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Full text of "Archiv für Reformationsgeschichte 18.1921-19.1922"

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REFORMA I ONSCESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


Im Auftrag 
des Vereins für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


XVII. Jahrgang. 1921. 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1921. 


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llann . 


Inhaltstibersicht. 


A. V. Müller, Rom, Der Augustiner-Observantismus und 
die Kritik und Psychologie Luthers . . . . . . 1—34 
G. Loesche, Hofrat, Professor D. Dr. in Königssee, Die 


Seite 


reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und Inner- 


österreichs IIE IV . . . . . . . . . 85—62; 121—154 
O. Clemen, Professor D. Dr. in Zwickau, Der Prozeß des 
Johannes Pollicarius . . . . . . . . . 608—174 


: P. Kalkoff, Professor D. Dr. in Breslau, Kardinal 

Schiner, Ein Mitarbeiter Aleanders auf dem Wormser 
Reichstage . . . . . . ......-. 81—120 

Mitteilungen: Aus Zeitschriften S. 75—80. —  Neu- 
erscheinungen S. 155—160. 

Von der preuflischen Kommission zur Erforschung 
der Geschichte der Reformation und Gegenreformation 
S. 1*— 6*. 


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OCT 31 1922 . 


E BE : T GEMMAE 


ARCHIV FUR REFORMATIONSGESCHICHTE. 


u TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von 


. D. Walter Friedensburg. 
Nr. 69/70. XVIII. Jahrgang. Heft 1/2. 
Der Augustiner-Observantismus und die Kritik 


und Psychologie Luthers 
von Alphons Victor Müller. 


& Die reformatorischen Kirchenordnungen 
Ober- und Innerösterreichs III. 
von Georg Loesche. 


Eine noch unveröffentlichte Vorarbeit Luthers 
zu seiner Schrift: „Daß diese Worte Christi ‘das ist 
mein Leib’ noch fest stehen“ 
von Georg Buchwald. 


Der Prozeß des Johannes Pollicarius 
von Otto Clemen, 


Mitteilungen 
Aus Zeitschriften. 


Von der preuBischen Kommission zur Erforschung 
der Reformation und Gegenreformation. 


. Leipzig 
Verlag von M, Heinsius Nachfolger 
1921. 


| Ausgegeben im Mai 1921. 
Preis für Subskribenten 10,— M., einzeln bezogen 11,— M. 


Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Quellen und Forschungen 
zur Reformationsgeschichte 


(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation) 
Herausgegeben vom 


Verein für Reformationsgeschichte 


Band L Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen. 
8°, [XII, 316 S.] A 9,—; geb. A 11,25 


Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus, Humanismfis 
und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von 
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°. 


[XXXH, 343 S. ‘A 1350; geb. A 15,55 7 


Band Ill. Leonid Arbusow, Die Einführung der Reformation in 
Liv-, Est- und Kurland. - Im Druck. 
Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation. 
Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und 
der Entscheidungsjahre der ‘Reformation. (1517—1523.) 
[XVI, 602 S] A 40,— 


Soeben erschien: 


Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 


38. Jahrgang (Nr. 133): 


Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. 
Von 
Lic. Karl Bauer, 


Privatdozent an der Westfälischen Wilhelmsuniversitat zu Münster i. W. 


Preis 6 Mark. 


Die Preise verstehen sich einschließlich 
Teuerungszuschlag des Verlegers ————— 


Der Augustiner-Observantismus und die 
Kritik und Psychologie Luthers. 


Von Alphons Victor Müller. 


Dem Observantenstreit im Augustinereremitenórden zur 
Zeit Luthers wird seit einigen Jahren von den Forschern 
eine gewisse Bedeutung beigelegt für die Beurteilung der 
Psychologie und des Charakters von Luther. Leider ist sich 
aber die Lutherforschung bis heute nicht klar genug geworden 
über Ziele und Eigentümlichkeiten dieser Obser- 
vanzbewegung, um gewisse Kritiken Luthers richtig verstehen 
zu können. Luther macht zwar abschätzige Bemerkungen 
über die übertriebene Bedeutung, die die Observanten gewissen 
AuBerlichkeiten beilegen und tadelt eine solche Richtung 
mit fast denselben Worten, die Tauler längst vor ihm gegen 
die Observanten seiner Zeit gebraucht hat, wie ich in meinem 
Luther und Tauler (Bern 1917, S. 130) gezeigt habe. Luther 
macht aber auch den Observanten seiner Zeit und seines Ordens 
den Vorwurf „Schismatiker“ zu sein, d. h. zu ver- 
suchen sich dem schuldigen Ordensgehorsam 
durch „Privilegien“ und ,Ezemptionen* zu entziehen. 
Bisher haben die Forscher gerade dieser Eigentümlichkeit 
in der Augustinerobservanzbewegung fast keine Aufmerk- 
samkeit geschenkt und diese Vorwürfe Luthers kurz auf den 
Streit zwischen den „sieben Konventen“ und Staupitz 
bezogen, was erstens nicht zutrifft und zweitens 
. Luther in den Verdacht bringen mußte weiter nichts als ein 
= Parteigünger von Staupitz zu sein, der pro domo et Domino 
- gesprochen habe. 
a Die drei Hauptstellen gegen die Unbotmäßigkeit der 
'"'Observanten lauten: Quaecumque ergo, quantacumque, qua- 
liacumque quis fecerit opera, si oboedientiam alibi 
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. t, H 


2 2 


debitam relinquit, huie dieitur hie: Non intelligit 
opera Domini sed sentit opera sua inflata sensu carnis 
suae. Tales hodie esse timendum est omnes observantes 
et exemptos sive privilegiatos. Qui quid noceant Ecclesiae 
nondum apparuit, lieet faetum sit. Apparebit autem tempore 
suo. Quaerimus autem cur sic eximi (sie!) sibi et dispensari 
(sic!) in oboedientia velint? Dicunt propter vitam 
regularem. Sed praeest lux angeli Sathanae. Quia eum 
oboedientia sit simplieiter indispensabilis et non eximibilis, 
quam magnam quaeso causam esse necesse esf ut dispensetur 
indispensabile? (WA. III, 155) . . . Sie etiam omnibus 
superbis contingit et pertinacibus, superstitiosis et inoboedi- 
entibus atque ut timeo Observantibus nostris, qui 
sub specie regularis vitae incurruntinoboedientiam 
et rebellionem ... (WA. IV, 83) Similiter et Super- 
stitiosi et Schismatici abiciunt per singularitatem suum 
praelatum in quo Christus eis praeficitur, quorum Aodie est 
major numerus . . . (WA. III 17.) 

Wie aus dem „hodie“ in der ersten und dritten Stelle 
zu ersehen ist und ebenso aus dem Indikativ-Praesens der 
Zeitform, schildert Luther Zustände, die, als er diese Worte 
sprach, noch andauerten. Um diese Anspielungen Luthers 
besser zu begreifen, müssen wir in ganz kurzen Zügen Ent- 
stehung und Entwicklung des Observantismus im Augustiner- 
eremitenorden schildern. 

Als gegen Ende des vierzebnten Jahrhunderts der 
Augustinereremitenorden von der genauen Befolgung seiner 
Regel und seiner Konstitutionen abgewichen war, suchten 
die Ordensgeneräle die Eiferer für eine genaue Befolgung 
der alten Vorschriften in einzelnen Konventen zu sammeln, 
und damit die Insassen dieser reformierten Klöster ganz un- 
behindert und unvermischt mit den nicht reformierten 
Elementen ihrem Ideale dienen könnten, entzogen die Ordens- 
generäle diese Klöster der Jurisdiktion der gewöhnlichen 
Provinzoberen und unterstellten sie direkt sich selbst oder, 
wenn sie zahlreich waren, einem Vikar, der nicht vom 
Provinzial sondern von ihnen direkt abbing. Auf diese Weise 
entstanden im Augustinerorden die „Kongregationen“ 
der ,Observanten“, denen die „Provinzen“ der 


3 3 
„Konventualen“ gegenüberstanden. Um die Hälfte des 
XV. Jahrhunderts herum finden wir in Italien bereits mehrere 
dieser Kongregationen, nämlich diejenigen von Lecceto 
(Toscana), S. Giovanni in Carbonaria (Neapel), S. Maria del 
Popolo in Rom, später nach dem Hauptkloster in Perugia 
benannt, Monte Ortona (Venezien), diejenige von Genua, 
und endlich die bedeutendste von allen, diejenige der 
Lombardei, die sich über einen großen Teil von Nord- 
und auch von Mittelitalien erstreckte. Bei Beginn des XVI. 
Jahrhunderts zählte sie weit über 1000 Mitglieder und hatte 
bei der hohen Geistlichkeit wie beim Adel einen derartigen 
Einfluß, daß sie, wie wir sehen werden, sogar den päpstlichen 
Befehlen trotzen konnte, bis sie zurückgenommen worden 
waren. Als einzige Auslandskongregation figuriert gegen 
Ende des XV. Jahrhunderts nur diejenige „des Andreas 
Proles in Deutschland“, wie sie noch lange nach Proles’ 
Tod auch in offiziellen Aktenstücken der Kurie genannt wurde. 

Um die Mitte des XV. Jahrhunderts war der Versuch 
gemacht worden die damals schon bestehenden italienischen 
kongregrationen zu vereinigen unter einem gemeinsamen 
Generalvikar wie unter einem gemeinsamen Generalkapitel. 
Doeh es fanden nur zwei Generalkapitel 1446 und 1449 
statt, dann ging diese Union wieder auseinander. Es wurde 
nun beschlossen, daß in Zukunft jede Kongregation unter 
einem eigenen Generalvikar selbstherrlich sein sollte. Damit 
hatte die Entwieklung begonnen, die uns hier interessiert. 
Jede Kongregation suchte jetzt ein Orden im Orden 
zu werden und ließ sich dureh Fürsprache seiner Gönner 
von der Kurie Privilegien auf Privilegien und 
Exemptionen auf Exemptionen erteilen. Ja, auf 
Grund kurialer Erlasse tauschten sogar die Kongregationen 
diese Privilegien unter sich aus, so daß bald die Autorität 
des Ordensgenerals „de facto“ fast ganz ausgeschaltet war. 
So sehen wir z. B. Eugen IV. der Kongregation von lliceto 
(Leeeeto bei Siena in Toscana) folgende Privilegien erteilen: 
Dem Generalvikar der Kongregation wird durchaus über 
alle Klöster und Brüder seiner Kongregation dieselbe 
Gewalt erteilt, die der General über Klöster und Brüder 
des ganzen Ordens hat. Damit war doch indirekt gesagt, 

1* 


4 4 


daß sich innerhalb der Kongregation die Gewalt des 
Generalsunddes Generalvikars gleich waren, 
daß der General nicht mit seinen Befehlen denjenigen des 
Generalvikars zuwiderlaufen durfte. Ja, dem Generalvikar 
wurden sogar Befugnisse erteilt, die der General anscheinend 
nicht hatte, denn der Generalvikar konnte gemeinsam mit 
den Visitatoren von Statuten und Ordinationen dispensieren, 
selbst wenn sie kraftApostolischer Autorität 
bestätigt worden waren. Auch direkt wurde die 
Gewalt des Generals stark eingeschränkt. So wurde dem 
General die Befugnis entzogen, irgend jemand in die Kon- 
gregation zu versetzen oder irgend ein Mitglied der Kon- 
gregation nach auswärts zu versetzen. Selbst wenn 
Mitglieder der Kongregation sich außerhalb derselben 
vergangen hatten, durfte sie der General nicht strafen. 
Ohne schriftliche Erlaubnis des Generalvikars durfte der 
General kein Mitglied der Kongregation zu irgend einem 
Amt in der Ordensleitung berufen. Ein Kongregationsmitglied, 
das sich ohne schriftliche Erlaubnis des Generalvikars durch 
den General aus der Kongregation herausnehmen ließ, ver- 
fiel der Exkommunikation! Auf Grund derselben Privilegien 
wurde die Autorität der Generalkapitel über die Kongrega- 
tion zum großen Teil abgelehnt. Als ferner der General 
Aegidius 1512 in Viterbo das Generalkapitel abhalten wollte, 
mußte er, der doch gerade zu dieser Kongregation von 
Ilieeto gehörte, vom Generalvikar derselben die schrift- 
liche Erlaubnishierzuerbitten. Diese Privilegien 
durfte die Kongregation ohne Erlaubnis des Generals an 
andere Kongregationen mitteilen. So sehen wir denn auch 
1487, 1493, 1510 die Kongregation von lliceto mit den 
Lombarden Gemeinschaft eingehen. 1506 hatte Lliceto 
gleich den Lombarden, die schon früher dieses Privileg besessen 
hatten, einen eigenen Generalprokurator an der Kurie 
ernannt, so daß der General über das Treiben an der Kurie 
dieser Kongregationen keine Kontrolle mehr hatte. (Ambr. 
Landucci: Sacra llieetana Silva . . . Siena 1653. S. 50f.) 

Bald erstreckte sich die Autorität des Ordensgenerals 
nur noch auf die Konventualen, die zwar die Mehrheit des 
Ordens ausmachten aber weit weniger angesehen 


5 
und einflußreich waren. Um die Observanten zu 
fördern, hatten die Päpste die Autorität des Generals durch 
ihre Privilegienkonzessinonen geschädigt. Später suchten sie 
diesen Irrtum dadurch wieder gut zu machen, daß sie unter 
sroßem Druck auf die Wähler eifrige Anhänger der Observanz 
zu Ordensgenerülen zu machen suchten. So wurde unter 
Sixtus IV. den Generalswählern unter Strafe der Ex- 
kommunikation am 2. Mai 1482 befohlen, den 
bisherigen Generalim ÀAmítzubestátigen und ja 
keinen neuen zu wáhlen, und damit der Erfolg um so sicherer 
eintrete, erhielt der General die Vollmacht nach Bedürfnis 
das Wählerkollegium zu seinen Gunsten zu „ergänzen“. 

Als so unter páüpstliehem Druck 1497 in Rom ein 
energischer General, Mariano von Genazzano gewählt wurde, 
der die Einheit des Ordens und seine Autorität wieder herstellen 
wollte, da war die Kriegserklärung der Ordensleitung an 
die Observanten unausbleiblich. Die — im Juniheft der 
Analecta Augustiniana 1919 nun veröffentlichten — Akten 
dieses Generalkapitels sind eine Kampfansage an 
die Kongregationen und werden auf Jahrzehnte hinaus 
das Programm bilden, das die Generäle zu verwirklichen 
suchen werden. Diese hochwichtigen Akten zeigen uns 
diejenigen Privilegien, die am meisten bei der Ordensleitung 
anstieBen und auf Grund derer die Kongregationen sich 
selbstherrlich gemacht hatten. 

Zuerst befiehlt das Kapitel, daß der General des 
Ordens, der gegenwärtige wie der zukünftige, volle Autorität 
haben muß gemäß der Verfassung des Ordens und gemäß 
der ProfeBformel über alle Ordensbriider wie über alle 
Klöster, mögen sie nun der Observanz oder den Konventualen 
angehören, und mögen die Observanten innerhalb oder 
außerhalb Italiens sein (sic)! . . . Damit wird ausdrücklich 
gefordert, daß der General nicht nur Jurisdiktion über den 
Generalvikar der Kongregationen hat, sondern auch und 
zwar unmittelbar über alle Brüder und Klöster, so 
daß er ihnen direkt, ohne sich an den Generalvikar zu 
wenden, befehlen kann. Wir werden bald sehen wie Stanpitz 
sich durch die Bulle des päpstlichen Legaten an dieser 
Forderung vorbeidrücken wollte. 


Zweitens schärft das Generalkapitel die Vorschrift 
der Konstitutionen ein, wonach die Provinzangehörigen ihrem 
Provinzoberen immer nur zu gehorchen haben unter Wah- 
rung der Rechte des Generals und erklärt, daß 
wer dem General nicht gehorcht als ein Sohn der Verderbnis 
und als faules Glied am Ordenskörper auszustoßen ist, 
möge er nun Konventuale oder Observant sein, in 
Italien oder außerhalb! ... Diese Forderung geht gegen 
die Aufstellung der meisten Kongregationen wonach der 
Kongregationsvikar in seiner Kongregation dieselbe Gewalt 
hat wie der General im ganzen Orden, was alsdann wie 
aus diesem Kapitelbefehl hervorgeht so ausgelegt wurde, 
daß wenn der Generalvikar einen Befehl erteilt hatte, der 
General ihn nicht widerrufen konnte. 

Drittens betont das Kapitel, daß der General 
seine Autorität unmittelbar vom Papste erhält, während 
dagegen die Provinziale und Kongregationsvikare 
ibre Autorität durch den General erhalten. . . . 
Das ist wiederum ein Protest gegen die Behauptung der 
Observanten, ihre Vikare amtierten „Auctoritate Apostolica". 

Viertens gebraucht das Generalkapitel sehr scharfe 
Ausdrücke gegen diejenigen, die neue Konstitutionen 
und ein neues Ordinarium einführen. Einige — so 
heißt es — sind durch Unwissenheit derartig verblendet 
oder mehr noch von Herrschsucht derartig entflammt, daß 
sie das hl. Kleid Augustins zu spalten und zu 
teilen suchen (Schismatiker!), dadurch daß sie sich 
nicht gescheut haben, sowohl im Ordinarium wie in den 
Konstitutionen Widersprachvolles zusammenzuflicken. In 
geradezu unverschämter Weise (nefarium et impudentissimum) 
hätten sie ohne irgend eine Ordenserlaubnis die Konstitutionen 
geändert und zwar so geändert, daß sie sich der ei- 
gzeutlichen Ordenskonstitutionen nicht mehr 
bedienen. ,Wir befehlen daher allen Provinzialen, allen 
Generalvikaren aller beliebigen Kongregationen, allen Lokal- 
prioren und einzelnen Brüdern, daß sie unter Strafe der 
Rebellion alle Konstitutionstexte, die nicht wörtlich vom alten 
Konstitutionstext abgeschrieben sind, sofort ins Feuer 
werfen, damit sie ewig untergehen“... Das 


7 


,riehtete sich gegen alle Observanten! Diesem Befehl zum 
Trotz führte (siehe unten S. 9) Staupitz neue Konstitationen 
und ein neues Ordinarium ein. 

 Fünftens werden die von Sixtus IV den Observanten 
gestatteten Anderungen am Ordinarium „reverenter“ zurück- 
genommen. Das Ordinarium enthielt die Zeremonieen und 
den Cantus des Ordens. l 

Sechstens wird befohlen, daß sich kein Kongrega- 
tionsvikar als Generalvikar titulieren darf. Sie sollen 
sich einfach unter Angabe ihrer Kongregation z. B. so nennen: 
Vikar der Kongregation von Lecceto, Vikar der Lombardi- 
dischen Kongregation usw. . . . Die Observanten und 
namentlich die Lombarden nannten sogar ihre Kongregations- 
kapitel: Generalkapitel. 

Siebentens werden diese Kongregationsvikare ver- 
pflichtet, den Generalkapiteln des Ordens beizuwohnen . . . 
Wenn sie das aber getan hätten, würden sie damit die Ver- 
bindlichkeit der Bestimmungen, die auf diesen Versamm- 
lungen getroffen wurden, auch für ihre Kongregationen aner- 
kannt haben. Daher haben, wie aus den wenigen Akten, 
die erhalten sind, hervorgeht, die Kongregationsvikare um 
diese Zeit die Generalkapitel gemieden. 

Achtens wird, um die Autorität des Generals zu stär- 
ken befohlen, daß es dem General zusteht, den Präsidenten 
der Kongregationskapitel zu ernennen, wenn er nicht selbst 
prüsidiert . . . Wir werden unten sehen, wie die Lombar- 
den auf Grund der Privilegiengemeinschaft mit Leeceto auch 
diese Forderung abgelehnt haben. 

 Neuntens müssen die Kongregationskapitel dem Gene- 
ral zur Bestätigung eingeschickt werden ... Auch diese For- 
derung mußte später zum großen Teil fallen gelassen werden. 

Zehntens dürfen ohne Erlaubnis des Generals keine 
Veräußerungen von beweglichen und unbeweglichen Gütern 
vorgenommen werden. 

Elftens: Ohne Erlaubnis des Generals dürfen die 
Observanten keine Klöster der Konventualen sich angliedern, 
keinen Bruder aus einer Provinz in die Kongregation auf- 
nehmen und auch keinen Bruder aus der eigenen Kongre- 
gation ausstoßen. 


Zwölftens wird endlich bestimmt, daß in Rom nur 
ein einziger allgemeiner Ordensprokurator die Geschäfte an. 
der Kurie besorgen darf. Keine Kongregation darf 
sich einen eigenen Prokurator halten. Wer 
ohne Erlaubnis des allgemeinen Ordensprokurators etwas an 
der Kurie zu erreichen sucht, kann mit Kerkerstrafe bis zu 
einem Jahre bestraft werden. Die Observanten sollen in 
Rom in S. Maria del Popolo, die Konventualen in S. Ago- 
stino oder anderswo absteigen ... Wir werden bald auf 
den diesbezüglichen Versuch von Staupitz einen anderen 
Proeurator an der Kurie zu halten, zu reden kommen. 

Alle diese Aufstellungen des Generalkapitels von 1497 
bedeuteten natürlich eine Stärkung der Ordenszentralgewalt, 
muBten aber bei den Kongregationen auf starken Widerstand 
stoßen. Unter dem 26. Mai bestätigte Alexander Vl. den 
„gewählten“ Ordensgeneral Mariano von Genazzano und 
ordnete an, daß alle Kongregationen, auch 
diejenige des Andreas Proles, die genannten Vor- 
schriften des Kapitels zu befolgen hätten. Die Lombardische 
Kongregation nahm diesen Befehl nicht ohne weiteres hin. 
Ihr Generalvikar Lucchino von Bergamo schickte Bartholo- 
mäus von Palazzolo, den einflußreichen jBeichtvater ‘der 
Gebieterin von Mailand und anderer Fürstlichkeiten sowie 
Augustin von Bergamo nach Rom, damit sie durch die Für- 
sprache von Kardinälen und Fürsten das päpstliche Schreiben 
rückgängig machen könnten. Die anderen Kongregationen 
werden nicht müßig abseits gestanden haben, da es sich 
im Sinne der Observanten um Sein oder Nichtsein handelte. 
So konnte der Erfolg nicht ausbleiben. Durch ein neues 
Schreiben von 26. Januar 1498 nahm Alexander VI. sein 
erstes Schreiben zurück, da er keine Beunruhigung unter 
den Observanten hervorrufen wollte. 

Trotz dieser Niederlage betrachtete die Ordensleitung, 
wie aus den päpstlichen Akten der folgenden Jahre hervor- 
geht, die Forderungen des Kapitels von Rom als Programm 
und suchte nicht nur an ihrer Hand den verlorenen Boden wie- 
derzugewinnen, sondern auch jede weitere Absplitte- 
rungvonderZentralemitallerEnergiefernzu- 
halten. So entstand der Konflikt mit der deutschen Kongregation. 


9 


ce 


Im Jahre 1503 war Staupitz in der Leitung der „Kon- 
gregation des Andreas Proles“ dem Proles gefolgt und ent- 
wickelte sofort eine Tätigkeit, die vom General nicht gern 
gesehen sein konnte. Während wir nämlich von seinem 
Vorgänger wissen (Comp. ex reg. Ms. lat Monac. Aug. 123. 
Kolde: Z.1.Kgsch.Il. S.467f.), daß er seine Wahl zum Vikar 1497 
durch den General Mariano von Genazzano und 1500 durch 
dessen Nachfolger Gratianus Fulgineo bestätigen ließ, wissen 
wir von Staupitz nicht, daß er um die Bestätigung 
seiner Wahl nachgesucht hätte. Es ist auch nicht 
wahrscheinlich, daß er es getan hat, weil er ein Jahr später 
in seine Konstitutionen den Passus aufnehmen ließ (Kap. 32). 
daß der Vikar sofort nach seiner Proklama- 
mation ipso facto auctoritate Apostolica als 
bestätigt gilt. Auf Grund welcher Privilegienkommu- 
nikation die deutsche Observanz vom bisherigen Brauche 
abwich, ist noch nicht klargestellt. Dem General konnte 
das aber keine Freude machen. Alsdann gab Staupitz gegen 
Punkt vier und fünf des oben erwähnten Ordensprogrammes 
einen neuen Konstitutionstext und ein neues 
Ordinarium heraus. Wenn auch der Text der neuen 
Konstitutionen sehr vorsichtig abgefaßt ist, so tritt er doch 
aus äußeren und inneren Gründen der Autorität des Gene- 
rals zu nahe, wenn auch nur in indirekter Weise, so daß 
profane Augen kaum etwas merken werden. Aber bezüglich 
der Punkte eins, zwei und drei des sogenannten Ordens- 
programmes erfüllen die Staupitzkonstitutionen weder die 
Anordnungen des Generalkapitels von 1497 noch diejenigen, 
die Leo X, wie wir sehen werden, bald aufstellen wird. Er- 
sehen wir doch aus dem Schreiben des Nürnberger Magi- 
strats an Staupitz vom 19. September 1511, dab die deut- 
schen Observanten dem General nur gehorchen wollten, wenn 
er ,zZiemlichs*" gebiete und was der geistlichen 
Zuchtund Observanz „fürträglich“ sei. Sie wel- 
gern sich, dem General zu gehorchen, es sei denn, dab er 
gemäß den Privilegien unter Achtung der Ob- 
zervanz befehle... 

Noch unangenehmer mußte es in Rom empfunden wer- 
den, daß Staupitz 1505 (nicht 1506) seinen Vertrauensmann 


10 10 


Besler nach Italien schickte, um über eine „Union“ 
mit der lombardischen Kongregation zu verhandeln, die nach 
Besler nur den Zweck haben sollte, eine Privilegienkommu- 
nikation mit den Lombarden zu veranlassen und zu erreichen, 
daß der lombardische Prokurator in Rom die Geschäfte der 
deutschen Kongregation an der Kurie gleichfalls vertreten 
sollte. In Wirkliehkeit war aber die Sache nicht so harm- 
los, wie sie Besler nachträglich schildern möchte, denn da 
die lombardische Kongregation dem h. Stuhl un mittelbar 
unterstellt war, handelte es sich darum, die deutsche Kon- 
gregation gleichfalls vollständig und faktisch 
vom General unabhängig zu machen. Daß Stau- 
pitz gerade diese Unabhängigkeit durchsetzen wollte, geht 
aus dem bald zu zitierenden päpstlichen Schreiben mit Deut- 
lichkeit hervor. Die Lombarden nahmen in Vercelli im 
April 1505 den deutschen Vorschlag an. Schon am 
1 2.M ai hatte die Ordensleitung in Rom, noch bevor der Papst 
diese Union gebilligt hatte, Wind von der Sache bekommen. 
Wie sehr man darüber aufgebracht war, geht aus der Notiz 
hervor (Generalregest: bei Böhmer 8.51, Anm. 4), daß der inter- 
emistische Leiter des Ordens und spätere General Augustinus 
von Interamna (Terni) am 12, Mai, als er das Generalkapite! 
für den ersten Sonntag im September nach Interamna(?) 
ausschrieb — es fand jedenfalls in Perugia statt — zugleich 
öffentlich der deutschen Kongregation das Erscheinen 
auf demselben verbot, offenbar weil man sie als 
„schismatisch“ betrachtete. Erst am 21. Juni wurde das 
päpstliche Bestätigungsschreiben für die Union ausgestellt 
und am 15. März 1506 beauftragte Julius II. die Erzbischöfe 
von Mainz, Magdeburg und Salzburg mit der Exekution 
dieser Bulle (Milensius bei Böhmer: Luthers Romfahrt S. 20). 

Wie der Orden über diesen Schritt von Staupitz geur- 
teilt hat, ist auch aus verschiedenen anderen Zeugnissen zu 
ersehen. Die bis zum Jahre 1550 ergänzte Ordenschronik 
des Ordensgenerals Seripandus, die sich gewöhnlich als 
Anhängsel zu seinen Konstitutionen findet, schreibt zum Jahre 
1505: Hoc anno Congregatio Alemaniae, quae etiam Andreae 
Proles dicta est, oceulte, inscioque Generali Bullam obtinuit 
qua immediate subesset Summo Pontifiei, eoque colore 


il il 


ab uniome ordinis separata est, quae quidem 
separatio pessimum in ecclessia fructum fecit, ut circa annum 
Domini 1517 videbitur. Zu dem letzgenannten Jahre heißt 
es alsdann: Annus nostro ordini gravissimus ac pestilentissi- 
mus, quo Martini Lutheri haeresiarchae omnium qui fuere: 
quique futuri sunt scelestissimi infandum nomen ex Andreae 
Proles sive Alemaniae Congregatione audiri coeptum est, 
qua in re illa dumtaxat utimur consolatione, quod ea 
Congregatio longe priusquam hoe monstrum 
pareret ab UnioneOrdinis subreptiis se Bullis 
segregaverat exemeraíque. 

Diese Behauptungen und Entschuldigungen des Seri- 
paudus sind etwas übertrieben und treffen auch das Ziel 
nicht, weil sich gerade Luther gegen dieses 
„Schisma“ seiner Kongregation, längst bevor 
ersich von der Kirche trennte, ganz ent- 
schieden ausgesprochen hat. 

Die „schismatischen“ Bestrebungen von Staupitz bleiben 
aber Tatsache. Das geht zuerst hervor aus den Absichten, 
die er bei der Union mit den Lombarden verfolgte, wie aus 
dem Breve Julius Il. vom 26. März 1506 erhellt. Die 
Ordensleitung hatte sich nämlich nicht mit dem Verbot die 
deutschen Observanten zum Generalkapitel zuzulassen be- 
gnügt, sondern war auch beim Papst wegen dieses Privilegs 
vorstellig geworden. Aus der Antwort des Papstes, die 
nur zehn Tage später als die vorhin erwähnte Exekutions- 
bulle erfolgte, geht nun hervor, welchen Gebrauch Staupitz 
von dieser Privilegienkommunikation machte. Der Papst 
schreibt dem Ordensgeneral: Cum autem sicut Nobis nuper 
exponi fecisti Congregatio praedicta Lombardiae 
Sedi Apostolicae immediate subsit et dicti 
loannes Viearius Generalis et alii Provinciales Vicarii, Visi- 
tatores et Diffinitores dicti Ordinis qui literas praedictas 
absque licentia seu scientia Protectoris aut 
Prioris seu Procuratoris Generalis dicti 
Ordinis impetrarunt, praetextu confirmationis, 
extensionis et concessionis huiusmodi se a Superioritate 
tua et pro tempore existentis Prioris Gene- 
ralis praefati Ordinis (exemptos?) et Sedi 


12 12 


praedictae immediate sesubiectos praeten- 
dant, quod si foret in grave dispendium dicti Ordinis tam 
de Observantia quam Conventualium Fratrum 
dicti Ordinis etiam in Alemania existentium 
cederet, cum ipsi se a dieto Priore Generali totius Ordinis 
exemptos et Sedi praedietae subiectos praetendentes, 
reliquos Fratres favore Principum saecularium, et 
alias multipliciter molestarent pro parte tua Nobis fuit 
humiliter supplicatum, ut in praemissis oportune providere 
paterna diligentia curaremus... Der Papst erklärt alsdann, 
daß die deutschen Observanten nicht „eximiert“ worden 
sind von der „obedientia“, „superioritas“ und 
„subiectio“ gegenüber dem General und seinen Nach- 
folgern (siehe oben Luthers Vorwurf S. 2). Man beachte, wie 
der Papst hier bezüglich dieser Unterordnung unter den 
General nieht nur vom Generalvikar spricht. Hoehn 
(S. 135.) glaubt, daß Sigfridus Caleiator, der Provinzial der 
Provinz „Rhein und Schwaben“, der Ende 1505 oder An- 
fang 1506 nach Rom gegangen war, um die Interessen seiner 
Provinz gegen Staupitz und seine Leute zu verteidigen, ein 
Mitverdienst an der Erlangung dieses Breve gehabt hat. 
Der Hinweis im Text auf die Stänkereien der Obsvervanten 
gegen die Konventualen in Deutschland bestätigt diese Auf- 
fassung. Auch war Caleiator der richtige Mann, um die 
Praktiken des Staupitz und seiner Observanten zu schildern, 
wie sie sich durch Vermittlung des Adels in den Besitz der 
Klöster der Konventualen setzten. 

Hat Staupitz sich dieser päpstlichen Entscheidung ge- 
fügt? Es ist nicht wahrscheinlich, daß er seine vom Ehr- 
geiz eingegebenen Unabhängigkeitsbestrebungen aufgab, um 
so weniger als er die Lombarden auf seiner Seite hatte. 
die ihm gezeigt hatten, wie man päpstliche Entscheidungen 
rückgängig macht. Der offizielle Geschichtsschreiber der 
lombardischen Kongregation Calvi erzählt nämlich, daß die 
Verbindung (sie!) zwischen der deutschen und seiner Kongre- 
gation ungefähr sechs Jahre lang Wirkungen her- 
vorgebracht hat, also ungefähr bis -1510/11. Merken wir 
uns vorläufig dieses Datum, weil es ziemlich genau den 
Zeitpunkt angibt zu dem die deutsche Kongregation sich 


13 13 
wieder unter das ,Joch* des Generals begeben hat. Qui 
si trattò e conchiuse (Vercelli 1505) "unione della Congre- 
gazione Sassonica d’ Andrea Proleá con la nostra di Lom- 
bardia benche solo per sei anni in circa se ne vedessero 
gl'effetti, stante la distanza, de’ climi e diversità di 
genii. (Calvi: Memorie etc. Mailand 1669 S. 182.) 

Daß Staupitz bei seinen ehrgeizigen Plänen verharrte 
und auf Umwegen das wieder zu erreichen suchte, was der 
Papst zurückgenommen hatte, zeigt sein ganzes weiteres 
Verhalten. Kolde (S. 232) möchte, ohne eine Quelle zur 
Verfügung zu haben, annehmen, daß Staupitz 1507 nach 
Rom gekommen sei und der Wahl des Agidius von Viterbo 
auf dem Generalkapitel von Neapel am 23. Mai beigewohnt 
habe. Wie gesagt, beruft sich Kolde hierfür auf keine 
Quelle. Aber Besler, der Vertrauensmann und Vertreter 
von Staupitz in Rom, der damals in der Ewigen Stadt weilte 
und zwar bis zum Jahre 1509, schließt einen Besuch von 
Staupitz in Rom in diesem Jahre indirekt dadurch aus, dab 
er uns berichtet, Staupitz sei im Januar 1507 in Bologna, 
(wo gerade damals die Kurie war) gewesen und habe 
ihn dorthin kommen lassen um ihm Aufträge 
zugeben. Ware Staupitz nach Neapel gegangen, hatte 
Besler, der sonst über jedes Zusammentreffen mit ihm getreu 
berichtet, dieser Begegnung Erwähnung getan, und Staupitz 
wäre nicht nach Neapel gegangen ohne auf der Hin- oder 
Rückreise Rom zu berühren. Auch hätte er in diesem Falle 
Besler nicht nach Bologna kommen zu lassen brauchen, 
und endlich pflegten die Kongregationsvi- 
kare geradeindiesenJahren diesen General- 
kapiteln nicht beizuwohneao. (Siehe oben S. 7) 
Staupitz hatte auch ein zu böses Gewissen, um sich bei der 
Ordensleitung blieken zu lassen; trug er sich doch mit 
Plänen, die ihre Dilligung nieht finden konnten. Möglich 
wäre es schon gewesen, dab Staupitz, wenn er sich länger 
in Italien aufgehalten hätte, dem sogenannten General- 
kapitel der Lombarden beigewohnt hätte, aber so 
kurz nach der „Union“ konnte er unmöglich eine von der 
lombardischen verschiedene Marschroute einschlagen, und 
die führte nicht nach Neapel aufs Kapitel. 


14 14 


Hatte sich Staupitz bisher direkt an die Kurie und an 
die Observanten gewandt, um sich vom General unabhängig 
zu machen, so versuchte er jetzt sein Glück auf anderem 
Wege. Er unterhandelte mit dem im August 1507 nach 
Deutschland als Legaten geschickten Kardinal Carvajal und 
schlug ihm eine neue Union seiner Kongregation mit den 
Konventualen der Provinz Sachsen vor. Jedes 
Mittel war ihm recht, wenn es ihn zu seinem Ziel führte. 
Er versuchte nämlich durch die von ihm beeinflußte Unions- 
urkunde, wie wir sehen werden, sich seine Machtstellung 
neuerdings garantieren zu lassen, ahnte aber in seinem blin- 
den Ehrgeiz nicht, daß er gerade damit sowohl den General 
wie seine Observanten herausfordern mußte. 

Einige Historiker haben sich bemüht, auch bei dieser 
Gelegenheit den Reformeifer von Staupitz zu preisen. 
Man muß aber über Observanzfragan nicht gut unterrichtet 
sein, um in dem Staupitzschen Projekt keine Gefahr für 
die Observanz zu erblicken. Die Aggregation von 23 bez. 
25 neuen Konventen, d. h. die Vereinigung von fast eben- 
sovielen Nichtobservanten mit den Observanten entsprach 
nicht dem Prinzip, aus dem sich die Observanten in Kon- 
gregationen abgesondert hatten. Wenn man ferner ge- 
pau zusieht, waren in dem Unionsdokument vom 15. De- 
zember 1507 keine ernsten Garantien fiir das Weiterbe- 
stehen der intakten Observanz gegeben. Es wurde darin 
wohl angeordnet, daß keine plötzliche (sic!) Vermischung 
von Brüdern aus der Kongregation mit denen aus der Pro- 
vinz stattfinden sollte, aber damit war — abgesehen davon, 
daß „plötzlich“ hier ziemlichzusammenschrumpfen konnte — die 
Vermischung im Prinzip bereits zugegeben, 
und wurde zudem noch besonders dadurch nahe gerückt, daß in 
demselben Satze indirekt zugestanden wurde, daß in der 
Provinz Sachsen genügend reformierte Konvente existierten, 
mit denen natürlich eine Vermischung keine Gefahr für die 
Observanz verbunden sein konnte, wenigstens im Sinne des 
Hintermannes dieses Dokumentes. Ebenso gewolltzwei- 
deutig ist der Satz über den Observantismus des Unions- 
leiters. Manche Forscher haben auf Grund einer flüchtigen 
Betrachtung des Textes geglaubt, daß dieser Leiter immer 


[d 


15 15 


der Kongregation zu entnehmen sei, obne zu bedenken, 
daß die Sachsen doch niemals einer solchen Bedingung zu- 
gestimmt hätten! Das steht aber auch durchaus nicht im 
Text, der nur bestimmt, daß der Unionsleiter in der „regu- 
lären Observanz genährt sein müsse“ und nicht in „irgend 
einer Weise die Observanz geringgeschätzt haben dürfe“. Die 
Observanz der Kongregation wird aber unmittelbar 
darauf die peer herve Observanz“ genannt, während 
es später auch von den Sachsen heißt, daß sie in Zu- 
kunft ungestört in der „regulären Observanz* leben 
sollen. Am meisten mußten aber die Observanten sich da- 
durch abgestoßen fühlen, daß ihr Generalvikar ihnen durch 
das neue Unionsdekret eine neue Verfassung aufhalste, die 
ihm persönlich das Heft in die Hand gab. Da nämlich die 
Sachsen je zwei und die Observanten je zwei Diffini- 
toren bei der ständigen Regierung der Union stellen sollten, 
hätte der Unionsleiter dadurch, daß er von einer Gruppe 
zar anderen pendelte, stets die Entscheidung in 
seiner Hand gehabt, was Staupitz ja bezweckte. Daß 
sich in der Kongregation ein Widerstand gegen dieses Pro- 
jekt regte, ist begreiflich. 

Noch mehr mußte sich die Ordensleitung in Rom gegen- 
dieses Projekt auflehnen, und es ist geradezu unbegreiflich 
daß neuere Forscher sich zu der Behauptung versteigen 
konnten, Staupitz habe mit dem General die Einzelheiten 
dieser Union durchgesprochen! Das Dokument erwähnt 
nämlich nicht ein einziges Mal irgendwie die Zustimmung 
des Generals, die doch als diejenige eines Hauptbeteiligten 
notwendig gewesen wäre. Wie konnte man ohne diese Zu- 
stimmung eine dem General zweifellos unmittelbar 
unterstellte Provinz, wie die Saxonia, mit einer privilegierten 
Kongregation vereinigen, besonders wenn dadurch, wie wir 
sehen werden, die Jurisdiktion des Generals empfindlich 
leiden mußte? Allerdings schreibt das Dokument mit 
niehtswürdiger Zweideutigkeit vor, daß sich der General- 
vikar unter keinem Vorwand der Obödienz des Generals 
entziehen, sondern ihn als Haupt des ganzen Ordens „ehren“ 
und „pflegen“, ibm die Kontributionen zahlen und ihm 
"wenn er Erlaubtes (!) befehle ehrerbistigst gehorchen 


16 16 


solle. Welch eine raffinierte Frechheit! Man beachte, daß 
hier an dieser Stelle und auch sonstwo nirgends im Doku- 
ment auch nur mit einem Wort die Rede ist von der Ge- 
horsamspflicht und Untergebenheit aller anderen 
Unionsmitglieder, sondern nur von derjenigen des 
Unionsleiters, wahrend von den Unionsmitgliedern anderswo nur 
gefordert wird, daß sie „sub obedienta“ des Unions- 
leiters leben sollen. Damit wird indirekt die oben S. 5 
von der Ordensleitung verworfene These aufgestellt, wonach 
der General nicht unmittelbarer Oberer der einzelnen 
Brüder ist und ihnen daher nur durch die Vermitt- 
lung des Unionsleiters befehlen kann, und 
zwar auch dann nur, wenn er Erlaubtes be- 
fiehlt. Welch eine Zweidentigkeit! Das kann nämlich 
heißen, daß der Unionleiter zu gehorchen gehalten ist, wenn 
der General nichts gegen die Gebote Gottes oder der Kirche 
befiehlt, aber es kann auch heißen, daß der General nichts 
gegen die Observanz der Konstitutionen und Privilegien der 
Union befehlen darf, und jedenfalls bleibt dem subjektiven 
Gewissen des Unionleiters die Befolgung der Befehle über- 
lassen (siehe oben S. 6). 

Mißfallen mußte es ferner der Ordensleitung, daß ohne 
ihre Zustimmung die Bestätigung des Provinzials der Saxonia 
ihr durch dieses Dokument entzogen wurde, denn in Zukunft 
sollte der Provinzial dieser Provinz durch seine Wahl kraft 
apostolischer Autorität bestätigt sein und wohl 
auch sein Amt ausüben kraft derselben Autorität, da vom 
(General überhaupt keine Rede ist. Mißfallen mußte es end- 
lich auch der Ordensleitung, daß die Konstitutionen der 
Kongregation nun auch in der Provinz Saxonia ein- 
geführt werden sollten. Alle diese Anordnungen der Unions- 


urkunde verstoßen nämlich gegen die obenerwähnten Punkte 
1—4 des Ordensprogrammes! Bezeichnend ist es 


auch für Staupitz, daß er durch den päpstlichen Legaten in 
diesem Dokument seiner Kongregation alle dureh Julius II. 
verliehenen Privilegien der Lombarden (exemptiones, 
immunitates,libertates etc.)nochmals „bestätigen“ 
läßt, ohne jedoch des oben besprochenen Widerrufes Er- 
wähnung zu tun. Der Text des Dokumentes ist offenbar 


17 17 


von Staupitz oder von einem seiner Vertrauten stark beein- 
flußt worden, wenn er nicht in den interessierten Partieen 
von ihnen direkt hergestellt worden ist. So klingt beson- 
ders der Satz tiber die Konstitutionen, dort wo er von der 
„sinceritas Regulae“ redet und sagt, daß man das alles 
bei Seite lassen solle, was der Orden mehr duldet als be- 
fiehlt (dimissis eis quae potius Ordo tolerando patitur 
quam fieri iubeat) stark an die Einleitung zu den 
Staupitzkonstitutionen an. Daß jedoch der für dieses Schrift- 
stück verantwortliche Legat ein Haar in dieser ihm von 
Staupitz eingebroekten Suppe gefunden hat und sich durch 
vier Worte davor bewahrt hat, sie ganz auslöffeln zu müssen, 
ist bisher nicht beachtet worden. Er vollzieht nämlich die 
Aggregation nur: sine praeiudicio dieti Genera- 
lis! Durch diese Klausel wird auch ein vorheriger Konsens 
des Generals, den gewisse Forscher angenommen haben, 
ausgeschlossen. 

Staupitz hat fast drei Jahre lang diese Urkunde, wenn 
man Hoehn (S. 141) glauben darf, nicht veröffentlicht. Er 
wollte offenbar den Boden für sie in der Kongregation, in 
Sachsen und eventuell auch in Rom beim General vorbe- 
reiten. Trotz seiner Nichtveréffentlichung konnte ein solches 
Dokument nieht geheim gehalten werden. Wie Bóhmer 
unter Berufung auf die Nürnberger Ratserlasse (S. 55) mit- 
teilt, wußte man schon 1508 in Nürnberg, daß eine Ver- 
fassungsänderung in der Kongregation bevorstehe, und der 
Rat entzog darauf den Augustinern das Trinkwasser und 
gewährte es ihnen auf Widerruf nur unter der Bedingung 
wieder, dab sie sich mit der Erlaubnis des Staupitz in Rom 
um den Bestand der Freiheiten ihres Klosters bemühten, 
Wir wissen zwar nichts über einen etwaigen Widerstand 
der Sachsen, aber der sächsische Provinzial konnte einer 
solchen Union, die für ihn einer Amtsabtretung an Staupitz 
gleiehkam, nieht zustimmen. Mit vollem Recht haben Kolde 
und Böhmer angenommen, daß der in der Urkunde erwähnte 
ciumütige Konsens der Sachsen von Staupitz nur vor- 
zegeben worden ist, denn man kann nieht gut annehmen, 
dab eine ganze Provinz, von der vorber zugegeben wird. 
daß manche ihrer Konvente noch reformbedürftig seien 


Archiv für Reformationsgeschichte XVIII 1. o 


æ] 


18 18 


und zur Reform eventuell gezwungen werden könnten, ein- 
mütig den Wunsch nach einer solchen Union ausgesprochen 
habe, die im Grunde zur Abschaffung ihres Provinzialates 
und ihrer Selbständigkeit führen mußte. Es ist sogar sehr 
wahrscheinlich, daß der durch die Unionsurkunde bloDge- 
stellte Provinzial, dem die Sache nicht verborgen bleiben 
konnte, nach Rom berichtete, um sich zu rechtfertigen. Stau- 
pitzens Plan war wiederum vereitelt worden! 

Bevor wir nun die weitere Haltung von Staupitz schil- 
dern, müssen wir eine Untersuchung über gewisse Quellen 
anstellen, die die modernen Forscher bisher gutgläubig über- 
nommen und benutzt haben, ohne irgendwie ein Bedenken 
zu äußern. Ich meine damit die Regesten aus den 
Generalregistern des  Augustinerordens. Diese Regesten 
(siehe Böhmer S. 25 ff.) sind in zweifacher Form auf uns 
gekommen. Die einen sind Fragmente des „Manual- 
registers“ des Agidius von Viterbo aus den Jahren 1508 bis 
1509, 1512—1513 und befinden sich heute noch im General- 
archiv des Ordens, die anderen dagegen sind uns nur durch 
zwei späte Abschriften, von denen die eine, verschiedene 
Jahre umfassend, in München liegt und die andere, die 
Jahre 1510—1513 betreffend, heute in Berlin auf der Staats- 
bibliothek sich befindet, überliefert worden. 

Über die Paläographie dieses vorgeblichen Manualregisters, 
die Hände oder die Hand, den Ductus und Charakter der 
einzelnen Eintragungen im Vergleich zu den vorhergehenden 
und folgenden, sagt uns sogar Böhmer weiter nichts, obschon 
dieses zur kritischen Würdigung dieser Quelle sehr not- 
wendig gewesen wäre. Wenn wir es nämlich mit Eintra- 
gungen zu tun hätten, die sofort, von Fallzu Fall, 
und an der Hand der Urdokumente, so lange diese 
noch nicht abgeschickt waren, sorgfältig ausgezogen und 
eingetragen worden wären, dann hätten wir eine 
Quelle ersten Ranges vor uns. Anders würde die 
Sache sich verhalten, wenn diese Eintragungen erst nach 
geraumer Zeit, auf Grund von flüchtigen Notizen 
und nicht auf Grund der bereits abgesandten Urdokumente, 
haufenweise, hintereinander eingetragen worden wären. 
Was ist nun in Wirklichkeit geschehen? Keinem Forscher 


19 19 


ist es bisher in den Sinn gekommen, dieser Frage nach- 
zugehen. 

Zuerst habe ich meine Bedenken bezüglich der Jahres- 
daten dieser Regesten. 

Unter dem 5. Juli 1508 (Böhmer S. 27) wird dem 
Provinzial der Kölner Provinz aufgetragen, den Observanten, 
die den Kölner Konvent angenommen hatten, zu befehlen, unter 
Androhung der „excommunicatiolatae sententiae“, ihn innerhalb 
zebn Tagen zu verlassen. Nun ist aber das Schreiben des 
Kölner Rates an Staupitz, in dem dieser gebeten wird, den 
Kölner Konvent zu übernehmen und zu reformieren, vom 
27. Januar 1509 und nicht 1508, und wir wissen aus einer 
anderen Quelle, daß Staupitz den Konvent nach Pfingsten 
1509 persönlich übernommen hat (vgl. Kolde S. 236). Die 
von Kolde angerufenen Urkunden dürften über die Jahres- 
zahl keinen Zweifel lassen. Ferner: Die Regesten melden 
unter demselben Jahre 1508 (Böhmer S. 27) am 28. Oktober: 
Bruder Siegfried von Speier wird als Provinzial der Rhein- 
ischen Provinz bestätigt unter der Bedingung, daß er die 
Provinz reformiert und die Akten des (Provinzial)-Kapitels 
einschickt. Nun wissen wir aber durch Höhn (Chrono- 
logia Provinciae Rheno Suevicae Würzburg 1774 S. 140.) 
daß Sigfridus Caleiator von Speyer auf dem Provinzial- 
Kapitel von Hagenau wiedergewählt worden ist, das aber 
nicht 1508 sondern 1509 stattgefunden hat. Drittens: Zum 
25. Mai 1509 bemerkt unser Regest (Böhmer S. 29): Hor- 
tamur Fratres Congregationis Alemaniae ad pacem et chari- 
tatem mandamusque ut dum Vicarius et Romae 
nihil innovetur. Böhmer S. 29, Anm. 1 bemerkt dazu: Also 
beabsichtigte Staupitz wohl schon im Friihjahr 1509 nach 
Rom zu gehen. Wenn Staupitz erst nach Rom hätte reisen 
wollen, dann hätte es doch, streng genommen, heißen müssen: 
dum erit Romae. Dagegen verlangt der strenge Wortlaut 
dum est Romae, daß Staupitz bereits an diesem 25. Mai 
sich in Rom befand. Das war aber ganz genau 1510 der 
Fall Er wurde nämlich 1510 Anfang Mai, wie wir unten 
sehen werden, erwartet und war am 26. Juni noch immer 
in der Nähe von Rom in Soriano bei Viterbo. Wäre Stau- 
pitz bei der Abfertigung dieses Schreibens in Deutschland 

Po 


20 20 


gewesen — und das war 1509 der Fall — dann wäre das 
Schriftstück auch an ihn als den Oberen gerichtet worden, 
während seine vollständige Außerachtlassung dafür spricht, 
daß er nicht dort war. Wenn ferner im Monat Mai 1509 
der Gerneral ein Schreiben dieser Art nach Deutschland zu 
befördern gehabt hätte, würde er sich der beiden Vertrauens- 
leute von Staupitz bedient haben, die aber bereits am 
9. Mai die ewige Stadt verlassen haben (siehe weiter unten 
S. 21). Auffällig ist es auch, daß der Befehl an Staupitz 
vom 30. Juli 1509, seine Leute aus den Provinzen zurück- 
zurufen, und der Befehl an die Provinziale vom Rhein und 
von Bayern, sie nicht aufzunehmen oder richtiger gesagt, 
nieht zurückzubehalten, von Calciator,. wie Höhn S. 140 be- 
richtet, bereits dureh Dekret 1508 ausgeführt worden war. 

Zweitens bestehen Bedenken bezüglich der sachlichen 
Genauigkeit bei den Eintragungen. So heißt es unter dem 
35. Juni 1509: Confirmamus (sie!) in Vicarium Congrega- 
tionis Alemaniae et Provincialem Rheni (sic!) Magi- 
strum Johannem Staupitz. Lassen wir vorläufig bei Seite, 
dab Staupitz, wie wir sehen werden, am 26. Juni, aber 
nieht 1509 sondern 1510 zum Generalvikar der Kongregation 
und Provinzial von Sachsen „dezerniert” worden ist, und 
achten wir jetzt nur auf die Textungenauigkeiten. Wie 
konnte Staupitz 1509 vom General als Vikar seiner Kon- 
gregation ,konfirmiert^ werden, da doch diese Vikare 
kraft Apostolischer Autorität durch die Proklamation ihrer 
Wahl konfirmiert waren, wie aus den Staupitzkonstitutionen 
klar hervorgeht. Noch weniger konnte Staupitz 1509 zum 
Provinzial von Rhein und Schwaben „konfirmiert“ 
werden, da er nachweislich niemals zu diesem Provinzialat 
gewählt oder auch nur ernannt worden ist, da Calciator von 
1503—1514 ununterbrochen Provinzial geblieben ist. (Höhn 
S. 137) Unter dem 29. Januar 1513 wird dann Staupitz 
sogar als ,Vikar“ von Rhein uud Schwaben be- 
zeichnet! Ebenso wird von Staupitz unter dem 14. Juni 
1510 behauptet: Magister Johannes Staupitz Vicarius 
iterum (sic!) creatur tam Congregationis tam Saxonum, 
wihrend wir doch aus der erhaltenen Bestallungsurkunde 
wissen, daB er am 26. Juni nicht zum Vikar, sondern zum 


21 D 


zum Provinzial der Sachsen bestimmt worden ist und 
zwar nicht „iterum“ sondern zum ersten Mal (siehe weiter 
unten S. 23). Das möge genügen, um zu zeigen, daß bei 
den Eintragungen der Inhalt der Urkunden sehr flüchtig be- 
achtet worden ist. | 
Welche Schritte Staupitz unternommen hat, nachdem 
sein Unionsplan sowohl dureh den Widerstand eines Teiles 
der Observanz als auch dureh denjenigen des Generals und 
der Sachsen ins Stocken gekommen war, entzieht sich eine 
Zeit lang unserer Nachforschung. Anfang 1510 trifft einer 
seiner Vertanensleute, der Mtinchener Prior Georg Mayr, in 
Rom ein. Uber seine Mission schweigt sich Besler, der uns 
die Nachricht gibt, vollstindig aus. Vielleicht sollte Mayr 
zuerst versuchen, die Lombarden, die ja die Interessen der 
deutschen Kongregation jetzt an der Kurie zu vertreten 
hatten, für Stauqitz Plan zu gewinnen. Aller Voraussicht 
nach mußten jedoch die Lombarden gegen eine solche Ver- 
mischung von Observanten mit Konventualen eingenommen 
sein. Hat natürlich alsdann Mayr die Politik bereits einge- 
leitet, die wir Staupitz im nächsten Jahre treiben sehen ? 
Hat Mayr versucht, wieder mit dem General 
anzubändeln? Wenn der General wirklich — was ich 
allerdings, wie gesagt, aus versehiedenen Gründen nicht an- 
nehmen kann — bereits im Mai 1509 mit dem Hinweis auf 
die Reise von Staupitz, die deutschen Observanten zum 
. Frieden ermahnt hätte, dann würde ich mit Sicherheit an- 
nehmen, daß Mayr beim General einen Fühler ausgestreckt 
habe. So können wir nur mit Sicherheit feststellen, daß 
nicht nur Mayr, sondern auch Besler am 5. Mai 1509 
aus Rom abgereißt ist (Vita Bésleri a. a. O.) so daß die 
deutsche Kongregation keinen Vertreter mehr bei den 
Lombarden hatte. Bedeutete das schon den Bruch mit den 
Lombarden oder bereitete es ihn nur vor? Sicher wissen 
wir auch, daß Staupitz Anfang Mai 1510 in Rom eintraf. 
Das äußerst wichtige Regest über diese Ankunft ist aber 
bis jetzt, was eine darin erwähnte Einzelheit betrifft, von 
der Forschung nicht gebührend beachtet worden. Unter dem 
1, Mai 1510 heißt es in der Berliner Abschrift aus dem 
sogenannten Manualregister: Germanicae Congregationis Vica- 


32 22 
rius Romam se confert Congregationis colla Reli- 
gionis jugo subieeturus. Sehr deutlich wird also 
mit diesen Worten gesagt, daß Staupitz seine Kongregation 
wieder, soweit es an ihm lag, der Ordenszentralleitung 
unterstellte Das Schisma, von dem wir oben gesprochen 
haben, hätte damit aufhören sollen. Auf welche Privilegien 
und Exemptionen Staupitz verziehtet hat, wissen wir leider 
nicht genau, aber auf Grund des eingangs erwähnten Ordens- 
programmes und der weiter unten noch näher anzuführenden 
Dokumente können wir sie folgendermaßen charakterisieren: 
Anerkennung des Generals und seiner vollen Konstitutions- 
gewalt über den Vikar und die einzelnen Kongregationsmit- 
glieder wie sie oben S. 5 gefordert wurde, wie sie Leo X 
in dem weiter unten zu erwähnenden Schreiben fordern wird 
(siehe S. 31), und wie sie der General in den Regesten von 
den Renitenten fordern wird, nämlich vollen Gehorsam 
gegenüber dem Orden und seinem Leiter. Ferner: 
Anerkennung der Generalkapitel und Verpflichtung der 
Kongregation, sich darauf vertreten zu lassen und deren 
Befehlen nachzukommen, endlich Verzieht auf einen beson- 
deren Ordensprokurator in Rom. Wenigstens diese Zu- 
geständnisse wird Staupitz gemacht haben. 

Für die Ordenszentralleitung war das ein großer Erfolg 
und ihn muß man vor Augen haben, wenn man begreifen 
will, warum der General dafür im Rahmen seines Programmes 
Staupitz große Gegenzugeständnisse machte 
und sie mit seiner ganzen Autorität gegen die Observanten 
durchdriicken wollte. 

Warum Staupitz wieder unter das „Joch“ des Ordens- 
generals kroch, ist nicht schwer za begreifen. Für nichts 
hat er dieses Opfer nicht gebracht. Durch die Memminger 
Unionsurkunde hatte Staupitz nieht nur den Widerstand eines 
Teiles der Observanz, der Sachsen und des Generals hervor- 
gerufen, sondern sich auch stark blamiert. Um sich zu 
retten, verschacherte er wieder die Unabhängigkeit seiner 
Kongregation an den General unter der Bedingung, daß der 
General ihn dazu mache wozu die Unionsbulle ihn vergeblich 
zu machen gesucht hatte, nämlich zum Provinzial vcn 
Sachsen. 


23 23 


Das Bestallungsschreiben ist uns noch zum größten 
Teil erhalten. Es ist datiert aus Soriano bei Viterbo vom 
26. Juni 1510 (Höhn S. 154). Auf die einleitenden Freund- 
liehkeitsfloskeln ist kein großer Wert zu legen. Staupitz 
wird darin gerühmt, daß er um „Alles“ (Was?) zu ordnen 
und zu schlichten den unbequemen Weg nach Rom nicht ge- 
scheut habe und dort eine sehr große Bereitwilligkeit gezeigt 
habe, alles zu tun, was zum Frieden und zur Ruhe aller 
führen könne, Damit er diese Aufgabe um so leichter lösen 
könne, ernennt ihn der General zum Provinzial von Sachsen 
und zwar in folgender Form:... per has litteras 
nostras te Provincialem Saxoniae et Vicarium Con- 
gregationis Alemaniae decernimus, declarantes te potiri 
utraque auetoritate ac potestate sicut hactenus tam Pro- 
vincialis praedictae Provinciae quam Vicarius praedictae 
Congregationis potiti sunt ..... mandantes omnibus tam 
Provinciae quam Congregationis eiusdem Patribus ac Fratribus 
sub poena rebellionis ac privationis activae et passivae vocis 
in perpetuum ut (cie) iis omnibus quae tibi ad pacem quietem 
salutem et religionis honorem pertinere videbuntur, tan quam 
personae nostrae oboediant ... Man beachte, wie 
hier der General Staupitz nicht zum Vikar „ernennt“, 
sondern nur „bestimmt“, daß er Provinzial von Sachsen und 
Vikar sei. Durch diese juristische Feinheit maßt sich der 
General nicht das Recht an den Vikar ernennen zu können. 
Er bestimmt nur, daß Staupitz Provinzial und Vikar sein 
soll; woher er Vikar ist, bleibt dahingestellt. Man vergleiche 
mit dieser feinen juristischen Schattierung die klotzige Aus- 
drucksweise der Regesten, die den General Staupitz bald 
zum Vikar „kreieren“ lassen, bald ihn als Vikar „be- 
stätigen“ lassen, beides Ausdrücke, die einer Heraus- 
forderung der Observanten gleichgekommen wären, weil 
sie direkt gegen Kap. 32 ihrer Konstitutionen 
verstoßen, wonach die Wahl des Generalvikars ihnen 
zusteht und keiner anderen Konfirmation bedarf. Man 
beachte ferner, daß Staupitz „durch diesesSchreiben“ 
zum Provinzial und Vikar bestimmt wird. Wenn er es 
vorher schon gewesen wäre, würde das hier in irgend einer 
Weise zum Ausdruck gekommen sein. Wir können daher 


24 24 


auch aus diesem Grunde die oben erwähnten Regesten fallen 
lassen. Wenn ferner Staupitz zu derselben Zeit auch noch 
Provinzial oder gar Vikar von Rhein und Sehwaben 
gewesen wäre, dann hätte doch der General hier dieser 
Eigenschaft irgendwie gleichfalls Erwähnung getan, weil sie 
sonst dadurch hätte verfallen können. Bezüglich der Voll- 
machten, die Staupitz durch die Bestallungsurkunde des 
Generals gewährt werden, kann ich nicht umhin der Meinung 
Ausdruck zu geben, daß eine gewollte Zweideutig- 
keit in ihrer Formulierung herrscht. Anscheinend werden 
nur die Vollmachten des Provinzials (in der Provinz?) und 
die Vollmachten des Vikars (in der Kongregation?) und 
zwar immer nur die bisherigen Vollmachten in der 
Person von Staupitz vereinigt ohne vermischt zu 
werden. So könnte man den betreffenden Passus der 
Urkunde auslegen, wenn der darauffolgende Satz 
nicht wäre, in dem Staupitz soweit Ruhe, Frieden, 
Heil und Ehre des Ordens in Frage kommen, die 
Vollmachten des Generals übertragen werden oder 
doch wenigstens sowohl von den Vikarianern wie von den 
Provinzlern verlangt wird, daß sie ihm wie dem General 
in Person gehorchen müssen: tamquam personae nostrae- 
Angesichts einer solchen Formel war nun doch der Verdacht 
am Platze, dab Staupitz auf Grund dieser Vollmacht Ver- 
setzungen aus dem Vikariat in die Provinz und aus der 
Provinz ins Vikariat, hätte vornehmen können, was gegen 
die Privilegien der Observanten verstieß (siehe S. 4). Be- 
sonders mußte die vom General gebrauchte Formel bei den 
Observanten anstoßen, weil sie, wenn auch nur indirekt. 
aber dennoch ziemlich deutlich dartut, daß der General un- 
mittelbarer Oberer aller Brüder, der Provinzler wie 
der Vikarianer ist und daß die Provinzoberen, mögen 
sie nun Provinziale oder Kongregationsvikare 
sein, ihre Gewalt vom General und nieht 
direkt vom Papste haben. Welch eine Tragikomódie, 
dab derselbe Staupitz, der aus Ehrgeiz dieses Prinzip jahre- . 
lang bekämpft hatte, nun wiederum aus Ehrgeiz sieh zum 
Instrument des Generals hergibt, um es gerade dort durch- 
zuführen, wo er es bekämpft hatte! Noch in der Memminger 


25 2 


IND 


5 


Unionsurkunde hatte Staupitz dieses Prinzip, wie wir S. 15/16 
gesehen haben, wegzudeuten gesucht! 

Dieses berüchtigte Dokument wird übrigens in der Be- 
stallungsurkunde des Generals mit keinem Wort erwähnt. 
Im Gegensatz zu ihm behält der General die fünf süd- 
deutschen Konvente, um die sich die Kongregation und die 
rheinsehwübische Provinz stritten, und die das Memminger 
Instrument in die neue Organisation einbezogen hatte, vor- 
läufig sich selbst vor. | 

Wann Staupitz Jtalien verlassen hat, entzieht sich unserer 
Kenntnis. Am 30. September muß er aber wieder in Deutsch- 
land gewesen sein, denn unter diesem Datam des Jahres 1510 
veröffentlichte er von Wittenberg aus (naeh Höhn a. a. O. 
S. 141) die Unionsbulle von Memmingen und wie ich ais 
selbstverstindlich annehme, die Bestallungsurkunde des 
Generals, 

Zweck und Tragweite der Veröffentlichung des 
Memminger Dokumentes sind leider von den Forschern bis- 
her stark verkannt worden. Man hat die Sache so dar- 
stellen wollen, als hätte sich Staupitz damit auf das ganze 
Dokument berufen wollen, um eine Union mit den Sachsen 
nach dem Wortlaut dieser Memminger Ur- 
kunde herzustellen. Das ist aber schon aus Rechtsgründen 
ausgeschlossen gewesen! Wir haben oben gezeigt, daß eine 
solehe Union der Ordensleitung widerstreben mußte und 
daß diese Union in dem genannten Dokument nur vorze- 
nommen wurde unter Wahrung der Rechte des 
Generals. Wir haben ferner gezeigt, daß Staupitz 
aus der Hand der Ordensleitung eine ganz 
andere Art Union mit den Sachsen ange- 
nommen hat als sie die Memminger Urkunde vorsah. 
In ihren Hauptbestimmungen widersprechen sich nämlich 
die beiden Unionsprojekte. Durch die Annahme eines „wider- 
sprechenden“ Projektes verzichtete aber Staupitz. gemäß dea 
Bestimmungen über die Privilegien rechtlich auf den 
Unionsteil der Memminger Urkunde, so daß er sich nicht 
mehr darauf berufen konnte. 

Trotzdem war es angebracht, das Memminger Privileg 
zu veröffentlichen. Bei solchen Urkunden kann nämlich der 


26 26 


eine Teil ungültig werden unbeschadet der anderen Teile 
So war es auch hier der Fall. Durch den Verzicht auf 
den Unionsteil verlor der erste Teil der Urkunde, der eine 
neue Aufzählung und neue Bestätigung aller Privi- 
legien der Kongregation enthielt, keineswegs seine Gültigkeit. 
Staupitz konnte also sehr gut, wahrscheinlich gedrängt durch 
die Observanz, dieses Memminger Privileg zugleich mit der 
Bestallungsurkunde des Generals veröffentlichen, weil alsdann 
für keinen Rechtskenner eine Konfusion zu befürchten war. 
Nur wäre es jetzt ein großer Fehler, wenn man Luther und 
seine Freundegegen Windmühlen,dasheißtgegen 
den UnionsteilderMemminger Urkunde statt 
gzegendasBestallungssehreiben des Generals 
und die Preisgabe verschiedener Kongre- 
g£ationsprivilegien dureh Staupitz kämpfen 
ließe. Die Opposition in Observantenkreisen gegen das 
Memminger Unionsprojekt hatte zwar bestanden, war aber 
nun, nachdem dieses aufgegeben worden war und einem 
anderen Platz gemacht hatte, abgelöst worden durch die 
neue Opposition gegen das neue vom General gebilligte 
Projekt des Staupitz und den damit verbundenen Privilegien- 
verzicht. DaB es sich um dieses neue Projekt handelt, geht 
auch daraus hervor, daß, wie wir aus den Akten des Streites 
erkennen können, der General auf Seiten von 
Staupitz gegen die Renitenten stand. Für die 
Memminger Union hätte aber der General niemals eintreten 
kónnen, wie wir oben gezeigt haben. 

Sieben Konvente der Observanz, darunter auch der 
Erfurter und der Nürnberger erhoben sich gegen diese An- 
ordnung des Generals. Innerhalb von zehn Tagen nach 
Zustellung des Dokumentes mußten die Apellanten, da der 
,iudex a quo^, nümlieh der General nicht zu erreichen war, 
ihre ,apellatio extra iudicialis“ Öffentlich bekanntgeben oder 
die Reise nach Rom antreten. Martin Luther war einer der 
beiden Abgesandten. Bevor jedoch Luther die Romreise 
antrat, begab er sich nach Halle zusammen mit dem Magister 
Nathin, um vom dortigen Domprobst Adolf von Anhalt eine 
Empfehlung an den Erzbisehof von Magdeburg zu 
erhalten. War doeh der Magdeburger Erzbischof nieht nur 


27 27 


durch die Memminger Urkunde zum Exekutor aller ihrer 
einzelnen Teile, also auch der darin enthaltenen Bestätigung 
der Kongregationsprivilegien bestellt worden, sondern 
auch durch Papst Julius I. (siehe oben S. 10) zum 
Exekutor der Bulle, die der Kongregationdie 
Privilegien der Lombarden gewährte, er-- 
nannt worden. Die sieben Konvente sahen also offenbar 
in der Anordnung des Generals einen Eingriff in die Privi- 
legien ihrer Kongregation. Jedenfalls noch im Oktober 
wird Luther alsdann nach Rom aufgebrochen sein, wo die 
lombardische Kongregation ihm gegen Staupitz und den 
General beigestanden haben wird. Aus einem Regest des 
,Manualregisters^ vom 1). Januar 1511 wissen wir, dab 
diese Apellation „verboten“ wurde. Es heißt nämlich 
darin, daß: Appellare ex legibus Germani prohibentur. 
Böhmer (S. 57) hat das auf die Klausel „appellatione post- 
posita^ in der Memminger Urkunde beziehen wollen. Eine 
solehe Klausel hätte aber erstens nicht jede, sondern 
höchstens eine „appellatio frivola“ unmöglich gemacht, und 
zweitens handelte es sich in unserem Falle nicht um eine 
Appellation gegen die Memminger Urkunde, sondern gegen 
die Generalsurkunde und den damit zusammen- 
hängenden Privilegienverzicht durch Staupitz. Aus welchem 
Grunde wurde aber die Appellation „verboten“? Welche 
„leges“ haben dabei die „Germani“ außer Acht gelassen? 
Da wenigstens für die „sieben Konvente“ die Union mit 
den Lombarden noch andauerte, wird sich Luther nicht an 
den allgemeinen Ordensprokurator, sondern an den speziellen 
Prokurator der Lombarden gewandt haben, und der wird 
die Angelegenheit auf Grund ihrer gemeinsamen Privilegien 
zu denen auch (siehe Höhn S. 139) das direkte Rekurs- 
recht an den Papst gehörte, dem sie ja auch unmittelbar 
unterstanden, betrieben haben. Nach den allgemeinen 
Vorschriften hätten dagegen die Deutschen zuerst die Apell- 
ationserlaubnis beim „judex a quo“ d. h. beim General 
nachsuchen müssen und dann hätten sie an den ,judex ad 
quem“ aber „gradatim“ ohne Überspringung einer Instanz, 
herantreten müssen. In unserem Falle wäre das aber noch 
nicht der Papst gewesen sondern der Kardinalprotektor des 


28 28 
Ordens! Sollte sich also, wie man mit ziemlicher Sicherheit 
annehmen kann, der lombardische Prokurator direkt auf 
Grund der Privilegien an den Papst gewandt haben, obschon 
Julius ll wie wir oben S. 12 gesehen haben erklürt hatte, 
daß die deutsche Kongregation dem General so untertan 
sein müsse als sei die Mitteilung der lombar- 
dischen Privilegien dureh ihn niemals er- 
folgt, dann hatte der General Grund genug gehabt, Ein- 
spruch gegen die Apellation zn erheben. Daß es wirklich 
der General gewesen ist, der Einspruch gegen die 
Appellation erhoben hat, geht auch aus dem Umstand her- 
vor, daß der Nürnberger Magistrat, wie wir bald sehen 
werden, sich an den General wenden wird mit der Bitte, 
den Appellanten den Rechtsweg nicht zu ver- 
sperren. Nur drei Jahre später erleben wir einen ähn- 
lichen Fall. Im Jahre 1514 befiehlt ein Kommissar des 
Generals dem Generalvikar der Kongregation von lliceto 
(Leeeeto) das Kloster von Viterbo zu räumen. Der General- 
vikar erklärt diesen Befehl für null und nichtig und 
appelliert direkt an den Papst. Der Magistrat 
von Viterbo schreibt daraufhin einen sehr ernsten Brief an 
den Ordensgeneral Aegidius zu Gunsten dieser 
Appellation. (Landucci A, Sacra Ilicetana Silva, Siena 
1653. S. 61) 

Luther kehrte im Frühjahr 1511 nach Deutschland zu- 
riick. Sehr wahrseheinlieh wird der General in seinen 
Gesprächen mit ihm denselben Standpunkt vertreten haben, 
den er zu derselben Zeit als Luther noeh in Rom war, 
nämlich Januar 1511 (Berl. Regestabschrft.) nach Deutschland 
durch den Abgesandten des Staupitz übermitteln lied, näm- 
lich, daß die deutsche Angelegenheit zwar in Liebe aber 
unter Achtung des vollen Gehorsams zu erledigen sei. Das 
nennt man suaviter in modo sed fortiter in re. Auf Luther 
muß das großen Eindruck gemacht haben. Er kehrte aus 
Rom als ein anderer zurück. 

Es hatte sich in ihm eine Anderung insofern vollzogen, 
als er sich von nun an, wie das auch bei einem Skrupulanten 
leicht begreiflich ist, auf die Seite der Autoritát stellte, weil 
dadurch sein infolge des bitteren Streites geängstigtes Gewissen 


29 29 


auch eine äußere Sicherheit einen äußeren Halt erhielt 
und da die oberste Autorität im Orden für 
Staupitz war, so entschied auch er sich für 
Staupitz. Die sieben Konvente, die ihn nach Rom geschickt 
hatten, verharrten in ihrer Opposition und schickten bereits 
im April 1511 eine neue Gesandschaft nach Rom, wie aus 
einem Schreiben des Nürnberger Magistrates vom 2. April 
dieses Jahres hervorgeht. (Vgl. Böhmer S. 166.) Die neuen 
Abgesandten sollten sich zuerst an den General wenden 
und (wenn er es gestatte) mitihm die Angelegenheit 
diskutieren. Jedenfalls sollte der General 
den Apellanten nicht den Rechtsweg ver- 
sperren. Aus diesem Briefe ist ersichtlich, woran die 
erste Gesandschaft mit ihrem Appell gescheitert ist, nämlich 
am Widerstand des Generals. Die zweite Gesandtschait 
konnte keinen besseren Erfolg als die erste haben, weil der 
General, wie wir aus der Berliner Regestabschrift ersehen, 
bereits am 11. Januar, als Luther noch in Rom war, ent- 
schlossen war den „vollen Gehorsam“ (integra 
oboedientia) durchzusetzen. Er bestand auch noch im 
März auf diesem Standpunkt und wandte sich an den Kaiser, 
damit dieser die Renitenten dazu bringe, dem Orden und 
seinem Leiter zu gehorchen. Die zweite Gesandt- 
schaft hat also noch weniger erreichen können als die erste, 
weil es dem General darauf ankam, die Absplitterung 
vom Ordenszentrum energisch zu bekämpfen. 
Im Hochsommer 1511 fand in Jena eine nene Versammlung 
zwischen den streitenden Parteien statt, über deren Verlauf 
wir einigermaßen durch einen Brief des Nürnberger Magistrats 
vom 19. September unterrichtet sind. Die sieben Konvente 
bebielten sich vor, die Vorschläge von Jena ihren einzelnen 
Kommunitäten zu unterbreiten und innerhalb zweier Monate 
eine Antwort darauf zu geben. Die Vorschläge waren 
schriftlich gegeben worden, ibr Inhalt jedoch ist uns aus 
der Antwort des genannten Magistrats an Staupitz nur an- 
nühernd bekannt. Erstens will der Nürnberger Magistrat 
dab ,in keinerlei Weise* der Nürnberger Konvent 
einem Provinzial von Sachsen unterstellt werde. Danach 
müssen verschiedene Weisen einer Unterstellung 


30 30 


unter den Provinzial von Sachsen zur Sprache gekommen 
sein. Was die Nürnberger dann weiter vorbringen, geht 
gegen die vom General befohlene Union. So 
wird auf Grund der Privilegien gegen die Unterstellung von 
Observanten unter Obere, die der Observanz nicht an- 
gehören, protestiert, was nämlich geschehen wäre durch 
Versetzungen aus der Kongregation in die Provinz. (Siehe 
oben S. 24.) Zweitens protestieren die Nürnberger ebenso 
energisch gegen die Befehlsgewaltdes Generals 
(siehe oben S. 9). In hom war man entschlossen nicht 
nachzugeben, und der General soll sogar am 1. Oktober 
Staupitz beauftragt haben, die Widerspenstigen zu 
exkommunizieren. (Vgl. Böhmer S. 166.) Nun scheint 
aber Staupitz nachgegeben zu haben. Der Vorschlag des 
Generals, durch ein Observantenkapitel die Frage 
lösen zu lassen, wurde angenommen unter der Bedin- 
gung, daß dieses Kapitel gemäß den Privi- 
legien derKongregation tagen würde, zu denen 
wahrscheinlich auch der Anspruch gehörte, daß dieses 
Kapitel vom General nicht gutgeheißen zu 
werden brauchte. Dieses Kapitel fand im Mai 1512 
in Köln statt, nachdem Staupitz durch Johann von Mecheln 
mit dem General über die Lösung unterhandelt hatte. Wir 
wissen nichts näheres über die Beschlüsse dieses Kapitels, 
aber angesichts der Folgen, die es gehabt hat, stehen folgende 
Punkte für uns fest: Staupitz muß auf alle seine Unions- 
projekte verzichtet haben, denn von ihnen ist nicht mehr 
die Rede. Er wurde daher zum Vikar wiedergewählt. Er 
muß aber auch die Zugeständnisse an den General teilweise 
zurückgenommen haben, wie wir aus einer bald zu zitierenden 
Äußerung des Generals Gabriel Venetus sehen werden 
Meiner Ansicht nach gab Staupitz klein bei und kehrte 
zum „status quo ante“ zurück, d.h. zur Lage 
der Kongregation, wie er sie vor seinen 
Unionsprojekten vorgefunden hatte. Wenn 
nämlich die Kongregation unter dem „Joch“ des Generals 
geblieben wäre, hätte Gabriel Venetus nicht am 25. August 
1518 an den Provinzial von Sachsen schreiben kónnen: 
Cum vero is de Congregatione illa sit, quae ab 


3] 31 


oboedientia nostra se exemptam putat. 
Damals also behauptete die Kongregation noch vom Generai 
exempt zu sein!!! Staupitz wird 1512 vor dem Kólner Kapitel 
den General überzeugt haben, dab sie beide nachgeben und 
sich mit der Hoffnung einer Besserung in der Zukunft 
begnügen muften . . | 

Was Luther nach seiner Rückkehr aus Rom im Früh- 
Jahr 1511 während dieser Wirren gemacht hat, wissen wir 
leider nicht. Er wurde nach Wittenberg versetzt und 
seine Erfurter nahmen ihm noch im Herbst 1512, also noch 
mehr als ein Jahr später, seine Stellung im Observantenstreit 
so übel, dab sie ihm wie bekannt Schikanen bei seiner 
Doktorpromotion in Wittenberg zu machen suchten und 
sich bei der Feier nicht vertreten ließen. Das dürfte auch 
ein Beweis dafür sein, daß sie über den Ausgang des Streites 
nicht ganz zufrieden gewesen sind. Luthers Stellung zu den 
Observanten hat seitdem keine Änderung mehr erfahren. 
Auf die kleinen Heiligen ist er niemals mehr gut zu sprechen 
gewesen. 

Gegenüber den anderen Kongregationen hatte die 
Ordensleitung keinen leichteren Stand. Beständig suchten 
jedoch die Generäle durch Inanspruchnahme der Hilfe des 
Papstes die Wiederspenstigen zu zähmen. So erwirkte 
Aegidius von Viterbo am 10. Juni 1513 ein Schreiben Leo X., 
in dem dieser dem General apostolische Vollmacht 
über den ganzen Orden und auch über die Kongre- 
gationen erteilt. Die Bestimmungen des General- 
kapitels von Neapel, auf dem Agidius gewählt wurde, sollen, 
wie auch seine eigenen Erlasse, im ganzen Orden 
befolgt werden, auch von der Kongregation des 
AndreasProles, der Spanischen, derjenigen von Lecceto, 
derjenigen der Lombardei, von Monte Ortona, von Perugia 
Genua und Carbonaria. Der ganze Orden müsse ihm 
plene, simplieiter, in omnibus et per omnia 
untertan sein. Das ist nun doch ein anderer Gehorsam, 
ale ihn das Memminger Instrument vorsah und eine offene 
und klare Verurteilung des „licita praeeipienti“. Ferner 
gewährte Leo X. unter dem 10. Juni 1515 dem General, 
daß alle „Impetrationes“ gegen die Rechte und Kon- 


32 32 


stitutionen des Ordens ohne Zustimmung des Generals null 
und nichtig seien. 

Trotzdem gaben die Kongregationen den Kampf nicht 
für verloren. Am 30. Januar 1551 suchte Julius IIL wieder 
energisch einzugreifen und verordnete: Der Eremitenorden 
umfaßt Konventuale und Observanten, die alle dem 
General zum Gehorsam verpflichtet sind. Die Konstitutionen des 
Gesamtordens, die in Rom 1543 und in Recanati 1547 gut- 
geheißen wurden, sind allein und ausschließlich 
von allen im ganzen Orden als Konstitutionen zu be- 
betrachten. Die Beschlüsse der Observantenkapitel dürfen 
nicht als Konstitutionen bezeichnet werden, sondern nur 
noch als Definitionen. Die Definitionen der Observanten, 
die Wahl ihrer Vikare, die Akten ihrer Kongregationskapitel 
haben nur insofern Gültigkeit, als sie vom General 
gutgeheißen sind. Diese Gutheißung muß innerhalb 
eines Monates nachgesucht werden und der General muß 
sie nach Eintreffen des Gesuches innerhalb von zehn Tagen 
erteilen oder verweigern. Im Weigerungsfalle hat er die 
Gründe anzugeben. Den Abgewiesenen steht das Rekurs- 
recht an den Papst oder an den Kardinalprotektor zu. So- 
lange der General einem Kongregationsvikar die Bestätigung 
nicht erteilt hat, kann der Vorgänger weiter amtieren. Unter 
Strafe des Bannes darf sich kein Kongregationsvikar kurz 
General nennen, sondern nur Vikar der Kongregation so 
und so. Keine Kongregation darf ihre Kapitel General- 
kapitel nennen. Die Pflicht, auf den Geueralkapiteln zu 
erscheinen, gilt auch für die observanten Kongregationen .. . 
Hierob erhoben die Lombarden — sie stehen immer an de: 
Spitze der Unabhängigkeitsbewegung — derartigen Wider- 
stand, daß bereits am 27. Februar desselben Jahres die 
Vertreter des Generals, der damals Seripandus war, eine 
Vergleichsurkunde unterzeichneten, in der sie den Lombarden 
eine Reihe Konzessionen machen mußten. 

Für die Charakteristik der Observaptenbewegung im 
Augustiner-Orden, nümiieh für ihre Exemptions- und Privi- 
legiensucht gegenüber dem General, genügen die vorge- 
brachten Dokumente und Tatsachen, Es erübrigt uns nur 
noch an der Hand dieser Charakteristik den Charakter und 


33 33 


die Haltung Luthers in diesen Kämpfen näher zu würdigen. 
Über Staupitz wollen wir kein Wort weiter verlieren. Sein 
ehrgeiziger aber schwacher Charakter ist uns genügend 
durch seine Bestrebungen geschildert worden. Hätte er 
gegen Ende seines Lebens nicht einen Helfer und rück- 
sichtslosen Machtmenschen wie Kardinal Lang gefunden, er 
wäre niemals Benediktinerabt von S. Peter in Salzburg ge- 
worden. Es ist aber bezeichnend für Staupitz, daß er sich 
zu einer solchen „Wahl“ hergegeben hat! 

Anders liegt die Sache bei Luther. Während Staupitz 
seinen Ehrgeiz zu befriedigen suchte, sehen wir Luther aus 
diesem Kampfe mit einer verstärkten Hochachtung vor der 
Autorität hervorgehen. Manche seiner Mitbrüder mögen bei 
diesem Streit ihre Achtung vor der geistlichen Obrigkeit 
verloren haben. Bei ihm jedoch ging sie erneut und gestärkt 
hervor, und das ist für mich der beste Beweis für die bona 
fides und die Ehrlichkeit, mit denen er diesen Kampf geführt 
hat. Wenn wir jetzt noch einmal uns die eingangs an- 
geführten Stellen Luthers über die Observanten ansehen, 
werden wir sie in einem ganz neuen Lichte betrachten 
können. Vergessen wir dabei nicht, daß sie gefallen sind, 
zwar zwei oder drei Jahre nach dem heftigen Streit, aber 
dennoch zu einer Zeit, als die Bestrebungen, gegen die sie 
sich richten und vor denen sie warnen sollen, in Deutsch. 
land noeh existierten, wenn sie auch dort 
nicht voll zum Durchbruch kommen konnten, 
wie in Italien. Luther hätte pflichtwidrig gehandelt, 
wenn er seine Zuhörer nicht nachdrücklichst gewarnt hätte. 

In der ersten Stelle tadelt Luther die „Observanten“, 
„Exempten“ oder „Privilegierten“, die sich vom 
schuldigen Gehorsam „eximieren“ und „dis- 
pensieren lassen wollen unter dem trügerischen Vorgeben, 
dadurch das Ordensleben zu fördern. Luther findet, daß solche 
Bestrebungen der Kirche höchst schädlich sind, denn er ist der 
Meinung, daß man von diesem Gehorsam überhauptnicht 
dispensiert werden könne. An derzweiten Stelle 
spricht Luther direkt von „unseren“ Observanten, die 
unter dem Scheine des Ordenslebeng in ihrem Hochmut, in 
ihrer Diekkópfigkeit und in ihrem Afterkult in Ungehorsam 


Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII, 1. 3 


34 | 34 


und Rebellion verfallen. Auch der dritte Satz klagt über 
jene dem Afterkult ergebenen „Schismatiker“, die aus 
Absonderungsbestrebungen ihrem Prälaten den Gehorsam 
aufkündigen, deren Zahl heute groß ist. 

Alle drei Stellen Luthers, besonders aber die erste und 
die dritte, treten ein für den General und die Zen- 
tralordensleitung. Sie können nicht auf Staupitz be- 
zogen werden, weil die „sieben Konvente“ sich nicht von 
ihm ,eximieren^ und von seinem Gehorsam „dis- 
pensieren“ lassen wollten. Besonders der Ausdruck 
„Schismatiker“ zeigt, daß es sich um Bestrebungen 
gegen die Ordenseinheit, also gegen den 
General handelt, die Luther hier bekämpft. Staupitz 
und seine Bestrebungen, wie wir sie kennen gelernt haben, 
werden gerade durch diese Stellen verurteilt. Mit weit 
größerem Rechte hätte daher Cochlaeus sagen müssen, dab 
Luther zu seinem General statt zu „seinem Staupitz“ 
abgefallen sei. Wer unseren Ausführungen gefolgt ist, kennt 
jetztin- und außerhalblItaliensim Augustiner- 
orden die Exemptions- und Privilegiensucht sowie die Be- 
strebungen, sich vom General unabhängig zu machen. 

Luthers Stellung zur Observanz während der Zeit der 
Psalmenvorlesung läßt sich kurz so zeichnen, daß Luther 
für die „Reguläre Observanz“ gegen die 
„Exempte und Privilegierte Observanz“ war. 
Er war für eine genaue Befolgung der Regel und der Kon- 
stitutionen und gerade darum war er gegen die Absonderungs- 
bestrebungen gegenüber der Ordensleitung. Er will von einer 
Trennung von der Zentralleitung des Ordens aus Observanz- 
gründen nichts wissen und verurteilt entschieden solche Be- 
strebungen. Der Versuch gewisser Historiker, auf Grund des 
Observantenstreites Luther als einen lauen Befolger seiner 
Ordensgesetze und als einen halben Rebell zu schildern, um 
alsdann hieraus das Werden des „Haeresiarchen“ psycho- 
logisch zu erklären, wird durch das Studium der Quellen 
„ad absurdum" geführt; denn aus ihnen geht hervor, daß 
der zukünftige „Rebell“ in diesem Streite ein entschie- 
dener Verfechter der Autorität des Generals 
und der „Regulären Observanz“ gewesen ist. 


Die reformatorischen Kirchenordnungen 
Ober- und Innerösterreichs. - 


Mitgeteilt, eingeleitet und erläutert von Georg Loesche. 


Fortsetzung?) 
Inner-Osterreich. 21. Februar 1578. 


E. A. Doleschall, Die Kirchenordnung Inneröster- 
reichs im 16. Jahrhundert. Jahrbuch 5, 164—183. 

J. Loserth, Die steirische Religionspazifikation 
1572—78. 1896. S. 65—77. Dazu: Derselbe, Die Refor- 
mation und Gegenreformation in den innerösterr. Ländern 
1898. $.279f. Ed. Böhl, S. 330 (s. ob. S. 211). 

Doleschall gibt einen Teil einer durch die Erzherzogin 
Maria Dorothea?) in das Archiv des Generalkonvents der 
evang. Kirche A. C. in Ungarn nach Budapest gekommenen 
Handsehrift, die einen Auszug aus steirischen Religions- 
schriften von 1578 enthält. Loserth druckt den Anfang der 
KO ab und gibt ihr den geschichtlichen Rahmen. 

Im Folgenden ist die ganze KO aus dem Original im 
Landesarchiv zu Graz Fase: 519 zum erstenmal ganz ver- 
öffentlicht; Loserth benutzte den jüngeren Codex A 56b, der 
in der Rechtschreibung von jenem abweicht. 

Auf die Vorrede folgt der erste Teil tiber die Wahr- 
heitsnorm der christlichen Lehre mit Ablehnung von Flacius 
und einer eingehenden Darlegung der Lehre von der Erbsünde; 
darauf eine Erinnerung, daß man rechten Unterschied zwischen 
dem Notwendigen und dem nicht Notwendigen halten soll. Der 
zweite Teil handelt von den Agenden, der dritte vom Kirchen- 
ministerium und der Kirchenregierung. 


1) Vgl. Jahrg. 17 S. 209ff., 277 ff. 
?) Über sie Jahrbuch 25, 41f. 


3% 


36 | 36 


Die KO. ist durchaus keine ursprüngliche, bodenständige 
Schöpfung, sondern aus verschiedenen zusammengesetzt; sie 
bezieht sich auf Augsburg, Graz, Jena, Klagenfurt, Laibach, 
Marburg, Nürnberg, Pfalz, Steyr, Straßburg i. E., Thüringen, 
Wittenberg, Württemberg. 

Sie gibt sich in der damals beliebten Form!) eines 
„Berichtes“ von Vertretern des Kirchen- und Schulministeriums 
von Steiermark und Kärnten an die Verordneten Inner- 
Osterzeichs. Er wurde genehmigt. Krain’) erklärte sich 
diesen Abmachungen auszuschließen. 


Vorredt. 


Nachdem der Augsburgischen confession verwandte herrn 
vnd landleüth der lande Steir, Khrain und Khernten sambt 
der fürstlichen grafschaft Görtz, so beneben anderen in dem 
ausschuß dieses 1578' jares zu Pruekh an der Muhr von 
dem durchleüchthigisten hochgebornen fürsten und herrn, herrn 
Carolo erzherzogen zu Oesterreich ete., iren gnedigisten herrn 
und Landsfürsten versamblet, naeh verrichten anderen den 
gemainen nuz belangenden geschefften, auch der paeifikation 
halben, welcher sich J. F. Dt. hiebevor in der religion mit woler- 
melten stenden genedigist verglichen, wider aufs neue vom 
J. F. Dt. genedigist antwort und genugsame versicherung 
bekhommen, das sie nemblieh mógen prediger und lehrer 
halten, so in darzu erlangten und bestellten khirehen und 
schuelen der Augsburgischen confession gemäß lehren und 
den wahren gottesdienst sambt allem, was zur aufbauung 
evangeliseher kirchen notwendig und nutzlich ist, friedlich 
und ordentlieh ohn jedmanns schaden verriehten, doch mit 
den condition, das sie nirgends kainer rotten, ketzerei oder 
secten, ermelter confession zu wider, noch einigen ergerlichen 
gezenk und spaltung, nach einiger solchen unruege raum 
geben, sondern ein guete ordnung, wolstehende und frid- 
liche gleichformigkheit in lehren und aller notwendigen ver- 
waltung des evangelischen predig- und lehrambts allenthalben 
anrichten und halten, so haben wolermelte herrn und land- 
leute uns, welcher namen zu end dieses schreibens unter- 
zeichnet, gnediglich auferlegt, daß wir dem vertrauen nach, 
so ire gnaden und herrn in uns gesetzt, die gleichformig- 


1) Z, B. Luther, Erl. A. XXX, 773, Köstlin, M. Luther 18835 
3, 646. Anm. zu S, 150. Loesche, Mathesius 1, 264. 

2) Vgl. dazu: Erzherzog Karl zu Österreich an die Landstände 
von Krain; betr. Kirchenordnung in den windischen Landen. Kopie 28. 
Wien 6. Sept, 1564. Stadtarchiv Regensburg. Eccl. I. XXIII. 19. 


en E ae 


37 37 


khait, so wir aus irem bevelch im predig- und lehrampt 
hieher und auch hinfort und allezeit zu halten verpflichtet, 
beschreiben geben, und was zu soleher bestendigen gleich- 
formigkait und gueter ordnung in kirchen und schuelen vor 
dieser zeit Doctor Chyträus!) darzu in Steyr erfordert und 
andern geraten und wie noch rathsam und diesen landen 
bequem und dienstlich achteten, in ermelten schreiben ein- 
brächten, das dann ihre gnaden mit guetem, zeitigem rath 
und nachdenkhen erwiegen und mit gemeiner verwilligung 
einer solchen kirchen- und schuelordnung sich vergleichen 
und dieselbige in druckh verfertigen möchten, damit der 
unterthenigiste gehorsam, welchen sie allezeit beidt in andern 
und auch in dieser sachen der F. Dt. als ihren genedigisten 
und von gott selbs verordneten herrn und landsfürsten zu 
erzeigen sich bevlissen und hinfurt allezeit in rechter gottes- 
furcht bevlejssen wollen, soviel desto mer erschine und 
J. F. Dt. so oft es von nótten, ihrer lehre, khirchen- und 
schuelwesens halben, gehorsambste antwort geben, auch so 
etwa unbilliche verleumbdung und unbegründet angeben, 
irer selbs oder der lehrer halben forbracht oder ausgebreitt 
wurden, sie sich dagegen desto leichter verantworten und 
gebürlicherweise schützen, desgleichen die noch anzunemen 


-sein wolten, in schuel- und kirchenümptern desto besser 


verpflichten und auf sie alle und alle kirchen und schuelen, 
denen sie fürgestellt, desto vleißiger aufsehen, und beyde, 
lehrer und zuhörer desto bequemer sich darnach richten 
khönten und also der lauf des hl. evangeli mit mehrer frucht 
befördert, auch weiter und auf die lieben nachkömbling 
gebracht und also auch in diesen lendern dem herrn Christo 
durch desselbigen gnadenreichen geist und segen, so er ver- 
heißen, und diß werkh allen menschen und sonderlich dem 
lehr- und regierampt befollen, ein ewige kirch versamblet, 
gepflanzet und biß zu seiner herrlichen zukhunft erhalten 
werden möchte. Hierauf und diesem christlichen und wol- 
gemainten bewelch gehorsamblich nachzukhomen, haben wir, 
ermelte lerer, welcher namen unterzeichnet, sambt den zuge- 
ordneten herrn beysitzern uns nach anruffang gottes mit 
einem freundlichen und christlichen gespräch, darin wir 
auch ermeltes Chyträi und anderer bedenkhen gar wol er- 
wogen, vleBiig und in rechter foreht gottes unterredt und 
endlich befunden, das bisheer ein gottselige ainigkait fttr- 
nemblieh in lehr und dann auch in anderer der lehrampts 
verwaltung bei allen der Ausburgischen Confession zugethanen 
kirehen und schuelen in diesen lündern, so vil immer in 
dieser schwachhait und manicherlei beschwärlichait und 


1) RGG. 1, 1816, 


38 38 


gefahr, so diesen zarten kaum aufgehenden unsers herrn 
Christi würtsgärtlein zugestanden, möglich gewesen, gehalten 
ist, und sollen in Gott bochen Daukh allezeit dafür sagen, 
daß er sein werk in disen vom erzfeind der Christen hoch- 
bedrangten landen so wunderbarlich angefangen und geför- 
dert, da wol an etlichen orten im reich, ob man schon ge- 
lerte leut genueg und leichlich bekhommen und des obste- 
henden stadt zu ersetzen hat, kaum eine solehe einigkheit 
zu erhalten gewesen. 

Damit aber auch, wolermelter vnsrer genedigen herrn 
bevälch nach, solehe gleichformige lehre und ordnung bayde 
in kirehen und schuehlen mit der zeit schriftlich verfasset 
und durch den druckh zu vorgemeltem nutz aufgebracht werden 
möchte, haben wir auß unserem und anderer guetbedunkhen, 
gleich als ein modelle solcher gemainen kirehen- und schaell- 
ordnung entworfen. Welches wir hiemit ihren gnaden und 
herren gehorsamblieh und naeh ihrem hochen christlichen 
bedenkhen zu erwegen, zu endern, zu vermehren oder zu 
khürzen oder gar einzustellen übergeben, der gewissen zu- 
versicht, dab ihre gnaden an unserem gehorsamb und treu- 
herziger wolmainung ein gnedigs gefallen haben und auch 
anders nicht von uns erfordern werden, denn was wir in 
warer furcht und liebe Gottes fürnemen oder verwilligen 
khönnen, wollen uns hiemit in iren gnedigen schutz mit 
demüttiger erpietung alles christlichen gehorsambs befohlen 
haben. | 

Ende der vorred. 


Kirchenordnung. 


Nachdem ein christliche wohlgestellte kirchenordnung 
fürnemblich in drey stugh verfasset kan werden, also das 
das erste die lehrpunkte, das ander die agenden, wie es 
gemainghlich genent wirdt, nemblich die form und weise, 
die sacrament zu raichen und desgleichen sachen in der 
kirchen zu verrichten, das dritte die bestallung des ministerii 
sampt aller zugehörenden billigs zucht und ordnung begreiffe, 
so thuen der lehre halben wir theologen und eolloquenten 
diesen gehorsamen bericht, wie folget: 


Das erste thail der kirehenordnung. 


De norma veritatis, das ist von der regel oder richt- 
schnur, vom grunde und gewissen probierstain, alle lehre 
zu richten, die reine lehre zu erhalten und sich für falsche 
lehre zu hüetten notwendig. 

Die ware christliche lehre gesundt und ganz allent- 
halben unverfelschet zu erhalten und sieh fur allen irthumben, 


39 39 


teuscherei und verfüerungen zu hüetten, ist fur allen dingen 
von nötten, das man die rechte, gewisse, genuegsame, un- 
widerlegliche normam veritatis, das ist, den grundt und 
regel der warheit, die gewise richtschnuer und unbetruglichen 
pruefstain woll lerne erkhennen und allezeit zur handt und 
in stettiger Uebung habe, damit und darnach man alle 
predig, glauben und lehre, baidt in schuelen und kirchen 
recht urteln und richten, die gesunde lehre behalten und 
die falsche verwerfen khönne, denn solches gott nicht allein 
von den predigern, sondern auch von der obrigkheit und 
regenten, ja von einem jegkhlichen menschen haben will, 
nach dem gebot Christi Matthäi VII: Hüetet euch fur den 
falschen propheten und |. Joh. IV: Glaubt nicht einem jegkh- 
lichen geist, sondern probiert die Geister, ob sie aub Gott 
seien!) vnd gotes. So wir oder ein engel vom Himel euch 
anders predigen wurden, dann wir euch schon gepredigt 
haben, der sei verfluecht.?) Demnach ist die einige gewise 
unuberwintliche norma veritatis und unbetruegliche richtschnur 
und prüfstein, unbeweglicher pfeiler und grundfest der war- 
heit das heilige Wort Gottes, nemblich die gewissen und 
mit göttlichen unwidersprechlichen zeugnissen bestettigte 
schriffte der Propheten und- Apostel, welche in ein buech 
vom heilligen geiste durch ermelte Propheten und Apostel 
zusammengebracht und in zwey theill unterschieden, also 
das das erste so der Propheten schriffte begreifet, das Neue 
Testament und das gantze buch, so baide testament zusammen- 
fasset, mit dem griechischen namen, so bey jederman in 
gebrauch khommen ist, die Bibel genennt wierdt. 


Antithesis. 


Hiewider ist, das die Papisten die Menschensatzung, so 
sie der kirchen zueschreiben, ebenso hoch und höber wollen 
gehalten haben als gottes wortt und heissen die heilige 
schrifft ein ketzerbuch. 


Erinnerung der sprachen halben. 


Daß man nun dieser richtschnur desto besser gebrauchen 
müge, soll man verschaffen, das die hebraische und grie- 
chische sprachen vleißig in den größeren schuelen gelehrt 
und zum wenigsten den furnemen hirtten und lehrern, bei 
welchen man sich etwa raths und verstands erholet, wol 
bekhant seien: denn das alte testament ist anfengkhlich mit 
hebraischer und das neue mit griechischer sprache gepredigt 


1) 1. Joh. 4, 1. 
?) Galat. 1, 8. 


40 40 


und beschrieben. Darauß das heilige wort gottes den leutten, 
so nicht hebraisch und griechisch verstehen, muß treulich 
verdolmetschet werden, welches unmüglich, denen ermelte 
zwo sprachen nicht wol bekhant seint. 


Matthaeus hat sein evangelium auch erstlich mit hebra- 
ischer sprache geschrieben, wie dann auch zu unseren zeiten 
dasselbig evangelium Munsterus!) hat ausgehen lassen; aber 
weill Munsterus selbs bekennet, er habs zurissen bey den 
juden funden und an vill orten erstatten?) müssen, so ist 
dem griechischen, welches mit genugsamen  zeugnissen 
befestiget, besser zu vertrauen. 


Erinnerung der Dolmetschung halben. 


Wiewoll alle Dolmetschung und der ursprunkhlichen 
sprache inn der rechten meinung zutreffen solte, jedoch mueß 
man der alten kirchen Dolmetschung, ob sie gleich nicht 
allenthalben mit den ursprunklichen texten stimmen, nicht 
verwerffen, sondern damit zufrieden sein, daß sie fast alles 
also verdolmetschet haben, daß es nicht ist wider die Artikel 
des glaubens, so auf} den klaren und jedermann verstendlichen 
spruchen der Schrift gestellet sein. 


Darumb man die griechische und alte lateinische Dol- 
metschung, weil von den beiden uralten kirchen kein andere 
vorhanden, gern annemen, auch in offentlichen lectionen und 
von man lateinisch das Wort Gottes verlehren?) mus, furlesen 
und brauchen soll, damit die kirch etwab gewisses habe, 
doch das erlaubt sey aus den originalsprachen den rechten 
eigentlichen sinn, wo es not ist zu erklehren. 


Der neuen lateinischen Dolmetschung sonderlich dar 
berumpten als Erasmi*) des neuen testaments, Vatabli?) 
des alten, mag ein jekhlicher fur sich gebrauchen, das er 
durch vergleichung und zusammenhaltung der dolmetschung 
den sinn des göttlichen worts desto besser verstehen müge. 


1) Sebastian Münster, 1489—1552, Franziskaner, dann reformiert, 
seit 1529 das Hebräische an der Universität Basel lehrend, Reuchlin 
fast ebenbürtig, ließ 1535 eine Ausgabe der hebräischen Bibel mit 
vollständiger Übersetzung erscheinen. RGG. 4, 562. 

?) ergänzen. 

3) erklären bei Loserth. 

4) 1516 Ausgabe des griechischen Urtextes, „trotz der Flüchtig- 
keit und unsoliden Grundlage seine größte Tat“, mit Annotationen und 
später angeschlossenen Paraphrasen. RGG. 2, 425. 

5) Franc. Vatablus (Watebled), aus der Pikardie, gest. 1547; 
1530 Prof. der hebr. Sprache am Collège de France. Biblia Vatabli. 
Paris 1545. RES®. 20, 431. 


41 4] 


Inn deutscher sprache ist khein besseren denn des D. 
Martini Lutheri, welche so eigentlich den sinn des gotlichen 
worts gibt, das man schier kheiner außlegung daruber bedarit 
und darumb in der Augspurgischen confession verwanten 
kirchen billich khein andere inn deutscher sprache furgelesen 
und gebrauchet werden soll. 


Was aber in Windischer?) und andern frembden sprachen 
gedolmetschet, sagt man, das auß Luthers gedolmetschet 
worden, welchs auch das Rathsamste gewesen ist. Die 
gewiße Versicherung, das ainer nicht durch mancherlay 
dolmetschung oder auch unbequehme anziehung des Original- 
textes irre gemacht werde, ist die analogia fidei,’) so auch 
corpus doctrinae auf Lateinisch genandt wird, das ist die 
Summa der Christlichen lehre, ordenlich aub den klaren 
und jederman verstendlichen spruchen zusammengefueget, wo 
derselbigen zuwider irgents etwaß verdolmetscht oder an- 
gezogen wurde, das wehre zu verwerifen. 


Antithesis, dasist gegenlehr. 


Wieder obgemelte meinung ist, daß das Tridentinische 
concilium khein andere Dolmetschung als die alte lateinische ja 
auch den originaltext selbs nicht gelten lassen will?) dann 
wo er mit der alten lateinischen Dolmetschung zutrifft, und 
hierin suchen sie nichts andres denn etliche grobe irthumb 
als von heiligen anruffen‘) und dergleichen zu besehutzen. 


Erinnerung von dem underscheidt der 
bueeher, so in der Bibel begriffen. 


Man soll auch merkhen, das die Bibel zwaierley bucher 
hat, etliche und die meisten, welche in allen stiickhen und 
wortten ohn alles bedenkhen angenommen, ettlich aber, welche 
aus den gemelten sollen verlehret werden und in etlichen 
wenig worten einer solchen außlegung bedurffen, das die 
lehre so in vorigen gegeben ist, nicht verdunkhelt werde. 
Als dan sonderlich im Neuen Testament S. Jacobi brief ist, 
in welchem etliche wortte des Pauli lehr zum Römern wider- 
werttig lauten?, vm diesen underschaidt der Bucher in 
heiliger schrifft werden nützlich gelesen die Vorreden Lutheri’), 


1) Primus Trubers slovenische Übersetzung des N, T. 1. Teil war 
1557 erschienen, Th. Elze, Jahrbuch 14, 121; 15, 15f. 

?) Über deren Entwicklung RGG. 4, 2137 (5, 1031). 

*) Sessio 4. Pastor, Geschichte d. Püpste 5 (1909), 546. 

4) Uber sie im Tridentinum sessio 25. 

5) Über die ganze Frage: RGG. 3, 1022. 

6) Sie wurden später fortgelassen. 


42 42 


so er fur einen jekhlichen buch gethan und mit der alten 
lehrer zeugnus bewiesen hat. 


Antithesis, gegenlehre. 


Wiederobgemelte lehre ist des Tridentinischen coneiliiums 
meinung!) das die buecher, welche bey den alten bedenkhens 
gewesen, nicht aus den ersten erkhleren lasset, sondern 
denselbigen in allem gleichwirdig gehalten will haben, damit 
sie anders nichts suchen, dann etlich grobe irthumb zu 
vertheidigen, das sie doch nicht hilffet. 


Von dem corpore doctrinae, das ist, furbilde 
der rainen lehre. 


Weil oben gemelt ist, das ein corpus doetrinae gemacht 
sey, das ist, wie's Paulus Rom. VI?) deutschet?), ein furbildt 
der lehre, welches die haubtstuckh der christlichen lehre 
auf hellen, unleugbaren zeugnussen der heiligen schrifft 
fein ordentlich zusammen verfasset furtregt, dadurch man 
sich durch hülffe gottes hueten khan, das unzeittige anziehung 
der schrifft und ungeschickhte dolmetschung einen nicht 
verfuehren, ists nun an dem, das solche furbilde der reinen 
lehre namhafftig gemacht werden: so haben wir nun von 
den alten gottseligen lehrern die drey symbola: Apostolicum‘), 
Nieenum?) und Athanasii®), dazu aueh nicht unbillig gesetzt 
wirdt der Hymnus Te Deum laudamus, welchen Ambrosius 
und Augustinus sollen gemacht haben’); in diesen symbolis 
wirdt die ewige gottliche maiestet in der allerheiligisten drey- 
einigkeit sampt den  wohltaten, so uns von ihr erzeigt 
werden, khürzlieh bekent und gerühmet, darnach haben wir 
von unser kirehen den kleinen Catechismum Lutheri und zu 
desselbigen weiterer Erkhlerung seine zween grofPen?) Zwar 
für die einfeltigen ist khein besser buch geschrieben denn 
der kleine katechismus Lutheri, welehen man billieh in alien 
kirchen behalten soll. Darauf soll billieh gesetzt werden , 

1) Sessio IV. 

?) V. 17. 

3) wohl statt: deutet, oder ,Paulus Rom. VI“ ist als Zitatform 
gemeint, ,wie es die Stelle P. R. VI* usw. 

4) Näheres RGG. 1, 599. 

8) Ebd. 4, 767. 

6) Ebd. 1, 749. 

7) Vgl. Buchberger, Kirchl, Handlexikon 2, 2314, 

$) Über Luthers Katechismen: RGG. 3, 985. Luthers Werke, 
Weimar. Ausgabe 30a, 426—665. „seine zween großen“ ist eine selt- 
same Entgleisung. 


43 43 


die Augspurgische confession sampt derselbigen apologia’), 
welche also genanndt ist, weil sie von den stenden des 
Romischen Reichs, welche ihre kirchen hatten von dem 
bapstumb reformieren lassen, auf dem reichstag zu Augspurg 
anno 1530 kayser Carolo Quinto in beysein aller Stende 
des Reichs miindlich und schriftlich, deutsch und lateinisch, 
furbraeht worden ist, welche symbolum und bekhantnus 
keine pforten der hellen?) umbstoßen khönnen und dergleichen 
nicht von der Apostelzeit an noch so volkhomen erfurkhommen, 
drumb man sich billich darauff berueffet. Und haben diesen 
Lande Theologen solche exemplaria, wie sie zu Augsburg 
übergeben seint, darauf guet achtung zu geben ist, sintemall 
im nachtrug offtmals gefehlet wirdt. 

Weil aber der satan mit den sacramentierern wolt 
schaden thuen und furgeben, als lehreten dieselbigen der 
Augsburgischen Confession nicht zuwider, und gegen die 
Papisten etliche artikhel mit ernst auf dem concilio zu 
Mantua?) sollten vertedigt werden, wurden die schmalkal- 
dischen artikhel*) anno 1537 gestellet, darauff man sich auch 
billig berueffet. Da nun Lutherus von dieser welt abgeschieden 
war, meinte der Teuffel, er wollte die Augsburgsche confession 
gar vertulgen, brachte das Interim?) herfur, machte viel 
Gezenkh und rotten, welche doch etlich nicht wolten den 
namen haben, daß sie der Augsburgschen confession entgegen 
wahren; darumb die Theologen und kirchen, denen die 
wahrheit mehr denn aller menschen gunst oder ungunst, ja 
mehr dann alles guet und ehre angelegen war, sich dawider 
satzten, und rathen die Theologen, daß man in diesen 
landen under die Schriften der richtschnur sunderlich das 
bueblein der Duringischen Theologen, anno 15599) auß- 
gangen, setze, weill darin die corruptelen, so etliche listigk- 
lich eingefuert hatten, kürzlich und aus gewissem grunde 
der heiligen schrifft widerlegt werden, welches buchlein 
bierumb von den kirchen, so der Augsburgischen confession 
auffrichtig zugethan sein, hochgeruhmet und werdt gehalten 
wirdt. 

Das buch Philippi Melanchthonis loci communes’), das 
ist hauptstuckh der christlichen lehre genanndt, ist ein sehr 


t) RGG. 1, 587. 

2) Ev. Matth. 16, 18, 

*) Am 2. Juni 1536 auf den 28. Mai 1637 einberufen; Köstlin 
l. c. 2, 870. 

4) RGG. 5, 339. 

») Ebd. 3, 573. 

© Das Weimarer Konfutationsbuch, von Flacius und Genossen. 

7) Seit 1520/21, bzw. 1535; RGG. 4, 250f, 


44 44 


edler schatz und soll vleißig von denen, so die heilige 
schrift lernen und andern etwo erkhleren wollen, gelesen 
werden, aber weils za funfmahlen ausgangen und in dem 
Artikhel von freien willen im letzten nachdrukh nicht on 
ursach angefochten worden, kans nicht ad normam veritatis 
gerechnet werden. Er ist uns ja ein lieber praeceptor und 
hat sich nach Luthero keiner so woll umb die Christenhait 
verdienet, aber doch muessen wir Christum höher halten 
und menschliche schwacheit auch an dem lieben preceptor 
seligen erkhennen, wie man alle patres nach der Norma 
veritatis urteilen muß. Und bricht Ihnen doch damit an 
Ihren ehren nichts ab. In der ersten edition des gemelten 
buchs Philippi ist vom selbigen artickhel nichts unsers 
wissens unrecht gelehret; darauß möcht man auch die 
folgenden editiones corrigieren, denn so solche warnung 
stadt hat, ist es fürwar ein nutzlich und notwendig buch zu 
lesen dem, der ein gueter Theologus zu werden wünschet. 
Das ist also von der norma veritatis gesagt, und khan 
niemandt mit warheit sagen, das die evangelischen ein vil- 
feltige und weitleuffige normam veritatis haben. Denn wie 
vor zeiten die Ketzer Arius’) und andere machten, daß aus 
der schrifit symbola wider sie, die warheit zu beschützen, 
gemacht worden, und doch Ihr einiger grundt die hl. schrifft 
blieben ist, also auch zu unsern zeiten haben die Papisten 
und secten ursach geben, das bekenntnuf und confutationes 
errorum gemacht sein, darin man aub der hl. schrifft alle 
irthumb widerlegt; und bleibt doch die hl. schrifft der einige 
Pfeiler und grundfest der warheit in der kirchen gottes 
und ist die einige norma veritatis. 


Antithesis, das ist gegenlehre. 


Auß obgemelten buchern der Richtschnur lassen unb 
die Papisten nichts mehr dann die symbola und die bibel; 
sie lassen auch die Bibel nicht in anderer als nur in der 
alten Lateinischen Dolmetschung,? auch in den Original- 
sprachen nicht anders, dann wofern sie sich mit ermelter 
Dolmetschung reimet, gelten; darzu lassen sie der schrifft 
khein andern verstandt denn der kirchen, welche sie an 
Römischen Bapst und Cardinal binden?), gefallen, als zum 
Exempel Matthai XVI‘): Du bist Petrus vnd auf diesen 
fels wil ich meine kirchen bauen. Das legen sie allso auf, 


1) RGG. 1, 679. 
7| S. oben S. 41. RGG. 5, 1810. 
3) Ebd. 1, 1170. 

^) V. 18. 


45 45 


das damit der Römische Bapst zum haupt der oristenheit 
soll bestelt sein. Weill solche meinung dem Bapst und 
seinem anhang gefelt, muß Ihnen alle andern außlegung 
ein verdampte ketzerei sein, ob man schon auf gewissem 
grunde die Außlegung der falscheit uberzeuget und die 
rechte auflegung anzeiget, wollen sie doch recht behalten, 
also gehen sie fast allenthalben mit der hl. gottlichen schrifft 
umb, daß sie entweder mue unaußgelegt und unverstanden 
bleiben oder auff ire verkherte meinung gezwungen werden, 
welehs zwar nichts anders ist denn das liecht scheuhen, 
damit Ihre bösen werkh nicht offenbar werden. Summa 
sie geben nicht zue, das die hl. schrifft sey norma veritatis, 
darnach man alle lehre richten und allen streit, so sich über 
der religion erhebet, schlichten soll, sondern sprechen, die 
Bibel sey materia litis, ein Zankhbuch, sey dunkhel, hab 
zweifelrede, da es nur an einem gueten ausleger stehe. 
Dagegen geben sie khein ander normam veritatis, denn die 
kirche, welche sie an Rom binden, nennen dieselbige den 
Pfeiler und grundtfest der warheit und wenn man sölche 
Lhermeinung grundlich erwiget, fueren sie die leutt nirgent 
anders hin denn ad scrinium pectoris pontificii, zum schrein 
des Bapstischen herzens, darin alle rechte sollen verborgen 
ligen; was der redet, das muß vom Himmel geredt sein, 
was er mit seinen Cardinälen, Jesuitern, Mönchen und Pfaffen 
auf coneiliis und sonst beschleust und recht oder unrecht 
heiBet, das muß also sein und bleiben, doch auch nicht 
lenger dans Ihm gefellet. Heist das nicht ein greuliche 
Tyranney in der kirchen geübet under dem Prächtigen 
namen und schein der kirchen? Darumb, wer seelig werden 
will, muß sich vor dieser gottlosen rotten als von der 
grundtsuppen aller lügen, verfuerung und gottlichs namens 
. lesterung absondern, wie Paulus II Timothei II?) rathet, da 
er spricht: Discedat ab iniquitate omnis, qui nominat nomen 
Christi, es weiehe von der ungerechtigkheit ein jegkhlicher, 
der den Namen Christi nennet, und Apocalypsis XVIII?): 
Exite de illa populus meus, ut ne participes sitis delictorum 
eius et de plagis eius non aceipiatis usque ad coelum et 
recordatus est Deus iniquitatum eius. Gehet auß von Ihr 
mein Volekh, dab ir nieht teilhaftig werdet Ihrer sünden, 
auf daß ihr nicht empfahet etwas von ihren Plagen, denn 


1) Über die Ungeschichtlichkeit des Ausspruches RGG. 4, 1410, 
Neueste Auslegung von A. Harnack in den Abhandlungen der Preuß. 
Akademie der Wissenschaften 1919. 

2) V. 19. Seltsam, den lateinischen Wortlaut zu benutzen. 

s 

) V. 4. 


46 : 46 


Ihre sunde reichen bif an den himel und Gott gedenkht an 
Ihren freuel. — 

Mit diesen wortten wirdt allen christen bey verlust 
ihrer seelen seligkheit gebotten, das sie sich von dem Anti- 
christischen Reich absondern; wer khan aber ein besser 
khennzaichen haben, daran der Antichristische greuel müge 
bekhannt werden, als dif ist, das er das wort Christi nicht 
gelten lest, sondern dasselbig und alles dem gutdunkhen 
seines gottlosen herzens unterwirfft und spricht: Wens 
gleich Christo so gefelt, so will iehs doch anders haben, 
wie im Tridentischen!) und Costnitzer concilio?) die wortt 
vom Nachtmall des herrn klar außweisen. So böse hats 
noeh khein khetzer nie gemacht; denn die haben doch 
gemeinigkhlich als noch die schrifft für die normam veritatis 
gerühmet, ob sie Ihrer schon mißbraucht haben; aber der bapst 
will nieht allein die coneilila sondern auch die. heilige 
schrifft unter einer gewalt haben und heist bei Ihm kurzumb: 
Sic volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas?), welchs woll die 
christen in weltlichen sachen wie alle Truebsal und verfolgung 
geduldig leiden, aber in Religions- glaubens- und gewissens- 
sachen gantz und garnicht vertragen sollen, sie wollten dann 
nicht mehr Christen und gottes diener sein. 

Von den hauptstuckhen der Christlichen lehre kurze 
erinnerung. Nachdem wir nun unsere normam veritatis an- 
gezeigt, achten wirs nicht für notwendig oder rathsam, von 
allen artickheln der Christlichen lehre eine ausfuehrlich 
bekhantnuß alhie zu beschreiben und der kirchenordnung 
einverleiben, obschon solehs etliche hin und wider gethan 
haben. Sondern das achten wir genugsam und fürs aller- 
rathsambste, das bücher in Norma veritatis genandt zu- 
sammengefasset und Treulich nachgedruckth werden, darauf 
man sich jederzeit zu referieren habe und darumb auch bey 
einer jegklichen kirchen neben der Agenden ein besonders 
exemplar niderleg und dem predicanten als in einer Biblio- 
theken zu verwahren und bei der kirchen zu lassen als einem 
getreuen depositario gebueret beföhle; dieß ist vill rath- 
samer, das man also bey einerlay form und wortten der 
bekhentnus bleibe, denn das ein jegkhliche kirche Ihr eigen 
’ bekhentnus habe, wenn schon die meinung tibereintrifft, denn 
es ist baldt in soleher verentrung geschehen, das etwa ein 
dunkhele rede, ungewönlich wortt unbekhante form etwas 
verdaeht macht oder in zweiffel setzt, darumb in den meisten 
sachsischen, preußischen und andern wollbestelten kirchen 


1) Communio sub una, sessio 21, doch vgl. sessio 22, RGG. 3, 1056. 
*) Sessio 13. RGG. l. c. 
23) Juvenal, Satir. 6, 223. 


47 z 47 


nieht gestattet worden, neue confessiones zu schreiben, sondern 
nur die alte, nemblich die Augsburgische sambt den Schmal- 
khaldischen zu widerhollen, mit vermeldung und manhaffiger!) 
verdammung deren Ihrtumb und verfuerung, so unterdes 
der Teuffl erweckhet hat, die einfeltigen zu betrueben; so 
haben auch vor zeiten die vetter nieht neue symbola gemacht, 
sondern die alten immer widerholet und die Irthumb - da- 
wider entstanden verfluchet. 

Diesem exempel naeh gebuerts sich auch in dieser 
Landtkirehen, die alte confession als normam veritatis zu be- 
halten und was teuscherey und Verfelsehung daran und 
darwider der Satan versuecht hat, austruckhlich zu vermelden 
und die einfeltigen warnen, das sie das zill nicht verruckhen 
und dureh verkherte rede die bekhantnus nicht verdunkhelen 
noch aufschrauben und in zweiffel setzen lassen. Diß ist 
auch gottes gebott als I. Joh. 11?): Brüder, ich schreib euch 
nieht ein neue gebott, sondern das alte. 

Von den irthumben so der reinen Augsburgischen con- 
fession als veritatis normae zuwider sind und von corruptelen, 
damit der teuffel ermelte confession zu verfelschen unter- 
standen. Was dann nun belangt die Irthumb, so der Teufel 
der reinen Augsburgischen confession zuwider erweckhet hat, als 
Serveti) Arianismum, Swenkfeldii*) enthusiasmum, Antino- 
morum?) vaesaniam, der widerteuffer?) und sacramentierer?) 
lesterung, Osianders?) und Stankhers?) widerwertige verkberung 
des ampts und wolthat Christi und andere dergleichen 
Teuscherey und Teufelische verfuerung. Item die coruptelen, 
das ist die verkherte vergifte reden, damit der Teufel die 
Augsburgisehe confession hat unterstanden zu verdunkheln 
und zu verfelschen, alsdann ist das leidige Interim!?) gewesen, 
welehs darnaeh hat die ergerlichen gezenkhe von gueten 
werkhen und mitteldingen, von freien willen, von der genade und 
rechtfertigung fiir Gott erweckhet und die einfeltigen irre 
gemacht und die kirche jemerlich zurissen und betruebet, 
da doch unterdeß der guetige heylandt Jesus Christi (sie!) 
durch dreue werkhzeuge gesteuert und das zurissen wider 


1) Loserth: nambhaftigen, wohl richtiger. 
?) V. 7. 

8) RGG. 5, 610. 

4) Ebd. 5, 510. 

5) Ebd. 1, 501. 

*) Ebd. 5, 2016. 

?) Ebd. 5, 217. 

*) Ebd. 4,1069. 

?) Ebd, 5, 888. 

10) S. oben 8, 48, 5. 


46 48 


geheilet. Solche irthumb und verfelschung all miteinander 
werden kurz und griindlich widerleget in den Duringschen 
buch, dessen oben!) sub norma veritatis gedacht wirdt, 
darumb nicht von nöten ist, das hier ein besondere refutatio 
solcher irthumben ausfuerlich geschrieben werde, ist genueg, 
das wir, dieser Landschafften Theologen und kirchen, unb 
erkMeren, das wir solcher irthumben unß nicht theilbafftig 
gemacht noch machen wöllen, sondern dieselbige verwerffen 
und verdammen mit der waren kirchen. So aber jemandt 
weiter davon lesen will, ist sehr nutzlich, das er die 
6 predige doctoris Jacobi Andreae?), so von solchen irthumben 
gepredigt und geschrieben, vleißig lese, und in methodis — 
Simonis Pauli?) werden aus gewissen grundt alle dermassen 
irthumb widerleget, da auch dieselbigen sampt ihrem ursprung 
entdeckht und offenbar bekhant gemacht werden. 

Doetor Jacobs predige sein auch darzue nutze, das 
man den irthumb erkhenne der Calvinisten, welche in 
Sachsen wolten einschleichen und gaben nicht zu Realem 
communicationem Idiomatum, damit sie der menscheit Christi 
die Maiestet, derer sie durch persönliche Vereinigung mit 
der gottlichen Natur teilhaftig werden, entziehen wollten, dar- 
gegen man sich auch für Schwenkfelds*) alzu hoch fliegenden 
geist hüeten soll, welcher nach der Eutyehianer?) irthumb, 
so auß beiden Naturen ein machten, die exequation beyder 
Naturen in Christo hat erstreiten wóllen. Wie aber vor 
zeiten die heilige christliche Kirche nicht allein die Nesto- 
rianer®), welche die Naturen christi als zwo Personen von 
einander zogen, sondern auch die Eutychianer, welche die- 
selbigen zwo Naturen also vermischten, das nur eine daraub 
wardt, verdammet, also geburet auch jetzt der waren 
kirchen gottes eben als woll der Schwenkhfeldischen exe- 
quation, als der Zwinglianer und Calvinisten spaltung und 
trennung der Naturen in Christo zu verwerfen und zu ver- 
dammen; denn wie die Zwinglianer Nestorium also die 
Schwenkhfeldianer weckhen und fueren Eutychem gleich als 
auß der hellen wider in die kirchen und schuelen, auf die 
Kanzel und Cathedram. Von diesem irthumb soll man mit 
vleiß lesen der Wirtembergischen?) und Braunschweigischen?) 


1) S. oben S. 43, 6. 

2) RGG 1, 471, 

8) RE s. v. 

4) RGG 5, 510. 

5) RGG 2. 69. 

6) Ehd. 4, 730. 

7) 1551. RGG 5, 2131. 

8) corpus doctrinae Julium 1576, RGG 1, 1832. 


49 49 
offentlich außgangene  bekhantnuD, item Komnitii buch 
von beiden Naturen!) in Christo. Hie ist genug, das solche 
irthomb berueret und namhaftig gemacht werden, damit 
offentlich bekhant werde, das diser Lande evangelische 
kirchen der Augsburgischen confession inne behalten und 
solche irthumbe und verfelschung offentlich mit der waren 
kirchen gottes verwerffen und verdammen. 


Von Mathiae Flacii?) und etlicher mehr 
irthumb von der erbsünde. 


M. Matthias Flacius Illyrieuus, da er als ein hochgelerter 
scharfsinniger eyfriger man wider Victorini) Synergiam ge- 
stritten, des gueten willens, daß er den erbschaden nicht 
verkhleinern, der genade gottes und verdienst Christi nichts 
entziehen, den knechtischen zum guet erstorbenen willen des 
menschens nicht als frey hat rühmen und sich dardurch 
sicher machen und aller hoffnung der seeligkheit berauben 
lassen wöllen, ist er zu weit auf die ander seiten hinauß 
gefallen und mit aller macht erstreiten wöllen, der mensch 
oder des menschen Natur und Substanz oder sein fehle und 
vernunft sei selbs die erbsünde, und weil er sonst vil guets 
geschrieben, auch in einer gueten sach wider Victorinum 
stundt, da er in diesen irthumb heraus fiel, kriegt er baldt 
ein großen anhang von trefflichen umb die kirch wol ver- 
dienten mennern, darüber im das Herz wuchs, das er sich 
nicht hat der treuherzigen warnung und vermanung, von Nicolao 
Gallo’) und anderen vielen geschehen, weißen lassen wollen, 
sondern hat gern jedermann in seinen irthumb gezogen, wie 
er dann mit wunderbarlichen listen viele zu sich gelockhet, 
verdechtig gemacht und wenn sie der sachen noch ungewiß, 
etwaß an Ihn besonders geschrieben oder sunst etwa von 
der sach in utramque partem disputieret hatten, wo er nur 
‘etwas, das ein schein eins beifals hatte, kont erwischen, 
bracht ers flugs durch den druckh unter die Leute, darumb 
viel gueter herziger Theologen als Simon Musaeus®), Jere- 
mias Homberger?) uud andere mehr ursaeh gehabt, offentlich 
von Ihrer Unschuld oder wie sie betrogen und verfüert, zu 
protestieren. Er aber ist in seinem irthumb, wie leider zu 


1) de duabus naturis in Christo 1570, RGG 1, 1662. 
?) RGG 2, 905, 
3) Strigel, RGG 5, 962. 
4) RGG 2, 1195. 
5) RGG 4, 577, 
6) S. u. 
Archiv für Reformationsgeachichte. XVIII. 1. 4 


50 | 50 


besorgen, gestorben; wiewoll Mathias Ritther!) an etliche 
geschrieben, er habe sich den abent zuvor etwas bessers 
vernemen lassen, das eins widerruefs zu hoffen gewesen, 
wo er nicht mit dem Todt übereilet werden. 

Ob aber nun woll viell hoch erlauchte menner als 

Johannes Wigandus?), Tilemannus  Hesshusius?, Jacobus 
Andreas?) (sic), diesen Manicheischen®) irthumb gewaltig 
aus gewissem grundte der heiligen schrifft widerlegt haben, 
und man an derselbigen schrifften genug hat, jedoch weill 
etliche unruige wilde geister auch in disen Landen®) mit 
solcher seiten die einfeltigen irre gemacht und etliche ver- 
fueret, aufrichtig Lehrer verdechtig gemacht und in Gefahr 
leibs und lebens gebracht und zarten kirchen jemerlich 
betruebet, so sollen alhie die furnembsten gründe gesetzt 
werden, durch welche solche ketzerei auf der kirchen 
gottes verstoßen wirdt und damit niemandts sich bekhlagen 
künne, die sache sey ime zu hoch, er köns nicht verstebn, 
so sollen die grunde nur in unserm hl. catechismo gezeiget 
werden. Den ersten findestu inn den zehen geboten, da 
gott spricht zum menschen: Du solst nicht andere gotter 
haben, nicht begeren. Ich bin ein eyferiger gott, der die 
sünde der Vatter heimsucht an den khindern. Hir hörestu 
ja von gott selbs den unterscheidt der sünde und des 
menschen, denn den menschen nennet er mit seinem Naturliehen 
leib und seele, da er spricht: Nicht andere gotter haben, 
nieht begeren, item die sunde der Väter an den khindern. 
Denn ob hie jemandt wolt furwenden, der herr redete 
nicht von der Erbsünde, sondern nur von den wurkhlichen, 
wird er nicht bestehen, denn wir wissen, das das gesetze 
aller meist die erbsunde strafet, die von den Vätern in die 
khinder fortgepflanzt wirdt sampt dem Todt und ver- 
damnis, wie Paulus bezeiget Róm. V?) und David Ps. 
519), 149), 5619), 
So uns dann unsere norma veritatis ganz bleiben soll, 
nemblich der liebe catechismus, muessen wir fürwar diesen 
Irthumb verwerfen und verdammen und die beschreibung 
der erbsünde also lassen wir sie in der Augspurgischen 
Konfession und Schmalkaldischen artikeln gesetzt ist. 


1) In Frankfurt; Ed. Böhl, l c. S, 387. 
?) RGG 5, 2029. 

3) Ebd. 3, 1. 

4) S. ob. S. 48, 2. 

5 RGG 4, 121. 

*) Vgl. Ed. Böhl, 1. ce. 8. 96f. 

?) V. 12. 8) V. 7. 

?) V. 3. 19) 68, 24, 


51 51 


Nun ist ie die erbsünde nicht nur?) ein schult frembder 
sunden, sondern ist fürnemblieh die bóse art, neygung, be- 
gierde, sucht und lust zusündigen, weliche der her rueret 
und aufweckt, wie das wasser das feuer im kalck auf- 
wekhet, da er sprieht, nieht begeren, welehs uns Paulus aueh 
also ausleget Röm. 7. So spricht auch Christus Johan 16 ?): 
Der heilige geist wirdt die welt straffen umb die sünde, das 
sie nieht glauben an mieh, da ia die welt heisset alle 
menschen und der angeborne unglaube die sünde.  Solehs 
wirdt auch bestetiget auß den wortten Christi Joh. 39): Also 
hat gott die welt geliebet, das ist alle menschen. Wer wolt 
aber so verkheret sein, das er den 5 Psalmen‘) entgegenspreche, 
gott wehre ein liebhaber der sunde und bofheit. Den an- 
dern grundt zeuget und das bekhantnus unsers christlichen 
glaubens Symbolum Apostolicum genandt; denn im ersten 
artickhel bekhennen wir, dab unß Gott geschaffen habe und 
den leib mit allen geliedern, die sehle mit all ihren natür- 
lichen krefften, vernunft, sinnen, willen gemacht und gegeben 
habe, auch erhalte auf vätterlicher guete, dafur wir ihm 
danekhen und solcher gaben und gelieder zu seinem wol- 
gefelligen dienst gebrauchen. Nun ist aber offentwar, daß 
Gott die sünde nieht geschaffen oder gemacht und gegeben 
noch dagegen ein vatterliche liebe hat. Denn er hat sie ie 
verbotten Gen. 25, zurnet druber Gen. 3, hat khein gefallen 
daran Ps. 5, und wie solt iemandt für die sünde als ein 
guet geschenekhe des schöpffers dankhen oder wie soll einer 
mit der stinde Gott dienen und gefallen khónnen? Weil 
den Gott den menschen mit allen natürlichen beyd inner- 
liehen und eusserlichen Krefften geschaffen und aber die 
sünde nieht geschaffen hat, so mueß ie folgen, das der mensch 
oder sein natürlich vernunft nicht selb die sünde sey. 

Wir wissen au8 dem 3. Capitel Geneseos, das die sünde 
durchs teuffels verfuerung ins menschen seele und substanz 
erweckht und angezündet ist. Solt nun die sunde nichts 
anders dann der mensch oder des menschen seel, vernunft 
und sinne selbert sein, so müßte der teuffel den menschen 
geschaffen und ihm die vernünftige seele und natürliche 
sinne gegeben haben; wehr aber das nicht ein schrecklich 
ding, das wir den teuffel für unsern schöpffer solten erkhennen 
und da wir zuvor gesagt, ich glaube, das mich gott geschaffen, 
solten wir nun sprechen, ich glaub, das mich der teuffel 
geschaffen, mir leib und seel, augen und ohren mit allen 


*) Cod. A 56 b, b hat statt nur: mehr. 


?) V. 8. 3) V. 16. 
*) In einer anderen Hdschrft: fünften Psalm; V. 5. 
S) V. 17. 


4* 


52 | 52 


geliedern, vernunfft und alle sinne gegeben hatt und noch 
erhelt!) Jesus, Jesus, Jesus! Der grausamen lesterung 
wolte das sein! Das durffen die ehlenden verblendeten laut 
sprechen, der teufel hab Adams und Euen substanz und 
naturlich wesen in ein ander wesen verwandelt, als wean 
einer auf einem menschen einen affen machete, der darnach 
andere affen durch naturliche geburt zeugete. Pfui der 
schande! soll einer so grob anlauffen, Gott erkhent ie noch 
den Adam für sein geschöpff, da er in suechet und spricht: 
Adam, wo bista? er findet ie auch denselbigen Adam, den 
er geschaffen hatte und zeucht ihn unter den buschen her- 
fur zu seinem richterstuell; so saget ie unser artickhel anstat 
eins ieglichen auch sündhafftigen menschens: Ich glaub, 
das mich Gott geschaffen hat sampt allen ereaturen?), das 
ist, wie er andere ereaturen geschaffen hat, also auch mich 
und hat doch die sünde nicht geschaffen, sondern die ist 
vom teufel und meineidigen willen der ersten menschen und 
ist darnach durch die zwei menschen khommen in die welt, 
das ist in alle andere menschen, so naturlieh von ihnen 
gezeuget werden, Róm. 5?) darauf) offenbar, daß der teuffel 
weder dureh verwandelung der wesentlichen gestalt noch 
auf einige andere weise ein neue substanz im mensehen 
gemacht hat, sondern hat ihn am geist gethótet, des waren 
güttlichen liechts und lebens beraubet und was an ihn über- 
blieben von Gott zu sich gewendet, ihm anhengig und dienst- 
bar gemacht mit Ketten der finsternus*), die niemandts dann 
Gott auflösen khan, an sich gebunden, das er sein mancipium 
und jumentum, leibeigen knecht und esell worden, zuthuen 
mit herzlicher lust nach all seinem (des teuffels) willen 
und gefallen. Solcher geistlicher todt sampt allem jamer, 
zeitlichen todt und hellischer ewiger verdamnis ist aus dem 
gerechten urtl Gottes erfolget über den meineydigen ab- 
gefallenen menschen, welchs Genes. 2 und Genes. 3 be- 
schrieben ist. 

Ob aber woll dureh einen menschen in die andern die 
sünde fortgepflanzet wirdt, so ist doch derselbig mensch 
nieht der anderen menschen schöpffer, der sie mache. Es 
ist vil ein anders Vatter, dann schöpffer. Adam hat Seth 
gezeuget, aber Gott hat den Seth geschaffen und gemacht 
auf Adams samen in muetter leibe, Also ists umb alle 
menschen. So hat demnach Seth allein von Adam die 
sünde, aber sein leib und seel hat er nicht allein von ihm, 


1) Worte aus Luthers Katechismus. 
2) Luthers Katechismus. 

5 V. 12, 

4) 9. Petr. 2, 4. 


53 53 


sonder von der schöpffung Gottes, ohn welche Adams same 
nieht wer zum persönlichen menschen worden. So soll 
einer doch schier greiffen, das ein großer undterscheidt 
zwischen des menschen substanz und der sünden ist. 

Es wehre ie erschröckhlich zugedencken, das Gott ein 
wesentliche gestalt, so des teuffels werkh solte sein, fort- 
pflanzete, noch viel erschröckhlicher, das man halten soll, 
er liese den teufel mit der fortpflanzung des menschen 
seines gefallens walten; wie wolte sich das mit Jobs be- 
khentnus am X capitel mit Dauides ps. 119 item 139 
reimen? Ic dem andern artickhel unsers christlichen glaubens 
bekhennen wir’), das Jesus Christus warer Gott vom vatter 
in ewigkheit geborn auch warer menseh von Maria der 
Jungfrauen geboren sey. Waß heist aber ein mensch? 
Aller ding wie Cain, Saul, Judas, Arins und wir alle, auß- 
genommen die sünde, denn Christus ist volkhommener mensch 
worden ohn sünde, Heb. 4?), Phil. 2 darauss unwiderleglich 
folget, das substantia hominis quantumvis corrupti non sit 
peecatum, das die substanz des menschen, ob er schon gar 
verderbet ist, nieht selbs die sünde sey. 

Es seint gar klare zeugnis vorhanden, das christus 
kein sunde gehabt noch gethan 2. Cor. 5°) Jes. 534) Johan. 8°) 
und aber gleichwol warer mensch worden sey, unß armen 
stindern in allem gleich, ohn das er nicht sunder ist oder sunde in 
sich hat. So khan ie warlich ein iegklicher hierau8 schliessen, 
das sunde und mensche nicht ein Ding sey. Waß sich doch 
die‘), welche sagen, der Sohn Gottes hab ein ander fleisch 
und bluet an sich genommen, das nemblich dem ersten 
fleisch, so Adam vor dem Fall gehabt, gleich sey; sagt doch 
der Heillig geist Heb. 2°): Er hab den samen Abrahams 
angenommen; ist dann Abraham nicht Adams bluet und 
fleich? Lutherus in Genes. 38°) sagt, auf Judae lenden 
sei khommen die natur, die christus hab an sich genommen: 
aber er habe sie von stünden gereiniget und die sünde nicht 
angenommen. Lieber, wer ist doch der gewest, den christus 
der sohn Gottes mit seinem bluet erlöst hat auf des teufels 
gewalt, auf das er sein (des herrn christi) eygen sey und 
unter ihm in seinem reich lebe und ihm diene in ewiger 
gerechtigkheit, unschuldt und seeligkheit, gleich wie er ist 
aufferstanden, lebt und regiert in ewigkheit, das ist gewis- 


1) in Lutbers Katechismus, 


?) V. 15. 3 V. 21. 
4) V. 9. 5) V. 46. 
?) se. merken müssen. 

?) V. 16. 


*) Weimar. Ausg. 44, 311. 


54 54 


lich war?!) Ist die sünde erlöst auß des teuffels gewalt, 
ist dann der teuffel nicht mehr derjenige, der zur sünden 
reitzet, ist die sünde des herren christi also eigen worden, 
das sie unter ihm lebe und ihm diene in ewiger gerechtig- 
kheit, unschult und seeligkheit, Jesus, was will darauß 
werden? Khan die sünde Gott dienen, under christi reich 
leben, unschuldig und seelig sein in ewigkheit? Es soll 
sich doch einer entsetzen vor solcher blindheit, 2. Corinth. 4. 
Ich meine, der teuffel beweise sich als ein Gott diser welt, 
der die hertzen derer, so ihrem freien willen nachgehen, 
blenden khan. Ich meine, Gott sey ein ernster richter über 
die, so halstarrig sein und sich nicht weisen lassen wollen. 
Johannes 1 Epist. 1 sagt, das bluet Jesu christi seines: 
sohnes macht uns rein von allen unsern sünden. Der engel 
Gabriel sagt Matth. 1:?) Er wirdt sein volekh seelig machen 
von ihren sünden. Lieber, waß ist das gesagt? wirdt er 
den menschen ausfegen, das er nicht mehr mensche sey 
und menschliche substanz habe? Das sei ferne! Er will 
das silber reinigen Mal. 3?), nicht gar zu nichte machen. 
Im 3. artickhel*) bekennen wir, der heillig geist hab uns 
durehs wortt erleuchtet, mit seinen gaben. geheiliget und 
erhalten. Sollt er woll die sünde erleuchten, mit seinen 
gaben heiligen und erhalten? O heilliger geist, öffne doch 
die augen der verblendeten, die in solcher finsternis sitzen, 
handele nieht mit uns naeh unserer undankhbarkeit verdienst, 
sondern naeh deiner grossen barmherzigkheit, óffne uns die 
augen des herzens, das doch auch die verfüereten sehen, 
wie gar in grobe irthumb sie sich versenkhen. Der heillige 
geist samblet ihm ein kirche und gemeinschaft der heilligen, 
samblet er ihm dan ein hauffen sünde? seint vill sünde ein 
gemeinschaft der heilligen? bekhombt sünde vergebung der 
sünde? wirdt sünde auferstehen vom todt und ewigs leben 
haben? wer hat gemeinet, das der teuffel auch hoche leutte 
also verblenden solte? darumb last uns in furcht und zittern. 
für Gott wandelen, dann er ists, der in unĝ wirckhen mues 
beyd das wollen und das volbringen?); ohn ihn khönnen 
wir nichts guets thun. Job sagt cap. 19°): ich weiß, das 
mein erlöser lebet und er wirdt mich hernach auß der erden 
aufferweckhen, und werde darnach mit diser meiner haut 
umbgeben werden und werde in meinem fleische Gott sehen ; 
denselbigen werde ich mir sehen und meine augen werden 


1) Aus Luthers Katechismus. 
?) V. 21. 3) V. 8. 

t) Luthers Katechismus. 

5) Philipp. 2, 15. 

6) V. 25. 


55 55 


in schauen und khein frembder. Wer disen spruch vleissig 
erwiget, der sollt in verstehen, das sünde vill einanders sey, 
denn des menschen substanz oder wesen, nemblich leib und 
seel; denn der glaubig mensch, wie Job ist gewesen, wirdt 
ganz aufferstehen, ohn alle sünde. Wie khann dann die 
sünde sein substanz sein? denn das einer sagen wolt, Gott 
würde dem menschen, den er will seelig machen, ein neuen 
leib und seel machen, das ist nichts, weil hie Job’) sagt, 
das er eben in dem fleische, so er ietzt hab, Gott sehen 
werde, und wir glauben ein aufferstehung des fleisches, das 
wir ietzunder am halse tragen. 

Den dritten grundt zeigt uns das heillig gebet Vatter 
unser. Seint sie sünde, die also Gott anreden, so mues gott 
ein vatter der sünden sein. Wolte einer sagen, weil sie 
wider geboren seint, so seint sie nicht sünde, so weisen 
wir denselbigen leib und seele, welche sie vor der wider- 
geburt gehabt; und der da spricht, vatter unser, der spricht 
auch, vergib und unser schuldt und David ps. 51: tilg ab 
meine missethat. Er bitt aber ie nicht, das er ihm sein 
Substanz vertilge, das er nicht mehr ein mensch sey. Also 
sagt er, erlóse unf vom übel, das ist freilich auch von der 
erbsünde, welche das allergroste übell und alles andern 
übels ein ursprunckh und quel ist. Soll nun die sünde von 
und abgesondert und wir dieselbigen menschen ohn sünde 
werden und bleiben, so muß ie sünde nicht des menschen 
Substanz sein. Solchs folget auch auß der absolution, Item 
auß der tauff und abentmall des herren; denn ie die sünde 
nicht loßgesprochen wirdt, sondern der mensch von den 
sünden. So wirdt ie die sünde nicht getauffet noch mit 
dem leib und bluet unsers herrn christi gespeiset, das sie 
khrefitig sey und ewig lebe, sondern der mensch waschet 
seine sünde ab durch die tauffe, und tröst sein gewissen 
mit vergebung der sünden, sterkht sich am inwendigen 
menschen mit des herren christi leib und bluet. Auß dem 
allen erscheint khlerer als der mittag, das die menschliche 
substanz nieht selbst sei die erbsünde. So unß dann nun 
unser Norma veritatis ganz bleiben soll, nemblich der liebe 
Catechismus, müssen wir fürwar diesen irthumb verwerffen 
und verdammen und die beschreibung der erbsünde also 
lassen, wie sie in der Augsburgischen Confession und 
Schmalkhaldischen artiekheln gesetzt wird?) 

1) 19, 26, nach dem Grundtext vielmehr: „Und ledig meines 
Fleisches werde ich Gott schauen.“ 


2) Von hier an eine andere Hand. 
(Schluß folgt.) 


—— zum —— — — - 


Eine noch unveröffentlichte Vorarbeit 

Luthers zu seiner Schrift: „Dass diese 

Worte Christi ‚das ist mein Leib‘ noch 
fest stehn.“ 


Von &. Buchwald. 


Die Lutherhandschrift, von der im Folgenden die Rede 
sein soll, ist Eigentum der Stadt Baden-Baden, wo sie seit 
1895 in den Stadtgeschichtlichen Sammlungen aufbewahrt wird. 

Vorbesitzer war der am 13. Dez. 1893 zu Baden-Baden 
verstorbene Musikdirektor a. D. Franz Pechatscheck') aus 
dessen Nachlaß die Handschrift im Jahre 1895 in den Besitz 
der Stadt gelangte. Die früheren Schicksale des Dokuments 
kennen wir leider nicht; es ist namentlich auch unbekannt, 
wann und auf welchem Wege es in den Besitz des Pechatscheck 
gekommen ist. 

Nach ihrer Uebergabe an die Stadtgeschichtlichen 
Sammlungen wurde die Lutherhandschrift der Autographen- 
sammlung einverleibt, deren Neuordnung Ende 1919 durch 
den Konservator Dr. O. Schmitz zur genaueren Prüfung des 
wertvollen Stückes Anlaß gab. 


Ende Januar 1525 erschien der zweite Teil der Schrift 
Luthers „Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern 
und Sakrament“?), in der er ausführlich Sinn und Bedeutung 
der Schriftstellen, die vom Abendmahl handeln, erläutert. 


1) Franz Willibald Schmidt, gen. Pechatscheck, geb. in Wien am 
1. April 1820, hatte sich anfangs der 70er Jahre in Baden-Baden 
niedergelassen, wo er bis zu seinem Tode als Tonkünstler tätig war. 
*) Weim, Ausg. 18, 44. 


57 57 


Dabei wird Luther der Wunsch gekommen sein, auch die 
Meinungen der. Alten über das Abendmahl festzustellen. In 
demselben Briefe (vom 2. Februar 1525), in dem er Nikolaus 
Hausmann von der Vollendung seiner Streitschrift berichtet, 
schreibt er: Negotium dedimus aliquibus nostrum eruditis, 
ut non modo, quid Tertullianus, sed omnes veteres de 
Sacramento isto senserint, colligendi, ut obstruatur os 
loquentium iniqua!. Noch besonders aber wurde Luther 
veranlaßt, sich mit den Aussagen der Väter über das Abend- 
mahl zu beschäftigen, durch Ökolampads Mitte September 
1525 erschienene Schrift De genuina verborum domini Hoc 
est corpus meum iuxta vetustissimos authores expositione 
liber?). Okolampad behandelt hier die Aussagen von 
Augustin, Cyprian, Ambrosius, Chrysostomus, Basilius, 
Tertullian, Origenes, Ignatius, lrenáus, Cyrill Hilarius, 
Gratian, Hieronymus. 

