber teilt die Rede als Nr. 80 in dem Abschnitt
„von Gottes Werken“ mit (FB. 1, 123 [2,80] = W. A. Nr. 6538)
unter Übersetzung der lateinischen Worte und verbindet
damit ein Stück der Tisehrede Nr. 1153 (I, S. 570), das er
dann bei der Wiedergabe dieser ganzen Rede unter Nr. 103
(FB. 1, 141) wiederholt. |
Aber nicht nur die Sonderstücke verraten den Tisch-
genossen Lathers, sondern .auch die originalen Fassungen,
die hie und da solche Reden in Farr. haben, die auch in
anderen Tischredensammlungen begegnen. Ein hervorragendes
Beispiel ist Nr. 5386 (V, S. 120) aus der Mathesischen
Sammlung — eine Rede, die Kroker Kaspar Heydenreichs
2*
=<
i
20 , 20
Nachschriften zuschreibt und in den April 1542 versetzt,
Luther schildert, wie sinnlich und fleischlich sich die Türken
das Leben nach der Auferstehung vorstellen. „Adieeit
Doktor Pommer: So werden sie (die Männer) unter inen
(den Weibern) rum gehen wie ein han vnter den hennen!“
Farr. f. 129b bietet aber den Text: Adiecit aliquando D. Pomer,
cum hoe idem recitasset: So werden sie usw. .Das ist eine
richtigere Fassung; denn, wie Kroker anmerkt, Bugenhagen
kehrte erst Ende Mai 1542 aus Dünemark zurück (Enders XIV
168, Anm. 6); das aliquando bei Farr. betont also richtig,
daß Bugenhagens drastische Äußerung bei einer anderen
Gelegenheit gefallen ist. Diese richtigere Fassung ist aber
gewiß ursprünglich; die andere ist dureh Abkürzung des
Textes entstanden.
Um eine Textverkürzung handelt es sich auch bei einer
anderen der Heydenreich'sehen Nachschriften aus dem
Sommer 1542: Cieero et Aristoteles (V, S. 155, Nr. 5440).
In Farr, f. 422b lautet die Überschrift: De philosophia, und
der ganze Abschnitt hat folgenden eigentümlichen Zusatz,
[ 423: „Varro vnd Cicero sein die besten. Varro macht
triplices Deos, poeticos, philosophieos et naturales. Cicero
vorsteht wol, quod sit tantum unus Deus. Quid autem sit
ille Deus, non videt. Ich glaub auch, quod minus in iuditio
vapulabunt. Denn das Cieero so hart solt verdampt sein
als Caiphas, halt ich nicht.“ Ein Stück dieses Zusatzes
findet sich in Nr. 5972 (aus Ro. Bos. o. 1706).
Daß der Sammler von Farr. auch im Jahr 1543 in
Wittenberg war, ergibt sich aus der Fassung, in der bei ibm
(fol. 327 b) Luthers Erzáhlung von einem skandalósen Erfurter
Ehefall begegnet, wie jemand unwissenderweise eine Frau
nahm, die zugleich beides, seine Tochter und seine Schwester
war. Der Fall wird öfters in den Tischreden erwähnt,
Eine Darstellung, die fast wörtlich mit dem Farr.-Text über-
einstimmt (III, S. 501, Nr. 3665 A) schließt mit der Bemerkung:
Hoe nostro saeculo eontigit Erphurdiae. In Farr. folgt noch
der Satz: Lutherus recitavit pro contione 1543. Diese Mit-
teilung trifft vollkommen zu. Am 16. Okt. 1543 hat Luther
in der Genesis-Vorlesung (W. A. Bd. 44, S. 222 f) bei der
Auslegung von Gen. 36, 20—30 den Fall erzählt und seel-
91 | 21
sorgerliche Bemerkungen angeknüpft; ich habe das aus der
Greifswalder Handschrift Mser. theol. Quart 36 nachgewiesen
(Theol. Literaturblatt 1918 Nr. 7, Sp. 105—109 und Archiv
für Ref.-Gesch. XVII 1920, S. 81—91). Der Sammler von
Farr. war wohl Hörer der Genesis-Vorlesung Luthers.
Es liegt die Frage nahe, ob nicht der Sammler, wenn
er ein Tischgenosse Luthers war,irgendwiein den Sonderstücken,
die er bietet, persönlich mit seinem Ich hervortritt, ähnlich
wie Antonius Lauterbach, in dessen Tagebuch vom Jahre 1538
oft Stellen begegnen, wie: Dixit ad me, Mihique indixit et
ceteris diaconis, Illo die interrogavi Lutherum (III, S. 530, 17,
572, 12; 583, 21—Nr. 3685, 3729, 3740). Wir nehmen aber
wahr, daf in Farr. beim Umsehreiben der einzelnen Stücke
in die Fächer der Sachordnung solche Ich-Stellen meist absicht-
lich getilgt sind. Das ist z. B. der Fall bei Nr. 5459 (V, S. 165).
Da heißt es in Heydenreichs Nachschriften: „Cum interrogarem:
ob auch ein obrikeit macht hette, einen prediger zu fragen |
de adulteris, wenn er pro contione hart därauf gescholten
hett“ und auf Luthers verneinende Antwort noch einmal:
Deinde quaerebam. Der Sammler von Farr. war anwesend;
denn er hat am Schluß den originalen Zusatz, den Aurifaber
(FB. 4, 168 [44, 18]) von ihm übernommen hat: „Darumb
lassen wir keine elandestina coniugia zu, quia est unius vox,
quae nihil potest probare." Statt dab aber der Fragende
genannt wäre, lautet die Einführung in Farr. einfach:
„Quaeritur, ob auch ein oberkeit usw.“ und noch einmal:
Item quaeritur.
Ebenso lehrreich ist folgendes Beispiel. In Nr. 5504
(V, S. 198— Winter 1542 auf 1543) lesen wir: Cum
legeremus in mensa Antonii Margarithae, ludaei baptizati,
(er war damals Professor des Hebräischen in Wien, wie
Kroker anmerkt) libellum de variis ritibus et ceremoniis
Iudeorum, inquit Doctor ete. Aurifaber macht daraus
(FB. 3, 392 [37, 83]: „Anno 1542 lase M. Mathesius und
die anderen Tisehgesellen usw.“ Aber Mathesius war schon
im April 1542 als Diakonus nach Joachimsthal zuriick-
gekehrt. In Farr. f. 458 ist der ganze einleitende Satz
absichtlich weggelassen.
(Schluß im nächsten Heft).
Georg Weigel.
Kin Beitrag zur Reformationsgeschichte
Altpreussens und Lithauens.
Von D. Dr. Th. Wotschke.
Dem Thorner Professor Hartknoch verdanken wir eine
eingehende Kirchengeschichte Altpreußens. Vor mehr denn
200 Jahren geschrieben, ist sie noch heute, auf das Ganze
gesehen, nicht überholt. Gründlich unterrichtet sie auf 1100
Seiten über alle kirchlichen Ereignisse bis zum Jahre 1680-
Aber mit keinem Worte erwähnt sie jenen unruhigen Theo-
logen, der 1562/63 die kirchlichen Wirren in Königsberg
noch mehrte, zum Osianderschen Hader einen Sakraments-
streit fügte, dann in Wilna und Lithauen überhaupt ver-
bängnisvoll wirkte und schließlich fast in die römische Kirche
zurücktrat, Georg Weigel aus Nürnberg. Auch andere Kirchen-
geschichten wissen nichts von ihm. Nur Löscher „Historia
motuum“ kennt seinen Namen, bringt seine kurze Confession
und einen Streitbrief seiner Feder wider Epplin, aber näheres
weiß auch dieser,Historiker über ihn nicht zu berichten. Aufer
den beiden genannten Urkunden ist ihm von Weigel nichts
bekannt; über die Zeit seines Auftretens hat er nur eine
Vermutung, und diese Vermutung ist falsch. Es wird des-
halb die geschichtliche Forschung fördern, nähere Nachrichten
über diesen fast ganz unbekannten Theologen zu bringen-
Justus Jonas, der Jüngere, der unglückliche Sohn des
treuen Freundes Luthers, schreibt in Beantwortung einest
herzoglichen Briefes vom 14. Januar 1561 an den Hohen-
zoller in Königsberg‘): „Es ist hier in Wittenberg ein frommer,
gottesfürchtiger, eingezogener, stiller, ganz gelehrter Gesell
mit Namen Magister Georg Weigel, ein Nürnberger, seines
Alters ungefähr ein- oder zweiunddreifig Jahre, eine feine,
1) Vergl. J. Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten mit
Herzog Albrecht von Preußen S. 388.
23 23
lange, ansehnliche, sittige Person, welcher drei Jahre von
dem Rate zu Nürnberg allhier im Studium der Theologie
verlegt ist, zuvor aber etliche Jahre allhier seinen Studien
mit Fleiß obgelegen. Ich habe ihn etliche Male hier in der
Schloßkirche, wenn die verordneten Prádikanfen verhindert
gewesen, predigen hören, habe seiner zuvor ganz und gar
keine Kunde gehabt, aus seinen Predigten aber gespürt,
daB er nicht allein die Bücher, woraus der mehrere Teil
derjenigen, die sich für Theologen ausgeben, ihre Kunst
schöpfen, sondern auch andere Schriften mit Fleiß gelesen
und ein nicht gemeines Judizium habe. Ich habe ihn des-
halb zu mir gebeten und nach der Lange von den Artikeln,
darüber man itzo streitig ist, konferiert und befunden, dab
er dieselbigen Kontroverse allesamt aus dem Fundament
versteht, so daß zu wünschen wäre, daß unter denjenigen,
welchen die Herde Gottes zu weiden befohlen ist, viele
seines Gleichen sein möchten. So hat er auf der Kanzel
gar eine gute Art zu reden; damit aber E. F. D. eine kleine
Anzeige habe, daß der Bericht, den ich von ihm tue, wahr-
haftig sei, tiberschicke ich E. F. D. hierneben ein Büchlein
welches er gemacht und allhier vor einem Jahr im Druck
hat ausgehen lassen. Ich sähe darum gern, dab dieser
Mann in E. F. D. Dienst käme, weil ich keinen noch gehört
habe, der über die Kontrovers Osianders so’ recht judiziert
hätte als er. Er ist in Wahrheit ein großer Theologus. So
stimmt sein Judizium mit allen recht verständigen Leuten
darin überein, daß er meint, es habe der mehre Teil den
Ösiander ex praeiudicio verdammt.“
Der hier so warm Empfohlene war 1529 in Nürnberg
geboren, hatte die Schule seiner Vaterstadt besucht, dann
das Straßburger Gymnasium vier Jahre; am 29. Juni 1542
hatte er sich schon in Heidelberg einschreiben lassen. Seit
dem 21. April 1548 bis Frühjahr 1550 sehen wir ihn in
Tübingen, dann ein Jahr in Wien, 18 Monate in Ingolstadt.
Wohl in Wien hatte er mit Thomas Pegáus!) Freundschaft
1) Veit Nuber, der von Wittenberg nach Österreich gegangen,
am 6. Angust 1563 in Steyr eingetroflen war, meldet unter dem
20. August Paul Eber: ,M. Thomas Pegaeus, qui tibi autor fuit, hue
24 24
geschlossen, vielleicht in der Folgezeit auch unter ihm an
der Schule zu Steyr in Österreich unterrichtet. Am 14. Sep-
tember 1558 hatte er die Leucorea bezogen und war am
1. Mai 1560 in die Artistenfakultät aufgenommen worden.
1559 hatte er in Wittenberg erscheinen lassen: „Explicatio
dilucida epistolae Judae“ und „Historia de quodam episcopo
. a muribus consumpto“, Melanchthon und Peucer waren vor
anderen seine verehrten Lehrer; mit Justus Jonas, dem Lehrer
‚ der Rechtswissenschaft, stand er in enger Verbindung. Dessen
warme Empfehlung, die Vorliebe des Hohenzollern in Königs-
berg für seine süddeutschen Landsleute, vor allem die Aussicht
und Hoffnung, in Weigel einen gelehrten Richter in dem
Osianderschen Streite zu erhalten, der vielleicht seinen ver-
ehrten und geliebten, seit 1550 in der theologischen Welt
so verketzerten , Vater in Christo^ wieder zu Ehren brichte,
bestimmte den Herzog Albreeht, ihn in seinen Dienst zu
nehmen. Fast umgehend, am 25. März 1561, ließ er ihm
schreiben:*) „Nachdem wir in unserem Fürstentum guter,
christlicher, geschickter Pfarrherren und Seelsorger wohl
benotdurft und derselben gern etliche in diesen Landen
haben wollten, ihr aber uns euerer Lehre, Geschicklichkeit,
eueres Lebens und Wandels halben gerühmt seid worden,
so hätten wir wohl gnädige Neigung, daß wir euch unter
uns in einem Predigtamt wissen möchten, und wollen euch
mittendi concionatorem aliquem ante meum adventum, a senatu dimissi-
onem petiit propter multiplices persecutiones, quas patitur ob detestan-
dam ingratitudinem civium strenue doctrinam evangelii et omnes bonos
artes contemnentium, Utinam et ego aut huc venissem nunquam aut
bona conscientia statim abire liceret“. Am 31. Juli 1565 schrieb Eber
an Pegäus: „Quod ad litteras tuas attinet, peto mihi decepto veniam
dari. In posterum ero fautior incidens in alienos, cum quibus non
modicum salis absumpsi, ne temere externae speciei et sono credam.
Tuam amicitiam ut semper magnifeci, ita in posterum quoque officiis,
quibus potero, tueri studebo.^ Am 29. Juni 1568, da der Steyrer
Rektor ihn um einc ı Lehrer fiir seine Schule gebeten hatte, meldet
ihm Eber, daß er ihm Daniel Möller sende, der vier Jahre in Witten-
berg studiert und jetzt im Sommer den Magistergrad erworben habe.
Zugleich tröstet er ihn über den Ehebruch seiner Frau.
!) Dieser Brief ist wie sämtliche anderen Urkunden dem Staats-
archiv in Königsberg entnommen.
25 | 25
darauf hiermit gnädigst vociert haben. Begehren mit Gnaden,
dab ihr euch ins Förderlichste allhero zu uns in einen
Pfarrerdienst begeben wollet. Bei euerer Ankunft sind wir
bereit, uns mit euch des Unterhalts halben mit Gnaden zu
vergleichen. Im Falle euch hierin etwas Hinderliches vor-
fiele, so wollet solches gegenwärtigem Johann Funck anzeigen.
Ihm haben wir Befehl gegeben, deshalb allenthalben mit
euch zu reden.“
Im April verhandelte Funck, der nach Wittenberg
gekommen war, um den Theologen sein Glaubensbekenntnis
vorzulegen, mit seinem Landsmann Weigel und bestimmte
ihn, dem Rufe des Herzogs Folge zu leisten. Da er ein
Nürnberger Stipendium genossen hatte und deshalb dieser
Stadt verpflichtet war, versprach Funck, der nach Nürnberg
reisen wollte, ihm dort Entlassung zu erwirken, Während
er nun nach Leipzig?) und Süddeutschland aufbrach ?, zog
Weigel nach Königsberg. Am 2. Juni 1561 wurde er hier
als „reverendus vir pietate et eruditione praestans“ ins
Album der Albertina eingetragen. Eine Ordination in Witten-
berg mußte ihm nach Ansicht des Herzogs größerere Geltung
und Autorität verleihen, deshalb ging er zugleich als herzog-
licher Bote an Johann Major und Justus Jonas auf Anord-
nung Albrechts noch einmal nach der Elbstadt zurück. Am
’) Am 31. Mai 1561 schrieb Pfeffinger aus Leipzig dem Herzog
Albrecht über Funcks Konfession.
.?) Nach seiner Rückkehr nach Königsberg schrieb Funck am
15. Juli 1561 an Paul Eber. Vergl. Codex Gothanus chart 123 Bl. 354.
„Volui tibi ad rescribendum ansam praebere, donec ipse ad nos in
Prussiam nostram, ut aliquoties T. H. percupere coram intellexi, bonis
avibus venias. Quod ut commodius citiusque fieret, dedi operam, ut
ab ill. duce Alberto per literas vocarere, efficique simul, ut ad electorem
itidem darentur literae, quibus ut D. T. huc venire atque ad unum
mensem nobiscum esse liceat familiariter petit. Quas autem ob causas
petitio ista fiat, potest D. T. ex ill. principis mei literis, quas hisce
meis adiunctas habes, una cum transsumpto aut descripto earum, quae
sunt ad principem electorem, intelligere. Novi. deus, quam hilari
vultu animoque serenot pius princeps literas vestras acceperit, legerit,
relegerit, quam avide etiam, quid inter nos sit actum, me referente ac
declarante audierit. Saepius in haec verba erupit: »Wolt got, das
ich mein leben volend mit solchen leuten vnd mit solchen Disputationen
möchte hinbringen“,
26 E 96
24. Juni traf er hier ein, händigte Major das für ihn
empfangene Geld und Schreiben ein, ließ sofort auch in der
Schwenckschen Offizin seinen Trauergesang auf Melanchthons
Heimgang drucken, den er auf der Reise niedergeschrieben oder
vollendet hatte. Da er am 30. Juni an den Herzog schrieb’),
konnte er seinem Briefe ein Exemplar seines Epicedium bei-
legen?). Als er seinen Freunden seine Berufung nach Preußen
angezeigt hatte, hatte er sie um Gratulationen und Geleitgedichte
gebeten. Er wollte sie drucken lassen, mit nach Königsberg neh-
men und dort ausstreuen, um den Anschein eines allseitig geschitz-
ten und hochverehrten Mannes zu erwecken. Bis sie eintrafen,
wartete er mit der Einholung der Ordination und seiner Abreise.
Am 19.September(1561)starb in Wittenberg ein78 jähriger
Pfarrer Michael Faust. Der Universitätsschrift, in der der
Rektor die Studenten zur Teilnahme an dem Begräbnisse
aufforderte, gab Weigel wie sein Landsmann Georg Mauri-
tius, Jakob Alutarius aus Herborn, Georg Aperbach aus
Erfurt und Joh. Reymanu aus Löwenberg etliche Verse bei.®)
Etliche Tage später veröffentlichte er die inzwischen ein-
gegangenen Geleitsgedichte seiner Freunde.*) Einen Lobpreis
auf die Leucorea fügte er ihnen bei. Am 5. Oktober ordinierte
ihn Paul Eber.
) Vgl. Beilage I, Am 4. Juli 1561 schreibt Paul Eber dem
Herzog: „Cum voluptate audivi ex M. Weigelio et deo gratias ago,
quod terribilis illa expeditio Johannis Basilii, magni ducis Moscorum,
impedita sit“. Im weiteren empfiehlt er den herzoglichen Alumnus
Christian Farnhed, der länger als ein Jahr bei ihm gewohnt habe.
*) Epicedion in honorem et memoriam obitus reverendi et incom-
parabilis viri d. Philippi Melanthonis, patris et praeceptoris nostri
summe colendi, scriptum a. M. Georgio Weigelio Noribergensi. Wite-
hergae excudebat Laurentius Schwenk, 1561.
3) Epitaphium scriptum venerando et optimo seni D. Michaeli :
Fausto pie Wittebergae mortuo 19. Septembris 1561, cum esset
egressus annum aetatis 78., a. M, Georgio Weigelio Noribergensi.
4) ,Hoonéuntine scripta rev. viro d. Georgio Weigelio Noribergensi,
liberalium artium magistro, vocato ad ministerium verbi divini ab ill.
Borussiae principe Alberto Seniore, Witeberga discedenti, Witebergae
excudebaut haeredes Georgii Rhaw 1561“ in 49, drei Bogen, Dreizehn
Freunde, darunter Justus Jomas und Thomas Pegüus aus Landeshut, .
Rektor in Steyr, bringen ihre Wünsche dar, zum Schlu8 ,ad Wite-
bergensem academiam M, Georgius Weigelius.“
27 21
Weigel war Philippist und trat als soleher in dem gut
lutherischen Königsberg sofort mit aller Schärfe auf. Schon
seine ersten Predigten erregten Anstoß, die, welche er am
21. Dezember 1561 in der Schloßkirche in Gegenwart der
Herzogin, der Hofräte, des Präsidenten Johann Aurifaber
hielt, fachte fast einen Aufruhr an. Er leugnete die Ubi-
quität Christi, seine Realpräsenz im Abendmahle; nur geist-
lieber Weise werde der Leib des Herrn genossen!) Fast
einmiitig erklürten sich die Theologen wider ihn. Ihr Wort-
führer wurde Epplin, der ältere Hofprediger. Von Anfang
an bestand zwischen diesem und Weigel ein gespanntes Ver-
hältnis. Justus Jonas hatte seinen jungen Freund schon in
Wittenberg gegen diesen älteren Theologen eingenommen °).
Als Epplin jetzt auf der Kanzel sich wider Weigel und seine
Predigt vom vierten Adventssonnfage wandte, schrieb er ihm
einen Brief?) der recht bezeichnend ist für die Weise, in
der er seinen Kampf führte: ,Ich kann mich nicht genugsam
wundern der großen unverschümten Leichtfertigkeit, damit
du die allergelehrtesten und heiligsten Leute unserer Zeit
ganz liederlich bei dem gemeinen Volke angiebst und mit
unerhörten Schmähworten beschwerst. Es pflegen sonst, die
auf andere Lügen dichten, Diebe zu sein, du hast heute auf
deine Präzeptores gut und bóslich gesprochen (o du unver-
schämtes Maul, das allein Schmach und Schande ausspeien f
vermag), daß sie mit diesen Worten, ihre Hände seien voli
Blut, die Worte des Abendmahls ,das ist mein Leib‘ aus-
legen. Ich habe niemals anderen, die dir grobe, unver-
schimte Leichtfertigkeit zugemessen, glauben wollen; nun
aber muß ichs glauben, daß du ein hoffärtiger, überaus unver-
* Mathias Wanckel schreibt unter dem 12. März 1562 aus Kemberg
an Eber: „Calvini dogma de coena domini etiam in Borussiam sparsum esse
ex corde doleo et certe nescio, qua conscientia vestras sententias et
formulas loquendi de coena sacrosanctissimae ecclesiae laboranti non
committatis“.
2) Am 13, April 1559 in einem Briefe aus Leipzig hatte er gemeint
auch den Herzog vor Epplin „und seinen Narrenbüchern“ warnen zu
müssen.
3) Lóscher, Histeria motuum II, 218 ff. Im Einzelnen unterrichten
über den Streit zwischen Weigel und Epplin zwei Aktenstücke vom
10. März und 11, April 1562 im Königsberger Staatsarchive,
28 | 28
schämter, heilloser, unwissender Mensch seist... Ich will es
mit Gott bezeugen, daß ich heute nichts denn eine eselische
und cyklopische Unwissenheit gehört habe. Wahrhaftig ich
habe einen Esel gesehen auf der Kanzel in einer leinenen
Haut verkleidet.“ Und so geht es fort, jeder Satz eine
schwere Kränkung und Beleidigung. Ein Glaubensbekenntnis,
das Weigel weiter herausgab und in dem er mit aller Ent-
sckiedenheit die symbolische Deutung des Abendmahls ver-
trat’), begegnete natürlich dem schroffsten Widerspruch.
Bald stritt man nicht nur in Königsberg wider ihn und
suchte dem 73jährigen Herzoge seine Entlassung abzu-
drängen. Wie im Osianderschen Streite die Kunde von allen
Vorgängen in Königsberg sofort nach Wilna flog?) wie
‘ Osianders Gegner am königlichen Hofe wider ihn und seine
Anhänger Stimmung maehten?) so denunzierte man jetzt
beim polnischen Herrscher Sigismund August auch Weigel
als einen Unruhstifter. Der König sah sich bewogen, an
den Herzog zu schreiben und ibn eindringlich vor dem
Zwietrachtprediger zu warnen. Als Albrecht antwortete, daß
1) „Panis est corpus Christi non proprie vel realiter, sed impro-
prie, figurate vel sacramentaliter. Manducare corpus Christi et
bibere sanguinem eius est in Christo manere et Christum manentem
in se habere". Löscher II, 217.
2) Vgl. Pohibels Brief aus Wilna vom 4. Okt. 1551. Möller;
Andreas Osiander S. 459. Schon am 29. Sept. hatte er aus Wilna dem
Herzog geschrieben: „Man hat hier auch der prädicanten zu Konig-
sperg, e. f. g. auch. hyn vnd her gedacht, der eyne besser dan der :
ander. Sprechen, der hertzog sambt der hertzogin haben eyn sonder-
liche lere, das frewlein auch besonder, das: hoffgesindt vnd dy rethe
dergleychen. In den steten geht es auch seltzam zu... Es were
besser gewesen, das dy predicanten den predigtstuel eyn zeytlangk,
damit es vnder dy gemeyne nicht kommen were, gemyden, bis sy
sich vereyniget vnd verglichen hetten. In Summa es begeben sich
mancherlei worthe vnd rede, welche ich jtzo jn der feder mus rowen
vnd bleiben lassen, jedoch bleibt solchs e. f. g. zu gelegener zeit
vnverhalten."
3) Krakau, den 22, Marz 1553 schreibt Pohibel dem Herzog:
„Ich kann e. f. d. nit bergen, das in kortzen tagen der her marien-
borgische woywoda durch eignen pothen an meinen hern [den kónig-
lichen Vorschneider Gabriel Tarlo] geschrieben vnd jm angezeigt, wie
das eyn seltzam tumult vnd zwyspalt zu Konigsperg des predicanten
halben d. Morlens erhoben, alzo, wo dem nicht vorgekommen, eya
29 29
er unruhige Geister in seinem Herzogtum nicht dulde, gab
er am 1. Mai seiner Freude darüber Ausdruck, unterlieB
aber nicht, von neuem zu warnen).
Den Hofmeister der Königin, Erhard von Kunheim, hatte
der Herzog im Verdachte, den König wider Weigel ein-
genommen zu haben. Aber dieser Bruder des Schwieger-
sohnes unseres Luther war wohl unschuldig. „Die ganze
Stadt allhier ist des Redens voll gewesen, und man hat sich
mit Briefen umhergetragen, so von E. F. D. Hof anher
geschrieben auch von denen, so E. F. D. nicht wenig ver-
trauet“, schreibt er Wilna, den 3. Mai 1562 zu seiner Recht-
fertigung. Um sich noch mündlich zu verteidigen, kam er
im Juni nach Königsberg’).
gros blutvorgyssen hyraus entstanden were. Jdoch hinge es noch an
der wage usw., mit andern vil mehr vmstendigen worthen, wie dan
seyner gnaden eigen hantschreiben mitbringt, meynem herrn zu erkennen
geben vnd ferner gebeten, das meyn her bey der kön. majt treulich
sollieitiren wolde, damit jre majt eyn eigen potschafft an e. f. g. ab-
fertigen thete, damit e. f. g. vermanet, von solchem vornehmen der
zwyspültigen lehren abzustehen etc. Were sonst zu besorgen, eyn
schrecklichers hyraus zu erfolgen. Sind sonst auch zwei briefe bey
meynes herrn briffe gewest an die kón. majt, eyner von dem herrn
bischoff von Ermelant, der ander von gedachtem herrn woywoden,
ln dem vnd víf solch schreiben hat mich meyn herr gefragt, was er
jo dem fall thun solde, ob er solchs jrer majt anzeigen solde oder
nicht, weyl er sonst von nymandt schreiben hette. in dem alzo ge-
schlossen, das sich mein her mit worthen vnd dergleichen nix kegen
ire majt einlassen solde“. Im weiteren bittet er den Herzog um einen
genauen Bericht, ,damit, ob hernachmals sich ethwas an tag geben
würde, dem mit der warheit desto bas vorzukommen“. Vgl. schließ-
lieh auch Pohibels Brief vom 24. April 1553: ,Was den d. Morlein
belangt, hat man alhir vil seltzamer redenn vnd sonderlich an dem,
das etzlich vill frawen vnd junkfrawen gleich eyner procession jns
schlos zu Konigsperg gangen vnd e. f. g. durch dy fraw Venedigeryn
eine supplication zustellen wollen, welche e. f. g, nicht angenommen,
sonder sie sembtlich in jre behausunge abzugehen befelich geben,
das alzo mit eynem gesange eynes psalmes gescheen. Wirt aber
wenig hyvon am hofe gedacht, aufgenommen dy aus Preußen hier
ankommen, dy haben vil geschwetz, mehr andern leuten zu gefallen,
denn der warheit enlich“.
1) Vgl. Wotschke, Abraham Kulvensis. Urkunden zur Refor-
mationsgeschichte Lithauens. Altpr. Monatsschrift XLII S. 237 f.
?) Über diesen Kunheim vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte
aus der Interimszeit. Jahrbuch für Kirchengeschichte der Provinz
30 i 30
Der altersschwache Herzog und die wenigen Reformierten
in seiner Umgebung, Friedrich von Kanitz!), Friedrich von
Aulack?) und Schwerin, konnten Weigel gegen den allge-
meinen Unwillen nicht schiitzen. Er ging deshalb, als ihm
in Königsberg die Kanzel verboten wurde, nach Lithauen,
um dort Unterstützung zu suchen, auch die Gunst des Fürsten
Radziwill für sich zu gewinnen. Die deutsche lutherische
Gemeinde in Wilna, welche erst im November 1560 in
M. Simon Wanrab einen Pfarrer, Anfang 1562 in einem
Königsberger Kaplan einen zweiten Prediger erhalten hatte,
lehnte ihn ab, aber bei den lithauischen reformierten Pastoren
fand er freundliche Aufnahme. Mit den Zürichern und Genfern
waren sie im vergangenen Jahre in Verbindung getreten,
erst am 23. Januar war einer unter ihnen, Martin Czechowicz,
von einer Gesandtschaftsreise nach Genf?) heimgekehrt, jetzt
dachten sie durch den Wittenberger Magister auch Beziehungen
zu den Pbilippisten anzuknüpfen. Durch sie fand er Ein-
gang am Hofe des Fürsten Radziwill, Hier lernte er den
theologisierenden Arzt Blandrata kennen, der im nächsten
Jahre nach Siebenbürgen ging, vor allem aber den Geheim-
schreiber Johann Maezinski, einst Pellikans Hausgenosse in
Zürich, in Wittenberg Melanchthons Schüler. Er wurde ihm
Sachsen 1913 S. 5 ff. Kunheim folgte der Königin Katharina Herbst 1566
nach Österreich. Linz, den 23. April 1571 empfiehlt die Königin Volmar
von Kunheim aus Preußen dem Kurfürst August von Sachsen. Vor
fünf Jahren sei ihr dieser Kunheim als Edelknabe zugesandt, jetzt
möge ihn der Kurfürst in seine Dienste nehmen.
1) Dieser Kanitz war neben dem Abenteuerer Skalich und dem
Radziwillschen Sekretär Maczinski der Testamentsvollstrecker Lisma--
ninos. Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino, Zeitschrift der Hist.
Gesellschaft Posens 1903 S. 323 ff. Über die heimliche Ehe, die er
in Königsberg geschlossen, vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte S. 7. In
Breslau war der reformierte Crato sein Freund. Auf dessen Empfehlung
suchte er 1561 den kalvinisch gerichteten Birkenhan in Preußen zu
versorgen. Gillet I 241.
2) Über Aulack vgl. Wotschke, Herzog Albrecht und Graf
Raphael von Lissa, Altpr. Monatsschrift XLVI S. 484 ff. und 489.
| 8) Das Schreiben vom 9. Oktober 1561, das er von Calvins Hand
mitbrachte, bewahrt noch heute das Archiv der reformierten Gemeinde
Wilnas als kostbare Reliquie. Die Monumenta reformationis Polonicae
et Lithuanicae bieten es im Gleichdruck an erster Stelle,
31 | 31
ein Freund und schrieb für sein großes polnisch-lateinisches
Lexikon, das jetzt nach jahrelangen Bemühungen endlich
in Königsberg gedruckt werden sollte, aber erst 1564 wirk-
lich erschien!), ein empfehlendes Gedicht an den Leser
Fürst Radziwill wandte ihm seine volle Gunst zu und war
geneigt, ihn in seine Dienste zu nehmen als Erzieher seines
ältesten Sohnes, des 13jührigen Nikolaus Christoph ?), dem
Vergerio 1556 die treftliche Kinderlehre „Lac spirituale"
des evangelischen Spaniers Juan de Valdes gewidmet hatte °),
ihn mit diesem auch nach dem Auslande, nach Deutschland,
der Schweiz und Italien zu senden. Wilna, den 26. Juni (1562)
schrieb er davon dem Herzoge und bat, Weigel aus seinen
Diensten zu entlassen ^*).
Albrecht hatte unterdessen alles versucht, den durch
Weigel erregten Sakramentsstreit zu dämpfen, dabei unter
dem Einfluß Johann Aurifabers auf Wege gesonnen, über-
haupt zwischen Lutheranern und Heformierten einen Aus-
gleich zu schaffen. Seine Theologen mußten ihm im Mai
Gutachten ausarbeiten?). Obwohl mit Ausnahme Aurifabers
sie alle kein Vertrauen zu einer Unionsaktion hatten, hielt
der zähe Herzog doch an ihr fest. Im Juli mußte der
aus Lithauen heimgekehrte Weigel eine Reise nach Süd-
1) „Lexicon Latino-Polonicum ex optimis latinae linguae scripto-
ribus concinnatum“.
?) Er war am 2. August 1549 geboren.
3) Vgl. Wotschke, Eustachius Trepka. Zeitschrift der Hist.
Gesellschaft der Prov. Posen 1903. Wie dem siebenjährigen Knaben
die lac spirituale widmete Vergerio dem 16 jährigen Jüngling, als er
bei ihm (1565) in Tübingen weilte, seine Risposta in quartro libri
divisa ad una invettiva di fra Ippolito Chizzuola. Unter dem 31. März
dieses Jahres hatte ihm Lorenz Tuppius in Straßburg schon zuge-
schrieben: Adversus synodi Tridentinae restitutionem opposita grava-
mina. Vom 15. März d. J. ist datiert Sturms epistola de refutatione
Tridentini coneilii an Radziwill den Vater.
*) Albrechts Antwortschreiben vom 12. August 1562 bei Wotschke,
Culvensis S. 241.
5) Vom 19. Mai 1562 sind die Gutachten Funcks, Epplins, Auri-
fabers, Vogels datiert, vom 22. Mai das Jagenteuffels, vom 6. Oktober
das des Sickius. Unter dem 21. Oktober warnt Funck den Herzog vor
der kaivinischen Abendmahlslehre. Vgl, auch Hase, Herzog Albrecht
und seine Hofprediger S. 280.
32 39
deutschland antreten, um mit den Heidelberger und Württem-
berger Theologen zu verhandeln. Im August sehen wir ihn
in der Neckarstadt, wo er Olevian und Ursin sein Bekenntnis
vorlegte. Natürlich fand es deren Zustimmung). Dem Herzog
schrieben sie, daß es biblisch wohl begriindetsei. Weigel riihmten
sie als einen gelehrten und beherzten Mann?). Dafür begegnete
es in Stuttgart, wohin Weigel sich nun wandte, um so ent-
schiedenerem Widerspruch. Brenz und Andreä wiesen es
mit vollem Nachdruck ab. Da Weigel bei ihm verharrte,
wurde der unüberbrückbare Gegensatz offenbar. Vergerio
in Tübingen, zu dem er im Auftrage des Herzogs im Dezember
kam?) hielt mit seiner Meinung vorsichtig zurück. Er
wollte nirgends anstoßen. Im Januar ging Weigel auf eine
Forderung Brenz’ zu neuen Verhandlungen nach Stuttgart),
aber der Zwiespalt wurde durch diese weitere Aussprache
nicht geringer. Selbst Vergerio, der in seinem Schreiben
an den Herzog vom 23. Januar 1563 der gastfreundlichen
Aufnahme gedenkt, die auch Weigel riihmen müsse, sieht
sich jetztveranlaßthinzuzufügen: , Reliqua in homine nonlaudo*.
Manchen Bekannten aus seiner Studienzeit 1548—1550
hatte Weigel in Tübingen wieder getroffen, zu den hier seit
dem 14. August 15€0 studierenden Lithauern®) Beziehungen
angeknüpit. Für seine Abendmahlslebre konnte er letztere
indessen nicht gewinnen. Ihr Präzeptor Georg Zablocki,
seit seinem Studium an der Leucorea 1540 ein überzeugter
Lutheraner?), der für seinen Glauben in der Heimat 1544
auch gelitten hatte, wies ihn ab. Anfang Februar wollte
Weigel heimreisen. Sehon hatte er am 3. zwei Wagenpferde
1) Vgl. Ursins Brief an Crato. Neue Heidelberger Jahrbücher XIV,
S. 60 und Gillet, Crato von Krafftheim I S. 264.
2) Vgl. Olivians Schreiben an Calvin vom 3. April 1563
O. C. XIX Nr. 3925, |
8) Vgl. Vergerios Brief an den Herzog Christoph vom 10.Januar 1563
Schott und Kausler, Vergerios Briefwechsel S. 369.
4) Am 11. Nov. 1562 hat der Pole Valentin Maslovius (die Tübinger
Matrikel liest Marlenius), seit dem 16. Sept. 1561 in Wittenberg, die
Tübinger Hochschule bezogen, am 25, Januar 1563 der Preuße Joh.
Hermann, Ihr Tübinger Studium hängt wohl mit Weigels Reisezusammen.
5 Vgl. Wotschke, Culvensis S. 212.
*) „Homo non indoctus et eximie Brentianus“ nennt ihn Bullinger
in seinem Brief vom 31. Mai 1563 an Beza. O. C. XX Nr, 3959.
33 33
gekauft, schon schrieb am 6. auch Vergerio den Brief, den er ihm
fiir den Herzog mitgeben wollte, da scheint das Ausbleiben
der Briefe des Brenz und Andreae fiir den Herzog ihn zu
weiterem Bleiben bestimmt zu haben. Ja am 20. Februar
ging er, von Vergerio an Bullinger empfohlen, noch nach
Zürich"). Natürlich war er hier wie in Heidelberg den
Theologen hoehwillkommen?). Diese stimmten ihm zu,
Bullinger entließ ihn mit einem warmen Brief an den Herzog
und seine Räte. Die hohen Worte, mit denen er nach seiner
Rückkehr in Tübingen die in Zürich gefundene Aufnahme
rühmte, bestimmten auch drei der jungen lithauischen Barone
mit ihrem Lehrer Zablocki, Bullinger aufzusuchen. Vergebens
suchte der Züricher Theologe sie für seine Abendmahlslehre
zu gewinnen. So gewandt vertrat Zablocki ihm gegenüber
den lutherischen Standpunkt, daß Bullinger meinte seine
Genfer Freunde, die er mit seinen Schülern gleichfalls auf-
suchen wollte, vor ihm warnen zu müssen. „Prudentes este“ 8).
Im März, fünf Monate bevor der ihm im vergangenen Jahre
zugedachte Schüler Nikolaus Christoph Radziwill, der spätere
Jerusalemfahrer, naeh Stuttgart kam‘), trat Weigel die
Heimreise nach Königsberg an.
Noch ein Brief des Herzogs Albrecht, der im März in
Tübingen eintraf, empfahl Weigel dem Vergerio, aber andere
Schreiben aus Preußen meldeten, daß Weigel angesichts des
allgemeinen Widerspruches schwerlich in Königsberg werde
bleiben kónnen?) Albrecht selbst wurde durch einen Brief
1) Wotschke, Briefwechsel der Schweizer mit den Polen S. 166.
2) Bullinger in seinem Tagebuch unter 1563: D. Georgius Weigelius,
concionator principis Prusseni, venit huc mense Februario Stutgardia,
ubi contulerat cum Brentio. Contulit et mecum de coena et consensit,
Tulit a me literas ad principem eiusque consiliarios“. Vergl. auch
seinen Brief an Calvin vom 20. April 1563. O: OC. XIX Nr. 3937. |
$) In den Briefen vom 31. Mai 1563, O. C. XX Nr. 8959 und 3960
*) Am 3. Aug. 1563 traf Radziwill in Stuttgart ein, am 9. August
schrieb Herzog Christoph für ihn nach Straßburg. Von dort imAugust 1564
durch die Pest vertrieben, kam er nach Tübingen und studierte hier
bis zum August 1566. Am 4. Sept. 1566 sehen wir ihn bei Bullinger.
5) Vel. Vergerios Schreiben an Herzog Christoph vom 31. März 1563,
Schott und Kaulser S. 381.
Arohiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4, 3
34 34
Herzog Christophs von Württemberg bedenklich2): So vertröstete
er Weigel, als dieser Bericht erstattete, auf späteren Bescheid,
gab solehen aber nicht, obwohl Weigel darum anhielt, Dafür
forderten die Räte in Abwesenheit des Herzogs, als dieser
im Juli in Kauen beim Könige weilte, von ihm Amts-
niederlegung, und der Burggraf ließ ihm „fein spöttisch Dienst
und Tisch absagen“?). Obwohl ihm eine „ehrliche Heirat“
in Königsberg angetragen war, verließ er jetzt Preußen und
ging nach Lithauen. Hier hoffte er als Prediger Versorgung
zu finden, hier hatte er durch die lithauischen Studenten in
Tübingen neue Freunde gewonnen. Auf Grund der Briefe
die er überbrachte, und der Berichte, die er erstattete, mag
Wilna, den 26. September (1563) der Marschall Eustachius
Wollowiez, seinen Neffen von der süddeutschen Hochschule
abgerufen haben. Am 17. November bittet Weigel den
Herzog um Entschuldigung, daß er ohne formelle Entlassung
nach Wilna gezogen sei?)
Radziwills jüngere Söhne Georg, Stanislaus und Albert
waren erst acht, sieben und ein Jahr alt, sie brauchten zur
Zeit noch keinen Gelehrten zum Erzieher. Erst Herbst 1566
wurde für sie ein des Lateinischen, Deutschen und Polnischen
kundiger Student gesucht‘), der die jungen Fürsten. nach
E Vgl. Vergerios Brief vom 8. Sept. 1563 a. a. O. S. 394.
?) ,Audimus, quod princeps suos theologos et nobiles in potestate
non habeat" schrieb Ursin.
*) Vgl. Wotschke, Culvensis S. 242 ff.
*) Der Wilnaer Stadtvogt Augustin Rotundus schreibt Grodno,
den 5. Angust 1567 an Hosius: ,De palatini Vilnensis filio ex Italia
reverso constans hic fama est, ipse enim eum nondum vidi, catholi-
cum esse factum. Quin et quae d. Mielieezki, palatini Podoliae filio,
nupsit, eiusdem d. palatini Vilnensis maxima nata filia catholica esse
facta dicitur in mariti catholici ex Lutheirano facti gratiam. Tres quo-
que reliquae natu minores in domo insignis matronae d. Voinicensis
educantur et eandem, quam domina Voinicensis profitetur, catholicam
doctrinam profitentur.“ Am folgenden 13, September melet eraus Wilna:
, Filii palatini Nesuesi sub praeceptoribus et paedagogis haereticis educan-
tur, sed spes est eos quoque ad eatholicam ecclesiam redituros fratris
sororumque exemplo." Doch hat Nikolaus Mielecki (T 5. Februar 1585)
erst .viel später seinen evangelischen Glauben abgeschworen, Wohl
hatte ihn schon 1569 Skarga zu bekehren gesucht, aber erst mehrere
35 | | 36
Leipzig begleiten konnte.) Seit Wintersemester 1570 sehen
wir sie dann dort, wo der bekannte Arzt Simon Simonius
aus Lucca ihre Studien leitete?) Der Fürst hatte für Weigel
kein Amt, vielleicht trug dieser aueh nach dem, was er in
Zürich über Blandrata und dessen Gönner Radziwill gehört
hatte, Bedenken in seine Dienste zu treten. Tatsächlich
hatten ja die Tritheisten den größten Einfluß auf Radziwill
gewonnen, und nur der Tod bewahrte ihn davon, entschiedener
Antitrinitarier zu werden.
Da nahm ein anderer lithauischer Magnat Weigel in
seine Dienste, Johann Chodkiewicz, der Hauptmann von
Samogitien. Schon als Kind war dieser im Elternhause
evangelisch erzogen worden, als Student hatte er 1547 in
Königsberg, seit 1549 in Leipzig evangelisches Gemeinde-
leben kennen gelernt, vorübergehend auch in Wittenberg
dessen Matrikel seinen Namen allerdings nicht bietet, zu-
sammen mit Stanislaus Warschewicki, dem Sohne des
Jahre später gelang es Benedikt Herbst. Seine Gattin Elisabeth Radziwill,
die große Bibelkennerin, die sich den Antitrinitariern angeschlossen
hatte, kehrte 1593 in den Schoß-der römischen Kirche zurück.
1) Am 29. Oktober 1566 bat Damian Nicossowius, den jungen
Radziwill nach Deutschland begleiten zu dürfen, Er erhült den Bescheid:
„t. D. wollen zufrieden sein, daß er mit des Radziwills Sohne hinausziehe
und seine studia prosequire, doch daß er mit des Rektors Vorwissen
&bscheide und ihrer fürstl. Durchlaucht oder nachkommender Herr-
schaft hernach vor anderen Herren diene, sich auch deshalb obligiere*
Seine Verpflichtung bei Wotschkes Vergerios zweite Reise S, 317. Am
7. Juli 1567 stellte auch Matthäus Motzarus, der den 6. März 1567
noch um ein Stipendium gebeten hatte und gleichfalls mit jungen
Lithauern nach Deutschland gehen wollte, einen Revers aus, nach
drei Jahren nach Preußen zurückzukehren, doch vgl. Beilage III.
*) 1572 kehrten die Brüder nach Lithauen zurück und wurden
hier von Skarga, damals Rektor des Wilnaer Jesuitenkollegiums, für
den Katholizismus gewonnen, nachdem ihr ältester Bruder schon 1567
in Italien übergetreten war. Georg wurde 1581 nach Rückkehr von
einer Reise naeh Italien Bischof von Wilna, dann Kardinal und Bischof
von Krakau (} 21. Jan 1600 in Rom), Stanislaus richtete den Meg-
gottesdienst in Olika wieder auf. Albrecht starb am 13. Juli 1592 als
Marschall von Lithauen, zwei Monate nachdem er die Braut des Königs
von Österreich nach Kr geleitet hatte. Skarga macht den Arianer
Cikowskifür seinen Tod, der ob potionem quandam alchimisticam erfolgte
verantwortlich.
| ay
36 36
Warschauer Kastellans Johann Warschewicki, dem späteren
Jesuiten!) auch zu Melanchthons Füßen gesessen’). Sein
Vater, der Kastellan von Troki Hieronymus Chodkiewicz,
war ein Gönner des Staphylus und hatte diesem gelegentlich
seiner lithanischen Reise April 1549 manche Förderung
erwiesen. 1556 empfahl ihm der Herzog Albrecht einen
Prädikanten Matthias Virowitta, der in Königsberg studiert
hatte und in Samogitien ein geistliches Amt suchte. Auch Gregor
Chodkiewiez, das andere Haupt dieser hervorragenden lithau-
ischen Magnatenfamilie, der Wilnaer Kastellan und Oberfeldherr
(+ 1572), war ein Freund der Reformation, die er in seiner
Jugend am Hofe Herzog Albrechts kennen und lieben gelernt
hatte. Seinen Söhnen Andreas (geb. 1549) und Alexander
(geb. 1550) gab er in Johann Mylius aus Liebenroda in
Thüringen, dem namhaften Dichter der lateinischen Renaissance-
poesie, dem Übersetzer von Luthers kleinem Katechismus
ins Lateinische und Griechische und späteren Professor der
hebräischen Sprache in Jena (f 3. Juli 1575), einen evange-
lischen Erzieher. An den Königsberger Hof schickte er sie,
daß sie dort unter den Edelknaben des Erbherzogs „Zucht
und alle Tugend“ lernten, später aber auch an den kaiser-
1) Geb. 1527. In Rom trat er 1567 zusammen mit Aquaviva in
den Jesuitenorden ein, später arbeitete er in Rom, dann leitete er viele
Jahre das Wilnaer und Lubliner Collegium und diente sechs Jahre
der Königin Katharina von Schweden, der Jagellonin, als Beichtvater.
Er starb am 3, Oktober 1591 in Krakau. Seine Übersetzung des
Heliodor, welche 1555 in Antwerpen erschienen ist, ist datiert „Ex
Warschewicze paterno rure 12. Cal. Aug. 1551“.
2) Rostowski schreibt von Chodkiewicz in seiner Geschichte
Lithauens: „Huic Varschevickius non modo notus erat, sed praecipua
etiam familiaritate conitinctus ex eo iam tempore, quo ambo iuvenes
olim Vitembergae famoso literarum et haeresis suae magistro Philippo
Melanchthone usi essent." Der Neulateiner Johann Mylius sagt in seiner
Elegie ad magnificum d, Joannem Chodeiewitium, Samogitiae praesidem:
,Ut Linus Herculeum mollivit pectus in arte,
Posset ut humano commodus esse gregi,
Sie te Pierio madefecit fonte Melanchthon
Cui similem nondum Teutonis ora tulit,
Illius e labris suxisti dogmata certa,
Regula quae vitae sancta fuere tibi“.
37 37
lichen Hof nach Wien. Hier ging ihnen verloren, was sie
an evangelischer Erkenntnis besaßen.
Eine Hauptaufgabe Weigels war, dem in Lithauen um
sich greifenden Antitrinitarismus entgegenzuwirken. Selbst
sein Freund Maczynski war zu ihm übergegangen ). Leider
fließen die Nachrichten sehr spärlich, daß wir von Weigels
Arbeit in den nächsten Jahren, von seinem Leben überhaupt
fast nichts wissen. Hat er den Führernder lithauischen Antitri-
nitarier, einem Gonesius, Czechowicz, Maczyuski, Budny,
Kryszkowski sich entgegen geworfen, dem Superintendenten
Simon Zasius, dem Prediger Wedrogowski zur Seite gestanden?
Hat er Bezas dogmatisches Sendschreiben vom 19. März 1565
das sehnsüchtig erwartet im Laufe des Sommers in Lithauen
endlich eintraf?), wider die Gegner ausgespielt? Hat er mit
Lismanino verhandelt, den wir 1564 und 1565 von Königs-
berg nach Lithauen reisen, Herbst 1565 gerade auch bei
dem Marschall Georg Chodkiewicz sehen®). Hat Weigel 1564
die Ehe seines Herrn mit Christiane, der Tochter des treu
evangelischen Krakauer Wojewoden Martin Zborowski, der
1) Wilna, den 13, Sept. 1567 schreibt Rotundus an Hosius: „Credo
R. D. V. multo melius nobis scire, quam variis et horrendis sectis
conspirent in Polonia haeretici, quae etiam ipsis haereticis non pro-
bantur, uti ex hoc literarum cuiusdam J. Maczynski, prioris palatini
Vilnensis scriba, qui ante sacramentarius fuit, nanc et trinitarius et
anabaptista esse factus dicitur, exemplo ad Pazum episcopum, si dis
placet, Kijoviensem scriptarum cognoscet. Vidi ego es legi Grodnae typis
excusos Polonicos libellos, quibus magis blasphemum in dei filium Jesum
Christam dici aat cogitari nihil potest ac ne dictum quidem aut cogi-
tatum unquam ab ullis haereticis existimo, de quibus fortasse Maczynski
in his litteris innuit. Tollitur enim in illis omnis omnium magistra-
tuum autoritas, probatur libertas christiana, et rerum omnium com-
munio instituitur, ordinum in eeclesia atque adeo in republica omne
diserimen tollitur, ne ullum sit inter regem et populum, principes et
subiectos, nobiles et plebeios“. Das Herrnhuter Archiv besitzt ein
Schreiben Maezynskis vom 28, Febr. 1558 aus Wilna an den Pfarrer J ohann
in Stawischin, in dem er sich günstig über die bOhmischen Brüder ausspricht.
? Am 25. Mai 1565 befand es sich noch in den Händen des
Radziwillschen Reisemarschalls Balthasar Lehwald in Tübingen. Am
28. April 1550 hatte dieser Radziwillsche- Beamte einst die Leucorea
bezogen,
*) Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino. Zeitsch. d. hist. Gesell-
schaft d. Prov. Posen 1903 S, 307.
38 38
jugendlichen Witwe oder nachgelassenen Braut des aben-
teuernden Melanchthon- und Laskifreundes Jakob Heraklid
Basilikus*) eingesegnet, getauft sein Sóhnlein Johann Karl,
den späteren Kriegsmann und gewaltigen Feldherrn, dessen
Siege über die Schweden bei Dorpat, Weißenstein und Kirch-
holm ganz Europa aufmerken ließen?
Der Kampf gegen die Antitrinitarier führte ihn mit dem
großen reformierten Kämpfer Lithauens Andreas Volan zu-
sammen, der 1531 in Neustadt bei Pinne (Provinz Posen)
geboren war, 1544—1546 die Universität Frankfurt besucht
hatte, darauf seinem Verwandten Hieronymus Quilecki nach
Lithauen gefolgt war, seit dem 5. Oktober 1550 noch etwa
drei Jahre in Königsberg studiert hatte und schließlich in
Radziwills Dienste getreten war, nach dessen Tode 1565
auf seinem LandguteBijuciszki bei Wilna lebte, soweit er nicht
durch diplomatische Geschäfte in Anspruch genommen war.
Vor allem aber trat Weigel Nikolaus Paz näher, der seit
1555 Bischof von Kijew war.?) Er gewann ihn, den einzigen
Bischof in Polen, der wirklich den Übertritt zur evangelischen
Kirche vollzog,?) für die Reformation‘) und bestimmte ihn,
gegen die Tritheisten das altkirchliche Dogma in einer
neuen Schrift zu verteidigen. Vom 22. Juli 1566 vom General-
konvent in Brest ist sie, die orthodoxa fidei confessio de una
eademque dei patris, filii et spiritus sancti divinitate ac tribus
personis, datiert. Ihr Verfasser gab ihr einen Brief?) Volans
. vom 1. April 1565 über die drei Personen in Gott und die
eine göttliche Essenz bei, Weigel eine empfehlende Beurteilung,
ein Epigramm an den Leser und fromme Verse. An-
fang Oktober 1566 sandte ihn Chodkiewiez von Kauen nach
Königsberg, um dort durch die Daubmannsche Druckerei
1) Vgl. Wotschke, Joh. Laski und der Abenteurer Heraklid
Basilikus. Archiv XVII S. 57.
2) 1583—1585, wo er starb, war erKastellan von Smolensk.
*) Die Bischöfe von Kamieniecz, Leslau und Samogitien sympathi-
sierten wohl mit der Reformation, mochten aber das Opfer eines Über-
tritts nicht bringen.
4) Janociana II, 201: „Pacius Georgii Wiceli occulti Zwingliani inter
Poloniae ac Lithuaniae proceres annis superioribus versati maxime artibus
irretitus uxorem dueit,“
5) „Datum in praediolo meo Bintiscano.“
39 | 39
das Schriftchen zu veröffentlichen. Ein Empfehlungsschreiben
des Chodkiewicz an den Herzog, bei dem dessen Schwager
Petrus Zborowski im vergangenen August unter den polnischen
Kommissaren erschienen war, förderte ihn, im November
konnte er die Rückreise antreten.')
In den folgenden Jahren mag Weigel vielfach mit
Friedrich Holsten aus Bunzlau zusammen gelebt haben.
Dieser hatte 1565 das Präzeptoramt bei dem in Leipzig
studierenden Konstantin Chodkiewicz?) angenommen und war
seinem Schüler nach Lithauen grfolgt. Erst 1569 kehrte
er von dort nach Wittenberg zurück, um in den Jahren 1572 —
1579 als Lehrer in den Brüdergemeinden zu Koschminek und
Lissa noch einmal dem sarmatischen Osten zu dienen.?)
Mit steigendem Befremden sah Chodkiewicz auf die seit
1563schnell wachsende kirchliche Zerrüttung seines Landes. Zu
den griechischen und römischen Katholiken waren Lutheraner
und Reformierte getreten, ferner Tritheisten, welche die
altkirchliche Trinitätslehre festhalten wollten ohne deren
angeblichen Sabellianismus, Dystheisten, welche die Persönlich-
keit des heiligen Geistes leugneten, Unitarier, Anabap-
tisten. Welche Spaltung zeigte allein seine nächste Ver-
wandtschaft! Von seinen Schwagern waren Johann v.Kurzbach‘)
und Johann Zborowski gute Lutheraner, Peter Zborowski
damals noch ein Gönner und Schutzfreund des Stancaro,”)
der eine eigene Sekte gegründet hatte und gerade 1565 mit
besonderem Nachdruck für sie warb, Andreas Zborowski seit
seinem Wiener Aufenthalte, Sommer 1560,°) strenger Katholik,
Samuel, der am 26. Mai 1584 in Krakau das Blutgeriist
1) Vergl. Wotschke, Kulvensis 8. 250,
?) Dieser Sohn des Georg Cb., des lithauischen Vorschneiders
und Hauptmanns von Bielsk, studierte seit 1562 in Leipzig. 1563 hat
ihm L. Camerarius seine Praecepta vitae gewidmet,
3) Vergl. Wotschke, Graf Andreas von Lissa, S. 31.
4) Gatte der Anna Zborowska.
5) Vergl. Wotschke, Francesco Stancaro, S. 48. Peter Zborowski
und seinem Bruder Samuel widmete später der reformierte Super-
intendent Paul Gilowski seine Katechismusauslegung.
6) Wintersemester 1557—1558 sehen wir ihn mit seinen Brüdern
Samuel, Martin und Petrus in Frankfurt, seit dem 20. Januar 1561 in
Wittenberg. Als er 1574 seine Hochzeit feierte, war König Heinrich
sein Gast,
40 40
besteigen mußte, und Christoph Zborowski!) reformiert, doch
bewarb sich letzterer 1567 um die Hand der griechisch-
katholischen Schwester des Wojewoden Bogdan von der
Moldau; seine Schwägerin Elisabeth heiratete allerdings erst
September 1574 den bekannten Andreas Dudith, der sich
viele Jahre zu den Unitariern gehalten hat. Unter dieser
kirchlichen Zerrissenheit, die zugleich seine nächsten Ver-
wandten spaltete, litt Chodkiewicz. Auf dem Reichstage zu
Lublin, der am 8. Mai 1566 angehoben und auf den ihn
Weigel begleitet hatte, hörte er mit tiefstem Unwillen be-
sonders von dem Ansturm der Baptisten?) Alle staatliche
und gesellschaftliche Ordnung schien ihm durch sie gefährdet.
Gelegentlich seiner Rückkehr aus Lublin blieb er eine Nacht
in Stoklisehki?) südöstlich von Kauen und genoß hier die
Gastfreundschaft des gelehrten Wilnaer Stadtvogts Augustin
Rotundus, den die Pest aus Lithauens Hauptstadt vertrieben
hatte. Einst (seit April 1539) hatte dieser in Wittenberg
zu Luthers und Melanchthons Füßen gesessen, längst aber
den Weg zur alten Kirche zurückgefunden und sich wieder
als deren eifriger Sohn gezeigt. In dem theologischen Ge-
spräche, das sich beim Abendessen entspann, setzten er und
zwei anwesende Mönche, namhafte Wilnaer Kanzelredner,
Weigel hart zu. Auf Chodkiewiez machten ihre Einwendungen
gegen die Reformation einen gewissen Eindruck, beim Auf-
bruch suchte er einen der Mönche zum Feldprediger für sein
livländisches Heer zu gewinnen. Als er im Mai 1567 nach
Wilona zurückkehrte und hier bei einem Gastmahl etliche
neuerungssüchtige reformierte Prediger hart anfuhr, äußerte
er zu dem gleichfalls anwesenden Stadtvogt halb scherzend
und halb wahr: „Hätte ich aus Stoklischki einen der Mönchs-
prediger erhalten, ich wäre wohl heute schon Papist.“ Noch
unsicherer wurde er in seiner evangelischen Überzeugung,
3) Seit dem 18. Dezember 1565 in Heidelberg; der Vater Martin
Zborowski war am 25, Februar d, J. gestorben.
2) Vergl. Wotschke, Christoph Thretius, S. 51f.
3) Unfern Stoklischki hatte das Evangelium in Rykonty, dem Be-
sitze der Talwosz eine Stätte. Der lutherische Kastellan von Samo-
gitien Nikolaus Talwosz (+ 1600) schickte seinen Sohn Adam, den
späteren Hauptmann von Dünaburg (F 1628) zum Studium nach
Deutschland. Am 21. Juni 1579 ließ er sich in Königsberg einschreiben.
Al 41
als jetzt auf des Rotundus Betreiben‘) auch Hosius Mahn-
schreiben an ihn richtete, ihm seine Konfession sandte und die
katholische Kirche als den alleinigen Glaubenshort pries?).
Weigel war nicht der Mann, seinem schwankenden
Herrn eine feste Stiitze zu sein. Schriften des Bischofs
Lindanus und des Cölner Karthäusermönches Surius, die
ihm Rotundus aus Wilna sandte, machten ihn selbst unsicher
und schwankend. Schon am 28. Januar 1568 konnte er
aus Wenden nördlich von Riga, wohin er den Truppen des
Hauptmanns von Samogitien gefolgt war®), schreiben‘):
„Libertas Lutherana pessumdabit Germaniam. Omnia sacra
sunt prophanata et ad rudis plebeculae nutum atque volun-
tatem ditorta, ut omnibus omnia liceant. Jam non amplius
sustineo calvianus dici, etsi nec ante per omnia illi sectae
addictus fui, tamen paulo melius de ea sensi qam nune, ubi video
omnia plane sacra et humana violari et convelli. In hune finem
semper collimarunt aliqui Gastoldiei Vilnenses religionis alio-
. quin eontemptores*5). Die Bitte um Übersendung weiterer
Schriften, die Weigel am Schlusse des Briefes an Rotundus
richtete, fand natürlich beidem eifrigen Werber fiir die alte Kirche
willige Aufnahme. Bald erreichte der Wilnaer Vogt bei Chod-
kiewiez seinZiel. Seine letzten Bedenken überwand der Nuntius
Francesco Commendone®), der Anfang Dezember 1571 wieder
nach Polen kam. Um ihn für das evangelisehe Bekenntnis
zurückzugewinnen, veranstaltete man eine Disputation über
die Autorität der heiligen Schrift, an der außer Chodkiewiez
1) Vgl. das Schreiben des Rotundus aus Grodno vom 3, August 1567
an Hosius, E. S. Cyprian, Tabularium ecclesiae Romanae S. 444ff.
*) Opera Hosii II, S. 242 findet sich die Antwort des Haupt-
manns von Samogitien auf das erste Schreiben des Kardinals, das am
29. Juni 1567 in seine Hinde gekommen war, S. 243 das zweite
Schreiben vom 30. Oktober 1567 aus Heilsberg.
3) Anfang 1568 belagerte Chodkiewicz vergeblich die Burg Ula,
welche die Moskowiter unfern Polozk erbaut hatten. -
*) Vgl. E. S. Cyprian, Tabularium eeclesiae Romanae 578 ff.
5) Leider vermag ich nicht zu sagen, worauf Weigel hier anspielt,
Der lithauische Kanzler Albert Gastold hat einst 1536ff, Abraham
Culvensis unterstützt, ihm die Mittel zum Studium in Wittenberg und
Italien gewährt. Aber von einem Anschluß dieser Familie an die
Reformation ist nichts bekannt. Doch vergl. Corp. Refor. X, 7.
6) Vgl. Gratian, de vita Commendoni S. 326 ff.
42 | 4g
sein Schwager Andreas Zborowski, dazu die evangelischen
Wojewoden von Sendomir, Hohensalza, Brest, und viele
andere teilnahmen. Der spanische Jesuit Franziskus Toletus’),
der mit Commendone nach Polen gekommen war, verfocht die
katholische. Lehre, der bekannte Jakob Niemojewski, der so
oft mit römischen Theologen die Klinge gekreuzt, unterstützt
von Stanislaus Drojewski?) die evangelische. Beide Parteien
schrieben sich den Sieg zu?) Jedenfalls konnte die Dispu-
tation Chodkiewiez Entschluß nicht rückgängig machen.
Fortan bekundete er regen Konvertiteneifer. Bei der Krönung
König Heinrichs arbeitete er z. B. mit allem Nachdruck im
Sinne des Hosius, um den von der Warschauer Konfoederation
geforderten Eid des Königs auf die pacta conventa, der
1) Toletus starb als Kardinal in Rom am 14. Sept. 1596.
*) Auch Drohojowski genannt. Dieser treu evangelische Kastellan
von Przemysl, hatte am 20, Okt. 1542 die Leucorea bezogen, war dann
nach Italien, 1547 nach Zürich und Straßburg gegangen. Mit Flacius,
der ihn um Material für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten bat,
stand er in Verbindung (vgl. seinen Brief vom 6. Juni 1556 bei Wotschke,
Francesco Stancaro S. 33). Zur Drucklegung der polnischen Bibel-
übersetzung stellte er Geld zur Verfügung, auf seinem Erbgute
Drohojow und in Jacmierza (beide Orte liegen bei Sanok in Galizien)
führte er die Reformation ein, Einige Jahre war er ein Gönner und
Schutzherr Stancaros. Er starb bald nach 1580. — Der Matthias
Stanislaus Drohojowski, der seit dem 21. Sept. 1607 in Heidelberg
studierte, in demselben Jahre mit seinem Bruder Johann, den wir seit
dem 16. Okt. 1611 in Leyden sehen, auch die Marburger Hochschule
bezog, der Stanislaus Dr., der mit seinem Bruder Andreas seit April 1617
in Herborn studierte, hier 1619 eine Disputation de prudentia et iustitia
veröffentlichte, waren wohl seine Enkel, die Söhne des um die evan-
gelische Kirche verdienten Kastellans von Sanok Johann Drohojowski,
Der letztgenannte Stanislaus Dr. hat 1645 das Thorner Bekenntnis
unterschrieben. Sein 1624 geborener Sohn Stanislaus studierte seit
dem 5. Juli 1644 in Leyden, sein Sohn Andreas seit 1651 in Frankfurt
Das Thorner Gymnasium besuchten seit 1648 die Brüder Christoph
und Wladislaus Dr., ersterer ist der spätere Przemysler Bannerträger,
der manche Synode, 1682 die zu Radzienezyn im Lubliner Lande,
geleitet hat.
3) Nähere Nachrichten über dies Religionsgespräch gibt ein Brief
des Gratian an den zum Katholizismus übergetretenen Nikolaus Tomicki
den Sohn des Gnesener Kastellans Johann Tomicki, aus Warschau vom
2. April 1572. Als Trumpf gegen Niemojewski, der sich des Sieges
rühmte, veröffentlichte die Gegenseite den Brief polnisch und lateinisch
am 18. August 1580. Vgl. Scriptores rerum Polonicaram VII, 225.
43 43
Religionsfreiheit verbürgte, zu verhindern oder abzuschwächen!).
Von den Gotteshäusern, in denen Chodkiewiez den römischen
MeBgottesdienst wieder aufrichtete, seien die Kirchen in
Martynow (in Wolhynien unfern Luzk) und Hnezna (unfern
Wolkowischki), in der 1588 Chodkiewiez’ Gattin ihre letzte
Ruhestätte fand, genannt?) Chodkiewiez selbst starb schon
1578°). Von evangelischer Seite sind ihm noch 1574 von
Nikolaus Rej, dem polnischen Hutten, und 1577 von
Bernhard Gorecki Schriften zugeeignet worden.
Trotz langen Schwankens blieb Weigel schließlich doch
der Reformation treu. Dem Beispiele seines Herrn folgte ernicht-
„Munera, dum vivo, tua, Leucoris alma, tenebo,
Quaque decet memori mente fideque colam“,
hatte er 1561 gelobt. In der Tat brannte die Liebe zur
Reformationsstadt in seinem Herzen. Nach des Chodkiewicz
Übertritt kehrte er nach Wittenberg zurück. Hier sehen
wir ihn 1573. Jn das Studentenalbum*) des Claudius Textor
aus Savoyen, der am 15. April 1564 sich an der Leucorea
hatte einschreiben lassen, trägt er Matth. 5,10, dazu lateinische
und griechische Verse über diesen Spruch ein. Es ist das
letzte, was ich über ihn ermitteln konnte.
I. Georg Weigel an Hérzog Albrecht.
Gnadf, fridt vnd alle heilsame wolfart dureh Christum
neben erpietung meiner alzeytt schuldigen, vnderthenigen.
willigen vnd gehorsamen dienste vnd demütigem gebett zu
gott beuor. Gnedigster fürst vnd herr. Ich bin den
24. Juni, an S. Johannis des täufers tag, gott lob frisch vnd
— 1) Am 12. Dezember 1573 hatte Hosius deshalb an ihn geschrieben.
Hosii opera II, 374ff.
*) Das Gotteshaus in Szklow am Dniepr, eine der östlichsten
reformierten Kirchen im Reformationsjahrhundert hat sein zweiter
Sohn Alexander, der Wojewode von Troki, katholisiert.
?) Februar 1578 gewann er noch den Rigaer Arzt Zacharias Slopius.
den Bruder des Kottbuser Stadtschreibers Hieronymus Slopius für
seine Dienste. Cichocki schreibt in den colloquia Osiecensia von Chod-
kiewicz: „Vir sine controversia magnus, quem vulgus terrorem impro-
borum hominum vocare consueverat, omnes fere haereses antea perva-
satus tandem levitatem inconstantiamque fluctuantium dogmatum
detestatus toto animo catholicam amplexus est religionem, in qua
tuenda adeo profecit, ut palam solidis rationibus assertores istos novi
evangelii impietatis convinceret,“
^) Im Besitze der Lutherhalle in Wittenberg.
44 44
gesundt gen Witeberg ankhomen vnd hab e. f. d. brieff eim
jedlichen jn sonderheytt vnd D. Maiori brieff vnd die 100 fl.
selbs treulich vnd fleiBig nach e. f. d. gnedigem beuelch über-
antwortet, welche alle zu jrer zeytt sich gegen e. f. d. vnder-
theniglich bedanekhen werden, insonderheit D. Maior, welcher
mir sagt, jch khäme jm darumb gantz gelegener zeytt, weyll
er morgen, daß ist den andern tag meiner ankhunft, seiner
tochter, welche er eim jungen magistro," so nun jura studiret,
verheirat, hochzeytt zu halten gedacht were. Herr D. Jonas
war nit anheim, sonder wie jch von seim gemahel vnd
letzlich von jme selbs verstanden, jn churfiirstlichen von
Sachsen geschefften, welcher e. f. d. brieff mit hoher freude
gelesen vnd sich meiner ankhunft zu e. f. d. mit mir tröstlich
. erfreuet vnd wie sein brauch e. f. d. gnedigen willen, lust
vnd lieb zum wort gottes mit merern worten exaggerirt vnd
confirmirt hat, also daß jch, weiß gott, je lenger je mer von
hertzen beger, einer solehen theologischen fiirstlichen per-
sonen, welche incorruptam evangelii vocem et ipsius ministros
lieb vnd werdt helt, ernert vnd promouiert, jn vnderthenik-
heitt neher zu sein. Vnd khan auff e. f. d. mit grundt vnd
warheit der spruch Esaiae 49. wol gezogen werden: „erunt
reges nutritii tui et reginae nutrices tuae.“ Also khan vnd
will dan der fromme gott solche christlichen frommen regenten
mit frolichem mundt anreden psalmo 81.: „ego dixi, dii estis
et filii excelsi omnes“.
Hiemit, gnediger fürst vnd herr, schickh jeh e. f. d.
zwey exemplaria der gehaltenen gedechtnus Philippi, darin
die zwen verb stehen. Mich rewet es offt, daß jch von
e. f. d. khein anleitung brieflein an meine herren von Nürn-
berg (wie mir wol zu thun gebürt hett, aber auf vergessen
vnderlassen) vndertheniglich begert vnd versucht habe, so
hetten sie desto mer vrsach gehabt, mich maiori humanitate
ét liberalitate von jnen zu lassen. Pitte hiemit den trewen
lieben gott, er wölle e. f. d., derselben christlich lieb gemahl
vnd junge herschafft jn langwiriger gesundtheit vnd glück-
seligem regiment gnediglich erhalten vnd von allem übell
leibs vnd seel bewaren. Amen. Thue mich derselben e. f. d.
jn vndertheniekheit ganz vnd gar ergeben. Datum Witeberg,
den 30. Junii anno Christi 1561. E. f. d. vndertheniger vnd
gehorsamer Georgius Vueigelius.
II. Georg Weigel an Martin Faber.
Pereupio abs te cognoscere, humanissime mi d. M.
Martine, quam feliciter Noribergam veneris et qua etiam
nune valetudine quove successu fruaris, Gratulor tibi, si
conditionem te dignam et tranquillam consecutus es. Ei
dvaxoveig rag Aiyıöiw, quod omnino spero, amplissimam
1) M, Joh. Purgold aus Eisenach,
45 45
habes occasionem contrahendi amicitiam cum Nentuuichio,
viro optimo fratre mihi carissimo, tuo favore et benevolentia
dignissimo. Hune ipsum, ne quid amicitiae nostrae desit,
in meum locum interea statuo, qui sua morum suavitate et
conditione facile efficiet, ut ipsius nomine et me arctius sis
complexurus. Sic officiosus est, ut gaudeat sibi dari occasio-
nem de quoque bene merendi, tam fidelis, ut prọximi magis
salutem quam suam curet, adeo candidus et apertus, ut dissi-
mulare pariteracsimularenesciatet, ut paucis dicam, sravagıorog,
wokvwpeihg avijo qíAog ovvetdg te xoi eUvovc, ut Herodoti
voce utar. Hune et meo et me ipsius nomine amabis,
sumus enim idem corpus. Hie omnia adhuc salva sunt. Ad
8. Augusti diem designati sunt magistri numero 33”), in quibus
et nostri Gronus?) et Helmus?) erant. M. Schoppius 28. die
Augusti suas celebravit nuptias satis solemniter, ad quas
nos Noribergenses ferme omnes convenimus. Die Augusti
14. obiit Elisabetha, filia D. Maioris natu media. Disputatio
inter M. Vietorinum et lllyrieum interrupta est morte filioli
prineipis Saxoniae Janfrideriei natu maioris. Doctor Maior
paulo ante mortem filiae aegrotare coepit et huc usque gra-
viter decubuit, nune melius habet, pro quo deum oramus,
ne suam navieulam omnibus his gubernatoribus destituat;
sed eam ipsam regat et doceat et subinde alios aliis nau-
cleros subiungat. Rumuseulus hie est regem Galliae expediisse
legatos ad caesarem de ablegandis nostris ad se theologis,
ut cum ipsius conferant. Ita enim homines flagrare purioris,
si quae praeter usitatam sit, doctrinae studio, ut si diutius
recuset, periculum sit de tumultis. Plura alias. Bene
vale. Vuittebergae raptim 1560 die Septembris 27. *)
III. Matthäus Motzarus an den Kanzler
Hans von Kreitzen.
Quamquam, magnifice domine, nullis a me studiis laces-
situs, multis tamen officiis a Tua M. D. sum eumulatus, pro
quibus tantum me Taae M. D. debere intelligo, ut nuHis
officiis, nulla opera, labore industriaque mea posse videar
satisfacere. Quae quoniam ex aequo reponere non possum,
referet M. D. Tuae hie, qui pietatis officia multo eum foenore
Solet remetiri. Sie etiam per sexennium Alberti olim prin-
eipis beneficiis usus sum, euius etiam munificentia ad culmen
et fastigaum eruditionis in celebri hac academia Regiomontana
1) Vgl. Kóstlin, die Baccalaurei und Magistri der Wittenberger
philos. Fakultät 1548—1560 S. 23.
? Melchior Gruen, seit Februar 1555 in Wittenberg, später Pro-
fessor der Logik in Wittenberg.
3) Melchior Helm, seit August 1557 in Wittenberg.
4) Dieser Brief ist entnommen dem Codex Gothanus chart. A. 123,
Bl, 277.
46 46
aspiravi'), et ubi doctrinae mediocris quandam cognitionem
mihi comparaveram, alio me consensu eiusdem principis
obligans me ad reversionem chirographo contuli,“ut Tua M. D.
haud dubie habet in recenti memoria, praesertim cum per
Tuam M. D. cum ill. principe de impetranda venia egi.
Quoniam autem ultra terminum in chirographo?) expressum
in peregrina vel exterranea natione moror, videtur et fides
apud me naufragium fecisse et fructus ingenii mei non in
obsequia suae celsitudinis sed aliunde divertisse, ideo non
immerito macula ingratitudinis, quae mihi^ semper invisa
detestataque est, videor nune notandus... Paucis attigi in
literis meis ad ill. principem, quibus rationibus adductus
peracta peregrinatione in regno Poloniae moror, nimirum
quod mihi cuiusdam gymnasii curam eontra propriam volun-
tatem a quodam magnate regio commissa est, quam iam
deponere vellem, si ill. principis literae, quales in literis?)
ad suam eelsitudinem expressi, advolabunt. Quam obrem
Tuam M. D. submisse rogo, ut cum sua celsitudine hoc in
meo negotio ita agat, quo ef sim apud suam celsitudinem
excusatus, quod diutius iusto in peregrina natione ultra
1) Motzarus stammte aus Lyck, hat in Königsberg studiert und
1566 eine Rede de excubiis angelorum dem Herzog Albrecht gewidmet.
Ende 1571 gewann ihn der Radziwillsche Hauptmann in Klezk,
Hieronymus Makowiecki, der Frühjahr 1563 mit dem jungen Nikolaus
Christoph Radziwill nach Straüburg gezogen war, damals von dem be.
kannten Unitarier Simon Budny gebeten war, Bullingers Ansicht über
das zwischen der griechischen und römischen Kirche strittige „filioque“
einzuholen, der September 1568 von Tübingen über Stuttgart nach
Lithauen zurückging, zum Leiter der Schule in Klezk (zwischen dem
Eisenbahnknotenpunkt Baranowitschi und Sluzk). Innerhalb der von
den unitarischen Predigern Thomas Falkonius und Simon Budny ge-
leiteten Gemeinde hat er als lutherischer Lehrer gewirkt. Doch nur
kurze Zeit. Die noch 1572 aus Leipzig zurückkehrenden Albrecht
und Stanislaus Radziwill richteten wohl schon im nüchsten Jahre den
Katholizismus in Klezk wieder auf.
2) Vgl. oben S. 35.
3) An den Herzog Albrecht Friedrich hatte Motzarus an dem-
selben Tage geschrieben: ,Post longam iactationem fati, ubi me for-
tuna tandem ex variis periculis emersisset, in optatum portum detulisset,
duxi mihi in Polonia paululum respirandum. Et interea dum in aula
regis Polonorum versor, opinione fortasse alicuius in me eruditionis
quidam de proceribus Hieronimus Makovietius apud regem effecit, ut
me suo gymnasio Klecensi praeficeret, quod, ne voluntati regiae videar
cessisse, nefas mihi detractare iüdicavi concessique verum tantum
in annum docendi munus, quod iam iuvante deo die natalitii Christi
conficiam deponamque. Verum ne contra propriam voluntatem petiti-
onibus eiusdem dni Hieronimi Makovietii, capitanei Klecensis, viri sane.
47 47
terminum in chyrographo datum maneo, etsimul hae literae,
ut sim nimirum functione hae scholastica vacuus, mihi a sua
celsitudine elargiantur, sine quibus deserere conditionem sine
magna molestia et commotione eius, qui mihi eam iniunxit,
non possum.
Significavi etiam suae celsitudini brevibus, qualis esset
rei publieae Polonorum status et quod ex tribus die epipha-
niarum fieri deberet electio unaque ex his aut fratrem caesaris
aut prineipem nostrum Prussiae aut ducis Moscorum filium
proceres dominii in regnum substituere vellent. Exposui
simul suae celsitudini meum consilium, quo pacto sua
r
celsitudo prae ceteris potiri regno Poloniae poterit, quod proeul.
dubio ex literis meis ad suam celsitudinem haud obscure M. D. T.
perspiciet. Si autem M. D. T. rationes consilii mei non
omnino displieuerint, pergratissimum mihi T. M. D. fecerit,
si prineipis nostri animum M. D. T. eo inflectat, ut huic consilio
assentiat. Ego cum his proceribus, quos in literis meis ad
suam celsitudinem memini, ita caufissime iuvante deo rem
agam loco, tempore oceasioneque idonea, ut nulla inde suspitio
nascatur, hanc suae celsitudinis voluntatem fuisse. Siill. princeps
consilio acquievit, rogo T. M. D., ut quoque efficiat, ut sua
celsitudo, saltem duo equi sunt mihi, alios duos, vestimenta,
pecunias suppeditet, solomodo ut in aula horum procerum
regni in quibus cardo totius regni versatur ef cum quibus.
etiam mihi res erit, non inferior in omnibus ceteris eorum
aulieis appaream. Hae vero impensae, si res ex voto ceciderit,
quanto cum foenore revertantur, iuvante deo eventus ipse
ostendet. Sed hae in re maturandum est, ut habeam spatium,
quo in procerum animos insinuem, ut mihi rationes suarum
sententiarum communicent, et hac naeta occasione eonveniente
loco et tempore ad amplifieandas prineipis nostri laudes nec
eonsilium nee studium meum deerit.
Tua M. D. non gravetur mihi perseribere, qualis sit status
reipublieae Prussiacae post ademptum nobis prineipem
Albertum seniorem. Incerti enim rumores de ea apud nos
vagantur, quare id certissimum existimabo, quiequid ex M.D. T.
cognovero. Interim me meaque omnis generis obsequia
M. D. Tua sibi commendata habeat. Datae ex Klecko 12. Novem-
bris anno 1572. M. D. T. famulus obsequentissimus Matthaeus
Motzarus.
eruditi, succumbam et in sequentem annum onus et molestias gym-
nasii sustineam, submisse T.'Celsitudinem obsecro, ut huic rei Tua.
Celsitudo clementer occurat.^ Der Herzog möchte: ihn als seinen
Untertanen und Stipendiaten heimrufen und bei Makowiecki seine
Entlassung erwirken. Aus Dank würde er bei der bevorstehenden
Königswahl die Stimmen der polnischen Großen auf ihn lenken.
Die Urkundensammlung des Brettener
Melanchthonhauses.
Von Lic. Dr. Karl August Meißinger.
Das Melanchthonhaus zu Bretten besitzt eine Sammlung
von Urkunden aus der Reformationszeit, von der im Folgen-
den Nachricht gegeben werden soll.
