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ARCHIV
RERORMATIONSGESCHICHTE
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.
nn man
Im Auftrag
des Vereins für Reformationsgeschichte
herausgegeben von
D. Walter Friedensburg.
XIX. Jahrgang. 1922.
Nachdruck mit Genehmigung vom Verein für Reformationsgeschichte
KRAUS REPRINT LTD.
Vaduz
1964
BR
30
AS
y, 19-20
J922-23
Printed in Germany
Lessing-Druckerei Wiesbaden
Inhaltsübersicht.
J. Hanbleiter, D. Geh. Kons.-Rat, Das Rätsel der Gothaer
Luther-Handschrift A. 102 und seine J.ösung 1—21;
Th. Wotschke, D. Dr., Pfarrer in Eutzsch, Georg Weigel,
Ein Beitrag zur A an d Altpreußens
und Lithauens . . . ue
K. A. MeiBinger. Lic, theol, in Frankfurt, Die Urkunden-
sammlung des Brettener Melanchthonhauses
E. Körner, Lic. theol., Domprediger a. D., Leipzig, Dietrich
von Starschedel, ein . vom Wormser Reichs-
tage 1521 8
G. Bossert, D., Pfarrer a. D. in Stuttgart. Briefe aus de
16. Jahrhundert ;
W. Kühler, D., Univ.-Prof. in Zürich, Brentiana ad andere
Reformatoria -—
K. Schornbaum, D. Dr. Pfarrer in Alfeld bei Hersbruck,
Die brandenburgisch- -nürnbergische Norma doctrinae
1573, I . . . ouo x
K. Bauer, Lic. theol., Univereitütsprofessor i in Münster,
Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M., I
Mitteilungen: G. Stuhlfauth, Zum Passional Christi
und Antichristi S. 154f, — K. Schornbaum, Zum
Briefwechsel Veit Dietrichs S, 155f. — Neuer-
scheinungen S. 72—75, 156—168. — Aus Zeit-
schriften S. 75—80, 159—160, 252—966.
Seite
81—105
22—47
48--71
106—137
138—145
119—153
161—193
191—351
Das Rätsel der Gothaer Luther-
Handschrift A 402 und seine Lösung.
Ein. Beitrag zur Tischredenforschung.
Von J. Haußleiter.
EL
Die große Sammelhandschrift der Landesbibliothek
in Gotha: Farrago litterarum ad amicos et colloquiorum in
mensa Reverendi Patris Domini Martini Lutheri eto, die etwa
150 Briefe Luthers, 33 Melanchthons, 3 Bugenhagens und
eine sehr große Anzahl von Tischreden Lutbers enthält, und
deren Inhalt sachlich nach 93 Titeln geordnet ist (1 De Deo
et operibus eius bis 93 Litterae commendaticiae ef testimonia),
bat wiederholt die Aufmerksamkeitder Luther- und Melanchthon-
forscher auf sich gezogen (so nennt z. B. Bretschneider im
Corp. Ref. I, S. XCVI sie einen codex ob antiquitatem fide
dignissimus); man hat sich aber damit begntigt, ihr einzelne
Stücke zu entnehmen, ohne doch dem Rätsel ihrer Entstehung
naehzusinnen und dasselbe, so gut es geht, der Lösung näher
zu bringen. Der hochverdiente Herausgeber der Tischreden
Luthers in der Weimarer kritischen Gesamtausgabe, Professor
D. Dr. Ernst Kroker, hat für die sechs Bände der Ausgabe
(1919 — 1921) mit bewundernswertem Fleiß und Scharf-
sinn mehr als dreißig Handschriften geprüft. Er mußte
aber seine Arbeit, sollte sie nicht ins Uferlose sich ausdehnen,
(die Zahl der mitgeteilten Tischreden beläuft sich auf 7075),
auf die Veröffentlichung der Urschriften beschränken, d. h. der
Handschriften, in denen uns die Nachschriften der einzelnen
Tischgenossen Luthers ohne Beimischung fremden Gutes in
ihrer ursprünglichen chronologischen Reihenfolge erhalten
sind; von den späteren Sammelhandschriften mußte er im
großen und ganzen absehen. Von unserer Handschrift urteilte
er so (V, S. XXVIII): „Die Texte von Farr. sind gut; im
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1. 1
2
übrigen hat Farr. für die Tischredenforschung nur geringen
Wert, da es die einzelnen Reden unter Rubriken ordnet, und
zwar scheint es die älteste Handschrift zu sein, die das ge-
tan hat, denn auf dem vorderen Einbanddeckel von Farr.
steht: M. B. 1551. Ob das der Sammler oder nur der Eigen-
timer der Handschrift gewesen ist, das läßt sich nicht nach-
weisen, ebensowenig, wer dieser M. B. gewesen ist. Da er
aber seine Tischredensammlung schon 1551 hat binden lassen,
so scheint der Sammler von Farr. als erster auf den Ge-
danken gekommen zu sein, Luthers Tischreden nach Rubriken
zu ordnen, denn Lauterbachs Umarbeitung seiner Sammlung
füllt erst in die Jahre 1551 — 1560. Die Rubriken selbst
sind in Farr. andere als in Lauterbachs Sammlung B.*
Immerhin hat Kroker in einzelnen Abteilungen der Ausgabe
Varianten von Farr. mitgeteilt, so namentlich im 11. und 12. Ab-
schnitt, der Kaspar Heydenreichs Nachschriften aus den
Jahren 1542 und 1543 und die dem Hieronymus Besold zu-
geschriebenen Tischreden aus dem Jahre 1544 enthält; für
Heydenreich steht unter den Parallelhandschriften Farr. mit
120 Stücken voran.
Das Rätsel der Buchstaben M. B. reist den Forscher
um so mehr, als die Handschrift ohne Frage sehr wertvolles
Gut enthält. So stehen z. B. auf den Blättern 444b bis
451b 7 Briefe Luthers an Johann Staupitz aus den Jahren
1518—1522, die uns sonst nur aus späteren Drucken
bekannt sind. Chronologisch geordnet sind es in der Aus-
gabe des Briefwechsels Luthers von Enders die Nummern
90, 121, 154, 223, 388, 398, 549; fur Nr. 121 liegt eine
Abschrift im Cod. Jen. B. 24, für 549 im Cod. Goth. 451 vor.
Enders hat Farr. nicht verglichen; für die kritische Gesamt-
ausgabe muß die Vergleichung nachgeholt werden. Auf
Bl. 411—411b steht eine Formula promotionis in dooctoratu,
qua Luth(erus) uti volebat, sed impeditus adversa valetudine.
la Köstlin-Kaweraus Leben Luthers (5. Aufl, II 282) wird
sie in deutscher Übersetzung aus unserer Handschrift mit-
geteilt mit der Bemerkung, sie verbinde mit den herkömm-
lichen feierlichen Ausdrücken des Reformators großartigen
Stil. Sie lautet: „Kraft apostolischer, göttlicher und ferner
kraft kaiserlicher und staatlicher Vollmacht — welche beide
3
göttlich sind, die eine himmlisch, die andere irdisch — be-
rufe, verktindige, erkläre ich Dich zum Doktor der heiligen
Theologie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geistes. Das jst Dir gesagt, damit Du eingedenk seiest, wer,
welcher Art, wie groß der ist, welcher Dich berufen hat,
und ferner, gegen welche, welcherlei und wie große Leute
Du berufen bist, auf daß Du seiest Führer, Bote, Gesandter
Gottes gegen die Widersacher dessen, der Dich sendet,
gleichwie ich gesandt bin. So stärke Dich denn der Herr
und sei‘stark. Fürchte Dich nicht, der Herr ist mit Dir,
Amen“ ). Wir kennen diese Formel auch noch aus einem
der vielen Handschriftenbände des unermüdlich nach-
schreibenden und sammelnden Wittenberger Diakonus
Georg Rörer (Bos. q. 24p Bl. 256b in der Jenaer Universitäts-
bibliothek). Dort steht bei der Überschrift der Zusatz: qua
uti volebat promoturus C(asparum) Cfrucigerum) eto. in
doctoratum (vgl. Tischreden IV, S. XVI). Es handelte sich
also um die am 17. Juni 1533 in Gegenwart des Kurfürsten
Jobann Friedrich in feierlichster Form erfolgte Promotion
Crucigers, Bugenhagens und des Hamburger Superintendenten
Aepinus zu Doktoren der Theologie; es war die erste Pro-
motion unter den neuen Statuten der theologischen Fakultät,
überhaupt die erste seit 1525. Promotor war der Dekan
Justus Jonas. Daß Luther selbst die Promotion vollziehen
wcllte und nur durch Unwohlsein daran verhindert wurde,
erfahren wir lediglich aus dem mitgeteilten Sohriftstück.
1) (fol. 411) Autoritato apostolica et divina, deinde imperiali et
politica, utraque divina, altera caelesti, altera terrena voco te vocatumque
pronuntio, pronuntiatum declaro doctorem sacrae theologiae in nomine
patris etc, Haec dicuntur tibi, ut memor sis, quis, qualis, quantus sit,
qui te vocavit. Deinde contra quos, quales et quantos voceris, ut sis
dux, nuntius, legatus Dei contra adver - (411 b) sarios illius, qui te mittit,
sicat ego missus sum. |
Confirmet ergo te dominus et robustus esto. Noli timere,
dominus tecum. Amen.
55 Ein dritter Zeuge ist nach Band V, S. 293 Anm. 8 die
Münchener ‚Handschrift Clm. 987, 174. Auf Nr. 5658 (Responsio D. M.
in tentationibus cuiusdam Doctoris Jacobi Sehenck) folgt dort: Formula,
qua uti voluit in promotiune Doetorum Crucigeri et Pomerani. Die
Handschrift entstammt nach Bd. II, S. IX ff. dem Wellerschen Kreis.
. Bie ist ums Jahr 1550 von einem jungen sächsischen Geistlichen,
Georg Steinert oder Steinhart, geschrieben und 1564 von ihm dem
Chemnitser Superintendenten M. Johann Tettelbach geschenkt worden.
10
Was mich veranlaßte, der Handschrift ein eingehendes
Studium zu widmen, ist die in ihr auf Bl. 263 b— 264 b ent-
haltene Niederschrift der Koburger Trostsprüche Luthers,
über die ich zweimal in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift 1917
S. 149—187 und 1918 S. 430—457 gehandelt habe. Professor
Paul Flemming in Pforta hatte mich freundlicher Weise
auf diese Niederschrift aufmerksam gemacht. Die Vergleichung
mit der ersten Ausgabe der Sprüche durch Matthias Flacius
(1550) und mit ihrer Verwertung in Aarifabers handsohrift-
lichem, dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich ge-
widmeten Trostheft (1549) tbertraf meine Erwartungen.
Farr. bietet den reinsten Text dar, der, da er keinerlei
Zusätze aufweist, als ursprünglich gelten darf. Wie ist der
Sammler von Farr. in den Besitz dieses reinen Textes ge-
kommen? Man darf annehmen, daß alle Kunde von den
Koburger Trostsprüchen auf Luthers damaligen Famulus,
den Nürnberger Veit Dietrich, zurückgeht: Man wird um
so mehr auf diese Spur gewiesen, als das nächste Stück in
unserer Handschrift fol. 264b— 267, Luthers gewaltige Trost-
rede an den schwer angefochtenen M. Johannes Bernhardi
Feldkirch (vom 1. Febr. 1534 — Tischreden III, S. 503 — 508
Nr. 3669 —) ebenfalls durch Veit Dietrich zur Kenntnis der
Tischreden-Sammler gekommen ist (vgl. meinen Nachweis
in der Allg. Ev.-luth. Kirohenzeitung 1917, Nr.21, Sp. 485—487) _
Die Frage taucht auf, welche Beziehung zwischen dem rätsel-
haften M. B. und Veit Dietrich bestanden hat.
II.
Wir mussen eine Beschreibung der Handschrift voraus-
schicken, bevor wir auf den Inhalt näher eingehen. Die
Angaben in den „Beiträgen zur älteren Litteratur oder Merk-
würdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha,
herausgegeben von Fr. Jacobs und F. A. Ukert, dritter Band,
Leipzig 1838", S. 304 und 305 genügen nicht. Der starke
Folioband ist fest in zwei mit Schweinsleder tiberzogene
Holztafeln gebunden, mit reich verzierten Rändern. Die
größere Hälfte der vorderen Decke nimmt. eine Tafel ein,
deren obere Leiste die Buchstaben M. B. enthält, während
die untere Leiste die Jahreszahl 1551 trügt. In die Innen-
seite der Deckel sind zwei Bildnisse eingeklebt, vorn ein
5
Bild Luthers mit dem Malerzeichen A. S. — Sin A geschlungen,
hinten ein Bild des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen,
„anno captivitatis quarto, Anno Christi 1551“. Unter dem
Bilde stehen 4 Disticha Paul Ebers, die unter anderem be-
sagen, daß ,Lucae (d.h.des Lukas Cranach) doeta manus“ diese
Züge abgebildet hat. Der Band enthält jetzt 474, von alter
Hand gezählte Blätter, denen 8 ungezählte Blätter voraus-
gehen. Das erste Blatt enthält oben einen Katalog-Vermerk
„Catal. MSS. p 111“ und dann in roter Farbe von der Hand
des Schreibers die fünf Zeilen:
FARRAGO LRARVM AD AMICOS ET COL: || loqui-
orum in mensa R. P. Domini Martini Lutheri || Saorae Theo-
logiae Doctoris ete. | PESTIS ERAM VIVVS, MORIENS
ERO MORS TVA || PAPA |, Dann folgen, von gleicher Hand
mit schwarzer Tinte geschrieben, drei Zeilen: DE OBITV
EIVSDEM DISTICHON || Magniloquus subiit coelestia tecta
Lutherus | Anno quo paulus papa rebellis obit. | uber
spätere Eintragungen von zwei andern Händen vgl. Jacobs-
Ukert S. 304 Anm.
Die Rückseite des ersten Blattes ist leer. Auf dem
zweiten Blatt steht ein INDEX LOCORVM (rote Überschrift).
Es handelt sich um 98 Rubriken, die in 3 Spalten geschrieben
sind; die dritte Spalte (Nr. 63—93) befindet sich auf der
Rüekseite. Die Zahlen (sowohl die Ordnungszahl, wie die
Angabe der Blattzahl) sind mit roter Farbe, der Inhalt mit
schwarzer Tinte geschrieben, also: 1 De Deo et operibus
eius folio 7, 2. De maiestate Dei inserutabili fo: 2, 3 De
Christo fo: 4, 4 De communicatione idiomatum fo: 6 usw.
Am umfangreichsten sind folgende 3 Abteilungen: 22 Expositio
aliquot locorum seripturae fo: 28 (bis fol. 55); der vorgesehene
Raum reichte aber nicht aus, so daß noch 3 ungezählte Blätter
eingeklebt sind; die Rückseite von fol. 55 quater ist leer.
Daneben erscheint noch als besondere Abteilung: 23 In
epistolam ad Titum scholia fo: 56 (—60). Diese Scholien
sind unverwertet und ungedruckt. Sie hängen zusammen mit
der Vorlesung über den Titusbrief im Nov. und Dez, 1527,
die unter dem Titel: Annotationes Lutheri in epistolam Pauli
ad Titum nach einer Nachschrift Rörers im 25. Bande der
W. A. S. 6—69 (1902) veröffentlicht ist, sind aber von ihr
zu unterscheiden. Die Bezeichnung der zweiten umfangreichen
6
Abteilung lautet: 60 Consolationes pro teufatis, infirmis, et
quibus defuncti amici fo: 247 (bis 288); am Schluß von
fol. 288b stehen die Worte: plura fo: 480. Da die Hand-
schrift jetzt nur 474 Blätter zählt, ergibt sich aus dieser
Bemerkung, daß mindestens 6 oder 8 Blätter am Schluß
verloren‘ gegangen sind; denn am Schluß der Abteilung 75:
De militibus et rusticis heißt es (fol. 376b): plura infra fo: 482.
In der 60. Abteilung befinden sich Luthers Koburger Trost-
sprüche, fol. 262b— 264 b, und die im Jahre 1547 erschienenen
Loci consolatorii philosophici und theologici Melanchthons,
fol. 279—281. Im Corp. Ref. VI 483—488 sind diese Loci
abgedruckt, und Varianten unserer Handschrift sind angegeben.
Die eigentümliche Fassung des 9. theologischen Trostgrundes
Interea etiam gratias (nicht: gratiam) agamus usw. ist von
Bretschneider vermerkt; hinzuzufügen ist die Mitteilung, dab
die Fassung mit der deutschen Übersetzung der Loci über-
einstimmt, die Veit Dietrich noch im Jahre 1547 veröffent-
licht hat. Eine dritte, sehr umfassende Abteilung ist den
Ehefragen gewidmet: 66 De matrimonio fo: 305(—320b) und
69 De easibus matrimonii fo: 321(—344); für diese Abteilung
war noch mehr Raum vorgesehen: Bl. 344b und die gezühlten
Blätter 345, 346, 347, 349, 350, 351 und ein ungezähltes
Blatt sind leer; die Zahl 348 ist bei der Zählung versehent-
lich übergangen.
Das dritte Blatt der Handschrift bringt unter der Über-
schrift Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri
ein lateinisches und ein deutsches Akrostichon auf die Namen
Martinus Lutherus. Am Sehlusse des deutschen Akrostichons
(Martinus heist ein streitbar man, Am Bapst man solchs wol
sehen kan usw.) steht auf Blatt 3b Z. 5 als Unterschrift:
Erasmus Alberus Lutheri theodidactus!). Dann folgen sechs
deutsche Reimpaare „Von S. Cristoff“, die wohl auch dem
Alberus angehören:
1) Alber rechnete es für seine „höchste Ehre, wenn er al:
D. Martini Schüler von Gott gelehrt verachtet wird“. (Widder die
Carlst, Bl. s 4; A j? — vgl. Emil Körner, Erasmus Alber 1910,
S. 18). Erasmus hatte für ihn die Bezeichnung gebraucht: e schola
Lutheri 2cod(daxros; Alber verwandelte das hóhnende Wort in eincu
Ehrentitel (ebenda S. 22.)
„von S. Cristoff ist kein geschicht,
Sondern ein fein christlich gedicht.
Das Bilt bedeut ein Christen Mann,
Der sich uf Gott verlaßen kan.
Durchs mehr(= Meer) soltu vorstan
Dadurch mus man in himmel gabn’).
Der Baum in seiner rechten hand, das ist
Das liebe Wort von Jehsu Christ,
Daran der Christen glaub sich helt
Vnd vberwindet damit die welt. 1 Joh. 5.
Des helff vns Gott durch seinen Sohn,
Dis sey die Summa kurtz darvon.*
Das sind in Verse gebrachte Gedanken Luthers“), die er in
einer Predigt am Christophstag (25. Juli) 1529 vorgetragen
hat. Aurifaber haf einen Predigtauszug in seine Tischreden-
Sammlung aufgenommen (Förstemann-Bindseil 4, 314 [53, 6];
W. A. VI, Nr. 6990); eine handschriftliche Vorlage dieses
Auszugs ist nicht nachzuweisen.
Die folgenden fünf Blütter der Handschrift waren ur-
sprünglich leer gelassen und sind dann hernach, als der
Band schon gebunden war, mit Nachträgen A—G zu ver-
schiedenen Loci (A: Deus alit per media. Vide de illo loco
fo: 1; B: De Christo fo: 4 usw.) ausgefüllt worden. Wir
sehen in die Entstehungsgeschichte des Bandes hinein. Es
sind zwei Personen zu unterscheiden: der Sammler und der
Schreiber, und zwei Zeiten der Niederschrift — die erste
Zeit für die große Masse der ursprünglichen Stücke vor dem
Einbinden des Bandes und eine spütere Zeit für die Er-
günzungsstücke, die in den schon gebundenen Band eingetragen
wurden. Auch die Verschiedenheit der Tinte und des Ductus
der gleichen Schreiberhand spricht für die Unterscheidung
zweier Zeiten. Die Schrift ist gut leserlich; nur einzelne
1) „Von S. Christoffeln, der mit dem kind Christo durchs vn-
gestümme Meer geht, bedeut, das ein Christen durch viel trübsal in
Gottes Reich kumpt, Act, 14* — in der Vorrede zu den Fabeln des
Erasmus Alberus (nach der Ausgabe von 1550) — in den , Neudrucken
deutscher Litteraturwerke des 16. und 17, Jahrh.“ Nr. 101—107, heraus-
gegeben von W. Braune. 1892, S. 3.
5 Vgl. die Predigt vom 25. Juli 1529 in der W. A. 29.
S. 497—505.
8
Buchstaben (z. B.r und e) ähneln einander sehr. In der
Tischrede Nr. 5394 (V, S. 194) — Farr. f. 360 — ist
ein Satz verschieden gelesen worden: „Darumb lasse man
einen jungen gesellen eheliche Freude haben; kompt er zum
regiment, so wirt jn der kutzel wol vorgehen.“ So las Kroker
in Übereinstimmung mit Aurifaber. In der Handschrift steht
aber: „ehrliche Freude“. Der Schreiber hat sich bei seiner
Arbeit manchmal wenig gedacht; er läßt fol. 173b einen
Brief Luthers an Nikolaus Hausmann (Enders III 320, Nr. 501)
mit den Worten beginnen: „Hic vir nunctius tuus nullicolas
quaestiones fuo nomine mihi proposuit“; statt nullicolas muß
es heißen: mi Nicolaé (so im Original des Briefes) Noch
auf dem letzten Blatt — f. 474b — ändert er den Ausdruck
Saulina poenitentia, quae non diu durat in „paulina sententia“
(vergl. Nr. 5519—V, S. 211). Dagegen war der Sammler
ein gelehrter Mann, der in den Erinnerungen der Lutherzeit
lebte, und der den reichen Vorrat von Briefen und Tisch-
reden Luthers, den er gesammelt hatte, zu bequemer Be-
nutzung in 93 Abteilungen gebracht hatte. Aus der Bevor-
zugung der von der heiligen Schrift, vom Trost bei An-
fechtungen und von der Behandlung schwieriger Ehefälle
handelnden Abschnitte darf man wohl einen Schluß auf
den Beruf des Sammlers ziehen; er wird im geistlichen Amte
gestanden haben. Als der Band eingebunden wurde, blieb
bei vielen Abteilungen ein größerer oder kleinerer Raum
(einmal von 7 Blättern) für Ergänzungsstücke frei. Aber
häufig reichte, als diese Stücke nachgetragen wurden, der
freigelassene Raum nicht aus. Nun wurden zunächst die
5 vorderen Blätter, dann der ganze Schluß des Bandes von
fol. 457 an (Überschrift: De fide et ineredulitate et spe,
de eodem supra fo: 18 usw.) mit Ergänzungsstücken gefullt.
An fünf Stellen sind in den gebundenen Band ungezählte
Ergänzungsblätter eingeschaltet worden: nach Bl. 55 (Nr 22
Expositio aliquot locorum scripturae) 3 Blütter, nach Blatt 360
(Nr. 71 De magistratibus) 2 Blätter und ebenso viele nach
Bl. 383 (Nr. 76 De bello), nach Bl. 412 (Nr. 83 De linguis)
und nach Bl. 423 (Nr. 85 Artes liberales). Die Zählung der
Blütter hatte natürlich nur den beim Binden des Buches
vorhandenen Bestand berücksichtigen können. Keunzeichnend
9
für das Interesse des Sammlers ist der Umstand, daß sämt-
liche Ergänzungsstücke sich innerhalb der Lutherzeit halten
und auf die Ereignisse der Jahre 1546—1551 nicht ein-
gehen. Auch bei den ursprünglichen Stücken der ersten
Niederschrift war der Raum der Lutherzeit nur ein paarmal
überschritten worden. Das war der Fall bei der Aufnahme
der Loci consolatorii Melanchthons aus dem Jahre 1547
lol. 279 — 281, zweier Briefe Melanchthons an Johannes
Mathesius: fol. 337b — 338 die brumae (1647), vgl. Corp.
Ref. VI 745, Nr. 4089 und fol.443 b vom 24. August 1547 = Corp.
Ref. VI 643, Nr. 3982, ferner einer Entscheidung Bugenhagens
„sampt andern vorordenten“ in einer Ehesache fol. 338—339
vom 23. April 1547 (vgl den Auszug bei Lic. O. Vogt,
Bugenhagens Briefwechsel 1888, S. 393, Nr. 194) und end-
lich eines Briefes Melanchthons an Andreas Huetel(— Hugel),
pastor Brandenburgensis fol. 239 vom 12. Januar 1548, vgl.
Corp. Ref. VI 779, Nr. 4182. Ein späterer Termin kommt
in der ganzen Handschrift nicht vor. Ganz anders
spielt das Gegenwartsinteresse herein in die in mancher
Beziehung vergleichbare groBe Sammlung des Naumburger
Ratsherrn Valentin Bavarus oder Bayer, deren zweiter Band
am 14.Januar 1549 begonnen wurde (Goth. B. 15 und 16:
Rhapsodiae et dicta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutheri
in familiaribus colloquiis annotata etc.; vgl. Tischreden I,
S. XVII und XXXIX); namentlich im zweiten Baud tritt in
einer Reihe von Stücken die ungeheure Aufregung der
Interimszeit deutlich zutage (vgl Jacobs - Ukert a. a. O.
S. 300—304). In Farr. herrscht der Friede der Erinnerung
an Luther.
III.
Unter den fremden Benutzern der Handschrift Farr., die
wir nachweisen können, nimmt die erste Stelle Johannes
Aurifaber ein, der zur Herstellung seines im Juli 1566 zu
Eisleben erschienenen Tischredenbandes starke Anleihen bei
unserer Handschrift gemacht hat. Mit dieser überaus wichtigen
Feststellung rtickt die Handschrift für die Tischredenforschung
in den Rang der Quellenschriften ein. Der Beweis läßt sich
bei genauer Vergleichung des Aurifaberbandes (in der vier-
bändigen Ausgabe von Förstemann-Bindseil, 1844—1848—F.)
10
mit Farr. so deutlich führen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen
bleibt. Wertvollste Hilfe bei der Vergleichung leistet der
20. Abschnitt der Krokerschen Ausgabe: Tischreden aus
Johannes Aurifabers Sammlung FB. (= VI, S. 1—369).
Kroker vereinigt in dieser Abteilung alle die von Aurifaber
dargebotenen Tischreden, für welche eine handschriftliche
Vorlage bisher nicht nachgewiesen werden konnte; ihre Zahl
ist noch beträchtlich genug (Nr. 6508—7075 = 568 Stücke.)
Davon sind abzuziehen die zahlreichen Reden, die Aurifaber
selbst als Famulus und Begleiter Luthers während seines
letzten Aufenthaltes in Eisleben aufgezeichnet hat; schon
Nr. 6508 gehört, wie Kroker anmerkt, in diese Klasse; ferner
Nr. 6516, 6526, 6527 usw. Bei einer anderen Reihe von
Reden konnte jetzt erst festgestellt werden, daß die Quellen-
belege schon an früherer Stelle begegnen. Das gilt x. B.
von Nr. 6529. „Es ist Nr. 1265 in.“, bemerkt Kroker, d. b,
eine der Nachschriften Schlaginhaufens ; die Feststellung war
dadurch erschwert, daß Aurifaber mit Weglassung der ersten
Sätze nur ein Stück der Rede wiedergibt. Eine dritte Reihe
bilden die Entlehnungen aus Farr., zu denen wir uns nun wenden.
Im Tischredenband VI, S. 345 lesen wir: FB. 4, 538
(66,57) = Nr. 2831 + X. Die aus der Sammlung des
Konrad Cordatus entnommene Tischrede Nr. 2831 (III, S. 10)
lautet: Studium iuris est sordidum et quaestuosum, ac ultimus
finis eius est pecunia; neque enim propter delectationem aut
cognitionem rerum in iure student. Lauterbachs Sammlung
(Bindseil 1, 290) bietet — als Verbindung zwischen Nr. 3690
und Nr. 2809 — nur die Worte: Nam Juris studium est
sordidum, tantam captat quaestum. Aurifaber aber gibt
folgenden umfassenden Text (FB. 4, 538 — 66, 57): Um
Genusses willen studiret man gemeiniglich
Jura. Doot. M.L. sagte: „Studium Juris, im Rechten studirn,
wäre ein sordidum, unfläthig und garstig Ding, da man nür
Genieß, Geld und Gut mit suchte, daß man reich würde.“
Da sprach Peter Weller, der bey ihm ‚im Hause war und
zu Tisch ging: „„Er hätte den Sinn nicht, und thäte es
nicht.“ Da rief D. M. L. tberlaut, und sprach zu seinem
Famulo: „Wolf, gehe und laß die große Glocke lauten, und
bring Wasser her, daß man ihn kühle.“ Da er aber drauf
bestand, und es theur verjahete; fragte ihn der Doctor: „Ob
er allein von wegen des Erkenntniß der Händel, und daß
er möge wissen, was Recht ist, oder Lust halben in Jure
11
studirte? So wäre er unsinnig; sondern die endliche Ureach
darum ihr zu Juristen werdet und Jura studiret, ist das Geld.
daß ihr reich werdet.“
Kroker bemerkt in einer Anmerkung (S. 10 A. 13):
Aurifaber hat den ursprünglichen Text vollständiger, aber
auf wen geht seine Vorlage zurück? Die Handschrift Farr.
gibt die Antwort; sie enthält in ihrem 71. Abschnitt: De
magistratibus auf fol 357b das gesuchte Stück X und
die Vorlage für Aurifaber:
Luth: dixit (rot) stadium luris esse sordidum et
questuosum Tune Pjetrus Weller dixit huno animum non
habere, Exolamavit Luth: Wolff, gehe, las die große glocke
leuten vnd bring waßer hehr, das man jn kule. Is vero
cum perseveraret affirmando, quaesivit Luth: , au propter
rerum cognitionem et delectationem in iure studuerit, tunc
esset plane insensatus, sed ultimum finem iurium esse pecuniam.
Daß Aurifabers Übersetzung eine Bearbeitung dieser
Vorlage ist, steht außer Frage. Aber es wäre immerhin
noch denkbar, daß er sie nicht aus Farr. geschöpft hat,
sondern daß er sowohl wie Farr. von einer uns unbekannten,
verloren gegangenen Sammlung abhängen. Wir müssen
daher unsre Untersuchung erweitern und auf die Frage ein-
stellen, ob nicht Aurifaber sich abhängig von der Sach-
ordnung der Handschrift Farr. zeigt und zusammenhängende
Reihen von Tischreden übernommen hat. Erst dann wirkt
die Beweisführung zwingend.
Der 34. Abschnitt Aurifabers „Tischreden Luthers von
Ceremonien“ (FB. 3, 329—332, sechs Stücke) lockt zur
Vergleichung mit dem 48. Abschnitt von Farr.: De Ceremoniis
fol. 169—170 (neun Stücke). Aurifaber folgt (mit Weg-
lassungen) genau dem Gang unsrer Handschrift; der deut-
liohste Beweis liegt in der Aufnahme zweier Lutherbriefe,
die ja gar nicht zu „Tischreden“ gehören. Doch sehen wir
näher zu.
Das 1. Stück (Ceremoniae ... sunt ex se licitae ac
liberae = W. A. I, Nr. 800) übergeht Aurifaber, weil er es
schon in dem Abschnitt „von guten Werken“ FB.2, 226
(14, 46) gebracht hatte,
Das 2. Stück lautet: Paterfamilias dicit familiae suae :
Estote studiosi voluntatis meae, sunst esset, trincket, kleidet
euch, ut vultis. Sic Deus non curat, quomodo edamus et
12
vestiamur. Das Stück ist uns auch, wie Kroker VI, S. 241
angibt, in Veit Dietrichs Nachschriften erhalten (W. A. I,
Nr. 59). Aber Aurifabers Ubersetzung (Nr. 1) folgt nicht
dem Texte Dietrichs, sondern unsrer Handschrift. (Beweis:
Weglassen von Quemadmodum an der Spitze; „kleidet euch,
wie ihr wollt“ gegen Dietrichs „wie ihrs habt“; „was wir
essen uud wie wir uns kleiden“ gegen Dietrich: quomodo
vestiamus aut edamus). Aus freien Stücken fügt dann Auri-
faber hinzu. „Er (Gott) läßt uns alles frey, Ceremomien
und was Mittelding, Adiaphora, sind, allein daß man nicht
daran schmiere, als wären sie noth oder ntltz zur Seligkeit.“
Das 3. Stück ist der kurze Satz: Osculam manuum
optima ceremonia, deponit suspitionem veneni. Der Satz
findet sich in Johannes Sehlaginhaufens Nachschriften vom
30. August 1532 (W. A. II, Nr. 1785); er wird von Auri-
faber übergangen.
Von nun an bleibt die Reihenfolge der Texte die gleiche.
Der Handschrift viertes Stück: Licetne vesci carnibus
Ícria sexta? ist Aurifabers zweites Stück: Ob man auch
Fleisch am Freytage und andern verbotenen Zeiten essen
möge. In VI, S. 341 wird das Stück als Nr. 6866 gezählt,
ohne daß eine handschriftliche Vorlage angegeben wäre;
Farrago bietet sie dar. Der Text lautet:
Licetne vesci carnibus feria sexta? Licet et probo
(rot) Quia Christus inquit: quod intrat os, non coinquinat
(Matth. 15, 11) Item: omnia munda mundis
(Tit. 1, 15). Contra (rot): Potestas ecclesiastica prohibuit esum
earnium feria sexta. Ergo haec traditio est observanda.
Rıespondit): Humana traditio servanda est in ecclesia propter
finem politicum et non est assuenda opinio iustificationis.
Aurifaber gibt eine genaue Übersetzung, die nur am
Schluß in eine erweiternde Umschreibung ausläuft. Aber
in der Handschrift ist ein Votum Melanchthons hinzugefügt,
das Aurifaber natürlich übergeht. Es lautet: R(espondit)
Phil. Mel. (rot): Libertas constituta est in evangelio, nulla
humana autoritate potest mutari. Evangelium docet nos,
non esse pro necessariis rebus habendas traditiones extra
easum scandali. Ergo autoritas episcoporum non potest efficere.
uf hae traditiones sint necessariae.
13
Es folgt als fünftes, bei Aurifaber als drittes Stück das
Bruchstück eines lateinischen Briefes Luthers an Nikolaus
Hausmann vom 17. November 1524 (= Enders, Briefwechsel
Luthers, V 52f. Z. 21—37). Aurifaber gibt der Übersetzung,
die genau den in Farrago mitgeteilten Abschnitt umfaßt,
die Überschrift: „An M. Nicolaum Hausmann Bericht und
Bedenken D. M. Luthers von Ceremonien.^ Am Schluß läßt
er die Worte weg: „post Martini 1524.“
Auch das nächste, sechste, bei Aurifaber vierte Stuck
ist ein Brief Luthers „an die Kirchendiener zu Nordhausen“
= Ad verbi ministros Northusiae; vgl. Enders XV 298f.
(1543 7). Text und Übersetzung stimmen im Schlußsatz (gegen
die Rezension bei Enders) überein. „Derselbige unser Herr
Christus erhalte und vollführe das Werk, wie ers in Euch
angefangen hat, bis an jenen Tag unser Hoffnung und Er.
lösung! Amen.“ — Qui sicut coepit in vobis opus suum, ita
servet et perficiat usque in illum diem spei nostrae Christus.
Amen. Im Enders'schen Text fehlt Christus.
In VI, S. 241 und 242 sind die beiden Lutherbriefe
als Nr. 6867 und 6868 aufgeführt ohne Angabe einer haud-
schriftlichen "Vorlage. Dagegen steht bei den folgenden
Nummern die Angabe FB.3, 331 (34, 5) = X + Nr. 882
+ 430 d.h. die Nummer ist aus drei Stücken zusammen-
gesetzt, von denen das erste keine bekannte Vorlage in den
„Urschriften“ hat, während das zweite (Nr. 882) in V. Dietrichs
und Medlers Sammlung, das dritte (Nr. 430) in V. Dietrichs
Nachschriften steht. Aber die drei Stücke folgen in Farrago
unmittelbar hintereinander als Nr. 7, 8 und 9; damit ist
die bisher vermißte Vorlage für den Umfang des (fünften)
Aurifaber-Stückes gefunden, das die drei kleinen Texte ver-
einigt. Die Vorlage lautet:
(f.169b) „Festum (rot) Ioannis sol man bleiben lassen,
est enim initium novi testa: (menti). Denn es heist: lex et
prophetae usque ad loannem (Matth. 11, 13). So sol mans
auch halten propter illa cantica, welche wir noch haben in
papatu gele-(f. 170) sen, aber nicht vorstanden. Tunc
(rot) quidam: Canticum Zachariae ist fein. Doctor): Ja,
er ist fein, denn die praefation zeigt es wol an, die Lucas
macht, da er spricht: repletus spiritu sancto (Luk. 1, 67).“
14
Damit verbindet nun Aurifaber das in der Handschrift
getrennt stehende achte Stück „Nos pastores debemus vigi-
lare, das also ceremonien gemacht und gehalten werden,
das das volck nicht so gar wilde, noch zu gar heiligk werde“.
Das Stück findet sich zuerst in V. Dietrichs und Medlers
Sammlung (Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger
Jahre) Nr. 882 (Bd. I, S. 440).
Die Handschrift fährt mit neuem Absatz fort: „Wer
ein ceremonien anrichten wil, sie sey so geringe, als sie wolle,
der muß das schwerdt zu beiden henden fassen“ usw. Die
Worte hat Luther nach V. Dietrichs Nachschriften Nr. 430
(I, S. 185) Weihnachten 1532 gesprochen. Daß aber nicht
Veit Dietrichs Text, sondern unsre Handschrift die Vorlage
für Aurifaber war, beweisen die Varianten, Dietrich hat,
„anfechten“ (wohl richtiger als „anrichten“) und „zu beyden
seytten“ ; Aurifaber aber folgt dem Text unserer Handschrift
Das zeigt sich noch am Schlußsatz des Abschnitts: „Es ist
unmtiglich, daß ein Gläubiger so viel Bücher könnte schreiben
als Erasmus, und nicht ein einigen Vers und Zeilichen von
Christo mit untersprengen und mischen“ = Impossibile est.
quod credens homo tot libros possit scribere ut Erasmus
et ne unum versum inserere de Christo. Dietrich dagegen
schreibt, „nit ein zeyl de Christo setzen“.
Mit diesem neunten Stück schließt in der Handschrift
der ganze Abschnitt. Die Hälfte von fol. 170, dann die
Rückseite und fol. 171 sind leer. Aurifaber hat den Abschnitt
in der Urausgabe auch hier geschlossen; erst in der Frank-
furter Folioausgabe mit der Vorrede vom 1. Juli 1568 ist
ein weiteres, in der Urausgabe 1566 im Anhang (Bl. 623)
nachgetragenes Stück hierher gesetzt worden (ebenso in dem
Abdruck der Frankfurter Ausgabe bei Walch 22, 1511 nnd
F B. 3, 332): Omnis spiritus landat Dominum, ergo omni lin-
gua et sermone est laudandus (Ps. 150, 6). Die Vorlage des
Stücks ist in der Sammlung von Konrad Cordatus nachgewiesen
= Nr.2388b (II, S. 443). Es ist die Rede von dem Gebot des
Kaisers, in allen Ländern die Messe nur in lateinischer Sprache
zu celebrieren. EinParalleltext mit eigentümlichen Wendungen
(z. B. dem Zusatz: et in Britannia etiam rustici coguntur
latine orare) findet sich in Dietrichs uud Medlers Sammlung
18
Nr. 969 (I, S. 431), und eben diesen Text bietet auch Farrago
in dem Abschnitt De linguis (immer ist liguis geschrieben)
fol. 412 bis.
Was den Text der besprochenen Stücke betrifft, so ist
der Zusammenklang unsrer Handschrift mit den Varianten
Rörers hervorzuheben. Das gilt mit Bezug auf die Tisch-
reden I, Nr. 59 und 430 betreffs des Rörerbandes Ror. Bos. q.
240, in bezug auf I, Nr. 882 und 969 betreffs des Bandes
Ror. Bos. q. 24f.
Ein noch viel umfangreicherer Beleg für die Abhüng-
igkeit Aurifabers von Farr. kann dem in unsrer Handschrift
ja mit besonderer Liebe ausgebauten 69. Abschnitt: De casibus
matrimonii entnommen werden. Aurifaber hat in seinem
43. Kapitel „Tischreden Luthers vom Ehestand“ nicht weniger
als 184 Stücke gesammelt; eine ziemliche Anzahl davon
entstammt unsrer Handschrift fol. 334—344, wie die Texte
und besonders die Aufeinanderfolge der Stücke beweisen.
Es folgt auf Nr. 108 (FB. 4, 101) „Ob der Aussatz die
Ehe scheide* Nr. 109 Luthers Bedenken, da einer eine Magd
geschwängert ; beides steht auf fol. 334. Über den Ehefall
eines gewissen Ezold, der eine Witwe heiratete, die uxor
avunculi gewesen war, findet sich in der Handschrift eine
Reihe von Gutachten von Brenz, Amsdorf, Melanchthon, Luther
und Jonas (vgl. Zeitschr. für Kirchengeschichte VI 1884
S. 425 Nr. 5). Aurifaber übernimmt in Nr. 110 natürlich
nur das Urteil Lutbers in einem Brief an Spalatin (vgl.
Enders VII 232, Nr. 1602). Mit welcher Flüchtigkeit er
mitunter arbeitete, zeigt der Schluß des Briefes, dessen Datum
ical: Mart: 1530 (= 26. Februar) er in „den dritten Martii
1530“ verwandelt. Die nächste Nr. 111, das Urteil des
Wittenberger Consistoriums in einem Ehefall, ist von Auri.
faber anderer Quelle entnommen. Aber die sieben Stücke
Nr. 112—118, die bei Aurifaber die Überschriften tragen:
Nr. 112: Von heimlichen Verlöbnissen und von der Eltern
Gewalt, Nr. 113: Von Graden in Ehesachen, Nr. 114: Von
Vormtinden-Gewalt in der Ehestiftung, Nr. 115: Frage (betr.
der Trauung heimlich Verlobter), Nr. 116: Vom Weglaufen,
Nr. 117: Von einem seltsamen Fall (zu Frankfurt an der
Oder) und Luthers Bedenken drauf, Nr. 118: Des Papstes
16
Entschuldigung, warum er den Ehestand verbiete, finden sich
in gleicher Aufeinanderfolge auf Blatt 342—344; dazu kommt
noch Bl. 341 für die zweite Hälfte von Nr. 118 in Betracht.
Nur übergeht Aurifaber wiederholt kleinere Stücke, wie er
an Stücken auf Bl. 340 vorübergegangen war, die er aus
anderer Vorlage schon früher gebracht hatte (Causae divortii
= IV, Nr. 4499, in FB. Nr. 93; zwei Casus = IV, Nr. 4068,
in FB. Nr. 82 (Schluß) und 83 usw.) |
Vergleicht man hierzu in der W. A. den 6. Band der
Tischreden S, 267—269, so ist für Nr. 6915, 6916 und 6917,
die Aurifabers Stücken 108, 109, 110 entsprechen, nunmehr
die vermißte Vorlage nachgewiesen. Und wenn auf S, 269
zu Nr. 115, das aus zwei Stücken besteht, bemerkt ist, es
entspreche dieser Tischrede Nr. 5566 (aus Heydenreichs
Nachschriften) + X, so ist die unbekannte Größe nun gefunden;
denn die Worte auf fol. 343b: Haec dicebat interrogatus,
an pastor posset bona conscientia duos copulare, qui contra
parentum voluntatem contraxissent matrimonium et iuris-
periti tá (= tamen) confirmassent usw., bildeten die Vorlage für
Aurifabers Übersetzung. Zugleich wird die Lesart der Ur-
ausgabe „Das sagte er“ gegen die Änderung „Da sagte
er“ bestätigt. Bemerkenswert und für die spätere Unter-
suchung von großer Bedeutung ist der Umstand, daß nicht
nur das Äquivalent für die Hälfte von Nr. 115, sondern die
von Kroker angenommenen Aquivalente für die Nr. 119 —117
überhaupt sämtlich in Kaspar Heydenreichs Nachschriften
aus den Jahren 1542 und 1543 sich finden (Nr. 5541, 6543.
5561, 5566, 5569, 5578; vgl. VI, S. 269).
Mit „des Papstes Entschuldigung, warum er den Ehe-
stand verbiete“ (Nr. 118, 1. Hälfte) war Aurifaber in fol. 344
an den Schluß des Farr.-Abschnittes gelangt; fol. 344b und
noch. sechs Blätter sind leer. Die Handschrift gefiel ihm
aber so gut, daB er nun rückwärts blätterte und in den
Nr. 119—124 eine Reihe von Lutherbriefen über Ehefragen
der an solchen ja so reichen Vorlage entnahm. So ist
Nr. 119, „Luthers Bedenken vom Scheiden ums Weglaufens
willen an einen Kirchendiener zu N.“, der auf fol. 326
stehende, ins Deutsche übersetzte Brief an den minister
ecclesiae Simon Wolferinus in Eisleben (vom 19. September
17
1544; vgl. Enders XVI, 85). Nochmals wird rückwärts
geblättert, und es folgen zwei tibersetzte Briefe an Nikolaus
Hausmann, der eine f. 334b— 325 (= Nr. 120) vom 36. Oktober
1530 (Enders VIII, 293f), der andere f, 325—325 b (= Nr. 121)
vom 10. Mai 1531 (Enders IX, 9). Im Rüokwärtsblättern
fortfahrend, bietet Aurifaber aus fol. 331—321b als Nr. 122
eine Zitation Luthers dar. ,Ich, Martinus Luther, der heiligen
Sehrift Doktor, zu Wittenberg Prediger, füge Dir B. H. zu
N. zu wissen, daß die tugendsame Frau A, verlassene
Witwe N. zu N., bei mir gewest und klagende angezeigt“ usw.
In der Handschrift sind natürlich die unterdrüokten
Namen ausgeschrieben; es handelt sich um die Zitation des
Brosius Heinrich in Dittersdorf vom 29. April 1531 (Enders IX, 4).
Mit dieser Zitation verbindet Aurifaber aus anderer Quelle
„eine andere Zitation“ Nr. 123 (vom 22. Juni 1538 an Hans
Sehwalb; Enders Xl, 375). Aber noch einmal kehrt er
dann zu Farr, zurück. Dem Abschnitt de matrimonio ent-
nimmt er aus fol, 314b—315 als Nr. 124 Luthers „Bedenken
von gemeiner Weiber Hüuser an D. Hieroymum Weller*.
Der Brief vom 3. September 1540 (Enders XIII, 174) schließt
mit den Worten: ,Summa: contra Deum nihil possumus
neo facere neo permittere nec tollerare. Fiat iustitia et
pereat mundus," Aurifaber übersetzt dies geflügelte Wort:
„Man lasse gehen, was recht ist, sollte gleich die Welt
darüber zu scheitern gehen.“
Im 6. Band der Tischreden der W. A. entsprechen den
Nummern 119—124 die Nummern 6919— 6924. Die Luther-
briefe sind natürlich richtig nachgewiesen; aber die Auswahl
gerade dieser Briefe und ihre Aufnahme in Aurifabers
Tischreden-Sammlung ist erst jetzt erklärt. Aurifaber ging
beharrlich in den Spuren der Handschrift Farr. Das zeigt
sich auch noch bei Nr. 6926 (Nr. 131 bei Aurifaber;
FB. 4, 115). Aurifaber leitet den Fall mit den Worten
ein: „Da D.,M. L. gefragt ward von etlichen Predigern um
einen Fall im Ehestande, sprach er usw.“ Dazu wird
VI, S, 274 mit Recht bemerkt: „Trotz dieser Worte haben
wir keine Tischrede, sondern einen Brief oder ein Gutachten
vor uns,^ Die lateinische Vorlage steht Farr. fol. 316b. Ea
ist ein Brief der Theologi Wittebergenses vom 11. Febr. 1542
Archiv für Reformationsgeechichte. XIX. 1. | 9
18
ad ministros ecelesiae Nordthausianae in bezug auf den
Ehefall des Jakob Lewer oder Lówer. Der Brief stammt
übrigens aus der Feder Melanchthons (— Corp. Ref. IV 776,
Nr. 2447); er ist das Begleitschreiben zu einem ausführ-
lieheren Gutachten (Enders XIV 178, Nr. 3101), das, weil
auch für den Rat in Nordhausen bestimmt, deutsch abgefaßt
ist, Auch dieses wird von Farr. mitgeteilt, aber nicht schon
fol. 316b, sondern erst fol. 339b 340. Dem Schluß des
Gutachtens sind die Worte beigefügt: Wite: ex manu Phil. Mel.
Wir haben in die Arbeitsweise Aurifabers einige Ein.
blicke getan. Was wir wahrnehmen, veranlaßt uns, nament-
lich die Einfübrangsformeln der einzelnen Tischreden unit
allem Bedacht zu prüfen. Es sei noch ein Beispiel angeführt.
Luther hat, um die schlimmen Früchte des erzwungenen
Coelibats zu kennzeichnen, öfters auf eine dem Bischof
Ulrieh von Augsburg zugeschriebene Epistel de continentia
clericorum hingewiesen und sogar eine Wittenberger Aus-
gabe aus dem Jahre 1520 mit einer Vorrede versehen
(vgl. meinen Nachweis in den „Beiträgen zur bayrischen
Kirchengeschichte“ von Kolde, VI. Band, 1900, S. 121—126).
Auf diese Epistel nimmt das 182. Stück der Tischreden vom
Ehestand Bezug (FB. 4, 151; W. A. Nr. 6941). Aurifaber
führt es mit den Worten ein: „Doktor M. L. sagte einmal
in einer Predigt, daß ers gelesen hätte, daB S. Ulrich
schrieb und klagte usw.^ Was er aber acs der Epistel
mitteilt und weiter durch ein Beispiel ,zu unserer Zeit im
österreichischen Nonnenkloster Neuburg" bekräftigt, ent-
stammt mit nichten einer Predigt, sondern ist die Übersetzung
eines Stückes des großen Kommentars zur Genesis. Die
lateinische Vorlage steht in der Auslegung von Gen. 4,1
(W. A. 42, S. 178, Z. 1—22) Wenn in der W. A. in der
Anmerkung zu S. 178 es zweimal. heißt: „Aus den Tisch-
reden“, so ist diese Quellenangabe irreführend. Wie sollte
in den im Jahre 1544 erschienenen ersten Band des Genesis-
Kommentars eine erst 1566 veröffentlichte angebliche Tisch-
rede gedrungen sein? Umgekehrt hat vielmehr Aurifaber
ein Stück der Vorlesung in eine „Tischrede* verwandelt
und mit dem Exzerpt einen anderen Ausspruch Luthers ver-
bunden. Der letzte Absatz von Nr. 182 beginnt: „Und sprach
19
D. Luther, als er ein junger Knabe gewesen wäre, da hätte
man die Hochzeit und den Ehestand für sündlich und un-
ehrlich Wesen gehalten usw.“ Dieser Absatz stammt aus
einem anderen Zusammenhang.
IV.
Die Feststellung, daß Aurifaber die Handschrift Farrago
als Quellenschrift für seinen Tischredenband benutzt hat,
erleichtert die Frage nach der Person des Sammlers, Wir
müssen ibn unter den Tischgenossen Luthers suchen;
er gehört zu denen, die sich selber am Tisch des Reformators
Aufzeichnungen gemacht haben. Woher sollte er sonst sein
Sondergut haben?
Es bleibt Aufgabe der Forschung, alle Stücke in Farr.
festzustellen, die keine andere Tischreden-Handschrift, auch
Rörer nicht, darbietet. Und ferner ist zu untersuchen, mit
welchen von diesen Stücken Aurifaber seine Ausgabe be-
reichert hat. Es ist merkwürdig, daß das erste Ergänzungs-
blatt A der Handschrift mit einem solchen Stücke beginnt.
Die allererste Rede, die Farr. mitteilt, ist Sondergut. Sie lautet:
Deus alit per media. Vide de illo loco fo: 1. „Gott
kondt vns wol an (= ohne) alle vnsere arbeit vnd an alle
mittel ernehren, aber er wil die handt auffthun, das man
sehen sol, er sey ein reicher Herr vnd ist doch alles.mirabile
opus Dei, das wir mussen sagen, wir habens alles von jm,
quia videmus quaedam flumina gignere pisces, do man keine
bat eingesetzt. Also jn dem bechlein, das durch meinen
garten fleust, sein feine heehtlein, schmirlen, vnd wenn man
sic jn ein ander wasser setzt, so werden große hechte daraus.“
Aurifaber teilt die Rede als Nr. 80 in dem Abschnitt
„von Gottes Werken“ mit (FB. 1, 123 [2, 80] W. A. Nr. 6538)
unter Übersetzung der lateinischen Worte und verbindet
damit ein Stück der Tischrede Nr. 1153 (I, S. 570), das er
dann bei der Wiedergabe dieser ganzen Rede unter Nr. 103
(FB. 1, 141) wiederholt.
Aber nicht nur die Sonderstücke verraten den Tisch-
genossen Lathers, soudern auch die originalen Fassungen,
die hie und da solehe Reden in Farr. haben, die auch in
anderen Tischredensammlungen begegnen. Ein hervorragendes
Beispiel ist Nr. 5386 (V, S. 120) aus der Mathesischen
Sammlung — eine Rede, die Kroker Kaspar Heydenreiclis
2
20
Nachschriften zuschreibt und in den April 1542 versetzt,
Luther schildert, wie sinnlich und fleischlich sich die Türken
das Leben nach der Auferstehung vorstellen. ,Adiecit
Doktor Pommer: So werden sie (die Männer) unter inen
(den Weibern) rum gehen wie ein han vnter den hennen!“
Farr. f. 129b bietet aber den Text: Adiecit aliquando D. Pomer,
eum hoc idem recitasset: So werden sie usw. Das ist eine
richtigere Fassung; denn, wie Kroker anmerkt, Bugenhagen
kehrte erst Ende Mai 1542 aus Dänemark zurück (Enders XIV
168, Anm. 6); das aliquando bei Farr. betont also richtig,
daß Bugenbagens drastische Äußerung bei einer anderen
Gelegenheit gefallen ist. Diese richtigere Fassung ist aber
gewiß ursprünglich; die andere ist durch Abkürzung des
Textes entstanden.
Um eine Textverkürzung handelt es sich auch bei einer
anderen der Heydenreich' schen Nachschriften aus dem
Sommer 1542: Cicero et Aristoteles (V, S. 155, Nr. 5440).
In Farr. f. 422b lautet die Überschrift: De philosophia, und
der ganze Abschnitt hat folgenden eigentümlichen Zusatz,
[. 423: „Varro vnd Cicero sein die besten. Varro macht
triplices Deos, poeticos, philosophicos et naturales. Cicero
vorsteht wol, quod sit tantum unus Deus. Quid autem sit
ille Deus, non videt. Ich glaub auch, quod minus in iuditio
vapulabunt. Denn das Cicero so hart solt verdampt sein
als Caiphas, halt ich nicht.“ Ein Stück dieses Zusatzes
findet sich in Nr. 5972 (aus Ro. Bos. o. 17 0).
Daß der Sammler von Farr. auch im Jahr 1543 in
Wittenberg war, ergibt sich aus der Fassung, in der bei ihm
(fol. 327 b) Luthers Erzäblung von einem skandalösen Erfurter
Ehefall begegnet, wie jemand unwissenderweise eine Frau
nahm, die zugleich beides, seine Tochter und seine Schwester
war. Der Fall wird öfters in den Tischreden erwähnt,
Eine Darstellung, die fast wörtlich mit dem Farr.-Text tiber-
einstimmt (III, S. 501, Nr. 3665 A) schließt mit der Bemerkung:
Hoc nostro saeculo contigit Erphurdiae. In Farr. folgt noch
der Satz: Lutherus recitavit pro contione 1543. Diese Mit-
teilung trifft vollkommen zu. Am 16. Okt. 1543 hat Luther
in der Genesis-Vorlesung (W. A. Bd. 44, S. 222 f) bei der
Auslegung von Gen. 36, 20—30 den Fall erzühlt und seel-
21
sorgerliche Bemerkungen angekntipft; ich habe das aus der
Greifswalder Handschrift Mscr. theol. Quart 36 nachgewiesen
(Theol. Literaturblatt 1918 Nr. 7, Sp. 105—109 und Archiv
für Ref.-Gesch. XVII 1920, S. 81—91). Der Sammler von
Farr. war wohl Hórer der Genesis-Vorlesung Luthers.
Es liegt die Frage nahe, ob nicht der Sammler, wenn
er ein Tischgenosse Luthers war, irgendwie in den Sonderstücken,
die er bietet, persönlich mit seinem Ich hervortritt, Ahnlich
wie Antonius Lauterbach, in dessen Tagebuch vom Jahre 1538
oft Stellen begegnen, wie: Dixit ad me, Mihique indixit et
ceteris diaconis, lllo die interrogavi Lutherum (III, S. 530, 17,
672,12; 583, 21—Nr. 3685, 3729, 3740). Wir nehmen aber
wahr, daß in Farr. beim Umschreiben der einzelnen Stücke
in die Fächer der Sachordnung solche Ich-Stellen meist absicht-
lich getilgt sind. Das ist z. B. der Fall bei Nr. 5459 (V, S. 165).
Da heißt es in Heydenreichs Nachschriften: „Cum interrogarem:
ob auch ein obrikeit macht hette, einen prediger zu fragen
de adulteris, wenn er pro contione hart darauf gescholten
bett“ und auf Luthers verneinende Antwort noch einmal:
Deinde quaerebam. Der Sammler von Farr. war anwesend;
denn er hat am Schluß den originalen Zusatz, den Aurifaber
(FB. 4, 168 [44, 18]) von ihm übernommen hat: „Darumb
lassen wir keine clandestina coniugia zu, quia est unius vox,
quae nihil potest probare.^ Statt daß aber der Fragende
genannt wäre, lautet die Einführung in Farr. einfach:
„Quaeritur, ob auch ein oberkeit usw.“ und hoch einmal:
Item quaeritur.
Ebenso lehrreich ist folgendes Beispiel. In Nr. 5504
(V, S. 198— Winter 1542 auf 1543) lesen wir: Cum
legeremus in mensa Antonii Margarithae, ludaei baptizati,
(er war damals Professor des Hebräischen in Wien, wie
Kroker anmerkt) libellum de variis ritibus et ceremoniis
ludeorum, inquit Doctor etc. Aurifaber macht daraus
(FB. 3, 392 [37, 83]): „Anno 1542 lase M. Mathesius und
die anderen Tischgesellen usw.“ Aber Mathesius war schon
im April 1542 als Diakonus nach Joachimsthal zurück-
gekehrt. In Farr. f. 458 ist der ganze einleitende Satz
absichtlich weggelassen.
(Schluß im nächsten Heft).
Georg Weigel.
Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte
Altpreussens und Lithauens.
Von D. Dr. Th. Wotschke.
Dem Thorner Professor Hartknoch verdanken wir eine
eingehende Kirchengeschichte Altpreußens. Vor mehr denn
200 Jahren geschrieben, ist sie noch heute, auf das Ganze
gesehen, nicht überholt. Gründlich unterrichtet sie auf 1100
Seiten über alle kirchlichen Ereignisse bis zum Jahre 1680-
Aber mit keinem Worte erwähnt sie jenen unruhigen Theo-
logen, der 1562/63 die kirchlichen Wirren in Königsberg
noch mehrte, zum Osianderschen Hader einen Sakraments-
streit fügte, dann in Wilna und Lithauen tiberhaupt ver-
hängnisvoll wirkte und schließlich fast in die römische Kirche
zurücktrat, Georg Weigel aus Nürnberg. Auch andere Kirchen-
geschichten wissen nichts von ihm. Nur Löscher „Historia
motuum“ kennt seinen Namen, bringt seine kurze Confession
und einen Streitbrief seiner Feder wider Epplin, aber näheres
weiß auch dieser Historiker über ihn nicht zu berichten. Außer
den beiden genannten Urkunden ist ihm von Weigel nichts
bekannt; über die Zeit seines Auftretens hat er nur eine
Vermutung, und diese Vermutung ist falsch. Es wird des-
halb die geschichtliche Forschung fördern, nähere Nachrichten
über diesen fast ganz unbekannten Theologen zu bringen.
Justus Jonas, der Jungere, der ungluckliche Sohn des
treuen Freundes Luthers, schreibt in Beantwortung einest
herzoglichen Briefes vom 14. Januar 1561 an den Hohen-
zoller in Königsberg): „Es ist hier in Wittenberg ein frommer,
gottesfürchtiger, eingezogener, stiller, ganz gelehrter Gesell
mit Namen Magister Georg Weigel, ein Nürnberger, seines
Alters ungefähr ein- oder zweiunddreißig Jahre, eine feine,
) Vergl. J. Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten mit
Herzog Albrecht von Preußen S. 388.
23
lange, ansehnliche, sittige Person, welcher drei Jahre von
dem Rate zu Nürnberg allhier im Studium der Theologie
verlegt ist, zuvor aber etliche Jahre allhier seinen Studien
mit Fleiß obgelegen. Ich habe ihn etliche Male hier in der
Schloßkirche, wenn die verordneten Prädikanten verhindert
gewesen, predigen hören, habe seiner zuvor ganz und gar
keine Kunde gehabt, aus seinen Predigten aber gespürt,
daB er nicht allein die Bücher, woraus der mehrere Teil
derjenigen, die sich für Theologen ausgeben, ihre Kunst
schöpfen, sondern auch andere Schriften mit Fleiß gelesen
und ein nicht gemeines Judizium habe. Ich habe ihn des-
halb zu mir gebeten uud nach der Länge von den Artikeln,
darüber man itzo streitig ist, konferiert und befunden, daß
er dieselbigen Kontroverse allesamt ans dem Fundament
versteht, so daß zu wünschen wäre, daß unter denjenigen,
welchen die Herde Gottes zu weiden befohlen ist, viele
seines Gleichen sein möchten. So hat er auf der Kanzel
gar eine gute Art zu reden; damit aber E. F. D. eine kleine
Anzeige habe, daB der Bericht, den ich von ihm tue, wahr-
haftig sei, überschicke ich E. F. D. hierneben ein Büchlein
welches er gemacht und allhier vor einem Jahr im Druck
hat ausgehen lassen. Ich sähe darum gern, daB dieser
Mann in E. F. D. Dienst käme, weil ich keinen noch gehört
habe, der uber die Kontrovers Osianders so recht judiziert
hätte als er. Er ist in Wahrheit ein großer Theologus. Su
stimmt sein Judizium mit allen recht verständigen Leuten
darin überein, daß er meint, es habe der mehre Teil den
Osiander ex praeiudicio verdammt.“
Der hier so warm Empfohlene war 1529 in Nürnberg
geboren, hatte die Schule seiner Vaterstadt besucht, dann
das Straßburger Gymnasium vier Jahre; am 29. Juni 1542
hatte er sich schon in Heidelberg einschreiben lassen. Seit
dem 21. April 1548 bis Frübjahr 1850 sehen wir ihn in
Tübingen, dann ein Jahr in Wien, 18 Monate in Ingolstadt.
Wohl in Wien hatte er mit Thomas Pegüus!) Freundschaft
1) Veit Nuber, der von Wittenberg nach Österreich gegangen,
am 6. Angust 1568 in Steyr eingetroffen war, meldet unter dem
20. August Paul Eber: ,M. Thomas Pegaeus, qui tibi autor fuit, hue
24
geschlossen, vielleicht in der Folgezeit auch unter ihm an
der Schule zu Steyr in Österreich unterrichtet. Am 14. Sep-
tember 1558 hatte er die Leucorea bezogen und war am
1. Mai 1560 in die Artistenfakultät aufgenommen worden.
1559 hatte er in Wittenberg erscheinen lassen: „Explicatio
dilucida epistolae Judae* und „Historia de quodam episcopo
a muribus consumpto“, Melanchthon und Peucer waren vor
anderen seine verehrten Lehrer; mit Justas Jonas, dem Lehrer
der Rechtswissenschaft, stand er in enger Verbindung. Dessen
warme Empfehlung, die Vorliebe des Hohenzollern in Königs-
berg für seine süddeutschen Landsleute, vor allem die Aussicht
und Hoffnung, in Weigel einen gelehrten Richter in dem
Osianderschen Streite zu erhalten, der vielleicht seinen ver-
ehrten und geliebten, seit 1550 in der theologischeu Welt
so verketzerten „Vater in Christo“ wieder zu Ehren brächte,
bertimmte den Herzog Albrecht, ihn in seinen Dienst zu
nehmen. Fast umgebend, am 25. März 1661, ließ er ihm
schreiben:!) „Nachdem wir in unserem Fürstentum guter,
christlicher, geschickter Pfarrherren und Seelsorger wohl
benotdurft und derselben gern etliche in diesen Landen
haben wollten, ihr aber uns euerer Lehre, Geschicklichkeit,
eueres Lebens und Wandels halben gertihmt seid worden,
so hätten wir wohl gnädige Neigung, daB. wir euch unter
uns in einem Predigtamt wissen möchten, und wollen euch
mittendi concionatorem aliquem ante meum adventum, a senatu dimissi-
onem petiit propter multiplices persecutiones, quas patitur ob detestan-
dam ingratitudinem civium strenue doctrinam evangelii et omnes bonos
artes contemnentium. Utinam et ego aut huc venissem nunquam aut
hona conscientia statim abire liceret^. Am 31. Juli 1565 schrieb Eber
an Pegäus: ,Quod ad litteras tuas attinet, peto mihi decepto veniam
dari, In posterum ero fautior incidens in alienos, cum quibus non
modicum salis absumpsi, ne temere externae speciei et sono credam.
Tuam amicitiam ut semper magnifeci, ita in posterum quoque officiis,
quibus potero, tueri studebo.^ Am 29. Juni 1568, da der Steyrer
Rektor ihn um einen Lehrer für seine Schule gebeten hatte, meldet
ihm Eber, daß er ihm Daniel Möller sende, der vier Jahre in Witten-
berg studiert und jetzt im Sommer den Magistergrad erworben habe.
Zugleich tröstet er ihn über den Ehebruch seiner Frau.
) Dieser Brief ist wie sämtliche anderen Urkunden dem Staats-
archiv in Königsberg entnommen.
25
darauf hiermit gnädigst vociert haben. Begehren mit Gnaden,
daß ihr euch ins Förderlichste allhero zu uns in einen
Pfarrerdienst begeben wollet. Bei euerer Ankunft sind wir
bereit, uns mit euch des Unterhalts halben mit Gnaden zu
vergleichen. Im Falle euch hierin etwas Hinderliches vor-
fiele, so wollet solches gegenwärtigem Johann Funck anzeigen.
Ihm haben wir Befehl gegeben, deshalb allenthalben mit
euch zu reden.“
Im April verhandelte Funck, der nach Wittenberg
gekommen war, um den Theologen sein Glaubensbekenntnis
vorzulegen, mit seinem Landsmann Weigel und bestimmte
ihn, dem Rufe des Herzogs Folge zu leisten. Da er ein
Nürnberger Stipendium genossen hatte und deshalb dieser
Stadt verpflichtet war, versprach Funck, der nach Nürnberg
reisen wollte, ihm dort Entlassung zu erwirken. Während
er nun nach Leipzig!) und Süddeutschland aufbrach ), zog
Weigel nach Königsberg. Am 2. Juni 1561 wurde er hier
als ,reverendus vir pietate et eruditione praestans“ ins
Album der Albertina eingetragen. Eine Ordination in Witten-
berg mußte ihm nach Ansicht des Herzogs größerere Geltung
und Autorität verleihen, desbalb ging er zugleich als herzog-
licher Bote an Johann Major und Justus Jonas auf Anord-
nung Albrechts noch einmal nach der Elbstadt zurück. Am
1) Am 31. Mai 1561 schrieb Pfeffinger aus Leipzig dem Herzog
Albrecht über Funcks Konfession.
*) Nach seiner Rückkehr nach Königsberg schrieb Funck am
15. Juli 1561 an Paul Eber. Vergl. Codex Gothanus chart 123 Bl. 854.
»Volui tibi ad rescribendum ansam praebere, donec ipse ad nos in
Prussiam nostram, ut aliquoties T. H. percupere coram intellexi, bonis
avibus venias. Quod ut commodius citiusque fieret, dedi operam, ut
ab ill. duce Alberto per literas vocarere, efficique simul, ut ad electorem
itidem darentur literae, quibus ut D. T. huc venire atque ad unum
mensem nobiscum esse liceat familiariter petit. Quas autem ob causas
petitio ista flat, potest D. T. ex ill. principis mei literis, quas bisce
meis adiunctas habes, una cum transsumpto aut descripto earum, quae
sunt ad principem electorem, intelligere. Novit deus, quam bilari
vultu animoque serenot pius princeps literas vestras acceperit, legerit,
relegerit, quam avide etiam, quid inter nos sit actum, me referente ac
declarante audierit. Saepius in haec verba erupit: ,Wolt got, das
ieh mein leben volend mit solchen leuten vnd mit solchen Disputationen
móchte hinbringen*.
26
24. Juni traf er hier ein, hündigte Major das für ihn
empfangene Geld und Schreiben ein, ließ sofort auch in der
Schwenckschen Offizin seinen Trauergesang auf Melanchthons
Heimgang drucken, den er auf der Reise niedergeschrieben oder
vollendet hatte. Da er am 30. Juni an den Herzog schrieb’),
konnte er seinem Briefe ein Exemplar seines Epicedium bei-
legen?). Als er seinen Freunden seine Berufung nach Preußen
angezeigt hatte, hatte er sie um Gratulationen und Geleitgedichte
gebeten. Er wollte sie drucken lassen, mit nach Königsberg neh-
men und dort ausstreuen, um den Anschein eines allseitig geschátz-
ten und hochverehrten Mannes zu erwecken. Bis sie eintrafen,
wartete er mit der Einholung der Ordination und seiner Abreise.
Am 19. September (1561) starb in Wittenberg ein 78 jähriger
Pfarrer Michael Faust. Der Universitätsschrift, in der der
Rektor die Studenten zur Teilnahme an dem Begräbnisse
aufforderte, gab Weigel wie sein Landsmann Georg Mauri-
tius, Jakob Alutarius aus Herborn, Georg Aperbach aus
Erfurt und Joh. Reymann aus Löwenberg etliche Verse bei.“
«liche Tage später veröffentlichte er die inzwischen ein-
gegangenen Geleitsgedichte seiner Freunde.“) Einen Lobpreis
auf die Leucorea fügte er ihnen bei. Am 5. Oktober ordinierte
ihn Paul Eber.
) Vgl. Beilage I. Am 4. Juli 1561 schreibt Paul Eber dem
Herzog: „Cum voluptate audivi ex M. Weigelio et deo gratias ago,
quod terribilis illa expeditio Johannis Basilii, magni ducis Moscorum,
impedita sit^. Im weiteren empfiehlt er den herzoglichen Alumnus
Christian Farnhed, der lünger sls ein Jahr bei ihm gewohnt habe.
9) Epicedion in honorem et memoriam obitus reverendi et incom-
parabilis viri d. Philippi Melanthonis, patris et praeceptoris nostri
summe colendi, scriptum a. M. Georgio Weigelio Noribergensi. Wite-
hergae excudebat Laurentius Schwenk. 1561.
5 Epitaphium scriptum venerando et optimo seni D. Michaeli
Fausto pie Wittebergae mortuo 19. Septembris 1561, cum esset
egressus annum aetatis 78., a. M, Georgio Weigelio Noribergensi.
) , Hoozx£uzt'tixa scripta rev. viro d. Georgio Weigelio Noribergensi.
liberalium artium magistro, vocato ad ministerium verbi divini ab ill.
Borussiae principe Alberto Seniore, Witeberga. discedenti, Witebergae
excudebaut haeredes Georgii Rhaw 1561“ in 4°, drei Bogen, Dreizehn
Freunde, darunter Justus Jonas und Thomas Pegüus aus Landeshut,
Rektor in Steyr, bringen ihre Wünsche dar, zum Schluß „ad Wite-
bergensem academiaın M, Georgius Weigelius."
21
Weigel war Philippist und trat als solcher in dem gut
lutherischen Königsberg sofort mit aller Schärfe auf, Schon
seine ersten Predigten erregten Anstoß, die, welche er am
21. Dezember 1561 in der Schloßkirche in Gegenwart der
Herzogin, der Hofräte, des Präsidenten Johann Aurifaber
hielt, fachte fast einen Aufruhr an. Er leugnete die Ubi-
quität Christi, seine Realprüsenz im Abendmahle; nur geist-
licher Weise werde der Leib des Herrn genossen!) Fast
einmütig erklärten sich die Theologen wider ihn. Ihr Wort-
führer wurde Epplin, der ältere Hofprediger. Von Anfang
an bestand zwischen diesem und Weigel ein gespanntes Ver-
hältnis. Justus Jonas hatte seinen jungen Freund schon in
Wittenberg gegen diesen älteren Theologen eingenommen).
Als Epplin jetzt auf der Kanzel sich wider Weigel und seine
Predigt vom vierten Adventssonntage wandte, schrieb er ihm
einen Brief“), der recht bezeichnend ist für die Weise, in
der er seinen Kampf führte: „Ich kann mich nicht genugsam
wundern der großen unverschämten Leichtfertigkeit, damit
da die allergelehrtesten und heiligsten Leute unserer Zeit
ganz liederlich bei dem gemeinen Volke angiebst und mit
unerhörten Schmähworten beschwerst. Es pflegen sonst, die
auf andere Lügen dichten, Diebe zu sein, du hast heute auf
deine Präzeptores gut und büslich gesprochen (o du unver-
schämtes Maul, das allein Schmach und Schande ausspeien
vermag), daß sie mit diesen Worten, ihre Hände seien voll
Blut, die Worte des Abendmahls ‚das ist mein Leib‘ aus-
legen. Ich habe niemals anderen, die dir grobe, unver-
schämte Leichtfertigkeit zugemessen, glauben wollen; nun
aber muß ichs glauben, daß du ein hoffärtiger, überaus unver-
) Mathias Wanckel schreibt unter dem 12. März 1562 aus Kemben;
an Eber: „Calvini logma de coena domini etiam in Borussiam sparsum esse
ex corde doleo et certe nescio, qua conscientia vestras sententias et
formulas loquendi de coena sacrosanctissimae ecclesiae laboranti non
eommittatis".
2) Am 13. April 1559 in einem Briefe aus Leipzig hatte er gemeiut
auch den Herzog vor Epplin „und seinen Narrenbüchern“ warnen zu
müssen.
3) Löscher, Historia motuum II, 218 ff. Im Einzelnen unterrichten
über den Streit zwischen Weigel und Epplin zwei Aktenstücke vom
10. März und 11, April 1562 im Königsberger Staatsarchive.
28
schümter, heilloser, unwissender Mensch seist... Ich will es
mit Gott bezeugen, daß ich heute nichts denn eine eselische
und cyklopische Unwissenheit gehört habe. Wahrhaftig ich
habe einen Esel gesehen auf der Kanzel in einer leinenen
Haut verkleidet.“ Und so geht es fort, jeder Satz eine
schwere Kränkung und Beleidigung. Ein Glaubensbekenntnis,
das Weigel weiter herausgab und in dem er mit aller Ent-
schiedenheit die symbolische Deutung des Abendmahls ver-
frat!) begegnete natürlich dem schroffsten Widerspruch.
Bald stritt man nicht nur in Königsberg wider ihn und
suchte dem 73jährigen Herzoge seine Entlassung abzu-
drängen. Wie im Osianderschen Streite die Kunde von allen
Vorgängen in Königsberg sofort nach Wilna flog?) wie
Osianders Gegner am königlichen Hofe wider ihn und seine
Anhänger Stimmung machten“), so denunzierte man jetzt
beim polnischen Herrscher Sigismund August auch Weigel
als einen Unruhstifter. Der König sah sich bewogen, an
den Herzog zu schreiben und ibn eindringlich vor dem
Zwietrachtprediger zu warnen. Als Albrecht antwortete, daß
1) „Panis est corpus Christi non proprie vel realiter, sed. impro-
prie, figurate vel sacramentaliter. Manducare corpus Christi et
bibere sanguinem eius est in Christo manere et Christum manentem
in se habere^. Löscher II, 917.
?) Vgl. Pohibels Brief aus Wilna vom 4. Okt. 1551. Möller:
Andreas Osiander S. 459, Schon am 29. Sept. hatte er aus Wilna dem
Hersog geschrieben: ,Man hat hier aueh der prüdicanten zu Konig-
sperg, e. f. g. auch hyn vnd her gedacht, der eyne besser dan der
ander. Sprechen, der hertzog sambt der hertzogin haben eyn sonder-
liche lere, das frewlein auch besonder, das hoffgesindt vnd dy rethe
dergleychen. In den steten geht es auch seltzam zu . . . Es were
besser gewesen, das dy predicanten den predigtstuel eyn zeytlangk,
damit es vnder dy gemeyne nicht kommen were, gemyden, bis sy
sich vereyniget vnd verglichen hetten. In Summa es begeben sich
mancherlei worthe vnd rede, welche ich jtzo jn der feder mus rowea
vnd bleiben lassen, jedoch bleibt solchs e. f. g. zu gelegener zeit
vn verhalten.“
3) Krakau, den 22. März 1558 schreibt Pohibel dem Hersog:
„Ich kann e. f. d. nit bergen, das in kortzen tagen der her marien-
borgische woywoda durch eignen pothen an meinen bern [den könig-
lichen Vorschneider Gabriel Tarlo] geschrieben vnd jm angezeigt, wie
das eyn seltzam tumult vnd zwyspalt zu Konigaperg des predicanten
halben d. Morlens erhoben, alzo, wo dem nicht vorgekommen, eyn
29
er unruhige Geister in seinem Herzogtum nicht dulde, gab
er am 1. Mai seiner Freude daruber Ausdruck, unterließ
aber nicht, von neuem zu warnen!)
Den Hofmeister der Königin, Erhard von Kunheim, hatte
der Herzog im Verdachte, den König wider Weigel ein-
genommen zu haben. Aber dieser Bruder des Schwieger-
sohnes unseres Luther war wohl unschuldig. „Die ganze
Stadt allbier ist des Redens voll gewesen, und man hat sich
mit Briefen umhergetragen, so von E. F. D. Hof anher
geschrieben auch von denen, so E. F. D. nieht wenig ver-
trauet“, schreibt er Wilna, den 3. Mai 1562 zu seiner Recht-
fertigung. Um sich noch mündlich zu verteidigen, kam er
im Juni nach Königsberg”).
gros blutvorgyssen hyraus entstanden were. Jdoch hinge es noch an
der wage usw., mit andern vil mehr vmstendigen worthen, wie dan
seyner gnaden eigen hantschreiben mitbringt, meynem herrn zu erkennen
geben vnd ferner gebeten, das meyn her bey der kön. majt treulich
sollicitiren wolde, damit jre majt eyn eigen potschafft an e. f. g. ab-
fertigen thete, damit e. f. g. vermanet, von solchem vornehmen der
zwyspältigen lehren abzustehen etc. Were sonst zu besorgen, cyn
schrecklichers hyraus zu erfolgen. Sind sonst auch zwei briefe bey
meynes herrn briffe gewest an die kön. majt, eyner von dem herrn
bischoff von Ermelant, der ander von gedachtem herrn woywoden.
In dem vnd vff solch schreiben hat mich meyn herr gefragt, was er
ja dem fall thun solde, ob er solchs jrer majt anzeigen solde oder
nicht, weyl er sonst von nymandt schreiben hette, In dem alzo ge-
schlossen, das sich mein her mit worthen vnd dergleichen nix kegen
ire maj* einlassen solde". Im weiteren bittet er den Herzog um einen
genauen Bericht, ,damit, ob hernachmals sich ethwas an tag geben
würde, dem mit der warheit desto bas vorzukommen". Vgl. schließ-
lich auch Pohibels Brief vom 21. April 1558: „Was den d. Morlein
belangt, het man alhir vil seltzamer redenn vnd sonderlich an dem,
das etzlich vill frawen vnd junkfrawen gleich eyner procession jns
schlos zu Konigsperg gangen vnd e. f. g. durch dy fraw Venedigeryn
eine supplication zustellen wollen, welche e. f. g, nicht angenommen,
sonder sie sembtlich in jre behausunge abzugehen befelich geben,
das alzo mit eynem gesange eynes psalmes gescheen. Wirt aber
wenig hyvon am hofe gedacht, aufgenommen dy aus Preußen hier
ankommen, dy haben vil geschwetz, mehr andern leuten zu gefallen,
denn der warheit enlich".
) Vgl. Wotschke, Abraham Kulvensis. Urkunden zur Refor-
mationsgeschichte Lithauens. Altpr. Monatsschrift XLII S. 237 f.
*) Über diesen Kunheim vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte
aus der Interimsseit. Jahrbuch für Kirchengeschichte der Provinz
30
Der altersschwache Herzog und die wenigen Reformierten
in seiner Umgebung, Friedrich von Kanitz!) Friedrich von
Aulack*) und Schwerin, konnten Weigel gegen den allge-
meinen Unwillen nicht schützen. Er ging deshalb, als ihm
in Königsberg die Kanzel verboten wurde, nach Lithauen,
um dort Unterstützung zu suchen, auch die Gunst des Fürsten
Radziwill für sich zu gewinnen. Die deutsche lutherische
Gemeinde in Wilna, welche erst im November 1560 in
M. Simon Wanrab einen Pfarrer, Anfang 1562 in einem
Königsberger Kaplan einen zweiten Prediger erhalten hatte,
lehnte ihn ab, aber bei den lithauischen reformierten Pastoren
fand er freundliche Aufnahme. Mit den Zürichern und Genfern
waren sie im vergangenen Jahre in Verbindung getreten,
erst am 23. Januar war einer unter ihnen, Martin Czechowicz,
von einer Gesandtschaftsreise nach Genf“) heimgekehrt, jetzt
dachten sie durch den Wittenberger Magister auch Beziehungen
zu den Pbilippisten anzukntipfen. Durch sie fand er Ein-
gang am Hofe des Fürsten Radziwill. Hier lernte er den
theologisierenden Arzt Blandrata kennen, der im nächsten
Jahre nach Siebenbürgen ging, vor allem aber den Geheim-
schreiber Johann Maczinski, einst Pellikans Hausgenosse in
Zürich, in Wittenberg Melanchthons Schüler. Er wurde ihm
Sachsen 1913 3. 5 ff. Kunheim folgte der Künigin Katharina Herbst 1566
nach Österreich. Linz, den 28. April 1571 empfiehlt die Königin Volmar
von Kunheim aus Preufen dem Kurfürst August von Sachsen. Vor
fünf Jahren sei ihr dieser Kunbeim als Edelknabe zugesandt, jetzt
möge ihn der Kurfürst in seine Dienste nehmen.
1) Dieser Kanitz war neben dem Abenteuerer Skalich und dem
Radziwillschen Sekretär Maczinski der Testamentsvollstrecker Lisma-
ninos. Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino, Zeitschrift der Hist.
Gesellschaft Posens 1908 S. 323 ff. Über die heimliche Ehe, die er
in Königsberg geschlossen, vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte S. 7. In
Breslau war der reformierte Craco sein Freund. Auf dessen Empfehlung
suchte er 1561 den kalvinisch gerichteten Birkenhan in Preußen zu
versorgen. Gillet I 241.
2) Über Aulack vgl. Wotschke, Herzog Albrecht und Graf
Raphael von Lissa. Altpr. Monatsschrift XLVI S. 484 ff. und 489.
3) Das Schreiben vom 9. Oktober 1561, das er von Calvins Hand
mitbrachte, bewahrt noch heute das Archiv der reformierten Gemeinde
Wilnas als kostbare Reliquie. Die Monumenta reformationis Polonicae
et Lithuanicae bieten es im Gleichdruck an erster Stelle,
31
ein Freund und schrieb für sein großes polnisch-lateinisches
Lexikon, das jetzt nach jahrelangen Bemühungen endlich
in Königsberg gedruckt werden sollte, aber erst 1564 wirk-
lich erschien ), ein empfehlendes Gedicht an den Leser
Fürst Radziwill wandte ihm seine volle Gunst zu und war
geneigt, ihn in seine Dienste zu nehmen als Erzieher seines
ältesten Sohnes, des 13jährigen Nikolaus Christoph), dem
Vergerio 1556 die trefiliohe Kinderlehre „Lao spirituale“
des evangelischen Spaniers Juan de Valdes gewidmet hatte*),
ihn mit diesem auch nach dem Auslande, nach Deutschland,
der Schweiz und Italien zu senden. Wilna, den 96. Juni (1562)
schrieb er davon dem Herzoge und bat, Weigel aus seinen
Diensten zu entlassen“).
Albrecht hatte unterdessen alles versucht, den durch
Weigel erregten Sakramentsstreit zu dämpfen, dabei unter
dem Einfluß Johann Aurifabers auf Wege gesonnen, über-
haupt zwischen Lutheranern und Reformierten einen Aus-
gleich zu schaffen. Seine Theologen mußten ihm im Mai
Gutachten ausarbeiten ). Obwohl mit Ausnahme Aurifabers
sie alle kein Vertrauen zu einer Unionsaktion hatten, hielt
der zühe Herzog doch an ihr fest. Im Juli mußte der
aus Lithauen heimgekehrte Weigel eine Reise nach Std-
1) „Lexicon Latino-Polonicum ex optimis latinae linguae scripto-
ribus concinnatum",
*) Er wat am 2. August 1549 geboren.
3) Vgl. Wotschke, Eustachius Trepka. Zeitschrift der Hist.
Gesellschaft der Prov. Posen 1903. Wie dem siebenjäbrigen Knaben
die lac spirituale widmete Vergerio dem 16 jührigen Jüngling, als er
bei ihm (1565) in Tübingen weilte, seine Risposta in quartro libri
divisa ad una invettiva di fra Ippolito Chizzuola. Unter dem 81. März
dieses Jahres hatte ihm Lorenz Tuppius in Straßburg schon zuge-
schrieben: Adversus synodi Tridentinae restitutionem opposita grava-
mina, Vom 15. März d. J. ıst datiert Sturms epistola de refutatione
Tridentini concilii an Radziwill den Vater.
*) Albrechts Antwortschreiben vom 12. August 1562 bei Wotschke,
Culvensis S, 241.
5) Vom 19. Mai 1562 sind die Gutachten Funcks, Epplins, Auri-
fabers, Vogels datiert, vom 22. Mai das Jagenteuffels, vom 6. Oktober
das des Sickius. Unter dem 21. Oktober warnt Funck den Herzog vor
der kalvinischen Abendmahlslehre. Vgl, auch Hase, Herzog Albrecht
und seine Hofyrediger S. 280.
32
deutschland antreten, um mit den Heidelberger und Württem-
berger Theologen zu verhandeln. Im August sehen wir ihn
in der Neckarstadt, wo er Olevian und Ursin sein Bekenntnis
vorlegte. Natürlich fand es deren Zustimmung ). Dem Herzog
schrieben sie, daß es biblisch wohl begründet sei. Weigel ruhmten
sie als einen gelehrten und beherzten Mann?) Dafur begegnete
es in Stuttgart, wohin Weigel sich nun wandte, um so ent-
schiedenerem Widerspruch. Brenz und Andre wiesen es
mit vollem Nachdruck ab. Da Weigel bei ihm verharrte,
wurde der untiberbrückbare Gegensatz offenbar. Vergerio
in Tübingen, zu dem er im Auftrage des Herzogs im Dezember
kam?) hielt mit seiner Meinung vorsichtig zurück. Er
wollte nirgends anstoßen. Im Januar ging Weigel auf eine
Forderung Brenz zu neuen Verhandlungen nach Stuttgart‘),
aber der Zwiespalt wurde durch diese weitere Aussprache
nicht geringer. Selbst Vergerio, der in seinem Schreiben
an den Herzog vom 23. Januar 1563 der gastfreundlichen
Aufnahme gedenkt, die auch Weigel rühmen musse, sieht
sich jetztveranlaßthinzuzuftigen: , Reliqua in homine non laudo“.
Manchen Bekannten aus seiner Studienzeit 1548 — 1560
hatte Weigel in Tübingen wieder getroffen, zu den hier seit
dem 14. August 1560 studierenden Lithauern“) Beziehungen
angeknüpft. Für seine Abendmahlslehre konnte er letztere
indessen nicht gewianen. Ihr Präzeptor Georg Zablocki,
seit seinem Studium an der Leucorea 1540 ein tiberzeugter
Lutheraner), der für seinen Glauben in der Heimat 1544
auch gelitten hatte, wies ihn ab. Anfang Februar wollte
Weigel heimreisen. Schon batte er am 3. zwei Wagenpferde
!) Vgl. Ursins Brief an Crato. Neue Heidelberger Jahrbücher XIV,
S. 60 und Gillet, Crato von Krafftheim I S. 264.
3) Vgl. Olivians Schreiben an Calvin vom 38. April 1568
O. C. XIX Nr. 8995,
*) Vgl. Vergerios Brief an den Herzog Christoph vom 10.Januar 1568
Schott und Kausler, Vergerios Briefwechsel S. 869.
*) Am 11. Nov. 1562 hat der Pole Valentin Maslovius (die Tübinger
Matrikel liest Marlenius), seit dem 16. Sept. 1561 in Wittenberg, die
Tübinger Hochschule bezogen, am 25. Januar 1568 der Preuße Joh.
Hermann. Ihr Tübinger Studium hängt wohl mit Weigels Reise zusammen.
5 Vgl. Wotschke, Culvensis S. 212.
*) „Homo non indoctus et eximie Brentianus“ nennt ihn Bullinger
in seinem Brief vom 31. Mai 1563 an Beza. O. C. XX Nr. 3959.
33
gekauft, schon schrieb am 6. auch Vergerio den Brief, den er ihm
für den Herzog mitgeben wollte, da scheint das Ausbleiben
der Briefe des Brenz und Andreae für den Herzog ihn zu
weiterem Bleiben bestimmt zu haben. Ja am 20. Februar
ging er, von Vergerio an Bullinger empfohlen, noch nach
Zürich‘). Natürlich war er hier wie in Heidelberg den
Theologen hochwillkommen®). Diese stimmten ihm zu,
Bullinger entließ ihn mit einem warmen Brief an den Herzog
und seine Räte. Die hohen Worte, mit denen er nach seiner
Rückkehr in Tübingen die in Zürich gefundene Aufnahme
rühmte, bestimmten auch drei der jungen lithauischen Barone
mit ihrem Lehrer Zablocki, Bullinger aufzusuchen. Vergebens
suchte der Züricher Theologe sie für seine Abendmahlslehre
su gewinnen. So gewandt vertrat Zablocki ihm gegenüber
den lutherischen Standpunkt, daß Bullinger meinte seine
Genfer Freunde, die er mit seinen Sohtllern gleichfalls auf-
suchen wollte, vor ihm warnen zu müssen. „Prudentes este“ 3),
Im März, fünf Monate bevor der ihm im vergangenen Jahre
zugedachte Schüler Nikolaus Christoph Radziwill, der spätere
Jerusalemfahrer, nach Stuttgart kam“), trat ais die
Heimreise nach Königsberg an.
Noch ein Brief des Herzogs Albrecht, der im März in
Tübingen eintraf, empfahl Weigel dem Vergerio, aber andere
Schreiben aus Preußen meldeten, daß Weigel angesichts des
allgemeinen Widerspruches schwerlich in Königsberg werde
bleiben künnen*) Albrecht selbst wurde durch einen Brief
1) Wotschke, Briefwechsel der Schweiger mit den Polen S. 166,
3) Bullinger inseinem Tagebuch unter 1568: D. Georgius Weigelius,
concionator principis Prusseni, venit huc mense Februario Stutgardia,
ubi contulerat cum Brentio. Contulit et mecum de coena et consensit,
Tulit a me literas ad principem eiusque consiliarios". Vergl. auch
seinen Brief an Calvin vom 20. April 1563. O. C. XIX Nr. 8937.
3) In den Briefen vom 81. Mai 1563. O. C. XX Nr. 8959 und 8960
*) Am 3. Aug. 1568 traf Radziwill in Stuttgart ein, am 9. August
schrieb Herzog Christoph für ihn nach Straßburg. Von dort imAugust 1564
durch die Pest vertrieben, kam er nach Tübingen und studierte hier
bis zum August 1566. Am 4. Sept. 1566 sehen wir ihn bei Bullinger.
) Vgl. Vergerios Schreiben an Herzog Christoph vom 31. März 1568.
Schott und Kaulser S. 381.
Archiv für Beformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 8
34
Herzog Christophs von Württemberg bedenklich !). So vertröstete
er Weigel, als dieser Bericht erstattete, auf späteren Bescheid,
gab solchen aber nicht, obwohl Weigel darum anhielt. Dafür
forderten die Räte in Abwesenheit des Herzogs, als dieser
im Juli in Kauen beim Könige weilte, von ihm Amts-
niederlegung, und der Burggraf ließ ihm „fein spöttisch Dienst
und Tisch absagen“ ). Obwohl ihm eine „ehrliche Heirat“
in Königsberg angetragen war, verließ er jetzt Preußen und
ging nach Lithauen. Hier hoffte er als Prediger Versorgung
zu finden, hier hatte er durch die lithauischen Studenten in
Tübingen neue Freunde gewonnen. Auf Grund der Briefe
die er überbrachte, und der Berichte, die er erstattete, mag
Wilna, den 26. September (1563) der Marschall Eustachius
Wollowiez, seinen Neffen von der stiddeutschen Hochschule
abgerufen haben. Am 17. November bittet Weigel den
Herzog um Entschuldigung, daß er ohne formelle ne
nach Wilna gezogen sei ).
Radziwills jüngere Söhne Georg, Stanislaus und Albert
waren erst acht, sieben und ein Jahr alt, sie brauchten zur
Zeit noch keinen Gelehrten zum Erzieher. Erst Herbst 1566
wurde für sie ein des Lateinischen, Deutschen und Polnischen
kundiger Student gesucht“, der die jungen Fürsten nach
) Vgl. Vergerios Brief vom 8. Sept. 1563 a. a. O. S. 394.
*) „Audimus, quod princeps suos theologos et nobiles in potestate
non habeat" schrieb Ursin.
3) Vgl. Wotschke, Culvensis S. 242 ff.
*) Der Wilnser Stadtvogt Augustin Rotundus schreibt Grodno,
den 8. Angust 1567 an Hosius: ,De palatini Vilnensis filio ex Italia
reverso constans bio farıa est, ipse enim eum nondum vidi, catholi-
cum esse factum. Quin et quae d. Mielieczki, palatini Podoliae filio,
nupsit, eiusdem d. palatini Vilnensis maxima nata filia catholica esse
facta dicitur in mariti catholici ex Lutheiano facti gratiam. Tres quo-
que reliquae natu minores in domo insignis matronae d. Voinicensis
educantur et eandem, quam domina Voinicensis profitetur, catholicam
doctrinam profitentur.^ Am folgenden 13. September melaet er aus Wilna:
„Filii palatini Nesuesi sub praeceptoribus et paedagogis haereticis educan-
tur, sed spes est eos quoque ad catholicam ecclesiam redituros fratris
sororumque exemplo.“ Doch hat Nikolaus Mielecki (+ 5. Februar 1585)
erst viel spüter seinen evangeli-chen Glauben sbgeschworen. Wohl
hatte ihn schon 1569 Skarga zu bekehren gesucht, aber erst mehrere
35
Leipzig begleiten konnte.!) Seit Wintersemester 1570 sehen
wir sie dann dort, wo der bekannte Arzt Simon Simonius
aus Lucca ibre Studien leitete“). Der Fürst hatte für Weigel
kein Amt, vielleicht trug dieser auch nach dem, was er in
Zürich über Blandrata und dessen Gönner Radziwill gehört
hatte, Bedenken in seine Dienste zu treten. Tatsächlich
hatten ja die Tritheisten den größten Einfluß auf Radziwill
gewonnen, und nur der Tod bewahrte ihn davon, entschiedener
Antitrinitarier zu werden:
Da nahm ein anderer lithauischer Magnat Weigel in
seine Dienste, Johann Chodkiewicz, der Hauptmann von
Samogitien. Schon als Kind war dieser im Elternhause
evangelisch erzogen worden, als Student hatte er 1547 in
Königsberg, seit 1549 in Leipzig evangelisches Gemeinde-
leben kennen gelernt, vorübergehend auch in Wittenberg
dessen Matrikel seinen Namen allerdings nicht bietet, zu-
sammen mit Stanislaus Warschewicki, dem Sohne des
Jahre später gelang es Benedikt Herbst. Seine Gattin Elisabeth Radziwill,
die große Bibelkennerin, die sich den Antitrinitariern angeschlossen
hatte, kehrte 1593 in den Schoß der römischen Kirche zurück.
1) Am 29. Oktober 1566 bat Damian Nioossowius, den jungen
Radziwill nach Deutschland begleiten zu dürfen, Er erhält den Bescheid:
„F. D. wollen zufrieden sein, daß er mit des Radziwills Sohne hinausziehe
und seine studia prosequire, doch daß er mit des Rektors Vorwissen
abscheide und ihrer fürstl. Durchlaucht oder nachkommender Herr-
schaft hernach vor anderen Herren diene, sich auch deshalb obligiere“,
Seine Verpflichtung bei Wotschkes Vergerios zweite Reise S. 817. Am
7. Juli 1567 stellte auch Matthäus Motzarus, der den 6. März 1567
noch um ein Stipendium gebeten hatte und gleichfalls mit jungen
Lithauern nach Deutschland gehen wollte, einen Revers aus, nach
drei Jahren nach Preuf-n zurückzukehren, doch vgl. Beilage III.
*) 1572 kehrten die Brüder nach Lithauen zurück und wurden
hier von Skarga, damals Rektor des Wilnaer Jesuitenkollegiums, für
den Katholizismus gewonnen, nachdem ihr ältester Bruder schon 1567
in Italien übergetreten war. Georg wurde 1581 nach Rückkehr von
einer Reise nach Italien Bischof von Wilna, dann Kardinal und Bischof
von Krakau ( 21. Jan 1600 in Rom), Stanislaus richtete den Meß-
gottesdienst in Olika wieder auf. Albrecht starb am 13. Juli 1592 ala
Marschall von Lithauen, zwei Monate nachdem er die Braut des Königs
von Österreich nach Krakau geleitet hatte. Skarga macht den Arianer
Cikowskifür seinen Tod, der ob potionem quandam alchimisticam erfolgt
verantwortlich.
g*
36
Warschauer Kastellans Johann Warschewicki, dem späteren
Jesuiten), auch zu Melanchthons Füßen gesessen). Sein
Vater, der Kastellan von Troki Hieronymus Chodkiewicz,
war ein Gönner des Staphylus und hatte diesem gelegentlich
seiner lithauischen Reise April 1549 manche Förderung
erwiesen. 1556 empfahl ihm der Herzog Albrecht einen
Prädikanten Matthias Virowitta, der in Königsberg studiert
batte und in Samogitien ein geistliches Amt suchte. Auch Gregor
Chodkiewiez, das andere Haupt dieser hervorragenden lithau-
ischen Magnatenfamilie, der Wilnaer Kastellan und Oberfeldherr
(t 1572), war ein Freund der Reformation, die er in seiner
Jngend am Hofe Herzog Albrechts kennen und lieben gelernt
hatte. Seinen Sóhnen Andreas (geb. 1549) und Alexander
(geb. 1550) gab er in Johann Mylius aus Liebenroda in
Thüringen, dem namhaften Dichter der lateinischen Renaissance-
poesie, dem Übersetzer von Luthers kleinem Katechismus
ins Lateinische und Griechische und späteren Professor der
hebräischen Sprache in Jena (f 3. Juli 1575), einen evange-
lischen Erzieher. An den Königsberger Hof schickte er sie,
daß sie dort unter den Edelknaben des Erbherzogs „Zucht
und alle Tugend“ lernten, später aber auch an den kaiser-
1) Geb. 1597. In Rom trat er 1567 zusammen mit Aquaviva in
den Jesuitenorden ein, später arbeitete er in Rom, dann leitete er viele
Jahre das Wilnaer und Lubliner Collegium und diente sechs Jahre
der Königin Katharina von Schweden, der Jagellonin, als Beichtvater.
Er starb am 8, Oktober 1591 in Krakau. Seine Übersetzung des
Heliodor, welche 1555 in Antwerpen erschienen ist, ist datiert „Ex
Warscbewicze paterno rure 12. Cal. Aug. 1551", |
2) Rostowski schreibt von Chodkiewicg in seiner Geschichte
Lithauens: ,Huic Varschevickius non modo notus erat, sed praecipua
etiam familiaritate coniunctus ex eo iam tempore, quo ambo iuvenes
olim Vitembergae famoso literarum et haeresis suae magistro Philippo
Melanchthome usi essent.“ Der Neulateiner Johann Mylius sagt in seiner
Elegie ad magnificum d, Joannem Chodciewitium, Samogitise praeeidem:
„Ut Linus Herculeum mollivit pectus in arte,
Posset ut humano commodus esse gregi,
Sic te Pierio madefecit fonte Melanchthon
Cui similem nondum Teutonis ora tulit,
Illius e labris suxisti dogmata certa,
Regula quae vitae sancta fuere tibi“.
37
lichen Hof nach Wien. Hier ging ihnen verloren, was sie
an evangelischer Erkenntnis besaßen.
Eine Hauptaufgabe Weigels war, dem in Lithauen um
sich greifenden Antitrinitarismus entgegenzuwirken. Selbst
sein Freund Maerynski war zu ihm übergegangen). Leider
fließen die Nachrichten sehr spärlich, daß wir von Weigels
Arbeit in den nächsten Jahren, von seinem Leben tiberhaupt
fast nichts wissen. Hat er den Führernder lithauischen Antitri-
nitarier, einem Gonesius, Czechowioz, Maczyuski, Budny,
Kryszkowski sich entgegen geworfen, dem Superintendenten
Simon Zasius, dem Prediger Wedrogowski zur Seite gestanden?
Hat er Bezas dogmatisches Sendschreiben vom 19. März 1565
das sehnstichtig erwartet im Laufe des Sommers in Lithauen
endlich eintraf?), wider die Gegner ausgespielt? Hat er mit
Lismanino verhandelt, den wir 1564 und 1565 von Königs-
berg nach Lithauen reisen, Herbst 1565 gerade auch bei
dem Marschall Georg Chodkiewicz sehen“). Hat Weigel 1564
die Ehe seines Herrn mit Christiane, der Tochter des treu
evangelischen Krakauer Wojewoden Martin Zborowski, der
e
1) Wilna, den 18. Sept. 1567 schreibt Rotundus an Hosius: „Credo
R. D. V. multo melius nobis scire, quam variis et horrendis sectis
conspirent in Polonia haeretici, quae etiam ipsis haereticis non pro-
bantur, uti er hoc literarum cuiusdam J. Maczynski, prioris palatinj
Vilnensis scriba, qui ante sacramentarius fuit, nunc et trinitarius et
anabaptista esse factus dicitur, exemplo ad Pazum episcopum, si dis
placet, Kijoviensem scriptarum cognoscet. Vidi ego es legi Grodnae typis
excusos Polonicos libellos, quibus magis blasphemum in dei filium Jesum
Christum dici aut cogitari nihil potest ac ne dictum quidem aut cogi-
tatum unquam ab ullis haereticis existimo, de quibus fertasse Maczynski
in his litteris innuit. Tollitur enim in illis omnis omnium magistra-
tnum autoritas, probatur libertas christiana, et rerum omnium com-
munio instituitur, ordinum in ecelesia atque adeo in republica omne
discrimen tollitur, ne ullum sit inter regem et populum, principes et
subiectos, nobiles et plebeios". Das Herrnhuter Archiv besitzt ein
Schreiben Maesynskis vom 28. Febr. 1558 aus Wilna an den Pfarrer Johann
inStawischin, in dem er sich günstig über die böhmischen Brüder ausspricht.
3) Am 25. Mai 1565 befand es sich noch in den Händen des
Badsiwillschen Reisemarschalls Balthasar Lehwald in Tübingen. Am
28. April 1550 hatte dieser Radsiwillsche Beamte einst die Leucorea
bezogen.
*) Vgl. Wotachke, Francesco Lismanino. Zeitsch. d. hist. Gesell-
schaft d. Prov. Posen 1903 S, 307.
38
jugendlichen Witwe oder nachgelassenen Braut des aben-
teuernden Melanchthon- und Laskifreundes Jakob Heraklid
Basilikus!) eingesegnet, getauft sein Söhnlein Johann Karl,
den spüteren Kriegsmann und gewaltigen Feldherrn, dessen
Siege tiber die Schweden bei Dorpat, Weißenstein und Kirch-
holm ganz Europa aufmerken ließen?
Der Kampf gegen die Antitrinitarier führte ihn mit dem
großen reformierten Kämpfer Lithauens Andreas Volan zu-
sammen, der 1531 in Neustadt bei Piune (Provinz Posen)
geboren war, 1544—1546 die Universität Frankfurt besucht
hatte, darauf seinem Verwandten Hieronymus Quilecki nach
Lithauen gefolgt war, seit dem 5. Oktober 1550 noch etwa
drei Jahre in Königsberg studiert hatte und schließlich in
Radziwills Dienste getreten war, nach dessen Tode 1565
auf seinem Landgute Bijuciszki bei Wilna lebte, soweit er nicht
durch diplomatische Geschäfte in Anspruch genommen war.
Vor allem aber trat Weigel Nikolaus Paz näher, der seit
1555 Bischof von Kijew war. Er gewann ihn, den einzigen
Bischof in Polen, der wirklich den Übertritt zur evangelischen
Kirche vollzog, “) für die Reformation“) und bestimmte ihn,
gegen die Tritheisten das altkirchliche Dogma in einer
neuen Schrift zu verteidigen. Vom 22. Juli 1566 vom General-
konvent in Brest ist sie, die orthodoxa fidei coufessio de una
eademque dei patris, filii et spiritus sancti divinitate ac tribus
personis, datiert. Ihr Verfasser gab ihr einen Brief“) Volans
vom 1. April 1565 über die drei Personen in Gott und die
eine göttliche Essenz bei, Weigel eine empfehlende Beurteilung,
ein Epigramm an den Leser und fromme Verse. An-
fang Oktober 1566 sandte ihn Chodkiewiez von Kauen nach
Königsberg, um dort durch die Daubmannsche Druckerei
) Vgl. Wotschke, Joh. Laski und der Abenteurer Heraklid
Basilikus. Archiv XVII S. 57.
9) 1588 —1585, wo er starb, war erKastellan von Smolensk.
) Die Bischöfe von Kamieniecz, Leslau und Samogitien sympathi-
sierten wohl mit der Reformation, mochten aber das Opfer eines Über-
tritts nicht bringen.
) Janocians II, 201: „Pacius Georgii Wiceli occulti Zwingliani inter
Poloniae ac Lithuaniae proceres annis superioribus versati maxime artibus
irretitus uxorem ducit,“
5) „Datum in praediolo ineo Bintiscano."
39
das Schriftehen zu veröffentlichen. Ein Empfehlangsschreiben
des Chodkiewicz an den Herzog, bei dem dessen Schwager
Petrus Zborowski im vergangenen August unter den polnischen
Kommissaren erschienen war, förderte ihn, im November
konnte er die Rückreise antreten.“)
In den folgenden Jahren mag Weigel vielfach mit
Friedrich Holsten aus Bunzlau zusammen gelebt haben,
Dieser hatte 1565 das Präzeptoramt bei dem in Leipzig
studierenden Konstantin Chodkiewicz?) angenommen und war
seinem Schüler nach Lithauen grfolgt. Erst 1569 kehrte
er von dort nach Wittenberg zurtick, um in den Jahren 1572 —
1579 als Lehrer in den Brüdergemeinden zu Koschminek und
Lissa noch einmal dem sarmatischen Osten zu dienen.“
Mit steigendem Befremden sah Chodkiewicz auf die seit
1563schnell wachsende kirchliche Zerruttung seines Landes. Zu
den griechischen und rümischen Katholiken waren Lutheraner
und Reformierte getreten, ferner Tritheisten, welche die
altkirchliche Trinitätslebre festhalten wollten ohne deren
angeblichen Sabellianismus, Dystheisten, welche die Persönlich-
keit des heiligen Geistes leugneten, Unitarier, Anabap-
tisten. Welche Spaltung zeigte allein seine nächste Ver-
wandtschaft! Von seinen Schwagern waren Johann v. Kurzbach*)
und Johann Zborowski gute Lutheraner, Peter Zborowski
damals noch ein Gönner und Schutzfreund des Stancaro,°)
der eine eigene Sekte gegründet hatte und gerade 1565 mit
besonderem Nachdruck für sie warb, Andreas Zborowski seit
seinem Wiener Aufenthalte, Sommer 1560,5) strenger Katholik.
Samuel, der am 26. Mai 1584 in Krakau das Blutgerüst
h) Vergl. Wotschke, Kulvensis S. 250.
*) Dieser Sohn des Georg Cb., des lithauischen Vorschneiders
und Hauptmanns von Bielsk, studierte seit 1562 in Leipzig. 1568 hat
ihm L. Camerarius seine Praecepta vitae gewidmet.
*) Vergl. Wotschke, Graf Andreas von Lissa, S. 31.
*) Gatte der Anna Zborowska.
5) Vergl. Wotschke, Francesco Stancaro, S. 48. Peter Zborowski
und seinem Bruder Samuel widmete spüter der reformierte Super-
intendent Paul Gilowski seine Katechismusauslegung.
) Wintersemester 1557—1558 sehen wir ihn mit seinen Brüdern
Samuel, Martin und Petrus iu Frankfurt, seit dem 20. Januar 1561 in
Wittenberg. Als er 1574 seine Hochzeit feierte, war König Heinrich
sein Gast,
40
besteigen mußte, und Christoph Zborowski!) reformiert, doch
bewarb sich letzterer 1567 um die Hand der griechisch-
katholischen Schwester des Wojewoden Bogdan von der
Moldau; seine Schwägerin Elisabeth heiratete allerdings erst
September 1574 den bekannten Andreas Dudith, der sich
viele Jahre zu den Unitariern gehalten hat. Unter dieser
kirchlichen Zerrissenheit, die zugleich seine nächsten Ver-
wandten spaltete, litt Chodkiewicz. Auf dem Reichstage zu
Lublin, der am 8. Mai 1566 angehoben und auf den ihn
Weigel begleitet hatte, hörte er mit tiefstem Unwillen be-
sonders von dem Ansturm der Baptisten.?) Alle staatliche
und gesellschaftliche Ordnung schien ihm durch sie gefährdet.
Gelegentlich seiner Rückkehr aus Lublin blieb er eine Nacht
in Stoklischki*) stidöstlich von Kauen und genoß hier die
Gastfreundschaft des gelehrten Wilnaer Stadtvogts Augustin
Rotundus, den die Pest aus Lithauens Hauptstadt vertrieben
hatte. Einst (seit April 1539) hatte dieser in Wittenberg
zu Luthers und Melanchthons Füßen gesessen, längst aber
den Weg zur alten Kirche zurtückgefunden und sich wieder
als deren eifriger Sohn gezeigt. In dem theologischen Ge-
Sprüche, das sich beim Abendessen entspann, setzten er und
zwei anwesende Münche, namhafte Wilnaer Kanzelredner,
Weigel hart zu. Auf Chodkiewiez machten ihre Einwendungen
gegen die Reformation einen gewissen Eindruck, beim Auf-
bruch suchte er einen der Mönche zum Feldprediger für sein
livländisches Heer zu gewinnen. Als er im Mai 1567 nach
Wilna zurückkehrte und hier bei einem Gastmahl etliche
neuerungsstichtige reformierte Prediger hart anfuhr, äußerte
er zu dem gleichfalls anwesenden Stadtvogt halb scherzend
und halb wahr: „Hätte ich aus Stoklischki einen der Mönchs-
prediger erhalten, ich wäre wohl heute schon Papist.“ Noch
unsicherer wurde er in seiner evangelischen Überzeugung,
1) Seit dem 18. Dezember 1565 in Heidelberg; der Vater Martin
Zborowski war am 25. Februar d. J. gestorben.
*) Vergl. Wotschke, Christoph Thretius, S. 51f.
3) Unfern Stoklischki hatte das Evangelium in Rykonty, dem Be-
sitze der Talwosz eine Stätte. Der lutherische Kastellan von Samo-
gitien Nikolaus Talwoez (f 1600) schickte seinen Sohn Adam, dea
späteren Hauptmann von Dünaburg (T 1628) zum Studium nach
Deutschland. Am 21. Juni 1579 ließ er sich in Königsberg einschreiben.
41
als jetzt auf des Rotundus Betreiben“) auch Hosius Mahn-
schreiben an ihn richtete, ihm seine Konfession sandte und die
katholische Kirche als den alleinigen Glaubenshort pries“).
Weigel war nicht der Mann, seinem schwankenden
Herrn eine feste Stütze zu sein. Schriften des Bischofs
. Lindanus und des Cólner Karthäusermönches Surius, die
ihm Rotundus aus Wilna sandte, machten ihn selbst unsicher
und schwankend. Schon am 28. Januar 1568 konnte er
aus Wenden nördlich von Riga, wohin er den Truppen des
Hauptmanns von Samogitien gefolgt war“), schreiben“):
„Libertas Lutherana pessumdabit Germaniam. Omnia sacra
sunt prophanata et ad rudis plebeculae nutum atque volun-
tatem ditorta, ut omnihus omnia liceant. Jam non amplius
sustineo ealvianus diei, etsi nee ante per omnia illi sectae
addictus fui, tamen paulo melius de ea sensi qam nunc, ubi video
omnia plane sacra et humana violari et convelli. In hunc finem
semper eollimarunt aliqui Gastoldici Vilnenses religionis alio-
quin contemptores ). Die Bitte um Übersendung weiterer
Schriften, die Weigel am Schlusse des Briefes an Rotundus
richtete, fand natürlich bei dem eifrigen Werber für die alte Kirche
willige Aufnahme. Bald erreichte der Wilnaer Vogt bei Chod -
kiewicz sein Ziel. Seine letzten Bedenken tiberwand der Nuntius
Francesco Commendone®), der Anfang Dezember 1571 wieder
nach Polen kam. Um ihn für das evangelische Bekenntnis
zurückzugewinnen, veranstaltete man eine Disputation über
die Autorität der heiligen Schrift, an der außer Chodkiewicz
1) Vgl. das Schreiben des Rotundus aus Grodno vom 3. August 1507
an Hosius, E. S. Cyprian, Tabularium ecclesise Romanae S. 444ff. .
*) Opera Hosii II, S, 242 findet sich die Antwort des Haupt-
manns von Samogitien auf das erste Schreiben des Kardinals, das am
99. Juni 1567 in seine Hünde gekommen war, S. 248 das zweite
Schreiben vom 30. Oktober 1567 aus Heilsberg.
*) Anfang 1568 belagerte Chodkiewicz vergeblich die Burg Ula,
welche die Moskowiter unfern Polozk erbaut hatten.
*) Vgl. E. S. Cyprian, Tabularium ecclesise Romanae 578 ff.
5) Leider vermag ich nicht zu sagen, worauf Weigel hier anspielt.
Der lithauische Kanzler Albert Gastold hat einst 1536 ff. Abraham
Culvensis unterstützt, ihm die Mittel zum Studium in Wittenberg und
Italien gewährt. Aber von einem Anschluß dieser Familie an die
Reformation ist nichts bekannt. Doch vergl. Corp. Refor. X, 7.
*) Vgl. Gratian, de vita Commendoni S. 826 ff.
42
sein Schwager Andreas Zborowski, dazu die evangelischen
Wojewoden von Sendomir, Hohensalza, Brest, und viele
andere teilnahmen. Der spanische Jesuit Franziskus Toletus?),
der mit Commendone nach Polen gekommen war, verfocht die
katholische Lehre, der bekannte Jakob Niemojewski, der so
oft mit römischen Theologen die Klinge gekreuzt, unterstützt
von Stanislaus Drojewski*) die evangelische. Beide Parteien
schrieben sich den Sieg zu*) Jedenfalls konnte die Dispu-
tation Chodkiewiez Entschluß nicht rückgängig machen.
Fortan bekundete er regen Konvertiteneifer. Bei der Krönung
König Heinrichs arbeitete er z. B. mit allem Nachdruck im
Sinne des Hosius, um den von der Warschauer Konfoederation
geforderten Eid des Königs auf die pacta conventa, der
ı) Toletus starb als Kardinal in Rom am 14. Sept. 1596.
2) Auch Drohojowski genannt. Dieser treu evangelische Kastellan
von Przemysl, hatte am 20, Okt. 1542 die Leucorea besogen, war dann
nach Italien, 1547 nach Zürich und Straßburg gegangen. Mit Flacius.
der ihn um Material für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten bat,
staud er in Verbindung (vgl. seinen Brief vom 6. Juni 1556 bei Wotschke,
Francesco Stancaro 8.38). Zur Drucklegung der polnischen Bibel-
übersetzung stellte er Geld zur Verfügung, auf seinem Erbgute
Drohojow und in Jacmierza (beide Orte liegen bei Sanok in Galizien)
führte er die Reformation ein. Einige Jahre war er ein Gönner und
Schutzherr Stancaros. Er starb bald nach 1580, — Der Matthias
Stanislaus Drohojowski, der seit dem 21. Sept. 1607 in Heidelberg
studierte, in demselben Jahre mit seinem Bruder Johann, den wir seit
dem 16, Okt, 1611 in Leyden sehen, auch die Marburger Hochschule
bezog, der Stanislaus Dr., der mit seinem Bruder Andreas seit April 1617
in Herborn studierte, hier 1619 eine Disputation de prudentia et iustitia
veröffentlichte, waren wohl seine Enkel, die Söhne des um die evan-
gelische Kirche verdienten Kastellans von Sanok Johann Drohojowski,
Der letztgenannte Stanislaus Dr. hat 1645 das Thorner Bekenntnis
unterschrieben. Sein 1624 geborener Sohn Stanislaus studierte seit
dem 5, Juli 1644 in Leyden, sein Sohn Andreas seit 1651 in Frankfurt
Das Thorner Gymnasium besuchten seit 1648 die Brüder Christoph
und Wladislaus Dr., ersterer ist der spätere Przemysler Bannerträger,
der manche Synode, 1689 die zu Radsieneiyn im Lubliner Lande,
geleitet hat.
s) Nähere Nachrichten über dies Religionsgespräch gibt ein Brief
des Gratian an den sum Katholizismus übergetretenen Nikolaus Tomicki
deu Sohn des Gnesener Kastellans Johann Tomicki, aus Warschau vom
2. April 1572, Als Trumpf gegen Niemojewski, der sich des Sieges
rühmte, veröffentlichte die Gegenseite den Brief polnisch und lateinisch
au 18. August 1580. Vgl. Scriptores rerum Polonicaram VII, 225.
43
Religionsfreiheit verbürgte, zu verhindern oder abzuschwiichen!).
Von den Gotteshäusern, in denen Chodkiewioz den römischen
Meßgottesdienst wieder aufrichtete, seien die Kirchen in
Martynow (in Wolhynien unfern Luzk) und Hnezna (unfern
Wolkowisehki) in der 1588 Chodkiewiez' Gattin ihre letzte
Ruhestätte fand, genannt“). Chodkiewicz selbst starb schon
15785). . Von evangelischer Seite sind ihm noch 1574 von
Nikolaus Rej, dem polnischen Hutten, und 1577 von
Bernhard Gorecki Schriften zugeeignet worden.
Trotz langen Schwankens blieb Weigel schließlich doch
der Reformation treu. Dem Beispiele seines Herrn folgte ernioht.
„Munera, dum vivo, tua, Leucoris alma, tenebo,
Quaque decet memori mente fideque colam",
hatte er 1561 gelobt. In der Tat brannte die Liebe zur
Reformationsstadt in seinem Herzen. Nach des Chodkiewicz
Übertritt kehrte er nach Wittenberg zurück. Hier sehen
wir ihn 1573. Jn das Studentenalbum*) des Claudius Textor
aus Savoyen, der am 15. April 1564 sich an der Leucorea
hatte einschreiben lassen, trägt er Matth. 5,10, dazu lateinische
und griechische Verse über diesen Spruch ein. Es ist das
letzte, was ich tiber ihn ermitteln konnte.
I. Georg Weigel an Herzog Albrecht.
Gnadt, fridt vnd alle heilsame wolfart dureh Christum
neben erpietung meiner alzeytt schuldigen, vnderthenigen.
willigen vnd gehorsamen dienste vnd demtütigem gebett zu
gott beuor. Gnedigster fürst vnd herr. Ich bin den
24. Juni, an S. Johannis des täufers tag, gott lob frisch vnd
1) Am 12. Dezember 1578 hatte Hosius deshalb an ihn geschrieben.
Hosii opera II, 974ff.
*) Das Gotteshaus in Szklow am Dniepr, eine der óstlichsten
reformierten Kirchen im Reformationsjahrhundert hat sein zweiter
Sohn Alexander, der Wojewode von Troki, katholisiert.
3) Februar 1578 gewann er noch den Rigaer Arzt Zacharias Slopius.
den Bruder des Kottbuser Stadtschreibers Hieronymus Slopius für
seine Dienste. Cichocki schreibt in den colloquia Osiecensia von Chod-
kiewicz: „Vir sine controversia magnus, quem vulgus terrorem impro-
borum hominum vocare consueverat, omnes fere haereses antea perva-
gatus tandem levitatem inconstantiam que fluctuantium dogmatum
detestatus toto animo catholicam amplexus est religionem, in qua
tuenda adeo profecit, ut palam solidis rationibus assertores istos novi
evangelii impietatis convinceret.*
*) Im Besitse der Lutherhalle in Wittenberg.
44
gesundt gen Witeberg ankhomen vnd hab e. f. d. brieff eim
jedlichen jn sonderheytt vnd D. Maiori brieff vnd die 100 fl.
selbs treulich vnd fleißig nach e. f. d. gnedigem beuelch tiber-
antwortet, welche alle zu jrer zeytt sich gegen e. f. d. vnder-
theniglich bedanckhen werden, insonderheit D. Maior, welcher
mir sagt, jch khäme jm darumb gantz gelegener zeytt, weyll
er morgen, daß ist den andern tag meiner ankhunft, seiner
tochter, welche er eim jungen magistro,') so nun jura studiret,
verheirat, hochzeytt zu halten gedacht were. Herr D. Jonas
war nit anheim, sonder wie jch von seim gemahel vnd
letzlich von jme selbs verstanden, jn churfürstlichen von
Sachsen geschefften, welcher e. f. d. brieff mit hoher freude
gelesen vnd sich meiner ankhunft zu e. f. d. mit mir tróstlich
erfreuet vnd wie sein brauch e. f. d. gnedigen willen, lust
vnd lieb zum wort gottes mit merern worten exaggerirt vnd
confirmirt hat, also daB jeh, weiß gott, je lenger je mer von
hertzen beger, einer solchen theologischen fürstlichen per-
sonen, welche incorruptam evangelii vocem ef ipsius ministros
lieb vnd werdt helt, ernert vnd promouiert, jn vnderthenik-
heitt neher zu sein. Vnd khan auff e. f. d. mit grundt vnd
warheit der spruch Esaiae 49. wol gezogen werden: ,erunt
reges nutriti tui et reginae nutrices tuae.“ Also khan vnd.
will dan der fromme gott solche christlichen frommen regenten
mit frolichem mundt anreden psalmo 81.: ,ego dixi, dii estis
et filii excelsi omnes“.
Hiemit, gnediger fürst vnd herr, sehickh jch e. f. d.
zwey exemplaria der gehaltenen gedechtnus Philippi, dariu
die zwen verB stehen. Mich rewet es offt, daß joh von
e. f. d. khein anleitung brieflein an meine herren von Nürn-
berg (wie mir wol zu thun gebürt hett, aber auß vergessen
voderlassen) vndertheniglich begert vnd versucht habe, so
heiten sie desto mer vrsach gehabt, mich maiori humanitate
6% liberalitate von jnen zu lassen. Pitte hiemit den trewen
lieben gott, er wolle e. f. d., derselben christlich lieb gemahl
vnd junge herschafft jn langwiriger gesundtheit vnd glück-
seligem regiment gnediglich erbalten vnd von allem Übell
leibs vnd seel bewaren. Amen. Thue mich derselben e. f. d.
jn vnderthenickheit ganz vnd gar ergeben. Datum Witeberg,
den 30. Junii anno Christi 1561. E. f. d. vndertheniger vnd
gehorsamer Georgius Vueigelius.
IL Georg Weigel an Martin Faber.
Pereupio abs te cognoscere, humanissime mi d. M.
Martine, quam feliciter Noribergam veneris et qua etiam
puuc valetudine quove successu fruaris, Gratulor tibi, si
eonditionem te dignam et tranquillam consecutus es. Ei
dıaxoveig rag’ Alyıdlo, quod omnino spero, amplissimam
1) M, Joh. Purgold aus Eisenach,
45
habes oecasionem contrahendi amicitiam cum Nentauichio,
viro optimo fratre mihi carissimo, tuo favore et benevolentia
dignissimo. Hunc ipsum, ne quid amicitiae nostrae desit,
in meum locum interea statuo, qui sua morum suavitate et
conditione facile efficiet, ut ipsius nomine et me arctius sis
eomplexurus. Sic officiosus est, ut gaudeat sibi dari occasio-
nem de quoque bene merendi, tam fidelis, ut proximi magis
salutem quam suam curet, adeo candidus et apertus, ut dissi-
mulare pariter aesimulare nesciat et, ut paucis dicam, ravdgıorog,
stoÀvo gtÀijc dvio pikos avverös re xal sbvovg, ut Herodoti
voce utar. Hune et meo et me ipsius nomine amabis,
sumus enim idem corpus. Hic omnia adhuc salva sunt. Ad
8. Augusti diem designati sunt magistri numero 33!), in quibus
et nostri Gronus*) et Helmus*) erant. M. Schoppius 28. die
Augusti suas celebravit nuptias satis solemniter, ad quas
nos Noribergenses ferme omnes convenimus. Die Augusti
14. obiit Elisabetha, filia D. Maioris natu media. Disputatio
inter M. Victorinum et lllyricum interrupta est morte filioli
principis Saxoniae Janfriderici natu maioris. Doctor Maior
paulo ante mortem filiae aegrotare coepit et huc usque gra-
viter decubuit, nunc melius habet, pro quo deum oramus,
ne suam naviculam omnibus his gubernatoribus destituat;
sed eam ipsam regat et doceat et subinde alios aliis nau-
.eleros subiungat. Rumusculus hic est regem Galliae expediisse
legatos ad caesarem de ablegandis nostris ad se theologis,
ut cum ipsius conferant. Ita enim homines flagrare purioris,
si quae praeter usitatam sit, doctrinae studio, ut si diutius
recuset, periculum sit de tumultis. Plura alias. Bene
vale. Vuittebergae raptim 1560 die Septembris 27.)
III. Matthäus Motzarus an den Kanzler
Hans von Kreitzen.
Quamquam, magnifice domine, nullis a me studiis laces-
Situs, multis tamen officiis a Tua M. D. sum cumulatus, pro
quibus tantum me Tuae M. D. debere intelligo, ut nullis
officiis, nulla opera, labore industriaque mea posse videar
satisfacere. Quae quoniam ex aequo reponere non possum,
referet M. D. Tuae hio, qui pietatis officia multo cum foenore
solet remetiri. Sic etiam per sexennium Alberti olim prin-
cipis beneficiis usus sum, cuius etiam munificentia ad culmen
et fastiguum eruditionis in celebri hac academia Regiomontana
!) Vgl. Köstlin, die Baccalaurei und Magistri der Wittenberger
philos. Fakultät 1548— 1560 8. 28.
) Melchior Gruen, seit Februar 1555 in Wittenberg, später Pro-
fessor der Logik in Wittenberg.
) Melchior Helm, seit August 1557 in Wittenberg.
4) Dieser Brief ist entnommen dem Codex Gothanus chart. A. 123,
Bl. 277.
46
aspiravi!), et ubi doctrinae mediocris quandam cognitionem
mihi eomparaveram, alio me consensu eiusdem principis
obligans me ad reversionem chirographo contuli, ut Tua M. D.
haud dubie habet in recenti memoria, praesertim cum per
Tuam M. D. oum ill. principe de impetranda venia egi.
Quoniam autem ultra terminum in chirographo?) expressum
in peregrina vel exterranea natione moror, videtur et fides
apud me naufragium fecisse et fructus ingenii mei non in
obsequia suae celsitudinis sed aliunde divertisse, ideo non
immerito maeula ingratitudinis, quae mihi semper invisa
detestataque est, videor nune notandus... Paucis attigi in
literis meis ad ill. principem, quibus rationibus adductus
peracta peregrinatione in regno Poloniae moror, nimirum
quod mihi cuiusdam gymnasii curam contra propriam volun-
tatem a quodam magnate regio commissa est, quam iam
deponere vellem, si ill. principis literae, quales in literis?)
ad suam celsitudinem expressi, advolabunt. Quam obrem
Tuam M. D. submisse rogo, ut cum sua celsitudine hoc in
meo negotio ita agat, quo et sim apud suam celsitudinem
excusatus, quod diutius iusto in peregrina natione ultra
1) Motsarus stammte aus Lyck, hat in Königsberg studiert und
1566 eine Rede de excubiis angelorum dem Herzog Albrecht gewidmet.
Ende 1571 gewann ihn der Radziwillsche Hauptmann in Klezk,
Hieronymus Makowiecki, der Frühjahr 1563 mit dem jungen Nikolaus
Christoph Radziwill nach Straßburg gezogen war, damals von dem be-
kannten Unitarier Simon Budny gebeten war, Bullingers Ansicht über
das zwischen der griechischen und römischen Kirche strittige „filioque“
einzuholen, der September 1568 von Tübingen über Stuttgart nach
Lithauen zurückging. zum Leiter der Schule in Klezk (zwischen den
Eisenbahnknotenpunkt Baranowitschi und Sluzk) Innerhalb der von
den unitarischen Predigern Thomas Falkonius und Simon Budny ge-
leiteten Gemeinde hat er als lutherischer Lehrer gewirkt. Doch nur
kurze Zeit. Die noch 1572 aus Leipzig zurückkehrenden Albrecht
und Stanislaus Radziwill richteten wohl schon im nächsten Jahre den
Katholizismus in Klezk wieder auf.
*) Vgl. oben S. 35.
*) An den Herzog Albrecht Friedrich hatte Motzarus an dem-
selben Tage geschrieben: „Post longam iactationem fati, ubi me for-
tuna tandem ex variis periculis emersisset, in óptatum portum detulisset,
duxi mibi in Polonia paululum respirandum. Et interes dum in aula
regis Polonorum versor, opinione fortasse alicuius in me eruditionis
quidam de proceribas Hieronimus Makovietius apud regem effecit, ut
me suo gymnasio Klecensi praeficeret, quod, ne voluntati regiae videar
cessisse, nefas mihi detractare iudicavi concessique verum tantum
in annum docendi munus, quod iam iuvante deo die natalitii Christi
conficiam deponamque. Verum ne contra propriam voluntatem petiti-
onibus eiusdem dni Hieronimi Makovietii, capitanei Klecensis, viri sane
47
terminum in chyrographo datum maneo, et simul hae literae,
ut sim nimirum funetione hac scholastica vacuus, mihi a sua
celsitudine elargiantur, sine quibus deserere conditionem sine
magna molestia et commotione eius, qui mihi eam iniunzit,
non possum.
Signifieavi efiam suae celsitudini brevibus, qualis esset
rei publicae Polonorum status et quod ex tribus die epipha-
niarum fieri deberet electio unaque ex his aut fratrem caesaris
auf principem nostrum Prussiae aut ducis Moscorum filium
proceres dominii in regnum substituere vellent. Exposui
simul suae celsitudini meum consilium, quo pacto sua
celsitudo prae ceteris potiri regno Poloniae poterit, quod procul
dubio ex literis meis ad suam celsitudinem haud obscure M. D. T.
perspiciet. Si autem M. D. T. rationes consilii mei non
omnino displicuerint, pergratissimum mihi T. M. D. fecerit,
si principis nostri animum M. D. T. eo inflectat, ut huic consilio
asseutiat. Ego cum his proceribus, quos in literis meis ad
suam celsitudinem memini, ita cautissime iuvante deo rem
agam loco, tempore occasioneque idonea, uf nulla inde suspitio
nascatur, hanc suae celsitudinis voluntatem fuisse. Si ill. princeps
eonsilio acquievit, rogo T. M. D., ut quoque efficiat, ut sua
celsitudo, saltem duo equi sunt mihi, alios duos, vestimenta,
pecunias suppeditet, solomodo uf in aula horum procerum
regni in quibus cardo totius regni versatur et cum quibus
etiam mihi res erit, non inferior in omnibus ceteris eorum
aulicis appaream. Hae vero impensae, si res ex voto ceciderit,
quantó cum foenore revertantur, invante deo eventus ipse
ostendet. Sed hac in re maturandum est, ut habeam spatium.
quo in procerum animos insinuem, ut mihi rationes suarum
sententiarum communicent, et hac nacta occasione conveniente
loco et tempore ad amplificandas principis nostri laudes nec
consilium nec studium meum deerit.
Tua M. D. non gravetur mihi perscribere, qualis sit status
reipublieae Prussiacae post ademptum nobis principem
Albertum seniorem. Incerti enim rumores de ea apud nos
vagantur, quare id certissimum existimabo, quiequid ex M. D. T.
cognovero. Interim me meaque omnis generis obsequia
M. D. Tua sibi commendata habeat. Datae ex Klecko 12. Novem-
bris anno 1572. M. D. T. famulus obsequentissimus Matthaeus
Motzarus.
eruditi, suceumbam et in sequentem annum onus et molestias gym-
nasii sustineam, submisse T. Celsitudinem obsecro, ut huic rei Tua
Celsitudo clementer occurat.“ Der Herzog möchte ihn als seinen
Untertanen und Stipendiaten heimrufen und bei Makowiecki seine
Entlassung erwirken. Aus Daok würde er bei der bevorstehenden
Kónigswahl die Stimmen der polnischen Großen auf ihn lenken.
Die Urkundensammlung des Brettener
Melanchthonhauses.
Von Lie. Dr. Karl August Meißinger.
Das Melanchthonhaus zu Bretten besitzt eine Sammlung
von Urkunden aus der Reformationszeit, von ua im Folgen-
den Nachricht gegeben werden soll.
Den Grundstock der Sammlung, der dann durch Ge-
schenke von Sr.K.H. dem Großherzog Friedrich I. von Baden
und von Herrn Studienrat Wörner in Bretten vermehrt wurde,
bilden die aus dem Nachlaß Nikolaus Müllers in den
Besitz des Hauses Ubergegangenen Urkunden. Das weitaus
wertvollste Stück, die bisher einzige studentische Nachschrift
aus der ersten Vorlesung Luthers tiber den Galaterbrief, hat
Hans v. Schubert veröffentlicht (Luthers Vorlesung tiber
den Galaterbrief 1516/17. Zum ersten Male herausgegeben
von Hans von Schubert. Abhandlungen der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, Stiftung Karl Lanz, Philo-
sophisch-historische Klasse, 5, Abhandlung, Heidelberg 1918, —
Dazu: Haus von Schubert und Karl MeiBinger, Zu Luthers
Vorlesungstütigkeit. Sitzungsberichte der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften usw. wie oben, 9. Abhandlung,
Heidelberg 1920.)