Darauf geht Luther in seiner im April 1527 im Druck 
vollendeten Streitschrift: Daß diese Worte Christi „Das ist. 
mein Leib“ noch fest stehen?) ein. „Am letzten wollen wir 
aueh der veter sprüch ein oder zween handeln, zu besehen, 
wie sie D. Ecolampad handelt?),“ Er beschäftigt sich 
insbesondere mit Augustin, Tertullian, Irenäus, Hilarius 
und Cyprian. 

In der hier zum ersten Male mitgeteilten Niederschrift 
Luthers haben wir dessen Vorarbeit für Weim. Ausg. 229, 21 
bis S. 237, 7 vor uns. Luther setzt sich mit Ökolampads. 
Aussagen über Irenáus?) auseinander. 


Die drei Stellen aus Irenäus sind folgende: 


l. Lib. IV. 29. 4. (Gr. IV. 32) — suis discipulis dans 
consilium, primitias Deo offerre ex suis creaturis, non quasi 
indigenti, sed ut ipsi nec infruetuosi, nec ingrati sint, eum 
qui ex ereatura est panis, accepit, et gratias egit, dicens: 
Hoe est meum corpus. Et calicem similiter, qui est ex ea 


!) Enders 5, 115. 

?) Vgl. Weim. Ausg. 19, 447. 

3) Weim, Ausg. 23, 38 ff. 

^) A. a. O, S. 209, 28, 

5) De gennina expositione Bl. Giij s ff, 

°) Zitiert nach der Ausgabe von Harvey (Cantabr. 1857). 


58 58 


creatura, quae est secundum nos, suum sanguinem confessus 
est, et novi Testamenti novam docuit oblationem, quam 
Ecclesia ab Apostolis accipiens, in univero mundo offert 
Deo ei qui alimenta nobis praestat primitias suorum munerum. 

2. Lib. IV. 31. 3. (Gr. IV. 34): Quomodo autem constabit 
eis, eum panem, in quo gratiae actae sint, corpus esse 
Domini sui, et calicem sanguinis eius, si non ipsum fabricatoris 
mundi Filium dieant id est, Verbum eius, per quod lignum 
fructificat, et effluunt fontes, et terra dat primum quidem 
foenum, post deinde spieam, deinde plenum triticum in spica? 
Quomodo autem rursus dicunt carnem in corruptionem devenire 
et non percipere vitam, quae a eorpore Domini et sanguine 
alitur? — Quemadmodum enim qui est a terra panis, 
pereipiens invoeationem Dei, iam non communis panis est, 
sed Eucharistia ex duabus rebus consistens, terrena et 
coelesti: sic et corpora nostra percipientia Eucharistiam iam 
non sunt corruptibilia, spem resurrectionis habentia. 

3. Lib. V. 2. 1 (Gr. V. 2): Et quoniam membra eius 
sumus, et per creaturam nutrimur; creaturam autem ipse 
nobis praestat, solem suum oriri faeiens et pluens, quem 
admodum vult, eum calicem, qui est creatura, suum sanguinem, 
qui effusus est, ex quo auget nostrum sauguinem; et eum 
panem, qui est a creatura, suum corpus confirmavit, ex quo 
nostra auget corpora. Quando ergo et mixtus calix et factus 
panis pereipit Verbum Dei, et fit Eucharistia sanguinis et 
corporis Christi, ex quibus augetur et consistit carnis nostrae 
substantia; quomodo carnem negant capacem esse donationis 
Dei, quae est vita aeterna, quae sanguine et corpore Christi 
nutritur et membrum eius est? 


Zum Teil hat Luther diese Vorarbeit wörtlich in seine 
Schrift übernommen. Nur den ersten Spruch hat er unver- 
wertet gelassen, da das, was er darüber sagt, sich vornehm- 
lieh gegen die Papisten richtet. 

Noch sei bemerkt, daß das Papier, das Luther benutzt 
hat, 31,4 em lang und 21 em breit ist und als Wasser- 
zeichen die Sehlange hat. 

Unsere Handschrift bietet eine Ergänzung zu der dankens- 
werten Zusammenstellung der Originalhandsehriften Luthers 
in ,Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation 
veröffentlicht vou den Mitarbeitern der Weimarer Luther- 
ausgabe. Weimar 1917“. S. 256 ff. 


59 99 


Drey spruche stehen ym Irengo, welche vom Sacrament / 
lauten, (... schlecht von sich macht bose gedancken / kriegen ) 


Der Erst Lib 4 cap 32, laut also 


Vnser Herr (gab) da er seinen iungern radgab, das 
sie von seinen creaturn / solten erstlinge Gott opffern (nicht 
als durfft ers sondern auff das/sie nicht vn- 
fruchtbar noch vndanekbar weren) Nam er das 
brod / welchs eine creatur ist, vnd danck vnd sprach, 
das ist mein leib / Desselbigen gleichen den kelch, 
welcher auch ist eine creatur vnsers dinges [vnsers dinges 
über (fur vns)/bekandte er das sein blut sey/ 
vnd lerete [lerete über (hat)] damit eine [damit über eine] 
new opffer ym newen testa / ment (damit gelert), Welchs 
die Christenheit von den Aposteln angenomen / hat, vnd 
opfert ynn der gantzen welt, Gott, der vns neeret, die 
erstlin / ge yhrer gaben, 

Dieser spruch (get) laut auffs erst, als sey die messe 
ein papisten opffer [papisten über opffer], (vnd» das lassen / 
wir gleuben wer do wil. Wir gleubens nieht, vnd halten 
das lreneus/ meynung sey, das brod vnd wein (das Chr» 
welche Christus ynn sein / fleisch vnd blut segenet, werde 
Gott also geopffert Nicht das ers bedurff /odder wir damit 
vergebung der sunden erlangen solten, wie die Papisten / 
yhre messe opffern, denn Ireneus streit an dem selbigen ort 
hart,/das gott nichts gebiete odder fodder von vns, als 
bedurffe ers, sondern / vmb vnser willen, das wir sollen vns 
danckbar vnd fruchtbar beweisen / wie seine eigen [eigen am 
Rande zugefügt] wort auch ynn diesem spruch da stehen 
Nicht als/durfft ers, Sondern das sie nicht 
vndanekbar noeh vn/fruchtbar seyen, weil 
denn seine eigen wort stehen, mussen / wir den sprach 
aueh naeh den selbigen seinen worten vnd nieht naeh / 
vnsern gedanekn richten, Das opffern bey yhm nichts anders 
sein / kan denn (lere? Gott dancken durch das sacrament 
brods vnd weins / welchs doch Christus leib vnd blut ist, 
Denn er spricht, man opffere / odder daneke damit dem 
Gott der vns neeret, das ist, brod vnd wein / ist vnser 
speise von gott geben drumb opffert man es ym sacrament / 
zu(m) dancken unserm Gott der vns neeret, Wenn die 
Papisten auff / die weise das opffer liessen bleiben, das es 
nur zu dancken, (vnd als ein) / geschehe, so hette es nicht 
hadder, Aber nu machen sie ein solch werck / draus damit 
sie gott versunen vnd den hymel verdienen vnd andern / 
erwerben / | 

Item zum andern laut er, als sey das sacrament eitel 
brod vnd wein / weil er spricht, Christus habe die Jungern 


60 | 60 


gelert von den creaturn / opffern vnd das brod vnd der 
kelch seyen Creaturn / Aber hie / ist aber mal seinen eigen 
worten zu folgen, da er spricht, das Christus / habe das 
brod, welchs eine Creatur ist (vnd) nach dem er gedanckt 
hat / dasselbige brod, seinen leib genennet, vnd den selbigen 
kelch sein blut / bekennet / Denn da stehen aber mal seine 
wort durr vnd klerlich / [Seite 2] Calicem similiter 
sanguinem suum confessus est, Et (Pane) Gratias egit / 
dicens, hoc est meum corpus, Denn wir leucken nicht, das 
brod vnd / wein ym sacrament [ym sacrament am Rande 
zugefügt] Creatur sind, aber gleichwol der leib vnd blut 
Christi, wie Ireneus / hie auch sagt Diesen spruch wird 
niemand anders mugen deuten / vnd ist der schwermer- 
geister glosen nichts, Denn er ist zu klar, / 


Der ander spruch lib 4 cap. 34 


Wie wollen sie wissen, das, das brod, daruber man 
danck, yhres herrn leib sey / vnd der kelch sein blut wenn 
sie nicht bekennen (den son des schepffers) / das er sey 
der son des schepffers der wellt? Diser spruch ist seer / 
starck vnd fest, Das ym sacrament Christus leib vnd blut ' 
sey Denn / er spricht Wenn (sie) die ketzer [die ketzer am 
Rande für (sie)| Christum nicht lassen Gotts son (seyn) 
vnd vnsern / herrn sein, so kennen sie viel weniger gleuben, 
das (g» das brod vnd / kelch sein leib vnd blut sey, also sey 
solehs von Christo geordent / vnd von den ketzern gehalten 
vnd sie doch [sie über doch| Christum nicht lassen herrn 
noeh / Gotts son sein / 

Item Gleich wie das brod [corr aus bros] von der erden, 
wenn es (empfehet bẹ vberkomt / das nennen (d) von Gott. 
so ists nicht mehr (ge) schlicht brod, sondern / sacrament 
(vnd be) welches |welches über (vnd beð] steht ynn zweyen 
dingen, einem yrdischen vnd einem / hymlisschen Also auch 
wenn vnser leibe das sacrament empfahen / sind sie (al) 
alsdenn nicht mehr verweselich weil sie die hoffnung / der 
aufferstehung haben, / Hie spricht er, wenn Got das yr/ 
dissche brod nennet odder namen gibt, ists nicht mehr schlecht 
brod,/ wo nennet ers aber? Da er spricht, Das ist mein 
leib, da nennet / ers seinen leib(t? / Item das Sacrament 
bestehet ynn zwey dingen / yrdisschem vnd hymlisschen, 
/ Oecolampadius (sp) deutet das also / Die zwey ding sind 
brod vnd wort, Aber man heisst nicht verbum /res Ireneus 
spricht aber, duabus rebus constat Eucharistia, Vnd/ 
Eucharistia constans illis duabus rebus [constans bis rebus 
am Rande zugefügt] fit vocatione dei [dei oben nach 
vocatione] ./. verbo, vt verbum sit efficiens Eucha / ristiam 
constantem duabus rebus celesti & terrena. Der spruch / 


61 61 


steht auch gewaltig Item (ym) am [am über (ym)] selbigen 
ort, spricht Ireneus / Wie sagen sie, das, das fleisch musse 
vergehen, vnd muge das leben / nicht bekomen, So es doch vom 
leibe vnd blut des HErn gespeyset wird. /Da sihestu das 
ym sacrament Christus leib vnd blut ist, weil vnser / fleisch 
vom leib vnd blut Christi geneert wird, Das ist noch mehr 
/ gesagt, denn das wir leiblich Christus leib vnd blut ym 
sacrament essen / vnd trincken Die ketzer hielten, das alleine 
die seele selig wurde/der leib müste vergehen, daraufit 
sagt Ireneus, wie solt der leib nicht / auch selig werden, 
geneusst er doch hie auft erden einer ewigen lebendigen / 
speise, das ist des leibs vnd bluts Christi? / 


[Seite 3] Der dritte spruch Lib. 5. cap 5. 

Gleich wie er auch den kelch (welcher ein creatur ist, 
(se) bekennet, das/sein leib ist, durch welchen er unser 
leibe (mehret) stercket [stercket über (mehret)], Wenn nu / 
der eingeschencke kelch, vnd das gemachte brod (das) gotts 
wort [wort gotts} (so) bekomet/so wirds das sacrament 
des leibs vnd bluts Christi Durch welche / vnsers leibs natur 
(wechst) zu nympt vnd erhalten wird Wie thuren / sie denn 
leucken, das der leib nicht solte (der gottlichen gaben gotts) / 
fehig sein der gaben Gotts, welche ist das ewige leben, so 
er doch vom/leibe vnd blut (das her) Christi gemeeret 
wird vnd sein gelied ist / 

Hie sagt er ia auch durre eraus, Das vnser leib ge- 
mestet wird, durch / den leib vnd blut Christi, ym sacrament 
empfangen, Welehs doch gar/ein vngehorte rede ist Zu 
vnsern Zeiten, Ja auch Zu Augustins Zeiten / welcher spricht, 
Es sey eine speyse nicht fur den bauch, sondern fur / die 
seele, Aber Gott hatt wollen Ireneum vnd seins gleichen so / 
grob (wollen) dauon reden lassen, auff das die zukünfitigw 
ketzer musten / greiffen, wie die veter habens gewis gehalten, 
Das Christus leib/ vnd blut leiblich wurde genomen ym 
sacrament, Denn freylich / der leib vnd blut Christi nicht 
verdawet wird ym bauch noch / den leib mestet, Aber gleich 
wol sprieht Ireneus, das das brod / welchs eine Creatur ist 
vnd durehs wort gotts Christus leib wird / vnser narung sey 
vnd [vnser narung sey vad am Rande zugefügt] So [So 
über (So)] wird der leib damit gespeyset, nicht allein mit 
dem brod natur / lich, sondern auch mit dem leibe Christi 
geistlich, also, das (der) vuser /leib solle unsterblich sein 
vnd werden, vmb des vusterblichen leibs / Christi willen, den 
er Zu sich nympt vnd sampt dem brod isset, / Das ist 
Ireneus meynunge, das geben seine wort gewaltiglich / 

Hierumb konnen vnd sollen vos die wort Ireneus nicht 
yrren, da er/den keleh vnd brod Creatur nennet, (Abe) 


62 62 


Denn er unterscheidet / brod vnd kelch, wenn sie on Gotts 
wort sind, vnd wenn Gotts wort dazu kompt, On Gotts wort 
(spricht er) [(spricht er) am Rande zugefügt] ists schlecht 
brod, Aber durch gotts/ wort, wirds Christus leib, Er gibt 
Gotts wort die allmechtickeit / (wie billich) denn Gen primo 
(da) alle ding von yhn selbs nichts / waren, Als aber Gotts 
wort dazu kam vnd sprach, Es sey liecht 2c. / da war es 
80 bald liecht, wie das wort laut, Also hie auch, ehe / denn 
Gotts wort (dazu k) da ist, so ists schlecht brod, Aber 
wenn / das wort (da) Gotts dazu kompt vnd spricht, das ist 
mein leib, so ists / also bald sein leib, denn solch wort ist 
nicht vnser wort, das wir /sprechen, sondern Gotts wort, 
vnd Gott sprichts durch vns, Denn / wir habens nicht erdacht 
noch erfunden, sondern ist vns von yhm befolhen / 


Der ProzeB des Johannes Pollicarius. 
Von Otto Clemen. 


Zu den zahlreichen Korrespondenten des Zwickauer 
Rektors Christian Daum!) gehört Jakob Thomasius, der Vater 
des Christian Th., 1650 Konrektor, 1670 Rektor der Nikolai- 
schule in Leipzig, daneben Universitätsprofessor ?). 53 Original- 
briefe von ihm an Daum befinden sich in des letzteren 
Briefsammlung auf der Zwickauer Ratsschulbibliothek; dazu 
kommen Daums Antworten in dessen Konzeptbüchern. Die 
in flüssigem und durchsichtigem, nur manchmal etwas künst- 
lichem Latein abgefaßten Briefe gewähren eine anziehende 
Lektüre, und es macht Spaß, zu verfolgen. wie die beiden 
yelehrten sich mit grammatisch-lexikalischen und literar- 
historischen Fragen bombardieren und sich gegenseitig auf 
allerlei in Vergangenheit und Gegenwart aufmerksam machen, 
was den anderen interessieren könnte, — mitunter freilich 
scheinbar nur zu dem Zwecke, dem anderen mit den eigenen 
ausgebreiteten Kenntnissen zu imponieren. So weist z. D. 
Thomasius einmal (10. Juni 1653) den Zwickauer Rektor auf 
einen „Johannes Pollicarius Cygneus“ hin, „cuius extat 
historia de vita Lutheri“, und fragt jenen, ob dieser Polli- 
carius — das ist ja die Latinisierung von „Daum“ — ein 
Verwandter von ihm wäre. Daum beeilt sich, zu antworten 
(29. Juni 1653): „Pollicarius ille Cygneus, pastor Weißen- 
felsensis", habe nicht nur eine vita Lutheri verfaßt, sondern 
habe sieh auch in deutscher Sprache gegen den Naumburger 


1) Vgl.sein von R. Beck gezeichnetes Lebensbild in den Mit- 
teilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend, Heft 3, 
Zwickau 1891, S. 1 ff. 

*) Vel. Beck, M. Christian Daums Beziehungen zur Leipziger 
gelehrten Welt während der sechziger Jahre des 17. Jahrh., 2. Teil, 
Zwickauer Gymnasialprogramm 1894, S. 1f. 


64 64 


Bischof Julius von Pflug schriftstellerisch betätigt, er sei aber 
nur weitliufig mit ihm verwandt: ,fuit vel propatrui mei 
vel abpatrui filius“ 4), 

Zu den beiden Briefstellen macht sich ein kleiner Kom- 
mentar nötig. Daß Pollicarius eine Lutherbiographie ver- 
faßt habe, ist ein Irrtum beider Gelehrten. P. hat nur unter 
dem Titel „Historia de vita et actis reverendissimi viri 
D. Mart. Lutheri^ Melanchthons bekannte Vorrede zu dem 
„Tom. Il omnium operum M. Lutheri“ herausgegeben und 
Carmina quaedam de beneficiis, quae Deus per Lutherum 
orbi terrarum contulit. Item disticha aliquot de actis Lutheri“ 
beigefügt. Das Werkchen erschien erstmalig 1548 bei Ger- 
vasius Stürmer in Erfurt? Voraus geht eine Widmung an 
Fürst Georg von Anhalt vom 20. Okt. 1547. Das Auftreten 
des Polliearius gegen Pflug, auf das Daum Bezug nimmt, 
fällt ins Jahr 1557. Zuerst erschien von ihm folgende 
Schrift: Antwort / Auff das vergiffte büch / des Bischoffs 
zů Naumburg, welchs erst / lich blind, hernachmals aber 
vnder seinem na-/ men, zů Erffurd im offentlichen truck 
ist auf / gangen, wider vnsere Lehr vnd / Kirchen. / Durch 
/ Johannem Pollicarium, Pre- / diger zi Weissenfelß. / ... 
Getruckt zů Straßburg / durch Samuel Emmel. /M.D.LVIL®)/ 
Von Pflugs Schrift, die Pollicarius auf den Plan rief, besitzt 
die Zwickauer Ratsschulbibliothek folgenden Druck: Christ- 
liche er- /innerung vn ermanung Herrn Julij, Bisch- / offen 
zur Naumburgk: / an sein Volck*). / Als dann in Mainz 
„unter dem Namen Martini Venatorii^ eine Verteidigung jenes 
Hirtenbriefs erschien, erließ Pollicarius folgende Entgegnung: 
Von der Kirchen / Wider die zwey Bücher, des Bischoffs / 
zur Naumburg, -vñ Martini Venatorij, zů / Mentz vnd Erffurd 
im Truck außgangen, / wider vnsere Lehr vnnd / Kirchen, 2c. / 
Andere Antwort. / Magistri Johannis Pollicarij, Predigers / 


1) Beck, Daums Beziehungen S. 14. 

2) Ex, Zw. RSB. 11, 9. 44,. Vgl. Karl Hartfelder, Philipp 
Melanchthon als Praeceptor Germaniae, Berlin 1879, S. 604 Nr. 130; 
Christof Schubart, Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis, 
Weimar 1917, S. 22f, 132. 

5, Zw. RSB. 8, 6. 6,. 

t) Zw. RSB. 9. 6. 5,. 


65 65 


zů Weissenfelß, im Churfürstenthumb /Sachssen. /... Gedruckt 
zů Straßburg, bey Samuel Emmel, im Jar / M.D.LVII!). / 
Zum Schluß Abdruck eines Abschnitts aus Luthers „Wider 
Hans Worst“ 1541, der 1543ff, unter dem Titel „Von der 
alten, rechten Kirchen, was, wo u. wer sie sei u. warbei man 
sie erkennen soll“ u. „Von der neuen, falschen Kirchen ...“ 
erschienen ist?). 

Unter den Druckschriften des Pollicarius ist noch manches 
interessante Stück. Ein Zeugnis von ungewöhnlicher Ver- 
trautheit mit den altklassischen Autoren ist seine Ausgabe 
der Declamatio des Zacharias Lilius von Vicenza?) de fuga- 
eitate, miseria ef inconstantia vitae et omnium rerum hu- 
manarum mit zwei Anhängen: Eiusdem generis aliquot 
sapientum apophthegmata et Zrıyoduuera Graeca una cum 
interpretatione Latina, erschienen 1553 bei Georg Hantzsch 
in Leipzig*). Voraus geht ein Widmungsschreiben an den 
kursächsischen Kanzler Hieronymus Kiesewetter vom 3. Juni 
1553. Pollicarius bittet darin den Kanzler, einstweilen mit 
dieser Schrift verlieb zu nehmen, bis er ein großes auf 
fünf Bände berechnetes Geschichtswerk, an dem er seit fünf 
Jahren arbeite, vollendet habe. Noch erstaunlicher ist der 
SammelfleiB und die Vertrautheit mit der Bibel und den 
Vätern, die Pollicarius in folgender 1560 gleichfalls bei 
Hantzsch erschienenen Schrift offenbart: ENCHIRI DION. / 
Von den vor-/ nemesten Stücken vnd Ar- /tickeln Christ- 
licher Lahr, grund / vnd beweis, aus heiliger Sehrifft, / 
vnd den alten bewerten Patri-/ bus vnd Concilien,... Der 
Verfasser hat sie dem Rate seiner Vaterstadt gewidmet; das 
sehr schón gebundene Dedikationsexemplar verwahrt die 
Ratssehulbibliothek?). Polliearius hat auch ein Gesangbuchs- 
lied gedichtet: Ein naw andechtigs Lied vom ende der Welt 


1) Zw. RSB. 8. 6. 6,. 

2) Vgl. W. A. 51, 166, wo aber die Bezugnahme auf ones Ver- 
öffentlichang des Pollisrins fehlt. 

3?) Vgl. über ihn Hurter, Nomenclator literarius theologiae 
catholicae t. II, Oeniponte 1906, col. 1061sq. Hier wird von diesem 
Regularkanoniker nur angeführt: Breviarium orbis, Florenz 1493. 

*) Zw. RSB. 6, 10. 49, — 17. 9. 35,. 

5 1. 7. 1. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII 1. 5 


66 66 


vnd Jüngsten tage, Vnd wie die Gotlosen sollen doran ge- 
strafft werden,...in dem er über die sittlichen Schäden 
der Zeit klagt und immer wieder mit dem Refrain schließt: 
Wenn will ein end draus werden?!) Wir können uns jedoch 
hier nicht weiter mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit?) 
befassen — sein Erstlingswerk wird unten noch zu erwähnen 
sein —, sondern müssen zu der Korrespondenz Thomasius- 
Daum zurückkehren. | 
Ogleich Daum für den Sohn seines Urgroßonkels kein 
sonderliches Interesse bekundet hatte, behielt Thomasius den 
"Weißenfelser Pastor weiter im Auge und übersandte zunächst 
am 4. Oktober 1653 dem Zwickauer Freunde einiges Quellen- 
material über seinen Ahnen. Darunter befand sich eine 
Beichte, die Pollicarius am 26. Juli 1569 abgelegt hat und 
die uns unten noch beschäftigen wird. Am 17. Dez. 1653 
trug Thomasius dazu noch nach, daß diese confessio, die er 
aus einer Handschrift abgeschrieben hätte, im zweiten Teile 
der „Trostsprüche“ des Nikolaus Selnecker gedruckt stände, 
„sed dempto Pollicarii nomine“. Die Abschrift und die 
übrigen Notizen von der Hand des Thomasius sind jetzt in 
der Daumschen Briefsammlung nicht zu finden, jedoch ist 
der Verlust nicht weiter schmerzlich, da außer dem Abdruck 


1) Wackernagel, Bibliographie zur Geschichte des deutschen 
Kirchenliedes, Frankfurt a. M. 1855, Nr. 743. Das Lied des Pollicarius 
ist abgedruckt bei Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied 3, 
Leipzig 1870, Nr. 1257. 

?) Vgl. Rolermund, Fortsetzung und Ergänzungen zu Jóchers 
Allgemeinem Gelehrtenlexikon 10, Bremen 1819, Sp. 532 und Gódeke, 
Grundrifü 22, 190f. 98. — Der libellus megl dixacoovyns a pastore 
Leucopetraeo scriptus, den Melanchthon am 6, April 1552 nach Nürn- 
berg schickt (CR 7, 977), ist des Pollicarius „Antwort auf das Buch 
Osiandri von der Rechtfertigung des Menschen“, erschienen bei Veit 
Creutzer in Wittenberg (Bibliothek K. F. Knaake Abt. 3 = Oswald 
Weigel, Leipzig, Auktionskatalog N. F. 6 Nr. 858; W. Möller, Andreas 
Osiander, Elberfeld 1870, S. 491). — Über Übersetzungen Brenzscher 
Schriften von P. vgl. P. Flemming in der Zeitschrift des Vereins f. 
Kirchengesch. der Provinz Schsen 16, 11 Anm. Eine Schulpredigt des 
Job. Mathesius („Von der schule Elise, des großen Propheten Gottes, II, 
Regum III....*; Zw. RSB. 20. 7. 11) hat P. 1560 bei Georg Hantzsch in 
Weißenfels erscheinen lassen (Georg Loesche, Johannes Mathesius 2, 
Gotha 1895, S. 395 Nr. XIV 1). 


67 67 


bei Selnecker noch ein zweiter Abdruck der confessio vor- 
liegt und ein späteres Schreiben in der Daumschen Brief- 
sammlung ftir die tibrigen verloren gegangenen Notizen reich- 
lich Ersatz bietet, Thomasius suchte nämlich auch noch 
später Daum bei dessen genealögischen Studien gefällig zu 
sein und bat Christian Weise, den nachmaligen Zwickauer 
Rektor und bekannten Pädagogen und Dramatiker, als dieser 
Professor für Politik, Eloquenz und Poesie am Weißenfelser 
Gymnasium Augusteum geworden war’), nach dem einstigen 
dortigen Superintendenten archivalische Nachforschungen an- 
zustellen. Weise, der nicht wußte, daß Thomasius diese 
Anfrage Daum zuliebe an ihn gerichtet hatte, antwortete 
zunächst kurz, vertiefte sich aber dann in die Akten und 
teilte das wichtigste daraus Daum unterm 3. Aug. 1676 mit. 
Dieses Stück, die Hauptquelle für die interessanteste Episode 
aus dem Leben des Pollicarius, da er vielleicht gar nicht so 
schlimme sittlicheVerfehlungen mit unverhältnismäßigschwerer 
und langer Kerkerhaft büßen mußte, ist im Anhang abgedruckt. 
Ehe wir jedoch auf diese mit dem Jahre 1569 einsetzende 
Episode eingehen, müssen wir einfügen, was sich über die 
vorausgehenden Lebensschicksale des Pollicarius ermitteln läßt. 

Er wird 1524 geboren sein?) Im Winter 1542 wurde 
er in Leipzig, am 21. Jan. 1545 in Wittenberg immatrikuliert: 
am 1. Sept. 1545 wurde er hier magister artium. Zwischen 
seiner Leipziger und Wittenberger Studentenzeit war er an 
der Schule in Rochlitz tätig. Wir besitzen nämlich eine 
1544 bei Joh. Oporinus in Basel erschienene Schrift von ihm: 
De recta et ordinata voeum compositione libri III. Joannis 
Polliearii Cygnaei opera in studiosorum gratiam collecti 
nuneque primum in lucem editi?) Das an den Zwickauer 
Bürgermeister Oswald Lasan gerichtete Widmungsschreiben 
ist datiert: Rochlicii ex schola nostra 1544 in ipsis feriis 
Johannis Baptistae, hoc est VIII idus Junij (24. Juni). Der 
Verfasser bezeichnet sich darin als Schüler des Petrus Pla- 
teanus und des Joachim Camerarius; er wird also auf dem 


1) Vgl. über Weise ADB 41, 523 ff. 

?) In der bei Flemming a. a. O, zitierten Vorrede von 1584 
schreibt er: „Meins Alters im 60,“ 

3) Zw. RSB. 4. 10, 18,. 


68 68 


Zwiekauer Gymnasium, das unter dem Rektorate des Plateanus 
seine höchste Blüte erreichte !) für die Leipziger Universität 
vorgebildet worden sein. Gleich nach seiner Magisterpromotion 
richtete er an Antonius Musa, Superintendenten in Merseburg, 
ein Gesuch um Anstellung in dessen Ephorie; Musa gab das 
Gesuch unterm 20. Sept. 1545 an Fürst Georg von Anhalt, 
den neugeweihten Bischof, weiter °); am 20. Dez. wurde er 
von diesem für das Diakonat in Laucha (Ephorie Freiburg 
an der Unstrut) ordiniert?). Von hier siedelte er bald als 
Diakonus nach Weißenfels über. Schon am Schlusse des 
oben erwähnten Widmungsschreibens an Fürst Georg vom 
20. Okt. 1547 nennt er sich „apud Weisenfelsenses verbi 
Dei minister“. Desgleichen erscheint er in einer mir un- 
bekannt gebliebenen Druckschrift mit Vorrede vom 16. Jan. 1548 
(,Etzliche Bußpredigten Brentii verdeutschet^) als „Prediger 
zu Weißenfels“ *). Hiermit ist schwer zu vereinigen, daß er - 
unterm 6. Mai 1548 eine Vorladung vor das Merseburger 
Konsistorium erhielt, „weil er das Pastorat von Querfurt 
aufgegeben habe und das Diakonat von Weißenfels, über 
das er vorher so oft wegen der vielen Arbeit und des ge- 
ringen Einkommens Klage geführt hatte, wiederzubekommen 
wünsche“. 5) 

Auch über der weiteren geistlichen Laufbahn des Polli- 
carius liegt ein Schleier. Nach dem Weißenfelser Chronisten 
Heydenreich®) wurde er am 24. März 1561 vom Kurfürst 


1) Herzog, Gesch. des Zwickauer Gymnasiums, Zwickau 1869, 
8.8.17. 76f. E. Fabian, M. Petrus Plateanus, Zwickauer Gymnasial- 
programm 1878, S. 8ff, 

2) O, Clemen, Archiv für Reformationsgesch. 9, 49. Musa schreibt 
ausdrücklich: „Est doctus et bonus, sed in ministerio Euangelico 
hactenus non est versatus, quare nihil gravaretur diaconi vices 
interim subire.“ Schon hieraus folgt, daß er nicht schon 1540 Pfarrer 
zu St. Afra in Meißen gewesen sein kann, wie Kreyßig, Album der 
evangelisch-lutherischen Geistlichen im Königreiche Sachsen?, Crim- 
mitschau 1898, S, 3 meint. 

3) Flemming a. a. O. S. 10. 

4) Flemming S. 11 Anm. 

5) Ebd. 

* G. H. Heydenreich, Kirchen- und Schulchronik der Stadt 
und Ephorie Weißenfels seit 1539, Weißenfels 1810, S. 167, 


69 69 


August zum Superintendenten von Weißenfels und Freiburg 
bestellt, Dem widerspricht, daß er sich schon im Titel der 
oben erwähnten, wohl im März 1552 erschienen „Antwort 
auf das Buch Osiandri^ Pfarrer und Superintendent zu 
Weißenfels nennt. Dagegen stimmt zu Heydenreichs Angabe 
ein Brief des Pollicarius vom 2. Juli 1555, adressiert: „Jacobo 
Wigando, Pastori ac Superintendenti WeiDenfelsensi*, in dem 
er diesem einen Verwandten für das Pfarramt in Weischiitz 
(Ephorie Freiburg) empfiehlt!) Auffällig ist nun aber wieder 
an dem Briefe, daß er datiert ist: „Fryburgi ...“ War 
Polliearius vertretungsweise oder sonst vorübergehend dort 
tätig? In Veröffentlichungen von 1554 (Historia von der 
Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, Vor- 
rede vom 19. Nov. 1553)?), 1556 (Trostspiegel der armen 
Sünder, Vorrede vom 12. April 1556)°), den Streitschriften 
gegen Pflug von 1557 und der Ausgabe von Mathesius’ 
Sehulpredigt von 1560 (s. o. nennt er sieh einfach, wie 
sehon 1548, darum freilich vom Merseburger Konsistorium 
zur Rede gestellt, „Prediger zu Weißenfels“. 

Sicher war er Superintendent, als er wegen ürgerlichen 
Lebenswandels abgesetzt und am 23. Sept. 1568 auf das 
Weißenfelser Schloß abgeführt wurde. Wir folgen nun den 
Nachrichten, die wir Christian Weise verdanken. Als er 
sich weigerte, Angaben tiber den Verkehr mit einer Dirne, 
die er aus Furcht vor der Tortur getan hatte, zu wieder- 
holen, befahl Kurfürst August unterm 4. Mai 1569. dem 
Hauptmann, ihn einmauern zu lassen, bis er verhungere. 
Weise meint, das Gebot sei nicht ernst gemeint*), sondern 
darauf berechnet gewesen, Pollicarius zu erschreeken und das 
Schuldbekenntnis, das man von ihm hören wollte, aus ihm 
herauszupressen; der Hauptmann habe die Nebeninstruktion 
erhalten, den Polliearius, wenn er die Aussage verweigere, 
in einem unterirdischen Gefüngnis bei Wasser und Brot fest- 


) Enders, Beiträge zur bayerischen Kirchengesch, 3, 146f. 

?) Zw. RSB. 12. 6. 19,. 

3) Zw. RSB. 36. 3. 1.4. 

^) Bei der Grausamkeit, die ,Vater August“ gegen Peucer, 
Cracow, ferner gegen Wilddiebe betätigt hat, wäre ihm dies aber doch 
zuzutranen! 


10 10 


zuhalten. Dieser Fall trat ein, und Pollicarius wurde in 
eine finstere, feuchte Höhle, neun Ellen unter dem Erdboden, 
geworfen. Am 26. Juli wurde er vorübergehend daraus be- 
freit, beiehtete in einer Stube des Schlosses den beiden 
Diakonen Augustin Jonas!) und Georg Lysthenius?) und 
empfing darauf die Absolution und das heilige Abendmahl. 
Aber erst 1570 wurde ihm eine etwas mildere Behandlung 
zu teil, und erst am 22. Sept. 1573 verfügte der Kurfürst, 
daf er in ein helles Gemach überführt wurde, wo er lesen 
und meditieren konnte. Seine volle Freiheit erlangte er 
erst 1578 wieder. i 

Die confessio des Pollicarius vom 26. Juli 1569 ist außer 
bei Selnecker *) abgedruckt in der „Fortgesetzten Sammlung von 
Alten und Neuen Theologischen Sachen“ 1728, S. 506 —21. 
Lysthenius hat diesen Bericht als „Beichtvater der Frau 
Äbtissin in Weißenfels“ für dieselbe aufgesetzt. Es ist das 
eben die Schwester des Kurfürsten August Sidonia, die mit 
Herzog Erich U. von Braunschweig-Calenberg vermählt ge- 
wesen war, auf deren Fürsprache Weise die Milderung in 
dem Verfahren gegen Pollicarius zurückführt. Die beiden 
Diakonen trafen den Unglücklichen in einem ganz elenden 
Zustand: „Da wir denn beyde einen anderen Pollicarium an 
Form und Gestalt mit aufgelaufenem Leibe, als ob er wasser- 
süchtig wäre, auf der rechten Seite ineinandergewachsen und 
gekrümmet, darzu verdorret und gar vermattet gefunden .. .“ 
Und Pollicarius selbst schilderte seine Lage: , und obwohl dieser 
mein armer, niehtiger, ausgehungerter, verdorreter, krummer 

1) Vgl. über ihn Flemming 8. 20. Er wurde 1574 Superintendent 
von Weißenfels (Pollicarius Nachfolger?), starb aber schon 1575, 

2) Vgl. über ihn ADB. 18, 778; Kreifig S. 122. Er wurde 1572 
Superintendent in Liebenwerda, 1573 Hofprediger in Dresden, 1587 
Superintendent in Weißenfels und starb 1596. 

3) Christliche, / Vnd / Sehr Schóne / Trostsprüche, vor engstige, / 
betrübte, vnd verfolgte Christen: / .. . In Leypzig, bey Johan. Beyer. 
1593 / 2. Teil S. 185—201: „Confessio cuiusdam. captivi pastoris ex 
carcere ad absolutionem et communionem accedentis et multis lacrymis 
effusis ita loquentis." — Herausgeber der ,Trostsprüche" ist Nikolaus 
Selneckers Sohn Georg, Superintendent in Delitzsch. In der Vorrede 
erwähnt dieser, daß sein Vater den 2. Teil als Flüchtling „in seinem 
dazumal miihseligen Zustande Anno 90 im Kloster Berga vor Magde- 
burg colligiert^ habe. 


71 Ti 


und vermatteter Leib ... unter die Erden gesteckt, den giftigen 
Würmern, Schlangen und Kröten zur Speise an einer Ketten 
vorgelegt wurde, denn, lieben Brüder, ich hange mit meinem 
Bein an einer Eisenfessel, da setzen mir die giftigen Würmer 
sehr zu, muß mich immer mit ihnen schlagen ...“ — Aber 
fleischlicher Sünden bekannte er sich nicht schuldig, sondern 
beklagte nur den „verdammten schrecklichen Saufteufel“, 
der ihn „dazu bracht“ hätte. 

Ruft schon diese confessio unser Mitgefühl wach, so erst 
recht noch ein zweites Aktenstiick, das uns im Wortlaut 
bekannt geworden ist’). Es ist ein Gnadengesuch, das der 
gleichnamige Sohn des Johannes Pollicarius für seinen Vater, 
bald nachdem dieser jene Beichte abgelegt hatte, an die 
Kurfürstin Anna gerichtet hat. Der Bittsteller trägt hier 
zunächst über seine Personalien folgendes vor: Er habe sich 
vor ungefähr vier Jahren von seinem Vater getrennt und sich 
erstlich nach Rostock auf die Universität zum Studio be- 
geben, hernachmals sei er nach Kopenhagen gezogen und, 
nachdem er dort auch eine Zeit lang studiert, habe er einem 
Rufe auf die dänische Insel Fehmarn Folge geleistet und 
allda Schule und Kirche gedient. Vor kurzem sei nun sein 
jüngerer Bruder zu ihm gekommen mit der Botschaft, daß 
ihr Vater „in einem thurm vormauert, an eine ketten ge- 
schlossen und den dag nicht sehen kan, ihm auch nicht 
mehr des dages den auf einmal ein wenig trucken brod und 
eine kandel wassers tzur speise und tranck gereichet wurde“. 
Er sei sofort nach Weißenfels abgereist und habe dort die 
Lage seines Vaters noch schlimmer gefunden, als sie ihm 
gemeldet worden sei. Er habe gar nicht zu ihm vordringen, 
kein Wort mit ihm reden können; an dem alten Manne sei 
nicht mehr als Haut und Bein zu sehn, tags und nachts 
müsse er sich mit Schlangen, Kröten und Ratten herum- 
schlagen, „wie mich die leute berichtet, die ihnen gesehen, 
da er seine confessionem oder bekentnus gedan.“ Der Bitt- 
steller fleht nun um Gnade für den alten Vater und schließt 
— ein rührendes Zeugnis opferwilliger Kindesliebe — mit 
dem Erbieten: „so will ich selbest zu erledigung meines 


1) Th. Distel, ZKG. 11, 167 ff. 


72 72 


armen vaters, da er es verwirket haben sollte, mein leben 
lassen und, so er keine gnade erlangen mag, mich an seine 
stadt, darmit er entlediget, stellen." 

Der Bittsteller ist sicher identisch mit dem in Weises 
Briefe erwähnten ältern Sohne Johannes, von dem es dort 
heibt: in eausa parentis fuit oceupatissimus, zugleich auch 
mit dem ebenda begegnenden angeblieh dritten namenlosen 
Sohne, der ecclesiastes in Dania gewesen sein soll. Daß 
Johannes Polliearius iunior Geistlicher in Guhrau in Schlesien 
gewesen sei ist dagegen wohl eine Verwechslung Weises 
mit einem aus Sehlesien stammenden Magister Daumius, von 
dem Thomasius am 10. Juni 1653 an Daum schreibt, daf er 
ihn vor zwölf Jahren in Wittenberg kennen gelernt habe. 

Ganz dunkel sind die Lebensausgänge des einstigen 
Weißenfelser Superintendenten. Einer Nachricht zufolge 
erhielt er nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis aus 
Kommiseration und zur Pönitenz die Pfarre Mark werben }), 

Aus der Vorrede an den Rat zu Regensburg von 1584 zu 
einer mir nicht vorliegenden Drucksehrift von ihm von 1586 
(„Zwo erschreckliche Historien erklärt durch Brentium und 
hirnach verdeudschet“) scheint sich zu ergeben, daß er 1584 
als exul in Regensburg weilte?). Vielleicht ist er 1588 über 
Rostock nach Kurland gereist, dort Hofprediger der Herzogin- 
witwe Anna geworden und in diesem Amte in hohem Alter 
gestorben ?). 

Polliearium WeiBenfelsensem quod attinet, equidem 
memini Thomasium ex me quaerere, num aliqua mihi de 


viro essent cognita. Sed nesciens talia quaeri in gratiam 
elarissimi viri et tum respondi brevius et in posterum ne 


1) Tob. Schmidt, Chronica Cygnea, Zwickau 1656, S. 484. 

? Flemming S. 11 Anm. 

3) Davidis Chytraei epistolae, Hanoviae 1614, S. 824 (vgl. 
Joachim Feller, Cygni quasimodogeniti, Lipsiae 1686, Fol. C 2a): 
Chytráus an Jeremias Homberger aus Graz, damals in Regensburg 
(wo P. 1584 als exul weilte!), Rostock 22, Sept. 1588: ,Misi in Cur- 
Jandiam Joh. Pollicarium senem, qui casu ad nos venit, cum ante 
- 90 annos Weisenfelsae in Misnia Superintendens fuisset.“ — Nach 
Theodor Kallmeyer, Die evangelischen Kirchen und Prediger Kur- 
lands, 2. Ausg. v. G. Otto, Riga 1910, S. 576 wurde hier M. Joh. Poli, 
aus Weißenfels, der seit 1567 in Rostock studiert hatte, Hofprediger 


73 13. 


quidem fui solicitus, ut accuratiora cognoscerem. Nune, quae 
ex archivo Praefecturae nostrae excerpere potul, hie habe. 
D. 23. Sept. 1568 in custodiam areis Weißenfelsensis (quae 
nune plane aliam induit faciem) missus est. Postea et pla- 
cide et rigide, fallor? et per torturam de eriminibus fuit 
examinatus. Cum autem [fateretur quidem se cum tribus 
ancillis, quo tempore fuisset viduus, imo post repetitas nup- 
tias, rem habuisse, quarum una pulchrae Lenae s. Magda- 
lenae, ut arbitror, nomine fuerat celebris, neque tamen, quod 
ob metum torturae affirmaverat, confirmare vellet, se cum 
Lena, quamdiu habuisset maritum, consuevisse, d. 4. Maji 1569 
rescripsit Elector ut muro undique clauderetur, donee fame 
periret. Monitus interim Praefectus est, talia saltem esse 
seripta in terrorem, ut promptiorem ederet confessionem: 
quod si tamen perseveraret negare, mitteret eum in carcerem 
subterraneum, ibidemque tenui pane et aqua sustentaret. 
Ita coniectus in speluneam novem ulnas profundam cum 
tenebris, eum tentationibus Diabolieis, imo cum lacertis et 
serpentibus est conflictatus. Extractus inde d. 26. Julii 
eiusdem anni, antequam in conclavi areis sacram indipis- 
ceretur synaxin, confessionem edidit plane singularem, euius 
copiam a Thomasio tibi faetam suspicor. Sed remissus est 
in custodiam, donee 1570 mansuetiori carceri traderetur, ubi 
tamen lucis usura nondum frui potuit. D. 22. Sept. 1575 
Electori demum placuit, ut in lucido conclavi detineretur, 
ubi lectionibus et meditationibus indulgere sine impedimento 
posset. Quo anno fuerit liberatus, in actis non invenio: eolligo 
tamen ex circumstantiis infra exponendis faetum 1578. Liberos 
ex priori matrimonio habuit plures. In aetis nominantur 
Johannes et Philippus. Johannes postea Magister factus 
funetionem Eeclesiastieam Gurae in Silesia impetravit ac in 
eausa Parentis fuit occupatissimus. Aliquis etiam dieitur 
Praedicans s. Ecclesiastes in Dania, euius nomen non additur. 
Filiam habuisse inde constat, quod Pastor Karsdorfensis 
eiusdem gener audit. Altera uxor Agnes Mackenrodia 
Franekenhusensis, ut auguror, paulo ante captivitatem ei 
nupsit. Primum enim in vincula coniectus ad Electorem 
seribit Pollicarius gravidam prima vice esse uxorem. Sororem 
ea habuit Pauli Müldneri Civis Weissenfelsensis uxorem, qui 


—————M—— — —— 


der Herzoginwitwe Anna und war als solcher am 5, u. 6. Nov. 1590 
nebst mehreren anderen kurländischen Pastoren als geistlicher Richter 
in einem Injurienprozeß auf dem Mitauer Schlosse tätig. Steht die 
Identifizierung des Hofpredigers mit dem Rostocker Studenten quelien- 
mäßig fest, dann wäre Joh, Pollicarius jun. gemeint, und der Vater 
würe wohl nur zum Besuche des Sohnes 1588 von Rostoek nach Kur- 
land gereist, 


74 74 


eum Pollicario gravissimas ac atrocissimas habuit contro- 
versias. Ipsa Agnes maritum e custodia dimissum sequi 
noluit eumque in finem e Consistorio Lipsiensi 1578 saepius 
admonita tandem e civitate fuit eiecta. Johannes privignus 
novercae objicit scelera turpissima, consuescere ipsam cum 
juvenibus, et esse Sartorem, cui quasi maritalem benevo- 
Jentiam concederet, unde factum, ut 1579 in exilium missa 
poenas malitiae dederit. Pollicarius senior in libertatem 
redaetus dieitur in popina quadam Martisburgensi ad cantum 
fidieinis ancillas in choream protraxisse, ne quid addam 
amplius. Sed quantum conjicio, fabulae a Muldenero, pessi- 
maque et perfida uxore traxerunt originem. Si enim vel 
maxime proclivis ad libidinem fuisset animus, certe senem 
tot malis et miseriis fractum tam subito rediisse ad castra 
eupidinis vix est probabile. Alii referunt eum, in dieendi 
suavitate incomparabilem, in Churlandia denuo ad eathedram 
Ecclesiasticam fuisse promotum. At sieut de loco certi nihil 
habeo, sie, quousque talia eredi debeant, non video .. 

Iam scripseram literas, ubi amicus antiquitatum Weissen- 
felsensium callentissimus refert Polliearium ad perpetuos 
carceres destinatum intercessione Sidoniae fuisse liberatum. 
Fuit ea Augusti Electoris soror ac Erico juniori Duci Brunsvic. 
nupía; quod decem annis maritum aetate superaret!), ab 
eodem contempta in coenobio Weissenfelsensi vixit. Sed 
ista iam d. 5. Jan. 1575 diem obiit, ut exinde brevior in- 
carcerationis terminus videatur ponendus. Antea enim augu- 
rabar pene completum fuisse decennium. Sane Acta tempo- 
ribus bellieis nimium mutilata dubium non solvunt. Forte 
etiam Sidonia 1573 impetravit molliorem custodiam. 


1) Sidonia geb. 8. März 1518, Erich 10. Aug. 1528. 


Mitteilungen. 


Aus Zeitschriften’). 
(Schluß von Heft 68). 


Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrichs II von der 
Pfalz (1544—1556) gibt A. Hasenclever in ZGOberrh. NF. 35,3 
S. 278—312. Im ersten verfolgt er an der Hand der gedruckten 
Auszüge aus den Ordensprotokollen Friedrichs Stellung als Ritter des 
Goldenen Vließes und zeigt, daß der Pfälzer sich nicht zu einem willen- 
losen Werkzeug der den Orden beherrschenden kaiserlichen Politik 
herabgewürdigt, dafür aber auch als Vließritter keine bedeutsame 
Rolle gespielt hat. Der zweite Beitrag betrifft Friedrichs Verhalten 
in dem zwischen der kurpfälzischen Regierung und dem kaiserlichen 
Kabinett schwebenden, unerledigt gebliebenen Streitfall um die sog. 
Kirchengüter von Deventer, der zur antikaiserlichen Richtung der 
kurpfälzischen Politik wesentlich beigetragen hat. Zum Schluß stellt 
H. auf Grund des von Bossert in dieser Zeitschr. veröffentlichten 
Melanchthonbriefes (Bd. XVII S.70) fest, daß der Sekretär und Biograph 
Friedrichs, Hubertus Leodius, seinen Herrn überlebt hat. 

In den Monatsh. f. Rhein. KG, 14. Jahrg. S. 126—137 veröflent- 
licht Th. Wotschke („Ein Freund Paul Ebers“) aus der Gothaer 
Staatsbibliothek Briefe des Kölner Professors der hebr. Sprache Johann 
Isaak an Paul Eber literarischen Inhalts von 1558, 1562 und 1565 
nebst einem Trostbriefe Ebers an Adolf von Strahlen in Köln von 1563 
(Schluß soll folgen). 

Den Originaldruck der Tabula über 1. Joh. 2 von Johannes 
Mathesius (Loesche I, 639) weist O, Clemen in einem Sammelband 
der Zwickauer Ratsschulbibliothek nach (Nürnberg 1563). Gleichzeitig 
führt er die ebendort befindlichen sonstigen Druckschriften des M. 
auf. Mitt. V. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen 58 Heft 1/2 (1919) 
S. 105 f. 

Über Balthasar Merklin aus Waldkirch, Propst dort und Reichs- 
vizekanzler unter Karl V., in seiner politischen Wirksamkeit handelt 
auf Grund der gedruckten Literatur Ad. Hasenclever in ZGOberrh. 
NF. 34 S. 485—502 und 35 S. 36—80. Der Schwerpunkt der amtlichen 


1) Die Schriftleitung ersucht die Herren Verfasser hóflichst um 
Zusendung einschlägiger Zeitschriftenaufsätze zur Anzeige an dieser 
Stelle. 


76 | 76 


Tätigkeit Merklins liegt in seiner wichtigen Mission nach Deutsch- 
land 1528, der Hasenclever im einzelnen nachgeht. Damit enden die 
ausführlicheren Nachrichten über M., der anscheinend kurz vor seinem 
Tode (+ 28. Mai 1531) vom Kaiser in Ungnaden entlassen worden ist. 
Das Schlußurteil H.'s über M. ist doch wohl, obschon er auch der 
Schwächen dieses gedenkt, zu günstig gehalten. 

Einen Neudruck der nur in wenigen Abzügen des Originaldrucks 
(von 1528) noch vorhandenen Streitschrift Th. Murners „Des alten 
christlichen Bären Testament“ veranstaltet mit ausführlicher Einleitung 
M. Scherrer im Anz. f. Schweiz. G. Jahrg. 50 (NF. Bd. 17) S, 6—88, 

P. Althaus, Der Verfasser und die ursprüngliche Gestalt des 
Liedes , Aus meines Herzens Grunde" (des angeblichen Lieblingsliedes 
Gustav Adolfs) weist als Verfasser den ,frommen Hauptmann" Georg 
Niege (Nigidius) zu Allendorf (1525—1588) nach und bespricht die 
auf der Berliner Staatsbibliothek befindliche hsl. Hinterlassenschaft 
Nieges an geistlichen Liedern. Theol. Festschrift für G. N. Bonwetsch 
(1918) S. 80—103. 

Eine sorgfältige ,Oekolampad-Bibliographie, Verzeichnis der 
im 16. Jahrhundert verfaßten Oekolampad-Drucke“ veröffentlicht E. 
Staehelin in Basler Zeitschrift für Gesch. u, A. Bd. 17, 1 (SA., 119 S). 

In einer Abhardlung über die Anfänge der Hildesheimer Stifts- 
fehde würdigt Elsa Varnové auch die Chronik des Luthergegners 
Johann Oldecop und stellt fest, daß die von O. erst 1561 begonnenen 
Aufzeiehnungen nicht nur ungenaue Zeitangaben, sondern auch un- 
richtige Wiedergabe der Tatsachen und falsche Begründung der Er- 
eignisse enthalten: ZHV. Niedersachsen Jahrg. 84 (1919) S, 169—240 
(bes. 224 ff.). 

Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten 
Theologen der polnischen Reformation, stellt bis zum Jahre 1562, wo 
er nach dem Bruch mit der reformatorischen Kirche eine eigene Ge- 
meinde, die ecclesia minor, bildete, Th. Wotsohke in Z. f. Brüder- 
gesch. 14. Jahrg. S. 1—32 dar unter Beigabe von fünf Stücken seines 
Briefwechsels (aus dem Herrnhuter Archiv). 

Auf Grund von Briefen des Weimarer Ges. À., die anhangsweise 
mitgeteilt werden, schildert P. Vetter den gelehrten Pfarrer von 
Oelsnitz und dramatischen Dichter Paul Rebhuhn in den wirtsehaft- 
lichen Nöten, in die ihn die Übernahme der Pfarre gestürzt hatte: 
NASG, 41 S, 43—78. 

P. Kalkoff, Wimpfelings letzte lutherfreundliche Kundgebung, 
würdigt die Stellung des Elsässischen Humanisten im beginnenden 
Glaubensstreit unter besonderer Rücksicht auf die anonym erschienene 
und damals nicht gedruckte Streitschrift „Apologia Christi pro Luthero": 
ZGOberrh. NF. 35,1 S. 1—35. 


Landschaftliches. Im Jahrgang 22 (1918) 8. 3—41 der 
NF. der Bll. f. Württemberg. KG, beendigt Pf, Rentschler die Gesch. 
der „Einführung der Reformation in der Herrschaft Limpurg“. 


77 77 


In den Franziskan. Studien VII, 9 S. 156—165 beschreibt und 
veröffentlicht A. Schaefer die Aufzeichnungen des Franziskaner- 
observanten Joh. Ulrich von Kaisersberg über seine Verhandlungen 
mit Konrad Sam vor dem Ulmaer Rat am 5. August 1527 aus einer 
Hs. der Stuttgarter Landesbibliothek. 

Das Freiburger Diözesanarchiv gibt auch in den Bänden 19 
und 20 der Neuen Folge (46. und 47. Bd. der ganzen Reihe) über- 
wiegend „Beiträge zur Reformationsgeschichte Badens“, meist 
aus den Akten geschöpft, leider jedoch nicht unbefangen, sondern 
von einseitig katholischem Standpunkt aus dargestellt. So vor allem 
Bd. 19 S. 1—80 P. Albert, Die reformatorische Bewegung zu Freiburg, 
wo ein der katholischen Sache abgünstiger Bericht eines Augenzeugen 
kurzweg als „in allen Stücken unzutreffend* bezeichnet wird, während 
was Bürgermeister und Rat an König Ferdinand — offensichtlich 
dessen Wünschen angepaßt — über ihre kirchliche Haltung schreiben, 
„um so wahrer“ ist. Daß die Reformation in F. durch Ferdinand nur 
mittels brutaler Gewalt unterdrückt werden konnte, liegt j& ohnehin 
durchaus zu Tage. — Die weiteren Beiträge sind: H. Lauer, Die 
Glaubensneuerung in der Baar (S. 71—119); K. Gröber, Die Refor- 
mation in Konstanz von ihrem Anfang bis zum Tode Hugos von 
Hohenlandenberg 1517—1532 (S. 120—322); Jos. Sauer, Reformation 
und Kunst im Bereich des heutigen Baden (S. 328—506). — Bd. 20: 
K. Fr. Lederle, Zur Geschichte der Reformation urd Gegenreformation 
in der Markgrafschaft Baden-Baden vom Tode Phiiiberts bis zum Ende 
der kirchlichen Bewegangen (S. 1—45); E. Fleig, Die Aufhebung des 
Klosters Herrenalb (S. 46—112); H. Lauer, Die theologische Bildung 
des Klerus der Diózese Konstanz in der Zeit der Glaubensneuerung 
(S. 118—164). Vgl. auch Fr. Hefele, Die kirchengeschichtliche Lite- 
ratur Badens 1914—1918 (S. 184—199). 

Die Mäagel und Einseitigkeiten des Aufsatzes von K. Rieder zur 
Reformationsgesch. des Dominikanerinnenklosters in Pforzheim (im 
Freiburger Diözesanarchiv, s. diese Zeitschr. Bd. 16 S, 112) ergänzt 
und berichtigt G. Bossert in ZGOberrh. NF. 34 S. 465—484. 

Seine Beiträge „Zur Geschichte der Gegenreformation im Bistum 
Konstanz“ (vgl. diese Ztsch. Bd. 16 S. 112£.) bringt K. Schellhaß 
in 2 weiteren Abschnitten (ZGOberrh. NF, 34 S. 145—171 u. 278—299) 
zu Ende; in der Buchausgabe wird sich jedoch noch ein Schlußkapitel 
anschließen, die beiden Abschnitte behandeln im wesentlichen die 
Schicksale des Abtes Oechsli im Jahre 1581. 

Einen Brief des Peter van Ceulen an Beza über die von Rom 
aus wie durch die Umtriebe der Sektierer gefährdete Lage der Kölner 
Gemeinde vom 3. März 1570 veröffentlicht Th. Wotschke aus der 
Gothaer Staatsbibliothek in Monatsbl. f. Rhein. KG. 14. Jahrg. 8. 41—43. 

Aus der Feder eines jungen, im Weltkriege gefallenen Doktoranden 
H. Kessel veröffentlicht das Düsseldorfer Jahrbuch 1918/19 (Beiträge 
z. G. des Niederrheins Bd, 30) S. 1—160 den Abriß einer Geschichte 


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der Reformation und Gegenreformation im Herzogt. Cleve 
1517—1609, vermebrt um eine nach den einzelnen Amter und Ge- 
meinden geordnete statistische Ubersicht der Verbreitung der Kon- 
fessionen im Herzogt. Cleve von 1609. 

Im Jahrb. d. V. f. die ev. KG. Westfalens 22 (1920) S. 27—30 
stellt Th, Wotschke die 17 Westfalen zusammen, die zwischen 1573 
und 1631 in Wittenberg ordiniert worden sind, mit Vorgeschichte und 
Angabe ihrer Pfarre. 

Am gleichen Orte Jahrg. 20 S, 92—129 gibt Kl. Lóffler eine 
kurze ,Reformationsgeschishte der Stadt Münster“. Hauptsächlich 
durch die Wirksamkeit Bernhard Rothmanns wurde Münster zu Anfang 
der 30er Jahre für das Evangelium gewonnen und durch den Vertrag 
mit dem Bischof vom 14. Februar 1533 rechtlich als evangelische 
Stadt anerkannt. Dann hat bekanntlich die Errichtung des Wieder- 
täuferreichs in M. und die Einnahme der Stadt im Jahre 1535 die 
Herstellung des Katholizismus eingeleitet. 

Aus einem Aktenstiicke im Ephoralarchive zu Grimma macht 
G. Müller Mitteilungen über die von Sehling nur zum Teil berück- 
sichtigten Kirehenordnungen für Colditz von 1529 und 1534 ein- 
schlieBlich der Kirchenordnungen für das Gebiet des Amtes Colditz: 
NASG. 41 S. 296—303. 

Eine Geschichte der Reformation in der Stadt Northeim von 
H, Bartels ist in den Forschungen zur Geschichte Niedersachsens 
(98 S., 1918) erschienen. 

Die ,Gestaltung der Reformation in Ostfriesland" stellt H. 
Reimers im 20. Heft der Abhandlungen und Vortráge zur Geschichte 
Ostfrieslands dar (VIII, 64 S.). 

Nur wenige Daten, die Th. Wotschke zusammenstellt, geben 
über die Reformation in der Stadt Nakel Auskunft. Ihre Einführung 
um 1522 wurde dem Inhaber der Starostei, Christoph Danaborz ver- 
dankt, der aber schon 1528 starb. Aber erst 1597 wich der letzte 
evangelische Prediger in Nakel der Verfolgung. Auch in der Um- 
gebung Nakels entstanden evangelische Gemeinden, die hernach eben- 
falls der Gegenreformation erlagen. Histor. Monatsbll. f. die Prov. 
Posen XX, 6 (Febr./Márz 1920) S. 81—84. 


Ausland, In Zwingliana 1918 Nr. 1 [Bd. III Nr. 11] 
5. 829—337 beendigt W. Köhler seinen Aufsatz über Martin Seger 
aus Maienfeld, einen eifrigen Mitarbeiter am Werke Zwingli's (mit 
3 Beilagen aus dem Züricher St. A.) und teilt E. Gagliardi den neu 
aufgefundenen ausführlichen Auszug eines Zuhürers aus der Predigt 
mit, die Zwingli am 12. Marz 1525 unter dem Eindruck der Schlacht 
von Pavia gegen den Fremdendienst hielt (S. 387—347). — Die folgende 
Doppel-Nr. (1918 Nr. 2 und 1919 Nr. 1 — Bd. III Nr. 12/13) gilt als 
Gedenknummer auf Neujahr 1919 (S. 357—460) und setzt sich aus 
folgenden Beiträgen zusammen: S. 357—370 O. Farner, Zwingli und 
sein Werk; S. 371—384 A. Eckhof (Leiden) Zwingli in Holland; 


79 79 


S. 885—395 K. Gauss, Die Beziehungen Zs zu den Pfarren des 
Baselbiets; 8. 396—404 M. v. K., Zur Vorgeschichte der Berner 
Reformation; S. 404—413 E. Bernoulli, 2 vierstimmige Sätze von 
7.s Kappeler-Lied („Herr, nun selbst den Wagen halt“); 8..414—417 
W. Köhler, Z. Student in Paris? (hält ein Studium Z.s in Paris 
für mindestens wahrscheinlich); S. 418—435 Joh. Ficker, Z.'s Bildnis 
(mit 2 Abbild.). Am Schluß gedenken G. Anrich der Zwinglifeier in 
Straßburg 1819 (S. 435—437). Th. Häring des Reformationsfestes der 
Sehweizer im Tübinger Predigerinstitut 31. Dez. 1818 und 1. Jan. 1819 
(S. 487—441) und Helen Wild des Züricher Reformationsjubiläums 
von 1819 (S. 441—460). 

W. Köhler, Ulrich Zwingli (Rede bei der Zwinglisäkularfeier 
der Universität Zürich, 3. Januar 1919) feiert Zw. als denjenigen, bei 
dem die Verbindung Christentum und Antike den Gipfelpunkt ihres 
Wertes erreicht. Internat. Monatschr. XIII (1919) Sp. 362—386, 

In Beitrr. z. vaterl. Gesch. hersg. vom histor.-antiquar. V. des 
Kantons Schaffhausen Heft 9 S. 78—99 schildert H. Werner nach den 
Akten des dortigen Staatsarchivs den Versuch des vom Kaiser und 
Papst unterstützten Propstes im Kloster Sölden (bei Freiburg i. B.), 
Heinrich von Jestetten, i. J. 1555, die vor 2 Jahrzehnten von Schaff- 
hausen säkularisierte Abtei Allerheiligen wieder aufzurichten, einen 
Versuch, den die Stadt mit Hilfe der evangelischen Eidgenossenschaft 
abschlug. 


Am gleichen Orte Heft 9 S. 1—62 gibt J. Wipf ein anschauliches, 
aus den Quellen geschöpftes Bild des Reformators von Schaffhausen 
Sebastian Hofmeister, ehemaligen Franziskaners, der von 1522 bis 
1525 mit großen Erfolg in seiner Vaterstadt wirkte, dann einer Reak- 
tion erliegend von hier verbannt wurde und hernach 1528 bis an 
seinen Tod als Pfarrer in Zofingen wesentlich beitrug, diese Stadt für 
die Reformation zu gewinnen. 

Die Reformation im baslerisch-bischöflichen Lanfen schildert 
auf Grund der Akten des Staats- und bischöflichen Archivs K. Gauss 
im Basler Jahrbuch 1917 S. 37—95. Erst nachdem Laufen mit Basel 
in ein Burgrecht getreten war und sich dadurch der Gewalt des 
Bischofs entzogen hatte (1525), konnte die Reformation zum Siege 
gelangen; um das Jahr 1536 kam sie zum Abschluß, 

Das Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N. S. Deel 15 
(1919) enthält folgende Beiträge zur Niederländischen Refor- 
mationsgeschichte: S, 49—60 J.C. Overvoorde, Uit de eerste 
jaren van de Luthersche gemeente te Leiden; S. 115—193 M. van Rhijn, 
Wilhelmus Sagarus (Nachtrag dazu S. 239); S. 124—189 Johanna 
M. Sernée, Bijdrage tot de kennis der finantiéele administratiön van 
de geestelijke stichtingen in Delfland na 1572; S, 133—149 G. A, 
Hulsebos, De handelingen van de erste classicale bijeenkomst van 
de Classis Over-Veluwe gehouden te Harderwijk 15 Juli 1599; 
S. 234—238 J. S. van Veen, De Geldersche kerkelijke Rekenkamer. 


80 80 


Im NA Veneto NS. a. 17 Tomo 34 p. 1 S. 13—32 bespricht 
A. Serena an der Hand einer bei den Augustinern in Rom auf- 
gefundenen anschaulichen Relation des Ordensgenerals der Augustiner 
Gabriel Veneto eine Augustinersynode in Treviso von 1526, in 
der besonders MaGregeln gegen das Eindringen des Luthertums in 
den Orden getroffen wurden. 


Uber 2 wichtige Veröffentlichungen der Norwegischen Theologie 
zum Reformationsjubelfest von 19171) referiert eingehend H. Stocks 
in ZKG. NF. I, 2 S. 407—410. 


1) (0. Kolsrud, Utkast til en norsk Kirkeordinants ... for- 
fattend 1604, und A. Brandrud und O. Kolsrud, To og tredive prae- 
dikener holdt i Aarene 1578—1586 av M. Jens Nilssøn. 


Druck von C, Schulze & Oo., ts, m, b, Ha Grüfenhainiehen, 


Von der preussischen Kommission 
zur Erforschung der Reformation und 
Gegenreformation. 


l. Instruktion für die Mitarbeiter 
an der prosopographischen Abteilung. 


1. Die Literatur von 1500 bis 1585 ist biographisch erschöpfend 
durchzuarbeiten. In erster Linie ist die gedruckte Literatur aufzu- 
arbeiten. Das handschriftliche Material wird aushilfsweise und nach 
Bedarf herangezogen, namentlich das mit der Bewegung der Wieder“ 
täufer sich befassende Quellenmaterial. Der Leiter der Abteilung gibt 
die Literatur an, die durchgearbeitet werden soll. Er führt ein Ver- 
zeichnis über die verarbeitete Literatur. 

2. Es wird eine Kartothek angelegt, die alle Namen enthält, die 
sich in der verarbeiteten gedruckten und ungedruckten Literatur finden. 
Die Kartothek befindet sich beim Leiter der Abteilung und wird von 
ihm fortlaufend ergänzt und geordnet. 

3. Die Mitarbeiter ziehen aus der ihnen zugewiesenen Literatur 
alle Namen aus und verzeichnen sie auf den ihnen übergebenen Zetteln, 
Jeder Name erhält einen eigenen Zettel. Das Gleiche gilt von den 
Varianten (z. B. Mayr, Mair, Maier, Meyer, Meier u. à), den Über- 
setzungen in die gelehrten Sprachen, den Spitznamen, Kosenamen, 
Decknamen, Pseudonymen, den Namensbezeichnungen nach dem Ort 
(z.B. Dr. Islebius) usw. Auch für die Bezeichnung mit Sigeln (z. B. P. M.) 
ist ein besonderes Blatt anzulegen. Bei jeder Namensform wird auf 
die Hauptform verwiesen. Beispiel: Dr. Gratianus s. Zwingli, Huld- 
reich; Dr. Philippus s. Melanchthon, Philipp; Crasitius s. Mornhinweg. 
Ist die Identifizierung fraglich, so muß das durch ein in Klammern 
 gesetztes Fragezeichen kenntlich gemacht werden. Da in den Quellen 
oft bloß der Vorname angegeben ist, so muß die Identifizierung mit 
sroßer Vorsicht vorgenommen und lieber zu häufig als zu selten das 
Fragezeichen verwendet werden. 

Es sind Leitblätter anzulegen, die an erster Stelle die gebräuch- 
lichste Namensform enthalten, der dann alle übrigen Namensformen 


2* 


folgen. Die MS-Zettel tragen als Stichwort die gebrauchlichste Namens- 
form. Oft wird erst im Laufe der Arbeit sich ergeben, welches die 
gebriiuchlichste Form ist. In solchen Fällen kann erst der Leiter der 
Abteilung, dem alle Unterlagen zur Verfügung stehen, das Stichwort 
endgültig feststellen. Der Mitarbeiter darf auf keinen Fall das einmal 
gewählte Stichwort stillschweigend ändern. Meint er, es ändern zu 
müssen, so hat er den Leiter der Abteilung zu benachrichtigen. In 
vielen Fällen wird er sofort oder bald das richtige Stichwort wissen. 
Die Melanchthon betreffenden biographischen Notizen werden natürlich 
nicht unter das Stichwort Schwarzerd, sondern Melanchthon gebracht, 

4. Einrichtung der MS-Zettel. Auf jedem Blatt, das eine bio- 
graphische Notiz enthält, ist über dem Doppelstrich in der linken 
Spalte der Familienname mit dem Vornamen, bzw. den Vornamen ver- 
zeichnet, mit dem Herkunftsort und Datum der Quelle, bei Briefen, 
wenn möglich, mit dem Aufenthaltsort des Empfängers in Klammern. 
Kann der Aufenthaltsort des Empfängers nicht sicher ermittelt werden, 
so ist der vermutete Aufenthaltsort mit einem Fragezeichen zu ver- 
sehen. Ist die Vermutung zu unsicher, so unterbleibt eine Angabe. 
In der rechten Spalte über dem Doppelstrich wird der Fundort der 
Quelle angegeben, entweder bibliographisch genau oder abgekürzt 
(vgl. Ziffer 9). 


Beispiel: 
n Ambr. Blarer an Konrad Hubert 
(Konstanz) Tr. Schieß, Briefwechsel der Brüder 
Ambr. u. Th. Blaurer, Bd. 2, 180 
Konstanz l 
1543 Apr. 16 
die Verweise Text 


Unter dem Doppelstrich rechts sind die biographischen Notizen 
einzutragen, links die Verweise (vgl. Schema). Es genügt, auf der 
linken Spalte unter dem Doppelstrich den Namen mit Rufnamen zu 
vermerken, Der Benutzer des Blattes weiß, daß er das Blatt auf- 
zasuchen hat, das den gleichen Orts- and Datumsvermerk trägt. Falls 
auf ein anderes Blatt verwiesen werden soll, so ist neben dem Namen, 
auf den verwiesen wird, der entsprechende Orts- und Datumsvermerk 
anzugeben. Da die Blätter nicht paginiert werden können, müssen 
die Orts- und Datumsangaben an die Stelle der Seitenangaben treten. 
Werden die Verweise sorgfältig vorgenommen, so ist ein Irrtum aus- 
geschlossen, Jedes Blatt, auf das verwiesen wird, kann mühelos ge- 
funden werden. Beispiel: Auf dem Blatt Bullinger, Heinrich Zürich 
1543 März 25 wird verwiesen auf Coccius, Sebastian. Es ist also auf- 
zusuchen das Blatt Coccius, Sebastian Zürich 1543 März 25. Auf dem 
Blatt Bullinger, Heinrich Zürich 1543 Febr. 27 wird verwiesen auf 


3% 


Blarer, Ambrosius Konstanz 1543 Febr. 24. Es ist also aufzusuchen 
das Blatt Blarer, Ambrosius, Konstanz 1543 Febr. 24. 

Wenn ein Exzerpt sich über mehrere Blätter erstreckt, ist auf 
jedem neuen Blatt in der linken Spalte über dem Doppelstrich das 
Stichwort samt Orts- und Datumsangabe zu wiederholen. Diese 
Blatter sind auch rechts oben mit arabischen Ziffern fortlaufend zu 
paginieren. Das Datum ist nach den Kalendertagen anzugeben, doch 
ist der Heiligenname mit aufzunehmen, wenn er, was sehr oft der 
Fall sein wird, in der Quelle enthalten ist. 

5. Behandlung des Textes. Aus den Quellen ist alles anfzunehmen, 
was unmittelbare biographische Bedeutung besitzt. Alle Angaben über 
Herkunft, Verwandtschaft, Familie, Erziehung, Unterricht, äußere Er- 
scheinung, Krankheiten, Reisen, Frau, Kinder, Freunde, Gegner u.dgl.m. 
sind sorgfältig zu registrieren. Besonders ist zu achten auf die Bücher, 
die der Betreffende gelesen hat oder in seiner Bibliothek besitzt, die 
er selbst unter der Feder hat oder herausgegeben hat, auf die Gut- 
achten, an denen er beteiligt gewesen ist u.& Es muß auf Grund 
der MS-Blätter möglich sein, die „Bibliothek“ des Betreffenden fest- 
zustellen. Auch Notizen über nicht beförderte oder nicht angekommene 
Briefe sind aufzunehmen. | 

Ebenfalls sind die Urteile zu notieren, die der Betreffende über 
— sich selbst und andere Personen fällt, auch die Urteile über Schriften, 
die erschienen sind oder deren Erscheinen erwartet wird. Doch nur 
solehe Urteile sind aufzunehmen, die sich auf die reformatorische und 
gegenreformatorische Bewegung beziehen oder den Charakter, das 
Können und Wissen dieser und jener Person zum Gegenstand haben, 
Auch Verleumdungen und die Urteile über Verleumdungen müssen auf- 
geführt werden. Sich wiederholende, banale, selbstverständliche Urteile 
über führende Persönlichkeiten (z. B. Martin Luther ist ein Gottes- 
mann, ein Werkzeug des Satans) sind nur einmal zu notieren. Die 
individuellen und charakteristischen Urteile müssen vollständig ver- 
zeichnet werden, auch wenn sie sich wiederholen. Es ist zugleich 
darauf zu achten, ob die Urteile sich gleich bleiben oder schwanken. 

Inhaltsangaben über Schriften, Gutachten, Vorschláge usw. werden 
nicht verlangt. Es muß aber zu erkennen sein, welche Stellung 
dieser und jener zu den dogmatischen und kirchenpolitischen Fragen 
der Zeit eingenommen hat, an welchen Reformen und Gegenreformen 
er sich beteiligt hat (z. B. Säuberung der Kirchen von Nebenaltären, 
Heiligenbildern usw., Schulreformen u. dgl) Es muß darum auch 
notiert werden, in welche ‚Streitigkeiten er verwickelt worden ist. 
Das Streitthema ist kurz anzugeben und mit den charakteristischen 
Worten der Quelle hinzuzufügen, wie dazu Stellung genommen wurde. 
Für alles weitere wird auf die Quelle verwiesen. | 

Berichte über das Sterben dieser oder jener Person sind nicht 
ausführlich abzuschreiben. Liegt ein längerer Sterbebericht vor, so 

genügt es, auf ihn hinzuweisen, Jedoch sind alle Personen, die zu- 


l* 


gegen waren, unter dem jeweiligen Stichwort aufzuftihren. Beispiel: 
Die Berichte über L. Hetzers Hinrichtung in Konstanz. Hier wäre 
für die Einzelheiten auf die Quellen hinzuweisen, dagegen vollständig 
anzugeben, wer bei der Vorbereitung des Verurteilten auf den Tod und 
bei der Hinrichtung zugegen war und wie die Anwesenden über 
Hetzers Haltung in den letzten Stunden seines Lebens urteilten. 

6. Die Exzerpte müssen möglichst knapp gehalten werden. 
Seitenlange Auszüge müssen Ausnahmen bleiben. Wenn die wört- 
liche Zitierung zu ausführlich sein würde, muß ein zuverlässiges 
Regest gegeben werden. 

Die MS-Blätter dürfen nur einseitig beschrieben werden. Die 
Schrift muß leicht leserlich sein. Die Namen müssen so sorgfältig 
eeschrieben sein, daß ein Irrtum ausgeschlossen ist. 

7. Angaben über Büchertitel, über bekannte oder anonyme Ver- 
fasser von Schriften, kurz bibliographische Angaben, die sich im 
Schrifttum des 16, Jahrhunderts finden, sind auf einem besonderen 
Zettel zu notieren und mit den prosopographischen MS-Blättern dem 
Leiter der biographischen Abteilung einzusenden, der sie an den Leiter 
der bibliographischen Abteilung weiter gibt. 

8. Die MS-Blätter sind monatlich alphabetisch geordnet an den 
Leiter der biographischen Abteilung zu schicken. Falls in einem 
Monat keine versendungswerte Ausbeute gewonnen worden ist, muß 
dies dem Leiter der biographischen Abteilung gemeldet werden, 

9. Auf besonderen Kartons, die den Mitarbeitern übergeben werden, 
sind die durchgearbeiteten Quellen bibliographisch genau zu ver- 
zeichnen. Falls auf den MS-Blättern eine Quelle abgekürzt angeführt 
wird, muß sie in der gleichen Abkürzung auf einem Karton ver- 
zeichnet werden, mit einem Verweis auf die bibliographisch vollständig 
angegebene Quelle. Auch diese Kartons werden an den Leiter der 
biographischen Abteilung geschickt. Der Mitarbeiter kann für seinen 
eigenen Gebrauch ein Exemplar dieser Kartons zurückbehalten. 


0. Scheel. 


Il. Instruktion 
für die Arbeiten der bibliographischen Abteilung, 


im wesentlichen aus den „Instruktionen 
für die alphabetischen Kataloge der Preuß. Bibliotheken“ 
(Berlin 1909) übernommen. 


I. Für das Schrifttum der Reformation und Gegenreformation. 


Die Beschreibung der Schriften der Reformation und Gegen- 
reformation hat 5 Teile zu umfassen: 


a) die bibliograpbische Notiz mit dem Namen des Verfassers, 
dem Sachtitel, Druckort, Drucker und Herausgeber (Verleger), Datum 
und Format; 

b) die Kollation mit Angabe über Blattzahl, Signaturen und 
Ausschmückung; 

` €) die textliche Beschreibung mit genauer Wiedergabe des Titel- 
blattes und der Schlußschrift, mit Kennzeichnung von Widmungen, 
Vorreden und sonstigen Beigaben, mit kurzem Schlagwort des Inhaltes, 
wenn dieser aus dem Titel nicht erschlossen werden kann; 

.. 4) bibliographische oder literarische Belege; 

e) den Fundort mit Angaben über besondere Merkmale (hand- 

schriftliche Einträge, Einbünde usw.). 
Beispiel: 

Leo X.: Bulla contra errores Martini Lutheri et sequacium. Rom, 
Jacobus Mazochius [1520]. 4°, 

12 Bl, das letzte leer. Sign. aij—ciij. ^ Eine Titeleinfassung. 
Zwei Holzschnitte. l 

Bulla contra erro2e8 || Martini Qutheri || 2 fequacium. || Holz- 
schnitt: Päpstliches Wappen. Einfassung: Unten Urne mit zwei Füll- 
hörnern. 

Bl. ajj@ vor dem Textbeginn: Rundbildnis Papst Leos X. Bl. 11» 
21: (| Impreffum Rome per Jacobum Mazochium || De Mandato. 
D. N. Pape. || 

Vgl. Zeitschrift für Bücherfreunde N.F. 9.2 (1918) S. 206 N. 1 
mit Abb. des Titelblattes. 

München, Staatsbibl. (4. Hom 487, 6 mit amtl. Ausfertigung durch 
Girolamo Ghinueci, Bischof von Ascoli, und Notar Pantaleo). 


Z. 
S. 


6* 


II. Für die Briefe der Reformatoren und ihrer Gegner. 


. Das Verzeichnis nimmt auf: 
a) die Namen von Absender und Empfinger, Ort und Datum, 
b) den Textanfang [ohne die Formeln], 
c) die Belege, wo gedruckt oder verwertet, 
d) den Fundort. 


Beispiel: 
Luther Martin an den Hofprediger Wolfgang Stein in Weimar. 
Wittenberg, 10. September 152-4 
Beginnt: Primum veniam péto pro nostra... 


Abgedr. v. Flemming in: Theol. Studien und Kritiken 86 (1913) 
S. 288 N. 1. l 


Jena, Univ. Bibl. (Rörer). 


III. Für die Literatur über Reformation und Gegenreformation. 


Die Literaturbibliographie bringt Verfasser, Titel, Erscheinungsort, 
Verlag oder Druckerei, Jahr, Seitenzahl und Format, bei Zeitschriften- 
aufsätzen Verfasser, Titel und Hinweis mit „In:“ auf die Zeitschrift 
samt Angabe des Jahrgangs und der Seitenzahl. 


Beispiele: 
a) Keller Ludwig: Die Reformation und die älteren Reform- 
parteien. Leipzig, S. Hirzel, 1885. X, 516 S. 8°. 
b) Barge Herm.: Luther und Karlstadt in Wittenberg, In: 
Historische Zeitschrift 99 (1907) S. 256—324. 


K. Schottenloher. 


KROHN FÜR. REPORMATIONSGESCHICHT, 


herausgegeben von 


D. Walter. Friedensburg. 


———— 


Nr. 71/72. XVIII: Jahrgang. Heft 3/4. 


Kardinal Schiner, ein Mitarbeiter Aleanders 
auf dem Wormser Reichstage 


E von Paul Kalkoff. 


Die reformatorischen Kirchenordnungen . 
Ober- und Innerósterreichs IV. 


von Georg Loesche. 


Mitteilungen 


Neuerscheinungen. 


$ 


Leipzig |. 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
1921. 


Er RE EEE a Er ES eh a Ee OR rte T EMI Y 
Ausgegeben im Oktober 1921, 


„Preis für Subskribenten 10,— M., einzeln bezogen'tt— M. 


Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. 


Quellen und Forschungen 
zur Reformationsgeschichte 


(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation) 
Herausgegeben vom 


Verein für Reformationsgeschichte 


Soeben erschien: 
Band III. 


Die Einführung der Reformation 
in Liv-, Est- und Kurland, 


Im Auftrag der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde. 
zu Riga l 


bearbeitet. von 
Dr. Leonid Arbusow. 
gr. 8°. XIX, 851 Seiten. Preis 70 Mark. 


Früher sind erschienen: 


Band I. Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen. 
8°, [XII, 316 SJ A 9,—. 


Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfiinge des Erasmus, Humanismus 
und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von 
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°. 
[XXXII, 343 S] A 13,50. 


Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation. 
Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und 
der Entscheidungsjahre der Reformation.  (1517— 1523.) 
gr. 8°. [XVI, 602 S.] | A 40,—. 


Kardinal Schiner, ein Mitarbeiter 


Aleanders auf dem Wormser Reichstage. 
Von Paul Kalkoff, 


Zu den bedeutenderen Räten Karls V., den Männern 
von militärisch-diplomatischem Rufe, die sich auf dem Reichs- 
tage von 1521 den Nuntien bei ihrem Kampfe gegen Luther 
zur Verfügung stellten, gehört auch ein in der europäischen 
Geschichte vielgenannter Abenteurer, der Bischof von Sitten, 
Kardinal Matthäus Schiner'). Er nimmt eine hervorragende 
Stelle ein in der langen Reihe der kriegerischen Prälaten 
oder Bandenführer im geistlichen Gewande, die von unseren 
kampflustigen Bischöfen in der Zeit des Investiturstreites 
und der Kreuzzüge über die furchtbaren Söldnerhänptlinge 
des vierzehnten Jahrhunderts, den „baskischen Erzpriester“ 
und den Kardinal Albornoz hinabreicht bis zu dem tollen 
Christian von Halberstadt und dem Werbeoffizier Ludwig XIV, 
dem Bischof Bernhard von Münster. Er zeichnet sich unter 
ihnen aus durch die Vereinigung diplomatischer Talente mit 
volkstümlicher Derbheit und urwüchsiger Leidenschaftlichkeit. 
Man geht wohl zu weit, wenn man ihn als „einen der ge- 
waltigsten Schweizer, die je gelebt haben“ ?), feiert, oder als 
„einen der größten Männer, die die Schweiz hervorgebracht 


Abkürzungen: ADB. = Allgem. Deutsche Biographie. DRA. 
== Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Gotha 1896. 
BDB. = Kalkoff, Briefe, Depeschen u. Berichte über Luther. Halle 1898, 
DA. = Derselbe, Depeschen des Nuntius Aleander. Halle 1897. Agh. 
= Ders., Aleander gegen Luther, Leipzig 1908. WE. = Ders., Die 
Entstehung des Wormser Edikts. Leipzig 1913. 

1) Diese Schreibung seines Namens (statt Schinner) verdient den 
Vorzug; sie erklärt sich aus seinem Wappenzeichen, den drei Schienen, 
und er schrieb sich auch selbst so. 

2) H., Escher in der heute noch recht brauchbaren Übersicht seines 
Lebens in der ADB. 33, 735. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 6 


82 2 


hat^! Seine unermüdliche Tatkraft, seine Gewandtheit in 
Behandlung der Menschen aller Stände, seine kriegerische 
Unerschrockenheit in den schwierigsten Lagen seines wechsel- 
vollen Lebens sicherten ihm einen gewissen Einfluß auf den 
Gang der großen Politik; doch war er immer nur ein Werk- 
zeug erst in der Hand Julius IL, dann Maximilians I. und 
Karl V.; seine „Herrschsucht“ war schwerlich auf höhere Ziele 
gerichtet, als auf die Mehrung seines Besitzes an Land und 
Leuten, an Geld und Gut. Wenn Escher ibm die Absicht zu- 
traut, die Weltmachtstellung der Schweizer durch Befestigung 
ihrer Herrschaft über Oberitalien zu stützen, so übersieht er, 
daß Schiner bei seinen kriegerischen Agitationen sich meist 
in den Dienst jener beiden Mächte und sehr oft in den 


.. 1) L. v. Pastor, Gesch. der Päpste III, 647f. Die Literaturangaben 
S. 701 Anm. und bei Joh. Dierauer, Gesch. der Schweizerischen Eid- 
genossenschaft. Gotha 1913. II, 456, Anm. 67 sowie in der Arbeit von 
Alb. Büchi über „Kard. Sch. u. die Reformbewegung“ in der Ztschr. 
f. Schweiz. Kirchengeschichte, hrsg. von A. Büchi und I. P. Kirsch. 
X. Jahrg. Stans 1916. S. 1—24. Letzteres eine nach Tendenz und 
Technik gleich bedenkliche Leistung, die es bedauern läßt, daß der 
Vf. sich die Herausgabe des Briefwechsels Sch.’s und seine Biographie 
zur Aufgabe gemacht hat, beides in nicht weniger als vier Bänden. 
Abgesehen von dem mit größter Unbefangenheit unternommenen Ver- 
‘such der kirchlichen Idealisierung Schiners gibt er folgende Proben 
seiner Geschichtskenntnisse: er verzeichnet die Schlacht von Bicocca 
(S. 29) als Ergebnis der zähen Ausdauer Sehiners und verlegt sie in 
das Jahr 1521, wührend sie am 27. April 1522 ohne jede Mitwirkung 
Schiners bei diesem Feldzuge geschlagen wurde (H. Baumgarten, Gesch, 
Karls V, II, 1, 35f. 61£). Dagegen war Sch. an der Uberrumpelung 
Mailands am 29. Nov. 1521 beteiligt. Die „Bannbulle* gegen Luther 
verlegt er auf den 15. Januar 1520, wührend doch erst am 15, Juni 
die Verdammung seiner Lehre erfolgte und diese Bulle durch die 
Begleitschreiben vom 8. und 17. Juli ihm mitgeteilt wurde, die jedoch 
durchaus nicht speziell an den Kardinal Sch., sondern an alle Bischöfe 
gerichtet waren, denen Aleander begegnen würde. Daß dieser schon 
1591 Kardinal gewesen wäre, trifft ebensowenig zu, wie daß dieser 
hochmütige Italiener ,Deutschland wohlgesinnt" gewesen sei (S. 12f). 
Der S. 14 mehrfach zitierte „Ungenannte“ ist von mir schon in den 
BDB. S. 71£. als der Nuntius Raffael de’ Medici nachgewiesen worden. 
Nach S. 17 erscheint Luther am 16. April vor dem Reichstage; ob Sch. 
zugegen war, wissen wir nicht; ehr möchte ich das Gegenteil vermuten, 
Ga er nicht mehr als Reichsfürst betrachtet wurde und Aleander sonst 
seine guten Dienste auch bei dieser Gelegenheit hervorheben würde; 


3 83 


schärfsten Gegensatz zur eidgenössischen Zentralgewalt stellte. 
Auch widerspricht die rohe Gewalttätigkeit, die skrupellose 
Verschlagenheit, die zynische Selbstsucht, die seine Schritte 
kennzeichnen, einer solchen Bewertung seiner Persönlichkeit. 
Richtig ist es, daß er auch nicht für die weltliche Macht 
der Kirche sich aufopfern wollte, und vollends verfehlt ist 
es, ihn zu einem von reformatorischen Ideen erfüllten Kirchen- 
fürsten, einem Musterbischof zu stempeln, der „von inniger 
Liebe zur Kirche und ihrem Oberhaupt, dem Papste, durch- 
drungen“ gewesen sei. Es wird sich zeigen, dab er auch 
dem Papste mit trotzigem Groll und kirchenfeindlichen De- 
monstrationen begegnen konnte; „seine Strenge in geistlichen 


die Stelle aus dem Bericht Contarinis vom 25. April bezieht sich auf 
dessen an diesem Tage abgehaltene Antrittsaudienz, bei der Sch. als 
kaiserlicher Rat nicht fehlen durfte (DRA. II, 876, 10, BDB. S. 18.). 
Daß das Billet Gattinaras (S. 17. Anm. 6) über die dringliche Bearbei- 
tung des Wormser Edikts (DRA. II, 638) fälschlich auf ihn bezogen 
worden ist, während es an den Erzbischof von Salzburg gerichtet war, 
habe ich schon im AgL. S. 126, Anm. 2 gezeigt. Derselbe ist bei der 
von Spengler geschilderten Szene im Fürstenrate (S. 514, 45) gemeint, in 
dem Sch. nichts zu suchen hatte (S.16). Die S. 18 erwähnten Drohungen 
der Deutschen waren gegen Aleander gerichtet und von Sch. nur durch 
seine Leute in Erfahrung gebracht worden, wie der Vf. mit leichter 
Mühe hätte festhalten können, wenn er statt des ihm rätselhaften 
italienischen Textes bei Balan S. 104 meine DA. S. 81 und für die 
Stelle aus der Depesche Medicis („man solle nicht dulden, daß Luther 
seine Bücher einpacke[!]^ statt „auf die Bahn bringe, verbreite“) die 
Übersetzung in den BDB. S. 28 benutzt hätte. Zu Aleander verweist 
er S. 20 Anm. auf zwei völlig veraltete Arbeiten, darunter einen 
wertlosen Artikel von Gaß in der ADB., in die dieser Italiener über- 
haupt nicht hätte aufgenommen werden sollen. Das Schlimmste aber 
ist, daß der Aufsatz A. Büchi’s im wesentlichen nur eine verwässerte 
Wiedergabe der in ihrer Art tüchtigen Arbeit Jollers über „Kardinal 
Sch. als katholischen Kirchenfürsten“ ist, einer „historischen Skizze“ 
in den „Blättern aus der Walliser Geschichte“ (Sitten 1895. I, 49— 62. 
65—69). Auch hier waltet die Tendenz vor, den Bischof von der „An- 
schuldigung“ zu retten, daß er nicht nur die „Reformbetrebungen 
Luthers und Zwinglis begünstigt habe, sondern bei längerem Leben 
wahrscheinlich zum Protestantismus übergetreten wäre“; aber hier ist 
wenigstens die ältere Literatur sorgfältig benutzt und die lokale Über- 
lieferung fleißig gesammelt worden, während Büchi seine Selbständig- 
keit fast nur in den oben angeführten und weiter zu rügenden Fehlern 
und Mißverständnissen bekundet. 


6% 


84° 4 


Dingen und sein untadelhafter Wandel“') erklärt sich zur 
Gentige aus seiner beschränkten Bildung und seiner Lust 
am Herrschen und Gewinnen: der Bischof und Kardinal war 
sich wohl bewußt, was die Kirche ihm leisten konnte, und 
seine bäuerliche Erziehung, seine kriegsmäßige Lebensweise 
schützte ihn vor der gewöhnlichen Schwäche genußsüchtiger, 
schwelgerischer Priester”). Eine gute Begabung befähigte 
ihn trotz einer nur dürftigen schulmäßigen Ausbildung, sich 
der für sein Handwerk unentbehrlichen Sprachenkenntnis 
zu bemächtigen, auch das landläufige Latein zu schreiben, 
und eine wilde Beredsamkeit ließ ihn die Gemüter seiner 
Reisläufer beherrschen, wie der Wind die Wogen, zumal 
wenn er mit päpstlichem Gold und reicher Beute winken 
konnte — wenn beides ausblieb, mußte auch er oft erfahren, 
wie wandelbar die Gunst seiner Landsleute war. Den 
Venetianern scheute er sich nicht, von der Nationalkrankheit 
der Schweizer zu reden, die durch Geld schnell zu heilen 
sei®), und einen päpstlichen Zahlmeister, der sich mit dem 
Solde verspätet hatte, drohte er, er hätte ihn hängen lassen, 
wenn er nicht zufällig Bischof wäre‘). Um zu zeigen, was 
es mit dem kirchlichen Reformeifer dieses Condottiere auf 
sich hat oder gar mit einer ihm gelegentlich angedichteten 
Hinneigung zu Luthers Lehre, genügt es, auf seine Tätigkeit 
in Worms zu verweisen. Indessen müssen, um seine da- 
malige politische Rolle zu verstehen, die Hauptpunkte seines 


1) v. Pastor III, 647. „Er sah seine Lebensaufgabe darin, die 
kriegerische Kraft seines Volkes für die Verteidigung des heiligen 
Stuhles zu gewinnen“, — so lange dieser zahlte und nicht mit Frank- 
reich verbündet war. 

2) Zu Joller, S. 59. Eine treffende Charakteristik liegt daher in 
dem einen Worte, mit dem A. Burer am 17. November 1519 aus Basel 
meldet, der Kardinal sei beritten bei ihrem Bürgermeister erschienen, 
„miles ad militem divertens“. Horawitz-Hartfelder, Briefwechsel des 
Beatus Rhenanus S. 192, — Es ist ein weit verbreiteter Unfug, jeden, 
der eine Lateinschule durchlaufen hat oder, was bei Schiner nicht einmal 
der Fall ist, ein paar Jahre eine Universität besucht hat, „humanistisch 
gebildet“ zu nennen, wie es Büchi in einem Artikel des kirchlichen 
Handlexikons (hreg. v. M. Buchberger, München 1912. II, 1963) tut. 

3) Dierauer II, 459 Anm. 75. 

4) So geschehen dem Dr. iur. utr. Michael Claudi, Bischof von 
Monopoli. Eubel, Hierarchia catholica III, 265. 295. 


5 | 85 


Lebensganges und dessen entscheidender Wendepunkt kurz 
gesehildert werden. 

Der Aufstieg Schiners ist durch zwei politische Faktoren 
in der Geschichte seiner Heimat bedingt: einmal durch den 
Gegensatz zwischen den Bauerngemeinden des oberen Wallis 
und den mehr im untern Rhönetal gebietenden Herren- 
geschlechtern, die sich beide den in der Mitte des Landes 
belegenen Bischofssitz streitig machten. Schon im Anfang 
des 15. Jahrhunderts war es zu einem Zusammenstoß mit 
dem Hause Raron gekommen, das zugleich die Landeshaupt- 
mannschaft und das Bistum an sich gerissen hatte. Schiners 
ganzes Öffentliches Leben ist beherrscht von dem Kampfe 
gegen die Herren auf der Flüe (Supersaxo), die von 1457—82 
den bischöflichen Stuhl innehatten und deren von Jörg auf 
der Flüe, dem Todfeinde Schiners, geführte Partei!) nach 
seinem Tode einen ihrer Anhänger einzusetzen versuchte, 
der dann aber 1529 dem Erwählten ihrer Gegner, Adrian 
von Riedmatten, der als Begleiter Schiners in Worms war?), 
weichen mußte. Diese Kämpfe spielten sich in heftigen Volks- 
erhebungen ab, als deren Sinnbild, ähnlich wie in Deutsch- 
land der Bundschuh, eine phantastisch geschnitzte Keule, 
die Mazza, galt?). Schon unter dem Bichof Walter auf der 
Flüe war 1475 ein enger Bund zwischen den oberen Zehnten 
des Wallis und den Urkantonen zu Stande gekommen, deren 
Einfluß nun so weit reichte, daß sie ihren als diplomatischen 
Unterhändler erprobten Landsmann, den Propst Jobst von 
Sillenen, als Bischof von Sitten durchsetzen konnten. Unter 
dessen Regierung machte sich nun die zweite politische 
Verwicklung geltend, die Schiners Lebensgang dauernd 
beherrschen sollte: der Zug Karls VIIL nach Neapel und 
die zunächst auf die Eroberung Mailands gerichtete Politik 

1) Es ist daher zum mindesten sehr mißverständlich, wenn 
v. Pastor von diesem Gegner Schiners als von „dem kühnen Demagogen, 
dem Hochverräter, dem Aufrührer gegen geistliche und weltliche Ge- 
walt“ redet (III, 701. Anm.) Heute noch ist in Sitten das Haus des 
Landeshauptmanns Georg Supersaxo mit einem schön getäfelten Saale 
von 1505 erhalten. Bei der Vertreibung Sch.’s setzte er seinen eigenen 
Sohn als Administrator ein. 


*) DRA. II, 990: als Domkustos und Hofmeister. 
3) Dieraner S. 9. Anm. 9. 


86 6 


Ludwigs XII. führte zu einer jähen Umwälzung auch im 
Bistum Sitten: die kriegslustigen und beutegierigen Bauern 
der obern Zehnten, die schon 1482 einen freilich erfolglosen 
Zug ins Mailändische gewagt hatten!), waren über den Wett- 
bewerb Frankreichs erbittert, verjagten 1496 den Bischof 
Jodocus, weil er Karl VIII. unterstützt hatte, und erhoben 
den aus einer Bauernfamilie des Oberwallis stammenden Niko- 
laus Schiner. Wir erfahren aus einer an Papst Alexander VI. 
gerichteten Beschwerde Ludwigs XIL, daß dieser Usurpator 
an der Vertreibung seines Schützlings beteiligt gewesen sei; 
der König wünscht, daß der Papst ihn absetze und den von 
Frankreich empfohlenen Dechanten Peter von Hertenstein 
ernenne?). Dies geschah jedoch nicht, sondern die Gegner 
Frankreichs befestigen ihre Stellung im Bistum noch, indem 
schon 1499 der betagte Nikolaus zu Gunsten seines riistigen 
Neffen Matthäus abdankte, den er bald nach seiner eigenen 
Erhebung zum Dechanten der Marienkirche auf dem Schloß 
Valeria in Sitten gemacht hatte. Selbstverständlich waren 
es nicht die Tugenden des „einfachen Dorfpfarrers“, die die 
Aufmerksamkeit des Bischofs auf diesen gelenkt hatten, so- 
daß er „in der geistlichen Laufbahn“ so erfreulich „empor- 
rückte“ 3), sondern seine Rührigkeit im Dienste der volks- 
tümlichen Politik, durch deren Überlieferungen auch seiner 
ersten kriegerischen Aktion als Bischof die Wege gewiesen 
waren: im Jahre 1500 erneuerte er den Bund seines 
Bistums mit den Eidgenossen und führte die erste Hilfs- 
truppe nach der Lombardei, um die Herrschaft der Sforza 
gegen Frankreich zu stützen, und im Bellenzer Kriege (1503) 
legte er seine erste Probe als Diplomat ab‘). Infolge des 
Zusammenbruchs der Sforza sah er sich dann zur Anlehnung 
an die kaiserliche Politik genötigt,und so erschien er 1507 


1) Dierauer S. 3351. 

2) Schreiben vom 7. Dez. 1498. Eubel II, 257. 

3) Diese naive Auffassung Eschers (a. a. O. S. 7291.) klingt noch 
bei Dierauer S. 456 nach. 

4) Ildephons Fuchs, Die mailändischen Feldzüge der Schweizer. 
St. Gallen 1812. II, 17ff. Durch die Fülle charakterischer Züge und 
Mitteilungen aus den ersten Quellen heute noch beachtenswert. Die- 
rauer II, 456. 


7 87 


auf’ dem Reichstage zu Konstanz als Führer einer eid- 
genössischen Gesandtschaft, die besonders zu einer engeren 
Verbindung zwischen Maximilian 1. und Zürich führte. Hin- 
fort war gerade Zürich immer der dankbarste Boden für 
die antifranzösische Werbetätigkeit Schiners!), während sein 
bisheriger Mitarbeiter, der Freiherr Jórg auf der Flüe, sich 
schon damals von Frankreich gewinnen lieb und sieh so 
mit dem Bischof tödlich verfeindete. 

Dieser trat jetzt in das Getriebe der großen euro- 
päischen Politik ein und war im Rahmen der gewaltigen Er- 
eignisse, die auf den Abschluß der Liga von Cambrai folgten, 
als Mitarbeiter bald der päpstlichen, bald der kaiserlichen 
Unternehmungen, als Unterhändler bei den Eidgenossen und 
Werbegeneral tätig. Er durfte bald von Rom im Purpur 
der Kardinalswürde und mit den Vollmachten eines Legaten 
zu seinen Landsleuten zurückkehren ??); Julius II. löste sein Stift 
ferner aus dem Verband der französischen Metropoliten von 
Tarentaise, was Leo X. bestätigte, und verlieh ihm aus den ein- 
gezogenen Pfründen der schismatischen Kardinäle der „Winkel- 
synode“ von Pisa die Einkünfte der Augustinerpropstei St. Maria 
von Cressenzago im Mailänder Sprengel sowie die Admini- 
© stration des Bistums Novara, das ihm 2—3000 Gulden Ein- 
kommen sicherte). In der Heimat siegte sein Einfluß über 
den Georgs auf der Flüe, der vertrieben und dem „heiligen 
Vater vom Wallis“, wie er spottete, zu Gefallen in Freiburg 
eingekerkert wurde: seine Flucht kostete den franzésich 
gesinnten Schultheißen das Leben. Und wenn auch zwei der 
von Schiner geleiteten Züge der Schweizer, der „Chiasser“ Zug 
und die Unternehmung von 1511 kläglich scheiterten, so er- 
reichte er doch den Höhepunkt seines Glücks, als er, soeben 
schimpflich aus seiner Heimat vertrieben und flüchtig, am päpst- 
lichen Hofe erschien, um nun als Legat des heiligen Stuhles und 
diplomatischer Führer des „Pavier Zuges“ die Eroberung von 

1) H. Ulmann, Kaiser Maximilian I. Stuttgart 1891. II. 323f. 

2) Schon 1508 in petto kreiert, doch erst 1511 promulgiert. 
Eubel III, 13. v. Pastor III, 619. 677: Kardinal-Priester vom Titel 
S. Pudentiana, nicht wie in älteren Werken oft zu lesen ist „Potentiana“. 

3) Eubel III, 278. Sein Sekretär Dr. Sander erhielt 1515 ein 


Benediktinerkloster bei Bergamo als Kommende, Hergenróther, Regesta 
Leonis X. Nr. 15324, 


88 8 


Mailand (1512) vorzubereiten?). Die Sforza sorgten jedoch 
dafür, daß er die Regierungsgewalt nicht dauernd an sich 
reißen konnte, und entschädigten ihn mit der Grafschaft 
Vigevano, deren reiche Einkünfte er durch Erpressungen und 
Unterschlagungen zu ergänzen verstand, die, wie Escher ur- 
teilt, „das Maß des Gewöhnlichen nicht allzusehr überschritten 
zu haben scheinen“. 

Als Vertreter des kaiserlichen Gesandten im Konklave 
konnte er eine gewichtige Stimme für die Wahl Leos X. in 
die Wagschale werfen, ohne jedoch selbst Aussicht auf die 
Tiara zu haben. Der Sieg der Schweizer bei Novara (1513) 
befestigte seine Stellung noch mehr, so daß er sich heraus- 
nehmen durfte, dem Neugewählten bei der Aussöhnung mit 
den abgesetzten Kardinälen der französischen Partei trotzige 
Opposition zu machen”); kein Wunder: hatte er sich doch 
an ihren Spolien bereichert. Immerhin war der herrische 
Kriegsmann so unentbehrlich, dab Georg auf der Flüe, der 
als sein Ankläger in Rom erschienen war, in die Engelsburg 
wandern mußte. Es ist nun ein beachtenswertes Zeugnis 
für den staatsmännischen Blick und die unermüdliche Tat- 
kraft Schiners, daß er den seit der Thronbesteigung Franz I. 
immer deutlicher hervortretenden Anschlägen der Franzosen 
auf die Rückeroberung der Lombardei mit allen Kräften 
entgegenarbeitete. Hierin liegt vielleicht das größte Verdienst 
seiner politischen Tätigkeit, die rastlos auf die Vereinigung 
der Kräfte des Kaisers und des Papstes, der Spanier und 
Schweizer gerichtet war, um den Stoß zu parieren. Nur 
schade, daß er die Frucht dieser Bemühungen in seiner allzu 
eigenmächtigen, hitzigen und brutalen Art aufs Spiel setzte, 
als er die in Mailand lagernden Schweizer zu dem schlecht 
vorbereiteten Angriff auf das französische Lager bei Marig- 
nano (13./14. Sept. 1515) verleitete. Schon hatte die Eid- 
genossenschaft am 8. September ihren Frieden mit Frankreich 
gemacht, der, vom Heere verworfen, doch die Zwietracht der 
Führer zur Folge hatte. Unter solchen Umständen war es 
doch ein unerhörter Frevel, wenn der Kardinal es unter- 


1) Dierauer S. 453. 469. 476, v. Pastor IIl. 700. 718. 718. 


Ulmann S. 458, 
2) v, Pastor IV, 1, 16. 2, 769. 1, 30, 38. 


9 8% 


nahm, die Truppen ohne ihren freien Entschluß und ohne 
alle Vorbereitung in einen Entscheidungskampf zu verwickeln:. 
indem er den Hauptmann der herzoglichen Garde an- 
stiftete, auf eigene Faust anzugreifen, und ihm persönlich 
mit den päpstlichen Truppen folgte, versetzte er das Haupt-. 
heer in die Zwangslage, aus landsmannschaftlichen Rück- 
sichten in das Scharmiitzel einzugreifen 1). 

- Die furehtbare Niederlage der Schweizer hatte zaxleieh 
den Sturz Schiners zur wohlverdienten Folge: die Schweiz 
schloß mit Frankreich Frieden, und als auch der Papst sich 
in Bologna vor dem Sieger beugte, mußte er sich auch ver- 
pflichten, Schiners Feind aus der Haft zu entlassen; hinfort 
war dieser aus seiner engeren Heimat hoffnungslos verbannt, 
bei den Eidgenossen höchst mißliebig und seiner mailän- 
dischen Güter wie des Bistums Novara beraubt. Auch von 
der Kurie verleugnet, fand er eine Zufluchtstätte bei der 
Regierung in Innsbruck und war fortan nichts weiter als ein 
von des Kaisers Gnade abhängiger Agent. 

Als solcher machte er sich zunächst nützlich, indem er 
als Gesandter in London an einer antifranzösischen Verbin- 
dung zwischen dem Kaiser und England arbeitete?); aber als- 
dann der Kriegszug Maximilians im Jahre 1516, den Schiner 
durch Anwerbung einer stattlichen Schweizertruppe mit eng- 
lischem?) Gelde unterstützt hatte, statt der Eroberung Mai- 
lands nur Zwietracht und Meuterei und endlich einen kläg- 
lichen Mißerfolg brachte*), da war seine Rolle in der großen 
Politik bis auf weiteres ausgespielt. 


1) Dierauer S. 512f., wo nur das Urteil über die frivole Handlungs- 
weise Schiners viel zu milde gehalten ist. Von dem Geschicht- 
schreiber der Päpste wird die ruchlose Tat des Kirchenfürsten mit 
der wohlklingenden Wendung übergangen, daß er „die Schweizer zur 
Schlacht angefeuert habe“. v. Pastor IV, 1, 81f. 97f. 

2 DRA. I, 8f. 11ff. über diese Verhandlungen, die Maximilian 
und „sein vertrauter Rat“, der Kardinal Sch. in den Niederlanden fort-- 
setzten. Sch.s Korrespondenz mit Wolsey bei Brewer, Letters and 
Papers II, III. 

$) v. Pastor IV. 1, 110. Ulmann II, 565. 667. 678. A. Walther, 
Die Anfänge Karls V. Leipzig 1911. S. 178f, 

t) Dierauer S. 523. Ulmann II, 667. 678. Dabei läßt sich nicht 
leugnen, daß er bei seiner Werbetätigkeit für die Sache des Kaisers- 


90 10 


Er machte daher jetzt noch einen verzweifelten Versuch, 
sich in seinem Bistum wieder einzudrängen. Schon hatte 
dort der offene Kampf begonnen, indem Jörg auf der Flüe 
an der Spitze der französischen Partei gegen die Brüder des 
Bischofs aufgetreten war und ihnen das Schloß Martinach 
entrissen hatte. So würde der Kardinal im Herbst 1517 aus 
seinem Bistum vertrieben. Gleichzeitig machten seine Gegner 
ihre Klagen bei der Kurie wieder anhängig, während Schiner 
die Fürsprache des Kaisers anrief: am 23. August 1518 wurde 
im Konsistorium ein Schreiben verlesen, in dem Maximilian 
das heilige Kollegium ersuchte!), seinem Mitglied in dessen 
Streitsache mit den Wallisern beizustehen, und am 4. Sep- 
tember forderte er den Papst auf, den Bischof gegen seine. 
rebellischen Untertanen zu schiitzen und ihm wieder zum 
Genuß seiner Einkünfte zu verhelfen?), aber alles vergebens. 

So blieb ihm als einziger Rückhalt nur sein Verhältnis 
zur kaiserlichen Regierung, das auch über den Tod Maxi- 
milians hinaus fortdauerte; denn der aus burgundisch-nieder- 
ländischen Staatsmännern und alten kaiserlichen Räten 
gebildete Ausschuß zur Betreibung der Wahl Karls I. sicherte 
sich alsbald die Mitwirkung Schiners, der nun unter der be- 
sondern Leitung des bedeutendsten unter jenen Diplomaten, 
des Herrn von Zevenberghen, die Aufgabe erhielt, die 
Schweizer für die habsburgische Kandidatur zu gewinnen oder 
sie wenigstens von einer Unterstützung Frankreichs abzu- 


in der Schweiz mit Umsicht und Weitblick verfuhr. So empfahl er 
am 2. Nov. 1517 von Zürich aus einige Schweizer Studenten ihrem 
Landsmanne Joachim von Watt, damals noch Professor in Wien, damit 
sie nicht nach Paris gehen möchten: ,,quotquot enim eo vadunt, 
perduntur Caesari“. Mitteilg. d. hist. Vereins von St. Gallen (Va- 
dianische Briefsammlung I) XXIV, 200f. 

1) Bei Eubel III, 13. Note 7 dahin mißverstanden, als ob LeoX. 
dem Kaiser die Sache des Kardinals empfohlen hätte: aber das konnte 
der Papst bei seiner damaligen Abhängigkeit von Frankreich gar 
nicht wagen. 

2) Kalkoff, Forschungen zu Luthers röm. Prozeß. Rom 1905. 
S. 126. Im Zusammenhang mit diesen Streitigkeiten ließ Schiner eine 
genaue Aufstellung der Rechte und Einkünfte des Bistums wie seiner 
Privatgüter im Wallis anfertigen, die D. Imesch in der Ztschr. f, Schweiz. 
Kirchengesch. X. Jahrg. S. 162—168, abgedruckt hat. 


11 91 


halten!). Er sollte seinen Landsleuten zu Gemüte führen, daß 
Franz I. sie bei dieser Gelegenheit zu unterjochen gedenke, 
wie es in einer Instruktion der Statthalterin Margarete heißt?). 
An diese hat Schiner auch unmittelbar Bericht erstattet, indem 
er seinen auch in Worms erschienenen Begleiter, den Grafen 
Matthäus von Beccaria, mit mündlichen und schriftlichen Mel- 
dungen an sie abordnete?); diese empfahl ihn dann wieder 
dem Könige als „personnage trés-expert“ und „sehr begierig, 
ihm zu dienen und die Franzosen zurückzuweisen“. Während 
die deutschen Kommissare es wohl für ausreichend hielten, 
sich der Hilfe des Schwäbischen Bundes zu versichern, drang 
Schiner darauf, daß man die Schweizer durch hohe Pensionen 
gewinnen solle: „der Weise sagt, daß ein Strick aus drei 
Schnuren schwerer zu zerreißen ist, als ein einfacher*)*. 
Dazu konnte sich nun freilich die spanisch-habsburgische 
Regierung, die ihr Geld zur Befriedigung der Wahlfürsten 
nötiger brauchte, nicht entschließen; immerhin wurde das 
nächste Ziel erreicht: die Eidgenossen erklärten, daß sie 
keinen Nichtdeutschen als Kaiser dulden würden, ohne freilich 
Karl als den ihnen etwa genehmen Bewerber zu nennen. 
Denn, wie Zevenberghen ganz richtig beobachtete, wünschten 
sie im Grunde ebenso wie der Papst den Machtzuwachs, den 

1) Vgl. die fleißige Arbeit von Joller, Kard. Sch.s Beziehungen 
zur Wahl Karls V. in den Blättern aus der Walliser Geschichte I, 
128—142, in der die ältere Literatur besonders bei Le Glay, Négocia- 
tions dipl.entrela France et l'Autriche. Paris1845 und in den State Papers 
erschöpfend benutzt worden ist. Leider wird sie entwertet durch die 
Tendenz, Sch.'s Persönlichkeit zu idealisieren und die Bedeutung seiner 
Mission zu übertreiben; er habe es verstanden, die Eidgenossen ,für 
Kaiser und Reich zu begeistern“, 

*) DRA. I, 114. 181 Anm. 4, 182. 185, Für gewöhnlich berichtete 
Sch. an Zevenberghen. S. 234. 240, 548. 

3) DRA. I, 185. Anm. 1. 278ff. II, 960. 

4) DRA. I. 360. 278, Anm. 1. 474, In der Denkschrift Schiners- 
vom l. Febr. 1519 heiót es, die schon sehr geschwundene Neigung 
der Schweizer für Habsburg sei ,aere et pensionibus^ aufzufrischen. 
F. J. Mone, Anzeiger f. Kunde der Deutschen Vorzeit, Karlsruhe 
1836. V, 18. Joller S. 135. In der sehr verdienstlichen Arbeit von 
W. Gisi, Der Anteil der Eidgenossen au der europäischen Politik 
während der Jahre 1517—1521, Archiv. f. Schweiz. Gesch. Zürich 1871. 
XVII., tritt Sch. wie es den Tatsachen entspricht, durchaus hinter 
Zevenberghen zurück (vgl. z.B. S. 98ff.). 


92 12 


Frankreich oder Spanien durch die Kaiserwiirde gewinnen 
mußten, zu verhindern; und da Frankreich, falls Franz I. 
nicht gewählt würde, entschlossen war, mit dem Papste für 
die Wahl eines Dritten einzutreten, so wollten sich auch die 
Schweizer nicht dazu hergeben, durch Stellung einer Truppen- 
macht einen Druck auf die Kurfürsten auszuüben, um die 
Erhebung des Spaniers zu sichern‘). Für diese bedenklichen 
Anschläge auf die Unabhängigkeit der Wahlberechtigten waren 
die Kommissare somit auf die Hilfe des Schwäbischen Bundes 
und, als dieser versagte, auf den allzeit käuflichen Banden- 
führer Sickingen angewiesen, der ihnen in der Tat in wirk- 
samster Weise half, „die Freiheit der Wahl zu schützen“ °). 

Auch ein anderer Versuch, eine Beeinflussung der Kur- 
fürsten mit Hilfe des Papstes herbeizuführen, bei dem Schiner 
eine Hauptrolle spielen sollte, scheiterte an der geheimen 
Abneigung der Kurie gegen die Wahl des Beherrschers von 
Neapel. Schon im Februar 1519 richtete König Karl I. das 
Ersuchen an den Papst, den Kardinal Schiner zum Legaten 
a latere zu ernennen, um seine Wahl zu fördern; er hoffte, 
daß auch Heinrich VIH. diesen Plan unterstützen werde, 
und auch die Statthalterin war (6. März) sehr davon einge- 
nommen): der Papst sollte den Kardinal durch eine Bulle 
bevollmächtigen, die Kurfürsten an ihre Pflicht zu mahnen, 
genau nach den Vorschriften der Goldenen Bulle zu wählen 
bei Strafe des Bannes, des Verlustes ihres Wahlrechtes und 
der Ungültigkeit der Wahl; so könne man den Umtrieben 
der Franzosen begegnen, denn Schiner würde schon diese 
Fakultäten zugunsten Karls zu gebrauchen wissen. Aber 
abgesehen davon, daß Leo X. vielmehr daran dachte, die 
Bestimmungen der Goldenen Bulle außer Kraft zu setzen, 
um die Wahl eines Dritten, des Kurfürsten von Sachsen, 
durch eine Minderheit zu ermöglichen‘), durfte er schon aus 


1) Am 16. März weist Karl seine Gesandten an, nach dem Rate 
Schiners über die Stellung von 10—12000 Schweizern zu verhandeln, 
um die Freiheit der Wahl gegen die Franzosen zu schützen, und 
zugleich ein Bündnis vorzubereiten. DRA. I, 481. 

2) DRA. I. 702, AgL. S. 78f. 

3 DRA. I, 179. Anm. 1. 226. 340. 360. 392. Joller a. a, O. S. 141. 

4) ZKG. XXV, 414. 


13 93 


Rücksicht auf den ihm verbtindeten König von Frankreich 
nicht daran denken, dessen geschworenen Gegner derartig 
auszuzeichnen. Man hörte denn auch bald aus Rom, dab 
der Papst den Kardinal nicht nach Frankfurt entsenden werde, 
da er neutral zu bleiben wünsche !). 

Immerhin war die spanische Regierung mit den von 
Schiner geleisteten Diensten so zufrieden oder wenigstens 
von seiner Unentbehrlichkeit so überzeugt, daß Karl I. ihm 
zweimal die Summe von 1000 Gulden anweisen lied und 
ihm Ende Mai durch Zevenberghen eine Urkunde übermittelte, 
in der ihm bis zur Verleihung einer größeren Pfriinde ein 
Jahrgeld von 2000 Gulden verbürgt wurde?) Der Kaiser 
lóste dann sein Wort ein, als das Bistum Catania mit einem 
taxmäßigen Einkommen von 3—4000 Gulden dureh den Tod 
seines Inhabers erledigt wurde; wenn der Papst am 1. No- 
vember 1520 Schiner als Administrator bestätigte, so ist 
auch darin ein Zeichen seiner grundsátzlieh schon kurz vorher 
beschlossenen Lösung von der französischen Vormundschaft 
zu erblicken ë). : 

Als Diener Karls V. wurde er nun bald nach dessen 
Landung im Sommer 1520 an den Hof beschieden, wo er 
Anfang September eintraf, um nun zunächst bei höfischen 
Anlässen den Glanz der kaiserlichen Umgebung zu erhöhen: 


1) DRA. I, 482 (3. März) 510. Wenn Karl am 31. Mai an Mar- 
garete schreibt, der Papst werde Sch. zur Wahl delegieren, so war 
dies nur eine Finte, um die Stimmung seines Anhangs zu heben. 

*) Die Statthalterin hatte ihm schon beizeiten zugesagt, man 
werde ihn so bezahlen, daß er zufrieden sein werde. DRA. I, 279 
Anm. 1. 226. 360. 481. 735. Dankschreiben Karls vom 18. Juli bei 
Joller S. 131. 

3) Es ist eine schiefe Auffassung, wenn Escher 8.734 erzählt, „der 
Papst habe Sch. als einen der einflußreichsten Räte des Kaisers ge- 
würdigt, indem er ihn am 1. Nov. 1521 (so!) zum Bischof von Catania 
ernannte“. Aber über die Bistümer des Königreichs beider Sizilien 
verfügte die spanische Krone unbedingt. — Seit seinem Sturz und dem 
Verlust seiner mailändischen Pfründen und Güter scheint der Kardinal 
nicht immer zahlungsfähig gewesen zu sein, denn am 5. Nov. 1520 
bittet er von Köln aus, einen Züricher Bürger, von dem er ein Haus 
gekauft hatte, das dieser wegen Ausbleibens der restlicheu Zahlungen 
zurücknehmen wollte, zu vertrüsten, A.P. v. Segesser, Eidgenössische 
Abschiede S. 1263, 


94 14 


$0 erschien er schon beim Einzug in Antwerpen wie be- 
sonders bei dem in Aachen am 22. Oktober mit zwei andern 
„roten Hütlein“, den Kardinälen M. Lang und W. von Croy, 
oder bei der Leichenfeier des letzteren und bei der Unter- 
zeichnung des Wormser Edikts im Dome zu Worms, wo er 
. am 27. Januar bei der Eröffnung des Reichstages auf be- 
sonderen Wunsch des Kaisers die Messe vom heiligen Geist 
singen mufte?) Uber seine Teilnahme an den Beratungen 
über Luthers Angelegenheit mag vorläufig nur bemerkt werden, 
dab er regelmäßiges Mitglied des Redaktionsausschusses war, 
der über Aleanders Entwürfe zu befinden hatte; auch in 
dieser Stellung fungierte er aber nur als kaiserlicher Rat, 
da diese Körperschaft nicht von den Reichsständen, sondern 
vom burgundischen Kabinett gebildet wurde. Aber so eifrig 
der Kardinal sich den Nuntien zur Bekämpfung der deut- 
schen Ketzerei zur Verfügung stellte, weit mehr lag ihm der 
von Karl V. geplante „Romzug“ am Herzen und die schon 
in der Proposition vom 27. Januar angekündigte Rücker- 
oberung Mailands. Der „Kardinal von Bellis“, wie Hermann 
von dem Busche den alten Werbegeneral in „Dr. Martin 
Luthers Passion“ mit treffendem Spott bezeichnete”), brannte 
darauf, „nur zwei Monate Sold für ein Schweizer Heer zu 
erhalten, um Mailand zurückzugewinnen und alle Franzosen 
aus Italien zu verjagen“: so berichtete der englische Ge- 
sandte am 9. Februar’). So vermutete man auch gewib 
nicht mit Unrecht, daß Schiner den Prediger beeinflußt hatte, 
der bei der Leichenfeier des Kardinals von Croy am 22. Fe- 


1) DRA. IL, 73. Anm. 5. 94. 157. 800, BDB. S. 31. ADS, 249. 
Ferner erscheint er beim Einzug Erzherzog Ferdinands in Worms am 
3. April. DRA. II, 888. Ende Sept. 1520 übermittelt er von Antwerpen 
aus den Eidgenossen unbedeutende Mitteilungen des Kaisers betr. das 
Ausbleiben ihrer Gesandtschaft bei der Krönung und die Verhandlungen 
seines obersten Kommissarsin Deutschland, M. v. Zevenberghen, 
Segesser, Abschiede S. 1263, 

2) AD. S. 168. Anm. 2. 

8) DRA. II, 792, 23f. 794, 6f BDB. 8. 74, Anm, 75. Die gleich- 
zeitig auftauchende Nachricht, daß bei der Abreise des Kaisers Ferdi- 
nand als Statthalter im Reiche bleiben sollte mit Schiner als Beirat, 
wird nur von einem Italiener berichtet und hat nur geringe Bedeu- 
tung. DRA. II, 801, 1. 


15 95 


bruar die leidenschaftliche Aufforderung zum Kriegszug nach 
Italien an den Kaiser richtete. Wenn dann der Sekretär 
Schiners, Dr. Michael Sander, den Redner getadelt hatte, so 
war es nur geschehen, weil dieser zugleich den Papst wegen 
seiner Freundschaft mit Frankreich angegriffen und eine kon- 
ziliare Entscheidung in Luthers Sache gefordert hatte. Sander, 
ein früherer päpstlicher Zeremonienmeister, beschwerte sich 
nun sofort bei seinem Herrn, den er in der Umgebung des 
Kaisers wußte, über die Drohungen, die ihm diese Äußerung 
von einigen Deutschen eingetragen hatte’): vermutlich wußte 
er schon, daß sich im Geheimen ein völliges Einvernehmen 
zwischen Kaiser und Papst auch in den italienischen Fragen 
vorbereitete ?). 

Die Haltung der Schweizer mußte nun bei der sich so 
deutlich ankündigenden Auseinandersetzung mit Frankreich 
eine große Rolle spielen, und so war die kaiserliche Re- 
sierung beizeiten darauf bedacht, sich auch die Mitwirkung 
der Reichsstände bei der Beschiekung der Eidgenossen zu 
sichern. Da diese ablehnten, ging die Gesandtschaft aus- 
schließlich im Auftrage des Kaisers ab, geführt von Zeven- 
berghen; indessen erlangte sie von der Tagsatzung in Zürich 
nur einen sehr unbefriedigenden Bescheid, und schon Ende 
April erneuerten die Eidgenossen ihren Bund mit Frankreich’). 
Daf man den Kardinal nicht mitgeschickt hatte, erklärt sich 
daraus, daß man, solange die Stellungnahme der Schweizer: 
noch nicht entschieden war, sie nicht durch das Auftreten- 
eines so ausgesprochenen Feindes der Franzosen stutzig 
machen wollte. Zugleich aber stieg die Mitwirkung des er-. 
fahrenen Kriegsmannes für Kaiser und Papst, die sich in 
denselben Tagen zum Bündnis gegen Frankreich vereinigten 
(8. Mai), im Werte. 

Der Kaiser hatte daher in der Instruktion vom 4. April. 
nieht unterlassen, die Sehweizer zu bitten, gegen Schiners 
Feinde im Wallis einzuschreiten, die schon in der Acht 
seien“), und schon am 17. März hatte er auch ein dringen-. 


1) BDB. S. 13. 28 ff. 

?) ZKG. XXXII, 61 f. 

*) DRA, II, 362, Baumgarten, Gesch. Karls V. II, 1, 30. 
4) DRA, II, 380. 


"96 16 


-des Fürsehreiben an den Papst gerichtet!) Denn in Sehiners 
Prozess wegen seiner Vertreibung aus dem Bistum Sitten 
und der Vorenthaltung seiner Einkünfte hatte zwar die Rota 
zu seinen Gunsten entschieden, aber solange der französische 
Einfluß an der Kurie maßgebend war, konnte dem Urteil 
keine weitere Folge gegeben werden. Nun ersuchte zwar 
‚der Kaiser den Papst dringend, die Wiedereinsetzung des 
Bischofs zu bewirken und mit allen pflichtschuldigen Mitteln - 
„dafür einzutreten, daß dem widerrechtlich beraubten Reichs- 
fürsten Genugtuung widerfahre; doch fehlte auch ihm die 
Macht, in dem tatsächlich jedem Einflusse des Reiches ent- 
rückten Gebiet seinem Schützling wirksam beizustehen. 

Nur durch die Verdrängung der Franzosen aus Ober- 
italien und die dann zu erwartende Schwächung ihres Ein- 
‘flusses in der Schweiz konnte der Bischof von Sitten hoffen, 
auch in seiner Heimat wieder das Heft in die Hand zu 
bekommen. Kein Wunder, daß er sich mit dem größten 
Eifer für den von Spanien und Lec X. geplanten Kriegszug 
einsetzte. Er begleitete den Kaiser noch nach den Nieder- 
landen, reiste dann aber am 29. Juni eiligst von Brüssel 
nach Zürich?), um im Verein mit den dortigen Vertretern der 

1) Karl V. an Leo X.: Cum magnis revmi cardinalis Seda- 
nensis erga Nos meritis tantum moveremur, saepe per literas et per 
oratorem Nostrum illius causam Sanctitati Vestrae commendavimus. 
Accessit postea ratio imperii, in qua cum non tantum de Sedunensi 
quam de existimatione Nostra ageretur, Sanctitatem Vestram obsecravi- 
mus, ut, cum causa iudicibus cognoscenda data esset hique sententias 
protulissent, Sedunensem pro aequitate in integrum restitui vellet. De 
Sanctitatis Vestrae in hominem voluntate, cum, qua ille in Eam ob- 
servantia sit, non ignoremus, ne tantillum quidem dubitamus; si quid 
autem est, quod obsit, quamquam nihil Sanctitati Vestrae ad conser- 
vandam auctoritatem suam obstare debet, obsecramus, ut apposito studio 
Nostro, qui pro dignitatis Nostrae existimatione cardinali, principi 
imperii iniuriose dispoliato, accurrimus, id faciat, quod a Sanctitate 
Vestra debetur et ab omnibus, qui bene sentiunt, expectatur. Male 
enim agetur, si qui erunt, qui sibi, quaecunque libuerint, licere putent, 
Der Gesandte ist instruiert. 

Ex civitate imperiali Vormaciae XVII. Martii MDXXI. 

Carolus. El rey. G. Argillensis. 
Original, Arch. Vatic., Arm. II, c. 1, Nr. 23. 

2) Marino Sanuto, Diarii XXXI, col 47; nach den Lettere di 

principi I, fol. 94a am 30, Juni. 


17 97 


Kurie die Aufstellung eines Söldnerheeres zu betreiben. Es 
kam ibm dabei sehr zu statten, daß Zürich dem Bündnis . 
mit Frankreich nicht beigetreten war und nun 2000 Mann 
bewilligte, jedoch nur zur Verteidigung des Kirchenstaates. 
Es war das Meisterstück des alten Werbeoffiziers, daß er 
nun bald ein ansehnliches Heer zusammenbrachte, und bei 
seiner skrupellosen Verschlagenheit war es ihm dann auch 
ein Leichtes, die Hauptleute zur Teilnahme an der gegen 
Mailand gerichteten Offensive zu verleiten, obwohl eidge- 
nössische Gesandte sich die größte Mühe gaben zu verhüten, 
daß Schweizer mit Schweizern handgemein würden!) 

Die beiden Legaten, Mediei und Schiner, unter deren 
Augen am 19. November Mailand erstürmt wurde, mußten bald 
darauf zur Papstwahl nach Rom eilen. Im Konklave hat 
der erfahrene Staatsmann eine nicht unerhebliche Rolle ge- 
spielt, da er einmal der Vertrauensmann des kaiserlichen 
Gesandten war und als solcher dahin arbeitete, die Wahl 
eines französisch gesinnten Papstes zu verhüten; zugleich war 
er der Korrespondent des ehrgeizigen englischen Ministers, 
der sich Hoffnungen auf die Tiara gemacht hatte; endlich 
erbielt er selbst in mehreren Wahlgängen eine ansehnliche 
Zahl von Stimmen; doch hätte die französische Partei seine 
Erhebung nicht zugelassen?). Wenn nun der Kardinal Kajetan 
in einem bisher noch nicht verwerteten Bericht über seinen 
entscheidenden Anteil an der Wahl Hadrians VI. erzählt, daß 
er sich mit diesem Vorschlag zuerst an einen führenden Kar- 
dinal der kaiserlichen Partei gewendet, von diesem aber eine 
ausweichende Antwort erhalten habe3), so gewinnt es den 
Anschein, als ob Schiner — denn nur dieser kann gemeint 
sein — sich selbst als Papabile gefühlt und deshalb den 
neuen Mitbewerber habe fernhalten wollen. Aber ernste 
Aussichten hat er keinesfalls gehabt‘), da das Geplänkel bei 


*) v. Pastor IV, 1, 386 ff. Baumgarten II, 1, 35. 61. 

?) v. Pastor IV, 2, 3.5.7 Anm. 6, 14 Anm.1. 15 Anm. 5. 

?) Vgl. meine Untersuchungen „Zur Geschichte Hadrians VI.“ im 
Hist. Jahrbuch 1918, S. 37. 

‘) Gegen Escher S 734 und Joller S. 55; auch ist es irrig, daß 
der neue Papst ihm und zwei anderen Kardinälen die interimistische 
Verwaltung des Kirchenstaates übertragen hätte. Selbstverständlich 

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4, 7 


98 18 


den vorbereitenden Abstimmungen fiir die wirklichen Ab- 
sichten der Wahler wenig zu bedeuten hat. Jedenfalls aber 
hat er sich bei seinen Verdiensten um die Sicherung des 
Kirchenstaates gegen die Franzosen und seiner Stellung zum 
Kaiser mit der Absicht getragen, sich unter dem neuen 
Papste eine hervorragende Stellung an der Kurie und einen 
gewichtigen Anteil an der Leitung der päpstlichen Politik 
zu sichern. Denn die Denkschrift vom 1. März 1522, in 
der er nach der Auffassung katholischer Forscher ein „Re- 
formprogramm“ „im Sinne Hadrians VI.“ entworfen haben 
soll?), ist nur darauf berechnet, die päpstliche Regierung nach 
der verschwenderischen Wirtschaft Leos X. wieder leistungs- 
fähig zu machen: sie handelt also allenfalls von einer Reform 
einiger Behörden der Kurie, nicht aber von einer Besserung 
der Kirche und ist weit davon entfernt, auch nur die von 
den deutschen Reichsständen gerügten Mißbräuche in Recht- 
sprechung und Pfründenvergebung gründlich in Betracht zu 
ziehen. Das überschwengliche Lob, das dem Verfasser gleich- 
wohl von A. Büchi?) wegen der „großen Einsicht und des 
festen Willens zu einschneidenden Maßnahmen“ gespendet 
wird, gipfelt in der Feststellung, daß er „nicht in das rein 
kirchliche Gebiet des Glaubens und der Sittenlehre eingreife“, 
das allerdings „dem ausgesprochenen Diplomaten“ sehr fern 
lag. Dabei wird völlig verschwiegen, daß die erste Hälfte 
des Schriftstückes nur der augenblicklichen politischen Lage 
gewidmet ist mit der dreisten Zumutung an den neuen Papst, 
sich von vornherein, an Händen und Füßen gebunden, der 
kaiserlichen Mächtegruppe auszuliefern. Hadrian VI. soll ein 
Bündnis mit dem Kaiser und mit den Königen von England 
und Portugal schließen, in das der Herzog von Mailand 
aufzunehmen ist. Er soll in dieser Richtung festgelegt 
werden durch ein englisches Darlehen von 200000 Dukaten, 
wodurch die Verschuldung des heiligen Stuhles erleichtert 
und den dringenden Bedürfnissen — d. h. vor allem der 


ist auch Büchi (Kirchl. Handlexicon II, 1963) der Meinung, daß 
Schiner „als Nachfolger Leos X. ernstlich in Frage gekommen sei", 
1) y. Pastor IV, 2, 61f. 66 f. 72. 82; abgedruckt S. 722—724. 
2) Sonderabdruck S, 21 f. 


19 99 


Bezahlung der Schweizer Söldner?!) — genügt werden sollte. 
Die doppelte Summe könne mit gutem Recht durch Be- 
steurung der getauften Juden (der Marranos?), der Rebellen, 
d. h. der französischen Partei in der Romagna und Emilia, 
und der Spekulanten erzielt werden. Der Papst soll nicht 
nur den König von Frankreich auffordern, auf alle Er- 
oberungspläne in Italien zu verzichten, sondern auch den 
Vasallen der Kirche den Anschluß an Frankreich und die 
Bekämpfung der mit der Kirche verbündeten Mächte — wie 
des Bischofs von Sitten — verbieten. Vor allem suchte er 
den Papst von dem Gedanken an einen baldigen Friedens- 
schluß abzubringen, indem er ihn darauf aufmerksam machte, 
daß ein solcher Friedensschluß die Gefahr in sich berge, 
von den Feinden hintergangen und so geschädigt zu werden, 
daß ein noch heftigerer Krieg unvermeidlich werde. Darauf 
seien die Umtriebe der Franzosen und Venetianer bei der 
Türkei gerichtet, die sie mit Geld unterstützten, um durch 
ihre Angriffe die Westmächte zu einem solchen tiberstürzten 
Frieden zu nötigen. Bevor aber die Franzosen völlig aus 
Italien vertrieben seien, könne weder dieses Land noch das 
übrige Europa zu einem dauernden Friedenszustand gelangen. 
Seit dem Einbruch Karl VIII. in Italien seien mehr als 
200 000 Menschen im Kampfe gefallen; so lange also Frank- 
reich bei Kräften bleibe, könne man auch den Türken nicht 
mit Erfolg entgegentreten. So viel Wahres nun auch diese 
Sätze enthielten, so waren die übrigen Ratschläge um so 
bedenklicher. 

Denn Schiner suchte den Papst ferner bei der Gewalt- 
politik festzuhalten, die Alexander VI. und Leo X. zur Ver- 
groSerung des Kirchenstaates und zur Mehrung ihrer Haus- 
macht verfolgt hatten?) und die vor allem zu dem ruchlosen 


1) Leo X. schuldete der Schweiz noch 36000 Dukaten und Hadrian 
hatte die größte Mühe, wenigstens das Geld für Zürich aufzubringen. 
v. Pastor IV, 2, 101, 

2) Vgl. über diese meine Anfänge der Gegenreformation in den 
Niederlanden. Halle 1903. I. 41ff, 

3) Dies spricht sich auch in dem Absatze aus, in dem er den 
Papst dringend beschwört, nicht zu dulden, daß die Kardinäle irgend 
eine der Besitzungen, die unter Leo X. oder seinen Vorgängern ge. 


T* 


100 20 


und aufreibenden Kampfe um das Herzogtum Urbino und 
zur Vertreibung des kriegerischen Rovere Francesco Maria 
geführt hatte. Die bedrohten Dynasten hatten sich ge- 
wöhnlich dea Franzosen in die Arme geworfen oder auf 
eigene Faust die Ruhe des Kirchenstaates gestört. Schiner 
suchte nun den Papst mit Argwohn und Furcht vor diesen 
bewafineten Umtrieben zu erfüllen, indem er ihm vorstellte, 
wie diese „Tyrannen“, die Urbino und — wie die Baglioni — 
Perugia zu unterdrücken bestrebt seien, auch Bologna durch 
Zurückführung der Bentivogli der päpstlichen Herrschaft 
entfremden würden. Abgesehen von dem Wichtigsten, daß 
Hadrian VI. sich keineswegs sofort der kaiserlichen Partei 
anschloß, sondern ehrliche Versuche machte, mit Frankreich 
zum Frieden zu kommen, daß er ferner die Türkengefahr 
sofort und mit allen erreichbaren Mitteln zu bekämpfen sich 
anschickte, kann man auch an diesem Nebenpunkte sehen, 
wie hoch er die politische Weisheit Schiners einschitzte: 
er hat die großen Vasallen der Kirche, die Herzöge von 
Ferrara und Urbino, durch größte Milde und weitgehende 
Zugeständisse versöhnt und so auch den kleinen Fried- 
brechern wie den Bentivogli für den Augenblick die Lust 
zu ferneren Streichen benommen oder sie wie die Baglioni 
durch Wiederaufnahme beschwichtigt 1), 

Und so war er erst recht nicht gesonnen, sich diesem 
Mentor zu fügen in dem für die persönliche Geltung des 
Papstes bedenklichsten Punkte, der zugleich die frevelhafte 
Selbstsucht und rohe Machtgier des alten Ränkeschmieds 
enthüllt. Unter dem gleisnerischen Ratschlag, daß Hadrian VL, 
wenn er in Wahrheit der Herr sein wolle, sich keinen 


wonnen wurden, verloren gehen ließen oder dem Kirchenstaate ert- 
fremdeten. Er müsse vielmehr alle Sorge darauf richten, diesen Be- 
stand zu verteidigen, wobei dann freilich Kriegsmänner wie Schiner 
und seine Schweizer unentbehrlich waren. Eine ähnliche Absicht ver- 
birgt sich hinter dem Rate, daß der Papst keinesfalls auf die Vor- 
schläge eingehen möchte, die die Kardinäle ihm wegen der Besatzungen 
der festen Plätze des Kirchenstaates machen könnten. 

1) v. Pastor IV, 2, 110ff, 196. Uber das Auftreten der italienischen 
Verbannten in Worms vgl. BDB. S. 13ff. 74f. Die Baglioni stießen 
dort am kaiserlichen Hof auf Mißtrauen (S. 29), wie es ihnen auch 
Schiner hier entgegenbringt. 


21 101 


Kardinal als leitenden Staatsmann — wie Giulio de’ Medici 
im Amte des Vizekanzlers — an die Seite setzen dürfe — 
er müsse vielmehr alle gleichmäßig lieben und nur dem 
Verdienst größeren Einfluß gestatten’) —, suchte er zunächst 
dem noch in Spanien weilenden Oberhaupte der Kirche 
die bisher einflußreichsten Staatsmänner der Kurie zu ver- 
düchtigen. Denn die Erläuterung zu diesem Satze sollte 
der mit der Denkschrift entsandte Vertrauensmann mündlich 
geben, weil es zu gefährlich sei, dies alles schriftlich zu 
melden. Sodann suchte er der Möglichkeit zu begegnen, 
daß Hadrian VI. schon in Spanien die wichtigsten Posten 
besetzte, indem er ihm riet, erst nach seiner Ankunft in 
Rom erprobte Männer in diese Ämter zu berufen: die wür- 
digsten und unbestechlichsten Anwärter würden ihm dort 
der Kardinal von Sitten und der Landsmann Hadrians, 
Wilhelm van Enkevoirt, namhait machen, mit dem sich also 
Schiner schon verbündet hatte, da das Freundschaftsver- 
hältnis der beiden Niederländer allgemein bekannt war?) 
Auch sorgte Schiner dafür, daß zwei der einflußreichsten 
Stellen, die des Geheimsekretärs und des Subdatars, doch 
womöglich schon von Spanien aus mit von ihm genannten 
Personen besetzt werden möchten. Seine eigentliche Ab- 
sicht aber liegt in dem Vorschlage, der Papst möge, wenn 
er nicht sehr bald in Rom einzutreffen gedenke, einen Le- 
gaten ernennen und dies keinesfalls dem Kollegium der 
Kardinäle überlassen: es ist unverkennbar, daß er selbst 
zunächst bis zur Ankunft des Papstes die Herrschaft über 
den Kirchenstaat in die Hand zu bekommen suchte, und 
dann würde der gelehrte Herr schwerlich im Stande ge- 
wesen sein, den neuen Vitelleschi®) wieder abzuschütteln. 


7) Diese schöne Wendung wird von Pastor und von Büchi ge- 
hörig unterstrichen, die Tendenz des Ratschlags aber übersehen. 

?) Auch Aleander hat daher sofort nach der Wahl Hadrians den 
Skriptor Enkevoirt umschmeichelt. ZKG. XXVIII, 226ff, 

*) Die Charakteristik des Kardinals Giov. Vitelleschi, des Bischofs 
von Recanati, der, 1434—40 als Vertreter des abwesenden Eugen IV, 
in Rom bestellt, dort seine Gewaltherrschaft aufrichtete, kann im 
wesentlichen auf den deutschen Condottiere übertragen werden: „ehr- 
geizig, verschlagen, habsüchtig, grausam, dabei aber entschlossen und 
tapfer“, v. Pastor I, 240ff. 


102 99 


Auch die Reformvorschlige des ungebetenen Beraters 
haben ihre bedenkliche Kehrseite. Einige von ihnen waren 
ja zweifellos vernünftig und schon so oft und von so vielen 
Seiten erörtert worden, daß Hadrian VI. wahrlich nicht von 
Schiner dazu inspiriert zu werden brauchte!)  Dab die 
Herabsetzung der Zahl der Beamten und Hofleute, die er 
dem Papste empfahl, auch die Kardinäle zur Vereinfachung 
ihrer Hofhaltung bestimmen würde, war eine Täuschung, 
die nur um so auffälliger wird, je gründlicher Hadrian VI. 
aus eigenstem Antriebe in dieser Richtung vorging. Dab 
die Auditoren des päpstlichen Schatzes und die Kammer- 
kleriker, also die Beamten der mit umfassender Gerichts- 
barkeit ausgestatteten höchsten Finanzbehörde sowie die 
Abbreviatoren als die wichtigsten Kanzleibeamten ihre Stellen 
nicht mehr dureh Kauf erlangen sollten, sondern daß diese 
an kenntnisreiche Personen unentgeltlich vergeben werden 
müßten, damit das Recht nicht käuflich sei, war eine For- 
derung, die längst auch von den deutschen Reichsständen 
erhoben worden war, die aber daran scheitern mußte, dab 
auch diese Amter nur deshalb vermehrt worden waren, um 
päpstliche Anleihen zu fundieren, d. h. den Geldgebern ihr 
Kapital nebst Zinsen durch die Erträgnisse dieser Behörden 
sicher zu stellen?). Dasselbe galt von Ämtern der Pöni- 
tentiarie und der Rota, die aus demselben Grunde nicht so 
leicht auf die tatsächlich nötige Zahl der Beamten zu be- 
schränken waren. Und wenn Schiner vorschlug, ihnen einen 
festen Gehalt anzuweisen, ihnen und den ,Seriptores aposto- 
liei?)" die Einhaltung der Taxen zur Pflicht zu machen 
und die Annahme der üblichen Geschenke (der „propina“) 
über den Betrag von zwei Dukaten hinaus zu verbieten *), 


1) Wie v. Pastor S. 66f bei zwei der von Schiner berührten 
Beamtenklassen annimmt. 

? Zu diesen hier nur andeutungsweise zu behandelnden Ver- 
hältnissen vgl. die gründlichen archivalischen „Forschungen“ von 
W. v. Hofmann, „zur Gesch. der kurialen Behörden“ (Bibl. des Preuß. 
Hist, Instituts XII) Rom 1914. 

8) Mit diesem Ausdruck können die Scriptores literarum aposto- 
licarum ebenso gut wie die Secretarii apostolici gemeint sein. 

4) Über diesen Brauch vgl. v. Hofmann I, 29. 


23 103 


s0 klingt das sehr verständig und war ebenfalls schon oft 
gefordert worden; aber die Inhaber dieser Ämter, diese 
Vakabilisten, die ansehnliche Summen hergegeben hatten, 
um sie durch derartige Sporteln verzinst zu bekommen, 
empfanden ein solches Vorgehen als Raub, was auch Schiner 
dadurch anerkannte, daß er vorschlug, die Gehälter aus 
den Einkünften der großen Abteien zu decken, die er also 
den betreffenden Kongregationen einfach wegnehmen wollte. 

Noch radikaler wollte er mit denjenigen Ämtern ver- 
fahren, die nur dem Geldbedürfnis der letzten Päpste ihre 
Entstehung verdankten: so waren die von Leo X. 1514 ge- 
schaffenen 612 „portionarii Ripae“, „überhaupt keine Be- 
amten mehr, sondern nur Rentenempfänger“, die einen An- 
leihebedarf von 281000 Dukaten gedeckt hatten, und zwar 
in kleineren Anteilen, da auch die kleinen Kapitalisten heran- 
gezogen werden sollten!) Der Ertrag des Flußzolles und 
der Markttaxen mußte daraufhin stark vermehrt werden, 
was natürlich eine drückende Steigerung der Preise der 
notwendigsten Lebensmittel zur Folge hatte. Wenn Schiner 
nun riet, diese auf die Hälfte herabzusetzen, da die dann 
zu erwartende Steigerung der Einfuhr den Ausfall decken 
werde, und die Abgabe nieht mehr verpachtet, sondern durch 
festbesoldete Beamte erhoben wissen wollte, so war diese 
schöne „Reform“ eben nur möglich, wenn man die ver- 
kauften Amter einfach aufhob, was er denn auch ohne viel 
Federlesens auch für die von Leo X. stark vermehrten 
Stellen. der Cubieularii und Seutiteri sowie der Milites S. 
Petri?) vorschlug. Gerade an dem letzteren Falle erhellt 
deutlich, daß diese Maßregel nichts Anderes bedeutete, als 
einen Staatsbankerott: denn diese 400 Petersritter 
hatten auf Grund einer Bulle vom 29. Juli 1520 für ihren 
Titel je 1000 Dukaten gezahlt, d. h. sie hatten eine auf be- 
stimmte Einkünfte der Kurie angewiesene Leibrente erworben °), 


1) v. Hofmann I, 160f, wo auch über die drei folgenden ,Ehren- 
chargen“ nühere Angaben gemacht werden. 

2) Hier ist bei v. Pastor IV, 2, 724, Zeile 30 zwischen militum 
scutiferorum ein Komma zu setzen. 

3) Vgl. über diese Gründung Leos X. ZKG. XXXV, 168f und die 
dort angegebene Literatur. 


104 24 


die ihnen nach Schiners Plan kurzweg entzogen werden 
solite. Die Inhaber der beiden anderen Hofümter hatten bei 
der 1515 erfolgten Neuordnung nicht weniger als 200 000 
Gulden aufgebracht !). 

„Einschneidend“ war also wenigstens die letztere Maßregel 
gewiß, und estraf auch zu, daß die Vezinsung dieser Anleihen fast 
die gesamten Einkünfte des ,, Patrimoniums Petri“ verschlang ?), 
die Sehiner gern für die von ihm vorgeschlagene kriegerische 
Aktion freigemacht hätte; aber völlig unerfindlieh ist es, 
wie man in diesem wunderlichen Komplex militärischer, 
politischer, finanzieller, administrativer und höchst persönlicher 
Vorsehlüge einen kirchlichen Reformplan erblicken kann. 
Gewib war Schiner bei der Ankunft Hadrians VI. in Rom 
eine Persönlichkeit, die wegen ihrer jüngsten kriegerischen 
Verdienste und ihres Verhältnisses zum Kaiser Beachtung 
fordern konnte; doch darf man dem Umstande, daß der 
Papst ihn allein weiter im Vatikan wohnen ließ, während 
die bisherigen „Palastkardinäle“ sich zurückziehen mußten ?), 
keine besondere Bedeutung beilegen, da Sehiner der einzige 
war, der in Rom keine eigene Wohnung hatte, Bei der 
grundversehiedenen Natur beider Münner war eine Ver- 
trauensstellung Schiners, wie sie Hadrian VI. nur jenem 
Enkevoirt einräumte, von vornherein ausgeschlossen; schon 
die Fragen der auswärtigen Politik würden sich bald als 
Hindernis für die selbstsüchtigen Pläne des alten Kriegs- 
mannes erwiesen haben, der sehon einen Monat nach dem 
Einzug des Papstes einer Seuche erlag (1. Oktober 1522). 