Den Grundstock der Sammlung, der dann durch Ge-
schenke von Sr.K.H. dem Großherzog Friedrich I. von Baden
und von Herrn Studienrat Wörner in Bretten vermehrt wurde,
bilden die aus dem Nachlaß Nikolaus Müllers in den
Besitz des Hauses übergegangenen Urkunden. Das weitaus
wertvollste Stück, die bisher einzige studentische Nachschrift
aus der ersten Vorlesung Luthers über den Galaterbrief, hat
Hans v. Schubert veröffentlicht (Luthers Vorlesung über
den Galaterbrief 1516/17. Zum ersten Male herausgegeben
von Hans von Schubert. Abhandlungen der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, Stiftung Karl Lanz, Philo-
sophisch-historische Klasse, 5. Abhandlung, Heidelberg 1918. —
Dazu: Hans von Schubert und Karl Meißinger, Zu Luthers
Vorlesungstätigkeit. Sitzungsberichte der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften usw. wie oben, 9. Abhandlung,
Heidelberg 1920.)
Den Rest der Sammlung machen Briefe und andere
Urkunden aus der Reformationszeit aus. Diese habe ich im
Auftrage des Vorstandes des Melanchthonvereins einer vor-
làufigen Bearbeitung unterworfen.
Naeh welchen Gesichtspunkten Nikolaus Müller bei
Erwerbung der einzelnen Stücke verfahren ist, kann aus der
Sammlung kaum vermutet werden, Äußerungen von ihm
selbst scheinen darüber nicht vorzuliegen. Auf den ersten
Blick kónnte man denken, es sei dem Reformationsforscher
um nichts als ein Magazin von Handschriftenproben zu tun
49 49
gewesen; denn außer den Originalen finden sich Facsimilia
und Photographien. Diese sind, ebenso wie die schon ander-
weitig veröffentlichten Stücke, von der Bearbeitung aus-
geschlossen worden. Bei den letzteren wurden lediglich
Textvergleichungen vorgenommen. Hier sind die Ergebnisse:
Nr. 18. Joh. Bugenhagen an Conrad Cordatus, Witten-
berg, 25. II. 1530. Druck bei O. Vogt, Dr. Johannes Bugen-
hagens Briefwechsel, S. 91ff, Nr. 36.
Vogt
Original nobis S. 91, Z. 5 vobis
Turcam » 6 Turcos
Saxonas „ 15 Saxones
Einbeke „ 16 Eimbeck
fuit hue ad fuit ad .
illie S. 92 , 8 illis
eiectionem „ 14 enectionem
optima „ 19 operam
propter „21 apud `
Lubecae „ 24 Lubeck
praedicatur » 26 praedicans
canuntur „ 27 canens
von S. 93, „ 2 vom
sehe darzu » 2 sieh darein
irascetur „ 8 noscet
Vrsalium „ 13 Vasalium
papisticos „ 16 papisticas
Nr. 19. Schluß eines Briefes von Phil. Melanehthon
an Bürgermeister und Rat von Nürnberg, Wittenberg,
25. XII. 1543. Druck Corp. Ref, V, 257.
7.29 des Druckes ist vor „Vater“ „Gott“ einzusetzen.
Nr. 57. Joh. Matthesius an Joachim Camerarius,
Joachimstal 25.X11.1556. Druck bei Lösche, Joh. Matthesius
Ba. U, S. 324, Nr. 127.
a. a. O. Z. 16: cum vere etiam et veritati et Cliniae
ex animo benevele. Original: cum vere sciam et
veritati et Cliniae te ex usw.
Bei näherem Zusehen findet sich, daß immerhin ein
bestimmtes Interesse bei einer Reihe dieser Schriftstücke
vorwaltet. Ein Blick auf das unten abgedruckte alphabetische
Register lehrt zunächst, daß Joachim Camerarius und
Georg Major als Absender oder Empfänger je mit einer
längeren Reihe vertreten sind. Ferner findet man in dem
Register Namen wie Hieronymus Baumgartner, Caspar
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1. 4
50 50
Cruciger, Paul Eber, Moritz Helling, Jacob Lechner,
Caspar Peucer, Michael Röting, Esrom Riidinger,
Georg Sabinus, Johann Stigel. Mit einem Wort ist
es also der Kreis der Melanchthonianer, der in
unserer Sammlung ausgiebig za Worte kommt, Der Prae-
ceptor Germaniae steht im Hintergrund, und insofern ist die
Sammlung gerade im Melanchthonhaus an ihrem rechten
Ort. Von Nikolaus Müllers ausgebreiteten Melanchthonstudien
her, die sich z. B. in den reichen Anmerkungen zu seiner
Veröffentlichung „Melanchthons letzte Lebenstage, Heimgang
und Bestattung“ (Leipzig 1910) kundgeben, ist die Bevor-
zugung dieses Kreises von Reformationsmännern zu verstehen.
Im Ganzen bleibt der Eindruck einer gewissen wahl-
losen Buntheit. Müller scheint die Antiquariatskataloge nach
Reformationsurkunden durchgesehen und alles, was von
einigem Interesse sein konnte, an sich gezogen zu haben.
Auch darin liegt noch ein Verdienst, denn im Handel ver-
zettelt sich dieses Material immer mehr.
Der größte Teil der Urkunden ist zwischen 1530 und
1560 entstanden. Älter sind von den 71 Nummern 8
(1508—1529), jünger 10, eine ist undatierbar. Von den
Stücken nach 1560 fallen 9 in den Zeitraum bis 1596.
Ganz außerhalb des Rahmens der übrigen Sammlung steht
das zehnte, ein Schreiben von Martin Rasch(?) aus Ham-
burg 1685, der als Nachrichtenagent eines baltischen(?) Herrn
einen Bericht über ihm zu Ohren gekommene politische
Nenigkeiten liefert.
Ebenso fremd sind dem Stoffkreis der anderen Urkunden
die Stücke Nr. 11 (eine Finanzverfügung Franz I. von Frank-
reich) und 10 (Mahnung des Kaisers Ferdinand I. an Georg
von Bitsch, betr. rückständige Steuerbeträge).
Am meisten sticht der Name Luthers hervor, aber hier
erwartet den Freund des Reformators eine Enttäuschung.
Das Stück Nr. 14 scheint ein Stammbucheintrag zu sein,
Für die Echtheit möchte ich mich nach gründlicher Ver-
gleichung mit dem von mir gleichfalls untersuchten und nach
Zweifeln für echt erkannten Bucheintrag, den die Frauk-
furter Stadtbibliothek verwahrt, zwar einsetzen. Allein auch’
so ist das Blättchen ohne jede Bedeutung. Das Stück 43
5l 51
ist kein Autograph, sondern ein von Schreiberhand, ein-
schließlich der Namen, geschriebenes Visitationsgutachten
Luthers, Bugenhagens und Melanchthons über einen Gegen-
stand von sehr geringem Belang. Die Urkunde Nr. 65 ist
zwar ein echtes und ansehnliehes Autograph, aber auch nur
für die Finanzgeschichte des Wittenberger Augustinerkonvents
von Bedeutung, Endlich das Stück Nr. 65a ist eine völlig
obskure Zusanimenstellung von Daten zu Luthers Leben.
bis 1525, Müller vermutet Abschrift eines Originals von
der Hand des Hieronymus Schurff. Irgendeine in
diirfte dem Blatt nicht zukommen.
Überhaupt dürfen weltbewegende Enthüllungen von der
Durchforschunng dieser Urkunden nicht erwartet werden.
Hingegen bieten sie eine Fülle interessanter Einzelheiten,
und für Spezialforschungen mag sich manches Wichtige
ergeben. Sich hierüber zu äußern, geht über den Zweck
der gegenwärtigen Anzeige hinaus, Nur einige Züge sollen
aus der Masse ausgewählt werden. |
Camerarius (dessen künftiger Monograph an den
Brettener Urkunden nicht vorbeigehen wird) ist z. B. nach
Stück 32a und b in seiner Nürnberger Zeit englischer
Agent — für einen Schulmeister nach unseren Begriffen ein
wenig sonderbar; übrigens wissen wir von dem großen
Straßburger Pädagogen Johann Sturm das Gleiche. Noch
interessanter ist, daß das „Stipendium“, dessentwegen unser
Humanist der englischen Krone diese Dienste leistet, in dem
genannten Doppelstück eine so große Rolle spielt, daß alles
übrige, freilich sehr geschickt, nur um diesen Hauptpunkt -
herumkomponiert scheint, Den gleichen Eindruck, daß
nämlich der gefeierte Humanist, der Sprößling einer hoch-
angesehenen Bambergischen Familie, damals in Geldverlegen-
heit ist, gewinnen wir aus dem undatierten, aber gleichfalls
nach Nürnberg gerichteten Schreiben des Basler Humanisten
Johann Sichard. Diesem hat sich Camerarius als Uber-
getzer seiner exegetischen Arbeiten angeboten und sogar
auf Nennung seines Namens auf dem Titel verzichten wollen.
Der Hauptpunkt ist auch hier wieder das Honorar des Verlegers
— wohl eine der frühesten Erwähnungen dieser damals
noch neuen und von Vielen als bedenklich empfundenen
4*
52 | | 59
Einrichtung. Bekanntlich hat Luther großen Wert darauf
gelegt, daß er nie einen Heller für seine Schriften von
seinen durch ihn zu reichen Leuten gewordenen Druckern
bekommen habe, — darin gewiß ein Mann nach dem Herzen
Schopenhauers,
Eine höchst interessante Persönlichkeit ist der zum
Protestantismus übergetretene Bischof und päpstliche Nuntius
Paul Vergerius, der in dem Stück Nr. 28, einem Briefe
von Georg Sabinus an den Brandenburgischen Rat Thomas
Matthias, als Württembergischer Gesandter nach Nord-
ostdeutschland auftaucht. Die Reise könnte mit der in der
Allgemeinen Deutschen Biographie Bd. 39, S. 619, Z. 6ff.
erwähnten identisch sein.
Aus der Frühzeit der Religionsveränderung in Straßburg
stammt ein kurzes undatiertes Schreiben des Caspar Hedio
an Wolfgang Capito. Hedio schickt durch den berühmten
Basler Drucker Proben seinem Freund einen Brief von
einem Dritten, der an C. als Pfarrer von Jung-St. Peter
adressiert ist. Hedio kennt Capito nur als Probst von
st. Thomas, Stimmt die Adresse, so scherzt er, dann hast
du demnach zwei Pfarren und kannst nach dem Gebot des
Evangeliums dem eine geben, der keine hat. Das Stück,
über dem es wie Frühlingshauch jener lebendigen Anfangs-
jahre liegt, ist bestimmt auf Ostern 1524 zu datieren. Da-
mals hatte die Gemeinde von Jung-St. Peter auf ziemlich
gewalttätige Weise es eben durchgesetzt, den Probst von
St. Thomas zu ihrem Pfarrer zu bekommen.
Auch für Stadt- und Kulturgeschichte wird sich aus
unserer Sammlung manches ergeben, so für Nürnberg,
wo z. B. nach einem Briefe Majors von 1535 bei Immo-
bilienverkäufen eine Steuer zu entrichten ist (Nr. 20, 3),
und wo bei der Pest von 1533 Meldepflicht für jeden Sterbe-
fall besteht (Camerarius, Nr. 32a, 8). Für die Witten-
berger Stadtgeschichte ist z. B. der Brief Paul Ebers
von 1552 von Interesse. Eber klagt über schwere Ein-
quartierung (41, 2ff.). Es handelt.sich um die heimlichen
Truppenansammlungen, die im Zusammenhang mit der
Belagerung Magdeburgs dem Abfall des Kurfürsten Moritz
vom Kaiser vorangingen. Eber erhofit Besserung von der
53 | 53
Rückkehr des damals abwesenden Melanchthon — ein
kleines aber sehr deutliches Zeichen für das hohe An-
sehen des Mannes.
Ein gewisser Michael Römer (Romanus), der soeben
eine Pfarre erhalten hat und die Welt in rosenroter Schminke
sieht, rühmt 1550 die Einrichtung der Wittenberger Univer-
sitätsprüfungen und Abgangszeugnisse (Nr. 48).
Sehr interessant ist eine Wittenberger‘ Pfarrgehalts-
quittang des Georg Major von 1544 (Nr. 5), wo die
einzelnen Bezüge genau aufgezählt sind: Präbendenzins,
Präsenz, Kapitelgeld, Wein- und Biergeld, Backgeld, Salz-
geld, Obedienz, sowie Weizen und Korn in natura, alles als
Stiftsherr des Altenburger Stifts.
Einen Einblick in die Verhältnisse des Gothaer
Kirchenkastens, deren Verworrenheit nicht zu den Ausnahmen
gehört haben dürfte, erhalten wir aus einem Bericht des
Justus Menius an seine Regierung (1547, Nr. 25). Von
unzulänglichen Pfarr- und Schulgehältern, von Beitreibung
außenstehender Gefälle usw. ist des öfteren die Rede. Ein
Kenner dieser Finanzverhältnisse wird aus unseren Urkunden
vieles lernen.
Zu allgemeinerer Bedeutung erhebt sich weniges. Zu
nennen wäre etwa die sehr ausführliche Instruktion des
Kurfürsten August von Sachsen an seine Räte beim Reichs-
tag zu Augsburg (1559). Dieses Schriftstück, weitaus das
umfänglichste der Sammlung (Nr. 61) gibt einen sehr deut-
lichen Begriff von den verwickelten Verhandlungen, die nach
dem mißlungenen Frankfurter Rezeß sich zwischen den
protestantischen Ständen hin- und herschleppten, und über-
haupt von der heillosen Diplomatie, die sich der Glaubens-
fragen bemächtigt hatte.
Im folgenden sollen nun zwei dieser wichtigeren Ur-
kunden abgedruckt werden. Die erste ist eine Visitations-
vollmacht des Landgrafen Philipp d. Großm. v. Hessen für
den hessischen Reformator Adam Kraft und seine Mitarbeiter
Jost v. Weiters und Kraft Ruwe vom 27. Februar 1528.
Walter Sohm in seinem trefflichen Buch „Territorium
und Reformation in der hessischen Geschichte 1526—1555“
94 54
erwähnt S. 52, Anm. 4 einen Visitationsbefehl, der mit dem
unseren vielleieht identiseh ist. In diesem Fall würde sich
die von ihm angenommene Chronologie der Visitation in
der Oberen und Niederen Grafschaft Katzenelnbogen um ein
ganzes Jahr zurückdatieren.
Die Urkunde ist von einer Kanzleihand geschrieben und
von Philipp eigenhändig gezeichnet. Das fehlende Siegel
und die Aufschrift waren vermutlich auf dem in Verlust
geratenen zweiten Blatt des Bogens. —
Wir vonn gotts gnaden Philips Lantgraue zu
Hessen Graue zu Caczenelnpogenn etc. fugen
hie mit vnnserm vffnenn brieff menglich
zu wiessenn, das wir gegenwärtigs denn
Hochgelertenn wirdigenn vnnsern Capplan
kamer diener lieben andechtigenn vnnd
getreuwen Meyster adam Crafft vonn
fuldaw Jostenn vonn Wyther vnnd crafft
Ruwen vss gefertiget vnnd Inen beuolen
habenn Inn vnnsernn Obernn vnnd nydern
kaezenelnpogenn graueschafften dye geystlichen
zw visitiernn, dye pfarhern allenthalben ,
dar ynn zw examiniern In massenn Jungst
vor wyler zyt In vnnserm [sic] furstenthumen
auch bescheen, dye vngeschicktenn vngelerten
predigern zw eniseczenn, andere Cristliche
Euangelisehe Lerer an der vndochtige entseczt[e]
stadt zw ordiniern, die selbigenn zw refor-
miern, vnnd vonn vnnsernt wegenn, hie
vor gegebnen beuelch vss zurichtenn, zw
vor sehenn vnnd zw volnfuren, wye sie des
vonn vnnss bescheydt entpfangenn habenn
Darumb wir hie mit allenn vnnd Jedenn
pfarhern, pharuerwaltern Capellan vnnd
geystlichenn guter besiczern, Auch allen vnsern
amptleutenn Rentmeystern kellern rentsehrieb[ern]
Schultheissen landtknechten vnnd beuelhabern, darz|w]
allenn Burgemeystern Rathen, vnnd andern de[n]
vnnsern die mit duessem' vnnserm brieff
ersucht vnnd angelangt werdenn, ernstlich
(Rückseite)
gepietenn beuelhen vnnd wollenn das yr sampt vnnd
besunder vff der gedachten vnnser abgefirtigtenn
furnemen, begernn vnnd an synnen diess
mals glieh als ob wyr selbs zu gegenn weren,
55 | 55
zuthun gleuben vnnd ir anbrengenn stadt geben,
vnnd Inen zw solicher vonn vnnserntí wegenn vss-
riehtung verseung vnnd volfurungk wie sie
euch das anzeygenn werdenn, roitlich furderlich
bestendig vnnd beuolenn, sie[sie| auch yhenen sampt
denn Ihenen so sie mit sich bringenn vand
haben werdenn, zimlich fueter vnnd Maell
entrichten vnnd beczalen, vnnd euch In dem
allem gehorsamlich haltet vnnd erzeyget Des
woll [sic] wir vnns also zw Euch samptlieh vnnd ,
Jedenn In besunderheyt verlaessenn, vnnd nach
gepurnis eynis yedenn Mans wirdenn vnnd
Wesenn gunstliglieh zw beschulden vnnd In gnaden
zw Erkennenn. geneygt seyn, Es beschicht hir
an vnnser gnedich ernste zuuerlesich befelch
vnnd meynung zw vrkundt vnther vnnserm
hir vff gedruckten Secret Gebenn In vnser
stadt Cassell am donnerstag Nach Dionisij
Anno ete. xxvii]
Philips L. z. H. ete. sseripsit.
Von hohem persónliehem Interesse ist die folgende Ur-
kunde, ein Brief Johann Friedrichs d. GroBm. aus der Zeit seiner
trauervollen „custodia“. Einige seiner Anhänger haben sich
mit einem Zauberkünstler eingelassen, der sich anheischich
gemacht hat, durch seine Künste die Erledigung des Kur-
fürsten aus der Haft zu bewirken. Der Kurfürst hat es
abgelehnt auf solche dunklen Machenschaften einzugehen
und den Mittlern heftige Vorwürfe gemacht, gegen die jene
sich verteidigt haben. Auf dieses Schreiben antwortet Johann
Friedrich:
Vonn gots gnadenn Johans Fridrich Hertzog zu Sachsen der
Eldter Landgraue zu Duringen vnd Marggraue zu
Meissen ete.
Liben rethe vnd getreuenn, Wir haben euer an vns gethanes
schreibenn, dorinnen Ir auf jungste vnser euch gegebene
antwurtt des furgebrachten kunstlers Rattschlag halbenn,
euere endschuldigung furgewand habet, empfangen, vnd seines
inhalts gelesen, Das wir nun den-
selbigen radschlag mit Gott vnd gewissen vor gutt vnnd
Christlich nitt erachten konnen, Sundern denselbigen vor
abgottisch haltten; des habet Ir vnsere vnd aus Gottes wortt
ergrundete vrsachen, aus derselbigen vnser antwurtt ver-
standen, Des gemuts sein wir auch noch. ^ Vnd konnen
56 | 56
es abermals nitt anders dan darfur achten; haben aber
.euer Personen; als die Ir es mitt vns vndterthenniglich vnd
treulich meynett, vnd vns vnser beschwerunge gerne end-
ledigett seghett; In diszem handel whol endschuldigen, Euch
auch mitt solchem anziehen das es abgotterey vnd schwer-
merey sey, nitt gemayntt, Sundern den meyster des
wergks. Dann sol vnser sachen
zu seinem guten bescheid vnd erledigung, wie wir zu Gott
dem Almechtigen verhoffen, gereichen, So wirdett es sein
Almechtikeitt, die wir darumb bitten, vnd gebeten, aber doch
nichtt vf Creuter vnd derselbigen wirckung gesetzt sein wil, ver-
leihen vnd schickenn, vnd dartzu der Key. Maiestet hertz (Bl.Ib)
[n der
handen es stehett, miltern, Vnd ob Ir whol
anzaigett das er Justus Menius bemeltten Rattschlag mitt
vor gutt angesehen, So zweiueln wir doch nitt, so er der
Person
vnd seines Rattschlags genugsam vnd grundlieh berichtett,
vnd
vermergktt was der heilige man Doctor Luther von solchen
vnd
dergleichen furgeben, gehalttenn, er als ain Theologus
wurde sieh In solehe weltt hendel zurathenn nitt habenn
bereden
lassen, Sundern vil mher mitt Gott vnd seinem whortt, vnd
was sein ambtt ist, bekommern, Sich auch In denen sachenn
selbst wissen zubescheiden, Das man Gotte, vnd nitt Creaturn
oder Creutern solle vertrauenn, vnd desselbigen hulf suchen
vnd bitten. Es wurden auch alle erfarne vnd gelerte Medici
wan sie gleich von Gottes wortt nichts wusten. solchen
Fantaseyen |
keinen Glauben geben, vnd ist kein lherer der Ertzney der
auch authenticus where, der den sachen aynigen beifal
geben
wirdett. Setzen demnach vnser
vertrauen vi Gott, vnd kein menschliche vernunfit, Dem
wollen wir vermittelst seiner Gotlichen gnaden, wie Dauid
sagtt stillhaltten. Der wirdett die seinen wie Petrus sagtt
tzu |
seiner zeitt, aus der Trubsahl, darmitt vnser Herrgott, vnns
weiter nichtt, dan wir ertragen konnen, wissen zuerretten.
vnd der ain gnedigs ende entweder hie In zeitlichem; oder
Ihenem
ewigen leben, mitt ewiger herlikeit, machen. vnd das(Bl.Ila)
gebett viler Frommen Christen. vnd guethertzigen. so
neben euch vor vns treulich betten, gnedigist erhorenn,
Vnd haben euch solchs hinwider
57 57
gnediger maynunge nitt wollen bergen, Datum Augs-
burgk den 26den Julii 1550
Jo: Fridrich: der elder etc.
m: prop: sst:
Vnseren ambtleuten zu Wartburgk
Creuzburgk vnd Gerstungen Rethen
vnd liben getreuen Eberhardtenn
von der Thann vnd Georgen vonn
Harstall
Worum es sich gehandelt hat, ist nicht auszumachen.
Auch das neueste und ausfiihrlichste Werk über Johann
Friedrich, G. Menz, Johann Friedrich d. Großm., 3 Bde.
1904 ff. (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens I, 1—3)
meldet nichts von dieser mysteriösen Geschichte, die wahr-
scheinlich immer in Dunkel gehüllt bleiben wird. Was dem
Stück seinen Wert gibt, sind vor allem die Äußerungen
der echten und klaren Frömmigkeit des schwergeprüften
Herrn.
Katalog.
Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung
3 65 Major, Georg, Brief an Hieron. Baum-
gartner L, Wittenberg, 26. März 1529.
4 66 Ders., Brief an Justus Jonas d. A., Witten-
berg, 17. März 1542.
5 67 Ders., Quittung an Heinr. Forster, Witten-
berg, 23. Nov. 1544.
6 68 Ders., Brief an Hieron. Baumgartner I,
Magdeburg, 1. Dez. (1546).
7 69 Ders., Einzeichnung in einem Stammbuch,
1. Nov. 1571.
10 164 Ferdinand 1., Deutscher Kaiser, Brief an
Georg, Grafen zu Bitsch, Prag,
8. Aug. 1562.
11 166 Franz I, König von Frankreich, Erlaß,
Fontainebleau, 11. Dez. 1529.
14 181 Luther, Martin, Einzeichnung in einem
(Stamm-)Buch, 1544.
15 181 Cruciger, Caspar L, griechische und latei-
nische Verse,
58
Lfd. Nr. Inv. Nr.
16
17
18
19
24
30
182
183
184
300
302
306 bis
303
351
304
312
337
305
361
309
317
58
Beschreibung
- Chemnitz, Martin, Brief an Jakob Joveus(?)
Hameln, 18. Aug. 1575.
Chytraeus, David, Brief an Johann Lorbeer,
Rostock, 22. Okt. 1582.
Bugenhagen, Joh. L, Brief an Konrad
Cordatus, Wittenberg, 25. Febr. 1530.
Melanchthon, Phil, I, Schluß eines Briefes -
an Biirgermeister und Rat zu Niirn-
berg, Wittenberg, 25. Dez. 1543.
Maior, Georg, Brief an Hieron. Baum-
gartner I., Magdeburg, 16. April 1535.
Ders., Brief an denselben, Magdeburg,
4. Sept. 1534.
Crueiger, Caspar I., Schluß eines Briefes
an Veit Dietrich, Worms, 27.Nov.1540.
Ders., Schluß einer exegetischen Ausführung,
am Ende ps. 46, hebräisch, arabisch
und griechisch.
Menius, Justus, Brief an Georg Ernst,
Fürsten zu Henneberg, (Gotha),
18. Aug. 1552.
Ders., Brief (an Gregor Brück?), Gotha,
26. Jan. 1547.
Ders., Brief an Johann Friedrich d. M. und
Johann Wilhelm, Herzöge v. Sachsen,
" (Gotha), 23. Nov. 1548.
Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog
v. Preußen), Königsberg (1553?).
Ders., Brief an Thomas Matthias, Frank-
furt a. O., 18. April (1557 ?).
Philipp d. Großmütige, Landgraf v. Hessen,,
Visitationsvollmacht für Adam Crafft,
Jost v. Wyther (= Weiter) und
Crafft Ruwe, Cassel 1528.
Cornarius, Janus, Brief an Joachim
Camerarius I. (Zwickau), 1.März 1552
59
Lfd. Nr. Inv. Nr.
31 315
32a u. b 316
33 318
34 319
35 320
36 321
37 322
38 323
39 324
40 362 |
41 327
42 377
43 328
44 329
45 330
Beschreibung
Camerarius, Joachim I, Brief an Matthias
Garbitius Illyrieus (Leipzig), 30. März
(1555).
Ders., Konzept zweier Briefe, a) an einen
englischen Wiirdentriger, b) an
Thomas Cromwell, Nürnberg, 6. Sept.
(1533).
Fabrieius, Georg, Brief an Joachim
Camerarius I., Beichlingen, 5. Juli
1544.
Gerbel, Nicolaus, Brief an Joachim Came-
rarius I., Straßburg i. E., 16. Aug. 1541.
" Myeonius, Friedrich, Brief an Johann,
Kurfürsten v. Sachsen, Gotha 1530.
Micyllus, Jakob, Brief an Joachim Came-
rarius L, Heidelberg, 30. Nov. 1536.
Praetorius, Abdias, Brief an Joachim
Camerarius I, Frankfurt a. O.,
11. April 1559.
Siehard, Johann, Brief an denselben. Basel.
Stigel, Johann, Brief an Johann Friedrich:
früheren Kurfürsten von Sachsen.
Jena, 22. (?) Okt. 1549.
Ders, Billet an einen ernestinischen
' Fürsten. |
Eber, Paul, Brief an Joachim Camerarius L.,
Wittenberg, 8. Marz 1552.
Ders, Widmung auf einem Titelblatt, an
Johann Meier (naeh 1563).
Luther, Martin, Bugenhagen, Johann und
Melanchthon, Philipp, Brief an Johann
Friedrich, Kurfürsten v. Sachsen,
Wittenberg, 22. Juli 1539.
Museulus, Wolfgang, Brief an Wolfgang
Ampelander, Basel, 7. Jan. 1551.
Sturm, Jakob, Brief an Ludwig d. J., Grafen
zu Oettingen(?, Straßburg i. E, 7.
Marz 1547.
60
Lfd. Nr.
46
56
57
59
60
Inv. Nr.
331
332
364
365
60
Beschreibung .
Schurff, Hieron und Melanchthon, Philipp,
Brief an Bürgermeister und (Rat in
Neustadt a. O. Jena, 31. Dez.
1527.
Riidinger, Esrom, Brief an Joachim Came-
rarius I. Zwickau, 23. Mai (1557.)
Romanus, Michael, Brief an Bartholomäus
Wolfhart, Wittenberg, 4. Okt. (1550.)
Starschedel, Dietr. v, Brief an Johann
v. Taubenheim, 28. Sept. 1531.
Lechner, Jakob, Brief an Moritz Helling,
Wittenberg, 12. März 1558. Abschr.
Hieron. Baumgartners.
Tetelbach, Johann, Brief ohne Adresse,
Chemnitz, 1. Nov. (1554?).
Osius, Hieronymus, Brief an Nikolaus Gallus,
Ohne Datum.
Fischer, Christoph, Brief an Joh. Flemmer
Celle, 12. Mai 1590.
Forster, Johann, Brief an Bürgermeister
und Rat zu Kitzingen. Schleusingen,
20. Juni 1546.
Hedio, Kaspar, Brief an Wolfgang Fabricius
Capito. (1524).
Lotich, Peter IL, Brief an Erasmus Neu-
stetter. Heidelberg, 23. Juli 1557.
Mathesius, Johann, Brief an Joachim Came-
rarius I., Joachimsthal, 25. Dez. 1556. .
Friedrich ILL, der Weise, Kurfürst v. Sachsen,
Brief an Philipp, Grafen zu Solms.
Torgau, 20. Dez. 1508.
Johann d. Beständige v. Sachsen, Brief an
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg.
Zwickau, 16. Mai 1518.
Johann Friedrich d. Großmütige, Kurfürst
von Sachsen, Brief an Eberhard
v. d. Thann und Georg v. Harstall.
Augsburg, 26. Juli 1550.
61 61
Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung
61 368 August, Kurfürst v. Sachsen, Brief an Lud-
wig, Grafen v. Eberstein und die
andern kursächsischen Räte in Augs-
burg. Dresden, 15. Febr. 1559.
62 370 Wolfgang, Fürst v. Anhalt, Brief an Johann
Friedrich d. M. und Johann Wilhelm,
Herzöge v. Sachsen. 9. Jan. 1552.
63 374 Georg Ernst, Graf v. Henneberg, Aus-
führungen über die Zweinaturenlehre.
64 378—390 Maior, Georg II. aus Nürnberg, Stammbuch-
| blätter.
65 185 Luther, Martin, als Prior des Wittenberger
Augustinerkonventes, Schuldschein an
Henning Göde, Wittenberg, 14. Aug.
1515.
65a 186 Ders.(?) Autobiographische Daten, s. o. S. 51.
66 — Heshusius, Tilemann, Brief (an Johann
Wilhelm, Herzog v. Sachsen) (1572?)
67 -— Rasch (?), Martin, Brief an einen baltischen
Herrn, = Dezember 1685.
68 — Borcholt(en?), ^ Heinrich, Stammbuch -
1586—1588.
69 — Schnürlin, Johann, Stammbuch 1588 f.
70 — (Wittenberger?) Stammbuchblatt 1558.
71 — — 1596(?)
Alphabetisches Register.
* bedeutet Absender oder Empfänger von Briefen oder sonstige
Urheber von Urkunden.
(Mag.) Aegoceros, Joh., Hauslehrer bei Dr. Georg von
Commerstad 37
*(Albrecht, Herzog v. Preußen), Brief von Sabinus,
Georg (1553?) 27
Altenburg, Zusammenkunft des Fürsten Wolfgang v. An-
halt mit den Herzögen Johann Friedrich d. M.
und Johann Wilhelm v. Sachsen 62
* Ampelander, Wolfgang, Brief v. u Wolfgang1551 44
Mag. Aquila, Caspar 94.
62 | 68
Arnsnest(a), ev. Pfarrei 1539 43
* August, Kurf. v. Sachsen, Instruktion an Ludwig
Grafen v. Eberstein u. Gen. 1559 61
Balthasar N., zum Kreise des Joachim Camerarius
gehörig 31,6
Behem, Andreas, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,7
Beneekendorf, Joh. v. Helmstädter Stammbuch-
eintrag 1588 68g
* Baumgartner, Hieron. Brief v. Major, Georg 1529 3
* ^ "^ ; , 1534 21
ii » | » » ” . 1535 20
Eo RS >» . », (1546) 6
3 T 50,5
* Bitsch, Georg Graf zu, Mahnbrief des Kaisers
Ferdinand J. an, 1562 10
* Borcholt(en?), Heinrich, Jenenser und Helmstädter |
Stammbueh 1586 —1588 68
Brandmüller, ( ) wohl in Basel um 1551 44,3
Dr. Brendel, Zacharias, Jenenser Stammbucheintrag 1586 — 68 Í
Bueretius s. Rindfleisch
Bude(n?), Joh., ev. Pfarrer in Arnsnesta 1539 43
(Buel), Eucherius, Wittenberger Stammbucheintrag 64,10
* Bugenhagen u.*Gen, amtl. Schreiben an Kurf. Johann .
Friedrich d. Großm. v. Saehseu 1539 43
* Bugenhagen, Joh., Brief an Cordatus, Conrad 1530 18
Bulemann ( ) wohl in Basel, um 1551 44,3
Bulgarien, Fürstentum, abhängig von dem Woiwoden |
v. Podolien 1533 32 b, 8
* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an Cromwell,
Thomas (1533) | 32b
* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an einen eng-
lischen Würdenträger (1533) - 32a
* Camerarius, Joachim, Brief an Garbitius Illyricus,
| Matthias 1555 31
* " " , von Cornarius, Janus 1552 30
i - 2 » , Eber, Paul 1552 41
* " " | „ „ Fabricius, Georg 1544 33
T Gerbel, Nikolaus 1541 34
” ” » »
* i Mathesius, Joh. 1556 57
» ” 4 »
63 63
+ Camerarius, Joachim, Brief von Micyllus, Jac. 1536 36
y » » , » ‘Praetorius, Abdias 1559 37
s » » »., » Rüdinger, Esrom 1557 47
* M 3 » y Sichbard, Joh. . 38
” » | 50,6
5 " als politiseher Agent der engl.
Krone 1533 32a, 4; 32b, 4
5 " Übersiedelung von Tübingen
nach Leipzig 1541 — 34,3 |
h s in Worms 1540 22,2
* Capito, Wolfg., Brief von Hedio, rosie (1524) 55
Chemnitz, Pest in, 1554 (?) 51,3
* Chemnitz, Martin, Brief an Joveus (?), Jac. 1575 16
Christoph, Herzog von Württemberg, Kirchenpolitik 1559 61,12
* Chytraeus, David, Brief an Lorbeer, Joh. 1582 17
Clarner, Paul, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,5
Cóler, Hieron., Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,6
Dr. Comat (Georg v. ?), Söhne des 37,2
* Cordatus, Conrad, Brief von Bugenhagen, Joh. 1530 18
Corfinius, Friedr., Helmstädter Stammbucheintrag 1588 68m
* Cornarius, Janus, Brief an Camerarius, Joachim 1552 30
Dr. Crakau, Kursächsischer Rat 1559 61,1
* Cromwell, Thomas, Briefentwurf des Joachim
Camerarius an, (1533) 32b
” N 32 a, 3
* Crueiger, Caspar I, Brief an Dietrich, Veit 1540 22
= 5 " Stammbucbeintrag (?) 1544 15
7 "E a‘ exegetische Ausführung 23
Dachae (?) filius 47,3
* Dietrich, Veit, Brief von Cruciger, Caspar 1540 22
Dozue, (), Kanzleiverwandter des Königs Franz I v.
Frankreich 1529 11
* Eber, Paul, Brief an Camerarius, Joachim 1552 41
„ Dedikation an Johann Meier aus Nürn-
berg, nach 1563 | 42
* Eberstein, Graf Ludwig v., kursächsischer Rat, u.
Gen., Instruktion von Kurf. August 1559 61
Eckhard, Georg 51,7
64 64
Eilenmair, Wolfg., Wittenberger Stammbucheintrag 1562 64,12
Faber, Joachim, aus Magdeburg, Helmstädter Stamm-
bucheintrag 1592 69c
* Fabricius, Georg, Brief an Camerarius, Joachim 1544 33
» " geistliche Oden 33,1
n n (?) j 51,2
* Ferdinand I. Deutscher Kaiser, Mahnbrief an Georg
Grafen zu Bitsch 10
i Balkanpolitik 1533 | 32b, 8
* Fischer, Christoph, Brief an Flemmer, Johann 1590 51
Biographisches 51,7
"n
Flacius Illyrieus, Matthias, Streit mit Justus Menius 50,7
+ Flemmer, Johann, Pfarrer zu Hennefeld, Brief von
Fischer, Christoph 1590 51
* Forster, Heinrich, Schösser des Stifts Altenburg,
Quittung von Maior, Georg 1544 5
* Johann, Brief an Bürgermeister und Rat
von Kitzingen 1546 54
*FranzI., Konig von Frankreich, eine Finanzverfiigung1529 11
Freder, Johann II. 17,2
Friekelshausen im Hennebergischen, ev. Pfarrei 1559 48
* Friedrich d. Weise, Kurf. v. Sachsen, Brief an Philipp
Grafen zu Solms 1508 58
Friedrich, Herzog zu Braunschweig u. Lüneburg,
Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Joachim
Karl) 681
Frobenius, Johann 55
* Gallus, Nikolaus, Brief von Osius, Hieron. 52
* Garbitius, Matthias, Brief von Camerarius, Joachim 1555 31
* Gerbel, Nikolaus, Brief an Camerarius, Joachim L, 1541 34
Gochsheim, Schulze von 59
Goldstein, Kilian 4, 3; 6, 4
* Göde, Henning, Schuldversehreibung v.Mart.Luther1515 65
Gotha, Kirchenkasten der Pfarrei 25
Groß-Germersleben, protest. Pfarrei 1558 69e
Gugel, (Christoph ?), zum Kreise des Joachim
Camerarius in Nürnberg gehörig 38,7
Halie, Georg 31,1
Hameln, Superintentur 1575 . 16
65 65
*Harstall, Georg v. Brief von Johann Friedrich d.
Großm. v. Sachsen 1550 60
‚Hartung, Nikolaus, Pastor zu Groß-Germersleben, Helm-
städter Stammbucheintrag 1588 | 69e
* Hedio, Caspar, Brief an Capito, Wolfgang (1524) 55
* Helling, Moritz, Brief von Lechner, Jae. 1558 50
Helmstädter u. Jenenser Stamffnbuch des Heinrich
Borcholt(en ?) 68
* Henneberg, Georg Ernst Fürst zu, Br. v. Menius,
Justus 1552 24
* Henneberg, Georg Ernst Graf zu, Glaubensbekenntnis 63
Henneberg, Veit Ulrich Truchsess v., Jenenser Stamm-
bucheintrag | 68i
T. ou Wilh. IV., Graf zu, Brief v. Johann d.
Bestánd. v. Saehsen 59.
* Heshusius, Thilemann, Brief (an Herzog Johann
Wilhelm v. Sachsen) 1572 | 66
Hofmann, (Christoph?) 47,3
Honorieus, Georg, Helmstádter Stammbucheintrag 1588 69b
Jena, Lateinschule 1549 39
Jenenser u. Helmstädter Stammbuch des Heinrich Borcholten 68
Joachim Karl, Herzog zu Braunsehweig und Lüneburg,
Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Friedrich) 68k
* Johann d. Bestündige, Kurf. v. Sachsen, Brief an
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg 1518 59
* Johann d. Beständige, Brief von Myconius, Friedrich, 1530 35
* Johann Friedrich d. Grofmütige, Kurf. v. Sachsen,
Brief an Eberhard v. d. Thann u. Georg v.
Harstall 1550 E 60
* Johann Friedrieh d. Grofmütige, Brief von Johann
Stigel 1549 39
» » » » „Ratschlag “ zur
Befreiung des, aus kaiserlicher Haft 60
* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Wolfgang,
Fürsten v. Anhalt 1552 62
* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Menius, Justus 1548 66
" " M " Kirchenpolitik 1559 61,5
* (Johann Wilhelm, Herzog v. Sachsen), Brief von Hes-
husius, Thilemann (1572?) 66
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX, 1. 5
66 66
* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von
Menius, Justus 1548 26
* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von
Wolfgang, Fiirsten v. Anhalt 1552 62
* Jonas, Justus d. A., Brief von Maior, Georg 1542
» » „ Biographisches 6,3
V jaseus (?), Jacob, Superintendent in Hameln 1575,
Brief von Chemnitz, Martin 16
lrenaeus, (Christoph?) 52,2
Karl V., Balkanpolitik 1533 32b, 8
Katzenelnbogen, Obere und Niedere Grafschaft, Kirchen-
visitation 1528 29
Keyser, Hans, ehemaliger krsthsisolior Hofkoch 35
* Kitzingen, Biirgermeister u. Rat v., Brief von Forster,
Joh., 1546 | 54
* Kraft, Adam u. Gen., Visitationsvollmacht von Philipp d.
Großm. v. Hessen 1528 29
Kreß v. Kressenstein, Christoph, Ratsherr in Nürn-
berg 1535 20, 2; 21,2
Kuepacher, Kanzleiverwandter des Kaisers Ferdinand L,
1562 10
* Lechner, Jakob, Brief an Helling, Moritz 1558 50
- », Ubersiedelung nach Nürnberg
1558 50, 4, 5
Leipold, Johann, aus Kitzingen, Stud. theol. 1546 54
Leutzdorfer, Konrad, Prokurator d. Stifts Altenburg 1544 5
Lickfett, Johann, aus Marienau in Preußen, Helm-
städter Stammbucheintrag 1588 69d
Livland, Einfall der Russen 1555 31,6
* Lorbeer, Johann, Abt des Klosters Riddagshausen,
Brief von Chytraeus, David 1582 17
*Lotich, Peter IL, Brief an Neustetter, Erasmus,
gen. Sturmer 1557 56
Ludwig XIL, König v. Frankreich, als Schuldner des
Prinzen von Orenge 11
* Luther, Martin, u. Gen, amtl. Schreiben an Johann
Friedr. d. Großm. 1539 43
* Luther, Martin(?), Autobiographische Daten 65a
T xx , .Sehuldverschreibung an Henning Göde
1515 65
* Stammbucheintrag 1544 14
5» 2
67 67
* Luther, Martin, brieflicher Scherz mit Conrad Cordatus 61
Mai, Michael, Pedell in Wittenberg, Stammbucheintrag
1561 64,9
* Maior, Georg, Brief an Baumgartner, Hieron. 1529 3
$e » » » » »" ” 1534 21
= » | )» » 2» » 9 1535 20
E » 4 ” 4 » (1546) 6
MET - Quittung an Forster, Heinrich 1544 5
5 2 " Brief an Jonas, Justus 1542 4
» „ geplante Übersiedelung nach Nürn-
berg 1546 63 —
= » (zum Majoristischen Streit) 503
» , . Pfarrgehalt in Wittenberg 1544 5
" », Stammbucheintrag 1571 7
S 5 IL, Stammbuch 1560—1562 64
„ Johann 211
ý , A Lemniea Carmina 52,9
Marienau in Preußen 69d
* Matthesius, Joh., Brief an Camerarius, Joachim 1556 57
* Matthias, Thomas, Brief von Sabinus, Georg (1557?) 28
Meienburg, Michael 51,7
Meier, Johann, aus Nürnberg, Widmung v. Eber, Paul 42
5 " ^ a Schluß eines Briefes an
Bürgermeister u. Rat v. Nürnberg 1543 19
* Melanehthon, Phil. L, u. Gen., amtl. Schreiben an Joh.
Friedr. d. Großm. 1539 43
í m » » Abwesenheit von Witten-
berg, Marz 1552 41,3
j " Reise naeh Zerbst (1546) 6,1
" » Il, (1596?) 71
Memmius, Conrad, Helmstädter Stammbucheintrag 1588 &8a
*Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, Fürsten zu
Henneberg 1552 24
5 » Brief an (Gregor Brück?) 25
" " » » an Joh. Friedr. d. M. v. Sachsen 26
‘ » Streit mit Flacius Illyrieus, Matthias 50,2
" beteiligt bei einem „Ratschlag“ zur
Béfscinis des Kurfürsten Joh. Friedrich d. GroBm.
aus kaiserlicher Haft 1552 60,4
B®
68 68
Meurer (Wolfgang?) 33,2
Michel N., in Neustadt a, O. gefangen 46
+ Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36
Monthaborn (?) Christoph, engliseher Gesandter in
Deutsehland 1533 32a, 5; 32b, 3
* Musculus, Wolfgang, Brief an Ampelander, Woli-
gang 1551 44
* Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36
* „ Ablehnung eines Rufes an die Univ.
"Tübingen 1536 36
. *Myconius, Friedrich, Brief an Joh. d. Bestándig. 1530 35
" Amtstitigkeit in Gotha 25,1
Minds v. Frundeck, Heinr. Albrecht, Helmstädter
Stammbucheintrag 1588 . 68h
Nachtenhofer, Lorenz 55
* Neustetter, Erasmus, gen. Sturmer, Brief von Lotich,
Peter II. 1557 56
* Nürnberg, Bürgermeister u. Rat v., Brief v. Melanchthon,
Phil. I. 1543 19
Nürnberg, Meldepflicht von Todesfällen beim Rat, ge-
legentlich der Pest 1533 32a, 8
P Pest in, 1533 32a, 5f.
" Steuer bei Immobilienverkäufen 1533 20,3
Orenge, Fürst von, als Gläubiger des Königs Ludwig XII.
von Frankreieh 11
Osiander, ( ), Diener des Joachim Camerarius (?) 32a, 1
* Osius, Hieron., Brief an Gallus, Nicolaus 52
* Oettingen (?), Ludwig d. J. Graf von, Brief von Sturm,
Jacob 1547 45
Petkum, Joh. v., aus Hamburg, Helmstädter Stammbuch-
eintrag 1589 69a
Peucer, Kaspar 47, 2; 50, 6
Pfarrgehalt des Georg Maior in Wittenberg 1544 5
Pforzheim, Fürstentag 1559 61,7
* Philipp d. GroBm., Landgraf v. Hessen, Visitations-
vollmaeht für Adam Kraft u. Gen. 1528 29
Plankwald, Jobst, in Antwerpen 32a, 9
Podolien, Woiwode von, Machinationen mit dem
Türken 1533 32b, 8
69 69
* Praetorius, Abdias, Brief an Camerarius, Joachim 1559 37
+ Rasch (?), Martin, in Hamburg, Brief an einen
baltischen(?) Herrn 1685 67
Mag. Reudenius, Ambrosius, Prof. in Jena (Amts-
antritt 1572) 66
Reichardt, Valentin, Witwe des Gothaer Pfarrers 26
Rheinstein u. Blankenburg, Ernst Graf v., Helmstädter
Stammbucheintrag 1588 68e
- 7 Martin Graf v., desgl. 68b
Biddasshansen b. Braunsehweig, Kloster 17
i " Katalog der Aebte 17,4
Riga, Belagorüng dureh die Russen 1555 31,6
Rindfleisch (Bucretius), Daniel, Helmstüdter Stamm-
bucheintrag 1589 68n
Rolinger, Johann, Mag. Physicus | 51,7
* Romanus, Michael, ev. Pfarrer in Frickelshausen, Brief
an Wolfhart, Barthol, 1550 48
Rosa, Johann, Mag., Prof. in Jena, Tod des, 1572 *66
Röting (Michael L?) 50,6
» ( », IL?) 50,6
5 " „ Stammbucheintrag Wittenberg 1560 64,1
* Rüdinger, Esrom, Brief an Camerarius, Joachim L, 1557 47
i » Stammbucheintrag (?) 15
» 50,6
er Kraft, hessischer Visitator 1528 29
^ Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog v.
Preußen) 1553 27
- „ an Matthias, Thomas (1557?) 28
Schaller: Hieron., Wittenberger Seammindcheintear 1561 64,11
Schauenburg, Adolf Graf zu, ete., Wittenberger Stamm-
bucheintrag 1560 64,4
Scheggius (Jacob ?), zum Kreise des Joachim Camerarius
gehörig 31,6
Schellhammer, Joh., Wittenberger Stammbucheintrag1560 64,2
Schmalkaldischer Krieg, Anfangsbewegungen der kaiser-
lichen Truppen 45,4
Schnerrer, Joh., Wittenberger Stammbucheintragum 1560 64,13
Sehnürlin, Joh., aus Preußen, Helmstädter Stammbuch
1588 ff. : 69
70 70
* Scurff, Hieron. u. Melanchthon, Phil., Brief an Bürger-
meister u. Rat von Neustadt a. O. 1527 46
Schweden, Bündnispolitik 1533 32b, 6f.
Schwanter Adam, aus Zellheim, +1558 als Student in
Wittenberg 70
Scotus( — ), Professor an der Universität Frankfurt 1559 37,1
Seld, Georg Sigismund 10
*Sichard, Joh., Br. an Camerarius, Joachim 38
s" » Kommentar zu Genesis u. Exodus 38,2
Stibarus, (Daniel?) 38,1
Dr. Simon, ( ) 17,3
Dr. Sitzinger, kurpfilzischer Kanzler 1559 61,11
* Solms, Philipp Graf zu, Brief von Kurf. Friedrich d.
Weison 1508 58
* Starschedel, Dietrich v. Brief an Johann v. Tauben-
hain 1531 49
*Stigel, Joh., Brief an einen ernestinischen Fürsten 40
A r » » Johann Friedrich d. Großm. 1549 39
Straßburg, Akademie, leidet 1541 unter der Pest 34,4
; Verhandlungen mit dem Kaiser 1547 (Schmal-
kald. Krieg) 45,3
Strigel, Victorinus, Mag., Lehrer an der Jenenser Latein-
schule 1549 39,1
* Sturm, Jacob, Brief an Ludwig d. J., Grafen von
Oettingen (?) 1547 45
» Joh., eine Ausgabe der Reden des, 1541 B 34,2
Sturmer s. N Pu
Sulzer, (Simon) 44.3
Sygler ( ) (Jüdischer?) Getreidehändler in Dresden 49,2
* Taubenhain, Joh. v., Brief von Starschedel, Dietrich v.,
1531 49
* Tetelbach, Joh., Brief ohne Adr. (1554?) 51
*v. d. Thann, Eberhard, Brief von Johann Friedrich
d. GroBm. 1550 60
Thannhausen, Jacob v., Jenenser Stammbucheintrag 1586 68d
5 Sigismund v., desgl. 68e
Thurn, Franz Graf v., Kaiserl Gesandter nach Kur-
sachsen 1559 61,1f.
Türken, Baugelder und Nothilfe zum Krieg wider die, 1562 10
7i 741
Vaughan, Stephan, englischer Gesandter in Deutsch-
land 1533 32a, 5; 32b, 3
Vergerius, Paulus, als Wiirttembergischer Gesandter
naeh Preußen 1557 28
Weiters, Jost v., hessischer Visitator 1528 29
Wigand (Joh.?) 592,2
Windruvius, Peter, Mag. 17,5
Wittenberg, Universität, Bestehen akademischer
Prüfungen 1550 48,4
j lästige Einquartierung 1552 41,2
* Wolfgang, Fürst von Anhalt, Brief an Johann Friedrich
d. M. und Johann Wilhelm von Sachsen 1552 62
* Wolfhart, Barthol., Superintendent in Schleusingen,
Brief von Michael Romanus (1550) 48
Worms, Religionsgespräch 1540 22
Zirler, ( ) 56
Zwingli, Ulrich, Enkel des Reformators 44,1
Jeder Urkunde ist bei der Bearbeitung eine hand-
schriftliche Inhaltsangabe beigefügt worden, nach der
die Verwaltung des Melanchtonhauses bei Anfragen von
auswärts jeweils vorläufige Auskunft geben kann.
Notwendige Ergänzungen zu vorstehendem Verzeichnis
wird eines der folgenden Hefte bringen.
Mitteilungen.
Neuerscheinungen.
Mit gewandter Hand entwirft. K. P. Hasse ein für weitere
Kreise bestimmtes farbenreiches Bild vom deutschen Humanismus
(,Die deutsche Renaissance I. Teil: Ihre Begriindung durch den
Humanismus“). Das Buch hat vor L. Geigers Darstellung besonders
den Vorzug strafferer Zusammenfassung und größerer Abrundung
voraus. Der Standpunkt des Verf. ist jedoch allzu einseitig vom
humanistischen Ideal bestimmt, so wenn er Luther als einen kultur-
feindlichen Barbaren zeichnet und dem (tief unter Nikolaus von Kues
gestellten) Melanchthon, dem er es nicht verzeiht unter die Theologen
gegangen zu sein, jegliche Orginalität des Geistes schlechthin abspricht,
Ein 2. Band soll die ,Ausgestaltung der Renaissance durch Denker,
Forscher und Künstler“ behandeln. Meerane i. S., E. R. Herzog
439 S. Mk, 20.—.
Herausgeber (O. Clemen) und Verleger (O. Harrassowitz) der
1907 bis 1911 in 4 Bänden erschienenen Sammlung „Flugschriften
aus den ersten Jahren der Reformation“ haben sich entschlossen, die
Sammlung fortzusetzen als , Flugschriften aus der Refor-
mationszeit“, also in weiterem Rahmen. Es sollen auch Flugschriften
aus den vorbereitenden humanistischen Fehden, ebenso aus der Zeit
vom Bauernkriege bis zu Luthers Tode und dem Schmalkaldischen
Kriege Aufnahme finden, Die ersten vier unter Mitarbeit von
A. Goetze von O. Clemen mit gewohnter Sorgfalt besorgten,
mit Einleitung und knappen Erläuterungen versehenen Lieferungen
enthalten zwei anonyme lutherische Augsburger Schriften von 1521
(Weller, Rep. typogr. 1996 und 1997) den Ludus Sylvani Hessi
(A. Corvinus) in defectionem G. Wicelii ad Papistas von 1534 und ein
anonymes Wittenberger Epitaphium des ehrwürdigen . . M. Lutheri
von 1546. Die Ausstattung ist vortrefflich; die Facsimile-Reproduk-
tionen auf imitiertem alten Büttenpapier geben die Originale einschließ-
lich der bildlichen Zutaten in denkbar treuester Art wieder und bieten
eine Grundlage für mannigfache Untersuchungen der Texte. Leipzig
Harrassowitz 1921.
Erfreulicher Weise kann bereits die dritte Auflage des 1. Bandes
von O. Scheel, Martin Luther angezeigt werden. Verf. hat
den Text sorgsam durchgesehen, ohne Grund zu wesentlichen
73 73
Anderungen zu finden; die Anmerkungen dagegen sind um 15 Seiten
angewachsen infolge der Auseinandersetzung des Verf. mit der neuesten
Literatur, insbesondere mit Benary, zur Geschichte der Stadt und
Universität Erfurt (S. 805—807) und A. V. Müller, Luthers Werdegang
u. a. (S. 392 ff.) Tübingen, Mohr 1921 VIII, 340 $., M. 60.
In „Der große Wormser Reichstag von 1521"
herausgegeben zur 400jührigen Gedächtnisfeier im Auftrage des Frei-
herr]. Paares Heyl zu Herrnsheim, bewegt sich P. Kalkoff auf
seinem eigensten Gebiet. Er wendet sich hier an den größeren Kreis
der Gebildeten, denen er zuerst die geschichtliche Bedeutung des
Reichstags im allgemeinen verständlich macht, um dann dessen Verlauf,
soweit es sich um die lutherische Frage handelt, in gedrungener,
fesselnder Darstellung zu schildern. Den ganzen Hergang rückt Verf.
unter den Gesichtspunkt des Kampfes zwischen der romanischen
Staatskunst, die in Karl V. und den Päpstlichen verkörpert erscheint,
und dem deutschen Geist; erringt jene — durch den Erlaß des ver-
fassungswidrigen Wormser Edikts — zunächst einen Scheinerfolg, so ist
der wahre Sieger nichts desto weniger der durch Luther befruchtete -
deutsche Geist. Darmstadt, Joh. Waitz, 109 S. M. 25.
Em.Hirsch ,Die Theologie des Andreas Osiander
und ihre geschichtlichen Voraussetzungen“, hellt zunächst an der
Hand der frühesten Schriften des O. dessen Werde- und Bildungsgang
„um reformierten Theologen auf, wobei sich Beeinflußung durch Reuch-
lin, besonders aber durch Luther herausstellt. Weiter wird unter-
sucht, in welchen Punkten und unter welchen Einflüssen O's. Theologie
später Umbildungen erfahren hat; wobei Verf. nachweist, daß mittels
gewisser entlegener Studien und absonderlicher Liebhabereien des O.
einige Ideen des Picus von Mirandula und aus der Kabbala, im
besonderen dem Sohar, bei ihm Eingang gefunden haben und nun
zusammen mit den Reuchlinischen Spekulationen über das Wort eine
Art Weltanschauungshintergrund für das reformatorische Evangelium
bilden. Von dieser Grundlage aus werden endlich die Probleme des
Ösiandrischen Streits aufs neue gewürdigt (Rechtfertigungslehre,
Frömmigkeit, Gottesbegriff) und die theologiegeschichtliche Bedeutung
des Streits entwickelt. Als Beigaben folgen eine Untersuchung über
die mißglückte Berufung nach Tübingen (1591) und bibliographische
Nachträge, endlich Abdrücke der Vorrede O’s zu Copernicus’ de
revolutionibus (1543), eines antiosiandrischen Chorals und Mörlins erster
Kintrachtsformel. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, VIII.
296 S. 1919 M. 15.
Das Ein- und Durchdringen des Evangeliums in der kleinen
fränkischen Stadt Windsheim, wiees Joh. Bergdolt in „Die
freie Reichsstadt W. im Zeitalter der Ref.(1520—1570)* schildert, zeigt zwar
wesentlich den gleichen Verlauf wie in zahlreichen anderen Gemein-
wesen; gleichwohl folgt man der Darstellung des Verf., die auf
breiter archivalischer Grundlage in das Leben und Treiben des ober-
7 !
= 74
deutschen Biirgertums jener großen Tage einführt, mit lebhafter Anteil-
nahme. Auch fehlen nicht die eigentümlichen Züge, besonders in der
Teilnahme hervorragender Persönlichkeiten wie Jakob Appels und des
ehemaligen markgräflichen Kanzlers Georg Vogler. Ferner fallen von
hier aus Streiflichter auf die Politik der Stadt Nürnberg, des Hauptes
der fränkischen Städte, mit der Windsheim das engste Einvernehmen
unterhielt. Unter den neun archivalischen Beilagen ragt Nr. 1, der
Windsheimer Ratschlag von 1524, hervor. — Quellen u. Forsch. z.
bayr. KG. herausgeg. von H. Jordan V. Leipzig, A. Deichert XIII, 305 S.
In dem Helden seines Buches „Wolf Dietrich von
Maxlrain und die Reformation in der Herrschaft Hohen-
waldeck" entwirft W. Knappe ein ansprechendes Lebens- und
Charakterbild eines mannhaften, ausdauernden Bekenners evangelischen
Glaubens, der freilich vergebens gegen ein unentrinnbares Schicksal
stritt, indem er zusehen mußte, wie das Bayern der Herzöge Albrechts V-
und WilhelmsV. mit übermächtiger Gewalt die Gegenreformation in
Hohenwaldeck;durehführte. Verf. hat sich bemüht, überall den größeren
Zusammenhang, in erster Linie mit der bayerischen Politik, aufzu-
suchen und somit im Rahmen der Geschichte Wolf Dietrichs und
seiner Herrschaft ein Zeitbild aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts
zu geben. Die Arbeit beruht auf den einschlägigen Akten der
bayerischen Archive. Quellen u. Forsch. z. bayer. KG. herausgeg. von
H. Jordan IV., Leipzig, Deichert 1920 V., 151 S., Mk. 12.—.
Ein Werk deutschen Fleißes und deutschen Idealismns ist die
Einführung der ReformationinLiv-, Est-und Kurland“
des baltischen Historikers Leonid Arbusow d. J., ein Werl:
dessen Vollendung dem VRG. zu danken ist (über die Entstehungs-
geschiche und die zu Grunde liegenden Materialien s. das Vorwort):
Nicht eigentlich aus Deutschland eingeführt, aber durch das dort
gegebene Beispiel in dem kerndeutschen baltischen Bürgertum ent-
facht, ist die baltische Ref. hernach in das Fahrwasser der Witten:
berger gelenkt und endlich unter deren Einfluß ausgebaut
worden. Verf. verfolgt die Entwicklung im einzelnen bis etwa 1533.
In der breiten und anschaulichen Ausmalung des Einzelverlaufs verliert
er doch die größeren Zusammenhänge nicht aus dem Auge. Sehr
lesenswert ist auch die ausf. Einleitung: Livland am Ausgang des
Mittelalters. — Quellen und Forsch. zur RG. herausgeg. vom VRG. III.
Leipzig, Heinsius 1921 XIX. 851 S., Mk. 70.—.
A. L. Veit, Kirche und Kirchenreform in der
Erzdiözese Mainz im Zeitalter der Glaubensspaltung und der
beginnenden tridentinischen Reformation 1517—1618 (= Erl. u. Erg.
zu Janssen G. d. d. V. X. 3), Herder, Freiburg i. Br. 1920 XIII, 98
S., Mk. 25.— und Zuschläge —, beruht großenteils auf den bisher noch
unbenutzten Mainzer Akten des Kreis- und des Bischöflichen Ordinats-
archivs in Würzburg; auch wird ein sehr inhaltreicher Bericht des
Nuntius Frangipani über Verhandlungen mit Erzbischof Woltgang
75 75
von Dalberg von 1575 aus dem Vat. Archiv verwertet. Verf. betrachtet
getrennt die Stellung der Erzbischöfe, der Geistlichkeit und des
Volkes, Leider wird die Verdienstlichkeit seiner Arbeit durch eine
das Maß der Zulässigen bei wissenschaftlichen Schriften überschreitende
konfessionelle Einseitigkeit und Gehässigkeit gegen alles, was mit dem
Protestantismus zusammenhängt, beeinträchtigt.
H. Preuss, Dürer, Michelangelo, Rembrandt,
9. Aufl. Leipzig, Deichert 1921, 58 S., kl. 4° (= Lebensideale der
Menschheit L). In den drei genannten Künstlern erblickt Preuss drei
bestimmte Typen menschlichen Geisteslebens überhaupt, insbesondere
des religiösen. In Dürer kommen die Eigentümlichkeiten des deutschen
Volkes am reinsten zur Darstellung: Tiefe des Geistes, sonniger
Humor, Freiheit des Gedankens, Ehrung des Alltags, innige Frömmig-
keit. Noch mehr bedeutet es, daß Dürer künstlerisch vom Mittelalter
zur Reformation kam, vom Stil der Unruhe der Sündenerkenntnis
zum Stil der Ruhe des reformatorischen Hochgefiihls. Daß D. sich
der Reformation Luthers anschloß, war selbstverstándlich; er hatte sie
in seinem neuen, schon 1517 erschienenen Christusideal, das aus dem
Jesus der zärtlich schwachen Minne und dem Christus der blutenden
. Anklage den Jesus Christus des Glaubens, männlich und stark und
erbarmend, den „lieben Herrn Christus“ Luthers, machte, gleichsam
vorausverkündigt. Neben dem Protestantismus steht bei Dürer jedoch
die Renaissance, beide feiern in seinem letzten Werk eine programm-
mäßige Synthese; die vier Apostel sind ebenso lutherisch wie
antikisch. — Bei Michelangelo verfolgt Preuss, wie, ohne daß er sich
von der katholischen Kirche förmlich löste, das Schwergewicht seiner
Frömmigkeit sich nach der evangelischen Seite des katholischen Um-
kreises verlegt; seine Dichtungen und letzten plastischen Werke
künden ein geläutertes Christentum. In Rembrandt endlich erkennt
der Verf. einen der frühesten Vertreter des modernen Spiritualismus
(,Individualspiritualismus^). R. steht auf der Linie, die sich vom
Objektiven, geschichlich Gegebenen loslóst und den Menschen ganz auf
Sich selbst stellt.
L. Raitz v. Frentz S. J., Der ehrwürdige Kardinal Rob.
Bellarmin, in der Sammlung „Jesuiten, Bilder großer Gottes-
streiter^ zum 300, Todestag B's (+ 17. Sept. 1621) erschienen, ist ein
Erbauungsbuch für Katholiken. XIV, 230 S., Freiburg in Br. Herder 1921
Mk. 24.—, geb. Mk. 30.— mit Zuschlag.
Aus Zeitschriften.
Allgemeines. Q. Wehrung, heformatorischer Glaube
und deutscher Jdealismus (Studien z. sysemat. Theol, Festgabe f.
Th. v. Häring S. 187—225) zeigt gegen Tröltsch und Anhang, welche
16 76
gewaltige Arbeit die Reformation für die Heraufführung der Neuzeit
geleistet hat und wie sie noch heute als kraftspendende Macht neben
dem deutschen Idealismus steht (vgl. G. v, Below in HZ. 125 S.355—857).
C. Fabricius, Vom Luthertum zum Sozialismus
versucht die Verbindungslinie zu ziehen, die diese beiden Erscheinungen
der Geschichte durch die Jahrhunderte hindurch mit einander ver-
bindet. Dem Verf. ist der Sozialist, der sich mit der gesamten
Menschheit zu vereinigen trachtet, um in ihrem Schoße von über-
mäßiger Arbeit auszuruhen, der weltliche Erbe des Lutheraners, der
sich nach vergeblichen Mühen um Werkgerechtigkeit der für alle
Menschen bestimmten göttlichen Gnade in die Arme wirft. Harnack-
Ehrung S. 434—450.
Den Ursprung, die Vorbereitungen und die ersten Kundgebungen
der Reformation (bis 1523) stellt unter besonderer Berück-
sichtigung des Anteils Frankreichs (Lefévre) und der Niederlande
N. Weiß im Bull. de la Soc. de l'hist. du prot. francais 66 (1918)
S. 178—232 dar. — Derselbe erörtert ebendort S, 97—125 unter dem
Titel „L’ origine et les étapes historiques des droits de l’ homme et
des peple“ den Einfluß der Reformation auf die individuelle
und kollektive Freiheit.
Aus den Ergebnissen der bibliographischen Aufnahmen der
„Kommission zur Erforschung der G. d. Ref. und Gegenref.“ beginnt
K. Schottenloher im ZblBw. 38 „Beiträge zur Bücher-
kunde der Reformationszeit“ mitzuteilen. Er verbreitet
sich über Joh. Lobmeyer von Würzburg und seine Druckwerke
(1518—1525), den Landshuter Drucker Joh. Weissenburger (1513—36),
den Rechtsgelehrten Leopold Dick als Publizisten (a. a. O. S. 20—338);
ferner über Stephan Agricola als Übersetzer des Schwäbischen
„Syngrammas“, eine versteckte Abendmahlschrift Michael Kellers von
1525, die Evangeliensummmarien Pseudo-Luthers und ihren Heraus-
geber Kaspar Bruschius (1544) und über Nik. Gallus den jüngeren
(a, a. O. 67—78).
Aus seltenen reformationsgeschichtlichen Druck-
schriften (der Dresdner Landes- und der Zwickauer Ratsschulbibl.)
teilt in ZKG. 39 (NF II) S. 88—92 O. Clemen mit 1. einen bisher
unbemerkt gebliebenen Brief des Justus Jonas von 1553 an den
als Professor der griechischen Sprache in Jena 1560 verstorbenen
Johann Langer, Sohn des gleichnamigen ersten Koburger
Superintendenten; 2. ein judicium von Melanchthon und ein
Gedicht von Erasmus Alber (aus einer Schrift von Joh. Winnigstedt,
Pfarrer zu Quedlinburg „wider die Kirchendiebe“ von 1560) und
3. zwei Flugschriften Amsdorfs („Quod Italia sit barbara terra“ etc,
und „Der Bapst, Bischoff und Cardinel die rechten Ketzer“ eto.).
Als Subjekt der Rede in der Augustana stellt F, Katten-
busch, gestützt auf die Anfangsorte „ecclesiae magno consensu apud
nos doent" „ecclesiae apud nos“ fest: ThStK. 93 (1920/21) S, 115. f.
77 77
O. Clemen untersucht in ZHV. Niedersachsen 86, 1/2 S. 24— 31
ein Neujahr 1546 erschienenes anonymes Schmähgedicht auf den
gefangenen Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig, besonders
dessen Abhängigkeit von Luthers bekanntem Brief vom 19. Dez. 1545
und der ,Wahrhaftigen Contrafaktur Hz. H.’s“ von 1541 (Schade,
Satiren I 80 ff).
Vom Mennonistischen Lexikon herausgeg. von Chr.
Hege und Chr. Neff (vgl. diese Zeitschr. XVI. S. 123) sind 1921
die Lieferungen 9 und 10 (Dachser — Duchoborzen) erschienen
S. 384—480. Besondere Beachtung verdient der sorgfältig gearbeitete
Artikel Hans Denk (S. 401—415) von Neff; vgl. ferner: Deutche
Theologie, Deutsches Reich, Adam, Franz und Siegmund von Dietrich-
stein, die Mártyrer Dirks und Hans Donner, Dreieinigkeit.
Luther. Über die Lutherforschung des letzten
Jahrzehnts erstattet Preserved Smith in der Harvard
theological Review XIV, 2 (April 1921) S. 108—135 einen gedrängten,
sehr reiehhaltigen kritischen Bericht. Neben deutschen sind ameri-
kanische, englische, französische, holländische, italienische usw.
Erscheinungen herangezogen. Dem Verf. des Berichts selbst dankt
die rfgschtl. Forschung außer anderen Beiträgen insbesondere dieHervor-
ziehung von jetzt in Philadelphia befindlichen Reformatorenbriefen
(Harvard th. R. 12; vgl. HZ. 120, 2 S. 370).
In Weiterführung seiner früheren Versuche, das Bestehen
einer schola Augustiniana im Mittelalter zu erweisen, deren Lehren
dann in Luther neues Leben erhalten hätten, sucht V. A. Müller
zu zeigen, daß der sel. Simon Fidati aus Cascia (+1348), Mitglied des
Augustinerordens, Luther in entscheidender Weise beeinflußt habe:
Una fonte ignota del sistema di Lutero (Il beato Fidati da Cascia e
la sua teologia) = Bilychnis 1921 Nr. 2.— (54 S.).
Die ThStK. geben das Heft 3/4 (1920/21) des Jahrg. 93 als
drittes Lutherheft (Lutherana III) heraus. Den größten Raum
nimmt ein: Der Gottesgedanke in Luthers Rómerbriefvorlesung von
Fr. W. Schmidt (3. 117—245); ferner untersucht O. Albrecht
S. 249—277 Mathias und Andreas Wanckels Sammlungen Lutherscher
Buch- und Bibeleinzeiehnungen (auf Grund von V. E. Loeschers —
Umschuld. Nachrichten 1712) unter Abdruck von zwei bisher unbe-
kannten Stücken, die Matthias W. aufbewahrt hat. Sodann setzt sich
A. V. Müller mit E. Hirsch über Luthers Eintritt ins Kloster (vgl.
Lutherana I und II) auseinander (S. 278—285); den Schlu8 machen
zwei Mitteilungen von O. Clemen: ,ein Zeugnis für die frühen
(bis 1520 zurückgehenden) Beziehungen zwischen Holland und Witten-
berg" (S. 286—293) und ,Luther und die Rüge der Sorbonne gegen
Cajetan“ (S.294—304) auf Grund eines von Cl. aufgefundenen Witten-
berger Druckes von 1534, dessen im Wortlaut mitgeteiltes Nachwort
er Luther zuschreibt.
78 78
Aus den Veröffentlichungen der Wittenberger Luthergesell-
schaft führen wir an den Beitrag des Ephorus der Lutherhalle
J. Jordan Zur Geschichte des Lutherhauses nach 1564 I, Die
Lutherwohnstube (Jahrbuch der LG. II/III, 1920/21 S. 109—135);
das von G. Buch wald zusammengestellte , Lutherkalendarium für 1521“
(Mitteil. der LG. 1921, III S. 9—15); P. Althaus, Luther auf der
Kanzel, Beobachtungen über die Form seiner Predigt (ebenda
S. 17—24); G. Loesche, von Luthers Biographen [bis zu Joh.
Mathesius] (ebenda S. 56— —63). Dazu kommen die Flugschriften 2
(= J. Jordan, Luther und der Bann in seinen und seiner Zeitgenossen
Aussagen); 3 (= H. Boehmer, L. und der 10. Dez. 1520, SA. aus
Lutherjahrbueh II/III, 48 S.; vgl. diese Zeitschr. XVIII S. 56);
4 (—J. Jordan, L. und der Rtg. zu Worms nach seinen eigenen
Zeugnissen, 62 S).
Uber Luthers Kirchenbegriff im Hinblick auf die gegen-
wärtige kirchliche Krisis setzen sich E, Foerster und E. Troeltsch
in ZThK. 28 (NF I) S. 108—123 auseinander.
Luthers Ringen um das Gesamtverständnis des 3. Artikels
behandelt J. Meyer in NkZ. 31 S, 359—376.
Den Charakter des kleinen Katechismus Luthers bestimmt
W. Bornemann dahin, daß L. in diesem Buche undogmatisches
praktisches Christentum biete, und zwar nicht zufällig, sondern
bewußt absichtlich, einen richtigen Instinkt mit genialer Intuition
verbindend: Harnack-Ehrung S. 268—288 — Ebendort S. 281—291
untersucht A, Köster die Frage nach der Spannung zwischen der
Ethik Luthers und der des synoptischen Jesus. — Endlich handelt
a. a. O. S. 292—307 H. Mulert von dem Kirchenbegriff der
lutherischen Reformation auf Grund des Artikels 7 der AC. (ecclesia
est congregatio sanctorum, in qua evangelium recte docetur).
Luthers Stellung zur Frage der Pfarrbesoldung untersucht
H. Steinlein in Nkirchl. Z., Aug. 1921 S. 433—450. L. betrachtete
eine ausreichende Pfarrbesoldung als nicht unbillige Lebensbedingung
für Kirche und Evangelium.
In den „Kirchenmusikalischen Blättern“ Jahrgang 2 (1921) Nr. 8
(,Lutherheft") bis 12 widmet H. Steinlein eine eingehende
beachtenswerte Untersuchung der Frage: Ist das Lied „Ein feste
Burg" schon1521 entstanden?, die er verneint, um, hauptsächlich auf
das Schrifttum Luthers gegründet, als Entstehungszeit die Mitte des
J. 1528 wahrscheinlich zu machen.
Joh. Ficker, Hebräische Handpsalter Luthers (SB
Heidelb. AkdW. philos.-histor. Kl. 1919, Abh, 5, 31 S.) legt die
Rolle dar, die in Luthers Besitz der „Danziger“ und der „Frank-
furter“ Psalter, besonders bei der Bibelübersetzung, senie haben.
Mit zwei Tafeln.
79 79
Persönliches. Einige Bemerkungen zu den von Lemmens
(„Aus ungedruckten Franziskanerbriefen“) verwerteten Briefen
Augustins von Alfeld, des bekannten Luthergegners, macht
Fr. Loofs in ZVKG. Prov. Sachsen 18 S. 21—26.
M. Wehrmann stellt in den Monatsbl der Ges. f. Pom.
G. u. A. Nov. 1918 S. 41—43 die Nachrichten über den Aufenthalt
des Herzogs Barnims XL in Wittenberg (1518—1520) kritisch
zusammen und würdigt kurz die Wirkungen dieses Aufenthalts für
die spätere kirchliche Haltung Barnims.
Den Reformator von Pyritz in Pommern Faustinus Blenno
/1487—1561) schildert Haß im Pyritzer Kreisblatt vom 30. und
81. Oktober 1517.
G. Bossert, Brenz und die Ritterschaft (BIL. f. Württ. KG.
NF. 95 S. 70—74) zieht aus einem Pasquill von 1523 (Ein Gespräch
eines Fuchs und Wolf... auf dem Steigerwald, bei Schade, Satiren
und Pasquillen S. 60—72) beachtenswerte Schlüsse auf die Parteiungen
in der Reichsritterschaft und Brenz (Predigers in Hall seit 1522)
Stellung dazu.
Drei Untersuchungen G. Geisenhofs über Antonius
Corvinus behandeln die Frage des Universitätsstudiums des C.,
die genaue Zeit seiner Geburt und seinen Beinamen Zythogallus:
ZGes. Nieders. KG. 1921 S. 26—140.
Das Jahrb. der philos. Fak. der Univ. Halle-Wittenberg für 1920,
Abt. I, S. 45—47 gibt Auszug aus der Dissertation von Curt Wulkau
über das kirchliche Ideal des Johann Eberlin von Günzburg nach
dessen Predigten und Schriften.
In einer Abhandlung über „Erasmus und die Clevischen
Kirchenordnungen von 1532/33“ geht J. Hashagen den äußeren
Beziehungen des E. zur Clevischen Kirchenreform und seinem direkten
wie indirekten Einfluß auf die Kirchenordnnngen nach, Die Unter-
suchungen des Verf. rücken letztere in den breiteren Rahmen der
Geschichte des allgemeinen vorjesuitischen Reform- oder KompromiB-
Katholizismus. Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 181—220.
Ein von ihm in der Wolfenbütteler Bibliothek handschriftlich in
einer oberdeutschen Bearbeitung aufgefundenes, zweifellos ursprünglich
niederdeutsch abgefaßtes Lied des 16. Jahrhunderts, das angeblich
von Herzog Ernst dem Bekenner von Braunschweig-Lüneburg
herrührt und sicherlich seiner Auffassung der Reformation entspricht,
veröffentlicht P. Zimmermann in der überlieferten Form und in
niederdeutscher Übersetzung im Braunschweiger Magazin 1921 Nr. 5,6
S. 25—29,
Im 4. seiner „Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrich II.
von der Pfalz“ untersucht A. Hasenclever das Zustande-
kommen der Vermählung des Pfalzgrafen mit Dorothea von Dänemark,
der Nichte des Kaisers (1535), unter dem Gesichtspunkt der habs
80 80
burgischen Politik und bespricht die Folgen dieser Verbindung fiir
das Verhältnis zwischen Friedrich und Karl. ZG. Oberrh. NF. 36
S. 259—294.
Der Versuch L. Theobalds, das bekannte Wort Frunds.
bergs auf dem Wormser Rtg. als unhistorisch nachzuweisen, kann
auch wenn andererseits sich dessen Geschiehtlichkeit nicht einwandfrei
erweisen läßt, als gelungen nicht gelten, BBK. 27,4 S, 187—151.
In Harnack-Ehrung $.308—316 untersucht H. Becker ,Zur
Charakteristik Herzogs Georgs von Sachsen als kirchlicher
Sehriftsteller^ die Abhandlung , Widder Luthers Trostung ann die
Christen zu Hall vber er Georgen yhres Predigers todt,“ die einzige
der unter Georgs Namen gehenden Schriften, von der der Orginal-
entwurf — von Georgs Hand — vorliegt
Einige Notitzen über den Nürnberger Exdominikaner Gallus
Korn gibt O. Clemen in BBK. 27,4 S. 166—168.
Simon Lemnius als Lyriker behandelt G, Ellinger in
Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 221—233. Eine wilde unge-
bändigte Natur mit heißen Trieben und leidenschaftlichem Begehren
verkörpert Lemnius den Grundzug der neulateinischen Dichtung, der
Individualität wieder zu ihren Rechte verholfen zu haben, in unge-
wöhnlicher Stärke, freilich auch in abstoßender Weise.
Auf Melanchthons Reise zum Wormser Kolloquium von
1557 bezieht sich L. Kraft „Phil. Mel. in hessischem Reisegeleit“ in
Beitr. z. hess. KG, = A. f. Hess. G. u. A, NF. Erg. Bd, VII, 3 8.445 f.
Carla Weidemann behandelt in ZD. Philol. 48 S. 235 —9268
Stephan Roth als Korrektor unter dem besonderen Gesichtspunkte
zu zeigen, wie R. in dieser Tätigkeit der Verbreitung der Luther-
sprache gedient habe,
Aus der Gothaer Bibl. druckt in den Mitteil. d. Vereinigung f.
Gothaische G. u. A. 1921 S. 1—90 R. Ehwald den Bericht des
Hans von Sternberg, eines der Hauptträger reformatorischer Be-
strebungen in Franken, über seine Palästinafahrt (1514) und Rechnungen
und Dokumente über die Reise der Beauftragten Xurf. Johanns von
Sachsen nach Valladolid zu Ks. Karl V (1527) mit Erläuterungen ab.
Das Andenken des volkstümlichen, lutherischen Predigers Gregor
Strigenitz, geb. 1548 in Meißen, T ebendort 1603, Predigers dort
und in Wolkenstein, Weimar, Jena, Orlamünde, Verfassers von mehr
als 50 weit veroreiteten Predigtbánden, erneuert F, Blanekmeister
in Mitt. VG. Stadt Meissen X. 3, S. 263—279.
In den Mansfelder BU. 33 S. 88—94 stellt P. Flemming
die dürftigen Nachrichten über Dr. Val. Vigelius, den Nachfolger
des C, Güttel als Superindendent in Eisleben (1542—1546) zusammen
und gibt Listen der Rektoren dort 1525—1516 uud Notizen zu
Lehrern nach 1546,
(Schluß folgt im nächsten Heft.)
Druck von C, Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen,
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nu TOR RAFORUATONSGESTICHT.
Im Auftrag des. Vereins für «2
herausgegeben von l
D. Walter Friedensburg.
Nf. T4 XIX. Jahrgang. Heft 2
=
Das ‚Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402 |
| und seine Lösung H — *
von J. HattBleiter.
Dietrich von Starschedel, ein Zeuge vom Wormser
Reichstage 1521
von E, Körner.
Briefe aus den 16. Jahrhundert
^ von G. Bossert
Brentiana- und andere Reformatoria
von W. Kohler.
Mitteilungen
G. Stuhlfauth, Zum Passional Christi und Antichristi, —
,K. Schornbaum, Zum Briefwechsel Veit Dietrichs, — Neuerschei-
nungen. — Zeitschriftenschau.
M
Leipzig 1922
Verlag von M. Heinsius Nachfolger
Eger. & Sievers.
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^^ Komimissionsverlag von: E Heinsius Nachfolger. a
m & Sievers in Leipzig.
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. Quellen und Forschungen:
— Zur Reformationsgeschichte E
. (früher Studien zur Kultur und Sette der Reformation)
Band I.
. . Band IL
Herausgegeben vom
Verein für Reformationsgeschidite.
Theodor Wotschke, Geschichte. dos Reformation i in Polen.
8°, DIL, 316 x SL | AM 45,—.