Den Rest der Sammlung machen Briefe und andere
Urkunden aus der Reformationszeit aus. Diese habe ich im
Auftrage des Vorstandes des Melanchthonvereins einer vor-
, läufigen Bearbeitung unterworfen.
Nach welchen Gesichtspunkten Nikolaus Müller bei
Erwerbung der einzelnen Stücke verfahren ist, kann aus der
Sammlung kaum vermutet werden, Äußerungen von ihm
selbst scheinen darüber nicht vorzuliegen. Auf den ersten
Blick könnte man denken, es sei dem Reformationsforscher
um nichts als ein Magazin von Handschriftenproben zu fun
49
gewesen; denn außer den Originalen finden sich Facsimilia
und Photographien. Diese sind, ebenso wie die sohon ander-
weitig veröffentlichten Stücke, von der Bearbeitung aus-
geschlossen worden. Bei den letzteren wurden lediglich
Textvergleichungen vorgenommen. Hier sind die Ergebnisse:
Nr. 18. Joh. Bugenhagen an Conrad Cordatus, Witten-
berg, 35. II. 1530. Druck bei O. Vogt, Dr. Johannes Bugen-
hagens Briefwechsel, S. 91ff, Nr. 36.
Vogt
Original nobis S. 91, Z. 5 vobis
Turcam „ 6 Turcos
Saxonas „ 15 Saxones
Einbeke „ 16 Eimbeck
fuit hue ad fuit ad
illic S.92 , 8 illis
eiectionem » 14 enectionem
optima , 19 operam
propter „ 21 apud
Lubecae , 24 Lubeck
praedicatur „ 26 praedicans
canuntur „ 27 canens
von S. 93, , 2 vom
sehe darzu , 2 sieh darein
irascetur „ 8 noscet
Vrsalium „ 13 Vasalium
papisticos » 16 papisticas
Nr. 19. Schluß eines Briefes von Phil. Melanchthon
an Bürgermeister und Rat von Nürnberg, Wittenberg,
25. XIL 1543. Druck Corp. Ref, V, 257.
Z. 29 des Druckes ist vor „Vater“ „Gott“ einsetzen.
Nr. 57. Joh. Matthesius an Joachim Camerarius,
Joachimstal 25, XII. 1556. Druck bei Lösche, Job. Matthesius
Bd. II, S. 324, Nr. 127.
a. a. O. Z. 16: cum vere etiam et veritati et Cliniae
ex animo benevelle, Original: eum vere 8ciam et
veritati et Cliniae te ex usw.
Bei nüherem Zusehen findet sich, daB immerhin ein
bestimmtes Interesse bei einer Reihe dieser Schriftstücke
vorwaltet. Ein Blick auf das unten abgedruckte alphabetische
Register lehrt zunächst, daß Joachim Camerarius und
Georg Major als Absender oder Empfänger je mit einer
längeren Reihe vertreten sind, Ferner findet man in dem
Register Namen wie Hieronymus Baumgartner, Caspar
Arohiv für Beformationsgeschiohte. XIX. I. 4
00
Cruciger, Paul Eber, Moritz Helling, Jacob Lechner,
Caspar Peucer, Michael Röting, Esrom Rüdinger,
Georg Sabinus, Johann Stigel. Mit einem Wort ist
es also der Kreis der Melanchthonianer, der in
unserer Sammlang ausgiebig zu Worte kommt, Der Prae-
ceptor Germaniae steht im Hintergrund, und insofern ist die
Sammlung gerade im Melanehthonhaus an ihrem rechten
Ort. Von Nikolaus Müllers ausgebreiteten Melanchthonstudien
her, die sich z. B. in den reichen Anmerkungen zu seiner
Veröffentlichung ,Melanchthons letzte Lebenstage, Heimgang
und Bestattung“ (Leipzig 1910) kundgeben, ist die Bevor-
zugung dieses Kreises von Reformationsmännern zu verstehen.
Im Ganzen bleibt der Eindruck einer gewissen wahl-
losen Buntheit. Müller scheint die Antiquariatskataloge nach
Reformationsurkunden durchgesehen und alles, was von
einigem Interesse sein konnte, an sich gezogen zu haben.
Auch darin liegt noch ein Verdienst, denn im Handel ver-
zetielt sich dieses Material immer mehr.
Der größte Teil der Urkunden ist zwischen 1530 und
1560 entstanden. Älter sind von den 71 Nummern 8
(1508—1529), jünger 10, eine ist undatierbar. Von den
Stücken nach 1560 fallen 9 in den Zeitraum bis 1596.
Ganz außerhalb des Rahmens der ubrigen Sammlung steht
das zehnte, ein Schreiben von Martin Hasch(?) aus Ham-
burg 1685, der als Nachrichtenagent eines baltischen(?) Herrn
einen Bericht über ihm zu Ohren gekommene politische
Neuigkeiten liefert.
Ebenso fremd sind dem Stoffkreis der anderen Urkunden
die Stücke Nr. 11 (eine Finanzverfügung Franz I. von Frank-
reich) und 10 (Mahnung des Kaisers Ferdinand I. an Georg
von Bitsch, betr. rückständige Steuerbeträge).
Am meisten sticht der Name Luthers hervor, aber hier
erwartet den Freund des Reformators eine Enttäuschung.
Das Stück Nr. 14 scheint ein Stammbucheintrag zu sein,
Für die Echtheit möchte ich mich nach gründlicher Ver-
gleichung mit dem von mir gleichfalls untersuchten und nach
Zweifeln für echt erkannten Bucheintrag, den die Frank-
furter Stadtbibliothek verwahrt, zwar einsetzen, Allein auch
so ist das Blüttchen ohne jede Bedeutung. Das Stück 43
51
ist kein Autograph, sondern ein von Schreiberhand, ein-
schließlich der Namen, geschriebenes Visitationsgutachten
Luthers, Bugenhagens und Melanchthons tiber einen Gegen-
stand von sehr geringem Belang. Die Urkunde Nr. 65 ist
zwar ein echtes und ansehnliches Autograph, aber auch nur
für die Finansgeschichte des Wittenberger Augustinerkonvents
von Bedeutung. Endlich das Stück Nr. 65a ist eine völlig
obskure Zusammenstellung von Daten zu Luthers Leben
bis 1525. Muller vermutet Abschrift eines Originals von
der Hand des Hieronymus Sehurff. Irgendeine Bedeutung
dürfte dem Blatt nicht zukommen.
Überhaupt dürfen weltbewegende Enthüllungen von der
Durchforschunng dieser Urkunden nicht erwartet werden.
Hingegen bieten sie eine Fülle interessanter Einzelheiten,
und fur Spexialforschungen mag sich manches Wichtige
ergeben. Sich hierüber zu äußern, geht. über den Zweck
der gegenwärtigen Anzeige hinaus, Nur einige Züge sollen
aus der Masse ausgewählt werden.
Camerarius (dessen künftiger Monograph an den
Brettener Urkunden nicht vorbeigehen wird) ist z. B. nach
Stück 32a und b in seiner Nürnberger Zeit englischer
Agent — für einen Schulmeister nach unseren. Begriffen ein
wenig sonderbar; übrigens wissen wir von dem großen
Straßburger Pädagogen Johann Sturm das Gleiche. Noch
interessanter ist, daß das „Stipendium“, dessentwegen unser
Humanist der englischen Krone diese Dienste leistet, in dem
genannten Doppelstuck eine so große Rolle spielt, daß alles
übrige, freilich sehr geschickt, nar um diesen Hauptpunkt
herumkomponiert scheint, Den gleichen Eindruck, daß
nämlich der gefeierte Humanist, der Sprößling einer hoch-
angesehenen Bambergischen Familie, damals in Geldverlegen-
heit ist, gewinnen wir aus dem undatierten, aber gleichfalls
nach Nürnberg gerichteten Schreiben des Basler Humanisten
Johann Siehard. Diesem hat sich Camerarius als Über-
Betzer seiner exegetischen Arbeiten angeboten und sogar.
auf Nennung seines Namens auf dem Titel verzichten wollen.
Der Hauptpunkt ist auch hier wieder das Honorar des Verlegers
— wohl eine der frühesten Erwähnungen dieser damals
noch neuen und von Vielen als bedenklich empfundenen
4*
52
Einrichtung. Bekanntlich hat Luther großen Wert darauf
gelegt, daß er nie einen Heller für seine Schriften von
seinen durch ihn zu reichen Leuten gewordenen Druckern
bekommen habe, — darin e ein Mann nach dem Herzen
Schopenhauers.
Eine höchst interessante Persönlichkeit ist der zum
Protestantismus tübergetretene Bischof und päpstliche Nuntius
Paul Vergerius, der in dem Stück Nr. 28, einem Briefe
von Georg Sabi nus an den Brandenburgischen Rat Thomas
Matthias, als Württembergischer Gesandter nach Nord-
ostdeutschland auftaucht. Die Reise könnte mit der in der
Allgemeinen Deutschen Biographie Bd, 39, S. 619, Z. 6ff.
erwähnten identisch sein.
Aus der Frühzeit der Religionsveränderung in Straßburg
stammt ein kurzes undatiertes Schreiben des Caspar Hedio
an Wolfgang Capito. Hedio schickt durch den berühmten
Basler Drucker Proben seinem Freund einen Brief von
einem Dritten, der an C. als Pfarrer von Jung-St. Peter
adressiert ist. Hedio kennt Capito nur als Probst von
St. Thomas. Stimmt die Adresse, so scherzt er, dann hast
du demnach zwei Pfarren und kannst nach dem Gebot des
Evangeliums dem eine geben, der keine hat. Das Stück,
über dem es wie Frühlingshauch jener lebendigen Anfangs-
jahre liegt, ist bestimmt auf Ostern 1524 zu datieren. Da-
mals hatte die Gemeinde von Jung-St. Peter auf ziemlich
gewalttätige Weise es eben durchgesetzt, den Probst von
St. Thomas zu ihrem Pfarrer zu bekommen.
Auch für Stadt- und Kulturgeschichte wird sich aus
unserer Sammlung manches ergeben, so für Nürnberg,
wo z. B. nach einem Briefe Majors von 1535 bei Immo-
bilienverkäufen eine Steuer za entrichten ist (Nr. 20, 3),
und wo bei der Pest von 1533 Meldepflicht für jeden Sterbe-
fall besteht (Camerarius, Nr. 32a, 8). Für die Witten-
berger Stadtgeschichte ist z. B. der Brief Paul Ebers
von 1552 von Interesse. Eber klagt über schwere Ein-
quartierung (41, 2 ff.). Es handelt sich um die heimlichen
Truppenansammlungen, die im Zusammenhang mit der
Belagerung Magdeburgs dem Abfall des Kurfürsten Moritz
vom Kaiser vorangingen. Eber erhofft Besserung von der
53
Rückkehr des damals abwesenden Melanchthon — ein
kleines aber sehr deutliches Zeichen für das hohe An-
sehen des Mannes.
Ein gewisser Michael Römer (Bomanus), der soeben
eine Pfarre erhalten hat und die Welt in rosenroter Schminke
sieht, rühmt 1550 die Einrichtung der Wittenberger Univer-
sitätsprüfungen und „Abgangszeugnisse (Nr. 48).
Sehr interessant ist eine Wittenberger Pfarrgehalts-
quittung des Georg Major von 1544 (Nr. 5), wo die
einzelnen Bezüge genau aufgezählt sind: Präbendenzins,
Präsenz, Kapitelgeld, Wein- und Biergeld, Backgeld, Salz-
geld, Obedienz, sowie Weizen und Korn in natura, alles als
Stiftsherr des Altenburger Stifte.
Einen Einblick in die Verhältnisse des Gothaer
Kirchenkastens, deren Verworrenheit nicht zu den Ausnahmen
gehört haben dürfte, erhalten wir aus einem Bericht des
Justus Menius an seine Regierung (1547, Nr. 25). Von
unzulänglichen Pfarr- und Schulgehältern, von Beitreibung
außenstebender Gefälle usw. ist des Öfteren die Rede. Ein
Kenner dieser Finanzverhältnisse wird aus unseren Urkunden
vieles lernen.
Zu allgemeinerer Bedeutung erhebt sich weniges. Zu
nennen wäre etwa die sehr ausführliche Instruktion des
Kurfürsten Angust von Sachsen an seine Räte beim Reichs-
tag zu Augsburg (1559). Dieses Schriftstück, weitaus das
umfänglichste der Sammlung (Nr. 61) gibt einen sehr deut-
lichen Begriff von den verwickelten Verhandlungen, die nach
dem mißlungenen Frankfurter Rezeß sich zwischen den
protestantischen Ständen hin- und herschleppten, und tiber-
haupt von der heillosen Diplomatie, die sich der Glaubens-
fragen bemächtigt hatte.
Im folgenden sollen nun zwei dieser wichtigeren Ur-
kunden abgedruckt werden. Die erste ist eine Visitations-
vollmacht des Landgrafen Philipp d. Großm. v. Hessen für
den hessischen Reformator Adam Kraft und seine Mitarbeiter
Jost v. Weiters und Kraft Ruwe vom 27. Februar 1528.
Walter S o hm in seinem trefflichen Buch „Territorium
und Reformation in der hessischen Geschichte 1526—1555“
54
erwähnt S. 52, Anm. 4 einen Visitationsbefehl, der mit dem
unseren vielleicht identisch ist. In diesem Fall würde sich
die von ihm angenommene Chronologie der Visitation in
der Oberen und Niederen Grafschaft Katzenelnbogen um ein
ganzes Jahr zurtickdatieren.
Die Urkunde ist von einer Kanzleihand geschrieben und
von Philipp eigenhändig gezeichnet. Das fehlende Siegel
und die Aufschrift waren vermutlich auf dem in Verlust
geratenen zweiten Blatt des Bogens. >
Wir vonn gotts gnaden Philips Lantgraue zu
Hessen Graue zu Caczenelnpogenn eto. fugen
hie mit vnnserm vfinenn brieff menglich
zu wiessenn, das wir gegenwärtigs denn
Hochgelertenn wirdigenn vnnsern Capplan
kamer diener lieben andechtigenn vnnd
getreuwen Meyster adam Crafft vonn
fuldaw Jostenn vonn Wyther vnnd orafft
Ruwen vss gefertiget vnnd Inen beuolen
kabenn Inn vnnsernn Obernn vnnd nydern
kaezenelnpogenn graueschafften dye geystlichen
zw visitiernn, dye pfarhern allenthalben
dar ynn zw examiniern In massenn Jungst
vor wyler zyt In vnnserm [sie] furstenthumen
auch bescheen, dye vngeschicktenn vngelerten
predigern zw entseczenn, andere Cristliche
Euangelische Lerer an der vndochtige entseozt[e]
stadt zw ordiniern, die selbigenn zw refor-
miern, vnnd vonn vnnsernt wegenn, hie
vor gegebnen beuelch vss zurichtenn, zw
. vor sehenn vnnd zw volnfuren, wye sie des
vonn vnnss bescheydt entpfangenn habenn
Darumb wir hie mit allenp vnnd Jedenn
pfarhern, pharuerwaltern Capellan vnnd
geystlichenn guter besiczern, Auch allen vnsern
amptleutenn Rentmeystern kellern rentschriebſern]
Schultheissen landtknechten vnnd beuelhabern, darz[w]
allenn Burgemeystern Rathen, vnnd andern de[n]
vnnsern die mit duessem vunserm brieff
ersucht vnnd angelangt werdenn, ernstlich
(Rückseite)
gepietenn beuelhen vnnd wollenn das yr eampt vnnd
besunder vff der gedachten vnnser abgefirtigtenn
farnemen, begernn vnnd an synuen diess
mals glich als ob wyr selbs zu gegenn weren,
55
zuthun gleuben vnnd ir anbrengenn stadt geben,
vnnd Inen xw solicher vonn vnnsernt wegenn vss-
richtung verseung vnnd volfurungk wie sie
eueh das anzeygenn werdenn, roitlich furderlich
bestendig vnnd beuolenn, sie[sic] auch yhenen sampt
denn Ihenen so sie mit sich bringenn vnnd
haben werdenn, zimlich fueter vnnd Maell
entrichten vnnd beczalen, vnnd euch In dem
allem gehorsamlich haltet vnnd erzeyget Des
woll [sie] wir vnns algo zw Euch samptlich vnnd
Jedenn In besunderheyt verlaessenn, vnnd nach
gepurnis eynis yedenn Mans wirdenn vnnd
Wesenn gunstliglich zw beschulden vnnd In gnaden
zw Erkennenn geneygt seyn, Es beschicht hir
an vnnser gnedich ernste zuuerlesich befelch
vnnd meynung zw vrkundt vnther vnnserm
bir vff gedruckten Secret Gebenn In vnser
stadt Cassell am donnerstag Nach Dionisij
Anno etc. xxviij
Philips L. z. H. etc. sscripsit.
Von hohem persönlichem Interesse ist die folgende Ur-
kunde, ein Brief Johann Friedrichs d. GroBm. aus derZeit seiner
trauervollen „custodia“. Einige seiner Anhänger haben sich
mit einem Zauberkünstler eingelassen, der sich anheischich
gemacht hat, durch seine Künste die Erledigung des Kur-
fürsten aus der Haft zu bewirken. Der Kurfürst hat es
abgelehnt auf solche danklen Machenschaften einzugehen
uud den Mittlern heftige Vorwürfe gemacht, gegen die jene
sich verteidigt haben. Auf dieses Schreiben antwortet Johanı:
Friedrich:
Vonn gots gnadenn Johans Fridrich Hertzog zu Sachsen der
Eldter Landgraue zu Duringen vnd Marggraue zu
Meissen etc.
Liben rethe vnd getreuenn, Wir haben euer an vns gethanes
scbreibenn, dorinnen Ir auf jungste vnser euch gegebene
antwurtt des furgebrachten kunstlers Rattschlag halbenn,
euere endschuldigung furgewand habet, empfangen, vnd seines
inhalts gelesen, Das wir nun den-
selbigen radschlag mit Gott vnd gewissen vor gutt vnnd
Christlich nitt erachten konnen, Sundern denselbigen vor
abgottisch haltten; des habet Ir vnsere vnd aus Gottes wortt
ergrundete vrsachen, aus derselbigen vnser antwurtt ver-
standen, Des gemuts sein wir auch noch. Vnd konnen
56
es abermals nitt anders dan darfur achten; haben aber
euer Personen; als die Ir es mitt vns vndterthenniglich vnd
treulich meynett, vnd vns vnser beschwerunge gerne end-
ledigett seghett; In diszem handel whol endschuldigen, Euch
auch mitt solchem anziehen das es abgotterey vnd schwer-
merey sey, nitt gemayntt, Sundern den meyster des
wergks. Dann sol vnser sachen
zu seinem guten bescheid vnd erledigung, wie wir zu Gott
dem Almechtigen verhoffen, gereichen, So wirdett es sein
Almechtikeitt, die wir darumb bitten, vnd gebeten, aber doch
nichtt vf Creuter vnd derselbigen wirckung gesetzt sein wil, ver-
leihen vnd schickenn, vnd dartzu der Key. Maiestet hertz (Bl. I b)
In der
handen es stehett, miltern, 'Vnd ob Ir whol
anzaigett das er Justus Menius bemeltten Rattschlag mitt
vor gutt angesehen, So zweiueln wir doch nitt, so er der
Person d
vnd seines Rattschlags genugsam vnd grundlich berichtett,
vnd
u‘ was der heilige man Doctor Luther von solchen
un i
dergleichen furgeben, gehalttenn, er als ain Theologus
wurde sich In solche weltt hendel zurathenn nitt habenn
bereden
lassen, Sundern vil mher mitt Gott vnd seinem whortt, vnd
was sein ambtt ist, bekommern, Sich auch In denen sachenn
selbst wissen zubescheiden, Das man Gotte, vnd nitt Creaturn
oder Creutern solle vertrauenn, vnd desselbigen hulf suchen
vnd bitten. Es wurden auch alle erfarne vnd gelerte Medici
wan sie gleich von Gottes wortt nichts wusten. solchen
Fantaseyen l
keinen Glauben geben, vnd ist kein lherer der Ertzney der
auch authenticus where, der den sachen aynigen beifal
geben f
wirdett. Setzen demnach vnser
vertrauen vf Gott, vnd kein menschliche vernunfft, Dem
wollen wir vermittelst seiner Gotlichen gnaden, wie Dauid
sagtt stillhaltten. Der wirdett die seinen wie Petrus sagtt
tzu :
seiner zeit, aus der Trubsahl, darmitt vnser Herrgott, vnns
weiter nichtt, dan wir ertragen konnen, wissen zuerretten.
vnd der ain gnedigs ende entweder hie In zeitlichem; oder
Ihenem
ewigen leben, mitt ewiger herlikeit, machen. vnd das (Bl. II a)
gebett viler Frommen Christen. vnd guethertzigen. so
neben euch vor vns treulich betten, gnedigist erhorenn,
Vnd haben euch solchs hinwider
57
gnediger maynunge nitt wollen bergen, Datum Augs-
burgk den 26den Julii 1550
Jo: Fridrich: der elder eto.
m: prop: sst:
Vnseren ambtleuten zu Wartburgk
Creusburgk vnd Gerstungen Rethen
vnd liben getreuen Eberhardtenn
von der Thann vnd Georgen vonn
Harstall
Worum es sich gehandelt hat, ist nicht auszumachen.
Auch das neueste und ausführlichste Werk über Johann
Friedrich, G. Menz, Johann Friedrich d. Großm., 3 Bde.,
1904 ff. (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens I, 1—3)
meldet nichts von dieser mysteriösen Geschichte, die wahr-
scheinlich immer in Dunkel gehüllt bleiben wird. Was dem
Stück seinen Wert gibt, sind vor allem die Äußerungen
der echten und klaren Frömmigkeit des schwergeprüften
Herrn.
Katalog.
Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung
3 65 Major, Georg, Brief an Hieron. Baum-
gartner L, Wittenberg, 26. März 1529.
4 66 Ders., Brief an Justus Jonas d. X., Witten-
berg, 17. März 1542.
5 67 Ders., Quittung an Heinr. Forster, Witten-
: berg, 23. Nov. 1644.
6 68 Ders., Brief an Hieron. Baumgartner I.,
Magdeburg, 1. Dez. (1546).
7 69 Ders., Einzeichnung in einem Stammbuch,
1. Nov. 1571.
10 164 Ferdinand I., Deutscher Kaiser, Brief an
Georg, Grafen zu Bitsch, Prag,
8. Aug. 1562.
11 166 Franz I., König von Frankreich, Erlaß,
Fontainebleau, 11. Dez. 1529.
14 181 Luther, Martin, Einzeichnung in einem
(Stamm-)Buch, 1544.
15 181 Cruciger, Caspar I., griechische und latei-
nische Verse,
58
Lid. Nr. Inv. Nr.
16 182
17 183
18 184
19 300
20 302
21 306 bis
29 303
23 351
24 304
25 312
26 331
27 306
28 361
29 309
30 317
Beschreibung
Chemnitz, Martin, Brief an Jakob Joveus(?)
Hameln, 18. Aug. 1575.
Chytraeus, David, Brief an Johann Lorbeer,
Rostock, 22. Okt. 1582.
Bugenhagen, Joh. L, Brief an Konrad
Cordatas, Wittenberg, 25. Febr. 1530.
Melanchthon, Phil, L, Schluß eines Briefes
an Bürgermeister und Rat zu Nürn-
berg, Wittenberg, 25. Dez. 1543.
Maior, Georg, Brief an Hieron. Baum-
gartner I., Magdeburg, 16. April 1535.
Ders, Brief an denselben, Magdeburg,
4. Sept. 1534. |
Cruciger, Caspar L, Schluß eines Briefes
an Veit Dietrich, Worms, 27. Nov. 1540,
Ders., Schluß einer exegetischen Ausführung,
am Ende ps. 46, hebräisch, arabisch
und griechisch.
Menius, Justus, Brief an Georg Ernst,
Fürsten zu Henneberg, (Gotha),
18. Aug. 1552.
Ders., Brief (an Gregor Brück ?), Gotha,
26. Jan. 1547.
Ders., Brief an Johann Friedrich d. M. und
Johann Wilhelm, Herzöge v. Sachsen,
(Gotha), 23. Nov. 1548.
Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog
v. Preußen), Königsberg (1553?).
Ders., Brief an Thomas Matthias, Frank-
furt a. O., 18. April (1557 7).
Philipp d. Großmtitige, Landgraf v. Hessen,
Visitationsvollmacht für Adam Crafft,
Jost v. Wyther (= Weiter) und
Crafft Ruwe, Cassel 1528.
Cornarius, Janus, Brief an Joachim
Camerarius I. (Zwickau), I. März 1552
Ltd. Nr. Inv. Nr.
31 315
32a u. b 316
33 318
34 319
35 320
36 321
37 322
38 323
39 324
40 362
41 327
42 377
43 328
44 329
45 330
59
Beschreibung
Camerarius, Joachim I., Brief an Matthias
Garbitius Illyricus (Leipzig), 30. März
(1555).
Ders., Konzept zweier Briefe, a) an einen
englischen Würdenträger, b) an
Thomas Cromwell, Nurnberg, 6. Sept.
(1533).
Fabricius, Georg, Brief an Joachim
Camerarius I., Beichlingen, 5. Juli
1544.
Gerbel, Nicolaus, Brief an Joachim Came-
rarius I., Straßburg i. E., 18. Aug. 1541.
Mireonius, Friedrich, Brief an Johann,
Kurfürsten v. Sachsen, Gotha 1530.
Micyllus, Jakob, Brief an Joachim Came-
rarius I., Heidelberg, 30. Nov. 1536.
Praetorius, Abdias, Brief an Joachim
Camerarius I, Frankfurt a. O.,
11. April 1559.
Sichard, Johann, Brief an denselben. Basel.
Stigel, Johann, Brief an Johann Friedrich-
früheren Kurfürsten von Sachsen.
Jena, 22. (?) Okt. 1549.
Ders, Billet an einen ernestinischen
Fürsten.
Eber, Paul, Brief an Joachim Camerarius I.,
Wittenberg, 8. März 1552.
Ders, Widmung auf einem Titelblatt, an
Johann Meier (nach 1563).
Luther, Martin, Bugenhagen, Johann und
Melanchthon, Philipp, Brief an Johann
Friedrich, Kurfürsten v. Sachsen,
Wittenberg, 22. Juli 1539.
Musculus, Wolfgang, Brief an Wolfgang
Ampelander, Basel, 7. Jan. 1551.
Sturm, Jakob, Brief an Ludwig d. J., Grafen
zu Oettingen(?, Straßburg i. E, 7.
März 1547.
46 331
47 332
48 333
49 340
50 341
51 344
52 345
53 352
54 353
55 354
56 358
57 359
58 363
59 364
60
365
Beschreibung
Schurff, Hieron und Melanchthon, Philipp,
Brief an Bürgermeister ‘und ‚Rat in
Neustadt‘ a. O. Jena, 31. Dex.
1527.
Rüdinger, Esrom, Brief an Joachim Came-
rarius I. Zwickau, 23. Mai (1557.)
Romanus, Michael, Brief an Bartholomäus
Wolfhart, Wittenberg, 4. Okt. (1550.)
Starschedel, Dietr. v., Brief an Johann
v. Taubenheim, 28. Sept. 1531.
Lechner, Jakob, Brief an Moritz Helling,
Wittenberg, 12. Mürz 1558. Abschr.
Hieron. Baumgartners.
Tetelbach, Johann, Brief ohne Adresse,
Chemnitz, 1. Nov. (1554?).
Osius, Hieronymus, Brief an Nikolaus Gallus,
Ohne Datum.
Fischer, Christoph, Brief an Joh. Flemm «
Celle, 12. Mai 1590.
Forster, Jobann, Brief an Bürgermeister
und Rat zu Kitzingen. Schleusingen,
20. Juni 1546.
Hedio, Kaspar, Brief an Wolfgang Fabricius
Capito. (1624)
Lotich, Peter II, Brief an Erasmus Neu-
stetter. Heidelberg, 23. Juli 1557.
Mathesius, Johann, Brief an Joachim Came-
rarius L, Joachimsthal, 25. Dez, 1556.
Friedrich III., der Weise, Kurfürst v. Sachsen,
Brief an Philipp, Grafen zu Solms.
Torgau, 20. Dez. 1508.
Johann d. Beständige v. Sachsen, Brief an
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg.
Zwickau, 16. Mai 1518.
Johann Friedrich d. Großmtitige, Kurfürst
von Sachsen, Brief an Eberhard
v. d. Thann und Georg v. Harstall.
Augsburg, 26. Juli 1550.
Lid, Nr. Inv. Nr.
6i 368
62 370
63 374
64 378—390
65 185
65a 186
66 —
67 —
68 —
69 —
70 —
71 —
61
Beschreibung
August, Kurfürst v. Sachsen, Brief an Lud-
wig, Grafen v. Eberstein und die
andern kursächsischen Räte in Augs-
burg. Dresden, 15. Febr. 1559.
Wolfgang, Fürst v. Anhalt, Brief an Johann
Friedrich d. M. und Johann Wilhelm,
Herzöge v. Sachsen. 9. Jan. 1552.
Georg Ernst, Graf v. Henneberg, Aus-
führungen tiber die Zweinaturenlehre.
Maior, Georg II. aus Nürnberg, Stammbuch-
blütter.
Luther, Martin, als Prior des Wittenberger
Augustinerkonventes, Schuldschein an
Henning Göde, Wittenberg, 14. Aug.
1515.
Ders.(?) Autobiographische Daten, s. o. S. 51.
Heshusius, Tilemann, Brief (an Johann
Wilbelm, Herzog v. Sachsen) (1572?)
Rasch (?), Martin, Brief an einen baltischen
Herrn, T Dezember 1685.
Borcholt(en 7), ^ Heinrich, Stammbuch
1586—1588.
Sohnürlin, Johann, Stammbuch 1588 ff.
(Wittenberger?) Stammbuchblatt 1558.
— 159607)
Alphabetisches Register.
* bedeutet Absender oder Empfänger von Briefen oder sonstige
Urheber von Urkunden.
(Mag.) Aegoceros, Joh., Hauslehrer bei Dr. Georg von
Commerstad
37
*(Albrecht, Herzog v. Preußen), Brief von Sabinus,
Georg (1553?) 27
Altenburg, Zusammenkunft des Fürsten Wolfgang v. An-
han mit den Herzögen Johann Friedrich d. M.
und Johann Wilhelm v. Sachsen 62
* Ampelander, Wolfgang, Brief v. Musculus, Wolfgang1551 44
Mag. Aquila, Caspar 24
63
Arnsnest(a), ev. Pfarrei 1539 43
* August, Kurf. v. Sachsen, Instruktion an Ludwig
Grafen v. Eberstein u. Gen. 1559 61
Balthasar N.; zum Kreise des Joachim Camerarius
gehörig 31,6
Behem, Andreas, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,7
Beneekendorf, Joh. v., Helmstädter Stammbuch-
eintrag 1588 68 g
s a ie Hieron., Brief v. Major, Georg 1529 3
" » T - „ 1534 21
= a " j 5 „ 1535 20
2 n n " » » (1546) 6
" 50,5
Bitsch, Georg Graf zu, Mahnbrief des Kaisers
Ferdinand L an, 1562 10
* Borcholt(en?), Heinrich, Jenenser und Helmstädter
Stammbuch 1586 — 1588 68
Brandmüiller, ( ) wohl in Basel um 1551 44,3
Dr. Brendel, Zacharias, Jenenser Stammbucheintrag 1586 68 f
Bucretius s. Rindfleisch
Bude(n?), Joh., ev. Pfarrer in Arnsnesta 1539 43
(Buel), Eucherius, Wittenberger Stammbucheintrag 64,10
* Bugenhagen u. Gen, amtl. Schreibeu an Kurf. Johann
Friedrich d. Großm. v. Sachseu 1539 43
* Bugenhagen, Joh., Brief an Cordatus, Conrad 1530 18
Bulemann ( ), wohl in Basel, um 1551 44,3
Bulgarien, Fürstentum, abhängig von dem Woiwoden
v. Podolien 1533 82 b,8
* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an Cromwell,
Thomas (1533) 32b
* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an einen eng-
lischen Würdentrüger (1533) 324
+ Camerarius, Joachim, Brief an Garbitius IIlyricus,
Matthias 1555 31
von Cornarius, Janus 1552 30
Eber, Paul 15523 41
Fabrieius, Georg 1544 33
Gerbel, Nikolaus 1541 34
Mathesius, Joh. 1556 57
# Á9» 9 9 ë
wv 3 u u 3
3 3 3 3 3
3 3 3 3 3
63
* Camerarius, Joachim, Brief von Micyllus, Jac. 1536 36
* 2 : „ „ Praetorius, Abdias 1559 37
* 4 » a „ Rüdinger, Esrom 1557 47
* " m Š „ Siehard, Joh. 38
s : 50,6
2 a als politischer Agent der engl.
Krone 1533 32a, 4; 32b, 4
: „ Übersiedelung von Tubingen
nach Leipzig 1541 34,3
i in Worms 1540 22,3
* Capito, Wolfg., Brief von Hedio, Caspar (1524) 55
Chemnitz, Pest in, 1554 (?) 51,3
* Chemnitz, Martin, Brief an Joveus (?), Jac. 1575 16
Christoph, Herzog von Württemberg, Kirchenpolitik 1559 61,12
* Chytraeus, David, Brief an Lorbeer, Job. 1582 17
Clarner, Paul, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,5
Cöler, Hieron., Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,6
Dr. Commerstad, (Georg v. ?), Söhne des 37,8
*Cordatus, Conrad, Brief von Bugenhagen, Joh. 1530 18
Corfinius, Friedr., Helmstüdter Stammbucheintrag 1588 68m
* Cornarius, Janus, Brief an Camerarius, Joachim 1552 30
Dr. Crakau, Kursächsischer Rat 1559 61,1
* Cromwell, Thomas, Briefentwurf des Joachim
Camerarius an, (1533) 32 b
5 32 a, 3
< Croeiger, par I, Brief an Dietrich, Veit 1540 22
- 5 Stammbucbeintrag (7) 1544 15
"o £ exegetische Ausführung 23
Dachae (?) filius 47,3
* Dietrich, Veit, Brief von Cruciger, Caspar 1540 23
Dozue, (), Kanzleiverwandter des Königs Franz I. v.
Frankreich 1529 11
* Eber, Paul, Brief an Camerarius, Joachim 1552 41
p" „ Dedikation an Johann Meier aus Nürn-
berg, nach 1563 A3
* Eberstein, Graf Ludwig v. kursächsischer Rat, u.
Gen., Instruktion von Kurf. August 1559 61
Eckhard, Georg 51.7
64
Eilenmair, Wolfg., Wittenberger Stammbucheintrag 1562 64,12
Faber, Joachim, aus Magdeburg, Helmstüdter Stamm-
bucheintrag 1592 69c
* Fabricius, Georg, Brief an Camerarius, Joachim 1544 33
" „ geistliche Oden 33,1
= „ C) 51,2
* Ferdinand I., Deutscher Kaiser, Mahnbrief an Georg
Grafen zu Bitsch 10
= Balkanpolitik 1533 32b, 8
* Fischer, Christoph, Brief an Flemmer, Johann 1590 51
- Biographisches 51,7
Flacius Illyrieus, Matthias, Streit mit Justus Menius 50, 7
* Flemmer, Johann, Pfarrer zu Hennefeld, Brief von
Fischer, Christoph 1590 51
* Forster, Heinrich, Schösser des Stifts Altenburg,
Quittung von Maior, Georg 1544 6
* x Johann, Brief an Bürgermeister und Rat
von Kitzingen 1546 54
Franz I., König von Frankreich, eine Finanzverfügung 1529 11
Freder, Johann II. 17,2
Frickelshausen im Hennebergischen, ev. Pfarrei 1559 48
* Friedrich d. Weise, Kurt. v. Sachsen, Brief an Philipp
Grafen zu Solms 1508 58
Friedrich, Herzog zu Braunschweig u. Lüneburg,
Helmstädter (7) Stammbucheintrag 1588 (s. Joachim
Karl) 681
Frobenius, Johann 55
* Callus, Nikolaus, Brief von Osius, Hieron. 52
* Garbitius, Matthias, Brief von Camerarius, Joachim 1555 31
* Gerbel, Nikolaus, Brief an Camerarius, Joachim L, 1541 34
Gochsheim, Schulze von | 59
Goldstein, Kilian 4, 3; 6, 4
* Göde, Henning, Schuldverschreibung v. Mart. Luther 1515 65
Gotha, Kirchenkasten der Pfarrei 25
Groß-Germersleben, protest. Pfarrei 1558 69e
Gugel, (Christoph ?), zum Kreise des Joachim
Camerarius in N MOS gehörig 38,7
Halic, Georg 31,1
Hameln, Superintentur 1575 16
65
* Harstall, Georg v. Brief von Johann Friedrich d.
GroBm. v. Sachsen 1550 60
Hartung, Nikolaus, Pastor zu Groß-Germersleben, Helm-
städter Stammbucheintrag 1588 69e
* Hedio, Caspar, Brief an Capito, Wolfgang (1524) 55
* Helling, Moritz, Brief von Lechner, Jae. 1558 50
Helmstüdter u. Jenenser Stammbuch des Heinrich
Borcholt(en ?) 68
* Henneberg, Georg Ernst Fürst zu, Br. v. Menius,
Justus 1552 24
* Henneberg, Georg Ernst Graf zu, Gisabessbek eundi 63
Henneberg, Veit Ulrich Truchsess v., Jenenser Stamm-
bucheintrag 68i
* Wilh. IV., Graf zu, Brief v. Johann d.
Bestünd. v. Sachsen 59
* Heshusius, Thilemann, Brief (an Herzog Johann
Wilhelm v. Sachsen) 1572 66
Hofmann, (Christoph?) 47,3
Honoricus, Georg, Helmstädter Stammbucheintrag 1588 69 b
Jena, Lateinschule 1549 39
Jenenser u. Helmstädter Stammbuch des Heinrich Borcholten 68
Joachim Karl, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg,
Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Friedrich) 68 k
*Johann d. Beständige, Kurf v. Sachsen, Brief an
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg 1518 59
* Johann d. Beständige, Brief von Myconius, Friedrich, 1530 35
* Johann Friedrich d. Grofmtütige, Kurf. v. Sachsen,
Brief an Eberhard v. d. Thann u. Georg v.
Harstall 1550 60
* Johann Friedrich d. Großmütige, Brief von Johann
Stigel 1549 39
„Ratschlag“ zur
"Befreiung des: aus kaiserlicher Haft 60
* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Wolfgang,
Fürsten v. Anhalt 1552 62
* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Menius, Justus 1548 66
m „ Kirchenpolitik 1559 61,5
* (Johann Wilhelm, Herzog v. Sachsen), Brief von Hes-
husius, Thilemann (1572?) 66
Arehiv für Beformationsgeschichte. XIX, I. 5
66
* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von
Menius, Justus 1548 26
* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von
Wolfgang, Fürsten v. Anhalt 1552 62
* Jonas, Justus d. A., Brief von Maior, Georg 1542
„ „ „ Biographisches 6,3
* Joveus (?), Jacob, Superintendent in Hameln 1516,
Brief von Chemnitz, Martin 16
Irenaeus, (Christoph?) 52,2
Karl V., Balkanpolitik 1533 38b, 8
Katzenelnbogen, Obere und Niedere Grafschaft, Kirchen-
visitation 1528 29
Keyser, Hans, ehemaliger kursächsischer Hofkoch 35
* Kitzingen, Bürgermeister u. Rat v., Brief von Forster,
Joh., 1546 54
* Kraft, Adam u. Gen., Visitationsvollmacht von Philipp d.
| Großm. v. Hessen 1528 29
KreB v. Kressenstein, Christoph, Ratsherr in Nürn-
berg 1535 20, 2; 91,2
Kuepacher, Kanzleiverwandter des Kaisers Ferdinand L,
. 15623 10
* Lechner, Jakob, Brief an Helling, Moritz 1558 50
: „ Ubersiedelung nach Nürnberg
1558 50, 4,5
Leipold, Johann, aus Kitzingen, Stud. theol. 1546 54
Leutzdorfer, Konrad, Prokurator d. Stifts Altenburg 1544 5
Lickfett, Johann, aus Marienau in Preußen, Helm-
städter Stammbucheintrag 1588 69d
Livland, Einfall der Russen 1555 31,6
* Lorbeer, Johann, Abt des Klosters Riddagshausen,
Brief von Chytraeus, David 1582 17
* Lotich, Peter II., Brief an Neustetter, Erasmus,
gen. Sturmer 1557 56
Ludwig XII., König v. Frankreich, als Schuldner des
Prinzen von Orenge 11
* Luther, Martin, u. Gen., amtl. Schreiben an Johann
Friedr. d. Großm. 1539 43
* Luther, Martin(?), Autobiographische Daten 65
WA „ Schuldverschreibung an Henning Göde
1515 65
* „ Stammbucheintrag 1544 14
* Luther, Martin, brieflicher Scherz mit Conrad Cordatus
Mai, Michael, Pedell in Wittenberg, Stammbucheintrag
1561
* Maior, Georg, Brief an Baumgartner, Hieron. 1529
* » » » n » 9 1534
* o» n n 5 á » 1535
* o» " „ (1546)
EP » Quittung an Forster, Heinrich 1544
a „ Brief an Jonas, Justus 1542
; „ geplante Übersiedelung nach Nurn-
berg 1546
» „ (zum Majoristischen Streit)
n „ Plarrgehalt in Wittenberg 1544
n „ Stammbucheintrag 1571
2 us „ II., Stammbuch 1560—1562
„ Johann
» „ Lemnica Carmina
Marienau in Preußen ^
~ Matthesius, Joh., Brief an Camerarius, Joachim 1556
* Matthias, Thomas, Brief von Sabinus, Georg (15577)
Meienburg, Michael
us Johann, aus Nürnberg, Widmung v. Eber, Paul
= Schluß eines Briefes an
E u. Rat v. Nürnberg 1543
* Melanchthon, Phil. L, u. Gen., amtl. Schreiben an Joh.
Friedr. d. GroBm. 1539
" " » » Abwesenheit von Witten-
berg, Mürz 1552
" „ Reise nach Zerbst (1546)
„ IL, (1596 7)
Memmius, Conrad, Helmstädter Stammbucheintrag 1588
* Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, Fürsten zu
Henneberg 1552
Brief an (Gregor Brück?)
»
n
„ Streit mit Flacius lllyricus, Matthias
„ beteiligt bei einem „Ratschlag“ zur
Befreiung des Kurfürsten Joh. Friedrich d. Großm.
aus kaiserlicher Haft 1552
5*
24
25
„ „ andoh. Friedr. d. M. v. Sachsen 26
50,2
60,4
68
Meurer (Wolfgang?) 33,2
Michel N., in Neustadt a. O. gefangen 46
* Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim i536 36
Monthaborn (?), Christoph, englischer Gesandter in
Deutschland 1533 32a, 5; 32b, 3
* Musculus, Wolfgang, Brief an Ampelander, Wolf-
gang 1551 44
* Mieyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36
W „ Ablehnung eines Rufes an die Univ.
Tübingen 1536 36
* Myconius, Friedrich, Brief an Joh. d. Beständig., 1530 35
m Amtstätigkeit in Gotha 25,1
Myusing v. Frundeck, Heinr. Albrecht, Helmstädter
Stammbucheintrag 1588 68h
Nachtenhofer, Lorenz | 55
* Neustetter, Erasmus, gen. Sturmer, Brief von Lotich,
Peter IL 1557 56
* Nürnberg, Bürgermeister u. Rat v., Brief v. Melanchthon,
Phil. L 1543 19
Nürnberg, Meldepflicht von Todesfällen beim Rat, ge-
legentlich der Pest 1633 32a, 8
š Pest in, 1533 32a, b fl.
» Steuer bei Immobilienverküufen 1533 20,3
Orenge, Fürst von, als Gläubiger des Königs Ludwig XIL
von Frankreich 11
Osiander, ( ), Diener des Joachim Camerarius(?) 32 a, 1
* Osius, Hieron, Brief an Gallus, Nicolaus 62
* Oettingen (?), Ludwig d. J. Graf von, Brief von Sturm,
Jacob 1547 45
Petkum, Joh. v., aus Hamburg, Helmstädter Stammbuch-
eintrag 1589 69a
Peucer, Kaspar 47, 2; 50, 6
Pfarrgehalt des Georg Maior in Wittenberg 1544 5
Pforzheim, Fürstentag 1559 61,.
* Philipp d. Grom., Landgraf v. Hessen, Visitations-
vollmacht für Adam Kraft u. Gen. 1528 29
Plankwald, Jobst, in Antwerpen 32a, 9
Podolien, Woiwode von, Machinationen mit dem
Türken 1533 32b, 8
— . TE
* Praetorius, Abdias, Brief an Camerarius, Joachim 1559 37
* Rasch (?), Martin, in Hamburg, Brief an einen
baltischen(?) Herrn 1685 67
Mag. Reudenius, Ambrosius, Prof. in Jena (Amts-
antritt 1572) 66
Reichardt, Valentin, Witwe des Gothaer Pfarrers 26
Rheinstein u. Blankenburg, Ernst Graf v., Helmstädter
Stammbucheintrag 1588 68c
Martin Graf v., desgl. 68b
Riddagshausen b. Brexuselwele: Kloster 17
" Katalog der Aebte 17,4
Riga, Belagerung dureh die Russen 1555 31,6
Rindfleisch (Buocretius) Daniel, Helmstüdter Stamm-
bucheintrag 1589 68n
Rolinger, Johann, Mag. Physicus 51,7
* Romanus, Michael, ev. Pfarrer in Frickelshausen, Brief
an Wolfhart, Barthol, 1550 48
Rosa, Johann, Mag., Prof. in Jena, Tod des, 1572 66
Röting (Michael L?) 50,6
n ( » 1 50,6
» Stammbucheintrag Wittenberg 1560 64,1
* Rüdinger, Earom, Brief an Camerarius, Joachim L, 1657 47
" „ Stammbucheintrag ( 15
» ” 50,6
Ruwe, Kraft, hessischer Visitator 1528 29
* Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog v.
Preußen) 1553 21
* „ an Matthias, Thomas (15577) 28
Schaller, Hieron. „Wittenberger Stammbucheintrag 1561 64,11
Schauenburg, Adolf Graf zu, etc., Wittenberger Stamm
bucheintrag 1560 64,4
Scheggius (Jacob?), zum Kreise des Joachim Camerarius
gehörig 31,6
Schellhammer, Joh., Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,2
Schmalkaldischer Krieg, Anfangsbewegungen der kaiser-
lichen Truppen 45,4
Sehnerrer, Joh., Wittenberger Stammbucheintrag um 1560 64, 13
Schntirlin, Joh., aus Preußen, Helmstädter Stammbuch
1588 ff. 69
10
* Sourff, Hieron, u. Melanchthon, Phil., Brief an Bürger-
meister u. Rat von Neustadt a. O. 1627 46
Sehweden, Bündnispolitik 1633 32b, 6f.
Schwenter, Adam, aus Zellheim, f 1558 als Student in
Wittenberg 10
Sootus ( ), Professor an der Universität Frankfurt 1559 37,1
Seld, Georg Sigismund 10
* Sichard, Joh., Br. an Camerarius, Joachim 38
- „ Kommentar zu Genesis u. Exodus 38,9
Stibarus, (Daniel?) 38,1
Dr. Simon, () 17,3
Dr. Sitzinger, kurpfälzischer Kanzler 1559 61,11
*Solms, Philipp Graf zu, Brief von Kurf. Friedrich d.
Weisen 1508 58
* Starschedel, Dietrich v., Brief an Johann v. Tauben-
hain 1531 49
:*Stigel, Joh., Brief an einen ernestinischen Fürsten 40
r = „ „ Johann Friedrich d. Großm. 1549 39
Straßburg, Akademie, leidet 1541 unter der Pest 34,4
z Verhandlungen mit dem Kaiser 1547 (Sohmal-
kald. Krieg) 45,3
Strigel, Victorinus, Mag., Lehrer an der Jenenser Latein-
schule 1549 39,1
* Sturm, Jacob, Brief an Ludwig d. J., Grafen von
Oettingen (?) 1547 45
„ Joh., eine Ausgabe der Reden des, 1541 geplant 34,2
Sturmer s. Neustetter
Salzer, (Simon) 44,3
Sygler ( ), (jüdischer?) Getreidehändler in Dresden 49,2
* Taubenhain, Joh. v., Brief von Starschedel, Dietrich v.,
1531 49
* Tetelbach, Joh., Brief ohne Adr. (1554?) 51
* v, d. Thann, Eberhard, Brief von Johann Friedrich
d. GroBm. 1550 60
Thannhausen, Jacob v., Jenenser Stammbucheintrag 1586 68 d
" Sigismund v., desgl. 68e
Thurn, Franz Graf v., Kaiserl. Gesandter nach Kur-
sachsen 1559 61,1 f.
Türken, Baugelder und Nothilfe zum Krieg wider die, 1562 10
71
Vaughan, Stephan, englischer Gesandter in Deutsch-
land 1533 32a, 5; 38b, 3
Vergerius, Paulus, als Württembergischer Gesandter
nach Preußen 1557 28
Weiters, Jost v., hessischer Visitator 1528 29
Wigand (Joh.?) 62,9
Windruvius, Peter, Mag. 17,5
Wittenberg, Universität, Bestehen akademischer
Prüfungen 1550 48,4
á lästige Einquartierung 1552 41,2
* Wolfgang, Fürst von Anhalt, Brief an Johann Friedrich
d. M. und Johann Wilhelm von Sachsen 1552 62
* Wolfhart, Barthol, Superintendent in Schleusingen,
Brief von Michael Romanus (1550) 48
Worms, Religionsgespräch 1540 22
Zirler, ( ) 56
Zwingli, Ulrich, Enkel des Reformators 44,1
Jeder Urkunde ist bei der Bearbeitung eine hand-
schriftliche Inhaltsangabe beigefügt worden, nach der
die Verwaltung des Melanchtonhauses bei Anfragen von
auswärts jeweils vorläufige Auskunft geben kann.
Notwendige Ergänzungen zu vorstehendem Verzeichnis
wird eines der folgenden Hefte bringen.
Mitteilungen.
Neuerscheinungen.
Mit gewandter Hand entwirft K. P. Hasse ein für weitere
Kreise bestimmtes farbenreiches Bild vom deutschen Humanismus
(„Die deutsche Renaissance I. Teil: Ihre Begründung durch den
Humanismus“), Das Buch hat vor L. Geigers Darstellung besonders
den Vorsug strafferer Zusammenfassung und größerer Abrundung
voraus. Der Standpunkt des Verf. ist jedoch allzu einseitig vom
humanistischen Ideal bestimmt, so wenn er Luther als einen kultnr-
feindlichen Barbaren zeichnet und dem (tief unter Nikolaus von Kues
gestellten) Melanchthon, dem er es nicht verzeiht unter die Theologen
gegangen zu sein, jegliche Orginalität des Geistes schlechthin abspricht.
Ein 2. Band soll die „Ausgestaltung der Renaissance durch Denker,
Forscher und Künstler“ behandeln. Meerane i. S, E. R. Herzog
489 S. Mk. 20.—.
Herausgeber (O. Clemen) und Verleger (O. Harrassowitz) der
1907 bis 1911 in 4 Bänden erschienenen Sammlung ,Flugschriften
aus den ersten Jahren der Reformation" haben sich entschlossen, die
Sammlung fortzusetzen als ,Flugschriften aus der Refor-
mationszeit", also in weiterem Rahmen. Es sollen auch Flugschriften
aus den vorbereitenden humanistischen Fehden, ebenso aus der Zeit
vom Bauernkriege bis zu Luthers Tode und dem Schmalkaldischen
Kriege Aufnahme finden. Die ersten vier unter Mitarbeit von
A. Goetze von O. Clemen mit gewohnter Sorgfalt besorgten,
mit Einleitung und knappen Erläuterungen versehenen Lieferungen
enthalten zwei anonyme lutherische Augsburger Schriften von 1521
(Weller, Rep. typogr. 1996 und 1997), den Ludus Sylvani Hessi
(A. Corvinus) in defectionem G. Wicelii ad Papistas von 1534 und ein
anonymes Wittenberger Epitaphium des ehrwürdigen . M. Lutheri
von 1546. Die Ausstattung ist vortrefflich; die Facsimile-Reproduk-
tionen auf imitiertem alten Büttenpapier geben die Originale einschließ-
lich der bildlichen Zutaten in denkbar treuester Art wieder und bieten
eine Grundlage für mannigfache Unter suchungen der Texte. Leipzig
Harrassowits 1921.
Erfreulicher Weise kann bereits die dritte Auflage des 1. Bandes
von O. Scheel, Martin Luther angezeigt werden. Verf. hat
den Text sorgsam durchgesehen, ohne Grund zu wesentlichen
73
Änderungen zu finden; die Anmerkungen dagegen sind um 15 Seiten
angewachsen infolge der Auseinandersetzung des Verf. mit der neuesten
Literatur, insbesondere mit Benary, zur Geschichte der Stadt und
Universität Erfurt (S. 805—807) und A. V. Müller, Luthers Werdegang
u. a. (S. 392 fl.) Tübingen, Mohr 1921 VIII, 840 S., M. 60.
In „Der große Wormser Reichstag von 1591“
herausgegeben zur 400jährigen Gedächtnisfeier im Auftrage des Frei-
herr]. Paares Heyl zu Herrnsheim, bewegt sich P. Kalkoff auf
seinem eigensten Gebiet. Er wendet sich hier an den größeren Kreis
der Gebildeten, denen er zuerst die geschichtliche Bedeutung des
Reichstags im allgemeinen verständlich macht, um dann dessen Verlauf,
soweit es sich um die lutherische Frage handelt, in gedrungener,
fesselnder Darstellung zu schildern. Den ganzen Hergang rückt Verf -
unter den Gesichtspunkt des Kampfes zwischen der romanischen
Staatskunst, die in Karl V. und den Päpstlichen verkörpert erscheint,
und dem deutschen Geist; erringt jene — durch den Erlaß des ver-
fassungs widrigen Wormser Edikts — zunächst einen Scheinerfolg, so ist
der wahre Sieger nichts desto weniger der durch Luther befruchtete
deutsche Geist. Darmstadt, Joh. Waitz, 109 S., M. 25.
Em.Hirsch „Die Theologie des Andreas Osiander
und ihre geschichtlichen Voraussetzungen*, hellt zunüchst an der
Hand der frühesten Schriften des O. dessen Werde- und Bildungsgang
zum reformierten Theologen auf, wobei sich Beeinflußung durch Reuch-
lin, besonders aber durch Luther herausstellt. Weiter wird unter-
sucht, in welchen Punkten und unter welchen Einflüssen O’s. Theologie
später Umbildungen erfahren hat; wobei Verf. nachweist, daß mittels
gewisser entlegener Studien und absonderlicher Liebhabereien des O.
einige Ideen des Picus von Mirandula und aus der Kabbale, im
besonderen dem Sohar, bei ihm Eingang gefunden haben und nun
zusammen mit den Reuchlinischen Spekulationen über das Wort eine
Art Weltanschauungshintergrund für das reformatorische Evangelium
bilden. Von dieser Grundlage aus werden endlich die Probleme des
Osiandrischen Streits aufs neue gewürdigt (Rechtfertigungslehre,
Frómmigkeit, Gottesbegriff) und die theologiegeschichtliche Bedentung
des Streits entwickelt. Als Beigaben folgen eine Untersuchung über
die mißglückte Berufung nach Tübingen (1584) und bibliographische
Nachträge, endlich Abdrücke der Vorrede O's zu Copernicus de
revolutionibus (1548), eines antiosiandrischen Chorals und Mörlins erster
Eintrachtsformel. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, VIII.
296 S. 1919 M. 15.
Das Ein- und Durchdringen des Evangeliums in der kleinen
fránkischen Stadt Windsheim, wie es Joh. Bergdolt in ,Die
freie Reichsstadt W. im Zeitalter der Ref. (1590— 1570)" schildert, zeigtzwar
wesentlich den gleichen Verlauf wie in zahlreichen anderen Gemein-
wesen; gleichwohl folgt man der Darstellung des Verf., die auf
breiter archivalischer Grundlage in das Leben und Treiben des ober-
74
dentschen Bürgertums jener großen Tage einführt, mit lebhafter Anteil-
nahme. Auch fehlen nicht die eigentümlichen Züge, besonders in der
Teilnahme hervorragender Persönlichkeiten wie Jakob Appels und des
ehemaligen markgräflichen Kanzlers Georg Vogler. Ferner fallen vou
hier aus Streiflichter auf die Politik der Stadt Nürnberg, des Hauptes
der fränkischen Städte, mit der Windsheim das engste Einvernehmen
unterhielt. Unter den neun archivalischen Beilagen ragt Nr. 1, der
Windsheimer Ratschlag von 1524, hervor. — Quellen u. Forsch. z.
bayr. KG. herausgeg. von H. Jordan V. Leipzig, A. Deichert XIII, 305 S.
In dem Helden seines Buches „Wolf Dietrich von
Maxirain und die Reformation in der Herrschaft Hohen-
waldeck“ entwirft W. Knappe ein ansprechendes Lebens- und
Charakterbild eines mannhaften, ausdauernden Bekenners evangelischen
Glaubens, der freilich vergebens gegen ein unentrinnbares Schicksal
stritt, indem er zusehen mußte, wie das Bayern der Herzöge Albrechts V.
und Wilhelms V. mit übermächtiger Gewalt die Gegenreformation in
Hohenwaldeck durchführte. Verf. bat sich bemüht, überall den größeren
Zusammenhang, in erster Linie mit der bayerischen Politik, aufzu-
suchen und somit im Bahmen der Geschichte Wolf Dietrichs und
seiner Herrschaft ein Zeitbild aus der 3. Hülfte des 16. Jahrhunderts
zu geben. Die Arbeit beruht auf den einschlägigen Akten der
bayerischen Archive. Quellen u. Forsch. s. bayer. KG. herausgeg. von
H. Jordan IV., Leipzig, Deichert 1920 V., 151 S., Mk. 19.—.
Ein Werk deutschen Fleißes und deutschen Idealismus ist die
„Einführung der ReformationinLiv-, Estund Kurland“
des baltischen Historikers Leonid Arbusow d. J., ein Werk
dessen Vollendung dem VRG. zu danken ist (über die Entstehungs-
geschiche und die zu Grunde liegenden Materialien s. das Vorwort):
Nicht eigentlich aus Deutschland eingeführt, aber durch das dort
gegebene Beispiel in dem kerndeutschen baltischen Bürgertum ent-
facht, ist die baltische Ref. hernach in das Fahrwasser der Witten-
berger gelenkt und endlich unter deren Einfluß ausgebaut
worden. Verf. verfolgt die Entwicklung im einzelnen bis etwa 1588.
Iu der breiten und anschaulichen Ausmalung des Einzelverlaufs verliert
er doch die größeren Zusammenhänge nicht aus dem Auge. Sehr
lesenswert ist auch die ausf. Einleitung: Livland am Ausgang des
Mittelalters. — Quellen und Forsch. zur RG. herausgeg. vom VRG. III.
Leipsig, Heinsius 1991 XIX. 851 S., Mk. 70.—.
A. L. Veit, Kirche und Kirchenreform in der
Erzdiözese Mainz im Zeitalter der Glaubensspaltung und der
beginnenden tridentinischen Reformation 1517—1618 (—.Erl. u. Erg.
zu Janssen G. d. d. V. X. 3), Herder, Freiburg i. Br. 1920 XIII, 98
S., Mk. 25.— und Zuschläge —, beruht großenteils auf den bisher noch
unbenutsten Mainzer Akten des Kreis- und des Bischöfljchen Ordinats-
archivs in Würzburg; auch wird ein sehr inhaltreicher Bericht dee
Nuntius Frangipaui über Verhandlungen mit Erzbischof Wolfgang
75
von Dalberg von 1575 aus dem Vat. Archiv verwertet. Verf. betrachtet
getrennt die Stellung der Erzbischöfe, der Geistlichkeit und des
Volkes. Leider wird die Verdienstlichkeit seiner Arbeit durch eine
das Maß der Zulässigen bei wissenschaftlichen Schriften überschreitende
konfessionelle Einseitigkeit und Gehässigkeit gegen alles, was mit dem
Protestantismus zusammenhängt, beeinträchtigt.
H. Preuss, Dürer, Michelangelo, Rembrandt,
2. Aufl. Leipzig, Deichert 1921, 58 S., kl. 4° (= Lebensideale der
Menschheit I). In den drei genannten Künstlern erblickt Preuss drei
bestimmte Typen menschlichen Geisteslebens überhaupt, insbesondere
des religiösen. In Dürer kommen die Eigentümlichkeiten des deutschen
Volkes am reinsten zur Darstellung: Tiefe des (Geistes, sonniger
Humor, Freiheit des Gedankens, Ehrung des Alltags, innige Frömmig-
keit. Noch mehr bedeutet es, daß Dürer künstlerisch vom Mittelalter
zur Reformation kam, vom Stil der Unruhe der Sündenerkenntnis
zum Stil der Ruhe des reformatorischen Hochgefühis. Daß D. sich
der Reformation Luthers anschloß, war selbstverstündlich; er hatte sie
in seinem neuen, schon 1517 erschienenen Christusideal, das aus dem
Jesus der zürtlich schwachen Minne und dem Christus der blutenden
Anklage den Jesus Christus des Glaubens, männlich und stark und
erbarmend, den „lieben Herrn Christus“ Luthers, machte, gleichsam
vorausverkündigt. Neben dem Protestantismus steht bei Dürer jedoch
die Renaissance, beide feiern in seinem letzten Werk eine programm-
mäßige Synthese; die vier Apostel sind ebenso lutherisch wie
antikisch. — Bei Michelangelo verfolgt Preuss, wie, ohne daß er sich
von der katholischen Kirche förmlich löste, das Schwergewieht seinor
Frömmigkeit sich nach der evangelischen Seite des katholischen Un:-
kreises verlegt; seine Dichtungen und letzten plastischen Werke
künden ein geläntertes Christentum. In Rembrandt endlich erkennt
der Verf. einen der frühesten Vertreter des modernen Spiritualismus
(,Individualspiritualismus*), R. steht auf der Linie, die sich vom
Objektiven, geschichlich Gegebenen loslöst und den Menschen ganz auf
sich selbst stellt.
L. Raitz v. Frentz S. J., Der ehrwürdige Kardinal Rob.
Bellarmin, in der Sammlung „Jesuiten, Bilder großer Gottes-
streiter“ zum 300, Todestag B’s (+ 17. Sept. 1621) erschienen, ist ein
Erbauungsbuch für Katholiken. XIV, 230 S., Freiburg in Br. Herder 1921
Mk. 24.—, geb. Mk. 80.— mit Zuschlag.
Aus Zeitschriften.
Allgemeines. G. Wehrung, Reformatorischer Glaube
und deutscher Jdealismus (Studien z. sysemat. Theol. Festgabe f.
Th. v. Häring S. 187—225) zeigt gegen Tröltsch und Anhang, welche
76
gewaltige Arbeit die Reformation für die Heraufführung der Neuzeit
geleistet hat und wie sie noch heute als kraftspendende Macht nebea
dem deutschen Idealismus steht (vgl. G. v. Below in HZ. 125 5.355 —857).
C. Fabricius Vom Luthertum zum Sozialismus
versucht die Verbindungslinie zu ziehen, die diese beiden Erscheinungen
der Geschichte durch die Jahrhunderte hindurch mit einander ver-
bindet. Dem Verf. ist der Soszialist, der sich mit der gesamten
Menschheit zu vereinigen trachtet, um in ihrem Schofe von über-
mäßiger Arbeit auszuruhen, der weltliche Erbe des Lutheraners, der
sich nach vergeblichen Mühen um Werkgerechtigkeit der für alle
Menschen bestimmten göttlichen Gnade in die Arme wirft. Harnack-
Ehrung S. 434—450.
Den Ursprung, die Vorbereitungen und die ersten Kundgebungen
der Reformation (bis 1528) stellt unter besonderer Berück-
sichtigung des Anteils Frankreichs (Lefévre) und der Niederlande
N. Weiß im Bnll. de la Soc. de l'hist. du prot. francais 66 (1918)
S. 178—282 dar. — Derselbe erörtert ebendort 8. 97—126 unter dem
Titel „L’ origine et les étapes historiques des droits de l'homme et
des peuples^ den Einfluß der Reformation auf die individuelle
uud kollektive Freiheit. i
Aus den Ergebnissen der bibliographischen Aufnahmen der
„Kommission zur Erforschung der G. d, Ref. und Gegenref.“ beginnt
K. Schottenloher im ZblBw. 88 „Beiträge zur Bücher-
kunde der Reformationsseit" mitzuteilen, Er verbreitet
sich über Joh. Lobmeyer von Würzburg und seine Druckwerke
(1518—1525), den Landshuter Drucker Joh. Weissenburger (1513—36),
den Rechtsgelehrten Leopold Dick als Publizisten (a. a. O. S. 20—88);
ferner tiber Stephan Agricola als Übersetzer des Schwäbischen
„Syngrammas“, eine versteckte Abendmahlschrift Micharl Kellers von
1525, die Evangeliensummmarien Pseudo- Luthers und ihren Heraus-
geber Kaspar Bruschius (1544) und über Nik. Gallus den jüngeren
(a. a. O. 67—78).
Aus seltenen reformationsgeschichtlichen Druck-
schriften (der Dresdner Landes- und der Zwickauer Ratsschulbibl.)
teilt in ZKG. 89 (NF II) S. 88—92 O. Clemen mit 1. einen bisher
unbemerkt gebliebenen Brief des Justus Jonas von 1553 an den
als Professor der griechischen Sprache in Jena 1560 verstorbenen
Johann Langer, Sohn des gleichnamigen ersten Koburger
Superintendenten; 2. ein judicium von Melanchthon und ein
Gedicht von Erasmus Alber (aus einer Schrift von Joh. Winnigstedt,
Pfarrer zu Quedlinburg „wider die Kirchendiebe" von 1560) und
3. zwei Flugschriften Amsdorfe („Quod Italia sit barbara terra“ etc,
und „Der Bapst, Bischoff und Cardinel die rechten Ketzer“ etc.).
Als Subjekt der Rede in der Augustana stellt F, Katten-
bus ch, gestützt auf die Anfangsorte „ecclesiae magno consensu apud
nos doent" „ecclesiae apud nos“ fest: ThStK. 98 (1920/21) S. 115 f.
77
O. Clemen untersucht in ZHV. Niedersachsen 86, 1/2 S. 24—81
ein Neujahr 1546 erschienenes anonymes Schmähgedicht auf den
gefangenen Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig, besonders
dessen Abhängigkeit von Luthers bekanntem Brief vom 19. Des, 1545
und der ,Wahrhaftigen Contrafaktur Hs. H.s" von 1541 (Schade,
Satiren I 80 fl.).
Vom Mennonistischen Lexikon herausgeg. von Chr.
Hege und Chr. Neff (vgl. diese Zeitschr. XVI. S, 123) sind 1921
die Lieferungen 9 und 10 (Dachser — Duchoborzen) erschienen
8. 381—480. Besondere Beachtung verdient der sorgfültig gearbeitete
Artikel Hans Denk (S. 401—415) von Neff; vgl. ferner: Deutche
Theologie, Deutsches Reich, Adam, Franz und Siegmund von Dietrich-
stein, die Mürtyrer Dirks und Hans Donner, Dreieinigkeit.
Luther. Über die Lutherforschung des letzten
Jahrzehnts erstattet Preserved Smith in der Harvard
theological Review XIV, 9 (April 1921) S. 108—185 einen gedrängten,
sehr reichhaltigen kritischen Bericht. Neben deutschen sind ameri-
kanische, englische, französische, holländische, italienische usw.
Erscheinungen herangezogen. Dem Verf. des Berichts selbst dankt
die rfgachtl. Forschung außer anderen Beiträgen insbesondere die Hervor-
ziehung von jetzt in Philadelphia befindlichen Befurmatorenbriefen
(Harvard th. R. 12; vgl. HZ. 120, 2 S. 370).
In Weiterführung seiner früheren Versuche, das Bestehen
einer schola Augustiniana im Mittelalter zu erweisen, deren Lehren
dann in Luther neues Leben erhalten hätten, sucht V. A. Müller
zu zeigen, daß der sel. Simon Fidati aus Caacia (} 1348), Mitglied des
Augustinerordens, Luther in entscheidender Weise beeinflußt habe:
Una fonte ignota del sistema di Lutero (Il beato Fidati da Cascia e
la sua teologia) = Bilychnis 1921 Nr. 2.— (94 S.).
Die ThStK. geben das Heft 3/4 (1920/21) des Jahrg. 98 als
drittes Lutherheft (Lutherana III) heraus. Den größten Raum
nimmt ein: Der Gottesgedanke in Luthers Römerbriefvorlesung von
Fr. W. Schmidt (S. 117—248); ferner untersucht O. Albrecht
8. 249—977 Mathias und Andreas Wanckels Sammlungen Lutherscher
Buch- und Bibeleinzeiebnungen (auf Grund von V. E. Loeschers
Umschuld. Nachrichten 1712) unter Abdruck von zwei bisher unbe-
kannten Stücken, die Matthias W. aufbewahrt hat. Sodann setzt sich
A. V.Müller mit E. Hirsch über Luthers Eintritt ins Kloster (vgl.
Lutherana I und II) auseinander (S. 278—285); den Schluß machen
swei Mitteilungen von O. Clemen: „ein Zeugnis für die frühen
(bis 1520 zurückgehenden) Beziehungen zwischen Holland uad Witten-
berg“ (S. 286—293) und „Lutber und die Rüge der Sorbonne gegen
Cajetan“ (8.2941—304) auf Grund eines von Cl. aufgefundenen Witten-
berger Druckes von 1534, dessen im Wortlaut mitgeteiltes Nachwort
er Luther zuschreibt.
78
Aus den Veröffentlichungen der Wittenberger Luthergesell-
schaft führen wir an den Beitrag des Ephorus der Lutherhalle
J. Jordan Zur Geschichte des Lutherhauses nach 1564 L Die
Lutherwohnstube (Jahrbuch der LG. II/III. 1920/21 8. 109—185);
das von G. Buch wald susammengestellte „Lutherkalendarinm für 1621“
(Mitteil. der LG. 1921, III S. 9—15); P. Althaus, Luther auf der
Kanzel, Beobachtungen über die Form seiner Predigt (ebenda
S. 17—94); G. Loesche, von Luthers Biographen [bis zu Joh.
Mathesius) (ebenda S. 56—63). Dazu kommen die Flugschriften 2
SJ. Jordan, Luther und der Bann in seinen und seiner Zeitgenossen
Aussagen); 8 (= H. Boehmer, L. und der 10. Dez. 1520, SA. aus
Lutherjahrbuch II/III, 48 S.; vgl. diese Zeitschr. XVIII S. 56);
4 (—J. Jordan, L. und der Btg. su Worms nach seinen eigenen
Zeugnissen, 62 8).
Über Luthers Kirchenbegriff im Hinblick auf die gegen-
wärtige kirchliche Krisis setzen sich E. Foerster und E. Troeltsch
in ZThK. 28 (NF I) S. 108—198 auseinander.
Luthers Ringen um das Gesamtverstündnis des 8. Artikels
behandelt J. Meyer in NkZ. 81 S, 859—976.
Den Charakter des kleinen Katechismus Luthers bestimmt
W.Bornemann dahin, daß L. in diesem Buche undogmgtisches
praktisches Christentam biete, und zwar nicht zufällig, sondern
bewußt absichtlich, einen richtigen Instinkt mit genialer Intaition
verbindend: Harnack-Ehrung S. 268—988 — Ebendort 8. 981—991
untersucht A. Köster die Frage nach der Spannung zwischen der
Ethik Luthers und der des syooptischen Jesus. — Endlich handelt
a. a. O. 8. 202—307 H. Mulert von dem Kirchenbegriff der
lutherischen Reformation auf Grund des Artikels 7 der AC. (ecclesia
est congregatio sanctorum, in qua evangelium recte docetur).
Luthers Stellang zur Frage der Pfarrbesoldung untersucht
H. Steinlein in Nkirchl. Z., Aug. 1921 8. 438—450. L. betrachtete
eine ausreichende Pfarrbesoldung als nicht un Lebensbedingung
für Kirche und Evangelium.
In den „Kirchenmusikalischen Blättern“ Jahrgang 2 (1921) Nr. 8
(„Lutherheft“) bis 19 widmet H. Steinlein eine eingehende
beachtenswerte Untersuchung der Frage: Ist das Lied „Ein feste
Burg“ schon1521 entstanden?, die er verneint, um, hauptsächlich auf
das Schrifttum Luthers gegründet, ala Entstehungsseit die Mitte des
J. 1528 wahrscheinlich zu machen.
Joh. Ficker, Hebräische Handpsalter Luthers (SB
Heidelb. AkdW. philos.-histor. Kl. 1919, Abh. 5, 81 8.) legt die
Rolle dar, die in Luthers Besitz der „Danziger“ und der „Frank-
furter“ Psalter, besonders bei der Bibelübersetsung, gespielt haben,
Mit zwei Tafeln.
79
Persönliches. Einige Bemerkungen zu den von Lemmens
(„Aus ungedruckten Franziskanerbriefen“) verwertetea Briefen
Augustins von Alfeld, des bekannten Luthergegmers, macht
Fr. Loof s in ZVKG. Prov. Sachsen 18 8. 21—26.
I. Wehrmann stellt in den Monatsbl. der Ges. f. Pom.
G. u. A. Nov. 1918 S. 41—43 die Nachrichten über den Aufenthalt
des Herzogs Barnim XI in Wittenberg (1518—1520) kritisch
susammen und würdigt kurz die Wirkungen dieses Aufenthalts für
die spätere kirchliche Haltung Barnim».
Den Reformator von Pyrits in Pommern Faustinus Blenno
(1487—1561) schildert Haß im Pyritser Kreisblatt vom 80. und
81. Oktober 1517.
G. Bossert, Brenz und die Ritterschaft (Bl. f. Württ. KG.
NF. 95 S. 70—74) zieht aus einem Pasquill von 1523 (Ein Gespräch
eines Fuchs und Wolf... auf dem Steigerwald, bei Schade, Satiren
und Pasquillen S. 60—72) beachtenswerte Schlüsse auf die Parteiungen
in der Reichsritterschaft und Brenz (Predigers in Hall seit 1522)
Stellung dazu.
Drei Untersuchungen G. Geisenhofs über Antonius
Corvinus behandeln die Frage des Universitütsstudiums des C.,
die genaue Zeit seiner Geburt und seinen Beinamen Zythogallus:
ZGes. Nieders. KG. 1921 S. 26—140.
Das Jahrb. der philos. Fak. der Univ. Halle-Wittenberg für 1920,
Abt. I, S. 45— 47 gibt Auszug aus der Dissertation von Curt Wulkau
über das kirchliche Ideal des Johann Eberlin von Günzburg nach
dessen Predigten und Schriften.
In einer Abhandlung über „Erasmus und die Clevischen
Kirchenordnungen von 1532/33“ geht J. Has hagen den &uBeren
Beziehungen des E. zur Clevischen Kirchenreform und seinem direkten
wie indirekten Einfluß auf die Kirchenordnungen nach. Die Unter-
suchungen des Verf. rücken letztere in den breiteren Rahmen der
Geschichte des allgemeinen vorjesuitischen Reform- oder Kompromiß-
Katholizismus. Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 181— 2*0,
Ein von ihm in der Wolfenbütteler Bibliothek handschriftlich in
einer oberdeutschen Bearbeitung aufgefundenes, zweifellos ursprünglich
niederdeutsch abgzefaBtes Lied des 16. Jahrhunderts, das angeblich
von Herzog Ernst dem Bekenner von Braunschweig-Lüneburg
herrührt und sicherlich seiner Auffassung der Reformation entspricht,
veröffentlicht P. Zimmermann in der überlieferten Form und in
niederdeutscher Übersetzung im Braunschweiger Magazin 1921 Nr. 5;6
S. 25—29,
Im 4. seiner „Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrich UI.
von der Pfalz“ unteraucht A. Hasenclever das Zustande-
kommen der Vermählung des Pfalzgrafen mit Dorothea von Dänemark,
der Nichte des Kaisers (1535), unter dem Gesichtspunkt der habs
80
burgischen Politik und bespricht die Folgen dieser Verbindung für
das Verhältnis zwischen Friedrich und Karl ZG. Oberrh. NF. 86
8. 259—994.
Der Versuch L. Theobalds, das bekannte Wort Frunds.
bergs auf dem Wormser Rtg. als unhistorisch nachzuweisen, kann
auch wenn andererseits sich dessen Geschichtlichkeit nicht einwandfrei
erweisen läßt, als gelungen nicht gelten, BBK. 27,4 S. 187—161.
In Harnack-Ehrung S. 308—316 untersucht H. Becker „Zur
Charakteristik Herzogs Georgs von Sachsen als kirchlicher
Schriftsteller“ die Abhandlung „Widder Luthers Trostung ann die
Christen zu Hall vber er Georgen yhres Predigers todt,“ die einzige
der unter Georgs Namen gehenden Schriften, von der der Orginal-
entwurf — von Georgs Hand — vorliegt
Einige Notitzen über den Nürnberger Exdominikaner Gallus
Korn gibt O. Clemen in BBK. 27,4 S. 166—168.
Simon Lemnius als Lyriker behandelt G. Ellinger in
Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 221—233. Eine wilde unge-
bündigte Natur mit heißen Trieben und leidenschaftlichem Begehren
verkörpert Lemnius den Grundzug der neulateinischen Dichtung, der
Individualität wieder zu ihren Rechte verholfen zu haben, in unye-
wöhnlicher Stärke, freilich auch in abstoßender Weise.
Auf Melanchthons Reise zum Wormser Kolloquium von
1557 bezieht sich L. Kraft „Phil. Mel. in hessischem Reisegeleit“ in
Beitr. z. hess. KG. » A. f. Hess. G. u. A, NF. Erg. Bd. VII, 3 S. 445 f
Carla Weidemann behandelt in ZD. Philol. 48 S. 935 — 268
Stephan Roth als Korrektor unter dem besonderen Gesichtspunkte
zu zeigen, wie R. in dieser Tütigkeit der Verbreitung der Luther-
sprache gedient habe,
Aus der Gothaer Bibl, druckt in den Mitteil. d. Vereinigung f.
Gothaische G. u. A. 1921 S. 1—20 R. Ehwald den Bericht des
Hans von Sternberg, eines der Haupttrüger reformatorischer Be-
strebungen in Franken, über seine Palüstinafahrt (1514) und Rechnungen
und Dokumente über die Reise der Beauftragten Kurf. Johanns von
Sachsen nach Valladolid zu Ka. Karl V (1527) mit Erläuterungen ab.
Das Andenken des volkstümlichen, lutherischen Predigers Gregor
Strigenitz, geb. 1548 in Meißen, t ebendort 1603, Predigers dort
und in Wolkenstein, Weimar, Jena, Orlamünde, Verfassers von mehr
als 50 weit verbreiteten Predigtbänden, erneuert F. Blanckmeister
iw Mitt. VG. Stadt Meissen X. 3, S. 263—973.
In den Mansfelder Bll. 33 S. 88—94 stellt P. Flemming
die dürftigen Nachrichten über Dr. Val. Vigelius, den Nachfolger
des C. Güttel als Superindendent in Eisleben (1542— 15416) zusammeft,
und gibt Listen der Rektoren dort 1525—1546 uud Notizen zu
Lehrern nach 1510,
(Schluß folgt im nächsten Heft.)
Druck von C. Schulse 4 Oo., G. m. b. H., Gräfenhainichen.
Das Rätsel der Gothaer Luther-
Handschrift A 402 und seine Lösung.
Ein Beitrag zur Tischredenforschung.
Von J. Haußleiter.
(Schluß).
Unter diesen Umständen erregt ein Sonderstück von
Farrago, in dem das Ego des Tischgesellen begegnet, be-
sondere Aufmerksamkeit. Ich teile zunächst das Stück mit;
es lautet auf fol. 99, das lauter Ergänzungsstücke enthält, ulso:
„In libris (rof) regum steht vil seltzams dings.
Videntur esse libri simplices secundum carnem, aber in
Spiritu sindt sie gros. Es hat der liebe David vil mußen
leiden, der Saul hat jn wol XXX gantzer jar geplagt, aber
ipse credidit ad se regnum pertinere, darauff ist er constanter
blieben. Ich hett in die bruch (= in die Hosen) geschießen
vnd wer davon gelauffen und hette gesagt: Herr, du leugest,
sal (= soll) ich konig sein vnd sal also gemartert werden?
Es wirt auch den Saul sehr confirmirt haben ille successus.
Aber David steht wie eirie maur, isí daneben ein from man,
wil die hand nicht an den konig legen uud hets doch wol
konnen thun, quia habuit verbum. Wenn sie verbum hatten,
so schlugen sie drein. Dem folgte Munster (= Münzer),
sah, das David, Mose, Abraham vnd andere drein schlugen.
Ja, es ist ein ander ding factum, aliud persona. Das erste
ist verbum, das macht personam. persona macht das factum.
Darumb gings jm auch also. O es ist ein gros ding, quando
persona habet verbum, darauff thut sie alles. |
Tum alius (rot): David hatte Jonathan lieb, es muß ge-
wis ein frommer man gewest sein. Ej espondit (rot): Ja freilich
wars ein from man, non sine fide etiam, Videbat regnum
ad Davidem pertinere. Darumb bat er jn, er wolt in vnd die
seinen nicht ausrotten. Fecit etiam miracula Jonathan, do
Arehiv für ReformaHoosgeschishte XIX. 2 6
82
er mit seinem waffentreger vber den bergk steigk vnd schlug
jr allein vil philister, dixit apud se: Der Gott, der mit vilen
vberwindt, kan auch durch mich allein vberwinden. |
Tum ego (rot): Attamen misere periit. Respondit (rot):
Ja, so mus der fromme oft in ecclesia des bösen entgelten,
wart doch Gottes sohn nicht vorschonet. Hoc maxime miror
in historia Davidis, quomodo potuerit esse tam crudelis,
quod Saulis reliquias adeo prorsus iusserit extirpare“
(vgl. dazu 2. Sam. 31, 5—9).
Merkwürdig ist die Einreihung des Stückes in den
31. Abschnitt: De sanctis patribus post apostolos. Der Ab-
schnitt beginnt f. 97 mit dem Hinweis auf doctores et patres
wie Augustinus, Hieronymus, Hilarius, Ambrosius, Bonaventura
und geht auf fol. 98b bis zu Johannes Huß vorwärts. Aber
die sechs Stücke auf fol. 99 haben weder mit der Überschrift
des Abschnitts eine Berührung noch unter sich einen Zu-
sammenhang. Das erste Stück ist der kurze Satz: „Brevi-
tatem et perspicuitatem kann ich nicht also zusammenbringen
sicut Philippus et Amsdorffius“ (= Nr. 3173 b). Dann folgt
unser Stück; die letzten Stücke handeln vom Undank der
Israeliten gegen Moses (= Nr. 6063 in.), vom Zeichen des
Jonas in seiner Anwendung auf Christus (Nr. 3705), von Esau
und Ismael (Nr. 5692) und von dem Schmerz Adams nach
dem Fall (Nr. 5475). Man kann annehmen, daß der Schreiber
auf eigene Faust diese Gruppe hier eingereiht hat, da in
der Vorlage, die er abschrieb, ihre Verteilung auf bestimmte
Abschnitte nicht angegeben war. So erklärt es sich dann
auch, daß die Worte „Tum ego“ stehen geblieben sind.
Der richtige Ort für das Davidstück wäre im 72. Abschnitt
De regibus Israel fol. 361 gewesen, wo mehrfach von David
gehandelt wird. Am Schluß von fol. 99b stehen die Worte:
Plura fo: 469. In der Tat wird dort der Abschnitt von
„den heiligen Vätern“ (wie Bernhard, Gerson, Bonaventura asw.)
in richtiger Weise fortgesetzt (fol. 469—470b).
Das Sonderstück von David, das in keiner andern Hand-
schrift, auch in keiner der Sammlungen Lauterbachs be-
gegnet, hat Aurifaber aus Farr. übernommen; wir haben die
Vorlage für Nr. 7003 (FB. 4, 427— 60, 28) gefunden. Nun
verblüfft hier zunüchst die Wiedergabe des Satzes: Tum ego:
83
Attamen (Jonathan) misere periit mit den Worten: „Darauf
sagte M. Antonius Lauterbach: Er ist aber gleichwohl jämmer-
lich umkommen.* Nun kann aber keine Rede davon sein, daß
Lauterbach, dessen Sammlungen nach ganz anderer Sach-
ordnung eingeteilt sind, hinter Farr. steht; aber auch eine
nachlässige Herübernahme des Ego-Stückes aus einer dritten
Sammlung ist ausgeschlossen!) Wir können eben keine
andere Niederschrift des .Stüokes nachweisen. Hier redet
also wirklich der Sammler von Farr. Aurifabers Text er-
klärt sich aus der Flüchtigkeit seiner Arbeitsweise. Weil
die meisten Ego-Stücke in den Zwischenreden auf Lauter-
bach zurückgehen, nahm er es ohne weiteres auch von diesem
Stück an“). Aurifaber las ja mitunter so flüchtig, daB er
dem Melanchthon (in Nr. 4016 — aus Lauterbachs Tage-
buch auf 1538) eine höhnische Äußerung über die kirchliche
Trauung von Eheleuten mit Gebet zuschrieb; er hatte in
seiner Vorlage, in der als Urheber jenes Wortes D. Pist.
d. h. Doctor Pistoris (Kanzler Georgs des Bärtigen von 1525/39)
genannt war, das Wort Pist. als Phil. gelesen und so den
Melanehthon mit einer Äußerung belastet, die jeder auf-
merksame Leser nur mit Kopfíschütteln betrachten kann
(vgl. FB. 4, 53—43, 33).
!) Bei genauer Durchsicht der Handschrift fanden sich noch
folgende Ego-Stellen in Farr., von denen indes keine Sondereigentum
der Handschrift ist:
fol. 202, vgl. Nr. 868 (I, S. 498, Z. 6, Anm. 10): Dixi ego et
Forstenius; Z. 11, Anm, 18: Ad haec ego Anto,nius adieci.
fol. 907, vgl. Nr. 2724b (II, S. 617 Z. 3): Deinde dixit ad me
Antonium. An beiden Stellen wird also ausdrücklich Antonius
Lauterbach als Gewährsmann bezeichnet. Zwei andere Stellen gehen
auf Veit Dietrich zurück: fol 222 b, vgl. Nr. 45 (I, S. 16 Z. 1):
Ibi cum dicerem, und. fol 293, vgl. Nr. 3222 b (III, S, 228 Z. 27):
Ita vidi saepissime D. L. deambulando. — Endlich findet sich in einer
in den Dezember 1537 fallenden Tischrede (aus A. Lauterbachs uud
H. Wellers Nachschriften) der Satz: Postea nobis dixit — fol. 199b;
vgl. Nr. 3650b (III, S. 482 Z. 82), Aurifaber hat den Satz über-
nommen: ,Darnach sagte er, D. Luther, uns“ (ebenda S, 488 Z. 18f.).
Die Wendung: Ibi cum diceremus (I, S. 75 Z. 4) ist auch in Farr.
f. 115 stehen geblieben.
*) Das ist auch andern Sammlern begegnet. Von der eben an-
geführten Außerung Veit Dietrichs Nr. 45 (I, S. 16 Z. 1): Ibi cum
dicerem, heißt es in der Sammlung Ebummer: Ibi cum diceret Antonius.
ar
84
Aurifaber reiht das Sondersttick von David in seinen
. 60. Abschnitt ein „von Patriarchen und Propheten“ und bringt
es als 28. (letztes) Stück. Auch sonst hat er für dieses
Kapitel unsere Handschrift reichlich benutzt. Die Stücke
Nr. 19—23 (FB. 4, 499—424) haben in bunter Reihe die
Überschriften: 19) Von Hiob und David, 20) Von Adam,
81) Von Jakob, 22) Von Hagar, Abrahams Kebsweib,
23) David ein Rhetor. Die Vorlage für diese fünf Stücke
in der gleichen Reihenfolge findet sich Farr. fol. 463—464.
Die Stücke 21) und 23) stehen überhaupt in keiner andern
Tischredensammlung (vgl. W. A. VI, S. 317, Nr. 7000 u. 7001).
Dem Hiob-Stück Nr. 19 geht in Farr. und ebenso in Heyden-
reichs Nachschriften (V, S. 243, Nr. 6564) ein größeres Hiob-
Stück voraus, daß Aurifaber übergeht. Das Adam-Stück
(Nr. 20) schließt bei Aurifaber ebenso wie in Farr.; bei
Heydenreich ist ein Ausspruch über die Genesis hinzugefügt,
den Farr. auf fol. 465 nachtrügt (V, S. 200, Nr. 5505). D
Stuck von Hagar (Nr. 22) zerfällt in zwei Teile; für den
ersten Teil findet sich in der Münchener Handschrift Clm. 943,
118 eine entfernte Parallele (V, S. 327, Nr. 5714); aber
Aurifabers Wortlaut stimmt mit Farr. fol. 464, wo auch die
Vorlage für die zweite Hälfte des Stückes steht. So ist kein
Zweifel darüber möglich, daß Aurifaber wirklich aus der
Handschrift Farr. geschöpft hat.
V.
Es muß der Versuch gemacht werden, unter den uns
bekannten Tischgenossen Luthers den Sammler von Farr.
herauszufinden. Der Versuch ist aussichtsreich, da Aurifaber
in der Vorrede seiner Tischreden-Ausgabe unter seinen
Quellen alle Tischgenossen nennt, deren Bücher, Colloquiorum“
er benutzt hat; es ist nicht anzunehmen, daß er den Sammler
von Farr. übergangen hat, dessen handschriftlichem Bande
er so zahlreiche Stücke entnommen hatte. Die Reihenfolge,
in der vielleicht der Stürkegrad der Benutzung sich aus-
drückt, ist folgende: M. Antonius Lauterbach, M. Veit
Dietrich, M. Hieronymus Besold, auch M. Johann Schlagin-
hauffen und M. Johannes Mathesius, item M. Georg Rörers
Bücher, auch M. Jobann Stolsii und M. Jacobi Webers ge-
85
schriebene Collectanea Colloquiorum, endlich Aur’fabers
eigene Aufzeichnungen (W. A. VI, XV; FB. 4, XXII). Die
Auswahl ist nicht groß; man könnte vielleicht noch. den
von Mathesius in seiner Beschreibung der Tischgesell-
schaft genannten M. Kaspar Heydenreich hinzufügen (Historien
von Luthers Anfang usw., die 12. Predigt, Ausgabe von
G. Loesche, 2. Aufl, 1906, S. 275). Heydenreich war, wie
Kroker annimmt, in den Jahren 1542 und 1543 (bis
24. Oktober) Tischgenosse im schwarzen Kloster, und die
Reden aus dieser Zeit treten in Farr. besonders hervor.
Nun findet sich aber fol. 269b —270b ein Trostbrief Luthers
ad Casparum Heidenreich (vom 24. April 1545; Enders XVI
209, Nr. 3505); wer so innerhalb der Sammlung eingeführt wird,
scheidet als Sammler aus. Lauterbach und Veit Dietrich
werden in Farr. öfters erwähnt (z. B. fol. 200b = Nr. 3143b
Lutherus ait Antonio, vor den Worten W. A. III, S, 188
Z. 6—14; fol 190 — Nr. 3464m: Antonius Lauterbach
dixit Luthero; fol. 24 — Nr. 750 (vgl. Nr. 373): Magister
Vitus interrogavit dialectice usw.) Überdies liegen ihre
und des Mathesius Sammlungen in besonderen Handschriften
vor. Auch Sehlaginhauffen und Rörer werden genannt
(z. B. fol. 259 Luthlerus ad Schlaginhauffen: Esto bono
animo efe, — Nr. 1288 in.; fol. 47 Magister Georgius Rorer
orabat etc. = Nr. 3591). So fällt alles Gewicht auf den
von Aurifaber an dritter Stelle aufgeführten M. Hierony-
mus Besold; indem wir ihn nennen, haben wir zugleich
die Lösung des Rätsels auf dem Buchdeckel in der Hand.
Die Buchstaben M.B. scheinen nichts anderes bedeuten zu
sollen als Magister Besold. Man könnte zwar an dem
Fehlen des Vornamens Anstoß nehmen, der damals noch
fast wichtiger war als der Familienname, Aber Besold
redet in seinen Briefen doch nicht nur von M. Georgius
(Rörer) oder M. Hieronymus (Schreiber), sondern gelegent-
lich auch von M. Agricola, M. Floceus, M. Vogel, M. Auri-
faber, M. Reischacher usw. (Archiv f. Ref, Gesch 13. Jahr-
gang, S. 89, 93, 112, 117, 120, 165, 170 und 185). Vielleicht
kommen die in den Buchdeckel eingeprügten Buchstaben
M. B. überhaupt lediglich auf Rechnung des Nürnberger
Buchbinders.
86
Wir sind über diesen treuen Schüler der beiden
Reformatoren, namentlich durch seine 33 Briefe an Veit .
Dietrich während der Jahre 1541—1546 (meist aus dem
sog. Manusor. Thomasianum veröffentlicht von O. Albrecht
und P. Flemming im 13. Jahrgang des Archivs für Ref.
Gesch. 1916 S. 81ff., S. 161ff) und durch die zahlreichen
(37) Briefe Melanchthons an ihn (im Corp. Ref) sehr genau
unterrichtet. Eines Kürschners Sohn aus Nürnberg, bezog
er etwa 17jährig im Sommer 1537 die Universität Witten-
berg (Album I S. 166); zu seinen Nürnberger Lehrern hatte
Joachim Camerarius gehört. Am 26. März 1542 erlangte
er durch Rörers Vermittlung Zulassung zu Luthers Tisch
und blieb nun Tischgenosse im schwarzen Kloster bis zum
33. Januar 1546, d. h. bis zu Luthers letzter Reise nach Eisleben.
In Wittenberg hatte er am 31. Januar 1544 die Magister-
würde erworben und war auch am 18. Oktober 1545 in das
Kollegium der Artistenfakultät aufgenommen worden (Köstlin,
Bacc. und Mag. III, 15. 22). Nach Luthers Tod siedelte
er in Melanchthons Haus über, kehrte aber nach Ausbruch
des Schmalkaldischen Krieges am 2. November 1546 nach
Nürnberg zurück. Dort war er gleichzeitig im Schul- und
Kirchendienst tátig; mit der Zeit nahm er eine Art Super-
intendentenstellung ein. Am 30. Januar 1548 heiratete er
Osianders Tochter Katharina. Ihre Mutter war schon 1537
gestorben; den Trostbrie, den damals Melanchthon an
Osiander gerichtet hatte (10. August 1537; vgl. Corp.
Ref. III 405—407, Nr. 1602) nahm Besold in seine große
Sammlung auf (Farr. fol. 278b— 279). Ganz besonders
verdient machte er sich nach Veit Dietrichs Tod durch
Vollendung der Ausgabe von Luthers Genesisvorlesung,
deren letzte Teile er selber gehört und nachgeschrieben
hatte; Teil II, III und IV erschienen in den Jahren 1550,
1552 und 1554. Im Jahre 1551 stellte er aus seinen
reichen Sammlungen, den eigenen und denen der Genossen,
den großen Band Farrago zusammen.
Sein Briefwechsel ist noch nicht vollständig gesammelt.
In der reichen handsehriftlichen Sammlung der Camerarii
der Münchener Staatsbibliothek befinden sich neun Besold-
Briefe (sieben an seinen Lehrer Camerarius aus den
87
Jahren 1554—1558, einer an dessen Sohn Joachim 1558, einer
an Johannes Heß 1551) Wir erfahren aus diesen Briefen,
daß der Pfalzgraf Wolfgang, Herzog von Zweibrücken und
Nenburg, ihn 1557 zur Feststellung der Zweibrückener
Kirchenordnung und 1558 zur Kirchenvisitation in Zwei-
brücken heranzog. Zu letzterem Dienst entschloß sich der
bescheidene Mann (,tennitatis meae mihi conscius^) nur
auf Zureden des Zweibrückener Kanzlers Sitzinger. Julius
Ney in seiner Schrift über den Pfalzgrafen Wolfgang (Verein
für Ref. Gesch., 1911, Schrift 106/107) erkannte in dem
Nürnberger Pezold nicht unsern Besold (vgl. S. 115 Anm. 47).
Während er sich früher Besold oder Besolt schrieb, erscheint
in den Briefen der Jahre 1557 und 1558 nur die Schreibung
Hiero. Pesolt. Ende Juni 1562 wurde er Prediger an
S. Lorenz, starb aber bereits Anfang November 1562 "m
der Pest (Archiv Bd. 13, S. 81—86). —
Unter den Tischreden Aurifabers, für die bisher noch
keine Vorlage nachgewiesen werden konnte, befindet sich
eine, in der Aurifaber ausdrücklich Besold erwähnt. Es ist
Nr. 6586 (VI, S. 58 — FB. 1,285). Die Rede lautet: ,Von
dem Abgott Moloch redete Anno 1540 D. Luther (wie es
M. Hieronymus Besold seliger fleißig hat aufgeschrieben),
daß die hl. Schrift des Molochs oft gedächte, und daß Lyra
und der Juden Commentarii sagten, daß es wäre ein Abgott
gewesen aus Kupfer und Messing gemacht wie ein Mensch,
das die Hände hätte fur sich gehalten, darin hätte man
glühende Kohlen gethan. Wenu nu das messinge Bilde gar
heiß wär worden, so sei ein Vater hinzu gangen, hab dem
Abgott geopfert und sein eigen Kind genommen, es in die
glühenden Hände des Abgotts gelegt; da ist denn das Kind
also zuschmolzen. Indeß haben sie mit Glocken und Zimbeln
geklängelt und geläutet und mit Hörnern geblasen, daß die
Aeltern des Kindes Geschrei nicht höreten. Dawider schrien
nu alle Propheten, sonderlich Jeremias. Und schreiben die
Propheten, daß Ahab (I) hab seinen Sohn also geopfert
(vgl. 2. Kön. 16, 3). Im 106. Psalm steht auch davon.
Dieses ist Alles aus der Meinung geschehen und herkommen,
daß sie gedacht haben: Ei, soll ich unserm Herrn Gott
Opfern, so will ich ihm etwas Köstliches opfern, was soll
88
ich ihm ein Kalb opfern? Ich will ihm meinen eigen Sohn
opfern!“
Es hat doch den Wert einer Probe aufs Exempel, wenn
sich herausstellt, daß die Hauptvorlage für diesen Abschnitt
in einem Sonderstück von Farr. zu finden ist. Das Stück
lautet auf fol. 53:
„Traducere per ignem heist wie Achas thet (2. Kön. 16, 3),
der ein gnedigen Gott wolt haben, es were Gott lieb oder
leid, opfferte seine kinder. Lira schreibt, das sie haben ein
bild gegoßen vnd das vol kolen gethan vnd die kolen an-
gezundet, wanın nhu das bild gar ist erhitzet gewest vnd
gluend, haben sie das kind dem Molach jn die arm gelegt
vnd also laßen braten. O das war ein heiliger Gottesdinst!
Damit aber die eltern vagitum puerorum nicht mochten
boren, ut flecterentur ad misericordiam, hatte man zimbeln,
damit richten sie einen klangk an, ne posset exaudiri. Das
hieß demn dem Molach geopffert.“
Mit diesem Stück verband Aurifaber Ausführungen, die
in dem ja auch von dem „fleißigen“ Besold herausgegebenen
tomus quartus der Genesisvorlesung (zu 1. Mose 42, 38 —
vgl. W. A. Bd. 44, S. 522 Z. 3—16) zu lesen waren. Dort
findet sich aufer dem Hinweis auf Lyra und Künig Ahas
die breite Schilderung des ohrenbetüubenden Lärmens
(sacerdotes crepitacula, tintinabula et tympana pulsabant,
ne parentes pueri morientis clamorem exaudirent) und die
Anführung von Psalm 106, 37f, sowie des Propheten
Jeremias.
Das von Aurifaber willkürlich genannte Jahr 1540
muß preisgegeben werden. Da Luther im Oktober 1543
(vgl. Heft 1 S. 20) beim 36. Kapitel der Genesis stand,
fällt die bei Kapitel 42 gegebene Ausführung tiber den
Molochdienst in den Lauf des Jahres 1544.
VI.
Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung wird durch
mancherlei Beobachtungen bestätigt, die wir an dem Inhalt
von Farr. machen können. Es ist lehrreich, einzelne Sach-
abteilungen mit der gleichen Uberschrift bei Aurifaber und
Besold zu vergleichen, um die ganz andere Orientierung des
89
Stoffes und die verschiedene Auswahl der Stücke zu erkennen
Es soll im folgenden Aurifabers 62. Kapitel „Tischreden.
von Kriegen“ (FB. 4, 437—447) mit Besolds 76. Abschnitt:
De bello (fol. 377—383 ter) verglichen werden.
Aurifabers elf Stücke haben einen sehr bunten Inhalt.
Er läßt Luther davon reden, daß man durch Verräterei viel
in Kriegen ausriehte (Nr. 1), daB Geschtitze ein grausames
Instrument und Teufelswerk seien (Nr. 2) Dann ist die
Rede vom Krieg um Mailand und dem Vorzug der deutschen
Kriegsknechte vor den spanischen (Nr. 3), weiterhin daf.
der Krieg Gottes größte Strafe sei (Nr. 4 — Bellum omnium
poenarum est maxima — Nr. 6268) Er wird mit einem
goldenen Hamen verglichen, mit dem man beim Fischen
nicht viel gewinnt (Nr. 5), die varia arma populorum werden
aufgezählt (Nr, 6 — — Nr. 3752). Die nächsten Äußerungen.
(Nr. 7 und 8) fallen in die Zeit des Frankfurter Konvents 1539;.
wir sollen wider den: Krieg bitten; causam habemus.
iustissimam, sed proh dolor! ingrati et mali (sumus), ita
ut Deus visitet pios cum impiis (Nr. 4482). Von Julius
Cäsars Schlachten und vom Unterschied zwischen Simsons
und Cäsars Mut handeln Nr. 9 und 10. Den Schluß (Nr. 11).
bilden Mitteilungen aus einem langen, in vortrefflicher
Niederschrift erhaltenen Gespräch Luthers und Melanchthons.
über die bedrohlichen Tagesereignisse, das am 11. April 1542
bei dem Abschiedsessen gehalten wurde, das Mathesius in
Crucigers Haus gab (Nr. 5428). Die Stoffe, die Aurifaber
hier vereinigt hat, entnahm er zumeist Lauterbachs Tage-
büchern. Auch hier nehmen wir wahr, wie er gern bei
einer Quelle verweilte und mehrere Stücke aus ihr schöpfte..
Im Unterschied von Aurifabers planlos zusammen-
gewürfelter Karte zeigt Besolds Abschnitt vom Krieg eine
durchaus einheitliche Konzeption. Es ist nur von zwei.
Dingen die Rede, vom Türkenkrieg und von der Wurzener
Fehde d. h. von dem drohenden Zusammenstoß des Kur-
fürsten Johann Friedrich mit dem jungen Herzog Moritz um
des Stüdtehens Wurzen willen, das der Kurfürst besetzt
hatte, weil der Bischof von Meißen sich weigerte, die für
den Türkenkrieg ausgeschriebene Steuer an den Kurfürsten
abzuliefern; da Hoheitsrechte über Wurzen standen im.
90
Streit. Diese beiden Dinge standen im Frühjahr 1542 im
Vordergrund des Interesses und bildeten gerade in der Zeit,
als Besold seit dem 26. März Luthers Tischgänger wurde,
des Tagesgespräch. Die starken Eindrücke jener Wochen
spiegeln sich in den sechs Stücken ab, die Besold in dem
Kriegskapitel vereinigt hat.
Besold hatte erfahren, daß Luther einem Edelmann,
der wider die Türken zog, auf dessen Bitte einen Ratschlag
aus heiliger Schrift mitgegeben hatte, den dann jener im
Wamms unter dem Harnische mit sich führte. „Ein krieger
sol sich Gott befehlen vnd die zwey große heiligthumb jns
hertz faßen. Das erste den glauben, credo, das ander das
Vatervnser. Hiemit ist er gnug gerust geistlich, er sterbe
oder bleib lebendig“. Besold verschaffte sich eine Abschrift
des Briefes vom 14. August 1541 „An Georg Waise,
Kammerdiener“ und teilt sie als erstes Stück fol. 377—377b
mit. Der Abdruck bei Enders (XIV 50, Nr. 3036) erwähnt
diese älteste Niederschrift nicht; sie muß für die Ausgabe
der Briefe in der kritischen Gesamtausgabe verglichen werden.
Zum Anführer des Reichsheeres wider die Türken war
Kurfürst Joachim IE. von Brandenburg ernannt worden. Schon
vor zehn Jahren, als er noch Kurprinz war, war er zum
Hauptmann des niedersächsischen Kreises „wider den leidigen
Tyrannen, den Türken“ bestellt und hatte damals (am
3. August 1532) einen Geleitbrief Luthers empfangen
(Enders IX 216, Nr. 2021). Jetzt ersuchte er die Refor-
matoren um ihre Fürbitte und Gebet für den Feldzug. Luther
antwortete am 17. Mai 1542 (Enders XIV 265, Nr. 3147).
Beide Lutherbriefe, den vom Jahr 1532 „an den jungen
Marggrafen Joachim“ und den von 1542 „An Marggraff
Joachim, Churfurst“ teilt Besold als 2. und 3. Stück mit
(fol. 377b—378b und fol 379—380). Es sind dié ältesten
Niederschriften, die wir kennen, und darum ist ihre Ver-
gleichung notwendig. | g
Das nächste Sttick (fol. 380— 381 b) beginnt: „Anno 1542,
11. aprilis. Phi li Mp us (rot): Ey, Her Doctor, es ist ein bose
wetter itzund vnd ein vnfletige luff Luther (rot): Ja, denn
es scheidet sich itz erstlich winter vnd sommer. Phili pus
(rot): Es wirt aber nicht gut wetter sein fur arme landts-
91
knecht, die itz zu felde liegen. Luther (rot): Wer kann
dafur, warumb fahen vnsere fursten ein solch spil an?“ Es
folgen Abschnitte des langen Gesprüchs, die vortrefflich die
Stimmung in Wittenberg wührend der drohenden Wurzener
Fehde wiedergeben (Nr. 5428; V, S. 133 Z. 9 —135 Z. 22 und
S. 138 Z. 14—34). lm tibrigen bringt es die Sachordnung
in Farr. mit sich, daß das Gesprüch in sieben Abschnitte
zerlegt ist, die auf das 76., 51., 41., wieder 76., 39., 82. und
.97. Kapitel verteilt sind.
Nur in diesem Stück trifft Besold mit Aurifaber zu-
sammen, der ja hier auch nur ein Fragment des Gesprüchs
mitteilt. Im nächsten (Nr. 5) greift er noch einmal auf den
Türkenkrieg zurück und bringt eine Äußerung Luthers (Ende
März 1532), in der er angesichts der ungeheuren Übermacht,
mit der die Türken zu Felde ziehen wollten, auf Gott hin-
weist, der, wie er einst das zahllose Heer der Äthiopier
(Kuschiten) auf das Gebet des jüdischen Königs Asa (914—
874) niederschlug (2. Chron. 14, 10ff.) und das Heer der
Assyrer vernichtete (Jes. 37; vgl. 2. Könige 19, 35), so auch
mit diesen stolzen Gesellen streiten und ihren Hochmut
dämpfen werde. Das Stück entspricht der Tischrede Nr. 2548b
aus der Sammlung des Konrad Cordatus; es ist von Aurlfaber
im 75. Abschnitt „vom Türken“ in eine aus vielen kleinen
Stücken zusammengesetzte Ausführung hineingearbeitet worden
(FB. 4, 651 — 75, 1).
Das letzte Stück des Abschnittes De bello — ein Nach-
tragsstück — bildet einen Glanzpunkt der Handschrift Farr.
(fol. 381b—383 ter); um es ganz aufzunehmen, wurden nach
Bl. 383 zwei ungezühlte Blätter eingeschaltet. Weiteren
Kreisen isí der Inhalt dieses Stückes erst durch die groBen
Gesamtausgaben bekannt geworden. Es erschien 1558 im
8. Band der Jenaer Ausgabe (VIII, 40) und 1559 im 12. Band
der Wittenberger Ausgabe (XII, 225). Keine der zahlreichen
Brief- oder Tischreden-Handschriften Luthers enthält das
Stück. Es läßt sich aber der erwünschte Nachweis führen,
-da und wie gerade Besold frühzeitig zur Kenntnis dieses
Stückes gekommen ist.
Das Stuck trägt f. 381b die Überschrift: „D. Marti: Luth:
mißive an Churf. vnd Hertzog Moritz zu Sachßen, des fürge-
92
nohmen krigs vor Wurtzen.“ Es ist Luthers offenes und
strenges, zugleich auch derbes und ktihnes Mahnwort (vom
7. April 1542) an die beiden Fürsten, Frieden zu halten
(Enders XIV 227—232, Nr. 3125). „Selig seindt die frid-
fertigen, denn sie sollen Gottes kinder heißen, Mathei am 5.
(V9). Ane zweiffel widervmb wirts heißen: Vermaledeyet
sein die friedheßer, denn sie mußen des Teuffels kinder
heißen“ Z. 35— 38. (Die späteren Drucke haben das Wort
„triedhesser“ in „Friedbrecher“ geändert) Durch das ver-
mittelnde Eingreifen des Landgrafen Philipps von Hessen
wurde das Mahnschreiben überflüssig; es wurde weder an die
Fürsten gesandt noch veröffentlicht. Nur Philipp bekam es
zu lesen, und dem Kanzler Brück tiberschickte es Luther
am 8. April, nachdem es schon zur Hälfte gedruckt war.
Im Marburger Staatsarchiv und im Dresdener Archiv finden
sich die handschriftlichen Zeugnisse. Ein dritter selbständiger
Zeuge ist die Abschrift in Farr. Wie hat Besold Einblick
in das geheime Sehriftetück gewonnen?
Am 10, April gab Besold seinem Nürnberger Gönner
Veit Dietrich in einem höchst interessanten, die ganze Auf-
regung in Wittenberg wiederspiegelnden Brief genauen Be-
richt tiber die Entstehung der Fehde, des subitus tumultus:
„Mein Herr“, sagt Luther, „ist zu hais vor der Stirn“. Aber
schon konnte der Schluß des Briefes melden, daß der Ver-
mittlungsversuch des Landgrafen von Erfolg begleitet sei
(Enders XIV 246—249, Nr. 3134°) und Tischreden V, S. 142 bis
144, Nr. 5428 a). Höchst bedeutungsvoll sind nun die Schluß-
worte des Briefs Z. 100—102: , Scriptum Lutheri ad Mauricium
non potui nancisci celatur enim: sed rogo, ut petas a D.
Crueigero aut M. Georgio (d. h. Rörer), tum describam et
!) Z. 91—94: Sed commode intervenit Landgravius. Is soripsit
ad nostros (an Luther und Melanchthon, 8. April — Enders Nr. 3137 —)
et pollicitus est se daturum operam, ut bona gratia hoc dissidium
componeretur, id qnod Dei benignitate effecit, sed quibus conditionibns,
sane nescio. — Der letzte Satz setzt den szuversichtlichen Brief des
Landgrafen an Luther vom 9. April voraus (= Nr. 8130), den dieser
am 10. April beantwortete (= Nr. 8181). Am gleichen Tag wird auch
Besold nach Nürnberg geschrieben haben. So kann also der Termin
des Briefes (Nr. 8184) statt „Mitte April 1542“ auf den 10, April fest-
gelegt werden,
93
mittam tibi.“ Die Fürsprache Dietrichs bei Cruciger oder
Rörer war nicht nötig; denn schon am nächsten Tag, am
11. April, konnte Besold an Dietrich schreiben: ,M. Georgii
singularem erga me amorem non possum satis praedicare,
qui me complectitur non secus ac filium . . . Dedit mihi
describendum hoc scriptum Lutheri“ (Beiträge zur bayerischen
Kirchengeschichte, 18. Bd., 1912, S. 46)!. So rasch be-
kam also Besold das der Öffentlichkeit entzogene kostbare
Dokument in die Hand, und so schnell ist es in Nürnberg
bekannt geworden. Wir verstehen, daß Besold, als er Luthers
Äußerungen „vom Krieg“ zusammenstellte und sich dabei
der aufregenden Wochen am Beginn der Tischgenossenschaft
mit Luther erinnerte, mit keinem besseren Stück den Ab-
schnitt schließen konnte als mit einer Abschrift des gewaltigen
Mahnschreibens.
Stimmt das Ergebnis, daß M. Besold der Sammler von
Farr. gewesen ist, zusammen mit dem früher schon be-
gründeten Postulat, der Sammler müsse in den Jahren 1542
und 1543 ein Tischgenosse Luthers gewesen sein, so erklärt
sich nun auch die so nahe und enge Beziehung, in der
Farr. zu dem Inhalt des 11. und 12. Abschnittes der Weimarer
Tischredenausgabe, d. h. zu Kaspar Heydenreichs Nach-
schriften aus den Jahren 1542 und 1543 (V, S. 115—274,
Nr. 5379—5603) und zu Besolds Nachschriften aus dem
Jahre 1544 (V, S. 297—314, Nr. 5659—5674) steht. Kroker
gibt an, daß Farr. von den Heydenreich'schen Stücken 120,
von den Besold'schen sechs darbietet (V, S. XXVII und
XXXII); nach meiner Feststellung steigt die erste Zahl auf 139.
Aber diese Scheidung der Heydenreich'schen und Besold'schen
Stücke, bei der Besold viel zu kurz kommt, kann nicht auf-
recht erhalten werden. Kroker hat seine Schlußfolgerungen
aufgebaut auf einer von ihm entdeckten und genau heraus-
1) Das im Archiv f. Ref. Gesch. (18. Jahrgang, 1916, S. 91, Anm. 1)
vorgetragene Bedenken gegen das überlieferte Datum des „11. Aprils“
erledigt sich auf diese Weise. Die heftige Aufregung, die in Witten-
berg seit dem 4. April wegen des Ausbruchs der Wurzener Fehde
herrschte, war im Brief vom 10. April zum Ausdruck gekommen. Sie
brauchte in dem Brief vom 11. April nicht mehr nschzuzittern —
hatte doch dieser Brief die gewichtige Beilage des Schreibens Luthers.
94
. gegebenen Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, die
„Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung“ enthält
(Math. L., Leipzig 1903); sie ist von einem Joachimsthaler
Sehüler des Mathesius, M. Johann Krüginger, geschrieben.
In dieser Handsohrift folgen zwei Abschnitte auf einander,
die hier in Betracht kommen: der Abschnitt S, 177—260
der Handschrift mit der Überschrift: Haec sequentia communi-
cavit mecum D. Matthesius, praeceptor meus, anno 1547.
mense Septembri: Colloquia habita in mensa D. M. L. anno
MD. XLII (a. a. O. S. 349) und ein weiterer Abschnitt der
Handschrift S. 260 — 270 mit der Überschrift: Colloquia anni
MD. XLIIII (S. 335). Es sind hier also nur Jahre, keine
Namen genannt. Mit diesem Befund kombiniert nun aber
Kroker eine Angabe des Mathesius selbst am Eingang der
12. Predigt von Luthers Historien (vgl. oben S. 85), wo unter
den nach ihm an Luthers Tisch schreibenden Männern in
den vierziger Jahren, die ihm ihre Nachschriften zur Ab-
Schrift anvertraut haben, an erster Stelle M. Kaspar Heyden-
reich, an zweiter M. Hieronymus Besold angeführt werden.
Wann Heydenreich (Mag. seit 15. September 1541), den nur
Mathesius als Tischgenossen Lnthers nennt, wührend er von
Aurifaber nicht erwähnt wird, an Luthers Tisch gekommen
ist, wissen wir nicht; wohl aber steht fest, daß er am
24. Oktober 1543 als Hofprediger der Herzogin Katharina
von Sachsen, der Witwe Heinrichs des Frommen, nach Frei-
berg berufen worden ist. Da er also für 1544 ausscheidet,
schreibt ihm Kroker den großen Abschnitt der Reden von
1542 und 1543 zu, so daß dann ftir Besold nur der kleine
Abschnitt von 1544 übrig bleibt (V, S. XXII—XXIV, S. XXXII).
Indes ein grofer Teil der von Kroker dem Heydenreich
zugeschriebenen Tischreden wird auf Rechnung Besolds zu
setzen sein. Das gilt, wie es scheint, schon von den ersten
19 Stücken Nr. 5379 — Nr. 5397, die alle (mit Ausnahme
von Nr. 5387) in Farr. sich finden und dort meist in
besserem Text tiberliefert sind, obwohl der Schreiber sich
manche Flüchtigkeit zu schulden kommen ließ. Kroker
druckt die Stücke nach der Mathesischen Handschrift ab,
gibt aber Varianten von Farr. an. Unter diesen Stücken
befindet sich die schon besprochene Nr. 5386 (vgl. Heft 1
95
S. 20) mit der eigentümlichen zeitlichen Näherbestimmung
einer Äußerung Bugenhagens; hier merkt Kroker mit Recht
an, daß Farr. wohl den ursprünglichen Text besser über-
liefert habe. Ganz besonders lehrreich ist Nr. 5389, wenn
man das Stück mit einer Stelle in dem Brief vergleicht,
den Besold am 11. April 1542 an Veit Dietrich in Nürnberg
geschrieben hat. Es heißt in dem Brief: Ferdinandum
appellabat (Lutherus) calamitatem et pestem Germaniae,
et recitabat vaticinium Erasmi de utroque Ferdinando et
Carolo, qui dixerat: Isti duo pulli dabunt magnum malum
Germaniae. ltem patris Maximiliani, qui intuens genesin
Ferdinandi optaverat eum suffocatum periisse in primo
lavaero. Et addebat (Lutherus): Profecto paternae voces
sunt propheticae (vgl den Text in den Beiträgen zur
bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 18, 1912, S. 46 Z. 4ff.).
Genau den gleichen Inhalt hat Nr. 5389, bis in den wört-
lichen Ausdruck hinein (Farr. fol. 375b bietet nur statt
genesin den Ausdruck genealogiam). Selbst die irrige
Angabe findet sich in beiden Stellen, als sei Maxi-
milian I. der Vater von Karl V. und Ferdinand I. gewesen.
Das Gewicht dieser Übereinstimmung ist so groß, daß
Krokers Bedenken (V, S. XXIII), es müßten sich, wenn
Besold alle diese Reden nachgeschrieben haben sollte, noch
viel mehr Übereinstimmungen mit dem Inhalt der Briefe
finden, das sei aber die einzige in ihrer Art, doch nicht
dagegen aufkommen kann. Die nachgeschriebenen Reden
bilden doch nur einen bescheidenen Bruchteil der Tisch-
gesprüche; es ist recht gut denkbar, daß Besold in den
Briefen an Dietrich sofort aktuelle Äußerungen Luthers
mitgeteilt hat, die er in sein Tischredenheft nicht auf-
nahm. Diese aus den flüchtigen Tischnotizen hergestellten
Hefte hatten es doch in erster Reihe auf solche Aussprüche
Luthers "abgesehen, von denen man sich danernde Belehrung
versprach. Auch diese konnte man nicht sämtlich fest-
halten. Das beweist die reiche Nachlese, die gerade Besold
in der Vorrede zum vierten Teil der Ausgabe der Genesis-
Vorlesung betreffs der Äußerungen Luthers über die
Genesis, über das Evangelium Johannis, über Paulus
usw. gibt — Äußerungen, deren Gesamtinhalt in keiner
96
Tischredenhandschriſt begegnet (vgl. W. A. Bd. 44
S. XXXII f.) ).
Was übrigens die Übereinstimmungen zwischen Besolds
Briefen und den fraglichen Tischreden, insonderheit mit
Farr., betrifft, so sind sie bei näherem Zusehen doch zahl-
reicher, als bisher angenommen wurde, In dem erwähnten
Brief Besolds vom 11. April 1542 geht der Prophezeiung
des Erasmus tiber Ferdinand und Karl der Satz voraus,
daß Luther das Gebet der Kirche für den einzigen Schutz
Deutschlands halte (vgl. a. a. O. S. 46: Unico illo praesidio
austentari res Germaniae propemodum labentis ait, Oratione
Ecclesiae). In den Tischreden finden wir ergänzende Aus-
führungen tiber die Macht des anhaltenden Gebets überhaupt
im Anschluß an Math. 7, 7; auf Nr. 5389 folgt Nr. 5392
(Farr. fol. 295b): ,Oratio hat bisher ecclesiam erhalten,
darumb mus es noch gebetet sein. Darumb sagt Christus:
suchet, bittet, klopfet an! usw.“. Die Türkengefahr, die
1) Zu einem Stück dieser Mitteilungen haben wir eine hand-
‚schriftliche Parallele. Wir lesen Bd. 44 S. XXXII und XXXIII: „Nec du-
bito reverendum virum D. Jastum Jonam pleraque adhuc memoria tenere,
qui huic sermoni interfuit eique occasionem dedit. Forte enim, ex
Salinis Saxonicis Vitebergam expaciatus erat ad D. Lutherumf et
reliquos praeceptores invisendos, cumque eos audivisset in schola de
variis rebus erudite et pie disserentes, narrabat in prandio se ex
D. Philippo audivisse, totam scripturam nihil aliud esse quam certamen
serpentis et seminis, Ad illud subiecit Lutherus: Glaubt jr auch, das
Joannes ein Commentarius sey vber die gantzen Bibel? Paulus auch.
Es ist kein wort, Joannes wolt gern Christum Deum machen. Sacra
scriptura magis urget Filium quam Patrem. Quia tota scriptura est
propter Filium. Ideo plura sunt testimonia, etiam (im Druck falsch
enim) in Veteri Testamento, de Filio quam de Patre. — Den gleichen
Wortlaut der Äußerung Luthers gibt die Tischrede Nr. 5585 (V, S. 262)
wieder, die der Münchener Handschrift Clm. 987, 50 entnommen ist
und dort als eine Nachschrift des Glauchau'schen Pfarrers Bartholo-
mäus Wagner bezeichnet wird. Daß die Rede ins Frühjahr 1548
gehürt, wird durch den Brief Besolds an Veit Dietrich vom 25. April 1548
bestätigt, der diesen Besuch des Jonas erwähnt (,D. Jonas ex Salinis
S huc venit^ — Kawerau, Briefwechsel des Justus Jonas, II, 1885,
S. 101). Noch andere Äußerungen Luthers zu Jonas, 3. B. über die
Nähe des jüngsten Tages, werden in dem Briefe mitgeteilt. Man
‚sieht, daß die Wirklichkeit überall reicher war, als die bruchstück-
weise Überlieferung der Tischreden erkennen läßt.
97
ganze Zeitlage überhaupt erweckte in Luther den Gedanken
an die Nähe des jüngsten Tages. „D. Doctor quotidie
exoptat adventum ultimi iudicii“ — schreibt Besold an
Dietrich am 25. Juli 1542 (Beiträge zur bayer. Kirchengesch.,
18. Bd., 1912, S. 83). Wir kennen das Gebet, das Luther
um diese Zeit sprach. Es ist nur von wenigen Zeugen
überliefert. In Nr. 6777 (V, S. 349) ist es aus einer
Münchener Handschrift (Clm. 939, 210b) mitgeteilt; außer-
dem bietet es Rörer dar (Ror. Bos. q. 24p, 256b), der
dritte (nicht erwähnte) Zeuge ist Farr. fol. 432: „Oratio.
Hilff, lieber himmelischer Vater, das der selige tag deiner
heiligen zukunfft bald komme, das wir aus der argen welt,
des teuffels reich, erloset vnd von der greulichen plage, die
wir auswendig vnd inwendig, beide von bösen leuten vnd
vnserm gewißen leiden mußen, frey werden . . . durch
Jesum Christum vnsern Herren, Amen“. (Der Zusatz am
Schluß des Gebets wie bei Rürer).
Zu diesen Beispielen, die sich noch vermehren lassen,
treten nun die vielen Zeugen eines besseren Textes, den
Farr. vor Math. L. darbietet, und der besonders in den
Stellen, wo Nürnberg in Frage kommt, laut für die
Urheberschaft Besolds spricht.
In Nr. 5396 (Bd. V, S. 126) wird in einem Gesprüch
über die Juden ein ,Morituus Doctor“ redend eingeführt.
So Matth. L. 505 (S. 256). Man wuDte mit dem Wort nichts
anzufangen; Math. N. korrigierte Morituus in Martinus, cod.
Rhed. ließ die Worte ganz aus. Farr. fol. 403b (nicht 413b)
bietet die richtige Lesart: Tum Mauritius: Dj omine Doctor
usw. Es ist der Wittenberger Buchhändler und Ratsherr
Moritz Golz aus Belzig demeint (vgl. über ibn Enders XV 64,
Anm. 10 und Archiv f. Ref. Gesch. 1916 S. 171 Anm. 4), der in
Luthers Haus verkehrte; seiner Gattin Christine widmete
Erasmus Alber den Druck einer am zweiten Epiphanien-
tag 1546 gehaltenen Predigt über die Hochzeit zu Kana
(Emil Kürner, E. Alber, 1910, S. 92).
Im Jahr 1542 wütete die Pest in Deutschland. Schon
im Dezember 1541 hatte Besold an Dietrich geschrieben:
Philippus in lectione locorum communium dicebat grassari
nunc in Germania pestem (Beiträge zur bayer. Kircheng. 18,
Archiv für Relormationsgeschichte. XIX. 2. 7
98
1912, S. 41). In Nr. 5503 (V, S. 195) steht ein langes
Gespräch am Tische Luthers über die Pest, den Pestpsalm 91
und den Aberglauben, der mit dem Johannesevangelium als
Schutzmittel gegen den Donnerschlag getrieben werde. Das
Gespäch beginnt Farr. fol. 392b: „Cum qui diceret duos
praedicatores Nurmbergae peste absumptos esse, quaesitum
est, an etiam ecclesiastes, qui tantum conductus est ad
praedieandum, posset hominibus egrotis denegare suam
operam tempore pestis? Ri espondit: Bey leibe neyn usw“.
Nur Farr. bietet die richtige Lesart Nurmbergae und ebenso
Aurifaber (FB. 2, 441 — 22, 155) „Nürnberg“; Aurifaber hat
das ganze Stück, wie die übereinstimmenden Varianten
beweisen, aus Farr. entlehnt. Die anderen Texteszeugen
(Math. L., Math. N. und Obenander) geben statt „Nürnberg“
den Namen „Naumburg“. Das ist eine Eintragung aus dem
Schluß des Gesprüches (V, S. 196, Z. 25), wo es heißt: Tum
quidam dicebat in oppido quodam non procul a Naunburg
parochum esse mortuum peste, item ludimagistrum; hier
hat auch Farr. „Numburgk“. Die spätere Überlieferung hat
zwischen dem Anfang und dem Schluß des Gesprächs Gleich-
fórmigkeit hergestellt. Was für Naumburg nicht nach-
gewiesen werden kann, der Tod zweier Prediger im Jahre
1542, das trifft für Nürnberg zu. Am 2. Januar 1542 starb
der Diakonus bei S. Laurenzen Leonhard Krügel (Karl Chr.
Hirsch und Andr. Würfel, Diptycha ecclesiae Laurentianae, 1756,
S. 84), und ebenso war 1542 das Todesjahr des Predigers bei
St. Egidien, Sebastian Virnschild (Diptycha eccl. Egydianae, 1757,
S. 41). Der letztere war wohl nur praedicator. Daher die
Frage am Anfang des Gesprüches. Der quidam, der die
Nachricht aus Nürnberg mitteilte, wird Besold selber
gewesen sein. Daß er an Luthers Tisch auch Fragen zu
stellen sich erlaubte, ergibt sich aus einem Gespräch über
Osiander, das er am 8. August 1544 an Dietrich berichtete
(Jam denuo quaesivi usw. Archiv f. Ref. Gesch., 1916, S. 164).
So steht nichts im Wege, auch die früher besprochene, in
Farr. stehen gebliebene Ego-Stelle auf Besold zurückzuführen.
Auch in einer andern Tischrede des Winters 1542
auf 1543 (Nr. 5538 — V, S. 222f.) nennt Farr. allein die
„Nürnberger“. Es ist eine Erinnerung an Papst Hadrian VI.
99
(1522—1523), der, in Utrecht geboren, später Professor an
der Universität Löwen, Karls V. Lehrer gewesen war. „So
machen — Farr. 360 bis — die Nurmberger in gratiam
Caesaris einen bogen; auf der einen seiten stundt: Vtrich
plantavit, quia fuit patria Hadriani; auff der andern seiten:
Löwen rigavit, quia ibi studuit Hadrianus; oben auff: Caesar
dedit incrementum, quia ipse fecerat eum papam; da kam
ein boser bube vnd schreib vnden in den bogen: Hic Deus
nihil fecit.“ Die Handschriften Math. L. und Math. N. haben
nur den Buchstaben N., Aurifaber (4, 171— 44, 21): ,Utrich".
Das gleiche, in Anlehnung an 1. Kov. 3, 6 gebildete Witz-
wort begegnet in Nr. 3689 (aus Lauterbachs Tagebuch vom
8. Januar 1538); dort ist der ganze Zusammenhang anders.
Es ist also nur eine scheinbare Parallele.
In Farr. fol. 272—272 b steht unter der Überschrift
Ad civem Nurmbergensem ein Trostbrief Luthers vom
29. April 1532 an Thomas Zink, dessen Sohn Johannes,
ein Schüler Veit Dietrichs, in Wittenberg gestorben war
(vgl. Enders IX 180, Nr. 1998). Der Vater lebte damals in
„Hoffheim“ (bei Königsberg in Franken), wie der von Dietrich
geschriebene Cod, Solger. C 351 f. 87 angibt. Wenn er aber
in Farr.als „Nürnberger Bürger“ bezeichnet wird, so spricht sich
eine besondere Kunde Besolds aus!) Veit Dietrich hat
ergreifende Aufzeichnungen tiber die letzten Stunden seines
Schülers hinterlassen (vgl. Tischreden Bd. I, S. 103L, Nr. 249).
Den erwünschten Bestätigungen, daß Farr. wirklich auf
Besold zurückgeht, künnen wir noch eine weitere hinzu-
fügen. Auf dem dritten Blatt der Handschrift stehen, wie
Heft 1 S. 6f. angegeben, deutsche Verse des Erasmus Alber
1) Diese Kunde setzt sich fort in der von dem sorgfältigen und
suverlässigen Generalsuperintendenten Johann Christfried Sagittarius
veranstalteten Altenburger Ansgabe der deutschen Schriften Luthers.
Der Brief steht im 5. Band (1662) S. 961 mit der Überschrift „Trost-
schrift D. M. L. an einen guten Freund zu Nürnberg, dem sein Sohn
zeitlich mit Tod abgangen 1582“. Diese Überschrift ist von der
Leipziger Ausgabe (22. Band, 1734, S. 516) und von Walch (10. Band,
S. 2366) übernommen worden. In der Wittenberger und Jenaer Aus-
gabe der Werke Luthers fehlen die Worte „zu Nürnberg“ (Witten-
berger Ausgabe 9. Band, 1557, S. 474 und Jenaer Ausgabe 5. Band,
1557, S. 560 [spätere Drucke S. 486).
yo
100
auf Martinus Lutherus und auf S. Christoph. Alber und
Besold haben sich an Luthers Tisch kennen gelernt. ' Im
Herbst 1542 aus Brandenburg vertrieben, hatte Alber in
Wittenberg Zuflucht gefunden und war dort noch während
der ersten Monate des Jahres 1543. Er erzählt selber von
dieser Zeit, daß er „täglich Luthers lieber Gast gewesen
sei“ (Beiträge zu Luthers Tischreden, von Emil Körner —
Archiv f. Ref. Gesch. XI, 1914, S. 135). Als Besold im
Sommer 1543 eine Erholungsreise an den Rhein machte,
war ihm, wie er am 13. September von Frankfurt aus an
V. Dietrich schrieb, „comes iucundissimus Erasmus Alberus*
(Archiv XIII, 1916, S. 113). Der geprüfte, oft verjagte
ültere Dichter und sein junger Freund werden auf der
gemeinsamen Reise häufig von Wittenberg und Luther
gesprochen haben. Da mögen die akrostichischen lateinischen
und deutschen Verse entstanden sein, mit denen Besold den
Anfang des Farr.-Bandes schmücken ließ. Jedenfalls sind
sie zu Lebzeiten Luthers niedergeschrieben, da sein Wirken
als noch fortdauernd geschildert wird (Verbum cum doceat
studio fervente Lutherus!).
1) 8. Blatt der Handschrift (nicht gezählt) vor Blatt A:
Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri.
MARTINVS.
Maxima pars mundi Christum neacivit Jhesum.
Audita in templis non sunt nisi somnia vana.
Romulidae Christi sponsae caput esse volebant,
Tantum erat his studium, miseram seducere plebem,
Iustitiam et fidei in Christum obscurare libido,
Nemo operum et fideji quae siut discrimina, novit,
Venter erat summus Doctor populi atque Magister,
Spurcus et hoc docuit, voluit quod quisquis agaso.
LVTHERVS.
Luce sua Christus nunc totum illuminat orbem.
Verbum cum doceat studio fervente Lutherus.
Tantum illi studium, ad Christum perducere plebem,
Hactenus in tenebris iacuit quae et mortis in umbra.
Exardet furiis necquicquam perdita Roma,
Roma videns hominem peccati praecipitari
Vindice, quem pater omnipotens dedit ipse, Luthero,
Sancta Dei totum qui dogmata spargit in orbem.
101
Als Besold im Jahre 1554 die Vorrede zum vierten
Band der Genesis-Vorlesung Luthers schrieb, verband er
mit der Mitteilung einiger Kernsprüche des Reformators das
offene Bekenntnis, wie sehr die Erinnerung an Luthers
öffentlich uud privatim gehörtes Lehrwort ihn stütze und
aufrecht erhalte, Man könnte die Worte, die er damals
schrieb, als Motto tiber den großen Sammelband setzen, den
er aus Luthers Tischreden und Briefen zusammengestellt
hatte, und in dem das Gedächtnis an die ersten an Luthers
Tisch verbrachten Jahre (1542 und 1543) so stark auf-
leuchtet. Die Sätze lauten: „Ego quidem in his furoribus
diaboli, quibus in ecclesiam et respublieas liberas et bene
constitutas horribiliter saevit, nulla re magis acquiesco, quam
recordatione eorum, quae exLuthero publice
et privatim audivi, quibus me utcunque sustento et
eum aerumnas communes facilius tolero, tum vero accuratius
et maiore diligentia hactenus cavere studui corruptelas
doctrinae ab ipso traditae“ (W. A. Bd. 44, 1915, p. XXXIII).
Wir haben den Farrago-Band als das viel bentitzte Ver-
mächtnis eines treuen und dankbaren Lutherschtilers anzusehen
und zu würdigen. |
mm MARTINVS.
Martinus heiſt ein freitbar man,
Am Bapſt man ſolchs wol ſehen kan,
Nom iſt darumb vorbittert ſehr,
Thut, ob fie toll vnd toricht wer,
Im Teuzſchlandt allenthalben flucht,
Nit ein ort left fie vnbeſucht,
Ens wil ausjagen Iheſum Chrift,
So ſehr Sathan vorbittert iſt.
LVTHE RVS.