1) Kalkoff, Miltitziade, Leipzig 1911. S. 60f. Ztschr. f. G. d. Ober- 
rheins XXXII, 308 Anm. 

?) Nach v, Hofmann I, 288f war die Zahl der käuflichen Ämter 
von 1518 bis 1521 von 936 auf 2232, das darin angelegte Kapital auf 
21/|, Millionen und die Rente auf rund 300000 Dukaten gestiegen; 
diese konnte aus kirchenstaatlichen Einnahmen nur zu einem Drittel 
gedeckt werden. 

3) Pastor IV, 2, 66. Abgesehen von dem Inhalt der Denkschrift 
kann man auch deshalb, weil sie nur dem Papste bekannt geworden 
ist, kaum sagen, daß schon „Schiners Name ein Reformprogramm 
bedeutete", 


25 105 


Auf Grund dieser Übersicht seines Lebensganges er- 
hellt nun schon zur Genüge, was von der angeblichen Be- 
günstigung Luthers und seiner Lehre zu halten ist, einer 
Auffassung, die in einem älteren Werke in der Formel zu 
Tage tritt, er sei „ein Freund von Erasmus, Luther und 
Zwingli^ gewesen‘). Da wir nun unwiderleglich feststellen 
können, daß er zur Zeit des Wormser Reichstags zu den 
schärfsten Gegnern der ketzerischen Bewegung gehört und 
auf die grausame und restlose Ausrottung der Lutheraner 
im engsten Einvernehmen mit den Vertretern des Papstes 
hingearbeitet hat, so könnte es allerdings scheinen, als ob 
die früheren lutherfreundlichen Auslassungen des Kardinals 
auf einen „Gesinnungswechsel“ schließen ließen. Wenn sein 
künftiger Biograph sich die größte Mühe gibt, ihn von 
diesem Makel zu reinigen?), so heißt das eigentlich, offene 
Türen einrennen. Freilich erschwert er sich diese schöne 
Aufgabe, indem er den Beziehungen Schiners zu Zwingli und 
einigen gelegentlichen Äußerungen über Luther eine ebenso 
übertriebene Bedeutung beilegt wie seinen Reformbestrebungen 
die ihn zeitweilig sogar als einen „Bewunderer Luthers“ 
hätten erscheinen lassen. Man kann ihm dabei zugeben, 
dab der Umsehwung in Sehiners Haltung nieht in erster 
Linie auf bloße „Geldverlegenheiten“ zurückzuführen ist?). 


1) E. F. v. Mülinen, Helvetia sacra. Bern 1858. I, 27. Bet 
A. Horawitz u. K. Hartfelder, Briefwechsel des Beatus Rhenanus, 
Leipzig 1886. S. 275, Anm. 3, erscheint er 1521 als „früherer Gönner 
Capitos“. 

2) Büchi, S. 11, 18. 23. 

3) Ein arger Verstoß ist dem Biographen Schiners (S. 11, Anm. 3.) 
nachzuweisen, wenn er aus einem Briefe Martin Butzers an Beatus 
Rhenanus, der sich mit der Schilderung der Lage auf dem Wormser 
Reichstage in der Zeit kurz vor dem Schlusse beschäftigt — dieser, 
wie ein Brief an Zwingli, sind auf den 22. und 23. Mai anzusetzen; 
vel. WE. S. 261, Anm. 1 — eine Äußerung über die Todeskrankheit 
des bisher leitenden Staatsmannes anführt, die auch in den Depeschen 
Aleanders ihrer politischen Wichtigkeit entsprechend, wiederholt er- 
wähnt wird; am 26. Mai berichtet der Nuntius (DA. S. 256), daß jener‘ 
bereits seit sechs oder sieben Tagen von den Ärzten aufgegeben worden 
sei, was genau zu der Äußerung Butzers paßt (Horawitz-Hartfelder,. 
S. 275), daß er dem Tode nahe sein solle. Butzer macht dann die 
völlig zutreffende Bemerkung, daß Wilhelm von Croy schon wegen. 


106 26 


Immerhin wurde er durch die Zuwendungen Karls I. und die 
Verleihung des Bistums Catania aus einer sehr driickenden 
Lage befreit, und schon seit dem Frühjahr 1519 sind daher 
keine Kaberingen kirchlichen Mißvergnügens mehr über- 
liefert. Der entscheidende Umstand aber, der den Schlüssel 
zum Verständnis seines bisherigen Verhaltens bietet, ist seine 
Rehabilitierung an der Kurie, die angesichts der unerbitt- 
lichen Feindschaft Frankreichs erst möglich war, als Leo X. 
seinen Übertritt ins kaiserliche Lager vorbereitete. Sie fand 
ihren Ausdruck in der Bestätigung jener Bistumsverleihung; 
die Hauptsache aber für Schiner war, daß sich ihm nun 
wieder eine glänzende Aussicht im Dienste der vereinigten 
Mächte, des Kaisers und des Papstes, eröffnete. 

Somit erklären sich jene viel erörterten Äußerungen 
als Zeichen der Mißstimmung über seine Zurücksetzung durch 
Leo X., über die Begünstigung seiner Feinde im heimatlichen 
Bistum. Der rohe Söldnerführer reiht sich also einfach der 
‘Gruppe der mißvergnügten Kirchenfürsten an, die wie Albrecht 
von Mainz oder Matthäus Lang oder Eberhard von der Marck 
die kirchlichen Schwierigkeiten in Deutschland benutzten, 
um dem Papste ihre Unentbehrlichkeit fühlbar zu machen 
und die Erfüllung ihrer selbstsüchtigen Wünsche zu erpressen. 

Schon das Verhältnis Schiners zu Zwingli läßt sich ohne 
die Annahme einer Hinneigung des Kardinals zu den 
reformatorischen Ideen des Züricher Leutpriesters erklären. 
Zu einem Briefwechsel ist es zwischen beiden nie gekommen ?); 
wohl aber hat Schiner mit Hilfe seiner vom Papste be- 
soldeten Freunde am Großmünster darauf hingewirkt, dem 
einflußreichen Politiker diese Stelle zu verschaffen, und ist 
mit ihm dann bei ihrer gemeinsamen antifranzösischen 
Richtung Hand in Hand gegangen. Das für Kaiser und 


seiner auch von dem venetianischen Botschafter bezeugten Habgier (BDB.S 
24, 69) mit den römischen Machthabern in Luthers Sache Hand in Hand ge- 
gangen sei. Die Herausgeber haben nun das „Dominus de Schiuer“, die Uber- 
setzung seines Titels , Seigneur de Chiévres*, verlesen und „Schiner“ ge- 
druckt; doch mußte Büchi, von allem andern abgesehen, auch von der 
robusten Gesundheit seines alten Wallisers, wissen, daß dieser nicht dem 
Herrenstande angehörte und also niemals „Dominus de“ genaant wird. 
. 1) Büchi, a. a. 0., S. 3. 


27 107 


Papst gleich günstige Ergebnis ihrer vereinten Bemühungen, 
das besonders in der Haltung Zürichs beim Ausbruch des 
Krieges von 1521 zu Tage trat, mußte den Kirchenfürsten 
bestimmen, die damals schon sehr entschieden reformatorische 
Richtung Zwinglis zu übersehen. 

Dessen unwillige Äußerungen über den Piacenzer Zug 
(1521) dürften ihm kaum zu Gehör gekommen sein; und 
selbst die Kurie würde gegen ein opportunistisches Ver- 
halten zu dem Züricher Prediger nichts einzuwenden gehabt 
haben, da Hadrian VI. noch im April 1523 diesen durch 
ein Schreiben zur Unterstützung seines Nuntius in der 
Bündnisfrage aufforderte und ihm Belohnung dafür in Aus- 
sicht stellte). Man braucht deshalb aber nicht von „warmer 
Zuneigung Schiners zu seinem Freunde Zwingli“, zu reden 
mit dem er „eines Sinnes“ gewesen sei, oder von „freund- 
schaftlichen Beziehungen, die in ungeteilter Herzlichkeit bis 
zur Verurteilung Luthers auf dem Reichstage in Worms 
(Mai 1520) fortgedauert“ hätten?). Die ausgetauschten Höf- 
lichkeiten brauchen keineswegs „im Sinne reformatorischer 
Neigungen“ des Kardinals gedeutet zu werden, ebensowenig 
wie dessen abfällige Äußerungen über das Papsttum „die 
Deutung eines Abfalls vom Dogma und kirchlicher Lehre“ 
erlorderlich machen. 

Zwingli berichtet nämlich i. J. 1525°), er habe schon 
vor acht Jahren in Gegenwart Schiners nachgewiesen, daß 
die Einrichtung des Papsttums sich aus der Schrift nicht 
begründen lasse; dieser habe dann wiederholt geäußert, er 
werde, wenn ihm Gott wieder zur Macht verhelfe („zum 
Bret“), dafür sorgen, daß „der Übermut und die Falschheit, 
die der römische Bischof brauche, an den Tag komme und 
gebessert werde“. Aber Zwingli gibt gleichzeitig einen 


1) v. Pastor IV, 2, 101. 

*) Büchi, S. 8f. Abgesehen davon, daß der Reichstag i. J. 1521 
stattfand, wurde Luther auch nicht von den Reichsstünden „verurteilt“; 
das hatte der Papst sich vorbehalten und auch schon ausgeführt; der 
Reichstag aber hat die Ausführung des Urteils wenigstens in der von 
Aleander und Karl V. gewünschten Form beharrlich abgelehnt. 

*) Huldreich Zwinglis sämtl. Werke. Hrsg. von Egli, Finsler 
und Köhler. Leipzig 1915, IV, 50. Büchi, S. 4, 


108 28: 


Wink, wie derartige Außerungen eines Schiner zu erklären 
seien: er sei damals bei Papst und Kardinälen in Ungnade 
gewesen! Und genau so steht es mit dem zweiten Bericht, 
den wir Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte!) ver- 
danken; wieder geht die Anregung von Zwingli aus, der 
seinen Bischof bestürmt, die Predigt des reinen Gotteswortes 
zu gestatten und die Kirche von den vielen groben Miß- 
bräuchen und Superstitionen befreien zu helfen; er beteuert, 
daß er sich verpflichtet fühle, im Notfalle der Wahrheit die 
Ehre zu geben und den Trug zu bekämpfen. Es war die 
Ankündigung, daß er dem Beispiel Luthers folgen werde, 
wenn ihm in der Schweiz durch ähnliche Vorkommnisse wie 
die Ablaßpredigt Tetzels Anlaß dazu gegeben werden sollte. 
Sehiner stimmte nun auch in diesem Falle ein: er werde, 
wenn ihn Gott wieder in sein Bistum Wallis zurückführe, 
dort die Irrtümer abstellen und das Wort Gottes fördern 
helfen, 

Wieder ist es nun ein recht überflüssiges Bemühen, die 
Glaubwürdigkeit Bullingers zu erschüttern, der seine Chronik 
erst sehr viel später abgefaßt habe, oder die zweite Er- 
zählung als eine bloße „Paraphrase“ der ersten hinzustellen, 
die Zwingli in einer tendenziösen Streitschrift verwerte, in 
der er sich mit der angeblichen Zustimmung zweier Bischöfe 
zu decken suche. Auch dessen bedarf es nicht, um Schiner 
vor dem Verdacht zu schützen, als ob er ein „Gesinnungs- 
genosse* Zwinglis gewesen sei. Denn wieder gibt der zeit- 
genössische Bericht den für den ultramontanen Historiker 
allerdings nicht ganz angenehmen Fingerzeig, daß damals. 
schon niemand an eine „völlige Übereinstimmung“ des 
Kardinals mit dem werdenden Reformator geglaubt habe: 
„Es waren schöne Worte, aber sonst nichts dahinter“. Biichi 
selbst verweist schließlich auf die Warnung, die Beatus 
Rhenanus am 6. Dezember 1518 an Zwingli richtete: Schiner 
scheine ihm nicht zuverlässig zu sein, da er (in Luthers. 
Sache) es doch wohl mit der Gegenpartei halte, wenn nicht 
etwa das Unglück seinen Sinn geändert haben sollte?). Und 
(0003) Hrsg. von Hottinger uud Vögeli, Frauenfeld 1838. I, 10. 


2) Horawitz-Hartfelder a. a. O., S. 123. Büchi nennt S. 6, Anm. 1 
den 8. Dez. als Tag des hl. Nikolaus! Man kann auch nicht einfach 


29 109 


schließlich trifft er wenigstens annähernd das richtige, wenn 
er sich damit tröstet, daß Schiners Äußerung auch auf „eine 
bloß kirchliche Reformnotwendigkeit“ bezogen oder als 
„Verurteilung der päpstlichen Politik“ aufgefaßt werden könne. 


Im Ärger über die franzosenfreundliche Haltung Leos X., 
die ihn zur Armut, Verbannung und Untätigkeit verurteilte, 
konnte es Schiner leicht fertig bringen, Zwingli den Druck 
einer antirömischen Spottschrift zu empfehlen‘), und mehr 
hat es auch mit der angeblichen „Bewunderung“ nicht auf 
sich, die Schiner anfänglich dem Auftreten Luthers gezollt 
haben soll. Wenn Luthers Anhänger gelegentliche Äußer- 
ungen hochgestellter Personen, die in jener Anfangszeit die 
Entwicklung der Dinge natürlich nicht ahnten, zu Luthers 
Gunsten zu verwerten suchten, so will dies für die kirch- 
liche Haltung solcher Machthaber wenig besagen. Besonders 
Erasmus und Capito haben in dieser Hinsicht wiederholt 
mit kluger Berechnung auf die öffentliche Meinung einzu- 
wirken gesucht. So kann Capito an Luther am 18. Februar 
.1519 berichten, daß mehrere Schweizer Prälaten, darunter 
der Kardinal, ihm eine Zufluebtstátte und pekuniäre Unter- 
stützung in Aussicht gestellt hätten, falls der Bann gegen 


übersetzen: „da er ein Komödiant sein dürfte“, sondern mit der 
„comoedia“, die der Kardinal stillschweigend begünstige, sind die Um- 
triebe der Gegner Luthers, insbesondere der von den Dominikanern 
betriebene römische Prozeß gemeint. 


1) A. a. O., S. 142 (März 1519), Büchi S. 8. Ob eine Schrift 
Huttens in Frage kommt, ist sehr zweifelhaft; der Inhalt war „gegen 
den Papst und die geldgierigen Kardinäle“ gerichtet, also der rein 
politischen Opposition Schiners angemessen. — Praktisch völlig be- 
deutungslos war der angebliche Liebesdienst, den Schiner Luthern er- 
wiesen haben soll, indem er bei dem Bischof von Basel ein Druck- 
verbot gegen die Schrift des St. Gallener Augustiners Peter Käs er- 
wirkt habe (Büchi S. 8f). Aber einmal richtete sich die an sich un- 
bedeutende Polemik auch gegen Schiners politischen Freund Zwingli, 
und dann war es von vornherein ausgeschlossen, daß sich ein Drucker 
dazu hergegeben hätte, „diesen Narrenspossen“ (frascas, italienisch 
frasche) gegen Luther seine Presse zur Verfügung zu stellen“, wie 
der Franziskaner Conr. Pellican in Basel am 16. März 1520 Luthern 
versicherte. Th. Kolde, Analecta Lutherana, Gotha 1883, S. 13, wo 
die Beziehung der Briefstelle nicht festgestellt ist. ° 


- 


110 30 


ihn vollstreckt werden sollte’), Aber gerade der landflüchtige 
Bischof von Sitten verfügte damals weder über Geld noch 
über ein sicheres Heim, so daß es sich auch in diesem 
Falle nur um eine Äußerung seiner antipäpstlichen Stimmung 
handelt. Und deshalb darf man auch dem von dem Baseler 
Verleger Froben berichteten Worte Schiners keine tiefere 
Bedeutung beilegen, der bei Überreichung der ersten 
Schrift Luthers gesagt habe: „Luther, tu vere es luter“; 
oder vor den Leipziger Tagen: „Eck mag disputieren, so viel 
er will; Luther schreibt die Wahrheit“?). Es folgt daraus 
nicht einmal, daß Schiner Luthers Schriften wirklich gelesen 
hatte. Und vollends das Zeugnis des braven Spalatin, der 
von Augsburg aus im August 1518 die Rechtfertigungsschrift 
Luthers zu den Ablaßthesen an Schiner übersandte und 
diesen Luther gegenüber dann „als warmen Anhänger des 
deutschen Reformators“ bezeichnete?®), ist für die Gesinnung 
des Kardinals völlig belanglos. Abgesehen davon, daß man 
von weitergehenden reformatorischen Absichten Luthers da- 
mals noch nichts wußte, handelt es sich hier nur um einen 
klug berechneten Schritt des Kurfürsten von Sachsen, der 
eifrig darauf bedacht war, für seinen Schützling gerade in 
der Umgebung des Kaisers, von der die gegen Luther und 
ihn selbst gerichtete Denunziation vom 5. August ausgegangen 
war, hochgestellte Fürsprecher zu werben, die dem Kardinal 
Lang in diesem Falle die Wage halten könnten ?). 

Er hat sich daher auch nicht erst durch die Verdammungs- 
bulle vom 15. Juni 1520 oder die durch den Nuntius 
Aleander auch ihm übermittelte päpstliche Aufforderung da- 
von abbringen lassen, „Luthers Vorgehen zu bewundern, 
ja, seine Person zu unterstützen“; wenn er auch von theo- 


1) Enders: Luthers Briefwechsel I, 424, 3. Es ist eine arge 
Übertreibung Büchis, wenn er von dieser Gruppe als von „begeisterten 
Anhängern Luthers“ spricht. S. 10, 

2) Enders l, 421, 38ff. 

3) ,tui mirum in modum studioso". Enders I, 232, 35ff. Mit 
dem Urteil des Herausgebers über Schiner, daß er „den Humanisten 
zugetan und anfangs auch der Reformation scheinbar nicht abgeneigt“ 
gewesen sei. 

4) Kalkoff, Forschungen zu Luthers rómischem Prozeß. S.126. 148f. 


31 111 


logisehen Dingen blutwenig verstand, so hatte er doch da- 
mals schon begreifen müssen, daß Luthers Angriffe auf das 
Papsttum die weltliehe und geistliche Macht der gesamten 
Hierarchie erschüttern mußten. Luthers heftiger Gegner 
Johann Fabri, der damals Generalvikar des Bischofs von 
Konstanz war und bei seinem Aufenthalt in Rom i. J. 1522 
von Schiner lebhaft begünstigt wurde, berichtet!), daß dieser 
Luthers Lehre getadelt habe wegen der Verwerfung der Autorität 
der Konzilien und aller kirchlichen Überlieferung: so käme man 
durch Ablehnung der Beschlüsse des Konzils von Nizäa in. 
die Gefahr arianischer Irrlehren und, wenn er nun gar nichts 
weiter gelten lasse als das Neue Testament und das 
apostolische Glaubensbekenntnis (novum testamentum et 
essentia in divinis), so müßten alle äußeren Einrichtungen 
der Papstkirche dahinsinken. Es war also wirklich nicht 
nötig, daß der „Appell des Papstes“ ihm erst „die Augen 
öffnete“, und es ist ohne viel Umschweife „mit völliger 
Sicherheit festzustellen“ daß Schiner ganz von selbst den 
„Bruch mit Rom“ vermieden haben würde?) 

Besonders deutlich geht das aus seinen Äußerungen 
gegenüber dem Nuntius Medici hervor: er sprach am 4. Fe- 
bruar 1521 vor diesem und anderen italienischen Großen 
seine Befürchtung aus, dad nach der Abreise des Kaisers 
diese Bestien, die Deutschen, dem Papste den Gehorsam 
kündigen und über die Priester herfallen würden; er sprach 
damit die infame Verdächtigung nach, die Aleander im ersten 
Entwurf des Wormser Edikts, über den Schiner gerade in 
jenen Tagen im Redaktionsausschuß zu beraten hatte, gegen 
Luther erhob: daß er die Laien allerorten zur Ermordung 


1) Die Stelle ist wiedergegeben bei Büchi S. 11, Anm. 4. Die 
theologische Formulierung ist das Werk Fabris. 

2) Büchi (S. 13) verwickelt sich dabei in den Widerspruch, daB. 
er gleichzeitig betont, daß dabei „für den aus seinem Bistum ver- 
triebenen, seiner Einkünfte beraubten, auf die Gnade und Pension der 
Fürsten und das Wohlwollen des Papstes angewiesenen Kardinal weit 
mehr auf dem Spiele stand* als für arme Teufel wie Luther und 
Zwingli, und doch behauptet, daß die religiösen Motive für Schiner 
ausschlaggebend gewesen seien. Nach ultramontanem Rezept wird. 
dabei die von Luther angestiftete „Revolution“ mit der Erhebung der 
Walliser gegen ihren ehrgeizigen Bischof auf eine Stufa gestellt. 


112 39 


der Priester aufreize, in deren Blute sie ihre Hände waschen 
sollten‘). Er benutzte nun zwar diese Gelegenheit, um 
seinem alten Groll gegen die Kurie Luft zu machen, indem 
er auf die Erbitterung der deutschen Fürsten hinwies, die 
sich über das Treiben der Ablaßkrämer beschwerten, die 
mit Hilfe der mönchischen Prediger alles Geld zusammen- 
gerafft hätten. Er tadelte auch die Eingriffe des römischen 
Hofes in die Pfründenbesetzung und die Schwächung der 
bischöflichen Gewalt. durch die zahllosen Privilegien der 
Bettelorden, besonders ihre Exemtion von der Gerichtsbar- 
keit des Ordinarius: wenn der Bischof einen Priester fest- 
nehme, um an ihm Gerechtigkeit zu üben, so wüßten ihn 
die Mönche alsbald seiner Hand zu entziehen — offenbar 
eine Erfahrung, die dem gewalttätigen Manne von seinen 
Kämpfen mit der heimatlichen Gegenpartei in schmerzlicher 
Erinnerung geblieben war. Doch lieb er dem Nuntius 
keinen Zweifel daran, daB ihm selbst dieses Gebaren der 
Deutschen sehr mibfale und dab er die Verzógerung in der 
Fertigstellung des Verfolgungsgesetzes lebhaft bedaure. 
Auch was er nach Luthers Abreise von Worms dem 
neuen venetianischen Gesandten Contarini über Luther mit- 
teilte, läßt darauf schließen, daß von irgend welcher Vor- 
liebe für seine Person oder von Verständnis für seine Lehre 
bei diesem alten Kriegsknecht nie die Rede gewesen sein 
kann?). Er erklärte, daß Luther sich als sehr unklug, un- 
mäßig und unwissend erwiesen habe; er lehre außer andern 
Torheiten, daß die Konzilien irren könnten, das jeder Laie 
das Sakrament des Altars vollziehen könne, daß die Ehe 
auflósbar und Hurerei keine Sünde sei sowie daß alles nach 


1) BDB. S. 38f, Theologische Studien und Kritiken 1917, 
S. 953—959. Im Dezember-Entwurf heißt es, daß Luther das Volk 
in deutschen und lateinischen Schriften ,ad rebellionem et odium 
Suae Sanctitatis et sacerdotum provocaret, quos ut armis omnibus 
impeterent et manus in istorum sanguine lavarent laicos omnes ubicunque 
incitavit . . . WE. S. 52—58, 302, 2—7. 

?) DRA, II, 880. AD. S. 172, Anm. BDB. S. 19, 57. WE. S. 
257, Anm. 4 (zu der Depesche Contarinis vom 27. April). Zu der De- 
hauptung über Luthers Fatalismus s. WE S, 253if, zu den andern 
Äußerungen vgl. S. 202f, 205f und die deutsche Fassung des Wormser 
Vdikts DRA. II, 646f. 


33 113 


dem Gesetz der Notwendigkeit vor sich gehe. Diese Kennt- 
nisse verdankte er seiner Mitarbeit an dem kaiserlichen Edikt 
und seinem Verkehr mit Aleander, der, soweit diese Angaben 
nicht schon in den früheren Fassungen vorkamen, sie in 
dem von Karl V. am 8. Mai genehmigten Entwurf unter- 
brachte. Dieselbe ebenso rohe als oberflächliche Beurteilung 
der Lehre Luthers spricht sich denn auch in dem Schreiben 
an Herzog Georg von Sachsen aus, das Schiner am 29. August 
1522 in Rom diktiert und eigenhändig unterzeichnet hat. 
Indem er den Adressaten an ein Gespräch erinnert, das er 
mit ihm auf dem Wormser Reichstage über Luthers Lehre 
geführt habe, beginnt er sogleich mit jenem berüchtigten 
Ausdruck des Wormser Edikts, daß Luther alle längst ver- 
dammten Ketzereien „in eine stinkende Pfiitze“ 
vereinigt habe!) Nur daß Schiner den Mund dabei recht 
voll nimmt: „Lutheri haeresiarchae impurissima doctrina 
omnium damnatarum, reiectarum et superatarum haeresum 
infernali sentina ac impudentissima suscitatrice, cui a Christi 
ad eaelos ascensu truculentior, scelestior et execrabilior 
haetenus vixit nemo...“ Wenn er erst von den Kümmer- 
nissen der Verbannung erlöst und wieder in den Besitz 
seines verlorenen Bistums gelangt sei, werde er alles daran- 
setzen, um die ,spurcitia haeresis Lutheranae“ ausrotten 
zu helfen?) * 

Man braucht also den Kardinal wahrlich nicht gegen 
den Verdacht eines „Gesinnungswechsels* zu verteidigen 
oder Zeugnisse für „seine unverdächtig katholische Gesinnung“ 


1) ,quamplurimorum haereticorum damnatissimas haereses in 
unam sentinam congesserit^ Joh. Cochläus, Commentaria de vita et 
scriptis Lutheri. Moguntiae 1549. p. 331, 33sq. WE. S. 60. "Theol. 
Stud, u. Krit. 1917, S. 268. 

?) Fel. Ge8: Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs 
v. S., Leipzig 1905, I, 347, Der Herausgeber hat weitere „rein phrasen- 
hafte Ergüsse über Luthers Schändlichkeiten“ durch Punkte angedeutet; 
Büchi aber hat an dem Mitgeteilten solches Wohlgefallen, daß er 
meint: „Leider sind die kräftigsten Stellen einfach aus- 
gelassen“ (S. 19, Anm, 2), Daß Schiner selbst der Verfasser ist, geht 
auch daraus hervor, daß ein Schreiben seines Sekretärs Sander an 
Beatus Rhenanus (Horawitz-Hartfelder S, 145) in elegantem Latein 
gehalten ist. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII, 3/4. 8 


ES 


114 | | 34 


zu häufen, zumal jene Äußerungen aus der Zeit seines 
ärgsten Mißgeschicks schwerlich über den Kreis seiner 
erasmiseh gerichteten Landsleute hinausgedrungen waren). 
Ohne sich über die religiösen Fragen viel Kopfzerbrechens 
zu machen, trat er unbedenklich und rticksichtslos für die 
Aufrechterhaltung der päpstlichen Macht ein, sobald ihm 
durch die Annäherung der Kurie an den Kaiser sich wieder 
Aussicht auf gebührende Berücksichtigung seiner Leistungen 
eröffnete. 

Er ist in Worms als Mitglied des kaiserlichen Redaktions- 
ausschusses, der gelegentlich in seiner Wohnung tagte, nicht 


1) Auf ein sonderbares Zeugnis für Schiners Glaubenstreue be- 
ruft sich Büchi, wenn er S. 23, Anm. 1 ein Schreiben des General- 
schatzmeisters der Niederlande (trésorier général des finances; des 
„Pfenningmeisters‘“ der Statthalterin, den A. Dürer in Antwerpen 
porträtierte; K, Lange und F. Fubse, Dürers schriftl. Nachlaß. Halle 
1893, S. 124, 7) Jean Marnix, seigneur de Thoulouse, an Schiner mit- 
teilt, in dem jener in vielen diplomatischen Geschäften und so auch in 
dem Wahlfeldzug von 1519 gebrauchte und nach Deutschland ent- 
sandte Beamte (vgl. DRA. I) am 28. Dezember 1519 versichert, daß 
sein Kollege Jean d'Ostin, genannt Hesdin, über die Verdienste des 
Kardinals unterrichtet sei. Dieser Hesdin war ebenfalls Rat der 
burgundischen Regierung und führte den Titel eines maitre d’hötel 
des Königs Karl I.; er wurde 1522 als ,maréchal des logis“ des 
Kaisers bestellt mit der Verpflichtung, diesem in den Krieg zu folgen, 
Auch er wird in den diplomatischen Korrespondenzen bei Le Glay, 
Lanz, Brewer sehr oft erwähnt, ganz besonders aber bei Sendungen 
an den englischen Hof, mit dem ja auch Schiner in engen Beziehungen 
stand, und in kriegerischen Angelegenheiten, da er u. a. für die nieder- 
ländische Artillerie zu sorgen (Brewer, Letters und Papers III, 957, 
1007f) und darüber mit Wolsey zu verhandeln hatte. Diese beiden 
Männer hatten also schwerlich eine genauere Vorstellung von dem 
Stande der lutherischen Angelegenheit und erblickten in Schiner eine 
hervorragende diplomatisch-militärische Kraft, deren religiöse Ge- 
sinnung ihnen außer Frage gestanden hat. Keinesfalls hatten sie 
schon Ende 1519 Kunde von kirchlicher Unzuverlässigkeit deutscher 
Fürsten, von der auch in der Tat, den einzigen Friedrich von Sachsen 
ausgenommen, noch nicht die Rede sein konnte. Nun schreibt Marnix: 
Hesdin habe von ihm erfahren, wie Schiner sich eifrig bemüht habe, 
während geistliche und weltliche Fürsten sich schwierig gezeigt hätten 
(adversis principibus); nichtsdestoweniger habe Schiner sich wie ein 
Fels in seiner „fides catholica“ gezeigt (in f. c. petram firmari), Auf 
diesen Umstand (super quo; von den Personen spricht Marnix als von. 


35 115 


besonders hervorgetreten!), wozu auch kein Anlaß vorlag, 
da diese von Aleander ausgewählten Vertrauensmünner eigent- 
lieh nur die Aufgabe hatten, die Entwürfe des Nuntius móg- 
lichst unverändert zur Vorlegung an die Reichsstände zu 
empfehlen. Aber er hat sich dem Vertreter des Papstes 
dureh Erteilung von Auskunft und Warnungen nach Kräften 
gefällig gezeigt und höchst wahrscheinlich ihm auch als 
Übersetzer gedient, als Aleander unmittelbar nach der Kró- 
nung in Aachen zwischen dem 23. und 26. Oktober mit 
seinem Vorentwurf zu dem nachmaligen am 29. Dezember 
von dem Gesamtstaatsrate gutgeheiBenen Edikt an das kaiser- 
liche Kabinett herantrat. Der Nuntius hatte damals noch 
keine Verbindungen mit den deutschen Räten angeknüpft, 
die ihm die Übertragung der späteren Entwürfe besorgten 
und sieh dabei der hochdeutschen Kanzleisprache bedienten. 


der „Excellentia‘“ Hesdins und der ,,Paternitas Rev.“ des Kardinals) werde 
Hesdin bei der Katholischen und.Kaiserlichen Majestüt sich berufen 
(bildlich gesprochen: ,fundamentum suum est factura), in der festen 
Hoffnung, den Kaiser dahin zu bringen, daß es dem Kardinal niemals 
gereuen solle, „fidem catholicam conservasse‘“. Da es nun nach dem 
ganzen Sachverhalt und der Stellung der beteiligten Personen vóllig 
ausgeschlossen ist, daß es sich am ein Urteil über die religiöse Über- 
zeugung handeln könnte, so bleibt nur die Erklärung übrig, daß hier 
ein Wortspiel vorliegt mit dem Titel des Königs von Spanien, des 
„rex catholicus‘, dessen Wahl Schiner trotz des Widerstrebens vieler 
Fürsten hatte durchsetzen helfen, wofür er nun bemüht war, die schon 
zugesagte Belohnung dureh die Fürsprache einflufreicher Finanz- und 
Hofbeamter sich baldigst zu sichern (Hesdin als Korrespondent Schiners 
auch bei Le Glay, Négociations II, 158—165). 

Büchi legt auch einer gesinnungstüchtigen Äußerung Schiners 
vom 24. Juni 1517 (3. 22, Ànm. 1) eine allzu idealistische Bedeutung 
bei: wenn dieser da erklärt, daß er allen, die ein Schisma erregen 
oder die Kirche stürzen wollen, entgegentreten werde, so bezieht sich 
dies auf die von Leo X, aus gewinnsüchtigen Absichten stark über- 
triebene Kardinalsversehwórung dieses Frühjahrs, die mit „antikirch- 
lichen Strömungen“ oder auch nur einer politischen Intrige, wie das 
Pisanum von 1511 war, nichts gemein hatte. 

1) Vgl. die Nachweisungen im WE. und DA. nach dem Personen- 
verzeichnis. Daß „die Freunde Luthers“ ihn nicht „insbesondere für 
die scharfe Fassung des Mandats verantwortlich machten", geht auch 
daraus hervor, daß die von Büchi S, 18 mißverstandenen Mitteilungen 
Aleanders über die Drohungen der Deutschen schon vom 8. Februar 
stammen, als noch niemand Näheres von einem Mandat wuBte. 


Sr 


116 36 


Die Übersetzung des Aachener Entwurfs ist jedoch in der 
schweizerischen Mundart gehalten!) und die ungelenke Hand- 
habung der Sprache?) erinnert an das grobschlächtige Latein 
in dem Briefe Schiners an Herzog Georg. Überdies ist da- 
bei Papier mit schweizerischem Wasserzeichen verwandt 
worden; da nun der Sekretär Schiners, Dr. Michael Sander, 
aus dem Wormser Sprengel stammte), so dürfte als Ver- 
fasser dieser Übersetzung in erster Linie der Kardinal selbst 
in Betracht kommen. 

Für sein lebhaftes Interesse an der Bekämpfung der 
gefährlichen Sekte zeugt dann auch der Umstand, daß er 
sich eine Abschrift der kaiserlichen Erklärung vom 19. April 
1521 verschafft hatte*) und daß er das kaiserliche Seque- 
strationsmandat vom 10. März dem Vertreter des Papstes in 
der Schweiz tibersandte®). Und obwohl seine Beziehungen 


1) Vgl. meine Nachweisungen in WE. S. 106, Anm. 2. 

?) J. Kühn in ZKG, XXXV, 389, Anm. 3 und meine Bemerkung 
ARG, XIII, 257, Anm. 1. | 

3) Wie Büchi S. 15, Anm. 5, leider ohne Quellenangabe mitteilt. 
Sander erwies sich noch naeh dem Tode seines Brotherrn als leiden- 
Schaftlicher Gegner der Reformation, der er als Domherr in Konstanz 
(1523) nach Kräften zu wehren suchte. Auch dem Erasmus suchte 
er (1524) in Rom Widerpart zu halten. Förstemann und Günther, 
Briefe an Erasmus v. Rotterdam (Beiheft z. Zentralbl. f, Bibliotheks- 
wesen 27. 1904) S. 93f, 84, 415f. Über seine Lebensumstünde vgl. 
BDB. S, 75f. 

4) Ein Hinweis auf diese Vorlage (‚ex archetypo cardinalis Sedu- 
nensis,“ DRA. II, 594, 26) ist von Büchi dahin mißverstanden worden, 
daß eine „deutsche Übersetzung davon in der Druckerei des Kar- 
dinals Schiner („ex archetypis“) hergestellt wurde.“ Allerdings sei 
„ihm von einer solchen Druckerei sonst nichts bekannt“, und, wie 
wir ihm versichern können, andern auch nicht. Trotzdem ist er mit 
der weitern Folgerung bei der Hand, daß Sch. „auch an der Ab- 
fassung des Originals mehr beteiligt gewesen sein dürfte, als bisher 
-angenommen war.“ Bisher aber wurde nur „angenommen“, daß dieses 
Schriftstück die erste völlig selbständige Kundgebung des jungen 
Herrschers gewesen sei. Allenfalls könnte dabei an den Einfluß des 
von Aleander inspirierten Beichtvaters Glapion gedacht werden; keines- 
falls aber stand Sch. dem Monarchen nahe genug, um an der Ent- 
stehung dieser Urkunde beteiligt gewesen zu sein. 

5) Büchi S. 17, Anm. 6 nimmt mit dem Herausgeber der ,,Akten- 
sammlung zur Schweiz. Reformationsgeschichte* J. Strickler, irrtüm- 
licherweise an, daß es sich um das Wormser Edikt handelte; aber 


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zu den literarischen Kreisen nur sehr oberflächliche waren, 
bemühte er sich nun auch, Luthers Gegner heranzuziehen 
und zu fördern. Am wenigsten Glück hatte er dabei mit 
Erasmus, der ihn zwar im März 1521 wie andere einfluß- 
reiche Staatsmänner am kaiserlichen Hofe mit einer Zuschrift 
bedacht hatte, um sich gegen die Verdächtigungen Aleanders 
zu decken. Dann hatte er dem Kardinal in Brüssel seine 
Aufwartung gemacht und dabei von seinen Bemühungen um 
die Erläuterung der neutestamentlichen Schriften gesprochen: 
er unterlieS nicht, der von Schiner empfangenen Auf- 
munterung zu gedenken, als er im Herbst das Evangelium 
seines Namenspatrons mit Paraphrase dem kaiserlichen Hofe 
übersandte!) | Aber er war viel zu klug, um auf die auch 
von Schiner unterstützte Einladung zur Übersiedelung nach 
Rom einzugehen ?). | 

Dieser hat dann dem bald naeh dem Tode Leos X. in 
Rom angelangten Generalvikar von Konstanz Johann Fabri?) 
seine Gunst angedeihen lassen und seine dort erst vollendete 
und am 14. August 1522 aus der Presse gekommene Streit- 


dieses war bei dem eiligen Aufbruche des Hofes Ende Mai auch in 
der in Worms gedruckten deutschen Fassung noch nicht für den Ver- 
sand fertig und die für den Italiener W. de Falconibus wichtigere 
lateinische Fassung wurde erst in Lówen gedruckt. Vgl. zur Ge- 
schiehte des Sequestrationsmandats WE. Kap. VI. 

!) Die Nachweise in den Anfángen der Gegenreformation in den 
Niederlanden I, 88. II, 55f., 98. 

2) Büchi S. 19. Die Tätigkeit Schiners beschränkte sich in diesem 
Falle darauf, daß er, wie Fabri am 7. April 1522 an Beatus Rhenanus 
schrieb, den Konstanzer Generalvikar beauftragte, in seinem Namen 
auf Erasmus in diesem Sinne einzuwirken, dem er auf die von Fabri 
geäußerten Bedenken seinen Schutz zusagte. Horawitz-Hartfelder S. 
304f. Die Bedeutung einiger schmeichelhaften Äußerungen des Eras- 
mus bei Widmung der Paraphrase des illl u. a. wird von 
Joller S. 50 stark übertrieben. 

3) Über dessen Auftreten in Rom vgl. den von mir im ARG. III, 
711i abgedruckten Bericht des Jakob Ziegler an Erasmus vom 16. Febr. 
1522, dessen bezüglicher Abschnitt S. 78, wie Schottenloher a. a, O. 
V, 81f gezeigt hat, auf Fabri bezogen werden muß; in einem ebenda 
mitgeteilten Aufsatze gibt Ziegler nähere satirisch gefärbte Be- 
. obachtungen über die Entstehung der oben erwähnten Schrift und die 
Arbeitsweise Fabris. 


118 | 38 


schrift, das „Opus adversus nova quaedam dogmata M. Lutheri“ : 
schon am 29, August mit jenem Schreiben an Herzog Georg von 
Sachsen übersandt. Es fehlt dabei neben dem tiberschweng- 
lichen Lobe dieser Leistung wiederum nicht an wüsten 
Sehimpfereien über Luthers ketzerische Lehre, die als , eine 
- hóllisehe Brutstätte der schmutzigsten und verrticktesten Irr- 
tümer“ bezeichnet wird. Der Kardinal wird alle Kraft 
darauf verwenden, diese jetzt in Deutschland wiitende Pest 
zu bekämpfen, wozu das Werk Fabris besonders geeignet 
sel. Der Zweck der Empfehlung ist ebenso durchsichtig, 
wie das Anerbieten Schiners, die etwaigen Anliegen des 
Herzogs bei dem neuen Papste zu vertreten, bei dem er 
alles durchzusetzen hoffe dürfe: eine etwas voreilige Be- 
hauptung, da der Papst erst am Tage vorher in Ostia ge- 
landet war und am 29. August erst seinen Einzug in die 
ewige Stadt hielt». 

Bei dieser Roheit, die sieh in den Worten des alten 
Kriegsmannes über Luther kundgibt und den abfälligen 
Äußerungen, die er in Worms vor dem venetianischen Bot- 
schafter über Luthers Unmäßigkeit und seine frivole Be- 
urteilung des Geschlechtslebens getan hatte, ist nun die Ver- 
mutung nicht von der Hand zu weisen, daß „der berühmte 
Bisehof^ (,apud magni nominis hominem ex episcoporum 
numero“), an dessen Tafel Jakob Ziegler das Urteil über 
Luther hörte, daß er „ein Hurer und Säufer“ sei’), eben 
unser Kardinal von Sitten war. Bei demselben Gastmahle 
hatte sich auch ein erbitterter Gegner des Erasmus, der 
Spanier Jakob Lopez Zufiga (Stuniea) eingefunden, der 
dann eine scharfe Kritik der literarischen Tätigkeit des 
Rotterdamers zu Besten gab.?). 

Jedenfalls geht auch aus diesen spärlichen Zeugnissen 
über die Berührung Schiners mit der Gelehrtenwelt hervor, 
daß er bisher zu Unrecht als ein Gönner des Humanismus 


1) v, Pastor IV, 2, 46ff. Da Schiner bei Erwähnung des Papstes 
berichtet, daß dieser „schon die italienische Küste erreicht habe und 
in vier bis sieben Tagen in Rom erwartet werde“, so muß der größte 
Teil des Schreibens einige Tage früher entstanden sein. F. Geß, a. 
a. O. S. 347, 21f, 348. 

2) ARG. III, 70f. 


39 119 


aufgeführt worden ist und daß er bei seiner dürftigen Bildung 
und seinen rein materiellen Interessen den wissenschaftlichen 
Bestrebungen seiner Zeit ebenso gleichgültig gegenüberstand, 
wie er sich in seinen kirchlichen „Reformplänen“ oberfläch- 
lich und eigennützig und der religiösen Bewegung gegen- 
über schlechthin feindselig erwies. Dieses Bild wird auch 
nicht wesentlich gemildert durch den Hinweis auf seine 
Rührigkeit in Wahrnehmung seiner bischöflichen Pflichten 
durch Visitationen, Kirchenbauten und Verwaltungsmaßregeln *). 
Abgesehen davon, daß einige überschwengliche Äußerungen 
der Urkunden über das Wesen der Kirche und die Herr- 
lichkeit der Mutter Gottes ihrem Wortlaut nach das Werk 
des beteiligten Kanzlers oder Generalvikars sind, daß die 
korrekte Umschreibung des Ablasses in den bezüglichen 
Briefen den überlieferten Formeln entspricht, hatten die 
Visitationen doch auch den deutlich erkennbaren Zweck, 
durch Geltendmachung der geistlichen Disziplinargewalt auch 
die fiskalischen Interessen zu fördern?). Seine Bautätigkeit 
wie einige kostspielige Schenkungen entsprechen dem Zuge 
des Renaissancefürsten, durch prunkvolle Denkmäler und 
Stiftungen seines Namens Gedächtnis zu sichern. Es ist be- 
zeichnend, daß man dabei keine Einrichtung zu karitativen 
Zwecken nachzuweisen vermag; und der erbauliche Charakter 
seiner im Dome von Sitten gehaltenen Predigten wird denn 
doch durch ein Werk wie die Elogia des Italieners Paolo 
Giovio (Jovius) nicht elaubwürdig genug bezeugt). Wenn 
er sich um die Wiederpringung entfremdeten Kirchengutes 
bemüht, also den Herzog von Mailand bestimmt, die „dem 
Hochstift Novara widerrechtlich entzogene Herrschaft Vespo- 
late zuriickzustellen“*), so handelte er eben nur in nackter 
Habgier zur Mehrung des ihm zugefallenen Beuteanteils. 
Auch läßt sich leicht übersehen, daß ihm selbst für eine 
derartige Erfüllung seiner bischöflichen Pflichten bei seinem 


1) Vgl. die von Joller gesammelten Zeugnisse, Blätter aus d. 
Walliser Gesch. I, 511f, | 

2) Vgl. die hohen Bußen, die er auf Gotteslästerung, zu frühe 
Öffnung der Wirtshäuser u, dgl. setzte. Joller S. 60. 

3) Joller S. 59. 

*) Joller S. 61. 


3 


& 


120 ; 40 


unsteten Leben als Heerführer und politischer Unterbändler 
nur wenig Zeit übrig bleiben konnte. 

So darf denn sowohl die ältere Legende von dem 
lutherfreundlichen, humanistisch angeregten Oberhirten, wie 
die neuere von dem zwar reformeifrigen, aber theologisch 
wohlgerüsteten und allzeit loyalen Kirchenfürsten, dem wegen 
seiner vorbildlichen Tugenden und seiner staatsmännischen 
Größe die Tiara angeboten wurde, als beseitigt gelten. Es 
bleibt bei dem Bilde des tatkräftigen und wagemutigen 
Kriegers, des verschlagenen und schlagfertigen Politikers, 
des herrschsüchtigen, rücksichtslosen Parteimannes. Auch 
Schiner war ein Bauernsohn wie Luther und deshalb frei 
von den Lastern der höheren Stände, aber weder durch 
tiefere Geistesbildung noch durch edlere Ziele in der Be- 
tätigung seiner rohen Selbstsucht und seiner urwüchsigen 
Begabung gezügelt oder gemildert. 


Die reformatorischen Kirchenordnungen 
Ober- und Innerösterreichs. 


Mitgeteilt, eingeleitet und erläutert von Georg Loesche. 
Schluß!). 


Erinnerung vonderkirchenordnung, dasman 

rechten unterscheidt halte zwischen dem das 

notwendig und dem das nicht notwendig, 
sondern frey ist. 


Also haben wir theologen dieser landschaften, welche,. 
wie obgemeldet, zu diesem werckh ordentlich erfordert seindt, 
uns von unser und unser mitbrieder wegen der lehr halben 
erklehret, darauß unser aller lehr, gleichförmigkeit genug- 
sam erscheinet, darby wir auch durch gottes hülf biß inn. 
unsere endte zuverharren gedenckhen, wenn schon nümer 
nichts davon beschrieben würde; den diß ist die einigkeit, 
die da nottwendig und durch auß ganz in alen stückhen 
muß für und für gesucht und erhalten werden; wenn hierin 
auch das aler geringste pünctlin verruckht würde, so wehr- 
es schon umb die wahre einigkheit geschehen, darumb ein. 
aufrichtig lehrer und bekenner des Evangelions Christi sich 
hierin garab nieht muß bereden lassen, daß er in etwab 
weichen oder nach geben wollt, und wo man die reine lehre 
und wahre einigheit deb Geistes in der khürchen erhaltten 
will, da sol man sehen, daß einer mitt dem andern allso. 
stimme, und, wehr nicht gleich mit zu stymmet, abgesetzt 
werde; dahin auch eigentlich beharret, daß Paulus sagt, ein 
wenig saurteig verseuret den ganzen teig Gal. 5°). Diese 
einigkeit hatt auch Augustinus?) vor zeiten allein von den 
lehrern erfordert in allen khürchen, in ceremonien aber und. 
eusserlicher verwaltung hatt er uf eine gleichförmigkheit 
alb ein nottwendige sache gar nicht gedrungen, sonder einer 
jeglichen khürchen ihre weiße frey gelassen, ja auch für 
eine zierde gerechnet, wens schon mancherly weißs ge- 
haltten werdt, nur daß verhuettet würde, ales, waß dem. 


1) Vel. Bd. 17 S. 209—230, 277—800, Bd. 18, 35—55. 
2) V. 9, 


3) (In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas.) 


122 42 


wahren glauben und gottseligkeit entgegen wehr, dahin er 
dan den spruch psal. 45!) zeucht: tota pulchritudo filiae 
regis, seu ut nostra habet translatio: omnis gloria filiae regis 
ab intus in fimbriis aureis circumamicta varietatibus, welchs 
uff deutsch also lautet: def kinigs dochter ist ganz herlich 
innwendig, sie ist mit gülden stückhen bekleidtet, man fieret 
sie in gestickhten kleidern zum keinige, daß ist nach der 
außlegung Augustini?), so viel, die nottwendige einigkeit der 
christlichen kürchen stehet aler Ding im glauben und lehre, 
nemblich in der Norma veritatis, grundtfest und pfeiler der 
Wahrheit, davon wir anfencklich meldung gethan; in cere- 
monien aber und eusserlicher ordnung haltts ein jegkliche 
kürche nach gelegenheit deß ortts, der zeit, der leutt und 
anderer umbstende, wenn nur die Lehre und glaube der- 
massen ist, dab man dardurch die leutt zum künige, dem 
heren Christo, füere, so liegt nichts daran, daß in einer 
kürchen diefe und in der anderen ein andere weiße sey 
Ja, wie es woll stehet, wenn die brautt am gebrüm ihres 
rokhs und den eussersten enden der aub wendigen bekhleidung 
gollt, sammett, seidten und mancherley farrben hatt, daß sie 
in gulden stiickhen und gestückhten mit berrlin und edlin 
gesteinen gezieret kleidern daher zum brüedigam gefüertt 
wiirtt, Also gibts ein zierde der algemeinen christlichen 
kürchen, welche def) herren Christi brautt ist, wenn allent- 
halben ein glaube, ein wortt oder Lehre, ein tauffe?), ein 
geist ist, dardureh sie allein zu Christo ihrem breudtigam 
und nieht beneben hin gefuert würdt und aber nach gelegenheitt 
der maneherley lande und volckher mancherley weiße im eusser- 
lichen wandel und verwaltung der kürchenempter ist, wenn nur 
die brautt zum rechten brüedigam gefiert württ, dab dan allein 
dureh gesunde lehre und glauben geschieht, so stehetts alent- 
halben woll und ist die eusserliche ungleichformigkeit mehr ein 
zierde dan ein übelstandt; wo man aber auff die eusserliche 
gleiehfürmigkeit dringt und der innerlichen nicht achtet, wie 
die papisten thun, da stehet die sach gar übel, wan sehon 
die eusserliche weiße in ihrer gleichförmigkeit ein prächtigen 
schein hatt und hoch gerühmet würdt; den da würdt die 
brautt nieht dem rechten brüedtigam, sondern seinem feindt, 
dem teuffel, zugefüeret; wehr wollt deß lachen, dan der 
teuffel selbert alein? Dieße lehre hatt Augustinus von Am- 
brosio*) seinem seelhirtten gelernet und derselbige, wie auch 
andere hatts von den vatern, so für im gewesen sein, wie 
dan Eusebius?) Socrates?) und Sozomenos’) viel schreiben, 


1) 45, 14f. 2) Migne, Patr. lat. 36, 512, *) Ephes. 4, 5, 
4) RGG. 1, 426. 6) Ebd. 2, 695. 6) Ebd. 5, 732. 
^ Ebd. 5, 772. 


43 123 


da etliche geister nicht auD gottseligem euffer uff ein gleich- 
förmigkeit in mitel dingen, alb uff ein nottwendigkheit sehr 
drungen, großen streitt und lerme hin und wider in der 
khürchen erregten, dab gottförchtige, friedt liebende, ver- 
nünftige bisehoffe und lehrer die saehe zum friede also 
bracht, das sie nur gerathen, uff den glauben und gesunde 
lehr aehtung zu geben und dan einer jegklichen khurchen 
ihre weibe nach dem einer jegklichen Gelegenheit erfordert 
frey liessen und ziehen Ireneum!) und Polyearpum?) an, 
welche solche christliche weißheit und bescheidenheit in 
dem kürchenregiment gebrauchet haben; daher deb Irenaei 
meinung berümpt worden: jeiunii disonantia (!) fidei conso- 
nantiam minime rumpit, welches von allerley ceremonien 
und eusserlicher kürchenzucht gleichsialß verstanden wiirdt, 
und zwahr dieße lehre haben die väter auß gottes wortt 
gelernet, wie dan Polyearpus sein lehre von Johanne dem 
apostel und evangelisten zu Epheso gelernet und härnach 
. den Irenaeum gelehret hat; den Paulus sagt von der nott- 
wendigen gleichförmigkeit, so in glauben und gesunder lehr 
stehet, Philiper 3°) also: wievill nu unser volkhomme seindt, 
die laßet uns albo gesünet sein, und solt ir sonst etwaß 
halten, dab lasset euch gott offenbaren, doch so ferne, dab 
wir naeh einer regel, darein wir khommen seindt, wandelen 
und gleich gesünet seyen und zun Ephes. 4: Seyt vleißig 
zu halten die einigkeit im geist dureh das band des friedes; 
ein leyb und ein geist, wie ihr auch beruffen seidt uf einerley 
hofinug euers beruffs, ein her, ein glaube, ein tauffe, ein 
gott und vatter unser aler, der da ist über euch ale und 
durch euch ale und in euch alen. Item in 2. Timotheo 1 5): 
halt an dem fürbülde der heilsamen wortte, die du von mir 
gehört hast vom glauben und von der liebe in Christo Jesu; 
diesen guten beylag bewahre dureh den heiligen geist, der 
in uns wonnet; item 2. Timotheo 3°): bleibe in dem, daß 
du gelehrnet hast und dir vertraut ist. 1. Thimothe 6°): 
leh gebiete dir für gott, der ale dinge lebendig machet und 
für Jesu Christo, der under Pontio Pilato bezeuget hat ein 
gutt bekenntnus, daß du haltest diß gebott ohn flecken un- 
vertadelich biß auf die erscheinung unsers heren Jesu 
Christus. Timothee, Bewahre, das dir verthrawet ist und 
meide die ungeistlichen, loen geschwetze. 1. Timotheo 5”): 
ich bezeuge für Gott und dem herrn Jesu Christo und den 
außerwelten engeln, daß du solches haltest ohn eigen gutt 
dunkhel. 1. Thimotheo 15): dif gebott befellhe ich dir, 
mein son Timothee, nach den vorigen weißsagung über dir, 


1) Ebd. 8, 670. 


2) Ebd. 4, 1662. *) V. I5. 
5 V.13. 5) V. M. 


6) V, 18. ?) V. 21. 8) V. 18. 


124 44 


das!) du in denselbigen eine guete riterschaft übest und 
habest den glauben und guet gewissen, in der ander 
Timotb. 4: so bezeuge ich nun fur gott und den herrn 
Jesu Christo, der da zukunftig ist zu richten die lebendigen 
und die todten mit seiner erscheinung und mit seinem reich, 
predige das wort, haldt an, es sey zu rechter zeit oder zur 
unzeit. Gal. 1%): So auch iemandt evangelium prediget 
anderst dan das ir empfangen habt, der sey verflucht! 
Joan. in epist. 2°): Wer übertritt und bleibet nicht in der 
lehr Christi, der hat keinen Gott. Wer in der lehr Christi 
bleibet, der hat beide den vatter und den sohn; so iemandt 
zu euch khomet und bringt dise lehr nicht, den nemet nicht 
zuhause und grüesset in auch nit, den wer in grüesset, der 
macht sich theilhaftig seiner losen werke. Auß disen und 
dergleichen sprichen lernen wir die nottwendige gleichformig- 
keit des glaubens und lehre oder bekenntnus, davon auch 
der herr Christus sagt: Luc. am 10.*) Unum est necessarium, 
eins ist vonnótten. Von ceremonien aber und euserlicher 
weise, sagt Paulus zum Colloss. am 2.5): So lasset nun 
niemand euch gewissen machen über speise oder dranck 
oder über bestimbten feiertag oder neumonden oder sabbather, 
welches ist der schatten von dem, das zukunftig war, aber 
der eörper selbst ist in Christo. Lasset euch niemand das 
zill verrucken, der nach eigner wall einher gehet in demuet 
und geistlichkeit der engel; so ir den nun abgestorben seit 
mit Christo den satzungen der welt, waß lasset ir euch den 
fangen mit satzungen, als lebeten ir noch in der welt, die 
do sagen, du sollt das nicht angreifen, du soll das nicht 
kosten, du soll das nicht anruren, welchs sich doch alles 
under handen verzeret und ist menschen gebott und lehre, 
welche haben einen schein der weißheit durch selb erwölte 
geistlichkeit und demuet und dadurch, das sie des leibes 
nicht verschonen und dem fleisch nicht seine ehre thun zu 
seiner notturft. In der 1. Timoth. 4: Der geist aber saget 
deutlich, das in den letzten zeiten werden etliche von dem 
glauben abtretten und anhangen den verfurischen geistern 
und lehren der teuffel, durch die so in gleisnerei lugenreder 
seint und brandtmall in ihren gewissen haben und verbieten, 
ehlich zu werden und zu meiden die speise, die gott ge- 
schaffen hatt. Der ungestlichen®) und altvätterischen fablen 
entschlage dich. Auf disen und dergleichen sprüchen lernen 
wir, das Paulus nicht allein die Menschen satzung verwirfiet, 
die gottes wort entgegen sein, sondern auch, wenn iemandt 
auf die, so etwa ohn sünde einem andern zur liebe móchten 


1) Von hier an wieder eine andere Hand. $) V.9. *)V.9, 
5 V. 41. 5) V. 16. ^| ungeistlichen, 


45 125 


gehalten werden, als auf notwendige sachen drunge, woll 
ers ganz und gar nicht gestatten, weil solch nötigen der 
christlichen Freiheit zu wider und under dem schein der 
eusserlichen ordnung und gleichformigkeit nichts anders dan 
verdunckelung und vertilgung des reinen evangelii und waren 
seeligmachenden glaubens gesuecht wird. Darumb sagt er 
auch zum Gal. am 2. eapitel!); Es werd auch Titus nit ge- 
zwungen sich zu beschneiden, ob er woll ein Grieche war; 
denn da etliche falsche brüeder sich mit eindrungen und 
neben eingschlichen waren zu verkundtschaften unsere frei- 
heit, die wir haben in Christo Jesu, das sie unß gefangen 
nemen, wichen wir denselbigen nicht eine stunde underthan 
zu sein, auf das die wahrheit des evangelii bei euch be- 
stünde. Da aber Petrus gen Antiochiam kam, widerstund 
ich ihm underaugen, denn es war klage über ihn komen. 
Den zuvor, ehe etliche von Jacobo kamen, aß er mit den 
heiden. Da sie aber kamen, entzog er sich und sondert 
sich, darumb das er die von der beschneidung fürchte, und 
heuchelten mit ihm die andern juden, also das auch Barnabas 
verfueret werdt mit ihnen zu heuchlen; aber da ich sahe, 
das sie nicht richtig wandleten nach der wahrheit des evan- 
gelii, sprach ich zu Petro fur allen offentlich: so du, der 
du ein jude bist, heidenisch lebest und nicht judisch, warumb 
zwingest du dan die heiden, judisch zu leben? 

Ob aber woll der liebe apostel da so ernst gewesen ist, 
weils die nott des evangelions wahrheit zu verteidigen 
forderte, hat er doch anderswo, damit er die schwachen 
nicht ergere, beide, beschneidung und andere weise, willig 
gehalten, damit also auf beiden seitten die christliche frei- 
heit in diesen sachen bestünde, denn hierin weder zur 
rechten noch zur linken ein zwang oder nottwendigkeit ge- 
sucht werden soll; wolle iemandt sagen, es were solch eusser- 
liche weise also und nicht anderst zu halten, notwendig zur 
seeligkeit, der stritte wider den glauben, welchs unzeittige 
gesetzprediger das evangelium zu verdunkelen zur apostel- 
zeit understanden. Act. a. 15, Gal. 4, Phil. 3. Wolle aber 
hergegen iemandt sagen, es were zur seeligkeit notwendig, 
solche dinge allezeit bei iedermann an allem ort, es driege 
sich zu, wal} da woll, zu meiden, der süchte?) die liebe an, 
welehe mit den schwachen gedult hat und ohn verletzung 
des gewissens ihnen vill zu liebe freiwillig helt; und zwar 
dise seind eben so hardt wider den glauben als die andern, 
weil sie sündt machen, da keine sünde ist, wollen die ge- 
wissen verstricken in sachen, über welche kein gewissen 
zu nennen ist, wen nur der glauben und glaubens lehre ge- 


1) V. 3. 2) Am Rand: sichte = sehe. 


126 46 


sundt und die liebe des nechsten knecht bleibet; diesen un- 
zeittigen gebrauch der freiheit straffet Paulus mit wortten 
und thatten villmall; als Act. ap. 16 lest er Timotbeum be- 
schneiden, damit er die juden, so noch schwach im glauben 
waren, nicht ergerte. Act. ap. 18!) et 21?) bezalet er sein 
gelübte, lest sein haubt bescheren nach der juden gebrauch. 
In der 1.Cor.9®): Den wiewoll ich frei bin von iederman, spricht 
er, hab ich doch mich selbs jedermann zum knecht gemacht, auf 
das ich ihrer vill gewünne. Den juden bin ich worden als ein 
jude, auf das ich die juden gewunne; deren die under dem gesetz 
sind, bin ich worden als under dem gesetz, auf das ich die, 
so under dem gesetz sind, gewinne; denen die ohn gesetz 
sindt, bin ich als ohne gesetz worden; (so ich doch nit ohn 
gesetz bin für gott, sondern bin in dem gesetze Christi), auf 
das ich die, so ohne gesetz sindt, gewinne. Ich bin ieder- - 
mann allerlei worden, auf das ich allenthalben ia etliche 
seelig mache; solchs aber thue ich umb des evangelii willen, 
auf das ich sein teilhaftig werde. Eben diesen rath gibt er 
auch allen anderen Christen, als in derselbig epistel am 8. 
capitel*) spricht er, die speise fordert?) unß nicht for Gott; 
essen wir, so werden wir darumb nicht besser sein; essen 
wir nicht, so werden wir darumb nichts weniger sein; sehet 
aber zue, das dise eure freybeit nicht geradt zu einem an- 
sto der schwachen; wen ir aber also sündiget an den 
brüedern und schlegt ihr schwages®) gewissen, so sündiget 
ir an Christo. Darumb, so die speise meinen brueder ergert, 
wolte ich nimmer mehr fleisch essen, auf das ich meinen 
brueder nieht ergere. Und in der 1. Corinth. 10°) spricht 
er: ich hab es zwar alles macht, aber es frommet nicht 
alles; ich hab es alles macht, aber es bessert nicht alles; 
niemandts sueche, waß sein ist, sonder ein iegklicher, wab 
des andern ist. lr esset nun oder drinket oder was ir thuet, 
80 thuet es alles zu Gottes ehre; seit nicht ergerlieh weder 
den jud noeh den griechen noch der gemeine gottes, gleich 
wie ich auch iedermann in allerlei mich gefellig mache, und 
sueche nicht, waß mir, sondern waß vielen frommet, das sie 
selig werden; seit meine nachfolger, gleich wie ich Christi; 
und denen, so sich unzeittiger freiheit gebrauchen, das sie 
irgendts einer kirchen gemeinen brauch und weise sich 
wegern zu halten, wöllen sonderlinge werden, richten zank 
und unrube an ohn alle ursachen, antworttet er nichts mehr 
den diß, in der 1. Corinth. 11°): Ist aber iemandt under 
euch, der lust zu zanken that, der wisse, das wir solche 
weise nicht haben, die gemeine gottes auch nicht. Zum 


1) V. 18. 2) V. 26. ?) V. 19. 4) V. 8. 
5) fördert. 6) schwaches. ?) V. 28. 8) V, 16. 


4T 127 


Röm. 14 et 15: Redet er vill von disen sachen, wie man 
darin der christlichen freiheit recht gebrauchen und nicht 
ein fleislichen mutwillen zu betruebnus der schwachglaubigen 
under dem schönen mandel der christlichen freiheit treiben 
soll. Den schwachen im glauben, spricht er, nemet auf und 
verwirret die gewissen nicht; einer glaubet, der möge allerlei 
essen, welcher aber schwach ist, der isset kraut; welcher 
isset, der verachte den nicht, der da nicht isset, und welcher 
nicht isset, der richte den nicht, der da isset, den Gott hat 
in aufgenommen. Wer bistu, das du ein frembden knecht 
richtest; einer helt einen tag für den andern, der ander aber 
helt alle tag geleich, ein iegklicher sey in seiner meinung 
gewiß; welcher auf die tage helt, der tutß dem herren und 
weleher nicht drauf helt, der thuets auch dem herren; welcher 
isset, der isset dem herren, den er danket Got, welcher nit 
isset, der isset dem herren nicht und danket Gott; den 
unser keiner lebet ihm selber. Du aber, waß richtestu deinen 
Brueder oder du ander, was verachtestu deinen brueder? 
wir werden alle fur den richterstul Christi gestelt werden. 
Darumb lasset unß nicht mer einer den andern richten, 
sondern das richtet vill mehr, daß niemandt seinen brueder 
einen anstoß oder ergernus darstelle. Ich weiß und bins 
gewiß in dem herren Jesu, das nichts gemein ist an im 
selbs, ohn der es rechnet für gemein, demselbigen ists ge- 
mein; so aber dein brueder über deiner speise betrüebt 
wirdt, so wandelst du schon nicht naeh der liebe; lieber, 
verderbe den nieht mit deiner speise, umb welches willen 
Christus gestorben ist. Darumb schaffet, das eur schatz nicht 
verlestert werde, denn das reich Gottes ist nicht essen und 
drinken, sonder gerechtigkeit und Friede in dem heiligen 
geiste; wer darinnen Christo diener, der ist Gott gefellig 
und den menschen werdt, darumb lasset unß dem nach- 
streben das zum friede dienet und wab zur besserung unter- 
einander dienet. Lieber, verstere nicht umb der speise 
willen Gottes werk, es ist zwar alles rein, aber es ist nicht 
guet dem, der es isset mit einem anstoß seines gewissens; 
es ist vill besser, du essest kein fleiß (!) und drinkest kein 
wein oder daß, daran sich dein brueder stosset oder ergert 
oder schwach wird. Hastu den glauben, so hab in bei dir 
selbs for Got. Seelig ist, der im selbst kein gewissen macht 
in dem, das er annimmet; wer aber dartiber zweifelet und 
isset doch, der ist verdambt, den es get nicht auß den 
glauben; was aber nicht auf} dem glauben gehet, das ist 
sünde; wir aber, die wir stark sind, sollen der schwachen 
gebrechlichkeit tragen, und nicht gefallen an unß selber 
haben; es stelle sich aber ein iegklicher under und also, das 


128 48 


er seinem nechsten gefalle zum guetten zur besserung, den 
-auch Christus [nicht] an ihm selber gefallen hatte. Darumb 
nemmet euch undereinander auf gleich, wie auch Christus 
hat aufgenommen zu Gottes lobe. 

Diese lehre und exempel des apostels Pauli sindt alle 
zeit hoch in der kirehen Gottes gehalten, darauß Polycarpus, 
Irenaeus, Ambrosius, Augustinus, Lutherus in gleichen fellen 
.gueten radt beide für schwache und starke gegeben haben 
und wie sie die unvernünftigen gesetztreiber auf verange- 
zogenen spruchen gestraft haben, also haben sie nicht we- 
niger die frechen verächter aller schwachen und die so aub 
der christelichen freiheit ein fleischlichen ergerlichen mut- 
willen gemacht haben, hierauß ires gottlosen frevels über- 
wiesen. Lutherus hat zu unser zeit nicht allein der papisten 
notzwang, da sie auf menschen satzung als weren sie zur 
seeligkeit vonnótten gedrungen, ernstlich gestraffet, und in 
dem die ware seeligmachende gerechtigkeit und christliche 
freiheit erörtert und offenbaret, er hat aber auch nieht we- 
niger ernst gebraucht gegen die bildstürmer und kirchen- 
wuester, als Carlstat!) und seinesgleichen, da er gesehen 
hat, das sie von einem ehrgeitzigen, frechen, frevelen, zän- 
ekisehen, unrubigen, aufrurischen geist getrieben wurden, de- 
nen kein kirchrecht reformiert ware, sie wer den wie ein 
verwuesteter stadel oder scheuren zugerichtet, und frevelich 
iederman urteillen, dem teuffel gaben?) die noch ein khor- 
rock oder etliche ander ceremonien dulteten, ob schon solehf 
mittel dinge?) sind, die außer dem fall der ergernuf weder 
geben noch nemen, und, do Carlstat die elevation des ca- 
eraments für sieh selbs wolte für ein gotlof werk und todt- 
sünde aufschreien, ließ er sie ihm zu drutze bleiben noch 
ein zeitlang*), damit auch in solchem fall unser christlichen 
freiheit nichts benommen und Carlstat sampt seinen schwarm 
nieht zum neuen pabst wurde, sünde zu machen, da kein 
sünde ist, und solche grosse ergernuß zugeben; es hat der 
framme Lutherus wie auch Pomeranus?) Vitus Dietrich) 
gar fein sauberlich und weißlich gefaren in der reformation 
und abgetan der pübstischen greuel; waß mittel ding gewe- 
sen, hat er nicht abgetan umb der sehwaehen willen, und 
damit will gewunnen wurd, hat er vill dings, das man auch 
entraden kan, ein guette zeit bleiben lassen. Solchs exem- 
pell sollen woll wahrnemen, die auch zu dieser zeit an di- 
sen und anderen ortten, da man noch das pabstumb umb 
sich hat und nicht allenthalben lange zeit die evangelische 
lehre und freiheit geprediget und gnugsam erkläret hat, die 


1) RGG 3, 942. 2) überantworteten. 3) RGG 1, 148. 
+) Sehling s. v. Elevation. 5 RGG 1, 1420. 6) S. ob. S. 228, 8. 


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kirchen geschefft anzuordenen beruffen werden. Was nun 
Paulus da in einem fall, nemblich von speise, fasten gesagt, 
kan man auf alle dergleichen fille ziehen: als, wer den 
chorrock, liechte, westerhembt'), handtauflegen und derglei- 
chen ceremonien nicht braucht, der verachte den nicht, der 
sie brauchet, und hergegen, wer sie brauchet, der richte die 
nicht, so sie nicht gebrauchen, ein iegklicher sehe, das er 
das reich Gottes durch waren glauben in sich habe und der 
waren gerechtigkeit, die fur Gott gilt, nemblich der verge- 
bung der sünden durch Christum sich tröste und sein herz 
zufriden stelle, ware freidt im heiligen geist, dessen tempel 
er worden ist, habe und diene dem herren au diesem wa- 
ren glauben auch in eusserlichen kirchengebreuchen und 
ceremonien, kein unruhe anstifte, dem schwachen kein anstob 
setze, niemandts ergernuß gebe, gern iedermans knecht sey 
durch die liebe, das viele bekeret und christo gewunnen 
werden. Was aber die formen und ordenung belangt, die 
sacrament zu reichen, den catechismum zu lehren und zu 
examenieren, das wort zu predigen und mit singen und lesen 
zu treiben, das es reichlich under unß wohne, ist nicht 
vonnöten, das ein einige weise und masse allen kirchen al- 
lenthalben furgeschriben werden; denn das seint mancher- 
lei farbe von außwendigen gebreme an den guldenstück ?), 
darin Christo dem könig seine braudt fur aller menschen 
augen zugefuert wird, welcher braut herligkeit und schöne 
nur inwendig und allein dem breutigam und ir selbst bekant 
ist, nemblich der glaube, welcher ware gerechtigkeit und 
dardurch friede und freude dem herzen bringt im heilligen 
geiste; zu der außwendigen zierde ist genag, das man die 
regeln sanct Pauli helt, die er hiezu gibt, in Cer 1.Corinth. 14°): 
Lasset es alles geschehen zur besserung; trachtet darnach, 
das ir die gemeine bessert, auf das ihr alles reichlich habt. 
Item: Got ist nicht ein Gott der unornung, sondern des frie- 
des, wie in allen gemeinen der heiligen; darumb, lieben 
brueder, lasset alles ehrlich und ordentlich zu gehen. 

Wo dann einer in ein gemeine kombt, do begere er 
ihm nicht ein sonders zue machen; klügele, maistere, tadtle 
nichts unberuffen, richte oder verachte nicht freuelich*), mach 
kein gezenke noch unruhue über unnötigen sachen, gebe 
kein ergernuß, sondern suche den friede und jage in nach?) 
angesehen das Gott ist ein Gott des friedes; halte sich gern 
an die ornung und weise, die er da findet, wie des Ambrosii 
rath, welchen er Augustino und seiner muetter gab: wen ich 
zu Rom bin, sagt er, so faste ich mit inen am sabbath, wen 


1) Taufkleid. 2) Psalm 45, 10. S. ob. S. 122. 3) V. 33, 40. 
+) freventlich. 6) Ps. 34, 15, 1. Petr. 3, 11. 


Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII 3/4. 9 


130 | 50: 


ich zu Meilandt bin, so faste ich nicht am Sabbath; so thuet 
ihr auch, zu welcher kirchen ir kombt, derselbigen sitten, 
weise und gewonheit haltet, wen ihr anders nicht geergert 
wolt werden oder anderen ergernusse geben. Diß haben die 
Theologen etwaß weitleuffiger wollen vermelden und erinnern, 
damit in disem notwendigen und ganz christlichen furnemen 
wohlbetrachtet werde, waß rechte einigkeit und gleich- 
formigkeit sey, welche das rechte merkzeichen der waren 
christlichen kirchen ist, und das ia nicht in solchem für- 
nemen der papisten lesterung mehr den sich gebueret 
betrachtet werde, welche nur mit irem eusserlichem meß- 
halten und unnutzen larven grosse einigkeit furgeben und 
wen mans beim lieht besuehet!, haben sie weder under 
sich selbs noch mit Gott und seiner waren kirchen frid und 
einigkeit, 

Dagegen haben die herrn und landleut, so in disen 
dreuen?) landen derreinen A. K. zugethan sein, Gott hoch 
zu danken, das ein wahre christliche einigkeit, die Gott 
allein in der lehre und glauben von seiner kirchen fordert, 
bei inen und in ibren kirchen durchauß ist, obschon in 
eusserlichen ceremonien nicht allenthalben so genau alles. 
tibereintreffen kan, da man doch in keiner form noch weise 
etwaß dem forbild der lehr Christi zu wider findet. 

Es ist solche erinnerung nicht vergebens, den wen man 
gleichformigkeit anzurichten furnimbt, muß man wol acht 
nemen, warin die notwendige gleichformigkeit stehe, das. 
man nicht etwo durch ein schein einer gleichformigkeit die 
hochste ungleicheit und uneinigkeit anrichte, wie oftmals, 
da man an eusserlichen unnötigen Dingen angefangen hat, 
geschehen ist. Damit wir aber doch auch in disen Dingen, 
sovil immer müglich, ein gleicheit haben möchten, haben 
wir gegeneinander die Agenden, derer wir uns bisher ge- 
braucht, gehalten, und wab hierin on ergernuß ein theil dem 
andern zu lieb hat annemen und ablegen®) können, freund- 
lich und auf christlicher liebe getan, doch mit der be- 
dingung, das wir unsern gnedigen herren solch unser christ- 
lichs bedenken underwerfen und I. Gn. bedenken darüber 
hören, das dann, wo es ihren gnaden gefelt, ein gemeiner 
schluß darüber ausgesprochen möcht werden. Weß (sich 
nun die theologen)*) nun in Agenden vergliechen, folget iez. 
im andern theile dieser kirchenordnung. 


1) statt besiehet. 2) dreien. 3) statt: ablehnen. 
*) Das eingeklammerte ist durchgestrichen, und es sind die Worte 
‚wir uns nu“ darübergeschrieben. 


51 131 


Das Andertheil der Kirchenordenung, darin 
von der Agenden gehandelt. 


Die Agenda begreift farnemblich 6 stuckhe. 

1. Daß erste sein die zusamenkunft am feiertag und 
in der wochen, Gottes wort zu hören und seinen heillig 
namen anzuruffen und zu ehren. 

2. Daß ander ist der catechismus. 

3. Das dritte die beichte und absolutio. 

4. Daß vierde die aufteilung der sacrament, nemb- 
lich der heilligen tauffe und des abentmals unsers herrn 
Christi. 

5. Daß fünfte das einsegen der ehleut. 

6. Daß sechste die begrebnus der tothen. 


Vergleichung in ersten und 2. 


Die feiertage sampt den sambstag werden am abent 
des vorgeenden tags angefangen mit dem abentgebet und 
lobgesang, welche man gemeinklich vesper") nendt. 


Ordnung der vesper am feierabend in stetten, 
da latinische schuelen sein?) 


1. Veni sancte®), oder deus in adiutorium‘). Deutsch 
oder latinisch. 

2. Ein psalmen Davids latinisch mit vorgehender Anti- 
phon), wo es geschehen kan. 

3. Ein deutscher psalm aus D. Luthers sangbuch ô). 

4. Der hymnus?) deutsch oder lateinisch, nach der zeit. 

5. Darauf liset man ein stuck auß der bibel fur mit 
der summarien Viti Dieterichs°). 

6. Darauf singet man das magnificat deutsch?) oder 
latinisch. 


1) S ob. 17, 227,1. 

2) Über die damals in Innerösterreich in Betracht kommenden 
Schulen vgl. Loserth, die protestantischen Schulen der Steiermark 
im 16 Jahrhundert, 1916. Dazu F. Bischoff, Beiträge zur Geschichte 
der Musikpflege in Steiermark In ,,Mitteil. d. Historischen-Vereins für 
Steiermark“ 37 (1859), 108. „In protestantischen Schulen und Kirchen 
wurde Choral und volkstiimliches Kirchenlied gepflegt. Laut ordo 
lectionum in schola Runensi um 1567 fand hier täglich außer Samstag 
um 12 Uhr exercitium musices statt; dasselbe findet sich auch in den 
Schulplänen der Protestanten. Mit den Protestanten kamen gewiß 
auch protestantische Gesangbücher nach Steiermark, die während der 
Gegenreformation wohl zum größten Teil verbrannten.“ 

3) Julian S. 1212. Simrock S. 200. 

4) Psalm 76, 2. Herold 5. 122. 5) 8. ob. 17, 227, 2. 

9) Seit 1524. 2) S. ob. 17, 227, 3. 5) S. ob. 17, 228,8. 

9) S. ob. 17, 227, 4. 


9% 


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7. Darauf liset oder singet der diener des worts die 
eolleetam nach der zeit, deutsch. 

8. Darauf singet man, Erhalt unß herr bey deinem 
wort’), oder das gewöhnliche benediecamus?) teusch oder 
latinisch. Man mag auch wol singen das nunc dimittis?) 
Lue. 2 deutsch oder latinisch. 

9. Darnach spricht der Diener des worts den segen 
über das volk auß Num. 6: der Herr segne. 

Nota 1: Hie ist zu merken, das der diener des worts 
möcht fur dem altar stehen, wenn er die lection und das 
gebät verrichtet. Zu Gratz aber thuet ers auf der canzel, 
weil die kirche nicht bequehmlich gebauet, das furm altar 
möcht verrichtet werden. Man könt aber woll beyde, den 
altar und auch die canzl, ins obertheill verruckhen, dann 
khöntz nutzlieh und zierlieh furm altar verrichtet werden. 

Nota 2: Weiter isí zumerken, das ob schon in dorfen 
und mirkten, da keine oder gar kleine und etwa nur teutsche 
schuelen seint, gleichwoll vesper halten kan, also, das nur 
ein psalm und das magnificat teutsch gesungen und mit der 
eolleeten, vatter unser und segen beschlossen werde. 

Nota 3: Zum dritten wehr rathsam, das das stuck auf 
der bibel zu Gritz von einem stipendiaten‘), so E. E. L.?) 
daselbs helt, gelesen wurde, weil sie sie sieh doch sonst 
mit predigen üben, damit sie keck werden und woll und 
verständlich aussprechen lerneten das gebet. Sägen könt 
gleichwoll vom diener des worts furm altar geschehen. Zum 
lesen hat man zu Klagenfurt ein besonderen stuhl unter der 
eanzel, könt zu Gritz auch nutzlich geschehen. 

Nota 4: Wo nieht latinische und große schuelen noch 
viel leut seint, die lateinisch verstehen, da soll man alles 
teutsch singen. 


Vergleichung in der ordenung gesenge, gebät, lection 
in den zusammenkönften am Sontag und Feiertagen. 


Am Sontag kombt die gemeine Gottes dreymall zu- 
samen, nemblich in der fruepredig, mittags und abentpredig. 


In der fruepredig wird dise ordenung gehalten. 


1. Kom heilliger Geist®), oder ein ander gesang umb 
ware bekerung und erleuchtung des herzens zu bitten, denn 
niemandt kan sich zu Christo bekeren, ihn ein herren 
nennen?) noch Gott dienen, loben ohn durch den heilligen 
Geist, den man hierumb aufs demütigste anzurufen schuldig ist. 


1) 8.06.17,228,5.  ?) 8.0b.17,227,5. 3) Luc.2,29. Julian 8.822. 
4) Loserth a. a. O., S. 491. 5) Eine ehrsame Landschaft. 
€) Mützell 1, 12, Fischer 2, 6. Julian S. 631. ?) 1. Cor. 12, 3. 


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2. Hierauf spricht der diener des worts die gemeine 
beicht dem ganzen volck fur und darauf die absolution mit 
ernster warnung der unbußfertigen. Denn, weil wir als 
arme siinder an dem suntag zusamenkommen und aber des 
unbueßfertigen sünders gebätt Gott nicht angenemb ist, so 
sollen wir fürs aller erste unsere sünde bekennen und unb 
davon absolvieren lassen, das darnach unser gebät lob und 
Gottesdienst Gott angenemb sey. Und dessen haben wir 
ein fein exempel Jes. 6, und ist der waren kirchen gebrauch 
von anfang her gewesen, wirdt auch zu Nurnberg’) auß 
Luthers anordnung und in andern wolbestelten kirchen also 
gehalten. 

3. Hierauf singt der chor mit dem volke ein kurzen 
lobgesang, als den 117. psalm, oder der engel gesang Luc. 2. 


4. Darauf folget die lection auß dem alten testament oder 
epistel nach alter gewonheit, oder mit ein ander. und mag 
diß ein diener des worts thun, oder zu Gratz ein stipendiat, 
wie vorgemeldet. Man möcht auch ein geschickten meßner 
darzubrauchen, wo einer vorhanden. 

5. Hierauf soll der diener des worts die hochzeiten und 
wa sonst furfelt verkündigen und das gemeine gebät forderen. 
Ein collecte nach der zeit und das vatter unser betten. 

6. Nach disem singt der chor figurate?) und die ganze 
gemein schlecht?) ein lobgesang, thuet auch der organiste 
das sein zu Gottes lob, und vor der predig singt man: nun 
bitten wir den heilligen geist‘). 

7. Darauf folget die predig, in welcher das verordenet 
evangelium außgelegt wird. 

8. Wenn die predig ein ende hatt, spricht man das gebät 
für alle stende und not sampt dem vatter unser. 

9. Darauf singt die gemeine den glauben?) oder ein 
danck psalm. 

10. Wenn dann communicanten da sein, wirdts gehalten 
wie an seinem ort folget. 


Nota. Die prediger zu Clagenfort und Laubach) sprechen 
ein gebät aub der wirttenbergischen Agenden?) fur das 
predigampt, das mögen sie gleich nach der absolution sprechen, 
welche droben mit der zall 2 verzeichnet oder mögens nach 
der epistel lesen. 


1) Nürnberger Kirchenordnung 1538f, 1536, 1540, 1543, 1556, 
1564, 1591f. Exemplare auf den Universitäts-Bibliotheken in Erlangen, 
Jena, Leipzig. 2) S. ob. 17, 224, 6. 3) schlicht. 

+) Mützell 1, 13. Fischer 2, 99. Julian S. 821. 

5) S. ob. 17, 223, 2. 6) Laibach. 

?) Württembergische Kirchengeschichte 1893 S. 387 ff. 


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Nota. Die Clagenfurdischen wolten gern beide lection 
halten, erstlich der epistel, darnach der bibel nach Viti 
Dieterichs ordenung’). Wenn sies nun an der zeit haben, 
können sies thun. Seint doch auch von alters her zwo lection 
vor der predig furm altar gelesen worden, eine der epistel 
und die andere des evangelii latinisch. So mag nun anstat 
des latinischen evangelii die teutsche lection des alten testaments 
genommen werden. 

Nota 3. Wo zweer oder mehr prediger sein, da soll 
billich der, so nicht die fruepredigt thuet, die gepet furm 
altar verrichten. Und zur lection, wo nicht stipendiaten, so 
allgemachsam zum predigampt angefueret werden, seint, da 
kont der schuelenhelfer einer die lection auf der untern 
canzel lesen. Denn die praeceptores in den schuelen sollen 
ie zum theil auch mit der zeit zum predigampt sich bereitten. 
An vilen ortten wünschete ihm ein praeceptor solche ubung. 

Nota 4. Die verkündigung der hochzeitter, welche mit 
der zall 5 verzeichnet”), wöllen die Kharntischen lieber zu 
endt der predig thuen, das mögen sie nun woll nach irer 
gelegenheit anstellen. In der Grützer kirchen, weil so groß 
volk zusammen kömet, und wen die predig auf) ist, die 
hoffleut hinauseilen, schicket sich’s besser vor der predig, wie 
auch von alters her gebräuchlich, und in den grossen stetten 
Nurnberg?), Augsburg^), der jungen Píalz?) und in vill mehr 
ortten gehalten wird. Es ist auch dem prediger bequehmer, 
weil er sich fast) müde predigt und ihm das verlesen der 
zetteln beschwerlich, wie auch zwar’) den zuhörern, die 
auch etwaß müde worden und nu nicht gern so lange ver- 
kündigung anhören. 


Von der Mittagspredig am Sontag. 


Die Mittagspredig am sontag ist furnemblich des cate- 
chismi halben angestelt, es komme dann ein groß fest, als 
ostern, pfingsten, da hat man besondere lectiones außzulegen, 
wie an seinem ort soll gemeldet werden. Mit dem catechismus 
halt mans also. 

1. Zum ersten singt man ein stuck aub dem catechismo. 

9. Liset der Diener des worts die sex haubtstuck der 
- christlichen lehre mit D. Luthers worten und nach der form 
und ordenung, die er selbs gestelt und gewisen in seinem 
catechismo. - 

3. Legt derselbige prediger ein stück des catechismi 
auß. Die predig soll nicht lenger als ein halbe stund weren. 


T) S. ob. 17, 298, 1. 2) S. ob. S. 133. 3) S. ob. S, 133, 1. 
4) 1555, Exemplare in Erlangen und Jena, = 
5) 1554. 1556, 1557. Exemplare ebd. 1559 beginnt die jüngere Linie. 
6) sehr. 7 in Wahrheit. 


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4. Sagen zwen schueler ein stuck auß dem kleinen 
catechismo Lutheri mit der außlegung. 

5. Werden darnach die andern kinder und junge leut 
alle verhöret. 

6. Wenn nun die verhórung ganz vollendet, soll man 
fur die kinder das gebät, so im gedruckten agendabuch zu 
Gritz furgeschrieben, sampt dem vater unser sprechen. 

7. Singt man darauf ein kurzen lobgesang. 

8. Sprieht der Diener darauf den gewünlichen segen 
Num. 6. 

Nota 1. In Khrain und Khärnten‘) haben sie auch des 
Brentii?) kleinen catechismum ?), den mugen sie woll behalten, 
doch das sie furnemblich des Lutheri catechismum vleissig 
treiben und dem volck einbilden. 

Nota 2. Dieselbigen meinen auch, es schick sich bei 
ihnen am besten, das sie die sechs stucke nach der predig 
dem volk furlesen und sein es bib her also gewonet. Dad 
miigen sie woll thuen, bringt kein sonderliche ungleicheit. 

Nota 3. Zu Gritz könt man woll nach dem ersten 
gesang lassen die sechs hauptstück der christlichen lehre 
ein stipendiaten lesen, der sich nun algemachsam zum predigen 
bereittet, wie auch vor zeitten*) in der kirchen die anfahenden 
erstlich lectores wurden. Anders wo könt auch ein schul- 
maister, so mit der zeit ein prediger zu werden gedechte, 
solche lection verrichten. Darauf singe man: Nun bitten 
wir’), und gienge dann der catechista auf die canzel und 
lese nur das stuck, so er predigen und außlegen woll. 

Nota 4. Es ist fein, das man die catechumenos in 
classes theilet. Also haben wir zu Gritz vier classes gemacht. 
In die erste setzen wir die kleinen, so am wenigsten 
künnen; die sollen nur den text der sechs stück blob ohn 
die außlegung aufsagen. In die ander classem setzen wir 
die, welche den text nun woll gelernet und fertig können. 
Die sollen nu des Luthers außlegung auß seinem kleinen 
catechismo aufsagen. In die dritte classem ordenen wir die, 
welche nu auch die gemelde außlegung können, die sollen 
hinfort die Haustaffel lernen und aufsagen, wie die zu ende 
des catechismi Lutheri gesetzt ist. Der vierde hauf seint 
die, welche die obgemelten stucke alle können und sollen 
nu etliche haubtstuck der christlichen lehre vleissiger lernen, 
betraehten und aufsagen. Solehe fragstuck hatJoachimus Mör- 
lin ®) bey den catechismum drucken lassen und könt hieher auch 


1) „und Khärnten“ ist durchgestrichen. 2) RGG 1, 1339. 
8) 1527/28; ebd. 3, 986, 996. 4) RGG 1, 987. 

6) Von Luther. Mützell 1,13. Julian 5. 821. 

6) RGG 4, 447. Enchiridion Catecheticum 1544, 


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des Brentii catechismus dienen. Man möcht sie auch spruche 
und psalmen lassen auß der schrift aufsagen. Diese ordenung 
ist sehr nutzlich. Denn so sieht man, wie die kinder zunemen, 
und thun die nieht woll, die die kleinen kindlein oder andere 
einfeltig leut als bald die auflegung mit dem text anfahen 
zu lernen; denn sie lernen gemeingklich keins volkommen 
und reeht, und sonderlich ist vill daran gelegen, das sie die 
blossen wort des Textes recht lernen nachsprechen. Denn, 
wen sies in der jugend nicht recht lernen, so sagen sies fur 
und fur unreeht auf. Drumb haben wir an Strafburg exempel 
genommen und die catechumenos also in classes getheilet. 
Nota 5. Damit die kinder alle möchten verhóret werden, 
wehre guet, das zu Gratz die stipendiaten, so man zue predigern 
machen will an andern orten aber die deutschen schuhl- 
meister, hülfen verhéren, kónt man sie in die classes theilen, 
wie zu Strabburg!) die studenten, so von almusen gehalten, 
solehe hulf erzeigen. Darauf vill nutz beyd den kindern 
und den studenten kompt. Denn die kinder werden alle ver- 
hóret, das sonst in so kurzer zeit nicht woll müglich, so 
gewonen die studenten, wie sie sich zum ampt schieken sollen. 
Nota 6. Guet wers, das der pastor seine gewisse zeit 
hette, da er die jhenigen kinder, so von wegen ihres ver- 
standts, den sie auf dem catechismo gelernet, nu zum nacht- 
mall des herren sollen gelassen werden, fur den altar lief 
fur sich stellen, und dem volck, wie sie zugenommen und 
drumb zur gemeinschaft solchesgeheymnus solten aufgenommen 
werden, erklerete und darzu das gepet über sie forderte. 
Dadureh wurden die kinder gelocket, vleissig zu lernen, 
kónnten auch in der beicht leichtlicher verhóret werden, auch 
wurde verhuettet, das nicht die kinder oder andere, so noch 
zu junek und ungeschickt, sich zu diesem hochwirdigen 
geheymnus eindrungen. In allen soll man vorsichtig und 
ordentlieh handeln. Dif hat man bej der ersten kirchen 
die confirmatio?) genennet, das sovil heist als bestettigung, 
weil ein solcher catechumenus verhöret und zu der gemein- 
schaft des hochwirdigen sacraments bestettiget werd. Denn 
ehe dureh solche offentliche verhórung fur der gemeine 
bezeuget ward, das er die stiicke des catechismi verstunde, 
ward er nicht zu disem hohen geheimnus zugelassen. Disen 
brauch sampt dem ganzen catechismo haben die bäpste fallen 
lassen und dargegen ein unnutze salbung und schmirens 
angerichtet, das sie Gott bessern; wie haben sie so übel 
gehandelt. Wir aber, weil wir die kirche gern also reformiret 
sehen, wie sie zur apostel zeit gewesen und viell iare blieben, 


1) S. unten S. 151. ?) RGG 3, 1642, 


57 137 


sollen solchen gueten gebrauch wider an die handt nemen, 
wie dann an vielen orten geschehen. 


Von der Abentpredig oder Vesper am Sontag. 


Die Vesper am sontag wird gehalten wie am feierabent,. 
allein, das die predig anstadt der leetion kompt. In der 
predig soll die lection auß der epistel außgelegt werden. 

1. Nota von feiertagen. 

An feyertagen, so in der wochen gefallen, sollen nur 
zwo zusamenkonft gehalten werden, eine zur fruepredig, da 
mans helt wie am sontag. Die ander nach mittage; da sol 
nur ein psalm auf dem catechismo gesungen, darauf die 
kinder im catechismo verhóret werden, wie am sontag. Soll 
aber kein predig nach mittag gehalten werden. Von hohen 
festen folget hernach an seinem orte. 

Nota 2. Diß seint aber die feste der heilligen, so man 
mit der evangelischen kirehen feiret. 

Der tig s. Stephani protomartyris’). s. Johannis evan- 
gelistae?). conversionis Pauli?) Matthiae apostoli*) Phi- 
lippi und Jacobi?) Joannis Baptistae. Petri und Pauli. 
Jacobi apostoli).  Bartholomai*) Matthaei evangelistae °).. 
. Michaelis archangeli?) oder das fest der heilligen und keuschen. 
engel. Simonisund Judae !?^). Thomae apostoli !!). s. Andreae'?). 


Der hohen festen, so in evangelischen Kirchen zu halten, 
seint zwolf, wie folget: 


1. Natalis Domini, der heilige christtag, mit beiden 
nachvolgenden tagen. 

2. Das fest circumcisionis oder der beschneidung Christi, 
so man nent den neuen jarstag; 

3. Das Fest Epiphaniae, das man nennet der heiligen 
drei könig tag. 

2. Das fest purificationis Mariae +°), da Christus zu Jeru- 
salem in tempel dem herrn vorgestellet ward. 

5. Das fest annunciatiationis Mariae**) von der empfenknis- 
unsers herrn Christi. 

6. Der tag coenae Domini, den man heist antlab +°) tag. 

7. Der tag passionis Domini von den leiden unsers herrn 
Christi, den man nennet chorfreitag. 

8. Der heillig Ostertag von der auferstehung unsers 
herrn Christi mit den zweien folgenden tagen. 


1) 26. Dez. 2) 27. Dez. 3) 25. Jan. *) 24. Febr. 
5) 1. Mai. $) 25. Juli. 7) 24. Aug. 8) 21. Sept.. 
?) 29. Sept. 19) 28. Okt. 11) 21. Dez. 12) 30. Nov.. 


13) 2. Febr. ^j 25, Mürz. 15) Ablaß; Dienstag vor Ostern. 


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3. Das fest ascensionis oder der himelfahrt Christi; 

10. Der heilige Pfingstag mit den zweien nach- 
folgenden tagen; 

11. Das fest trinitatis von der heilligen Dreifaltigkeit; 

12. Das fest visitationis Mariae!), do Maria zu Elisa- 
beth gieng Lucae. 

Auf diese tage helf man den eatechismum nicht, sondern 
die geordneten lectiones legt man in predigten au. 


Nota 2. Bäpstischen Festen. 


Wo in den stetten noch die papisten ihre kirchen haben, 
ist die sorge, wenn wir nicht predigen, das das volk zum 
bäpstischen greueln lauffe, weil sie ohn das feiren müssen; 
wie nu dem unrat zu wehren sey, werden unsere genedige 
herrn sampt un8 ein christlichs nachgedenken fürnehmen. 

Zue Grätz haben wir bißher auf dieselbigen tage unsere 
gemein an vorgehenden sontag fur solchen abgöttischen 
festen und greueln gewarnet, und, damit sie nicht ursach 
hetten, anselbigen festen zun papisten zulauffen, haben wir 
an selbigen tagen ein predig vorher verkündiget und sie 
darzu zu kommen ernstlich vermanet. In derselbigen predig 
haben wir die babstischen abgötterei und greuel auß Gottes 
wort gestraffet und dann etwaß guets unser zuhórer gelehret. 
Und zwar, wenn wir zu Grätz allentag predigten, dürften 
wir un solcher tag halben nicht fast?) bekummern, weil 
wir ohn das zusammen kemen. Sonst hats ein ansehen, als 
hielten wir dieselbigen feste mit den papisten, daran sich 
unser brueder in Kharnten ergern möchten. 

Nota 3. Wo nicht schuelen sein, welche zur vesper 
dienen können, da ist man billig mit dem examen des 
<satechismi zufriden. 


Von den zusamenkunften in der wochen. 


Vor dem sterben?) zu Gratz hat man zwehn tage zur 
predig in der wochen gehabt, den erichtag*) und den frei- 
tag. Aber im werenden sterben haben wir alle tag ge- 
predigt, und stünde sehr woll, das die weise fur und fur 
gehalten wurde, weil der f. Hof und landthauß, auch vill 
stadtlicher®) leut, da seint und allen tag frembd volk hin- 
kompt. Wenn dann allen tag gepredigt wurde, gieng einer 
heut der ander morgen drein, nach dems im gelegen, wehre 


1) 2, Juli. 2) sehr. 

8) 1564/65, 1572f., 1577. R. Peinlich, Geschichte der Pest in 
Steiermark 2, 485, 

4) S. ob. 17, 298, 4. 5) aus der Stadt. 


59 139 


das gepet allen tag fiir die ganze gemeine. Stunde auch 
woll bey einer so woll bestellten grossen schuele, wie 
dann gemeingklich, wo solche berimpte schulen sein und 
andere treflich leut, allen tag gepredigt!) wird, als zu Jena 
in Duringen, Wittemberg in Sachsen, Marburg?) in Hessen. 


Den erichtag hat man dise ordenung gehalten. 


1. Erstlich singt man das vatter unser?) oder kom 
heiliger Geist‘). 

2. Darnach ein teutschen psalmen?). 

3. Zum dritten: nu bitten wir den heilligen Geist®). 

4. Darauf folget die predige. 

5. Naeh der predig ein dankpsalm und 

6. Darauf den segen Num. 6. 

Am freittage singt man vor der predig wie am erichtag 
aber nach der predig die litaniam?) aus Luthers sangbuch, 
also das zwen schueler vorsingen und die ganze kirch 
antwort. Wenn die litania auf ist, liset der diener des 
worts ein collect furm altar oder auf der canzel, und darauf 
das vatter unser sampt den segen Num. 6. 

Diß wirdt in Kharnten und Khrain gleichfals gehalten, 
allein das sie nach ihrer gelegenheit den mitwochen haben, 
da wir den erichtag zur ersten wochen predig. Wenn aber 
in der Grätzischen kirchen solte allentag gepredigt werden, 
solte man ausser dem freitag nur das einige gebät, nun 
bitten wir den heilligen Geist fur der predig singen und 
nach der predig den 117. psalmen oder sonst ein Dank psalm, 
der nur ein gesetz®) hat. So wurde niemandt zulange auf- 
gehalten. Es kónte sich also auch, wer da woll, allen tag . 
speisen lassen mit dem abentmal des herren; das off sonst 
als im winkel und ohn beysein der gemeine Gottes fast?) 
heimlieh geschicht von den hoff leuten und adel, ist ein bóse 
gewonheit. Könte auch die kinder tauffe also allen tag 
für der gemeine gereichet werden, wehre ehrlieh und 
besserlich. 


Von den zusamenkunften am werktagen zur vesper. 


Wo schuelen sein, soll billich allen tag ein vesper von 
zweien lobpsalmen und darzwisehen ein collect sampt dem 
vatter unser gelesen werden, das der segen alles beschlosse. 
Es könte zu Gretz durch die schuele solchs gar woll geschehen, 


1) Vgl. dazu Sehling 1, s. v.: Predigt in der Woche und Wochen- 
predigt. 2) K. O. 1566, 1574, Exemplare in Erlangen, Jena, Leipzig. 
3) Mützell 1,19. Julian S. 1205. *) S. ob. S. 132, 6. 5) S. ob. 
S. LE 6. 9) S. ob. S. 135, 6. ?) S. ob. 17, 223, 1. 5) Strophe. 
) sehr. 


140 60 


wies dann vor den sterben geschehen ist, und wehre solchs 
auch ein ehre der heilligen tauffe, weil umb dieselbige stunde 
die meisten kinder zur tauffe gebracht werden. Am mitt- 
wochen zur vesper soll man auch den catechismum mit den 
kindern halten, wie dann ein weile zu Grätz geschehen, das 
die kinder allein zur kirchen kemen. Und als denn könt 
man auch ein singe schul under ihnen anrichten, wie an 
etlichen orten geschieht, da sonst kein bequehme zeit zu ist. 
Das hat die meinung: Wenn man singt in kirchen, singen 
die meisten nit mit, weil sies nicht können; vill singen gar 
vill wort unrecht, und werden dem lieben Luthero mit der 
zeit seine worte gefelscht, wie am „nu bitten wir“ und in 
mehr psalmen zusehen, das auß der bösen gewonheit durch 
die setzer hernach unrechte wort in den druck gebracht 
werden, Solchen unrath furzukommen und die kirch mit 
gueten lieblichen gesängen zuerfullen und zu zieren, sollen 
nicht allein die schueler in der schuele, sondern auch die 
andern einfaltigen zu weilen in der kirchen, wie zum cate- 
chismo allein versamblet werden, und da soll ihnen einer 
ein gesetzlein nach dem andern furlesen und vorsingen, bif 
so lange, das sies wol könten. Es seint woll unter un, die 
erfaren haben, waf guets inen solche übung gebracht habe. 


Daß 3. stuck der agenden, welches begreift 
die vergleichung von der besonderen 
beicht und absolutio. 


Wer da begeret zum abentmall zu gehen, der soll sich 
dem (capellenmaister oder meßner zeitlich anzeigen und sein 
namen aufschreiben lassen. Der capellenmeister oder meßner 
soll solche verzeichnuß dem pastori zustellen, das man die 
zall und namen wisse. Wer sich nun also an hat schreiben 
lassen, soll sich!)) den feierabent in die vesper verfuegen, 
und sollen nach der vesper alle solche verzeichnete (gegen 
den altar?)) stehen, da soll diener des worts ein kurze ver- 
manung zu ihnen auß einem buch lesen, das sie wissen, was 
inen zubedenken zur wirdigen niessung des abentmals und 
rechtschaffener beichte. Dise vermanung ist darumb in einer 
gewissen algemeinen form an einen ort wie am andern zu 
lesen furgeschrieben, das durch stettig furlesen die einfeltigen 
und ein iegklicher mit der zeit von wort zu wort außwendig 
lerne. Darauß kompt vill mehr nutzes, denn wenn alle 


1) Die eingeklammerte Stelle ist durchgestrichen. Darüber 
steht ,,kiirchendiener anzaygen und“; am Rande ist vermerkt: DiS 
stück mag noch bleiben, das die anzeigung den dienern des worts 
geschehe und so dem pastori zu wissen ward. ?) Das einge- 
klammerte ist durchgestrichen, Darüber steht ‚vor der canzel‘“. 


61 141 


beichtage ein neue predig oder vermanung gemacht wird. 
Denn der einfeltigen ist allweg am meisten und muessen 
aufs aller einfeltigst immer mit einerlei worten unterricht 
werden. Darumb auch Paulus zu Philippern am 4’) spricht, 
es sey ihnen guet, das er inen immer einerlei zuschreibe, 
und diß ist auch Latheri rat in der vorrede des catechismi: 
weill dann der heillige Geist die herzen erleuchtet durchs 
gehörte wort, ist ie offantwar, wen die leut das wort also 
ins herz fassen, daß sie desto ehr erleuchtet werden. Darumb 
scheme sich kein prediger, solche vermanung immer füzulesen, 
habe auch kein verstendiger daran verdruß, sondern ihm 
selbs und den einfeltigen zu guet höre ers gerne und merke 
vleissig drauf; denn esist hie nicht darumb zuthun, das der 
prediger sein konst beweise oder der zuhörer durch mancherlei 
erlustiget werde, sondern das die einfeltigen aufs beste mügen 
unterrichtet werden. Seint doch sonst predig genug, da beid 
prediger und zuhörer solchen ihren lust mit frucht büssen 
können. Auf solche vermanung weiset der, so die vermanung 
gelesen hat die confitenten zun beichtstull, da soll nun ein 
ieglicher nach seiner gelegenheit freundlich und wies das 
hirtenampt erfordert verhört, gefragt und unterricht werden. 
Die forme der beicht, so Lutherus gestelt, soll ein ieder 
wissen und brauchen, auch nach desselbigen kurzen frag- 
stucken examiniert werden. Sonderlich aber soll er auch 
außgeforscht werden, ob er die gethone vermanung fur dem 
altar gehört und verstanden und die furnembsten stucke 
darauß behalten hab und vermelden könne. Waß auch weitter 
ein beichtkind zu erinnern, wird ein vernunftiger beichtvatter 
zuthuen wissen. So nun die buse recht erkleret wird, soll 
er in nach der anweisung Lutheri in seinem catechismo von 
sünden absolvieren und entbinden. So aber das beichtkind 
nicht geschickt mit rechtem verstande oder an der buse 
mangel erscheinet, soll er in auf einander zeit wider heissen 
kommen, und so er in sünden halsterrig befunden, ihm des 
bindeschlüssels kraft erkleren, ihn warnen und zur furcht 
Gottes aufmunteren. Es soll aber ein iegklicher beichtvatter 
dem pastori anzeigen und namhaftig machen, wie viel und 
welche er abgeschafet, damit er sie auß der verzeichnus 
sondere und also eigentlich und leichtlich bekant werde, 
wievill iederzeit zuspeisen seien. Hierauß kömbt auch dise 
frucht, das der pastor kan merken, wie sich ein iegliches 
seiner befohlenen schäflein halte und das seine darzu “thuen. 
Hierumb soll auch einer bestelt werden, der auf die abgeschaften 
achtung gebe, das sie nicht zu der anderen beichtvatter einem 
gehen, wie die lent dan in der thorheit listig sein und meinen, 


1) 8, 1. 


142 62 


sie haben Gott betrogen, wenn sie seinen diener, ia vill mehr 
sich selbs, betrogen haben. 


Das 4, stück der Agenden, welchs begreift die ver- 
gleichung in der außteilung der zweien sacrament. 
Und erstlich von der tauffe. 


In der tauffe ist kein andere ungleicheit zwischen den 
evangelischen kirchen in disen dreien landschaften, dann nur 
in der ordenung, wie eins vor oder nachgesetzt. Denn wah 
wir etwa mitten in der handlung haben, das haben die in 
Khärnten und Khrain im ersten oder andern stuck, wie in 
folgender furbildung zu sehen. 


Der steirischen taufordenung’), wenn das kind 
genand ist von gefattern, folget 


1. Vermanung zur andacht und gebat. 

2. Das erste gebät. 

3. Das ander gebät. 

4. Das evangelium Mare. 10 von den kindlein anzuhören. 

5. Nach solchem exempel Christi und auf seinen befehl 
und zusage, das vatter unser zusprechen mit auflegung des 
taufers hand. 

6. Wunsch, das Gott des kindes eingank und auSgang 
behuette. 

7. Verpflichtung des kindts zur absagung den teufel und 
zum glauben an den waren Gott und die frage, ob es darauf 
wolle getauft sein, da als die guattern von des kinds wegen 
antwort geben. 

8. Die Aufgiessung des wassers im namen des vatters ete. 

9. Der wunsch, das Gott das getaufte kindt stercken 
wolle zum ewigen leben. 

10. Vermanung zur danksagung fur die empfangene tauffe. 
11. Die form der danksagung. 

12. Vermanung an die eltern, gevattern etc. 

13. Der segen Num. 6. 


Der Kharntischen und Khrainischen taufordenung. 


. Evangelium Marei 10 und daraub 
. vermanung. 

Gebät. 

Gebät. 

Vatter unser. 

. vermanung zum gevattern. 


o ou Or 


1) Vgl. Jahrbuch 25, 166, 


63 143. 


7. verpfliehtung wie in Steyr. 

8. Die aufgiessung wie in Steyr. 

9. wunsch, das wie in Steyr. 

10. form der danksagung. 

11. Vermanung zum gevattern und eltern. 
12. Der segen. 


Diese kleine ungleicheit kompt daher, das der steyrischen 
taufordenung, so im druck vorhanden, auß anweisung und 
nach dem taufbuchlen Lutheri und Viti Dieterichs') gestellet 
ist, der Khürnter aber und der Khrüner taufordenung ist auf 
der Wirttenbergischen agenden?) Daß aber die wort 
und weise fast übereinstimmen, ist kein ander ursach, dann 
das die Wirtenbergische agenda aus des Luthers und Viti 
Dieterichs genommen und nach des landts gelegenheit gelenket 
ist. Wie woll nun geratten hat mügen werden, das die eltere, 
nemblieh die nach Viti und Lutheri anweisung von steirischen 
gebrauchet wird, den furzog hett haben mugen, iedoch seint 
andere ursachen, die uns beweget haben, einen igkliehen 
theill sein ordenung zu lassen. Denn einmahl ists und in 
ewigkeit war, das beyde ordenung guet und so woll gestelt, 
das niemandt verbessern kan. furs ander so bezeugen die 
Kharnter und Khrainer, das die Wirttembergiseh ordenung 
bey ihnen nun von etlichen pharn her eingewurtzelet sey; 
dagegen kónnen die Steirischen auch zeugen, das die ihrige, 
so sie von Luthero und Vito haben, auch von villen jaren 
zu Gritz und sonst in Steirmarckht gebraucht sey worden. 
Was kan man dann in disen fall bessers rathen, dann das 
man ein iegklich theill bei seyner ordenung, die an sich 
selbs guet ist, bleiben lasse? Was ist fur ursache, das die 
braut Christi ihres eussersten kleides gebreme?) müsse 
menschen zugefallen mit einer farbe schmucken, so sie doch 
die freiheit hat, das sie mancherlei farbe daran brauche, 
wann sie nur inwendig am glauben und des herzen heilig- 
keit schön und herlich bleibe. Last uns Gott für die grossen 
wolthat daneken, daß er unb gesunde lehr und glauben geben 
hat, und nicht der christlichen freyheit in eusserlichen 
seremonien und weisen etwas abbrechen. So ist nun unser 
rath, das man beide taufordenung in die agenden drueke; 
kans mit der Zeit ohn ergernus in eine gebracht werden, 
ists so vill desto besser; wo nieht, bringts der waren 
einigkeit so gar keinen schaden, das wir wolten gewunschet 
haben, das allenthalben solche einigkeit funden wurde. 


Nota 1. Wir zu Gritz brauchen in der tauffe das auf- 
legen der hende, das die Khernter und Khrainer nicht 


1) S. ob, 17,998, 1. 8) S. ob, 18, 133,7. 3) S. ob. 122, 129, 2.. 


144 64. 


brauchen; solches soll nicht für ein ungleicheit gerechnet 
werden; denn wir brauehens nicht als ein nottwendig stuck, 
sondern als ein frei mittel Ding, das mag gebraucht oder 
nicht gebraucht werden ohn sünde. Wir habens also funden 
im taufbuchlein Lutheri und Viti Dieterichs, denen wir ge- 
folget, aber niemandt daran verbunden haben wöllen. 

Nota 2. Weill vill unehliche Kinder zur tauffe kommen, 
soll man den vatter soleher kinder erfordern. So man in 
nicht haben kan, soll der pastor von der kirchen wegen das 
Kindt annemen, die so es bringen aussehaffen, für sich 
von der kirehen wegen gottfurchtige leut zu zeugen und 
gevattern bestellen und das kindt getauft ihnen wider zu 
hauf schicken. Dem Magistrat aber solche muetter in ver- 
warung zunehmen vermanen, das das übel gestraffet; und 
sollen solehe personen zu den sacramenten nicht gelassen 
werden, sie haben dann óffentliche busse gethan und bitten, 
unsere genedige herrn wollen doch etwaß ernstlichs in diser 
sach furnemen; dann es lasset sich ansehen, als wöllen diese 
sündn, so bib in himel hinauf schreien, diese lender in 
srundt erseuffen. 

Nota 3. Es ist auch ein elender iamer, das der 
‘teuflische hoffart so groß ist, das ihnen die hófischen und 
dem adel verwandt, wen sie schon nicht so hohes standts 
sein, gleich woll nur in heussern wollen getauft haben; die 
sollen treulich vermanet sein, das sie die gemeine Gottes nicht 
verschmehen, sondern in die offentlichen Gottesheuser ihre 
kinder tragen lassen. Wenn aber eins krankheit oder 
anderer unvermeidlicher nott halben nicht kan, so ists 
entschuldiget. 

Nota 4. Der gevattern halben ist auch guet, aufsehen 
zu haben, das sie nieht frembder lehre und religion an- 
hengig sein. 

Nota 5. Es soll sieh auch daran niemandt ergern, 
das etliche das köpflein des kindts nur entblóssen und be- 
gieBen, wies zu Gratz geschieht, weils lang also gebraucht, 
etliche aber das kindt ganz bloß begieBen oder in wasser 
hineintauchen, wie von alters her in Sachsen noch gebreuchlich 
und auch Luthero am besten gefelt'. Aber hieran ist 
niemandt verbunden. Den die menge des wassers thuet 
nicht darzu, sondern das wort und der geist Gottes. 

Nota 6. Wenn ein Judt oder Turekh oder heydt zu 
-taufen fur keme, kan man sieh einer form vergleichen. 
Jst die summa darvon, das mit ihm gehalten werde wie mit 
den Kinden, allein, das er selbs fur sieh antworte, drumb 
er zuvor muf unterrichtet werden. 


1) Vgl. RGG 5, 1107. 


65 . 145 


Nota 7. In der jaehtauf!) halts einer wie der ander 
wie dann die ordenung im truck aufweiset. 


Vergleichung in reichung des abentmals unsers herren 
Jesu Christi. 


In austheilung des abentmals des Herren halten wir 
aller ding eine weise und einerley wortte, wie folget. Nach 
der predig und lobgesang tretten die communicanten zum 
altar; daselbs wirdt zum ersten ein vermanung furgelesen 
auD der getruckten agenden. 

2. Folget auf die vermanung die gemeine beicht. 

3. Darauf ein gebit. 

4. Die absolutio, so sonderlich auf die eommunieanten 
gerichtet ist, wie woll auch sonst niemandt außgeschlossen 
ist derer, die recht bueßfertig sein. 

5. Das vatter unser umb wirdigen gebrauch und niessung 
des sacraments. 

6. Die wortte der einsatzung Matth. 26, Marci 14, 
Lucae 22, 1. Corinth 2. 

7. Nach disen wortten heisset man die, so sich angezeigt 
und zugelassen sein, herzutretten. Indes singt die kirch: 
Jesaia dem propheten?). Jes. 6. Jesus Christus unser hei- 
landt?). Got sey gelobet*). O sacrum convivium 5). Sanc- 
tus). Wo schuelen sein, Mugen auch die musici figurate’) 
singen, wens gelegen ist. 

8. Der prister, so den leib, item der, so das bluet reichet, 
hat sein furgeschriebene wortte, die den glaubigen tröstlich 
sein und den sacramentierern entgegen. 

9. Auf soleh communion folget die danksagung und der 
segen Num. 6. 

Nota 1. Die Khernter und Khrainer haben bibher 
zwischen der beicht und absolution kein. gebät gebraucht, 
wollens aber nun thun, weils kurtz ist. Hergegen haben sie 
ein gebät umb wirdige niessung des abentmals nach der 
absolution. Das haben die Steirer gern angenommen. Die 
Kharnter und Khrainer haben ein brauch, das sie das vatter 
unser, die worte der einsatzung, die danksagung und den 
segen singen. Die Steirer aber habens bißher gelesen: wab 
ist dran gelegen? weils einerley worte sein, mag ich nieht 
singent also woll baten als lesent? 

Nota 2. Die Kharnter und Khrainer singen post ora- 
tionem commemoratam. 


1) Über die Jähtaufe vgl. RGG 5, 1108. 2) S. ob. 17, 295, 9. 
*) von Luther, Mützell 1, 22. Julian S. 598. 4) Mützell 1, 24. 
Fischer 1, 165. Julian S, 441, 5) Antiphon zur 2. Vesper des Fron- 


leichnamsfestes (im Brevier). 6) S. ob, 17, 224, ?) S. ob, 17, 224, 6, 
Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 10 


146 66 


Nota 3. Von communion der kranken. In besuechung 
und trost der kranken seint wir gleichformig, wie die ge- 
drucketen agenden, denen bisher gefolget, außweisen. Nur 
das wird tröstlicher geachtet in der steirischen, das die ver- 
manung, gebät, danksagung sampt dem segen auf die kranke 
person in numero singulari gerichtet wird. Ist hie nicht 
schwer, ein volkommene gleicheit zu treffen. 

Nota 4. Die Steirischen zu Gratz sonderlich haben bibher 
zugesehen, das der capellenmeister, welchen sie da funden, 
kertzen darzu angezundet hat; waß wir funden, haben wir 
weder gelobet noch gescholten in solchen dingen, die unb 
weder geben noch nemen, ausser dem fal der ergernuß. Do 
aber die brueder in den andern landen gerathen, das mans 
abgehen lasse, weil bei ihnen solehe ceremonien nieht sein, 
lassen wirs auch gut sein, doch das mit willen unser herren 
und ohn ergernüs mit der zeit abgepredigt werde und von 
sich selbs falle. Welche forsichtigkeit in allen unnotwendigen 
und doch unschedlichen ceremonien zugebrauchen ist. 


Das 5. stück der agenden, welchs ist von dem 
einsegen der ehleut. 

In disem stuck seint wir gar einig, denn das werk 
weisets auß, das die wirttenbergisch ordenung, welcher die 
in Kharnten und Khrain fast in allem folgen, auf Viti 
Dieterichs genommen und zu des wirttenbergischen volcks 
bequehmlichkeit gelenket ist. 

Erstlich werden die ehleut drey sontag nacheinander 
verkündiget und das gemein gebät fur sie begeret. Wenn 
niemandts einredet und sie zur kirchen kommen, geschicht 
das einsegnen wie der truck außweiset, den wir bey handen 
haben. Erstlieh wird bey der verwilligung gefragt. 

2. wirdt in Gottes wort furgehalten von der einsatzung, 
Gens. 27); von der kraft und bestendigkeit dieses bundts, 
Matth. 192); von der pflicht gegen einander, Ephes. 5°); von 
den kreutz beyden auferlegt, Gens. 39; von dem trost under 
dem kreuz, Proverb. 18°). 

3. Redt man die ehleut an, das sie mit zeichen, hand 
und mund sich verloben und solehs der priester bestattige 
in der heilligen dreyfaltigkeit namen und gibt sie Gott in 
seinen schutz, das sie niemandt dann derselbige zu scheiden 
habe, weil sie er allein zusamen gefuegt hat. 

4. Darauf folget das gebát für den ehstand. 

5. Der 128. psalm®), welchen man singen oder lesen mag. 
Zu Gritz, weil die hochzeiten am abent gemeinlich zusamen- 
geben werden, pflegt man den psalm vorher zu singen. 

)1,92 9 V.6 à 5V.92f  *59292,16f 5) V. 22. 
6) Von Luther, Mützell 1,81. Julian 8. 1291. 


67 147 


6. Der segen schleust die handlung wie alle andere, 

Nota 1. In der wirttenbergischen ordenung ist ange- 
merkt, daß der priester fast alles zu der ktirchen*) von den 
ehleuten redet, biß er sie umb ihren willen der pflicht halben 
fraget. Aber in Luthers und Viti, welche von alters her in 
der kirchen gewesen, wirdt alles zu brautt und breuttigam 
geredt fur der gemeine, die zu zeugen darüber genommen 
wird. Solchs ist fur bequehmer geachtet; doch wöllen wir 
auch hie kein nottwendigs machen auf dem, das ein frey 
ding ist und keinem kein ergernus bringen kann. 

Nota 2. Das straffet man billich, das nicht allein die 
herren und landtleuet, sondern auch die hofdiener, wenn 
sie schon nicht so hoch geadelt, nicht wöllen sich aufbieten, 
noch öffentlich in der kirchen zusamen geben lassen. Man 
soll ihnen ihres adels halben auch etwaß besonders machen. 
Solten sie nicht des gebäts mehr achten und der gemeine 
Gottes sich nicht schemen! Ist doch Christus’ reich nicht 
von diser welt, das er mueste ein anders machen mit einem 
edelman, als mit einem beuren. Es wehr bald ein hoher 
christlicher furst zu nennen und wer mit genugsamen zeug- 
nussen zu beweisen, das er nicht hat etwab in solchem fall 
sonders wöllen haben, sondern mit fleiß gebetten, man soll 
gleicher Agenden und weise mit ihm gebrauchen und ihm 
solchs fur ein grosse ehre gerechnet. 

Nota 3. Die, so sich verloben wöllen, sollen auch vorher 
vom pastore gefordert und außgefragt werden, ob sie den 
eatechismum können, zum sacrament sich halten, christlich 
leben. Denn weil sie nun sollen hauß halten, kinder und 
gesinde regieren, gebüert ihnen gottforchtigkeit und die wege 
zu wissen, darauf ehleut gottseligklich wandelen sollen, 
psalm 128. 

Nota 4. In solehem examine möcht auch gestrafet 
werden, wann ein junger gesell ein alts weib gelts halben 
nimpt und sonst etwa nicht gesuecht wird, was furnemblich 
zu bedenken. Item das zweierlei glaubens leut einander umb 
guets willen begeren. Aber diß kan doch nicht so enge 
gespannet werden. Man lest’s bey christlicher wolgemeinter 
erinnerung bleiben. Das übrig behielt man einsiegklichen 
gewissen, ia auch der obrigkeit, dem kirchenrath, so einer 
bestelt, und Gottes gericht. Denn wir haben nichts weiter 
mit solchen sachen zu schaffen, denn das wir den gewissen 
durch Gottes genade raten. 

Nota 5. Die Herrn und Lantleut möchten zu wenigsten 
doch das gemein gebät für ihren furgenommen heyrat in der 


1) d, h. zur Gemeinde, 
10* 


148 68 


gemeine Gottes fordern, dann die aufkundung ist nicht allein 
darzu erfunden, das hinderung furkommen, sondern furnemblich, 
das Gott angeruffen werde umb hülfe und segen, dessen fürwar 
iederman vonnöten, und ie Gott woll werdt ist, das man ihn 
umb seine gaben bitte; so gefelt ihm auch, das einer nicht 
sonderlichs fur sich sueche, sondern sein heilige kirche und 
gemeine großachte und bei gemeiner weise bleibe. | 


Das 6. stück der Agenden, welchsistvon der 
begrebnuß. 

In der weise die leichen zu bestatten ist gar kein un- 
gleicheit, dann das zu Gratz an des ersten und andern 
leuttens die verkindigung in offenen predigen zuvor geschicht, 
da man den verstorbenen nennet und die leut zu beleidt!) 
vermanet, leichpredig verkündet, und wenn man die weise 
allen tag zu predigen behält mag das desto leichter geschehen. 
Das aber nieht so, wie zu Clagenfort geleuttet wird, geschicht 
auf mangel der glocken, denn in stift zu Gritz nur ein 
kleines glöcklein ist, das man nicht weit hóret. Wenn aber 
der prediger mit den sehuelern die leich holt und zum 
stift sich nahet, so leuttet man, bib sie herzugetragen wird. 
In dem die leieh auf dem hause getragen wird, singt man: 
mitten wir im leben”); Auß tiefer not?) So ein leiehpredig 
begeret, setzt man die leich in die kireh. Nach der predig 
singt man: mit fridt und freud*) und tregt in des die leich 
nach dem gottesacker. So das lied ein ende hat, hebt man 
ein anders an als: Ich ruef zu dir herr Jesu Christ). Beym 
grabe, wenn man die leichte (sic!) hinein legt, singt man: 
Nun last uns den leib begraben), bib auf die letzten zwei 
gesetze’). Da liset der diener des worts ein collectam und 
das vatter unser. Darauf singt man die letzten zwei gesetze: 
Nu lassen wir ihn hie schlaffen. Hierauf spricht der prediger 
den segen. Dann get man zu hause. Die freundschaft 
pflegt auch einen zu bestellen, der den leutten danket der ehr- 
lichen volge. Welchs keinen prediger soll aufgelegt werden, 
wie wir in unserm gedruckten agendt buchlein weittern 
bericht thun. Wenn kein leiehpredig begeret, liset man auf 
den gottesacker die -érmanung, so im agend büchlein vor 
dem gebät geschrieben stehet. 

Nota 1. Zu Gritz haben die ietzigen predicanten und 
die zu nechst vor denen gewesen ein solehe weise funden, 
das man etwa 2, 4, 6, 8, 16 arme knaben aus der leutschuel 
begeret, dieselbige in schwarz kutten gekleidet und iegklichen 


1) Beileid. 2) Mützell 1,38. Fischer 2,928, Julian S. 1405. 
3) Mützell 1,32. Fischer 1, 59. Julian S. 96. 4) Miitzell 1, 8. 
Fischer 2,91. Julian S. 760, 6) Miitzell 1, 87. 9) von Weiße 


(RGG. 5,1879) 1531. Mützell, 1,164. Julian 8.822. ?) Strophen. 


69 149 


ein brennend fackel in die hende geben, das sie der leich 
zu beiden seiten giengen. Solche weise haben die predicanten 
woll nicht gern gesehen; doch weil das wort rein gelehret 
wird und sie kein ergernus darauß haben noch zur zeit folgen 
sehen, auch woll durch unzeittigs abthun der schwachen 
ergernuß besorgen müssen, haben sies also bißher gehen 
lassen, als den Chorrock und andere mittel-dinge, die weder 
geben noch nehmen und das so viel desto mehr, weil die 
kutten seint in stift gesamblet und die armen jungen auch 
etwa arme veriagte!) prädicanten und andere, so umb hülfe 
angesuecht, darin seint gekleidet wurden, die sonst bloß und 
nacket hatten gehen und erfrieren müssen. Denn woll etwa 
ein jar mit 50 gulden?) nicht hatte soviel tuchs als gefallen 
könt erzeuget werden. Weil aber die sach in diser zu- 
samenkunft so weit disputieret, das den Grätzern solchs 
umb gleichformigkeit willen, weils die ander lande nicht in 
brauch haben, abgehen zulassen gebüeren wolle, seint sie 
auch nicht darwider, allein das bescheidentlich und mit 
bewilligung der obrigkeit darin gehandelt und nicht plötzlich, 
sondern allgemachsam und mehr mit predigen und vermanen, 
dan mit zwang und gebieten solche ceremonien abgethan 
werde: das ist aber der Grätzer bitt, das ihre g. H.?) auf 
andere wege genedigklich bedacht sein wöllen, dadurch der 
abgang an kleidung ersetzt und die armen jungen gleich- 
woll bedecket werden mögen. 


Das 3.theilder Kirchenordenung. 
Welchs begreift die bestallung des heiligen 
ministerii und waß zu der kirchenregierung 

gehöret. 


Das dritte theil der kirchenordenung begreift fürnemblich 
achte stück in sich. Daß erste ist die bestallung des heilligen 
predigampts. Daß ander ein wolgeordente schuele. Das 
dritte bestallung eins kirchenrats. Daß vierde die visitation 
oder besuechung und aufsicht auf kirchen und schuelen, das 
fünfte notwendiger und nutzlicher synoden anstellung. Daß 
sechste die kirchenzucht, so in offeutlichem und besonders 
ernstlichem gebrauch des himmelischen schliissel*) stehet; 
daß sibende von einkommen und almusen, davon kirchen 
und schuelen unterhalten werden; das achte einer recht- 
schaffenen bibliotheken anrichtunge und notwendigen büchern. 

Waß nun dise stuck belangt, können wir kein bessern 

rat geben, dann doctor Chytraeus E. E. L. in Steier®) gehen 
1) Erst stand: verachte; das ist durchgestrichen und veriagte 


darüber geschrieben. ?) S. ob. 17, 281. 3) gnüdigen Herren. 
$) Matth. 16,19. 5) d. bh. Steiermark. 


150 70 


hat, welche unsere genedige und gepietund herren, wo es 
ihren genaden gefellig, möchten offentlich verlesen lassen, 
das dann, was einem lande zu guet gerathen worden, auch 
den andern nach dem sichs schicken wolt, zum besten 
gereichen möchte. 


Von visitation und synodis. 


Von visitationibus und synodis ist das nnsers bedunkens 
fast!) nützlich, wo nicht notwendig, das ein iegklichs 
lant sein generalpastor in der hauptstat oder wo es am 
bequehmbsten ist habe, und dan ein iegklichs land in, 
etlich viertel oder theile unterseheiden und einen iegklichen 
viertel sein special aufseher, so etwa viertelsprediger genand, 
furgesetzt sei. Was dann der special in seiner aufsicht 
befünde, könt er dem general und derselbig, wo es not sein 
würde, den herren inspectoribus und verordenten zu wissen 
machen, das dann gebürlich einsehen geschehe. Es könte 
ein iegklicher special zu bestimbten zeitten etwa einmall 
oder zweimall in seinen viertel sampt einem politico, so ihm 
von der obrigkeit ordentlich zugeben, visitieren und aui- 
merken, vermüg der instruction, so man ihm geben müeste, 
und könten dann einmal im jar oder, wo es vonnöten, mehr- 
mall die speciales mit dem general ein synodum halten; 
dem die herren inspectores und verordente selbs oder die 
so I. G. auf ihres ordens mittel an ihre stadt ordenten 
praesidieren; darin man von allerhand sachen zu aufnemen 
der kirchen gottes ratschlagen und handelen könte. Weil 
aber A. K.?) zugetone herrn und lantleute in diesen vier 
landen einer christlichen bruederlichen coniunction und zu- 
samenhaltung in religion sachen sich verwilligt, wehr solche 
coniunction zuerhalten und derselbigen nutzlich zugebrauchen 
gar rathsam, das auf ein bestimbte zeit eines jeden landts 
hauptpastor oder general, mit einem seiner brüeder von 
ihren oberherrn, nemblich den herren inspectoribus und 
verordenten, gesand und die generales allesampt ihnen zu- 
geordenten an ein ort zusammen komen, da ihnen auch die 
herrn inspectores und verordnete oder von ihnen gesandte 
könten beywonen; da möchte dan ein iegklicher bericht 
thun, waß sich in den kirchen seins kreises zugetragen und 
waß sonst notwendig geacht worden und könt viel guets 
außgericht werden und damit solch guet nicht durch aemu- 
lation und eiffer verhindert würde, könte man umbwechslen, 
das man ein jhar in der, das ander jar in iener lantschaft 
hauptstad zusamenkehme und nichts ohn vorwissen und 


1) sehr. 2) Augsb. Konfession. 


71 151 


befelch der herrn verordneten und inspectoren fürgenommen 
wurde. Dise bede special- und general-synodi könten auch 
an stadt eines kirchenraths ein zeitlang gehalten werden. 


Von der schulen‘). 


Von den schulen ist erstlich bedacht, das vonnöten, 
das ein einige grammatica in allen gebraucht werde, und 
ist darzu erwehlet die zu Straßburg?) in schwange gehet, 
beyde latinisch und griechisch. Darnach ist auch bedacht, 
das die schuelen sollen den kirchen unterworfen sein, das der 
rector dem ordentlichen aufsehen des pastors eben so woll 
untergeben sey, als ein prediger und die subinspectores, so 
den herrn inspectoribus und verordneten?), so fern diselbigen 
treulich ihrer instruction nachgehen fur augen habe und 
gutem rate villich und gern nachkomme, wie dann noch 
zur zeit, gott lob, kein beschwerung ist. Wie aber nicht 
allein alle schuler, sondern auch die praeceptores und 
oeconomus dem rectori gehorchen, also wird er auch gern 
den hern subinspectoribus, als denen, so in gemessenen 
bevelch an der herren verordneten und inspectorn stadt 
sein, dem gemeinem schulwesen zum pesten folgen. 

Wie aber der rector sambt seinen collegis und oeconomo 
also beyd subinspectores und pastores sampt allen, so der 
kirchen und schuelen furgesetzt sein, erkennen for ihre von 
Gott verordnete obrigkeit E. E. L. Verordnete und inspectores, 
denen sie ieder zeit geburliehen gehorsamb in aller demueth 
zuerzeigen schuldig und willig sein. 


De legibus scholae. 
Erinnerung. 


Waß die leges scholae anlangt, hat Chytraeus die not- 
wendigsten gesetzt, welche die Khärnter und Khrainer auch 
schon als vil ihnen bequehm vorhin in ihren schuelen haben 
und naeh gelegenheit ihrer schuelen mehr herauß oder sonsten 
her zuwelen urpietig*) sein, doch als auf bewilligung und 
beveleh ihrer genedigen und gepietunden herrn E. E. L. 
Khärnten und Khrain verordneten. Die landtschule zu Gritz 
hat nu drei jar etliche leges im brauch und nicht ohne frucht 
gehabt. Wird aber für rathsam angesehen, das die subin- 
spectores und wer mehr darzu gehiret oder ordentlieh er- 
lordert wirdt, vermog ihrer instruction, alle leges beyde, die, 


1) Siehe Loserth, a. a. O. ?) Loserth a. a. O. S. 30 Anm. 
Der Einfluß Straßburgs auf die ev. Kirche in den habsburgischen 
Ländern war sehr groß. S. ob. S. 136. 3) sc. unterworfen sind. 
*) erbótig. 


152 72 
so in gebrauch schon sein und auch die, so noch nicht 
gebraucht worden, gegeneinander vergleichen und das ganz 
schulwesen also mit geburlichen notwendigen legibus fassen 
und umbwicklen, das merklicher nutz darauß könne verhoffet 
werden, Wenn dann das ganz schulwesen ordentlich be- 
schriben sein wird, das sies dann den herrn verordneten 
und inspectoribus zu examinieren übergeben und wens dann 
I. G. auch wurde gefallen, das diselbigen dann in ihrem 
beisein und namen fur der ganzen schuel liessen iren secre- 
tarium promulgieren, dann hetten die leges ire volkomene 
autoritet. 


Beschluß. 


Diß ist also unser gehorsambe antwort von der ganzen 
kirchenordnung, als vil wir unß in disem gesprechn haben 
erinnern und darnach zusamen schreiben können, und wehr 
woll gut gewesen, das etliche artickel ausfürlicher hetten 
ercleret können werden; aber weil unb nicht gebüret, unser 
g. H. zulange aufzuhalten, und nur ietzt ein andeuttung ge- 
geben hat sollen werden, wie ein iegklichs stück solcher 
kirehenordnung unsers bedunkens gestelt werden möcht, und 
hernach etwa, so es unsere gn. und gepietunde herrn für 
rathsam achten wurden, alles aufs klarlichste außgefüret 
werden soll, dann die stück, so im andern und drittenteil 
nur kurtzlich beruehret, mussen werden von wort zu wort 
außgefueret werden, habens wir bei disen anzeigungen und 
erinnerungen bleiben lassen. Und wie im anfang also auch 
hie zum beschluß wollen wir alles dem christlichen hohen 
bedenken unser gn. und gepietunden herren und derselbigen 
g. u. h. un auch selbs gehorsambist underworfen haben, 
mit demutigster erbietung zu weiterer erclerung, wo es von- 
nöten sein wolt. 

Der almechtige Gott, der da ist ein Gott des friedes 
und aller gueten ordenung, wölle sein werk in disen und 
anderen landen genediglich befordern und ihm beyde 
reg[ierjlenden und underthonen, lehrer und zuhörer ganz vatter- 
lich zu sehutzen und mit seinen heilligen geist zu regieren 
getreulieh allezeit befolhen sein lassen durch Jesum Christum 
seinen einigen sohn und unsern allergenedigsten herren und 
heiland, weleher ist hochgelobet von ewigkeit zu ewigkeit. 
amen amen. 

Absolutum et theologorum ad hoe opus vocatorum 
subscriptione usque ad Dominorum declaratam censuram 
et approbationem perspieue declaratam et nostram olim 
recognitionem comprobatam vigesima prima mensis Fe- 
bruarii, anno millesimo quingentesimo septuagesimo 
octavo in oppido Brugg ad Murreham. 


73 153 


Es folgen 6 aufgedruckte Siegel. 


Jeremias Homberger!) D. E. E. L. in Steier dieser zeit 
pastor zu Gratz subscripsi manu propria. 


M. Bernhardinus Stainer?) E. E. L. des erzherzogtumbs 
Karnden provisionirter am evangelio diener und der gemaine 
zue Clagenfurt pfarrar manu sua subscripsit. 


Christophorus Freius?). Magister und E. E. L. in Stair 
prediger. 


Philippus Marbachius*) L. E. E. L. in Steier bestelter 
schulrector zu Gritz. 


M. Jacob Prantl®), E. E. L. in Kürnthen prediger zu 
Klagenfurt, manu sua propria. 


M. Andreas Laborator9). E, E. L. in Karndten bestelter- 
schuelrector zu Clagenfurt, weil ich der zeit kein manu pro- 
pria pedtschaft gehabt, hab ich herrn M. Bernhardi Stainer 
erbetten, daß er an meiner statt gefertigt. 


Bedencken der ordenung halben in die sontäg und 
feiertage früpredig. 


l. Erstlich soll man den heiligen Geist mit einem gar 
kurzen gesang umb hilf anruefen. 


2. Darauf soll ein diener des worts die offene beicht 
sambt der absolution in sehr kurzer form, wie sie gestelt 
auf der canzel, sprechen; folget darauf ein kurzer psalm: 
allein Gott in der höhe‘). Dann lieset der diener auf der 
eanzel die epistel oder so man will sonst ein stück auf der 
bibel nach der ordenung der bücher. Wen er solches gethan, 

3. verkündet er, waß zuverkündigen ist, al neue ehe- 
leut, feste und deßgleichen und fordert das gebet fur die 
aufgezeichnete kranke und noturftige personen. 


4. Darauf singt man wider in figuris®) oder simpliciter, 
und nach anruefen des heiligen geistes folget die verlesung 
des evangelii und predig daruber, daß nach der predig alß 
bald das gebät gesprochen und ohn lengern aufhalt zur 
administration coenae domini gesehritten und damit wie 
biBher gehalten werde. 


1) Loserth l. c. s. v. ?) Ebd. 3) Frey, Loserth s. v. 
3) Loserth s. v. 5) ebd. °) ebd, ?) S. ob. 17, 291, 12.. 
8) S. ob. 117, 224, 6. 


154 74 


Ursach zn solehen ordenung bewegent seint diese. 


1. Erstlich ists der uralten kirchen ordenung gemehs, 
wie daß confitemini!) ausweisen. 

2. Furß ander ists ie billich, das man mit bekantnus 
-der sünde und absolution den gottesdienst zu verrichten an- 
fange, den die sünder will Gott nicht erhören, sie demütigen 
sich den und bitten fur allen dingen umb vergebung. 

3. Furß dritte wirds also im wolbestelten kirchen der 
A. K. gehalten, al in der Neuburgischen Pfalz?, zu Ulm), 
Norimbergae*) und andern vill orten zu sehen. 

4. Zum vierten ists gemhes der kirchen ordenung, so 
mit rath ern Chytraei gestellet°), 

5. Zum funften wird das volk desto zeitlicher zur 
kirchen zu kommen dadurch gelocket und beweget. 

6. Zum sechsten ists ein grosse beforderung, das der 
prediger nach gehabter predig desto schleuniger daf) gepát 
verriehten, niehts dureh mudigkeit oder eylem vergesse, die 
leutte nicht mit verdrieß aufhalte. 

Letzlich seint woll mehr ursach und nutz, so nicht hie 
vermelt werden mögen, und ist leichtlich anzurichten, wen 
mans nur ein mahl auf der eanzl vermeldet dab sich ein 
jeder darnach richten möge. Es möcht auch privatim etwa 
versucht werden, das man sehe, wie es ein gestaldt haben 
und abgehn wolte. 


1) Ps. 118. 2) S. ob. S. 184, 5, 3) Wiirttemb. K. G. a. a, O. 
S. 319. 713. 4) S. ob. S. 1833, 1. 5) Sie ist bisher nicht auf- 
findbar; vgl. ob. 18, 37. 


Nachtrag. 


Soeben erschien: Paul Graff, Geschichte der Auflósung der 
-alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutsch- 
lands bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus. 1921. 
‚Siehe S. 64f. 


» 


Mitteilungen. 


Neuerscheinungen. 


Alfred Götzes „Frühneuhochdeutsches Glossar“ ent- 
sprach schon bei seinem ersten Erscheinen im Jahre 1912 einem fühl- 
baren Bedürfnis, indem es zumal dem Anfänger ein Eindringen in den 
reichen hochdeutschen Wortschatz von Ende des 15. bis gegen die 
Mitte des 17. Jahrhunderts sei es überhaupt erst ermöglichte, sei es 
wenigstens ungemein erleichterte. Daß der Verf. aber inzwischen die 
Hände nicht in den Schoß gelegt hat, zeigt die nunmehr vorliegende 
zweite Auflage, die auf nochmaliger sorgfältigster Durcharbeitung des 
gesamten Stoffes beruht und so zahlreiche Ergänzungen gegenüber der 
ersten Ausgabe zeigt, daß deren Umfang sich fast verdoppelt hat. 
Möge das Studium unserer älteren originalen Literatur — Luthers und 
seiner Zeitgenossen sowie der nächstfolgenden Geschlechter — aus der 
Neubearbeitung entsprechenden Nutzen schöpfen! Bonn, A. Marcus 
u. E. Weber 1920. (Kleine Texte usw. hrsg. von H. Lietzmann 101.) 
XI, 240 S. M. 15, geb. M. 20. 


Eine sehr willkommene chronologische Übersicht der gesamten 
Vorlesungstütigkeit Luthers in Wittenberg gibt mit bedeut- 
samer Einführung |H. von Schubert in SB. Heidelb. Ak. d. W., phil.- 
hist. Kl. 1920 Nr. 9. Dazu treten Konjekturen und Emendationen 
K. Meissingers zur Veróffentlichung der Galaterbrief-Vorlesung 
1516/1517 durch v. Schubert (s. „Archiv“ Bd. XVI S. 125f,). Heidel- 
berg, Winter 1920. 47 S. M. 4,30. 


Die Abhandlung von Lic. theol Hedwig Thomas, einer 
Schülerin F. Loofs, ,Zur Würdigung der Psalmenvorlesung 
Luthers von 1513—1515“ ist ein wichtiger Beitrag zur zeitlichen 
Feststellung des Reformationserlebnisses Luthers. Verfasserin zeigt 
durch eindringende Untersuchung und Vergleichung, daß in der Aus- 
legung der Psalmen bei Luther zwei Gruppen zu unterscheiden sind: 
in der einen steht er noch vor dem neuen Verständnis von Römer 1, 17, 
während die andere diese Erkenntnis schon vorträgt. Nun stellt sich 
aber auch heraus, daß Luthers Einleitungs- und Schlußbemerkungen 
zur ersten Kollegstunde auf den neuen Standpunkt gestellt sind. 
Folglich war Luther schon bei Eröffnung der Psalmenvorlesung zur 
neuen Erkenntnis vorgedrungen; er hat letztere während der Vor- 
arbeiten für die Vorlesung gewonnen. So bleibt nur die Frage, wann 


156 76 


Luther die Vorlesung eröffnet habe, worüber völlig Sicheres vorerst 
noch nicht festzustellen ist. Verfasserin nimmt den Juli 1513 an, doch 
ist dies nur der terminus a quo, Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1920. 
X, 518. gr. 4. M. 7. 

Zwei wertvolle Beiträge zu Luthers Frühentwicklung 
bietet die Festgabe zum 70. Geburtstag Julius Kaftans, 30. Septb. 1918 
(Tübingen, Mohr): O. Scheel handelt (S. 298—318) über „Taulers 
Mystik und Luthers reformatorische Entdeckung“ (Betonung 
des Neuen, das Luther über den ganz im Gottesgedanken des Katho- 
lizismus stehenden Tauler und die Mystik hinaus darstellte); ebendort 
S. 150—169 beschäftigt sich Em. Hirsch, Initium theologiae 
Lutheri, mit dem Wesen der entscheidenden Entdeckung Luthers 
über Römer 1, 17. — In der gleichen Festschrift S. 170—914 unter. 
sucht F. Kaltenbusch den Begriff des Deus absconditus bei. 
Luther; ferner bespricht S. 87—102 E. Förster „Fragen zu Luthers 
Kirchenbegriff aus der Gedankenwelt seines Alters“, an der Hand 
der späteren Schriften L.s die Entwicklung seines Kirchenbegriffs. 
Endlich verfolgt S. 260—272 O. Ritschl das Wort „dogmaticus“ 
in der Geschichte des Sprachgebrauchs bis zum Aufkommen des Aus- 
drucks theologia dogmatica, wobei u. a. gezeigt wird, daß von den 
Reformatoren allein Melanchthon das Wort dogmaticus braucht. 

In einem Festvortrag ,Luther und der 10. Dezember 1520* 
behandelt H. Bóhmer in vielfach neuem Lichte die Fragen: was ist 
am 10. Dezember 1520 eigentlich geschehen? was hat Luther zu dieser 
so vielumstrittenen Tat veranlaßt? was haben die Zeitgenossen zu ihr 
gesagt? und worin besteht die geschichtliche Bedeutung jenes Ereig- 
nisses? U. a. zeigt Verf. daß die Verbrennung der Bannbulle eigent- 
lieh eine ,programmwidrige Improvisation" war und die Bedeutung 
des Akts wesentlich auf der Verbrennung des kanonischen Rechts be- 
ruhte. Überhaupt egt Böhmer dem „Feuergericht vor dem Elstertore“ 
eine hohe Bedeutung bei als einem Flammenzeichen, das unmittelbar 
auf die Phantasie und das Gefühl der Massen wirkte und aus dem 
auch die Ungelehrten ohne weiteres die Botschaft herauslasen: , Vogt, 
deine Uhr ist abgelaufen! Der Vortrag ist aufgenommen in die 
würdig ausgestattete, mit zahlreichen Abbildungen geschmückte Ver- 
öffentlichung „Wittenbergs Feier der Tat Dr. Martin Luthers 
10. Dezember 1520“. Wittenberg, Kommissionsverlag M. Senf 1921. 
878 £. 


Richard Wolffs „Studien zu Luthers Weltanschauung“ 
sind Ernst Tröltsch gewidmet und von dessen Geist befruchtet. Sie 
nehmen die These des Meisters wieder auf, wonach die Neuzeit erst 
mit der Ablösung der christlich-supernaturalen Weltordnung durch die 
natürlich-diesseitige im Zeitalter der Aufklärung beginne und Luther 
daher restlos ins Mittelalter gehöre. Daß diese Auffassung durck 
Wolff glaubwürdiger gemacht werde, kann Verf. nicht finden. Es ist 
ja nicht schwer, aus Luthers Aussprüchen solche herauszuheben, die 


77 l 157 


den Zusammenhang mit der Vergangenheit besonders stark betonen; 
nur übersieht oder unterschätzt man neben den Worten die befreiende, 
in die Zukunft weisende und bis heute fortwirkende Tat des Re- 
formators. So ist auch die Anschauung grundfalsch, als ob im Zeit- 
alter der sog. Aufklärung die christlich-supernaturale Weltanschauung 
alsbald und für immer zum alten Eisen getan worden sei. Richtig 
ist im Grunde nur, daß gewisse Kreise erlesener Geister sie verließen 
and daß das konfessionelle Element aufhörte in der europäischen 
Politik ausschlaggebend zu sein. Historische Bibl. 43, München, 
Oldenbourg 1920. 65 S, M. 10, 


Wie verfehlt alle Versuche sind, zwischen Luther und der Gegen- 
wart einen trennenden Strich zu ziehen, zeigt aufs neue die prüchtige, 
gedankenreiche Skizze von Max Lenz über ,Luthers Tat in 
Worms", Diese Tat bedeutet die nicht von L. ausgehende, sondern 
ihm abgenótigte Auflehnung gegen die höchste Staatsgewalt. Daß 
Luther, obschon er den Zusammenhang seines Evangeliums mit den 
nationalen Hoffnungen und Notwendigkeiten damals lüngst begriffen 
hatte, die antirömische Stimmung, die die ganze deutsche Nation be- 
herrschte, nieht benutzt, sich nicht zum Führer der Nation gegen 
Rom gemacht hat, billigt der Verf, indem er zeigt, wie unter den 
gegebenen Verhältnissen auch das Luthertum eine nationale Monarchie 
in Deutschland im Sinne der Nachbarstaaten zu errichten nicht ver- 
mocht hätte. Trotzdem sind die Staatsgedanken der Reformation 
(beim Luthertum wie beim Calvinismus) politisch von ungleich höherer 
Kraft gewesen, als die in Trient neu zusammengefaßte, nun ganz 
hispanisierte Lehre der römischen Kirche. Ferner aber hat auf der 
Grundlage des Protestantismus der nationale Genius Deutschlands, der 
im Mittelalter in allen seinen Schöpfungen von fremden Kulturelementen 
abhängig gewesen war, in neuerer Zeit, besonders auf dem Gebiete des 
geistigen Lebens, sich zu Hervorbringungen erhoben, die alles hinter 
sich ließen, was frühere Jahrhunderte hervorgebracht hatten. Und 
noch immer sind, Lenz zufolge, die Grundformen der Weltordnung, 
so wie Luther sie gesehen und im Geiste gestaltet hat, nach allen 
Wandlungen, allen Katastrophen, auch allen Triumphen des mensch- 
lichen Geistes und seiner sittlichen wie intellektuellen Krüfte unver- 
loren und unerschüttert. Schr. des Vereins f. Ref.-Gesch. Nr. 134. 
Leipzig, in Komm. bei M. Heinsius Nachf, 1921, 45 S. M.5. 