/
Paul Mestwerdt, Die. Anfänge des s Erasmus, Humanismus’
und „Devotio Moderna“. ` Mit einer Lebensskizze von
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert.. 8°.
[XXXI 343 $] | < M6, 67,50.
Band III,
Band IV.
Band V.
Leonid Arbusow, Die Einführung der Reformation in
Liv-, Est- und Kurland, gr. 8°. [XIX, 851 S] .4 7 0,—;
z x x é a
Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation.
' Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und,
der Entscheidungsjahre. der -Reformation. (1517—1523.) - l
gr. 8°. uv 60$] . c MO
Neu! 4 | l , Neu!
Otto Winckelmann, Das — der Stadt Straf- 3
burg vor und nach der Reformation bis zum Anfang
des 16. Jahrhunderts. 2 Teile in 1 Bde. [XVI, 208 und:
301 S. mit 1 Plai] °° ^ — i ~A 150,— `
Das Ritsel der Gothaer Luther-
Handschrift A 402 und seine Lösung.
Ein Beitrag zur Tischredenforschung.
Von J Haufleiter.
(Schluß).
Unter diesen Umständen erregt ein Sonderstück von
Farrago, in dem das Ego des Tischgesellen begegnet, be-
sondere Aufmerksamkeit. Ich teile zunächst das Stück mit;
es lautet auf fol. 99, das lauter Ergänzungsstücke enthält, also:
„In libris (rot) regum steht vil seltzams dings.
Videntur esse libri simplices secundum carnem, aber in
spiritu sindt sie gros. Es hat der liebe David vil mußen
leiden, der Saul hat jn wol XXX gantzer jar geplagt, aber
ipse eredidit ad se regnum pertinere, darauff ist er constanter
blieben. Ich hett in die bruch (— in die Hosen) geschießen
vnd wer davon gelauffen und hette gesagt: Herr, du leugest,
sal (= soll) ich konig sein vnd sal also gemartert werden?
Es wirt aueh den Saul sehr confirmirt haben ille successus.
Aber David steht wie eine maur, ist daneben ein from man,
wil die hand nieht an den konig legen und hets doch wol
konnen thun, quia habuit verbum. Wenn sie verbum hatten,
so schlugen sie drein. Dem folgte Munster (= Miinzer),
sah, das David, Mose, Abraham vnd andere drein schlugen.
Ja, es ist ein ander ding factum, aliud persona. Das erste
isí verbum, das macht personam. persona macht das faetum,
Darumb' gings jm auch also. O es ist ein gros ding, quando
persona habet verbum, darauff thut sie alles.
Tum alius (rot): David hatte Jonathan lieb, es muß ge-
wis ein frommer man gewest sein. A, espondit (rot): Ja freilich
wars ein from man, non sine fide etiam. Videbat regnum
ad Davidem pertinere. Darumb bat er jn, er wolt in vnd die
seinen nicht ausrotten. Fecit etiam miracula Jonathan, do
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 2. 6
82 2
er mit seinem waffentreger vber den bergk steigk vnd schlug
jr allein vil philister, dixit apud se: Der Gott, der mit vilen
vberwindt, kan auch durch mich allein vberwinden.
Tum ego (rot): Attamen misere periit. A, espondit (rot):
Ja, so mus der fromme oft in ecclesia des bösen entgelten,
wart doch Gottes sohn nicht vorschonet. Hoc maxime miror
in historia Davidis, quomodo potuerit esse tam crudelis,
quod Saulis reliquias adeo prorsus iusserit extirpare“
(vgl. dazu 2. Sam. 21, 5—9). |
Merkwürdig ist die Einreihung des Stückes in den
31. Abschnitt: De sanctis patribus post apostolos. Der Ab-
schnitt beginnt f. 97 mit dem Hinweis auf doctores et patres
wie Augustinus, Hieronymus, Hilarius, Ambrosius, Bonaventura
und geht auf fol. 98b bis zu Johannes Huß vorwärts. Aber
die sechs Stücke auf fol. 99 haben weder mit der Überschrift
des Abschnitts eine Berührung noch unter sich einen Zu-
sammenhang. Das erste Stück ist der kurze Satz: „Brevi-
tatem et perspieuitatem kann ich nicht also zusammenbringen
sieut Philippus et Amsdorffius“ (= Nr. 3173b). Dann folgt
unser Stück; die letzten Stücke handeln vom Undank der
Israeliten gegen Moses (= Nr. 6063 in.), vom Zeichen des
Jonas in seiner Anwendung auf Christus (Nr. 3705), von Esau
und Ismael (Nr. 5692) und von dem Schmerz Adams nach
dem Fall (Nr. 5475). Man kann annehmen, daß der Schreiber
auf eigene Faust diese Gruppe hier eingereiht hat, da in
der Vorlage, die er abschrieb, ihre Verteilung auf bestimmte
Abschnitte nicht angegeben war. So erklärt es sich dann
auch, daß die Worte „Tum ego“ stehen geblieben sind.
Der richtige Ort für das Davidstück wäre im 72. Abschnitt
-De regibus Israel fol. 361 gewesen, wo mehrfach von David
gehandelt wird. Am Schluß von fol. 99b stehen die Worte:
Plura fo: 469. In der Tat wird dort der Abschnitt von
„den heiligen Vätern“ (wie Bernhard, Gerson, Bonaventura usw.)
in richtiger Weise fortgesetzt (fol. 469—470b).
Das Sonderstück von David, das in keiner andern Hand-
schrift, auch in keiner der Sammlungen Lauterbachs be-
gegnet, hat Aurifaber aus Farr. übernommen; wir haben die
Vorlage für Nr. 7003 (FB. 4, 427—60, 28) gefunden. Nun
verblüfft hier zunächst die Wiedergabe des. Satzes: Tum ego:
3 83
Attamen (Jonathan) misere periit mit den Worten: ,,Darauf
sagte M. Antonius Lauterbach: Er ist aber gleichwohl jämmer-
lich umkommen.“ Nun kann aber keine Rede davon sein, daß
Lauterbach, dessen Sammlungen nach ganz anderer Sach-
ordnung eingeteilt sind, hinter Farr. steht; aber auch eine
nachlässige Herübernahme des Ego-Stückes aus einer dritten
Sammlung ist ausgeschlossen!) Wir können eben keine
andere Niederschrift des Stückes nachweisen. Hier redet
also wirklich der Sammler von Farr. Aurifabers Text er-
klärt sich aus der Flüchtigkeit seiner Arbeitsweise, Weil
die meisten Ego-Stücke in den Zwischenreden auf Lauter-
bach zurückgehen, nahm er es ohne weiteres auch von diesem
Stück an?) Aurifaber las ja mitunter so flüchtig, daß er
dem Melanchthon (in Nr. 4016 — aus Lauterbachs Tage-
buch auf 1538) eine höhnische Äußerung über die kirchliche
Trauung von Eheleuten mit Gebet zuschrieb; er hatte in
seiner Vorlage, in der als Urheber jenes Wortes D. Pist.
d. h. Doctor Pistoris (Kanzler Georgs des Bärtigen von 1525/39)
genannt war, das Wort Pist. als Phil. gelesen und so den
Melanchthon mit einer Äußerung belastet, die jeder auf-
merksame Leser nur mit Kopfschütteln betrachten kann
(vgl. FB. 4, 53—43, 33).
1) Bei genauer Durchsicht der Handschrift fanden sich noch
folgende Ego-Stellen in Farr., von denen indes keine Sondereigentum
der Handschrift ist:
fol. 202, vgl. Nr. 868 (I, S.433, Z. 6, Anm. 10): Dixi ego et
Forstenius; Z. 11, Anm. 18: Ad haec ego Anto,nius adieci.
fol. 207, vgl. Nr. 2724b (II, S. 617 Z. 3): Deinde dixit ad me
Antonium. An beiden Stellen wird also ausdrücklich Antonius
Lauterbach als Gewährsmann bezeichnet. Zwei andere Stellen gehen
auf Veit Dietrich zurück: fol. 222b, vgl. Nr. 45 (I, S. 16 Z. 1):
Ibi cum dicerem, und fol 293, vgl. Nr. 3222b (III, S, 293 Z. 27):
Ita vidi saepissime D. L, deambulando. — Endlich findet sich in einer
in den Dezember 1537 fallenden Tischrede (aus A. Lauterbachs uud
H. Wellers Nachschriften) der Satz: Postea nobis dixit — fol, 199b ;
vgl. Nr. 3650b (III, S. 482 Z. 32), Aurifaber hat den Satz über-
nommen: ,Darnach sagte er, D. Luther, uns“ (ebenda S, 483 Z. 13£.),
Die Wendung: Ibi cum diceremus (I, S. 75 Z. 4) ist auch in Farr,
f. 115 stehen geblieben.
2) Das ist auch andern Sammlern begegnet. Von der eben an-
geführten Außerung Veit Dietrichs Nr. 45 (I, S, 16 Z. 1): Ibi cum
dicerem, heißt es in der Sammlung Khummer: Ibi cum diceret Antonius.
6*
84 4
Aurifaber reiht das Sonderstiick von David in seinen
60. Abschnitt ein „von Patriarchen und Propheten“ und bringt
es als 28. (letztes) Stück.. Auch sonst hat er für dieses
Kapitel unsere Handschrift reichlich benutzt. Die Stücke
Nr. 19—23 (FB. 4, 422—424) haben in bunter Reihe die
Überschriften: 19) Von Hiob und David, 20) Von Adam,
21) Von Jakob, 22) Von Hagar, Abrahams Kebsweib,
23) David ein Rhetor. Die Vorlage für diese fünf Stücke
in der gleichen Reihenfolge findet sich Farr. fol. 463—464.
Die Stücke 21) und 23) stehen überhaupt in keiner andern
Tischredensammlung (vgl. W. A. VI, S. 317, Nr. 7000 u. 7001).
Dem Hiob-Stück Nr. 19 geht in Farr. und ebenso in Heyden-
reichs Nachschriften (V, S. 243, Nr. 5564) ein größeres Hiob-
Stück voraus, daß Aurifaber übergeht. Das Adam-Stiick
(Nr. 20) schließt bei Aurifaber ebenso wie in Farr.; bei
Heydenreich ist ein Ausspruch über die Genesis hinzugefügt,
den Farr. auf fol. 465 nachträgt (V, S. 200, Nr. 5505). Das
Stück von Hagar (Nr. 22) zerfällt in zwei Teile; für den
ersten Teil findet sich in der Münchener Handschrift Clm. 943,
118 eine entfernte Parallele (V, S. 327, Nr. 5714); aber
Aurifabers Wortlaut stimmt mit Farr. fol. 464, wo auch die
Vorlage für die zweite Hälfte des Stückes steht. So ist kein
Zweifel darüber möglich, daß Aurifaber wirklich aus der
Handschrift Farr. geschöpft hat.
V.
Es mub der Versuch gemaeht werden, unter den uns
bekannten Tischgenossen Luthers den Sammler von Farr.
herauszufinden, Der Versuch ist aussichtsreich, da Aurifaber
in der Vorrede seiner Tisehreden-Ausgabe unter seinen
Quellen alle Tischgenossen nennt, deren Bücher ,, Colloquiorum “
er benutzt hat; es ist nicht anzunehmen, daß er den Sammler
von Farr. übergangen hat, dessen handschriftlichem Bande
er so zahlreiche Stücke entnommen hatte. Die Reihenfolge,
in der vielleicht der Stürkegrad der Benutzung sich aus-
drückt, ist folgende: M. Antonius Lauterbach, M. Veit
Dietrich, M. Hieronymus Besold, auch M. Johann Schlagin-
hauffen und M. Johannes Mathesius, item M. Georg Rórers
Bücher, auch M. Johann Stolsii und M..Jacobi Webers ge-
5 85
schriebene Collectanea Colloquiorum, endlich Aurifabers
eigene Aufzeichnungen (W. A. VI, XV; FB. 4, XXII). Die
Auswahl ist nicht groß; man könnte vielleicht noch den
von Mathesius in seiner Beschreibung der Tischgesell-
schaft genannten M. Kaspar Heydenreich hinzufügen (Historien
von Luthers Anfang usw., die 12. Predigt, Ausgabe von
G. Loesche, 2. Aufl, 1906, S. 275). Heydenreich war, wie
Kroker annimmt, in den Jahren 1542 und 1543 (bis
24. Oktober) Tischgenosse im schwarzen Kloster, und die
Reden aus dieser Zeit treten in Farr. besonders hervor.
Nun findet sich aber fol. 269b—270b ein Trostbrief Luthers
ad Casparum Heidenreich (vom 24. April 1545; Enders XVI
209, Nr, 3505); wer so innerhalb der Sammlung eingeführt wird,
scheidet als Sammler aus, Lauterbach und Veit Dietrich
werden in Farr. öfters erwähnt (z. B. fol. 200b = Nr. 3143b
Lutherus ait Antonio, vor den Worten W. A. III, S. 188
Z. 6—14; fol. 190 = Nr. 3464m: Antonius Lauterbach
dixit Luthero; fol. 24 = Nr. 750 (vgl. Nr. 373): Magister
Vitus interrogavit dialectice usw.). Überdies liegen ihre
und des Mathesius Sammlungen in besonderen Handschriften
vor. Auch Schlaginhauffen und Rörer werden genannt
(z. B. fol. 259 Luthjerus ad Schlaginhauffen: Esto bono
animo etc, = Nr. 1288 in.; fol 47 Magister Georgius Rorer
orabat ete. = Nr. 3591). So füllt alles Gewicht auf den
von Aurifaber an dritter Stelle aufgeführten M. Hierony-
mus Besold; indem wir ihn nennen, haben wir zugleich
die Lösung des Rätsels auf dem Buchdeckel in der Hand.
Die Buchstaben M.B. scheinen nichts anderes bedeuten zu
sollen als Magister Besold. Man kónnte zwar an dem
Fehlen des Vornamens Anstoß nehmen, der damals noch
fast wichtiger war als der Familienname. Aber Besold
redet in seinen Briefen doch nicht nur von M. Georgius
(Rörer) oder M. Hieronymus (Schreiber), sondern gelegent-
lich auch von M. Agricola, M. Floeeus, M. Vogel, M. Auri-
faber, M. Reischacher usw. (Archiv f. Ref, Gesch 13. Jahr-
gang, S. 89, 93, 112, 117, 120, 165, 170 und 185), Vielleicht
kommen die in den Buchdeckel eingeprügten Buchstaben
M.B. überhaupt lediglich auf Rechnung des Nürnberger
Buchbinders.
86 6
Wir sind über diesen treuen Schüler der beiden
Reformatoren, namentlich durch seine 33 Briefe an Veit
Dietrich während der Jahre 1541—1546 (meist aus dem
sog. Manuser. Thomasianum veröffentlicht von O. Albrecht
und P. Flemming im 13. Jahrgang des Archivs für Ref.
Gesch. 1916 S. 811f, S. 161ff.) und durch die zahlreichen
(37) Briefe Melanchthons an ihn (im Corp. Ref.) sehr genau
unterrichtet. Eines Kürschners Sohn aus Nürnberg, bezog
er etwa 17jährig im Sommer 1537 die Universität Witten-
berg (Album I S. 166); zu seinen Nürnberger Lehrern hatte
Joachim Camerarius gehört. Am 26. März 1542 erlangte
er durch Rórers Vermittlung Zulassung zu Luthers Tisch
und blieb nun Tischgenosse im schwarzen Kloster bis zum
23. Januar 1546, d, h. bis zu Luthers letzter Reise nach Eisleben.
In Wittenberg hatte er am 31. Januar 1544 die Magister-
würde erworben und war auch am 18. Oktober 1545 in das
Kollegium der Artistenfakultät aufgenommen worden (Köstlin,
Bace. und Mag. III, 15. 22). Nach Luthers Tod siedelte
er in Melanchthons Haus über, kehrte aber nach Ausbruch
des Schmalkaldischen Krieges am 2. November 1546 nach
Nürnberg zurück. Dort war er gleichzeitig im Schul- und
Kirchendienst tätig; mit der Zeit nahm er eine Art Super-
intendentenstellung ein. Am 30. Januar 1548 heiratete er
Osianders Tochter Katharina. Ihre Mutter war schon 1537
gestorben; den Trosfbrief, den damals Melanchthon an
Osiander gerichtet hatte (10. August 1537; vgl. Corp.
Ref. UI 405—407, Nr. 1602) nahm Besold in seine große
Sammlung auf (Farr. fol. 278b—279). Ganz besonders
verdient machte er sich nach Veit Dietrichs Tod durch
Vollendung der Ausgabe von Luthers Genesisvorlesung,
deren letzte Teile er selber gehört und nachgeschrieben .
hatte; Teil II, III und IV erschienen in den Jahren 1550,
1552 und 1554. Im Jahre 1551 stellte er aus seinen
reichen Sammlungen, den eigenen und denen der Genossen,
den großen Band Farrago zusammen. |
Sein Briefwechsel ist noch nicht vollständig gesammelt.
In der reichen handschriftlichen Sammlung der Camerarii
der Münchener Dtaatsbibliothek befinden sich neun Besold-
Briefe (sieben an seinen Lehrer Camerarius aus den
7 | 87
Jahren 1554—1558, einer an dessen Sohn Joachim 1558, einer
an Johannes Heß 1551). Wir erfahren aus diesen Briefen,
daß der Pfalzgraf Wolfgang, Herzog von Zweibrücken und
Neuburg, ihn 1557 zur Feststellung der Zweibrückener
Kirchenordnung und 1558 zur Kirchenvisitation in Zwei-
brücken heranzog. Zu letzterem Dienst entschlob sieh der
bescheidene Mann (,tenuitatis meae mihi conscius“) nur
auf Zureden des Zweibriickener Kanzlers Sitzinger. Julius
Ney in seiner Schrift über den Pfalzgrafen Wolfgang (Verein
für Ref. Gesch., 1911, Schrift 106/107) erkannte in dem
Nürnberger Pezold nieht unsern Besold (vgl. S. 115 Anm. 47).
Während er sich früher Besold oder Besolt schrieb, erscheint
in den Briefen der Jahre 1557 und 1558 nur die Schreibung
Hiero. Pesolt, Ende Juni 1562 wurde er Prediger an
S. Lorenz, starb aber bereits Anfang November 1562 an
der Pest (Archiv Bd. 13, S. 81—86). —
Unter den Tischreden Aurifabers, für die bisher noch
keine Vorlage nachgewiesen werden konnte, befindet sich
eine, in der Aurifaber ausdrücklich Besold erwähnt. Es ist
Nr. 6586 (VI, S. 58 = FB. 1,285). Die Rede lautet: „Von
dem Abgott Moloch redete Anno 1540 D. Luther (wie es
M. Hieronymus Besold seliger fleißig hat aufgeschrieben),
daß die hl. Schrift des Molochs oft gedächte, und daß Lyra
und der Jüden Commentarii sagten, daß es wäre ein Abgott
gewesen aus Kupfer und Messing gemacht wie ein Mensch,
das die Hände hätte fur sich gehalten, darin hätte man
glühende Kohlen gethan. Wenu nu das messinge Bilde gar
heiß wär worden, so sei ein Vater hinzu gangen, hab dem
Abgott geopfert und sein eigen Kind genommen, es in die
glühenden Hände des Abgotts gelegt; da ist denn das Kind
also zuschmolzen. Indeß haben sie mit Glocken und Zimbeln
geklängelt und geläutet und mit Hörnern geblasen, daß die
Aeltern des Kindes Geschrei nicht hóreten. Dawider schrien
nu alle Propheten, sonderlich Jeremias. Und schreiben die
Propheten, daß Ahab (!) hab seinen Sohn also geopfert
(vgl. 2. Kön. 16, 3). Im 106. Psalm steht auch davon,
Dieses ist Alles aus der Meinung geschehen und herkommen,
daß sie gedacht haben: Ei, soll ich unserm Herrn Gott
Opfern, so will ich ihm etwas Köstliches opfern, was soll
‚88 | | 8
ich ihm ein Kalb nes Ich will ihm meinen eigen Sohn
opfern !
Es hat doch den Wert einer Probe aufs Exempel, wenn
sich herausstellt, daß die Hauptvorlage für diesen Abschnitt
in einem Sonderstück von Farr. zu finden ist. Das. Stück
lautet auf fol. 53:
„Traducere per ignem heist wie Achas thet (2. Kön. 16, 3),
der ein gnedigen Gott wolt haben, es were Gott lieb oder
leid, opfferte seine kinder. Lira schreibt, das sie haben ein
bild gegoBen vnd das vol kolen gethan vnd die kolen an-
gezundet, wanjn nhu das bild gar ist erhitzet gewest vnd
gluend, haben sie das kind dem Molach jn die arm gelegt
vnd also laßen braten. O das war ein heiliger Gottesdinst!
Damit aber die eltern vagitum puerorum nicht mochten
horen, ut flecterentur ad misericordiam, hatte man zimbeln,
damit richten sie einen klangk an, ne posset exaudiri. Das
hieß denjn dem Molach geopffert.“
Mit diesem Stiick verband Aurifaber Ausfiihrungen, die
in dem ja auch von dem „fleißigen“ Besold herausgegebenen
tomus quartus der Genesisvorlesung (zu 1. Mose 42, 38 —
vgl W. A. Bd. 44, S. 522 Z. 3— —16) zu lesen waren. Dort
findet sich aufer dem Hinweis auf Lyra und König Ahas
die breite Schilderung des ohrenbetäubenden Lärmens
(sacerdotes crepitacula, tintinabula et tympana pulsabant,
ne parentes pueri morientis clamorem exaudirent) und die
Anführung von Psalm 106, 37L, sowie des Propheten
Jeremias.
Das von Aurifaber willkürlieh genannte Jahr 1540
muß preisgegeben werden. Da Luther im Oktober 1543
(vgl. Heft 1 S. 20) beim 36. Kapitel der Genesis stand,
fällt die bei Kapitel 42 gegebene Ausführung über den
Molochdienst in den Lauf des Jahres 1544.
VI.
Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung wird dureh
mancherlei Beobachtungen bestätigt, die wir an dem Inhalt
von Farr. machen können. Es ist lehrreich, einzelne Sach-
abteilungen mit der gleichen Überschrift bei Aurifaber und
Besold zu vergleichen, um die ganz andere Orientierung des
9 89
Stoffes und die verschiedene Auswahl der Stücke zu erkennen.
Es soll im folgenden Aurifabers 62. Kapitel „Tischreden
von Kriegen“ (FB. 4, 437—447) mit Besolds 76. Abschnitt
De bello (fol. 377—383 ter) verglichen werden.
Aurifabers elf Stücke haben einen sehr bunten Inhalt.
Er läßt Luther davon reden, daß man durch Verräterei viel
in Kriegen ausrichte (Nr. 1), dab Geschütze ein grausames
Instrument und Teufelswerk seien (Nr. 2) Dann ist die
Rede vom Krieg um Mailand und dem Vorzug der deutschen
Kriegsknechte vor den spanischen (Nr. 3), weiterhin daß
der Krieg Gottes größte Strafe sei (Nr. 4 — Bellum omnium
poenarum est maxima — Nr. 6268) Er wird mit einem
goldenen Hamen vergliehen, mit dem man beim Fischen
nieht viel gewinnt (Nr. 5), die varia arma populorum werden
aufgezählt (Nr. 6 — — Nr. 3752). Die nächsten AuBerungen
(Nr. 7 und 8) fallen in die Zeit des Frankfurter Konvents 1539;
wir sollen wider den Krieg bitten; causam habemus
iustissimam, sed proh dolor!. ingrati et mali (sumus), ita
ut Deus visitet pios cum impiis (Nr. 4482). Von Julius
Cäsars Schlachten und vom Unterschied zwischen Simsons
und Cäsars Mut handeln Nr. 9 und 10. Den Schluß (Nr. 11)
bilden Mitteilungen aus einem langen, in vortrefflicher
Niederschrift erhaltenen Gespräch Luthers und Melanchthons.
über die bedrohlichen Tagesereignisse, das am 11. April 1542
bei dem Abschiedsessen gehalten wurde, das Mathesius in
Crucigers Haus gab (Nr. 5428). Die Stoffe, die Aurifaber
hier vereinigt hat, entnahm er zumeist Lauterbachs Tage-
büchern. Auch hier nehmen wir wahr, wie er gern bei
einer Quelle verweilte und mehrere Stücke aus ihr schöpfte.
Im Unterschied von Aurifabers planlos zusammen-
gewürfelter Karte zeigt Besolds Abschnitt vom Krieg eine
durchaus einheitliche Konzeption. Es ist nur von zwei
Dingen die Rede, vom Türkenkrieg und von der Wurzener
Fehde d. b. von dem drohenden Zusammenstoß des Kur-
fürsten Johann Friedrich mit dem jungen Herzog Moritz um.
des Städtchens Wurzen willen, das der Kurfürst besetzt
hatte, weil der Bischof von Meißen sich weigerte, die für
den Türkenkrieg ausgeschriebene Steuer an den Kurfürsten
abzuliefern; da Hoheitsrechte über Wurzen standen im
‘90 10
Streit. Diese beiden Dinge standen im Frühjahr 1542 im
Vordergrund des Interesses und bildeten gerade in der Zeit,
als Besold seit dem 26. März Luthers Tischginger wurde,
des Tagesgespräch. Die starken Eindrücke jener Wochen
spiegeln sich in den sechs Stücken ab, die Besold in dem
Kriegskapitel vereinigt hat.
Besold hatte erfahren, daß Luther einem Edelmann,
der wider die Türken zog, auf dessen Bitte einen Ratschlag
aus heiliger Schrift mitgegeben hatte, den dann jener im
Wamms unter dem Harnische mit sich führte. „Ein krieger
sol sich Gott befehlen vnd die zwey große heiligthumb jns
hertz faBen, Das erste den glauben, credo, das ander das
Vatervnser. Hiemit ist er gnug gerust geistlich, er sterbe
oder bleib lebendig“. Besold verschaffte sich eine Abschrift
des Briefes vom 14. August 1541 „An Georg Waise,
Kammerdiener“ und teilt sie als erstes Stück fol. 377—377b
mit. Der Abdruck bei Enders (XIV 50, Nr. 3036) erwähnt
diese älteste Niederschrift nicht; sie muß für die Ausgabe
der Briefe in der kritischen Gesamtausgabe verglichen werden.
Zum Anführer des Reichsheeres wider die Türken war
Kurfürst Joachim II. von Brandenburg ernannt worden. Schon
vor zehn Jahren, als er noch Kurprinz war, war er zum
Hauptmann des niedersächsischen Kreises „wider den leidigen
Tyrannen, den Türken“ bestellt und hatte damals (am
3. August 1532) einen Geleitbrief Luthers empfangen
(Enders IX 216, Nr. 2021). Jetzt ersuchte er die Refor-
matoren um ihre Fürbitte und Gebet für den Feldzug. Luther
antwortete am 17. Mai 1542 (Enders XIV 265, Nr. 3147).
Beide Lutherbriefe, den vom Jahr 1532 „an den jungen
Marggrafen Joachim“ und den von 1542 „An Marggraff
Joachim, Churfurst^ teilt Besold als 2. und 3. Stück mit
(fol. 377b—378b und fol. 379—380). Es sind die ältesten
Niederschriften, die wir kennen, und darum ist ihre Ver-
gleichung notwendig. &
Das nächste Stück (fol. 380— 381b) beginnt: „Anno 1542,
11. aprilis. Philippus (rot): Ey, Her Doctor, es ist ein bose
wetter itzund vnd ein vnfletige lufft. Luther (rot): Ja, denn
es scheidet sich itz erstlich winter vnd sommer. Philipjpus
(rot): Es wirt aber nicht gut wetter sein fur arme landts-
11 91
knecht, die itz zu felde liegen. Luther (rot Wer kann
dafur, warumb fahen vnsere fursten ein solch spil an?“ Es
folgen Abschnitte des langen Gesprächs, die vortrefflich die
Stimmung in Wittenberg während der drohenden Wurzener
Fehde wiedergeben (Nr. 5428; V, S. 133 2.9 —135 Z. 22 und
S. 138 Z. 14—34). Im übrigen bringt es die Sachordnung
in Farr. mit sich, daß das Gespräch in sieben Abschnitte
zerlegt ist, die auf das 76., 51., 41., wieder 76., 32., 82. und
37. Kapitel verteilt sind.
Nur in diesem Stück trifft Besold mit Aurifaber zu-
sammen, der ja hier auch nur ein Fragment des Gesprächs
mitteilt. Im nächsten (Nr. 5) greift er noch einmal auf den
Türkenkrieg zurück und bringt eine Äußerung Luthers (Ende
Mirz 1532), in der er angesiehts der ungeheuren Ubermacht,
mit der die Türken zu Felde ziehen wollten, auf Gott hin-
weist, der, wie er einst das zahllose Heer der Athiopier
(Kuschiten) auf das Gebet des jüdischen Königs Asa (914—
874) niederschlug (2. Chron. 14, 10ff.) und das Heer der
Assyrer vernichtete (Jes. 37; vgl. 2. Könige 19, 35), so auch
mit diesen stolzen Gesellen streiten und ihren Hochmut
.dämpfen werde. Das Stück entspricht der Tischrede Nr. 2548b
aus der Sammlung des Konrad Cordatus; es ist von Aurifaber
im 75. Abschnitt „vom Türken“ in eine aus vielen kleinen
Stücken zusammengesetzte Ausführung hineingearbeitet worden
(FB. 4, 651—75, 1).
Das letzte Stiick des Abschnittes De bello — ein Nach-
tragsstück — bildet einen Glanzpunkt der Handschrift Farr.
(fol. 381 b—383 ter); um es ganz aufzunehmen, wurden nach
Bl. 383 zwei ungezählte Blätter eingeschaltet. Weiteren
Kreisen ist der Inhalt dieses Stückes erst durch die großen
Gesamtausgaben bekannt geworden. Es erschien 1558 im
8. Band der Jenaer Ausgabe (VIII, 40) und 1559 im 12. Band
der Wittenberger Ausgabe (XII, 225). Keine der zahlreichen
Brief- oder Tischreden-Handschriften Luthers enthält das
Stück. Es läßt sich aber der erwünschte Nachweis führen,
daß und wie gerade Besold frühzeitig zur Kenntnis dieses
Stückes gekommen ist.
Das Stück trägt f, 381b die Überschrift: „D. Marti: Luth:
mißive an Churf. vnd Hertzog Moritz zu Sachßen, des fürge-
92 12
nohmen krigs vor Wurtzen.“ Es ist Luthers offenes und
strenges, zugleich auch derbes und kiihnes Mahnwort (vom
7. April 1542) an die beiden Fürsten, Frieden zu halten
(Enders XIV 227—232, Nr. 3125). „Selig seindt die frid-
fertigen, denn sie sollen Gottes kinder heißen, Mathei am 5.
(V 9). Ane zweiffel widervmb wirts heißen: Vermaledeyet
sein die friedheßer, denn sie mußen des Teuffels kinder
heißen“ Z. 35—38. (Die späteren Drucke haben das Wort
„friedhesser“ in „Friedbrecher“ geändert.) Durch das ver-
mittelnde Eingreifen des Landgrafen Philipps von Hessen
wurde das Mahnschreiben überflüssig; es wurde weder an die
Fürsten gesandt noch veröffentlicht. Nur Philipp bekam es
zu lesen, und dem Kanzler Brück überschickte es Luther
am 8. April, nachdem es schon zur Hälfte gedruckt war.
Im Marburger Staatsarchiv und im Dresdener Archiv finden
sich die handschriftlichen Zeugnisse. Ein dritter selbständiger
Zeuge ist die Abschrift in Farr. Wie hat Besold Einblick
in das geheime Schriftstück gewonnen?
Am 10. April gab Besold seinem Nürnberger Gönner
Veit Dietrich in einem höchst interessanten, die ganze Auf-
regung in Wittenberg wiederspiegelnden Brief genauen Be-
richt über die Entstehung der Fehde, des subitus tumultus:
„Mein Herr“, sagt Luther, „ist zu hais vor der Stirn“. Aber
schon konnte der Schluß des Briefes melden, daß der Ver-
mittlungsversuch des Landgrafen von Erfolg begleitet sei
(Enders XIV 246—249, Nr. 3134’) und Tischreden V, S. 142 bis
144, Nr. 5428a). Höchst bedeutungsvoll sind nun die Schluß-
worte des Briefs Z. 100—102: „Seriptum Lutheri ad Maurieium
non potui nancisci, celatur enim: sed rogo, ut petas a D.
Crucigero aut M. Georgio (d. h. Rórer) tum describam et
1) Z, 91—94: Sed commode intervenit Landgravius. Is scripsit
ad nostros (an Luther und Melanchthon, 8. April — Enders Nr. 3127 —)
et pollicitus est se daturum operam, ut bona gratia hoc dissidium
componeretur, id qnod Dei benignitate effecit, sed quibus conditionibns,
sane nescio. — Der letzte Satz setzt den zuversichtlichen Brief des
Landgrafen an Luther vom 9. April voraus (— Nr. 3130), den dieser
am 10, April beantwortete (— Nr. 3131). Am gleichen Tag wird auch
Besold nach Nürnberg geschrieben haben. So kann also der Termin
des Briefes (Nr. 3184) statt ,Mitte April 1542" auf den 10. April fest-
gelegt werden,
13 93
mittam tibi^ Die Fürsprache Dietrichs bei Crueiger oder
Rörer war nicht nötig; denn schon am nächsten Tag, am
11. April, konnte Besold an Dietrich schreiben: „M. Georgii
singularem erga me amorem non possum satis praedicare,
qui me complectitur non secus ac filium . . . Dedit mihi
deseribendum hoe seriptum Lutheri* (Beitráge zur bayerischen
Kirchengeschichte, 18. Bd., 1912, S. 46)!) So rasch be-
kam also Besold das der Offentlichkeit entzogene kostbare
Dokument in die Hand, und so schnell ist es in Nürnberg
bekannt geworden. Wir verstehen, daB Besold, als er Luthers
Äußerungen „vom Krieg“ zusammenstellte und sich dabei
der aufregenden Wochen am Beginn der Tischgenossenschaft
mit Luther erinnerte, mit keinem besseren Stück den Ab-
schnitt schließen konnte als mit einer Abschrift des gewaltigen
Mahnschreibens.
Stimmt das Ergebnis, daß M. Besold der Sammler von
Farr. gewesen ist, zusammen mit dem früher schon be-
gründeten Postulat, der Sammler müsse in den Jahren 1542
. und 1543 ein Tischgenosse Luthers gewesen sein, so erklärt
sich nun auch die so nahe und enge Beziehung, in der
Farr. zu dem Inhalt des 11. und 12. Abschnittes der Weimarer
Tisehredenausgabe, d. h. zu Kaspar Heydenreichs Nach-
schriften aus den Jahren 1542 und 1543 (V, S. 115—274,
Nr. 5379—5603) und zu Besolds Nachschriften aus dem
Jahre 1544 (V, S. 297—314, Nr. 5659—5674) steht. Kroker
gibt an, daß Farr. von den Heydenreich’schen Stücken 120,
von den Besold'sehen sechs darbietet (V, S. XXVII und
XXXII); nach meiner Feststellung steigt die erste Zahl auf 139.
Aber diese Scheidung der Heydenreich’schen und Besold’schen
Stücke, bei der Besold viel zu kurz kommt, kann nicht auf-
recht erhalten werden. Kroker hat seine Schlußfolgerungen
aufgebaut auf einer von ihm entdeckten und genau heraus-
1) Das im Archiv f. Ref, Gesch. (18. Jahrgang, 1916, S. 91, Anm. 1)
vorgetragene Bedenken gegen das überlieferte Datum des ,11. Aprils*
erledigt sich auf diese Weise. Die heftige Aufregung, die in Witten-
berg seit dem 4. April wegen des Ausbruchs der Wurzener Fehde
herrschte, war im Brief vom 10. April zum Ausdruck gekommen. Sie
brauchte in dem Brief vom 11. April nicht mehr nachzuzittern —
hatte doch dieser Brief die gewichtige Beilage des Schreibens Luthers.
94 14
gegebenen Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, die
„Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung“ enthält
(Math. L., Leipzig 1903); sie ist von einem Joachimsthaler
Schüler des Mathesius, M. Johann Krüginger, geschrieben,
In dieser Handschrift folgen zwei Abschnitte auf einander,
die hier in Betracht kommen: der Abschnitt S, 177—260
der Handschrift mit der Überschrift: Haee sequentia communi-
cavit mecum D. Matthesius, praeceptor meus, anno 1547.
mense Septembri: Colloquia habita in mensa D. M. L. anno
MD. XLII (a. a. O. S. 249) und ein weiterer Abschnitt der
Handschrift S. 260—970 mit der Überschrift: Colloquia anni
MD. XLIIII (S. 335). Es sind hier also nur Jahre, keine
Namen genannt. Mit diesem Befund kombiniert nun aber:
Kroker eine Angabe des Mathesius selbst am Eingang der `
12. Predigt von Luthers Historien (vgl. oben S. 85), wo unter
den naeh ihm an Luthers Tisch schreibenden Männern in
den vierziger Jahren, die ihm ihre Nachschriften zur Ab-
schrift anvertraut haben, an erster Stelle M. Kaspar Heyden-
reich, an zweiter M. Hieronymus Besold angeführt werden.
Wann Heydenreich (Mag. seit 15. September 1541), den nur
Mathesius als Tischgenossen Lnthers nennt, während er von
Aurifaber nicht erwähnt wird, an Luthers Tisch gekommen
ist, wissen wir nicht; wohl aber steht fest, daB er am
24. Oktober 1543 als Hofprediger der Herzogin Katharina
von Sachsen, der Witwe Heinrichs des Frommen, nach Frei-
berg berufen worden ist. Da er also für 1544 ausscheidet,
schreibt ihm Kroker den großen Abschnitt der Reden von
1542 und 1543 zu, so daß dann für Besold nur der kleine
Abschnitt von 1544 übrig bleibt (V, S. XXII— XXIV, S. XXXII).
Indes ein grofer Teil der von Kroker dem Heydenreich
zugeschriebenen Tischreden wird auf Rechnung Besolds zu
setzen sein, Das gilt, wie es scheint, schon von den ersten
19 Stiicken Nr. 5379 — Nr. 5397, die alle (mit Ausnahme
von Nr. 5387) in Farr. sich finden und dort meist in
besserem Text tiberliefert sind, obwohl der Schreiber sich
manche Flüchtigkeit zu schulden kommen ließ. Kroker
druckt die Stücke nach der Mathesischen Handschrift ab,
gibt aber Varianten von Farr. an. Unter diesen Stücken
befindet sich die schon besprochene Nr. 5386 (vgl. Heft 1
15 95-
S. 20) mit der eigentümlichen zeitlichen Näherbestimmung
einer Äußerung Bugenhagens; hier merkt Kroker mit Recht
an, daß Farr. wohl den ursprünglichen Text besser über-
liefert habe. Ganz besonders lehrreich ist Nr.-5389, wenn
man das Stück mit einer Stelle in dem Brief vergleicht,
den Besold am 11. April 1542 an Veit Dietrich in Nürnberg
geschrieben hat. Es heißt in dem Brief: Ferdinandum
appellabat (Lutherus) calamitatem et pestem Germaniae,
et recitabat vaticinium Erasmi de utroque Ferdinando et
Carolo, qui dixerat: Isti duo pulli dabunt magnum malum
Germaniae. Item patris Maximiliani, qui intuens genesin
Ferdinandi optaverat eum suffocatum periisse in primo
lavacro. Et addebat (Lutherus): Profecto paternae voces
sunt prophetieae (vgl den Text in den Beiträgen zur
bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 18, 1912, S. 46 Z. 4ff.).
Genau den gleichen Inhalt hat Nr. 5389, bis in den wört-
lichen Ausdruck hinein (Farr. fol. 375b bietet nur statt.
genesin den Ausdruck genealogiam). Selbst die irrige
Angabe findet sich in beiden Stellen, als sei Maxi-
milian I. der Vater von Karl V. und Ferdinand I. gewesen.
Das Gewicht dieser Übereinstimmung ist so groß, daß:
Krokers Bedenken (V, S. XXIII) es müßten sich, wenn
Besold alle diese Reden nachgeschrieben haben sollte, noch
viel mehr Übereinstimmungen mit dem Inhalt der Briefe
finden, das sei aber die einzige in ihrer Art, doch nicht.
dagegen aufkommen kann. Die nachgeschriebenen Reden
bilden doch nur einen bescheidenen Bruchteil der Tisch-
gespräche; es ist recht gut denkbar, daß Besold in den.
Briefen an Dietrich sofort aktuelle Äußerungen Luthers.
mitgeteilt hat, die er in sein Tischredenheft nicht auf-
nahm. Diese aus den flüchtigen Tischnotizen hergestellten
Hefte hatten es doch in erster Reihe auf solche Aussprüche-
Luthers abgesehen, von denen man sich dauernde Belehrung
versprach. Auch diese konnte man nicht sämtlich fest-
halten. Das beweist die reiche Nachlese, die gerade Besold
in der Vorrede zum vierten Teil der Ausgabe der Genesis-
Vorlesung beireffs der Äußerungen Luthers über die
Genesis, über das Evangelium Johannis, über Paulus
usw. gibt — Äußerungen, deren Gesamtinhalt in keiner
96 16
Tisehredenhandsehrift begegnet (vgl. W. A. Bd. 44
S. XXXIIf)?)
Was übrigens die Übereinstimmungen zwischen Besolds
Briefen und den fraglichen Tischreden, insonderheit mit
Farr., betrifft, so sind sie bei näherem Zusehen doch zabl-
reicher, als bisher angenommen wurde. In dem erwähnten
Brief Besolds vom 11. April 1542 geht der Prophezeiung
des Erasmus über Ferdinand und Karl der Satz voraus,
daß Luther das Gebet der Kirche für den einzigen Schutz
Deutschlands halte (vgl. a. a. O. S. 46: Unico illo praesidio
sustentari res Germaniae propemodum labentis ait, Oratione
Ecelesiae) In den Tischreden finden wir ergänzende Aus-
führungen über die Macht des anhaltenden Gebets überhaupt
im Anschlu8 an Math. 7, 7; auf Nr. 5389 folgt Nr. 5392
(Farr. fol. 295b): „Oratio hat bisher ecclesiam erhalten,
darumb mus es noch gebetet sein. Darumb sagt Christus:
suchet, bittet, klopfet an! usw.*. Die Türkengefahr, die
1) Zu einem Stück dieser Mitteilungen haben wir eine hand-
schriftliche Parallele. Wir lesen Bd. 44 S. XXXII und XXXIII: „Nee du-
bito reverendum virum D. Justum Jonam pleraque adhuc memoria tenere,
qui huie sermoni interfuit eique occasionem dedit. Forte enim ex
Salinis Saxonieis Vitebergam expaciatus erat ad D. Lutherum et
reliquos praeceptores invisendos, cumque eos audivisset in schola de
variis rebus erudite et pie disserentes, narrabat in prandio se ex
D. Philippo audivisse, totam scripturam nihil aliud esse quam certamen
serpentis et seminis, Ad illud subiecit Lutherus: Glaabt jr auch, das
Joannes ein Commentarius sey vber die gantzen Bibel? Paulus auch.
Es ist kein wort, Joannes wolt gern Christum Deum machen. Sacra
Scriptura magis urget Filium quam Patrem. Quia tota scriptura est
propter Filium. Ideo plura sunt testimonia, etiam (im Druck falsch
enim) in Veteri Testamento, de Filio quam de Patre. — Den gleichen
Wortlaut der AuBerung Luthers gibt die Tischrede Nr. 5585 (V, S. 262):
wieder, die der Münchener Handschrift Clm. 987, 50 entnommen ist
und dort als eine Nachschrift des Glauchau'schen Pfarrers Bartholo-
mäus Wagner bezeichnet wird. Daß die Rede ins Frühjahr 1543
gehórt, wird durch den Brief Besolds an Veit Dietrich vom 25. April 1543
bestätigt, der diesen Besuch des Jonas erwähnt (,D. Jonas ex Salinis
nuper huc venit“ — Kawerau, Briefwechsel des Justus Jonas, II, 1885,
S. 101). Noch andere Auborungen Luthers zu Jonas, z. B. über die
Nähe des jüngsten Tages, werden in dem Briefe mitgeteilt. Man
sieht, daß die Wirklichkeit überall reicher war, als die bruchstück-
weise Überlieferung der Tischreden erkennen läßt.
17 97
ganze Zeitlage tiberhaupt erweckte in Luther den Gedanken
an die Nähe des jüngsten Tages. „D. Doctor quotidie
exoptat adventum ultimi iudicii“ — schreibt Besold an
Dietrich am 25. Juli 1542 (Beiträge zur bayer. Kirchengesch.,
18. Bd., 1912, S. 83). Wir kennen das Gebet, das Luther
um diese Zeit sprach. Es ist nur von wenigen Zeugen
überliefert. In Nr. 5777 (V, S. 349) ist es aus einer
Münchener Handschrift (Clm. 939, 210b) mitgeteilt; außer-
dem bietet es Rörer dar (Ror. Bos. q. 24p, 256b), der
dritte (nicht erwähnte) Zeuge ist Farr. fol. 432: „Oratio.
Hilff, lieber himmelischer Vater, das der selige tag deiner
heiligen zukunfft bald komme, das wir aus der argen welt,
des teuffels reich, erloset vnd von der greulichen plage, die
wir auswendig vnd inwendig, beide von bösen leuten vnd
vnserm gewißen leiden mußen, frey werden . . . durch
Jesum Christum vnsern Herren, Amen“. (Der Zusatz am
Schluß des Gebeis wie bei Rörer).
Za diesen Beispielen, die sich noch vermehren lassen,
treten nun die vielen Zeugen eines besseren Textes, den
Farr. vor Math. L. darbietet, und der besonders in den
Stellen, wo Nürnberg in Frage kommt, laut für die
Urheberschaft Besolds spricht.
In Nr. 5396 (Bd. V, S. 126) wird in einem Gespräch
über die Juden ein „Morituus Doctor“ redend eingeführt.
So Matth. L. 505 (S. 256). Man wußte mit dem Wort nichts
anzufangen; Math. N. korrigierte Morituus in Martinus, cod.
Rhed. ließ die Worte ganz aus. Farr. fol. 403b (nicht 413b)
bietet die richtige Lesart: Tum Mauritius: Djomine Doctor
usw. Es ist der Wittenberger Buchhändler und Ratsherr
Moritz Golz aus Belzig demeint (vgl. über ihn Enders XV 64,
Anm. 10 und Archiv f. Ref. Gesch. 1916 S. 171 Anm. 4), der in
Luthers Haus verkehrte; seiner Gattin Christine widmete
Erasmus Alber den Druck einer am zweiten Epiphanien-
tag 1546 gehaltenen Predigt über die Hochzeit zu Kana
(Emil Körner, E. Alber, 1910, S. 92).
Im Jahr 1542 wütete die Pest in Deutschland. Schon
im Dezember 1541 hatte Besold an Dietrich geschrieben:
Philippus in lectione locorum communium dicebat grassari
nune in Germania pestem (Beitrüge zur bayer. Kireheng. 18,
Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 2. 7
98 | | 18
1912, S. 41), In Nr. 5503 (V, S. 195) steht ein langes
Gespräch am Tische Luthers über die Pest, den Pestpsalm 91
und den Aberglauben, der mit dem Johannesevangelium als
Schutzmittel gegen den Donnerschlag getrieben werde, Das
Gespäch beginnt Farr. fol. 392b: „Cum quidam diceret duos
praedieatores Nurmbergae peste absumptos esse, quaesitum
est, an etiam ecclesiastes, qui tantum conductus est ad
praedieandum, posset hominibus egrotis denegare suam
operam tempore pestis? Njespondit: Bey leibe neyn usw“.
Nur Farr, bietet die richtige Lesart Nurmbergae und ebenso
Aurifaber (FB. 2, 441— 32, 155) ,Nürnberg"; Aurifaber hat
das ganze Stück, wie die übereinstimmenden Varianten
beweisen, aus Farr. entlehnt. Die anderen Texteszeugen
(Math. L., Math. N. und Obenander) geben statt „Nürnberg“
den Namen „Naumburg“. Das ist eine Eintragung aus dem
Schluß des Gespräches (V, S. 196, Z. 25), wo es heißt: Tum
quidam dicebat in oppido quodam non procul a Naunburg
parochum esse mortuum peste, item ludimagistrum; hier
hat auch Farr. „Numburgk“. Die spätere Überlieferung hat
zwischen dem Anfang und dem Schluß des Gesprächs Gleich-
fórmigkeit hergestellt Was für Naumburg nicht nach-
gewiesen werden kann, der Tod zweier Prediger im Jahre
1542, das trifft für Nürnberg zu. Am 2. Januar 1542 starb
der Diakonus bei S. Laurenzen Leonhard Krügel (Karl Chr.
Hirsch und Andr. Würfel, Diptycha ecclesiae Laurentianae, 1756,
S. 84), und ebenso war 1542 das Todesjahr des Predigers bei
St. Egidien, Sebastian Virnsehild (Diptychaecel. Egydianae, 1757,
S. 41). Der letztere war wohl nur praedicator. Daher die
Frage am Anfang des Gesprüches. Der quidam, der die
Nachricht aus Nürnberg mitteilte, wird Besold selber
gewesen sein. Daß er an Luthers Tisch auch Fragen zu
stellen sieh erlaubte, ergibt sich aus einem Gespräch über
Osiander, das er am 8. August 1544 an Dietrich berichtete
(Jam denuo quaesivi usw. Archiv f. Ref. Gesch, 1916, S. 164).
So steht nichts im Wege, auch die früher besprochene, in
Farr. stehen gebliebene Ego-Stelle auf Besold zurückzuführen.
Auch in einer andern Tischrede des Winters 1542
auf 1543 (Nr. 5538 — V, S. 222f.) nennt Farr. allein die
„Nürnberger“. Es.ist eine Erinnerung an Papst Hadrian VI.
19 99
(1522—1523), der, in Utrecht geboren, später Professor an
der Universität Löwen, Karls V. Lehrer gewesen war. „So
machen — Farr. 360 bis — die Nurmberger in gratiam
Caesaris einen bogen; auf der einen seiten stundt: Vtrich
plantavit, quia fuit patria Hadriani; auff der andern seiten:
Löwen rigavit, quia ibi studuit Hadrianus; oben auff: Caesar
dedit inerementum, quia ipse fecerat eum papam; da kam
ein boser bube vnd schreib vnden in den bogen: Hie Deus
nihil fecit.^ Die Handschriften Math. L. und Math. N. haben
nur den Buchstaben N., Aurifaber (4, 171— 44, 21): ,Utrieh*.
Das gleiche, in Anlehnung an 1. Kov. 3, 6 gebildete Witz-
wort begegnet in Nr. 3689 (aus Lauterbaehs Tagebuch vom
8. Januar 1538); dort ist der ganze Zusammenhang anders.
Es ist also nur eine scheinbare Parallele.
In Farr. fol. 272—272b steht unter der Überschrift
Ad civem Nurmbergensem ein Trostbrief Luthers vom
22. April 1532 an Thomas Zink, dessen Sohn Johannes,
ein Schiiler Veit Dietrichs, in Wittenberg gestorben war
(vgl. Enders IX 180, Nr. 1998). Der Vater lebte damals in
„Hoffheim“ (bei Königsberg in Franken), wie der von Dietrich
geschriebene Cod. Solger. © 351 f. 87 angibt. Wenn er aber
in Farr.als „Nürnberger Bürger“ bezeichnet wird, so spricht sich
eine besondere Kunde Besolds aus!) Veit Dietrich hat
ergreifende Aufzeichnungen über die letzten Stunden seines
Schülers hinterlassen (vgl. Tischreden Bd. I, S. 103f., Nr. 249).
Den erwünschten Bestätigungen, daß Farr, wirklich auf
Besold zurückgeht, können wir noch eine weitere hinzu-
fügen. Auf dem dritten Blatt der Handschrift stehen, wie
Heft 1 S. 6f. angegeben, deutsche Verse des Erasmus Alber
1) Diese Kunde setzt sich fort in der von dem sorgfältigen und:
zuverlässigen Generalsuperintendenten Johann Christfried Sagittarius
veranstalteten Altenburger Ansgabe der deutschen Schriften Luthers.
Der Brief steht im 5. Band (1662) S. 961 mit der Überschrift „Trost-
schrift D. M. L. an einen guten Freund zu Nürnberg, dem sein Sohn
zeitlich mit Tod abgangen 1532“. Diese Überschrift ist von der
Leipziger Ausgabe (22. Band, 1734, S. 516) und von Walch (10. Band,
S. 2366) übernommen worden. ‚In der Wittenberger und Jenaer Aus-
gabe der Werke Luthers fehlen die Worte „zu Nürnberg“ (Witten-
berger Ausgabe 9. Band, 1557, S. 474 und Jenaer Ausgabe 5. Band,
1557, S. 560 [spätere Drucke S. 486)).
7*
100 20
auf Martinus Lutherus und auf S. Christoph. Alber und
Besold haben sich an Luthers Tisch kennen gelernt. Im
Herbst 1542 aus Brandenburg vertrieben, hatte Alber in
Wittenberg Zuflucht gefunden und war dort noch während
der ersten Monate des Jahres 1543. Er erzählt selber von
dieser Zeit, daß er „täglich Luthers lieber Gast gewesen
sei“ (Beiträge zu Luthers Tischreden, von Emil Körner —
Archiv f. Ref. Gesch. XI, 1914, S. 135). Als Besold im
Sommer 1543 eine Erholungsreise an den Rhein machte,
war ihm, wie er am 13. September von Frankfurt aus an
V. Dietrich schrieb, „comes iucundissimus Erasmus Alberus“
(Archiv XIII, 1916, S. 113). Der geprüfte, oft verjagte
ältere Dichter und sein junger Freund werden auf der
gemeinsamen Reise häufig von Wittenberg und Luther
gesprochen haben. Da mögen die akrostichischen lateinischen
und deutschen Verse entstanden sein, mit denen Besold den
Anfang des Farr.-Bandes schmücken ließ. Jedenfalls sind
sie zu Lebzeiten Luthers niedergeschrieben, da sein Wirken
als noch fortdauernd geschildert wird (Verbum cum doceat
studio fervente Lutherus?).
1) 3. Blatt der Handschrift (nicht gezählt) vor Blatt A:
Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri.
MARTINVS.
Maxima pars mundi Christum nescivit Jhesum.
Audita in templis non sunt nisi somnia vana.
Romulidae Christi sponsae caput esse volebant,
Tantum erat his studium, miseram seducere plebem,
Iustitiam et fidei in Christum obscurare libido,
Nemo operum et fideji quae sint discrimina, novit,
Venter erat summus Doctor populi atque Magister,
Spurcus et hoc docuit, voluit quod quisquis agaso.
LVTHERVS.
Luce sua Christus nune totum illuminat orbem,
Verbum eum doceat studio fervente Lutherus.
Tantum illi studium, ad Christum perducere plebem,
Hactenus in tenebris iacuit quae et mortis in umbra,
Exardet furiis necquiequam perdita Roma,
Roma videns hominem peccati praecipitari
Vindice, quem pater omnipotens dedit ipse, Luthero,
Sancta Dei totum qui dogmata spargit in orbem.
21 101
Als Besold im Jahre 1554 die Vorrede zum vierten
Band -der Genesis-Vorlesung Luthers schrieb, verband er
mit der Mitteilung einiger Kernspriiche des Reformators das
offene Bekenntnis, wie sehr die Erinnerung an Luthers
öffentlich und privatim gehörtes Lehrwort ihn stütze und
aufrecht erhalte. Man könnte die Worte, die-er damals
schrieb, als Motto über den großen Sammelband setzen, den
er aus Luthers Tischreden und Briefen zusammengestellt
hatte, und in dem das Gedächtnis an die ersten an Luthers
Tisch verbrachten Jahre (1542 und 1543) so stark auf-
leuchtet. Die Sätze lauten: „Ego quidem in his furoribus
diaboli, quibus in ecclesiam et respublicas liberas et bene
constitutas horribiliter saevit, nulla re magis acquiesco, quam
recordatione eorum, quae ex Luthero publice
et privatim audivi, quibus me utcunque sustento et
cum aerumnas communes facilius tolero, tum vero accuratius
et maiore diligentia hactenus cavere studui- corruptelas
doctrinae ab ipso traditae“ (W. A. Bd. 44, 1915, p. XXXIII).
Wir haben den Farrago-Band als das viel benützte Ver-
mächtnis eines treuen und dankbaren Lutherschülers anzusehen
und zu würdigen.
MARTINVS.
Martinus heift ein ftreitbar man,
Wm Bapft man fo[dj8 wol fehen fan,
Rom ijf darumb vorbittert febr,
Z put, ob fie toll bnd toricht wer,
sn Leuzidlandt allenthalben flucht,
Mit ein ort left fie pubefudt,
Vn wil ausjagen Bhejum Chrift,
So febr Gathan vorbittert ift.
LVTHERVS.
Lob ehr pnd dant fey Gott dem Herrn,
Wie Hilft er doch fo Hherplid gern.
Trew ijt er, drumb feit pnvorzagt,
Hat er vng bod) Hulff gugefagt.
(Rüdfeite des dritten Blattes)
Gr fteht bey feiner Chriftenheit,
Reid ift er von barmbergigteit
Bnd wil ons lagen nimmermehr,
So gebt dem Herren allein die ehr.
Erasmus Alberus, Lutheri
theodidactus.
102 m 22
VII.
Es bleibt ein Restbestand von Tischreden übrig, die
uns nur durch Aurifaber überliefert sind. Er verfügte über
einen Reichtum von Quellen, von denen viele für uns ver-
siegt sind. Der Satz in der Vorrede seiner Tischreden-
Ausgabe, daß er „viele Jahre her einen großen Haufen
geschriebener Bücher Colloquiorum Lutheri bei sich gehabt
habe“ (FB. 4, XXII), enthält keine übertriebene Behauptung.
Wie bei Lauterbach und Veit Dietrich, so hat er auch
bei Hieronymus Besold nicht nur aus der auch uns be-
kannten Hauptquelle geschöpft, d. h. aus der Handschrift
Farrago, die jetzt am Schluß defekt ist, sondern er hat
auch Nebenquellen benützen können, die namentlich den
umfassenden Anhang speisten, der in der Urausgabe des
Jahres 1566 sich findet.
Der Anhang trägt jetzt die Überschrift: „Einige Tisch-
reden, so in unten angezeigte Abschnitte gehören“ (FB. 4, 709)
und umfaßt jetzt nur 19 Stücke. Er war aber anfänglich
viel umfassender; die Nebenquellen lieferten eine große
Anzahl von neuen Stücken, die nicht mehr in die betrefien-
den Abschnitte der Hauptsammlung eingereiht werden
konnten. Ihre Zahl beträgt in der Eislebener Urausgabe
vom Jahre 1566 (Bl. 614—626) und ebenso im zweiten Teil
der Frankfurter Nachdruck-Oktavausgabe vom Jahre 1567
(FB. 4, XXV) nicht weniger als 75 (Bl. 720b—747b, ver-
druckt in 774); die Überschrift heißt; „Andere Tischreden
D. Martin Luthers, die zum teil in die obgesetzte Locos
gehören, von allerley Sachen, aus etlichen geschriebenen
Büchern zusammen getragen“ (Urausgabe Bl. 614). Erst
die Frankfurter Folioausgabe des Jahres 1568 — mit be-
sonderer Vorrede Aurifabers — hat die meisten dieser
Nachtragsstiicke bei den betreffenden Loci untergebracht
und den Anhang auf 19 Stücke beschränkt (Bl. 447—449).
Die Walch’sche Ausgabe der Werke Luthers und FB. sind
dann bei dieser Anordnung stehen geblieben. Man muß
aber diesen Sachverhalt beim Studium von FB. im Auge
behalten. Es soll dies an einem lehrreichen Beispiel nach-
gewiesen werden.
23 103
Der 24. Abschnitt der Tischreden „vom Teufel und
seinen Werken“ ist von Aurifaber mit besonderer Vorliebe
ausgebaut worden; er bringt nicht weniger als 138 Stücke
(FB. 3, 4—96), darunter eine Reihe von ausführlichen Er-
zählungen (z. B. Nr. 79—84 Etliche Historien, von D. M.
Luthern erzühlet — FB. 3, 57—62). Für diesen Abschnitt
konnte er aus Besolds Sammlung Farrago wenig entlehnen;
der betreffende Abschnitt fol. 234—241 ‘De Sathana et eius
illusionibus’ enthält nur 41 meist ganz kurze Aussprüche:
darunter ist keiner von den von Aurifaber bevorzugten
Schwänken. Aber vorübergegangen ist er an Farrago
doch nicht.
Die Vorlage von Nr. 130 „Vom Wallfische, dem Teufel“
(FB. 3, 89) steht Farr. fol. 465 und lautet: „Iob hat 2 cap.;
(Kap. 40 und 41) vom Behemoth, vom walfisch; niemandt
ist fur jm sicher. Was wiltu mit dem Leviathan machen,
meinstu, er werde dir zu fuße fallen vnd dich anbeten?
(Vgl. Kap. 40, V. 22 und 23). Sunt figurae diaboli. Der
walfisch fragt nach keinem schiff, Behemoth auch nicht, er fragt
nach keiner kunst, weisheit, princeps mundi omnia habet pro
stipulis, er fragt nichts darnach. Aber ein Ding sal jn sturtzen,
das ist verbum et fides. Semen mulieris, der mus es thun.“
Die W. A. bringt Aurifabers in keiner der verglichenen
Handschriften nachweisbaren Text unter Nr. 6829 (VI, S. 216f.).
Aber nun ist die Vorlage gefunden; es ist kein Zweifel,
dab Aurifaber das Stück, das ja Wort für Wort der Vorlage
entspricht, aus Besolds Sammlung entlehnt hat.
Nun liest man aber mit Überraschung beim folgenden
Stück Nr. 131 (FB. 3, 89) = Nr. 6830 die Überschrift: „Von
Poltergeistern, aus M. Hieronymi Besoldi Colleetaneis“. Und
die folgende Nr. 132 = Nr. 6831 ist überschrieben: „Von
des Teufels Gespenst und Betrug, aus M. Veit Dieterichs
geschriebenen. Collectaneis“ (FB. 3, 90). Es ist beispiellos,
daß Aurifaber in der Überschrift eines Stückes seine Quelle
angibt; was veranlaßt ihn in diesem Fall zu dem seltsamen
Vorgehen? Und ferner — wenn erst bei Nr. 131 Besold’sche
Herkunft hervorgehoben wird, wie steht es dann mit Nr, 130?
Das Stück ist ja zweifellos der Handschrift Farr. entnommen;
aber ist diese dann wirklich der codex Besoldi?
104 | 24
Das Rätsel löst sich sofort, wenn man wahrnimmt, daß
Nr. 131 ein aus dem Tischreden-Anhang erst später hier-
her versetztes Nachtragsstück ist, und daß von da an bis
zum Schluß des Abschnittes, also von Nr. 131—138 lauter
Anhangsstücke stehen (FB. 3, 89—96 = Urausgabe 1566
Bl. 617b —620; dagegen Nr. 130 in der Urausgabe Bl. 3 07!)
Aurifaber hatte den Abschnitt vom Teufel und seinen Werken
mit der Herübernahme des Behemoth-Stückes aus Besolds
Farrago geschlossen. Als er aber die Stücke des Anhangs
sammelte, freute es ihn, noch einige Teufelsstücke nach-
tragen zu können. Er gab die Quelle an, um die gerade
bei diesen Stücken manchem doch wohl zweifelhafte Glaub-
würdigkeit zu vermehren. Es war aber weder bei Besold
noch bei V. Dietrich die sonst von ihm benützte Haupt-
quelle; denn sonst stünden die Stücke wohl nicht im
Anhang, sondern schon im 24. Tischreden-Abschnitt. „Besoldi
Collectanea“ sind also etwas anderes als der Farrago-Band;
es sind die chronologisch geordnetn, für uns verlorenen
Urschriften oder doch ein Teil von ihnen — die reichen
Quellbäche, die den Sammelband gespeist haben. |
Wir haben schon früher gesehen, daß in Farr. nicht
alles stand, was Besold gesammelt hatte (vgl. S. 95). Und
ähnlich ist das Verhältnis der „geschriebenen Collectanea“
Dietrichs zu seiner Hauptsammlung zu beurteilen. Diet-
richs „Collectanea“ scheinen die Quelle für sämtliche
Stücke von Nr. 131—138 gewesen zu sein. Darauf deutet
die programmatische Fassung der Überschrift: „Tisch-
reden D. Martini Luthers, von des Teufels
Gespenst und Betrug, aus M. Veit Ditterichs geschriebenen
Collectaneis“ hin, wie sie sich in der Urausgabe Bl. 618
und auch noch in der Frankfurter Oktavausgabe „ander
Teil“, Bl. 729b findet. Hatte Dietrich außer den chronologisch
geordneten Heften auch solche mit Sachordnung, also etwa
ein besonderes Heft mit Teufelsgeschichten? Die W. A.
gibt für die meisten der genannten Stücke keine Vorlage
an und zählt sie als Nr. 6831—6835 (VI, S. 218—222).
Für Nr. 133 wird auf Nr. 1338, für Nr. 137 auf Nr. 491
med,, für Nr. 138 auf Nr. 5743 verwiesen. Die zweite Ver-
weisung führt direkt auf V. Dietrichs Nachschriften zurück.
25 105.
Ubrigens scheinen Besolds und Dietrichs Collectaneen,.
wie Aurifaber sie benützte, eng mit einander verbunden
gewesen zu sein. Das geht aus FB. 3, 264 (27, 154) hervor
(in der Urausgabe Bl. 362b). Dort ist im Zusammenhang
mit der Frage, ob der Papst über ein Coneilium sei, von
Äußerungen Luthers zu Joh. 3, 19 und 12, 35 die Rede.
„Solches hat Doctor Martinus einmal zu M. Hieronymus.
Besolde von Nürmberg gesaget“. Es fehlt der Quellenbeleg
für diese Rede.
Wenn es dann in unmittelbarem Anschluß weiter heißt:
„Doctor Martinus hat auch auf ein andere Zeit zu dem
Herrn M. Veit Dieterich gesagt“ und dann eine freie
Äußerung des Kanonisten Panormitanus mitgeteilt wird
(= W. A. Bd. I, S. 303, Nr. 645), so fragt man sich wieder,
warum gerade hier die beiden Namen genannt sind, und
man nimmt wahr, daß wieder zuerst Besold und dann Veit.
Dietrich angeführt wird.
Völlig vereinzelt eht da, was die Münchener Hand-
schrift Clm 943, 144b de Besolto Nurmbergensi mitteilt
(vgl. V, S. 333, Nr. 5730). Im Gespräch mit Besold fällt
eine scharfe Aaberg Luthers gegen Bucer (1544). Auf
welchen Tischgesellen Luthers die Mitteilung dieses ab-
fälligen Urteils, dem viele andere zur Seite stehen, zurück-
geht, läßt sich bis jetzt nicht ermitteln.
Es ist mir der Auftrag erteilt worden, den reichen.
Ertrag des codex Besoldi (es sind u. a. c. 120 neue Tisch-
reden mitzuteilen) in einem Band der Weimarer Aus-
gabe der Lutherforschung zugänglich zu machen. Mit der
Ausführung dieses Auftrags beschäftigt, spreche ich der
Verwaltung der Landesbibliothek Gotha, insbesondere Herrn
Staatsrat Prof. Dr. H. A. Krüger, für die Übersendung der
Handschrift nach Greifswald, wo sie im feuerfesten Schrank
der Universitätsbibliothek aufbewahrt wird, sowie dem
Direktor unserer Bibliothek, Herrn Prof. D. Dr. Johannes
Luther für mancherlei Beihilfe ergebensten Dank aus, den:
ich auch auf die Verwaltung der Münchener Staatsbibliothek.
für Übersendung der Besold-Briefe erstrecke.
Dietrich von Starschedel, ein Zeuge
vom Wormser Reichstage 1521.
Von E. Körner.
I,
Als „ein gutes, altes Geschlecht“ rühmt einmal Kur-
fürst August die Starsehedel!). Von ihnen ist als erster
Petrus Starcedele nachweisbar; er überließ 1311 dem
Kloster Langendorf bei Weißenfels eine Hufe. Im 15. Jahr-
hundert nennen sie sich Torschedel, auch Dorstedel?). Ihr
Stammsitz soll Starsiedel, unweit Lützen, im Merseburger
Domkantoreisprengel gewesen sein‘), Daneben besaßen sie
bis in das 15. Jahrhundert hinein Dommsen, nordwestlich
von Hohenmölsen. Noch in dessen erster Hälfte finden sie
sich zu Mutzschen. Vordem gehörte die ziemlich umfäng-
liche Herrschaft einem Zweige der Leisniger Burggrafen,
der sich auch nach ihm benannte‘). Als ihr Eigentümer
erscheint 1445 unter den Starschedel Heinrich (L) in
dem Vertrage zwischen Friedrich dem sanftmütigen und
Wilhelm III. Er ist der Begründer der Mutzschener Linie.
Sein Sohn Heinrich (IL), gestorben 1495, erwarb
Cannewitz. In der Geschichte wird er zum ersten Male
1475 erwähnt, gelegentlich des Turnieres auf dem Markte
gu Amberg bei der glänzenden Hochzeit Philipps von
1) Cl. v. Hausen, Vasallen-Geschlechter der Markgrafen zu Meißen,
Berlin 1892, S. 474 ff.
2) Noch in Zuschriften an und Briefen von Johann Friedrich
findet sich neben Dorschedel auch Storschedel. Ihr Wappen nach
Kneschke, S. 603: Schild rot, Silber und Schwarz, schräg rechts
geteilt, ohne Bild. Vgl. auch König, Adelshistorie, 1727, I, S. 941—953.
Wenig zuverlässig die Nachrichten in Dreßn. Gelehrten Anzeigen 1758,
S. 528 ff.
3) NASG. XXXII, S. 233, |
*) Lorenz, Die Stadt Grimma, Leipzig 1856, S. 1074,
27 107
der Pfalz mit Margarethe, der Tochter Ludwigs des
Reichen von Niederbayern: er nahm da am Gesellen-
stechen an Aschermittwoch teil). Im Jahre darnach
begleitete er Herzog Albrecht auf dessen Fahrt in das
Gelobte Land. Mit 69 anderen ward er in der Kirche des
Heiligen Grabes zum Ritter geschlagen?). Seine Beziehungen
zum Hofe werden es gewesen sein, die ihn 1478 zum
„Amtmanne auf dem Schneeberge“ werden ließen; noch
1482 wird er als solcher bezeichnet. Er war es, der die
Wasserkunst herrichtete. Hier vermehrte er seinen Reich-
tum*), mit dem er oft den sächsischen Fürsten beistehen
mußte. Schon bei der Erwerbung Sagans durch Ernst
und Albrecht (1472) ist er unter den Bürgen für die
Kaufsumme von 40000 Gulden‘). An Kurfürst Ernst
hatte er 1000 Gulden zum Meißner Sehlofbaue zu schicken’),
Herzog Georg einmal nicht weniger als 8000 Gulden zu
leihen®). Lieber als derartige Steuern war ihm die Ver-
größerung seines Grundbesitzes‘).. Dieser ward bald ein
recht ausgedehnter; selbst Graupen erwarb er?) Infolge
der Erbteilung 1485 fiel blos Mutzschen zum Weimarischen
Teile, alles andere zum Meißner. Heinrich half als Herzog
Georgs Rat als dessen Bevollmächtigter den Oschatzer .
Vertrag schließen (1490)?) In diesem Jahre stiftete er in
Erinnerung an die glückliche Rückkehr von seiner Pilger-
fahrt „das Klösterlein Servorum Mariae virginis zu
Mutzschen +°).
1) NASG., XXVIII, S. 161.
?) Beschreibung der Mergenthalischen Familie. 1745, S. 7.
8) NASG., V, S. 173.
*) Ebenda, XVIIII, S. 14.
5) Ebenda V, S. 288.
6) Hauptstaatsarchiv zu Dresden, Cop. 1500, 134.
7) Kneschke, S. 603.
°) Archiv für Sächs. Gesch. (fortan: Archiv) V, S. 344,
?) Hausen, S. 474,
10) Mencken, Scriptores rerum Germanic. Vol. II, p. 1585;
„vngeferlich 1496“. So noch NASG. I, S. 85. Am genauesten
Großmann, Die Visitationsacten der Diöces Grimma. Leizig 1873,
S. 141 ff. Nach ihm Bau- und Kunstdenkmäler im KS. Bd. 19 und 20,
5. 180f. Auch Hasse, Gesch. der Klöster in der Mark Meißen und
Oberlausitz, Gotha 1888, S. 199,
108 28
Als sich die Zahl seiner Insassen merklich steigerte,
vermehrten seine Einkünfte als Patrone Heinrichs drei
Söhne‘). Es wird von ihnen besonders Heinrich (III)
dazu bewogen haben, der Zeitzer Dompropst und Meißner
Domherr war (f 1530)?. Er stand Herzog Georg
nahe und hielt, wie sein älterer Bruder Dietrich (L),
gestorben 1523, fest an der mittelalterlichen Kirche?).
Daß dessen Witwe Walburg das Schloß Kriebstein an
Herzog Georg abtrat, wird ihr Schwager vermittelt haben;
die drei Brüder hatten es 1510 gekauft‘).
Ihr Sohn Dietrich (IL) wandte sich bald aus Uber-
zeugung der Reformation zu. Er hatte außer dem Haupt-
gebäude des Mutzschener Schlosses das Rittergut und die
Vorwerke, zu denen Wermsdorf gehörte, geerbt, während
sein Bruder Ernst den Turmbau des Schlosses und außer
den Mutzschener Teichen das Rittergut Cannewitz überkam.
Es war ein stattlicher Besitz, den sie erhielten. Über seine
einzelnen Stücke unterrichtet ihre Belehnung 1523 und 1533.
Bei der ersten werden der Reihe nach aufgezählt außer
Schloß und Städtlein Mutzschen mit aller freieigenen Jagd
die Dörfer Böhlitz, Roda, Mahlis, Freigut und Dorf Cannewitz,
Wagelwitz, Nerchau, Fremdiswalde®), Nennewitz, das wüste
Dorf Naundorf, Wüstung Wermsdorf mit Sitz und Gehölz,
Lóbsehütz, und das Raiche, Storkau, Wetheritz, Gottwitz,
Merschwitz und Poschwitz, ein besessener Mann zu Leipnitz
und ein besessener Mann zu Gottwitz, der Kretzschmar zu
Gesewitz, die Pfarre zu Mutzschen, Wermsdorf, Nerchau
und Fremdiswalde, außerdem Bäche und schließlich
„Hundekorn, wie es vom Burggrafen zu Leisnig herrührt“.
Ein Jahrzehnt darnach werden noch 18 Teiche, sowie zehn
Halter zu Mutzchen und Gottwitz genannt‘), Es ist ver-
1) Dreßnische Gelehrte Anzeigen 1758, S. 523ff.
?) Ursinus, Gesch. der Domkirche zu Meißen. Dresden 1782,
S. 155. NASG. XXVI, S. 33f. Über Jnnocenz von Starschedel
s. ebenda XXIIII, S. 92,
3) Beitr. z. Sachs. Kirchengesch. XV, S. 35.
4) Hausen, S. 475.
5) Lorenz, S. 1075.
NASG, XXXVII, S. 147.
29 109
stindlich, wenn in Erinnerung an diese zahlreichen
Liegenschaften sich die Nachkommen „Dinasten“
nennen ').
| IT.
Dietrichs Geburtsjahr wird vor 1500 zu setzen sein.
Den ersten Unterricht hat er bei den Mutzschener Serviten
genossen, die sich vorteilhaft vor anderen auszeichneten.
So, wie er ,von ihnen geleitet worden war, war er in der
Jugend auf der papistischen Lehre gestanden*?) Die
geistliche Laufbahn jedoch zu beschreiten, die neben dem
Waffenhandwerke bisher als standesgemäß gegolten hatte,
dazu war er als ältester Sohn wohl nie bestimmt, noch hat
er selbst es kaum je beabsichtigt. Daß er aber für das
juristische Studium, das jetzt beliebt ward, eine Universitit
besucht hätte, dafür findet sich kein Anhalt; wenigstens
wird sein Name in den Alben Wittenbergs und Leipzigs
nieht angeführt. Wann er mit dem kurfürstlichen Hofe in
Beziehung kam, auch dafür finden sich keinerlei Spuren.
Unter den sog. Einrossern des Kurprinzen wird seiner nie
gedacht; sie waren dessen Altersgenossen entnommen, und
Starschedel ist kaum unter sie zu rechnen. Früh regte
sich in Johann Friedrich das Interesse für Jagd und
Turnier. Mutzschens große Waldungen stießen an die
landesherrliehen, und daß Starschedel gern pürschte, dadurch
wohl mit ward er prinzlieher Begleiter auf Jagdausflügen.
So kann er bald an solehen teilgenommen haben, vielleicht
auch an dem eifrig betriebenen Stechen und Rennen am Hofe.
Zum ersten Male tritt er 1519 im öffentlichen Leben
hervor. Lehensstreitigkeiten hatten einen offenen Kampf
Heinrichs von Lüneburg und des Bischofs Johann
von Hildesheim gegen Erich von Braunschweig
und den Bischof von Minden veranlaßt. Für diese ergriff
Herzog Georg Partei und schickte ihnen „viel schöne und
stolze Reiter“. Am Peter-Pauls-Tage, an dem zu Frankfurt
KarlV. zum Kaiser gekrönt ward, kam es zur blutigen
Schlacht auf der Soltauer Heide. Die Meißnischen Ritter
1) BKD. XIX, S. 34 (Grabmal).
2) Joh. Schuwardt, Regententaffel. Leipzig 1583, S. 159.
110 . | 30
zogen den Tod der Schande der Flucht vor. Die meisten
von ihnen fielen, die tiberlebenden gerieten in Gefangen-
schaft. Unter ihnen waren z B. Moritz und Wolf von
Pflugk, Albrecht von Heynitz, Heinrich von
Bünau. Als trotz dem Ausgange des Streites keine Einigung
zu erreichen war, suchten die Kurfürsten von Sachsen, Branden-.
burg und Mainz eine Vermittlung; die Entscheidung sollte
Herzog Johann von Sachsen und Herzog Heinrich
von Mecklenburg treffen. Da baten sächsische Adlige,
unter ihnen Dietrich von Starschedel, um Auslösung ihrer
Standesgenossen *).
Daß er bei der Nähe Leipzigs die Disputation zwischen
Luther und Eck (1519) nicht unbeachtet ließ, ist zweifel-
los. Der Eindruck des Wittenbergers wird ihn bewogen
haben, alles aufzubieten, dem Wormser Reichstage beiwohnen
zu dürfen. Die Reise dahin war für ihn von: entscheidender
Bedeutung. |
In welcher Eigenschaft, läßt sich nicht bestimmen. Zum
prinzlichen Hofstaate wird er nicht gehört haben. Denn
schon am 23. Februar verließ mit seinem Vater Johann der
Prinz Worms, der sich damals noch als Schwager Karls V.
betrachten konnte?); Starschedel jedoch blieb hier zurück.
Amtliche Befugnisse werden ihn festgehalten haben. Gewib
hatte auch ihn die allgemeine Spannung ergriffen, mit der
Luthers Ankunft entgegengesehen ward. Sollte er nicht
unter den Tausenden gewesen sein, die seiner in den Strafen
harrten, wenn nieht gar unter denen vom Sächsischen Hofe,
die ihm entgegenritten? Noch ,in seinem Alter“ spraeh er
mit sonderlieher Freude und christlichem Frohlocken seines
Herzens von den Aktis des Reiehstages, den er in frisehem
Gedächtnisse allezeit hatte, Denn es war ihm ernst ge-
wesen, soleher Handlung von Anfang bis Ende eigentlich
wahrzunehmen. „Ich ließ andere Frühstück essen, erzählt
er, und ging beizeiten in die Kirche — so nennt er den
1) Weimar, Reg. C 690, Bl. 18; vgl. Rechtmeier, Braunschweig-
Lüneb. Choronica. Braunschweig 1722, S, 866ff., Havemann, Gesch. der
Lande Braunschweig und Lüneburg, Bd. II, Göttingen 1855, S. 21i.
2) P. Kalkoff, Erasmus, Luther und Friedrich der Weise.
Leipzig 1919, S. 17. : l
31 11k
großen Saal — in welcher der Mönch vor allen Ständen:
des Römischen Reiches die Lehre göttlichen Wortes steif
bekannt hat.“ Sehr anschaulich schildert Starschedel, „wie:
erstlich der Kaiser samt den Kurfürsten, Fürsten und Ständen
des Reiches in ihren bereiteten Sesseln gesessen, als Luther
unter dem Volke gar allein in seinem Ordenskleide, das er
noch antrug, daher kam, ihnen entgegentrat, und Eccius als
päpstlicher Orator durch eine scharfe Rede ihn ansehnaubte.
Ich aber hatte ein Mitleiden mit ihm und besorgte, er würde
sich vor falscher Gewalt entsetzen.- Als er aber anfing, un-
erschrocken, doch fein seltsam zureden, einem jeden Poten-
taten seinen gehörigen Titel zu geben, verwunderte ich mich.
und gedachte: Das möchte mir noch wohl ein Mönchlein
sein. Ich behielt mir aus allen Reden, die da mit großem
Ernste von beiden Teilen geschahen, diesen herrlichen Spruch
als ein teuer köstliches Kleinod, daß D. Luther sagte zu des.
Papstes Legaten (als er vermerkte, daß man an seiner Ver-
antwortung nicht Genüge hatte): ‚Das Evangelium, so ich
unserem Deutschen, meinem lieben Vaterlande, gepredigt
habe, daß ist nicht mein, sondern meines Herren Jesu Christi,.
und ich lasse das S. Petern verantworten, der da spricht
Actor. 10: Von diesem Jesu zeugen alle Profeten, daß in
seinem Namen Vergebung der Sünden erlangen alle, die an
ihn glauben’“’), Davon hat er, fügt der Nacherzähler bei,
noch mit D. Luther selbst am Kurfürstlichen Hofe gesprochen..