Lob ehr vnd dank ſey Gott dem Herrn,
Wie hilft er doch ſo hertzlich gern.
Trew iſt er, drumb ſeit vnvorzagt,
Hat er vus doch hulff zugeſagt.
(Rückſeite des dritten Blattes)
Er ſteht bey ſeiner Chriſtenheit,
Reich ift er von barmhertzigleit
Bud wil uns lapen nimmermehr,
So gebt dem Herrn allein die ehr.
Erasmus Alberus, Lutheri
theodidactus.
102
VII.
Es bleibt ein Restbestand von Tischreden übrig, die
uns nur durch Aurifaber Überliefert sind. Er verfügte über
einen Reichtum von Quellen, von denen viele für uns ver-
siegt sind. Der Satz in der Vorrede seiner Tischreden-
Ausgabe, daB er „viele Jahre her einen großen Haufen
geschriebener Bücher Colloquiorum Lutheri bei sich gehabt
habe“ (FB. 4, XXII), enthält keine übertriebene Behauptung.
Wie bei Lauterbach und Veit Dietrich, so hat er Auch
bei Hieronymus Besold nicht nur aus der auch uns be-
kannten Hauptquelle geschöpft, d. h. aus der Handschrift
Farrago, die jetzt am Schluß defekt ist, sondern er hat
auch Nebenquellen benützen können, die nameutlich den
umfassenden Anhang speisten, der in der Urausgabe des
Jahres 1566 sich findet.
Der Anhang trägt jetzt die Überschrift: „Einige Tisch-
reden, so in unten angezeigte Abschnitte gehören“ (FB. 4, 709)
und umfaßt jetzt nur 19 Stücke. Er war aber anfänglich
viel umfassender; die Nebenquellen lieferten eine große
Anzahl von neuen Stücken, die nicht mehr in die betreffen-
den Abschnitte der Hauptsammlung eingereiht werden
konnten. Ihre Zahl beträgt in der Eislebener Urausgabe
vom Jahre 1566 (Bl. 614—626) und ebenso im zweiten Teil
der Frankfurter Nachdruck-Oktavausgabe vom Jahre 1567
(FB. 4, XXV) nicht weniger als 75 (Bl. 720b—747b, ver-
druckt in 774); die Überschrift heißt; „Andere Tischreden
D. Martin Luthers, die zum teil in die obgesetzte Locos
gebören, von allerley Sachen, aus etlichen geschriebenen
Büchern zusammen getragen“ (Urausgabe Bl. 614). Erst
die Frankfurter Folioausgabe des Jahres 1568 — mit be-
sonderer Vorrede Aurifabers — hat die meisten dieser
Nachtragsstücke bei den betreffenden Loci untergebracht
und den Anhang auf 19 Stücke beschränkt (Bl. 447—449).
Die Walch’sche Ausgabe der Werke Luthers und FB. sind
dann bei dieser Anordnung stehen geblieben. Mau muß
aber diesen Sachverhalt beim Studium von FB. im Auge
behalten. Es soll dies an einem lehrreichen Beispiel nach-
gewiesen werden.
103
Der 24. Abschnitt der Tischreden „vom Teufel und
seinen Werken“ ist von Aurifaber mit besonderer Vorliebe
ausgebaut worden; er bringt nicht weniger als 138 Stücke
(FB. 3, 4—96), darunter eine Reibe von ausführlichen Er-
zählungen (z. B. Nr. 79—84 Etliche Historien, von D. M.
Luthern erzählet — FB. 3, 57—62). Für diesen Abschnitt
konnte er aus Besolds Sammlung Farrago wenig entlehnen;
der betreffende Abschnitt fol. 234—241 ‘De Sathana et eius
illusionibus enthält nur 41 meist ganz kurze Aussprüche:
darunter ist keiner von den von Aurifaber bevorzugten
Sehwünken. Aber vorübergegangen ist er an Farrago
doch nicht.
Die Verlage von Nr. 130 „Vom Wallfische, dem Teufel“
(FB. 3, 89) steht Farr. fol. 465 und lautet: ,Iob hat 2 cap.;
(Kap. 40 und 41) vom Behemoth, vom walfisch; niemandt
ist fur jm sicher. Was wiltu mit dem Leviathan machen,
meinstu, er werde dir zu fuße fallen vnd dich anbeten?
(Vgl. Kap. 40, V. 22 und 23). Sunt figurae diaboli Der
waltisch fragt nach keinem schiff, Behemoth auch nicht, er fragt
nach keiner kunst, weisheit, princeps mundi omnia habet pro
stipulis, er fragt nichts darnach. Aber ein Ding sal jn sturtzen,
das ist verbum et fides. Semen mulieris, der mus es thun.“
Die W. A. bringt Aurifabers in keiner der verglichenen
Handschriften nachweisbaren Text unter Nr. 6829 (VI, S. 216 f.).
Aber nun ist die Vorlage gefunden; es ist kein Zweifel,
daB Aurifaber das Stück, das ja Wort für Wort der Vorlage
entspricht, aus Besolds Sammlung entlehnt hat.
Nun liest man aber mit Überraschung beim folgenden
Stück Nr. 131 (FB. 3, 89) = Nr. 6830 die Überschrift: „Von
Poltergeistern, aus M. Hieronymi Besoldi Collectaneis“. Und
die folgende Nr. 132 = Nr. 6831 ist überschrieben: „Von
des Teufels Gespenst und Betrug, aus M. Veit Dieterichs
geschriebenen Collectaneis* (FB. 3, 90). Es ist beispiellos,
daß Aurifaber in der Überschrift eines Stückes seine Quelle
angibt; was veranlaßt ihn in diesem Fall zu dem seltsamen
Vorgehen? Und ferner — wenn erst bei Nr. 131 Besold'sche
Herkunft hervorgehoben wird, wie steht es dann mit Nr. 130?
Das Stück ist ja zweifellos der Handschrift Farr. entnommen;
aber isí diese dann wirklich der codex Besoldi?
104
Das Rätsel löst sich sofort, wenn man wahrnimmt, daß
Nr. 131 ein aus dem Tischreden-Anhang erst später hier-
her versetztes Nachtragsstück ist, und daß von da an bis
zum Schluß des Abschnittes, also von Nr. 131—138 lauter
Anhangsstücke stehen (FB. 3, 89—96 = Urausgabe 1566
Bl. 617b—620; dagegen Nr. 130 in der Urausgabe Bl. 3071)
Aurifaber hatte den Abschnitt vom Teufel und seinen Werken
mit der Herübernahme des Behemoth-Stückes aus Besolds
Farrago geschlossen. Als er aber die Stücke des Anhangs
sammelte, freute es ihn, noch einige Teufelsstücke nach-
tragen zu können. Er gab die Quelle an, um die gerade
bei diesen Stücken manchem doch wohl zweifelhafte Glaub-
würdigkeit zu vermebren. Es war aber weder bei Besold
noch bei V. Dietrich die sonst von ihm bentiizte Haupt-
quelle; denn sonst stünden die Stücke wohl nicht im
Anhang, sondern schon im 24. Tischreden-Abschnitt. „Besoldi
Collectanea“ sind also etwas anderes als der Farrago-Band;
es sind die chronologisch geordneten, für uns verlorenen
Urschriften oder doch ein Teil von ihnen — die reichen
Quellbäche, die den Sammelband gespeist haben.
Wir haben schon früher gesehen, daß in Farr. nicht
alles stand, was Besold gesammelt hatte (vgl. S. 95). Und
ähnlich ist das Verhältnis der „geschriebenen Collectanea*
Dietrichs zu seiner Hauptsammlung zu beurteilen. Diet-
richs „Collectanea“ scheinen die Quelle fur sämtliche
Stücke von Nr. 131—138 gewesen zu sein. Darauf deutet
die programmatische Fassung der Überschrift: „T Is oh-
reden D. Martini Luthers, von des Teufels
Gespenst und Betrug, aus M. Veit Ditterichs geschriebenen
Collectaneis“ hin, wie sie sich in der Urausgabe Bl. 618
und auch noch in der Frankfurter Oktavausgabe „ander
Teil“, Bl. 729b findet. Hatte Dietrich außer den chronologisch
geordneten Heften auch solche mit Sachordnung, also etwa
ein besonderes Heft mit Teufelsgeschichten? Die W. A.
gibt für die meisten der genannten Stücke keine Vorlage
an und zählt sie als Nr. 6831—6835 (VI, S. 218—222)
Für Nr. 133 wird auf Nr. 1338, für Nr. 137 auf Nr. 491
med., für Nr. 138 auf Nr. 5743 verwiesen. Die zweite Ver-
weisung führt direkt auf V. Dietrichs Nachschriften zurück.
105.
Übrigens scheinen Besolds und Dietrichs Collectaneen,
wie Aurifaber sie benutzte, eng mit einander verbunden
gewesen zu sein. Das geht aus FB. 3, 264 (27, 154) hervor
(in der Urausgabe Bl. 362b). Dort ist im Zusammenhang
mit der Frage, ob der Papst über ein Concilium sei, von
Äußerungen Luthers zu Job. 3, 19 und 12, 35 die Rede.
„Solches hat Doctor Martinus einmal zu M. Hieronymus
Besolde von Nürmberg gesaget". Es fehlt der Quellenbeleg
für diese Rede.
Wenn es dann in unmittelbarem Anschluß weiter heißt:
„Doctor Martinus hat auch auf ein andere Zeit zu dem
Herrn M. Veit Dieterich gesagt“ und dann eine freie
Äußerung des Kanonisten Panormitanus mitgeteilt wird
(= W. A. Bd. I, S. 303, Nr. 645), so fragt man sich wieder,
warum gerade hier die beiden Namen genannt sind, und
man nimmt wahr, daß wieder zuerst Besold und dann Veit
Dietrich angeführt wird.
Völlig vereinzelt steht da, was die Münchener Hand-
schrift Clm 943, 144b de Besolto Nurmbergensi mitteilt
(vgl. V, S. 333, Nr. 5730). Im Gespräch mit Besold fällt
eine scharfe Äußerung Luthers gegen Bucer (1544) Auf
welchen Tischgesellen Luthers die Mitteilung dieses ab-
fälligen Urteils, dem viele andere zur Seite stehen, zurück-
geht, läßt sich bis jetzt nicht ermitteln.
Es ist mir der Auftrag erteilt worden, den reichen
Ertrag des codex Besoldi (es sind u. a. c. 120 neue Tisch-
reden mitzuteilen) in einem Band der Weimarer Aus-
gabe der Lutherforschung zugänglich zu machen. Mit der
Ausführung dieses Auftrags beschäftigt, spreche ich der
Verwaltung der Landesbibliothek Gotha, insbesondere Herrn
Staatsrat Prof. Dr. H. A. Krüger, für die Übersendung der
Handschrift nach Greifswald, wo sie im feuerfesten Schrank
der Universitütsbibliothek aufbewahrt wird, sowie dem
Direktor unserer Bibliothek, Herrn Prof. D. Dr. Johannes
Luther für mancherlei Beihilfe ergebensten Dank aus, den
ich auch auf die Verwaltung der Münchener Staatsbibliothek
für Übersendung der Besold-Briefe erstrecke.
Dietrich von Starschedel, ein Zeuge
vom Wormser Reichstage 1521.
Von E. Körner.
L
Als „ein gutes, altes Geschlecht“ rühmt einmal Kur-
Ófürsí August die Starschedel!) Von ihnen ist als erster
Petrus Starcedele nachweisbar; er überließ 1311 dem
Kloster Langendorf bei WeiBenfels eine Hufe. Im 15. Jahr-
hundert nennen sie sich Torschedel, auch Dorstedel*) Ihr
Stammsitz soll Starsiedel, unweit Lützen, im Merseburger
Domkantoreisprengel gewesen sein“). Daneben besaßen sie
bis in das 15. Jahrhundert hinein Dommsen, nordwestlich
von Hohenmölsen. Noch in dessen erster Hälfte finden sie
sich zu Mutzschen. Vordem gehörte die ziemlich umfäng-
liche Herrschaft einem Zweige der Leisniger Burggrafen,
der sich auch nach ihm benannte“). Als ihr Eigentümer
erscheint 1445 unter den Starschedel Heinrich (L) in
dem Vertrage zwischen Friedrich dem sanflıatitigen und
Wilhelm III. Er ist der Begründer der Mutzschener Linie.
Sein Sohn Heinrich (IL), gestorben 1495, erwarb
Cannewitz. In der Geschichte wird er zum ersten Male
1475 erwühnt, gelegentlich des Turnieres auf dem Markte
zu Amberg bei der glänzenden Hochzeit Philipps von
1) Cl. v. Hausen, Vasallen-Geschlechter der Markgrafen zu Meißen,
Berlin 1899, S. 474fl. |
3) Noch in Zuschriften an und Briefen von Johann Friedrich
findet sich neben Dorschedel auch Storschedel Ihr Wappen nach
Kneschke, S. 608: Schild rot, Silber und Schwarz, schräg rechts
geteilt, ohne Bild. Vgl. auch König, Adelshistorie, 1727, I, S. 941—958.
Wenig zuverlässig die Nachrichten in Dreßn. Gelehrten Anzeigen 1768,
8. 588 fl.
3) NASG. XXXII, S. 233.
) Lorens, Die Stadt Grimma, Leipzig 1856, S. 1074.
107
der Pfalz mit Margarethe, der Tochter Ludwigs des
Reichen von Niederbayern: er nahm da am Gesellen-
stechen an Aschermittwoch teil!). Im Jahre darnach
begleitete er Herzog Albrecht auf dessen Fahrt in das
Gelobte Land. Mit 69 anderen ward er in der Kirche des
Heiligen Grabes zum Ritter geschlagen?) Seine Beziehungen
zum Hofe werden es gewesen sein, die ihn 1478 zum
„Amtmanne auf dem Schneeberge“ werden ließen; noch
1482 wird er als solcher bezeichnet. Er war es, der die
Wasserkunst herrichtete. Hier vermehrte er seinen Reich-
fum?) mit dem er oft den sächsischen Fürsten beistehen
mußte. Schon bei der Erwerbung Sagans ‚durch Ernst
und Albrecht (1472) ist er unter den Bürgen für die
Kaufsumme von 40000 Gulden‘. An Kurfürst Ernst
hatte er 1000 Gulden zum Meißner Schloßbaue zu schicken 5,
Herzog Georg einmal nicht weniger als 8000 Gulden zu
leihen®). Lieber als derartige Steuern war ihm die Ver-
größerung seines Grundbesitzes). Dieser ward bald ein
recht ausgedehnter; selbst Graupen erwarb er?) Infolge
der Erbteilung 1485 fiel blos Mutzschen zum Weimarischen
Teile, alles andere zum Meißner. Heinrich half als Herzog
Georgs Rat als dessen Bevollmächtigter den Oschatzer
Vertrag schließen (1490) ). In diesem Jahre stiftete er in
Erinnerung an die glückliche Rückkehr von seiner Pilger-
fahrt „das Klösterlein Servorum Mariae virginis zu
Mutzschen 10).
1) NASG., XXVIII, S. 161.
9) Beschreibung der Mergenthalischen Familie. 1745, S. 7.
) NASG., V, S. 173.
*) Ebenda, XVIIII, S. 14.
5) Ebenda V, S. 288.
) Hauptstaatsarchiv zu Dresden, Cop. 1500, 134.
?) Kneschke, S. 603.
*) Archiv für Sächs. Gesch. (fortan: Archiv) V, S. 344.
) Hausen, S. 474.
10) Mencken, Scriptores rerum Germanic. Vol. II, p. 1585;
„vogeferlich 1496". So noch NASG. I, 8. 85. Am genauesten
Großmann, Die Visitarionsacten der Diöces Grimma. Leirig 1873,
S. 141ff. Nach ihm Bau- und Kunstdenkmäler im KS. Bd, 19 und 20,
S. 180f. Auch Hasse, Gesch. der Klöster in der Mark Meißen und
Oberlausitz, Gotha 1888, S. 199.
108
Als sich die Zahl seiner Iusassen merklich steigerte,
vermehrten seine Einkünfte als Patrone Heinrichs drei
Sühne!) Es wird von ihnen besonders Heinrich (III.)
dazu bewogen haben, der Zeitzer Dompropst und Meißner
Domherr war (t 1530)*. Er stand Herzog Georg
nahe und hielt, wie sein älterer Bruder Dietrich (L),
gestorben 1523, fest an der mittelalterlichen Kirche ).
Daß dessen Witwe Walburg das Schloß Kriebstein an
Herzog Georg abtrat, wird ihr Schwager vermittelt haben;
die drei Brüder hatten es 1510 gekauft‘).
Ihr Sohn Dietrich (IL) wandte sich bald aus Über-
zeugung der Reformation zu. Er hatte außer dem Haupt-
gebäude des Mutzschener Schlosses das Rittergut und die
Vorwerke, zu denen Wermsdorf gehörte, geerbt, während
sein Bruder Ernst den Turmbau des Schlosses und außer
den Mutzschener Teichen das Rittergut Cannewitz tiberkam.
Es war ein stattlicher Besitz, den sie erhielten. Über seine
einzelnen Stücke unterrichtet ihre Belehnung 1523 und 1533.
Bei der ersten werden der Reihe nach aufgezählt außer
Schloß und Städtlein Mutzschen mit aller freieigenen Jagd
die Dörfer Böhlitz, Roda, Mahlis, Freigut und Dorf Cannewitz,
Wagelwitz, Nerchau, Fremdiswalde*, Nennewitz, das wüste
Dorf Naundorf, Wüstung Wermsdorf mit Sitz und Gehölz,
Löbschütz, und das Raiche, Storkau, Wetheritz, Gottwitz,
Merschwitz und Poschwitz, ein besessener Mann zu Leipnitz
und ein besessener Mann zu Gottwitz, der Kretzschmar zu
Gesewitz die Pfarre zu Mutzschen, Wermsdorf, Nerchau
und Fremdiswalde, außerdem Bäche und schließlich
„Hundekorn, wie es vom Burggrafen zu Leisnig herrührt“.
Ein Jahrzehnt darnach werden noch 18 Teiche, sowie zehn
Hälter zu Mutzchen und Gottwitz genannt“). Es ist ver-
A
) Dreßnische Gelehrte Anzeigen 1758, S. 523 ff.
*) Ursinus, Gesch. der Domkirche zu Meißen. Dresden 1788,
S. 155. NASG. XXVI, 8. 38f. Über Jnnocenz von Starschedel
s. ebenda XXIIII, S. 92.
*) Beitr. z. Sächs. Kirchengesch. XV, S. 35.
) Hausen, 8. 475.
©) Lorenz, S, 1075.
NASG. XXXVII, S. 147.
109
ständlich, wenn in Erinnerung an diese zahlreichen
Liegenschaften sich die Nachkommen „Dinasten“
nennen!).
II.
Dietrichs Geburtsjahr wird vor 1500 zu setzen sein.
Den ersten Unterricht hat er bei den Mutzschener Serviten
genossen, die sich vorteilhaft vor anderen auszeichneten.
So, wie er „von ihnen geleitet worden war, war er in der
Jugend auf der papistischen Lehre gestanden“). Die
geistliche Laufbahn jedoch zu beschreiten, die neben dem
Waffenhandwerke bisher als standesgemäß gegolten hatte,
dazu war er als ältester Sohn wohl nie bestimmt, noch hat
er selbst es kaum je beabsichtigt. Daß er aber für das
juristische Studium, das jetzt beliebt ward, eine Universität
besucht hätte, dafür findet sich kein Anhalt; wenigstens
wird sein Name in den Alben Wittenberge und Leipzigs
nicht angeführt. Wann er mit dem kurfürstlichen Hofe in
Beziehung kam, auch dafür finden sich keinerlei Spuren.
Unter den sog. Einrossern des Kurprinzen wird seiner nie
gedacht; sie waren dessen Altersgenossen entnommen, und
Starschedel ist kaum unter sie zu rechnen. Früh regte
sich in Johann Friedrich das Interesse für Jagd und
Turnier. Mutzschens große Waldungen stießen an die
landesherrlichen, und daß Starschedel gern pürschte, dadurch
wohl mit ward er prinzlicher Begleiter auf Jagdausflügen.
So kann er bald an solchen teilgenommen haben, vielleicht
auch an dem eifrig betriebenen Stechen und Rennen am Hofe.
Zum ersten Male tritt er 1519 im öffentlichen Leben
hervor. Lehensstreitigkeiten hatten einen offenen Kampf
Heinrichs von Lüneburg und des Bischofs Johann
von Hildesheim gegen Erich von Braunschweig
und den Bischof von Minden veranlaßt. Für diese ergriff
Herzog Georg Partei und schickte ihnen „viel schöne und
stolze Reiter“. Am Peter-Pauls-Tage, an dem zu Frankfurt
KarlV. zum Kaiser gekrönt ward, kam es zur blutigen
Schlacht auf der Soltauer Heide. Die Meißnischen Ritter
1) BKD. XIX, S. 34 (Grabmal).
5) Joh. Schuwardt, Regententaffel. Leipzig 1583, S. 159,
e
110
sogen den Tod der Schande der Flucht vor. Die meisten
von ihnen fielen, die überlebenden gerieten in Gefangen-
schaft. Unter ibnen waren z. B. Moritz und Wolf von
Pflugk, Albrecht von Heynitz, Heinrich von
Bünau Als trotz dem Ausgange des Streites keine Einigung
zu erreichen war, guchten die Kurfürsten von Sachsen, Branden-
bnrg und Mainz eine Vermittlung; die Entscheidung sollte
Herzog Johann von Sachsen und Herzog Heinrich
von Mecklenburg treffen. Da baten süchsische Adlige,
unter ihnen Dietrich von Starschedel, um Auslösung ihrer
Standesgenossen ').
Daß er bei der Nähe Leipzigs die Disputation zwischen
Luther und Eck (1519) nicht unbeachtet ließ, ist zweifel-
los. Der Eindruck des Wittenbergers wird ihn bewogen
haben, alles aufzubieten, dem Wormser Reichstage beiwohnen
zu dürfen. Die Reise dahin war für ihn von entscheidender
Bedeutung.
In welcher Eigenschaft, läßt sich nicht bestimmen. Zum
prinzlichen Hofstaate wird er nicht gehört haben. Denn
schon am 23. Februar verließ mit seinem Vater Johann der
Prinz Worms, der sich damals noch als Schwager Karls V.
betrachten konnte“); Starschedel jedoch blieb hier zurtick.
Amtliche Befugnisse werden ihn festgehalten haben. Gewiß
hatte auch ihn die allgemeine Spannung ergriffen, mit der
Luthers Ankunft entgegengesehen ward. Sollte er nicht
unter den Tausenden gewesen sein, die seiner in den StraDen
harrten, wenn nicht gar unter denen vom Süchsischen Hofe,
die ihm entgegenritten? Noch „in seinem Alter“ sprach er
mit sonderlicher Freude und christlichem Frohlocken seines
Herzens von den Aktis des Reichstages, den er in frischem
Gedüchtnisse allezeit hatte, Denn es war ihm ernst ge-
wesen, solcher Handlung von Anfang bis Ende eigentlich
wahrzunehmen. „Ich ließ andere Frühstück essen, erzählt
er, und ging beizeiten in die Kirche — so nennt er den
ı) Weimar, Reg. C 690, Bl. 18; vgl. Rechtmeier, Braunschweig-
Lüneb. Choronica. Braunschweig 1722, S. 866 ff., Havemann, Gesch. der
Lande Braunschweig und Lüneburg, Bd. II, Göttingen 1855, S. 21ff.
?) P. Kalkoff, Erasmus, Luther und Friedrich der Weise.
Leipzig 1919, S. 17.
111
großen Saal — in welcher der Mönch vor allen Ständen
des Römischen Reiches die Lehre göttlichen Wortes steif
bekannt hat.“ Sehr anschaulich schildert Starschedel, „wie
erstlich der Kaiser samt den Kurfürsten, Fürsten und Ständen
des Reiches in ihren bereiteten Sesseln gesessen, als Luther
unter dem Volke gar allein in seinem Ordenskleide, das er
noch antrug, daher kam, ihnen entgegentrat, und Eccius als.
päpstlicher Orator durch eine scharfe Rede ihn anschnaubte.
Ich aber hatte ein Mitleiden mit ihm und besorgte, er würde
sich vor falscher Gewalt entsetzen. Als er aber anfing, un-
erschrocken, doch fein seltsam zureden, einem jeden Poten-
taten seinen gehörigen Titel zu geben, verwunderte ich mich
und gedachte: Das möchte mir noch wohl ein Mönchlein
sein. Ich behielt mir aus allen Reden, die da mit großem
Ernste von beiden Teilen geschahen, diesen herrlichen Spruch
als ein teuer köstliches Kleinod, daß D. Luther sagte zu des
Papstes Legaten (als er vermerkte, daß man an seiner Ver-
antwortung nicht Gentige hatte): ‚Das Evangelium, so ich
unserem Deutschen, meinem lieben Vaterlande, gepredigt
habe, daß ist nicht mein, sondern meines Herren Jesu Christi,
und ich lasse das S. Petern verantworten, der da spricht
Actor. 10: Von diesem Jesu zeugen alle Profeten, daß in
seinem Namen Vergebung der Stinden erlangen alle, die an
ihn glauben“ ). Davon hat er, fügt der Nacherzähler bei,
noch mit D. Luther selbst am Kurfürstlichen Hofe gesprochen.
Starschedel wird dem 2. Erscheinen Luthers am Donners-
tage, dem 18. April beigewohnt haben. Sein Bericht vom
Wormser Tage weicht allerdings von dem anderer ab. Es
will jedoch dabei beachtet sein, daß er nicht unmittelbar
uns Überliefert ist. Wern er die Stätte der Verhandlung
eine Kirche nennt, so im Hinblicke auf die Wichtigkeit der
Stunde, die sie für ihn selbst behielt. Das Benehmen des
Trierer Eck zeichnet er richtig; es erregte bei vielen Anstoß.
Frische Begeisterung für Lutber wird Starschedel alles haben
aufbieten lassen, in den bischöflichen Palast zu gelangen.
Mit Luther zu sprechen, war ihm dadurch erleichtert, daß
diesem im Johanniterhause Herberge angewiesen worden war,
wo auch die kurfürstlichen Räte und Edelleute Wohnung
) Schuwardt, S. 160.
112
‚aufgeschlagen hatten. Es fiel daher Starschedel nicht schwer,
einen Augenblick zu erspühen, wo er vor den von ihm be-
wunderten Glaubenshelden treten konnte.. Sollte er nicht
bald Johann Friedrich über sein Erlebnis berichtet haben?
Denn dieser machte kein Hehl aus seiner freundlichen Stellung
zu dem Wittenberger. Sie war so bekannt, daß Aleander
nach Hom meldete, der Neffe des Kurfürsten wäre noch viel
ketzerischer als der Oheim, wie alle Welt wüßte ). Des
Kurprinzen und Starschedels Wendung zum Evangelium
ließen beide sich einander anschließen. Ein Verhältnis ent-
spann sich zwischen ihnen, das fast für ihr ganzes Leben
andauerte. |
III.
Landtage, welche die Stünde vollzühlig vereinten,
fanden im Ernestinischen Sachsen selten statt. Es waren
nicht allein die Kosten, welche die kurfürstlichen Kassen
belasteten, die sie nicht häufig abhalten ließen, mehr noch
die Abneigung des Hofes gegen sie überhaupt. Der Landes-
fürst berief sie nach eigenem Ermessen und, da er sich von
ihren Beratungen wenig versprach, schrieb er sie nur bei
dringlichem Anlasse aus. Die Auswahl der zu ladenden
Persönlichkeiten traf er nach reiflicber Erwägung. Es handelte
sich zumeist um Steuervorlagen, zumal um „gute Ordnung“
in „das fürstliche Wesen“ zu bringen. Für sie meinte er,
eher etwas von einem engeren Kreise zu erreichen, als von
der Gesamtheit der vier Stände).
Die Starschedel mussen das Vertrauen genossen haben,
daB sie es nicht mit den Widerwilligen hielten. Sie befinden
sich fast regelmäßig unter den Entbotenen. Heinrich (IL).
war 1495 unter den Räten auf dem Tage zu Altenburg und
Heinrich (III) 1498 auf dem zu Naumburg unter der
Ritterschaft. Die Brüder stellen sich 1511 auf dem Land-
tage zu Jena und dem Ausschuftage zu Fahner ein. Einer
von ihnen vertritt Meißen 1515 zu Naumburg, und unter
den Grimmaern sind die Mutzschener 1518 nach Jena erfordert).
1) Kalkoff, S. 106.
*) S. A. H. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten, Jena 1904,
8, III ff, XXXIXf. Auch Mentz, Joh. Friedrich der Großmütige.
Jena 1908, III, S. 197fl.
) Ebenda 8. 10; 80; 84; 115; 126.
113
Es kann daher nicht überraschen, daß bald auch Dietrich
an solchen Tagungen teilnimmt. Er war unter der Ritter-
schaft Sonntag Kantate 1533 zu Altenburg, mit seinem Bruder
Ernst Dezember 1530 wieder in Altenburg und im Januar 1531
in Zwickau, wo er mit anderen das Amt Grimma vertrat.
Hier war er unter den von gemeiner Landschaft zum Aus-
schuß Vorgeschlagenen, die mit weitgehenden Vollmachten
ausgerüstet wurden. So kam er zu dem wichtigen Ausschuß-
tage zu Torgau, März 1521, und ward an erster Stelle zum
ersten Einnehmer der Anlagegelder im Kreise Torgau be-
stimmt. Den letzten Ausschußtag hatte Kurfürst Johann
für Mai 1532 nach Torgau ausgeschrieben und endlich auf
1. September verschoben; er erlebte ihn nicht: er starb am
16. August).
Im Besitze der Kurwürde hat sein Nachfolger blos 1533
zu Jena und 1542 zu Weimar wirkliche Landtage veran-
etaltet. Er war kein Freund von ihnen und hat sogar den
Ausschuß selten zu Rate gezogen. Als er ihn im Oktober 1532
in Torgau um sich sammelte, tat er es wohl unter dem
Zwange der finanziellen Mißstände. Sie besonders waren es
ja, welche ihn die Landschaft nicht gänzlich unbeachtet
sein ließen. ;
Für ihre Regelung wirkte auch jetzt, wie schon früher
Starschedel eifrig mit. Er mag dafür vor anderen Geschick
besessen haben. Gern übertrug man ihm deshalb die Ein-
nahme von Steuern. Neben der des Zehnten Pfennigs hatte
er die der wenig beliebten Tranksteuer des Adels?) Mit
welcher Gewissenhaftigkeit er solche "Aufgaben erfüllte, be-
zeugt er mit seinen musterhaften Listen über die Türken-
‘steuer. Wennschon sie in der Hauptsache von seinem
Schösser, Hans Schütz, geführt wurden, so tat er es
doch unter Starschedels Aufsicht, der sich um alles be-
kümmerte. Aus den 21 Dörfern und der Wüstung Naun-
dorf seiner Pflegschaft konnte er 1542 an Lütare 90 fl.
1) Ebenda, S. 200; 214; 280; 268f. Vgl. Köstlin-Kawerau,
M. Luther, Bd. I. S. 1181f.
*) Weimar, Beg. Qg., pag. 759, C 545 fl.
Arehiv für Reformationsgeschichte. XIX. $, 8
114
12 Groschen und an Martini 90fl. 19 Groschen 7 Pfennige,
abliefern).
Seine Umsicht und Sorgfalt ward von der Landschaft
geschätzt. Er war ein Mann allgemeinen Vertrauens. Als
während der Wurzener Fehde sich Johann Friedrich
in Grimma aufhielt und der hessische Marschall Hermann
von Hundelshausen in Philipps Auftrage zwischen
den Parteien eine Vermittlung anstrebte, empfahl dieser dem
Herzog Moritz neben Mügeln das Haus Starschedels als
Verhandlungsort für die beiderseitigen Räte. Kaum wird
es bloß die günstige Lage Mutzschens, sicherlich vielmehr
Starschedels Persönlichkeit gewesen sein, die eine versöhnende
Einwirkung erwarten ließ. Die Zusammenkunft bei ihm
ward durch des Landgrafen Eingreifen unnötig “.
Im Schmalkaldischen Kriege griff die Ernestinische Seite
den Gedanken der Herzogin Elisabeth von Rochlitz
und des Fürsten Georg von Anhalt auf, daß je vier von
den beiden Landschaften in Beratung treten möchten. Auf
Bitten der Seinen verhinderte sie Johann Friedrich
nicht, hoffte wohl sogar von ihr einigen Erfolg. Die Vor-
schläge dafür entwarf Hans von Ponikau, ließ sich selbst,
wie auch Brück, jedoch nicht dazu abordnen. Außer dem
Kanzler Jobst von Hain wurden voran Starschedel neben
Wolf von Schönberg und Georg von der Planitz
geschickt. Die Albertiner waren zu der Unterrcdung bereit,
wenn vom 28. März bis drei Tage nach beendeter Aussprache
Waffenstillstand zugesichert würde, Von ihnen kamen nach
Mittweida außer Ludwig Fachs noch Kaspar von Schön-
berg,Gottschalg von Haugzwitz und WolfKoller.
Starschedel scheint recht entschieden gesprochen zu haben.
Er drang auf „Verhütung weiteren Verderbens des Landes
und auf Wiederaufrichtung des Friedens.“ Seine Befürebtungen
) Weimar, Reg. Pp, Nr. 618%. Als Orte werden verzeichnet: Roda,
Göttwitz, Merschwitz, Gastewitz, Poischwitz, Serka, Löbschütz,
Fremdiswalde, Wermsdorf, Döbern, Grauschwitz, Ablaß, Leipen, Prösitz,
Schmorditz, Grottewitz, Golpern, Nerchau, Cannewitz, Wachelwits
und Wüstung Naundorf.
) Archiv IV, S. 76. E. Brandenburg, Moritz von Sachsen, I,
S. 203 fl.
116
suchten noch die Herzoglichen schriftlich zu widerlegen. Er
aber wich nicht von seiner Auffassung der Lage zuruck ).
Ob er nicht merkte, daß die Ernestiner nur Zeit hatten
gewinnen wollen für einen Abzug Moritzens und Ferdi-
n&nds nach Eger zur Vereinigung mit dem Kaiser?
Von den Rechten, die er als zur Landschaft gehörig
besaß, machte er bei sich bietender Gelegenheit Gebrauch.
Am 25. März 1528 hatte Kurfürstin Elisabeth von
Brandenburg in Torgau Zuflucht gesucht, wo Kurfürst
Johann für ihren Empfang alles vorbereitet hatte. Welches
Aufsehen bei Katholiken und Protestanten der Vorfall erregte,
ist bekannt. Mit Hans von der Planitz und Christoph
Groß verteidigte Starschedel Elisabeth, wie aus einem
Schreiben an Kurfürst Johann erhellt, das er als erster
unterzeichnet hat, wohl, weil er es veranlaßt hatte ).
Wenn er als Verordneter des Landes Meißen Vorschläge
für Verteilung von Wittenberger Stipendien zu machen hatte,
so bewährte er sicherlich das ihm geschenkte Vertrauen.
Als geeignete Empfänger empfahl er 1544 Hans Zosche
in Böhlen (Amt Colditz) und den Sohn Bernhards von
Hirschfeld’). |
IV.
Daß man Starschedel offenbar gern bei wichtigen
Anlässen heranzog, geschah wohl auch in Rücksicht auf
seine amtliche Stellung. Möglich, daB er durch sie zur
Übernahme von Aufträgen verpflichtet war. Er war kur-
fürstlicher Rat; seit wann, ist nicht genau bestimmbar:
er scheint es bald geworden zu sein. Die Obliegenheiten
eines solchen waren mannigfache*) Als sich 1529 Kurfürst
Johann zum Reichstage nach Speyer begab, ließ er den
Kurprinzen zur Regierung des Landes zurück. So ungern
dieser den religiösen Verhandlungen fern blieb, so fleißig
widmete er sich der überkommenen Tätigkeit. Durch den
1) Weimar, Reg. J, pag. 405, Q 18, Vgl.: von Langenn, Moritz von
Sachsen I, S. 337 fl., Brandenburg, I, S. 528ff, Mentz, I, S. 94f.
*) Weimar, Reg. C 38, Bl. 14.
3) Ebenda, Reg. O 444.
4) Mentz, III, S. 194ff; 144.
gt
116
Einblick in die Regierungsgeschäfte fühlte er sich bewogen,
Vorschläge für ihre Erledigung zu machen, wie er sie für
die erregte Zeit nötig errachtete. Für Weimar und für
Torgau als den Residenzen empfahl er gesonderte Kammern;
für jede von ihnen hatte er schon je acht geeignete Männer
als Räte ausersehen, unter ihnen für Torgau Starschedel').
Obwohl er sich für sein Amt stets dienstbereit halten mußte,
empfing er doch eine nur geringe Entschädigung. Über sie
um Auskunft angegangen, gibt er 100 fl. als sein „Ratgeld“
an; von Hofkleidung und Naturalien, wie sie außerdem
andere bezogen, erwähnt er nichts“.
Auf sie hat ihn vielleicht seine Stellung als Hof-
marschall verzichten lassen. Er trat in sie ein auf Grund
einer neuen Hofordnung 1533 und begleitete sie bis 1547 *).
Mit ihr hatte er eine selten umfängliche Tätigkeit über-
nommen. Alles und jedes unterstand ihm, was irgend den
Hof betraf und am Hofe vorging. Nicht bloß, daß er die
Aufsicht über das gesamte Hofpersonal bis herab zum ge-
ringsten Dienstboten tiben sollte, er sollte auch ein scharfes
Auge haben auf das „Frauenzimmer“, für Ktiche und Keller
bedacht sein, auf Tischgebet und Tischzucht halten, um Be-
wachung, Belepchtung und Heizung des Schlosses besorgt
sein, Klagen des Hofgesindes entgegennehmen und Streitig-
keiten schlichten, das Rechnungswesen prüfen, das Jahr-
zehnte hindurch auf Landtagen viele Ursache zu Beschwerden
und Ratschlägen gab‘).
Es war ihm also das gesamte Hofwesen tiberlassen.
Nun werden aber bis 1547 außer ihm noch Kaspar und
Nickel von Minkwitz, Asmus Spiegel and Heinrich
von Schönberg“) als Hofmarschülle genannt. Ihres Bei-
standes wird Starschedel dringend bedurft haben, seitdem
1) Mentz, I, S. 68; 126.
* Weimar, Reg. L, pag. 79—90, A 5. Soviel auch D. Bleick-
hardt und Hindringer, D. Benedickt Pauli 80 und D. Kilian Goldstein
sogar bloß 601.
*) Burkhardt, S. XXXVIII und XL; Mentz III, S. 187; 181f.
*) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (70 Paragraphen, dazu
17 ungezählte); Reg. 408, VV Nr. 2. — Vgl. Mentz III, S. 187f.
5 Mentz, III, S. 138a.
117
er und Asmus Spiegel Erzieher der Prinzen geworden
waren. Wie väterlich Johann Friedrich für die gelehrte
und die sittliche Bildung seiner Söhne sorgte, dafür liefern
Beine Briefe aus der Gefangenschaft schöne Beweise. Daß
er sie zur Gottesfurcht, zu regelmäßigem Kirchenbesuche
und täglicher Bibellesung anhält, versäumt er nicht. Eine
gute Handschrift verlangt er. Immer wieder ermahnt er.
zu fleißigem Betriebe der alten Sprachen, da er selbst die
ihm mangelnde Kenntnis des Lateinischen empfand. Das
Deutsche sollen sie darum nicht vernachlässigen. Ihren
Eifer lohnt er mit Erholungsstunden !).
Daher soll Starschedel mit den Prinzen „ein bar stunden
Ins feldt einen Hasen zu hetzen spatzieren reiten“. Um so
unwilliger ist der Vater, wenn er erfährt, daß diese nicht
„wollten sich furstlich, Zuchtig vnd ehrlich, wie Fursten wol
anstehet vnd gebuhret, halten“ und ihren Kavalieren und
Lehrern nicht „unweyerlich vnd unwidersetzt folgen.“ Als er
gar berichtet wird, daB sie „falsch vnd vnrecht gespiellet,
ob sie auch solchs vileicht möcht scherz weise gethan haben“,
rügt er ernstlich. Leichtfertiger Worte und Fluchens, auch
unbeständiger Reden und seltsamer Geberden sollen sie sich
enthalten; des Weins über Tische zum Nachtrank nicht
mehr zu sich nehmen, als des Leibes Notdurft erfordert;
unmäßiges Saufen meiden. Mit Brück sollen Starschedel
und Spiegel streng darauf achten, daß seine väterliche
Vermahnung befolgt wird. Sie suchen ihn zu beschwichtigen,
da sie versichern können, daß sie „keine sonderliche
vnschicklichkeit vermerkt oder befunden haben“ ). Trotz-
dem gelangte bald eine eingehende Instruktion an sie,
welche bis ins einzelnste „das fürstliche Leben“ der Prinzen
regeln sollte).
Solche unangenehme Zwischenfälle steigerten für Star-
schedel die schon umfängliche Mühewaltung seines Amtes.
Als er sich von ihm infolge des Ausganges des Schmalkal-
1) Chr. G. Neudecker, Die handschriftliche Gesch. Ratzebergers.
Jena 1850, S. 275. Beck, Joh. Friedrich der Mittlere. Weimar 1858,
I, 8. 7. Ments, III, S. 259.
*) Neudecker, S. 279. Beck, II, 177ff.
*) Mentz, III, S. 257ff.
118
dischen Krieges zurückgezogen hatte, berichtet er, daß er
160 Gulden Besoldung empfangen hätte 1). Der Betrag war
nicht das einzige, was ihm zufloß. Für seinen Nachfolger
unterbreitete Johann Friedrich der Mittlere Vor-
schlüge. Die Geldsumme setzte der alte Herr niedriger, die
Naturalbezüge hóher an. AuBer 200 Gulden an barem
Gelde sollten dem Hofmarschall geliefert werden, 225 Scheffel
Korn, 150 Scheffel Gerste, 6!/, Scheffel Erbsen, für 12 Gulden
Hopfen, 7 Schock „Michels Hühner“, 13 Kapaunen, 6 Gänse,
6 Schook Eier, 6 Stein Unschlitt, 2 wöchentlich „Dienst“
Fische, „der jeder 16 Pf. würdigk“, 2 Zentner Karpfen,
6 Eimer Rotwein; die Schäferei Zossen, von der 80, Fuder
Heu, Hafer für 5 Pferde u. a. zu liefern waren. Da Wolf
Goldacker, der zum Hofmarschall ausersehen war, keiu
Rindvieh halten könnte, sollte er mit jährlich 40 Gulden
entschädigt werden; zudem behielt er die Nutznießung seines
Gartens zu Weida, Schweine, Hühner und Gänse hatte er
auf seine Kosten zu halten. Für Sommer und Winter be-
kam er je eine gewöhnliche Hofkleidung, Holz zur Feuerung
nach Bedarf?) Starschedel wird kaum geringer bedacht
gewesen sein, als sein Nachfolger.
Daß er bei seiner andauernden Anwesenheit am Hofe
häufig als Zeuge erscheint, bedarf nicht der Erwähnung
und des Nachweises.
V.
Seinen Neigungen würde es entsprochen haben, wenn
er bald zu den Kirchenvisitationen berangezogen
worden wäre. Der Gedanke an sie hatte nur allmählig zur
Geltung gelangen können. Staatlicherseits war er zuerst
von Johann Friedrich vertreten worden (1524)?).
1) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Fr. 3 (Instruktion für
Weißenbach.
2) Ebenda, Reg. K, pag. 448, WW Nr. 4 (Instruktion für
Goldacker).
*) CAH. Burkhardt, Gesch. der sächs. Kirchen- und Schul-
visitationen, Leizig 1879, S. 3 ff. Sehling, Ev. KOO. I, S, 33, Mentz,
Bd. III, 230ff.
119
Von Alteren ), selbst noch von Burkhardt?, wird Star-
schedel neben Anark von Wildenfels, sowie Spalatin
und Anton Musa genannt, um die Verhältnisse in Alten-
burg, „das mit Mönchen und Nonnen überschüttet war“, zu
untersuchen. Da er zu dem amtsschriftsässigen Adel ge-
hörte, wird er auch unter denen bezeichnet worden sein,
welche der Altenburger Amtmann zur Teilnahme an der
Visitation bescheiden sollte. Unter den vier jedoch, welche
schließlich für Altenburg gewählt und im September nach
Torgau berufen wurden, war Starschedel nicht’). Es ist nicht
ersichtlich, warum es unterblieb. An seiner Stelle war
Ewald von Brandenstein tätig.
Die Gruppe der Visitatoren, welche den Teil Meißens
bereiste, zu dem das Amt Colditz mit dem Grimmaer Kreise
gehörte, hatte wiederholt Ursache zu scharfen Eingriffen.
Um so anerkennenswerter ist ihr Befund in Mutzschen‘).
Dem Pirnaischen Mönche entlockte es die Klage: „Alldo rast
besamt dem voleke die Martinische Seckte“; und er tiber-
treibt nicht. Der Pfarrer Adam Burkhorveon, ein Kur-
hesse, aus der Zahl der Serviten, wird zensiert als „in seiner
lahr richtig, auch seines wandels vnd lebens vom lehnherrn
vnd Pfarrkindern gelobt.“ Der Diakonus, der nicht namentlich
angeführt wird, wohl Christof Strobel, später Herzog
Heinrichs Hofprediger, ist ,vor andern der lahr halber.
geschickt.“ Er ist auch „ein ordensmann servorum Mariae“.
Der Fremdiswalder Parochus, Jakobus Klappe, wird
Sogar gerühmt als ,wohlgelehrt, seines lebens und wandels
ganz richtig befunden“; er starb als Superintendent zu
Großenhain (1553). Mutzschener Patronat war Wermsdorf
ehedem dem Kloster inkorporiert. Aus ihm war dahin ge-
kommen Valentin Zeppler. Zwar gilt er nur „der lahr
!) Seckendorf, Hist, Lutheranismi. Leipzig 1694 II, pag. 101.
E. von Braun, Die Stadt Altenburg in den Jahren 1525—1826,
Altenburg 1876, S. 11ff. Richtig bei Löbe, Gesch. der Kirchen und
Schulen in H. Altenburg, Altenburg 1884, Bd. I, S. 39ff.
*) Burkhardt, S. 27; 48f.
3) Weimar, Reg. K, fol. 9 II, Bl. 830b; Ji. 904.
) Nach Großmann, S. 141 hatte es „j sloß vnd xl. einwoner*
in den 9 eingepfarrten Dörfern 49 Pferdner und 80 Gärtner.
120
zimlich bericht“, jedoch „seines wandels richtig“. Es muß
ihm aber angedroht werden, „wo er nicht fleißiger studieren
wti .e“, sollte er der Pfarre auf nächste Ostern entsetzt
werden. Zu diesen drei Fratres ist noch Cyriakus Heidler
zu nehmen; er war im nahen Altenhain. Freilich wird er
beschuldigt, daß er „sich oft des trinkens vleissige“, aber
„in der christlichen lahr ist er zimlich bericht“ ). Daß diese
alle unter vielen ihrer Umgebung hervorragen, läßt nur
günstig das Klüsterlein beurteilen, was sicherlich seinem
Schutzherren mit zuzuschreiben ist.
Er war hier bei der Untersuchung der Zustände (Mai
und Juni 1529) nicht tätig. Daß aber auf sie Starschedels
wegen Nachsicht geübt worden wäre, läßt sich nicht arg-
wöhnen. Sehr genau forschen die Visitatoren nach den
Bestandteilen des Einkommens. Für den Pfarrer betrug es
bare 114 fl. 5 Groschen 5 Pfennige ohne die Haushaltung.
Sie bestand aus Wohnung im Kloster und vorigem Pfarr-
gebäude, sowie in einem Garten, der so groß ist, daß er
Grasweide für fünf Kühe abgibt. Daher wird es nicht als
Mangel empfunden, daß „Artfeld und Wiesenwuchs vererbt ist.“
Holz wird ihm soviel geliefert, als „zum Gebäude und Feuer-
werk bedürftig“ ist. Weil der Pfarrer für Feld und Wiese
48 fl. 19 Groschen 6 Pfennige an Zinsen hatte, fiel es ihm
nicht schwer, davon 36 fl. an Geld und je sechs Scheffel-
Korn uhd Hafer dem Diakonus zu reichen; auferdem bezog
dieser 31 fl, hatte eigenes Haus, Garten und Grasweide für
eine Kuh, dazu auch Holz zum Feuerwerk. Pfíarrer und
Diakonus wurden ihre Pflichten eingeschürft Ein Schul-
meister ist vorhanden, vermißt wird aber in dem kleinen
Mutzschen eine gelehrte Schule. Starschedel erbietet sich,
eine solche einzurichten.
Obwohl von seinen Vorfahren und ihm alles Kirchen-
vermögen stammt, wird ihm nicht verschwiegen, daß man
die Urkunden tiber Gtiter, Einkommen, Gerechtigkeiten usw.
„zu Pfarre, Frühmessen oder auch zum Kloster gehörig ver-
misse“, Es wird ihm darum aufgegeben, „ein klares, voll-
ständiges Verzeichnis und Erbregister aufs förderlichste zu
1) Großmann, S. 142 f.: 104.
121
fertigen und zu machen“, dazu ein genaues „Verzeichnis
und Inventarium des Vorrats und Kirchengerätes von Stück
zu Stück“. Was darin anzuführen ist, wird bis ins einzelste
vermerkt. Erst wenn Starschedel genugsam die verlangten
Nachweise beigebracht hat, „soll dann weiter, was bequem
und gut sein wird, vorgenommen werden“ !). Ob dabei an
eine Mägdleinschule gedacht wird? In der ganzen Diözese
hatte nur Grimma und Eilenburg eine solche. Bei der
Forderung ließ man es nicht etwa bewenden. Am 12. März 1534
erschien Starschedel in Grimma vor den Visitatoren Mutzschens
mit den verlangten Nachweisen und erhielt daraufhin nach-
her die Verpflichtung fur die Pfarrbesoldung seines Patronates ).
Auch an der Visitation 1532 war Starschedel nicht
beteiligt. Seine Stellung am Hofe wird ihm dazu keine
Zeit gelassen haben. Hingegen befand er sich unter denen,
die 1541 vom Kurfürsten nach Zeitz entsandt wurden,
um Nikolaus von Amsdorf für Julius Pflug k zum
Naumburger Bischofe zu wählen. So wenig angenehm der
Auftrag für ihn war, wegen seiner Verschwägerung mit
Pflugks, ward er doch aus evangelischer Uberzeugung von
ihm übernommen. Der vom Kurfürsten erkorene war ihm
verwandt und befreundet; in Zschepa bei Wurzen hatte er
seine Heimat und wird mit Starschedel häufigen Verkehr
gepflogen haben ). Auf Widerstand war man gefaßt. Star-
schedel wird nachgerühmt, daß er das befestigte Schloß
eingenommen habe.
Einen Beweis seiner Klugheit und Tatkraft hatte Star-
schedel bei der Visitation des Domstiftes, des Amtes und
der Stadt Wurzen zu liefern (Mai 1542). Für sie hatte
Johann Friedrich im Oschatzer Vertrage freie Hand
bekommen. Mit ihr waren ex nobilitate außer ihm As mus
Spiegel und von den Theologen Georg Spalatin
und der Superintendent Schreier von Grimma betraut.
Für ihr allgemeines Ansehen spricht es, daB sie berufen
wurden, in diesem Gebiete Wandel zu schaffen. Die
1) Ebenda, 8. 143 fl.
5) Weimar, Reg. Di, 6, Bl. 181.
3) Seckendorff, Vol. III, XCVI, 9, pag. 390; Hortleder, lib. V,
ca). 12. E. Zergiebel, Chronik von Zeitz. Zeitz 1896, I, S. 211 ff.
122
Schwierigkeit der Aufgabe hatte damit bisher zögern lassen.
Wurzen war der letste Stützpunkt der Meißner Bischöfe
und stand unter ernestinischem und albertinischem Schutze.
Hatte schon Herzog Georg den Vertrag von 1485 für
sich ausgebeutet, so war auch Moritz sehr dazu geneigt
und Bischof Johann VIII. dem Kurfürsten feindlich gesinnt:
ahm war der Ausbruch des Streites zwischen den Vettern nur
recht gewesen. Das von ihm gewtinschte Ende hatte dieser
nicht genommen. Mit voller Befugnis konnte jetzt Johann
Friedrich in Wurzen eingreifen.
Am 11. Mai trafen die Visitatoren ein. Gegen die
Domherren übten sie Schonung, benahmen sie jedoch jed-
weden Einflusses. Ein gänzlich Neues mußten sie in der
Stadt begründen. Der Dürftigkeit hier entsprach die auf
den Dörfern. Sie bedingte, daß fast kleinlich erscheinende
Vorschriften gegeben wurden, die aber nur von im alltäg-
lichen Leben erfahrenen Männern gemacht werden konnten.
Einen Erfolg suchten die Gegner in einer Weise zu
vereiteln, mit welcher sie sich selbst genugsam kenn-
zeichneten )).
Sie erreichten damit bloß, daß im August und Sep-
tember 1546 von Bruck verfaßte scharfe Erklärungen gegen
„den papistischen Bischoff zu Meissen und sehlenmorder“
ergingen. Nochmals ward Starschedel und Spiegel ange-
wiesen, „seine Teuffelslehre, greul und unchristliche Ceremonien
zu dempffen, niederzulegen, auch gänzlich auszurotten“. Die
anwesenden Kapitelsherren und Vikare sollten sie „ver-
warnen, von ihnen hören, ob sie bei dem gottlich wort
bleiben und daselbig bekennen und soviel an ihnen
mher Gott dan den Menschen gehorchen“ wollten. Be-
rufungen auf den Bischof sollten sie abschlagen. Seiner
„practick und teufflischen List“ sollte für immer ein Ziel
gesetst werden. Es geschah im Einvernehmen mit der
Ritterschaft im Amte Wurzen, und am Egidientage 1546
wurde Starschedel und der Hauptmann von Wittenberg
damit beauftragt).
1) Burkhardt, S. 206 fl., 288. .
*) Weimar, Reg. J, pag. 964, Nr. 4 A. Beg. J, pag. 265, Nr. 4B.
Ld
123
| VL
Sein Wohlwollen gegen Geistliche uud Lehrer genossen
reiehlich die seines Patronates. Nicht nur, daB er darauf
hielt, daß ihre Einkünfte nicht geschmälert oder ihnen gar
entzogen würden, wo er es angebracht fand, erstrebte er
auch ihre Aufbesserung. Die besondere Begabung seiner
Pfarrer verstand er anzuregen und zu benutzen. Wenn er
erfuhr, daß ihre Gefälle ihnen verkümmert und sie mit
übeler Nachrede belästigt wurden, pflegte er zu sagen: „O,
wie wird sie der Teufel einmal darum kratzen, die ihre
Prediger jetzund so gering achten. Heute oder morgen,
wenn ihr letztes Stündlein kommt, da wird sich's finden,
was sie sich selbst damit gestiftet haben.“
Wozu er aber andere ermahnte, darin ging er selber
ihnen voran. Legte er den Eingepfarrten eine Zulage zum
Pfarrgehalte auf, so war er der erste, der von seinem Gelde
und Getreide etwas gewisses vermidmete und ohne Verzug jähr-
lich entrichtete. Daß er von seinen Feldern den Zehnten eben-
so gab, wie seine Untersassen, war ihm etwas selbstverständ-
liches. Daran ließ er sich nicht einmal genügen; selten
lieb er es an einer Zugabe fehlen, und, wenn Miswachs
einfiel, sprach er: „Es muß darum an Eurer Besoldung
nichts abgehen. Ich will einen Nachschuß tun vom Boden.“
Jahrzehnte hindurch prüfte er alle halben Jahre den
Zustand der Kirchen ‚und Pfarrgebäude, sowie der Schulen.
Schößer, Richter und Kirchenväter mußten ihn dabei be-
gleiten. Nicht das geringste entging seinen scharfen Blicken.
Kaum, daß eine Schindel ausgefallen war, so befahl er ihre
alsbaldige Ergänzung. Die Kirchenväter mußten dabei
hören: „Ei, wenn Ihr Eure Seelsorger recht lieb hättet, so
würdet Ihr auch Achtung haben, daß sie im trocknen sitzen
möchten!“
Um Zwistigkeiten vorzubeugen, merkte er darauf, daß
die Pfarrgrundstücke gehörig verraint und vermalt würden.
Keine Beschwerde scheute er deshalb, ritt selber auf alle
Winkel, führte die Gemeindeältesten an Teichen, Hölzern,
Wiesen und Brachen herum, beschied dazu an jede Stelle
die Leute, welche Güter dabei oder daneben hatten, schlichtete
Meinungsverschiedenheiten, richtete Zeichen und Merkmale
124
an Rainsteinen, Bäumen und Gräben auf, damit ein jedes
das seine in Ruhe und Frieden ohne Verletzung brauchen
möchte. Auch den Grenznachbarn seiner Gemeinden prägte
er ein, daß sie ja nichts den Kirchengtitern entziehen oder
abzwacken dürften; denn es käme ihnen und ihren Erben
doch nicht zu gute; sie hätten es hoch vor Gotte zu ver-
antworten, wo sie seinen lieben Dienern etwas raubten.
Sein Verhalten und Reden bei solchen Besichtigungen
lassen schon vermuten, daß ihnen Beeinflussungen des Ge-
meindelebens entsprochen haben werden. Er war ein Feind
der bäuerlichen Prozeßsucht. Ihr trat er zeitigst entgegen.
Täglich gab er nach Tisch eine Stunde lang seinen Unter-
tanen Audienz und beschied sie gütlich“). Wo Lust vor-
banden war nach gerichtlicher Entscheidung, lud er den
damit behafteten vor sich und bemühte sich um Beilegung
des Handels. Gelang es ihm nicht, so befahl er dem Schößer:
„Laß mir diesen in das Studierstüblein führen.“ Im Schloß-
turme hatte er nämlich einen besonderen Raum für Zänker.
In diesen wurden sie eingesetzt, damit sie sich besinnen
und gutem Rate folgen lernten. „Denn,“ erklärte er, „es ist
viel besser, ich bringe sie durch solches Mittel zu Verstande,
als daß ich sollte zugeben, daß sie nach ihrem störrischen
Sinne das ihre verhadern.^ So verhinderte er von vorn-
herein, daß der Rechtsweg beschritten wurde, er meinte, die
Leute gewöhnten sich sonst ans Zanken, wenn man ihnen
nicht einredet, und verderben darüber. „Kann ich einem
sagen, wie er sein Recht ohne Unkosten finde, und, wo er
nicht will, so gebührt mir, den Ernst zu gebrauchen und
solche mutmaßliche Lust zum Zanken zu strafen.“
Seine Friedensliebe wird es gewesen sein, die ihn nicht
erst warten ließ, bis er gedrängt wurde, Mutzschen Stadt-
rechte zu verleihen, Er tat es freiwillig 1544. Wußte er
sich jedoch im Rechte, so verzichtete er nicht auf dieses,
wenn er den Gegner nicht anders überzeugen konnte. Als
er wegen einiger neuerbauter Häuser in Gastewitz mit dem
Amte Grimma in Irrung geriet, wich er dieser nicht aus“).
1) Peccenstein, Theatrum Sax. Jehna 1008, S. 87,
9) Dresden, Cop. 288, fol. 175 b.
125
VII.
Diese Nachrichten über Starschedel überliefert Schuwarüt
in seiner „Regententafel“, dessen Vater 24 Jahre Pfarrer
und Prediger zu Mutzschen war!) So oft er Starschedels
gedenkt, verrät er, daB er es aus inniger Verehrung tut. Es
hatte schon auf den Knaben einen tiefen Eindruck gemacht,
daß der Patron alle Predigten mit Fleiß hörte und durch
keinen Frost, Schnee, Regen oder Schlaf sich davon zurück-
halten ließ. Noch vor Beginn des Gottesdienstes fand er
sich. ein, und wie er als erster in die Kirche kam, so ver-
ließ er sie als letzter. Seitdem er durch Luther die reine
evangelische Lehre erkannt hatte, war er beflissen, beim
rechten Glauben zu bleiben. Alle Sophisterei und falsche
Lehre war ihm zuwider. Immer nach voller Gewißheit
strebend, holte er sich bei seinem Geistlichen Rat, wenn er
sich über etwas unklar war.
Ausgeprägt war seine „Abscheu gegen des Papstes
Tand und Irrtum“. Welche Stellung er daher gegen das
Interim einzunehmen hätte, darüber war er sofort nicht
im geringsten Zweifel. Wie mag er sich gefreut haben, als
sein einstiger Pfarrer Klappe als Superintendent zu Großen-
hain gegen die Einführung des Leipziger Interims heftigen
Widerstand leistete, und daß es der Superintendent Wolf
in Colditz tapfer ablehnte, dafur fand er in Mutzschen Beifall.
Als Moritz seinen Räten befahl, außer den Geistlichen auch
„andere Leute“ Mai 1549 nach Grimma zu laden, rechnete
er offenbar mit starkem Widerstande; denn er bedachte alle
mit Strafe, welche das Interim nicht annähmen. Nicht bloß
Superintendenten und Pfarrer sollten erscheinen, auch Fürst
Georg von Anbalt, Melanchthon und Camerarius
fanden sich ein. Zwar nahmen die Theologen den Agenden-
1) Nach Knauth, Altzellaer Chronik, III, S. 182 verließ Schuwardt
Roßwein 1539, wo er Schulmeister gewesen war. Als Zeit seiner
Mutzschener Amtsdauer gibt Kreysig 1537—1574 an und läßt die
seiner Vorgängers Burkhoven ungewiß; er kennt auch nicht den
2. Diakonus in Mutzschen. Dieser war Schuwardt sen.; daher wird
er vom Sohne Prediger genannt, rückte später ins Pfarramt auf.
Nicht zutreffend können auch die Angaben der Kirchengalerie, Eph.
Grimma sein, nach denen er 1529 Diakonus, 1553 Pfarrer in Possen-
dorf, und 1557—1574 Pfarrer in Mutzschen war.
126
entwurf Georgs an, jedoch nur unter der Bedingung, daß
mit Publizierung und Druck der neuen Ordnung gezögert
und zunächst bloß etliche Artikel aus ihr den Pfarrern be-
kanntgegeben würden. Aber gerade im Grimmaer Kreise
war der Unwille gegen das Interim so heftig, zumal unter
dem Adel, daß in diesem nicht einmal der sog. Auszug zur
Einführung gelangte). Starschedel war das Interim gleich
von vornherein darum verdächtig, weil er von ihm Streitig-
keiten befürchtete; und wenn irgendwelche, so waren ihm
solche um das Glaubensbekenntnis besonders verhaßt. Junge
Leute ermahnte er deshalb oft, sich vor diesen zu hüten und
„durch keine schöne Deutelung von der gegründeten Wahr-
heit sich abführen zu lassen“.
Am besten fand er sie von Luther zum Ausdrucke
gebracht. Alle und jede Bticher von ihm, große und kleine,
seit dessen Auftreten, hatte er nacheinander erworben. Sie
las er fleißig und ließ sie später von seinen Geistlichen und
anderen sich vorlesen. Am höchsten schätzte er des Refor-
mators Kommentar zum Galaterbriefe. So war er mit dessen
Auslegung vertraut, daß er sie auswendig konnte. Um nötigen
Falles die Stellen zu finden, die er für die wichtigsten hielt,
hatte er sie unterstrichen nnd sonst sich merklich ge-
macht. Viele von ihnen hatte er in sein Gebetbuch einge-
tragen, das er sich eigens zusammengestellt hatte und auf
seinen Reisen stets mit sich führte. Aus den Lehrschriften
Luthers hatte er sich einen Auszug gefertigt, in dem er
so ziemlich alle Aussprüche desselben tiber die Rechtfertigung
avs dem Glauben bei einander hatte. Über dieses Lehrstück
besprach er sich am häufigsten mit seinen Geistlichen.
Die einzigen waren sie nicht, die ihm hierüber Rede
stehen mußten. Hatte er Gäste um sich, so war er mit ihnen
bald in einem christlichen Gespräche. Mit „Gelehrten vom
Adel“ solche zu führen, liebte er sehr. War er bei seiner
regelmäßigen Bibellesung auf einen Spruch gestoßen, über
dessen Auffassung er sich nicht völlig klar war, so wußte
1) Sehling, Die Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen,
Leipzig 1899, S. 109, Westphal, Fürst Georg zu Anhalt, Leipzig 1907,
S. 70. A. Chalybäus, Die Durchführung des Leipziger Interims
Chemnitz 1905 (Diss.), S. 67, NASG. XV, 8. 229.
127
er „ihn auf die Bahn zu bringen“. Es entwickelten sich
dann jörmliche Disputationen, zu denen er aus seiner statt-
lichen Bibliothek Schriften herbeiholen ließ, nicht zuletzt die
Bibel, und er ruhte nicht eher, als bis „die gründliche Wahr-
heit erkundet war. Das war seine liebste Kurzweil und
beste Übung“ ).
VIH.
Der kirchlichen Bewegung und seinem eigenen Gebiete
konnte er in ausgedehntem Maße seine ganze Aufmerksam-
keit schenken, seitdem er die kurfürstlichen Ämter nieder-
gelegt hatte. Schwere Kämpfe wird es ihm verursacht
haben, sich von Johann Friedrich zu trennen, dem er
Jahrzehnte hindurch nahe gestanden und dessen Vertrauen
er reichlich genossen hatte. Seiner Pflichten war er allerdings
nicht entbunden worden. Wohl möglich, deshalb, oder viel-
mehr darum hatte er sie nicht freiwillig niedergelegt, weil
er die Hoffnung hegte, daß des gefangenen Kurfürsten Ge-
schick noch eine günstige Wendung nehmen könnte. Ab-
wartend folgte er den Ereignissen und bezog noch, wie
andere Räte, seine Besoldung?). Die Behandlung, die von
Karl V. seinem Herrn und dem Landgrafen Philipp wider-
fuhr, verdunkelte von Woche zu Woche die Aussicht auf
eine Verbesserung ihrer und damit ihrer Anhänger Sache.
Nun war Starsobedel mit Erbhuldigung und Lehnspflicht
infolge der Ereignisse an die Ernestiner gewiesen. Würde
er sie Moritz nicht leisten, so hälte er zu gewürtigen
gehabt, daß dieser, wie König Ferdinand die Güter
in'den ihm zugefallenen Gebieten, auch Mutzschen mit Beschlag
belegen würde. Ein Ersatz für den ihm von Moritz drohenden
Verlust durch die Ernestiner war ausgeschlossen. So war es
die Existenzfrage für ihn und seine Familie, daß Starschedel
Ende Juli 1547 sich auf dem Leipziger Landtage einstellte.
Ein geringer Trost wird es ihm gewesen sein, daß er die
alten Freunde, wie AsmusSpiegel,Hansvon Weißenbach,
Heinrich von der Planitz u. a. zu Genossen hatte ).
) Schuwardt, S. 159 fl.
) Neudecker, S. 151.
) von Langenn, II, S. 351 fl.; Archiv VIII, S. 172,
128
Wie empfand Johann Friedrich den Abfall seiner
bisher Treuesten? Er mußte sich bitter getäuscht fühlen,
daß er sich auch von seiner nächsten Umgebung verlassen
sah um äußerer Vorteile willen. Auf den Brief, in welchem
der im Unglück Standhafte von seinen Söhnen tiber das
Zurückweichen seiner Räte Kunde empfing, antwortete er:
„Wir müssen solche Untreue Gott befehlen, dessen Gericht
sie nicht entlaufen werden“ !).
IX.
Daß Starschedel seitdem öffentlich hervorgetreten wäre,
dafür liegen keinerlei Belege vor. Nur bei besonderen An-
lüssen schwieg er nicht, jedoch auch da, mehr von anderen,
wie es scheint, dazu bewogen, als freiwillig handelnd. Er
lebte fortan Haus und Gemeinde, von denen er bisher zu-
meist hatte fern sein müssen. Für die Kinder bemühte er
sich um tüchtige Lehrer, aber auch er selbst unterrichtete
und prüfte sie. Dazu war er sicherlich befähigt. Denn wie
hätte er die Studien der Prinzen beaufsichtigen können, wenn
er selbst dafür die nötigen Kenntnisse nicht besessen hätte?
Mit Vorliebe unterwies er seine Kinder im evangelischen
Glauben. Vielmals sprach er ihnen Luthers Kleinen
Katechismus vor. In seinem Alter „hatte er große, tröst-
liche Freude“ an den schönen Reimen, darein der Spruch von
dem Nutz des Leidens Christi darch D. Erasmus Alber
gefaßt ist. Diesen Reim mußten ihm die Kinder alle Tage
vor Tische erzählen, welche also lauten:
Das Lemblein Gottes Jesus Christ
Für vnser Sund gestorben ist.
Er trug die straff an vnser statt
Von wegen vnser missethat:
Ein jeder Christ das eben merck
Vnd frey verwerff all ander werck,
Die sich setzen an Christus statt
Wider des ewigen Vaters rath.
Bisweilen pflegte er hinzuzufügen: „Da liegt alles. Wenn
das meine Kinder behalten, wo es gleich zur Verfälschung
1) Beck, I, S. 91.
129
des göttlichen Wortes wiederum käme (davor Gott behüte),
so würde Gott sie und alle, so es von Herzen glauben, durch
seinen heiligen Geist wobl vor allem Irrtum bewahren und
erhalten“ ).
Vermählt war Starschedel in erster Ehe mit Ursula
Pflugk aus Lampertswalde, in zweiter mit Sara von
Haugwitz’). Drei Töchter“) waren an Schleinitze
verheiratet, Anna (geb. 1546, gest. 1595) nach Seerhausen *),
Katharina nach Hof, Margarethe nach Jahnishausen-
Sein ältester Sohn Heinrich starb vor dem Vater. Dieser
hatte für ihn Markkleeberg erworben, das bis 1620 in den
Händen der Starschedel blieb. Von den Markkleebergern
studierten einige in Leipzig. Haubold (f 1581) hatte
Merzdorf inne, das seine Nachkommen bis 1730 besaßen ).
Als er, wie damals manche andere, gern Ankäufe in Nord-
böhmen gemacht hätte (1585), hatte er an Kurfürst August
einen Fürsprecher, damit er von Kaiser Rudolf, „wie in
der Krone Böhmen gebräuchlich, zu einem Böhmen ange-
nommen würde“). Innocenz (geb. 22. Juli 1543, gest.
15. Aug. 1605), „ein trefflich ansehnlicher Mann““), war
kurfürstlicher Landrat und Obersteuereinnehmer, auch Hof-
marschall. Er hatte außer Borna bei Oschatz noch Mölbis
im Leipziger Kreise, das sein gleichnamiger Sohn bis 1650
zu eigen hatte. Dem jüngsten Sohne Georg, dem Gelehr-
samkeit nachgerühmt wird, wird Stein und Wolfersdorf zu-
geschrieben: über den Besitz von diesem läßt sich zuver-
lässiges nicht ermitteln; mit jenem wird Steinigtwolms-
dorf gemeint sein. Gleich 1586 ward er mit ihm von
Christian I. belehnt. Dabei verblieb ihm noch soviel
an Geld, daß er seinem Schwiegervater 20000 Gulden
1) Schuwardt, S. 159f.; vgl. des Verfassers Erasmus Alber,
Leipzig 1910, S. 159ff.
*) Dreßn., g. Anzeiger, S. 527.
) Ebenda, S. 554.
*) Über ihr Grabmal Bau- und Kunstd. i. K. S. Heft 27/28,
8. 114ff,
) Hausen, S. 475.
*) NASG. XXII, S. 995.
7?) Peccenstein, 8. 87.
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 3. 9
130
zum Ankaufe der böhmischen Herrschaft Hainspach borgen
konnte !).
Den Söhnen ward dieser reiche Grundbesitz dadurch
ermöglicht, daß sie Mutzschen mit dessen ganzem Zubehöre
unter sich teilten und nach und nach an Kurfürst August
veräußerten, der es mit anderen Liegenschaften 1585 zu dem
Amte Mutzschen vereinte?) Erst ihre Nachkommen traten
durch verwandtschaftliche Beziehungen wieder mit den
Ernestinern in nähere Verbindung. Dagegen verknüpften bald
solche Heinrich mit Dresden. Hier genoß er so hohes
Ansehen, daB er 1558 dahin während August's Abwesenheit
zum Kurfürstentage in die Regierung berufen ward )).
Wie stand nun zu diesem der Vater? Moritzens
Politik hatte er nie gebilligt. Der einflußreiche Adel hatte
im Herzogtum ausgeprägt romanisierende Neigungen und
ward in ihnen durch Christofs von Garlowitz
Pläne bestärkt, die dem Interim zugute kamen. Dieser
wird es vor anderen gewesen sein, der Starschedel abstieß:.
mit seiner verschlagenen Art erweckte er bei Starschedel
nur berechtigten Argwohn. Jedoch waren die vielfachen
Verschwägerungen und sein zerstreuter Grundbesitz wie für
seine Standesgenossen, so auch für ihn nicht von solchem
trennenden Einflusse, daß sie ibm nicht von jeher Beziehungen
zu beiden sächsischen Höfen wtinschenswert gemacht hätten.
Bezeugt wird es von dem wohl einzigen Briefe, der sich
von Starschedels Hand erhalten hat. Er ist an den Sekretär
Moritzens, Joachim Faust, gerichtet. In der Anschrift
nennt er ihn seinen „freundlichen, lieben Schwager“, Der
Brief*) lautet: .
Dem erbarn und vesten Her Jochem Fausten f. g.
Herczog Moriezen zu SachBen ete. Secretarir meinem
freuntlichenn liben Schwagern zu Handenn. In Dreßdenn.
Erbarer und namhafter Her Schwager Faust, wo es
euch allenthalben glüeglichen Zustunde sampt al dem eurn
libenn vorwanttenn, erfure ich gerne, meiner Perschen halben
danke ich got, der schaffs auch weyter nach seine gothlichem
ı) W. von Boetticher, Gesch. des Oberlaus. Adels und s. Güter
1635— 1835, Bd. II. S. 914.
*) Lorenz, S, 1075f. 3) Hausen, S. 474.
) Dresden. Loc. 966 ff. Etzliches Herzog Moritzen zu Sachsen.
Altes gemeines Landhandels 1517—1576, II, S. 281.
131
gefallenn und ferleye geduld Jnn in aller widerwertigkeyt etc.
Was aber meine Sache belangende alhy mit meinem
glaubiger darinnen Jr mir willig gedenet und freunthlich
erezeyget, mir zu furderungk und wy dy fortragen und
hingelett, hab ich meinem Vetter Josten geschrieben, for
eezlichen wochenn, euch dasselbe zu berichten, hoff sey Jm
auch nachkomenn, bedank mich euer gunstigen furderungk.
Auch weyter wil ich euch nicht bergenn, gunstiger
Her Schwager, eines Hendlers von Kraca dener, alhy bey
mir gewest, Jm durchreyten ken Nurmberk, schreybt mir
sein Her, mein gar gut freundt, under andern, wy Er forder
gute Zebel bekomen, mittell gattungk, desgleychen geringer,
ecgliche Zimmer!), mich zu erkunden, ob m. g. Hern von
solcher gathungk icziger Zeyt was willens zu keuffen, bitt ganz
freundthlichen mit, dasselbe bey f. g. Herczog Moriczen etc.
erforen, desgleychen vonn großen schenen Zal Perln
aber sunst Klenodia und mir solchs zu wissen thuen, Ich
Jm antwort schribe, wolde alhier an mich schicken, dis
dan f. g. besichtigen mochten, das Erbithe ich mich als ein
dankbarer zu vordenenn etc. Sunst sagt derselbe dener,
wy Er den nechsten markt zu Lublyn geweßen, seint vil
thurkische Kaufleute daselbst mit vil waren ahnkomen,
al Schamlot muh?) eyer und dem meysten teyl Ingwere,
sey dy sage allentthalben, der thurk mit dem Persier so
vil Zuthuen gewunnen, denn Er Jm ein son Erschlagen, er
dysen Sumer unser forgessen sol, geb got diese zeytungk
mit wohrheyt verfolge Amen. Dormithe Jn dy bewahrungk
gotis befolnn, des sey unser trost mit bit Eur libe haüsfraw
von meine wegen zu grüssen.
dat. Freyberk uff 24 merczo A? 1545.
Bit mit ersten antwort.
D: Starczedell.
E. w. G.
Zu diesem Briefe bewog Starschedel offenbar eine Streit-
Sache. Da sie bis in die Herzogliche Kanzlei gelangte,
wird die Geldangelegenheit, um die es sich handelte, keine
geringe gewesen sein. Für ihre ihm günstige Erledigung
stattet Starschedel seinen Dank ab und möchte sich durch
eine Aufmerksamkeit Moritz erkenntlich erweisen. Mehr
als dieses wird er nicht bezweckt haben wollen. Vermitt-
lungen wie die, zu welcher er sich erbot, wird er oft am
kurfürstlichen Hofe übernommen haben. Aus seiner „Freund-
wir Paar zusammen gebundene Zobelfelle.
3) unleserlieh.
Q ?
132
schaft“ mit dem Krakauer Händler darf schwerlich auf
Eigennutz bei ihm geschlossen werden!). Wahrscheinlich hatte
er, gleich vielen seiner Zeit, eine Vorliebe für kostbare
Seltenheiten, und für sie entbehrte er nicht der Mittel.
Den völligen Bruch zwischen Weimar und Dresden sah
er wohl kommen. Daß er seines alten Herren je vergessen
hätte 9), ist schwerlich anzunehmen; ganz unwahrscheinlich
aber, daß er in die Spuren eines Carlowitz getreten wäre.
Aber wie hart mag er es empfunden haben, daß er seinem Kur-
fürsten im September 1552 bei dessen Rückkehr aus der Ge-
fangenschalt nicht inmitten der alten Gefährten begrüßen konnte?
Noch einma! war er für die Ernestiner tätig und wird
für sie nur zum guten geredet haben: es war für ihn wohl
die letzte Gelegenbeit, ihnen seine dankbare Gesinnung zu
bezeugen. Denn zu den „teuflischen Räten“, vor denen
Johann Friedrich im Testament seines Vaters gewarnt
worden war, gehürte er nicht. Bei der Achtung, die er ge-
noD, war er unter denen, die zum Abschlusse des wichtigen
Naumburger Vertrages 1554 zugezogen wurden. Unter dessen
Unterzeichnern steht sein Name an zehnter Stelle“). Am Tage
vor seinem Tode (2. Mürz 1554) unterschrieb ihn noch
Johann Friedrich. Seine Mahnung an die Sóhne, unter
sich Zwietracht und Uneinigkeit zu vermeiden, baben diese
nicht erfüllt: wer wird dartiber betrübter gewesen sein, als
ihr einstiger, fürsorglicher Tutor?
Daß er mit Kurfürst Augustin ein ertrüglicheres Ver-
hültnis kam, als mit Moritz, erleichterte ihm die kirchliche
Wandlung. Aber wenn jener am 24. Juli 1557 von den
34 Stellen für den Adel an der Meißener Landesschule eine
den Mutzschener Starschedel verlieh“), so war dieses zunächst
als eine ausgleichende Gewährung für die klösterliche
Stiftung der Familie gedacht und zugleich als ein huldvolles
Zeichen der Anerkennung für sie: ob sie mehr dem Sohne,
als dem Vater galt, muß dahingestellt bleiben.
1) Dresden, Loc. 9664, Bd. II, S. 281.
7) Weimar, Reg. L.
3) Weichselfelder, Johann Friedrich, Frankfurt 1754, S. 901 ff.;
Mentz III, 328 ff.
4) NASG., VIII, S. 142.
133
Ganz in Schweigen hüllte sich Starschedel nicht. Zu
teilnehmender Verfolgung der Ereignisse bewog ihn schon
das Amt seines Sohnes Innocenz. Fand er es geboten, so
griff er auch in sie ein. Wie vermochte er denn Zurück-
haltung zu. üben, wenn er andere mit Unrecht leiden sah? So
„suppliziert“ er mit Hans von Scholemberg und Christof
von Haugwitz 1554 für Gefangene beim Rate zu Borna!)
Aus Thalheim stammte seine zweite Frau. Sie wird
ihn beredet haben, an einer gemeinsamen Fürbitte bei Kur-
fürst August für Johann VIII. von Haugwitz sich zu
beteiligen. Bekannt war er ja gewiß mit den Vorverhand-
lungen für dessen Wahl zum Meißner Bischofe. Daß er ohne
Erfolg für ihn sich verwandte, ist begreiflich. Denn wenn der
Bischof sich bei Ferdinand dartiber beschwert hatte, daß
seine „Jugend und Unerfahrenheit“ — er war damals
31 Jahre alt — vom Kurfürsten zu einem ihm lästigen Ver-
trage mißbraucht worden wäre, und wenn er diese Anklage
gerade zur Zeit der Verhandlungen zum Augsburger Religions-
frieden erhob, so mußte er damit Augusts Unwillen er-
regen“). So fällt denn der Bescheid an die Fürsprecher
ziemlich ungnädig aus. Es wird ihnen eröffnet: „Wir haben
Bedenken, daß wir uns für uns selbst oder unsere Räte mit
dem Bischof in Schriften oder sonst einlassen, denn ihm selbst
„ohne das wohl bewußt, wessen er sich gegen uns wohl-
bedächtig verpflichtet, wie ihm denn alles sein gertihmtes
enges Gewissen bezeugen kann“ ).
Nachgetragen hat jedoch Kurfürst August die Ein-
mischung in die heikle Sache Starschedel nicht. Ein Lob
spendet er ihm und seiner ganzen Familie, wenn er Pfalzgraf
Wolfgang bittet, den Sohn von Innocenz Starschedel
als Edelknaben anzunehmen und zu erhalten. Er begrtindete
es damit: „Denn er eines guten, alten Geschlechtes und Her-
kommens und Namens ist, sein Vater auch unser ältester
Rat und Diener gewesen“. So am 16. Februar 1562*).-
2) Dresden, Cop. 265, Bl. 2241.
2) Machatscheck, Gesch. des Hochstiftes Meißen, Dresden 1884,
S. 774.
) NASG., VI. S. 1981.
) Dresden, Cop. 318, fol. 4f.; auch Hausen, S. 474.
134
X.
Dietrich von Starschedel lebte damals nicht mehr. 1561
ist er gestorben. Weder in der Kirche zu Mutzschen, noch
in seinem Schlosse hat sich eine Erinnerung an ihn erhalten.
Aber er verdient des Gedächtnisses, nicht bloß als ein sächsischer
Zeuge des Wormser Reichstages, auch um seiner ganzen
Persönlichkeit willen. Er ist vor vielen seines Standes eine
liebenswürdige Erscheinung. Peocenstein hebt seine Gott -
seligkeit, Demut und Sanftmut hervor; der Kanzler David
Peifer nennt ihn fortem virum, Marschalli munere ita per-
functum, ut omnes intelligerent, neque ei fidem deeBe neque
industriam!) GewiB, seine evangelische Stellung' ist nicht
nur eine äußerliche, er ist ein evangelischer Bekenner in
seinem ganzen Leben und Wandel, so weit er aus der
Überlieferung erkennbar ist. Daß er nach 1521 nochmals
mit dem Reformator zusammengetroffen, ist wahrscheinlich,
jedoch nicht nachweisbar. Ob er davon auch viel Rühmens
gemacht hätte? Schwerlich; denn von Selbstlob, schon von
Selbstverteidigung ist er weit entfernt. Bei seiner Verehrung
Luthers wird es ihn unangenehm berührt haben, daß seine
Nichte Anna den Wittenbergern Anlaß gab, sich mit ihr be-
schäftigen zu müssen. Als sie eine Zeitlang zu der Um-
gebung der Kurfürstin Sibylle gehörte, hatte ihr Prinz
Ernst von Braunschweig-Grubenhagen „mit Beteuerung ein
Ehegelübde getan“. Der Vorfall erregte Jahre hindurch
vieles Aufsehen. Aus Rücksicht auf den Braunschweiger Hof
ließ der Weimarische den Prozeß im Sande verlaufen, zu-
mal als Ernst von Starschedel Herzog Philipp I. den Eid
zuschob, daß dieser selbst dem Verlöbnisse nicht zuwider
gewesen wäre. Luther erklärte schließlich: „Heimlich Gelübd
nichts anderst ist, noch sein kann, denn ein päpstlich Ge-
schäft und Teufelsgestift wider der Ältern Willen, d. i. wider
Gottes Gebot und Befehl den Ältern gegeben, und eitel groß
iammer und Herzeleid daraus kommt mit allerley verwirrung
und ferlichkeit der Gewissen“ ).
!) Peiferi epp., Jenae 1708, pag. 111.
) Luthers Briefe, ed. Enders, XIII. S. 320, 316; XIIII, S. At;
XV, S, 16. — König, I, 948.
135
Wenn Luther oft harte Reden führen mußte uber die
Begehrlichkeit des Adels nach Kirchengtttern!), so konnte
sich Starschedel nicht davon getroffen fühlen. Die Opfer-
willigkeit seiner Ahnen gegen die mittelalterliche Kirche
übte er gegen die evangelische Kirche. Vor vielen zeichnet
er sich aus durch sein Verständnis für bäuerliche Verhält-
nisse. Dabei läßt er nicht das geringste davon merken, als
ob er mit seiner Leutseligkeit etwas besonderes tue. Große
Gewissenhaftigkeit ist ihm eigen. Sie läßt ihn jedoch nicht
seinen Nutzen allein im Auge haben. Er verrät eine ge-
wisse Vertrauensseligkeit, wenn er wiederholt Schuldnern
Beträge borgt, die er nur mit Mühe zurückerhalten konnte. So
konnte er sich ausgeben, daß er selber Johann Friedrich
um ein Darlehen angehen mußte und bei Fälligkeit der
Rückzahlung diese nicht zu leisten vermochte, weil er von
seinen Schuldnern nichts zurück erhielt“). Sicher hat Johann
Friedrich genau gewußt, was er an Starschedel verloren
hatte, und dieser, eine mehr innerlich gerichtete Natur, wird
schwer an dem Vorwurfe der Untreue getragen haben: ob
er nicht infolgedessen von Dresden sich mehr fern hielt, als
andere? |
Ein neues Geschlecht sah er in den eigenen Söhnen
heraufkommen, dem er bisweilen fremd gegentiber gestanden
haben mag: regen Geistes, hat er versucht, sie zu verstehen.
Denn ähnlich wie ihm, wird auch den Söhnen nachgesagt,
daß sie ,sanftmütig gegen männiglich, dienstfertig und frei-
gebig gewesen seien“). Sie wurden von ihm ermuntert, in
des Vaters Fußtapfen zu treten.
Mit seinem ganzen Hause muß er vorbildlich gewirkt
haben. Daß er sich in ihm, und zwar nicht erst in späteren
Jahren am wohlsten fühlte, ist sicherlich keine bloße Ver-
mutung. Daher wird es rühren, daß er trotz seiner geistigen
Begabung öffentlich nicht so hervorgetreten ist, wie andere,
1) Eine übersichtliche Zusammenstellung dieser bei Mentz,
Bd. III, S. 2341.
9 Weimar, Beg. K, fol. 324—388, Faszikul SS 1, fol. 2ff. Er
hatte 7000 fi. erhalten, konnte jedoch blos 5000 fl. zurlickerstatten,
weil sein Schuldner ihm nichts zahlte.
3) Peccenstein, S. 87.
136
denen er an Begabung und Kenntnissen nicht nachstand.
Nach seiner ganzen Art war er in engem Kreise einflußreich.
Daher vertraute ihm auch mit Vorliebe Johann Friedrich
die Prinzen an, und nichts wird Starschedel versänmt haben,
ihnen ein gewissenhafter Erzieher zu sein. Wer möchte
vicht den Gesprächen auf Jagdausflügen gelauscht haben?
Es will scheinen, als ob auch manche Verbesserungen in der
weimarischen Hofhaltung auf ihn zurückzuleiten sind. Denn
hätte er im gegebenen Falle nachdrücklicher Bestimmtheit
ermangelt, so wäre kaum gerade er zu schwierigen Auf-
trägen und Verhandlungen benutzt worden. Zu ihnen hat
er sich gewiß nie gedrängt, Bene vixit, qui bene latuit,
mag seine Meinung gewesen sein. Es war ihm daher nur
recht, wenn er in seinem stillen Mutzschen dem Verlaufe
der Dinge folgen konnte. Hier hätte er jedoch nimmer Be-
suche empfangen, wie sein Bruder Ernst den eines Nickel
Minckwitz, welcher Sold vom französischen Könige an-
genommen hatte, selbst wenn dieser durch Ernsts Schwager,
den Leipziger Amtmann Joh. Spiegel vermittelt war!).
Dagegen scheute er sich nicht, für bedrüngte Standesgenossen :
Fürsprache zu tun, wie er auch geringer Leute sich für-
sorglich annahm.
Je länger, desto mehr galt sein Sinnen und Wirken
der evangelischen Kirche. Einer Verquickung ihrer Interessen
mit der Politik, wie er ihr bei Moritz begegnete, hat er
niemals das Wort geredet. An Kompromißsucht krünkelte
er nicht. Was er durch Luther von und an der evangelischen
Kirche hatte, schätzte er zu hoch, als daß er je das geist-
liche Regiment mit dem weltlichen Regiment vermengt hätte.
In der Zeit des Interim sah er, wie schwüchliches Nachgeben
nur größte Gefahren und schwerste Verluste zur Folge hat.
Der Bestand der Kirche verlangt unverktimmertes Bekenntnis
in Wort und Tat, um segensreich wirken zu können für die
Gesamtheit.
Vier Jahrzehnte seines Lebens hatte er hierüber
Beobachtungen anstellen können. In dieser ganzen Zeit
zeigt er sich als evangelischen Christen. An Worms er-
1) Archiv X, S. 406.
137
innerte er sich häufig, weil er hier durch Luther für
das Evangelium gewonnen worden war, und weil die Kirche:
des Augsburgischen Bekenntnisses nichts anderes als das
ganze lautere Evangelium als Regel und Richtschur hat, hielt
er entschlossen an ihr fest. Es spricht für ihn, daß er
Gefallen fand an Erasmus Alber, dem charaktervollen
Schuler Luthers, und dessen Reime für die Kinder be-
vorzugte. An ihnen erntete Starschedel das schöne Lob
Albers, daß angeborner Adel zum Adel, d. i. zur Tugend
reizen und treiben soll!). Näher jedoch liegt es, daß der
dankbare Verehrer Luthers zeitig von ihm sich hatte
sagen lassen: „Gott hat dir den Adel nicht zur Hoffart,
sondern nur zum Nutz und Gebrauch gegeben. Ein löblicher
Adel heißt, der Gott fürchtet, sein Wort ehrt, seinem Fürsten
und Herrn treu und gehorsam ist, sein Haus ehrlich und
züchtig regiert, sein armes Land schützt und fördert, wo er
nur kann“); und dem hat Dietrich von Starschedel nach-
gestrebt. S .
) Ein gut Buch von der Ehe, Bl. Giij 2, vgl. Körner, E. Alber S. 34,
5 Lutbers Werke, Erl. Ausg.. Bd. 45, S. 412; Bd. 82, S. 19.
Briefe aus dem 16. Jahrhundert.
Mitgeteilt von Gastav Bossert.
Die Sammlung historisch-berühmter Autographen oder
Faksimiles von Handschriften ausgezeichneter Personen alter
und neuer Zeit. Erste Serie Stuttgart, Ad. Bechers Ver-
lag 1846 enthält einige Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die
noch unbekannt sind. Leider sind die Briefempfänger nicht ge-
nannt, da die Anschriften nicht mit abgedruckt sind. Man
ist also auf Umwege angewiesen, um die Briefempfänger
festzustellen. Freilich ist dabei die Gefahr, daß daneben
gegriffen wird. Daher bleibt es bei salvo meliori.
]eh gebe einen Brief von Bucer, dann von: Cochleus,
weiter ein Fragment von Johann Forster, ein Schreiben von
Kardinal Albrecht von Mainz, und endliche einige Berichti-
gungen zu einem Erasmus-Brief. |
Bucer an die Prediger zu Basel, Augs-
burg 1537 Juni 9. Am 18. Mai 1537 war Bucer auf
den Ruf des Rats nach Augsburg zur Durchführung einer
Kirchenordnung und zur Hemmung jener der Wittenberger
Konkordie ungünstigen Bestrebungen gekommen und weilte
dort bis 9. Juli (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 324. 365. Anm. 103).
Der Brief Bucers enthält nur das Monatsdatum 9. Juli, aber
er kann nur, wie der Inhalt zeigt, aus dem Jahre 1537 und
der Zeit von Bucers Tätigkeit in Augsburg stammen. Denn
dieser diente, wie er schreibt, instituendis lectionibus, con-
firmandis ritibus, restitutioni disciplmae. Dabei aber be-
‚schäftigte ihn auf das heftigste die Sorge um die Gewinnung
der Schweizer für die Wittenberger Konkordie.. Über diese
Bestrebungen bekam er sehr ungtinstige Äußerungen zu hören.
Vor seiner Reise nach Schmalkalden, wo er am 7. März 1537
weilte (Schieß, Briefwechsel der Brüder Blaurer I, XLV,
Nr. 762. 2, 829), hatte er sich noch brieflich an die Prediger
139
der Schweizer Kantone gewandt, aber nicht viel ausgerichtet.
Am meisten schmerzte ibn, obwohl Bullinger in Zürich die
Führung in der Abweisung der Wittenberger Konkordie
übernommen hatte, die Haltung der Berner, auf welche er
sich Hoffnung gemacht hatte, da dort einige Vertreter der
lutherischen Richtung sich fanden (ARG. 14, 288. Kunz und Meyer.
Blösch, Geschichte der Schweiserisch- Reformierten Kirchen 1,
198fl. Hundeshagen, Die Konflikte des Zwinglianismus,
Luthertums und Calvinismus in der Bernischen Landes-
kirche 1532 — 1538, S. 372). Aber jetzt war er tiefbetrübt,
daß ihm die Berner keine Gelegenheit gaben, seine Be-
strebungen zu rechtfertigen, die dann später noch einen
glänzenden Sieg mit dem Sturz des bisher in Bern ton-
angebenden Zwinglianers Megander finden sollten, aber frei-
lich war dies nur vorübergehend. In seiner Betrübnis wandte
sich Bucer am 9. Juni an die Prediger in Basel, die noch
am ehesten eine Vermittlerrolle zwischen Bucer und den
Bernern übernehmen konnten. Denn daß der Brief an sie
gerichtet ist, ergibt sich aus dem Gruß an die nicht mit
Namen genannten Bürgermeister Jakob Meyer und tribunus
Theodor, der wohl Theodor von Brand, oberster Zunftmeister
in Basel ist, weloher 1538 April 15. an Bucer und Capito
ein Schreiben richtete (Thes. Baumianus S: 25). Merkwürdig
ist, wie man in Augsburg schon im Juni 1537 von des Kaisers
politischen Plänen verhältnismäßig gut unterrichtet war. Die
Quelle dafür wird der Graf von Ortenburg Gabriel von
Salamanea sein, der, wie wir sehen, damals im Augsburg
weilte, um für den Kaiser Geld aufzunehmen. Margarete,
die natürliche Tochter Karls V., war am 29. Februar 1536
mit Alessandro de Medici von Florenz verehelicht worden. Ihr
Gemahl wurde in der Nacht vom 5.—6. Januar 1537 durch
seinen Vetter Lorenzino ermordet, die Herrschaft aber kam
an Cosimo de Medici (Pastor, Paul III. 222). Überraschend
ist, daB Karl V. jetzt schon daran dachte, um den Papst
Paul III. für sich zu gewinnen, nicht nur seine verwitwete
Tochter, sondern auch seine Nichte, die Tochter seines
Bruders Ferdinand, an den Enkel des Papstes zu verehe-
lichen. Wirklich mußte sich die 16jührige Witwe Margarete
mit dem drei Jahre jüngeren Ottavio Farnese, dem Sohn
140
Pieri Luigis, zu unglücklicher Ehe verbinden, nachdem der
Kaiser sie im Juni 1538 zu Genua dem Papst persönlich
für seinen Enkel versprochen hatte. Merkwürdig ist, daß
die Nichte Ferdinands in der Frage des Streits um Mailand
schon 1537 eine Rolle spielte, Aber es handelte sich später
nicht mehr um einen Enkel des Papstes, dem sie gegeben
werden sollte. Es muß dem Kaiser gelungen sein, den
Heiratsplan mit seiner Nichte beim Papst anzuregen, so daß
dieser im Juni 1538 vorschlug, Mailand an Ferdinand zu
geben, welcher sich unter den weitgehendsten Bürgschaften
zu verpflichten habe, eine Tochter an den Herzog von Orleans
zu vermühlen, um ihm nach drei Jahren das Herzogtum
Mailand zu tbergeben (Pastor a. a. O. S. 204). Von der
spanischen Flotte, die Gold aus Peru bringe und einstweilen
durch Schiffe aus der Bretagne und Normandie im Dienst
des Königs Franz gehindert wurde, wird der Graf von Orten-
burg den Augsburgern zur Erleichterung einer Anleihe für
den Kaiser erzählt haben (Brittones sind nach Du Cange 1,
752 Bretagner). Der Rat in Augsburg lieh dem Kaiser
15000 fl. (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 385). Bucer aber weiß,
daß die Kaufleute die damals ungeheure Summe von 600000 fl.
liehen. Über die Ereignisse in Ungarn scheint Bucer gut
unterrichtet zu sein. Cascaw ist Kaschau im Norden Un-
garns. Alba graeca ist Belgrad.
Über die Provinzialsynode in Salzburg berichtet Winter,
Geschichte der Schicksale der evangelischen Lehre in
Baiern 2, 51ff.
Bucer an die Prediger in Basel.
Augsburg 1537 den 9. Juni.
Gratia et pax, symmistae et fratres obseruandi. Ne
quid mali dent comitia sacra Bernensium, spero, prouidistis.
Etenim hactenus inuigilare in pacem ecelesiarum soliti estis,
gratia domino. Testes eritis (2) eorum, quae ad omnes
precipuos concionatores ecclesiarum Helueticarum scripsi,
antequam Schmalkaldum irem. Quid ita afflictas alioqui
ecclesias et dissipatas nimium, quibus adhuc non defuerunt
et hostes foris et factiosi intus, ipsi affligimus et contur-
bamus? Sed moderabitur his quoque motibus deus. Hic
instituendis lectionibus et confirmandis ritibus ecclesiae, tum
aliis quibusdam negotiis pro restitutione] disciplinae detineor
141
et occupor valde. Sed tum, si dominus vitam et vires dederit,
sistam me Bernatibaus, cum volent, quibus vos illud indicabitis.
. Ego id indicare nolui, ne viderer minari. Si detrectent me
audire, et quod poscit ius gentium et naturae, non facient
copiam respondendi calumniatoribus, me compvlli(?)), vt
ad ecclesias publiee de ea iniuria querar. Facile ergo, quod
facitis, venerandi fratres et symmistae. Dabit forsan dominus
meliora. Orate pro me. HonoratiBimis viris domino consuli
et tribuno Theodoro me diligenter commendate. Hic noua
nune nulla prope sunt. Pontifex concilium distulit. Caesar
dicitur filiam et neptem suam, veduam duci(ssam) Florentinam
et Mediolanensem nepotibus papae tradidisse cum ducata
Florentino. lta augemus imperium. Hoc anno Caesar non
facile in Italiam p... piet?). Obstat inopia pecuniae. Naues,
quae ex Peru aurum adferent, haerent in noua Hispania.
Arcentur enim littore Hispanico per classem || Brittonum et Nor-
mannorum, In Hungaria dubie belligeramas. lllis(?)®), qui
Cascaw obsident, subsidium venire non potest. Quidam dux
Turcorum eum copiis venisse dicitur ad Albam graecam, vt
cinctam(?)*) Cascaw obsidione liberet. Quattuor millia Boe-
morum regi militabunt. Caesar a mercatoribus Augustanis ad
bellum praeteriti anni accepit foenore non contemnendo sexies
centena millia. Nune comes Ortenburger rursus hie diu fuit
et etiamnunc est. Creditur nouam pecuniam conflare. Vtcunque
autem hic sint istae monstrosae opes, tum populus et senatus
admodum ad pietatem duci se patitur et verbum domini
satis amat. Interim pauci isti principes mammonie suum
negotium agunt. Valete iterum(?)°) viri fratres colendissimi.
Augustae IX. Juni.
M. Bucerus vester totus.
Salisburgi episcopi et principes prosynodum habuerunt
non pro Christo, quo euentu, nescitur, illud scitur, fulmine
ictum sacrarium est, et grandine maxima pars agri in aliquot
milliaria vastata est.
Sammlung berühmter Autographen usw. Nr. 273. Landes-
bibliothek Stuttgart. Aus der Sammlung des Herrn Karl
Künzel in Heilbronn.
Cochleus®) an den Bischof Johann Dantiscus 1530 von
Culm, 1537 von Ermeland. Dresden 1534 September 9.
1) oomp und lli ist deutlich. t) jet ist sicher, p... p ziem-
lich sicher. 3) Sehr undeutlich geschrieben. *) tam ist sicher,
cin ziemlich deutlich. 5) erum ist sicher, iterum müßte Bucer auf
frühere Rriefe beziehen.
) So wunterschreibt er sich selbst, nicht Cochläus, was eine
falsche Bilduug aus cochlea wäre.
142
Die Sammlung von Autographen, welcher der Brief
entstammt, gibt die Adressen nicht. Der Briefempfänger
muß deshalb auf anderem Weg festgestellt werden. Aus
dem Inhalt des Briefes ergibt sich, daß es sich um einen
hohen Geistlichen handelt, der lang in Deutschland geweilt
und die starke Einbuße, welche die alte Kirche durch die
Peformation erlitt, wahrgenommen hatte. Auch hatte er sonst
„vieler Menschen Sitten und Städte, ja die größten und
reichsten Königreiche“ genauer kennen gelernt hatte. Das
paßt vollkommen auf Johann Dantiscus, der von 1515—1532
als Orator des Königs von Polen in Deutschland, Spanien
und Italien geweilt hat (Wetzer und Welte, Kirchen-
lexikon 3, 1397). Cochleus erinnert ihn daran, daß er ihn
persönlich kennen gelernt habe auf dem Reichstag zu
Regensburg, auf welchem Dantiscus wirklich anwesend war.
Denn hier empfing er einen Brief von Alfons Valdes
ZK G. 4, 629. Fürstemann 27 Beiheft zum Zentralblatt
des Bibliothekwesens 336). Dazu stimmt, daß Cochleus
erwähnt, Johann Dantiscus habe den Verfasser der Para-
phrasen des Psalters Johann Campensis von Regensburg mit
nach Polen genommen. Uber diesen Gelehrten, den Nestle
Theol. Re. E. 3, 51, irrig Jakob nennt, findet sich auffallender
Weise weder bei Wetzer und Welte, Kirchenlexikon 2, 1778
noch bei Hegler, Theol. Re. E. 3, 696 noch bei Rembart in
seinem reichhaltigen Buch tiber die Wiedertäufer im Herzog-
tum Jülich etwas, um ihn klar zu unterscheiden von dem
wiedertäuferischen Mystiker. Wir wissen nicht einmals ge-
nau, welcher Joh. Campanus in Wittenberg weilte und zu
Witzel nach Niemeck ging und Einfluß auf ihn gewann
Was Förstemann-Günter im 27. Beiheft zum Zentralblatt
für das Bibliothekwesen S. 37 bietet, ist wenigstens zuver-
lässig, wenn auch nicht vollständig. Auffallend ist, daß
Cochleus annimmt, Dantiscus sei seit 1532 zu höheren
Stellungen gekommen (auctam) wovon wir bis jetzt nichts
wissen, und was erst 1537 der Fall war. Nicht weniger
befremdet, daß Cochleus nichts davon erwähnt, daß er am
27. April 1534, also vor 4½ Monaten, Dantiscus seine XXI
Articuli Anabaptistarum Monasteriensium per Doctorem Jo-
hannem Cochleum confutati gewidmet hatte. (Spahn, Cochläus(!)
143
357 Nr. 102), während er doch angibt, er habe im Sommer
1534 verschiedene seiner Schriften an Bischöfe in Polen
geschickt, was durch Spahns Zusammenstellung von Cochleus
Schriften S. 357, Nr. 100 — 105 vollkommen bestätigt wird.
Cochleus will von etlichen Polen wissen, welcbe in
Wittenberg Luther und Melanchthon hören. Allein das.
Album, Academiae Vitebergense weist in den dem Brief
unmittelbar vorangehenden Jahren nur ganz wenige Namen
auf, die sich etwa als Polen erkennen lassen. Erst im Winter-
semester 1534/35, also später, als Cochleus seinen Brief
geschrieben hatte, treffen wir vier Polen in Wittenberg
Alb. Ac. Viteb. 155, 156). Es bleibt immerhin möglich,
daß sie schon einige Zeit in Wittenberg weilten, ehe sie
sich immatrikulieren ließen, und Cochleus Kunde von ihrem
Kommen nach Wittenberg hatte. Es wird sich verlohnen
festzustellen, ob Cochleus mit seinem Brief an Dantiscus
den Anstoß zu dem Verbot des Besuchs der Universität
Wittenberg durch Polen gab.
Sehr beachtenswert ist die Anerkennung Melanchthons.
dnreh Cochleus und die Sorge um die für ihn widrigen,
Folgen seiner Angriffe auf den in ganz Deutschland hoch-
geschätzten Reformator.
Neu ist die Nachricht über den Bruder des Buch-
händlers Nikolaus Wolrab in Leipzig, dem Cochleus seine
Sehwestertochter zur Ehe gegeben hatte. Über die weiteren
Sehicksale des Matthias Wolrab in Polen scheint nichts be-
kannt zu sein.
Cochleus an Joh. Dantiscus
1534 September 9.
Reuerendissime in Christo pater et domine perquam
gratiose. S. cum debita reuerentia ac prompta obsequendi
voluntate. Difficile mihi est haud immerito, ad reuerendissi-
mam dominationem fuam scribere, non solum publice, sed
iam priuatim, quum et residenciae tuae locum ignoro et
dignitatibus auctam esse reuerendissimam dominationem tuam
audiui, debitos itaque titulos reuerendissimae dominationi tuae
ascribere non possum, donec ab aliis docear de omnibus.
Generalis quidem causa scribendi ad catholici regni Polonici
episcopos facile intelligitur ex libellis, quos hac estate ad
quosdam edidi. Ad reuerendissimam dominationem tuam
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Specialis mihi est et quidem duplex. Vna, quod te vnum
ex omnibus Polonieis episcopis facie ad faciem Ratisbonae
in comitiis imperialibus alloquutus sum, altera, quod affinis
meus Mathias Wolrab Lipsensis in familiam reuerendissimae
. dominationis tuae gratiose assumptus est, cuius fratri germano
neptem meam hoc anno despondi et tradidi. Jure igitur
affinitatis illum reuerendissimae dominationi tuae suppliciter
commendo. Tertiam quoque causam adiicere possum’ quod
magno teneor desyderio intelligendi, quo modo valeat,
et ubi agat doctissimus vir Johannes Campensis, paraphrastes
psalterii, qui reuerendissimam doninationem tuam in regnum
comitatus est e Hatisbona. Ceterum potissima ac maxima
causa est, ut praemoneam cum alios episcopos tum vero
maxime reuerendissimam dominationem tuam, quae diutius
in Germania versata certius nouit, quantum malorum huic
patriae nostrae ex nouis sectis inuectum sit. Ad ea igitur
mala in amplissimo regno vestro praecauenda nemo potest
iustius aut utilius moueri, quam reuerendissima dominatio
fua, quae et apud regiam maiestatem et apud summos et
optimos quosque regni prelatos, presides, castellanos et
palatinos autoritate plurimum valet ac gratia, immo et
.eloquentia, eruditione, prudentia et rerum experientia, quae
mores hominum multorum vidit et vrbes, immo et latissima
ac opulentissima regna. Certe non leue mihi onus est,
hune | in modum irritare in me Philippum Melanchthonem,
qui eruditione ingeniique nobili Minerua fauorem et gratiam
plurimorum consecutus est. Quare si non esset prae foribus
periculum animarum et fidei, pro nulla re temporali eius in
me stylum ac odium prouocaturus eram. At circa fidei
iacturam imminentem facere aut dissimulare me non sinit
lex dei et accusatrix conscientia, Nam lex diuina et
euangelium in rebus fidei iubent posthabere non solum
.amicos familiares, verum etiam patrem et matrem, fratres
et sorores ac liberos, ne parcamus eis, si nos a vera
religione abducere studeant. Cum igitur intelligam, aliquot
adolescentes Polonos nobiles Wittenbergae Lutherum audire
et Philippum, territus Bohemorum calamitatibus, quas nobilis
quidam nomine Putridus piscis ex Anglia per libros Vuiclephi
florentissimo et christianissimo regno illi inuexit, illos vestrates
a simili periculo auocari velim (illos bis Nam aus Rand).
Nam vrget me secundum legem et euangelium conscientia,
zelus fidei, salus animarum et fraterna charitas de tanto
periculo vos episcopos et regni speculatores suppliciter
admonere, ut in tempore prospiciatis, ne quid detrimenti
respublica patiatur. Bene valeat reuerendissima dominatio
fua, sapientissime presul, et hanc meam sollicitudinem
studiumque et admonitionem, quae certe nec leui nec paruo
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mihi tum labore tum sumptu constat, clementer et gratiose
in bonam partem accipiat. Ex Dresda Misniae sub
illustrissimo principe duce Saxoniae Georgio V. idus Sep-
tembris Anno Domini M. D. XXIII E. Reuerendissimae
Dominationi Tuae
Deuotus olientulus,
A. a. O. Nr. 274. Johannes Cochleus.
Fragment einer Abhandlung von Joh. Forster.
Das nachfolgende Fragment einer theologischen Ab-
handlung in der schönen, klaren Handschrift Forsters be-
handelt das von Forster sehr geschätzte Dreiblatt christlicher
Tugenden, nachdem er auch seine drei Töchter Charitas,
Fides und Spes genannt hatte (Germann, D. Joh. Forster
S. 468 fl.). Man erkennt den gut lutherisch gesinnten und
scharf logisch denkenden Theologen aus diesen Zeilen. Es
wäre nur sehr erwünscht, daß nachgewiesen würde, welchem
Zusammenhang sie entnommen siud. Wir haben ja aus der
späteren Lebenszeit wenig Werke seiner Hand außer seinem
hebräisch-lateinischen Wörterbuch.
Deinde definit quoque fidem!), qua gentes recipiuntur
in ecclesiam et fiunt gens iusta, non simplicem esse historiae
notitiam, sed quae firmata est ef nititur super promissione
de gratuita remissione peccatorum propter Christum et eam
sibi applicat*). Tertio addit etiam spem”), quae (ut indiuidua
comes veram fidem comitatur) duplicem pacem efficit, foris
contra mundi furores adeoque cunctas corporis aduersitates )),
intus in conscientia contra ignita Satanae iacula°) vt animo
simus tranquillo, eaque vniuersa mala, nedum vt patienter
ferre, verum etiam fortiter et contemnere ef vincere possimus
simulatque veram illam liberationem) aeternamque, vitam
ac faelicitatem nune in hac etiam vita inchoemus.
Et quia doctrina de iustificatione, quae in eeclesiis nostris
Dei misericordia iam patefacta est et sonat, consentit cum
ista prophetae?) contione, quod sola fide in Christum sumus
iusti, Item quod fides firmus sit assensus, non nuda hiftoriae
notitia, Item quod spe iam salui simus facti e$ nunc gustum
habeamus vitae aeternae?).
Idea ingrediamur porta sillas, audiamus et amplectemur?)
testimonia prophetarum et apostolorum, adiungamus nos
piorum eoetibus et vera fiducia mediatoris invocemus patrem.
1) Röm. 1, 5. 16, 26. ?) Acta 18, 38. 3) 1. Thess. 1, 5.
1. Kor. 1. 8, 18. ) Rim. 8, 37. 5) Eph. 6, 16. ) Röm. 8, 21$.
7) Habakuk 2, 4. 5) Röm. 8, 21. *) Forster flektiert amplector
wie amplexor.
146
Coeterum coram mundo confiteamur constanter hanc doctri-
nam, tum et iusti et salvi sumus iuxta illud apostoli
dictum: Corde creditur ad iustitiam, ore fit confessio ad
salutem ).
Johannes Forsterus, D. (sen.)
A. a. O. Nr. 254. 1554.
Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz
und Magdeburg, an den Magdeburgischen Kanzler Dr. Christoph
Türk. Halle 1536, Januar 28.
Die Sammlung historisch berühmter Autographen, welcher
dieser Brief entnommen ist, gibt auch hier keine Adresse, `
aber der Briefempfünger ist schon in den ersten Worten des
Briefs genannt als Albrechts Kansler, der kein anderer ist
als der Magdeburgische Kanzler Dr. Christoph Türk. Dieser
war von ihm an einen Vetter gesandt worden, um mit ihm
uber den Handel mit Hans Schenitz und dessen Angehörigen,
insbesondere mit dessen Bruder Antonius (Tonius) und den
damit in Verbindung stehenden Handel mit Kursachsen wegen
der Burggraíschaft und deren Gerichtsbarkeit zu verhandeln.
Der Kanzler hatte Albrecht tiber diese Verhandlungen be-
richtet, Der vorliegende Brief ist die Antwort auf diesen Be-
richt. Der Vetter, an den Türk gesandt war, kann kaum
ein anderer sein als Herzog Georg von Sachsen. Der Brief
zeigt, wie unangenehm die ganze Schenitzsache, tiber die
am besten Hülßes Abhandlung „Kardinal Albrecht und Hans
Schenitz“ Magdeburger Geschichtsblätter 1889, 1— 82 und
kurz Enders, Luthers Briefwechsel 10, 235 ff. unterrichtet, für
Albrecht sein mußte, da Luthers Eingreifen ihn in der öffent-
lichen Meinung bloBstellte. Er erwähnt zwar Luther nicht
und will sich auch von den Drohungen Antons Schenitz
nicht schrecken lassen, aber man sieht deutlich, wie
gern er die ganze Sache aus der Welt geschafft sehen
móchte.
Die im Brief erwühnten Personen sind Dr. Andreas
Frank aus Kamenz genannt Camitianus, Schöppenschreiber
in Leipzig, über welchen Clemen im Neuen Sächsischen
1) Röm. 10, 10.
147
“ Archiv 19, 95. 20, 143. 24, 168 ff. Auskunft gibt, Dr. Hans
Eberhausen, Bath des Kardinals Albrecht in Halle, tiber
welchen Kawerau, Justus Jonas Briefwechsel 2, 55, 76, 83
zu vergleichen ist, Hieronymus Walther in Leipzig, der
Vater der Magdalene Schenits, Gattin des Hans Schenita,
und der Vormünder von dessen Kindern. |
Albrecht von Brandenburg, Kardinal und Erzbischof an den
Kanzler Dr. Türk. 1536 Januar 28.
Lieber her Cantsler, ieh hab ewr schreiben von beyden
meinen knaben nechten ganz spet entpfangen vnd her fast
gern, das meinen vettern dy lutherysche weyß zu torgaw
nicht gefallen, vnd das dy mutter nicht wyder in das landt
kommet, was aber dy ander sache betryfft, darumb ir zu
seiner lyebe geschickt, wil ich mit vernigen ewr zukunft
erwarten, vnd horen, was ir außgericht, vnd halt es darfhor,
hat man lust zu der sachen, man werdt es an dem oder
grosser nicht mangeln oder fhelen lasen, vnd habt recht
gethan, das ir meinen vetter || dahyn vermocht, das er Sachsen
des tags halber geschryben, was aber schantzen sache be-
tryfft, laß ich heut ewr concept beratslagen, wy wol es on not,
vnd wil euch nicht bergen, das doctor Camicianus heut dato sich
hat lassen angeben von wegen Walthers, der frawen vnd der
kinder, vormunder zu bitten, dan sy wolten dy bryeff vnd register
mit recht von Thonius fordern mit wyder anhang,; wy euch
doctor Eberhausen, wenn er gehort, in meinem nhamen
hernacher schryeben wirdt, so sein auch dy III m gulden
zu Leypzig erlegt, vnd wil by Walther Im rat nymants sitzen,
aber von entlichem vortrag mit der frawen vnd kindern
hor ich nichts. Ir wolt auch meinem vettern von meinen
wegen freuntlich dank sagen, das mich sein lyeb des tags
auch schántzen halber kege sachsen vorantwort, vnd mir
hat lasen antzeigen, was Thonius dem kurfürsten geschryben
vnd im willen hat, last ehr etwas auß gheen, sol ehr mich
an antwort nieht finden vnd bin auch ewr meinung, das es ||
screck gebot sein, aber nichts deste weniger kendt man es
vorkommen, so sehe ich es gern. Darvmb so ir noch bei
meinem vetter, so beger ich, Ir wollet euch mit sein lyeb
voderreden, mit was fugen vnd durch was mittel sulchs
mecht fürderlich abgewendt werden. DaB hab ich euch in eil
vf ewr schreyben ganz gnediger meynung nicht wollen verhalten.
Datum Hall vf Sanct Moritzburgk am freitag nach conuersionis
Pauli anno ich?) XXX vj. Albrecht reh
A. a. O. Nr. 278. manu propria.
1) Sic, mir unverständlich.
10*
148
Berichtigungen zu dem Brief der Erasmus an Graf Hermann
von Neuenahr (Nova Aquila vom 3. Januar. Erasmi opera
ed. Clericus 3, 1057.
Die Sammlung historisch berühmter Autographen oder
Faesimiles von Handschriften gibt in Nr. 252 auch das
Original des Briefes von Erasmus wieder, das in Erasmus
Werken 3, 1067 abgedruckt ist. Wie sonst, gibt die Samm-
lung den Briefempfünger nicht an, aber die Vergleiche des
Textes zu Op. 3, 1057 und der Wiedergabe des Originals
läßt keinen Zweifel übrig, daB es der Kölner Dompropst
Hermann von Neuenahr ist. Dagegen ergeben sich aus dem
Vergleich beider Texte einige Berichtigungen für den Text
in Op. 3, 1057. Z. 13 v. u. steht celeriter nicht im Text,
statt sequuturum ist consequuturum zu lesen. Z. 10 v. u.
ist enim nach per hunc ausgelassen. Z. 9 v. u. l. Antwer-
piam statt Antuerpiam. S. 1058 Z. 1 hat dicant keinen
Sinn. Es ist verlesen für durum; et ist ausgelassen. Es ist
zu lesen: non durum et iniustum. Nach Severum ist aus-
gelassen: Suspicantur Fabrum autorem. Z. 4 ist zu lesen:
3 Non. Ian Basileae. Am Schluß fehlt die Unterschrift
Erasmus tue Celsitudini addictiss (imus) mea manu.,
Brentiana und andere Reformatoria
| von W. Köhler‘). |
35. Praefacio in epistolam ad Galatas ex ore D. M.
Lutheri excepta 1531, missa D. Johanni Brentio a M.
Vito Theodoro ex Wittemberga.
Diese Version der Vorrede Luthers zum Galaterbriefe
ist dem Herausgeber in der Weimarer Lutherausgabe, A. Freitag,
entgangen, trotzdem ich schon 1903 in der Theol. Láteratur-
zeitung Nr. 24 darauf hingewiesen hatte. Die Einstellung
des vorliegenden Textes ist nicht allzuschwer zu geben:
wie Freitag schon festgestellt hat und die Überschrift unseres
Textes besagt, hat auch Veit Dietrich die Vorlesung Luthers
über den Galaterbrief gehört. Ein Stück von seinen Auf-
zeichnungen hat nun Dietrich an Brenz geschickt. Aber
offenbar in Ausarbeitung, genau wie das später Rörer bei
der Drucklegung auch getan hat. Und zwar hat er, wie
Freitag festgestellt hat, dabei auch Rörers Aufzeichnungen
benutzt. Umgekehrt hat aber auch Rörer Dietrichs Auf-
zeichnungen bei der Fertigstellung des Druckes benutzt,
Fraglich bleibt zunächst, ob nun die Dietrichsche Aus-
arbeitung — wohl zu unterscheiden von seinen ersten Auf-
zeichnungen! — später von Rörer für seine Ausarbeitung
benutzt wurde, oder ob Dietrich unter Benutzung von Rörers
Aufzeichnungen die eigenen frei gestaltete. Ich möchte
ersteres annehmen (in teilweisem Gegensatz zu dem analogen
Fall bei Freitag WA 40, 690). Denn die Bertihrungen
zwischen unserem Texte und Rörer betreffen nicht etwa
nur die Rörerschen Aufzeichnungen, sondern ebenso sehr die
Rörersche Bearbeitung; diese und die Dietrichs stehen auch
in unmittelbarer Beziehung zueinander. Es scheint mir aber
weniger wahrscheinlich, daß Dietrich für eine Ausarbeitung,
1) Vgl. diese Zschr. IX 8. 79—84 und 98—141, X 8. 166—197,
XI S. 941—290, XIII S. 228—989. XIV S. 118—159 und S. 386—941
XVI S. 285—246.
150
die er Brehz geschickt hat, außer Rörers Kollegheft noch
dessen Ausarbeitung benutzte, als daß Rörer, der einen für
die Offentlichkeit bestimmteu Druck vorbereitete, alles heran:
zog, was ihm von Wert erscheinen mochte. Sollte vollends
Brenz die Sendung Dietrichs schon 1531 empfangen haben,
so wäre unsere Vermutung bewiesen. Aber das ist nicht
sicher; der Schreiber des Codex Suevo-Hallensis hat die
Sendung unter 1531 eingestellt, d. h. im Anschluß an die
Akten vom Augsburger Beichstag, weil diese Zahl in der
Titeluberschrift stand, er hat 1531 zu missa gezogen, während
es ebenso gut zu excepta zu ziehen wäre und dann der
Termin für die Sendung unbestimmt bleibt. Wahrscheinlich
also ist unser Text zwischen die Aufzeichnung Rörers und
den für den Druck bestimmten Text zu setzen; er bietet
ein genaues Analogon zu dem WA 40, 24e bzw. 690 ge-
schilderten Fall.
Prefacio in Epistolam ad Gal. ex ore D. M. L. excepta
1531 missa D. Joben. Brentio a M. Vito Theod. ex Wittemberga.
Primum dicendum est de argumento et materia subiecta
huius epistole. 1. de qua re agat Paulus. Est autem hoc
quod vult stabilire doctrinam illam iusticie fidei et gracie et
remissionis peccatorum, ut habeamus perfectam cognicionem et
differeneiam inter iusticiam Christianam et alias omnes iusticias.
Justicia enim multiplex est. Quedam politiea, quam tractat
Cesar et principes mundi, Philosophi et Sapientes. Alia
esí Ceremonialis, quam tradunt seu exercent tradiciones
humane et Papa, sed peius, melius autem pater familias et
pedagogi, qui habent necessarias ceremonias propter com-
ponendos gestus et certas observaciones. Supra has est alia
quedam iusticia legalis seu decalogi, quam Moses et nos
efiam docemus post doctrinam fidei. Sed he omnes iusticie
fluunt ex preceptis et versantur in operibus nostris. Ergo
ultra et supra has omnes est Cristiana iusticia et diligenter
ab illis discernenda est. Sunt enim huic prorsus contrarie,
scilicet nate ex legibus et preceptis vel tradicionibus, et
(Mser.: et et) tales que a nobis fiunt sive ex puris naturalibus,
ut sophiste loquuntur, sive ex dono dei — quia et he iusticie
dona dei sunt sieut omnia nostra, Breviter quicquid tale
est quod nos facimus et nostrum opus vocatur, non est
iusticia Christiana. Sed hec est plane contraria et mera
passiva sicut ille sunt active, ubi nihil operamur ef facimus,
sed tantum recipimus et patimur alium operantem in nobis,
scilicet deum. Et hec est inscicia!) in misteria abscondita,
!) lies: iusticia.
151
quam mundus non iutelligit et Christiani ipsi diffieulter et
non satis comprehendunt. Adeo semper est inculcanda et
assidue usu exercenda. Quia qui in tentacionibus et peri-
culis hanc non tenet vel apprehendit, non potest consistere,
neque est ulla consolacio conscienciarum, quam illa passiva
iusticia, Fit enim naturaliter in tentacione et pugna con-
sciencie, quod heremus in hoc spectro et intuemus(/!] legem,
et sic tantum magis confunditur consciencia. Nec potest se
hine evolvere natura ef racio ef attollere se ad aspectum
buius iusticie. Quia hoc situm est extra cogitaciones ef
captum humanum adeoque et iam extra legem dei, que
quamvis summum est bonum, quo sunt in mundo, tamen
longe est infra hane Christianam iusticiam, ita nobis hoc
malum est affixum operante et iam diabolo cum natura quod
intencione nihil spectamus et desideramus nisi nostram
iusticiam, cum famen nullum aliud remedium sit nisi in
iusticia fidei et aut morte eterna perire aut hano fidem depre-
hendere ct tenere, que dicat: Non quaero iusticiam activam,
quamvis hec quoque facienda est, et posito quod istam omnem
habeam, tamen eam non possum confidere nec per eam stare
eoram deo. Sed simpliciter reiicio me extra omnem activam
et meam iusticiam et extra conspectum legis et tantum volo
recipere aliam passivam, que est iusticia gracie et remissionis
peccatorum et in summa Christi et spiritus sancti, quam ipse. dat
et nos adeipimus. Sicut terra pluviam accipit, quam ipsa non
gignit nec ullo suo opere, cultu aut viribus potest acquirere, sed
tantum dono celesti desuper recipit; quam erga!) propria terrae
est pluvia, tam propria est nobis ista iusticia. Hec cum
dicuntur putamur esse facilia, sed res et experiencia docet
nihil esse difficilius. Det dominus graciam et salutem,
aliquam cognicionem retineamus, ne ab intuitu gracie ad
legem relabamur. Quia summa ars et sapientia Christi-
anorum est nescire légem, ignorare opera et totam iusticiam
activam. Sicut extra Christianos et populum dei summa
sapiencia est nosse et inspicere legem. Mira res docere
homines, ut discant legem ignorare et sic vivere coram deo
quasi nulla sit lex et tamen contra in mundo sic urgere
legem et opera, quasi nulla sit gracia, utrumque recte securi
debetur secundum Paulum, ut sic informes consciencias ad
Spectandam graciam, quasi nulla sit lex in mundo, alioqui
nemo potest salvus fieri Quia lex et exactio operum sic
urget et premit, ut cogantur desperare ef ruere. Econtra
quando humiliare et terrere volumus, ibi nihil est ponendum
ob oculos nisi lex, que est data ad humiliandum, vexandum
et exercendum veterem hominem. Hic ergo requiritur prudens
!) lies: ergo.
152
et diligens pater familias, qui sic moderetur legem et intra
suos limites maneat promens nova et vetera, cum est com-
modum. Nam qui sic docent legem, quod per eam iusti-
fioentur homines coram deo, illi iam ex[ejesserunt hos limites
ef confundunt has duas iusticias, activam et passivam. Sunt
modo dialectici, qui non recte dividunt. Cum ventum est
ultra veterem hominem, iam iam sum ultra legem, qnia caro
vel vetus homo et lex ac opera sunt coniuncta, sic etiam
vel novus homo ef evangelium seu gracia. Cum ergo video
hominem satis contritum presenti lege et sentire peccatum ete.,
ibi iam tempus est tollere legem ex oculis et conspectu et
ingredi alteram iusticiam, in qua regnat non lex, sed gracia,
sicut ait Paulus [Röm. 6, 14]: iam non estis sub lege, sed
sub gracia. Quomodo non sub lege? secundum novum
hominem, quia ad hunc nihil pertinet lex, quia lex usque ad
Chistum II], hoe veniente cessat lex, Sabbathum, Moses et
prophete. Hic est nostra theologia, qua docemur acurate
distinguere has duas iusticias, quod utraque sit necessaria,
sed intra suos limites continenda. Quod dico, ne quis putet
bona opera reiicere aut vetare, sicut adversarii de nobis
elamant non intelligentes neque quid ipsi neque quid nos
loquamur; nihil enim norunt nisi solam iusticiam legis, et
tamen volunt iudicare de doctrina, que posita est longe supra
et ultra legem. Ideo non possunt non scandalizari, cum
nihil alcius videre et comprehendere possunt quam legem. Nos
vero quasi duos mundos constituimus, unum celestem, alterum
terrenum et in illos ponimus has duas iusticias separatas
et longissime inter se distantes; iusticia legis terrena est et
de terrenis agit operibus, tantum exercetur, que nihil
pertinent ad illam celestem i. e. christianam iusticiam, per
quam ascendimus super omnia opera et leges. Sicut ergo
portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem celestis,
ait Paulus [1. Cor. 15, 49], qui est novus homo et in novo
mundo, ibi nulla est lex et consciencia, sed liberrima vita, salus
et gloria, per quid ergo aut quid facit? Nihil, quia heo
iusticia est prorsus nihil facere, nihil statuere et audire de
operibus legis, sed hoc solum, quod Christus sedet ad dextram
patris pro nobis intercedens et regnans per graciam, ibi
nihil lucet et videtur quam gracia et nullus terror vel
remorsus consciencie. Sicut Johannes inquit [1. Joh. 3, 9]:
Qui natus est ex deo, non potest peccare etc. Quia in
hane iusticiam non cadit peccatum, cum ibi nulla sit lex;
ubi non lex, non est ibi nec prevaricacio. Cum ergo hic
peecatum non habeat locum, nulla est consciencia vel pavor
et tristicia, et si adsit, signum erit Christum et graciam
amissam e conspectu vel tanquam nube obducta obscuratam.
Sed ubi vere est Christus, ibi necesse est adesse gaudium
153.
in domino et pacem cordis; quod sio statuit, licet sim
peccator legalis in iusticia legali, non tamen ideo mereor,
quia Christus vivit, qui est mea iusticia et in illa vita
nullum habeo peccatum et conscienciam. Sum quidem
peccator secundum hane vitam et eius iusticiam et et filius
Adam, ubi adcusat me lex et regnat, sed supra hane vitam
habeo aliam vitam, aliam iusticiam, que nescit peccatum et.
mortem, sed est vita eterna, propter quam eciam hoc corpus
mortuum resuscitabitur et liberabitur a servitute legis et
peccati. Itaque utrumque manet, dum hic vivimus, quod
earo adeusatur, exercetur, contristetur et conteritur iusticia
activa legis, sed spiritus regnat, letatur et salvatur iusticia.
passiva Christi. Qui contrivit peccatum, legem ef mortem
et triumphavit illam in se ipso Collo. 2. (V. 15]. Hoo
ergo agit Paulus in hac epistola, uf nos diligenter instituat,
eonfortet et retineat in cognicione perfecta huius Christiane
iusticie. Quia amisso hoc loco vel articulo amissa est simul
doctrina Christiana tota, quia sine hac quiequid est in
mundo, est vel Judeus vel Turea vel papista, quia inter
has duas iusticias, activam legis vel passivam Christianam,
non est medium — ergo qui ex hac excidit, hunc oportet
in alterum circulum relabi, ut amisso Christo ruat in fiduciam:
operum etc. Sicut videmus in omnibus sectariis, quod nihil
docent nec reete possunt docere de hac iusticia gracie, sed
tantum ferent in iusticia legis, quia nemo illorum potest
intrare in hanc cognicionem ef ascendere ultra illam activam.
iusticiam, itaque manent iidem, qui fuerunt sub (Mser.: sup)
papa, nisi quod nomina ef opera nova faciunt, cum res sit
` eadem, Ideo nos sic semper urgemus ef inculeamus hunc
locum, scientes hee, quam sunt facilia dictu tam esse diffi-
eilia experiencia ef usu, efiamsi diligentissime acuas ef exer-
ceas et intencione conscienciam pacifices et traduceris a con-
spectu legis ad conspectum gracie, et eum caro et sathan
opponit conscienciam peccati, iram dei et infernum, ut te
Sibi subiiciat et abstrahat a Christo. Nam tum pereundum
fibi est, nisi secundum ista noveris discernere et revocare
earnem, que egreditur extra suos limites volens ascendere
in regnum consciencie et damnare in corde, in quo debet
regnare Christus ef servare conscienciam pacatam et letam
in pura ac sana doctrina evangelii et cognicione istius
passive iusticie. Hane eum intus habeo, tuno demum prodeo
foras in aliud regnum et descendo de celo tanquam pluvia
fecundans terram i. e. facio opera bona ef subiicio me per
earitatem legibus ef aliis necessitatibus huius vitae (Mscr.:
vita) etc. Hoc esf epistole argumentum, quod sumit Paulus
tractandum occasione adcepta a falsis doctoribus, qui istam
doctrinam obscurarunt Galatis eto.
Mitteilungen.
Zum Passional Christi und Antichristi.
8.1) G. Kawerau hat bereits darauf hingewiesen, daß einzelne
Bilder aus Cranachs Passional, und zwar unter Benutzung der Original-
:stücke, noch Verwendung zur Illustration anderer Druckschriften des
16. Jahrhunderts fanden). Zwei Fälle dieser Art waren ihm bekannt
‚geworden: a) Bild 18 (Christus lebrend und die Kinder segnend) kehrt
wieder in „Kirchen Agenda... Für die Prediger in. . . Mansfeld“.
Eisleben, Urban Gaubisch, 1580. 4°; b) Bild 18 (Der Papst, von
Kardinälen und Bischöfen begleitet, reitet der Hölle entgegen) kehrt
wieder auf der Titelrückseite in „Eyn Clag der deutschö Nation an
den almechtigen gott. . .* o. O. u. J., 4° (Wittenberg, 1521) ).
Von diesem Bild 18 existiert nun auch ein alsbald nach der
Veröffentlichung des Passionals entstandener Nachschnitt, der es
im Gegensinne gibt. Er findet sich als Titelholzschnitt in einem
Einzeldruck des berühmten Hans Sachsschen Dialoges: „Von einem
Schumacher: vnd Chorherren: ein vast || kurtzweilig Christliche
disputation (von der Euan-|gelischen Wittenbergischen Nachtgallen. ||
MdXXIIII. Hans Sachs.“) Wie der Holzschnitt ein Nachschnitt, so
scheint auch der Text ein Nachdruck zu sein. An jenem weist manches
nach Straßburg. Die Vorlage ist inhaltlich und formal im wesent-
lieben unverändert wiedergegeben; abgesehen von der Umkehrung der
Komposition treten ale bedeutsamste Abweichungen hervor die Aus-
bildung der Bergkuppe im Mittelgrunde vor dem Felsmassiv im Hinter-
grunde, die Verminderung des päpstlichen Gefolges und die deutlichere
Kennzeichnung der im Höllenfeuer schmachtenden Personen, die über-
1) S. Archiv für Reformationsgeschichte 17, 1920, S. 71 f.
2) Weimarer Lutherausgabe 9, 699. |
*) Diese Schrift ist außer in der von Kawerau a. a. O. ge-
nannten Fürstl. Bibliothek zu Wernigerode u. a. noch vorhanden in
Berlin, Staatsbibliothek (2 Exemplare: Yg. 7621 und Yg 7692).
) Hans Sachs. Hrsg. von A. v. Keller u. E. Goetze, Bd. 24 (Biblio-
thek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. 220), Enr. 7i.
155
dies auf drei (statt fünf) nebst einem Teufel reduziert sind, als Ton-
surierte. Beziehungen zwischen Titelbild und Text bestehen. nicht.