Indem Joh. Luther, Martin Luthers Auslegung des 
90. Psalms schildert, wie es kam, daß die Wittenberger Theologen 
der Kónigin Dorothea von Dünemark bei ihrem Besuche in Wittenberg 
1548 Luthers Auslegung des 90, Psalms, bereichert um eine Vorrede 
Georg Majors, als literarisches Festgeschenk darbrachten, gibt uns der 
Vert. zugleich ein Bild von den Beziehungen, die sich, besonders seit 
der Thronbesteigung des an den Fortschritten des Evangeliums 
innigsten Anteil nehmenden Kónigs Christians III, zwischen Dünemark 
und Wittenberg herausgebildet hatten, Reiche Literaturangaben be- 


158 | 78 


gleiten den Text. Das schön ausgestattete, mit Wiedergabe des 
Titelblattes der angezeigten Schrift ausgestattete Schriftchen bildet 
Heft 2 der „Bibliographien und Studien, herausg. von Martin Bres- 
lauer.“ Berlin, M. Breslauer 1920. 50 S. 4°, M. 60. 

Die Wirkung der Geisteswelt Zwinglis hat unter seinem poli- 
tischen Schicksal gelitten. Indem mit Zwinglis Tode Zürich die 
politische Initiativkraft zur Fortführung seines Werkes verlor, rückte 
Genf unter Calvin vor und eroberte sich eine Welt mit der Macht des 
Gedankens und der Kraft des Schwertes. Auf der anderen Seite hielt 
und verfestigte sich das Luthertum. So drohte zwischen Luther und 
Calvin Zwingli hindurchzufallen. Daß gleichwohl des letzteren Geistes- 
art Gegenwartswert besitzt, daß Zwingli neben Luther am Brückenbau 
unserer Kultur mitzuwirken berufen ist, unternimmt Walther Köhler 
in seiner Schrift „Die Geisteswelt Ulrich Zwinglis. Christen- 
tam und Antike“ (= Brücken, Bd. 3. Gotha, F. A. Perthes 1920. 
153 S. M. 6) zu zeigen, in der er knapp, aber lichtvoll, aus ein- 
gehendster Kenntnis das Wesen und die Eigenart der religiösen Per- 
sönlichkeit des Schweizers vor uns erstehen läßt. Die organische, im 
Innersten der Persönlichkeit vollzogene Verknüpfung von Christentum 
und Antike, wie sie für Zwingli wesenhaft ist, der Hauch antiker 
Sophrosyne über dem christlichen Glauben — schließt der Verfasser — 
kann nicht nur, sondern muß Brücke für unsere Zeit sein. 

Die Beziehungen Calvins zu Frankfurta.M. haben nicht 
dazu geführt, die Stadt für seine Lehre zu gewinnen, und in ihr 
seinemreformierten Gesamtprotestantismus ein Ausfallstor nach Deutsch- 
land zu eröffnen; nicht einmal in den Fremdengemeinden hat Calvin 
sein Ziel erreicht. Doch bleibt darum die Untersuchung, die K, Bauer 
jenen Beziehungen widmet, nicht ergebnislos, sondern liefert wertvolle 
Beiträge sowohl zur Reformationsgeschichte Frankfurts wie zu dem 
Verhältnis zwischen den evangelischen Kirchen besonders in den fünt- 
ziger Jahren und endlich für Calvins Bestrebungen und Charakter. 
Schr. VRG. 133. Leipzig, Kom.-Verl. Heinsias 1920, 76 S. M. 6. 

Von H. Dechents Kirchengescbichte von Frankfurt a. M. 
seit der Reformation (deren erster, 1913 erschienener Band im „Archiv“ XI 
S. 239 angezeigt wurde) ist der zweite und Schlußband erschienen, 
der, mit gleicher Liebe und Sorgsamkeit wie sein Vorgänger bearbeitet, 
den Zeitraum von 1618 bis zur Gegenwart behandelt. Leipzig und 
Frankfurt a. M., Keßelring 1921. VIII, 588 S., mit 54 Illustrationen, 
M. 36.—. 

Das Corpus Catholicorum, Werke katholischer Schriftsteller im Zeit- 
alter der Glaubensspaltung (vgl. „Archiv“ XVI S. 253ff.) eróffnet Dr. 
Johann Ecks Defensio routra amarulentas D. AndreaeBoden- 
stein Carolostatini Invectiones von1518, hrsg. vonJ os. Greving, 
dem eigentlichen Schöpfer des Unternehmens, der die Ausgabe des 
Hefts jedoch nicht mehr erlebt hat (+ 6. Mai 1919). Doch bot ihm 
dieses Gelegenheit, die von ihm mit großer Umsicht ausgearbeiteten 


79 159 


Grundsätze für die Herausgabe des C. C. zu erproben und zu 
bewáhren. Die ausführlich eingeleitete Ausgabe selbst zeigt auf jeder 
Seite die Hand des sachkundigen und sorgsamen Forschers. Münster, 
. Aschendorff 1919. S. 1*—75*, 1—96. M. 9. 


Mit Eck beschäftigt sich auch Heft 2 des C. C., das Joh. 
Metzler S. I. bearbeitet hat. Er vereinigt darin Ecks Epistola 
de ratione studiorum suorum von 1538 (Darstellung des eigenen 
Studienganges) und die Schrift des Kollegen Ecks und Ingolstádter 
Professors Erasmus Wolph, ,de obitu Joan. Eckii adversus 
ealumniam Viti Theodorici*. Diese Schrift richtet sich gegen die 
Angaben, die der Nürnberger Professor Veit Dietrich über Ecks Aus- 
gang gemacht hatte. Herausgeber verbreitet sich weitlüuftig über 
diese , Verleumdungen“, ohne des Satzes eingedenk zu sein: peccatur 
intra muros et extra! Es herrschte in jenen Zeiten scharfer kon- 
fessioneller Kämpfe auf beiden Seiten die Überzeugung, daß beim Tode 
des Gegners irgendwie zutage treten müsse, daß seine Sache nicht die 
der Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht die Sache Gottes sei. Ge- 
fällige Zwischenträger fanden sich wohl immer und ihre Erfindungen 
und Entstellungen wurden auf der Gegenseite nur allzu gern geglaubt, 
Münster, Aschendorff 1921. 106 S. M. 19. — Über den Stand der- 
Arbeiten zur Herausgabe des C. C. gibt Auskunft der Jahresbericht 
der Gesellschaft für 1920. Münster, Aschendorff 1991. 12 S. 
(mit Liste der erschienenen, in Arbeit befindlichen und in Aussicht ge- 
nommenen Schriften). 

Die BuBlehre Ecks behandelt systematisch ein Schüler Grevings, 
H, Schauerte. Er gibt im Hauptteile, von Eck ausgehend, eine Dar- 
legung der sehr verwickelten katholischen Buflehre des endenden 
Mittelalters, der er die abweichenden Lehren Luthers und der 
Seinen gegenüberstellt. In den ersten Abschnitten wird eine Ana- 
lyse der einschlügigen Schriften Ecks gegeben und dessen Arbeits- 
weise (Art der Quellenbenutzung, Polemik usw.) geschildert. Am 
Schluß untersucht Verf. Ecks Stellung zu den Mißständen im Buß- 
wesen und den Erfolg, den seine Ausstellungen an diesem gehabt 
haben. Greving, Reformationsgeschichtl. Studien und Texte, Heft 38/39. 
Münster, Ascliendorff 1919. XX, 250 S, M. 11,90. 

lagebuchaufzeichnungen des Regensburger Weih- 
bischofs Dr. Peter Krafft von 1500—1530", erhalten in einem 
Druckexemplar des lateinischen Almanachs von Joh. Stóffler und Jakob 
Pflaum von 1499 anf der Münchener Universitütsbibliothek, veróffent- 
licht mit überaus reichen Erläuterungen K. Schottenloher. Die 
Eintragungen des der beginnenden Reformation feindlichen „Pladen- 
weihers“ lassen diesen auf seinen Amtsreisen durch das gesamte Bis- 
tum Regensburg und bis nach Böhmen hinein verfolgen und geben 
außerdem mancherlei schätzbare Notizen und Betrachtungen zur Zeit-- 
geschichte. Greving, Reformationsgeschichtl. Studien und Texte, . 
Heft 37, Münster, Aschendorff 1920, VII, 71 S. M. 6. 


160 - 80 


Von O. Braunsberger, Petrus Canisius, (vgl. „Archiv“ 
Bd. XVII, S. 70) ist die 2./3. Auflage erschienen, wesentlich ein 
"Wiederabdruck der ersten. Nur ist ein Abschnitt über das innere 
Leben des C, hinzugekommen, wodurch der erbauliche Charakter des 


Werkes nur noch verstärkt wird. Freiburg, Herder 1921. XII, 334 S. 
M, 20, geb. M. 26 und Zusehlüge. (Bildet einen Teil von K. Kempf, 


.S. J., Jesuiten. Lebensbilder großer Gottesstreiter.) 


Johannes Janssens Briefe, hrsg. von L. Frhr. v. Pastor. 
2 Bünde. Freiburg, Herder 1920. Mit einem Bildnis J.s. XV, 411 S. 
mund XXXV, 336 S. M. 30, geb. M. 36 (dazu Zuschläge). In den 
Briefen, die in 812 Nr. von 1847 bis 1891 reichen, suchen wir zu- 
nächst nach Angaben über die Entstehung der „Deutschen Geschichte“. 
Wir finden das genaue Datum des entscheidenden Entschlusses zu 
ihrer Abfassung (8. September 1857) und zahlreiche Nachrichten über 
-das Fortschreiten des Werks und die steigende Anerkennung, die es 
in katholischen Kreisen erfuhr. Wichtiger noch ist die durch die 
Briefe uns vermittelte Kenntnis der Umwelt, in der Janssen lebte und 
-emporkam. Im übrigen bestätigen die Briefe, was die „Deutsche Ge- 
schichte“ auf jeder Seite lehrt, daß ihr Verfasser zwar ein sehr ge- 
-schickter Kompilator, aber nichts weniger als ein Gelehrter war. Be- 
zeichnenderweise hat J. zu keinem Fachgenossen engere und dauerndere 
Beziehungen unterhalten als zu dem berüchtigten Onno Klopp. Für 
J.s historische Methode sei z. B. auf II, 293 vom Jahre 1890 ver- 
wiesen, wo er mit heißem Bemühen einen Jesuiten ausfindig zu 
machen sucht, der sich mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigt 
und für das Los der geknechteten Bauern ein Herz gehabt habe, Von 
befremdlicher Einseitigkeit und Kurzsichtigkeit, selbst für einen J., ist 
-der Ausspruch II, 246 (1888), die wirklich begabten Dichter seien 
doch fast sämtlich Katholiken und der Schmutz sei nirgends auf katho- 
lischer Seite! Goethe scheint freilich nicht zu den „begabten“ Dichtern 
gerechnet zu werden; wettert Janssen doch II, 216 (1877) gegen die 
„Goethefreudigkeit“ katholischer Kreise. So bleibt auch nach dieser 
Veröffentlichung des opus epistolarum J.s noch immer im Werte, was 
Max Lenz schon vor längerer Zeit über die Persönlichkeit Janssens 
und sein Geschichtswerk ausgeführt hat (Histor. Zeitschr. N. F. 14, 
S. 281—284 ; Preuß. Jahrbch, 71, 3, 540—547). 


Druck von C, Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen, 


ARUHTT 


hl DRIATIONSBESCHICHT f 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


Im Auftrag 
des Vereins für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


XIX. Jahrgang. 1922. 


oQo— — 


Leipzig 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
Eger & Sievers. 
1922. 


Inhaltsübersicht. 


J. Haubßleiter, D. Geh. Kons.-Rat, Das Rätsel der Gothaer 
Luther-Handschrift A. 402 und seine Lösung 1—21; 

Th. Wotschke, D. Dr., Pfarrer in Eutzsch, Georg Weigel, 
Hin Beitrag zur mn. Altpreußens 
und Lithauens . 

K. A. MeiBinger, Lic. theol. in Frankfurt Die Lund d: 
sammlung des Brettener Melanchthonhauses 

E. Kórner, Lic. theol., Domprediger a. D., Leipzig, Dietrich 
von Starschedel, ein Zeuge vom Wormser Reichs- 
tage 1521 ; ee er re 

G. Bossert, D., Pfarrer a. D. in Meitioart, Briefe aus dem 
16, Jahrhundert . 

W. Kohler, D., Univ.-Prof. in Zürich, Brenta anil ändere 
Böformatoria 

K.Schornbaum, D. Dr. Pana in Alfeld bal Bosak 
Die brandenbursisch. -nürnbergische Norma doctrinae 
1573, I a ae ak RE GH A s 

K. Bauer, Lic. theol., Universitätsprofessor in Münster, 
Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a, M., I 

Mitteilungen: G.Stuhlfauth, Zum Passional Christi 
und Antichristi S. 154f, — K.Schornbaum, Zum 
Briefwechsel Veit Dietrichs S, 155f. — Neuer- 
scheinungen S. 72 — 75, 156—158. — Aus Zeit- 
schriften S. 75—80, 159—160, 252—256. 


Seite 


81—105 


. 22—47 


48—71 


106—137 


138—148 


149—153 


161—193 


194—251 


"eof 
23 soos ttt 


ARCHIV FÜR. REPORMATIONSGESCHICHTR 


Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte 
herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 
Nr. 73. XIX. Jahrgang. Heft 1. 


4 


E 


Das Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402 
und seine Lósung 


von J. Haußleiter. 


Georg Weigel. Ein Beitrag zur Reformations- 
geschichte Altpreußens und Lithauens 


von Th. Wotschke. 


Die Urkundensammlung des Brettener Melanchthon- 
hauses 


von Karl August Meißinger. 


. Mitteilungen 
Neuerscheinungen, — Aus Zeitschriften. 


Leipzig 1922 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
Eger & Sievers. 


——————————————————smဠ
Ausgegeben im April 1922, 


Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. - 


Quellen und Forschungen 
zur Reformationsgeschichte 


(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation) 
Herausgegeben -vom 


Verein für Reformationsgescichte 


Soeben erschien: 
Band III. 


Die Einführung der Reformation 


in Liv-, Est- und Kurland. 


— Im en der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde 
zu Riga Ä 


bearbeitet von 


Dr. Leonid . Arbusow. 
gr. 8°. XIX, 851 Seiten. u Preis 70 Mark. 


AN STEER 


Früher sind erschienen: 


Band I. Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen. 
8°, [XIL 316 SJ AI. 


Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus, Humanismus 
und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von 
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°. 
[XXXII, 343 8] A 13,50 


Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation* 
Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und 
der Entseheidungsjahre der Reformation.  (1517— 1523) 

gr. 8°, [XVI, 602 S.] "P A 40,—: 


tha. us 


Das Rätsel der Gothaer Luther- 
Handschrift A 402 und seine Lösung. 


Ein Beitrag zur Tischredenforschung. 
Von J. HauBleiter. 


l. 


Die grobe Sammelhandsehrift der  Landesbibliothek 
in Gotha: Farrago litterarum ad amieos et colloquiorum in 
mensa Reverendi Patris Domini Martini Lutheri ete, die etwa 
150 Briefe Luthers, 33 Melanchthons, 3 Bugenhagens und 
eine sehr große Anzahl von Tischreden Luthers enthält, und 
deren Inhalt sachlich naeh 93 Titeln geordnet ist (1 De Deo 
et operibus eius bis 93 Litterae commendatieiae et testimonia), 
hat wiederholt die Aufmerksamkeit der Luther- und Melanchthon- 
forscher auf sich gezogen (so nennt z. B. Bretschneider im 
Corp. Ref. I, S. XCVI sie einen 'eodex ob antiquitatem fide 
dignissimus); man hat sich aber damit begnügt, ibr einzelne 
Stücke zu entnehmen, ohne doch dem Rätsel ihrer Entstehung 
nachzusinnen und dasselbe, so gut es geht, der Lósung náher 
zu bringen. Der hochverdiente Herausgeber der Tischreden 
Luthers in der Weimarer kritischen Gesamtausgabe, Professor 
D. Dr. Ernst Kroker, hat fiir die sechs Bände der Ausgabe 
(1912 — 1921) mit bewundernswertem Fleiß und Scharf- 
sinn mehr als dreißig Handschriften geprüft. Er mußte 
aber seine Arbeit, sollte sie nicht ins Uferlose sich ausdehnen, 
(die Zahl der mitgeteilten Tischreden beläuft sich auf 7075), 
auf die Veröffentlichung der Urschriften beschränken, d. h. der 
Handschriften, in denen uns die Nachschriften der einzelnen 
Tischgenossen Luthers ohne Beimisehung fremden Gutes in 


. Ihrer ursprünglichen chronologischen Reihenfolge erhalten 


sind; von den späteren Sammelhandschriften mußte er im 


z groben und ganzen absehen. Von unserer Handschrift urteilte 


er so (V, S. XXVIII): „Die Texte von Farr. sind gut; im 


Archiv für Reformationsgeschichte XIX. 1. 1 


2 | 2 


übrigen hat Farr. für die Tischredenforschung nur geringen 
Wert, da es die einzelnen Reden unter Rubriken ordnet, und 
zwar scheint es die älteste Handschrift zu sein, die das ge- 
tan hat, denn auf dem vorderen Einbanddeckel von Farr. 
steht: M. B. 1551. Ob das der Sammler oder nur der Eigen- 
tümer der Handschrift gewesen ist, das läßt sich nicht nach- 
weisen, ebensowenig, wer dieser M. B. gewesen ist. Da er 
aber seine Tischredensammlung schon 1551 hat binden lassen, 
so scheint der Sammler von Farr. als erster auf den Ge- 
danken gekommen zu sein, Luthers Tischreden nach Rubriken 
zu ordnen, denn Lauterbachs Umarbeitung seiner Sammlung 
fällt erst in die Jahre 1551—1560. Die Rubriken selbst 
sind in Farr. andere als in Lauterbachs Sammlung B.“ 
Immerhin hat Kroker in einzelnen Abteilungen der Ausgabe 
Varianten von Farr. mitgeteilt, so namentlich im 11. und 12. Ab- 
schnitt, der Kaspar Heydenreichs Nachschriften aus den 
Jahren 1542 und 1543 und die dem Hieronymus Besold zu- 
geschriebenen Tischreden aus dem Jahre 1544 enthält; für 
Heydenreich steht unter den Parallelhandschriften Farr. mit 
120 Stücken voran. 


Das Rätsel der Buchstaben M. B. reizt den Forscher 
um so mehr, als die Handschrift ohne Frage sehr wertvolles 
Gut enthält. So stehen z. B. auf den Blättern 444b bis 
451b 7 Briefe Luthers an Johann Staupitz aus den Jahren 
1518—1522, die uns sonst nur aus späteren Drucken 
bekannt sind. Chronologisch geordnet sind es in der Aus- 
gabe des Briefwechsels Luthers von Enders die Nummern 
90, 121, 154, 223, 388, 398, 549; für Nr, 121 liegt eine 
Abschrift im Cod. Jen. B. 24, für 549 im Cod. Goth. 451 vor. 
Enders hat Farr. nicht verglichen; für die kritische Gesamt- 
ausgabe muß die Vergleichung nachgeholt werden. Auf 
Bl. 411—411b steht eine Formula promotionis in doctoratu, 
qua Luth(erus) uti volebat, sed impeditas adversa valetudine. 
In Köstlin-Kaweraus Leben Luthers (5. Aufl, II 282) wird 
sie in deutscher Übersetzung aus unserer Handschrift mit- 
geteilt mit der Bemerkung, sie verbinde mit den herkömm- 
lichen feierlichen Ausdrücken des Reformators großartigen 


Stil. Sie lautet: „Kraft apostolischer, göttlicher und ferner 
kraft kaiserlicher und staatlicher Vollmacht — welche beide 


- 


göttlich sind, die eine himmlisch, die andere irdisch — be- 
rufe, verkündige, erkläre ich Dich zum Doktor der heiligen 
Theologie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen 
Geistes. Das ist Dir gesagt, damit Du eingedenk seiest, wer, 
welcher Art, wie groß der ist, welcher Dich berufen hat, 
und ferner, gegen welche, welcherlei und wie große Leute 
Du berufen bist, auf daß Du seiest Führer, Bote, Gesandter 
Gottes gegen die Widersacher dessen, der Dich sendet, 
gleichwie ich gesandt bin. So stärke Dich denn der Herr 
und sei stark. Fürchte Dich nicht, der Herr ist mit Dir, 
Amen“), Wir kennen diese Formel auch noch aus einem 
der vielen Handschriftenbände des unermüdlich nach- 
schreibenden und sammelnden Wittenberger Diakonus 
Georg Rörer (Bos. q. 24p Bl. 256b in der Jenaer Universitäts- 
bibliothek). Dort steht bei der Überschrift der Zusatz: qua 
uti volebat promoturus C(asparum) C(rucigerum) ete. in 
doctoratum (vgl. Tisehreden IV, S. XVI?) Es handelte sich 
also um die am 17. Juni 1533 in Gegenwart des Kurfürsten 
Johann Friedrich in feierlichster Form erfolgte Promotion 
Crucigers, Bugenhagens und des Hamburger Superintendenten 
Aepinus zu Doktoren der Theologie; es war die erste Pro- 
motion unter den neuen Statuten der theologischen Fakultät, 
überhaupt die erste seit 1525. Promotor war der Dekan 
Justus Jonas. Daß Luther selbst die Promotion vollziehen 
wclite und nur durch Unwohlsein daran verhindert wurde, 
erfahren wir lediglich aus dem mitgeteilten Schriftstück. 


1) (fol. 411) Autoritate apostolica et divina, deinde imperiali et 
politica, utraque divina, altera caelesti, altera terrena voco te vocatumque 
pronuntio, pronuntiatum declaro doctorem sacrae theologiae in nomine 
patris etc, Haec dicuntur tibj, ut memor sis, quis, qualis, quantus sit, 
qui te vocavit. Deinde contra quos, quales et quantos voceris, ut sis 
dux, nuntius, legatus Dei contra adver - (411b) sarios illius, qui te mittit, 
sicut ego missus sum. l 

Confirmet ergo te dominus et robustus esto. Noli timere, 
dominus tecum. Amen. 

?) Ein dritter Zeuge ist nach Band V, S. 293 Anm, 3 die 
Münchener Handschrift Clm, 937, 174. Auf Nr. 5658 (Responsio D. M. 
in tentationibus cuiusdam Doctoris Jacobi Schenck) folgt dort: Formula, 
qua uti voluit in promotione Doctorum Crucigeri et Pomerani. Die 
Handschrift entstammt nach Bd. IT, S. IX ff. dem Wellerschen Kreis. 
Sie ist ums Jahr 1550 von einem jungen süchsischen Geistlichen, 
Georg Steinert oder Steinhart, geschrieben und 1564 von ihm dem 
Chemnitzer Superintendenten M. Johann Tettelbach geschenkt worden. 


1* 


4 4 


Was mich veranlafte, der Handschrift ein eingehendes 
Studium zu widmen, ist die in ihr auf Bl. 262b— 264b ent- 
haltene Niederschrift der Koburger Trostsprüche Luthers, 
über die ich zweimal in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift 1917 
S. 149—187 und 1918 S. 430—457 gehandelt habe. Professor 
Paul Flemming in Pforta hatte mich freundlicher Weise 
auf diese Niederschrift aufmerksam gemacht. Die Vergleichung 
mit der ersten Ausgabe der Sprüche durch Matthias Flaeius 
(1550) und mit ihrer Verwertung in Aurifabers handschrift- 
lichem, dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich ge- 
widmeten Trostheft (1549) übertraf meine Erwartungen. 
Farr. bietet den reinsten Text dar, der, da er keinerlei 
Zusätze aufweist, als ursprünglich gelten darf. Wie ist der 
Sammler von Farr. in den Besitz dieses reinen Textes ge- 
kommen? Man darf annehmen, daß alle Kunde von den 
Koburger Trostsprüchen auf Luthers damaligen Famulus, 
den Nürnberger Veit Dietrich, zurückgeht.. Man wird um 
so mehr auf diese Spur gewiesen, als das nächste Stück in 
unserer Handschrift fol. 264b —267, Luthers gewaltige Trost- 
rede an den schwer angefochtenen M. Johannes Bernhardi 
Feldkirch (vom 1. Febr. 1534 — Tischreden UI, S. 503—508 
Nr. 3669 —) ebenfalls durch Veit Dietrich zur Kenntnis der 
Tischreden-Sammler gekommen ist (vgl meinen Nachweis 
in der Allg. Ev.-luth. Kirchenzeitung 1917, Nr. 21, Sp. 485—487) 
Die Frage taucht auf, welche Beziehung zwischen dem rätsel- 
haften M. B. und Veit Dietrich bestanden hat. 

| Il. 

Wir miissen eine Beschreibung der Handschrift voraus- 
schicken, bevor wir auf den Inhalt näher eingehen. Die 
Angaben in den „Beiträgen zur älteren Litteratur oder Merk- 
würdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 
herausgegeben von Fr. Jacobs und F. A. Ukert, dritter Band, 
Leipzig 1838“, S. 304 und 305 genügen nicht. Der starke 
Folioband ist fest in zwei mit Schweinsleder überzogene 
Holztafeln gebunden, mit reich verzierten Rändern. Die 
größere Hälfte der vorderen Decke nimmt eiue Tafel ein, 
deren obere Leiste die Buchstaben M. B. enthält, während 
die untere Leiste die Jahreszahl 1551 trägt. In die Innen- 
seite der Deckel sind zwei Bildnisse eingeklebt, vorn ein 


5 5 


Bild Luthers mit dem Malerzeichen A. S. — Sin A geschlungen, 
hinten ein Bild des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, 
„anno captivitatis quarto, Anno Christi 1551“. Unter dem 
Bilde stehen 4 Disticha Paul Ebers, die unter anderem be- 
sagen, daß „Lucae (d.h.des Lukas Cranach) docta manus“ diese 
Züge abgebildet hat, Der Band enthält jetzt 474, von alter 
Hand gezählte Blätter, denen 8 ungezählte Blätter voraus- 
gehen. Das erste Blatt enthält oben einen Katalog-Vermerk 
„Catal. MSS. p 111“ und dann in roter Farbe von der Hand 
des Schreibers die fünf Zeilen: 


FARRAGO LRARVM AD AMICOS ET COL: || loqui- 
orum in mensa R. P. Domini Martini Lutheri || Sacrae Theo- 
logiae Doctoris ete. | PESTIS ERAM VIVYS, MORIENS 
ERO MORS TVA | PAPA | Dann folgen, von gleicher Hand 
mit schwarzer Tinte geschrieben, drei Zeilen: DE OBITV 
EIVSDEM DISTICHON || Magniloquus subiit coelestia tecta 
Lutherus | Anno quo paulus papa rebellis obit. | uber 


spätere Eintragungen von zwei andern Händen vgl. Jacobs- 
Ukert S. 304 Anm. 

Die Rückseite des ersten Blattes ist leer. Auf dem 
zweiten Blatt steht ein INDEX LOCORVM (rote Überschrift). 
Es handelt sich um 93 Rubriken, die in 3 Spalten geschrieben 
sind; die dritte Spalte (Nr. 63—93) befindet sich auf der 
Rückseite. Die Zahlen (sowohl die Ordnungszahl, wie die 
Angabe der Blattzahl) sind mit roter Farbe, der Inhalt mit 
sehwarzer Tinte geschrieben, also: 2 De Deo et operibus 
eius folio 7, 2. De maiestate Dei inscrutabili fo: 2, 3 De 
Christo fo: 4, 4 De communicatione idiomatum fo: 6 usw. 
Am umfangreichsten sind folgende 3 Abteilungen: 22 Expositio 
aliquot locorum scripturae fo: 28 (bis fol. 55); der vorgesehene 
Raum reichte aber nicht aus, so daß noch 3 ungezählte Blätter 
eingeklebt sind; die Rückseite von fol. 55 quater ist leer. 
Daneben erscheint noch als besondere Abteilung: 23 In 
epistolam ad Titum scholia fo: 56 (—60). Diese Scholien 
sind unverwertet und ungedruckt. Sie hängen zusammen mit 
der Vorlesung über den Titusbrief im Nov. und Dez. 1527, 
die unter dem Titel: Annotationes Lutheri in epistolam Pauli 
ad Titum nach einer Nachschrift Rörers im 25. Bande der 
W. A. S. 6—69 (1902) veröffentlicht ist, sind aber von ihr 
zu unterscheiden. Die Bezeichnung der zweiten umfangreichen 


6 3 6 


Abteilung lautet: 60 Consolationes pro tentatis, infirmis, et 
quibus defuncti amici fo: 247 (bis 288); am Schluß von 
fol. 288b stehen die Worte: plura fo: 480. Da die Hand- 
schrift jetzt nur 474 Blätter zählt, ergibt sich aus dieser 
Bemerkung, daß mindestens 6 oder 8 Blätter am Schluß 
verloren gegangen sind; denn am Schluß der Abteilung 75: 
De militibus et rusticis heißt es (fol. 376b): plura infra fo: 482. 
In der 60. Abteilung befinden sich Luthers Koburger Trost- 
sprüche, fol. 262b— 264b, und die im Jahre 1547 erschienenen 
Loci consolatorii philosophici und theologici Melanchthons, 
fol. 279—281. Im Corp. Ref. VI 483—488 sind diese Loci 
abgedruckt, und Varianten unserer Handschrift sind angegeben. 
Die eigentiimliche Fassung des 9. theologischen Trostgrandes 
Interea etiam gratias (nicht: gratiam) agamus usw. ist von 
Bretschneider vermerkt; hinzuzufügen ist die Mitteilung, daß 
die Fassung mit der deutschen Übersetzung der Loei über- 
einstimmt, die Veit Dietrich noch im Jahre 1547 veröffent- 
licht hat, Eine dritte, sehr umfassende Abteilung ist den 
Ehefragen gewidmet: 68 De matrimonio fo: 305(—320b) und 
69 De easibus matrimonii fo: 321(—344); für diese Abteilung 
war noch mehr Raum vorgesehen: Bl. 344b und die gezählten 
Blätter 345, 346, 347, 349, 350, 351 und ein ungezähltes 
Blatt sind leer; die Zahl 348 ist bei der Zählung versehent- 
lich übergangen. 

Das dritte Blatt der Handschrift bringt unter der Über- 
schrift Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri 
ein lateinisches und ein deutsches Akrostichon auf die Namen 
Martinus Lutheras. Am Schlusse des deutschen Akrostichons 
(Martinus heist ein streitbar man, Am Bapst man solchs wol 
sehen kan usw.) steht auf Blatt 3b Z. 5 als Unterschrift: 
Erasmus Alberus Lutheri theodidactus'). Dann folgen sechs 
deutsche Reimpaare „Von S. Cristoff“, die wohl auch dem 
Alberus angehören: 


1) Alber rechnete es für seine „höchste Ehre, wenn er als 
D. Martini Schüler von Gott gelehrt verachtet wird“. (Widder die 
Carlst., Bl. s 4; Aj? — vgl. Emil Körner, Erasmus Alber 1910, 
S. 13). Erasmus hatte für ihn die Bezeichnung gebraucht: e schola 
Lutheri Feodiðaxtos; Alber verwandelte das hóhnende Wort in eineu 
Ehrentitel (ebenda S. 22.) 


„Von S. Cristoff ist kein geschicht, 

Sondern ein fein christlich gedicht. 

Das Bilt bedeut ein Christen Mann, 

Der sich uf Gott verlaßen kan. 

Durchs mehr(— Meer) soltu vorstan 

Dadurch mus man in himmel gahn’). 

Der Baum in seiner rechten hand, das ist 

Das liebe Wort von Jehsu Christ, 

Daran der Christen glaub sich helt 

Vnd vberwindet damit die welt. 1 Joh. 5. 

Des helff vns Gott durch seinen Sohn, 

‚Dis sey die Summa kurtz darvon.“ 

Das sind in Verse gebrachte Gedanken Luthers?), die er in 
einer Predigt am Christophstag (25. Juli) 1529 vorgetragen 
hat. Aurifaber hat einen Predigtauszug in seine Tischreden- 
Sammlung aufgenommen (Förstemann-Bindseil 4, 314 [53, 6]; 
W. A. VI, Nr. 6990); eine handschriftliche Vorlage dieses 
Auszugs ist nicht nachzuweisen, 

Die folgenden fünf Blätter der Handschrift waren ur- 
sprünglich leer gelassen und sind dann hernach, als der 
Band schon gebunden war, mit Nachträgen A—G zu ver- 
schiedenen Loci (A: Deus alit per media. Vide de illo loco 
fo: 1; B: De Christo fo: 4 usw.) ausgefüllt worden. Wir 
sehen in die Entstehungsgeschichte des Bandes hinein. Es 
sind zwei Personen zu unterscheiden: der Sammler und der 
Schreiber, und zwei Zeiten der Niederschrift — die erste 
Zeit für die große Masse der ursprünglichen Stücke vor dem 
Einbinden des Bandes und eine spätere Zeit für die Er- 
günzungsstüeke, die in den schon gebundenen Band eingetragen 
wurden. Auch die Verschiedenheit der Tinte und des Ductus 
der gleichen Sehreiberhand sprieht für die Unterscheidung 
zweier Zeiten. Die Schrift ist gut leserlich; nur einzelne 

1) „Von S. Christoffeln, der mit dem kind Christo durchs vn- 
gestümme Meer geht, bedeut, das ein Christen durch viel trübsal in 
Gottes Reich kumpt, Act, 14^ — in der Vorrede zu den Fabeln des 
Erasmus Alberus (nach der Ausgabe von 1550) — in den „Neudrucken 
deutscher Litteraturwerke des 16. und 17, Jahrh.“ Nr. 101—107, heraus- - 
gegeben von W. Braune. 1892, S. 3. 

*) Vgl die Predigt vom 25. Juli 1529 in der W. A, 29, 
S. 497—506. 


i 


8 8 
Buchstaben (z. B.r und e) ähneln einander sehr. In der 
Tischrede Nr. 5394 (V, S. 124) — Farr. f. 360 — ist 
ein Satz verschieden gelesen worden: „Darumb lasse man 
einen jungen gesellen eheliche Freude haben; kompt er zum 
regiment, so wirt jn der kutzel wol vorgehen.“ So las Kroker 
in Übereinstimmung mit Aurifaber. In der Handschrift steht 
aber: „ehrliche Freude“. Der Schreiber hat sich bei seiner 
Arbeit manchmal wenig gedacht; er läßt fol. 173b einen 
Brief Luthers an Nikolaus Hausmann (Enders III 320, Nr. 501) 
mit den Worten beginnen: „Hie vir nunctius tuus nullicolas 
quaestiones tuo nomine mihi proposuit“; statt nullicolas muß 
es heißen: mi Nicolaé (so im Original des Briefes). Noch 
auf dem letzten Blatt — f. 474b — ändert er den Ausdruck 
Saulina poenitentia, quae non diu durat in „paulina sententia" 
(vergl. Nr. 5519—V, S. 211). Dagegen war der Sammler 
ein gelehrter Mann, der in den Erinnerungen der Lutherzeit 
lebte, und der den reichen Vorrat von Briefen und Tisch- 
reden Luthers, den er gesammelt hatte, zu bequemer Be- 
nutzung in 93 Abteilungen gebracht hatte. Aus der Bevor- 
zugung der von der heiligen Schrift, vom Trost bei An- 
fechtungen und von der Behandlung schwieriger Ehefälle 
handelnden Abschnitte darf man wohl einen Schluß auf 
den Beruf des Sammlers ziehen; er wird im geistlichen Amte 
gestanden haben. Als der Band eingebunden wurde, blieb 
bei vielen Abteilungen ein größerer oder kleinerer Raum 
(einmal von 7 Blättern) für Ergänzungsstücke frei. Aber 
häufig reichte, als diese Stücke nachgetragen wurden, der 
freigelassene Raum nicht aus. Nun wurden zunächst die 
5 vorderen Blätter, dann der ganze Schluß des Bandes von 
fol. 457 an (Überschrift: De fide et ineredulitate et spe, 
de eodem supra fo: 18 usw.) mit Ergänzungsstücken gefüllt. 
An fünf Stellen sind in den gebundenen Band ungezählte 
Ergänzungsblätter eingeschaltet worden: nach Bl. 55 (Nr 22 
Expositio aliquot locorum scripturae) 3 Blätter, nach Blatt 360 
(Nr. 71 De magistratibus) 2 Blätter und ebenso viele nach 
Bl. 383 (Nr. 76 De bello), nach Bl. 412 (Nr. 83 De linguis) 
und naeh Bl. 423 (Nr. 85 Artes liberales. Die Zählung der 
Blätter hatte natürlich nur den beim Binden des Buches 
vorhandenen Bestand berücksichtigen können. Kennzeichnend 


9 9 


für das Interesse des Sammlers ist der Umstand, dab sämt- 
liche Ergänzungsstücke sich innerhalb der Lutherzeit halten 
und auf die Ereignisse der Jahre 1546—1551 nicht ein- 
gehen. Auch bei den ursprünglichen Stücken der ersten 
Niederschrift war der Raum der Lutherzeit nur ein paarmal 
überschritten worden. Das war der Fall bei der Aufnahme 
der Loci consolatorii Melanchthons aus dem Jahre 1547 
fol. 279—281, zweier Briefe Melanchthons an Johannes 
Mathesius: fol 337b — 338 die brumae (1547), vgl. Corp. 
Ref. VI 745, Nr. 4089 und fol.443 b vom 24. August 1547 = Corp. 
Ref. VI 643, Nr. 3982, ferner einer Entscheidung Bugenhagens 
„sampt anderu vorordenten“ in einer Ehesache fol. 338—339 
vom 23. April 1547 (vgl den Auszug bei Lie. O. Vogt, 
Bugenhagens Briefwechsel 1888, S. 393, Nr. 194) und end- 
lich eines Briefes Melanehthons an Andreas Huetel(= Hugel), 
pastor Brandenburgensis fol. 239 vom 12. Januar 1548, vgl. 
Corp. Ref. VI 779, Nr. 4122. Ein späterer Termin kommt 
in der ganzen Handschrift nicht vor. Ganz anders 
spielt das Gegenwartsinteresse herein in die in mancher 
Beziehung vergleichbare große Sammlung des Naumburger 
Ratsherrn Valentin Bavarus oder Bayer, deren zweiter Band 
am 14. Januar 1549 begonnen wurde (Goth. B. 15 und 16: 
Rhapsodiae et dieta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutheri 
in familiaribus colloquiis annotata etc.; vgl. Tischreden I, 
S. XVII und XXXIX); namentlieh im zweiten Baud tritt in 
einer Reihe von Stücken die ungeheure Aufregung der 
Interimszeit deutlich zutage (vgl. Jacobs - Ukert a. a. O. 
S. 300—304). In Farr. herrscht der Friede der Erinnerung | 
an Luther. 
IM. 

Unter den fremden Benutzern der Handschrift Farr., die 
wir nachweisen können, nimmt die erste Stelle Johannes 
Aurifaber ein, der zur Herstellung seines im Juli 1566 zu 
Eisleben erschienenen Tischredenbandes starke Anleihen bei 
unserer Handschrift gemacht hat. Mit dieser überaus wichtigen 
Feststellung rückt die Handschrift für die Tischredenforschung 
in den Rang der Quellenschriften ein. Der Beweis läßt sich . 
bei genauer Vergleichung des Aurifaberbandes (in der vier- 
bändigen Ausgabe von Förstemann-Bindseil, 1844—1848=FB.) 


10 10 


mit Farr. so deutlich führen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen 
bleibt. Wertvollste Hilfe bei der Vergleichung leistet der 
20. Abschnitt der Krokerschen Ausgabe: Tischreden aus 
Johannes Aurifabers Sammlung FB. (= VI, S. 1—369). 


Kroker vereinigt in dieser Abteilung alle die von Aurifaber 
dargebotenen Tischreden, für welche eine handschriftliche 
Yorlage bisher nicht nachgewiesen werden konnte; ihre Zahl 
ist noch beträchtlich genug (Nr. 6508—7075 = 568 Stücke.) 
Davon sind abzuziehen die zahlreichen Reden, die Aurifaber 
selbst als Famulus und Begleiter Luthers während seines 
letzten Aufenthaltes in Eisleben aufgezeichnet hat; schon 
Nr. 6508 gehört, wie Kroker anmerkt, in diese Klasse; ferner 
Nr. 6516, 6526, 6527 usw. Bei einer anderen Reihe von 
Reden konnte jetzt erst festgestellt werden, daß die Quellen- 
belege schon an früherer Stelle begegnen. Das gilt z. B. 
von Nr. 6529. „Es ist Nr. 1265 in.“, bemerkt Kroker, d. h, 
eine der Nachschriften Schlaginhaufens; die Feststellung war 
dadurch erschwert, daß Aurifaber mit Weglassung der ersten 
Sätze nur ein Stück der Rede wiedergibt. Eine dritte Reihe 
bilden die Entlehnungen aus Farr., zu denen wir uns nun wenden, 


Im Tischredenband VI, S. 345 lesen wir: FB. 4, 538 
(66,57) = Nr. 2831 + X. Die aus der Sammlung des 
Konrad Cordatus entnommene Tischrede Nr. 2831 (III, S. 10) 
lautet: Studium iuris est sordidum et quaestuosum, ae ultimus 
finis eius est pecunia; neque enim propter delectationem aut 
cognitionem rerum in iure student. Lauterbachs Sammlung 
(Bindseil 1, 290) bietet — als Verbindung zwischen Nr. 3690 
und Nr. 2809 — nur die Worte: Nam Juris ‚studium est 
sordidum, tantum captat quaestum. Aurifaber aber gibt 
folgenden umfassenden Text (FB. 4, 538 — 66, 57): Um 
Genusses willen studiret man gemeiniglich 
Jura. Doct. M.L. sagte: „Studium Juris, im Rechten studiru, 
wäre ein sordidum, unfläthig und garstig Ding, da man nur 
GenieB, Geld und Gut mit suchte, daß man reich würde.“ 
Da spraeh Peter Weller, der bey ihm im Hause war und 
zu Tisch ging: ,,Er hatte den Sinn nicht, und thate es 
nicht.““ Da rief D. M. L. überlaut, und sprach zu seinem 
Famulo: „Wolf, gehe und laß die große Glocke lauten, und 
bring Wasser her, dab man ihn kühle.^ Da er aber drauf 
bestand, und es theur verjahete; fragte ihn der Doctor: „Ob 
er allein von wegen des Erkenntniß der Händel, und daß 
er móge wissen, was Recht ist, oder Lust halben in Jure 


11 | ii 


studirte? So wäre er unsinnig; sondern die endliche Ursach 
darum ihr zu Juristen werdet und Jura studiret, ist das Geld, 
daß ihr reich werdet.“ 


Kroker bemerkt in einer Anmerkung (S. 10 A. 13): 
Aurifaber hat den ursprünglichen Text vollständiger, aber 
auf wen geht seine Vorlage zurück? Die Handschrift Farr. 
gibt die Antwort; sie enthält in ihrem 71. Abschnitt: De 
magistratibus auf fol. 357b das gesuchte Stück X und 
die Vorlage für Aurifaber: 


Luth: dixit (rot) studium luris esse sordidum et 
questuosum Tune P[etrus Wjeller dixit hune animum non 
habere, Exclamavit Luth: Wolff, gehe, las die groBe glocke 
leuten vnd bring wafer hehr, das man jn kule. Is vero 
eum perseveraret. affirmando, quaesivit Luth: , an propter 
rerum cognitionem et delectationem in iure studuerit, tune 
esset plane insensatus, sed ultimum finem iurium esse peeuniam. 


Daß Aurifabers Übersetzung eine Bearbeitung dieser 
Vorlage ist, steht außer Frage. Aber es wäre immerhin 
noch denkbar, daß er sie nicht aus Farr. geschöpft hat, 
sondern daß er sowohl wie Farr. von einer uns unbekannten, 
verloren gegangenen Sammlung abhängen. Wir müssen 
daher unsre Untersuchung erweitern und auf die Frage ein- 
stellen, ob nicht Aurifaber sich abhängig von der Sach- 
ordnung der Handschrift Farr. zeigt und zusammenhängende 
Reihen von Tischreden übernommen hat. Erst dann wirkt 
die Beweisführung zwingend. 


Der 34. Abschnitt Aurifabers „Tischreden Luthers von 
Ceremonien" (FB. 3, 329—332, sechs Stücke) lockt zur 
Vergleichung mit dem 48. Abschnitt von Farr.: De Ceremoniis 
fol. 169—170 (neun Stücke) Aurifaber folgt (mit Weg- 
lassungen) genau dem Gang unsrer Handsehrift; der deut- 
lichste Beweis liegt in der Aufnahme zweier Lutherbriefe, 
die ja gar nieht zu „Tischreden“ gehören. Doch sehen wir 
näher zu. 


Das 1. Stüek (Ceremoniae ... sunt ex se licitae ac 
liberae — W. A. I, Nr. 800) übergeht Aurifaber, weil er es 
schon in dem Abschnitt „von guten Werken“ FB.2, 226 
(14, 46) gebracht hatte. 


Das 2. Stück lautet: Paterfamilias dicit familiae suae : 
Estote studiosi voluntatis meae, sunst esset, trineket, kleidet 
euch, ut vultis. Sie Deus non eurat, quomodo edamus et 


12 12 


vestiamur. Das Stück ist uns auch, wie Kroker VI, S. 241 
angibt, in Veit Dietrichs Nachschriften erhalten (W. A. I, 
Nr. 59). Aber Aurifabers Übersetzung (Nr. 1) folgt nieht 
dem Texte Dietrichs, sondern unsrer Handschrift. (Beweis: 
Weglassen von Quemadmodum an der Spitze; ,kleidet euch, 
wie ihr wollt“ gegen Dietrichs „wie ihrs habt“; „was wir 
essen uud wie wir uns kleiden* gegen Dietrich: quomodo 
vestiamus auf edamus). Aus freien Stücken fügt dann Auri- 
faber hinzu. „Er (Gott) läßt uns alles frey, Ceremomien 
und was Mittelding, Adiaphora, sind, allein daß man nicht 
daran schmiere, als wären sie noth oder nütz zur Seligkeit.“ 

Das 3. Stück ist der kurze Satz: Oseulum manuum 
optima eeremonia, deponit suspitionem veneni. Der Satz 
findet sich in Johannes Schlaginhaufens Nachschriften vom 
30. August 1532 (W. A. II, Nr. 1785); er wird von Auri- 
faber übergangen. | 

. Von nun an bleibt die Reihenfolge der Texte die gleiche. 

Der Handschrift viertes Stück: Licetne vesci carnibus 
feria sexta? ist Aurifabers zweites Stück: Ob man auch 
Fleisch am Freytage und andern verbotenen Zeiten essen 
möge. In VI, S. 341 wird das Stück als Nr. 6866 gezählt, 
ohne daß eine handschriftliche Vorlage angegeben wire; 
Farrago bietet sie dar. Der Text lautet: 

Licetne vesci carnibus feria sexta? Licet et probo 
(rot). Quia Christus inquit: quod intrat os, non coinquinat 
(Matth. 15, 11). Item: omnia munda mundis 
(Tit.1, 15). Contra (rot): Potestas ecelesiastica prohibuit esum 
carnium feria sexta. Ergo haec traditio est observanda. 
R(espondit): Humana traditio servanda est in ecclesia propter | 
finem politicum et non est assuenda opinio iustificationis, 

Aurifaber gibt eine genane Ubersetzung, die nur am 
Schluß in eine erweiternde Umschreibung ausläuft. Aber 
in der Handschrift ist ein Votum Melanchthons hinzugefügt, 
das Aurifaber natürlich übergeht. Es lautet: R(espondit) 
Phil. Mel. (cot): Libertas constituta est in evangelio, nulla 
humana autoritate potest mutari. Evangelium docet nos, 
non esse pro necessariis rebus habendas traditiones extra 
casum scandali. Ergo autoritas episcoporum non potest efficere, 
ut hae traditiones sint necessariae. 


13 13 


Es folgt als fünftes, bei Aurifaber als drittes Stück das 
Bruchstück eines lateinischen Briefes Luthers an Nikolaus 
Hausmann vom 17. November 1524 (= Enders, Briefwechsel 
Luthers, V 52f. Z. 21—37). Aurifaber gibt der Übersetzung, 
die genau den in Farrago mitgeteilten Abschnitt umfaßt, 
die Überschrift: „An M. Nicolaum Hausmann Bericht und 
Bedenken D. M. Luthers von Ceremonien.^ Am Schluß läßt 
er die Worte weg: „post Martini 1524.“ 

Auch das niichste, sechste, bei Aurifaber vierte Stück 
ist ein Brief Luthers ,an die Kirchendiener zu Nordhausen“ 
= Ad verbi ministros Northusiae; vgl. Enders XV 298f. 
(1543 ?). Text und Übersetzung stimmen im Schlufisatz (gegen 
die Rezension bei Enders) überein. ,,Derselbige unser Herr 
Christus erhalte und vollführe das Werk, wie ers in Euch 
angefangen hat, bis an jenen Tag unser Hoffnung und Er- 
lósung! Amen.“ — Qui sieut coepit in vobis opus suum, ita 
servet et perfieiat usque in illum diem spei nostrae Christus. 
Amen. Im Enders'sehen Text fehlt Christus. 

In VI, S. 241 und 242 sind die beiden Lutherbriefe 
als Nr. 6867 und 6868 aufgeführt ohne Angabe einer hand- 
schriftlichen Vorlage. Dagegen steht bei den folgenden 
Nummern die Angabe FB. 3, 331 (34, 5) = X + Nr. 882 
+ 430 d.h. die Nummer ist aus drei Stücken zusammen- 
gesetzt, von denen das erste keine bekannte Vorlage in den 
,Urschriften* hat, während das zweite (Nr. 882) in V. Dietrichs 
und Medlers Sammlung, das dritte (Nr. 430) in V. Dietrichs 
Naehsehriften steht. Aber die drei Stücke folgen in Farrago 
unmittelbar hintereinander als Nr. 7, 8 und 9; damit ist 
die bisher vermißte Vorlage für den Umfang des (fünften) 
Aurifaber-Stückes gefunden, das die drei kleinen Texte ver- 
einigt. Die Vorlage lautet: 

(f.169b) „Festum (rot) Ioannis sol man bleiben lassen, 
est enim initium novi testa: (menti) Denn es heist: lex et 
prophetae usque ad Ioannem (Matth. 11, 13). So sol mans 
auch halten propter illa cantica, welche wir noch haben in 
papatu gele-(f.170) sen, aber nicht vorstanden. Tune 
(rot) quidam: Canticum Zachariae, ist fein. Dioctor): Ja, 
er ist fein, denn die praefation zeigt es wol an, die Lucas 
macht, da er spricht: repletus spiritu sancto (Luk. 1, 67).“ 


4 14 


Damit verbindet nun Aurifaber das in der Handschrift 
getrennt stehende achte Stück „Nos pastores debemus vigi- 
lare, das also ceremonien gemacht und gehalten werden, 
das das volek nicht so gar wilde, noch zu gar heiligk werde“. 
Das Stück findet sich zuerst in V. Dietrichs und Medlers 
Sammlung (Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger 
Jahre) Nr. 882 (Bd. I, S. 440). 

Die Handschrift fährt mit neuem Absatz fort: „Wer 
ein ceremonien anrichten wil, sie sey so geringe, als sie wolle, 
der muß das schwerdt zu beiden henden fassen“ usw. Die 
Worte hat Luther nach V. Dietrichs Nachschriften Nr, 430 
(I, S. 185) Weihnachten 1532 gesprochen. Daß aber nicht 
Veit Dietrichs Text, sondern unsre Handschrift die Vorlage 
für Aurifaber war, beweisen die Varianten, Dietrich hat, 
„anfechten“ (wohl richtiger als „anrichten“) und „zu beyden 
seytten“ ; Aurifaber aber folgt dem Text unserer Handschrift 
Das zeigt sich noch am Schlußsatz des Abschnitts: „Es ist 
unmüglich, dab ein Gläubiger so viel Bücher könnte schreiben 
als Erasmus, und nicht ein einigen Vers und Zeilichen von 
Christo mit untersprengen und mischen“ — Impossibile est. 
qaod credens homo tot libros possit scribere ut Erasmus 
et ne unum versum inserere de Christo. Dietrich dagegen 
schreibt, „nit ein zeyl de Christo setzen“. 

Mit diesem neunten Stück schließt in der Handschrift 
der ganze Abschnitt. Die Hälfte von fol. 170, dann die 
Rückseite und fol. 171 sind leer. Aurifaber hat den Abschnitt 
in der Urausgabe auch hier geschlossen; erst in der Frank- 
furter Folioausgabe mit der Vorrede vom 1. Juli 1568 ist 
ein weiteres, in der Urausgabe 1566 im Anhang (Bl. 622) 
nachgetragenes Stück hierher gesetzt worden (ebenso in dem 
Abdruck der Frankfurter Ausgabe bei Walch 22, 1511 nnd 
FB.3, 332): Omnis spiritus laudat Dominum, ergo omni lin- 
gua et sermone est laudandus (Ps. 150, 6’. Die Vorlage des 
Stücks ist in der Sammlung von Konrad Cordatus nachgewiesen 
= Nr.2388 b (II, S. 443). Es ist die Rede von dem Gebot des 
Kaisers, in allen Ländern die Messe nur in lateinischer Sprache 
zu celebrieren. EinParalleltext mit eigentümlichen Wendungen 
(z. B. dem Zusatz: et in Britannia etiam rustici coguntur 
' latine orare) findet sich in Dietrichs uud Medlers Sammlung 


15 16 


Nr. 969 (I, S. 491), und eben diesen Text bietet auch Farrago 
in dem Abschnitt De linguis (immer ist liguis geschrieben) 
fol. 412 bis. ' 

Was den Text der besprochenen Stücke betrifft, so ist 
der Zusammenklang unsrer Handschrift mit den Varianten 
Rórers hervorzuheben. Das gilt mit Bezug auf die Tisch- 
reden I, Nr. 59 und 430 betreffs des Rórerbandes Ror. Bos. q. 
24e, in bezug auf I, Nr, 882 und 969 betreffs des Bandes 
Ror. Bos. q. 24f. 

Ein noch viel umfangreicherer Beleg für die Abhäng- 
igkeit Aurifabers von Farr. kann dem in unsrer Handschriit 
ja mit besonderer Liebe ausgebauten 69, Abschnitt: De casibus 
matrimonii entnommen werden.  Aurifaber hat in seinem 
43. Kapitel , Tischreden Luthers vom Ehestand* nieht weniger 
als 184 Stücke gesammelt; eine ziemliche Anzahl davon 
entstammt unsrer Handschrift fol. 334—344, wie die Texte 
und besonders die Aufeinanderfolge der Stücke beweisen. 
Es folgt auf Nr. 108 (FB.4, 101) ,Ob der Aussatz die 
Ehe scheide“ Nr. 109 Luthers Bedenken, da einer eine Magd 
geschwängert ; beides steht auf fol. 334. Uber den Ehefall 
eines gewissen Ezold, der eine Witwe heiratete, die uxor 
avunculi gewesen war, findet sich in der Handschrift eine 
Reihe von Gutachten von Brenz, Amsdorf, Melanchthon, Luther 
und Jonas (vgl. Zeitschr. für Kirchengeschichte VI 1884 
S. 425 Nr. 5). Aurifaber übernimmt in Nr. 110 natürlich 
nur das Urteil Luthers in einem Brief an Spalatin (vgl. 
Enders VIL 232, Nr. 1602). Mit welcher Flüchtigkeit er 
mitunter arbeitete, zeigt der Schluß des Briefes, dessen Datum 
4 eal: Mart: 1530 (= 26. Februar) er in „den dritten Martii 
1530“ verwandelt. Die nächste Nr. 111, das Urteil des 
Wittenberger Consistoriums in einem Ehefall, ist von Auri- 
faber anderer Quelle entnommen. Aber die sieben Stücke 
Nr. 112—118, die bei Aurifaber die Überschriften tragen: 
Nr. 112: Von heimlichen Verlöbnissen und von der Eltern 
Gewalt, Nr. 113: Von Graden in Ehesachen, Nr. 114: Von 
Vormünden-Gewalt in der Ehestiftung, Nr. 115: Frage (betr. 
der Trauung heimlich Verlobter), Nr. 116: Vom Weglaufen, 
Nr, 117: Von einem seltsamen Fall (za Frankfurt an der 
Oder) und Luthers Bedenken drauf, Nr. 118: Des Papstes 


16 16 


Entschuldigung, warum er den Ehestand verbiete, finden sich 
in gleicher Aufeinanderfolge auf Blatt 342—344; dazu kommt 
noch Bl, 341 für die zweite Hälfte von Nr. 118 in Betracht. 
Nur übergeht Aurifaber wiederholt kleinere Stücke, wie er 
an Stücken auf Bl. 340 vorübergegangen war, die er aus 
anderer Vorlage schon früher gebracht hatte (Causae divortii 
= IV, Nr. 4499, in FB. Nr. 93; zwei Casus = IV, Nr. 4068, 
in FB. Nr. 82 (Schluß) und 83 usw.) 

Vergleicht man hierzu in der W. A. den 6. Band der 
Tischreden S, 267—269, so ist für Nr. 6915, 6916 und 6917, 
die Aurifabers Stücken 108, 109, 110 entsprechen, nunmehr 
die vermißte Vorlage nachgewiesen. Und wenn auf S. 269 
zu Nr. 115, das aus zwei Stücken besteht, bemerkt ist, es 
entspreche dieser Tischrede Nr. 5566 (aus Heydenreichs 
Nachschriften) + X, so ist die unbekannte Größe nun gefunden; 
denn die Worte auf fol 343b: Haec dicebat interrogatus, 
an pastor posset bona conscientia duos copulare, qui contra 
parentum voluntatem contraxissent matrimonium ef iuris- 
periti tá (= tamen) confirmassent usw., bildeten die Vorlage für 
Aurifabers Übersetzung. Zugleich wird die Lesart der Ur- 
ausgabe ,D as sagte er“ gegen die Anderung ,D a sagte 
er“ bestätigt. Bemerkenswert und für die spätere Unter- 
suchung von grofer Bedeutung ist der Umstand, dab nicht 
nur das Äquivalent für die Hälfte von Nr. 115, sondern die 
von Kroker angenommenen Áquivalente für die Nr. 112 —117 
überhaupt sämtlich in Kaspar Heydenreichs Nachschriften 
aus den Jahren 1542 und 1543 sich finden (Nr. 5541, 5542, 
5561, 5566, 5569, 5578; vgl. VI, S. 269). 

Mit „des Papstes Entschuldigung, warum er den Ehe- 
stand verbiete“ (Nr, 118, 1. Hälfte) war Aurifaber in fol. 344 
an den Schluß des Farr.-Abschnittes gelangt; fol. 344b und 
noch sechs Blatter sind leer. Die Handsehrift gefiel ihm 
aber so gut, daß er nun rückwärts blütterte und in den 
Nr. 119—124 eine Reihe von Lutherbriefen über Ehefragen 
der an solchen ja so reichen Vorlage entnahm. So ist 
Nr. 119, ,Luthers Bedenken vom Scheiden ums Weglaufens 
willen an einen Kirchendiener zu N.“, der auf fol. 326 
stehende, ins Deutsche übersetzte Brief an den minister 
eeclesiae Simon Wolferinus in Eisleben (vom 19. September 


17 17 


1544; vgl. Enders XVI, 85). Nochmals wird rückwärts 
geblättert, und es folgen zwei übersetzte Briefe an Nikolaus 
Hausmann, der eine f, 324b— 325 (= Nr. 120) vom 26. Oktober 
1530 (Enders VIII, 293f), der andere f. 325—325 b (= Nr. 121) 
vom 10. Mai 1531 (Enders IX, 9). Im Rückwärtsblättern 
fortfahrend, bietet Aurifaber aus fol. 321—321b als Nr. 122 
eine Zitation Luthers dar. „Ich, Martinus Luther, der heiligen 
Schrift Doktor, zu Wittenberg Prediger, füge Dir B. H. zu 
N. zu. wissen, daß die tugendsame Frau A. verlassene 
Witwe N. zu N., bei mir gewest und klagende angezeigt“ usw. 
In der Handschrift sind natürlich die unterdrückten 
Namen ausgeschrieben; es handelt sich um die Zitation des 
Brosius Heinrich in Dittersdorfvom 29. April 1531 (EndersIX, 4). 
Mit dieser Zitation verbindet Aurifaber aus anderer Quelle 
„eine andere Zitation“ Nr. 123 (vom 22. Juni 1538 an Hans 
Schwalb; Enders Xl, 375) Aber noch einmal kehrt er 
dann zu Farr. zurück. Dem Abschnitt de matrimonio ent- 
nimmt er aus fol, 314b—315 als Nr. 124 Luthers „Bedenken 
von gemeiner Weiber Häuser an D. Hieroymum Weller“. 
Der Brief vom 3. September 1540 (Enders XIII, 174) schließt 
mit den Worten: „Summa: contra Deum nihil possumus 
nec faeere nec permittere nec tollerare. Fiat iustitia et 
pereat mundus,“ Aurifaber übersetzt dies geflügelte Wort: 
„Man lasse gehen, was recht ist, sollte gleich die Welt 
darüber zu scheitern gehen.“ 

Im 6. Band der Tisehreden der W. A. entsprechen den 
Nummern 119—124 die Nummern 6919— 6924, Die Luther- 
briefe sind natürlich richtig nachgewiesen; aber die Auswahl 
gerade dieser Briefe und ihre Aufnahme in Aurifabers 
Tischreden-Sammlung ist erst jetzt erklärt. Aurifaber ging 
beharrlich in den Spuren der Handschrift Farr. Das zeigt 
sich auch noch bei Nr. 6926 (Nr. 131 bei Aurifaber; 
FB. 4, 115). Aurifaber leitet den Fall mit den Worten 
ein: „Da D. M. L. gefragt ward von etlichen Predigern um 
einen Fall im Ehestande, sprach er usw.“ Dazu wird. 
VI, S. 274 mit Recht bemerkt: „Trotz dieser Worte haben 
wir keine Tischrede, sondern einen Brief oder ein Gutachten 
vor uns.“ Die lateinische Vorlage steht Farr. fol. 316b. Es 
ist. ein Brief der Theologi Wittebergenses vom 11. Febr. 1542 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1. 9 


18 18 


ad ministros ecelesiae Nordthausianae in bezug auf den 
Ehefall des Jakob Lewer oder Liwer. Der Brief stammt 
übrigens aus der Feder Melanchthons (= Corp. Ref. IV 776, 
Nr. 2447); er ist das Begleitschreiben zu einem ausführ- 
licheren Gutachten (Enders XIV 178, Nr. 3101), das, weil 
auch für den Rat in Nordhausen bestimmt, deutsch abgefaßt 
ist. Auch dieses wird von Farr. mitgeteilt, aber nicht schon 
fol. 316b, sondern erst fol. 339b—340. Dem Schluß des 
Gutachtens sind die Worte beigefügt: Wite: ex manu Phil. Mel, 

Wir haben in die Arbeitsweise Aurifabers einige Ein- 
blicke getan. Was wir wahrnehmen, veranlaßt uns, nament- 
lich die Einführungsformeln der einzelnen Tischreden mit 
allem Bedacht zu prüfen. Es sei noch ein Beispiel angeführt. 
Luther hat, um die schlimmen Früchte des erzwungenen 
Coelibats zu kennzeichnen, öfters auf eine dem Bischof 
Ulrich von Augsburg zugeschriebene Epistel de continentia 
clericorum hingewiesen und sogar eine Wittenberger Aus- 
gabe aus dem Jahre 1520 mit einer Vorrede versehen 
(vgl. meinen Nachweis in den „Beiträgen zur bayrischen 
Kirchengeschichte“ von Kolde, VI. Band, 1900, S, 121—126). 
Auf diese Epistel nimmt das 182. Stück der Tischreden vom 
Ehestand Bezug (FB. 4, 151; W. A. Nr. 6941). Aurifaber 
führt es mit den Worten ein: „Doktor M. L. sagte einmal 
in einer Predigt, dab ers gelesen hätte, daß S. Ulrich 
schrieb und klagte usw.^ Was er aber aus der Epistel 
mitteilt und weiter dureh ein Beispiel ,zu unserer Zeit im 
österreichischen Nonnenkloster Neuburg“ bekräftigt, ent- 
stammt mit nichten einer Predigt, sondern ist die Übersetzung 
eines Stückes des großen Kommentars zur Genesis. Die 
lateinische Vorlage steht in der Auslegung von Gen. 4,1 
(W. A, 42, S. 178, Z. 1—22). Wenn in der W. A., in der 
Anmerkung zu S. 178 es zweimal heißt: „Aus den Tisch- 
reden*, so ist diese Quellenangabe irreführend. Wie sollte 
in den im Jahre 1544 erschienenen ersten Band des Genesis- 
Kommentars eine erst 1566 veröffentlichte angebliche Tisch- 
rede gedrungen sein?- Umgekehrt hat vielmehr Aurifaber 
ein Stück der Vorlesung in eine „Tischrede“ verwandelt 
und mit dem Exzerpt einen anderen Ausspruch Luthers ver- 
bunden. Der letzte Absatz von Nr. 182 beginnt: „Und sprach 


19 . 19 


D. Luther, als er ein junger Knabe gewesen wäre, da hätte 
man die Hochzeit und den Ehestand für sündlich und un- 
ehrlich Wesen gehalten usw.“ Dieser Absatz stammt aus 
einem anderen Zusammenhang. 


IV. 

Die Feststellung, daß Aurifaber die Handschrift Farrago 
als Quellenschrift für seinen Tischredenband benutzt hat, 
erleichtert die Frage nach der Person des Sammlers. Wir 
müssen ihn unter den Tischgenossen Luthers suchen; 
er gehört zu denen, die sich selber am Tisch des Reformators 
Aufzeichnungen gemacht haben. Woher sollte er sonst sein 
Sondergut haben? 

Es bleibt Aufgabe der Forschung, alle Stücke in Farr. 
festzustellen, die keine andere Tischreden-Handschrift, auch 
Rörer nicht, darbietet. Und ferner ist zu untersuchen, mit 
welchen von diesen Stücken Aurifaber seine Ausgabe be- 
reichert hat. Es ist merkwürdig, daß das erste Ergänzungs- 
blatt A der Handschrift mit einem solchen Stücke beginnt. 
Die allererste Rede, die Farr. mitteilt, ist Sondergut. Sie lautet: 

Deus alit per media. Vide de illo loco fo: 1. „Gott 
kondt vns wol an (= ohne) alle vnsere arbeit vnd an alle 
mittel ernehren, aber er wil die handt aufithun, das man 
sehen sol, er sey ein reicher Herr vnd ist doch alles mirabile 
opus Dei, das wir mussen sagen, wir habens alles von jm, 
quia videmus quaedam flumina gignere pisces, do man keine 
hat eingesetzt. Also jn dem bechlein, das durch meinen 
garten fleust, sein feine hechtlein, schmirlen, vnd wenn man 
sie jn ein ander wasser setzt, so werden große hechte daraus.“ 


Aurifaber teilt die Rede als Nr. 80 in dem Abschnitt 
„von Gottes Werken“ mit (FB. 1, 123 [2,80] = W. A. Nr. 6538) 
unter Übersetzung der lateinischen Worte und verbindet 
damit ein Stück der Tisehrede Nr. 1153 (I, S. 570), das er 
dann bei der Wiedergabe dieser ganzen Rede unter Nr. 103 
(FB. 1, 141) wiederholt. | 

Aber nicht nur die Sonderstücke verraten den Tisch- 
genossen Lathers, sondern .auch die originalen Fassungen, 
die hie und da solche Reden in Farr. haben, die auch in 
anderen Tischredensammlungen begegnen. Ein hervorragendes 
Beispiel ist Nr. 5386 (V, S. 120) aus der Mathesischen 
Sammlung — eine Rede, die Kroker Kaspar Heydenreichs 

2* 


=< 


i 


20 , 20 


Nachschriften zuschreibt und in den April 1542 versetzt, 
Luther schildert, wie sinnlich und fleischlich sich die Türken 
das Leben nach der Auferstehung vorstellen. „Adieeit 
Doktor Pommer: So werden sie (die Männer) unter inen 
(den Weibern) rum gehen wie ein han vnter den hennen!“ 
Farr. f. 129b bietet aber den Text: Adiecit aliquando D. Pomer, 
cum hoe idem recitasset: So werden sie usw. .Das ist eine 
richtigere Fassung; denn, wie Kroker anmerkt, Bugenhagen 
kehrte erst Ende Mai 1542 aus Dünemark zurück (Enders XIV 
168, Anm. 6); das aliquando bei Farr. betont also richtig, 
daß Bugenhagens drastische Äußerung bei einer anderen 
Gelegenheit gefallen ist. Diese richtigere Fassung ist aber 
gewiß ursprünglich; die andere ist dureh Abkürzung des 
Textes entstanden. 

Um eine Textverkürzung handelt es sich auch bei einer 
anderen der  Heydenreich'sehen Nachschriften aus dem 
Sommer 1542: Cieero et Aristoteles (V, S. 155, Nr. 5440). 
In Farr, f. 422b lautet die Überschrift: De philosophia, und 
der ganze Abschnitt hat folgenden eigentümlichen Zusatz, 
[ 423: „Varro vnd Cicero sein die besten. Varro macht 
triplices Deos, poeticos, philosophieos et naturales. Cicero 
vorsteht wol, quod sit tantum unus Deus. Quid autem sit 
ille Deus, non videt. Ich glaub auch, quod minus in iuditio 
vapulabunt. Denn das Cieero so hart solt verdampt sein 
als Caiphas, halt ich nicht.“ Ein Stück dieses Zusatzes 
findet sich in Nr. 5972 (aus Ro. Bos. o. 1706). 

Daß der Sammler von Farr. auch im Jahr 1543 in 
Wittenberg war, ergibt sich aus der Fassung, in der bei ibm 
(fol. 327 b) Luthers Erzáhlung von einem skandalósen Erfurter 
Ehefall begegnet, wie jemand unwissenderweise eine Frau 
nahm, die zugleich beides, seine Tochter und seine Schwester 
war. Der Fall wird öfters in den Tischreden erwähnt, 
Eine Darstellung, die fast wörtlich mit dem Farr.-Text über- 
einstimmt (III, S. 501, Nr. 3665 A) schließt mit der Bemerkung: 
Hoe nostro saeculo eontigit Erphurdiae. In Farr. folgt noch 
der Satz: Lutherus recitavit pro contione 1543. Diese Mit- 
teilung trifft vollkommen zu. Am 16. Okt. 1543 hat Luther 
in der Genesis-Vorlesung (W. A. Bd. 44, S. 222 f) bei der 
Auslegung von Gen. 36, 20—30 den Fall erzählt und seel- 


91 | 21 


sorgerliche Bemerkungen angeknüpft; ich habe das aus der 
Greifswalder Handschrift Mser. theol. Quart 36 nachgewiesen 
(Theol. Literaturblatt 1918 Nr. 7, Sp. 105—109 und Archiv 
für Ref.-Gesch. XVII 1920, S. 81—91). Der Sammler von 
Farr. war wohl Hörer der Genesis-Vorlesung Luthers. 

Es liegt die Frage nahe, ob nicht der Sammler, wenn 
er ein Tischgenosse Luthers war,irgendwiein den Sonderstücken, 
die er bietet, persönlich mit seinem Ich hervortritt, ähnlich 
wie Antonius Lauterbach, in dessen Tagebuch vom Jahre 1538 
oft Stellen begegnen, wie: Dixit ad me, Mihique indixit et 
ceteris diaconis, Illo die interrogavi Lutherum (III, S. 530, 17, 
572, 12; 583, 21—Nr. 3685, 3729, 3740). Wir nehmen aber 
wahr, daf in Farr. beim Umsehreiben der einzelnen Stücke 
in die Fächer der Sachordnung solche Ich-Stellen meist absicht- 
lich getilgt sind. Das ist z. B. der Fall bei Nr. 5459 (V, S. 165). 
Da heißt es in Heydenreichs Nachschriften: „Cum interrogarem: 
ob auch ein obrikeit macht hette, einen prediger zu fragen | 
de adulteris, wenn er pro contione hart därauf gescholten 
hett“ und auf Luthers verneinende Antwort noch einmal: 
Deinde quaerebam. Der Sammler von Farr. war anwesend; 
denn er hat am Schluß den originalen Zusatz, den Aurifaber 
(FB. 4, 168 [44, 18]) von ihm übernommen hat: „Darumb 
lassen wir keine elandestina coniugia zu, quia est unius vox, 
quae nihil potest probare." Statt dab aber der Fragende 
genannt wäre, lautet die Einführung in Farr. einfach: 
„Quaeritur, ob auch ein oberkeit usw.“ und noch einmal: 
Item quaeritur. 

Ebenso lehrreich ist folgendes Beispiel. In Nr. 5504 
(V, S. 198— Winter 1542 auf 1543) lesen wir: Cum 
legeremus in mensa Antonii Margarithae, ludaei baptizati, 
(er war damals Professor des Hebräischen in Wien, wie 
Kroker anmerkt) libellum de variis ritibus et ceremoniis 
Iudeorum, inquit Doctor ete. Aurifaber macht daraus 
(FB. 3, 392 [37, 83]: „Anno 1542 lase M. Mathesius und 
die anderen Tisehgesellen usw.“ Aber Mathesius war schon 
im April 1542 als Diakonus nach Joachimsthal zuriick- 
gekehrt. In Farr. f. 458 ist der ganze einleitende Satz 
absichtlich weggelassen. 

(Schluß im nächsten Heft). 


Georg Weigel. 
Kin Beitrag zur Reformationsgeschichte 


Altpreussens und Lithauens. 
Von D. Dr. Th. Wotschke. 


Dem Thorner Professor Hartknoch verdanken wir eine 
eingehende Kirchengeschichte Altpreußens. Vor mehr denn 
200 Jahren geschrieben, ist sie noch heute, auf das Ganze 
gesehen, nicht überholt. Gründlich unterrichtet sie auf 1100 
Seiten über alle kirchlichen Ereignisse bis zum Jahre 1680- 
Aber mit keinem Worte erwähnt sie jenen unruhigen Theo- 
logen, der 1562/63 die kirchlichen Wirren in Königsberg 
noch mehrte, zum Osianderschen Hader einen Sakraments- 
streit fügte, dann in Wilna und Lithauen überhaupt ver- 
bängnisvoll wirkte und schließlich fast in die römische Kirche 
zurücktrat, Georg Weigel aus Nürnberg. Auch andere Kirchen- 
geschichten wissen nichts von ihm. Nur Löscher „Historia 
motuum“ kennt seinen Namen, bringt seine kurze Confession 
und einen Streitbrief seiner Feder wider Epplin, aber näheres 
weiß auch dieser,Historiker über ihn nicht zu berichten. Aufer 
den beiden genannten Urkunden ist ihm von Weigel nichts 
bekannt; über die Zeit seines Auftretens hat er nur eine 
Vermutung, und diese Vermutung ist falsch. Es wird des- 
halb die geschichtliche Forschung fördern, nähere Nachrichten 
über diesen fast ganz unbekannten Theologen zu bringen- 

Justus Jonas, der Jüngere, der unglückliche Sohn des 
treuen Freundes Luthers, schreibt in Beantwortung einest 
herzoglichen Briefes vom 14. Januar 1561 an den Hohen- 
zoller in Königsberg‘): „Es ist hier in Wittenberg ein frommer, 
gottesfürchtiger, eingezogener, stiller, ganz gelehrter Gesell 
mit Namen Magister Georg Weigel, ein Nürnberger, seines 
Alters ungefähr ein- oder zweiunddreifig Jahre, eine feine, 


1) Vergl. J. Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten mit 
Herzog Albrecht von Preußen S. 388. 


23 23 
lange, ansehnliche, sittige Person, welcher drei Jahre von 
dem Rate zu Nürnberg allhier im Studium der Theologie 
verlegt ist, zuvor aber etliche Jahre allhier seinen Studien 
mit Fleiß obgelegen. Ich habe ihn etliche Male hier in der 
Schloßkirche, wenn die verordneten Prádikanfen verhindert 
gewesen, predigen hören, habe seiner zuvor ganz und gar 
keine Kunde gehabt, aus seinen Predigten aber gespürt, 
daB er nicht allein die Bücher, woraus der mehrere Teil 
derjenigen, die sich für Theologen ausgeben, ihre Kunst 
schöpfen, sondern auch andere Schriften mit Fleiß gelesen 
und ein nicht gemeines Judizium habe. Ich habe ihn des- 
halb zu mir gebeten und nach der Lange von den Artikeln, 
darüber man itzo streitig ist, konferiert und befunden, dab 
er dieselbigen Kontroverse allesamt aus dem Fundament 
versteht, so daß zu wünschen wäre, daß unter denjenigen, 
welchen die Herde Gottes zu weiden befohlen ist, viele 
seines Gleichen sein möchten. So hat er auf der Kanzel 
gar eine gute Art zu reden; damit aber E. F. D. eine kleine 
Anzeige habe, daß der Bericht, den ich von ihm tue, wahr- 
haftig sei, tiberschicke ich E. F. D. hierneben ein Büchlein 
welches er gemacht und allhier vor einem Jahr im Druck 
hat ausgehen lassen. Ich sähe darum gern, dab dieser 
Mann in E. F. D. Dienst käme, weil ich keinen noch gehört 
habe, der über die Kontrovers Osianders so’ recht judiziert 
hätte als er. Er ist in Wahrheit ein großer Theologus. So 
stimmt sein Judizium mit allen recht verständigen Leuten 
darin überein, daß er meint, es habe der mehre Teil den 
Ösiander ex praeiudicio verdammt.“ 

Der hier so warm Empfohlene war 1529 in Nürnberg 
geboren, hatte die Schule seiner Vaterstadt besucht, dann 
das Straßburger Gymnasium vier Jahre; am 29. Juni 1542 
hatte er sich schon in Heidelberg einschreiben lassen. Seit 
dem 21. April 1548 bis Frühjahr 1550 sehen wir ihn in 
Tübingen, dann ein Jahr in Wien, 18 Monate in Ingolstadt. 
Wohl in Wien hatte er mit Thomas Pegáus!) Freundschaft 


1) Veit Nuber, der von Wittenberg nach Österreich gegangen, 
am 6. Angust 1563 in Steyr eingetroflen war, meldet unter dem 
20. August Paul Eber: ,M. Thomas Pegaeus, qui tibi autor fuit, hue 


24 24 
geschlossen, vielleicht in der Folgezeit auch unter ihm an 
der Schule zu Steyr in Österreich unterrichtet. Am 14. Sep- 
tember 1558 hatte er die Leucorea bezogen und war am 
1. Mai 1560 in die Artistenfakultät aufgenommen worden. 
1559 hatte er in Wittenberg erscheinen lassen: „Explicatio 
dilucida epistolae Judae“ und „Historia de quodam episcopo 
. a muribus consumpto“, Melanchthon und Peucer waren vor 
anderen seine verehrten Lehrer; mit Justus Jonas, dem Lehrer 
‚ der Rechtswissenschaft, stand er in enger Verbindung. Dessen 
warme Empfehlung, die Vorliebe des Hohenzollern in Königs- 
berg für seine süddeutschen Landsleute, vor allem die Aussicht 
und Hoffnung, in Weigel einen gelehrten Richter in dem 
Osianderschen Streite zu erhalten, der vielleicht seinen ver- 
ehrten und geliebten, seit 1550 in der theologischen Welt 
so verketzerten , Vater in Christo^ wieder zu Ehren brichte, 
bestimmte den Herzog Albreeht, ihn in seinen Dienst zu 
nehmen. Fast umgehend, am 25. März 1561, ließ er ihm 
schreiben:*) „Nachdem wir in unserem Fürstentum guter, 
christlicher, geschickter Pfarrherren und Seelsorger wohl 
benotdurft und derselben gern etliche in diesen Landen 
haben wollten, ihr aber uns euerer Lehre, Geschicklichkeit, 
eueres Lebens und Wandels halben gerühmt seid worden, 
so hätten wir wohl gnädige Neigung, daß wir euch unter 
uns in einem Predigtamt wissen möchten, und wollen euch 


mittendi concionatorem aliquem ante meum adventum, a senatu dimissi- 
onem petiit propter multiplices persecutiones, quas patitur ob detestan- 
dam ingratitudinem civium strenue doctrinam evangelii et omnes bonos 
artes contemnentium, Utinam et ego aut huc venissem nunquam aut 
bona conscientia statim abire liceret“. Am 31. Juli 1565 schrieb Eber 
an Pegäus: „Quod ad litteras tuas attinet, peto mihi decepto veniam 
dari. In posterum ero fautior incidens in alienos, cum quibus non 
modicum salis absumpsi, ne temere externae speciei et sono credam. 
Tuam amicitiam ut semper magnifeci, ita in posterum quoque officiis, 
quibus potero, tueri studebo.^ Am 29. Juni 1568, da der Steyrer 
Rektor ihn um einc ı Lehrer fiir seine Schule gebeten hatte, meldet 
ihm Eber, daß er ihm Daniel Möller sende, der vier Jahre in Witten- 
berg studiert und jetzt im Sommer den Magistergrad erworben habe. 
Zugleich tröstet er ihn über den Ehebruch seiner Frau. 


!) Dieser Brief ist wie sämtliche anderen Urkunden dem Staats- 
archiv in Königsberg entnommen. 


25 | 25 


darauf hiermit gnädigst vociert haben. Begehren mit Gnaden, 
dab ihr euch ins Förderlichste allhero zu uns in einen 
Pfarrerdienst begeben wollet. Bei euerer Ankunft sind wir 
bereit, uns mit euch des Unterhalts halben mit Gnaden zu 
vergleichen. Im Falle euch hierin etwas Hinderliches vor- 
fiele, so wollet solches gegenwärtigem Johann Funck anzeigen. 
Ihm haben wir Befehl gegeben, deshalb allenthalben mit 
euch zu reden.“ 

Im April verhandelte Funck, der nach Wittenberg 
gekommen war, um den Theologen sein Glaubensbekenntnis 
vorzulegen, mit seinem Landsmann Weigel und bestimmte 
ihn, dem Rufe des Herzogs Folge zu leisten. Da er ein 
Nürnberger Stipendium genossen hatte und deshalb dieser 
Stadt verpflichtet war, versprach Funck, der nach Nürnberg 
reisen wollte, ihm dort Entlassung zu erwirken, Während 
er nun nach Leipzig?) und Süddeutschland aufbrach ?, zog 
Weigel nach Königsberg. Am 2. Juni 1561 wurde er hier 
als „reverendus vir pietate et eruditione praestans“ ins 
Album der Albertina eingetragen. Eine Ordination in Witten- 
berg mußte ihm nach Ansicht des Herzogs größerere Geltung 
und Autorität verleihen, deshalb ging er zugleich als herzog- 
licher Bote an Johann Major und Justus Jonas auf Anord- 
nung Albrechts noch einmal nach der Elbstadt zurück. Am 


’) Am 31. Mai 1561 schrieb Pfeffinger aus Leipzig dem Herzog 
Albrecht über Funcks Konfession. 


.?) Nach seiner Rückkehr nach Königsberg schrieb Funck am 
15. Juli 1561 an Paul Eber. Vergl. Codex Gothanus chart 123 Bl. 354. 
„Volui tibi ad rescribendum ansam praebere, donec ipse ad nos in 
Prussiam nostram, ut aliquoties T. H. percupere coram intellexi, bonis 
avibus venias. Quod ut commodius citiusque fieret, dedi operam, ut 
ab ill. duce Alberto per literas vocarere, efficique simul, ut ad electorem 
itidem darentur literae, quibus ut D. T. huc venire atque ad unum 
mensem nobiscum esse liceat familiariter petit. Quas autem ob causas 
petitio ista fiat, potest D. T. ex ill. principis mei literis, quas hisce 
meis adiunctas habes, una cum transsumpto aut descripto earum, quae 
sunt ad principem electorem, intelligere. Novi. deus, quam hilari 
vultu animoque serenot pius princeps literas vestras acceperit, legerit, 
relegerit, quam avide etiam, quid inter nos sit actum, me referente ac 
declarante audierit. Saepius in haec verba erupit: »Wolt got, das 
ich mein leben volend mit solchen leuten vnd mit solchen Disputationen 
möchte hinbringen“, 


26 E 96 


24. Juni traf er hier ein, händigte Major das für ihn 
empfangene Geld und Schreiben ein, ließ sofort auch in der 
Schwenckschen Offizin seinen Trauergesang auf Melanchthons 
Heimgang drucken, den er auf der Reise niedergeschrieben oder 
vollendet hatte. Da er am 30. Juni an den Herzog schrieb’), 
konnte er seinem Briefe ein Exemplar seines Epicedium bei- 
legen?). Als er seinen Freunden seine Berufung nach Preußen 
angezeigt hatte, hatte er sie um Gratulationen und Geleitgedichte 
gebeten. Er wollte sie drucken lassen, mit nach Königsberg neh- 
men und dort ausstreuen, um den Anschein eines allseitig geschitz- 
ten und hochverehrten Mannes zu erwecken. Bis sie eintrafen, 
wartete er mit der Einholung der Ordination und seiner Abreise. 

Am 19.September(1561)starb in Wittenberg ein78 jähriger 
Pfarrer Michael Faust. Der Universitätsschrift, in der der 
Rektor die Studenten zur Teilnahme an dem Begräbnisse 
aufforderte, gab Weigel wie sein Landsmann Georg Mauri- 
tius, Jakob Alutarius aus Herborn, Georg Aperbach aus 
Erfurt und Joh. Reymanu aus Löwenberg etliche Verse bei.®) 
Etliche Tage später veröffentlichte er die inzwischen ein- 
gegangenen Geleitsgedichte seiner Freunde.*) Einen Lobpreis 
auf die Leucorea fügte er ihnen bei. Am 5. Oktober ordinierte 
ihn Paul Eber. 


) Vgl. Beilage I, Am 4. Juli 1561 schreibt Paul Eber dem 
Herzog: „Cum voluptate audivi ex M. Weigelio et deo gratias ago, 
quod terribilis illa expeditio Johannis Basilii, magni ducis Moscorum, 
impedita sit“. Im weiteren empfiehlt er den herzoglichen Alumnus 
Christian Farnhed, der länger als ein Jahr bei ihm gewohnt habe. 

*) Epicedion in honorem et memoriam obitus reverendi et incom- 
parabilis viri d. Philippi Melanthonis, patris et praeceptoris nostri 
summe colendi, scriptum a. M. Georgio Weigelio Noribergensi. Wite- 
hergae excudebat Laurentius Schwenk, 1561. 

3) Epitaphium scriptum venerando et optimo seni D. Michaeli : 
Fausto pie Wittebergae mortuo 19. Septembris 1561, cum esset 
egressus annum aetatis 78., a. M, Georgio Weigelio Noribergensi. 

4) ,Hoonéuntine scripta rev. viro d. Georgio Weigelio Noribergensi, 
liberalium artium magistro, vocato ad ministerium verbi divini ab ill. 
Borussiae principe Alberto Seniore, Witeberga discedenti, Witebergae 
excudebaut haeredes Georgii Rhaw 1561“ in 49, drei Bogen, Dreizehn 
Freunde, darunter Justus Jomas und Thomas Pegüus aus Landeshut, . 
Rektor in Steyr, bringen ihre Wünsche dar, zum Schlu8 ,ad Wite- 
bergensem academiam M, Georgius Weigelius.“ 


27 21 


Weigel war Philippist und trat als soleher in dem gut 
lutherischen Königsberg sofort mit aller Schärfe auf. Schon 
seine ersten Predigten erregten Anstoß, die, welche er am 
21. Dezember 1561 in der Schloßkirche in Gegenwart der 
Herzogin, der Hofräte, des Präsidenten Johann Aurifaber 
hielt, fachte fast einen Aufruhr an. Er leugnete die Ubi- 
quität Christi, seine Realpräsenz im Abendmahle; nur geist- 
lieber Weise werde der Leib des Herrn genossen!) Fast 
einmiitig erklürten sich die Theologen wider ihn. Ihr Wort- 
führer wurde Epplin, der ältere Hofprediger. Von Anfang 
an bestand zwischen diesem und Weigel ein gespanntes Ver- 
hältnis. Justus Jonas hatte seinen jungen Freund schon in 
Wittenberg gegen diesen älteren Theologen eingenommen °). 
Als Epplin jetzt auf der Kanzel sich wider Weigel und seine 
Predigt vom vierten Adventssonnfage wandte, schrieb er ihm 
einen Brief?) der recht bezeichnend ist für die Weise, in 
der er seinen Kampf führte: ,Ich kann mich nicht genugsam 
wundern der großen unverschümten Leichtfertigkeit, damit 
du die allergelehrtesten und heiligsten Leute unserer Zeit 
ganz liederlich bei dem gemeinen Volke angiebst und mit 
unerhörten Schmähworten beschwerst. Es pflegen sonst, die 
auf andere Lügen dichten, Diebe zu sein, du hast heute auf 
deine Präzeptores gut und bóslich gesprochen (o du unver- 
schämtes Maul, das allein Schmach und Schande ausspeien f 
vermag), daß sie mit diesen Worten, ihre Hände seien voli 
Blut, die Worte des Abendmahls ,das ist mein Leib‘ aus- 
legen. Ich habe niemals anderen, die dir grobe, unver- 
schimte Leichtfertigkeit zugemessen, glauben wollen; nun 
aber muß ichs glauben, daß du ein hoffärtiger, überaus unver- 


* Mathias Wanckel schreibt unter dem 12. März 1562 aus Kemberg 
an Eber: „Calvini dogma de coena domini etiam in Borussiam sparsum esse 
ex corde doleo et certe nescio, qua conscientia vestras sententias et 
formulas loquendi de coena sacrosanctissimae ecclesiae laboranti non 
committatis“. 


2) Am 13, April 1559 in einem Briefe aus Leipzig hatte er gemeint 
auch den Herzog vor Epplin „und seinen Narrenbüchern“ warnen zu 
müssen. 

3) Lóscher, Histeria motuum II, 218 ff. Im Einzelnen unterrichten 
über den Streit zwischen Weigel und Epplin zwei Aktenstücke vom 
10. März und 11, April 1562 im Königsberger Staatsarchive, 


28 | 28 


schämter, heilloser, unwissender Mensch seist... Ich will es 
mit Gott bezeugen, daß ich heute nichts denn eine eselische 
und cyklopische Unwissenheit gehört habe. Wahrhaftig ich 
habe einen Esel gesehen auf der Kanzel in einer leinenen 
Haut verkleidet.“ Und so geht es fort, jeder Satz eine 
schwere Kränkung und Beleidigung. Ein Glaubensbekenntnis, 
das Weigel weiter herausgab und in dem er mit aller Ent- 
sckiedenheit die symbolische Deutung des Abendmahls ver- 
trat’), begegnete natürlich dem schroffsten Widerspruch. 
Bald stritt man nicht nur in Königsberg wider ihn und 
suchte dem 73jährigen Herzoge seine Entlassung abzu- 
drängen. Wie im Osianderschen Streite die Kunde von allen 
Vorgängen in Königsberg sofort nach Wilna flog?) wie 
‘ Osianders Gegner am königlichen Hofe wider ihn und seine 
Anhänger Stimmung maehten?) so denunzierte man jetzt 
beim polnischen Herrscher Sigismund August auch Weigel 
als einen Unruhstifter. Der König sah sich bewogen, an 
den Herzog zu schreiben und ibn eindringlich vor dem 
Zwietrachtprediger zu warnen. Als Albrecht antwortete, daß 


1) „Panis est corpus Christi non proprie vel realiter, sed impro- 
prie, figurate vel sacramentaliter. Manducare corpus Christi et 
bibere sanguinem eius est in Christo manere et Christum manentem 
in se habere". Löscher II, 217. 

2) Vgl. Pohibels Brief aus Wilna vom 4. Okt. 1551. Möller; 
Andreas Osiander S. 459. Schon am 29. Sept. hatte er aus Wilna dem 
Herzog geschrieben: „Man hat hier auch der prädicanten zu Konig- 
sperg, e. f. g. auch. hyn vnd her gedacht, der eyne besser dan der : 
ander. Sprechen, der hertzog sambt der hertzogin haben eyn sonder- 
liche lere, das frewlein auch besonder, das: hoffgesindt vnd dy rethe 
dergleychen. In den steten geht es auch seltzam zu... Es were 
besser gewesen, das dy predicanten den predigtstuel eyn zeytlangk, 
damit es vnder dy gemeyne nicht kommen were, gemyden, bis sy 
sich vereyniget vnd verglichen hetten. In Summa es begeben sich 
mancherlei worthe vnd rede, welche ich jtzo jn der feder mus rowen 
vnd bleiben lassen, jedoch bleibt solchs e. f. g. zu gelegener zeit 
vnverhalten." 

3) Krakau, den 22, Marz 1553 schreibt Pohibel dem Herzog: 
„Ich kann e. f. d. nit bergen, das in kortzen tagen der her marien- 
borgische woywoda durch eignen pothen an meinen hern [den kónig- 
lichen Vorschneider Gabriel Tarlo] geschrieben vnd jm angezeigt, wie 
das eyn seltzam tumult vnd zwyspalt zu Konigsperg des predicanten 
halben d. Morlens erhoben, alzo, wo dem nicht vorgekommen, eya 


29 29 


er unruhige Geister in seinem Herzogtum nicht dulde, gab 
er am 1. Mai seiner Freude darüber Ausdruck, unterlieB 
aber nicht, von neuem zu warnen). 

Den Hofmeister der Königin, Erhard von Kunheim, hatte 
der Herzog im Verdachte, den König wider Weigel ein- 
genommen zu haben. Aber dieser Bruder des Schwieger- 
sohnes unseres Luther war wohl unschuldig. „Die ganze 
Stadt allhier ist des Redens voll gewesen, und man hat sich 
mit Briefen umhergetragen, so von E. F. D. Hof anher 
geschrieben auch von denen, so E. F. D. nicht wenig ver- 
trauet“, schreibt er Wilna, den 3. Mai 1562 zu seiner Recht- 
fertigung. Um sich noch mündlich zu verteidigen, kam er 
im Juni nach Königsberg’). 


gros blutvorgyssen hyraus entstanden were. Jdoch hinge es noch an 
der wage usw., mit andern vil mehr vmstendigen worthen, wie dan 
seyner gnaden eigen hantschreiben mitbringt, meynem herrn zu erkennen 
geben vnd ferner gebeten, das meyn her bey der kön. majt treulich 
sollieitiren wolde, damit jre majt eyn eigen potschafft an e. f. g. ab- 
fertigen thete, damit e. f. g. vermanet, von solchem vornehmen der 
zwyspültigen lehren abzustehen etc. Were sonst zu besorgen, eyn 
schrecklichers hyraus zu erfolgen. Sind sonst auch zwei briefe bey 
meynes herrn briffe gewest an die kón. majt, eyner von dem herrn 
bischoff von Ermelant, der ander von gedachtem herrn woywoden, 
ln dem vnd víf solch schreiben hat mich meyn herr gefragt, was er 
jo dem fall thun solde, ob er solchs jrer majt anzeigen solde oder 
nicht, weyl er sonst von nymandt schreiben hette. in dem alzo ge- 
schlossen, das sich mein her mit worthen vnd dergleichen nix kegen 
ire majt einlassen solde“. Im weiteren bittet er den Herzog um einen 
genauen Bericht, ,damit, ob hernachmals sich ethwas an tag geben 
würde, dem mit der warheit desto bas vorzukommen“. Vgl. schließ- 
lieh auch Pohibels Brief vom 24. April 1553: ,Was den d. Morlein 
belangt, hat man alhir vil seltzamer redenn vnd sonderlich an dem, 
das etzlich vill frawen vnd junkfrawen gleich eyner procession jns 
schlos zu Konigsperg gangen vnd e. f. g. durch dy fraw Venedigeryn 
eine supplication zustellen wollen, welche e. f. g, nicht angenommen, 
sonder sie sembtlich in jre behausunge abzugehen befelich geben, 
das alzo mit eynem gesange eynes psalmes gescheen. Wirt aber 
wenig hyvon am hofe gedacht, aufgenommen dy aus Preußen hier 
ankommen, dy haben vil geschwetz, mehr andern leuten zu gefallen, 
denn der warheit enlich“. 

1) Vgl. Wotschke, Abraham Kulvensis. Urkunden zur Refor- 
mationsgeschichte Lithauens. Altpr. Monatsschrift XLII S. 237 f. 

?) Über diesen Kunheim vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte 
aus der Interimszeit. Jahrbuch für Kirchengeschichte der Provinz 


30 i 30 


Der altersschwache Herzog und die wenigen Reformierten 
in seiner Umgebung, Friedrich von Kanitz!), Friedrich von 
Aulack?) und Schwerin, konnten Weigel gegen den allge- 
meinen Unwillen nicht schiitzen. Er ging deshalb, als ihm 
in Königsberg die Kanzel verboten wurde, nach Lithauen, 
um dort Unterstützung zu suchen, auch die Gunst des Fürsten 
Radziwill für sich zu gewinnen. Die deutsche lutherische 
Gemeinde in Wilna, welche erst im November 1560 in 
M. Simon Wanrab einen Pfarrer, Anfang 1562 in einem 
Königsberger Kaplan einen zweiten Prediger erhalten hatte, 
lehnte ihn ab, aber bei den lithauischen reformierten Pastoren 
fand er freundliche Aufnahme. Mit den Zürichern und Genfern 
waren sie im vergangenen Jahre in Verbindung getreten, 
erst am 23. Januar war einer unter ihnen, Martin Czechowicz, 
von einer Gesandtschaftsreise nach Genf?) heimgekehrt, jetzt 
dachten sie durch den Wittenberger Magister auch Beziehungen 
zu den Pbilippisten anzuknüpfen. Durch sie fand er Ein- 
gang am Hofe des Fürsten Radziwill, Hier lernte er den 
theologisierenden Arzt Blandrata kennen, der im nächsten 
Jahre nach Siebenbürgen ging, vor allem aber den Geheim- 
schreiber Johann Maezinski, einst Pellikans Hausgenosse in 
Zürich, in Wittenberg Melanchthons Schüler. Er wurde ihm 


Sachsen 1913 S. 5 ff. Kunheim folgte der Königin Katharina Herbst 1566 
nach Österreich. Linz, den 23. April 1571 empfiehlt die Königin Volmar 
von Kunheim aus Preußen dem Kurfürst August von Sachsen. Vor 
fünf Jahren sei ihr dieser Kunheim als Edelknabe zugesandt, jetzt 
möge ihn der Kurfürst in seine Dienste nehmen. 

1) Dieser Kanitz war neben dem Abenteuerer Skalich und dem 
Radziwillschen Sekretär Maczinski der Testamentsvollstrecker Lisma-- 
ninos. Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino, Zeitschrift der Hist. 
Gesellschaft Posens 1903 S. 323 ff. Über die heimliche Ehe, die er 
in Königsberg geschlossen, vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte S. 7. In 
Breslau war der reformierte Crato sein Freund. Auf dessen Empfehlung 
suchte er 1561 den kalvinisch gerichteten Birkenhan in Preußen zu 
versorgen. Gillet I 241. 

2) Über Aulack vgl. Wotschke, Herzog Albrecht und Graf 
Raphael von Lissa, Altpr. Monatsschrift XLVI S. 484 ff. und 489. 
| 8) Das Schreiben vom 9. Oktober 1561, das er von Calvins Hand 
mitbrachte, bewahrt noch heute das Archiv der reformierten Gemeinde 
Wilnas als kostbare Reliquie. Die Monumenta reformationis Polonicae 
et Lithuanicae bieten es im Gleichdruck an erster Stelle, 


31 | 31 


ein Freund und schrieb für sein großes polnisch-lateinisches 
Lexikon, das jetzt nach jahrelangen Bemühungen endlich 
in Königsberg gedruckt werden sollte, aber erst 1564 wirk- 
lich erschien!), ein empfehlendes Gedicht an den Leser 
Fürst Radziwill wandte ihm seine volle Gunst zu und war 
geneigt, ihn in seine Dienste zu nehmen als Erzieher seines 
ältesten Sohnes, des 13jührigen Nikolaus Christoph ?), dem 
Vergerio 1556 die treftliche Kinderlehre „Lac spirituale" 
des evangelischen Spaniers Juan de Valdes gewidmet hatte °), 
ihn mit diesem auch nach dem Auslande, nach Deutschland, 
der Schweiz und Italien zu senden. Wilna, den 26. Juni (1562) 
schrieb er davon dem Herzoge und bat, Weigel aus seinen 
Diensten zu entlassen ^*). 

Albrecht hatte unterdessen alles versucht, den durch 
Weigel erregten Sakramentsstreit zu dämpfen, dabei unter 
dem Einfluß Johann Aurifabers auf Wege gesonnen, über- 
haupt zwischen Lutheranern und Heformierten einen Aus- 
gleich zu schaffen. Seine Theologen mußten ihm im Mai 
Gutachten ausarbeiten?). Obwohl mit Ausnahme Aurifabers 
sie alle kein Vertrauen zu einer Unionsaktion hatten, hielt 
der zähe Herzog doch an ihr fest. Im Juli mußte der 
aus Lithauen heimgekehrte Weigel eine Reise nach Süd- 


1) „Lexicon Latino-Polonicum ex optimis latinae linguae scripto- 
ribus concinnatum“. 

?) Er war am 2. August 1549 geboren. 

3) Vgl. Wotschke, Eustachius Trepka. Zeitschrift der Hist. 
Gesellschaft der Prov. Posen 1903. Wie dem siebenjährigen Knaben 
die lac spirituale widmete Vergerio dem 16 jährigen Jüngling, als er 
bei ihm (1565) in Tübingen weilte, seine Risposta in quartro libri 
divisa ad una invettiva di fra Ippolito Chizzuola. Unter dem 31. März 
dieses Jahres hatte ihm Lorenz Tuppius in Straßburg schon zuge- 
schrieben: Adversus synodi Tridentinae restitutionem opposita grava- 
mina. Vom 15. März d. J. ist datiert Sturms epistola de refutatione 
Tridentini coneilii an Radziwill den Vater. 

*) Albrechts Antwortschreiben vom 12. August 1562 bei Wotschke, 
Culvensis S. 241. 

5) Vom 19. Mai 1562 sind die Gutachten Funcks, Epplins, Auri- 
fabers, Vogels datiert, vom 22. Mai das Jagenteuffels, vom 6. Oktober 
das des Sickius. Unter dem 21. Oktober warnt Funck den Herzog vor 
der kaivinischen Abendmahlslehre. Vgl, auch Hase, Herzog Albrecht 
und seine Hofprediger S. 280. 


32 39 


deutschland antreten, um mit den Heidelberger und Württem- 
berger Theologen zu verhandeln. Im August sehen wir ihn 
in der Neckarstadt, wo er Olevian und Ursin sein Bekenntnis 
vorlegte. Natürlich fand es deren Zustimmung). Dem Herzog 
schrieben sie, daß es biblisch wohl begriindetsei. Weigel riihmten 
sie als einen gelehrten und beherzten Mann?). Dafür begegnete 
es in Stuttgart, wohin Weigel sich nun wandte, um so ent- 
schiedenerem Widerspruch. Brenz und Andreä wiesen es 
mit vollem Nachdruck ab. Da Weigel bei ihm verharrte, 
wurde der unüberbrückbare Gegensatz offenbar. Vergerio 
in Tübingen, zu dem er im Auftrage des Herzogs im Dezember 
kam?) hielt mit seiner Meinung vorsichtig zurück. Er 
wollte nirgends anstoßen. Im Januar ging Weigel auf eine 
Forderung Brenz’ zu neuen Verhandlungen nach Stuttgart), 
aber der Zwiespalt wurde durch diese weitere Aussprache 
nicht geringer. Selbst Vergerio, der in seinem Schreiben 
an den Herzog vom 23. Januar 1563 der gastfreundlichen 
Aufnahme gedenkt, die auch Weigel riihmen müsse, sieht 
sich jetztveranlaßthinzuzufügen: , Reliqua in homine nonlaudo*. 

Manchen Bekannten aus seiner Studienzeit 1548—1550 
hatte Weigel in Tübingen wieder getroffen, zu den hier seit 
dem 14. August 15€0 studierenden Lithauern®) Beziehungen 
angeknüpit. Für seine Abendmahlslebre konnte er letztere 
indessen nicht gewinnen. Ihr Präzeptor Georg Zablocki, 
seit seinem Studium an der Leucorea 1540 ein überzeugter 
Lutheraner?), der für seinen Glauben in der Heimat 1544 
auch gelitten hatte, wies ihn ab. Anfang Februar wollte 
Weigel heimreisen. Sehon hatte er am 3. zwei Wagenpferde 


1) Vgl. Ursins Brief an Crato. Neue Heidelberger Jahrbücher XIV, 
S. 60 und Gillet, Crato von Krafftheim I S. 264. 

2) Vgl. Olivians Schreiben an Calvin vom 3. April 1563 
O. C. XIX Nr. 3925, | 

8) Vgl. Vergerios Brief an den Herzog Christoph vom 10.Januar 1563 
Schott und Kausler, Vergerios Briefwechsel S. 369. 

4) Am 11. Nov. 1562 hat der Pole Valentin Maslovius (die Tübinger 
Matrikel liest Marlenius), seit dem 16. Sept. 1561 in Wittenberg, die 
Tübinger Hochschule bezogen, am 25, Januar 1563 der Preuße Joh. 
Hermann, Ihr Tübinger Studium hängt wohl mit Weigels Reisezusammen. 

5 Vgl. Wotschke, Culvensis S. 212. 

*) „Homo non indoctus et eximie Brentianus“ nennt ihn Bullinger 
in seinem Brief vom 31. Mai 1563 an Beza. O. C. XX Nr, 3959. 


33 33 


gekauft, schon schrieb am 6. auch Vergerio den Brief, den er ihm 
fiir den Herzog mitgeben wollte, da scheint das Ausbleiben 
der Briefe des Brenz und Andreae fiir den Herzog ihn zu 
weiterem Bleiben bestimmt zu haben. Ja am 20. Februar 
ging er, von Vergerio an Bullinger empfohlen, noch nach 
Zürich"). Natürlich war er hier wie in Heidelberg den 
Theologen  hoehwillkommen?). Diese stimmten ihm zu, 
Bullinger entließ ihn mit einem warmen Brief an den Herzog 
und seine Räte. Die hohen Worte, mit denen er nach seiner 
Rückkehr in Tübingen die in Zürich gefundene Aufnahme 
rühmte, bestimmten auch drei der jungen lithauischen Barone 
mit ihrem Lehrer Zablocki, Bullinger aufzusuchen. Vergebens 
suchte der Züricher Theologe sie für seine Abendmahlslehre 
zu gewinnen. So gewandt vertrat Zablocki ihm gegenüber 
den lutherischen Standpunkt, daß Bullinger meinte seine 
Genfer Freunde, die er mit seinen Schülern gleichfalls auf- 
suchen wollte, vor ihm warnen zu müssen. „Prudentes este“ 8). 
Im März, fünf Monate bevor der ihm im vergangenen Jahre 
zugedachte Schüler Nikolaus Christoph Radziwill, der spätere 
Jerusalemfahrer, naeh Stuttgart kam‘), trat Weigel die 
Heimreise nach Königsberg an. 


Noch ein Brief des Herzogs Albrecht, der im März in 
Tübingen eintraf, empfahl Weigel dem Vergerio, aber andere 
Schreiben aus Preußen meldeten, daß Weigel angesichts des 
allgemeinen Widerspruches schwerlich in Königsberg werde 
bleiben kónnen?) Albrecht selbst wurde durch einen Brief 


1) Wotschke, Briefwechsel der Schweizer mit den Polen S. 166. 


2) Bullinger in seinem Tagebuch unter 1563: D. Georgius Weigelius, 
concionator principis Prusseni, venit huc mense Februario Stutgardia, 
ubi contulerat cum Brentio. Contulit et mecum de coena et consensit, 
Tulit a me literas ad principem eiusque consiliarios“. Vergl. auch 
seinen Brief an Calvin vom 20. April 1563. O: OC. XIX Nr. 3937. | 


$) In den Briefen vom 31. Mai 1563, O. C. XX Nr. 8959 und 3960 
*) Am 3. Aug. 1563 traf Radziwill in Stuttgart ein, am 9. August 
schrieb Herzog Christoph für ihn nach Straßburg. Von dort imAugust 1564 
durch die Pest vertrieben, kam er nach Tübingen und studierte hier 
bis zum August 1566. Am 4. Sept. 1566 sehen wir ihn bei Bullinger. 


5) Vel. Vergerios Schreiben an Herzog Christoph vom 31. März 1563, 
Schott und Kaulser S. 381. 


Arohiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4, 3 


34 34 


Herzog Christophs von Württemberg bedenklich2): So vertröstete 
er Weigel, als dieser Bericht erstattete, auf späteren Bescheid, 
gab solehen aber nicht, obwohl Weigel darum anhielt, Dafür 
forderten die Räte in Abwesenheit des Herzogs, als dieser 
im Juli in Kauen beim Könige weilte, von ihm Amts- 
niederlegung, und der Burggraf ließ ihm „fein spöttisch Dienst 
und Tisch absagen“?). Obwohl ihm eine „ehrliche Heirat“ 
in Königsberg angetragen war, verließ er jetzt Preußen und 
ging nach Lithauen. Hier hoffte er als Prediger Versorgung 
zu finden, hier hatte er durch die lithauischen Studenten in 
Tübingen neue Freunde gewonnen. Auf Grund der Briefe 
die er überbrachte, und der Berichte, die er erstattete, mag 
Wilna, den 26. September (1563) der Marschall Eustachius 
Wollowiez, seinen Neffen von der süddeutschen Hochschule 
abgerufen haben. Am 17. November bittet Weigel den 
Herzog um Entschuldigung, daß er ohne formelle Entlassung 
nach Wilna gezogen sei?) 

Radziwills jüngere Söhne Georg, Stanislaus und Albert 
waren erst acht, sieben und ein Jahr alt, sie brauchten zur 
Zeit noch keinen Gelehrten zum Erzieher. Erst Herbst 1566 
wurde für sie ein des Lateinischen, Deutschen und Polnischen 
kundiger Student gesucht‘), der die jungen Fürsten. nach 


E Vgl. Vergerios Brief vom 8. Sept. 1563 a. a. O. S. 394. 


?) ,Audimus, quod princeps suos theologos et nobiles in potestate 
non habeat" schrieb Ursin. 


*) Vgl. Wotschke, Culvensis S. 242 ff. 


*) Der Wilnaer Stadtvogt Augustin Rotundus schreibt Grodno, 
den 5. Angust 1567 an Hosius: ,De palatini Vilnensis filio ex Italia 
reverso constans hic fama est, ipse enim eum nondum vidi, catholi- 
cum esse factum. Quin et quae d. Mielieezki, palatini Podoliae filio, 
nupsit, eiusdem d. palatini Vilnensis maxima nata filia catholica esse 
facta dicitur in mariti catholici ex Lutheirano facti gratiam. Tres quo- 
que reliquae natu minores in domo insignis matronae d. Voinicensis 
educantur et eandem, quam domina Voinicensis profitetur, catholicam 
doctrinam profitentur.“ Am folgenden 13, September melet eraus Wilna: 
, Filii palatini Nesuesi sub praeceptoribus et paedagogis haereticis educan- 
tur, sed spes est eos quoque ad eatholicam ecclesiam redituros fratris 
sororumque exemplo." Doch hat Nikolaus Mielecki (T 5. Februar 1585) 
erst .viel später seinen evangelischen Glauben abgeschworen, Wohl 
hatte ihn schon 1569 Skarga zu bekehren gesucht, aber erst mehrere 


35 | | 36 


Leipzig begleiten konnte.) Seit Wintersemester 1570 sehen 
wir sie dann dort, wo der bekannte Arzt Simon Simonius 
aus Lucca ihre Studien leitete?) Der Fürst hatte für Weigel 
kein Amt, vielleicht trug dieser aueh nach dem, was er in 
Zürich über Blandrata und dessen Gönner Radziwill gehört 
hatte, Bedenken in seine Dienste zu treten. Tatsächlich 
hatten ja die Tritheisten den größten Einfluß auf Radziwill 
gewonnen, und nur der Tod bewahrte ihn davon, entschiedener 
Antitrinitarier zu werden. 


Da nahm ein anderer lithauischer Magnat Weigel in 
seine Dienste, Johann Chodkiewicz, der Hauptmann von 
Samogitien. Schon als Kind war dieser im Elternhause 
evangelisch erzogen worden, als Student hatte er 1547 in 
Königsberg, seit 1549 in Leipzig evangelisches Gemeinde- 
leben kennen gelernt, vorübergehend auch in Wittenberg 
dessen Matrikel seinen Namen allerdings nicht bietet, zu- 
sammen mit Stanislaus Warschewicki, dem Sohne des 


Jahre später gelang es Benedikt Herbst. Seine Gattin Elisabeth Radziwill, 
die große Bibelkennerin, die sich den Antitrinitariern angeschlossen 
hatte, kehrte 1593 in den Schoß-der römischen Kirche zurück. 

1) Am 29. Oktober 1566 bat Damian Nicossowius, den jungen 
Radziwill nach Deutschland begleiten zu dürfen, Er erhült den Bescheid: 
„t. D. wollen zufrieden sein, daß er mit des Radziwills Sohne hinausziehe 
und seine studia prosequire, doch daß er mit des Rektors Vorwissen 
&bscheide und ihrer fürstl. Durchlaucht oder nachkommender Herr- 
schaft hernach vor anderen Herren diene, sich auch deshalb obligiere* 
Seine Verpflichtung bei Wotschkes Vergerios zweite Reise S, 317. Am 
7. Juli 1567 stellte auch Matthäus Motzarus, der den 6. März 1567 
noch um ein Stipendium gebeten hatte und gleichfalls mit jungen 
Lithauern nach Deutschland gehen wollte, einen Revers aus, nach 
drei Jahren nach Preußen zurückzukehren, doch vgl. Beilage III. 

*) 1572 kehrten die Brüder nach Lithauen zurück und wurden 
hier von Skarga, damals Rektor des Wilnaer Jesuitenkollegiums, für 
den Katholizismus gewonnen, nachdem ihr ältester Bruder schon 1567 
in Italien übergetreten war. Georg wurde 1581 nach Rückkehr von 
einer Reise naeh Italien Bischof von Wilna, dann Kardinal und Bischof 
von Krakau (} 21. Jan 1600 in Rom), Stanislaus richtete den Meg- 
gottesdienst in Olika wieder auf. Albrecht starb am 13. Juli 1592 als 
Marschall von Lithauen, zwei Monate nachdem er die Braut des Königs 
von Österreich nach Kr geleitet hatte. Skarga macht den Arianer 
Cikowskifür seinen Tod, der ob potionem quandam alchimisticam erfolgte 
verantwortlich. 

| ay 


36 36 


Warschauer Kastellans Johann Warschewicki, dem späteren 
Jesuiten!) auch zu Melanchthons Füßen gesessen’). Sein 
Vater, der Kastellan von Troki Hieronymus Chodkiewicz, 
war ein Gönner des Staphylus und hatte diesem gelegentlich 
seiner lithanischen Reise April 1549 manche Förderung 
erwiesen. 1556 empfahl ihm der Herzog Albrecht einen 
Prädikanten Matthias Virowitta, der in Königsberg studiert 
hatte und in Samogitien ein geistliches Amt suchte. Auch Gregor 
Chodkiewiez, das andere Haupt dieser hervorragenden lithau- 
ischen Magnatenfamilie, der Wilnaer Kastellan und Oberfeldherr 
(+ 1572), war ein Freund der Reformation, die er in seiner 
Jugend am Hofe Herzog Albrechts kennen und lieben gelernt 
hatte. Seinen Söhnen Andreas (geb. 1549) und Alexander 
(geb. 1550) gab er in Johann Mylius aus Liebenroda in 
Thüringen, dem namhaften Dichter der lateinischen Renaissance- 
poesie, dem Übersetzer von Luthers kleinem Katechismus 
ins Lateinische und Griechische und späteren Professor der 
hebräischen Sprache in Jena (f 3. Juli 1575), einen evange- 
lischen Erzieher. An den Königsberger Hof schickte er sie, 
daß sie dort unter den Edelknaben des Erbherzogs „Zucht 
und alle Tugend“ lernten, später aber auch an den kaiser- 


1) Geb. 1527. In Rom trat er 1567 zusammen mit Aquaviva in 
den Jesuitenorden ein, später arbeitete er in Rom, dann leitete er viele 
Jahre das Wilnaer und Lubliner Collegium und diente sechs Jahre 
der Königin Katharina von Schweden, der Jagellonin, als Beichtvater. 
Er starb am 3, Oktober 1591 in Krakau. Seine Übersetzung des 
Heliodor, welche 1555 in Antwerpen erschienen ist, ist datiert „Ex 
Warschewicze paterno rure 12. Cal. Aug. 1551“. 


2) Rostowski schreibt von Chodkiewicz in seiner Geschichte 
Lithauens: „Huic Varschevickius non modo notus erat, sed praecipua 
etiam familiaritate conitinctus ex eo iam tempore, quo ambo iuvenes 
olim Vitembergae famoso literarum et haeresis suae magistro Philippo 
Melanchthone usi essent." Der Neulateiner Johann Mylius sagt in seiner 
Elegie ad magnificum d, Joannem Chodeiewitium, Samogitiae praesidem: 


,Ut Linus Herculeum mollivit pectus in arte, 

Posset ut humano commodus esse gregi, 
Sie te Pierio madefecit fonte Melanchthon 

Cui similem nondum Teutonis ora tulit, 
Illius e labris suxisti dogmata certa, 

Regula quae vitae sancta fuere tibi“. 


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lichen Hof nach Wien. Hier ging ihnen verloren, was sie 
an evangelischer Erkenntnis besaßen. 

Eine Hauptaufgabe Weigels war, dem in Lithauen um 
sich greifenden Antitrinitarismus entgegenzuwirken. Selbst 
sein Freund Maczynski war zu ihm übergegangen ). Leider 
fließen die Nachrichten sehr spärlich, daß wir von Weigels 
Arbeit in den nächsten Jahren, von seinem Leben überhaupt 
fast nichts wissen. Hat er den Führernder lithauischen Antitri- 
nitarier, einem Gonesius, Czechowicz, Maczyuski, Budny, 
Kryszkowski sich entgegen geworfen, dem Superintendenten 
Simon Zasius, dem Prediger Wedrogowski zur Seite gestanden? 
Hat er Bezas dogmatisches Sendschreiben vom 19. März 1565 
das sehnsüchtig erwartet im Laufe des Sommers in Lithauen 
endlich eintraf?), wider die Gegner ausgespielt? Hat er mit 
Lismanino verhandelt, den wir 1564 und 1565 von Königs- 
berg nach Lithauen reisen, Herbst 1565 gerade auch bei 
dem Marschall Georg Chodkiewicz sehen®). Hat Weigel 1564 
die Ehe seines Herrn mit Christiane, der Tochter des treu 
evangelischen Krakauer Wojewoden Martin Zborowski, der 


1) Wilna, den 13, Sept. 1567 schreibt Rotundus an Hosius: „Credo 
R. D. V. multo melius nobis scire, quam variis et horrendis sectis 
conspirent in Polonia haeretici, quae etiam ipsis haereticis non pro- 
bantur, uti ex hoc literarum cuiusdam J. Maczynski, prioris palatini 
Vilnensis scriba, qui ante sacramentarius fuit, nanc et trinitarius et 
anabaptista esse factus dicitur, exemplo ad Pazum episcopum, si dis 
placet, Kijoviensem scriptarum cognoscet. Vidi ego es legi Grodnae typis 
excusos Polonicos libellos, quibus magis blasphemum in dei filium Jesum 
Christam dici aat cogitari nihil potest ac ne dictum quidem aut cogi- 
tatum unquam ab ullis haereticis existimo, de quibus fortasse Maczynski 
in his litteris innuit. Tollitur enim in illis omnis omnium magistra- 
tuum autoritas, probatur libertas christiana, et rerum omnium com- 
munio instituitur, ordinum in eeclesia atque adeo in republica omne 
diserimen tollitur, ne ullum sit inter regem et populum, principes et 
subiectos, nobiles et plebeios“. Das Herrnhuter Archiv besitzt ein 
Schreiben Maezynskis vom 28, Febr. 1558 aus Wilna an den Pfarrer J ohann 
in Stawischin, in dem er sich günstig über die bOhmischen Brüder ausspricht. 

? Am 25. Mai 1565 befand es sich noch in den Händen des 
Radziwillschen Reisemarschalls Balthasar Lehwald in Tübingen. Am 
28. April 1550 hatte dieser Radziwillsche- Beamte einst die Leucorea 
bezogen, 

*) Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino. Zeitsch. d. hist. Gesell- 
schaft d. Prov. Posen 1903 S, 307. 


38 38 


jugendlichen Witwe oder nachgelassenen Braut des aben- 
teuernden Melanchthon- und Laskifreundes Jakob Heraklid 
Basilikus*) eingesegnet, getauft sein Sóhnlein Johann Karl, 
den späteren Kriegsmann und gewaltigen Feldherrn, dessen 
Siege über die Schweden bei Dorpat, Weißenstein und Kirch- 
holm ganz Europa aufmerken ließen? 


Der Kampf gegen die Antitrinitarier führte ihn mit dem 
großen reformierten Kämpfer Lithauens Andreas Volan zu- 
sammen, der 1531 in Neustadt bei Pinne (Provinz Posen) 
geboren war, 1544—1546 die Universität Frankfurt besucht 
hatte, darauf seinem Verwandten Hieronymus Quilecki nach 
Lithauen gefolgt war, seit dem 5. Oktober 1550 noch etwa 
drei Jahre in Königsberg studiert hatte und schließlich in 
Radziwills Dienste getreten war, nach dessen Tode 1565 
auf seinem LandguteBijuciszki bei Wilna lebte, soweit er nicht 
durch diplomatische Geschäfte in Anspruch genommen war. 
Vor allem aber trat Weigel Nikolaus Paz näher, der seit 
1555 Bischof von Kijew war.?) Er gewann ihn, den einzigen 
Bischof in Polen, der wirklich den Übertritt zur evangelischen 
Kirche vollzog,?) für die Reformation‘) und bestimmte ihn, 
gegen die Tritheisten das altkirchliche Dogma in einer 
neuen Schrift zu verteidigen. Vom 22. Juli 1566 vom General- 
konvent in Brest ist sie, die orthodoxa fidei confessio de una 
eademque dei patris, filii et spiritus sancti divinitate ac tribus 
personis, datiert. Ihr Verfasser gab ihr einen Brief?) Volans 
. vom 1. April 1565 über die drei Personen in Gott und die 
eine göttliche Essenz bei, Weigel eine empfehlende Beurteilung, 
ein Epigramm an den Leser und fromme Verse. An- 
fang Oktober 1566 sandte ihn Chodkiewiez von Kauen nach 
Königsberg, um dort durch die Daubmannsche Druckerei 


1) Vgl. Wotschke, Joh. Laski und der Abenteurer Heraklid 
Basilikus. Archiv XVII S. 57. 

2) 1583—1585, wo er starb, war erKastellan von Smolensk. 

*) Die Bischöfe von Kamieniecz, Leslau und Samogitien sympathi- 
sierten wohl mit der Reformation, mochten aber das Opfer eines Über- 
tritts nicht bringen. 

4) Janociana II, 201: „Pacius Georgii Wiceli occulti Zwingliani inter 
Poloniae ac Lithuaniae proceres annis superioribus versati maxime artibus 
irretitus uxorem dueit,“ 

5) „Datum in praediolo meo Bintiscano.“ 


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das Schriftchen zu veröffentlichen. Ein Empfehlungsschreiben 
des Chodkiewicz an den Herzog, bei dem dessen Schwager 
Petrus Zborowski im vergangenen August unter den polnischen 
Kommissaren erschienen war, förderte ihn, im November 
konnte er die Rückreise antreten.') 

In den folgenden Jahren mag Weigel vielfach mit 
Friedrich Holsten aus Bunzlau zusammen gelebt haben. 
Dieser hatte 1565 das Präzeptoramt bei dem in Leipzig 
studierenden Konstantin Chodkiewicz?) angenommen und war 
seinem Schüler nach Lithauen grfolgt. Erst 1569 kehrte 
er von dort nach Wittenberg zurück, um in den Jahren 1572 — 
1579 als Lehrer in den Brüdergemeinden zu Koschminek und 
Lissa noch einmal dem sarmatischen Osten zu dienen.?) 

Mit steigendem Befremden sah Chodkiewicz auf die seit 
1563schnell wachsende kirchliche Zerrüttung seines Landes. Zu 
den griechischen und römischen Katholiken waren Lutheraner 
und Reformierte getreten, ferner Tritheisten, welche die 
altkirchliche Trinitätslehre festhalten wollten ohne deren 
angeblichen Sabellianismus, Dystheisten, welche die Persönlich- 
keit des heiligen Geistes leugneten, Unitarier, Anabap- 
tisten. Welche Spaltung zeigte allein seine nächste Ver- 
wandtschaft! Von seinen Schwagern waren Johann v.Kurzbach‘) 
und Johann Zborowski gute Lutheraner, Peter Zborowski 
damals noch ein Gönner und Schutzfreund des Stancaro,”) 
der eine eigene Sekte gegründet hatte und gerade 1565 mit 
besonderem Nachdruck für sie warb, Andreas Zborowski seit 
seinem Wiener Aufenthalte, Sommer 1560,°) strenger Katholik, 
Samuel, der am 26. Mai 1584 in Krakau das Blutgeriist 


1) Vergl. Wotschke, Kulvensis 8. 250, 

?) Dieser Sohn des Georg Cb., des lithauischen Vorschneiders 
und Hauptmanns von Bielsk, studierte seit 1562 in Leipzig. 1563 hat 
ihm L. Camerarius seine Praecepta vitae gewidmet, 

3) Vergl. Wotschke, Graf Andreas von Lissa, S. 31. 

4) Gatte der Anna Zborowska. 

5) Vergl. Wotschke, Francesco Stancaro, S. 48. Peter Zborowski 
und seinem Bruder Samuel widmete später der reformierte Super- 
intendent Paul Gilowski seine Katechismusauslegung. 

6) Wintersemester 1557—1558 sehen wir ihn mit seinen Brüdern 
Samuel, Martin und Petrus in Frankfurt, seit dem 20. Januar 1561 in 
Wittenberg. Als er 1574 seine Hochzeit feierte, war König Heinrich 
sein Gast, 


40 40 


besteigen mußte, und Christoph Zborowski!) reformiert, doch 
bewarb sich letzterer 1567 um die Hand der griechisch- 
katholischen Schwester des Wojewoden Bogdan von der 
Moldau; seine Schwägerin Elisabeth heiratete allerdings erst 
September 1574 den bekannten Andreas Dudith, der sich 
viele Jahre zu den Unitariern gehalten hat. Unter dieser 
kirchlichen Zerrissenheit, die zugleich seine nächsten Ver- 
wandten spaltete, litt Chodkiewicz. Auf dem Reichstage zu 
Lublin, der am 8. Mai 1566 angehoben und auf den ihn 
Weigel begleitet hatte, hörte er mit tiefstem Unwillen be- 
sonders von dem Ansturm der Baptisten?) Alle staatliche 
und gesellschaftliche Ordnung schien ihm durch sie gefährdet. 
Gelegentlich seiner Rückkehr aus Lublin blieb er eine Nacht 
in Stoklisehki?) südöstlich von Kauen und genoß hier die 
Gastfreundschaft des gelehrten Wilnaer Stadtvogts Augustin 
Rotundus, den die Pest aus Lithauens Hauptstadt vertrieben 
hatte. Einst (seit April 1539) hatte dieser in Wittenberg 
zu Luthers und Melanchthons Füßen gesessen, längst aber 
den Weg zur alten Kirche zurückgefunden und sich wieder 
als deren eifriger Sohn gezeigt. In dem theologischen Ge- 
spräche, das sich beim Abendessen entspann, setzten er und 
zwei anwesende Mönche, namhafte Wilnaer Kanzelredner, 
Weigel hart zu. Auf Chodkiewiez machten ihre Einwendungen 
gegen die Reformation einen gewissen Eindruck, beim Auf- 
bruch suchte er einen der Mönche zum Feldprediger für sein 
livländisches Heer zu gewinnen. Als er im Mai 1567 nach 
Wilona zurückkehrte und hier bei einem Gastmahl etliche 
neuerungssüchtige reformierte Prediger hart anfuhr, äußerte 
er zu dem gleichfalls anwesenden Stadtvogt halb scherzend 
und halb wahr: „Hätte ich aus Stoklischki einen der Mönchs- 
prediger erhalten, ich wäre wohl heute schon Papist.“ Noch 
unsicherer wurde er in seiner evangelischen Überzeugung, 
3) Seit dem 18. Dezember 1565 in Heidelberg; der Vater Martin 
Zborowski war am 25, Februar d, J. gestorben. 

2) Vergl. Wotschke, Christoph Thretius, S. 51f. 

3) Unfern Stoklischki hatte das Evangelium in Rykonty, dem Be- 
sitze der Talwosz eine Stätte. Der lutherische Kastellan von Samo- 
gitien Nikolaus Talwosz (+ 1600) schickte seinen Sohn Adam, den 


späteren Hauptmann von Dünaburg (F 1628) zum Studium nach 
Deutschland. Am 21. Juni 1579 ließ er sich in Königsberg einschreiben. 


Al 41 


als jetzt auf des Rotundus Betreiben‘) auch Hosius Mahn- 
schreiben an ihn richtete, ihm seine Konfession sandte und die 
katholische Kirche als den alleinigen Glaubenshort pries?). 

Weigel war nicht der Mann, seinem schwankenden 
Herrn eine feste Stiitze zu sein. Schriften des Bischofs 
Lindanus und des Cölner Karthäusermönches Surius, die 
ihm Rotundus aus Wilna sandte, machten ihn selbst unsicher 
und schwankend. Schon am 28. Januar 1568 konnte er 
aus Wenden nördlich von Riga, wohin er den Truppen des 
Hauptmanns von Samogitien gefolgt war®), schreiben‘): 
„Libertas Lutherana pessumdabit Germaniam. Omnia sacra 
sunt prophanata et ad rudis plebeculae nutum atque volun- 
tatem ditorta, ut omnibus omnia liceant. Jam non amplius 
sustineo calvianus dici, etsi nec ante per omnia illi sectae 
addictus fui, tamen paulo melius de ea sensi qam nune, ubi video 
omnia plane sacra et humana violari et convelli. In hune finem 
semper collimarunt aliqui Gastoldiei Vilnenses religionis alio- 
. quin eontemptores*5). Die Bitte um Übersendung weiterer 
Schriften, die Weigel am Schlusse des Briefes an Rotundus 
richtete, fand natürlich beidem eifrigen Werber fiir die alte Kirche 
willige Aufnahme. Bald erreichte der Wilnaer Vogt bei Chod- 
kiewiez seinZiel. Seine letzten Bedenken überwand der Nuntius 
Francesco Commendone®), der Anfang Dezember 1571 wieder 
nach Polen kam. Um ihn für das evangelisehe Bekenntnis 
zurückzugewinnen, veranstaltete man eine Disputation über 
die Autorität der heiligen Schrift, an der außer Chodkiewiez 


1) Vgl. das Schreiben des Rotundus aus Grodno vom 3, August 1567 
an Hosius, E. S. Cyprian, Tabularium ecclesiae Romanae S. 444ff. 

*) Opera Hosii II, S. 242 findet sich die Antwort des Haupt- 
manns von Samogitien auf das erste Schreiben des Kardinals, das am 
29. Juni 1567 in seine Hinde gekommen war, S. 243 das zweite 
Schreiben vom 30. Oktober 1567 aus Heilsberg. 

3) Anfang 1568 belagerte Chodkiewicz vergeblich die Burg Ula, 
welche die Moskowiter unfern Polozk erbaut hatten. - 

*) Vgl. E. S. Cyprian, Tabularium eeclesiae Romanae 578 ff. 

5) Leider vermag ich nicht zu sagen, worauf Weigel hier anspielt, 
Der lithauische Kanzler Albert Gastold hat einst 1536ff, Abraham 
Culvensis unterstützt, ihm die Mittel zum Studium in Wittenberg und 
Italien gewährt. Aber von einem Anschluß dieser Familie an die 
Reformation ist nichts bekannt. Doch vergl. Corp. Refor. X, 7. 

6) Vgl. Gratian, de vita Commendoni S. 326 ff. 


42 | 4g 


sein Schwager Andreas Zborowski, dazu die evangelischen 
Wojewoden von Sendomir, Hohensalza, Brest, und viele 
andere teilnahmen. Der spanische Jesuit Franziskus Toletus’), 
der mit Commendone nach Polen gekommen war, verfocht die 
katholische. Lehre, der bekannte Jakob Niemojewski, der so 
oft mit römischen Theologen die Klinge gekreuzt, unterstützt 
von Stanislaus Drojewski?) die evangelische. Beide Parteien 
schrieben sich den Sieg zu?) Jedenfalls konnte die Dispu- 
tation Chodkiewiez Entschluß nicht rückgängig machen. 
Fortan bekundete er regen Konvertiteneifer. Bei der Krönung 
König Heinrichs arbeitete er z. B. mit allem Nachdruck im 
Sinne des Hosius, um den von der Warschauer Konfoederation 
geforderten Eid des Königs auf die pacta conventa, der 


1) Toletus starb als Kardinal in Rom am 14. Sept. 1596. 

*) Auch Drohojowski genannt. Dieser treu evangelische Kastellan 
von Przemysl, hatte am 20, Okt. 1542 die Leucorea bezogen, war dann 
nach Italien, 1547 nach Zürich und Straßburg gegangen. Mit Flacius, 
der ihn um Material für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten bat, 
stand er in Verbindung (vgl. seinen Brief vom 6. Juni 1556 bei Wotschke, 
Francesco Stancaro S. 33). Zur Drucklegung der polnischen Bibel- 
übersetzung stellte er Geld zur Verfügung, auf seinem Erbgute 
Drohojow und in Jacmierza (beide Orte liegen bei Sanok in Galizien) 
führte er die Reformation ein, Einige Jahre war er ein Gönner und 
Schutzherr Stancaros. Er starb bald nach 1580. — Der Matthias 
Stanislaus Drohojowski, der seit dem 21. Sept. 1607 in Heidelberg 
studierte, in demselben Jahre mit seinem Bruder Johann, den wir seit 
dem 16. Okt. 1611 in Leyden sehen, auch die Marburger Hochschule 
bezog, der Stanislaus Dr., der mit seinem Bruder Andreas seit April 1617 
in Herborn studierte, hier 1619 eine Disputation de prudentia et iustitia 
veröffentlichte, waren wohl seine Enkel, die Söhne des um die evan- 
gelische Kirche verdienten Kastellans von Sanok Johann Drohojowski, 
Der letztgenannte Stanislaus Dr. hat 1645 das Thorner Bekenntnis 
unterschrieben. Sein 1624 geborener Sohn Stanislaus studierte seit 
dem 5. Juli 1644 in Leyden, sein Sohn Andreas seit 1651 in Frankfurt 
Das Thorner Gymnasium besuchten seit 1648 die Brüder Christoph 
und Wladislaus Dr., ersterer ist der spätere Przemysler Bannerträger, 
der manche Synode, 1682 die zu Radzienezyn im Lubliner Lande, 
geleitet hat. 

3) Nähere Nachrichten über dies Religionsgespräch gibt ein Brief 
des Gratian an den zum Katholizismus übergetretenen Nikolaus Tomicki 
den Sohn des Gnesener Kastellans Johann Tomicki, aus Warschau vom 
2. April 1572. Als Trumpf gegen Niemojewski, der sich des Sieges 
rühmte, veröffentlichte die Gegenseite den Brief polnisch und lateinisch 
am 18. August 1580. Vgl. Scriptores rerum Polonicaram VII, 225. 


43 43 


Religionsfreiheit verbürgte, zu verhindern oder abzuschwächen!). 
Von den Gotteshäusern, in denen Chodkiewiez den römischen 
MeBgottesdienst wieder aufrichtete, seien die Kirchen in 
Martynow (in Wolhynien unfern Luzk) und Hnezna (unfern 
Wolkowischki), in der 1588 Chodkiewiez’ Gattin ihre letzte 
Ruhestätte fand, genannt?) Chodkiewiez selbst starb schon 
1578°). Von evangelischer Seite sind ihm noch 1574 von 
Nikolaus Rej, dem polnischen Hutten, und 1577 von 
Bernhard Gorecki Schriften zugeeignet worden. 

Trotz langen Schwankens blieb Weigel schließlich doch 
der Reformation treu. Dem Beispiele seines Herrn folgte ernicht- 
„Munera, dum vivo, tua, Leucoris alma, tenebo, 
Quaque decet memori mente fideque colam“, 
hatte er 1561 gelobt. In der Tat brannte die Liebe zur 
Reformationsstadt in seinem Herzen. Nach des Chodkiewicz 
Übertritt kehrte er nach Wittenberg zurück. Hier sehen 
wir ihn 1573. Jn das Studentenalbum*) des Claudius Textor 
aus Savoyen, der am 15. April 1564 sich an der Leucorea 
hatte einschreiben lassen, trägt er Matth. 5,10, dazu lateinische 
und griechische Verse über diesen Spruch ein. Es ist das 

letzte, was ich über ihn ermitteln konnte. 
I. Georg Weigel an Hérzog Albrecht. 

Gnadf, fridt vnd alle heilsame wolfart dureh Christum 
neben erpietung meiner alzeytt schuldigen, vnderthenigen. 
willigen vnd gehorsamen dienste vnd demütigem gebett zu 
gott beuor.  Gnedigster fürst vnd herr. Ich bin den 
24. Juni, an S. Johannis des täufers tag, gott lob frisch vnd 
— 1) Am 12. Dezember 1573 hatte Hosius deshalb an ihn geschrieben. 
Hosii opera II, 374ff. 

*) Das Gotteshaus in Szklow am Dniepr, eine der östlichsten 
reformierten Kirchen im Reformationsjahrhundert hat sein zweiter 
Sohn Alexander, der Wojewode von Troki, katholisiert. 

?) Februar 1578 gewann er noch den Rigaer Arzt Zacharias Slopius. 
den Bruder des Kottbuser Stadtschreibers Hieronymus Slopius für 
seine Dienste. Cichocki schreibt in den colloquia Osiecensia von Chod- 
kiewicz: „Vir sine controversia magnus, quem vulgus terrorem impro- 
borum hominum vocare consueverat, omnes fere haereses antea perva- 
satus tandem levitatem inconstantiamque fluctuantium dogmatum 
detestatus toto animo catholicam amplexus est religionem, in qua 
tuenda adeo profecit, ut palam solidis rationibus assertores istos novi 


evangelii impietatis convinceret,“ 
^) Im Besitze der Lutherhalle in Wittenberg. 


44 44 


gesundt gen Witeberg ankhomen vnd hab e. f. d. brieff eim 
jedlichen jn sonderheytt vnd D. Maiori brieff vnd die 100 fl. 
selbs treulich vnd fleiBig nach e. f. d. gnedigem beuelch über- 
antwortet, welche alle zu jrer zeytt sich gegen e. f. d. vnder- 
theniglich bedanekhen werden, insonderheit D. Maior, welcher 
mir sagt, jch khäme jm darumb gantz gelegener zeytt, weyll 
er morgen, daß ist den andern tag meiner ankhunft, seiner 
tochter, welche er eim jungen magistro," so nun jura studiret, 
verheirat, hochzeytt zu halten gedacht were. Herr D. Jonas 
war nit anheim, sonder wie jch von seim gemahel vnd 
letzlich von jme selbs verstanden, jn churfiirstlichen von 
Sachsen geschefften, welcher e. f. d. brieff mit hoher freude 
gelesen vnd sich meiner ankhunft zu e. f. d. mit mir tröstlich 
. erfreuet vnd wie sein brauch e. f. d. gnedigen willen, lust 
vnd lieb zum wort gottes mit merern worten exaggerirt vnd 
confirmirt hat, also daß jch, weiß gott, je lenger je mer von 
hertzen beger, einer solehen theologischen fiirstlichen per- 
sonen, welche incorruptam evangelii vocem et ipsius ministros 
lieb vnd werdt helt, ernert vnd promouiert, jn vnderthenik- 
heitt neher zu sein. Vnd khan auff e. f. d. mit grundt vnd 
warheit der spruch Esaiae 49. wol gezogen werden: „erunt 
reges nutritii tui et reginae nutrices tuae.“ Also khan vnd 
will dan der fromme gott solche christlichen frommen regenten 
mit frolichem mundt anreden psalmo 81.: „ego dixi, dii estis 
et filii excelsi omnes“. 


Hiemit, gnediger fürst vnd herr, schickh jeh e. f. d. 
zwey exemplaria der gehaltenen gedechtnus Philippi, darin 
die zwen verb stehen. Mich rewet es offt, daß jch von 
e. f. d. khein anleitung brieflein an meine herren von Nürn- 
berg (wie mir wol zu thun gebürt hett, aber auf vergessen 
vnderlassen) vndertheniglich begert vnd versucht habe, so 
hetten sie desto mer vrsach gehabt, mich maiori humanitate 
ét liberalitate von jnen zu lassen. Pitte hiemit den trewen 
lieben gott, er wölle e. f. d., derselben christlich lieb gemahl 
vnd junge herschafft jn langwiriger gesundtheit vnd glück- 
seligem regiment gnediglich erhalten vnd von allem übell 
leibs vnd seel bewaren. Amen. Thue mich derselben e. f. d. 
jn vndertheniekheit ganz vnd gar ergeben. Datum Witeberg, 
den 30. Junii anno Christi 1561. E. f. d. vndertheniger vnd 
gehorsamer Georgius Vueigelius. 


II. Georg Weigel an Martin Faber. 


Pereupio abs te cognoscere, humanissime mi d. M. 
Martine, quam feliciter Noribergam veneris et qua etiam 
nune valetudine quove successu fruaris, Gratulor tibi, si 
conditionem te dignam et tranquillam consecutus es. Ei 
dvaxoveig rag Aiyıöiw, quod omnino spero, amplissimam 

1) M, Joh. Purgold aus Eisenach, 


45 45 


habes occasionem contrahendi amicitiam cum Nentuuichio, 
viro optimo fratre mihi carissimo, tuo favore et benevolentia 
dignissimo. Hune ipsum, ne quid amicitiae nostrae desit, 
in meum locum interea statuo, qui sua morum suavitate et 
conditione facile efficiet, ut ipsius nomine et me arctius sis 
complexurus. Sic officiosus est, ut gaudeat sibi dari occasio- 
nem de quoque bene merendi, tam fidelis, ut prọximi magis 
salutem quam suam curet, adeo candidus et apertus, ut dissi- 
mulare pariteracsimularenesciatet, ut paucis dicam, sravagıorog, 
wokvwpeihg avijo qíAog ovvetdg te xoi eUvovc, ut Herodoti 
voce utar. Hune et meo et me ipsius nomine amabis, 
sumus enim idem corpus. Hie omnia adhuc salva sunt. Ad 
8. Augusti diem designati sunt magistri numero 33”), in quibus 
et nostri Gronus?) et Helmus?) erant. M. Schoppius 28. die 
Augusti suas celebravit nuptias satis solemniter, ad quas 
nos Noribergenses ferme omnes convenimus. Die Augusti 
14. obiit Elisabetha, filia D. Maioris natu media. Disputatio 
inter M. Vietorinum et lllyrieum interrupta est morte filioli 
prineipis Saxoniae Janfrideriei natu maioris. Doctor Maior 
paulo ante mortem filiae aegrotare coepit et huc usque gra- 
viter decubuit, nune melius habet, pro quo deum oramus, 
ne suam navieulam omnibus his gubernatoribus destituat; 
sed eam ipsam regat et doceat et subinde alios aliis nau- 
cleros subiungat. Rumuseulus hie est regem Galliae expediisse 
legatos ad caesarem de ablegandis nostris ad se theologis, 
ut cum ipsius conferant. Ita enim homines flagrare purioris, 
si quae praeter usitatam sit, doctrinae studio, ut si diutius 
recuset, periculum sit de tumultis. Plura alias. Bene 
vale. Vuittebergae raptim 1560 die Septembris 27. *) 


III. Matthäus Motzarus an den Kanzler 
Hans von Kreitzen. 

Quamquam, magnifice domine, nullis a me studiis laces- 
situs, multis tamen officiis a Tua M. D. sum eumulatus, pro 
quibus tantum me Taae M. D. debere intelligo, ut nuHis 
officiis, nulla opera, labore industriaque mea posse videar 
satisfacere. Quae quoniam ex aequo reponere non possum, 
referet M. D. Tuae hie, qui pietatis officia multo eum foenore 
Solet remetiri. Sie etiam per sexennium Alberti olim prin- 
eipis beneficiis usus sum, euius etiam munificentia ad culmen 
et fastigaum eruditionis in celebri hac academia Regiomontana 


1) Vgl. Kóstlin, die Baccalaurei und Magistri der Wittenberger 
philos. Fakultät 1548—1560 S. 23. 

? Melchior Gruen, seit Februar 1555 in Wittenberg, später Pro- 
fessor der Logik in Wittenberg. 

3) Melchior Helm, seit August 1557 in Wittenberg. 

4) Dieser Brief ist entnommen dem Codex Gothanus chart. A. 123, 
Bl, 277. 


46 46 
aspiravi'), et ubi doctrinae mediocris quandam cognitionem 
mihi comparaveram, alio me consensu eiusdem principis 
obligans me ad reversionem chirographo contuli,“ut Tua M. D. 
haud dubie habet in recenti memoria, praesertim cum per 
Tuam M. D. cum ill. principe de impetranda venia egi. 
Quoniam autem ultra terminum in chirographo?) expressum 
in peregrina vel exterranea natione moror, videtur et fides 
apud me naufragium fecisse et fructus ingenii mei non in 
obsequia suae celsitudinis sed aliunde divertisse, ideo non 
immerito macula ingratitudinis, quae mihi^ semper invisa 
detestataque est, videor nune notandus... Paucis attigi in 
literis meis ad ill. principem, quibus rationibus adductus 
peracta peregrinatione in regno Poloniae moror, nimirum 
quod mihi cuiusdam gymnasii curam eontra propriam volun- 
tatem a quodam magnate regio commissa est, quam iam 
deponere vellem, si ill. principis literae, quales in literis?) 
ad suam eelsitudinem expressi, advolabunt. Quam obrem 
Tuam M. D. submisse rogo, ut cum sua celsitudine hoc in 
meo negotio ita agat, quo ef sim apud suam celsitudinem 
excusatus, quod diutius iusto in peregrina natione ultra 


1) Motzarus stammte aus Lyck, hat in Königsberg studiert und 
1566 eine Rede de excubiis angelorum dem Herzog Albrecht gewidmet. 
Ende 1571 gewann ihn der Radziwillsche Hauptmann in Klezk, 
Hieronymus Makowiecki, der Frühjahr 1563 mit dem jungen Nikolaus 
Christoph Radziwill nach Straüburg gezogen war, damals von dem be. 
kannten Unitarier Simon Budny gebeten war, Bullingers Ansicht über 
das zwischen der griechischen und römischen Kirche strittige „filioque“ 
einzuholen, der September 1568 von Tübingen über Stuttgart nach 
Lithauen zurückging, zum Leiter der Schule in Klezk (zwischen dem 
Eisenbahnknotenpunkt Baranowitschi und Sluzk). Innerhalb der von 
den unitarischen Predigern Thomas Falkonius und Simon Budny ge- 
leiteten Gemeinde hat er als lutherischer Lehrer gewirkt. Doch nur 
kurze Zeit. Die noch 1572 aus Leipzig zurückkehrenden Albrecht 
und Stanislaus Radziwill richteten wohl schon im nüchsten Jahre den 
Katholizismus in Klezk wieder auf. 

2) Vgl. oben S. 35. 

3) An den Herzog Albrecht Friedrich hatte Motzarus an dem- 
selben Tage geschrieben: ,Post longam iactationem fati, ubi me for- 
tuna tandem ex variis periculis emersisset, in optatum portum detulisset, 
duxi mihi in Polonia paululum respirandum. Et interea dum in aula 
regis Polonorum versor, opinione fortasse alicuius in me eruditionis 
quidam de proceribus Hieronimus Makovietius apud regem effecit, ut 
me suo gymnasio Klecensi praeficeret, quod, ne voluntati regiae videar 
cessisse, nefas mihi detractare iüdicavi concessique verum tantum 
in annum docendi munus, quod iam iuvante deo die natalitii Christi 
conficiam deponamque. Verum ne contra propriam voluntatem petiti- 
onibus eiusdem dni Hieronimi Makovietii, capitanei Klecensis, viri sane. 


47 47 


terminum in chyrographo datum maneo, etsimul hae literae, 
ut sim nimirum functione hae scholastica vacuus, mihi a sua 
celsitudine elargiantur, sine quibus deserere conditionem sine 
magna molestia et commotione eius, qui mihi eam iniunxit, 
non possum. 