Starschedel wird dem 2. Erscheinen Luthers am Donners-
tage, dem 18. April beigewohnt haben. Sein Bericht vom
Wormser Tage weicht allerdings von dem anderer ab. Es.
will jedoch dabei beachtet sein, daß er nicht unmittelbar
uns überliefert ist. Wenn er die Stätte der Verhandlung
eine Kirche nennt, so im Hinblicke auf die Wichtigkeit der
Stunde, die sie für ihn selbst behielt. Das Benehmen des
Trierer Eck zeichnet er richtig; es erregte bei vielen Anstoß..
Frische Begeisterung für Luther wird Starschedel alles haben :
aufbieten lassen, in den bischöflichen Palast zu gelangen.
Mit Luther zu sprechen, war ihm dadurch erleichtert, daß:
diesem im Johanniterhause Herberge angewiesen worden war,
wo auch die kurfiirstlichen Räte und Edelleute Wohnung:
1) Schuwardt, S. 160.
112 39
aufgeschlagen hatten. Es fiel daher Starschedel nicht schwer,
einen Augenblick zu erspähen, wo er vor den von ihm be-
wunderten Glaubenshelden treten konnte. Sollte er nicht
bald Johann Friedrich über sein Erlebnis berichtet haben?
Denn dieser machte kein Hehl aus seiner freundlichen Stellung
zu dem Wittenberger. Sie war so bekannt, daß Aleander
nach Rom meldete, der Neffe des Kurfürsten wäre noch viel
ketzerischer als der Oheim, wie alle Welt wüßte). Des
Kurprinzen und Starschedels Wendung zum Evangelium
ließen beide sich einander anschließen. Ein Verhältnis ent-
spann sich zwischen ihnen, das fast für ihr ganzes ze
andauerte.
II.
Landtage, welehe die Stände vollzählig vereinten,
fanden im Ernestinischen Sachsen selten statt. Es waren
nicht allein die Kosten, welche die kurfürstlichen Kassen
belasteten, die sie nicht häufig abhalten ließen, mehr noch
die Abneigung des Hofes gegen sie überhaupt. Der Landes-
fürst berief sie nach eigenem Ermessen und,.da er sich von
ihren Beratungen wenig versprach, schrieb er sie nur bei
dringlichem Anlasse aus. Die Auswahl der zu ladenden
Persönlichkeiten traf er nach reiflicher Erwägung. Es handelte
sich zumeist um Steuervorlagen, zumal um „gute Ordnung“
„das fürstliche Wesen“ zu bringen. Für sie meinte er,
etwas von einem engeren Kreise zu erreichen, als von
der Gesamtheit der vier Stände?).
Die Starschedel müssen das Vertrauen genossen haben,
daB sie es nicht mit den Widerwilligen hielten. Sie befinden
sich fast regelmäßig unter den Entbotenen. Heinrich (ID.
war 1495 unter den Räten auf dem Tage zu Altenburg und
Heinrich (IIL) 1498 auf dem zu Naumburg unter der
Ritterschaft. Die Brüder stellen sich 1511 auf dem Land-
tage zu Jena und dem Ausschußtage zu Fahner ein. Einer
.von ihnen vertritt Meißen 1515 zu Naumburg, und unter
den Grimmaern sind die Mutzschener 1518 nach Jena erfordert‘).
1) Kalkoff, S. 106.
?) S. A. H. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten, Jena 1902,
S. III f£, XXXIXff. Auch Mentz, Joh. Friedrich der Großmütige.
Jena 1908, III, S. 197 1t.
5) Ebenda S. 10; 30; 84; 115; 126.
33 113
Es kann daher nicht überraschen, daß bald auch Dietrich
an solehen Tagungen teilnimmt. Er war unter der Ritter-
schaft Sonntag Kantate 1523 zu Altenburg, mit seinem Bruder
Ernst Dezember 1530 wieder in Altenburg und im Januar 1531
in Zwickau, wo er mit anderen das Amt Grimma vertrat,
Hier war er unter den von gemeiner Landschaft zum Aus-
schuß Vorgeschlagenen, die mit weitgehenden Vollmachten
ausgerüstet wurden. So kam er zu dem wichtigen Ausschuß-
tage zu Torgau, März 1521, und ward an erster Stelle zum
ersten Einnehmer der Anlagegelder im Kreise Torgau be-
stimmt. Den letzten Ausschußtag hatte Kurfürst Johann
für Mai 1532 nach Torgau ausgeschrieben und endlich auf
1. September verschoben; er erlebte ihn nicht: er starb am
16. August’).
Im Besitze der Kurwürde hat sein Nachfolger blos 1533
zu Jena und 1542 zu Weimar wirkliche Landtage veran-
staltet. Er war kein Freund von ihnen und hat sogar den
Ausschuß selten zu Rate gezogen. Als er ihn im Oktober 1532
in Torgau um sich sammelte, tat er es wohl unter dem
Zwange der finanziellen Mißstände. Sie besonders waren es
ja, welche ihn die Landschaft nicht gänzlich unbeachtet
sein ließen.
Für ihre Regelung wirkte auch jetzt, wie schon früher
Starschedel eifrig mit. Er mag dafür vor anderen Geschick
besessen haben. Gern übertrug man ihm deshalb die Ein-
nahme von Steuern. Neben der des Zehnten Pfennigs hatte
er die der wenig beliebten Tranksteuer des Adels?). Mit
welcher Gewissenhaftigkeit er solche Aufgaben erfüllte, be--
zeugt er mit seinen musterhaften Listen über die Türken-
steuer. Wennschon sie in der Hauptsache von seinem
Schösser, Hans Schütz, geführt wurden, so tat er es
- doch unter Starschedels Aufsicht, der sich um alles be-
kümmerte. Aus den 21 Dörfern und der Wüstung Naun-
dorf seiner Pflegschaft konnte er 1542 an Lätare 90fl.
1) Ebenda, S. 200; 214; 230; 263f. Vgl. Köstlin-Kawerau,
M. Luther, Bd, I. S. 413ff,
2) Weimar, Reg. Qg., pag. 752, C 545 ff.
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 2. 8
114 34
19 Grosehen und an Martini 90 fl. 19 Groschen 7 Pfennige,
abliefern !).
Seine Umsicht und Sorgfalt ward von der Landschaft
geschätzt. Er war ein Mann allgemeinen Vertrauens. Als
während der Wurzener Fehde sich Johann Friedrich
in Grimma aufhielt und der hessische Marschall Hermann
von Hundelshausen in Philipps Auftrage zwischen
den Parteien eine Vermittlung anstrebte, empfahl dieser dem
Herzog Moritz neben Mügeln das Haus Starschedels als
Verhandlungsort für die beiderseitigen Rate. Kaum wird
es bloß die günstige Lage Mutzschens, sicherlich vielmehr
Starschedels Persönlichkeit gewesen sein, die eine versöhnende
Einwirkung erwarten ließ. Die Zusammenkunft bei ihm
ward durch des Landgrafen Eingreifen unnötig’).
Im Schmalkaldischen Kriege griff die Ernestinische Seite
den Gedanken der Herzogin Elisabeth von Rochlitz
und des Fürsten Georg von Anhalt auf, daß je vier von
den beiden Landschaften in Beratung treten möchten. Auf
Bitten der Seinen verhinderte sie Johann Friedrich
nicht, hoffte wohl sogar von ihr einigen Erfolg. Die Vor-
schläge dafür entwarf Hans von Ponikau, ließ sich selbst,
wie auch Brück, jedoch nicht dazu abordnen. Außer dem
Kanzler Jobst von Hain wurden voran Starschedel neben
Wolf von.Schönberg und Georg von der Planitz
geschickt. Die Albertiner waren zu der Unterredung bereit,
wenn vom 28. März,bis drei Tage nach beendeter Aussprache
Waffenstillstand zugesichert würde. Von ihnen kamen nach
Mittweida außer Ludwig Fachs noch Kaspar von Schön-
berg,Gottschalg von Haugzwitz und Wolf Koller.
Starschedel scheint recht entschieden gesprochen zu haben.
Er drang auf ,,Verhiitung weiteren Verderbens des Landes
und auf Wiederaufrichtung des Friedens.“ Seine Befiirchtungen
1) Weimar, Reg. Pp, Nr. 6184. Als Orte werden verzeichnet: Roda,
Góttwitz, Merschwitz, Gastewitz, Poischwitz, Serka, Löbschütz,
Fremdiswalde, Wermsdorf, Döbern, Grauschwitz, Ablaß, Leipen, Prösitz,
Schmorditz, Grottewitz, Golpern, Nerchau, Cannewitz, Wachelwitz
und Wüstung Naundorf.
?) Archiv IV, S. 76. E. Brandenburg, Moritz von Sachsen, I,
S. 203 ff.
35 | 115
suchten noch die Herzoglichen schriftlich zu widerlegen. Er
aber wich nicht von seiner Auffassung der Lage zurück).
Ob er nicht merkte, daß die Ernestiner nur Zeit hatten
gewinnen wollen für einen Abzug Moritzens und Ferdi-
nands nach Eger zur Vereinigung mit dem Kaiser?
Von den Rechten, die er als zur Landschaft gehörig
besaß, machte er bei sich bietender Gelegenheit Gebrauch.
Am 25. März 1528 hatte Kurfürstin Elisabeth von
Brandenburg in Torgau Zuflucht gesucht, wo Kurfürst
Johann für ihren Empfang alles vorbereitet hatte. Welches
Aufsehen bei Katholiken und Protestanten der Vorfall erregte,
ist bekannt. Mit Hans von der Planitz und Christoph
Groß verteidigte Starschedel Elisabeth, wie aus einem
Schreiben an Kurfürst Johann erhellt, das er als erster
unterzeichnet hat, wohl, weil er es veranlaßt hatte?).
Wenn er als Verordneter des Landes Meißen Vorschläge
für Verteilung von Wittenberger Stipendien zu machen hatte,
so bewährte er sicherlich das ihm geschenkte Vertrauen.
Als geeignete Empfänger empfahl er 1544 Hans Zosche
in Böhlen (Amt Colditz) und den Sohn Bernhards von
Hirschfeld?)
IV.
Daß man Starschedel offenbar gern bei wichtigen
_ Anlässen heranzog, geschah wohl auch in Rücksicht auf
seine amtliche Stellung. Möglich, daß er durch sie zur
Übernahme von Aufträgen verpflichtet war. Er war kur-
fürstlicher Rat; seit wann, ist nicht genau bestimmbar:
er scheint es bald geworden zu sein. Die Obliegenheiten
eines solchen waren mannigiache*) Als sich 1529 Kurfürst
Johann zum Reichstage nach Speyer begab, ließ er den
Kurprinzen zur Regierung des Landes zurück. So ungern
dieser den religiösen Verhandlungen fern blieb, so fleißig
widmete er sich der überkommenen Tätigkeit. Durch den
*) Weimar, Reg. J, pag. 405, Q 13. Vgl.: von Langenn, Moritz von
Sachsen I, S. 337ff, Brandenburg, I, S. 528ff., Mentz, I, S. 94f.
2) Weimar, keg C 38, Bl. 14.
. 3) Ebenda, Reg. O 444,
*) Mentz, III, S. 124ff; 144f,
8%
116 36
Einblick in die Regierungsgeschäfte fühlte er sich bewogen,
Vorschläge für ihre Erledigung zu machen, wie er sie fiir
die erregte Zeit nötig errachtete. Für Weimar und für
Torgau als den Residenzen empfahl er gesonderte Kammern;
für jede von ihnen hatte er schon je acht geeignete Männer
als Räte ausersehen, unter ihnen für Torgau Starschedel').
Obwohl er sich für sein Amt stets dienstbereit halten mußte,
empfing er doch eine nur geringe Entschädigung. Über sie
um Auskunft angegangen, gibt er 100 fl: als sein „Ratgeld“
an; von Hofkleidung und Naturalien, wie sie außerdem
andere bezogen, erwähnt er nichts?).
Auf sie hat ihn vielleicht seine Stellung als Hof-
marschall verzichten lassen. Er trat in sie ein auf Grund
einer neuen Hofordnung 1533 und begleitete sie bis 1547 5).
Mit ihr hatte er eine selten umfängliche Tätigkeit über-
nommen. Alles und jedes unterstand ihm, was irgend den
Hof betraf und am Hofe vorging. Nicht bloß, daß er die
Aufsicht über das gesamte Hofpersonal bis herab zum ge-
ringsten Dienstboten üben sollte, er sollte auch ein scharfes
Auge haben auf das „Frauenzimmer“, für Küche und Keller
bedacht sein, auf Tischgebet und Tischzucht halten, um Be-
wachung, Beleuchtung und Heizung des Schlosses besorgt
sein, Klagen des Hofgesindes entgegennehmen und Streitig-
keiten schlichten, das Rechnungswesen prüfen, das Jahr-
zehnte hindurch auf Landtagen viele Ursache zu Beschwerden
und Ratschlägen gab‘).
Es war ihm also das gesamte Hofwesen überlassen.
Nun werden aber bis 1547 außer ihm noch Kaspar und
Nickel von Minkwitz, Asmus Spiegel und Heinrich
von Schönberg?) als Hofmarschälle genannt. Ihres Bei-
standes wird Starschedel dringend bedurft haben, seiidem
1) Mentz, I, S. 68; 126. |
2) Weimar, Reg. L, pag. 79—90, A 5. Soviel auch D. Bleick-
hardt und Hindringer, D. Benedickt Pauli 80 und D. Kilian Goldstein
sogar bloß 60fl.
3) Burkhardt, S. XXXVIII und XL; Mentz III, S. 137; 181f.
4) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (70 Paragraphen, dazu
17 ungezählte); Reg. 403, VV Nr. 2. — Vgl. Mentz III, S. 187f.
5) Mentz, III, 5. 138a.
37 117
er und Asmus Spiegel Erzieher der Prinzen geworden
waren. Wie väterlich Johann Friedrich für die gelehrte
und die sittliche Bildung seiner Söhne sorgte, dafür liefern
seine Briefe aus der Gefangenschaft schöne Beweise. Daß
er sie zur Gottesfurcht, zu regelmäßigem Kirchenbesuche
und täglicher Bibellesung anhält, versäumt er nicht. Eine
gute Handschrift verlangt er. Immer wieder ermahnt er
zu fleißigem Betriebe der alten Sprachen, da er selbst die
ihm mangelnde Kenntnis des Lateinischen empfand. Das
Deutsche sollen sie darum nicht vernachlässigen. Ihren
Eifer lohnt er mit Erholungsstunden !).
Daher soll Starschedel mit den Prinzen „ein bar stunden
Ins feldt einen Hasen zu hetzen spatzieren reiten“. Um so
unwilliger ist der Vater, wenn er erfährt, daß diese nicht
„wollten sich furstlich, Zuchtig vnd ehrlich, wie Fursten wol
anstehet vnd gebuhret, halten“ und ihren Kavalieren und
Lehrern nicht „unweyerlich vnd unwidersetzt folgen.“ Als er
gar berichtet wird, daß sie „falsch vnd vnrecht gespiellet,
ob sie auch solchs vileicht möcht scherz weise gethan haben“,
rügt er ernstlich. Leichtfertiger Worte und Fluchens, auch
unbestündiger Reden und seltsamer Geberden sollen sie sich
enthalten; des Weins tiber Tische zum Nachtrank nicht
mehr zu sieh nehmen, als des Leibes Notdurft erfordert;
unmäßiges Saufen meiden. Mit Brück sollen Starschedel
und Spiegel streng darauf achten, daß seine väterliche
Vermahnung befolgt wird. Sie suchen ihn zu beschwichtigen,
da sie versichern können, daß sie „keine sonderliche
nschicklichkeit vermerkt oder befunden haben“ 2). Trotz-
dem gelangte bald eine eingehende Instruktion an sie,
welche bis ins einzelnste „das fürstliche Leben“ der Prinzen
regeln sollte’), |
Solche unangenehme Zwischenfälle steigerten für Star-
schedel die schon umfängliche Mühewaltung seines Amtes.
Als er sich von ihm infolge des Ausganges des Schmalkal-
1) Chr. G. Neudecker, Die handschriftliche Gesch. Ratzebergers,
Jena 1850, S. 275. Beck, Joh. Friedrich der Mittlere, Weimar 1858,
I, 8. 7, Mentz, III, S. 259.
*) Neudecker, S. 279, Beck, II, 177 f.
*) Mentz, IIT, S. 257 ff.
118 | | 38
dischen Krieges zurückgezogen hatte, berichtet er, daß er
160 Gulden Besoldung empfangen hätte !). Der Betrag war
nicht das einzige, was ihm zufloß. Für seinen Nachfolger
unterbreitete Johann Friedrich der Mittlere Vor-
schlige. Die Geldsumme setzte der alte Herr niedriger, die
Naturalbezüge höher an. Außer 200 Gulden an barem
. Gelde sollten dem Hofmarschall geliefert werden, 225 Scheffel
Korn, 150 Scheffel Gerste, 6!/, Scheffel Erbsen, für 12 Gulden
Hopfen, 7 Schock „Michels Hühner“, 13 Kapaunen, 6 Gänse,
6 Schock Eier, 6 Stein Unschlitt, 2 wöchentlich „Dienst“
Fische, ,der jeder 16 Pf. wiirdigk“, 2 Zentner Karpfen,
6 Eimer Rotwein; die Schäferei Zossen, von der 80 Fuder
Heu, Hafer für 5 Pferde u. a. zu liefern waren. Da Wolf
Goldacker, der zum Hofmarschall ausersehen war, kein
Rindvieh halten könnte, sollte er mit jährlich 40 Gulden
entschädigt werden; zudem behielt er die Nutznießung seines
Gartens zu Weida. Schweine, Hühner und Gänse hatte er
auf seine Kosten zu halten. Für Sommer und Winter be-
kam er je eine gewöhnliche Hofkleidung, Holz zur Feuerung
nach Bedarf?). Starschedel wird kaum geringer bedacht
gewesen sein, als sein Nachfolger.
Daß er bei seiner andauernden Anwesenheit am Hofe
häufig als Zeuge erscheint, bedarf nicht der Erwähnung
und des Nachweises. |
V.
Seinen Neigungen würde es entsprochen haben, wenn
er bald zu den Kirchenvisitationen herangezogen
worden wäre. Der Gedanke an sie hatte nur allmählig zur
Geltung gelangen können. Staatlicberseits war er zuerst
von Johann Friedrich vertreten worden (1524)°).
1) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (Instruktion für
Weißenbach. |
2) Ebenda, Reg. K, pag. 448, WW Nr. 4 (Instruktion für
Goldacker). l
3) CAH. Burkhardt, @esch. der sächs. Kirchen- und Schul-
visitationen, Leizig 1879, S. 3f. Sehling, Ev. KOO. I, 8, 33. Mentz,
Bd. III, 230ff.
39 | 119
Von Alteren!) selbst noch von Burkhardt?) wird Star-
schedel neben Anark von Wildenfels, sowie Spalatin
und Anton Musa genannt, um die Verhältnisse in Alten-
burg, „das mit Mönchen und Nonnen tiberschtittet war“, zu
untersuchen. Da er zu dem amtsschriftsässigen Adel ge-
hörte, wird er auch unter denen bezeichnet worden sein,
welche der Altenburger Amtmann zur Teilnahme an der
Visitation bescheiden sollte. Unter den vier jedoch, welche
schließlich für Altenburg gewählt und im September nach
Torgau berufen wurden, war Starschedel nicht*). Es ist nicht
ersichtlich, warum es unterblieb. An seiner Stelle war
Ewald von Brandenstein tätig.
Die Gruppe der Visitatoren, welche den Teil MeiBens
. bereiste, zu dem das Amt Colditz mit dem Grimmaer Kreise
gehörte, hatte wiederholt Ursache zu scharfen Eingriffen.
Um so anerkennenswerter ist ihr Befund in Mutzschen‘).
Dem Pirnaischen Mönche entlockte es die Klage: „Alldo rast
besamt dem voleke die Martinische Seckte“; und er über-
treibt nicht. Der Pfarrer Adam Burkhoven, ein Kur-
hesse, aug der Zahl der Serviten, wird zensiert als „in seiner
lahr richtig, auch seines wandels vnd lebens vom lehnherrn
vod Pfarrkindern gelobt.“ Der Diakonus, der nicht namentlich
angeführt wird, wohl ChristofStrobel, später Herzog
Heinrichs Hofprediger, ist „vor andern der lahr halber
geschickt.“ Er ist auch „ein ordensmann servorum Mariae“.
Der Fremdiswalder Parochus, Jakobus Klappe, wird
Sogar gertihmt als ,wohlgelehrt, seines lebens und wandels
ganz richtig befunden“; er starb als Superintendent zu
Großenhain (1553). Mutzschener Patronat war Wermsdorf
ehedem dem Kloster inkorporiert. Aus ihm war dahin ge-
kommen Valentin Zeppler. Zwar gilt er nur „der lahr
1) Seckendorf, Hist. Lutheranismi. Leipzig 1694 II, pag. 101.
E. von Braun, Die Stadt Altenburg in den Jahren 1525—1826.
Altenburg 1876, S. 11ff. Richtig bei Lobe, Gesch. der Kirchen und
Schulen in H. Altenburg, Altenburg 1884, Bd. I, S. 391f.
3) Burkhardt, S. 27; 43f.
8) Weimar, Reg. K, fol. 2 II, Bl. 30b; Ji, 204.
*) Nach Großmann, S. 141 hatte es „j sloß vnd xl. einwoner“
in den 9 eingepfarrten Dórfern 49 Pferdner und 30 Gürtner.
120 40
zimlich bericht“, jedoch „seines wandels richtig“. Es muĝ
ihm aber angedroht werden, „wo er nicht fleißiger studieren
würde“, sollte er der Pfarre auf nächste Ostern entsetzt
werden. Zu diesen drei Fratres ist noch Cyriakus Heidler
zu nehmen; er war im nahen Altenhain. . Freilich wird er
beschuldigt, daß er „sich oft des trinkens vleissige“, aber
„in der christlichen lahr ist er zimlich bericht^!), Daß diese
alle unter vielen ihrer Umgebung hervorragen, läßt nur
günstig das Klösterlein beurteilen, was sicherlich seinem
Schutzherren mit zuzuschreiben ist.
Er war hier bei der Untersuchung der Zustände (Mai
und Juni 1529) nicht tätig. Daß aber auf sie Starschedels
wegen Nachsicht geübt worden wäre, läßt sich nicht arg-
wöhnen. Sehr genau forschen die Visitatoren nach den
Bestandteilen des Einkommens. Für den Pfarrer betrug es
bare 114 fl. 5 Groschen 5 Pfennige ohne die Haushaltung.
Sie bestand aus Wohnung im Kloster und vorigem Pfarr-
gebäude, sowie. in einem Garten, der so groß ist, daß er
Grasweide für fünf Kühe abgibt. Daher wird es nicht als
Mangel empfunden, daß „Artfeld und Wiesenwuchs vererbt ist.“
Holz wird ihm soviel geliefert, als „zum Gebäude und Feuer-
werk bedürltig^ ist. Weil der Pfarrer für Feld und Wiese
48 fl. 19 Groschen 6 Pfennige an Zinsen hatte, fiel es ihm
nicht schwer, davon 36 fl. an Geld und je seehs Scheffel
Korn und Hafer dem Diakonus zu reichen; außerdem bezog
dieser 31 fl, hatte eigenes Haus, Garten und Grasweide für
eine Kuh, dazu auch Holz zum Feuerwerk. Pfarrer und
Diakonus wurden ihre Pflichten eingescharft. Ein Sebul-
meister ist vorhanden, vermißt wird aber in dem kleinen
Mutzschen eine gelehrte Schule. Starschedel erbietet sich,
eine solche einzurichten.
Obwohl von seinen Vorfahren und ihm alles Kirchen-
vermögen stammt, wird ihm nicht verschwiegen, dab man
die Urkunden über Güter, Einkommen, Gerechtigkeiten usw.
„zu Pfarre, Frühmessen oder auch zum Kloster gehörig ver-
misse“. Es wird ihm darum aufgegeben, „ein klares, voll-
ständiges Verzeichnis und Erbregister aufs förderlichste zu
1) Großmann, S. 142f.; 104.
41 121
fertigen und zu machen“, dazu ein genaues „Verzeichnis
und Inventarium des Vorrats und Kirchengerätes von Stück
zu Stück“. Was darin anzuführen ist, wird bis ins einzelste
vermerkt. Erst wenn Starschedel genugsam die verlangten
Nachweise beigebracht hat, „soll dann weiter, was bequem
und gut sein wird, vorgenommen werden^?) Ob dabei an
eine Mägdleinschule gedacht wird? In der ganzen Diözese
hatte nur Grimma und Eilenburg eine solche. Bei der
Forderung ließ man es nicht etwa bewenden. Am 12. März 1534
erschien Starschedel in Grimma vor den Visitatoren Mutzschens.
mit den verlangten Nachweisen und erhielt daraufhin nach-
her die Verpflichtung für die Pfarrbesoldung seines Patronates ?).
Auch an der Visitation 1532 war Starschedel nicht
beteiligt. Seine Stelung am Hofe wird ihm dazu keine
Zeit gelassen haben. Hingegen befand er sich unter denen,
die 1541 vom Kurfürsten nach Zeitz entsandt wurden,
um Nikolaus von Amsdorf für Julius Pflugk zum
Naumburger Bischofe zu wählen. So wenig angenehm der
Auftrag für ihn war, wegen seiner Verschwägerung mit.
Pflugks, ward er doch aus evangeliseher Überzeugung von
ihm übernommen. Der vom Kurfürsten erkorene war ihm
verwandt und befreundet; in Zschepa bei Wurzen hatte er
seine Heimat und wird mit Starschedel häufigen Verkehr
gepflogen haben ?). Auf Widerstand war man gefaßt. Star-
schedel wird nachgerühmt, daß er das befestigte Schloß.
eingenommen habe. l
Einen Beweis seiner Klugheit und Tatkraft hatte Star-
schedel bei der Visitation des Domstiftes, des Amtes und
der Stadt Wurzen zu liefern (Mai 1542). Für sie hatte
Johann Friedrich im Oschatzer Vertrage freie Hand
bekommen. Mit ihr waren ex nobilitate außer ihm Asmus
Spiegel und von den Theologen Georg Spalatin
und der Superintendent Schreier von Grimma betraut.
Für ihr allgemeines Ansehen spricht es, daß sie berufen
wurden, in diesem Gebiete Wandel zu schaffen. Die
1) Ebenda, S. 143 ff.
*) Weimar, Reg. Di, 6, Bl. 181.
*) Seckendorff, Vol. III, XCVI, 9, pag. 390; Hortleder, lib. V,
eap. 12. E. Zergiebel, Chronik von Zeitz. Zeitz 1896, I, S. 211 ff,
122 4g
Schwierigkeit der Aufgabe hatte damit bisher zögern lassen.
Wurzen war der letzte Stützpunkt der Meißner Bischöfe
und stand unter ernestinischem und albertinischem Schutze.
Hatte schon Herzog Georg den Vertrag von 1485 für
sich ausgebeutet, so war auch Moritz sehr dazu geneigt
und Bischof Johann VIII. dem Kurfürsten feindlich gesinnt:
ihm war der Ausbruch des Streites zwischen den Vettern nur
recht gewesen. Das von ihm gewünschte Ende hatte dieser
nicht genommen. Mit voller Befugnis konnte jetzt Johann
Friedrich in Wurzen eingreifen.
Am 11. Mai trafen die Visitatoren ein. Gegen die
Domherren übten sie Schonung, benahmen sie jedoch jed-
weden Einflusses. Ein gänzlich Neues mußten sie in der
Stadt begründen. Der Dürftigkeit hier entsprach die auf
den Dörfern. Sie bedingte, daß fast kleinlich erscheinende
Vorschriften gegeben wurden, die aber nur von im alltäg-
lichen Leben erfahrenen Männern gemacht werden konnten.
Einen Erfolg suchten die Gegner in ‘einer Weise zu
vereiteln, mit welcher sie sich selbst genugsam kenn-
zeichneten D. |
Sie erreichten damit bloß, daß im August und Sep-
tember 1546 von Brück verfaßte scharfe Erklärungen gegen
„den papistischen Bischoff zu Meissen und sehlenmorder“
ergingen, Nochmals ward Starschedel und Spiegel ange-
wiesen, „seine Teuffelslehre, greul und unchristliche Ceremonien
zu dempffen, niederzulegen, auch gänzlich auszurotten“. Die
anwesenden Kapitelsherren und Vikare sollten sie „ver-
warnen, von. ihnen hören, ob sie bei dem gottlich wort
bleiben und daselbig bekennen und soviel an ihnen...
mher Gott dan den Menschen gehorchen“ wollten. Be-
rufungen auf den Bischof sollten sie abschlagen. Seiner
,praetiek und teufflischen List“ sollte fiir immer ein Ziel
gesetzt werden. Es geschah im Einvernehmen mit der
Ritterschaft im Amte Wurzen, und am Egidientage 1546
wurde. Starschedel und der Hauptmann von Wittenberg
‚damit beauftragt?).
1) Burkhardt, S. 208ff., 288.
2) Weimar, Reg. J, pag. 264, Nr.4A. Reg. J, pag. 265, Nr. 45.
43 — 193
VI.
Sein Wohlwollen gegen Geistliche uud Lehrer genossen
reichlich die seines Patronates. Nicht nur, daß er darauf
hielt, daß ihre Einkünfte nicht geschmälert oder ihnen gar
entzogen würden, wo er es angebracht fand, erstrebte er
auch ihre Aufbesserung. Die besondere Begabung seiner
Pfarrer verstand er anzuregen und zu benutzen. Wenn er
erfuhr, daß ihre Gefälle ihnen verkiimmert und sie mit
übeler Nachrede belästigt- wurden, pflegte er zu sagen: „O,
wie wird sie der Teufel einmal darum kratzen, die ihre
Prediger jetzund so gering achten. Heute oder morgen,
wenn ihr letztes Stündlein kommt, da wird sich’s finden,
was sie sich selbst damit gestiftet haben.“
Wozu er aber andere ermahnte, darin ging er selber
ihnen voran, Legte er den Eingepfarrten eine Zulage zum
Pfarrgehalte auf, so war er der erste, der von seinem Gelde
und Getreide etwas gewisses vermidmete und ohne Verzug jähr-
lich entrichtete. Daß er von seinen Feldern den Zehnten eben-
so gab, wie seine Untersassen, war ihm etwas selbstverständ-
liches. Daran lieB er sich nicht einmal genügen; selten
ließ er es an einer Zugabe fehlen, und, wenn Miswachs
einfiel, sprach er: „Es muĝ darum an Eurer Besoldung
nichts abgehen. Ich will einen Nachschuß tun vom Boden.“
Jahrzehnte hindurch prüfte er alle halben Jahre den
Zustand der Kirchen und Pfarrgebäude, sowie der Schulen.
Schößer, Richter und Kirchenväter mußten ihn dabei be-
gleiten. Nicht das geringste entging seinen scharfen Blicken.
Kaum, daß eine Schindel ausgefallen war, so befahl er ihre
alsbaldige Ergänzung. Die Kirchenväter mußten dabei
hören: „Ei, wenn Ihr Eure Seelsorger recht lieb hättet, so
würdet Ihr auch Achtung haben, daß sie im trocknen sitzen
möchten!“ |
Um Zwistigkeiten vorzubeugen, merkte er darauf, daß
die Pfarrgrundstücke gehörig verraint und vermalt würden.
Keine Beschwerde scheute er deshalb, ritt selber auf alle
Winkel, führte die Gemeindeältesten an Teichen, Hölzern,
Wiesen und Brachen herum, beschied dazu an jede Stelle
die Leute, welche Güter dabei oder daneben hatten, schlichtete
Meinungsverschiedenheiten, richtete Zeichen und Merkmale
M
124 | 44
an Rainsteinen, Bäumen und Gräben auf, damit ein jedes
das seine in Ruhe und Frieden ohne Verletzung brauchen
möchte. Auch den Grenznachbarn seiner Gemeinden prägte
er ein, daß sie ja nichts den Kirehengütern entziehen oder
abzwacken dürften; denn es käme ihnen und ihren Erben
doch nicht zu gute; sie hätten es hoch vor Gotte zu ver-
antworten, wo sie seinen lieben Dienern etwas raubten,
Sein Verhalten und Reden bei solchen Besichtigungen
lassen schon vermuten, daß ihnen Beeinflussungen des Ge-
meindelebens entsprochen haben werden. Er war ein Feind
der bäuerlichen Prozeßsucht. Ihr trat er zeitigst entgegen.
Täglich gab er nach Tisch eine Stunde lang seinen Unter-
tanen Audienz und beschied sie gütlich). Wo Lust vor-
handen war nach gerichtlicher Entscheidung, lud er den
damit behafteten vor sich u: .“samühte sich um Beilegung
des Handels. Gelang es ihm nicht, so befahl er dem Schößer:
„Laß mir diesen in das Studierstüblein führen.“ Im Schloß-
turme hatte er nämlich einen besonderen Raum für Zänker.
In diesen .wurden sie eingesetzt, damit sie sich besinnen
und gutem Rate folgen lernten. „Denn,“ erklärte er, „es ist
viel besser, ich bringe sie durch solches Mittel zu Verstande,
als daß ich sollte zugeben, daß sie nach ihrem störrischen
Sinne das ihre verhadern.“ So verhinderte er von vorn-
herein, daß der Rechtsweg beschritten wurde, er meinte, die
Leute gewöhnten sich sonst ans Zanken, wenn man ihnen
nicht einredet, und verderben darüber. „Kann ich einem
sagen, wie er sein Recht ohne Unkosten finde, und, wo er
nicht will, so gebührt mir, den Ernst zu gebrauchen und
solehe mutmaßliche Lust zum Zanken zu strafen.“
Seine Friedensliebe wird es gewesen sein, die ihn nicht
erst warten ließ, bis er gedrängt wurde, Mutzschen Stadt-
rechte zu verleihen. Er tat es freiwillig 1544. Wußte er
sich jedoch im Rechte, so verzichtete er nicht auf dieses,
wenn er den Gegner nicht anders überzeugen konnte. Als
er wegen einiger neuerbauter Häuser in Gastewitz mit dem
Amte Grimma in Irrung geriet, wich er dieser nicht aus”).
1) Peccenstein, Theatrum Sax. Jehna 1608, S, 87.
?) Dresden, Cop. 288, fol. 175b.
45 125
VII.
Diese Nachrichten über Starschedel überliefert Schuwardt
in seiner ,Regententafel^, dessen Vater 24 Jahre Pfarrer
und Prediger zu Mutzschen war!). So oft er Starschedels
gedenkt, verrüt er, daf er es aus inniger Verehrung tut. Es
hatte schon auf den Knaben einen tiefen Eindruck gemacht,
daß der Patron alle Predigten mit Fleiß hörte und durch
keinen Frost, Schnee, Regen oder Schlaf sich davon zurück-
halten ließ. Noch vor Beginn des Gottesdienstes fand er
sich ein, und wie er als erster in die Kirche kam, so ver-
ließ er sie als letzter. Seitdem er durch Luther die reine
evangelische Lehre erkannt hatte, war er beflissen, beim
rechten Glauben zu bleiben. Alle Sophisterei und falsche
Lehre war ibm zuwider. Immer nach voller Gewißheit
strebend, holte er sich. bei se” em Geistlichen Rat, wenn er
sich über etwas unklar war. -
Ausgeprügt war seine ,Abseheu gegen des Papstes
Tand und Irrtum“. Welche Stellung er daher gegen das
Interim einzunehmen hätte, darüber war er sofort nicht
im geringsten Zweifel. Wie mag er sich gefreut haben, als
sein einstiger Pfarrer Klappe als Superintendent zu Großen-
hain gegen die Einführung des Leipziger Interims heftigen
Widerstand leistete, und daß es der Superintendent Wolf
in Colditz tapfer ablehnte, dafür fand er in Mutzschen Beifall.
Als Moritz seinen Räten befahl, außer den Geistlichen auch
„andere Leute“ Mai 1549 nach Grimma zu laden, rechnete
er offenbar mit starkem Widerstande; denn er bedachte alle
mit Strafe, welche das Interim nicht annähmen. Nicht bloß
Superintendenten und Pfarrer sollten erscheinen, auch Fürst
Georg von Anhalt, Melanchthon und Camerarius
fanden sich ein. Zwar nahmen die Theologen den Agenden-
1) Nach Knauth, Altzellaer Chronik, III, S. 182 verließ Schuwardt
Roßwein 1539, wo er Schulmeister gewesen war. Als Zeit seiner
Mutzschener Amtsdauer gibt Kreysig 1537—1574 an und läßt die
seiner Vorgängers Burkhoven ungewiß; er kennt auch nicht den
2. Diakonus in Mutzschen. Dieser war Schuwardt sen.; daher wird
er vom Sohne Prediger genannt, rückte später ins Pfarramt auf.
Nicht zutreffend können auch die Angaben der Kirchengalerie, Eph.
Grimma sein, nach denen er 1529 Diakonus, 1553 Pfarrer in Possen-
dorf, und 1557—1574 Pfarrer in Mutzschen war.
126 46
entwurf Georgs an, jedoch nur unter der Bedingung, daß
mit Publizierung und Druck der neuen Ordnung gezögert
_ und zunächst bloß etliche Artikel aus ihr den Pfarrern be-
kanntgegeben würden. Aber gerade im Grimmaer Kreise
war der Unwille gegen das Interim so heftig, zumal unter
dem Adel, daß in diesem nicht einmal der sog. Auszug zur
Einführung gelangte). Starschedel war das Interim gleich
von vornherein darum verdächtig, weil er von ihm Streitig-
keiten befürchtete; und wenn irgendwelche, so waren ihm
solche um das Glaubensbekenntnis besonders verhaßt. Junge
Leute ermahnte er deshalb oft, sich vor diesen zu hüten und
,dureh keine schéne Deutelung von der gegründeten Wahr-
heit sich abführen zu lassen",
Am besten fand er sie von Luther zum Ausdrueke
gebracht. Alle und jede Bücher von ihm, grofe und kleine,
seit dessen Auftreten, hatte er nacheinander erworben. Sie
las er fleißig und ließ sie später von seinen Geistlichen und
anderen sich vorlesen. Am höchsten schätzte er des Refor-
mators Kommentar zum Galaterbriefe. So war er mit dessen
Auslegung vertraut, daß er sie auswendig konnte. Um nötigen
Falles die Stellen zu finden, die er für die wichtigsten hielt,
hatte er sie unterstrichen nnd sonst sich merklich ge-
macht. Viele von ihnen hatte er in sein Gebetbuch einge-
tragen, das er sich eigens zusammengestellt hatte und auf
seinen Reisen stets mit sich führte. Aus den Lehrschriften
Luthers hatte er sich einen Auszug gefertigt, in dem er
so ziemlich alle Aussprüche desselben über die Rechtfertigung
aus dem Glauben bei einander hatte. Über dieses. Lehrsttick
besprach er sich am häufigsten mit seinen Geistlichen.
Die einzigen waren sie nicht, die ihm hierüber Rede
stehen mußten. Hatte er Gäste um sich, so wär er mit ihnen
bald in einem christlichen Gespräche. Mit „Gelehrten vom
Adel“ solche zu führen, liebte er sehr. War er bei seiner
regelmäßigen Bibellesung auf einen Spruch gestoßen, über
dessen Auffassung er sich nicht völlig klar war, so wußte
1) Sehling, Die Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen,
Leipzig 1899, S. 109, Westphal, Fürst Georg zu Anhalt, Leipzig 1907,
S, 70. A. Chalybäus, Die Durchführung des Leipziger Interims
Chemnitz 1905 (Diss.), S. 67, NASG. XV, 8. 229.
47 127
er „ihn anf die Bahn zu bringen“. Es entwickelten sich:
dann förmliche Disputationen, zu denen er aus seiner statt-
lichen Bibliothek Schriften herbeiholen ließ, nicht zuletzt die
Bibel, und er ruhte nieht eher, als bis ,die grtindliche Wahr-
heit erkundet war. Das war seine liebsíe Kurzweil und.
beste Übung“ ?).
VIII.
Der kirchlichen Bewegung und seinem eigenen Gebiete-
konnte er in ausgedehntem Maße seine ganze Aufmerksam-
keit schenken, seitdem er die kurfürstlichen Ámter nieder--
gelegt hatte. Schwere Kämpfe wird es ihm verursacht.
haben, sich von Johann Friedrich zu trennen, dem er
Jahrzehnte hindurch nahe gestanden und dessen Vertrauen
er reichlich genossen hatte. Seiner Pflichten war er allerdings-
nicht entbunden worden. Wohl möglich, deshalb, oder viel-
mehr darum hatte er sie nicht freiwillig niedergelegt, weil
er die Hoffnung hegte, daß des gefangenen Kurfürsten Ge-
schick noch eine günstige Wendung nehmen könnte. Ab-
wartend folgte er den Ereignissen und bezog noch, wie
andere Räte, seine Besoldung?) Die Behandlung, die von
Karl V. seinem Herrn und dem Landgrafen Philipp wider-
fuhr, verdunkelte von Woche zu Woche die Aussicht auf
eine Verbesserung ihrer und damit ihrer Anhänger Sache.
Nun war Starschedel mit Erbhuldigung und Lehnspflicht
infolge der Ereignisse an die Ernestiner gewiesen. Würde
er sie Moritz nicht leisten, so hätte er zu gewürtigen
gehabt, daß dieser, wie König Ferdinand die Güter
in’ den ihm zugefallenen Gebieten, auch Mutzschen mit Beschlag
belegen würde. Ein Ersatz für den ihm von Moritz drohenden
Verlust durch die Ernestiner war ausgeschlossen. So war es
die Existenzfrage für ihn und seine Familie, daß Starschedel
Ende Juli 1547 sich auf dem Leipziger Landtage einstellte..
Ein geringer Trost wird es ihm gewesen sein, daß er die
alten Freunde, wie Asmus Spiegel, Hans von Weißenbach,
Heinrich von der Planitz u. a. zu Genossen hatte’).
1) Schuwardt, S. 1591.
2) Neudecker, S. 151.
3) von Langenn, II, S. 351ff.; Archiv VIII, S. 172.
128 48
Wie empfand Johann Friedrich den Abfall seiner
bisher Treuesten? Er mußte sich bitter getäuscht fühlen,
daß er sich auch von seiner nächsten Umgebung verlassen.
sah um äußerer Vorteile willen. Auf den Brief, in welchem‘ .
der im Unglück Standhafte von seinen Söhnen über das
Zurückweichen seiner Räte Kunde empfing, antwortete er:
„Wir müssen solche Untreue Gott befehlen, dessen Gericht
sie nieht entlaufen werden“).
IX.
Daß Starschedel seitdem Öffentlich hervorgetreten wäre,
dafür liegen keinerlei Belege vor. Nur bei besonderen An-
lässen schwieg er nicht, jedoch auch da, mehr von anderen,
wie es scheint, dazu bewogen, als freiwillig handelnd. Er
lebte fortan Haus und Gemeinde, von denen er bisher zu-
meist hatte fern sein müssen. Für die Kinder. bemühte er
sich um tüchtige Lehrer, aber auch er selbst unterrichtete
und prüfte sie. Dazu war er sicherlich befähigt. Denn wie
hätte er die Studien der Prinzen beaufsichtigen können, wenn
er selbst dafür die nötigen Kenntnisse nicht besessen hätte?
Mit Vorliebe unterwies er seine Kinder im evangelischen
Glauben. Vielmals sprach er ihnen Luthers Kleinen
Katechismus vor. In seinem Alter „hatte er große, tröst-
liche Freude“ an den schönen Reimen, darein der Spruch von
dem Nutz des Leidens Christi durch D. Erasmus Alber
gefaßt ist. Diesen Reim mußten ihm die Kinder alle Tage
vor Tische erzählen, welche also lauten:
Das Lemblein Gottes Jesus Christ
Für vnser Sünd gestorben ist.
Er trug die straff an vnser statt
Von wegen vnser missethat:
Ein jeder Christ das eben merck
Vnd frey verwerff all ander werck,
Die sich setzen an Christus statt
Wider des ewigen Vaters rath.
Bisweilen pflegte er hinzuzufügen: „Da liegt alles. Wenn
das meine Kinder behalten, wo es gleich zur Verfälschung
1) Beck, I, S. 21,
49 129
des göttlichen Wortes wiederum käme (davor Gott behiite),
so würde Gott sie und alle, so es von Herzen glauben, durch
seinen heiligen Geist wohl vor allem Irrtum ‘bewahren und
erhalten“),
Vermählt war Starschedel in erster Ehe mit Ursula
Pflugk aus Lampertswalde, in zweiter mit Sara von
Haugwitz?) Drei Töchter?) waren an Schleinitze
verheiratet, Anna (geb. 1546, gest. 1595) nach Seerhausen +),
Katharina nach Hof, Margarethe nach Jahnishausen-
Sein ältester Sohn Heinrich starb vor dem Vater. Dieser
hatte für ihn Markkleeberg erworben, das bis 1620 in den
Händen der Starschedel blieb. Von den Markkleebergern
studierten einige in Leipzig. Haubold (+ 1581) hatte
Merzdorf inne, das seine Nachkommen bis 1730 besaßen).
Als er, wie damals manche andere, gern Ankäufe in Nord-
böhmen gemacht hätte (1585), hatte er an Kurfürst August
einen Fürsprecher, damit er von Kaiser Rudolf, „wie in
der Krone Böhmen gebräuchlich, zu einem Böhmen ange-
nommen würde*5) Innocenz (geb. 22. Juli 1543, gest.
lo. Aug. 1605), „ein trefflich ansehnlicher Mann“?), war
kurfürstlicher Landrat und Obersteuereinnehmer, auch Hof-
marschall. Er hatte außer Borna bei Oschatz noch Mölbis
im Leipziger Kreise, das sein gleichnamiger Sohn bis 1650
zu eigen hatte. Dem jüngsten Sohne Georg, dem Gelehr-
samkeit nachgerühmt wird, wird Stein und Wolfersdorf zu-
geschrieben: über den Besitz von diesem läßt sich zuver-
lässiges nicht ermitteln; mit jenem wird Steinigtwolms-
dorf gemeint sein. Gleich 1586 ward er mit ihm von
Christian I. belehnt. Dabei verblieb ihm noch soviel
an Geld, daß er seinem Schwiegervater 20000 Gulden
1) Schuwardt, S. 159f; vgl des Verfassers Erasmus Alber,
Leipzig 1910, S. 159.
*) Dreßn., g. Anzeiger, S. 527.
*) Ebenda, S. 554.
*) Über ihr Grabmal Bau- und Kunstd. i. K. S. Heft 27/98,
S. 114ff.
°) Hausen, S. 475.
9) NASG, XXII, S. 295.
*) Peceenstein, S. 37.
Arehiv für Reformationsgeschichte. XIX 2. 9
130 t. 50
zum Ankaufe der böhmischen Herrschaft Hainspach borgen
konnte),
Den Söhnen ward dieser reiche Grundbesitz dadurch
ermöglicht, daß sie Mutzschen mit dessen ganzem Zubehöre
unter sich teilten und nach und nach an Kurfürst August
veräußerten, der es mit anderen Liegenschaften 1585 zu dem
Amte Mutzschen vereinte?) Erst ihre Nachkommen traten
durch verwandtschaftliche Beziehungen wieder mit den
Ernestinern in nähere Verbindung. Dagegen verknüpften bald
solehe Heinrich mit Dresden. Hier genoß er so hohes
Ansehen, daß er 1558 dahin während August’s Abwesenheit
zum Kurfürstentage in die Regierung berufen ward’).
Wie stand nun zu diesem der Vater? Moritzens
Politik hatte er nie gebilligt. Der einflußreiche Adel hatte
im Herzogtum ausgeprägt romanisierende Neigungen und
ward in ihnen durch Christofs von Garlowitz
. Pläne bestärkt, die dem Interim zugute kamen. Dieser
wird es vor anderen gewesen sein, der Starschedel abstieD-
mit seiner verschlagenen Art erweckte er bei Starschedel
nur berechtigten Argwohn. Jedoch waren die vielfachen
Verschwügerungen und sein zerstreuter Grundbesitz wie für
seine Standesgenossen, so auch für ihn nieht von solehem
irennenden Einflusse, daß sie ihm nicht von jeher Beziehungen
zu beiden sächsischen Höfen wünschenswert gemacht hätten.
Bezeugt wird es von dem wohl einzigen Briefe, der sich
von Starschedels Hand erhalten hat. Er ist an den Sekretär
Moritzens, Joachim Faust, gerichtet. In der Anschrift
nennt er ihn seinen „freundlichen, lieben Schwager“. Der
Brief*) lautet:
Dem erbarn und vesten Her Jochem Fausten f. g.
Herezog Moriczen zu Sachßen etc. Secretarir meinem
freuntlichenn liben Schwagern zu Handenn. In Dreßdenn.
Erbarer und namhafter Her Schwager Faust, wo es
euch allenthalben glüeglichen Zustunde sampt al dem eurn
libenn vorwanttenn, erfure ich gerne, meiner Perschen halben
danke ich got, der schaffs auch weyter nach seine gothlichem
1) W. von Boetticher, Gesch. des Oberlaus. Adels und s. Güter
1635— 1835, Bd. II, S. 914.
2) Lorenz, S, 1075f. 3) Hausen, S. 474.
4) Dresden. Loc. 966ff. Etzliches Herzog Moritzen zu Sachsen.
Altes gemeines Landhandels 1517— 1576, IT, S. 281.
51 131
gefallenn und ferleye geduld Jnn in aller widerwertigkeyt efe.
Was aber meine Sache belangende alhy mit meinem
glaubiger darinnen Jr mir willig gedenet und freunthlich
erezeyget, mir zu furderungk und wy dy fortragen und
hingelett, hab ich meinem Vetter Josten geschrieben, for
eczlichen wochenn, euch dasselbe zu berichten, hoff sey Jm
auch nachkomenn, bedank mich euer gunstigen furderungk.
Auch weyter wil ich euch nicht bergenn, gunstiger
Her Schwager, eines Hendlers von Kraca dener, alhy bey
mir gewest, Jm durchreyten ken Nurmberk, schreybt mir
sein Her, mein gar gut freundt, under andern, wy Er forder
gute Zebel bekomen, mittell gattungk, desgleychen geringer,
ecgliche Zimmer’), mich zu erkunden, ob m. g. Hern von
solcher gathungk ieziger Zeyt was willens zu keuffen, bitt ganz
freundthlichen mit, dasselbe bey f. g. Herezog Moriczen ete.
erforen, desgleychen vonn großen schenen Zal Perln
aber sunst Klenodia und mir solchs zu wissen thuen, Ich
Jm antwort schribe, wolde alhier an mich schieken, dis
dan f. g. besichtigen mochten, das Erbithe ich mich als ein
dankbarer zu vordenenn ete. Sunst sagt derselbe dener,
wy Er den nechsten markt zu Lublyn geweßen, seint vil
thurkische Kaufleute daselbst mit vil waren ahnkomen,
alb Sehamlot muh?) eyer und dem meysten teyl Ingwere,
sey dy sage allentthalben, der thurk mit dem Persier so
vil Zuthuen gewunnen, denn Er Jm ein son Erschlagen, er
dysen Sumer unser forgessen sol, geb got diese zeytungk
mit wohrheyt verfolge Amen. Dormithe Jn dy bewahrungk
gotis befolnn, des sey unser trost mit bit Eur libe hausfraw
von meine wegen zu grüssen.
dat. Freyberk uff 24 merezo A? 1545.
Bit mit ersten antwort.
D: Starezedell.
E. w. G.
Zu diesem Briefe bewog Starschedel offenbar eine Streit-
sache. Da sie bis in die Herzogliche Kanzlei gelangte,
wird die Geldangelegenheit, um die es sich handelte, keine
geringe gewesen sein. Für ihre ihm günstige Erledigung
stattet Starschedel seinen Dank ab und möchte sich durch
eine Aufmerksamkeit Moritz erkenntlich erweisen. Mehr
als dieses wird er nicht bezweckt haben wollen, Vermitt-
lungen wie die, zu welcher er sich erbot, wird er oft am
kurfürstlichen Hofe übernommen haben. Aus seiner „Freund-
al l Zimmer = 20 Paar zusammen gebundene Zobelfelle.
2) unleserlich.
9%
132 ` l 52
schaft“ mit dem Krakauer Händler darf schwerlich auf
Eigennutz bei ihm geschlossen werden’). Wahrscheinlich hatte
er, gleich vielen seiner Zeit, eine Vorliebe für kostbare
Seltenheiten, und für sie entbehrte er nicht der Mittel. |
Den völligen Bruch zwischen Weimar und Dresden sah
er wohl kommen. Daß er seines alten Herren je vergessen
hätte?), ist schwerlich anzunehmen; ganz unwahrscheinlich
aber, daß er in die Spuren eines Carlowitz getreten wäre.
Aber wie hart mag er es empfunden haben, daß er seinem Kur-
fürsten im September 1552 bei dessen Rückkehr aus der Ge-
fangenschaft nichtinmitten der alten Gefährten begrüßen konnte?
Noch einma! war er für die Ernestiner tätig und wird:
für sie nur zum guten geredet haben: es war für ihn wohl
die letzte Gelegenbeit, ihnen seine dankbare Gesinnung zu
bezeugen. Denn zu -den „teuflischen Räten“, vor denen
Johann Friedrich im Testament seines Vaters gewarnt
worden war, gehörte er nicht. Bei der Achtung, die er ge-
noß, war er unter denen, die zum Abschlusse des wichtigen
Naumburger Vertrages 1554 zugezogen wurden. Unter dessen
Unterzeichnern steht sein Name an zehnter Stelle ê). Am Tage
vor seinem Tode (2. März 1554) unterschrieb ihn noch
Johann Friedrich. Seine Mahnung an die Söhne, unter
sich Zwietracht und Uneinigkeit zu vermeiden, haben diese
nicht erfüllt: wer wird darüber betrübter gewesen sein, als
ihr einstiger, fürsorglicher Tutor?
Daß er mit Kurfürst Augustin ein erträglicheres Ver-
hältnis kam, als mit Moritz, erleichterte ihm die kirchliche
Wandlung. Aber wenn jener am 24. Juli 1557 von den
24 Stellen für den Adel an der Meißener Landesschule eine
den Mutzschener Starschedel verlieh‘), so war dieses zunächst
als eine ausgleichende Gewährung für die klösterliche
Stiftung der Familie gedacht und zugleich als ein huldvolles
Zeichen der Anerkennung für sie: ob sie mehr dem Sohne,
als dem Vater galt, muß dahingestellt bleiben.
1) Dresden, Loc. 9664, Bd. II, S. 281.
7) Weimar, Reg. L.
3) Weichselfelder, Johann Friedrich, Frankfurt 1754, S. 901 fi;
Mentz III, 328 ff.
4) NASG., VIII, S. 142.
53 133
Ganz in Schweigen hiillte sich Starschedel nicht. Zu
teilnehmender Verfolgung der Ereignisse bewog ihn schon
das Amt seines Sohnes Innocenz. Fand er es geboten, 50
griff er auch in sie ein. Wie vermochte er denn Zurück-
haltung zu üben, wenn er andere mit Unrecht leiden sah? So
„suppliziert“ er mit Hans von Scholemberg und Christof
von Haugwitz 1554 für Gefangene beim Rate zu Borna!)
Aus Thalheim stammte seine zweite Frau. Sie wird
ihn beredet haben, an einer gemeinsamen Fürbitte bei Kur-
first August für Johann VII. von Haugwitz sich zu
beteiligen. Bekannt war er ja gewiß mit den Vorverhand-
lungen für dessen Wahl zum Meißner Bischofe. Daß er ohne
Erfolg für ihn sich verwandte, ist begreiflich. Denn wenn der
Bischof sich bei Ferdinand darüber beschwert hatte, daß
seine „Jugend und Unerfahrenheit“ — er war damals
31 Jahre alt — vom Kurfürsten zu einem ihm lästigen Ver-
trage mißbraucht worden wäre, und wenn er diese Anklage
gerade zur Zeit der Verhandlungen zum Augsburger Religions-
frieden erhob, so mußte er damit Augusts Unwillen er-
regen”), So fällt denn der Bescheid an die Fürsprecher
ziemlich ungnädig aus. Es wird ihnen eröffnet: „Wir haben
Bedenken, daß wir uns für uns selbst oder unsere Räte mit
dem Bischof in Schriften oder sonst einlassen, denn ihm selbst
ohne das wohl bewußt, wessen er sich gegen uns wohl-
bedächtig verpflichtet, wie ihm denn alles sein gertihmtes
enges Gewissen bezeugen kann“),
Nachgetragen hat jedoch Kurfürst August die Ein-
mischung in die heikle Sache Starschedel nicht. Ein Lob
spendet er ihm und seiner ganzen Familie, wenn er Pfalzgraf
Wolfgang bittet, den Sohn von Innocenz Starschedel
als Edelknaben anzunehmen und zu erhalten. Er begründete
es damit: „Denn er eines guten, alten Geschlechtes und Her-
kommens und Namens ist, sein Vater auch unser ältester
Rat und Diener gewesen“. So am 16. Februar 1562*).
1) Dresden, Cop. 265, Bl. 224f,
2) Machatscheck, Gesch. des Hochstiftes Meißen, Dresden 1884,
S. 774.
*) NASG., VI, S. 198f,
^) Dresden, Cop. 313, fol. 4f.; auch Hausen, S. 174,
134 - 54
X.
Dietrich von Starschedel lebte damals nicht mehr. 1561
ist er gestorben. Weder in der Kirche zu Mutzschen, noch
in seinem Schlosse hat sich eine Erinnerung an ihn erhalten.
Aber er verdient des Gedächtnisses, nicht bloß als ein sächsischer
Zeuge des Wormser Reichstages, auch um seiner ganzen
Persönlichkeit willen. Er ist vor vielen seines Standes eine
liebenswürdige Erscheinung. Peccenstein hebt seine Gott-
seligkeit, Demut und Sanftmut hervor; der Kanzler David
Peifer nennt ihn fortem virum, Marschalli munere ita per-
funetum, ut omnes intelligerent, neque ei fidem deeße neque
industriam!). Gewib, seine evangelische Stellung ist nicht
nur eine äußerliche, er ist ein evangelischer Bekenner in
seinem ganzen Leben und Wandel, so weit er aus der
Überlieferung erkennbar ist. Daß er nach 1521 nochmals
mit dem Reformator zusammengetroffen, ist wahrscheinlich,
jedoch nicht nachweisbar. Ob er davon auch viel Rühmens
gemacht hätte? Schwerlich; denn von Selbstlob, schon von
Selbstverteidigung ist er weit entfernt. Bei seiner Verehrung
Luthers wird es ihn unangenehm berührt haben, daß seine
Nichte Anna den Wittenbergern Anlaß gab, sich mit ihr be-
schäftigen zu müssen. Als sie eine Zeitlang zu der Um-
gebung der Kurfürstin Sibylle gehörte, batte ihr Prinz
Ernst von Braunschweig-Grubenhagen „mit Beteuerung ein
Ehegelübde getan“. Der Vorfall erregte Jahre hindurch
vieles Aufsehen. Aus Rücksicht auf den Braunschweiger Hof
ließ der Weimarische den Prozeß im Sande verlaufen, zu-
mal als Ernst von Starschedel Herzog Philipp I. den Eid
zuschob, daß dieser selbst dem Verlöbnisse nicht zuwider
gewesen wäre. Luther erklärte schließlich: „Heimlich Gelübd
nichts anderst ist, noch sein kann, denn ein päpstlich Ge-
" schäft und Teufelsgestift wider der Altern Willen, d. i. wider
Gottes Gebot und Befehl den Ältern gegeben, und eitel grob
iammer und Herzeleid daraus kommt mit allerley verwirrung
und ferlichkeit der Gewissen“ ?).
1) Peiferi epp., Jenae 1708, pag. 141.
2) Luthers Briefe, ed. Enders, XIII, S. 320, 346; XIIII, S. 31;
XV, S, 16. — König, I, 948.
55 135
Wenn Luther oft harte Reden führen mußte über die
Begehrlichkeit des Adels nach Kirchengtitern*), so konnte
sich Starschedel nicht davon getroffen fühlen. Die Opfer-
willigkeit seiner Ahnen gegen die mittelalterliche Kirche
übte er gegen die evangelische Kirehe. Vor vielen zeichnet
er sich aus durch sein Verständnis für bäuerliche Verhält-
nisse. Dabei läßt er nicht das geringste davon merken, als
ob er mit seiner Leutseligkeit etwas besonderes tue. Große
Gewissenhaftigkeit ist ihm eigen. Sie läßt ihn jedoch nicht
seinen Nutzen allein im Auge haben. Er verrät eine ge-
wisse Vertrauensseligkeit, wenn er wiederholt Schuldnern
Beträge borgt, die er nur mit Mühe zurückerhalten konnte. So
konnte er sich ausgeben, daß er selber Johann Friedrich
um ein Darlehen angehen mußte und bei Fälligkeit der
Rückzahlung diese nieht zu leisten vermochte, weil er von
seinen Schuldnern nichts zurück erhielt?). Sicher hat Johann
Friedrich genau gewußt, was er an Starschedel verloren
hatte, und dieser, eine mehr innerlich gerichtete Natur, wird
schwer an dem Vorwurfe der Untreue getragen haben: ob
er nicht infolgedessen von Dresden sich mehr fern hielt, als
andere? |
Ein neues Geschlecht sah er in den eigenen Söhnen
heraufkommen, dem er bisweilen fremd gegenüber gestanden
haben mag: regen Geistes, hat er versucht, sie zu verstehen.
Denn ähnlich wie ihm, wird auch den Söhnen nachgesagt,
daß sie „sanftmütig gegen männiglich, dienstfertig und frei-
gebig gewesen seien“*). Sie wurden von ihm ermuntert, in
des Vaters Fußtapfen zu treten.
Mit seinem ganzen Hause muß er vorbildlich gewirkt
haben. Daß er sich in ihm, und zwar nicht erst in späteren
Jahren am wohlsten fühlte, ist sicherlich keine bloße Ver-
mutung. Daher wird es rühren, daß er trotz seiner geistigen
Begabung öffentlich nicht so hervorgetreten ist, wie andere,
1) Eine übersichtliche Zusammenstellung dieser bei Mentz,
Bd. III, S. 234¢. »
2) Weimar, Reg. K, fol. 324—333, Faszikel SS 1, fol. 2ff. Er
hatte 7000 fi. erhalten, konnte jedoch blos 5000 fl. zurückerstatten,
weil sein Schuldner ihm nichts zahlte.
3) Peccenstein, S. 87.
136 56
denen er an Begabung und Kenntnissen nicht nachstand.
Nach seiner ganzen Art war er in engem Kreise einflußreich.
Daher vertraute ihm auch mit Vorliebe Johann Friedrich
die Prinzen an, und nichts wird Starschedel versäumt haben,
ihnen ein gewissenhafter Erzieher zu sein. Wer möchte
nieht den Gesprächen auf Jagdausflügen gelauscht haben?
Es will scheinen, als ob auch manche Verbesserungen in der
weimarischen Hofhaltung auf ihn zurückzuleiten sind. Denn
hätte er im gegebenen Falle nachdrücklicher Bestimmtheit
ermangelt, so wäre kaum gerade er zu schwierigen Auf-
trägen und Verhandlungen benutzt worden. Zu ihnen hat
er sieh gewiß nie gedrängt. Bene vixit, qui bene latuit,
mag seine Meinung gewesen sein. Es war ihm daher nur
recht, wenn er in seinem stillen Mutzschen dem Verlaufe
der Dinge folgen konnte. Hier hätte er jedoch nimmer Be-
suche empfangen, wie sein Bruder Ernst den eines Nickel
Minckwitz, welcher Sold vom französischen Könige an-
genommen hatte, selbst wenn dieser durch Ernsts Schwager,
den Leipziger Amtmann Joh. Spiegel vermittelt war!)
Dagegen scheute er sich nicht, für bedrängte Standesgenossen
:Fürspraehe zu tun, wie er auch geringer Leute sich für-
sorglich annahm.
Je länger, desto mehr galt sein Sinnen und Wirken
der evangelischen Kirche. Einer Verquickung ihrer Interessen
mit der Politik, wie er ihr bei Moritz begegnete, hat er
niemals das Wort geredet. An Kompromißsucht kränkelte
er nicht. Was er durch Luther von und an der evangelischen
Kirche hatte, schätzte er zu hoch, als daß er je das geist-
liche Regiment mit dem weltlichen Regiment vermengt hätte.
In der Zeit des Interim sah er, wie schwächliches Nachgeben
nur größte Gefahren und schwerste Verluste zur Folge hat.
Der Bestand der Kirche verlangt unverktimmertes Bekenntnis
in Wort und Tat, um segensreich wirken zu können für die
Gesamtheit.
Vier Jahrzehnte seines Lebens hatte er hierüber
Beobachtungen anstellen können. In dieser ganzen Zeif
zeigt er sich als evangelischen Christen. An Worms er-
1) Archiv X, S. 406.
57° 137
innerte er sich häufig, weil er hier durch Luther für
das Evangelium gewonnen worden war, und weil die Kirche
des Augsburgischen Bekenntnisses nichts anderes als das.
ganze lautere Evangelium als Regel und Richtschur hat, hielt
er entschlossen an ihr fest. Es spricht für ihn, daß er
Gefallen fand an Erasmus Alber, dem charaktervollen
Schüler Luthers, und dessen Reime für die Kinder be-
vorzugte. An ihnen erntete Starschedel das schöne Lob
Albers, daß angeborner Adel zum Adel, d.i. zur Tugend
reizen und treiben soll). Näher jedoch liegt es, daB der
dankbare Verehrer Luthers zeitig von ihm sich hatte
sagen lassen: „Gott hat dir den Adel nicht zur Hoffart,
sondern nur zum Nutz und Gebrauch gegeben. Ein löblicher
Adel heißt, der Gott fürchtet, sein Wort ehrt, seinem Fürsten
und Herrn treu und gehorsam ist, sein Haus ehrlich und
Zzüchtig regiert, sein armes Land schützt und fördert, wo er
nur kann*?); und dem hat Dietrich von Starsehedel nach-
gestrebt.
1) Ein gut Buch von der Ehe, Bl. Giij 2, vgl. Körner, E. Alber S. 34,
2) Luthers Werke, Erl. Ausg. Bd. 45, S. 412; Bd. 32, S. 19.
Briefe aus dem 16. Jahrhundert.
Mitgeteilt von Gastav Bossert.
^ Die Sammlung historisch-berühmter Autographen oder
Faksimiles von Handschriften ausgezeichneter Personen alter
und neuer Zeit. Erste Serie Stuttgart, Ad. Bechers Ver-
lag 1846 enthält einige Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die
noch unbekannt sind. Leider sind die Briefempfänger nicht ge-
nannt, da die Anschriften nicht mit abgedruckt sind. Man
ist also auf Umwege angewiesen, um die Briefempfänger
festzustellen. Freilich ist dabei die Gefahr, daß daneben
gegriffen wird. Daher bleibt es bei salvo meliori.
Ich gebe einen Brief von Bucer, dann von Cochleus,
‘weiter ein Fragment von Johann Forster, ein Schreiben von
Kardinal Albrecht von Mainz, und endliche einige Berichti-
gungen zu einem Erasmus-Brief.
Bucer an die Prediger zu Basel, Augs-
burg 1537 Juni 9, Am 18. Mai 1537 war Bucer auf
den Ruf des Rats nach Augsburg zur Durchführung einer
Kirchenordnung und zur Hemmung jener der Wittenberger
Konkordie ungünstigen Bestrebungen gekommen und weilte
dort bis 9. Juli (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 324. 355. Anm. 103).
Der Brief Bucers enthält nur das Monatsdatum 9. Juli, aber
er kann nur, wie der Inhalt zeigt, aus dem Jahre 1537 und
der Zeit von Bucers Tätigkeit in Augsburg stammen. Denn
dieser diente, wie er schreibt, instituendis lectionibus, con-
firmandis ritibus, restitutioni disciplinae. Dabei aber be-
schäftigte ihn auf das heftigste die Sorge um die Gewinnung
der Schweizer für die Wittenberger Konkordie. Über diese
Bestrebungen bekam er sehr ungünstige Äußerungen zu hören.
Vor seiner Reise nach Schmalkalden, wo er am 7. März 1537
‚weilte (Schieß, Briefwechsel der Brüder Blaurer I, XLV,
Nr. 762. 2, 829), hatte er sich noch brieflich an die Prediger
\
59 | 139
der Schweizer Kantone gewandt, aber nicht viel ausgerichtet.
Am meisten schmerzte ihn, obwohl Bullinger in Zürich die
Führung in der’ Abweisung der Wittenberger Konkordie
übernommen hatte, die Haltung der Berner, auf welche er
sich Hoffnung gemacht hatte, da dort einige Vertreter der
lutherischen Richtung sich fanden (ARG. 14,288. Kunzund Meyer.
Blösch, Geschichte der Schweizerisch-Reformierten Kirchen 1,
198ff. Hundeshagen, Die Konflikte des Zwinglianismus,
Luthertums und Calvinismus in der Bernischen Landes-
kirche 1532—1538, S. 372). Aber jetzt war er tiefbetrübt,
daß ihm die Berner keine Gelegenheit gaben, seine Be-
strebungen zu rechtfertigen, die dann später noch einen
glänzenden Sieg mit dem Sturz des bisher in Bern ton-
angebenden Zwinglianers Megander finden sollten, aber frei-
lich war dies nur vorübergehend. In seiner Betrübnis wandte
sich Bucer am 9. Juni an die Prediger in Basel, die noch
am ehesten eine Vermittlerrolle zwischen Bucer und den
Bernern übernehmen konnten. Denn daß der Brief an sie
gerichtet ist, ergibt sich aus dem Gruß an die nicht mit
Namen genannten Bürgermeister Jakob Meyer und tribunus
Theodor, der wohl Theodor von Brand, oberster Zunftmeister
in Basel ist, welcher 1538 April 15. an Bucer und Capito
ein Schreiben richtete (Thes. Baumianus S. 25). Merkwürdig
ist, wie man in Augsburg schon im Juni 1537 von des Kaisers
politischen Plänen verhältnismäßig gut unterrichtet war. Die
Quelle dafür wird der Graf von Ortenburg Gabriel von
Salamanca sein, der, wie wir sehen, damals in Augsburg
weilte, um für den Kaiser Geld aufzunehmen. Margarete,
die natürliche Tochter Karls V., war am 29, Februar 1536
mit Alessandro de Mediei von Florenz verehelicht worden. Ihr
Gemahl wurde in der Nacht vom 5.—6. Januar 1537 durch
seinen Vetter Lorenzino ermordet, die Herrschaft aber kam
an Cosimo de Medici (Pastor, Paul III. 222). Uberraschend
ist, daß Karl V. jetzt schon daran dachte, um den Papst
Paul IL, für sieh zu gewinnen, nicht nur seine verwitwete
Tochter, sondern auch seine Nichte, die Tochter seines
Bruders Ferdinand, an den Enkel des Papstes zu verehe-
lichen. Wirklich mußte sich die 16jährige Witwe Margarete
mit dem drei Jahre jüngeren Ottavio Farnese, dem Sohn
140 | 60
Pieri Luigis, zu unglücklicher Ehe verbinden, nachdem der
Kaiser sie im Juni 1538 zu Genua dem Papst persönlich
für seinen Enkel versprochen hatte. Merkwürdig ist, daß
die Nichte Ferdinands in der Frage des Streits um Mailand
schon 1537 eine Rolle spielte. Aber es handelte sich später
nicht mehr um einen Enkel des Papstes, dem sie gegeben
werden sollte. Es muß dem Kaiser gelungen sein, den
Heiratsplan mit seiner Nichte beim Papst anzuregen, so daß
dieser im Juni 1538 vorschlug, Mailand an Ferdinand zu
geben, welcher sich unter den weitgehendsten Bürgschaften
zu verpflichten habe, eine Tochter an den Herzog von Orleans
za vermählen, um ihm nach drei Jahren das Herzogtum
Mailand zu übergeben (Pastor a. a. O. S. 204). Von der
spanischen Flotte, die Gold aus Peru bringe und einstweilen
dureh Schiffe aus der Bretagne und Normandie im Dienst
des Kónigs Franz gehindert wurde, wird der Graf von Orten-
burg den Augsburgern zur Erleichterung einer Anleihe für
den Kaiser erzählt haben (Brittones sind naeh Du Cange 1,
752 Bretagner) Der Rat in Augsburg lieh dem Kaiser
15000 fl. (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 385). Bucer aber weil,
daß die Kaufleute die damals ungeheure Summe von 600000 fl.
liehen. Über die Ereignisse in Ungarn scheint Bucer gut
unterrichtet zu sein. Cascaw ist Kaschau im Norden Un-
garns. Alba graeca ist Belgrad.
Über die Provinzialsynode in Salzburg berichtet Winter,
Geschichte der Schicksale der evangelischen Lehre in
Baiern 2, 51f.
: Bueer an die Prediger in Basel.
Augsburg 1537 den 9. Juni.
Gratia et pax, symmistae et fratres obseruandi. Ne
quid mali dent comitia sacra Bernensium, spero, prouidistis.
Etenim hactenus inuigilare in pacem ecclesiarum soliti estis,
gratia domino. Testes eritis (?) eorum, quae ad omnes
precipuos concionatores ecclesiarum Helueticarum scripsi,
antequam Schmalkaldum irem. Quid ita afflictas alioqui
eeclesias et dissipatas nimium, quibus adhue non defuerunt
et hostes foris et factiosi intus, ipsi affligimus et contur-
bamus? Sed moderabitur his quoque motibus deus. Hic
instituendis lectionibus et confirmandis ritibus eeclesiae, tum
alis quibusdam negotiis pro restitutione? disciplinae detineor
6] | 141
et oceupor valde. Sed tum, si dominus vitam et vires dederit,
sistam me Bernatibus, eum volent, quibus vos illnd indieabitis.
Ego id indieare nolui, ne viderer minari. Si detrectent me
audire, et quod poscit ius gentium et naturae, non facient
copiam respondendi calumniatoribus, me compvlli(?)*), vt
ad ecclesias publice de ea iniuria querar. Facile ergo, quod
facitis, venerandi fratres et symmistae. Dabit forsan dominus
meliora. Orate pro me. Honoratißimis viris domino consuli
et tribuno Theodoro me diligenter commendate. Hie noua
nune nulla prope sunt. Pontifex concilium distulit. Caesar
dieitur filiam et neptem suam, veduam duci(ssam) Florentinam
et Mediolanensem nepotibus papae tradidisse eum ducatu
Florentino. Ita augemus imperium. Hoc anno Caesar non
facile in Italiam p... piet?). Obstat inopia pecuniae. Naues,
quae ex Peru aurum adferent, haerent in noua Hispania.
Arcentur enim littore Hispanico per classem || Brittonum et Nor-
mannorum, In Hungaria dubie belligeramas. Illis(?)*), qui
Caseaw obsident, subsidium venire non potest. Quidam dux
Turcorum eum copiis venisse dicitur ad Albam graecam, vt
einetam(?)*) Caseaw obsidione liberet. Quattuor millia Boe-
morum regi militabunt. Caesar a mercatoribus Augustanis ad
bellum praeteriti anni accepit foenore non eontemnendo sexies
centena millia. Nune comes Ortenburger rursus hie diu fuit
et etiamnune est. Creditur nouam pecuniam conflare. Vteunque
autem hic sint istae monstrosae opes, tum populus et senatus
admodum ad pietatem duci se patitur et verbum domini
satis amat. Interim pauci isti principes mammonie suum
negotium agunt. Valete iterum(?)°) viri fratres colendissimi.
Augustae IX. Juni.
M. Bucerus vester totus.
Salisburgi episcopi et prineipes prosynodum habuerunt
non pro Christo, quo euentu, nescitur, illud scitur, fulmine
ictum sacrarium est, et grandine maxima pars agri in aliquot
milliaria vastata est.
Sammlung berühmter Autographen usw. Nr. 273. Landes-
bibliothek Stuttgart. Aus der Sammlung des Herrn Karl
Künzel in Heilbronn.
Cochleus®) an den Bischof Johann Dantiseus 1530 von
Culm, 1537 von Ermeland. Dresden 1534 September 9.
*) oomp und Ili ist deutlich. ?) iet ist sicher, p... p ziem-
lich sicher: *) Sehr undeutlich geschrieben. *) tam ist sicher,
cin ziemlich deutlich. 5) erum ist sicher, iterum müßte Bucer auf
frühere Rriefe beziehen.
?) So unterschreibt er sich selbst, nicht Cochläus, was wine
falsche Bildung aus cochlea wäre.
142 | 62
Die Sammlung von Autographen, welcher der Brief
entstammt, gibt die Adressen nicht. Der Briefempfänger
muß deshalb auf anderem Weg festgestellt werden. Aus
dem Inhalt des Briefes ergibt sich, daß es sich um einen
hohen Geistlichen handelt, der lang in Deutschland geweilt
und die starke Einbuße, welche die alte Kirche durch die
Reformation erlitt, wahrgenommen hatte. Auch hatte er sonst
„vieler Menschen Sitten und Städte, ja die größten und
reichsten Königreiche“ genauer kennen gelernt hatte. Das
paßt vollkommen auf Johann Dantiscus, der von 1515—1532
als Orator des Königs von Polen in Deutschland, Spanien
und Italien geweilt hat (Wetzer und Welte, Kirchen-
lexikon 3, 1397). Cochleus erinnert ihn daran, daß er ihn
persönlich kennen gelernt habe auf dem Reichstag zu
Regensburg, auf welchem Dantiseus wirklich anwesend war.
Denn hier empfing er einen Brief von Alfons Valdes
ZKG. 4, 629. Fürstemann 27 Beiheft zum Zentralblatt
des Bibliothekwesens 336). Dazu stimmt, daß Cochleus
‚erwähnt, Johann Dantiseus habe den Verfasser der Para-
phrasen des Psalters Johann Campensis von Regensburg mit
nach Polen genommen. Über diesen Gelehrten, den Nestle
Theol. Re.E. 3, 51, irrig Jakob nennt, findet sich auffallender
Weise weder bei Wetzer und Welte, Kirchenlexikon 2, 1778
noch bei Hegler, Theol. Re. E. 3, 696 noch bei Rembart in
seinem reichhaltigen Buch über die Wiedertäufer im Herzog-
tum Jülich. etwas, um ihn klar zu unterscheiden von dem
‚wiedertäuferischen Mystiker. Wir wissen nicht einmals ge-
nau, welcher Joh. Campanus in Wittenberg weilte und zu
Witzel nach Niemeck ging und Einfluß auf ihn gewann
Was Förstemann-Günter im 27. Beiheft zum Zentralblatt
für das Bibliothekwesen S. 37 bietet, ist wenigstens zuver-
lässig, wenn auch nicht vollständig. Auffallend ist, daß
Cochleus annimmt, Dantiscus sei seit 1532 zu höheren
Stellungen gekommen (auctam) wovon wir bis jetzt nichts
wissen, und was erst 1537 der Fall war. Nicht weniger
befremdet, daß Cochleus nichts davon erwähnt, daß er am
27. April 1534, also vor 4'/, Monaten, Dantiscus seine XXI
Articuli Anabaptistarom Monasteriensium per Doctorem Jo-
hannem Cochleum confutati gewidmet hatte. (Spahn, Cochläus(!)
63 | 143:
357 Nr. 102), während er doch angibt, er habe im Sommer
1534 verschiedene seiner Schriften an Bischöfe in Polen:
geschickt, was durch Spahns Zusammenstellung von Cochleus.
Schriften S. 357, Nr. 100—105 vollkommen bestätigt wird.
Cochleus will von etlichen Polen wissen, welebe in
Wittenberg Luther und Melanchthon hören. Allein das.
Album Academiae Vitebergense weist in den dem Brief
unmittelbar vorangehenden Jahren nur ganz wenige Namen
auf, die sich etwa als Polen erkennen lassen. Erst im Winter-
semester 1534/35, also später, als Cochleus seinen Brief
geschrieben hatte, treffen wir vier Polen in Wittenberg
Alb. Ac. Viteb. 155, 156). Es bleibt immerhin möglich,
daß sie schon einige Zeit in Wittenberg weilten, ehe sie
sich immatrikulieren ließen, und Cochleus Kunde von ihrem
Kommen nach Wittenberg hatte. Es wird sich verlohnen
festzustellen, ob Cochleus mit seinem Brief an Dantiscus.
den Anstoß zu dem Verbot des Besuchs der Universität.
Wittenberg durch Polen gab.
Sehr beachtenswert ist die Anerkennung Melanchthons
durch Cochleus und die Sorge um die für ihn widrigen
Folgen seiner Angriffe auf den in ganz Deutschland hoch-
geschätzten Reformator.
Neu ist die Nachricht über den Bruder des Buch-
hindlers Nikolaus Wolrab in Leipzig, dem Cochleus seine
Schwestertochter zur Ehe gegeben hatte. Uber die weiteren.
Schicksale des Matthias Wolrab in Polen scheint nichts be-
kannt zu sein. |
Cochleus an Joh. Dantiscus
1534 September 9.
Reuerendissime in Christo pater et domine perquam.
gratiose. S. cum debita reuerentia ac prompta obsequendi
voluntate. Difficile mihi est haud immerito, ad reuerendissi-
mam dominationem tuam scribere, non solum publiee, sed
iam priuatim, quum et residenciae tuae loeum ignoro et
dignitatibus auctam esse reuerendissimam dominationem tuam
audiui, debitos itaque titulos reuerendissimae dominationi tuae.
ascribere non possum, donec ab aliis docear de omnibus.
Generalis quidem causa scribendi ad eatholiei regni Polonici
episcopos facile intelligitur ex libellis, quos hae estate ad
quosdam edidi. Ad reuerendissimam dominationem tuam.