Der Holzschnitt ist durchaus unabhängig von diesem entstanden und
dürfte wohl einige Zeit vor ihm gearbeitet sein ).
Georg Stuhlfauth.
Zum Briefwechsel Veit Dietrichs.
Zu den im 12, und 18. Bande des Archivs für Reformations-
geschichte mitgeteilten Briefen Veit Dietrichs bietet die Regierungs-
bibliothek Ansbach eine kleine Ergänzung. Unter den Reformatoren-
briefen aus den 16. Jahrhundert ist auch er mit einem Schreiben an
den Schaffer Joh. Seubold von St. Sebald ) vom Regensburger Religions-
gespräch vertreten. Seubold diente nach demselben als Vermittler
zwischen Wittenberg und den protestantischen Gelehrten zu Regensburg.
Die von Flemming und Albrecht gesuchte Biographie Veit
Dietrichs von Zeltner befand sich zuletzt in der Ebnerschen Bibliothek
zu Nürnberg ?).
Etliche Briefe von Veit Dietrich hat Seb. Stiber seinem „Prozeß
der Hailsbrunnischen Handlung das kayserlich ja verfluchte Interim
belangend zusammengebracht durch Sebastian Stieber prediger zu der
Zeyt zu Hailsbrunn im 1548 Jahr“ einverleibt“).
Veit Dietrich an Joh. Seubold Begensburg. 10. Härz 1546.
Salutem in domino. Eur Schreiben, lieber Herr Schaffer, ist
mir heut zukommen samt den eingelegten Schriften von Witten-
berg, die mir und allen andern Herrn ser lieb gewest. Denn aie
nu bis in die vierte Woche nichts von Herrn Philipp gehabt. Unser
Handel läßt sich gar leppisch an. Die Presidenten sagen, sie können
von der kays. Mjt. geschickten Resolution nit weichen noch etwas
nachgeben. So kennen wirs nit einraumen. Ist beschlossen, darauf
bei k. Mjt. beschids sich zu erholen, ob sie wolte etwas lindern.
Wir künnen solches nicht wegern; aber wie wit begert, im colloquio
furtzuschreiten, da wollen die schalk, so sich kaiserische colloquenten
nennen, nit hinan. Besorge einer langen und langweiligen Feier,
kann aber mit keinem Fuge es dahin bringen, daß ich mit ehren
wider davon kome. Dem Malvenda ist hie simlich gelohnet.
Als er die leut mit Haufen hat sehen in die Kirch zur Predigt gehen,
1) Vgl. noch C. Kaulfug-Diesch, Lukas Cranachs Passional
Christi und Antichristi, in Der Sammler, Wochenschr. für alte und
neue Kunst 19, 1922 S, 65—70, mit 7 Abb.
1) 1520—1535 Kaplan, 1535—1549 Schaffer bei St. Sebald:
G. E. Waldau, Nürnbergisches Zion, Nürnberg 1787 S. 11, 19.
Beiträge zur bayr. KG. X, 80.
5 G. A. Will u. Chr. C, Nopits ch, Nürnbergisches Ge-
lehrtenlexikon VI. 1802 Altdorf, S. 218.
t) Bibliothek zu Wolfenbüttel,
156
hat er sich daruber erzürnet und deudsch gesagt (denn der schalk
kann es ziemlich): es sey unrecht, daß man also zur kezerischen
Predigt gehe. Der Hausknecht hat gesagt: es sei kein ketzerische
Predigt, die Tumpredigt sey ketserisch. Als nun ein wort das ander
erregt und Malvenda erzürnet, hat er sum rapier gegriffen; aber
der knecht sein nit gewartet, hat im mit eim leuchter auf die brust
geworfen, daß er zu boden gefallen und sich davon gemacht. Dieser
ist meines Erachtens der beste disputator fur diese gesellen. Ways auf
dismal mer nit anzuzeigen. Laßt Euch mein Haus befolen sein. Und
grußet mir die Herren alle, sonderlich unseren guten Nachbaurn den
Bernbecken, den laßt solches lesen. und behalt diese und andere
folgende Brief bei einander.
Datum Regensburg an des Herrn Faßnacht 1540.
V. D.
Johans(?) lest euch alle grügen.
0 K. Schornbaum.
Neuerscheinungen.
In seiner Abhandlung „Die weltgeschichtliche Bedeutung der
Wittenberger Reformation“ bekämpft O. Scheel nachdrücklich das
Zerrbild, das, wie sich besonders im Jubiläumsjahre 1917 gezeigt hat,
der der Kriegspsychose verfallene westeuropüische Protestantismus aus
der deutschen Reformation als dem „Vorläufer des Potsdamer Militaris-
mus“ gemacht hat, wogegen als der eigentliche Reformator Calvin
gefeiert wird. Diesen Verirrungen gegenüber zeigt Scheel, daß die
Führer der westeuropäischen Reformation mit Luther eng verbunden
sind, der der Schöpfer und Träger der Reformation bleibt. Letztere
aber kann nicht als eine Teilerscheinung des Mittelalters begriffen
werden, sondern führte, indem sie das geistliche Leben entrechtete
d. h. vom Recht befreite, und das Recht entgeistlichte, d. i. der Herr-
schaft des göttlichen Rechts ein Ende machte, eine völlig neue Welt
herauf und zwar eben jene Welt, in der wir leben. Den Grund, auf
dem sich die neue Zeit aufbauen konnte, hat Luther gelegt. Übrigens
läßt Scheel auch Calvin volle Gerechtigkeit widerfahren; er bedauert
auch nicht, daß das Luthertum sich im 19. Jahrhundert mehr und
mehr ,calvinisiert^ hat, eine Entwicklung, die in dem gegenwärtigen
Neuaufbau der deutschen Landeskirchen als Synodalkirchen ihren Ab-
schluß findet, und begrüßt es mit Holl als ein Glück, daß wir in
Deutschland reformierte Gebiete neben lutherischen haben. Festgabe
z. 70. Geburtstag von A. von Harnack, S. 869—888, Tübingen, Mohr 1921.
Mit Calvin im besonderen beschäftigt sich Hans von Schubert.
Er schildert den großen Genfer Refornıator als den Meister der pro-
testantischen Religionspolitik, der beides besaß: die weltweiten Ziele
und den Sinn für Form, Ordnung und Zucht, einen Mann von höchsten
organisatorischen, politischen Fähigkeiten, der über die volle Einsicht
157
in das innere Wesen der Sache gebot und über den tödlichen Ernst,
sie in Reinheit durchzuführen. Die politischen Nachwirkungen seines
vom Verf. mit Meisterhand umrissenen Lebensganges erstreckten sich
über die Jahrhunderte: durch Calvin ward die von der politischen nicht
zu trennende Religionsfrage aus einer deutschen zu einer europäischen;
der politische Calvinismus aber stellte sich in den Zeiten der Gegen-
reformation rettend und schützend vor den deutschen Herd der Re-
formation, und fund endlich, als er im 17. Jahrhunderte hier versagte
und auch Calvins eigenstes Werk, der französische Calvinismus, zu-
sammenbrach, in der ruhmvollen holländisch-englischen Geschichte in
mannichfacher Misehung und Abwandlung seine Fortsetzung bis in die
moderne Kulturwelt hinein. Überhaupt hat Calvin dem neuen Ver-
hältnis von Kirche und Staat, von Religion und Politik den Weg ge-
bahnt: der Glaube frei im Staat, das Gewissen des einzelnen auf sich
allein gestellt und somit auch der Staat den Dingen des Glaubens gegen-
über frei, die Kirche aber dem Staate die willigsten Dienste leistend,
indem sie die Pflege der sittlichen Werte im breiten Umkreis der sozialen
Pflichten fruchtbar macht. — In „Meister der Politik“ S. 167—498
(Sonderdruck). Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart und Berlin 1922.
P. Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. Bio--
graphische und quellenkritische Studien zur Reformationsgeschichte.
Herausgeg. mit Unterstützung der Hist. Komm. f. den Volksstaat Hessen,
der Notgemeinschaft der deutschen Wissensch. und der Schles. Ges.
z. Förder. der ev.-theel. Wissenschaft. l
Das Buch bildet, wie auch der Untertitel andeutet, kein einheit-
liches Ganzes, sondern setst sich aus verschiedenen kleineren und
größeren Untersuchungen zusammen, die auch für sich bestehen könnten.
Zuerst zeigt K. auf Grund der Veröffentlichung der ältesten Reichs-
regietraturbücher Karls V., wie durch das Mittel der primariae preces
der Kaiser über einen reichen Schatz von Gnade und Gunst verfügen
und dadurch die Haltung zahlreicher Personen (selbst auch in der
Glaubensfrage) beeinflussen konnte. Ein zweiter Abschnitt handelt
von den Ausschüssen des Reichstages. Daran schlieBen sich, vielleicht
der ertragreichste Teil des Buches, Untersuchungen über die papistische
Aktionspartei unter den Reichsfürsten und über die Mitarbeiter Aleanders
am Wormser Edikt im deutschen Hofrat und bei den übrigen Mit-
gliedern der alten kaiserlichen, wie in der burgundisch-spanischen
Regierung; es ergibt sich, daß in der Umgebung des Kaisers für eine
kirchliche Vermittlungspartei kein Raum war, Nun folgen 4 mehr
oder minder miteinander zusammenhängende Abschnitte über Luther
in Worms (Vorgeschichte der Berufung; letzter Versuch zur Aus-
schaltung des Reichs durch Beeinflussung Kurfürst Friedrichs; die
Verhandlungen über Luther; Luther vor Kaiser und Reich). Hier
wandeln wir in der Hauptsache auf bekannten, nicht am wenigsten
von Kalkoff selbst uns erschlossenen Pfaden; doch sucht letzterer be-
sonders in den reichbaltigen Anmerkungen, seine Auffassung noch zu ver-
158
tiefen oder ihr neue Stützen hiozuzuführen. Der 8. Hauptabschnitt
erhärtet gegen N. Paulus die Verfassungswidrigkeit des Wormser
Edikts und legt die Zusammenhänge zwischen dem Zustandekommen
dieses erschlichenen Reichsgesetzes und den Festsetzungen des Reichstags
über Romzugshilfe und Reichsreform dar, Endlich greift der letzte
Abschnitt auf Friedrich den Weisen zurück, um dessen aus tiefer
Überzeugung hervorgehende Fürsorge für das Gelingen des Reformations-
werks nochmals hervorzuheben. Den Band schmücken Bilder des
Reformators und seines Hauptgegners von 1521, Hieronymus Aleanders.
München und Berlin, R. Oldenbourg 1923. VII, 486 8. M. 85.—, geb.
M. 105.—.
Karl Holl, Gesammelte Aufsätse zur Kirchenge-
schichte. Bd. I Luther (Tübingen, Mohr 1991, 458 8. M. 96.—,
geb. 114.—). Man muß Holl su dem Entschluß, seine im Laufe der
letzten 10—12 Jahre entstandenen und in verschiedenen Zeit- und
Gelegenheitsschriften veröffentlichten Aufsätze über Luther an
einer Stelle zu vereinigen, lebhaft beglückwünschen. Erst dadurch
ist diesen gehaltvollen Darbietungen gleichsam die Dauer verbürgt.
Und wenn je, bedarf, lehrt uns Holl, die Gegenwart Luthers, um der
Verwirrung der Gewissen zu steuern und angesichts des sichtlich im
Wachsen begriffenen, aber von der Gefahr, sich in Aberglaube und
Träumerei zu verlieren, bedrohten Sinnes für Religion eine Gesunduag
herbeizuführen. Die einzelnen Aufsätze behandeln die Fragen: Was
verstand L. unter Religion?; die Rechtfertigungslehre in L.s Vor-
lesung über den Römerbrief mit besonderer Rücksicht auf die Frage
des Heilsgewißheit; der Neubau der Sittlichkeit; die Entstehung von
L.’s Kirchenbegriff; L. und das landesherrliche Kirchenregiment; L.'s
Urteile über sich selbst; die Kulturbedeutung der Reformation; L.'s
Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungakunst. Die Aufnahme
der beiden letzten Arbeiten in die Sammlung ist um so wertvoller,
als sie bisher nur als Vorträge mündliche Verbreitung gefunden haben.
Die beigegebenen reichhaltigen Anmerkungen geben teils die Beleg-
stellen, teils dienen sie der kritischen Auseinandersetzung des Verf.
mit andern Forschern.
P. Wernle, Melanchthon und Schleiermacher. Zwei dog-
matische Jubiläen, gibt einen am 10. Oktober 1921 in Baden vor dem
schweizerischen Göttinger Krünzchen gehaltenen Vortrag wieder. Hat
von den beiden Glaubenshelden jeder seine Stärke da, wo er sich vom
andern unterscheidet — Mel. im engen Anschlus an das Bibelwort
und in der Absage an die Philosophie, Schl. in der Freiheit von allem
Biblizismus und der Harmonie von Glauben und Denken — so predigen
sie doch beide eine gegenwürtige Erlósung, ein neues Leben in Frieden
und Freude, festem inneren Halt und sittlicher Kraft, das sich scharf
abhebt vom Leben unter der Sünde in der Unseligkeit und das wir
alle der Wohltat Christi verdanken. Sammi. gemeinverst. Vorträge
u. Schriften aus d. Gebiet der Theol. u. Religionsgesch. 98. Tübingen,
Mohr 1921. 54 8. M. 9.—.
159
Zu der aus dem Mittelalter überkommenen. bis heute fast lücken-
los erhaltenen Bibliothek der protestantischen Stadtkirche zu Schwa-
bach gibt H. Claus, der Verf. der Reformationsgesch. der Stadt,.
in 1797 Nrr. ein sorgfältig gearbeitetes Verzeichnis (Die Schwabacher
Kirchenbibliothek). Die Bibliothek zerfällt in Hess. als ältesten.
Teil, Wiegendrucke und Drucke nach 1500, unter denen die des Zeit-
alters der Reformation (seit 1518) hervorragen. Eine Einführung, die
u. a. von der Geschichte der Bibliothek handelt, Einzelheiten aus den
ältesten Hes. beibringt und die Drucker und Druckorte des 15. u. 16,
Jahrh. verzeichnet, geht vorauf; den Schluß machen Sach-, geographisches
und Personenregister. München, Müller & Fröhlich 1921. 117 S. M. 18.—.
Jos. Ehret, Das Jesuitentheater zu Freiburg in der
Schweiz I. Die äußere Gesch. der Herbstepiele von 1580 bis 1700,
mit einer Übersicht über das Schweizerische Jesuitentheater (Freiburg:
i Br. Herder 1991. XV, 959 S. mit 7 Tafeln und 2 Karten M. 50.—) —
arbeitet auf einem fast noch unbeackerten Felde und kommt s. T..
über Materialsammlung nicht wesentlich hinaus; gleichwohl ist die:
Arbeit als Beitrag zur Geschichte des Jesuitismus in der Schweiz.
sowie zur Literatur- u. Kulturgeschichte willkommen zu heißen.
Zeitschriftenschau.
(Fortsetzung von Heft 73).
Landsehaftliches. Aus den BIL f. Württemb. KG, NF 25 (1921).
Heft 8/4, der Festschrift su unseres eifrigen Mitarbeiters D. Gustav
Bosserts 70. Geburtstage, erwähnen wir die Beiträge von Duncker,
Die kirchlichen Zustände Heilbronns vor der Ref. (S. 111—128); O. Lense,
Isnyer Altdrucke (= Verz. der Drucke 1501—1517 der Bibl. der ev.
Nikolauskirche in I.) S, 198—178; Rentschler, Zur Frage der
Schwarzwaldzuflucht des Joh. Brenz (S. 178—181); M. von Rauch,,
Theologen und Ketzer in der Beleuchtung eines luth. Gelehrten (des
Heilbronner Syndikus Stefan Feierabend + 1574), 8. 181—187; v. Kolb,
Die alte Konsistorialbibl, (S. 187—194).
In der Sonntagsbeilage zum Schwäb. Merkur Nr. 160 (Abendbl.
9. April 1921) behandelt G. Bossert „Die Schwenckfelder in Cann-
stadt und ihre Freunde". Die Lehre Schw.'s in C. hat besonders durch
die Predigten Burkhardt Schillings im benachbarten Stetten Fuß ge-
faßt; den geistigen Mittelpunkt bildete der Buchhändler Andreas Neff,
der auch in schweren Prüfungen für seinen Glauben einstand.
Eine lebendig geschriebene, kurze Geschichte der Reformation
der Stadt Straßburg i. E. bis 1586 gibt R. Reuß in Bull. de la Soc.,
de l hist. du prot. francais Bd. 66, 232—261; 67, 249—280; 68
257—975; am Schluß eine Bibliographie.
In Z. d. Ges. f. Befürder. der Geschk. von Freiburg Bd. 36
S. 58—67 stellt E. Krebs fest, daß das Gutachten, das die Universität
Freiburg am 12. Oktober 1524 dem Erzh. Ferdinand über Luthers
Lehre erstattete, seinem Hauptteil nach aus der päpstlichen Bann-
160
bulle und der Pariser Universitätszensur vom Mai 1520 abgeschrieben
ist, natürlich ohne Quellenangabe.
^ In ZKG 3A (= NF Bd. 2) 3. 1—44 behandelt P. Kalkoff „die
Vollziehung der Bulle Exsurge insonderheit im Bistum Würs burg“.
Besonders beachtenswert erscheint der Hinweis, wie das erdrückende
Übergewicht des Adels in den Einrichtungen der Kirche, die zu einer
Versorgungsanstalt für den jüngeren Nachwuchs dieses Standes herab-
gesunken war, sich hernach als stürkste Süule der Gegenreformation
und damit als eine der vornehmsten Ursachen der konfessionellen,
dann territorialer Zersplitterung und schließlich der politischen Ohn-
macht Deutschlands erwiesen hat.
Über die Ansbacher Synode 1556 handelt aktenmügig K. Schorn-
baum in BBK 27, 1 S, 1—11; 2 S.,88—48; 8 S. 106—118 und 4
S. 161—168.
In Monatsh. f. Rhein. KG 15, 1—3 S, 8—27 betrachtet J. Has-
hagen die Bundesgenossen, die an geistlichen und weltlichen Fürsten,
an Weltgeistlichen, Orden und Laien die jesuitische Gegenref. in den
Eheinlanden gefunden hat, sowie deren Vorläufer.
O. Clemen weist einen Fabian Kayn als einen der frühesten
Evangelischen unter den Meißner Domherren nach und gibt den In-
halt eines reformationsgeschichtlichen Sammelbandes der Leipziger
UB (Kirch.-Gesch. 1087 1) an: NASG 42 s. 259—261.
Einen von J. K. Seidemann aus dem Orig. der Landesbibl. in
Dresden mangelhaft veröffentlichten Brief des Zwickaner Franziskaner-
guardians Martin Baumgart an 2 Ordensbrüder vom Jahre 1522 über
seine Streitigkeiten mit Nikolaus Hausmann und dessen Anhang in
der Stadt Zwickau druckt G. Sommerfeldt in Franziskan. Studien
VIII, 1 S. 80—84 mit Erläuterungen erneut ab.
Eine Untersuchung über die Säkularisation des Klosters Coelled a
im Lichte der Frage, ob seine Güter „bestimmungsgemäß“ verwandt
worden sind, führt L. Naumann zu dem Ergebnis, daß man im ganzen
Reformationsjahrhundert an der bestimmungsmäßigen Verwendung des
‚alten Klosterguts festgehalten, später freilich sich von dieser Grund-
lage mehr und mehr entfernt hat (woraus Vf, Nutsanwendungen für
die Gegenwart zu gewinnen bemüht ist): ZVKG Prov. Sachsen 18, 1—20.
Im Correspondenzbl. des V. f. Gesch. d. evangel. Kirche
Schlesiens Bd. 17, 1 stellt S: 51—63 Söhnel die ersten ev. Geist-
lichen von Wohlau fest und behandelt S, 64—67 die kirchlichen Ver-
hältnisse in Raudten 1519—1549. Ebendaselbst S. 68—102 bietet
Th. Wotschke aus dem Dresdener HStA eine Anzahl Urkunden zur
-schles. Reformationsgesch., die sich vornehmlich auf den evangelischen
Augustinerabt Paul Lemberg, einen der ersten Anhünger der Ref, in
Schlesien beziehen. Anderes betrifft Glogau, das Kloster Trebnitz,
-die Stadt Freistadt usw.
Die brandenburgisch-nürnbergische
Norma doctrinae 1573.
Von Karl Schornbaum.
I
Mit dem Tage von Zerbst hatten die Bemühungen
Jakob Andreäs, zwischen den Theologen Niederdeutsch-
lands Einigkeit durch Annahme einer von ihm entworfenen
Formel über die fünf wichtigsten Streitpunkte zu stiften,
einen vorläufigen Abschluß gefunden. Allerdings ent-
sprach dieser nicht ganz seinen Erwartungen. Dennoch
ließ er sich nicht irre machen; er wandte sich nun nach
Oberdeutechland. Am 19. Oktober 1570 überreichte er
dem Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg sein
vom Herzog Julius von Braunschweig ausgestelltes Be-
gleubigungsschreiben!). In Ansbach war man über seine
Mission nicht im Unklaren. Gemäß der bestündigen
Fühlungnahme der Hófe zu Ansbach und Stuttgart in
allen wichtigen politischen und theologischen Punkten
hatte Herzog Ludwig von Württemberg seinem Onkel,
dem Markgrafen, gelegentlich der Hochzeit des Pfalz-
1) Julius von Braunschweig an Georg Friedrich d. d. Gan-
dersheim 14. 9. 1570. Nürnberger Kreisarchiv. Ansbacher Reli-
gionsakte 25, 32. Wann die Reise nach Ansbach beschlossen wurde,
ob vielleicht Georg Friedrich ihn zur Beilegung der Kargschen
Streitigkeiten vorher schon berief, läßt sich nicht mehr sagen.
Am 29. 9. 1570 schreibt Andreä an J. Marbach: Recta nunc
domum Domino volente ibo, ut tandem meos videam. J. Fecht,
historiae ecclesiasticae a. n. Chr. XVI. supplementum. Durlaci
1684, S. 327.
Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 5/4. 11
162
grafen Johann Kasimir mit der sächsischen Prinzessin
Anna zu Heidelberg Kunde von dem Tage zu Zerbst
und den Berichten Andreäs gegeben!) Da man in Ans-
bach von jeher darauf sein Augenmerk gerichtet hatte,
unter den Protestanten möglichste Einigkeit zu erhalten,
war man Andreäs Reisen mit Interesse gefolgt. Er konnte
mit gutem Grund hoffen, hier volles Verständnis zu
finden. Allerdings wartete seiner noch eine andere Auf-
gabe. Die ,Kargschen Händel“ näherten sich ihrem
Ende. Nachdem der Ansbacher Generalsuperintendent
durch Besprechungen in Wittenberg sich von seiner Mei-
nung über die oboedientia activa und passiva Christi
hatte abbringen lassen, Kurfürst Joachim und Markgraf
Johann dem Antrag der Regierung, ihn wieder in sein
Amt einzusetzen, zugestimmt hatten?), sollte nach dem
Willen des Markgrafen in feierlicher Weise seine Rehabi-
1) Am 15. 6. 1570 bat Ludwig um Rücksendung der in
Heidelberg übergebenen Schriften über den Tag von Zerbst.
d. d. Stuttgart. ARA. 25, 29. Es handelte sich wohl um den Ab-
schied des Zerbster Tages d. d. 10. 5. 1570. (ARA. 25, 15 u. 62)
und den Bericht Andreäs vom 27. 5. 1570, worin er nicht nur
höchst hoffnungsvoll über den Zerbster Tag berichtet, sondern
auch den infolge des Leipziger Promotionsaktes neu auflebenden
Streit möglichst zu beschönigen suchte. (ARA. 25, 13, 59. d.d.
Wolfenbüttel.) Die den Anlaß bietenden Propositiones com-
plectentes summam praecipuorum capitum doctrinae christianae
sonantis dei beneficio in academia et ecclesia Vitebergensi. Witteb.
1570 in den ARA. 29, 757 (vgl. H. Heppe, Geschichte des deut-
schen Protestantismus in den Jahren 1555—81. Marburg 1853.
II, 312]. Am 22. 6. 1570 sandte Georg Friedrich die Originale
retour. ARA. 25, 31. Ludwig war vor der Reise nach Heidelberg
in Ansbach gewesen. D. Osiander in comitatu Illustr. principis,
qui per Onoltzpachium transiens ad nuptias Heidelbergenses
proficiscitur. J. Brenz und W. Bidembach an J. Marbach 31. 5.
1570. J. Fecht, Historiae ecclesiasticae eaeculi a. n. Chr. XVI
supplementum Durlaci 1684 S. 320.
3) Georg Friedrich an Joachim, August und Johann. s. d. et. ].
ARA. 30, 271. Zustimmende Antworten Joachims d. d. Cóln.
Mo. n. Egidi (4. 9.) 1570. [pr. 17. 9. 1570] u. Johanns d. d. Küstrin
8. 10. 1570 (pr. 23. 10) ARA. 30, 283 u. 279. 281. August riet ihm,
Karg eine andere Superintendentur zu geben. d. d. Sitzenroda
6. 9. 1570. ARA. 30, 276.
163
litation erfolgen. Andreä war dabei eine besondere Rolle
zugedacht. Er unterzog sich gewiß gern dieser Aufgabe.
Nicht nur, weil er eine besondere Neigung zu allen der-
artigen Veranstaltungen hatte, sondern auch, weil er er-
kannte, wie er dadurch das Gelingen seiner Mission vor
allem befördern konnte.
Genauer sind wir nun über die einschlägigen Verhand-
lungen nicht unterrichtet, aber eines ergibt sich mit aller
Klarheit: Andreä gewann bald das volle Vertrauen des
Markgrafen und seiner Räte.
Am 31. Oktober fanden nun die abschließenden
Verhandlungen mit Karg statt. In Gegenwart des Mark-
grafen und etlicher Theologen besprach Andreä mit ihm
noch einmal weitläufig den ganzen Handel und bewog
ihn, eine von ihm verfaßte Erklärung zu unterschreiben.
Dann wurde die Versammlung durch die sämtlichen
Dekane und je zwei Kapitelssenioren ergänzt. Nach
eingehender Darlegung des ganzen Sachverhalts erklärten
diese sich bereit, das von Andreä entworfene Schriftstück
sofort zu unterzeichnen; da sie „dasselbe für christlich
und recht, den prophetischen und apostolischen Schriften,
den drei Symbolen, der Augsburger Konfession, der
Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln und der Nürn-
bergisch-Brandenburgischen Kirchenordnung gemäß“ er-
kannten. Damit verbanden sie aber das dringende Er-
suchen, „Karg nicht länger zu suspendieren, sondern
zur Verrichtung seines Amtes in der Pfarrei und Super-
intendentur wieder kommen zu lassen, den sie für ihren
lieben Herrn und Bruder erkennen und allen gebührlichen
Gehorsam als ihrem vorgesetzten Superintendenten leisten
und erzeigen wollten.“ Der Markgraf entsprach dieser
Bitte. Er selbst nahm mit allen Räten und Dekanen
am folgenden Tage an der Wiedereinsetzung Kargs teil.
Andreä vollzog sie in der St. Johanniskirche, wobei er
nicht unterließ eine genaue Darstellung des Sachverhalts
zu geben!).
1) siehe die Instruktion für Gg. von Wambach und Johann
Schnabel für die Verhandlungen mit den Geistlichen auf dem
Gebirg. ARA. 30, 297f. Formula concordiae d. d. Onolzbech
1]*
164
Nach der Abwicklung der ersten, dem Lande vor allem
am Herzen liegenden Angelegenheit, kam nun Andreä
wohl noch am 31. Oktober auf seinen eigentlichen Zweck
zu sprechen. „Die Katholiken könnten sich nicht genug
tun, die Protestanten aufs ‚schmählichste und lästerlichste‘
zu verrufen, als sollte kein evangelischer Fürst mit dem
andern in der Lehre einig sein. Etliche Fürsten hätten
dagegen feststellen lassen können, daß in Sachsen, Bran-
denburg, Braunschweig, Hessen, Pommern, Mecklenburg,
Holstein, Lüneburg, Grubenhagen, Anhalt, Henneberg,
Braunschweig, Hamburg, Lübeck, Rostock, Greifswald,
Goslar, Magdeburg, Hildesheim und Hameln Fürsten und
Theologen auch in den zwiespältigen Artikeln im Grund
und Fundament der göttlichen Lehre mit den ober-
deutschen besonders den schwäbischen Theologen einig
seien. Deshalb hätten die Kurfürsten von Sachsen und
Brandenburg auf den 7. Mai einen Konvent der nieder-
sächsischen Theologen berufen; hier hätte man sich
wider alle alte und neue falsche Lehren zu den Schriften
des alten und neuen Testaments, den drei Symbolen
und der Augsburger Konfession, wie sie 1530 Kaiser Karl V.
übergeben wurde, bekannt. Damit aber Calvinianer
und andere falsche Lehrer unter letzterer nicht ihre
falsche Lehre treiben könnten, habe man sich: dahin ge-
einigt, in,den fünf strittigen Punkten: Der Gerechtigkeit
des Glaubens vor Gott, guten Werken, freien Willen,
-—
31. X. 1570. ARA. 30, 286ff. gedr. bei J. G. Wunderlich, de
formulis concordiae in terris burggraviatus Norici ab ecclesiae
doctoribus subnotatis. Baruthi 1783 S. 17ff. Befehl des Mark-
grafen an Pfarrer und Superintendent Wolfg. Albinus in Uffen-
heim, mit Senior und Kamerar Montag nach Sim. et. Iude (30. 10.)
gegen Abend in Ansbach zu erscheinen d. d, Ansbach 26. 10. 1570.
Dek. Uffenheim: Reformations-, Religions- und Kapitulsakte
1523— 1687 fol. 73. Lor. Krauß old, Geschichte der evangelischen
Kirche im ehemaligen Fürstentum Bayreuth. Erlangen 1860.
S. 174. G. Wilke, Georg Karg. Scheinfeld 1904. S. 81f. J. Döl-
linger, Die Reformation. Regensburg 1848. III, 572f. K. H.
Lang, Neuere Geschichte des Fürstentums Baireuth. Nürnberg
1811. III, 371. J. W. Rentsch, Der Heilige Jubelbronn, Bayreuth
1681 8. 34.
165
Adiaphoris, Abendmahl sie nicht anders anzunehmen,
denn wie sie in der Apologie erklärt und ausführlich
mit Zeugnissen der heiligen Schrift erwiesen, in den
Schmalkaldischen Artikeln wiederholt und im Katechis-
mus Luthers auf das einfültigste für den gemeinen Mann
und die einfültige Jugend begriffen sei." Er bat um Zu-
stimmung der Versammlung. Sie erfolgte wohl bald.
In Gegenwart des Fürsten erklürten die Theologeu, den
sächsischen und schwäbischen Theologen in bezug auf
obige Erklärung hinsichtlich der strittigen Artikel voll-
kommen beipflichten zu wollen!).
Der Markgraf sowohl wie Andreä waren vollkommen
befriedigt. Ersterer freute sich, Karg wieder an seinem
alten Platze zu sehen. Es waren nicht nur Worte, wenn
er von ihm schrieb: „ein alter, gelehrter, gottesfürchtiger,
sehr erfahrener Mann, eines vortrefflichen judicii in
Händeln, auch eines ehrbaren und unsträflichen Wandels
und Lebens, „jetziger Zeit, sonderlich dieweil er auch
am Konsistorium Richter ist, wüßte man ihn mit einer
solchen qualifizierten Person nicht zu ersetzen“). Andi en
dagegen hatte beim Markgrafen volles Interesse gefunden ;
er weihte ihn sogar in seine weiteren Pläne ein, wie daß
er nun in Speier selbst seine Sache betreiben wollte?).
Nach dem Scheitern seiner Pläne in Norddeutschland
faßte er neue Hoffnung und neue Entschlüsse ®).
1) s. die Instruktion für Gg. von Wambach u. Joh. Schnabel.
ARA. 30, 297.
3) ARA. 30, 271.
3) Georg Friedrich an Herzogin Witwe Anna Maria von
Württemberg. d. d. Ansbach 4. 11. 1570. ARA. 29, 753. Gedr.
Beilage I.
*) Am 18. 3. 1571 schlugen die Räte Georg Friedrich vor,
bei seiner Anwesenheit in Kulmbach durch Georg von Wambach
und Mag. Joh. Schnabel den oberländischen Geistlichen von der
am letzten Oktober zwischen den Kirchendienern getroffenen
Concordia Kunde geben zu lassen (ARA. 34, 1). Nachdem der
Markgraf zugestimmt hatte (d.d. Arnswalde 27. 3. 1571. pr. 4. 4. 71.
ARA. 34, 3), ergingen die nötigen Weisungen. Schnabel
wollte ablehnen wegen Krankheit; auch müsse er den Neubau
seines Pfarrhauses beschleunigen wegen der dumpfen Zimmer
166
Noch fehlte die Erklärung der Pfarrer des Oberlandes.
Ostern 1571 begab sich Georg von Wambach mit dem
Kitzinger Pfarrer Mag. Joh. Schnabel!) nach Kulmbach.
Am 18. April 1571 erschienen M. Joh. Streitberger, General-
superintendent des Oberlandes, Justus Bloch, Superinten-
dent von Bayreuth, M. Andreas Pancratius, Superintendent
von Hof, M. Frid. Stretius, Superintendent von Wun-
eiedel, Johann Saher, Pfarrer in Himmelkron, M. Joh.
Stumpf, Diakon in Hof, Mag. Wolfgang Dobenecker,
Pfarrer in Rehau, Konr. Baurschmidt, Pfarrer von GeseeB,
Balthasar Gaißler, Kaplan auf der Plassenburg, Mag.
Arnold Hein, Pfarrer von Selbiz, Georg Rhein, Diakon
von Bayreuth, Georg Strobel, Pfarrer in Röslau, Joh.
Venatorius, Pfarrer in Trebgast und Moses Pöhlmann,
Pfarrer von Berg. Der erste Punkt der Vorlage betraf
die Wiedereinsetzung Gg. Kargs. Der Sachverhalt wurde
genau berichtet, auch die von Andreä verfaßte formula
coneordiae vorgelegt. Die Geistlichen drückten ihre Freude
darüber aus, daß diese Kontroverse zu einem günstigen
Ende gekommen würe. Ob sie aber der Formel unbedingt
beistimmten, kónnte zweifelhaft sein. ,,Dieweil auch die
Herrn Legaten und Abgesandten die durch den ehr-
würd'gen und hochgelehrten Herrn Dr. Jacobum Andreae
praepositum Tubingensem gestellte und durch die Theo-
logen, Superintendenten und Dekane und Senioren im
Fürstentum unterhalb des Gebirges bewilligte und unter-
Schriebene formulam concordiae ihnen übergeben, haben
sie dieselbe mit besonderem Fleiß erwogen. Weil sie
(26. 3. 1571 ARA. 34, 30), aber die Regenten blieben auf ihrer
Weisung bestehen. (d. d. 28. 3. 1571 ARA. 34, 32).
1) geboren 1530 in Kulmbach. 29. 10. 1549 in Wittenberg
immatrikuliert. Bis 1567 in Amberg. 1570—73 in Kitzingen.
Chr. Guil. Chr. Heerwagen, ad vitam Streitbergerianam aliquot
documenta Culmbach 1774 S. 4. Fr. Lippert, Die Reformation
in Kirche, Sitte und Schule der Oberpfalz, 1520 — 1620. Rothen-
burg 1897 S. 97, 106, 109, 110—112. C. E. Förstemann, album
academiae Vitebergensis. Leipzig 1841 M. J. M. Groß, Histo-
risches Lexikon evangelischer Jubelpriester. Nürnberg 1727
8. 306. G. Buchwald, Geschichte der evangelischen Gemeinde
zu Kitzingen. Leipzig 1898 S. 95.
167
auf gewisse testimonia und Hauptsprüche sehen müßten,
hätten sie das einzige dictum Pauli: unius oboedientia
sumus justi vorgenommen als ein Fundament dieser
Disputation. Dieses hütten sie von ihren Lehrern immer so
erklärt bekommen, daß zugleich der Gehorsam Christi,
welchen er dem Gesetz geleistet und auch sein Tod und
Leiden bei der Erklärung des Artikels De justificatione
müsse zusammen genommen werden und als die Ursache
unserer Gerechtigkeit vor Gott verstanden werden;
eines ohne das andere könnte keine genugsame Genug-
tuung oder Erlösung sein. So verstünden sie auch die
Concordie. Darum ließen sie sich auch diese Einigkeit
wohl gefallen.“ Der zweite Punkt befaßte sich mit den
Bemühungen Andreäs um die Einigung der Evangelischen.
Der Markgraf ließ ersuchen, auch in dieser Angelegenheit
den Theologen des Unterlandes sich anzuschließen. Das
Oberland erklärte sich dazu bereit: „Die christliche Ver-
gleichung aller und jeder Artikel in der christlichen Augs-
burger Konfession belangend, sonderlich aber die fünf
vornehmlich angezogenen Artikel als von der Gerechtig-
keit des Glaubens vor Gott, von guten Werken, vom
freien Willen, von den Mitteldingen, Abendmahl wollen
wir den Herrn Gesandten nicht verhalten, daß vor der
Zeit, da wir gehört, daß solche Vergleichung vorgenommen,
wir uns derhalben zum höchsten erfreut, auch Gott treu-
lich angerufen, er wolle dazu Gnade verleihen. Dieweil
wir aber nunmehr erfahren, daß solche christliche Ver-
gleichung ins Werk gezogen, hören wir solches nicht allein
von Herzen gern mit schuldiger Dankbarkeit gegen Gott,
sondern erklären hiermit gleichergestalt unsern consens,
wie die wohlgedachten Herrn Gesandten anstatt des
Markgrafen solche Erklärung von uns gefordert. Denn
da wir aus der Herrn Theologen und Prädikanten, so
diesem Werk beigewohnt, öffentlich in Druck ausgegange-
nem gründlichem Bericht (wie der durch Dr. Jacobus
Andreae an Tag geben!) den uns jetzt wohlgedachter
Herr Legat und Abgesandter auch übergaben, ersehen
1) Heppe II, 334. R. Calinich, Kampf und Untergang
des Melanchthonismus in Kursacheen. Leipzig 1866 8. 16ff.
168
und die oberzählten fünf Artikel in der Vorrede kurz
gefaßt, hernach aber in demselben Buch wiederholt und
mit ihrer weiteren Erklärung ausführlich als litera P.
prima et secunda facie und sonst declariert befunden
und vermerkt, daß in Vergleichung und Erklärung der-
selben Artikel nichts zu reprehendieren, dieweil sie aus
der A. C., gegen die wir sie gehalten, genommen und in
derselben sowohl als in den schmalkaldischen . Artikeln,
in unserer Kirchenordnung und dem Katechismus Luthers
gegründet, lassen wir uns dieselbige gefallen, wollen auch
in Ruhe und Einigkeit bei solcher Erklärung bleiben,
wünschen demnach, daß solche Vergleichung, wie es
gemeint, möge dazu dienen, daß dadurch die erdichtete
diffamationes unserer wahren Religion und die beschwer-
lichen calumnien, durch welche die evangelischen Kirchen
zu großer Unbilligkeit bis daher beschwert worden sind,
den adversariis benommen und abgeschnitten werden i).“
1) Credenz für Georg von Wambach und Mag. Joh. Schnabel.
d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34. 35, Instruktion d. d. 5. 4. 1571. ARA.
34, 33 u. 30, 297ff. Weisungen der Räte an die Räte und den
Hauptmannsverweser auf dem Gebirg d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34, 36.
Bericht des Wambach und Mag. Schnabel ARA. 30, 310ff. Ein
dritter Punkt betraf den Unfleiß, die Völlerei und das ärgerliche Leben
der Geistlichen. Nicht nur wurde das Konsistorium zu fleiDiger
Aufsicht ermahnt, sondern auch die jährliche Vornahme von zwei
Kirchenvisitationen angeordnet. Zuletzt wandten sich die Räte
gegen das ärgerliche Holhippen, Schelten und Schenden der
Privatpersonen auf den Kanzeln. Das solle unterbleiben. Zwar
dürften falsche Lehren und Öffentliche Sünden auf den Kanzeln
gestraft werden, eber die Nennung von Namen sei zu unterlassen;
auch dürfe auf niemand dermaßen mit Worten gestochen werden, daß
jeder gleich merke, wer gemeint sei. Die Pfarrer sollten jeden mit
falscher Lehre oder öffentlichem Laster Behafteten allein verhören,
dann durch den Dekan vermahnen, und erst, wenn er nicht abließe,
dem Konsistorium anzeigen. Die Geistlichen erklärten darauf:
Von solchen, die sich so enormiter vergriffen, sei bei ihnen wenig
zu merken; die Visitationen ließen sie sich gefallen; aber es handle
sich um die Kosten und die nähere Instruktion; es gäbe keine
Kapitel, Einkünfte seien solchen nicht zugewiesen, auch seien
noch keine Senioren aufgestellt. Frühere Vorstellungen inbetreff
der Vornahme von Visitationen wären ohne Bescheid geblieben.
Ebenso machte sich auch Widerspruch gegen den letzten Punkt
169
Wie schon im Unterland am 27. November 1570
wurde bald darauf auch den Oberländischen Superinten-
denten die formula Concordiae als Lehrnorm übersendet
mit der Weisung, allen Disputationen auf den Kanzeln
entgegenzutreten. „Denn die disputationes auf die hohen
Schulen und nicht in die Kirchen auf die Kanzel (allda
allein, was bauet, gelehret, aber, was abbricht und ärgert,
vermieden bleiben soll) gehórig, wie denn auch ohne
das nichts so einfültig fürgebracht, das nicht etwan von
etlichen in Mißverstand gezogen würdet, derwegen sie
sich solchen allen und jeden gemäß erzeigen sollen;
dann uns hinfüro einige Trennung und Spaltung, so der
Augspurgischen Confession, deren Apologien, den Schmal-
kaldischen Artikeln und unserer Kirchenordnung ent-
gegen, zu gedulden, gar nicht gemeinet sein will, sondern
wollen ernstlich, daß unsere Geistliche in den Kirchen
unsers Landes durchaus in solchem allen christlich, ein-
hellig und friedlich leben, lehren und predigen 1).“
Inzwischen war auch Andreä nicht untätig gewesen;
er hatte der Württembergischen Regierung vorgeschlagen,
den zu Speier versammelten evangelischen Fürsten von
dem bisherigen Verlauf seiner Aktion Kunde zu geben,
bei Gelegenheit auch den Kaiser in Kenntnis zu setzen,
ja sogar mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz
ins Benehmen zu treten, hatte aber keine Zustimmung
geltend. Irrtümer in der Lehre und. Ärgernis im Leben müsse
gestraft werden. Exalta vocem tuam,sicut tubam, increpa ergue
oportune et importune. Öffentliche Sünder müßten öffentlich
bestraft werden; dem heiligen Geist dürfe man das Maul nicht
verbinden, sein Strafamt nicht aufheben. Doch erboten -ie sich
zu christlicher Bescheidenheit. ARA. 30, 297ff., 310ff. Holle,
Alte Geschichte der Stadt Bayreuth. Bayreutb 1833 S. 124. Die
weiter erfolgten Maßnahmen s. Lang III, 371f. Kraußold
S. 162, 174. Siehe Kraußold 8. 162. Corpus constitutionum
Brandenburgico Culmbacensium. Bayreuth 1746 I, 346f. 380. J. G.
Wunderlich 8. 7.
1) ARA. 30, 322, 325. gedr. Corpus Constitutionum
Brandenburgico-Culmbacensium. Bayreuth 1746. I, 116ff. Dai
nach Uffenheim gegangene Exemplar s. Dek. Uffenheim l. c.
fol. 74. Vgl. Kraußold S. 174. Wunderlich 8. 9.
174
gefunden. Sie durchschaute die wirkliche Lage besser
als er, sie wußten, alles würde nur dazu dienen, das bisher
Erreichte ganz illusorisch zu machen. Richtig bemerkten
die Räte, wie sein letzter Vorschlag nur dazu dienen
könne, um eine Einigung mit den Weimarischen Theologen
unmöglich zu machen. Man käme nur in den Verdacht
des Zwinglianismus. Beim Kaiser könnte er sich nur
lächerlich machen, wenn er keine anderen Erfolge auf-
weisen könnte; ja Herzog Hans Wilhelm von Sachsen
. könnte nur Verdacht schöpfen, als habe man sich über
ihn beschwert. Mit den evangelischen Ständen aber in
Speier ins Benehmen zu treten, hätte gar keinen Wert.
Persönlich seien nur Johann Wilhelm von Sachsen und
Albrecht von Mecklenburg da, beide könnten sich aber
um. die Sache nicht annehmen; eine Aussicht auf Erfolg
wäre nur dann, wenn die Kurfürsten selbst sich darum
bemühen würden. Die Räte aber würden mit vollem Recht
erklären, sie hätten in dieser Sache keine Instruktion.
Andreä selbst könne keine Garantie für einen günstigen
Fortgang bieten. Die Theologen zu Bremen und Witten-
berg seien gegen ihn; über die Vereinigung der beiden
Naturen in Christo dächten sie ganz anders; darum
hätten sie auch seine Eintrachtsformel zu Zerbst nicht
unterschrieben, sondern nur die drei Symbole, die A.K.,
die Apologie, Schmalkaldische Artikel und den Katechis-
mus Luthers angenommen. Die Theologen zu Jena um-
gekehrt beschuldigten ihn, die Irrtümer der Wittenberger
sich zu eigen gemacht zu haben. Die Räte legten dem
Propste nahe, überhaupt recht zurückhaltend mit seiner
Meinung, daß die Einigkeit unter den Theologen herge-
stellt sei, zu sein. Nachdem Nördlingen, Öttingen, Lindau
und Ravensburg schon sich abseits hielten, würde vom
Herzog Johann Wilhelm nichts besseres zu erwarten sein.
Solange zwischen ihm und Kurfürst August keine Einig-
keit herrsche, seien alle Bemühungen in dieser Sache um-
sonst. Andreä sollte sich überhaupt möglichst zurück-
halten; die Jenenser würfen ihm vor, er habe gar keinen
Auftrag, sondern „laufe nur für sich selbst“. Herzog
Ludwig könne aber wegen seiner Jugend die Sache nicht
in die Hand nehmen; um so weniger könne er ihn jetzt
nach Speier senden, da bisher Wilhelm von Hessen und
Julius von Braunschweig seine Auftraggeber gewesen
seien?).
Andreä sann infolgedessen darauf, wie er die Einig-
keit unter den Theologen trotz aller Mißerfolge herbei-
führen könnte. Auf seine Formel über die fünf strittigen
Punkte glaubte er nicht mehr zurückkommen zu dürfen;
er hatte erkannt, daß dadurch die Kluft zwischen ihm
und den Wittenbergern nur immer größer wurde. Dagegen
griff er seinen zu Zerbst gemachten Vorschlag, die heilige
Schrift als das Fundament aller Lehren zu bezeichnen
und zur Erklärung derselben als die geeignetsten Schriften
die drei Symbole, die Augsburger Konfession, die Apologie,
die Schmalkaldischen Artikel und den Katechismus
Luthers zu betrachten, wieder auf. Er entwarf eine Er-
klärung zur Unterzeichnung durch die Theologen: ,,nach-
dem sich zu Zerbst meist niederdeutsche Theologen dahin
geeinigt hätten, als das öffentliche Zeugnis ihrer Einig-
keit und als norma doctrinae neben der heiligen Schrift
und den drei Hauptsymbolen die Augsburgische Kon-
fession, wie sie 1530 dem Kaiser Karl V. übergeben worden
wäre, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und den
Katechismus Luthers anzusehen, hätten andre Theologen
in Oberdeutechland zur Beförderung göttlicher Einigkeit
durch Annahme der gleichen Schriften ein Zeichen ihres
consens in der reinen Lehr geben wollen." Er gab also
noch nicht die Hoffnung auf Philippisten und Gnesio-
lutheraner zu gewinnen; aber aus der Hervorbebung der
Augustana Invariata läßt sich doch schon schließen, daß
er es als sein Hauptziel ansah, mit letzteren vor allem
einig zu werden. Nachdem es ihm nun gelungen war,
die Württembergischen Theologen zur Unterzeichnung
zu bewegen, wandte er seine Blicke auf Ulm, Augsburg,
Basel, Straßburg; auch an der Gewinnung Brandenburgs
1) Bedenken der Geheimen- u. Kirchenräte in Stuttgart
22. 11. 1570: ARA. 25, 2. Georg Friedrich wurde davon in Kennt-
nis gesetzt, nachdem er die Bitte Andreäs, nach Speier sich wenden
zu dürfen, unterstützt hatte.
172
lag ihm viel. Nicht nur Karg!), auch den einflußreichen
Kammerrat Andreas Musmann?) ersuchte er besonders,
seine Bitte vom 1. März 1571 zu unterstützen®). Durch
brandenburgische Hilfe hoffte er dann auch Georg Ernst
von Henneberg zu gewinnen.
Die Ansbacher Regierung wäre anfänglich gewillt
gewesen, dem Wunsche Andreäs zu willfahren. Bereits
war ein Zirkularschreiben an die Superintendenten,
Dekane, Senioren und Kamerare unterhalb des Gebirgs
entworfen, in dem sie zur Unterschrift aufgefordert,
auch an den Generalsuperintendenten Joh. Streitberger
in Kulmbach die Weisung ergangen, nicht nur selbst
mit allen Kaplänen zu unterschreiben, sondern die Formel
auch den Dekanen zuzusenden, damit sie sich mit den
Ortskaplänen und nahegelegenen Pfarrern auch anschließen
könnten“), da erhob Karg doch etliche Bedenken. An
und für sich hatte er natürlich gegen die vorgeschlagenen
Schriften nichts einzuwenden; auch stieß er sich nicht
daran, wenn Calviner (am Rhein) und Flacianer (Thü-
ringen) sich nicht bereit finden ließen zu unterzeichnen;
aber er warf die Frage auf, ob denn eine Garantie geboten
sei, daß alle andern evangelischen Stände unterschreiben
würden; war ihm doch die ablehnende Haltung Kur-
sachsens gegen alle Schritte nur zu bekannt; würde
denn aber nicht nur größere Uneinigkeit die Folge sein ?
Auch bat er von einer Unterzeichnung durch sämtliche
Pfarrer absehen zu wollen; es genüge die Einhelligkeit
durch die vornehmsten Theologen und Kirchendiener
bezeugen zu lassen). Daraufhin entschloß man sich mit
1) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 54. Gedruckt Beilage IJ.
*) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 38. !
) J. Andreá an die Superintendenten, Pastoren und Diener
der Kirche. d. d. Tübingen 1. 3. 1571. ARA. 35, 34. 34, 8. Ge-
druckt bei J. Fecht S. 345 nr. 33.| Die Formel ARA. 35, 47. 34, 15.
Gedruckt Beilage III, pr. 18. 3. 1571. Vgl. W. Preger, Matthias
Flacius Illyricus und seine Zeit. Erlangen 1861 II, 364.
t) d: d. Ansbach. Mo. u. Oculi (19. 3.) 1571. ARA. 34, 28
u. 35, 40. |
) Praesentiert 20. 3. 1571. ARA. 34, 24, 26. 35, 42. Gedruckt
Beilage IV.
173
Sachsen und Brandenburg zuerst einmal ing Benehmen
zu treten!).
Damit war auch dieser Versuch Andreäs als gescheitert
zu betrachten. Die Stimmung war gegen ihn in Sachsen
immer erbitterter geworden. Das Gutachten, das Kurfürst
August dem Markgrafen übersandte, läßt das deutlich
noch erkennen. Zunächst erhoben die sächsichen Theo-
logen gegen die Behauptung Einspruch, als ob man
im Grund und Fundament ganz einig sei. Sie verwiesen
auf die Lehren des Flacius von der Erbeünde und von der
Rechtfertigung sowie von dem Gesetz, die enthusiastischen
und antinomistischen Lehren der Jenenser von der Buße;
über die Rechtfertigung hätte Osiander schlimme Ge-
danken ausgehen, von der ewigen Vorsehung Gottes
Spangenberg einen ,,gotteslüsterlichen Schwarm“ drucken
lassen. Von den neuen Arianern und Antitrinitariem
wollten sie schweigen; aber nicht umgehen könnten sie
die „schreckliche Disputation von der physica und realis
communicatio idiomatum'', die man „jetzt unter dem
Titel und Schein der Majestät der menschlichen Natur
in Christo zu beschónigen suche." Würden doch dadurch
die Hauptpunkte im Bekenntnis: verbum caro factum
est, etiam passus sub Pontio Pilato etc. verderbt. Die
Ketzereien des Nestorius, Eutyches, der Monophysiten und
Monotheleten würde wieder auf die Bahn gebracht.
Und alle beriefen sich auf die vorgeschlagenen vier Schriften.
Gegen wen sie sich damit wandten, war klar; sie bekämpften
die Ubiquitätelehre der Württemberger. Aber sie griffen
Andreü auch offen an und warfen ihm Unredlichkeit vor.
In Zerbst hätten sie ausdrücklich erklärt, von ihrem
consensus doctrinae, dem Corpus Misnicum, nicht ab-
gehen zu kónnen; die vorgeschlagenen Schriften kónnten
sie nicht ohne weiteres annehmen. Warum berufe er sich
nun auf den Abschied dieses Tages und gedenke doch
dabei nicht ihres corpus doctrinae. Hätte er doch selbst
wiederholt, zuletzt in Dresden erklürt, an demselben
1) A. v. Eyb, Chr. Tetelbach, Endr. Musmann, Endr. Junius
an G. Fr. d. d. Ansbach 21. 3. 1571. pr. Landsberg 28. 3. 1571.
ARA. 34, 5. 35, 45.
174
nichts aussetzen zu können, hätten doch auch die Hessen
in Zerbst die sächsische Formel unterschreiben? Allem
Anschein nach wolle er nur seine „disputation von der
Ubiquität“ durchsetzen, darum habe er wohl auch unter
den strittigen Artikeln einen besonderen Passus über
das Abendmahl aufgeführt und damit eine Disputation
von der Majestät der menschlichen Natur in Christ us
verbunden. Darum sei er gegen ihr corpus doctrinae,
weil es darüber nichts enthalte. Von ihrer norma doctrinae
könnten sie nicht weichen. Sie enthielte keine neue
sondern lauter bekannte Schriften. Die Schmalkaldischen
Artikel seien nur zur Vorbereitung auf das Konzil zu
Mantua verfaßt und auf keinem Reichstag übergeben
worden; nicht besser stehe es mit dem Katechismus
Luthers. Erst die Flaianer hätten sie „her vorgezogen“.
Verdächtig sei auch, daß zwischen den Ausgaben der
Augustana ein Unterschied gemacht werde. Man könne
sich aber nicht nur an solchen Schriften genügen lassen,
welche allein ‚eine summarische Erzählung‘ bóten, sondern
benótige auch solche, welche durch eine ausführliche
Erklärung gegen Katholiken wie Flacianer Stellung
nähmen. Solche aber fände man nur im sächsischen
corpus. Die von Andreä aufgestellten Schriften seien
allein gegen die Papisten gestellt, und enthielten nur
die „bloße Erzählung etlicher vornehmer Hauptstücke
ohne methodische Erklärung und ausführliche Anzeigung
der mannigfaltigen Irrtümer“ !). Kurfürst August riet
infolgedessen dem Markgrafen: sich durch „Dr. An-
dreae oder andrer widriger und unruhiger Personen ver-
meinte Conziliation nichts anfechten zu lassen und bei
der einträchtigen und einhelligen Meinung der branden-
burgischen und sächsischen Kirchen zu bleiben“. (11. Mai
1571)?). Dem wird Georg Friedrich und mit ihm Georg
Ernst von Henneberg wohl gefolgt sein?). l
1) Bedenken von der Subskription, so Doktor Andreä,
Probst zu Tübingen von etlichen Kirchen der Augsburgischen
Konfession zugetan aufs neue begert. ARA. 35, 70.
*) d. d. Dresden 11. 5. 1571. pr. 7. 6. 1571. ARA. 3b, 56.
3) Auf eine Mitteilung der Räte und Regenten, daß die
Unterschrift etwas bedenklich vorkomme und man sich deswegen
a — — — — — ET
ce ee nn II i
175
II.
Zu einer norma doctrina sollte Brandenburg auf
ganz andre Weise kommen. Gemeinsam mit Nürnberg
hatte es die Reformation durchgeführt; den Abschluß
bildete die gemeinsame Brandenburgisch-Nürnberger
Kirchenordnung 1533. Aber dann war jedes seine eigenen
Wege gegangen. Jetzt erst sollten sie sich wieder finden.
Seit der Zeit des Interims war es in Nürnberg auf
kirchlichem Gebiete nie mehr zur Ruhe gekommen, ins-
besondere seitdem einer der echtesten Schüler Melanch-
thons Mag. Moriz Heling zum Prediger bei S. Sebald
und , vordersten“ Geistlichen ernannt worden war (1555)!).
Ihm gegenüber neigten Mag. Hier. Besold, Prediger
z. heil. Geist, zuletzt Prediger bei St. Lorenz, Georg
Klingenbeck, Prediger bei St. Ägidien, und Michael
Pesler, Prediger bei St. Marien immer mehr zu den Luthe-
ranern von Jena. Auch die Gemeinde nahm regen Anteil
an diesen theologischen Streitigkeiten. Die Patrizier
standen mit verschwindenden Ausnahmen auf Seite
Helings; unter den Bürgern aber hatte Flacius treue und
opferwillige Anbànger?).
Der Rat der Stadt sah das nicht ohne Besorgnis;
um so mehr als bei dem lebhaften Handelsverkehr
auch die geistigen Unter- und Nebenstrómungen wie
Schwenkfeldianismus?), Wiedertäuferei immer wieder
an den Markgrafen gewandt habe (21. 3. 1571), erwiderte G. E. von
Henneberg, ohne diesen nichts weiter unternehmen zu wollen
(26.3. 1571 Schleusingen). Am 28. 5. 1571 bat er um Auskunft über
die Stellungnehme Brandenburgs; er hatte Andreä zunächst nur
einen hinhaltenden Bescheid gegeben (d. d. Schleusingen); erhielt
aber nur den Bescheid, daß Sachsen noch nichts geantwortet
habe (1. 6. 1571). ARA. 35, 44, 53, 89, 90, 93. |
1) Für die ganze Entwicklung vgl. Dissertatio historica,
qua Mauritii Helingi vita, placita et studia percensentur et praeside
G. G. Zeltnero disquisitioni academicae subjciuntur a Sigism.
Jacobo Apin. Altdorf 1714. G. G. Zeltner, Kurzgefaßte Historie
der librorum Normalium der Nürnbergischen Kirche. Nürnberger
Stadtbibliothek. Bibl. Nor. Will. II, 354.
23) W. Proger II, 426, 429 Anm. .
3j RV. 30. 6. 1556: Hans Wilhelm von Lautenberg schreiben
samt Caspar Schwenfeld uberschickte missiven von der Ent.
176
unter den Bürgern Boden gewannen. Sein Hauptbestreben
mußte daher darauf gerichtet sein, die beiden Richtungen
des lutherischen Protestantismus zu versöhnen, mochten
auch seine Sympathien, er bestand ja nur aus Patriziern,
mehr den Philippisten gehören.
»
schuldigung auch einem gedruckten büchelein wider Herr Philipp
Melanthon und das hier ausgangene und zu Wittenberg
gedruckte buchlein von der rechtfertigung des armen sünders
soll man auf im selbst ruen laBen. So auch 1558 s. Rate-
verlaß 3. 12. 1558: auf Markgraf Karls zu Paden kirchenräte zu
Pforzheim schreiben und begeren, soll man bernharden Fischer,
puchtrucker, beschicken und beaidigen, ein warheit zu sagen,
wie es mit Jorg Raben, buchdruckers zu Pfortzheim gedruckten
postill gestalt, was er dazu geholfen, wo die herkommen, were
gemacht und ob er etliche exemplar hab und wem ers zugestelt.
dasselb alles herwiderpringen. 12. 12. 1558: Uf Hansen Weixers
verlesene ansage, soll man ine, Wolfen Ulrich, Jorg Langen und
&ndere benannte personen, so die neugetruckte pforzhaimische
postill von im genommen und unter eich ausgetailt haben, oe.
schicken und beaidigen, dieselben bucher meinen herrn in die
kanzlei zu antworten, hinfuro keins mer hieher zu pringen nocb
zu haben, sondern dieser secten mußig zu steen, und ob sich dern
ainer solchem bevel widersetzen wolt oder würde, dasselb meinen
herrn wider anzuzeigen, ferner rätig zu werden. 18. 12. 1558:
Uf die verlesene verzaichnis, welcher gestelt Wolf Ulrich und
Jorg Lang geschworen und sich erpoten, die schwenkfeldische
postill meinen herrn zu uberantworten und derselben sect mußig
zu sten, die andern aber als Hans Meichsner, Jörg Schedner,
Bernhard Fischer und Lienhard Aman solche bucher auch uberant-
wortet, aber diese schwenkfedlische Lere aus angezeigten ursachen
nit verschwoeren wollen, soll man von inen allen die pucher an-
nemen und die sach der ersten zweier als des Ulrichs und Langen
halben ruen laßen; aber von wegen der andern die ganze sach, wie
diean meineherrn komen und was bisher darinnen gehandelt worden,
fur die 3 fordersten predicanten pringen, ir bedenken daruber ein-
nemen, weil sich dieselben personen berümen, das sie in Schwenk-
felds lere nichts ungerechtes befinden, der Schwenkfeld auch bis da-
her desselben nieuberwunden worden. De mansie auch berichten und
uberwinden werd, daB sie sich weisen lassen und von dem un-
recht absten wollen, etc. was meinen herrn als der weltlichen ober-
keit in dieser sachen, so das gewissen belanget, weiter furzunemen
gepuren wolle, sonsten zweifelten meine herrn nit, was inen als
den seelsorgern in solchem felle gezimet, wurden sie zu handeln
nit unterlaßen und dasselb ir bedenken widerpringen.
177
Der Schulmeister bei St. Sebald, Sebald Heyden,
neigte in seinem Alter zur Anschauung Calvins vom heil.
Abendmahl. Er bestritt die „mündliche NieBung' des
Leibs und Blute Christi und erklärte, nur die Gläubigen
empfingen dieselben, nicht aber Ungläubige, Unwürdige
und Heuchler. Beeold schlug nun Heling vor, unter
Zuziehung Mag. Jakob Lechners, Predigers bei St. Lorens,
mit Heyden mündlich zu verhandeln. Heling lehnte ab;
er mied ängstlich jede Gelegenheit, die ihn hätte zwingen
können, seinen Standpunkt zu offenbaren; er hielt es
für das beste, wenn Heyden und Besold sich allein über diese
Frage!) auseinandersetzten. Ob unter diesen Umständen
diese Angelegenheit von den Predigern beigelegt wurde,
ist mehr als fraglich. Als Heyden und seinem Sohne
Christian Heyden, Schulmeister bei Egidien, ihre Dienste
wieder übertragen wurden, drückte ihnen der Rat sein
Befremden darüber aus, daß sie die rechte Lehre vom
heiligen Abendmahl aufgegeben und dadurch den Anlaß
zu einem „scisma“ zwischen den Prädikanten gegeben
hätten; er versah sich auch, daß sie den Kalvinischen
Katechismus in ihren Schule nicht mehr dozierten
und die eigenmächtigen Änderungen an der Liturgie
unterlieBen?). Der Tod Heydens am 9. Juli 1561 überhob
den Rat bald weiteren Eingreifens. Zu einem ‚„scisma‘“
1) Hier. Beeold an H ling s. d. et l. Nürnberger Kreisarchiv.
Rep. 52. Ms. 1110 fol. 94. Heling an Besold. d. d. 2. 12. 1560.
ibidem fol. 94. gedruckt: Dissertatio historica, qua Mauritii Helingi
vite, placita et studia percensentur et praeside G. G. Zeltnero
disquisitioni academicae subjeiountur a M. Sigismundo Jacobo
Apino. Altdorf 1714. 8.35f. Vgl. G.G. Zeltner, Kurze Erläuterung
der Nürnbergischen Schul- und Reformationsgeschichte aus dem
Leben und Schriften des berühmten Sebald Heyden Nürnberg 1732
fol. 83f. 39.
3) RateverlaßB 24. 4. 1561: den beiden schulmaistern bei
S. Sebald und 8. Egidien soll man, ehe sie widerum mit pflicht
gefertigt werden, anzeigen, meine herrn weren glaublich bericht,
daß sie wider eins rate kirchenordnung sich des hochwirdigen
sacraments halben von der rechten lere und gebrauch abgesondert
und in diesem fall ein sciama zwischen den predicanten und lerern
allhier angericht, daB sie auch den kalvinischen catechismum in
iren schulen docirten, auch die alten approbirten geseng in der
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 5/4 19
178
war es aber nun wirklich gekommen. Besold hatte sich
mit Heling über die Abendmahlslehre unterredet. Statt
zu einer Einigung zu kommen, stellte sich erst recht die
Verschiedenheit ihrer Anschauungen heraus. Trotz seiner
Beteuerung: cum pane et vino, symbolis et rebus visi-
bilibus, offerri, dari et exhiberi ad manducandum verum
corpus domini et salvatoris nostri Jesu Christi, qui affixus
ligno crucis pro nobis factus est victima et Ayrgov, nec
non dari, offerri et exhiberi verum sanguinem ad biben-
dum, quem idem filius dei ad abluendas nostras sordes
etexpianda peccata in cruceeffudit, trotz seiner Beteuerung,
daß das Abendmahl nicht nur beneficiorum et. efficaciae
Christi, sondern auch seiner essentiae, nicht nur seiner
göttlichen, sondern auch seiner menschlichen Natur teil-
haftig mache, konnte es nicht verborgen bleiben, daß
er die manducatio corporalis eben doch leugnete. Denn
über das „Wie“! der sakramentlichen Einigung wollte
er sich nicht näher ausdrücken; es sei ein mysterium;
daß er auch einen Unterschied machte zwischen indignis
und infidelibus beim Abendmahl, ließ deutlich genug
kirche de temporibus etwas geendert hetten, welches alles dann
eim erbern rat fast beschwerlich und misfellig were, und, wiewol
ein erber rat hierauf genugsam ursach hetten, derwegen ir notdurft
gegen inen den beden schulmeistern furzunemen, so wolt man doch
von inen anhören, ob sie von irem furnemen und getaner enderung
absten und sich hinfuro der neu gestellten pflicht gemeß (welche
man inen furlesen lassen soll) erzeigen wollen oder nit. Was sie
nun zur antwort geben, das soll herwider gebracht werden. 25. 4.
1561: der zweier schulmeister zu Sant Sebald und Sant Egidien
referirte entschuldigung, das inen in dem, das sie calvinisch, den-
selben catechismum lerten oder ichts an den kirchengesengen one
vorwissen geendert hetten, mit dem erpieten, daß sie der neuge-
stellten pflicht allerding nachkomen wolten, soll man Herrn
Hi. Baumgartner anzeigen, und sein ferneres bedenken darüber
einnemen und widerpringen. 28. 4. 1561: auf Herrn Hi. Baum-
gartners weiters bedenken, soll man den zweien schulmeistern bei
Sant Sebald und Sant Egidien ferner anzeigen, ein erber rat hab
ir entschuldigung gehort und wiewol man in guter erfarung, daß
sie allerlei unnötige disputationes vom heiligen sacrament erregt,
so wöll mans doch diser zeit dabei bleiben lassen und sich versehen,
sie würden irem erpieten nachkomen und irs ding warten, auch
keinen andern catechismum leren, denn wie ir pflicht vermöchte.
179
seine Auffassung erkennen. Aber nicht nur umsonst war
diese Beratung gewesen, sie führte auch zu einer ernsten
Entzweiung zwischen Heling und Besold. Und Heling
mußte zugeben, daß ihn an dem schroffen Ausgang nicht
die geringste Schuld traf. Er suchte sich damit zu ent-
schuldigen, daß ihn die beständigen Angriffe auf seinen
über alles geliebten Lehrer Melanchthon aufs höchste
erregt hätten. Das hätte ihn um so mehr geschmerzt,
als er hören mußte, daß auch Besold sich daran beteiligte !).
Schon schien es, als sollte der Streit sich nicht mehr beilegen
lassen. Heling hatte sich nicht damit begnügt, die Lehre
vom heiligen Abendmahl zu berühren, er kam auch auf
die andern theologischen Streitigkeiten, wie den rechten
Verstand des Wortes „Evangelium“, die Lehre vom
freien Willen zusprechen, worüber sie schon früher de-
battiert hatten; er warf Besolt vor, man hätte dazumal
gegen ihn nicht die „severitas“ walten lassen, die sich
jetzt an ihm finde; auch mischte sich Jakob Lechner
in den Streit. Am 22. Dezember 1560 trat Heling sogar
auf der Kanzel so offen für Calvins Anschauung vom'
Abendmahl ein, daB sich sogar Hier. Baumgartner ver-
anlaßt sah, ihn zu warnen?). Da hielt es der Rat für seine
Pflicht einzugreifen, ehe es zu spät war; mußte doch auch
das Werk der groBen Kirchenvisitation des gesamten
Gebietes durch solche Streitigkeiten aufs ungünstigste
beeinflußt werden. Am 29. Mai 1561 erging der Befehl
an die Ratsherren B. Derrer und J. Haller: nachdem
. 1) Besold an M. Heling und Jakob Lechner. Rep. 52 Ms.
1110, 62f. gedruckt G. Th. Strobel, Neue Beyträge zur Litteratur
besonders des 16. Jahrhdts. Nürnberg und Altdorf. 1793. IV, 1,
141ff. Antwort Helings d. d. 22. 12. 1560. Ms. 1110, 45ff. vgl.
G. G. Zeltner, diss. historica fol. 37ff. Besold an Heling 1561.
Ms. 1110, 49 gedr. (G. Th. Strobel] Hieronymi Besoldi olim
pastoris ad Sp. S. Norimbergae fidelissimi epistola ad Mauritium
Helingum de sacra coena, viribus humanis et evangelio nune
primum in lucam edita. Frankfurt und Leipzig 1767.
3) Hi. Baumgartner an M. Heling postridie Thomae (22. 12.)
1560. Ms. 1110, 73 gedr. G. G. Zelt ner, diss. S. 44. Baumgartner
an Besold s.e. d. Ms. 1110, 78, gedr. Zelt ner, 45., vgl. J. Dóllinger
Die Reformation Regensburg 1848. II, 107. .
| 38°
180
sich zwischen den predikanten im Spital auch S. Laurenzen
und dann dem bei S. Sebald zwaiung und misverstand
zutregt, ist zu verhütung merers gezenks und weitleuftig-
keit bevolen, ermelte predikanten zu erfordern und inen
furzuhalten, das eim erber rate solche misshellung nit
lieb, wäre derwegen irer erberkeit begeren, sich freund-
lich miteinander zu bereden, einer den andern zuhören
und sich selbsten miteinander gutlich und christlich zu
vergleichen, die einigkeit in der kirchen zu befurdern
und allen zwiespalt und mishelligkeit zu vermeiden und
hinzulegen und wie man die sach bei inen befinden würdet,
dasselbe herwiderzupringen." Die gewünschte Unter-
redung fand wirklich statt. Sie führte auch zu einer „Ver-
gleichung! zur Befriedigung des Rates. Er beeilte sich,
beiden seine Zufriedenheit auszusprechen und erbot sich,
in künftigen Fällen auch wieder vermitteln zu wollen!).
Ob es allerdings zu einer wirklichen Ausgleichung der
Gegensätze gekommen ist, sei dahingestellt. Als Heling
1) Ratsverlaß 19. 7. 1561: auf der verordenten herrn verlesene
relation und protokollierte disputation, so bede herrn predicanten
im spital und bei S. Sebald von wegen eingefallnen streits vom
heiligen sacrament des abendmals christi mit einander in beiwesen
etlicher anderer predicanten gehabt, und wes sie sich endlich
erclert und verglichen, ist fur gut angesehen, daß man bei solchem
olloquio und erclerung dismals bleiben laßen und berurten bei-
den herrn predicanten Mag. Hi. Pesolden und Maur. Heling
anzeigen soll, ein erber rate hette der verordneten herrn relation
ires gehaltenen geeprechs und wes sich ain teil gegen dem andern
erclert, hören leser. und gern gehört, daß sie sich mit einander
so freundlich und gutlich verglichen. Es were auch irer erberkeiten
begeren und vermanen, bei solcher einigkeit zu pleiben und sich
gegeneinander wie christliche predicanten zu erzeigen und in diesen
beschwerlichen zeiten zu ergernis und weitleuftigkeit nit urgach
zu geben. Und do sich kunftig (des man sich doch nicht versehen
wollt) einigcher misverstand zwischen inbn zutrüg und-sie sich
selbst mit einander nit vergleichen konnten, würe eins rate begeren,
solichs jedesmals an ire erberkeiten zu gelangen. Wollte man zur
verhórung der sachen verordnen und darunter, was sich gepurt,
handeln und furnemen, damit die raine lehr, auch fried und einig-
keit in der kirche Gott dem allmechtigen zu lob und eren und den
CapMten PU Nun und; «Toric Destendiguoh erhalten werden mage:
Ratebuch 31, 252.
181
später sich den Anschein gab, als ob er mit Besold auch
in diesem Punkte einig gewesen wäre, trat ihm der Astro-
nem Mag. Joachim Heller offen entgegen. Er wies auf
die Briefe hin, die Besold an Heling in dieser Sache ge-
schrieben hatte; er behauptete, wenn Besold erlebt hätte,
wie „grob“ Heling in dieser Sache „herausfahre“, hätte
er sich gewiß auf seine Seite gestellt. Heling begnügte
sich nicht, diese Behauptungen ruhig zurückzuweisen;
in hellem Zorn warf er Heller vor, er habe sich gestohlene
Briefe zustecken lassen; ihn gehe die Sache so wenig
an als den Mesner von Poppenreuth oder einen Altreußen;
weder Besold noch der Rat habe ihm etwas mitgeteilt,
er könne also die Sache nur erfunden haben oder auf
unrechte Weise etwas gehört haben. Dadurch fällt ein
eigentümliches Licht auf seine Ausführung: er habe sich
mit Besold freundlich unterredet; der habe ihn mit keinem
Wort mehr angesprochen; friedlich sei man beieinander in
der Visitation und bei vielen Examina gewesen. Warum
blieb denn die ganze Sache so geheim? Warum hielt es
Heling für unnótig, dieselbe ausführlich zu erórtern!)?
Ganz gewiß aber war der Rat über diese Regelung der
Angelegenheit froh. Es war ein Zeichen der Anerkennung,
wenn man Besolt zum Prediger bei St. Lorenz ernannte
(27. Juni 1562)?). Leider sollte er nur noch etliche Monate
1) S. I. L. 102. Nr. 1. Erklärungen Hellers vom 30. 12. 1562
n. Helings vom 4. 2. 1563.
3) RV. 29. 10. 1561: auf der genachbarten herrn und bürger
um St. Laurenzen verlesene Supplication und bitlichs ansuchen
von wegen herrn ler. Pesolte, predigers im neuen Spital, ist den
herrn kirchenpflegern bevolen, der sachen nachzudenken, mit
was fugen und welcher gestalt die gebetene enderung des herrn pre-
digers bei S. Laurenzen möchte furgenomen werden und solichs in
14 tagen ungeverlich widerumb furzulegen, rätig zu werden, mitler-
. zeit die Supplicanten beantworten, ein erber rat wolle disen handel,
dieweil der nicht eilen lage, in bedenken nemen. 27. 6. 1562: Die-
weil Magister Jacobus Lechner, prediger bei S. Laurenzen, sein
gebrechlichkeit und plödigkeit seins hauptes geclagt, daß er da-
von wegen der predicatur in dieser großen kirchen nit mehr vorsten
konnte, ist er desselben predigamts mit der condition erlaßen,
daß er darfur die wochen den 12 Knaben etliche lectiones in
theologia tun soll, dagegen soll ime sein jerliche besoldung, so er
182
daselbst wirken; er starb am 4. November 1562 an
der Pest!).
Den ersten tieferen Einblick in die die Bürgerschaft
weithin bewegenden Streitigkeiten bot dem Rat der bald
darauf spielende Prozeß des Astronomen M. Joachim
Heller, der, nachdem er bei einer Musik bei Michael Graf
mit dem Kaplan Joh. Müller vom neuen Spital über Abend-
mahl und freien Willen eine erregte Auseinandersetzung
gehabt hatte, am 30. Dezember 1562 eine heftige An-
klage wegen Hinneigung zum Kalvinismus gegen Heling
und den an Stelle Besolds getretenen Mag. Joh. Schel-
hamer?) an den Rat richtete. Mit Schrecken nahm man
bisher gehabt, nachmalen gereicht, im auch sein wonung im
pfarrhof gelassen werden. Und ist daneben mit Herrn Hi. Pesoldo
gehandelt, daß er die pracdicatur in ermelter kirchen bei S. Lau-
renzen auf ein versuchen angenommen. Vgl. Ratsbuch 32, 15.
1) Ratsverlaß 15. 10. 1562: Herrn Jer. Pesolden auf sein
Bitt Heinrich Preuen zu einem werter zulaßen und an sein statt
hermann Karln auf meiner herrn kosten und belonung in die mül
verordnen. 16. 10. 1562: Dieweil dem herrn Pesold, predigern zu
S. Laurenzen, sein hausfrau mit tod abgangen, soll man ine von
meiner herrn wegen clagen und trósten und ime daneben anzeigen
laGen, meine herrn sehen fur gut an, daB er sich seins haus ein zeit
lang enteußert und sich an andre orte tete, dazu man ime dann
der Neumairs haus zu werd oder ein zellen in der cartausen fur-
schlagen soll, mit dem erpieten, wenn er hinaus ziehe, voll man ine
mit fur, zerung und in ander weg versehung tun. 17. 10. 1562:
dieweil sich herr Jer. Pesolt auf meiner herrn ersuchen gen word
in des neumairs haus getan, soll man jemand zu ime verordnen,
zu erkundigen, ob er zur notdurít versehen sei. Und dieweil im
uf das zweifache haushalten diser zeit viel aufgehet, soll man ime
50 fl. hinausschicken mit dem erpieten, wo er ferner ainich mangel
hab, ime ferner versehung zu tun. dergleichen soll man Heinrich
Preuen, seinem warter, auch 20 fl geben lassen mit dem bevel,
davon in seinem des Herrn Pesolts haus den kranken personen,
BO weit cs reicht, nottürftige unterhaltung zu verschaffen.
7. 11. 1562: dem stadrichter bevelen die truhen und behalter in
verstorbnen herrn Pesolts behausung durch seinen diener neben
Heinrich Preuen versecretieren zu laßen, bis man des gedachten
Herrn Pesolts tochter vormunder verordne und dazwischen nichte
verzogen werde.
*) Ratsverlaß: 9. 11. 1562: Anstatt des verstorbnen herrn
Mag. Hi. Pesoldi christlicher gedechtnus soll man Mag. Schel-
183
wahr, wie viele Fäden von der Bürgerschaft zu Flacius
liefen. Zwar die Prediger wie Mich. Besler und Konrad
Klingenbeck konnten sich rechtfertigen ; denn derdabeidem
Rat in die Hände gefallene Brief wandte sich ja gerade
gegen sie; enthielt die ärgsten Klagen über die Unter-
drückung seiner Bücher, während der gemeine Mann
sowohl sowie hochverständige Personen aufs ‚äußerste‘
und ,greulichste' wider die Wahrheit stritten und der
Verfülscher Schriften offen in den Buchlüden feilgehalten
werden dürften. Von den besten und einfáltigsten Lehrern
werde zur Unterdrückung der Wahrheit stillgeschwiegen
‚oder doch nur so gepredigt, daß der gemeine Mann nicht
verstehe, welche Bücher nun die rechten seien. Besold
sowohl als die andern angegriffenen Geistlichen hatten
sich entschieden gegen diese Vorwürfe gewehrt!) Um
80 weniger konnte dies sie belasten, als Besold auch
mündlich dem Flacius sein Ansuchen, seine Bücher doch
in Nürnberg frei verkaufen zu lassen, abgelehnt hatte.
Dagegen ward man auf einen seines Standes aufmerksam,
einen Studenten Christoph Harsdorfer, der nicht nur
Flacius selbst schon beherbergt hatte, sondern auch mit
Gleichgesinnten wie Gundlach, Hans Behem, Cunz Mör-
lein, Vogel, Irtenberger, Endres Örtel, Röting und Conrad
Klingenbeck Konventikel &bhielt?) Andere Briefe, die
dem Rate bei der Beschlagnahme der Bücher des Joachim
Heller in die Hände gefallen waren, ließen erkennen,
haimern zu eim prediger in die kirchen S. Leurenti verordnen
und ime die Superintendenz neben den andern zweien herrn auch
bevelen und an sein des Schelhamers statt christoforum Kaufman
zu eim prediger im neuen spital annemen. Ratabuch 32, 49.
1) Nikolaus Gallus u. Flacius Illyrikus an H. Besold, Mich.
Besler, Conrad Klingenbek, Michael Röting, Joech. Heller,
Regensburg. Freitag nach Barthol. (28. 8.) 1562. Antwort Beslers
8. d. et. l. Verhór Beslers, Klingenbecks, Rótings am 22. 3. 1563.
S. I. L. 102. Nr. 1.
3) Harsdorfer, Meinschein, Pack, Irtenberger, Örtel ermög-
lichten auch die Herausgabe der Centurien. Preger II, 429.
Vgl. August an Georg Fr. v. Brandenburg. d. d. Dresden 1. 5. 1570.
ARA. Tom. Suppl. 2, 198. Vgl. G. Chr. Neudecker,
neue Beiträge zur Geschichte der Reformation II, 272. Döllinger
II, 259.
— a —̃
184
welche Hilfe Flacius in Nürnberg zur Herausgabe seiner
Schriften fand. Den Mittelsmann, der die Verbindung
mit den Nürnberger Freunden immer aufrecht zu er-
halten wußte, glaubte man endlich in Bertholomäus
Schober gefunden zu haben. Als nun gegen Ende des
ganzen Prozesses Flacius am 11. Mai 1563 selbst nach
Nürnberg kam und bei Schober wieder übernachtete,
verwies man diesen kurzerhand aus der Stadt, weil er
im Verhör nicht gleich Rede stehen, sondern sich
nur zur schriftlichen Verantwortung erbieten wollte.
Bei Joachim Heller aber benützte man seinen höchst
anstößigen Lebenswandel, um ihm seinen Dienst aufzu-
kündigen (28. Mai 1563)!).
!) Den ganzen Prozeß des Joachim Heller enthält der Akt:
S. IL. 102 Nr. 1. Ratsverlaß 12. 5. 1563: und nachdem an meine
herrn gelangt, das Illiricus nechten allhie gesehen, ist Bartl
Schober darum beschickt und befragt worden, wann er herkomen,
wo und bei wem er sich halt und was seine gescháft seien. Als er
nun auf das getan angloben an eides statt angezaigt, daß er gestern
zu mittag zeit herkommen, bei ime eingezogen und abends nach
dem nachtessen wider davongereist, unwissend, was er alhıe ge-
macht, habens meine herrn dabei bleiben laßen. 13. 5. 1563:
nachdem Bartl Schober auf die gestellte fragstück kein mundlich
antwort geben wollen, sondern vermóg der verlesenen verzeichnus
begert, im dieartikel zuzestellen, sein antwortschriftlich — und doch
der furgehaltenen schriften an den Heller bekentlich gewest, da-
rinnen er meine herren ein erber rate antast und beschuldigt, als
sollten aie dio adiaphoristerei und Majoristerei schützen und dagegen
die anderen reinen schriften verfolgen, ist erteilt, daß man sich
mit ime ferner in einich schrift noch wortgezenk als einer privat-
person nicht begeben noch einlaßen, sondern ime jetzo alspalden
anzeigen soll: er weßt, welcher maßen ine meine herrn veruckter
zeit zu burger angenomen, der Hoffnung, er würde sich in seinem
beruf burgerlich gehalten haben. Dieweil es aber nıcht bescheen
und meine herren sein heßig gemut auch gelegenheit seiner hand-
lungen dermaßen spurten, so wolt irer erberkeiten gelegenheit
nit sein, ine lenger zu einem burger zu haben, sonder es were
irer erberkeiten endlicher bevel, das er sich noch vor untergang
der sonnen aus der statt und meiner herrn oberkeit und gepiet
hinweg tun, dieselbig sein leben lang meiden und nit mer darein
kommen wolle bei einer leıbesstraff. so sollt er auch sein weib und
kinder mit sich nemen. doch was er derselben auch seiner farnus
halb allhie zu verrichen, daß er dasselb durch sein waib oder
185
Man merkteden Aktennoch heutean, welcher Schrecken
den Rat erfüllte, wenn bei der Untersuchung wieder eine
Spur auf Flacius führte. Kaum zu verstehen ist, warum
man diesen Mann, der noch nicht einmal gut deutsch
reden konnte, also haßte. Er blieb allerdings dem Rat
die Antwort auch nicht schuldig. In seiner Schrift:
Trewe Warnung und Vermanung, das man das h. Testa-
ment des hochw. Nachtmals .. . unverfelscht — rein
behalten soll!) erzählte er von einer großen Stadt, die
im Winter 1561 fast drei Monate lang großen Mangel
an Lichtern gehabt habe; an den Läden hätten sich die
Menschen so gedrüngt, daB etliche zerdrückt worden
würen. Gottesfürchtige und verstündige Leute hátten
gleich daraus auf einen bevorstehenden Mangel am geist-
lichen Licht geschlossen. Das sei auch bald Wirklichkeit
geworden. Denn etliche Prediger und Bürger, die den
andere personen in 14 tagen den nechsten tun laßen möge. Der
nachsteur halben soll man gegen ime kein meldung tun. Auf
solchs haben die verordenten herrn referirt, das gedachter Schober
nach angesagtem beschaid geantwort: er hett rich solchs beschaids
und gar nit versehen, daß man den proceß an der execution an-
heben sollte. dann er gestern begert, ine schriftlich zu hörn, und
wenn e8 bescheen und sich erfinden würd, das er geirrt, wolt er
sich haben weisen laßen. dergestalt aber mit ime zu handeln,
were contra jus divinum et humanum. beruft sich derwegen auf
den passauischen vertrag, welcher vermöcht, das niemand der
religion halben vervolgt werden soll. Darauf ist befolen, ime zu
sagen, er hab gehört, aus was ursachen ine meine herrn alhie
weiter nit gedulden wolten. Darum ließ mans bei gegebnen be-
scheid bleiben und solt er allein lauter sagen, ob er solchem oeschaid
nachkomen woll oder nit. Tu ers, so solte mans geschehen und
dabei bleiben laßen. Wo nit, ine alspalden ins loch zu füren be-
velen. 28. 5. 1653: des im loch verhafteten Joachim Hellers
halben ist beim rat verlassen, im seine dienst, so er bisher meinen
berrn als ein profeßor astronomiae und sonst in ander weg gehabt,
in bedacht seiner mishandlung und das er bishero seinen diensten
und beruf in keinen weg ausgewartet genzlich auf und abzukunden
und zu sagen, sıch mit seinem ganzen haushalten von hinnen aus
der stat und meiner herrn oberkeit und gepiet hinweg zu tun.
Vgl. E. Dóllinger II, 107ff. Ratsbuch 32, 84a, 112, 115.
!) Datum der Widmung d. d. Regensburg am Tage Purifikat.
Mariae 1564.
186
rechten Verstand in den jetzt schwebenden Kor-
ruptelen auch in der Vergleichung Christi mit Belial
gehabt hätten, seien gestorben, andere verjagt worden,
endlich seien die rechten Prediger veranlaßt worden,
einen heimlichen Vertrag mit den andern in Religions-
sachen zu machen und ganz zu schweigen. Der Hieb
s1D; wenn auch die Schrift dem Rat der Stadt Danzig
gewidmet war, merkte man bald, daß auf die Stadt Nürn-
berg besonders auf den Prozeß Heling-Besold und die im
Jahre 1563 erfolgte Auseinandersetzung zwischen Klingen-
beck und den Philippisten gezielt war. Aber der Rat
sah selbst ein, daß es am klügsten wäre zu schweigen).
Man kann es aber verstehen, wie entrüstet der Rat
war, als eben in jenen Tagen, wo eine Spur des Flacius
nach der andern auftauchte, auch auf der Kanzel und
in der Gemeinde der theol. Streit von neuem aufflackerte.
Georg Klingenbeck, Prediger bei St. Egidien, war mit
Sixt Huber, Kaplan bei St. Sebald, über den freien Willen
1) Rateverlaß: 26. 4. 1564: auf die verlesen vorredei n des Illirici
ausgangnem püchlein wider die sacramentirer, weil er meine herrn
so hoch und mit solch ungrund darinnen anzeucht, sol man die
drei vordersten predicanten und neben inen die prediger zu 8. Egi-
dien und unser Frauen erfordern, inen solchs furlesen und fragen,
ob ir einer zu jungster irer mit einander verglichene vereinigung
genótigt oder einiche beschwerung noch darin het und solchs
elles widerpringen. 27. 4. 1564: auf der verordenten herrn getane
mundliche relation, daß sie den 5 predicanten des Illirici vorrede
seins ausgangnen büchleins furgehalten, die darob die hochste
be:chwerd trügen, wißte irer keiner zu erinnern, daß sie zu voriger
vergleichung genótigt, hetten zu solchem des Illirici ausschreien
kein ursach geben und weren alle miteinander ganz einig und fried-
sam und de: entlichen meinung, wes sie sich hievor miteinander
einhellig verglichen, dabei bestendiglich zu bleiben und mit dem
Ilirico nichs zu tun zu haben, ist verlaßen, die ganze handlung
den herrn hochgelerten um ir ratlich bedenken furzutragen, und
da sie fur gut ansehen würden, derwegen gegen denen von Regens-
burg andung zu tun, ir einem bevelen, solch schrift zu stellen.
17. 5. 1564: auf den verlesnem ratschlag des Flacium Illirici aus-
gengen tractetlein, darinnen er meine herrn etwas mit unwarheit
anziehen tut, soll man sich mit ime nit ein, sondern die sach dem
ratschlag gemeß beruen lassen. Das Bedenken der Rechtsgelehrten:
G. Th. Strobel, Beyträge zur Litteratur. Nürnberg und Altdorf
1785. I, 2, 406ff.
187
in Streit gekommen. Er faßte ihn gewiß, wie alle Luthe-
raner als gänzlich erstorben zum Guten und deshalb
unwirksam bei der Bekehrung auf, während Huber ihm
die facultas applicandi se ad gratiam zuschreiben wollte.
Wie nicht anders dazumal möglich, hatte auch gleich die
Bürgerschaft lebhaft Partei für oder wider ergriffen. Der
Rat griff energisch ein. Klingenbeck mußte sich anheischig
machen, in der Predigt diese Materie gar nicht mehr zu
berühren; auch erklärte er seine Bereitwilligkeit zu einer
gütlichen Unterredung. Daraufhin untersagte der Rat
auch Heling und Schellhammer jede Erwähnung dieser
Sache auf der Kanzel!).
Am 7. Juli traten Heling, Lechner, Schellhammer,
Beßler auf dem Rathaus zur Beratung zusammen. Hier.
Baumgartner, Joachim Haller, Georg Volkamer ermahnten
zur Einigkeit. Manchem sei es nicht um die Ehre Gottes,
sondern nur um den Ruhm vor der Gemeinde zu tun.
14 Tage dauerten die Verhandlungen; nicht nur die Lehre
1) Ratsverlaß 12. 5. 1563: in dem noch ungeorterten streit
vom freien Willen, so sich zwischen dem prediger zu Sand Egidien
Cunrad Klingenpeck und Sixten Huber caplan zu S. Sebeld zu-
getragen, soll man auf gemeltes herrn predigers schrift di 3 herrn
superintendenten ir bedenken und meinung auch verfassen lassen
und widerbringen, damit man zu erórterung der sachen kommen
möge. 1. 7. 1563: dieweil der prediger zu Sand Egidien herr
Cunrad Klingenpeck je lenger je mer auf der kanzel wider die
freiwillisten schreibt, ist befolen, ine zu erfordern, was ine doch
über das, so hievor ernstlich mit ime gehandelt worden, dazu:
verursach, sonderlich, weil die sache zwischen im und seinem
widerteilen nit geortert, sein antwort wider bringen, mitlerzeit bis
zur orterung solchs handels dise materi auf der kanzel undisputirt
zu lassen und solchs den andern herrp predicanten auch anzeigen.
2. 7. 1563: dieweil sich herr Cunrad Klingenpeck, prediger zu
S. Egidien, nach getaner entschuldigung seines schreiens auf der
canzel vom freien willen erpoten, sich solchs strits halo mit sein
widerteiln gutlich zu bereden, ist bevolen, sie die predicanten,
80 ob diesen artikel miteinander strittig seien, mit erstem zu-
samen fordern und von der sachen reden und disputiren zulassen,
ob sie sich darob freundlich mit einander vergleichen könnten
und alles zu verzeichnen und widerzubringen, mitlerzeit den
zwaien predicanten Sebaldi und Laurerti euflegen, sich diser
disputation auf der canzel zu entnalten [Ms. 1112, 18. Stadtbibl.
Nürnberg. Will. bibl. Nor. II, 358.) Vgl. Zelt ner, vita Helingi
S. 49. Ratsbuch 32, 125.
188
vom freien Willen, sondern auch alle übrigen Differenz-
punkte, wie die rechte Auffassung des Wortes Evangelium,
die Notwendigkeit der guten Werke, die Gottessohnschaft
Christi, die Abendmahlslehre, die Adiaphora wurden be-
sprochen. Unter dem Druck der Obrigkeit kam man
auch zu einer Einigung. Heling und Schellhammer faßten
das Ergebnis in einer umfangreichen Schrift, „dem später
sogenannten scriptum declaratorium“, zusammen, welches
dann am 23. Juli von sämtlichen Predigern unterschrieben
wurde. Es trügt alle Müngel eines Kompromisses an sich:
Dürnhofer hatte nicht so unrecht, wenn er von ihm ur-
teilte: ,,es sei, als wenn man dreierlei Eisen, gutes, böses
und mittelmäßiges zusammenschweiße“. Doch zeigen
sich auch hier schon manche Ansätze, mit denen es später
gelang. die Streitigkeiten im Luthertum zu überwinden.
Den fünf Geistlichen scheint das Ungenügende des Schrift-
stückes selbst zu Bewußtsein gekommen zu sein; dem
Rat überreichte man eine kurze Zusammenfassung, ‚die
Synopsis scriptideclaratorii'*. Um so zufriedener war der Rat.
Die Stimmen unter den Bürgern, Herr ‚Cunrad (Klingen-
beck) habe die andern Prädikanten auf die rechte Bahn
gebracht und von ihrem Irrtum bekehrt“, verstummten
immer mehr; nur der unruhige Mag. Seb. Röting konnte
sein Hetzen auch jetzt noch nicht einstellen. So wurde
denn nicht nur den fünf Geistlichen die Anerkennung
des Rates ausgedrückt und der Hoffnung dabei Ausdruck
gegeben, daß der Zwiespalt unter ihnen endgültig bei-
gelegt sei, sondern auch sämtlichen Geistlichen in einer
besonderen Versammlung die ‚Konfession und Ver-
gleichung“ als Lehrnorm bekannt gegeben, die sie durch
Unterschrift anerkennen mußten. So haben wir in den
Abmachungen der fünf Prediger die erste norma doctrinae
oder Bekenntnisschrift der Nürnberger Kirche zu sehen
(Rateverlaß 28. September 1563)!).
!) Bedenken von Hi. Baumgartner, Joachim Haller, Gg.
Volkamer Rep. 52. Me. 1112 fol. 15. Stadtbibl. Nürnoerg. Bibl.
Nor. Will. IT, 358. Das declaratorium Kr. N. D 212, 34ff. Fasc. I
ad D 212 fol. 20ff. Ms. 1112, 23ff. St. Nürnbg. Bibl. Nor. Will. II
358, 335. vgl. 368 Amb. 269 u. 68. Solg. I, 32. Erl. Univ. Bibl.
Ms. 913, 1ff. 1458, fol. 169ff. Über den Verfasser s. D 212 Fasc. IV:?
Originalprotokollum der ao. 1685 konfirmirten normae doctrinae
189
Fünf Jahre gelang es nun dem Rat, auf Grund dieser
Maßnahme Frieden unter den Geistlichen aufrecht zu
erhalten. Energisch ging man gegen alles vor, was zu
Verwicklungen führen konnte. Wie man nach außen
von allen Kirchen- und Schuldienern hiesigen orte samt derselben
teils schriftlich gegebenen bedenken: Erklärung Schelheimers
vom 21. 5.: er wüßte sich der Erklärungsschrift, welche ao. 1563
von seinem Vorgänger Herrn Jakob Lener und ihm Schellheimer
meistenteils gestellt und begriffen worden, die sie auch approbiert
und subekribiert hätten, wohl zu erinnern Erklärung Helings vom
29 5.: „welche er neben andern hiesigen Prädikaten ao. 63 gestellt
und unterschrieben und einem erbern Rat übergeben“. Die An-
gaben von Hirsch, Acta historico ecclesiastica Weimar 1747.
XI, 432 kónnen nicht nachgeprüft werden. Das Urteil Dürnhofers:
Es sei eben, als wenn man dreierlei Eisen, Gute, Böse und mittel-
mäßige zusammenschweiBte G. G. Zeltner, kurzgefaßte Historie
S. 46. Joh. Kaufmann urteilte 27. 1. 1578: Die Schrift 1563 sei
nur Gleisnerei Ms. 1110, 355ff. Punkt 10. Ratsverlaß 28. 9. 1563.
Auf die getane mündliche relation, was maDen sich die drei vör-
dersten predicanten neben M. Micheln PeBler mit Herrn Cunraden
Clingenpecken, predigern zu St. Egidien, in der irrung, so sich
ein lange Zeit zwischen inen vom freyen willen und andern
puncten erhalten, allerdings verglichen, diselb vergleichung
schriftlich verfaßt und sich zu ends derselben alle mit eignen
händen underschrieben, damit dann solche ir vergleichung allent-
halben bei den kirchendienern offenbar und bei inen nicht dafur
gescht werde, als wolte mans in gehaimd behalten und also etliche
derselben allerlei davon reden möchten, soll man alle predicanten,
caplän und schulmaister hie zusammen erfordern und inen solche
vergleichung anzeigen und die gestelte schrift furlesen und inen
sagen, weil dieser vergleichung meine herrn zufrieden und inen
dieselb wol gefallen ließen, so wolt man inen hiemit angezeigt
haben, sich zu enthalten, daß keiner uf der canzel oder auch andern
winkeln weder heimlich noch offentlich davon reden, disputirn
oder andere darwider zureden verursschen, sonder, do einer einen
mangel an diser schrift und vergleichung het, dasselb alsbald an-
zuzeigen. diejenigen aber, so kein einrede und inen dieselben ge-
fallen ließen, solten sich alsbald auch unterschreiben. welcher aber
mangel daran und ytzo nit ercleren kont, dem wolt man 8 tag
bedacht darzu lassen. und wiewol etliche statliche burger diser
disputation und stritts halben viel böser reden ausgoßen, aber
weil diese irrung nimer uf der canzel triben, etwas still worden,
sol man ee irenthalben also ruhen laßen. Micheln Röting aber, der
uber vielfeltige warnung noch für und fur schret und schreibt und
von seiner opinion nit abstehen will, ungeacht daß es nit seiner
vocation, soll man beachicken und ime mit allem ernst undersagen,
190
hin alles mied, was als eine Begünstigung des Kurfürsten
von der Pfalz erscheinen konnte, und sich in der Politik
ganz nach Kurfürst August und Wolfgang von Zwei-
brücken richtete!), so auch im Innern. Der Buchhändler
Jan Monte aus Heidelberg durfte keine Calvinische Bücher
in der Stadt verkaufen?); die niederländischen calvinistisch
gesinnten KaufleutewurdenzurRuhe undStilleangehalten?) ;
seines berufs und schuldienste zu warten und sich seiner disputatio-
nen in geistlichen sachen zu enthalten. dann do er davon nicht
absten, werden meine herrn ungeachtet seiner langwierigen dienst
und altere das gegen im furzunemen, das im nit gefallen werd.
Vgl. Ms. 1112 fol. 21. Will. bibl. Nor. II, 358. Ratsbuch 32, 180.
1) RV.: 28. 12. 1565: Und demnach in dem ausschreiben der
kais. mjt. auch meldung geschieht, den gesandten befel zu geben,
in der stritigen religion und furnemlich der vilfeltigen secten halben
auch zu handeln, und es danneinenlaut hat, das pfalzgraf Friedrich
churfurst seiner sect halben im bei etlichen stenden einen beifall
und anhang machen woll seine sect zu verteidigen, ist verlaßen,
da der herrn gesandte zu Augspurg zu beratschlagung der religion
in abgesonderte rete gefordert und die pfelzischen darauf tringen
wolten, inen anhengig zu sein, sol man inen dasselb mit gutem
glimpf weigern und sich anders und weiters nit einlassen, denn
meiner herrn erclerung, so sie auf der churfürsten und fürsten
überschickt confession, welcher sie zu Naumburg sich verglichen,
zu erkennen gibt, und mag sich der herr wol in solchen selben fall
zu den churfurst sáchsischen, pfalzgraf Wolfgang reten, denen
von Ulm und andern, die meiner herrn confession seien, halten.
er 1) RV. 2. 4. 1565: Jan Monte von Heidelberg, so die cal.
vinischen Bucher hie feil gehabt, soll man in die canzlei füren,
ein sage von im aufschreiben laßen, wo er mit diesen buchern
herkume, und wer ims erlaubt, hie feil zu haben, sein sag wider
priagen, ine dieweil warten laßen. Auf Johann Monts ansag, soll
man ine schweren lassen, der bucher keins weder hie noch in meiner
herrn oberkeit zu verkauf n, das angezeigt vaß auch unaufge-
schlagen hinweg zu füren und sich bei sonnenschein aus der stat
zu machen. Als er nun den eid geleistet und gepeten, ine hie zu
laßen, bis sein ross ankume, woll er inmittels die pücher in der
kanzlei laßen, soll man im wilfaren, doch bei geleisten aid sagen,
sobald das faß kume, daßelb ungeoffent hinweg zu schicken. Die
andern bucher inmittels bei der hand behalten, dem wirt zum
schwarzen bären auch sagen, acht zu haben, wenn das faß herkum,
dasselb nit offnen zu laßen, daneben will man Wolfen Geigenberger
und andere, die bucher von im kauft, beschicken, diselben ver-
pflichten, alle in die kanzlei zu geben.
3) RV. 31. 5. 1567: auf gescheen anbringen, daß ein burger
hie, so ein niderlender, zu Amberg offentlich in die calvinische
191
Geistliche, welche Unruhe stiften wollten, wie der zweite
vórderste Geistliche, Jacob Lechner, entfernt!); den
Lutheranern kam man auf die Weise entgegen, daB man
kirchen gangen und daselbst nach irem prauch communiciert,
sol man denselben beschicken, beeidigen, zu rede halten und sein
sag widerpringen, daneben soll man kuntschaft machen, was fur
fremder niderlender sich der jtzigen entbórung halb hieher getan,
wer diselben und bei wem sie innen, ob sie auch conventicula halten
oder nit, alles widerpringen. 4.6. 1567: auf die verlesene anseg,
was vilfeltiger disputationes die calvinischen niderlender, so jtzo
hieher kumen, sie erregen, sol man sich in aller eil und mit eim
grund erkundigen, wieviel und wer dieselben niderlender, auch bei
wem sieinnen, insonderheit wer derjenige, so sich vernemen lassen,
christus rei ein pastart.
RV. 23. 7. 1567: auf verlesene ansagen, was fur nider-
lendische calvinisten sich hie enthalten und allerlei disputiren
sollen, sol man zuforderst Egidi Großen, den collaboratoren bei
S. Egidien, beschicken, uf sein irrtum zu red halten, sein sag wider-
pringen. Gabriel Schlüßelberger, Jorgen Maleprand, Niclasen de
Nova Castel und andere, die der calvinischen Schwermerei verdacht
und disputiren, soll man beschicken, inen meiner herrn ernstlichs
misfallen ires irrtums und disputirens halben und dabei anzeigen,
von solchem irrtum abzusten und sich der hioigen oder A. Confession
gemes zu erzeigen, welcher aber in seinem gewissen ein anderes
erkennet und hielt, das solt er sich bei sich behalten und mit nie.
manden disputieren auch niemand kein ergernus geben noch einiche
conventicula halten, sonder sich eins solchen eingezogenen stillen
wesens und wandels verhalten, das iren halben kein weitere Klage
kume. Welcher aber wider solchs in wenigsten handeln, gegen
den oder denselben wolt man einen solchen ernst geprauchen der
im zu schwer fallen würde.
1) Verlaß 23. 7. 1565: dieweil sich befind, daß Mag. Jacobus
Lechner nicht allein, seid er von seiner predicatur abgestanden,
gar nichts getan und die große besoldung so vergebenlich eingenumen,
sonder auch allerlei uneinigkeit und disputationes zwischen den
hieigen predicanven erweckt und sich allerlei fremden secten und
rottierungen anhengig macht und sich mit den hiesigen predicanten
gar nit vergleichen will, sondern was zwischen oder unter inen hie
gehandelt wird, an fremde auswendige orte schreibt und ursach
sucht, wie er diselben wider die hieigen predicanten wehig machen
möchte und darzu sich nit allein mit seinem weib ganz ergerlich
u. streflich het, sondern auch, wann er bezecht u. bei gast ungen ist.
mit schenden, schmehen und andern ungeburn dermaßen erzeigt,
das ime als einem teologo gar keinswegs geburt, meinen herrn auch
keinswegs zu gedulden geburen will, soll man solcher seiner un-
geschick halben an den angezeigten orten zeugen und kundschaft
193
Michael BeBler zu seinem Nachfolger ernannte!) Doch
unterdrückte man auch von ihrer Seite alles, was Anstoß
eregen konnte. So wurde dem Buchführer Jorg Fischer
horen, dieselb herwiderpringen. 25. 8. 1565: auf der verhórten
zeugen verlesene ansag, sol man M. Jacoben Lechner sagen, er
wißt sich zu erinnern, daß er sich beschwert, daß er schwacheit
halben seins leibs der predicatur nicht kont furstehen, derwegen
denn meine herrn in derselben erlassen und bisher in seiner herberg
pleiben auch sein besoldung volliglich ime verfolgen laßen. weil
aber meinen herrn furkeme, wie ungeschickt und rumorisch er
sich bisher vilfeltig erzeigt, welches denn meine herrn zu gedulden
nit gemeint, so wolt man ime hiemit sein besoldung aufgesagt
haben, mocht sich an andern orten um dinst bewerben, solt auch
sein herberg im pfarrhof raumen, dazu wolt man ime zeit bis
Michaelis geben. 4. 9. 1565: M. Jacob Lechner sol man zur ab-
fertigung das halbe quartalgeld, so uber 8 Tag verfallen, dergleichen
das halbe quartalgeld der 37 ½ fl, so auf allerheiligentag fellig wird
auch, und einen schriftlichen abschied geben, daß er ein zeit lang
bei 8. Lor. predicant und superintendent gewesen, solches stands
hette man ine erlaßen und entledigt, also daß er mit meiner herrn
gut wissen abgeschieden. 8. 9. 1565: Mag. Jaooben Lechner auf
sein suppliciren weiter vernemen, wie sein gemut des angezogenen
gelds halben eigentlich gestellt und wie sein meinung zu verstehen
sei und widerpringen. 10. 9. 1565: auf die getane erkundigung,
das Mag. Jacob Lechners gemut dahin gestelt, meinen herrn 1500 fl
zuzustellen, dieselbigen zu gebrauchen und ime jerlich dagegen
100 fl. als ein stipendium zugeben, doch daß einem jeden teil
frei sten solt, dasselbig zu seiner gelegenheit wiederum ab und
aufzukunden, soll man ime sagen, das meine herrn im dergestalt
willfaren wolten, nemlich die 1500 fl auf vier jar lang anzunemen
und jedes hundert mit 5 procento zu verzinsen und dann ime
dise 4 jar lang ein jedes 25 fl zu ainem stipendio reichen. da es
ime aber nit annemlich zu vermelden, das er solch: 1500 fl ander
ort zu seinem pesten anlegen mocht, wolt man ime dennoch die
25 fl die 4 jar lang reichen und solche 25 fl solt man jerlichen von
der kirchen einkomen nemen.
9) RV. 9. 1. 1566: den beden herrn predicanten und Superin-
tendenten zu S. Sebald und Lorenzen soll man M. Michel PeBler,
den prediger zu unser Frau zu einem dritten Miteuperintendenten
zuordnen und im die 100 fl besoldung, wie den andern zwei geben.
Ebenso bedachte man M. Heling: Ratsverlaß der H. Eltern:
23. 11. 1566: Herrn Mauritio Heling prediger bei 8. Sebald soll
man auf sein supplicieren um ein Steuer, weil er bisher noch kein
anlangen getan und sich gegen herrn Andreas Imhof den eltern
soviel vernemen lassen, daß er ein unversehen zugestandenen un-
fallshalben 100 Taler notdürftig, mit denselben 100 Talern vereren
und im sagen, solchs in geheim zu halten.
193
der Verkauf der Streitschriften Mörlins gegen die Heidel-
berger verboten!). Einmal schien es allerdings, als sollten
alle Bemühungen des Rates umsonst sein. Durch Herzog
Christoph von Württemberg wurde man auf zahlreiche
Schwenkfelder, wie den Uhrmacher Paul Graßmann,
den Schmied Linhard Nürnberger, Jörg Schechtner in
der Breiten Gasse aufmerksam. In den mit ihnen an-
gestellten Verhandlungen bekannte sich Heling zu mancher
ihrer Anschauungen; so sprach auch er von einer doppelten
Taufe; auch er leugnete den Kinderglauben. Doch kam
es zu keinem offnen Zwist. Der Rat ließ sich lieber
von den Schwenkfeldern eine halbwegs befriedigende
Erklärung geben, als daß er die bisher mühsam behauptete
Einigkeit hätte in Trümmer gehen lassen?).
!) RV. 17. 5. 1567: Jorgen Fischer und allen buchfürern
soll man verpieten, des buch intituliert wider die handlungen der
heidelbergischen theologen dureh D. Jochim Mörlin gemacht
weiter zu verkaufen, sondern alle in die canzlei zu antworten.
2) Verläße des Herrn Eltern 25. X. 1565. RV. 18. XI. 1563.
6. VII. 1564. 11. XI., 22. XI., 23. XI., 1. 5. 12. 15. 18. 22. 23. 29.
XII. 64. 11. I., 26. I., 27. II., 27. 29. III., 17. IV., 11. V., 14. VII.,
21. VI., 25. VIII., 8. X., 27. X., 27. XI., 4 5 8 XII., 65. 9. I.,
6. II., 9. 26. II., 23. 27. III., 4. 18. 25. 27. IV, 6. 8. 9. 10. 15. V.,
19. VIII., 30. IX., 22. X., 10. XI., 12. 16. XI., 9. 10. 28. XII. 1566.
27. 29. I., 23. I., 3. 6. II., 3. V., 7. XI. 1567. RV. 9. III. 1566:
weil die predicanten in irem eingefallenen strit verglichen, soll
man nunmehr das examen mit Paulusen Graßmann furgehen
laßen. 10. 11. 1566: dieweil ein erbarer rat sorgfeltig, do man solche
confeesion den beden predicanten bei S. Sebald und zu unser Frau
furhalten, das es zu allerlei weitläufigkeit gereichen und sie die -
predicanten villeicht selbs darob nit allerding einig sein und allerlei
beschwerlicher disputationen zwischen inen verursachen möchte ...
ist bei einem erbern rate verlassen, von sein des Schechtners
confession weder mit ime noch den predicanten zu disputieren,
sondern dieselb genzlich an ein ort zu stellen und dieselbe weder gut
oder bos zu heißen, sondern bei Schechtner zu erfordern und von
im ein lautere unoonditionirte antwort mit ja oder nein anhoren,
ob er sich gänzlich und allerdinge zu der A. C. und der hiesigen
mein herrn kirchenordnung bekenne und sich derselben gemäß
erzeigen und verhalten wolle oder nicht, solches alles widerpringen.
Vgl. Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen. Band 40. Göttingen 1915 B. 49. Zeltner, vita
Helingi 8. 51. Ratsbuch 32, 167, 270, 297, 302, 307, 309, 320, 326,
845, 367, 370, 372f., 375, 378., 33, 3f., 39, 64, 184.
Der Bekenntnisstand
der Reichsstadt Frankfurt a. M. im
Zeitalter der Reformation.
Lersner =
Ritter,
Ev. Denkmal =
F. R. =
K Gesch. =
Von K. Bauer.
Abkürzungen.
Der Weit- berühmten Freyen Reichs-, Wahl- und
Handels- Stadt Franckfurt am Mayn Chronica,
Oder Ordentliche Beschreibung der Stedt Franck-
furt Herkunfft und Auffnahmen / wie auch allerley
denckwürdiger Sachen und Geschichten / so bey
der Römischen Königen und Kayser Wahl und
Crönungen, welche mehentheils allhier vorge-
nommen worden / vorgegangen / nebst denen Ver-
änderungen / die sich in Weltlich- und Geistlichen
Sachen / nach und nach zugetragen haben.
Anfänglich durch Gebhard Florian, an Tag ge-
geben / Anjetzo aber Aus vielen Autoribus und
Manuscriptis vermehret / mit nöthigen Kupffern
gezieret / und per modum Annalium verfasset /
und zusammen getragen. Durch Achillem Augustum
von Lersner / Patricium Nobilem, Civitatis
Francofurtensis. — 1. Band 1706; 2. Band 1734.
Joh. Balthasar Ritter, Evangelisches Denckmahl
der Stadt Franckfurth am Mayn, Oder Ausführ-
licher Bericht von der daselbst im XVI. Jahr-
Hundert ergangenen Kirchen-Reformation, Mit-
hin von dem Anfang, weitern Fortgang, und der
Bestättigung des wieder hervorgebrachten Heiligen
Evangelii in besagtem Ort, aus bewährten schr'fft-
lichen Documenten und anderen Urkunden ver-
fertiget. — Frankfurt a. M., Johann Friedrich
Fleischer 1726.
Franckfurtische Religionshandlungen etc. — Vier
Bände. 1735ff.
Kirchen-Geschichte von denen Reformirten in
Franckfurt am Mayn, worin derselben Ankunft,
195
Aufnahme und Zuwachs, das Gesuch einer be-
sondern Kirche in der Stadt und die darüber er-
hobene Streitigkeiten bis auf itzige Zeit unpar-
theyisch vorgetragen werden. Mit einer VORREDE
Herrn D. Joh. Philip Fresenii, in welcher die gegen
Seine Abwiegung der Gründe kürtzlich heraus-
gekommene so genante ausführliche Prüfung
gründlich beleuchtet wird. Franckfurt una Leipzig,
Bey Heinrich Ludwig Brönnern, 1751.
Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst.
.F.= Dasselbe. Neue Folge.
.F.= Dasselbe. Dritte Folge.
= Akten des Frankfurter Stadtarchivs über Religion
und Kirchenwesen. (Tom. III: 1541—1560. —
Suppl. = Supplementum ad. Tom. III. Actorum
Ecclesiasticorum de 1541—1560. Das Interim
bet. v. J. 1548—1549. Oglb. lit.: p.)
Uffb. Mscr. = Uffenbachsche Manuskripten- Sammlung des Frank-
furter Stadtarchivs. (Band 15, S. 1—131: Acta
varia Ecclesiastica Francofurten.)
Act. Ref. I. — Tom. I. Actorum des FrantzóDisch- und Nieder-
ländischen Kirchen-Weßens. de 1554— 1561.
(Frankfurter Stadtarchiv.)
Einleitung.
In dem Gesuche, mit welchem Poullain für sich
und 24 wallonische Familien um Aufnahme in das Frank-
furter Bürgerrecht und um Einräumung einer eigenen
Kirche bei dem Rate am 15. Mürz 1554 vorstellig wurde,
hieß es über die religiöse und kirchliche Seite der Ange-
legenheit: „Dieweil aber die sonder Religion nit leben
kunden, wiewol wir Euer Religion seynd, so kenden wir
doch Euerer Sprach nit. Hierumb ist an E. F. W. unser
fleisig Bitt, Sie wolten uns n dem Thal), da sie Unß
ufnehmeten, auch eine Kirche oder Tempel eingeben,
darinn wir Unser Gebeth, Predigt des Evangelii und Aus-
theilung der Heil. Sacramenten in unserer Sprach nach
der Lehr des Apostels Pauli haben mógten, soll doch hie-
durch keiner Pfarr, darunter ein jeder wird wohnen,
an Pfarr-Rechten nichts benommen seyn, sondern allezeit
1) Schreibfehler für „Fall“ (Tal = Fal). Der französische
Wortlaut hs: au cas, que.
18e
196
gevolgt werden; Zudem wollen wir unser Kirchen-Diener
E. F. W. anzeigen, dieselbigen haben anzunehmen und
zu Kirchen-Ambt zuzulassen !).*'
Der RatebeschluB, der auf dieses Gesuch erging,
lautete dahin: man solle ihnen willfahren und sie in dem
Namen Gottes aufnehmen. Die Lage, welche damit ge-
schaffen war, hatte indessen nicht lange Bestand. Bald
stellten sich allerlei MiBhelligkeiten heraus, die zur Folge
hatten, daf bereits im Jahre 1561 den Fremden die
ihnen bis dahin eingeräumte Weißfrauenkirche gesperrt
wurde, bis sie sich mit den Stadtpredigern in Lehre und
Zeremonien verglichen haben würden“).
Schon wührend der Erórterungen, welche zu dieser
MaBregel führten, wurden Zweifel laut, ob die Fremden
den Rat nicht von vornherein über ihren dogmatischen
Standpunkt falsch berichtet hätten. Und in den Verhand-
lungen, welche die Reformierten dann mehr als zwei
Jahrhunderte lang mit dem Rate der Stadt führten,
um das exercitium religionis publicum zu erlangen, kehrt
je und je der Vorwurf wieder, Poullain habe sich die
Erlaubnis, eigene Gottesdienste zu halten, auf hinterlistige
Weise erschlichen, denn tatsächlich seien seine Wallonen
nicht nur anderer Sprache, sondern auch eines anderen
Glaubens gewesen, nämlich Zwinglianer, während in
Frankfurt das reine Luthertum geherrscht habe.
Es fragt sich, ob dieser Vorwurf mit Recht erhoben
werden durfte. Es handelt sich dabei nicht nur um den
persönlichen Charakter Poullains. Es handelt sich vor
allem auch um die richtige Erkenntnis von den Aufängen
und der dogmatischen Ausprägung der Reformation in
Frankfurt.
Was Poullain betrifft, so hat er sich von jeher eine
recht ungünstige Beurteilung gefallen lassen müssen.
1) F.R. I, 17. Im französischen Wortlaut mitgeteilt von
F. C. Schröder in Troisième Jubilé séculaire de la fondation de
l'église réformée française de Francfort s. M. 1854, p. 6—8.
3) Vgl. dazu meine demnächst erscheinende Schrift: Die
Einstellung des reformierten Gottesdienstes in der Reichsstadt
Frankfurt a. M. im Jahre 1561.
197
Daß zwar bei seinen lutherischen Gegnern sein Bild so
unvorteilhaft herausgekommen ist, dürfen wir wohl zu
einem guten Teil auf Rechnung der damals üblichen Art
der Polemik setzen. Aber auch ein so maßvoller Beurteiler
wie Steitz!) hat noch gemeint: „Die Art, wie er sich
hier die Pforte eröffnete, die Geschicklichkeit und Glätte,
womit er sich bei den Verhandlungen zu wenden wußte,
muß auch auf Unbefangene einen peiulichen Eindruck
machen, und wir begreifen vollkommen das Mißtrauen,
das die Prädikanten gegen ihn empfanden, wenn wir auch
zugeben müssen, daß bei der Härte und Unduldsamkeit,
welche die Reformierten von den Lutheranern erfuhren,
nur Schleichwege einen Erfolg in Aussicht stellten.“
Indessen dieses Urteil, daß er Schleichwege gewählt habe,
stützt sich doch lediglich auf das Zeugnis seiner Gegner,
und Gegner pflegen selten unbefangene Zeugen zu sein.
Es ist nun zunächst in sich selbst wenig wahrschein-
lich, daß die Wallonen, die um ihres Glaubens willen
England verlassen und sich auf Betreiben des Retsherrn
Claus Bromm, mit dem sie in Köln zusammengetroffen
waren, nach Frankfurt gewendet hatten, nun ausgerechnet
in Frankfurt ihre innersten Überzeugungen verheimlicht
haben sollten, wo ihnen doch gerade in der nächsten
Nachbarschaft der Stadt bei dem Landgrafen Philipp
von Hessen die Aufnahme sicher gewesen wäre.
Wenn sie den Frankfurtern versicherten: „Wir sind
Euerer Religion“, so hätte die Glaubenstreue, welche sie
bisher bewiesen hatten, sie zur Genüge vor dem Verdachte
schützen können, als versuchten sie, in Frankfurt auf
Schleichwegen zu erlangen, was ihnen anderswo verweigert
worden war. Sie müssen dann doch wohl selber der
Meinung gewesen sein, daß zwischen ihnen und den
Frankfurtern in der Tat kein Unterschied im Glauben
bestehe. Demgemäß hat denn auch bereits Neudecker?)
1) Steitz, Der lutherische Prüdicant Hartmann Beyer. Ein
Zeitbild aus Frankfurts Kirchengeschichte im Jahrhundert der
Reformation. Frankfurt a. M. 1852. S. 123. (
2) Neudecker, Geschichte des Evang. Protestantismus in
Deutschland. I, 392.
198
geurteilt: „In Wahrheit konnte Pollanus dem Frankfurter
Magistrate erklären: Wir sind eures Glaubens!“
Stimmt man dem einmal zu, so bleibt aber immer
noch die Frage offen, wie diese Erklärung eigentlich
gemeint war. Dechent!) hat sie in einem ganz allge-
meinen Sinne verstehen wollen: „Es liegt auf der Hand,
daß eine solche Versicherung recht wohl gegeben werden
konnte, um den Gegensatz gegen die römische Konfession
auszudrücken, ohne damit Übereinstimmung in allen
Einzeiheiten der Lehre und Verfassung zu behaupten.“
Das ist aber eine Zurückdatierung moderner Gedanken
in eine Zeit, die diese Gedanken noch gar nicht kannte.
Die Idee eines Gesamtprotestantismus, dessen einigendes
Band nur der gemeinsame Gegensatz gegen Rom sein
sollte, war jenem Geschlechte noch völlig fremd. Auch
die Schweizer und die Täufer und religiöse Spiritualisten
und Individualisten wie Sebastian Frank standen im
Gegensatze zu der katholischen Kirche. Aber wo man sich,
wie in Frankfurt, zu der Augsburger Konfession bekannte,
fragte man nicht nur nach der negativen Seite, sondern
auch nach dem positiven Inhalte des Bekenntnisses.
Schon seit Jahrzehnten hatte man im evangelischen
Deutschland die Grenzen deutlich abgesteckt gegen die
Schwärmer und Rotten. Und seitdem Westphal mit
seinem Alarmruf das Signal zu dem zweiten Abendmahls-
streite gegeben hatte, genügte es vollends nicht mehr
zum Ausweis über die eigene Rechtgläubigkeit, wenn
man sich nur auf die Verwerfung der papistischen Irr-
tümer berufen wollte. Wenn jene Wallonen eben damals
die Erklärung abgaben: „Wir .sind Euerer Religion“,
so müssen sie davon überzeugt gewesen sein, daß ihr
eigener Bekenntnisstand mit demjenigen der Frankfurter
sich wirklich decke.
Hiernach ist die Frage die: Gab es Tatsachen, die
ihnen zu dieser Meinung ein Recht gaben? Dann müßte,
als sie ihre Blicke nach Frankfurt richteten, der offizielle
Bekenntnisstand dieser Reichsstadt noch nicht im Sinne
1) Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der
Reformation. I, 204.
199
der Beyer und Ritter der des Gnesioluthertums gewesen
sein, und Luthertum und reformiertes Wesen könnten
sich hier noch nicht als.die abgeschlossenen, festumrissenen
Größen gegenübergestanden haben, als die sie nach den
Schilderungen der lutherischen Prädikanten erscheinen.
Wie es sich hiermit in Wirklichkeit verhalten hat,
soll im folgenden aufgehellt werden. Wir stellen zunächst
fest, welches der rechtliche Bekenntnisstand Frankfurts
bei der Ankunft der Fremden war; dabei wird es nötig
sein, dem Gang der Frankfurter Reformationsgeschichte
von ihren Anfängen an zu folgen. Sodann suchen wir
den dogmatischen Standpunkt der Fremdengemeinden
kennen zu lernen. Und schließlich haben wir zu unter-
suchen, wie sich der Gegensatz zwischen ihnen und den
Prädikanten der Stadt herausgebildet hat.
Erster Teil.
Die Entwicklung des Frankfurter Bekenntnisstandes
bis zu dem Verbot des katholischen Gottesdienstes.
Während man auf lutherischer Seite in katholisieren-
der Weise das Endergebnis einer längeren Entwicklung
in die Anfangszeit zurückdatierte und die These verfocht,
Frankfurt sei vom Anbeginn der Reformation an eine
genuin und exklusiv lutherische Stadt gewesen, hat man
bei den Reformierten noch lange Erinnerungen daran
bewahrt, daß es Symptome gegeben hatte, die eher für
den Schweizer als den Wittenberger Typus der Frank-
furter Reformation sprachen!). So folgerte man aus der
Tatsache, daß Wilhelm Nesen in seiner Frankfurter Zeit
(1521) mit Zwingli korrespondierte, Francofurtum nobi-
lissimum ad Moenum emporium Zwinglii aluisse fautores.
Oder man erinnerte daran, die beiden ersten evangelischen
Prediger der Stadt hätten in ihrer Verteidigungsschrift
1526 erklärt, sie seien keine Lutheraner. Aus der Wendung,
deren sich Heinrich Bullinger bediente, als er 1533 seine
. Auslegung der Apostelgeschichte dem Rate zu Frankfurt
1) Vgl. hierfür F. R. I, 48.
200
widmete: Habetis ministros claros et in doctrina Evangelii
laudatos, las man heraus, die damaligen Frankfurter
Prediger müßten mit Bullinger und den Reformierten
einig gewesen sein. Auf dieselbe Spur sah man sich durch
den Brief gewiesen, mit welchem in dem gleichen Jahre
Luther die Frankfurter vor der falschen Lehre Zwinglis
warnte. Auch darauf machte man aufmerksam, daß
der Vertreter Frankfurts die Wittenberger Konkordie auf
Butzers, nicht auf Lutbers Seite unterschrieben habe.
Und den Frankfurter Katechismus von 1541 und die
Frankfurter Konkordie von 1542 fand man, wenn man
sie in ihrem natürlichen Sinne (sensu sano) nehme, in
Übereinstimmung mit den reformierten Prinzipien. Noch
in der Mitte des 18. Jahrhunderts haben es sich die Frank-
furter Lutheraner redlich Mühe kosten lassen darzutun,
daß diese Symptome nichts bewiesen.
Nachdem die Frage dann aufgehört hatte, eine
konfessionelle Streitfrage von unmittelbar praktischer
Bedeutung zu sein, und statt dessen einfach in das Licht
streng historischer Forschung gerückt war, ist gerade
von einem lutherischen Forscher!) festgestellt worden:
„Eine unbefangene Einsicht der Quellen bestätigt im
Gegenteil eine vorwiegende Hinneigung zu dem Lehrtropus
der Schweizer.“
Es wird unsere Aufgabe sein, die Frankfurter Re-
formation Schritt für Schritt auf ihren dogmengeschicht-
lichen Charakter zu prüfen.
1. Die ersten reformatorischen Tendenzen.
Beim Beginn der Reformation begegnen uns auch
in Frankfurt einige Männer, deren Namen im Zusammen-
hang mit der großen Bewegung der Zeit weit über den
Bannkreis ihrer Stadt hinaus bekannt geworden sind.
Einige von ihnen teilen die Bestrebungen des Humanis-
mus. Andere gehören dem Klerus an. Soweit sie von einer
Reformation der Kirche reden, liegen ihre Interessen
ganz nach der nationalen und ethischen Seite. Sie erhoffen
1) Steitz a. a. O. S. 17.
201
die Reform, von deren Notwendigkeit sie durchaus über-
zeugt sind, im Rahmen der katholischen Kirche. Der
Gedanke an eine neue Kirchenbildung liegt ihnen gänzlich
fern. Vollends von irgendwelchen neuen Festsetzungen
über die Glaubenslehre ist bei ihnen keine Eede.
Von den Geistlichen der Stadt ist hier zunächst
Thomas Murner zu nennen, der im Advent 1511 in Frank-
furt predigte. Nachmals ein entschiedener Gegner Luthers,
hat er auf der Kanzel der Barfüßerkirche die Torheiten
und die Sittenverderbnis seiner Zeit gegeißelt. In den
Briefen der Dunkelmänner erscheint er darum als einer
der Führer im Kampf gegen den Klerus, zumal den
Dominikanerorden.
Nach ihm hat Johannes Cochläus!) zehn Jahre lang
dem Frankfurter Liebfrauenstifte als Dechant angehört.
Als er am Neujahrstag 1520 sein Amt antrat, war er der
Gesinnungsgenosse Huttens, mit dem er im Briefwechsel
stand. „Der Mann“, so rühmte er ganz begeistert, „ ver-
tritt mit bewunderungswürdigem Freimute Deutschlands
Ruhm und entbrennt in heftigem Hasse gegen den rö-
mischen Bischof. Ein halbes Jahr später bekannte
er sich als unbedingten Parteigänger Luthers, von dem
er freilich damals in der Stadt nur äußerst selten etwas
hörte. Als er am 12. Juni 1520 Willibald Pirckheimer
von einer Disputation mit den Dominikanern schrieb,
unterlied er nicht, ausdrücklich zu bemerken: ,,Luthe-
risches wurde nichts aufgestellt. Ich würde es sicher
nicht versäumt haben, für ihn einzutreten, wenn mir
ein Anlaß geboten worden wäre.“ Ebenso, wie er hier
für Luther eintreten wollte, suchte er die Freundschaft
von Wolfgang Capito, der bald nach ihm seine Predigt-
tätigkeit im Dom zu Mainz begonnen hatte. Von den
1) Vgl. außer der Biographie von Spahn die vier von ihm aus
Frankfurt an Pirckheimer geschriebenen Briefe vom 26. Januar,
8. Februar, 5. April und 12.Juni 1520 bei Joh. Heumann, Documents
litteraria varii argumenti (1758), auf Grund deren Steitz, Refor-
matorische Persönlichkeiten, Einflüsse und Vorgänge in der Reichs-
stadt Frankfurt a. M. von 1519 bis 1522 (F. A. N. F. IV, 90ff.)
diese Zeit des Cochläus gekennzeichnet hat.
202
Umständen, unter denen er bald darauf seine kirchliche
Haltung änderte, wird noch die Rede sein (Vgl. S. 49).
Aus den Kreisen der Patrizier ist hier vor allem
Arnold Glauburger, der Schwiegersohn Hamans von
Holzhausen, von 1516—1521 Syndikus seiner Vaterstadt,
für uns von Interesse!) Er ist der Ernold in Huttens
Vadiscus, dessen Schauplatz Frankfurt ist, und die Äuße-
rungen, welche der Dialog diesem in den Mund legt,
entsprechen ganz seiner Denkweise. Sie kommen im
wesentlichen darauf hinaus, daß er Rom und rómisches
Wesen ebenso inbrünstig haBt, wie der ihm befreundete
Ritter, und daß sein Lieblingsgedanke die Unabhängigkeit
der Deutschen von den Welschen ist. In seinem Familien-
kreise stand er mit seinen Anschauungen nicht allein. So
wie man heutzutage in klerikal gesinnten Kreisen gegen
die Vertreter des Liberalismus, die sich auch der Kirche
gegenüber das Recht der Kritik vorbehalten, mit dem
Vorwurfe der Kirchenfeindschaft ziemlich freigiebig zu
sein pflegt, so hatte man bereits Arnolds Oheim, den
1499 verstorbenen Schöffen Henne von Glauburg, als
osor cleri bezeichnet, und mit dem gleichen Prädikat
war auch der jüngere Bruder Hamans von Holzhausen,
der 1514 verstorbene Gilbrecht zum Goldstein, belegt
worden. |
Luthers Auftreten wurde in der Stadt mit dem
größten Beifall begrüßt. Auf der Messe verkaufte im
Jahre 1520 ein einziger Buchhändler nicht weniger als
1400 Exemplare seiner Schriften, und Spalatin konnte
im September desselben Jahres von Frankfurt aus an
Mutianus berichten: · Nihil frequentius emitur, nihil cupi-
dius legitur?). Als am Sonntag Misericordias Domini
(14. April) 1521 der Wittenberger Reformator auf der
Reise nach Worms selber die Stadt berührte?), strömte
1) Über ihn unterrichtet Steitz, Ref. Persónlichkeiten usw.
S. 59ff.
2) Kampschulte, Die Universität Erfurt in ihrem Verhält-
nisse zu dem Humanismus und der Reformation. II, 80f.
3) Steitz, Die Melanchthons- und Luthersherbergen zu
Frankfurt a. M. Neujahrsblatt dee Vereins für Geschichte und
Altertumskunde zu Frankfurt a. M. 1861. S. 14ff.
203
alles zusammen, um ihn zu sehen. Quacunque iter facie-
bant, frequens erat concursus hominum videndi Lutheri
studio, bezeugt uns Cochläus. Katharina Holzhausen
aber, die verwitwete Schwägerin Hamans, suchte ihn
in seiner Herberge zum Straußen auf, küßte ihm die Hände,
brachte ihm einen Krug edlen Malvasier und sprach ihm
die Hoffnung aus, er sei der von ihren Ahnen geweissagte
Mann, der den Immunitäten des Papstes widersprechen
werde. Auch als er 14 Tage später auf seiner Rückreise
in der alten Herberge über Nacht blieb, ist nach dem Be-
richt des Kanonikus Wolfgang Königstein vom Lieb-
frauenstift ,,doselbst im vil von etlichen syner gunner
er gescheen". Einen Bruch mit der Kirche bedeuteten
diese Huldigungen nun freilich nicht im geringsten.
Man stand erst am Anfang einer Bewegung, deren Ende
noch niemand absehen konnte. Katharina Holzhausen
fand sich durch ihre Begeisterung für Luther nicht be-
hindert, zwei Jahre später in ihrem Testamente Jahrtage
und Seelenmessen im Dom und in der Klosterkirche zu
St. Katharinen zu stiften.