Significavi etiam suae celsitudini brevibus, qualis esset 
rei publieae Polonorum status et quod ex tribus die epipha- 
niarum fieri deberet electio unaque ex his aut fratrem caesaris 
aut prineipem nostrum Prussiae aut ducis Moscorum filium 
proceres dominii in regnum substituere vellent. Exposui 
simul suae celsitudini meum consilium, quo pacto sua 


r 


celsitudo prae ceteris potiri regno Poloniae poterit, quod proeul. 


dubio ex literis meis ad suam celsitudinem haud obscure M. D. T. 
perspiciet. Si autem M. D. T. rationes consilii mei non 
omnino displieuerint, pergratissimum mihi T. M. D. fecerit, 
si prineipis nostri animum M. D. T. eo inflectat, ut huic consilio 
assentiat. Ego cum his proceribus, quos in literis meis ad 


suam celsitudinem memini, ita caufissime iuvante deo rem 


agam loco, tempore oceasioneque idonea, ut nulla inde suspitio 
nascatur, hanc suae celsitudinis voluntatem fuisse. Siill. princeps 
consilio acquievit, rogo T. M. D., ut quoque efficiat, ut sua 
celsitudo, saltem duo equi sunt mihi, alios duos, vestimenta, 
pecunias suppeditet, solomodo ut in aula horum procerum 


regni in quibus cardo totius regni versatur ef cum quibus. 


etiam mihi res erit, non inferior in omnibus ceteris eorum 
aulieis appaream. Hae vero impensae, si res ex voto ceciderit, 
quanto cum foenore revertantur, iuvante deo eventus ipse 
ostendet. Sed hae in re maturandum est, ut habeam spatium, 
quo in procerum animos insinuem, ut mihi rationes suarum 
sententiarum communicent, et hac naeta occasione eonveniente 
loco et tempore ad amplifieandas prineipis nostri laudes nec 
eonsilium nee studium meum deerit. 


Tua M. D. non gravetur mihi perseribere, qualis sit status 
reipublieae Prussiacae post ademptum nobis prineipem 
Albertum seniorem. Incerti enim rumores de ea apud nos 
vagantur, quare id certissimum existimabo, quiequid ex M.D. T. 
cognovero. Interim me meaque omnis generis obsequia 
M. D. Tua sibi commendata habeat. Datae ex Klecko 12. Novem- 
bris anno 1572. M. D. T. famulus obsequentissimus Matthaeus 
Motzarus. 


eruditi, succumbam et in sequentem annum onus et molestias gym- 


nasii sustineam, submisse T.'Celsitudinem obsecro, ut huic rei Tua. 


Celsitudo clementer occurat.^ Der Herzog möchte: ihn als seinen 
Untertanen und Stipendiaten heimrufen und bei Makowiecki seine 
Entlassung erwirken. Aus Dank würde er bei der bevorstehenden 
Königswahl die Stimmen der polnischen Großen auf ihn lenken. 


Die Urkundensammlung des Brettener 
Melanchthonhauses. 
Von Lic. Dr. Karl August Meißinger. 


Das Melanchthonhaus zu Bretten besitzt eine Sammlung 
von Urkunden aus der Reformationszeit, von der im Folgen- 
den Nachricht gegeben werden soll. 


Den Grundstock der Sammlung, der dann durch Ge- 
schenke von Sr.K.H. dem Großherzog Friedrich I. von Baden 
und von Herrn Studienrat Wörner in Bretten vermehrt wurde, 
bilden die aus dem Nachlaß Nikolaus Müllers in den 
Besitz des Hauses übergegangenen Urkunden. Das weitaus 
wertvollste Stück, die bisher einzige studentische Nachschrift 
aus der ersten Vorlesung Luthers über den Galaterbrief, hat 
Hans v. Schubert veröffentlicht (Luthers Vorlesung über 
den Galaterbrief 1516/17. Zum ersten Male herausgegeben 
von Hans von Schubert. Abhandlungen der Heidelberger 
Akademie der Wissenschaften, Stiftung Karl Lanz, Philo- 
sophisch-historische Klasse, 5. Abhandlung, Heidelberg 1918. — 
Dazu: Hans von Schubert und Karl Meißinger, Zu Luthers 
Vorlesungstätigkeit. Sitzungsberichte der Heidelberger 
Akademie der Wissenschaften usw. wie oben, 9. Abhandlung, 
Heidelberg 1920.) 

Den Rest der Sammlung machen Briefe und andere 
Urkunden aus der Reformationszeit aus. Diese habe ich im 
Auftrage des Vorstandes des Melanchthonvereins einer vor- 
làufigen Bearbeitung unterworfen. 

Naeh welchen Gesichtspunkten Nikolaus Müller bei 
Erwerbung der einzelnen Stücke verfahren ist, kann aus der 
Sammlung kaum vermutet werden, Äußerungen von ihm 
selbst scheinen darüber nicht vorzuliegen. Auf den ersten 
Blick kónnte man denken, es sei dem Reformationsforscher 
um nichts als ein Magazin von Handschriftenproben zu tun 


49 49 


gewesen; denn außer den Originalen finden sich Facsimilia 
und Photographien. Diese sind, ebenso wie die schon ander- 
weitig veröffentlichten Stücke, von der Bearbeitung aus- 
geschlossen worden. Bei den letzteren wurden lediglich 
Textvergleichungen vorgenommen. Hier sind die Ergebnisse: 

Nr. 18. Joh. Bugenhagen an Conrad Cordatus, Witten- 


berg, 25. II. 1530. Druck bei O. Vogt, Dr. Johannes Bugen- 
hagens Briefwechsel, S. 91ff, Nr. 36. 


Vogt 

Original nobis S. 91, Z. 5 vobis 
Turcam » 6 Turcos 
Saxonas „ 15 Saxones 
Einbeke „ 16 Eimbeck 
fuit hue ad fuit ad . 
illie S. 92 , 8 illis 
eiectionem „ 14 enectionem 
optima „ 19 operam 
propter „21 apud ` 
Lubecae „ 24 Lubeck 
praedicatur » 26 praedicans 
canuntur „ 27 canens 
von S. 93, „ 2 vom 
sehe darzu » 2 sieh darein 
irascetur „ 8 noscet 
Vrsalium „ 13 Vasalium 
papisticos „ 16 papisticas 


Nr. 19. Schluß eines Briefes von Phil. Melanehthon 
an Bürgermeister und Rat von Nürnberg, Wittenberg, 
25. XII. 1543. Druck Corp. Ref, V, 257. 

7.29 des Druckes ist vor „Vater“ „Gott“ einzusetzen. 


Nr. 57. Joh. Matthesius an Joachim Camerarius, 
Joachimstal 25.X11.1556. Druck bei Lösche, Joh. Matthesius 
Ba. U, S. 324, Nr. 127. 

a. a. O. Z. 16: cum vere etiam et veritati et Cliniae 
ex animo benevele. Original: cum vere sciam et 
veritati et Cliniae te ex usw. 

Bei näherem Zusehen findet sich, daß immerhin ein 
bestimmtes Interesse bei einer Reihe dieser Schriftstücke 
vorwaltet. Ein Blick auf das unten abgedruckte alphabetische 
Register lehrt zunächst, daß Joachim Camerarius und 
Georg Major als Absender oder Empfänger je mit einer 
längeren Reihe vertreten sind. Ferner findet man in dem 
Register Namen wie Hieronymus Baumgartner, Caspar 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1. 4 


50 50 


Cruciger, Paul Eber, Moritz Helling, Jacob Lechner, 
Caspar Peucer, Michael Röting, Esrom Riidinger, 
Georg Sabinus, Johann Stigel. Mit einem Wort ist 
es also der Kreis der Melanchthonianer, der in 
unserer Sammlung ausgiebig za Worte kommt, Der Prae- 
ceptor Germaniae steht im Hintergrund, und insofern ist die 
Sammlung gerade im Melanchthonhaus an ihrem rechten 
Ort. Von Nikolaus Müllers ausgebreiteten Melanchthonstudien 
her, die sich z. B. in den reichen Anmerkungen zu seiner 
Veröffentlichung „Melanchthons letzte Lebenstage, Heimgang 
und Bestattung“ (Leipzig 1910) kundgeben, ist die Bevor- 
zugung dieses Kreises von Reformationsmännern zu verstehen. 

Im Ganzen bleibt der Eindruck einer gewissen wahl- 
losen Buntheit. Müller scheint die Antiquariatskataloge nach 
Reformationsurkunden durchgesehen und alles, was von 
einigem Interesse sein konnte, an sich gezogen zu haben. 
Auch darin liegt noch ein Verdienst, denn im Handel ver- 
zettelt sich dieses Material immer mehr. 

Der größte Teil der Urkunden ist zwischen 1530 und 
1560 entstanden. Älter sind von den 71 Nummern 8 
(1508—1529), jünger 10, eine ist undatierbar. Von den 
Stücken nach 1560 fallen 9 in den Zeitraum bis 1596. 
Ganz außerhalb des Rahmens der übrigen Sammlung steht 
das zehnte, ein Schreiben von Martin Rasch(?) aus Ham- 
burg 1685, der als Nachrichtenagent eines baltischen(?) Herrn 
einen Bericht über ihm zu Ohren gekommene politische 
Nenigkeiten liefert. 

Ebenso fremd sind dem Stoffkreis der anderen Urkunden 
die Stücke Nr. 11 (eine Finanzverfügung Franz I. von Frank- 
reich) und 10 (Mahnung des Kaisers Ferdinand I. an Georg 
von Bitsch, betr. rückständige Steuerbeträge). 

Am meisten sticht der Name Luthers hervor, aber hier 
erwartet den Freund des Reformators eine Enttäuschung. 
Das Stück Nr. 14 scheint ein Stammbucheintrag zu sein, 
Für die Echtheit möchte ich mich nach gründlicher Ver- 
gleichung mit dem von mir gleichfalls untersuchten und nach 
Zweifeln für echt erkannten Bucheintrag, den die Frauk- 
furter Stadtbibliothek verwahrt, zwar einsetzen. Allein auch’ 
so ist das Blättchen ohne jede Bedeutung. Das Stück 43 


5l 51 


ist kein Autograph, sondern ein von Schreiberhand, ein- 
schließlich der Namen, geschriebenes Visitationsgutachten 
Luthers, Bugenhagens und Melanchthons über einen Gegen- 
stand von sehr geringem Belang. Die Urkunde Nr. 65 ist 
zwar ein echtes und ansehnliehes Autograph, aber auch nur 
für die Finanzgeschichte des Wittenberger Augustinerkonvents 
von Bedeutung, Endlich das Stück Nr. 65a ist eine völlig 
obskure Zusanimenstellung von Daten zu Luthers Leben. 
bis 1525, Müller vermutet Abschrift eines Originals von 
der Hand des Hieronymus Schurff. Irgendeine in 
diirfte dem Blatt nicht zukommen. 

Überhaupt dürfen weltbewegende Enthüllungen von der 
Durchforschunng dieser Urkunden nicht erwartet werden. 
Hingegen bieten sie eine Fülle interessanter Einzelheiten, 
und für Spezialforschungen mag sich manches Wichtige 
ergeben. Sich hierüber zu äußern, geht über den Zweck 
der gegenwärtigen Anzeige hinaus, Nur einige Züge sollen 
aus der Masse ausgewählt werden. | 

Camerarius (dessen künftiger Monograph an den 
Brettener Urkunden nicht vorbeigehen wird) ist z. B. nach 
Stück 32a und b in seiner Nürnberger Zeit englischer 
Agent — für einen Schulmeister nach unseren Begriffen ein 
wenig sonderbar; übrigens wissen wir von dem großen 
Straßburger Pädagogen Johann Sturm das Gleiche. Noch 
interessanter ist, daß das „Stipendium“, dessentwegen unser 
Humanist der englischen Krone diese Dienste leistet, in dem 
genannten Doppelstück eine so große Rolle spielt, daß alles 
übrige, freilich sehr geschickt, nur um diesen Hauptpunkt - 
herumkomponiert scheint, Den gleichen Eindruck, daß 
nämlich der gefeierte Humanist, der Sprößling einer hoch- 
angesehenen Bambergischen Familie, damals in Geldverlegen- 
heit ist, gewinnen wir aus dem undatierten, aber gleichfalls 
nach Nürnberg gerichteten Schreiben des Basler Humanisten 
Johann Sichard. Diesem hat sich Camerarius als Uber- 
getzer seiner exegetischen Arbeiten angeboten und sogar 
auf Nennung seines Namens auf dem Titel verzichten wollen. 
Der Hauptpunkt ist auch hier wieder das Honorar des Verlegers 
— wohl eine der frühesten Erwähnungen dieser damals 
noch neuen und von Vielen als bedenklich empfundenen 

4* 


52 | | 59 


Einrichtung. Bekanntlich hat Luther großen Wert darauf 
gelegt, daß er nie einen Heller für seine Schriften von 
seinen durch ihn zu reichen Leuten gewordenen Druckern 
bekommen habe, — darin gewiß ein Mann nach dem Herzen 
Schopenhauers, 

Eine höchst interessante Persönlichkeit ist der zum 
Protestantismus übergetretene Bischof und päpstliche Nuntius 
Paul Vergerius, der in dem Stück Nr. 28, einem Briefe 
von Georg Sabinus an den Brandenburgischen Rat Thomas 
Matthias, als Württembergischer Gesandter nach Nord- 
ostdeutschland auftaucht. Die Reise könnte mit der in der 
Allgemeinen Deutschen Biographie Bd. 39, S. 619, Z. 6ff. 
erwähnten identisch sein. 

Aus der Frühzeit der Religionsveränderung in Straßburg 
stammt ein kurzes undatiertes Schreiben des Caspar Hedio 
an Wolfgang Capito. Hedio schickt durch den berühmten 
Basler Drucker Proben seinem Freund einen Brief von 
einem Dritten, der an C. als Pfarrer von Jung-St. Peter 
adressiert ist. Hedio kennt Capito nur als Probst von 
st. Thomas, Stimmt die Adresse, so scherzt er, dann hast 
du demnach zwei Pfarren und kannst nach dem Gebot des 
Evangeliums dem eine geben, der keine hat. Das Stück, 
über dem es wie Frühlingshauch jener lebendigen Anfangs- 
jahre liegt, ist bestimmt auf Ostern 1524 zu datieren. Da- 
mals hatte die Gemeinde von Jung-St. Peter auf ziemlich 
gewalttätige Weise es eben durchgesetzt, den Probst von 
St. Thomas zu ihrem Pfarrer zu bekommen. 

Auch für Stadt- und Kulturgeschichte wird sich aus 
unserer Sammlung manches ergeben, so für Nürnberg, 
wo z. B. nach einem Briefe Majors von 1535 bei Immo- 
bilienverkäufen eine Steuer zu entrichten ist (Nr. 20, 3), 
und wo bei der Pest von 1533 Meldepflicht für jeden Sterbe- 
fall besteht (Camerarius, Nr. 32a, 8). Für die Witten- 
berger Stadtgeschichte ist z. B. der Brief Paul Ebers 
von 1552 von Interesse. Eber klagt über schwere Ein- 
quartierung (41, 2ff.). Es handelt.sich um die heimlichen 
Truppenansammlungen, die im Zusammenhang mit der 
Belagerung Magdeburgs dem Abfall des Kurfürsten Moritz 
vom Kaiser vorangingen. Eber erhofit Besserung von der 


53 | 53 


Rückkehr des damals abwesenden Melanchthon — ein 
kleines aber sehr deutliches Zeichen für das hohe An- 
sehen des Mannes. 


Ein gewisser Michael Römer (Romanus), der soeben 
eine Pfarre erhalten hat und die Welt in rosenroter Schminke 
sieht, rühmt 1550 die Einrichtung der Wittenberger Univer- 
sitätsprüfungen und Abgangszeugnisse (Nr. 48). 

Sehr interessant ist eine Wittenberger‘ Pfarrgehalts- 
quittang des Georg Major von 1544 (Nr. 5), wo die 
einzelnen Bezüge genau aufgezählt sind: Präbendenzins, 
Präsenz, Kapitelgeld, Wein- und Biergeld, Backgeld, Salz- 
geld, Obedienz, sowie Weizen und Korn in natura, alles als 
Stiftsherr des Altenburger Stifts. 


Einen Einblick in die Verhältnisse des Gothaer 
Kirchenkastens, deren Verworrenheit nicht zu den Ausnahmen 
gehört haben dürfte, erhalten wir aus einem Bericht des 
Justus Menius an seine Regierung (1547, Nr. 25). Von 
unzulänglichen Pfarr- und Schulgehältern, von Beitreibung 
außenstehender Gefälle usw. ist des öfteren die Rede. Ein 
Kenner dieser Finanzverhältnisse wird aus unseren Urkunden 
vieles lernen. 


Zu allgemeinerer Bedeutung erhebt sich weniges. Zu 
nennen wäre etwa die sehr ausführliche Instruktion des 
Kurfürsten August von Sachsen an seine Räte beim Reichs- 
tag zu Augsburg (1559). Dieses Schriftstück, weitaus das 
umfänglichste der Sammlung (Nr. 61) gibt einen sehr deut- 
lichen Begriff von den verwickelten Verhandlungen, die nach 
dem mißlungenen Frankfurter Rezeß sich zwischen den 
protestantischen Ständen hin- und herschleppten, und über- 
haupt von der heillosen Diplomatie, die sich der Glaubens- 
fragen bemächtigt hatte. 


Im folgenden sollen nun zwei dieser wichtigeren Ur- 
kunden abgedruckt werden. Die erste ist eine Visitations- 
vollmacht des Landgrafen Philipp d. Großm. v. Hessen für 
den hessischen Reformator Adam Kraft und seine Mitarbeiter 
Jost v. Weiters und Kraft Ruwe vom 27. Februar 1528. 


Walter Sohm in seinem trefflichen Buch „Territorium 
und Reformation in der hessischen Geschichte 1526—1555“ 


94 54 


erwähnt S. 52, Anm. 4 einen Visitationsbefehl, der mit dem 
unseren vielleieht identiseh ist. In diesem Fall würde sich 
die von ihm angenommene Chronologie der Visitation in 
der Oberen und Niederen Grafschaft Katzenelnbogen um ein 
ganzes Jahr zurückdatieren. 


Die Urkunde ist von einer Kanzleihand geschrieben und 
von Philipp eigenhändig gezeichnet. Das fehlende Siegel 
und die Aufschrift waren vermutlich auf dem in Verlust 
geratenen zweiten Blatt des Bogens. — 


Wir vonn gotts gnaden Philips Lantgraue zu 
Hessen Graue zu Caczenelnpogenn etc. fugen 
hie mit vnnserm vffnenn brieff menglich 

zu wiessenn, das wir gegenwärtigs denn 
Hochgelertenn wirdigenn vnnsern Capplan 
kamer diener lieben andechtigenn vnnd 
getreuwen Meyster adam Crafft vonn 

fuldaw Jostenn vonn Wyther vnnd crafft 

Ruwen vss gefertiget vnnd Inen beuolen 

habenn Inn vnnsernn Obernn vnnd nydern 
kaezenelnpogenn graueschafften dye geystlichen 
zw visitiernn, dye pfarhern allenthalben , 

dar ynn zw examiniern In massenn Jungst 

vor wyler zyt In vnnserm [sic] furstenthumen 
auch bescheen, dye vngeschicktenn vngelerten 
predigern zw eniseczenn, andere Cristliche 
Euangelisehe Lerer an der vndochtige entseczt[e] 
stadt zw ordiniern, die selbigenn zw refor- 
miern, vnnd vonn vnnsernt wegenn, hie 

vor gegebnen beuelch vss zurichtenn, zw 

vor sehenn vnnd zw volnfuren, wye sie des 
vonn vnnss bescheydt entpfangenn habenn 
Darumb wir hie mit allenn vnnd Jedenn 
pfarhern, pharuerwaltern Capellan vnnd 
geystlichenn guter besiczern, Auch allen vnsern 
amptleutenn Rentmeystern kellern rentsehrieb[ern] 
Schultheissen landtknechten vnnd beuelhabern, darz|w] 
allenn Burgemeystern Rathen, vnnd andern de[n] 
vnnsern die mit duessem' vnnserm brieff 

ersucht vnnd angelangt werdenn, ernstlich 


(Rückseite) 
gepietenn beuelhen vnnd wollenn das yr sampt vnnd 
besunder vff der gedachten vnnser abgefirtigtenn 


furnemen, begernn vnnd an synnen diess 
mals glieh als ob wyr selbs zu gegenn weren, 


55 | 55 


zuthun gleuben vnnd ir anbrengenn stadt geben, 
vnnd Inen zw solicher vonn vnnserntí wegenn vss- 
riehtung verseung vnnd volfurungk wie sie 

euch das anzeygenn werdenn, roitlich furderlich 
bestendig vnnd beuolenn, sie[sie| auch yhenen sampt 
denn Ihenen so sie mit sich bringenn vand 

haben werdenn, zimlich fueter vnnd Maell 
entrichten vnnd beczalen, vnnd euch In dem 

allem gehorsamlich haltet vnnd erzeyget Des 

woll [sic] wir vnns also zw Euch samptlieh vnnd , 
Jedenn In besunderheyt verlaessenn, vnnd nach 
gepurnis eynis yedenn Mans wirdenn vnnd 

Wesenn gunstliglieh zw beschulden vnnd In gnaden 
zw Erkennenn. geneygt seyn, Es beschicht hir 

an vnnser gnedich ernste zuuerlesich befelch 

vnnd meynung zw vrkundt vnther vnnserm 

hir vff gedruckten Secret Gebenn In vnser 

stadt Cassell am donnerstag Nach Dionisij 

Anno ete. xxvii] 


Philips L. z. H. ete. sseripsit. 


Von hohem persónliehem Interesse ist die folgende Ur- 
kunde, ein Brief Johann Friedrichs d. GroBm. aus der Zeit seiner 
trauervollen „custodia“. Einige seiner Anhänger haben sich 
mit einem Zauberkünstler eingelassen, der sich anheischich 
gemacht hat, durch seine Künste die Erledigung des Kur- 
fürsten aus der Haft zu bewirken. Der Kurfürst hat es 
abgelehnt auf solche dunklen Machenschaften einzugehen 
und den Mittlern heftige Vorwürfe gemacht, gegen die jene 
sich verteidigt haben. Auf dieses Schreiben antwortet Johann 
Friedrich: 


Vonn gots gnadenn Johans Fridrich Hertzog zu Sachsen der 
Eldter Landgraue zu Duringen vnd Marggraue zu 
Meissen ete. 


Liben rethe vnd getreuenn, Wir haben euer an vns gethanes 
schreibenn, dorinnen Ir auf jungste vnser euch gegebene 
antwurtt des furgebrachten kunstlers Rattschlag halbenn, 
euere endschuldigung furgewand habet, empfangen, vnd seines 
inhalts gelesen, Das wir nun den- 

selbigen radschlag mit Gott vnd gewissen vor gutt vnnd 
Christlich nitt erachten konnen, Sundern denselbigen vor 
abgottisch haltten; des habet Ir vnsere vnd aus Gottes wortt 
ergrundete vrsachen, aus derselbigen vnser antwurtt ver- 
standen, Des gemuts sein wir auch noch. ^ Vnd konnen 


56 | 56 


es abermals nitt anders dan darfur achten; haben aber 
.euer Personen; als die Ir es mitt vns vndterthenniglich vnd 
treulich meynett, vnd vns vnser beschwerunge gerne end- 
ledigett seghett; In diszem handel whol endschuldigen, Euch 
auch mitt solchem anziehen das es abgotterey vnd schwer- 
merey sey, nitt gemayntt, Sundern den meyster des 
wergks. Dann sol vnser sachen 
zu seinem guten bescheid vnd erledigung, wie wir zu Gott 
dem Almechtigen verhoffen, gereichen, So wirdett es sein 
Almechtikeitt, die wir darumb bitten, vnd gebeten, aber doch 
nichtt vf Creuter vnd derselbigen wirckung gesetzt sein wil, ver- 
leihen vnd schickenn, vnd dartzu der Key. Maiestet hertz (Bl.Ib) 
[n der 
handen es stehett, miltern, Vnd ob Ir whol 
anzaigett das er Justus Menius bemeltten Rattschlag mitt 
vor gutt angesehen, So zweiueln wir doch nitt, so er der 


Person 

vnd seines Rattschlags genugsam vnd grundlieh berichtett, 
vnd 

vermergktt was der heilige man Doctor Luther von solchen 
vnd 


dergleichen furgeben, gehalttenn, er als ain Theologus 
wurde sieh In solehe weltt hendel zurathenn nitt habenn 
bereden 
lassen, Sundern vil mher mitt Gott vnd seinem whortt, vnd 
was sein ambtt ist, bekommern, Sich auch In denen sachenn 
selbst wissen zubescheiden, Das man Gotte, vnd nitt Creaturn 
oder Creutern solle vertrauenn, vnd desselbigen hulf suchen 
vnd bitten. Es wurden auch alle erfarne vnd gelerte Medici 
wan sie gleich von Gottes wortt nichts wusten. solchen 
Fantaseyen | 
keinen Glauben geben, vnd ist kein lherer der Ertzney der 
auch authenticus where, der den sachen aynigen beifal 
geben 
wirdett. Setzen demnach vnser 
vertrauen vi Gott, vnd kein menschliche vernunfit, Dem 
wollen wir vermittelst seiner Gotlichen gnaden, wie Dauid 
sagtt stillhaltten. Der wirdett die seinen wie Petrus sagtt 
tzu | 
seiner zeitt, aus der Trubsahl, darmitt vnser Herrgott, vnns 
weiter nichtt, dan wir ertragen konnen, wissen zuerretten. 
vnd der ain gnedigs ende entweder hie In zeitlichem; oder 
Ihenem 
ewigen leben, mitt ewiger herlikeit, machen. vnd das(Bl.Ila) 
gebett viler Frommen Christen. vnd guethertzigen. so 
neben euch vor vns treulich betten, gnedigist erhorenn, 
Vnd haben euch solchs hinwider 


57 57 


gnediger maynunge nitt wollen bergen, Datum Augs- 
burgk den 26den Julii 1550 
Jo: Fridrich: der elder etc. 
m: prop: sst: 
Vnseren ambtleuten zu Wartburgk 
Creuzburgk vnd Gerstungen Rethen 
vnd liben getreuen Eberhardtenn 
von der Thann vnd Georgen vonn 
Harstall 


Worum es sich gehandelt hat, ist nicht auszumachen. 
Auch das neueste und ausfiihrlichste Werk über Johann 
Friedrich, G. Menz, Johann Friedrich d. Großm., 3 Bde. 
1904 ff. (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens I, 1—3) 
meldet nichts von dieser mysteriösen Geschichte, die wahr- 
scheinlich immer in Dunkel gehüllt bleiben wird. Was dem 
Stück seinen Wert gibt, sind vor allem die Äußerungen 
der echten und klaren Frömmigkeit des schwergeprüften 
Herrn. 


Katalog. 
Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung 
3 65 Major, Georg, Brief an Hieron. Baum- 
gartner L, Wittenberg, 26. März 1529. 
4 66 Ders., Brief an Justus Jonas d. A., Witten- 
berg, 17. März 1542. 
5 67 Ders., Quittung an Heinr. Forster, Witten- 
berg, 23. Nov. 1544. 
6 68 Ders., Brief an Hieron. Baumgartner I, 
Magdeburg, 1. Dez. (1546). 
7 69 Ders., Einzeichnung in einem Stammbuch, 
1. Nov. 1571. 
10 164 Ferdinand 1., Deutscher Kaiser, Brief an 
Georg, Grafen zu Bitsch, Prag, 
8. Aug. 1562. 
11 166 Franz I, König von Frankreich, Erlaß, 
Fontainebleau, 11. Dez. 1529. 
14 181 Luther, Martin, Einzeichnung in einem 
(Stamm-)Buch, 1544. 
15 181 Cruciger, Caspar L, griechische und latei- 


nische Verse, 


58 


Lfd. Nr. Inv. Nr. 


16 


17 


18 


19 


24 


30 


182 


183 


184 


300 


302 


306 bis 


303 


351 


304 


312 


337 


305 


361 


309 


317 


58 


Beschreibung 


- Chemnitz, Martin, Brief an Jakob Joveus(?) 


Hameln, 18. Aug. 1575. 


Chytraeus, David, Brief an Johann Lorbeer, 
Rostock, 22. Okt. 1582. 


Bugenhagen, Joh. L, Brief an Konrad 
Cordatus, Wittenberg, 25. Febr. 1530. 


Melanchthon, Phil, I, Schluß eines Briefes - 
an Biirgermeister und Rat zu Niirn- 
berg, Wittenberg, 25. Dez. 1543. 


Maior, Georg, Brief an Hieron. Baum- 
gartner I., Magdeburg, 16. April 1535. 


Ders., Brief an denselben, Magdeburg, 
4. Sept. 1534. 


Crueiger, Caspar I., Schluß eines Briefes 
an Veit Dietrich, Worms, 27.Nov.1540. 


Ders., Schluß einer exegetischen Ausführung, 
am Ende ps. 46, hebräisch, arabisch 
und griechisch. 


Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, 
Fürsten zu Henneberg, (Gotha), 
18. Aug. 1552. 

Ders., Brief (an Gregor Brück?), Gotha, 
26. Jan. 1547. 

Ders., Brief an Johann Friedrich d. M. und 
Johann Wilhelm, Herzöge v. Sachsen, 

" (Gotha), 23. Nov. 1548. 

Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog 
v. Preußen), Königsberg (1553?). 

Ders., Brief an Thomas Matthias, Frank- 
furt a. O., 18. April (1557 ?). 

Philipp d. Großmütige, Landgraf v. Hessen,, 
Visitationsvollmacht für Adam Crafft, 
Jost v. Wyther (= Weiter) und 
Crafft Ruwe, Cassel 1528. 

Cornarius, Janus, Brief an Joachim 
Camerarius I. (Zwickau), 1.März 1552 


59 

Lfd. Nr. Inv. Nr. 
31 315 
32a u. b 316 
33 318 
34 319 
35 320 
36 321 
37 322 
38 323 
39 324 
40 362 | 
41 327 
42 377 
43 328 
44 329 
45 330 


Beschreibung 

Camerarius, Joachim I, Brief an Matthias 
Garbitius Illyrieus (Leipzig), 30. März 
(1555). 

Ders., Konzept zweier Briefe, a) an einen 
englischen Wiirdentriger, b) an 
Thomas Cromwell, Nürnberg, 6. Sept. 
(1533). 

Fabrieius, Georg, Brief an Joachim 
Camerarius I., Beichlingen, 5. Juli 
1544. 

Gerbel, Nicolaus, Brief an Joachim Came- 
rarius I., Straßburg i. E., 16. Aug. 1541. 


" Myeonius, Friedrich, Brief an Johann, 


Kurfürsten v. Sachsen, Gotha 1530. 
Micyllus, Jakob, Brief an Joachim Came- 
rarius L, Heidelberg, 30. Nov. 1536. 
Praetorius, Abdias, Brief an Joachim 
Camerarius I, Frankfurt a. O., 
11. April 1559. 

Siehard, Johann, Brief an denselben. Basel. 

Stigel, Johann, Brief an Johann Friedrich: 
früheren Kurfürsten von Sachsen. 
Jena, 22. (?) Okt. 1549. 

Ders, Billet an einen  ernestinischen 
' Fürsten. | 
Eber, Paul, Brief an Joachim Camerarius L., 

Wittenberg, 8. Marz 1552. 

Ders, Widmung auf einem Titelblatt, an 
Johann Meier (naeh 1563). 

Luther, Martin, Bugenhagen, Johann und 
Melanchthon, Philipp, Brief an Johann 
Friedrich, Kurfürsten v. Sachsen, 
Wittenberg, 22. Juli 1539. 

Museulus, Wolfgang, Brief an Wolfgang 
Ampelander, Basel, 7. Jan. 1551. 

Sturm, Jakob, Brief an Ludwig d. J., Grafen 
zu Oettingen(?, Straßburg i. E, 7. 
Marz 1547. 


60 


Lfd. Nr. 
46 


56 


57 


59 


60 


Inv. Nr. 
331 


332 


364 


365 


60 


Beschreibung . 


Schurff, Hieron und Melanchthon, Philipp, 
Brief an Bürgermeister und (Rat in 
Neustadt a. O. Jena, 31. Dez. 
1527. 

Riidinger, Esrom, Brief an Joachim Came- 
rarius I. Zwickau, 23. Mai (1557.) 

Romanus, Michael, Brief an Bartholomäus 
Wolfhart, Wittenberg, 4. Okt. (1550.) 

Starschedel, Dietr. v, Brief an Johann 
v. Taubenheim, 28. Sept. 1531. 

Lechner, Jakob, Brief an Moritz Helling, 
Wittenberg, 12. März 1558. Abschr. 
Hieron. Baumgartners. 

Tetelbach, Johann, Brief ohne Adresse, 
Chemnitz, 1. Nov. (1554?). 

Osius, Hieronymus, Brief an Nikolaus Gallus, 
Ohne Datum. 

Fischer, Christoph, Brief an Joh. Flemmer 
Celle, 12. Mai 1590. 

Forster, Johann, Brief an Bürgermeister 
und Rat zu Kitzingen. Schleusingen, 
20. Juni 1546. 

Hedio, Kaspar, Brief an Wolfgang Fabricius 
Capito. (1524). 

Lotich, Peter IL, Brief an Erasmus Neu- 
stetter. Heidelberg, 23. Juli 1557. 
Mathesius, Johann, Brief an Joachim Came- 

rarius I., Joachimsthal, 25. Dez. 1556. . 

Friedrich ILL, der Weise, Kurfürst v. Sachsen, 
Brief an Philipp, Grafen zu Solms. 
Torgau, 20. Dez. 1508. 

Johann d. Beständige v. Sachsen, Brief an 
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg. 
Zwickau, 16. Mai 1518. 

Johann Friedrich d. Großmütige, Kurfürst 
von Sachsen, Brief an Eberhard 
v. d. Thann und Georg v. Harstall. 
Augsburg, 26. Juli 1550. 


61 61 
Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung 

61 368 August, Kurfürst v. Sachsen, Brief an Lud- 
wig, Grafen v. Eberstein und die 
andern kursächsischen Räte in Augs- 
burg. Dresden, 15. Febr. 1559. 

62 370 Wolfgang, Fürst v. Anhalt, Brief an Johann 
Friedrich d. M. und Johann Wilhelm, 
Herzöge v. Sachsen. 9. Jan. 1552. 

63 374 Georg Ernst, Graf v. Henneberg, Aus- 
führungen über die Zweinaturenlehre. 

64 378—390 Maior, Georg II. aus Nürnberg, Stammbuch- 

| blätter. 

65 185 Luther, Martin, als Prior des Wittenberger 
Augustinerkonventes, Schuldschein an 
Henning Göde, Wittenberg, 14. Aug. 
1515. 

65a 186 Ders.(?) Autobiographische Daten, s. o. S. 51. 

66 — Heshusius, Tilemann, Brief (an Johann 
Wilhelm, Herzog v. Sachsen) (1572?) 

67 -— Rasch (?), Martin, Brief an einen baltischen 

Herrn, = Dezember 1685. 

68 — Borcholt(en?), ^ Heinrich, Stammbuch - 
1586—1588. 

69 — Schnürlin, Johann, Stammbuch 1588 f. 

70 — (Wittenberger?) Stammbuchblatt 1558. 

71 — — 1596(?) 


Alphabetisches Register. 
* bedeutet Absender oder Empfänger von Briefen oder sonstige 
Urheber von Urkunden. 


(Mag.) Aegoceros, Joh., Hauslehrer bei Dr. Georg von 


Commerstad 37 
*(Albrecht, Herzog v. Preußen), Brief von Sabinus, 

Georg (1553?) 27 
Altenburg, Zusammenkunft des Fürsten Wolfgang v. An- 

halt mit den Herzögen Johann Friedrich d. M. 

und Johann Wilhelm v. Sachsen 62 
* Ampelander, Wolfgang, Brief v. u Wolfgang1551 44 
Mag. Aquila, Caspar 94. 


62 | 68 


Arnsnest(a), ev. Pfarrei 1539 43 


* August, Kurf. v. Sachsen, Instruktion an Ludwig 
Grafen v. Eberstein u. Gen. 1559 61 

Balthasar N., zum Kreise des Joachim Camerarius 
gehörig 31,6 


Behem, Andreas, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,7 
Beneekendorf, Joh. v. Helmstädter Stammbuch- 


eintrag 1588 68g 
* Baumgartner, Hieron. Brief v. Major, Georg 1529 3 
* ^ "^ ; , 1534 21 
ii » | » » ” . 1535 20 
Eo RS >» . », (1546) 6 
3 T 50,5 
* Bitsch, Georg Graf zu, Mahnbrief des Kaisers 
Ferdinand J. an, 1562 10 
* Borcholt(en?), Heinrich, Jenenser und Helmstädter | 
Stammbueh 1586 —1588 68 
Brandmüller, ( ) wohl in Basel um 1551 44,3 


Dr. Brendel, Zacharias, Jenenser Stammbucheintrag 1586 — 68 Í 
Bueretius s. Rindfleisch 

Bude(n?), Joh., ev. Pfarrer in Arnsnesta 1539 43 
(Buel), Eucherius, Wittenberger Stammbucheintrag 64,10 
* Bugenhagen u.*Gen, amtl. Schreiben an Kurf. Johann . 


Friedrich d. Großm. v. Saehseu 1539 43 
* Bugenhagen, Joh., Brief an Cordatus, Conrad 1530 18 
Bulemann ( ) wohl in Basel, um 1551 44,3 
Bulgarien, Fürstentum, abhängig von dem Woiwoden | 
v. Podolien 1533 32 b, 8 
* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an Cromwell, 
Thomas (1533) | 32b 
* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an einen eng- 
lischen Würdenträger (1533)  - 32a 
* Camerarius, Joachim, Brief an Garbitius Illyricus, 
| Matthias 1555 31 
* " " , von Cornarius, Janus 1552 30 
i - 2 »  , Eber, Paul 1552 41 
* " " | „  „ Fabricius, Georg 1544 33 
T Gerbel, Nikolaus 1541 34 


” ” » » 


* i Mathesius, Joh. 1556 57 


» ” 4 » 


63 63 


+ Camerarius, Joachim, Brief von Micyllus, Jac. 1536 36 


y » » ,  » ‘Praetorius, Abdias 1559 37 
s » » »., » Rüdinger, Esrom 1557 47 
* M 3 » y Sichbard, Joh. . 38 
” » | 50,6 

5 " als politiseher Agent der engl. 
Krone 1533 32a, 4; 32b, 4 

5 " Übersiedelung von Tübingen 
nach Leipzig 1541  — 34,3 | 
h s in Worms 1540 22,2 
* Capito, Wolfg., Brief von Hedio, rosie (1524) 55 
Chemnitz, Pest in, 1554 (?) 51,3 
* Chemnitz, Martin, Brief an Joveus (?), Jac. 1575 16 
Christoph, Herzog von Württemberg, Kirchenpolitik 1559 61,12 
* Chytraeus, David, Brief an Lorbeer, Joh. 1582 17 


Clarner, Paul, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,5 
Cóler, Hieron., Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,6 
Dr. Comat (Georg v. ?), Söhne des 37,2 
* Cordatus, Conrad, Brief von Bugenhagen, Joh. 1530 18 
Corfinius, Friedr., Helmstädter Stammbucheintrag 1588 68m 
* Cornarius, Janus, Brief an Camerarius, Joachim 1552 30 


Dr. Crakau, Kursächsischer Rat 1559 61,1 
* Cromwell, Thomas, Briefentwurf des Joachim 
Camerarius an, (1533) 32b 
” N 32 a, 3 
* Crueiger, Caspar I, Brief an Dietrich, Veit 1540 22 
= 5 " Stammbucbeintrag (?) 1544 15 
7 "E a‘ exegetische Ausführung 23 
Dachae (?) filius 47,3 
* Dietrich, Veit, Brief von Cruciger, Caspar 1540 22 
Dozue, (), Kanzleiverwandter des Königs Franz I v. 
Frankreich 1529 11 
* Eber, Paul, Brief an Camerarius, Joachim 1552 41 
„  Dedikation an Johann Meier aus Nürn- 
berg, nach 1563 | 42 
* Eberstein, Graf Ludwig v., kursächsischer Rat, u. 
Gen., Instruktion von Kurf. August 1559 61 


Eckhard, Georg 51,7 


64 64 


Eilenmair, Wolfg., Wittenberger Stammbucheintrag 1562 64,12 
Faber, Joachim, aus Magdeburg, Helmstädter Stamm- 


bucheintrag 1592 69c 
* Fabricius, Georg, Brief an Camerarius, Joachim 1544 33 
» " geistliche Oden 33,1 
n n (?) j 51,2 

* Ferdinand I. Deutscher Kaiser, Mahnbrief an Georg 
Grafen zu Bitsch 10 
i Balkanpolitik 1533 | 32b, 8 
* Fischer, Christoph, Brief an Flemmer, Johann 1590 51 
Biographisches 51,7 


"n 
Flacius Illyrieus, Matthias, Streit mit Justus Menius 50,7 
+ Flemmer, Johann, Pfarrer zu Hennefeld, Brief von 
Fischer, Christoph 1590 51 
* Forster, Heinrich, Schösser des Stifts Altenburg, 
Quittung von Maior, Georg 1544 5 


* Johann, Brief an Bürgermeister und Rat 

von Kitzingen 1546 54 
*FranzI., Konig von Frankreich, eine Finanzverfiigung1529 11 
Freder, Johann II. 17,2 


Friekelshausen im Hennebergischen, ev. Pfarrei 1559 48 

* Friedrich d. Weise, Kurf. v. Sachsen, Brief an Philipp 
Grafen zu Solms 1508 58 

Friedrich, Herzog zu Braunschweig u. Lüneburg, 
Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Joachim 


Karl) 681 
Frobenius, Johann 55 
* Gallus, Nikolaus, Brief von Osius, Hieron. 52 


* Garbitius, Matthias, Brief von Camerarius, Joachim 1555 31 
* Gerbel, Nikolaus, Brief an Camerarius, Joachim L, 1541 34 


Gochsheim, Schulze von 59 
Goldstein, Kilian 4, 3; 6, 4 
* Göde, Henning, Schuldversehreibung v.Mart.Luther1515 65 
Gotha, Kirchenkasten der Pfarrei 25 
Groß-Germersleben, protest. Pfarrei 1558 69e 
Gugel, (Christoph ?), zum Kreise des Joachim 

Camerarius in Nürnberg gehörig 38,7 
Halie, Georg 31,1 


Hameln, Superintentur 1575  . 16 


65 65 


*Harstall, Georg v. Brief von Johann Friedrich d. 


Großm. v. Sachsen 1550 60 
‚Hartung, Nikolaus, Pastor zu Groß-Germersleben, Helm- 
städter Stammbucheintrag 1588 | 69e 
* Hedio, Caspar, Brief an Capito, Wolfgang (1524) 55 
* Helling, Moritz, Brief von Lechner, Jae. 1558 50 
Helmstädter u. Jenenser Stamffnbuch des Heinrich 
Borcholt(en ?) 68 
* Henneberg, Georg Ernst Fürst zu, Br. v. Menius, 
Justus 1552 24 


* Henneberg, Georg Ernst Graf zu, Glaubensbekenntnis 63 
Henneberg, Veit Ulrich Truchsess v., Jenenser Stamm- 


bucheintrag | 68i 

T. ou Wilh. IV., Graf zu, Brief v. Johann d. 
Bestánd. v. Saehsen 59. 

* Heshusius, Thilemann, Brief (an Herzog Johann 
Wilhelm v. Sachsen) 1572 | 66 
Hofmann, (Christoph?) 47,3 
Honorieus, Georg, Helmstádter Stammbucheintrag 1588 69b 
Jena, Lateinschule 1549 39 


Jenenser u. Helmstädter Stammbuch des Heinrich Borcholten 68 
Joachim Karl, Herzog zu Braunsehweig und Lüneburg, 
Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Friedrich) 68k 
* Johann d. Bestündige, Kurf. v. Sachsen, Brief an 
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg 1518 59 
* Johann d. Beständige, Brief von Myconius, Friedrich, 1530 35 
* Johann Friedrich d. Grofmütige, Kurf. v. Sachsen, 
Brief an Eberhard v. d. Thann u. Georg v. 


Harstall 1550 E 60 

* Johann Friedrieh d. Grofmütige, Brief von Johann 
Stigel 1549 39 

» » » » „Ratschlag “ zur 

Befreiung des, aus kaiserlicher Haft 60 

* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Wolfgang, 
Fürsten v. Anhalt 1552 62 
* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Menius, Justus 1548 66 
" " M " Kirchenpolitik 1559 61,5 

* (Johann Wilhelm, Herzog v. Sachsen), Brief von Hes- 
husius, Thilemann (1572?) 66 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIX, 1. 5 


66 66 


* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von 


Menius, Justus 1548 26 
* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von 

Wolfgang, Fiirsten v. Anhalt 1552 62 
* Jonas, Justus d. A., Brief von Maior, Georg 1542 

» » „ Biographisches 6,3 

V jaseus (?), Jacob, Superintendent in Hameln 1575, 

Brief von Chemnitz, Martin 16 
lrenaeus, (Christoph?) 52,2 
Karl V., Balkanpolitik 1533 32b, 8 
Katzenelnbogen, Obere und Niedere Grafschaft, Kirchen- 

visitation 1528 29 
Keyser, Hans, ehemaliger krsthsisolior Hofkoch 35 
* Kitzingen, Biirgermeister u. Rat v., Brief von Forster, 

Joh., 1546 | 54 
* Kraft, Adam u. Gen., Visitationsvollmacht von Philipp d. 

Großm. v. Hessen 1528 29 
Kreß v. Kressenstein, Christoph, Ratsherr in Nürn- 

berg 1535 20, 2; 21,2 
Kuepacher, Kanzleiverwandter des Kaisers Ferdinand L, 

1562 10 
* Lechner, Jakob, Brief an Helling, Moritz 1558 50 

- »,  Ubersiedelung nach Nürnberg 

1558 50, 4, 5 
Leipold, Johann, aus Kitzingen, Stud. theol. 1546 54 


Leutzdorfer, Konrad, Prokurator d. Stifts Altenburg 1544 5 
Lickfett, Johann, aus Marienau in Preußen, Helm- 


städter Stammbucheintrag 1588 69d 
Livland, Einfall der Russen 1555 31,6 
* Lorbeer, Johann, Abt des Klosters Riddagshausen, 

Brief von Chytraeus, David 1582 17 
*Lotich, Peter IL, Brief an  Neustetter, Erasmus, 

gen. Sturmer 1557 56 
Ludwig XIL, König v. Frankreich, als Schuldner des 

Prinzen von Orenge 11 
* Luther, Martin, u. Gen, amtl. Schreiben an Johann 

Friedr. d. Großm. 1539 43 
* Luther, Martin(?), Autobiographische Daten 65a 
T xx , .Sehuldverschreibung an Henning Göde 

1515 65 


* Stammbucheintrag 1544 14 


5» 2 


67 67 


* Luther, Martin, brieflicher Scherz mit Conrad Cordatus 61 
Mai, Michael, Pedell in Wittenberg, Stammbucheintrag 


1561 64,9 
* Maior, Georg, Brief an Baumgartner, Hieron. 1529 3 
$e » » » » »" ” 1534 21 
= » | )» » 2» » 9 1535 20 
E » 4 ” 4 » (1546) 6 
MET - Quittung an Forster, Heinrich 1544 5 
5 2 " Brief an Jonas, Justus 1542 4 
» „ geplante Übersiedelung nach Nürn- 
berg 1546 63 — 
= » (zum Majoristischen Streit) 503 
» , . Pfarrgehalt in Wittenberg 1544 5 
" »,  Stammbucheintrag 1571 7 
S 5 IL, Stammbuch 1560—1562 64 
„ Johann 211 
ý , A Lemniea Carmina 52,9 
Marienau in Preußen 69d 


* Matthesius, Joh., Brief an Camerarius, Joachim 1556 57 
* Matthias, Thomas, Brief von Sabinus, Georg (1557?) 28 


Meienburg, Michael 51,7 

Meier, Johann, aus Nürnberg, Widmung v. Eber, Paul 42 
5 " ^ a Schluß eines Briefes an 

Bürgermeister u. Rat v. Nürnberg 1543 19 


* Melanehthon, Phil. L, u. Gen., amtl. Schreiben an Joh. 
Friedr. d. Großm. 1539 43 
í m » » Abwesenheit von Witten- 


berg, Marz 1552 41,3 
j " Reise naeh Zerbst (1546) 6,1 
" » Il, (1596?) 71 


Memmius, Conrad, Helmstädter Stammbucheintrag 1588 &8a 
*Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, Fürsten zu 


Henneberg 1552 24 
5 » Brief an (Gregor Brück?) 25 
" " »  » an Joh. Friedr. d. M. v. Sachsen 26 
‘ » Streit mit Flacius Illyrieus, Matthias 50,2 
" beteiligt bei einem „Ratschlag“ zur 
Béfscinis des Kurfürsten Joh. Friedrich d. GroBm. 
aus kaiserlicher Haft 1552 60,4 


B® 


68 68 
Meurer (Wolfgang?) 33,2 
Michel N., in Neustadt a, O. gefangen 46 


+ Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36 
Monthaborn (?) Christoph, engliseher Gesandter in 


Deutsehland 1533 32a, 5; 32b, 3 
* Musculus, Wolfgang, Brief an Ampelander, Woli- 
gang 1551 44 
* Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36 
* „ Ablehnung eines Rufes an die Univ. 
"Tübingen 1536 36 
. *Myconius, Friedrich, Brief an Joh. d. Bestándig. 1530 35 
" Amtstitigkeit in Gotha 25,1 
Minds v. Frundeck, Heinr. Albrecht, Helmstädter 
Stammbucheintrag 1588  . 68h 
Nachtenhofer, Lorenz 55 
* Neustetter, Erasmus, gen. Sturmer, Brief von Lotich, 
Peter II. 1557 56 
* Nürnberg, Bürgermeister u. Rat v., Brief v. Melanchthon, 
Phil. I. 1543 19 
Nürnberg, Meldepflicht von Todesfällen beim Rat, ge- 
legentlich der Pest 1533 32a, 8 
P Pest in, 1533 32a, 5f. 
" Steuer bei Immobilienverkäufen 1533 20,3 
Orenge, Fürst von, als Gläubiger des Königs Ludwig XII. 
von Frankreieh 11 
Osiander, ( ), Diener des Joachim Camerarius (?) 32a, 1 
* Osius, Hieron., Brief an Gallus, Nicolaus 52 
* Oettingen (?), Ludwig d. J. Graf von, Brief von Sturm, 
Jacob 1547 45 
Petkum, Joh. v., aus Hamburg, Helmstädter Stammbuch- 
eintrag 1589 69a 
Peucer, Kaspar 47, 2; 50, 6 
Pfarrgehalt des Georg Maior in Wittenberg 1544 5 
Pforzheim, Fürstentag 1559 61,7 
* Philipp d. GroBm., Landgraf v. Hessen, Visitations- 
vollmaeht für Adam Kraft u. Gen. 1528 29 
Plankwald, Jobst, in Antwerpen 32a, 9 


Podolien, Woiwode von, Machinationen mit dem 
Türken 1533 32b, 8 


69 69 


* Praetorius, Abdias, Brief an Camerarius, Joachim 1559 37 
+ Rasch (?), Martin, in Hamburg, Brief an einen 


baltischen(?) Herrn 1685 67 
Mag. Reudenius, Ambrosius, Prof. in Jena (Amts- 

antritt 1572) 66 
Reichardt, Valentin, Witwe des Gothaer Pfarrers 26 


Rheinstein u. Blankenburg, Ernst Graf v., Helmstädter 
Stammbucheintrag 1588 68e 


- 7 Martin Graf v., desgl. 68b 
Biddasshansen b. Braunsehweig, Kloster 17 
i " Katalog der Aebte 17,4 
Riga, Belagorüng dureh die Russen 1555 31,6 
Rindfleisch (Bucretius), Daniel, Helmstüdter Stamm- 
bucheintrag 1589 68n 
Rolinger, Johann, Mag. Physicus | 51,7 
* Romanus, Michael, ev. Pfarrer in Frickelshausen, Brief 
an Wolfhart, Barthol, 1550 48 
Rosa, Johann, Mag., Prof. in Jena, Tod des, 1572 *66 
Röting (Michael L?) 50,6 
» ( », IL?) 50,6 


5 " „ Stammbucheintrag Wittenberg 1560 64,1 
* Rüdinger, Esrom, Brief an Camerarius, Joachim L, 1557 47 


i »  Stammbucheintrag (?) 15 

» 50,6 

er Kraft, hessischer Visitator 1528 29 
^ Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog v. 

Preußen) 1553 27 


- „ an Matthias, Thomas (1557?) 28 
Schaller: Hieron., Wittenberger Seammindcheintear 1561 64,11 
Schauenburg, Adolf Graf zu, ete., Wittenberger Stamm- 


bucheintrag 1560 64,4 
Scheggius (Jacob ?), zum Kreise des Joachim Camerarius 
gehörig 31,6 


Schellhammer, Joh., Wittenberger Stammbucheintrag1560 64,2 
Schmalkaldischer Krieg, Anfangsbewegungen der kaiser- 
lichen Truppen 45,4 
Schnerrer, Joh., Wittenberger Stammbucheintragum 1560 64,13 
Sehnürlin, Joh., aus Preußen, Helmstädter Stammbuch 
1588 ff. : 69 


70 70 


* Scurff, Hieron. u. Melanchthon, Phil., Brief an Bürger- 


meister u. Rat von Neustadt a. O. 1527 46 
Schweden, Bündnispolitik 1533 32b, 6f. 
Schwanter Adam, aus Zellheim, +1558 als Student in 

Wittenberg 70 
Scotus( — ), Professor an der Universität Frankfurt 1559 37,1 
Seld, Georg Sigismund 10 
*Sichard, Joh., Br. an Camerarius, Joachim 38 

s" » Kommentar zu Genesis u. Exodus 38,2 
Stibarus, (Daniel?) 38,1 
Dr. Simon, ( ) 17,3 
Dr. Sitzinger, kurpfilzischer Kanzler 1559 61,11 
* Solms, Philipp Graf zu, Brief von Kurf. Friedrich d. 

Weison 1508 58 
* Starschedel, Dietrich v. Brief an Johann v. Tauben- 

hain 1531 49 
*Stigel, Joh., Brief an einen ernestinischen Fürsten 40 
A r »  » Johann Friedrich d. Großm. 1549 39 
Straßburg, Akademie, leidet 1541 unter der Pest 34,4 

; Verhandlungen mit dem Kaiser 1547 (Schmal- 

kald. Krieg) 45,3 
Strigel, Victorinus, Mag., Lehrer an der Jenenser Latein- 

schule 1549 39,1 
* Sturm, Jacob, Brief an Ludwig d. J., Grafen von 

Oettingen (?) 1547 45 


» Joh., eine Ausgabe der Reden des, 1541 B 34,2 
Sturmer s. N Pu 
Sulzer, (Simon) 44.3 
Sygler ( ) (Jüdischer?) Getreidehändler in Dresden 49,2 
* Taubenhain, Joh. v., Brief von Starschedel, Dietrich v., 


1531 49 
* Tetelbach, Joh., Brief ohne Adr. (1554?) 51 
*v. d. Thann, Eberhard, Brief von Johann Friedrich 

d. GroBm. 1550 60 
Thannhausen, Jacob v., Jenenser Stammbucheintrag 1586 68d 

5 Sigismund v., desgl. 68e 
Thurn, Franz Graf v., Kaiserl Gesandter nach Kur- 

sachsen 1559 61,1f. 


Türken, Baugelder und Nothilfe zum Krieg wider die, 1562 10 


7i 741 


Vaughan, Stephan, englischer Gesandter in Deutsch- 


land 1533 32a, 5; 32b, 3 
Vergerius, Paulus, als Wiirttembergischer Gesandter 
naeh Preußen 1557 28 
Weiters, Jost v., hessischer Visitator 1528 29 
Wigand (Joh.?) 592,2 
Windruvius, Peter, Mag. 17,5 
Wittenberg, Universität, Bestehen akademischer 
Prüfungen 1550 48,4 
j lästige Einquartierung 1552 41,2 


* Wolfgang, Fürst von Anhalt, Brief an Johann Friedrich 
d. M. und Johann Wilhelm von Sachsen 1552 62 
* Wolfhart, Barthol., Superintendent in Schleusingen, 


Brief von Michael Romanus (1550) 48 
Worms, Religionsgespräch 1540 22 
Zirler, ( ) 56 
Zwingli, Ulrich, Enkel des Reformators 44,1 


Jeder Urkunde ist bei der Bearbeitung eine hand- 
schriftliche Inhaltsangabe beigefügt worden, nach der 
die Verwaltung des Melanchtonhauses bei Anfragen von 
auswärts jeweils vorläufige Auskunft geben kann. 


Notwendige Ergänzungen zu vorstehendem Verzeichnis 
wird eines der folgenden Hefte bringen. 


Mitteilungen. 


Neuerscheinungen. 


Mit gewandter Hand entwirft. K. P. Hasse ein für weitere 
Kreise bestimmtes farbenreiches Bild vom deutschen Humanismus 
(,Die deutsche Renaissance I. Teil: Ihre Begriindung durch den 
Humanismus“). Das Buch hat vor L. Geigers Darstellung besonders 
den Vorzug strafferer Zusammenfassung und größerer Abrundung 
voraus. Der Standpunkt des Verf. ist jedoch allzu einseitig vom 
humanistischen Ideal bestimmt, so wenn er Luther als einen kultur- 
feindlichen Barbaren zeichnet und dem (tief unter Nikolaus von Kues 
gestellten) Melanchthon, dem er es nicht verzeiht unter die Theologen 
gegangen zu sein, jegliche Orginalität des Geistes schlechthin abspricht, 
Ein 2. Band soll die ,Ausgestaltung der Renaissance durch Denker, 
Forscher und Künstler“ behandeln. Meerane i. S., E. R. Herzog 
439 S. Mk, 20.—. 

Herausgeber (O. Clemen) und Verleger (O. Harrassowitz) der 
1907 bis 1911 in 4 Bänden erschienenen Sammlung „Flugschriften 
aus den ersten Jahren der Reformation“ haben sich entschlossen, die 
Sammlung fortzusetzen als , Flugschriften aus der Refor- 
mationszeit“, also in weiterem Rahmen. Es sollen auch Flugschriften 
aus den vorbereitenden humanistischen Fehden, ebenso aus der Zeit 
vom Bauernkriege bis zu Luthers Tode und dem Schmalkaldischen 
Kriege Aufnahme finden, Die ersten vier unter Mitarbeit von 
A. Goetze von O. Clemen mit gewohnter Sorgfalt besorgten, 
mit Einleitung und knappen Erläuterungen versehenen Lieferungen 
enthalten zwei anonyme lutherische Augsburger Schriften von 1521 
(Weller, Rep. typogr. 1996 und 1997) den Ludus Sylvani Hessi 
(A. Corvinus) in defectionem G. Wicelii ad Papistas von 1534 und ein 
anonymes Wittenberger Epitaphium des ehrwürdigen . . M. Lutheri 
von 1546. Die Ausstattung ist vortrefflich; die Facsimile-Reproduk- 
tionen auf imitiertem alten Büttenpapier geben die Originale einschließ- 
lich der bildlichen Zutaten in denkbar treuester Art wieder und bieten 
eine Grundlage für mannigfache Untersuchungen der Texte. Leipzig 
Harrassowitz 1921. 

Erfreulicher Weise kann bereits die dritte Auflage des 1. Bandes 
von O. Scheel, Martin Luther angezeigt werden. Verf. hat 
den Text sorgsam durchgesehen, ohne Grund zu wesentlichen 


73 73 


Anderungen zu finden; die Anmerkungen dagegen sind um 15 Seiten 
angewachsen infolge der Auseinandersetzung des Verf. mit der neuesten 
Literatur, insbesondere mit Benary, zur Geschichte der Stadt und 
Universität Erfurt (S. 805—807) und A. V. Müller, Luthers Werdegang 
u. a. (S. 392 ff.) Tübingen, Mohr 1921 VIII, 340 $., M. 60. 


In „Der große Wormser Reichstag von 1521" 
herausgegeben zur 400jührigen Gedächtnisfeier im Auftrage des Frei- 
herr]. Paares Heyl zu Herrnsheim, bewegt sich P. Kalkoff auf 
seinem eigensten Gebiet. Er wendet sich hier an den größeren Kreis 
der Gebildeten, denen er zuerst die geschichtliche Bedeutung des 
Reichstags im allgemeinen verständlich macht, um dann dessen Verlauf, 
soweit es sich um die lutherische Frage handelt, in gedrungener, 
fesselnder Darstellung zu schildern. Den ganzen Hergang rückt Verf. 
unter den Gesichtspunkt des Kampfes zwischen der romanischen 
Staatskunst, die in Karl V. und den Päpstlichen verkörpert erscheint, 
und dem deutschen Geist; erringt jene — durch den Erlaß des ver- 
fassungswidrigen Wormser Edikts — zunächst einen Scheinerfolg, so ist 
der wahre Sieger nichts desto weniger der durch Luther befruchtete - 
deutsche Geist. Darmstadt, Joh. Waitz, 109 S. M. 25. 


Em.Hirsch ,Die Theologie des Andreas Osiander 
und ihre geschichtlichen Voraussetzungen“, hellt zunächst an der 
Hand der frühesten Schriften des O. dessen Werde- und Bildungsgang 
„um reformierten Theologen auf, wobei sich Beeinflußung durch Reuch- 
lin, besonders aber durch Luther herausstellt. Weiter wird unter- 
sucht, in welchen Punkten und unter welchen Einflüssen O's. Theologie 
später Umbildungen erfahren hat; wobei Verf. nachweist, daß mittels 
gewisser entlegener Studien und absonderlicher Liebhabereien des O. 
einige Ideen des Picus von Mirandula und aus der Kabbala, im 
besonderen dem Sohar, bei ihm Eingang gefunden haben und nun 
zusammen mit den Reuchlinischen Spekulationen über das Wort eine 
Art Weltanschauungshintergrund für das reformatorische Evangelium 
bilden. Von dieser Grundlage aus werden endlich die Probleme des 
Ösiandrischen Streits aufs neue gewürdigt (Rechtfertigungslehre, 
Frömmigkeit, Gottesbegriff) und die theologiegeschichtliche Bedeutung 
des Streits entwickelt. Als Beigaben folgen eine Untersuchung über 
die mißglückte Berufung nach Tübingen (1591) und bibliographische 
Nachträge, endlich Abdrücke der Vorrede O’s zu Copernicus’ de 
revolutionibus (1543), eines antiosiandrischen Chorals und Mörlins erster 
Kintrachtsformel. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, VIII. 
296 S. 1919 M. 15. 

Das Ein- und Durchdringen des Evangeliums in der kleinen 
fränkischen Stadt Windsheim, wiees Joh. Bergdolt in „Die 
freie Reichsstadt W. im Zeitalter der Ref.(1520—1570)* schildert, zeigt zwar 
wesentlich den gleichen Verlauf wie in zahlreichen anderen Gemein- 
wesen; gleichwohl folgt man der Darstellung des Verf., die auf 
breiter archivalischer Grundlage in das Leben und Treiben des ober- 


7 ! 
= 74 


deutschen Biirgertums jener großen Tage einführt, mit lebhafter Anteil- 
nahme. Auch fehlen nicht die eigentümlichen Züge, besonders in der 
Teilnahme hervorragender Persönlichkeiten wie Jakob Appels und des 
ehemaligen markgräflichen Kanzlers Georg Vogler. Ferner fallen von 
hier aus Streiflichter auf die Politik der Stadt Nürnberg, des Hauptes 
der fränkischen Städte, mit der Windsheim das engste Einvernehmen 
unterhielt. Unter den neun archivalischen Beilagen ragt Nr. 1, der 
Windsheimer Ratschlag von 1524, hervor. — Quellen u. Forsch. z. 
bayr. KG. herausgeg. von H. Jordan V. Leipzig, A. Deichert XIII, 305 S. 


In dem Helden seines Buches „Wolf Dietrich von 
Maxlrain und die Reformation in der Herrschaft Hohen- 
waldeck" entwirft W. Knappe ein ansprechendes Lebens- und 
Charakterbild eines mannhaften, ausdauernden Bekenners evangelischen 
Glaubens, der freilich vergebens gegen ein unentrinnbares Schicksal 
stritt, indem er zusehen mußte, wie das Bayern der Herzöge Albrechts V- 
und WilhelmsV. mit übermächtiger Gewalt die Gegenreformation in 
Hohenwaldeck;durehführte. Verf. hat sich bemüht, überall den größeren 
Zusammenhang, in erster Linie mit der bayerischen Politik, aufzu- 
suchen und somit im Rahmen der Geschichte Wolf Dietrichs und 
seiner Herrschaft ein Zeitbild aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts 
zu geben. Die Arbeit beruht auf den einschlägigen Akten der 
bayerischen Archive. Quellen u. Forsch. z. bayer. KG. herausgeg. von 
H. Jordan IV., Leipzig, Deichert 1920 V., 151 S., Mk. 12.—. 


Ein Werk deutschen Fleißes und deutschen Idealismns ist die 
Einführung der ReformationinLiv-, Est-und Kurland“ 
des baltischen Historikers Leonid Arbusow d. J., ein Werl: 
dessen Vollendung dem VRG. zu danken ist (über die Entstehungs- 
geschiche und die zu Grunde liegenden Materialien s. das Vorwort): 
Nicht eigentlich aus Deutschland eingeführt, aber durch das dort 
gegebene Beispiel in dem kerndeutschen baltischen Bürgertum ent- 
facht, ist die baltische Ref. hernach in das Fahrwasser der Witten: 
berger gelenkt und endlich unter deren Einfluß ausgebaut 
worden. Verf. verfolgt die Entwicklung im einzelnen bis etwa 1533. 
In der breiten und anschaulichen Ausmalung des Einzelverlaufs verliert 
er doch die größeren Zusammenhänge nicht aus dem Auge. Sehr 
lesenswert ist auch die ausf. Einleitung: Livland am Ausgang des 
Mittelalters. — Quellen und Forsch. zur RG. herausgeg. vom VRG. III. 
Leipzig, Heinsius 1921 XIX. 851 S., Mk. 70.—. 

A. L. Veit, Kirche und Kirchenreform in der 
Erzdiözese Mainz im Zeitalter der Glaubensspaltung und der 
beginnenden tridentinischen Reformation 1517—1618 (= Erl. u. Erg. 
zu Janssen G. d. d. V. X. 3), Herder, Freiburg i. Br. 1920 XIII, 98 
S., Mk. 25.— und Zuschläge —, beruht großenteils auf den bisher noch 
unbenutzten Mainzer Akten des Kreis- und des Bischöflichen Ordinats- 
archivs in Würzburg; auch wird ein sehr inhaltreicher Bericht des 
Nuntius Frangipani über Verhandlungen mit Erzbischof Woltgang 


75 75 


von Dalberg von 1575 aus dem Vat. Archiv verwertet. Verf. betrachtet 
getrennt die Stellung der Erzbischöfe, der Geistlichkeit und des 
Volkes, Leider wird die Verdienstlichkeit seiner Arbeit durch eine 
das Maß der Zulässigen bei wissenschaftlichen Schriften überschreitende 
konfessionelle Einseitigkeit und Gehässigkeit gegen alles, was mit dem 
Protestantismus zusammenhängt, beeinträchtigt. 

H. Preuss, Dürer, Michelangelo, Rembrandt, 
9. Aufl. Leipzig, Deichert 1921, 58 S., kl. 4° (= Lebensideale der 
Menschheit L). In den drei genannten Künstlern erblickt Preuss drei 
bestimmte Typen menschlichen Geisteslebens überhaupt, insbesondere 
des religiösen. In Dürer kommen die Eigentümlichkeiten des deutschen 
Volkes am reinsten zur Darstellung: Tiefe des Geistes, sonniger 
Humor, Freiheit des Gedankens, Ehrung des Alltags, innige Frömmig- 
keit. Noch mehr bedeutet es, daß Dürer künstlerisch vom Mittelalter 
zur Reformation kam, vom Stil der Unruhe der Sündenerkenntnis 
zum Stil der Ruhe des reformatorischen Hochgefiihls. Daß D. sich 
der Reformation Luthers anschloß, war selbstverstándlich; er hatte sie 
in seinem neuen, schon 1517 erschienenen Christusideal, das aus dem 
Jesus der zärtlich schwachen Minne und dem Christus der blutenden 
. Anklage den Jesus Christus des Glaubens, männlich und stark und 
erbarmend, den „lieben Herrn Christus“ Luthers, machte, gleichsam 
vorausverkündigt. Neben dem Protestantismus steht bei Dürer jedoch 
die Renaissance, beide feiern in seinem letzten Werk eine programm- 
mäßige Synthese; die vier Apostel sind ebenso lutherisch wie 
antikisch. — Bei Michelangelo verfolgt Preuss, wie, ohne daß er sich 
von der katholischen Kirche förmlich löste, das Schwergewicht seiner 
Frömmigkeit sich nach der evangelischen Seite des katholischen Um- 
kreises verlegt; seine Dichtungen und letzten plastischen Werke 
künden ein geläutertes Christentum. In Rembrandt endlich erkennt 
der Verf. einen der frühesten Vertreter des modernen Spiritualismus 
(,Individualspiritualismus^). R. steht auf der Linie, die sich vom 
Objektiven, geschichlich Gegebenen loslóst und den Menschen ganz auf 
Sich selbst stellt. 

L. Raitz v. Frentz S. J., Der ehrwürdige Kardinal Rob. 
Bellarmin, in der Sammlung „Jesuiten, Bilder großer Gottes- 
streiter^ zum 300, Todestag B's (+ 17. Sept. 1621) erschienen, ist ein 
Erbauungsbuch für Katholiken. XIV, 230 S., Freiburg in Br. Herder 1921 
Mk. 24.—, geb. Mk. 30.— mit Zuschlag. 


Aus Zeitschriften. 


Allgemeines. Q. Wehrung,  heformatorischer Glaube 
und deutscher Jdealismus (Studien z. sysemat. Theol, Festgabe f. 
Th. v. Häring S. 187—225) zeigt gegen Tröltsch und Anhang, welche 


16 76 


gewaltige Arbeit die Reformation für die Heraufführung der Neuzeit 
geleistet hat und wie sie noch heute als kraftspendende Macht neben 
dem deutschen Idealismus steht (vgl. G. v, Below in HZ. 125 S.355—857). 

C. Fabricius, Vom Luthertum zum Sozialismus 
versucht die Verbindungslinie zu ziehen, die diese beiden Erscheinungen 
der Geschichte durch die Jahrhunderte hindurch mit einander ver- 
bindet. Dem Verf. ist der Sozialist, der sich mit der gesamten 
Menschheit zu vereinigen trachtet, um in ihrem Schoße von über- 
mäßiger Arbeit auszuruhen, der weltliche Erbe des Lutheraners, der 
sich nach vergeblichen Mühen um Werkgerechtigkeit der für alle 
Menschen bestimmten göttlichen Gnade in die Arme wirft. Harnack- 
Ehrung S. 434—450. 

Den Ursprung, die Vorbereitungen und die ersten Kundgebungen 
der Reformation (bis 1523) stellt unter besonderer Berück- 
sichtigung des Anteils Frankreichs (Lefévre) und der Niederlande 
N. Weiß im Bull. de la Soc. de l'hist. du prot. francais 66 (1918) 
S. 178—232 dar. — Derselbe erörtert ebendort S, 97—125 unter dem 
Titel „L’ origine et les étapes historiques des droits de l’ homme et 
des peple“ den Einfluß der Reformation auf die individuelle 
und kollektive Freiheit. 

Aus den Ergebnissen der bibliographischen Aufnahmen der 
„Kommission zur Erforschung der G. d. Ref. und Gegenref.“ beginnt 
K. Schottenloher im ZblBw. 38 „Beiträge zur Bücher- 
kunde der Reformationszeit“ mitzuteilen. Er verbreitet 
sich über Joh. Lobmeyer von Würzburg und seine Druckwerke 
(1518—1525), den Landshuter Drucker Joh. Weissenburger (1513—36), 
den Rechtsgelehrten Leopold Dick als Publizisten (a. a. O. S. 20—338); 
ferner über Stephan Agricola als Übersetzer des Schwäbischen 
„Syngrammas“, eine versteckte Abendmahlschrift Michael Kellers von 
1525, die Evangeliensummmarien Pseudo-Luthers und ihren Heraus- 
geber Kaspar Bruschius (1544) und über Nik. Gallus den jüngeren 
(a, a. O. 67—78). 

Aus seltenen reformationsgeschichtlichen Druck- 
schriften (der Dresdner Landes- und der Zwickauer Ratsschulbibl.) 
teilt in ZKG. 39 (NF II) S. 88—92 O. Clemen mit 1. einen bisher 
unbemerkt gebliebenen Brief des Justus Jonas von 1553 an den 
als Professor der griechischen Sprache in Jena 1560 verstorbenen 
Johann Langer, Sohn des gleichnamigen ersten Koburger 
Superintendenten; 2. ein judicium von Melanchthon und ein 
Gedicht von Erasmus Alber (aus einer Schrift von Joh. Winnigstedt, 
Pfarrer zu Quedlinburg „wider die Kirchendiebe“ von 1560) und 
3. zwei Flugschriften Amsdorfs („Quod Italia sit barbara terra“ etc, 
und „Der Bapst, Bischoff und Cardinel die rechten Ketzer“ eto.). 

Als Subjekt der Rede in der Augustana stellt F, Katten- 
busch, gestützt auf die Anfangsorte „ecclesiae magno consensu apud 
nos doent" „ecclesiae apud nos“ fest: ThStK. 93 (1920/21) S, 115. f. 


77 77 


O. Clemen untersucht in ZHV. Niedersachsen 86, 1/2 S. 24— 31 
ein Neujahr 1546 erschienenes anonymes Schmähgedicht auf den 
gefangenen Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig, besonders 
dessen Abhängigkeit von Luthers bekanntem Brief vom 19. Dez. 1545 
und der ,Wahrhaftigen Contrafaktur Hz. H.’s“ von 1541 (Schade, 
Satiren I 80 ff). 


Vom Mennonistischen Lexikon herausgeg. von Chr. 
Hege und Chr. Neff (vgl. diese Zeitschr. XVI. S. 123) sind 1921 
die Lieferungen 9 und 10 (Dachser — Duchoborzen) erschienen 
S. 384—480. Besondere Beachtung verdient der sorgfältig gearbeitete 
Artikel Hans Denk (S. 401—415) von Neff; vgl. ferner: Deutche 
Theologie, Deutsches Reich, Adam, Franz und Siegmund von Dietrich- 
stein, die Mártyrer Dirks und Hans Donner, Dreieinigkeit. 


Luther. Über die Lutherforschung des letzten 
Jahrzehnts erstattet Preserved Smith in der Harvard 
theological Review XIV, 2 (April 1921) S. 108—135 einen gedrängten, 
sehr reiehhaltigen kritischen Bericht. Neben deutschen sind ameri- 
kanische, englische, französische, holländische, italienische usw. 
Erscheinungen herangezogen. Dem Verf. des Berichts selbst dankt 
die rfgschtl. Forschung außer anderen Beiträgen insbesondere dieHervor- 
ziehung von jetzt in Philadelphia befindlichen Reformatorenbriefen 
(Harvard th. R. 12; vgl. HZ. 120, 2 S. 370). 


In Weiterführung seiner früheren Versuche, das Bestehen 
einer schola Augustiniana im Mittelalter zu erweisen, deren Lehren 
dann in Luther neues Leben erhalten hätten, sucht V. A. Müller 
zu zeigen, daß der sel. Simon Fidati aus Cascia (+1348), Mitglied des 
Augustinerordens, Luther in entscheidender Weise beeinflußt habe: 
Una fonte ignota del sistema di Lutero (Il beato Fidati da Cascia e 
la sua teologia) = Bilychnis 1921 Nr. 2.— (54 S.). 


Die ThStK. geben das Heft 3/4 (1920/21) des Jahrg. 93 als 
drittes Lutherheft (Lutherana III) heraus. Den größten Raum 
nimmt ein: Der Gottesgedanke in Luthers Rómerbriefvorlesung von 
Fr. W. Schmidt (3. 117—245); ferner untersucht O. Albrecht 
S. 249—277 Mathias und Andreas Wanckels Sammlungen Lutherscher 
Buch- und Bibeleinzeiehnungen (auf Grund von V. E. Loeschers — 
Umschuld. Nachrichten 1712) unter Abdruck von zwei bisher unbe- 
kannten Stücken, die Matthias W. aufbewahrt hat. Sodann setzt sich 
A. V. Müller mit E. Hirsch über Luthers Eintritt ins Kloster (vgl. 
Lutherana I und II) auseinander (S. 278—285); den Schlu8 machen 
zwei Mitteilungen von O. Clemen: ,ein Zeugnis für die frühen 
(bis 1520 zurückgehenden) Beziehungen zwischen Holland und Witten- 
berg" (S. 286—293) und ,Luther und die Rüge der Sorbonne gegen 
Cajetan“ (S.294—304) auf Grund eines von Cl. aufgefundenen Witten- 
berger Druckes von 1534, dessen im Wortlaut mitgeteiltes Nachwort 
er Luther zuschreibt. 


78 78 


Aus den Veröffentlichungen der Wittenberger Luthergesell- 
schaft führen wir an den Beitrag des Ephorus der Lutherhalle 
J. Jordan Zur Geschichte des Lutherhauses nach 1564 I, Die 
Lutherwohnstube (Jahrbuch der LG. II/III, 1920/21 S. 109—135); 
das von G. Buch wald zusammengestellte , Lutherkalendarium für 1521“ 
(Mitteil. der LG. 1921, III S. 9—15); P. Althaus, Luther auf der 
Kanzel, Beobachtungen über die Form seiner Predigt (ebenda 
S. 17—24); G. Loesche, von Luthers Biographen [bis zu Joh. 
Mathesius] (ebenda S. 56— —63). Dazu kommen die Flugschriften 2 
(= J. Jordan, Luther und der Bann in seinen und seiner Zeitgenossen 
Aussagen); 3 (= H. Boehmer, L. und der 10. Dez. 1520, SA. aus 
Lutherjahrbueh II/III, 48 S.; vgl. diese Zeitschr. XVIII S. 56); 
4 (—J. Jordan, L. und der Rtg. zu Worms nach seinen eigenen 
Zeugnissen, 62 S). 


Uber Luthers Kirchenbegriff im Hinblick auf die gegen- 
wärtige kirchliche Krisis setzen sich E, Foerster und E. Troeltsch 
in ZThK. 28 (NF I) S. 108—123 auseinander. 


Luthers Ringen um das Gesamtverständnis des 3. Artikels 
behandelt J. Meyer in NkZ. 31 S, 359—376. 


Den Charakter des kleinen Katechismus Luthers bestimmt 
W. Bornemann dahin, daß L. in diesem Buche undogmatisches 
praktisches Christentum biete, und zwar nicht zufällig, sondern 
bewußt absichtlich, einen richtigen Instinkt mit genialer Intuition 
verbindend: Harnack-Ehrung S. 268—288 — Ebendort S. 281—291 
untersucht A, Köster die Frage nach der Spannung zwischen der 
Ethik Luthers und der des synoptischen Jesus. — Endlich handelt 
a. a. O. S. 292—307 H. Mulert von dem Kirchenbegriff der 
lutherischen Reformation auf Grund des Artikels 7 der AC. (ecclesia 
est congregatio sanctorum, in qua evangelium recte docetur). 


Luthers Stellung zur Frage der Pfarrbesoldung untersucht 
H. Steinlein in Nkirchl. Z., Aug. 1921 S. 433—450. L. betrachtete 
eine ausreichende Pfarrbesoldung als nicht unbillige Lebensbedingung 
für Kirche und Evangelium. 


In den „Kirchenmusikalischen Blättern“ Jahrgang 2 (1921) Nr. 8 
(,Lutherheft") bis 12 widmet H. Steinlein eine eingehende 
beachtenswerte Untersuchung der Frage: Ist das Lied „Ein feste 
Burg" schon1521 entstanden?, die er verneint, um, hauptsächlich auf 
das Schrifttum Luthers gegründet, als Entstehungszeit die Mitte des 
J. 1528 wahrscheinlich zu machen. 


Joh. Ficker, Hebräische Handpsalter Luthers (SB 
Heidelb. AkdW. philos.-histor. Kl. 1919, Abh, 5, 31 S.) legt die 
Rolle dar, die in Luthers Besitz der „Danziger“ und der „Frank- 
furter“ Psalter, besonders bei der Bibelübersetzung, senie haben. 
Mit zwei Tafeln. 


79 79 


Persönliches. Einige Bemerkungen zu den von Lemmens 
(„Aus  ungedruckten Franziskanerbriefen“) verwerteten Briefen 
Augustins von Alfeld, des bekannten Luthergegners, macht 
Fr. Loofs in ZVKG. Prov. Sachsen 18 S. 21—26. 

M. Wehrmann stellt in den Monatsbl der Ges. f. Pom. 
G. u. A. Nov. 1918 S. 41—43 die Nachrichten über den Aufenthalt 
des Herzogs Barnims XL in Wittenberg (1518—1520) kritisch 
zusammen und würdigt kurz die Wirkungen dieses Aufenthalts für 
die spätere kirchliche Haltung Barnims. 


Den Reformator von Pyritz in Pommern Faustinus Blenno 
/1487—1561) schildert Haß im Pyritzer Kreisblatt vom 30. und 
81. Oktober 1517. 


G. Bossert, Brenz und die Ritterschaft (BIL. f. Württ. KG. 
NF. 95 S. 70—74) zieht aus einem Pasquill von 1523 (Ein Gespräch 
eines Fuchs und Wolf... auf dem Steigerwald, bei Schade, Satiren 
und Pasquillen S. 60—72) beachtenswerte Schlüsse auf die Parteiungen 
in der Reichsritterschaft und Brenz (Predigers in Hall seit 1522) 
Stellung dazu. 


Drei Untersuchungen G. Geisenhofs über Antonius 
Corvinus behandeln die Frage des Universitätsstudiums des C., 
die genaue Zeit seiner Geburt und seinen Beinamen Zythogallus: 
ZGes. Nieders. KG. 1921 S. 26—140. 


Das Jahrb. der philos. Fak. der Univ. Halle-Wittenberg für 1920, 
Abt. I, S. 45—47 gibt Auszug aus der Dissertation von Curt Wulkau 
über das kirchliche Ideal des Johann Eberlin von Günzburg nach 
dessen Predigten und Schriften. 


In einer Abhandlung über „Erasmus und die Clevischen 
Kirchenordnungen von 1532/33“ geht J. Hashagen den äußeren 
Beziehungen des E. zur Clevischen Kirchenreform und seinem direkten 
wie indirekten Einfluß auf die Kirchenordnnngen nach, Die Unter- 
suchungen des Verf. rücken letztere in den breiteren Rahmen der 
Geschichte des allgemeinen vorjesuitischen Reform- oder KompromiB- 
Katholizismus. Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 181—220. 


Ein von ihm in der Wolfenbütteler Bibliothek handschriftlich in 
einer oberdeutschen Bearbeitung aufgefundenes, zweifellos ursprünglich 
niederdeutsch abgefaßtes Lied des 16. Jahrhunderts, das angeblich 
von Herzog Ernst dem Bekenner von Braunschweig-Lüneburg 
herrührt und sicherlich seiner Auffassung der Reformation entspricht, 
veröffentlicht P. Zimmermann in der überlieferten Form und in 
niederdeutscher Übersetzung im Braunschweiger Magazin 1921 Nr. 5,6 
S. 25—29, 

Im 4. seiner „Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrich II. 
von der Pfalz“ untersucht A. Hasenclever das Zustande- 
kommen der Vermählung des Pfalzgrafen mit Dorothea von Dänemark, 
der Nichte des Kaisers (1535), unter dem Gesichtspunkt der habs 


80 80 


burgischen Politik und bespricht die Folgen dieser Verbindung fiir 
das Verhältnis zwischen Friedrich und Karl. ZG. Oberrh. NF. 36 
S. 259—294. 

Der Versuch L. Theobalds, das bekannte Wort Frunds. 
bergs auf dem Wormser Rtg. als unhistorisch nachzuweisen, kann 
auch wenn andererseits sich dessen Geschiehtlichkeit nicht einwandfrei 
erweisen läßt, als gelungen nicht gelten, BBK. 27,4 S, 187—151. 

In Harnack-Ehrung $.308—316 untersucht H. Becker ,Zur 
Charakteristik Herzogs Georgs von Sachsen als kirchlicher 
Sehriftsteller^ die Abhandlung , Widder Luthers Trostung ann die 
Christen zu Hall vber er Georgen yhres Predigers todt,“ die einzige 
der unter Georgs Namen gehenden Schriften, von der der Orginal- 
entwurf — von Georgs Hand — vorliegt 

Einige Notitzen über den Nürnberger Exdominikaner Gallus 
Korn gibt O. Clemen in BBK. 27,4 S. 166—168. 

Simon Lemnius als Lyriker behandelt G, Ellinger in 
Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 221—233. Eine wilde unge- 
bändigte Natur mit heißen Trieben und leidenschaftlichem Begehren 
verkörpert Lemnius den Grundzug der neulateinischen Dichtung, der 
Individualität wieder zu ihren Rechte verholfen zu haben, in unge- 
wöhnlicher Stärke, freilich auch in abstoßender Weise. 

Auf Melanchthons Reise zum Wormser Kolloquium von 
1557 bezieht sich L. Kraft „Phil. Mel. in hessischem Reisegeleit“ in 
Beitr. z. hess. KG, = A. f. Hess. G. u. A, NF. Erg. Bd, VII, 3 8.445 f. 

Carla Weidemann behandelt in ZD. Philol. 48 S. 235 —9268 
Stephan Roth als Korrektor unter dem besonderen Gesichtspunkte 
zu zeigen, wie R. in dieser Tätigkeit der Verbreitung der Luther- 
sprache gedient habe, 

Aus der Gothaer Bibl. druckt in den Mitteil. d. Vereinigung f. 
Gothaische G. u. A. 1921 S. 1—90 R. Ehwald den Bericht des 
Hans von Sternberg, eines der Hauptträger reformatorischer Be- 
strebungen in Franken, über seine Palästinafahrt (1514) und Rechnungen 
und Dokumente über die Reise der Beauftragten Xurf. Johanns von 
Sachsen nach Valladolid zu Ks. Karl V (1527) mit Erläuterungen ab. 

Das Andenken des volkstümlichen, lutherischen Predigers Gregor 
Strigenitz, geb. 1548 in Meißen, T ebendort 1603, Predigers dort 
und in Wolkenstein, Weimar, Jena, Orlamünde, Verfassers von mehr 
als 50 weit veroreiteten Predigtbánden, erneuert F, Blanekmeister 
in Mitt. VG. Stadt Meissen X. 3, S. 263—279. 

In den Mansfelder BU. 33 S. 88—94 stellt P. Flemming 
die dürftigen Nachrichten über Dr. Val. Vigelius, den Nachfolger 
des C, Güttel als Superindendent in Eisleben (1542—1546) zusammen 
und gibt Listen der Rektoren dort 1525—1516 uud Notizen zu 
Lehrern nach 1546, 

(Schluß folgt im nächsten Heft.) 


Druck von C, Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen, 


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nu TOR RAFORUATONSGESTICHT. 


Im Auftrag des. Vereins für «2 
herausgegeben von l 


D. Walter Friedensburg. 


Nf. T4 XIX. Jahrgang. Heft 2 


= 


Das ‚Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402 | 
| und seine Lösung H — * 


von J. HattBleiter. 


Dietrich von Starschedel, ein Zeuge vom Wormser 
Reichstage 1521 


von E, Körner. 


Briefe aus den 16. Jahrhundert 
^ von G. Bossert 


Brentiana- und andere Reformatoria 
von W. Kohler. 


Mitteilungen 


G. Stuhlfauth, Zum Passional Christi und Antichristi, — 
,K. Schornbaum, Zum Briefwechsel Veit Dietrichs, — Neuerschei- 
nungen. — Zeitschriftenschau. 


M 


Leipzig 1922 
Verlag von M. Heinsius Nachfolger 
Eger. & Sievers. 


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^^ Komimissionsverlag von: E Heinsius Nachfolger. a 


m & Sievers in Leipzig. 
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. Quellen und Forschungen: 
— Zur Reformationsgeschichte E 


. (früher Studien zur Kultur und Sette der Reformation) 


Band I. 


. . Band IL 


Herausgegeben vom 


Verein für Reformationsgeschidite. 


Theodor Wotschke, Geschichte. dos Reformation i in Polen. 
8°, DIL, 316 x SL | AM 45,—. 


/ 


Paul Mestwerdt, Die. Anfänge des s Erasmus, Humanismus’ 
und „Devotio Moderna“. ` Mit einer  Lebensskizze von 
C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert.. 8°. 


[XXXI 343 $] | < M6, 67,50. 


Band III, 


Band IV. 


Band V. 


Leonid Arbusow, Die Einführung der Reformation in 
Liv-, Est- und Kurland, gr. 8°. [XIX, 851 S] .4 7 0,—; 
z x x é a 


Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation. 


' Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und, 


der Entscheidungsjahre. der -Reformation. (1517—1523.) - l 


gr. 8°. uv 60$] . c MO 


Neu! 4 | l , Neu! 


Otto Winckelmann, Das — der Stadt Straf- 3 


burg vor und nach der Reformation bis zum Anfang 


des 16. Jahrhunderts. 2 Teile in 1 Bde. [XVI, 208 und: 


301 S. mit 1 Plai] °° ^ — i ~A 150,— ` 


Das Ritsel der Gothaer Luther- 
Handschrift A 402 und seine Lösung. 


Ein Beitrag zur Tischredenforschung. 
Von J Haufleiter. 
(Schluß). 


Unter diesen Umständen erregt ein Sonderstück von 
Farrago, in dem das Ego des Tischgesellen begegnet, be- 
sondere Aufmerksamkeit. Ich teile zunächst das Stück mit; 
es lautet auf fol. 99, das lauter Ergänzungsstücke enthält, also: 

„In libris (rot) regum steht vil seltzams dings. 
Videntur esse libri simplices secundum carnem, aber in 
spiritu sindt sie gros. Es hat der liebe David vil mußen 
leiden, der Saul hat jn wol XXX gantzer jar geplagt, aber 
ipse eredidit ad se regnum pertinere, darauff ist er constanter 
blieben. Ich hett in die bruch (— in die Hosen) geschießen 
vnd wer davon gelauffen und hette gesagt: Herr, du leugest, 
sal (= soll) ich konig sein vnd sal also gemartert werden? 
Es wirt aueh den Saul sehr confirmirt haben ille successus. 
Aber David steht wie eine maur, ist daneben ein from man, 
wil die hand nieht an den konig legen und hets doch wol 
konnen thun, quia habuit verbum. Wenn sie verbum hatten, 
so schlugen sie drein. Dem folgte Munster (= Miinzer), 
sah, das David, Mose, Abraham vnd andere drein schlugen. 
Ja, es ist ein ander ding factum, aliud persona. Das erste 
isí verbum, das macht personam. persona macht das faetum, 
Darumb' gings jm auch also. O es ist ein gros ding, quando 
persona habet verbum, darauff thut sie alles. 

Tum alius (rot): David hatte Jonathan lieb, es muß ge- 
wis ein frommer man gewest sein. A, espondit (rot): Ja freilich 
wars ein from man, non sine fide etiam.  Videbat regnum 
ad Davidem pertinere. Darumb bat er jn, er wolt in vnd die 
seinen nicht ausrotten. Fecit etiam miracula Jonathan, do 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 2. 6 


82 2 


er mit seinem waffentreger vber den bergk steigk vnd schlug 
jr allein vil philister, dixit apud se: Der Gott, der mit vilen 
vberwindt, kan auch durch mich allein vberwinden. 

Tum ego (rot): Attamen misere periit. A, espondit (rot): 
Ja, so mus der fromme oft in ecclesia des bösen entgelten, 
wart doch Gottes sohn nicht vorschonet. Hoc maxime miror 
in historia Davidis, quomodo potuerit esse tam crudelis, 
quod Saulis reliquias adeo prorsus iusserit extirpare“ 
(vgl. dazu 2. Sam. 21, 5—9). | 

Merkwürdig ist die Einreihung des Stückes in den 
31. Abschnitt: De sanctis patribus post apostolos. Der Ab- 
schnitt beginnt f. 97 mit dem Hinweis auf doctores et patres 
wie Augustinus, Hieronymus, Hilarius, Ambrosius, Bonaventura 
und geht auf fol. 98b bis zu Johannes Huß vorwärts. Aber 
die sechs Stücke auf fol. 99 haben weder mit der Überschrift 
des Abschnitts eine Berührung noch unter sich einen Zu- 
sammenhang. Das erste Stück ist der kurze Satz: „Brevi- 
tatem et perspieuitatem kann ich nicht also zusammenbringen 
sieut Philippus et Amsdorffius“ (= Nr. 3173b). Dann folgt 
unser Stück; die letzten Stücke handeln vom Undank der 
Israeliten gegen Moses (= Nr. 6063 in.), vom Zeichen des 
Jonas in seiner Anwendung auf Christus (Nr. 3705), von Esau 
und Ismael (Nr. 5692) und von dem Schmerz Adams nach 
dem Fall (Nr. 5475). Man kann annehmen, daß der Schreiber 
auf eigene Faust diese Gruppe hier eingereiht hat, da in 
der Vorlage, die er abschrieb, ihre Verteilung auf bestimmte 
Abschnitte nicht angegeben war. So erklärt es sich dann 
auch, daß die Worte „Tum ego“ stehen geblieben sind. 
Der richtige Ort für das Davidstück wäre im 72. Abschnitt 
-De regibus Israel fol. 361 gewesen, wo mehrfach von David 
gehandelt wird. Am Schluß von fol. 99b stehen die Worte: 
Plura fo: 469. In der Tat wird dort der Abschnitt von 
„den heiligen Vätern“ (wie Bernhard, Gerson, Bonaventura usw.) 
in richtiger Weise fortgesetzt (fol. 469—470b). 

Das Sonderstück von David, das in keiner andern Hand- 
schrift, auch in keiner der Sammlungen Lauterbachs be- 
gegnet, hat Aurifaber aus Farr. übernommen; wir haben die 
Vorlage für Nr. 7003 (FB. 4, 427—60, 28) gefunden. Nun 
verblüfft hier zunächst die Wiedergabe des. Satzes: Tum ego: 


3 83 


Attamen (Jonathan) misere periit mit den Worten: ,,Darauf 
sagte M. Antonius Lauterbach: Er ist aber gleichwohl jämmer- 
lich umkommen.“ Nun kann aber keine Rede davon sein, daß 
Lauterbach, dessen Sammlungen nach ganz anderer Sach- 
ordnung eingeteilt sind, hinter Farr. steht; aber auch eine 
nachlässige Herübernahme des Ego-Stückes aus einer dritten 
Sammlung ist ausgeschlossen!) Wir können eben keine 
andere Niederschrift des Stückes nachweisen. Hier redet 
also wirklich der Sammler von Farr. Aurifabers Text er- 
klärt sich aus der Flüchtigkeit seiner Arbeitsweise, Weil 
die meisten Ego-Stücke in den Zwischenreden auf Lauter- 
bach zurückgehen, nahm er es ohne weiteres auch von diesem 
Stück an?) Aurifaber las ja mitunter so flüchtig, daß er 
dem Melanchthon (in Nr. 4016 — aus Lauterbachs Tage- 
buch auf 1538) eine höhnische Äußerung über die kirchliche 
Trauung von Eheleuten mit Gebet zuschrieb; er hatte in 
seiner Vorlage, in der als Urheber jenes Wortes D. Pist. 
d. h. Doctor Pistoris (Kanzler Georgs des Bärtigen von 1525/39) 
genannt war, das Wort Pist. als Phil. gelesen und so den 
Melanchthon mit einer Äußerung belastet, die jeder auf- 
merksame Leser nur mit Kopfschütteln betrachten kann 
(vgl. FB. 4, 53—43, 33). 

1) Bei genauer Durchsicht der Handschrift fanden sich noch 
folgende Ego-Stellen in Farr., von denen indes keine Sondereigentum 
der Handschrift ist: 

fol. 202, vgl. Nr. 868 (I, S.433, Z. 6, Anm. 10): Dixi ego et 
Forstenius; Z. 11, Anm. 18: Ad haec ego Anto,nius adieci. 

fol. 207, vgl. Nr. 2724b (II, S. 617 Z. 3): Deinde dixit ad me 
Antonium. An beiden Stellen wird also ausdrücklich Antonius 
Lauterbach als Gewährsmann bezeichnet. Zwei andere Stellen gehen 
auf Veit Dietrich zurück: fol. 222b, vgl. Nr. 45 (I, S. 16 Z. 1): 
Ibi cum dicerem, und fol 293, vgl. Nr. 3222b (III, S, 293 Z. 27): 
Ita vidi saepissime D. L, deambulando. — Endlich findet sich in einer 
in den Dezember 1537 fallenden Tischrede (aus A. Lauterbachs uud 
H. Wellers Nachschriften) der Satz: Postea nobis dixit — fol, 199b ; 
vgl. Nr. 3650b (III, S. 482 Z. 32), Aurifaber hat den Satz über- 
nommen: ,Darnach sagte er, D. Luther, uns“ (ebenda S, 483 Z. 13£.), 
Die Wendung: Ibi cum diceremus (I, S. 75 Z. 4) ist auch in Farr, 
f. 115 stehen geblieben. 

2) Das ist auch andern Sammlern begegnet. Von der eben an- 
geführten Außerung Veit Dietrichs Nr. 45 (I, S, 16 Z. 1): Ibi cum 
dicerem, heißt es in der Sammlung Khummer: Ibi cum diceret Antonius. 


6* 


84 4 

Aurifaber reiht das Sonderstiick von David in seinen 
60. Abschnitt ein „von Patriarchen und Propheten“ und bringt 
es als 28. (letztes) Stück.. Auch sonst hat er für dieses 
Kapitel unsere Handschrift reichlich benutzt. Die Stücke 
Nr. 19—23 (FB. 4, 422—424) haben in bunter Reihe die 
Überschriften: 19) Von Hiob und David, 20) Von Adam, 
21) Von Jakob, 22) Von Hagar, Abrahams Kebsweib, 
23) David ein Rhetor. Die Vorlage für diese fünf Stücke 
in der gleichen Reihenfolge findet sich Farr. fol. 463—464. 
Die Stücke 21) und 23) stehen überhaupt in keiner andern 
Tischredensammlung (vgl. W. A. VI, S. 317, Nr. 7000 u. 7001). 
Dem Hiob-Stück Nr. 19 geht in Farr. und ebenso in Heyden- 
reichs Nachschriften (V, S. 243, Nr. 5564) ein größeres Hiob- 
Stück voraus, daß Aurifaber übergeht. Das Adam-Stiick 
(Nr. 20) schließt bei Aurifaber ebenso wie in Farr.; bei 
Heydenreich ist ein Ausspruch über die Genesis hinzugefügt, 
den Farr. auf fol. 465 nachträgt (V, S. 200, Nr. 5505). Das 
Stück von Hagar (Nr. 22) zerfällt in zwei Teile; für den 
ersten Teil findet sich in der Münchener Handschrift Clm. 943, 
118 eine entfernte Parallele (V, S. 327, Nr. 5714); aber 
Aurifabers Wortlaut stimmt mit Farr. fol. 464, wo auch die 
Vorlage für die zweite Hälfte des Stückes steht. So ist kein 
Zweifel darüber möglich, daß Aurifaber wirklich aus der 
Handschrift Farr. geschöpft hat. 


V. 


Es mub der Versuch gemaeht werden, unter den uns 
bekannten Tischgenossen Luthers den Sammler von Farr. 
herauszufinden, Der Versuch ist aussichtsreich, da Aurifaber 
in der Vorrede seiner Tisehreden-Ausgabe unter seinen 
Quellen alle Tischgenossen nennt, deren Bücher ,, Colloquiorum “ 
er benutzt hat; es ist nicht anzunehmen, daß er den Sammler 
von Farr. übergangen hat, dessen handschriftlichem Bande 
er so zahlreiche Stücke entnommen hatte. Die Reihenfolge, 
in der vielleicht der Stürkegrad der Benutzung sich aus- 
drückt, ist folgende: M. Antonius Lauterbach, M. Veit 
Dietrich, M. Hieronymus Besold, auch M. Johann Schlagin- 
hauffen und M. Johannes Mathesius, item M. Georg Rórers 
Bücher, auch M. Johann Stolsii und M..Jacobi Webers ge- 


5 85 


schriebene Collectanea Colloquiorum, endlich Aurifabers 
eigene Aufzeichnungen (W. A. VI, XV; FB. 4, XXII). Die 
Auswahl ist nicht groß; man könnte vielleicht noch den 
von Mathesius in seiner Beschreibung der Tischgesell- 
schaft genannten M. Kaspar Heydenreich hinzufügen (Historien 
von Luthers Anfang usw., die 12. Predigt, Ausgabe von 
G. Loesche, 2. Aufl, 1906, S. 275). Heydenreich war, wie 
Kroker annimmt, in den Jahren 1542 und 1543 (bis 
24. Oktober) Tischgenosse im schwarzen Kloster, und die 
Reden aus dieser Zeit treten in Farr. besonders hervor. 
Nun findet sich aber fol. 269b—270b ein Trostbrief Luthers 
ad Casparum Heidenreich (vom 24. April 1545; Enders XVI 
209, Nr, 3505); wer so innerhalb der Sammlung eingeführt wird, 
scheidet als Sammler aus, Lauterbach und Veit Dietrich 
werden in Farr. öfters erwähnt (z. B. fol. 200b = Nr. 3143b 
Lutherus ait Antonio, vor den Worten W. A. III, S. 188 
Z. 6—14; fol. 190 = Nr. 3464m: Antonius Lauterbach 
dixit Luthero; fol. 24 = Nr. 750 (vgl. Nr. 373): Magister 
Vitus interrogavit dialectice usw.). Überdies liegen ihre 
und des Mathesius Sammlungen in besonderen Handschriften 
vor. Auch Schlaginhauffen und Rörer werden genannt 
(z. B. fol. 259 Luthjerus ad Schlaginhauffen: Esto bono 
animo etc, = Nr. 1288 in.; fol 47 Magister Georgius Rorer 
orabat ete. = Nr. 3591). So füllt alles Gewicht auf den 
von Aurifaber an dritter Stelle aufgeführten M. Hierony- 
mus Besold; indem wir ihn nennen, haben wir zugleich 
die Lösung des Rätsels auf dem Buchdeckel in der Hand. 
Die Buchstaben M.B. scheinen nichts anderes bedeuten zu 
sollen als Magister Besold. Man kónnte zwar an dem 
Fehlen des Vornamens Anstoß nehmen, der damals noch 
fast wichtiger war als der Familienname. Aber Besold 
redet in seinen Briefen doch nicht nur von M. Georgius 
(Rörer) oder M. Hieronymus (Schreiber), sondern gelegent- 
lich auch von M. Agricola, M. Floeeus, M. Vogel, M. Auri- 
faber, M. Reischacher usw. (Archiv f. Ref, Gesch 13. Jahr- 
gang, S. 89, 93, 112, 117, 120, 165, 170 und 185), Vielleicht 
kommen die in den Buchdeckel eingeprügten Buchstaben 
M.B. überhaupt lediglich auf Rechnung des Nürnberger 
Buchbinders. 


86 6 


Wir sind über diesen treuen Schüler der beiden 
Reformatoren, namentlich durch seine 33 Briefe an Veit 
Dietrich während der Jahre 1541—1546 (meist aus dem 
sog. Manuser. Thomasianum veröffentlicht von O. Albrecht 
und P. Flemming im 13. Jahrgang des Archivs für Ref. 
Gesch. 1916 S. 811f, S. 161ff.) und durch die zahlreichen 
(37) Briefe Melanchthons an ihn (im Corp. Ref.) sehr genau 
unterrichtet. Eines Kürschners Sohn aus Nürnberg, bezog 
er etwa 17jährig im Sommer 1537 die Universität Witten- 
berg (Album I S. 166); zu seinen Nürnberger Lehrern hatte 
Joachim Camerarius gehört. Am 26. März 1542 erlangte 
er durch Rórers Vermittlung Zulassung zu Luthers Tisch 
und blieb nun Tischgenosse im schwarzen Kloster bis zum 
23. Januar 1546, d, h. bis zu Luthers letzter Reise nach Eisleben. 
In Wittenberg hatte er am 31. Januar 1544 die Magister- 
würde erworben und war auch am 18. Oktober 1545 in das 
Kollegium der Artistenfakultät aufgenommen worden (Köstlin, 
Bace. und Mag. III, 15. 22). Nach Luthers Tod siedelte 
er in Melanchthons Haus über, kehrte aber nach Ausbruch 
des Schmalkaldischen Krieges am 2. November 1546 nach 
Nürnberg zurück. Dort war er gleichzeitig im Schul- und 
Kirchendienst tätig; mit der Zeit nahm er eine Art Super- 
intendentenstellung ein. Am 30. Januar 1548 heiratete er 
Osianders Tochter Katharina. Ihre Mutter war schon 1537 
gestorben; den  Trosfbrief, den damals Melanchthon an 
Osiander gerichtet hatte (10. August 1537; vgl. Corp. 
Ref. UI 405—407, Nr. 1602) nahm Besold in seine große 
Sammlung auf (Farr. fol. 278b—279). Ganz besonders 
verdient machte er sich nach Veit Dietrichs Tod durch 
Vollendung der Ausgabe von Luthers Genesisvorlesung, 
deren letzte Teile er selber gehört und nachgeschrieben . 
hatte; Teil II, III und IV erschienen in den Jahren 1550, 
1552 und 1554. Im Jahre 1551 stellte er aus seinen 
reichen Sammlungen, den eigenen und denen der Genossen, 
den großen Band Farrago zusammen. | 

Sein Briefwechsel ist noch nicht vollständig gesammelt. 
In der reichen handschriftlichen Sammlung der Camerarii 
der Münchener Dtaatsbibliothek befinden sich neun Besold- 
Briefe (sieben an seinen Lehrer Camerarius aus den 


7 | 87 


Jahren 1554—1558, einer an dessen Sohn Joachim 1558, einer 
an Johannes Heß 1551). Wir erfahren aus diesen Briefen, 
daß der Pfalzgraf Wolfgang, Herzog von Zweibrücken und 
Neuburg, ihn 1557 zur Feststellung der Zweibrückener 
Kirchenordnung und 1558 zur Kirchenvisitation in Zwei- 
brücken heranzog. Zu letzterem Dienst entschlob sieh der 
bescheidene Mann (,tenuitatis meae mihi conscius“) nur 
auf Zureden des Zweibriickener Kanzlers Sitzinger. Julius 
Ney in seiner Schrift über den Pfalzgrafen Wolfgang (Verein 
für Ref. Gesch., 1911, Schrift 106/107) erkannte in dem 
Nürnberger Pezold nieht unsern Besold (vgl. S. 115 Anm. 47). 
Während er sich früher Besold oder Besolt schrieb, erscheint 
in den Briefen der Jahre 1557 und 1558 nur die Schreibung 
Hiero. Pesolt, Ende Juni 1562 wurde er Prediger an 
S. Lorenz, starb aber bereits Anfang November 1562 an 
der Pest (Archiv Bd. 13, S. 81—86). — 

Unter den Tischreden Aurifabers, für die bisher noch 
keine Vorlage nachgewiesen werden konnte, befindet sich 
eine, in der Aurifaber ausdrücklich Besold erwähnt. Es ist 
Nr. 6586 (VI, S. 58 = FB. 1,285). Die Rede lautet: „Von 
dem Abgott Moloch redete Anno 1540 D. Luther (wie es 
M. Hieronymus Besold seliger fleißig hat aufgeschrieben), 
daß die hl. Schrift des Molochs oft gedächte, und daß Lyra 
und der Jüden Commentarii sagten, daß es wäre ein Abgott 
gewesen aus Kupfer und Messing gemacht wie ein Mensch, 
das die Hände hätte fur sich gehalten, darin hätte man 
glühende Kohlen gethan. Wenu nu das messinge Bilde gar 
heiß wär worden, so sei ein Vater hinzu gangen, hab dem 
Abgott geopfert und sein eigen Kind genommen, es in die 
glühenden Hände des Abgotts gelegt; da ist denn das Kind 
also zuschmolzen. Indeß haben sie mit Glocken und Zimbeln 
geklängelt und geläutet und mit Hörnern geblasen, daß die 
Aeltern des Kindes Geschrei nicht hóreten. Dawider schrien 
nu alle Propheten, sonderlich Jeremias. Und schreiben die 
Propheten, daß Ahab (!) hab seinen Sohn also geopfert 
(vgl. 2. Kön. 16, 3). Im 106. Psalm steht auch davon, 
Dieses ist Alles aus der Meinung geschehen und herkommen, 
daß sie gedacht haben: Ei, soll ich unserm Herrn Gott 
Opfern, so will ich ihm etwas Köstliches opfern, was soll 


‚88 | | 8 


ich ihm ein Kalb nes Ich will ihm meinen eigen Sohn 
opfern ! 

Es hat doch den Wert einer Probe aufs Exempel, wenn 
sich herausstellt, daß die Hauptvorlage für diesen Abschnitt 
in einem Sonderstück von Farr. zu finden ist. Das. Stück 
lautet auf fol. 53: 

„Traducere per ignem heist wie Achas thet (2. Kön. 16, 3), 
der ein gnedigen Gott wolt haben, es were Gott lieb oder 
leid, opfferte seine kinder. Lira schreibt, das sie haben ein 
bild gegoBen vnd das vol kolen gethan vnd die kolen an- 
gezundet, wanjn nhu das bild gar ist erhitzet gewest vnd 
gluend, haben sie das kind dem Molach jn die arm gelegt 
vnd also laßen braten. O das war ein heiliger Gottesdinst! 
Damit aber die eltern vagitum puerorum nicht mochten 
horen, ut flecterentur ad misericordiam, hatte man zimbeln, 
damit richten sie einen klangk an, ne posset exaudiri. Das 
hieß denjn dem Molach geopffert.“ 

Mit diesem Stiick verband Aurifaber Ausfiihrungen, die 
in dem ja auch von dem „fleißigen“ Besold herausgegebenen 
tomus quartus der Genesisvorlesung (zu 1. Mose 42, 38 — 
vgl W. A. Bd. 44, S. 522 Z. 3— —16) zu lesen waren. Dort 
findet sich aufer dem Hinweis auf Lyra und König Ahas 
die breite Schilderung des ohrenbetäubenden Lärmens 
(sacerdotes crepitacula, tintinabula et tympana pulsabant, 
ne parentes pueri morientis clamorem exaudirent) und die 
Anführung von Psalm 106, 37L, sowie des Propheten 
Jeremias. 

Das von Aurifaber willkürlieh genannte Jahr 1540 
muß preisgegeben werden. Da Luther im Oktober 1543 
(vgl. Heft 1 S. 20) beim 36. Kapitel der Genesis stand, 
fällt die bei Kapitel 42 gegebene Ausführung über den 
Molochdienst in den Lauf des Jahres 1544. 


VI. 


Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung wird dureh 
mancherlei Beobachtungen bestätigt, die wir an dem Inhalt 
von Farr. machen können. Es ist lehrreich, einzelne Sach- 
abteilungen mit der gleichen Überschrift bei Aurifaber und 
Besold zu vergleichen, um die ganz andere Orientierung des 


9 89 


Stoffes und die verschiedene Auswahl der Stücke zu erkennen. 
Es soll im folgenden Aurifabers 62. Kapitel „Tischreden 
von Kriegen“ (FB. 4, 437—447) mit Besolds 76. Abschnitt 
De bello (fol. 377—383 ter) verglichen werden. 

Aurifabers elf Stücke haben einen sehr bunten Inhalt. 
Er läßt Luther davon reden, daß man durch Verräterei viel 
in Kriegen ausrichte (Nr. 1), dab Geschütze ein grausames 
Instrument und Teufelswerk seien (Nr. 2) Dann ist die 
Rede vom Krieg um Mailand und dem Vorzug der deutschen 
Kriegsknechte vor den spanischen (Nr. 3), weiterhin daß 
der Krieg Gottes größte Strafe sei (Nr. 4 — Bellum omnium 
poenarum est maxima — Nr. 6268) Er wird mit einem 
goldenen Hamen vergliehen, mit dem man beim Fischen 
nieht viel gewinnt (Nr. 5), die varia arma populorum werden 
aufgezählt (Nr. 6 — — Nr. 3752). Die nächsten AuBerungen 
(Nr. 7 und 8) fallen in die Zeit des Frankfurter Konvents 1539; 
wir sollen wider den Krieg bitten; causam habemus 
iustissimam, sed proh dolor!. ingrati et mali (sumus), ita 
ut Deus visitet pios cum impiis (Nr. 4482). Von Julius 
Cäsars Schlachten und vom Unterschied zwischen Simsons 
und Cäsars Mut handeln Nr. 9 und 10. Den Schluß (Nr. 11) 
bilden Mitteilungen aus einem langen, in vortrefflicher 
Niederschrift erhaltenen Gespräch Luthers und Melanchthons. 
über die bedrohlichen Tagesereignisse, das am 11. April 1542 
bei dem Abschiedsessen gehalten wurde, das Mathesius in 
Crucigers Haus gab (Nr. 5428). Die Stoffe, die Aurifaber 
hier vereinigt hat, entnahm er zumeist Lauterbachs Tage- 
büchern. Auch hier nehmen wir wahr, wie er gern bei 
einer Quelle verweilte und mehrere Stücke aus ihr schöpfte. 

Im Unterschied von Aurifabers planlos zusammen- 
gewürfelter Karte zeigt Besolds Abschnitt vom Krieg eine 
durchaus einheitliche Konzeption. Es ist nur von zwei 
Dingen die Rede, vom Türkenkrieg und von der Wurzener 
Fehde d. b. von dem drohenden Zusammenstoß des Kur- 
fürsten Johann Friedrich mit dem jungen Herzog Moritz um. 
des Städtchens Wurzen willen, das der Kurfürst besetzt 
hatte, weil der Bischof von Meißen sich weigerte, die für 
den Türkenkrieg ausgeschriebene Steuer an den Kurfürsten 
abzuliefern; da Hoheitsrechte über Wurzen standen im 


‘90 10 
Streit. Diese beiden Dinge standen im Frühjahr 1542 im 
Vordergrund des Interesses und bildeten gerade in der Zeit, 
als Besold seit dem 26. März Luthers Tischginger wurde, 
des Tagesgespräch. Die starken Eindrücke jener Wochen 
spiegeln sich in den sechs Stücken ab, die Besold in dem 
Kriegskapitel vereinigt hat. 

Besold hatte erfahren, daß Luther einem Edelmann, 
der wider die Türken zog, auf dessen Bitte einen Ratschlag 
aus heiliger Schrift mitgegeben hatte, den dann jener im 
Wamms unter dem Harnische mit sich führte. „Ein krieger 
sol sich Gott befehlen vnd die zwey große heiligthumb jns 
hertz faBen, Das erste den glauben, credo, das ander das 
Vatervnser. Hiemit ist er gnug gerust geistlich, er sterbe 
oder bleib lebendig“. Besold verschaffte sich eine Abschrift 
des Briefes vom 14. August 1541 „An Georg Waise, 
Kammerdiener“ und teilt sie als erstes Stück fol. 377—377b 
mit. Der Abdruck bei Enders (XIV 50, Nr. 3036) erwähnt 
diese älteste Niederschrift nicht; sie muß für die Ausgabe 
der Briefe in der kritischen Gesamtausgabe verglichen werden. 

Zum Anführer des Reichsheeres wider die Türken war 
Kurfürst Joachim II. von Brandenburg ernannt worden. Schon 
vor zehn Jahren, als er noch Kurprinz war, war er zum 
Hauptmann des niedersächsischen Kreises „wider den leidigen 
Tyrannen, den Türken“ bestellt und hatte damals (am 
3. August 1532) einen Geleitbrief Luthers empfangen 
(Enders IX 216, Nr. 2021). Jetzt ersuchte er die Refor- 
matoren um ihre Fürbitte und Gebet für den Feldzug. Luther 
antwortete am 17. Mai 1542 (Enders XIV 265, Nr. 3147). 
Beide Lutherbriefe, den vom Jahr 1532 „an den jungen 
Marggrafen Joachim“ und den von 1542 „An Marggraff 
Joachim, Churfurst^ teilt Besold als 2. und 3. Stück mit 
(fol. 377b—378b und fol. 379—380). Es sind die ältesten 
Niederschriften, die wir kennen, und darum ist ihre Ver- 
gleichung notwendig. & 

Das nächste Stück (fol. 380— 381b) beginnt: „Anno 1542, 
11. aprilis. Philippus (rot): Ey, Her Doctor, es ist ein bose 
wetter itzund vnd ein vnfletige lufft. Luther (rot): Ja, denn 
es scheidet sich itz erstlich winter vnd sommer. Philipjpus 
(rot): Es wirt aber nicht gut wetter sein fur arme landts- 


11 91 


knecht, die itz zu felde liegen. Luther (rot Wer kann 
dafur, warumb fahen vnsere fursten ein solch spil an?“ Es 
folgen Abschnitte des langen Gesprächs, die vortrefflich die 
Stimmung in Wittenberg während der drohenden Wurzener 
Fehde wiedergeben (Nr. 5428; V, S. 133 2.9 —135 Z. 22 und 
S. 138 Z. 14—34). Im übrigen bringt es die Sachordnung 
in Farr. mit sich, daß das Gespräch in sieben Abschnitte 
zerlegt ist, die auf das 76., 51., 41., wieder 76., 32., 82. und 
37. Kapitel verteilt sind. 

Nur in diesem Stück trifft Besold mit Aurifaber zu- 
sammen, der ja hier auch nur ein Fragment des Gesprächs 
mitteilt. Im nächsten (Nr. 5) greift er noch einmal auf den 
Türkenkrieg zurück und bringt eine Äußerung Luthers (Ende 
Mirz 1532), in der er angesiehts der ungeheuren Ubermacht, 
mit der die Türken zu Felde ziehen wollten, auf Gott hin- 
weist, der, wie er einst das zahllose Heer der Athiopier 
(Kuschiten) auf das Gebet des jüdischen Königs Asa (914— 
874) niederschlug (2. Chron. 14, 10ff.) und das Heer der 
Assyrer vernichtete (Jes. 37; vgl. 2. Könige 19, 35), so auch 
mit diesen stolzen Gesellen streiten und ihren Hochmut 
.dämpfen werde. Das Stück entspricht der Tischrede Nr. 2548b 
aus der Sammlung des Konrad Cordatus; es ist von Aurifaber 
im 75. Abschnitt „vom Türken“ in eine aus vielen kleinen 
Stücken zusammengesetzte Ausführung hineingearbeitet worden 
(FB. 4, 651—75, 1). 

Das letzte Stiick des Abschnittes De bello — ein Nach- 
tragsstück — bildet einen Glanzpunkt der Handschrift Farr. 
(fol. 381 b—383 ter); um es ganz aufzunehmen, wurden nach 
Bl. 383 zwei ungezählte Blätter eingeschaltet. Weiteren 
Kreisen ist der Inhalt dieses Stückes erst durch die großen 
Gesamtausgaben bekannt geworden. Es erschien 1558 im 
8. Band der Jenaer Ausgabe (VIII, 40) und 1559 im 12. Band 
der Wittenberger Ausgabe (XII, 225). Keine der zahlreichen 
Brief- oder Tischreden-Handschriften Luthers enthält das 
Stück. Es läßt sich aber der erwünschte Nachweis führen, 
daß und wie gerade Besold frühzeitig zur Kenntnis dieses 
Stückes gekommen ist. 

Das Stück trägt f, 381b die Überschrift: „D. Marti: Luth: 
mißive an Churf. vnd Hertzog Moritz zu Sachßen, des fürge- 


92 12 


nohmen krigs vor Wurtzen.“ Es ist Luthers offenes und 
strenges, zugleich auch derbes und kiihnes Mahnwort (vom 
7. April 1542) an die beiden Fürsten, Frieden zu halten 
(Enders XIV 227—232, Nr. 3125). „Selig seindt die frid- 
fertigen, denn sie sollen Gottes kinder heißen, Mathei am 5. 
(V 9). Ane zweiffel widervmb wirts heißen: Vermaledeyet 
sein die friedheßer, denn sie mußen des Teuffels kinder 
heißen“ Z. 35—38. (Die späteren Drucke haben das Wort 
„friedhesser“ in „Friedbrecher“ geändert.) Durch das ver- 
mittelnde Eingreifen des Landgrafen Philipps von Hessen 
wurde das Mahnschreiben überflüssig; es wurde weder an die 
Fürsten gesandt noch veröffentlicht. Nur Philipp bekam es 
zu lesen, und dem Kanzler Brück überschickte es Luther 
am 8. April, nachdem es schon zur Hälfte gedruckt war. 
Im Marburger Staatsarchiv und im Dresdener Archiv finden 
sich die handschriftlichen Zeugnisse. Ein dritter selbständiger 
Zeuge ist die Abschrift in Farr. Wie hat Besold Einblick 
in das geheime Schriftstück gewonnen? 

Am 10. April gab Besold seinem Nürnberger Gönner 
Veit Dietrich in einem höchst interessanten, die ganze Auf- 
regung in Wittenberg wiederspiegelnden Brief genauen Be- 
richt über die Entstehung der Fehde, des subitus tumultus: 
„Mein Herr“, sagt Luther, „ist zu hais vor der Stirn“. Aber 
schon konnte der Schluß des Briefes melden, daß der Ver- 
mittlungsversuch des Landgrafen von Erfolg begleitet sei 
(Enders XIV 246—249, Nr. 3134’) und Tischreden V, S. 142 bis 
144, Nr. 5428a). Höchst bedeutungsvoll sind nun die Schluß- 
worte des Briefs Z. 100—102: „Seriptum Lutheri ad Maurieium 
non potui nancisci, celatur enim: sed rogo, ut petas a D. 
Crucigero aut M. Georgio (d. h. Rórer) tum describam et 


1) Z, 91—94: Sed commode intervenit Landgravius. Is scripsit 
ad nostros (an Luther und Melanchthon, 8. April — Enders Nr. 3127 —) 
et pollicitus est se daturum operam, ut bona gratia hoc dissidium 
componeretur, id qnod Dei benignitate effecit, sed quibus conditionibns, 
sane nescio. — Der letzte Satz setzt den zuversichtlichen Brief des 
Landgrafen an Luther vom 9. April voraus (— Nr. 3130), den dieser 
am 10, April beantwortete (— Nr. 3131). Am gleichen Tag wird auch 
Besold nach Nürnberg geschrieben haben. So kann also der Termin 
des Briefes (Nr. 3184) statt ,Mitte April 1542" auf den 10. April fest- 
gelegt werden, 


13 93 


mittam tibi^ Die Fürsprache Dietrichs bei Crueiger oder 
Rörer war nicht nötig; denn schon am nächsten Tag, am 
11. April, konnte Besold an Dietrich schreiben: „M. Georgii 
singularem erga me amorem non possum satis praedicare, 
qui me complectitur non secus ac filium . . . Dedit mihi 
deseribendum hoe seriptum Lutheri* (Beitráge zur bayerischen 
Kirchengeschichte, 18. Bd., 1912, S. 46)!) So rasch be- 
kam also Besold das der Offentlichkeit entzogene kostbare 
Dokument in die Hand, und so schnell ist es in Nürnberg 
bekannt geworden. Wir verstehen, daB Besold, als er Luthers 
Äußerungen „vom Krieg“ zusammenstellte und sich dabei 
der aufregenden Wochen am Beginn der Tischgenossenschaft 
mit Luther erinnerte, mit keinem besseren Stück den Ab- 
schnitt schließen konnte als mit einer Abschrift des gewaltigen 
Mahnschreibens. 

Stimmt das Ergebnis, daß M. Besold der Sammler von 
Farr. gewesen ist, zusammen mit dem früher schon be- 
gründeten Postulat, der Sammler müsse in den Jahren 1542 
. und 1543 ein Tischgenosse Luthers gewesen sein, so erklärt 
sich nun auch die so nahe und enge Beziehung, in der 
Farr. zu dem Inhalt des 11. und 12. Abschnittes der Weimarer 
Tisehredenausgabe, d. h. zu Kaspar Heydenreichs Nach- 
schriften aus den Jahren 1542 und 1543 (V, S. 115—274, 
Nr. 5379—5603) und zu Besolds Nachschriften aus dem 
Jahre 1544 (V, S. 297—314, Nr. 5659—5674) steht. Kroker 
gibt an, daß Farr. von den Heydenreich’schen Stücken 120, 
von den Besold'sehen sechs darbietet (V, S. XXVII und 
XXXII); nach meiner Feststellung steigt die erste Zahl auf 139. 
Aber diese Scheidung der Heydenreich’schen und Besold’schen 
Stücke, bei der Besold viel zu kurz kommt, kann nicht auf- 
recht erhalten werden. Kroker hat seine Schlußfolgerungen 
aufgebaut auf einer von ihm entdeckten und genau heraus- 


1) Das im Archiv f. Ref, Gesch. (18. Jahrgang, 1916, S. 91, Anm. 1) 
vorgetragene Bedenken gegen das überlieferte Datum des ,11. Aprils* 
erledigt sich auf diese Weise. Die heftige Aufregung, die in Witten- 
berg seit dem 4. April wegen des Ausbruchs der Wurzener Fehde 
herrschte, war im Brief vom 10. April zum Ausdruck gekommen. Sie 
brauchte in dem Brief vom 11. April nicht mehr nachzuzittern — 
hatte doch dieser Brief die gewichtige Beilage des Schreibens Luthers. 


94 14 
gegebenen Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, die 
„Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung“ enthält 
(Math. L., Leipzig 1903); sie ist von einem Joachimsthaler 
Schüler des Mathesius, M. Johann Krüginger, geschrieben, 
In dieser Handschrift folgen zwei Abschnitte auf einander, 
die hier in Betracht kommen: der Abschnitt S, 177—260 
der Handschrift mit der Überschrift: Haee sequentia communi- 
cavit mecum D. Matthesius, praeceptor meus, anno 1547. 
mense Septembri: Colloquia habita in mensa D. M. L. anno 
MD. XLII (a. a. O. S. 249) und ein weiterer Abschnitt der 
Handschrift S. 260—970 mit der Überschrift: Colloquia anni 
MD. XLIIII (S. 335). Es sind hier also nur Jahre, keine 
Namen genannt. Mit diesem Befund kombiniert nun aber: 
Kroker eine Angabe des Mathesius selbst am Eingang der ` 
12. Predigt von Luthers Historien (vgl. oben S. 85), wo unter 
den naeh ihm an Luthers Tisch schreibenden Männern in 
den vierziger Jahren, die ihm ihre Nachschriften zur Ab- 
schrift anvertraut haben, an erster Stelle M. Kaspar Heyden- 
reich, an zweiter M. Hieronymus Besold angeführt werden. 
Wann Heydenreich (Mag. seit 15. September 1541), den nur 
Mathesius als Tischgenossen Lnthers nennt, während er von 
Aurifaber nicht erwähnt wird, an Luthers Tisch gekommen 
ist, wissen wir nicht; wohl aber steht fest, daB er am 
24. Oktober 1543 als Hofprediger der Herzogin Katharina 
von Sachsen, der Witwe Heinrichs des Frommen, nach Frei- 
berg berufen worden ist. Da er also für 1544 ausscheidet, 
schreibt ihm Kroker den großen Abschnitt der Reden von 
1542 und 1543 zu, so daß dann für Besold nur der kleine 
Abschnitt von 1544 übrig bleibt (V, S. XXII— XXIV, S. XXXII). 

Indes ein grofer Teil der von Kroker dem Heydenreich 
zugeschriebenen Tischreden wird auf Rechnung Besolds zu 
setzen sein, Das gilt, wie es scheint, schon von den ersten 
19 Stiicken Nr. 5379 — Nr. 5397, die alle (mit Ausnahme 
von Nr. 5387) in Farr. sich finden und dort meist in 
besserem Text tiberliefert sind, obwohl der Schreiber sich 
manche Flüchtigkeit zu schulden kommen ließ.  Kroker 
druckt die Stücke nach der Mathesischen Handschrift ab, 
gibt aber Varianten von Farr. an. Unter diesen Stücken 
befindet sich die schon besprochene Nr. 5386 (vgl. Heft 1 


15 95- 


S. 20) mit der eigentümlichen zeitlichen Näherbestimmung 
einer Äußerung Bugenhagens; hier merkt Kroker mit Recht 
an, daß Farr. wohl den ursprünglichen Text besser über- 
liefert habe. Ganz besonders lehrreich ist Nr.-5389, wenn 
man das Stück mit einer Stelle in dem Brief vergleicht, 
den Besold am 11. April 1542 an Veit Dietrich in Nürnberg 
geschrieben hat. Es heißt in dem Brief: Ferdinandum 
appellabat (Lutherus) calamitatem et pestem Germaniae, 
et recitabat vaticinium Erasmi de utroque Ferdinando et 
Carolo, qui dixerat: Isti duo pulli dabunt magnum malum 
Germaniae. Item patris Maximiliani, qui intuens genesin 
Ferdinandi optaverat eum suffocatum periisse in primo 
lavacro. Et addebat (Lutherus): Profecto paternae voces 
sunt prophetieae (vgl den Text in den Beiträgen zur 
bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 18, 1912, S. 46 Z. 4ff.). 
Genau den gleichen Inhalt hat Nr. 5389, bis in den wört- 
lichen Ausdruck hinein (Farr. fol. 375b bietet nur statt. 
genesin den Ausdruck genealogiam). Selbst die irrige 
Angabe findet sich in beiden Stellen, als sei Maxi- 
milian I. der Vater von Karl V. und Ferdinand I. gewesen. 
Das Gewicht dieser Übereinstimmung ist so groß, daß: 
Krokers Bedenken (V, S. XXIII) es müßten sich, wenn 
Besold alle diese Reden nachgeschrieben haben sollte, noch 
viel mehr Übereinstimmungen mit dem Inhalt der Briefe 
finden, das sei aber die einzige in ihrer Art, doch nicht. 
dagegen aufkommen kann. Die nachgeschriebenen Reden 
bilden doch nur einen bescheidenen Bruchteil der Tisch- 
gespräche; es ist recht gut denkbar, daß Besold in den. 
Briefen an Dietrich sofort aktuelle Äußerungen Luthers. 
mitgeteilt hat, die er in sein Tischredenheft nicht auf- 
nahm. Diese aus den flüchtigen Tischnotizen hergestellten 
Hefte hatten es doch in erster Reihe auf solche Aussprüche- 
Luthers abgesehen, von denen man sich dauernde Belehrung 
versprach. Auch diese konnte man nicht sämtlich fest- 
halten. Das beweist die reiche Nachlese, die gerade Besold 
in der Vorrede zum vierten Teil der Ausgabe der Genesis- 
Vorlesung  beireffs der Äußerungen Luthers über die 
Genesis, über das Evangelium Johannis, über Paulus 
usw. gibt — Äußerungen, deren Gesamtinhalt in keiner 


96 16 


Tisehredenhandsehrift begegnet (vgl. W. A. Bd. 44 
S. XXXIIf)?) 

Was übrigens die Übereinstimmungen zwischen Besolds 
Briefen und den fraglichen Tischreden, insonderheit mit 
Farr., betrifft, so sind sie bei näherem Zusehen doch zabl- 
reicher, als bisher angenommen wurde. In dem erwähnten 
Brief Besolds vom 11. April 1542 geht der Prophezeiung 
des Erasmus über Ferdinand und Karl der Satz voraus, 
daß Luther das Gebet der Kirche für den einzigen Schutz 
Deutschlands halte (vgl. a. a. O. S. 46: Unico illo praesidio 
sustentari res Germaniae propemodum labentis ait, Oratione 
Ecelesiae) In den Tischreden finden wir ergänzende Aus- 
führungen über die Macht des anhaltenden Gebets überhaupt 
im Anschlu8 an Math. 7, 7; auf Nr. 5389 folgt Nr. 5392 
(Farr. fol. 295b): „Oratio hat bisher ecclesiam erhalten, 
darumb mus es noch gebetet sein. Darumb sagt Christus: 
suchet, bittet, klopfet an! usw.*. Die Türkengefahr, die 


1) Zu einem Stück dieser Mitteilungen haben wir eine hand- 
schriftliche Parallele. Wir lesen Bd. 44 S. XXXII und XXXIII: „Nee du- 
bito reverendum virum D. Justum Jonam pleraque adhuc memoria tenere, 
qui huie sermoni interfuit eique occasionem dedit. Forte enim ex 
Salinis Saxonieis Vitebergam expaciatus erat ad D. Lutherum et 
reliquos praeceptores invisendos, cumque eos audivisset in schola de 
variis rebus erudite et pie disserentes, narrabat in prandio se ex 
D. Philippo audivisse, totam scripturam nihil aliud esse quam certamen 
serpentis et seminis, Ad illud subiecit Lutherus: Glaabt jr auch, das 
Joannes ein Commentarius sey vber die gantzen Bibel? Paulus auch. 
Es ist kein wort, Joannes wolt gern Christum Deum machen. Sacra 
Scriptura magis urget Filium quam Patrem. Quia tota scriptura est 
propter Filium. Ideo plura sunt testimonia, etiam (im Druck falsch 
enim) in Veteri Testamento, de Filio quam de Patre. — Den gleichen 
Wortlaut der AuBerung Luthers gibt die Tischrede Nr. 5585 (V, S. 262): 
wieder, die der Münchener Handschrift Clm. 987, 50 entnommen ist 
und dort als eine Nachschrift des Glauchau'schen Pfarrers Bartholo- 
mäus Wagner bezeichnet wird. Daß die Rede ins Frühjahr 1543 
gehórt, wird durch den Brief Besolds an Veit Dietrich vom 25. April 1543 
bestätigt, der diesen Besuch des Jonas erwähnt (,D. Jonas ex Salinis 
nuper huc venit“ — Kawerau, Briefwechsel des Justus Jonas, II, 1885, 
S. 101). Noch andere Auborungen Luthers zu Jonas, z. B. über die 
Nähe des jüngsten Tages, werden in dem Briefe mitgeteilt. Man 
sieht, daß die Wirklichkeit überall reicher war, als die bruchstück- 
weise Überlieferung der Tischreden erkennen läßt. 


17 97 


ganze Zeitlage tiberhaupt erweckte in Luther den Gedanken 
an die Nähe des jüngsten Tages. „D. Doctor quotidie 
exoptat adventum ultimi iudicii“ — schreibt Besold an 
Dietrich am 25. Juli 1542 (Beiträge zur bayer. Kirchengesch., 
18. Bd., 1912, S. 83). Wir kennen das Gebet, das Luther 
um diese Zeit sprach. Es ist nur von wenigen Zeugen 
überliefert. In Nr. 5777 (V, S. 349) ist es aus einer 
Münchener Handschrift (Clm. 939, 210b) mitgeteilt; außer- 
dem bietet es Rörer dar (Ror. Bos. q. 24p, 256b), der 
dritte (nicht erwähnte) Zeuge ist Farr. fol. 432: „Oratio. 
Hilff, lieber himmelischer Vater, das der selige tag deiner 
heiligen zukunfft bald komme, das wir aus der argen welt, 
des teuffels reich, erloset vnd von der greulichen plage, die 
wir auswendig vnd inwendig, beide von bösen leuten vnd 
vnserm gewißen leiden mußen, frey werden . . . durch 
Jesum Christum vnsern Herren, Amen“. (Der Zusatz am 
Schluß des Gebeis wie bei Rörer). 

Za diesen Beispielen, die sich noch vermehren lassen, 
treten nun die vielen Zeugen eines besseren Textes, den 
Farr. vor Math. L. darbietet, und der besonders in den 
Stellen, wo Nürnberg in Frage kommt, laut für die 
Urheberschaft Besolds spricht. 

In Nr. 5396 (Bd. V, S. 126) wird in einem Gespräch 
über die Juden ein „Morituus Doctor“ redend eingeführt. 
So Matth. L. 505 (S. 256). Man wußte mit dem Wort nichts 
anzufangen; Math. N. korrigierte Morituus in Martinus, cod. 
Rhed. ließ die Worte ganz aus. Farr. fol. 403b (nicht 413b) 
bietet die richtige Lesart: Tum Mauritius: Djomine Doctor 
usw. Es ist der Wittenberger Buchhändler und Ratsherr 
Moritz Golz aus Belzig demeint (vgl. über ihn Enders XV 64, 
Anm. 10 und Archiv f. Ref. Gesch. 1916 S. 171 Anm. 4), der in 
Luthers Haus verkehrte; seiner Gattin Christine widmete 
Erasmus Alber den Druck einer am zweiten Epiphanien- 
tag 1546 gehaltenen Predigt über die Hochzeit zu Kana 
(Emil Körner, E. Alber, 1910, S. 92). 

Im Jahr 1542 wütete die Pest in Deutschland. Schon 
im Dezember 1541 hatte Besold an Dietrich geschrieben: 
Philippus in lectione locorum communium dicebat grassari 
nune in Germania pestem (Beitrüge zur bayer. Kireheng. 18, 

Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 2. 7 


98 | | 18 


1912, S. 41), In Nr. 5503 (V, S. 195) steht ein langes 
Gespräch am Tische Luthers über die Pest, den Pestpsalm 91 
und den Aberglauben, der mit dem Johannesevangelium als 
Schutzmittel gegen den Donnerschlag getrieben werde, Das 
Gespäch beginnt Farr. fol. 392b: „Cum quidam diceret duos 
praedieatores Nurmbergae peste absumptos esse, quaesitum 
est, an etiam ecclesiastes, qui tantum conductus est ad 
praedieandum, posset hominibus egrotis denegare suam 
operam tempore pestis? Njespondit: Bey leibe neyn usw“. 
Nur Farr, bietet die richtige Lesart Nurmbergae und ebenso 
Aurifaber (FB. 2, 441— 32, 155) ,Nürnberg"; Aurifaber hat 
das ganze Stück, wie die übereinstimmenden Varianten 
beweisen, aus Farr. entlehnt. Die anderen Texteszeugen 
(Math. L., Math. N. und Obenander) geben statt „Nürnberg“ 
den Namen „Naumburg“. Das ist eine Eintragung aus dem 
Schluß des Gespräches (V, S. 196, Z. 25), wo es heißt: Tum 
quidam dicebat in oppido quodam non procul a Naunburg 
parochum esse mortuum peste, item ludimagistrum; hier 
hat auch Farr. „Numburgk“. Die spätere Überlieferung hat 
zwischen dem Anfang und dem Schluß des Gesprächs Gleich- 
fórmigkeit hergestellt Was für Naumburg nicht nach- 
gewiesen werden kann, der Tod zweier Prediger im Jahre 
1542, das trifft für Nürnberg zu. Am 2. Januar 1542 starb 
der Diakonus bei S. Laurenzen Leonhard Krügel (Karl Chr. 
Hirsch und Andr. Würfel, Diptycha ecclesiae Laurentianae, 1756, 
S. 84), und ebenso war 1542 das Todesjahr des Predigers bei 
St. Egidien, Sebastian Virnsehild (Diptychaecel. Egydianae, 1757, 
S. 41). Der letztere war wohl nur praedicator. Daher die 
Frage am Anfang des Gesprüches. Der quidam, der die 
Nachricht aus Nürnberg mitteilte, wird Besold selber 
gewesen sein. Daß er an Luthers Tisch auch Fragen zu 
stellen sieh erlaubte, ergibt sich aus einem Gespräch über 
Osiander, das er am 8. August 1544 an Dietrich berichtete 
(Jam denuo quaesivi usw. Archiv f. Ref. Gesch, 1916, S. 164). 
So steht nichts im Wege, auch die früher besprochene, in 
Farr. stehen gebliebene Ego-Stelle auf Besold zurückzuführen. 

Auch in einer andern Tischrede des Winters 1542 
auf 1543 (Nr. 5538 — V, S. 222f.) nennt Farr. allein die 
„Nürnberger“. Es.ist eine Erinnerung an Papst Hadrian VI. 


19 99 


(1522—1523), der, in Utrecht geboren, später Professor an 
der Universität Löwen, Karls V. Lehrer gewesen war. „So 
machen — Farr. 360 bis — die Nurmberger in gratiam 
Caesaris einen bogen; auf der einen seiten stundt: Vtrich 
plantavit, quia fuit patria Hadriani; auff der andern seiten: 
Löwen rigavit, quia ibi studuit Hadrianus; oben auff: Caesar 
dedit inerementum, quia ipse fecerat eum papam; da kam 
ein boser bube vnd schreib vnden in den bogen: Hie Deus 
nihil fecit.^ Die Handschriften Math. L. und Math. N. haben 
nur den Buchstaben N., Aurifaber (4, 171— 44, 21): ,Utrieh*. 
Das gleiche, in Anlehnung an 1. Kov. 3, 6 gebildete Witz- 
wort begegnet in Nr. 3689 (aus Lauterbaehs Tagebuch vom 
8. Januar 1538); dort ist der ganze Zusammenhang anders. 
Es ist also nur eine scheinbare Parallele. 

In Farr. fol. 272—272b steht unter der Überschrift 
Ad civem Nurmbergensem ein Trostbrief Luthers vom 
22. April 1532 an Thomas Zink, dessen Sohn Johannes, 
ein Schiiler Veit Dietrichs, in Wittenberg gestorben war 
(vgl. Enders IX 180, Nr. 1998). Der Vater lebte damals in 
„Hoffheim“ (bei Königsberg in Franken), wie der von Dietrich 
geschriebene Cod. Solger. © 351 f. 87 angibt. Wenn er aber 
in Farr.als „Nürnberger Bürger“ bezeichnet wird, so spricht sich 
eine besondere Kunde Besolds aus!) Veit Dietrich hat 
ergreifende Aufzeichnungen über die letzten Stunden seines 
Schülers hinterlassen (vgl. Tischreden Bd. I, S. 103f., Nr. 249). 


Den erwünschten Bestätigungen, daß Farr, wirklich auf 
Besold zurückgeht, können wir noch eine weitere hinzu- 
fügen. Auf dem dritten Blatt der Handschrift stehen, wie 
Heft 1 S. 6f. angegeben, deutsche Verse des Erasmus Alber 


1) Diese Kunde setzt sich fort in der von dem sorgfältigen und: 
zuverlässigen Generalsuperintendenten Johann Christfried Sagittarius 
veranstalteten Altenburger Ansgabe der deutschen Schriften Luthers. 
Der Brief steht im 5. Band (1662) S. 961 mit der Überschrift „Trost- 
schrift D. M. L. an einen guten Freund zu Nürnberg, dem sein Sohn 
zeitlich mit Tod abgangen 1532“. Diese Überschrift ist von der 
Leipziger Ausgabe (22. Band, 1734, S. 516) und von Walch (10. Band, 
S. 2366) übernommen worden. ‚In der Wittenberger und Jenaer Aus- 
gabe der Werke Luthers fehlen die Worte „zu Nürnberg“ (Witten- 
berger Ausgabe 9. Band, 1557, S. 474 und Jenaer Ausgabe 5. Band, 
1557, S. 560 [spätere Drucke S. 486)). 


7* 


100 20 


auf Martinus Lutherus und auf S. Christoph. Alber und 
Besold haben sich an Luthers Tisch kennen gelernt. Im 
Herbst 1542 aus Brandenburg vertrieben, hatte Alber in 
Wittenberg Zuflucht gefunden und war dort noch während 
der ersten Monate des Jahres 1543. Er erzählt selber von 
dieser Zeit, daß er „täglich Luthers lieber Gast gewesen 
sei“ (Beiträge zu Luthers Tischreden, von Emil Körner — 
Archiv f. Ref. Gesch. XI, 1914, S. 135). Als Besold im 
Sommer 1543 eine Erholungsreise an den Rhein machte, 
war ihm, wie er am 13. September von Frankfurt aus an 
V. Dietrich schrieb, „comes iucundissimus Erasmus Alberus“ 
(Archiv XIII, 1916, S. 113). Der geprüfte, oft verjagte 
ältere Dichter und sein junger Freund werden auf der 
gemeinsamen Reise häufig von Wittenberg und Luther 
gesprochen haben. Da mögen die akrostichischen lateinischen 
und deutschen Verse entstanden sein, mit denen Besold den 
Anfang des Farr.-Bandes schmücken ließ. Jedenfalls sind 
sie zu Lebzeiten Luthers niedergeschrieben, da sein Wirken 
als noch fortdauernd geschildert wird (Verbum cum doceat 
studio fervente Lutherus?). 


1) 3. Blatt der Handschrift (nicht gezählt) vor Blatt A: 
Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri. 


MARTINVS. 
Maxima pars mundi Christum nescivit Jhesum. 
Audita in templis non sunt nisi somnia vana. 
Romulidae Christi sponsae caput esse volebant, 
Tantum erat his studium, miseram seducere plebem, 
Iustitiam et fidei in Christum obscurare libido, 
Nemo operum et fideji quae sint discrimina, novit, 
Venter erat summus Doctor populi atque Magister, 
Spurcus et hoc docuit, voluit quod quisquis agaso. 


LVTHERVS. 


Luce sua Christus nune totum illuminat orbem, 
Verbum eum doceat studio fervente Lutherus. 
Tantum illi studium, ad Christum perducere plebem, 
Hactenus in tenebris iacuit quae et mortis in umbra, 
Exardet furiis necquiequam perdita Roma, 

Roma videns hominem peccati praecipitari 

Vindice, quem pater omnipotens dedit ipse, Luthero, 
Sancta Dei totum qui dogmata spargit in orbem. 


21 101 

Als Besold im Jahre 1554 die Vorrede zum vierten 
Band -der Genesis-Vorlesung Luthers schrieb, verband er 
mit der Mitteilung einiger Kernspriiche des Reformators das 
offene Bekenntnis, wie sehr die Erinnerung an Luthers 
öffentlich und privatim gehörtes Lehrwort ihn stütze und 
aufrecht erhalte. Man könnte die Worte, die-er damals 
schrieb, als Motto über den großen Sammelband setzen, den 
er aus Luthers Tischreden und Briefen zusammengestellt 
hatte, und in dem das Gedächtnis an die ersten an Luthers 
Tisch verbrachten Jahre (1542 und 1543) so stark auf- 
leuchtet. Die Sätze lauten: „Ego quidem in his furoribus 
diaboli, quibus in ecclesiam et respublicas liberas et bene 
constitutas horribiliter saevit, nulla re magis acquiesco, quam 
recordatione eorum, quae ex Luthero publice 
et privatim audivi, quibus me utcunque sustento et 
cum aerumnas communes facilius tolero, tum vero accuratius 
et maiore diligentia hactenus cavere studui- corruptelas 
doctrinae ab ipso traditae“ (W. A. Bd. 44, 1915, p. XXXIII). 
Wir haben den Farrago-Band als das viel benützte Ver- 
mächtnis eines treuen und dankbaren Lutherschülers anzusehen 
und zu würdigen. 


MARTINVS. 

Martinus heift ein ftreitbar man, 

Wm Bapft man fo[dj8 wol fehen fan, 

Rom ijf darumb vorbittert febr, 

Z put, ob fie toll bnd toricht wer, 

sn Leuzidlandt allenthalben flucht, 

Mit ein ort left fie pubefudt, 

Vn wil ausjagen Bhejum Chrift, 

So febr Gathan vorbittert ift. 
LVTHERVS. 

Lob ehr pnd dant fey Gott dem Herrn, 

Wie Hilft er doch fo Hherplid gern. 

Trew ijt er, drumb feit pnvorzagt, 

Hat er vng bod) Hulff gugefagt. 

(Rüdfeite des dritten Blattes) 

Gr fteht bey feiner Chriftenheit, 

Reid ift er von barmbergigteit 

Bnd wil ons lagen nimmermehr, 

So gebt dem Herren allein die ehr. 

Erasmus Alberus, Lutheri 

theodidactus. 


102 m 22 


VII. 


Es bleibt ein Restbestand von Tischreden übrig, die 
uns nur durch Aurifaber überliefert sind. Er verfügte über 
einen Reichtum von Quellen, von denen viele für uns ver- 
siegt sind. Der Satz in der Vorrede seiner Tischreden- 
Ausgabe, daß er „viele Jahre her einen großen Haufen 
geschriebener Bücher Colloquiorum Lutheri bei sich gehabt 
habe“ (FB. 4, XXII), enthält keine übertriebene Behauptung. 
Wie bei Lauterbach und Veit Dietrich, so hat er auch 
bei Hieronymus Besold nicht nur aus der auch uns be- 
kannten Hauptquelle geschöpft, d. h. aus der Handschrift 
Farrago, die jetzt am Schluß defekt ist, sondern er hat 
auch Nebenquellen benützen können, die namentlich den 
umfassenden Anhang speisten, der in der Urausgabe des 
Jahres 1566 sich findet. 


Der Anhang trägt jetzt die Überschrift: „Einige Tisch- 
reden, so in unten angezeigte Abschnitte gehören“ (FB. 4, 709) 
und umfaßt jetzt nur 19 Stücke. Er war aber anfänglich 
viel umfassender; die Nebenquellen lieferten eine große 
Anzahl von neuen Stücken, die nicht mehr in die betrefien- 
den Abschnitte der Hauptsammlung eingereiht werden 
konnten. Ihre Zahl beträgt in der Eislebener Urausgabe 
vom Jahre 1566 (Bl. 614—626) und ebenso im zweiten Teil 
der Frankfurter Nachdruck-Oktavausgabe vom Jahre 1567 
(FB. 4, XXV) nicht weniger als 75 (Bl. 720b—747b, ver- 
druckt in 774); die Überschrift heißt; „Andere Tischreden 
D. Martin Luthers, die zum teil in die obgesetzte Locos 
gehören, von allerley Sachen, aus etlichen geschriebenen 
Büchern zusammen getragen“ (Urausgabe Bl. 614). Erst 
die Frankfurter Folioausgabe des Jahres 1568 — mit be- 
sonderer Vorrede Aurifabers — hat die meisten dieser 
Nachtragsstiicke bei den betreffenden Loci untergebracht 
und den Anhang auf 19 Stücke beschränkt (Bl. 447—449). 
Die Walch’sche Ausgabe der Werke Luthers und FB. sind 
dann bei dieser Anordnung stehen geblieben. Man muß 
aber diesen Sachverhalt beim Studium von FB. im Auge 
behalten. Es soll dies an einem lehrreichen Beispiel nach- 
gewiesen werden. 