144 64
specialis mihi est et quidem duplex. Vna, quod te vnum
ex omnibus Polonicis episcopis facie ad faciem Ratisbonae
in comitiis imperialibus alloquutus sum, altera, quod affinis
meus Mathias Wolrab Lipsensis in familiam reuerendissimae
dominationis tuae gratiose assumptus est, cuius fratri germano
neptem meam hoe anno despondi et tradidi. Jure igitur
affinitatis illum reuerendissimae dominationi tuae suppliciter
commendo. Tertiam quoque causam adiicere possum’ quod
magno (teneor desyderio intelligendi, quo modo valeat,
ei ubi agat doetissimus vir Johannes Campensis, paraphrastes
psalterii, qui reuerendissimam doninationem tuam in regnum
‘comitatus est e Ratisbona. Ceterum potissima ac maxima
causa est, ut praemoneam eum alios episcopos tum vero
maxime reuerendissimam dominationem tuam, quae diutius
in Germania versata certius nouit, quantum malorum huic
patriae nostrae ex nouis sectis inuectum sit. Ad ea igitur
mala in amplissimo regno vestro praecauenda nemo potest
iustius aut utilius moueri, quam reuerendissima dominatio
tua, quae et apud regiam maiestatem et apud summos et
optimos quosque regni prelatos, presides, castellanos et
palatinos autoritate plurimum valet ac gratia, immo et
eloquentia, eruditione, prudentia et rerum experientia, quae
mores hominum multorum vidit et vrbes, immo et latissima
ac opulentissima regna. Certe non leue mihi onus est,
hunc | in modum irritare in me Philippum Melanchthonem,
qui eruditione ingeniique nobili Minerua fauorem et gratiam
plurimorum consecutus est. Quare si non esset prae foribus
periculum animarum et fidei, pro nulla re temporali eius in
me stylum ae odium prouocaturus eram. At circa fidei
iacturam imminentem tacere aut dissimulare me non sinit
lex dei et accusatrix conscientia. Nam lex diuina et
euangelium in rebus fidei iubent posthabere non solum
amicos familiares, verum etiam patrem et matrem, fratres
et sorores ac liberos, ne parcamus eis, si nos a vera
religione abducere studeant. Cum igitur intelligam, aliquot
adolescentes Polonos nobiles Wittenbergae Lutherum audire
et Philippum, territus Bohemorum calamitatibus, quas nobilis
quidam nomine Putridus piscis ex Anglia per libros Vuielephi
florentissimo et christianissimo regno illi inuexit, illos vestrates
a simili periculo auocari velim (illos bis Nam aus hand).
Nam vrget me seeundum legem et euangelium conscientia,
zelus fidei, salus animarum et fraterna charitas de tanto
periculo vos episcopos et regni speculatores suppliciter
admonere, ut in tempore prospiciatis, ne quid detrimenti
respublica patiatur. Bene valeat reuerendissima dominatio
fua, sapientissime presul et hanc meam sollicitudinem
studiumque et admonitionem, quae certe nec leui nec paruo
65 145
mihi tum labore tum sumptu constat, clementer et gratiose
in bonam partem accipiat. Ex Dresda Misniae sub
illustrissimo principe duce Saxoniae Georgio V. idus Sep-
tembris Anno Domini M. D. XXXIII. E. Reuerendissimae
Dominationi Tuae
Deuotus clientulus,
A. a. O. Nr. 274. Johannes Cochleus.
Fragment einer Abhandlung von Joh. Forster.
Das nachfolgende Fragment einer theologischen Ab-
handlung in der schönen, klaren Handschrift Forsters be-
handelt das von Forster sehr geschätzte Dreiblatt christlicher
Tugenden, nachdem er auch seine drei Töchter Charitas,
Fides und Spes genannt hatte (Germann, D. Joh. Forster
S. 462ff). Man erkennt den gut lutherisch gesinnten und
scharf logisch denkenden Theologen aus diesen Zeilen. Es
wäre nur sehr erwünscht, daß nachgewiesen würde, welchem
Zusammenhang sie entnommen siud. Wir haben ja aus der
späteren Lebenszeit wenig Werke seiner Hand außer seinem
hebräisch-lateinischen Wörterbuch.
Deinde definit quoque fidem!), qua gentes. recipiuntur
in ecclesiam ef fiunt gens iusta, non simplicem esse historiae
notitiam, sed quae firmata est et nititur super promissione
de gratuita remissione peceatorum propter Christum et eam
sibi applicat?) Tertio addit etiam spem, quae (ut indiuidua
comes veram fidem comitatur) duplicem pacem eftieit, foris
eontra mundi furores adeoque cunctas corporis aduersitates *),
intus in conscientia contra ignita Satanae iaeula?) vt animo
simus tranquillo, eaque vniuersa mala, nedum ví patienter
ferre, verum etiam fortiter et contemnere et vincere possimus
simulatque veram illam liberationem) aeternamque, vitam
ac faelieitatem nune in hae etiam vita inchoemus.
Et quia doctrina de iustifieatione, quae in ecclesiis nostris
Dei misericordia iam patefacta est et sonat, consentit cum
ista prophetae?) contione, quod sola fide in Christum sumus
iusti, Item quod fides firmus sit assensus, non nuda hiftoriae
notitia, Item quod spe iam salui simus faeti et nunc gustum
habeamus vitae aeternae?).
Idea ingrediamur porta sillas, audiamus et amplectemur?)
testimonia prophetarum et apostolorum, adiungamus nos
piorum coetibus et vera fiducia mediatoris invocemus patrem.
1) Rom, 1, 5. 16, 26. 2) Acta 18, 38. 3) 1. Thess. 1, 5.
1. Kor. 1. 3, 13. *) Róm. 8, 37. 5) Eph. 6, 16. 9) Róm. 8, 211f.
‘) Habakuk 2, 4. 5) Róm. 8, 24. ?) Forster flektiert amplector
wie amplexor.
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 2. 10
146 66
Coeterum eoram mundo confiteamur constanter hanc doctri-
nam, tum et iusti et salvi sumus iuxta illud apostoli
` dietum: Corde creditur ad iustitiam, ore fit confessio ad
salutem ’). i
Johannes Forsterus, D. (sen.)
A. a. O. Nr. 254. 1554.
Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz
und Magdeburg, an den Magdeburgischen Kanzler Dr. Christoph
Türk. Halle 1536, Januar 28.
Die Sammlung historisch berühmter Autographen, welcher
dieser Brief entnommen ist, gibt auch hier keine Adresse,
aber der Briefempfänger ist schon in den ersten Worten des
Briefs genannt als Albrechts Kanzler, der kein anderer ist
als der Magdeburgische Kanzler Dr. Christoph Türk. Dieser
war von ihm an einen Vetter gesandt worden, um mit ihm
über den Handel mit Hans Schenitz und dessen Angehörigen,
insbesondere mit dessen Bruder Antonius (Tonius) und den
damit in Verbindung stehenden Handel mit Kursachsen wegen
der Burggrafschaft und deren Gerichtsbarkeit zu verhandeln.,
Der Kanzler hatte Albrecht über diese Verhandlungen be-
richtet. Der vorliegende Brief ist die Antwort auf diesen Be-
richt. Der Vetter, an den Türk gesandt war, kann kaum
ein anderer sein als Herzog Georg von Sachsen. Der Brief
zeigt, wie unangenehm die ganze Sehenitzsaehe, über die
am besten Hülßes Abhandlung „Kardinal Albrecht und Hans
Schenitz“ Magdeburger Geschichtsblätter 1889, 1— 82 und
kurz Enders, Luthers Briefwechsel 10, 235 ff. unterrichtet, für
Albrecht sein mußte, da Luthers Eingreifen ihn in der óffent-
lichen Meinung blofstellte. Er erwähnt zwar Luther nicht
und will sich auch von den Drohungen Antons Schenitz
nicht schrecken lassen, aber man sieht deutlich, wie
gern er die ganze Sache aus der Welt geschafft sehen
möchte.
Die im Brief erwähnten Personen sind Dr. Andreas
Frank aus Kamenz genannt Camitianus, Schöppenschreiber
in Leipzig, über welchen Clemen im Neuen Sächsischen
1) Rom, 10, 10.
67 147
Archiv 19, 95. 20, 143. 24, 168 ff. Auskunft gibt, Dr. Hans
Eberhausen, Rath des Kardinals Albrecht in Halle, über
welchen Kawerau, Justus Jonas Briefwechsel 2, 55, 76, 83
zu vergleichen ist, Hieronymus Walther in Leipzig, der
Vater der Magdalene Schenitz, Gattin des Hans Schenitz,
und der Vormünder von dessen Kindern.
Albrecht von Brandenburg, Kardinal und Erzbischof an den
Kanzler Dr. Türk. - 1536 Januar 28.
Lieber her Cantzler, ich hab ewr schreiben von beyden
meinen knaben nechten ganz spet entpfangen vnd her fast
gern, das meinen vettern dy lutherysche weyß zu torgaw
nicht gefallen, vnd das dy mutter nicht wyder in das landt
kommet, was aber dy ander sache betryfft, darumb ir zu
seiner lyebe geschickt, wil ich mit vernigen ewr zukunfft
erwarten, vnd horen, was ir außgericht, vnd halt es darfhor,
hat man lust zu der sachen, man werdt es an dem oder
grosser nicht mangeln oder fhelen lasen, vnd habt recht
gethan, das ir meinen vetter||dahyn vermocht, das er Sachsen
des tags halber geschryben, was aber schantzen sache be-
tryfft, laß ich heut ewr concept beratslagen, wy wol es on not,
vnd wil euch nicht bergen, das doetor Camicianus heut dato sich
hat lassen angeben von wegen Walthers, der frawen vnd der
kinder, vormunder zu bitten, dan sy wolten dy bryeff vnd register
mit recht von Thonius fordern mit wyder anhang, wy euch
doctor Eberhausen, wenn er gehort, in meinem nhamen
hernacher schryeben wirdt, so sein auch dy III m gulden
zu Leypzig erlegt, vnd wil by Walther Im rat nymants sitzen,
aber von entlichem vortrag mit der frawen vnd kindern
hor ich nichts. Ir wolt auch meinem vettern von meinen
wegen freuntlich dank sagen, das mich sein lyeb des tags
auch schantzen halber kege sachsen vorantwort, vnd mir
hat lasen antzeigen, was Thonius dem kurfürsten geschryben
vnd im willen hat, last ehr etwas auß gheen, sol ehr mich
an antwort nicht finden vnd bin auch ewr meinung, das es ||
sereck gebot sein, aber nichts deste weniger kendí man es
vorkommen, so sehe ich es gern. Darvmb so ir noch bei
meinem vetter, so beger ich, Ir wollet euch mit sein lyeb
vnderreden, mit was fugen vnd durch was mittel sulchs
mecht fürderlich abgewendt werden. Daß hab ich euch in eil
vf ewr schreyben ganz gnediger meynung nicht wollen verhalten.
Datum Hall vf Sanet Moritzburgk am freitag nach conuersionis
Pauli anno ich!) XXX yj. Albrecht eek
A. a. QO. Nr. 278. manu propria.
1) Sic, mir unverständlich.
10*
2 .
148 . 68
Berichtigungen zu dem Brief der Erasmus an Graf Hermann
von Neuenahr (Nova Aquila vom 3. Januar. Erasmi opera
ed. Clericus 3, 1057. |
Die Sammlung historisch berühmter Autographen oder
Faesimiles von Handsehriften gibt in Nr. 959 auch .das
Original des Briefes von Erasmus wieder, das in Erasmus
Werken 3, 1057 abgedruckt ist. Wie sonst, gibt die Samm-
lung den Briefempfünger nicht an, aber die Vergleiche des
Textes zu Op. 3, 1057 und der Wiedergabe des Originals
läßt keinen Zweifel übrig, daß es der Kölner Dompropst
Hermann von Neuenahr ist. Dagegen ergeben sich aus dem
Vergleich beider Texte einige Berichtigungen für den Text
in Op. 3, 1057. Z. 13 v. u. steht celeriter nicht im Text,
statt sequuturum ist consequuturum zu lesen. Z. 10 v. u.
ist enim naeh per hune ausgelassen. Z. 9 v. u. l. Antwer- -
piam statt Antuerpiam. S. 1058 Z. 1 hat dicant keinen
Sinn. Es ist verlesen für durum; et ist ausgelassen. Es ist
zu lesen: non durum et iniustum. Nach Severum ist aus-
gelassen: Suspieantur Fabrum autorem. Z. 4 ist zu lesen:
3 Non. Ian Basileae. Am Schlu8 fehlt die Unterschrift
Erasmus tue Celsitudini addietiss (imus) mea manu.
Brentiana und andere Reformatoria
von W. Kohler’).
35. Praefacio in epistolam ad Galatas ex ore D. M.
Lutheri excepta 1531, missa D. Johanni Brentio a M.
Vito Theodoro ex Wittemberga.
Diese Version der Vorrede Luthers zum Galaterbriefe
ist dem Herausgeber in der Weimarer Lutherausgabe, A. Freitag,
entgangen, trotzdem ich schon 1903 in der Theol. Literatur-
zeitung Nr. 24 darauf hingewiesen hatte. Die Einstellung
des vorliegenden Textes ist nicht allzuschwer zu geben:
wie Freitag schon festgestellt hat und die Überschrift unseres
Textes besagt, hat auch Veit Dietrich die Vorlesung Luthers
über den Galaterbrief gehört. Ein Stück von seinen Auf-
zeichnungen hat nun Dietrich an Brenz geschickt, Aber
offenbar in Ausarbeitung, genau wie das später Rörer bei
der Drucklegung auch getan hat. Und zwar hat er, wie
Freitag festgestellt hat, dabei auch Rörers Aufzeichnungen
benutzt. Umgekehrt hat aber auch Rörer Dietrichs Auf-
zeichnungen bei der Fertigstellung des Druckes benutzt.
Fraglich bleibt zunächst, ob nun die Dietrichsche Aus-
arbeitung — wohl zu unterscheiden von seinen ersten Auf-
zeichnungen! — später von Rörer für seine Ausarbeitung
benutzt wurde, oder ob Dietrich unter Benutzung von Rörers
Aufzeichnungen die eigenen frei gestaltete. Ich möchte
ersteres annehmen (in teilweisem Gegensatz zu dem analogen
- Fall bei Freitag WA 40, 690). Denn die Berührungen
zwischen unserem Texte und Rörer betreffen nicht etwa
nur die Rörerschen Aufzeichnungen, sondern ebenso sehr die
Rörersche Bearbeitung; diese und die Dietrichs stehen auch
in unmittelbarer Beziehung zueinander. Es scheint mir aber
weniger wahrscheinlich, daß Dietrich für eine Ausarbeitung,
1) Vgl. diese Zschr. IX S. 79—84 und 93—141, X S. 166—197,
XI S. 241—290, XIII S. 228—239. XIV S. 148—152 und S. 236—241
XVI S. 235—240,
150 | Ä 70
die er Brenz geschickt hat, außer Rörers Kollegheft noch
dessen Ausarbeitung benutzte, als daß Rörer, der einen für
die Öffentlichkeit bestimmteu Druck vorbereitete, alles heran-
zog, was ihm von Wert erscheinen mochte. Sollte vollends
Brenz die Sendung Dieiriehs schon 1531 empfangen haben,
so wäre unsere Vermutung bewiesen. Aber das ist nicht
sicher; der Schreiber des Codex Suevo-Hallensis hat die
Sendung unter 1531 eingestellt, d. h. im Anschluß an die
Akten vom Augsburger Reichstag, weil diese Zahl in der
Titelüberschrift stand, er hat 1531 zu missa gezogen, während
es ebenso gut zu excepta zu ziehen wäre und dann der
Termin für die Sendung unbestimmt bleibt. Wahrscheinlich
also ist unser Text zwischen die Aufzeichnung Rörers und
den für den Druck bestimmten Text zu setzen; er bietet
ein genaues Analogon zu dem WA 40, 24e bzw. 690 ge-
schilderten Fall.
Prefacio in Epistolam ad Gal. ex ore D. M. L. excepta
1531 missa D. Johan. Brentio aM. Vito Theod. ex Wittemberga.
Primum dicendum est de argumento et materia subiecta
huius epistole. 1. de qua re agat Paulus. Est autem hoc
quod vult stabilire doctrinam illam iusticie fidei et gracie et
remissionis peccatorum, ut habeamus perfectam cognicionem et
differenciam inter iusticiam Christianam et alias omnes iusticias.
Justicia enim multiplex est. Quedam politica, quam tractat
Cesar et principes mundi, Philosophi et Sapientes. Alia
est Ceremonialis, quam tradunt seu exercent tradiciones
humane et Papa, sed peius, melius autem pater familias et
pedagogi, qui habent necessarias ceremonias propter com-
ponendos gestus et certas observaciones. Supra has est alia
quedam iusticia legalis seu decalogi, quam Moses et nos
etiam docemus post doctrinam fidei. Sed he omnes iusticie
fluunt ex preceptis et versantur in operibus nostris. Ergo
ultra et supra has omnes est Cristiana iusticia et diligenter
ab illis discernenda est. Sunt enim huie prorsus contrarie,
scilicet nate ex legibus et preceptis vel tradieionibus, et
(Mser.: et et) tales, que a nobis fiunt sive ex puris naturalibus,
ut sophiste loquuntur, sive ex dono dei — quia et he iusticie
dona dei sunt sieut omnia nostra, Breviter quiequid tale
est quod nos facimus et nostrum opus vocatur, non est
iustieia Christiana. Sed hee est plane contraria et mera
passiva sieut ille sunt active, ubi nihil operamur et facimus,
sed tantum recipimus et patimur alium operantem in nobis,
seilicet deum. Et hee est inseicia!) in misteria abscondita,
T) Hes: iusticia.
71 | 151
quam mundus non iutelligit et Christiani ipsi difficulter et
non satis comprehendunt. Adeo semper est inculcanda et
assidue usu exercenda. Quia qui in tentacionibus et perl-
culis hanc non tenet vel apprehendit, non potest consistere,
neque est ulla consolacio conscienciarum, quam illa passiva
iustieia. Fit enim naturaliter in tentacione et pugna con-
sciencie, quod heremus in hoc spectro et intuemus[!] legem,
et sic tantum magis confunditur consciencia. Nec potest se
hine evolvere natura et racio et attollere se ad aspectum
huius iustieie. Quia hoc situm est extra cogitaciones et
captum humanum adeoque et iam extra legem dei, que
quamvis summum est bonum, quo sunt in mundo, tamen
Jonge est infra hane Christianam iusticiam, ita nobis hoc
malum est affixum operante et iam diabolo cum natura quod
intencione nihil spectamus et desideramus nisi nostram
iusticiam, eum tamen nullum aliud remedium sit nisi in
iusticia fidei et aut morte eterna perire aut hane fidem depre-
hendere et tenere, que dicat: Non quaero iusticiam activam,
quamvis hec quoque facienda est, et posito quod istam omnem
habeam, tamen eam non possum confidere nee per eam stare
coram deo. Sed simpliciter reiicio me extra omnem activam
et meam iusticiam et extra conspectum legis et tantum volo
recipere aliam passivam, que est iusticia gracie et remissionis
peccatorum et in summa Christi et spiritus sancti, quam ipse dat
et nos adeipimus. Sicut terra pluviam accipit, quam ipsa non
gignit nec ullo suo opere, cultu aut viribus potest acquirere, sed
tantum dono celesti desuper recipit; quam erga‘) propria terrae
est pluvia, tam propria est nobis ista iusticia. Hee cum
dicuntur putamur esse facilia, sed res et experiencia docet
nihil esse difficilius. Det dominus graciam et salutem,
aliquam cognicionem retineamus, ne ab intuitu gracie ad
legem relabamur. Quia summa ars et sapientia Christi-
anorum est nescire légem, ignorare opera et totam iusticiam
activam. Sicut extra Christianos et populum del summa
sapiencia est nosse et inspicere legem. Mira res docere
homines, ut discant legem ignorare et sie vivere eoram deo
quasi nulla sit lex et tamen contra in mundo sie urgere
legem et opera, quasi nulla sit gracia, utrumque reete securi
debetur secundum Paulum, ut sic informes consciencias ad
spectandam graciam, quasi nulla sit lex in mundo, alioqui
nemo potest salvus fieri. Quia lex et exactio operum sic
urget et premit, ut cogantur desperare et ruere. Econtra
quando humiliare et terrere volumus, ibi nihil est ponendum
ob oeulos nisi lex, que est data ad humiliandum, vexandum
et exercendum veterem hominem. Hie ergo requiritur prudens
1) lies: ergo.
152 72
et diligens pater familias, qui sic moderetur legem et intra
suos limites maneat promens nova et vetera, cum est com-
modum. Nam qui sic docent legem, quod per eam iusti-
ficentur homines coram deo, illi iam ex[e]esserunt hos limites
et eonfundunt has duas iusticias, activam et passivam. Sunt
modo dialectici, qui non recte dividunt. Cum ventum est
ultra veterem hominem, iam iam sum ultra legem, quia caro
vel vetus homo et lex ac opera sunt coniuncta, sie etiam
vel novus homo et evangelium seu gracia. Cum ergo video
hominem satis contritum presenti lege et sentire peccatum etc.,
ibi iam tempus est follere legem ex oculis et conspectu et
ingredi alteram iusticiam, in qua regnat non lex, sed gracia,
sicut ait Paulus [Róm. 6, 14]: iam non estis sub lege, sed
sub gracia. Quomodo non sub lege? secundum novum
hominem, quia ad hune nihil pertinet lex, quia lex usque ad
Chistum|!, hoc veniente cessat lex, Sabbathum, Moses et
prophete. Hic est nostra theologia, qua docemur acurate
distinguere has duas iusticias, quod utraque sit necessaria,
sed intra suos limites continenda. Quod dico, ne quis putet
bona opera reiicere auf vetare, sicut adversarii de nobis
elamant non inteligentes neque quid ipsi neque quid nos
loquamur; nihil enim norunt nisi solam iusticiam legis, et
tamen volunt iudicare de doctrina, que posita est longe supra
et ultra legem. Ideo non possunt non scandalizari, cum
nihil alcius videre et comprehendere possunt quam legem. Nos
vero quasi duos mundos constituimus, unum celestem, alterum
terrenum et in illos ponimus has duas iusticias separatas
et longissime inter se distantes; iusticia legis terrena est et
de terrenis agit operibus, tantum exercetur, que nihil
pertinent ad illam celestem i. e. christianam iustieiam, per
quam ascendimus super omnia opera et leges. Sicut ergo
portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem celestis,
ait Paulus [1. Cor. 15, 49], qui est novus homo et in novo
mundo, ibi nulla est lex et consciencia, sed liberrima vita, salus
et gloria, per quid ergo aut quid faeit? Nihil, quia hee
iusticia est prorsus nihil facere, nihil statuere et audire de
operibus legis, sed hoc solum, quod Christus sedet ad dextram
patris pro nobis intercedens et regnans per graciam, ibi
nihil lucet et videtur quam gracia et nullus terror vel
remorsus consciencie. Sicut Johannes inquit |l. Joh. 3, 9]:
Qui natus est ex deo, non potest peccare etc. Quia in
hane iusticiam non cadit peccatum, cum ibi nulla sit lex;
ubi non lex, non est ibi nec prevaricacio. Cum ergo hic
peccatum non habeat locum, enulla est consciencia vel pavor
et tristicia, et si adsit, signum erit Christum et graciam
amissam e conspectu vel tanquam nube obducta obscuratam.
Sed ubi vere est Christus, ibi necesse est adesse gaudium
73 153:
in domino et pacem cordis; quod sic statuit, licet sim
peceator legalis in iusticia legali, non tamen ideo mereor,
quia Christus vivit, qui est mea iusticia et in illa vita
nullum habeo peccatum et conscienciam. Sum quidem
peeeator seeundum hane vitam et eius iusticiam et et filius
Adam, ubi adeusat me lex ef regnat, sed supra hane vitam
habeo aliam vitam, aliam iusticiam, que nescit peccatum et.
mortem, sed est vita eterna, propter quam eciam hoe corpus
mortuum resuscitabitur et liberabitur a servitute legis et
peccati. Itaque utrumque manet, dum hic vivimus, quod
caro adeusatur, exercetur, contristetur et conteritur iusticia
aetiva legis, sed spiritus regnat, letatur et salvatur iusticia
passiva Christi. Qui contrivit peccatum, legem et mortem
et triumphavit illam in se ipso Collo. 2. [V. 15]. Hoe
ergo agit Paulus in hae epistola, ut nos diligenter instituat,
confortet et retineat in cognicione perfecta huius Christiane
iusticie. Quia amisso hoc loco vel articulo amissa est simul
doctrina Christiana tota, quia sine hae quiequid est in
mundo, est vel Judeus vel Turea vel papista, quia inter
has duas iusticias, activam legis vel passivam Christianam,
non est medium — ergo qui ex hae exeidit, hune oportet
in alterum circulum relabi, ut amisso Christo ruat in fiduciam.
operum etc. Sieut videmus in omnibus sectariis, quod nihil
docent nee reete possunt docere de hac iusticia gracie, sed
tantum ferent in iusticia legis, quia nemo illorum potest
intrare in hane cognicionem et ascendere ultra illam activam.
iusticiam, itaque manent iidem, qui fuerunt sub (Mser.: sup)
papa, nisi quod nomina et opera nova faciunt, cum res sit
eadem, Ideo nos sic semper urgemus et ineuleamus hune
locum, scientes hec, quam sunt facilia dictu tam esse diffi-
cilia experiencia et usu, etiamsi diligentissime acuas et exer-
ceas ef intencione conscienciam pacifices et traduceris a con-
spectu legis ad conspectum gracie, et cum caro et sathan
opponit conscienciam peccati, iram dei et infernum, ut te
sibi subiiciat et abstrahat a Christo. Nam tum pereundum
tibi est, nisi secundum ista noveris discernere et revocare
carnem, que egreditur extra suos limites volens ascendere
in regnum consciencie et damnare in corde, in quo debet
regnare Christus et servare conscienciam pacatam et letam.
in pura ac sana doctrina evangelii et cognicione istius.
passive iusticie. Hane eum intus habeo, tunc demum prodeo.
foras in aliud regnum et descendo de celo tanquam pluvia
fecundans terram i. e. facio opera bona ef subiicio me per
caritatem legibus et aliis necessitatibus huius vitae (Mser.:
vita) etc. Hoc est epistole argumentum, quod sumit Paulus.
tractandum occasione adcepta a falsis doctoribus, qui istam.
doctrinam obscurarunt Galatis etc.
Mitteilungen.
———
Zum Passional Christi und Antichristi.
3.1) G. Kawerau hat bereits darauf hingewiesen, daß einzelne
‘Bilder aus Cranachs Passional, und zwar unter Benutzung der Original-
‘stécke, noch Verwendung zur Illustration anderer Druckschriften des
16. Jahrhunderts fanden?) Zwei Fälle dieser Art waren ihm bekannt
geworden: a) Bild 13 (Christus lehrend und die Kinder segnend) kehrt
wieder in „Kirchen Agenda...Für die Prediger in. . . Mansfeld“:
Eisleben, Urban Gaubisch, 1530. 4°; b) Bild 18 (Der Papst, von
'Kardinälen und Bischöfen begleitet, reitet der Hölle entgegen) kehrt
wieder auf der Titelrückseite in „Eyn Clag der deutsche Nation an
‘den almechtigen gott...“ o. O. u. J., 4° (Wittenberg, 1521)3).
Von diesem Bild 18 existiert nun auch ein alsbald nach der
Veröffentlichung des Passionals entstandener Nachschnitt, der es
im Gegensinne gibt. Er findet sich als Titelholzschnitt in einem
Einzeldruck des berühmten Hans Sachsschen Dialoges: „Von einem
'"Schu|macher: vnd Chorherren: ein vast || kurtzweilig Christliche
disputation (von der Euan-|gelischen Wittenbergischen Nachtgallen. ||
MdXXIIII. Hans Sachs.**) Wie der Holzschnitt ein Nachschnitt, so
scheint auch der Text ein Nachdruck zu sein, An jenem weist manches
nach Straüburg. Die Vorlage ist inhaltlich und formal im wesent-
lichen unverändert wiedergegeben; abgesehen von der Umkehrung der
"Komposition treten als bedeutsamste Abweichungen hervor die Aus-
bildung der Bergkuppe im Mittelgrunde vor dem Felsmassiv im Hinter-
grunde, die Verminderung des päpstlichen Gefolges und die deutlichere
"Kennzeichnung der im Höllenfeuer schmachtenden Personen, die über-
1) S, Archiv für Reformationsgeschichte 17, 1920, S. 71 ff.
2) Weimarer Lutherausgabe 9, 699.
3) Diese Schrift ist außer in der von Kawerau a. a. O. ge-
‚nannten Fürstl. Bibliothek zu Wernigerode u. a. noch vorhanden in
Berlin, Staatsbibliothek (2 Exemplare: Yg. 7621 und Yg 7622).
4)Hans Sachs. Hrsg. von A. v. Keller u. E. Goetze, Bd. 24 (Biblio-
thek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. 220), Enr. 7i.
75 155
dies auf drei (statt fünf) nebst einem Teufel reduziert sind, als Ton-
surierte. Beziehungen zwischen Titelbild und Text bestehen nicht.
Der Holzschnitt ist durchaus unabhängig von diesem entstanden und
dürfte wohl einige Zeit vor ihm gearbeitet sein 1).
Georg Stuhlfauth.
Zum Briefwechsel Veit Dietrichs.
Zu den im 12. und 13. Bande des Archivs für Reformations-
geschichte mitgeteilten Briefen Veit Dietrichs bietet die Regierungs-
bibliothek Ansbach eine kleine Ergänzung. Unter den Reformatoren-
briefen aus den 16. Jahrhundert ist auch er mit einem Schreiben an
den Schaffer Joh. Seubold von St. Sebald?) vom Regensburger Religions-
gespräch vertreten. Seubold diente nach demselben als Vermittler
zwischen Wittenberg und den protestantischen Gelehrten zu Regensburg.
Die von Flemming und Albrecht gesuchte Biographie Veit
Dietrichs von Zeltner befand sich zuletzt in der Ebnerschen Bibliothek
zu Nürnberg ?).
Etliche Briefe von Veit Dietrich hat Seb. Stiber seinem „Prozeß
der Hailsbrunnischen Handlung das kayserlich ja verfluchte Interim
belangend zusammengebracht durch Sebastian Stieber prediger zu pid
Zeyt zu Hailsbrunn im 1548 Jahr“ einverleibt*).
Veit Dietrich an Joh. Seubold Regensburg. 10. Mürz 1546.
Salutem in domino. Eur Sehreiben, lieber Herr Schaffer, ist
mir heut zukommen samt den eingelegten Schriften von Witten-
berg, die mir und allen andern Herrn ser lieb gewest. Denn sie
nu bis in die vierte Woche nichts von Herrn Philipp gehabt. Unser
Handel läßt sich gar leppisch an. Die Presidenten sagen, sie können
von der kays. Mjt. geschickten Resolution nit weichen noch etwas
nachgeben. So konnen wirs nit einraumen, Ist beschlossen, darauf
bei k. Mjt. beschids sich zu erholen, ob sie wolte etwas lindern.
Wir kénnen solches nicht wegern; aber wie wir begert, im colloquio
furtzuschreiten, da wollen die schalk, so sich kaiserische colloquenten
nennen, nit hinan. Besorge einer langen und langweiligen Feier,
kann aber mit keinem Fuge es dahin bringen, daß ich mit ehren
wider davon kome. Dem Malvenda ist hie zimlich gelohnet.
Als er die leut mit Haufen hat sehen in die Kirch zur Predigt gehen,
1) Vgl. noch C. Kaulfuß-Diesch, Lukas Cranachs Passional
Christi und Antichristi, in Der Sammler, Wochenschr. für alte und
neue Kunst 12, 1922 S. 65—70, mit 7 Abb.
2) 1520—1535 Kaplan, 1535—1549 Schaffer bei St. Sebald:
G. E. Waldau, Nürnbergisches Zion, Nürnberg 1787 S, ll, 18.
Beitrüge zur bayr. KG. X, 86.
9 G. A. Will u. Chr. a Nopitsch, Nürnbergisches Ge-
lehrtenlexikon VI. 1802 Altdorf, S. 218.
3) Bibliothek zu DAE
156 76
hat er sich daruber erzürnet und deudsch gesagt (denn der schalk
kann es ziemlich): es sey unrecht, daß man also zur kezerischen
Predigt gehe. Der Hausknecht hat gesagt: es sei kein ketzerische
Predigt, die Tumpredigt sey ketzerisch. Als nun ein wort das ander
erregt und Malvenda erzürnet, hat er zum rapier gegriffen; aber
der knecht sein nit gewartet, hat im mit eim leuchter auf die brust
geworfen, daß er zu boden gefallen und sich davon gemacht. Dieser
ist meines Erachtens der beste disputator fur diese gesellen. Ways auf
dismal mer nit anzuzeigen. Laßt Euch mein Haus befolen sein. Und
grußet mir die Herren alle, sonderlich unseren guten Nachbaurn den
Bernbecken, den laßt solches lesen. und behalt diese und andere
folgende Brief bei einander,
Datum Regensburg an des Herrn Faßnacht 1546.
V.D.
Johans(?) lest euch alle grüßen.
K. Schornbaum.
Neuerscheinungen.
In seiner Abhandlung „Die weltgeschichtliche Bedeutung der
Wittenberger Reformation“ bekämpft O. Scheel nachdrücklich das
Zerrbild, das, wie sich besonders im Jubiläumsjahre 1917 gezeigt hat,
der der Kriegspsychose verfallene westeuropäische Protestantismus aus
der deutschen Reformation als dem „Vorläufer des Potsdamer Militaris-
mus“ gemacht hat, wogegen als der eigentliche Reformator Calvin
gefeiert wird, Diesen Verirrungen gegenüber zeigt Scheel, daß die
Führer der westeuropäischen Reformation mit Luther eng verbunden
sind, der der Schöpfer und Träger der Reformation bleibt. Letztere
aber kann nicht als eine Teilerscheinang des Mittelalters begriffen
werden, sondern führte, indem sie das geistliche Leben entrechtete
d. h. vom Recht befreite, und das Recht entgeistlichte, d. i. der Herr-
schaft des göttlichen Rechts ein Ende machte, eine völlig neue Welt
herauf und zwar eben jene Welt, in der wir leben. Den Grund, auf
dem sich die neue Zeit aufbauen konnte, hat Luther gelegt. Übrigens
läßt Scheel auch Calvin volle Gerechtigkeit widerfahren, er bedauert
auch nicht, daß das Luthertum sich im 19. Jahrhundert mehr und
mehr „calvinisiert“ hat, eine Entwicklung, die in dem gegenwärtigen
Neuaufbau der deutschen Landeskirchen als Synodalkirchen ihren Ab-
schluß findet, und begrüßt es mit Holl als ein Glück, daß wir in
Deutschland reformierte Gebiete neben lutherischen haben. Festgabe
z. 70, Geburtstag von A. von Harnack, S. 362—388. Tübingen, Mohr 1921.
Mit Calvin im besonderen beschäftigt sich Hans von Schubert.
Er schildert den großen Genfer Reformator als den Meister der pro-
testantischen Religionspolitik, der beides besaß: die weltweiten Ziele
und den Sinn für Form, Ordnung und Zucht, einen Mann von höchsten
organisatorischen, politischen Fähigkeiten, der über die volle Einsicht
(7 157
in das innere Wesen der Sache gebot und über den tödlichen Ernst,
sie in Reinheit durchzuführen. Die politischen Nachwirkungen seines
vom Verf. mit Meisterhand umrissenen Lebensganges erstreckten sich
über die Jahrhunderte: durch Calvin ward die von der politischen nicht
zu trennende Religionsfrage aus einer deutschen zu einer europäischen;
der politische Calvinismus aber stellte sich in den Zeiten der Gegen-
reformation rettend und schützend vor den deutschen Herd der Re-
formation, und fand endlich, als er im 17. Jahrhunderte hier versagte
und auch Calvins eigenstes Werk, der französische Calvinismus, zu-
sammenbrach, in der ruhmvollen holländisch-englischen Geschichte in
mannichfacher Mischung und Abwandlung seine Fortsetzung bis in die
moderne Kulturwelt hinein. Überhaupt hat Calvin dem neuen Ver-
hältnis von Kirche und Staat, von Religion und Politik den Weg ge-
bahnt: der Glaube frei im Staat, das Gewissen des einzelnen auf sich
allein gestellt und somit auch der Staat den Dingen des Glaubens gegen-
über frei, die Kirche aber dem Staate die willigsten Dienste leistend,
indem sie die Pflege der sittlichen Werte im breiten Umkreis der sozialen
Pflichten fruchtbar macht. — In „Meister der Politik“ S. 467—498
(Sonderdruck). Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart und Berlin 1922.
P. Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. Bio-
graphische und quellenkritische Studien zur Reformationsgeschichte.
Herausgeg. mit Unterstützung der Hist. Komm. f. den Volksstaat Hessen,
der Notgemeinschaft der deutschen Wissensch. und der Schles. Ges.
z. Förder. der ev.-theol. Wissenschaft.
Das Buch bildet, wie auch der Untertitel andeutet, kein einheit-
liches Ganzes, sondern setzt sich aus verschiedenen kleineren und
größeren Untersuchungen zusammen, die auch für sich bestehen könnten.
Zuerst zeigt K. auf Grund der Veröffentlichung der ältesten Reichs-
registraturbücher Karls V., wie durch das Mittel der primariae preces
der Kaiser über einen reichen Schatz von Gnade und Gunst verfügen
und dadurch die Haltung zahlreicher Personen (selbst auch in der
Glaubensfrage) beeinflussen konnte. Ein zweiter Abschnitt handelt
von den Ausschüssen des Reichstages. Daran schließen sich, vielleicht
der ertragreichste Teil des Buches, Untersuchungen über die papistische
Aktionspartei unter den Reichsfürsten und über die Mitarbeiter Aleanders
am Wormser Edikt im deutschen Hofrat und bei den übrigen Mit-
gliedern der alten kaiserlichen, wie in der burgundisch-spanischen
Regierung; es ergibt sich, daß in der Umgebung des Kaisers für eine
kirchliche Vermittlungspartei kein Raum war. Nun folgen 4 mehr
oder minder miteinander zusammenhängende Abschnitte über Luther
in Worms (Vorgeschichte der Berufung; letzter Versuch zur Aus-
schaltung des Reichs durch Beeinflussung Kurfürst Friedrichs; die
Verhandlungen über Luther; Luther vor Kaiser und Reich). Hier
wandeln wir in der Hauptsache auf bekannten, nicht am wenigsten
von Kalkoff selbst uns erschlossenen Pfaden; doch sucht letzterer be-
sonders in den reichhaltigen Anmerkungen, seine Auffassung noch zu ver-
158 78
tiefen oder ihr neue Stützen hinzuzuführen. Der 8. Hauptabschnitt
erhärtet gegen N. Paulus die Verfassungswidrigkeit des Wormser
Edikts und legt die Zusammenhänge zwischen dem Zustandekommen
dieses erschlichenen Reichsgesetzes und den Festsetzungen des Reichstags
über Romzugshilfe und Reichsreform dar. Endlich greift der letzte
Abschnitt auf Friedrich den Weisen zurück, um dessen aus tiefer
Überzeugung hervorgehendeFürsorge für das Gelingen des Reformations-
werks nochmals hervorzuheben. Den Band schmücken Bilder des
Reformators und seines Hauptgegners von 1521, Hieronymus Aleanders.
München und Berlin, R. Oldenbourg 1922. VII, 436 S. M. 85.—, geb.
M. 105.—.
Karl Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchenge-
schichte. Bd. I Luther (Tübingen, Mohr 1921, 458 S. M. 96.—,
geb. 114.—). Man muß Holl zu dem Entschluß, seine im Laufe der
letzten 10—12 Jahre entstandenen und in verschiedenen Zeit- und
Gelegenheitsschriften veröffentlichten Aufsätze über Luther an
einer Stelle zu vereinigen, lebhaft beglückwünschen. Erst dadurch
ist diesen gehaltvollen Darbietungen gleichsam die Dauer verbürgt.
Und wenn je, bedarf, lehrt uns Holl, die Gegenwart Luthers, um der
Verwirrung der Gewissen zu steuern und angesichts des sichtlich im
Wachsen begriffenen, aber von der Gefahr, sich in Aberglaube und
Träumerei zu verlieren, bedrohten Sinnes für Religion eine Gesundung
herbeizuführen. "Die einzelnen Aufsätze behandeln die Fragen: Was
verstand L. unter Religion?; die Rechtfertigungslehre in L.s Vor-
lesung über den Rómerbrief mit besonderer Rücksicht auf die Frage
des HeilsgewiGheit; der Neubau der Sittlichkeit; die Entstehung von
L.s Kirchenbegriff; L. und das landesherrliche Kirchenregiment; L.'s
Urteile über sich selbst; die Kulturbedeutung der Reformation; L.'s
Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst. Die Aufnahme
der beiden letzten Arbeiten in die Sammlung ist um so wertvoller,
als sie bisher nur als Vortráge mündliche Verbreitung gefunden haben.
Die beigegebenen reichhaltigen Anmerkungen geben teils die Beleg-
stellen, teils dienen sie der kritischen Auseinandersetzung des Verf.
mit andern Forschern.
P. Wernle, Melanchthon und Schleiermacher. Zwei dog-
matische Jubilüen, gibt einen am 10. Oktober 1921 in Baden vor dem
schweizerischen Göttinger Kränzchen gehaltenen Vortrag wieder. Hat
von den beiden Glaubenshelden jeder seine Stärke da, wo er sich vom
andern unterscheidet — Mel. im engen Anschlus an das Bibelwort
und in der Absage an die Philosophie, Schl. in der Freiheit von allem
Biblizismus und der Harmonie von Glauben und Denken — so predigen
sie doch beide eine gegenwärtige Erlösung, ein neues Leben in Frieden
und Freude, festem inneren Halt und sittlicher Kraft, das sich scharf
abhebt vom Leben unter der Sünde in der Unseligkeit und das wir
alle der Wohltat Christi verdanken. Samml. gemeinverst. Vorträge
u. Schriften aus d. Gebiet der Theol. u. Religionsgesch. 98. Tübingen,
Mohr 1921. 54 S. M. 9.—.
79 15%
.Zu der aus dem Mittelalter überkommenen, bis heute fast lücken-
los erhaltenen Bibliothek der protestantischen Stadtkirche zu Schwa-
bach gibt H. Claus, der Verf. der Reformationsgesch. der Stadt,
in 1797 Nrr. ein sorgfältig gearbeitetes Verzeichnis (Die Schwabacher-
Kirchenbibliothek). Die Bibliothek zerfällt in Hss. als ältesten.
Teil, Wiegendrucke und Drucke nach 1500, unter denen die des Zeit-
alters der Reformation (seit 1518) hervorragen. Eine Einführung, die:
u. a. von der Geschichte der Bibliothek handelt, Einzelheiten aus den
ältesten Hss. beibringt und die Drucker und Druckorte des 15. u. 16,
Jahrh. verzeichnet, gehtvorauf; den Schluß machen Sach-, geographisches
und Personenregister. München, Müller & Fröhlich 1921. 117 S. M. 18.—.
Jos. Ehret, Das Jesuitentheater zu Freiburg in der
Schweiz I. Die äußere Gesch. der Herbstspiele von 1580 bis 1700,
mit einer Übersicht über das Schweizerische Jesuitentheater (Freiburg
i, Br. Herder 1921. XV, 259 S. mit 7 Tafeln und 2 Karten M. 50.—) —
arbeitet auf einem fast noch unbeackerten Felde und kommt z. T..
über Materialsammlung nicht wesentlich hinaus; gleichwohl ist die:
Arbeit als Beitrag zur Geschichte des Jesuitismus in der Schweiz.
sowie zur Literatur- u. Kulturgeschichte willkommen zu heißen.
Zeitschriftenschau.
(Fortsetzung von Heft 73).
Landschaftliches. Aus den Bil. f. Württemb. KG, NF 25 (1921)
Heft 3/4, der Festschrift zu unseres eifrigen Mitarbeiters D. Gustav‘
Bosserts 70. Geburtstage, erwähnen wir die Beiträge von Duncker,
. Die kirchlichen Zustände Heilbronns vor der Ref. (S. 111—128); O. Lenze,
Isnyer Altdrucke (= Verz. der Drucke 1501—1517 der Bibl. der ev.
Nikolauskirche in I.) S. 128—173; Rentschler, Zur Frage der
Schwarzwaldzuflucht des Joh. Brenz (S. 173—181); M. von Rauch,.
Theologen und Ketzer in der Beleuchtung eines luth. Gelehrten (des.
Heilbronner Syndikus Stefan Feierabend + 1574), S. 181—187; v. Kolb,
Die alte Konsistorialbibl. (S. 187— 194).
In der Sonntagsbeilage zum Schwab. Merkur Nr. 160 (Abendbl.
9. April 1921) behandelt G. Bossert ,Die Schwenckfelder in Cann-
stadt und ihre Freunde“. Die Lehre Schw.'s in C. hat besonders durch
die Predigten Burkhardt Schillings im benachbarten Stetten Fuß ge-
faBt; den geistigen Mittelpunkt bildete der Buchhändler Andreas Neff,.
der auch in schweren Prüfungen für seinen Glauben einstand.
Eine lebendig geschriebene, kurze Geschichte der Reformation
der Stadt Straßburg i. E. bis 1536 gibt R. Reuß im Bull. de la Soc.,
de l'hist. du prot. francais Bd. 66, 232—261; 67, 249—280; 68
257—275; am Schluß eine Bibliographie.
In Z. d. Ges. f. Befórder. der Geschk. von Freiburg Bd. 36
S. 58—67 stellt E. Krebs fest, daß das Gutachten, das die Universität
Freiburg am 12, Oktober 1524 dem Erzh. Ferdinand über Luthers
Lehre erstattete, seinem Hauptteil nach aus der päpstlichen Bann--
160 80
bulle und der Pariser Universitätszensur vom Mai 1520 abgeschrieben
dst, natürlich ohne Quellenangabe.
In ZKG 39 (= NF Bd. 2) S. 1—44 behandelt P. Kalkoff „die
Vollziehung der Bulle Exsurge insonderheit im Bistum Würzburg“.
"Besonders beachtenswert erscheint der Hinweis, wie das erdrückende
Übergewicht des Adels in den Einrichtungen der Kirche, die zu einer
Versorgungsanstalt für den jüngeren Nachwuchs dieses Standes herab-
‚gesunken war, sich hernach als stärkste Säule der Gegenreformation .
und damit als eine der vornehmsten Ursachen der konfessionellen,
dann territorialer Zersplitterung und schlieBlich der politisehen Ohn-
macht Deutschlands erwiesen hat. |
Über die A nsbacher Synode 1556 handelt aktenmaBig K. Schorn-
baum in BBK 27,1 S, 1-11; 2 S. 33—43; 3 S. 106—118 und 4
S. 151—166. l
In Monatsh. f. Rhein. KG 15, 1—3 S. 3—27 betrachtet J. Has-
hagen die Bundesgenossen, die an geistlichen und weltlichen Fürsten,
an Weltgeistlichen, Orden und Laien die jesuitische Gegenref. in den
Rheinlanden gefunden hat, sowie deren Vorläufer.
O. Clemen weist einen Fabian Kayn als einen der frühesten
Evangelischen unter den Meißner Domherren nach und gibt den In-
halt eines reformationsgeschichtlichen Sammelbandes der Leipziger
UB (Kirch.-Gesch. 1037 1) an: NASG 42 8. 259—261.
Einen von J. K. Seidemann aus dem Orig. der Landesbibl. in
Dresden mangelhaft veröffentlichten Brief des Zwickauer Franziskaner-
guardians Martin Baumgart an 2 Ordensbriider vom Jahre 1522 über
seine Streitigkeiten mit Nikolaus Hausmann und dessen Anhang in
«der Stadt Zwiekau druckt G. Sommerfeldt in Franziskan, Studien
VIII, 1 S. 80—84 mit Erläuterungen erneut ab.
Eine Untersuchung über die Sákularisation des Klosters Coelleda
im Lichte der Frage, ob seine Güter „bestimmungsgemäß“ verwandt
"worden sind, führt L, Naumann zu dem Ergebnis, daß man im ganzen
Reformationsjahrhundert an der bestimmungsmäßigen Verwendung des
alten Klosterguts festgehalten, spáter freilich sich von dieser Grund-
lage mehr und mehr entfernt hat (woraus Vf, Nutzanwendungen für
-die Gegenwart zu gewinnen bemüht ist): ZVKG Prov. Sachsen 18, 1—20.
Im Correspondenzbl. des V. f. Gesch. d. evangel. Kirche
Schlesiens Bd. 17, 1 stellt S. 51—63 Söhnel die ersten ev. Geist-
lichen von Wohlau fest und behandelt S, 64—67 die kirchlichen Ver-
'hältnisse in Raudten 1519—1542. Ebendaselbst S. 68—102 bietet
"Th. Wotschke aus dem Dresdener HStA eine Anzahl Urkunden zur
‚schles. Reformationsgesch., die sich vornehmlich auf den evangelischen
Augustinerabt Paul Lemberg, einen der ersten Anhünger der Ref, in
Schlesien beziehen. Anderes betrifft Glogau, das Kloster Trebnitz,
die Stadt Freistadt usw.
Druck von C. Schulze und Co., G. m. b. H., Grüfenhainichen.
PERIODICAL Room, a ae
| GENERAL. EIBRAR Mr” un
QE MICH.“ |
im FÜR REPORMIATIONSGESCHICHTE |
-| TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.
l
)
Im. Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte
. herausgegeben von B
D. Walter Friedensburg..
—— e
Nr 75/76. | : +. XIX. Jahrgang. Heft 3/4. :
ser
| Die brandenburgisch-nürnbergische Norma
doctrinae 1573
von Karl Schornbaum.
—
Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a.M.
im Zeitalter der Reformation
von Karl Bauer.
!
Mitteilungen
Zeitschriftenschau.
Leipzig 1922
‚Verlag von M. Heinsius aur d
D Eger & Sievers.
PA
je
Archiv fiir Reformationsgeschichte
Texte und Untersuchungen
In Verbindung mit dem Verein fiir Reformationsgeschichte
herausgegeben von
D. Walter Friedensburg.
„Archiv für Reformationsgeschiehte“ erscheint in jährlich vier Heften von etwa
' Es bringt — in streng wissenschaftlicher Weise und dem Stande der
Das
5 Druckbogen.
modernen Editionstechnik entsprechend — unveröffentlichtes Quellenmaterial, dem im all-
gemeinen auch solche Texte gleichgeachtet werden, die lediglich in unzulänglichen oder
schwer erreichbaren, insbesondere etwa nur in zeitgenössischen Drucken vorliegen. Ferner
kommen auch kritische Untersuchungen, zumal solche, die der Erläuterung von Quellen-
material dienen, zur Veröffentlichung, und endlich wird darauf Bedacht genommen, neue
Erscheinungen auf diesem Gebiet, namentlich Zeitschriftenartikel, zu verzeichnen, sowie.
kleinere Mitteilungen Notizen über Funde und einzelne Beobachtungen zu bringen, die für de
Forscher oder den Freund der Geschichte des Reformationszeitalters von Interesse sein mögen. {
1.
2.
4.
II.
ó..
6.
7.
8.
II, Jahrgang 1905/06 (Heft 9—12).
12 M.
P. Kalkoff, Die Vermittelungspolitik des Erasmus
und sein Anteil an den Flugschriften der ersten Re-
formationszeit. P. Tschaokert, Antonius Corvinus’
ungedruckter Bericht vom Kolloquium zu Regens-
burg 1541. (100 S.) ' 440 M.
F. Roth. Aus dem Briefwechsel Gereon Sailers mit
den Augsburger Bürgermeistern Georg Herwart und
Limpricht Hofer (April bis Juni 1544). G. Mentz,
Zur Geschichte der Packschen Hándel. O. Clemen,
Ein Brief von Johannes Bernhardi aus Feldkirch,
(96 S.) 4,20 M.
G. Mentz, Die Briefe G. Spalatins an V. Warbeck,
nebst ergänzenden Aktenstücken. O. Albrecht,
Zur Bibiliographie und Textkritik des kleinen Luthe-
rischen Katechismus. P. Kalkoff, Das „erste Pla-
kat,, Karls V. gegen die Evangelischen i in den Nieder-
landen. (102 S.) 4,60 M.
F. Roth, Zur Kirchengüterfrage in der Zeit von
1638 bis 1640. F. Koldewey, Eine deutsche Pre-
digt des Humanisten Johannes Caselius. O. Cle-
men, Der Dialogus bilinguium ac trilinguium. N.
Mul i er, Zur Bigamie des Landgrafen Philipp von
Hessen. W. Friedensburg, Giovanni Morone
und der Brief Sadolets an Melanchthon vom 17. Juni
1537. P. Kalkoif, Zu den römischen, Verhand-
lungen über des Bestätigung Erzbischof Albrechts von
Mainz i. J. 1614. A. Hasenclever, Zur Ge-
schichte Ottheinrichs von Pialz-Neuburg (1544).
(ILI, 108 S.) 4,80 M.
Jahrgang 1904/05 (Heft 5—8). 12 M.
E. Schafer, Die älteste Instruktionen-Sammlung
der spanischen Inguisition. I. P. Tschackert,
Neue Untersuchungen über Augustana- Handschrif-
ten, O. Clemen, Die Lutherisch Strebkatz.
(108 S.) 4,60 M.
E.Schäfer, Die älteste Instruktion en-Sammlung der
spanischen Inquisition. U (Schluß). Q. Clemen,
Zur Einführung der Reformation in Weimar. M.
Wehrmann, Vom Vorabend desSchmalkaldischen
Krieges. H. U im ann, Analekten zur Geschichte
Leos X. u. Clemens VIL K. Wendel, Hine ver-
gessence Schrift Luthers? (100 S.) 4,40 M.
Q. Albrecht, Zur Bibliogrephie und Textkritik
des kleinen Lutherischen Katechismus, Il. F. Roth,
Zur Geschichte des Reichstags zu Regensburg im
Jahre 1641. I. (116 S.) 6,10 M,
V. Schultze, Waldeckisch» Visitationsberichte
von 1550, 1558, 1563, 1665. K. Knoke, Ein Bild
vom kirchlichen Leben Göttingens a. d. J. 1565, O.
Clemen. Invictas Martini laudes intonent Ohri-
stiani, G. Berbig, Ein Brief des Ritters Hans
Lantschad zu Steinach an Kurfürst Friederich den
Weisen 1620. W. Friedensburg, Zwei Briefe
des Petrus Canisius..1545 u.1547. (III, 84 S.) 3,75 M.
12 M.
‘¢ P. Drews, Der Bericht des Mykonius tiber die Visi-
tation des Amtes Tenneberg im März 1626. F.
Roth, Zur Geschichte des Reichstags zu Regens-
Jahrgang I—XIX 200 Mark.
I, jum 1903/04. (Heft 1—4).
10.
11.
|
burg im Jahre 1541, II. P. Kalkoff, Römische!
Urteile über Luther und Erasmus im Jahre 1521. O;
Clemen, Bugenhagens Trauformulare.(104 S. )4 ,26 M., i
Th. Wotschke, Stanislaus Lutomirski ' ein Bei-'
trag zur polnischen 'Reformationsgeschichte O. Cle.
men, Beiträge zur sächsischen Reformationsge-|
schichte I-IV O. Heinemann. Die Hume
stedter Klosterordnung von 1513. (104 S.) 4,56 Mi
O. Albrecht, Zur Bibliographie und Meum
des Kleinen Lutherischen Katechismus (Schluß). G.
Loesche, Zur Gegsoretormauon im Salzkammer-
gut. (112 S.) 4,90 M.
12. R. Meißner, „Ohne Hörner und Zähne,“ eine
IV. Jahrgang 1906/07 (Heft 13—16).
18,
Untersuchung. G.Berbig, Die erste kursächsischd
Visitation im Ortsland Franken. I. F. Koch,
Fünf Briefe des Protessors der Theologie Franziscus
Stancarus aus den Jahren 1551, 1652. und 16683,
(III, 94 8.) ; 4,20 M.
12- M.
A. Goetze, Martin Butzers Erstlingsschrift, F.
Roth, Zur Geschichte des Reichstags zu Regens-
burg im Jahre 1541 III. (116 S.) 5,25 M.
14 Th. Kolde, Der Reichsherold Caspar Sturm und
seine literarische Tätigkeit. O. Clemen, Eine Ab-
handlung Caspar Ammans. K. A. H. Bur 'Ehard t,
Zum ungedruckten Briefwechsel der Reformatoren,
besonders Luthers. (104 S.) 4,70 M.
15. F. Roth Zur Geschichte des Reichstags zu Regens-
16.
v.
17;
18.
19.
20.
` burg im Jahre 1041. IV. O. Albrecht, Hand-
schriftliches zu Luthers Auslegung des Hohenliedes.
(108 S) 4,90 M.
Th. Wotschke, König Sigismund August von
-Polen und seine evangelischen Hofiprediger. F.
Bahlow, Wer ist Nicolaus Deoius? G. Berbig,
. Die erste kursüchsische Visitation im Ortsland Fran-
ken. If, (III, 92 S.) 3,65 M,
Jahrgang 1908 (Heft 17—20). 12 M.
F. Roth, Der offizielle Bericht der von den Evan-
gelischen ‘nach Regensburg Verordneten 1546. I. K,
Sehottenloher, Johann Fabri in Rom nach
einem Berichte Jakob Zieglers. A. Goetze, Eras-
mus Albers Anfänge G. Buchwald, Ergänzungen
zur Biographie des M. Stephan Reich O. Clemen,
Ein Spottgedicht aus Speyer v. 1524. (112 S.) 5,10 M.
A. Uckeley, Johann Bugenhagens Gottesdienst-
ordnung für die Klöster und Stifte in Pommern 1531
(Pia ordinatio oaeremoniarum). Fr. Koch, Herzo
Albrechts von Preußen Konfession vom 13, J ‘ali 1664. |
W.Stolze, Die Supplemente zu Magister Loren:
Fries’ “Geschichte des Bauernkrieges in Ostíranken,
(104 S.) 4,70 M.
K. Pallas, Briefe und Akten zur Visitationsreist
des Bischofs Johannes VII, von Meißen im Kur-
fürstentum Sachsen 1522. (120 S.) 5,25 M,
E. Kroker, Rörers Handschriftenbände und Lu-
thers Tischreden. F. Roth, Der offizielle Bericht
der von den Evangelischen nach Regensburg Ver-
ordneten 1548. II. G. Berbig, Die erste kursichs.
Visitation im Ortsland Franken. ILI. (III, un nn 90-M
/
Die brandenburgisch-nürnbergische
Norma doctrinae 1573.
Von Karl Sehornbaum.
I.
Mit dem Tage von Zerbst hatten die Bemühungen
Jakob Andreas, zwischen den Theologen Niederdeutsch-
lands Einigkeit durch Annahme einer von ihm entworfenen
Formel über die fünf wichtigsten Streitpunkte zu stiften,
einen vorläufigen Abschluß gefunden. Allerdings ent-
sprach dieser nicht ganz seinen Erwartungen. Dennoch
ließ er sich nicht irre machen; er wandte sich nvn nach
Oberdeutschland. Am 19. Oktober 1570 überreicht. er
dem Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg sein
vom Herzog Julius von Braunschweig ausgestelltes Be-
glaubigungsschreiben!). In Ansbach war man über seine
Mission nicht im Unklaren. Gemäß der beständigen
Fühlungnahme der Höfe zu Ansbach und Stuttgart in
allen wichtigen politischen und theologischen Punkten
hatte Herzog Ludwig von Württemberg seinem Onkel,
dem Markgrafen, gelegentlich der Hochzeit des Pfalz-
!) Julius von Braunschweig an Georg Friedrich d. d. Gan-
dersheim 14. 9. 1570. Nürnberger Kreisarchiv. Ansbacher Reli-
gionsakta 25, 32. Wann die Reise nach Ansbach beschlossen wurde,
ob vielleicht Georg Friedrich ihn zur Beilegung der Kargschen
Streitigkeiten vorher schon berief, läßt sich nicht inehr sagen.
Am 29. 9. 1570 schreibt Andreä an J. Marbach: Recta nunc
domum Domino volente ibo, ut tandem meos videam. J. Fecht,
historiae ecclesiasticae a. n. Chr. XVI. supplementum. Durlaci
1684, S. 327.
Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 3/4. 11
162 2
grafen Johann Kasimir mit der sächsischen Prinzessin
Anna zu Heidelberg Kunde von dem Tage zu Zerbst
und den Berichten Andreäs gegeben!). Da man in Ans-
bach von jeher darauf sein Augenmerk gerichtet hatte,
unter den Protestanten möglichste Einigkeit zu erhalten,
war man Andreäs Reisen mit Interesse gefolgt. Er konnte
mit gutem Grund hoffen, hier volles Verständnis zu
finden. Allerdings wartete seiner noch eine andere Auf-
gabe. Die ,Kargschen Händel‘ näherten sich ihrem
Ende. Nachdem der Ansbacher Generalsuperintendent
durch Besprechungen in Wittenberg sich von seiner Mei-
nung über die oboedientia activa und passiva Christi
hatte abbringen lassen, Kurfürst Joachim und Markgraf
Johann dem Antrag der Regierung, ihn wieder in sein
Amt einzusetzen, zugestimmt hatten?), sollte nach dem
Willen des Markgrafen in feierlicher Weise seine Rehabi-
1) Am 15. 6. 1570 bat Ludwig um Rücksendung der in
Heidelberg übergebenen Schriften über den Tag von Zerbst.
d. d. Stuttgart. ARA. 25, 29. Es handelte sich wohl um den Ab-
schied des Zerbster Tages d. d. 10. 5. 1570. (ARA. 25, 15 u. 62)
und den Bericht Andreäs vom 27. 5. 1570, worin er nicht nur
höchst hoffnungsvoll über den Zerbster Tag berichtet, sondern
auch den infolge des Leipziger Promotionsaktes neu auflebenden
Streit möglichst zu beschönigen suchte. (ARA. 25, 13, 59. d.d.
Wolfenbüttel.) Die den Anlaß bietenden Propositiones com-
plectentes summam praecipuorum capitum doctrinae christianae
sonantis dei beneficio in academia et ecclesia Vitebergensi. Witteb.
1570 in den ARA. 29, 757 (vgl. H. Heppe, Geschichte des deut-
schen Protestantismus in den Jahren 1555—81. Marburg 1853.
II, 312]. Am 22. 6. 1570 sandte Georg Friedrich die Originale
retour. ARA. 25, 31. Ludwig war vor der Reise nach Heidelberg
in Ansbach gewesen. D.,Osiander in comitatu Illustr. principis,
qui per Onoltzpachium transiens ad nuptias Heidelbergenses
proficiscitur. J. Brenz und W. Bidembach an J. Marbach 31. 5.
1570. J. Fecht, Historiae ecclesiasticae saeculi a. n. Chr. XVI
supplementum Durlaci 1684 S. 320.
2) Georg Friedrich an Joachim, August und Johann. s. d. et. 1.
ARA. 30, 271. Zustimmende Antworten Joachims d. d. Cóln.
Mo. n. Egidi (4. 9.) 1570. (pr. 17. 9. 1570] u. Johanns d. d. Küstrin
8. 10. 1570 (pr. 23. 10) ARA. 30, 283 u. 279. 281. August riet ihm,
Karg eine andere Superintendentur zu geben. d. d. Sitzenroda
6. 9. 1570. ARA. 30, 276.
n 163
litation erfolgen. Andreä war dabei eine besondere Rolle
zugedacht. Er unterzog sich gewiß gern dieser Aufgabe.
Nicht nur, weil er eine besondere Neigung zu allen der-
artigen Veranstaltungen hatte, sondern auch, weil er er-
kannte, wie er dadurch das Gelingen seiner Mission vor
allem befórdern konnte.
Genauer sind wir nun über die einschlägigen Verhand-
lungen nicht unterrichtet, aber eines ergibt sich mit aller
Klarheit: Andreà gewann bald das volle Vertrauen des
Markgrafen und seiner Ráte.
Am 31. Oktober fanden nun die abschlieBenden
Verhandlungen mit Karg statt. In Gegenwart des Mark-
grafen und etlicher Theologen besprach Andre& mit ihm
noch einmal weitlàufig den ganzen Handel und bewog
ihn, eine von ihm verfaßte Erklärung zu unterschreiben.
Dann wurde die Versammlung durch die sämtlichen
Dekane und je zwei Kapitelssenioren ergänzt. Nach
eingehender Darlegung des ganzen Sachverhalts erklärten
diese sich bereit, das von Andreä entworfene Schriftstück
sofort zu unterzeichnen; da sie ‚dasselbe für christlich
und recht, den prophetischen und apostolischen Schriften,
den drei Symbolen, der Augsburger Konfession, der
Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln und der Nürn-
bergisch-Brandenburgischen Kirchenordnung gemäß” er-
kannten. Damit verbanden sie aber das dringende Er-
suchen, ,,Karg nicht länger zu suspendieren, sondern
zur Verrichtung seines Amtes in der Pfarrei und Super-
intendentur wieder kommen zu lassen, den sie für ihren
lieben Herrn und Bruder erkennen und allen gebührlichen
Gehorsam als ihrem vorgesetzten Superintendenten leisten
und erzeigen wollten.“ Der Markgraf entsprach dieser
Bitte. Er selbst nahm mit allen Räten und Dekanen
am folgenden Tage an der Wiedereinsetzung Kargs teil.
Andreä vollzog sie in der St. Johanniskirche, wobei er
nicht unterließ eine genaue Darstellung des Sachverhalts
zu geben!).
1) siehe die Instruktion für Gg. von Wambach und Johann
Schnabel für die Verhandlungen mit den Geistlichen auf dem
Gebirg. ARA. 30, 297f. Formula concordise d. d. Onolzbach
11*
164 4
Nach der Abwicklung der ersten, dem Lande vor allem
am Herzen liegenden Angelegenheit, kam nun Andreä
wohl noch am 31. Oktober auf seinen eigentlichen Zweck
zu sprechen. „Die Katholiken könnten sich nicht genug
tun, die Protestanten aufs ‚schmählichste und lästerlichste‘
zu verrufen, als sollte kein evangelischer Fürst mit dem
andern in der Lehre einig sein. Etliche Fürsten hätten
dagegen feststellen lassen können, daß in Sachsen, Bran-
denburg, Braunschweig, Hessen, Pommern, Mecklenburg,
Holstein, Lüneburg, Grubenhagen, Anhalt, Henneberg,
Braunschweig, Hamburg, Lübeck, Rostock, Greifswald,
Goslar, Magdeburg, Hildesheim und Hameln Fürsten und
Theologen auch in den zwiespältigen Artikeln im Grund
und Fundament der göttlichen Lehre mit den ober-
deutschen besonders den schwäbischen Theologen einig
seien. Deshalb hätten die Kurfürsten von Sachsen und
Brandenburg auf den 7. Mai einen Konvent der nieder-
sächsischen Theologen berufen; hier hätte man sich
wider alle alte und neue falsche Lehren zu den Schriften
des alten und neuen Testaments, den drei Symbolen
und der Augsburger Konfession, wie sie 1530 Kaiser Karl V.
übergeben wurde, bekannt. Damit aber Calvinianer
und andere falsche Lehrer unter letzterer nicht ihre
falsche Lehre treiben könnten, habe man sich dahin ge-
einigt, in den fünf strittigen Punkten: Der Gerechtigkeit
des Glaubens vor Gott, guten Werken, freien Willen,
31. X. 1570. ARA. 30, 286ff. gedr. bei J. G. Wunderlich, de
formulis concordiae in terris burggraviatus Norici ab ecclesiae
doctoribus subnotatis. Baruthi 1783 S. 17ff. Befehl des Mark-
grafen an Pfarrer und Superintendent Wolfg. Albinus in Uffen-
heim, mit Senior und Kamerar Montag nach Sim. et. Iude (30. 10.)
gegen Abend in Ansbach zu erscheinen d. d. Ansbach 26. 10. 1570.
Dek. Uffenheim: Reformations-, Religions- und Kapitulsakte
1523— 1687 fol. 73. Lor. Kraußold, Geschichte der evangelischen
Kirche im ehemaligen . Fürstentum Bayreuth. Erlangen 1860.
S. 174. G. Wilke, Georg Karg. Scheinfeld 1904. S. 81f. J. Döl-
linger, Die Reformation. Regensburg 1848. III, 572f. K. H.
Lang, Neuere Geschichte des Fürstentums Baireuth. Nürnberg
1811. III, 371. J. W. Rentsch, Der Heilge Jubelbronn, Bayreuth
1681 S. 34.
5 | © 165
Adiaphoris, Abendmahl sie nicht anders anzunehmen,
denn wie sie in der Apologie erklärt und ausführlich
mit Zeugnissen der heiligen Schrift erwiesen, in den
Schmalkaldischen Artikeln wiederholt und im Katechis-
mus Luthers auf das einfältigste für den gemeinen Mann
und die einfältige Jugend begriffen sei.“ Er bat um Zu-
stimmung der Vérsammlung. Sie erfolgte wohl bald.
In Gegenwart des Fürsten erklärten die Theologen, den
sächsischen und schwäbischen Theologen in bezug auf
obige Erklärung hinsichtlich der strittigen Artikel voll-
kommen beipflichten zu wollen).
Der Markgraf sowohl wie Andreä waren vollkommen
befriedigt. Ersterer freute sich, Karg wieder an seinem
alten Platze zu sehen. Es waren nicht nur Worte, wenn
er von ihm schrieb: ‚ein alter, gelehrter, gottesfürchtiger,
sehr erfahrener Mann, eines vortrefflichen judici in
Händeln, auch eines ehrbaren und unsträflichen Wandels
und Lebens, ,,jetziger Zeit, sonderlich dieweil er auch
am Konsistorium Richter ist, wüßte man ihn mit einer
solchen qualifizierten Person nicht zu ersetzen?)." Andrea
dagegen hatte beim Markgrafen volles Interesse gefunden ;
er weihte ihn sogar in seine weiteren Pläne ein, wie dab
er nun in Speier selbst seine Sache betreiben wollte?).
Nach dem Scheitern seiner Pläne in Norddeutschland
faBte er neue Hoffnung und neue Entschlüsse ?).
1) s. die Instruktion für Gg. von Wambach u. Joh. Schnabel.
ARA. 30, 297.
*) ARA. 30, 271.
3) Georg Friedrich an Herzogin Witwe Anna Maria von
Württemberg. d. d. Ansbach 4. 11. 1570. ARA. 29, 753. Gedr.
Beilage 1.
4) Am 18. 3. 1571 schlugen die Räte Georg Friedrich vor,
bei seiner Anwesenheit in Kulmbach durch Georg von Wambach
und Mag. Joh. Schnabel den oberländischen Geistlichen von der
am letzten Oktober zwischen den Kirchendienern getroffenen
Concordia Kunde geben zu lassen (ARA. 34, 1). Nachdem der
Markgraf zugestimmt hatte (d. d. Arnswalde 27. 3. 1571. pr. 4. 4. 71.
ARA. 34, 3) ergingen die nótigen Weisungen. Schnabel
wollte ablehnen wegen Krankheit; auch müsse er den Neubau
seines Pfarrhauses beschleunigen wegen der dumpfen Zimmer
166 6
Noch fehlte die Erklarung der Pfarrer des Oberlandes.
Ostern 1571 begab sich Georg von Wambach mit dem
Kitzinger Pfarrer Mag. Joh. Schnabel!) nach Kulmbach.
Am 18. April 1571 erschienen M. Joh. Streitberger, General-
superintendent des Oberlandes, Justus Bloch, Superinten-
dent von Bayreuth, M. Andreas Pancratius, Superintendent
von Hof, M. Frid. Stretius, Superintendent von Wun-
siedel, Johann Saher, Pfarrer in Himmelkron, M. Joh.
Stumpf, Diakon in Hof, Mag. Wolfgang Dobenecker,
Pfarrer in Rehau, Konr. Baurschmidt, Pfarrer von Geseeß,
Balthasar Gaißler, Kaplan auf der Plassenburg, Mag.
Arnold Hein, Pfarrer von Selbiz, Georg Rhein, Diakon
von Bayreuth, Georg Strobel, Pfarrer in Röslau, Joh.
Venatorius, Pfarrer in Trebgast und Moses Pöhlmann,
Pfarrer von Berg. Der erste Punkt der Vorlage betraf
die Wiedereinsetzung Gg. Kargs. Der Sachverhalt wurde
genau berichtet, auch die von Andreä verfaßte formula
concordiae vorgelegt. Die Geistlichen drückten ihre Freude
darüber aus, daß diese Kontroverse zu einem ‚günstigen
Ende gekommen wäre. Ob sie aber der Formel unbedingt
beistimmten, könnte zweifelhaft sein. ,,Dieweil auch die
Herrn Legaten und Abgesandten die durch den ehr-
würdigen und hochgelehrten Herrn Dr. Jacobum Andreae
praepositum Tubingensem gestellte und durch die Theo-
logen, Superintendenten und Dekane und Senioren im
Fürstentum unterhalb des Gebirges bewilligte und unter-
schriebene formulam concordiae ihnen übergeben, haben
sie dieselbe mit besonderem Fleiß erwogen. Weil sie
(26. 3. 1571 ARA. 34, 30), aber die Regenten blieben auf ihrer
Weisung bestehen. (d. d. 28. 3. 1571 ARA. 34, 32).
1) geboren 1530 in Kulmbach. 29. 10. 1549 in Wittenberg
immatrikuliert. Bis 1567 in Amberg. 1570—73 in Kitzingen.
Chr. Guil. Chr. Heerwagen, ad vitam Streitbergerianam aliquot
documenta Culmbach 1774 S. 4. Fr. Lippert, Die Reformation
in Kirche, Sitte und Schule der Oberpfalz, 1520—1620. Rothen-
burg 1897 S. 97, 106, 109, 110—112. C. E. Forstemann, album
academiae Vitebergensis. Leipzig 1841 M. J. M. Groß, Histo-
risches Lexikon evangelischer Jubelpriester. Nurnberg 1727
S. 306. G. Buchwald, Geschichte der evangelischen Gemeinde
zu Kitzingen. Leipzig 1898 S. 95.
T 167
auf gewisse testimonia und Hauptsprüche sehen müßten,
hätten sie das einzige dictum Pauli: unius oboedientia
sumus justi vorgenommen als ein Fundament dieser
Disputation. Dieses hätten sie von ihren Lehrern immer so
erklärt bekommen, daß zugleich der Gehorsam Christi,
welchen er dem Gesetz geleistet und auch sein Tod und
Leiden bei der Erklärung des Artikels De justificatione
müsse zusammen genommen werden und als die Ursache
unserer Gerechtigkeit vor Gott verstanden werden;
eines ohne das andere könnte keine genugsame Genug-
tuung oder Erlösung sein. So verstünden sie auch die
Concordie. Darum ließen sie sich auch diese Einigkeit
wohl gefallen. Der zweite Punkt befaßte sich mit den
Bemühungen Andreas um die Einigung der Evangelischen.
Der Markgraf ließ ersuchen, auch in dieser Angelegenheit
den Theologen des Unterlandes sich anzuschließen! Das
Oberland erklärte sich dazu bereit: ,,Die christliche Ver-
gleichung aller und jeder Artikel in der christlichen Augs-
burger Konfession belangend, sonderlich aber die fünf
vornehmlich angezogenen Artikel als von der Gerechtig-
keit des Glaubens vor Gott, von guten Werken, vom
freien Willen, von den Mitteldingen, Abendmahl wollen
wir den Herrn Gesandten nicht verhalten, daß vor der
Zeit, da wir gehört, daß solche Vergleichung vorgenommen,
wir uns derhalben zum hóchsten erfreut, auch Gott treu-
lich angerufen, er wolle dazu Gnade verleihen. Dieweil
wir aber nunmehr erfahren, daf solche christliche Ver-
gleichung ins Werk gezogen, hóren wir solches nicht allein
von Herzen gern mit schuldiger Dankbarkeit gegen Gott,
sondern erklären hiermit gleichergestalt unsern consens,
wie die wohlgedachten Herrn Gesandten anstatt des
Markgrafen solche Erklärung von uns gefordert. Denn
da wir aus der Herrn Theologen und Prädikanten, so
diesem Werk beigewohnt, öffentlich in Druck ausgegange-
nem gründlichem Bericht (wie der durch Dr. Jacobus
Andreae an Tag geben!), den uns jetzt wohlgedachter
Herr Legat und Abgesandter auch übergaben, ersehen
1) Heppe II, 334. R. Calinich, Kampf und Untergang
des Melanchthonismus in Kursachsen. Leipzig 1866 S. 16ff.
168 | | 8
und die oberzählten fünf Artikel in der Vorrede kurz
gefaßt, hernach aber in demselben Buch wiederholt und
mit ihrer weiteren Erklärung ausführlich als litera, P.
prima et secunda facie und sonst declariert befunden
und vermerkt, daß in Vergleichung und Erklärung der-
selben Artikel nichts zu reprehendieren, dieweil sie aus
der A. C., gegen die wir sie gehalten, genommen und in
derselben sowohl als in den schmalkaldischen Artikeln,
in unserer Kirchenordnung und dem Katechismus Luthers
gegründet, lassen wir uns dieselbige gefallen, wollen auch
in Ruhe und Einigkeit bei solcher Erklärung bleiben,
wünschen demnach, daß solche Vergleichung, wie es
gemeint, möge dazu dienen, daß dadurch die erdichtete
diffamationes unserer wahren Religion und die beschwer-
lichen calumnien, durch welche die evangelischen Kirchen
zu großer Unbilligkeit bis daher beschwert worden sind,
den adversariis benommen und abgeschnitten werden!).*
1) Credenz für Georg von Wambach und Mag. Joh. Schnabel.
d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34. 35, Instruktion d. d. 5. 4. 1571. ARA.
34, 33 u. 30, 297ff. Weisungen der Rate an die Rate und den
Hauptmannsverweser auf dem Gebirg d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34, 36.
Bericht des Wambach und Mag. Schnabel ARA. 30, 310ff. Ein
dritter Punkt betraf den UnfleiB, die Vollerei und das argerliche Leben
der Geistlichen. Nicht nur wurde das Konsistorium zu fleißiger
Aufsıcht ermahnt, sondern auch die jährliche Vornahme von zwei
Kirchenvisitationen angeordnet. Zuletzt wandten sich die Räte
gegen das ärgerliche Holhippen, Schelten und Schenden der
Privatpersonen auf den Kanzeln. Das solle unterbleiben. Zwar
dürften falsche Lehren und öffentliche Sünden auf den Kanzeln
gestraft werden, eber die Nennung von Namen sei zu unterlassen;
auch dürfe auf niemand dermaßen mit Wortengestochen werden, daß
jeder gleich merke, wer gemeint sei. Die Pfarrer sollten jeden mit
falscher Lehre oder öffentlichem Laster Behafteten allein verhören,
dann durch den Dekan vermahnen, und erst, wenn er nicht abließe,
dem Konsistorium anzeigen. Die Geistlichen erklärten darauf:
Von solchen, die sich so enormiter vergriffen, sei bei ihnen wenig
zu merken; die Visitationen ließen sie sich gefallen; aber es handle
sich um die Kosten und die nähere Instruktion; es gäbe keine
Kapitel, Einkünfte seien solchen nicht zugewiesen, auch seien
noch keine Senioren aufgestellt. Frühere Vorstellungen inbetreff
der Vornahme von Visitationen wären ohne Bescheid geblieben.
Ebenso machte sich auch Widerspruch gegen den letzten Punkt
9 169
Wie schon im Unterland am 27. November 1570
wurde bald darauf auch den Oberländischen Superinten-
denten die formula Concordiae als Lehrnorm übersendet
mit der Weisung, allen Disputationen auf den Kanzeln
entgegenzutreten. „Denn die disputationes auf die hoben
Schulen und nicht in die Kirchen auf die Kanzel (allda
allein, was bauet, gelehret, aber, was abbricht und ärgert,
vermieden bleiben soll) gehörig, wie denn auch ohne
das nichts so einfältig fürgebracht, das nicht etwan von
etlichen in Mißverstand gezogen würdet, derwegen sie
sich solchen allen und jeden gemäß erzeigen sollen;
dann uns hinfüro einige Trennung und Spaltung, so der
Augspurgischen Confession, deren Apologien, den Schmal-
kaldischen Artikeln und unserer Kirchenordnung ent-
gegen, zu gedulden, gar nicht gemeinet sein will, sondern
wollen_ernstlich, daß unsere Geistliche in den Kirchen
unsers Landes durchaus in solchem allen christlich, ein-
hellig und friedlich leben, lehren und predigen!).“
Inzwischen war auch Andreä nicht untätig gewesen;
er hatte der Württembergischen Regierung vorgeschlagen,
den zu Speier versammelten evangelischen Fürsten von
dem bisherigen Verlauf seiner Aktion Kunde zu geben,
bei Gelegenheit auch den Kaiser in Kenntnis zu setzen,
ja sogar mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz
ins Benehmen zu treten, hatte aber keine Zustimmung
geltend. Irrtümer in der Lehre und Ärgernis im Leben müsse
gestraft werden. Exalta vocem tuam sicut tubam, increpa argue
oportune et importune. Öffentliche Sünder müßten öffentlich
bestraft werden; dem heiligen Geist dürfe man das Maul nicht
verbinden, sein Strafamt nicht aufheben. Doch erboten sie sich
zu christlicher Bescheidenheit. ARA. 30, 297ff., 310ff. Holle,
Alte Geschichte der Stadt Bayreuth. Bayreutb 1833 S. 124. Die
weiter erfolgten Maßnahmen s. Lang III, 371f. Kraußold
S. 162, 174. Siehe Kraußold 8. 162. Corpus constitutionum
Brandenburgico Culmbacensium. Bayreuth 1746 I, 346f. 380. J. G.
Wunderlich S. 7.
1) ARA. 30, 322, 325. gedr. Corpus Constitutionum
Brandenburgico-Culmbacensium. Bayreuth 1746. I, 116ff. Dar
nach Uffenheim gegangene Exemplar s. Dek. Uffenheim l. vc.
fol. 74. Vgl. KrauBold S. 174. Wunderlich S. 9.
170 10
gefunden. Sie durchschaute die wirkliche Lage besser
als er, sie wußten, alles würde nur dazu dienen, das bisher
Erreichte ganz illusorisch zu machen. Richtig bemerkten
die Räte, wie sein letzter Vorschlag nur dazu dienen
könne, um eine Einigung mit den Weimarischen Theologen
unmöglich zu machen. Man käme nur in den Verdacht
des Zwinglianismus. Beim Kaiser könnte er sich nur
lächerlich machen, wenn er keine anderen Erfolge auf-
weisen könnte; ja Herzog Hans Wilhelm von Sachsen
könnte nur Verdacht schöpfen, als habe man sich über
ihn beschwert. Mit den evangelischen Ständen aber in
Speier ins Benehmen zu treten, hätte gar keinen Wert.