In welchem Sinne man sich in dieser ersten Zeit
zu Luther bekannte, hat niemand so deutlich ausgesprochen
wie der greise Dechant des Leonhardsstiftes, Johannes
ab Jndagine!) der am 1. Juli 1522 von seiner Pfarrei
Steinheim?) aus an den Schützling Huttens, Otto Brun-
fels, schrieb: „Ich sei Lutheraner, werfen sie mir vor
und verteidigen damit ihre Hartnückigkeit. Denn ihnen
heißt Lutheraner, wer ihre Laster angreift, wer Christi
Amt verwaltet, und wie zu großer Schmach wird ihm
dieser Name gerechnet! Was den Namen selbst betrifft,
obgleich ich mit Paulus ihn nicht anerkenne, so schäme
ich mich seiner doch nicht allzusehr, wenn Lutheraner
sein heißt: der Wahrheit und der Gerechtigkeit nach-
streben. Was jedoch die Lehre betrifft, wie kann man
mich um ihretwillen anklagen, da ich mich zu ihr nicht
bekenne, und wenn ich mich zu ihr bekenne, so bekenne
1) Vgl. Steitz, Reformatorische Persónlichkeiten usw. S. 138ff.
3) Oder Steinau an der Straßen (Bei Steckelberg). Vgl.
F. A. N. F. VI, 124 Anm. 1.
204
ich mich zu ihr als zu Christi Lehre, denn wenn sie mit
dieser nicht stimmt, so erkenne ich sie unter Allen am
wenigstens an. Aber ob sie mit dieser stimmt oder nicht,
danach habe ich, mein’ ich, nichte zu fragen. Auch ist
sie, wenn ich sie verdamme, darum nicht verworfen,
wenn ich sie gut heiße, darum noch nicht angenommen.
Mich nimmt es Wunder, daß sie mir nicht einen anderen,
gehässigeren Namen gegeben haben. Denn diesen sehen
wir hochgeachtet vom Volke, von allen Gelehrten, von
allen Fürsten, kein anderer hat bessern Klang und wird
ehrenvoller erwähnt; je übler bei jenen Luther berüchtigt
ist, desto mehr wird er fast von allen Christen gerühmt.
Auch ich habe für mein Teil Luther gelesen. Er lehrt nicht
schlecht leben, noch lehrt er übeltun. Aber geben wir auch
zu, daß er bei diesen ein Ketzer ist, was geht das mich
an, der ich hier (in Steinheim) mein Amt hatte, ehe Luther
je schrieb? -
Der Dekan, der bei der Niederschrift dieser Worte
bereits auf eine 52jährige Amtstätigkeit zurückblickte,
ist uns ein unverdächtiger Zeuge dafür, daß auch die
Frankfurter kirchlichen Zustände von der allgemeinen
Reformbedürftigkeit keine Ausnahme machten. Er
schreibt an Brunfels von der Frechheit der Priester,
die ihm Scham und Verdruß erwecke, und bekennt: ‚Nicht
ganz ohne Grund wütet gegen uns das Voik. Unsere
Schuld ist es, wenn wir so leben, daß unsere Schand-
taten die der Schlemmer und Wüstlinge (ganeorum et
lurconum) hinter sich lassen. Wer haßt uns nicht mit
Recht? Wie hätte ich aber wissen sollen, daß’ dieses
Übel unter denen herrsche, welche sich den Ehrennamen
Kanoniker anmaßen, d. h. von Leuten, die nach der
Regel leben? Wer hätte glauben sollen, daß mit einem
so hohen Namen eine so plumpe und faule Nachlässigkeit,
eine so Taffinierte Leidenschaft, ein in jeder Beziehung
so verbrecherischer Wandel verknüpft sei, Dinge, die
nicht Priestern, sondern Taugenichtsen ziemen? Du
weißt, ich sollte Dekan sein, aber ich werde geringer ge-
achtet als ein ägyptischer Esel. Das bringen diese Zeiten
mit sich. Alle wollen herrschen, niemand will untergeben
205
sein. Wer möchte daher heutzutage nicht lieber
Schweinehirte als Dekan sein?“ Der Vergleich zwischen
seinen Frankfurter Kanonikern und seinen Steinheimer
Bauern fällt durchaus zuungunsten der ersteren aus.
„Wenn ich,“ so muß er bekennen, „mich auf meine Pfarrei
begebe, — ich berichte es mit tiefer Trauer — so finde
ich manche von schlechtem Rufe: Geizige, Neidische,
Unwissende, Ehebrecher,, Trunkenbolde. Ich kehre zu
meinem Stifte zurück: hier finde ich nicht solche, die
diesen gleichen, sondern sie an Bosheit übertreffen.“
Seinen Trost sucht er in der Wissenschaft, und zwar
in der Astrologie. In den Sternen liest er jetzt, daß die
nächsten vier Jahre schwere Gefahr und viele Unglücks-
fälle bringen sollen, so wie er dem Mainzer Generalvikar
Dieterich Zobel bereits früher aus den Gestirnen ‚einen
neuen Zustand der Kirche, ferner Kriege, Aufstände,
die Bewegung vieler Völker, eines Reiches gegen das andere,
Seuchen und großes Sterben‘ geweissagt hat. Aber er
glaubt auch versichern zu dürfen: „Wie sehr auch die
Großen sich dawider stemmen, es wird kommen, daß
jenes Gepränge der Priester und Mönche sich mindere.
Einmal muß die Krone des Stolzes abgelegt werden.“
Ähnliche Zustände, wie sie ihm zu St. Leonhardi zu schaffen
machten, lernte Cochläus bei seinem Aufzuge in Frank-
furt am Liebfrauenstifte kennen. Dem Scholaster dieses
Stiftes, Stephan Fischer, war der Dekan des Dompakitels,
Friedrigh von Martorff, aufsäßig, und die Vikare der
Liebfrauenkirche, die gegen das ganze Kapitel Opposition
machten und sich auch untereinander nicht vertrugen,
lagen gleichfalls mit ihm im Streit.
Aber so sehr das alles zu einer Reform drängte,
so wenig empfand man irgendwelche dogmatischen Be-
schwerden. An irgendwelche Neuregelung des kirchlichen
Bekenntnisses dachte kein Mensch.
2. Humanisten und Ritter.
Auch die Kreise der Stadt, bei welchen die Reforma-
tion zuerst eingesetzt hat, nahmen zunächst an ganz
anderen Dingen Interesse als an einer neuen bekenntnis-
206
mäßigen Ausprägung der kirchlichen Lehre. Es waren
die humanistischen Kreise, deren Tendenzen auch in
Frankfurt national und antihierarchischh aber nicht
religiös und dogmatisch bestimmt waren. Zu ihnen
zählten Huttens Freunde in der Stadt: Philipp Fürsten-
berger, die beiden Glauburger, Haman von Holzhausen
und sein Bruder Gilbrecht zum Goldstein.
Dem Einflusse solcher Männer war es zuzuschreiben,
daß der Rat im Dezember 1519 die Anstellung eines
tüchtigen Lehrers für die humanistischen Studien be-
schloß. Große Hoffnungen auf dieses Amt machte sich -
Johannes Cochläus, der, humanistisch gebildet, im Januar
1520 als Dekan des Liebfrauenstiftes in Frankfurt auf-
zog und sich in seinem Kapitel von Anfang an recht
unbehanglich fühlte. Er verfehlte denn auch nicht,
Fürstenberger auf seine Qualifikation für diesen Posten
aufmerksam zu machen!). Und wenn es den Frankfurtern
auf einen Anhänger Luthers ankam, so schien er der ge-
eignete Mann zu sein, denn in dem Nürnberger Kreis,
der sich um Pirckheimer sammelte, war er in enge Fühlung
mit den Wittenberger Gedanken gekommen, und noch
im Juni 1520 bekannte er, daß er bei einer Disputation
der Frankfurter Dominikaner unfehlbar für Luther Partei
ergriffen hätte, wenn über dessen Sache eine These auf-
gestellt worden wäre ). Aber der kleine, unruhige Mann
verstand nicht genug Griechisch. Vielleicht hatten die
Stadt vater auch kein rechtes Vertrauen zu seinem Cha-
rakter. Jedenfalls mußte er hinter einem viel jüngeren
Gelehrten zurückstehen, der als Kenner des Griechischen
und als früherer Erzieher der beiden jungen Stallburger
den Frankfurtern bestens empfohlen war, dem Nassauer
Wilhelm Nesen.
Nesens kirchliche Stellung ist schon recht verschieden
beurteilt worden. Man hat ihn ebenso sehr als Zeugen
für den lutherischen wie für den reformierten Charakter
1) Spahn, Johannes Cochläus. 8. 69.
*) Brief an Pirckheimer vom 12. Juni 1520. Vgl. Wede wer,
Jobannes Dietenberger. 8. 46.
207
der Frankfurter Reformation in ihren Anfangsjahren in
Anspruch genommen. In Wirklichkeit fällt sein Leben
in eine Zeit, die den innerprotestantischen Gegensatz
zwischen den Schweizern und den Wittenbergern noch
gar nicht kannte, er hatte also auch keinerlei Gelegenheit,
für oder gegen Luther oder Zwingli Partei zu ergreifen.
Beziehungen hatte er zu beiden. Seinen Ausgangspunkt
hat er von Erasmus genommen, dessen Schüler er 1514
in Basel war. Er ist Humanist, kennt aber auch religiös-
kirchliche Interessen, erscheint also als Vertreter der
Denkart, die uns am ausgeprügtesten in dem um vier
Jahre jüngeren Melanchthon entgegentritt. Er ist mit
Zwingli befreundet, dem er durch den Basler Humanisten-
kreis nahe gekommen ist, und er verehrt Luther, dessen
Schriften er in seiner Frankfurter Zeit übersetzt, und
zu dem er dann bald von Frankfurt nach Wittenberg
übersiedelt. Er beherbergt Ökolampad in seiner Schule im
Hause zum Goldstein, der aber auch Luther auf seiner
Wormser Reise einen Besuch abstattet, und er steht
in freundschaftlichen Beziehungen zu Melanchthon. Für
ihn ist noch alles in schónster Harmonie, Luther und
Zwingli, die alten Klassiker und die Münner der Bibel,
Kirche und Bildung, Reformation und Humanismus.
Diesen auf Einklang und Eintracht gerichteten Sinn hat
er in der kurzen Zeit seiner Frankfurter Wirksamkeit
dem Geschlechte eingeprügt, das zu seinen FüBen heran-
wuchs. Ihn hat er auch den Männern eingepflanzt, die
es nicht verschmähten, noch auf der Höhe ihres Lebens
sich in seiner Schule weiterzubilden.
In den Jahren, in welchen er die neue Gelehrtenschule
leitete, beobachten wir in den humanistischen Kreisen
der Stadt eine Vertiefung des Interesses an den Fragen
der kirchlichen Reform. Ursprünglich hatte den Frank-
furter Patriziern ein eigentliches religiöses Interesse an
der Frage der Zeit gefehlt. Ihre kirchliche Haltung war
zunächst die Indifferenz der feingebildeten Humanisten
gewesen, denen für die eigene Person religióse Bedürfnisse
im Grunde fremd waren. Das ünderte sich jetzt allmáhlich.
Luther wurde nun auch für diese Kreise zum Heros,
208
der in der kirchlichen Frage das rechte Wort für das
ganze Zeitalter gefunden hatte. Aber wenn man auch
anfing, auf die neuen Töne zu achten, die er in seinen
Schriften anschlug, so fehlte doch viel, daß man in ihm
den Kirchenvater erkannt hätte, als den ihn ein späteres
Geschlecht ansah. Der Luther, dem man zujauchzte,
und auf den aller Augen erwartungsvoll gerichtet waren,
war der Mann, der den christlichen Adel deutscher Nation
zu des christlichen Standes Besserung aufgerufen, der
den Gebildeten das Auge für die babylonische Gefangen-
schaft der Kirche geöffnet, und der mit der Verbrennung
der Bannbulle und der päpstlichen Rechtsbücher allen
das Herz abgewonnen hatte. Im übrigen war man
lutherisch mit Vorbehalt, etwa in demselben Sinne wie
Johannes ab Jndagine. Ein Lutheraner sein hieß soviel
als: Der Wahrheit und Gerechtigkeit folgen und die
Laster strafen. Und die Summe dessen, was Luther
schrieb, faßte man mit dem gelehrten Dechanten von
St. Leonhardi dahin zusammen: Er lehrt nicht laster-
haft leben, er lehrt auch nicht unrecht tun. Eine lutherische
Glaubenslehre aber, zumal in ihrer Ausprägung gegen
die Reformierten lag noch ganz außer allem Gesichtskreis.
Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, die Entschei-
dung sei auch nur in diesem begrenzten Sinne damals
auf der ganzen Linie für Luther erfolgt. Es hatte nur
eine Scheidung der Geister stattgefunden zwischen Huma-
nisten und Barbaren, zwischen Lutheranem und Roma-
nisten, und die Anhänger des Alten waren nicht bloß
unter den Kanonikern des Leonhardstiftes noch immer
recht zahlreich. Zu ihnen gehörte z. B. der Pfarrer Michael
Groß an St. Peter, der schlecht und recht im alten Gleise
ging. Viel bedeutender als er war der Prior des Domini-
kanerklosters Johannes Dietenberger!), der im Sinne der
alten Schule eine tüchtige Bildung besaß. An ihn, den Ordens-
bruder Hoogstraatens und Tetzels, schloß sich jetzt auch der
ehemalige Bewunderer Reuchlins und Luthers, Cochläus
eng an. Dieser hatte inzwischen, seitdem ihm die Leitung
1) Vgl. über ihn Wedewer, Johannes Dietenberger. Frei-
burg i. B. 1888.
209
der Lateinschule entgangen war, sein katholisches Herz
entdeckt und zerschnitt nun das Band, welches bis dahin
in seiner Brust die humanistischen Ideale mit der Sym-
pathie für Luther verknüpft hatte. Da der ehrgeizige
Mann die wissenschaftliche Tüchtigkeit seines siegreichen
Rivalen nicht anfechten konnte, so bekümpfte er jetzt
die Schule Nesens als eine Ketzerschule!), und gar zu
gern hätte er in Worms eine Disputation mit Luther
herbeigeführt, um vor aller Öffentlichkeit seine Fähig-
keiten ins rechte Licht zu setzen. Vor allem aber stand
auf dieser Seite der Stadtpfarrer am Bartholomäusstifte
Peter Meyer, der uns als einer der magistri nostri aus den
Briefen obskurer Männer bekannt ist*) Er erscheint
hier als ein selbstbewußter Mann, der über Grammatik
und Poeterei abspricht und gelehrter sein will als Reuchlin,
denn Reuchlin kennt sich in den Subtilitäten des Lom-
barden nicht aus, er selber aber vertritt die Erfahrungs-
theologie und hat den heiligen Geist. In seiner Polemik
freilich merkte man ihm von dem Heiligen Geiste nicht
viel an. Da war er ein derber Polterer von heftiger Ge-
mütsart, der auch auf der BI nicht eben wühlerisch
in seinen Worten war.
Der Erfolg war zunächst bei den Anhängern des
Neuen. Cochläus blieb die Erlaubnis zur Verbreitung
seiner Kontroversschriften versagt, und als Meyer die
Frankfurter Ketzer schalt, weil sie die Fastengebote
übertraten, verbat sich der Rat das ganz energisch, weil
1) Die Perspektiven, die uns Spahn, Joh. Cochläus S. 61 auf
ein Fiasko der Reformation in Frankfurt eröffnet, falls nicht
Nesen, sondern Cochläus die Leitung der Schule erhielt, wider-
legen sich von selbst angesichts der lutherischen Haltung, die
Cochläus damals noch einnahm. Der Wendepunkt in seiner Stellung
yuder Reformation fällt mit der Berufung Nesens zeitlich zusammen.
Im lutherischen Lager hat man denn auch seitdem eine schlechte
Meinung von seinem Charakter gehabt. Kolde (Wie wurde Coch-
läus zum Gegner Luthers? Kirchengeechichtl. Studien. Hermann
Reuter zum 70. Geburtstag gewidmet. S. 197ff.) hat den hier
vorliegenden Zusammenhang nicht gesehen.
3) Spahn, 8. 102 nennt ihn „humanistisch gebildet“, gibt
aber keinen Beleg dafür.
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 8/4. 14
210
die Stadt nach außen nicht in den Ruf der Ketzerei
kommen sollte. Dagegen geschah es mit Vorwissen des
Rates, daß die Frankfurter in der Fastenzeit 1522 die
ersten evangelischen Predigten zu hören bekamen. Die
Anregung dazu ging von Nesens Gönnern Haman und
Blasius von Holzhausen aus, die als Patrone des Katha-
rinenklosters für dessen Kirche als Fastenprediger in
der Person Hartmann Ibachs einen Mann beriefen, den
der Kanohikus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstift
in seinem Tagebuch einen „discipel Martini Luthers“
und einen „vorlaufen lutterßen monnich“ nennt!) und
bei dem sich später ein starker Einschlag Zwinglischer
Gedanken nachweisen läßt 2). Bei seinem Auftreten in
Frankfurt lagen ihm sehr praktische Fragen am Herzen.
Das erstemal, am Sonntag Invocavit (9. März) pries er
den Nonnen des Katharinenklosters die Ehe als einen Segen
für Geistliche wie für Laien. Zwei Tage spáter predigte er
gegen die Abgaben und riet, man solle keinen Zins geben,
sondern lieber arme Leute damit versorgen. Wieder nach
zwei Tagen nahm er sich die Heiligen aufs Korn und setzte
dem Volke auseinander, Maria und die übrigen Heiligen
seien nicht so hoch zu loben; sie zu verehren, sei auch
gar nicht in ihrem Sinne. Dann ging er zu den Bruder-
schaften und ähnlichen Dingen über. Er hätte wohl
noch ófter in dieser Weise gepredigt, aber die lebhaften
Auseinandersetzungen, die auf dem Heimwege unter den
Kirchgüngern stattfanden — Königstein redet geradezu
von einem Aufruhr —, sowie die Einsprache, die Cochläus
und Meyer als Hörer der Predigten in Mainz veranlaßten,
ließen es dem Rate angezeigt erscheinen, dem Prediger
die Kanzel zu verbieten.
Wenn er dabei glaubte, so allen Weiterungen vorzu-
beugen, so erfuhr er freilich bald, daß gerade dieses Verbot
1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Ereig-
nisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 1548.
8. 31 und 33.
2) Ritter, Ev. Denkmal S. 55f. — Vgl. über Ibach auch
Dechent S. 84ff., wo auch die neuere Literatur über ihn verzeich-
net ist.
211
die Sache in ein neues Stadium brachte. Jetzt be-
mächtigte sich ihrer der ‚christliche Adel deutscher
Nation“. Einer der benachbarten Taunusritter, Hartmut
von Cronberg, „der fromme und christliche Bischof des
ganzen Rheinstroms“, richtete, als Ibach an Reminiscere
nicht mehr predigen durfte, scgleich andern Tags einen
Brief an den Rat und ließ das Schreiben, als die Veröffent-
lichung am Römer nicht zugelassen wurde, in dessen
nächster Nähe am Falirtor anschlagen!). Der Eindruck
seiner Schrift, die vor den falschen Propheten und Wölfen
warnte, war sehr groß. Der Rat hielt es für nötig, den
Zünften besondere Weisung zugehen zu lassen, wie sie
sich verhalten sollten. Er konnte damit aber nicht ver-
hindern, daß die Geistlichen allerlei Unfug und Spott
über sich ergehen lassen mußten. Bald zeigte es sich,
daß man es nicht: mit dem Cronberger allein zu tun hatte.
Am 12. Mai war am Fahrtor wieder ein Brief angeschlagen,
diesmal von der Taunusritterschaft an:die Pfaffheit zu
Frankfurt gerichtet, und eine Abschrift davon erhielten
noch besonders die Herren zu St. Bartholomäi, also vor
allem Stadtpfarrer Meyer. Der Adel verlangte evangelische
Predigt und drohte zu handeln, falls sie nicht zugelassen
würde. Dann stellte Hartmut wieder Meyer schriftlich
darüber zur Rede, daB er bisher mit seinen Predigten
das Seine gesucht habe. Auch Hutten hatte in den Gang
der Dinge einzugreifen gesucht, indem er — es war offen-
bar auf Cochläus, den Apostaten des Humanismus ab-
gesehen — bereite am 15. April an der Tür des Liebfrauen-
stiftes zwei Briefe anheften ließ, in denen er den Prediger-
mönchen und den Kurtisanen Fehde ansagte.
Indessen gerade dieses Eingreifen der Ritterschaft
in die Frankfurter Angelegenheiten brachte dem Klerus
bald wieder bessere Tage. Hartmut von Cronberg war
mit Sickingen nahe verwandt und wurde in der Folge
in die Katastrophe der Sickingenfehde mit hereingezogen.
Bereits im Oktober 1522 war seine Burg in der Hand
1) Dieses ist von Königstein S. 83 mit der „farphort“ ge-
meint. Wedewer, mit den Frankfurter Lokalitäten anscheinend
nicht vertraut, gibt es 8. 54 mit „Pfarrpforte“ wieder.
14°
212
der Fürsten, und; seine Hoffnungen auf eine Wendung
zum Besseren sanken in sich zusammen, als im nächsten
Jahre auch Landstuhl und die Ebernburg fielen. Der
Rückschlag dieser Ereignisse auf die kirchliche Entwick-
lung in Frankfurt blieb nicht aus. Von den Rittern
und den ihnen nahestehenden Humanisten hatte „das
Evangelium“ seitdem nicht mehr viel zu erwarten.
Um so wichtiger war es, welche Stellung der Rat
einnahm.
3. Die Haltung des Rates.
Den ersten Anlaß, in die kirchlichen Verbältnisse
der Stadt einzugreifen, bot dem Rate das kaiserliche Man-
dat, welches am 6. März 1523 auf Grund der Nürnberger
Reichstagsverhandlungen verkündigte !), quod nihil praeter
verum, purum, sincerum et sanctum evangelium et
approbatam scripturam pie, mansuete, christiane iuxta
doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia
christiana receptae scripturae doceant. Er eröffnete
dieses Edikt den püpstlichen Prüdikanten in den Stiftern
und Klóstern der Stadt mit der Weisung, sich mit ihren
Predigten danach zu richten, ‚und solches alles“, wie Ritter
nach den Ratschlagungsprotokollen mitteilt?), ,fürnem-
lich auch deswegen, weilen sich vieler Unmuth wegen
des Predigers zu St. Bartholomäi Dr. Meyers wie schon
bekant, bißhero erreget hätte, als der nebst denen andern
das Evangelium und Wort Gottes nicht reine und lauter
gepredigte, sie aber gern alles in ihrer Stadt, wie in poli-
tischen, also auch kirchlichen Dingen zur Ruhe und Frieden
gerichtet sähen.“
Daß der Rat mit seinen Sympathien auf der Seite
der Reformation stand, zeigt. sich daran, daß Haman
von Holtzhausen, der mit anderen die Stadt auf dem
Reichstage vertrat, noch in demselben Jahre 1523 den
Pfarrer Dietrich Sartor von der Ignatiuskirche in
Mainz, der ihm als tüchtiger Prediger bekannt war,
!) Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
2. Bd. 8. Aufl. 8. 44 Anm. 1.
*) Ritter, Ev. Denkmal S. 61.
213
nach St Katharinen brachte !). Aber die Führung in
den kirchlichen Dingen überließ man auf dem Römer
lieber anderen Händen. Die Stimmung der Bürgerschaft
war der Reformation von Anfang an günstig. Doch
scheint es sich zunächst mehr um einen Anstoß an dem
sittenlosen Wandel der Geistlichen und um eine tiefge-
wurzelte Abneigung gegen das religiöse Ausbeutungs-
system, den Reichtum, die Abgabenfreiheit und das
Asylrecht der Stifter, als um religiöse Interessen ge-
handelt zu haben. Der Abfall vom Papsttum war bald
fast allgemein, und schon 1524 verließen Mönche und
Nonnen in großer Zahl ihre Klöster, lernten ein Hand-
werk und traten ebenso wie manche Weltgeistliche in
die Ehe. Der Stadtpfarrer Meyer aber konnte sich bald
nicht mehr auf der Straße sehen lassen, ohne ausgerufen
und verspottet zu werden. Auch an allerlei Unordnung
und Unruhe fehlte es nicht, so daß der Rat immer
wieder warnen und wehren mußte. Zu mancherlei
Schwierigkeiten kam es, als zuerst die Sachsenhäuser,
dann die Bornheimer evangelische Prediger begehrten.
Namentlich seit dem Bürgeraufstand 1625 kamen immer
mehr Anbänger der neuen Lehre als Prediger in die Stadt,
und wenn es dem Mainzer Bischof einmal gelang, der
Wirksamkeit der schärfsten Eiferer schon nach wenigen
Wochen ein Ende zu bereiten, so traten an deren Stelle
baldandereStürmer und Dränger, z.B. Dionysius Melander 3),
der sogar einmal (1533) von der Kanzel des Doms den
Bannfluch gegen den Papst und die gesamte römische
Geistlichkeit schleuderte.
Wie die Bewegung sich allmählig klärte und langsam
zu einer neuen Kirchenbildung führte, läßt sich an der
Stellung erkennen, welche die Mitglieder des Rates zu
1) Ebenda S. 62—64. Auch für das Folgende ist Ritter zu
vergleichen.
3) Er wer „ein um das Evangelium wohlverdienter, dabey
aber ungemein hitzig- und etwas ausschweifender Mann“.
K. Gesch. 8. 36. Ähnlich charakterisiert ihn Köstlin-Kawerau,
Martin Luther, 5. Aufl. II, 315: „Ein schlagfertiger, stürmischer
und herrischer, nach Umständen auch plumper, ja schmutsziger,
in seinem persönlichen Charakter nicht fleckenloser Volksredner"''.
214
ihr einnehmen. Sie ist bei dem älteren Geschlechte anders
als bei dem jüngeren“ Arnold Glauburger fand es mit
seiner reformfreundlichen Haltung noch durchaus ver-
einbar, sich von Kurtrier 1521 als Kammorgerichts-
assessor präsentieren zu lassen, und Haman von Holz-
hausen, „einer der ersten und fürnehmsten mit, welche
im Anfang die erste Evangelische Predigt allhier . . be-
sorgten ), ging noch 1525 am Maria-Magdalenentag
(22. Juli) in der Prozession neben dem Priester, der das
Sakrament trug. Man empfand das damals noch ebenso
wenig als einen inneren Widerspruch, wie wenn dieselbe
Katharina Holzhausen geb. Fröschin, die in Luther
den von ihren Ahnen geweissagten Bestreiter der päpst-
lichen Immunitäten erblickt und ihm bei seiner Durch-
reise nach Worms die Hände geküßt und ihn in seiner
Herberge mit Malvasier gelabt hatte, noch zwei Jahre
später in ihrem Testamente Jahreszeiten und Seelen-
messen zu St. Bartholomäi und St. Katharinen stiftete“).
Viel einheitlicher war schon die Haltung des Ratsherrn
und Schöffen Hans Bromm, der sich um die Einführung
der Reformation so offenkundige Verdienste erwarb,
daß bei seinem Begräbnis 1536 ein Maurer die Gedächtnis-
predigt in der Peterskirche mit den Worten unterbrach:
„Deß danck ihm GOtt und sey ihm gnädig, daß er den
großen Greuel und Bestien der Messe hingelegt!“ )).
Und als der Gothaer Stadtpfarrer Friedrich Myconius
im Jahre 1542 in seiner Reformationsgeschichte*) die
Frankfurter Freunde der Reformation Revue passieren
1) Ritter 8. 40. Er vor allem hatte Ibach 1522 berufen.
1531 empfahl er dem Rete die Anstellung eines neuen Prüdikanten
an St. Peter. Ritter S. 148. Für die Besoldung des Rektors
Micyllus leistete er 1526 aus seinen privaten Mitteln einen Zuschuß.
Ritter S. 97f. Dem Rate gehörte er seit 1493 an, 1499 wurde er
Schóffe, 1507 und 1518 war er Erster Bürgermeister. Er sterb am
81. Oktober 1536. Sein Epitephium in der Katharinenkirche
bei Dechent S. 150.
| 3) Steitz, F. A. N. F. IV, 871.
3) Ritter S. 229.
t) In der Ausgabe von O. Gemen (Voigtländers Quellen-
bücher, Band 68) 8. 59.
215
ließ, durfte er bereits schreiben: „In dieser Kommun
waren treffliche Leut im Regiment, die über dem Evan-
gelio hielten." An erster Stelle nennt er hier den jüngeren
Hans Bromm, bei dessen verwitweter Mutter!) er vor drei
Jahren mit Melanchthon Gastfreundschaft genossen hatte,
und durch dessen Bruder Myconius inzwischen über die
Frankfurter Verhältnisse weiter unterrichtet worden war *).
Der jüngere Hans Bromm, 1510 geboren, kam 1537?
nach dem Tode seines Vaters in den Rat und wurde
1546 Schöffe, zehn Jahre später Erster Bürgermeister?).
Er ist 1564 gestorben. Nächst ihm nennt Myconius
Philipp Fürstenberger, dem er das Zeugnis eines vir
eruditus, bonus, prudens et erga omnes affabilis mini-
meque superbus ausstellt“), ohne übrigens zu wissen,
daB er bereite seit 1540 tot war. Fürstenberger war
1505 als Sechsundzwanzigjähriger in den Rat eingetreten.
Fünf Jahre später wurde er Schöffe, wollte sich aber von
diesem Amte bereite 1513 beurlauben lassen, — wie
Steitz meinte5) weil seinem hochstrebenden Geiste die
städtischen Verhältnisse zu eng waren. Er war ‚im
Kleinen für Frankfurt, was Willibald Pirckheimer für
Nürnberg war, der tätige Beförderer der Wissenschaft,
der Bildung und der Kunst, . . . eine Zierde seiner Vater-
stadt, eine staatsmännische Größe im Rate, die starke
Stütze der humanistischen und reformatorischen Inter-
1) Melanchthon redet in einem Briefe an ihn von ihr als
hospitae nostrae Francofordianae. Der Brief vom 4. April gehört
übrigens nicht in das Jahr 1529, wo ihn C. R. I, 1047 unterbringt,
sondern er ist, wie Classen, Über die Beziehungen Melanchthons
su Frankfurt a. M. (Frankfurter Gymnasialprogramm 1860) S. 9f.
richtig erkannt hat, 1540 geschrieben.
2) Melanchthon gab ihnen den in der vorigen Anmerkung
erwähnten Brief mit Grüßen an Myconius mit.
3) Wenn ihn Myconius schon 1542 ,,Bürgermeister" nennt,
so ist das offenbar eine Verwechslung mit seinem Vater, der 1526
und 1532 Erster Bürgermeister war.
*) Auch bei Cochláus (Brief an Willibeld Pirckheimer vom
. 8. April 1520. Bei Steitz, F. A. N. F. IV, 106) ist er „der gute
und milde Mann‘.
) F. A. N. F. IV, 89.
216
essen. ). Als Erster Bürgermeister fungierte er 1519,
1525 und 1531 und hat in dieser Stellung mit Klugheit
Geschick und Besonnenheit das Schifflein des Frank-
furter Gemeinwesens namentlich durch das schwere
Jahr 1525 hindurchgesteuert. Für auswärtige Missionen
ist er gern verwendet worden. Bekannt ist vor allem seine
Entsendung zum Wormser Reichstag. 1521; auf seine
ungenaue Berichterstattung geht das Mürlein?*) von dem
zaghaften Auftreten Luthers bei dem ersten Verhör
zurück?) Mit Hutten und Willibald Pirckheimer stand
er im Briefwechsel. Sein Interesse an der gelehrten Bildung
ging so weit, daB er es nicht verschmühte, noch 1520
mit Jakob Neuhaus und Haman von Holzhausen Schüler
des jungen Wilhelm Nesen zu werden. Die Reformation
hatte an ihm nächst Haman von Holzhausen ihren ent-
schiedensten und besonnensten Fórderer. Von den übrigen
Mitgliedern des Rates, die nach Myconius über dem
Evangelio hielten, verdient haupteüchlich noch Erwüh-
nung Justinian von Holzhausen, Hamans Sohn, den
wir 1524 und 1525 in Wittenberg treffen, wo er auf den
Rat seines Vaters namentlich bei Melanchthon Dialektik
hörte, „den in unserm uffleuf denselbigen zu dilgen und
nidder zu drucken haben wir mangel gehabt leude, die
etwas beret waren und perswadiren kuntten. Die rhe-
torica mach einen geschick der ungeschick von natur
ist, darumb soltu dich darin allen Dag uben et latine
et vulgari sermone ). Von der Universität zurückgekehrt,
kam er bereits 1529 in den Rat und wurde 1534 Zweiter
Bürgermeister, 1537 Schöffe. Das Amt des Ersten Bürger-
meisters bekleidete er nicht nur 1538 und 1543, sondern
besonders auch in dem durch den Interimsstreit so kri-
tischen Jahre 1549. Er mahnte damals Hartmann Beyer
ı) Ebenda 8. 105. '
2) Vgl. Hausrath, Aleander und Luther auf dem Reichstage
zu Worms. S. 265ff. 355ff. und Luthers Leben I, 430.
3) In. demselben Jahre 1521 wurde er mit Stephan Grün-
berger nach Mainz zu Kaiser Karl V. entsandt. Als Städtebote
begegnet er uns außerdem 1518 in Augsburg, 1527 in Regensburg,
1530 in Augsburg und 1532 in Regensburg.
*) Classen, Beziehungen usw. S. 6 Anm. 8.
217
. dringend zu Mäßigung in seinen Predigten: „Ihr werdet
uns, bei Gott, noch um das Evangelium bringen ! wir werden
euch, bei Gott dem Herrn, noch einen Urlaub geben,
wo ihr nicht nachlasset!!'*). Ein Jahr bevor er 1553 starb,
betrieb er noch die Berufung des jürgeren Matthias
Ritter in das Predigerministerium?), die nächst der-
jenigen Hartmann Beyers für die. weitere Entwicklung
der kirchlichen Verhältnisse in der Stadt so folgenreich
geworden ist. Die anderen Ratsherren, die Myconius
noch erwähnt?), sind nicht weiter hervorgetreten. Wenn
er sie aber als omnes eruditi bezeichnet, so wissen wir,
daß auch bei ihnen jener Bund von Humanismus und
Reformation geschlossen war, der der kirchlichen Haltung
der Patrizier sein Gepräge gab, und der sein Ansehen
in der Stadt wieder fand, seit 1537 Micyllus zurückge-
kehrt war, „der fein trefflich gelehrte Mann,“ „in soluta
et ligata oratione incomparabalis‘“.
War die Stellung der Ratsherren nicht in erster Reihe
von ihrem religiösen Standpunkte, sondern u. a. auch
von ihrem Humanismus beeinflußt, so beobachtete der
Rat als solcher bei allem Wohlwollen doch eine vorsichtig
zurückhaltende Stellung. Er ließ die evangelisch ge-
sinnten Prediger gewähren, weil er wußte, was Unraths
in der Stadt daraus erfolgen möchte‘), wenn er sich ihnen
und der ihnen blindlings ergebenen Bürgerschaft in Fragen
1) Steitz, Hartmann Beyer. S. 54.
3) Ritter S. 421.
3) Es sind: 1 Ortwinus zum Jungen, im Rat scit 1533, 1536
Zweiter Bürgermeister, 1539 Schöffe, gestorben 1547. 2. Christo-
phorus Stallberger, im Rat seit 1536, 1540 Zweiter Bürgermeister,
gestorben 1541, 3. Georgius Weiß senior, entweder: zu Sachsen-
hausen, seit 1527 im Rat, 1531 Schóffe, gestorben 1539 (6. No-
vember); oder: zu Löwenstein, seit 1537 im Rate, 1542 Zweiter
Bürgermeister, 1548 Schöffe, gestorben 1551. (Die Daten nach
Lersner.) Gemeint ist jedenfalls der Zweite, der auf der Frank-
furter Tagung 1539 seine Vaterstadt vertrat und dadurch Myconius
bekannt wurde.
*) Bürgermeisterbuch, 20. Februar 1533 fol. 86, mitgeteilt
von Steitz, Abhandlungen. zu Frankfurts Reformationsgeschichte.
8.-A. aus F.-A. V.) Frankfurt a. M. 1872. 8. 262, vgl. 264.
218
der kirchlichen Reform widersetzte, und sorgte bei Er-
ledigung von Pfarrstellen dafür, daß solche Leute ein-
rückten, die „das Evangelium“ predigten. Dabei war
ihm aber jede Art von Kanzelpolemik zuwider, und ale
1524 Johann Rau gegen seinen Kollegen Meyer im Gottes-
dienst ausfällig wurde, ließ er allen Predigern ansagen,
nur das zu predigen, was keinen Aufruhr erwecke, denn
wenn sie nicht nach dem Edikt von 1523 das Evangelium
lauter und rein predigten, könne ihnen der Rat keines
Schutzes weder vor dem Gnädigsten Herrn zu Mains,
noch auch vor dem Volke versichern!) Vollends von
sich aus einen entscheidenden Schritt zu tun, vermied
er sorgfältig. Das ihm 1526 von dem Landgrafen von Hessen
angetragene Torgauer Bündnis lehnte er ab“), und unter
den Reichsständen, die gegen den Speyerer Abschied von
1529 protestierten, fehlt Frankfurt, auch wenn es mit
der protestierenden Minderheit Fühlung nahm?), noch
ebenso, wie es ein Jahr später unterließ, die Augsburger
Konfession zu unterzeichnen. Die Augustana hatte zwar
die Autorität der Wittenberger Theologen auf ihrer
Seite. Aber angenommen war sie zunächst nur von
wenigen Reichsständen. Überdies war sie nicht das
einzige Bekenntnis der neuen Lehre, das dem Reichstage
vorlag. Die Tetrapolitana der vier oberdeutschen Städte
Konstanz, Lindau, Memmingen und Straßburg, sowie
Zwinglis Glaubensbekenntnis standen ihr gegenüber. So
schien die theologische Seite der Sache noch zu wenig
geklärt. Bei den Bündnisverhandlungen aber, die den
Erörterungen über das Dogma parallel gegangen waren,
hatte die Angelegenheit auch einen starken politischen
Beigeschmack, der es den Herren auf dem Römer rätlich
erscheinen ließ, sich freie Hand vorzubehalten, zumal
ihre Interessen mehr nach Oberdeutschland ala nach
Kursachsen gravitierten. Wenn so die Stadt davon Ab-
stand nahm, das Bekenntnis Melanchthons zu unter-
zeichnen, so gab sie aber doch ihre Unterschrift auch
1) Ritter, Ev. Denkmal S. 70.
3) Ebenda S. 99.
3) Ebenda S. 1231.
219
nicht zu dem Reichstagsabschied von Augsburg, weil
in diesem die Wendung vorkam, die Lehre der Prote-
stanten sei mit Zeugnissen der Heiligen Schrift widerlegt
worden. Sie bat sich vielmehr Bedenkzeit aus und plädierte
für ein allgemeines Konzil!) Erst als 1532 der Nürnberger
Religionsfriede den Ständen wenigstens bis zur Einbe-
rufung eines Konzils oder einer Nationalversammlung
Religionsfreiheit gewährte, befahl der Rat am 23. April
1533 die Einstellung des katholischen Gottesdienstes in
der Stadt und verbot zugleich den Besuch der katholischen
Gottesdienste in Höchst und Bockenheim. Doch ließ
er sich auch zu diesem Schritte erst durch die Bürger-
schaft drängen, deren unruhige Elemente einen Kirchen-
sturm ins Werk gesetzt hatten, und die Verantwortung
für seine Maßregel schob er den Zünften zu, indem er
diese zuvor darüber befinden ließ, ob ,,die Messe mit
ihrer Rüstung und alten Ceremonien“ als „ ungöttliches
und unchristliches Ding" abzutun sei?) Auch ließ er
schon sehr bald wieder (1535) den katholischen Gottes-
dienst zu und gab für ihn sogar den Dom frei. Es be-
durfte erst einerseite der drohenden Haltung, welche die
katholischen Nachbarn und das Reichskammergericht ein-
nahmen, und andrerseits der untrüglichen Gewißheit
dafür, daB der deutsche Protestantismus politisch als eine
imponierende Macht im Reiche dastehe, bis man es 1536
geraten fand, seine Zuflucht bei dem Schmalkaldischen
Bunde zu nehmen. Als aber zehn Jahre später in den
ersten Monaten des Jahres 1546 alles auf den unmittel-
baren Ausbruch des Krieges hinwies, war das Vertrauen
des Rates zu der Macht des Bundes so gering, daB er aus
Furcht vor dem Zorn des Kaisers vorzog, den Nieder-
ländern, die durch Jan Utenhove um Aufnahme in die
Bürgerschaft nachsuchten, das Gastrecht zu verweigern,
das er 1498 den aus Nürnberg verjagten Juden aus freien
1) Ebenda S. 145.
2) Auszüge aus den Antworten der Zünfte bei Dechent,
Geschichte der Stadt Frankfurt in der Reformationszeit. Schriften
für das deutsche Volk, herausgegeben vom Verein für Reformations-
geschichte. Nr. 43. 8. 17f.
220
Stücken angetragen hatte. Und als dann bald die Macht
des Bundes die Feuerprobe bestehen sollte, lieferte der
Rat (im Dezember 1546) die Stadt ohne Schwertstreich
an den kaiserlichen Feldherrn Maximilian von Büren
aus. Auch als der Kaiser in dem Augsburger Interim
versuchte, die früheren kirchlichen Zustände wieder
herzustellen, war es wieder der Rat, der sich im Gegen-
satze zu dem mannhaften Widerspruche der Prädikanten
zu jedem schwächlichen Zugestündnisse bereit finden
ließ. Erst der Passauer Vertrag stärkte dem Rate, der
durch seine schwankende Haltung die Stadt 1552 der
‚schweren Belagerung durch Moritz von Sachsen ausgesetzt
hatte, das Selbstvertrauen, und als gesichert durfte der
Bestand der Reformation in Frankfurt angesehen werden,
als der Augsburger Religionsfriede den evangelischen
Reichsständen das ius reformandi einräumte.
Fragt man, von welchem Gesichtepunkte der Rat
sich bei dieser ganzen Haltung in der kirchlichen Frage
leiten ließ, so ergibt sich als Kanon, daß für ihn nur
auBerkirchliche Erwägungen maßgebend waren. Sein
Verhalten kann vom kirchlichen Standpunkte aus nur
als unentschieden, sprunghaft, widerspruchsvoll beurteilt
werden. Aber sofort erkennt man Einheit, Stetigkeit
und Folgerichtigkeit darin, wenn man als ausschlag-
gebenden Beweggrund die Rücksicht auf die politische
Zeitlage und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt
ins Auge faßt!). In der Tat stand für Frankfurt viel auf
dem Spiele. Hier wurden seit alters die deutschen Könige
gewählt, und das Ziel, auch Krönungsstadt zu werden,
schien nicht ferne“). Es war nicht zu erwarten, daß
das alte Privileg erhalten blieb, viel weniger daB ein
neues hinzukam, wenn man in der kirchlichen Frage
dem Kaiser offen entgegentrat. Eswarnach dieser Richtung
ein sehr deutlicher Wink, den man in Frankfurt auch
recht gut verstand, wenn Karl V. 1531 die Wahl seines
1) Auf „Motive des innern städtischen Lebens“ führt auch
Ranke III, 349 den Anschluß Frankfurte an die Reformation
zurück.
3) Erreicht wurde es 1562.
221
Bruders Ferdinand zum rómischen Kónig nicht in Frank-
furt, sondern in Köln vornehmen ließ. Auch die Freiheit
der Reichsstadt kam in Frage. War der Zorn des Kaisers
einmal herausgefordert, so konnte es leicht geschehen,
daß auf kaiserlichen Machtepruch hin die Stadt ihren
reichsunmittelbaren Charakter verlor und als schätzens-
werte Landstadt in den Besitz eines dem Kaiser ergebenen
Territorialfürsten überging. Und vor allem stand zu be-
sorgen, daß die Messen, diese ergiebigen Quellen für den
Wohlstand der Bürgerschaft und des städtischen Ge-
meinwesens, der Stadt entzogen würden, um etwa dem
benachbarten Mainz oder Worms überwiesen zuwerden!).
Schließlich schien auch für die Sicherung der Reformation
selbst ein maßvolles und kluges Vorgehen immer noch
am aussichtsreichsten, wührend ein intransigentes Ver-
halten, wie es die Prädikanten nach der Verkündigung
des Interims beobachteten, so charaktervoll es war,
doch leicht alles in Frage stellen konnte?).
Wo solche Sorgen den Rat bedrückten, ist es nicht
weiter zu verwundern, daß er die Regelung der inner-
kirchlichen Fragen in dieser ganzen Zeit gern anderen
Händen überließ, sich auf ein bei aller Vorsicht doch
immer wohlwollendes Gewührenlassen dem Neuen gegen-
über beschränkte und jedenfalls darauf verzichtete, von
sich aus zur Aufstellung einer festen Norm der Lehre
zu schreiten. Fast zwei Jahrzehnte lang genügte ihm die
Bestimmung von 1523, daB das Evangelium rein und
lauter zu verkündigen sei. Die Annahme der Augsburger
Konfession und die Zustimmung zu der Wittenberger
Konkordie ging für ihn nicht wesentlich über jene Be-
stimmung hinaus. Erst am Anfang der vierziger Jahre
sah er sich durch die Entwicklung der kirchlichen Ver-
1) Bothe, Frankfurt in Sage und Geschichte. II, ?. S. 6. 28.
Erläuterungen S. IIIf. Ranke IV, 340: „Ich finde in der Tet, daß
die Stadt Worms sich schmeichelte, dieselben (nämlich die Messen
an sich zu ziehen, als Büren 1546 vor der Stadt erschien.
2) Hierauf machte der Rat die Prädikanten auch aufmerk
sam. Steitz, Hartmann Beyer. S. 32f., 43.
222
hältnisse in der Stadt veranlaßt, von sich aus genauere
Festsetzungen zu treffen.
Den Gang dieser Entwicklung haben wir nunmehr
näher ins Auge zu fassen.
4.Der Bürgeraufruhr und der kirchliche Radi-
kalismus.
Die nächste Welle reformatorischer Erhebung stieg
in dem unruhigen Jahre 1525 empor. Auch Frankfurt
hat damals seinen Aufruhr erlebt. Noch ehe er ausbrach,
mußte Stadtpfarrer Meyer flüchten; daß er in einer Fasten-
predigt am 12. Mürz in seiner derben, anzüglichen Weise
von „Hundsbräuten“ gepredigt hatte, war den Frank-
furtern denn doch zuviel. Drei Tage spüter verschwand
er auf Nimmerwiedersehen. Fremde Kaufleute, die dann
zur Fastenmesse kamen, hórten ein Gerücht, am Ende
der Fastenzeit werde man in der Stadt etwas Neues
erleben, Verschwörung und Aufruhr seien im Werk.
Dieses Gerücht bestätigte sich dann auch, als am Oster-
montagmittag (17. April) sich auf dem Peterskirchhofe
ein großer Haufe Unzufriedener ansammelte, deren Un-
wille sich „widder den rat und geystlichkeit“ richtete!).
Wie die beiden Bürgermeister, die alsbald auf dem Platze
erschienen, feststellten, betrafen die Beschwerden ,,das
ungelt, wyn und korn, zins und sunst der glichen vill“
und gingen von der Gesamtheit der Zünfte aus. Wührend
nun der Rat in Verhandlungen mit den Wortführern
der Menge eintrat, drang der Haufe in Klóster und Pfarr-
häuser ein und hielt sich an Speise und Trank schadlos.
Cochläus, dem schon seit geraumer Zeit der Frankfurter
Boden recht heiß geworden war, fand es ebenso wie sein
Kollege vom Bartholomäusstift geraten, der Stadt den
Rücken zu kehren. Die Verhandlungen der Aufstän-
dischen mit den beiden Bürgermeistern führten am
1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Er-
eignisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis
1548. Frankfurt a. M. 1876 8. 79.
223
20. April zur Übergabe von 42 Artikeln, die bis zum
23. April auf 45 ergänzt wurden!).
Diese Artikel, die eine unverkennbare Ähnlichkeit
mit den 12 Artikeln der Bauernschaft besitzen, zeigen
uns deutlich den religiós-sozialen Charakter der Be-
wegung. „Erstlich“, so beginnen sie, „ist unser Bitt
und Begehr und ernstlich Meinung, daß hinfürter ein
ehrsamer Rat und Gemein, einen Pfarrherrn in den Pfarr-
kirchen und andere Kirchen zu setzen und zu entsetzen,
Macht haben sollen; dieselben erwühlten Pfarrherrn
auch nichts anderes, denn das lautere Wort Gottes,
das heilig Evangelium, unvermengt menschlicher Satzung,
predigen sollen, damit das Volk in rechter Lehr gestärket
und nit verführet werde.“ Des weiteren wird eine Reihe
von sittlichen und sozialen Forderungen aufgestellt.
Der Klerus wurde u. a. an die Pflicht der Keuschheit
erinnert, — eine Forderung, die noch Nachdruck erhielt,
als am 26. April im Auftrag der Gemeine eine Abordnung
in etlicher Prälaten, Kanoniker und Vikare Häuser ging
und ausrichtete, ‚sie sollen ire maid von inen thun
und sich vor schaden hutten,“ worin die verängstigten
Kleriker auch willigten?). Zu den Pflichten der Bürger
sollten auch die Geistlichen herangezogen werden, den
Mönchen sollte Bettel, Predigt und Beichtehören ver-
boten, der Austritt aus ihren Klöstern dagegen freige-
stellt, den Orden aber die Aufnahme neuer Mitglieder
verwehrt sein. Auch die Einrichtung eines gemeinen
Kastens war vorgesehen, damit die Armen versorgt
würden und nicht betteln müßten. Von dem sittlichen
Ernste der Aufständischen zeugte die Forderung, daß
alle Zusäufer und Gotteelästerer gestraft werden sollten
ohne alles Nachlassen. Andere Beanstandungen betrafen
die gleichzeitige Zugehörigkeit von Vater und Sohn oder
zweier Brüder zum Rat, den kleinen Zehnten, die Schäfe-
reien der Deutschherren auf dem linken Mainufer, die
Kosten für die Söldnerpferde u. a. m.
!) Vgl. über sie Dr. R. Jung, Zur Entstehung der Frankfurter
Artikel von 1525. F. A. 3. F. 2. Bd. (1889) S. 198ff.
°) Steite, Königstein B. 83.
224
Als Verfasser dieser Artikel kommt nach Königstein!)
der Schwager Carlstadte, Dr. Gerhard Westerburg) in
Betracht, der in jener Zeit in Frankfurt wohnte. Dieser,
aus einer Kölner Patrizierfamilie hervorgegangen und
in seiner Vaterstadt und in Italien humanistisch vorgebildet,
war seit 1521 unter den EinfluB der Zwickauer Propheten
geraten, hatte dann deren Trüume in Zürich, wo er zwar
nicht mit Zwingli, wohl aber mit der radi kalennoch nicht
zum Anabaptismus ausgearteten Partei der Stadt Fühlung
nahm, mit einem strengen Schriftprinzip vertauscht und
verfolgte nun mit Ernst und Eifer das eine Ziel, das kirch-
liche und bürgerliche Leben nach den Normen der Bibel
umzugestalten, wofür ihm aber ,das Wort“ allein nicht
genügte. Im Jahre 1524 finden wir ihn in dem Aufstands-
gebiete um Waldshut, wo eine „evangelische Brüder-
schaft" die zwölf Artikel der Bauernschaft verbreitete.
In demselben Religion und Politik verquickenden Sinne
war er dann als „evangelischer Mann“, wie er sich selbst
nannte, in Frankfurt tütig, wo er sich lange vor Ausbruch
der Unruhen einmietete und bei Tag und Nacht evan-
gelische Brüder in großer Zahl um sich sammelte. In
seiner Hand liefen die Fäden des Frankfurter Aufstandes
zusammen, und er leitete die Bewegung mit solchem
Geschick, daß er, als sie fehlgeschlagen war, sich unan-
gefochten in das Privatleben zurückziehen konnte. Von
Natur heftig und leidenschaftlich, verfügte er über eine
volkstümliche Beredsamkeit, von der uns heute noch
seine Schriften Zeugnis ablegen?). Zum Schwärmer
war er nicht geboren, er war vielmehr ein „Mann der
Wirklichkeit und der scharfen Reflexion, klug, sogar
schlau, gewandt und schlagfertig. Obgleich des Wortes
in hohem Grade mächtig, war doch sein eigentliches
Gebiet das des Handelns und der überlegten Tat“. Wir
beobachten bei ihm ,,die Lust an der Opposition und dem
1) Ebda S. 86.
3) Vgl. über ihn Steitz in den Abhandlungen zu Frankfurts
Reformationsgeschichte. (8.-A. aus F. A. N. F. 5. Bd.) Frankfurt
a. M. 1872 8. 1— 215.
*) Ebda. S. 198.
22b
Streite, verbunden mit dem unruhigen Drang, eine tätige
Rolle zu spielen“ !). Es war ihm nicht sowohl darum
zu tun aufzubauen, als vielmehr niederzureißen und für
einen neuen Bau Raum zu schaffen. Religiöse Tiefe
und Gemüt gingen ihm ebenso ab, wie Gelehrsamkeit
oder gar Genialität. Dafür aber besaß er einen klaren
Blick und einen redlichen Sinn, eine aufrichtige Liebe
zur Kirche und ein warmes Mitgefühl mit ihren Schäden,
einen unbeugsamen und geraden Charakter?) Am meisten
interessiert uns hier sein kirchlicher Standpunkt. Über
ihn urteilt sein Biograph?): „Durch alle Wandlungen
seines bewegten Lebensganges geht eine evangelische An-
schauung hindurch, die in der Bestimmtheit und Richtung,
welche sie von Anfang an zeigt, ihn für die reformierte
Kirche prüdestinierte. Dahin gehört vor allem die unbe-
dingte Unterwerfung unter Gottes Wort in der heiligen
Schrift, das ihm die alleinige und ausschließliche Richt-
schnur aller Wahrheit ist." Es ist nur eine naturgemäße
Entwicklung, die er durchlief, wenn er nach der wieder-
täuferischen Episode seines Lebens schließlich in der
reformierten Kirche landete und uns 1546 an der Seite
Laskis in Ostfriesland begegnet.
Eine Schilderung des Verlaufs, welchen der Frank-
furter Aufstand unter der Leitung dieses Mannes genommen
hat‘), würde über den Rahmen unserer Aufgabe hinaus-
gehen. Es genügt, an die Haupttateachen zu erinnern.
Der Rat nahm am 22. April die Artikel an, nachdem
die Geistlichkeit ihre Zustimmung erklürt hatte, und
ließ sie von den Bürgern beschwören. Damit schienen
im Innern geordnete Zustände wiedergekehrt zu sein.
Aber nun erhoben sich von außen her neue Schwierig-
keiten. Die Bauern näherten sich auch Frankfurt, und
1) Ebda. S. 164.
3) Ebda. 8. 210.
3) Ebda. S. 202.
*) Vgl. dazu das Frankfurter Aufruhrbuch von 1525, als
Neujahrsblatt des Frankfurter Geschichts- und Altertumsvereins
herausgegeben von Steitz 1875.
Archiv für Reformationsgesehiochte. III. 3/4. 15
226
unter den Zünften der Stadt ließen sich trotz der beruhi-
genden Erklärungen, die sie dem Rate abgaben, Stimmen
genug vernehmen, „die vermeinten, die geistlichkeit und
Juden, auch die deutschen herren uf die fleisch bank
zu libern, han sich auch heimlich lassen horen, wo es
nit nach irem willen ghe, wolten sie der artikel gar keinen
halten“ 1). Die Bewegung in der Stadt geriet in die Hände
der radikalsten Elemente, und selbst der ältere Bürger-
meister Philipp Fürstenberger war in seiner Wohnung
nicht mehr sicher. Doch führte gerade der Terrorismus,
der nun drohte, den Umschwung herbei. Der konser-
vative Teil der Bürgerschaft trat aus seiner Untätigkeit
heraus, und, auf ihn gestützt, verfügte der Rat die Aus-
weisung Westerburgs. Eine weise Milde, die mit solcher
Festigkeit gepaart war, führte dann wieder zu ruhigen
und gesicherten Verhältnissen. Es war höchste Zeit.
Denn in denselben Tagen brach die Herrlichkeit der Bauern
zusammen, und die Sieger verlangten nun auch von
Frankfurt die Auslieferung der Empörer, die sich dahin
geflüchtet hatten. Bei den Verhandlungen, die daraufhin
in Pfeddersheim gepflogen wurden, kamen auch die Frank-
furter Unruhen zur Sprache. Ein strengeres Strafgericht
der Fürsten konnten die Vertreter abwehren. Doch mußte
. der Artikelbrief ausgeliefert und der alte Stand der Dinge
wieder hergestellt werden.
Gingen der Bürgerschaft die sozialen Errungenschaften
des Aufruhrs verloren, so blieb ihr die evangelische Predigt
erhalten. Wie sie in den Artikeln an erster Stelle ge-
fordert worden war, so hatte der Rat bereits am 24. April
die Berufung evangelischer Prädikanten erwogen. Er
wandte sich deswegen an Luther, der daraufhin Johann
Agricola schickte). Doch blieb dieser nur einen Monat,
da er bei seiner Ankunft bereits andere Männer an der
Arbeit fand, mit denen er nicht gleichen Sinnes war.
Es waren Dionysius Melander und Johannes Bernhard
1) Königstein 8. 85.
3) Vgl. das Beglaubigungsschreiben vom 30. Mai 1525 in der
Erlg. Ausg. 53, 307 und die Erläuterungen dazu bei Enders,
5, 183f.
227
genannt Algesheimer, beide der reformierten Denkweise
viel näher stehend als der lutherischen. Melander, der
einmal von der Kanzel den Bann gegen den Papst und die
ganze Klerisei schleuderte, begegnet uns später als geist-
licher Berater Philipps von Hessen, dessen Bigamie er
auch auf der Kanzel verteidigte!) Algesheimer hat
nachmals den Frankfurter mit dem Ulmer Kirchendienst
vertauscht, als ihm (1536) in Peter Geltner ein ausge-
sprochener Schüler Luthers zur Seite trat. Die von diesem
betriebene Einführung der sächsischen Zeremonien, na-
mentlich der Gebrauch der Alba und das Brennen von
Kerzen bei der Abendmahlsfeier, war offenbar nicht
nach seinem Sinne?).
Ihre Tätigkeit in Frankfurt begannen die neuen
Männer an Pfingsten (4. und 5. Juni) 1525 unter großem
Zulauf in der Liebfrauen- und Leonhardskirche?). Sie
reprüsentieren die Sturm- und Drangperiode in der Frank-
furter Reformationsgeschichte. Auch der Pfeddersheimer
Vertrag setzte ihrer Wirksamkeit kein Ende. , Welchen
Anklang sie fanden, zeigt die Bitte, welche damals die
Steinmetzen dem Rate vortrugen, keine anderen Prediger,
denn so jetzo seien, aufstehen zu lassen, damit weiterer
Aufruhr unter der Gemeine nit entstehe. Ahnlich baten
die Zünfte insgesamt, daß das Evangelium nach Laut
des ersten Artikels auch ferner gepredigt werde‘). So
hielt denn der Rat schützend seine Hand über die beiden
Prediger, von denen Melander die Sonntags-, Algesheimer
die Wochengottesdienste (am Mittwoch- und Freitag-
nachmittag) übernahm. ‚Sie han alle beyde den pabst,
pristerschaft hochlich angetast, das hochwirdig sacra-
ment, all ceremonien der kirchen und sunderlich die
meß ganz veracht‘“®). Dazu richteten sie auch den Gottes-
1) Hiergegen erhob Bucer Einsprache in seinem Brief an
den Landgrafen vom 19. April 1540. Lenz, Briefwechsel Landgraf
Philippe des Großmütigen von Hessen mit Bucer, I, 165f.
3) Über Algesheimer vgl. Enders 11, 15. Er hat seinen
Namen von Algesheim bei Ingelheim, wo er früher Pfarrer war,
®) Königstein S. 89.
*) Steitz, Westerburg S. 101.
5) Königstein S. 99.
15*
228
dienst ganz neu ein „mit ongewonlichem gesang in der
pharkirchen"!), d: h. sie führten den Gemeindegesang
ein. Der Rat ließ sie bei alledem ruhig gewähren. Auch
der neue Dompfarrer Dr. Friedrich Nausea, der Anfang
1526 sein Amt antrat, richtete nichts gegen sie aus, da
die Gemeinde sich vorgenommen hatte, ihn überhaupt
nicht zu Worte kommen zu lassen?) Ebenso war eine
Beschwerde des Mainzer Ordinariates über sie vergeblich.
Die Verantwortung, welche sie dagegen dem Rate vor-
legten, ist deshalb besonders denkwürdig, weil sie uns zeigt,
wie abhängig die beiden Prädikanten von Zwingli waren,
— „selbst die Schlagwörter des Schweizer Reformators
hatten sie sich angeeignet. Frankfurt trat durch ihre
Wirksamkeit entschieden in die Reihe der vom Geiste
Zwinglis beherrschten Städte“).
Einen Bundesgenossen erhielten Melander und Alges-
heimer 1529 noch in dem bisherigen Lektor und Guardian
der Barfüßer Peter Pfeiffer, genannt Chomberg, der nach
Auflösung seines Klosters (1529) gleichfalls scharf gegen
die Lehren und Einrichtungen der alten Kirche eiferte,
später aber, als Geltner die sächsischen Riten in Frank-
furt einführen wollte, mit Algesheimer nach Ulm zog.
Wir besitzen von ihm noch eine Skizze der Predigt,
welche er am 12. Juli 1529 morgens 7 Uhr in der Bar-
füßerkirche in habitu saeculari vor viel Volk über Joh. 14, 6
hielt. Er nahm die drei Mönchsgelübde vor und be-
kannte, „alles, das er getan hab im orden und kutten,
sei widder Goit gewest, wan die werk gar nit selig machen.
Er hat auch gezwifelt, ob sanct Franciscus selig sei,
und gesagt: Francisce, Francisce, die blat, kutt, gepett
hot dich nit selig gemacht! auch es sei kein obberkeit
meh, wan die weltlich, welcher man gehorsam leisten
soll, und der gleichen ketzersch artikel vill, alle zu eyner
schande, ußgeruffen, den babet vernicht, die beicht ver-
acht, die meß gar abgethan“).
!) Ebda. 8. 101.
3) Wedewer, Johannes Dietenberger. S. 73f.
*) Steitz, Abhandlungen usw. S. 221.
*) Königstein S. 153.
229
Ebenso wie über die Lehren und Einrichtungen
der Kirche setzten sich diese Prediger freilich oft auch
über die Gebote von Sitte und Anstand hinweg. Zu
lange hatten diese Männer wider ihre Natur gelebt. Jetzt
ließen sie sich widerstandslos von ihr zu allem fortreißen.
Auf die Frage, was denn noch gelten solle, hatte ihr
Radikalismus keine Antwort. Chomberg fing am Brunnen
Liebschaften mit den Mägden an, die Wasser holten.
Die beiden anderen gaben so vielfaches und schweres .
Ärgernis, daß der Rat zeitweilig (1528) erwog, nach zwei
anderen, ehrbaren Prädikanten zu trachten, die sittiger
wären, denn diese zwei!). Es kam indessen nicht so weit,
wohl mit Rücksicht auf die Gunst, die Melander?) und
Algesheimer bei dem Volke genossen. So beschrünkte
sich der Rat darauf, ein Jahr später, in der Person des
Johannes Cellarius einen Wittenberger Theologen zu be-
rufen, der, von Luther warm empfohlen®), Garantien für
Gelehrsamkeit, Mäßigung und Sittenstrenge zu bieten
schien.
Der Versuch indessen, mit ihm ein gemäßigteres
Element in das Predigerministerium zu bringen, scheiterte
an der Verschiedenheit der Dogmatik. Cellarius konnte
sich auf die Dauer nicht halten. Bereits nach einem
halben Jahre stellten sich zwischen ihm und den drei
anderen Predigern bei Aufstellung einer Abendmahls-
liturgie erhebliche Meinungsverschiedenheiten heraus, die
sich in der Folge so zuspitzten, daß der Rat sich schließlich
im Frühjahr 1532 genötigt sah, ihm „einen freundlichen
Urlaub zu geben“. An seiner Statt wurde Matthias
Limberger als Prediger an St. Peter angestellt und damit
die Homogenität des Kollegiums wieder hergestellt.
Doch setzte Cellarius auch jetzt noch seine Predigt-
tätigkeit im Katharinenkloster fort, bis die Prädikanten
dem Rat erklärten, sie würden ihre’ Wirksamkeit ein-
1) Steitz, Abhandlungen usw. S. 269.
2) Melander mußte aber zuletzt doch um unsauberer Dinge
willen seine Stelle aufgeben.
3) Wrampelmeyer, Tagebuch über Dr. Martin Luther ge-
führt von Dr. Conrad Cordatus. Nr. 1139. S. 299.
230
stellen, falls er den Winkelprediger noch länger dulde!).
Daraufhin benutzte Cellarius die Herbstmesse, um sich
nach Wittenberg zu begeben.
Der Charakter des Frankfurter Reformationswerkes
ist in dieser Phase der Entwicklung erheblich verscbieden
von demjenigen des vorhergehenden Stadiums. Der Huma-
nismus, welcher damals die Führung hatte, mußte jetzt,
da man die Zünfte gewähren ließ, mehr und mehr zurück-
treten. Charakteristisch dafür ist das Schicksal, welches '
den Rektor Micyllus?) eben in diesen Jahren traf. Dieser
hatte im Herbst 1524 die Leitung der Schule Wilhelm
Nesens übernommen. Seine Geistesrichtung war bestimmt
worden durch den Erfurter Humanistenkreis, dem er
1518 —1522 angehört hatte. Sie faßt sich in dem Be-
kenntnis?) zusammen: „Ich habe mich überzeugt und
bin durch gründliches Nachdenken zu der Einsicht ge-
langt, daß ohne die Grundlage dieser Studien, mag man
sie poetische oder humane nennen wollen, weder göttliche
noch menschliche Dinge auf die rechte und erfolgreiche
Weise behandelt werden können.“ Ein Aufenthalt in
Wittenberg 1523 hatte ihn nicht tiefer unter den Einfluß
Luthers gebracht. Wenigstens erklärte er bei seiner
Bewerbung um die Professur für die griechische Sprache
an der Heidelberger Universität gegen den Kurfürsten
Ludwig V. von der Pfalz am 5. Dezember 1532: , Wo
vielleicht, als ich besorg, in Ew. Churfürstl. Gnaden
durch Mißgunst eingebildet wäre, daß ich der lutherischen
Sekte anhängig sein sollte, geb’ ich diesen wahrhaftigen
Bericht, daß mir solches ganz zu Unschulden zugemessen.
Dann wo dem also, wäre ich bei einer ehrsamen Stadt
Frankfurt, da ich ehrlich Unterhaltung gehabt, blieben
1) Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f.
2) Vgl. Steitz, Ebda. S. 216—256:.Dee Rector Micyllus
Abgang von Frankfurt 1533 nach seinen bisher unermittelt. ge-
bliebenen Ursachen dargestellt. Über Micyllus vgl.noch: J.Classen,
Jacob Micyllus, Rector zu Frankfurt a. M. 1524—1533 und
1537 —1547, als Schulmann, Dichter und Gelehrter. Zwei Abtei-
lungen. Frankfurt a. M. 1858.
3) In der Widmung seiner Ausgabe von Boccacios Genealogia
Deorum (4. November 1531), bei Steitz 8. 226.
231
und wollte wohl bei Andern eine mehrer Besoldung er-
langen mögen. Ich hab’ bisher mich der Theologie nichts
unterzogen und mit keinerlei Secten umgangen, allein
bonis litteris und meinem fürgenommenen Studio ange-
hangen, wie ich auch fürder zu thun gedenke i).“ Für
einen solchen wissenschaftlichen Betrieb hatte man aber
in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre keinen Sinn,
und ehemalige Mönche wie Melander, Algesheimer und
Chomberg waren nicht die Leute, ihn zu pflanzen. Die
anfangs freundlichen Beziehungen zwischen ihnen und
dem Rektor erkalteten. Ihr demagogisches Auftreten
war seiner Gelehrtennatur im höchsten Grade zuwider,
und nach den stachelichten Versen zu schließen, die er
ihnen gewidmet hat, waren auch die persönlichen Er-
fahrungen, welche er mit ihnen machte, recht unerquick-
lich. Als er sich dann enger an Cellarius anschloß, der
ihm aus der Schule Melanchthons ein größeres inneres
Verständnis für seiner Interessenkreis entgegenbrachte,
wurde seine Stellung vollends unhaltbar. Es waren die
Wege des Humanismus und der Reformation, die sich
damals in Frankfurt schieden, um sich spüter unter
günstigeren Umständen wieder zusammenzufinden. Die
Prädikanten ‚‚verdächtigten seine Wissenschaft und
seinen Unterricht als heidnisch und machten es ihm wohl
unverhohlen zum Vorwurf, daß er durch die Einführung
der Jugend in die antiken Religionen dem heidnischen
Götzendienst der katholischen Tempel, der Messe und
der Heiligen einen Halt gewähre; rie wußten die Bürger-
schaft, die sie mit ihren demagogischen Künsten bear-
beiteten und lenkten, gegen die Schule einzunehmen
und wurden dadurch die Urheber ihres Verfalles; der
Rat aber, der selbst dem Terrorismus des Dionysius
keine Macht entgegenzustellen hatte, vermochte weder
den Micyllus, noch die Schule zu schützen und mußte
ihn zuletzt seinen Feinden opfern“ ). Mit Beginn des
!) Bei Steitz 8. 252.
3) Steitz, S. 227. — Als verfehlt erscheint mir der Versuch
von Steitz S. 253, aus Micyllus einen Märtyrer des Luthertums
zu machen, der den Anhängern Zwinglis habe weichen müssen.
233
Jahres 1533 siedelte Micyllus nach Heidelberg über,
Damit schied der Humanismus als reformatorisches
Prinzip endgültig aus der Frankfurter Kirchen-
geschichte aus.
5. Luther und die Frankfurter Kirche.
Der Einfluß Luthers, den Cellarius vermittelt hatte,
ging an dem Frankfurter Kirchenwesen nicht spurlos
vorüber. Er zeigt sich in dem „Bedenken“, welches
die vier Prädikanten am 3. März 1530 auf Veranlassung
des Rates „einhellig“ vorlegten, und das von Cellarius
verfaßt ist. Dieses , Bedenken", in welchem wir die
älteste Frankfurter Kirchenordnung zu erblicken haben ),
nimmt sich Luthers „Deutsche Messe zum Vorbild,
läßt aber dabei das Nebeneinander des Wittenberger
und des Schweizer Typus mit ziemlicher Deutlichkeit
erkennen. Wie Luther, so wollen auch die Frankfurter
aus ihrer Gottesdienstordnung kein Gesetz machen, das
die Gewissen wie unter dem Papsttum verwirren könnte.
Sie behalten je nach Zeit und Umständen Änderungen
ausdrücklich vor. Auch die Benützung des Gottesdienstes
Die konfessionelle Antithese, die Steitz zwischen M. und den Prädi-
kanten machte, hält nicht Stich angesichts der oben mitgeteilten
Erklärung des M., Frankfurt sei eine lutherische Stadt, in der er,
falle Lutheraner, hätte bleiben können. Auch der Anschluß an
Cellarius ist kein hinreichender Beweis für die lutherische Denk-
weise des M. beide begegneten sich auf der gemeinsamen Basis
des Humanismus. Unhistorisch und Silbenstecherei ist es, wenn
Steitz meinte, M. habe sich nur zu einer lutherischen „Kirche“
als der „Kirche Christi selbst in ihrer gereinigten Gestalt‘, als der
„Gemeinschaft des wahren Protestantismus“, aber nicht zu einer
lutherischen „Sekte“ bekannt. Es ist eine Vorausdatierung einer
sehr viel späteren Ausdrucksweise, sehon im Jahre 1532 eine solche
luth. Kirche erwähnt finden zu wollen. Über den Sinn, welchen
der Ausdruck „luth. Sekte“ in dem damaligen Frankfurt hatte,
läßt das Tagebuch Königsteins keinen Zweifel: zu ihr gehören die
kirchlichen Neuerer insgesamt. Ihnen will M. nicht zugezählt
sein, gleichviel ob sie auf Wittenberg oder auf Zürich eingeschworen
seien. Er ist nicht Theolog, sondern Humanist.
1) Abgedruckt bei Ritter, Evang. Denckmahl 8. 195ff. Der
Entwurf des Cellarius ebenda S. 199ff.
233
zur Belehrung der Jugend und des Volkes entspricht
genz dem Wittenberger Muster, an das sie sich auch
mit der Anmeldung zum Abendmahl anschließen. Und
wenn die Einsetzungsworte aus den vier Berichten zu-
sammengearbeitet sind, so geht das ebenso auf den
Vorgang Luthers zurück, wie die Reihenfolge, in der
die Kommunikanten am Altar erscheinen. Anderes
dagegen ist stillschweigend aufgegeben, manches
auch neu eingeführt. Meßgewänder, Altar und Lichter,
die Luther nicht angetastet hatte, sind in der Frankfurter
Ordnung nicht erwähnt. Für die Abendmahlsfeier sollen,
„wie auch zuvor, unter dem Bapstthum, hie breuchlich
gewest ist, lange Tische vor dem Chor aufgestellt werden.
Auch wurde der Rat ersucht, er möge „etliche dapfere
ansehliche Menner verordnen, die Got und dem hoch-
würdigen Sacrament zu Ehren auf beiden Seiten des
Tischs da stünden, Unordnung oder Unehr so sich be-
geben möcht, zu verhüeten". Die Feier selbst wurde
eingeleitet mit dem Gesang der zehn Gebote, unter dem
der Tisch bereitet wurde; es folgte eine kurze Abend-
mahlsvermahnung, die vor unwürdigem Genusse warnte,
das Gebet, eine Paraphrase des Vater-Unser, wie bei
Luther, und die Einsetzungsworte; die Distribution er-
folgte unter Psalmengesang der Gemeinde; den Schluß
bildeten Danksagung und Segen. Endlich lassen die
Prediger durchblicken, daß ‚solch Nachtmal villeicht
nit alle Sonntag gehalten würdet“ i), sie sind also nicht
der lutherischen Meinung, daß zum rechten Gottesdienst
die Abendmahlsfeier als integrierender Bestandteil ge-
höre, weil er erst in ihr seinen Höhepunkt erreiche. In
diesem wie in den übrigen Punkten nähert sich die Kirchen-
ordnung in demselben Maße dem Schweizer Typus, wie
sie sich von dem Wittenberger entfernt. Besonders deutlich
zeigt sich die Abweichung von der lutherischen Weise
auch in der Liturgie des sonntäglichen Hauptgottes-
dienstes. Bei Luther verläuft der Gottesdienst, wie er
ibn selber nennt, als eine „Deutsche Messe“ mit allen
!) Seit 1533 wurde es alle drei Wochen gefeiert. Steitz,
Hartmann Beyer S. 19.
234
Stücken desrömischen Kanons, soweit dieser nicht unevan-
gelisch ist. In Frankfurt dagegen hat man sich eine
ganz einfache Form neu geschaffen. Auf einen Psalm,
den die Gemeinde zum Eingang sang, folgte ein Gebet
mit kurzem Gesang, etwa: Nun bitten wir den heiligen
Geist. Daran schloß sich eine biblische Lektion deutsch
oder lateinisch an, und zwar am liebsten durch die Zög-
linge der Lateinschule. Dann gab der Prädikant in einer
halbstündigen Predigt Erklärung und Anwendung des
Gelesenen und schloß mit der Kollekte, d. h. der Mahnung
zur Wohltätigkeit.
Die KompromiBarbiet konnte doch nicht alle Diffe-
renzen beseitigen. Nicht nur die beiden Prediger in
Sachsenhausen und an St. Peter widersprachen öffentlich.
Cellarius selbst verließ nach ärgerlichen Auseinander-
setzungen mit seinen Kollegen die Stadt. Es scheint,
daß er dann in Wittenberg versucht hat, die Autorität
Luthers gegen die Frankfurter in Bewegung zu setzen.
Doch war er klug genug, andere Leute vorzuschieben,
die auf der Rückreise von der Messe in Wittenberg an-
kehrten und sich nun hier bei Luther darüber beklagten,
daß man von den Frankfurter Kanzeln seine Lehre nicht
zu hören bekomme. Vor allem reizten sie den Zorn
Luthers gegen die Frankfurter Prediger, indem sie ihm
zutrugen, diese hätten die Beichte verworfen und ver-
spottet, und sie predigten vom hl. Sakrament „auf Zwing-
lische Weise, doch unter dem Schein und mit solchen
Worten, als solt es gar gleich und Ein Ding sein mit
unser und unser Gleichen Lehre“.
Luther richtete daraufhin gegen Ende des Jahres 1532
e „Warnungsschrift an die zu Frankfurt am Mayn,
sich vor Zwinglischer Lehre zu hüten‘), in der er klar-
stellte, daß die dort übliche Formel, „es sei Christi Leib
und Blut wahrhaftig gegenwärtig im Sacrament“, sich
mit seiner Lehre noch nicht decke, solange die heimliche
Glosse und Verstand der sei: „daß der wahrhaftige Leib
und Blut Christi sei wohl gegenwärtig im Sakrament,
1) Erlg. Ausg. 26, 370ff. Vgl. Steitz, Abhandlungen S. 257ff.
235
aber doch nur geistlich, und nicht leiblich; wird auch allein
im Herzen mit dem Glauben empfangen, und nicht leib-
lich mit dem Munde, welcher empfähet eitel Brot und
Wein“, wie Zwingli mit dürren Worten gelehrt habe.
Er fand es ein doppelzüngiges Spiel, wenn man sich
auf eine Formel einigte, unter der sich jeder Teil denken
konnte, was er für richtig hielt. Er konnte sich das nur
so erklären, daß etliche gesehen hätten, ‚daß der Karren
zu fern und tief in Schlamm geführet ist, und nicht mehr
lauten will ihr voriges Geschrei von eitel Brot und Wein
im Sacrament“. Er verwirft die Fides implicita, die sich
darauf zurückzieht zu sagen: „Ei, es ist genug, daB du
gläubest: den Leib, den Christus meinet"; denn das
heißt ihm nicht Urkund gegeben der Hoffnung, so in
uns ist (1. Petr. 3, 15); im Gegenteil: „Das wäre mir
eine lóbliche Kirche in den Säustall gebauet!“ Und so
schließt er diesen Teil seines offenen Briefes mit den
zornigen Worten: , Türken und Jüden sind viel besser,
die unser Sacrament leugnen und frei bekennen; denn
damit bleiben wir unbetrogen von ihnen und fallen in
keine Abgótterei. Aber diese Gesellen mußten die rechten
hohe Erzteufel sein, die mir eitel Brot und Wein geben,
und ließen mich's halten fur den Leib und Blut Christi,
und so jàmmerlich betrógen. Das wäre zu heiß und zu
hart, da wird Gott zuschmeißen in Kurzen. Darumb,
wer solche Prediger hat, oder sich del zu ihnen versieht,
der sei gewarnet fur ihnen, als fur dem leibhaftigen Teufel
selbs.
Da Luther außer über das Abendmahl auch noch
um Rat gefragt worden war, wie sich die guten, frommen
Herzen in der Beichte halten sollten, „weil ihre Prediger
dieselbigen ganz verdammen und verspotten“, so ver-
breitete er sich in dem zweiten Teile seines Sendschreibens
auch noch über diese Frage. Die Beichte besteht ihm
aus Sündenbekenntnis und Absolution. Das Sünden-
bekenntnis, das er nicht mit der erzwungenen Ohren-
beichte verwechselt wissen will, erstreckt sich auf die Sünden,
die das Beichtkind am meisten drücken. Es wird aber
nicht von den Verständigen gefordert, die wohl wissen,
236
was Sünde ist, sondern von dem Pöbel und der Jugend,
die wenig aus der Predigt lernen!). Und die sollen in der
Beichte nicht nur nach ihren Sünden gefragt werden,
sondern auch nach den Hauptstücken des Katechismus.
Vor allem vor der Feier des hl. Abendmahls ist das nötig,
denn es ist nicht gleichgültig, wen man zu dieser Feier zu-
läßt, nur „wo die Prediger eitel Brot und Wein reichen
fur das Sacrament, da liegt nicht viel an, wem sie es
reichen, oder was die können und gläuben, die es empfahen.
Da frißt eine Sau mit der andern, und sind solcher Mühe
billig uberhaben, denn sie wöllen wüste, tolle Heiligen
haben, denken auch keine Christen zu erziehen, sondern
wöllen’s also machen, daß uber drei Jahr alles verstöret
sei, weder Gott, noch Christus noch Sacrament, noch
Christen mehr bleibe." Von dem Werte der Beichte
ist Luther tief durchdrungen. Ihre Gegner sind ihm
„der Teufel und seine Apostel“. Er will sie sich aber nicht
nehmen lassen. „Wer sie fur sich nicht will haben, der
laß sie gehen, doch soll er sie darumb uns und andern
Frommen (die ihr benöthigt, und ihren Nutzen verstehen)
nicht nehmen noch vernichten. Es heißt: Qui ignorat,
ignoret. Wenn tausend und abertausend Welt mein
wäre, so wollt ichs alles lieber verlieren, denn ich wollt
dieser Bejicht?) das geringste Stücklin eines aus der
Kirchen kommen lassen. Ja lieber sollt mir sein des
1) Dem stimmte Bucer zu in seinem Brief an den Landgrafen
Philipp von Hessen vom 25. Februar 1545. Bei Lenz II, 296.
2) Luther rechtfertigt diese Schreibweise mit der Etymologie
und folgert aus ihr, daß die Beichte auch ein Glaubensbekenntnis
in sich schließe: „Bejichten heißt bekennen, wie auch im Gericht
das Wort noch in Übung ist: Urjicht; und man sagt: das jicht er,
das hat er bejicht usw. Und sind zwei unterschiedlich j in dem
Wort Bejicht, welches mit der Zeit ist in Ein i verwandelt, und
durch Mißbrauch „Beicht“, als mit Einem i' geschrieben und geredt,
wie viel andere alte deutsche Wörter also verderbet sind. Da-
rumb soll ein Bejichter oder Bekenner nicht alleine Sunde wissen
zu erzählen, sondern auch daher aufsagen, was er vom Glauben
und Christo gelernt hat, und was dawider gethan heiße, auf das sie
solchs fur den Eltern, Schulmeistern, Pfarrherrn also gewohnen zu
bejichten, und wo es not sein würde, such fur dem Richter bejichten
und darüber sterben künnten.
237
Papstthumbs Tyrannei von Fasten, Feirn, Kleidern,
Stätten, Plappen, Kappen, und was ich kunnt ohn Ver-
sehrung des Glaubens tragen, denn daß die Bejicht sollt
von den Christen genommen werden. Denn sie ist der
Christen erste, nöthigste und nützlichste Schule, darin
sie lernen Gottes Wort und ihren Glauben verstehen und
uben; welchs sie nicht so gewaltig thun in Öffentlichen
Lectionen und Predigten. Das andere Stück der Beichte,
die Absolution, ,,die der Priester spricht an Gottes Statt“,
ist „nichts anders denn Gottes Wort, damit er unser Herz
tróstet und stürket wider das bóse Gewissen, und wir
sollen ihr gläuben und trauen, als Gott selber". Luther
läßt hier nur die Wahl: „Wer so blind ist, daß er solches
nicht siehet, oder so taub ist, daß ers nicht höret, der
weiß freilich nicht, was Gottes Wort und christlicher
Glaube und Trost sei; was kann er denn Guts lehren?
Siehet ere aber und hórete, und verdampt also wissentlich
die Bejicht in diesem Stücke, so ist er ein lauter Teufel
und kein Mensch, als der sich wissentlich wider Gott
setzt, und wehret, daß man Gottes Wort den Leuten
nicht soll sagen, noch die Herzen trösten, und im Glauben
stärken; der mag billig Gottes und aller Menschen Feind
gehalten werden, sonderlich der heiligen Christenheit.
Und wo solche Prediger sind, da mügen sich wahrhaftig
alle fromme Christen fur ihnen hüten, als fur den leib-
haftigen Teufeln." Luther sagt auch, warum ihm dieses
Stück ao wichtig ist, und warum er es für unentbehrlich
auch für die gelehrtesten und heiligsten Leute hält. Er
denkt an den Trost, den er selber je und je aus der Ab-
solution geschöpft hat. „Umb dieses Stücks willen“,
bekennt er, „brauch ich der Bejicht am allermeisten,
und will und kann ihr nicht empehren; denn sie mir
oft und noch täglich großen Trost gibt, wenn ich betrübt
und bekömmert bin.“ Nach diesen Darlegungen blieb
ihm nur noch übrig, sich zu dem Anstoße zu äußern,
den man in Frankfurt daran genommen haben sollte,
daß die Kinder im Katechismus angewiesen wurden,
den Beichtvater: , Würdiger Herr!“ anzureden. Er ist
an sich geneigt, statt dessen die Anrede: „Lieber Herr“
238
oder: „Lieber Vater“ zuzulassen. Aber auch hier meint er
den Pferdefuß zu sehen. Denn die weltliche Zucht fordert,
daß die Jugend und der Pöbel die Alten und die Lehrer
ehrt. „Aber weil die Schwärmer solch nöthige Zucht
verspotten, kann man wohl merken, daß ihr hoher Geist
nichts anders ist, denn ein boshafter, fursetziger Haß
und Neid, nicht allein wider unser Lehre und Gottes
Wort, sondern auch wider alle weltliche Zucht und Ehre.
Die Aufruhr stinkt ihn zum Halse heraus, und wollten
gern alles gleich und kein Unterscheid leiden, doch sofern,
daß sie allein zuletzt Wirdige Herrn heißen, und sonst
niemand; wie Münzer wollt alle Herrn tödten, und allein
Herr sein." Weil er also den Schalk hervorlugen sieht,
deshalb sollen Rat und Gemeine dem treugesinnten
Warner seinen Rat zugute halten. „Habt das Spiel in
guter Acht, und steckt die Augen nicht in Beutel, damit
nicbt solche Prediger bei euch sein, noch zu euch kommen;
der Teufel ist ein Schalk.''
Um den Frankfurtern zu zeigen, was ihnen bevor-
stehe, legte er dann noch eine Copie seines Briefes an
die Gemeinde zu Mühlhausen vom Jahre 1524 bei. Dann
schloß er: „Ich weissage nicht gerne, und ahnet mir
doch nichts Guts in meinem Herzen von den frechen
Geistern, denn sie haben auch bisher nichts Gvte, sondern
viel Böses geschafft. Gott steure ihnen, und bewahre
euch und alle fromme Herzen in seinem reinen Wort
und rechten Glauben, in Christo unserm Herrn; dem
sei Lob und Ehre in Ewigkeit, Amen.“
Noch ehe dieses Schreiben förmlich an den Rat
gelangte (13. Februar 1533), erhielten die Prüdikanten
von seinem Inhalte Kenntnis und ließen es sich alsbald
angelegen sein, sich von den Beschuldigungen zu reinigen,
die darin gegen sie erhoben waren. Auf ihr Betreiben
bestätigte ihnen der Rat am 28. Februar mit Brief und
Siegel ihre Unschuld, „daß sie . . . das Wort Gottes lauter,
wohl und recht, und nit aufrührisch gepredigt noch ge-
lebt haben, wie dann bis heut dato ihrer Predig halben
in unser Stadt kein Uffruhrerschienen, noch entstanden ist !).
1) Bei Steitz, Abhandlungen usw. 8. 263.
239
In der Verteidigungsschrift, welche sie sodann am
1. Mürz einreichten !), waren sie insofern in einer günstigen
Lage, als Luther von seinen Gewährsmännern nicht
durchweg recht berichtet worden war. Hatte er selber
in seiner Warnungsschrift zugestanden, er kenne die
Personen, welche aus den Reden der Frankfurter Prediger
nicht klug geworden sein wollten, nicht einmal dem
Namen nach, so forderten diese nun ihre Ankläger auf,
mit ihren Fragen und Klagen ans Licht zu treten, damit
sie nach der von Luther angezogenen Schriftstelle sich
vor ihnen verantworten oder von ihnen eines Besseren
belehren lassen könnten. Nach Wittenberg aber zielte
die Bemerkung, es sei „nit allweg gut zu glauben, was
gesagt wird, dann leider viel unnützer Schwätzer in der
Welt seind, die mit Unwahrheit gern Unfrieden wöllten
anrichten. Der Herre wehre ihnen, bessere sie und ver-
gebs ihnen, dann wir anderst gelehrt haben, dann für-
bracht ist worden. Hatte sich Luther darüber beklagt,
daß man in Frankfurt seine Lehre in vielen Stücken
verspotte und verwerfe, so warnten die Beklagten die
Verbreiter solcher Reden, sie möchten wohl zusehen,
wie sie das vor Gott verantworten könnten. Und hatte
er vor ihnen gewarnt, weil sich niemand darauf verlassen
dürfe, von ihnen seine Lehre zu hören, so war ihre Ant-
wort gut biblisch: „Wir predigen Christum, den Gekreu-
zigten. — Die Schäflein Christi hören die Stimme Christi;
predigen wir Christum nit, oder ein Engel vom Himmel
oder ein Mensch uff Erden, soll man's nit annehmen.“
Zu der Abendsmahlslehre übergehend, beriefen sich
die Prädikanten einfach auf die Bibel. Sie hätten nach
den Einsetzungsworten gelehrt, wie das der Gemeine
Gottes am heilsamsten sei, daß der Herr seinen Jüngern
in diesem Sakrament seinen wahren Leib und wahres
Blut wahrlich zu essen und zu trinken gebe zur Speise
ihrer Seelen und ewigem Leben, daß sie in ihm und er
in ihnen bleibe. Dabei hätten sie mit allem Fleiß das
1) Abgedruckt in F. R. II Beil. 10 8.23ff. Ritter, Ev. Denck-
mahl 8. 203ff. Luthers Werke, Erlg. Ausg.’ 26, 389ff.
240
Volk von allem Zank und unnötigen und fürwitzigen
Disputieren zu dem, was nützlich und von dem Herrn
Christus allein gemeint sei, gewiesen. Daraus ergebe
sich für jedermann, daß sie gar nicht gelehrt hätten,
in dem Sakrament sei eitel Brot und Wein. Sie hätten
auch weder Karren noch Wagen zu fern und tief in den
Schlamm geführt, sondern nur dringend gemahnt, bei
den Worten des Herrn in einfältigem Glauben und ohne
Zweifel zu bleiben. Auch müßten sie es ablehnen, daß
man ihnen eine andere Meinung, Glosse oder Verstand
unterschiebe. Es sei ihr Sinn und Meinung nie gewesen,
der christlichen Gemeine den teueren Schatz der wahren
Gegenwart Christi im Abendmahl zu nehmen. Damit
die Gläubigen diesen Schatz recht und wahrlich zugegen
und in sich hätten, wiesen sie sie vor allem zu dem einigen
Heiland Christus im wahren Glauben, ohne den doch
Wort und Sakrament und alles Reden und Tun der Diener
vergeblich sei.
Bei dem anderen Anklagepunkt, sie verdammten
und verspotteten die Beichte, konnten sich die Prädikanten
auf die Rechtfertigung beziehen, die sie bereits sieben
Jahre früher gegen eine ähnliche Beschwerde des Erz-
bischofs von Mainz bei dem Rate eingereicht hatten!).
Sie unterließen aber auch nicht, auf das zu verweisen, was
sie in ihren Predigten immer wieder von üer Beichte
gesagt, und was die Gewährsmänner Luthers da von
ihnen ganz klar hätten hören können: , Wahre und gött-
liche Beicht der Sünden ist von uns nit verdampt, wir
. haben aber gelehrt, sie mög von niemand geleistet werden,
dann welichen seine Reu uber die Sünd und Forcht
göttlichs Zorns darzu treibt, derhalb ee nit müglich ist,
solche mit Geboten zu fordern, darumb sie dann weder
der Herr selb noch die Apostel geboten haben; lehren
auch, daß nit eben dem Priester geschehen muB, durch
welches Wort man gemeinlich die päpstischen Pfaffen
versteht; sunder wer Rath, Trost oder Unterweisung
bedarf und begehret, der such einen recht christlichen,
1) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denckmahl 8. 183ff.
241
vesständigen Mann an, der rathen, trösten, lehren und
ermahnen kann, so wird derselbig, er sei ein Prediger
oder sunst einer in Gottes Wort verständig, ihm aus der
Schrift den rechten Arzt, der allein unsere Sünd hin-
nimpt, anzeigen, Rat, Trost und dergleichen treulich
mittheilen“. Mit tiefem Ernst weisen sie in diesem Zu-
sammenhang den Vorwurf zurück, als handelten sie so,
daB über drei Jahre alles zerstört sei und weder Gott
noch Christus, Sakrament noch Christen bleibe. „Da
behüt uns Gott vor! Dann wir darüber Rechenschaft
vor dem Richterstuhl Jesu Christi geben müften, ja es
würde Gott das Blut derjenigen, so unserer Verssumnuß
halben verdürben, von unseren Hünden forderen. Darumb
begehren wir, bezeugen das mit Jesu Christo unserem
Herrn, dem Richter der Lebendigen und Todten, daß
die Jugend und der gemein Mann zu christlicher Zuch$
und Verstand erzogen werden, wóllen auch nit wüste,
tolle Heiligen haben, denken aber Christen zu erziehen,
soviel uns Gott Gnad verleihet und aus Christus Kirchen
keinen Säustall machen, wöllen auch niemands zum
Sacrament wie die Sáu zum Trog lassen laufen, habens
auch nie gethan.“ Deß zum Zeugnis schildern sie dann
im einzelnen, wie sie darauf bedacht seien, daB in allen
Stücken also gehandelt werde, daß es Gott wohlgefüllig
und den Menschen besserlich sei.
Den Vorwurf endlich, daß sie Aufrührer seien, über-
lieBen sie dem Herzenskündiger zu beurteilen; vor der
Öffentlichkeit aber glaubten sie von sich bezeugen zu
dürfen: , Wir haben, Gott sei Lob! zu Franckfurt kein
Aufruhr gesehen, zu Aufruhr nicht gepredigt, aber mit
allem Fleiß und Treuen gelehrt und ermahnt zu der
Gehorsame Gottes und seines Worts, auch der Oberkeit,
die von Gott verordnet ist." Nur Eines lag ihnen zum
Schlusse noch am Herzen: „Das begehren wir von Herzen
mit allen Auserwählten Gottes, daß er uns in der reinen
Lehre seines Worts wölle erhalten zu seiner Ehre, Er-
haltung christlicher Zucht und Gehorsame der Oberkeit,
und wölle uns gnädiglich behüten vor falschen, ver-
kehrten Lehren, auch Schleichern und heimlichen, wider
Archiv far Beformationsgeschlichte, XIX. 5/4. 16
243
Verbot der Oberkeit Winkelpredigern!), hoffen wir zu
Gott durch Jesum Christum, er werd unser Vater sein
und uns, seine Kinder, hie uff Erden nit verlassen.''
Man wird dieser „Entschuldigung der Prediger zu
Frankfurt a. M. auf Luthers Sendbrief'^die Anerkennung
nicht versagen können, daß sie geschickt abgefaßt ist
und ruhig und würdig auf die teilweise recht leidenschaft-
lichen Angriffe antwortet, welche Luther gegen ihre
Unterzeichner erhoben hatte. Ihr Inhalt ist freilich
keineswegs lutherisch, auch wenn ihn dogmatische Be-
fangenheit im 18. Jahrhundert dafür hat ausgeben wollen 3).
I:uther selber, der ihn unerwidert ließ, hat sich doch im
Kreise seiner Freunde sehr abfällig über ihn geäußert.
Als ihn Cellarius, der inzwischen die Pfarrstelle in Bautzen
übernommen hatte, Anfang Mai aufsuchte und ihm viel
von seinen Frankfurtern erzühlte, die zwar geantwortet,
aber nicht offen Farbe bekannt hätten (,ihr andtwortt
wer mum mum, — ein Ausdruck, dessen sich Luther
in seiner Schrift gegen sie bedient hatte), gab er zur Ant-
wort: „Es ist ia war, synceriter non responderunt, solche
vertzweiffelte buben sint sie, das sie nicht dürffen be-
kennen, was sie glauben, sunt plane Erasmici et amphi-
bolici®). Richtig hat bereits Steitz*) erkannt, daB die
Abendsmahlslehre, zu welcher sich die Frankfurter Prädi-
1) Damit zahlten die Frankfurter ihrem früheren Kollegen
den Vorwurf heim, sie lehnten sich gegen die öffentliche Ordnung .
auf. Cellarius hatte nämlich, nachdem er sein Amt an der Peters.
kirche hatte aufgeben müssen, bei den Konventualinnen des
Katharinenklosters die pfarramtlichen Funktionen vollzogen, so
daß die Stadtprediger am 29. August 1532 bei dem Rate Beschwerde
führten, daß Meister Johann Cellarius heimlich und in Winkeln
predige. Vgl. Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f.
3) Ritter, Ev. Denckmahl S. 211. — K. Gesch. S. 33f.
3) Bindseil, D. Martini Lutheri Colloquia, Meditationes,
Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae
II, 36. De Luther in der unmittelbaren Fortsetzung dieser Tisch-
rede auf Bucer zu reden kommt, so hat, er vielleicht auf ihn als den
Mentor der Frankfurter geraten. Daß sein Urteil über die Frank-
furter auch sonst nicht günstig war, ergibt sich aus Wrampelmeyer
Nr. 1134 S. 297 und Nr. 1684 8. 462.
) Steitz, Hartmann Beyer S. 17f.
243
kanten in ihrer Rechtfertigungsschrift bekannten, in
Form und Inhalt sich kaum von derjenigen der Tetra-
politana unterscheidet, in der es heißt: Cum hanc coenam,
ut ipse instituit, repetunt, verum suum corpus verumque
sanguinem, vere edendum et bibendum in cibum potumque
animarum, quo illae in aeternam vitam alantur, dare
per Sacramenta dignatur.
Wie diese Übereinstimmung sich erklürt, wird sofort
deutlich, wenn wir erfahren, daß der Verfasser der „Ent-
schuldigung kein anderer als Martin Bucer!) ist, der
offenbar an diese Schrift dachte, als er nicht viel spüter
dem Landgrafen Philipp von Hessen meldete, daB zu
den Ständen, die er für seinen Unionsplan gewonnen habe,
auch Frankfurt gehóre?).
Geht man den Tatsachen auf den Grund, die Luther
veranlaßten, von einem Aufruhr in Frankfurt zu reden,
so ergibt sich eine drohende und gewalttätige Haltung,
die die Massen gegen die Kanoniker einnahmen, indem
sie ihnen den Chor sperrten und auf dem Wege zur Kirche
ihnen durch Steinwürfe zu verstehen gaben, sie brauchten
1) Baum, Capito und Butzer. 8. 595. Das Original von
Bucers Hand (im Archiv ru St. Thomas in Straßburg) trug den
Titel: „Eyn Bericht was zu Frankfort am Meyn von christlicher
Religion vnd in sonders vom heyligen Sacrament des leybs vnd
bluts Christi gelert vnd geprediget, mit warhaffter verantwortung
des so die Prediger doselbet vor D. M. Luther in seinem Brief an
Ein Erb. Rath vnd gemeyn der stadt Frankfort vngütlich be-
schuldigt seynd." Auch später kam Bucer — in einem speziellen
Punkte zustimmend — auf den Brief Luthers zurück. Vgl. Lenz II,
296. Woher die Beziehungen Bucers zu den Frankfurter Prädi-
kanten stammen, wissen wir nicht. Steitz, Abhandlungen usw.
S. 177 hat an das Marburger Religionsgespräch gedacht. Ebensogut
kónnen sie aber auch durch die genaue Fühlung vermittelt sein,
die Frankfurt nach Ritter, Ev. Denckmahl S. 216 mit Straßburg
unterhielt. Durch die Schrift Luthers fühlten sich übrigens auch die
Schweizer beschwert und wollten ihrem alten Wittenberger Gegner
scharf antworten. Doch hielt sie Bucer, der im Mai 1533 in Zürich
weilte, von der Ausführung dieses Vorhabens zurück, das seinen
Unionsplänen natürlich sehr hinderlich geworden wäre. Secken-
dorf, comm. III Sect. 7 ; 23. (Scalig, Hist. der Augsb. Conf. I,
414 schreibt dieses Verdienst Capito zu).
3) Lenz I, 34.
16°
241
keine Meese mehr zu lesen, Diese Vorgünge, die indessen
zu keiner Auflehnung gegen den Rat führten, bewirkten,
daB am 23. April 1533 der ganze katholische Gottesdienst
in der Stadt eingestellt werden mußte. Den Anhängern
des Alten wurde sogar verboten, auswärts den römischen
Gottesdienst zu besuchen oder ihre Kinder auswärts
taufen zu lassen. Auch ein Brief, in welchem sich Cochläus
am 8. Juli von Dresden aus bei dem Rate für seine Glaubens-
genossen verwendete!) konnte an der einmal getroffenen
Entecheidung nichts mehr ündern. Die einzige Erleichte-
rung, die sich mit der Zeit ergab, bestand in einer ge-
wissen Nachsicht gegen auswürtige Taufen.
Fragen wir an diesem ersten Abschnitte der Frank-
furter Reformationsgeschichte, welchen Charakter der
Bekenntnisstand der Stadt trug, so finden wir, daß noch
alles stark im Flusse war. Man ließ sich an der allgemeinen
Bestimmung, daß „das Evangelium“ gepredigt werden
solle, genügen. Einer bekenntnismäßigen Formulierung
dieses Evangeliums war man noch nicht näher getreten.
Die Augustana hatte man nicht unterzeichnet. Mit der
Lehre Zwinglis wollte man nichts zu schaffen haben.
. Aber auch Luther gegenüber wahrte man die eigene
Selbständigkeit. Die Kirchenordnung von 1530 zeigte,
daß man das Gute nahm, wo man es fand, ohne viel nach
Namen und Autoritäten zu fragen. Es war ein Unions-
typus im Entstehen begriffen, wie er sich besonders
charakteristisch in Straßburg ausgebildet hat. Dieser
Unionstypus hat sich in der Folge weiter ausgebildet,
und es sind vor allem die Straßburger Theologen ge-
wesen, die dabei als Führer und Berater ihre Dienste
Zweiter Teil.
Bis zur Entstehung der Fremdengemeinden.
1. Die „Ermahnung“ Capitos von 1536.
Die Beziehungen zwischen Frankfurt und StraBburg
welche wir bei der Auseinandersetzung mit Luther zum
ersten Male nachweisen kónnen, setzten sich in der Folge
1) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denckmahl S. 178ff. Genaueres
über diese Vorgänge bei Dechent I, 139ff.
245
fort, und unter ihrem Einflusse gewann in der Stadt
jener oberdeuteche Unionstypus, wie er uns bereite in
der Kirchenordnung von 1530 entgegengetreten ist,
festere Gestalt.
Den Anlaß zum Ausbau der Straßburger Beziehungen
bot zunächst Melander!) Dieser eiferte am Sonntag
Kantate 1534 auf der Kanzel gegen die Bilder in der Kirche
und wollte dieselben durchaus abgeschafft wissen. Hier-
über wie auch über einige Zeremonien geriet er in Streit
mit seinen, Kollegen, in dessen Verlauf der hitzige, um
die Reformation in der Stadt hochverdiente Mann seinen
Rücktritt vom Amte erklärte. Zu diesen Differenzen
kam noch der Anstoß, den er durch einen ärgerlichen
Ehehandel gab. Der Rat wandte sich, um Frieden und
Ordnung zu stiften, durch Vermittlung Butzers, der seit
Ende 1534 vorübergehend in Tübingen weilte, wo er mit
Ambrosius Blaurer aus Konstanz und Simon Grynäus
aus Basel an der Ordnung des württembergischen Kirchen-
wesens und der Beilegung dogmatischer Streitigkeiten
arbeitete?), nach Straßburg und bat um Sendung eines
gelehrten Geistlichen, etwa Hedios oder Capitos. Die
Straßburger warteten daraufhin zunächst die Rückkehr
Butzers ab, der über den Jahreswechsel auf der Heim-
reise von Kassel sich in Frankfurt aufgehalten und hier
mit den Predigern und dem Rate über die Wiederzu-
lassung der Messe im Dom verhandelt hatte?), und schickten
dann Capito, der am 25. Februar 1535 in Frankfurt
eintrafundalsbald versuchte, denStreitgütlich zu schlichten,
was freilich bei dem schwierigen Charakter Melanders
nur teilweise gelang.
Über seine Bemühungen unterrichtet uns seine
„Ermahnung an den Rat‘), in welcher er zur Schaffung
fester kirchlicher Verhältnisse folgende vier Artikel emp-
fahl: „Zum ersten daß der Predicanten Unruwe und
1) Vgl. K. Gesch. 8. 35.
2) Baum, Capito und Butzer. 8. 499.
3) Baum, S. 501.
) Bei Ritter S. 329ff.: D. Wolffgang Capitonis an ein Ehr-
bern Rath zu Franckfurth beschehene Ermahnung.
246
Beschwerd würd gar hingelegt. Zum andern die daß
Ursachen bekant weren, so ain Ehrsamen Rath für Par-
theiung in Burgerlicher Handlung verhüten mogen,
obschon der Religion halben ein Mißverständnüß ver-
handen. Zum dritten daß Seniores Ecclesiae, Ältere
der Kirchen und andere Ordinantzen die Geistlich-HauB-
haltung belangend angericht wurden. Zum vierten daß
statlich Schulen aufgericht und geschickte Franckfurter
Kind zur Lere fürnemlich zur heiligen Schrifft auferzogen
wurden.“
Der. Standpunkt Capitos ist der der Tetrapolitana,
auf die er sich in seinem zweiten Artikel ausdrücklich
bezieht. In Übereinstimmung mit ihr erklärt er: „Die
Sach und Sacrament Handlung ist ainerley, aber die
Gmüter sein verwirret.‘‘ Schon hier kommt der Streit-
punkt zum Vorschein, um den sich dann später die Aus-
einandersetzungen mit den Fremdengemeinden vor allem
und immer wieder bewegt haben, die Ubiquitätslehre:
„Die so man Luthers heist“, gibt der Straßburger Berater
zu erwägen, „haben zu bedencken daß nyemant vnter
der Sunnen ist der offentlich sage, daß niehts den Brod
vnd Wein im Nachtmal sei, vnd daß es lere Zaichen
seien, sonder wo die Kirche ist, da ist Christus welcher
dureh Wort und Sacrament oder Zaichen dem Glaubigen
Gwissen im Dienst der Kirchen dargereicht wird, dann
allein ist widderfochten die Localis Presencis raumliche
Gegenwartigkeit und natürliche Vereinigung des Leibe
Christi mit dem Creaturischen Brot." Die Zwinglianer,
die ‚sich achten inn hohern Verstand kommen sein,
die sollen die vberigen so noch an Ceremonien oder Ele-
menten etwas hangen mögten, als die Geringern nicht
verachten, wofür das Bedenken an Röm. 14 erinnert.
Zwei leitende Gesichtspunkte weist Cápito auf: der christ-
lichen Gemeinde Besserung und sodann der Stadt Ehre
und Nutzen. Und hier ist es, wo am Horizont die Idee
eines paritätischen Staates heraufzieht, und zwar nicht
wie in späterer Zeit als Forderung und Ideal der Unter-
drückten und Verfolgten, sondern als wirkliche Toleranz
auf dem Boden des gleichen Gemeinwesens: , Wo auch
247
dergleichen Zertailung bey E. E. W. were, so wolle jeder
den andern für ain frommen Franckfurter achten ob
Ire schon nit alle ain an der für fromme Christen und
Gottverstündigen halten mögen, das ist von nöten.“
Schon diese Anschauungen Capitos sind von den-
jenigen Luthers erheblich verschieden. In besonders
charakteristischer Weise kommt sein abweichender Stand-
punkt aber in dem dritten Artikel!) „von Eltern. der
Kirchen vnd Kirchen-Ordinantzen zum Ausdruck. Hier
kennzeichnet sich die Straßburger Haltung, die, vom
Täufertum beeinflußt, später durch Calvin diejenige der
reformierten Kirche geworden ist, zunächst dadurch,
daß ihm zufolge das geistliche Regiment die Gewissen
erbaut nicht nur durch Wort und Sakrament, sondern
auch durcb ,,Brüderliche Straf und dergleichen“, während
die Augustana von einer Kirchenzucht nichts weiß.
Doch will Capito der Zucht ihre Grenzen ziehen. Sie
soll wirklich eine Zurechtweisung mit sanftmütigem
Geiste sein, nach der Regel Pauli Gal. 6. Der Bann soll
nur mit Genehmigung des Rates von der Kanzel aus über
ein Gemeindeglied verhängt werden, wenn die durch
Matth. 18 vorgezeichneten Wege nicht zum Ziele geführt
haben. Im übrigen soll man das Urteil über die Menschen
Gott überlassen und allewege das Beste von ihnen erhoffen,
wegen zeitlicher Strafen aber sich an die Obrigkeit wenden.
Sodann offenbart sich der Unterschied von Luther durch
das Bekenntnis zum Gemeindeprinzip. Dem zeitlichen
Regiment steht nur, die euserliche Regierung der Kirchen“
. zu, und auch diese nur, „so es ein glaubigliches Volck
ist". Das geistliche Regiment aber ist „,bei der Kirchen,
und nicht allein bei den Dienern der Kirchen, viel weniger
bei der zeitlichen Obrigkeit“; die Berufung an die &xxAnala,
wie sie Matth. 18 vorgesehen ist, muß auch bei uns statt-
haben können. Als Organe der Gemeinde genügen Capito
auch die Kasten-Herren?) nicht, denen die Armenpflege
3) Abgedruckt bei Richter, Gesch. der ev. Kirchenverfaesung
in Deutschland, 8. 159—166.
3) Über die Neuordnung des Almosenkastens seit 1530 vgl.
Dechent S. 182.
248
oblag. Er will vielmehr fromme, ernste, eifrige und be-
scheidene Männer zu Ältesten des Volks und Verwesern
der Kirche aufgestellt wissen, wofür ihm als Vorbild
übrigens nicht die Ordnung der Pastoralbriefe, sondern
die mosaische dient. Drei dieser Ältesten sollen vom Rat,
wenigstens sechs von der Gemeinde erwählt werden,
und zwar in einem Turnus, daß keiner über drei Jahre
bleibt. Diese Ältesten mit den Dienern am Evangelio
und den Diakonen samt anderen Ämtern „sein die Kirch“,
die sich also — ein ganz moderner Gedanke — wesent-
lich als Arbeitegemeinschaft darstellt. Für notwendig
werden die Ältesten, die mit den Dienern zu verwalten
haben, was der Kirche gebührt, namentlich deshalb
erklärt, weil ohne ihre Aufsicht die Prediger, wie man
z. T. schon in der Stadt beklagt hat, sich dünken ließen,
über und wider alle Gewalt der Erde gesetzt zu sein.
Capito schlägt nun vor, in der Frankfurter Kirche, „, der
Diener vnd Ältern halb diese Ordnung vngefehrlich an-
zurichten, daß die Pfarrer vnd Prediger inn der Stadt
vnd nächst-gelegenen Dörffern alle 14. Tage oder ehe
jederzeit Gelegenheit nach zusamen kemen, vnd drey
Älter zu inen, also daß in der vierten Versamlung an jedes
stat ein newer anging, vnd mit ine inn solche Ordnung
bracht werde, daB allweg zween fürhanden, die auch
bei nechster Versamblung gewesen; oder möchte die
Veränderung der Person weiter erstreckt werden, vieleicht
auf ain virthail Jars, oder wie Euch jederzeit Erfarung
leren wird.“ Diese Kirchenversammlung, auch Pfarr-
konvent oder Kirchenrat oder Versammlung der Brüder
genannt, berüt unter einem Vorsitzenden über die ganze
Haushaitung der Kirche, namentlich Zeremonien, brüder-
liche Ermahnung, Strafe der Laster, Ordnung der Prediger
und Materie der Predigten, um Trennung zu verhüten.
Jede Zusammenkunft wird von dem Vorsteher mit einem
Gebet und einer kurzen biblischen Betrachtung eróffnet.
Capito hält für nötig, noch besonders einzuschürfen:
„Was aber zu beratschlagen, soll auch mit Ordnung
vnd Dapferkeit fürgenommen werden, dabei sich jeder
geweenen soll dem andern zu weichen vnd mit nichten
249
sich erzürnen zu lassen auch zu redden mit Ere erbietlichen
Worten, vf daß nit alle Ding fürter so grob vnd flaisch-
lichen abgehen.“ Besonders hat sich der Konvent mit
Lehre und Wandel der Geistlichen zu befassen, dann
aber auch mit der Handhabung der Kirchenzucht. Die
kirchlichen Ordnungen, die er "beschließt, unterliegen der
Genehmigung durch den Rat, „sunst wurd gar bald
wieder einwachsen ain Regiment neben einem Erbaren
Rat in euserlichen Dingen daß nit sein soll, dann aus
solchem ist der schadlich Gwalt der Gaistlichen ent-
standen. Soweit Dinge im Konvent zur Sprache kommen,
die ohne weiteres zur Zuständigkeit des Rates gehören,
sind sie, der bestehenden Ordnung gemäß, durch die Kasten-
Herren an den Rat zu bringen und jedenfalls vom Konvent
nicht weiter zu behandeln als nötig. Endlich liegt dem
Konvente auch noch die Aufgabe ob, die Diener und
Pfarrer auszusuchen und sie dem Rate zur Anstellung
zu empfehlen, nachdem sie gepredigt, dem Volke gefielen
und ihre Lehre und Leben erkundigt wäre. Schnellen
. Wechsel der Pfarrer, wie er bei der bisherigen Anstellung
auf ein Jahr oft vorkam, widerrüt Capito. Läßt einer
von ihnen es an sich fehlen, so soll man versuchen, ihn
zu bessern; die neuen aber stelle man mit dem Vorbe-
halte an: solange sie ihrem Dienste treulich vorstünden,
oder nach dem Brauche der anderen Kirchen überhaupt
ohne jeden Vorbehalt, nur mit dem Auftrage: die Ge-
meinde zu weiden im Wort. Mit der Warnung, sich mit
Ánnahme und Einführung von Kirchenübungen auf das
MindestmaB des Notwendigen zu beschränken und ab-
zuwarten, bis daß mit einhelligem Rat dieser Nation
solches erörtert werde, schließt der dritte Artikel, dem
der vierte im wesentlichen nur noch den Rat beifügt,
durch Einrichtung von Schulen für einen theologischen
Nachwuchs, am liebsten aus der Frankfurter Jugend selbst,
Sorge zu tragen. '
Das Straßburger Vorbild ist in dieser Ordnung un-
verkennbar. Auch nach der Straßburger Kirchenordnung
von 1534 liegt das Regiment zunächst in der Konvokation,
einer Synode, zu der die Prediger von 14 zu 14 Tagen
250
mit dreien von den Kirchspielpflegern zusammentreten,
welche die letzteren aus ihrer Mitte abordnen. Schwie-
rigere Sachen gelangen an die Gesamtheit der Kirch-
spielpfleger oder an den Magistrat. In der Gemeinde
üben die Kirchspielpfleger mit den Pfarrern die Zucht,
jedoch nicht in der strengen Form des Bannes, sondern
durch das Mittel der Ermahnung. Bei der Bestellung
der Geistlichen aber treten zu ihnen noch zwölf gottes-
fürchtige Männer hinzu, ‚die bey der gemeyn Christliches
wandels gute Zeügnus haben“, worauf alsdann in Ge-
meinschaft mit den Examinatoren die Wahl vollzogen
und, wenn der Erwäblte tauglich befunden worden, von
dem Rate bestätigt wird!).
Interessant ist nun aber zu beobachten, wie auf dem
Wege über Straßburg der Einfluß Zürichs nach Frank-
furt vermittelt worden ist. Der Frankfurter Rat hat,
als einmal die Fremdengemeinden entstanden waren, die
Kirchenzucht, welche diese nach Genfer Muster übten,
argwöhnisch beobachtet als einen Eingriff in seine Rechte.
Er übertrug die kirchliche Disziplin nicht dem Konvent,
auch nicht in der von Capito vorgesehenen Form der
brüderlichen Ermahnung, sondern behielt sie ausschließ-
lich sich vor. Hierin aber folgte er letztlich dem Vorbilde
Zwinglis, der der Obrigkeit ebenso wie Butzer die Aufgabe
zuschrieb, das Reich Gottes zu fördern und zu erhalten).
Es scheint indessen, als habe gerade dieser Einschlag
Zwinglischer Gedanken bewirkt, daB der Rat im übrigen
Bedenken trug, die unbetretenen Wege zu gehen, die
Capito wies. Zwar griff man in Frankfurt die Anregung
des Konvents auf. Längst vor der Ankunft der Fremden
berichtete der Prädikant Beyer es in einem seiner Briefe
als feststehende Übung: Solemus n. singulis septimanis
feria quarta convenire et ibi de ecclesiasticis negotiis
conferre sermones in monasterio Franciscanorum?). Und
1) Richter 8. 158f. Joh. Adam, Ev. Kirchengeschichte der
Stadt Straßburg. (Straßburg. J. H. Ed. Heitz. 1922.) S. 184f.
*) Richter S. 158.
2) Steitz, Hartmann Beyer 8. 23 Anm. 12. Steitz setzt den
Brief wegen der in ihm berührten Zeitverhältnisse 1549 an.
251
Poullain hat seine ersten Erklärungen über seine Auf-
fassung vom Nachtmahl in diesen Konventen gegeben.
Aber das Laienelement war von diesen Zusammenkünften
bezeichnenderweise ausgeschlossen. Überhaupt mochte
man sich nicht dazu entschließen, zur Einführung einer
so ausgebildeten Presbyterialverfassung!) zu schreiten,
die dem lutherischen Norden gegenüber als eine völlige
Neuerung um so verdächtiger gewesen wäre, je mehr sie
nach dem Sinne der Eidgenossen und der oberdeutschen
Städte war.
Blieb aber somit die „Ermahnung! Capitos im
Grunde nur eine gutachtlighe Äußerung, so ist es doch
auch so noch charakteristisch genug, daß man sich diese
Äußerung gerade von einem Straßburger erbat. Und
ebenso ist es bezeichnend, daB trotz der Zurückhaltung,
die man in diesem Falle geraten fand, der Faden zwischen
Frankfurt und Straßburg nicht abriß. Schon die nächste
Zukunft mit den Verhandlungen über die Wittenberger
Konkordie ließ ihn auch für die Öffentlichkeit sichtbar
werden.
Luther aber, zu dem man ebenso bezeichnenderweise
die Beziehungen aufrecht erhielt?), schrieb in jener Zeit
dem Rate: Non posui spem evangelii mei in Francfordiam
vestram?). Dem entsprach es denn auch, daß dem all-
gemeinen Urteil die Beziehungen zwischen Frankfurt und
Wittenberg für gespannt galten‘).
1) Sie bezeichnet das letzte Glied der Kette, die von Lambert
von Avignon zu Calvin führt. Vgl. Lechler, Gesch. der Presbyterial-
und Synodalverfassung seit der Reformation. S. 30f.
2) Die Prädikanten und der Rut wandten sich im Herbst 1535
an ihn und M»lanchthon wegen der Wiederzulassung der Messe
im Dom.
3) Bei Enders, Dr. Martin Luthers Briefwechsel X, 270.
) Hactenus autem inter Vos et Wittenbergenses (Ritter
S. 346: Wirtenbergenses ist Druckfehler, wenn nicht Verschlimm-
besserung) species dissidii alitur, schrieb Capito am 2. April 1536
an Algesheimer. F. R. II. Beil. 11. 8. 28.
Mitteilungen.
Zeitschriftenschau,
Landschaftliches. Über die Reformationsgeschichte von
Iugenheim in Rheinhessen handelt W. Hoffmann im A.
hess. G. u. A. NF. XIII 2, S. 163—172,
W.E.Schwarz, Herausgeber der , Akten der Visitation des
Bistums Münster... 1571—1573*, erörtert auf Grund eines
nachträglich zum Vorschein gekommenen Aktenstücks des Archivs
des hischöfl. Generalvikariats die Vorgeschichte dieser Visitation.
Z. vaterl. G. u. A. 79 I, S. 95—185.
Im Reformationsheft der Z. d. Ges. NdsKchs. KG. (Jahrg. 22, 1)
gibt F. Cohrs Listen der Niedersachsen und Niederländer,
die von 1502—1532 in Wittenberg studiert haben, nach den
Heimatsorten sowie der in W. ordinierten nieders&chsichen Geist-
lichen 1542—1560 mit Erläuterungen (S. 1—50). Ebendort ver-
öffentlicht Wolters die Protokolle der Kirchenvisitationen im
Erzb. Bremen 1588 mit Übersicht über die früheren Visitationen
(S. 51—122); stellt J. Regula die kirchlichen Selbständigkeits-
bestrebungen der Städte Göttingen, Northeim, Hannover und
Hameln 1584—1601 nach Akten des Göttinger Stadtarchivs dar
(S. 128—152); schildert Wolters die Kirchengemeinde Mulsum
(Dorf bei Bremervörde) im Reformationsjahrhundert (S. 158—165)
und gibt Fr. Günther Beitráge zur Kirchengeschichte von
Altona nach Kirchenrechnungen usw. von 1582 ab (S. 166—219).
Die in verschiedenen Fassungen überlieferte Urkunde tiber
die Vereinigung der hamburgischen Kirchspiele zur Abwehr
geistlicher Übergriffe (des Domkapitels) vom 2. September 1528
druckt H. Nirrnheim nach dem Original der St. Jacobikirche
ab. Z. V. Hamb. G. 21 2, S. 186—192.
Plantiko bespricht in den Monatsbl. der Ges. f. Pom. G.
u. A. April / Mai 1919, S. 18—19 die Beschlagnahmungen der Kloster-
kleinodien durch die Herzóge Georg und Barnim seit 1525 auf
Grund archivalischer Aufzeichnungen.
In Balt. Studien NF. XXII (1919) S, 85—141 schildert
derselbe mit Hilfe reichhaltigen, von M. Wehrmann zusammen-
253
gebrachten archivalischen Materials eingehend, und im einzelnen,
wie sich auf Grund der Kirchenordnung von 1563 das po m-
mersche Schulwesen entwickelt hat.
Kurze Mitteilungen über die im Danriger Staatsarchiv be-
lindlichen, bis 1580 surückreichenden Visitationsberichte des
Klosters Oliva gibt E. Wasohinski in Mitt. des Westpreuß.
GV. XX, Nrn. 8 und 4.
In lehrreicher Weise schildert A. Seraphim in Altpreuf.
Monatsschrift Bd. 58 1, S. 1—86 und 2, S. 71—104 die sosialen
Bewegungen in Altpreußen 1525, insbesondere den bäuerlichen
Aufruhr im Samlande und dessen Niederwerfung. Unter den
Zielen der Bewegung steht das Verlangen nach dem lauteren,
reinen Evangelium ohne menschliche Zusätze mit in erster Linie.
Auch die städtiche Demokratie in Königsberg hatte an die Be-
wegung der Bauern Hoffnungen geknüpft, die mit dem Fehl-
schlagen jener begraben wurden.
Beiträge zur alt preuß. Reformations- und Literaturgesch.
gibt Pf. Lic. Benrath in einer ausführlichen Arbeit über „die
fünf Agendenreformen unter Herzog Albrecht“. Altpreuß. Monats-
schrrift 57, S. 235—265; 58, S. 37—63, 153—175.
Ausland. Eine eindringende Untersuchung über „das
Verhältnis der schweizerischen zur deutschen
Reformation“ führt P. Wernle zu dem Ergebnis: Die
Reformation, aus dem Zusammenwirken der allermannigfaltigsten
Faktoren hervorgegangen, ist als religiöse Bewegung das Werk
Luthers und seiner Jünger und insofern geht auch die
schweizerische Reformation durchaus auf Luther zurück in allen
‚Landesteilen der Schweiz ohne Ausnahme. Trotzdem kann von
einer schweizerischen Reformation als selbständiger Größe ge-
redet werden dank Zwingli, der zu dem lutherischen Grundstock
so viel Eigenes aus seiner Seele und seinem Charakter hinzu-
gebracht hat, daß daraus ein selbständiger Typus der Refor-
mation werden mußte. Kurz: durch Luther in die Reformations-
bewegung hineingezogen, haben die Schweizer mittels Zwinglis
etwas Selbständiges und Eigenes daraus gemacht. Basler Z. f.
G. u. A. XVII 2, S. 297—815, — An dem gleichen Orte Bd. XVII I,
8.1—119gibt E.Staehelin eine sehr dankenswerte Oekolampad-
Bibliographie für das 16. Jahrh, d. i. ein chronologisch
geordnetes Verzeichnis der im 16. Jahrh. erschienenen Oekolampad
Drucke in 226 Nrn, gedacht als Vorarbeit zu einer geplanten
Darstellung des gesamten Oekolampadischen Schrifttums. — End
lich untersucht der nämliche a.a. O. XVI 2, S. 367—392 „Die
beruflichen Stellungen Oekolampads während seiner vier Basler
Aufenthalte“.
In der literarischen Umschau der ZK G. 39 (NF. II) S. 166—176
bespricht E. Staehelin die Zvingli literatur der Jahre
1913—1920.
254
In Zwingliana 1990, Nr. 1 (Bd. III, Nr. 15) gibt
W. Wuhrmann die Bibliographie des Zürcher Reformations-
jubiläums 1919 (S. 477—486); und handelt J. Pfister über
Bullingers, von diesem mit Strichen und Notizen usw. bereichertes
Handexemplar des Tertullian (Ausgabe Froben, Basel 1521), um
zu zeigen, wie Tertullians Schriften zur Abklárung und Befestigung
der evangel. Glaubensüberzeugung Bs. beigetragen haben (8. 486
bis 494). In 1920, Nr. 2 (Bd. III, Nr. 16) stellt R. Hoppeler die
Lebensnachrichten des letzten Embracher Stiftspropstes Heinrich
Brennwald, t 1551 zu Zürich, fest (S. 509—514) und verbreitet
sich Jos. Th. Müller über die Böhmische Brüderunität und
Zwingli, mit Beigabe eines (verdeutschten) tschechischen
Schreibens aus dem Herrnbuter Archiv (8. 514—524); endlich
verfolgt K. Gauf die Schicksale des Dichters Valentin Boltz im
Zürcher und Glarnerland 1541—1542 (S. 521f.).
.In scharfsinniger Untersuchung weist K. Müller. den als
„Libertinern“ verdächtigen Gegnern Calvins, einem Pocque,
Quintin und Genossen, ihren Platz unter den quietistischen
Mystikern nikodemitischer Art an und zeigt, auf welchem Wege
Calvin zu seinen Nachrichten über die „Sekte“ (der Libertiner)
gekommen ist. ZK. 40 (NF. 8) S. 88 — 129.
Das Bulletin de la Soc. de ]' hist. du protest. francais
65—68 (1916—1919) bietet eine größere Reihe von Beiträgen zur
meist örtlichen Reformationsgeschichte Frankreichs. Wir ver-
zeichnen daraus: 65, 97—113 H. Aubert, Marie de Lur6 dame
de la Noue (Gattin von Francois de la N., gen. Bras-de-Fer),
mit Briefen an Beza 1596—1600; über den Sohn des Francois,
den hugenottischen Dichter Odet de la Noue handelt
G. de Pourtalés ebenda 67, 8.81—111 (Art. 1). — 65, 165—177
J. Roman, Le meurtre de Louis Aymé à Gap en.Dauphiné (im
ersten Religionskriege). — S. 195—235 N. Weiß, Episode de la
réforme à Paris, l'assembleé de la rue S. Jacques 4—5 sept.
1557. — 66, 2929—34 und 126—186; 67, 28—43 M. Go det, Les
Protestants à l' A b b 6ville1560—1572: dazu Listen der des Calvinis-
mus Verdächtigen 67, 48—61; 115—122, — 66, 187—141 H. Aubert,
Les débuts de l' église de Marseille (nach einem Dok. von
1559). — 66, 828—888. G. dePourtalóés, 4textes du psaume 42
(1548—1555) — 66, 68—78 J.Pannier, Anciens lieux de culte
prot. autour de Soissons et de Laon. — (7, 113—115 H. Aubert,
Une lettre inédite de Calvin à Farel (von 1514, aus der
Bibl nat) — 67, 162—183 N. Weiß, Louis de Berquin, son
premier procès et sa retractation (1523), mit Dokk. S. 909—411. —
68, 1—15 N. Weiß, Le premier traité prot en francais (La
Summe de ! escripture saincte 1528).
Einen Beitrag zur Gesch. der italienischen Ref. liefert
E.Rodocanachi,L'attitude des autorités civiles et religieuses
à T égard de la réformation en Piémont au 16 siècle (von
255
Margarete von Frankreich bis Emanuel Philibert) im Bull. de la
Soo. de l' hist. du prot. francais 67 (1918), 128—150.
Aus Bijdragen en mededelingen van het Historisch Genoot-
schaf, 41. Deel, Amsterdam 1920 ist zu notieren: S. 1— 197 Mej.
G. Gros heide, Verhooren en Vonnissen der Weder“
do pers betrokken bij de Aanslagen op Amsterdam 1584/1535;
S. 198—220 A, Hulshof, Extracten uit de rekeningen van het
Sehoutambacht van Haarlem betreffende Wederdoopers
te Amsterdam en te Haarlem; S.221—231 Derselbe. alfa-
betisches Register zu den beiden voraufgehenden Veróffent-
lichungen; S. 389—246 P. J. Blok, Bref van den Utrechtschen
Burgemeester Aernt Dirssz van Lejden over zijne zendung naar
den prins van Oranje, Antw. 26/9 1579.
Die am 12. April 1920 in Krakau begründete Gesellschaft zur
Erforschung der Gesch. der Ref. in Polen gibt unter Leitung
des Univ.-Prof. Stanislaus K ot eine Zeitschrift „Reformacya
w Polsce“ heraus, von der drei Hefte vorliegen (Jahrg. von zwei
Heften je 80 S, = Mk. 100,—). Heft I bringt einen Aufsatz von
A.Brückner-Berlin, „Einige Worte über die polnische Ref.“,
in dem er den starken Einfluß der Ref. auf das polnische Geistes-
leben zeichnet; eine Abh. von Kot über die Schule in Princzew,
die erste prot. Schule in Polen. J. Czubek gibt eine kleine
Ergänzung meiner Thretiusbiogr. (1907); J. Plasnik schildert
die Entwicklung des protestantischen Buchhandels in Krakau;
E.Berwinski handelt über die Stellung K. Sigismunds III su
den Dissidenten; W. Sobieski berichtet über ein unitarisches
polnisches Gebetbuch im Brit. Mus.; endlich teilt Kot einen
Brief des Grafen Joh. Ternowski vom 8. 8. 1560 an Calvin mit.
— Heft II: Brüokner bespricht N. Reys Werk „der Kauf-
mann“, das von Naogeorgus’ Mercator seu Judicium wesentlich
abhängig ist; V. Fija le k behandelt den samogitischen Freund
der Ref. Joh. Tortylowioz-Batocki; Kot handelt über die polni-
schen Studenten in Basel; W.Bobieski gibt einen Beitrag
zum Lebensbilde des Unitariers Martin Ruer aus Holstein;
J. Wlodek berichtet über den Reformer der Landwirtschaft in
England, Samuel Hartlieb, geb. 1600 in Posen. — Heft III
(Jahrg. II, 1): K. Kolbussewski sehreibt über die husitische
Bewegung in Polen und ihren Einfluß auf die Literatur;
J. Plasnik über die evangel Buchdrucker Krakaus im
16. Jahrh.; L. Chm aj über Andreas Wissowetius, Enkel Sozins,
als religiösen Denker und Kämpfer; St. Zacherewski „die
ätlesten Synoden der poln. Arianer" veröffentlicht Synodalakten
16601570 (Forts. der 1898 von Dalton hrsg. Lasciana-Synodal-
protokolle Polens 1555—1661). Zacherewski fand die Synoda?
akten hsl in Klausenburg, wohin die poln. Arianer (Unitarier)
sie bei ihrer Vertreibung aus Polen 1660 gerettet haben. Die
Veröffentlichung wirft helles Licht auf die Entstehung der
256
unitarischen Kirche Polens und läßt uns die Nachrichten, die
Lubieniecki in seiner Hist. ref. Polon. bietet, nachprüfen. Von
deutschen Gelehrten hat der Königsberger Konsistorialrat Fr.
Samuel Buk diese Akten noch besessen, und in seiner Bibl. Anti-
trinitariorum verwertet; seitdem waren sie verschwunden. —
Heft IV: In ihm bietet Brückner einen Aufsatz über den
literarischen Einfluß des bekannten Nikolaus Rey, des polnischen
tantische Polemik gegen die Jesuiten zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts, an der sich neben Zygrovius, Mikolajewski, Biskupski
auch der Thorner Joh. Turnowski beteiligte. Nach den Akten
des Przemysler Kapitels berichtet Joh. Kwolik über Ab-
schwörungen des evangel. Glaubens unter dem Bischof Valentin
Hierburt (1560 — 1572); L. Wachhols in Krakau bietet z. T. auf
Grund archivalischer Forschung eine ziemlich vollständige Chro-
nologie der ev. Gemeinde in Krakau. L. Ch maj veröffentlicht
den zweiten Teil seiner Studien über Andreas Wissowetius, den
Enkel Sozins. Er bespricht hier besonders dessen Hauptwerk
Religio noturalis und die Polemik Leibnitz’ wider dasselbe.
Wedkiewicz behandelt den Einfluß der polnischen Pro-
testanten auf die Anfänge des rumänischen Schrifttums, Dr. e i
die Monogramme und Akrostychen in verschiedenen alten
polnischen evangelischen Liedern; Budka bringt den Text der
Warschauer Konfüderation 1578, der magna charta religióser Frei-
heit in Polen, zum Abdruck mit ihren 98 Unterschriften. — Die
nämliche Gesellschaft nimmt die Herausgabe des Briefwechsels
Melanchthons mit Polen und eine Sammlung von Liedern.
Gesangbüchern, Katechismen und Synodalakten in Aussicht.
- Th. Wotschke.
Einen wertvollen Beitrag zur Poln. Ref.-Gesch. gibt ferner
K. Volker in seiner Untersuchung über den „Kampf des
Adels gegen die geistliche Gerichtsbarkeit in seiner Trag-
weite für die Reformation in Polen“. Harnack-Ehrung
S. 317—327. — Derselbe bespricht in ZKG. 39 (NF. II) S. 176—187
die jüngsten Erscheinungen zur RG. Polens.
Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten
Theologen der polnischen Ref, bis zu seinem Bruch mit der
reformierten Kirche (1562) stellt Th. Wotschke unter Beigabe
von sechs Briefen aus dem Herrnhuter Archiv in Z.f. Brüdergesch.
XIV, S. 1—32 dar.
Hutten; in einer zweiten Abhandlung wee die protes-
Druck von C. Schulze 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.
ARCHIV
RERORMATIONSGESCHICHTE.
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.
—
Im Auftrag
des Vereins für Reformationsgeschichte
herausgegeben von
Dr. theol., jur. et. phil. Walter Friedensburg.
XX. Jahrgang. 1923.
Nachdruck mit Genehmigung vom Verein für Reformationsgeschichte
KRAUS REPRINT LTD.
Vaduz
1964
Printed in Germany
Lessingdruckerei Wiesbaden
Inhaltsübersicht.