23 103 


Der 24. Abschnitt der Tischreden „vom Teufel und 
seinen Werken“ ist von Aurifaber mit besonderer Vorliebe 
ausgebaut worden; er bringt nicht weniger als 138 Stücke 
(FB. 3, 4—96), darunter eine Reihe von ausführlichen Er- 
zählungen (z. B. Nr. 79—84 Etliche Historien, von D. M. 
Luthern erzühlet — FB. 3, 57—62). Für diesen Abschnitt 
konnte er aus Besolds Sammlung Farrago wenig entlehnen; 
der betreffende Abschnitt fol. 234—241 ‘De Sathana et eius 
illusionibus’ enthält nur 41 meist ganz kurze Aussprüche: 
darunter ist keiner von den von Aurifaber bevorzugten 
Schwänken. Aber vorübergegangen ist er an Farrago 
doch nicht. 

Die Vorlage von Nr. 130 „Vom Wallfische, dem Teufel“ 
(FB. 3, 89) steht Farr. fol. 465 und lautet: „Iob hat 2 cap.; 
(Kap. 40 und 41) vom Behemoth, vom walfisch; niemandt 
ist fur jm sicher. Was wiltu mit dem Leviathan machen, 
meinstu, er werde dir zu fuße fallen vnd dich anbeten? 
(Vgl. Kap. 40, V. 22 und 23). Sunt figurae diaboli. Der 
walfisch fragt nach keinem schiff, Behemoth auch nicht, er fragt 
nach keiner kunst, weisheit, princeps mundi omnia habet pro 
stipulis, er fragt nichts darnach. Aber ein Ding sal jn sturtzen, 
das ist verbum et fides. Semen mulieris, der mus es thun.“ 

Die W. A. bringt Aurifabers in keiner der verglichenen 
Handschriften nachweisbaren Text unter Nr. 6829 (VI, S. 216f.). 
Aber nun ist die Vorlage gefunden; es ist kein Zweifel, 
dab Aurifaber das Stück, das ja Wort für Wort der Vorlage 
entspricht, aus Besolds Sammlung entlehnt hat. 

Nun liest man aber mit Überraschung beim folgenden 
Stück Nr. 131 (FB. 3, 89) = Nr. 6830 die Überschrift: „Von 
Poltergeistern, aus M. Hieronymi Besoldi Colleetaneis“. Und 
die folgende Nr. 132 = Nr. 6831 ist überschrieben: „Von 
des Teufels Gespenst und Betrug, aus M. Veit Dieterichs 
geschriebenen. Collectaneis“ (FB. 3, 90). Es ist beispiellos, 
daß Aurifaber in der Überschrift eines Stückes seine Quelle 
angibt; was veranlaßt ihn in diesem Fall zu dem seltsamen 
Vorgehen? Und ferner — wenn erst bei Nr. 131 Besold’sche 
Herkunft hervorgehoben wird, wie steht es dann mit Nr, 130? 
Das Stück ist ja zweifellos der Handschrift Farr. entnommen; 
aber ist diese dann wirklich der codex Besoldi? 


104 | 24 


Das Rätsel löst sich sofort, wenn man wahrnimmt, daß 
Nr. 131 ein aus dem Tischreden-Anhang erst später hier- 
her versetztes Nachtragsstück ist, und daß von da an bis 
zum Schluß des Abschnittes, also von Nr. 131—138 lauter 
Anhangsstücke stehen (FB. 3, 89—96 = Urausgabe 1566 
Bl. 617b —620; dagegen Nr. 130 in der Urausgabe Bl. 3 07!) 
Aurifaber hatte den Abschnitt vom Teufel und seinen Werken 
mit der Herübernahme des Behemoth-Stückes aus Besolds 
Farrago geschlossen. Als er aber die Stücke des Anhangs 
sammelte, freute es ihn, noch einige Teufelsstücke nach- 
tragen zu können. Er gab die Quelle an, um die gerade 
bei diesen Stücken manchem doch wohl zweifelhafte Glaub- 
würdigkeit zu vermehren. Es war aber weder bei Besold 
noch bei V. Dietrich die sonst von ihm benützte Haupt- 
quelle; denn sonst stünden die Stücke wohl nicht im 
Anhang, sondern schon im 24. Tischreden-Abschnitt. „Besoldi 
Collectanea“ sind also etwas anderes als der Farrago-Band; 
es sind die chronologisch geordnetn, für uns verlorenen 
Urschriften oder doch ein Teil von ihnen — die reichen 
Quellbäche, die den Sammelband gespeist haben. | 

Wir haben schon früher gesehen, daß in Farr. nicht 
alles stand, was Besold gesammelt hatte (vgl. S. 95). Und 
ähnlich ist das Verhältnis der „geschriebenen Collectanea“ 
Dietrichs zu seiner Hauptsammlung zu beurteilen. Diet- 
richs „Collectanea“ scheinen die Quelle für sämtliche 
Stücke von Nr. 131—138 gewesen zu sein. Darauf deutet 
die programmatische Fassung der Überschrift: „Tisch- 
reden D. Martini Luthers, von des Teufels 
Gespenst und Betrug, aus M. Veit Ditterichs geschriebenen 
Collectaneis“ hin, wie sie sich in der Urausgabe Bl. 618 
und auch noch in der Frankfurter Oktavausgabe „ander 
Teil“, Bl. 729b findet. Hatte Dietrich außer den chronologisch 
geordneten Heften auch solche mit Sachordnung, also etwa 
ein besonderes Heft mit Teufelsgeschichten? Die W. A. 
gibt für die meisten der genannten Stücke keine Vorlage 
an und zählt sie als Nr. 6831—6835 (VI, S. 218—222). 
Für Nr. 133 wird auf Nr. 1338, für Nr. 137 auf Nr. 491 
med,, für Nr. 138 auf Nr. 5743 verwiesen. Die zweite Ver- 
weisung führt direkt auf V. Dietrichs Nachschriften zurück. 


25 105. 


Ubrigens scheinen Besolds und Dietrichs Collectaneen,. 
wie Aurifaber sie benützte, eng mit einander verbunden 
gewesen zu sein. Das geht aus FB. 3, 264 (27, 154) hervor 
(in der Urausgabe Bl. 362b). Dort ist im Zusammenhang 
mit der Frage, ob der Papst über ein Coneilium sei, von 
Äußerungen Luthers zu Joh. 3, 19 und 12, 35 die Rede. 

„Solches hat Doctor Martinus einmal zu M. Hieronymus. 
Besolde von Nürmberg gesaget“. Es fehlt der Quellenbeleg 
für diese Rede. 

Wenn es dann in unmittelbarem Anschluß weiter heißt: 
„Doctor Martinus hat auch auf ein andere Zeit zu dem 
Herrn M. Veit Dieterich gesagt“ und dann eine freie 
Äußerung des Kanonisten Panormitanus mitgeteilt wird 
(= W. A. Bd. I, S. 303, Nr. 645), so fragt man sich wieder, 
warum gerade hier die beiden Namen genannt sind, und 
man nimmt wahr, daß wieder zuerst Besold und dann Veit. 
Dietrich angeführt wird. 

Völlig vereinzelt eht da, was die Münchener Hand- 
schrift Clm 943, 144b de Besolto Nurmbergensi mitteilt 
(vgl. V, S. 333, Nr. 5730). Im Gespräch mit Besold fällt 
eine scharfe Aaberg Luthers gegen Bucer (1544). Auf 
welchen Tischgesellen Luthers die Mitteilung dieses ab- 
fälligen Urteils, dem viele andere zur Seite stehen, zurück- 
geht, läßt sich bis jetzt nicht ermitteln. 


Es ist mir der Auftrag erteilt worden, den reichen. 
Ertrag des codex Besoldi (es sind u. a. c. 120 neue Tisch- 
reden mitzuteilen) in einem Band der Weimarer Aus- 
gabe der Lutherforschung zugänglich zu machen. Mit der 
Ausführung dieses Auftrags beschäftigt, spreche ich der 
Verwaltung der Landesbibliothek Gotha, insbesondere Herrn 
Staatsrat Prof. Dr. H. A. Krüger, für die Übersendung der 
Handschrift nach Greifswald, wo sie im feuerfesten Schrank 
der Universitätsbibliothek aufbewahrt wird, sowie dem 
Direktor unserer Bibliothek, Herrn Prof. D. Dr. Johannes 
Luther für mancherlei Beihilfe ergebensten Dank aus, den: 
ich auch auf die Verwaltung der Münchener Staatsbibliothek. 
für Übersendung der Besold-Briefe erstrecke. 


Dietrich von Starschedel, ein Zeuge 
vom Wormser Reichstage 1521. 


Von E. Körner. 
I, 


Als „ein gutes, altes Geschlecht“ rühmt einmal Kur- 
fürst August die Starsehedel!). Von ihnen ist als erster 
Petrus Starcedele nachweisbar; er überließ 1311 dem 
Kloster Langendorf bei Weißenfels eine Hufe. Im 15. Jahr- 
hundert nennen sie sich Torschedel, auch Dorstedel?). Ihr 
Stammsitz soll Starsiedel, unweit Lützen, im Merseburger 
Domkantoreisprengel gewesen sein‘), Daneben besaßen sie 
bis in das 15. Jahrhundert hinein Dommsen, nordwestlich 
von Hohenmölsen. Noch in dessen erster Hälfte finden sie 
sich zu Mutzschen. Vordem gehörte die ziemlich umfäng- 
liche Herrschaft einem Zweige der Leisniger Burggrafen, 
der sich auch nach ihm benannte‘). Als ihr Eigentümer 
erscheint 1445 unter den Starschedel Heinrich (L) in 
dem Vertrage zwischen Friedrich dem sanftmütigen und 
Wilhelm III. Er ist der Begründer der Mutzschener Linie. 

Sein Sohn Heinrich (IL), gestorben 1495, erwarb 
Cannewitz. In der Geschichte wird er zum ersten Male 
1475 erwähnt, gelegentlich des Turnieres auf dem Markte 
gu Amberg bei der glänzenden Hochzeit Philipps von 


1) Cl. v. Hausen, Vasallen-Geschlechter der Markgrafen zu Meißen, 
Berlin 1892, S. 474 ff. 

2) Noch in Zuschriften an und Briefen von Johann Friedrich 
findet sich neben Dorschedel auch Storschedel. Ihr Wappen nach 
Kneschke, S. 603: Schild rot, Silber und Schwarz, schräg rechts 
geteilt, ohne Bild. Vgl. auch König, Adelshistorie, 1727, I, S. 941—953. 
Wenig zuverlässig die Nachrichten in Dreßn. Gelehrten Anzeigen 1758, 
S. 528 ff. 

3) NASG. XXXII, S. 233, | 

*) Lorenz, Die Stadt Grimma, Leipzig 1856, S. 1074, 


27 107 


der Pfalz mit Margarethe, der Tochter Ludwigs des 
Reichen von Niederbayern: er nahm da am Gesellen- 
stechen an Aschermittwoch teil). Im Jahre darnach 
begleitete er Herzog Albrecht auf dessen Fahrt in das 
Gelobte Land. Mit 69 anderen ward er in der Kirche des 
Heiligen Grabes zum Ritter geschlagen?). Seine Beziehungen 
zum Hofe werden es gewesen sein, die ihn 1478 zum 
„Amtmanne auf dem Schneeberge“ werden ließen; noch 
1482 wird er als solcher bezeichnet. Er war es, der die 
Wasserkunst herrichtete. Hier vermehrte er seinen Reich- 
tum*), mit dem er oft den sächsischen Fürsten beistehen 
mußte. Schon bei der Erwerbung Sagans durch Ernst 
und Albrecht (1472) ist er unter den Bürgen für die 
Kaufsumme von 40000 Gulden‘). An Kurfürst Ernst 
hatte er 1000 Gulden zum Meißner Sehlofbaue zu schicken’), 
Herzog Georg einmal nicht weniger als 8000 Gulden zu 
leihen®). Lieber als derartige Steuern war ihm die Ver- 
größerung seines Grundbesitzes‘).. Dieser ward bald ein 
recht ausgedehnter; selbst Graupen erwarb er?) Infolge 
der Erbteilung 1485 fiel blos Mutzschen zum Weimarischen 
Teile, alles andere zum Meißner. Heinrich half als Herzog 
Georgs Rat als dessen Bevollmächtigter den Oschatzer . 
Vertrag schließen (1490)?) In diesem Jahre stiftete er in 
Erinnerung an die glückliche Rückkehr von seiner Pilger- 
fahrt „das Klösterlein Servorum Mariae virginis zu 
Mutzschen +°). 


1) NASG., XXVIII, S. 161. 

?) Beschreibung der Mergenthalischen Familie. 1745, S. 7. 

8) NASG., V, S. 173. 

*) Ebenda, XVIIII, S. 14. 

5) Ebenda V, S. 288. 

6) Hauptstaatsarchiv zu Dresden, Cop. 1500, 134. 

7) Kneschke, S. 603. 

°) Archiv für Sächs. Gesch. (fortan: Archiv) V, S. 344, 

?) Hausen, S. 474, 

10) Mencken, Scriptores rerum Germanic. Vol. II, p. 1585; 
„vngeferlich 1496“. So noch NASG. I, S. 85. Am genauesten 
Großmann, Die Visitationsacten der Diöces Grimma. Leizig 1873, 
S. 141 ff. Nach ihm Bau- und Kunstdenkmäler im KS. Bd. 19 und 20, 
5. 180f. Auch Hasse, Gesch. der Klöster in der Mark Meißen und 
Oberlausitz, Gotha 1888, S. 199, 


108 28 


Als sich die Zahl seiner Insassen merklich steigerte, 
vermehrten seine Einkünfte als Patrone Heinrichs drei 
Söhne‘). Es wird von ihnen besonders Heinrich (III) 
dazu bewogen haben, der Zeitzer Dompropst und Meißner 
Domherr war (f 1530)?. Er stand Herzog Georg 
nahe und hielt, wie sein älterer Bruder Dietrich (L), 
gestorben 1523, fest an der mittelalterlichen Kirche?). 
Daß dessen Witwe Walburg das Schloß Kriebstein an 
Herzog Georg abtrat, wird ihr Schwager vermittelt haben; 
die drei Brüder hatten es 1510 gekauft‘). 


Ihr Sohn Dietrich (IL) wandte sich bald aus Uber- 
zeugung der Reformation zu. Er hatte außer dem Haupt- 
gebäude des Mutzschener Schlosses das Rittergut und die 
Vorwerke, zu denen Wermsdorf gehörte, geerbt, während 
sein Bruder Ernst den Turmbau des Schlosses und außer 
den Mutzschener Teichen das Rittergut Cannewitz überkam. 
Es war ein stattlicher Besitz, den sie erhielten. Über seine 
einzelnen Stücke unterrichtet ihre Belehnung 1523 und 1533. 
Bei der ersten werden der Reihe nach aufgezählt außer 
Schloß und Städtlein Mutzschen mit aller freieigenen Jagd 
die Dörfer Böhlitz, Roda, Mahlis, Freigut und Dorf Cannewitz, 
Wagelwitz, Nerchau, Fremdiswalde®), Nennewitz, das wüste 
Dorf Naundorf, Wüstung Wermsdorf mit Sitz und Gehölz, 
Lóbsehütz, und das Raiche, Storkau, Wetheritz, Gottwitz, 
Merschwitz und Poschwitz, ein besessener Mann zu Leipnitz 
und ein besessener Mann zu Gottwitz, der Kretzschmar zu 
Gesewitz, die Pfarre zu Mutzschen, Wermsdorf, Nerchau 
und  Fremdiswalde, außerdem Bäche und schließlich 
„Hundekorn, wie es vom Burggrafen zu Leisnig herrührt“. 
Ein Jahrzehnt darnach werden noch 18 Teiche, sowie zehn 
Halter zu Mutzchen und Gottwitz genannt‘), Es ist ver- 


1) Dreßnische Gelehrte Anzeigen 1758, S. 523ff. 

?) Ursinus, Gesch. der Domkirche zu Meißen. Dresden 1782, 
S. 155. NASG. XXVI, S. 33f. Über Jnnocenz von Starschedel 
s. ebenda XXIIII, S. 92, 

3) Beitr. z. Sachs. Kirchengesch. XV, S. 35. 

4) Hausen, S. 475. 

5) Lorenz, S. 1075. 

NASG, XXXVII, S. 147. 


29 109 


stindlich, wenn in Erinnerung an diese zahlreichen 
Liegenschaften sich die Nachkommen „Dinasten“ 
nennen '). 

| IT. 

Dietrichs Geburtsjahr wird vor 1500 zu setzen sein. 
Den ersten Unterricht hat er bei den Mutzschener Serviten 
genossen, die sich vorteilhaft vor anderen auszeichneten. 
So, wie er ,von ihnen geleitet worden war, war er in der 
Jugend auf der papistischen Lehre gestanden*?) Die 
geistliche Laufbahn jedoch zu beschreiten, die neben dem 
Waffenhandwerke bisher als standesgemäß gegolten hatte, 
dazu war er als ältester Sohn wohl nie bestimmt, noch hat 
er selbst es kaum je beabsichtigt. Daß er aber für das 
juristische Studium, das jetzt beliebt ward, eine Universitit 
besucht hätte, dafür findet sich kein Anhalt; wenigstens 
wird sein Name in den Alben Wittenbergs und Leipzigs 
nieht angeführt. Wann er mit dem kurfürstlichen Hofe in 
Beziehung kam, auch dafür finden sich keinerlei Spuren. 
Unter den sog. Einrossern des Kurprinzen wird seiner nie 
gedacht; sie waren dessen Altersgenossen entnommen, und 
Starschedel ist kaum unter sie zu rechnen. Früh regte 
sich in Johann Friedrich das Interesse für Jagd und 
Turnier. Mutzschens große Waldungen stießen an die 
landesherrliehen, und daß Starschedel gern pürschte, dadurch 
wohl mit ward er prinzlieher Begleiter auf Jagdausflügen. 
So kann er bald an solehen teilgenommen haben, vielleicht 
auch an dem eifrig betriebenen Stechen und Rennen am Hofe. 

Zum ersten Male tritt er 1519 im öffentlichen Leben 
hervor. Lehensstreitigkeiten hatten einen offenen Kampf 
Heinrichs von Lüneburg und des Bischofs Johann 
von Hildesheim gegen Erich von Braunschweig 
und den Bischof von Minden veranlaßt. Für diese ergriff 
Herzog Georg Partei und schickte ihnen „viel schöne und 
stolze Reiter“. Am Peter-Pauls-Tage, an dem zu Frankfurt 
KarlV. zum Kaiser gekrönt ward, kam es zur blutigen 
Schlacht auf der Soltauer Heide. Die Meißnischen Ritter 


1) BKD. XIX, S. 34 (Grabmal). 
2) Joh. Schuwardt, Regententaffel. Leipzig 1583, S. 159. 


110 . | 30 


zogen den Tod der Schande der Flucht vor. Die meisten 
von ihnen fielen, die tiberlebenden gerieten in Gefangen- 
schaft. Unter ihnen waren z B. Moritz und Wolf von 
Pflugk, Albrecht von Heynitz, Heinrich von 
Bünau. Als trotz dem Ausgange des Streites keine Einigung 
zu erreichen war, suchten die Kurfürsten von Sachsen, Branden-. 
burg und Mainz eine Vermittlung; die Entscheidung sollte 
Herzog Johann von Sachsen und Herzog Heinrich 
von Mecklenburg treffen. Da baten sächsische Adlige, 
unter ihnen Dietrich von Starschedel, um Auslösung ihrer 
Standesgenossen *). 

Daß er bei der Nähe Leipzigs die Disputation zwischen 
Luther und Eck (1519) nicht unbeachtet ließ, ist zweifel- 
los. Der Eindruck des Wittenbergers wird ihn bewogen 
haben, alles aufzubieten, dem Wormser Reichstage beiwohnen 
zu dürfen. Die Reise dahin war für ihn von: entscheidender 
Bedeutung. | 

In welcher Eigenschaft, läßt sich nicht bestimmen. Zum 
prinzlichen Hofstaate wird er nicht gehört haben. Denn 
schon am 23. Februar verließ mit seinem Vater Johann der 
Prinz Worms, der sich damals noch als Schwager Karls V. 
betrachten konnte?); Starschedel jedoch blieb hier zurück. 
Amtliche Befugnisse werden ihn festgehalten haben. Gewib 
hatte auch ihn die allgemeine Spannung ergriffen, mit der 
Luthers Ankunft entgegengesehen ward. Sollte er nicht 
unter den Tausenden gewesen sein, die seiner in den Strafen 
harrten, wenn nieht gar unter denen vom Sächsischen Hofe, 
die ihm entgegenritten? Noch ,in seinem Alter“ spraeh er 
mit sonderlieher Freude und christlichem Frohlocken seines 
Herzens von den Aktis des Reiehstages, den er in frisehem 
Gedächtnisse allezeit hatte, Denn es war ihm ernst ge- 
wesen, soleher Handlung von Anfang bis Ende eigentlich 
wahrzunehmen. „Ich ließ andere Frühstück essen, erzählt 
er, und ging beizeiten in die Kirche — so nennt er den 


1) Weimar, Reg. C 690, Bl. 18; vgl. Rechtmeier, Braunschweig- 
Lüneb. Choronica. Braunschweig 1722, S, 866ff., Havemann, Gesch. der 
Lande Braunschweig und Lüneburg, Bd. II, Göttingen 1855, S. 21i. 

2) P. Kalkoff, Erasmus, Luther und Friedrich der Weise. 
Leipzig 1919, S. 17. : l 


31 11k 


großen Saal — in welcher der Mönch vor allen Ständen: 
des Römischen Reiches die Lehre göttlichen Wortes steif 
bekannt hat.“ Sehr anschaulich schildert Starschedel, „wie: 
erstlich der Kaiser samt den Kurfürsten, Fürsten und Ständen 
des Reiches in ihren bereiteten Sesseln gesessen, als Luther 
unter dem Volke gar allein in seinem Ordenskleide, das er 
noch antrug, daher kam, ihnen entgegentrat, und Eccius als 
päpstlicher Orator durch eine scharfe Rede ihn ansehnaubte. 
Ich aber hatte ein Mitleiden mit ihm und besorgte, er würde 
sich vor falscher Gewalt entsetzen.- Als er aber anfing, un- 
erschrocken, doch fein seltsam zureden, einem jeden Poten- 
taten seinen gehörigen Titel zu geben, verwunderte ich mich. 
und gedachte: Das möchte mir noch wohl ein Mönchlein 
sein. Ich behielt mir aus allen Reden, die da mit großem 
Ernste von beiden Teilen geschahen, diesen herrlichen Spruch 
als ein teuer köstliches Kleinod, daß D. Luther sagte zu des. 
Papstes Legaten (als er vermerkte, daß man an seiner Ver- 
antwortung nicht Genüge hatte): ‚Das Evangelium, so ich 
unserem Deutschen, meinem lieben Vaterlande, gepredigt 
habe, daß ist nicht mein, sondern meines Herren Jesu Christi,. 
und ich lasse das S. Petern verantworten, der da spricht 
Actor. 10: Von diesem Jesu zeugen alle Profeten, daß in 
seinem Namen Vergebung der Sünden erlangen alle, die an 
ihn glauben’“’), Davon hat er, fügt der Nacherzähler bei, 
noch mit D. Luther selbst am Kurfürstlichen Hofe gesprochen.. 

Starschedel wird dem 2. Erscheinen Luthers am Donners- 
tage, dem 18. April beigewohnt haben. Sein Bericht vom 
Wormser Tage weicht allerdings von dem anderer ab. Es. 
will jedoch dabei beachtet sein, daß er nicht unmittelbar 
uns überliefert ist. Wenn er die Stätte der Verhandlung 
eine Kirche nennt, so im Hinblicke auf die Wichtigkeit der 
Stunde, die sie für ihn selbst behielt. Das Benehmen des 
Trierer Eck zeichnet er richtig; es erregte bei vielen Anstoß.. 
Frische Begeisterung für Luther wird Starschedel alles haben : 
aufbieten lassen, in den bischöflichen Palast zu gelangen. 
Mit Luther zu sprechen, war ihm dadurch erleichtert, daß: 
diesem im Johanniterhause Herberge angewiesen worden war, 
wo auch die kurfiirstlichen Räte und Edelleute Wohnung: 


1) Schuwardt, S. 160. 


112 39 
aufgeschlagen hatten. Es fiel daher Starschedel nicht schwer, 
einen Augenblick zu erspähen, wo er vor den von ihm be- 
wunderten Glaubenshelden treten konnte. Sollte er nicht 
bald Johann Friedrich über sein Erlebnis berichtet haben? 
Denn dieser machte kein Hehl aus seiner freundlichen Stellung 
zu dem Wittenberger. Sie war so bekannt, daß Aleander 
nach Rom meldete, der Neffe des Kurfürsten wäre noch viel 
ketzerischer als der Oheim, wie alle Welt wüßte). Des 
Kurprinzen und Starschedels Wendung zum Evangelium 
ließen beide sich einander anschließen. Ein Verhältnis ent- 
spann sich zwischen ihnen, das fast für ihr ganzes ze 
andauerte. 
II. 

Landtage, welehe die Stände vollzählig vereinten, 
fanden im Ernestinischen Sachsen selten statt. Es waren 
nicht allein die Kosten, welche die kurfürstlichen Kassen 
belasteten, die sie nicht häufig abhalten ließen, mehr noch 
die Abneigung des Hofes gegen sie überhaupt. Der Landes- 
fürst berief sie nach eigenem Ermessen und,.da er sich von 
ihren Beratungen wenig versprach, schrieb er sie nur bei 
dringlichem Anlasse aus. Die Auswahl der zu ladenden 
Persönlichkeiten traf er nach reiflicher Erwägung. Es handelte 
sich zumeist um Steuervorlagen, zumal um „gute Ordnung“ 

„das fürstliche Wesen“ zu bringen. Für sie meinte er, 
etwas von einem engeren Kreise zu erreichen, als von 
der Gesamtheit der vier Stände?). 

Die Starschedel müssen das Vertrauen genossen haben, 
daB sie es nicht mit den Widerwilligen hielten. Sie befinden 
sich fast regelmäßig unter den Entbotenen. Heinrich (ID. 
war 1495 unter den Räten auf dem Tage zu Altenburg und 
Heinrich (IIL) 1498 auf dem zu Naumburg unter der 
Ritterschaft. Die Brüder stellen sich 1511 auf dem Land- 
tage zu Jena und dem Ausschußtage zu Fahner ein. Einer 
.von ihnen vertritt Meißen 1515 zu Naumburg, und unter 
den Grimmaern sind die Mutzschener 1518 nach Jena erfordert‘). 

1) Kalkoff, S. 106. 

?) S. A. H. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten, Jena 1902, 
S. III f£, XXXIXff. Auch Mentz, Joh. Friedrich der Großmütige. 


Jena 1908, III, S. 197 1t. 
5) Ebenda S. 10; 30; 84; 115; 126. 


33 113 


Es kann daher nicht überraschen, daß bald auch Dietrich 
an solehen Tagungen teilnimmt. Er war unter der Ritter- 
schaft Sonntag Kantate 1523 zu Altenburg, mit seinem Bruder 
Ernst Dezember 1530 wieder in Altenburg und im Januar 1531 
in Zwickau, wo er mit anderen das Amt Grimma vertrat, 
Hier war er unter den von gemeiner Landschaft zum Aus- 
schuß Vorgeschlagenen, die mit weitgehenden Vollmachten 
ausgerüstet wurden. So kam er zu dem wichtigen Ausschuß- 
tage zu Torgau, März 1521, und ward an erster Stelle zum 
ersten Einnehmer der Anlagegelder im Kreise Torgau be- 
stimmt. Den letzten Ausschußtag hatte Kurfürst Johann 
für Mai 1532 nach Torgau ausgeschrieben und endlich auf 
1. September verschoben; er erlebte ihn nicht: er starb am 
16. August’). 

Im Besitze der Kurwürde hat sein Nachfolger blos 1533 
zu Jena und 1542 zu Weimar wirkliche Landtage veran- 
staltet. Er war kein Freund von ihnen und hat sogar den 
Ausschuß selten zu Rate gezogen. Als er ihn im Oktober 1532 
in Torgau um sich sammelte, tat er es wohl unter dem 
Zwange der finanziellen Mißstände. Sie besonders waren es 
ja, welche ihn die Landschaft nicht gänzlich unbeachtet 
sein ließen. 

Für ihre Regelung wirkte auch jetzt, wie schon früher 
Starschedel eifrig mit. Er mag dafür vor anderen Geschick 
besessen haben. Gern übertrug man ihm deshalb die Ein- 
nahme von Steuern. Neben der des Zehnten Pfennigs hatte 
er die der wenig beliebten Tranksteuer des Adels?). Mit 
welcher Gewissenhaftigkeit er solche Aufgaben erfüllte, be-- 
zeugt er mit seinen musterhaften Listen über die Türken- 
steuer. Wennschon sie in der Hauptsache von seinem 
Schösser, Hans Schütz, geführt wurden, so tat er es 
- doch unter Starschedels Aufsicht, der sich um alles be- 
kümmerte. Aus den 21 Dörfern und der Wüstung Naun- 
dorf seiner Pflegschaft konnte er 1542 an Lätare 90fl. 


1) Ebenda, S. 200; 214; 230; 263f. Vgl. Köstlin-Kawerau, 
M. Luther, Bd, I. S. 413ff, 
2) Weimar, Reg. Qg., pag. 752, C 545 ff. 
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 2. 8 


114 34 


19 Grosehen und an Martini 90 fl. 19 Groschen 7 Pfennige, 
abliefern !). 

Seine Umsicht und Sorgfalt ward von der Landschaft 
geschätzt. Er war ein Mann allgemeinen Vertrauens. Als 
während der Wurzener Fehde sich Johann Friedrich 
in Grimma aufhielt und der hessische Marschall Hermann 
von Hundelshausen in Philipps Auftrage zwischen 
den Parteien eine Vermittlung anstrebte, empfahl dieser dem 
Herzog Moritz neben Mügeln das Haus Starschedels als 
Verhandlungsort für die beiderseitigen Rate. Kaum wird 
es bloß die günstige Lage Mutzschens, sicherlich vielmehr 
Starschedels Persönlichkeit gewesen sein, die eine versöhnende 
Einwirkung erwarten ließ. Die Zusammenkunft bei ihm 
ward durch des Landgrafen Eingreifen unnötig’). 

Im Schmalkaldischen Kriege griff die Ernestinische Seite 
den Gedanken der Herzogin Elisabeth von Rochlitz 
und des Fürsten Georg von Anhalt auf, daß je vier von 
den beiden Landschaften in Beratung treten möchten. Auf 
Bitten der Seinen verhinderte sie Johann Friedrich 
nicht, hoffte wohl sogar von ihr einigen Erfolg. Die Vor- 
schläge dafür entwarf Hans von Ponikau, ließ sich selbst, 
wie auch Brück, jedoch nicht dazu abordnen. Außer dem 
Kanzler Jobst von Hain wurden voran Starschedel neben 
Wolf von.Schönberg und Georg von der Planitz 
geschickt. Die Albertiner waren zu der Unterredung bereit, 
wenn vom 28. März,bis drei Tage nach beendeter Aussprache 
Waffenstillstand zugesichert würde. Von ihnen kamen nach 
Mittweida außer Ludwig Fachs noch Kaspar von Schön- 
berg,Gottschalg von Haugzwitz und Wolf Koller. 
Starschedel scheint recht entschieden gesprochen zu haben. 
Er drang auf ,,Verhiitung weiteren Verderbens des Landes 
und auf Wiederaufrichtung des Friedens.“ Seine Befiirchtungen 


1) Weimar, Reg. Pp, Nr. 6184. Als Orte werden verzeichnet: Roda, 
Góttwitz, Merschwitz, Gastewitz, Poischwitz, Serka, Löbschütz, 
Fremdiswalde, Wermsdorf, Döbern, Grauschwitz, Ablaß, Leipen, Prösitz, 
Schmorditz, Grottewitz, Golpern, Nerchau, Cannewitz, Wachelwitz 
und Wüstung Naundorf. 


?) Archiv IV, S. 76. E. Brandenburg, Moritz von Sachsen, I, 
S. 203 ff. 


35 | 115 


suchten noch die Herzoglichen schriftlich zu widerlegen. Er 
aber wich nicht von seiner Auffassung der Lage zurück). 
Ob er nicht merkte, daß die Ernestiner nur Zeit hatten 
gewinnen wollen für einen Abzug Moritzens und Ferdi- 
nands nach Eger zur Vereinigung mit dem Kaiser? 

Von den Rechten, die er als zur Landschaft gehörig 
besaß, machte er bei sich bietender Gelegenheit Gebrauch. 
Am 25. März 1528 hatte Kurfürstin Elisabeth von 
Brandenburg in Torgau Zuflucht gesucht, wo Kurfürst 
Johann für ihren Empfang alles vorbereitet hatte. Welches 
Aufsehen bei Katholiken und Protestanten der Vorfall erregte, 
ist bekannt. Mit Hans von der Planitz und Christoph 
Groß verteidigte Starschedel Elisabeth, wie aus einem 
Schreiben an Kurfürst Johann erhellt, das er als erster 
unterzeichnet hat, wohl, weil er es veranlaßt hatte?). 

Wenn er als Verordneter des Landes Meißen Vorschläge 
für Verteilung von Wittenberger Stipendien zu machen hatte, 
so bewährte er sicherlich das ihm geschenkte Vertrauen. 
Als geeignete Empfänger empfahl er 1544 Hans Zosche 
in Böhlen (Amt Colditz) und den Sohn Bernhards von 
Hirschfeld?) 


IV. 
Daß man Starschedel offenbar gern bei wichtigen 
_ Anlässen heranzog, geschah wohl auch in Rücksicht auf 
seine amtliche Stellung. Möglich, daß er durch sie zur 
Übernahme von Aufträgen verpflichtet war. Er war kur- 
fürstlicher Rat; seit wann, ist nicht genau bestimmbar: 
er scheint es bald geworden zu sein. Die Obliegenheiten 
eines solchen waren mannigiache*) Als sich 1529 Kurfürst 
Johann zum Reichstage nach Speyer begab, ließ er den 
Kurprinzen zur Regierung des Landes zurück. So ungern 
dieser den religiösen Verhandlungen fern blieb, so fleißig 
widmete er sich der überkommenen Tätigkeit. Durch den 


*) Weimar, Reg. J, pag. 405, Q 13. Vgl.: von Langenn, Moritz von 
Sachsen I, S. 337ff, Brandenburg, I, S. 528ff., Mentz, I, S. 94f. 
2) Weimar, keg C 38, Bl. 14. 
. 3) Ebenda, Reg. O 444, 
*) Mentz, III, S. 124ff; 144f, 


8% 


116 36 


Einblick in die Regierungsgeschäfte fühlte er sich bewogen, 
Vorschläge für ihre Erledigung zu machen, wie er sie fiir 
die erregte Zeit nötig errachtete. Für Weimar und für 
Torgau als den Residenzen empfahl er gesonderte Kammern; 
für jede von ihnen hatte er schon je acht geeignete Männer 
als Räte ausersehen, unter ihnen für Torgau Starschedel'). 
Obwohl er sich für sein Amt stets dienstbereit halten mußte, 
empfing er doch eine nur geringe Entschädigung. Über sie 
um Auskunft angegangen, gibt er 100 fl: als sein „Ratgeld“ 
an; von Hofkleidung und Naturalien, wie sie außerdem 
andere bezogen, erwähnt er nichts?). 


Auf sie hat ihn vielleicht seine Stellung als Hof- 
marschall verzichten lassen. Er trat in sie ein auf Grund 
einer neuen Hofordnung 1533 und begleitete sie bis 1547 5). 
Mit ihr hatte er eine selten umfängliche Tätigkeit über- 
nommen. Alles und jedes unterstand ihm, was irgend den 
Hof betraf und am Hofe vorging. Nicht bloß, daß er die 
Aufsicht über das gesamte Hofpersonal bis herab zum ge- 
ringsten Dienstboten üben sollte, er sollte auch ein scharfes 
Auge haben auf das „Frauenzimmer“, für Küche und Keller 
bedacht sein, auf Tischgebet und Tischzucht halten, um Be- 
wachung, Beleuchtung und Heizung des Schlosses besorgt 
sein, Klagen des Hofgesindes entgegennehmen und Streitig- 
keiten schlichten, das Rechnungswesen prüfen, das Jahr- 
zehnte hindurch auf Landtagen viele Ursache zu Beschwerden 
und Ratschlägen gab‘). 


Es war ihm also das gesamte Hofwesen überlassen. 
Nun werden aber bis 1547 außer ihm noch Kaspar und 
Nickel von Minkwitz, Asmus Spiegel und Heinrich 
von Schönberg?) als Hofmarschälle genannt. Ihres Bei- 
standes wird Starschedel dringend bedurft haben, seiidem 


1) Mentz, I, S. 68; 126. | 

2) Weimar, Reg. L, pag. 79—90, A 5. Soviel auch D. Bleick- 
hardt und Hindringer, D. Benedickt Pauli 80 und D. Kilian Goldstein 
sogar bloß 60fl. 

3) Burkhardt, S. XXXVIII und XL; Mentz III, S. 137; 181f. 

4) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (70 Paragraphen, dazu 
17 ungezählte); Reg. 403, VV Nr. 2. — Vgl. Mentz III, S. 187f. 

5) Mentz, III, 5. 138a. 


37 117 
er und Asmus Spiegel Erzieher der Prinzen geworden 
waren. Wie väterlich Johann Friedrich für die gelehrte 
und die sittliche Bildung seiner Söhne sorgte, dafür liefern 
seine Briefe aus der Gefangenschaft schöne Beweise. Daß 
er sie zur Gottesfurcht, zu regelmäßigem Kirchenbesuche 
und täglicher Bibellesung anhält, versäumt er nicht. Eine 
gute Handschrift verlangt er. Immer wieder ermahnt er 
zu fleißigem Betriebe der alten Sprachen, da er selbst die 
ihm mangelnde Kenntnis des Lateinischen empfand. Das 
Deutsche sollen sie darum nicht vernachlässigen. Ihren 
Eifer lohnt er mit Erholungsstunden !). 

Daher soll Starschedel mit den Prinzen „ein bar stunden 
Ins feldt einen Hasen zu hetzen spatzieren reiten“. Um so 
unwilliger ist der Vater, wenn er erfährt, daß diese nicht 
„wollten sich furstlich, Zuchtig vnd ehrlich, wie Fursten wol 
anstehet vnd gebuhret, halten“ und ihren Kavalieren und 
Lehrern nicht „unweyerlich vnd unwidersetzt folgen.“ Als er 
gar berichtet wird, daß sie „falsch vnd vnrecht gespiellet, 
ob sie auch solchs vileicht möcht scherz weise gethan haben“, 
rügt er ernstlich. Leichtfertiger Worte und Fluchens, auch 
unbestündiger Reden und seltsamer Geberden sollen sie sich 
enthalten; des Weins tiber Tische zum Nachtrank nicht 
mehr zu sieh nehmen, als des Leibes Notdurft erfordert; 
unmäßiges Saufen meiden. Mit Brück sollen Starschedel 
und Spiegel streng darauf achten, daß seine väterliche 
Vermahnung befolgt wird. Sie suchen ihn zu beschwichtigen, 
da sie versichern können, daß sie „keine sonderliche 
nschicklichkeit vermerkt oder befunden haben“ 2). Trotz- 
dem gelangte bald eine eingehende Instruktion an sie, 
welche bis ins einzelnste „das fürstliche Leben“ der Prinzen 
regeln sollte’), | 

Solche unangenehme Zwischenfälle steigerten für Star- 
schedel die schon umfängliche Mühewaltung seines Amtes. 
Als er sich von ihm infolge des Ausganges des Schmalkal- 


1) Chr. G. Neudecker, Die handschriftliche Gesch. Ratzebergers, 
Jena 1850, S. 275. Beck, Joh. Friedrich der Mittlere, Weimar 1858, 
I, 8. 7, Mentz, III, S. 259. 

*) Neudecker, S. 279, Beck, II, 177 f. 

*) Mentz, IIT, S. 257 ff. 


118 | | 38 


dischen Krieges zurückgezogen hatte, berichtet er, daß er 
160 Gulden Besoldung empfangen hätte !). Der Betrag war 
nicht das einzige, was ihm zufloß. Für seinen Nachfolger 
unterbreitete Johann Friedrich der Mittlere Vor- 
schlige. Die Geldsumme setzte der alte Herr niedriger, die 

Naturalbezüge höher an. Außer 200 Gulden an barem 
. Gelde sollten dem Hofmarschall geliefert werden, 225 Scheffel 
Korn, 150 Scheffel Gerste, 6!/, Scheffel Erbsen, für 12 Gulden 
Hopfen, 7 Schock „Michels Hühner“, 13 Kapaunen, 6 Gänse, 
6 Schock Eier, 6 Stein Unschlitt, 2 wöchentlich „Dienst“ 
Fische, ,der jeder 16 Pf. wiirdigk“, 2 Zentner Karpfen, 
6 Eimer Rotwein; die Schäferei Zossen, von der 80 Fuder 
Heu, Hafer für 5 Pferde u. a. zu liefern waren. Da Wolf 
Goldacker, der zum Hofmarschall ausersehen war, kein 
Rindvieh halten könnte, sollte er mit jährlich 40 Gulden 
entschädigt werden; zudem behielt er die Nutznießung seines 
Gartens zu Weida. Schweine, Hühner und Gänse hatte er 
auf seine Kosten zu halten. Für Sommer und Winter be- 
kam er je eine gewöhnliche Hofkleidung, Holz zur Feuerung 
nach Bedarf?). Starschedel wird kaum geringer bedacht 
gewesen sein, als sein Nachfolger. 


Daß er bei seiner andauernden Anwesenheit am Hofe 
häufig als Zeuge erscheint, bedarf nicht der Erwähnung 
und des Nachweises. | 


V. 

Seinen Neigungen würde es entsprochen haben, wenn 
er bald zu den Kirchenvisitationen herangezogen 
worden wäre. Der Gedanke an sie hatte nur allmählig zur 
Geltung gelangen können. Staatlicberseits war er zuerst 
von Johann Friedrich vertreten worden (1524)°). 


1) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (Instruktion für 
Weißenbach. | 

2) Ebenda, Reg. K, pag. 448, WW Nr. 4 (Instruktion für 
Goldacker). l 

3) CAH. Burkhardt, @esch. der sächs. Kirchen- und Schul- 
visitationen, Leizig 1879, S. 3f. Sehling, Ev. KOO. I, 8, 33. Mentz, 
Bd. III, 230ff. 


39 | 119 


Von Alteren!) selbst noch von Burkhardt?) wird Star- 
schedel neben Anark von Wildenfels, sowie Spalatin 
und Anton Musa genannt, um die Verhältnisse in Alten- 
burg, „das mit Mönchen und Nonnen tiberschtittet war“, zu 
untersuchen. Da er zu dem amtsschriftsässigen Adel ge- 
hörte, wird er auch unter denen bezeichnet worden sein, 
welche der Altenburger Amtmann zur Teilnahme an der 
Visitation bescheiden sollte. Unter den vier jedoch, welche 
schließlich für Altenburg gewählt und im September nach 
Torgau berufen wurden, war Starschedel nicht*). Es ist nicht 
ersichtlich, warum es unterblieb. An seiner Stelle war 
Ewald von Brandenstein tätig. 
Die Gruppe der Visitatoren, welche den Teil MeiBens 
. bereiste, zu dem das Amt Colditz mit dem Grimmaer Kreise 
gehörte, hatte wiederholt Ursache zu scharfen Eingriffen. 
Um so anerkennenswerter ist ihr Befund in Mutzschen‘). 
Dem Pirnaischen Mönche entlockte es die Klage: „Alldo rast 
besamt dem voleke die Martinische Seckte“; und er über- 
treibt nicht. Der Pfarrer Adam Burkhoven, ein Kur- 
hesse, aug der Zahl der Serviten, wird zensiert als „in seiner 
lahr richtig, auch seines wandels vnd lebens vom lehnherrn 
vod Pfarrkindern gelobt.“ Der Diakonus, der nicht namentlich 
angeführt wird, wohl ChristofStrobel, später Herzog 
Heinrichs Hofprediger, ist „vor andern der lahr halber 
geschickt.“ Er ist auch „ein ordensmann servorum Mariae“. 
Der Fremdiswalder Parochus, Jakobus Klappe, wird 
Sogar gertihmt als ,wohlgelehrt, seines lebens und wandels 
ganz richtig befunden“; er starb als Superintendent zu 
Großenhain (1553). Mutzschener Patronat war Wermsdorf 
ehedem dem Kloster inkorporiert. Aus ihm war dahin ge- 
kommen Valentin Zeppler. Zwar gilt er nur „der lahr 


1) Seckendorf, Hist. Lutheranismi. Leipzig 1694 II, pag. 101. 
E. von Braun, Die Stadt Altenburg in den Jahren 1525—1826. 
Altenburg 1876, S. 11ff. Richtig bei Lobe, Gesch. der Kirchen und 
Schulen in H. Altenburg, Altenburg 1884, Bd. I, S. 391f. 

3) Burkhardt, S. 27; 43f. 

8) Weimar, Reg. K, fol. 2 II, Bl. 30b; Ji, 204. 

*) Nach Großmann, S. 141 hatte es „j sloß vnd xl. einwoner“ 
in den 9 eingepfarrten Dórfern 49 Pferdner und 30 Gürtner. 


120 40 


zimlich bericht“, jedoch „seines wandels richtig“. Es muĝ 
ihm aber angedroht werden, „wo er nicht fleißiger studieren 
würde“, sollte er der Pfarre auf nächste Ostern entsetzt 
werden. Zu diesen drei Fratres ist noch Cyriakus Heidler 
zu nehmen; er war im nahen Altenhain. . Freilich wird er 
beschuldigt, daß er „sich oft des trinkens vleissige“, aber 
„in der christlichen lahr ist er zimlich bericht^!), Daß diese 
alle unter vielen ihrer Umgebung hervorragen, läßt nur 
günstig das Klösterlein beurteilen, was sicherlich seinem 
Schutzherren mit zuzuschreiben ist. 


Er war hier bei der Untersuchung der Zustände (Mai 
und Juni 1529) nicht tätig. Daß aber auf sie Starschedels 
wegen Nachsicht geübt worden wäre, läßt sich nicht arg- 
wöhnen. Sehr genau forschen die Visitatoren nach den 
Bestandteilen des Einkommens. Für den Pfarrer betrug es 
bare 114 fl. 5 Groschen 5 Pfennige ohne die Haushaltung. 
Sie bestand aus Wohnung im Kloster und vorigem Pfarr- 
gebäude, sowie. in einem Garten, der so groß ist, daß er 
Grasweide für fünf Kühe abgibt. Daher wird es nicht als 
Mangel empfunden, daß „Artfeld und Wiesenwuchs vererbt ist.“ 
Holz wird ihm soviel geliefert, als „zum Gebäude und Feuer- 
werk bedürltig^ ist. Weil der Pfarrer für Feld und Wiese 
48 fl. 19 Groschen 6 Pfennige an Zinsen hatte, fiel es ihm 
nicht schwer, davon 36 fl. an Geld und je seehs Scheffel 
Korn und Hafer dem Diakonus zu reichen; außerdem bezog 
dieser 31 fl, hatte eigenes Haus, Garten und Grasweide für 
eine Kuh, dazu auch Holz zum Feuerwerk. Pfarrer und 
Diakonus wurden ihre Pflichten eingescharft. Ein Sebul- 
meister ist vorhanden, vermißt wird aber in dem kleinen 
Mutzschen eine gelehrte Schule. Starschedel erbietet sich, 
eine solche einzurichten. 


Obwohl von seinen Vorfahren und ihm alles Kirchen- 
vermögen stammt, wird ihm nicht verschwiegen, dab man 
die Urkunden über Güter, Einkommen, Gerechtigkeiten usw. 
„zu Pfarre, Frühmessen oder auch zum Kloster gehörig ver- 
misse“. Es wird ihm darum aufgegeben, „ein klares, voll- 
ständiges Verzeichnis und Erbregister aufs förderlichste zu 


1) Großmann, S. 142f.; 104. 


41 121 


fertigen und zu machen“, dazu ein genaues „Verzeichnis 
und Inventarium des Vorrats und Kirchengerätes von Stück 
zu Stück“. Was darin anzuführen ist, wird bis ins einzelste 
vermerkt. Erst wenn Starschedel genugsam die verlangten 
Nachweise beigebracht hat, „soll dann weiter, was bequem 
und gut sein wird, vorgenommen werden^?) Ob dabei an 
eine Mägdleinschule gedacht wird? In der ganzen Diözese 
hatte nur Grimma und Eilenburg eine solche. Bei der 
Forderung ließ man es nicht etwa bewenden. Am 12. März 1534 
erschien Starschedel in Grimma vor den Visitatoren Mutzschens. 
mit den verlangten Nachweisen und erhielt daraufhin nach- 
her die Verpflichtung für die Pfarrbesoldung seines Patronates ?). 
Auch an der Visitation 1532 war Starschedel nicht 
beteiligt. Seine Stelung am Hofe wird ihm dazu keine 
Zeit gelassen haben. Hingegen befand er sich unter denen, 
die 1541 vom Kurfürsten nach Zeitz entsandt wurden, 
um Nikolaus von Amsdorf für Julius Pflugk zum 
Naumburger Bischofe zu wählen. So wenig angenehm der 
Auftrag für ihn war, wegen seiner Verschwägerung mit. 
Pflugks, ward er doch aus evangeliseher Überzeugung von 
ihm übernommen. Der vom Kurfürsten erkorene war ihm 
verwandt und befreundet; in Zschepa bei Wurzen hatte er 
seine Heimat und wird mit Starschedel häufigen Verkehr 
gepflogen haben ?). Auf Widerstand war man gefaßt. Star- 
schedel wird nachgerühmt, daß er das befestigte Schloß. 
eingenommen habe. l 
Einen Beweis seiner Klugheit und Tatkraft hatte Star- 
schedel bei der Visitation des Domstiftes, des Amtes und 
der Stadt Wurzen zu liefern (Mai 1542). Für sie hatte 
Johann Friedrich im Oschatzer Vertrage freie Hand 
bekommen. Mit ihr waren ex nobilitate außer ihm Asmus 
Spiegel und von den Theologen Georg Spalatin 
und der Superintendent Schreier von Grimma betraut. 
Für ihr allgemeines Ansehen spricht es, daß sie berufen 
wurden, in diesem Gebiete Wandel zu schaffen. Die 


1) Ebenda, S. 143 ff. 

*) Weimar, Reg. Di, 6, Bl. 181. 

*) Seckendorff, Vol. III, XCVI, 9, pag. 390; Hortleder, lib. V, 
eap. 12. E. Zergiebel, Chronik von Zeitz. Zeitz 1896, I, S. 211 ff, 


122 4g 


Schwierigkeit der Aufgabe hatte damit bisher zögern lassen. 
Wurzen war der letzte Stützpunkt der Meißner Bischöfe 
und stand unter ernestinischem und albertinischem Schutze. 
Hatte schon Herzog Georg den Vertrag von 1485 für 
sich ausgebeutet, so war auch Moritz sehr dazu geneigt 
und Bischof Johann VIII. dem Kurfürsten feindlich gesinnt: 
ihm war der Ausbruch des Streites zwischen den Vettern nur 
recht gewesen. Das von ihm gewünschte Ende hatte dieser 
nicht genommen. Mit voller Befugnis konnte jetzt Johann 
Friedrich in Wurzen eingreifen. 


Am 11. Mai trafen die Visitatoren ein. Gegen die 
Domherren übten sie Schonung, benahmen sie jedoch jed- 
weden Einflusses. Ein gänzlich Neues mußten sie in der 
Stadt begründen. Der Dürftigkeit hier entsprach die auf 
den Dörfern. Sie bedingte, daß fast kleinlich erscheinende 
Vorschriften gegeben wurden, die aber nur von im alltäg- 
lichen Leben erfahrenen Männern gemacht werden konnten. 
Einen Erfolg suchten die Gegner in ‘einer Weise zu 
vereiteln, mit welcher sie sich selbst genugsam kenn- 
zeichneten D. | 


Sie erreichten damit bloß, daß im August und Sep- 
tember 1546 von Brück verfaßte scharfe Erklärungen gegen 
„den papistischen Bischoff zu Meissen und sehlenmorder“ 
ergingen, Nochmals ward Starschedel und Spiegel ange- 
wiesen, „seine Teuffelslehre, greul und unchristliche Ceremonien 
zu dempffen, niederzulegen, auch gänzlich auszurotten“. Die 
anwesenden Kapitelsherren und Vikare sollten sie „ver- 
warnen, von. ihnen hören, ob sie bei dem gottlich wort 
bleiben und daselbig bekennen und soviel an ihnen... 
mher Gott dan den Menschen gehorchen“ wollten. Be- 
rufungen auf den Bischof sollten sie abschlagen. Seiner 
,praetiek und teufflischen List“ sollte fiir immer ein Ziel 
gesetzt werden. Es geschah im Einvernehmen mit der 
Ritterschaft im Amte Wurzen, und am Egidientage 1546 
wurde. Starschedel und der Hauptmann von Wittenberg 
‚damit beauftragt?). 


1) Burkhardt, S. 208ff., 288. 
2) Weimar, Reg. J, pag. 264, Nr.4A. Reg. J, pag. 265, Nr. 45. 


43 — 193 


VI. 

Sein Wohlwollen gegen Geistliche uud Lehrer genossen 
reichlich die seines Patronates. Nicht nur, daß er darauf 
hielt, daß ihre Einkünfte nicht geschmälert oder ihnen gar 
entzogen würden, wo er es angebracht fand, erstrebte er 
auch ihre Aufbesserung. Die besondere Begabung seiner 
Pfarrer verstand er anzuregen und zu benutzen. Wenn er 
erfuhr, daß ihre Gefälle ihnen verkiimmert und sie mit 
übeler Nachrede belästigt- wurden, pflegte er zu sagen: „O, 
wie wird sie der Teufel einmal darum kratzen, die ihre 
Prediger jetzund so gering achten. Heute oder morgen, 
wenn ihr letztes Stündlein kommt, da wird sich’s finden, 
was sie sich selbst damit gestiftet haben.“ 

Wozu er aber andere ermahnte, darin ging er selber 
ihnen voran, Legte er den Eingepfarrten eine Zulage zum 
Pfarrgehalte auf, so war er der erste, der von seinem Gelde 
und Getreide etwas gewisses vermidmete und ohne Verzug jähr- 
lich entrichtete. Daß er von seinen Feldern den Zehnten eben- 
so gab, wie seine Untersassen, war ihm etwas selbstverständ- 
liches. Daran lieB er sich nicht einmal genügen; selten 
ließ er es an einer Zugabe fehlen, und, wenn Miswachs 
einfiel, sprach er: „Es muĝ darum an Eurer Besoldung 
nichts abgehen. Ich will einen Nachschuß tun vom Boden.“ 

Jahrzehnte hindurch prüfte er alle halben Jahre den 
Zustand der Kirchen und Pfarrgebäude, sowie der Schulen. 
Schößer, Richter und Kirchenväter mußten ihn dabei be- 
gleiten. Nicht das geringste entging seinen scharfen Blicken. 
Kaum, daß eine Schindel ausgefallen war, so befahl er ihre 
alsbaldige Ergänzung. Die Kirchenväter mußten dabei 
hören: „Ei, wenn Ihr Eure Seelsorger recht lieb hättet, so 
würdet Ihr auch Achtung haben, daß sie im trocknen sitzen 
möchten!“ | 

Um Zwistigkeiten vorzubeugen, merkte er darauf, daß 
die Pfarrgrundstücke gehörig verraint und vermalt würden. 
Keine Beschwerde scheute er deshalb, ritt selber auf alle 
Winkel, führte die Gemeindeältesten an Teichen, Hölzern, 
Wiesen und Brachen herum, beschied dazu an jede Stelle 
die Leute, welche Güter dabei oder daneben hatten, schlichtete 
Meinungsverschiedenheiten, richtete Zeichen und Merkmale 


M 


124 | 44 


an Rainsteinen, Bäumen und Gräben auf, damit ein jedes 
das seine in Ruhe und Frieden ohne Verletzung brauchen 
möchte. Auch den Grenznachbarn seiner Gemeinden prägte 
er ein, daß sie ja nichts den Kirehengütern entziehen oder 
abzwacken dürften; denn es käme ihnen und ihren Erben 
doch nicht zu gute; sie hätten es hoch vor Gotte zu ver- 
antworten, wo sie seinen lieben Dienern etwas raubten, 


Sein Verhalten und Reden bei solchen Besichtigungen 
lassen schon vermuten, daß ihnen Beeinflussungen des Ge- 
meindelebens entsprochen haben werden. Er war ein Feind 
der bäuerlichen Prozeßsucht. Ihr trat er zeitigst entgegen. 
Täglich gab er nach Tisch eine Stunde lang seinen Unter- 
tanen Audienz und beschied sie gütlich). Wo Lust vor- 
handen war nach gerichtlicher Entscheidung, lud er den 
damit behafteten vor sich u: .“samühte sich um Beilegung 
des Handels. Gelang es ihm nicht, so befahl er dem Schößer: 
„Laß mir diesen in das Studierstüblein führen.“ Im Schloß- 
turme hatte er nämlich einen besonderen Raum für Zänker. 
In diesen .wurden sie eingesetzt, damit sie sich besinnen 
und gutem Rate folgen lernten. „Denn,“ erklärte er, „es ist 
viel besser, ich bringe sie durch solches Mittel zu Verstande, 
als daß ich sollte zugeben, daß sie nach ihrem störrischen 
Sinne das ihre verhadern.“ So verhinderte er von vorn- 
herein, daß der Rechtsweg beschritten wurde, er meinte, die 
Leute gewöhnten sich sonst ans Zanken, wenn man ihnen 
nicht einredet, und verderben darüber. „Kann ich einem 
sagen, wie er sein Recht ohne Unkosten finde, und, wo er 
nicht will, so gebührt mir, den Ernst zu gebrauchen und 
solehe mutmaßliche Lust zum Zanken zu strafen.“ 


Seine Friedensliebe wird es gewesen sein, die ihn nicht 
erst warten ließ, bis er gedrängt wurde, Mutzschen Stadt- 
rechte zu verleihen. Er tat es freiwillig 1544. Wußte er 
sich jedoch im Rechte, so verzichtete er nicht auf dieses, 
wenn er den Gegner nicht anders überzeugen konnte. Als 
er wegen einiger neuerbauter Häuser in Gastewitz mit dem 
Amte Grimma in Irrung geriet, wich er dieser nicht aus”). 


1) Peccenstein, Theatrum Sax. Jehna 1608, S, 87. 
?) Dresden, Cop. 288, fol. 175b. 


45 125 


VII. 

Diese Nachrichten über Starschedel überliefert Schuwardt 
in seiner ,Regententafel^, dessen Vater 24 Jahre Pfarrer 
und Prediger zu Mutzschen war!). So oft er Starschedels 
gedenkt, verrüt er, daf er es aus inniger Verehrung tut. Es 
hatte schon auf den Knaben einen tiefen Eindruck gemacht, 
daß der Patron alle Predigten mit Fleiß hörte und durch 
keinen Frost, Schnee, Regen oder Schlaf sich davon zurück- 
halten ließ. Noch vor Beginn des Gottesdienstes fand er 
sich ein, und wie er als erster in die Kirche kam, so ver- 
ließ er sie als letzter. Seitdem er durch Luther die reine 
evangelische Lehre erkannt hatte, war er beflissen, beim 
rechten Glauben zu bleiben. Alle Sophisterei und falsche 
Lehre war ibm zuwider. Immer nach voller Gewißheit 
strebend, holte er sich. bei se” em Geistlichen Rat, wenn er 
sich über etwas unklar war. - 

Ausgeprügt war seine ,Abseheu gegen des Papstes 
Tand und Irrtum“. Welche Stellung er daher gegen das 
Interim einzunehmen hätte, darüber war er sofort nicht 
im geringsten Zweifel. Wie mag er sich gefreut haben, als 
sein einstiger Pfarrer Klappe als Superintendent zu Großen- 
hain gegen die Einführung des Leipziger Interims heftigen 
Widerstand leistete, und daß es der Superintendent Wolf 
in Colditz tapfer ablehnte, dafür fand er in Mutzschen Beifall. 
Als Moritz seinen Räten befahl, außer den Geistlichen auch 
„andere Leute“ Mai 1549 nach Grimma zu laden, rechnete 
er offenbar mit starkem Widerstande; denn er bedachte alle 
mit Strafe, welche das Interim nicht annähmen. Nicht bloß 
Superintendenten und Pfarrer sollten erscheinen, auch Fürst 
Georg von Anhalt, Melanchthon und Camerarius 
fanden sich ein. Zwar nahmen die Theologen den Agenden- 


1) Nach Knauth, Altzellaer Chronik, III, S. 182 verließ Schuwardt 
Roßwein 1539, wo er Schulmeister gewesen war. Als Zeit seiner 
Mutzschener Amtsdauer gibt Kreysig 1537—1574 an und läßt die 
seiner Vorgängers Burkhoven ungewiß; er kennt auch nicht den 
2. Diakonus in Mutzschen. Dieser war Schuwardt sen.; daher wird 
er vom Sohne Prediger genannt, rückte später ins Pfarramt auf. 
Nicht zutreffend können auch die Angaben der Kirchengalerie, Eph. 
Grimma sein, nach denen er 1529 Diakonus, 1553 Pfarrer in Possen- 
dorf, und 1557—1574 Pfarrer in Mutzschen war. 


126 46 
entwurf Georgs an, jedoch nur unter der Bedingung, daß 
mit Publizierung und Druck der neuen Ordnung gezögert 
_ und zunächst bloß etliche Artikel aus ihr den Pfarrern be- 
kanntgegeben würden. Aber gerade im Grimmaer Kreise 
war der Unwille gegen das Interim so heftig, zumal unter 
dem Adel, daß in diesem nicht einmal der sog. Auszug zur 
Einführung gelangte). Starschedel war das Interim gleich 
von vornherein darum verdächtig, weil er von ihm Streitig- 
keiten befürchtete; und wenn irgendwelche, so waren ihm 
solche um das Glaubensbekenntnis besonders verhaßt. Junge 
Leute ermahnte er deshalb oft, sich vor diesen zu hüten und 
,dureh keine schéne Deutelung von der gegründeten Wahr- 
heit sich abführen zu lassen", 

Am besten fand er sie von Luther zum Ausdrueke 
gebracht. Alle und jede Bücher von ihm, grofe und kleine, 
seit dessen Auftreten, hatte er nacheinander erworben. Sie 
las er fleißig und ließ sie später von seinen Geistlichen und 
anderen sich vorlesen. Am höchsten schätzte er des Refor- 
mators Kommentar zum Galaterbriefe. So war er mit dessen 
Auslegung vertraut, daß er sie auswendig konnte. Um nötigen 
Falles die Stellen zu finden, die er für die wichtigsten hielt, 
hatte er sie unterstrichen nnd sonst sich merklich ge- 
macht. Viele von ihnen hatte er in sein Gebetbuch einge- 
tragen, das er sich eigens zusammengestellt hatte und auf 
seinen Reisen stets mit sich führte. Aus den Lehrschriften 
Luthers hatte er sich einen Auszug gefertigt, in dem er 
so ziemlich alle Aussprüche desselben über die Rechtfertigung 
aus dem Glauben bei einander hatte. Über dieses. Lehrsttick 
besprach er sich am häufigsten mit seinen Geistlichen. 

Die einzigen waren sie nicht, die ihm hierüber Rede 
stehen mußten. Hatte er Gäste um sich, so wär er mit ihnen 
bald in einem christlichen Gespräche. Mit „Gelehrten vom 
Adel“ solche zu führen, liebte er sehr. War er bei seiner 
regelmäßigen Bibellesung auf einen Spruch gestoßen, über 
dessen Auffassung er sich nicht völlig klar war, so wußte 


1) Sehling, Die Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen, 
Leipzig 1899, S. 109, Westphal, Fürst Georg zu Anhalt, Leipzig 1907, 
S, 70. A. Chalybäus, Die Durchführung des Leipziger Interims 
Chemnitz 1905 (Diss.), S. 67, NASG. XV, 8. 229. 


47 127 


er „ihn anf die Bahn zu bringen“. Es entwickelten sich: 
dann förmliche Disputationen, zu denen er aus seiner statt- 
lichen Bibliothek Schriften herbeiholen ließ, nicht zuletzt die 
Bibel, und er ruhte nieht eher, als bis ,die grtindliche Wahr- 
heit erkundet war. Das war seine liebsíe Kurzweil und. 
beste Übung“ ?). 


VIII. 


Der kirchlichen Bewegung und seinem eigenen Gebiete- 
konnte er in ausgedehntem Maße seine ganze Aufmerksam- 
keit schenken, seitdem er die kurfürstlichen Ámter nieder-- 
gelegt hatte. Schwere Kämpfe wird es ihm verursacht. 
haben, sich von Johann Friedrich zu trennen, dem er 
Jahrzehnte hindurch nahe gestanden und dessen Vertrauen 
er reichlich genossen hatte. Seiner Pflichten war er allerdings- 
nicht entbunden worden. Wohl möglich, deshalb, oder viel- 
mehr darum hatte er sie nicht freiwillig niedergelegt, weil 
er die Hoffnung hegte, daß des gefangenen Kurfürsten Ge- 
schick noch eine günstige Wendung nehmen könnte. Ab- 
wartend folgte er den Ereignissen und bezog noch, wie 
andere Räte, seine Besoldung?) Die Behandlung, die von 
Karl V. seinem Herrn und dem Landgrafen Philipp wider- 
fuhr, verdunkelte von Woche zu Woche die Aussicht auf 
eine Verbesserung ihrer und damit ihrer Anhänger Sache. 

Nun war Starschedel mit Erbhuldigung und Lehnspflicht 
infolge der Ereignisse an die Ernestiner gewiesen. Würde 
er sie Moritz nicht leisten, so hätte er zu gewürtigen 
gehabt, daß dieser, wie König Ferdinand die Güter 
in’ den ihm zugefallenen Gebieten, auch Mutzschen mit Beschlag 
belegen würde. Ein Ersatz für den ihm von Moritz drohenden 
Verlust durch die Ernestiner war ausgeschlossen. So war es 
die Existenzfrage für ihn und seine Familie, daß Starschedel 
Ende Juli 1547 sich auf dem Leipziger Landtage einstellte.. 
Ein geringer Trost wird es ihm gewesen sein, daß er die 
alten Freunde, wie Asmus Spiegel, Hans von Weißenbach, 
Heinrich von der Planitz u. a. zu Genossen hatte’). 


1) Schuwardt, S. 1591. 
2) Neudecker, S. 151. 
3) von Langenn, II, S. 351ff.; Archiv VIII, S. 172. 


128 48 


Wie empfand Johann Friedrich den Abfall seiner 
bisher Treuesten? Er mußte sich bitter getäuscht fühlen, 
daß er sich auch von seiner nächsten Umgebung verlassen. 
sah um äußerer Vorteile willen. Auf den Brief, in welchem‘ . 
der im Unglück Standhafte von seinen Söhnen über das 
Zurückweichen seiner Räte Kunde empfing, antwortete er: 
„Wir müssen solche Untreue Gott befehlen, dessen Gericht 
sie nieht entlaufen werden“). 


IX. 


Daß Starschedel seitdem Öffentlich hervorgetreten wäre, 
dafür liegen keinerlei Belege vor. Nur bei besonderen An- 
lässen schwieg er nicht, jedoch auch da, mehr von anderen, 
wie es scheint, dazu bewogen, als freiwillig handelnd. Er 
lebte fortan Haus und Gemeinde, von denen er bisher zu- 
meist hatte fern sein müssen. Für die Kinder. bemühte er 
sich um tüchtige Lehrer, aber auch er selbst unterrichtete 
und prüfte sie. Dazu war er sicherlich befähigt. Denn wie 
hätte er die Studien der Prinzen beaufsichtigen können, wenn 
er selbst dafür die nötigen Kenntnisse nicht besessen hätte? 
Mit Vorliebe unterwies er seine Kinder im evangelischen 
Glauben. Vielmals sprach er ihnen Luthers Kleinen 
Katechismus vor. In seinem Alter „hatte er große, tröst- 
liche Freude“ an den schönen Reimen, darein der Spruch von 
dem Nutz des Leidens Christi durch D. Erasmus Alber 
gefaßt ist. Diesen Reim mußten ihm die Kinder alle Tage 
vor Tische erzählen, welche also lauten: 


Das Lemblein Gottes Jesus Christ 
Für vnser Sünd gestorben ist. 
Er trug die straff an vnser statt 
Von wegen vnser missethat: 
Ein jeder Christ das eben merck 
Vnd frey verwerff all ander werck, 
Die sich setzen an Christus statt 
Wider des ewigen Vaters rath. 
Bisweilen pflegte er hinzuzufügen: „Da liegt alles. Wenn 
das meine Kinder behalten, wo es gleich zur Verfälschung 


1) Beck, I, S. 21, 


49 129 
des göttlichen Wortes wiederum käme (davor Gott behiite), 
so würde Gott sie und alle, so es von Herzen glauben, durch 
seinen heiligen Geist wohl vor allem Irrtum ‘bewahren und 
erhalten“), 

Vermählt war Starschedel in erster Ehe mit Ursula 
Pflugk aus Lampertswalde, in zweiter mit Sara von 
Haugwitz?) Drei Töchter?) waren an Schleinitze 
verheiratet, Anna (geb. 1546, gest. 1595) nach Seerhausen +), 
Katharina nach Hof, Margarethe nach Jahnishausen- 
Sein ältester Sohn Heinrich starb vor dem Vater. Dieser 
hatte für ihn Markkleeberg erworben, das bis 1620 in den 
Händen der Starschedel blieb. Von den Markkleebergern 
studierten einige in Leipzig. Haubold (+ 1581) hatte 
Merzdorf inne, das seine Nachkommen bis 1730 besaßen). 
Als er, wie damals manche andere, gern Ankäufe in Nord- 
böhmen gemacht hätte (1585), hatte er an Kurfürst August 
einen Fürsprecher, damit er von Kaiser Rudolf, „wie in 
der Krone Böhmen gebräuchlich, zu einem Böhmen ange- 
nommen würde*5) Innocenz (geb. 22. Juli 1543, gest. 
lo. Aug. 1605), „ein trefflich ansehnlicher Mann“?), war 
kurfürstlicher Landrat und Obersteuereinnehmer, auch Hof- 
marschall. Er hatte außer Borna bei Oschatz noch Mölbis 
im Leipziger Kreise, das sein gleichnamiger Sohn bis 1650 
zu eigen hatte. Dem jüngsten Sohne Georg, dem Gelehr- 
samkeit nachgerühmt wird, wird Stein und Wolfersdorf zu- 
geschrieben: über den Besitz von diesem läßt sich zuver- 
lässiges nicht ermitteln; mit jenem wird Steinigtwolms- 
dorf gemeint sein. Gleich 1586 ward er mit ihm von 
Christian I. belehnt. Dabei verblieb ihm noch soviel 
an Geld, daß er seinem Schwiegervater 20000 Gulden 


1) Schuwardt, S. 159f; vgl des Verfassers Erasmus Alber, 
Leipzig 1910, S. 159. 

*) Dreßn., g. Anzeiger, S. 527. 

*) Ebenda, S. 554. 

*) Über ihr Grabmal Bau- und Kunstd. i. K. S. Heft 27/98, 
S. 114ff. 

°) Hausen, S. 475. 

9) NASG, XXII, S. 295. 

*) Peceenstein, S. 37. 

Arehiv für Reformationsgeschichte. XIX 2. 9 


130 t. 50 


zum Ankaufe der böhmischen Herrschaft Hainspach borgen 
konnte), 

Den Söhnen ward dieser reiche Grundbesitz dadurch 
ermöglicht, daß sie Mutzschen mit dessen ganzem Zubehöre 
unter sich teilten und nach und nach an Kurfürst August 
veräußerten, der es mit anderen Liegenschaften 1585 zu dem 
Amte Mutzschen vereinte?) Erst ihre Nachkommen traten 
durch verwandtschaftliche Beziehungen wieder mit den 
Ernestinern in nähere Verbindung. Dagegen verknüpften bald 
solehe Heinrich mit Dresden. Hier genoß er so hohes 
Ansehen, daß er 1558 dahin während August’s Abwesenheit 
zum Kurfürstentage in die Regierung berufen ward’). 

Wie stand nun zu diesem der Vater? Moritzens 
Politik hatte er nie gebilligt. Der einflußreiche Adel hatte 
im Herzogtum ausgeprägt romanisierende Neigungen und 
ward in ihnen durch Christofs von Garlowitz 
. Pläne bestärkt, die dem Interim zugute kamen. Dieser 
wird es vor anderen gewesen sein, der Starschedel abstieD- 
mit seiner verschlagenen Art erweckte er bei Starschedel 
nur berechtigten Argwohn. Jedoch waren die vielfachen 
Verschwügerungen und sein zerstreuter Grundbesitz wie für 
seine Standesgenossen, so auch für ihn nieht von solehem 
irennenden Einflusse, daß sie ihm nicht von jeher Beziehungen 
zu beiden sächsischen Höfen wünschenswert gemacht hätten. 
Bezeugt wird es von dem wohl einzigen Briefe, der sich 
von Starschedels Hand erhalten hat. Er ist an den Sekretär 
Moritzens, Joachim Faust, gerichtet. In der Anschrift 
nennt er ihn seinen „freundlichen, lieben Schwager“. Der 
Brief*) lautet: 


Dem erbarn und vesten Her Jochem Fausten f. g. 
Herezog Moriczen zu Sachßen etc. Secretarir meinem 
freuntlichenn liben Schwagern zu Handenn. In Dreßdenn. 

Erbarer und namhafter Her Schwager Faust, wo es 
euch allenthalben glüeglichen Zustunde sampt al dem eurn 
libenn vorwanttenn, erfure ich gerne, meiner Perschen halben 
danke ich got, der schaffs auch weyter nach seine gothlichem 


1) W. von Boetticher, Gesch. des Oberlaus. Adels und s. Güter 
1635— 1835, Bd. II, S. 914. 

2) Lorenz, S, 1075f. 3) Hausen, S. 474. 

4) Dresden. Loc. 966ff. Etzliches Herzog Moritzen zu Sachsen. 
Altes gemeines Landhandels 1517— 1576, IT, S. 281. 


51 131 
gefallenn und ferleye geduld Jnn in aller widerwertigkeyt efe. 
Was aber meine Sache  belangende alhy mit meinem 
glaubiger darinnen Jr mir willig gedenet und freunthlich 
erezeyget, mir zu furderungk und wy dy fortragen und 
hingelett, hab ich meinem Vetter Josten geschrieben, for 
eczlichen wochenn, euch dasselbe zu berichten, hoff sey Jm 
auch nachkomenn, bedank mich euer gunstigen furderungk. 

Auch weyter wil ich euch nicht bergenn, gunstiger 
Her Schwager, eines Hendlers von Kraca dener, alhy bey 
mir gewest, Jm durchreyten ken Nurmberk, schreybt mir 
sein Her, mein gar gut freundt, under andern, wy Er forder 
gute Zebel bekomen, mittell gattungk, desgleychen geringer, 
ecgliche Zimmer’), mich zu erkunden, ob m. g. Hern von 
solcher gathungk ieziger Zeyt was willens zu keuffen, bitt ganz 
freundthlichen mit, dasselbe bey f. g. Herezog Moriczen ete. 
erforen, desgleychen vonn großen schenen Zal Perln 
aber sunst Klenodia und mir solchs zu wissen thuen, Ich 
Jm antwort schribe, wolde alhier an mich schieken, dis 
dan f. g. besichtigen mochten, das Erbithe ich mich als ein 
dankbarer zu vordenenn ete. Sunst sagt derselbe dener, 
wy Er den nechsten markt zu Lublyn geweßen, seint vil 
thurkische Kaufleute daselbst mit vil waren ahnkomen, 
alb Sehamlot muh?) eyer und dem meysten teyl Ingwere, 
sey dy sage allentthalben, der thurk mit dem Persier so 
vil Zuthuen gewunnen, denn Er Jm ein son Erschlagen, er 
dysen Sumer unser forgessen sol, geb got diese zeytungk 
mit wohrheyt verfolge Amen. Dormithe Jn dy bewahrungk 
gotis befolnn, des sey unser trost mit bit Eur libe hausfraw 
von meine wegen zu grüssen. 
dat. Freyberk uff 24 merezo A? 1545. 

Bit mit ersten antwort. 

D: Starezedell. 
E. w. G. 


Zu diesem Briefe bewog Starschedel offenbar eine Streit- 
sache. Da sie bis in die Herzogliche Kanzlei gelangte, 
wird die Geldangelegenheit, um die es sich handelte, keine 
geringe gewesen sein. Für ihre ihm günstige Erledigung 
stattet Starschedel seinen Dank ab und möchte sich durch 
eine Aufmerksamkeit Moritz erkenntlich erweisen. Mehr 
als dieses wird er nicht bezweckt haben wollen, Vermitt- 
lungen wie die, zu welcher er sich erbot, wird er oft am 
kurfürstlichen Hofe übernommen haben. Aus seiner „Freund- 

al l Zimmer = 20 Paar zusammen gebundene Zobelfelle. 

2) unleserlich. 

9% 


132 ` l 52 


schaft“ mit dem Krakauer Händler darf schwerlich auf 
Eigennutz bei ihm geschlossen werden’). Wahrscheinlich hatte 
er, gleich vielen seiner Zeit, eine Vorliebe für kostbare 
Seltenheiten, und für sie entbehrte er nicht der Mittel. | 

Den völligen Bruch zwischen Weimar und Dresden sah 
er wohl kommen. Daß er seines alten Herren je vergessen 
hätte?), ist schwerlich anzunehmen; ganz unwahrscheinlich 
aber, daß er in die Spuren eines Carlowitz getreten wäre. 
Aber wie hart mag er es empfunden haben, daß er seinem Kur- 
fürsten im September 1552 bei dessen Rückkehr aus der Ge- 
fangenschaft nichtinmitten der alten Gefährten begrüßen konnte? 

Noch einma! war er für die Ernestiner tätig und wird: 
für sie nur zum guten geredet haben: es war für ihn wohl 
die letzte Gelegenbeit, ihnen seine dankbare Gesinnung zu 
bezeugen. Denn zu -den „teuflischen Räten“, vor denen 
Johann Friedrich im Testament seines Vaters gewarnt 
worden war, gehörte er nicht. Bei der Achtung, die er ge- 
noß, war er unter denen, die zum Abschlusse des wichtigen 
Naumburger Vertrages 1554 zugezogen wurden. Unter dessen 
Unterzeichnern steht sein Name an zehnter Stelle ê). Am Tage 
vor seinem Tode (2. März 1554) unterschrieb ihn noch 
Johann Friedrich. Seine Mahnung an die Söhne, unter 
sich Zwietracht und Uneinigkeit zu vermeiden, haben diese 
nicht erfüllt: wer wird darüber betrübter gewesen sein, als 
ihr einstiger, fürsorglicher Tutor? 

Daß er mit Kurfürst Augustin ein erträglicheres Ver- 
hältnis kam, als mit Moritz, erleichterte ihm die kirchliche 
Wandlung. Aber wenn jener am 24. Juli 1557 von den 
24 Stellen für den Adel an der Meißener Landesschule eine 
den Mutzschener Starschedel verlieh‘), so war dieses zunächst 
als eine ausgleichende Gewährung für die klösterliche 
Stiftung der Familie gedacht und zugleich als ein huldvolles 
Zeichen der Anerkennung für sie: ob sie mehr dem Sohne, 
als dem Vater galt, muß dahingestellt bleiben. 


1) Dresden, Loc. 9664, Bd. II, S. 281. 

7) Weimar, Reg. L. 

3) Weichselfelder, Johann Friedrich, Frankfurt 1754, S. 901 fi; 
Mentz III, 328 ff. 

4) NASG., VIII, S. 142. 


53 133 

Ganz in Schweigen hiillte sich Starschedel nicht. Zu 
teilnehmender Verfolgung der Ereignisse bewog ihn schon 
das Amt seines Sohnes Innocenz. Fand er es geboten, 50 
griff er auch in sie ein. Wie vermochte er denn Zurück- 
haltung zu üben, wenn er andere mit Unrecht leiden sah? So 
„suppliziert“ er mit Hans von Scholemberg und Christof 
von Haugwitz 1554 für Gefangene beim Rate zu Borna!) 

Aus Thalheim stammte seine zweite Frau. Sie wird 
ihn beredet haben, an einer gemeinsamen Fürbitte bei Kur- 
first August für Johann VII. von Haugwitz sich zu 
beteiligen. Bekannt war er ja gewiß mit den Vorverhand- 
lungen für dessen Wahl zum Meißner Bischofe. Daß er ohne 
Erfolg für ihn sich verwandte, ist begreiflich. Denn wenn der 
Bischof sich bei Ferdinand darüber beschwert hatte, daß 
seine „Jugend und Unerfahrenheit“ — er war damals 
31 Jahre alt — vom Kurfürsten zu einem ihm lästigen Ver- 
trage mißbraucht worden wäre, und wenn er diese Anklage 
gerade zur Zeit der Verhandlungen zum Augsburger Religions- 
frieden erhob, so mußte er damit Augusts Unwillen er- 
regen”), So fällt denn der Bescheid an die Fürsprecher 
ziemlich ungnädig aus. Es wird ihnen eröffnet: „Wir haben 
Bedenken, daß wir uns für uns selbst oder unsere Räte mit 
dem Bischof in Schriften oder sonst einlassen, denn ihm selbst 
ohne das wohl bewußt, wessen er sich gegen uns wohl- 
bedächtig verpflichtet, wie ihm denn alles sein gertihmtes 
enges Gewissen bezeugen kann“), 

Nachgetragen hat jedoch Kurfürst August die Ein- 
mischung in die heikle Sache Starschedel nicht. Ein Lob 
spendet er ihm und seiner ganzen Familie, wenn er Pfalzgraf 
Wolfgang bittet, den Sohn von Innocenz Starschedel 
als Edelknaben anzunehmen und zu erhalten. Er begründete 
es damit: „Denn er eines guten, alten Geschlechtes und Her- 
kommens und Namens ist, sein Vater auch unser ältester 
Rat und Diener gewesen“. So am 16. Februar 1562*). 


1) Dresden, Cop. 265, Bl. 224f, 

2) Machatscheck, Gesch. des Hochstiftes Meißen, Dresden 1884, 
S. 774. 

*) NASG., VI, S. 198f, 

^) Dresden, Cop. 313, fol. 4f.; auch Hausen, S. 174, 


134 - 54 


X. 


Dietrich von Starschedel lebte damals nicht mehr. 1561 
ist er gestorben. Weder in der Kirche zu Mutzschen, noch 
in seinem Schlosse hat sich eine Erinnerung an ihn erhalten. 
Aber er verdient des Gedächtnisses, nicht bloß als ein sächsischer 
Zeuge des Wormser Reichstages, auch um seiner ganzen 
Persönlichkeit willen. Er ist vor vielen seines Standes eine 
liebenswürdige Erscheinung. Peccenstein hebt seine Gott- 
seligkeit, Demut und Sanftmut hervor; der Kanzler David 
Peifer nennt ihn fortem virum, Marschalli munere ita per- 
funetum, ut omnes intelligerent, neque ei fidem deeße neque 
industriam!). Gewib, seine evangelische Stellung ist nicht 
nur eine äußerliche, er ist ein evangelischer Bekenner in 
seinem ganzen Leben und Wandel, so weit er aus der 
Überlieferung erkennbar ist. Daß er nach 1521 nochmals 
mit dem Reformator zusammengetroffen, ist wahrscheinlich, 
jedoch nicht nachweisbar. Ob er davon auch viel Rühmens 
gemacht hätte? Schwerlich; denn von Selbstlob, schon von 
Selbstverteidigung ist er weit entfernt. Bei seiner Verehrung 
Luthers wird es ihn unangenehm berührt haben, daß seine 
Nichte Anna den Wittenbergern Anlaß gab, sich mit ihr be- 
schäftigen zu müssen. Als sie eine Zeitlang zu der Um- 
gebung der Kurfürstin Sibylle gehörte, batte ihr Prinz 
Ernst von Braunschweig-Grubenhagen „mit Beteuerung ein 
Ehegelübde getan“. Der Vorfall erregte Jahre hindurch 
vieles Aufsehen. Aus Rücksicht auf den Braunschweiger Hof 
ließ der Weimarische den Prozeß im Sande verlaufen, zu- 
mal als Ernst von Starschedel Herzog Philipp I. den Eid 
zuschob, daß dieser selbst dem Verlöbnisse nicht zuwider 
gewesen wäre. Luther erklärte schließlich: „Heimlich Gelübd 
nichts anderst ist, noch sein kann, denn ein päpstlich Ge- 
" schäft und Teufelsgestift wider der Altern Willen, d. i. wider 
Gottes Gebot und Befehl den Ältern gegeben, und eitel grob 
iammer und Herzeleid daraus kommt mit allerley verwirrung 
und ferlichkeit der Gewissen“ ?). 


1) Peiferi epp., Jenae 1708, pag. 141. 
2) Luthers Briefe, ed. Enders, XIII, S. 320, 346; XIIII, S. 31; 
XV, S, 16. — König, I, 948. 


55 135 


Wenn Luther oft harte Reden führen mußte über die 
Begehrlichkeit des Adels nach Kirchengtitern*), so konnte 
sich Starschedel nicht davon getroffen fühlen. Die Opfer- 
willigkeit seiner Ahnen gegen die mittelalterliche Kirche 
übte er gegen die evangelische Kirehe. Vor vielen zeichnet 
er sich aus durch sein Verständnis für bäuerliche Verhält- 
nisse. Dabei läßt er nicht das geringste davon merken, als 
ob er mit seiner Leutseligkeit etwas besonderes tue. Große 
Gewissenhaftigkeit ist ihm eigen. Sie läßt ihn jedoch nicht 
seinen Nutzen allein im Auge haben. Er verrät eine ge- 
wisse Vertrauensseligkeit, wenn er wiederholt Schuldnern 
Beträge borgt, die er nur mit Mühe zurückerhalten konnte. So 
konnte er sich ausgeben, daß er selber Johann Friedrich 
um ein Darlehen angehen mußte und bei Fälligkeit der 
Rückzahlung diese nieht zu leisten vermochte, weil er von 
seinen Schuldnern nichts zurück erhielt?). Sicher hat Johann 
Friedrich genau gewußt, was er an Starschedel verloren 
hatte, und dieser, eine mehr innerlich gerichtete Natur, wird 
schwer an dem Vorwurfe der Untreue getragen haben: ob 
er nicht infolgedessen von Dresden sich mehr fern hielt, als 
andere? | 
Ein neues Geschlecht sah er in den eigenen Söhnen 
heraufkommen, dem er bisweilen fremd gegenüber gestanden 
haben mag: regen Geistes, hat er versucht, sie zu verstehen. 
Denn ähnlich wie ihm, wird auch den Söhnen nachgesagt, 
daß sie „sanftmütig gegen männiglich, dienstfertig und frei- 
gebig gewesen seien“*). Sie wurden von ihm ermuntert, in 
des Vaters Fußtapfen zu treten. 

Mit seinem ganzen Hause muß er vorbildlich gewirkt 
haben. Daß er sich in ihm, und zwar nicht erst in späteren 
Jahren am wohlsten fühlte, ist sicherlich keine bloße Ver- 
mutung. Daher wird es rühren, daß er trotz seiner geistigen 
Begabung öffentlich nicht so hervorgetreten ist, wie andere, 


1) Eine übersichtliche Zusammenstellung dieser bei Mentz, 
Bd. III, S. 234¢. » 

2) Weimar, Reg. K, fol. 324—333, Faszikel SS 1, fol. 2ff. Er 
hatte 7000 fi. erhalten, konnte jedoch blos 5000 fl. zurückerstatten, 
weil sein Schuldner ihm nichts zahlte. 

3) Peccenstein, S. 87. 


136 56 


denen er an Begabung und Kenntnissen nicht nachstand. 
Nach seiner ganzen Art war er in engem Kreise einflußreich. 
Daher vertraute ihm auch mit Vorliebe Johann Friedrich 
die Prinzen an, und nichts wird Starschedel versäumt haben, 
ihnen ein gewissenhafter Erzieher zu sein. Wer möchte 
nieht den Gesprächen auf Jagdausflügen gelauscht haben? 
Es will scheinen, als ob auch manche Verbesserungen in der 
weimarischen Hofhaltung auf ihn zurückzuleiten sind. Denn 
hätte er im gegebenen Falle nachdrücklicher Bestimmtheit 
ermangelt, so wäre kaum gerade er zu schwierigen Auf- 
trägen und Verhandlungen benutzt worden. Zu ihnen hat 
er sieh gewiß nie gedrängt. Bene vixit, qui bene latuit, 
mag seine Meinung gewesen sein. Es war ihm daher nur 
recht, wenn er in seinem stillen Mutzschen dem Verlaufe 
der Dinge folgen konnte. Hier hätte er jedoch nimmer Be- 
suche empfangen, wie sein Bruder Ernst den eines Nickel 
Minckwitz, welcher Sold vom französischen Könige an- 
genommen hatte, selbst wenn dieser durch Ernsts Schwager, 
den Leipziger Amtmann Joh. Spiegel vermittelt war!) 
Dagegen scheute er sich nicht, für bedrängte Standesgenossen 
:Fürspraehe zu tun, wie er auch geringer Leute sich für- 
sorglich annahm. 

Je länger, desto mehr galt sein Sinnen und Wirken 
der evangelischen Kirche. Einer Verquickung ihrer Interessen 
mit der Politik, wie er ihr bei Moritz begegnete, hat er 
niemals das Wort geredet. An Kompromißsucht kränkelte 
er nicht. Was er durch Luther von und an der evangelischen 
Kirche hatte, schätzte er zu hoch, als daß er je das geist- 
liche Regiment mit dem weltlichen Regiment vermengt hätte. 
In der Zeit des Interim sah er, wie schwächliches Nachgeben 
nur größte Gefahren und schwerste Verluste zur Folge hat. 
Der Bestand der Kirche verlangt unverktimmertes Bekenntnis 
in Wort und Tat, um segensreich wirken zu können für die 
Gesamtheit. 

Vier Jahrzehnte seines Lebens hatte er hierüber 
Beobachtungen anstellen können. In dieser ganzen Zeif 
zeigt er sich als evangelischen Christen. An Worms er- 


1) Archiv X, S. 406. 


57° 137 


innerte er sich häufig, weil er hier durch Luther für 
das Evangelium gewonnen worden war, und weil die Kirche 
des Augsburgischen Bekenntnisses nichts anderes als das. 
ganze lautere Evangelium als Regel und Richtschur hat, hielt 
er entschlossen an ihr fest. Es spricht für ihn, daß er 
Gefallen fand an Erasmus Alber, dem charaktervollen 
Schüler Luthers, und dessen Reime für die Kinder be- 
vorzugte. An ihnen erntete Starschedel das schöne Lob 
Albers, daß angeborner Adel zum Adel, d.i. zur Tugend 
reizen und treiben soll). Näher jedoch liegt es, daB der 
dankbare Verehrer Luthers zeitig von ihm sich hatte 
sagen lassen: „Gott hat dir den Adel nicht zur Hoffart, 
sondern nur zum Nutz und Gebrauch gegeben. Ein löblicher 
Adel heißt, der Gott fürchtet, sein Wort ehrt, seinem Fürsten 
und Herrn treu und gehorsam ist, sein Haus ehrlich und 
Zzüchtig regiert, sein armes Land schützt und fördert, wo er 
nur kann*?); und dem hat Dietrich von Starsehedel nach- 
gestrebt. 


1) Ein gut Buch von der Ehe, Bl. Giij 2, vgl. Körner, E. Alber S. 34, 
2) Luthers Werke, Erl. Ausg. Bd. 45, S. 412; Bd. 32, S. 19. 


Briefe aus dem 16. Jahrhundert. 


Mitgeteilt von Gastav Bossert. 


^ Die Sammlung historisch-berühmter Autographen oder 
Faksimiles von Handschriften ausgezeichneter Personen alter 
und neuer Zeit. Erste Serie Stuttgart, Ad. Bechers Ver- 
lag 1846 enthält einige Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die 
noch unbekannt sind. Leider sind die Briefempfänger nicht ge- 
nannt, da die Anschriften nicht mit abgedruckt sind. Man 
ist also auf Umwege angewiesen, um die Briefempfänger 
festzustellen. Freilich ist dabei die Gefahr, daß daneben 
gegriffen wird. Daher bleibt es bei salvo meliori. 

Ich gebe einen Brief von Bucer, dann von Cochleus, 
‘weiter ein Fragment von Johann Forster, ein Schreiben von 
Kardinal Albrecht von Mainz, und endliche einige Berichti- 
gungen zu einem Erasmus-Brief. 

Bucer an die Prediger zu Basel, Augs- 
burg 1537 Juni 9, Am 18. Mai 1537 war Bucer auf 
den Ruf des Rats nach Augsburg zur Durchführung einer 
Kirchenordnung und zur Hemmung jener der Wittenberger 
Konkordie ungünstigen Bestrebungen gekommen und weilte 
dort bis 9. Juli (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 324. 355. Anm. 103). 
Der Brief Bucers enthält nur das Monatsdatum 9. Juli, aber 
er kann nur, wie der Inhalt zeigt, aus dem Jahre 1537 und 
der Zeit von Bucers Tätigkeit in Augsburg stammen. Denn 
dieser diente, wie er schreibt, instituendis lectionibus, con- 
firmandis ritibus, restitutioni disciplinae. Dabei aber be- 
schäftigte ihn auf das heftigste die Sorge um die Gewinnung 
der Schweizer für die Wittenberger Konkordie. Über diese 
Bestrebungen bekam er sehr ungünstige Äußerungen zu hören. 
Vor seiner Reise nach Schmalkalden, wo er am 7. März 1537 
‚weilte (Schieß, Briefwechsel der Brüder Blaurer I, XLV, 
Nr. 762. 2, 829), hatte er sich noch brieflich an die Prediger 


\ 


59 | 139 


der Schweizer Kantone gewandt, aber nicht viel ausgerichtet. 
Am meisten schmerzte ihn, obwohl Bullinger in Zürich die 
Führung in der’ Abweisung der Wittenberger Konkordie 
übernommen hatte, die Haltung der Berner, auf welche er 
sich Hoffnung gemacht hatte, da dort einige Vertreter der 
lutherischen Richtung sich fanden (ARG. 14,288. Kunzund Meyer. 
Blösch, Geschichte der Schweizerisch-Reformierten Kirchen 1, 
198ff. Hundeshagen, Die Konflikte des Zwinglianismus, 
Luthertums und Calvinismus in der Bernischen Landes- 
kirche 1532—1538, S. 372). Aber jetzt war er tiefbetrübt, 
daß ihm die Berner keine Gelegenheit gaben, seine Be- 
strebungen zu rechtfertigen, die dann später noch einen 
glänzenden Sieg mit dem Sturz des bisher in Bern ton- 
angebenden Zwinglianers Megander finden sollten, aber frei- 
lich war dies nur vorübergehend. In seiner Betrübnis wandte 
sich Bucer am 9. Juni an die Prediger in Basel, die noch 
am ehesten eine Vermittlerrolle zwischen Bucer und den 
Bernern übernehmen konnten. Denn daß der Brief an sie 
gerichtet ist, ergibt sich aus dem Gruß an die nicht mit 
Namen genannten Bürgermeister Jakob Meyer und tribunus 
Theodor, der wohl Theodor von Brand, oberster Zunftmeister 
in Basel ist, welcher 1538 April 15. an Bucer und Capito 
ein Schreiben richtete (Thes. Baumianus S. 25). Merkwürdig 
ist, wie man in Augsburg schon im Juni 1537 von des Kaisers 
politischen Plänen verhältnismäßig gut unterrichtet war. Die 
Quelle dafür wird der Graf von Ortenburg Gabriel von 
Salamanca sein, der, wie wir sehen, damals in Augsburg 
weilte, um für den Kaiser Geld aufzunehmen. Margarete, 
die natürliche Tochter Karls V., war am 29, Februar 1536 
mit Alessandro de Mediei von Florenz verehelicht worden. Ihr 
Gemahl wurde in der Nacht vom 5.—6. Januar 1537 durch 
seinen Vetter Lorenzino ermordet, die Herrschaft aber kam 
an Cosimo de Medici (Pastor, Paul III. 222). Uberraschend 
ist, daß Karl V. jetzt schon daran dachte, um den Papst 
Paul IL, für sieh zu gewinnen, nicht nur seine verwitwete 
Tochter, sondern auch seine Nichte, die Tochter seines 
Bruders Ferdinand, an den Enkel des Papstes zu verehe- 
lichen. Wirklich mußte sich die 16jährige Witwe Margarete 
mit dem drei Jahre jüngeren Ottavio Farnese, dem Sohn 


140 | 60 


Pieri Luigis, zu unglücklicher Ehe verbinden, nachdem der 
Kaiser sie im Juni 1538 zu Genua dem Papst persönlich 
für seinen Enkel versprochen hatte. Merkwürdig ist, daß 
die Nichte Ferdinands in der Frage des Streits um Mailand 
schon 1537 eine Rolle spielte. Aber es handelte sich später 
nicht mehr um einen Enkel des Papstes, dem sie gegeben 
werden sollte. Es muß dem Kaiser gelungen sein, den 
Heiratsplan mit seiner Nichte beim Papst anzuregen, so daß 
dieser im Juni 1538 vorschlug, Mailand an Ferdinand zu 
geben, welcher sich unter den weitgehendsten Bürgschaften 
zu verpflichten habe, eine Tochter an den Herzog von Orleans 
za vermählen, um ihm nach drei Jahren das Herzogtum 
Mailand zu übergeben (Pastor a. a. O. S. 204). Von der 
spanischen Flotte, die Gold aus Peru bringe und einstweilen 
dureh Schiffe aus der Bretagne und Normandie im Dienst 
des Kónigs Franz gehindert wurde, wird der Graf von Orten- 
burg den Augsburgern zur Erleichterung einer Anleihe für 
den Kaiser erzählt haben (Brittones sind naeh Du Cange 1, 
752 Bretagner) Der Rat in Augsburg lieh dem Kaiser 
15000 fl. (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 385). Bucer aber weil, 
daß die Kaufleute die damals ungeheure Summe von 600000 fl. 
liehen. Über die Ereignisse in Ungarn scheint Bucer gut 
unterrichtet zu sein. Cascaw ist Kaschau im Norden Un- 
garns. Alba graeca ist Belgrad. 

Über die Provinzialsynode in Salzburg berichtet Winter, 
Geschichte der Schicksale der evangelischen Lehre in 
Baiern 2, 51f. 


: Bueer an die Prediger in Basel. 
Augsburg 1537 den 9. Juni. 


Gratia et pax, symmistae et fratres obseruandi. Ne 
quid mali dent comitia sacra Bernensium, spero, prouidistis. 
Etenim hactenus inuigilare in pacem ecclesiarum soliti estis, 
gratia domino. Testes eritis (?) eorum, quae ad omnes 
precipuos concionatores ecclesiarum Helueticarum scripsi, 
antequam Schmalkaldum irem. Quid ita afflictas alioqui 
 eeclesias et dissipatas nimium, quibus adhue non defuerunt 
et hostes foris et factiosi intus, ipsi affligimus et contur- 
bamus? Sed moderabitur his quoque motibus deus. Hic 
instituendis lectionibus et confirmandis ritibus eeclesiae, tum 
alis quibusdam negotiis pro restitutione? disciplinae detineor 


6] | 141 


et oceupor valde. Sed tum, si dominus vitam et vires dederit, 
sistam me Bernatibus, eum volent, quibus vos illnd indieabitis. 
Ego id indieare nolui, ne viderer minari. Si detrectent me 
audire, et quod poscit ius gentium et naturae, non facient 
copiam respondendi calumniatoribus, me compvlli(?)*), vt 
ad ecclesias publice de ea iniuria querar. Facile ergo, quod 
facitis, venerandi fratres et symmistae. Dabit forsan dominus 
meliora. Orate pro me. Honoratißimis viris domino consuli 
et tribuno Theodoro me diligenter commendate. Hie noua 
nune nulla prope sunt. Pontifex concilium distulit. Caesar 
dieitur filiam et neptem suam, veduam duci(ssam) Florentinam 
et Mediolanensem nepotibus papae tradidisse eum ducatu 
Florentino. Ita augemus imperium. Hoc anno Caesar non 
facile in Italiam p... piet?). Obstat inopia pecuniae. Naues, 
quae ex Peru aurum adferent, haerent in noua Hispania. 
Arcentur enim littore Hispanico per classem || Brittonum et Nor- 
mannorum, In Hungaria dubie belligeramas. Illis(?)*), qui 
Caseaw obsident, subsidium venire non potest. Quidam dux 
Turcorum eum copiis venisse dicitur ad Albam graecam, vt 
einetam(?)*) Caseaw obsidione liberet. Quattuor millia Boe- 
morum regi militabunt. Caesar a mercatoribus Augustanis ad 
bellum praeteriti anni accepit foenore non eontemnendo sexies 
centena millia. Nune comes Ortenburger rursus hie diu fuit 
et etiamnune est. Creditur nouam pecuniam conflare. Vteunque 
autem hic sint istae monstrosae opes, tum populus et senatus 
admodum ad pietatem duci se patitur et verbum domini 
satis amat. Interim pauci isti principes mammonie suum 
negotium agunt. Valete iterum(?)°) viri fratres colendissimi. 
Augustae IX. Juni. 
M. Bucerus vester totus. 

Salisburgi episcopi et prineipes prosynodum habuerunt 
non pro Christo, quo euentu, nescitur, illud scitur, fulmine 
ictum sacrarium est, et grandine maxima pars agri in aliquot 
milliaria vastata est. 


Sammlung berühmter Autographen usw. Nr. 273. Landes- 
bibliothek Stuttgart. Aus der Sammlung des Herrn Karl 
Künzel in Heilbronn. 

Cochleus®) an den Bischof Johann Dantiseus 1530 von 
Culm, 1537 von Ermeland. Dresden 1534 September 9. 


*) oomp und Ili ist deutlich. ?) iet ist sicher, p... p ziem- 
lich sicher: *) Sehr undeutlich geschrieben. *) tam ist sicher, 
cin ziemlich deutlich. 5) erum ist sicher, iterum müßte Bucer auf 
frühere Rriefe beziehen. 

?) So unterschreibt er sich selbst, nicht Cochläus, was wine 


falsche Bildung aus cochlea wäre. 


142 | 62 


Die Sammlung von Autographen, welcher der Brief 
entstammt, gibt die Adressen nicht. Der Briefempfänger 
muß deshalb auf anderem Weg festgestellt werden. Aus 
dem Inhalt des Briefes ergibt sich, daß es sich um einen 
hohen Geistlichen handelt, der lang in Deutschland geweilt 
und die starke Einbuße, welche die alte Kirche durch die 
Reformation erlitt, wahrgenommen hatte. Auch hatte er sonst 
„vieler Menschen Sitten und Städte, ja die größten und 
reichsten Königreiche“ genauer kennen gelernt hatte. Das 
paßt vollkommen auf Johann Dantiscus, der von 1515—1532 
als Orator des Königs von Polen in Deutschland, Spanien 
und Italien geweilt hat (Wetzer und Welte, Kirchen- 
lexikon 3, 1397). Cochleus erinnert ihn daran, daß er ihn 
persönlich kennen gelernt habe auf dem Reichstag zu 
Regensburg, auf welchem Dantiseus wirklich anwesend war. 
Denn hier empfing er einen Brief von Alfons Valdes 
ZKG. 4, 629.  Fürstemann 27 Beiheft zum Zentralblatt 
des Bibliothekwesens 336). Dazu stimmt, daß Cochleus 
‚erwähnt, Johann Dantiseus habe den Verfasser der Para- 
phrasen des Psalters Johann Campensis von Regensburg mit 
nach Polen genommen. Über diesen Gelehrten, den Nestle 
Theol. Re.E. 3, 51, irrig Jakob nennt, findet sich auffallender 
Weise weder bei Wetzer und Welte, Kirchenlexikon 2, 1778 
noch bei Hegler, Theol. Re. E. 3, 696 noch bei Rembart in 
seinem reichhaltigen Buch über die Wiedertäufer im Herzog- 
tum Jülich. etwas, um ihn klar zu unterscheiden von dem 
‚wiedertäuferischen Mystiker. Wir wissen nicht einmals ge- 
nau, welcher Joh. Campanus in Wittenberg weilte und zu 
Witzel nach Niemeck ging und Einfluß auf ihn gewann 
Was Förstemann-Günter im 27. Beiheft zum Zentralblatt 
für das Bibliothekwesen S. 37 bietet, ist wenigstens zuver- 
lässig, wenn auch nicht vollständig. Auffallend ist, daß 
Cochleus annimmt, Dantiscus sei seit 1532 zu höheren 
Stellungen gekommen (auctam) wovon wir bis jetzt nichts 
wissen, und was erst 1537 der Fall war. Nicht weniger 
befremdet, daß Cochleus nichts davon erwähnt, daß er am 
27. April 1534, also vor 4'/, Monaten, Dantiscus seine XXI 
Articuli Anabaptistarom Monasteriensium per Doctorem Jo- 
hannem Cochleum confutati gewidmet hatte. (Spahn, Cochläus(!) 


63 | 143: 


357 Nr. 102), während er doch angibt, er habe im Sommer 
1534 verschiedene seiner Schriften an Bischöfe in Polen: 
geschickt, was durch Spahns Zusammenstellung von Cochleus. 
Schriften S. 357, Nr. 100—105 vollkommen bestätigt wird. 

Cochleus will von etlichen Polen wissen, welebe in 
Wittenberg Luther und Melanchthon hören. Allein das. 
Album Academiae Vitebergense weist in den dem Brief 
unmittelbar vorangehenden Jahren nur ganz wenige Namen 
auf, die sich etwa als Polen erkennen lassen. Erst im Winter- 
semester 1534/35, also später, als Cochleus seinen Brief 
geschrieben hatte, treffen wir vier Polen in Wittenberg 
Alb. Ac. Viteb. 155, 156). Es bleibt immerhin möglich, 
daß sie schon einige Zeit in Wittenberg weilten, ehe sie 
sich immatrikulieren ließen, und Cochleus Kunde von ihrem 
Kommen nach Wittenberg hatte. Es wird sich verlohnen 
festzustellen, ob Cochleus mit seinem Brief an Dantiscus. 
den Anstoß zu dem Verbot des Besuchs der Universität. 
Wittenberg durch Polen gab. 

Sehr beachtenswert ist die Anerkennung Melanchthons 
durch Cochleus und die Sorge um die für ihn widrigen 
Folgen seiner Angriffe auf den in ganz Deutschland hoch- 
geschätzten Reformator. 

Neu ist die Nachricht über den Bruder des Buch- 
hindlers Nikolaus Wolrab in Leipzig, dem Cochleus seine 
Schwestertochter zur Ehe gegeben hatte. Uber die weiteren. 
Schicksale des Matthias Wolrab in Polen scheint nichts be- 
kannt zu sein. | 


Cochleus an Joh. Dantiscus 
1534 September 9. 


Reuerendissime in Christo pater et domine perquam. 
gratiose. S. cum debita reuerentia ac prompta obsequendi 
voluntate. Difficile mihi est haud immerito, ad reuerendissi- 
mam dominationem tuam scribere, non solum publiee, sed 
iam priuatim, quum et residenciae tuae loeum ignoro et 
dignitatibus auctam esse reuerendissimam dominationem tuam 
audiui, debitos itaque titulos reuerendissimae dominationi tuae. 
ascribere non possum, donec ab aliis docear de omnibus. 
Generalis quidem causa scribendi ad eatholiei regni Polonici 
episcopos facile intelligitur ex libellis, quos hae estate ad 
quosdam edidi. Ad reuerendissimam dominationem tuam. 


144 64 


specialis mihi est et quidem duplex. Vna, quod te vnum 
ex omnibus Polonicis episcopis facie ad faciem Ratisbonae 
in comitiis imperialibus alloquutus sum, altera, quod affinis 
meus Mathias Wolrab Lipsensis in familiam reuerendissimae 
dominationis tuae gratiose assumptus est, cuius fratri germano 
neptem meam hoe anno despondi et tradidi. Jure igitur 
affinitatis illum reuerendissimae dominationi tuae suppliciter 
commendo. Tertiam quoque causam adiicere possum’ quod 
magno (teneor desyderio intelligendi, quo modo valeat, 
ei ubi agat doetissimus vir Johannes Campensis, paraphrastes 
psalterii, qui reuerendissimam doninationem tuam in regnum 
‘comitatus est e Ratisbona. Ceterum potissima ac maxima 
causa est, ut praemoneam eum alios episcopos tum vero 
maxime reuerendissimam dominationem tuam, quae diutius 
in Germania versata certius nouit, quantum malorum huic 
patriae nostrae ex nouis sectis inuectum sit. Ad ea igitur 
mala in amplissimo regno vestro praecauenda nemo potest 
iustius aut utilius moueri, quam reuerendissima dominatio 
tua, quae et apud regiam maiestatem et apud summos et 
optimos quosque regni prelatos, presides, castellanos et 
palatinos autoritate plurimum valet ac gratia, immo et 
eloquentia, eruditione, prudentia et rerum experientia, quae 
mores hominum multorum vidit et vrbes, immo et latissima 
ac opulentissima regna. Certe non leue mihi onus est, 
hunc | in modum irritare in me Philippum Melanchthonem, 
qui eruditione ingeniique nobili Minerua fauorem et gratiam 
plurimorum consecutus est. Quare si non esset prae foribus 
periculum animarum et fidei, pro nulla re temporali eius in 
me stylum ae odium prouocaturus eram. At circa fidei 
iacturam imminentem tacere aut dissimulare me non sinit 
lex dei et accusatrix conscientia. Nam lex diuina et 
euangelium in rebus fidei iubent posthabere non solum 
amicos familiares, verum etiam patrem et matrem, fratres 
et sorores ac liberos, ne parcamus eis, si nos a vera 
religione abducere studeant. Cum igitur intelligam, aliquot 
adolescentes Polonos nobiles Wittenbergae Lutherum audire 
et Philippum, territus Bohemorum calamitatibus, quas nobilis 
quidam nomine Putridus piscis ex Anglia per libros Vuielephi 
florentissimo et christianissimo regno illi inuexit, illos vestrates 
a simili periculo auocari velim (illos bis Nam aus hand). 
Nam vrget me seeundum legem et euangelium conscientia, 
zelus fidei, salus animarum et fraterna charitas de tanto 
periculo vos episcopos et regni speculatores suppliciter 
admonere, ut in tempore prospiciatis, ne quid detrimenti 
respublica patiatur. Bene valeat reuerendissima dominatio 
fua, sapientissime presul et hanc meam sollicitudinem 
studiumque et admonitionem, quae certe nec leui nec paruo 


65 145 


mihi tum labore tum sumptu constat, clementer et gratiose 
in bonam partem accipiat. Ex Dresda Misniae sub 
illustrissimo principe duce Saxoniae Georgio V. idus Sep- 
tembris Anno Domini M. D. XXXIII. E. Reuerendissimae 
Dominationi Tuae 
Deuotus clientulus, 
A. a. O. Nr. 274. Johannes Cochleus. 


Fragment einer Abhandlung von Joh. Forster. 

Das nachfolgende Fragment einer theologischen Ab- 
handlung in der schönen, klaren Handschrift Forsters be- 
handelt das von Forster sehr geschätzte Dreiblatt christlicher 
Tugenden, nachdem er auch seine drei Töchter Charitas, 
Fides und Spes genannt hatte (Germann, D. Joh. Forster 
S. 462ff). Man erkennt den gut lutherisch gesinnten und 
scharf logisch denkenden Theologen aus diesen Zeilen. Es 
wäre nur sehr erwünscht, daß nachgewiesen würde, welchem 
Zusammenhang sie entnommen siud. Wir haben ja aus der 
späteren Lebenszeit wenig Werke seiner Hand außer seinem 
hebräisch-lateinischen Wörterbuch. 


Deinde definit quoque fidem!), qua gentes. recipiuntur 
in ecclesiam ef fiunt gens iusta, non simplicem esse historiae 
notitiam, sed quae firmata est et nititur super promissione 
de gratuita remissione peceatorum propter Christum et eam 
sibi applicat?) Tertio addit etiam spem, quae (ut indiuidua 
comes veram fidem comitatur) duplicem pacem eftieit, foris 
eontra mundi furores adeoque cunctas corporis aduersitates *), 
intus in conscientia contra ignita Satanae iaeula?) vt animo 
simus tranquillo, eaque vniuersa mala, nedum ví patienter 
ferre, verum etiam fortiter et contemnere et vincere possimus 
simulatque veram illam liberationem) aeternamque, vitam 
ac faelieitatem nune in hae etiam vita inchoemus. 

Et quia doctrina de iustifieatione, quae in ecclesiis nostris 
Dei misericordia iam patefacta est et sonat, consentit cum 
ista prophetae?) contione, quod sola fide in Christum sumus 
iusti, Item quod fides firmus sit assensus, non nuda hiftoriae 
notitia, Item quod spe iam salui simus faeti et nunc gustum 
habeamus vitae aeternae?). 

Idea ingrediamur porta sillas, audiamus et amplectemur?) 
testimonia prophetarum et apostolorum, adiungamus nos 
piorum coetibus et vera fiducia mediatoris invocemus patrem. 


1) Rom, 1, 5. 16, 26. 2) Acta 18, 38. 3) 1. Thess. 1, 5. 
1. Kor. 1. 3, 13. *) Róm. 8, 37. 5) Eph. 6, 16. 9) Róm. 8, 211f. 
‘) Habakuk 2, 4. 5) Róm. 8, 24. ?) Forster flektiert amplector 
wie amplexor. 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 2. 10 


146 66 


Coeterum eoram mundo confiteamur constanter hanc doctri- 
nam, tum et iusti et salvi sumus iuxta illud apostoli 
` dietum: Corde creditur ad iustitiam, ore fit confessio ad 
salutem ’). i 
Johannes Forsterus, D. (sen.) 
A. a. O. Nr. 254. 1554. 


Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz 
und Magdeburg, an den Magdeburgischen Kanzler Dr. Christoph 
Türk. Halle 1536, Januar 28. 


Die Sammlung historisch berühmter Autographen, welcher 
dieser Brief entnommen ist, gibt auch hier keine Adresse, 
aber der Briefempfänger ist schon in den ersten Worten des 
Briefs genannt als Albrechts Kanzler, der kein anderer ist 
als der Magdeburgische Kanzler Dr. Christoph Türk. Dieser 
war von ihm an einen Vetter gesandt worden, um mit ihm 
über den Handel mit Hans Schenitz und dessen Angehörigen, 
insbesondere mit dessen Bruder Antonius (Tonius) und den 
damit in Verbindung stehenden Handel mit Kursachsen wegen 
der Burggrafschaft und deren Gerichtsbarkeit zu verhandeln., 
Der Kanzler hatte Albrecht über diese Verhandlungen be- 
richtet. Der vorliegende Brief ist die Antwort auf diesen Be- 
richt. Der Vetter, an den Türk gesandt war, kann kaum 
ein anderer sein als Herzog Georg von Sachsen. Der Brief 
zeigt, wie unangenehm die ganze Sehenitzsaehe, über die 
am besten Hülßes Abhandlung „Kardinal Albrecht und Hans 
Schenitz“ Magdeburger Geschichtsblätter 1889, 1— 82 und 
kurz Enders, Luthers Briefwechsel 10, 235 ff. unterrichtet, für 
Albrecht sein mußte, da Luthers Eingreifen ihn in der óffent- 
lichen Meinung blofstellte. Er erwähnt zwar Luther nicht 
und will sich auch von den Drohungen Antons Schenitz 
nicht schrecken lassen, aber man sieht deutlich, wie 
gern er die ganze Sache aus der Welt geschafft sehen 
möchte. 


Die im Brief erwähnten Personen sind Dr. Andreas 
Frank aus Kamenz genannt Camitianus, Schöppenschreiber 
in Leipzig, über welchen Clemen im Neuen Sächsischen 


1) Rom, 10, 10. 


67 147 


Archiv 19, 95. 20, 143. 24, 168 ff. Auskunft gibt, Dr. Hans 
Eberhausen, Rath des Kardinals Albrecht in Halle, über 
welchen Kawerau, Justus Jonas Briefwechsel 2, 55, 76, 83 
zu vergleichen ist, Hieronymus Walther in Leipzig, der 
Vater der Magdalene Schenitz, Gattin des Hans Schenitz, 
und der Vormünder von dessen Kindern. 


Albrecht von Brandenburg, Kardinal und Erzbischof an den 
Kanzler Dr. Türk. - 1536 Januar 28. 

Lieber her Cantzler, ich hab ewr schreiben von beyden 
meinen knaben nechten ganz spet entpfangen vnd her fast 
gern, das meinen vettern dy lutherysche weyß zu torgaw 
nicht gefallen, vnd das dy mutter nicht wyder in das landt 
kommet, was aber dy ander sache betryfft, darumb ir zu 
seiner lyebe geschickt, wil ich mit vernigen ewr zukunfft 
erwarten, vnd horen, was ir außgericht, vnd halt es darfhor, 
hat man lust zu der sachen, man werdt es an dem oder 
grosser nicht mangeln oder fhelen lasen, vnd habt recht 
gethan, das ir meinen vetter||dahyn vermocht, das er Sachsen 
des tags halber geschryben, was aber schantzen sache be- 
tryfft, laß ich heut ewr concept beratslagen, wy wol es on not, 
vnd wil euch nicht bergen, das doetor Camicianus heut dato sich 
hat lassen angeben von wegen Walthers, der frawen vnd der 
kinder, vormunder zu bitten, dan sy wolten dy bryeff vnd register 
mit recht von Thonius fordern mit wyder anhang, wy euch 
doctor Eberhausen, wenn er gehort, in meinem nhamen 
hernacher schryeben wirdt, so sein auch dy III m gulden 
zu Leypzig erlegt, vnd wil by Walther Im rat nymants sitzen, 
aber von entlichem vortrag mit der frawen vnd kindern 
hor ich nichts. Ir wolt auch meinem vettern von meinen 
wegen freuntlich dank sagen, das mich sein lyeb des tags 
auch schantzen halber kege sachsen vorantwort, vnd mir 
hat lasen antzeigen, was Thonius dem kurfürsten geschryben 
vnd im willen hat, last ehr etwas auß gheen, sol ehr mich 
an antwort nicht finden vnd bin auch ewr meinung, das es || 
sereck gebot sein, aber nichts deste weniger kendí man es 
vorkommen, so sehe ich es gern. Darvmb so ir noch bei 
meinem vetter, so beger ich, Ir wollet euch mit sein lyeb 
vnderreden, mit was fugen vnd durch was mittel sulchs 
mecht fürderlich abgewendt werden. Daß hab ich euch in eil 
vf ewr schreyben ganz gnediger meynung nicht wollen verhalten. 
Datum Hall vf Sanet Moritzburgk am freitag nach conuersionis 
Pauli anno ich!) XXX yj. Albrecht eek 


A. a. QO. Nr. 278. manu propria. 


1) Sic, mir unverständlich. 
10* 


2 . 


148 . 68 


Berichtigungen zu dem Brief der Erasmus an Graf Hermann 


von Neuenahr (Nova Aquila vom 3. Januar. Erasmi opera 
ed. Clericus 3, 1057. | 
Die Sammlung historisch berühmter Autographen oder 
Faesimiles von Handsehriften gibt in Nr. 959 auch .das 
Original des Briefes von Erasmus wieder, das in Erasmus 
Werken 3, 1057 abgedruckt ist. Wie sonst, gibt die Samm- 
lung den Briefempfünger nicht an, aber die Vergleiche des 
Textes zu Op. 3, 1057 und der Wiedergabe des Originals 
läßt keinen Zweifel übrig, daß es der Kölner Dompropst 
Hermann von Neuenahr ist. Dagegen ergeben sich aus dem 
Vergleich beider Texte einige Berichtigungen für den Text 
in Op. 3, 1057. Z. 13 v. u. steht celeriter nicht im Text, 
statt sequuturum ist consequuturum zu lesen. Z. 10 v. u. 
ist enim naeh per hune ausgelassen. Z. 9 v. u. l. Antwer- - 
piam statt Antuerpiam. S. 1058 Z. 1 hat dicant keinen 
Sinn. Es ist verlesen für durum; et ist ausgelassen. Es ist 
zu lesen: non durum et iniustum. Nach Severum ist aus- 
gelassen: Suspieantur Fabrum autorem. Z. 4 ist zu lesen: 
3 Non. Ian Basileae. Am Schlu8 fehlt die Unterschrift 
Erasmus tue Celsitudini addietiss (imus) mea manu. 


Brentiana und andere Reformatoria 
von W. Kohler’). 
35. Praefacio in epistolam ad Galatas ex ore D. M. 
Lutheri excepta 1531, missa D. Johanni Brentio a M. 
Vito Theodoro ex Wittemberga. 


Diese Version der Vorrede Luthers zum Galaterbriefe 
ist dem Herausgeber in der Weimarer Lutherausgabe, A. Freitag, 
entgangen, trotzdem ich schon 1903 in der Theol. Literatur- 
zeitung Nr. 24 darauf hingewiesen hatte. Die Einstellung 
des vorliegenden Textes ist nicht allzuschwer zu geben: 
wie Freitag schon festgestellt hat und die Überschrift unseres 
Textes besagt, hat auch Veit Dietrich die Vorlesung Luthers 
über den Galaterbrief gehört. Ein Stück von seinen Auf- 
zeichnungen hat nun Dietrich an Brenz geschickt, Aber 
offenbar in Ausarbeitung, genau wie das später Rörer bei 
der Drucklegung auch getan hat. Und zwar hat er, wie 
Freitag festgestellt hat, dabei auch Rörers Aufzeichnungen 
benutzt. Umgekehrt hat aber auch Rörer Dietrichs Auf- 
zeichnungen bei der Fertigstellung des Druckes benutzt. 
Fraglich bleibt zunächst, ob nun die Dietrichsche Aus- 
arbeitung — wohl zu unterscheiden von seinen ersten Auf- 
zeichnungen! — später von Rörer für seine Ausarbeitung 
benutzt wurde, oder ob Dietrich unter Benutzung von Rörers 
Aufzeichnungen die eigenen frei gestaltete. Ich möchte 
ersteres annehmen (in teilweisem Gegensatz zu dem analogen 
- Fall bei Freitag WA 40, 690). Denn die Berührungen 
zwischen unserem Texte und Rörer betreffen nicht etwa 
nur die Rörerschen Aufzeichnungen, sondern ebenso sehr die 
Rörersche Bearbeitung; diese und die Dietrichs stehen auch 
in unmittelbarer Beziehung zueinander. Es scheint mir aber 
weniger wahrscheinlich, daß Dietrich für eine Ausarbeitung, 

1) Vgl. diese Zschr. IX S. 79—84 und 93—141, X S. 166—197, 


XI S. 241—290, XIII S. 228—239. XIV S. 148—152 und S. 236—241 
XVI S. 235—240, 


150 | Ä 70 


die er Brenz geschickt hat, außer Rörers Kollegheft noch 
dessen Ausarbeitung benutzte, als daß Rörer, der einen für 
die Öffentlichkeit bestimmteu Druck vorbereitete, alles heran- 
zog, was ihm von Wert erscheinen mochte. Sollte vollends 
Brenz die Sendung Dieiriehs schon 1531 empfangen haben, 
so wäre unsere Vermutung bewiesen. Aber das ist nicht 
sicher; der Schreiber des Codex Suevo-Hallensis hat die 
Sendung unter 1531 eingestellt, d. h. im Anschluß an die 
Akten vom Augsburger Reichstag, weil diese Zahl in der 
Titelüberschrift stand, er hat 1531 zu missa gezogen, während 
es ebenso gut zu excepta zu ziehen wäre und dann der 
Termin für die Sendung unbestimmt bleibt. Wahrscheinlich 
also ist unser Text zwischen die Aufzeichnung Rörers und 
den für den Druck bestimmten Text zu setzen; er bietet 
ein genaues Analogon zu dem WA 40, 24e bzw. 690 ge- 
schilderten Fall. 

Prefacio in Epistolam ad Gal. ex ore D. M. L. excepta 
1531 missa D. Johan. Brentio aM. Vito Theod. ex Wittemberga. 

Primum dicendum est de argumento et materia subiecta 
huius epistole. 1. de qua re agat Paulus. Est autem hoc 
quod vult stabilire doctrinam illam iusticie fidei et gracie et 
remissionis peccatorum, ut habeamus perfectam cognicionem et 
differenciam inter iusticiam Christianam et alias omnes iusticias. 
Justicia enim multiplex est. Quedam politica, quam tractat 
Cesar et principes mundi, Philosophi et Sapientes. Alia 
est Ceremonialis, quam tradunt seu exercent tradiciones 
humane et Papa, sed peius, melius autem pater familias et 
pedagogi, qui habent necessarias ceremonias propter com- 
ponendos gestus et certas observaciones. Supra has est alia 
quedam iusticia legalis seu decalogi, quam Moses et nos 
etiam docemus post doctrinam fidei. Sed he omnes iusticie 
fluunt ex preceptis et versantur in operibus nostris. Ergo 
ultra et supra has omnes est Cristiana iusticia et diligenter 
ab illis discernenda est. Sunt enim huie prorsus contrarie, 
scilicet nate ex legibus et preceptis vel tradieionibus, et 
(Mser.: et et) tales, que a nobis fiunt sive ex puris naturalibus, 
ut sophiste loquuntur, sive ex dono dei — quia et he iusticie 
dona dei sunt sieut omnia nostra, Breviter quiequid tale 
est quod nos facimus et nostrum opus vocatur, non est 
iustieia Christiana. Sed hee est plane contraria et mera 
passiva sieut ille sunt active, ubi nihil operamur et facimus, 
sed tantum recipimus et patimur alium operantem in nobis, 
seilicet deum. Et hee est inseicia!) in misteria abscondita, 


T) Hes: iusticia. 


71 | 151 


quam mundus non iutelligit et Christiani ipsi difficulter et 
non satis comprehendunt. Adeo semper est inculcanda et 
assidue usu exercenda. Quia qui in tentacionibus et perl- 
culis hanc non tenet vel apprehendit, non potest consistere, 
neque est ulla consolacio conscienciarum, quam illa passiva 
iustieia. Fit enim naturaliter in tentacione et pugna con- 
sciencie, quod heremus in hoc spectro et intuemus[!] legem, 
et sic tantum magis confunditur consciencia. Nec potest se 
hine evolvere natura et racio et attollere se ad aspectum 
huius iustieie. Quia hoc situm est extra cogitaciones et 
captum humanum adeoque et iam extra legem dei, que 
quamvis summum est bonum, quo sunt in mundo, tamen 
Jonge est infra hane Christianam iusticiam, ita nobis hoc 
malum est affixum operante et iam diabolo cum natura quod 
intencione nihil spectamus et desideramus nisi nostram 
iusticiam, eum tamen nullum aliud remedium sit nisi in 
iusticia fidei et aut morte eterna perire aut hane fidem depre- 
hendere et tenere, que dicat: Non quaero iusticiam activam, 
quamvis hec quoque facienda est, et posito quod istam omnem 
habeam, tamen eam non possum confidere nee per eam stare 
coram deo. Sed simpliciter reiicio me extra omnem activam 
et meam iusticiam et extra conspectum legis et tantum volo 
recipere aliam passivam, que est iusticia gracie et remissionis 
peccatorum et in summa Christi et spiritus sancti, quam ipse dat 
et nos adeipimus. Sicut terra pluviam accipit, quam ipsa non 
gignit nec ullo suo opere, cultu aut viribus potest acquirere, sed 
tantum dono celesti desuper recipit; quam erga‘) propria terrae 
est pluvia, tam propria est nobis ista iusticia. Hee cum 
dicuntur putamur esse facilia, sed res et experiencia docet 
nihil esse difficilius. Det dominus graciam et salutem, 
aliquam cognicionem retineamus, ne ab intuitu gracie ad 
legem relabamur. Quia summa ars et sapientia Christi- 
anorum est nescire légem, ignorare opera et totam iusticiam 
activam. Sicut extra Christianos et populum del summa 
sapiencia est nosse et inspicere legem. Mira res docere 
homines, ut discant legem ignorare et sie vivere eoram deo 
quasi nulla sit lex et tamen contra in mundo sie urgere 
legem et opera, quasi nulla sit gracia, utrumque reete securi 
debetur secundum Paulum, ut sic informes consciencias ad 
spectandam graciam, quasi nulla sit lex in mundo, alioqui 
nemo potest salvus fieri. Quia lex et exactio operum sic 
urget et premit, ut cogantur desperare et ruere. Econtra 
quando humiliare et terrere volumus, ibi nihil est ponendum 
ob oeulos nisi lex, que est data ad humiliandum, vexandum 
et exercendum veterem hominem. Hie ergo requiritur prudens 


1) lies: ergo. 


152 72 


et diligens pater familias, qui sic moderetur legem et intra 
suos limites maneat promens nova et vetera, cum est com- 
modum. Nam qui sic docent legem, quod per eam iusti- 
ficentur homines coram deo, illi iam ex[e]esserunt hos limites 
et eonfundunt has duas iusticias, activam et passivam. Sunt 
modo dialectici, qui non recte dividunt. Cum ventum est 
ultra veterem hominem, iam iam sum ultra legem, quia caro 
vel vetus homo et lex ac opera sunt coniuncta, sie etiam 
vel novus homo et evangelium seu gracia. Cum ergo video 
hominem satis contritum presenti lege et sentire peccatum etc., 
ibi iam tempus est follere legem ex oculis et conspectu et 
ingredi alteram iusticiam, in qua regnat non lex, sed gracia, 
sicut ait Paulus [Róm. 6, 14]: iam non estis sub lege, sed 
sub gracia. Quomodo non sub lege? secundum novum 
hominem, quia ad hune nihil pertinet lex, quia lex usque ad 
Chistum|!, hoc veniente cessat lex, Sabbathum, Moses et 
prophete. Hic est nostra theologia, qua docemur acurate 
distinguere has duas iusticias, quod utraque sit necessaria, 
sed intra suos limites continenda. Quod dico, ne quis putet 
bona opera reiicere auf vetare, sicut adversarii de nobis 
elamant non inteligentes neque quid ipsi neque quid nos 
loquamur; nihil enim norunt nisi solam iusticiam legis, et 
tamen volunt iudicare de doctrina, que posita est longe supra 


et ultra legem. Ideo non possunt non scandalizari, cum 


nihil alcius videre et comprehendere possunt quam legem. Nos 
vero quasi duos mundos constituimus, unum celestem, alterum 
terrenum et in illos ponimus has duas iusticias separatas 
et longissime inter se distantes; iusticia legis terrena est et 
de terrenis agit operibus, tantum exercetur, que nihil 
pertinent ad illam celestem i. e. christianam iustieiam, per 
quam ascendimus super omnia opera et leges. Sicut ergo 
portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem celestis, 
ait Paulus [1. Cor. 15, 49], qui est novus homo et in novo 
mundo, ibi nulla est lex et consciencia, sed liberrima vita, salus 
et gloria, per quid ergo aut quid faeit? Nihil, quia hee 
iusticia est prorsus nihil facere, nihil statuere et audire de 
operibus legis, sed hoc solum, quod Christus sedet ad dextram 
patris pro nobis intercedens et regnans per graciam, ibi 
nihil lucet et videtur quam gracia et nullus terror vel 
remorsus consciencie. Sicut Johannes inquit |l. Joh. 3, 9]: 
Qui natus est ex deo, non potest peccare etc. Quia in 
hane iusticiam non cadit peccatum, cum ibi nulla sit lex; 
ubi non lex, non est ibi nec prevaricacio. Cum ergo hic 
peccatum non habeat locum, enulla est consciencia vel pavor 
et tristicia, et si adsit, signum erit Christum et graciam 
amissam e conspectu vel tanquam nube obducta obscuratam. 
Sed ubi vere est Christus, ibi necesse est adesse gaudium 


73 153: 


in domino et pacem cordis; quod sic statuit, licet sim 
peceator legalis in iusticia legali, non tamen ideo mereor, 
quia Christus vivit, qui est mea iusticia et in illa vita 
nullum habeo peccatum et conscienciam. Sum quidem 
peeeator seeundum hane vitam et eius iusticiam et et filius 
Adam, ubi adeusat me lex ef regnat, sed supra hane vitam 
habeo aliam vitam, aliam iusticiam, que nescit peccatum et. 
mortem, sed est vita eterna, propter quam eciam hoe corpus 
mortuum resuscitabitur et liberabitur a servitute legis et 
peccati. Itaque utrumque manet, dum hic vivimus, quod 
caro adeusatur, exercetur, contristetur et conteritur iusticia 
aetiva legis, sed spiritus regnat, letatur et salvatur iusticia 
passiva Christi. Qui contrivit peccatum, legem et mortem 
et triumphavit illam in se ipso Collo. 2. [V. 15]. Hoe 
ergo agit Paulus in hae epistola, ut nos diligenter instituat, 
confortet et retineat in cognicione perfecta huius Christiane 
iusticie. Quia amisso hoc loco vel articulo amissa est simul 
doctrina Christiana tota, quia sine hae quiequid est in 
mundo, est vel Judeus vel Turea vel papista, quia inter 
has duas iusticias, activam legis vel passivam Christianam, 
non est medium — ergo qui ex hae exeidit, hune oportet 
in alterum circulum relabi, ut amisso Christo ruat in fiduciam. 
operum etc. Sieut videmus in omnibus sectariis, quod nihil 
docent nee reete possunt docere de hac iusticia gracie, sed 
tantum ferent in iusticia legis, quia nemo illorum potest 
intrare in hane cognicionem et ascendere ultra illam activam. 
iusticiam, itaque manent iidem, qui fuerunt sub (Mser.: sup) 
papa, nisi quod nomina et opera nova faciunt, cum res sit 
eadem, Ideo nos sic semper urgemus et ineuleamus hune 
locum, scientes hec, quam sunt facilia dictu tam esse diffi- 
cilia experiencia et usu, etiamsi diligentissime acuas et exer- 
ceas ef intencione conscienciam pacifices et traduceris a con- 
spectu legis ad conspectum gracie, et cum caro et sathan 
opponit conscienciam peccati, iram dei et infernum, ut te 
sibi subiiciat et abstrahat a Christo. Nam tum pereundum 
tibi est, nisi secundum ista noveris discernere et revocare 
carnem, que egreditur extra suos limites volens ascendere 
in regnum consciencie et damnare in corde, in quo debet 
regnare Christus et servare conscienciam pacatam et letam. 
in pura ac sana doctrina evangelii et cognicione istius. 
passive iusticie. Hane eum intus habeo, tunc demum prodeo. 
foras in aliud regnum et descendo de celo tanquam pluvia 
fecundans terram i. e. facio opera bona ef subiicio me per 
caritatem legibus et aliis necessitatibus huius vitae (Mser.: 
vita) etc. Hoc est epistole argumentum, quod sumit Paulus. 
tractandum occasione adcepta a falsis doctoribus, qui istam. 
doctrinam obscurarunt Galatis etc. 


Mitteilungen. 


——— 


Zum Passional Christi und Antichristi. 


3.1) G. Kawerau hat bereits darauf hingewiesen, daß einzelne 
‘Bilder aus Cranachs Passional, und zwar unter Benutzung der Original- 
‘stécke, noch Verwendung zur Illustration anderer Druckschriften des 
16. Jahrhunderts fanden?) Zwei Fälle dieser Art waren ihm bekannt 
geworden: a) Bild 13 (Christus lehrend und die Kinder segnend) kehrt 
wieder in „Kirchen Agenda...Für die Prediger in. . . Mansfeld“: 
Eisleben, Urban Gaubisch, 1530. 4°; b) Bild 18 (Der Papst, von 
'Kardinälen und Bischöfen begleitet, reitet der Hölle entgegen) kehrt 
wieder auf der Titelrückseite in „Eyn Clag der deutsche Nation an 
‘den almechtigen gott...“ o. O. u. J., 4° (Wittenberg, 1521)3). 

Von diesem Bild 18 existiert nun auch ein alsbald nach der 
Veröffentlichung des Passionals entstandener Nachschnitt, der es 
im Gegensinne gibt. Er findet sich als Titelholzschnitt in einem 
Einzeldruck des berühmten Hans Sachsschen Dialoges: „Von einem 
'"Schu|macher: vnd Chorherren: ein vast || kurtzweilig Christliche 
disputation (von der Euan-|gelischen Wittenbergischen Nachtgallen. || 
MdXXIIII. Hans Sachs.**) Wie der Holzschnitt ein Nachschnitt, so 
scheint auch der Text ein Nachdruck zu sein, An jenem weist manches 
nach Straüburg. Die Vorlage ist inhaltlich und formal im wesent- 
lichen unverändert wiedergegeben; abgesehen von der Umkehrung der 
"Komposition treten als bedeutsamste Abweichungen hervor die Aus- 
bildung der Bergkuppe im Mittelgrunde vor dem Felsmassiv im Hinter- 
grunde, die Verminderung des päpstlichen Gefolges und die deutlichere 
"Kennzeichnung der im Höllenfeuer schmachtenden Personen, die über- 


1) S, Archiv für Reformationsgeschichte 17, 1920, S. 71 ff. 

2) Weimarer Lutherausgabe 9, 699. 

3) Diese Schrift ist außer in der von Kawerau a. a. O. ge- 
‚nannten Fürstl. Bibliothek zu Wernigerode u. a. noch vorhanden in 
Berlin, Staatsbibliothek (2 Exemplare: Yg. 7621 und Yg 7622). 

4)Hans Sachs. Hrsg. von A. v. Keller u. E. Goetze, Bd. 24 (Biblio- 
thek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. 220), Enr. 7i. 


75 155 


dies auf drei (statt fünf) nebst einem Teufel reduziert sind, als Ton- 
surierte. Beziehungen zwischen Titelbild und Text bestehen nicht. 
Der Holzschnitt ist durchaus unabhängig von diesem entstanden und 
dürfte wohl einige Zeit vor ihm gearbeitet sein 1). 

Georg Stuhlfauth. 


Zum Briefwechsel Veit Dietrichs. 


Zu den im 12. und 13. Bande des Archivs für Reformations- 
geschichte mitgeteilten Briefen Veit Dietrichs bietet die Regierungs- 
bibliothek Ansbach eine kleine Ergänzung. Unter den Reformatoren- 
briefen aus den 16. Jahrhundert ist auch er mit einem Schreiben an 
den Schaffer Joh. Seubold von St. Sebald?) vom Regensburger Religions- 
gespräch vertreten. Seubold diente nach demselben als Vermittler 
zwischen Wittenberg und den protestantischen Gelehrten zu Regensburg. 

Die von Flemming und Albrecht gesuchte Biographie Veit 
Dietrichs von Zeltner befand sich zuletzt in der Ebnerschen Bibliothek 
zu Nürnberg ?). 

Etliche Briefe von Veit Dietrich hat Seb. Stiber seinem „Prozeß 
der Hailsbrunnischen Handlung das kayserlich ja verfluchte Interim 
belangend zusammengebracht durch Sebastian Stieber prediger zu pid 
Zeyt zu Hailsbrunn im 1548 Jahr“ einverleibt*). 


Veit Dietrich an Joh. Seubold Regensburg. 10. Mürz 1546. 


Salutem in domino. Eur Sehreiben, lieber Herr Schaffer, ist 
mir heut zukommen samt den eingelegten Schriften von Witten- 
berg, die mir und allen andern Herrn ser lieb gewest. Denn sie 
nu bis in die vierte Woche nichts von Herrn Philipp gehabt. Unser 
Handel läßt sich gar leppisch an. Die Presidenten sagen, sie können 
von der kays. Mjt. geschickten Resolution nit weichen noch etwas 
nachgeben. So konnen wirs nit einraumen, Ist beschlossen, darauf 
bei k. Mjt. beschids sich zu erholen, ob sie wolte etwas lindern. 
Wir kénnen solches nicht wegern; aber wie wir begert, im colloquio 
furtzuschreiten, da wollen die schalk, so sich kaiserische colloquenten 
nennen, nit hinan.  Besorge einer langen und langweiligen Feier, 
kann aber mit keinem Fuge es dahin bringen, daß ich mit ehren 
wider davon kome. Dem Malvenda ist hie zimlich gelohnet. 
Als er die leut mit Haufen hat sehen in die Kirch zur Predigt gehen, 


1) Vgl. noch C. Kaulfuß-Diesch, Lukas Cranachs Passional 
Christi und Antichristi, in Der Sammler, Wochenschr. für alte und 
neue Kunst 12, 1922 S. 65—70, mit 7 Abb. 

2) 1520—1535 Kaplan, 1535—1549 Schaffer bei St. Sebald: 
G. E. Waldau, Nürnbergisches Zion, Nürnberg 1787 S, ll, 18. 
Beitrüge zur bayr. KG. X, 86. 

9 G. A. Will u. Chr. a Nopitsch, Nürnbergisches Ge- 
lehrtenlexikon VI. 1802 Altdorf, S. 218. 

3) Bibliothek zu DAE 


156 76 


hat er sich daruber erzürnet und deudsch gesagt (denn der schalk 
kann es ziemlich): es sey unrecht, daß man also zur kezerischen 
Predigt gehe. Der Hausknecht hat gesagt: es sei kein ketzerische 
Predigt, die Tumpredigt sey ketzerisch. Als nun ein wort das ander 
erregt und Malvenda erzürnet, hat er zum rapier gegriffen; aber 
der knecht sein nit gewartet, hat im mit eim leuchter auf die brust 
geworfen, daß er zu boden gefallen und sich davon gemacht. Dieser 
ist meines Erachtens der beste disputator fur diese gesellen. Ways auf 
dismal mer nit anzuzeigen. Laßt Euch mein Haus befolen sein. Und 
grußet mir die Herren alle, sonderlich unseren guten Nachbaurn den 
Bernbecken, den laßt solches lesen. und behalt diese und andere 
folgende Brief bei einander, 


Datum Regensburg an des Herrn Faßnacht 1546. 
V.D. 


Johans(?) lest euch alle grüßen. 
K. Schornbaum. 


Neuerscheinungen. 


In seiner Abhandlung „Die weltgeschichtliche Bedeutung der 
Wittenberger Reformation“ bekämpft O. Scheel nachdrücklich das 
Zerrbild, das, wie sich besonders im Jubiläumsjahre 1917 gezeigt hat, 
der der Kriegspsychose verfallene westeuropäische Protestantismus aus 
der deutschen Reformation als dem „Vorläufer des Potsdamer Militaris- 
mus“ gemacht hat, wogegen als der eigentliche Reformator Calvin 
gefeiert wird, Diesen Verirrungen gegenüber zeigt Scheel, daß die 
Führer der westeuropäischen Reformation mit Luther eng verbunden 
sind, der der Schöpfer und Träger der Reformation bleibt. Letztere 
aber kann nicht als eine Teilerscheinang des Mittelalters begriffen 
werden, sondern führte, indem sie das geistliche Leben entrechtete 
d. h. vom Recht befreite, und das Recht entgeistlichte, d. i. der Herr- 
schaft des göttlichen Rechts ein Ende machte, eine völlig neue Welt 
herauf und zwar eben jene Welt, in der wir leben. Den Grund, auf 
dem sich die neue Zeit aufbauen konnte, hat Luther gelegt. Übrigens 
läßt Scheel auch Calvin volle Gerechtigkeit widerfahren, er bedauert 
auch nicht, daß das Luthertum sich im 19. Jahrhundert mehr und 
mehr „calvinisiert“ hat, eine Entwicklung, die in dem gegenwärtigen 
Neuaufbau der deutschen Landeskirchen als Synodalkirchen ihren Ab- 
schluß findet, und begrüßt es mit Holl als ein Glück, daß wir in 
Deutschland reformierte Gebiete neben lutherischen haben. Festgabe 
z. 70, Geburtstag von A. von Harnack, S. 362—388. Tübingen, Mohr 1921. 

Mit Calvin im besonderen beschäftigt sich Hans von Schubert. 
Er schildert den großen Genfer Reformator als den Meister der pro- 
testantischen Religionspolitik, der beides besaß: die weltweiten Ziele 
und den Sinn für Form, Ordnung und Zucht, einen Mann von höchsten 
organisatorischen, politischen Fähigkeiten, der über die volle Einsicht 


(7 157 


in das innere Wesen der Sache gebot und über den tödlichen Ernst, 
sie in Reinheit durchzuführen. Die politischen Nachwirkungen seines 
vom Verf. mit Meisterhand umrissenen Lebensganges erstreckten sich 
über die Jahrhunderte: durch Calvin ward die von der politischen nicht 
zu trennende Religionsfrage aus einer deutschen zu einer europäischen; 
der politische Calvinismus aber stellte sich in den Zeiten der Gegen- 
reformation rettend und schützend vor den deutschen Herd der Re- 
formation, und fand endlich, als er im 17. Jahrhunderte hier versagte 
und auch Calvins eigenstes Werk, der französische Calvinismus, zu- 
sammenbrach, in der ruhmvollen holländisch-englischen Geschichte in 
mannichfacher Mischung und Abwandlung seine Fortsetzung bis in die 
moderne Kulturwelt hinein. Überhaupt hat Calvin dem neuen Ver- 
hältnis von Kirche und Staat, von Religion und Politik den Weg ge- 
bahnt: der Glaube frei im Staat, das Gewissen des einzelnen auf sich 
allein gestellt und somit auch der Staat den Dingen des Glaubens gegen- 
über frei, die Kirche aber dem Staate die willigsten Dienste leistend, 
indem sie die Pflege der sittlichen Werte im breiten Umkreis der sozialen 
Pflichten fruchtbar macht. — In „Meister der Politik“ S. 467—498 
(Sonderdruck). Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart und Berlin 1922. 


P. Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. Bio- 
graphische und quellenkritische Studien zur Reformationsgeschichte. 
Herausgeg. mit Unterstützung der Hist. Komm. f. den Volksstaat Hessen, 
der Notgemeinschaft der deutschen Wissensch. und der Schles. Ges. 
z. Förder. der ev.-theol. Wissenschaft. 


Das Buch bildet, wie auch der Untertitel andeutet, kein einheit- 
liches Ganzes, sondern setzt sich aus verschiedenen kleineren und 
größeren Untersuchungen zusammen, die auch für sich bestehen könnten. 
Zuerst zeigt K. auf Grund der Veröffentlichung der ältesten Reichs- 
registraturbücher Karls V., wie durch das Mittel der primariae preces 
der Kaiser über einen reichen Schatz von Gnade und Gunst verfügen 
und dadurch die Haltung zahlreicher Personen (selbst auch in der 
Glaubensfrage) beeinflussen konnte. Ein zweiter Abschnitt handelt 
von den Ausschüssen des Reichstages. Daran schließen sich, vielleicht 
der ertragreichste Teil des Buches, Untersuchungen über die papistische 
Aktionspartei unter den Reichsfürsten und über die Mitarbeiter Aleanders 
am Wormser Edikt im deutschen Hofrat und bei den übrigen Mit- 
gliedern der alten kaiserlichen, wie in der burgundisch-spanischen 
Regierung; es ergibt sich, daß in der Umgebung des Kaisers für eine 
kirchliche Vermittlungspartei kein Raum war. Nun folgen 4 mehr 
oder minder miteinander zusammenhängende Abschnitte über Luther 
in Worms (Vorgeschichte der Berufung; letzter Versuch zur Aus- 
schaltung des Reichs durch Beeinflussung Kurfürst Friedrichs; die 
Verhandlungen über Luther; Luther vor Kaiser und Reich). Hier 
wandeln wir in der Hauptsache auf bekannten, nicht am wenigsten 
von Kalkoff selbst uns erschlossenen Pfaden; doch sucht letzterer be- 
sonders in den reichhaltigen Anmerkungen, seine Auffassung noch zu ver- 


158 78 


tiefen oder ihr neue Stützen hinzuzuführen. Der 8. Hauptabschnitt 
erhärtet gegen N. Paulus die Verfassungswidrigkeit des Wormser 
Edikts und legt die Zusammenhänge zwischen dem Zustandekommen 
dieses erschlichenen Reichsgesetzes und den Festsetzungen des Reichstags 
über Romzugshilfe und Reichsreform dar. Endlich greift der letzte 
Abschnitt auf Friedrich den Weisen zurück, um dessen aus tiefer 
Überzeugung hervorgehendeFürsorge für das Gelingen des Reformations- 
werks nochmals hervorzuheben. Den Band schmücken Bilder des 
Reformators und seines Hauptgegners von 1521, Hieronymus Aleanders. 
München und Berlin, R. Oldenbourg 1922. VII, 436 S. M. 85.—, geb. 
M. 105.—. 

Karl Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchenge- 
schichte. Bd. I Luther (Tübingen, Mohr 1921, 458 S. M. 96.—, 
geb. 114.—). Man muß Holl zu dem Entschluß, seine im Laufe der 
letzten 10—12 Jahre entstandenen und in verschiedenen Zeit- und 
Gelegenheitsschriften veröffentlichten Aufsätze über Luther an 
einer Stelle zu vereinigen, lebhaft beglückwünschen. Erst dadurch 
ist diesen gehaltvollen Darbietungen gleichsam die Dauer verbürgt. 
Und wenn je, bedarf, lehrt uns Holl, die Gegenwart Luthers, um der 
Verwirrung der Gewissen zu steuern und angesichts des sichtlich im 
Wachsen begriffenen, aber von der Gefahr, sich in Aberglaube und 
Träumerei zu verlieren, bedrohten Sinnes für Religion eine Gesundung 
herbeizuführen. "Die einzelnen Aufsätze behandeln die Fragen: Was 
verstand L. unter Religion?; die Rechtfertigungslehre in L.s Vor- 
lesung über den Rómerbrief mit besonderer Rücksicht auf die Frage 
des HeilsgewiGheit; der Neubau der Sittlichkeit; die Entstehung von 
L.s Kirchenbegriff; L. und das landesherrliche Kirchenregiment; L.'s 
Urteile über sich selbst; die Kulturbedeutung der Reformation; L.'s 
Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst. Die Aufnahme 
der beiden letzten Arbeiten in die Sammlung ist um so wertvoller, 
als sie bisher nur als Vortráge mündliche Verbreitung gefunden haben. 
Die beigegebenen reichhaltigen Anmerkungen geben teils die Beleg- 
stellen, teils dienen sie der kritischen Auseinandersetzung des Verf. 


mit andern Forschern. 
P. Wernle, Melanchthon und Schleiermacher. Zwei dog- 


matische Jubilüen, gibt einen am 10. Oktober 1921 in Baden vor dem 
schweizerischen Göttinger Kränzchen gehaltenen Vortrag wieder. Hat 
von den beiden Glaubenshelden jeder seine Stärke da, wo er sich vom 
andern unterscheidet — Mel. im engen Anschlus an das Bibelwort 
und in der Absage an die Philosophie, Schl. in der Freiheit von allem 
Biblizismus und der Harmonie von Glauben und Denken — so predigen 
sie doch beide eine gegenwärtige Erlösung, ein neues Leben in Frieden 
und Freude, festem inneren Halt und sittlicher Kraft, das sich scharf 
abhebt vom Leben unter der Sünde in der Unseligkeit und das wir 
alle der Wohltat Christi verdanken. Samml. gemeinverst. Vorträge 
u. Schriften aus d. Gebiet der Theol. u. Religionsgesch. 98. Tübingen, 
Mohr 1921. 54 S. M. 9.—. 