Persönlich seien nur Johann Wilhelm von Sachsen und
Albrecht von Mecklenburg da, beide könnten sich aber
um die Sache nicht annehmen; eine Aussicht auf Erfolg
wäre nur dann, wenn die Kurfürsten selbst sich darum
bemühen würden. Die Räte aber würden mit vollem Recht
erklären, sie hätten in dieser Sache keine Instruktion.
Andreä selbst könne keine Garantie für einen günstigen
Fortgang bieten. Die Theologen zu Bremen und Witten-
berg seien gegen ihn; über die Vereinigung der beiden
Naturen in Christo dächten sie ganz anders; darum
hätten sie auch seine Eintrachtsformel zu Zerbst nicht
unterschrieben, sondern nur die drei Symbole, die A.K.,
die Apologie, Schmalkaldische Artikel und den Katechis-
mus Luthers angenommen. Die Theologen zu Jena um-
gekehrt beschuldigten ihn, die Irrtümer der Wittenberger
sich zu eigen gemacht zu haben. Die Räte legten dem
Propste nahe, überhaupt recht zurückhaltend mit seiner
Meinung, daß die Einigkeit unter den Theologen herge-
stellt sei, zu sein. Nachdem Nördlingen, Öttingen, Lindau
und Ravensburg schon sich abseits hielten, würde vom
Herzog Johann Wilhelm nichts besseres zu erwarten sein.
Solange zwischen ihm und Kurfürst August keine Einig-
keit herrsche, seien alle Bemühungen in dieser Sache um-
sonst. Andreä sollte sich überhaupt möglichst zurück-
halten; die Jenenser würfen ihm vor, er habe gar keinen
Auftrag, sondern ‚laufe nur für sich selbst“. Herzog
Ludwig könne aber wegen seiner Jugend die Sache nicht
1l 171
in die Hand nehmen; um so weniger kónne er ihn jetzt
nach Speier senden, da bisher Wilhelm von Hessen und
Julius von Braunschweig seine Auftraggeber gewesen
© Seien).
Andreä sann infolgedessen darauf, wie er die Einig-
keit unter den Theologen trotz aller Mißerfolge herbei-
führen kónnte. Auf seine Formel über die fünf strittigen
Punkte glaubte er nicht mehr zurückkommen zu dürfen;
er hatte erkannt, daß dadurch die Kluft zwischen ihm
und den Wittenbergern nur immer größer wurde. Dagegen
griff er seinen zu Zerbst gemachten Vorschlag, die heilige
Schrift als das Fundament aller Lehren zu bezeichnen
und zur Erklürung derselben als die geeignetsten Schriften
die drei Symbole, die Augsburger Konfession, die Apologie,
die Schmalkaldischen Artikel und den Katechismus
Luthers zu betrachten, wieder auf. Er entwarf eine Er-
klärung zur Unterzeichnung durch die Theologen: ,,nach-
dem sich zu Zerbst meist niederdeutsche Theologen dahin
geeinigt hätten, als das öffentliche Zeugnis ihrer Einig-
keit und als norma doctrinae neben der heiligen Schrift
und den drei Hauptsymbolen die Augsburgische Kon-
fession, wie sie 1530 dem Kaiser Karl V. übergeben worden
wäre, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und den
Katechismus Luthers anzusehen, hätten andre Theologen
in Oberdeutschland zur Beförderung göttlicher Einigkeit
durch Annahme der gleichen Schriften ein Zeichen ihres
consens in der reinen Lehr geben wollen. Er gab also
noch nicht die Hoffnung auf Philippisten und Gnesio-
lutheraner zu gewinnen; aber aus der Hervorhebung der
Augustana Invariata läßt sich doch schon schließen, daß
er es als sein Hauptziel ansah, mit letzteren vor allem
einig zu werden. Nachdem es ihm nun gelungen war,
die Württembergischen Theologen zur Unterzeichnung
zu bewegen, wandte er seine Blicke auf Ulm, Augsburg,
Basel, Straßburg; auch an der Gewinnung Brandenburgs
*) Bedenken der Geheimen- u. Kirchenräte in Stuttgart
22. 11. 1570: ARA. 25, 2. Georg Friedrich wurde davon in Kennt-
nis gesetzt, nachdem er die Bitte Andreäs, nach Speier sich wenden
zu dürfen, unterstützt hatte.
172 0.00.12
lag ihm viel. Nicht nur Karg!), auch den einflußreichen
Kammerrat Andreas Musmann?) ersuchte er besonders,
seine Bitte vom 1. Marz 1571 zu unterstützen?) Durch
brandenburgische Hilfe hoffte er dann auch Georg Ernst
von Henneberg zu gewinnen.
Die Ansbacher Regierung ware anfünglich gewillt
gewesen, dem Wunsche Andreas zu willfahren. Bereits
war ein Zirkularschreiben an die Superintendenten,
Dekane, Senioren und Kamerare unterhalb des Gebirgs
entworfen, in dem sie zur Unterschrift aufgefordert,
auch an den Generalsuperintendenten Joh. Streitberger
in Kulmbach die Weisung ergangen, nicht nur selbst
mit allen Kaplänen zu unterschreiben, sondern die Formel
auch den Dekanen zuzusenden, damit sie sich mit den
Ortskaplänen und nahegelegenen Pfarrern auch anschließen
könnten®), da erhob Karg doch etliche Bedenken. An
und für sich hatte er natürlich gegen die vorgeschlagenen
Schriften nichts einzuwenden; auch stieß er sich nicht
daran, wenn Calviner (am Rhein) und Flacianer (Thü-
ringen) sich nicht bereit finden ließen zu unterzeichnen;
aber er warf die Frage auf, ob denn eine Garantie geboten
sei, daß alle andern evangelischen Stände unterschreiben
würden; war ihm doch die ablehnende Haltung Kur-
sachsens gegen alle Schritte nur zu bekannt; würde
denn aber nicht nur größere Uneinigkeit die Folge sein ?
Auch bat er von einer Unterzeichnung durch sämtliche
Pfarrer absehen zu wollen; es genüge die Einhelligkeit
durch die vornehmsten Theologen und Kirchendiener
bezeugen zu lassen5). Daraufhin entschloß man sich mit
1) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 54. Gedruckt Beilage II.
?) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 38.
3) J. Andreä an -die Superintendenten, Pastoren und Diener
der Kirche. d. d. Tübingen 1. 3. 1571. ARA. 35, 34. 34, 8. Ge-
druckt bei J. Fecht S. 345 nr. 33.| Die Formel ARA. 35, 47. 34, 15.
Gedruckt Beilage III, pr. 18. 3. 1571. Vgl. W. Preger, Matthias
Flacius Illyrieus und seine Zeit. Erlangen 1861 II, 364.
*) d. d. Ansbach. Mo. u. Oculi (19. 3.) 1571. ARA. 34, 28
u. 35, 40.
5) Praesentiert 20. 3. 1571. ARA. 34, 24, 26. 35, 42. Gedruckt
Beilage IV.
13 173
Sachsen und Brandenburg zuerst einmal ins Benehmen
zu treten?).
Damit war auch dieser Versuch Andreas als gescheitert
zu betrachten. Die Stimmung war gegen ihn in Sachsen
immer erbitterter geworden. Das Gutachten, das Kurfiirst
August dem Markgrafen übersandte, läßt das deutlich
noch erkennen. Zunächst erhoben die sächsichen Theo-
logen gegen die Behauptung Einspruch, als ob man
im Grund und Fundament ganz einig sei. Sie verwiesen
auf die Lehren des Flacius von der Erbsünde und von der
Rechtfertigung sowie von dem Gesetz, die enthusiastischen
und antinomistischen Lehren der Jenenser von der Buße;
über die Rechtfertigung hätte Osiander schlimme Ge-
danken ausgehen, von der ewigen Vorsehung Gottes
Spangenberg einen ‚‚gotteslästerlichen Schwarm‘ drucken
lassen. Von den neuen Arianern und Antitrinitariern
wollten sie schweigen; aber nicht umgehen könnten sie
die „schreckliche Disputation von der physica und realis
communicatio idiomatum‘, die man ‚jetzt unter dem
Titel und Schein der Majestät der menschlichen Natur
in Christo zu beschönigen suche." Würden doch dadurch
die Hauptpunkte im Bekenntnis: verbum caro factum
est, etiam passus sub Pontio Pilato etc. verderbt. Die
Ketzereien des Nestorius, Eutyches, der Monophysiten und
Monotheleten wiirde wieder auf die Bahn gebracht.
Und alle beriefen sich auf die vorgeschlagenen vier Schriften.
Gegen wen sie sich damit wandten, war klar ; sie bekämpften
die Ubiquitütslehre der Württemberger. Aber sie griffen
Andreà auch offen an und warfen ihm Unredlichkeit vor.
In Zerbst hätten sie ausdrücklich erklärt, von ihrem
consensus doctrinae, dem Corpus Misnicum, nicht ab-
gehen zu können; die vorgeschlagenen Schriften könnten
sie nicht ohne weiteres annehmen. Warum berufe er sich
nun auf den Abschied dieses Tages und gedenke doch
dabei nicht ihres corpus doctrinae. Hätte er doch selbst
wiederholt, zuletzt in Dresden erklärt, an demselben
1) A.v. Eyb, Chr. Tetelbach, Endr. Musmann, Endr. Junius
an G. Fr. d. d. Ansbach 21. 3. 1571. pr. Landsberg 28. 3. 1571.
ARA. 34, 5. 35, 45.
174 14
nichts aussetzen zu können, hätten doch auch die Hessen
in Zerbst die sächsische Formel unterschreiben? Allem
Anschein nach wolle er nur seine ,,disputation von der
Ubiquität‘ durchsetzen, darum habe er wohl auch unter
den strittigen Artikeln einen besonderen Passus über
das Abendmahl aufgeführt und damit eine Disputation
von der Majestät der menschlichen Natur in Christus
verbunden. Darum sei er gegen ihr corpus doctrinae,
weil es darüber nichts enthalte. Von ihrer norma doctrinae
könnten sie nicht weichen. Sie enthielte keine neue
sondern lauter bekannte Schriften. Die Schmalkaldischen
Artikel seien nur zur Vorbereitung auf das Konzil zu
Mantua verfaßt und auf keinem Reichstag übergeben
worden; nicht besser stehe es mit dem Katechismus
Luthers. Erst die Flaianer hätten sie ,,hervorgezogen“.
Verdächtig sei auch, daß zwischen den Ausgaben der
Augustana ein Unterschied gemacht werde. Man könne
sich aber nicht nur an solchen Schriften genügen lassen,
welche allein ‚eine summarische Erzählung“ böten, sondern
benötige auch solche, welche durch eine ausführliche
Erklärung gegen Katholiken wie Flacianer Stellung
nähmen. Solche aber fände man nur im sächsischen
corpus. Die von Andreä aufgestellten Schriften seien
allein gegen die Papisten gestellt, und enthielten nur
die „bloße Erzählung etlicher vornehmer Haupistücke
ohne methodische Erklärung und ausführliche Anzeigung
der mannigfaltigen Irrtiimer’’'). Kurfürst August riet
infolgedessen dem Markgrafen: sich durch ‚Dr. An-
dreae oder andrer widriger und unruhiger Personen ver-
meinte Conziliation nichts anfechten zu lassen und bei
der einträchtigen und einhelligen Meinung der branden-
burgischen und sächsischen Kirchen zu bleiben‘. (11. Mai
1571)2). Dem wird Georg Friedrich und mit ihm Georg
Ernst von Henneberg wohl gefolgt sein?).
1) Bedenken von der Subskription, so Doktor Andreä,
Probst zu Tübingen von etlichen Kirchen der Augsburgischen
Konfession zugetan aufs neue begert. ARA. 35, 70.
2) d. d. Dresden 11. 5. 1571. pr. 7. 6. 1571. ARA. 3b, 56.
3) Auf eine Mitteilung der Räte und Regenten, daß die
Unterschrift etwas bedenklich vorkomme und man sich deswegen
15 175
II.
Zu einer norma doctrina sollte Brandenburg auf
ganz andre Weise kommen. Gemeinsam mit Nürnberg
hatte es die Reformation durchgeführt; den AbschluB
bildete die gemeinsame Brandenburgisch-Nürnberger
Kirchenordnung 1533. Aber dann war jedes seine eigenen
Wege gegangen. Jetzt erst sollten sie sich wieder finden.
Seit der Zeit des Interims war es in Nürnberg auf
kirchlichem Gebiete nie mehr zur Ruhe gekommen, ins-
besondere seitdem einer der echtesten Schüler Melanch-
thons Mag. Moriz Heling zum Prediger bei S. Sebald
und ,,vordersten‘‘ Geistlichen ernannt worden war (1555)!).
Ihm gegenüber neigten Mag. Hier. Besold, Prediger
z. heil. Geist, zuletzt Prediger bei St. Lorenz, Georg
Klingenbeck, Prediger bei St. Ägidien, und Michael
Pesler, Prediger bei St. Marien immer mehr zu den Luthe-
ranern von Jena. Auch die Gemeinde nahm regen Anteil
an diesen theologischen Streitigkeiten. Die Patrizier
standen mit verschwindenden Ausnahmen auf Seite
Helings; unter den Bürgern aber hatte Flacius treue und
opferwillige Anhänger?).
Der Rat der Stadt sah das nicht ohne Besorgnis;
um so mehr als bei dem lebhaften Handelsverkehr
auch die geistigen Unter- und Nebenströmungen wie
Schwenkfeldianismus®), Wiedertäuferei immer wieder
an den Markgrafen gewandt habe (21. 3. 1571), erwiderte G.E. von
Henneberg, ohne diesen nichts weiter unternehmen zu wollen
(26.3.1571 Schleusingen). Am 28. 5. 1571 bat er um Auskunft über
die Stellungnahme Brandenburgs; er hatte Andreä zunächst nur
einen hinhaltenden Bescheid gegeben (d. d. Schleusingen); erhielt
aber nur den Bescheid, daß Sachsen noch nichts geantwortet
habe (1. 6. 1571). ARA. 35, 44, 53, 89, 90, 93.
1) Für die ganze Entwicklung vgl. Dissertatio historica,
qua Mauritii Helingi vita, placita et studia percensentur et praeside
G. G. Zeltnero disquisitioni academicae subjciuntur a Sigism.
Jacobo Apin. Altdorf 1714. G. G. Zeltner, KurzgefaBte Historie
der librorum Normalium der Nürnbergischen Kirche. Nürnberger
Stadtbibliothek. Bibl. Nor. Will. II, 354.
2) W. Preger II, 426, 429 Anm. **.
*) RV. 30. 6. 1556: Hans Wilhelm von Lautenberg schreiben
samt Caspar Schwenfeld uberschickte missiven von der Ent-
176 . 16
unter den Bürgern Boden gewannen. Sein Hauptbestreben
mußte daher darauf gerichtet sein, die beiden Richtungen
des lutherischen Protestantismus zu versöhnen, mochten
auch seine Sympathien, er bestand ja nur aus Patriziern,
mehr den Philippisten gehören. |
schuldigung auch einem gedruckten büchelein wider Herr Philipp
Melanthon und das hier ausgangene und zu Wittenberg
gedruckte buchlein von der rechtfertigung des armen sünders
soll man auf im selbst ruen laßen. So auch 1558 s. Rats-
verlaß 3. 12. 1558: auf Markgraf Karls zu Paden kirchenräte zu
Pforzheim schreiben und begeren, soll man bernharden Fischer,
puchtrucker, beschicken und beaidigen, ein warheit zu sagen,
wie es mit Jorg Raben, buchdruckers zu Pfortzheim gedruckten
postill gestalt, was er dazu geholfen, wo die herkommen, wers
gemacht und ob er etliche exemplar hab und wem ers zugestelt.
dasselb alles herwiderpringen. 12. 12. 1558: Uf Hansen Weixers
verlesene ansage, soll man ine, Wolfen Ulrich, Jorg Langen und
andere benannte personen, so die neugetruckte pforzhaimische
postill von im genommen und unter sich ausgetailt haben, pe
schicken und beaidigen, dieselben bucher meinen herrn in die
kanzlei zu antworten, hinfuro keins mer hieher zu pringen noch
zu haben, sondern dieser secten mußig zu steen, und ob sich dern
ainer solchem bevel widersetzen wolt oder würde, dasselb meinen
herrn wider anzuzeigen, ferner rätig zu werden. 13. 12. 1558:
Uf die verlesene verzaichnis, welcher gestalt Wolf Ulrich und
Jorg Lang geschworen und sich erpoten, die schwenkfeldische
postill meinen herrn zu uberantworten und derselben sect mußig
zu sten, die andern aber als Hans Meichsner, Jörg Schedner,
Bernhard Fischer und Lienhard Aman solche bucher auch uberant-
wortet, aber diese schwenkfedlische Lere aus angezeigten ursachen
nit verschwoeren wollen, soll man von inen allen:die pucher an-
nemen und die sach der ersten zweier als des Ulrichs und Langen
halben ruen laßen; aber von wegen der andern die ganze sach, wie
diean meineherrn komen und was bisher darinnen gehandelt worden,
fur die 3 fordersten predicanten pringen, ir bedenken daruber ein-
nemen, weilsich dieselben personen berümen, das siein Schwenk-
felds lere nichts ungerechtes befinden, der Schwenkfeld auch bis da-
her desselben nieuberwunden worden. Damansieauchberichten und
uberwinden werd, daß sie sich weisen lassen und von dem un-
recht absten wollen, etc. was meinen herrn als der weltlichen ober-
keit in dieser sachen, so das gewissen belanget, weiter furzunemen
gepuren wolle, sonsten zweifelten meine herrn nit, was inen als
den seelsorgern in solchem falle gezimet, wurden sie zu handeln
ait unterlaßen und dasselb ir bedenken widerpringen.
17 177
Der Schulmeister bei St. Sebald, Sebald Heyden,
neigte in seinem Alter zur Anschauung Calvins vom heil.
Abendmahl. Er bestritt die „mündliche NieBung™ des
Leibs und Bluts Christi und erklärte, nur die Gläubigen
empfingen dieselben, nicht aber Ungläubige, Unwürdige
und Heuchler. Besold schlug nun Heling vor, unter
Zuziehung Mag. Jakob Lechners, Predigers bei St. Lorenz,
mit Heyden mündlich zu verhandeln. Heling lehnte ab;
er mied ángstlich jede Gelegenheit, die ihn hatte zwingen
kónnen, seinen Standpunkt zu offenbaren; er hielt es
für das beste, wenn Heyden und Besold sich allein über diese
Frage!) auseinandersetzten. Ob unter diesen Umständen
diese Angelegenheit von den Predigern beigelegt wurde,
ist mehr als fraglich. Als Heyden und seinem Sohne
Christian Heyden, Schulmeister bei Egidien, ihre Dienste
wieder übertragen wurden, drückte ihnen der Rat sein
Befremden darüber aus, daß sie die rechte. Lehre vom
heiligen Abendmahl aufgegeben und dadurch den Anlaß
zu einem „scisma‘ zwischen den Prädikanten gegeben
hätten; er versah sich auch, daß sie den Kalvinischen
Katechismus in ihren Schule nicht mehr dozierten
und die eigenmächtigen Änderungen an der Liturgie
unterließen?). Der Tod Heydens am 9. Juli 1561 überhob
den Rat bald weiteren Eingreifens. Zu einem ,,scisma‘
1) Hier. Besold an H>ling s. d. et 1. Nürnberger Kreisarchi v.
Rep. 52. Ms. 1110 fol. 94. Heling an Besold. d. d. 2. 12. 1560.
ibidem fol. 94. gedruckt: Dissertatio historica, qua Mauritii Helingi
vita, placita et studia percensentur et praeside G. G. Zeltnero
disquisitioni academicae subjcicuntur a M. Sigismundo Jacobo
Apino. Altdorf 1714. 8. 35f. Vgl. G.G. Zeltner, Kurze Erlauterung
der Nurnbergischen Schul- und Reformationsgeschichte aus dem
Leben und Schriften des berühmten Sebald Heyden Nürnberg 1732
fol. 33f. 39.
2) RatsverlaB 24. 4. 1561: den baiden schulmaistern bei
S. Sebald und S. Egidien soll man, ehe sie widerum mit pflicht
gefertigt werden, anzeigen, meine herrn weren glaublich bericht,
daß sie wider eins rats kirchenordnung sich des hochwirdigen
sacraments halben von der rechten lere und gebrauch abgesondert
und in diesem fall ein scisma zwischen den predicanten und lerern
allhier angericht, daß sie auch den kalvinischen catechismum in
iren schulen docirten, auch die alten approbirten geseng in der
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 3/4. 12
178 ; 18
war es aber nun wirklich gekommen. Besold hatte sich
mit Heling über die Abendmahlslehre unterredet. Statt
zu einer Einigung zu kommen, stellte sich erst recht die
Verschiedenheit ihrer Anschauungen heraus. Trotz seiner
Beteuerung: cum pane et vino, symbolis et rebus visi-
bilibus, offerri, dari et exhiberi ad manducandum verum
corpus domini et salvatoris nostri Jesu Christi, qui affixus
ligno crucis pro nobis factus est victima et Aörgov, nec
non dari, offerri et exhiberi verum sanguinem ad biben-
dum, quem idem filius dei ad abluendas nostras sordes
etexpianda peccata in eruceeffudit, trotz seiner Beteuerung,
daß das Abendmahl nicht nur beneficiorum et efficaciae
Christi, sondern auch seiner essentiae, nicht nur seiner
göttlichen, sondern auch seiner menschlichen Natur teil-
haftig mache, konnte es nicht verborgen bleiben, daf
er die manducatio corporalis eben doch leugnete. Denn
über das , Wie" der sakramentlichen Einigung wollte
er Sich nicht náher ausdrücken; es sei ein mysterium;
daß er auch einen Unterschied machte zwischen indignis
und infidelibus beim Abendmahl, ließ deutlich genug
kirche de temporibus etwas geendert hetten, welches alles dann
eim erbern rat fast beschwerlich und misfellig were, und, wiewol
ein erber rat hierauf genugsam ursach hetten, derwegen ir notdurft
gegen inen den beden schulmeistern furzunemen, so wolt man doch
von inen anhören, ob sie von irem furnemen und getaner enderung
absten und sich hinfuro der neu gestellten pflicht gemeß (welche
man inen furlesen lassen soll) erzeigen wollen oder nit. Was sie
nun zur antwort geben, das soll herwider gebracht werden. 25. 4.
1561: der zweier schulmeister zu Sant Sebald und Sant Egidien
referirte entschuldigung, das inen in dem, das sie calvinisch, den-
selben catechismum lerten oder ichts an den kirchengesengen one
vorwissen geendert hetten, mit dem erpieten, daf sie der neuge-
stellten pflieht allerding nachkomen wolten, soll man Herrn
Hi. Baumgartner anzeigen, und sein ferneres bedenken darüber
einnemen und widerpringen. 28. 4. 1561: auf Herrn Hi. Baum-
gartners weiters bedenken, soll man den zweien schulmeistern bei
Sant Sebald und Sant Egidien ferner anzeigen, ein erber rat hab.
ir entschuldigung gehort und wiewol man in guter erfarung, daB
sie allerlei unnótige disputationes vom heiligen sacrament erregt,
so wóll mans doch diser zeit dabei bleiben lassen und sich versehen,
sie würden irem erpieten nachkomen und irs ding warten, auch
keinen andern catechismum leren, denn wie ir pflicht vermóchte.
19 179
seine Auffassung erkennen. Aber nicht nur umsonst war
diese Beratung gewesen, sie fiihrte auch zu einer ernsten
Entzweiung zwischen Heling und Besold. Und Heling
mußte zugeben, daß ihn an dem schroffen Ausgang nicht
die geringste Schuld traf. Er suchte sich damit zu ent-
schuldigen, daß ihn die beständigen Angriffe auf seinen
über alles geliebten Lehrer Melanchthon aufs höchste
erregt hätten. Das hätte ihn um so mehr geschmerzt,
als er hören mußte, daß auch Besold sich daran beteiligte!).
Schon schien es, als sollte der Streit sich nicht mehr beilegen
lassen. Heling hatte sich nicht damit begnügt, die Lehre
vom heiligen Abendmahl zu berühren, er kam auch auf
die andern theologischen Streitigkeiten, wie den rechten
Verstand des Wortes ‚Evangelium‘, die Lehre vom
freien Willen zusprechen, worüber sie schon früher de-
battiert hatten; er warf Besolt vor, man hätte dazumal
gegen ihn nicht die ,,severitas‘‘ walten lassen, die sich
jetzt an ihm finde; auch mischte sich Jakob Lechner
in den Streit. Am 22. Dezember 1560 trat Heling sogar
auf der Kanzel so offen für Calvins Anschauung vom
Abendmahl ein, daß sich sogar Hier. Baumgartner ver-
anlaßt sah, ihn zu warnen). Da hielt es der Rat für seine
Pflicht einzugreifen, ehe es zu spät war; mußte doch auch
das Werk der großen Kirchenvisitation des gesamten
Gebietes durch solche Streitigkeiten aufs ungünstigste
beeinflußt werden. Am 29. Mai 1561 erging der Befehl
an die Ratsherren B. Derrer und J. Haller: nachdem
*) Besold an M. Heling und Jakob Lechner. Rep. 52 Ms.
1110, 62f. gedruckt G. Th. Strobel, Neue Beyträge zur Litteratur
besonders des 16. Jahrhdts. Nürnberg und Altdorf. 1793. IV, 1,
141ff. Antwort Helings d. d. 22. 12. 1560. Ms. 1110, 45ff. vgl.
G. G. Zeltner, diss. historica fol. 37ff. Besold an Heling 1561.
Ms. 1110, 49 gedr. [G. Th. Strobel] Hieronymi Besoldi olim
pastoris ad Sp. S. Norimbergae fidelissimi epistola ad Mauritium
Helingum de sacra coena, viribus humanis et evangelio nunc
primum in lucam edita. Frankfurt und Leipzig 1767.
?) Hi. Baumgartner an M. Heling postridie Thomae (22. 12.)
1560. Ms. 1110, 73 gedr. G. G. Zeltner, diss. S. 44. Baumgartner
an Besold s. e. d.Ms. 1110, 73, gedr. Zeltner, 45., vgl. J. Dóllinger
Die Reformation Regensburg 1848. II, 107.
12*
180 20
sich zwischen den predikanten im Spital auch S. Laurenzen
und dann dem bei S. Sebald zwaiung und misverstand
zutregt, ist zu verhütung merers gezenks und weitleuftig-
keit bevolen, ermelte predikanten zu erfordern und inen
furzuhalten, das eim erber rate solche misshellung nit
lieb, wäre derwegen irer erberkeit begeren, sich freund-
lich miteinander zu bereden, einer den andern zuhören
und sich selbsten miteinander gutlich und christlich zu
vergleichen, die einigkeit in der kirchen zu befurdern
und allen zwiespalt und mishelligkeit zu vermeiden und
hinzulegen und wie man die sach bei inen befinden würdet,
dasselbe herwiderzupringen." Die gewünschte Unter-
redung fand wirklich statt. Sie führte auch zu einer ,, Ver-
gleichung‘‘ zur Befriedigung des Rates. Er beeilte sich,
beiden seine Zufriedenheit auszusprechen und erbot sich,
in künftigen Fállen auch wieder vermitteln zu wollen!).
Ob es allerdings zu einer wirklichen Ausgleichung der
Gegensätze gekommen ist, sei dahingestellt. Als Heling
1) Ratsverlaß 19. 7. 1561: auf der verordenten herrn verlesene
relation und protokollierte disputation, so bede herrn predicanten
im spital und bei S. Sebald von wegen eingefallnen streits vom
heiligen sacrament des abendmals christi mit einander in beiwesen
etlicher anderer predicanten gehabt, und wes sie sich endlich
erclert und verglichen, ist fur gut angesehen, daß man bei solchem
-olloquio und erclerung dismals bleiben laßen und berurten bei-
den herrn predicanten Mag. Hi. Pesolden und Maur. Heling
anzeigen soll, ein erber rate hette der verordneten herrn relation
ires gehaltenen gesprechs und wes sich ain teil gegen dem andern
erclert, hören leser. und gern gehört, daß sie sich mit einander
so freundlich und gutlich verglichen. Es were auch irer erberkeiten
begeren und vermanen, bei solcher einigkeit zu pleiben und sich
gegeneinander wie christliche predicanten zu erzeigen und in diesen
beschwerlichen zeiten zu ergernis und weitleuftigkeit nit ursach
zu geben. Und do sich kunftig (des man sich doch nicht versehen
wollt) einigcher misverstand zwischen inen zutrüg und sie sich
selbst mit einander nit vergleichen konnten, wäre eins rats begeren,
solichs jedesmals an ire erberkeiten zu gelangen. Wollte man zur:
verhörung der sachen verordnen und darunter, was sich gepurt,
handeln und furnemen, damit die raine lehr, auch fried und ainig-
keit in der kirche Gott dem allmechtigen zu lob und eren und den
Christen zu Nutz und Trost bestendiglich erhalten werden möge.
Ratsbuch 31, 252.
21 181
später sich den Anschein gab, als ob er mit Besold auch
in diesem Punkte einig gewesen wäre, trat ihm der Astro-
nom Mag. Joachim Heller offen entgegen. Er wies auf
die Briefe hin, die Besold an Heling in dieser Sache ge-
schrieben hatte; er behauptete, wenn Besold erlebt hätte,
wie „grob“ Heling in dieser Sache ‚„herausfahre‘‘, hätte
er sich gewiß auf seine Seite gestellt. Heling begnügte
‘sich nicht, diese Behauptungen ruhig zurückzuweisen ;
in hellem Zorn warf er Heller vor, er habe sich gestohlene
Briefe zustecken lassen; ihn gehe die Sache so wenig
an als den Mesner von Poppenreuth oder einen Altreußen;
weder Besold noch der Rat habe ihm etwas mitgeteilt,
er könne also die Sache nur erfunden haben oder auf
unrechte Weise etwas gehört haben. Dadurch fällt ein
eigentümliches Licht auf seine Ausführung: er habe sich
mit Besold freundlich unterredet; der habe ihn mit keinem
Wort mehr angesprochen; friedlich sei man beieinander in
der Visitation und bei vielen Examina gewesen. Warum
blieb denn die ganze Sache so geheim? Warum hielt es
Heling für unnötig, dieselbe ausführlich zu erörtern!) ?
Ganz gewiß aber war der Rat über diese Regelung der
Angelegenheit froh. Es war ein Zeichen der Anerkennung,
wenn man Besolt zum Prediger bei St. Lorenz ernannte
(27. Juni 1562)?). Leider sollte er nur noch etliche Monate
1) S. I. L. 102. Nr. 1. Erklärungen Hellers vom 30. 12. 1562
n. Helings vom 4. 2. 1563.
2) RV. 29. 10. 1561: auf der genachbarten herrn und bürger
um St. Laurenzen verlesene Supplication und bitlichs ansuchen
von wegen herrn ler. Pesolts, predigers im neuen Spital, ist den
herrn kirchenpflegern bevolen, der sachen nachzudenken, mit
was fugen und welcher gestalt die gebetene enderung des herrn pre-
digers bei S. Laurenzen möchte furgenomen werden und solichs in
14 tagen ungeverlich widerumb furzulegen, rätig zu werden, mitler-
zeit die Supplicanten beantworten, ein erber rat wolle disen handel,
dieweil der nicht eilen laße, in bedenken nemen. 27.6.1562: Die-
weil Magister Jacobus Lechner, prediger bei S. Laurenzen, sein
gebrechlichkeit und plodigkeit seins hauptes geclagt, daB er da-
von wegen der predicatur in dieser grofen kirchen nit mehr vorsten
konnte, ist er desselben predigamts mit der condition erlaßen,
daß er darfur die wochen den 12 Knaben etliche lectiones in
theologia tun soll, dagegen soll ime sein jerliche besoldung, so er
IN
182 22
' daselbst wirken; er starb am 4. November 1562 an
der Pest!)
. Den ersten tieferen Einblick in die die Bürgerschaft
weithin bewegenden Streitigkeiten bot dem Rat der bald
darauf spielende Prozeß des Astronomen M. Joachim
Heller, der, nachdem er bei einer Musik bei Michael Graf
mit dem Kaplan Joh. Müller vom neuen Spital über Abend-
mahl und freien Willen eine erregte Auseinandersetzung
gehabt hatte, am 30. Dezember 1562 eine heftige An-
klage wegen Hinneigung zum Kalvinismus gegen Heling
und den an Stelle Besolds getretenen Mag. Joh. Schel-
hamer?) an den Rat richtete. Mit Schrecken nahm man
bisher gehabt, nachmalen gereicht, im auch sein wonung im
pfarrhof gelassen werden. Und ist daneben mit Herrn Hi. Pesoldo
gehandelt, daß er die praedicatur in ermelter kirchen bei S. Lau-
renzen auf ein versuchen angenommen. Vgl. Ratsbuch 32, 15.
1) Ratsverlaß 15. 10. 1562: Herrn Jer. Pesolden auf sein
Bitt Heinrich Preuen zu einem werter zulaßen und an sein statt
hermann Karln auf meiner herrn kosten und belonung in die mül
verordnen. 16. 10. 1562: Dieweil dem herrn Pesold, predigern zu
S. Laurenzen, sein hausfrau mit tod abgangen, soll man ine von
meiner herrn wegen clagen und trösten und ime daneben anzeigen
` laBen, meine herrn sehen fur gut an, daß er sich seins haus ein zeit
lang enteußert und sich an andre orte tete, dazu man ime dann
des Neumairs haus zu werd oder ein zellen in der cartausen fur-
schlagen soll, mit dem erpieten, wenn er hinaus ziehe, woll man ine
mit fur, zerung und In ander weg versehung tun. 17. 10. 1562:
dieweil sich herr Jer. Pesolt auf meiner herrn ersuchen gen word
in des neumairs haus getan, soll man jemand zu ime verordnen,
zu erkundigen, ob er zur notdurft versehen sei. Und dieweil im
uf das zweifache haushalten diser zeit viel aufgehet, soll man ime
50 fl. hinausschicken mit dem erpieten, wo er ferner ainich mangel
hab, ime ferner versehung zu tun. dergleichen soll man Heinrich
Preuen, seinem warter, auch 20 fl geben lassen mit dem bevel,
davon in seinem des Herrn Pesolts haus den kranken personen,
so weit es reicht, nottürftige unterhaltung zu verschaffen.
7. 11. 1562: dem stadrichter bevelen die truhen und behalter in
verstorbnen herrn Pesolts behausung durch seinen diener neben
Heinrich Preuen versecretieren zu laßen, bis man des gedachten
Herrn Pesolts tochter vormunder verordne und dazwischen nichts
verzogen werde.
3) Ratsverlaß: 9. 11. 1562: Anstatt des verstorbnen herrn
Mag. Hi. Pesoldi christlicher gedechtnus soll man Mag. Schel-
23 183
wahr, wie viele Fäden von der Bürgerschaft zu Flacius
liefen. Zwar die Prediger wie Mich. Besler und Konrad
Klingenbeck konnten sich rechtfertigen ; denn derdabeidem
Rat in die Hände gefallene Brief wandte sich ja gerade
gegen sie; enthielt die ärgsten Klagen über die Unter-
drückung seiner Bücher, während der gemeine Mann
sowohl sowie hochverständige Personen aufs ‚äußerste‘
und „greulichste“ wider die Wahrheit stritten und der
Verfälscher Schriften offen in den Buchläden feilgehalten
werden dürften. Von den besten und einfältigsten Lehrern
werde zur Unterdrückung der Wahrheit stillgeschwiegen
oder doch nur so gepredigt, daß der gemeine Mann nicht
verstehe, welche Bücher nun die rechten seien. DBesold
sowohl als die andern angegriffenen Geistlichen hatten
sich entschieden gegen diese Vorwürfe gewehrt!) Um
so weniger konnte dies sie belasten, als Besold auch
mündlich dem Flacius sein Ansuchen, seine Bücher doch
in Nürnberg frei verkaufen zu lassen, abgelehnt hatte.
Dagegen ward man auf einen seines Standes aufmerksam,
einen Studenten Christoph Harsdorfer, der nicht nur
Flacius selbst schon beherbergt hatte, sondern auch mit
Gleichgesinnten wie Gundlach, Hans Behem, Cunz Mör-
lein, Vogel, Irtenberger, Endres Örtel, Röting und Conrad
Klingenbeck Konventikel abhielt?) Andere Briefe, die
dem Rate bei der Beschlagnahme der Bücher des Joachim
Heller in die Hände gefallen waren, ließen erkennen,
haimern zu eim prediger in die kirchen S. Laurenti verordnen
und ime die Superintendenz neben den andern zweien herrn auch
bevelen und an sein des Schelhamers statt christoforum Kaufman
zu eim prediger im neuen spital annemen. Hatsbueh 32, 49.
1) Nikolaus Gallus u. Flacius Illyrikus an H. Besold, Mich.
Besler, Conrad Klingenbek, Michael Röting, Joach. Heller,
Regensburg. Freitag nach Barthol. (28. 8.) 1562. Antwort Beslers
s. d. et. 1. Verhar Beslers, Klingenbecks, Rötings am 22. 3. 1563.
S. I. L. 102. Nr. 1.
2) Harsdorfer, Meinschein, Pack, Irtenberger, Ortel ermög-
lichten auch die Herausgabe der Centurien. Preger II, 429.
Vgl. August an Georg Fr. v. Brandenburg. d. d. Dresden 1. 5. 1570.
ARA. Tom. Suppl 2, 198. Vgl. G. Chr. Neudecker,
neue Beiträge zur Geschichte der Reformation II, 272. Döllinger
II, 259.
184 24
welche Hilfe Flacius in Nürnberg zur Herausgabe seiner
Schriften fand. Den Mittelsmann, der die Verbindung
mit den Nürnberger Freunden immer aufrecht zu er-
halten wußte, glaubte man endlich in Bertholomäus
Schober gefunden zu haben. Als nun gegen Ende des
ganzen Prozesses Flacius am 11. Mai 1563 selbst nach
Nürnberg kam und bei Schober wieder übernachtete,
verwies man diesen kurzerhand aus der Stadt, weiler
im Verhör nicht gleich Rede stehen, sondern sich
nur zur schriftlichen Verantwortung erbieten wollte.
Bei Joachim Heller aber benützte man seinen hóchst
anstößigen Lebenswandel, um ihm seinen Dienst aufzu-
kündigen (28. Mai 1563)!).
!) Den ganzen ProzeB des Joachim Heller enthàlt der Akt:
S. I L. 102 Nr. 1. Ratsverlaß 12. 5. 1563: und nachdem an meine
herrn gelangt, das Illiricus nechten allhie gesehen, ist Bartl
Schober darum beschickt und befragt worden, wann er herkomen,
wo und bei wem er sich halt und was seine gescháft seien. Als er
nun auf das getan angloben an eides statt angezaigt, daß er gestern
zu mittag zeit herkommen, bei ime eingezogen und abends nach
dem nachtessen wider davongereist, unwissend, was er alhie ge-
macht, habens meine herrn dabei bleiben lafen. 13. 5. 1563:
nachdem Bartl Schober auf die gestellte fragstück kein mundlich
antwort geben wollen, sondern vermóg der verlesenen verzeichnus
begert, im dieartikel zuzestellen, sein antwortschriftlich — und doch
der furgehaltenen schriften an den Heller bekentlich gewest, da-
rinnen er meine herren ein erber rate antast und beschuldigt, als
sollten sie dio adiaphoristerei und Majoristerei schützen und dagegen
die anderen reinen schriften verfolgen, ist erteilt, daß man sich
mit ime ferner in einich schrift noch wortgezenk als einer privat-
person nicht begeben noch einlaBen, sondern ime jetzo alspalden
anzeigen soll: er weßt, welcher maßen ine meine herrn veruckter
zeit zu burger angenomen, der Hoffnung, er würde sich in seinem
beruf burgerlich gehalten haben. Dieweil es aber nicht bescheen
und meine herren sein heBig gemut auch gelegenbeit seiner hand-
lungen dermaßen spurten, so wolt irer erberkeiten gelegenheit
nit sein, ine lenger zu einem burger zu haben, sonder es were
irer erberkeiten endlicher bevel, das er sich noch vor untergang
der sonnen aus der statt und meiner herrn oberkeit und gepiet
hinweg tun, dieselbig sein leben lang meiden und nit mer darein
kommen wo!le bei einer leibesstraff. so sollt er auch sein weib und
kinder mit sich nemen. doch was er derselben auch seiner farnus
halb allhie zu verriehen, daB er dasselb durch sein waib oder
25 185
Man merktsden Aktennoch heutean, welcher Schrecken
den Rat erfüllte, wenn bei der Untersuchung wieder eine
Spur auf Flacius führte. Kaum zu verstehen ist, warum
man diesen Mann, der noch nicht einmal gut deutsch
reden konnte, also haßte. Er blieb allerdings dem Rat
die Antwort auch nicht schuldig. In seiner Schrift:
Trewe Warnung und Vermanung, das man das h. Testa-
ment des hochw. Nachtmals .. . unverfelscht — rein
behalten soll!), erzählte er von einer großen Stadt, die
im Winter 1561 fast drei Monate lang großen Mangel
an Isichtern gehabt habe; an den Läden hätten sich die
Menschen so gedrängt, daß etliche zerdrückt worden
wären. Gottesfürchtige und verständige Leute hätten
gleich daraus auf einen bevorstehenden Mangel am geist-
lichen Licht geschlossen. Das sei auch bald Wirklichkeit
geworden. Denn etliche Prediger und Bürger, die den
—
andere personen in 14 tagen den nechsten tun laßen möge. Der
nachsteur halben soll man gegen ime kein meldung tun. Auf
solchs haben die verordenten herrn referirt, das gedachter Schober
nach angesagtem beschaid geantwort: er hett sich solchs beschaids
und gar nit versehen, daß man den proceß an der execution an-
heben sollte. dann er gestern begert, ine schriftlich zu horn, und
wenn es bescheen und sich erfinden würd, das er geirrt, wolt er
sich haben weisen laßen. dergestalt aber mit ime zu handeln,
were contra jus divinum et humanum. beruft sich derwegen auf
den passauischen vertrag, welcher vermöcht, das niemand der
religion halben vervolgt werden soll. Darauf ist befolen, ime zu
sagen, er hab gehört, aus was ursachen ine meine herrn alhie
weiter nit gedulden wolten. Darum ließ mans bei gegebnen be-
scheid bleiben und solt er allein lauter sagen, ob er solchem peschaid
nachkomen woll oder nit. Tu ers, so solte mans geschehen und
dabei bleiben laßen. Wo nit, ine alspalden ins loch zu füren be-
velen. 28. 5. 1653: des im loch verhafteten Joachim Hellers
halben ist beim rat verlassen, im seine dienst, so er bisher meinen
herrn als ein profeßor astronomiae und sonst in ander weg gehabt,
in bedacht seiner mishandlung und das er bishero seinen diensteu
und beruf in keinen weg ausgewartet genzlich auf und abzukunden
und zu sagen, sıch mit seinem ganzen haushalten von hinnen aus
der stat und meiner herrn oberkeit und gepiet hinweg zu tun.
Vgl.E. Döllinger II, 107ff. Ratsbuch 32, 84a, 112, 115.
1) Datum der Widmung d. d. Regensburg am Tage Purifikat.
Mariae 1564.
186 26
rechten Verstand in den jetzt schwebenden Kor-
ruptelen auch in der Vergleichung Christi mit Belial
gehabt hätten, seien gestorben, andere verjagt worden;
endlich seien die rechten Prediger veranlaßt worden,
einen heimlichen Vertrag mit den andern in Religions-
sachen zu machen und ganz zu schweigen. Der Hieb
saß; wenn auch die Schrift dem Rat der Stadt Danzig
gewidmet war, merkte man bald, daß auf die Stadt Nürn-
berg besonders auf den Prozeß Heling-Besold und die im
Jahre 1563 erfolgte Ausemandersetzung zwischen Klingen-
beck und den Philippisten gezielt war. Aber der Rat
sah selbst ein, daß es am klügsten wäre zu schweigen).
Man kann es aber verstehen, wie entrüstet der Rat
war, als eben in jenen Tagen, wo eine Spur des Flacius
nach der andern auftauchte, auch auf der Kanzel und
in der Gemeinde der theol. Streit von neuem aufflackerte.
Georg Klingenbeck, Prediger bei St. Egidien, war mit
Sixt Huber, Kaplan bei St. Sebald, über den freien Willen
1) Ratsverlaß: 26. 4. 1564: auf die verlesen vorredein des Illirici
ausgangnem püchlein wider die sacramentirer, weil er meine herrn
so hoch und mit solch ungrund darinnen anzeucht, sol man die
drei vordersten predicanten und neben inen die prediger zu S. Egi-
dien und unser Frauen erfordern, inen solchs furlesen und fragen,
ob ir einer zu jungster irer mit einander verglichene vereinigung
genótigt oder einiche beschwerung noch darin het und solchs
alles widerpringen. 27. 4. 1564: auf der verordenten herrn getane
mundliche relation, daß sie den 5 predicanten des Dlirici vorrede
seins ausgangnen büchleins furgehalten, die darob die hochste
beschwerd trügen, wißte irer keiner zu erinnern, daß sie zu voriger
vergleichung genötigt, hetten zu solchem des Illirici ausschreien
kein ursach geben und weren alle miteinander ganz einig und fried-
sam und de: entlichen meinung, wes sie sich hievcr miteinander
eiphellig verglichen, dabei bestendiglich zu bleiben und mit dem
Dlirico nichs zu tun zu haben, ist verlaDen, die ganze handlung
den herrn hochgelerten um ir ratlich bedenken furzutragen, und
da sie fur gut ansehen würden, derwegen gegen denen von Regens-
burg andung zu tun, ir einem bevelen, solch schrift zu stellen.
17. 5. 1564: auf den verlesnem ratschlag des Flacium Illirici aus-
gangen tractetlein, darinnen er meine herrn etwas mit unwarheit
anziehen tut, soll man sich mit ime nit ein, sondern die sach dem .
ratschlag gemeß beruen lassen. Das Bedenken der Rechtsgelehrten:
G. Th. Strobel, Beyträge zur Litteratur. Nürnberg und Altdorf
1785. I, 2, 406ff.
27 187
in Streit gekommen. Er faßte ihn gewiß, wie alle Luthe-
raner als gänzlich erstorben zum Guten und deshalb
unwirksam bei der ‚Bekehrung auf, während Huber ihm
die facultas applicandi se ad gratiam zuschreiben wollte.
Wie nicht anders dazumal möglich, hatte auch gleich die
Bürgerschaft lebhaft Partei für oder wider ergriffen. Der
Rat griff energisch ein. Klingenbeck mußte sich anheischig
machen, in der Predigt diese Materie gar nicht mehr zu
berühren; auch erklärte er seine Bereitwilligkeit zu einer
gütlichen Unterredung. Daraufhin untersagte der Rat
auch Heling und Schellhammer jede Erwähnung dieser
Sache auf der Kanzel).
Am 7. Juli traten Heling, Lechner, Schellhammer,
Beßler auf dem Rathaus zur Beratung zusammen. Hier.
Baumgartner, Joachim Haller, Georg Volkamer ermahnten
zur Einigkeit. Manchem sei es nicht um die Ehre Gottes,
sondern nur um den Ruhm. vor der Gemeinde zu tun.
14 Tage dauerten die Verhandlungen; nicht nur die Lehre
1) RatsverlaB 12. 5. 1563: in dem noch ungeorterten streit
vom freien Willen, so sich zwischen dem prediger zu Sand Egidien
Cunrad Klingenpeck und Sixten Huber caplan zu S. Sebald zu-
getragen, soll man auf gemeltes herrn predigers schrift di 3 herrn
superintendenten ir bedenken und meinung auch verfassen lassen
und widerbringen, damit man zu erórterung der sachen kommen
moge. 1. 7. 1563: dieweil der prediger zu Sand Egidien herr
Cunrad Klingenpeck je lenger je mer auf der kanzel wider die
freiwillisten schreibt, ist befolen, ine zu erfordern, was ine doch
über das, so hievor ernstlich mit ime gehandelt worden, dazu
verursach, sonderlich, weil die saehe zwischen im und seinem
widerteilen nit geortert, sein antwort wider bringen, mitlerzeit bis
zur orterung solehs handels dise materi auf der kanzel undisputirt
zu lassen und solchs den andern herrn predicanten auch anzeigen.
2. 7. 1563: dieweil sich herr Cunrad Klingenpeck, prediger zu
S. Egidien, nach getaner entschuldigung seines schreiens auf der
canzel vom freien willen erpoten, sich solchs strits halo mit sein
widerteiln gutlich zu bereden, ist bevolen, sie die predicanten,
so ob diesen artikel miteinander strittig seien, mit erstem zu-
samen fordern und von der sachen reden und disputiren zulassen,
ob sie sich darob freundlich mit einander vergleichen Könnten
und alles zu verzeichnen und widerzubringen, mitlerzeit den
zwaien predicanten Sebaldi und Laurerti euflegen, sich diser
disputation auf der canzel zu entnalten [Ms. 1112, 13. Stadtbibl.
Nürnberg. Will. bibl. Nor. II, 358.] Vgl. Zeltner, vita Helingi
B. 49. Ratsbuch 32, 125.
188 28
vom freien Willen, sondern auch alle übrigen Differenz-
punkte, wie die rechte Auffassung des Wortes Evangelium,
die Notwendigkeit der guten Werke, die Gottessohnschaft
Christi, die Abendmahlslehre, die Adiaphora wurden be-
sprochen. Unter dem Druck der Obrigkeit kam man
auch zu einer Einigung. Heling und Schellhammer faßten
das Ergebnis in einer umfangreichen Schrift, „dem später
sogenannten scriptum declaratorium"™, zusammen, welches
dann am 23. Juli von sámtlichen Predigern unterschrieben
wurde. Es trágt alle Mangel eines Kompromisses an sich;
Dürnhofer hatte nicht so unrecht, wenn er von ihm ur-
teilte: ,,es sei, als wenn man dreierlei Eisen, gutes, bóses
und mittelmäßiges zusammenschweiße“. Doch zeigen
sich auch hier schon manche Ansätze, mit denen es später
gelang die Streitigkeiten im Luthertum zu überwinden.
Den fünf Geistlichen scheint das Ungenügende des Schrift-
stückes selbst zu Bewußtsein gekommen zu sein; dem
Rat überreichte man eine kurze Zusammenfassung, ,,die
Synopsis scripti declaratorii““. Umsozufriedener war der Rat.
Die Stimmen unter den Bürgern, Herr ,,Cunrad (Klingen-
beck) habe die andern Prädikanten auf die rechte Bahn
gebracht und von ihrem Irrtum bekehrt‘‘, verstummten
immer mehr; nur der unruhige Mag. Seb. Röting konnte
sein Hetzen auch jetzt noch nicht einstellen. So wurde
denn nicht nur den fünf Geistlichen die Anerkennung
des Rates ausgedrückt und der Hoffnung dabei Ausdruck
gegeben, daß der Zwiespalt unter ihnen endgültig bei-
gelegt sei, sondern auch sämtlichen Geistlichen in einer
besonderen Versammlung die ‚Konfession und Ver-
gleichung‘‘ als Lehrnorm bekannt gegeben, die sie durch
Unterschrift anerkennen mußten. So haben wir in den
Abmachungen der fünf Prediger die erste norma doctrinae
oder Bekenntnisschrift der Nürnberger Kirche zu sehen
(RatsverlaB 28. September 1563)}).
1) Bedenken von Hi. Baumgartner, Joachim Haller, Gg.
Volkamer Rep. 52. Ms. 1112 fol. 15. Stadtbibl. Nurnoerg. Bibl.
Nor. Will. II, 358. Das declaratorium Kr. N. D 212, 34ff. Fasc. I
ad D 212 fol. 20ff. Ms. 1112, 23ff. St. Nürnbg. Bibl. Nor. Will. II
358, 335. vgl. 368 Amb. 269 u. 68. Solg. I, 32. Erl. Univ. Bibl.
Ms. 913, 1ff. 1458, fol. 169ff. Über den Verfasser s. D 212 Fasc. IV:
Originalprotokollum der ao. 1585 konfirmirten normae doctrinae
29 189
Fiinf Jahre gelang es nun dem Rat, auf Grund dieser
Maßnahme Frieden unter den Geistlichen aufrecht zu
erhalten. Energisch ging man gegen alles vor, was zu
Verwicklungen führen konnte. Wie man nach außen
von allen Kirchen- und Schuldienern hiesigen orts samt derselben
teils schriftlich gegebenen bedenken: Erklärung Schelheimers
vom 21. 5.: er wüßte sich der Erklärungsschrift, welche ao. 1563
von seinem Vorgänger Herrn Jakob Lener und ihm Schellheimer
meistenteils gestellt und begriffen worden, die sie auch approbiert
und subskribiert hätten, wohl zu erinnern Erklärung Helings vom
29 5.: „welche er neben andern hiesigen Prädikaten ao. 63 gestellt
und unterschrieben und einem erbern Rat übergeben“. Die An-
gaben von Hirsch, Acta historico ecclesiastica Weimar 1747.
XI, 432 können nicht nachgeprüft werden. Das Urteil Dürnhofers:
Es sei eben, als wenn man dreierlei Eisen, Gute, Böse und mittel-
mäßige zusammenschweißte G. G. Zeltner, kurzgefaßte Historie
S. 46. Joh. Kaufmann urteilte 27. 1. 1578: Die Schrift 1563 sei
nur Gleisnerei Ms. 1110, 355ff. Punkt 10. Ratsverlaß 28. 9. 1563.
Auf die getane mündliche relation, was maßen sich die drei vör-
dersten predicanten neben M. Micheln Peßler mit Herrn Cunraden
Clingenpecken, predigern zu St. Egidien, in der irrung, so sich
ein lange Zeit zwischen inen vom freyen willen und andern
puncten erhalten, allerdings verglichen, diselb vergleichung
schriftlich verfaßt und sich zu ends derselben alle mit eignen
händen underschrieben, damit dann solche ir vergleichung allent-
halben bei den kirchendienern offenbar und bei inen nicht dafur
geacht werde, als wolte mans in gehaimd behalten und also etliche
derselben allerlei davon reden möchten, soll man alle predicanten,
caplän und schulmaister hie zusammen erfordern und inen solche
vergleichung anzeigen und die gestelte schrift furlesen und inen
sagen, weil dieser vergleichung meine herrn zufrieden und inen
dieselb wol gefallen ließen, so wolt man inen hiemit angezeigt
haben, sich zu enthalten, daß keiner uf der canzel oder auch andern
winkeln weder heimlich noch offentlich davon reden, disputirn
oder andere darwider zureden verursachen, sonder, do einer einen
mangel an diser schrift und vergleichung het, dasselb alsbald an-
zuzeigen. diejenigen aber, so kein einrede und inen dieselben ge-
fallen ließen, solten sich alsbald auch unterschreiben. welcher aber
mangel daran und ytzo nit ercleren kont, dem wolt man 8 tag
bedacht darzu lassen. und wiewol etliche statliche burger diser
disputation und stritts halben viel böser reden ausgoßen, aber
weil diese irrung nimer uf der canzel triben, etwas still worden,
sol man es irenthalben also ruhen laßen. Micheln Röting aber, der
uber vielfeltige warnung noch für und fur schret und schreibt und
von seiner opinion nit abstehen will, ungeacht daß es nit seiner
vocation, soll man beschicken und ime mit allem ernst undersagen,
p
190 30
hin alles mied, was als eine Begiinstigung des Kurfiirsten
von der Pfalz erscheinen konnte, und sich in der Politik
ganz nach Kurfürst August und Wolfgang von Zwei-
brücken richtete!), so auch im Innern. Der Buchhändler
Jan Monte aus Heidelberg durfte keine Calvinische Bücher
in der Stadt verkaufen?); die niederländischen calvinistisch
gesinnten KaufleutewurdenzurRuhe undStilleangehalten?) ;
seines berufs und schuldiensts zu warten und sich seiner disputatio-
nen in geistlichen sachen zu enthalten. dann do er davon nicht
absten, werden meine herrn ungeachtet seiner langwierigen dienst
und alters das gegen im furzunemen, das im nit gefallen werd.
Vgl. Ms. 1112 fol. 21. Will. bibl. Nor. II, 358. Ratsbuch 32, 180.
1) RV.: 28. 12. 1565: Und demnach in dem ausschreiben der
kais. mjt. auch meldung geschieht, den gesandten befel zu geben,
in der stritigen religion und furnemlich der vilfeltigen secten halben
auch zu handeln, und es danneinenlaut hat, das pfalzgraf Friedrich
churfurst seiner sect halben im bei etlichen stenden einen beifall
und anhang machen woll seine sect zu verteidigen, ist verlaßen,
da der herrn gesandte zu Augspurg zu beratschlagung der religion
in abgesonderte rete gefordert und die pfelzischen darauf tringen
wolten, inen anhengig zu sein, sol man inen dasselb mit gutem
glimpf weigern und sich anders und weiters nit einlassen, denn
meiner herrn erclerung, so sie auf der churfürsten und fürsten
überschickt confession, welcher sie zu Naumburg sich verglichen,
zu erkennen gibt, und mag sich der herr wol in solchen selben fall
zu den churfurst sächsischen, pfalzgraf Wolfgang reten, denen
von Ulm und andern, die meiner herrn confession seien, halten.
?) RV. 2. 4. 1565: Jan Monte von Heidelberg, so die cal-
vinischen Bucher hie feil gehabt, soll man in die canzlei füren,
ein sage von im aufschreiben laßen, wo er mit diesen buchern
herkume, und wer ims erlaubt, hie feil zu haben, sein sag wider
pringen, ine dieweil warten laBen. Auf Johann Monts ansag, soll
man ine schweren lassen, der bucher keins weder hie noch in meiner
herrn oberkeit zu verkaufsn, das angezeigt vaB auch unaufge-
schlagen hinweg zu füren und sich bei sonnenschein aus der stat
zu machen. Als er nun den eid geleistet und gepeten, ine hie zu
laßen, bis sein ross ankume, woll er inmittels die pücher in der
kanzlei laßen, soll man im wilfaren, doch bei geleisten aid sagen,
sobald das faß kume, daßelb ungeoffent hinweg zu schicken. Die
andern bucher inmittels bei der hand behalten, dem wirt zum
schwarzen bären auch sagen, acht zu haben, wenn das faß herkum,
dasselb nit offnen zu laßen, daneben will man Wolfen Geigenberger
und andere, die bucher von im kauft, beschicken, diselben ver-
pflichten, alle in die kanzlei zu geben.
3) RV. 31. 5. 1567: auf gescheen anbringen, daß ein burger
hie, so ein niderlender, zu Amberg offentlich in die calvinische
31 191
Geistliche, welche Unruhe stiften wollten, wie der zweite
vörderste Geistliche, Jacob Lechner, entfernt!); den
Lutheranern kam man auf die Weise entgegen, daß man
kirchen gangen und daselbst nach irem prauch communiciert,
sol man denselben beschicken, beeidigen, zu rede halten und sein
sag widerpringen, daneben soll man kuntschaft machen, was fur
fremder niderlender sich der jtzigen entbórung halb hieher getan,
wer diselben und bei wem sie innen, ob sie auch conventicula halten
oder nit, alles widerpringen. 4.6. 1567: auf die verlesene ansag,
was vilfeltiger disputationes die calvinischen niderlender, so jtzo-
hieher kumen, sie erregen, sol man sich in aller eil und mit eim
grund erkundigen, wieviel und wer dieselben niderlender, auch bei
wem sie innen, insonderheit wer derjenige, so sich vernemen lassen,
christus sei ein pastart.
RV. 23. 7. 1567: auf verlesene ansagen, was fur nider-
lendische calvinisten sich hie enthalten und allerlei disputiren
sollen, sol man zuforderst Egidi GroBen, den collaboratoren bei
S. Egidien, beschicken, uf sein irrtum zu red halten, sein sag wider-
pringen. Gabriel Schlüßelberger, Jorgen Maleprand, Niclasen de
Nova Castel und andere, die der calvinischen Schwermerei verdacht
und disputiren, soll man beschicken, inen meiner herrn ernstlichs
misfallen ires irrtums und disputirens halben und dabei anzeigen,
von solchem irrtum abzusten und sich der hieigen oder A.Confession
gemes zu erzeigen, welcher aber in seinem gewissen ein anderes
erkennet und hielt, das solt er sich bei sich behalten und mit nie.
manden disputieren aucb niemand kein ergernus geben noch einiche
conventicula halten, sonder sich eins solchen eingezogenen stillen
wesens und wandels verhalten, das iren halben kein weitere Klage
kume. Welcher aber wider solchs in wenigsten handeln, gegen
den oder denselben wolt man einen solchen ernst geprauchen der
im zu schwer fallen würde.
1) Verlaß 23. 7. 1565: dieweil sich befind, daß Mag. Jacobus
Lechner nicht allein, seid er von seiner predicatur abgestanden,
gar nichts getan und diegroße besoldungso vergebenlich eingenumen,
sonder auch allerlei uneinigkeit und disputationes zwischen den
hieigen predicanten erweckt und sich allerlei fremden secten und
rottierungen anhengig macht und sich mit den hiesigen predicanten
gar nit vergleichen will, sondern was zwischen oder unter inen hie
gehandelt wird, an fremde auswendige orte schreibt und ursach
sucht, wie er diselben wider die hieigen predicanten wehig machen
möchte und darzu sich nit allein mit seinem weib ganz ergerlich
u. streflich het, sondern auch, wann er bezecht u. bei gastungen ist.
mit schenden, schmehen und andern ungeburn dermaßen erzeigt,
das ime als einem teologo gar keinswegs geburt, meinen herrn auch
keinswegs zu gedulden geburen will, soll man solcher seiner un-
geschick halben an den angezeigten orten zeugen und kundschaft
192 32
Michael BeBler zu seinem Nachfolger ernannte!). Doch
unterdrückte man auch von ihrer Seite alles, was Anstoß
eregen konnte. So wurde dem Buchführer Jorg Fischer
horen, dieselb herwiderpringen. 25. 8. 1565: auf der verhörten
zeugen verlesene ansag, sol man M. Jacoben Lechner sagen, er
wißt sich zu erinnern, daß er sich beschwert, daß er schwacheit
halben seins leibs der predicatur nicht kont furstehen, derwegen
denn meine herrn in derselben erlassen und bisher in seiner herberg
pleiben auch sein besoldung volliglich ime verfolgen laßen. weil
aber meinen herrn furkeme, wie ungeschickt und rumoris:ch er
sich bisher vilfeltig erzeigt, welches denn meine herrn zu gedulden
nit gemeint, so wolt man ime hiemit sein besoldung aufgesagt
haben, mocht sich an andern orten um dinst bewerben, solt auch
sein herberg im pfarrhof raumen, dazu wolt man ime zeit bis
Michaelis geben. 4. 9. 1565: M. Jacob Lechner sol man zur ab-
fertigung das halbe quartalgeld, so uber 8 Tag verfallen, dergleichen
das halbe quartalgeld der 371, fl, so auf allerheiligentag fellig wird
auch, und einen schriftlichen abschied geben, daß er ein zeit lang
bei S. Lor. predicant und superintendent gewesen, solches stands
hette man ine erlaßen und entledigt, also daß er mit meiner herrn
gut wissen abgeschieden. 8. 9. 1565: Mag. Jacoben Lechner auf
sein suppliciren weiter vernemen, wie sein gemut des angezogenen
gelds halben eigentlich gestellt und wie sein meinung zu verstehen
sei und widerpringen. 10. 9. 1565: auf die getane erkundigung,
das Mag. Jacob Lechners gemut dahin gestelt, meinen herrn 1500 fl
zuzustellen, dieselbigen zu gebrauchen und ime jerlich dagegen
100 fl. als ein stipendium zugeben, doch daß einem jeden teil
frei sten solt, dasselbig zu seiner gelegenheit wiederum ab und
aufzukunden, soll man ime sagen, das meine herrn im dergestalt
willfaren wolten, nemlich die 1500 fl auf vier jar lang anzunemen
und jedes hundert mit 5 procento zu verzinsen und dann ime
dise 4 jar lang ein jedes 25 fl zu ainem stipendio reichen. da es
ime aber nit annemlich zu vermelden, das er solch- 1500 fl ander
ort zu seinem pesten anlegen mocht, wolt man ime dennoch die
25 fl die 4 jar lang reichen und solche 25 fl solt man jerlichen von
der kirchen einkomen nemen.
*) RV. 9. 1. 1566: den beden herrn predicanten und Superin-
tendenten zu S. Sebald und Lorenzen soll man M. Michel PeBler,
den prediger zu unser Frau zu einem dritten Mitsuperintendenten
zuordnen und im die 100 fl besoldung, wie den andern zwei geben.
Ebenso bedachte man M. Heling: Ratsverlaß der H. Eltern:
93. 11. 1566: Herrn Mauritio Heling prediger bei S. Sebald soll
man auf sein supplicieren um ein Steuer, weil er bisher noch kein
anlangen getan und sich gegen herrn Andreas Imhof den eltern
soviel vernemen lassen, daß er ein unversehen zugestandenep un-
fallshalben 100 Taler notdürftig, mit denselben 100 Talern vereren
und im sagen, solchs in geheim zu halten.
33 | 193
der Verkauf der Streitschriften Mörlins gegen die Heidel-
berger verboten!). Einmal schien es allerdings, als sollten
alle Bemühungen des Rates umsonst sein. Durch Herzog
Christoph von Württemberg wurde man auf zahlreiche
Schwenkfelder, wie den Uhrmacher Paul Graßmann,
den Schmied Linhard Nürnberger, Jörg Schechtner in
der Breiten Gasse aufmerksam. In den mit ihnen an-
gestellten Verhandlungen bekannte sich Heling zu mancher
ihrer Anschauungen; so sprach auch er von einer doppelten
Taufe; auch er leugnete den Kinderglauben. Doch kam
es zu keinem offnen Zwist. Der Rat ließ sich lieber
von den Sehwenkfeldern eine halbwegs befriedigende
Erklürung geben, als daB er die bisher mühsam behauptete
Einigkeit hätte in Trümmer gehen lassen?).
1) RV. 17. 5. 1567: Jorgen Fischer und allen buchfürern
soll man verpieten, das buch intituliert wider die handlungen der
heidelbergischen theologen durch D. Jochim Mörlin gemacht
weiter zu verkaufen, sondern alle in die canzlei zu antworten.
2) Verläße des Herrn Eltern 25. X. 1565. RV. 18. XI. 1563.
6. VII. 1564. 11. XI., 22. XI., 23. XI., 1. 5. 12. 15. 18. 22. 23. 29.
XII. 64. 11. I., 26. I., 27. II., 27. 29. ITI., 17. IV., 11. V., 14. VIL,
21. VL, 25. VIIL, 8. X., 27. X., 27. XL, 4 5 8 XII., 65. 9. I,
6. IL, 9. 26. IL, 23. 27. TIL, 4. 18. 25. 27. IV , 6. 8. 9. 10. 15. V.,
19. VIIL, 30. IX., 22. X., 10. XI., 12.16. XI., 9. 10. 28. XII. 1566.
27. 29. L, 23. L, 3. 6. IL, 3. V., 7. XI. 1567. RV. 9. III. 1565:
weil die predicanten in irem eingefallenen strit verglichen, soll
man nunmehr das examen mit Paulusen Graßmann furgehen
laßen. 10. 11. 1566: dieweil ein erbarer rat sorgfeltig, do man solche
confession den beden predicanten bei S. Sebald und zu unser Frau
furhalten, das es zu allerlei weitlàufigkeit gereicheu und sie die
predieanten villeicht selbs darob nit allerding einig sein und allerlei
beschwerlicher disputationen zwischen inen verursachen möchte...
ist bei einem erbern rate verlassen, von sein des Schechtners
eonfession weder mit ime noch den predicanten zu disputieren,
sondern dieselb genzlich an ein ort zu stellen und dieselbe weder gut
oder bos zu heißen, sondern bei Schechtner zu erfordern und von
im ein lautere unconditionirte antwort mit ja oder nein anhoren,
ob er sich gánzlich und allerdinge zu der A. C. und der hiesigen
mein herrn kirchenordnung bekenne und sich derselben gemäß
erzeigen und verhalten wolle oder nicht, solches alles widerpringen.
Vgl. Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften
zu Góttingen. Band 40. Gottingen 1915 S. 49. Zeltner, vita
Helingi S. 51. Ratsbuch 32, 167, 270, 297, 302, 307, 309, 320, 326,
345, 367, 370, 372f., 375, 378., 33, 3f., 39, 64, 134.
EE ee
Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 8/4. 18
Der Bekenntnisstand
der Reichsstadt Frankfurt a. M. im
Zeitalter der Reformation.
Lersner =
Li
Ritter,
Ev. Denkmal —
KGesch. —
Von K. Bauer.
Abkürzungen.
Der Weit-berühmten Freyen Reichs-, Wahl- und
Handels-Stadt Franckfurt am Mayn Chronica,
Oder Ordentliche Beschreibung der Stadt Franck-
furt Herkunfft und Auffnahmen / wie auch allerley
denckwiirdiger Sachen und Geschichten / so bey
der Romischen Konigen und Kayser Wahl und
Crönungen, welche mehentheils allhier vorge-
nommen worden / vorgegangen / nebst denen Ver-
änderungen / die sich in Weltlich- und Geistlichen
Sachen / nach und nach zugetragen haben.
Anfänglich durch Gebhard Florian, an Tag ge-
geben / Anjetzo aber Aus vielen Autoribus und
Manuscriptis vermehret / mit nöthigen Kupffern
gezieret / und per modum Annalium verfasset /
und zusammen getragen. Durch Achillem Augustum
von Lersner / Patricium Nobilem, Civitatis
Francofurtensis. — 1. Band 1706; 2. Band 1734.
Joh. Balthasar Ritter, Evangelisches Denckmahl
der Stadt Franckfurth am Mayn, Oder Ausführ-
licher Bericht von der daselbst im XVI. Jahr-
Hundert ergangenen Kirchen-Reformation, Mit-
hin von dem Anfang, weitern Fortgang, und der
Bestättigung des wieder hervorgebrachten Heiligen
Evangelii.in besagtem Ort, aus bewährten schr'fft-
lichen Documenten und anderen Urkunden ver-
fertiget. — Frankfurt a. M., Johann Friedrich
Fleischer 1726.
Franckfurtische Religionshandlungen etc. — Vier
Bände. 1735ff.
Kirchen-Geschichte von denen Reformirten in
Franckfurt am Mayn, worin derselben Ankunft,
35 195
Aufnahme und Zuwachs, das Gesuch einer be-
sondern Kirche in der Stadt und die darüber er-
hobene Streitigkeiten bis auf itzige Zeit unpar-
: thevisch vorgetragen werden. Mit einer VORREDE
Herrn D. Joh. Philip Fresenii, in welcher die gegen
Seine Abwiegung der Gründe kürtzlich heraus-
gekommene so genante ausführliche Prüfung
gründlich beleuchtet wird. Franckfurt una Leipzig,
Bey Heinrich Ludwig Brönnern, 1751.
-
F. A. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst.
F. A. N. F. = Dasselbe. Neue Folge.
F. A.3. F. = Dasselbe. Dritte Folge.
Act. Eccl. = Akten des Frankfurter Stadtarchivs über Religion
und Kirehenwesen. (Tom. III: 1541— 1560. —
Suppl. = Supplementum ad. Tom. III. Actorum
Ecclesiasticorum de 1541—1560. Das Interim
bet. v. J. 1548— 1549. Oglb. lit.: p.)
Uffb. Mser. = Uffenbachsche Manuskripten- Sammlung des Frank-
furter Stadtarchivs. (Band 15, S. 1—131: Acta
‘varia Ecclesiastica Francofurten.)
Act. Ref. I. = Tom. I. Actorum des Frantzößisch- und Nieder-
ländischen Kirchen-Weßens. de 1554-1561.
(Frankfurter Stadtarchiv.)
Einleitung.
In dem Gesuche, mit welchem Poullain für sich
und 24 wallonische Familien um Aufnahme in das Frank-
furter Bürgerrecht und um Einräumung einer eigenen
Kirche bei dem Rate am 15. März 1554 vorstellig wurde,
hieß es über die religiöse und kirchliche Seite der Ange-
legenheit: ,,Dieweil aber die sonder Religion nit leben
kunden, wiewol wir Euer Religion seynd, so kenden wir
doch Euerer Sprach nit. Hierumb ist an E. F. W. unser
fleisig Bitt, Sie wolten uns n dem Thal!), da sie Unß
ufnehmeten, auch eine Kirche oder Tempel eingeben,
darinn wir Unser Gebeth, Predigt des Evangelii und Aus-
theilung der Heil. Sacramenten in unserer Sprach nach
der Lehr des Apostels Pauli haben mögten, soll doch hie-
durch keiner Pfarr, darunter ein jeder wird wohnen,
an Pfarr-Rechten nichts benommen seyn, sondern allezeit
1) Schreibfehler für „Fall“ (Tal = Fal). Der französische
Wortlaut hat: au cas, que.
13*
196 36
gevolgt werden; Zudem wollen wir unser Kirchen-Diener
E. F. W. anzeigen, dieselbigen haben anzunehmen und
zu Kirchen-Ambt zuzulassen !).“
Der Ratsbeschluß, der auf dieses Gesuch erging,
lautete dahin: man solle ihnen willfahren und sie in dem
Namen Gottes aufnehmen. Die Lage, welche damit ge-
schaffen war, hatte indessen nicht lange Bestand. Bald
stellten sich allerlei Mißhelligkeiten heraus, die zur Folge
hatten, daß bereits im Jahre 1561 den Fremden die
ihnen bis dahin eingeräumte Weißfrauenkirche gesperrt
wurde, bis sie sich mit den Stadtpredigern in Lehre und
Zeremonien verglichen haben würden?).
Schon während der Erörterungen, welche zu dieser
Maßregel führten, wurden Zweifel laut, ob die Fremden
den Rat nicht von vornherein über ihren dogmatischen
Standpunkt falsch berichtet hätten. Und in den Verhand-
lungen, welche die Reformierten dann mehr als zwei
Jahrhunderte lang mit dem Rate der Stadt führten,
um das exereitium religionis publicum zu erlangen, kehrt
je und je der Vorwurf wieder, Poullain habe sich die
Erlaubnis, eigene Gottesdienste zu halten, auf hinterlistige
Weise erschlichen, denn tatsächlich seien seine Wallonen
nicht nur anderer Sprache, sondern auch eines anderen
Glaubens gewesen, nämlich Zwinglianer, während in
Frankfurt das reine Luthertum geherrscht habe.
Es fragt sich, ob dieser Vorwurf mit Recht erhoben
werden durfte. Es handelt sich dabei nicht nur um den
persönlichen Charakter Poullains. Es handelt sich vor
allem auch um die richtige Erkenntnis von den Anfängen
und der dogmatischen Ausprägung der Reformation in
Frankfurt.
Was Poullain betrifft, so hat er sich von jeher eine
recht ungünstige Beurteilung gefallen lassen müssen.
1) F.R. I, 17. Im französischen Wortlaut mitgeteilt von
F. C. Schröder in Troisiéme Jubilé séculaire de la fondation de
l'église réformée francaise de Francfort s. M. 1854, p. 6—8.
2) Vgl. dazu meine demnächst erscheinende Schrift: Die
Einstellung des reformierten Gottesdienstes in der Reichsstadt
Frankfurt a. M. im Jahre 1561.
37 197
Daß zwar bei seinen lutherischen Gegnern sein Bild so
unvorteilhaft herausgekommen ist, dürfen wir wohl zu
einem guten Teil auf Rechnung der damals üblichen Art
der Polemik setzen. Aber auch ein so maßvoller Beurteiler
wie Steitz!) hat noch gemeint: „Die Art, wie er sich
hier die Pforte eröffnete, die Geschicklichkeit und Glätte,
womit er sich bei den Verhandlungen zu wenden wußte,
muß auch auf Unbefangene einen peinlichen Eindruck
machen,. und wir begreifen vollkommen das Mißtrauen,
das die Prädikanten gegen ihn empfanden, wenn wir auch
zugeben müssen, daß bei der Härte und Unduldsamkeit,
welche die Reformierten von den Lutheranern erfuhren,
nur Schleichwege einen Erfolg in Aussicht stellten.“
Indessen dieses Urteil, daß er Schleichwege gewählt habe,
stützt sich doch lediglich auf das Zeugnis seiner Gegner,
und Gegner pflegen selten unbefangene Zeugen zu sein.
Es ist nun zunächst in sich selbst wenig wahrschein-
lich, daß die Wallonen, die um ihres Glaubens willen
England verlassen und sich auf Betreiben des Ratsherrn
Claus Bromm, mit dem sie in Köln zusammengetroffen
waren, nach Frankfurt gewendet hatten, nun ausgerechnet
in Frankfurt ihre innersten Überzeugungen verheimlicht
haben sollten, wo ihnen doch gerade in der nächsten
Nachbarschaft der Stadt bei dem Landgrafen Philipp
von Hessen die Aufnahme sicher gewesen wire.
Wenn sie den Frankfurtern versicherten: „Wir sind
Kuerer Religion“, so hätte die Glaubenstreue, welche sie
bisher bewiesen hatten, sie zur Genüge vor dem Verdachte
schützen können, als versuchten sie, in Frankfurt auf
Schleichwegen zu erlangen, was ihnen anderswo verweigert
worden war. Sie müssen dann doch wohl selber der
Meinung gewesen sein, daß zwischen ihnen und den
Frankfurtern in der Tat kein Unterschied im Glauben
bestehe. Demgemäß hat denn auch bereits Neudecker?)
1) Steitz, Der lutherische Prädicant Hartmann Beyer. Ein
Zeitbild aus Frankfurts Kirchengeschichte im Jahrhundert der
Reformation. Frankfurt a. M. 1852. $S. 193.
*) Neudecker, Geschichte des Evang. Protestantismus in
Deutschland. I, 392.
ae
198 38
geurteilt: „In Wahrheit konnte Pollanus dem Frankfurter
Magistrate erklären: Wir sind eures Glaubens!“
Stimmt man dem einmal zu, so bleibt aber immer
noch die Frage offen, wie diese Erklärung eigentlich
gemeint war. Dechent!) hat sie in einem ganz allge-
meinen Sinne verstehen wollen: ‚Es liegt auf der Hand,
daß eine solche Versicherung recht wohl gegeben werden
konnte, um den Gegensatz gegen die römische Konfession
auszudrücken, ohne damit Übereinstimmung in allen
Einzelheiten der Lehre und Verfassung zu behaupten.“
Das ist aber eine Zurückdatierung moderner Gedanken
in eine Zeit, die diese Gedanken noch gar nicht kannte.
Die Idee eines Gesamtprotestantismus, dessen einigendes
Band nur der gemeinsame Gegensatz gegen Rom sein
sollte, war jenem Geschlechte noch völlig fremd. Auch
die Schweizer und die Täufer und religiöse Spiritualisten
und Individualisten wie Sebastian Frank standen im
Gegensatze zu der katholischen Kirche. Aber wo man sich,
wie in Frankfurt, zu der Augsburger Konfession bekannte,
fragte man nicht nur nach der negativen Seite, sondern
auch nach dem positiven Inhalte des Bekenntnisses.
Schon seit Jahrzehnten hatte man im evangelischen
Deutschland die Grenzen deutlich abgesteckt gegen die
Schwärmer und Rotten. Und seitdem Westphal mit
seinem Alarmruf das Signal zu dem zweiten Abendmahls-
streite gegeben hatte, genügte es vollends nicht mehr
zum Ausweis über die eigene Rechtgläubigkeit, wenn
man sich nur auf die Verwerfung der papistischen Irr-
tümer berufen wollte. Wenn jene Wallonen eben damals
die Erklärung abgaben: „Wir sind Euerer Religion“,
so müssen sie davon überzeugt gewesen sein, daß ihr
eigener Bekenntnisstand mit demjenigen der Frankfurter
sich wirklich decke.
Hiernach ist die Frage die: Gab es Tatsachen, die
ihnen zu dieser Meinung ein Recht gaben? Dann müßte,
als sie ihre Blicke nach Frankfurt richteten, der offizielle
Bekenntnisstand dieser Reichsstadt noch nicht im Sinne
1) Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der
Reformation. I, 204.
39 199
der Beyer und Ritter der des Gnesioluthertums gewesen
sein, und Luthertum und reformiertes Wesen könnten
sich hier noch nicht als die abgeschlossenen, festumrissenen
Größen gegenübergestanden haben, als die sie nach den
Schilderungen der lutherischen Prädikanten erscheinen.
Wie es sich hiermit in Wirklichkeit verhalten hat,
soll im folgenden aufgehellt werden. Wir stellen zunächst
fest, welches der rechtliche Bekenntnisstand Frankfurts
bei der Ankunft der Fremden war; dabei wird es nötig
sein, dem Gang der Frankfurter Reformationsgeschichte
von ihren Anfängen an zu folgen. Sodann suchen wir
den, dogmatischen Standpunkt der Fremdengemeinden
kennen zu lernen. Und schließlich haben wir zu unter-
suchen, wie sich der Gegensatz zwischen ihnen und den
Prädikanten der Stadt herausgebildet bat.
Erster Teil.
Die Entwicklung des Frankfurter Bekenntnisstandes
bis zu dem Verbot des katholischen Gottesdienstes.
Während man auf lutherischer Seite in katholisieren-
der Weise das Endergebnis einer längeren Entwicklung
in die Anfangszeit zurückdatierte und die These verfocht,
Frankfurt sei vom Anbeginn der Reformation an eine
genuin und exklusiv lutherische Stadt gewesen, hat man
bei den Reformierten noch lange Erinnerungen daran
bewahrt, daß es Symptome gegeben hatte, die eher für
den Schweizer als den Wittenberger Typus der Frank-
furter Reformation sprachen!) So folgerte man aus der
Tatsache, daß Wilhelm Nesen in seiner Frankfurter Zeit
(1521) mit Zwingli korrespondierte, Francofurtum nobi-
lissimum ad Moenum emporium Zwinglii aluisse fautores.
Oder man erinnerte daran, die beiden ersten evangelischen
Prediger der Stadt hätten in ihrer Verteidigungsschrift
1526 erklärt, sie seien keine Lutheraner. Aus der Wendung,
deren sich Heinrich Bullinger bediente, als er 1533 seine
Auslegung der Apostelgeschichte dem Rate zu Frankfurt
1) Vgl. hierfür F. R. I, 48.