Otto Clemen, Prof, Dr. in Zwickau i. Sa., Ein Lather-
autograph im Privatbesitz in Nijmegen s
K. Schornbaum, D. Dr. Pfarrer in Alfeld bei Hersbruck,
Die nen Norma doctrinae
1578, IT, IH . . . . . 65-197;
Nebelsieck, 3 in Weterlingen, Vier Refor-
mationsbriefe aus dem Arolser Archiv
G. Bossert, D., Pfarrer a. D. in Stuttgart, Ein aibo:
kanntes Stück aus dem Leben des Flacius
Wilhelm Stieda, Prof. Dr. in Leipsig, Jakob Schenck
und Universität Leipaig
K. Bauer, Lic. theol., Bie in Münster,
Der Bekenntnisstand d. Reichsstadt Frankfurt a, M., II
“Mitteilungen: W.Friedensburg, Ein Brief Aurifabers
an Flacius (1549) S, 62— 65; „Acontius“ 8. 176. —
Th. Wotschke, Ein Sammler van Melanchton-
briefen S. 65f.; Offener Brief an den Präsidenten
des Augsburg. Konsistoriums in Warschau 8. 176 f.
— Buchwald, Zur Mathesiusforschung S. 67 —
Neuerscheinungen S. 67— 79.
Seite
109—196
88— 48
49—61
78—101
197—174
Ein Lutherautograph im Privatbesitz
in Nijmegen.
Von Otto Clemen.
Zuletzt bei Enders-Kawerau, Luthers Briefwechsel 15
(1914), S. 300 Nr. 3357 ist eine Bibelinschrift Luthers von
1543 abgedruckt, die an 17 Kor. 15, 55 und Jes. 25, 8 an-
knüpft. Das Original befinde sich im Martinsstift in Erfurt.
Ebenda werden zwei Faksimilia erwähnt: „in Keyser, Re-
formations-Almanach 1817, S. XCI und in Joh. Falk, Dr.
Martin Luther und die Reformation in Volksliedern, Leipzig
1830", sowie zwei angebliche Originale, von denen das eine
ursprünglich der Nikolaikirche in Hamburg gehörte, dann
in Privatbesitz überging und 1907 von der Firma Jos. Bär
& Co. in Frankfurt a. M. zum Kauf angeboten wurde, während
dag andere 1898 im Besitz des Lehrers Schwarz in Bad
Essen (Bez. Osnabrtück) war.
O. Albrecht schreibt dagegen in den Theolog. Studien
und Kritiken 1915, S. 99f. über unsere Bibelinschrift folgendes:
„In der Erlanger Lutherausgabe 56, S. LXX Nr. 882 ist
durch D. Neudecker eine Eintragung Luthers aus einer Bibel
abgedruckt, die sich „in der Bibliothek des Erfurter Augustiner-
klosters“ befand. Die Bibel ist dort verschollen. Vorbanden
aber sind zwei Faksimiles, ein minder gutes, mittels Durch-
pausens hergestelltes, in der Bibliothek des Martinsstifts, wo
es in einer Bibel von 1541 eingeklebt ist, und ein gutes,
durch Phototypie gefertigtes, in der Lutherzelle*. Endlich
sandte mir der Erhaltungsrat des Erfurter Martinsstifts im
Juli 1920 die Auskunft, daß dort weder das Original noch
eine Kopie der Inschrift vorhanden wäre und in der Luther-
zelle „nur die verkohlten Ueberreste einer 1872 in den
Brand geratenen Bibel“ und eine Lithographie des Luther-
autographs unter Glas und Rahmen aufbewahrt würden. Bei
der sattsam bekannten Pünktlichkeit Albrechts möchte ich
eigentlich dessen Angaben den Vorzug geben. Aber lassen
wir die Diskrepanz zwischen seinen Angaben und jener Aus-
kunft auf sich beruhen, halten wir uns an das beiden Nach-
richten Gemeinsame, daß jetzt in Erfurt keinesfalls mehr das
Original der Inschrift vorhanden ist, wohl aber — gleich-
Archiv für Reformationsgeschichte. XX. 1/2, 1
2
gültig, an welcher Stätte — die Bibel von 1541, und mustern
wir die früheren Nachrichten über das Lutherantograph!
Die Wünde der alten Lutherzelle, d. h. wie sie be-
Schaffen war vor der Restauration nach dem Brande von
1872, waren über und über mit Inschriften und Bildern be-
deckt!) 1677 erschien nun eine Schrift: „Wahrer Abdruck
derer Schriften, welche in der gewesenen Mönchszellen des
theuren Mannes Gottes Herrn D. Martin Luthers in dem
Augustinerkloster zu Erffurt, drinnen jetzo das Evangelische
Waisenhaus ist, angemahlt zu befinden.“ In der 2. Auflage
von 1702 werden die Bücher, die damals in der Lutherzelle
vorhanden waren, beschrieben, darunter: „Altes Testament
von 1541 mit eigenhändigen Eintragungen von Luther und
anderen Reformatoren“ ). Dagegen lesen wir im Keyserschen
Reformations-Almanach 1821 in einem Aufsatz von Joh. Fr.
Möller, damals Diakonus an der Barfüßerkirche in Erfurt,
in dem der damalige Zustand der Lutherzelle beschrieben
wird, daß damals zwar jene Ausgabe des Alten Testaments
ebenda noch vorhanden war, daß man aber die Vorsatzblätter,
„auf welchen wie zur freundschaftlichen Erinnerung D. Luther,
Bugenhagen, Jonas und Agathon®) biblische Sprüche mit Aus-
legung niedergeschrieben haben“, herausgelöst und unter
Glas und Rahmen in der Fenstervertiefung zu beiden Seiten
aufgehangen hatte“). Diese Autographen werden noch 1830
1) Nach Joh. Biereye, Die Erfurter Lutherstätten nach ihrer
geschichtlichen Beglaubigung, Jahrbücher der Königl. Akademie ge-
. meinnütziger Wissenschaften zu Erfurt N. F. Heft 48 (1917), S. 189,
findet sicb eine Abbildung im Keyserschen Reformationssimanaeh von
1891. In dem Prachtwerk „Im Morgenrot der Reformation“ (Hersfeld
1912), S. 869 ist ein „Stahlstich nach einer Zeichnung von G. C. Wilder
1824“ reproduziert. — Daß übrigens Biereye S. 199 mit seiner Ver-
mutung, daß man bis 1561 in Erfurt nicht vergessen habe, welche
Zelle Luther zuletzt bewohnt hatte, recht hat, bestätigt der Brief des
David Chytraeus in Rostock an Andreas Poach in Erfurt vom 15. Juni
[1568), in dem er diesen bittet, zweier seiner Zuhörer, die nach Erfurt
reisen, ,templa praecipua et cellam Monasterij Augustinensis, in qua
Lutherus hebitauit, et Collegia Academie et alia isthie aks zeigen
zu lassen, Der Brief ist faksimiliert in meinen „Handschriftenproben
aus der Reformationszeit“.
*) Biereye 8. 189.
) Philipp Agathon, gest. 1548 als Pfarrer von Querfurt, vgl.
G. Kawerau, Justus Jonas’ Briefwechsel 2 (1885), S. 162; P.
Flemming in der Ztschr, des Vereins f. Kirchengesch. der Provins
Sachsen 16 (1917), S. 11 Anm.
) Biereye 8. 195. — Auf dem Stahlstich von 1624 sind die
Tafeln in der Fensternische deutlich zu erkennen. l
3
unter den Sehenswürdigkeiten der Lutherzelle als „unter
Glas und Rahmen auf beiden Seiten des Fensters aufge-
hangen“ erwähnt (Joh. Falk, Dr. Martin Luther in Volksliedern.
Im Luthershofe zu Weimar, im Martinsstifte zu Erfurt und,
bei K. H. Reklam in Leipzig 1830, S. 112), desgleichen „das
Alte Testament von 1541, aus welchem sie herausgenommen
sind“. Interessanterweise werden hier nun aber nicht nur fünf
sondern sieben Autographen erwähnt, nämlich auch noch Hand-
schriften von Melanchthon und Cruciger. Es drängt sich
uns die Vermutung auf, daß diese beiden letzteren Hand-
schriften auf Blätterrückseiten standen und, wenn die Blätter
—an der Wand hingen, nicht zu sehen waren. (Auf dieses
Detail werden wir unten noch einmal zurückkommen.)
Nach alledem scheint die Sache so zu stehen:
1. Das alte Testament von 1541, das 1702, 1821 und
1830 als in der alten Lutherzelle zu Erfurt befindlich er-
wähnt wird, war ein Exemplar des Weimarer Lutherausgabe,
Deutsche Bibel I], S. 637 ff. Nr. 69 beschriebenen Druckes.
Exemplare dieser Ausgabe legte man mit Vorliebe den
Wittenberger Reformatoren zu Einzeichnungen vor. Solche
Exemplare mit Einträgen von der Hand Luthers u. a. werden
S. 722 fl. aus Breslau, Dessau, Helmstedt erwähnt. Das
Erfurter Exemplar entging mit knapper Not dem Brande von
1872; die „verkohlten Ueberreste“ sind jetzt noch vorhanden.
2. Schon vor 1821 wurden die Originalautographen
herausgelöst und unter Glas und Rahmen zu beiden Seiten
des Fensters an die Wand gehängt. Sie sind verloren
gegangen — wohl bei dem Brande von 1872 —; für das
Lutherautograph bietet eine Lithographie, die jetzt in der
restaurierten Lutherzelle unter Glas und Rahmen hängt,
kümmerlichen Ersatz.
Vielleicht sind wir nun aber damit doch noch nicht am
Ende. Vielleicht ist nämlich das Original des Lutherauto-
graphs doch noch erhalten, der Katastrophe von 1872 ent-
ronnen oder schon vorher aus Erfurt ausgewandert. Vielleicht
taucht es jetzt an einem ganz anderen Punkte wieder auf.
Herr F. J. A. Werners, Kaplan an der St. Augustinerkirche
in Nijmegen (Holland), schickte mir jüngst auf Veranlassung
des Herrn Prof. Grisar freundlichst Photographien in Original-
größe von einem Blatte, das er erworben hat und das auf
der einen Seite die uns hier beschäftigende Bibelinschrift
Luthers, auf der anderen aber eine Eintragung Melanchthons
aus demselben Jahre 1543 trägt. Letztere ist das Stück
Corpus reformatorum V (1838), col. 278 Nr. 2838!) Auch
1) Z. 4 heift es auf der Photographie richtig „samens“statt „Sohnes“,
1*
4
Melanchthon kntipft darin an ein Bibelwort, und zwar Jes.59, 21
an. Im Corp. ref. findet sich zu dieser ‚Insoriptio‘ die Be-
merkung: ‚Inscripta manu Melanthonis bibliis, quae sunt in
bibliotheca Monasterii August. Erfordiae‘. Diese Bemerkung
erinnert uns an die Ueberschrift zu dem Lutherautograph in
der Erlanger Ausgabe: ,Inschrift von Luthers Hand in einer
Bibel, 1543. Diese Bibel hefindet sich in der Bibliothek
des Augustinerklosters zu Erfurt. Dr. Neudecker“. Aller
Wahrscheinlichkeit nach hat Neudecker, der in der Zeit
1832—38 von Gotha einmal nach Erfurt herübergereist war"),
in der dortigen alten Lutherzelle das Lutherautograph und
von der Rückseite des Blattes (s. o.!) das Melanchthonauto-
graph kopiert und bei der Mitteilung seiner Kopien an die
Erlanger Ausgabe und an das Corpus reformatorum beide
Male die Tradition weitergegeben, die er an Ort und Stelle
gehört hatte, daß nämlich das Blatt einer Bibel entstamme,
die ursprünglich dem Erfurter Augustinerkloster gehört habe.
Nach den vorzüglichen Photographien zu urteilen, ist an
der Echtheit der Schriftzüge der beiden Reformatoren auf
dem Nijmegener Blatt kaum zu zweifeln, und der Umstand,
daß es auf der Rückseite jene Melanchthoninschrift aufweist,
scheint den Rest von Mißtrauen zu verscheuchen, das man
zunächst dem Blatt entgegenbringt, weil gerade von diesem
Lutherautograph mehrfach Faksimilenachbildungen angefertigt
worden sind und zwei. angebliche Originale von ihm auf-
getaucht sind.
1) Vgl. Realensyklopüdie 18, 754.
Die braudenburgisch-nürnbergische
Norma doctrinae.
Von K. Schornbaum.
II.
Am 27. August 1567 starb Conrad Klingenbeck!) Sein
Nachfolger wurde Mag. Laur. Dürnhofer, ein überzeugter
Philippist. Bei seiner impulsiven Art waren neue Zusammen-
stöße unausbleiblich. Um den Frieden war es in Nürnberg
geschehen. Er stellte sich alsbald als Ziel die Vertreibung
sümtlicher Lutheraner und die Durchführung des Melanch-
thonianismus in der ganzen Stadt. Er hielt den Zeitpunkt
dafür gekommen, Wurde er doch nicht nur von seinen
Gesinnungsgenossen Heling und Schellheimer aufs tatkräftigste
unterstützt, sondern hatte auch an dem einflußreichen Rats-
konsulenten Dr. Christoph Hardesheim einen mächtigen
1) Ratsverlaß: 28, 8. 1567: Herr Cunraden Klingenbecken den ge-
wesenen prediger bei Sant Egidien seligen soll man under des Abts
zu Sant Egidien Stein auf Sant Johanns Kirchhof begraben und ver-
nemen, was sie im fur ein epitaphium wollen machen laßen. Zu seiner
Grabschrift s. G. E. Waldau, Vermischte Beytrüge zur Geschichte
der Stadt Nürnberg III, 240. 1788, Nürnberg. B. V. 30. 8. 1567:
Christofen Koppel, den Caplan bei Sant Egidien und Ulrichen Neuber,
buchtrucker, 80] man beschicken, den Koppel zu rede halten, warum
er Herrn Cunraden dis epitaphium gemacht und den Neuber, warum
er es wider sein pflicht one bevel getruckt, im auch auflegen, weiter
keins zu trucken, ir verantwortung wider pringen. 2.9.1567: auf
Christofen Koppels, caplans zu S. Egidien, und Ulrichen Neubers ver-
lesene entschuldigung herrn Cunraden Klingenbecken seligen getruckten
epitaphiums halben, sol man dem Koppel ein ganz ernstliche strüfliche
rede sagen und warnen, sich dergleichen furnemens hinfuro zu ent-
halten. Dann da er wider damit kumen solt, würd man ine seins
dinsts urlauben. und sonst mit straf auch geburlich einsehen gegen
ime tun. dem Neuber aber, als der gleichwol auch nit allerdings zu
entschuldigen, s0] man auch solches untersagen und warnen, hinfuro
behutsamer zu sein und on wissen der verordenten herrn nichts zu
trucken. Ferner 22. 11. 1567., 17. 1. 1568. Vgl. Zeltner, vita Helingi 52.
6
Förderer!). Dazu fehlten unter den Lutheranern bedeutendere
Persönlichkeiten. Die beiden Brüder Mag. Joh. Kaufmann,
Prediger bei St. Jakob und den Barfüßern, und Mag. Christoph
Kaufmann, Prediger im neuen Spital*), die neben Besler immer
1) Verlaß der H. Eltern 12. 10. 1568: Auf Herrn Hi. Baumgartners
getane mundliche relation, daß im Herr Dr. Bayr angezeigt, daß er
den fremden doctor herrn christofen Hertesheim auf empfangenen
bevel angeredet, ob er sich in meiner herrn dinst und bestallung geben
wolt; der sich ganz gutwillig erboten, allein angezeigt, daß dieser
zeit der endliche beschluß einer bestallung nicht gescheen kont aus
ursachen, das er noch etlich wichtig hendel zu augsburgk zu verrichten
het, darzu er verpflicht und unterhalb dreien monaten oder zwischen
hie und Weynachten dieselben nit wol verrichten oder davon ledig
werden könt, und dann furs ander, daß ime die jungen herrn so gar
ernstlich angehalten, sich zu inen in dienst zu begeben, daß er nit
hinum kunnt und die sach in bedenken zunemen sich erpieten müssen
aber er gedechte inen doch keineswegs zu dienen. Wofer meine herrn
nun uf kunftige Weihnacht oder Neujahr mit ime ferner zu handeln
gesinnt, wolt er sich gegen meine herrn der bestallung halben also
einlassen, daß ire erberkeiten spüren solten, das er vor andern orten
und stenden meinen herrn zu dienen neigung hette. Ist verlaßen, D.
Baym. weiter zuzusprechen in acht mit vleiß zuhaben, wenn es des
Herrn Dr. Gelegenheit sein mocht, bei ime widerum anzuhalten und
um bestallung mit im zu handeln. 17. 8. 1564: Herr Doctor Christof
Hardisheim von Halberstadt hat sich von meinen herrn den Eltern
zu eins erbern rats ratgeben und advocaten auf vier jar lang dergestalt
bestellen lagen, daß ime meine herrn jerlich zu dienstgeld 400 fl
geben und die bestallung auf ostern schirstkunftig angehen soll. und
ist im zugelassen, ytzo zu ostern ins wildbad zuziehen und uf schirst-
kommende pfingsten gewißlich zu Speier anzukamen und von dannen
an ein halbes jar zu erfarung der praktik sich doselbsten enthalten,
doch mit ofner hand, da es die noturft erfordert und er um lengere
zeit am kamergericht zu pleiben bei meinen herrn ansuchen würde,
iren erberkeiten freisteen, wie lange sie ime daruber erlauben wollen;
dagegen soll er schuldig sein, die zeit er zu Speier ist, wann ime
appellations- oder ander sachen von meinen herrn gen Speier gesendet
werden, sich mit beratschlagung derselben auch gebrauchen zu lagen.
dagegen ist im bewilligt, die Seilerische Handlung auch zum ende za
füren, doch daß meiner herrn sachen dadurch nicht versäumt werden
und ist im zu leikauf 100 fl verert worden, Batsbuch 82, 240.
3) R. V. 10. 11. 1562: weil herr christof Kaufman zu eim prediger ins
. Spital verordent, soll man seinem bruder, der 12 Knaben praeceptor
im spital, die predicatur zu S. Clara bevelen und ime wochentlich
davon 1 fl. raichen. 8.5. 1565: weil man soviel in erfarung hat, das
die closterfrauen su S. Clara wenig ja gar nit in die predig in irer
kirchen kumen und dann dieselb kirchen an ir selbs gans eng, do
7
mehr die Führer der luth. Gesinnten wurden, waren doch
nur im zähen Festhalten an der einmal erkannten Wahr-
heit groß.
Es dauerte kaum ein Vierteljahr, da sah sich der Rat
vor die wichtigsten und folgenschwersten Entscheidungen
gestellt. Dürnhofer hatte Joh. Kaufmann des Flacianismus
bezichtigt; dessen „Apologie“ genügte ihm nicht; er lenkte
die Aufmerksamkeit des Rates auf die Hinneigung verschie-
dener Geistlicher zu Flacius. Die Sache war schlau ein-
gefädelt. Denn der Haß gegen diesen Mann hatte unter
den Ratsherren noch nicht im mindesten sich gelegt. Aber
dennoch besann sich der Rat. Hatte sich doch noch keiner
von den durch diese Anzeigen getroffenen Geistlichen offen
für Flacius erklärt; in der ganzen Stadt herrschte Ruhe.
Aber dennoch meinte der Rat, nicht untätig sein zu dürfen,
sondern die Sache gleich im Keime unterdrücken zu sollen.
Nach längeren Beratungen heriefen die Kirchenherren Joachim
Haller und Thomas Löffelholz gegen Ende März 1568 Heling,
Sehellheimer, Dürnhofer, Besler und die beiden Kaufmann
in den Sebalder Pfarrhof. Die Deklaration 1563 wurde
ihnen vorgelegt und das Ersuchen an alle gerichtet, sie
zu unterzeichnen. Während die ersten drei dazu sofort
bereit waren, äußerten die anderen manches Bedenken.
Die Ausführungen der declaratio über „den freien Willen“
und das „Evangelium“ (ob es eine Bußpredigt sei) schienen
ihnen sehr anfechtbar; vor allem bestritten sie, daB die
Lehre des Flacius hier recht zur Darstellung gekommen
wäre: „dann des Illirici Irrtums halber, daß sie denselben
nicht condemniren konnten, wie in diese schriften condem-
nirten“. Mehrere Tage unterredeten sich die beiden Parteien;
zu einer Einigung schien es nicht kommen zu sollen. Die
Philippisten wohl wünschten nichts anderes. Recht bezeich-
nend ist es, wenn auf einmal von den Kanzeln die heftigsten
aber den prediger gern vil leute hören wolten, sol man dieselbe kirchen
hinfuro sperren, nit mer darin predigen lagen und den alten prediger
zu Sant Jacob abschaffen und disen hinaus verordnen, an den feiertagen
su mittag doselbst zu predigen, ine auch auf künftigen Sontag uber
8 Tag anfangen zu laßen. dem Herrn Hauscomentur auch solche ver-
enderung anzuzeigen. Ratsbuch 32, 210. 94. 11. 1563: weil die kirchen
bei 8. Clara so gar eng und viel volks zur selben predigt geht, soll
man hinfuro allein auf Sonntag bei S. Clara, aber alle Samstag früh
denselbigen prediger bei den barfüßern predigen laßen und also die
predigt am Samstag bei St. Clara gar abschaffen. die kirche beim
barfüßerkloster laßen mit dem forderlichsten ausräumen und saubern
und der stül halben solche verordnung und vorsehung tun,- damit kein
widerwillen zwischen der burgerschaft erfolge. Vgl. fol. 899.
8
Angriffe gegen die „Flacianer“ gerichtet wurden, wenn der
Schulmeister Christ. Heiden von Egidien ungescbeut das Volk
gegen Besler und die Brüder Kaufmann aufzuhetzen versuchte.
Anders der Rat. Er kannte besser die Stimmung der Bürger-
schaft, er wußte, welche Sympathien unter dem gemeinen
Mann gerade die Lutheraner hatten. Darum ließ er durch
Kanzlist Joh. Kezmann Paul Eber, der gerade zur Beilegung
der Streitigkeiten zwischen Karg und Peter Kezmann in
Ansbach weilte, um seine Vermittlung bitten. Während Eber
in Nürnberg im Egidienkloster mit Dr. Paul Krell die deola-
ratio Uberlas, ließen sich Besler und seine Gesinsungsgenossen
endlich herbei, die Lehre derselben auch hinsichtlich der
beiden Punkte: „Freier Wille und Evangelium“ anzunehmen.
Sie wollten wohl um diesen Preis von der Verurteilung des
Flacius befreit werden; den Rat glaubten sie auf diese Weise
für sich gewinnen zu können. Sie hatten aber den Einfluß
Helings und Dürnhofers unterschätzt; der Rat bestand darauf,
daß sie sich von Flacius offen lossagten. Dürnhofer mochte
glauben, bald an das Ziel seiner Wünsche gekommen zu
sein, da erklärten die drei: „sie wollten insgemein allen
denjenigen widersprechen. welche diesen beiden Schriiten
entgegen und zuwider lehrten“. Das war natürlich nur
eine Umgehung der Forderung des Rates; die Philippisten
wollten sich nicht damit begnügen; sie sahen, daß sie ihr
Ziel nicht erreichen würden; aber Eber redete zum Frieden;
er fand diese Erklärung für genügend; er riet überhaupt
von Verdammung einer Person ab. Und der Rat schloß
sich ihm an. Die Lutheraner hatten doch mehr Mäßigkeit
und Entgegenkommen bei den Verhandlungen bewiesen; das
war nicbt ohne Eindruck geblieben. Den Kaplänen und
besonders Christian Heiden wurden ihre „schimpflichen“ und
,ehrenrübrigen^ Reden gegen Besler und die beiden Kauf-
mann nachdrücklichst untersagt!).
1) Rep. 52, Ms 1112, 115ff. Ms 1110, 74. 222 (Bericht Paul
Harsdörfers 28, 1. 1618) 271 (Relation Hi. Baumgartners) 855 (Re-
lation J. Kaufmanns). D 212 Fasc. IV. Originalprotokoll 1585, (Er-
klärung Helings und Kaufmanns). Verlag der Herrn Eltern 99. 3. 1568:
Als die herrn eltern in erfahrung kumen, das D. Paulus Eberus, pfarr-
herr zu Wittenberg gein Onolzbach von dem marggrafen etlicher irrung
halben, welche seiner f. gn. theologen miteinander haben, erfordert,
und sich dann ytzo auch zwischen den predicanten hier etlichermaßen
misverstand und irrung ereignen will, ist bei iren erberkeiten bevolen,
durch Johann Kezman ime dem herrn Ebero zuschreiben nnd ine zu
ersuchen, seinen hineinweg von Onolzbach nach Wittenberg hierher
zunemen, wie er denn solchs bewilligt. Darauf bevolen, ine mitsamt
herr Dr. Krellen, den er bei sich hat, im egidierkloster einzufuren und
9
Paul Eber hatte sich an der Uebereinstimmung in der
Lehre gentigen lassen; er betrachtete die ganze Sachlage
anders als seine Nürnberger Freunde. Diese hofften auf
das siegreiche Vordringen des Melanchthonianismus, er kannte
die StoBkraft der luth. Gedanken. Darum versammelte er
vor seinem Abschied am 3. April in seinem Absteigequartier
Heling, Dürnhofer, Leonh. Krieg, Sixt Huber, Nikolaus Herold
und Heinrich Fabrizius und rief ihnen zu: Liebe Herrn, bleibt
bei der Lehre, die ihr von uns gehört habt; ihr wisset, was
ihr an unserer Lehre habt. Es ist das ander so ein subtil,
irrig, spinosum et perplexum quiddam, daß man sich nicht
drein richten kann, und ist kein Trost darinnen, sein so
wunderliche, ungeschickte, neue Reden: homo convertitur
nolens, homo habet se repugnative, hostiliter, adversative.
Da hebt man das ganze Ministerium auf, und wo das so
were, so nemet ihr alle Eure Besoldung mit bösem Ge.
wissen ein!).
Der Plan der Philppisten war gescheitert; aber sie
ließen sich dadurch nicht irre machen; sie gingen jetzt nur
behutsamer zu Werke; der Haß gegen alles, was an Flacius.
erinnerte, steigerte sich immer mehr. Im Jahre 1597 er-
schien eine Schrift, welche gegen den Wankelmut Schell.
heimers Stellung nahm; sie berichtef, ,wie er etliche unter
den Flacianern zum Feuer verdammt, etliche dem Julian
Apostata verglichen habe, wie er ausspie, wenn er an ihren
Wohnungen vorbeiging“ ). Zunächst glückte es Heling,
uf meiner herrn kosten hie zu underhalten, im fall sich die predicanten
nicht vergleichen konten, seines rats haben zu pflegen. Ratsbuch 88,
202—904. Til. Heßhusius an J. Marbach 29. 4. 1568 Neuburg: Eberus
nuper Onolsbachii et Noribergae fuit, ut lites coneionatorum componeret.
Majoris falsum dogma de necessitate bonorum operum ad salutem
pertinaciter tuentur. In lectionibus palam Prof. Witeberg. argumenta
Zwingli serunt et propugnant, ferunt et publica scripta adornari,
quibus tuos et Brentii libros impugnent. Fecht S. 207. Zeltner,
vita Helingi 58f, Kurxgefaßte Geschichte. 8. 47. J. P. Müller,
diss. hist. theol. qua Johannis Kaufmanni past, ad Spir. Noribergensis
vita et merita percensentur. 1729. Altdorfi, S, 16 fl.: „Subscripsimus
ego Christophorus Kaufmannus et M. Johannes Kaufmannus fratree
haic scripto, postquam explicationem et declarationem praesertim in
articulo de libero arbitrio audivimus. Qua de re M. Schiller notarius
Protocollo sufficienter testabitur.^ Vgl. Stadtbibliothek Nürnberg. Bibl.
Nor. W. II, 858 Pr. 5.
1) B. F. Hummel, Neue Bibliothek von seltenen und sehr
seltenen Büchern. 1789. Nürnberg. III, 106.
*) Kurzer Bericht / Von dem eifer / und bestendikeit in Evan-
gelischer lere / M. Johannis Schellhameri / Predigers in Nürnberg //
10
Dürnhofer und Schellheimer die Lutheraner ihrer stärksten
Stütze, des Predigers Michael Besler, des dritten vordersten
Geistlichen zu berauben. Dieser hatte seinen Gegnern selbst
die Mittel in die Hand gegeben. Die Beziehungen zu Witten-
berg wußten diese geschickt zu benutzen. Kurfürst August
beschwerte sich bei dem Rat tiber das Treiben der Flacianer
in Nürnberg. Eine Haussuchung brachte auch bei Besler
Material zutage. Er besaß eine Abschrift des von Flacius
für Straßburg verabfaßten Lebenslaufes ). Und bald darauf
kam eine neue Klage des Kurfürsten. Diesem war der
Briefwechsel Beslers mit seinem alten Freund Mag. Michael
Kilian, in dem das Gespräch zu Altenburg freimtitig genug
kritisiert worden war, in die Hände gespielt worden?). Besler
zu Sant Laurenzen //. Allen / so die Warheit dis Orta liben / // nütz-
lich zu lesen. 1597. Blatt Aiiijb Ms 1110, 95. Vgl. auch die Klage
Johann Kaufmanns vom 10. 8. 1569. Abhandlungen der Kgl. Ge-
sellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. 40. Göttingen 1915. S. 51.
1) R. V. 31. 8, 69: auf des Churfursten zu Saxen schreiben, daß
sein churf. gnad angelangt, das Illiricus einem hieigen predicanten
ein buch zugeschickt, welchs meine herrn sollen aufgefangen haben,
mit beger, iren churf. gnaden copei davon zukumen zu lagen eto und
Herrn M. Michael Peßlers, predigers zu unser Frau anzeig, das im
einig buch nicht, sondern allein ein schrift von Illirico zakumen, sein
lebensbeschreibung, die er gern mein herren zustellen wolt, sol man
dieselbe von im anemen, gegen der andern copei collationiren und
lauter abschreiben lagen, dem churfursten zuschicken mit meldung,
das dises buchs oder schrift halb meine herren als die obergkeit vor
zukunft irer churf. gnaden schreibens nichts angelangt, aber uf berurt
irer churf. gnaden schreiben hete man in der sachen erkundigung
geton und dise schrift beim herrn Peßler gefunden, wie ir churf.
gnaden daraus zuvernemen. morgen wider abhoren. Preger II,
806. 299. Der Rat an Kurfürst August. 1.4.1569. Briefbuch 181, fol. 15.
5) G. B. Waldau, vermischte Beyträge zur Geschichte der Stadt
Nürnberg IV, 242. Nürnberg 1789. J. Chr. Siebenkees, Materialien
zur Nürnberger Geschichte III, 316. Nürnberg 1794. Verläße der
Eltern: 30. 6. 1569: Auf herzog Augusten zu Saxen churfurstens schreiben
mit einschluß eines lateinischen briefleins, dessen überschrift an M
Michael Peßler, prediger zu u. Frau gestellt, welches von einem
Flaeianer wider sein churf. gnaden und die theologen zu Wittenberg
ausgangen, und dem gnedigen begeren, beim Peßler zu erkunden, wer
die dichter solchs schreibens, sein churf. gnaden desselben zu berichten
and gegen dem Peßler die gebur zu handeln und herrn Peßlers darauf
getanen bericht, sol man sein churf. gnaden wider beantworten, das
man solch schreiben entpfangen und nit unterlaßen, den Peßler darauf
su vernemen, der zu antwort geben, das dieses schreiben von einem
seiner alten bekannten freund, der sein schulgesell gewest, ausgangen,
11
bat darauf, er hatte auch genug unliebsames mit seinen
Kindern durchzumachen, war auch kränklich, um Enthebung
von der Prädikatur bei den Predigern. Der Rat aber enthob
ihn auch der Predigerstelle bei St. Marien und der Super-
intendenz (26. 7. 1569)!). Zu gleicher Zeit gelang es auch
einen der Buchführer unschädlich zu machen, die das Volk
immer wieder mit Flacianischen Schriften versahen. Dem
Rat fielen einige luth. Streitschriften tiber das Altenburger
Gespräch in die Hände. Bei dem peinlichen Verhör stellte
sich heraus, daß der Buchführer Christoph Häusler noch der
unschuldigste war; der schon oben erwähnte Buchführer
Georg Fischer hatte sie gedruckt, der Kaplan an S. Sebald,
Mag. Adam Birkhamer sie korrigiert. Die Bucher wurden
konfisziert, den Buchführern die Ausübung des Handwerks
verboten, Fischer aus der Stadt gewiesen, dem Kaplan ein
weleher Mag. Mich. Kilian genannt und ein schulmeister zu Altenburg
were. Ob nun wol dieser Kilian ein hisig burgerkind, so were doch
derselbige in seiner jugend von hinnen kumen, das meine herrn mit
ime nichts zu schaffen hetten und wolten meine herrn sonst in der sachen
ir notdurft ferner bedenken. sunst sol man dem Peßler das original
und copei von solchem schreiben abschlagen und erwarten, was herr
Jochim Haller in der hauptsache furbringen wirdet. Der Rat an
Kurfürst August. 30. 6. 1569. Briefbuch 181, 164
1) R. V. 26.7.1569: auf herrn Michael Peßlers, prediger zu unser
Frauen und den predigern an herrn Jochimen Haller getanes schreiben,
ine seiner unvermöglicheit und schwacheit halben der predicatur zu
den predigern zuerlaßen, inmassen er dem herrn solchs hernach auch
mundlich angezeigt und gepeten, ist beim rat verlaßen, weil er so ein
alter verlebter und schwacher mann, sol man ine nicht allein der
predicatur zu den predigern, sondern auch der bei U. Frauen und der
superintendens erlassen und ime sein leben lang 200 fl pension mit
ofner hand geben, ime aber ernstlich undersagen und anzeigen, meine
herrn wolten sich zu ime genzlich versehen, er würde sich eingezogen
halten und weder hie oder auswendig die kirehen beunruigen, sich
auch des hin und widerschreibens enthalten, oder da er sich unge-
burlich halten, würde man im sein pension gar wider nemen. dagegen
sol man M. Nicolaum Herolt obgesetzte bede predicaturen zu verrichten
befelen, ime jerlich 200 fl pension geben und M. Martinum Faber den
Caplan im Spital sum Caplanstand zu S. Sebald an M. Herolds statt
kumen lassen, 1.8. 1569: auf Mag. Michael Peßlers verlesene suppli-
cation und beschwerung, das man ine der predicaturn und Superintendenz
erlassen mit bit, weil er noch wol vermüglich, daß er die sonntags-
predigt bei U. Frauen wol verrichten künt, ine dabei lenger bleiben
zu lagen, ist beim rat erteilt, ime sein vorhaben mit guten worten,
das es im zum besten gescheen, benemen und es bei jüngstem bescheid
und verordnung pleiben lagen. 2. 8. 1569: auf getane relation, daß
12
ernster Verweis erteilt !). Weithin fühlte man, welchen
Schlag die luth. Richtung in Nürnberg dadurch bekommen
hatte. „Flaciani etiam magnam rerum suarum jacturam
fecerunt, de qua longum esset scribere. Nam senex Beslerus
M. Michel Pesler uf eröffneten bescheid angezeigt, weil ain erber rate
ine je aller seiner diensten erlassen wolten und solchs also fur gut an-
sehen, wer er damit ‚auch gesettigt, neme solchs zu dankbarem ge-
fallen an und wolt sich als ein gehorsamer bürger verhalten und
erzeigen. sol mans dabei pleiben lassen. 29. 7. 1569: der universität
za Wittenberg sol man uf ir schreiben von wegen Policarpi Peßlers
schulden seins vaters M. Michael Peflers antwort einschließen und
melden, daß meine herrn die sach nicht gern gehort, könten aber doch
dem herr Peßler über sein rechtspot nichts auflegen. 8. 5. 1566: M
Michel Peßler soll man auf sein supplicieren die gepeten furschrift
an den erzbischofen zu Salsburg von wegen seines verhaften sones in
bester form mitteilen. 14. 1. 1566: Herrn Mag. Michel Peßler soll
man von wegen seins verhaften suns zu Salzburg die gebeten furschrift
an den herrn ersbischof in bester form mitteilen, insonderheit ver-
melden, wie wol sich gedachter herr PeBler verhalten. 8. 10. 1569:
der universität zu Wittenberg furbittlich schreiben von wegen Prisca
Winterin und der Herrn Vorsteher der universität Fisci Policarpi
Peslers schuld halben und M. Michael Peelers darauf gegebene ant-
»wort soll man neben vorigen actis bei den gelerten ratschlagen. Vgl.
Zeltner, vita Helingi 8. 55 f. Ratsbuch 38, 812.
1) B. V. 26. 1. 1569: auf der Flacianer Theologen zu Northausen
übergebne greuliche und lesterliche articul, so bei den herrn Eltern
verlesen, soll man herrn Jochimen Haller anzeigen, nachfrag zu haben,
bei wem hie solche articul zu finden, dieselben alle zr meiner herrn
banden zu pringen, daneben alle buchtrucker, fürer, briefmaler und
die mit schriften umgehen, beschicken, inen von neuen bei iren eids-
pflichten einbinden, was sie fur dergleichen Flaccianische schmach-
schriften haben oder künftig bekumen, meinen herrn unseumlich zu
wissen zu machen und zuzustellen. daneben soll man der schreinerin
auch ernstlich auflegen, sobald ein bot herkume, und ein Truck bring,
os sei, was es wolle, dem herrn Haller desgleichen dem Kezel alsbald
und unverlengt anzuzeigen, dem Kezel auch ernstlich einbinden, sobald
ein pot ein truck hieher pring, sei was es wol, ein knecht zu sich
zu nemen, dieselben aufheben und den poten damit fur den herrn
Haller zu pringen. 4.8. 1569: als bei den herrn eltern angebracht,
das Christoph Heusler buchtrucker des churfursten su Saxen schreiben
nach zerschlagung des colloquii zu Altenburg an herzog Johanns
Wilhelmen zu Saxen ausgangen, desgleichen andere schriften mer das
colloquium belangend [drucken soll] und sonderlich Mag. Johann Schel-
hamer, predicant zu S. Lorentzen, Herr Jochim Hallern [anzeigt] ein
ra ctetlein, so von den Flacianern ausgangen intituliert, wie das alten-
burgischen colloquium zergangen, so christoph Henßler buchtrucker
J
13
loco motus est et ei surrogatus M. Heroldus, cui successit
M. Martinus, M. Martino Caspar Koeler. Bibliopolae Georgio
Fischer, qui euravit imprimi famosos libellos Galli una cum
uxore et liberis civitas perpetuo interdicta est“ schrieb Joh.
hie allbereit getruckt, ist verlaßen, alsbald einzufallen, den heusler und
sei r ins loch zu furen alsbald, darauf die originalien und alle
abtruck zur han en und in die kanzlei bis auf weitern bescheid
zu antworten. 5.8.1569: a e relation, das sich Christoph
HeuBler der buchtrucker gestern, als mum bei im eingefallen, samt
seinen geselln sich absentiett, auch alle exemplärien verschoben, das
man zu keinem kumen mögen, aber doch sein setzer Jörg Muntzer
betreten und ins loch gefürt, doselbst vermöge seiner urgicht zu rede
gehalten und sich dann befunden, daß Jörg Fischer der buchfürer die
Flacianischen bücher dem Heußler zu trucken geben, welcher dann
auch uf ein turn geschafft und des Heußiers aiden gleichwol heute
früe die originalien samt den abdrücken im die canzlei geantwortet
und sich erpoten, den heusler auch zustellen, soll man den Fischer
unter essens ins loch füren, zu rede halten. da sich der heusler stellt,
ine auf ein tarm schaffen und die exemplar in verwarong tan. 6.8.1569:
auf Jorgen Fischers im loch sage, daß im D. Johann Fridericus Celestinus
zu Jena und der Gallus zu Regensburg die zwei tractetlein von alten-
burgischen colloquio zugeschickt, sol man solch bede dea Coelestini
und Galli schreiben zur Hand pringen, Jorg Schraufen auch erfordern,
ine zu rede halten, ob er diese tractétlein abgeschrieben, wem er mit-
geteilt und sehen lassen, christophen Heusler inmittels uf dem turn
ruen lassen, 10.8. 1569: auf D. Celestini uad Galli verlesene schreiben
an Jorgen Fischer, buchfürer, soll man munmer Christophen Heusler
uf alle umstende, sonderlich, wer ime die tractetlein corrigiert, zurede
halten. 11.8. 1569: auf Christophen Hewslers aufm turn verlesene
sag sol man ine heut bei der nacht ins loch furen lassen und Jorgen
Fischer in der alten Capellen uf des Heuslers sag der briefe des Galli
halb, item wo er mer zu trucken geben ime die pflicht furlesen,
binden und betrohen, auch nachfrag haben, ob von den trucken etem-
plaria kumen und Jörgen Münzer pflicht tun lassen, 12. 8. 1569: auf
Jörgen Fischers im loch sag, soll man Christofen Heusler in der alten
prisaun auch zu red halten, binden und betrohen und zur entscheft
der sachen indenk sein, was man gegen M. Adam Pirkamer handeln
wolle. 16.8.1569: M. Adamen Birkhamer, caplan zu S. Sebald, sol
man fordern, ime meiner herrn ernstlich misfallen anzeigen, das er
die tractetlein vom colloquio zu Altenburg eorrigirn und sich unter-
standen, dieselben verdrucken zu helfem, sel demnach gedenken, sich
hinfaro dergleichen hendel zu entschlagen eder man muß mit ernst
einsehen gegen ine tun. sunst sol man solehe tractetleim in ein palin
binden und an ein feucht ort setzen, das nicht jedermann dazu kum,
und dieselben also verderben und verfaulen mögen. desgleichen sol
man alle buchführer erfordern, inea anzeigen, weil die messen wieder
14
Molitor an M. Ciriacus!), Ja auch der einzige Patrizier,
der für Flacius einzutreten wagte, Cristoph Harsdörfer, mußte
seinen Freimut mit zwei Tage Gefängnis auf dem Turm
büßen (1569)?).
Nun meinten diePhilippisten, ihr Ziel erreichen zu können.
Auf Grund der von Paul Eber noch übersandten Akten über
das Altenburger Gespräch stellten sie kurz zusammen, wie
die eiuzelnen strittigen Punkte unter den Evangelischen zu
entscheiden wären. Diesen „extract“ tübergaben sie dem
Rate mit dem Ersuchen, ihn als „norma doctrinae“ anzu-
erkennen und ihm unter allen Theologen zur Geltung zu ver-
helfen. Wider Erwarten aber lehnte der Rat ab; er sah voraus:
nicht zur Beruhigung, sondern nur zu neuem erbitterten
Kampfe wurde dies dienen. Trotz aller Hinneigung zum
Philippismus war ihm doch die Aufrechterhaltung der Ruhe
in der Stadt das wichtigste“). Heling, Schellheimer und
Dürnhofer waren gewiß enttäuscht; die Lutheraner aber,
denen diese Sache doch zu Ohren gekommen war, ließen
es an Spott nicht fehlen. Noch im Februar 1570 ging auf
einmal durch die Stadt das Gerticht, Heling und Dtürnhofer
hütten sich so entzweit, daß einer dem andern ins Angesicht
geschlagen hätte“). Im September 1570 konnte man an
hinzukemen, sich zu enthalten, kein buch zu kaufen, hieherzupringen,
und hie wider zuverkaufen, welche in religiónssachen zu spaltung
und trennung ursach geben, inen auch ir pflicht furlesen, dieselbe
schweren laßen und in acht haben, das alle jar vor dem amptbuch
dise amtleut und iresgleichen, so in dieser pflicht begriffen, sie dieselb
schworen. 81.8.1569: den supplierenden Linharten HeuBler soll man
sein begeren, ime zu vergonnen, sich seins vaters christoph Heuslers
druckerei zu gebrauchen ableinen und sagen, wenn er verheirat und
eignen rauch halte, wieder anzusuchen. Und demnach Jürg Fischers
weib iren buchladen noch offen helt, soll man sie beschicken, beaidigen,
kein fremd oder neu buch mer einzukaufen noch zu ir zupringen, in
zweien monaten auch ire bücher, die sie jtzo hat, verkaufen und den
laden zusperren, auch kein buch verkaufen, das mein herrn zuwider,
20. 9. 1569: der supplicierenden Barbara Jörg Fischerin buchfürerin
sol man ir begern, sie den buchhandel also treiben zu lassen, ab-
leinen und zu sperrung desselben noch frist bis lichtmeB geben.
y B. Fr. Hummel, epist. hist. eccl. semicenturia Hallae 1778, 8,77.
*) Ma. 1110, 238. Der oben genannte kurze Bericht schreibt:
„man habe noch gut Wissen, daß Schellheimer dazumal in seinem
Grimm und Bosbeit einen vornehmen Herrn aus den Geschlechtern
des Flacianismus halben zu verhaft und auf den Turm gebracht".
*) Ratsbuch 84, 19bf. 31. 1. 1570.
*) Ratsverlaß 10. 2. 1570: als bei den herrn Eltern anbracht,
das ein gemeine sag in der stadt, daß bede Herrn predicanten su Sand
15
verschiedenen Orten Zettel finden, in den Heling, Dürnhofer
und Schellbeimer samt etlichen Kaplünen offen des Calvinismus
beschuldigt wurden. Nicht nur die Angegriffenen, nein auch
der Rat war aufs höchste bestürzt; denn trotz aller Hin-
neigung zum Melanchthonianismus hatte man ängstlich darauf
gesehen, immer als gut lutherisch zu gelten. Man suchte
auf alle Weise den Verfasser herauszubekommen; man ver-
mutete BeBler, die Bruder Kaufmann, den Kaplan Heinrich
Virn als Verfasser; aber alle Bemühungen waren umsonst!).
Zu denken gab aber die Erklärung Beßlers: Schellheimer
sei mit diesem Vorwurf Unrecht geschehen; aber Heling
Sebald und Sand Egidien in uneinigkeit mit einander erwachsen und
einer den andern ins angesicht geschlagen haben soll, welchs denn
ein lauter ertichter ungrund, inmassen denn M. Mauritius fur sich
und von wegen des Dürnhofers dessen gegen dem herrn Haller zum
höchsten beschwert und ir beder unschuld statlich angezogen, ist ver-
lagen, Johann Pipler, als der es ausgeben, zu beschicken, beeidigen,
die warheit zu sagen, von wem er diese rede gehort, also von einem
zum andern inquirieren und alle beeidigen, bis man zum ersten aus-
geber komt, und damit es laut were, das meine herrn daran misfallen
und daß es ein erdichter ungrund, und vielleicht nur von den Flacia-
nischen haufen und rott also ausgeben, sol man einem jeden insonderheit
anzeigen, zu sagen, wer solche lügen ausgeben, dieweil es ein wissent-
licher ungrund. denn meine herrn weren bedacht, den ernst und ir
misfallen darinnen zu erzeigen. 17. 2, 1570: dieweil man über ange-
wandten vleid weder bei Lucas Sizinger noch Johann Pipler zu keinem
grund kumen kann, wer der erste ausgeber des unwillens zwischen
den beden herrn predicanten zu S. Sebald und Egidien ist, sol mans
also ruen lagen, Johann Pipler aber sagen, weil es ein lauter ungrund,
sich solches ausgebens genzlich zu enthalten. den beden herrn predi-
canten auch anzeigen, das man uber allen angewandten vleif zu keinein
grund kumen mugen. dieweil denn nunmer offenbar, dag meine herrn
in der sachen nachfrag gehabt und sie solcher beschuldigung halb bei
meinen herrn wol entschuldigt, wolt man dafur achten, es würde solches
geschrei nunmer erlosehen sein und weiter nichts ausgeben werden.
Den herrn predicanten solchs durch Herrn Jochimen Haller anzeigen
Jagen.
T) Verlaß 23. 9. 1570: auf die an den stöcken angeschlagene und
verlesene Schmachzettel wider die 8 herrn predicanten zu S. Sebald,
Lorenzen und Egidien auch etliche caplan sol man inen den predicanten
furhalten und anzeigen, daß meine herrn sie der beschuldigung allent-
halben one verdacht hielten, nichts weniger aber het man inen solchs
darüm furhalten wollen, ob sie die handschrift kenneten oder auf
jemanden einichen verdacht hetten. Das solten sie anzeigen. denn
meine herrn wollten auch kuntscbaft darauf machen und wern ent-
schloßen, da man die teter in erfahrung precht, ir ernsts misfallen
16
könnte sich „aus dem Verdachte, darinnen er bei vielen
stecke, nicht lösen“. Beßler bezeichnete ihn offen als Sakra-
mentierer!). Der Rat sah mit Entsetzen, wie die Entzweiung
in der Stadt immer ärger zu werden drohte; trotz der wieder-
holten Verbote, Flacianische Bücher zu verkaufen, schienen
die Lutheraner immer mehr Sympathien gewinnen zu sollen?).
Deshalb wurde Andreä, als er Ende Oktober 1570 auch
hier für seine Unionspläne werben wollte, kurz abgewiesen.
gegen denselben zu erzeigen. man wolt sie auch ersucht haben, auf
der canzel von diesen dingen nichts zu melden, sondern bei sich zu
behalten, wolt man hoífen, es würden die autores sich mer an tag
geben und sie dardurch desto ehe offenbar werden. man sol auch bei
den stöcken mit fleiß gute wacht bestellen, ob dieser zettel mehr an-
geschlagen werden wolten, dieselben personen zur hand zu pringen.
5.10. 1570: Auf der herrn predicanten zu S. Sebald, Lorenzen und
Egidien verantwortung und entschuldigung uf die wider sie ange-
schlagene schmachzettel, sol man inen sagen, es wer dern von unnoten
gewesen, denn meine herrn sie hievor solcher beschreiung halben ent-
schuldigt gehalten und noch und weren inen allein die zettel darum
zugestellt, ob sie die schrift kenneten und suf den autorem verdacht
hetten. Darauf solten sie noch kuntschaft machen. und do sie jmandt
in verdacht, denselben anzeigen, wolt man die gebur handeln, wie
meine herrn dann noch in allerlei erfarung stünden. Daneben und
weil der herr Schellhamer sich insonderheit vernemen lassen, daß er
der niderlender kindertauf halben nit schweigen künt, soll man ine
warnen, auf der canzel nichts zu regen, denn meine herrn stünden
deshalb auch noch in allerlei handlung. den niederlender auch hören.
aber obangeregter schmachizettel halben, sol man M. Peßler und die
zwei predicanten im spital und bei den parfüßern auch beschicken,
inen die zettel zeigen und zu rede setzen, ob sie nicht von diesen
zetteln wißten, auch die Schrift nicht kennten. Darnach den Heinrich
Virn, den alten Laur, und welche Schelhamer weiter benennt, auch
beschicken, sie alle beeidigen, anzuzeigen, ob sie um diese Zettel und
schmach kein wissens. wiederbringen, Vgl. Zeltner, vita Helingi S. 54.
1) Michaelis Pesleri senis afflictissimi responsio. Ms. 1110, 426 ff.
*) R. V. 1. 6. 1570: auf die furbrachte Flacianische, dann Johann
Seheitlichs, pfarrherrn zu Harburg verpitterte bücher, soll man
Ulrichen Neuber und Endres Eschenberger, die sie herpracht und
feilgehabt, einziehen in alle buchladen ordnen, inquierieren lassen und
solche schedliche bucher alle aufheben. 2. 6. 1570: den verlaß mit
Ulrichen Neuber und Endresen Eschenberger desgleichen der Fla-
„cianer bücher halben sol man einstellen, bis die kais. mjst. von hinnen
weg kumt, darnach wider furlegen. 29. 9. 1570: den buchfürern sol
man sagen, die frankfurtische hieher gebrachten Flacianischen bucher
zu hinterhalten bis uf weitern bescheid, inmittels deren keins verkaufen,
Der Rat fürchtete einen offenen Zwiespalt unter den Geist-
lichen). Ill
Was der Rat verhindern wollte, wurde doch bald darauf
Wirklichkeit. Der Streit zwisehen Philippisten und Luthe-
ranern wurde immer heftiger; ,Sakramentierer* oder „Fla-
oianer“ waren noch die geringsten Schimpfwörter, mit denen
man sich gegenseitig bedachte?). Vor allem wurden jetzt
auch die Kanzeln die Schauplätze erbitterter theologischer
Kämpfe. Auf lutherischer Seite scheinen die größten Heiß-
sporne die Kapläne Adam Birkamer bei St. Sebald und
1) R. V. 81. 10. 1570: als D. Jacobus Andreas Wirtenbergischer
theologus am verschinon samsstag durch den jungern herrn burger-
meister anbringen laßen, wie er vor dieser zeit von herzog Christofen
zu Wirtenberg an etliche stende der A. C. geschickt und abgefertigt,
etlicher sachen und strit halben, so sich zwischen derselben theologen
gehalten, handlung zu pflegen, also het er bisher solche handlung
verricht. Weil er aber jtzo anher gelangt, were sein bit, ime in seiner
werbung andienz zu geben und die hieigen theologen darzu zu er-
fordern, das er sich mit inen unterreden mocht, Het auch alsbald
deswegen ein credenz von- herzog Juliusen von Braunschweig uber-
geben, wie dieselbige verlesen worden. und darauf erteilt, ime zu
sagen, daß beim rat nit herkumen, wann potschaften oder gesandte
hieher gelangt und werbung beim rat gehabt, daß man andere denn
ratspersonen dazu gezogen. Darum wolt man auf ine stellen, ob er
sein werbung also tun, wolt man ime zu bescheiden, Doch kont
die sache eher nit widerpracht werden oder er bescheid bekumen bis
uf montag, weil der rat die 2 feiertage nit zusammenkome. Als im
nun dieser bescheid angesagt, hat er vermeldet, daB im nit muglich,
diserzeit zu erwarten, sintemaln er nicht allein von herzogen von
Wirtenberg sonder auch vom marggrafen eilends emfordert; er het
aber gern gesehen, das sein anbringen noch desselben tags gescheen.
weil es aber von alter lóblich nit herbracht, daß man die theologen
bei den werbungen sein lagen, ließ ers auch dabei pleiben, wiewol er
nun gleichwol bedacht gewest, mit den theologen aus den sachen zu
reden, weil es aber kürze der zeit halben nit sein können und aber
doch seiner sachen ausrichtung tete, so hette er ime herrn burger-
meister ein getruckt buchlein zugestellt intituliert: gründlicher war-
haftiger und bestendiger bericht von christlicher einigkeit der Theo-
logen der Augspurgischen Confeßion — ist verlaßen, der sache also
ruhe zu geben und dieselbe ersitzen zu laßen. (gedruckt zu Wolfen-
büttel von Conrad Horn 1570. Staatsbibliothek München. 4*. H. Ref. 101.
-Credenz des Herzogs Julius von Braunschweig d. d, Gandersheim
17. 9. 1570, Kreisarchiv Nürnberg. Rep. 12 S. 8 Nr. 660 Produkt 1]
*) Siehe den Brief des M. Heling an Dechant Chr. Homugius
in Schwabach. 8. 12. 1572. Ms 1110, 492 fl. Die Erwiederung M.
Peslers fol. 426 fl. Zeltner, vita Helingi 51. 55.
Arohiv für Reformationsgeschichte. XX. 1/9. 2
18
Heinrich Virn!) bei St. Egidien gewesen zu sein. Alle
Mahnungen, sich zu mäßigen, waren umsonst; dem Rat blieb
zum Schluß nichts anderes Übrig, als sie am 13. Juli 1571
ihrer Stellen zu entheben. Die Lutheraner fühlten sich
aufs schwerste verletzt?) Am Samstag, den 21. Juli, bat
Joh. Kaufmann nach der Predigt in der Barfüßerkirche auf
der Kanzel die Gemeinde: sich die beiden Kapläne im Gebete
befohlen sein zu lassen, daß sie Gott in ihrem Kreuz mit
Weib und Kind wolle trösten und erhalten; er mtüsse ihnen
das Zeugnis geben, daß sie genau wie Luther das Evangelium
gelehrt hätten. Dem Rat blieb nichts anderes übrig, als ihn
zu suspendieren (23. Juli 1571)*). Aber er sah ein, mit solchen
) R. V. 7.11. 1567: an Sebalden Bayreuters statt ist Heinrich
Firn zum Kaplan zu S. Egidien an den sein des Firn statt Johannes
Pickhart zum Píarrherrn gen Meckenhausen verordnet. Doch soll es
erst ufs quartal angestellt werden,
2) R. V. 18. 7. 1571: Dieweil herr Adam Burkhamer zu S. Sebald
und Heinrich Viern, caplan bei S. Egidien, hiebevorn gar etlichen malen
gewarnt worden, sich der Flacianischen und anderer gezenk und irrtum-
ben zu enthalten und sich mit disputationen nicht einzulassen, aber
solches nit mußig gestanden und darzu in irer letzten antwort sich
nit lauter ercleren wollen, sondern so verzickte anwort geben, sol
man sie bede irer Dienst urlauben und sagen, wolten sie je hier sein,
sich dermaßen zu halten, daß kein clag irenthalben keme oder man
würd mit ernst gegen inen handeln. 7,8. 1571: auf herrn Adam Birk-
amers verlesene supplication ine wider gu seim caplan stand kumen
zu lassen oder mit andern diensten zu versehen und ime das wohnhaus
auch pleiben zu lassen mit anzeig, daß er der Augspurgischen Con-
fession halb geurlaubt, soll man im anzeigen, daB er der A. C. halben
nit, sondern darum geurlaubt, daß er uber alle treue vermanung und
warnung des Flacii und anderer zankschriften nit müfig gangen,
sonder diselben allenthalben ausgebreit. darum hette man ine zu keinem
kireben mer brauchen können, wiss ine auch noch zu keim dienst
kumen zu lassen, weil er damit behaft. So muß man auch die be-
hausung fur andere leute und caplan haben. aber aus günstigem willen
wolt man im dieselb bis uf allheiligen laßen, inmittels mecht er nach
einer andern trachten. cf, 10, 8. 14. 4. 1572 (Will) bist. diplo-
matisches Magazin für das Vaterland und angrenzende Gegenden,
Nürnberg 1780. 8.852. Zeltner, kursgefaßte Geschichte S, 50. Diss.
historica, qua Joh. Kaufmanni vita percensentur. 1722. Altdorf. S. 20.
Ratsbueh 34, 150f.
) R. V. 23. 7. 1571: als herr Johann Kaufman prediger bei den
barfüBern am verschinen samstag nach vollendeter predigt in der ge-
meinen furbit der zwei geurlaubten caplan auch gedacht und dieselben
in irer ler und confession hoch gerümt, auch das volk ermant, fur sie
su piten, seien die herrn eltern verursacht worden, ine su beschicken,
19
Maßregeln war wenig erreicht; zur Beruhigung konnte das
nicht dienen; er mußte daran gehen, die Gegensätze aus-
zugleichen oder zu überbrücken. Ueber die Verhandlungen
sind wir nun nicht im geringsten unterrichtet; aber soviel
scheint klar zu sein, die drei vördersten Geistlichen Heling,
er, Sehellheimer schlugen wiederum vor, für das
Nürnberger Gebiet. eine norma docírina festzusetzen und
als solche benannten sie-das corpus doctrinae Philippicum,
das 1560 in Sachsen zur Einführung gelangt war. Sämtliche
Geistliche außer den drei Kaplänen Georg Pfeifer, Joh. Bern-
hard, Mich. Fabri waren auch bereit, es anzunehmen!)
Um so erbitterter war der Widerstand der beiden Bruder
Kaufmann. Enthielt es doch z. B. die Ausgabe der loci
communes, in der dem Menschen die facultas applicandi
se ad gratiam zugeschrieben war. Sie proponierten dafür
als Lehrnorm die auf dem Konvent zu Zerbst erst jüngst
benannten Schriften: Augustana, wie sie 1530 dem Kaiser
sein ganze predigt samt der furbit von ime schriftlich begert mit
anseig, daß er den Suntag der predigt erlaßen, damit er solchem bevel
desto ehe nachkumen könt. Als er nun dieselb heutigs morgens
übergeben, die auch beim rat ad longum abgehort, ist ime anzuzeigen
befolen, daß ein erbarer rate dieser seiner furbit ein beschwerlichs
mißfallen trügen, het im keins wegs, viel weniger das er iren er-
berkeiten in disen und andern fellen mas oder ordnung zu geben geburt.
denn es einmal keinen andern verstand haben konnt, dann daß er die
gemeinde damit wider die oberkeit verhetzen wollen. Darum man
wol ursach, in ander wege gegen im zu handln. solte gedenken,
sich solchs in gemein und ins privat zu enthalten oder man würd
uf ander weg gedenken mußen und wollten ire erlerkeiten die sachen
mit offner hand also bei sich behalten. Und weil dann bisher zwischen
ime und seinem bruder und den andern predicanten allerlei zwiespalt
erhalten, wer einem erbern rate beschwerlich, denselben lenger zu
gedulden und weren entschlossen denselben haubthandel furzunemen
und in vergleichung zu pringen, denn sie solchen zwiespalt keins wegs
gedulden künten. Darum solt er sich des predigens bis zu ende dis
streits oder vergleichung deeselben enthalten. diese handlung alle in
hochster geheim halten. Nach solchem sollen die verordneten herrn
beede Kaufmenner gebruder unseümlich erfordern und lautere erclerung
von ir jedem insonderheit begeren” ob sie sich zu der schrift, dern
sich im 63. hie verglichen, welche sie underschrieben, sich darzu be-
kennt und dieselb fur gut geacht, mit handgebenden treuen dieselb
approbiert und ein erbern rate gepeten, sie dabei handsuhaben, noch-
maln bekennen und derselben gemeß predigen und leren wollten oder
nicht, solchs widerpringen.
3) Acta historico ecclesiastica. Weimar. XI, 411. 1747. Zeltner,
vita Helingi 8, 61, kursgefaßte Geschichte 8. 50. |
20
Karl V. übergeben worden war, Apologia, die Schmalkaldischen
Artikel und die beiden Katechismen.
Der Rat wußte nicht, wie er die streitenden Parteien
vereinigen sollte. Sein Blick fiel auf das benachbarte Mark-
graftum. Die Not der Zeit hatte dazu geführt, daß Nürnberg
und Brandenburg in den Fragen der äußeren Politik eng
zusammenhalten mußten; seit Jahren ging ein reger diplo-
matischer Verkehr hin und her; auch konnte man hoffen,
die seitJahrzehnten spielenden nachbarlichen Differenzen durch
gütlichen Vergleich zu beiderseitiger Zufriedenheit zu regeln.
Es lag nahe, auch in kirchlichen Dingen wie einst vor 40
Jahren wieder zusammenzugehen. Auch das Markgraftum
war von den tbeologischen Kämpfen nicht unberührt ge-
blieben; aber nunmehr herrschte Ruhe; die Abmachungen
im Jahre 1570 hatten ihren Zweck erreicht. In Nürnberg
glaubte man des Rates der brandenburgischen Theologen
und Räte sich bedienen zu sollen. Am 13. August 1571
wandten sich die Herren Eltern nach Ausbach. „Es ist
leider vor Augen, mit was beschwerlichem und ärgerlichem
Gezänk die Theologen hin und wieder in einander erwachsen
sind, dadurch je länger je mehr ein Streit und Neuerung
in die christliche Kirche eingeführt, das gemeine Volk
irrig gemacht und auf das letzt, wie leichtlich zu erachten,
nichts gutes daraus folgen kann und wird. So haben wir
auch mit Schmerzen im Werk befunden, daß durch die neuen
subtilen und unsers Verstands mehrerteils solche bisanher
getribene Disputationes und Schriften, die zur Besserung
wenig nütze und dienlich, unserer Kirchen Diener und
Prediger über unsern vorgewendeten möglichen Fleiß auch
zwiespältig worden und uns schier der Schulen, die in solchen
Sachen Richter sein möchten, entrinnen wollen.“ Der Mark-
graf habe die scismata zwischen seinen Kirchendienern gütlich
und ohne alle Weitläufigkeit beigelegt. In Erinnerung an
die gemeinsame Kirchenordnung möge er mitteilen „in was
gestalt und durch welche Mittel solche lobsame Einigkeit
gefunden und getroffen, unsere Kirche und derselben Diener
darnach auch haben zu richten und zu regulieren“ 1). In
Ansbach war man natürlich über diese Streitigkeiten schon
längst unterrichtet. Trotz langjähriger politischer Entfremdung,
ja schroffen Widerstreites ließen sich die geistigen Beziehungen
zwischen den beiden Territorien nicht ausschalten. Karg
war sich deshalb von vornherein klar, daß die kirchliche
Lage im Markgraftum ganz verschieden von der der Reichs-
stadt war. Im Markgraftum hatte es sich doch nur um einen
lokalen Streit gehandelt; in Nürnberg aber lagen die beiden
! ARA. 34, 242.
21
den ganzen Protestantismus im Reiche aufs tiefste bewegenden
Richtungen: Philippisten und Lutheraner im Kampfe. Der
Vorgang Ansbachs bedeutete deshalb für Nürnberg gar nichts,
Ihm war es aber sehr fraglich, ob es überhaupt möglich
wäre, beide Richtungen miteinander zu versöhnen und die
prinzipiellen Gegensätze auszugleichen; am geratensten er-
schien ihm, eine Form zu finden, die für beide Raum bot,
aber zugleich die beiden Extreme „Sakramentierer“ und
„Flacianer“ ausschloß. Dies legte sich ihm um so näher,
als die Philippisten wie die Lutheraner mit Entschiedenheit
eine derartige Bezeichnung ablehnten. So schlug er denn
dem Rate vor, zu den Schriften des corpus doctrinae
Philippicum: 1. den drei Symbolen 2. Augustana 3: Apologia
4. Repetitio Aug. conf. 5. loei theologici communes 6. Examen
ordinandorum 7. Definitiones Appellationum Phil. Mel. 8. Re-
sponsio de controversia Stancari, 9. Responsiones ad impios
artieulos Bav., noch den grofen und kleinen Katechismug
sowie die Schmalkaldischen Artikel als Lehrnorm für das
Nürnberger Gebiet zu bestimmen. Karg glaubte, daß sich
beide Teile darauf einigen könnten. Die Lutheraner mußten
befriedigt sein durch die Aufnahme der Schmalkadischen
Artikel ,war doch in ihnen die Lehre von der Gegenwart
und mündlichen Nießung des wahren Leibs und Bluts Christi
in oder unter Brot und Wein, so guten und bósen Christen
gemeinsam", rund gesetzt; und die Philippisten konnten sich
an die klare und entschiedene Ablehnung der ,erdichteten
physica communicatio idiomatum“ durch das corpus doctrinae
Philippicum halten. Auch hatte man im Markgraftum in,
gleicher Weise Bücher beider Richtungen wie die Aug., Apol,
Repetitio Aug. Conf., loc. communes, Schmalkaldische Artikel
und die Katechismen den Kirchendienern zum Studium
empfohlen!)
Heling, Dürnhofer, Schellheimer liesen sich diesen Vor-
schlag Kargs gefallen, nicht so Johann und Christof Kauf-
mann. Ihre Einwünde waren die alten; die Lehre der Kirche
von dem mündlichen Genuß des Leibes und Blutes Christi
durch Gute und Böse komme noch nicht zum rechten Aus-
druck. An den locis communibus hatten sie vor allem die
Erklärung „liberam arbitrium in homine facultatem esse
applicandi se ad gratiam“ und die drei Ursachen der Be-
kehrung: „Wort, heiliger Geist und des Menschen Wille“
zu tadeln. Die Annahme dieser Schriften würde Nürnberg
in den Verdacht des Calvinismus bringen; sei doch der
1) Gutachten Kargs. ARA. 34, 333 ff. Räte an G. Friedrich
28. 8, 1571. ARA. 84, 243 G. Fr. an die Herrn Eltern zu Nürnberg.
d. d. Bergel 24. 8. 1571. ARA, 31, 246.
Wittenberger Katechismus, der überall als sakramentiererisch
gelte, aus ihnen genommen. Ueberhaupt sei es fraglich, ob
man Melanchthons Schriften solche Bedeutung zumessen
dürfe; seien sie doch meist nach Luthers Tode geschrieben
und von ihm ausdrücklich dem Urteil der Kirche unter-
worfen worden. Warum sollte man Nürnberg etwas auf-
erlegen, was im ganzen Markgraftum noch nicht angeregt
sei. Am einfachsten wäre es, zu bleiben bei der declaratio,
die man 1568 doch ausdrücklich unterschrieben hätte; hätten
die anderen sich an sie immer gehalten, so würde es keinen
Streit gegeben haben.
Der Rat merkte, am ehesten noch würden die beiden
Brüder Kaufmann ihren Widerstand gegen die Unterzeich-
nung aufgeben, wenn sich auch Brandenburg zu gleichem
Vorgehen entschließen würde. Wohl um dies zu erreichen,
sandte man am 2. Januar 1572 einen eigenen Syndikus,
Joachim König, nach Ansbach. „Man spüre aus dem mark-
gräflichen Schreiben vom 24. August 1571, daß es auch Georg
Friedrich für gut finde, wenn die benachbarten Fürsten und
Stände in solcher ganz wichtigen Sache zusammenhielten
und einander die Hand böten um zu verhüten, daß weder
bei einem noch dem anderen teil gefährliche Spaltungen
einrissen, aus welchen Ursachen Markgraf Georg aus christ-
licher Anmut ein besonderer Stifter und Beförderer der da-
zumal zwischen Brandenburg und uns beiderseits aufgerichteten
gemeinen einhelligen Kirchenordnung gewesen, damit gegen-
wärtig und in künftiger Zeit eine einhellige Lehre in beider
Herrschaften Kirchen erhalten werden und bleiben möchte“ !).
Dazu konnte man sich aber in Ansbach noch nicht ent-
schließen. Wohl erklärte Karg, er würde es gern sehen,
wenn die von ihm vorgeschlagenen elf Schriften von sämt-
lichen ev. Ständen als norma judicii angenommen und als
besonderes Buch jeder Kirche zugestellt würden, aber eine
weitere: Bedeutung hatte diese Anregung noch nicht. Er
blieb vielmehr auf dem Standpunkt, daß der von ihm vor-
geschlagene Weg noch immer das beste Mittel sei, um in
Nürnberg zur Einigkeit zu kommen. Durch eine Ablehnung
der bewußten Bticher wtirden die beiden Lutheraner sich
ganz und gar des Flacianismus verdächtig machen, wogegen
sie sich doch bis jetzt immer verwahrt hätten. Wegen des
Abendmahls brauchten sie nach Aufnahme der Schmalkal-
dischen Artikel gar kein Bedenken zu haben; zu allem
Ueberfluß bleibe ja auch noch die alte Kirchenordnung von
1533 in Kraft. Die Lehre Melanchthons über das liberum
arbitrium verstünden sie falsch; Melanchthon rede ja immer
1) Eltern des Rats an Georg Friedrich 2.1. 1572, ARA. 34, 963.
23
vom menschlichen Willen „in der Bekehrung, wenn er ver-
mittels des Worte vom heiligen Geist bewegt und angetrieben
werde“. Karg konnte nicht begreifen, warum die beiden
Kaufmänner sogar gegen Melanchthon Stellung nahmen;
war er denn nicht mit Luther durch die treueste Freund-
schaft verbunden und dessen bester Gehilfe gewesen. Wohl
seien die benannten Bücher Melanchthons zumeist erst
nach Luthers Tode verfaßt worden; aber nur an einem
hätten doch die Lutheraner etwas auszusetzen: den locis
communibus, die wären aber zu Luthers Lebzeiten verfaßt
und von ihm hoch commendirt und gelobt worden. Wohl
habe Melanchthon seine Schriften „dem judicio der Kirchen“
unterworfen; aber damit habe er nur Luthers Beispiel ge-
folgt; in der ev. Kirche müßten sich ja alle Schriften auch
die vorgeschlagene norma judicii der Autorität der heiligen
Schrift beugen. Gar kein Anlaß wäre, sich auf das Mark-
graftum zu berufen, denn auch hier wären Confessio, Augustana,
Apologia, Repetitio Aug. Conf., Loci communes, articuli
Schmalcaldici, die Katechismen und die Kirchenordnung 1533
den Geistlichen als libri methodici zum Studium empfohlen.
Doch glaubte Karg den Lutheranern noch mehr entgegen-
kommen zn sollen. In einem „Katalog“ stellte er noch
einmal die elf Schriften zusammen, welche als Lehrnorm
für Nürnberg gelten sollten. Bei Punkt 3: der Augsburgischen
Konfession setzte er aber hinzu: und sonderlich auch neben
den letzteren die erste Edition lateinisch und deutsch, so zu
Naumburg anno 61 vor Churfursten und fursten ratificirt und
unterschrieben worden). | |
Der Rat berief darauf am 14. April 1572 Heling, Dürn-
hofer und Schellheimer und legte ihnen die Frage vor, ob
sie die von Karg benannten elf Schriften als norma doctrinae
et judicii annähmen. Sie erklärten sich dazu bereit. „Doch
sollten die schmalkaldischen Artikel in ihrem rechten Ver-
stand gebraucht werden und beide Kaufmänner sollten sich
nicht unterstehen, wie Flacius, ihre irrige Lehren damit zu
beweisen: daß die Erbsünde eine Substanz sei, daß der
Mensch wider seinen Willen müsse bekehrt werden, daß er
ein Stock und Block sei, der Mensch sei nicht Gottes Bild,
das Kind werde im Mutterleib vom Teufel formiert und
was dergleichen Artikel mehr sind.“ Anders verhielten sich
Johann und Christoph Kaufmann, die am 19. April bzw.
14. April befragt wurden. Ohne alle Bedenken stimmten
sie nur den drei alten Symbolen, dem großen und kleinen
1) Bedenken Kargs ARA. 34, 250. 254. (abgedruckt als Bei-
lage V.) G. Fr. an die Eltern des Rats. Ansbach 10. 1. 1572.
ARA. 34, 261.
24
Katechismus, der Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln
zu. Bei der Confessio Augustana betonten sie die von Karg
hinzugesetzte Erläuterung. Von den locis communibus wollte
Hans Kaufmann nur die zu Luthers Zeit gedruckten Aus-
gaben anerkennen.. Bedenken hatten sie gegen die repetitio
Aug. Confessionis, Examen ordinandorum, Definitiones theo-
logicae, Responsio Mel.ad impios articulos Bavaricos, Responsio
Melanchthonis de controversia Stancari; sie wollten sie nicht
verwerfen, läsen sie so gern als andere Schriften Luthers
und Melanchthons; aber sie könnteh nicht begreifen, warum
‚sie als norma judicii gelten sollten. Seien sie doch da-
zu auch im Markgraftum noch nicht erklärt worden.
Christoph Kaufmann erklärte sich zur Annahme sämtlicher
Sehriften bereit, falls Nürnberg und Brandenburg auch in
dieser Sache einig vorgingen. Johann zögerte: er würde
tun, was recht ist und mit gutem Gewissen geschehen könnte;
erst wenn alle ev. Stände sich einer einhelligen Norm be-
dienen würden, wollte er sich nicht ausschließen. Beide
aber erklärten bei Aufstellung einer norma doctrinae von
der Kirchenordnung nicht Umgang nehmen zu wollen. Der
Rat war nun der Ansicht, am meisten dadurch erreichen
zu können, wenn er die einzelnen Parteien auch einmal
miteinander verhandeln ließ. Am 3. Juli 1572 fand eine
Besprechung zwischen den 5 Geistlichen statt. Das Protokoll
ist zwar recht farblos abgefaßt, läßt aber doch erkennen,
mit welcher Erbitterung die beiden Parteien einander gegen-
überstanden. Heling und die beiden andern vordersten Geist-
lichen ließen sich davon nicht im mindesten abbringen, daß
die andern eben doch Gesinnungsgenossen des verhaßten
Flacius wären. Scharf geißelte Heling, daß die Kaufmünner
an allen Schriften Melanchthons etwas auszusetzen hätten.
Das Examen Philippi hätte man jahrelang bei der Examination
der Kandidaten in Nürnberg zugrunde gelegt; auch bei
der großen letzten Kirchenvisitation sei es zugrunde gelegt
worden, ohne daß jemand daran Anstoß genommen hätte.
Die definitiones wären eine „tröstliche“ Arbeit; vielen ge-
lehrten Leuten würde schwer fallen, so treffliche Definitionen
zu verfassen. An den beiden letzten Schriften: responsiones
ad Bav. articulos et de controversia Stancari hätte niemand
etwas zn tadeln. Was die beiden bestimme, zeige ihre Ab-
lehnung der repetitio Aug. Confessionis; sie treten damit in
die Fußtapfen Wigands, der allein sie verworfen habe; wenn
sie die locos communes nur mit Vorbehalt annehmen wollten,
würen sie noch Flacianischer als Flacius selbst, der doch
gesagt habe: ego tam nollem perire locos communes quam
me ipsum; nur Gallus und andere Alterlutheraner hätten
sie da auf ihrer Seite, Alle anderen von ihnen erhobenen
Einwendungen bezeichnete er als grundlos. Wenn der Mark-
graf diese Bücher selbst als norma doctrinae vorschlage,
erkläre er doch damit, daß auch in seinen Landen nur diese
Lehre Geltung habe; es habe also wenig zu bedeuten,
wenn sie von den markgrüflichen Theologen nicht noch
förmlich unterschrieben würden. Abzuwarten aber, bis alle
ev. Stände eine gemeinsame Lehrnorm festsetzen würden,
hätte je keinen Wert, schon aus dem Grunde, weil man
damit bekennen würde, daß die Evangelischen in der Lehre
„zweifenlich“ gewesen wären; überhaupt sei es fraglich
schon wegen Flacius und seiner Genossen, ob man je soweit
kommen würde. Am allerwenigsten hätten aber beide Grund,
sich auf die Kirchenordnung zu berufen; denn gerade sie
bringe Osianders und Majors falsche Lehren nur allzu deutlich
zum Ausdruck. Christoph Kaufmann beklagte sich wohl
über die persönlichen Verdüchtigungen, denen er meist ganz
grundlos ausgesetzt wäre, rückte aber doch ganz entschieden
von Flacius ab. „Er sage nicht, daß der Mensch Satans
Bild sei, daß peccatum sit substantia.“ Solche Lehre habe
ihm nie gefallen. Auch die loci communes wollte er sich
gefallen lassen, falls die markgräfliche Erklärung vom freien
Willen zu Recht bestände. Daß er die erste Ausgabe der
Confessio Aug. so sehr betone, könne man ihm nicht ver-
denken; durch die Hinzufügung der Damnation nehme sie
doch allein entschieden Stellung gegen die Sakrainentierer.
Christoph Kaufmann konnte nicht recht einsehen, warum
gerade diese Schriften zur norma doctrinae ausersehen seien;
die Kirchenpostille und die Postille Luthers ständen gewiß
ihnen an Wert gleich. Trotz aller Ausführungen Helings
bleibe er dabei, daß im Markgraftum noch kein Kirchendiener
dieses. corpus habe annehmen müssen; er hielt aber seine
frühere Zusagung aufrecht, im Fall einer gemeinsamen An-
nahme desselben sich nicht ausschließen zu wollen. Auch
Joh. Kaufmann hielt es für nötig, jede Beziehung zu Flacius
abzulehnen. ,So tue er sich auch weder des Flacii noch
des Heßhusii annehmen“; „hab Flacius oder andere viel
angefangen, sollen dieselben sehen, wie sies hinausführen“;
wollte aber dann in eine ausführliche Erörternng tiber die
Lehren eintreten, die ihm eine Annahme des vorgeschlagenen
corpus doctrinae unmöglich machten. Doch ließ es der Rat
nicht soweit kommen; es hätte ja nur dazu gedient, um den
Riß zwischen Lutheranern und Philippisten noch zu erweitern.
Am 8. August 1572 übergab Kaufmann darauf eine besondere
Erklärung über die Gründe, welche ihm die Annahme des
corpus doctrinae unrätlich erscheinen ließen. 1. Nur im
Kurfürstentum Sachsen sei dieses corpus zur Geltung ge-
kommen. Solange die einzelnen Territorien bei der Augs-
26
burgischen Konfession sowie der gebräuchlichen Kirchen-
ordnung geblieben seien, habe es nie Streitigkeiten gegeben.
Das gelte auch für Nürnberg. 2. Die Annahme dieses corp.
doctrinae bedinge nur eine Sonderung vom Markgrafen; denn
er habe noch keinen gleichartigen Befehl in seinem Gebiete
gegeben. 3. Dem Verdacht des Zwinglianismus werde man
nicht entgehen; denn aus dem corp. doctrinae stamme der
Wittenberger Katechismus, der Überall als calvinisch gelte.
4. Nicht bestündiger Frieden, sondern das Gegenteil würde
die Folge sein, ,Bei Beschwerung der Gewissen finge man
gewiß an allerlei Behelfe zu suchen und mancherlei Aus-
legung zu machen).“
In Ansbach entschloß man sich, Nürnberg tatkräftigst
zu unterstützen; vielleicht hatte der Rat durch eine persön-
liche Rücksprache den Markgrafen dazu geneigt machen
können. Karg schlug in Gemeinschaft mit dem Stiftsprediger
Ko. Limmer, dem Hofprediger Joh. Unfug und seinem Ge-
hilfen Adam Francisci dem Markgrafen vor, das vorgeschlagene
corpus doctrinae von allen Superintendenten und Senioren
ober- und unterhalb des Gebirgs unterschreiben zu lassen.
Die beiden Brüder Kaufmann spekulierten darauf, daß eine
Unterschreibung im Markgraftum auf heftigen Widerstand
stoßen würde. Das sei eine Täuschung. Die Aufnahme
des großen und kleinen Katechismus sowie der Schmalkal-
dischen Artikel trete allem Verdacht des Calvinismus ent-
gegen; nur M. Georg. Kayser, Pfarrer von Wendelstein, der
mit Kaufmann gut befreundet sei, würde sich sträuben; es
wäre aber besser, er wohnte über 70 Meilen weg in Oester-
reich und nicht bei Nürnberg an der Ringmauer Von einer
Neuerung würde niemand reden können, würde doch keine
neue Lehre dadurch eingeführt; auch würde nicht mehr
Zank und Unwillen entstehen, wenn man an dieses corpus
gebunden wäre; auch wenn man nur an die heilige Schrift
gebunden sei, könnte man Irrtümern nicht entgehen. In
den vorgeschlagenen Büchern sei „methodus und summa
christianae doctrinae begriffen, expliziert, notdürftig erklärt“;
was in einem zu kurz komme, sei im anderen ausführlicher
behandelt. Allen Postillen und Kommentaren seien sie um
des „methodi“ willen und weil die christliche Lehre ordent-
lich von Artikel zu Artikel darinnen gefaßt, weit vorzuziehen.
Man dürfe nur nicht einzelne Stücke herauszwacken, sondern
!) Memoriale der Nürnberger mit zwei Beilagen A u. B. ARA.
34, 353. 268. (A) 274 (B gedruckt als Beilage VI). Erklärung, warum
Herr Johann Kaufmanu das c. d. nicht annehmen könne. 34,356. Be-
wleitschreiben der Herrn Eltern an den Markgrafen d. d, 9. 8. 1572.
51. 266.
27
müsse immer die perpetua sententia betrachten!) Aber
bevor man noch diesen Vorschlag ausführte, griff man in
Ansbach einen alten Plan Kargs wieder auf. Man wollte
versuchen, die benannten elf Schriften als Lehrnorm für den
gesamten Protestantismus zur Geltung zu bringen. Der Land-
richter J. Chr. von Giech wurde beauftragt, in diesem Sinne
zunächst bei Kurfürst August und dann bei Kurfürst Johann
Georg von Brandenburg vorstellig zu werden (5. Oktober 1572)?).
Ueber den Erfolg seiner Mission verlautet nichts, allem An-
schein nach zeigte schon Kurfürst August keine Geneigtheit,
dem brandenburgischen Plane näherzufreten. So blieb denn
nichts übrig, als allein mit Nürnberg eine gemeinsame Lehr-
norm für die beiderseitigen Gebiete festzustellen. Am 24. Ok-
tober 1572 machte der langjährige Mittelsmann Endres Mus-
mann den Nürnberger Syndikus Joachim König mit den
brandenburgischen Absichten bekannt. Der Rat war natürlich
darüber hocherfreut „hierauf durch Herrn Georg Volkamer
(Kirchenherrn) ihm König befohlen worden, Ehrengedachten
Herrn Musmann zu vermelden, daß solchen Vorschlag ein
erbar Rate zu untertünigem dank gnädig angehört“. Nur
bat der Rat von dem „was ihr fürstlichen Gnaden in
diesen Sachen auf diese jetzt benannte oder andere Mittel
angestellten gnüdigen und treuherzigen Bedenken wären,
dasselbe in einem schriftlichen Ratschlag zu verfassen“, um
ihn in „gebührender Weise mit desto mehr Ernst und An-
sehen den Theologen“ vorzuhalten; auch wünschte er die
Aufnahme der gemeinsamen Kirchenordnung in das corpus
doctrinae ).
Der Markgraı ging auf diese Wünsche ein. Karg ent-
warf das gewünschte Bedenken. „Der Markgraf hábe ver-
nommen, welcher Zwiespalt sich zu Nürnberg erhoben habe.
Der eine Teil wolle das sächsische corpus doctrinae, der
andere Teil nur die Augsburger Konfession, Apologia,
Sehmalkaldischen Artikel, die beiden Katechismen nach der
heiligen prophetischen und apostolischen Schrift zur Richt-
schnur annehmen. Weil nun jede Partei ihre besondere
Opinion und Meinung mit begehrter Norma zu verdecken
meine, solle man zur Erhaltung des reinen, alleinselig-
machenden Wortes Gottes in einem gesunden Verstand und
zur Verhütung allerlei Neuerung alle, Bücher zusammen-
1) ARA. 34, 300 (geschrieben von Karg). 369.
*) Bedenken der vier Theologen (geschrieben von Karg) ARA. 34,
298. 366, Georg Friedrich an den Landrichter. Fol. 289. Der mit-
gegebene Katalog. ARA. 34, 364.
*) ARA. 34, 327. E. Musmann war nach den Verlüssen der
Herrn Eltern den 21. Okt, 1572 in Nürnberg.
28
nehmen und sämtlich eine Norm und Regel der Lehre sein
lassen. Weil der Markgraf eine gemeinsame Kirchenordnung
mit Ntirnberg habe und keine Neuerung, welche derselben
zuwider sei, zulasse, so wolle er um christlicher Einigkeit
und guter Beständigkeit willen die gleiche norma und corpus
doctrinae annehmen, sie jedem Kirthendiener vorlegen und
unterschreiben lassen. Auch solle die Kirchenordnung zur
Verhütung von Verfälschungen angehängt werden. Darinnen
sei christliche Lehre und Gottes Wort methodice ordentlich
und richtig von Artikel zu Artikel gefaßt und widerwärtige
falsche Lehre, Irrtum, Ketzerei und Schwärmerei refutiert
und widerlegt; was in einem Buch zu kurz und zu dunkel
ist, würde im andern erhohlt, compliert, weitläuftig ausge-
führt und erklärt, sintemal man nicht einzelne Sprüche heraus-
zwacken sondern perpetua sententia betrachten solle. Diese
Bücher seien sämtlich ein rechtes, völliges, unmangelhaftiges
corpus, welches zwar der heiligen Schrift nicht gleich ge-
achtet, sondern in allweg nachgesetzt und nur um Richtigkeit
und besseren Verstands willen angehängt werden solle, wie
ja auch Philipp Melanchthon und Luther alle ihre Schriften
dem Urteil der heiligen Schrift und der wahren, christlichen
Kirche unterworfen hätten. Durch diese norma doctrinae
und corpus sollen andere gute nützliche Bücher nicht ver-
dammt werden, sondern diesem gemäß verstanden werden)).
Am 1. Januar 1573 übersandte Georg Friedrich diesen Rat-
schlag nach Nürnberg; er erklärte sich bereit, das corpus
doctrinae auch von seinen Theologen unterschreiben zu
lassen und darnach zu streben, daß es auch andere Stände
annähmen; dann sollten alle diese elf Schriften zusammen-
gedrückt und für jede Kirche angeschafft werden. Und so
geschah es auch?).
Karg, Limmer, Unfug und Francisci hatten sich bereits
im Dezember mit Freuden bereit erklürt, dieses corpus auch
im Markgraftum zur Lehrnorm bestimmen zu lassen. In
einem „gnädigen Gesinnen“ sollten zunächst die Dekane und
Senioren jedes Kapitels ersucht werden, die elf Bücher durch
Unterschrift als norma doctrinae anzuerkennen. Die „Notel“
solle folgendermaßen lauten: Nachdem der Feind des mensch-
lichen Geschlechts allerlei Zwietracht in der Lehre täglich
erregte und des ärgerlichen, schädlichen Gezänks schier
weder Ende noch Maß wäre, damit die Kirchendiener
sich und die Kirchen, so ihnen zu weiden befohlen, vor
denselben verwahrten und bei reinem, gesunden Verstand
göttlichs Worts, wie das in den Kirchen dieses Landes von
1) ARA, 84, 880. D242 Fass. III. Pred. 2.
*) ARA. 34, 294. D212 Fasz. III. Prod, 1.
29
der Zeit der Reformation bis hieher gelehrt und gespürt
worden, einhellig verharrten, er und hielten sie her-
nachbezeichnete. Bücher für die norma döctrinae, nach der
sie sich in Lehre, Predigten richten sollten und wollten:
1. drei alte Symbole, 2. großer und kleiner Katechismus,
3. Augsburger Konfession, sonderlich neben der letzten die
erste edition lateinisch und deutsch, so zu Naumburg 1561
von Churfürsten und Fürsten ratifiziert und unterschrieben
worden, 4. Apologie, 5. Schmalkaldische Artikel, 6. Repetitio
der augsburgischen Konfession, so dem Konzil zu Trient,
vom Churfürsten zu Sachsen übergeben worden, 7. loci com-
munes theol., 8. Examen theol. Phil. Mel., 9. Definitiones
Appell. Mel, 10. responsiones Phil. Mel. ad impios bavaricos
Articulos, 11. responsio Mel. de controversia Stancari, 12. die
brandenburgische Kirchenordnung!).
Gleich im Januar 1573 begab sich der Kanzleischreiber
Martin Danner, nachdem die Theologen zu Ansbach unter-
schrieben hatten, in die einzelnen Kapitelssitze: Lehrberg,
Feuchtwangen (14.1.) Krailsheim, Wassertrüdingen (14. 1.),
Gunzenhausen, Weimersheim (16. 1.), Schwabach, Cadolzburg,
Neustadt a. A. Kitzingen und Uffenheim?), übergab das
„gnädige Gesinnen* des Markgrafen „das Patent“) und ließ
überall die mitgebrachte Notel*) von Dekanen, Senioren
und Kameraren unterschreiben. Anfang Februar ging Christoph
Rupprecht ins Oberland zunächst nach Kulmbach (5. 2.),
dann nach Hof (10.2.), Wunsiedel und Bayreuth. Allein
im letzteren Kapitel erhob sich Widerspruch. Die Unter-
schrift des Dekans Justus Bloch, der Senioren Conr. Bauer-
schmidt von Gesees und G. Rhein von Bayreuth und des
Kamerers Joh. Raming von Bayreuth war so „conditionaliter“
gestellt, daß Karg sie am liebsten in Stücke zerrissen hätte.
1) ARA. 84, 292.
*) d. d. 9. 1. 1578 Ansbach. ABA, 84, 44. Räte an G. Fr. d.
d. 10. 1. 1578. Fol. 806.
5) d. d. Mittw. n. Trium Regum (7. 1.) 1573. ARA. 84, 88. 40.
D 212 Fasz, III. Prod. 12. gedr. G. Th. Strobel, Beytrüge I, S. 367 ff,
*) Die Notel enthält gegenüber dem Entwurf Kargs nur den
kursen Zusatz, daß durch dieses corpus andere Bücher nicht ausge-
schlossen sein sollen und alles der heiligen Schrift gemäß ver-
standen werden soll. ARA. 84, 42. Ms 1112, 126. ARA. Tom.
suppl. II, 872. Das Exemplar mit den Unterschriften der Unterländer
ARA. 84, 46ff. 83 pars. II. Fasz. IV. Pr. 18. D 212, Fasz. III. Pr. 16
gedr. Strobel I, S. 886 fl. J. G. Wunderlich S. 32ff. G. Th.
Strobel, Versuch einer Litterärgeschichte von Philipp Melanchthons
locis theologicis als dem ersten ev. Lehrbuche. Altdorf und Nürnberg
1776. 8. 990ff.
30
Dem erneuten Auftrag, „obne einige Ausftihrung, zankstichtige
Kondition“ zu unterschreiben, kamen sie dann ohne weiteres
nach!).
Bereits am 7. Januar hatten die Dekane die Weisung
bekommen, bei nächster Gelegenheit oder nächster Synode
das neue corpus doctrinae von der Kapitelsgeistlichkeit
unterschreiben zu lassen. Noch im Januar 1573 konnte
Dekan J. B. Lechelius von Krailsheim die Unterschriften
seines Dekanates einsenden?) Im März folgte das Kapitel
Schwabach“). Die übrigen wie Kitzingen“) Langenzenn),
Weimersheim®) Uffenheim’), Feuchtwangen“), Neustadt“),
Gunzenhausen ie), Baiersdorf 10), Wassertrüdingen!) Leuters-
hausen !?) warteten die im Sommer stattfindenden Synoden
ab. Ebenso machten es die Oberländer !“). Einen Wider-
spruch scheint es nirgends gegeben zu haben. Die meisten
1) Georg Fr. an Hauptmann und Räte auf dem Gebirg. 28. 1. 1578.
ARA. 84, 53. Castell Oberhauptmann, N. Stadtmann und Landschreiber
Hofmann an den Markgrafen. Culmbach 14. 9. 1578, ARA. 84, 55.
G. Fr. an Dekan, Senior und Camerarii zu Bayreuth. Ansbach 16. 2.
1578. ARA. 84, 65. Das neue Oberlündische Exemplar ARA. 84, 57.
D 212 Fasz. III. Pr. 15. gedr. Strobel I, S. 398 ff. Credens für Christoph
Rupprecht d. d. Ansbach 6, 2.1578. Wunderlich S. 11. Kraußold
S. 175.
3) d, d. 26. 1, 1573. ARA. 84, 108. 110.
) Chr. Homagius an G. Fr. Schwabach 9.8.1578. ARA. 84, 106 ff.
*) decuriones Kytz. an G. Fr. 19. 5. 1578. ARA. 34, 68 ff.
5) 19. 5. 1578. ARA. 84, 94.
e) Joh. Stiber, Dekan su Weimersheim an G. Fr. 90. 5. 1578.
ARA. 34, 97fl.
7) 26. 5. 1578. ARA. 84, 79. Dekanatsregistratur Uffenheim.
Ret, Rel- und Kapitulsakte 1598—1687. Fol. 71.
*) 26. 5. 1578. ARA. 84, 74.
) Kapitel am 26. 5. 1578, Gg. Leutner, Dekan von Neustadt.
Gg. Danzer, Pf. zu Ipsheim, IMich. Lochner, Pf. zu Schwebheim, Lor.
Kremer, Pf. zu Gerhardshofen an G. Fr. 27. 5. 1578. ARA. 84, 83 fl.
10) Jobst Braun an G. Fr. 8. 6. 1578 (Synode). ARA. 84, 79.
11) Georg Grenner an G. Fr. 7.6.1573. Baiersdorf. ARA. 84, 89.
1 Michael Stieber von Wassertrüdingen an G. Fr. 10, 6. 1878.
ARA. 84, 101.
M) 10. 8. 1578. ARA. 84, 76.
M) Culmbach am 20. 5.1573. ARA. 84,120. Bayreuth 27. 5. 1578.
ARA. 84, 124. Hof. ABA. 84, 126, Wunsiedel. ARA. 34, 198. Am
21. 7. 1578 von der Regierung des Oberlandes nach Ansbach geschickt.
ARA. 34, 118. Zur Stellung des A. Pankratius von Hof s. G. Th.
Strobel, neue Beyträge sur Litteratur besonders des 16, Jahrhunderts.
Nürnberg und Altdorf 1798 IV. 150ff,
31
unterschrieben nur mit ihren Namen. Jobst Braun von
Gunzenhausen unterschrieb auch noch einmal bei der Synode:
manu propria et corde syncero. Lukas Korneffer, Pf. von
Merkendorf: ut una sit vox multarum ecclesiarum et ego
subscripsi. Val. Tilgener, Pfarrer zu Solnhofen: „Unterschreib
mich den tomis Lutheri, der Augsburgischen Konfession, die
nach der ältesten unverfälscht gedruckt ist; auch den andern
Büchern allda bemeldet: insonderheit habe ich lieb das
corpus doctrinae Philippi und irrt mich nichts der Streit vom
freien Willen und Abendmahl, denn hierinnen halt ich mich
an den Katechismus Luthers, der nach der Bibel mein Leitung,
Regel und Norm ist.“ „Weil mein gnädiger Herr Markgraf
Georg Friedrich dermaßen Superintendenten und Räte hat,
welche obgedachter Herrn Präzeptoren dispuli und ich als
der wenigst gewesen, laß ich mir bis an mein Ende solche
Bücher und deren Inhalt wohl gefallen. Des gib ich von
mir mein Joh. Ihenners, Pfarrherrn zum Krebes Handschrift.“
Bernh. Riedhart, Pfarrer in Wiedersberg: hos libros orthodoxos
esse approbat, in cujus rei testimonium propria manu subscripsit.
Wie in Gunzenhausen unterschrieben auch in Uffenheim,
Feuchtwangen, Krailsheim, Kulmbach und Bayreuth die De-
kane, Senioren und Kamerare noch einmal die Erklärung
ihrer Kapitel. Die „Decurionen“ von Kitzingen erklärten:
Zwar habe sich das Kapitel schon auf die concordia ver-
pflichtet, aber eine zweite Unterschrift sei nicht unnötig, um Ruhe
in der Kirche zu erhalten, ne sycophantici isti frivolorum
paradoxorum propugnatores impressionem forte ip nos facere
ac auream hanc ecclesiae tranquillitatem fraudulenter pertur-
bare valeant Wenn doch alle égzugoa illa et ludicra
mataiologorum scripta meiden würden. Dekan Chr. Homagius
zu Schwabach wünschte, daB Gott solche Unterschrift, die
mit der Hand geschehen sei, auch in den Herzen der Lehrer
und Kirchendiener konfirmiere.
Am 1. Januar hatte Georg Friedrich seinem Versprechen
gemäß den „Ratschlag“ übersendet. Am 14. und 15. Januar
verhandelten Gg. Volkamer, Thomas Löffelholz, Philipp
Gender und Christoph Fürer mit den fünf Prädikanten über
die endgiltige Annahme der zwölf Schriften; es wurde ihnen
nach Verlesung des „Ratschlages“ mitgeteilt, daß der Rat
entschlossen sei, gemeinsam mit dem Markgrafen diese Bücher
als norma doctrinae und judicii anzuerkennen. Christoph
Kaufmann erklärte, sich noch nicht mit der Erklärung des
Evangeliums als einer Bußpredigt befreunden zu können.
Johann Kaufmann meinte, daß nur neue und ärgere Streitig-
keiten entstehen würden, weil die Schriften doch vielfach
einander widersprächen. Aber beide hatten gemerkt, daß
der Rat diesmal durchgreifen würde; darum suchten sie auf
32
eine andere Weise die Unterschrift womöglich verzögern zu
können. Sie hatten gewiß davon Kenntnis, daß die Geist-
lichen im Kap. Bayreuth keine Lust hatten, ohne weiteres
der markgräflichen Aufforderung Folge zu leisten. Darum er- .
klärten beide, erst dann unterschreiben zu wollen, weun auch
im Markgraftum das gleiche geschehen würde!) Der Rat ent-
schloß sich nun, die ganze Angelegenheit zu einem endgültigen
Abschluß zu bringen und wenn es nicht anders ginge, auch mit
Gewaltmaßregeln nicht mehr zu zügern?). Thomas Löffelholz
und Hi. Baumgartner begaben sich nach Ansbach, um dem
Markgrafen vorzuschlagen, an einem Tage und auf gleiche
Weise die Unterschrift in beiden Gebieten vollziehen zu
lassen?). Diese Vorschläge waren durch die Ereignisse im
Markgraftum schon überholt. Markgraf Georg Friedrich
konnte nur darauf hinweisen, daß die Unterzeichnung im
Unterlande sich schon dem Ende näherte und dann unver-
züglich im Oberland ins Werk gesetzt werden sollte. Er
erbot sich, dann die Originale dem Rat zu übermitteln. Auch
ließ er den Gesandten ein Exemplar der Notel oder des
Dekrets aushändigen und bat, desselbigen sich auch im
Nürnberger Gebiet bedienen zu wollen. Zwar erklärte er,
gegen Widerspenstige in schärfster Weise vorgehen zu wollen,
und riet, auch in Nürnberg davor nicht zurückzuschrecken.
Aber vorher sollten alle gütlichen Mittel angewendet werden;
der Markgraf war bereit, seine Theologen zu einer Besprechung
nach Nürnberg abzuordnen. Diese machten auch darauf auf-
merksam, daß Chr. Kaufmann den Begriff „Buße“ nicht recht
verstehe. Buße sei gleich Bekehrung und schließe in sich
Reue über die Sünde, Glauben an Jesum Christum, den
neuen Gehorsam*). Am 3. März 1573 sandte Georg Friedrich
Albr. Widmann mit den Originalen der norma doctrinae und
den Unterschriften im Ober- und Unterland nach Nümberg;
er übergab sie dem Ratsherren Gg. Volkamer. Am 6. März
wurde den beiden Brüdern Kaufmann davon auf dem Rat-
haus Kenntnis gegeben. Sie waren erstaunt genug und er-
baten Bedenkzeit. Am nächsten Tage überreichten sie eine
eigene Erklürung; der Rat nahm dieselbe aber nicht an,
!) D 212 Fasz. 9. Pr. 5. Dr. Christoph Gugel an Gg. Volkamer. Pr.3.,
Y D212 Fasz. 8. Pr. 7. Dr. Gugels Bedenken. 19.1.1578. Pr. 8
*) Verzeichnis, was auf das markgrüfliche Bedenken mit den
Theologen zu Nbg. gehandelt. ARA. 84,811. D919. Fass. III. Pr. 4.
gedr. Strobel I. 8.369. Memorial. ARA. 84, 808. D 212, Fasz. III. Pr.9.
9 Antwort des Markgrafen. 94. 1, 1573. ARA. 84, 818. D 919.
Fasz. III. Pr. 14. gedr. Strobel I, 8. 876ff. Bedenken der Theologen
Karg, Limmer, Unfug, Francisci, ARA. 84, 818.
33
sondern bestand auf der Annahme der Brandenburgischen
norma dootrinae. Als sie endlich einwilligten, ließ er
schnell ,eine summarische Norm deutsch verfertigen und
von ihnen uuterschreiben“, damit sie bis zur allgemeinen
Subskription nicht noeh einmal ihren Sinn änderten ). Diese
erfolgte dann im Laufe des März. Am 28. März wurden
die Originale nach Ansbach gesandt; den markgräflichen
Theologen und Räten „die in diesen theologischen Sachen
Mühe und Arbeit gehabt hatten, eine besondere Verehrung
noch überreicht^*). Am 30. 3. 1573 erging dann ein Mandat,
wonach diese norma doctrinae als Lehrnorm für Predigt
und Unterricht erklärt wurde. Der Rat verbot, Worte aus
den Predigten herauszureißen und sie dazu benutzen, um,
Uneinigkeit zwischen den Geistlichen zu stiften; wenn einer
an der Lehre des anderen etwas zu beanstanden habe, solle er
sich freundlich mit ihm unterreden. Ungewöhnliche Phrasen,
subtile Fragen sollten weder privatim noch auf der Kanzel
gebraucht werden; auch mit auswärtigen Theologen sollten
keine Disputationen geführt werden*) Im Mai 1573 ließ
man diese norma doctrinae auch von den tuchtigsten Geist-
lichen auf dem Lande unterschreiben“).
1) D 212 Fasz. III, Pr. 14. ARA. 84, 386 gedr. Strobel I, 8. 3961.
Relation des Abraham Widmann. ARA. 84, 889. Nürnberg an Georg
Fr. 9. 8. 1573. ARA. 84, 388. D 219 Fass. III. Pr.17. Briefbuch
187, 119 b.
8) ARA. 34, 841 ff. (Briefbuch 187, 149 b). [844 die Unterschrift
der Nürnberger Theologen gedr. Beilage VII] D 212 Fasz. 3 Pr. 18.
Gutachten von Gg. Karg, K. Limmer, Joh. Unfug, Adam Francisci.
ARA. 84, 851. Das Nürnberger Exemplar der norma doctrinae D 212.
Fol. 28. Ms. 1112, 126. Erl. Univ. Bibl. 918. Zeltner, kurzgefaßte
Geschichte. S.58f. Bibl. Nor, Will. II, 855, 860 gedr. Acta historico
ecclesiastica Weimar 1747 XI, 419. G. Th. Strobel, Versuch einer
Litterär Geschichte von Philipp Melanchthons locis theologicis als
dem ersten Evangelischen Lehrbuche. Altdorf und Nürnberg 1776.
8. 988 ff.
3) cf Dr. Gugels Concept. D 212. Fasz. 8 Pr. 19. Der Befehl
D 212 fol 26 fl. Ms. 1112, 121ff. Zeltner, kurzgefaßte Geschichte
S. 54. Erl. U. Bibl. 1458, 231. Stadtbibl. Nürnberg. Solg. I, 82. Bibl.
Nor. Will. II, 865, 860, 868. gedr. A cta historico ecclesiastica XI,
414f. Strobe! I, 399 fl. cf, Ratsbuch 34, 278.
*) R. V. 20. 5. 1573: auf Herrn doctor Gugels des eltern ver-
lesens bedenken, die subscription normae seu corporis doctrinae aufm
Land betreffend, soll man demselben bedenken gemäß die furnemsten
pfsrrer und kirchendiener in den furnemsten meiner herren flecken
und wo es die verordenten herren sonsten mer fur notwendig ansehen
werden underschreiben lassen und das werk also vollend verrichten,
Archiv für Reformationsgeschichte, XX. 1/3. 8
34
IV.
Diese zwölf Schriften bildeten also nunmehr die Bekenntnis-
schriften der Nürnbergisch-Brandenburgischen Kirche. Aber
bald sollten sich beide Gebiete wieder voneinander sondern.
In Nürnberg blieben sie bis zum Ende ihrer Selbstündigkeit
in Kraft; auf dem Kirchen- und Vormundamt mußte sie jeder
Pfarrer unterzeichnen!); wiederholt wurden sie später ge-
druckt“), ein Exemplar dieser libri normales mußte jede
Pfarrei besitzen. Ja man kann sagen, auch heute noch gelten
sie im Gebiete der ehemaligen Reichsstadt. Denn in der
Zeit der Gründung der bayr. Landeskirche dachte niemand
daran, der Kirche besondere Schriften als Norm aufnötigen
zu wollen. So sind die Nürnbergischen libri normales nie
fórmlich aufer Kraft gesetzt, noch die Symbolischen Bücher
der luth. Kirche ausgesprochenermaßen an deren Stelle
getreten.
Anders im Markgraftum. Durch Ànnahme der Konkordien-
formel und des Konkordienbuches wurde nicht nur obiges
eorpus doctrinae auDer Geltung gesetzt, man sagte sich doch
auch vom Geiste Melanchtbons los, der in ihm zum Ausdruck
gekommen war. Aber auch in den wenigen Jahren seiner
offiziellen Geltung kostete es manchen heftigen Kampf um
seine Annahme zu erzielen. Erinnert sei uns an Benedikt
Thalmann aus Münchberg und Heinrich Brem von Hof, die
sogar gefangen genommen wurden, weil sie die Unterschrift
verweigerten. Doch verdient diese Angelegenheit eine eigene
Darstellung). Es kann nur soviel gesagt werden, im Mark-
graftum neigte man immer mehr zu den Lutheranern; das
kam auch in diesen Prozessen zum Ausdrucke. Hatte es
1573 heißen können: man habe Luther durch Philipp er-
klären wollen, als man die zwölf Bücher zur norma doctrinae
annahm, so tat sich jetzt immer mehr das Gegenteil kund )).
Luthers Autorität verdrängte Melanchthon. Allein eine Affäre
sei in Kürze behandelt. Durch eben genannten Prozeß hatte
sich in Ansbach die Meinung gebildet, daß die markgräflichen
Stipendiaten in Wittenberg nür allzusehr vom calvinischen
Geist angesteckt würden. Man beschloß, auch sie zur Unter-
schreibung der norma doctrinae zu verrnlassen; besonders
aber wollte man sie bei der luth. Abendmablslehre festhalten.
!) Stadtbibl, Nürnberg. Bibl. Nor. Will. II, 868. Das Subskriptions-
buch befindet sich nunmehr im Besitz des Herrn Ober-Reg. Rates Frh.
von Haller in Nürnberg.
*) 1646 und 1721: ibidem II, 368, 864.
) Ansb. Rel, Akten Tom. 88 pars II. cf. K. H. Lang 3, 375.
) Bedenken Joh. Kaufmanns in der Zeit der Beratung über
Annahnie der Koukordienformel, 27.1.1578. Ms. 1110, 855 Punkt 38.
35
Darum wurde ihnen folg. Formel durch Professor Paul Krell
im Januar 1575 vorgelegt: „Und daß ich sonderlich auch
halte und glaube, daß inhalts heiliger Schrift und gedachts
eorporis doctrinae einhelligem, stetem Consens Herrn Lutheri
und Philippi nach der wahre, wesentliche Leib und Blut
unsers lieben Herrn Jesu Christi übernatürlicher, himmlischer
und menschlicher Vernunft unbegreiflicher Weise laut seiner
klaren Worte wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei
in seinem heiligen Abendmahl und mit Brot und Wein aus-
geteilt und mündlich empfangen werde von guten und bösen
Christen und es also nicht halte mit den Sakramentierern,
Zwinglianern und Calvinisten. Verheiße, verspreche und
gelobe auch hiemit in Kraft dieser meiner wahrhaftigen
Bekanntnus, daß ich neben andern meinen notwendigen
Studiis ermeldet corpus doctrinae fleißig lesen und studieren
und dagegen sakramentiererische verführerische Schriften und
Bücher samt andern Irrtümern und Lehren, so heiliger Schrift
und oftgedachtem corpus doctrinae zuwider sind, fliehen und
meiden wolle ).“ Die meisten unterschrieben am 7. Januar 1575:
Nic. Wittich von Marktleuthen?), Matthäus Gemlich von Hof’),
Georg Poschel von Pegnitz*); am 8. Januar: Arnold Ferber“),
Christoph Meier von Hof“), Wolfg. Manlius?) von Langen-
zenn, Salomon Streitberger von Hof“), Andr. Menger von
Ebersbach °), Timotheus Albinus von Uffenheim 1), Joh. Sebald
von Windsbach 10), Joh. Hutten von Kulmbach !?), Gg. Birkner
von Zwerniz !), Joh. Franzk von Jügerndorf!*, Joh. Faber
von Kitzingen ““); am 9. Januar: Joh. Schönherr von Krails-
1) Notula subscriptionis et confessionis proponenda stipendiariis.
ARA. 34, 986. 288.
5) immatrikuliert 22. 8. 1578, — ARA. 84, 194.
9) immatrikuliert 8. 1. 1578. — ARA. 84, 186.
*) immatrikuliert 14. 5. 1566. — ARA. 84, 156.
) immatrikuliert 24. 10, 1578. — ARA. 84, 154.
) immatrikuliert 12. 5, 1578. — ARA. 84, 158.
7) immatrikuliert 18. 4. 1578. — ARA. 84, 160.
5) immatrikuliert 8. 1. 1676. — ARA., 84, 168. Bemerkung
ist richtig.
) immatrikuliert 4. 5. 1574. — ARA. 84, 170.
10) immatrikuliert 24. 10. 1578. — ARA. 84, 173.
11) immatrikuliert 5. 5. 1574. — ARA. 84, 176,
19) immatrikuliert 9. 10. 1571. — ARA. 84, 178 „hat nicht per-
sönlich erscheinen wollen“.
19) immatrikuliert 17. 11. 1572, — ARA. 84, 180,
M) immatrikuliert 6. 1. 1571. — ARA. 84, 190.
15 immatrikuliert 14. 6. 1570. — ARA. 84, 192.
30
36
heim!); am 10. Januar: Joh. Bermuth von Ansbach“), Eras-
mus Seheuermann von Feuchtwangen*) Ferner: Joh. Herzog
von Schwabach“) und Joh. Nagel von Wunsiedel“). Die
drei Juristen: Seb. Kaiser von Ansbach) Joh. Büttner von
Wiesenbrunn?) und Val. Dreßler von Lübschütz*®) unter-
schrieben zwar am 10. Januar 1575; doch wollten sie ihrem
Gewissen in den Dingen, die sie noch nicht verstünden,
nicht vorgreifen?). Joh. Codomann von Schauenstein fügte
ein: „und daß ich sonderlich auch bisher und noch jetziger
Zeit, wie und soviel ich noch bis dahin neben meinen andern
studiis linguarum et artium philosophiae in heiliger Schrift
und scriptis Lutheri und Philippi hievon gelesen und gehört,
gelernt und in Summa verstehe, halte und glaube, daß inhalts
heiliger Schrift . . .*!9. Georg Stang von Feuchtwangen
erklärte: sich bisher nur in Grammatik, Dialektik und Rhe-
torik getibt zu haben; er sei bisher bei dem einfachen Ver-
stand des Katechismus geblieben; die formula des Markgrafen
lasse er sich aus Gehorsam gefallen, wenn er auch noch
nicht alles verstehe !). Friedrich Monniger aus Gunzen-
hausen fügte ein: „und daß ich derwegen auch, diese Zeit
und meiner Studien Gelegenheit nach, soviel ich bis daher
in heiliger göttlicher Schrift und seriptis Lutheri und Philippi
gelesen und erlernet, auch noch verstehe, halte und glaube,
daß inhalts heiliger Schrift . . .“ 1). Joh. Gall von Berneck !°),
Mag. Justus Bloch von Baireuth“), Mag. Joh. Fischer von
Kirchenlamitz“), Joh. Wagner ) und Joh. Han !?) von Kulmbach,
M. Georg Besserer von Kitzingen !“) und Mag. Joh. Lenk “
1) immatrikuliert 18. 7. 1570. — ARA. 84, 152.
3) immatrikuliert 17. 6, 1568. — ARA. 84, 150.
3) immatrikuliert 15. 5. 1573. — ARA. 34, 164,
9) immatrikuliert 5. 6. 1568. — ARA. 84, 174,
5) immatrikuliert 29. 1. 1574. — ARA. 84, 182.
*) immatrikuliert 24, 10, 1568, — ARA. 84, 196.
?) immatrikuliert 17. 6. 1566. — ARA. B4, 198.
) immatrikuliert 16. 7. 1568. — ARA. 84, 200.
*) d. d. 10. 1. 1576, — ARA. 34, 188.
10) immatrikuliert 99. 4. 1570. — ARA. 34, 160.
11) immatrikuliert 24. 10. 1573. — ARA. 84, 162.
19) immatrikuliert 27. 5. 1570. — ARA. 84, 188. Karg bemerkt:
ist richtig.
18) immatrikuliert 5.5.1569. 14) immatrikuliert 26. 10. 1570.
15) immatrikuliert 5. 10. 1570. 16) immatrikuliert 9. 5. 1572.
1?) immatrikuliert 29, 1. 1574. 19) immatrikuliert 1565. Theo-
logische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-
verein. N. F. XVII, 63fl. Tübingen 1917. 19) jmmatrikuliert
17. 6. 1568,
37
von Wassertrüdingen hatten die Universität unter Angabe
mancherlei, Paul Crell nicht recht glaubhafter Gründe ver-
lassen. Wenzeslaus Gurkfelder von Tarnowitz und Mich.
Dreßler von Lübschütz lehnten eine Unterschrift ab; nicht
nur, weil sie die Schmalkaldischen Artikel und die Kirchen-
ordnung noch gar nicht gelesen hatten, sondern vor allem
wegen der Betonung der luth. Abendmahlslehre. Gurkfelder
wollte nur eine praesentia ministerii oder sanctificationis im
Abendmahl gemäß Melanchthon annehmen; Dreßler erklärte
offen, darüber noch zu keiner Klarheit gekommen zu sein !).
Paul Krell war mit diesen Zusätzen und Weigerungen höchst
unzufrieden?) 5: Gurkfelder, Mich. Dreßler, Georg Stang,
Erasmus Scheuermann, Joh. Codomann bezeichnete er offen
als Calvinisten*). Viel ruhiger betrachtete man die Sache
in Ansbach; noch lebte ja Georg Karg, der seine Vergangen-
heit noch nicht verleugnen konnte. Die, welche unterschrieben
hatten, wenn auch mit Limitation, behelligte man weiter
nicht; die, welche bereits Wittenberg verlassen hatten, als
die norma judicii zur Unterschrift vorgelegt wurde, bekamen
die Weisung, sofort sich dahin zu begeben*) Ob sie sich
den anderen Stipendiaten anschlossen, wissen wir nicht; vor-
handen ist neben der Unterschrift des Justus Bloch nur noch
eine längere Erklärung des Mag. Joh. Lenk: „me syncera
mente amplecti doctrinam in corpore doctrinae ducatus et
burggraviatus Noribergensis comprehensam juxta perpetuum
D. Lutheri et Philippi consensum“ ). Wenzel Gurkfelder*)
und Mich. Dreßler“) verweigerten zwar auf erneute Auf-
forderung hin die Unterschrift nicht; erklürten aber beide
,damit ibrem Gewissen nichts prüjudizieren zu wollen".
!) Erklärung beider an G. Fr. d. d. 12. 1. 1575. Wittenberg. ARA.
34, 141, Mich. Dreßler an Andr. Junius d. d. Idibus Januarii 1575. Fol. 220.
3) Paul Krell an Andreas Musmann d. d. Wittenberg 14. 1. 1575.
ARA. 24, 131. Paul Krell an G. Fr. d. d. Wittenberg 15. 1. 1575.
ARA. 34, 184.
) ARA. 34, 148b.
4) Bedenken von Karg, Conrad Limmer, Joh. Unfug, Adam
Francisci. ARA. 84, 224, Georg Fr. an Paul Krell und Mag. Martin
Heinrich, den neuen Inspektor des Stipendiaten. d. d. 7. 8. 1575. Ans-
bach. ARA. 84,229. G.Fr. an M. Joh. Lenk und Mag. Joh. Besserer.
A, 25. 2, 1575. ARA. 84, 226.
5$) ARA. 34, 208, 284.
©) immatrikuliert 3. 7. 1568, s. Erklärung ARA. 84, 210, Brief
an den Markgrafen. ARA. 84, 218. d. d. 21. 8. 1575.
7) immatrikuliert 21. 7. 1570. Erklärungen am 21. 8. 1575.
ARA. 84, 201 an G. Fr. 21. 8. 1575. ARA. 34, 218. Dr. Paul Krell und M.
Martin Henricus an G. Fr. d, d. Wittenberg 22. 3. 1575. ARA. 84, 144.
Vier Reformationsbriefe aus dem Arolser
Archiv.
Mitgeteilt von Superintendent Nebelsieck.
1. Johannes Pistorius) an Graf Wolrad II von Waldeck ).
1555, März 15., Nidda, Ä
Arolser Archiv. Reformations- und Religionssachen. Original.
Erinnerungen an das Regensburger Religionsgespräch von 1546 und
wichtige, interessante Mitteilungen über das Ergehen der prote-
stantischen Teilnehmer an demselben. Allgemeine Bemerkungeh über
kirchliche Zeitereignisse.
Tuae celsitudinis literas heri debita cum reverentia acce}
atqüe primum egi gratias Deo aeterno patri domini nostr.
Jesu Christi, quod t. c. audio ef corpore ef animo una cum
suis omnibus et bene ef pie valere, atque peto in nomine
domini nostri Jesu Christi, uf t. c. una cum suis omnibus
adhue diu incolumes et salves conservef, in nominis sui
gloriam ecelesiaeque suae profectum, maxime vero suorum
salutem.
Vere scribit c. t. iam annum praeterisse nonum Do-
minica Reminiscere, quo sanctum et eruditum sodalitium
Augustanae confessionis solutum est, et ita solutum, ut non
credam simile congregandum, doneo hic durat mundns “).
Portendebat enim haeo solutio non exiguam dissipationem
1) Johannes Pistorius (1508?—1588), Pfarrer in Nidda, Ver-
trauter des Landgrafen Philipp von Hessen, Freund Melanchthons.
y Graf Wolrad von Waldeck (1509—1578), eifriger Förderer
der Reformation. Wolrad und Pistorius nahmen im Auftrage des
Landgrafen Philipp von Hessen an dem Regensburger Religions-
gespräche von 1546 teil.
*) Auflösung des Regensburger Religionsgesprächs im März 1546,
Die Verhandlungen blieben ergebnislos. Es war dem Kaiser Karl V
von vornherein nicht um eine Einigung zu tun gewesen, er wollte
vielmehr nur durch Täuschung der Protestanten Frist für seine
Rüstungen gegen den Schmalkaldischen Bund gewinnen. Die prote-
stantischen Stände riefen schließlich ihre Abgeordneten ab.
39
ecclesiae consecuturam, sicut etiam consecuta est, et timen-
dum propter nostrorum ingratitudinem et defectionem maiorem
adhue subsecuturam. Etsi enim, sicut literae nostri principis
ad me perseriptae rursum testantur colloquium fore insti-
fuendum Augustae Vindelicorum religionis gratia, ad quod
rursum me vocat, tamen sodalitium tam sanctum et eruditum
exspectare nequeo et boni nihil ex illo etiam mihi polliceri
possum, cum non ex animo colloquium instituatur, ut obtineat
veritas, sed ut praestigiis eo magis obscuretur, ut vere
oporteat nos cogitare incidisse in talia tempora, in quibus
orationem Augustini a.c. t. recitatam serio vera poenitentia
et fide orare quotidie oporteat.
Certe etiam hoc tempore colloquii Ratisponensis postremi
Sathan ecclesiam satis superque crib avit, ita ut, nisi Christos
Sponsus et caput sua deprecatione pro nostri temporis
ecclesia intercessisset, ceríe actum de ea et nobis omnibus
fuisset. Oportet enim nos fateri cum Esaia dicente; „Nisi
dominus reliquisset nobis semen, sicut Sodomea et Gomorrha
facti essemus“!), atque cum Jeremia propheta: „Misericordia
Dei est, quod non consumpti sumus“ ). Re ipsa experti
sumus de vera ecclesia vere-dixisse nostros maiores eymbam
Petri fluctibus obrui posse at non submergi.
Vere scribit t. c. fore quosdam, qui haee nostra fata
posteritati commendent, nam hisce nundinis iam proxime
futuris Francofordiensibus habebimus cronicam Argentinensis
cuiusdam, quae continet historias ab anno 16, in quo Lutherus
incepit divina excitatione evangelium paulatim illustrare,
usque ad annum 54°).
Facit autem t. c. mihi rem gratissimam, quod sodali-
tium hoe nostrum Ratisponense fam diligentur describit*)
ac confert eos, quas divina elementia ex hoc malo mundo
ad suam aeternam conversationem ef patriam recepit, cum
nobis, qui adhue in hac misera vita cum carne nostra,
mundo et Sathana conflictamur. !
Laurentium Zogium°), doctorem eximium ef pium, in
media tragoedia ad se vocavit Deus pater domini nostri J. C.,
) Jes. 1,9.
*) Jerem, Klagel. 8, 22. '
5) Jedenfalls denkt Pistorius an das Werk des Straßburger Ge-
lehrten Johannes Sleidanus: De statu religionis et reipublicae Carolo V
Caesare Commentariorum libri XXVI, erschienen 1555.
*) Graf Wolrad hat über das Regensburger Religionsgesprăch
ein ausführliches Tagebuch geführt, dasselbe ist herausgegeben von
V. Schulze, Archiv für Reformationsgeschichte 7. Jahrgg. 1909/10.
5) Dr. Laurentius Zoch, Professor der Jurisprudenz in Wittenberg,
nahm an dem Gesprüch als Auditor teil. l
40
ne videret tanta mala et patriae et christianissimi principis
electoris ducis Joannis Friderici, Ita enim, ut propheta
Esaias dicit!) iusti abripiuntur et nemo considerat. Sicut
etiam beatissimus pater D. Lutherus piae memoriae ante
haec mala omnia abreptus nobis est, uf re ipsa compro-
baretur, qualem prophetam in ipso Deus nobis dedit.
Georgius Maior?) adhue suam tenet speculam, ef licet
humani aliquid forte passus sit, tamen ego a multis nostrorum
candorem requiro in diiudicandis aliorum delictis. Si enim
dietum illud Maioris rite et recte ponderetur sine invidia et
philautia, in quo dicit, bona opera sicuti etiam poenitentiam
esse necessaria ad salutem, nescio, quo pacto ob id tanta
tragoedia excitetur, maxime cum ipse in tot scriptis publice
editis sese declaret nec latum digitum a nobis in iusti-
fieatione discedat. Legantur commentaria in epistolas Pauli
ad Ephesios et Philippenses, item contio habita in die con-
versionis Pauli et iudicetur ex hisce de hac controversia,
tum luce clarius liquebit (ut ita dicam) esse contentionem
logomachiae potius quam rei ipsius. Quare ego sepositis
affectibus Georgium Maiorem imo dona ipsi a Deo collata
veneror atque ex animo complector,
D. Bucerum?), os Dei, ingrata Argentina trusit in exilium
Angliae, ubi summa cum laude vivente rege nec omnino sine
fructu Christum professus est atque edidit librum de regno
Christi, omne aurum mundi longe superantem, quem iam
laboramus nancisci, ut nostris impressoribus possit tradi ad
imprimendum ef vulgandum etiam per Germaniam. Hic in
Anglia superos conscendif, postquam prophetiam suam Anglis
ingratis aperuisset, quam iam, heu dolor, nimis veram esse
re ipsa sentiunt. Uxor autem ef unica filia superest; at per
) Jes. 57, 1.
*) Georg Major, geboren 1508 in Nürnberg, gestorben 1574 als
Professor der Theologie in Wittenberg. Er nahm als Vertreter
Melanchthons an dem Religionsgespräche teil. Seine Behauptung,
daß die guten Werke sur Seligkeit notwendig seien, erregte den
sogenannten Majoristischen Streit (1552), in welchem besonders Nico-
Jaus Amsdorf und Matthias Flacius als Gegner Majors hervortraten.
*) Martin Butzer, geb. 1491 in Schlettstadt, gestorben 1551 in
Cambridge. Er kam 1528 nach Straßburg, wurde dort 1524 Prediger
an St. Aurelien, später an St. Thom& Im Verein mit Zell, Capito
und Hedio führte er die Reformation in der Stadt zur Herrschaft.
1549 verließ er, wegen seiner Bekämpfung des Interims bei dem Rate
mißliebig geworden, Straßburg und begab sich nach England, wohin
ihn Thomas Cranmer eingeladen hatte. Hier erschien veine in dem
Briefe erw&hnte Schrift: ,de regno Christi^, 9 Bd. — Butser war auf
dem Religionsgespräch der tüchtigste Vertreter der evangelischen Sache.
41
regem Angliae piae memoriae divina largitate ita donata
est uxor, ut commode et pie vivere possit. Rex enim curavit
illam vehi ad Argentinam salvo conductu et 800 anglotes
illi donavit, quae iam quarta vice matrimonium ingressa iuncta
est eruditissimo viro Osualdo Mycenio!) Ante Bucerum enim
habuit Capitonem?), ante quem Oecolampadio*) copulata fuit.
Deus pater domini nostri Jesu Christi det, sicuti et
fua c. pie optat, uf quem una in domo hic commorari non
licuit neque licebit, in illa magna domo, in qua nobis man-
siones paravit pater domini nostri Jesu Christi, una con-
veniamus in aeternum cohabituri in sempiterna felicitate.
D. Hiltnerus*), bonus ille senex, adhuc proximis praeteritis
nundinis Francofordiensibus supervixit et divina bonitate
vidit ecclesiam Ratisbonensem rursum habere suos concio-
natores, excepto optimo viro Doctore. Nopo), qui astra
conscendens nos reliquit,
Quid dicam de D. Vito Theodoro?) quem virum si
Deus nobis reliquisset, una cum D. Crucigero?) habuissemus,
qui partes et vices D. Lutheri sancti nobis supplere potuissent.
Verum iuxta prophetam omnia eveniunt: pereunt iusti et
nemo considerat, ne videant mala terrae. Mors enim tan-
torum virorum accidit non temerario casu, sed divino consilio,
ut nobis significarent tragicas calamitates et ingentia mala
imminere nostro orbi.
Abiere etiam interim ad suos daemones nostri anti-
gonisíae, qui rebus ecclesiae potuissent melius consuluisse,
si Deum praeposuissent imperatori. Verum iam sentiunt
imperatorem ipsos etiam in hac vita non potuisse servare,
et illis deletis adhuc regnat Christus evangeliumque suum
refinet cursum. Excepto enim misero homine et infelice
canonico Eystatense Cochleo5) de quo nihil certi habeo,
reliqui omnes coelum cum terra perdiderunt.
!) Oswald Mykonius, geboren 1488 in Luzern, gestorben 1552
als Pfarrer und Professor der Theologie in Basel.
1) Wolfgang Capito, geb. 1478, gest, 1541, Prediger und Refor-
mator in Straßburg.
) Oecolampadius, geb. 1482, gest. 1581, der Reformator der
Stadt Basel.
*) Johannes Leittner, Ratsherr in Regensburg.
5) Hieronymus Nopus, 1543 Pfarrer in Regensburg.
*) Veit Dietrich, geb. 1506, gest. 1549, Pfarrer in Nürnberg, mit
Luther und Melanchthon befreundet.
7 Kaspar Cruciger, 1504—1548, Professor der Theologie und
Prediger in Wittenberg, Luthers Gehilfe bei der Bibelübersetzung.
) Johannes Cochlaeus, 1479—1552, Kanonikus in Meißen und
Breslau (nicht, wie Pistorius annimmt, in Eichstedt), erbitterter Gegner
42
De Nicodemis quoque nihil comperti habeo. D. Schnepfius!),
misere tractatus a mundo et a suis, tamen vel tandem etiam
portum attigit in hac vita et Jenae florente et schola et
ecclesia vitam agit. Didicit ipsa re promissionem Christi
veram esse, ubi dicit: si quis reliquit patriam, parentes,
domum etiam propter me, reperiet centuplum cum tribulatione
et habebit vitam aeternam.
Quid dicam de fortitadine D. Frechti*), viri humanissimi, -
qui ex ignea fornace liberatus iam Christum suum profitetur
maiore parrhisia quam olim unquam ef domini consolationem
ipsa re expertus est.
Brentius?) noster, per aquas, per ignem deductus, tamen
propter ecclesiam conservatus est et centuplum accepit pro
omnibus amissis. Habet principem elementissimum, qui donavit
illi et domum egregiam et reditus non exiguos. Is iam agit
summum visitatorem in ducatu Wirtembergensi et ecclesiis
suis lucubrationibus fideliter inservit, id quod testatur vel
primi libri Samuelis commentarius, qui modo extat. Quam
vellem t. c. cum eo inisse in Prussiam, an illi irreparabili
modo potuisset praeveniri*).
Non ignoro multos esse, qui insimulent Brentium Osian-
drici veneni atque huc res deduxisse, ut etiam fuerint aliquamdiu
Luthers und der Reformation, nahm an dem BRelig'onsgesprüch als
Kolloquent teil.
1) Erhard Schnepff, 1495—1558; 1526— 15841 Professor und Prediger
in Marburg, 1534 von Ulrich v. Württemberg zur Durchführung der
Reformation berufen, Prediger in Stuttgart, Professor und Prediger
in Tübingen, nahm an dem Regensburger Gespräch teil, wurde 1548
nach der erzwungenen Einführung des Interims in Württemberg aus
seinen Aemtern entlassen und erhielt 1549 eine Professur in Jena,
Als Anhänger der strenglutherischen Riehtung wurde er 1556 in die
Streitigkeiten mit den Wittenberger Philippisten hereingezogen.
?) Martin Frecht, 1494—1556, wurde 1533 Prediger in Ulm,
1548 auf Befehl Karls V. verhaftet, 1549 aus dem Gefängnis entlassen,
lebte bis 1550 im Exil, wurde dann Stiftssuperintendent in Tübingen
und 1552 Professor daselbst.
) Johann Brenz, 1199—1570, Reformator der Reichsstadt
Schwäbisch-Hall, wo er seit 1522 als Prediger wirkte. 1548 mußte
er flüchten. Nach schweren Verfolgungen wurde er Berater des
Herzogs Christoph von Württemberg, der ihn 1553 zum Propst und
ersten Prediger an der Stiftskirche in Stuttgart ernannte. Er beteiligte
sich an dem Regensburger Religionsgespräch. ;
4) Andreas Osiander. 1498—1552, Prediger in Nürnberg, hatte
diese Stadt wegen der Einführung des Interims verlassen und bei
dem Herzog Albrecht von Preußen Aufnahme gefunden. Er wurde
zum Prediger an der altstädtischen Kirche in Königsberg und zum
43
simultates inter Wittenbergenses et ipsum Brentium, verum
quam vere et iuste, viderint ipsi. Ego scio et affirmare
possum Brentium eundem esse et animo et sententia et
professione erga religionem nostram, quo fuit semper et
divina bonitate etiam perpetuo erit. Nam quod quadam
mitigatione errorem Osiandri curavit leniri, ita tamen, ut
de veritate nostrae iustificationis nil decederet, scio ego
causas atque ea de re etiam multa cum d. Isenmanno !),
suo affini, egi. Qua re non est, ut tua celsitudo aliquid sinistri
de D. Brentio cogitet vel persuaderi sinat; scio enim, quae
scribo vera esse.
Nobiles illi viri et Balthasar Gultingerus*) et Georgius
Volekmarus?) adhuc vivunt, sed non sine magno maerore ob
patriae calamitates, licet Deus Suevos nune rursum facie
magis amica respiciat. Nee ignoro autem, quanta t. c. passus
sit interim et hodie patiatur ab Antichristi satellitibus conclusa
‘fere cum sua ditione, et tamen non diffido verissima consolatione
ac forti fide t. c. posse Deo patri nostro in Christo in laudem
ac gratiarum actionem canere illud Virgilianum: „o socii,
olim graviora passi, dabit Deus his quoque finem, sie enim
itur ad astra“. Ita ait dominus ac episcopus noster ad
euntes in Emaus; „nonne oportuit Christum pati et sic intrare
in suam gloriam“? Oportet enim nos conformes fieri imagini
filii Dei; si cum Christo patimur, cum ipso regnabimus, Quare
non dubito Deum patrem domini nostri Jesu Christi t. c.
una cum illustri domina uxore ef liberis adhuc diu sanam
salvamque conservaturum atque cum foenore restituturum,
quae pro nominis sui gloria et confessione verbi expendit
et erogaía est. |
Professor an der dortigen Universität ernannt. Seine von der herrschenden
Auffassung der Rechtfertigung abweichende Lehre, daß durch die reale
Einwohnung Christi der Mensch gerecht gemacht werde, erregte einen
sehr heftigen Streit. Der Herzog rief die Vermittlung des Joh. Brenz
an, und dieser bemühte sich, die Gegner zu versöhnen, zog sich aber
dadurch die Feindschaft der Königsberger und Wittenberger Theologen
zu. Brenz hatte einen Ruf nach Preußen ausgeschlagen. Graf Wolrad
von Waldeck sollte an einer Abordnung, die der Kurfürst Johann
Friedrich von Sachsen 1553 an den Herzog Albrecht von Preußen
zum Zweck der Vermittlung in dem Osiandrischen Streit sandte, teil-
nehmen. Der Graf lehnte aber ab (Schultze, Waldeckische Reformations-
geschichte, Seite 189/90).