79 15% 


.Zu der aus dem Mittelalter überkommenen, bis heute fast lücken- 
los erhaltenen Bibliothek der protestantischen Stadtkirche zu Schwa- 
bach gibt H. Claus, der Verf. der Reformationsgesch. der Stadt, 
in 1797 Nrr. ein sorgfältig gearbeitetes Verzeichnis (Die Schwabacher- 
Kirchenbibliothek). Die Bibliothek zerfällt in Hss. als ältesten. 
Teil, Wiegendrucke und Drucke nach 1500, unter denen die des Zeit- 
alters der Reformation (seit 1518) hervorragen. Eine Einführung, die: 
u. a. von der Geschichte der Bibliothek handelt, Einzelheiten aus den 
ältesten Hss. beibringt und die Drucker und Druckorte des 15. u. 16, 
Jahrh. verzeichnet, gehtvorauf; den Schluß machen Sach-, geographisches 
und Personenregister. München, Müller & Fröhlich 1921. 117 S. M. 18.—. 

Jos. Ehret, Das Jesuitentheater zu Freiburg in der 
Schweiz I. Die äußere Gesch. der Herbstspiele von 1580 bis 1700, 
mit einer Übersicht über das Schweizerische Jesuitentheater (Freiburg 
i, Br. Herder 1921. XV, 259 S. mit 7 Tafeln und 2 Karten M. 50.—) — 
arbeitet auf einem fast noch unbeackerten Felde und kommt z. T.. 
über Materialsammlung nicht wesentlich hinaus; gleichwohl ist die: 
Arbeit als Beitrag zur Geschichte des Jesuitismus in der Schweiz. 
sowie zur Literatur- u. Kulturgeschichte willkommen zu heißen. 


Zeitschriftenschau. 
(Fortsetzung von Heft 73). 


Landschaftliches. Aus den Bil. f. Württemb. KG, NF 25 (1921) 
Heft 3/4, der Festschrift zu unseres eifrigen Mitarbeiters D. Gustav‘ 
Bosserts 70. Geburtstage, erwähnen wir die Beiträge von Duncker, 
. Die kirchlichen Zustände Heilbronns vor der Ref. (S. 111—128); O. Lenze, 
Isnyer Altdrucke (= Verz. der Drucke 1501—1517 der Bibl. der ev. 
Nikolauskirche in I.) S. 128—173; Rentschler, Zur Frage der 
Schwarzwaldzuflucht des Joh. Brenz (S. 173—181); M. von Rauch,. 
Theologen und Ketzer in der Beleuchtung eines luth. Gelehrten (des. 
Heilbronner Syndikus Stefan Feierabend + 1574), S. 181—187; v. Kolb, 
Die alte Konsistorialbibl. (S. 187— 194). 

In der Sonntagsbeilage zum Schwab. Merkur Nr. 160 (Abendbl. 
9. April 1921) behandelt G. Bossert ,Die Schwenckfelder in Cann- 
stadt und ihre Freunde“. Die Lehre Schw.'s in C. hat besonders durch 
die Predigten Burkhardt Schillings im benachbarten Stetten Fuß ge- 
faBt; den geistigen Mittelpunkt bildete der Buchhändler Andreas Neff,. 
der auch in schweren Prüfungen für seinen Glauben einstand. 

Eine lebendig geschriebene, kurze Geschichte der Reformation 
der Stadt Straßburg i. E. bis 1536 gibt R. Reuß im Bull. de la Soc., 
de l'hist. du prot. francais Bd. 66, 232—261; 67, 249—280; 68 
257—275; am Schluß eine Bibliographie. 

In Z. d. Ges. f. Befórder. der Geschk. von Freiburg Bd. 36 
S. 58—67 stellt E. Krebs fest, daß das Gutachten, das die Universität 
Freiburg am 12, Oktober 1524 dem Erzh. Ferdinand über Luthers 
Lehre erstattete, seinem Hauptteil nach aus der päpstlichen Bann-- 


160 80 


bulle und der Pariser Universitätszensur vom Mai 1520 abgeschrieben 
dst, natürlich ohne Quellenangabe. 

In ZKG 39 (= NF Bd. 2) S. 1—44 behandelt P. Kalkoff „die 
Vollziehung der Bulle Exsurge insonderheit im Bistum Würzburg“. 

"Besonders beachtenswert erscheint der Hinweis, wie das erdrückende 
Übergewicht des Adels in den Einrichtungen der Kirche, die zu einer 
Versorgungsanstalt für den jüngeren Nachwuchs dieses Standes herab- 
‚gesunken war, sich hernach als stärkste Säule der Gegenreformation . 
und damit als eine der vornehmsten Ursachen der konfessionellen, 
dann territorialer Zersplitterung und schlieBlich der politisehen Ohn- 
macht Deutschlands erwiesen hat. | 

Über die A nsbacher Synode 1556 handelt aktenmaBig K. Schorn- 
baum in BBK 27,1 S, 1-11; 2 S. 33—43; 3 S. 106—118 und 4 
S. 151—166. l 

In Monatsh. f. Rhein. KG 15, 1—3 S. 3—27 betrachtet J. Has- 
hagen die Bundesgenossen, die an geistlichen und weltlichen Fürsten, 
an Weltgeistlichen, Orden und Laien die jesuitische Gegenref. in den 
Rheinlanden gefunden hat, sowie deren Vorläufer. 

O. Clemen weist einen Fabian Kayn als einen der frühesten 
Evangelischen unter den Meißner Domherren nach und gibt den In- 
halt eines reformationsgeschichtlichen Sammelbandes der Leipziger 
UB (Kirch.-Gesch. 1037 1) an: NASG 42 8. 259—261. 

Einen von J. K. Seidemann aus dem Orig. der Landesbibl. in 
Dresden mangelhaft veröffentlichten Brief des Zwickauer Franziskaner- 
guardians Martin Baumgart an 2 Ordensbriider vom Jahre 1522 über 
seine Streitigkeiten mit Nikolaus Hausmann und dessen Anhang in 
«der Stadt Zwiekau druckt G. Sommerfeldt in Franziskan, Studien 
VIII, 1 S. 80—84 mit Erläuterungen erneut ab. 

Eine Untersuchung über die Sákularisation des Klosters Coelleda 
im Lichte der Frage, ob seine Güter „bestimmungsgemäß“ verwandt 
"worden sind, führt L, Naumann zu dem Ergebnis, daß man im ganzen 
Reformationsjahrhundert an der bestimmungsmäßigen Verwendung des 
alten Klosterguts festgehalten, spáter freilich sich von dieser Grund- 
lage mehr und mehr entfernt hat (woraus Vf, Nutzanwendungen für 
-die Gegenwart zu gewinnen bemüht ist): ZVKG Prov. Sachsen 18, 1—20. 

Im Correspondenzbl. des V. f. Gesch. d. evangel. Kirche 
Schlesiens Bd. 17, 1 stellt S. 51—63 Söhnel die ersten ev. Geist- 
lichen von Wohlau fest und behandelt S, 64—67 die kirchlichen Ver- 
'hältnisse in Raudten 1519—1542.  Ebendaselbst S. 68—102 bietet 
"Th. Wotschke aus dem Dresdener HStA eine Anzahl Urkunden zur 
‚schles. Reformationsgesch., die sich vornehmlich auf den evangelischen 
Augustinerabt Paul Lemberg, einen der ersten Anhünger der Ref, in 
Schlesien beziehen. Anderes betrifft Glogau, das Kloster Trebnitz, 
die Stadt Freistadt usw. 


Druck von C. Schulze und Co., G. m. b. H., Grüfenhainichen. 


PERIODICAL Room, a ae 
| GENERAL. EIBRAR Mr” un 
QE MICH.“ | 


im FÜR REPORMIATIONSGESCHICHTE | 


-| TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


l 
) 


Im. Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte 
. herausgegeben von B 


D. Walter Friedensburg.. 


—— e 


Nr 75/76. |  : +. XIX. Jahrgang. Heft 3/4. : 


ser 


| Die brandenburgisch-nürnbergische Norma 
doctrinae 1573 
von Karl Schornbaum. 


— 


Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a.M. 


im Zeitalter der Reformation 
von Karl Bauer. 


! 


Mitteilungen 
Zeitschriftenschau. 


Leipzig 1922 
‚Verlag von M. Heinsius aur d 
D Eger & Sievers. 


PA 


je 


Archiv fiir Reformationsgeschichte 


Texte und Untersuchungen 


In Verbindung mit dem Verein fiir Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


„Archiv für Reformationsgeschiehte“ erscheint in jährlich vier Heften von etwa 
' Es bringt — in streng wissenschaftlicher Weise und dem Stande der 


Das 
5 Druckbogen. 


modernen Editionstechnik entsprechend — unveröffentlichtes Quellenmaterial, dem im all- 
gemeinen auch solche Texte gleichgeachtet werden, die lediglich in unzulänglichen oder 
schwer erreichbaren, insbesondere etwa nur in zeitgenössischen Drucken vorliegen. Ferner 
kommen auch kritische Untersuchungen, zumal solche, die der Erläuterung von Quellen- 
material dienen, zur Veröffentlichung, und endlich wird darauf Bedacht genommen, neue 
Erscheinungen auf diesem Gebiet, namentlich Zeitschriftenartikel, zu verzeichnen, sowie. 
kleinere Mitteilungen Notizen über Funde und einzelne Beobachtungen zu bringen, die für de 
Forscher oder den Freund der Geschichte des Reformationszeitalters von Interesse sein mögen. { 


1. 


2. 


4. 


II. 
ó.. 


6. 


7. 


8. 


II, Jahrgang 1905/06 (Heft 9—12). 


12 M. 
P. Kalkoff, Die Vermittelungspolitik des Erasmus 
und sein Anteil an den Flugschriften der ersten Re- 
formationszeit. P. Tschaokert, Antonius Corvinus’ 
ungedruckter Bericht vom Kolloquium zu Regens- 
burg 1541. (100 S.) ' 440 M. 
F. Roth. Aus dem Briefwechsel Gereon Sailers mit 
den Augsburger Bürgermeistern Georg Herwart und 
Limpricht Hofer (April bis Juni 1544). G. Mentz, 
Zur Geschichte der Packschen Hándel. O. Clemen, 
Ein Brief von Johannes Bernhardi aus Feldkirch, 
(96 S.) 4,20 M. 
G. Mentz, Die Briefe G. Spalatins an V. Warbeck, 
nebst ergänzenden Aktenstücken. O. Albrecht, 
Zur Bibiliographie und Textkritik des kleinen Luthe- 
rischen Katechismus. P. Kalkoff, Das „erste Pla- 
kat,, Karls V. gegen die Evangelischen i in den Nieder- 
landen. (102 S.) 4,60 M. 
F. Roth, Zur Kirchengüterfrage in der Zeit von 
1638 bis 1640. F. Koldewey, Eine deutsche Pre- 
digt des Humanisten Johannes Caselius. O. Cle- 
men, Der Dialogus bilinguium ac trilinguium. N. 
Mul i er, Zur Bigamie des Landgrafen Philipp von 
Hessen. W. Friedensburg, Giovanni Morone 
und der Brief Sadolets an Melanchthon vom 17. Juni 
1537. P. Kalkoif, Zu den römischen, Verhand- 
lungen über des Bestätigung Erzbischof Albrechts von 
Mainz i. J. 1614. A. Hasenclever, Zur Ge- 
schichte Ottheinrichs von Pialz-Neuburg (1544). 
(ILI, 108 S.) 4,80 M. 


Jahrgang 1904/05 (Heft 5—8). 12 M. 

E. Schafer, Die älteste Instruktionen-Sammlung 
der spanischen Inguisition. I. P. Tschackert, 

Neue Untersuchungen über Augustana- Handschrif- 
ten, O. Clemen, Die Lutherisch Strebkatz. 
(108 S.) 4,60 M. 
E.Schäfer, Die älteste Instruktion en-Sammlung der 
spanischen Inquisition. U (Schluß). Q. Clemen, 
Zur Einführung der Reformation in Weimar. M. 
Wehrmann, Vom Vorabend desSchmalkaldischen 
Krieges. H. U im ann, Analekten zur Geschichte 
Leos X. u. Clemens VIL K. Wendel, Hine ver- 
gessence Schrift Luthers? (100 S.) 4,40 M. 
Q. Albrecht, Zur Bibliogrephie und Textkritik 
des kleinen Lutherischen Katechismus, Il. F. Roth, 

Zur Geschichte des Reichstags zu Regensburg im 
Jahre 1641. I. (116 S.) 6,10 M, 

V. Schultze, Waldeckisch» Visitationsberichte 
von 1550, 1558, 1563, 1665. K. Knoke, Ein Bild 
vom kirchlichen Leben Göttingens a. d. J. 1565, O. 
Clemen. Invictas Martini laudes intonent Ohri- 
stiani, G. Berbig, Ein Brief des Ritters Hans 
Lantschad zu Steinach an Kurfürst Friederich den 
Weisen 1620. W. Friedensburg, Zwei Briefe 
des Petrus Canisius..1545 u.1547. (III, 84 S.) 3,75 M. 


12 M. 


‘¢ P. Drews, Der Bericht des Mykonius tiber die Visi- 


tation des Amtes Tenneberg im März 1626. F. 
Roth, Zur Geschichte des Reichstags zu Regens- 


Jahrgang I—XIX 200 Mark. 
I, jum 1903/04. (Heft 1—4). 


10. 


11. 


| 
burg im Jahre 1541, II. P. Kalkoff, Römische! 
Urteile über Luther und Erasmus im Jahre 1521. O; 

Clemen, Bugenhagens Trauformulare.(104 S. )4 ,26 M., i 
Th. Wotschke, Stanislaus Lutomirski ' ein Bei-' 
trag zur polnischen 'Reformationsgeschichte O. Cle. 
men, Beiträge zur sächsischen Reformationsge-| 
schichte I-IV O. Heinemann. Die Hume 
stedter Klosterordnung von 1513. (104 S.) 4,56 Mi 

O. Albrecht, Zur Bibliographie und Meum 
des Kleinen Lutherischen Katechismus (Schluß). G. 

Loesche, Zur Gegsoretormauon im Salzkammer- 
gut. (112 S.) 4,90 M. 


12. R. Meißner, „Ohne Hörner und Zähne,“ eine 


IV. Jahrgang 1906/07 (Heft 13—16). 
18, 


Untersuchung. G.Berbig, Die erste kursächsischd 
Visitation im Ortsland Franken. I. F. Koch, 

Fünf Briefe des Protessors der Theologie Franziscus 
Stancarus aus den Jahren 1551, 1652. und 16683, 
(III, 94 8.) ; 4,20 M. 


12- M. 


A. Goetze, Martin Butzers Erstlingsschrift, F. 
Roth, Zur Geschichte des Reichstags zu Regens- 
burg im Jahre 1541 III. (116 S.) 5,25 M. 


14 Th. Kolde, Der Reichsherold Caspar Sturm und 


seine literarische Tätigkeit. O. Clemen, Eine Ab- 
handlung Caspar Ammans. K. A. H. Bur 'Ehard t, 

Zum ungedruckten Briefwechsel der Reformatoren, 
besonders Luthers. (104 S.) 4,70 M. 


15. F. Roth Zur Geschichte des Reichstags zu Regens- 


16. 


v. 


17; 


18. 


19. 


20. 


` burg im Jahre 1041. IV. O. Albrecht, Hand- 
schriftliches zu Luthers Auslegung des Hohenliedes. 
(108 S) 4,90 M. 
Th. Wotschke, König Sigismund August von 
-Polen und seine evangelischen Hofiprediger. F. 
Bahlow, Wer ist Nicolaus Deoius? G. Berbig, 
. Die erste kursüchsische Visitation im Ortsland Fran- 
ken. If, (III, 92 S.) 3,65 M, 


Jahrgang 1908 (Heft 17—20). 12 M. 


F. Roth, Der offizielle Bericht der von den Evan- 
gelischen ‘nach Regensburg Verordneten 1546. I. K, 
Sehottenloher, Johann Fabri in Rom nach 
einem Berichte Jakob Zieglers. A. Goetze, Eras- 
mus Albers Anfänge G. Buchwald, Ergänzungen 
zur Biographie des M. Stephan Reich O. Clemen, 
Ein Spottgedicht aus Speyer v. 1524. (112 S.) 5,10 M. 

A. Uckeley, Johann Bugenhagens Gottesdienst- 
ordnung für die Klöster und Stifte in Pommern 1531 

(Pia ordinatio oaeremoniarum). Fr. Koch, Herzo 

Albrechts von Preußen Konfession vom 13, J ‘ali 1664. | 
W.Stolze, Die Supplemente zu Magister Loren: 
Fries’ “Geschichte des Bauernkrieges in Ostíranken, 

(104 S.) 4,70 M. 

K. Pallas, Briefe und Akten zur Visitationsreist 
des Bischofs Johannes VII, von Meißen im Kur- 
fürstentum Sachsen 1522. (120 S.) 5,25 M, 
E. Kroker, Rörers Handschriftenbände und Lu- 
thers Tischreden. F. Roth, Der offizielle Bericht 
der von den Evangelischen nach Regensburg Ver- 
ordneten 1548. II. G. Berbig, Die erste kursichs. 
Visitation im Ortsland Franken. ILI. (III, un nn 90-M 


/ 


Die brandenburgisch-nürnbergische 
Norma doctrinae 1573. 


Von Karl Sehornbaum. 


I. 


Mit dem Tage von Zerbst hatten die Bemühungen 
Jakob Andreas, zwischen den Theologen Niederdeutsch- 
lands Einigkeit durch Annahme einer von ihm entworfenen 
Formel über die fünf wichtigsten Streitpunkte zu stiften, 
einen vorläufigen Abschluß gefunden. Allerdings ent- 
sprach dieser nicht ganz seinen Erwartungen. Dennoch 
ließ er sich nicht irre machen; er wandte sich nvn nach 
Oberdeutschland. Am 19. Oktober 1570 überreicht. er 
dem Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg sein 
vom Herzog Julius von Braunschweig ausgestelltes Be- 
glaubigungsschreiben!). In Ansbach war man über seine 
Mission nicht im Unklaren. Gemäß der beständigen 
Fühlungnahme der Höfe zu Ansbach und Stuttgart in 
allen wichtigen politischen und theologischen Punkten 
hatte Herzog Ludwig von Württemberg seinem Onkel, 
dem Markgrafen, gelegentlich der Hochzeit des Pfalz- 


!) Julius von Braunschweig an Georg Friedrich d. d. Gan- 
dersheim 14. 9. 1570. Nürnberger Kreisarchiv. Ansbacher Reli- 
gionsakta 25, 32. Wann die Reise nach Ansbach beschlossen wurde, 
ob vielleicht Georg Friedrich ihn zur Beilegung der Kargschen 
Streitigkeiten vorher schon berief, läßt sich nicht inehr sagen. 
Am 29. 9. 1570 schreibt Andreä an J. Marbach: Recta nunc 
domum Domino volente ibo, ut tandem meos videam. J. Fecht, 
historiae ecclesiasticae a. n. Chr. XVI. supplementum.  Durlaci 
1684, S. 327. 


Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 3/4. 11 


162 2 


grafen Johann Kasimir mit der sächsischen Prinzessin 
Anna zu Heidelberg Kunde von dem Tage zu Zerbst 
und den Berichten Andreäs gegeben!). Da man in Ans- 
bach von jeher darauf sein Augenmerk gerichtet hatte, 
unter den Protestanten möglichste Einigkeit zu erhalten, 
war man Andreäs Reisen mit Interesse gefolgt. Er konnte 
mit gutem Grund hoffen, hier volles Verständnis zu 
finden. Allerdings wartete seiner noch eine andere Auf- 
gabe. Die ,Kargschen Händel‘ näherten sich ihrem 
Ende. Nachdem der Ansbacher Generalsuperintendent 
durch Besprechungen in Wittenberg sich von seiner Mei- 
nung über die oboedientia activa und passiva Christi 
hatte abbringen lassen, Kurfürst Joachim und Markgraf 
Johann dem Antrag der Regierung, ihn wieder in sein 
Amt einzusetzen, zugestimmt hatten?), sollte nach dem 
Willen des Markgrafen in feierlicher Weise seine Rehabi- 


1) Am 15. 6. 1570 bat Ludwig um Rücksendung der in 
Heidelberg übergebenen Schriften über den Tag von Zerbst. 
d. d. Stuttgart. ARA. 25, 29. Es handelte sich wohl um den Ab- 
schied des Zerbster Tages d. d. 10. 5. 1570. (ARA. 25, 15 u. 62) 
und den Bericht Andreäs vom 27. 5. 1570, worin er nicht nur 
höchst hoffnungsvoll über den Zerbster Tag berichtet, sondern 
auch den infolge des Leipziger Promotionsaktes neu auflebenden 
Streit möglichst zu beschönigen suchte. (ARA. 25, 13, 59. d.d. 
Wolfenbüttel.) Die den Anlaß bietenden Propositiones com- 
plectentes summam praecipuorum capitum doctrinae christianae 
sonantis dei beneficio in academia et ecclesia Vitebergensi. Witteb. 
1570 in den ARA. 29, 757 (vgl. H. Heppe, Geschichte des deut- 
schen Protestantismus in den Jahren 1555—81. Marburg 1853. 
II, 312]. Am 22. 6. 1570 sandte Georg Friedrich die Originale 
retour. ARA. 25, 31. Ludwig war vor der Reise nach Heidelberg 
in Ansbach gewesen. D.,Osiander in comitatu Illustr. principis, 
qui per Onoltzpachium transiens ad nuptias Heidelbergenses 
proficiscitur. J. Brenz und W. Bidembach an J. Marbach 31. 5. 
1570. J. Fecht, Historiae ecclesiasticae saeculi a. n. Chr. XVI 
supplementum Durlaci 1684 S. 320. 


2) Georg Friedrich an Joachim, August und Johann. s. d. et. 1. 
ARA. 30, 271. Zustimmende Antworten Joachims d. d. Cóln. 
Mo. n. Egidi (4. 9.) 1570. (pr. 17. 9. 1570] u. Johanns d. d. Küstrin 
8. 10. 1570 (pr. 23. 10) ARA. 30, 283 u. 279. 281. August riet ihm, 
Karg eine andere Superintendentur zu geben. d. d. Sitzenroda 
6. 9. 1570. ARA. 30, 276. 


n 163 


litation erfolgen. Andreä war dabei eine besondere Rolle 
zugedacht. Er unterzog sich gewiß gern dieser Aufgabe. 
Nicht nur, weil er eine besondere Neigung zu allen der- 
artigen Veranstaltungen hatte, sondern auch, weil er er- 
kannte, wie er dadurch das Gelingen seiner Mission vor 
allem befórdern konnte. 

Genauer sind wir nun über die einschlägigen Verhand- 
lungen nicht unterrichtet, aber eines ergibt sich mit aller 
Klarheit: Andreà gewann bald das volle Vertrauen des 
Markgrafen und seiner Ráte. 

Am 31. Oktober fanden nun die abschlieBenden 
Verhandlungen mit Karg statt. In Gegenwart des Mark- 
grafen und etlicher Theologen besprach Andre& mit ihm 
noch einmal weitlàufig den ganzen Handel und bewog 
ihn, eine von ihm verfaßte Erklärung zu unterschreiben. 
Dann wurde die Versammlung durch die sämtlichen 
Dekane und je zwei Kapitelssenioren ergänzt. Nach 
eingehender Darlegung des ganzen Sachverhalts erklärten 
diese sich bereit, das von Andreä entworfene Schriftstück 
sofort zu unterzeichnen; da sie ‚dasselbe für christlich 
und recht, den prophetischen und apostolischen Schriften, 
den drei Symbolen, der Augsburger Konfession, der 
Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln und der Nürn- 
bergisch-Brandenburgischen Kirchenordnung gemäß” er- 
kannten. Damit verbanden sie aber das dringende Er- 
suchen, ,,Karg nicht länger zu suspendieren, sondern 
zur Verrichtung seines Amtes in der Pfarrei und Super- 
intendentur wieder kommen zu lassen, den sie für ihren 
lieben Herrn und Bruder erkennen und allen gebührlichen 
Gehorsam als ihrem vorgesetzten Superintendenten leisten 
und erzeigen wollten.“ Der Markgraf entsprach dieser 
Bitte. Er selbst nahm mit allen Räten und Dekanen 
am folgenden Tage an der Wiedereinsetzung Kargs teil. 
Andreä vollzog sie in der St. Johanniskirche, wobei er 
nicht unterließ eine genaue Darstellung des Sachverhalts 
zu geben!). 

1) siehe die Instruktion für Gg. von Wambach und Johann 
Schnabel für die Verhandlungen mit den Geistlichen auf dem 
Gebirg. ARA. 30, 297f. Formula concordise d. d. Onolzbach 

11* 


164 4 


Nach der Abwicklung der ersten, dem Lande vor allem 
am Herzen liegenden Angelegenheit, kam nun Andreä 
wohl noch am 31. Oktober auf seinen eigentlichen Zweck 
zu sprechen. „Die Katholiken könnten sich nicht genug 
tun, die Protestanten aufs ‚schmählichste und lästerlichste‘ 
zu verrufen, als sollte kein evangelischer Fürst mit dem 
andern in der Lehre einig sein. Etliche Fürsten hätten 
dagegen feststellen lassen können, daß in Sachsen, Bran- 
denburg, Braunschweig, Hessen, Pommern, Mecklenburg, 
Holstein, Lüneburg, Grubenhagen, Anhalt, Henneberg, 
Braunschweig, Hamburg, Lübeck, Rostock, Greifswald, 
Goslar, Magdeburg, Hildesheim und Hameln Fürsten und 
Theologen auch in den zwiespältigen Artikeln im Grund 
und Fundament der göttlichen Lehre mit den ober- 
deutschen besonders den schwäbischen Theologen einig 
seien. Deshalb hätten die Kurfürsten von Sachsen und 
Brandenburg auf den 7. Mai einen Konvent der nieder- 
sächsischen Theologen berufen; hier hätte man sich 
wider alle alte und neue falsche Lehren zu den Schriften 
des alten und neuen Testaments, den drei Symbolen 
und der Augsburger Konfession, wie sie 1530 Kaiser Karl V. 
übergeben wurde, bekannt. Damit aber Calvinianer 
und andere falsche Lehrer unter letzterer nicht ihre 
falsche Lehre treiben könnten, habe man sich dahin ge- 
einigt, in den fünf strittigen Punkten: Der Gerechtigkeit 
des Glaubens vor Gott, guten Werken, freien Willen, 


31. X. 1570. ARA. 30, 286ff. gedr. bei J. G. Wunderlich, de 
formulis concordiae in terris burggraviatus Norici ab ecclesiae 
doctoribus subnotatis. Baruthi 1783 S. 17ff. Befehl des Mark- 
grafen an Pfarrer und Superintendent Wolfg. Albinus in Uffen- 
heim, mit Senior und Kamerar Montag nach Sim. et. Iude (30. 10.) 
gegen Abend in Ansbach zu erscheinen d. d. Ansbach 26. 10. 1570. 
Dek. Uffenheim: Reformations-, Religions- und Kapitulsakte 
1523— 1687 fol. 73. Lor. Kraußold, Geschichte der evangelischen 
Kirche im ehemaligen . Fürstentum Bayreuth. Erlangen 1860. 
S. 174. G. Wilke, Georg Karg. Scheinfeld 1904. S. 81f. J. Döl- 
linger, Die Reformation. Regensburg 1848. III, 572f. K. H. 
Lang, Neuere Geschichte des Fürstentums Baireuth. Nürnberg 
1811. III, 371. J. W. Rentsch, Der Heilge Jubelbronn, Bayreuth 
1681 S. 34. 


5 | © 165 


Adiaphoris, Abendmahl sie nicht anders anzunehmen, 
denn wie sie in der Apologie erklärt und ausführlich 
mit Zeugnissen der heiligen Schrift erwiesen, in den 
Schmalkaldischen Artikeln wiederholt und im Katechis- 
mus Luthers auf das einfältigste für den gemeinen Mann 
und die einfältige Jugend begriffen sei.“ Er bat um Zu- 
stimmung der Vérsammlung. Sie erfolgte wohl bald. 
In Gegenwart des Fürsten erklärten die Theologen, den 
sächsischen und schwäbischen Theologen in bezug auf 
obige Erklärung hinsichtlich der strittigen Artikel voll- 
kommen beipflichten zu wollen). 

Der Markgraf sowohl wie Andreä waren vollkommen 
befriedigt. Ersterer freute sich, Karg wieder an seinem 
alten Platze zu sehen. Es waren nicht nur Worte, wenn 
er von ihm schrieb: ‚ein alter, gelehrter, gottesfürchtiger, 
sehr erfahrener Mann, eines vortrefflichen judici in 
Händeln, auch eines ehrbaren und unsträflichen Wandels 
und Lebens, ,,jetziger Zeit, sonderlich dieweil er auch 
am Konsistorium Richter ist, wüßte man ihn mit einer 
solchen qualifizierten Person nicht zu ersetzen?)." Andrea 
dagegen hatte beim Markgrafen volles Interesse gefunden ; 
er weihte ihn sogar in seine weiteren Pläne ein, wie dab 
er nun in Speier selbst seine Sache betreiben wollte?). 
Nach dem Scheitern seiner Pläne in Norddeutschland 
faBte er neue Hoffnung und neue Entschlüsse ?). 


1) s. die Instruktion für Gg. von Wambach u. Joh. Schnabel. 
ARA. 30, 297. 

*) ARA. 30, 271. 

3) Georg Friedrich an Herzogin Witwe Anna Maria von 


Württemberg. d. d. Ansbach 4. 11. 1570. ARA. 29, 753. Gedr. 
Beilage 1. 

4) Am 18. 3. 1571 schlugen die Räte Georg Friedrich vor, 
bei seiner Anwesenheit in Kulmbach durch Georg von Wambach 
und Mag. Joh. Schnabel den oberländischen Geistlichen von der 
am letzten Oktober zwischen den Kirchendienern getroffenen 
Concordia Kunde geben zu lassen (ARA. 34, 1). Nachdem der 
Markgraf zugestimmt hatte (d. d. Arnswalde 27. 3. 1571. pr. 4. 4. 71. 
ARA. 34, 3) ergingen die nótigen Weisungen. Schnabel 
wollte ablehnen wegen Krankheit; auch müsse er den Neubau 
seines Pfarrhauses beschleunigen wegen der dumpfen Zimmer 


166 6 


Noch fehlte die Erklarung der Pfarrer des Oberlandes. 
Ostern 1571 begab sich Georg von Wambach mit dem 
Kitzinger Pfarrer Mag. Joh. Schnabel!) nach Kulmbach. 
Am 18. April 1571 erschienen M. Joh. Streitberger, General- 
superintendent des Oberlandes, Justus Bloch, Superinten- 
dent von Bayreuth, M. Andreas Pancratius, Superintendent 
von Hof, M. Frid. Stretius, Superintendent von Wun- 
siedel, Johann Saher, Pfarrer in Himmelkron, M. Joh. 
Stumpf, Diakon in Hof, Mag. Wolfgang Dobenecker, 
Pfarrer in Rehau, Konr. Baurschmidt, Pfarrer von Geseeß, 
Balthasar Gaißler, Kaplan auf der Plassenburg, Mag. 
Arnold Hein, Pfarrer von Selbiz, Georg Rhein, Diakon 
von Bayreuth, Georg Strobel, Pfarrer in Röslau, Joh. 
Venatorius, Pfarrer in Trebgast und Moses Pöhlmann, 
Pfarrer von Berg. Der erste Punkt der Vorlage betraf 
die Wiedereinsetzung Gg. Kargs. Der Sachverhalt wurde 
genau berichtet, auch die von Andreä verfaßte formula 
concordiae vorgelegt. Die Geistlichen drückten ihre Freude 
darüber aus, daß diese Kontroverse zu einem ‚günstigen 
Ende gekommen wäre. Ob sie aber der Formel unbedingt 
beistimmten, könnte zweifelhaft sein. ,,Dieweil auch die 
Herrn Legaten und Abgesandten die durch den ehr- 
würdigen und hochgelehrten Herrn Dr. Jacobum Andreae 
praepositum Tubingensem gestellte und durch die Theo- 
logen, Superintendenten und Dekane und Senioren im 
Fürstentum unterhalb des Gebirges bewilligte und unter- 
schriebene formulam concordiae ihnen übergeben, haben 
sie dieselbe mit besonderem Fleiß erwogen. Weil sie 


(26. 3. 1571 ARA. 34, 30), aber die Regenten blieben auf ihrer 
Weisung bestehen. (d. d. 28. 3. 1571 ARA. 34, 32). 


1) geboren 1530 in Kulmbach. 29. 10. 1549 in Wittenberg 
immatrikuliert. Bis 1567 in Amberg. 1570—73 in Kitzingen. 
Chr. Guil. Chr. Heerwagen, ad vitam Streitbergerianam aliquot 
documenta Culmbach 1774 S. 4. Fr. Lippert, Die Reformation 
in Kirche, Sitte und Schule der Oberpfalz, 1520—1620. Rothen- 
burg 1897 S. 97, 106, 109, 110—112. C. E. Forstemann, album 
academiae Vitebergensis. Leipzig 1841 M. J. M. Groß, Histo- 
risches Lexikon evangelischer Jubelpriester. Nurnberg 1727 
S. 306. G. Buchwald, Geschichte der evangelischen Gemeinde 
zu Kitzingen. Leipzig 1898 S. 95. 


T 167 
auf gewisse testimonia und Hauptsprüche sehen müßten, 
hätten sie das einzige dictum Pauli: unius oboedientia 
sumus justi vorgenommen als ein Fundament dieser 
Disputation. Dieses hätten sie von ihren Lehrern immer so 
erklärt bekommen, daß zugleich der Gehorsam Christi, 
welchen er dem Gesetz geleistet und auch sein Tod und 
Leiden bei der Erklärung des Artikels De justificatione 
müsse zusammen genommen werden und als die Ursache 
unserer Gerechtigkeit vor Gott verstanden werden; 
eines ohne das andere könnte keine genugsame Genug- 
tuung oder Erlösung sein. So verstünden sie auch die 
Concordie. Darum ließen sie sich auch diese Einigkeit 
wohl gefallen. Der zweite Punkt befaßte sich mit den 
Bemühungen Andreas um die Einigung der Evangelischen. 
Der Markgraf ließ ersuchen, auch in dieser Angelegenheit 
den Theologen des Unterlandes sich anzuschließen! Das 
Oberland erklärte sich dazu bereit: ,,Die christliche Ver- 
gleichung aller und jeder Artikel in der christlichen Augs- 
burger Konfession belangend, sonderlich aber die fünf 
vornehmlich angezogenen Artikel als von der Gerechtig- 
keit des Glaubens vor Gott, von guten Werken, vom 
freien Willen, von den Mitteldingen, Abendmahl wollen 
wir den Herrn Gesandten nicht verhalten, daß vor der 
Zeit, da wir gehört, daß solche Vergleichung vorgenommen, 
wir uns derhalben zum hóchsten erfreut, auch Gott treu- 
lich angerufen, er wolle dazu Gnade verleihen. Dieweil 
wir aber nunmehr erfahren, daf solche christliche Ver- 
gleichung ins Werk gezogen, hóren wir solches nicht allein 
von Herzen gern mit schuldiger Dankbarkeit gegen Gott, 
sondern erklären hiermit gleichergestalt unsern consens, 
wie die wohlgedachten Herrn Gesandten anstatt des 
Markgrafen solche Erklärung von uns gefordert. Denn 
da wir aus der Herrn Theologen und Prädikanten, so 
diesem Werk beigewohnt, öffentlich in Druck ausgegange- 
nem gründlichem Bericht (wie der durch Dr. Jacobus 
Andreae an Tag geben!), den uns jetzt wohlgedachter 
Herr Legat und Abgesandter auch übergaben, ersehen 


1) Heppe II, 334. R. Calinich, Kampf und Untergang 
des Melanchthonismus in Kursachsen. Leipzig 1866 S. 16ff. 


168 | | 8 


und die oberzählten fünf Artikel in der Vorrede kurz 
gefaßt, hernach aber in demselben Buch wiederholt und 
mit ihrer weiteren Erklärung ausführlich als litera, P. 
prima et secunda facie und sonst declariert befunden 
und vermerkt, daß in Vergleichung und Erklärung der- 
selben Artikel nichts zu reprehendieren, dieweil sie aus 
der A. C., gegen die wir sie gehalten, genommen und in 
derselben sowohl als in den schmalkaldischen Artikeln, 
in unserer Kirchenordnung und dem Katechismus Luthers 
gegründet, lassen wir uns dieselbige gefallen, wollen auch 
in Ruhe und Einigkeit bei solcher Erklärung bleiben, 
wünschen demnach, daß solche Vergleichung, wie es 
gemeint, möge dazu dienen, daß dadurch die erdichtete 
diffamationes unserer wahren Religion und die beschwer- 
lichen calumnien, durch welche die evangelischen Kirchen 
zu großer Unbilligkeit bis daher beschwert worden sind, 
den adversariis benommen und abgeschnitten werden!).* 


1) Credenz für Georg von Wambach und Mag. Joh. Schnabel. 
d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34. 35, Instruktion d. d. 5. 4. 1571. ARA. 
34, 33 u. 30, 297ff. Weisungen der Rate an die Rate und den 
Hauptmannsverweser auf dem Gebirg d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34, 36. 
Bericht des Wambach und Mag. Schnabel ARA. 30, 310ff. Ein 
dritter Punkt betraf den UnfleiB, die Vollerei und das argerliche Leben 
der Geistlichen. Nicht nur wurde das Konsistorium zu fleißiger 
Aufsıcht ermahnt, sondern auch die jährliche Vornahme von zwei 
Kirchenvisitationen angeordnet. Zuletzt wandten sich die Räte 
gegen das ärgerliche Holhippen, Schelten und Schenden der 
Privatpersonen auf den Kanzeln. Das solle unterbleiben. Zwar 
dürften falsche Lehren und öffentliche Sünden auf den Kanzeln 
gestraft werden, eber die Nennung von Namen sei zu unterlassen; 
auch dürfe auf niemand dermaßen mit Wortengestochen werden, daß 
jeder gleich merke, wer gemeint sei. Die Pfarrer sollten jeden mit 
falscher Lehre oder öffentlichem Laster Behafteten allein verhören, 
dann durch den Dekan vermahnen, und erst, wenn er nicht abließe, 
dem Konsistorium anzeigen. Die Geistlichen erklärten darauf: 
Von solchen, die sich so enormiter vergriffen, sei bei ihnen wenig 
zu merken; die Visitationen ließen sie sich gefallen; aber es handle 
sich um die Kosten und die nähere Instruktion; es gäbe keine 
Kapitel, Einkünfte seien solchen nicht zugewiesen, auch seien 
noch keine Senioren aufgestellt. Frühere Vorstellungen inbetreff 
der Vornahme von Visitationen wären ohne Bescheid geblieben. 
Ebenso machte sich auch Widerspruch gegen den letzten Punkt 


9 169 


Wie schon im Unterland am 27. November 1570 
wurde bald darauf auch den Oberländischen Superinten- 
denten die formula Concordiae als Lehrnorm übersendet 
mit der Weisung, allen Disputationen auf den Kanzeln 
entgegenzutreten. „Denn die disputationes auf die hoben 
Schulen und nicht in die Kirchen auf die Kanzel (allda 
allein, was bauet, gelehret, aber, was abbricht und ärgert, 
vermieden bleiben soll) gehörig, wie denn auch ohne 
das nichts so einfältig fürgebracht, das nicht etwan von 
etlichen in Mißverstand gezogen würdet, derwegen sie 
sich solchen allen und jeden gemäß erzeigen sollen; 
dann uns hinfüro einige Trennung und Spaltung, so der 
Augspurgischen Confession, deren Apologien, den Schmal- 
kaldischen Artikeln und unserer Kirchenordnung ent- 
gegen, zu gedulden, gar nicht gemeinet sein will, sondern 
wollen_ernstlich, daß unsere Geistliche in den Kirchen 
unsers Landes durchaus in solchem allen christlich, ein- 
hellig und friedlich leben, lehren und predigen!).“ 

Inzwischen war auch Andreä nicht untätig gewesen; 
er hatte der Württembergischen Regierung vorgeschlagen, 
den zu Speier versammelten evangelischen Fürsten von 
dem bisherigen Verlauf seiner Aktion Kunde zu geben, 
bei Gelegenheit auch den Kaiser in Kenntnis zu setzen, 
ja sogar mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz 
ins Benehmen zu treten, hatte aber keine Zustimmung 


geltend. Irrtümer in der Lehre und Ärgernis im Leben müsse 
gestraft werden. Exalta vocem tuam sicut tubam, increpa argue 
oportune et importune. Öffentliche Sünder müßten öffentlich 
bestraft werden; dem heiligen Geist dürfe man das Maul nicht 
verbinden, sein Strafamt nicht aufheben. Doch erboten sie sich 
zu christlicher Bescheidenheit. ARA. 30, 297ff., 310ff. Holle, 
Alte Geschichte der Stadt Bayreuth. Bayreutb 1833 S. 124. Die 
weiter erfolgten Maßnahmen s. Lang III, 371f. Kraußold 
S. 162, 174. Siehe Kraußold 8. 162. Corpus constitutionum 
Brandenburgico Culmbacensium. Bayreuth 1746 I, 346f. 380. J. G. 
Wunderlich S. 7. 

1) ARA. 30, 322, 325. gedr. Corpus Constitutionum 
Brandenburgico-Culmbacensium. Bayreuth 1746. I, 116ff. Dar 


nach Uffenheim gegangene Exemplar s. Dek. Uffenheim l. vc. 
fol. 74. Vgl. KrauBold S. 174. Wunderlich S. 9. 


170 10 


gefunden. Sie durchschaute die wirkliche Lage besser 
als er, sie wußten, alles würde nur dazu dienen, das bisher 
Erreichte ganz illusorisch zu machen. Richtig bemerkten 
die Räte, wie sein letzter Vorschlag nur dazu dienen 
könne, um eine Einigung mit den Weimarischen Theologen 
unmöglich zu machen. Man käme nur in den Verdacht 
des Zwinglianismus. Beim Kaiser könnte er sich nur 
lächerlich machen, wenn er keine anderen Erfolge auf- 
weisen könnte; ja Herzog Hans Wilhelm von Sachsen 
könnte nur Verdacht schöpfen, als habe man sich über 
ihn beschwert. Mit den evangelischen Ständen aber in 
Speier ins Benehmen zu treten, hätte gar keinen Wert. 
Persönlich seien nur Johann Wilhelm von Sachsen und 
Albrecht von Mecklenburg da, beide könnten sich aber 
um die Sache nicht annehmen; eine Aussicht auf Erfolg 
wäre nur dann, wenn die Kurfürsten selbst sich darum 
bemühen würden. Die Räte aber würden mit vollem Recht 
erklären, sie hätten in dieser Sache keine Instruktion. 
Andreä selbst könne keine Garantie für einen günstigen 
Fortgang bieten. Die Theologen zu Bremen und Witten- 
berg seien gegen ihn; über die Vereinigung der beiden 
Naturen in Christo dächten sie ganz anders; darum 
hätten sie auch seine Eintrachtsformel zu Zerbst nicht 
unterschrieben, sondern nur die drei Symbole, die A.K., 
die Apologie, Schmalkaldische Artikel und den Katechis- 
mus Luthers angenommen. Die Theologen zu Jena um- 
gekehrt beschuldigten ihn, die Irrtümer der Wittenberger 
sich zu eigen gemacht zu haben. Die Räte legten dem 
Propste nahe, überhaupt recht zurückhaltend mit seiner 
Meinung, daß die Einigkeit unter den Theologen herge- 
stellt sei, zu sein. Nachdem Nördlingen, Öttingen, Lindau 
und Ravensburg schon sich abseits hielten, würde vom 
Herzog Johann Wilhelm nichts besseres zu erwarten sein. 
Solange zwischen ihm und Kurfürst August keine Einig- 
keit herrsche, seien alle Bemühungen in dieser Sache um- 
sonst. Andreä sollte sich überhaupt möglichst zurück- 
halten; die Jenenser würfen ihm vor, er habe gar keinen 
Auftrag, sondern ‚laufe nur für sich selbst“. Herzog 
Ludwig könne aber wegen seiner Jugend die Sache nicht 


1l 171 
in die Hand nehmen; um so weniger kónne er ihn jetzt 
nach Speier senden, da bisher Wilhelm von Hessen und 
Julius von Braunschweig seine Auftraggeber gewesen 
© Seien). 

Andreä sann infolgedessen darauf, wie er die Einig- 
keit unter den Theologen trotz aller Mißerfolge herbei- 
führen kónnte. Auf seine Formel über die fünf strittigen 
Punkte glaubte er nicht mehr zurückkommen zu dürfen; 
er hatte erkannt, daß dadurch die Kluft zwischen ihm 
und den Wittenbergern nur immer größer wurde. Dagegen 
griff er seinen zu Zerbst gemachten Vorschlag, die heilige 
Schrift als das Fundament aller Lehren zu bezeichnen 
und zur Erklürung derselben als die geeignetsten Schriften 
die drei Symbole, die Augsburger Konfession, die Apologie, 
die Schmalkaldischen Artikel und den Katechismus 
Luthers zu betrachten, wieder auf. Er entwarf eine Er- 
klärung zur Unterzeichnung durch die Theologen: ,,nach- 
dem sich zu Zerbst meist niederdeutsche Theologen dahin 
geeinigt hätten, als das öffentliche Zeugnis ihrer Einig- 
keit und als norma doctrinae neben der heiligen Schrift 
und den drei Hauptsymbolen die Augsburgische Kon- 
fession, wie sie 1530 dem Kaiser Karl V. übergeben worden 
wäre, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und den 
Katechismus Luthers anzusehen, hätten andre Theologen 
in Oberdeutschland zur Beförderung göttlicher Einigkeit 
durch Annahme der gleichen Schriften ein Zeichen ihres 
consens in der reinen Lehr geben wollen. Er gab also 
noch nicht die Hoffnung auf Philippisten und Gnesio- 
lutheraner zu gewinnen; aber aus der Hervorhebung der 
Augustana Invariata läßt sich doch schon schließen, daß 
er es als sein Hauptziel ansah, mit letzteren vor allem 
einig zu werden. Nachdem es ihm nun gelungen war, 
die Württembergischen Theologen zur Unterzeichnung 
zu bewegen, wandte er seine Blicke auf Ulm, Augsburg, 
Basel, Straßburg; auch an der Gewinnung Brandenburgs 


*) Bedenken der Geheimen- u. Kirchenräte in Stuttgart 
22. 11. 1570: ARA. 25, 2. Georg Friedrich wurde davon in Kennt- 
nis gesetzt, nachdem er die Bitte Andreäs, nach Speier sich wenden 
zu dürfen, unterstützt hatte. 


172 0.00.12 


lag ihm viel. Nicht nur Karg!), auch den einflußreichen 
Kammerrat Andreas Musmann?) ersuchte er besonders, 
seine Bitte vom 1. Marz 1571 zu unterstützen?) Durch 
brandenburgische Hilfe hoffte er dann auch Georg Ernst 
von Henneberg zu gewinnen. 

Die Ansbacher Regierung ware anfünglich gewillt 
gewesen, dem Wunsche Andreas zu willfahren. Bereits 
war ein Zirkularschreiben an die Superintendenten, 
Dekane, Senioren und Kamerare unterhalb des Gebirgs 
entworfen, in dem sie zur Unterschrift aufgefordert, 
auch an den Generalsuperintendenten Joh. Streitberger 
in Kulmbach die Weisung ergangen, nicht nur selbst 
mit allen Kaplänen zu unterschreiben, sondern die Formel 
auch den Dekanen zuzusenden, damit sie sich mit den 
Ortskaplänen und nahegelegenen Pfarrern auch anschließen 
könnten®), da erhob Karg doch etliche Bedenken. An 
und für sich hatte er natürlich gegen die vorgeschlagenen 
Schriften nichts einzuwenden; auch stieß er sich nicht 
daran, wenn Calviner (am Rhein) und Flacianer (Thü- 
ringen) sich nicht bereit finden ließen zu unterzeichnen; 
aber er warf die Frage auf, ob denn eine Garantie geboten 
sei, daß alle andern evangelischen Stände unterschreiben 
würden; war ihm doch die ablehnende Haltung Kur- 
sachsens gegen alle Schritte nur zu bekannt; würde 
denn aber nicht nur größere Uneinigkeit die Folge sein ? 
Auch bat er von einer Unterzeichnung durch sämtliche 
Pfarrer absehen zu wollen; es genüge die Einhelligkeit 
durch die vornehmsten Theologen und Kirchendiener 
bezeugen zu lassen5). Daraufhin entschloß man sich mit 


1) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 54. Gedruckt Beilage II. 
?) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 38. 
3) J. Andreä an -die Superintendenten, Pastoren und Diener 
der Kirche. d. d. Tübingen 1. 3. 1571. ARA. 35, 34. 34, 8. Ge- 
druckt bei J. Fecht S. 345 nr. 33.| Die Formel ARA. 35, 47. 34, 15. 
Gedruckt Beilage III, pr. 18. 3. 1571. Vgl. W. Preger, Matthias 
Flacius Illyrieus und seine Zeit. Erlangen 1861 II, 364. 

*) d. d. Ansbach. Mo. u. Oculi (19. 3.) 1571. ARA. 34, 28 
u. 35, 40. 

5) Praesentiert 20. 3. 1571. ARA. 34, 24, 26. 35, 42. Gedruckt 
Beilage IV. 


13 173 


Sachsen und Brandenburg zuerst einmal ins Benehmen 
zu treten?). 

Damit war auch dieser Versuch Andreas als gescheitert 
zu betrachten. Die Stimmung war gegen ihn in Sachsen 
immer erbitterter geworden. Das Gutachten, das Kurfiirst 
August dem Markgrafen übersandte, läßt das deutlich 
noch erkennen. Zunächst erhoben die sächsichen Theo- 
logen gegen die Behauptung Einspruch, als ob man 
im Grund und Fundament ganz einig sei. Sie verwiesen 
auf die Lehren des Flacius von der Erbsünde und von der 
Rechtfertigung sowie von dem Gesetz, die enthusiastischen 
und antinomistischen Lehren der Jenenser von der Buße; 
über die Rechtfertigung hätte Osiander schlimme Ge- 
danken ausgehen, von der ewigen Vorsehung Gottes 
Spangenberg einen ‚‚gotteslästerlichen Schwarm‘ drucken 
lassen. Von den neuen Arianern und Antitrinitariern 
wollten sie schweigen; aber nicht umgehen könnten sie 
die „schreckliche Disputation von der physica und realis 
communicatio idiomatum‘, die man ‚jetzt unter dem 
Titel und Schein der Majestät der menschlichen Natur 
in Christo zu beschönigen suche." Würden doch dadurch 
die Hauptpunkte im Bekenntnis: verbum caro factum 
est, etiam passus sub Pontio Pilato etc. verderbt. Die 
Ketzereien des Nestorius, Eutyches, der Monophysiten und 
Monotheleten wiirde wieder auf die Bahn gebracht. 
Und alle beriefen sich auf die vorgeschlagenen vier Schriften. 
Gegen wen sie sich damit wandten, war klar ; sie bekämpften 
die Ubiquitütslehre der Württemberger. Aber sie griffen 
Andreà auch offen an und warfen ihm Unredlichkeit vor. 
In Zerbst hätten sie ausdrücklich erklärt, von ihrem 
consensus doctrinae, dem Corpus Misnicum, nicht ab- 
gehen zu können; die vorgeschlagenen Schriften könnten 
sie nicht ohne weiteres annehmen. Warum berufe er sich 
nun auf den Abschied dieses Tages und gedenke doch 
dabei nicht ihres corpus doctrinae. Hätte er doch selbst 
wiederholt, zuletzt in Dresden erklärt, an demselben 


1) A.v. Eyb, Chr. Tetelbach, Endr. Musmann, Endr. Junius 
an G. Fr. d. d. Ansbach 21. 3. 1571. pr. Landsberg 28. 3. 1571. 
ARA. 34, 5. 35, 45. 


174 14 


nichts aussetzen zu können, hätten doch auch die Hessen 
in Zerbst die sächsische Formel unterschreiben? Allem 
Anschein nach wolle er nur seine ,,disputation von der 
Ubiquität‘ durchsetzen, darum habe er wohl auch unter 
den strittigen Artikeln einen besonderen Passus über 
das Abendmahl aufgeführt und damit eine Disputation 
von der Majestät der menschlichen Natur in Christus 
verbunden. Darum sei er gegen ihr corpus doctrinae, 
weil es darüber nichts enthalte. Von ihrer norma doctrinae 
könnten sie nicht weichen. Sie enthielte keine neue 
sondern lauter bekannte Schriften. Die Schmalkaldischen 
Artikel seien nur zur Vorbereitung auf das Konzil zu 
Mantua verfaßt und auf keinem Reichstag übergeben 
worden; nicht besser stehe es mit dem Katechismus 
Luthers. Erst die Flaianer hätten sie ,,hervorgezogen“. 
Verdächtig sei auch, daß zwischen den Ausgaben der 
Augustana ein Unterschied gemacht werde. Man könne 
sich aber nicht nur an solchen Schriften genügen lassen, 
welche allein ‚eine summarische Erzählung“ böten, sondern 
benötige auch solche, welche durch eine ausführliche 
Erklärung gegen Katholiken wie Flacianer Stellung 
nähmen. Solche aber fände man nur im sächsischen 
corpus. Die von Andreä aufgestellten Schriften seien 
allein gegen die Papisten gestellt, und enthielten nur 
die „bloße Erzählung etlicher vornehmer Haupistücke 
ohne methodische Erklärung und ausführliche Anzeigung 
der mannigfaltigen Irrtiimer’’'). Kurfürst August riet 
infolgedessen dem Markgrafen: sich durch ‚Dr. An- 
dreae oder andrer widriger und unruhiger Personen ver- 
meinte Conziliation nichts anfechten zu lassen und bei 
der einträchtigen und einhelligen Meinung der branden- 
burgischen und sächsischen Kirchen zu bleiben‘. (11. Mai 
1571)2). Dem wird Georg Friedrich und mit ihm Georg 
Ernst von Henneberg wohl gefolgt sein?). 

1) Bedenken von der Subskription, so Doktor Andreä, 
Probst zu Tübingen von etlichen Kirchen der Augsburgischen 
Konfession zugetan aufs neue begert. ARA. 35, 70. 

2) d. d. Dresden 11. 5. 1571. pr. 7. 6. 1571. ARA. 3b, 56. 


3) Auf eine Mitteilung der Räte und Regenten, daß die 
Unterschrift etwas bedenklich vorkomme und man sich deswegen 


15 175 


II. 


Zu einer norma doctrina sollte Brandenburg auf 
ganz andre Weise kommen. Gemeinsam mit Nürnberg 
hatte es die Reformation durchgeführt; den AbschluB 
bildete die gemeinsame Brandenburgisch-Nürnberger 
Kirchenordnung 1533. Aber dann war jedes seine eigenen 
Wege gegangen. Jetzt erst sollten sie sich wieder finden. 

Seit der Zeit des Interims war es in Nürnberg auf 
kirchlichem Gebiete nie mehr zur Ruhe gekommen, ins- 
besondere seitdem einer der echtesten Schüler Melanch- 
thons Mag. Moriz Heling zum Prediger bei S. Sebald 
und ,,vordersten‘‘ Geistlichen ernannt worden war (1555)!). 
Ihm gegenüber neigten Mag. Hier. Besold, Prediger 
z. heil. Geist, zuletzt Prediger bei St. Lorenz, Georg 
Klingenbeck, Prediger bei St. Ägidien, und Michael 
Pesler, Prediger bei St. Marien immer mehr zu den Luthe- 
ranern von Jena. Auch die Gemeinde nahm regen Anteil 
an diesen theologischen Streitigkeiten. Die Patrizier 
standen mit verschwindenden Ausnahmen auf Seite 
Helings; unter den Bürgern aber hatte Flacius treue und 
opferwillige Anhänger?). 

Der Rat der Stadt sah das nicht ohne Besorgnis; 
um so mehr als bei dem lebhaften Handelsverkehr 
auch die geistigen Unter- und Nebenströmungen wie 
Schwenkfeldianismus®), Wiedertäuferei immer wieder 


an den Markgrafen gewandt habe (21. 3. 1571), erwiderte G.E. von 
Henneberg, ohne diesen nichts weiter unternehmen zu wollen 
(26.3.1571 Schleusingen). Am 28. 5. 1571 bat er um Auskunft über 
die Stellungnahme Brandenburgs; er hatte Andreä zunächst nur 
einen hinhaltenden Bescheid gegeben (d. d. Schleusingen); erhielt 
aber nur den Bescheid, daß Sachsen noch nichts geantwortet 
habe (1. 6. 1571). ARA. 35, 44, 53, 89, 90, 93. 

1) Für die ganze Entwicklung vgl. Dissertatio historica, 
qua Mauritii Helingi vita, placita et studia percensentur et praeside 
G. G. Zeltnero disquisitioni academicae subjciuntur a Sigism. 
Jacobo Apin. Altdorf 1714. G. G. Zeltner, KurzgefaBte Historie 
der librorum Normalium der Nürnbergischen Kirche. Nürnberger 
Stadtbibliothek. Bibl. Nor. Will. II, 354. 

2) W. Preger II, 426, 429 Anm. **. 

*) RV. 30. 6. 1556: Hans Wilhelm von Lautenberg schreiben 
samt Caspar Schwenfeld uberschickte missiven von der Ent- 


176 . 16 


unter den Bürgern Boden gewannen. Sein Hauptbestreben 
mußte daher darauf gerichtet sein, die beiden Richtungen 
des lutherischen Protestantismus zu versöhnen, mochten 


auch seine Sympathien, er bestand ja nur aus Patriziern, 
mehr den Philippisten gehören. | 


schuldigung auch einem gedruckten büchelein wider Herr Philipp 
Melanthon und das hier ausgangene und zu Wittenberg 
gedruckte buchlein von der rechtfertigung des armen sünders 
soll man auf im selbst ruen laßen. So auch 1558 s. Rats- 
verlaß 3. 12. 1558: auf Markgraf Karls zu Paden kirchenräte zu 
Pforzheim schreiben und begeren, soll man bernharden Fischer, 
puchtrucker, beschicken und beaidigen, ein warheit zu sagen, 
wie es mit Jorg Raben, buchdruckers zu Pfortzheim gedruckten 
postill gestalt, was er dazu geholfen, wo die herkommen, wers 
gemacht und ob er etliche exemplar hab und wem ers zugestelt. 
dasselb alles herwiderpringen. 12. 12. 1558: Uf Hansen Weixers 
verlesene ansage, soll man ine, Wolfen Ulrich, Jorg Langen und 
andere benannte personen, so die neugetruckte pforzhaimische 
postill von im genommen und unter sich ausgetailt haben, pe 

schicken und beaidigen, dieselben bucher meinen herrn in die 
kanzlei zu antworten, hinfuro keins mer hieher zu pringen noch 
zu haben, sondern dieser secten mußig zu steen, und ob sich dern 
ainer solchem bevel widersetzen wolt oder würde, dasselb meinen 
herrn wider anzuzeigen, ferner rätig zu werden. 13. 12. 1558: 
Uf die verlesene verzaichnis, welcher gestalt Wolf Ulrich und 
Jorg Lang geschworen und sich erpoten, die schwenkfeldische 
postill meinen herrn zu uberantworten und derselben sect mußig 
zu sten, die andern aber als Hans Meichsner, Jörg Schedner, 

Bernhard Fischer und Lienhard Aman solche bucher auch uberant- 

wortet, aber diese schwenkfedlische Lere aus angezeigten ursachen 
nit verschwoeren wollen, soll man von inen allen:die pucher an- 

nemen und die sach der ersten zweier als des Ulrichs und Langen 
halben ruen laßen; aber von wegen der andern die ganze sach, wie 

diean meineherrn komen und was bisher darinnen gehandelt worden, 

fur die 3 fordersten predicanten pringen, ir bedenken daruber ein- 

nemen, weilsich dieselben personen berümen, das siein Schwenk- 

felds lere nichts ungerechtes befinden, der Schwenkfeld auch bis da- 

her desselben nieuberwunden worden. Damansieauchberichten und 

uberwinden werd, daß sie sich weisen lassen und von dem un- 

recht absten wollen, etc. was meinen herrn als der weltlichen ober- 

keit in dieser sachen, so das gewissen belanget, weiter furzunemen 

gepuren wolle, sonsten zweifelten meine herrn nit, was inen als 

den seelsorgern in solchem falle gezimet, wurden sie zu handeln 

ait unterlaßen und dasselb ir bedenken widerpringen. 


17 177 


Der Schulmeister bei St. Sebald, Sebald Heyden, 
neigte in seinem Alter zur Anschauung Calvins vom heil. 
Abendmahl. Er bestritt die „mündliche NieBung™ des 
Leibs und Bluts Christi und erklärte, nur die Gläubigen 
empfingen dieselben, nicht aber Ungläubige, Unwürdige 
und Heuchler.  Besold schlug nun Heling vor, unter 
Zuziehung Mag. Jakob Lechners, Predigers bei St. Lorenz, 
mit Heyden mündlich zu verhandeln. Heling lehnte ab; 
er mied ángstlich jede Gelegenheit, die ihn hatte zwingen 
kónnen, seinen Standpunkt zu offenbaren; er hielt es 
für das beste, wenn Heyden und Besold sich allein über diese 
Frage!) auseinandersetzten. Ob unter diesen Umständen 
diese Angelegenheit von den Predigern beigelegt wurde, 
ist mehr als fraglich. Als Heyden und seinem Sohne 
Christian Heyden, Schulmeister bei Egidien, ihre Dienste 
wieder übertragen wurden, drückte ihnen der Rat sein 
Befremden darüber aus, daß sie die rechte. Lehre vom 
heiligen Abendmahl aufgegeben und dadurch den Anlaß 
zu einem „scisma‘ zwischen den Prädikanten gegeben 
hätten; er versah sich auch, daß sie den Kalvinischen 
Katechismus in ihren Schule nicht mehr dozierten 
und die eigenmächtigen Änderungen an der Liturgie 
unterließen?). Der Tod Heydens am 9. Juli 1561 überhob 
den Rat bald weiteren Eingreifens. Zu einem ,,scisma‘ 


1) Hier. Besold an H>ling s. d. et 1. Nürnberger Kreisarchi v. 
Rep. 52. Ms. 1110 fol. 94. Heling an Besold. d. d. 2. 12. 1560. 
ibidem fol. 94. gedruckt: Dissertatio historica, qua Mauritii Helingi 
vita, placita et studia percensentur et praeside G. G. Zeltnero 
disquisitioni academicae subjcicuntur a M. Sigismundo Jacobo 
Apino. Altdorf 1714. 8. 35f. Vgl. G.G. Zeltner, Kurze Erlauterung 
der Nurnbergischen Schul- und Reformationsgeschichte aus dem 
Leben und Schriften des berühmten Sebald Heyden Nürnberg 1732 
fol. 33f. 39. 

2) RatsverlaB 24. 4. 1561: den baiden schulmaistern bei 
S. Sebald und S. Egidien soll man, ehe sie widerum mit pflicht 
gefertigt werden, anzeigen, meine herrn weren glaublich bericht, 
daß sie wider eins rats kirchenordnung sich des hochwirdigen 
sacraments halben von der rechten lere und gebrauch abgesondert 
und in diesem fall ein scisma zwischen den predicanten und lerern 
allhier angericht, daß sie auch den kalvinischen catechismum in 
iren schulen docirten, auch die alten approbirten geseng in der 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 3/4. 12 


178 ; 18 


war es aber nun wirklich gekommen. Besold hatte sich 
mit Heling über die Abendmahlslehre unterredet. Statt 
zu einer Einigung zu kommen, stellte sich erst recht die 
Verschiedenheit ihrer Anschauungen heraus. Trotz seiner 
Beteuerung: cum pane et vino, symbolis et rebus visi- 
bilibus, offerri, dari et exhiberi ad manducandum verum 
corpus domini et salvatoris nostri Jesu Christi, qui affixus 
ligno crucis pro nobis factus est victima et Aörgov, nec 
non dari, offerri et exhiberi verum sanguinem ad biben- 
dum, quem idem filius dei ad abluendas nostras sordes 
etexpianda peccata in eruceeffudit, trotz seiner Beteuerung, 
daß das Abendmahl nicht nur beneficiorum et efficaciae 
Christi, sondern auch seiner essentiae, nicht nur seiner 
göttlichen, sondern auch seiner menschlichen Natur teil- 
haftig mache, konnte es nicht verborgen bleiben, daf 
er die manducatio corporalis eben doch leugnete. Denn 
über das , Wie" der sakramentlichen Einigung wollte 
er Sich nicht náher ausdrücken; es sei ein mysterium; 
daß er auch einen Unterschied machte zwischen indignis 
und infidelibus beim Abendmahl, ließ deutlich genug 


kirche de temporibus etwas geendert hetten, welches alles dann 
eim erbern rat fast beschwerlich und misfellig were, und, wiewol 
ein erber rat hierauf genugsam ursach hetten, derwegen ir notdurft 
gegen inen den beden schulmeistern furzunemen, so wolt man doch 
von inen anhören, ob sie von irem furnemen und getaner enderung 
absten und sich hinfuro der neu gestellten pflicht gemeß (welche 
man inen furlesen lassen soll) erzeigen wollen oder nit. Was sie 
nun zur antwort geben, das soll herwider gebracht werden. 25. 4. 
1561: der zweier schulmeister zu Sant Sebald und Sant Egidien 
referirte entschuldigung, das inen in dem, das sie calvinisch, den- 
selben catechismum lerten oder ichts an den kirchengesengen one 
vorwissen geendert hetten, mit dem erpieten, daf sie der neuge- 
stellten pflieht allerding nachkomen wolten, soll man Herrn 
Hi. Baumgartner anzeigen, und sein ferneres bedenken darüber 
einnemen und widerpringen. 28. 4. 1561: auf Herrn Hi. Baum- 
gartners weiters bedenken, soll man den zweien schulmeistern bei 
Sant Sebald und Sant Egidien ferner anzeigen, ein erber rat hab. 
ir entschuldigung gehort und wiewol man in guter erfarung, daB 
sie allerlei unnótige disputationes vom heiligen sacrament erregt, 
so wóll mans doch diser zeit dabei bleiben lassen und sich versehen, 
sie würden irem erpieten nachkomen und irs ding warten, auch 
keinen andern catechismum leren, denn wie ir pflicht vermóchte. 


19 179 
seine Auffassung erkennen. Aber nicht nur umsonst war 
diese Beratung gewesen, sie fiihrte auch zu einer ernsten 
Entzweiung zwischen Heling und Besold. Und Heling 
mußte zugeben, daß ihn an dem schroffen Ausgang nicht 
die geringste Schuld traf. Er suchte sich damit zu ent- 
schuldigen, daß ihn die beständigen Angriffe auf seinen 
über alles geliebten Lehrer Melanchthon aufs höchste 
erregt hätten. Das hätte ihn um so mehr geschmerzt, 
als er hören mußte, daß auch Besold sich daran beteiligte!). 
Schon schien es, als sollte der Streit sich nicht mehr beilegen 
lassen. Heling hatte sich nicht damit begnügt, die Lehre 
vom heiligen Abendmahl zu berühren, er kam auch auf 
die andern theologischen Streitigkeiten, wie den rechten 
Verstand des Wortes ‚Evangelium‘, die Lehre vom 
freien Willen zusprechen, worüber sie schon früher de- 
battiert hatten; er warf Besolt vor, man hätte dazumal 
gegen ihn nicht die ,,severitas‘‘ walten lassen, die sich 
jetzt an ihm finde; auch mischte sich Jakob Lechner 
in den Streit. Am 22. Dezember 1560 trat Heling sogar 
auf der Kanzel so offen für Calvins Anschauung vom 
Abendmahl ein, daß sich sogar Hier. Baumgartner ver- 
anlaßt sah, ihn zu warnen). Da hielt es der Rat für seine 
Pflicht einzugreifen, ehe es zu spät war; mußte doch auch 
das Werk der großen Kirchenvisitation des gesamten 
Gebietes durch solche Streitigkeiten aufs ungünstigste 
beeinflußt werden. Am 29. Mai 1561 erging der Befehl 
an die Ratsherren B. Derrer und J. Haller: nachdem 


*) Besold an M. Heling und Jakob Lechner. Rep. 52 Ms. 
1110, 62f. gedruckt G. Th. Strobel, Neue Beyträge zur Litteratur 
besonders des 16. Jahrhdts. Nürnberg und Altdorf. 1793. IV, 1, 
141ff. Antwort Helings d. d. 22. 12. 1560. Ms. 1110, 45ff. vgl. 
G. G. Zeltner, diss. historica fol. 37ff. Besold an Heling 1561. 
Ms. 1110, 49 gedr. [G. Th. Strobel] Hieronymi Besoldi olim 
pastoris ad Sp. S. Norimbergae fidelissimi epistola ad Mauritium 
Helingum de sacra coena, viribus humanis et evangelio nunc 
primum in lucam edita. Frankfurt und Leipzig 1767. 

?) Hi. Baumgartner an M. Heling postridie Thomae (22. 12.) 
1560. Ms. 1110, 73 gedr. G. G. Zeltner, diss. S. 44. Baumgartner 
an Besold s. e. d.Ms. 1110, 73, gedr. Zeltner, 45., vgl. J. Dóllinger 
Die Reformation Regensburg 1848. II, 107. 

12* 


180 20 


sich zwischen den predikanten im Spital auch S. Laurenzen 
und dann dem bei S. Sebald zwaiung und misverstand 
zutregt, ist zu verhütung merers gezenks und weitleuftig- 
keit bevolen, ermelte predikanten zu erfordern und inen 
furzuhalten, das eim erber rate solche misshellung nit 
lieb, wäre derwegen irer erberkeit begeren, sich freund- 
lich miteinander zu bereden, einer den andern zuhören 
und sich selbsten miteinander gutlich und christlich zu 
vergleichen, die einigkeit in der kirchen zu befurdern 
und allen zwiespalt und mishelligkeit zu vermeiden und 
hinzulegen und wie man die sach bei inen befinden würdet, 
dasselbe herwiderzupringen." Die gewünschte Unter- 
redung fand wirklich statt. Sie führte auch zu einer ,, Ver- 
gleichung‘‘ zur Befriedigung des Rates. Er beeilte sich, 
beiden seine Zufriedenheit auszusprechen und erbot sich, 
in künftigen Fállen auch wieder vermitteln zu wollen!). 
Ob es allerdings zu einer wirklichen Ausgleichung der 
Gegensätze gekommen ist, sei dahingestellt. Als Heling 


1) Ratsverlaß 19. 7. 1561: auf der verordenten herrn verlesene 
relation und protokollierte disputation, so bede herrn predicanten 
im spital und bei S. Sebald von wegen eingefallnen streits vom 
heiligen sacrament des abendmals christi mit einander in beiwesen 
etlicher anderer predicanten gehabt, und wes sie sich endlich 
erclert und verglichen, ist fur gut angesehen, daß man bei solchem 
-olloquio und erclerung dismals bleiben laßen und berurten bei- 
den herrn predicanten Mag. Hi. Pesolden und Maur. Heling 
anzeigen soll, ein erber rate hette der verordneten herrn relation 
ires gehaltenen gesprechs und wes sich ain teil gegen dem andern 
erclert, hören leser. und gern gehört, daß sie sich mit einander 
so freundlich und gutlich verglichen. Es were auch irer erberkeiten 
begeren und vermanen, bei solcher einigkeit zu pleiben und sich 
gegeneinander wie christliche predicanten zu erzeigen und in diesen 
beschwerlichen zeiten zu ergernis und weitleuftigkeit nit ursach 
zu geben. Und do sich kunftig (des man sich doch nicht versehen 
wollt) einigcher misverstand zwischen inen zutrüg und sie sich 
selbst mit einander nit vergleichen konnten, wäre eins rats begeren, 
solichs jedesmals an ire erberkeiten zu gelangen. Wollte man zur: 
verhörung der sachen verordnen und darunter, was sich gepurt, 
handeln und furnemen, damit die raine lehr, auch fried und ainig- 
keit in der kirche Gott dem allmechtigen zu lob und eren und den 
Christen zu Nutz und Trost bestendiglich erhalten werden möge. 
Ratsbuch 31, 252. 


21 181 


später sich den Anschein gab, als ob er mit Besold auch 
in diesem Punkte einig gewesen wäre, trat ihm der Astro- 
nom Mag. Joachim Heller offen entgegen. Er wies auf 
die Briefe hin, die Besold an Heling in dieser Sache ge- 
schrieben hatte; er behauptete, wenn Besold erlebt hätte, 
wie „grob“ Heling in dieser Sache ‚„herausfahre‘‘, hätte 
er sich gewiß auf seine Seite gestellt. Heling begnügte 
‘sich nicht, diese Behauptungen ruhig zurückzuweisen ; 
in hellem Zorn warf er Heller vor, er habe sich gestohlene 
Briefe zustecken lassen; ihn gehe die Sache so wenig 
an als den Mesner von Poppenreuth oder einen Altreußen; 
weder Besold noch der Rat habe ihm etwas mitgeteilt, 
er könne also die Sache nur erfunden haben oder auf 
unrechte Weise etwas gehört haben. Dadurch fällt ein 
eigentümliches Licht auf seine Ausführung: er habe sich 
mit Besold freundlich unterredet; der habe ihn mit keinem 
Wort mehr angesprochen; friedlich sei man beieinander in 
der Visitation und bei vielen Examina gewesen. Warum 
blieb denn die ganze Sache so geheim? Warum hielt es 
Heling für unnötig, dieselbe ausführlich zu erörtern!) ? 
Ganz gewiß aber war der Rat über diese Regelung der 
Angelegenheit froh. Es war ein Zeichen der Anerkennung, 
wenn man Besolt zum Prediger bei St. Lorenz ernannte 
(27. Juni 1562)?). Leider sollte er nur noch etliche Monate 


1) S. I. L. 102. Nr. 1. Erklärungen Hellers vom 30. 12. 1562 
n. Helings vom 4. 2. 1563. 

2) RV. 29. 10. 1561: auf der genachbarten herrn und bürger 
um St. Laurenzen verlesene Supplication und bitlichs ansuchen 
von wegen herrn ler. Pesolts, predigers im neuen Spital, ist den 
herrn kirchenpflegern bevolen, der sachen nachzudenken, mit 
was fugen und welcher gestalt die gebetene enderung des herrn pre- 
digers bei S. Laurenzen möchte furgenomen werden und solichs in 
14 tagen ungeverlich widerumb furzulegen, rätig zu werden, mitler- 
zeit die Supplicanten beantworten, ein erber rat wolle disen handel, 
dieweil der nicht eilen laße, in bedenken nemen. 27.6.1562: Die- 
weil Magister Jacobus Lechner, prediger bei S. Laurenzen, sein 
gebrechlichkeit und plodigkeit seins hauptes geclagt, daB er da- 
von wegen der predicatur in dieser grofen kirchen nit mehr vorsten 
konnte, ist er desselben predigamts mit der condition erlaßen, 
daß er darfur die wochen den 12 Knaben etliche lectiones in 
theologia tun soll, dagegen soll ime sein jerliche besoldung, so er 


IN 


182 22 


' daselbst wirken; er starb am 4. November 1562 an 
der Pest!) 

. Den ersten tieferen Einblick in die die Bürgerschaft 
weithin bewegenden Streitigkeiten bot dem Rat der bald 
darauf spielende Prozeß des Astronomen M. Joachim 
Heller, der, nachdem er bei einer Musik bei Michael Graf 
mit dem Kaplan Joh. Müller vom neuen Spital über Abend- 
mahl und freien Willen eine erregte Auseinandersetzung 
gehabt hatte, am 30. Dezember 1562 eine heftige An- 
klage wegen Hinneigung zum Kalvinismus gegen Heling 
und den an Stelle Besolds getretenen Mag. Joh. Schel- 
hamer?) an den Rat richtete. Mit Schrecken nahm man 


bisher gehabt, nachmalen gereicht, im auch sein wonung im 
pfarrhof gelassen werden. Und ist daneben mit Herrn Hi. Pesoldo 
gehandelt, daß er die praedicatur in ermelter kirchen bei S. Lau- 
renzen auf ein versuchen angenommen. Vgl. Ratsbuch 32, 15. 


1) Ratsverlaß 15. 10. 1562: Herrn Jer. Pesolden auf sein 
Bitt Heinrich Preuen zu einem werter zulaßen und an sein statt 
hermann Karln auf meiner herrn kosten und belonung in die mül 
verordnen. 16. 10. 1562: Dieweil dem herrn Pesold, predigern zu 
S. Laurenzen, sein hausfrau mit tod abgangen, soll man ine von 
meiner herrn wegen clagen und trösten und ime daneben anzeigen 
` laBen, meine herrn sehen fur gut an, daß er sich seins haus ein zeit 
lang enteußert und sich an andre orte tete, dazu man ime dann 
des Neumairs haus zu werd oder ein zellen in der cartausen fur- 
schlagen soll, mit dem erpieten, wenn er hinaus ziehe, woll man ine 
mit fur, zerung und In ander weg versehung tun. 17. 10. 1562: 
dieweil sich herr Jer. Pesolt auf meiner herrn ersuchen gen word 
in des neumairs haus getan, soll man jemand zu ime verordnen, 
zu erkundigen, ob er zur notdurft versehen sei. Und dieweil im 
uf das zweifache haushalten diser zeit viel aufgehet, soll man ime 
50 fl. hinausschicken mit dem erpieten, wo er ferner ainich mangel 
hab, ime ferner versehung zu tun. dergleichen soll man Heinrich 
Preuen, seinem warter, auch 20 fl geben lassen mit dem bevel, 
davon in seinem des Herrn Pesolts haus den kranken personen, 
so weit es reicht, nottürftige unterhaltung zu verschaffen. 
7. 11. 1562: dem stadrichter bevelen die truhen und behalter in 
verstorbnen herrn Pesolts behausung durch seinen diener neben 
Heinrich Preuen versecretieren zu laßen, bis man des gedachten 
Herrn Pesolts tochter vormunder verordne und dazwischen nichts 
verzogen werde. 

3) Ratsverlaß: 9. 11. 1562: Anstatt des verstorbnen herrn 
Mag. Hi. Pesoldi christlicher gedechtnus soll man Mag. Schel- 


23 183 


wahr, wie viele Fäden von der Bürgerschaft zu Flacius 
liefen. Zwar die Prediger wie Mich. Besler und Konrad 
Klingenbeck konnten sich rechtfertigen ; denn derdabeidem 
Rat in die Hände gefallene Brief wandte sich ja gerade 
gegen sie; enthielt die ärgsten Klagen über die Unter- 
drückung seiner Bücher, während der gemeine Mann 
sowohl sowie hochverständige Personen aufs ‚äußerste‘ 
und „greulichste“ wider die Wahrheit stritten und der 
Verfälscher Schriften offen in den Buchläden feilgehalten 
werden dürften. Von den besten und einfältigsten Lehrern 
werde zur Unterdrückung der Wahrheit stillgeschwiegen 
oder doch nur so gepredigt, daß der gemeine Mann nicht 
verstehe, welche Bücher nun die rechten seien. DBesold 
sowohl als die andern angegriffenen Geistlichen hatten 
sich entschieden gegen diese Vorwürfe gewehrt!) Um 
so weniger konnte dies sie belasten, als Besold auch 
mündlich dem Flacius sein Ansuchen, seine Bücher doch 
in Nürnberg frei verkaufen zu lassen, abgelehnt hatte. 
Dagegen ward man auf einen seines Standes aufmerksam, 
einen Studenten Christoph Harsdorfer, der nicht nur 
Flacius selbst schon beherbergt hatte, sondern auch mit 
Gleichgesinnten wie Gundlach, Hans Behem, Cunz Mör- 
lein, Vogel, Irtenberger, Endres Örtel, Röting und Conrad 
Klingenbeck Konventikel abhielt?) Andere Briefe, die 
dem Rate bei der Beschlagnahme der Bücher des Joachim 
Heller in die Hände gefallen waren, ließen erkennen, 


haimern zu eim prediger in die kirchen S. Laurenti verordnen 
und ime die Superintendenz neben den andern zweien herrn auch 
bevelen und an sein des Schelhamers statt christoforum Kaufman 
zu eim prediger im neuen spital annemen.  Hatsbueh 32, 49. 

1) Nikolaus Gallus u. Flacius Illyrikus an H. Besold, Mich. 
Besler, Conrad Klingenbek, Michael Röting, Joach. Heller, 
Regensburg. Freitag nach Barthol. (28. 8.) 1562. Antwort Beslers 
s. d. et. 1. Verhar Beslers, Klingenbecks, Rötings am 22. 3. 1563. 
S. I. L. 102. Nr. 1. 

2) Harsdorfer, Meinschein, Pack, Irtenberger, Ortel ermög- 
lichten auch die Herausgabe der Centurien. Preger II, 429. 
Vgl. August an Georg Fr. v. Brandenburg. d. d. Dresden 1. 5. 1570. 
ARA. Tom. Suppl 2, 198. Vgl. G. Chr. Neudecker, 
neue Beiträge zur Geschichte der Reformation II, 272. Döllinger 
II, 259. 


184 24 


welche Hilfe Flacius in Nürnberg zur Herausgabe seiner 
Schriften fand. Den Mittelsmann, der die Verbindung 
mit den Nürnberger Freunden immer aufrecht zu er- 
halten wußte, glaubte man endlich in Bertholomäus 
Schober gefunden zu haben. Als nun gegen Ende des 
ganzen Prozesses Flacius am 11. Mai 1563 selbst nach 
Nürnberg kam und bei Schober wieder übernachtete, 
verwies man diesen kurzerhand aus der Stadt, weiler 
im Verhör nicht gleich Rede stehen, sondern sich 
nur zur schriftlichen Verantwortung erbieten wollte. 
Bei Joachim Heller aber benützte man seinen hóchst 
anstößigen Lebenswandel, um ihm seinen Dienst aufzu- 
kündigen (28. Mai 1563)!). 


!) Den ganzen ProzeB des Joachim Heller enthàlt der Akt: 
S. I L. 102 Nr. 1. Ratsverlaß 12. 5. 1563: und nachdem an meine 
herrn gelangt, das Illiricus nechten allhie gesehen, ist Bartl 
Schober darum beschickt und befragt worden, wann er herkomen, 
wo und bei wem er sich halt und was seine gescháft seien. Als er 
nun auf das getan angloben an eides statt angezaigt, daß er gestern 
zu mittag zeit herkommen, bei ime eingezogen und abends nach 
dem nachtessen wider davongereist, unwissend, was er alhie ge- 
macht, habens meine herrn dabei bleiben lafen. 13. 5. 1563: 
nachdem Bartl Schober auf die gestellte fragstück kein mundlich 
antwort geben wollen, sondern vermóg der verlesenen verzeichnus 
begert, im dieartikel zuzestellen, sein antwortschriftlich — und doch 
der furgehaltenen schriften an den Heller bekentlich gewest, da- 
rinnen er meine herren ein erber rate antast und beschuldigt, als 
sollten sie dio adiaphoristerei und Majoristerei schützen und dagegen 
die anderen reinen schriften verfolgen, ist erteilt, daß man sich 
mit ime ferner in einich schrift noch wortgezenk als einer privat- 
person nicht begeben noch einlaBen, sondern ime jetzo alspalden 
anzeigen soll: er weßt, welcher maßen ine meine herrn veruckter 
zeit zu burger angenomen, der Hoffnung, er würde sich in seinem 
beruf burgerlich gehalten haben. Dieweil es aber nicht bescheen 
und meine herren sein heBig gemut auch gelegenbeit seiner hand- 
lungen dermaßen spurten, so wolt irer erberkeiten gelegenheit 
nit sein, ine lenger zu einem burger zu haben, sonder es were 
irer erberkeiten endlicher bevel, das er sich noch vor untergang 
der sonnen aus der statt und meiner herrn oberkeit und gepiet 
hinweg tun, dieselbig sein leben lang meiden und nit mer darein 
kommen wo!le bei einer leibesstraff. so sollt er auch sein weib und 
kinder mit sich nemen. doch was er derselben auch seiner farnus 
halb allhie zu verriehen, daB er dasselb durch sein waib oder 


25 185 


Man merktsden Aktennoch heutean, welcher Schrecken 
den Rat erfüllte, wenn bei der Untersuchung wieder eine 
Spur auf Flacius führte. Kaum zu verstehen ist, warum 
man diesen Mann, der noch nicht einmal gut deutsch 
reden konnte, also haßte. Er blieb allerdings dem Rat 
die Antwort auch nicht schuldig. In seiner Schrift: 
Trewe Warnung und Vermanung, das man das h. Testa- 
ment des hochw. Nachtmals .. . unverfelscht — rein 
behalten soll!), erzählte er von einer großen Stadt, die 
im Winter 1561 fast drei Monate lang großen Mangel 
an Isichtern gehabt habe; an den Läden hätten sich die 
Menschen so gedrängt, daß etliche zerdrückt worden 
wären.  Gottesfürchtige und verständige Leute hätten 
gleich daraus auf einen bevorstehenden Mangel am geist- 
lichen Licht geschlossen. Das sei auch bald Wirklichkeit 
geworden. Denn etliche Prediger und Bürger, die den 


— 


andere personen in 14 tagen den nechsten tun laßen möge. Der 
nachsteur halben soll man gegen ime kein meldung tun. Auf 
solchs haben die verordenten herrn referirt, das gedachter Schober 
nach angesagtem beschaid geantwort: er hett sich solchs beschaids 
und gar nit versehen, daß man den proceß an der execution an- 
heben sollte. dann er gestern begert, ine schriftlich zu horn, und 
wenn es bescheen und sich erfinden würd, das er geirrt, wolt er 
sich haben weisen laßen. dergestalt aber mit ime zu handeln, 
were contra jus divinum et humanum. beruft sich derwegen auf 
den passauischen vertrag, welcher vermöcht, das niemand der 
religion halben vervolgt werden soll. Darauf ist befolen, ime zu 
sagen, er hab gehört, aus was ursachen ine meine herrn alhie 
weiter nit gedulden wolten. Darum ließ mans bei gegebnen be- 
scheid bleiben und solt er allein lauter sagen, ob er solchem peschaid 
nachkomen woll oder nit. Tu ers, so solte mans geschehen und 
dabei bleiben laßen. Wo nit, ine alspalden ins loch zu füren be- 
velen. 28. 5. 1653: des im loch verhafteten Joachim Hellers 
halben ist beim rat verlassen, im seine dienst, so er bisher meinen 
herrn als ein profeßor astronomiae und sonst in ander weg gehabt, 
in bedacht seiner mishandlung und das er bishero seinen diensteu 
und beruf in keinen weg ausgewartet genzlich auf und abzukunden 
und zu sagen, sıch mit seinem ganzen haushalten von hinnen aus 
der stat und meiner herrn oberkeit und gepiet hinweg zu tun. 
Vgl.E. Döllinger II, 107ff. Ratsbuch 32, 84a, 112, 115. 

1) Datum der Widmung d. d. Regensburg am Tage Purifikat. 
Mariae 1564. 


186 26 


rechten Verstand in den jetzt schwebenden Kor- 
ruptelen auch in der Vergleichung Christi mit Belial 
gehabt hätten, seien gestorben, andere verjagt worden; 
endlich seien die rechten Prediger veranlaßt worden, 
einen heimlichen Vertrag mit den andern in Religions- 
sachen zu machen und ganz zu schweigen. Der Hieb 
saß; wenn auch die Schrift dem Rat der Stadt Danzig 
gewidmet war, merkte man bald, daß auf die Stadt Nürn- 
berg besonders auf den Prozeß Heling-Besold und die im 
Jahre 1563 erfolgte Ausemandersetzung zwischen Klingen- 
beck und den Philippisten gezielt war. Aber der Rat 
sah selbst ein, daß es am klügsten wäre zu schweigen). 

Man kann es aber verstehen, wie entrüstet der Rat 
war, als eben in jenen Tagen, wo eine Spur des Flacius 
nach der andern auftauchte, auch auf der Kanzel und 
in der Gemeinde der theol. Streit von neuem aufflackerte. 
Georg Klingenbeck, Prediger bei St. Egidien, war mit 
Sixt Huber, Kaplan bei St. Sebald, über den freien Willen 


1) Ratsverlaß: 26. 4. 1564: auf die verlesen vorredein des Illirici 
ausgangnem püchlein wider die sacramentirer, weil er meine herrn 
so hoch und mit solch ungrund darinnen anzeucht, sol man die 
drei vordersten predicanten und neben inen die prediger zu S. Egi- 
dien und unser Frauen erfordern, inen solchs furlesen und fragen, 
ob ir einer zu jungster irer mit einander verglichene vereinigung 
genótigt oder einiche beschwerung noch darin het und solchs 
alles widerpringen. 27. 4. 1564: auf der verordenten herrn getane 
mundliche relation, daß sie den 5 predicanten des Dlirici vorrede 
seins ausgangnen büchleins furgehalten, die darob die hochste 
beschwerd trügen, wißte irer keiner zu erinnern, daß sie zu voriger 
vergleichung genötigt, hetten zu solchem des Illirici ausschreien 
kein ursach geben und weren alle miteinander ganz einig und fried- 
sam und de: entlichen meinung, wes sie sich hievcr miteinander 
eiphellig verglichen, dabei bestendiglich zu bleiben und mit dem 
Dlirico nichs zu tun zu haben, ist verlaDen, die ganze handlung 
den herrn hochgelerten um ir ratlich bedenken furzutragen, und 
da sie fur gut ansehen würden, derwegen gegen denen von Regens- 
burg andung zu tun, ir einem bevelen, solch schrift zu stellen. 
17. 5. 1564: auf den verlesnem ratschlag des Flacium Illirici aus- 
gangen tractetlein, darinnen er meine herrn etwas mit unwarheit 
anziehen tut, soll man sich mit ime nit ein, sondern die sach dem . 
ratschlag gemeß beruen lassen. Das Bedenken der Rechtsgelehrten: 
G. Th. Strobel, Beyträge zur Litteratur. Nürnberg und Altdorf 


1785. I, 2, 406ff. 


27 187 


in Streit gekommen. Er faßte ihn gewiß, wie alle Luthe- 
raner als gänzlich erstorben zum Guten und deshalb 
unwirksam bei der ‚Bekehrung auf, während Huber ihm 
die facultas applicandi se ad gratiam zuschreiben wollte. 
Wie nicht anders dazumal möglich, hatte auch gleich die 
Bürgerschaft lebhaft Partei für oder wider ergriffen. Der 
Rat griff energisch ein. Klingenbeck mußte sich anheischig 
machen, in der Predigt diese Materie gar nicht mehr zu 
berühren; auch erklärte er seine Bereitwilligkeit zu einer 
gütlichen Unterredung. Daraufhin untersagte der Rat 
auch Heling und Schellhammer jede Erwähnung dieser 


Sache auf der Kanzel). 
Am 7. Juli traten Heling, Lechner, Schellhammer, 


Beßler auf dem Rathaus zur Beratung zusammen. Hier. 
Baumgartner, Joachim Haller, Georg Volkamer ermahnten 
zur Einigkeit. Manchem sei es nicht um die Ehre Gottes, 
sondern nur um den Ruhm. vor der Gemeinde zu tun. 
14 Tage dauerten die Verhandlungen; nicht nur die Lehre 


1) RatsverlaB 12. 5. 1563: in dem noch ungeorterten streit 
vom freien Willen, so sich zwischen dem prediger zu Sand Egidien 
Cunrad Klingenpeck und Sixten Huber caplan zu S. Sebald zu- 
getragen, soll man auf gemeltes herrn predigers schrift di 3 herrn 
superintendenten ir bedenken und meinung auch verfassen lassen 
und widerbringen, damit man zu erórterung der sachen kommen 
moge. 1. 7. 1563: dieweil der prediger zu Sand Egidien herr 
Cunrad Klingenpeck je lenger je mer auf der kanzel wider die 
freiwillisten schreibt, ist befolen, ine zu erfordern, was ine doch 
über das, so hievor ernstlich mit ime gehandelt worden, dazu 
verursach, sonderlich, weil die saehe zwischen im und seinem 
widerteilen nit geortert, sein antwort wider bringen, mitlerzeit bis 
zur orterung solehs handels dise materi auf der kanzel undisputirt 
zu lassen und solchs den andern herrn predicanten auch anzeigen. 
2. 7. 1563: dieweil sich herr Cunrad Klingenpeck, prediger zu 
S. Egidien, nach getaner entschuldigung seines schreiens auf der 
canzel vom freien willen erpoten, sich solchs strits halo mit sein 
widerteiln gutlich zu bereden, ist bevolen, sie die predicanten, 
so ob diesen artikel miteinander strittig seien, mit erstem zu- 
samen fordern und von der sachen reden und disputiren zulassen, 
ob sie sich darob freundlich mit einander vergleichen Könnten 
und alles zu verzeichnen und widerzubringen, mitlerzeit den 
zwaien predicanten Sebaldi und Laurerti euflegen, sich diser 
disputation auf der canzel zu entnalten [Ms. 1112, 13. Stadtbibl. 
Nürnberg. Will. bibl. Nor. II, 358.] Vgl. Zeltner, vita Helingi 
B. 49. Ratsbuch 32, 125. 


188 28 


vom freien Willen, sondern auch alle übrigen Differenz- 
punkte, wie die rechte Auffassung des Wortes Evangelium, 
die Notwendigkeit der guten Werke, die Gottessohnschaft 
Christi, die Abendmahlslehre, die Adiaphora wurden be- 
sprochen. Unter dem Druck der Obrigkeit kam man 
auch zu einer Einigung. Heling und Schellhammer faßten 
das Ergebnis in einer umfangreichen Schrift, „dem später 
sogenannten scriptum declaratorium"™, zusammen, welches 
dann am 23. Juli von sámtlichen Predigern unterschrieben 
wurde. Es trágt alle Mangel eines Kompromisses an sich; 
Dürnhofer hatte nicht so unrecht, wenn er von ihm ur- 
teilte: ,,es sei, als wenn man dreierlei Eisen, gutes, bóses 
und mittelmäßiges zusammenschweiße“. Doch zeigen 
sich auch hier schon manche Ansätze, mit denen es später 
gelang die Streitigkeiten im Luthertum zu überwinden. 
Den fünf Geistlichen scheint das Ungenügende des Schrift- 
stückes selbst zu Bewußtsein gekommen zu sein; dem 
Rat überreichte man eine kurze Zusammenfassung, ,,die 
Synopsis scripti declaratorii““. Umsozufriedener war der Rat. 
Die Stimmen unter den Bürgern, Herr ,,Cunrad (Klingen- 
beck) habe die andern Prädikanten auf die rechte Bahn 
gebracht und von ihrem Irrtum bekehrt‘‘, verstummten 
immer mehr; nur der unruhige Mag. Seb. Röting konnte 
sein Hetzen auch jetzt noch nicht einstellen. So wurde 
denn nicht nur den fünf Geistlichen die Anerkennung 
des Rates ausgedrückt und der Hoffnung dabei Ausdruck 
gegeben, daß der Zwiespalt unter ihnen endgültig bei- 
gelegt sei, sondern auch sämtlichen Geistlichen in einer 
besonderen Versammlung die ‚Konfession und Ver- 
gleichung‘‘ als Lehrnorm bekannt gegeben, die sie durch 
Unterschrift anerkennen mußten. So haben wir in den 
Abmachungen der fünf Prediger die erste norma doctrinae 
oder Bekenntnisschrift der Nürnberger Kirche zu sehen 
(RatsverlaB 28. September 1563)}). 

1) Bedenken von Hi. Baumgartner, Joachim Haller, Gg. 
Volkamer Rep. 52. Ms. 1112 fol. 15. Stadtbibl. Nurnoerg. Bibl. 
Nor. Will. II, 358. Das declaratorium Kr. N. D 212, 34ff. Fasc. I 
ad D 212 fol. 20ff. Ms. 1112, 23ff. St. Nürnbg. Bibl. Nor. Will. II 
358, 335. vgl. 368 Amb. 269 u. 68. Solg. I, 32. Erl. Univ. Bibl. 


Ms. 913, 1ff. 1458, fol. 169ff. Über den Verfasser s. D 212 Fasc. IV: 
Originalprotokollum der ao. 1585 konfirmirten normae doctrinae 


29 189 


Fiinf Jahre gelang es nun dem Rat, auf Grund dieser 
Maßnahme Frieden unter den Geistlichen aufrecht zu 
erhalten. Energisch ging man gegen alles vor, was zu 
Verwicklungen führen konnte. Wie man nach außen 


von allen Kirchen- und Schuldienern hiesigen orts samt derselben 
teils schriftlich gegebenen bedenken: Erklärung Schelheimers 
vom 21. 5.: er wüßte sich der Erklärungsschrift, welche ao. 1563 
von seinem Vorgänger Herrn Jakob Lener und ihm Schellheimer 
meistenteils gestellt und begriffen worden, die sie auch approbiert 
und subskribiert hätten, wohl zu erinnern Erklärung Helings vom 
29 5.: „welche er neben andern hiesigen Prädikaten ao. 63 gestellt 
und unterschrieben und einem erbern Rat übergeben“. Die An- 
gaben von Hirsch, Acta historico ecclesiastica Weimar 1747. 
XI, 432 können nicht nachgeprüft werden. Das Urteil Dürnhofers: 
Es sei eben, als wenn man dreierlei Eisen, Gute, Böse und mittel- 
mäßige zusammenschweißte G. G. Zeltner, kurzgefaßte Historie 
S. 46. Joh. Kaufmann urteilte 27. 1. 1578: Die Schrift 1563 sei 
nur Gleisnerei Ms. 1110, 355ff. Punkt 10. Ratsverlaß 28. 9. 1563. 
Auf die getane mündliche relation, was maßen sich die drei vör- 
dersten predicanten neben M. Micheln Peßler mit Herrn Cunraden 
Clingenpecken, predigern zu St. Egidien, in der irrung, so sich 
ein lange Zeit zwischen inen vom freyen willen und andern 
puncten erhalten, allerdings verglichen, diselb vergleichung 
schriftlich verfaßt und sich zu ends derselben alle mit eignen 
händen underschrieben, damit dann solche ir vergleichung allent- 
halben bei den kirchendienern offenbar und bei inen nicht dafur 
geacht werde, als wolte mans in gehaimd behalten und also etliche 
derselben allerlei davon reden möchten, soll man alle predicanten, 
caplän und schulmaister hie zusammen erfordern und inen solche 
vergleichung anzeigen und die gestelte schrift furlesen und inen 
sagen, weil dieser vergleichung meine herrn zufrieden und inen 
dieselb wol gefallen ließen, so wolt man inen hiemit angezeigt 
haben, sich zu enthalten, daß keiner uf der canzel oder auch andern 
winkeln weder heimlich noch offentlich davon reden, disputirn 
oder andere darwider zureden verursachen, sonder, do einer einen 
mangel an diser schrift und vergleichung het, dasselb alsbald an- 
zuzeigen. diejenigen aber, so kein einrede und inen dieselben ge- 
fallen ließen, solten sich alsbald auch unterschreiben. welcher aber 
mangel daran und ytzo nit ercleren kont, dem wolt man 8 tag 
bedacht darzu lassen. und wiewol etliche statliche burger diser 
disputation und stritts halben viel böser reden ausgoßen, aber 
weil diese irrung nimer uf der canzel triben, etwas still worden, 
sol man es irenthalben also ruhen laßen. Micheln Röting aber, der 
uber vielfeltige warnung noch für und fur schret und schreibt und 
von seiner opinion nit abstehen will, ungeacht daß es nit seiner 
vocation, soll man beschicken und ime mit allem ernst undersagen, 


p 


190 30 


hin alles mied, was als eine Begiinstigung des Kurfiirsten 
von der Pfalz erscheinen konnte, und sich in der Politik 
ganz nach Kurfürst August und Wolfgang von Zwei- 
brücken richtete!), so auch im Innern. Der Buchhändler 
Jan Monte aus Heidelberg durfte keine Calvinische Bücher 
in der Stadt verkaufen?); die niederländischen calvinistisch 
gesinnten KaufleutewurdenzurRuhe undStilleangehalten?) ; 


seines berufs und schuldiensts zu warten und sich seiner disputatio- 
nen in geistlichen sachen zu enthalten. dann do er davon nicht 
absten, werden meine herrn ungeachtet seiner langwierigen dienst 
und alters das gegen im furzunemen, das im nit gefallen werd. 
Vgl. Ms. 1112 fol. 21. Will. bibl. Nor. II, 358. Ratsbuch 32, 180. 

1) RV.: 28. 12. 1565: Und demnach in dem ausschreiben der 
kais. mjt. auch meldung geschieht, den gesandten befel zu geben, 
in der stritigen religion und furnemlich der vilfeltigen secten halben 
auch zu handeln, und es danneinenlaut hat, das pfalzgraf Friedrich 
churfurst seiner sect halben im bei etlichen stenden einen beifall 
und anhang machen woll seine sect zu verteidigen, ist verlaßen, 
da der herrn gesandte zu Augspurg zu beratschlagung der religion 
in abgesonderte rete gefordert und die pfelzischen darauf tringen 
wolten, inen anhengig zu sein, sol man inen dasselb mit gutem 
glimpf weigern und sich anders und weiters nit einlassen, denn 
meiner herrn erclerung, so sie auf der churfürsten und fürsten 
überschickt confession, welcher sie zu Naumburg sich verglichen, 
zu erkennen gibt, und mag sich der herr wol in solchen selben fall 
zu den churfurst sächsischen, pfalzgraf Wolfgang reten, denen 
von Ulm und andern, die meiner herrn confession seien, halten. 

?) RV. 2. 4. 1565: Jan Monte von Heidelberg, so die cal- 
vinischen Bucher hie feil gehabt, soll man in die canzlei füren, 
ein sage von im aufschreiben laßen, wo er mit diesen buchern 
herkume, und wer ims erlaubt, hie feil zu haben, sein sag wider 
pringen, ine dieweil warten laBen. Auf Johann Monts ansag, soll 
man ine schweren lassen, der bucher keins weder hie noch in meiner 
herrn oberkeit zu verkaufsn, das angezeigt vaB auch unaufge- 
schlagen hinweg zu füren und sich bei sonnenschein aus der stat 
zu machen. Als er nun den eid geleistet und gepeten, ine hie zu 
laßen, bis sein ross ankume, woll er inmittels die pücher in der 
kanzlei laßen, soll man im wilfaren, doch bei geleisten aid sagen, 
sobald das faß kume, daßelb ungeoffent hinweg zu schicken. Die 
andern bucher inmittels bei der hand behalten, dem wirt zum 
schwarzen bären auch sagen, acht zu haben, wenn das faß herkum, 
dasselb nit offnen zu laßen, daneben will man Wolfen Geigenberger 
und andere, die bucher von im kauft, beschicken, diselben ver- 
pflichten, alle in die kanzlei zu geben. 

3) RV. 31. 5. 1567: auf gescheen anbringen, daß ein burger 
hie, so ein niderlender, zu Amberg offentlich in die calvinische 


31 191 


Geistliche, welche Unruhe stiften wollten, wie der zweite 
vörderste Geistliche, Jacob Lechner, entfernt!); den 
Lutheranern kam man auf die Weise entgegen, daß man 


kirchen gangen und daselbst nach irem prauch communiciert, 
sol man denselben beschicken, beeidigen, zu rede halten und sein 
sag widerpringen, daneben soll man kuntschaft machen, was fur 
fremder niderlender sich der jtzigen entbórung halb hieher getan, 
wer diselben und bei wem sie innen, ob sie auch conventicula halten 
oder nit, alles widerpringen. 4.6. 1567: auf die verlesene ansag, 
was vilfeltiger disputationes die calvinischen niderlender, so jtzo- 
hieher kumen, sie erregen, sol man sich in aller eil und mit eim 
grund erkundigen, wieviel und wer dieselben niderlender, auch bei 
wem sie innen, insonderheit wer derjenige, so sich vernemen lassen, 
christus sei ein pastart. 

RV. 23. 7. 1567: auf verlesene ansagen, was fur nider- 
lendische calvinisten sich hie enthalten und allerlei disputiren 
sollen, sol man zuforderst Egidi GroBen, den collaboratoren bei 
S. Egidien, beschicken, uf sein irrtum zu red halten, sein sag wider- 
pringen. Gabriel Schlüßelberger, Jorgen Maleprand, Niclasen de 
Nova Castel und andere, die der calvinischen Schwermerei verdacht 
und disputiren, soll man beschicken, inen meiner herrn ernstlichs 
misfallen ires irrtums und disputirens halben und dabei anzeigen, 
von solchem irrtum abzusten und sich der hieigen oder A.Confession 
gemes zu erzeigen, welcher aber in seinem gewissen ein anderes 
erkennet und hielt, das solt er sich bei sich behalten und mit nie. 
manden disputieren aucb niemand kein ergernus geben noch einiche 
conventicula halten, sonder sich eins solchen eingezogenen stillen 
wesens und wandels verhalten, das iren halben kein weitere Klage 
kume. Welcher aber wider solchs in wenigsten handeln, gegen 
den oder denselben wolt man einen solchen ernst geprauchen der 
im zu schwer fallen würde. 

1) Verlaß 23. 7. 1565: dieweil sich befind, daß Mag. Jacobus 
Lechner nicht allein, seid er von seiner predicatur abgestanden, 
gar nichts getan und diegroße besoldungso vergebenlich eingenumen, 
sonder auch allerlei uneinigkeit und disputationes zwischen den 
hieigen predicanten erweckt und sich allerlei fremden secten und 
rottierungen anhengig macht und sich mit den hiesigen predicanten 
gar nit vergleichen will, sondern was zwischen oder unter inen hie 
gehandelt wird, an fremde auswendige orte schreibt und ursach 
sucht, wie er diselben wider die hieigen predicanten wehig machen 
möchte und darzu sich nit allein mit seinem weib ganz ergerlich 
u. streflich het, sondern auch, wann er bezecht u. bei gastungen ist. 
mit schenden, schmehen und andern ungeburn dermaßen erzeigt, 
das ime als einem teologo gar keinswegs geburt, meinen herrn auch 
keinswegs zu gedulden geburen will, soll man solcher seiner un- 
geschick halben an den angezeigten orten zeugen und kundschaft 


192 32 


Michael BeBler zu seinem Nachfolger ernannte!). Doch 
unterdrückte man auch von ihrer Seite alles, was Anstoß 
eregen konnte. So wurde dem Buchführer Jorg Fischer 


horen, dieselb herwiderpringen. 25. 8. 1565: auf der verhörten 
zeugen verlesene ansag, sol man M. Jacoben Lechner sagen, er 
wißt sich zu erinnern, daß er sich beschwert, daß er schwacheit 
halben seins leibs der predicatur nicht kont furstehen, derwegen 
denn meine herrn in derselben erlassen und bisher in seiner herberg 
pleiben auch sein besoldung volliglich ime verfolgen laßen. weil 
aber meinen herrn furkeme, wie ungeschickt und rumoris:ch er 
sich bisher vilfeltig erzeigt, welches denn meine herrn zu gedulden 
nit gemeint, so wolt man ime hiemit sein besoldung aufgesagt 
haben, mocht sich an andern orten um dinst bewerben, solt auch 
sein herberg im pfarrhof raumen, dazu wolt man ime zeit bis 
Michaelis geben. 4. 9. 1565: M. Jacob Lechner sol man zur ab- 
fertigung das halbe quartalgeld, so uber 8 Tag verfallen, dergleichen 
das halbe quartalgeld der 371, fl, so auf allerheiligentag fellig wird 
auch, und einen schriftlichen abschied geben, daß er ein zeit lang 
bei S. Lor. predicant und superintendent gewesen, solches stands 
hette man ine erlaßen und entledigt, also daß er mit meiner herrn 
gut wissen abgeschieden. 8. 9. 1565: Mag. Jacoben Lechner auf 
sein suppliciren weiter vernemen, wie sein gemut des angezogenen 
gelds halben eigentlich gestellt und wie sein meinung zu verstehen 
sei und widerpringen. 10. 9. 1565: auf die getane erkundigung, 
das Mag. Jacob Lechners gemut dahin gestelt, meinen herrn 1500 fl 
zuzustellen, dieselbigen zu gebrauchen und ime jerlich dagegen 
100 fl. als ein stipendium zugeben, doch daß einem jeden teil 
frei sten solt, dasselbig zu seiner gelegenheit wiederum ab und 
aufzukunden, soll man ime sagen, das meine herrn im dergestalt 
willfaren wolten, nemlich die 1500 fl auf vier jar lang anzunemen 
und jedes hundert mit 5 procento zu verzinsen und dann ime 
dise 4 jar lang ein jedes 25 fl zu ainem stipendio reichen. da es 
ime aber nit annemlich zu vermelden, das er solch- 1500 fl ander 
ort zu seinem pesten anlegen mocht, wolt man ime dennoch die 
25 fl die 4 jar lang reichen und solche 25 fl solt man jerlichen von 
der kirchen einkomen nemen. 

*) RV. 9. 1. 1566: den beden herrn predicanten und Superin- 
tendenten zu S. Sebald und Lorenzen soll man M. Michel PeBler, 
den prediger zu unser Frau zu einem dritten Mitsuperintendenten 
zuordnen und im die 100 fl besoldung, wie den andern zwei geben. 
Ebenso bedachte man M. Heling: Ratsverlaß der H. Eltern: 
93. 11. 1566: Herrn Mauritio Heling prediger bei S. Sebald soll 
man auf sein supplicieren um ein Steuer, weil er bisher noch kein 
anlangen getan und sich gegen herrn Andreas Imhof den eltern 
soviel vernemen lassen, daß er ein unversehen zugestandenep un- 
fallshalben 100 Taler notdürftig, mit denselben 100 Talern vereren 
und im sagen, solchs in geheim zu halten. 


33 | 193 


der Verkauf der Streitschriften Mörlins gegen die Heidel- 
berger verboten!). Einmal schien es allerdings, als sollten 
alle Bemühungen des Rates umsonst sein. Durch Herzog 
Christoph von Württemberg wurde man auf zahlreiche 
Schwenkfelder, wie den Uhrmacher Paul Graßmann, 
den Schmied Linhard Nürnberger, Jörg Schechtner in 
der Breiten Gasse aufmerksam. In den mit ihnen an- 
gestellten Verhandlungen bekannte sich Heling zu mancher 
ihrer Anschauungen; so sprach auch er von einer doppelten 
Taufe; auch er leugnete den Kinderglauben. Doch kam 
es zu keinem offnen Zwist. Der Rat ließ sich lieber 
von den Sehwenkfeldern eine halbwegs  befriedigende 
Erklürung geben, als daB er die bisher mühsam behauptete 
Einigkeit hätte in Trümmer gehen lassen?). 


1) RV. 17. 5. 1567: Jorgen Fischer und allen buchfürern 
soll man verpieten, das buch intituliert wider die handlungen der 
heidelbergischen theologen durch D. Jochim Mörlin gemacht 
weiter zu verkaufen, sondern alle in die canzlei zu antworten. 

2) Verläße des Herrn Eltern 25. X. 1565. RV. 18. XI. 1563. 
6. VII. 1564. 11. XI., 22. XI., 23. XI., 1. 5. 12. 15. 18. 22. 23. 29. 
XII. 64. 11. I., 26. I., 27. II., 27. 29. ITI., 17. IV., 11. V., 14. VIL, 
21. VL, 25. VIIL, 8. X., 27. X., 27. XL, 4 5 8 XII., 65. 9. I, 
6. IL, 9. 26. IL, 23. 27. TIL, 4. 18. 25. 27. IV , 6. 8. 9. 10. 15. V., 
19. VIIL, 30. IX., 22. X., 10. XI., 12.16. XI., 9. 10. 28. XII. 1566. 
27. 29. L, 23. L, 3. 6. IL, 3. V., 7. XI. 1567. RV. 9. III. 1565: 
weil die predicanten in irem eingefallenen strit verglichen, soll 
man nunmehr das examen mit Paulusen Graßmann furgehen 
laßen. 10. 11. 1566: dieweil ein erbarer rat sorgfeltig, do man solche 
confession den beden predicanten bei S. Sebald und zu unser Frau 
furhalten, das es zu allerlei weitlàufigkeit gereicheu und sie die 
predieanten villeicht selbs darob nit allerding einig sein und allerlei 
beschwerlicher disputationen zwischen inen verursachen möchte... 
ist bei einem erbern rate verlassen, von sein des Schechtners 
eonfession weder mit ime noch den predicanten zu disputieren, 
sondern dieselb genzlich an ein ort zu stellen und dieselbe weder gut 
oder bos zu heißen, sondern bei Schechtner zu erfordern und von 
im ein lautere unconditionirte antwort mit ja oder nein anhoren, 
ob er sich gánzlich und allerdinge zu der A. C. und der hiesigen 
mein herrn kirchenordnung bekenne und sich derselben gemäß 
erzeigen und verhalten wolle oder nicht, solches alles widerpringen. 
Vgl. Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften 
zu Góttingen. Band 40. Gottingen 1915 S. 49. Zeltner, vita 
Helingi S. 51. Ratsbuch 32, 167, 270, 297, 302, 307, 309, 320, 326, 
345, 367, 370, 372f., 375, 378., 33, 3f., 39, 64, 134. 


EE ee 


Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 8/4. 18 


Der Bekenntnisstand 


der Reichsstadt Frankfurt a. M. im 
Zeitalter der Reformation. 


Lersner = 


Li 


Ritter, 
Ev. Denkmal — 


KGesch. — 


Von K. Bauer. 


Abkürzungen. 


Der Weit-berühmten Freyen Reichs-, Wahl- und 
Handels-Stadt Franckfurt am Mayn Chronica, 
Oder Ordentliche Beschreibung der Stadt Franck- 
furt Herkunfft und Auffnahmen / wie auch allerley 
denckwiirdiger Sachen und Geschichten / so bey 
der Romischen Konigen und Kayser Wahl und 
Crönungen, welche mehentheils allhier vorge- 
nommen worden / vorgegangen / nebst denen Ver- 
änderungen / die sich in Weltlich- und Geistlichen 
Sachen / nach und nach zugetragen haben. 
Anfänglich durch Gebhard Florian, an Tag ge- 
geben / Anjetzo aber Aus vielen Autoribus und 
Manuscriptis vermehret / mit nöthigen Kupffern 
gezieret / und per modum Annalium verfasset / 
und zusammen getragen. Durch Achillem Augustum 
von Lersner / Patricium  Nobilem, Civitatis 
Francofurtensis. — 1. Band 1706; 2. Band 1734. 
Joh. Balthasar Ritter, Evangelisches Denckmahl 
der Stadt Franckfurth am Mayn, Oder Ausführ- 
licher Bericht von der daselbst im XVI. Jahr- 
Hundert ergangenen Kirchen-Reformation, Mit- 
hin von dem Anfang, weitern Fortgang, und der 
Bestättigung des wieder hervorgebrachten Heiligen 
Evangelii.in besagtem Ort, aus bewährten schr'fft- 
lichen Documenten und anderen Urkunden ver- 
fertiget. — Frankfurt a. M., Johann Friedrich 
Fleischer 1726. 

Franckfurtische Religionshandlungen etc. — Vier 
Bände. 1735ff. 

Kirchen-Geschichte von denen Reformirten in 
Franckfurt am Mayn, worin derselben Ankunft, 


35 195 


Aufnahme und Zuwachs, das Gesuch einer be- 
sondern Kirche in der Stadt und die darüber er- 

hobene Streitigkeiten bis auf itzige Zeit unpar- 
: thevisch vorgetragen werden. Mit einer VORREDE 
Herrn D. Joh. Philip Fresenii, in welcher die gegen 
Seine Abwiegung der Gründe kürtzlich heraus- 
gekommene so genante ausführliche Prüfung 
gründlich beleuchtet wird. Franckfurt una Leipzig, 
Bey Heinrich Ludwig Brönnern, 1751. 


- 


F. A. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. 

F. A. N. F. = Dasselbe. Neue Folge. 

F. A.3. F. = Dasselbe. Dritte Folge. 

Act. Eccl. = Akten des Frankfurter Stadtarchivs über Religion 


und Kirehenwesen. (Tom. III: 1541— 1560. — 
Suppl. = Supplementum ad. Tom. III. Actorum 
Ecclesiasticorum de 1541—1560. Das Interim 
bet. v. J. 1548— 1549. Oglb. lit.: p.) 

Uffb. Mser. = Uffenbachsche Manuskripten- Sammlung des Frank- 
furter Stadtarchivs. (Band 15, S. 1—131: Acta 
‘varia Ecclesiastica Francofurten.) 

Act. Ref. I. = Tom. I. Actorum des Frantzößisch- und Nieder- 
ländischen Kirchen-Weßens. de 1554-1561. 
(Frankfurter Stadtarchiv.) 


Einleitung. 

In dem Gesuche, mit welchem Poullain für sich 
und 24 wallonische Familien um Aufnahme in das Frank- 
furter Bürgerrecht und um Einräumung einer eigenen 
Kirche bei dem Rate am 15. März 1554 vorstellig wurde, 
hieß es über die religiöse und kirchliche Seite der Ange- 
legenheit: ,,Dieweil aber die sonder Religion nit leben 
kunden, wiewol wir Euer Religion seynd, so kenden wir 
doch Euerer Sprach nit. Hierumb ist an E. F. W. unser 
fleisig Bitt, Sie wolten uns n dem Thal!), da sie Unß 
ufnehmeten, auch eine Kirche oder Tempel eingeben, 
darinn wir Unser Gebeth, Predigt des Evangelii und Aus- 
theilung der Heil. Sacramenten in unserer Sprach nach 
der Lehr des Apostels Pauli haben mögten, soll doch hie- 
durch keiner Pfarr, darunter ein jeder wird wohnen, 
an Pfarr-Rechten nichts benommen seyn, sondern allezeit 


1) Schreibfehler für „Fall“ (Tal = Fal). Der französische 
Wortlaut hat: au cas, que. 


13* 


196 36 


gevolgt werden; Zudem wollen wir unser Kirchen-Diener 
E. F. W. anzeigen, dieselbigen haben anzunehmen und 
zu Kirchen-Ambt zuzulassen !).“ 

Der Ratsbeschluß, der auf dieses Gesuch erging, 
lautete dahin: man solle ihnen willfahren und sie in dem 
Namen Gottes aufnehmen. Die Lage, welche damit ge- 
schaffen war, hatte indessen nicht lange Bestand. Bald 
stellten sich allerlei Mißhelligkeiten heraus, die zur Folge 
hatten, daß bereits im Jahre 1561 den Fremden die 
ihnen bis dahin eingeräumte Weißfrauenkirche gesperrt 
wurde, bis sie sich mit den Stadtpredigern in Lehre und 
Zeremonien verglichen haben würden?). 

Schon während der Erörterungen, welche zu dieser 
Maßregel führten, wurden Zweifel laut, ob die Fremden 
den Rat nicht von vornherein über ihren dogmatischen 
Standpunkt falsch berichtet hätten. Und in den Verhand- 
lungen, welche die Reformierten dann mehr als zwei 
Jahrhunderte lang mit dem Rate der Stadt führten, 
um das exereitium religionis publicum zu erlangen, kehrt 
je und je der Vorwurf wieder, Poullain habe sich die 
Erlaubnis, eigene Gottesdienste zu halten, auf hinterlistige 
Weise erschlichen, denn tatsächlich seien seine Wallonen 
nicht nur anderer Sprache, sondern auch eines anderen 
Glaubens gewesen, nämlich Zwinglianer, während in 
Frankfurt das reine Luthertum geherrscht habe. 

Es fragt sich, ob dieser Vorwurf mit Recht erhoben 
werden durfte. Es handelt sich dabei nicht nur um den 
persönlichen Charakter Poullains. Es handelt sich vor 
allem auch um die richtige Erkenntnis von den Anfängen 
und der dogmatischen Ausprägung der Reformation in 
Frankfurt. 

Was Poullain betrifft, so hat er sich von jeher eine 
recht ungünstige Beurteilung gefallen lassen müssen. 


1) F.R. I, 17. Im französischen Wortlaut mitgeteilt von 
F. C. Schröder in Troisiéme Jubilé séculaire de la fondation de 
l'église réformée francaise de Francfort s. M. 1854, p. 6—8. 
2) Vgl. dazu meine demnächst erscheinende Schrift: Die 
Einstellung des reformierten Gottesdienstes in der Reichsstadt 
Frankfurt a. M. im Jahre 1561. 


37 197 


Daß zwar bei seinen lutherischen Gegnern sein Bild so 
unvorteilhaft herausgekommen ist, dürfen wir wohl zu 
einem guten Teil auf Rechnung der damals üblichen Art 
der Polemik setzen. Aber auch ein so maßvoller Beurteiler 
wie Steitz!) hat noch gemeint: „Die Art, wie er sich 
hier die Pforte eröffnete, die Geschicklichkeit und Glätte, 
womit er sich bei den Verhandlungen zu wenden wußte, 
muß auch auf Unbefangene einen peinlichen Eindruck 
machen,. und wir begreifen vollkommen das Mißtrauen, 
das die Prädikanten gegen ihn empfanden, wenn wir auch 
zugeben müssen, daß bei der Härte und Unduldsamkeit, 
welche die Reformierten von den Lutheranern erfuhren, 
nur Schleichwege einen Erfolg in Aussicht stellten.“ 
Indessen dieses Urteil, daß er Schleichwege gewählt habe, 
stützt sich doch lediglich auf das Zeugnis seiner Gegner, 
und Gegner pflegen selten unbefangene Zeugen zu sein. 

Es ist nun zunächst in sich selbst wenig wahrschein- 
lich, daß die Wallonen, die um ihres Glaubens willen 
England verlassen und sich auf Betreiben des Ratsherrn 
Claus Bromm, mit dem sie in Köln zusammengetroffen 
waren, nach Frankfurt gewendet hatten, nun ausgerechnet 
in Frankfurt ihre innersten Überzeugungen verheimlicht 
haben sollten, wo ihnen doch gerade in der nächsten 
Nachbarschaft der Stadt bei dem Landgrafen Philipp 
von Hessen die Aufnahme sicher gewesen wire. 
Wenn sie den Frankfurtern versicherten: „Wir sind 
Kuerer Religion“, so hätte die Glaubenstreue, welche sie 
bisher bewiesen hatten, sie zur Genüge vor dem Verdachte 
schützen können, als versuchten sie, in Frankfurt auf 
Schleichwegen zu erlangen, was ihnen anderswo verweigert 
worden war. Sie müssen dann doch wohl selber der 
Meinung gewesen sein, daß zwischen ihnen und den 
Frankfurtern in der Tat kein Unterschied im Glauben 
bestehe. Demgemäß hat denn auch bereits Neudecker?) 


1) Steitz, Der lutherische Prädicant Hartmann Beyer. Ein 
Zeitbild aus Frankfurts Kirchengeschichte im Jahrhundert der 
Reformation. Frankfurt a. M. 1852. $S. 193. 

*) Neudecker, Geschichte des Evang. Protestantismus in 
Deutschland. I, 392. 


ae 


198 38 


geurteilt: „In Wahrheit konnte Pollanus dem Frankfurter 
Magistrate erklären: Wir sind eures Glaubens!“ 

Stimmt man dem einmal zu, so bleibt aber immer 
noch die Frage offen, wie diese Erklärung eigentlich 
gemeint war. Dechent!) hat sie in einem ganz allge- 
meinen Sinne verstehen wollen: ‚Es liegt auf der Hand, 
daß eine solche Versicherung recht wohl gegeben werden 
konnte, um den Gegensatz gegen die römische Konfession 
auszudrücken, ohne damit Übereinstimmung in allen 
Einzelheiten der Lehre und Verfassung zu behaupten.“ 
Das ist aber eine Zurückdatierung moderner Gedanken 
in eine Zeit, die diese Gedanken noch gar nicht kannte. 
Die Idee eines Gesamtprotestantismus, dessen einigendes 
Band nur der gemeinsame Gegensatz gegen Rom sein 
sollte, war jenem Geschlechte noch völlig fremd. Auch 
die Schweizer und die Täufer und religiöse Spiritualisten 
und Individualisten wie Sebastian Frank standen im 
Gegensatze zu der katholischen Kirche. Aber wo man sich, 
wie in Frankfurt, zu der Augsburger Konfession bekannte, 
fragte man nicht nur nach der negativen Seite, sondern 
auch nach dem positiven Inhalte des Bekenntnisses. 
Schon seit Jahrzehnten hatte man im evangelischen 
Deutschland die Grenzen deutlich abgesteckt gegen die 
Schwärmer und Rotten. Und seitdem Westphal mit 
seinem Alarmruf das Signal zu dem zweiten Abendmahls- 
streite gegeben hatte, genügte es vollends nicht mehr 
zum Ausweis über die eigene Rechtgläubigkeit, wenn 
man sich nur auf die Verwerfung der papistischen Irr- 
tümer berufen wollte. Wenn jene Wallonen eben damals 
die Erklärung abgaben: „Wir sind Euerer Religion“, 
so müssen sie davon überzeugt gewesen sein, daß ihr 
eigener Bekenntnisstand mit demjenigen der Frankfurter 
sich wirklich decke. 

Hiernach ist die Frage die: Gab es Tatsachen, die 
ihnen zu dieser Meinung ein Recht gaben? Dann müßte, 
als sie ihre Blicke nach Frankfurt richteten, der offizielle 
Bekenntnisstand dieser Reichsstadt noch nicht im Sinne 


1) Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der 
Reformation. I, 204. 


39 199 


der Beyer und Ritter der des Gnesioluthertums gewesen 
sein, und Luthertum und reformiertes Wesen könnten 
sich hier noch nicht als die abgeschlossenen, festumrissenen 
Größen gegenübergestanden haben, als die sie nach den 
Schilderungen der lutherischen Prädikanten erscheinen. 

Wie es sich hiermit in Wirklichkeit verhalten hat, 
soll im folgenden aufgehellt werden. Wir stellen zunächst 
fest, welches der rechtliche Bekenntnisstand Frankfurts 
bei der Ankunft der Fremden war; dabei wird es nötig 
sein, dem Gang der Frankfurter Reformationsgeschichte 
von ihren Anfängen an zu folgen. Sodann suchen wir 
den, dogmatischen Standpunkt der Fremdengemeinden 
kennen zu lernen. Und schließlich haben wir zu unter- 
suchen, wie sich der Gegensatz zwischen ihnen und den 
Prädikanten der Stadt herausgebildet bat. 


Erster Teil. 


Die Entwicklung des Frankfurter Bekenntnisstandes 
bis zu dem Verbot des katholischen Gottesdienstes. 


Während man auf lutherischer Seite in katholisieren- 
der Weise das Endergebnis einer längeren Entwicklung 
in die Anfangszeit zurückdatierte und die These verfocht, 
Frankfurt sei vom Anbeginn der Reformation an eine 
genuin und exklusiv lutherische Stadt gewesen, hat man 
bei den Reformierten noch lange Erinnerungen daran 
bewahrt, daß es Symptome gegeben hatte, die eher für 
den Schweizer als den Wittenberger Typus der Frank- 
furter Reformation sprachen!) So folgerte man aus der 
Tatsache, daß Wilhelm Nesen in seiner Frankfurter Zeit 
(1521) mit Zwingli korrespondierte, Francofurtum nobi- 
lissimum ad Moenum emporium Zwinglii aluisse fautores. 
Oder man erinnerte daran, die beiden ersten evangelischen 
Prediger der Stadt hätten in ihrer Verteidigungsschrift 
1526 erklärt, sie seien keine Lutheraner. Aus der Wendung, 
deren sich Heinrich Bullinger bediente, als er 1533 seine 
Auslegung der Apostelgeschichte dem Rate zu Frankfurt 


1) Vgl. hierfür F. R. I, 48. 


200 | 40 


widmete: Habetis ministros claros et in doctrina Evangelii 
laudatos, las man heraus, die damaligen Frankfurter 
Prediger müßten mit Bullinger und den Reformierten 
einig gewesen sein. Auf dieselbe Spur sah man sich durch 
den Brief gewiesen, mit welchem in dem gleichen Jahre 
Luther die Frankfurter vor der falschen Lehre Zwinglis 
warnte. Auch darauf machte man aufmerksam, daß 
der Vertreter Frankfurts die Wittenberger Konkordie auf 
Butzers, nicht auf Luthers Seite unterschrieben habe. — 
Und den Frankfurter Katechismus von 1541 und die 
Frankfurter Konkordie von 1542 fand man, wenn man 
sie in ihrem natürlichen Sinne (sensu sano) nehme, in 
Übereinstimmung mit den reformierten Prinzipien. Noch 
in der Mitte des 18. Jahrhunderts haben es sich die Frank- 
furter Lutheraner redlich Mühe kosten lassen darzutun, 
daß diese Symptome nichts bewiesen. 

Nachdem die Frage dann aufgehört hatte, eine 
konfessionelle Streitfrage von unmittelbar praktischer 
Bedeutung zu sein, und statt dessen einfach in das Licht 
streng historischer Forschung gerückt war, ist gerade 
von einem lutherischen Forscher!) festgestellt worden: 
„Eine unbefangene Einsicht der Quellen bestätigt im 
Gegenteil eine vorwiegende Hinneigung zu dem Lebrtropus 
der Schweizer.‘ 

Es wird unsere Aufgabe sein, die Frankfurter Re- 
formation Schritt für Schritt auf ihren dogmengeschicht- 
lichen Charakter zu prüfen. 


1. Die ersten reformatorischen Tendenzen. 


Beim Beginn der Reformation begegnen uns auch 
in Frankfurt einige Männer, deren Namen im Zusammen- 
hang mit der großen Bewegung der Zeit weit über den 
Bannkreis ihrer Stadt hinaus bekannt geworden sind. 
Einige von ihnen teilen die Bestrebungen des Humanis- 
mus. Andere gehören dem Klerus an. Soweit sie von einer 
Reformation der Kirche reden, liegen ihre Interessen 
ganz nach der nationalen und ethischen Seite. Sie erhoffen 


1) Steitz a. a. O. S5. 17. 


Al 201 


die Reform, von deren Notwendigkeit sie durchaus über- 
zeugt sind, im Rahmen der katholischen Kirche. Der 
Gedanke an eine neue Kirchenbildung liegt ihnen gänzlich 
fern. Vollends von irgendwelchen neuen Festsetzungen 
über die Glaubenslehre ist bei ihnen keine Eede. 

‘Von den Geistlichen der Stadt ist hier zunächst 
Thomas Murner zu nennen, der im Advent 1511 in Frank- 
furt predigte. Nachmals ein entschiedener Gegner Luthers, 
hat er auf der Kanzel der Barfüßerkirche die Torheiten 
und die Sittenverderbnis seiner Zeit gegeißelt. In den 
Briefen der Dunkelmänner erscheint er darum als einer 
der Führer im Kampf gegen den Klerus, zumal den 
Dominikanerorden. 

Nach ihm hat Johannes Cochlàus!) zehn Jahre lang 
dem Frankfurter Liebfrauenstifte als Dechant angehört. 
Als er am Neujahrstag 1520 sein Amt antrat, war er der 
Gesinnungsgenosse Huttens, mit dem er im Briefwechsel 
stand. „Der Mann", so rühmte er ganz begeistert, ,,ver- 
tritt mit bewunderungswürdigem Freimute Deutschlands 
Ruhm und entbrennt in heftigem Hasse gegen den rö- 
mischen Bischof.“ Ein halbes Jahr später bekannte 
er sich als unbedingten Parteigänger Luthers, von dem 
er freilich damals in der Stadt nur äußerst selten etwas 
hörte. Als er am 12. Juni 1520 Willibald Pirckheimer 
von einer Disputation mit den Dominikanern schrieb, 
unterließ er nicht, ausdrücklich zu bemerken: ,,Luthe- 
risches wurde nichts aufgestellt. Ich würde es sicher 
nicht versäumt haben, für ihn einzutreten, wenn mir 
ein Anlaß geboten worden wäre.“ Ebenso, wie er hier 
für Luther eintreten wollte, suchte er die Freundschaft 
von Woligang Capito, der bald nach ihm seine Predigt- 
tätigkeit im Dom zu Mainz begonnen hatte. Von den 


1) Vgl. außer der Biographie von Spahn die vier von ihm aus 
Frankfurt an Pirckheimer geschriebenen Briefe vom 26. Januar, 
8. Februar, 5. April und 12. Juni 1520 bei Joh. Heumann, Documenta 
litteraria varii argumenti (1758), auf Grund deren Steitz, Refor- 
matorische Persönlichkeiten, Einflüsse und Vorgänge in der Reichs- 
stadt Frankfurt a. M. von 1519 bis 1522 (F. A. N. F. IV, 90ff.) 
diese Zeit des Cochläus gekennzeichnet hat. 


202 42 


Umständen, unter denen er bald darauf seine kirchliche 
Haltung änderte, wird noch die Rede sein (Vgl. S. 49). 

Aus den Kreisen der Patrizier ist hier vor allem 
Arnold Glauburger, der Schwiegersohn Hamans von 
Holzhausen, von 1516 —1521 Syndikus seiner Vaterstadt, 
für uns von Interesse!) Er ist der Ernold in Huttens 
Vadiscus, dessen Schauplatz Frankfurt ist, und die AuBe- 
rungen, welche der Dialog diesem in den Mund legt, 
entsprechen ganz seiner Denkweise. Sie kommen im 
wesentlichen darauf hinaus, daß er Rom und rómisches 
Wesen ebenso inbrünstig haßt, wie der ihm befreundete 
Ritter, und daß sein Lieblingsgedanke die Unabhängigkeit 
der Deutschen von den Welschen ist. In seinem Familien- 
kreise stand er mit seinen Anschauungen nicht allein. So 
wie man heutzutage in klerikal gesinnten Kreisen gegen 
' die Vertreter des Liberalismus, die sich auch der Kirche 
gegenüber das Recht der Kritik vorbehalten, mit dem 
Vorwurfe der Kirchenfeindschaft ziemlich freigiebig zu 
sein pflegt, so hatte man bereits Arnolds Oheim, den 
1499 verstorbenen Schöffen Henne von Glauburg, als 
osor cleri bezeichnet, und mit dem gleichen Prädikat 
war auch der jüngere Bruder Hamans von Holzhausen, 
der 1514 verstorbene Gilbrecht zum Goldstein, belegt 
worden. 

Luthers Auftreten wurde in der Stadt mit dem 
größten Beifall begrüßt. Auf der Messe verkaufte im 
Jahre 1520 ein einziger Buchhandler nicht weniger als 
1400 Exemplare seiner Schriften, und Spalatin konnte 
im September desselben Jahres von Frankfurt aus an. 
Mutianus berichten: Nihil frequentius emitur, nihil cupi- 
dius legitur?) Als am Sonntag Misericordias Domini 
(14. April) 1521 der Wittenberger Reformator auf der 
Reise nach Worms selber die Stadt berührte?), strómte 


1) Über ihn unterrichtet Steitz, Ref. Persónlichkeiten usw. 
S. 59ff. 

?) Kampschulte, Die Universitat Erfurt in ihrem Verbält- 
nisse zu dem Humanismus und der Reformation. II, 80f. 

3) Steitz, Die Melanchthons- und  Luthersherbergen zu 
Frankfurt a. M. Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und 
Altertumskunde zu Frankfurt a. M. 1861. S. 14ff. 


43 203 


alles zusammen, um ihn zu sehen. Quacunque iter facie- 
baat, frequens erat concursus hominum videndi Lutheri 
studio, bezeugt uns Cochläus. Katharina Holzhausen 
aber, die verwitwete Schwägerin Hamans, suchte ihn 
in seiner Herberge zum Straußen auf, küßte ihm die Hände, 
brachte ihm einen Krug edlen Malvasier und sprach ihm 
die Hoffnung aus, er sei der von ihren Ahnen geweissagte 
Mann, der den Immunitäten des Papstes widersprechen 
werde. Auch als er 14 Tage später auf seiner Rückreise 
in der alten Herberge über Nacht blieb, ist nach dem Be- 
richt des Kanonikus Wolfgang Königstein vom Lieb- 
frauenstift ‚‚doselbst im vil von etlichen syner gunner 
er gescheen". Einen Bruch mit der Kirche bedeuteten 
diese Huldigungen nun freilich nicht im geringsten. 
Man stand erst am Anfang einer Bewegung, deren Ende 
noch niemand absehen konnte. Katharina Holzhausen 
fand sich durch ihre Begeisterung für Luther nicht be- 
hindert, zwei Jahre später in ihrem Testamente Jahrtage 
und Seelenmessen im Dom und in der Klosterkirche zu 
St. Katharinen zu stiften. 

In welchem Sinne man sich in dieser ersten Zeit 
zu Luther bekannte, hat niemand so deutlich ausgesprochen 
wie der greise Dechant des Leonhardsstiftes, Johannes 
ab Jndagine!), der am 1. Juli 1522 von seiner Pfarrei 
Steinheim?) aus an den Schützling Huttens, Otto Brun- 
fels, schrieb: ‚Ich sei Lutheraner, werfen sie mir vor 
und verteidigen damit ihre Hartnäckigkeit. Denn ihnen 
heißt Lutheraner, wer ihre Laster angreift, wer Christi 
Amt verwaltet, und wie zu großer Schmach wird ihm 
dieser Name gerechnet! Was den Namen selbst betrifft, 
obgleich ich mit Paulus ihn nicht anerkenne, so schäme 
ich mich seiner doch nicht allzusehr, wenn Lutheraner 
sein heißt: der Wahrheit und der Gerechtigkeit nach- 
streben. Was jedoch die Lehre betrifft, wie kann man 
mich um ihretwillen anklagen, da ich mich zu ihr nicht 
bekenne, und wenn ich mich zu ihr bekenne, so bekenne 

1) Vgl. Steitz, Reformatorische Persönlichkeiten usw. S. 138ff, 


2) Oder Steinau an der Straßen (bei Steckelberg). Vgl. 
F. A. N. F. VI, 124 Anm. 1. 


204 44. 


ich mich zu ihr als zu Christi Lehre, denn wenn sie mit 
dieser nicht stimmt, so erkenne ich sie unter Allen am 
wenigstens an. Aber ob sie mit dieser stimmt oder nicht, 
danach habe ich, mein’ ich, nichts zu fragen. Auch ist 
sie, wenn ich. sie verdamme, darum nicht verworfen, 
wenn ich sie gut heiße, darum noch nicht angenommen. 
Mich nimmt es Wunder, daß sie mir nicht einen anderen, 
gehässigeren Namen gegeben haben. Denn diesen sehen 
wir hochgeachtet vom Volke, von allen Gelehrten, von 
allen Fürsten, kein anderer hat bessern Klang und wird 
ehrenvoller erwähnt; je übler bei jenen Luther berüchtigt 
ist, desto mehr wird er fast von allen Christen gerühmt. 
Auch ich habe für mein Teil Luther gelesen. Er lehrt nicht 
schlecht leben, noch lehrt er übeltun. Aber geben wir auch 
zu, daß er bei diesen ein Ketzer ist, was geht das mich 
an, der ich hier (in Steinheim) mein Amt hatte, ehe Luther 
je schrieb ?*' 

Der Dekan, der bei der Niederschrift dieser Worte 
bereits auf eine 52jährige Amtstätigkeit zurückblickte, 
ist uns ein unverdächtiger Zeuge dafür, daß auch die 
Frankfurter kirchlichen -Zustände von der allgemeinen 
Reformbedürftigkeit keine Ausnahme machten. Er 
schreibt an Brunfels von der Frechheit der Priester, 
die ihm Scham und Verdruß erwecke, und bekennt: ,,Nicht 
ganz ohne Grund wütet gegen uns das Volk. Unsere 
Schuld ist es, wenn wir so leben, daß unsere Schand- 
taten die der Schlemmer und Wiüstlinge (ganeorum et 
lurconum) hinter sich lassen. Wer haßt uns nicht mit 
Recht? Wie hätte ich aber wissen sollen, daß dieses 
Übel unter denen herrsche, welche sich den Ehrennamen 
Kanoniker anmaßen, d. h. von Leuten, die nach der 
Regel leben? Wer hätte glauben sollen, daß mit einem 
so hohen Namen eine so plumpe und faule Nachlässigkeit, 
eine so raffinierte Leidenschaft, ein in jeder Beziehung 
so verbrecherischer Wandel verknüpft sei, Dinge, die 
nicht Priestern, sondern Taugenichtsen ziemen? Du 
weißt, ich sollte Dekan sein, aber ich werde geringer ge- 
achtet als ein ägyptischer Esel. Das bringen diese Zeiten 
mit sich. Alle wollen herrschen, niemand will untergeben 


45 205 


sein . . . Wer möchte daher heutzutage nicht lieber 
Schweinehirte als Dekan sein?" Der Vergleich zwischen 
seinen Frankfurter Kanonikern und seinen Steinheimer 
Bauern fällt durchaus zuungunsten der ersteren aus. 
„Wenn ich,“ so muß er bekennen, ,,mich auf meine Pfarrei 
begebe, — ich berichte es mit tiefer Trauer — so finde 
ich manche von schlechtem Rufe: Geizige, Neidische, 
Unwissende, Ehebrecher, Trunkenbolde. Ich kehre zu 
meinem Stifte zurück: hier finde ich nicht solche, die 
diesen gleichen, sondern sie an Bosheit übertreffen.” 
Seinen Trost sucht er in der Wissenschaft, und zwar 
in der Astrologie. In den Sternen liest er jetzt, daß die 
nächsten vier Jahre schwere Gefahr und viele Unglücks- 
fälle bringen sollen, so wie er dem Mainzer Generalvikar 
Dieterich Zobel bereits früher aus den Gestirnen ‚einen 
neuen Zustand der Kirche, ferner Kriege, Aufstände, 
die Bewegung vieler Völker, eines Reiches gegen das andere, 
Seuchen und großes Sterben“ geweissagt hat. Aber er 
glaubt auch versichern zu dürfen: ‚Wie sehr auch die 
Großen sich dawider stemmen, es wird kommen, daß 
jenes Gepränge der Priester und Mönche sich mindere. 
Einmal muß die Krone des Stolzes abgelegt werden.“ 
Ähnliche Zustände, wie sie ihm zu St. Leonhardi zu schaffen 
machten, lernte Cochläus bei seinem Aufzuge in Frank- 
furt am Liebfrauenstifte kennen. Dem Scholaster dieses 
Stiftes, Stephan Fischer, war der Dekan des Dompakitels, 
Friedrigh von Martorff, aufsäßig, und die Vikare der 
Liebfrauenkirche, die gegen das ganze Kapitel Opposition 
machten und sich auch untereinander nicht vertrugen, 
lagen gleichfalls mit ihm im Streit. 

Aber so sehr das alles zu einer Reform drängte, 
so wenig empfand man irgendwelche dogmatischen Be- 
 Schwerden. An irgendwelche Neuregelung des kirchlichen 
Bekenntnisses dachte kein Mensch. 


2. Humanisten und Ritter. 


Auch die Kreise der Stadt, bei welchen die Reforma- 
tion zuerst eingesetzt hat, nahmen zunächst an ganz 
anderen Dingen Interesse als an einer neuen bekenntnis- 


206 46 


mäßigen Ausprägung der kirchlichen Lehre: Es waren 
die humanistischen Kreise, deren Tendenzen auch in 
Frankfurt national und antihierarchisch, aber nicht 
religiös und dogmatisch bestimmt waren. Zu ihnen 
zählten Huttens Freunde in der Stadt: Philipp Fürsten- 
berger, die beiden Glauburger, Haman von Holzhausen 
und sein Bruder Gilbrecht zum Goldstein. 

Dem Einflusse solcher Männer war es zuzuschreiben, 
daß der Rat im Dezember 1519 die Anstellung eines. 
tüchtigen Lehrers für die humanistischen Studien be- 
schloß. Große Hoffnungen auf dieses Amt machte sich 
Johannes Cochläus, der, humanistisch gebildet, im Januar 
1520 als Dekan des Liebfrauenstiftes in Frankfurt auf- 
zog und sich in seinem Kapitel von Anfang an recht 
unbehanglich fühlte. Er verfehlte denn auch nicht, 
Fürstenberger auf seine Qualifikation für diesen Posten 
aufmerksam zu machen!). Und wenn es den Frankfurtern 
auf einen Anhänger Luthers ankam, so schien er der ge- 
eignete Mann zu sein, denn in dem Nürnberger Kreis, 
der sich um Pirckheimer sammelte, war er in enge Fühlung 
mit den Wittenberger Gedanken gekommen, und noch 
im Juni 1520 bekannte er, daß er bei einer Disputation 
der Frankfurter Dominikaner unfehlbar für Luther Partei 
ergriffen hätte, wenn über dessen Sache eine These auf- 
gestellt worden wäre?). Aber der kleine, unruhige Mann 
verstand nicht genug Griechisch. Vielleicht hatten die 
Stadtväter auch kein rechtes Vertrauen zu seinem Cha- 
rakter. Jedenfalls mußte er hinter einem viel jüngeren 
Gelehrten zurückstehen, der als Kenner des Griechischen 
und als früherer Erzieher der beiden jungen Stallburger 
den Frankfurtern bestens empfohlen war, dem Nassauer 
Wilhelm Nesen. 

Nesens kirchliche Stellung ist schon recht verschieden 
beurteilt worden. Man hat ihn ebenso sehr als Zeugen 
für den lutherischen wie für den reformierten Charakter 


1) Spahn, Johannes Cochläus. $. 59. 


?) Brief an Pirckheimer vom 12. Juni 1520. Vgl. Wedewer, 
Johannes Dietenberger. S. 46. 


i 
uH LT —À —— 


47 207 


der Frankfurter Reformation in ihren Anfangsjahren in 
Anspruch genommen. In Wirklichkeit fallt sein Leben 
in eine Zeit, die den innerprotestantischen Gegensatz 
zwischen den Schweizern und den Wittenbergern noch 
gar nicht kannte, er hatte also auch keinerlei Gelegenheit, 
für oder gegen Luther oder Zwingli Partei zu ergreifen. 
Beziehungen hatte er zu beiden. Seinen Ausgangspunkt 
hat er von Erasmus genommen, dessen Schüler er 1514 
in Basel war. Er ist Humanist, kennt aber auch religiös- 
kirchliche Interessen, erscheint also als Vertreter der 
Denkart, die uns am ausgeprägtesten in dem um vier 
Jahre jüngeren Melanchthon entgegentritt. Er ist mit 
Zwingli befreundet, dem er durch den Basler Humanisten- 
kreis nahe gekommen ist, und er verehrt Luther, dessen 
Schriften er in seiner Frankfurter Zeit übersetzt, und 
zu dem er dann bald von Frankfurt nach Wittenberg 
übersiedelt. Er beherbergt Ökolampad in seiner Schule im 
Hause zum Goldstein, der aber auch Luther auf seiner 
Wormser Reise einen Besuch abstattet, und er steht 
in freundschaftlichen Beziehungen zu Melanchthon. Für 
ihn ist noch alles in schönster Harmonie, Luther und 
Zwingli, die alten Klassiker und die Männer der Bibel, 
Kirche und Bildung, Reformation und Humanismus. 
Diesen auf Einklang und Eintracht gerichteten Sinn hat 
er in der kurzen Zeit seiner Frankfurter Wirksamkeit 
dem Geschlechte eingeprägt, das zu seinen Füßen heran- 
wuchs. Ihn hat er auch den Männern eingepflanzt, die 
es nicht verschmähten, noch auf der Höhe ihres Lebens 
sich in seiner Schule weiterzubilden. 

In den Jahren, in welchen er die neue Gelehrtenschule 
leitete, beobachten wir in den humanistischen Kreisen 
der Stadt eine Vertiefung des Interesses an den Fragen 
der kirchlichen Reform. Ursprünglich hatte den Frank- 
furter Patriziern ein eigentliches religiöses Interesse an 
der Frage der Zeit gefehlt. Ihre kirchliche Haltung war 
zunächst die Indifferenz der feingebildeten Humanisten 
gewesen, denen für die eigene Person religiöse Bedürfnisse 
im Grunde fremd waren. Das änderte sich jetzt allmählich. 
Luther wurde nun auch für diese Kreise zum Heros, 


208 | 48 


der in der kirchlichen Frage das rechte Wort für das 
ganze Zeitalter gefunden hatte. Aber wenn man auch 
anfing, auf die neuen Töne zu achten, die er in seinen 
Schriften anschlug, so fehlte doch viel, daß man in ihm 
den Kirchenvater erkannt hätte, als den ihn ein späteres 
Geschlecht ansah. Der Luther, dem man zujauchzte, 
und auf den aller Augen erwartungsvoll gerichtet waren, 
war der Mann, der den christlichen Adel deutscher Nation 
zu des christlichen Standes Besserung aufgerufen, der 
den Gebildeten das Auge für die babylonische Gefangen- 
schaft der Kirche geöffnet, und der mit der Verbrennung 
der Bannbulle und der. päpstlichen Rechtsbücher allen 
das Herz abgewonnen hatte. Im übrigen war man 
lutherisch mit Vorbehalt, etwa in demselben Sinne wie 
Johannes ab Jndagine. Ein Lutheraner sein hieß soviel 
als: Der Wahrheit und Gerechtigkeit folgen und die 
Laster strafen. Und die Summe dessen, was Luther 
schrieb, faßte man mit dem gelehrten Dechanten von 
St. Leonhardi dahin zusammen: Er lehrt nicht laster- 
haft leben, er lehrt auch nicht unrecht tun. Eine lutherische 
Glaubenslehre aber, zumal in ihrer Ausprägung gegen - 
die Reformierten lag noch ganz außer allem Gesichtskreis. 