200 | 40
widmete: Habetis ministros claros et in doctrina Evangelii
laudatos, las man heraus, die damaligen Frankfurter
Prediger müßten mit Bullinger und den Reformierten
einig gewesen sein. Auf dieselbe Spur sah man sich durch
den Brief gewiesen, mit welchem in dem gleichen Jahre
Luther die Frankfurter vor der falschen Lehre Zwinglis
warnte. Auch darauf machte man aufmerksam, daß
der Vertreter Frankfurts die Wittenberger Konkordie auf
Butzers, nicht auf Luthers Seite unterschrieben habe. —
Und den Frankfurter Katechismus von 1541 und die
Frankfurter Konkordie von 1542 fand man, wenn man
sie in ihrem natürlichen Sinne (sensu sano) nehme, in
Übereinstimmung mit den reformierten Prinzipien. Noch
in der Mitte des 18. Jahrhunderts haben es sich die Frank-
furter Lutheraner redlich Mühe kosten lassen darzutun,
daß diese Symptome nichts bewiesen.
Nachdem die Frage dann aufgehört hatte, eine
konfessionelle Streitfrage von unmittelbar praktischer
Bedeutung zu sein, und statt dessen einfach in das Licht
streng historischer Forschung gerückt war, ist gerade
von einem lutherischen Forscher!) festgestellt worden:
„Eine unbefangene Einsicht der Quellen bestätigt im
Gegenteil eine vorwiegende Hinneigung zu dem Lebrtropus
der Schweizer.‘
Es wird unsere Aufgabe sein, die Frankfurter Re-
formation Schritt für Schritt auf ihren dogmengeschicht-
lichen Charakter zu prüfen.
1. Die ersten reformatorischen Tendenzen.
Beim Beginn der Reformation begegnen uns auch
in Frankfurt einige Männer, deren Namen im Zusammen-
hang mit der großen Bewegung der Zeit weit über den
Bannkreis ihrer Stadt hinaus bekannt geworden sind.
Einige von ihnen teilen die Bestrebungen des Humanis-
mus. Andere gehören dem Klerus an. Soweit sie von einer
Reformation der Kirche reden, liegen ihre Interessen
ganz nach der nationalen und ethischen Seite. Sie erhoffen
1) Steitz a. a. O. S5. 17.
Al 201
die Reform, von deren Notwendigkeit sie durchaus über-
zeugt sind, im Rahmen der katholischen Kirche. Der
Gedanke an eine neue Kirchenbildung liegt ihnen gänzlich
fern. Vollends von irgendwelchen neuen Festsetzungen
über die Glaubenslehre ist bei ihnen keine Eede.
‘Von den Geistlichen der Stadt ist hier zunächst
Thomas Murner zu nennen, der im Advent 1511 in Frank-
furt predigte. Nachmals ein entschiedener Gegner Luthers,
hat er auf der Kanzel der Barfüßerkirche die Torheiten
und die Sittenverderbnis seiner Zeit gegeißelt. In den
Briefen der Dunkelmänner erscheint er darum als einer
der Führer im Kampf gegen den Klerus, zumal den
Dominikanerorden.
Nach ihm hat Johannes Cochlàus!) zehn Jahre lang
dem Frankfurter Liebfrauenstifte als Dechant angehört.
Als er am Neujahrstag 1520 sein Amt antrat, war er der
Gesinnungsgenosse Huttens, mit dem er im Briefwechsel
stand. „Der Mann", so rühmte er ganz begeistert, ,,ver-
tritt mit bewunderungswürdigem Freimute Deutschlands
Ruhm und entbrennt in heftigem Hasse gegen den rö-
mischen Bischof.“ Ein halbes Jahr später bekannte
er sich als unbedingten Parteigänger Luthers, von dem
er freilich damals in der Stadt nur äußerst selten etwas
hörte. Als er am 12. Juni 1520 Willibald Pirckheimer
von einer Disputation mit den Dominikanern schrieb,
unterließ er nicht, ausdrücklich zu bemerken: ,,Luthe-
risches wurde nichts aufgestellt. Ich würde es sicher
nicht versäumt haben, für ihn einzutreten, wenn mir
ein Anlaß geboten worden wäre.“ Ebenso, wie er hier
für Luther eintreten wollte, suchte er die Freundschaft
von Woligang Capito, der bald nach ihm seine Predigt-
tätigkeit im Dom zu Mainz begonnen hatte. Von den
1) Vgl. außer der Biographie von Spahn die vier von ihm aus
Frankfurt an Pirckheimer geschriebenen Briefe vom 26. Januar,
8. Februar, 5. April und 12. Juni 1520 bei Joh. Heumann, Documenta
litteraria varii argumenti (1758), auf Grund deren Steitz, Refor-
matorische Persönlichkeiten, Einflüsse und Vorgänge in der Reichs-
stadt Frankfurt a. M. von 1519 bis 1522 (F. A. N. F. IV, 90ff.)
diese Zeit des Cochläus gekennzeichnet hat.
202 42
Umständen, unter denen er bald darauf seine kirchliche
Haltung änderte, wird noch die Rede sein (Vgl. S. 49).
Aus den Kreisen der Patrizier ist hier vor allem
Arnold Glauburger, der Schwiegersohn Hamans von
Holzhausen, von 1516 —1521 Syndikus seiner Vaterstadt,
für uns von Interesse!) Er ist der Ernold in Huttens
Vadiscus, dessen Schauplatz Frankfurt ist, und die AuBe-
rungen, welche der Dialog diesem in den Mund legt,
entsprechen ganz seiner Denkweise. Sie kommen im
wesentlichen darauf hinaus, daß er Rom und rómisches
Wesen ebenso inbrünstig haßt, wie der ihm befreundete
Ritter, und daß sein Lieblingsgedanke die Unabhängigkeit
der Deutschen von den Welschen ist. In seinem Familien-
kreise stand er mit seinen Anschauungen nicht allein. So
wie man heutzutage in klerikal gesinnten Kreisen gegen
' die Vertreter des Liberalismus, die sich auch der Kirche
gegenüber das Recht der Kritik vorbehalten, mit dem
Vorwurfe der Kirchenfeindschaft ziemlich freigiebig zu
sein pflegt, so hatte man bereits Arnolds Oheim, den
1499 verstorbenen Schöffen Henne von Glauburg, als
osor cleri bezeichnet, und mit dem gleichen Prädikat
war auch der jüngere Bruder Hamans von Holzhausen,
der 1514 verstorbene Gilbrecht zum Goldstein, belegt
worden.
Luthers Auftreten wurde in der Stadt mit dem
größten Beifall begrüßt. Auf der Messe verkaufte im
Jahre 1520 ein einziger Buchhandler nicht weniger als
1400 Exemplare seiner Schriften, und Spalatin konnte
im September desselben Jahres von Frankfurt aus an.
Mutianus berichten: Nihil frequentius emitur, nihil cupi-
dius legitur?) Als am Sonntag Misericordias Domini
(14. April) 1521 der Wittenberger Reformator auf der
Reise nach Worms selber die Stadt berührte?), strómte
1) Über ihn unterrichtet Steitz, Ref. Persónlichkeiten usw.
S. 59ff.
?) Kampschulte, Die Universitat Erfurt in ihrem Verbält-
nisse zu dem Humanismus und der Reformation. II, 80f.
3) Steitz, Die Melanchthons- und Luthersherbergen zu
Frankfurt a. M. Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und
Altertumskunde zu Frankfurt a. M. 1861. S. 14ff.
43 203
alles zusammen, um ihn zu sehen. Quacunque iter facie-
baat, frequens erat concursus hominum videndi Lutheri
studio, bezeugt uns Cochläus. Katharina Holzhausen
aber, die verwitwete Schwägerin Hamans, suchte ihn
in seiner Herberge zum Straußen auf, küßte ihm die Hände,
brachte ihm einen Krug edlen Malvasier und sprach ihm
die Hoffnung aus, er sei der von ihren Ahnen geweissagte
Mann, der den Immunitäten des Papstes widersprechen
werde. Auch als er 14 Tage später auf seiner Rückreise
in der alten Herberge über Nacht blieb, ist nach dem Be-
richt des Kanonikus Wolfgang Königstein vom Lieb-
frauenstift ‚‚doselbst im vil von etlichen syner gunner
er gescheen". Einen Bruch mit der Kirche bedeuteten
diese Huldigungen nun freilich nicht im geringsten.
Man stand erst am Anfang einer Bewegung, deren Ende
noch niemand absehen konnte. Katharina Holzhausen
fand sich durch ihre Begeisterung für Luther nicht be-
hindert, zwei Jahre später in ihrem Testamente Jahrtage
und Seelenmessen im Dom und in der Klosterkirche zu
St. Katharinen zu stiften.
In welchem Sinne man sich in dieser ersten Zeit
zu Luther bekannte, hat niemand so deutlich ausgesprochen
wie der greise Dechant des Leonhardsstiftes, Johannes
ab Jndagine!), der am 1. Juli 1522 von seiner Pfarrei
Steinheim?) aus an den Schützling Huttens, Otto Brun-
fels, schrieb: ‚Ich sei Lutheraner, werfen sie mir vor
und verteidigen damit ihre Hartnäckigkeit. Denn ihnen
heißt Lutheraner, wer ihre Laster angreift, wer Christi
Amt verwaltet, und wie zu großer Schmach wird ihm
dieser Name gerechnet! Was den Namen selbst betrifft,
obgleich ich mit Paulus ihn nicht anerkenne, so schäme
ich mich seiner doch nicht allzusehr, wenn Lutheraner
sein heißt: der Wahrheit und der Gerechtigkeit nach-
streben. Was jedoch die Lehre betrifft, wie kann man
mich um ihretwillen anklagen, da ich mich zu ihr nicht
bekenne, und wenn ich mich zu ihr bekenne, so bekenne
1) Vgl. Steitz, Reformatorische Persönlichkeiten usw. S. 138ff,
2) Oder Steinau an der Straßen (bei Steckelberg). Vgl.
F. A. N. F. VI, 124 Anm. 1.
204 44.
ich mich zu ihr als zu Christi Lehre, denn wenn sie mit
dieser nicht stimmt, so erkenne ich sie unter Allen am
wenigstens an. Aber ob sie mit dieser stimmt oder nicht,
danach habe ich, mein’ ich, nichts zu fragen. Auch ist
sie, wenn ich. sie verdamme, darum nicht verworfen,
wenn ich sie gut heiße, darum noch nicht angenommen.
Mich nimmt es Wunder, daß sie mir nicht einen anderen,
gehässigeren Namen gegeben haben. Denn diesen sehen
wir hochgeachtet vom Volke, von allen Gelehrten, von
allen Fürsten, kein anderer hat bessern Klang und wird
ehrenvoller erwähnt; je übler bei jenen Luther berüchtigt
ist, desto mehr wird er fast von allen Christen gerühmt.
Auch ich habe für mein Teil Luther gelesen. Er lehrt nicht
schlecht leben, noch lehrt er übeltun. Aber geben wir auch
zu, daß er bei diesen ein Ketzer ist, was geht das mich
an, der ich hier (in Steinheim) mein Amt hatte, ehe Luther
je schrieb ?*'
Der Dekan, der bei der Niederschrift dieser Worte
bereits auf eine 52jährige Amtstätigkeit zurückblickte,
ist uns ein unverdächtiger Zeuge dafür, daß auch die
Frankfurter kirchlichen -Zustände von der allgemeinen
Reformbedürftigkeit keine Ausnahme machten. Er
schreibt an Brunfels von der Frechheit der Priester,
die ihm Scham und Verdruß erwecke, und bekennt: ,,Nicht
ganz ohne Grund wütet gegen uns das Volk. Unsere
Schuld ist es, wenn wir so leben, daß unsere Schand-
taten die der Schlemmer und Wiüstlinge (ganeorum et
lurconum) hinter sich lassen. Wer haßt uns nicht mit
Recht? Wie hätte ich aber wissen sollen, daß dieses
Übel unter denen herrsche, welche sich den Ehrennamen
Kanoniker anmaßen, d. h. von Leuten, die nach der
Regel leben? Wer hätte glauben sollen, daß mit einem
so hohen Namen eine so plumpe und faule Nachlässigkeit,
eine so raffinierte Leidenschaft, ein in jeder Beziehung
so verbrecherischer Wandel verknüpft sei, Dinge, die
nicht Priestern, sondern Taugenichtsen ziemen? Du
weißt, ich sollte Dekan sein, aber ich werde geringer ge-
achtet als ein ägyptischer Esel. Das bringen diese Zeiten
mit sich. Alle wollen herrschen, niemand will untergeben
45 205
sein . . . Wer möchte daher heutzutage nicht lieber
Schweinehirte als Dekan sein?" Der Vergleich zwischen
seinen Frankfurter Kanonikern und seinen Steinheimer
Bauern fällt durchaus zuungunsten der ersteren aus.
„Wenn ich,“ so muß er bekennen, ,,mich auf meine Pfarrei
begebe, — ich berichte es mit tiefer Trauer — so finde
ich manche von schlechtem Rufe: Geizige, Neidische,
Unwissende, Ehebrecher, Trunkenbolde. Ich kehre zu
meinem Stifte zurück: hier finde ich nicht solche, die
diesen gleichen, sondern sie an Bosheit übertreffen.”
Seinen Trost sucht er in der Wissenschaft, und zwar
in der Astrologie. In den Sternen liest er jetzt, daß die
nächsten vier Jahre schwere Gefahr und viele Unglücks-
fälle bringen sollen, so wie er dem Mainzer Generalvikar
Dieterich Zobel bereits früher aus den Gestirnen ‚einen
neuen Zustand der Kirche, ferner Kriege, Aufstände,
die Bewegung vieler Völker, eines Reiches gegen das andere,
Seuchen und großes Sterben“ geweissagt hat. Aber er
glaubt auch versichern zu dürfen: ‚Wie sehr auch die
Großen sich dawider stemmen, es wird kommen, daß
jenes Gepränge der Priester und Mönche sich mindere.
Einmal muß die Krone des Stolzes abgelegt werden.“
Ähnliche Zustände, wie sie ihm zu St. Leonhardi zu schaffen
machten, lernte Cochläus bei seinem Aufzuge in Frank-
furt am Liebfrauenstifte kennen. Dem Scholaster dieses
Stiftes, Stephan Fischer, war der Dekan des Dompakitels,
Friedrigh von Martorff, aufsäßig, und die Vikare der
Liebfrauenkirche, die gegen das ganze Kapitel Opposition
machten und sich auch untereinander nicht vertrugen,
lagen gleichfalls mit ihm im Streit.
Aber so sehr das alles zu einer Reform drängte,
so wenig empfand man irgendwelche dogmatischen Be-
Schwerden. An irgendwelche Neuregelung des kirchlichen
Bekenntnisses dachte kein Mensch.
2. Humanisten und Ritter.
Auch die Kreise der Stadt, bei welchen die Reforma-
tion zuerst eingesetzt hat, nahmen zunächst an ganz
anderen Dingen Interesse als an einer neuen bekenntnis-
206 46
mäßigen Ausprägung der kirchlichen Lehre: Es waren
die humanistischen Kreise, deren Tendenzen auch in
Frankfurt national und antihierarchisch, aber nicht
religiös und dogmatisch bestimmt waren. Zu ihnen
zählten Huttens Freunde in der Stadt: Philipp Fürsten-
berger, die beiden Glauburger, Haman von Holzhausen
und sein Bruder Gilbrecht zum Goldstein.
Dem Einflusse solcher Männer war es zuzuschreiben,
daß der Rat im Dezember 1519 die Anstellung eines.
tüchtigen Lehrers für die humanistischen Studien be-
schloß. Große Hoffnungen auf dieses Amt machte sich
Johannes Cochläus, der, humanistisch gebildet, im Januar
1520 als Dekan des Liebfrauenstiftes in Frankfurt auf-
zog und sich in seinem Kapitel von Anfang an recht
unbehanglich fühlte. Er verfehlte denn auch nicht,
Fürstenberger auf seine Qualifikation für diesen Posten
aufmerksam zu machen!). Und wenn es den Frankfurtern
auf einen Anhänger Luthers ankam, so schien er der ge-
eignete Mann zu sein, denn in dem Nürnberger Kreis,
der sich um Pirckheimer sammelte, war er in enge Fühlung
mit den Wittenberger Gedanken gekommen, und noch
im Juni 1520 bekannte er, daß er bei einer Disputation
der Frankfurter Dominikaner unfehlbar für Luther Partei
ergriffen hätte, wenn über dessen Sache eine These auf-
gestellt worden wäre?). Aber der kleine, unruhige Mann
verstand nicht genug Griechisch. Vielleicht hatten die
Stadtväter auch kein rechtes Vertrauen zu seinem Cha-
rakter. Jedenfalls mußte er hinter einem viel jüngeren
Gelehrten zurückstehen, der als Kenner des Griechischen
und als früherer Erzieher der beiden jungen Stallburger
den Frankfurtern bestens empfohlen war, dem Nassauer
Wilhelm Nesen.
Nesens kirchliche Stellung ist schon recht verschieden
beurteilt worden. Man hat ihn ebenso sehr als Zeugen
für den lutherischen wie für den reformierten Charakter
1) Spahn, Johannes Cochläus. $. 59.
?) Brief an Pirckheimer vom 12. Juni 1520. Vgl. Wedewer,
Johannes Dietenberger. S. 46.
i
uH LT —À ——
47 207
der Frankfurter Reformation in ihren Anfangsjahren in
Anspruch genommen. In Wirklichkeit fallt sein Leben
in eine Zeit, die den innerprotestantischen Gegensatz
zwischen den Schweizern und den Wittenbergern noch
gar nicht kannte, er hatte also auch keinerlei Gelegenheit,
für oder gegen Luther oder Zwingli Partei zu ergreifen.
Beziehungen hatte er zu beiden. Seinen Ausgangspunkt
hat er von Erasmus genommen, dessen Schüler er 1514
in Basel war. Er ist Humanist, kennt aber auch religiös-
kirchliche Interessen, erscheint also als Vertreter der
Denkart, die uns am ausgeprägtesten in dem um vier
Jahre jüngeren Melanchthon entgegentritt. Er ist mit
Zwingli befreundet, dem er durch den Basler Humanisten-
kreis nahe gekommen ist, und er verehrt Luther, dessen
Schriften er in seiner Frankfurter Zeit übersetzt, und
zu dem er dann bald von Frankfurt nach Wittenberg
übersiedelt. Er beherbergt Ökolampad in seiner Schule im
Hause zum Goldstein, der aber auch Luther auf seiner
Wormser Reise einen Besuch abstattet, und er steht
in freundschaftlichen Beziehungen zu Melanchthon. Für
ihn ist noch alles in schönster Harmonie, Luther und
Zwingli, die alten Klassiker und die Männer der Bibel,
Kirche und Bildung, Reformation und Humanismus.
Diesen auf Einklang und Eintracht gerichteten Sinn hat
er in der kurzen Zeit seiner Frankfurter Wirksamkeit
dem Geschlechte eingeprägt, das zu seinen Füßen heran-
wuchs. Ihn hat er auch den Männern eingepflanzt, die
es nicht verschmähten, noch auf der Höhe ihres Lebens
sich in seiner Schule weiterzubilden.
In den Jahren, in welchen er die neue Gelehrtenschule
leitete, beobachten wir in den humanistischen Kreisen
der Stadt eine Vertiefung des Interesses an den Fragen
der kirchlichen Reform. Ursprünglich hatte den Frank-
furter Patriziern ein eigentliches religiöses Interesse an
der Frage der Zeit gefehlt. Ihre kirchliche Haltung war
zunächst die Indifferenz der feingebildeten Humanisten
gewesen, denen für die eigene Person religiöse Bedürfnisse
im Grunde fremd waren. Das änderte sich jetzt allmählich.
Luther wurde nun auch für diese Kreise zum Heros,
208 | 48
der in der kirchlichen Frage das rechte Wort für das
ganze Zeitalter gefunden hatte. Aber wenn man auch
anfing, auf die neuen Töne zu achten, die er in seinen
Schriften anschlug, so fehlte doch viel, daß man in ihm
den Kirchenvater erkannt hätte, als den ihn ein späteres
Geschlecht ansah. Der Luther, dem man zujauchzte,
und auf den aller Augen erwartungsvoll gerichtet waren,
war der Mann, der den christlichen Adel deutscher Nation
zu des christlichen Standes Besserung aufgerufen, der
den Gebildeten das Auge für die babylonische Gefangen-
schaft der Kirche geöffnet, und der mit der Verbrennung
der Bannbulle und der. päpstlichen Rechtsbücher allen
das Herz abgewonnen hatte. Im übrigen war man
lutherisch mit Vorbehalt, etwa in demselben Sinne wie
Johannes ab Jndagine. Ein Lutheraner sein hieß soviel
als: Der Wahrheit und Gerechtigkeit folgen und die
Laster strafen. Und die Summe dessen, was Luther
schrieb, faßte man mit dem gelehrten Dechanten von
St. Leonhardi dahin zusammen: Er lehrt nicht laster-
haft leben, er lehrt auch nicht unrecht tun. Eine lutherische
Glaubenslehre aber, zumal in ihrer Ausprägung gegen -
die Reformierten lag noch ganz außer allem Gesichtskreis.
Es wäre jedoch ein Irrtum zu. meinen, die Entschei-
dung sei auch nur in diesem begrenzten Sinne damals
auf der ganzen Linie für Luther erfolgt. Es hatte nur
eine Scheidung der Geister stattgefunden zwischen Huma-
nisten und Barbaren, zwischen Lutheranern und Roma-
nisten, und die Anhänger des Alten waren nicht bloß
unter den Kanonikern des Leonhardstiftes noch immer
recht zahlreich. Zu ihnen gehörte z. B. der Pfarrer Michael
Groß an St. Peter, der schlecht und recht im alten Gleise
ging. Viel bedeutender als er war der Prior des Domini-
kanerklosters Johannes Dietenberger!), der im Sinne der
alten Schuleeinetüchtige Bildungbesaß. Anihn, den Ordens-
bruder Hoogstraatens und Tetzels, schloß sich jetzt auch der
ehemalige Bewunderer Reuchlins und Luthers, Cochläus
eng an. Dieser hatte inzwischen, seitdem ihm die Leitung
1) Vgl. über ihn Wedewer, Johannes Dietenberger. Frei-
burg i. B. 1888.
49 209
der Lateinschule entgangen war, sein katholisches Herz
entdeckt und zerschnitt nun das Band, welches bis dahin
in seiner Brust die humanistischen Ideale mit der Sym-
pathie fir Luther verkniipft hatte. Da der ehrgeizige
Mann die wissenschaftliche Tiichtigkeit seines siegreichen
Rivalen nicht anfechten konnte, so bekämpfte er jetzt
die Schule Nesens als eine Ketzerschule!), und gar zu
gern hätte er in Worms eine Disputation mit Luther
herbeigeführt, um vor aller Öffentlichkeit seine Fahig-
keiten ins rechte Licht zu setzen. Vor allem aber stand
auf dieser Seite der Stadtpfarrer am Bartholomäusstifte
Peter Meyer, der uns als einer der magistri nostri aus den
Briefen obskurer Männer bekannt ist?). Er erscheint
hier als ein selbstbewußter Mann, der über Grammatik
und Poeterei abspricht und gelehrter sein will als Reuchlin,
denn Reuchlin kennt sich in den Subtilitäten des Lom-
barden nicht aus, er selber aber vertritt die Erfahrungs-
theologie und hat den heiligen Geist. In seiner Polemik
freilich merkte man ihm von dem Heiligen Geiste nicht
viel an. Da war er ein derber Polterer von heftiger Ge-
mütsart, der auch auf der Kanzel nicht eben wählerisch
in seinen Worten war.
Der Erfolg war zunächst bei den Anhängern des
Neuen. Cochläus blieb die Erlaubnis zur Verbreitung
seiner Kontroversschriften versagt, und als Meyer die
Frankfurter Ketzer schalt, weil sie die Fastengebote
übertraten, verbat sich der Rat das ganz energisch, weil
1) Die Perspektiven, die uns Spahn, Joh. Cochläus S. 61 auf
ein Fiasko der Reformation in Frankfurt eróffnet, falls nicht
Nesen, sondern Cochlàus die Leitung der Schule erhielt, wider-
legen sich von selbst angesichts der lutherischen Haltung, die
Cochläus damals noch einnahm. Der Wendepunkt in seiner Stellung
zuder Reformation fällt mit der Berufung Nesens zeitlich zusammen.
Im lutherischen Lager hat man denn auch seitdem eine schlechte
Meinung von seinem Charakter gehabt. Kolde (Wie wurde Coch-
läus zum Gegner Luthers? Kirchengeschichtl. Studien. Hermann
Reuter zum 70. Geburtstag gewidmet. S. 197ff.) hat den hier
vorliegenden Zusammenhang nicht gesehen. |
*) Spahn, S. 102 nennt ihn „humanistisch gebildet“, gibt
aber keinen Beleg dafür.
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 3/4. 14 .
210 50
die Stadt nach auBen nicht in den Ruf der Ketzerei
kommen sollte. Dagegen geschah es mit Vorwissen des
Rates, daß die Frankfurter in der Fastenzeit 1522 die
ersten evangelischen Predigten zu hören bekamen. Die
Anregung dazu ging von Nesens Gönnern Haman und
Blasius von Holzhausen aus, die als Patrone des Katha-
rinenklosters für dessen Kirche als Fastenprediger in
der Person Hartmann Ibachs einen Mann beriefen, den
der Kanonikus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstift
in seinem Tagebuch einen ‚‚discipel Martini Luthers“
und einen ,,vorlaufen lutterßen monnich‘“ nennt!), und
bei dem sich später ein starker Einschlag Zwinglischer
Gedanken nachweisen läßt?). Bei seinem Auftreten in
Frankfurt lagen ihm sehr praktische Fragen am Herzen.
Das erstemal, am Sonntag Invocavit (9. März) pries er
den Nonnen des Katharinenklosters die Ehe als einen Segen
für Geistliche wie für Laien. Zwei Tage später predigte er
gegen die Abgaben und riet, man solle keinen Zins geben,
sondern lieber arme Leute damit versorgen. Wieder nach
zwei Tagen nahm er sich die Heiligen aufs Korn und setzte
dem Volke auseinander, Maria und die übrigen Heiligen
seien nicht so hoch zu loben; sie zu verehren, sei auch
gar nicht in ihrem Sinne. Dann ging er zu den Bruder-
schaften und ähnlichen Dingen über. Er hätte wohl
noch öfter in dieser Weise gepredigt, aber die lebhaften
Auseinandersetzungen, die auf dem Heimwege unter den
Kirchgängern stattfanden — Königstein redet geradezu
von einem Aufruhr —, sowie die Einsprache, die Cochläus
und Meyer als Hörer der Predigten in Mainz veranlaßten,
ließen es dem Rate angezeigt erscheinen, dem Prediger
die Kanzel zu verbieten.
Wenn er dabei glaubte, so allen Weiterungen vorzu-
beugen, so erfuhr er freilich bald, daß gerade dieses Verbot
B 1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Ereig-
nisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 1548.
S. 31 und 33.
2) Ritter, Ev. Denkmal S. 55f. — Vgl. über Ibach auch
Dechent S. 84ff., wo auch die neuere Literatur über ihn verzeich-
net ist.
51 211
die Sache in ein neues Stadium brachte. Jetzt be-
| mächtigte sich ihrer der „christliche Adel deutscher
Nation“. Einer der benachbarten Taunusritter, Hartmut
von Cronberg, ‚der fromme und christliche Bischof des
ganzen Rheinstroms“, richtete, als Ibach an Reminiscere
nicht mehr predigen durfte, scgleich andern Tags einen
Briefan den Rat und ließ das Schreiben, als die Veröffent-
lichung am Römer nicht zugelassen wurde, in dessen
nächster Nähe am Fahrtor anschlagen!) Der Eindruck
seiner Schrift, die vor den falschen Propheten und Wölfen
warnte, war sehr groß. Der Rat hielt es für nötig, den
Zünften besondere Weisung zugehen zu lassen, wie sie
sich verhalten sollten. Er konnte damit aber nicht ver-
hindern, daß die Geistlichen allerlei Unfug und Spott
über sich ergehen lassen mußten. Bald zeigte es sich,
daß man es nicht mit dem Cronberger allein zu tun hatte.
Am 12. Mai war am Fahrtor wieder ein Brief angeschlagen,
diesmal von der Taunusritterschaft an die Pfaffheit zu
Frankfurt gerichtet, und eine Abschrift davon erhielten
noch besonders die Herren zu St. Bartholomäi, also vor
allem Stadtpfarrer Meyer. Der Adel verlangte evangelische
Predigt und drohte zu handeln, falls sie nicht zugelassen
würde. Dann stellte Hartmut wieder Meyer schriftlich
darüber zur Rede, daß er bisher mit seinen Predigten
das Seine gesucht habe. Auch Hutten hatte in den Gang
der Dinge einzugreifen gesucht, indem er — es war offen-
bar auf Cochläus, den Apostaten des Humanismus ab-
gesehen — bereits am 15. Aprilan der Tür des Liebfrauen-
stiftes zwei Briefe anheften ließ, in denen er den Prediger-
mönchen und den Kurtisanen Fehde ansagte.
Indessen gerade dieses Eingreifen der Ritterschaft
in die Frankfurter Angelegenheiten brachte dem Klerus
bald wieder bessere Tage. Hartmut von Cronberg war
mit Sickingen nahe verwandt und wurde in der Folge
in die Katastrophe der Sickingenfehde mit hereingezogen.
Bereits im Oktober 1522 war seine Burg in der Hand
1) Dieses ist von Königstein S. 33 mit der ,forphort'' ge-
meint. Wedewer, mit den Frankfurter Lokalitäten anscheinend
nicht vertraut, gibt es S. 54 mit ,,Pfarrpforte' wieder.
14*
212 | 52
der Fürsten, und seine Hoffnungen auf eine Wendung
zum Besseren sanken in sich zusammen, als im nächsten
Jahre auch Landstuhl und die Ebernburg fielen. Der
Rückschlag dieser Ereignisse auf die kirchliche Entwick-
lung in Frankfurt blieb nicht. aus. Von den Rittern
und den ihnen nahestehenden Humanisten hatte ,,das
Evangelium“ seitdem nicht mehr viel zu erwarten.
Um so wichtiger war es, welche Stellung der Rat
einnahm.
3. Die Haltung des Rates.
Den ersten Anlaß, in die kirchlichen Verbältnisse
der Stadt einzugreifen, bot dem Rate das kaiserliche Man-
dat, welches am 6. Marz 1523 auf Grund der Nürnberger
Reichstagsverhandlungen verkündigte!), quod nihil praeter
verum, purum, sincerum et sanctum evangelium et
approbatam scripturam pie, mansuete, christiane iuxta
doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia
christiana receptae scripturae doceant. Er eröffnete —
dieses Edikt den päpstlichen Prädikanten in den Stiftern
und Klóstern der Stadt mit der Weisung, sich mit ihren
Predigten danach zu richten, ,,und solches alles", wie Ritter
nach den Ratschlagungsprotokollen mitteilt?), ,,fürnem-
lich auch deswegen, weilen sich vieler Unmuth wegen
des Predigers zu St. Bartholomäi Dr. Meyers wie schon
bekant, bißhero erreget hätte, als der nebst denen andern
das Evangelium und Wort Gottes nicht reine und lauter
gepredigte, sie aber gern alles in ihrer Stadt, wie in poli-
tischen, also auch kirchlichen Dingen zur Ruhe und Frieden
gerichtet s&hen."
DaB der Rat mit seinen Sympathien auf der Seite
der Reformation stand, zeigt sich daran, daß Haman
von Holtzhausen, der mit anderen die Stadt auf dem
Reichstage vertrat, noch in demselben Jahre 1523 den
Pfarrer Dietrich Sartor von der Ignatiuskirche in
Mainz, der ihm als tüchtiger Prediger bekannt war,
1) Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
2. Bd. 8. Aufl. S. 44 Anm. 1.
*) Ritter, Ev. Denkmal S. 61.
53 213
nach St Katharinen brachte!). Aber die Führung in
den kirchlichen Dingen überließ man auf dem Römer
lieber anderen Händen. Die Stimmung der Bürgerschaft
war der Reformation von Anfang an günstig. Doch
scheint es sich zunächst mehr um einen Anstoß an dem
sittenlosen Wandel der Geistlichen und um eine tiefge-
wurzelte Abneigung gegen das religiöse Ausbeutungs-
system, den Reichtum, die Abgabenfreiheit und das
Asylrecht der Stifter, als um religiöse Interessen ge-
handelt zu haben. Der Abfall vom Papsttum war bald
fast allgemein, und schon 1524 verließen Mönche und
Nonnen in großer Zahl ihre Klöster, lernten ein Hand-
werk und traten ebenso wie manche Weltgeistliche in
die Ehe. Der Stadtpfarrer Meyer aber konnte sich bald
nicht mehr auf der Straße sehen lassen, ohne ausgerufen
und verspottet zu werden. Auch an allerlei Unordnung |
und Unruhe fehlte es nicht, so daß der Rat immer
wieder warnen und wehren mußte. Zu mancherlei
Schwierigkeiten kam es, als zuerst die Sachsenhäuser,
dann die Bornheimer evangelische Prediger begehrten.
Namentlich seit dem’ Bürgeraufstand 1525 kamen immer
mehr Anhänger der neuen Lehre als Prediger in die Stadt,
und wenn es dem Mainzer Bischof einmal gelang, der
Wirksamkeit der schärfsten Eiferer schon nach wenigen
Wochen ein Ende zu bereiten, so traten an deren Stelle
baldandereStiirmer und Dränger,z.B.DionysiusMelander®),
der sogar einmal (1533) von der Kanzel des Doms den
Bannfluch gegen den Papst und die gesamte römische
Geistlichkeit schleuderte.
Wie die Bewegung sich allmählig klärte und langsam
zu einer neuen Kirchenbildung führte, läßt sich an der
Stellung erkennen, welche die Mitglieder des Rates zu
1) Ebenda S. 62—64. Auch für das Folgende ist Ritter zu
vergleichen. ;
2) Er war „ein um das Evangelium wohlverdienter, dabey
aber ungemein hitzig- und etwas ausschweifender Mann“.
K. Gesch. 8. 35. Ähnlich charakterisiert ihn Köstlin-Kawerau,
Martin Luther, 5. Aufl. II, 315: „Ein schlagfertiger, stürmischer
und herrischer, nach Umständen auch plumper, ja schmutziger,
in seinem persönlichen Charakter nicht fleckenloser Volksredner“.
214 54
ihr einnehmen. Sie ist bei dem älteren Geschlechte anders
als bei dem jüngeren. Arnold Glauburger fand es mit
seiner reformfreundlichen Haltung noch durchaus ver-
einbar, sich von Kurtrier 1521 als Kammergerichts-
assessor präsentieren zu lassen, und Haman von Holz-
hausen, ‚einer der ersten und fürnehmsten mit, welche
im Anfang die erste Evangelische Predigt allbier . . be-
sorgten'!), ging noch 1525 am Maria-Magdalenentag
(22. Juli) in der Prozession neben dem Priester, der das
Sakrament trug. Man empfand das damals noch ebenso
wenig als einen inneren Widerspruch, wie wenn dieselbe
Katharina Holzhausen geb. Fröschin, die in Luther
den von ihren Ahnen geweissagten Bestreiter der päpst-
lichen Immunitäten erblickt und ihm bei seiner Durch-
reise nach Worms die Hände geküßt und ihn in seiner
Herberge mit Malvasier gelabt hatte, noch zwei Jahre
später in ihrem Testamente Jahreszeiten und Seelen-
messen zu St. Bartholomäi und St. Katharinen stiftete?).
Viel einheitlicher war schon die Haltung des Ratsherrn
und Schöffen Hans Bromm, der sich um die Einführung
der Reformation so offenkundige Verdienste erwarb,
daß bei seinem Begräbnis 1536 ein Maurer die Gedächtnis-
predigt in der Peterskirche mit den Worten unterbrach:
„Deß danck ihm GOtt und sey ihm gnädig, daß er den
großen Greuel und Bestien der Messe hingelegt!'" 9).
Und als der Gothaer Stadtpfarrer Friedrich Myconius
im Jahre 1542 in seiner Reformationsgeschichte4) die
Frankfurter Freunde der Reformation Revue passieren
1) Ritter S. 40. Er vor allem hatte Ibach 1522 berufen.
1531 empfahl er dem Rate die Anstellung eines neuen Prädikanten
an St. Peter. Ritter S. 148. Für die Besoldung des Rektors
Micyllus leistete er 1526 aus seinen privaten Mitteln einen Zuschuß.
Ritter S. 97f. Dem Rate gehörte er seit 1493 an, 1499 wurde er
Schöffe, 1507 und 1518 war er Erster Bürgermeister. Er starb am
31. Oktober 1536. Sein Epitaphium in der Katharinenkirche
bei Dechent S. 150.
2) Steitz, F. A. N. F. IV, 87f.
3) Ritter S. 229.
4) In der Ausgabe von O. Clemen (Voigtländers Quellen-
bücher, Band 68) S. 59.
55 215
ließ, durfte er bereits schreiben: „In dieser Kommun
waren treffliche Leut im Regiment, die über dem Evan-
gelio hielten." An erster Stelle nennt er hier den jüngeren
Hans Bromm, bei dessen verwitweter Mutter!) er vor drei
Jahren mit Melanchthon Gastfreundschaft genossen hatte,
und durch dessen Bruder Myconius inzwischen über die
Frankfurter Verhältnisse weiter unterrichtet worden war ?).
Der jüngere Hans Bromm, 1510 geboren, kam 1537
nach dem Tode seines Vaters in den Rat und wurde
1546 Schöffe, zehn Jahre später Erster Bürgermeister?).
Er ist 1564 gestorben. Nächst ihm nennt Myconius
Philipp Fürstenberger, dem er das Zeugnis eines vir
eruditus, bonus, prudens et erga omnes affabilis mini-
meque superbus ausstellt*), ohne übrigens zu wissen,
daß er bereits seit 1540 tot war. Fürstenberger war
1505 als Sechsundzwanzigjähriger in den Rat eingetreten.
Fünf Jahre später wurde er Schöffe, wollte sich aber von
diesem Amte bereits 1513 beurlauben lassen, — wie
Steitz meinte®), weil seinem hochstrebenden Geiste die
städtischen Verhältnisse zu eng waren. Er war ,,im
Kleinen für Frankfurt, was Willibald Pirckheimer für
Nürnberg war, der tätige Beförderer der Wissenschaft,
der Bildung und der Kunst, . . . eine Zierde seiner Vater-
stadt, eine staatsmännische Größe im Rate, die starke
Stütze der humanistischen und reformatorischen Inter-
1) Melanchthon redet in einem Briefe an ihn von ihr als
hospitae nostrae Francofordianae. Der Brief vom 4. April gehört
übrigens nicht in das Jahr 1529, wo ihn C. R. I, 1047 unterbringt,
sondern er ist, wie Classen, Über die Beziehungen Melanchthons
zu Frankfurt a. M. (Frankfurter Gymnasialprogramm 1860) S. 9f.
richtig erkannt hat, 1540 geschrieben.
*) Melanchthon gab ihnen den in der vorigen Anmerkung
erwähnten Brief mit Grüßen an Myconius mit.
3) Wenn ihn Myconius schon 1542 „Bürgermeister“ nennt,
so ist das offenbar eine Verwechslung mit seinem Vater, der 1526
und 1532 Erster Bürgermeister war.
*) Auch bei Cochläus (Brief an Willibald Pirckheimer vom
5. April 1520. Bei Steitz, F. A. N. F. IV, 106) ist er „der gute
und milde Mann“.
*) F. A. N. F. IV, 89.
216 ! 56
essen. ‘1). Als Erster Bürgermeister fungierte er 1519,
1525 und 1531 und hat in dieser Stellung mit Klugheit
Geschick und Besonnenheit das Schifflein des Frank-
furter Gemeinwesens namentlich durch das schwere
Jahr 1525 hindurchgesteuert. Für auswärtige Missionen
ist er gern verwendet worden. Bekannt ist vor allem seine
Entsendung zum Wormser Reichstag 1521; auf seine
ungenaue Berichterstattung geht das Märlein?) von dem
zaghaften Auftreten Luthers bei dem ersten Verhör
zurück?). Mit Hutten und Willibald Pirckheimer stand
er im Briefwechsel. Sein Interesse an der gelehrten Bildung
ging so weit, daß er es nicht verschmähte, noch 1520
mit Jakob Neuhaus und Haman von Holzhausen Schüler
des jungen Wilhelm Nesen zu werden. Die Reformation
hatte an ihm nächst Haman von Holzhausen ihren ent-
schiedensten und besonnensten Förderer. Von den übrigen
= Mitgliedern des Rates, die nach Myconius über dem
Evangelio hielten, verdient hauptsächlich noch Erwäh-
nung Justinian von Holzhausen, Hamans Sohn, den
‘wir 1524 und 1525 in Wittenberg treffen, wo er auf den
Rat seines Vaters namentlich bei Melanchthon Dialektik
hörte, „den in unserm uffleuf denselbigen zu dilgen und
nidder zu drucken haben wir mangel gehabt leude, die
etwas beret waren und perswadiren kuntten. Die rhe-
torica mach einen geschick der ungeschick von natur
ist, darumb soltu dich darin allen Dag uben et latine
et vulgari sermone*). Von der Universität zurückgekehrt,
kam er bereits 1529 in den Rat und wurde 1534 Zweiter
Bürgermeister, 1537 Schöffe. Das Amt des Ersten Bürger-
meisters bekleidete er nicht nur 1538 und 1543, sondern
besonders auch in dem durch den Interimsstreit so kri-
tischen Jahre 1549. Er mahnte damals Hartmann Beyer
1) Ebenda S. 105.
*) Vgl. Hausrath, Aleander und Luther auf dem Reichstage
zu Worms. S. 265ff. 355ff. und Luthers Leben I, 430.
3) In demselben Jahre 1521 wurde er mit Stephan Griin-
berger nach Mainz zu Kaiser Karl V. entsandt. Als Stadtebote
begegnet er uns außerdem 1518 in Augsburg, 1527 in Regensburg,
1530 in Augsburg und 1532 in Regensburg.
t) Classen, Beziehungen usw. S. 6 Anm. 8.
57 217
dringend zu Mäßigung in seinen Predigten: „Ihr werdet
uns, bei Gott, noch um das Evangelium bringen! wir werden
euch, bei Gott dem Herrn, noch einen Urlaub geben,
wo ihr nicht nachlasset!!“). Ein Jahr bevor er 1553 starb,
betrieb er noch die Berufung des jüngeren Matthias
Ritter in das Predigerministerium?), die nächst der-
jenigen Hartmann Beyers für die weitere Entwicklung
der kirchlichen Verhältnisse in der Stadt so folgenreich
geworden ist. Die anderen Ratsherren, die Myconius
noch erwühnt?), sind nicht weiter hervorgetreten. Wenn
er sie aber als omnes eruditi bezeichnet, so wissen wir,
daß auch bei ihnen jener Bund von Humanismus und
Reformation geschlossen war, der der kirchlichen Haltung
der Patrizier sein Gepräge gab, und der sein Ansehen
in der Stadt wieder fand, seit 1537 Micyllus zurückge-
kehrt war, ,,der fein trefflich gelehrte Mann,“ ‚in soluta
et ligata oratione incomparabalis".
— War die Stellung der Ratsherren nicht ia erster Reihe
von ihrem religiósen Standpunkte, sondern u. a. auch
von ihrem Humanismus beeinflußt, so beobachtete der
Rat als solcher bei allem Wohlwollen doch eine vorsichtig
zurückhaltende Stellung. Er ließ die evangelisch ge-
sinnten Prediger gewähren, weil er wußte, was Unraths
in der Stadt daraus erfolgen möchte‘), wenn er sich ihnen
und der ihnen blindlings ergebenen Bürgerschaft in Fragen
1) Steitz, Hartmann Beyer. S. 54.
2) Ritter S. 421.
3) Es sind: 1 Ortwinus zum Jungen, im Rat scit 1533, 1536
Zweiter Bürgermeister, 1539 Schóffe, gestorben 1547. 2. Christo-
phorus Stallberger, im Rat seit 1536, 1540 Zweiter Bürgermeister,
gestorben 1541. 3. Georgius Weiß senior, entweder: zu Sachsen-
hausen, seit 1527 im Rat, 1531 Schóffe, gestorben 1539 (6. No-
vember); oder: zu Lowenstein, seit 1537 im Rate, 1542 Zweiter
Bürgermeister, 1548 Schóffe, gestorben 1551. (Die Daten nach
Lersner.) Gemeint ist jedenfalls de? Zweite, der auf der Frank-
furter Tagung 1539 seine Vaterstadt vertrat und dadurch Myconius
bekannt wurde.
4) Bürgermeisterbuch, 20. Februar 1533 fol. 86, mitgeteilt
von Steitz, Abhandlungen zu Frankfurts Reformationsgeschichte.
S.-A. aus F.-A. V.) Frankfurt a. M. 1872. S. 262, vgl. 264.
218 58
der kirchlichen Reform widersetzte, und sorgte bei Er-
ledigung von Pfarrstellen dafür, daß solche Leute ein-
rückten, die ,,das Evangelium" predigten. Dabei war
ihm aber jede Art von Kanzelpolemik zuwider, und als
1524 Johann Rau gegen seinen Kollegen Meyer im Gottes-
dienst ausfallig wurde, lieB er allen Predigern ansagen,
nur das zu predigen, was keinen Aufruhr erwecke, denn
wenn sie nicht nach dem Edikt von 1523 das Evangelium
lauter und rein predigten, könne ihnen der Rat keines
Schutzes weder vor dem Gmnädigsten Herrn zu Mainz,
noch auch vor dem Volke versichern!) Vollends von
sich aus einen entscheidenden Schritt zu tun, vermied
er sorgfältig. Das ihm 1526 von dem Landgrafen von Hessen
angetragene Torgauer Bündnis lehnte er ab?), und unter
den Reichsständen, die gegen den Speyerer Abschied von
1529 protestierten, fehlt Frankfurt, auch wenn es mit
der protestierenden Minderheit Fühlung nahm?), noch
ebenso, wie es ein Jahr später unterließ, die Augsburger
Konfession zu unterzeichnen. Die Augustana hatte zwar
die Autorität der Wittenberger Theologen auf ihrer
Seite. Aber angenommen war sie zunächst nur von
wenigen Reichsständen. Überdies war sie nicht das
einzige Bekenntnis der neuen Lehre, das dem Reichstage
vorlag. Die Tetrapolitana der vier oberdeutschen Städte
Konstanz, Lindau, Memmingen und Straßburg, sowie
Zwinglis Glaubensbekenntnis standen ihr gegenüber. So
schien die theologische Seite der Sache noch zu wenig
geklärt. Bei den Bündnisverhandlungen aber, die den
Erörterungen über das Dogma parallel gegangen waren,
hatte die Angelegenheit auch einen starken politischen
Beigeschmack, der es den Herren auf dem Römer rätlich
erscheinen ließ, sich freie Hand vorzubehalten, zumal
ihre Interessen mehr nach Oberdeutschland als nach
Kursachsen gravitierten. Wenn so die Stadt davon Ab-
stand nahm, das Bekenntnis Melanchthons zu unter-
zeichnen, so gab sie aber doch ihre Unterschrift auch
1) Ritter, Ev. Denkmal S. 70.
2) Ebenda $. 99.
3) Ebenda S. 1231.
59 219
nicht zu dem Reichstagsabschied von Augsburg, weil
in diesem die Wendung vorkam, die Lehre der Prote-
stanten sei mit Zeugnissen der Heiligen Schrift widerlegt
worden. Sie bat sich vielmehr Bedenkzeit aus und plädierte
für ein allgemeines Konzil!). Erst als 1532 der Nürnberger
Religionsfriede den Ständen wenigstens bis zur Einbe-
rufung eines Konzils oder einer Nationalversammlung
Religionsfreiheit gewährte, befahl der Rat am 23. April
1533 die Einstellung des katholischen Gottesdienstes in
der Stadt und verbot zugleich den Besuch der katholischen
Gottesdienste in Höchst und Bockenheim. Doch ließ
er sich auch zu diesem Schritte erst durch die Bürger-
schaft drängen, deren unruhige Elemente einen Kirchen-
sturm ins Werk gesetzt hatten, und die Verantwortung
für seine Maßregel schob er den Zünften zu, indem er
diese zuvor darüber befinden ließ, ob ,,die Messe mit
ihrer Rüstung und alten Ceremonien“ als ,,ungóttliches
und unchristliches Ding“ abzutun sei?) Auch ließ er
schon sehr bald wieder (1535) den katholischen Gottes-
dienst zu und gab für ihn sogar den Dom frei. Es be-
durfte erst einerseits der drohenden Haltung, welche die
katholischen Nachbarn und das Reichskammergericht ein-
nahmen, und andrerseits der untrüglichen Gewißheit
dafür, daß der deutsche Protestantismus politisch als eine
imponierende Macht im Reiche dastehe, bis man es 1536
geraten fand, seine Zuflucht bei dem Schmalkaldischen
Bunde zu nehmen. Als aber zehn Jahre später in den
ersten Monaten des Jahres 1546 alles auf den unmittel-
baren Ausbruch des Krieges hinwies, war das Vertrauen
des Rates zu der Macht des Bundes so gering, daß er aus
Furcht vor dem Zorn des Kaisers vorzog, den Nieder-
làndern, die durch Jan Utenhove um Aufnahme in die
Bürgerschaft nachsuchten, das Gastrecht zu verweigern,
das er 1498 den aus Nürnberg verjagten Juden aus freien
1) Ebenda 8. 145.
*) Auszüge aus den Antworten der Ziinfte bei Dechent,
Geschichte der Stadt Frankfurt in der Reformationszeit. Schriften
für das deutsche Volk, herausgegeben vom Verein für Reformations-
geschichte. Nr. 43. S. 17f.
vr.
S
220 60
Stiicken angetragen hatte. Und als dann bald die Macht
des Bundes die Feuerprobe bestehen sollte, lieferte der
Rat (im Dezember 1546) die Stadt ohne Schwertstreich
an den kaiserlichen Feldherrn Maximilian von Büren
aus. Auch als der Kaiser in dem Augsburger Interim
versuchte, die früheren kirchlichen Zustände wieder
herzustellen, war es wieder der Rat, der sich im Gegen-
satze zu dem mannhaften Widerspruche der Prädikanten
zu jedem schwächlichen Zugeständnisse bereit finden
ließ. Erst der Passauer Vertrag stärkte dem Rate, der
durch seine schwankende Haltung die Stadt 1552 der
schweren Belagerung durch Moritz von Sachsen ausgesetzt
hatte, das Selbstvertrauen, und als gesichert durfte der
Bestand der Reformation in Frankfurt angesehen werden,
als der Augsburger Religionsfriede den evangelischen
Reichsständen das ius reformandi einräumte.
Fragt man, von welchem Gesichtspunkte der Rat
sich bei dieser ganzen Haltung in der kirchlichen Frage
leiten ließ, so ergibt sich als Kanon, daß für ihn nur
außerkirchliche Erwägungen maßgebend waren. Sein
Verhalten kann vom kirchlichen Standpunkte aus nur
als unentschieden, sprunghaft, widerspruchsvoll beurteilt
werden. Aber sofort erkennt man Einheit, Stetigkeit
und Folgerichtigkeit darin, wenn man als ausschlag-
gebenden Beweggrund die Rücksicht auf die politische
Zeitlage und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt
ins Auge faßt!). In der Tat stand für Frankfurt viel auf
dem Spiele. Hier wurden seit alters die deutschen Könige
gewählt, und das Ziel, auch Krönungsstadt zu werden,
schien nicht ferne?) Es war nicht zu erwarten, daß
das alte Privileg erhalten blieb, viel weniger daß ein
neues hinzukam, wenn man in der kirchlichen Frage
dem Kaiser offen entgegentrat. Eswarnach dieser Richtung
ein sehr deutlicher Wink, den man in Frankfurt auch
recht gut verstand, wenn Karl V. 1531 die Wahl seines
1) Auf „Motive des innern städtischen Lebens‘ führt auch
Ranke III, 349 den Anschluß Frankfurts an die Reformation
zurück.
*) Erreicht wurde es 1562.
61 221
Bruders Ferdinand zum römischen König nicht in Frank-
furt, sondern in Köln vornehmen ließ. Auch die Freiheit
der Reichsstadt kam in Frage. War der Zorn des Kaisers
einmal herausgefordert, so konnte es leicht geschehen,
daß auf kaiserlichen Machtspruch hin die Stadt ihren
reichsunmittelbaren Charakter verlor und als schätzens-
werte Landstadt in den Besitz eines dem Kaiser ergebenen
Territorialfürsten überging. Und vor allem stand zu be-
sorgen, daß die Messen, diese ergiebigen Quellen für den
Wohlstand der Bürgerschaft und des städtischen Ge-
meinwesens, der Stadt entzogen würden, um etwa dem
benachbarten Mainz oder Worms überwiesen zuwerden!).
Schließlich schien auch für die Sicherung der Reformation
selbst ein maßvolles und kluges Vorgehen immer noch
am aussichtsreichsten, während ein intransigentes Ver-
halten, wie es die Prädikanten nach der Verkündigung
des Interims beobachteten, so charaktervoll es war,
doch leicht alles in Frage stellen konnte?).
Wo solche Sorgen den Rat bedrückten, ist es nicht
weiter zu verwundern, daß er die Regelung der inner-.
kirchlichen Fragen in dieser ganzen Zeit gern anderen
Händen überließ, sich auf ein bei aller Vorsicht doch
immer wohlwollendes Gewährenlassen dem Neuen gegen-
über beschränkte und jedenfalls darauf verzichtete, von
sich aus zur Aufstellung einer festen Norm der Lehre
zu schreiten. Fast zwei Jahrzehnte lang genügte ihm die
Bestimmung von 1523, daß das Evangelium rein und
lauter zu verkündigen sei. Die Annahme der Augsburger
Konfession und die Zustimmung zu der Wittenberger
Konkordie ging für ihn nicht wesentlich über jene Be-
stimmung hinaus. Erst am Anfang der vierziger Jahre
sah er sich durch die Entwicklung der kirchlichen Ver-
1) Bothe, Frankfurt in Sage und Geschichte. II, 2. S. 6. 28.
Erläuterungen S. IIIf. Ranke IV, 340: „Ich finde in der Tat, daß
die Stadt Worms sich schmeichelte, dieselben (nämlich die Messen
an sich zu ziehen,“ als Büren 1546 vor der Stadt erschien.
*) Hierauf machte der Rat die Prädikanten auch aufmerk
sam. Steitz, Hartmann Beyer. S. 32f., 43.
222 62
haltnisse in der Stadt veranlaBt, von sich aus genauere
Festsetzungen zu treffen.
Den Gang dieser Entwicklung haben wir nunmehr
näher ins Auge zu fassen.
4.Der Bürgeraufruhr und der kirchliche Radi-
kalismus. |
Die nächste Welle reformatorischer Erhebung stieg
in dem unruhigen Jahre 1525 empor. Auch Frankfurt
hat damals seinen Aufruhr erlebt. Noch ehe er ausbrach,
mußte Stadtpfarrer Meyer flüchten; daß er in einer Fasten-
predigt am 12. März in seiner derben, anzüglichen Weise
von „Hundsbräuten‘‘ gepredigt hatte, war den Frank-
furtern denn doch zuviel. Drei Tage später verschwand
er auf Nimmerwiedersehen. Fremde Kaufleute, die dann
zur Fastenmesse kamen, hörten ein Gerücht, am Ende
der Fastenzeit werde man in der Stadt etwas Neues
erleben, Verschwörung und Aufruhr seien im Werk.
Dieses Gerücht bestätigte sich dann auch, als am Oster-
montagmittag (17. April) sich auf dem Peterskirchhofe
ein großer Haufe Unzufriedener ansammelte, deren Un-
wille sich ,,widder den rat und geystlichkeit" richtete!).
Wie die beiden Bürgermeister, die alsbald auf dem Platze
erschienen, feststellten, betrafen die Beschwerden ‚das
ungelt, wyn und korn, zins und sunst der glichen vill"
und gingen von der Gesamtheit der Zünfte aus. Während
nun der Rat in Verhandlungen mit den Wortführern
der Menge eintrat, drang der Haufe in Klöster und Pfarr-
häuser ein und hielt sich an Speise und Trank schadlos.
Cochläus, dem schon seit geraumer Zeit der Frankfurter
Boden recht heiß geworden war, fand es ebenso wie sein
Kollege vom Bartholomäusstift geraten, der Stadt den
Rücken zu kehren. Die Verhandlungen der Aufstän-
dischen mit den beiden Bürgermeistern führten am
1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Er-
eignisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis
1548. Frankfurt a. M. 1876 8. 79.
63 223
20. April zur Ubergabe von 42 Artikeln, die bis zum
23. April auf 45 ergänzt wurden’). g
Diese Artikel, die eine unverkennbare Ahnlichkeit
mit den 12 Artikeln der Bauernschaft besitzen, zeigen
uns deutlich den religiös-sozialen Charakter der Be-
wegung. ,,Erstlich“*, so beginnen sie, „ist unser Bitt
und Begehr und ernstlich Meinung, daß hinfürter ein
ehrsamer Rat und Gemein, einen Pfarrherrn in den Pfarr-
kirchen und andere Kirchen zu setzen und zu entsetzen,
Macht haben sollen; dieselben erwählten Pfarrherrn
auch nichts anderes, denn das lautere Wort Gottes,
das heilig Evangelium, unvermengt menschlicher Satzung,
predigen sollen, damit das Volk in rechter Lehr gestärket
und nit verführet werde. Des weiteren wird eine Reihe
von sittlichen und sozialen Forderungen aufgestellt.
Der Klerus wurde u. a. an die Pflicht der Keuschheit
erinnert, — eine Forderung, die noch Nachdruck erhielt,
als am 26. April im Auftrag der Gemeine eine Abordnung
in etlicher Prälaten, Kanoniker und Vikare Häuser ging
und ausrichtete, ‚sie sollen ire maid von inen thun
und sich vor schaden hutten,“ worin die verängstigten
Kleriker auch willigten?). Zu den Pflichten der Bürger
sollten auch die Geistlichen herangezogen werden, den
Mönchen sollte Bettel, Predigt und Beichtehören ver-
boten, der Austritt aus ihren Klöstern dagegen freige-
stellt, den Orden aber die Aufnahme neuer Mitglieder
verwehrt sein. Auch die Einrichtung eines gemeinen
Kastens war vorgesehen, damit die Armen versorgt
würden und nicht betteln müßten. Von dem sittlichen
Ernste der Aufständischen zeugte die Forderung, daß
alle Zusäufer und Gotteslästerer gestraft werden sollten
ohne alles Nachlassen. Andere Beanstandungen betrafen
die gleichzeitige Zugehörigkeit von Vater und Sohn oder
zweier Brüder zum Rat, den kleinen Zehnten, die Schäfe-
reien der Deutschherren auf dem linken Mainufer, die
Kosten für die Söldnerpferde u. a. m.
1) Vgl. über sie Dr. R. Jung, Zur Entstehung der Frankfurter
Artikel von 1525. F. A. 3. F. 2. Bd. (1889) S. 198ff.
13) Steitz, Königstein S. 83.
224 64
Als Verfasser dieser Artikel kommt nach Königstein 2)
der Schwager Carlstadts, Dr. Gerhard Westerburg?) in
Betracht, der in jener Zeit in Frankfurt wohnte. Dieser,
aus einer Kölner Patrizierfamilie hervorgegangen und-
in seiner Vaterstadt und in Italienhumanistisch vorgebildet,
war seit 1521 unter den Einfluß der Zwickauer Propheten
geraten, hatte dann deren Träume in Zürich, wo er zwar
nicht mit Zwingli, wohl aber mit der radi kalennoch nicht
zum Anabaptismus ausgearteten Partei der Stadt Fühlung
nahm, mit einem strengen Schriftprinzip vertauscht und
verfolgte nun mit Ernst und Eifer das eine Ziel, das kirch-
liche und bürgerliche Leben nach den Normen der Bibel
umzugestalten, wofür ihm aber ‚das Wort“ allein nicht
genügte. Im Jahre 1524 finden wir ihn in dem Aufstands-
gebiete um Waldshut, wo eine „evangelische Brüder-
schaft“ die zwölf Artikel der Bauernschaft verbreitete.
In demselben Religion und Politik verquickenden Sinne
war er dann als ‚evangelischer Mann‘, wie er sich selbst
nannte, in Frankfurt tätig, wo er sich lange vor Ausbruch
der Unruhen einmietete und bei Tag und Nacht evan-
gelische Brüder in großer Zahl um sich sammelte. In
seiner Hand liefen die Fäden des Frankfurter Aufstandes
zusammen, und er leitete die Bewegung mit solchem
Geschick, daß er, als sie fehlgeschlagen war, sich unan-
gefochten in das Privatleben zurückziehen konnte. Von
Natur heftig und leidenschaftlich, verfügte er über eine-
volkstümliche Beredsamkeit, von der uns heute noch
seine Schriften Zeugnis ablegen?) Zum Schwärmer
war er nicht geboren, er war vielmehr ein „Mann der
Wirklichkeit und der scharfen Reflexion, klug, sogar
schlau, gewandt und schlagfertig. Obgleich des Wortes
in hohem Grade mächtig, war doch sein eigentliches
Gebiet das des Handelns und der überlegten Tat“. Wir
beobachten bei ihm ,,die Lust an der Opposition und dem
1) Ebda 8. 86.
2) Vgl. über ihn Steitz in den Abnandisügeh zu Frankfurts
Reformationsgeschichte. (S.-A. aus F. A. N. F. 5. Bd.) Frankfurt
a. M. 1872 8. 1— 2195.
3) Ebda. S. 198.
65 225
Streite, verbunden mit dem unruhigen Drang, eine tätige
Rolle zu spielen!) Es war ihm nicht sowohl darum
zu tun aufzubauen, als vielmehr niederzureißen und für
einen neuen Bau Raum zu schaffen. Religiöse Tiefe.
und Gemüt gingen ihm ebenso ab, wie Gelehrsamkeit
oder gar Genialität. Dafür aber besaß er einen klaren
Blick und einen redlichen Sinn, eine aufrichtige Liebe
zur Kirche und ein warmes Mitgefühl mit ihren Schäden,
einen unbeugsamen und geraden Charakter?). Am meisten
interessiert uns hier sein kirchlicher Standpunkt. Über
ihn urteilt sein Biograph?): „Durch alle Wandlungen
seines bewegten Lebensganges geht eine evangelische An-
schauung hindurch, die in der Bestimmtheit und Richtung,
welche sie von Anfang an zeigt, ihn für die reformierte
Kirche prádestinierte. Dahin gehört vor allem die unbe-
dingte Unterwerfung unter Gottes Wort in der heiligen
Schrift, das ihm die alleinige und ausschließliche Richt-
schnur aller Wahrheit ist. " Es ist nur eine naturgemäße
Entwicklung, die er durchlief, wenn er nach der wieder-
täuferischen Episode seines Lebens schließlich in der
reformierten Kirche landete und uns 1546 an der Seite
Laskis in Ostfriesland begegnet.
Eine Schilderung des Verlaufs, welchen der Frank-
furter Aufstand unter der Leitung dieses Mannes genommen
hat‘), würde über den Rahmen unserer Aufgabe hinaus-
gehen. Es genügt, an die Haupttatsachen zu erinnern.
Der Rat nahm am 22. April die Artikel an, nachdem
die Geistlichkeit ihre Zustimmung erklärt hatte, und
ließ sie von den Bürgern beschwören. Damit schienen
im Innern georänete Zustände wiedergekehrt zu sein.
Aber nun erhoben sich von außen her neue Schwierig-
keiten. Die Bauern näherten sich auch Frankfurt, und
1) Ebda. S. 164.
2) Ebda. S. 210.
3) Ebda. S. 202.
*) Vgl. dazu das Frankfurter Aufruhrbuch von 1525, als
Neujahrsblatt des Frankfurter Geschichts- und Altertumsvereins
herausgegeben von Steitz 1875.
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 3/4. 15
226 66
unter den Ziinften der Stadt lieBen sich trotz der beruhi-
genden Erklärungen, die sie dem Rate abgaben, Stimmen
genug vernehmen, ,,die vermeinten, die geistlichkeit und
Juden, auch die deutschen herren uf die fleisch bank
zu libern, han sich auch heimlich lassen horen, wo es
nit nach irem willen ghe, wolten sie der artikel gar keinen
halten‘‘!). Die Bewegung in der Stadt geriet in die Hände
der radikalsten Elemente, und selbst der ältere Bürger-
meister Philipp Fürstenberger war in seiner Wohnung
nicht mehr sicher. Doch führte gerade der Terrorismus,
der nun drohte, den Umschwung herbei. Der konser-
vative Teil der Bürgerschaft trat aus seiner Untätigkeit
heraus, und, auf ihn gestützt, verfügte der Rat die Aus-
weisung Westerburgs. Eine weise Milde, die mit solcher
Festigkeit, gepaart war, führte dann wieder zu ruhigen
und gesicherten Verhältnissen. Es war höchste Zeit.
Denn in denselben Tagen brach die Herrlichkeit der Bauern
zusammen, und die Sieger verlangten nun auch von
Frankfurt die Auslieferung der Empörer, die sich dahin
geflüchtet hatten. Bei den Verhandlungen, die daraufhin
in Pfeddersheim gepflogen wurden, kamen auch die Frank-
furter Unruhen zur Sprache. Ein strengeres Strafgericht
der Fürsten konnten die Vertreter abwehren. Doch mußte
der Artikelbrief ausgeliefert und der alte Stand der Dinge
wieder hergestellt werden.
Gingen der Bürgerschaft die sozialen Errungenschaften
des Aufruhrs verloren, so blieb ihr die evangelische Predigt
erhalten. Wie sie in den Artikeln an erster Stelle ge-
fordert worden war, so hatte der Rat bereits am 24. April
die Berufung evangelischer Prädikanten erwogen. Er
wandte sich deswegen an Luther, der daraufhin Johann
Agricola schickte?). Doch blieb dieser nur einen Monat,
da er bei seiner Ankunft bereits andere Männer an der
Arbeit fand, mit denen er nicht gleichen Sinnes war.
Es waren Dionysius Melander und Johannes Bernhard
1) Königstein S. 85.
3) Vgl. das Beglaubigungsschreiben vom 30. Mai 1525 in der
Erlg. Ausg. 53, 307 und die Erläuterungen dazu bei Enders,
5, 183.
DuA
67 227
genannt Algesheimer, beide der reformierten Denkweise
viel näher stehend als der lutherischen. Melander, der
einmal von der Kanzel den Bann gegen den Papst und die
ganze Klerisei schleuderte, begegnet uns später als geist-
licher Berater Philipps von Hessen, dessen Bigamie er
auch auf der Kanzel verteidigte!) Algesheimer hat
nachmals den Frankfurter mit dem Ulmer Kirchendienst
vertauscht, als ihm (1536) in Peter Geltner ein ausge-
sprochener Schiiler Luthers zur Seite trat. Die von diesem
betriebene Einführung der sächsischen Zeremonien, na-
mentlich der Gebrauch der Alba und das Brennen von
Kerzen bei der Abendmahlsfeier, war offenbar nicht
nach seinem Sinne?).
Ihre Tätigkeit in Frankfurt begannen die neuen
Männer an Pfingsten (4. und 5. Juni) 1525 unter großem
Zulauf in der Liebfrauen- und Leonhardskirche?). Sie
repräsentieren die Sturm- und Drangperiode in der Frank-
furter Reformationsgeschichte. Auch der Pfeddersheimer
Vertrag setzte ihrer Wirksamkeit kein Ende. Welchen
Anklang sie fanden, zeigt die Bitte, welche damals die
Steinmetzen dem Rate vortrugen, keine anderen Prediger,
denn so jetzo seien, aufstehen zu lassen, damit weiterer
Aufruhr unter der Gemeine nit entstehe. Ähnlich baten
die Zünfte insgesamt, daß das Evangelium nach Laut
des ersten Artikels auch ferner gepredigt werde‘). So
hielt denn der Rat schützend seine Hand über die beiden
Prediger, von denen Melander die Sonntags-, Algesheimer
die Wochengottesdienste (am Mittwoch- und Freitag-
nachmittag) übernahm. ‚Sie han alle beyde den pabst,
pristerschaft hochlich angetast, das hochwirdig sacra-
ment, all ceremonien der kirchen und sunderlich die
meß ganz veracht“5). Dazu richteten sie auch den Gottes-
!) Hiergegen erhob Bucer Einsprache in seinem Brief an
den Landgrafen vom 19. April 1540. Lenz, Briefwechsel Landgraf
Philipps des Großmütigen von Hessen mit Bucer, I, 165f.
2) Über Algesheimer vgl. Enders 11, 15. Er hat semen
Namen von Algesheim bei Ingelheim, wo er früher Pfarrer war.
*) Königstein S. 89.
t) Steitz, Westerburg S. 101.
5) Kónigstein S. 99.
15*
228 68
dienst ganz neu ein „mit ongewonlichem gesang in der
pharkirchen“!), d. h. sie führten den Gemeindegesang
ein. Der Rat ließ sie bei alledem ruhig gewähren. Auch
der neue Dompfarrer Dr. Friedrich Nausea, der Anfang
1526 sem Amt antrat, richtete nichts gegen sie aus, da
die Gemeinde sich vorgenommen hatte, ihn überhaupt
nicht zu Worte kommen zu lassen?) Ebenso war eine
Beschwerde des Mainzer Ordinariates tiber sie vergeblich.
Die Verantwortung, welche sie dagegen dem Rate vor-
legten, ist deshalb besonders denkwiirdig, weil sie uns zeigt,
wie abhängig die beiden Prädikanten von Zwingli waren,
— „selbst die Schlagwörter des Schweizer Reformators
hatten sie sich angeeignet. Frankfurt trat durch ihre
Wirksamkeit entschieden in die Reihe der vom Geiste
Zwinglis beherrschten Städte‘“°).
Einen Bundesgenossen erhielten Melander und Alges-
heimer 1529 noch in dem bisherigen Lektor und Guardian
der Barfüßer Peter Pfeiffer, genannt Chomberg, der nach
Auflösung seines Klosters (1529) gleichfalls scharf gegen
die Lehren und Einrichtungen der alten Kirche eiferte,
später aber, als Geltner die sächsischen Riten in Frank-
furt einführen wollte, mit Algesheimer nach Ulm zog.
Wir besitzen von ihm noch eine Skizze der Predigt,
welche er am 12. Juli 1529 morgens 7 Uhr in der Bar-
füßerkirche in habitu saeculari vor viel Volk über Joh. 14, 6
hielt. Er nahm die drei Mönchsgelübde vor und be-
kannte, „alles, das er getan hab im orden und kutten,
sei widder Goit gewest, wan die werk gar nit selig machen.
Er hat auch gezwifelt, ob sanct Franciscus selig sei,
und gesagt: Francisce, Francisce, die blat, kutt, gepett.
hot dich nit selig gemacht! auch es sei kein obberkeit
meh, wan die weltlich, welcher man gehorsam leisten
soll, und der gleichen ketzersch artikel vill, alle zu eyner
schande, ußgeruffen, den babst vernicht, die beicht ver-
acht, die meß gar abgethan“*).
1) Ebda. S. 101.
8) Wedewer, Johannes Dietenberger. S. 73f.
8) Steitz, Abhandlungen usw. 8. 221.
*) Königstein S. 153.
s Oh) E
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F
69 | 229
Ebenso wie über die Lehren und Einrichtungen
der Kirche setzten sich diese Prediger freilich oft auch
über die Gebote von Sitte und Anstand hinweg. Zu
lange hatten diese Männer wider ihre Natur gelebt. Jetzt
ließen sie sich widerstandslos von ihr zu allem fortreißen.
Auf die Frage, was denn noch gelten solle, hatte ihr
Radikalismus keine Antwort. Chomberg fing am Brunnen
Liebschaften mit den Mägden an, die Wasser holten.
Die beiden anderen gaben so vielfaches und schweres
Ärgernis, daß der Rat zeitweilig (1528) erwog, nach zwei
anderen, ehrbaren Prädikanten zu trachten, die sittiger
wären, denn diese zwei!). Es kam indessen nicht so weit,
wohl mit Rücksicht auf die Gunst, die Melander?) und
Algesheimer bei dem Volke genossen. So beschränkte
sich der Rat darauf, ein Jahr später, in der Person des
Johannes Cellarius einen Wittenberger Theologen zu be-
rufen, der, von Luther warm empfohlen®), Garantien für
Gelehrsamkeit, Mäßigung und Sittenstrenge zu bieten
schien. |
Der Versuch indessen, mit ihm ein gemäßigteres
Element in das Predigerministerium zu bringen, scheiterte
an der Verschiedenheit der Dogmatik. Cellarius konnte
sich auf die Dauer nicht halten. Bereits nach einem
halben Jahre stellten sich zwischen ihm und den drei
anderen Predigern bei Aufstellung einer Abendmahls-
liturgie erhebliche Meinungsverschiedenheiten heraus, die
sich in der Folge so zuspitzten, daß der Rat sich schließlich
im Frühjahr 1532 genótigt sah, ihm ,,einen freundlichen
Urlaub zu geben“. An seiner Statt wurde Matthias
Limberger als Prediger an St. Peter angestellt und damit
die Homogenität des Kollegiums wieder hergestellt.
Doch setzte Cellarius auch jetzt noch seine Predigt-
tätigkeit im Katharinenkloster fort, bis die Prädikanten
dem Rat erklürten, sie würden ihre Wirksamkeit ein-
1) Steitz, Abbandlungen usw. S. 269.
2) Melander muBte aber zuletzt doch um unsauberer Dinge
willen seine Stelle aufgeben.
*) Wrampelmeyer, Tagebuch über Dr. Martin Luther ge-
führt von Dr. Conrad Cordatus. Nr. 1139. S. 299.
230 70
stellen, falls er den Winkelprediger noch länger dulde!).
Daraufhin benutzte Cellarius die Herbstmesse, um sich
nach Wittenberg zu begeben.
Der Charakter des Frankfurter Reformationswerkes
ist in dieser Phase der Entwicklung erheblich verscbieden
von demjenigen des vorhergehenden Stadiums. Der Huma-
nismus, welcher damals die Führung hatte, muBte jetzt,
da man die Zünfte gewähren ließ, mehr und mehr zurück-
treten. ‚Charakteristisch dafür ist das Schicksal, welches
den Rektor Micyllus?) eben in diesen Jahren traf. Dieser
hatte im Herbst 1524 die Leitung der Schule Wilhelm
Nesens übernommen. Seine Geistesrichtung war bestimmt
worden durch den Erfurter Humanistenkreis, dem er
1518—1522 angehört hatte. Sie faßt sich in dem Be-
kenntnis?) zusammen: ‚Ich habe mich überzeugt und
bin durch griindliches Nachdenken zu der Einsicht ge-
langt, daB ohne die Grundlage dieser Studien, mag man
sie poetische oder humane nennen wollen, weder góttliche
noch menschliche Dinge auf die rechte und erfolgreiche
Weise behandelt werden können.“ Ein Aufenthalt in
Wittenberg 1523 hatte ihn nicht tiefer unter den Einfluß
Luthers gebracht. Wenigstens erklärte er bei seiner
Bewerbung um die Professur für die griechische Sprache
an der Heidelberger Universität gegen den Kurfürsten
Ludwig V. von der Pfalz am 5. Dezember 1532: ‚Wo
vielleicht, als ich besorg, in Ew. Churfürstl. Gnaden
durch Mißgunst eingebildet wäre, daß ich der lutherischen
Sekte anhängig sein sollte, geb’ ich diesen wahrhaftigen
Bericht, daß mir solches ganz zu Unschulden zugemessen.
Dann wo dem also, wäre ich bei einer ehrsamen Stadt
Frankfurt, da ich ehrlich Unterhaltung gehabt, blieben
1) Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f.
2) Vgl. Steitz, Ebda. S. 216—256: Des Rector Micyllus
Abgang von Frankfurt 1533 nach seinen bisher unermittelt ge-
bliebenen Ursachen dargestellt. Über Micyllus vgl.noch: J.Classen,
Jacob Micyllus, Rector zu Frankfurt a. M. 1524—1533 und
1537— 1547, als Schulmann, Dichter und Gelehrter. Zwei Abtei.
lungen. Frankfurt a. M. 1858.
3) In der Widmung seiner Ausgabe von Boccacios Genealogia
Deorum (4. November 1531), bei Steitz S. 226.
71 231
und wollte wohl bei Andern eine mehrer Besoldung er-
langen mögen. Ich hab’ bisher mich der Theologie nichts
unterzogen und mit keinerlei Secten umgangen, allein
bonis litteris und meinem fürgenommenen Studio ange-
hangen, wie ich auch fürder zu thun gedenke 1) °° Für
einen solchen wissenschaftlichen Betrieb hatte man aber
in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre keinen Sinn,
und ehemalige Mönche wie Melander, Algesheimer und
Chomberg waren nicht die Leute, ihn zu pflanzen. Die
anfangs freundlichen Beziehungen zwischen ihnen und
dem Rektor erkalteten. Ihr demagogisches Auftreten
war seiner Gelehrtennatur im höchsten Grade zuwider,
und nach den stachelichten Versen zu schließen, die er
ihnen gewidmet hat, waren auch die persönlichen Er-
fahrungen, welche er mit ihnen machte, recht unerquick-
lich. Als ar sich dann enger an Cellarius anschloß, der
ihm aus der Schule Melanchthons ein größeres inneres
Verständnis für seinen Interessenkreis entgegenbrachte,
wurde seine Stellung vollends unhaltbar. Es waren die
Wege des Humanismus und der Reformation, die sich
damals in Frankfurt schieden, um sich später unter
günstigeren Umständen wieder zusammenzufinden. Die
Prädikanten ‚‚verdächtigten seine Wissenschaft und
seinen Unterricht als heidnisch und machten es ihm wohl
unverhohlen zum Vorwurf, daß er durch die Einführung
der Jugend in die antiken Religionen dem heidnischen
Götzendienst der katholischen Tempel, der Messe und
der Heiligen einen Halt gewähre; sie wußten die Bürger-
schaft, die sie mit ihren demagogischen Künsten bear-
beiteten und lenkten, gegen die Schule einzunehmen
und wurden dadurch die Urheber ihres Verfalles; der
Rat aber, der selbst dem Terrorismus des Dionysius
keine Macht entgegenzustellen hatte, vermochte weder
den Micyllus, noch die Schule zu schützen und mußte
ihn zuletzt seinen Feinden opfern''?). Mit Beginn des
1) Bei Steitz S. 252.
2) Steitz, S. 227. — Als verfehlt erscheint mir der Versuch
von Steitz S. 253, aus Micyllus einen Märtyrer des Luthertums
zu machen, der den Anhängern Zwinglis habe weichen müssen.
232 72
Jahres 1533 siedelte Micyllus nach Heidelberg über,
Damit schied der Humanismus als reformatorisches
Prinzip endgültig aus der Frankfurter Kirchen-
geschichte aus.
9. Luther und die Frankfurter Kirche.
Der Einfluß Luthers, den Cellarius vermittelt hatte,
ging an dem Frankfurter Kirchenwesen nicht spurlos
vorüber. Er zeigt sich in dem „Bedenken“, welches
die vier Prädikanten am 3. März 1530 auf Veranlassung
des Rates „einhellig‘“ vorlegten, und das von Cellarius
verfaßt ist. Dieses , Bedenken", in welchem wir die
älteste Frankfurter Kirchenordnung zu erblicken haben t);
nimmt sich Luthers ,,Deutsche Messe“ zum Vorbild,
läßt aber dabei das Nebeneinander des Wittenberger
und des Schweizer Typus mit ziemlicher "Deutlichkeit
erkennen. Wie Luther, so wollen auch die Frankfurter
aus ihrer Gottesdienstordnung kein Gesetz machen, das
die Gewissen wie unter dem Papsttum verwirren könnte,
Sie behalten je nach Zeit und Umständen Änderungen
ausdrücklich vor. Auch die Benützung des Gottesdienstes
Die konfessionelle Antithese, die Steitz zwischen M. und den Prädi-
kanten machte, hàlt nicht Stich angesichts der oben mitgeteilten
Erklärung des M., Frankfurt sei eine lutherische Stadt, in der er,
falls Lutheraner, hatte bleiben kónnen. Auch der Anschluf an
Cellarius ist kein hinreichender Beweis für die lutherische Denk-
weise des M. beide begegneten sich auf der gemeinsamen Basis
des Humanismus. Unhistorisch und Silbenstecherei ist es, wenn
Steitz meinte, M. habe sich nur zu einer lutherischen „Kirche“
als der „Kirche Christi selbst in ihrer gereinigten Gestalt", als der
„Gemeinschaft des wahren Protestantismus‘“, aber nicht zu einer
lutherischen ‚Sekte‘ bekannt. Es ist eine Vorausdatierung einer
sehr viel späteren Ausdrucksweise, schon im Jahre 1532 eine solche
luth. Kirche erwähnt finden zu wollen. Über den Sinn, welchen
der Ausdruck ,,luth. Sekte“ in dem damaligen Frankfurt hatte,
läßt das Tagebuch Körigsteins keinen Zw. ifel: zu ıhr gehören die
kirchlichen Neuerer insgesamt. Ihnen will M. nicht zugezählt
sein, gleichviel ob sie auf Wittenberg oder auf Zürich eingeschworen
seien. Er ist nicht Theolog, sondern Humanist.
*) Abgedruckt bei Ritter, Evang. Denckmahl S. 195ff. Der
Entwurf des Cellarius ebenda S. 199ff.
73 233
zur Belehrung der Jugend und des Volkes entspricht
ganz dem Wittenberger Muster, an das sie sich auch
mit der Anmeldung zum Abendmahl anschlieBen. Und
wenn die Einsetzungsworte aus den vier Berichten zu-
sammengearbeitet sind, so geht das ebenso auf den
Vorgang Luthers zurück, wie die Reihenfolge, in der
die Kommunikanten am Altar erscheinen. Anderes
dagegen ist stillschweigend aufgegeben, manches
auch neu eingeführt. Meßgewänder, Altar und Lichter,
die Luther nicht angetastet hatte, sind in der Frankfurter
Ordnung nicht erwähnt. Für die Abendmahlsfeier sollen,
„wie auch zuvor, unter dem Bapstthum, hie breuchlich
gewest ist," lange Tische vor dem Chor aufgestellt werden.