!) Isenmann, Pfarrer in Urach, der Schwiegervater des Joh. Brenz.
2) Balthasar Gultinger, Rat des Herzogs Ulrich von Württemberg.
3) Georg Volckmar, Ratsherr in Nürnberg. — Gultinger und
Volckmar nahmen an dem Religionsgespräch als Auditoren teil.
44 t
l Quod t. c. meae orationi suos commendat, scit dominus
me c. t. ef tuorum alioqui semper memorem esse in precibus
meis, id enim et requirunt tuae celsitudinis beneficia mihi
Ratisbonae affatim praestita, et nihil magis cupio, quam ut
Deus det occasionem et facultatem t. c. invisendi. Praeterea
quod t. c. non sine ingenti dolore scribit de regni Bohemiae
persecutione in pios ministros!), ego quoque non sine maerore
legi. Verum oportet, ut compleant mensuram peccatorum
suorum ef accederent iram Dei parentque Turco viam, quo
et tutius et citius atque maiore indignatione divina pomeria
huius regni incurrat atque devastet. Nolunt habere Christum,
habeant igitur Antichristum, ut Sathanam quoque admittere
queant. |
Si vera sunt, quae f. o. scribit de Menio?) condoleo
homini, estque nobis admonitio gravissima, ut in simplicitate
verbi maneamus nec immisceamus nos peregrinis dogmatibus.
Procul dubio sequentur defectionem et abnegationem Germa-
norum infinitae poenae ef calamitates, Id quod semper soleo
meis diceré. Non enim exiguum peccatum est amplexam
et agnitam veritatem tam perfide et pertinaciter in unius
hominis gratiam a tam multis et eximiis abnegare et ab ea
deficere. Dominus adsit suae ecclesiae et liberet nos suo
glorioso adventu ab omnibus malis, Amen.
Seriptum ex Nidda 15. Martii, anno domini 1555. Hisce
t. c. cum omnibus suis commendo Deo patri domini nostri
Jesu Christi et verbo gratiae eigs, meque offero f. c. ad
omnia obsequia, quae me f. e. debere agnosco. Iterum valeat
foeliciter et pie c. t.
0. t.
deditissimus
Joannes Pistorius Niddanus.
1) Die „böhmischen Brüder“ wurden seit 1547 von dem König
Ferdinand heftig verfolgt.
) Justus Menius, 1499—1558, Superintendent in Eisenach und
Gotha, wurde von Amsdorf in den Majoristischen Streit (8.40 Anm. 2)
hineingegogen. Bei dem Herzog Johann Friedrich dem Mittlern von
seinen Gegnern Amsdorf, Schnepff und Stolz als Anhänger Majors
angeklagt, entwich er im Februar 1556 nach Halle und Wittenberg.
Er kehrte bald nach Gotha zurück, wurde abermals angegriffen und
vom Amte suspendiert. Obwohl er sieben von seinen Gegnern auf-
gestellte Sätze unterschrieb, blieb er nicht mit weiteren Angriffen
verschont. Im Herbst 1556 legte er sein Amt in Gotha uieder, 1557
ward er Prediger in Leipzig.
45
2. Wolfgang Musculus!) an Martin Frecht?. Augsburg,
6. Februar 1546.
Kopie. Arolser Archiv, Fach 88 G. Nr. 4.
Allgemeine Mitteilungen über das Befinden des Verfassers. Kurze Er-
wühnung des Tridentiner Konzils und einer Verhandlung des Landgrafen
Philipp von Hessen mit dem Kurfürsten von der Pfalz in Frankfurt.
Museulus Frechto suo s. (salutem).
Tu mihi forsan, Frechte charissime, commoditatem istam
invides, quod domi meae sum apud meos. Fateor, est ista
commoditas viro drre&yusv: admodum suavis et grata. Verum
nescio, qui fiat, quod dum praesens est, non ita penitus
adlubescit, sicut absens desideratur. Ego prope tibi iam
consuetudinem bonorum virorum domini Buceri*) Schnepfii *)
et Pistorii?), charissimorum fratrum, invideo non minus quam
tu mihi domesticam hanc quietem. Ita comparati sumus,
ut praesentibus bonis non ftam delectemur quam absentia
affecíamus. Verum ego hic patienter utar sorte a Domino
concessa; idem facias et tu.
Nihil habeo, quod seribam, ideo nugari tecum libuit.
Tu istic minuta horarum momenta numeras, ego hie, dum
in vertendo Eusebio occupor, e tribus horis vix unam observo.
Tibi dies unus prolixior est quam mihi integra septimana.
Sed cesso, ne molestiam illam taam molestiorem reddam.
De conciliabulo Tridentino?) nihil habeo, quod scribam.
Frater forsan certa quaedam, quae me latent, ex hero suo
habet. Legati nostri exspectantur quotidie ex Francovado,
ubi hisce diebus una fuerunt Cattus?) et elector Palatinus “).
De Caesare nihil aliud, quam quod adhuc cum podagra sua
1) Wolfgang Musculus, 1497—1563, 1581 Pfarrer an der Heiligen-
Kreuzkirche in Augsburg, verließ 1548 die Stadt wegen der Einführung
des Interims und wurde 1549 Professor der Theologie in Bern,
3) Martin Frecht, 1494—1556; 1538 Prediger in Ulm, 1550 Stifta-
superintendent in Tübingen und 1552 Professor daselbst. Er nahm
1545 an dem Regensburger Religionsgespräche teil. ;
3) Martin Bucer, 1491—1551; 1524 Prediger in Straßburg, Re-
formator der Stadt, 1546 in Regensburg zum Religionsgespräch.
4) Erhard Schnepff, 1495—1558, 1526 Professor in Marburg,
1584 Reformator Württembergs, 1547 Professor in Jena, 1546 in
Regensburg.
) Johannes Pistorius, 1533—1588, Pfarrer in Nidda, 1546 in
Regensburg.
*) Das Konzil zu Trient wurde 1545 eröffnet.
7) Landgraf Philipp von Hessen.
) Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz.
46
dimioat. Gallus fertur 1500 milites Anglicos ex insidiis
interceptos stravisse!)
Bene in Domino vale. Saluta quaeso dominos meos
et fratres D. Brentium, D. Schnepfium et D. u:
Augustae, 6. Februarii 1546. |
T(tuus), euius manum nosti.
3. Wolfgang Musculus an Martin Bucer.
Ort und Datum fehlen. Der Brief ist wührend des zweiten Regens-
burger Religionsgesprüchs, Anfang 1546, geschrieben, Kopie. Arolger
Archiv, Reformations und Religionssachen.
[Nachrichten aus Bayern über eine bevorstehende Verhandlung der
Bischöfe. Verfahren gegen Uebertreter der katholischen kirchlichen
Gesetze. Abfülliges Urteil des Bernardino Ochino tiber die katholischen
Teilnehmer an dem Regensburger Religionsgesprüch 1546.)
Musculus D. Bucero S. D.
De Bavaris ista ad te rescribere iussit Doctor Gerion
vocari episeopos a duce Vuilhelmo?), qui se iurisdictionem
ecclesiasticam in Bavaria habere gloriantur, ut cum illis de
religione nonnulla fractentur. Sperat se brevi coram tecum
de quibusdam collaturum. Deinde de nobili quodam nescio
quae narravit, qui propter vim causibus (sic! wahrscheinlich
casibus) ecclesiasticis illatam et quod rusticos coegerit, diebus
prohibitis vesci carnibus, custodiae sit traditus, rusticos vero
mox dimissos. Et de sacrificulo incarcerato ao postea
proscripto literas D. Eccii*) ostendit, qui illum nescio quae
blasphema praedicasse protexit, Meo quidem indicio parum
sperandum est dià và» Fvuòy Tod jytuóvov.
Bernhardinus*) te plurimum salutat. Jussit haec ad te
scribere, quoniam sole clarius sit adversarios hoc colloquio
non veritatem, sed concilii sui praeludia quaedam quaerere,
opus fore, ut illis magno serio in faciem resistant (resistas oder
Seit 1544 herrschte Krieg zwischen Fraukreich und England.
König Heinrich VIII. von England hatte sich mit Kaiser Karl V.
gegen Franz I. von Frankreich verbündet. .
* Herzog Wilhelm IV. von Bayern 1508—1550. Bis 1545
regierte er gemeinschaftlich mit seinem Bruder Ludwig.
5) Jedenfalls Simon Thaddaeus Eck, Stiefbruder des bekannten
Johann Eck (Luthers Gegner) Hofkanzler des Herzogs Wilhelm IV.
von Bayern, gestorben 1574.
4) Bernardino Ochino 1487—1565. Beichtvater des Papstes
Paul III, General des Ordens der Kapuziner, brach, von der Wahrheit
47
resistatis) Ego (inquit) plane deriderem eos ef aperte di-
cerem: impossibile est, ut ignoranter peccetis et veritatem
ignoretis. Christum et verftatem eius irridetis, indigni, qui-
buscum conferatur de veritate Christi.
4. Wolfgang Musculus an Martin Bucer, 8. Febr. 1546 0.0.
Kopie. Arolser Archiv. Fach 88, G. Nr. 4.
Musculus meint, daß das Religionsgesprüch in Regensburg (1546) ohne
Erfolg bleiben würde, Von den katholischen Teilnehmern sei nichts
Gutes zu erwarten. Der Kaiser lasse Soldaten anwerben. Maßregelung
einiger Kanoniker in Mairfg wegen Verschmähung der Messe. Un-
erfreuliches aus Straßburg.
Musculus Bucero sò eù didyeiv.
Quod colloquium tandem progressurum soribis, uec
laetitia nec me tristitia afficit. Ubi cogito, quales et a quibus
ex altera parte sunt isti accomodati negotio, haeret illud in
mente. Tu, si ex animo diceres, an sic diceres, si hoe xozcag
del ex animo causam banc ageret, quaeso per Christum, per
hos nebulones et hoc pacto illam institueret? Triduo desti-
nantur in re tam levicula et non nostrae modo, sed ipsorum
causae, si quid ipsis adesset iustitiae et innocentiae, profutura.
Quid, obsecro, ex his hominibus sperandum ? Seris includent
[unt] quod natura sua lucem parit pro veritatis ingenio.
Sed intelligo vobis ineptiendum esse cum ineptis ef huius-
modi verandam molestiam. Ä
Heri accepi Caesarem traiecto Noviomagum!) usque
movisse, deinde conscribi nomine ipsius milites, interea dum
vos eum monachis et Malvendis?) dimicatis. Dominus in
coelo est, qui revera causae suae non deerit, id quod non
nostra probitate, sed partim multorum miserorum calamitate,
partim ratione afferendae veritatis suae et disturbandi regni
Antichristi motus facturus est.
Apud seniorem Peutingerum*) heri accepi quosdam
canonicos Moguntinos ita missae abominationem aversari, ut
der evangelischen Anschauungen ergriffen, mit der katholischen Kirche,
flüchtete aus Italien, wurde Prediger in Genf, 1545 Prediger einer
italienischen Gemeindd in Augsburg, später Prediger in London, kehrte
nach der Schweiz zurück, wirkte in Genf, Basel, Zürich und starb
nach unruhigem Wanderleben 1564 zu Schlackau in Mähren.
1) Nymwegen.
) Pedro Malvenda, ein spanischer Theologe, der Führer der
katholischen Teilnehmer an dem Religionsgespräch.
) Konrad Peutinger, Rechtsgelehrter in Augsburg.
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adesse illi amplius noluit (sic! noluerint), ideoque capituli
decreto praebendis suis esse spoliatos, verum electorem Pala-
finum capitulo sese opponere, ut spes sit studium veritatis
innoxium fore illis canonicis. Alter conventus est indiotus
ad Francovadum ad mensem Aprilis, unde colligo eum,
qui praecessit, non pervenisse ad propositum.
E Strassburg de vestris et universis audio, quae me
parum delectant, Scriptum est ita: ne sis nimium iustus,
ifa ego iam dico: ne sis nimium sapiens. Dominus adsit
nobis spiritu sapientiae ef fortitudinis, ut magos Pharaonis
vi veritatis tantisper confundatis, donec dicant: digitus Dei
est hio.
8. Februarii 1546.
Ein unbekanntes Stück aus dem Leben
des Matthias Flacius.
Von G. Bossert.
Am 8. August 1566 richtete Matthias Flacius von Regens-
burg aus eine Bitte an Herzog Christoph von Württemberg
um Aufnahme in den Dienst der Kirche oder Schule Würt-
tembergs. Seine Verlegenheit muß groß gewesen sein, wenn
er diesen Schritt tat. Denn ihm konnte die Stellung des
Herzogs gegenüber den Wirrnissen innerhalb der lutherischen
Kirche nicht ganz unbekannt sein, war doch das letzte Re-
ligionsgespräch mit den Katholiken in Worms 1557 durch
die Schuld der unter dem geistigen Druck des Flacius
stehenden herzoglich sächsischen Theologen ganz verunglückt,
hatte nur den Zwiespalt der evangelischen Theologen vor
der Welt geoffenbart und den Hohn der päpstlichen Gegner
herausgefordert zum Verdruß des Herzogs, dessen Theologen
unter der Führung von Brenz und Andreä treu auf der Seite
Melanchthons standen und auf die Eintracht der Evangelischen
in Worms hinwirkten. Aber Flacius war sein Aufenthalt in
Regensburg gekündigt; er wußte nicht, wohin er sich jetzt
wenden sollte. Wenn er aber an einen Dienst in Württem-
berg dachte, so beweist das seine Unbekanntschaft mit den
Verhältnissen in Württemberg unter dem Einfluß von Brenz
und Andrei. Denn hier war man zwar gut lutherisch, aber
stets auf Einigung des lutherischen Protestantismus bedacht,
was zuletzt in der, Formula concordiae seinen Ausdruck fand.
Der Herzog gab den Brief zur Begutachtung an den Land-
hofmeister, Vizekanzler und. Brenz weiter. Das Gutachten
gaben diese drei Männer am 13. September offenbar nach
längerer Beratung. Dieses Gutachten!) gab Theodor Pressel
in seinen Anecdota Brentiana S. 535ff. 1868 heraus. Er
gah den Text getreu, aber in ganz moderner Schreibweise
uud ohne alle Erläuterung. Dazu führte er das Gutachten
1) Auf das Gutachten habe ich in den Blättern für württemb.
Kirchengeschichte 1899, 184 ale charakteristisch für Brenz kurz auf-
merksam gemacht.
Archiv für Refermationsgeschichte. XX. 1,2. 4
50
in der Ueberschau S. XXXIX. Nr. 492 mit der unrichtigen
Ueberschrift auf „Brenz etc. an Herzog Christoph“, während
der Text klar ergibt, daß er nicht von Brenz stammt, denn
dieser war mit dem Inhalt des Gutachtens nicht einverstanden
mit Ausnahme des Schlußabschnitts, wie das Schriftsttick
selbst besagt. Brenz fand wohl das Urteil über Flacius zu
scharf, was uns nicht überraschen kann, wenn wir die beiden
Männer näher betrachten, die für den Hauptinhalt des Gut-
achtens verantwortlich sind. Aber auf Brenz Rechnung wird
der Rat kommen, Flacius in seiner Bedrängnis eine ansehn-
liche jährliche Unterstützung zukommen zu lassen.
Das Gutachten ist ohne Zweifel zunächst von dem Vize-
kanzler Dr. iur. utr. Hieronymus Gerhard verfaßt
Dieser treffliche, reichbegabte und fromme Mann war am
31. Dezember 1518!) geboren zu Heidelsheim ‚bei Bruchsal
und kam erst mit zwölf Jahren auf eine Schule in Heil-
bronn, Eßlingen, Guttenberg und 1531 Schwäbisch Hall, wo
Brenz und Isenmann ihn liebgewannen. Brenz empfahl ihn
an Melanchthon, als er 1534 (inskribiert 19. April) nach
Wittenberg ging, wo ihn Melanchthon aufnahm. (Förstemann,
Album academiae Witeberg. 1, 152.) 1537 wurde er Bacca-
laureus (Köstlin, Baccalaurei und Magistri S. 16). Als Brenz
im April 1537 für ein Jahr nach Tübingen ging, siedelte
Gerhard entsprechend einem Wunsch seines Vaters nach
Tübingen tiber, wobei ihn wohl der jüngere Bruder von
Brenz Bernhard begleitete, mit welchem er am 18. Juni 1537
inskribiert wurde. Brenz nahm ihn in sein Haus und seine
Kost. Am 28. Juni wurde er unter die Tübinger Baccalaurei
aufgenommen und im Januar 1539 zugleich mit Bernhard
Brenz Magister. (Hermelink, Tübinger Matrikel 1, 286, 10).
Er wollte sich nun dem Studium der Rechte widmen, aber
der Vater wünschte, daB er Theologie studiere, reiste aber
nach Hall, um Brenz, der bei ihm in höchster Achtung stand,
um Rat zu fragen. Dieser äußerte, Gott habe nicht nur gute
und gelehrte Theologen nötig, sondern auch fromme und
rechtschaffene Rechtsgelehrte, und ein frommer Rechtsgelehrter
könne der evangelischen Kirche mehr Nutzen schaffen, als
viele gelehrte Gottesgelehrte. Darauf ging Gerhard wieder
nach Tübingen und las zunächst Dialektik, aber studierte
nun die Rechte unter Johann Siehard, Ludwig Gremp und
Gebhard Brastbergers. Mit zweiundzwanzig Jahren aber
wurde er zum Aufseher, Magister Domus, für das neu-
gegründete Stipendium berufen, in welchem Theologen für
den Dienst der Kirche und andere tüchtige Studenten für
! Historische Handschrift Quart Nr. 41 der Landesbibliothek
Stuttgart.
51
den Dienst des Herzogs und des Landes herangebildet werden
sollten. Er bekleidete dieses Amt fünf Jahre unter großer
Anerkennung. Deshalb nahm ihn der Bruder Herzogs Ulrich
Graf Georg in seinen Dienst, der ihm die Mittel gewährte, 1546
in Tübingen die Würde eines Doctor juris utriusque zu er-
werben. Er fiel aber 1547 in eine schwere Krankheit,
weshalb er seine Entlassung erbat, welche ihm der Graf
nur sehr ungern gewährte. 1549 trat er in den Dienst des
Herzogs Ulrich und begab sich nach Stuttgart, wo er zugleich
als Rechtsanwalt arbeitete, aber oft verschickt wurde. 1550
wurde er wirklicher Rat und nach des Herzogs Tod von
seinem Nachfolger Christoph noch mit größerem Vertrauen
zu den wichtigsten Arbeiten und Gesandtschaften verwendet,
so schon 1550 nach Augsburg an den Kaiser, wegen Be-
lehnung des Herzogs, Herbst 1551 mit Werner von Münchingen
aufs Konzil nach Trient, wohin später Brenz mit den vor-
nehmsten Theologen Württembergs folgten.
1554 ging er mit Hans Dietrich von Plieningen
zum Konvent in Naumburg. 1556 wurde er Vizekanzler,
besorgte aber als solcher zugleich die Geschäfte des alternden
Kanzlers Feßler. Er war ein großer Verehrer von Brenz,
dessen Kommentar zum Propheten Jesaia er fleißig auch in
schlaflosen Stunden der Nacht las,, und der ihm mit in das
Grab gegeben werden muBte. Er starb den 12. Mai 1574.
Der Landhofrheister, nach heutigen Begriffen Minister-
präsident, welcher mit Gerhard das Gutachten verfertigte,
war Hans Dietrich von Plieningen, der Enkel
jenes Dietrich von Plieningen, der um die Wende des 15. Jahr-
hunderts am pfälzer und später am bayrischen Hof eine große
Rolle spielte und bei den Heidelberger Humanisten in großem
Ansehen stand, wie ihm denn Rudolf Agricola seine Dialektik
widmete und ihm den Namen Plinius gab. (Corp. Ref. 2, 721)
Hans Dietrich hatte noch in großer Jugend 1521 die Uni-
versität Tübingen bezogen und war 1529 dort in einen Rauf-
handel verwickelt. (Hermelink 1, 237.) 1531 ging er nach
Wittenberg. (Förstemann a, a. O. 142, inskribiert 17. Juni.)
Erbewohnte dort mitseinem Landsmann Ulrich Schilliug
von Cannstadt, dem Rektor der Universität Wittenberg
1531/32 und Paten eines Kindes Melanchthons (CR. 2, 585, 721)
ein Zimmer, bis Schilling 1532 in die Heimat zurückging.
Haus Dietrich studierte in Wittenberg das bürgerliche Recht,
aber zugleich Philosophie unter Melanchthons Leitung, mit
dem er sich befreundete. Als..der angestammte Herzog
Ulrich nach dem Sieg bei Läuffen am 13. Mai 1534 sein
Land wieder gewann, kehrte Hans’ Dietrich bald heim und
trat in den Dienst des Herzogs. Melanchthon gab ihm für
seine Reise einen Brief an seinen Freund Joachim Camerarius
52
in Nürnberg mit, in welchem er ihm den jungen Schwaben
warm empfahl. Der undatierte Brief CR. 2, 721 wird etwa
in den Anfang Juni zu setzen sein. Der junge Mann kam
an den Hof des Herzogs Ulrich, wurde dann bald Obervogt
von Leonberg und Marbach, endlich in Stuttgart und fürst-
licher Rat. Der neue Herzog verwandte ihn zu den Ver-
handlungen mit der Landschaft und zu wichtigen Sendungen.
So würde er schon am 8. Oktober 1551 nach Trient ab-
gesandt. 1556 bekam er das höchste Amt des Landes als
GCandhofmeister. Er starb 1570 den 8. September.
Diese beiden welterfahrenen, staatsmännisch bewährten,
wissenschaftlich gebildeten, ernsten und Melanchthon dankbar
verbundenen Männer hatten nun die Aufgabe, das oben ge-
nannte Schreiben des Flacius in Gemeinschaft mit Brenz zu
begutachten und dem Herzog zu raten, was mit dem An-
suchen des sehr bedrängten Theologen um Anstellung in
Kirche oder Schule Württembergs zu tun sei.
Flacius ahnte nicht, daß unter den Staatsınännern, welche
in der Umgebung des Herzogs Christoph als seine Ratgeber
die bedeutendste Rolle spielten, Leute waren, welche in ihrer
Jugend dem von ibm bitter angefeindeten Melanchthon nahe
gestanden und ihm viel zu verdanken hatten, und darum auch
über ihn ein wenig güustiges Urteil haben mochten. Leider
gibt das Gutachten nur an, daß Brenz nur mit dem Schluß
des Gutachtens, dem Vorschlag einer jährlichen Unterstützung
des Flacius, einverstanden war, aber wir hätten wünschen
mögen, genauer zu erfahren, wie er sich zu dem Urteil über
die ganze Haltung des Flacius und die Gefahr, welche seine
Austellung der Kirche oder der Universität Württembergs
bringen konnte, stellte. Man wird wohl nicht ganz irre
gehen, daß sein Urteil auf Grund der persönlichen Begegnung
mit Flacius 1564 etwas milder ausgefallen wäre, hatte er
doch auch gegenüber der allseitigen Verurteilung des Andreas
Osiander den milderen Standpunkt vertreten. Aber er konnte
doch wohl kaum den Gedanken an die Gefahren und Be-
schwerden abweisen, welche die mit den heimischen Ver-
hältnissen nicht vertrauten Fremdlinge, die in Württemberg
Aufnahme gefunden hatten, wie der vielgeschäftige Vergerius,
auf welchen sich Flacius berief, und gar der Jurist Matteo
Gribaldi (Theol. RE. 7, 159) der Regierung bereitet hatten.
Auch den Vorwurf der Undankbarkeit gegen Melanchthon,
dem Flacius doch viel zu verdanken hatte, und den er in
der heftigsten Weise angegriffen hatte, konnte Brenz sicher
nicht ganz entkrüften. Ebenso mußte er anerkennen, daß
Flacius wegen seiner Sprache nicht wohl auf einer Kanzel
in Schwaben zu verwenden war.
Auch ist richtig, daB es in Tübingen nicht an einem
53
Nachwuchs von Landeskindern fehlte, der auf erledigte
Professuren wartete. Aber Brenz wird hauptsächlich durch
das Mitleid mit der schwerbedrängten Lage des Flacius be-
stimmt worden sein und däbei auch die Tücktigkeit der
Schriften des Flacius anerkannt baben, welche nicht un-
mittelbar mit den theologischen Streitigkeiten zusammen-
hängen. Besonders #ird er die von Flacius in Aussicht
gestellte Glosse zur Bibel, den Clavis scripturae seu de sermone
sacrarum literarum, für wertvoll geachtet haben. Beachtens-
wert ist auch, daD das Gutachten der humanistiseh gebildeten
Staatsmünner zwei römische Sentenzen zitiert, deren Fundorte
noch nachzuweisen sind.
Aus Flacius Brief erfahren wir, daß er die zehn Taler,
welche ihm der Herzog für seine Schrift „De translatione
Imperii Romani ad Germanos. ltem de eleetione episcoporum,
quod aeque ad plebem pertineat* zustellen ließ (Preger,
Matthias Flacius Illyrieus und seine Zeit 2, 282) dureh den
ihm befreundeten Augsburger Arzt Achilles Gasser bekam.
Ebenso ist neu, daß Flacius schon am 8. August 1566 deu
Aufang seines Catalogus hebraismorum, der eben im Druck
war, dem Herzog Christoph übersenden konnte, Weiterer
Forschung bedarf es, nm festzustellen, wo das Gespräch des
Herzogs mit Johann Wigand stattgefunden bat. von welchem
dieser günstige Erinnerungen an Flacius mitgeteilt hatte.
Mit dem Gutachten hatten Landhofmeister, Vizekanzler
und Brenz dem Herzog auch den Entwurf einer Antwort
auf den Brief des Flacius zugestellt, Er ist von der Hand
des Vizekanzlers geschrieben und wohl auch von ihm ver-
faDt. Aber der Herzog hielt es unter seiner Würde, an
Flacius persönlich zu schreiben, wenn auch der Entwurf
ganz seinen Gedanken entsprach. Er befahl deshalb dem
Hofprediger Johann Parsimonius, an Flacius ganz in seinem
Sinn und gemäß dem Entwurf zu schreiben. Parsimoinus
tat dies am 21. September. und berief sich auf seinen vor
einem Monat an Flacius gerichteten Brief und die gemein-
schaftlichen Freunde und gab dann genau die Gedanken
des Herzogs und das Versprechen einer jährlichen Unter-
stützung von 50 fl wieder. Diese Gabe bezog Flacius bis
1569 aus den Mitteln des Kirchenkastens, d. h. der Kasse
der Kirchen verwaltung. Aber nach dem Tod des Herzogs
am 28. Dezember 1568 stellte sich die Notwendigkeit größerer
Sparsamkeit für die ganze Verwaltung und auch für den
Kirchenkasten heraus. Dazu mochte die 1568 von Flacius
aufgebrachte Lehre von der Erbsunde als Substanz des
Menschen gegen ihn einnehmen. Deswegen wurde ihm am
20. August 1569, als er sich wegen der Zusendung der
50 fl an den Hofprediger Balthasar Bidenbach gewandt
54 54
hatte, von diesem mitgeteilt, daß unter Genehmigung der
Herzogin Witwe infolge der eingetretenen Veränderungen
ihm die 50 fl nun zum letzten Mal zukommen. Doch bekam
Flacius für seinen dem Herzog dedicierten Clavis scripturae
sacrae 40 Taler und für seine Glossa in novum testamentum
40 Gulden.
1. Brief des Matthias Flacius Illyricus au Herzog
Christoph vou Württemberg.
Regensburg, 8. August 1566.
Salutem ab unico mundi totius seruatore. Maxima cum
letitia et gratiarum actione primum erga Deum, deinde etiam
erga tuam celsitudinem, princeps illustrissime, accepi ex
meo hospite domino doctore Achille Gassaro medico Augustano,
quod tua clementia mihi non tantum munus 10 talesorum,
sed etiam omnem gratiam clementiamue benignissime per
suum concionatorem dominum magistrum Joannem Parsimonium
obtulerit. Spero enim istum tuae clementiae erga me fauorem
non fantum mihi priuatim, set etiam ipsi ecclesiae Dei ac
religioni per aliquam occasionem utilem esse posse, quod
unum teste mea conscientia in hisce meis laboribus ac
difficultatibus potissimum specto et quaero. Offert autem
sese nuno in primis occasio, in qua tuae clementiae fauor
mihi ad publicam bonum non fantum utilis esse potest, sed
et plane efiam necessarius. Papistae enim et persecutores
undiquaquam ab oriente et meridie mihi et ciuitati huic dira
minantur, quod etiam praesenti meo libello de translatione
imperii et electione presulum eo magis irritati esse putantur.
Suadent igitur nostri uehementer, ut tum suae tum etiam
meae securitatis gratia alium locum quaeram, ubi et tutior sim
et aliqua functione ecclesiae Dei prodesse queam. Testimonium
alioquin mihi gubernatores hi honestissimum offerunt, quod
tuae celsitudini mittam, quandocunque uolet, ne quis putet
me ob facinus aliquod aut turbas hinc in exilium ablegari.
Cum uero nullus iam locus aut homines perinde commodi
ad meam aliquam operam Ecclesiae Dei praestandam sese
offerat, ac tuae clementiae regio, statui ista ipsius tam benigne
oblata gratia uti. Qnare defero Christo et tuae clementiae,
qui eius minister es, meam operam ac fidem, si quis mei
usus istic / usquam, praesertim in academia esse possit, orans
taam celsitudinem, ut ad eum me promoueat.
Adsunt iam profecto difficilia certamina cum papistis,
sacramentariis et Stencfeldianis aliisque, in quibus aliquid
forte et ego pro meorum donorum tenuitate una cum aliis
55
fratribus prodesse possem, ut ex aliquibus meis scriptis
eernere licet.
Caluiniani certe et multi et docti et denique uehementes
aduersarii sunt, ut merito etiam nostra pars aliquanto melius
sese contra eos armare deberet.
Habeo quoque alios non contemnendos conatus prae
manibus. Absolui enim uolumen hebraismorum non paruum,
quod nunc sub prelo est, cuius inicium tuae clementiae
uidendum mitto. Iam uero in manibus mihi ect ualde arduum
opus glossae auf compendiariae cuiusdam explicationis ipsius
textus super tota biblia. Quae opera sane etiam digna essent
tanto Moecenate, quantum tua celsitado sese hactenus erga
bona studia religionemque!) praestitit.
Facit certe mihi bonam spem etiam illud, quod tua
clementia plures exteros, qui quidem aliqua uirtute ac pietate
praediti fuerunt, benignissime hactenus fouerit, cuiusmodi
fuit in primis popularis meus reuerendus dominus Vergerius
episcopus Iustinopolitanus.
Quae uero pie ac honeste praestari poterunt, ea profecto
a me summa fide praestabuntur. Libenter etiam uerbq Dei
de quauis sententia aut dubio doceri patiar. Non dubito
quoque, quin, si tua clementia a me coram ueras narrationes
et rationes de meis actis laboribusque audiret, sicut sane
paratus sum, ei omnium meorum actorum rationem reddere,
facile me pro sua singulari clementia et pietate sacrarumque
rerum intelligentia excusatum haberet. In qua sententia
me etiam non parum tuae celsitudinis pientissimum colloquium
eum domino Ioanne Wigando confirmat. //
Quapropter oro et obsecro tuam celsitudinem, ut benigne
uelit mei rationem habere uel potius ipsius publicae utilitatis
ac gloriae Del, quam certo scio me toto pectore per omnes
istas meas cruces aut etiam paene mortes quaerere.
Si ex decima parte tantum gratiae apud Euangelicos
gubernatores meis laboribus scriptisque consequerer, quantum
apud pontifices sacramentariosque mihi odii periculorumque
eoncilio, dudum hercle res meae melius haberent.
Sacramentarium quidem certamen, ut denuo eius mentionem
faciam, arduum est, et de quo necessario plures intelligentes
sincerique ac serii fratres diligenter conferre deberent. Non
enim est ignotum tum consiliarios praecipuos tum theologos
apud praecipuum principem Augustanae confessionis maxima
ex parte caluinianos esse, ut in omnibus deliberationibus
istis etiam in nostra parte aduersarii sint regnaturi. Quare
tua clementia tanto magis cum suis doctissimis theologis,
) Religionemque über der Zeile.
56
ut «t hactenus fecit, aduigilabit, ne quid respublica christiana
detrimenti patiatur.
Oro reuerenttr, ut tua celsitudo me benigno ao maturo
responso dignetur. Dominus Jesus eam suo -sancto spiritu
regat et in omnem ueritatem ac salutarem conatum deducat
ad gloriam nominis sui et Ecclesiae. utilitatem. Amen.
Ratisbonae 8. Augusti 1566.
Tuae celsitudini deditus
Matthias F4acius lllyricus.
Illustrissimo principi ae domino domino Christophoro
duci Wirtembergensi et comiti Mompelgardensi ac Tecensi!)
ete. suo domine clementissimp.
Ad manus proprias eius.
Von des Herzogs Hand stebt DETA
Landhofmeister, Vice Canzler und Brencius sollen be-
denkhen, waD zu thun.
2. Bedenken, von Landhofmeister, Brenz und Vizekanzler
über das. Schreiben des Matthias Flaeius
vom 13. September 1566.
Durchlauchtiger, hochgeborner Fürst, Gnediger Herr.
E. F. G. seyen Vnser Vnderthenige gehorsam schuldig Ver-
pflicht vnd willig Dienst Jederzeit bereits bests Vleiß zuuor.
Gnediger Fürst vnd Hem, auff beyuerwardt Illlirici
Vnderthenigs Ansuchen vnd Pitten, Auch E- F. G. darauf
verzaichnet Decret haben Wir Angeregt schreyben Inn Vnder-
thenigkhait mitt ainander erwegen, Vnd seyen Vnns Allerhand
bedenkhen hin vnd wider fürgefallen, Vnd das E. F. G. seinem
beger gnediglichen statt geben möchten, Erwegen wir zum
fordersten, das er ain eyffriger, guthertziger erkbenner vnd
bekhenner der warhait Christi; der auch inn seiner geliebten
Kürchen bißher trewlich vnd nicht, gahr obne frucht Vnd
nutzen geschaffen. Vnd weiter für ander thun mag, über solchs,
das er diser zeitt In persccutione Vnd bey E. F. G. Alla
Aim Christlichen Fürsten Vnd Nutricio Ecclesiae Hospitium
Vnd protectionem suechen thuet, Welches Ime souil dester
weniger Abzuschlahen, Souil er E. F. G. der Kürchen vnd
bey der Schule nutz Vund fürstendiger sein möchte, dann
e Wölchen gleicbergestalt solche Vnderschlauff bißher
N Flacius irrt im Titel des Herzogs. Denn cs müßte heißen:
duci Wirtembergensi ac Teece:.si et comiti Mompelgardensi.
57
gnediglichen gestatt vnd miltiglichen mitgethaylt worden.
Zu dem Vnnsers Vnderthenigen Verhoffens er in seinen ge-
haltenen Certaminibus vnd erregten Condemnationibus mehr
Imprudentia quam malitia gefochten möcht haben, Wölche
auch durch die gaadt deb Allmechtigen für sich selbs ge-
fallen, // Vnd erloschen, er auch derselbigen selbs müthe
sein möchte. Hinvider aber das wir sorgueltige Vnd vnsers
erachtens nicht onnötige bedenkhen, solchs nitt zu thon sein,
haben, dartzu bewegen Vnns nicht allein die Verschinen
Exempel, Wölche wir dißfahls Überschreytten, Sonnder auch
volgennde Vhrsachen, Inn welchen doch Euer F. G. Probst
Brentius- nicht allerdings mitt Yustimmen, doch den Be-
schluß Vnsers bedenkhens Ime gefallen lassen thuet.
Erstlichen, das durch die gnad def Allmechtigen Eurer
F. G. Kürchen vnd Schulen In Gottseeligem friden, Ruw
Vnd rechter brüederlicher Ainigkhait, auch die Kürchen Vnd
Sebuelen mitt fridliebenden eyfferigen!) Vnnd gutherzigen
Vorsteern.Vnd lehrern also besetzt Vnd versehen, das nicht
allein Euren F. G. Sonder auch Land end leutten solchs
Alls Ain sonndere gab vnd gnad Gottes, so zur ehre, Lob
vnd wolstandt thut Raichen. Sollte dann solcher Ainmtüettiger
Consensus ministrorum et ministerii vnnd dann die grata et
locunda tranquillitas ecclesiarum et scholarum, Welches der
Allmechtig gnedig vnd Vätterlich wöll verhtietten, durch
vBlendischer frembder Vnrüewiger Vnnd Aigensinniger Köpf
singularitet oder capitositet zerrütt vnd tusbiert wurden),
Haben Eure F. G. gnediglichen zu erachten, zu was be-
schwerlicher zerrüttung Vnnd weitterung solehs nicht allein
Inn der Kürchen Gottes, sonder // auph zu was schmertz-
licher bekhümmerung Aller der Ihenigen, so bißher durch
Gottes gnad dise Ainigkhait Pflantzen, erhallten Vnd be-
fürdern helffen, solehs Raichen Vnd darneben auch Im Po-
litisehen Wesen Vnordnung bringen wurde. Nun begeren .
wir disen Supplikanten nicht zu vrtheylen, Es betzeugen
aber seine schrifften sein vnbedechtlich vnd hitzige hand-
lungen. So lst sein Vndannkhbar- Vnd vnbeschaidenhait
gegen seinem herrn Vnd Preceptorn Philippo Melanchthone
Gottseeliger gedächtnuß mehr Reichskhündig, Dann mitt Ver-
bitterung auDzufüeren. Dabey auch der Hayden lIuditium
Von der Vndankhbarkhait also offenbar, daß sie gesagt:
Maledieta cuncta dixeris, si hominem Ingratum dixeris.
Neben dem, das Euren F. G. Vnuerborgen, auch bey
etlichen Chur- Vnd Fürstenthumb mit höchster Zerrüttung
Vnd beschweerung Iun erfarung bracht worden, das die
1) Gestrichen ist einfelltigen und über der Zeile eyfierigen gesetzt.
?) So statt werden.
58
trembden Ingenia sich nicht gebrn authoritate der Ihenigen
Regieren lassen, 80 zuuor mitt Vnd bey ainander Im Kürchen
Regiment gewesen Vnd demselbigen Gottseelig, fridlich
vnnd Ainmtlettig fürgestannden, In dem wir auch viler arro-
gantiam et Cupiditatem praeeminentiae nicht Antziehen wollen,
Dann Eure F. G. sich dessen alles mitt gnaden besser zu
Aerichten, Dann Von nötten mitt Verdruß VBZufderen. Sollte
sich dann dergleichen ettwas In Eurer F. G. Fürstenthumb //
Zutragen, so wurde das Allte Dictum fürfallen: Turpius
ejieitur, quam non admittitur hospes. Welches auch ettwann
bndern leutten Ain sonder Frolockhen möchte geberen vnd
bringen. i
So seyen alle functiones Theologiae bey Eurer F. G.
Vniuersitet zu Tübingen allso stattlich versehen, das Ime
khain Vacierender Locus möchte eingeraumbt werden, man
wöllte dann Andere trewhertzige professores vnuerschuldter
sachen Vßschließen, Welches khains Wegs zumachen. Dabey
mögen wir auch nitt wissen, Ob er In ministerio Ecclesiae zu
gebrauchen, Dieweil er Zweyuells ohne der Tetitschen Sprach
alls Ain gebornner auß Illiria nicht sonders bericht oder, sich
derselbigen auff der Canzell mit Frucht gebrauchen möchte.
Darmitt er Aber dannocht seinen studiis Obligen Vnnd seyne!)
inegebene Conatus Inn das werckh Richten, dartzu nit er-
achten möchte, Als hetten Eure F. G. die Hand gahr vonn
Ime abzogen, So möchten Eure F. G. Ime ettwas gnaden-
gellt, alls Jarlichs viertzig Oder fünftzickh gulden mit diesem
Anhang gnediglich anbietten lassen, Das Eure F. G. Ime
solches solanng mitt gnaden zu raichen bedacht, biß seine
sachen zu besserung merer Ruw vnd gelegenheit sich Richten
möchten, Oder sein leben lang bedenckhen, Vnd Ine Widerumb
beanttwurtten lassen, [n massen beyuerwardt Concept?) ver-
mag. Vnnd thun Euren F. G. Vns zu gnaden Vnderthenig
befelben. Actum den 13. Septembris Ao. 66.
Eurer F. G.
Vnderthenige
Gehorsame
Landhofmeister
Brentzius vnnd
Vice Canzler.
!) seyne über der Zeile.
5) das Concept folgt unter Nr. 3.
59
3. Schreiben des Herzogs Christoph an Matth. Flacius.
19. September 1566.
Christoff etc. Hochgelerter lieber besonnder. Wir haben
eur schreyben sambt dem Vnderthenigen gegen Vnns ge-
schehnem erbietten, dabey auch mitt christlichem mittleyden
eur betrtiebnuß Vond das Ir AllBo Angefochten auch ettwas
ln gefahr gesetzí werden, vernommen. Da wir Inn dem
auch mit gnediger hülff euch erscheinen mögen, seyen wir
defen mit gnaden genaigt, khönnen euch aber gnediger
Mainung nicht Verhallten, das durch die gnad def Allmech-
tigen dißer Zeit die Kürchen Vnnd Schuelen Vnsers Fürsten-
tumbs mitt gelerten, Gotsförchtigen Kürchendienern Vnd
Theologen allso bestellt Vnnd Versehen, das wir auch (Gott
Lob) ettliche supernumeros zu Tübingen (haben)), welche
extra ordinem lesen, biß ettwann loca vacantia An sie ge-
langen mögen. So wollen sich die sterbend leuff Inn Vnserm
Fürstenthumb Vnd sonnderlich zu Tübingen diser Zeitt Allso
ertzeigen, Dasza besorgen, Vnser // Vniuersitet Derend (wegen) *)
Vueruckhen werd mtiessen. Damitt Ihr aber Vnsern gnedigen
Willen Im werckh befinden, Auch eure Vorhabende Conatus
zu Gottes ehr vnd Vistannd Vnd erbawung seiner geliebten
Kürchen befürdern mógen, So wüllen Vnns Jeder zeitt be-
richten, An was Ortten Ihr eurn Vnderschlauff Vnnd Domi-
eilium Werden haben. Wollen wir fürsehung Thuen, das
euch Jürliehs Inn der herpft Oder Fastenmeß oder auch
Von hierauß Fünfzickh Gulden“) Von Vnsertwegen gereicht
werden. Haben Wir euch gnediger Mainung nitt wöllen
verhalten.
Datum Stutgarten den 19. Septembris Ao. 66.
Ad Flaceium () Illiricum.
Konzept.
Außen steht von des Herzogs Hand: Magister Johannes
parsimonius gebe Ime Auß meynem beuelh dise Anntwurtt
vnd promission Ánnui subsidii.
4. Schreiben des Johannes Parsimonius an Matth. Flaeius.
21. September 1566.
Gratiam et pacem in Christo. Quo sim erga te et omnes
sinceros Christi confessores affectus animo, Reuerende et
clarissime vir, non tam ex meis fortasse literis intra mensis
1) haben fehlt. *) wegen fehlt. 5) gestrichen ist Thaler.
60
spacium ad te scriptis, quam ex bonis et nostri vtriusque
studiosis amicis iam antea intellexisti. Huius rei gratia hians
causam!), ut a me petiisti, non serius, ac si mea esset propria
aut certe omnis ecclesiae causa, apud illustrissimum nostrum
Principem egi. Qui post habitam deliberationem tandem
hoc responsum dedit, et ut illud eius celsitadinis nomine, ac
mandato ego tibi perscribam?) ac significem, clementer mihi
incunxit: se nimirum ex tuis literis et mea percepisse) relatione,
quomodo res tuae se habeant, et quid tibi velis, cumque intelligat,
variis te adversitatibus, imprimis vero diuturno propter
veram confessionem exilio premi, condolere se tibi iuxta
Christianam charitatem ex animo, Et licet pro sua erġa
omaes literatos et praesertim Christi exules pietate et clementia
libenter tuae pietati morem gereret tuaque supplicanter de-
lata eius celsitudini opera ac fide multo libentius vteretur,
tum cum hoc presenti tempore nusquam in eius clementiae
Ducatu, quod quidem ipse sciat, vacans sit locus aut pro
tua persona siue in ministerio aliquo scholastico siue ecelesi-
astico digna conditio, adde, quod et pestis Tubingae iam
. ingruere scholaque diffluere incipit, et quod multi tam ex
theologis quam aliis professoribus vacantes in academia locos
seu functiones expectant, qui alios sibi praeferri plurimum
offenderentur, Ideo tuis iam supplicibus votis satisfieri non
posse. Vt autem eius celsitudinis pium et benignum erga
te animum nihilo minus // re ipsa sentias et experiaris,
víque incoeptos tuos conatus et pios labores, quorum fuae
literae mentionem faciunt, eo commodius ad nominis Dei
gloriam et eeclesiae ipsius aedificationem proficere queas,
eius celsitudo perquam clementer promisit ac decreuit an-
nuùm tibi dare subsidium, hoc est, singulis posthac annis
quinquaginta tibi numerare aureos seu florenos, quos, si
prius eius celsitudinem quovis tempore certiorem feceris,
vbi locorum degas aut tuum habeas domicilium, annuatim
accipies, vel in nundinis Francofordensibus, quae, quia bis
in anno habentur, alterutrum ex iis tempus siue vernale siue
autumnale tibi eligere potes, vel hic in ciuitate Stutgardiana.
Hase sunt, quae illustrissimus noster Princeps suo nomine
tibi me scribere et significare iussit. Bene et feliciter vale
et Deum pro me ora. Stutgardiae ipso die Matthei Anno 66.
Tuus Joan. Parsimonius.
Konzept.
, 9 abgekürzt cám. ) perscribam ac am Rand. ) percepisse
am Rand,
6l
9. Befehl des Herzogs an die Kirchenkastenverwalter.
29. September 1566.
Von Gottes gnaden Christoff, Hertzog zu Würtemberg.
Vnsern grus zuuor, lieben getrewen. Alls sich kurzer tagen
bey vnns Mathias Flatius Illiricas seinem vnnderthenigen
Dienst offeriert vnnd angebotten, Vnnd aber zu disem mah
von vns nit anderst bedacht mügen werden. Demnach geben
wir euch zuuernemmen, das wir Ime bewegender vrsachen
halb vsser gnaden zu vnnderhaltung Jerlichs fünftzig gulden
reichen zu lassen gnedig bewilligt. Derwegen vnser beuelch,
Ir wellenndt Ime solche hinfüro, von nechstuerschinen Crucis!)
an zu rechnen, Jedes Jars zu der gewohnlichen Frankfurter
herpst oder fastenmeß oder von hie us, wie ers erfordert,
gegen quittung vßrichten vnnd betzalen. Solle auch in
Rechnung für guet ußgab passiert werden. Daran geschicht
vnnßer meinung. Datum Stutgarten den 29. September
Anno 66.
Christoff Hertzog zu Wurtemberg.
Vnsern Rüthen vnnd Verwaltern gemeins Kürchenoastens
vnd lieben getrewen, Conradten Engeln vnd Matheo Heller.
6. Beschluß, diese 50 fl. nicht mehr zu reicher.
Auf einem Vorsetzblatt steht: Mathiam Flaceium Illyricum
betreffend No. Als er diB 69 Jars die 50 fl gnadengeldt
erfordert, Ist die sach an vnser gnedige Fürstin vnd Frawen
gelangt vnd notwendiger bericht gethon worden. Vnd daruff
von Ir f. g. Resolution eruolgt, welche die Verwalter des
Kürcheneastens beyhanden haben, das namlich Ime Ietzmals
die 50 fl gereicht, Aber durch M. Balthassarn Bidenbach,
Hofprediger, durch den ers erfordern lassen, zugeschribeu
werden solle, Weil sich laider allerlei enderungen zugetragen
vnd man die sachen hin vnd wider eingezogen, werden solche
50 fl hinfüro ab sein. Actum 20. August 1569.
Konsistorialregistratur Stuttgart.
764. Sectarii 1573—1578 und 1608— 1620.
1) 14. September.
Mitteilungen.
Ein Brief Aurifabers an Flacius (1549).
Der nachfolgende Brief stammt aus den Tagen des Beginns des
offenen Zerwürfnisses zwischen Melanchthon und Flacius und führt
n die Entstehung dieses unseligen Zwiespalts ein. Aurifaber schildert
anschaulich, wie, nachdem Flacius, durch Melanchthons Nachgiebig-
keit in den Verhandlungen über das sog. Leipziger Interim von 1548
seinem einst hochverehrten Lehrer entfremdet!), zu Anfang des fol-
genden Jahres Wittenberg verlassen hatte, dort infolge der nach und
nach eintreffenden Streitschriften des Abtrünnigen, in denen dieser
seine Ansicht mit großem Nachdruck und obne Ansehen der Person
verfocht, die Stimmung gegen ihn immer gereizter wurde. Aurifaber
sah das mit Schmerz und versuchte — dies ist der Zweck seines
(übrigens ursprünglich von Melanchthon angeregten) Briefes, der
seinem milden und friedliebenden Wesen ein schönes Zeugnis aus-
stellt?) — Öl auf die erregten Wogen zu gießen. Er mahnte Flacius,
indem er ihm den Eindruck, den seine Schriften in Wittenberg hervor-
gerufen, unverhüllt schilderte, in beweglichen Worten, zu sorgen, daß
mindestens die persönliche Ehre des „Praezeptors“ unangetastet bleibe.
Hatten doch zwar nicht der Illyriker selbst, wohl aber übereifrige
Anhänger sich nicht gescheut, Melanchthons und der Seinen Nach-
giebigkeit auf schnöde Selbstsucht und klägliche Sorge um die eigene
Person zurückzuführen, was Melanchthon in seiner Auffassung, ia
Flacius unter Verkennung des Gewissenszwanges, der sein Handeln
bedingte, lediglich den undankbaren Schüler zu erblicken, nur be-
krüftigen konnte,
Ganz ohne Frucht ist der Brief des wohlmeinenden Vermittlers
vielleicht nicht geblieben; er mag dazu beigetragen haben, daß Flacius
sowohl eine ausführliche Schrift zur Rechtfertigung seiner Handlungs-
weise gegenüber den Wittenbergern ausgehen ließ, als auch sich un-
mittelbar an Melanchthon wandte, in einer Weise, die unverkennbar
1) Über Flacius in Wittenberg s. meinen Aufsatz in dieser Zeit-
schrift, Bd. XI, S. 302—809, und meine Geschichte der Universität
Witeenberg (Halle 4917) S. 222.
3) Über Aurifaber (Goldschmidt), der von 1546 bis 1549 in
Wittenberg Mathematik lehrte, s. ebendaselbst S. 281f.
63.
das Bestreben zeigt, den Gegensatz mindestens nicht noch zu ver-
schärfen. Daß jedoch letzterer damit nicht aus der Welt geschafft
wurde, liegt freilich auf der Hand.
Johannes Aurifaber an Matthias Flacius. Wittenberg,
14. April 1549.
S. in Christo domino et redemptore nostro. quid potissimum ad
te scribam, mi M, Matthia? nihil enim habeo quo vel ego acribendo-
vel tu legendo delectari possis. aliquid tamen scribendum est, praesertim
cum id in mandatis etiam habeam, quemadmodum paulo post audies.
Eodem quo hinc disceesisti die, ego una cum praeceptoribus ac
theologis nostris a Johanne Lufft!) ad caenam vocatus sum. in ea.
cum d. praeceptori Philippo assiderem, faeta tui tuique discessus men-
tio est, idque ita ut nihil in te diceretur iracundius, sed d. praeceptor
placide tantum sibi quaedam tua displicere significaret. simul etiam tum
de habendis tuo loco lectionibus mecum egit, quod ego me facturum.
recepi et tertio deinde a discessu tuo die tum intimavi tum inchoavi
sumpsique interpretandum psal. 22, postea vero nescio quibus ratio-
nibus quorumve relationibus factum sit, ut idem d. praeceptor Asa-
riam?) a te scriptum esse credere tibique graviter succensere ce-
perit. itaque proximo die lunae, cum eum negociorum quorundam
causa adiissem, querebat ex me primum, num quas literas abs te
accepissem; cumque ego, id quod res poscit, responderem nullas me
accepisse, addebat porro: scribas illi, ne mihi properet maledicere.
haec cum viderem ab eo animo vehementer commoto dici, valde pro-
fecto dolui tum ipsius praeceptoris causa, quem non possum non unice.
diligere, tum tua quoque, cui certe bene volo, tum nostra omniun:
atque adeo ecclesiae Dei causa. judico enim has quoque dissensiones.
et distractiones periculorum et offendiculorum esse plenissimas. ego.
tum, cum ille multa in eandem sententiam subjungeret, me hoc quod
mandaret diligenter facturum respondi: et certe si illico tum habu-
issem nunctium, scripsissem ea de re summa qua potuissem diligentia,
meque impetraturum sperassem, ne quid paterere contumeliosum in
hunc tantum virum in scriptis tuis extare, id quod plane judico et
justissimum esse et in omnem eventum utilissimum. nam etsi quid
habeas, de quo utiliter moneri aut doceri ecclesiam posse existimes,
quorsum tamen attinet hunc virum, qui tanta cum utilitate hactenus.
ecclesiae Dei servit, contumelia adficere?
1) Der bekannte Lutherdrucker Hans Luft in Wittenberg.
2) „Wider den schnöden Teuffel, der sich itzt abermals in einen
Engel des Lichts verkleidet hat, das ist wider das neue Interim,
durch Carolum Azariam Gotsburgensem.“ 1549 o. O., pseudonyme
Schrift des Flacius, der in der Vorrede darüber klagt, daß nicht
schlechte (d. i. schlichte) Laien, sondern ein Teil derer, so zuvor die
Säulen und vornehmsten in der Kirche gehalten waren, jetzt gotte
loses Leben fördern helfen usw.
64
Sed hujus causae apud te agendae occasionem magna ex parte
me amisisse video, allatus enim paulo post ad nos est libellus epi-
stolarum D. M. Lutheri!), in quo cum multa scripta editione et lectione
dignissima contineantur, adjecta passim in margine sunt scholia
ita amarulenter, ut merito bonis ac piis omnibus vehementer impro-
bentur. quid enim illud sibi vult philippisare did td dd,? ) quis
unquam tam. iniquus fuit, ut hoc crimine insimulare Philippum
potuerit, quod scilicet sui ventris causa seu öLd tà dã uta quicquam
molitus esse visus sit? ideo quisquis est, qui haec et similia verbs
in margine adjecit (nam te profecto id non fecisse mihi persuadeo),
puto eum male feciese et quod nominatim Philippum perstringit et
eum tam manifeste falsi criminis reum facit et causam non malam
male agendo corrumpit?) haec tecum amice colloquor et spero tibi
animum meum notunf esse, quod et te et ecclesiam dei vere diligam.
cumque bactenus in hisce tuis actionibus te nibil dare vel tuis vel
aliorum affeetibus, multo minus hostili animo praeceptorem aggredi
censuerim, sed tantum utilitatem ecclesiae spectare crediderim, valde
nunc dolerem, si abduci te ab isto proposito (quod Deus pro aua miseri-
cordia avertat!) intelligerem. fac ergo, mi carissime amice, ut et pie
et prudenter agas quod agis, neque vel tuis vel aliorum affectibus
nimium indulgeas, et verearis nonnihil te etiam in bona causa modum
excedere et eam male agendo corrumpere et ita plus deatruere quam
1) „Etliche Brieffe des ehrwürdigen Herrn D. Martini Luthers...
an die Theologos auff dem Reichstag zu Augsburg geschrieben anno
MDXXX von der Vereinigung Christi und Belials. . . verdeudscht,
stem etliche andere Schriften nützlich und tröstlich zu lesen.“ Gedruckt
zu Magdeburg bei Christian Rüdinger a. 1549. Mit Vorrede des
Flacius, in der er Melanchthon, jedoch ohne Gehässigkeit, angreift,
und einigen Scbolien am Rande.
3) In der mir vorliegenden Ausgabe des Werkes findet sich das
betreffende Scholion nicht; nur wird in einem der Scholien von Luther
bemerkt: er würde so nicht heucheln Herrngunst des bauches unge-
schenk halben (so!). — Tà gira = des Lebens Nahrung und Not-
durft. — Übrigens erklärte Flacius in seiner Apologia ad scholam
Vitebergeneem missa 23 julii anno 1549 ausdrücklich: „Scholion
philippizare me inscio adjectum est": Omnia latine scripta Matthiae
Flacii Illyrici... contra Adiaphoricas fraudes... edita (o. O. u. J.)
L 7* (auch daselbst L 5a allgemein: scholia me inscio adjecta eunt.)
Andererseits spricht Flacius in den Schriften dieser Zeit wiederholt
von „multi non veritatem, sed ventrem respicientes“ und ähnlich.
) Wie bitter Melanchthon die Angriffe des Flacius empfand,
bezeugen mehrere seiner brieflichen Äußerungen aus dieser Zeit, so
an Matbesius: ego ab Illyrico magnis contumeliis afficior (Corp.
Ref. VII Sp. 450); an G. Fabricius: Multis beneficiis affectus est
Slavus óga;:tétgg ab academia nostra et a me. verum aluimus in
sinu serpentem (ebenda 449) usw.
65
aedificare ea ratione posee. cumque pro gloria dei utilitateque ec-
elesiae spernendum tibi bominum furorem dureris, fae seltem, ne tua
culpa pro hoste bonorum ac piorum hominum haberi possis. nam eo
jam rem rediisse video, ut plerique tui amantes te petulanter et
hostiliter lacessere dominum Philippum querantur. scis autem utraque
extrema perinde fugienda seu vitanda esse, sed haec tuae permitto
prudentiae. quod ad me attinet, ego pro mea simplicitate judico tui
officii esse, ut nomini et honori praeceptoris nostri parcas. et hanc
dei etiam voluntatem esse credo. atque utinam de illo etiam placando
eogitare velles. nam posse hoc fleri, praesertim si in tempore id
ages et te conviciorum illorum autorem non esse ostendes, non diffido.
Heri primum Torga ad nos dominus praeceptor e couventu quodam
rediit!) quid actam aut propositum sit, nibil comperi. eadem autem
terme hora, qua is rediit, libellus etiam tuus Hermannique primatis
hie vulgatus est”). adfui, cum ejus a praeceptore fleret mentio.
affirmabat ille se bono et simplici animo scriptum illud composuisse
neque incerto autore, ut Hermannus affirmat, sparsisse. item se semper
et fuisse et esse in ea sententia idque in comiciis Augustanis et
Batisponensibus palam in deliberationibus principum professum: „quod
vellet necessaria retineri, de non necessariis non dimicari“. haec a me
tecum communicari libere in bonam te partem accepturum confido,
idque ut facias rogo. ego te domino Jesu Christo commendo. prodease
sicubi tibi aut tuis potero, nullo id vel tempore vel loco praetermittam.
rogo Deum, seternum patrem domini nostri Jesu Christi, ut nostri
misertus clementer haec tanta nostra vuluera sanet et tanta mala tum
praesentia tum impendentis mitiget. amen!
Datae Vitebergae dominica palmarum anno 1519.
Halle, Wittenberger Universitätsarchiv Tit. 43 Nr. 6 Bd, 1
Bl. 623f., eigenhändige Ausfertigung.
Friedens burg.
Ein Sammler von Helanchthonbriefen.
Schon zu Lebzeiten Melanchthons wurden die Briefe, die er er-
hielt und schrieb, von Anhängern und Freunden eifrig gesammelt.
Sein Famulus und Diener Johann kam darüber in den Verdacht der
Untreue und Unredlichkeit. Man sagte ihm nach, er hätte Briefe ent-
wendet und verkauft, an seinem Lehrer und Herrn geradezu Verrat
geübt. Die Grafen Johann und Adolf“) von Nassau, in deren Dienst
1) Zu der Torgauer Theologenzusammenkunft vgl. Corp. Ref. VII
Nr, 4515 (vom 18. April 1549),
5) Welcher libellus hier gemeint, und was nachstehend unter
scriptum illud verstanden, auch wer der Hermannus primas ist, ver-
mag ich nicht zu sagen.
) Grat Adolf von Nassau hat am 17. Januar 1558 die Leukorea
bezogen und wurde am folgenden Mai deren Ehrenrektor.
Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1/i. 5
66
er später getreten war, schrieben deshalb Sommer 1561 an Peucer und
Eber, die jedoch, wie folgender Brief?) zeigt, für den beschuldigten
Famulus eintraten und das gute Zeugnis, das Melanchthon ihm einst
ausgestellt hatte, ihrerseits bestütigten. Wohl habe er Melanchthon-
briefe sich abgeschrieben, doch das hätten auch andere, ja die meisten
der Hausgenossen Melanchthons getan.
Ineliti et generosi domini comites, domini elementissimi. Gratias
agimus, quantas possumus, Celsnibus Vris et de vero atque ardente
studio erga puriorem religionem et ecclesias recte sentientes et de
singulari affectione erga sanctae et piae memoriae Philippum Melan-
thonem, quorum utrumque ut conservetis ea, qua par est, animi sub-
lectione petimus deque nobis vicissim promittimus Cels. Vris vota pre-
cesque ad deum patrem, ut clementer Cels, Vras vestraque omnia
tueatur, protegat et servet. Quantum ad negotium attinet, de quo
requiritis testimonium nostrum, brevibus, quod nobis sit compertum,
referemus.
Servivit d. Philippo Melanthoni biennium M. Johannes curandis
et expediendis iis, de quibus mandata habuit, et domesticis officiis
praestandis, quae munus ministri complectitur. Vixit cum Philippo
tum in iisdem aedibus ut gener ego Casparus Peucerus, sed quod
sciam, nunquam in eo fidem aut diligentiam Philippus desideravit, in-
telligentiae aliquando plus et iudicii ac cautionis et cireumspectionis
interdum desideravit, Unde itaque haec sit nata de eo suspitio, quod
clam surreptas amicorum epistolas precio inimicis vendiderit aut enun-
tiarit arcana, conicere non possumus, nisi quod ipsum, cum ex vera
phrenitide graviter decumberet, cum summa mentis non perturbatione
tantum, sed alienatione astantes aliqui inter caeteras delyras voces
et vero inconsentaneas hanc etiam misisse affirmabant, quod epistolas
aliquas Philippi ad amicos adornatas descripsisset. Sed ex his verbis
mentis extra se motae prorsus et errantis accusatio tanta, quae pene
est capitalis, institui non potest, multo minus proditionis alicuius aut
perfidiae argui ipse aut convinci poterit. Fecerunt idem multi alii vel
potius plerique, quos in contubernio eodem secum ut domesticos habuit,
Si quid ergo iis, qui talia de eo sparserunt, suspicandi causam dedit,
h&c est quod praebuit.
Sed neque socerum meum neque me aut suspicatum esse de eo
aut expertum quidquam dubiae fidei, quamdiu vixit nebiscum, vere
affirmo neque de his vulgi rumoribus hactenus nobis auditum aliquid
cognitumve fuit, Cum ergo meminimus Philippum Melanthonem hunc
Johannem ita sine suspitione ulla, cum convalesceret, dimississe, ut
reficiendarum virium causa discedentem in patriam honorifico testi-
monio sit prosecutus et in academiam cum inclyto comite d. Adolpho
reversum non minore sit benevolentia complexus quam antea, rogamns
Cels. Vras, ut si quam de eo suspitionem conceperunt, hanc deponant
et clementer eum foveant et iuvent et promoveant cum propter senem
—
1) Aus der Gothaer Staatsbibliothek, Codex 125, Bl. 9.
67
patrem, euius opera utiliter servivit ecclesiis vestris, tum propter ipsum
Philippum Melanthonem, quem ita scimus fuisse affectum, ut gravius
tulerit nihil, quam si sua causa in discrimen aliquis vel fortunarum
vel vitae vel existimationis veniret, quacumque de causa id fleret. Nos
etiam Cels. Vris humiliter commendamus et ut scholam nostram autori-
tate et patrocinio vestro tueri pergatis, suppliciter petimus . . . Datae,
Witebergae 18. Junii a. 1561. Cels. Vris deditissimi Paulus Eberus D:
Casparus Peucerus D. Wotschke.
Zur Mathesiusforschung.
In einem alten auf dem Rochlitzer Amtsgericht verwahrten
Gerichtsbuch findet sich ein Dienstag nach Bartholom&i 1527 datierter
»Vertrag Magister Lucassen, Nickeln und Burgkardten die Mattes Eins
und Fraw Gerdrudt Valten Mattissen seligen verlassen Witwe und yre
Kinder befangend*. Darnach haben sich ,zwischen dem Wirdigen und
Achtbarn Hern Magister Lucassen Mattis pfarrer zu Grunaw und seinem
brader Nickeln, auch in vollermocht und von wegen Burgkardten
Mattis ires außlendischen brudern Eins, dergleichen der Tugentsamen
und Erhafften Frawen Gerdrudten, ettwo Valtten mattissen seligen
nschgelossen wittwen sampt iren kindern und dero vormunden zu
Rochlitz anders teils irrig gehalten und derhalb an Rechten gehangen.“
Es handelte sich um ein Besitztum, den „Keßling mit dem Gehölz
und Teichen“. Uns interessieren hier lediglich die Personen. Georg
Loesche, Johannes Mathesius Bd. 1 S. 6 macht Lukas, Nickel und
Burgkardt zu Brüdern des Johann Mathesius. Nach dem obigen Ver-
trag muß das als ausgeschlossen gelten, da sonst unbedingt auch
Johann M. genannt sein müßte. — Als Johann Mathesius Mutter wird
Christine Scheuerfuß genannt (Lösche a. a. O. S. 5). Der Name ist
von vorne herein verdächtig. Ich vermute, daß diese Christine eine
geborene Schmerfaß war. Ein Simon Schmerfaß aus Rochlitz wird
am 22. Dezember 1498 Akoluth and am 23. März 1508 Subdiakonus,
beides in Merseburg.
Rochlitz, Buchwald.
Neuerscheinungen.
Die Karl Müller-Tübingen zum 70. Geburtstag (Sept. 1929) von
21 Fachgenossen und Freunden dargebrachte literarische „Festgabe“
berührt in mehreren ihrer Abhandlungen die Reformationsgeschichte:
8. 118—181 O. Scheel, Luther und der angebliche Ausklang
des „Observantenstreites“ im Augustinereremitenorden
(zeigt die Leichtfertigkeit auf, mit der Grisar in seinem „Luther“ dem
sog. Observantenstreit die Handhabe entnommen hat, um das Bild des
werdenden Reformators von vornherein zu schwärzen). — S. 182—144
Eb. Teufel, Luther und Luthertum im Urteil Seb. Francks
55
68
(stellt die Urteile Francks im ,Ketzerbuch" und anderswo systematisch
zusammen) — 8. 145—170 Em. Hirsch, Zum Verständnis
Schwenekfelds (Schw. ein Vorläufer des Pietismus). — 8. 171—177
J. Rauscher, Zur Entstehung der großen Württem-
bergischen Kirchenordnung v. 1559 (nach einem neu ent-
deckten ersten Entwurf, der abgedruckt wird). — S, 178—197 K.Holl,
Die Frage des Zinsnehmens und des Wuchers in der
ref, Kirche (der ältere Calvinismus hat die sich ausbreitende
Geldwirtschaft nicht sowohl gefördert als bekämpft). — S. 198—308.
W. Köhler, Geistesahnen des Joh, Acontius (verfolgt die
Grundgedanken der Stratagemata Satanae des A. bis zur Stoa und
zum Humanismus zurück). — Endlich geht der Aufsatz von Hjalmar
Holmquist, Kirche und Staat im evangelischen Schweden
(S. 309—227) von den kirchlichen Zuständen des Landes im beginnenden.
Reformationszeitalter sus. Tübingen, I. C. B. Mohr 1939. VII, 8518.
(mit dem wohlgetroffenen Bilde des Jubilars).
Den in Jahrg. 18 8.157 gewürdigten Aufsatz von M. Lens,
„Luthers Tat in Worms“ druckt Vf. an der Spitze der von.
ibm unter dem Titel „Wille, Macht und Schicksal" veröffent-
lichten 8. Sammlung seiner kleinen historischen Schriften (8. 1—40).
erneut ab. München u. Berlin, R. Oldenbourg 1929, 272 S.
Den Fortgang der großen Veröffentlichung von I. M. Reu Aber
die Quellen des kirchlichen Unterrichts in der evan--
gelischen Kirche Deutschlands zwischen 1580 und 1600 hat
erfreulicherweise der Weltkrieg nicht zu unterbinden vermocht. Reu.
legt jetzt vor, was während des letzteren gedruckt worden ist, die
2. Hälfte der 8. Abt. (Texte) des 3. Bandes, nämlich der Ost-, Nord-
und Westdeutschen Katechismen, und zwar handelt es sich hier aus--
schließlich um die Braunschweigischen und Hannoverschen Katechismen,
deren 17 gedruckt werden von Urbanus Rhegius’ niederdeutscher Aus-
gabe der 12 Artikel des Glaubens für Lüneburg 1582 bis zu Joh..
Aumanns Kat. von 1597 mit Anhang des Kat. des Joh. Sötefleisch
Superint. zu Göttingen (zwischen 1589 und 1608) Über die Sorg-
falt des Herausgebers in der Auswahl und Wiedergabe der Texte
braucht kaum noch ein Wort verloren zu werden. Es stehen jetzt
Doch aus die ostfriesischen, westfälischen und rheinischen Katechismen
nebst der historisch-biograf. Einleitung zur ganzen 8. Abteilung dew.
1. Teils. Möge es unserem wackern Landsmanne jenseits des Welt-
meers gegönnt sein, sein mühevolles Werk, dergleichen wohl keine
andere Nation aufzuweisen hat, demnächst zu Ende zu führen!
Gütersloh, C. Bertelsmann 1920 (S. 561—981).
Das von J. Köstlin 1883 verfaßte und herausgegebene Verzeichnis
der „Lutherbibliothek des Paulus-Museums der Stadt
Worms“, d. h. der Sammlungen von Schriften Luthers und seiner
Zeit und Anhänger, die der jetzige Generalleutnant Max von Heyl
in Darmstadt gesammelt und zum 400. Geburtstag des Reformators
der Stadt Worms geschenkt hatte, veröffentlicht Fritz Herrmann.
69
aufs noue unter Aufnahme der seit 1888 hinzugekommenen Stücke,
Vervollständigung der bibliographischen Hinweise usw. Das Ver-
seichnis umfaßt über 500 Nr.; den Hauptbestandteil bilden Luther-
drucke von 1516—1546. Darmstadt 1999, 87 8.
Adolf Risch, Luthers Bibelverdeutschung, be-
handelt 1) als „Voraussetzungen in der Vergangenheit" die alten
gen und die Deutschen im Verhältnis zur Bibel vor Luther;
9) die persönlichen Voraussetzungen in Luther, sein Erlebnis an der
Bibel, seine Bibelauslegung, sein Verhältnis zur deutschen Sprache;
8) das Werk der Bibelverdeutschung selbst (geschichtliche Daten, Art
des Arbeitens Luthers), Am Schluß gedenkt Verf. der Auswirkung
der Lutherbibel, die über die deutsche Sprachgrenze weit hinaus weist.
Erst L. s Tat hat der Bibel die Bahn freigemacht, ihr Licht in alle
Welt hinausleuchten zu lassen. Beigegeben ist die Nachbildung je
einer Seite des alten und neuen Testaments. Leipzig, Komm. Verlag
M. Heinsius Nachf. 1999. $89 S. (= Schriften des Vereins für Ref.
Gesch. Jahrg. 40, Nr. 185).
G. Buchwald, Martin Luther in seinen Tisch-
reden gibt eine systematisch geordnete Auswahl aus den Tischreden.
Die Haupteinteilung ist: Empor zum Licht; Luther der Held; Luther
der Christ; Luther der Prediger; Lebensweisheit; Luther und die
Umwelt; Luther der Prophet. Den Schluß bilden sprachliche Erläu-
terungen und Nachweise der Vorlagen. Die von dem bewährten
Kenner getroffene Auswahl ist bestens geeignet, das Verständnis der
Tischreden weiteren Kreisen zu vermitteln und ihnen dadurch das
Charakterbild des größten Deutschen nahezubringen. Zu rühmen ist
auch die würdige Ausstattung des Buches. Leipzig, Voigtländer
216 8. 4°,
E. Kohlmeyer, Die Entstehung der Sehrift
Luthersan denchristlichen Adel deutscher Nation
zerlegt in scharfsinniger Untersuchung die Schrift in 9 Teile: den
ursprünglichen Entwurf (Widmung, theolog. Grundlegung und erste
Reihe von Mißbräuche betr. Verweltlichung und Finanzwirtschaft der
Kurie nebst kurzen Besserungsvorschläg®en) nnd einen zweiten Teil mit
ausführlicher Wiederholung des nämlichen Reformprogramms unter
Hinzufügung zahlreicher anderer Reformpunkte betr. Schäden des
religiösen Volkslebens und soziale Mißstände — Teil 1 wesentlich die
Kurie, Teil 2 den Papst angreifend —, und entwickelt die Veran-
lassung und die näheren Umstände der Entstehung. Er zeigt dabei
die volle Unabhängigkeit L.’s von irgendwelchen fremden Einflüssen,
vielmehr ergaben den Plan und die Ausführung Luthers eigene Erleb-
nisse, zumal mit der Kurie. — Mit Recht zeigt Vf. u.a. auch, daß
der „Adel“ im Titel der Schrift die Reichsstände, zumal den regie-
renden hohen Adel des Reichs, bedeutet, während an die Reichsritter-
schaft nicht gedacht ist. Gütersloh, Bertelsmann 1922, 91 8.
G. Wünsch, Der Zusammenbruch des Luthertum
als Sozial gestaltung. Diese nicht eigentlich historische
70
Stadie versucht nachzuweisen, daß das Luthertum als Sozialgestaltung,
d. h. die vergröberte und den menschlich-selbstsüchtigen Interessen
dienbar gemachte Sozialgestaltung der Epigonen des Reformrtets,
endgültig zusammengebrochen sei und daß diejenigen, die noch inner-
halb dieses Sozialschemas stehen und sich die Weltgestaltung nicht
anders vorstellen können, d. h. zumal die Regierungen der evan-
gelischen Kirchen und derjenige Teil des ,Kirchenvolks", der sich
aktiv zur Kirche hält, sich soziologisch neu einstellen müßten. Tübingen,
I. C. B. Mohr 1921, 70 8. ,
H. Grisar S. I. beginnt die Veröffentlichung einer Reihe von
„Lutherstudien“: Heft 1, Luther zu Worms und die jüngsten
Jahrhundertfeste der Reformation; 2 und 8 (in Verbindung mit Franz
Heege S.I) Luthers Kampfbilder: I. Passional Christi und Anti-
ehristi; Eröffnung des Bilderkampfes (1521) mit 5 Abb.; II. Der
Bilderkampf in der deutschen Bibel (1522 fl.) mit 9 Abd.; 4. Luthers
Trutzlied ,Ein feste Burg" in Vergangenheit and Gegenwart. Grisars
bekannte Art, die geschichtlichen Ereignisse und Verhältnisse so zu-
zustutzen, daß sie sich seinen vorgefaßten Ansichten und Meinungen
anzubequemen scheinen, tritt auch hier zutage: er bietet, soweit Luther
und Luthertum in Geschichte und Gegenwart in Frage kommen,
Zerrbilder; das beigebrachte Material ist zum Teil nicht ohne Wert.
Freib. i. Br., Herder & Co. 1991 und 1922, VI, 89; 68; 45; 57 8.
Die M. Lenz dargebrachte Studie von Arnold Reimann,
Sebastian Franck. Ein moderner Denker im 16.Jahr-
hundert, würdigt Fr. als einen Denker, der, seiner Zeit voraus-
eilend, Toleranz, geistiges Christentum und das Recht der freien
Persönlichkeit gepredigt und zu seinem Teil beigetragen habe, dem
deutschen Gemüt die Frömmigkeit der mittelalterlichen Mystik zu
bewahren, die tiefsten und besten Gedanken der Reformation zu retten
und die idealistisch-pantheistische Spekulation der modernen Philo-
sophie vorzubereiten. Berlin, Unger 1921, 101 8. (Comeniusschriften
zur Geistesgesch. 1) — Im 3. Heft der nämlichen Reihe behandelt
E. Diestel in großen Zügen den Teufel als Sinnbild des
Bösen im Kirchenglauben, in den Hexenprozessen und als Bundes-
genossen der Freimaurerei. Berlin, Unger 1922, 45 8.
Einen sehr wertvollen Beitrag zur deutschen Kultur- und Wirt-
schaftsgesch. des 16. Jahrh., zugleich einen neuen Beweis für den
innigen, unlöslichen Zusammenhang mit deutscher Art und Sitte
bietet O. Winkelmann (t) in dem mit musterhafter Sorgfalt ab-
gefaßten Buche „Das Fürsorgewesen der Stadt Straßburg
vorundnach der Reformation bis sum Ausgang des
16. Jahrhunderts“. Verf. behandelt hier, in der Hauptsache
auf Grund der Akten des seit 1890 mit dem Stadtarchiv vereinigten
Hospitalsarchivs der Stadt Str., das gesamte öffentliche Fürsorgewesen
dieser. Den Hauptplatz beansprucht die Gesch. der öffentlichen
Armenpflege von 1598 bis etwa 1550; der vorhandene reiche Stoff
ist im 9. Teil (Urkunden und Aktenstücke) möglichst vollständig
71
wiedergegeben, während der 1. Teil (Geschichtliche Übersicht) sich
darüber verhältnismäßig kurz faßt. Umgekehrt ist der Stoff über
daa Armenwesen vor und nach der Ref. und tiber die geschlossene
Fürsorge tunlichst im 1. Teil verwertet und im 9. nur eine Auswahl
der wichtigsten Stücke abgedruckt. Ohne auf die Einteilung und
den Inhalt im einzelnen näher einzugehen, möchten wir als ein
wichtiges Ergebnis der Untersuchungen W.'s darauf hinweisen, daß
die neuen, die besten reichsstädtischen Armenordnungen des 16, Jahrh.,
und zumal die Straßburgische, beherrschenden Grundsätze der Armen-
pflege (die in der pflichtmäßigen Obrigkeitsfürsorge für alle einhei-
mischen Armen mit Verbot des Bettelns, auch des geistlichen, gipfeln)
an Forderungen anknüpfen, die zuerst von dem jungen Luther auf.
gestellt wurden, aus seiner Gedankenwelt stammen und zu den alten
kirchlichen Überlieferungen in entschiedenem Gegensatz standen,
Leipzig 1922, Kommiss.-Verlag M. Heinsius Nachf, 2 Teile in 1 Bd;
XVI, 908 u. 801 S. gr. 8° (= Quellen und Forsch. zur Beformations-
gesch. V.).
Die aus einem der Leipziger Juristenfakultät erstatteten Rechts-
gutachten hervorgegangene Abhandlung von Alfr. Schultze,
Die Rechtslage der evangelischen Stifter Meißen
und Wurzen schildert zuerst die geschichtlichen Vorgänge vom
Mittelalter bis zur Gegenwart, um dann die heutige Rechtslage fest-
zustellen. Die Grundlage dieser bildet die „Kapitulation“ zwischen
den Stiften und Kurfürst August von 1581, die ihrerseits die An-
nehme der Ref. durch erstere zur Voraussetzung hatte. Die Stifter
sind, das ist das Ergebnis der Untersuchung, autonome Körperschaften
des öffentlichen Rechts mit kirchlichen Zwecken, der Einmischung
des Staats enthoben und lediglich seiner Aufsicht unterstellt, von
ausschließlich evangelischem Charakter. Leipziger rechtswissenschaft!.
Studien herausg. von der Leipziger Juristenfakultät I. L., Theodor
Weicher 1992. VIII, 99 8.
Dem unermüdlichen Schaffensdrange von G. Loesche ver-
danken wir eine neue (stark vermehrte und bis auf die Gegenwart
fortgeführte) Auflage seiner 1902 erschienenen ,Geschichte des
Protestantismus in Osterreich“, bestehend aus Darstellung,
fast 2000 Anmerkungen, Verzeichnis einer Auswahl von Quellen-
schriften (Literatur) und Register. Das Werk füllt den Doppeljahr-
gang 40 und 41 des Jahrbuchs der Gesellsch. f. d. G. des Prot, in
Österr. (Wien, Manz und Leipzig, Klinkhardt 1921) — Aus der
nämlichen Feder stammt „Die böhmischen Exulanten in
Sachsen. Ein Beitrag zur G. des 80j. Krieges und der Gegen-
ref.“, geschöpft aus deutschen (bes. Dresdner) und böhmischen (bes
Prager) Archiven. Hier schließen sich an die Darstellung zunächst
zahlreiche Anmerkungen und weiter, fast die Hälfte des starken
Bandes einnehmend, die archivalischen Beilagen (meist Regesten), die
von 1557 bis 1747 reichen. Den Orts- und Namensverzeichnissen
folgt endlich noch eine Übersicht über die Exulanten nach Ständen.
72
Das Ganze bildet den 43. bis 44. Jahrgang des Jahrbuchs. Wien usw.
1998; XII, 585 8. x
L. von Pastor, Geschichte dor Päpste seit dam
Ausgang des Mittelalters. Bd. 8, 9: G. d. P. im Zeitalter der
katholischen Reformation und Restauration. Pius V. (1566—1579);
Gregor XIII (1572—1585). — Die 2 neuesten Bünde des groban-
legten Werkes führen hinüber in die Zeit eines bedeutsamen, von
reichen Erfolgen begleiteten Aufschwungs des Katholizismus, den
Verf. mit merkbarer innerer Genugtuung und warmer Anteilnahme,
wenn auch nicht eben mit voller Unparteilichkeit schildert. Insbe-
sondere ist es ihm ausgemacht, daß alles, was der katholischen Sache
irgendwie zugute kommt, schlechthin gut, nützlich und erfreulich sei
ohne Rücksicht auf die angewandten Mittel und die Art der Aus-
wirkung. Doch darf diese Einseitigkeit, die der Kundige ja obne
weiteres bei sich berichtigt, nicht abhalten anzuerkennen, daß die
neuen Bände den voraufgegangenen mindestens ebenbürtig zur Seite
stehen. Man bewundert wiederum die meisterhafte Verarbeitung
eines kaum übersehbaren, von Pastor selbst aus den Archiven ansehn-
lich bereicherten Stoffes und die mit sorgsamster Behandlung des
Einzelnen und Einzelsten verbundene Weite des Blickes. Die beiden
Bände erweitern sich aus einer Papstgeschichte im engeren Siun zu
einer einheitlich aufgefaßten, ausführlichen und ergebnisreichen uni-
versalhistorischen Darstellung zweier der bedeutsamsten und an Ereig-
nissen reichsten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Auf einzelnes
einzugehen müssen wir uns hier versagen; nur sei auf das besonders
reichhaltige 9. Kapitel des 9. Bandes hingewiesen, das die katholische
Reform und Restauration in Deutschland und der Schweiz auf Grund
der in großer Fülle vorliegenden Nuntiaturberichte aus dieser Periode
eingehend schildert (3. 427—662). Der Stellungnahme Pastors in der
Maria Stuart-Frage (VIII, S. 40811) stimmt Ref. durchaus bei. —
Die Bünde bringen wiederum eine Anzahl wichtigerer Aktenstücke
als Beilagen, Literaturverzeichnisse, Überblicke über die benutzten
: Archive und Register. Freib. i. Br, Herder & Co. 1990, XXXVI,
676 8. und ebenda 1923, XLV, 983 8. W. Fr.
Vermerk.
Die Anschrift des Herausgebers lautet fortan Wernigerode a. H.,
Lüttgenfeldstraße 12,
Jakob Schenck u. die Universität Leipzig.
Von Wilhelm Stieda.
Nach den eindringenden Untersuchungen von Georg
Müller!), J. K. Seidemann?) P. Vetter®), Otto Kirn*) und
anderen steht die Persönlichkeit Jakob Schencks und seine
Bedeutung fest. Ihn als Antinomisten zu bezeichnen liegt
kein gentigender Anhalt vor“). Wenn sowohl Luther als
Melanchthon ihm durchaus ungünstig gesinnt waren, sogar
behauptet wird, daß letzterer an der Vertreibung Schencks
aus Leipzig wenigstens indirekt beteiligt gewesen ist, so mag
das auf seinen keineswegs anziehend geschilderten Charakter
zurückzuführen sein. Ein selbstbewußter Herr, eitel, eigen-
mächtig, hochfahrend im Auftreten, konnte er sich kaum
viele wahre Freunde erwerben. Seine Energie, die bei der
Einführung der Reformation in Freiberg alle sich entgegen-
stellenden Hindernisse überwand, brachte ihn auf der anderen
Seite in unliebsame Berührung mit dem „notorischen Zänker
und Kanzelpauker“ Paul Lindenau, dem er schlielich weichen
mußte). Aber große Begabung, Glaubenseifer, unermüdliche
Arbeitskraft auf der einen Seite, Unbeugsamkeit und Eigen-
wille auf der anderen Seite ließen den stolzen Mann, der
im Grunde geschaffen schien mit seinen hohen Geistesgaben
sich als erfolgreichen Mitarbeiter in der Reformation zu be-
1) In der Allgem. Deutschen Biographie 81, S. 50 sowie in seiner
Schrift „Paul Lindenau“ 1880
*) Dr. Jacob Schenk, der vermeintliche Antinomer, Freibergs
Reformator usw. Leipig 1875.
3) Jakob Schenck und die Prediger zu Leipzig 1541-43 im
Neuen Archiv f. Sächsische Geschichte und Altertumskunde 12 (1891),
S. 247 ff.
4) Die Leipziger theologische Fakultät in fünf Jahrhunderten,
Leipzig 1909, S. 44, 51.
5 Hauck, Realencyklopädie für -protestantische Theologie und
Kirche, 8. Aufl., S. 590.
©) Vetter, a. a. O., S. 248.
Archiv für Refomstlonsgeschlchte. XX. 5/4. 6
tätigen, doch nicht zu dauerndem Einflusse und allgemeiner
Anerkennung kommen.
Geboren 1508 zu Waldsee im Württembergischen, kam
er als 18jähriger nach Wittenberg, trieb neben theologischen
Studien auch humanistische, wurde bald Magister und 1536
Doktor der II eologie. Dann folgte er einem Rufe des
Herzogs Heinrieh von Sachsen, der damals zur evangelischen
Lehre sich bekannte und dem schmalkaldischen Bunde sich
anschloß. Aber obwohl die Herzogin Katharina für ihn ein-
genommen war, gelang es ihm doch nicht trotz der unleug-
baren Verdienste, die er sich in Freiberg erwarb, sich auf
die Dauer zu halten und er siedelte 1538 als Hofprediger
nach Weimar zum Kurfürsten Johann Friedrich über. Hier
erwies er sich als begabter und sehr beliebter Prediger!).
Trotzdem wollte sich kein rechtes Verhältnis zu den Witten-
bergern entwickeln. Luther sagte wohl einmal von ihm „Ich
will ihn der Lehre halben nicht beschuldigen“?), aber dann
äußerte er sich bei anderer Gelegenheit wieder dahin, daß
er mit Jäckels und Grickels — so nannte er Jakob Schenck
und Agricola — Meinung und Opinion nicht einverstanden
sei, daB er der Religion Pestilenz und Gift wäre, daß er
dummkühn, in süßmündigen glatten prächtigen Worten und
Redekünsten sich erging“) kurz, er urteilte über ihn hart.
Am ausfälligsten vielleicht, als er am 13. Oktober 1538 an
seinem Tische tiber ihn bemerkte: „Niemand wundere sich
über den Ruhm Jakob Schencks, der eine Zeitlang Beifall
haben wird um seiner Beredsamkeit willen, die inhaltsleer
ist; denn die eitle Welt hascht stets nach dem Neuen und
Ungewöbnlichen. Sobald aber die Hofleute seiner Worte ge-
wohnen und merken, daß er immer dasselbe Lied singt,
werden sie seiner überdrüssig werden*) Und als gar
Schenck seine Augen zu Luthers Nichte, Anna Schtitzmeister,
aufhob und sie als seine Frau heimzuführen wünschte, ließ
Luther ihm sagen: Das soll in Ewigkeit nicht gescheben.
Und zum Mägdlein: willst du ihn haben, so heb dich alsbald
immer von mir! Ich will dich weder hören noch sehen*)*
Bei dieser Sachlage wird es verstündlich, daB Schenck,
obwohl er seinen Lehrern in Wittenberg herzlich zugetan
blieb, sich dennoch aus einer Umgebung fortsehnte, in der
man so viel an ihm auszusetzen wußte und dahinstrebte, wo
er darauf rechnete, selbständiger und freier ohne so scharfer
Kritik preisgegeben zu sein, seine Gedanken vortragen zu
1) Seidemann, a. a. O., S. 88. 1) Seidemann, a. a. O., S. 41.
) Seidemann, a. a. O., S. 38,39, 40. ) Seidemann, a. a. O., S. 43.
) Seidemann, a. a, O., S. 45.
75
können. In dieser Verstimmung kam er nach Leipzig, wo
er zunächst Hofprediger des dort studierenden Herzogs August
wurde und als dieser fortzog, sich anschickte, Vorlesungen
an der Universität zu halten. In die Fakultät trat er jedoch
erst 1542 ein, nachdem er am 10. August die hierfür vor-
gesehene Disputation pro loco gehalten hatte!) Die Er-
mächtigung Vorlesungen zu halten und in den Kirchen za
predigen, hatte ihm ein Erlaß Herzog Heinrichs zuerkannt.
Doch soll er, obwohl neben ihm nur Johann Sauer als aka-
demischer Lehrer im Amte war, gar nicht begonnen haben
zu lesen, weil die hierauf verwandte Mühe nicht ausreichend
von den Zuhörern, die sich in nur geringer Zahl einfanden,
honoriert zu sein schien?) Von anderer Seite wird freilich
behauptet, daß er bei den Studenten so gut Anklang ge-
funden hätte wie bei der Gemeinde in der kleinen Kapelle
in der Pleißenburg®).
Jedenfalls geriet er auch hier mit dem Superintendenten
Jobann Pfeffinger, der nachher seit 1544 als ordentlicher
Professor die Seele der theologischen Fakultät wurde, an-
einander. Auch Professor Sauer nahm gegen den Kollegen,
mit dem zusammen er die theologische Fakultät bildete,
Partei. Die Veranlassung dazu war die Herausgabe einer
Postille, die Jakob Schenck auf Anregung des Professors
Dr. Andreas Franck Camitianus, der neben seiner Lehr-
fütigkeit an der Universität zugleich Ratsherr urid Schöppe
war, im Februar 1542 im Begriffe stand drucken zu lassen,
um sie dem Rate der Stadt Leipzig zu widmen. In diesem
Werk, dessen Korrekturbogen nur auf unrechtmäßigem
Wege in fremde Hände gekommen sein können, fand der
Superintendent Pfeffinger eine Reihe von Irrtümern und ver-
steckten Angriffen auf die Wittenberger. Schenck hatte die
an verschiedenen Orten gehaltenen Predigten zusammen-
gefaßt, das Manuskript dem Dr. Andreas Franck übergeben,
der es in die Druckerei besorgt hatte, wohl nicht ohne
es gelesen und gebilligt zu haben. Denn es sollte ja dem
Rate gewidmet werden. Mit ziemlicher Schnelligkeit, erst
auf einer Presse, dann auf zwei Pressen, war der Druck
bis zum zwölften Bogen vorgeschritten, als plötzlich Wider-
spruch erhoben und Schenck aufgefordert. wurde, sich vor
dem Rektor der Universität und einigen Herren der Uni-
versität wie des Stadtrates zu rechtfertigen. Die mit der
) Kirn, a.a. O., 8. 45.
1) Seidemann, a. a. O., 8. 47.
3) Georg Müller in der Allg. D. Biogr.
) Kirn, a. a. O., S. 46. — Seidemaun, a. a. O., S. 51.
6*
76
Prüfung des ganzen Manuskripts oder der bereits vorliegenden
Druckbogen betraut gewesenen Herren Sauer und Pfeffinger
hatten ein Verzeichnis der beanstandeten Artikel aufgestellt
und es wurde jetzt von Schenck verlangt, zu widerrufen
oder in einer dem Buche vorauszustellenden Deklaration
eine dahingehende Erläuterung abzugeben. Da sich Schenck
zu diesem Schritte unter keinen Umständen verstehen wollte,
wurde die Vollendung des Drucks verboten. Dadurch nicht
nur, sondern auch noch durch eine andere Druckverweigerung
aufs härteste betroffen, wandte sich Schenck am 8. September
1542 an die herzoglichen Statthalter in Dresden mit der
Bitte, ihm die Erlaubnis zur Fertigstellung des Drucks seiner
Postille sowie eines anderen von ihm beabsichtigten Werks
zu erteilen. Er hatte nämlich auf Bitten seiner Anhänger
aus seinen schon gedruckten Auslegungen der zehn Gebote,
des Glaubens und des Vaterunsers einen Auszug gemacht,
für den ihm die Druckerlaubnis zu erteilen, der Bürger-
meister Morch abgelehnt hatte. Dieser hatte es für wünschens-
werter gehalten, so lange mit dem Erscheinen der neuen
Druckschrift zu zögern, bis auch die Angelegenheit mit der
Postille beendet worden sei!). Die Antwort, die ihm von
dieser Seite zuteil wurde, ließ alles in der Schwebe, in der
Annahme, daß Schenck demnächst zur mündlichen Ver-
handlung nach Dresden kommen werde. Das lehnte jedoch
Schenck ab und folgte auch einer erneuten Einladung nach
Dresden nicht. Die Folge aller dieser Uneinigkeiten war,
daß Herzog Moritz, der einerseits für den begabten Mann
Interesse zeigte, andererseits ihn gegen die von verschiedenen
Seiten über ihn hereinbrechenden Angriffe nicht zu halten
vermochte, ihm nahe legen ließ, auf das eben erst an-
getretene akademische Lehramt zu verzichten und sich
lieber als Lektor zum Unterricht in Sprachen verwenden zu
lassen ?).
Ob er diesem Rate gefolgt ist, läßt sich nicht nach-
weisen. Jedenfalls lebte er in einer ihm eingeräumten
Wohnung des Barfüßerklosters still und zurückgezogen,
lediglich mit seinen Studien beschäftigt, im steten Umgange
mit seinem Bruder Michael und seinem Famulus Werlin.
Indes selbst hier traf ihn Mißgeschick. Herzog Moritz hatte
am 22. Mai 1542 dem Rate das Kloster auf ein Jahr zu-
gestanden und dieser wünschte den Propst des Thomas-
klosters, Ambrosius Rauch, dort einzuquartieren, nachdem er
dessen Wohnung einem reichen Bürger, Heinrich Scherl,
1) Seidemann, a. a. O., S. 53.
1) Seidemann, a, a. O., S, 55. — Vetter, a. a. O., S. 266.
77
eingeräumt hatte. Schenck, wahrscheinlich in finanzieller
Bedrängnis, wollte seine Wohnung im Barfüßerkloster nicht
aufgeben, geriet deswegen mit dem Rate in Konflikt, ließ
sich lediglich durch Gewalt aus dem Hause herausführen
und wurde im Rathause gefangen gehalten. Außerdem war
er von dem Buchdrucker Wolrab, der seine Postille druckte,
bei der Universität wegen der Unterbrechung des Drucks oder
einer zu zahlenden Entschädigung belangt worden. So saß
der vielgeplagte Mann in tausend Aengsten und wußte nicht
Tus und ein!
Darüber war das Jahr 1543 herangekommen, wohl das
schwerste für den verfolgten Schenck, der wie es scheint,
es niemandem recht machen konnte außer einem kleinen
Häuflein Getreuer, das zu ihm hielt.
Aus dieser Zeit bis zur Katastrophe haben sich im
Universitätsarchiv an einer Stelle, wo man sie nicht suchen
konnte, nämlich in einem Faszikel „Miscellanea“ ) Original-
briefe des Jakob und Michael Schenck sowie zwei Schreiben
der Universität in dieser Angelegenheit an den Herzog Moritz
erhalten. Sie bieten kein Material die Vorgänge anders zu
erzählen als sie bei den genannten Autoren oder in den
Acta rectorum), auf die jene sich stützen, dargestellt sind.
Auch hat Vetter für seinen Aufsatz ein Faszikel im Haupt-
Staatsarchiv zu Dresden benutzt, das, wie es scheint, die
gleichen Aktenstücke in Abschrift aufweist. Wenigstens
nennt er das Schreiben der Universität vom 25, Juli 1543
an den Herzog und die Schreiben Schencks an Rektor und
Universität vom 14. Juli desselben Jahres*). Immer verdienen .
diese Sohriftstücke vollständig ans Tageslicht gezogen zu
werden, Sie beweisen, daB die Universität im Grunde Wohl-
wollen für den nach der Ansicht Sauers und Pfeffingers
Abtrünnigen bewies und auf der anderen Seite Schenck allen
Weiterungen aus dem Wege zu gehen sich bemühte, ledig-
lich von dem Wunsche geleitet, seine begonnene Postille zu
Ende drucken lassen zu können. Offenbar wollte er dem
ungestümen Drängen des Druckers Wolrab, der ihm hart
zusetzte, entgehen und mag vielleicht erhofft haben, aus
seiner Geistesarbeit einen bescheidenen Gewinn zu erzielen.
Wovon er seinen Lebensunterhalt bestritt, war vielen damals
ein Rätsel).
1) Seidemann, a. a. O., S. 57.
*) Repert. G. A. X 10.
*) ed, Frid. Zarncke, S. 174—176, 184—187.
4) Vetter, a. a. O. S. 269/270.
5) Seidemann, a. a. O. S. 55.
78
Die nachstehend zum ersten Male abgedruckten Schrift-
stücke begionen mit einem Briefe Schencks an Jörg von
Karlowitz und den Kanzler Simon Pistoris vom 27. Juni 1543,
der, so viel ich sehe, noch nicht bekannt ist. Ich wähle
nach dem Vorgange Vetters die Schreibweise „Schenck“
da beide Brüder sich derart unterschreiben, im Gegensatz zu
Seidemann, der die Schreibweise „Schenk“ aufgebracht
hat. Bedrückt durch den Rat, der ihn aus der Wohnung im
Barfüßerkloster vertreiben wollte, wandte er sich in diesem
Briefe an die Statthalter mit der Bitte, ihn in dem vom
Herzog ihm zugewiesenen Quartier zu belassen oder eine be-
quemere Herberge zu verschaffen. Auf einmal war die
Wohnung im Kloster, obwohl sie ein „herrlich ansehen“ hatte,
für einen Gelehrten mit Dienstboten nicht mehr guf genug.
Sollte man indes ihm kein anderes Logis besorgen können,
80 bat er den Fürsten doch daran erinnern zu wollen, daB
er ihm eine Stellung mit festem Gehalt in Aussicht gestellt
hätte. Offenbar war, als er von seinem akademischen Lehr-
amte enthoben wurde, vom Herzog irgendein derartiges Ver-
sprechen gegeben worden. Die ganze Angelegenheit war
dem Doktor Schenck so eilig, daß er mit einem besonderen
Boten das Brieflein nach Dresden befördern ließ. Leider
war die Antwort für ihn nicht tróstlich. Herr von Karlowitz
entschuldigte sich damit, daB der Herzog abwesend sei und
er in dessen Abwesenheit nicht verfügen könne. Sobald
der Herzog oder sein Kanzler zurückgekehrt sein würden,
sollte ein Bescheid an Doktor Schenck ergehen. Doch auch
dieser wurde ihm lange vorenthalten. Bis zum 19. Juli nach-
mittags um 2 Uhr, d. h. mithin zehn Tage ungefähr vor der
Katastrophe, die den Doktor gewaltsam aus seiner Be-
bausung entfernte, war ihm eine Antwort aus Dresden nicht
zuteil geworden.
Kein Wunder, wenn Schenck, in steter Furcht vor einer
Gewalttat ‚bestrebt war sich mit den Predigern, dem Rat
und der Universität auseinander zu setzen. Das Schreiben
vom 13. Juli, das er in dreifacher Ausfertigung ausgehen
ließ, versucht es. Er will, offenbar durch Wolrab, der mit
Ansprüchen auf Entschädigung beim Rektor der Universität
sich eingefunden hatte, zu diesem Schritte bewogen, die
Fertigstellung der im Drucke begonnenen Postille durch-
setzen. Er hält sein Buch für ein gutes christliches, seine
Auslegung für heilsam und der heiligen Schrift gemäß. Auch
betont er, daß ihr Inbalt von keinem Menschen angeklagt
worden sei. Hierin lag freilich eine bewußte Unwahrheit,
denn er hatte doch mit Vertretern des Rats und der Uni-
versität über gewisse in der Postille vorkommende Unstimmig-
19
keiten im Jahre vorher verhandelt. Doch das hatte er ver-
gessen und bat „christlich und dienstlich“ die Vollendung des
Drucks zu erlauben. Er wolle nur Gottes Ehre, der Seelen
Heil und der ganzen Christenheit bestes.
Die Universität scheint dieses Schreiben keiner Er-
widerung fur notwendig erachtet zu haben. In unseren
Akten ist keine Antwort verzeichnet und wahrscheinlich lag
es daran, daß die beiden Schenck sich schon nach sechs
Tagen abermals an die Universität wandten. In diesem
Schreiben, vom 19. Juli, das wieder in drei Ausfertigungen
an die genannten drei Stellen ging, von denen Rat und die
Prediger geantwortet hatten, is$ die Abschrift des von Schenck
schon am 8. September des vorhergehenden Jahres an die
Statthalter gerichteten Schreibens, wenigstens zum größten
Teile enthalten. Nach dem bei Seidemann gebotenen voll-
ständigen Abdruck hat Schenck bei der erneuten Eingabe
an die Universität die Stelle fortgelassen, daß die Ver-
hinderung des Drucks beinahe ein Jahr zurücklüge und der
Bürgermeister die ersten drei Bogen seines Manuskripts
durchgesehen hätte, ohne ein Verbot des Drucks auszu-
sprechen. Schenck fand darin eine Bestätigung seiner Auf-
fassung, daß die von ihm vorgetragene Lehre unantastbar
„gewiß, grundtlich, christlich und notig^ wäre. Ebenso hat
er unterlassen zu erwähnen, daß der Bürgermeister die
Erlaubnis zum Druck der zweiten Schrift, nämlich der Aus-
legung der zehn Gebote und des Vaterunsers, nicht eigent-
' lich deswegen verweigert hätte, weil er den Inhalt für an-
stößig erachtete, sondern weil es ihm zweckmäßiger zu sein
schien, solange nichts neues von Schenck an die Oeffentlich-
keit gelangen zu lassen als die alte Angelegenheit noch
nicht geordnet sei. Es bleibe dahingestellt, ob diese Aus-
lassungen beabsichtigte oder zufällige waren. Man könnte
glauben, daß er den Gedanken gehegt habe, den Bürger-
meister nicht gegen die Prediger und die Universität aus-
spielen zu wollen, die ihm doch wegen seiner Irrlehren
kräftig entgegengetreten waren. Mag dem gewesen sein,
wie ihm wolle, am Schluß schlagen die Brüder hohe Töne
an, indem sie die Verantwortung für die Unterbrechung
des Drucks der Universität und den Predigern zuschieben.
Sie halten ihnen vor, daß „sie Gottes ernsten ewigen al-
mechtigen zorn dadurch auf sich lüden* und erklären mit
den Verblendeten „hertzliches christliches mitleiden“ zu
haben. Vielleicht ist dieser Brief gemeint, wenn es im Be-
richt des Rektors über das Sommersemester 1543 heißt:
deinde altera die misit ad me literas bene longas per aliquot
folia de hae causa sua, sed nobis et universitati minus
80
gratas!)“. Mit den Daten der Ereignisse hapert es aller-
dings, aber Bussinus war darin nicht genau, denn er läßt
die Abführung des Doktors Schenck und seines Bruders am
30. Juni geschehen, während nachweislich das Gefängnis im
Rathause erst am 30. Juli über beide Brüder verhängt wurde.
Der Universität scheint bei dieser Selbstgerechtigkeit
und den harten Anschuldigungen doch nicht recht geheuer
geworden zu sein, denn.sie wandte sich alsbald, am 25. Juli,
an den Herzog und klagte ibm, daß Doktor Schenck sie in
seine Sachen „wyeder unserenn willen“ hineingezogen hätte.
Sie wollte nichts verschuldet haben als die kleine Aus-
einandersetzung freundschaftlieher Natur mit Doktor Schenck,
in der er gebeten worden war, zur Vermeidung von Miß-
verständnissen eine Erklärung abzugeben. Warum er dann
gleich die ganze Angelegenheit an die Stadthalter gebracht
hätte, sei ihr unverständlich. Sie hätte nichts „liebers dann
das die freuntlich hingelegt und vertragen“, wozu sie gerne
hilfreiche Hand bieten wolle. Indem die Universität auf
diese Weise ihre Geneigtheit bekundete, den häßlichen Streit
beizulegen und den Doktor Schenck zu seinem Rechte kommen
zu lassen, bat sie zugleich den Herzog um Rat, ob er etwa
anders dächte. Er sollte dann gnädigst sie davon in Kennt-
nis setzen, damit ihr „keyn schimpff ader nachtheil endt-
stehen und erwachsen moge."
Es wird immer bedauerlich bleiben, daß diese versöhn-
liche Stimmung nicht die Oberhand gewann und sehr bald,
nachdem dieses Schreiben abgegangen war, jene Katastrophe
eintrat, die den Doktor Schenck aufs gröblichste verletzte
und auch die Gerechtsame der Universität gefährdete.
Nachdem die wiederholt an Schenck ergangenen - Auf-
forderungen das Kloster zu verlassen fruchtlos geblieben
waren, entschloß sich der Rat, Gewalt zu gebrauchen. Die
Professoren Johannes Sauer und Joachim Camerarius waren
auf Veranlassung der Bürgermeister Fachs und Morch beim
Rektor Bussinus und berichteten von der Verlegenheit, daß
Sehenck die Wohnung nicht aufgeben wolle, ,Proposuerunt
nobis*, fährt der Bericht des Rektors fort!), ,quam graviter
Ludovicus Fachsius et Morchius illum d. doctorem accusas-
sent quod coenobium minoritanum exire repugnando recusaret
contra illustrissimi principis mandatum ef rescriptum, et
universitati nostre obedire noluit, cum toties pie sit ad-
monitus.^ Demnach hatte auch die Universität sich an den
Versuchen, Schenck zum Aufgeben der Wohnung zu ver-
anlassen, beteiligt, aber mit dem gleichen MiBerfolg wie der
1) Acta rectorum 8. 175.
81
Rat. Daß sie jedoch zur gewalttätigen Entfernung des
Doktors ihre Zustimmung gegeben hätte, ist in dem Bericht
des Rektors nicht angedeutet, vielmehr lakonisch fortgefahren:
quare altera die quinque civitatis ministri jussu civitatis,
d. doctor Jacobus Schengk et fratbr ejus et postea famulus
doctoris, dum toties invitati exire noluissent, in curiam sena-
toriam dedueti sunt.^ Zu diesem Vorgehen gegen den ge-
errn, was immer man auch an ihm auszusetzen
hatte, wollte die Universität ihre Hand nicht geben.
Und alsobald richtete die Universität an den Landes-
herrn ein neues Schreiben, in dem sie den Vorfall berichtete
und mitteilte, daß diese Arretierung wider ihre Privilegien
und Vereinbarungen mit dem Rat verstieße, sie somit vom
Rate die Auslieferung des Schenck gefordert habe. Der Rat
aber habe diese verweigert unter der Behauptung, daß die
Angelegenheit auch den Herzog anginge und er deshalb vor-
züge, so lange den Gefangenen in sicherem Verwahrsam zu
halten, bis der Herzog verfügt hätte.
Auf einem Tags zuvor stattgehabten Universitätskonzil
hatte man sich darauf geeinigt, den Rat ein Reversal aus-
stellen zu lassen, daß er mit der gefäuglichen Einziehung
der Gebrüder Schenck nicht habe die Privilegien der Uni-
versität antasten wollen, die Gebrüder Schenck jedoch ihrer-
seits Urfehde schwören zu lassen, daß sie sich für die ihnen
widerfahrene Unbill nicht rächen würden. Diese „Caution“,
die man von der Brüdern forderte, machte insofern Schwierig-
keiten, als man zuerst ihnen zumutete zu beschwören, daß
sie schuldig gewesen wären das Kloster aufzugeben. Dazu
wollte sich Jakob Schenck im Bewußtsein des ihm zuge-
fügten Unrechts schlechterdings nicht verstehen, und daher
wurde die Eidesformel in der Gestalt ihm vorgelegt, wie
wir sie am Schlusse bringen.
Das Schreiben der Universität an den Herzog Moritz,
in dem der eben geschilderte Vorgang berichtet wird, ist
datiert von „donnerstagks nach cathedra Petri 43“. Dieses
Datum kann unmöglich das richtige sein, da in ihm von der
Ueberführung der Gebrüder Schenck am „montagks nach
Jacobi gesprochen wird, d. h. vom 30. Juli, während der
Donnerstag nach Petri Stuhlfeier der 1. März gewesen wäre.
Die Verwirrung wird dadurch größer, daß Bussinus in seinen
Rektoratsakten die Ereignisse auf den 29/30. Juni verlegt.
Augenscheinlich hat sich derjenige, der zu dem Entwurf das
Datum hinzufügte, das von anderer Hand herrührt als der-
jenigen, die den Brief an den Herzog aufsetzte, sich geirrt
und „cathena Petri" schreiben wollen. Das wäre der
2. August gewesen und im Einklang mit der vom Rektor
82
erwähnten Tags zuvor „Die mensis Augusti“ stattgehabten
Versammlung, die die Annahme der städtischen Reversals
und die Anerkennung der ihnen vorgelegten „formula jura-
menti“ durch die Gefangenen billigte). Das Reversal des
Rats ist bei Seidemann gedruckt“), das Schreiben der Uni-
versitit, das den bisherigen Darstellern dieser Vorgänge
entgangen zu sein scheint, wird nachstehend zum erstenmal
bekannt gegeben.
Die Universität bat nun den Herzog anzuordnen, was
weiter geschehen solle. Sie erwartete augenscheinlich, daß
die Gebrüder Schenck freigegeben würden und ihre Be-
hausung sich suchen dürften, wo sie wollten. Aber es kam
anders. Der Herzog, erbittert durch die Hartnäckigkeit des
Doktor Schenck, vielleicht von anderer Seite geflissentlich
in seinem Aerger bestärkt, verfügte die Landesverweisung
über beide Brüder. Dem Famulus Werlin wurde zugestanden
in Leipzig zu bleiben, falls er ebenfalls Urfehde schwören
wollte. Alle drei haben den Eid geleistet, wie die ab-
gedruckten Urfehden erhürten.
Damit war dann die Angelegenheit beendet. Indes
mußten die Gefangenen doch mehr als vierzehn Tage im
Gewahrsam des Rats verbleiben. Nicht früher als am
16. August wurde den Gefangenen der Eid abgenommen).
Die Vorlage, nach der der Abdruck erfolgt, weist kein Datum
auf. Nachdem sie unterschrieben, waren die Gefangenen frei und
scheinen alsbald das ungastliche Leipzig verlassen zu haben.
Derjenige aber, für den man die Wohnung zu haben wünschte,
nämlich Ambrosius Rauch, zog erst fünfzehn Monate später,
im Oktober 1544, ins Franziskanerkloster, hat sich jedoch
der Annehmlichkeiten, die ihm dort geboten werden konnten,
nicht lange mehr erfreut. Er starb bereits am 9. Juni 1545).
Auch Jakob Schenck hat den Ausgang seines Prozesses
nicht lange Überlebt. Er trat in die Dienste des Kurfürsten
von Brandenburg und starb 1546 oder 1547 in Engelsdort
bei Leipzig).
Die Universität hat sich, so weit aus ihren nachstehend
zum erstenmal an die Oeffentlichkeit gebrachten Briefen erhellt,
die doch von Bussinus herrühren müssen, obwohl weder er noch
Kaspar Borner in ihren Berichten der Anfragen beim Herzog
Erwähnung tun, nichts vorzuwerfen. Der Schuldige, der im
1) Acta rectorum, S. 176.
3) A a. O., 8.176.
9) Vetter, a. a. O., S. 271. — Seidemanı, a. a. O., S. 60,
) Seidemann, a. a. O., 8. 60.
5) Kirn, a. a. O., S. 45. — ADB.
83
Namen der Prediger gegen Schenck auftrat, ist Pfeffinger
gewesen, der 5 einzigen Professor der Theologie,
Johannes Sauer, auf seine Seite zu bringen wußte. Nach
der Unterredung mit Schenck, in der ihm auf Pfeffingers
Veranlassung allerlei Vorhaltungen gemacht wurden, hat die
Universität zum Frieden gerufen und nichts mehr gegen den
verdienten, wenn auch eigensinnigen gelehrten Herrn unter-
nommen. Sie war es nicht, die die Ausweisung verschuldete,
auf die sie anscheinend nicht gefaßt war. Wenn es nach
ihr gegangen wäre, hätte Jakob Schenck wohl länger in
Leipzig verweilen können. Ob er wieder in die theologische
Fakultät aufgenommen worden wäre, steht dahin. Die Auf-
fassung, die später Pfeffinger in die Fakultät berief, wäre
wobl ein unüberwindliches Hindernis gewesen.
Die Vollendung des Drucks der Postille hat Jakob Schenck
indes noch die Freude gehabt zu erleben. Sie ist 1545
fertiggestellt worden. Ein Exemplar des seltenen Buchs
hat sich in der Schulbibliothek in Zwickau erhalten. Ob
sie von Nickel Wolrab zu Ende gedruckt ist, kann nicht
festgestellt werden!).
Eine eigentümliche Rolle spielt in der ganzen Begeben-
heit Professor Andreas Franck, Camitianus, über dessen
Leben und Leistungen wenig genug bekannt ist Die all-
gemeine Deutsche Biographie kennt ihn nicht Geboren in
Kamenz wurde er im S.S. 1511 in Leipzig immatrikuliert
und der Meifnischen Nation zugeschrieben. Nach der bei
der philosophischen Fakultüt üblichen Dauer des Studiums
von eineinhalb Jahren wurde er im S.-S. 1513 Baccalarius
artium und erlangte im W.-S. 1517 den Magistergrad?). Seit
W.-S. 1518 erscheint er bis zum W.-S. 1523 als Magister
legens und behandelt nach und nach Poetices schlechthin
im S.-S. 1518, dann aber der Reihe nach Terenz, Virgil,
Quintilian, Silus Italicus (loco rhetorices). Ueber Quintilian
las er im S.-S. und im W.-S. 1520 und wiederholte diese
Interpretation im S.-S. und im W.-S. 1523. Mit Terenz be-
gann er seine Vorlesungen im S.-S. 1518. Ueber seine Vor-
lesungen des Jahres 1521 liegen keine Nachweise vor“).
Im W.-S. 1522 war er Rector*) und wandte ‚sich dann
1) Seidemann, a. a. O., S. 78/79.
*) Die Belegstellen siehe bei Georg Erler, Die Matrikel der Uni-
versität Leipzig III (1902) im Register s. n. Franck.
5) Bruno Stübel, Urkundenbuch d. Univ. Leipzig (1879) S. 375
und 489, Erler, a.a. O. II 528, 589, 538, 543, 552, 556, 568, 574,
577, 579.
) Erler, a. a. O. I 585,586,
84
dem juristischen Studium zu. Hier erklomm er rasch die
akademischen Würden: im Jahre 1524 ist er bacoalarius
jur. utr, im folgenden Jahre licentiat jur. utr. und im Jahre
1526 Doctor jur. utr. Als Vizekanzler der juristischen Fakul-
tät amtiert er 1533 und 1541'). Zweifelsohne war er es,
der den Jakob Schenck zu der Abfassung der dem Rate zu
widmenden Schrift anregte. Ich glaube nicht, daß man nötig
hat an den Aussagen Schencks zu zweifeln. Schenck war
ein hervorragender. Gelehrter, hatte sich durch seine Be-
mtihungen um die Einführung der Reformation in Freiberg
besondere Verdienste erworben, ferner durch Veröffentlichung
von elf Schriften von 1539 — 1541) augenscheinlich einen
weithin bekannten und geachteten Namen erworben. Kein
Wunder, daß der Rat ihm nahe legen ließ, ihm einmal
ein Buch zu widmen. Darin lag immer, wenn auch der
Verfasser eine klingende Anerkennung verlangte, eine
Auszeichnung für den, dem das Buch gewidmet wurde.
Franck hat auch tatsächlich das Manuskript gesehen, jeden-
falls am Titel und der Vorrede Verbesserungen vorgenommen?).
Später leugnete er jedoch jede Beteiligung an der Druck-
legung ab. Die allgemeine Entrüstung von seiten der Pre-
diger mag ihn zu dieser Haltung veranlaßt haben. Wenn
er sich als warnenden Berater und Freund Schencks hin-
stellte, so mag das ja seine Berechtigung gehabt haben.
Aber wenn er versicherte, lediglich auf seine Anregung oder
jedenfalls obne Auftrag des Rats den Druck und die Wid-
mung Schenck nahe gelegt zu haben, so ging er wohl mit
der Wahrheit hausieren, Die Aussagen Reuschs und Auer-
bachs bestätigen Schencks Bericht durchaus. Vermutlich
hatte Franck, als er das Manuskript gelesen hatte, an seinem
Inhalte keinen Ansoß genommen. Die zum Abdruck ge-
langenden Predigten mochten ihm auch geläufig sein, da
Schenck sie teilweise in der Kapelle der Pleißenburg ge-
halten hatte. Erst später als das Unwetter über den ver-
folgten Gelehrten hereinbrach und er voraussehen zu müssen
glaubte, daß es nicht gut für ihn ablaufen würde, gab er
den Doktor Schenck auf. |
Einen ebenso unzuverlässigen Freund hatte Schenck in
dem Buchdrucker Nickel Wolrabe. Dieser sowie sein Ver-
leger Sebastian Reusch genießen in 'der Geschichte des
deutschen Buchhandels keines guten Rufes. Sie galten beide
J) Belegstellen bei Erler, III, Register.
) Seidemann, a. a. O., S. 63—78 führt die Titel der einzelnen
Bücher an.
3) Vetter, a. a. O., S. 264.
85
als Sehwindler. Doch trifft den Wolrabe geringere Schuld
als den ersteren. Wolrabe wird als waghalsiger schwin-
delnder Spekulant geschildert, der sich in den wucherischen
Füngen des Reusch verblutete !). Der Vater, Nickel
Wolrabe der Aeltere, ursprünglich Buchbinder, aber im
Jahre 1506 in der Bürgermatrikel ausdrücklich als Buch-
drucker eingetragen, hatte ebenfalls keinen rühmlichen Fort-
gang seines Geschäfts zu verzeichnen. Besitzer eines eigenen
Hauses, das er 1522 für 265 fl. von Peter Hofer in der
der Plauenschen Straße gekauft hatte), war er einige
Jahre darauf in so wenig geordneten Verhältnissen, daß er
den Buchhändler Wolf Präunlein 16 fl. nicht bezahlen konnte
und sich von diesem verklagen lassen mußte“). Wahrschein-
lich hatte er seinen Betrieb ausdehnen wollen und auch mit
dem Bücherhandel begonnen, ohne in der Lage zu sein, die
daraus sich entwickelnden Verbindlichkeiten zu erfüllen.
Aus den Schulden kam er Zeit seines Lebens nicht mehr
heraus. Nach seinem Tode mußte seine Witwe das sämt-
liche Werkzeug seiner Werkstätte an die Buchbinderinnung
zuerst versetzen und später verkaufen. Aus dem hierbei
sich ergebenden geringen Erlös von 16 fl. darf geschlossen
werden, daß die Offizin keinen beträchtlichen Umfang hatte“).
Sein Sohn mit gleichem Vornamen wie der Vater, hat
nicht mit glücklicherer Hand operiert. Mit deu vierziger
Jahren des 16. Jahrhunderts erscheint in Leipzig auf dem
Gebiete des Verlagsbuchhandels eine fieberhaft arbeitende
Spekulation, an der gerade Nickel Wolrabe in hervorragendem
Umfange beteiligt ist". Er kommt seit 1539 als Verleger
vor und hat vielleicht kurz vorher die Druckerei des Jakob
Thanner erworben?) Es war damals nicht gerade mit An-
nebmlichkeiten verknüpft, eine Buchdruckerei zu betreiben.
Zensur und Nachdruck erschwerten den Druckern das Leben ?).
Mit diesem Jakob Thanner stand Andreas Franck Camitianus
nachweislich in Verbindung, wie aus einem seiner Briefe
vom 25. Februar 1518 an den Stadtschreiber Stephan Roth
in Zwickau hervorgeht“). Es ist nicht von der Hand zu
weisen, daß durch den Ankauf der Thannerschen Druckerei
Nickel Wolrabe hoffte, sich der Vergünstigung durch den
angesehenen Doktor Andreas Franck erfreuen zu können,
der ihm Druckaufträge oder Verlagsgegenstände zuführen
konnte. Wirklich hat Jakob Schenck die ersten fünf Druck-
2) Arch. f. Gesch. d. Buchh. 10, S. 249. ) Ebenda 18, S. 94.
) Ebenda 12, 8. 100. ) Ebenda 12, S, 3804, 162; 15, S. 58.
5) Ebenda 11, S. 184. ©) Ebenda 18, S. 51; 15, 8.18.
7) Ebenda 15, S. 47. 5) Ebenda 16, S. 27 Nr.4.
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schriften, die er in den Jahren 1539—41 veröffentlichte, in
Wittenberg von dortigen -Druckern, durch Joseph Klug,
Nickel Schirlentz und Georg Rhaw herstellen lassen!). Erst
mit dem Buch „Von dem Diebstal“, das 1541 gedruckt
wurde und alsdann bei allen anderen, die noch bis zu seinem
Tode folgten, im ganzen elf, die beanstandete Postille ein-
geschlossen, wird Nickel Wolrabe in Leipzig als Drucker
genannt“). Ueberlegt man dieses intime Verhältnis zum
Autor, so begreift sichs schwer, daß Wolrabe sofort mit Ent-
schädigungsansprüchen gegen Doktor Schenck beim Rektor
Bussinus erschien, als ohne dessen Schuld der Druck der Postille
sistiert wurde®). Er hätte doch wissen können, daß Schenck,
dessen Bücher er in den beiden letzten Jahren gedruckt
hatte, ihm seine Kundschaft nicht zu entziehen wtinschen
konnte. Der Grund für dieses Vorgehen lag offenbar in der
finanziellen Bedrängnis, in die Wolrabe unterdessen geraten
war. Er hatte bereits 1541/42 Haus und Hof, große Teile
seines Verlags und Bücherlagers an Andreas Wollensücker
und Genossen verkaufen müssen. Trotzdem war er „säumig*
geworden und es war ihm in der Person seines früheren
Handlungsdieners Hans Hüffel gen. Mauser ein Sequester
und Faktor bestellt worden“). Diese Verlegenheit zwang
ihn dazu, seinem Betriebe Aufträge zuzuführen und begonnene
nicht ruhen zu lassen, da selbstverständlich ihm hieraus
neue Verbindlichkeiten erwuchsen. Geholfen hat ihm das
strengere Vorgehen gegen Doktor Schenck nicht, Es ging
immer mehr mit ihm bergab und im Jahre 1552 war er
so weit, daß ihm sein früherer Gehilfe, eben der Hans
Mauser, -11 fl. vorschießen mußte, wofür ihm Nickel Wolrabe
100 Exemplare eines für Reusch gedruckten Werkes lieferte
oder verpfändete“). Kurz vorher scheint er nach Dresden
verzogen zu sein, wo er sein Leben im Jahre 1555 beschloß).
Der Versuch, sich durch den Druck von Schriften, die gegen
Luther gerichtet waren, Reichtum und Ansehen zu ver-
schaffen, endete mit einem Fiasko).
Zu den gegen Luther gerichteten Schriften darf man die
im Wolrabschen Verlage erschienenen Bticher Schencks ge-
wiß nicht rechnen. Mit Recht betont Seidemann immer
wieder den „alten lebendigen Eifer für Luthers Sache und
sein treues festhalten an Wittenberg“, das seine Auslassungen
charakterisierte“). Dennoch ließ sich Schenck auch leicht
1) Seidemann, a. s. O., S. 68—68, 3) Ebenda, S. 68—77.
) Acta rectorum, 8.174. - 9) Arch. f. Gesch. d. Buchh. 11, S. 224.
) Ebenda 18, 8. 86. *) Ebenda 12, S. 809, 804. ) Carl
B. Lorck, D. Druckkunst u. d. Buchh. in Leipzig, 1879, 8.7. Y Seide-
mann, a.a. O., 8.49,
87
hinreißen und erlaubte sich mit einem hier wohl kaum richtig
angewandten Freimut den großen Reformator zu tadeln. n
der beanstandeten Postille befindet sich eine Stelle, die direkt
auf Luther gemünzt ist und ihm vorhält, daß er keine Autorität
neben sich gelten lassen wolle"). Daß er mit solchen Be-
hauptungen sich Luthers Freundschaft nicht erhalten konnte,
ist erklürlich. So machte Schenck es Niemandem recht.
Den noch vielfach papistisch gesinnten Leipziger Predigern
ging er in Anerkennung der Lutherischen Lehre zu weit
und Luther selbst sowie Melanchthon verletzte er durch
unbegründete Schärfe und Kritik. So hat im letzten Grunde
der Doktor Schenek sich sein Unglück selbst zuzuschreiben.
1. Jakob Schenck bittet Jörg von Karlowitz und den
Kanzler Simon Pistoris, ihm eine andere Wohnung in
Leipzig anweisen oder den Herzog an seine end-
gültige Anstellung erinnern zu wollen, Leipzig 1543,
Juni 27.
Universitütsarchiv Reg. G. A. X, Blatt 28. Ein Zusatz
am Ende des Briefs besagt: diese vorgehende schrifft hat
d. Jacobus Schenck mitwochs nach Johannis baptiste im
43 ten jar bey einen eignen botten gen Dressden geschickt.
Die Antwort Jörg von Karlowitz, die auf der Rückseite des
Blatts geschrieben ist, lautet: Jörgen von Karlwitzens ant
wurt. Mein willigen dienst zuvor, lieber er doctor, mein
gnediger herr, desgleichen doctor Pistoris, der cantzler, seind
beide nicht einheimisch. Sobald aber mein g. h. anheim
kommet, sollet ir antwurt auffs erste überkommen. Datum etc.
Georg von Karlowitz auff Senfftenberg. Dazu ist von der-
selben Hand, die die vorstehende Antwort abgeschrieben hat,
hinzugefügt: Es hat aber doctor Jacobus, heut Donnerstags
nach Margarethe umb seigers zwey nachmittag (wahrschein-
lich 1543 den 19. Juli gemeint) Karlwitzens schrifftlicher
zusage nach, noch keine antwurt empfangen gehabt.
An Jörgen von Karlwitz und D. Simon Pistoris cantzler
zu Dresden.
Gnad und fried durch unsern Herrn Jhesum Christum,
amen.
Gestrenger und ehrnvhester, achtbarer und hochgelerter,
grosgünstige herren und förderer. Weil mein g. h. herr
Moritz hertzog zu Sachsen etc. durch euer einen jeden inn-
sonderheit mir freie herberg im Barfusser kloster, bis mir
1) Vetter, a. a. O., S. 259.
88
bequemere eingegeben wiirde, zugesagt hat, hernach auch
ir (der von Karlwitz) neben andern im Leiptzger marckt
verordneten reihen, Michaelis des 41 ten jars mich auff diese
freie herberg bestellet habt, und aber itzund die herren des
radts zu Leiptzig sölche herberg inen von mir eingereumbt
haben wóllen (davon mir doch im nechsten Ostermarckt von
den rethen keine anzeigung, viel weniger zuvor einige mel-
dung geschehen ist, mir auch keine andere herberg, wie.
gedachte bestellung mit sich bringt, angebotten oder für-
geschlagen wird) so ist an e. g. und a. meine gantz dienst-
liche vleissige bitt, daran zu sein, das ich diese herberg
móge behalten oder eine bequemere haben (denn ob sie wol
ein herrlieh ansehen hat, ist sie doch einem gelerten, der
gesind helt, sehr unbequem) oder, wo Ê g. und a. sólchs nicht
zu schaffen haben, hochgedachten fürsten meiner bestellung
untertheniglich erinnert. Das bin ich, meines vermögens,
umb e, g. und a. zu verdienen willig und gevlissen. Datum
Leiptzig, mitwochs nach Johannis baptiste des 43 ten iare.
e. g. und a.
williger Jacobus Schenck.
2. Jakob Schenck und Michael Schenck bitten die Uni-
versität Leipzig, ihnen bei der Fertigstellung des
begonnenen Drucks ihrer Schrift helfen zu wollen.
Leipzig 1543, Juli 13.
Universitätsarchiv Rep. G. A. X 10, Blatt 29. Nur die
Unterschrift eigenhändig.
Unsere willige Dienst zuvor. Ehrwirdige, achtbare,
hochgelerte grosgünstige herren und freund. Weil eure
ehrwirden und achtbarkeit wissen, das unser der sontags
und feiertags evangelien inn druck gegebne und schier gar
ausgedrückte heilsame und der heiligen schriffi gemesse
auslegung, von keinem menschen angeklagt, und doch nu-
mehr nicht viel wochen weniger denn ein gantzes jar im
druck, das zu versuchen, gesteckt, unausgedrückt geblieben,
so ist an eure erwirden und achtbarkeit unser christliche,
vleissige, dienstliche bitt, daran zu sein, das sie der christen-
heit lenger nicht fürgehalten werde. Denn wo dils gute
christliche buch (welches so gewis rechtschaffen und heilsam
ist, als gewis gemeine frauenheuser und die heidnische,
viehische, teufflische unzucht darinnen, wider Gotteswort und
folgend verdümlich sind) lenger verdrückt solte bleiben,
wissen wir gewis, das sich eure erwirden und achtbarkeit
mit einer viel grössern schrecklichern sünde beladen würden,
und beide für Got und seiner christenheit eben so wenig
89
möchten entschuldiget sein, als wenig wir des ergernis halben
unschuldig weren, so wir von gemeltem buch und reiner
lehr wölten weichen oder fliehen. Welches wir aber eurer
erwirden und achtbarkeit zur warnung, christlicher wol-
meynung, aus mitleidigem hertzen freundtlich haben wöllen
anzeigen, christlich und dienstlich bittend, Gottes ehr, eurer
seelen heil und der gantzen christenheit bestes, treulich und
vleissig wharzunemen, und unschuldig blutvergiessen christ-
lich und gebürlich zu verhüten. Denn im fall, es würde
gleich (menschlicher weise zu reden) das ergste an uns ge-
übet, weren wirs doch alles umb des namens Jhesu Christi
willen durch seine gnad zu leiden willig, und wissen, das
wirs weder allein noch von ersten leiden, sondern haben
viel gewaltige, übertreffliche, tröstliche vorgenger, als Abel,
No&, Loth, Joseph, Mosen, David, Naboth, Eliam, Zachariam,
Esaiam, Jeremiam, Daniel, Amos, Johannem den teuffer
Paulum eto. und unsern herrn Jhesum Christum selbs, welcher
(warhafftiger Got und mensch, sitzend zur rechten seines
himlischen vaters) die gantze Welt richten, auch dils, so
durch des Teufels list, lügen und gewalt, inn dieser welt
heimlich ist, für allen geschlechten und engeln offenbarn,
und seiner armen glieder unschuld gewaltiglich an tag bringen
wird. Derselbig gebe eurer erwirden und achtbarkeit und
uns, seinen heiligen Geist reichlich, das von uns beiderseidts
dils möge gedacht, geredt, bekennet, gethan und gelidten
werden, was zu ehre seiner Götlichen maiestet, zu unser
seelen seligkeit, zu besserung gemeiner christenheit und zu
fórderung reiner lehr (welche Gottes almechtiges, ewiges,
lebendiges und allein lebendigmachendes Wort ist) dienet
und nützlich ist, Amen. Datum Leiptzig am tag Margarethe.
im 43iar.
Euer Erwirden und achtbarkeit eto. willige
Jacobus Schenk doctor
Michael Schenck.
3. Jakob Schenck und Michael Schenck teilen der Uni-
versität mit, was ersterer am 8. September 1542 den
herzoglichen Statthaltern über den Druck seiner
Postille berichtet hat und bitten um Förderung bei
der Drucklegung des Buches. Leipzig 1543 Juli 19
Repert. G. A. X 10, Bl. 34—37. Die Einlage vom
8. Septbr. 1542 ist bereits gedruckt bei Seidemann, a. a. O.,
S. 169—174, dort mit Hinzufügung eines Passus, der hier
fehlt. Die bei jenem Abdruck vorgekommenen Lesefehler
Archiv für Reformationsgeschiehte. XX. 3/4. 7
90
hat Vetter nach einer im Hauptstaatsarchiv zu Dresden auf-
bewahrten Vorlage richtig gestellt im Neuen Archiv f. säch-
sische Geschichte 12, S. 260/261.
Gnad und fried durch unsern Herrn Jhesum Christum,
amen.
Ehrwirdige, hochweise, achtbare, hochgelerte und er-
bare, grosgünstige herren, fórderer und freunde. Das euer
gunsten (ir herren bürgermeister und radt) auff unser
Bchreiben, nechst vergangnen freitags an euer gunst, auch an
euer ehrwirden und achtbarkeiten (die andern zween stende)
gethan, uns durch doctor Cammitz antwurtsweise haben
anzeigen lassen (welches on zweifel, herr rector und ir
andern herren der universitet, desgleichen herr superattendens
und andere prediger alhie zu Leiptzig auch euer antwurt
ist, weil wir noch nicht mercken, das unser der sontags
und feiertags evangelien inn druck gegebne und schier gar
ausgedrückte heilsame und der heiligen schrift gemesse
auslegung, vollend ausgedrückt wird) wir mógen an unsern
g. h. herrn Moritzen, hertzogen zu Sachsen etc. suppliciern,
daraus werden wir zu gedencken verursacht, als sólten euer
gunsten, ehrwirden und achtbarkeiten, anderer geschefft
halben inn vergessenheit gestellet haben, wie es von anfang
mit gedachten guten christlichen buch ergangen, welches
aber euer gunsten, ehrw. und achtb. aus folgendem langen
schrifftlichen bericht, den ich doctor Jacobus ongefehrlich
vor einem jar gegen Dresden an fürstliche räthe geschrieben,
gründtlich und auffs kürtzte zu erkennen haben.