Es wäre jedoch ein Irrtum zu. meinen, die Entschei- 
dung sei auch nur in diesem begrenzten Sinne damals 
auf der ganzen Linie für Luther erfolgt. Es hatte nur 
eine Scheidung der Geister stattgefunden zwischen Huma- 
nisten und Barbaren, zwischen Lutheranern und Roma- 
nisten, und die Anhänger des Alten waren nicht bloß 
unter den Kanonikern des Leonhardstiftes noch immer 
recht zahlreich. Zu ihnen gehörte z. B. der Pfarrer Michael 
Groß an St. Peter, der schlecht und recht im alten Gleise 
ging. Viel bedeutender als er war der Prior des Domini- 
kanerklosters Johannes Dietenberger!), der im Sinne der 
alten Schuleeinetüchtige Bildungbesaß. Anihn, den Ordens- 
bruder Hoogstraatens und Tetzels, schloß sich jetzt auch der 
ehemalige Bewunderer Reuchlins und Luthers, Cochläus 
eng an. Dieser hatte inzwischen, seitdem ihm die Leitung 

1) Vgl. über ihn Wedewer, Johannes Dietenberger. Frei- 
burg i. B. 1888. 


49 209 


der Lateinschule entgangen war, sein katholisches Herz 
entdeckt und zerschnitt nun das Band, welches bis dahin 
in seiner Brust die humanistischen Ideale mit der Sym- 
pathie fir Luther verkniipft hatte. Da der ehrgeizige 
Mann die wissenschaftliche Tiichtigkeit seines siegreichen 
Rivalen nicht anfechten konnte, so bekämpfte er jetzt 
die Schule Nesens als eine Ketzerschule!), und gar zu 
gern hätte er in Worms eine Disputation mit Luther 
herbeigeführt, um vor aller Öffentlichkeit seine Fahig- 
keiten ins rechte Licht zu setzen. Vor allem aber stand 
auf dieser Seite der Stadtpfarrer am Bartholomäusstifte 
Peter Meyer, der uns als einer der magistri nostri aus den 
Briefen obskurer Männer bekannt ist?). Er erscheint 
hier als ein selbstbewußter Mann, der über Grammatik 
und Poeterei abspricht und gelehrter sein will als Reuchlin, 
denn Reuchlin kennt sich in den Subtilitäten des Lom- 
barden nicht aus, er selber aber vertritt die Erfahrungs- 
theologie und hat den heiligen Geist. In seiner Polemik 
freilich merkte man ihm von dem Heiligen Geiste nicht 
viel an. Da war er ein derber Polterer von heftiger Ge- 
mütsart, der auch auf der Kanzel nicht eben wählerisch 
in seinen Worten war. 

Der Erfolg war zunächst bei den Anhängern des 
Neuen. Cochläus blieb die Erlaubnis zur Verbreitung 
seiner Kontroversschriften versagt, und als Meyer die 
Frankfurter Ketzer schalt, weil sie die Fastengebote 
übertraten, verbat sich der Rat das ganz energisch, weil 


1) Die Perspektiven, die uns Spahn, Joh. Cochläus S. 61 auf 
ein Fiasko der Reformation in Frankfurt eróffnet, falls nicht 
Nesen, sondern Cochlàus die Leitung der Schule erhielt, wider- 
legen sich von selbst angesichts der lutherischen Haltung, die 
Cochläus damals noch einnahm. Der Wendepunkt in seiner Stellung 
zuder Reformation fällt mit der Berufung Nesens zeitlich zusammen. 
Im lutherischen Lager hat man denn auch seitdem eine schlechte 
Meinung von seinem Charakter gehabt. Kolde (Wie wurde Coch- 
läus zum Gegner Luthers? Kirchengeschichtl. Studien. Hermann 
Reuter zum 70. Geburtstag gewidmet. S. 197ff.) hat den hier 
vorliegenden Zusammenhang nicht gesehen. | 

*) Spahn, S. 102 nennt ihn „humanistisch gebildet“, gibt 
aber keinen Beleg dafür. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 3/4. 14 . 


210 50 


die Stadt nach auBen nicht in den Ruf der Ketzerei 
kommen sollte. Dagegen geschah es mit Vorwissen des 
Rates, daß die Frankfurter in der Fastenzeit 1522 die 
ersten evangelischen Predigten zu hören bekamen. Die 
Anregung dazu ging von Nesens Gönnern Haman und 
Blasius von Holzhausen aus, die als Patrone des Katha- 
rinenklosters für dessen Kirche als Fastenprediger in 
der Person Hartmann Ibachs einen Mann beriefen, den 
der Kanonikus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstift 
in seinem Tagebuch einen ‚‚discipel Martini Luthers“ 
und einen ,,vorlaufen lutterßen monnich‘“ nennt!), und 
bei dem sich später ein starker Einschlag Zwinglischer 
Gedanken nachweisen läßt?). Bei seinem Auftreten in 
Frankfurt lagen ihm sehr praktische Fragen am Herzen. 
Das erstemal, am Sonntag Invocavit (9. März) pries er 
den Nonnen des Katharinenklosters die Ehe als einen Segen 
für Geistliche wie für Laien. Zwei Tage später predigte er 
gegen die Abgaben und riet, man solle keinen Zins geben, 
sondern lieber arme Leute damit versorgen. Wieder nach 
zwei Tagen nahm er sich die Heiligen aufs Korn und setzte 
dem Volke auseinander, Maria und die übrigen Heiligen 
seien nicht so hoch zu loben; sie zu verehren, sei auch 
gar nicht in ihrem Sinne. Dann ging er zu den Bruder- 
schaften und ähnlichen Dingen über. Er hätte wohl 
noch öfter in dieser Weise gepredigt, aber die lebhaften 
Auseinandersetzungen, die auf dem Heimwege unter den 
Kirchgängern stattfanden — Königstein redet geradezu 
von einem Aufruhr —, sowie die Einsprache, die Cochläus 
und Meyer als Hörer der Predigten in Mainz veranlaßten, 
ließen es dem Rate angezeigt erscheinen, dem Prediger 
die Kanzel zu verbieten. 

Wenn er dabei glaubte, so allen Weiterungen vorzu- 
beugen, so erfuhr er freilich bald, daß gerade dieses Verbot 
B 1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am 
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Ereig- 
nisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 1548. 
S. 31 und 33. 

2) Ritter, Ev. Denkmal S. 55f. — Vgl. über Ibach auch 
Dechent S. 84ff., wo auch die neuere Literatur über ihn verzeich- 
net ist. 


51 211 
die Sache in ein neues Stadium brachte. Jetzt be- 
| mächtigte sich ihrer der „christliche Adel deutscher 
Nation“. Einer der benachbarten Taunusritter, Hartmut 
von Cronberg, ‚der fromme und christliche Bischof des 
ganzen Rheinstroms“, richtete, als Ibach an Reminiscere 
nicht mehr predigen durfte, scgleich andern Tags einen 
Briefan den Rat und ließ das Schreiben, als die Veröffent- 
lichung am Römer nicht zugelassen wurde, in dessen 
nächster Nähe am Fahrtor anschlagen!) Der Eindruck 
seiner Schrift, die vor den falschen Propheten und Wölfen 
warnte, war sehr groß. Der Rat hielt es für nötig, den 
Zünften besondere Weisung zugehen zu lassen, wie sie 
sich verhalten sollten. Er konnte damit aber nicht ver- 
hindern, daß die Geistlichen allerlei Unfug und Spott 
über sich ergehen lassen mußten. Bald zeigte es sich, 
daß man es nicht mit dem Cronberger allein zu tun hatte. 
Am 12. Mai war am Fahrtor wieder ein Brief angeschlagen, 
diesmal von der Taunusritterschaft an die Pfaffheit zu 
Frankfurt gerichtet, und eine Abschrift davon erhielten 
noch besonders die Herren zu St. Bartholomäi, also vor 
allem Stadtpfarrer Meyer. Der Adel verlangte evangelische 
Predigt und drohte zu handeln, falls sie nicht zugelassen 
würde. Dann stellte Hartmut wieder Meyer schriftlich 
darüber zur Rede, daß er bisher mit seinen Predigten 
das Seine gesucht habe. Auch Hutten hatte in den Gang 
der Dinge einzugreifen gesucht, indem er — es war offen- 
bar auf Cochläus, den Apostaten des Humanismus ab- 
gesehen — bereits am 15. Aprilan der Tür des Liebfrauen- 
stiftes zwei Briefe anheften ließ, in denen er den Prediger- 
mönchen und den Kurtisanen Fehde ansagte. 

Indessen gerade dieses Eingreifen der Ritterschaft 
in die Frankfurter Angelegenheiten brachte dem Klerus 
bald wieder bessere Tage. Hartmut von Cronberg war 
mit Sickingen nahe verwandt und wurde in der Folge 
in die Katastrophe der Sickingenfehde mit hereingezogen. 
Bereits im Oktober 1522 war seine Burg in der Hand 


1) Dieses ist von Königstein S. 33 mit der ,forphort'' ge- 
meint. Wedewer, mit den Frankfurter Lokalitäten anscheinend 
nicht vertraut, gibt es S. 54 mit ,,Pfarrpforte' wieder. 


14* 


212 | 52 


der Fürsten, und seine Hoffnungen auf eine Wendung 
zum Besseren sanken in sich zusammen, als im nächsten 
Jahre auch Landstuhl und die Ebernburg fielen. Der 
Rückschlag dieser Ereignisse auf die kirchliche Entwick- 
lung in Frankfurt blieb nicht. aus. Von den Rittern 
und den ihnen nahestehenden Humanisten hatte ,,das 
Evangelium“ seitdem nicht mehr viel zu erwarten. 

Um so wichtiger war es, welche Stellung der Rat 
 einnahm. 


3. Die Haltung des Rates. 


Den ersten Anlaß, in die kirchlichen Verbältnisse 
der Stadt einzugreifen, bot dem Rate das kaiserliche Man- 
dat, welches am 6. Marz 1523 auf Grund der Nürnberger 
Reichstagsverhandlungen verkündigte!), quod nihil praeter 
verum, purum, sincerum et sanctum evangelium et 
approbatam scripturam pie, mansuete, christiane iuxta 
doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia 
christiana receptae scripturae doceant. Er eröffnete — 
dieses Edikt den päpstlichen Prädikanten in den Stiftern 
und Klóstern der Stadt mit der Weisung, sich mit ihren 
Predigten danach zu richten, ,,und solches alles", wie Ritter 
nach den Ratschlagungsprotokollen mitteilt?), ,,fürnem- 
lich auch deswegen, weilen sich vieler Unmuth wegen 
des Predigers zu St. Bartholomäi Dr. Meyers wie schon 
bekant, bißhero erreget hätte, als der nebst denen andern 
das Evangelium und Wort Gottes nicht reine und lauter 
gepredigte, sie aber gern alles in ihrer Stadt, wie in poli- 
tischen, also auch kirchlichen Dingen zur Ruhe und Frieden 
gerichtet s&hen." 

DaB der Rat mit seinen Sympathien auf der Seite 
der Reformation stand, zeigt sich daran, daß Haman 
von Holtzhausen, der mit anderen die Stadt auf dem 
Reichstage vertrat, noch in demselben Jahre 1523 den 
Pfarrer Dietrich Sartor von der Ignatiuskirche in 
Mainz, der ihm als tüchtiger Prediger bekannt war, 


1) Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation 
2. Bd. 8. Aufl. S. 44 Anm. 1. 
*) Ritter, Ev. Denkmal S. 61. 


53 213 


nach St Katharinen brachte!). Aber die Führung in 
den kirchlichen Dingen überließ man auf dem Römer 
lieber anderen Händen. Die Stimmung der Bürgerschaft 
war der Reformation von Anfang an günstig. Doch 
scheint es sich zunächst mehr um einen Anstoß an dem 
sittenlosen Wandel der Geistlichen und um eine tiefge- 
wurzelte Abneigung gegen das religiöse Ausbeutungs- 
system, den Reichtum, die Abgabenfreiheit und das 
Asylrecht der Stifter, als um religiöse Interessen ge- 
handelt zu haben. Der Abfall vom Papsttum war bald 
fast allgemein, und schon 1524 verließen Mönche und 
Nonnen in großer Zahl ihre Klöster, lernten ein Hand- 
werk und traten ebenso wie manche Weltgeistliche in 
die Ehe. Der Stadtpfarrer Meyer aber konnte sich bald 
nicht mehr auf der Straße sehen lassen, ohne ausgerufen 
und verspottet zu werden. Auch an allerlei Unordnung | 
und Unruhe fehlte es nicht, so daß der Rat immer 
wieder warnen und wehren mußte. Zu mancherlei 
Schwierigkeiten kam es, als zuerst die Sachsenhäuser, 
dann die Bornheimer evangelische Prediger begehrten. 
Namentlich seit dem’ Bürgeraufstand 1525 kamen immer 
mehr Anhänger der neuen Lehre als Prediger in die Stadt, 
und wenn es dem Mainzer Bischof einmal gelang, der 
Wirksamkeit der schärfsten Eiferer schon nach wenigen 
Wochen ein Ende zu bereiten, so traten an deren Stelle 
baldandereStiirmer und Dränger,z.B.DionysiusMelander®), 
der sogar einmal (1533) von der Kanzel des Doms den 
Bannfluch gegen den Papst und die gesamte römische 
Geistlichkeit schleuderte. 

Wie die Bewegung sich allmählig klärte und langsam 
zu einer neuen Kirchenbildung führte, läßt sich an der 
Stellung erkennen, welche die Mitglieder des Rates zu 

1) Ebenda S. 62—64. Auch für das Folgende ist Ritter zu 
vergleichen. ; 

2) Er war „ein um das Evangelium wohlverdienter, dabey 
aber ungemein hitzig- und etwas ausschweifender Mann“. 
K. Gesch. 8. 35. Ähnlich charakterisiert ihn Köstlin-Kawerau, 
Martin Luther, 5. Aufl. II, 315: „Ein schlagfertiger, stürmischer 


und herrischer, nach Umständen auch plumper, ja schmutziger, 
in seinem persönlichen Charakter nicht fleckenloser Volksredner“. 


214 54 


ihr einnehmen. Sie ist bei dem älteren Geschlechte anders 
als bei dem jüngeren. Arnold Glauburger fand es mit 
seiner reformfreundlichen Haltung noch durchaus ver- 
einbar, sich von Kurtrier 1521 als Kammergerichts- 
assessor präsentieren zu lassen, und Haman von Holz- 
hausen, ‚einer der ersten und fürnehmsten mit, welche 
im Anfang die erste Evangelische Predigt allbier . . be- 
sorgten'!), ging noch 1525 am Maria-Magdalenentag 
(22. Juli) in der Prozession neben dem Priester, der das 
Sakrament trug. Man empfand das damals noch ebenso 
wenig als einen inneren Widerspruch, wie wenn dieselbe 
Katharina Holzhausen geb. Fröschin, die in Luther 
den von ihren Ahnen geweissagten Bestreiter der päpst- 
lichen Immunitäten erblickt und ihm bei seiner Durch- 
reise nach Worms die Hände geküßt und ihn in seiner 
Herberge mit Malvasier gelabt hatte, noch zwei Jahre 
später in ihrem Testamente Jahreszeiten und Seelen- 
messen zu St. Bartholomäi und St. Katharinen stiftete?). 
Viel einheitlicher war schon die Haltung des Ratsherrn 
und Schöffen Hans Bromm, der sich um die Einführung 
der Reformation so offenkundige Verdienste erwarb, 
daß bei seinem Begräbnis 1536 ein Maurer die Gedächtnis- 
predigt in der Peterskirche mit den Worten unterbrach: 
„Deß danck ihm GOtt und sey ihm gnädig, daß er den 
großen Greuel und Bestien der Messe hingelegt!'" 9). 
Und als der Gothaer Stadtpfarrer Friedrich Myconius 
im Jahre 1542 in seiner Reformationsgeschichte4) die 
Frankfurter Freunde der Reformation Revue passieren 


1) Ritter S. 40. Er vor allem hatte Ibach 1522 berufen. 
1531 empfahl er dem Rate die Anstellung eines neuen Prädikanten 
an St. Peter. Ritter S. 148. Für die Besoldung des Rektors 
Micyllus leistete er 1526 aus seinen privaten Mitteln einen Zuschuß. 
Ritter S. 97f. Dem Rate gehörte er seit 1493 an, 1499 wurde er 
Schöffe, 1507 und 1518 war er Erster Bürgermeister. Er starb am 
31. Oktober 1536. Sein Epitaphium in der Katharinenkirche 
bei Dechent S. 150. 

2) Steitz, F. A. N. F. IV, 87f. 

3) Ritter S. 229. 

4) In der Ausgabe von O. Clemen (Voigtländers Quellen- 
bücher, Band 68) S. 59. 


55 215 
ließ, durfte er bereits schreiben: „In dieser Kommun 
waren treffliche Leut im Regiment, die über dem Evan- 
gelio hielten." An erster Stelle nennt er hier den jüngeren 
Hans Bromm, bei dessen verwitweter Mutter!) er vor drei 
Jahren mit Melanchthon Gastfreundschaft genossen hatte, 
und durch dessen Bruder Myconius inzwischen über die 
Frankfurter Verhältnisse weiter unterrichtet worden war ?). 
Der jüngere Hans Bromm, 1510 geboren, kam 1537 
nach dem Tode seines Vaters in den Rat und wurde 
1546 Schöffe, zehn Jahre später Erster Bürgermeister?). 
Er ist 1564 gestorben. Nächst ihm nennt Myconius 
Philipp Fürstenberger, dem er das Zeugnis eines vir 
eruditus, bonus, prudens et erga omnes affabilis mini- 
meque superbus ausstellt*), ohne übrigens zu wissen, 
daß er bereits seit 1540 tot war. Fürstenberger war 
1505 als Sechsundzwanzigjähriger in den Rat eingetreten. 
Fünf Jahre später wurde er Schöffe, wollte sich aber von 
diesem Amte bereits 1513 beurlauben lassen, — wie 
Steitz meinte®), weil seinem hochstrebenden Geiste die 
städtischen Verhältnisse zu eng waren. Er war ,,im 
Kleinen für Frankfurt, was Willibald Pirckheimer für 
Nürnberg war, der tätige Beförderer der Wissenschaft, 
der Bildung und der Kunst, . . . eine Zierde seiner Vater- 
stadt, eine staatsmännische Größe im Rate, die starke 
Stütze der humanistischen und reformatorischen Inter- 


1) Melanchthon redet in einem Briefe an ihn von ihr als 
hospitae nostrae Francofordianae. Der Brief vom 4. April gehört 
übrigens nicht in das Jahr 1529, wo ihn C. R. I, 1047 unterbringt, 
sondern er ist, wie Classen, Über die Beziehungen Melanchthons 
zu Frankfurt a. M. (Frankfurter Gymnasialprogramm 1860) S. 9f. 
richtig erkannt hat, 1540 geschrieben. 

*) Melanchthon gab ihnen den in der vorigen Anmerkung 
erwähnten Brief mit Grüßen an Myconius mit. 

3) Wenn ihn Myconius schon 1542 „Bürgermeister“ nennt, 
so ist das offenbar eine Verwechslung mit seinem Vater, der 1526 
und 1532 Erster Bürgermeister war. 

*) Auch bei Cochläus (Brief an Willibald Pirckheimer vom 
5. April 1520. Bei Steitz, F. A. N. F. IV, 106) ist er „der gute 
und milde Mann“. 


*) F. A. N. F. IV, 89. 


216 ! 56 


essen. ‘1). Als Erster Bürgermeister fungierte er 1519, 
1525 und 1531 und hat in dieser Stellung mit Klugheit 
Geschick und Besonnenheit das Schifflein des Frank- 
furter Gemeinwesens namentlich durch das schwere 
Jahr 1525 hindurchgesteuert. Für auswärtige Missionen 
ist er gern verwendet worden. Bekannt ist vor allem seine 
Entsendung zum Wormser Reichstag 1521; auf seine 
ungenaue Berichterstattung geht das Märlein?) von dem 
zaghaften Auftreten Luthers bei dem ersten Verhör 
zurück?). Mit Hutten und Willibald Pirckheimer stand 
er im Briefwechsel. Sein Interesse an der gelehrten Bildung 
ging so weit, daß er es nicht verschmähte, noch 1520 
mit Jakob Neuhaus und Haman von Holzhausen Schüler 
des jungen Wilhelm Nesen zu werden. Die Reformation 
hatte an ihm nächst Haman von Holzhausen ihren ent- 
schiedensten und besonnensten Förderer. Von den übrigen 
= Mitgliedern des Rates, die nach Myconius über dem 
Evangelio hielten, verdient hauptsächlich noch Erwäh- 
nung Justinian von Holzhausen, Hamans Sohn, den 
‘wir 1524 und 1525 in Wittenberg treffen, wo er auf den 
Rat seines Vaters namentlich bei Melanchthon Dialektik 
hörte, „den in unserm uffleuf denselbigen zu dilgen und 
nidder zu drucken haben wir mangel gehabt leude, die 
etwas beret waren und perswadiren kuntten. Die rhe- 
torica mach einen geschick der ungeschick von natur 
ist, darumb soltu dich darin allen Dag uben et latine 
et vulgari sermone*). Von der Universität zurückgekehrt, 
kam er bereits 1529 in den Rat und wurde 1534 Zweiter 
Bürgermeister, 1537 Schöffe. Das Amt des Ersten Bürger- 
meisters bekleidete er nicht nur 1538 und 1543, sondern 
besonders auch in dem durch den Interimsstreit so kri- 
tischen Jahre 1549. Er mahnte damals Hartmann Beyer 
1) Ebenda S. 105. 
*) Vgl. Hausrath, Aleander und Luther auf dem Reichstage 
zu Worms. S. 265ff. 355ff. und Luthers Leben I, 430. 
3) In demselben Jahre 1521 wurde er mit Stephan Griin- 
berger nach Mainz zu Kaiser Karl V. entsandt. Als Stadtebote 
begegnet er uns außerdem 1518 in Augsburg, 1527 in Regensburg, 


1530 in Augsburg und 1532 in Regensburg. 
t) Classen, Beziehungen usw. S. 6 Anm. 8. 


57 217 


dringend zu Mäßigung in seinen Predigten: „Ihr werdet 
uns, bei Gott, noch um das Evangelium bringen! wir werden 
euch, bei Gott dem Herrn, noch einen Urlaub geben, 
wo ihr nicht nachlasset!!“). Ein Jahr bevor er 1553 starb, 
betrieb er noch die Berufung des jüngeren Matthias 
Ritter in das Predigerministerium?), die nächst der- 
jenigen Hartmann Beyers für die weitere Entwicklung 
der kirchlichen Verhältnisse in der Stadt so folgenreich 
geworden ist. Die anderen Ratsherren, die Myconius 
noch erwühnt?), sind nicht weiter hervorgetreten. Wenn 
er sie aber als omnes eruditi bezeichnet, so wissen wir, 
daß auch bei ihnen jener Bund von Humanismus und 
Reformation geschlossen war, der der kirchlichen Haltung 
der Patrizier sein Gepräge gab, und der sein Ansehen 
in der Stadt wieder fand, seit 1537 Micyllus zurückge- 
kehrt war, ,,der fein trefflich gelehrte Mann,“ ‚in soluta 
et ligata oratione incomparabalis". 

— War die Stellung der Ratsherren nicht ia erster Reihe 
von ihrem religiósen Standpunkte, sondern u. a. auch 
von ihrem Humanismus beeinflußt, so beobachtete der 
Rat als solcher bei allem Wohlwollen doch eine vorsichtig 
zurückhaltende Stellung. Er ließ die evangelisch ge- 
sinnten Prediger gewähren, weil er wußte, was Unraths 
in der Stadt daraus erfolgen möchte‘), wenn er sich ihnen 
und der ihnen blindlings ergebenen Bürgerschaft in Fragen 

1) Steitz, Hartmann Beyer. S. 54. 
2) Ritter S. 421. 


3) Es sind: 1 Ortwinus zum Jungen, im Rat scit 1533, 1536 
Zweiter Bürgermeister, 1539 Schóffe, gestorben 1547. 2. Christo- 
phorus Stallberger, im Rat seit 1536, 1540 Zweiter Bürgermeister, 
gestorben 1541. 3. Georgius Weiß senior, entweder: zu Sachsen- 
hausen, seit 1527 im Rat, 1531 Schóffe, gestorben 1539 (6. No- 
vember); oder: zu Lowenstein, seit 1537 im Rate, 1542 Zweiter 
Bürgermeister, 1548 Schóffe, gestorben 1551. (Die Daten nach 
Lersner.) Gemeint ist jedenfalls de? Zweite, der auf der Frank- 
furter Tagung 1539 seine Vaterstadt vertrat und dadurch Myconius 
bekannt wurde. 

4) Bürgermeisterbuch, 20. Februar 1533 fol. 86, mitgeteilt 
von Steitz, Abhandlungen zu Frankfurts Reformationsgeschichte. 
S.-A. aus F.-A. V.) Frankfurt a. M. 1872. S. 262, vgl. 264. 


218 58 


der kirchlichen Reform widersetzte, und sorgte bei Er- 
ledigung von Pfarrstellen dafür, daß solche Leute ein- 
rückten, die ,,das Evangelium" predigten. Dabei war 
ihm aber jede Art von Kanzelpolemik zuwider, und als 
1524 Johann Rau gegen seinen Kollegen Meyer im Gottes- 
dienst ausfallig wurde, lieB er allen Predigern ansagen, 
nur das zu predigen, was keinen Aufruhr erwecke, denn 
wenn sie nicht nach dem Edikt von 1523 das Evangelium 
lauter und rein predigten, könne ihnen der Rat keines 
Schutzes weder vor dem Gmnädigsten Herrn zu Mainz, 
noch auch vor dem Volke versichern!) Vollends von 
sich aus einen entscheidenden Schritt zu tun, vermied 
er sorgfältig. Das ihm 1526 von dem Landgrafen von Hessen 
angetragene Torgauer Bündnis lehnte er ab?), und unter 
den Reichsständen, die gegen den Speyerer Abschied von 
1529 protestierten, fehlt Frankfurt, auch wenn es mit 
der protestierenden Minderheit Fühlung nahm?), noch 
ebenso, wie es ein Jahr später unterließ, die Augsburger 
Konfession zu unterzeichnen. Die Augustana hatte zwar 
die Autorität der Wittenberger Theologen auf ihrer 
Seite. Aber angenommen war sie zunächst nur von 
wenigen Reichsständen. Überdies war sie nicht das 
einzige Bekenntnis der neuen Lehre, das dem Reichstage 
vorlag. Die Tetrapolitana der vier oberdeutschen Städte 
Konstanz, Lindau, Memmingen und Straßburg, sowie 
Zwinglis Glaubensbekenntnis standen ihr gegenüber. So 
schien die theologische Seite der Sache noch zu wenig 
geklärt. Bei den Bündnisverhandlungen aber, die den 
Erörterungen über das Dogma parallel gegangen waren, 
hatte die Angelegenheit auch einen starken politischen 
Beigeschmack, der es den Herren auf dem Römer rätlich 
erscheinen ließ, sich freie Hand vorzubehalten, zumal 
ihre Interessen mehr nach Oberdeutschland als nach 
Kursachsen gravitierten. Wenn so die Stadt davon Ab- 
stand nahm, das Bekenntnis Melanchthons zu unter- 
zeichnen, so gab sie aber doch ihre Unterschrift auch 


1) Ritter, Ev. Denkmal S. 70. 
2) Ebenda $. 99. 
3) Ebenda S. 1231. 


59 219 


nicht zu dem Reichstagsabschied von Augsburg, weil 
in diesem die Wendung vorkam, die Lehre der Prote- 
stanten sei mit Zeugnissen der Heiligen Schrift widerlegt 
worden. Sie bat sich vielmehr Bedenkzeit aus und plädierte 
für ein allgemeines Konzil!). Erst als 1532 der Nürnberger 
Religionsfriede den Ständen wenigstens bis zur Einbe- 
rufung eines Konzils oder einer Nationalversammlung 
Religionsfreiheit gewährte, befahl der Rat am 23. April 
1533 die Einstellung des katholischen Gottesdienstes in 
der Stadt und verbot zugleich den Besuch der katholischen 
Gottesdienste in Höchst und Bockenheim. Doch ließ 
er sich auch zu diesem Schritte erst durch die Bürger- 
schaft drängen, deren unruhige Elemente einen Kirchen- 
sturm ins Werk gesetzt hatten, und die Verantwortung 
für seine Maßregel schob er den Zünften zu, indem er 
diese zuvor darüber befinden ließ, ob ,,die Messe mit 
ihrer Rüstung und alten Ceremonien“ als ,,ungóttliches 
und unchristliches Ding“ abzutun sei?) Auch ließ er 
schon sehr bald wieder (1535) den katholischen Gottes- 
dienst zu und gab für ihn sogar den Dom frei. Es be- 
durfte erst einerseits der drohenden Haltung, welche die 
katholischen Nachbarn und das Reichskammergericht ein- 
nahmen, und andrerseits der untrüglichen Gewißheit 
dafür, daß der deutsche Protestantismus politisch als eine 
imponierende Macht im Reiche dastehe, bis man es 1536 
geraten fand, seine Zuflucht bei dem Schmalkaldischen 
Bunde zu nehmen. Als aber zehn Jahre später in den 
ersten Monaten des Jahres 1546 alles auf den unmittel- 
baren Ausbruch des Krieges hinwies, war das Vertrauen 
des Rates zu der Macht des Bundes so gering, daß er aus 
Furcht vor dem Zorn des Kaisers vorzog, den Nieder- 
làndern, die durch Jan Utenhove um Aufnahme in die 
Bürgerschaft nachsuchten, das Gastrecht zu verweigern, 
das er 1498 den aus Nürnberg verjagten Juden aus freien 


1) Ebenda 8. 145. 

*) Auszüge aus den Antworten der Ziinfte bei Dechent, 
Geschichte der Stadt Frankfurt in der Reformationszeit. Schriften 
für das deutsche Volk, herausgegeben vom Verein für Reformations- 
geschichte. Nr. 43. S. 17f. 


vr. 
S 


220 60 


Stiicken angetragen hatte. Und als dann bald die Macht 
des Bundes die Feuerprobe bestehen sollte, lieferte der 
Rat (im Dezember 1546) die Stadt ohne Schwertstreich 
an den kaiserlichen Feldherrn Maximilian von Büren 
aus. Auch als der Kaiser in dem Augsburger Interim 
versuchte, die früheren kirchlichen Zustände wieder 
herzustellen, war es wieder der Rat, der sich im Gegen- 
satze zu dem mannhaften Widerspruche der Prädikanten 
zu jedem schwächlichen Zugeständnisse bereit finden 
ließ. Erst der Passauer Vertrag stärkte dem Rate, der 
durch seine schwankende Haltung die Stadt 1552 der 
schweren Belagerung durch Moritz von Sachsen ausgesetzt 
hatte, das Selbstvertrauen, und als gesichert durfte der 
Bestand der Reformation in Frankfurt angesehen werden, 
als der Augsburger Religionsfriede den evangelischen 
Reichsständen das ius reformandi einräumte. 

Fragt man, von welchem Gesichtspunkte der Rat 
sich bei dieser ganzen Haltung in der kirchlichen Frage 
leiten ließ, so ergibt sich als Kanon, daß für ihn nur 
außerkirchliche Erwägungen maßgebend waren. Sein 
Verhalten kann vom kirchlichen Standpunkte aus nur 
als unentschieden, sprunghaft, widerspruchsvoll beurteilt 
werden. Aber sofort erkennt man Einheit, Stetigkeit 
und Folgerichtigkeit darin, wenn man als ausschlag- 
gebenden Beweggrund die Rücksicht auf die politische 
Zeitlage und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt 
ins Auge faßt!). In der Tat stand für Frankfurt viel auf 
dem Spiele. Hier wurden seit alters die deutschen Könige 
gewählt, und das Ziel, auch Krönungsstadt zu werden, 
schien nicht ferne?) Es war nicht zu erwarten, daß 
das alte Privileg erhalten blieb, viel weniger daß ein 
neues hinzukam, wenn man in der kirchlichen Frage 
dem Kaiser offen entgegentrat. Eswarnach dieser Richtung 
ein sehr deutlicher Wink, den man in Frankfurt auch 
recht gut verstand, wenn Karl V. 1531 die Wahl seines 


1) Auf „Motive des innern städtischen Lebens‘ führt auch 
Ranke III, 349 den Anschluß Frankfurts an die Reformation 
zurück. 

*) Erreicht wurde es 1562. 


61 221 


Bruders Ferdinand zum römischen König nicht in Frank- 
furt, sondern in Köln vornehmen ließ. Auch die Freiheit 
der Reichsstadt kam in Frage. War der Zorn des Kaisers 
einmal herausgefordert, so konnte es leicht geschehen, 
daß auf kaiserlichen Machtspruch hin die Stadt ihren 
reichsunmittelbaren Charakter verlor und als schätzens- 
werte Landstadt in den Besitz eines dem Kaiser ergebenen 
Territorialfürsten überging. Und vor allem stand zu be- 
sorgen, daß die Messen, diese ergiebigen Quellen für den 
Wohlstand der Bürgerschaft und des städtischen Ge- 
meinwesens, der Stadt entzogen würden, um etwa dem 
benachbarten Mainz oder Worms überwiesen zuwerden!). 
Schließlich schien auch für die Sicherung der Reformation 
selbst ein maßvolles und kluges Vorgehen immer noch 
am aussichtsreichsten, während ein intransigentes Ver- 
halten, wie es die Prädikanten nach der Verkündigung 
des Interims beobachteten, so charaktervoll es war, 
doch leicht alles in Frage stellen konnte?). 

Wo solche Sorgen den Rat bedrückten, ist es nicht 
weiter zu verwundern, daß er die Regelung der inner-. 
kirchlichen Fragen in dieser ganzen Zeit gern anderen 
Händen überließ, sich auf ein bei aller Vorsicht doch 
immer wohlwollendes Gewährenlassen dem Neuen gegen- 
über beschränkte und jedenfalls darauf verzichtete, von 
sich aus zur Aufstellung einer festen Norm der Lehre 
zu schreiten. Fast zwei Jahrzehnte lang genügte ihm die 
Bestimmung von 1523, daß das Evangelium rein und 
lauter zu verkündigen sei. Die Annahme der Augsburger 
Konfession und die Zustimmung zu der Wittenberger 
Konkordie ging für ihn nicht wesentlich über jene Be- 
stimmung hinaus. Erst am Anfang der vierziger Jahre 
sah er sich durch die Entwicklung der kirchlichen Ver- 


1) Bothe, Frankfurt in Sage und Geschichte. II, 2. S. 6. 28. 
Erläuterungen S. IIIf. Ranke IV, 340: „Ich finde in der Tat, daß 
die Stadt Worms sich schmeichelte, dieselben (nämlich die Messen 
an sich zu ziehen,“ als Büren 1546 vor der Stadt erschien. 


*) Hierauf machte der Rat die Prädikanten auch aufmerk 
sam. Steitz, Hartmann Beyer. S. 32f., 43. 


222 62 


haltnisse in der Stadt veranlaBt, von sich aus genauere 
Festsetzungen zu treffen. 

Den Gang dieser Entwicklung haben wir nunmehr 
näher ins Auge zu fassen. 


4.Der Bürgeraufruhr und der kirchliche Radi- 
kalismus. | 


Die nächste Welle reformatorischer Erhebung stieg 
in dem unruhigen Jahre 1525 empor. Auch Frankfurt 
hat damals seinen Aufruhr erlebt. Noch ehe er ausbrach, 
mußte Stadtpfarrer Meyer flüchten; daß er in einer Fasten- 
predigt am 12. März in seiner derben, anzüglichen Weise 
von „Hundsbräuten‘‘ gepredigt hatte, war den Frank- 
furtern denn doch zuviel. Drei Tage später verschwand 
er auf Nimmerwiedersehen. Fremde Kaufleute, die dann 
zur Fastenmesse kamen, hörten ein Gerücht, am Ende 
der Fastenzeit werde man in der Stadt etwas Neues 
erleben, Verschwörung und Aufruhr seien im Werk. 
Dieses Gerücht bestätigte sich dann auch, als am Oster- 
montagmittag (17. April) sich auf dem Peterskirchhofe 
ein großer Haufe Unzufriedener ansammelte, deren Un- 
wille sich ,,widder den rat und geystlichkeit" richtete!). 
Wie die beiden Bürgermeister, die alsbald auf dem Platze 
erschienen, feststellten, betrafen die Beschwerden ‚das 
ungelt, wyn und korn, zins und sunst der glichen vill" 
und gingen von der Gesamtheit der Zünfte aus. Während 
nun der Rat in Verhandlungen mit den Wortführern 
der Menge eintrat, drang der Haufe in Klöster und Pfarr- 
häuser ein und hielt sich an Speise und Trank schadlos. 
Cochläus, dem schon seit geraumer Zeit der Frankfurter 
Boden recht heiß geworden war, fand es ebenso wie sein 
Kollege vom Bartholomäusstift geraten, der Stadt den 
Rücken zu kehren. Die Verhandlungen der Aufstän- 
dischen mit den beiden Bürgermeistern führten am 


1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am 
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Er- 
eignisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 
1548. Frankfurt a. M. 1876 8. 79. 


63 223 
20. April zur Ubergabe von 42 Artikeln, die bis zum 
23. April auf 45 ergänzt wurden’). g 

Diese Artikel, die eine unverkennbare Ahnlichkeit 
mit den 12 Artikeln der Bauernschaft besitzen, zeigen 
uns deutlich den religiös-sozialen Charakter der Be- 
wegung. ,,Erstlich“*, so beginnen sie, „ist unser Bitt 
und Begehr und ernstlich Meinung, daß hinfürter ein 
ehrsamer Rat und Gemein, einen Pfarrherrn in den Pfarr- 
kirchen und andere Kirchen zu setzen und zu entsetzen, 
Macht haben sollen; dieselben erwählten Pfarrherrn 
auch nichts anderes, denn das lautere Wort Gottes, 
das heilig Evangelium, unvermengt menschlicher Satzung, 
predigen sollen, damit das Volk in rechter Lehr gestärket 
und nit verführet werde. Des weiteren wird eine Reihe 
von sittlichen und sozialen Forderungen aufgestellt. 
Der Klerus wurde u. a. an die Pflicht der Keuschheit 
erinnert, — eine Forderung, die noch Nachdruck erhielt, 
als am 26. April im Auftrag der Gemeine eine Abordnung 
in etlicher Prälaten, Kanoniker und Vikare Häuser ging 
und ausrichtete, ‚sie sollen ire maid von inen thun 
und sich vor schaden hutten,“ worin die verängstigten 
Kleriker auch willigten?). Zu den Pflichten der Bürger 
sollten auch die Geistlichen herangezogen werden, den 
Mönchen sollte Bettel, Predigt und Beichtehören ver- 
boten, der Austritt aus ihren Klöstern dagegen freige- 
stellt, den Orden aber die Aufnahme neuer Mitglieder 
verwehrt sein. Auch die Einrichtung eines gemeinen 
Kastens war vorgesehen, damit die Armen versorgt 
würden und nicht betteln müßten. Von dem sittlichen 
Ernste der Aufständischen zeugte die Forderung, daß 
alle Zusäufer und Gotteslästerer gestraft werden sollten 
ohne alles Nachlassen. Andere Beanstandungen betrafen 
die gleichzeitige Zugehörigkeit von Vater und Sohn oder 
zweier Brüder zum Rat, den kleinen Zehnten, die Schäfe- 
reien der Deutschherren auf dem linken Mainufer, die 
Kosten für die Söldnerpferde u. a. m. 


1) Vgl. über sie Dr. R. Jung, Zur Entstehung der Frankfurter 
Artikel von 1525. F. A. 3. F. 2. Bd. (1889) S. 198ff. 
13) Steitz, Königstein S. 83. 


224 64 


Als Verfasser dieser Artikel kommt nach Königstein 2) 
der Schwager Carlstadts, Dr. Gerhard Westerburg?) in 
Betracht, der in jener Zeit in Frankfurt wohnte. Dieser, 
aus einer Kölner Patrizierfamilie hervorgegangen und- 
in seiner Vaterstadt und in Italienhumanistisch vorgebildet, 
war seit 1521 unter den Einfluß der Zwickauer Propheten 
geraten, hatte dann deren Träume in Zürich, wo er zwar 
nicht mit Zwingli, wohl aber mit der radi kalennoch nicht 
zum Anabaptismus ausgearteten Partei der Stadt Fühlung 
nahm, mit einem strengen Schriftprinzip vertauscht und 
verfolgte nun mit Ernst und Eifer das eine Ziel, das kirch- 
liche und bürgerliche Leben nach den Normen der Bibel 
umzugestalten, wofür ihm aber ‚das Wort“ allein nicht 
genügte. Im Jahre 1524 finden wir ihn in dem Aufstands- 
gebiete um Waldshut, wo eine „evangelische Brüder- 
schaft“ die zwölf Artikel der Bauernschaft verbreitete. 
In demselben Religion und Politik verquickenden Sinne 
war er dann als ‚evangelischer Mann‘, wie er sich selbst 
nannte, in Frankfurt tätig, wo er sich lange vor Ausbruch 
der Unruhen einmietete und bei Tag und Nacht evan- 
gelische Brüder in großer Zahl um sich sammelte. In 
seiner Hand liefen die Fäden des Frankfurter Aufstandes 
zusammen, und er leitete die Bewegung mit solchem 
Geschick, daß er, als sie fehlgeschlagen war, sich unan- 
gefochten in das Privatleben zurückziehen konnte. Von 
Natur heftig und leidenschaftlich, verfügte er über eine- 
volkstümliche Beredsamkeit, von der uns heute noch 
seine Schriften Zeugnis ablegen?) Zum Schwärmer 
war er nicht geboren, er war vielmehr ein „Mann der 
Wirklichkeit und der scharfen Reflexion, klug, sogar 
schlau, gewandt und schlagfertig. Obgleich des Wortes 
in hohem Grade mächtig, war doch sein eigentliches 
Gebiet das des Handelns und der überlegten Tat“. Wir 
beobachten bei ihm ,,die Lust an der Opposition und dem 


1) Ebda 8. 86. 

2) Vgl. über ihn Steitz in den Abnandisügeh zu Frankfurts 
Reformationsgeschichte. (S.-A. aus F. A. N. F. 5. Bd.) Frankfurt 
a. M. 1872 8. 1— 2195. 

3) Ebda. S. 198. 


65 225 


Streite, verbunden mit dem unruhigen Drang, eine tätige 
Rolle zu spielen!) Es war ihm nicht sowohl darum 
zu tun aufzubauen, als vielmehr niederzureißen und für 
einen neuen Bau Raum zu schaffen. Religiöse Tiefe. 
und Gemüt gingen ihm ebenso ab, wie Gelehrsamkeit 
oder gar Genialität. Dafür aber besaß er einen klaren 
Blick und einen redlichen Sinn, eine aufrichtige Liebe 
zur Kirche und ein warmes Mitgefühl mit ihren Schäden, 
einen unbeugsamen und geraden Charakter?). Am meisten 
interessiert uns hier sein kirchlicher Standpunkt. Über 
ihn urteilt sein Biograph?): „Durch alle Wandlungen 
seines bewegten Lebensganges geht eine evangelische An- 
schauung hindurch, die in der Bestimmtheit und Richtung, 
welche sie von Anfang an zeigt, ihn für die reformierte 
Kirche prádestinierte. Dahin gehört vor allem die unbe- 
dingte Unterwerfung unter Gottes Wort in der heiligen 
Schrift, das ihm die alleinige und ausschließliche Richt- 
schnur aller Wahrheit ist. " Es ist nur eine naturgemäße 
Entwicklung, die er durchlief, wenn er nach der wieder- 
täuferischen Episode seines Lebens schließlich in der 
reformierten Kirche landete und uns 1546 an der Seite 
Laskis in Ostfriesland begegnet. 

Eine Schilderung des Verlaufs, welchen der Frank- 
furter Aufstand unter der Leitung dieses Mannes genommen 
hat‘), würde über den Rahmen unserer Aufgabe hinaus- 
gehen. Es genügt, an die Haupttatsachen zu erinnern. 
Der Rat nahm am 22. April die Artikel an, nachdem 
die Geistlichkeit ihre Zustimmung erklärt hatte, und 
ließ sie von den Bürgern beschwören. Damit schienen 
im Innern georänete Zustände wiedergekehrt zu sein. 
Aber nun erhoben sich von außen her neue Schwierig- 
keiten. Die Bauern näherten sich auch Frankfurt, und 


1) Ebda. S. 164. 
2) Ebda. S. 210. 
3) Ebda. S. 202. 
*) Vgl. dazu das Frankfurter Aufruhrbuch von 1525, als 


Neujahrsblatt des Frankfurter Geschichts- und Altertumsvereins 
herausgegeben von Steitz 1875. 


Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 3/4. 15 


226 66 


unter den Ziinften der Stadt lieBen sich trotz der beruhi- 
genden Erklärungen, die sie dem Rate abgaben, Stimmen 
genug vernehmen, ,,die vermeinten, die geistlichkeit und 
Juden, auch die deutschen herren uf die fleisch bank 
zu libern, han sich auch heimlich lassen horen, wo es 
nit nach irem willen ghe, wolten sie der artikel gar keinen 
halten‘‘!). Die Bewegung in der Stadt geriet in die Hände 
der radikalsten Elemente, und selbst der ältere Bürger- 
meister Philipp Fürstenberger war in seiner Wohnung 
nicht mehr sicher. Doch führte gerade der Terrorismus, 
der nun drohte, den Umschwung herbei. Der konser- 
vative Teil der Bürgerschaft trat aus seiner Untätigkeit 
heraus, und, auf ihn gestützt, verfügte der Rat die Aus- 
weisung Westerburgs. Eine weise Milde, die mit solcher 
Festigkeit, gepaart war, führte dann wieder zu ruhigen 
und gesicherten Verhältnissen. Es war höchste Zeit. 
Denn in denselben Tagen brach die Herrlichkeit der Bauern 
zusammen, und die Sieger verlangten nun auch von 
Frankfurt die Auslieferung der Empörer, die sich dahin 
geflüchtet hatten. Bei den Verhandlungen, die daraufhin 
in Pfeddersheim gepflogen wurden, kamen auch die Frank- 
furter Unruhen zur Sprache. Ein strengeres Strafgericht 
der Fürsten konnten die Vertreter abwehren. Doch mußte 
der Artikelbrief ausgeliefert und der alte Stand der Dinge 
wieder hergestellt werden. 

Gingen der Bürgerschaft die sozialen Errungenschaften 
des Aufruhrs verloren, so blieb ihr die evangelische Predigt 
erhalten. Wie sie in den Artikeln an erster Stelle ge- 
fordert worden war, so hatte der Rat bereits am 24. April 
die Berufung evangelischer Prädikanten erwogen. Er 
wandte sich deswegen an Luther, der daraufhin Johann 
Agricola schickte?). Doch blieb dieser nur einen Monat, 
da er bei seiner Ankunft bereits andere Männer an der 
Arbeit fand, mit denen er nicht gleichen Sinnes war. 
Es waren Dionysius Melander und Johannes Bernhard 


1) Königstein S. 85. 

3) Vgl. das Beglaubigungsschreiben vom 30. Mai 1525 in der 
Erlg. Ausg. 53, 307 und die Erläuterungen dazu bei Enders, 
5, 183. 


DuA 


67 227 
genannt Algesheimer, beide der reformierten Denkweise 
viel näher stehend als der lutherischen. Melander, der 
einmal von der Kanzel den Bann gegen den Papst und die 
ganze Klerisei schleuderte, begegnet uns später als geist- 
licher Berater Philipps von Hessen, dessen Bigamie er 
auch auf der Kanzel verteidigte!) Algesheimer hat 
nachmals den Frankfurter mit dem Ulmer Kirchendienst 
vertauscht, als ihm (1536) in Peter Geltner ein ausge- 
sprochener Schiiler Luthers zur Seite trat. Die von diesem 
betriebene Einführung der sächsischen Zeremonien, na- 
mentlich der Gebrauch der Alba und das Brennen von 
Kerzen bei der Abendmahlsfeier, war offenbar nicht 
nach seinem Sinne?). 

Ihre Tätigkeit in Frankfurt begannen die neuen 
Männer an Pfingsten (4. und 5. Juni) 1525 unter großem 
Zulauf in der Liebfrauen- und Leonhardskirche?). Sie 
repräsentieren die Sturm- und Drangperiode in der Frank- 
furter Reformationsgeschichte. Auch der Pfeddersheimer 
Vertrag setzte ihrer Wirksamkeit kein Ende. Welchen 
Anklang sie fanden, zeigt die Bitte, welche damals die 
Steinmetzen dem Rate vortrugen, keine anderen Prediger, 
denn so jetzo seien, aufstehen zu lassen, damit weiterer 
Aufruhr unter der Gemeine nit entstehe. Ähnlich baten 
die Zünfte insgesamt, daß das Evangelium nach Laut 
des ersten Artikels auch ferner gepredigt werde‘). So 
hielt denn der Rat schützend seine Hand über die beiden 
Prediger, von denen Melander die Sonntags-, Algesheimer 
die Wochengottesdienste (am Mittwoch- und Freitag- 
nachmittag) übernahm. ‚Sie han alle beyde den pabst, 
pristerschaft hochlich angetast, das hochwirdig sacra- 
ment, all ceremonien der kirchen und sunderlich die 
meß ganz veracht“5). Dazu richteten sie auch den Gottes- 

!) Hiergegen erhob Bucer Einsprache in seinem Brief an 
den Landgrafen vom 19. April 1540. Lenz, Briefwechsel Landgraf 
Philipps des Großmütigen von Hessen mit Bucer, I, 165f. 

2) Über Algesheimer vgl. Enders 11, 15. Er hat semen 
Namen von Algesheim bei Ingelheim, wo er früher Pfarrer war. 

*) Königstein S. 89. 

t) Steitz, Westerburg S. 101. 

5) Kónigstein S. 99. 

15* 


228 68 


dienst ganz neu ein „mit ongewonlichem gesang in der 
pharkirchen“!), d. h. sie führten den Gemeindegesang 
ein. Der Rat ließ sie bei alledem ruhig gewähren. Auch 
der neue Dompfarrer Dr. Friedrich Nausea, der Anfang 
1526 sem Amt antrat, richtete nichts gegen sie aus, da 
die Gemeinde sich vorgenommen hatte, ihn überhaupt 
nicht zu Worte kommen zu lassen?) Ebenso war eine 
Beschwerde des Mainzer Ordinariates tiber sie vergeblich. 
Die Verantwortung, welche sie dagegen dem Rate vor- 
legten, ist deshalb besonders denkwiirdig, weil sie uns zeigt, 
wie abhängig die beiden Prädikanten von Zwingli waren, 
— „selbst die Schlagwörter des Schweizer Reformators 
hatten sie sich angeeignet. Frankfurt trat durch ihre 
Wirksamkeit entschieden in die Reihe der vom Geiste 
Zwinglis beherrschten Städte‘“°). 

Einen Bundesgenossen erhielten Melander und Alges- 
heimer 1529 noch in dem bisherigen Lektor und Guardian 
der Barfüßer Peter Pfeiffer, genannt Chomberg, der nach 
Auflösung seines Klosters (1529) gleichfalls scharf gegen 
die Lehren und Einrichtungen der alten Kirche eiferte, 
später aber, als Geltner die sächsischen Riten in Frank- 
furt einführen wollte, mit Algesheimer nach Ulm zog. 
Wir besitzen von ihm noch eine Skizze der Predigt, 
welche er am 12. Juli 1529 morgens 7 Uhr in der Bar- 
füßerkirche in habitu saeculari vor viel Volk über Joh. 14, 6 
hielt. Er nahm die drei Mönchsgelübde vor und be- 
kannte, „alles, das er getan hab im orden und kutten, 
sei widder Goit gewest, wan die werk gar nit selig machen. 
Er hat auch gezwifelt, ob sanct Franciscus selig sei, 


und gesagt: Francisce, Francisce, die blat, kutt, gepett. 


hot dich nit selig gemacht! auch es sei kein obberkeit 
meh, wan die weltlich, welcher man gehorsam leisten 
soll, und der gleichen ketzersch artikel vill, alle zu eyner 
schande, ußgeruffen, den babst vernicht, die beicht ver- 
acht, die meß gar abgethan“*). 


1) Ebda. S. 101. 

8) Wedewer, Johannes Dietenberger. S. 73f. 
8) Steitz, Abhandlungen usw. 8. 221. 

*) Königstein S. 153. 


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69 | 229 


Ebenso wie über die Lehren und Einrichtungen 
der Kirche setzten sich diese Prediger freilich oft auch 
über die Gebote von Sitte und Anstand hinweg. Zu 
lange hatten diese Männer wider ihre Natur gelebt. Jetzt 
ließen sie sich widerstandslos von ihr zu allem fortreißen. 
Auf die Frage, was denn noch gelten solle, hatte ihr 
Radikalismus keine Antwort. Chomberg fing am Brunnen 
Liebschaften mit den Mägden an, die Wasser holten. 
Die beiden anderen gaben so vielfaches und schweres 
Ärgernis, daß der Rat zeitweilig (1528) erwog, nach zwei 
anderen, ehrbaren Prädikanten zu trachten, die sittiger 
wären, denn diese zwei!). Es kam indessen nicht so weit, 
wohl mit Rücksicht auf die Gunst, die Melander?) und 
Algesheimer bei dem Volke genossen. So beschränkte 
sich der Rat darauf, ein Jahr später, in der Person des 
Johannes Cellarius einen Wittenberger Theologen zu be- 
rufen, der, von Luther warm empfohlen®), Garantien für 
Gelehrsamkeit, Mäßigung und Sittenstrenge zu bieten 
schien. | 

Der Versuch indessen, mit ihm ein gemäßigteres 
Element in das Predigerministerium zu bringen, scheiterte 
an der Verschiedenheit der Dogmatik. Cellarius konnte 
sich auf die Dauer nicht halten. Bereits nach einem 
halben Jahre stellten sich zwischen ihm und den drei 
anderen Predigern bei Aufstellung einer Abendmahls- 
liturgie erhebliche Meinungsverschiedenheiten heraus, die 
sich in der Folge so zuspitzten, daß der Rat sich schließlich 
im Frühjahr 1532 genótigt sah, ihm ,,einen freundlichen 
Urlaub zu geben“. An seiner Statt wurde Matthias 
Limberger als Prediger an St. Peter angestellt und damit 
die Homogenität des Kollegiums wieder hergestellt. 
Doch setzte Cellarius auch jetzt noch seine Predigt- 
tätigkeit im Katharinenkloster fort, bis die Prädikanten 
dem Rat erklürten, sie würden ihre Wirksamkeit ein- 


1) Steitz, Abbandlungen usw. S. 269. 

2) Melander muBte aber zuletzt doch um unsauberer Dinge 
willen seine Stelle aufgeben. 

*) Wrampelmeyer, Tagebuch über Dr. Martin Luther ge- 
führt von Dr. Conrad Cordatus. Nr. 1139. S. 299. 


230 70 


stellen, falls er den Winkelprediger noch länger dulde!). 
Daraufhin benutzte Cellarius die Herbstmesse, um sich 
nach Wittenberg zu begeben. 

Der Charakter des Frankfurter Reformationswerkes 
ist in dieser Phase der Entwicklung erheblich verscbieden 
von demjenigen des vorhergehenden Stadiums. Der Huma- 
nismus, welcher damals die Führung hatte, muBte jetzt, 
da man die Zünfte gewähren ließ, mehr und mehr zurück- 
treten. ‚Charakteristisch dafür ist das Schicksal, welches 
den Rektor Micyllus?) eben in diesen Jahren traf. Dieser 
hatte im Herbst 1524 die Leitung der Schule Wilhelm 
Nesens übernommen. Seine Geistesrichtung war bestimmt 
worden durch den Erfurter Humanistenkreis, dem er 
1518—1522 angehört hatte. Sie faßt sich in dem Be- 
kenntnis?) zusammen: ‚Ich habe mich überzeugt und 
bin durch griindliches Nachdenken zu der Einsicht ge- 
langt, daB ohne die Grundlage dieser Studien, mag man 
sie poetische oder humane nennen wollen, weder góttliche 
noch menschliche Dinge auf die rechte und erfolgreiche 
Weise behandelt werden können.“ Ein Aufenthalt in 
Wittenberg 1523 hatte ihn nicht tiefer unter den Einfluß 
Luthers gebracht. Wenigstens erklärte er bei seiner 
Bewerbung um die Professur für die griechische Sprache 
an der Heidelberger Universität gegen den Kurfürsten 
Ludwig V. von der Pfalz am 5. Dezember 1532: ‚Wo 
vielleicht, als ich besorg, in Ew. Churfürstl. Gnaden 
durch Mißgunst eingebildet wäre, daß ich der lutherischen 
Sekte anhängig sein sollte, geb’ ich diesen wahrhaftigen 
Bericht, daß mir solches ganz zu Unschulden zugemessen. 
Dann wo dem also, wäre ich bei einer ehrsamen Stadt 
Frankfurt, da ich ehrlich Unterhaltung gehabt, blieben 


1) Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f. 

2) Vgl. Steitz, Ebda. S. 216—256: Des Rector Micyllus 
Abgang von Frankfurt 1533 nach seinen bisher unermittelt ge- 
bliebenen Ursachen dargestellt. Über Micyllus vgl.noch: J.Classen, 
Jacob Micyllus, Rector zu Frankfurt a. M. 1524—1533 und 
1537— 1547, als Schulmann, Dichter und Gelehrter. Zwei Abtei. 
lungen. Frankfurt a. M. 1858. 

3) In der Widmung seiner Ausgabe von Boccacios Genealogia 
Deorum (4. November 1531), bei Steitz S. 226. 


71 231 
und wollte wohl bei Andern eine mehrer Besoldung er- 
langen mögen. Ich hab’ bisher mich der Theologie nichts 
unterzogen und mit keinerlei Secten umgangen, allein 
bonis litteris und meinem fürgenommenen Studio ange- 
hangen, wie ich auch fürder zu thun gedenke 1) °° Für 
einen solchen wissenschaftlichen Betrieb hatte man aber 
in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre keinen Sinn, 
und ehemalige Mönche wie Melander, Algesheimer und 
Chomberg waren nicht die Leute, ihn zu pflanzen. Die 
anfangs freundlichen Beziehungen zwischen ihnen und 
dem Rektor erkalteten. Ihr demagogisches Auftreten 
war seiner Gelehrtennatur im höchsten Grade zuwider, 
und nach den stachelichten Versen zu schließen, die er 
ihnen gewidmet hat, waren auch die persönlichen Er- 
fahrungen, welche er mit ihnen machte, recht unerquick- 
lich. Als ar sich dann enger an Cellarius anschloß, der 
ihm aus der Schule Melanchthons ein größeres inneres 
Verständnis für seinen Interessenkreis entgegenbrachte, 
wurde seine Stellung vollends unhaltbar. Es waren die 
Wege des Humanismus und der Reformation, die sich 
damals in Frankfurt schieden, um sich später unter 
günstigeren Umständen wieder zusammenzufinden. Die 
Prädikanten ‚‚verdächtigten seine Wissenschaft und 
seinen Unterricht als heidnisch und machten es ihm wohl 
unverhohlen zum Vorwurf, daß er durch die Einführung 
der Jugend in die antiken Religionen dem heidnischen 
Götzendienst der katholischen Tempel, der Messe und 
der Heiligen einen Halt gewähre; sie wußten die Bürger- 
schaft, die sie mit ihren demagogischen Künsten bear- 
beiteten und lenkten, gegen die Schule einzunehmen 
und wurden dadurch die Urheber ihres Verfalles; der 
Rat aber, der selbst dem Terrorismus des Dionysius 
keine Macht entgegenzustellen hatte, vermochte weder 
den Micyllus, noch die Schule zu schützen und mußte 
ihn zuletzt seinen Feinden opfern''?). Mit Beginn des 


1) Bei Steitz S. 252. 

2) Steitz, S. 227. — Als verfehlt erscheint mir der Versuch 
von Steitz S. 253, aus Micyllus einen Märtyrer des Luthertums 
zu machen, der den Anhängern Zwinglis habe weichen müssen. 


232 72 


Jahres 1533 siedelte Micyllus nach Heidelberg über, 
Damit schied der Humanismus als reformatorisches 


Prinzip endgültig aus der Frankfurter Kirchen- 
geschichte aus. 


9. Luther und die Frankfurter Kirche. 


Der Einfluß Luthers, den Cellarius vermittelt hatte, 
ging an dem Frankfurter Kirchenwesen nicht spurlos 
vorüber. Er zeigt sich in dem „Bedenken“, welches 
die vier Prädikanten am 3. März 1530 auf Veranlassung 
des Rates „einhellig‘“ vorlegten, und das von Cellarius 
verfaßt ist. Dieses , Bedenken", in welchem wir die 
älteste Frankfurter Kirchenordnung zu erblicken haben t); 
nimmt sich Luthers ,,Deutsche Messe“ zum Vorbild, 
läßt aber dabei das Nebeneinander des Wittenberger 
und des Schweizer Typus mit ziemlicher "Deutlichkeit 
erkennen. Wie Luther, so wollen auch die Frankfurter 
aus ihrer Gottesdienstordnung kein Gesetz machen, das 
die Gewissen wie unter dem Papsttum verwirren könnte, 
Sie behalten je nach Zeit und Umständen Änderungen 
ausdrücklich vor. Auch die Benützung des Gottesdienstes 


Die konfessionelle Antithese, die Steitz zwischen M. und den Prädi- 
kanten machte, hàlt nicht Stich angesichts der oben mitgeteilten 
Erklärung des M., Frankfurt sei eine lutherische Stadt, in der er, 
falls Lutheraner, hatte bleiben kónnen. Auch der Anschluf an 
Cellarius ist kein hinreichender Beweis für die lutherische Denk- 
weise des M. beide begegneten sich auf der gemeinsamen Basis 
des Humanismus. Unhistorisch und Silbenstecherei ist es, wenn 
Steitz meinte, M. habe sich nur zu einer lutherischen „Kirche“ 
als der „Kirche Christi selbst in ihrer gereinigten Gestalt", als der 
„Gemeinschaft des wahren Protestantismus‘“, aber nicht zu einer 
lutherischen ‚Sekte‘ bekannt. Es ist eine Vorausdatierung einer 
sehr viel späteren Ausdrucksweise, schon im Jahre 1532 eine solche 
luth. Kirche erwähnt finden zu wollen. Über den Sinn, welchen 
der Ausdruck ,,luth. Sekte“ in dem damaligen Frankfurt hatte, 
läßt das Tagebuch Körigsteins keinen Zw. ifel: zu ıhr gehören die 
kirchlichen Neuerer insgesamt. Ihnen will M. nicht zugezählt 
sein, gleichviel ob sie auf Wittenberg oder auf Zürich eingeschworen 
seien. Er ist nicht Theolog, sondern Humanist. 

*) Abgedruckt bei Ritter, Evang. Denckmahl S. 195ff. Der 
Entwurf des Cellarius ebenda S. 199ff. 


73 233 


zur Belehrung der Jugend und des Volkes entspricht 
ganz dem Wittenberger Muster, an das sie sich auch 
mit der Anmeldung zum Abendmahl anschlieBen. Und 
wenn die Einsetzungsworte aus den vier Berichten zu- 
sammengearbeitet sind, so geht das ebenso auf den 
Vorgang Luthers zurück, wie die Reihenfolge, in der 
die Kommunikanten am Altar erscheinen. Anderes 
dagegen ist stillschweigend aufgegeben, manches 
auch neu eingeführt. Meßgewänder, Altar und Lichter, 
die Luther nicht angetastet hatte, sind in der Frankfurter 
Ordnung nicht erwähnt. Für die Abendmahlsfeier sollen, 
„wie auch zuvor, unter dem Bapstthum, hie breuchlich 
gewest ist," lange Tische vor dem Chor aufgestellt werden. 
Auch wurde der Rat ersucht, er möge ‚etliche dapfere 
ansehliche Menner verordnen, die Got und dem hoch- 
würdigen Sacrament zu Ehren auf beiden Seiten des 
Tischs da stünden, Unordnung oder Unehr so sich be- 
geben möcht, zu verhüeten“. Die Feier selbst wurde 
eingeleitet mit dem Gesang der zehn Gebote, unter dem 
der Tisch bereitet wurde; es folgte eine kurze Abend- 
mahlsvermahnung, die vor unwürdigem Genusse warnte, 
das Gebet, eine Paraphrase des Vater-Unser, wie bei. 
Luther, und die Einsetzungsworte; die Distribution er- 
folgte unter Psalmengesang der Gemeinde; den Schluß 
bildeten Danksagung und Segen. Endlich lassen die 
Prediger durchblicken, daß ‚solch Nachtmal villeicht 
nit alle Sonntag gehalten wiirdet‘‘), sie sind also nicht 
der lutherischen Meinung, daß zum rechten Gottesdienst 
die Abendmahlsfeier als integrierender Bestandteil ge- 
höre, weil er erst in ihr seinen Höhepunkt erreiche. In 
diesem wie in den übrigen Punkten nähert sich die Kirchen- 
ordnung in demselben Maße dem Schweizer Typus, wie 
sie sich von dem Wittenberger entfernt. Besonders deutlich 
zeigt sich die Abweichung von der lutherischen Weise 
auch in der Liturgie des sonntäglichen Hauptgottes- 
dienstes. Bei Luther verläuft der Gottesdienst, wie er 
ihn selber nennt, als eine ‚Deutsche Messe“ mit allen 


1) Seit 1533 wurde es alle drei Wochen gefeiert. Steitz, 
Hartmann Beyer S. 19. . 


234 74 


Stücken des rómischen Kanons, soweit dieser nicht unevan- 
gelisch ist. In Frankfurt dagegen hat man sich eine 
ganz einfache Form neu geschaffen. Auf einen Psalm, 
den die Gemeinde zum Eingang sang, folgte ein Gebet 
mit kurzem Gesang, etwa: Nun bitten wir den heiligen 
Geist. Daran schloß sich eine biblische Lektion deutsch 
oder lateinisch an, und zwar am liebsten durch die Zög- 
linge der Lateinschule. Dann gab der Prädikant in einer 
halbstündigen Predigt Erklärung und Anwendung des 
Gelesenen und schloß mit der Kollekte, d. h. der Mahnung 
zur Wohltätigkeit. 

Die Kompromißarbiet konnte doch nicht alle Diffe- 
renzen beseitigen. Nicht nur die beiden Prediger in 
Sachsenhausen und an St. Peter widersprachen öffentlich. 
Cellarius selbst verließ nach ärgerlichen Auseinander- 
setzungen mit seinen Kollegen die Stadt. Es scheint, 
daß er dann in Wittenberg versucht hat, die Autorität 
Luthers gegen die Frankfurter in Bewegung zu setzen. 
Doch war er klug genug, andere Leute vorzuschieben, 
die auf der Rückreise von der Messe in Wittenberg an- 
kehrten und sich nun hier bei Luther darüber beklagten, 
daß man von den Frankfurter Kanzeln seine Lehre nicht 
zu hören bekomme. Vor allem reizten sie den Zorn 
Luthers gegen die Frankfurter Prediger, indem sie ihm 
zutrugen, diese hätten die Beichte verworfen und ver- 
spottet, und sie predigten vom hl. Sakrament ‚auf Zwing- 
lische Weise, doch unter dem Schein und mit solchen 
Worten, als solt es gar gleich und Ein Ding sein mit 
unser und unser Gleichen Lehre“. 

Luther richtete daraufhin gegen Ende des Jahres 1532 
eine „Warnungsschrift an die zu Frankfurt am Mayn, 
sich vor Zwinglischer Lehre zu hüten''!), in der er klar- 
stellte, daß die dort übliche Formel, ,,es sei Christi Leib 
und Blut wahrhaftig gegenwärtig im Sacrament”, sich 
mit seiner Lehre noch nicht decke, solange die heimliche 
Glosse und Verstand der sei: „daß der wahrhaftige Leib 
und Blut Christi sei wohl gegenwärtig im Sakrament, 


1) Erlg. Ausg.? 26, 370ff. Vgl. Steitz, Abhandlungen S. 257ff. 


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aber doch nur geistlich, und nicht leiblich; wird auch allein 
im Herzen mit dem Glauben empfangen, und nicht leib- 
lich mit dem Munde, welcher empfähet eitel Brot und 
Wein“, wie Zwingli mit dürren Worten gelehrt habe. 
Er fand es ein doppelzüngiges Spiel, wenn man sich 
auf eine Formel einigte, unter der sich jeder Teil denken 
konnte, was er für richtig hielt. Er konnte sich das nur 
so erklären, daß etliche gesehen hätten, „daß der Karren 
zu fern und tief in Schlamm geführet ist, und nicht mehr 
lauten will ihr voriges Geschrei von eitel Brot und Wein 
im Sacrament’. Er verwirft die Fides implicita, die sich 
darauf zurückzieht zu sagen: „Ei, es ist genug, daß du 
gläubest: den Leib, den Christus meinet“; denn das 
heißt ihm nicht Urkund gegeben der Hoffnung, so in 
uns ist (1. Petr. 3, 15); im Gegenteil: ,,Das ware mir 
eine löbliche Kirche in den Säustall gebauet!' Und so 
schließt er diesen Teil seines offenen Briefes mit den 
zornigen Worten: „Türken und Jüden sind viel besser, 
die unser ren leugnen und frei bekennen; denn 
damit bleiben wir unbetrogen von ihnen und fallen in 
keine Abgötterei. Aber diese Gesellen mußten die rechten 
hohe Erzteufel sein, die mir eitel Brot und Wein geben, 
und ließen mich’s halten fur den Leib und Blut Christi, 
und so jämmerlich betrögen. Das wäre zu heiß und zu 
hart, da wird Gott zuschmeißen in Kurzen. Darumb, 
wer solche Prediger hat, oder sich deß zu ihnen versieht, 
der sei gewarnet fur ihnen, als fur dem leibhaftigen Teufel 
selbs.'' 

Da Luther außer über das Abendmahl auch noch 
um Rat gefragt worden war, wie sich die guten, frommen 
Herzen in der Beichte halten sollten, , weil ihre Prediger 
dieselbigen ganz verdammen und verspotten", so ver- 
breitete er sich in dem zweiten 'Teile seines Sendschreibens 
auch nocb über diese Frage. Die Beichte besteht ihm 
aus Sündenbekenntnis und Absolution. Das Sünden- 
bekenntnis, das er nicht mit der erzwungenen Ohren- 
beichte verwechselt wissen will, erstreckt sich auf die Sünden, 
die das Beichtkind am meisten drücken. Es wird aber 
nicht von den Verständigen gefordert, die wohl wissen, 


236 16 


was Sünde ist, sondern von dem Pöbel und der Jugend, 
die wenig aus der Predigt lernen!). Und die sollen in der 
Beichte nicht nur nach ihren Sünden gefragt werden, 
sondern auch nach den Hauptstücken des Katechismus. 
Vor allem vor der Feier des hl. Abendmahls ist das nótig, 
denn es ist nicht gleichgültig, wen man zu dieser Feier zu- 
läßt, nur ‚wo die Prediger eitel Brot und Wein reichen 
fur das Sacrament, da liegt nicht viel an, wem sie es 
reichen, oder was die können und gläuben, die es empfahen. 
Da frißt eine Sau mit der andern, und sind solcher Mühe 
billig uberhaben, denn sie wöllen wüste, tolle Heiligen 
haben, denken auch keine Christen zu erziehen, sondern 
wöllen’s also machen, daß uber drei Jahr alles verstöret 
sei, weder Gott, noch Christus noch Sacrament, noch 
Christen mehr bleibe. Von dem Werte der Beichte 
ist Luther tief durchdrungen. Ihre Gegner sind ihm 
„der Teufel und seine Apostel“. Er will sie sich aber nicht 
nehmen lassen. ,,Wer sie fur sich nicht will haben, der 
laß sie gehen, doch soll er sie darumb uns und andern 
Frommen (die ihr benöthigt, und ihren Nutzen verstehen) 
nicht nehmen noch vernichten. Es heißt: Qui ignorat, 
ignoret. Wenn tausend und abertausend Welt mein 
wäre, so wollt ichs alles lieber verlieren, denn ich wollt 
dieser Bejicht?) das geringste Stücklin eines aus der 
Kirchen kommen lassen. Ja lieber sollt mir sein des 


1) Dem stimmte Bucer zu in seinem Brief an den Landgrafen 
Philipp von Hessen vom 25. Februar 1545. Bei Lenz II, 296. 

2) Luther rechtfertigt diese Schreibweise mit der Etymologie 
und folgert aus ihr, daß die Beichte auch ein Glaubensbekenntnis 
in sich schließe: ,,Bejichten heißt bekennen, wie auch im Gericht 
das Wort noch in Übung ist: Urjicht; und man sagt: das jicht er, 
das hat er bejicht usw. Und sind zwei unterschiedlich j in dem 
Wort Bejicht, welches mit der Zeit ist in Ein i verwandelt, und 
durch Mißbrauch ,,Beicht*', als mit Einem i geschrieben und geredt, 
wie viel andere alte deutsche Wörter also verderbet sind. Da- 
rumb soll ein Bejichter oder Bekenner nicht alleine Sunde wissen 
zu erzählen, sondern auch daher aufsagen, was er vom Glauben 
und Christo gelernt hat, und was dawider gethan heiße, auf das sie 
solchs fur den Eltern, Schulmeistern, Pfarrherrn also gewohnen zu 
bejichten, und wo es not sein würde, auch fur dem Richter bejichten 
und darüber sterben künnten.“ 


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Papstthumbs Tyrannei von Fasten, Feirn, Kleidern, 
Statten, Plappen, Kappen, und was ich kunnt ohn Ver- 
sehrung des Glaubens tragen, denn daß die Bejicht sollt 
von den Christen genommen werden. Denn sie ist der 
Christen erste, nöthigste und nützlichste Schule, darin 
sie lernen Gottes Wort und ihren Glauben verstehen und 
uben; welchs sie nicht so gewaltig thun in öffentlichen 
Lectionen und Predigten.“ Das andere Stück der Beichte, 
die Absolution, ,,die der Priester spricht an Gottes Statt‘, 
ist „nichts anders denn Gottes Wort, damit er unser Herz 
tröstet und stärket wider das böse Gewissen, und wir 
sollen ihr gläuben und trauen, als Gott selber“. Luther 
läßt hier nur die Wahl: ,,Wer so blind ist, daß er solches 
nicht siehet, oder so taub ist, daß ers nicht höret, der 
weiß freilich nicht, was Gottes Wort und christlicher 
Glaube und Trost sei; was kann er denn Guts lehren ? 
Siehet ers aber und hörets, und verdampt also wissentlich 
die Bejicht in diesem Stücke, so ist er ein lauter Teufel 
und kein Mensch, als der sich wissentlich wider Gott 
setzt, und wehret, daß man Gottes Wort den Leuten 
nicht soll sagen, noch die Herzen trösten, und im Glauben 
stärken; der mag billig Gottes und aller Menschen Feind 
gehalten werden, sonderlich der heiligen Christenheit. 
Und wo solche Prediger sind, da mügen sich wahrhaftig 
alle fromme Christen fur ihnen hüten, als fur den leib- 
haftigen Teufeln.“ Luther sagt auch, warum ihm dieses 
Stück so wichtig ist, und warum er es für unentbehrlich 
such für die gelehrtesten und heiligsten Leute hält. Er 
denkt an den Trost, den er selber je und je aus der Ab- 
solution geschópft hat. ,,Umb dieses Stücks willen“, 
bekennt er, „brauch ich der Bejicht am allermeisten, 
und will und kann ihr nicht empehren; denn sie mir 
oft und noch täglich großen Trost gibt, wenn ich betrübt 
und bekömmert bin.“ Nach diesen Darlegungen blieb 
ihm nur noch übrig, sich zu dem Anstoße zu äußern, 
den man in Frankfurt daran genommen haben sollte, 
daß die Kinder im Katechismus angewiesen wurden, 
den Beichtvater: ,,Wiirdiger Herr! anzureden. Er ist 
an sich geneigt, statt dessen die Anrede: ‚Lieber Herr“ 


238 l 78 


oder: „Lieber Vater‘ zuzulassen. Aber auch hier meint er 
den Pferdefuß zu sehen. Denn die weltliche Zucht fordert, 
daß die Jugend und der Pöbel die Alten und die Lehrer 
ehrt. „Aber weil die Schwärmer solch nöthige Zucht 
verspotten, kann man wohl merken, daß ihr hoher Geist 
nichts anders ist, denn ein boshafter, fursetziger Haß 
und Neid, nicht allein wider unser Lehre und Gottes 
Wort, sondern auch wider alle weltliche Zucht und Ehre. 
Die Aufruhr stinkt ihn zum Halse heraus, und wollten 
gern alles gleich und kein Unterscheid leiden, doch sofern, 
daß sie allein zuletzt Wirdige Herrn heißen, und sonst 
niemand; wie Münzer wollt alle Herrn tödten, und allein 
Herr sein.“ Weil er also den Schalk hervorlugen sieht, 
deshalb sollen Rat und Gemeine dem treugesinnten 
Warner seinen Rat zugute halten. ‚Habt das Spiel in 
guter Acht, und steckt die Augen nicht in Beutel, damit 
nicht solche Prediger bei euch sein, noch zu euch kommen; 
der Teufel ist em Schalk.” 

^ Um den Frankfurtern zu zeigen, was ihnen bevor- 
stehe, legte er dann noch eine Copie seines Briefes an 
die Gemeinde zu Mühlhausen vom Jahre 1524 bei. Dann 
schloß er: „Ich weissage nicht gerne, und ahnet mir 
doch nichts Guts in meinem Herzen von den frechen 
Geistern, denn sie haben auch bisher nichts Guts, sondern 
viel Böses geschafft. Gott steure ihnen, und bewahre 
euch und alle fromme Herzen in seinem reinen Wort 
und rechten Glauben, in Christo unserm Herrn; dem 
sei Lob und Ehre in Ewigkeit, Amen.” 

Noch ehe dieses Schreiben förmlich an den Rat 
gelangte (13. Februar 1533), erhielten die Prädikanten 
von seinem Inhalte Kenntnis und ließen es sich alsbald 
angelegen sein, sich von den Beschuldigungen zu reinigen, 
die darin gegen sie erhoben waren. Auf ihr Betreiben 
bestätigte ihnen der Rat am 28. Februar mit Brief und 
Siegel ihre Unschuld, ‚daß sie... das Wort Gottes lauter, 
wohl und recht, und nit aufrührisch gepredigt noch ge- 
lebt haben, wie dann bis heut dato ihrer Predig halben 
in unser Stadt kein Uffruhrerschienen, noch entstandenist!). 


1) Bei Steitz, Abhandlungen usw. S. 263. 


79 | 239 


In der Verteidigungsschrift, welche sie sodann am 
1. März einreichten !), waren sie insofern in einer günstigen 
Lage, als Luther von seinen Gewährsmännern nicht 
durchweg recht berichtet worden war. Hatte er selber 
in seiner Warnungsschrift zugestanden, er kenne die 
Personen, welche aus den Reden der Frankfurter Prediger 
nicht klug geworden sein wollten, nicht einmal dem 
Namen nach, so forderten diese nun ihre Ankläger auf, 
mit ihren Fragen und Klagen ans Licht zu treten, damit 
sie nach der von Luther angezogenen Schriftstelle sich 
vor ihnen verantworten oder von ihnen eines Besseren 
belehren lassen könnten. Nach Wittenberg aber zielte 
die Bemerkung, es sei ‚nit allweg gut zu glauben, was 
gesagt wird, dann leider viel unnützer Schwätzer in der 
Welt seind, die mit Unwahrheit gern Unfrieden wöllten 
anrichten. Der Herre wehre ihnen, bessere sie und ver- 
gebs ihnen, dann wir anderst gelehrt haben, dann für- 
bracht ist worden. Hatte sich Luther darüber beklagt, 
daß man in Frankfurt seine Lehre in vielen Stücken 
verspotte und verwerfe, so warnten die Beklagten die 
Verbreiter solcher Reden, sie móchten wohl zusehen, 
wie sie das vor Gott verantworten kónnten. Und hatte 
er vor ihnen gewarnt, weil sich niemand darauf verlassen 
dürfe, von ihnen seine Lehre zu hóren, so war ihre Ant- 
wort gut biblisch: „Wir predigen Christum, den Gekreu- 
zigten. — Die Schäflein Christi hören die Stimme Christi; 
predigen wir Christum nit, oder ein Engel vom Himmel 
oder ein Mensch uff Erden, soll man's nit annehmen.“ 

Zu der Abendsmahlslehre übergehend, beriefen sich 
die Prädikanten einfach auf die Bibel. Sie hätten nach 
den Einsetzungsworten gelehrt, wie das der Gemeine 
Gottes am heilsamsten sei, daß der Herr seinen Jüngern 
in diesem Sakrament seinen wahren Leib und wahres 
Blut wahrlich zu essen und zu trinken gebe zur Speise 
ihrer Seelen und ewigem Leben, daf) sie in ihm und er 
in ihnen bleibe. Dabei hätten sie mit allem Fleiß das 


1) Abgedruckt in F. R. II Beil. 10 8. 23ff. Ritter, Ev. Denck- 
. mahl S. 203ff. Luthers Werke, Erlg. Ausg.* 26, 389ff. 


240 80 


Volk von allem Zank und unnötigen und fürwitzigen 
Disputieren zu dem, was nützlich und von dem Herrn 
Christus allein gemeint sei, gewiesen. Daraus ergebe 
sich für jedermann,. daß sie gar nicht gelehrt hätten, 
in dem Sakrament sei eitel Brot und Wein. Sie hätten 
auch weder Karren noch Wagen zu fern und tief in den 
Schlamm geführt, sondern nur dringend gemahnt, bei 
den Worten des Herrn in einfältigem Glauben und ohne 
Zweifel zu bleiben. Auch müßten sie es ablehnen, daß 
man ihnen eine andere Meinung, Glosse oder Verstand 
unterschiebe. Es sei ihr Sinn und Meinung nie gewesen, 
der christlichen Gemeine den teueren Schatz der wahren 
Gegenwart Christi im Abendmahl zu nehmen. Damit 
die Gläubigen diesen Schatz recht und wahrlich zugegen 
und in sich hätten, wiesen sie sie vor allem zu dem einigen 
Heiland Christus im wahren Glauben, ohne den doch 
Wort und Sakrament und alles Reden und Tun der Diener 
vergeblich sei. 

Bei dem anderen Anklagepunkt, sie verdammten 
und verspotteten die Beichte, konnten sich die Prädikanten 
auf die Rechtfertigung beziehen, die sie bereits sieben 
Jahre früher gegen eine ähnliche Beschwerde des Erz- 
bischofs von Mainz bei dem Rate eingereicht hatten!). 
Sie unterließen aber auch nicht, auf das zu verweisen, was 
sie in ihren Predigten immer wieder von der Beichte 
gesagt, und was die Gewährsmänner Luthers da von 
ihnen ganz klar hätten hören können: , Wahre und gött- 
liche Beicht der Sünden ist von uns nit verdampt, wir 
haben aber gelehrt, sie mög von niemand geleistet werden, 
dann welichen seine Reu uber die Sünd und Forcht 
göttlichs Zorns darzu treibt, derhalb es nit müglich ist, 
solche mit Geboten zu fordern, darumb sie dann weder 
der Herr selb noch die Apostel geboten haben; lehren 
auch, daß nit eben dem Priester geschehen muß, durch 
welches Wort man gemeinlich die päpstischen Pfaffen 
versteht; sunder wer Rath, Trost oder Unterweisung 
bedarf und begehret, der such einen recht christlichen, 


1) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denckmahl S. 183ff. 


PE aed 


81 241 


verständigen Mann an, der rathen, trösten, lehren und 
ermahnen kann, so wird derselbig, er sei ein Prediger 
oder sunst einer in Gottes Wort verständig, ihm aus der 
Schrift den rechten Arzt, der allein unsere Sünd hin- 
nimpt, anzeigen, Rat, Trost und dergleichen treulich 
mittheilen“. Mit tiefem Ernst weisen sie in diesem Zu- 
sammenhang den Vorwurf zurück, als handelten sie so, 
daß über drei Jahre alles zerstört sei und weder Gott 
noch Christus, Sakrament noch Christen bleibe. ‚Da 
behüt uns Gott vor! Dann wir darüber Rechenschaft 


. vor dem Richterstuhl Jesu Christi geben müßten, ja es 


würde Gott das Blut derjenigen, so unserer Versaumnuß 
halben verdürben, von unseren Hànden forderen. Darumb 
begehren wir, bezeugen das mit Jesu Christo unserem 
Herrn, dem Richter der Lebendigen und Todten, daB 
die Jugend und der gemein Mann zu christlicher Zucht 
und Verstand erzogen werden, wollen auch nit wüste, 
tolle Heiligen haben, denken aber Christen zu erziehen, 
soviel uns Gott Gnad verleihet und aus Christus Kirchen 


keinen Säustall machen, wóllen auch niemands zum 


Sacrament wie die Sáu zum Trog lassen laufen, habens 
auch nie gethan.“ Def zum Zeugnis schildern sie dann 
im einzelnen, wie sie darauf bedacht seien, daß in allen 
Stücken also gehandelt werde, daß es Gott wohlgefällig 
und den Menschen besserlich sei. 

Den Vorwurf endlich, daß sie Aufrührer seien, über- 
lieBen sie dem Herzenskündiger zu beurteilen; vor der 
Offentlichkeit aber glaubten sie von sich bezeugen zu 
dürfen: ,Wir haben, Gott sei Lob! zu Franckfurt kein 
Aufruhr gesehen, zu Aufruhr nicht gepredigt, aber mit 


allem Fleiß und Treuen gelehrt und ermahnt zu der 


Gehorsame Gottes und seines Worts, auch der Oberkeit, 
die von Gott verordnet ist.“ Nur Eines lag ihnen zum 
Schlusse noch am Herzen: ,,Das begehren wir von Herzen 
mit allen Auserwählten Gottes, daß er uns in der reinen 
Lehre seines Worts wölle erhalten zu seiner Ehre, Er- 
haltung christlicher Zucht und Gehorsame der Oberkeit, 
und wölle uns gnádiglich behüten vor falschen, ver- 
kehrten Lehren, auch Schleichern und heimlichen, wider 
Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 3/4. 16 


242 82 


Verbot der Oberkeit Winkelpredigern!), hoffen wir zu 
Gott durch Jesum Christum, er werd unser Vater sein 
und uns, seine Kinder, hie uff Erden nit verlassen.‘ 
Man wird dieser , Entschuldigung der Prediger zu 
Frankfurt a. M. auf Luthers Sendbrief die Anerkennung 
nicht versagen können, daß sie geschickt abgefaßt ist 
und ruhig und würdig auf die teilweise recht leidenschaft- 
lichen Angriffe antwortet, welche Luther gegen ihre 
Unterzeichner erhoben hatte. Ihr Inhalt ist freilich 
keineswegs lutherisch, auch wenn ihn dogmatische Be- 
fangenheit im 18. Jahrhundert dafür hat ausgeben wollen 2). 
Luther selber, der ihn unerwidert ließ, hat sich doch im 
Kreise seiner Freunde sehr abfällig über ihn geäußert. 
Als ihn Cellarius, der inzwischen die Pfarrstelle in Bautzen 
übernommen hatte, Anfang Mai aufsuchte und ihm viel 
von seinen Frankfurtern erzählte, die zwar geantwortet, 
aber nicht offen Farbe bekannt hätten (,,ibr andtwortt 
wer mum mum, — ein Ausdruck, dessen sich Luther 
in seiner Schrift gegen sie bedient hatte), gab er zur Ant- 
wort: , Es ist ia war, synceriter non responderunt, solche 
vertzweiffelte buben sint sie, das sie nicht dürffen be- 
kennen, was sie glauben, sunt plane Erasmici et amphi- 
bolici?). Richtig hat bereits Steitz*) erkannt, daß die 
Abendsmahlslehre, zu welcher sich die Frankfurter Pradi- 


1) Damit zahlten die Frankfurter ihrem früheren Kollegen 
den Vorwurf heim, sie lehnten sich gegen die óffentliche Ordnung 
auf. Cellarius hatte nàmlich, nachdem er sein Amt an der Peters- 
kirche batte aufgeben müssen, bei den Konventualinnen des 
Katharinenklosters die pfarramtlichen Funktionen vollzogen, so 
daß die Stadtprediger am 29. August 1532 bei dem Rate Beschwerde 
führten, daß Meister Johann Cellarius heimlich und in Winkeln 
predige. Vgl. Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f. 

2) Ritter, Ev. Denckmahl S. 211. — K. Gesch. S. 33f. 

3) Bindseil, D. Martini Lutheri Colloquia, Meditationes, 
Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae 
II, 35. Da Luther in der unmittelbaren Fortsetzung dieser Tisch- 
rede auf Bucer zu reden kommt, so hat er vielleicht auf ihn als den 
Mentor der Frankfurter geraten. Daß sein Urteil über die Frank- 
furter auch sonst nicht günstig war, ergibt sich aus Wrampelmeyer 
Nr. 1134 S. 297 und Nr. 1684 8. 462. 

4) Steitz, Hartmann Beyer S. 17f. 


83 243 
kanten in ihrer Rechtfertigungsschrift bekannten, in 
Form und Inhalt sich kaum von derjenigen der Tetra- 
politana unterscheidet, in der es heißt: Cum hanc coenam, 
ut ipse instituit, repetunt, verum suum corpus verumque 
sanguinem, vere edendum et bibendum in cibum potumque 
animarum, quo illae in aeternam vitam alantur, dare 
per Sacramenta dignatur. 

Wie diese Ubereinstimmung sich erklart, wird sofort 
deutlich, wenn wir erfahren, daß der Verfasser der ,,Ent- 
schuldigung‘‘ kein anderer als Martin Bucer!) ist, der 
offenbar an diese Schrift dachte, als er nicht viel später 
dem Landgrafen Philipp von Hessen meldete, daß zu 
den Ständen, die er für seinen Unionsplan gewonnen habe, 
auch Frankfurt gehöre). | 

Geht man den Tatsachen auf den Grund, die Luther 
veranlaBten, von einem Aufruhr in Frankfurt zu reden, 
so ergibt sich eine drohende und gewalttátige Haltung, 
die die Massen.gegen die Kanoniker einnahmen, indem 
sie ihnen den Chor sperrten und auf dem Wege zur Kirche 
ihnen durch Steinwürfe zu verstehen gaben, sie brauchten 


1) Baum, Capito und Butzer. §. 595. Das Original von 
Bucers Hand (im Archiv zu St. Thomas in StraBburg) trug den’ 
Titel: „Eyn Bericht was zu Frankfort am Meyn von christlicher 
Religion vnd in sonders vom heyligen Sacrament des leybs vnd 
bluts Christi gelert vnd geprediget, mit warhaffter verantwortung 
des so die Prediger doselbst vor D. M. Luther in seinem Brief an 
Ein Erb. Rath vnd gemeyn der stadt Frankfort vngütlich be- 
schuldigt seynd." Auch spáter kam Bucer — in einem speziellen 
Punkte zustimmend — auf den Brief Luthers zurück. Vgl. Lenz II, 
296. Woher die Beziehungen Bucers zu den Frankfurter Prädi- 
kanten stammen, wissen wir nicht. Steitz, Abhandlungen usw. . 
S. 177 hat an das Marburger Religionsgespräch gedacht. Ebensogut 
können sie aber auch durch die genaue Fühlung vermittelt sein, 
die Frankfurt nach Ritter, Ev. Denckmahl S. 216 mit Straßburg 
unterhielt. Durch die Schrift Luthers fühlten sich übrigens auch die 
Schweizer beschwert und wollten ihrem alten Wittenberger Gegner 
scharf antworten. Doch hielt sie Bucer, der im Mai 1533 in Zürich 
weilte, von der Ausführung dieses Vorhabens zurück, das seinen 
Unionsplänen natürlich sehr hinderlich geworden wäre. Secken- 
dorf, comm. III Sect. 7 3 23. (Scalig, Hist. der Augsb. Conf. I, 
414 schreibt dieses Verdienst Capito zu). 

3) Lenz I, 34. 


16* 


241 84 


keine Messe mehr zu lesen. Diese Vorgänge, die indessen 
zu keiner Auflehnung gegen den Rat führten, bewirkten, 
daB am 23. April 1533 der ganze katholische Gottesdienst 
in der Stadt eingestellt werden mußte. Den Anhängern 
des Alten wurde sogar verboten, auswärts den römischen 
Gottesdienst zu besuchen oder ihre Kinder auswärts 
taufen zu lassen. Auch ein Brief, in welchem sich Cochläus 
am 8. Juli von Dresden aus bei dem Rate für seine Glaubens- 
genossen verwendete!), konnte an der einmal getroffenen 
Entscheidung nichts mehr ändern. Die einzige Erleichte- 
rung, die sich mit der Zeit ergab, bestand in einer ge- 
wissen Nachsicht gegen auswärtige Taufen. 

Fragen wir an diesem ersten Abschnitte der Frank- 
furter Reformationsgeschichte, welchen Charakter der 
Bekenntnisstand der Stadt trug, so finden wir, daß noch 
alles stark im Flusse war. Man lief sich an der allgemeinen 
Bestimmung, daß ,,das Evangelium" gepredigt werden 
solle, genügen. Einer bekenntnismäßigen Formulierung _ 
dieses Evangeliums war man noch nicht näher getreten. 
Die Augustana hatte man nicht unterzeichnet. Mit der 
Lehre Zwinglis wollte man nichts zu schaffen haben. 
Aber auch Luther gegenüber wahrte man die eigene 
Selbständigkeit. Die Kirchenordnung von 1530 zeigte, 
daß man das Gute nahm, wo man es fand, ohne viel nach 
Namen und Autoritäten zu fragen. Es war ein Unions- 
typus im Entstehen begriffen, wie er sich besonders 
charakteristisch in Straßburg ausgebildet hat. Dieser 
Unionstypus hat sich in der Folge weiter ausgebildet, 
und es sind vor allem die Straßburger Theologen ge- 
wesen, die dabei als Führer und Berater ihre Dienste 
leisteten. 


¢ 


Zweiter Teil. 
Bis zur Entstehung der Fremdengemeinden. 
1. Die „Ermahnung“ Capitos von 1535. 
Die Beziehungen zwischen Frankfurt und Straßburg 
welche wir bei der Auseinandersetzung mit Luther zum 
ersten Male nachweisen können, setzten sich in der Folge 


4) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denekmahl S. 178ff. Genaueres 
über diese Vorgänge bei Dechent I, 139ff. 


85 245 


fort, und unter ihrem Einflusse gewann in der Stadt 
jener oberdeutsche Unionstypus, wie er uns bereits in 
der Kirchenordnung von 1530 entgegengetreten ist, 
festere Gestalt. 

Den Anlaß zum Ausbau der Straßburger Beziehungen 
bot zunächst Melander!). Dieser eiferte am Sonntag 
Kantate 1534 auf der Kanzel gegen die Bilder in der Kirche 
und wollte dieselben durchaus abgeschafft wissen. Hier- 
über wie auch über einige Zeremonien geriet er in Streit 
mit seinen Kollegen, in dessen Verlauf der hitzige, um 
die Reformation in der Stadt hochverdiente Mann seinen 
Rücktritt vom Amte erklärte. Zu diesen Differenzen 
kam nocb der Anstoß, den er durch einen ärgerlichen 
Ehehandel gab. Der Rat wandte sich, um Frieden und 
Ordnung zu stiften, durch Vermittlung Butzers, der seit 
Ende 1534 vorübergehend in Tübingen weilte, wo er mit 
"Ambrosius Blaurer aus Konstanz und Simon Grynäus 
aus Basel an der Ordnung des württembergischen Kirchen- 
wesens und der Beilegung dogmatischer Streitigkeiten 
arbeitete?), nach Straßburg und bat um Sendung eines 
gelehrten Geistlichen, etwa Hedios oder Capitos. Die 
Straßburger warteten daraufhin zunächst die Rückkehr 
Butzers ab, der über den Jahreswechsel auf der Heim- 
reise von Kassel sich in Frankfurt aufgehalten und hier 
mit den Predigern und dem Rate über die Wiederzu- 
lassung der Messe im Dom verhandelt hatte?), und schickten 
dann Capito, der am 25. Februar 1535 in Frankfurt 
eintrafundalsbald versuchte, denStreitgütlich zu schlichten, 
was freilich bei dem schwierigen Charakter Melanders 
nur teilweise gelang. 

Über seine Bemühungen unterrichtet uns seine 
,Ermahnung' an den Rat‘), in welcher er zur Schaffung 
fester kirchlicher Verhältnisse folgende vier Artikel emp- 
fahl: „Zum ersten daß der Predicanten Unruwe und 


1) Vel. K. Gesch. S. 35. 

^) Baum, Capito und Butzer. §. 499. 

3) Baum, S. 501. 

*) Bei Ritter S. 329ff.: D. Wolffgang Capitonis an ein Ehr- 
barn Rath zu Franckfurth beschehene Ermahnung. 


246 86 


i 

Beschwerd würd gar hingelegt. Zum andern die daß 
Ursachen bekant weren, so ain Ehrsamen Rath für Par- 
theiung in Burgerlicher Handlung verhüten mogen, 
obschon der Religion halben ein Mißverständnüß ver- 
handen. Zum dritten daß Seniores Ecclesiae, Ältere 
der Kirchen und andere Ordinantzen die Geistlich-Hauß- 
haltung belangend angericht wurden, Zum vierten daß 
statlich Schulen aufgericht und geschickte Franckfurter 
Kind zur Lere fürnemlich zur heiligen Schrifft auferzogen 
wurden.‘ 

Der Standpunkt Capitos ist der der Tetrapolitana, 
auf die er sich in seinem zweiten Artikel ausdrücklich 
bezieht. In Übereinstimmung mit ihr erklärt er: ‚Die 
Sach und Sacrament Handlung ist ainerley, aber die 
Gmüter sein verwirret. Schon hier kommt der Streit- 


punkt zum Vorschein, um den sich dann später die Aus-, 
einandersetzungen mit den Fremdengemeinden vor allem 


und immer wieder bewegt haben, die Ubiquitätslehre: 
„Die so man Luthers heist“, gibt der Straßburger Berater 
zu erwägen, „haben zu bedencken daß nyemant vnter 
der Sunnen ist der offentlich sage, daß nichts den Brod 
vnd Wein im Nachtmal sei, vnd daß es lere Zaichen 
seien, sonder wo die Kirche ist, da ist Christus welcher 
durch Wort und Sacrament oder Zaichen dem Glaubigen 
Gwissen im Dienst der Kirchen dargereicht wird, dann 
allein ist widderfochten die Localis Presencia raumliche 
Gegenwartigkeit und natürliche Vereinigung des Leibs 
Christi mit dem Creaturischen Brot." Die Zwinglianer, 
die ,,sich achten inn hohern Verstand kommen sein, 
die sollen die vberigen so noch an Ceremonien oder Ele- 
menten etwas hangen mógten, als die Geringern nicht 
verachten,“ wofür das Bedenken an Röm. 14 erinnert. 
Zwei leitende Gesichtspunkte weist Capito auf: der christ- 
lichen Gemeinde Besserung und sodann der Stadt Ehre 
und Nutzen. Und hier ist es, wo am Horizont die Idee 
eines paritätischen Staates heraufzieht, und zwar nicht 
wie in spáterer Zeit als Forderung und Ideal der Unter- 
drückten und Verfolgten, sondern als wirkliche Toleranz 
auf dem Boden des gleichen Gemeinwesens: ‚Wo auch 


87 | 247 


dergleichen Zertailung bey E. E. W. were, so wolle jeder 
den andern für ain frommen Franckfurter achten ob 
Ire schon nit alle ain an der für fromme Christen und 
Gottverständigen halten mögen, das ist von nóten." 
Schon diese Anschauungen Capitos sind von den- 
jenigen Luthers erheblich verschieden. Im besonders 
charakteristischer Weise kommt sein abweichender Stand- 
punkt aber in dem dritten Artikel!) ‚von Eltern der 
Kirchen vnd Kirchen-Ordinantzen“ zum Ausdruck. Hier 
kennzeichnet sich die Straßburger Haltung, die, vom 
Täufertum beeinflußt, später durch Calvin diejenige der 
reformierten Kirche geworden ist, zunächst dadurch, 
daß ihm zufolge das geistliche Regiment die Gewissen 
erbaut nicht nur durch Wort und Sakrament, sondern 
auch durch ,,Briiderliche Straf und dergleichen‘, während 
die Augustana von einer Kirchenzucht nichts weiß. 
Doch will Capito der Zucht ihre Grenzen ziehen. Sie 


soll wirklich eine Zurechtweisung mit sanftmütigem 


Geiste sein, nach der Regel Pauli Gal. 6. Der Bann soll 
nur mit Genehmigung des Rates von der Kanzel aus über 
ein Gemeindeglied verhängt werden, wenn die durch 
Matth. 18 vorgezeichneten Wege nicht zum Ziele geführt 
haben. Im übrigen soll man das Urteil über die Menschen 
Gott überlassen und allewege das Beste von ihnen erhoffen, 
wegen zeitlicher Strafen aber sich an die Obrigkeit wenden. 
Sodann offenbart sich der Unterschied von Luther durch 
das Bekenntnis zum Gemeindeprinzip. . Dem zeitlichen 
Regiment steht nur ,,die euserliche Regierung der Kirchen“ 
zu, und auch diese nur, ‚so es ein glaubigliches Volck 
ist“. Das geistliche Regiment aber ist ,,bei der Kirchen, 
und nicht allein bei den Dienern der Kirchen, viel weniger 
bei der zeitlichen Obrigkeit“; die Berufung an die éxxdnoia, 
wie sie Matth. 18 vorgesehen ist, muß auch bei uns statt- 


haben können. Als Organe der Gemeinde genügen Capito 


auch die Kasten-Herren?) nicht, denen die Armenpflege 


2) Abgedruckt bei Richter, Gesch. der ev. nn 
in Deutschland, S. 159— 166. 

3) Über die Neuordnung des Almosenkastens seit 1530 vgl. 
Dechent 8. 132. 


248 | 88 


oblag. Er will vielmehr fromme, ernste, eifrige und be- 
scheidene Mànner zu Altesten des Volks und Verwesern 
der Kirche aufgestellt wissen, wofür ihm als Vorbild 
übrigens nieht die Ordnung der Pastoralbriefe, sondern 
die mosaische dient. Drei dieser Altesten sollen vom Rat, 
wenigstens sechs von der Gemeinde erwählt werden, 
und zwar in einem Turnus, daß keiner über drei Jahre 
bleibt. Diese Altesten mit den Dienern am Evangelio 
und den Diakonen samt anderen Ämtern ,,sein die Kirch“, 
die sich also — ein ganz moderner Gedanke — wesent- 
lich als Arbeitsgemeinschaft darstellt. Für notwendig 
werden die Altesten, die mit den Dienern zu verwalten 
haben, was der Kirche gebührt, namentlich deshalb 
erklárt, weil ohne ihre Aufsicht die Prediger, wie man 
z. T. schon in der Stadt beklagt hat, sich dünken ließen, 
über und wider alle Gewalt der Erde gesetzt zu sein. 
Capito schlägt nun vor, in der Frankfurter Kirche, ,,der 
Diener vnd Altern halb diese Ordnung vngefehrlich an- 
zurichten, dab die Pfarrer vnd Prediger inn der Stadt 
vnd nächst-gelegenen Dörffern alle 14. Tage oder ehe 
jederzeit Gelegenheit nach zusamen kemen, vnd drey 
Alter zu inen, also daB in der vierten Versamlung an jedes 
stat ein newer anging, vnd mit ine inn solche Ordnung 
bracht werde, daß allweg zween fürhanden, die auch 


bei nechster Versamblung gewesen; oder móchte die. 


Veränderung der Person weiter erstreckt werden, vieleicht 
auf ain virthail Jars, oder wie Euch jederzeit Erfarung 
leren wird." Diese Kirchenversammlung, auch Pfarr- 
konvent oder Kirchenrat oder Versammlung der Brüder 
genannt, berát unter einem Vorsitzenden über die ganze 
Haushaltung der Kirche, namentlich Zeremonien, brüder- 
liche Ermahnung, Strafe der Laster, Ordnung der Prediger 
und Materie der Predigten, um Trennung zu verhüten. 
Jede Zusammenkunft wird von dem Vorsteher mit einem 
Gebet und einer kurzen biblisehen Betrachtung eróffnet. 
Capito halt für. nótig, noch besonders einzuschárfen: 
„Was aber zu beratschlagen, soll auch mit Ordnung 
vnd Dapferkeit fürgenommen werden, dabei sich jeder 
geweenen soll dem andern zu weichen vnd mit nichten 


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sich erzürnen zu lassen auch zu redden mit Ere erbietlichen 
Worten, vf daß nit alle Ding fürter so grob vnd flaisch- 
lichen abgehen.“ Besonders hat sich der Konvent mit 
Lehre und Wandel der Geistlichen zu befassen, dann 
aber auch mit der Handhabung der Kirchenzucht. Die 
kirchlichen Ordnungen, die er beschließt, unterliegen der 
Genehmigung durch den Rat, ,sunst wurd gar bald 
wieder einwachsen ain Regiment neben einem Erbaren 
Rat in euserlichen Dingen daß nit sein soll, dann aus 
solchem ist der schadlich Gwalt der Gaistlichen ent- 
standen.“ Soweit Dinge im Konvent zur Sprache kommen, 
die ohne weiteres zur Zuständigkeit des Rates gehören, 
sind sie, der bestehenden Ordnung gemäß, durch die Kasten- 
Herren an den Rat zu bringen und jedenfalls vom Konvent 
nicht weiter zu behandeln als nötig. Endlich liegt dem 
Konvente auch noch die Aufgabe ob, die Diener und 
Pfarrer auszusuchen und sie dem Rate zur Anstellung 
zu empfehlen, nachdem sie gepredigt, dem Volke gefielen 
und ihre Lehre und Leben erkundigt wäre.“ Schnellen 
Wechsel der Pfarrer, wie er bei der bisherigen Anstellung 
auf ein Jahr oft vorkam, widerrät Capito. Läßt einer 
von ihnen es an sich fehlen, so soll man versuchen, ihn 
zu bessern; die neuen aber stelle man mit dem Vorbe- 
halte an: solange sie ihrem Dienste treulich vorstünden, 
oder nach dem Brauche der anderen Kirchen überhaupt 
ohne jeden Vorbehalt, nur mit dem Auftrage: die Ge- 
meinde zu weiden im Wort. Mit der Warnung, sich mit 


‘ Annahme und Einführung von Kirchenübungen auf das 


Mindestmaß des Notwendigen zu beschränken und ab- 
zuwarten, bis daß mit einhelligem Rat dieser Nation 
solches erörtert werde, schließt der dritte Artikel, dem 
der vierte im wesentlichen nur noch den Rat beifügt, 
durch Einrichtung von Schulen für einen theologischen 
Nachwuchs, am liebsten aus der FrankfurterJ En selbst, 
Sorge zu tragen. 

Das Straßburger Vorbild ist in dieser Ordnung un- 
verkennbar. Auch nach der Straßburger Kirchenordnung 
von 1534 liegt das Regiment zunächst in der Konvokation, 
einer Synode, zu der die Pıediger von 14 zu 14 Tagen 


250 90 


mit dreien von den Kirchspielpflegern zusammentreten, 


welche die letzteren aus ihrer Mitte abordnen. Schwie- 


rigere Sachen gelangen an die Gesamtheit der Kirch- 


spielpfleger oder an den Magistrat. In der Gemeinde 


üben die Kirchspielpfleger mit den Pfarrern die Zucht, 
jedoch nicht in der strengen Form des, Bannes, sondern 
durch das Mittel der Ermahnung. Bei der Bestellung 
der Geistlichen aber treten zu ihnen noch zwölf gottes- 
fürchtige Männer hinzu, ‚die bey der gemeyn Christliches 
wandels gute Zeügnus haben“, worauf alsdann in Ge- 
meinschaft mit den Examinatoren die Wahl vollzogen 
und, wenn der Erwählte tauglich befunden worden, von 
dem Rate bestätigt wird!). 

Interessant ist nun aber zu beobachten, wie auf dem 
Wege über Straßburg der Einfluß Zürichs nach Frank- 
furt vermittelt worden ist. Der Frankfurter Rat hat, 
‚als einmal die Fremdengemeinden entstanden waren, die 
Kirchenzucht, welche diese nach Genfer Muster übten, 
argwöhnisch beobachtet als einen Eingriff in seine Rechte. 
Er übertrug die kirchliche Disziplin nicht dem Konvent, 
auch nicht in der von Capito vorgesehenen Form der 
brüderlichen Ermahnung, sondern behielt sie ausschließ- 
lich sich vor. Hierin aber folgte er letztlich dem Vorbilde 
Zwinglis, der der Obrigkeit ebenso wie Butzer die Aufgabe 
zuschrieb, das Reich Gottes zu fördern und zu erhalten 2). 

Es scheint indessen, als habe gerade dieser Einschlag 
Zwinglischer Gedanken bewirkt, daß der Rat im übrigen 
Bedenken trug, die unbetretenen Wege zu gehen, die 
Capito wies. Zwar griff man in Frankfurt die Anregung 
des Konvents auf. Längst vor der Ankunft der Fremden 
berichtete der Prädikant Beyer es in einem seiner Briefe 
als feststehende Übung: Solemus n. singulis septimanis 
feria quarta convenire et ibi de ecclesiasticis negotiis 
conferre sermones in monasterio Franciscanorum?). Und 


1) Richter S. 158f. Joh. Adam, Ev. Kirchengeschichte der 
Stadt Straßburg. (Straßburg. J. H. Ed. Heitz. 1922.) S. 184f. 

2) Richter S. 158. 

3) Steitz, Hartmann Beyer S. 23 Anm. 12. Steitz setzt den 
Brief wegen der in ihm berührten Zeitverhältnisse 1549 an. 


ia ee TT 


91 251 
Poullain hat seine ersten Erklärungen über seine Auf- 
fassung vom Nachtmahl in diesen Konventen gegeben. 
Aber das Laienelement war von diesen Zusammenkünften 
bezeichnenderweise ausgeschlossen. Überhaupt mochte 
man sich nicht dazu entschließen, zur Einführung einer 
so ausgebildeten Presbyterialverfassung!) zu schreiten, 
die dem lutherischen Norden gegenüber als eine völlige 
Neuerung um so verdächtiger gewesen wäre, je mehr sie 
nach dem Sinne der Eidgenossen und der oberdeutschen 
Städte war. 

Blieb aber somit die ‚„Ermahnung“ Capitos im 
Grunde nur eine gutachtliche Äußerung, so ist es doch 
auch so noch charakteristisch genug, daß man sich diese 
Äußerung gerade von einem Straßburger erbat. Und 
ebenso ist es bezeichnend, daß trotz der Zurückhaltung, 
die man in diesem Falle geraten fand, der Faden zwischen 
Frankfurt und Straßburg nicht abriß. Schon die nächste 
Zukunft mit den Verhandlungen über die Wittenberger 
Konkordie ließ ihn auch für die Öffentlichkeit sichtbar 
werden. 

‚Luther aber, zu dem man ebenso bezeichnenderweise 
die Beziehungen aufrecht erhielt?), schrieb in jener Zeit 
dem Rate: Non posui spem evangelii mei in Francfordiam 
vestram?). Dem entsprach es denn auch, daf dem all- 
gemeinen Urteil die Beziehungen zwischen Frankfurt und 
Wittenberg für gespannt galten‘). 


1) Sie bezeichnet das letzte Glied der Kette, die von Lambert 
von Avignon zu Calvin führt. Vgl. Lechler, Gesch. der Presbyterial- 
und Synodalverfassung seit der Reformation. S. 30f. 

2) Die Prädikanten und der Rat wandten sich im Herbst 1535 
an ihn und Melanchthon wegen der Wiederzulassung der Messe 
im Dom. 

*) Bei Enders, Dr. Martin Luthers Briefwechsel X, 270. 

*) Hactenus autem inter Vos et Wittenbergenses (Ritter 
S. 346: Wirtenbergenses ist Druckfehler, wenn nicht Verschlimm- 
besserung) species dissidii alitur, schrieb Capito am 2. April 1536 
an Algesheimer. F. R. II. Beil. 11. S. 28. 


Mitteilungen. 


Aeitschriftenschau. 


Landschaftliches. Uber die Reformationsgeschichte von 


Iugenheim in Rheinhessen handelt W.Hofimann im A. 
here G. u. A. NF. XIII 2, S. 163—172, 

W.E.Schwarz, Herausgeber der „Akten der Visitation des 
Bistums Münster... 1571—1573“, erörtert auf Grund eines 
nachträglich zum Vosscheim gekommenen Aktenstücks des Archivs 
des bischofl. Generalvikariats die Vorgeschichte dieser Visitation. 
Z. vaterl. G. u. A. 79 I, S. 95—-1365. 


Im Reformationsheft der Z. d. Ges. Ndsüchs. KG. (Jahrg. 22, 1). 
gibt F. Cohrs Listen der Niedersachsen und Niederländer, 


die von 1502— 1532 in Wittenberg studiert haben, nach den 
Heimatsorten sowie der in W. ordinierten niedersüchsichen Geist- 
lichen 1542—1560 mit Erläuterungen (S. 1—50). Ebendort ver- 
Offentlicht Wolters die Protokolle der Kirchenvisitationen im 
Erzb. Bremen 1588 mit Übersicht über die früheren Visitationen 
(S. 51—122); stellt J. Regula die kirchlichen Selbständigkeits- 
bestrebungen der Städte Göttingen, Northeim, Hannover und 
Hameln 1584—1601 nach Akten des Göttinger Stadtarchivs dar 
(S. 128—152); schildert Wolters die Kirchengemeinde Mulsum 
(Dorf bei Bremervörde) im Reformationsjahrhundert (S. 153—165) 
und gibt Fr. Günther -Beiträge zur Kirchengeschichte von 
Altona nach Kirchenrechnungen usw. von 1582 ab (S. 166—219). 

Die in verschiedenen Fassungen überlieferte Urkunde über 
die Vereinigung der hamburgischen Kirchspiele zur Abwehr 
geistlicher Ubergriffe (des Domkapitels) vom 2. September 1522 
druckt H. Nirrnheim nach dem Original der St. Jacobikirche 
ab. Z. V. Hamb. G. 24 2, S. 186—192. 

Plantiko bespricht in den Monatsbl. der Ges. f. Pom. G. 
u. A. April/Mai 1919, S. 18—19 die Beschlagnahmungen der Kloster- 
kleinodien durch die Herzóge Georg und Barnim seit 1525 auf 
Grund archivalischer Aufzeichnungen. 

In Balt. Studien NF. XXII (1919) S. 85—141 schildert 
derselbe mit Hilfe reichhaltigen, von M. Wehrmann zusammen- 


93 . 253 
gebrachten archivalischen Materials eingehend, und im einzelnen, 
wie sich auf Grund der Kirchenordnung von 1568 das pom- 
mersche Schulwesen entwickelt hat. 

Kurze Mitteilungen über die im Danziger Staatsarchiv be- 
findlichen, bis 1580 zurückreichenden Visitationsberichte des 
Klosters Oliva gibt E. Waschinski in Mitt. des Westpreuf. 
GV. XX, Nrn. 3 und 4. 

In lehrreicher Weise schildert A. Seraphim in Altpreuf. 
Monatsschrift Bd. 58 1, S. 1—36 und 2, S. 71—104 die sozialen 
Bewegungen in Altpreu 8 en 1525, insbesondere den bäuerlichen 
Aufruhr im Samlande und dessen Niederwerfung. Unter den 
Zielen der Bewegung steht das Verlangen nach dem lauteren, 
reinen Evangelium ohne menschliche Zusátze mit in erster Linie. 
Auch die städtiche Demokratie in Königsberg hatte an die Be- 
wegung der Bauern Hoffnungen geknüpit, die mit dem Fehl- 
schlagen jener begraben wurden. ) 

Beitráge zur altpreuf. Reformations- und Literaturgesch. 
gibt Pf. Lic. Benrath in einer ausführlichen Arbeit über „die 
fünf Agendenreformen unter Herzog Albrecht“. Altpreuß. Monats- 
schrrift 57, S. 285—265; 58, S. 37—63, 153—175. 

Ausland. Eine eindringende Untersuchung über ,das 
Verhältnis der schweizerischen zur deutschen 
Reformation" führt P. Wernle zu dem Ergebnis: Die 
Reformation, aus dem Zusammenwirken der allermannigfaltigsten 
Faktoren hervorgegangen, ist als religióse Bewegung das Werk 
Luthers und seiner Jünger und insofern geht auch die 
schweizerische Reformation durchaus auf Luther zurück in allen 
Landesteilen der Schweiz ohne Ausnahme. "Trotzdem kann von 
einer schweizerischen Reformation als selbständiger Größe ge- 
redet werden dank Zwingli, der zu dem lutherischen Grundstock 
so viel Eigenes aus seiner Seele und seinem Charakter hinzu- 
gebracht hat, daß daraus ein selbständiger Typus der Refor- 
mation werden mußte. Kurz: durch Luther in die Reformationse 
bewegung hineingezogen, haben die Schweizer mittels Zwinglis 
etwas Selbständiges und Eigenes daraus gemacht. Basler Z. f. 
G. u. A. XVII 2, S. 227—815. — An dem gleichen Orte Bd. XVII, 
S.1—119gibt E. Staehelin eine sehr dankenswerte O ekolam pad- 
Bibliographie für das 16. Jahrh, d. i. ein chronologisch 
geordnetes Verzeichnis der im 16.Jahrh.erschienenen Oekolampad 
Drucke in 226 Nrn, gedacht als Vorarbeit zu einer geplanten 
Darstellung des gesamten Oekolampadischen Schrifttums. — End 
lich untersucht der námliche a.a. O. XVI 2, 8. 367—392 ,Die 
‘beruflichen Stellungen Oekolampads während seiner vier Basler 
Aufenthalte“. 

In der literarischen Umschau der ZKG. 39 (NF. IT) S. 166—176 
bespricht E. Staehelin die Zwingliliteratur der Jahre 
1913—1920. 


254 94 


In Zwingliana 1920, Nr. 1 (Bd. III, Nr. 15) gibt 
W.Wuhrmann die Bibliographie des Zürcher Reformations- 
Jubiläums 1919 (S. 477—486); und handelt J. Pfister über 
Bullingers, von diesem mit Strichen und Notizen usw. bereichertes 
Handexemplar des Tertullian (Ausgabe Froben, Basel 1521), um 
zu zeigen, wie Tertullians Schriften zur Abklärung und Befestigung 
der evangel. Glaubensüberzeugung Bs. beigetragen haben (S. 486 
bis 494). In 1920, Nr. 2 (Bd. III, Nr. 16) stellt R. Hoppeler die 
Lebensnachrichten des letzten Embracher Stiftspropstes Heinrich 
Brennwald, + 1551 zu Zürich, fest (S. 509—514) und verbreitet 
sich Jos. Th. Müller über die Böhmische Brüderunität und 
Zwingli, mit Beigabe eines (verdeutschten) tschechischen 
Schreibens aus dem Herrnhuter Archiv (S. 514—524); endlich 
veriolgt K. Gauf die Schicksale des Dichters Valentin Boltz im 
Zürcher und Glarnerland 1541—1542 (S. 5211). A 

In scharisinniger Untersuchung weist K.Müller den als 
»Libertinern" verdächtigen Gegnern Calvins, einem Pocque, 
Quintin und Genossen, ihren Platz unter den quietistischen 
Mystikern nikodemitischer Art an und zeigt, auf welchem Wege 
Calvin zu seinen Nachrichten über die „Sekte“ (der Libertiner) 
gekommen ist. ZKG. 40 (NF. 3) S. 83—129, 

Das Bulletin de la Soc. de I’ hist. du protest. francais 
65—68 (1916—1919) bietet eine größere Reihe von Beiträgen zur 
meist örtlichen Reformationsgeschichte Frankreichs. Wir ver- 
zeichnen daraus: 65, 97—113 H. Aubert, Marie de Luré dame 
de la Noue (Gattin von Francois de la N., gen. Bras-de-Fer), 
mit Briefen an Beza 1596—1600; über den Sohn des Francois, 
den hugenottischen Dichter Odet de la Noue handelt 
G. de Pourtalés ebenda 67, 8. 81—111 (Art.1). — 65, 165—177 
J. Roman, Le meurtre de Louis Aymé à Gap en Dauphiné (im 
‘ersten Religionskriege). — S. 195—285 N. Weiß, Episode de la 
réforme à Paris, lassembleé de la rue S. Jacques 4—5 sept. 
1557. — 66, 22—34 und 126—136; 67, 28—42 M. Godet, Les 
Protestants à P A b b éville1560—1572: dazu Listen der des Calvinis- 
mus Verdächtigen 67, 48—61; 115—122, — 66, 137—141 H. Aubert, 
Les débuts de l' église de Marseille (nach einem Dok. von 
1559). — 66, 328—338. G. dePourtalés, 4textes du psaume 42 
(1548—1555) — 66, 68—73 J. Pannier, Anciens lieux de culte 
prot. autour de Soissons et de Laon. — 67, 112—115 H. Aubert, 
Une lettre inédite de Calvin à Farel (von 1544, aus der 
Bibl. nat.) — 67, 162—183 N. Weiß, Louis de Berquin, son 
premier procés et sa retractation (1523), mit Dokk. S. 209—911. — 
68, 1—15 N. Weiß, Le premier traité prot. en francais (La 
Summe de I’ escripture saincte 1523). 

Einen Beitrag zur Gesch. der italienischen Ref. liefert 
E.Rodocanachi,L'attitude des autorités civiles et religieuses 
à l' égard de la réformation en Piémont au 16 siècle (von 


95 255 


Margarete von Frankreich bis Emanuel Philibert) im Bull. de la 
Soc. de I’ hist. du prot. francais 67 (1918), 123—150. 

Aus Bijdragen en mededelingen van het Historisch Genoot- 
schaf, 41. Deel, Amsterdam 1920 ist zu notieren: S. 1—197 Mej. 
G.Grosheide, Verhooren en Vonnissen der Weder * 
dopers betrokken bij de Aanslagen op Amsterdam 1534/1535; 
S. 198—220 A. Hulshof, Extracten uit de rekeningen van het 
Schoutambacht van Haarlem betreffende Wederdoopers 
te Amsterdam en te Haarlem; S, 221—231 Derselbe, alfa- 
betisches Register zu den beiden voraufgehenden Verdffent- 
lichungen; S. 232—246 P.J. Blok, Brei van den Utrechtschen 
Burgemeester Aernt Dirssz van Lejden over zijne zendung naar 
den prins van Oranje, Antw. 26/2 1579. 

Die am 12. April 1920 in Krakau begründete Gesellschaft zur 
Erforschung der Gesch. der Ref. in Polen gibt unter Leitung 
des Univ.-Prof. Stanislaus K ot eine Zeitschrift ,Reformacya 
w Polsce“ heraus, von der drei Hefte vorliegen (Jahrg. von zwei 
Heften je 80 S. = Mk. 100,—). Heft I bringt einen Aufsatz von 
A.Brückner-Berlin, „Einige Worte über die polnische Ref“, 
in dem er den starken Einfluß der Ref. auf das polnische Geistes- 
leben zeichnet; eine Abh. von K ot über die Schule in Princzew, 
die erste prot. Schule in Polen. J. Czubek gibt eine kleine 
Ergünzung meiner Thretiusbiogr. (1907); J. Plasnik schildert 
die Entwicklung des protestantischen Buchhandels in Krakau; 
E.Berwinski handelt über die Stellung K. Sigismunds III zu 
den Dissidenten; W. Sobieski berichtet über ein unitarisches 
polnisches Gebetbuch im Brit. Mus.; endlich teilt Kot einen 
Brief des Grafen Joh. Ternowski vom 3. 3. 1560 an Calvin mit. 
— Heft II: Brückner bespricht N. Reys Werk „der Kauf- 
mann“, das von Naogeorgus’ Mercator seu Judicium wesentlich 
abhängig ist; V. Fijalek behandelt den samogitischen Freund 
der Ref. Joh. Tortylowicz-Batocki; Kot handelt über die polni- 
schen Studenten in Basel; W.Sobieski gibt einen Beitrag 
zum Lebensbilde des Unitariers Martin Ruer aus Holstein; 
J. Wlodek berichtet über den Reformer der Landwirtschaft in 
England, Samuel Hartlieb, geb. 1600 in Posen. — Heft III 
(Jahrg. II, 1): K. Kolbuszewski sehreibt über die husitische 
Bewegung in Polen und ihren Einfluß auf die Literatur; 
J. Plasnik über die evangel. Buchdrucker Krakaus im 
16. Jahrh.; L. Chmaj über Andreas Wissowetius, Enkel Sozins, 
als religiösen Denker und Kämpfer; St. Zacherewski „die 
ätlesten Synoden der poln. Arianer“ veröffentlicht Synodalakten 
1560—1570 (Forts. der 1898 von Dalton hrsg. Lasciana-Synodal- 
protokolle Polens 1555—1561). Zacherewski fand die Synodal- 
akten hsl. in Klausenburg, wohin die poln. Arianer (Unitarier) 
sie bei ihrer Vertreibung aus Polen 1660 gerettet haben. Die 
Veröffentlichung wirft helles Licht auf die Entstehung der 


256 96 


unitarischen Kirche Polens und läßt uns die Nachrichten, die 
Lubieniecki in seiner Hist. ref. Polon. bietet, nachprüfen. Von 
deutschen Gelehrten hat der Königsberger Konsistorialrat Fr. 
Samuel Buk diese Akten noch besessen und in seiner Bibl. Anti- 
trinitariorum verwertet; seitdem waren sie verschwunden — 
Heft IV: In ihm bietet Brückner einen Aufsatz über den 
literarischen Einfluß des bekannten Nikolaus Rey, des polnischen 
Hutten; in einer zweiten Abhandlung bespricht er die protes- 
tantische Polemik gegen die Jesuiten zu Anfang. des 17. Jahr- 
hunderts, an der sich neben Zygrovius, Mikolajewski, Biskupski 
auch der Thorner Joh. Turnowski beteiligte. Nach den Akten 
des Przemysler Kapitels berichtet Joh. Kwolik über Ab- 
schwörungen des evangel. Glaubens unter dem Bischof Valentin 
Hierburt (1560—1572); L.Wachholz in Krakau bietet z. T. auf 
Grund archivalischer Forschung eine ziemlich vollständige Chro- 
nologie der ev. Gemeinde in Krakau. L.Chmaj veröffentlicht 
den zweiten Teil seiner Studien über Andreas Wissowetius, den 
Enkel Sozins. Er bespricht hier besonders dessen Hauptwerk 
Religio noturalis und die Polemik Leibnitz’ wider dasselbe. 
Wedkiewicz behandelt den Einfluß der polnischen Pro- 
testanten auf die Anfänge des rumänischen Schrifttums, Dr.Reiß 
die Monogramme und Akrostychen in verschiedenen alten 
polnischen evangelischen Liedern; Budka bringt den Text der 
Warschauer Konföderation 1573, der magna charta religiöser Frei- 
heit in Polen, zum Abdruck mit ihren 98 Unterschriften. — Die 
nämliche Gesellschaft nimmt die Herausgabe des Briefwechsels 
Melanchthons mit Polen und eine Sammlung von Liedern, 
Gesangbüchern, Katechismen und Synodalakten in Aussicht. 
Th. Wotschke. 

Einen wertvollen Beitrag zur Poln. Ref.-Gesch. gibt ferner 
K. Volker in seiner Untersuchung über den „Kampf des 
Adels gegen die geistliche Gerichtsbarkeit in seiner Trag- 
weite für die Reformation in Polen“ Harnack-Ehrung 
S. 317—327, — Derselbe bespricht in ZKG. 39 (NF. II) S. 176—187 
die jüngsten Erscheinungen zur RG. Polens. 

Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten 
Theologen der polnischen Ref, bis zu seinem Bruch mit der 
reformierten Kirche (1562) stellt Th. Wotschke unter Beigabe 
von sechs Briefen aus dem Herrnhuter Archiv in Z.f. Brüdergesch. 
XIV, S. 1—82 dar. 


Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


21. 


$ 


29. 
s 


2b. 


29. 


89. 


IX. 
33 


84. 


35. 


86. 


VI. 


VIL. Jahrgang 1911 (Heft 29—82), 


X. Jahrgang 1913 (Heft 37—40). 
87, A. Scholz, Bugenhagens Kirchenordnungen in 


Jahrgang 1909 (Heft 21—24), 12 M. 
Fr. Spitta, Die Bekenntnisschriften des Herzogs 
Albrecht von Preußen. (160 8.) . 7 M. 
N. Muller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 
1622 I. G. Kawerau, Miscellaneen zur Reforma- 
tionsgeschichte. W.Friedensburg, Fünf Briefe 

Georg Witzels (1638—1067). (100 S.) 4,40 M. 


. N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 


1522. II. O. Cidédmen, Aus Hans von Dolzigs Nach- 
laß, Th. Wotschke, Zum Briefwechsel Melanch- 
fhons mit Polen. (100 3.) 4,55 M. 
Fr. Herrmann, Mainz-Magdeburgische Ablaß- 
kistenvisitationsprotokolle. N. Müller, Die Wit- 


tenberger Bewegung 1621 und 1522, III, (111112 m 
i 5,26 M. 
VIi. Jahrgang 1910 (Heft 25—28). 12 M, 


O. Waldeck, Die Publizistik des Schmalkaldischen 
Krieges. l. E. Kroker, Rörers Handschriften- 
bände und Luthers Tischreden. IL. (120 5.) 5,40 M. 


5. P. Vetter, Ein ungedruckter Brief des Justus 


Jonas 1637. V. Schultze, Das Tagebuch des 
Graten Wolrad il. zu Waldeck zum Regensburger 
Keligionsgespräch 1546. I. N.Mtiiler, Die Witten- 
berger Bewegung 1521 u. 1622. IV. (112 S.) 5,10 M. 


. N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 u. 


1622. V. V. Schultze, Das Tagebuch d. Grafen 
Wolrad IL zu Waldeck zum Regensburger heligi- 
onsgesprüeh 1646. 1f. (120 S.) 5,40 M. 
N.Müller, Die Wittenberger Bewegung 1021 u. 
1522. VL Fr. Roth, Zur Verhaftung und zu dem 
Prozeß d. Dr. Rotae Alfonso Diaz. (LLL, 108 S.) 0,10 M. 
12 M. 
N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 u. 
1622. VIL 0. Waldeck, Die Pubiizistik des 
Sehmalkaldischen Krieges. Il. (136 S.) 6,16 M. 


. J. m Pilugk-Harttung, Aus dem Lutherhause 


in Wittenberg. E. Kroker, Korers Handschritten- 
bande und Luthers Tischreden. DI. K. Schorn- 
baum, Zum Tage von Naumburg 1661. (96 S.) 4,40 M. 
Th. Wotschke, Zum Lebensbilde Laskis. Fr. 
Wecken, Die Lebensbeschreibung des Abtes 
Clemens Leusser von Bronnbach. W. Friedens- 
burg, Eine Streitschrift des Vergerio gegen das 
Trientiner Konzil 1651. (108 S.) 4,90 M. 
P. Kalkoii, Der Humanist Hermann von dem 
Busche und die luthertreundliche Kundgebung auf 
dem Wormser Reichstage v. 20. April 1521. G. Ber- 
big, kin Gutachten über die Flucht der Kurfürstin 
Elisabeth von Brandenburg aus dem Sehlosse zu 
Berlin. E. Körner, Unbeachtete Brieistücke 
Luthers. H. Becker, Zur Geschichte der Pack- 
schen Handel, G. Kawerau, Berichte vom Worm- 
ser Religionsgesprüch 1640. (III, 84 S.) 4 M. 


Jahrgang 1912 (Heft 33—36). 12 M. 


. Fr. Roth, Sylvester Raid, der Brand-, Proviant- | 
und spütere Rentmeister des Markgraten Albrecht 


Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach, und Georg 
Fróhich, der Verfasser der „Historia belli Schmal- 
caldici*. O. Clemen, Briefe von Antonius Musa 
an Fürst Georg von Anhalt 1544—1647, W. Köhler, 
Brentiana und andere Reformatoria. (92 3.) 4,20 M. 
W. Kóhler, Brentiana und andere Reforma- 
toria. II. P. Kalkotf, Die von Cajetan vertaBte 
AblaBdekretale und seine Verhandlungen mit dem 
Kurfürsten von Sachsen in Weimar, den 28. u. 29. 
Mai 1619. (96 8.) 440 M. 
Fr. Roth, Zur Lebensgeschichte des Augsburger 
Formschneiders David Deneker und seines Freun- 
des, des Dichters Martin Schrot. G. Berbig, Hin 
Streitfall zwischen einem Koburger Bürger und 
einem Kaplan 1560. B. Willkomm, Beiträge 
zur Reformationsgeschichte aus Drucken u. Hand- 
schriften der Universitätsbibliothek in Jena. I. 
W.Friedensburg, Aus den Zeiten des Interim. 
H. Böhmer, Karlstadt in Tirol? O. Clemen, 
Georg Motschilder, ein neuentdeokter Flugschriiten- 
vertasser. (96 3.) 4,40 M. 
J. Kvacala, Wilhelm Postell. Seine Geistesart 
und seine Reformgedauken. I. B. Willkomm, 
Beiträge zur Reformutionsgeschichte aus Drucken 
und Hanuschritten der Uuiversitätsbibliothek in 
Jena, IL K. Pallas, Der Reformationsversuch 
des Gabriel Didymus in Eilenburg und seine Folgen 
1522—1526. 1. (LI, 96 S.) 4,56 M. 


12 M. 


38. 


39. 


40. 


XI. Jahrgang 1914 (Heft 41—44). 


ål. 


42. 


43. 


44. 


XII. Jahrgang 1915 (Heft 45—48). 


45. 


46. 


47. 


48. 


ihrem Verhältnis zueinander. K. Pallas, Der Re- 
formationsversuch des Gabriel Didymus in Eilen- 
burg und seine Folgen 1522—1526. II. W. Frie-' 
densburg, Vergeriana 1534—1550. O. Clemen, 
Reunionsvorschläge Georg Witzels von 1640. 
H. Becker, Paul Lindenau. (116 S.) 5,25 M. 
G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der 
Prophet und König, und seine Genossen, nach den 
Prozeßakten von 1630. I W. Köhler, Brentiana 
und andere Reformatoria. III. (92 S.) 4,20 M. 
G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der 
Prophet und Kónig, und seine Genossen, nach den 
ProzeBakten von 1530. Il, O. Winekelmann, 
Die Armenordnungen von Nürnberg (1022), Kitzingen 
(1623), Regensburg (1523) und Ypern (16528). 1. 
G. Kawerau, Hin Brief Melanchthons von 1524. 
W. Muller, Hin ungedruckter Brief Luthers an 
Ef. Johann Friedrich von Sachsen (1546). E. Kling- 
ner, Zu Grisars Auffassung von Luthers Aber- 
glauben. (88 S.) 4 M. 
G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der 
Prophet und Kónig, und seine Genossen, nach den 
Prozeßakten von 1630. UL M. Wehrmann, Von 
Bugenhagens  Visitationstütigkeit in Pommern. 
H. Freytag, Ein Stolper Ordiniertenverzeichnis : 
von 1574—1591, (III, 88 S.) 4,20 M. 


10 M. 
O. Winekelmann, Die Ármenordnungen von 
Nürnberg (1622), Kitzingen (1523), Regensburg (1523) 
und Ypern (1525) II. G@ Bossert, Augustin 
Bader von Augsburg, der Prophet und Kónig, und 
seine Genossen, nach den Prozeßakten von 1530. LV. 
R. Jung, Die Auinahme. der Schrift des Coch- 
laeus Adversus cucullatam Minotaurum Witten-- 
bergensem in Wittenberg 1628, W. Friedens- 
burg, Der Verzicht Karlstadts auf das Witten- 
berger Archidiakonat und die Pfarre in Orlamünde 
(1524 Juni) (80 S.) 8,70 M. 
Th. Wotschke, Der Petrikauer Reichstag 1552 

und die Synode zu Koschminek 1066. GQ. Bossert, 
Augustin Bader von Angsburg, der Prophet und 
König, und seine Genossen, nach den Prozeßakten 
von 1530. V. E, Körner, Beiträge zu Luthers 
Tischreden. Fr. Arnecke, Über die Zusendung 
eines Buches Hieronymus Emsers durch den Leip- 

ziger Rat an den Bischof von Merseburg im Jahre 

1522. (80 8.) 3,70 M. 
P. Kalkoff, Luthers Antwort auf Kajetaus Ab- 
laBdekretale (30. Mai 1519). G. Bossert, Augustin 
Bader von Augsburg, der Prophet und König, und 
seine Genussen, nach den Prozeßakten von 1530. VI. 
J. Kvacala, Wilhelm Postell. Seine Geistesart 
und seine Reformgedanken. Il. (80 S.) 3,70 M. 
W.Köhler, Brentiaua u. andere Reformatoria. IV. 
O. Clemen, Drei unbekannte reformatorische 
Lieder. W.Friedensburg, Die Anstellung des - 

Flacius LUlyricus an der Universität Wittenberg. ` 
(ILL, 80 8.) 3,90 M. 


10 M. 
K. Pallas, Urkunden, das Allerheiligenstift zu 
Wittenberg betreffend 1522—1526. (Aus dem Nach- . 
lasse des 7 Prof. D. N. Müller hrsg.) M.Reu, Ein 
lateinisch-deutscher Katechismus für die deutsche 
Schule zu Graz vom Jahre 1644. P. Veiter, Das 
älteste Ordinationstormular der lutherischen Kirche. 
(80 S.) 8,70 M. 
K. Pallas, Urkunden, das Allerheiligenstift zu 
Wittenberg betreffend 1522—1526. ll. (Aus dem 
Nachlasse des + Prof. D, N. Müller hrsg.) R. Stólzle, 
kine unbekannte Vorrede Melanchthons. Th, 
Wotschke, Ein dogmatisches Sendschreiben des 
Unitariers Ostorod. G. Kawerau, Zur Frage nach . 
der Zuverlässigkeit Johann Aurifabers ala Sammiers 
u. Herausgebers Lutherischer Sehriften. (80 S.) 3,70 M. 
G. Bossert, D. Johann Mantels Lebensende und 
der Eheprozeb des Michael Back und seiner Gattin. 
O. Albrecht u,P, Flemming, Das sog. Manu- 
scriptum Thomasianum, Aus Knaakes Abschrift ver- 
öffentlicht. (80 S.) 8,70 M. 
O. Albrechtu. P.Flemmin g, Dgs sog. Manu- 
scriptum Thomasianum. I. M. Webhrmann, 
Liborius Schwiehtenberg, ein literarischer Gegner 
Bugenhagens. W. Friedensburg, Aus den 
letzten Tagen des Kryptokalvinismus auf der Uni- 
versität Wittenberg. G. Kawerau, Zwei Briefe 
aus den Tagen der lutherischen Orthodoxie. (LI, 
80 S.) 3,90 M. 


XIII. Jahrgang 1916 (Heft 49—52).. 10 M. 


49, O. Albrecht u, P, Flemming , Das sog. Manu- 

scriptum Thomasianum III, Ed. Wilh.Mayer, 
Forschungen zur Politik Karls V. während des 
Augsburger Reichstages von 1530. I. (80 S.) 8,70 M. 
O. Albrechtu.P.Flemming, Das sog. Manu- 
Scriptum Thomasianum 1V. Ed, Wilh.Mayer, 
Forschungen zur Politik Karls V, während des 
Augsburger Reichstages von 1530. IT. G. Bossert, 
Die Wiedereinführung der Messe in Frankfurt 1535. 
(80 S.) 8,70 M, 
O. Albrechtu.P.Flemming, Das sog. Manu- 
scriptum Thomasianum V. A. Werminghofi, 
Die Epistola de missera curatorium seu plehanorum, 
W.KOhler, Brentiana u. andere Reformatoria V. 
(80 S.) 3,70 M. 
P. Kalkofi, Zur Entstehung des Wormser Edikta. 
O. Albrechtu. P. Flemming, Das sog. Manu- 
Scriptum Thomasianum VI. (80 S.) 3,90 M. 


XIV, Jahrgang 1917 (Heft 53—56). 12 M. 


69. W. Matthießen, Theophrast v. Hohenheim-gen. 
Paracelsus I. F. Behrend, Die Leidensgeschichte 
des Herrn als Form im polit.-literar. Kampf be- 
sonders im Reformationszeitalter. R. Stólzle, 
Gerard Geldenhauer, e. unbekannter Erziehungs- 
theoretiker d. Reformationszeit. (80 S.) 8,70 M. 
W. Matthießen, Theophrasz v. Hohenheim gen. 
Paracelsus IL Th. Wotschke, Wittenberg u. 
d. Unitarier Polens I. W. Kóhler, Brentiana u. 
andere Reformatoria VI. (80 S.) 3,70 M. 
66/66. O. Albrecht, Kritische Bemerkungen z. Über- 
lieferung d. stammbuchartigen Buch- u. Bibelein- 
zeichnungen Luthers. G, Kawerau, Die „Trost- 
schriften“ als eine d. ältesten Quellen f. Briefe 
Luthers. O. Reichert, Die letzten Arbeiten 
Luthers am Neuen Test, W. Köhler, Luther- 
briefe aus der Zeit des Augsburger Reichstages. 
Th. Wotschke, Luthers Hauspostile polnisch. 
P. Kalkoff, Friedr. d. Weise, der Beschützer 
Luthers u. d, Reformationswerkes. E. Kroker, 
Hat Tetzel den Ablaß zu seiner Bereicherung gemiß- 
braucht? G. Bossert, Sodocus Neukelter, Neo- 
bolus, Luthers Tischgenosse. W. Friedens- 
burg, Ein englischer Spion in Wittenberg zur 
Zeit Luthers (1539). (156 S.) 6,50 M. 


XV. Jahrgang (Heft 57—60). 6 M. 


57/68. W. Mathießen, Theophrast v. Hohenheim 
gen. Paracelsus III, P. Kalkoff, Livin von Velt- 
heim, e. Vorkämpfer d. kathol. Kirche in Nord- 
deutschland. Th. Wotschke;, Wittenberg u. d. 
Unitarier Polens IL A. Nutzhorn, Ein Tafel- 
büchlein a. d. Reformationszeit (mit 1 Bildtafel). 
G.Bossert, Theobald Diedelhuber. (124 S.) 3,70 M. 


59/60. W. Mathießen, Theophrast v. Hohenheim 


gen. Paracelsus IV. S. Kyacala, Wilh. Postell III. 
R. Stölzle, Joh. Friedr. Coelestin als Erziehungs- 
theoretiker. O. Albrecht, Nachwort in A. Nutz- 
horns Arbeit üb. „Ein Tafelbüchlein a. d. Refor- 
mationszeit“. (128 8.) 3,70 M, 


XVI. Jahrgang (Heft 61—64), 6 M. 
61/62. P. Vetter, Themas Naogeorgs Flucht aus 
Kursachsen I. R.stölzle, Joh. Friedr, Coelestin 
als Erziehungstheoretiker II. K. Sc'hornbaum, 
Aus d. Briefwechsel G. Kargs. P. Dieze, Luthe- 
rana a. Altenburger Archiven. (128 S.) 8,70 M. 
68/64. P. Kalkoff, Restliche Wünsche f. d. Anfangs- 
periode d. Reformationsgeschichte. P. Vetter, 
Thomas Naogeorgs Flucht aus Kursachsen II. Joh, 
Hausleiter, Johannes Aurifabers ro ddr 1. d. 
gefangenen Kurfürsten Joh. Friedr. d. Großmütigen 
u. Melanehthons Loci cosolationis. H. Ernst, Ein 
unbekanntes handschriftliches Fragment v. Luthers 
Genesisvorlesung a.d. 16. Jahrhundert. G. Bossert, 
Bucers Vergleichsvorschlag an d. Kurfürsten Johann 
v. Sachsen v. Januar 1581, W. Köhler, Brenti- 


60. 


51. 


52, 


54, 


T a a a aa, WT t a agito M a t n P P ar a PP tt —————É 


ana u.andere Reformatoria, W.Friedenburg 
Zwei Briefe Michael Stifelsan Flacius. (1288.) 8,70 M. 


XVII. Jahrgang (Heft 65—68). 12 M. 
65. G. Kawerau, Aus dem Wittenberger Univergi- 
tütsleben. A. Wahl, Beitrige zur Kritik d. Über- 
lieferung von Luthers Tischgesprächen d. Frühzeit. 
R. Stölzle, Ein unbekanntes deutsches Lied id. 
Paul Schede Melissus. Th, Wotschke, Joh. Las 
u. d. Abenteurer Heraklid Baschikus. OC. Hirsel 
Melanchthon u. d. Interim. G. Bossert, Dre 
Briefe Melanchthons. G. Stulfauth, Zum Pas 
sional Christi u. Antichristi. (80 S.) 8,70 
J. Haußleiter, Ein Stück der Genesisvorlesun 
Luthers in e. Greifswalder Handschrift. G. Buc! 
wald, Bugenhagens Katechismuspredigten vo 
Jahre 1574. K. Schornbaum, Markgraf Geo 
Friedrich v. Brandenburg u. d. Einigungsbestr 
bungen d. protestant. Stände 1556—69. O, Cle men 
Georg Witzel u. Just, Jonas. (80 S.) 8,70 M 
K. Schornbaum, Markgraf Georg Friedrich 
Brandenburg u. d. Einigungsbestrebungen d. pr 
testant. Stände 1556—59 II. G. Buchwald, Geo! 
Helts Wittenberger Predigttagebuch L G.Loesche 
Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- u 
. Innerösterreichs 1. G. Bossert, Ein Brieffra; 
ment v. Jul. Pflug. (80 S.) 8,70 
. G. Buchwald, Georg Helts Wittenberger Pr 
digttagebuch IL G. Loesche, Die reformatori 
schen Kirchenordnungen Ober- u. Innerósterreichs I 
E. Kroker, Luthers Arbeitsstube. (80 S.) 3,70 


XVIII. Jahrgang (Heft 69— 72). 6 N 

69/70. A. N. Müller, Der Augustiner Observantismu 
u. d. Kritik u. Psychologie Luthers. G. Loesch 
Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- un} , 
Innerösterreichs III. G. Buchwald, Eine noe 
unveróffentlichte Vorarbeit Luthers zu seiner Schrift: 
„Daß diese Worte Christi, das ist mein Leib’ noch 
fest stehen.“ O. Clemen, Der Prozeß des Jon. 

: Pollicarius. (80 S.) 8,70 M- 
71/72. P. Kalkoff, Kardinal Schiner, e. Mitarbeiter - 
Aleanders a.d. Wormser Reichstage. G.Loesche,g 
Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und 
Innerósterreichs IV. (80 S.) 8,70 M. , 


XIX. Jahrgang (Heft 73— 76). 
78. J. Haußleiter, Das Rätsel der Gothaer Luther- 
Handschrift A 402 u. s. Lósung. Th, Wotschke, 
Georg Weigel Ein Beitrag zur Reformations- 
geschichte Altpreußens u, Lithauens. K. A. Meis- 
singer, Die Urkundensammlung des Brettner 
Melanchthonhauses. (80 $.) 3,70 M. 
J. Haußleiter, Das Rätsel der Gothaer Luther- 
Handschrift A 402 u. s. Lösung II. E. Körner, 
Dietrich v. Starschedel. Ein Zeuge vom Wormser 
Reichstage 1521. G. Bossert, Briefe a. d. 16. 
Jahrh. W. Koehler, Brentiana u. andere Refor- 
matoria. (80 S.) 8,70 M. 
75/76. K. Sehornbaum, Die brandenburg-nürn- 
bergische Norma doctrinae 1573. K. Bauer, Der 
Bekenntnisbund der Reichsstadt Frankfurt a. M. im 


66. 


67. 


Zeitalter der.Reformation. (96 S.) 4,40 M. 
Ergänzungsbände I—IV. l | 
I.Hegler, Prof. D Alfr., Beiträge zur Geschichte 


der Mystik in der Reformationszeit. Aus dem Nach- 
lasse hrsg. u. m. e. biograph. Einleitung vergehen 
v. Prof. Lic. Dr. Walth. Köhler. 1906. (VII, LVII, 
220 S. m. Bildnis.) ie 10 M, 
II, Helts, Georg, Briefwechsel. Hrsg. v. Prof. Lic, 
Dr. Otto Clemen. 1907. (VI, 150 S.) 5,60 I, 
IH. Wotschke, Pfr. Lic. Dr. Th dr. Der Briefwechsel 
der Schweizer m. den Polen. 1908. (448 S.) 16,75 M. 
IV. Zerener,Dr. Holm, Studien üb.das beginnende 
Eindringen der lutherischen Bibelübersetzung in die 
deutsche Literatur, nebst e. Verzeichnis üb. 681 Drucke 
— hauptsächlich Flugschriften — der J. 1622—1526. 
1911. (X, 1088) _ 5 M, 
(I—IV zusammen für Bezieher des „Archiv“ 24 Mj 


Die Preise sind Grundpreise und verstehen sich mal Schlüsselzahl des 


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Börsenvereins der Deutschen Buchhändler (z. Z. 600). 


Verlag von M. Heinsius Naehfolger Eger & Sievers in Leipzig, RoBstr. 16. | 


Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., uräfenhainichen. 


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