Auch wurde der Rat ersucht, er möge ‚etliche dapfere
ansehliche Menner verordnen, die Got und dem hoch-
würdigen Sacrament zu Ehren auf beiden Seiten des
Tischs da stünden, Unordnung oder Unehr so sich be-
geben möcht, zu verhüeten“. Die Feier selbst wurde
eingeleitet mit dem Gesang der zehn Gebote, unter dem
der Tisch bereitet wurde; es folgte eine kurze Abend-
mahlsvermahnung, die vor unwürdigem Genusse warnte,
das Gebet, eine Paraphrase des Vater-Unser, wie bei.
Luther, und die Einsetzungsworte; die Distribution er-
folgte unter Psalmengesang der Gemeinde; den Schluß
bildeten Danksagung und Segen. Endlich lassen die
Prediger durchblicken, daß ‚solch Nachtmal villeicht
nit alle Sonntag gehalten wiirdet‘‘), sie sind also nicht
der lutherischen Meinung, daß zum rechten Gottesdienst
die Abendmahlsfeier als integrierender Bestandteil ge-
höre, weil er erst in ihr seinen Höhepunkt erreiche. In
diesem wie in den übrigen Punkten nähert sich die Kirchen-
ordnung in demselben Maße dem Schweizer Typus, wie
sie sich von dem Wittenberger entfernt. Besonders deutlich
zeigt sich die Abweichung von der lutherischen Weise
auch in der Liturgie des sonntäglichen Hauptgottes-
dienstes. Bei Luther verläuft der Gottesdienst, wie er
ihn selber nennt, als eine ‚Deutsche Messe“ mit allen
1) Seit 1533 wurde es alle drei Wochen gefeiert. Steitz,
Hartmann Beyer S. 19. .
234 74
Stücken des rómischen Kanons, soweit dieser nicht unevan-
gelisch ist. In Frankfurt dagegen hat man sich eine
ganz einfache Form neu geschaffen. Auf einen Psalm,
den die Gemeinde zum Eingang sang, folgte ein Gebet
mit kurzem Gesang, etwa: Nun bitten wir den heiligen
Geist. Daran schloß sich eine biblische Lektion deutsch
oder lateinisch an, und zwar am liebsten durch die Zög-
linge der Lateinschule. Dann gab der Prädikant in einer
halbstündigen Predigt Erklärung und Anwendung des
Gelesenen und schloß mit der Kollekte, d. h. der Mahnung
zur Wohltätigkeit.
Die Kompromißarbiet konnte doch nicht alle Diffe-
renzen beseitigen. Nicht nur die beiden Prediger in
Sachsenhausen und an St. Peter widersprachen öffentlich.
Cellarius selbst verließ nach ärgerlichen Auseinander-
setzungen mit seinen Kollegen die Stadt. Es scheint,
daß er dann in Wittenberg versucht hat, die Autorität
Luthers gegen die Frankfurter in Bewegung zu setzen.
Doch war er klug genug, andere Leute vorzuschieben,
die auf der Rückreise von der Messe in Wittenberg an-
kehrten und sich nun hier bei Luther darüber beklagten,
daß man von den Frankfurter Kanzeln seine Lehre nicht
zu hören bekomme. Vor allem reizten sie den Zorn
Luthers gegen die Frankfurter Prediger, indem sie ihm
zutrugen, diese hätten die Beichte verworfen und ver-
spottet, und sie predigten vom hl. Sakrament ‚auf Zwing-
lische Weise, doch unter dem Schein und mit solchen
Worten, als solt es gar gleich und Ein Ding sein mit
unser und unser Gleichen Lehre“.
Luther richtete daraufhin gegen Ende des Jahres 1532
eine „Warnungsschrift an die zu Frankfurt am Mayn,
sich vor Zwinglischer Lehre zu hüten''!), in der er klar-
stellte, daß die dort übliche Formel, ,,es sei Christi Leib
und Blut wahrhaftig gegenwärtig im Sacrament”, sich
mit seiner Lehre noch nicht decke, solange die heimliche
Glosse und Verstand der sei: „daß der wahrhaftige Leib
und Blut Christi sei wohl gegenwärtig im Sakrament,
1) Erlg. Ausg.? 26, 370ff. Vgl. Steitz, Abhandlungen S. 257ff.
75 235
aber doch nur geistlich, und nicht leiblich; wird auch allein
im Herzen mit dem Glauben empfangen, und nicht leib-
lich mit dem Munde, welcher empfähet eitel Brot und
Wein“, wie Zwingli mit dürren Worten gelehrt habe.
Er fand es ein doppelzüngiges Spiel, wenn man sich
auf eine Formel einigte, unter der sich jeder Teil denken
konnte, was er für richtig hielt. Er konnte sich das nur
so erklären, daß etliche gesehen hätten, „daß der Karren
zu fern und tief in Schlamm geführet ist, und nicht mehr
lauten will ihr voriges Geschrei von eitel Brot und Wein
im Sacrament’. Er verwirft die Fides implicita, die sich
darauf zurückzieht zu sagen: „Ei, es ist genug, daß du
gläubest: den Leib, den Christus meinet“; denn das
heißt ihm nicht Urkund gegeben der Hoffnung, so in
uns ist (1. Petr. 3, 15); im Gegenteil: ,,Das ware mir
eine löbliche Kirche in den Säustall gebauet!' Und so
schließt er diesen Teil seines offenen Briefes mit den
zornigen Worten: „Türken und Jüden sind viel besser,
die unser ren leugnen und frei bekennen; denn
damit bleiben wir unbetrogen von ihnen und fallen in
keine Abgötterei. Aber diese Gesellen mußten die rechten
hohe Erzteufel sein, die mir eitel Brot und Wein geben,
und ließen mich’s halten fur den Leib und Blut Christi,
und so jämmerlich betrögen. Das wäre zu heiß und zu
hart, da wird Gott zuschmeißen in Kurzen. Darumb,
wer solche Prediger hat, oder sich deß zu ihnen versieht,
der sei gewarnet fur ihnen, als fur dem leibhaftigen Teufel
selbs.''
Da Luther außer über das Abendmahl auch noch
um Rat gefragt worden war, wie sich die guten, frommen
Herzen in der Beichte halten sollten, , weil ihre Prediger
dieselbigen ganz verdammen und verspotten", so ver-
breitete er sich in dem zweiten 'Teile seines Sendschreibens
auch nocb über diese Frage. Die Beichte besteht ihm
aus Sündenbekenntnis und Absolution. Das Sünden-
bekenntnis, das er nicht mit der erzwungenen Ohren-
beichte verwechselt wissen will, erstreckt sich auf die Sünden,
die das Beichtkind am meisten drücken. Es wird aber
nicht von den Verständigen gefordert, die wohl wissen,
236 16
was Sünde ist, sondern von dem Pöbel und der Jugend,
die wenig aus der Predigt lernen!). Und die sollen in der
Beichte nicht nur nach ihren Sünden gefragt werden,
sondern auch nach den Hauptstücken des Katechismus.
Vor allem vor der Feier des hl. Abendmahls ist das nótig,
denn es ist nicht gleichgültig, wen man zu dieser Feier zu-
läßt, nur ‚wo die Prediger eitel Brot und Wein reichen
fur das Sacrament, da liegt nicht viel an, wem sie es
reichen, oder was die können und gläuben, die es empfahen.
Da frißt eine Sau mit der andern, und sind solcher Mühe
billig uberhaben, denn sie wöllen wüste, tolle Heiligen
haben, denken auch keine Christen zu erziehen, sondern
wöllen’s also machen, daß uber drei Jahr alles verstöret
sei, weder Gott, noch Christus noch Sacrament, noch
Christen mehr bleibe. Von dem Werte der Beichte
ist Luther tief durchdrungen. Ihre Gegner sind ihm
„der Teufel und seine Apostel“. Er will sie sich aber nicht
nehmen lassen. ,,Wer sie fur sich nicht will haben, der
laß sie gehen, doch soll er sie darumb uns und andern
Frommen (die ihr benöthigt, und ihren Nutzen verstehen)
nicht nehmen noch vernichten. Es heißt: Qui ignorat,
ignoret. Wenn tausend und abertausend Welt mein
wäre, so wollt ichs alles lieber verlieren, denn ich wollt
dieser Bejicht?) das geringste Stücklin eines aus der
Kirchen kommen lassen. Ja lieber sollt mir sein des
1) Dem stimmte Bucer zu in seinem Brief an den Landgrafen
Philipp von Hessen vom 25. Februar 1545. Bei Lenz II, 296.
2) Luther rechtfertigt diese Schreibweise mit der Etymologie
und folgert aus ihr, daß die Beichte auch ein Glaubensbekenntnis
in sich schließe: ,,Bejichten heißt bekennen, wie auch im Gericht
das Wort noch in Übung ist: Urjicht; und man sagt: das jicht er,
das hat er bejicht usw. Und sind zwei unterschiedlich j in dem
Wort Bejicht, welches mit der Zeit ist in Ein i verwandelt, und
durch Mißbrauch ,,Beicht*', als mit Einem i geschrieben und geredt,
wie viel andere alte deutsche Wörter also verderbet sind. Da-
rumb soll ein Bejichter oder Bekenner nicht alleine Sunde wissen
zu erzählen, sondern auch daher aufsagen, was er vom Glauben
und Christo gelernt hat, und was dawider gethan heiße, auf das sie
solchs fur den Eltern, Schulmeistern, Pfarrherrn also gewohnen zu
bejichten, und wo es not sein würde, auch fur dem Richter bejichten
und darüber sterben künnten.“
77 237
Papstthumbs Tyrannei von Fasten, Feirn, Kleidern,
Statten, Plappen, Kappen, und was ich kunnt ohn Ver-
sehrung des Glaubens tragen, denn daß die Bejicht sollt
von den Christen genommen werden. Denn sie ist der
Christen erste, nöthigste und nützlichste Schule, darin
sie lernen Gottes Wort und ihren Glauben verstehen und
uben; welchs sie nicht so gewaltig thun in öffentlichen
Lectionen und Predigten.“ Das andere Stück der Beichte,
die Absolution, ,,die der Priester spricht an Gottes Statt‘,
ist „nichts anders denn Gottes Wort, damit er unser Herz
tröstet und stärket wider das böse Gewissen, und wir
sollen ihr gläuben und trauen, als Gott selber“. Luther
läßt hier nur die Wahl: ,,Wer so blind ist, daß er solches
nicht siehet, oder so taub ist, daß ers nicht höret, der
weiß freilich nicht, was Gottes Wort und christlicher
Glaube und Trost sei; was kann er denn Guts lehren ?
Siehet ers aber und hörets, und verdampt also wissentlich
die Bejicht in diesem Stücke, so ist er ein lauter Teufel
und kein Mensch, als der sich wissentlich wider Gott
setzt, und wehret, daß man Gottes Wort den Leuten
nicht soll sagen, noch die Herzen trösten, und im Glauben
stärken; der mag billig Gottes und aller Menschen Feind
gehalten werden, sonderlich der heiligen Christenheit.
Und wo solche Prediger sind, da mügen sich wahrhaftig
alle fromme Christen fur ihnen hüten, als fur den leib-
haftigen Teufeln.“ Luther sagt auch, warum ihm dieses
Stück so wichtig ist, und warum er es für unentbehrlich
such für die gelehrtesten und heiligsten Leute hält. Er
denkt an den Trost, den er selber je und je aus der Ab-
solution geschópft hat. ,,Umb dieses Stücks willen“,
bekennt er, „brauch ich der Bejicht am allermeisten,
und will und kann ihr nicht empehren; denn sie mir
oft und noch täglich großen Trost gibt, wenn ich betrübt
und bekömmert bin.“ Nach diesen Darlegungen blieb
ihm nur noch übrig, sich zu dem Anstoße zu äußern,
den man in Frankfurt daran genommen haben sollte,
daß die Kinder im Katechismus angewiesen wurden,
den Beichtvater: ,,Wiirdiger Herr! anzureden. Er ist
an sich geneigt, statt dessen die Anrede: ‚Lieber Herr“
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oder: „Lieber Vater‘ zuzulassen. Aber auch hier meint er
den Pferdefuß zu sehen. Denn die weltliche Zucht fordert,
daß die Jugend und der Pöbel die Alten und die Lehrer
ehrt. „Aber weil die Schwärmer solch nöthige Zucht
verspotten, kann man wohl merken, daß ihr hoher Geist
nichts anders ist, denn ein boshafter, fursetziger Haß
und Neid, nicht allein wider unser Lehre und Gottes
Wort, sondern auch wider alle weltliche Zucht und Ehre.
Die Aufruhr stinkt ihn zum Halse heraus, und wollten
gern alles gleich und kein Unterscheid leiden, doch sofern,
daß sie allein zuletzt Wirdige Herrn heißen, und sonst
niemand; wie Münzer wollt alle Herrn tödten, und allein
Herr sein.“ Weil er also den Schalk hervorlugen sieht,
deshalb sollen Rat und Gemeine dem treugesinnten
Warner seinen Rat zugute halten. ‚Habt das Spiel in
guter Acht, und steckt die Augen nicht in Beutel, damit
nicht solche Prediger bei euch sein, noch zu euch kommen;
der Teufel ist em Schalk.”
^ Um den Frankfurtern zu zeigen, was ihnen bevor-
stehe, legte er dann noch eine Copie seines Briefes an
die Gemeinde zu Mühlhausen vom Jahre 1524 bei. Dann
schloß er: „Ich weissage nicht gerne, und ahnet mir
doch nichts Guts in meinem Herzen von den frechen
Geistern, denn sie haben auch bisher nichts Guts, sondern
viel Böses geschafft. Gott steure ihnen, und bewahre
euch und alle fromme Herzen in seinem reinen Wort
und rechten Glauben, in Christo unserm Herrn; dem
sei Lob und Ehre in Ewigkeit, Amen.”
Noch ehe dieses Schreiben förmlich an den Rat
gelangte (13. Februar 1533), erhielten die Prädikanten
von seinem Inhalte Kenntnis und ließen es sich alsbald
angelegen sein, sich von den Beschuldigungen zu reinigen,
die darin gegen sie erhoben waren. Auf ihr Betreiben
bestätigte ihnen der Rat am 28. Februar mit Brief und
Siegel ihre Unschuld, ‚daß sie... das Wort Gottes lauter,
wohl und recht, und nit aufrührisch gepredigt noch ge-
lebt haben, wie dann bis heut dato ihrer Predig halben
in unser Stadt kein Uffruhrerschienen, noch entstandenist!).
1) Bei Steitz, Abhandlungen usw. S. 263.
79 | 239
In der Verteidigungsschrift, welche sie sodann am
1. März einreichten !), waren sie insofern in einer günstigen
Lage, als Luther von seinen Gewährsmännern nicht
durchweg recht berichtet worden war. Hatte er selber
in seiner Warnungsschrift zugestanden, er kenne die
Personen, welche aus den Reden der Frankfurter Prediger
nicht klug geworden sein wollten, nicht einmal dem
Namen nach, so forderten diese nun ihre Ankläger auf,
mit ihren Fragen und Klagen ans Licht zu treten, damit
sie nach der von Luther angezogenen Schriftstelle sich
vor ihnen verantworten oder von ihnen eines Besseren
belehren lassen könnten. Nach Wittenberg aber zielte
die Bemerkung, es sei ‚nit allweg gut zu glauben, was
gesagt wird, dann leider viel unnützer Schwätzer in der
Welt seind, die mit Unwahrheit gern Unfrieden wöllten
anrichten. Der Herre wehre ihnen, bessere sie und ver-
gebs ihnen, dann wir anderst gelehrt haben, dann für-
bracht ist worden. Hatte sich Luther darüber beklagt,
daß man in Frankfurt seine Lehre in vielen Stücken
verspotte und verwerfe, so warnten die Beklagten die
Verbreiter solcher Reden, sie móchten wohl zusehen,
wie sie das vor Gott verantworten kónnten. Und hatte
er vor ihnen gewarnt, weil sich niemand darauf verlassen
dürfe, von ihnen seine Lehre zu hóren, so war ihre Ant-
wort gut biblisch: „Wir predigen Christum, den Gekreu-
zigten. — Die Schäflein Christi hören die Stimme Christi;
predigen wir Christum nit, oder ein Engel vom Himmel
oder ein Mensch uff Erden, soll man's nit annehmen.“
Zu der Abendsmahlslehre übergehend, beriefen sich
die Prädikanten einfach auf die Bibel. Sie hätten nach
den Einsetzungsworten gelehrt, wie das der Gemeine
Gottes am heilsamsten sei, daß der Herr seinen Jüngern
in diesem Sakrament seinen wahren Leib und wahres
Blut wahrlich zu essen und zu trinken gebe zur Speise
ihrer Seelen und ewigem Leben, daf) sie in ihm und er
in ihnen bleibe. Dabei hätten sie mit allem Fleiß das
1) Abgedruckt in F. R. II Beil. 10 8. 23ff. Ritter, Ev. Denck-
. mahl S. 203ff. Luthers Werke, Erlg. Ausg.* 26, 389ff.
240 80
Volk von allem Zank und unnötigen und fürwitzigen
Disputieren zu dem, was nützlich und von dem Herrn
Christus allein gemeint sei, gewiesen. Daraus ergebe
sich für jedermann,. daß sie gar nicht gelehrt hätten,
in dem Sakrament sei eitel Brot und Wein. Sie hätten
auch weder Karren noch Wagen zu fern und tief in den
Schlamm geführt, sondern nur dringend gemahnt, bei
den Worten des Herrn in einfältigem Glauben und ohne
Zweifel zu bleiben. Auch müßten sie es ablehnen, daß
man ihnen eine andere Meinung, Glosse oder Verstand
unterschiebe. Es sei ihr Sinn und Meinung nie gewesen,
der christlichen Gemeine den teueren Schatz der wahren
Gegenwart Christi im Abendmahl zu nehmen. Damit
die Gläubigen diesen Schatz recht und wahrlich zugegen
und in sich hätten, wiesen sie sie vor allem zu dem einigen
Heiland Christus im wahren Glauben, ohne den doch
Wort und Sakrament und alles Reden und Tun der Diener
vergeblich sei.
Bei dem anderen Anklagepunkt, sie verdammten
und verspotteten die Beichte, konnten sich die Prädikanten
auf die Rechtfertigung beziehen, die sie bereits sieben
Jahre früher gegen eine ähnliche Beschwerde des Erz-
bischofs von Mainz bei dem Rate eingereicht hatten!).
Sie unterließen aber auch nicht, auf das zu verweisen, was
sie in ihren Predigten immer wieder von der Beichte
gesagt, und was die Gewährsmänner Luthers da von
ihnen ganz klar hätten hören können: , Wahre und gött-
liche Beicht der Sünden ist von uns nit verdampt, wir
haben aber gelehrt, sie mög von niemand geleistet werden,
dann welichen seine Reu uber die Sünd und Forcht
göttlichs Zorns darzu treibt, derhalb es nit müglich ist,
solche mit Geboten zu fordern, darumb sie dann weder
der Herr selb noch die Apostel geboten haben; lehren
auch, daß nit eben dem Priester geschehen muß, durch
welches Wort man gemeinlich die päpstischen Pfaffen
versteht; sunder wer Rath, Trost oder Unterweisung
bedarf und begehret, der such einen recht christlichen,
1) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denckmahl S. 183ff.
PE aed
81 241
verständigen Mann an, der rathen, trösten, lehren und
ermahnen kann, so wird derselbig, er sei ein Prediger
oder sunst einer in Gottes Wort verständig, ihm aus der
Schrift den rechten Arzt, der allein unsere Sünd hin-
nimpt, anzeigen, Rat, Trost und dergleichen treulich
mittheilen“. Mit tiefem Ernst weisen sie in diesem Zu-
sammenhang den Vorwurf zurück, als handelten sie so,
daß über drei Jahre alles zerstört sei und weder Gott
noch Christus, Sakrament noch Christen bleibe. ‚Da
behüt uns Gott vor! Dann wir darüber Rechenschaft
. vor dem Richterstuhl Jesu Christi geben müßten, ja es
würde Gott das Blut derjenigen, so unserer Versaumnuß
halben verdürben, von unseren Hànden forderen. Darumb
begehren wir, bezeugen das mit Jesu Christo unserem
Herrn, dem Richter der Lebendigen und Todten, daB
die Jugend und der gemein Mann zu christlicher Zucht
und Verstand erzogen werden, wollen auch nit wüste,
tolle Heiligen haben, denken aber Christen zu erziehen,
soviel uns Gott Gnad verleihet und aus Christus Kirchen
keinen Säustall machen, wóllen auch niemands zum
Sacrament wie die Sáu zum Trog lassen laufen, habens
auch nie gethan.“ Def zum Zeugnis schildern sie dann
im einzelnen, wie sie darauf bedacht seien, daß in allen
Stücken also gehandelt werde, daß es Gott wohlgefällig
und den Menschen besserlich sei.
Den Vorwurf endlich, daß sie Aufrührer seien, über-
lieBen sie dem Herzenskündiger zu beurteilen; vor der
Offentlichkeit aber glaubten sie von sich bezeugen zu
dürfen: ,Wir haben, Gott sei Lob! zu Franckfurt kein
Aufruhr gesehen, zu Aufruhr nicht gepredigt, aber mit
allem Fleiß und Treuen gelehrt und ermahnt zu der
Gehorsame Gottes und seines Worts, auch der Oberkeit,
die von Gott verordnet ist.“ Nur Eines lag ihnen zum
Schlusse noch am Herzen: ,,Das begehren wir von Herzen
mit allen Auserwählten Gottes, daß er uns in der reinen
Lehre seines Worts wölle erhalten zu seiner Ehre, Er-
haltung christlicher Zucht und Gehorsame der Oberkeit,
und wölle uns gnádiglich behüten vor falschen, ver-
kehrten Lehren, auch Schleichern und heimlichen, wider
Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 3/4. 16
242 82
Verbot der Oberkeit Winkelpredigern!), hoffen wir zu
Gott durch Jesum Christum, er werd unser Vater sein
und uns, seine Kinder, hie uff Erden nit verlassen.‘
Man wird dieser , Entschuldigung der Prediger zu
Frankfurt a. M. auf Luthers Sendbrief die Anerkennung
nicht versagen können, daß sie geschickt abgefaßt ist
und ruhig und würdig auf die teilweise recht leidenschaft-
lichen Angriffe antwortet, welche Luther gegen ihre
Unterzeichner erhoben hatte. Ihr Inhalt ist freilich
keineswegs lutherisch, auch wenn ihn dogmatische Be-
fangenheit im 18. Jahrhundert dafür hat ausgeben wollen 2).
Luther selber, der ihn unerwidert ließ, hat sich doch im
Kreise seiner Freunde sehr abfällig über ihn geäußert.
Als ihn Cellarius, der inzwischen die Pfarrstelle in Bautzen
übernommen hatte, Anfang Mai aufsuchte und ihm viel
von seinen Frankfurtern erzählte, die zwar geantwortet,
aber nicht offen Farbe bekannt hätten (,,ibr andtwortt
wer mum mum, — ein Ausdruck, dessen sich Luther
in seiner Schrift gegen sie bedient hatte), gab er zur Ant-
wort: , Es ist ia war, synceriter non responderunt, solche
vertzweiffelte buben sint sie, das sie nicht dürffen be-
kennen, was sie glauben, sunt plane Erasmici et amphi-
bolici?). Richtig hat bereits Steitz*) erkannt, daß die
Abendsmahlslehre, zu welcher sich die Frankfurter Pradi-
1) Damit zahlten die Frankfurter ihrem früheren Kollegen
den Vorwurf heim, sie lehnten sich gegen die óffentliche Ordnung
auf. Cellarius hatte nàmlich, nachdem er sein Amt an der Peters-
kirche batte aufgeben müssen, bei den Konventualinnen des
Katharinenklosters die pfarramtlichen Funktionen vollzogen, so
daß die Stadtprediger am 29. August 1532 bei dem Rate Beschwerde
führten, daß Meister Johann Cellarius heimlich und in Winkeln
predige. Vgl. Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f.
2) Ritter, Ev. Denckmahl S. 211. — K. Gesch. S. 33f.
3) Bindseil, D. Martini Lutheri Colloquia, Meditationes,
Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae
II, 35. Da Luther in der unmittelbaren Fortsetzung dieser Tisch-
rede auf Bucer zu reden kommt, so hat er vielleicht auf ihn als den
Mentor der Frankfurter geraten. Daß sein Urteil über die Frank-
furter auch sonst nicht günstig war, ergibt sich aus Wrampelmeyer
Nr. 1134 S. 297 und Nr. 1684 8. 462.
4) Steitz, Hartmann Beyer S. 17f.
83 243
kanten in ihrer Rechtfertigungsschrift bekannten, in
Form und Inhalt sich kaum von derjenigen der Tetra-
politana unterscheidet, in der es heißt: Cum hanc coenam,
ut ipse instituit, repetunt, verum suum corpus verumque
sanguinem, vere edendum et bibendum in cibum potumque
animarum, quo illae in aeternam vitam alantur, dare
per Sacramenta dignatur.
Wie diese Ubereinstimmung sich erklart, wird sofort
deutlich, wenn wir erfahren, daß der Verfasser der ,,Ent-
schuldigung‘‘ kein anderer als Martin Bucer!) ist, der
offenbar an diese Schrift dachte, als er nicht viel später
dem Landgrafen Philipp von Hessen meldete, daß zu
den Ständen, die er für seinen Unionsplan gewonnen habe,
auch Frankfurt gehöre). |
Geht man den Tatsachen auf den Grund, die Luther
veranlaBten, von einem Aufruhr in Frankfurt zu reden,
so ergibt sich eine drohende und gewalttátige Haltung,
die die Massen.gegen die Kanoniker einnahmen, indem
sie ihnen den Chor sperrten und auf dem Wege zur Kirche
ihnen durch Steinwürfe zu verstehen gaben, sie brauchten
1) Baum, Capito und Butzer. §. 595. Das Original von
Bucers Hand (im Archiv zu St. Thomas in StraBburg) trug den’
Titel: „Eyn Bericht was zu Frankfort am Meyn von christlicher
Religion vnd in sonders vom heyligen Sacrament des leybs vnd
bluts Christi gelert vnd geprediget, mit warhaffter verantwortung
des so die Prediger doselbst vor D. M. Luther in seinem Brief an
Ein Erb. Rath vnd gemeyn der stadt Frankfort vngütlich be-
schuldigt seynd." Auch spáter kam Bucer — in einem speziellen
Punkte zustimmend — auf den Brief Luthers zurück. Vgl. Lenz II,
296. Woher die Beziehungen Bucers zu den Frankfurter Prädi-
kanten stammen, wissen wir nicht. Steitz, Abhandlungen usw. .
S. 177 hat an das Marburger Religionsgespräch gedacht. Ebensogut
können sie aber auch durch die genaue Fühlung vermittelt sein,
die Frankfurt nach Ritter, Ev. Denckmahl S. 216 mit Straßburg
unterhielt. Durch die Schrift Luthers fühlten sich übrigens auch die
Schweizer beschwert und wollten ihrem alten Wittenberger Gegner
scharf antworten. Doch hielt sie Bucer, der im Mai 1533 in Zürich
weilte, von der Ausführung dieses Vorhabens zurück, das seinen
Unionsplänen natürlich sehr hinderlich geworden wäre. Secken-
dorf, comm. III Sect. 7 3 23. (Scalig, Hist. der Augsb. Conf. I,
414 schreibt dieses Verdienst Capito zu).
3) Lenz I, 34.
16*
241 84
keine Messe mehr zu lesen. Diese Vorgänge, die indessen
zu keiner Auflehnung gegen den Rat führten, bewirkten,
daB am 23. April 1533 der ganze katholische Gottesdienst
in der Stadt eingestellt werden mußte. Den Anhängern
des Alten wurde sogar verboten, auswärts den römischen
Gottesdienst zu besuchen oder ihre Kinder auswärts
taufen zu lassen. Auch ein Brief, in welchem sich Cochläus
am 8. Juli von Dresden aus bei dem Rate für seine Glaubens-
genossen verwendete!), konnte an der einmal getroffenen
Entscheidung nichts mehr ändern. Die einzige Erleichte-
rung, die sich mit der Zeit ergab, bestand in einer ge-
wissen Nachsicht gegen auswärtige Taufen.
Fragen wir an diesem ersten Abschnitte der Frank-
furter Reformationsgeschichte, welchen Charakter der
Bekenntnisstand der Stadt trug, so finden wir, daß noch
alles stark im Flusse war. Man lief sich an der allgemeinen
Bestimmung, daß ,,das Evangelium" gepredigt werden
solle, genügen. Einer bekenntnismäßigen Formulierung _
dieses Evangeliums war man noch nicht näher getreten.
Die Augustana hatte man nicht unterzeichnet. Mit der
Lehre Zwinglis wollte man nichts zu schaffen haben.
Aber auch Luther gegenüber wahrte man die eigene
Selbständigkeit. Die Kirchenordnung von 1530 zeigte,
daß man das Gute nahm, wo man es fand, ohne viel nach
Namen und Autoritäten zu fragen. Es war ein Unions-
typus im Entstehen begriffen, wie er sich besonders
charakteristisch in Straßburg ausgebildet hat. Dieser
Unionstypus hat sich in der Folge weiter ausgebildet,
und es sind vor allem die Straßburger Theologen ge-
wesen, die dabei als Führer und Berater ihre Dienste
leisteten.
¢
Zweiter Teil.
Bis zur Entstehung der Fremdengemeinden.
1. Die „Ermahnung“ Capitos von 1535.
Die Beziehungen zwischen Frankfurt und Straßburg
welche wir bei der Auseinandersetzung mit Luther zum
ersten Male nachweisen können, setzten sich in der Folge
4) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denekmahl S. 178ff. Genaueres
über diese Vorgänge bei Dechent I, 139ff.
85 245
fort, und unter ihrem Einflusse gewann in der Stadt
jener oberdeutsche Unionstypus, wie er uns bereits in
der Kirchenordnung von 1530 entgegengetreten ist,
festere Gestalt.
Den Anlaß zum Ausbau der Straßburger Beziehungen
bot zunächst Melander!). Dieser eiferte am Sonntag
Kantate 1534 auf der Kanzel gegen die Bilder in der Kirche
und wollte dieselben durchaus abgeschafft wissen. Hier-
über wie auch über einige Zeremonien geriet er in Streit
mit seinen Kollegen, in dessen Verlauf der hitzige, um
die Reformation in der Stadt hochverdiente Mann seinen
Rücktritt vom Amte erklärte. Zu diesen Differenzen
kam nocb der Anstoß, den er durch einen ärgerlichen
Ehehandel gab. Der Rat wandte sich, um Frieden und
Ordnung zu stiften, durch Vermittlung Butzers, der seit
Ende 1534 vorübergehend in Tübingen weilte, wo er mit
"Ambrosius Blaurer aus Konstanz und Simon Grynäus
aus Basel an der Ordnung des württembergischen Kirchen-
wesens und der Beilegung dogmatischer Streitigkeiten
arbeitete?), nach Straßburg und bat um Sendung eines
gelehrten Geistlichen, etwa Hedios oder Capitos. Die
Straßburger warteten daraufhin zunächst die Rückkehr
Butzers ab, der über den Jahreswechsel auf der Heim-
reise von Kassel sich in Frankfurt aufgehalten und hier
mit den Predigern und dem Rate über die Wiederzu-
lassung der Messe im Dom verhandelt hatte?), und schickten
dann Capito, der am 25. Februar 1535 in Frankfurt
eintrafundalsbald versuchte, denStreitgütlich zu schlichten,
was freilich bei dem schwierigen Charakter Melanders
nur teilweise gelang.
Über seine Bemühungen unterrichtet uns seine
,Ermahnung' an den Rat‘), in welcher er zur Schaffung
fester kirchlicher Verhältnisse folgende vier Artikel emp-
fahl: „Zum ersten daß der Predicanten Unruwe und
1) Vel. K. Gesch. S. 35.
^) Baum, Capito und Butzer. §. 499.
3) Baum, S. 501.
*) Bei Ritter S. 329ff.: D. Wolffgang Capitonis an ein Ehr-
barn Rath zu Franckfurth beschehene Ermahnung.
246 86
i
Beschwerd würd gar hingelegt. Zum andern die daß
Ursachen bekant weren, so ain Ehrsamen Rath für Par-
theiung in Burgerlicher Handlung verhüten mogen,
obschon der Religion halben ein Mißverständnüß ver-
handen. Zum dritten daß Seniores Ecclesiae, Ältere
der Kirchen und andere Ordinantzen die Geistlich-Hauß-
haltung belangend angericht wurden, Zum vierten daß
statlich Schulen aufgericht und geschickte Franckfurter
Kind zur Lere fürnemlich zur heiligen Schrifft auferzogen
wurden.‘
Der Standpunkt Capitos ist der der Tetrapolitana,
auf die er sich in seinem zweiten Artikel ausdrücklich
bezieht. In Übereinstimmung mit ihr erklärt er: ‚Die
Sach und Sacrament Handlung ist ainerley, aber die
Gmüter sein verwirret. Schon hier kommt der Streit-
punkt zum Vorschein, um den sich dann später die Aus-,
einandersetzungen mit den Fremdengemeinden vor allem
und immer wieder bewegt haben, die Ubiquitätslehre:
„Die so man Luthers heist“, gibt der Straßburger Berater
zu erwägen, „haben zu bedencken daß nyemant vnter
der Sunnen ist der offentlich sage, daß nichts den Brod
vnd Wein im Nachtmal sei, vnd daß es lere Zaichen
seien, sonder wo die Kirche ist, da ist Christus welcher
durch Wort und Sacrament oder Zaichen dem Glaubigen
Gwissen im Dienst der Kirchen dargereicht wird, dann
allein ist widderfochten die Localis Presencia raumliche
Gegenwartigkeit und natürliche Vereinigung des Leibs
Christi mit dem Creaturischen Brot." Die Zwinglianer,
die ,,sich achten inn hohern Verstand kommen sein,
die sollen die vberigen so noch an Ceremonien oder Ele-
menten etwas hangen mógten, als die Geringern nicht
verachten,“ wofür das Bedenken an Röm. 14 erinnert.
Zwei leitende Gesichtspunkte weist Capito auf: der christ-
lichen Gemeinde Besserung und sodann der Stadt Ehre
und Nutzen. Und hier ist es, wo am Horizont die Idee
eines paritätischen Staates heraufzieht, und zwar nicht
wie in spáterer Zeit als Forderung und Ideal der Unter-
drückten und Verfolgten, sondern als wirkliche Toleranz
auf dem Boden des gleichen Gemeinwesens: ‚Wo auch
87 | 247
dergleichen Zertailung bey E. E. W. were, so wolle jeder
den andern für ain frommen Franckfurter achten ob
Ire schon nit alle ain an der für fromme Christen und
Gottverständigen halten mögen, das ist von nóten."
Schon diese Anschauungen Capitos sind von den-
jenigen Luthers erheblich verschieden. Im besonders
charakteristischer Weise kommt sein abweichender Stand-
punkt aber in dem dritten Artikel!) ‚von Eltern der
Kirchen vnd Kirchen-Ordinantzen“ zum Ausdruck. Hier
kennzeichnet sich die Straßburger Haltung, die, vom
Täufertum beeinflußt, später durch Calvin diejenige der
reformierten Kirche geworden ist, zunächst dadurch,
daß ihm zufolge das geistliche Regiment die Gewissen
erbaut nicht nur durch Wort und Sakrament, sondern
auch durch ,,Briiderliche Straf und dergleichen‘, während
die Augustana von einer Kirchenzucht nichts weiß.
Doch will Capito der Zucht ihre Grenzen ziehen. Sie
soll wirklich eine Zurechtweisung mit sanftmütigem
Geiste sein, nach der Regel Pauli Gal. 6. Der Bann soll
nur mit Genehmigung des Rates von der Kanzel aus über
ein Gemeindeglied verhängt werden, wenn die durch
Matth. 18 vorgezeichneten Wege nicht zum Ziele geführt
haben. Im übrigen soll man das Urteil über die Menschen
Gott überlassen und allewege das Beste von ihnen erhoffen,
wegen zeitlicher Strafen aber sich an die Obrigkeit wenden.
Sodann offenbart sich der Unterschied von Luther durch
das Bekenntnis zum Gemeindeprinzip. . Dem zeitlichen
Regiment steht nur ,,die euserliche Regierung der Kirchen“
zu, und auch diese nur, ‚so es ein glaubigliches Volck
ist“. Das geistliche Regiment aber ist ,,bei der Kirchen,
und nicht allein bei den Dienern der Kirchen, viel weniger
bei der zeitlichen Obrigkeit“; die Berufung an die éxxdnoia,
wie sie Matth. 18 vorgesehen ist, muß auch bei uns statt-
haben können. Als Organe der Gemeinde genügen Capito
auch die Kasten-Herren?) nicht, denen die Armenpflege
2) Abgedruckt bei Richter, Gesch. der ev. nn
in Deutschland, S. 159— 166.
3) Über die Neuordnung des Almosenkastens seit 1530 vgl.
Dechent 8. 132.
248 | 88
oblag. Er will vielmehr fromme, ernste, eifrige und be-
scheidene Mànner zu Altesten des Volks und Verwesern
der Kirche aufgestellt wissen, wofür ihm als Vorbild
übrigens nieht die Ordnung der Pastoralbriefe, sondern
die mosaische dient. Drei dieser Altesten sollen vom Rat,
wenigstens sechs von der Gemeinde erwählt werden,
und zwar in einem Turnus, daß keiner über drei Jahre
bleibt. Diese Altesten mit den Dienern am Evangelio
und den Diakonen samt anderen Ämtern ,,sein die Kirch“,
die sich also — ein ganz moderner Gedanke — wesent-
lich als Arbeitsgemeinschaft darstellt. Für notwendig
werden die Altesten, die mit den Dienern zu verwalten
haben, was der Kirche gebührt, namentlich deshalb
erklárt, weil ohne ihre Aufsicht die Prediger, wie man
z. T. schon in der Stadt beklagt hat, sich dünken ließen,
über und wider alle Gewalt der Erde gesetzt zu sein.
Capito schlägt nun vor, in der Frankfurter Kirche, ,,der
Diener vnd Altern halb diese Ordnung vngefehrlich an-
zurichten, dab die Pfarrer vnd Prediger inn der Stadt
vnd nächst-gelegenen Dörffern alle 14. Tage oder ehe
jederzeit Gelegenheit nach zusamen kemen, vnd drey
Alter zu inen, also daB in der vierten Versamlung an jedes
stat ein newer anging, vnd mit ine inn solche Ordnung
bracht werde, daß allweg zween fürhanden, die auch
bei nechster Versamblung gewesen; oder móchte die.
Veränderung der Person weiter erstreckt werden, vieleicht
auf ain virthail Jars, oder wie Euch jederzeit Erfarung
leren wird." Diese Kirchenversammlung, auch Pfarr-
konvent oder Kirchenrat oder Versammlung der Brüder
genannt, berát unter einem Vorsitzenden über die ganze
Haushaltung der Kirche, namentlich Zeremonien, brüder-
liche Ermahnung, Strafe der Laster, Ordnung der Prediger
und Materie der Predigten, um Trennung zu verhüten.
Jede Zusammenkunft wird von dem Vorsteher mit einem
Gebet und einer kurzen biblisehen Betrachtung eróffnet.
Capito halt für. nótig, noch besonders einzuschárfen:
„Was aber zu beratschlagen, soll auch mit Ordnung
vnd Dapferkeit fürgenommen werden, dabei sich jeder
geweenen soll dem andern zu weichen vnd mit nichten
on ee
~~
~ ———— _
~
89 249
sich erzürnen zu lassen auch zu redden mit Ere erbietlichen
Worten, vf daß nit alle Ding fürter so grob vnd flaisch-
lichen abgehen.“ Besonders hat sich der Konvent mit
Lehre und Wandel der Geistlichen zu befassen, dann
aber auch mit der Handhabung der Kirchenzucht. Die
kirchlichen Ordnungen, die er beschließt, unterliegen der
Genehmigung durch den Rat, ,sunst wurd gar bald
wieder einwachsen ain Regiment neben einem Erbaren
Rat in euserlichen Dingen daß nit sein soll, dann aus
solchem ist der schadlich Gwalt der Gaistlichen ent-
standen.“ Soweit Dinge im Konvent zur Sprache kommen,
die ohne weiteres zur Zuständigkeit des Rates gehören,
sind sie, der bestehenden Ordnung gemäß, durch die Kasten-
Herren an den Rat zu bringen und jedenfalls vom Konvent
nicht weiter zu behandeln als nötig. Endlich liegt dem
Konvente auch noch die Aufgabe ob, die Diener und
Pfarrer auszusuchen und sie dem Rate zur Anstellung
zu empfehlen, nachdem sie gepredigt, dem Volke gefielen
und ihre Lehre und Leben erkundigt wäre.“ Schnellen
Wechsel der Pfarrer, wie er bei der bisherigen Anstellung
auf ein Jahr oft vorkam, widerrät Capito. Läßt einer
von ihnen es an sich fehlen, so soll man versuchen, ihn
zu bessern; die neuen aber stelle man mit dem Vorbe-
halte an: solange sie ihrem Dienste treulich vorstünden,
oder nach dem Brauche der anderen Kirchen überhaupt
ohne jeden Vorbehalt, nur mit dem Auftrage: die Ge-
meinde zu weiden im Wort. Mit der Warnung, sich mit
‘ Annahme und Einführung von Kirchenübungen auf das
Mindestmaß des Notwendigen zu beschränken und ab-
zuwarten, bis daß mit einhelligem Rat dieser Nation
solches erörtert werde, schließt der dritte Artikel, dem
der vierte im wesentlichen nur noch den Rat beifügt,
durch Einrichtung von Schulen für einen theologischen
Nachwuchs, am liebsten aus der FrankfurterJ En selbst,
Sorge zu tragen.
Das Straßburger Vorbild ist in dieser Ordnung un-
verkennbar. Auch nach der Straßburger Kirchenordnung
von 1534 liegt das Regiment zunächst in der Konvokation,
einer Synode, zu der die Pıediger von 14 zu 14 Tagen
250 90
mit dreien von den Kirchspielpflegern zusammentreten,
welche die letzteren aus ihrer Mitte abordnen. Schwie-
rigere Sachen gelangen an die Gesamtheit der Kirch-
spielpfleger oder an den Magistrat. In der Gemeinde
üben die Kirchspielpfleger mit den Pfarrern die Zucht,
jedoch nicht in der strengen Form des, Bannes, sondern
durch das Mittel der Ermahnung. Bei der Bestellung
der Geistlichen aber treten zu ihnen noch zwölf gottes-
fürchtige Männer hinzu, ‚die bey der gemeyn Christliches
wandels gute Zeügnus haben“, worauf alsdann in Ge-
meinschaft mit den Examinatoren die Wahl vollzogen
und, wenn der Erwählte tauglich befunden worden, von
dem Rate bestätigt wird!).
Interessant ist nun aber zu beobachten, wie auf dem
Wege über Straßburg der Einfluß Zürichs nach Frank-
furt vermittelt worden ist. Der Frankfurter Rat hat,
‚als einmal die Fremdengemeinden entstanden waren, die
Kirchenzucht, welche diese nach Genfer Muster übten,
argwöhnisch beobachtet als einen Eingriff in seine Rechte.
Er übertrug die kirchliche Disziplin nicht dem Konvent,
auch nicht in der von Capito vorgesehenen Form der
brüderlichen Ermahnung, sondern behielt sie ausschließ-
lich sich vor. Hierin aber folgte er letztlich dem Vorbilde
Zwinglis, der der Obrigkeit ebenso wie Butzer die Aufgabe
zuschrieb, das Reich Gottes zu fördern und zu erhalten 2).
Es scheint indessen, als habe gerade dieser Einschlag
Zwinglischer Gedanken bewirkt, daß der Rat im übrigen
Bedenken trug, die unbetretenen Wege zu gehen, die
Capito wies. Zwar griff man in Frankfurt die Anregung
des Konvents auf. Längst vor der Ankunft der Fremden
berichtete der Prädikant Beyer es in einem seiner Briefe
als feststehende Übung: Solemus n. singulis septimanis
feria quarta convenire et ibi de ecclesiasticis negotiis
conferre sermones in monasterio Franciscanorum?). Und
1) Richter S. 158f. Joh. Adam, Ev. Kirchengeschichte der
Stadt Straßburg. (Straßburg. J. H. Ed. Heitz. 1922.) S. 184f.
2) Richter S. 158.
3) Steitz, Hartmann Beyer S. 23 Anm. 12. Steitz setzt den
Brief wegen der in ihm berührten Zeitverhältnisse 1549 an.
ia ee TT
91 251
Poullain hat seine ersten Erklärungen über seine Auf-
fassung vom Nachtmahl in diesen Konventen gegeben.
Aber das Laienelement war von diesen Zusammenkünften
bezeichnenderweise ausgeschlossen. Überhaupt mochte
man sich nicht dazu entschließen, zur Einführung einer
so ausgebildeten Presbyterialverfassung!) zu schreiten,
die dem lutherischen Norden gegenüber als eine völlige
Neuerung um so verdächtiger gewesen wäre, je mehr sie
nach dem Sinne der Eidgenossen und der oberdeutschen
Städte war.
Blieb aber somit die ‚„Ermahnung“ Capitos im
Grunde nur eine gutachtliche Äußerung, so ist es doch
auch so noch charakteristisch genug, daß man sich diese
Äußerung gerade von einem Straßburger erbat. Und
ebenso ist es bezeichnend, daß trotz der Zurückhaltung,
die man in diesem Falle geraten fand, der Faden zwischen
Frankfurt und Straßburg nicht abriß. Schon die nächste
Zukunft mit den Verhandlungen über die Wittenberger
Konkordie ließ ihn auch für die Öffentlichkeit sichtbar
werden.
‚Luther aber, zu dem man ebenso bezeichnenderweise
die Beziehungen aufrecht erhielt?), schrieb in jener Zeit
dem Rate: Non posui spem evangelii mei in Francfordiam
vestram?). Dem entsprach es denn auch, daf dem all-
gemeinen Urteil die Beziehungen zwischen Frankfurt und
Wittenberg für gespannt galten‘).
1) Sie bezeichnet das letzte Glied der Kette, die von Lambert
von Avignon zu Calvin führt. Vgl. Lechler, Gesch. der Presbyterial-
und Synodalverfassung seit der Reformation. S. 30f.
2) Die Prädikanten und der Rat wandten sich im Herbst 1535
an ihn und Melanchthon wegen der Wiederzulassung der Messe
im Dom.
*) Bei Enders, Dr. Martin Luthers Briefwechsel X, 270.
*) Hactenus autem inter Vos et Wittenbergenses (Ritter
S. 346: Wirtenbergenses ist Druckfehler, wenn nicht Verschlimm-
besserung) species dissidii alitur, schrieb Capito am 2. April 1536
an Algesheimer. F. R. II. Beil. 11. S. 28.
Mitteilungen.
Aeitschriftenschau.
Landschaftliches. Uber die Reformationsgeschichte von
Iugenheim in Rheinhessen handelt W.Hofimann im A.
here G. u. A. NF. XIII 2, S. 163—172,
W.E.Schwarz, Herausgeber der „Akten der Visitation des
Bistums Münster... 1571—1573“, erörtert auf Grund eines
nachträglich zum Vosscheim gekommenen Aktenstücks des Archivs
des bischofl. Generalvikariats die Vorgeschichte dieser Visitation.
Z. vaterl. G. u. A. 79 I, S. 95—-1365.
Im Reformationsheft der Z. d. Ges. Ndsüchs. KG. (Jahrg. 22, 1).
gibt F. Cohrs Listen der Niedersachsen und Niederländer,
die von 1502— 1532 in Wittenberg studiert haben, nach den
Heimatsorten sowie der in W. ordinierten niedersüchsichen Geist-
lichen 1542—1560 mit Erläuterungen (S. 1—50). Ebendort ver-
Offentlicht Wolters die Protokolle der Kirchenvisitationen im
Erzb. Bremen 1588 mit Übersicht über die früheren Visitationen
(S. 51—122); stellt J. Regula die kirchlichen Selbständigkeits-
bestrebungen der Städte Göttingen, Northeim, Hannover und
Hameln 1584—1601 nach Akten des Göttinger Stadtarchivs dar
(S. 128—152); schildert Wolters die Kirchengemeinde Mulsum
(Dorf bei Bremervörde) im Reformationsjahrhundert (S. 153—165)
und gibt Fr. Günther -Beiträge zur Kirchengeschichte von
Altona nach Kirchenrechnungen usw. von 1582 ab (S. 166—219).
Die in verschiedenen Fassungen überlieferte Urkunde über
die Vereinigung der hamburgischen Kirchspiele zur Abwehr
geistlicher Ubergriffe (des Domkapitels) vom 2. September 1522
druckt H. Nirrnheim nach dem Original der St. Jacobikirche
ab. Z. V. Hamb. G. 24 2, S. 186—192.
Plantiko bespricht in den Monatsbl. der Ges. f. Pom. G.
u. A. April/Mai 1919, S. 18—19 die Beschlagnahmungen der Kloster-
kleinodien durch die Herzóge Georg und Barnim seit 1525 auf
Grund archivalischer Aufzeichnungen.
In Balt. Studien NF. XXII (1919) S. 85—141 schildert
derselbe mit Hilfe reichhaltigen, von M. Wehrmann zusammen-
93 . 253
gebrachten archivalischen Materials eingehend, und im einzelnen,
wie sich auf Grund der Kirchenordnung von 1568 das pom-
mersche Schulwesen entwickelt hat.
Kurze Mitteilungen über die im Danziger Staatsarchiv be-
findlichen, bis 1580 zurückreichenden Visitationsberichte des
Klosters Oliva gibt E. Waschinski in Mitt. des Westpreuf.
GV. XX, Nrn. 3 und 4.
In lehrreicher Weise schildert A. Seraphim in Altpreuf.
Monatsschrift Bd. 58 1, S. 1—36 und 2, S. 71—104 die sozialen
Bewegungen in Altpreu 8 en 1525, insbesondere den bäuerlichen
Aufruhr im Samlande und dessen Niederwerfung. Unter den
Zielen der Bewegung steht das Verlangen nach dem lauteren,
reinen Evangelium ohne menschliche Zusátze mit in erster Linie.
Auch die städtiche Demokratie in Königsberg hatte an die Be-
wegung der Bauern Hoffnungen geknüpit, die mit dem Fehl-
schlagen jener begraben wurden. )
Beitráge zur altpreuf. Reformations- und Literaturgesch.
gibt Pf. Lic. Benrath in einer ausführlichen Arbeit über „die
fünf Agendenreformen unter Herzog Albrecht“. Altpreuß. Monats-
schrrift 57, S. 285—265; 58, S. 37—63, 153—175.
Ausland. Eine eindringende Untersuchung über ,das
Verhältnis der schweizerischen zur deutschen
Reformation" führt P. Wernle zu dem Ergebnis: Die
Reformation, aus dem Zusammenwirken der allermannigfaltigsten
Faktoren hervorgegangen, ist als religióse Bewegung das Werk
Luthers und seiner Jünger und insofern geht auch die
schweizerische Reformation durchaus auf Luther zurück in allen
Landesteilen der Schweiz ohne Ausnahme. "Trotzdem kann von
einer schweizerischen Reformation als selbständiger Größe ge-
redet werden dank Zwingli, der zu dem lutherischen Grundstock
so viel Eigenes aus seiner Seele und seinem Charakter hinzu-
gebracht hat, daß daraus ein selbständiger Typus der Refor-
mation werden mußte. Kurz: durch Luther in die Reformationse
bewegung hineingezogen, haben die Schweizer mittels Zwinglis
etwas Selbständiges und Eigenes daraus gemacht. Basler Z. f.
G. u. A. XVII 2, S. 227—815. — An dem gleichen Orte Bd. XVII,
S.1—119gibt E. Staehelin eine sehr dankenswerte O ekolam pad-
Bibliographie für das 16. Jahrh, d. i. ein chronologisch
geordnetes Verzeichnis der im 16.Jahrh.erschienenen Oekolampad
Drucke in 226 Nrn, gedacht als Vorarbeit zu einer geplanten
Darstellung des gesamten Oekolampadischen Schrifttums. — End
lich untersucht der námliche a.a. O. XVI 2, 8. 367—392 ,Die
‘beruflichen Stellungen Oekolampads während seiner vier Basler
Aufenthalte“.
In der literarischen Umschau der ZKG. 39 (NF. IT) S. 166—176
bespricht E. Staehelin die Zwingliliteratur der Jahre
1913—1920.
254 94
In Zwingliana 1920, Nr. 1 (Bd. III, Nr. 15) gibt
W.Wuhrmann die Bibliographie des Zürcher Reformations-
Jubiläums 1919 (S. 477—486); und handelt J. Pfister über
Bullingers, von diesem mit Strichen und Notizen usw. bereichertes
Handexemplar des Tertullian (Ausgabe Froben, Basel 1521), um
zu zeigen, wie Tertullians Schriften zur Abklärung und Befestigung
der evangel. Glaubensüberzeugung Bs. beigetragen haben (S. 486
bis 494). In 1920, Nr. 2 (Bd. III, Nr. 16) stellt R. Hoppeler die
Lebensnachrichten des letzten Embracher Stiftspropstes Heinrich
Brennwald, + 1551 zu Zürich, fest (S. 509—514) und verbreitet
sich Jos. Th. Müller über die Böhmische Brüderunität und
Zwingli, mit Beigabe eines (verdeutschten) tschechischen
Schreibens aus dem Herrnhuter Archiv (S. 514—524); endlich
veriolgt K. Gauf die Schicksale des Dichters Valentin Boltz im
Zürcher und Glarnerland 1541—1542 (S. 5211). A
In scharisinniger Untersuchung weist K.Müller den als
»Libertinern" verdächtigen Gegnern Calvins, einem Pocque,
Quintin und Genossen, ihren Platz unter den quietistischen
Mystikern nikodemitischer Art an und zeigt, auf welchem Wege
Calvin zu seinen Nachrichten über die „Sekte“ (der Libertiner)
gekommen ist. ZKG. 40 (NF. 3) S. 83—129,
Das Bulletin de la Soc. de I’ hist. du protest. francais
65—68 (1916—1919) bietet eine größere Reihe von Beiträgen zur
meist örtlichen Reformationsgeschichte Frankreichs. Wir ver-
zeichnen daraus: 65, 97—113 H. Aubert, Marie de Luré dame
de la Noue (Gattin von Francois de la N., gen. Bras-de-Fer),
mit Briefen an Beza 1596—1600; über den Sohn des Francois,
den hugenottischen Dichter Odet de la Noue handelt
G. de Pourtalés ebenda 67, 8. 81—111 (Art.1). — 65, 165—177
J. Roman, Le meurtre de Louis Aymé à Gap en Dauphiné (im
‘ersten Religionskriege). — S. 195—285 N. Weiß, Episode de la
réforme à Paris, lassembleé de la rue S. Jacques 4—5 sept.
1557. — 66, 22—34 und 126—136; 67, 28—42 M. Godet, Les
Protestants à P A b b éville1560—1572: dazu Listen der des Calvinis-
mus Verdächtigen 67, 48—61; 115—122, — 66, 137—141 H. Aubert,
Les débuts de l' église de Marseille (nach einem Dok. von
1559). — 66, 328—338. G. dePourtalés, 4textes du psaume 42
(1548—1555) — 66, 68—73 J. Pannier, Anciens lieux de culte
prot. autour de Soissons et de Laon. — 67, 112—115 H. Aubert,
Une lettre inédite de Calvin à Farel (von 1544, aus der
Bibl. nat.) — 67, 162—183 N. Weiß, Louis de Berquin, son
premier procés et sa retractation (1523), mit Dokk. S. 209—911. —
68, 1—15 N. Weiß, Le premier traité prot. en francais (La
Summe de I’ escripture saincte 1523).
Einen Beitrag zur Gesch. der italienischen Ref. liefert
E.Rodocanachi,L'attitude des autorités civiles et religieuses
à l' égard de la réformation en Piémont au 16 siècle (von
95 255
Margarete von Frankreich bis Emanuel Philibert) im Bull. de la
Soc. de I’ hist. du prot. francais 67 (1918), 123—150.
Aus Bijdragen en mededelingen van het Historisch Genoot-
schaf, 41. Deel, Amsterdam 1920 ist zu notieren: S. 1—197 Mej.
G.Grosheide, Verhooren en Vonnissen der Weder *
dopers betrokken bij de Aanslagen op Amsterdam 1534/1535;
S. 198—220 A. Hulshof, Extracten uit de rekeningen van het
Schoutambacht van Haarlem betreffende Wederdoopers
te Amsterdam en te Haarlem; S, 221—231 Derselbe, alfa-
betisches Register zu den beiden voraufgehenden Verdffent-
lichungen; S. 232—246 P.J. Blok, Brei van den Utrechtschen
Burgemeester Aernt Dirssz van Lejden over zijne zendung naar
den prins van Oranje, Antw. 26/2 1579.
Die am 12. April 1920 in Krakau begründete Gesellschaft zur
Erforschung der Gesch. der Ref. in Polen gibt unter Leitung
des Univ.-Prof. Stanislaus K ot eine Zeitschrift ,Reformacya
w Polsce“ heraus, von der drei Hefte vorliegen (Jahrg. von zwei
Heften je 80 S. = Mk. 100,—). Heft I bringt einen Aufsatz von
A.Brückner-Berlin, „Einige Worte über die polnische Ref“,
in dem er den starken Einfluß der Ref. auf das polnische Geistes-
leben zeichnet; eine Abh. von K ot über die Schule in Princzew,
die erste prot. Schule in Polen. J. Czubek gibt eine kleine
Ergünzung meiner Thretiusbiogr. (1907); J. Plasnik schildert
die Entwicklung des protestantischen Buchhandels in Krakau;
E.Berwinski handelt über die Stellung K. Sigismunds III zu
den Dissidenten; W. Sobieski berichtet über ein unitarisches
polnisches Gebetbuch im Brit. Mus.; endlich teilt Kot einen
Brief des Grafen Joh. Ternowski vom 3. 3. 1560 an Calvin mit.
— Heft II: Brückner bespricht N. Reys Werk „der Kauf-
mann“, das von Naogeorgus’ Mercator seu Judicium wesentlich
abhängig ist; V. Fijalek behandelt den samogitischen Freund
der Ref. Joh. Tortylowicz-Batocki; Kot handelt über die polni-
schen Studenten in Basel; W.Sobieski gibt einen Beitrag
zum Lebensbilde des Unitariers Martin Ruer aus Holstein;
J. Wlodek berichtet über den Reformer der Landwirtschaft in
England, Samuel Hartlieb, geb. 1600 in Posen. — Heft III
(Jahrg. II, 1): K. Kolbuszewski sehreibt über die husitische
Bewegung in Polen und ihren Einfluß auf die Literatur;
J. Plasnik über die evangel. Buchdrucker Krakaus im
16. Jahrh.; L. Chmaj über Andreas Wissowetius, Enkel Sozins,
als religiösen Denker und Kämpfer; St. Zacherewski „die
ätlesten Synoden der poln. Arianer“ veröffentlicht Synodalakten
1560—1570 (Forts. der 1898 von Dalton hrsg. Lasciana-Synodal-
protokolle Polens 1555—1561). Zacherewski fand die Synodal-
akten hsl. in Klausenburg, wohin die poln. Arianer (Unitarier)
sie bei ihrer Vertreibung aus Polen 1660 gerettet haben. Die
Veröffentlichung wirft helles Licht auf die Entstehung der
256 96
unitarischen Kirche Polens und läßt uns die Nachrichten, die
Lubieniecki in seiner Hist. ref. Polon. bietet, nachprüfen. Von
deutschen Gelehrten hat der Königsberger Konsistorialrat Fr.
Samuel Buk diese Akten noch besessen und in seiner Bibl. Anti-
trinitariorum verwertet; seitdem waren sie verschwunden —
Heft IV: In ihm bietet Brückner einen Aufsatz über den
literarischen Einfluß des bekannten Nikolaus Rey, des polnischen
Hutten; in einer zweiten Abhandlung bespricht er die protes-
tantische Polemik gegen die Jesuiten zu Anfang. des 17. Jahr-
hunderts, an der sich neben Zygrovius, Mikolajewski, Biskupski
auch der Thorner Joh. Turnowski beteiligte. Nach den Akten
des Przemysler Kapitels berichtet Joh. Kwolik über Ab-
schwörungen des evangel. Glaubens unter dem Bischof Valentin
Hierburt (1560—1572); L.Wachholz in Krakau bietet z. T. auf
Grund archivalischer Forschung eine ziemlich vollständige Chro-
nologie der ev. Gemeinde in Krakau. L.Chmaj veröffentlicht
den zweiten Teil seiner Studien über Andreas Wissowetius, den
Enkel Sozins. Er bespricht hier besonders dessen Hauptwerk
Religio noturalis und die Polemik Leibnitz’ wider dasselbe.
Wedkiewicz behandelt den Einfluß der polnischen Pro-
testanten auf die Anfänge des rumänischen Schrifttums, Dr.Reiß
die Monogramme und Akrostychen in verschiedenen alten
polnischen evangelischen Liedern; Budka bringt den Text der
Warschauer Konföderation 1573, der magna charta religiöser Frei-
heit in Polen, zum Abdruck mit ihren 98 Unterschriften. — Die
nämliche Gesellschaft nimmt die Herausgabe des Briefwechsels
Melanchthons mit Polen und eine Sammlung von Liedern,
Gesangbüchern, Katechismen und Synodalakten in Aussicht.
Th. Wotschke.
Einen wertvollen Beitrag zur Poln. Ref.-Gesch. gibt ferner
K. Volker in seiner Untersuchung über den „Kampf des
Adels gegen die geistliche Gerichtsbarkeit in seiner Trag-
weite für die Reformation in Polen“ Harnack-Ehrung
S. 317—327, — Derselbe bespricht in ZKG. 39 (NF. II) S. 176—187
die jüngsten Erscheinungen zur RG. Polens.
Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten
Theologen der polnischen Ref, bis zu seinem Bruch mit der
reformierten Kirche (1562) stellt Th. Wotschke unter Beigabe
von sechs Briefen aus dem Herrnhuter Archiv in Z.f. Brüdergesch.
XIV, S. 1—82 dar.
Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.
21.
$
29.
s
2b.
29.
89.
IX.
33
84.
35.
86.
VI.
VIL. Jahrgang 1911 (Heft 29—82),
X. Jahrgang 1913 (Heft 37—40).
87, A. Scholz, Bugenhagens Kirchenordnungen in
Jahrgang 1909 (Heft 21—24), 12 M.
Fr. Spitta, Die Bekenntnisschriften des Herzogs
Albrecht von Preußen. (160 8.) . 7 M.
N. Muller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und
1622 I. G. Kawerau, Miscellaneen zur Reforma-
tionsgeschichte. W.Friedensburg, Fünf Briefe
Georg Witzels (1638—1067). (100 S.) 4,40 M.
. N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und
1522. II. O. Cidédmen, Aus Hans von Dolzigs Nach-
laß, Th. Wotschke, Zum Briefwechsel Melanch-
fhons mit Polen. (100 3.) 4,55 M.
Fr. Herrmann, Mainz-Magdeburgische Ablaß-
kistenvisitationsprotokolle. N. Müller, Die Wit-
tenberger Bewegung 1621 und 1522, III, (111112 m
i 5,26 M.
VIi. Jahrgang 1910 (Heft 25—28). 12 M,
O. Waldeck, Die Publizistik des Schmalkaldischen
Krieges. l. E. Kroker, Rörers Handschriften-
bände und Luthers Tischreden. IL. (120 5.) 5,40 M.
5. P. Vetter, Ein ungedruckter Brief des Justus
Jonas 1637. V. Schultze, Das Tagebuch des
Graten Wolrad il. zu Waldeck zum Regensburger
Keligionsgespräch 1546. I. N.Mtiiler, Die Witten-
berger Bewegung 1521 u. 1622. IV. (112 S.) 5,10 M.
. N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 u.
1622. V. V. Schultze, Das Tagebuch d. Grafen
Wolrad IL zu Waldeck zum Regensburger heligi-
onsgesprüeh 1646. 1f. (120 S.) 5,40 M.
N.Müller, Die Wittenberger Bewegung 1021 u.
1522. VL Fr. Roth, Zur Verhaftung und zu dem
Prozeß d. Dr. Rotae Alfonso Diaz. (LLL, 108 S.) 0,10 M.
12 M.
N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 u.
1622. VIL 0. Waldeck, Die Pubiizistik des
Sehmalkaldischen Krieges. Il. (136 S.) 6,16 M.
. J. m Pilugk-Harttung, Aus dem Lutherhause
in Wittenberg. E. Kroker, Korers Handschritten-
bande und Luthers Tischreden. DI. K. Schorn-
baum, Zum Tage von Naumburg 1661. (96 S.) 4,40 M.
Th. Wotschke, Zum Lebensbilde Laskis. Fr.
Wecken, Die Lebensbeschreibung des Abtes
Clemens Leusser von Bronnbach. W. Friedens-
burg, Eine Streitschrift des Vergerio gegen das
Trientiner Konzil 1651. (108 S.) 4,90 M.
P. Kalkoii, Der Humanist Hermann von dem
Busche und die luthertreundliche Kundgebung auf
dem Wormser Reichstage v. 20. April 1521. G. Ber-
big, kin Gutachten über die Flucht der Kurfürstin
Elisabeth von Brandenburg aus dem Sehlosse zu
Berlin. E. Körner, Unbeachtete Brieistücke
Luthers. H. Becker, Zur Geschichte der Pack-
schen Handel, G. Kawerau, Berichte vom Worm-
ser Religionsgesprüch 1640. (III, 84 S.) 4 M.
Jahrgang 1912 (Heft 33—36). 12 M.
. Fr. Roth, Sylvester Raid, der Brand-, Proviant- |
und spütere Rentmeister des Markgraten Albrecht
Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach, und Georg
Fróhich, der Verfasser der „Historia belli Schmal-
caldici*. O. Clemen, Briefe von Antonius Musa
an Fürst Georg von Anhalt 1544—1647, W. Köhler,
Brentiana und andere Reformatoria. (92 3.) 4,20 M.
W. Kóhler, Brentiana und andere Reforma-
toria. II. P. Kalkotf, Die von Cajetan vertaBte
AblaBdekretale und seine Verhandlungen mit dem
Kurfürsten von Sachsen in Weimar, den 28. u. 29.
Mai 1619. (96 8.) 440 M.
Fr. Roth, Zur Lebensgeschichte des Augsburger
Formschneiders David Deneker und seines Freun-
des, des Dichters Martin Schrot. G. Berbig, Hin
Streitfall zwischen einem Koburger Bürger und
einem Kaplan 1560. B. Willkomm, Beiträge
zur Reformationsgeschichte aus Drucken u. Hand-
schriften der Universitätsbibliothek in Jena. I.
W.Friedensburg, Aus den Zeiten des Interim.
H. Böhmer, Karlstadt in Tirol? O. Clemen,
Georg Motschilder, ein neuentdeokter Flugschriiten-
vertasser. (96 3.) 4,40 M.
J. Kvacala, Wilhelm Postell. Seine Geistesart
und seine Reformgedauken. I. B. Willkomm,
Beiträge zur Reformutionsgeschichte aus Drucken
und Hanuschritten der Uuiversitätsbibliothek in
Jena, IL K. Pallas, Der Reformationsversuch
des Gabriel Didymus in Eilenburg und seine Folgen
1522—1526. 1. (LI, 96 S.) 4,56 M.
12 M.
38.
39.
40.
XI. Jahrgang 1914 (Heft 41—44).
ål.
42.
43.
44.
XII. Jahrgang 1915 (Heft 45—48).
45.
46.
47.
48.
ihrem Verhältnis zueinander. K. Pallas, Der Re-
formationsversuch des Gabriel Didymus in Eilen-
burg und seine Folgen 1522—1526. II. W. Frie-'
densburg, Vergeriana 1534—1550. O. Clemen,
Reunionsvorschläge Georg Witzels von 1640.
H. Becker, Paul Lindenau. (116 S.) 5,25 M.
G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der
Prophet und König, und seine Genossen, nach den
Prozeßakten von 1630. I W. Köhler, Brentiana
und andere Reformatoria. III. (92 S.) 4,20 M.
G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der
Prophet und Kónig, und seine Genossen, nach den
ProzeBakten von 1530. Il, O. Winekelmann,
Die Armenordnungen von Nürnberg (1022), Kitzingen
(1623), Regensburg (1523) und Ypern (16528). 1.
G. Kawerau, Hin Brief Melanchthons von 1524.
W. Muller, Hin ungedruckter Brief Luthers an
Ef. Johann Friedrich von Sachsen (1546). E. Kling-
ner, Zu Grisars Auffassung von Luthers Aber-
glauben. (88 S.) 4 M.
G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der
Prophet und Kónig, und seine Genossen, nach den
Prozeßakten von 1630. UL M. Wehrmann, Von
Bugenhagens Visitationstütigkeit in Pommern.
H. Freytag, Ein Stolper Ordiniertenverzeichnis :
von 1574—1591, (III, 88 S.) 4,20 M.
10 M.
O. Winekelmann, Die Ármenordnungen von
Nürnberg (1622), Kitzingen (1523), Regensburg (1523)
und Ypern (1525) II. G@ Bossert, Augustin
Bader von Augsburg, der Prophet und Kónig, und
seine Genossen, nach den Prozeßakten von 1530. LV.
R. Jung, Die Auinahme. der Schrift des Coch-
laeus Adversus cucullatam Minotaurum Witten--
bergensem in Wittenberg 1628, W. Friedens-
burg, Der Verzicht Karlstadts auf das Witten-
berger Archidiakonat und die Pfarre in Orlamünde
(1524 Juni) (80 S.) 8,70 M.
Th. Wotschke, Der Petrikauer Reichstag 1552
und die Synode zu Koschminek 1066. GQ. Bossert,
Augustin Bader von Angsburg, der Prophet und
König, und seine Genossen, nach den Prozeßakten
von 1530. V. E, Körner, Beiträge zu Luthers
Tischreden. Fr. Arnecke, Über die Zusendung
eines Buches Hieronymus Emsers durch den Leip-
ziger Rat an den Bischof von Merseburg im Jahre
1522. (80 8.) 3,70 M.
P. Kalkoff, Luthers Antwort auf Kajetaus Ab-
laBdekretale (30. Mai 1519). G. Bossert, Augustin
Bader von Augsburg, der Prophet und König, und
seine Genussen, nach den Prozeßakten von 1530. VI.
J. Kvacala, Wilhelm Postell. Seine Geistesart
und seine Reformgedanken. Il. (80 S.) 3,70 M.
W.Köhler, Brentiaua u. andere Reformatoria. IV.
O. Clemen, Drei unbekannte reformatorische
Lieder. W.Friedensburg, Die Anstellung des -
Flacius LUlyricus an der Universität Wittenberg. `
(ILL, 80 8.) 3,90 M.
10 M.
K. Pallas, Urkunden, das Allerheiligenstift zu
Wittenberg betreffend 1522—1526. (Aus dem Nach- .
lasse des 7 Prof. D. N. Müller hrsg.) M.Reu, Ein
lateinisch-deutscher Katechismus für die deutsche
Schule zu Graz vom Jahre 1644. P. Veiter, Das
älteste Ordinationstormular der lutherischen Kirche.
(80 S.) 8,70 M.
K. Pallas, Urkunden, das Allerheiligenstift zu
Wittenberg betreffend 1522—1526. ll. (Aus dem
Nachlasse des + Prof. D, N. Müller hrsg.) R. Stólzle,
kine unbekannte Vorrede Melanchthons. Th,
Wotschke, Ein dogmatisches Sendschreiben des
Unitariers Ostorod. G. Kawerau, Zur Frage nach .
der Zuverlässigkeit Johann Aurifabers ala Sammiers
u. Herausgebers Lutherischer Sehriften. (80 S.) 3,70 M.
G. Bossert, D. Johann Mantels Lebensende und
der Eheprozeb des Michael Back und seiner Gattin.
O. Albrecht u,P, Flemming, Das sog. Manu-
scriptum Thomasianum, Aus Knaakes Abschrift ver-
öffentlicht. (80 S.) 8,70 M.
O. Albrechtu. P.Flemmin g, Dgs sog. Manu-
scriptum Thomasianum. I. M. Webhrmann,
Liborius Schwiehtenberg, ein literarischer Gegner
Bugenhagens. W. Friedensburg, Aus den
letzten Tagen des Kryptokalvinismus auf der Uni-
versität Wittenberg. G. Kawerau, Zwei Briefe
aus den Tagen der lutherischen Orthodoxie. (LI,
80 S.) 3,90 M.
XIII. Jahrgang 1916 (Heft 49—52).. 10 M.
49, O. Albrecht u, P, Flemming , Das sog. Manu-
scriptum Thomasianum III, Ed. Wilh.Mayer,
Forschungen zur Politik Karls V. während des
Augsburger Reichstages von 1530. I. (80 S.) 8,70 M.
O. Albrechtu.P.Flemming, Das sog. Manu-
Scriptum Thomasianum 1V. Ed, Wilh.Mayer,
Forschungen zur Politik Karls V, während des
Augsburger Reichstages von 1530. IT. G. Bossert,
Die Wiedereinführung der Messe in Frankfurt 1535.
(80 S.) 8,70 M,
O. Albrechtu.P.Flemming, Das sog. Manu-
scriptum Thomasianum V. A. Werminghofi,
Die Epistola de missera curatorium seu plehanorum,
W.KOhler, Brentiana u. andere Reformatoria V.
(80 S.) 3,70 M.
P. Kalkofi, Zur Entstehung des Wormser Edikta.
O. Albrechtu. P. Flemming, Das sog. Manu-
Scriptum Thomasianum VI. (80 S.) 3,90 M.
XIV, Jahrgang 1917 (Heft 53—56). 12 M.
69. W. Matthießen, Theophrast v. Hohenheim-gen.
Paracelsus I. F. Behrend, Die Leidensgeschichte
des Herrn als Form im polit.-literar. Kampf be-
sonders im Reformationszeitalter. R. Stólzle,
Gerard Geldenhauer, e. unbekannter Erziehungs-
theoretiker d. Reformationszeit. (80 S.) 8,70 M.
W. Matthießen, Theophrasz v. Hohenheim gen.
Paracelsus IL Th. Wotschke, Wittenberg u.
d. Unitarier Polens I. W. Kóhler, Brentiana u.
andere Reformatoria VI. (80 S.) 3,70 M.
66/66. O. Albrecht, Kritische Bemerkungen z. Über-
lieferung d. stammbuchartigen Buch- u. Bibelein-
zeichnungen Luthers. G, Kawerau, Die „Trost-
schriften“ als eine d. ältesten Quellen f. Briefe
Luthers. O. Reichert, Die letzten Arbeiten
Luthers am Neuen Test, W. Köhler, Luther-
briefe aus der Zeit des Augsburger Reichstages.
Th. Wotschke, Luthers Hauspostile polnisch.
P. Kalkoff, Friedr. d. Weise, der Beschützer
Luthers u. d, Reformationswerkes. E. Kroker,
Hat Tetzel den Ablaß zu seiner Bereicherung gemiß-
braucht? G. Bossert, Sodocus Neukelter, Neo-
bolus, Luthers Tischgenosse. W. Friedens-
burg, Ein englischer Spion in Wittenberg zur
Zeit Luthers (1539). (156 S.) 6,50 M.
XV. Jahrgang (Heft 57—60). 6 M.
57/68. W. Mathießen, Theophrast v. Hohenheim
gen. Paracelsus III, P. Kalkoff, Livin von Velt-
heim, e. Vorkämpfer d. kathol. Kirche in Nord-
deutschland. Th. Wotschke;, Wittenberg u. d.
Unitarier Polens IL A. Nutzhorn, Ein Tafel-
büchlein a. d. Reformationszeit (mit 1 Bildtafel).
G.Bossert, Theobald Diedelhuber. (124 S.) 3,70 M.
59/60. W. Mathießen, Theophrast v. Hohenheim
gen. Paracelsus IV. S. Kyacala, Wilh. Postell III.
R. Stölzle, Joh. Friedr. Coelestin als Erziehungs-
theoretiker. O. Albrecht, Nachwort in A. Nutz-
horns Arbeit üb. „Ein Tafelbüchlein a. d. Refor-
mationszeit“. (128 8.) 3,70 M,
XVI. Jahrgang (Heft 61—64), 6 M.
61/62. P. Vetter, Themas Naogeorgs Flucht aus
Kursachsen I. R.stölzle, Joh. Friedr, Coelestin
als Erziehungstheoretiker II. K. Sc'hornbaum,
Aus d. Briefwechsel G. Kargs. P. Dieze, Luthe-
rana a. Altenburger Archiven. (128 S.) 8,70 M.
68/64. P. Kalkoff, Restliche Wünsche f. d. Anfangs-
periode d. Reformationsgeschichte. P. Vetter,
Thomas Naogeorgs Flucht aus Kursachsen II. Joh,
Hausleiter, Johannes Aurifabers ro ddr 1. d.
gefangenen Kurfürsten Joh. Friedr. d. Großmütigen
u. Melanehthons Loci cosolationis. H. Ernst, Ein
unbekanntes handschriftliches Fragment v. Luthers
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v. Sachsen v. Januar 1581, W. Köhler, Brenti-
60.
51.
52,
54,
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ana u.andere Reformatoria, W.Friedenburg
Zwei Briefe Michael Stifelsan Flacius. (1288.) 8,70 M.
XVII. Jahrgang (Heft 65—68). 12 M.
65. G. Kawerau, Aus dem Wittenberger Univergi-
tütsleben. A. Wahl, Beitrige zur Kritik d. Über-
lieferung von Luthers Tischgesprächen d. Frühzeit.
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u. d. Abenteurer Heraklid Baschikus. OC. Hirsel
Melanchthon u. d. Interim. G. Bossert, Dre
Briefe Melanchthons. G. Stulfauth, Zum Pas
sional Christi u. Antichristi. (80 S.) 8,70
J. Haußleiter, Ein Stück der Genesisvorlesun
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wald, Bugenhagens Katechismuspredigten vo
Jahre 1574. K. Schornbaum, Markgraf Geo
Friedrich v. Brandenburg u. d. Einigungsbestr
bungen d. protestant. Stände 1556—69. O, Cle men
Georg Witzel u. Just, Jonas. (80 S.) 8,70 M
K. Schornbaum, Markgraf Georg Friedrich
Brandenburg u. d. Einigungsbestrebungen d. pr
testant. Stände 1556—59 II. G. Buchwald, Geo!
Helts Wittenberger Predigttagebuch L G.Loesche
Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- u
. Innerösterreichs 1. G. Bossert, Ein Brieffra;
ment v. Jul. Pflug. (80 S.) 8,70
. G. Buchwald, Georg Helts Wittenberger Pr
digttagebuch IL G. Loesche, Die reformatori
schen Kirchenordnungen Ober- u. Innerósterreichs I
E. Kroker, Luthers Arbeitsstube. (80 S.) 3,70
XVIII. Jahrgang (Heft 69— 72). 6 N
69/70. A. N. Müller, Der Augustiner Observantismu
u. d. Kritik u. Psychologie Luthers. G. Loesch
Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- un} ,
Innerösterreichs III. G. Buchwald, Eine noe
unveróffentlichte Vorarbeit Luthers zu seiner Schrift:
„Daß diese Worte Christi, das ist mein Leib’ noch
fest stehen.“ O. Clemen, Der Prozeß des Jon.
: Pollicarius. (80 S.) 8,70 M-
71/72. P. Kalkoff, Kardinal Schiner, e. Mitarbeiter -
Aleanders a.d. Wormser Reichstage. G.Loesche,g
Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und
Innerósterreichs IV. (80 S.) 8,70 M. ,
XIX. Jahrgang (Heft 73— 76).
78. J. Haußleiter, Das Rätsel der Gothaer Luther-
Handschrift A 402 u. s. Lósung. Th, Wotschke,
Georg Weigel Ein Beitrag zur Reformations-
geschichte Altpreußens u, Lithauens. K. A. Meis-
singer, Die Urkundensammlung des Brettner
Melanchthonhauses. (80 $.) 3,70 M.
J. Haußleiter, Das Rätsel der Gothaer Luther-
Handschrift A 402 u. s. Lösung II. E. Körner,
Dietrich v. Starschedel. Ein Zeuge vom Wormser
Reichstage 1521. G. Bossert, Briefe a. d. 16.
Jahrh. W. Koehler, Brentiana u. andere Refor-
matoria. (80 S.) 8,70 M.
75/76. K. Sehornbaum, Die brandenburg-nürn-
bergische Norma doctrinae 1573. K. Bauer, Der
Bekenntnisbund der Reichsstadt Frankfurt a. M. im
66.
67.
Zeitalter der.Reformation. (96 S.) 4,40 M.
Ergänzungsbände I—IV. l |
I.Hegler, Prof. D Alfr., Beiträge zur Geschichte
der Mystik in der Reformationszeit. Aus dem Nach-
lasse hrsg. u. m. e. biograph. Einleitung vergehen
v. Prof. Lic. Dr. Walth. Köhler. 1906. (VII, LVII,
220 S. m. Bildnis.) ie 10 M,
II, Helts, Georg, Briefwechsel. Hrsg. v. Prof. Lic,
Dr. Otto Clemen. 1907. (VI, 150 S.) 5,60 I,
IH. Wotschke, Pfr. Lic. Dr. Th dr. Der Briefwechsel
der Schweizer m. den Polen. 1908. (448 S.) 16,75 M.
IV. Zerener,Dr. Holm, Studien üb.das beginnende
Eindringen der lutherischen Bibelübersetzung in die
deutsche Literatur, nebst e. Verzeichnis üb. 681 Drucke
— hauptsächlich Flugschriften — der J. 1622—1526.
1911. (X, 1088) _ 5 M,
(I—IV zusammen für Bezieher des „Archiv“ 24 Mj
Die Preise sind Grundpreise und verstehen sich mal Schlüsselzahl des
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Börsenvereins der Deutschen Buchhändler (z. Z. 600).
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Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., uräfenhainichen.
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