Meine willige dienst zuvor, achtbare hochgelerte, ge-
strenger ehrnvhester, grosgünstige herren und fórderer, E.
a. und g. weis ich nicbt zu verhalten, das der herr doctor
Cammitz am montag vor Esto mihi!) bei mir gesucht, ich
wólle einem erbarn radt alhier ein buch zuschreiben, und
auff difs mein bedencken, das ich nicht allein den geitz
sondern auch desselbigen lasters argwhon gern meiden wölte,
und derhalben bisher niemand etwas zugeschrieben etc. bey
mir angehalten, ich wólle es zu thun nicht unterlassen. Denn
ich des geitzes halben bey meniglich wol entschuldiget, wenn
ich gleich inn sólchem fall eine verehrung von den herren
neme, damit ich deste besser meine unterhaltung möge haben,
weil meine besoldung so gering, das ich doppelt mehr ver-
zeere denn verdiene. Auff sólche seiner achtbarkeit rede
nam ich für, die auslegung der sontags und feiertags evan-
gelia, wie ich sie bey sieben jaren, so ich im predigerampt
1) 1542, Febr. 13.
9
gewesen, zu Wittemberg, zu Freiberg, an Churfürstlichem
hof und zum theil auch alhier, daheim schrifftlich ausgelegt
und darnach öffentlich on alle einrede geprediget, inn druck
zu geben, dazu mir seine achtbarkeit den drücker bestelleten,
inn meine whonung nach dem exemplar zu mir schickten
und mir entlich anzeigten, der radt wissete wol davon, der
herr bürgermeister hette im sölchs befolhen, und ich dórffte
es nicht heimlich halten, das sölch buch den herren zu
Leiptzig sölte zugeschrieben werden. Als man nu bey einem
vierteil jar an dem fürgenommen buch mit einer prefs ge-
drückt hatte, ward ich von Bastian Reuschen (welcher das
buch, wie ich bericht, sol verlegt haben) und vom drücker,
neben überreyehung einer verehrung von vier thalern sampt
vertröstung eines sonderlichen geschencks, gebeten, ich wölte
mich zwu pressen zu fördern vleissigen, damit das buch
Bartholomei!) inn die Franckfurter mels möchte gefertiget
werden. Und als es nu mit zweien pressen fast bis auff
zehen oder zwelf bogen gedrückt, ward mir angezeigt, es
sölte an pappir mangel sein, wie seltzam es aber damit zu-
gegangen, davon wil jch, e. a. und g. mit langer schriſſt zu
verschonen, ferner nichts schreiben, denn das ich bey dem
drücker und verleger die vierzehen tage über, welche man
ongefehrlich feyrete, also anbielt, das man gemeltes werk
lenger ligen zu lassen pappirs halben ferner keinen schein
hatte. Acht tag aber nach Anne?), als man nun inn der
drückerey widerümb fort zu faren hatte zugerichtet, und
doctor Cammitz die vorrede, an den radt gestellet, gelesen,
uud (on zweifel mit der andern herren bewilligung) den
tittel, eingang und anders darinnen geendert, wie sólchs mit
seiner handtschrifft kan gezeiget werden, daran auch sein a.
(als ich hoffe) keine abscheu würde baben, ward nicht allein
dem buchdrücker auff dem radthaus von den herren, ehe
er widerümb anfing zu drücken, das büch zu fertigen ver-
botten, sondern auch einer des radts mit einem knecht inn
die drückerey geschickt, das werck zu verbieten. Zu mir
aber kamen desselbigen tags, alle, die dieser sach halben
mich anzusprechen einigen schein oder glimpff haben mochten,
und machtens auffs greulichste, welch ein aus- und einlauffen
inn der drückerey von des radts dienern meines buchs halben
were, also, das auch einer über meinen willen, ‘da ich itzt
solt und wolt anfahen zu lésen, dorffte zu mir auffs cattheder
tretten etc. Welches lauffen und verkündigen, woher sichs
geursachet und was darinnen gesuchet, weil ich ir keinen
darümb gebeten, ist mir verborgen, allein das ich aus viel
1) 24. August. ) 2. August.
92
anzeigungen spüret, inen were, mir sólche botschafft auff
mancherley weise fürzutragen, etwas hefftig angelegen. Der
herr bürgermeister aber zeiget mir an, der drücker sölte
das buch on der herren vorbewusst auffgelegt haben, welches
den predigern alhier ires ampts halben nicht sólle zu leiden
Sein, derhalben wern es inen zu übersehen gegeben, damit
inen hierinnen genug geschehe. Uber einen fag, zween,
drey, sólte es wider einen fortgang haben, wie auch folgend
anfieng zu geschehen. Denn es warden von neuem zween
bogen darinnen gedrückt, und mir vom drucker angezeigt,
er hette von dem superattendenten und vom bürgermeister
erlaubnis, das buch gar zu fertigen. Ehe es aber gesteckt
ward, wusste man albereit, das ich auff den tag Laurenti!)
eine disputation halten würde (wider wen aber, inn was
gestalt und mit was worten ich mich inn der disputation
einzulassen, von namhafftigen leuten, nicht allein etlich tag
vor gehaltner disputation, unterrichtet und vermanet worden
sey, achte ich zu schreiben unnötig, dienstlicher christlicher
zuversicht, e. a. und g. werden das buch, mutwilliges ergernis
inn abwesen des landesfürsten zu verhüten, one verzug, das
es auff nechsten Michelsmarckt zum lengsten gefertiget werde,
fördern). Als ich nu am tag Laurenti zu disputieren für-
hatte, verstendigte mich der drücker des abents zuvor, im
were widerümb zu drücken verbotten. Jedoch hat niemand
der lehr halben, 80 im buch gehandelt, mit mir allein geredt,
viel weniger mich etwas, das darinnen ergerlich und unrecht
sey (Christi befelh nach Matth. 18) erinnert, sondern nach
dem ich die disputation also gehalten, das ich bey für-
genommener materien geblieben, nichts frembdes eingefürt,
und inn diesem handel Gottes ernstem gebot, nicht mensch-
lichen radt, nachkommen, bin ich nechst folgendes freitags
für den herrn rector, für andere herren der universitet und
des radts gefodert, gleich als sólte und móchte das buch
schwer und hefftig angeklagt werden, so doch die prediger
daselbst für den herren, ehe denn ich ein wort redet, an-
gezeigt, sie wissen nichts im buch, das mit Gottes wort nicht
möchte verteidiget werden, sondern wólten mich allein gern
von etlichen locis hören reden. Darauff ich die herren vom
radt dienstlich gebeten und christlich vermanet hab, bey dem
herrn bürgermeister daran zu sein, man wólle das buch aus-
drücken, und sich beide für ergernis und Gotteszorn hüten,
ich wólte mich, ehe denn es gar fertig werde, wol mit den
predigern vergleichen, wo sie einigen mangel daran hetten.
Auff diese meine rede hat mir Doctor Auerbach daselbst
1) 10. August.
98
angezeigt, er und die andern herren wöllen sólche meine
bitt dem bürgermeister anzeigen, er werde auch one zweifel
das buch vollend lassen drücken. Gleichwol merke ich
nicht, das sólchs geschehe, unangesehen das mir die prediger
(als ich allerley mit inen geredet) hernach inn sonderheit
angezeigt, sie wóllen die lehr darinnen nicht angefochten
haben, und, das es ausgedrückt werde, stehe bei den herren
des radts, sie wóllens- nicht hindern. Weil mir nu weder
von der universitet noch vom radt einiges wörtlin, das wider
Gottes wort sein sólte, im buch angezeigt, und gleichwol
darinnen nicht gedrückt wird, so ist an e. g. und a. meine
dienstliche christliche bitt, sie wóllen auffs fórderlichste den
herren vom radt alhier schreiben, und dieser versuchung ab-
belffen, sintemal ich sölche versuchung, damit man (wie mich
der herr bürgermeister selbs am nechsten donnerstag !) freundt-
lich verstendiget) mich und die andern prediger albier ver-
suchet, aus Gottes gnad nicbt weniger von den herren gut-
wilig auffnemen kan, denn ire gunsten willig zu leiden und
mit dancksagung anzunemen schuldig weren, da sie etwan
von einem rechtschaffnen, getreuen und inn Got mutigen
theologo und seeleusorger, wie ire gewissen inn etlichen
stücken verwaret, lehrhafftiger weise gefragt würden, allein
das man Gótlicher weise im versuchen gebrauche, und mache,
das die versuchung (wie S. Paulus 1. Cor. 10 von Gof der
ehristen versucher zeuget) ein ende gewinne und von der
christenheit möge ertragen werden, inn ansehung, das wir
prediger, wie fest ein jeder inn der versuchung stehen
möchte, leichtlich können beweret werden, ob man gleich
rechtschaffne bücher ungehindert liesse. Denn da man würde
einen ernst daraus machen, und durch des buches ver-
drückung nicht allein ich und difs, so Got durch mich inn
diesem fürstenthumb, vielen seelen zur ewigen seligkeit, durch
seine almechtigkeit krefftiglich und gnediglich gewirckt hat,
sondern auch andere meine predigten, an Churfürstlichem
hof für so mancherley gemeinen und stenden gethan, sampt
der Wittenbergischen theologen, die mich gelehret, sölten
verdacht gemacht und Gottes wort verdampt werden, haben
euer a. und g. günstiglich und christlich zu bedencken, das
ich sóleher verdrückung rechte quelle müsse suchen, mit
lengerm stillschweigen darein nicht willigen, und mich beide
der sünde und Gottes zorns theilhafftig machen, sondern die-
selbig gebürlicher christlicher weise an tag bringen und mit
Gottes wort straffen, wenn ich gleich bey reiner lehr Götlichs
worts (welche gewislich inn gedachtem buch verfasset ist,
1) 7. September.
94
denn es versuche mich die universitet und der radt, oder
meynen das buch mit ernst, welchs ich nicht hoffe und Got
wólle sie: gnediglich dafür bebüten, amen, so würden sie
mirs lengst haben lassen zu gemüt füren, wo ires erachtens
inn demselbigen einiger spruch, dem heilsamen wort Gottes
inn einigem fall entgegen, were) mein blut und leben sölte
zusetzen, welches ich zwar besser nicht anlegen kóndte,
weil ichs doch one das, der natur nach, nicht inn die lenge
behalten, alle augenblick aber verlieren kan. Jedoch wünsche
ich der stadt Leiptzig von hertzen, weil sie Got mit sonder-
licher weisheit und hohem verstand begnadet, und an leib-
licher macht gnediglieh lesset wachsen und zunemen, der-
selbig wólle sie váterlich und gnediglich leyten und füren,
das sie die leiblichen gaben zu förderung seines worts, zu
irer selbs seelen heil, dieselbigen inn Got reich zu machen,
und nicht zu meiner oder meines gleichen unschuldiger christ-
licher lehre beschwerung, gebrauche, damit sie' der Almech-
tige seines worts, der leiblichen güter und anderer segen,
welche durch dasselbig gleich als an sie erben, nicht be-
raube, wie denen zu Jherusalem und andern mechtigen stedten
geschehen, Sölchs hab ich euer a. und g., nach dem bie
alle gebürliche christliche mittel gnugsam versucht, nicht
wissen unangezeigt zu lassen, dienstlich und christlich bittend,
euer a. und g. wóllen verschaffen, das gedachtes buch ge-
fertige werde.
Und da vielleicht etliche herren, keiserlicher und kónig-
lieher maiestet oder der lehr halben, so inn der vorrede
begriffen, reine lehr unter iren namen ausgehen zu lassen
bedencken oder abschea hetten, bin ichs wol zufrieden, das
e8 "inen nicht zugeschrieben werde, hab auch niemals darümb
gebeten, und weil ich mich selbs darinnen nicht nenne, lals
ich mirs gefallen, das Gottes wort an aller menschenstadt
getrieben werde, denn das ich durch sólche mittel keine
güter suche, mag, wo nicht aus andern fellen, jedoch hieraus
gespüret werden, das ich die gerechtigkeit alhier christlich
zu disputiern, mehr denn mit achtzig baren gülden, on was
ich noch schuldig bleib, von meinem eignen und meiner
blutsfreunde schweis und blut gesucht, erkaufft und be-
kommen bab, weil ich je sunst, von wegen der vermeynten
statuten (Got wölle, das es nicht aus hals gegen einer wahr-
hafftiger lehr Götlichs worts geschehen) zum disputieren
night mochte zugelassen werden, so man doch inn andern
fellen mit den statuten, vielleicht zu schwechung der studien
und facultet, ziemlich weis und pflegt zu dispensieren. Hie-
mit befelhe ich euer a. und g., denen ich zu dienen willig
und gevlissen bin, dem Almechtigen inn seinen gnedigen
95
schuts, amen. Datum Leiptzig am tag Nativitatis Marie,
Anno 42).
Jacobus Schenck.
Aus diesem bericht haben euer gunsten, erw. und a,,
eigentlich und gründlich zu vernemen, das sie offtgemeltes
gestektes buch viel angehet und wie desselbigen fertigung
billich bey euren gunsten, erw. und a., als bey den mittel
stenden, dienstlich, christlich und freundtlich suchen, sind
auch dienstlicher christlicher zuversicht, eure gunsten, erw.
und a. werdens auffs erste fördern, und durch desselbigen
verdrückung, Gottes unsers schöpffers, erlösers und heilig-
machers namen lenger nicht entheiligen. Im fall aber, euer
gunsten, erw. und a. liessen dils gute christliche buch stecken
und förderten auch uns zum tod, so trösten wir uns, wie im
vorigen brief vor acht tagen angezeigt, und hetten hertzliches
christliches mitleiden mit euren gunsten, er w. und a., das
sie Gottes ernsten, ewigen, almechtigen zorn dadurch auff
sich laden sölten, denn eure gunsten, erw. und a., würden
so wenig entschuldiget sein können, als Judas und die
hohenpriester, ob wol kein theil die dreissig silberling (dar-
uͤmb Christus war verkaufft worden) behalten wolt, und Pi-
latus, ob er wol Christi unschuld offtmals rhümete und entlich
die hende wusche, sintemal sie alle zugleich den unschuldigen
und gerechten nichts deste weniger den hengern, das er
gecreutziget und schmehelich umhgebracht würde, helffen
überantwurten, deshalben auch nicht allein der radt und die
gelerten zu Jerusalem (als die ungerechten richter und
thäter selbs) sondern auch andere viel tausend jüden, welche
vielleicht nichts gründtlichs umb diesen mord gewusst haben,
durch Gottes grimm verzeeret wurden. Unser almechtiger
schöpffer wolle eure gunsten, er w. und a. gnediglich be-
huͤten, das sie an Christi gliedern nicht dergleichen beide
leibliche und geistliche, zeitliche und ewige straff ver-
dienen, Amen. Datum Leiptzig donnerstags nach Margarethe,
Anno 43 ten.
Euer Gunsten ehrwirden und achtbarkeit
willige
Jacobus Schenck doctor
Michael Schenck.
) 1542, 8. September.
96
4. Die Universität bittet den Landesherrn Herzog Moritz,
in der Angelegenheit des Doktor Jakob Schenck
ihr mitzuteilen, wie sie sich verhalten solle, damit
ihr kein Unheil erwachse. Leipzig 1543, Juli 25.
Repert. G. A. X 10, Bl. 32/33. Adr.: Dem durchlauchtenn
hochgebornen fursten unnd herrenn herrn Moritzen hertzogen
zu Sachssen landtgraven in Dhuringen unnd marggrafenn zu
Meyssen unsernn gnedigen herrn.
Durchlauchter hochgeborner furst. E. F. g. seindt unsere
underthenige gantz willige dienst zcuvor. Gnediger herre.
Was uff unser freundtlich und rechtmessig erinnern vor-
mahnen unnd anhalten, so wir uf empsich anregenn Nickeln
Wolraben, buchtruckers, von wegen der im druck ange-
fangener postill, unnd auch eines Erbarn raths alhier das
barfuser closter belangende, bei dem hochgelerten hern
doctori Jacobo Schencken myt allem treuen vleis furgewant,
jetzgemelter doctor erstlich an uns insunderheit darnach
auch an wolgedachten rath uns, und die prediger semptlich
in schriften gelangett, das werden E. F. g. aus beyvorwarten
abschriftenn gnediglich vornehmen. Nu befrembdet unß nicht
wenig, das wyr durch gemelten doctorem Jacoffen inn dyese
sachenn, wyeder unserenn willen gezcogenn unnd gedrungenn
werden, so wyr doch dhamit zcum wenigsten bißher zcu thun
gehabt, ausserhalb das ungevherlich vor eym jhar unsere
theologi neben den predigern unnd vorordenten des raths
etlicher artickell halber sich myt mehr gedachtem doctore
freundtlich unterredet unnd gebethen haben, das ehr gezcenck
unnd zwitracht, so aus dem misvorstande derselbigen mochte
geschópffet werden, zeuvorkomen, sich in dehnenn zoum
forderlichsten erelerenn woltbe. Des sich die unseren also
zcu geschehen freundtlichen haben vorsehenn, warumb aber
daß von ihme vorplieben unnd unterlassen, angesehen, das
ebr anfencklich dawieder nicht harte gefochten, unnd wie
wyr berichtet, vor E. F. g. rethen alhier solchs zu thun be-
williget, dyeweil die gantze sache an E. F. g. unnd in ab-
wesen derselbigen an stadthalder unnd rethe gelangett, ist
uns vorborgen. Unnd nachdem es hierumb also gelegen
unnd doch gleichwoll wir dehnen dyese irrungen anderer
leuthe halber, die sich daraus vielleicht ergern mochten,
zeum hochsten endtkegen unnd nichts liebers dann das die
freuntlich hingelegt und vertragen, darzcu wir dann auch,
das unsere soviele uns jetziger zceidt hat gebueren mogen,
myt allen vleis gethan sehen woltenn, vormercken, das nach
gelegenheitt dieser sachen, darinnen E. F. g. hiebevor manich-
feltigenn befehell gnediglich haben thun lassen, uns dareynn
97
ferner zou begeben nicht gebueren wyll. Unnd do es ane das
auch sunsten schwer fallen wolte, als gelangett an E. F. g.
ünser gantz underthenige bitte, dye wollenn unß hierinnen
ihren gnedigen rath unnd bedenckenn in gnaden myttheilen.
unnd darob gnediglich seyn, dho etwas weyther hierinne
zu thun unnd zu vorfuegen, domyt solches dohin gerichtet das
daraus E. F.g. universitet keynn schimpff oder nachtheil
endtstehen und erwachsen moge. Das geburet uns umb E.
F. g. mit unseren underthenigen willigen dynsten myt hochstem
gehorsamen vleis undertheniglich zu vordienen. Datum Midt-
woch am fag Jacobi Anno XLIII.
E. F. G.
underthenige und gehorsame
rector, magistri unnd doctores
der universitet zcu Leyptzigk.
5. Die Universität Leipzig bittet den Herzog Moritz
von Sachsen um Anweisung, wie sie sich in der
Angelegenheit des Jakob Schenck dem Rathe gegen-
über verhalten solle. Leipzig 1543 August 2.
Universitätsarchiv Rep. G. A. X 10, Blatt 30/31.
Durchlauchter hochgeborner fürst. E. F. g. seindt unsere
underthenige willige dienst zuvor. Gnediger herr. E. F. g
haben wyr hievor, was an unß doctor Jacobus, Schenck zeu
etliche mhalen schrifftlich gelangett, auch ein erbar rath der-
wegen bey uns suchen lassen, undertheniglich zeu erkennen
geben unnd wywol waß darauff zu thun E. F. g. unzweifelich
uns vorfhallener vorhinderung uns ‚bisher nycht haben
schreyben lassen, so haben wir dennoch dye sachen in der
guethe zeu berichten, an unseren moglichen vleiß es nycht
erwinden lassen. Wye aber wyr dye folge bey den parthen
nycht gehabt und auch sunsten durch das so unß dißfhals
hatt gebueren wollen, nychtes haben schaffen und aufrichten
mogenn, hatt es sich ferner zugetragen, das obgemelter
rath gedachten doctorem auß dem closter zu ziehen durch
ihre stadtliche beschickung haben bitten und uff den fhall
ers nycht thete, wa ihme daraus endtstehen mochte, ver-
warnen lassen, und ehr darzcu nycht zu bewegen gewest, ist
erfolgett das mehrgedachter doctor, sampt seinen brudern
und dienern, weil sie anhedaß nicht haben gehen wollen,
myt den stadtknechten und rathsdyenern uffs rathhaus mon-
tagks nach Jacobi!) seindt beleytet worden. Welchs als wir
1) 80, Jali 1648,
98
inne worden, haben wyr zcu erhaltung unserer privilegien und
nach inhalt der vertrege und conpactaten, so zwischen mehr-
gedachtem rath und unß aufgericht, den doctorem sampt
seynen brudern und dyenern abgefordert, darauf sich der
rath mit unvorweisslicher andtwort und also hatt vernehmen
lassen, das sie uns die gefangenen gerne und willigk wolten
folgen lassen, doch dyeweil dyese sache sie nicht allein,
besonder E. F. g. myt betreffe, haben sie gesucht, das wyr
die gefangene also bewaren lassen wolten, dhamyt sie an
ihnen zu gelegner zeit das, waß sich disfhals gebürete, er-
langen und das sie uf E. F. g. und ir vorwissen uf bevor-
worte caution und anders nycht iress gefengkniBes erlediget
werden mechten. Nach dyeser endtpfangener andtwort haben
wir die caution erwogen und so wyr auch anhe solche vor-
sicherung sie vor.unD selbst schwerlich hetten loßzalen
mogen, haben wyr die formulam dem doctori fuerhalten
lassen, und seint berichtet, das ehr dye zcu thun und zu vol-
ziehen unbeschwertt außgeschlossen, das ehr sich des closters
darein nycht wieder anhe deß rathes vorwissen zukennen
nycht wuste zcu begeben, und der rath sich ferner vor-
nehmen lassen, dho ehr auch dye caution wie dye begrieffen
fhun wolthe, daß sye dennoch anhe E. F. g. vorwissen ihnen
seines gehorsams zcu endtledigen bedengken hetten, haben
wyr anngesehen, daß diese sache sich in eyll nicht wolte
richten lassenn, unnd wyr doch myt solcher vorwarungenn
darynnen ein soleber mau bequemlich unnd ane vorletzung
mochte gehalten und vorwaret werden, nicht vorsehen, und
darzu unb befhareten, das in dem uberandtworten auch
der vorwarunge der gefangenen sich wol allerley unwider-
bringliche weiterungen zutragenn mochten, haben wyr ge-
schehen lassen, und bewilligt, das vielgemelte gefangene biß
uf E. F. g. gnediges wiederschreyben myt dyeser bedingung
das wyr dagegen vonn eym rath durch eyn reverß, daß
solches und an unseren privilegien compactaten und her-
gebrachter gerechtigkeytt keinen nachtheil geberen solthe,
versichert, uff dem rathhauß bewaret würden. Dem allen
nach gelangett an E. F.g. unser gantz underthenige bitte
dye wollen und waB in diesen sachen ferner vorzeunehmen
und zcu thun, gnediglich durch ir schreyben vorstendigen
lassen unnd sich in dehm mit gnaden erzeigen. Das ge-
büret uns umb E, F. g. undertheniges gehorsams willigklich
zcu vordienen. Datum Leipzigk Donerstagks naeh Cathedra
petri!) Anno im XLIII.
E. F. g. underthenigste gantzwillige rector, magistri und
doctores der universitet zu Leipzigk.
!) Über das irreführende Datum siehe oben S. 81.
99
6. Herzog Moritz von Sachsen teilt der Universität mit, daß
er den Doktor Jakob Sobenck und seinen Bruder Michael
des Landes verwiesen habe. Dresden 1543, August 9.
Repert. G. A. X 10 Bl. 43 Orig. Adr.: Den erwirdigenn
bochgelarten unsern liben andechtigen und getreuen rectori
magistern und doctorn unserer universitet zu Leyptzick. Von
anderer Hand_unter der Adresse bemerkt: Doctor Jacobus
in exilium.
Von Gotsgnaden Moritz Hertzog zu Sachsenn landgraf
in Duringen und marggraf zu Meissen. Unsern grus zuvoren.
Erwirdigen hochgelarten liben andechtigenn und' getreuen,
wier baben aus euerem schreiben vernohmen, was sich mit
doctor Jacoben Schencken, seinem bruder und diner zu-
getragen, und das yhr euch in dem allem vohrsichtiglich er-
tzeigt, zu guttem gefallen vormerckt, so sal es euch auch an
ewern privilegien und befreiung ahne schaden und nachteil
sein, aber in der nottel der caution, so euch der Rat hat
zugestalt, haben wier einen zusatz machen lassen, das ge-
dachter doctor und sein bruder nit alleine das closter,
daran sie keine gerechtigkeit haben mögen, sondernn auch
unser land und furstenthumb mittels einer bestimptenn zeit
reumen sóllen, außgenomen dem famulo, welchen ihr auf die
gestaltten nottel, und die zwene deu. ..uctor und seinen
bruder nach inhaltt des zusatzes caution thun, und ane das
der gefengnis nicht woldet entledigen, noch ethwas w 'ter
darin aussernn oder vorandern lassen. In deme geschiedt
unsere genzliche unndt gefellige meinung. Datum Dresden
dornstag nach Donati Anno Domini 1513.
7. Die Urfehden des Jakob Schenck, des Michael Schenck
pnd des Famulus Johannes Werlin aus Nördlingen.
1543 August 16.
Repert. G. A. X, 10 Bl. 38—40 ohne Angabe des
Tages. Dieser nach Vetter, a. a. O. S. 261. Auf der
Rückseite des von den Brüdern Schenck unterzeichneten
Schriftstücks steht von anderer Hand: caution uff doctor
Jacobum Schencken und Micheln Schencken seinenn brudernn.
1543 mense Augusto.
Nachdem ich doctor Jacobus Schencke uff des durch-
lauchtenn hochgeborenenn fürsten und herrn herrn Moritzenn
hertzogenn zu Sachsenn etc. bevhell und geboth unnd uff eins
erbarenn rats zu Leipzick ansuchen güthliche warnunge und
geboth, das barfusser eloster nicht habenn enthreumenn, von
mir selbst nicht heraussgehen und die schriftliche versiche-
100
rung, wie sie die von mir gefoddert, nicht habe thuenn auch
benebenn ihrenn -ratsfreundenn nicht uffs rathauss gehenn
wöllenn, derwegenn ich mit denn stadtknechten auss dem
closter uff das rathhauss geleitett und meine bücher und
haussgeredte durch einenn erbaren radt und gerichte inn
eine andere vorwarunge geleckt, als gerede gelobe und
Schwere ich, das ich solchs alles an hochgedachtenn landes-
fürstenn herzog Moritze von Sachsenn etc. seiner fürstl. gnaden
landenn, leuthenn und underthanenn der universitedt und einem
ehrbaren radte und denn pfarrernn, predigern und seelsorgern
zu Leipzick allenn irenn membris, bürgerenn, vorwanthenn,
dienernn und andern nicht will rechen widder mit wortenn
noch mit werckenn, widder durch mich noch durch niemants
von meineth wegenn und ob ich jemants erfure, der sich des
zu rechenn unterstunde, das will ich nach meinem vermügenn
werenn und vorkommen. Ich will mich auch dieser und
aller andern sache halber, insonderheit auch von wegenn der
postill, die man nicht hat wöllenn vollend aussdrücken lassenn,
kegenn alle diejenigen widder, die ich derwegenn anspruch
oder einige ursach zu habenn vermeine, an gleich und an
rechte vor irem ürdenthlichen und geptirlichenn richter be-
genügenn lassenn und mich enthaltenn derwegen ethwas mit
der thadt vorzunemenn, noch auch widder seine f, g., die
universitedt, rath, prediger und die irenn zu schreibenn ader
ethwas aussgehenn zu lassenn, auch solches nicht in vor-
schaffenn darinne sein f. g. und anderen obgenannten vor-
unglimpfft und beschwerdt werdenn söltenn. Ich will mich
auch hinförder sampt meinem weib und kindernn zu hoch-
gedachts meins g. b. hertzogen Moritzenn fürstenthumb und
landen nicht wesenthlich enthaltenn noch niedderlassenn,
sondern dieselbenn zwischenn hier und dem tage exaltionis
crucis schirst künfftigk reumenn und mithlerzeit mein weib,
kinder und gesinde darzu halden das sie auss dem closter
ziehenn; und will mein bücher und gerethe in meine vor-
warunge nehmenn und also das closter enthreumenn und
selbst ane erleubnis des raths nicht hineingehenn. Solchs
alles gerede, gelobe und schwere ich treulich und ane ge-
gelerde als mir Got helffe und sein heiliges wort.
Jacobus Schenck doctor manu propria subscripsit.
Michael Schenck manu propria subscripsit.
Nachdem ich Joannes W. von Norling uff des erbaren
rats zu Leipzick geboth so meynem herenn doctori Jacobo
Schencken unnd seinenn bruder beschehenn, das closter zunn
parfüsser nicht habe enthreumen- auch ungeführth mit denn
herrenn das rats uffs rathhaus nicht habe gehenn wöllenn,
101
derwegenn man mich mit zweien stadtknechtenn hinauff ge-
leitet, demnach gerede, gelobe und schwere ich das ich solch
füren und enthalten auch enthreumung des closters an und kegen
herzog Moritz zu Sachsen etc. seiner f. g. erben, landt und
leuten an der universitedt und einenu erbarenn rath der
Stadt Leipzick, auch iren predigern, pfarrernn, seelsorgern,
membris, vorwantenn auch bürgernn dienernn und sonst nicht
rechen will, widder mit worten noch mit werckenn widder
durch mich noch durch andere von meinethwegenn und ap
ich yhmants erfuere, der es meineth halbenn rechenn wölde,
das will ich nach meinem vermügen werenn und vorkommen.
Ich will mich auch kegenn alle obgemelte on gleich und
und recht von irenn ördenthlichenn und gebürlichen richter
genügenn lassenn und aller obgeschribener sache auch der
postill halber so mein herr doctor Schenek und sein bruder
in druck aussgehenn wollenn lassenn widder hochgedachtenn
fursten, universitedt, rath und alle derselbenn membra vor-
wante und underthane ete. nichts schreybenn noch zu
schreiben vorschaffenn, das ich auch inn das barfuser closter
nicht gehen will ane des radts erleubnus, auch des doctors
und seines bruders weibere und kindere nicht sterckenn noch
bereden will das closter nit zu enthreumen widder durch
mich noch durch andere. Das alles schwehre ich als mir
Got helffe und sein heiliges worth.
Ich bekenne auch mit dieser meiner eignen handschrifft
das ein erbar radt mir angebotten hat alles das unser volgen
zu lassen, welches aber ich inn wegerung gestanden aus
dem closter zu empfahen, derwegen hats ein erbar radt also
bald inn ein gemach beneben des herrn doctors und seines
bruders geredt verwaren lassen, welches alles ich doch
numals empfangen.
Johannes Werlin von Nórlingen manu propria subscripsit.
Die Wiedergabe der Urkunden ist buchstabengetreu nach den Ori-
gum erfolgt. Veründerungen sind nur insoweit vorgenommen, als
r alle Eigennamen und zu Anfang jedes Satzes große Buchstaben
gewählt, v inmitten eines Wortes in u, i im Anfang eines Wortes in
j pig ida sind und gelegentlich die Interpunktion eine andere ge-
worden ist.
Die brandenburgisch-nürnbergische
Norma doctrinae.
Von K. Siehornbaum.
Beilagen.
1. Mf. Georg Friedrich an Hzin. Ww. Anna Marie von
Württemberg. Ansbach, 4. 11. 1570.
Hochgeborne fürstin, fr. liebe Schwester und Gevatterin.
Ob wir wol E. L. vergangener tage freundlich zuerkennen
gegeben, daß wir den wirdigen und hochgelarten herrn
doctorem Jacobum Andreae nicht lang mer ufhalten
wolten, so kunnen wir doch E. L. fr. meinung nit bergen,
dass sondere verhinderung furgefallen sein, davonwegen wir
ine nicht eher dan heut dato haben urlauben kunnen und
E. L. die verhinderung von ime vernemen werden. wir
haben aber die verantwortung gegen E. L. uf uns genommen
und bitten ganz freundlichs vleis, E. L. wollen gedachten
doctorem Jacobum in ansehung der wichtigen verhinde-
rung uns zu fr. gefallen von wegen des verzugs gnedig ent-
schuldigt nemen.
Uns isf auch von ime von dem gemeinen werk die
concordi und ainigkait zwischen den churfursten, fursten
und stende der Augsburgischen confeßion verwandten und
derselben theologen betr., von welchs gemainem werks wegen
gedachter Dr. Jacobus ausgesandt, ausfurlicher bericht
getan worden, welcben wir mit sondern freuden vernomen.
Und lassen uns freundlich ganz wolgefallen, daß mit solchem
gemain werk in alwege vortgefaren werde und daß zu vort-
stellung desselben sich ehegedachter Doctor Jacobus
sich furderlich gein Speier verfugen und bei der R.K. Mjt.
unserm allergnedigsten herrn und an andern orten, was die
notturft erfordert, aucb handele und verrichte doch mit
guter vorsichtigkeit und bescheideuheit aus allerlei ursachen,
wie E. L. von ime den notturftigen bericht horen werden.
Das wollen wir E. L., dern wir zu bruderlichen treuen wol-
genaigt, der notturft nach fr. maynung nit unangezeigt laßen.
Datum O. den 4. Novembris anno ete. 70.
Georg Friedrich.
Concept Ansbacher Religionsakta 29, 758.
103
2. Jakobus Andreä an Georg Karg. Tübingen, 1.März 1571.
Salutem in Christo. Aliquoties nunc ad te scripsi, re-
verende vir, frater carißime, sed nullum accepi responsum,
quia causa est, ut dubitem, an tibi meae litterae sint redditae.
Nunc mitto scriptum, cujus exempla multa misi ad omnes
ecclesias Germaniae superioris, uf eorum suffragia colligam
ad éontinuendum purum consensum superioribus annis ten-
tatum. Et quoniam nihil novi susceptum est, sed iisdem
libris pius consensus compositus, quos etiam nos in trans-
actione nuper Onoltzbachii facta confirmavimus, rogo per
Christum, uf nulla interposita . mora subscriptionem hujus
transmißi scripti promoveas, quemadmodum nuper in com-
positione tuae controversiae factum est. Qua in re deo
inprimis cultum praestabis gratiBimum et ego quibus poßum
officiis promereri studebo. Ut autem id commodius per nuntios
expedire poDis, scripsi D. Musmanno intimo vestri principis
consiliario, qui te pro virili sua juvabit Non puto opus
ehe conventu, cum nibil sit novi, sed tantum nunciis. Rogo
autem, ut id maturare velis, quantum potes. Nam plurimum
referre puto, ut quam primum conficiatur negotium. Bene
et Salve vale. et copiose rescribe. Salutabis meo nomine
uxorem tuam ef collegas omnes reverenter. Haptim Tubingae
Cal. Marcii 1571.
Tuus ex animo frater Jacobus Andreae D.
P. Scriptum: Non vellem unum aut paucos pro omnibus
sed quam plurimos subscribere, ac si aliter fieri non poit,
Saltem superintendentes et decanos cum suis senioribus ad-
dito numero tot et tot past pastorum () quatenus praesunt,
Idque non eo consilio, ut suffragiorum multitudine pugnemus,
sed pontificiorum adulatorum blasphemos clamores reipsa
refutemus, qui impune ter aßerere audent, vix duos pastores
inter omnes Augustanae confeBionis ministros reperiri, qui
in omnibus articulis dictae confeßionis consentiunt. In Urbe
et agro Argentoratensi subscripserunt 60 doctores pastores
et ministri?) Idem fit in aliis locis. Tu igitur pro tua
1) Transmisit ad me, clarissime domine doctor, frater carissime,
subscriptiones pastorum et ministrorum in urbe et agro Argentinensi
D. D. Wilhelmus, proquo filio dei ago gratias et ut nos omnes in
hoc. pio consensu confirmet, oro. Andreä von Marbach 9.8. 1571.
Fecht S, 350. cf. 870. Nec dubium est, quin cordati omnes forma-
lam Servesti constitutam *sint approbaturi. Nos certe hic eamdoctrinae
rationem observamus. De subscriptione tamen polliceri idcirco nihil
possumus, quod cum eitra consensum nostri magistratus a nobis fleri
non queat, periculum est, ne velint concedere, ut cum nuper Tigurinis
104
pietate et sapientia negocium, quam rectißime, curabis quod ut
arbitror nnlla deliberatione opus habebit Ut in literis.
Rogo autem per Christum negocium maturare velis, ne forte
inquieta ingenia institutum perturbent, quae una causa est,
ut festinandum existimem. Nos in ducatu Wirtebergensi
ita adornavimus, ut profeßores in facultate theologica, ab-
bates ef generales superintendentes omnes subscribent manu
propria. Idem facient etiam superintendentes speciales sin-
guli cum duabus praecipuis pastoribus pro se et omni pastore,
qui ad ejus superintendentiam pertinet, addito numero tot
et tot pastorum!). Das wird demnach ein zimlicher galg (7)
vol pfaffen sein, das die papisten nicht hoch erfreuen wird.
aber vil fromer herzen widerumb aufrichten.
Original in den Ansbacher Religionsakten 85, 54 f.
3. Jakob Andreäs Entwurf einer gemeinsamen Er-
klärung. 1571.
Nachdem sich ein zeit lang hero etliche beschwerliche
irrungen und streit zwischen denen theologen, so sich zu
der christlichen augspurgischen confeßion bekennen, gehalten,
daruber gutherzige christen hochbetrtibet, die schwach-
gläubigen sich schwer daran gestoßen und geergert, die
feind aber der reinen lehr uber gedachten zwispalten jubiliren
und in irem schmehen und lestern desto trutziger vortfaren,
auch uns in aller welt ausrufen, als sollten unsere christ-
liche reformirte kirchen samt iren dienern alle jar oder
monat ein neue confeßion stellen und doch unter sich selbst
in allen derselben articuln genzlich zurißen und also ge-
trennt sein, das selten zwen evangelische prediger der sachen
in, allen: Punkten christlicher religion mit einander einig.
Demnach haben gutherzige und eyferige christen notwendigs
nachgedenken gehabt, welcher gestalt gedachtem ergernus
der schwachglaubigen und frolocken der feind gottes füglich
und furderlich also zubegegnen, daß der reinen lehr nichts
abgebrochen, den irrtumen im wenigsten nit stat gegeben
und doch alle die streit und uneinigkeit, so zwischen den
theologis, welche der augspurgischen confeßion zugethan,
von der zeit D. Luthers seligen entstanden, abgeschniten
postulantibus negata sit, ne etiam recuset aliis ad evitandam con-
foederatorum offensionem. Sulcer an Marbach, Basel 12./8. 1571.
Fecht S. 852, Vgl. 878 (20. 6. 1571).
ı) S. Andreä an Marbach. Cal. Marii 1571. Fecht S. 844.
vgl. Andre&ä an Wilhelm von Hessen. Tübingen 10. II. 1571. G. Chr.
Neudécker, Neue Beiträge zur Geschichte der Reformation.
Leipzig 1841. 8. 859.
105
und die betrübte kirch christi widerumb gottseliglich befridet
wurde und dis alles nach lehre des heiligen apostels Pauli,
der uns ernstlich vermanet, das wir allezumal einerley reden
füren und nit laßen spaltungen unter uns sein, sondern fest
in einem sinne und einerley maynung aneinander halten!)
Wie dann auch der haylig prophet David gottselige ainig-
keit christlicher lerer preiset, do er sagt, sie, wie fein und
lieblich ists, wann bruder eintrechtig beieinander wohnen?)
Und ist hierzu fur ein notturft und zuerlangung gedachts,
ehristlichs consens fur nuzlich angesehen worden, bei der
kirchen, so der augspurgischen confeDion zugethon und mit
dern secten keiner behaftet, welche in der augspurgischen
confeßion verworfen, z@erkundigen, was derselben theologen
hierinn rätlich bedenken und welcher gestalt sie ire gott-
selige ainigkeit in allen articuln der reinen lehr und rechter
christlicher confeBion zum richtigsten und leutersten also
ercleren möchten, daß sie niemand ainiger falschen seck-
tischen lehr zuverdenken oder an dern ainigkeit und gleichem
verstand zu zweifeln.
derwegen dann kurtzverruckter zeit etzliche vornehme
teologen zu Zerbst versamblet worden. alldo durch gottes
gnad sovil befunden, daß dieselbige die erclärung ires consens
und christlicher ainigkeit auf nachbenannte schriften ge-
stellt und sich christlich und bruderlich verglichen, die-
selbigen nechst nach der hayligen schrift (welche billich
vox judicis, daraus auch die nachbenannten schriften ge-
zogen und deren gemäß) zuhalten fur das offentlich be-
stendig zeugnus gedachter irer christlichen ainigkeit und fur
die normam doctrinae oder richtschnur der lehre, also das
sie sollen in allen stritten, so allbereit vorgefallen oder
nachkunftig furfallen mochten, sein die regula judicii oder
solche schriften, nach dern ainhelliger ausweisung alle stritt
und zwiespalt sollen geurteilt werden.
Und haben gedachte theologi diser gestalt sich bekennet:
Erstlich zu den prophetischen und apostolischen schriften
(als zu dem brunnen Israel) welchs die warhaftige richt-
schnur ist, nach dern billich alle lehren und lehrer zu
richten und zu urteilen sein.
Zum Andern: zu den dreyen symbolis Apostolico, Ni-
caeno, und Athanasiano als zu den kurzen christlichen und
in bailiger schrift vest gegrundten herrlichen bekandtnussen
des glaubens, in welchen allen denen kezereyen, so zur
selbigen zeit sich erhoben, lauter und beständig wider-
sprechen wurd.
1) 1, Cor. 1, 10. *) Ps. 188, 1.
Archiv für Reformationsgeschichte. XX. 5/4. 8
106
Zum Dritten: haben sie sich widerumb erceret undl
bekennt zu der auch christlichen und in gottes Wort wohl-
gegrundten augspurgischen confeDion allermaßen, wie sie ao
30 in schriften verfaßt und damals keysern Carolo V. von
etlichen christlichen churfursten und stenden fur ir bestendige
bekantnus irer k. mjt. zu Augspurg ubergeben als zu
dieser unser zeit unserm symbolo, durch welches unsere
reine reformierte kirchen von den papisten und andern ver-
worfen secten und kezereyen abgesondert worden.
Zum vierdten: Was dann derselben grundlichen aigent-
lichen und warbaftigen verstand belangt, nachdeme dieselbig
kurz, haben sie sich bekennt ainhellig zu der darauf er-
volgten Apologia, darinnen ermsite augspurgische con-
feBion nit allein notturftiglich ausgefuret und verwahret,
sonder auch mit hellen unwidersprechlichen zeugnußen der
hailigen schrift erwisen; desgleichen auch zu den schmal-
kaldischen articuln, in welchen ermelte lehr widerholet,
und darneben ursach und grund angezeigt, warum man von
den papistischen irrtumern und abgötterei abgetreten, auch
mit denselben irrtumben keine gemeinschaft zu haben und
sich uber denen mit dem bapst nit zuvergleichen wiße oder
gedenke.
Und dann weil diese hochwichtige sachen auch den
gemainen mann und layen betrifft, welche irer seelen seelig-
keit zu gutem dannoch als christen zwischen rainer und
falscher lehr unterscheiden müßen, haben sich gedachte zu
Zerbst versamblete theologi auch bekennet zu dem
cathechismo Lutheri, in welchem gemelte christliche lehr
für die einfeltige layen uf das richtigst und einfeltigst be-
griffen und gleicher gestalt notturftiglich ercleret worden.
Nachdem aber obernennte conventui zu Zerbst merer-
teils sächsische theologi beygewohnet und andere kirchen-
diener in oberteutschland und Schwaben zum selbigen aus
allerhand domals ungelegenheiten nit erfordert werden mögen,
seindt der oberlendischen und schwäbischen kirchen theologi
der zu Zerbst furgeloffenen handlungen freundtlich und
bruderlich berichtet worden, darmit sie auch ires teils das
angefangen werk, die christliche und gottgefällige ainigkeit,
sovil an inen, befurdern und fortzusetzen helfen wollen.
Haben demnach etliche vorneme gutherzige theologen,
so bei den christlichen kirchen und schulen bishero die
rainen lehre zu pflanzen und christliche einigkeit (one ab-
pruch der göttlichen warheit) zubefurdern und zuerhalten
gearbeitet, fur notwendig und fruchtbar gehalten, das auch
andere theologi in oberteutschland und Schwaben iren christ-
lichen consensum in der rainen lehr und uber den ober-
107
zelten schriften mit irem unterschreiben eroleren und hie-
mit bezeugten, das sie oberzelte.bucher nit allain fur christ-
liche schriften (in welchen alle artieul unser reinen lehr
nach notturft grundlich verfaßet), sondern auch nechst der
heiligen schrift fur die normam doctrinae und richtschnur
erkennen, nach dern alle irrige lehr geurteilt und alle Mis-
verstand aus derselbigen lautern inhalt abgeschaffen werden
sollen.
Und dis alles aus nachvolgenden ursachen. Dann weil
die hocherleuchte theologi, so damaln der kirchen vorge-
standen, do die christliche augspurgische confeßion kayser
Carolo V, ubergeben, fast alle im herrn selig entschlafen
und aber diejhenigen, so in irem beruf bei der kirchen und
Schulen an ire stat kommen, billich in derselbigen christliche
fuBtapfen treten und die mit pflanzung und erhaltung der
rainen lehr getreulich und bestündig ersetzen sollen, haben
sie derwegen nit ursach, in ainig bedenken zu ziehen, vil-
gemelte augspurgische confeDion, uber deren ire vorfahren
damals nit geringe gefahr ausgestanden, zu underschreiben,
inmaßen dann solchs in der alten kirchen also herkommen
und preuchig gewesen, das die volgende synodi, bischof
und lehrer sich auf die vorgeende und sonderlich hicenisch
symbolum gezogen und sich darzu bekennet. | |
Weil auch erstgedachte theologi zur underschreibung
der schmalkaldischen articul mehr ansehnlicher theologen
zu sich gezogen und sich dieselbigen mit inen in guter an-
zahl deshalben verglichen, die auch nunmehr seliglich im
herrn ruhen, werden diejhenige, so bei ermelter theologen
reiner lehr zuverharren ernstlich gesynnet, sich zu derselben
articuln zubekennen one zweifel onbeschwert sein.
So man sich auch zu dem Catechismo Lutheri mit
vnderschreibung bekennen, wird hiemit nit allain dem ge-
mainen mann und einfaltigen layen gedienet, die nach der
christlichen lehr (so in selbigen einfeltig und rain begriffen
und ercleret) sich vor irriger lehr zu hüten und was sie zu
irer seligkeit glauben sollen, daraus wißen mugen, sondern
wird auch also die unverfelschte lehr, so wir von unsern
vorfaren empfangen, auf die kinder und kindskinder gebracht
und inen bei derselbigen zu bleiben hinderlaßen.
Aus welchem allem dann vermittels göttlicher gnaden
sich christliche gottgefellige ainigkeit der lerer, so sich zu
der augspurgischen confeßion bekennen, erfindet, so die in
allen articuln unser reinen religion nach ausweisung vilge-
dachter schriften ainerlei glauben, lehr und bekentnus haben,
dardurch dann ferner je lenger je mer freundlichs und bruder-
lichs gottseligs vertrauen zwischen den rainen lehrern ge-
8*
108
pflanzt und erhalten, als do je einer von dem andern desto
mehr wißen und versichert sein mag, was er sich in religions-
sachen zu dem andern zu trösten und zuversehen. Und
wurdt hiedurch nichts neues gestellt, darob die feinde des
heiligen evangelii ursach zu lestern und calumnien nemen
oder sich auch einfeltige gutherzige darob ergern möchten.
Dargegen soll und wurdet dis werk erweisen, das unsern
kirchen in dem gewalt und unrecht von den papisten ge-
schicht, daß sie mit unaufhörlichem lestern furgeben, es halte
es bei den evangelischen kein theologus mit dem andern,
Und werde bei uns alle tag eine neue confeßion gemacht
und also die lehr teglich verendert, in maßen im anfang
dieser schrift auch anregung bescheen.
Und hann also die raine lehr dieser gestalt erhalten,
auf unsere nachkommen gebracht und inen mit diesem werk
anleitung gegeben werden, auf was mittel und wege sie die
von uns empfangene reine lehr standhaftig handhaben und
gleichfalls auch auf jre nachkomen gelangen laßen sollen.
Welchs alles zu der ehre des allmächtigen, zu ferner
ausbreitung des heiligen evangelii und der hochbetrübten
kirchen christi zu großer freud, sterkung und ergetzung
wider so mancherlei entstandene beschwerlich ergernus tröst-
lich auch zur bestendigkeit sehr nutzlich und zu andern
notwendigen kirchensachen ein gute vorbereitung und anfang
sein mag. |
Derwegen denn wir (die nachgeschribne theologi und
kirchendiener) in ansehung obgesetzts berichts zu erclerung
unsers christlichen consens mit andern christlichen theologen
auch allen, so inen dis werk und bedenken belieben laßen
oder noch künftig selbigs approbiren werden, hiermit be-
kennen, daß wir mehrgedachte schriften, so nechst der heili-
gen schrift fur die normam doctrinae zum Zerbstischen
abschied erkannt, fur reine, christliche schriften, in denen
die ganze christliche lehre nottürftiglich ereleret, erkennen
und uns dergestalt zu denselbigen bekennen, daß nach derer
ausweisung jederzeit gelert werden, auch alle streit vermug
derselben inhalt abgehürter maßen entscheiden werden sollen.
Und verwerfen demnach alle lehre, alt und neu, sozuvorderst
der propheten und Apostelschriften den ermelten, dreien
symbolis Apostolico, Niceno, und Athanasiano, der Augs-
purgischen confeBion, Apologiae, Schmalcaldischen articuln
und Catechismo Lutheri zuwider ist.
Do auch in unsern oder andern sehriften etwas dunkels
oder zweifelhaftig gefunden wurden, wollen wir, daß solichs
nit wider ermelte schriften als der dreien symbolorum, der
augspurgischen confeßion, Apologien, Schmalkaldischen arti-
109
euln und cathechismi Lutheri helle und deutliche erelerung,
sondern in allewege nach anleitung derselben verstand und
anders nit angenommen werden soll,
Das nun sollichs unser entlicher will und maynung Bey
und wir vermittels göttlicher gnaden darbey zubleiben ge-
denken, haben wir zu erclerung vilgemelter unser christlichen
ainigkeit dieses. mit unsern aigen handen vnderschriben.
Ansbacher Religionsakta Tom. 84, 15 ff., 85, 48 fl.
4. Bedenken der markgräflichen Theologen. März 1571.
Gestreng, Edel, hochgelert, ernvest, hochachtbar, gnedig
und gunstig gepietende Herrn. Was D. Jacobus An-
dreae guter christlicher wolmeinung zu Aufrichtung christ-
licher einigkeit unter den evangelischen lerern sucht, wenn
es allenthalben und bei allen aller evangelischen chur-fursten
stende und Stetten im h. röm. Reich Theologen und kirchen-
dienern zu erheben, weren wir fur unser person ime zu
willfaren ganz unbeschwert, sintemal die bucher, so zur
Norma «loctrinae ernent, gut, rein und bewert sind als wirs
auch fur beßer achten, diese wenige algemeine kurze be-
kenntnißen denn andere viel privatbücher neben der b. schrift
fur die richtschnur christlicher lehr zu setzen und zu halten.
Und were wol zu wunschen, wenn gleich die am Rhein
undin Thuringen.irer zwitracht halben sich widersetzten,
daß dennoch die andern alle gesetzte normam approbierten.
Solt aber solchs nicht geschehen, so konden wir nicht ge-
denken, wie dieses werk zur einigkeit geraichen möchte,
sondern were sich hernach mehr zwitracht, dann vorhin zu
befahren. Darumb achten wir, daß zuvor und ehe die unter-
schreibung von uns geschehe, der sachen bei Sachsen
und Brandenburg sich zu erkundigen und hierinnen
nach derselben exempel zu richten sein sollt. Wir hielten
auch dafur, wenn es zur unterschreibung köme, es sollte
uberig genug sein an den Superintendenten und were gar
nicht von nöten, das andere pfarrherrn auch unterschrieben,
weil doch ja die einhelligkeit durch die furnemsten theologen
und kirchendiener genugsam bezeuget were, durch die große
menge aber der pastorn den widersachern und feinden ur-
sach zur lästerung gegeben und darzu das ubermeßig lang
register verdrißlich zu lesen sein wurde. Dieses unser be-
denken E. G. u. G. anstatt des durchleuchtigen, hochgebornen
fursten und Herrn haben wir aus schuldiger Pflicht aufs
aller kurzesí in untertenigkeit anzeigen sollen und bitten
hieneben den almechtigen, ewigen Gott, er wolle seiner be-
110
trubten kirchen gewunschte einigkeit gnediglich verleihen und
geben.
E. G. n. G. gehorsame willige
verordente examinatores.
Orig. von Karg geschrieben. Ansbacher Religionsakta 35. 42f.;
Copie Tom. 34, 24 u. 26. Vermerk pr. 20./3. 1571.
5. Erklärung Georg Kargs. Januar 1572.
Durchleuchtiger hochgeborner furst. Gnediger herr.
Der Eltern Herrn des Rats zu Nurnberg schreiben an E. F. Gn.
betreffend die uneinigkeit irer theologen und dan auch
beederseits erklerungsschriften von E. F. G. uns um unser be-
denken vertraulichen zu ersehen ubergeben haben wir ge-
horsamlich gelesen und ires gantzen inhalts vernommen.
Wiewol wir uns aber unsers geringen verstands wol bewußt
sind und far diejenigen nicht dargeben, die in dieser und
dergleichen hohen wichtigen Sachen zu gebrauchen seyen,
haben wir doch E. F, G. zu untertenigem gehorsam unser
einfeltig bedenken anzuzeigen uns mit nichten weigern sollen.
Nachdem es sich denn nun im werk gantz eigentlich
befindet, das es in genere um die normam doctrinae et
judieii zu tun ist und ein teil diese, der ander ein andere
furgeschlagen hat, wird es unsers erachtens noch der nehest
und einige weg zur concordia sein, daß sie zu beden teilen
beide furgeschlagene normas zusammenfaßen und fur eine
balten und darf nicht mehr, denn das man die schmal-
kaldischen artikel und Catechismum Lutheri zu dem corpore
doctrinae neme und alles zusammen ein corpus und ein
normam doctrinae sein laße. Und weil der eine teil sich
allbereit dahin ercleret hat, solchs zu willigen und einzugehen,
soll sich billich der ander teil nemlich die beede Kauf-
menner auch weisen laßen und können sich eines solchen
mit gutem gewißen nicht weigern, sie wollten sich denn
aller flaeianischen neuerung und schwiirm verdacht machen
und schuldig geben, welchs inen aber zu tun schwer fallen
und im gewißen zu verantworten unmuglich sein würde.
Sie die beede herrn kaufmenner setzen eiu mis-
trauen in. die andern hern theologen iren gegenteil des
heiligen nachtmals halben. Aber solcher ir argkwon ist inen
genugsam und uberflüßig benomen durch ratification der
Schmalkaldischen artikel, welehen zwar in Philippi schriften
an keinem ort widersprochen wird. Und ist darzu solche
meinang in brandenburgischer und Nurnbergischer kirchen-
ordnung deutlich gesetzt und kann one verkleinerung und
abbruch gedachter kirchenordnung nicht verneint werden.
111
Dergleichen vergebliche ausrede ist es auch, das sie
furwenden, Philippus hab ein bapstische definitionem liberi
arbitrii in locis theologicis gesetzt. denn er sich daselbsten
vor und nach und in andern seinen buchern genugsam
erklert, das ers rede und verstehe von des menschlichen
willen in der bekerung, wenn er vermittels des worts vom
heiligen geist bewegt und angetriben wird, wie er in Re-
petitione Augustanae. ConfeDionis sagt: „Voluntas accepto
spirita sancto iam non est veiosa“. „wenn der mensch den
heiligen Geist empfangen hat, so ist alsdann sein will nicht
müßig“ und in responsionibus ad bavaricos articulos: Voluntas,
quatenus sanari coepit, comes est spiritus sancti „wofern
des menschen will hat angefangen geheilet zu werden, volget
er dem heiligen Geist". ltem fatendum est, multa fieri in
omnibus sanetis, in quibus voluntas habet se tantum ut
subjectum patiens. Soll sie derhalben nicht wunder nehmen
noch unrecht und verwerflich denken, daß Philippus sagt:
„liberam arbitrium est facultas voluntatis ad eligendum ac
expetendum ea, quae monstrata sunt et adrejeiendum eadem".
item „Veteres aliqui sic dixerunt, „liberum arbitrium in
homine facultatem eBe applicandum se ad gratiam"; und
dass er drey wirkliche ursachen setzt der bekerung, das
wort, den heiligen Geist, und des menschen willen, sintemal
er von des menschen willen nicht wie er an ime selbs von
natur ist, sondern wie er vom heiligen Geist durchs wort
beweget und augetriben wird, redet. Wie solchs auch in
definitionibus Appellationum klerlich zusehen, da er also
saget: „Cum voluntas trahitur a spiritu sancto, potest obsequi
et repugnare. Fit igitur major libertas, cum corda renata
reguntur spiritu sancto, sieut Paulus inquit, qui spiritu dei
ducuntur, hi sunt filii dei. Ac tunc libertas est facultas,
qua homo renatus gubernanti spiritui saneto potest obtem-
perare*. Geschicht derhalben Herrn Philippo ungutlich, in
deme ime schuld gegeben wird, dass er dem freyen willen
zu viel zulege, als ob er in geistlichen sachen ohne den
heiligen Geist seine kraft und wirkung zum guten habe,
und bedarf die alte definition sampt den dreien wirklichen
ursachen der bekerung nur eines guten auslegers.
Der neu Wittenbergisch Catechismus gehort hieher gar
nicht, muß sich auch niemand darzu bekennen und sollen
sich die herrn Kauffmenner nicht drumb bekümmern,
als der in corpore doctrinae nicht begriffen ist, sonder sollen
in auf ime selbs beruhen und diejenigen verantworten
lassen, die in gestelt haben, wie treulich sie inc ex corpore
doctrinae ausgezogen haben.
Mögen sich demnach mehrgedachte herrn kaufmenner
112
in das corpus doctrinae zusampt den schmalkaldischen artikeln
und Catechismo Lutheri zu willigen und sich demselben
nach der heiligen schrift zu unterwerfen gar nicht be-
schweren, sonder sollen vielmehr betrachten und sich zu
ermelter formula concordiae bewegen laBen, daß Herr Lutherus
und Philippus seliger und heiliger gedechtnus in zeit ires
lebens einig und fridlich miteinander gewesen und treulich
zusammen gehalten und Philippus die christliche lere in ein
richtige, gute ordnung gefaDet und Lutheri treuer gehilf gewesen
und Lutherus in auch dafur erkant und gehalten hat.
Denn, daß sie furwenden: Philippus habe den mehrern
teil seiner bucher, so in corpore doctrinae begriffen, erst
nach Lutheri Tod geschriben, kan sie ja so wenig furtragen
und schützen als andere ire furgeschutzte ausreden, sintemal
sie in keinem andern buch on allein in den locis tbeologicis
einigen fehl oder mangel anzeigen. Nu hat aber Philippus
loeos theologieos bei Leben D. Lutheri geschrieben und hat
sie Lutherus ime gefallen laßen und darzu, wie menniglich
bewußt, hoch commendirt und gelobt. Und ob sie wolten
furwerfen, die definitio liberi arbitrii were erst hernach dazu
kommen und gleich eingeschleicht worden, so ist doch ein
gleichstimmende definition zuvor auch von ime Herrn Philippo
gesetzt und nachmals fur und fur darinnen blieben neben
christlicher und wie droben angezeigt heiliger schrift ge-
meßer erclerung.
Und weil sie die Kaufmenner sich referirn auf E. F. Gn.
verordnung gegen den kirchendienern in derselben furstentum
und landen, sovil die methodicos libellos betrifft, und aber
neben andern auch die loci theologiei und dergleichen nutz-
liche schriften mit begriffen sind, wolt inen ehren halben
dieselben E. F. G. verordnung ganz und unzerstumpelt anzu-
ziehen und bleiben zu lassen geburen. Und sollen solche
bucher den lerern sonderlich wol bekannt sein und die
nutzliche arbeit keinswegs veracht werden und hindert
nichts daran, das das gemein volk nicht lesen kann, wie
wol dennoch die loci theologiei zu deutsch haubtartikel
christlicher lere genant vielen gutberzigen christen auch wol
bekant sind.
Es kann sie auch nicht furtragen, daß Herr Philippus
seine Schriften der kirchen judieio und urteil unterworfen
hat, dann solchs hat auch her Lutherus getan und nicht
gewollt, daß seine bucher der heiligen schrift gleich sollten
geachtet werden, wie es auch ebenmeßige meinung mit der
norma doctrinae hat, als die der heiligen schrift nachgesetzt
und nur um richtigkeit und befers verstands willen ange-
henkt wird.
113
| Was dann fur nutz und frommen beede der kirchen
Gottes su Nurmberg_und inen den kaufmennern, so diese
norma judicii angenomen, und was hergegen fur schaden
daraus erfolgen wurde, wann sie auf irn gefaßten streit
hartneckig beruheten, des werden sie sich als die versten-
digen leichtlich zu berichten wissen.
Was betrifft die vormals unter und zwischen inen voder-
seits theologen aufgerichte formulam concordiae und ob ein
oder bede teil ausgesprungen 'seyen, laßen wir es billich
auf ime selbs beruhen und halten dafur, damit es nicht das
ansehen gewinne, als werde allzugroße licentia darunter
gesucht, daß dieselbige vorige handlung an diesem nutzlichen
werk unverhinderlich sein soll.
Und unsers bedunkens were zu wunschen, das angeregte
norma judieii mit einhelligem rat, consens und willen aller
evangelischen churfursten, fürste, stende und stete im heiligen
reich deutscher nation und auch in andern konigreichen
und landen angenomen und ratificirt wurde. doch sollten
andere gute bucher dadurch nicht verschlagen, vernichtiget,
verworfen und verdampt sein, sonder müßten alle dieser
normae oder corpori doctrinae und zuforderst heiliger schrift
gemäß verstanden und danach geriehtet werden.
Und were weiter zu wunschen, das alle und jede tractatus
und schriften in. dieses corpori und normam doctrinae ge-
hörig in ein buch ordentlich und vleißig zusammengedruckt
und zu allen kirchen neben der heiligen bibel und jedes
lands kirchenordnung und Agenda erzeuget und erkauft und
allen kirchendienern vleißig zu lesen furgelegt wurden.
Denn also wurde man nicht allein den jetzt schwebenden,
Sondern auch den zukunftigen rotten, secten und kezereyen
desto statlicher begegnen und widerstand tun können.
Wir sind auch der tröstlichen hoffnung und zuversicht
zu Gott dem allmechtigen, er werde seiner diener, der herrn
theologen zu Nurnberg herzen durch seinen heiligen Geist
leiten und füren, das sie zu beeden teilen um der er Gottes,
umb frieden und vieler Menschen seligkeit willen und
zu erpauung der kirchen unsers herrn Jesu Christi in der
löblichen weit berumten stat Nurmberg das furgeschlagene
mittel und wege zur Concordia inen gefallen laßen und
hinfuro in dem heiligen predigampt treulich zusammen setzen
und friedlich und bruderlich miteinander leben und sich
auswendiger streit nicht leichtlich teilhaftig machen noch
dieselben auf die canzel bringen, sondern alles ergerlichen
gezenks, disputirens, als dadurch der gemein mann nicht
gebessert wird, sich willig enthalten, welches wir inen hiemit
von herzen wünschen.
114
Den proceß furstehender handlung wird ein erbar rat
zu Nurnberg anzustellen und erstlich mit den kaufmennern
ad partem, das, wovern der ander teil die schmalkaldischen
artikel und Lutheri Catechismum (unvermeldet ihres getanen
erbietens) [bewilligen und eingeen], sie das corpus doctrinae
bewilligen wollten, zu handlen wol wißen.
Solchs E. F. G. auf derselben gnedigs synn und begeren
gehorsamlich anzuzeigen haben wir aus schuldiger pflicht
nicht unterlassen sollen, denselben uns hiemit zu gnaden
unfertenig bevelend.
E. F. G.
vntertenige gehorsame caplon
Georg Karg
Conrad Limmer
Johann Unfug.
Catalogus der schriften, so in corpore doctrinae und
norma judicii begriffen und darzu vermeint sind:
I. die drei alte symbola,
II. Lutheri kleiner und großer Catechismus,
III. die Augspürgische ConfeBion und sonderlich auch neben
den letzern die erste edition lateinisch und deutsch,
so zu Naumburg anno 61 von churfursten und fursten
ratificirt und unterschriben worden, |
IV. Apologia der Augspurgischen Confeßion, `
V. Schmalkaldischen Artikel,
VL Repetitio der Augspurgischen confefion, so zu Trient
auf dem concilio vom Churfursten zu Sachsen uber-
geben worden,
VII. Loci communes Theologici Phil. Mel.,
VIII. Examen theologicum Phil. Mel.,
IX, Definitiones Appellationum Phil. Mel.,
X. Responsiones Phil. Mel, ad impios bavaricos Articulos,
XL Responsio Phil. Mel. de Controversia Stancari.
Orig. Ansbacher Religionsakta 84, 250ff, Original v. Kargs Hand.
Copie 254.
6. Verhandlung zu Nürnberg am 3. Juli 1572.
Actum 3. Julii 1572.
die herren Prädikannten haben sich ferner uf volgende maß
resolviert: Und hat nemlich Magister Mauritius fur sich
volgende antwort geben, die gleichwol Magister Schel-
hamer und Magister Durnhover, so auch zugegen ge-
wesen, ratificiri und die nit zu verbeßern gewußt. Darauf
erstlich nach kurzer widerholung, was jungst mit inen gehandelt,
angezeigt, daß er erstlich das für sich nemen woll, so sie
115
selbsten belang, und nemlich, das ers dabey beruhen laß, so
jungsten von im und seinen mitcollegis uf das marggrevisch
bedenken und catalogum der schriften furgebracht worden,
in maßen dasselb bona fide aufgeschriben und inen wider
furgelesen worden, one dasselb widerumb weitleuftig zuerholen,
dann sie ihnen nochmaln solche schriften und bücher in an-
gezognem catalogo hegriffen, zum besten gefallen ließen. Was
aber jungsten von andern mitteln und stücken zur concordia
gehörig von inen geredet und jetzt in dem auszug, der inen
gegeben, wer umgangen worden, das were allein in eventum,
da die concordia volgen würde und jetzt zu der haubtsach
nit gehorte, gemaint, doch uf aines erb. rats verbessern.
Das dann damaln der Schmalkaldischen artikel halben
ein merere aufferung geschehen, das dieselben von inen fur
gut gehalten worden ja noch also gehalten werden, allein
das dieselben irrtumb, die Illiricus daraus gespunnen, nit
naéh denselben sollten verstanden werden, sondern wie das
corpus doctrinae ausweise, darinn alles clerer und deutlicher
gesetzt worden, das wußte er nochmaln nit zu verbessern
und dis soviel sie berurte.
Dieweil aber der kaufmenner antwort also gestalt,
sovil er aus der kurzen verzeichnus befinden konnen, das sie
fast kein buch in dem corpore doctrinae begriffen, one cautel
und exception gefallen lassen, weil dann solchs die normam
doctrinae anbelang und die sach nach notturft erwogen werd,
wolt er gebeten haben, nit misfallens zu tragen, da er etwas
lenger davon reden wurde.
Und erstlich der ausgspurgischen confeßion halben,
legten sich die bede kauf menner darauf, das sie damit
spielten, wie Illyricus, als ob zwo confeßiones weren
ein alte und ein neue, damit man die letztere edition in
einem zweivel ziehen mocht, da doch nit mehr als ain con-
feDion vorhanden were. Aber damit geben sie gnugsam zu
verstehen, das sie dieselben nit fur recht erkenneten. Und
mufte volgen, wann solchs ir furgeben grund het, das man
nun 42 ganze jar ber kain rechte confeDionem gehabt het,
und das man die erst von den adversariis begern müßt.
Wann nun solchs gleich bei inen den adversariis solte fur-
gebracht oder das erst exemplar erhalten werden, so konte
er dannoch nit sehen, was fur nutz der kirchen daraus ent-
steen sollt. Dann obwol nit on, daß die confeßion, die zu
Augsburg kaiser Carl ubergeben und von dem herrn Phi-
lippo seligen nach gehabter collation mit den gelerten et-
licher churfürsten und stete geschriben nit also in truck
ausgangen, darzu dann die Sophistien und calumniae adver-
sariorum ursach geben, wie dann dieselben von etlichen in
116
publico consessu aufgezeichnet worden, also das der herr
Philippus die emendirt, damit den adversariis die calumniae
abgeschnitten, darnach aus bevel Lutheri wider unter die
hand genummen auch von Luthero selbst wider wer corri-
girt worden, so wer doch dieselb confessio hernach fur und
fur in allen colloquiis furgelegt worden. und zu deren er
sich bekennete und dabei zu bleiben gedechte, also das er
nicht mehr dann diese confeßion, inmaßen die in corpore
doctrinae begriffen, wüßte.
Daß dann gedachte Herrn Kaufmenner zu den
buecher mit Numeris 6.8. 9. 10. 11 signiert sich auch nit be-
kennen wolten, unter denen auch das erste wer die repe-
titio der confeDion, wie die von dem churfursten zu Sachsen
in dem concilio zu Trient ubergeben, das befremd in nit
wenig, daß diese bucher nit auch ein locum bei inen haben,
sondern gleich gar unter die bank geschoben werden wollen,
welchs er sag, nit als ob er mit adversariis disputirte, sonder
dieweil es dahin gemainet, das frid und einigkeit zwischen
inen möcht angerieht werden. Nun sey es je mit dieser
confeßion also geschaffen, das. sie von vilen gelerten leuten
zusammen gebracht, dámit man nach vilen disputationibus,
die derselben zeit vorgangen, wißen möcht, wie in unsern
kirchen gelehret wurd, zu welchem scripto sich auch fürsten,
Grafen und Stet bekennt als Markgraf Hans hochloblicher
gedechtnus zu Custrin, Marggraf Jorg Friedrich, Hertzog
Philip za Pommern. die Graven Mansfeld und Stolberg und
die Stat Straßburg, die auch bisher bestendig dabei gebliben
und ir subscription gehalten haben. Aber Wigandus unan-
gesehen, daß er dieselb zum andernmal unterschrieben, 80
hab ers doch durchstochen, revocirt und verworfen, wie er
auch fast der erst gewesen, der spotischer weis das corpus
doctrinae das corpus Misnicum (wie auch die Herrn Kauf-
menner) genennt, warumb aber, das sei menniglich bewußt, so
doch dits corpus ein corpus doctrinae und consensus ecelesiarum
Saxonicarum und nit Misnicarum gewesen und viel stend in
Sachsen sich vor und ehe darzu bekennt, dann die in
Meichsen. Es habe aber gleichwol auch Philippus seliger
geclagt, daß solch scriptum ringschätzig gehalten wurde.
Also nem in auch wunder, daß das gestellte examen
Philippi vernicht werden soll, gleich als wer es nit ein solch
scriptum, da sich die kirch und deren ministri daraus beßern
sollten. Nun wer solch examen gestellt uf begeren und vil-
feltig ansuchen hertzog Hans Albrechts zu Mechelburg, es
wer auch von den seinen nit allein approbiert, sondern auch
in sein kirchenordnung gebracht, und solch examen wer
auch von dem Herrn Philippo selbst zu Wittenberg publice
117
gelesen worden und konte je nit wißen, worinnen solch
examen zu sírafen, da jemand sine calumniis judici
wöll. Es weren dann die definitiones de libero arbitrio, de
justificatione, de definitione evangelii und andere mer, die
von Illirico seien angefochten worden, ursach daran. Aber
so wenig man im die aus den handen nemen soll, sovil
weniger werd man im die aus dem herzen reifen. Dann
auch die examina bisher und bei lebzeiten M. Pesoldi
seligen und anderer, die damaln in ministerio hie gewesen,
nach diesem methodo gehalten worden. Und er selbst hab
in disen sibenzehn jaren nit vil unter dreyhundert examinen
gehalten, die aber alle auf diesen methodum gericht gewesen
sonderlieh in der durch meine herrn uf dem land gehabter
visitation. Dann nachdem in der instruktion zubedenken
furgefallen, nach was methodo solche visitation gericht werden
sollt, und aber obgedacht des Herrn Philippi examen fur-
geschlagen worden, habs ein erbar rat im wolgefallen laßen.
Und auch vor 5 jaren, als die schul zu Wittenberg des
sterbens halben dissipir und meine herrn im spital ire
stipendiaten unterhalten und von inen den praedicanten das
erbieten geschehen, damit dieselben nit feyrend umgingen,
inen auch zu lesen, wer ime das examen zu profitirn auf-
erlegt worden, wie ers inen dann gelesen. Darumb sovil
desto beschwerlicher zuvernemen, daß solch examen erst in
dubium soll gebracht werden, als daß man schier nit wißen
sollt, was man gelernt het und wurden darzu vil leut ver-
kurzt werden, die man darauf gewiesen hat.
Belangend die definitiones appellationum Philippi halt
er, daß es so ein gute tröstliche arbeit, dergleichen nit
leichtlich aine zu finden, dann man sunsten wol wiß, was
für ursache auch die geringste definition mach, wie dann
ein gemeine regel: omnem definitionem esse periculosam
und wurde wol vilen gelerten leuten schwer gefallen sein,
wenn sie ererst solche definitiones, die im vermelten buch-
lein definitionum allberait begriffen, hetten verfaßen sollen.
Dann obwol auch Illirteus etliche definitiones gemacht, all-
dieweil nun dieselben des herrn Philippi gemeD, da seyen
sie gut, da er aber wie Heshusius abspring, da seyen sye
nichts wert und werd nur allein veritas dadurch depravirt.
Warumb aber die. bede responsiones ad Bavaricos Arti-
eulos et de controversia Stancari nit wolten fur gut gehalten
werden, da konnt er nit wißen, was fur ein mangel daran
wer, so doch vil gelerter leut ein gut gefallens daran haben,
ja die Kaufmenner selbst etlichs ires intents aus den respon-
sionibus zu den bayrischen articuln in vergangnen dispu-
tationen mit inen probirt und bewiesen, wie solchs im pro-
118
tocoll zu befinden. Derhalben laß er baide buchlein noch
in eorpore doctrinae bleiben bis er ains beßern unterricht
werde.
Nun kome er uf die locos communes des Herrn
Philippi. d& wollen die Herrn Kaufmenner annemen, die
zgr Zeit Lutheri weren ausgangen und publiciert worden,
daraus sei genugsam zu versteen, daß sie das, so von dem
Flacio aus diesen locis communibus gezogen und sie publice
in der kirchen ausgestreut, ratificirten und nemlich suchten
sie herfur das gar alt exemplar (von dem auch Herr Jorg
Pfeifer sagt, daß er dasselb da er noch im closter gewesen
bekomen, welches im ursach geben hab, dasselb zu ver-
laBen) oder aber wollten je die nit haben, die in corpore
doctrinae begriffen, aus welchen locis communibus dann wie
auch aus andern mebr Wigandus und seine mitverwandten
allerlei zusammengeraspelt und per calumniam et sophishcen
in dem aldenburgischen colloquio angezeigt, warumb sie inen
nit gefallen; er achte aber genzlich dafur, das niemand das
umstoßen werd, so bono consilio uber die ersten edition
hinein gebracht worden. Nicolaus Gallus zu Regensburg
und andere mehr Flacianische hetten gern die locos com-
munes gar aus den kirchen und schulen gebracht, da doch
Flacius selbs gesagt und geschrieben: ego tam nollem perire
locos communes quam me ipsum. So sey wißentlich, daß
Heshusius angezogne locos communes Philippi und eben die
posteriorem editionem selbst zu Wittenberg profitiert, die
die dann herr Schelhammer und andere auch vom im gehört
und je die Kaufmenner derwegen nit Ursach haben, das buch
zuverwerfen, wie er dann nit. hoff, daB dits so Flacius darin
gestritten, mit gutem grund von ibm werd erhalten werden
konnen.
Dem allem nach und zu beschluß seyen von den kauf-
mennern nit sblche ursachen angezogen, warumb er von
den buchern, die in corpore doctrinae begriffen weichen
sollte, sondern gedenk, wie auch vor und obengemelt dabei
zuverharren,
Das nun ferner oftgedachte herrn Kaufmenner anzaigten,
warum sie dem corporidoctrinae nit subscribirten, das die ursach
sei: nemlich daß, mein gnediger herr marggraf Jorg Friederich
daBelb seinen theologen noch nicht aufgelegt, achte er genz-
lich dafur, wann es die kaufmenner recht bedenken wolten,
wurden sie je dis nit furwenden, dan eben in dem, das ir
f. gn. die bücher in mehrgedachtem corpore benennt eben
fur die normam und richtschnur der doctrin zur concordien
halten, ercleren sich ir f. g. dardurch, daß sie in irer f. gn.
landen kain andere doctrin laiden, die diesem corpori za-
119
wider wer, noch auch, das sie gedulden wurden, da ein
andere lehr jn derselben kirchen wurd geschoben werden,
sondern allein das affirmirn, so in oft gedachtem corpore
begriffen sey. Nem in derhalben nit wenig wunder, daB die
kaufmenner solches fur sie ziehen, da es doch wider
sie; inmaßen auch mehrgedacht marggravisch bedenken solchs
gnugsam ausweis, dieweil die confutatio irer mhynung eins-
teils aus dem corpore doctrinae refutiert worden. Daß aber
Herr Johann Kaufmann das mittel furschlegt, wann etwan
die protestirende stende sich dieses corporis halben verglichen,
das wer ein sehr schlupferige und unrichtige antwort. Dann
wo solchs geschehen sollt, wurd man hierdurch zuversteen
geben wollen, das man bisher in der lehr zweifenlich ge-
wesen wer und das alsdann erst das corpus die norma sein
mußt. Welches aber keineswegs zu hoffen, daß es dahin
gelangen werd, es wollte dann der allmechtig Gott ains-
mals sein sondere gnad geben, daß ein solche zusammenkunft
mocht gehalten werden, damit so vielen schweren und erger-
lichen disputationen, die sich teglichs erregen, der weg ver-
laufen wurde, welchs aber Flacius und die seinen, die kain
fried leiden mögen nit gern sehen wurden, dann wo man
einmal zu aim solchen fried und ainigkeit, die auch wol zu
wunschen weren, kommen solt, wurd es mit inen aus sein
und wurd erst erscheinen, was bisher von ihnen wer gesucht
vorden. Sein und seiner mitkollegen halber sollt es one
schen sein, dann in dem allen, was sie bisher gelehret und
gehandlet, möchten sie nit allein die judicia verstendiger
gelerter leut, sondern auch virorum politicorum leiden.
Daß dann im end von gedachten beden herrn die marg-
gravische und hieige kirchenordnung auch angezogen werden,
daß sie sich darzu bekenten, sagte er mit austruklichen
worten, daß vermelte kirchenordnung hie nit strittig worden,
balt auch noch nit, daß jemand hie darwider streite. Wann
aber die beede herrn den locum de evangelio in solcher
kirchenordnung recht ansehen wollten, wtirden sie befinden,
daß des Osiandri lehr de justificatione sehr darinn bestetigt
wer und sein anhang, mit denen man vil zu tun gehabt,
iren irrtum aus demselben bewisen, auch er Osiander selbst
das er demselben gemeß in die dreißig jar also hie gelehrt hat,
furgeben, der im aber statlich abgeleint worden. Er Mauritius
nem auch denselben nicht nach des Osiandri misverstand an,
sondern wie derselb artikel bisher in unsern kirchen christ-
lich gelehrt und verstanden sey worden. Vnd da auch sie
die kaufmenner ihre lehr de libero arbitrio vermeinten daraus
zu erweisen und des Flacii lehr zubestetigen, so feleten sie
weit, dann er konnt es dergestalt nit finden, dieweil darin
130
sehr kurz abgebrochen und ob man propositionem Majoris, bona
opera neceBaria esse ad salutem disputirn, da wer nit on, daß
dieselb proposition schier viel sterker in der kirchenordnung be-
griffen wer in dem artikel de calamitatibus et crucé als eben
Major sie selbst gehandelt und getriben, welche propositiones
sie aber keineswegs in der kirchen gebrauchen. Nit melde
er solchs darumb, daB er die kirchenordnung verwerf, dann
er im die zum besten gefallen laB, sondern das die lehr, die
darinn begriffen, commode verstanden werd, wie er sie dann
selbs also verstee. In -irer einfalt wolten sie aber dafür
achten, dem stritt, der zwischen ihnen den bederseits pre-
dicanten wer, wurde leichtlich geholfen sein, da ir gegenteil
sich des Flacii lehr nit teilhaftig machte.
Als nun wie obgemelt Herr Schelhammer und Durnhover
an dieser des herrn Mauritii antwort zufriden und allain
herr Schellhaimer das darzu tete, das er sich ore, corde et
doctrina von den Flacianern sonderte und die antwort an
Herr Christof Kanfmann, predigern im spital, war, meldet
und citirte er anfenglich aus den epistolis Pauli etliche
locos, wie hoch uns der Fried und ainigkeit empfohlen und
wie Gott allein ein Gott des friedens wer. Solchem frid
wer er fur sein gering ainfeltige person nachzukomen ge-
naigt, sovil on verletzung der ehren Gottes, seiner Seel, des
gehorsam gegen der oberkeit und seiner scheflein, die im
zu weiden bevolen, gescheen konte. Weil aber allerley
ergerlicher sachen (scherfer wollt ers nit melden) einfielen,
were dardurch zu spuren und abzunemen, daß aus allerlei
verborgenen ursachen schwerlich ein gerader aufrichtiger
frid zwischen inen kont aufgericht werden. Dann M. Schel-
hamer sein freund und collega hab im montags vergangen
gleich mit eim mitleiden angezeigt, das ime etliche predigten
seyen ubel ausgelegt worden, erstlich von der erbsunde und
furs andere wider den Herrn Fabricium der kindlein halben,
die ohne tauf absterben, die er samstags vor Trinitatis und
er kaufmann sontags Trinitatis darauf getan haben soll.
Nun bezeug er vor Gott und meinen herrn, daD er desselben
ganzen tags nit ain jota oder silben von des Fabricii predigt
gehürt, vil weniger deswegen und darauf gepredigt, sonder
wie es das Sontags evangelium und text selbst an im geben,
darumb auch den diaconis, die es angebracht, nit von stund
an zu glauben, die den nechsten von der gronen es daher
lüffen, on verstand handelten und ains in andere mengeten.
Dieweil dann er und sein bruder zu friden genaigt, so pro-
testirten sie himit stark, das es an inen nit mangel, und bisher
lange geduld gehabt, es seien auch viler leut seufzen, wolten
auch dest lieber sterben, damit fliese sach einsmals zu end kome.
121
Was dann nun den extract irer erclerung anbelang,
las ers im namen des Herrn bei solicher voriger seiner er-
klärung beruhen. Er hab sich wol alzeit zu den locis com-
munibus Philippi bekent, wie auch noch, allain an der de-
finition liberi arbitrii, die ererst nach dem interim zu Leipzig
in dem herrn Philippo hineingebracht worden (was gestalt
wiß er die historien wol) hab er mangel gehabt, doch die
jeder zeit anders nit verstanden, dann wie die im marg-
grevischen bedenken auch verleibt, des bedenkens er sich
auch halten woll Er bitt aber man woll doch nit alle
ding ime zugegen sondern candide versteen, dann die augs-
purgischen confeßion hab er anders gestalt nig angefochten,
dann der Sacramentarier halber, denn er bekenn sich sowol
zu. der letzern als der erstern, das er aber uf die ersten
trung, sey darumben, das darinn de coena domini begriffen:
damnamus autem secus docentes, welchs in der letzern
edition nit stee und derhalben die sacramentarier diese
letztere edition als die inen in diesem artikel nit zuwider
auch wol leiden mogen.
Daß man aber achten wolt, als wollte er sein lehr
regulirn nach den articulis Schmalcardieis (sic) in dem ver-
stand, wie Illiricus, sag er nit, daß der mensch satans bild
sei, item quod peccatum sit substantia, hab auch nit also
gelehret noch es also gebrauchet, es hab ime dergleichen
lehr nie gefallen, wie ers dann in diesem und dergleichen
fur ein irrige dunkle lehr halte.
Die propositionem Majoris brauch er nit; er hab sie
ainsmals zu Wittenberg, da er gepredigt hab, angeregt, aber
Herr Doctor Pomeranus selig hab darnach selbst geredet, es
wer ein Ambiguitas darinn, die wollen wir, sagt er, nit
leiden. Woll derhalben seine collegas freuntlich gebeten
haben, da man an seinen predigten und lehr mangel hat,
das man im dasselb sagen oder schriftlich anzaigen, wollt
er darumb antworten und fuß halten.
Und laß sich diese sach ausehen, als seien sie von-
einander und doch nit von einander. Dann ob er wol diese
numerierte bucher ytzt darumb an ir ort gesetzt, seye es
doch nit darumb, das er die verwerf, sondern allain darumb,
daß die bei neulichen jaren congerirt worden. Warumb aber
die den ministris ytzt alhie sollten aufgelegt werden, kont
er nit sehen, quo modo vel fine. Es seyen doch auch die
kirchenpostill und Postill Lutheri vorhanden, die bede gut,
und wurden doch niemanden aufgelegt. volgte darumb nit,
weren auch kainswegs zuverwerfen, ob sie gleich nit in
diesem catalogo stunden. Man sag auch, daß der Witten-
bergische Catechismus aus diesem corpore doctrinae ge-
Archiv für Reformationsgeschicbte. XX. 3,4. 9
122
nommen sei, das laß er seinen wert haben, wie es auch die
Wittenberger nit verantworten, das er nit sollt aus dem
eorpore genommen sein; aber das wiD er, daß sehr vil
ehristlicher leut darwider sein.
Und wiewol solch corpus doctrinae von inen das corpus
doctrinae Misnicum genennet worden, so wolle er doch ge-
beten haben, das nit in ungutem zuversteen, dann solchs
ad differentiam Corporis doctrinae Thuringici vel Jhenensis
(wie Herr Schelhamer darunter meldet) geschehen wer.
Darumben aber jungst obgedachte numerirte bucher
nit angenomen, were nochmaln deshalben, das ein erbarer
rat je und allwegen mit dem genachbarten fursten dem
marggraven in ainer confeßion blieben. Da man nun nach-
fragen werd, wer sich lauter befinden, daß ir f. g. deren
Ministris das corpus doctrinae bisher nie aufgetrungen, da-
rumb sag er nochmaln gleichwol niemanden zu veracht,
wann bederseits theologi ire sententias decisivas und sub-
scriptiones uber dem corpore doctrinae conferirn und willigen
würden, wie uber der kirehenordnung geschehen, woll ers
im auch wolgefallen lagen; damit er aber nichts neues in
dieser kirchen einfuret, sein seel selbs nit beschweret noch
seine zuhörer ergerte, achte er in seiner ainfalt solches
statliche gute motiven dieser jetzigen weigerung sein.
Die kirchenordnung laß er im nochmaln wolgefallen,
wiß auch, wie statlich der Osiandrismus daraus refutirt worden,
darumb laß ers im lieb sein.
Was maßen aber der Majorismus daraus jetzt angezogen
worden unter dem articl vom Creuz und leiden, das hab
seinen weg, er begere niemand zu geverden, Welchs er
alsc dismal als ein arme schwache und kranke person für
sich wolle vermeldet haben.
So sagte Herr Johann Kaufmann, er hab die
schriften, so im und dem bruder vor zwayen tagen gegeben
verlesen und derselben in aller Gotsforcht nachgedacht.
Was nun den gatalogum der schriften anbelang, bekenn
er sich zu diesen schriften, so im marggraftum von den
ministris ecclesiae angenomen und approbirt seien, dann er
aus nachst furgebrachten ursachen nichts neues in diese
kirchen einzufüren bedacht, mit bitt, in dabei bleiben zu
laBen. Welchs er aber nit der maynung sag, das corpus
doctrinae zu verwerfen, dann er dasselbig fleißig lese sonder-
lich jetzt in seinem exilio und laß ims ein werdes buch sein.
So tue er sich auch weder des Flacii noch des Heshusii
annemen, sonder sehe allein dabin, damit Gottes wort rain
und lauter gepredigt werde, Hab Flacius oder ander vil au-
gefangen, sollen dieselben sehen, wie sies hinausfüren. Mit
123
bitt, seine Herrn Collegae wollten im doch anzeigen, worinn
sy in seiner lehr mangel hetten. Und repetirte darauf locum
de libero arbitrio in maßen er den jungst in seiner antwort
angezogen; aber die andere herrn praedicanten fielen im
in die red und repetirten die marggrevischen erelerung, das
des Herrn Philippi definition vom freien willen zuversteen
sey, von des menschen willen in conversione in der be-
kerung, welchem auch herr Christof Kaufmann beistimte.
Als aber hieraus mehr ain disputatio dann ein erelerung
volgen wollt, haben die herren verordneten begert, sich rund
zu ereleren und die disputation als die dismals zu ler pro-
position und haubtfrag nit dienlieh faren zu laßen.
Hat er hierauf kurz angezeigt, das ers bei yetzigen
seines bruders und nechstgegebener sein selbsten antwort
bleiben laB.
Ausb. Religionsakten Tom. 34, 974ff.
7. Unterschrift der Nürnberger Theologen. März 1573.
In dem namen der heyligen unzertailbaren drifaltigkait
Gottes des Vatters, des Sohns und des hejligen Gaistes.
Amen.
Zu Wissen und kund getan sey aller menniglich, dem-
nach der feind meuschliehs geschlecht allerlay zwitracht in
der lehr teglich erreget und des ergerliehen, schedlichen
gezenks schier weder mass noch ende ist, damit nun die
kirchendiener in aines ernvesten fursichtigen erbarn und
waysen rats der stat Nurnberg unserer gunstigen herrn
obrigkeit und gebiet, sich und die kirchen, so inen zu
weiden bevolen fur denselben bewaren und bey rainem ge-
sunden verstand gotliehs worts, wie das in der kirchen
dieser orf von der zeit erster reformation bishieher geleret
und gefuret worden ainhelliglich und auch in guter be-
stendigen christlichen ainigkeit verharren mögen, so er-
kennen und halten gedachte kirehendierer nach den pro-
phetischen und apostolischen schriften hernach gezaichnete
bucher fur die normam doctrinae et judicii, nach der sie
sich in lebren und predigen richten sollen und wollen nemlieh
1) die drey alten symbola, das apostolisch, Nicenisch
und Athanasii.
2) Herrn D. Martini Lutheri klainen und großen cate-
chismum.
3) Die Augspurgische Confession und sonderlich auch
neben der letzten die erste edition lateinisch und
deutsch, so zur Naumburg ao 1561 von Chur- und
Fursten ratificiert und unterschriben worden.
9%
124
4) Die Apologiam der Augspurgischen Confession.
5) die Schmalkaldischen artikel.
6) die repetition der Augspurgischen Confeßion, so dem
concilio zu Trient vom churfursten zu Sachsen uber-
geben worden.
7) die locos communes theologicos Philippi Melanchthonis.
8) das examen Theologicum Philippi Melanchthonis.
9) die definitiones Appellationum Phil. Melanchthonis.
10) die responsiones Philippi Melanchthonis ad impios
articulos Bavaricos. -
11) die Responsion Philippi Melanchthonis de contro-
versia Stancari.
12) die Nurmbergische kirchenordnung.
Es solle doch durch dits corpus oder normam doctrinae
andere gute nutzliche bucher nicht verschlagen, vernichtiget,
verworfen und verdamt sein, sondern dieser normae oder
corpori doctrinae und zuforderst heyliger schrift gemäß ver-
standen und darnach geurtailt werden. des zu waren urkundt
haben uf ernermelts ains rats gesinnen und begeren alle
irer erberkeiten herrn superintendenten, prediger, pfarrherr
und diaconi in der stat Nurmberg desgleichen irer obrigkeit
und gebiets ain jeder insonderhait sich mit aignenhanden
unterschriben. Actum im Monat Martio Anno 1573,
Ego M. Mauritius Helingus ecclesiae filii dei in templo
Sebaldino minister sic sentio, credo et doceo, sicut in his
Scriptis normae judicii doctrina prophetarum, Apostolorum
et nostrorum praeceptorum fideliter recitatur et explicata
est. et hane meam sententiam propriae manus subscriptione
confirmo. huic doctrinae vero contrarias opiniones improbo
et damno.
Ego Joannes Schelhamer minister verbi Christi in
templo Laurentiano affirmo et sentio me toto pectore am-
plecti normam doctrinae in his libris comprehensam et fateor
haec scripta congruere cum sacris bibliis et damno contraria
sentientes.
Ego M. Laurentius Durnhofer verbi dei in templo Egi-
diano minister hos libros singulos et universos uno volumine
comprehensos et normae doctrinae post scripta Prophetica
et Apostolica, quod cum his congruere judicati sint, in ecclesia
duleissimae patriae meae destinatos pio consensu impro-
batis ac damnatis omnibus contrariis et pugnantibus opinioni-
bus libenter amplector idque propriae manus subscriptione
professus attestor; sic docui, sic nune doceo, sic deinde
docebo.
Ego Christophorus Kaufmann minister evangelii Christi
in republica Nornbergensi subscribo huic normae doctrinae
125
et judicii sacrae scripturae consencienti pura et simplici
mente et secus docentes improbo.
M. Johannes Kaufman ecclesiastes Noribergensis testatur
hoe autographo propositam normam doctrinae et judicii
scriptis prophetarum et Apostolorum esse conformem et con-
- sentaneam et contraria dogmata rejecit. 12. Mar.
Ego M. Nicolaus Herolt verbi dei concionator in ecclesia
Noribergensi huic normae doctrinae congruenti cum scriptis
Cid spl d et Apostolicis ac symbolis ao pie et erudite ea
propria manu subscribo ae simul profiteor me
tolo pectore et anime_abhorrere ab istis, qui ab hac doc-
trinae regula discedunt et aliter docent.
Georgius Sigel oeconomus Sebaldinus manu propria sese
subscripsit
Leonartus Pfaler Sebaldinae ecclesiae diaconus propria
manu subscripsit
Leonardus Krieg ecclesiae, quae est apud D. Sebaldum, manu
propria subseripsid
Sixtus Hammon ecclesiae Sebaldinae minister propria manu
gubsoribo
Henricus Schmidel minister ecolesiae Sebaldinae manu propria
subscripsit
Johannes Ernestus minister ecclesiae Sebaldinae manu pro-
pria subscripsit
Eucharius Buel Winshemius manu propria subscripsit
Simon Spatz ecclesiae Laurentianae oeconomus propria manu
subscripsit
Georgius Lerchenfelder subscripsit
Joannes Coriarius Laurentianae ecclesiae minister manu
propria subscripsit
Adam Sengeisen ecclesiae Laurentianae minister subscripsit
propria manu
Ego Nicolaus Silberhorn hae mea manu testor me amplecti
doctrinam in his libris comprehensam
Johannes Holfelder minister ecclesiae Laurentianae manu
propria subscripsit
M. Johannes Molitor ecclesiae Laurentianae minister manu
propria subscripsit
Sebaldus Parreuter minister ecclesiae Laurentianae se
subscribebat
Guolfgangus Stainberger manu propria subscripsit
Gregorius Forwerk senior Aegidianus sanis christi verbis acce-
dens Vitebergae anno 42 semel pro semper ut tuno
subscripsi, ita nunc eaudem repeto manu propria
huncce orthodoxum consensum approbans
Joannes Bey diaconus Egidianas manu propria subscribo
126
Ego Christophorus Coepel diaconus Aegidianus et concio-
nator apud D. Petrum manu propria subscribo
Michael Rauenpusch minister ecclesiae Egidianae propria
manu subscripsit
Paulus Pfister m. p. subscripsit
Georgius Demminger m. p. subscripsit
Et ego Petrus Faber D. Mariae diaconus hoe proprio meo
ehyrographo obtestor, hanc normam judicii esse
consentaneam saerae scripturae
Johannes Bach m. p. subscripsit
Ego Georgius Seharrerus hoc tempore pastor apud v. Jo-
hannem hae mea propriae manus subscriptione ob-
testor me amplecti amare ef docere eam doctrinam,
quae in his libris Lutheri et Philippi est comprehensa
Georgius Pfeiffer mand propria et corde subscripsi. `
Marcus Eller verbi Jesu Christi minister manu propria
subscripsit
Michael Schmidt subscripsit propria sua manu diaconus im
neuen spital
Johannes Bernhart manu propria subscripsit
Bartholomaeus Agricola eclesiae Xenodochianae minister
propria subscripsit manu
M. Joannes Schnerrerus manu propria subscripsit
M. Caspar Cólerus Meiningensis manu propria subsoripsit
M. Johannes Probst Noribergensis manu propria subscripsit
Ego Christophorus Zecher pastor ecclesiae Christi in Wenr
manu propria subscripsi i:
Ego Joachimus Windhesel Diaconus in suburbio Wehr manu
propria subscripsi
Georgius Rupertus minister verbi dei apud divum Leonhardum
manu propria subscripsit `
Diaconi apud divam Jacobum: Dominicus Episcopus Norieus
manu propria subscripsi
Casparus Renner propria manu subscripsit
Johannes Scheurmann propria manu yubeeripat
A. R. A. 84, 844 fl.
Der Bekenntnisstand
der Reichsstadt Frankfurt a. M. im
Zeitalter der Reformation. II.
Von K. Bauer.
2. Der Anteil Frankfurts
an der Wittenberger Konkordie und den
Schmalkaldischen Artikeln.
Das Verbot der Messe im Dom war eine Ungesetzlich-
keit gewesen, da der Rat über die Hauptkirche der Stadt
kein Partronatsrecht hatte!) und wesentliche Bestimmungen
der Goldenen Bulle dadurch verletzt wurden. Um daher
einer schweren Geldbuße und der Reichsacht zu entgehen,
nahm der Rat einen Vermittelungsvorschlag des Kurfürsten
Ludwig V. von der Pfalz?) an und ließ neben dem evan-
gelischen Dienste auch die Messe wieder im Dome zu, wie
auch im Liebfrauen- und Leonhardsstift und einigen Klöstern.
Er fand es aber geraten, nunmehr Anschluß bei dem Schmal-
kaldischen Bunde zu suchen, der seit dem Nürnberger Reli-
gionsfrieden einen steten Aufschwung nahm und sich eben
damals am Weihnachtsabend 1535 um zehn Jahre ver-
längerte®). Die Aufnahme in die „Christliche Einigung“
wurde der Stadt auch in Aussicht gestellt, falls sie sich auf-
richtig auf die Augustana verpflichte. Auf einem Fürstentag
in Frankfurt am 24. April 1536 *) wurde dann die Aufnahme
auch Öffentlich bekanntgegeben, gleichzeitig mit derjenigen
einiger anderen Stände, darunter Augsburg und Kempten.
Sie schloß die Hinneigung zum oberdeutschen Typus keines-
1) Vgl. den Brief Melanchthons an den Rat vom 5. November
1585. Vgl. Enders X, 259.
1) Kirchner, Geschichte der Stadt Frankfort a. M. II, 585—537.
5) Sleidan, Ed. Le Courrayer I, 409,
1) Ebenda S. 486. Lersner, 1. Bd. II, 4 Spalte 2 schreibt Sleidan
aus, hat aber infolge eines Lese- oder Druckfehlers den 29. April.
In Spalte 1 derselben Seite, wo er einen anderen Autor ausschreibt,
list er Frankfurt bereits 1588 in den Bund aufgenommen sein.
128
wegs aus, da auch die Städte, welche die Tetrapolitana
übergeben hatten, seit einigen Jahren bereits dem Bunde
angehörten. Weil aber die Spannung zwischen Frankfurt
und Wittenberg allbekannt war, gebot die Klugheit, sich an
dem Einigungswerke zu beteiligen, welches gerade in jenen
Tagen zwischen den oberdeutschen Städten und Kursachsen
ins Werk gesetzt wurde. Am 2. April 1536 hatte Capito
an Algesheimer geschrieben: Hactenus autem inter Vos ef
Wittenbergenses species dissidii alitur | icoirco velim, mi
Joannes, fuo nomine, sed publico pariter sumptu adesses 9.
Diesem Rate gemäß ließ sich Algesheimer zu Luther ab-
fertigen, da die Stadtväter, auch wenn sie nicht in dem-
selben Maße wie die Oberländer dem Verdachte der Irrlehre
im Abendmahle ausgesetzt waren, es doch nützlich fanden,
sich ihre Rechtglüubigkeit ausdrücklich bestätigen zu lassen ).
Um sich aber in keiner Weise zu binden, wurde dem Ver-
treter der Stadt eingeschärft, daß er nicht als ein Actor
dieser Handlung abgeordnet sei, sondern als ein Hörer und
Spectator “).
Die Wittenberger Konkordie, an deren Zustandekommen
sich Frankfurt so. beteiligte, ist das Ergebnis der Bemthun-
gen, die dahin zielten, die Möglichkeit einer Einigung
zwischen Schweizern und Wittenbergern zu verwirklichen,
die der Schluß der Marburger Artikel offen gelassen hatte *).
Zwischen Luther und Zwingli war eine Verständigung in der
Abendmahlslehre daran gescheitert, daß dieser mit aller Ein-
seitigkeit den symbolischen Charakter der Feier betont,
jener aber mit derselben Einseitigkeit das Interesse an der
Realpräsenz Christi beim Abendmahl in den Vordergrund ge-
stellt hatte. Die Grundlage zu einer Einigung gab dann
1531 Luther in Verbindung mit Jonas und Melanchthon
durch die Formel, „daß Christus wahrlich nicht allein bei
der Seele sei, sondern auch bei dem Zeichen Brotes und
Weines“, wobei die Frage, was die Gottlosen empfingen, aus-
gesetzt blieb 5. Wenn dieser Formel auch Zwingli nicht bei-
trat, so éigneten sie sich doch eine Reihe oberdeutscher Städte
an, unter ihnen namentlich Straßburg, und seitdem ) waren
) Ritter, S. 846, *) Ritter, S. 847.
*) So die ausdrückliche Erklärung Algesheimers in Wines
Bei Ritter S. 356,
) Es hieß nur, daß man sich „dieser Zeit" über die Frage, ob der
wahre Leib und Blut Christi leiblich im Brot und Wein sei, nicht
habe vergleichen können.
5 Köstlin-Kawerau, Martin Luther II, 258.
*) Vgl. Köstlin-Kawerau II, 827 ft.
129
Butzer und Capito unermüdlich tätig, das Einigungswerk zu
Ende zu führen. In der Tat kam man sich auch von beiden
Seiten näher. Bereits Zwingli hatte in seinem Glaubens-
. bekenntnis für Karl V. ein Jahr vor seinem Tode der my-
stischen Betrachtung Einfluß‘ auf seine Abendmahlslehre ein-
geräumt, indem er zwar die Meinung, quod Christi corpus
per essentiam ef realiter, hoc est corpus ipsum naturale, in
coena auf adsit aut ore dentibusque nostris mandetur, als
Irrlehre und schriftwidrig ablehnte, aber doch eine durch
den Glauben vermittelte Gegenwart des wahren Leibes
Christi im Abendmahl bekannte: Credo in sacra eucharistiae,
hoc est gratiarum actionis, coena verum Christi corpus adesse
fidei contemplatione; hec est: eos, qui gratias agunt domino
pro beneficio nobis in filio suo collato, agnoscere, illum in filio
veram carnem adsumsisse, verum in illa passum esse, vere nostra
peccata sanguine suo abluisse, et sic omnem rem per Christum
gestam illis fidei contemplatione velut praesentem fieri!)
Zwinglis Nachfolger Bullinger schrieb dann in einem Bekennt-
nis Ende 1534 ganz im Sinne der Tetrapolitana: Christi
Leib sei im Abendmahl wahrhaft gegenwürtig zur Speise
für die gläubigen Seelen. Und die confessio Helvetica I.
. stellte Anfang 1536 in ihrem 22. Artikel folgenden Satz?)
auf: „Vom heylgen Nachtmal hallten wir also, das der Her
jm helgen abendmal sin Lyb und Blut, das jst sich selbs,
den sinen warlich anbütet und zu solcher frucht zu nießen
gip& das er je mer und mer jn jnen, und sy jn jm lebennd,
nit das der lyb und das Blut des heren mit brot und wyn
natürlich vereinbaret oder rumlich darjn verschlossen
werdend, oder das ein lipliche fleyschliche gegenwürtigkeit
hie gesetzt werde, Sonnder das brot und wyn us der jnsatzung
des Herren hoch bedtitende, heilige waarzeychenn syind, durch
die von dem Herren selbs, durch den dienst der kilchen,
die ware gemeinschafft des lyps unnd Bluts Christi den
glöubigen fürgetragen und dargebotten werde, nit zu einer
hynfelligen spys des buchs, Sonder zu einer spis und
narung geystlichen und Ewigen lebens. Luther freilich, der
von einer Kompromißformel ohne innere Einheit und Wahr-
heit nichts hielt, stellte als Probe, ob man sich innerlich
näher gekommen sei, ohne Erläuterung und Einschränkung
den Satz auf, zu dem er Zustimmung verlangte: „daß wahr-
haftig in und mit dem Brot der Leib Christi gegessen wird,
1) Huldrici Zwinglii opera. Ed. Schuler-Schulthess, IV, 11.
) E. F. Karl Müller, Die Bekenntnisschriften der ref? Kirche,
8. 107. Der lateinische Text bei Niemeyer, Collectio confessionum in
ecclesiis reformatis publicatarum I, 115, sqq.
130
also daß alles, was das Brot wirket und leidet, der Leib
Christi wirke und leide, daß er ausgeteilt, gegessen und
mit den Zähnen zerbissen werde.“ Aber Melanchthon
näherte sich mehr und mehr den Butzerschen Anschauungen,
seitdem er aus Oekolampads Dialogus gelernt hatte, daB die
alte Kirche die Einsetzungsworte in geistigem Sinne ge-
nommen habe. Als er von einer Besprechung mit Butzer
aus Kassel Anfang 1535 nach Wittenberg zurückkehrte, ent-
nahm Luther seinen Argumenten, daß er fast Zwinglischer
Meinung sei, und die neue Ausgabe seiner Loci, die er
eben damals veranstaltete, konnte ihn in dieser Auffassung
nur bestärken. Schließlich kam alles darauf an, ob Luther
von seinem Mißtrauen gegen die Sakramentierer abkam und
auf den Gedanken eiuer Einigung einging.
Die Verhandlungen sollten ursprünglich am Sonntag
Kantate 1536 in Eisenach beginnen. Doch wurde Luther
noch zuletzt durch Krankheit verhindert, dahin zu reisen.
Selbst die Fahrt nach Grimma, wohin er die Abgeordneten
dann bestellte, durfte er sich nicht zumuten, so daß die
Zusammenkunft schließlich in Wittenberg stattfand, wo die
Süddeutschen am 21. Mai eintrafen. Luther hatte bereite
stark bezweifelt, ob die Beratungen tiberhaupt noch statt-
finden würden. Aber die Straßburger waren entschlossen,
der Einladung nötigenfalls ad extremum Saxoniae augulum zu
folgen, und sie bedauerten, daß bei der kurzen Frist die
Schweizer sich nur in ganz kleiner Zahl oder tiberhaupt
nicht einfinden könnten!). Tatsächlich lehnten die Eid-
genossen auf einem Konvent zu Aarau am 1. Mai die Teil-
nahme ab und schickten statt dessen die Confessio Helvetica 1.
ein in der „guten Hoffnung“, die Wittenberger würden sich
mit ihr zufrieden geben.
Am 10. Mai verließ Algesheimer Frankfurt. Mit ihm
reisten Butzer und Capito aus Straßburg, Musculus und
Lykosthenes aus Augsburg, Schuler aus Memmingen, Frecht
aus Ulm, Otther aus Eßlingen, M. Alber und Schradin aus
Reutlingen und Germann aus Fürfeld. In Eisenach und
Gotha schlossen sich noch Menius und Myconius an, mit
denen nun schon unterwegs die obschwebenden Fragen be-
sprochen wurden.
Luthers Mißtrauen hatte inzwischen neue Nahrung ge-
zogen aus Zwinglis nachgelassener Expositio Fidei, die eben
damals mit einem Vorwort von Bullinger erschienen war
und neben dem Glauben an die Seligkeit frommer Heiden
1) So Capito in seinem Briefe an Algesheimer vom 2. April 1556.
Bei Ritter S. 846,
131
wie Herkules, Theseus, Sokrates, Aristides, Numa, Ca-
millus u. a. auch die symbolische Abendmahlslehre vortrug.
Auch ein Briefwechsel Zwinglis mit Oekolampad, den ein
Basler Buchdrucker jetzt sehr zur Unzeit mit einem Briefe
Butzers öhne dessen Vorwissen veranstaltete, verstimmte ihn
sehr. Zudem schenkte er den Nachrichten Glauben, im
Suden lasse man das Volk bei der Meinung, im Abendmahl
sei nur Brot und Wein, oder rede doch nur von einer geist-
lichen NieBung. Ueberdies hatte ihn sein Kurfürst noch
besonders angewiesen, fest bei der Augustana und der
Apologie zu bleiben!). Es bedurfte unter diesen Umständen
des ganzen Geschickes Butzers, wenn die Einigung nicht
noch in letzter Stunde scheitern sollte.
Im Vordergrunde stand, wie nicht anders zu erwarten
war, die Abendmahlslehre. Ueber sie gab Butzer folgende
Erklärung ab: Sie hätten die wahre Gegenwart Christi im
Abendmahl nie verneint, und wenn sie davon redeten, dab
der Leib Christi dem Munde des Glaubens dargereicht und
geistlich gegessen werde, so wollten sie damit nicht eine
bloß erdichtete Gegenwart und Nießung setzen, sondern nur
die Transsubstantiation ausschließen. Bei der Frage, ob auch
die Gottlosen den Leib Christi empfingen, unterschied er
zwei Arten von Gottlosen. Die einen halten des Herrn
Wort und Einsetzung und glauben dem Sakrament, aber sie
üben nicht?) den wahren, lebendigen Glauben, sie empfangen
also das Sakrament unwtirdig und werden derhalben schuldig
am Leib des Herrn; sie empfangen nicht allein Brot und
Wein, sondern auch den wahren Leib und Blut des Herrn,
wie sie denn auch glauben, daß ihnen derselbe mit dem
Brot übergeben werde laut den Einsetzungsworten. Die
anderen haben gar keinen Glauben; ihnen wird zwar nach
der Einsetzung des Herrn, die ja an keines Menschen
Glauben oder Unglauben steht, und nach dem Dienst der
Kirche, der wahre Leib und das wahre Blut vorgetragen,
aber sie empfangen nur Brot und Wein.
Nach diesen Darlegungen fragte Luther jeden einzelnen
noch, wie er zu der Abendmahlslehre und den Ausführungen
Butzers stehe. Ehe die Reihe an Algesheimer kam, ließ
sich dieser von Melanchthon bestätigen: „Wir wissen wol
das yr zu Franckfort in der Handlung das Nachtmal be-
1) Brief des Kurfürsten vom 14. Mai 1586. Bei Enders X, 333.
*) Dieses „nicht“ fehlt in der Relation Algesheimers bei Ritter
8.855. In den anderen Relationen ist es enthalten, wie es auch durch
den Zusammenhang erfordert wird. Vgl. auch die Darstellung bei
Köstlin-Kawerau II, 340.
132
treffend ohnschuldig seyd.“ Dann erklärte er: „Lieben Herrn
und Vetter, wir Diener am Evangelio zu Franckfort glauben
gentzlich, yr habt keinen Zweiffel an unserer Leer, den wir
nie anders geleret, den das der ware Leib und das ware
Blut Christi im Nachtmal sey.“ Im übrigen zog er sich
darauf zurück, daß er gekommen sei nicht als ein Actor,
sondern als Hörer und Spectator, wie sie sich allesamt mit
einander verglichen, und berief sich auf das Zeugnis, welches
ihm Melanchthon soeben über die Frankfurter Recht-
gläubigkeit ausgestellt hatte.
Luther und die Seinen waren mit den abgegebenen
Erklärungen zufrieden, und Melanchthon erhielt den Auftrag,
das Ergebnis zu formulieren. Er faßte es in drei Para-
graphen!) zusammen, deren erster die Realpräsenz des Leibes
und Blutes Christi im hl. Abendmahle feststellte, während
der zweite unter Ablehnung der Transsubstantiation und der
Ubiquitát?) eine sakramentale Vereinigung des Brotes mit
dem Leibe Christi lehrte. Der dritte zog sich bei der Frage
nach der Nießung der Gottlosen auf die paulinische Fassung
zurück, daß auch die Unwtirdigen Leib und Blut Christi
empfingen, aber zum Gericht.
Was man mit diesen Festsetzungen erreicht hatte, war
freilich trotz aller Bemühungen um eine innere Verständigung,
im Grunde doch nur eine concordia discors. Der Gegensatz,
der zwischen Butzer und Luther in der Frage nach dem
Genusse der Gottlosen zutage getreten, aber als unerheblich
zurückgestellt worden war, hatte seine tieferen Wurzeln in
ganz verschiedenen Grundanschauungen. Für Butzer gab
es eine Realpräsenz von Leib und Blut Christi nur in einem
geistigen Sinne. Nach Luther dagegen sollte der „wahre“
Leib Christi „mit den Zähnen zerbissen" werden. „Wie das
Wesen des Leibes Christi geistartig ist, so gibt es für Butzer
kein anderes Aufnehmen desselben als mit dem Geiste, dem
jener im Sakrament nahe gebracht wird; hierbei blieb er
ja gerade auch dann, als er erklärte, in welchem Sinne
man doch von einem Essen mit dem Mund reden könnte,
und hierfür auf jenes Sehen des heiligen Geistes in der
Taube sich berief. Damit ergab sich für ihn auch sein
Zugeständnis, daß unwürdige Empfänger dennoch vermüge
ihres Glaubens an die Einsetzung den Leib empfangen: sie
setzen sich ja zu diesem doch noch in eine gewisse geistige_
1) Bei Ritter S. 286f.
N... „auch nicht halten, daß der Leib und Blut Christi räumlich
ins Brot eingeschlossen, oder sonst beharrlich damit vereiniget werde
ausser der Niessung des Sacramenta",
133
Beziehung. Dem gegenüber bestand Luther zwar auf seiner
eigenen Auffassung, wonach bei einer den Einsetzungsworten
entsprechenden Kommunion auch ganz ungläubige Gäste —
und zwar sie nur mit dem Munde — den wirklichen Leib
des Herrn empfingen; er wünschte ohne Zweifel auch fort
und fort dieselbe zum Gegenstand allgemeiner Ueberzeugung
zu machen. Allein nicht minder bleibt für uns die Tat-
sache bestehen, daB er den Anhängern jener Auffassung
und Deutung, die ihm im Wittenberger Konvent klar genug
vorlag und in der er nicht die volle Wahrheit sehen konnte,
doch die brüderliche Gemeinschaft nicht versagt hat“ !). Das
Entgegenkommen war also mehr bei ihm als bei Butzer,
dem durch den Wunsch, auch die Schweizer zu gewinnen,
zum voraus eine sehr bestimmte Grenze gezogen war. Es
fragt sich, was Luther bestimmt hat, seine Bedenken zurtiok-
zustellen. Auf dem Boden der Vermittelungstheologie des
letzten Jahrhunderts?) wollte man den Grund darin finden,
daß Luther unterschieden habe „zwischen Grundwahrheiten,
zu denen eine echt christliche Kirche sich bekennen müsse,
und zwischen solchen Momenten und Auffassungen der
Wabrheit, mit Bezug auf welche ein abweichendes, nach
seiner Ueberzeugung noch irrendes Verständnis zu dulden,
eine Differenz innerhalb der einen evangelischen Kirche
zuzulassen, ein durchweg scharfes Bekenntnis nicht aufzu-
stellen sei“. Ein anderer Grund scheint doch näher zu
liegen. Aus der Behauptung Luthers, daß der Leib Christi
„gegessen und mit den Zähnen zerbissen werde“, hatten
die nüchternen Eidgenossen die naheliegende Folgerung ge-
zogen, daß er dann natürlich auch in den Magen gelange
und „zu einer hynfelligen Spys des Buchs“ werde, und
indem sie sich dagegen sträubten, war ihnen auch die Prä-
misse Luthers unannehmbar. Butzer teilte das Bedenken
der Schweizer, ihr Argument von der „Bauchspeis“ kehrt
bei seinen späteren Verhandlungen über das Abendmahl
wieder. Luther fühlte sich für seine Person durch diese
Konsequenz seiner Lehre nicht gestört, er reflektierte nicht
weiter über sie. Aber es konnte ihm nicht erwünscht sein,
wenn um ihretwillen das Einigungswerk scheiterte. So war
er es zufrieden, wenn auch die Oberdeutschen, obschon in
einem anderen Sinne als er und ohne jene Folgerung, eine
wirkliche Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abend-
mahl lehrten“). Doch sind die Gegensätze, wie sie an dieser
1) Köstlin-Kawerau II, 348. ) Köstlin-Kawerau a. a. O.
N 9) Vgl. Hausrath, Luthers Leben II, 856: „Die Frage, was Zähne,
Mund und Magen erhalten, mochte doch Luther selbst nicht zum
134
Stelle nur verhüllt, nicht wirklich überwunden waren, gerade
an ihr später wieder aufgebrochen.
Immerhin war damals in Wittenberg mit der Ver-
ständigung, welche man so erreicht hatte, das schwerste
Sttick der Arbeit getan. Doch fand es Luther noch ange-
zeigt, sich weiter auch darüber zu vergewissern, ob die Std-
deutschen nicht etwa anabaptistischen Anschauungen hul-
digten. So fand jetzt zunächst eine Aussprache über die
Taufe statt, bei der man festsetzte, die Kindertaufe sei not-
wendig, in den Kindern müsse aber eine Wirkung Gottes
erfolgen; verstehe man diese dem Glauben und der Liebe
ähnlichen Bewegungen auch nicht, so sei doch durch die
Schrift bezeugt, daB sie bei Johannes schon im Mutterleibe
vorgekommen sei Auch die Notwendigkeit der Nottaufe
wurde anerkannt.
Ueber die Beichte wurde gleichfalls eine gemeinsame
Erklärung vereinbart. Allerseits wünschte man die Abso-
lution beizubehalten, einmal um des gewissen Trostes willen,
den sie dem einzelnen spende, dann aber auch im Interesse
der Kirche, da bei solcher Disziplin und Zucht ein jeder
sonderlich gehöret und die Unerfahrenen unterrichtet werden
könnten. Nur von der Wiedereinführung der päpstlichen
Ohrenbeichte mit Aufzählung der einzelnen Sünden wollte
man nichts wissen.
Peinlich wurden die Verhandlungen für den Frankfurter
Abgeordneten nur, als die Rede auf die Schulen kam!).
Aus allen übrigen Städten konnte berichtet werden, daß
Sehulen bestünden, sonderlich zum Gebrauch des Evangelii
und der Kirchenübungen. Nur Frankfurt machte seit dem
Abgang seines Rektors Micylius (1533) eine traurige Aus-
nahme, und Algesheimer mußte mitteilen: „Ob wir schon
die Jugent in Kirchen Ubungen brauchen wolten, so hetten
wir kein Schul darzu, den allein zwo Pfaffen Schulen, die
dienten uns mit beim Lvangelio.^ Melanchthon, der sich.
erinnerte, daB doch ein Schulmeister dort sei, meinte dazu
mißbilligend: „Das ist nit fein, was thut den Moser? Ist
er nit von einem Ersamen Rat darzu bestalt?* Und als er
hörte, der Mann sei gar nicht öffentlich besoldet und werde
bald naeh Wittenberg zurückkehren, fuhr er fort: ,Das sol
er nit thun, man sol im eynen oder etliche zugeben, wie
kompt es, daß yr von Franckfort der Leut so bald mude
werdet?" Algesheimer bat dann Melanchthon, an den Rat
Gegenstand einer Kirchentrennung machen, auf sie aber reduzierte
Butser den ganzen Dissensus.“
1) Ritter S. 361.
135
zu schreiben und nach gelehrten Leuten zu trachten. In
Aussicht genommen wurde zunächst Carolus Figulus, nach
dem Urteil des Frankfurter Pfarrers ein feiner, frommer, ge-
Jehrter Mann, bei dem die Frankfurter Patriziersöhne in
Wittenberg gerne studierten ). |
Auf der Heimreise, die sie am 29. Mai antraten, nahmen
die Oberländer vom 9. bis zum 12. Juni Aufenthalt in Frank-
furt. Bei dem kirchlichen Standpunkte der Stadt war es
nur natürlich, daß Butzer am Trinitatisfeste (11. Jani) im
Dome predigte, wobei er auch der Konkordie öffentlich ge-
dachte?) Am gleichen Tage nachmittags um 3 Uhr predigte
auch Musculus in der alten Lutherherberge zum Straußen 3),
Ehe man sich trennte, benutzte man noch die Zeit, um einen
gemeinsamen Bericht über den Verlauf der Verhandlungen
aufzusetzen. Dabei kam man zu folgendem Schlusse: Die
Konkordie sollte zunächst nicht veröffentlicht, sondern vor-
lüufig nur gesagt werden, es sei eine Verständigung mit
Luther und den Seinen erzielt worden, im Übrigen warte
man, bis alle Gemeinden sich anschlössen. Inzwischen wollten
die Unterzeichner nach der Konkordie tiber das Abendmahl
lehren und dahin wirken, daß auch ihre Oberen und Prediger
die vereinbarten Artikel als schriftgemäß anerkennten und
bewilligten. Auch die Zustimmung der Eidgenossen zu den
Artikeln hoffte man zu erlangen. Die endgültige Einigung
sollte nur auf die Augustana und deren Apologie gestellt
werden, nicht auf besondere Artikel, doch mit ausdrücklicher
Ablehnung des Irrtums, daß im hl. Nachtmahl nichts denn
Brot und Wein, also nicht auch der wahre Leib und das
wahre Blut des Herrn dargereicht und empfangen werde.
Gemäß der getroffenen Abrede berichtete Algesheimer
dem Frankfurter Rate von der erfolgten Verständigung in
den Fragen des Abendmahls, der Taufe, der Schlüssel, der
Beichte, der Schulen und beantragte, Luther mitzuteilen, daß
Frankfurt der Konkordie beitrete. Daraufhin erklärte der
Rat am 26. Juli seine Zustimmung und schrieb darüber an
Luther: „Dieweil sich dann dieselb eur gehabte Handlung
allenthalben anf die Confession und Apologia, durch die
protestierenden Ständ jungst zu Augspurg ubergeben, zeucht,
und wir uns hiervor, als wir in die christlich Einigung an-
genommen worden, bewilliget und erboten, derselben ge-
1) Melanchthon hat dann noch im gleichen Jahre bei einem Auf-
enthalte in Frankfurt die Angelegenheit gefördert. Doch wurde
nicht Figulus angestellt, sondern Micyllus kehrte zurück.
5) Ritter S. 242.
) Vgl. seinen Reisebericht bei Kolde, Analecta Lutherana S. 230,
136
mäß bei uns predigen und handeln zu lassen, so lassen wir
uns diese jungst zu Wittenberg gehabte Unterred und was
daselbst beschlossen ist, demnach auch gefallen, und wöllen
bestellen und darob sein, daß die Ding mit Predigern, Gottes-
dienst, Schulen und anderm, derselben Confession und Apo-
logie, auch diesem Beschluß und VerzeichnuB, so viel an
uns und nach Gelegenheit unserer Kirchen moglich, gemäß
und gleichformig bei uns angericht werden sollen“ ). Diese
Antwort entsprach vollkommen der uns bekannten Rats-
politik Man hielt sich nach jeder Richtung die Hände frei.
Da die Konkordie kein Werk des deutschen Gesamtprote-
stantismus war, so ließ man sie sich nur gefallen, berief
sich aber für alle Fälle auf die Augustana ‘und die Apologie.
Luther gegentiber band man sich nicht, wenn man sich auf
die Konkordie nur verpflichtete, soweit es „nach Gelegenheit
unsrer Kirchen moglich“ schien. Aber auf der andern Seite
war man auch keineswegs gesonnen, sich vorbehaltlos auf
die Seite der oberdeutschen Städte zu schlagen, an denen
man im Ernstfalle ja längst nicht den gleichen Rückhalt
fand, wie an den lutherischen Ständen im nördlichen
Deutschland.
Vom dogmengeschichtlichen Standpunkte aus wird
freilich, wie von reformierter Seite auch geschehen ist?),
daran zu erinnern: sein, daß bei den Verhandlungen Alges-
heimer die Konkordie nicht auf der Seite der „Uusern“,
sondern auf der Seite Butzers unterschrieben hat und sich
ebenso wie die übrigen Süddeutschen vor Luther über seine
Abendmahlslehre verantworten mußte. -
An dieser Tatsache änderte auch die Stellung nichts,
die Frankfurt ein Jahr später auf dem Schmalkalder Konvent“)
einnahm, wo die Stadt durch Georg Weiß von Lympurg und
Justinian von Holzhausen‘), das Predigerministerium durch
den erst jüngst von Erfurt eingetroffenen Peter Geltner ver-
treten war. Für diesen Konvent, der über die Beschickung
des nach Mantua ausgeschriebenen Konzils durch die Pro-
testanten zu beschließen hatte, lagen Artikel Luthers vor,
die die Stände unterschreiben sollten. Ueber das Abend-
mahl hatte Luther hier zuerst geschrieben, „daß unter Brot
und Wein sei der wahrhaftige Leib nnd Blut Christi im
Abendmahl“. Dann aber hatte Bugenhagen, nach Melanchthons
1) Enders XI, 14f. Ritter S. 248 f. K. Gesch. S. 16—18, (Der
letztere Abdruck ist Enders entgangen.)
9) F. R. IL. Kap. IV 87.
*) Köstlin-Kawerau II, 376 fl.
) Lersner 1. Bd, II, 4 8. 14.
137
Urteil „ein heftiger Mann und grober Pommer“, ihn be-
stimmt, dafür zu setzen, „daß Brot und Wein im Abendmahl
sei der wahrhaftige Leib und Blut Christi‘, Außerdem stand
neben der Ablehnung der Transsubstantiation als einer spitzen
Sophisterei die Behauptung, daß Leib und Blut auch von
bösen Christen empfangen werden. An der schroffen Fassung
der lutherischen Abendmahlslehre scheiterte die Absicht des
Kurfürsten, die Artikel „allen Religionsverwandten vorzu-
tragen und vorzuhalten, damit eine einhellige Vergleichung
geschehe“. Als Bugenhagen die Artikel im Konvent der
Theologen zur Sprache brachte, hatte Butzer zwar nichts
an ihnen auszusetzen, aber er erklärte zugleich, er habe
von seiner Obrigkeit keine Vollmacht, sie zu unterzeichnen.
.So kam man zuletzt auf den Rat zurück, den Melanchthon
dem Landgrafen von Hessen erteilt hatte, die Stände sollten
„allwegen sagen, sie hätten die Konfession und die Kon-
kordie angenommen; da wollten sie bei bleiben“. ^ Die
Mehrzahl der Theologen — nur Butzer, Fagius, Blaurer
und Lykosthenes machten eine Ausnahme — unterschrieb
allerdings auch die Artikel Luthers. Wenn sich ihnen Geltner
anschloß!), so folgte er damit lediglich seiner persönlichen
Ueberzeugung und gab zu erkennen, daß er mit der Frank-
furter Kirchenpolitik sich noch nicht hinreichend vertraut
gemacht hatte. Im übrigen kam seiner Unterschrift ebenso-
wenig wie derjenigen der anderen Theologen irgendwelche
praktische Bedeutung zu. Denn die Artikel „sind, wie der
Abschied dies auch ausdrücklich bemerkt, in der Haupt-
sache nichts als eine Wiederholung der in Konfession und
Apologie aufgestellten Lehre“), ihre Unterzeichnung konnte
also in den Augen des Rates an dem Bekenntnisstande der
Stadt ebensowenig ändern wie ein Jahr vorher die Witten-
berger Konkordie. Soweit aber die Schmalkaldischen Artikel
in der Abendmahlslehre tiber diese hinausgingen, sah sich
Geltner durch den Rat in der Folge stillschweigend rekti-
fiziert, indem dieser es bei den weiteren Verhandlungen
vermied, irgendwie auf die Artikel Luthers zurückzukommen.
Das Mißtrauen der Sachsen gegen Frankfurt schwand
allmälig. Die kirchlichen Zustände und Einrichtungen der
Stadt fanden, als sie sie persönlich kennen lernten, ihren
Beifall. Als bei Gelegenheit des Frankfurter Konvents
Butzer am 2. März 1539 im Dom Über das Sonntagsevangelium
vom kananäischen Weibe predigte und dabei zum Schlusse
auch auf das Abendmahl zu reden kam, spendete Friedrich
Myconius in einem Briefe an Luther nicht nur dem Prediger
1) Ritter S. 950. *) Ranke IV, 68,
Archiv für Reformationsgesohiehte. XX. 8/4. 10
138
hohes Lob, der et doctissimam et vere plenam spiritualissimis
affectibus concionem habuit, non sine magna et diligenti
gratia et attentione totius eeclesiae; er bezeichnete auch
nicht, nur die Ausführungen Butzers de vera exhibitione
praesentis corporis Christi etiam ore huius corporis in coena
domini sub pane et vino ausdrücklich als ecclesiae senten-
fiam; auch die Abendmahlsfeier sprach ihn sehr an: Vidi
deinde, quanta devotione et honestate aliqua pars populi
sacram communionem acceperit . .. Nescio, an viderim
aut audierim ullam ecclesiam, quae tam diligenter audiat
verbum Christi, et tanta concordia, quasi una voce, illius
hymnos eí laudes canat. Melanchthon aber, erfreut über
den guten Gottesdienstbesuch, bestütigte dieses Urteil!).
3. Der Frankfurter Katechismusstreit.
Dem Bestreben des Rates. zu vermitteln, entsprach es,
daB er bei der Besetzung von Pfarrstellen nicht einseitig
verfuhr. So berief er 1536 in Peter Geltner aus Bamberg,
der bis dahin an der Kaufmannskirche in Erfurt gewirkt
hatte, einen Schüler Luthers, der seinen lutherischen Stand-
punkt so eifrig geltend machte, daß schon nach einem Jahre
die Bevölkerung sich beklagte, er führe neue Lehren und
Zeremonien in der Kirche ein?) Als er dann auch die
Schmalkaldischen Artikel aus eigener Machtvollkommenheit
unterschrieben hatte, fand der Rat für gut, ein Gegengewicht
gegen ihn zu schaffen und zog bei den folgenden Berufuugen
Männer in seinen Dienst, die von den Schweizer Anschau-
ungen berührt waren. Zuersí kam 1540 Johann Lullius
von Hochheim a. M., der von 1524 an bis zu seiner Be-
kehrung Vikar am Dom zu Frankfurt gewesen war und
dann seit 1538 in dem benachbarten Bonames als evange-
lischer Pfarrer gewirkt hatte. Im Auftrag des Rates und
in Verbindung mit Philipp Fürstenberger, der kurz darauf
starb, verhandelte er schon bald nach seinem Aufzuge mit
Melchior Ambach in Neckarsteinach wegen Uebernahme
eines Pfarramtes in der Stadt, das dieser dann auch an-
trat). Er wurde auf die Augustana und die Apologie ver-
pflichtet“). Einen Gesinnungsgenossen erhielten die beiden
1) Classen, Beziehungen usw. S. 16. Im Gegensatz su diesen
Urteilen steht das Befremden, mit welchem umgekehrt Musculus bei
der Reise nach Wittenberg 1586 dem Gottesdienst und der Abendmahls-
feier in Kursachsen gefolgt war. Vgl. Kolde S. 216ff,
2) Ritter, S. 258. 9) Ritter, S. 264 Anm. c.
) KGesch., S. 88. Das Urteil eines Geistlichen vom Ende des
16. Jahrh, bei Dechent S. 157, aus Ambachs Schriften gehe hervor,
139
„Zwinglianer“ in Sebastian Ligarius, der von 1542 bis zu
seinem Tode (1545) in Frankfurt arbeitete. Aber auch der
‚Geltnersche Standpunkt erhielt dann wieder seine Ver-
stärkung, als 1541 Andreas Zöpfel (Zöphelius oder Zopfelius,
gestorben 1545) und 4542 der Hesse Eberhard Haberkorn,
sowie Simon Kittel!) von Miltenberg a. M. berufen wurden,
von denen Haberkorn 1548 nach Oberursel ging. Ihren
Standpunkt teilte auch Matthias Limperger von Mainz, „der
große Herr Matthes“), der bereits 1525 von Cronberg am
Taunus nach Frankfurt gekommen war und von dem Mar-
burger Professor Johannes Lonicerus als ein homo pius et
eruditus xal die und als idoneus praedicando verbo
bezeichnet wurde*).
Wie aber das Nebeneinander verschiedener Richtungen
in einer und derselben Gemeinde bloß scheinbar dem Frieden
dient, in Wirklichkeit aber nur zu leicht eine Quelle un-
aufhörlicher Auseinandersetzungen bildet, die durch persön-
liche Differenzen oft noch verschärft werden, so geschah es
jetzt auch hier. Frankfurt bekam seinem Katechismusstreit “).
| Der Rat hatte 1539 die bisher in der Barfüßerkirche
daß er nicht ganz aufrichtig und orthodox gewesen sei, liefert des-
halb keinen Beitrag zu seiner Charakteristik, weil es ihn an einem
:Maßstabe mißt, der für ihn noch nicht in Betracht kam, nämlich an
der Theologie der Konkordienformel, Mit dieser stimmt allerdings
das Glaubensbekenntnis (denn dieses ist mit den „Schriften“ gemeint;
die Chronik über die Belagerung Frankfurts, die Traktate vom Zu-
saufen und vom Tanzen, sowie die Klage Jesu Christi wider die ver-
meinten Evangelischen liefern für seine Dogmatik naturgemäß keine
Ausbente) nicht überein, das Ambach am 14. Oktober 1542 in schwerer
Krankheit aufzeichnete, und das er noch kurz vor seinem Tode am
28. Januar 1554 erneuerte (Uffb. Mskr. Bd. 15 S. 1—14). Aber bei den
Bekenntnissen, auf die er verpflichtet war, ist er bis an sein Eude
geblieben, so gut wie Butzer und Melanchthon. Daß man freilich
auf der Augustana und der Apologie fußen konnte, ohne orthodox
zu sein im Sinne der Konkordienformel, begriff das endende Jahr-
hundert nicht mehr: daher der Vorwurf mangelnder Aufrichtigkeit.
1) Die Dauer seiner Wirksamkeit und seine späteren Schicksale
sind unbekannt.
*) So genannt zum Unterschiede von Matthias Ritter dem älteren,
„dem kleinen Herrn Matthes“, der 1588—1586 Pfarrer in Frankfurt war.
3) Brief an Spalatin vom 7. August 1526. Bei Ritter S, 166. —
Die Daten für Ligarius, Zöpfel und Haberkorn bei Grabau, Das er.-
luth. Predigerministerium der Stadt Frankfurt a. M. (1913), S. 618f.
) Vgl. Ritter S. 259, 265, 271ff. Die Akten finden sich in den
Act. Eccl. Tom. III und Uffb. Mskr. Bd. 15 S. 14ff.
; ; 10*
140
am Mittwoch Nachmittag Übliche Katechismus- und Kinder-
predigt abgestellt, wollte es aber an einer besseren Weise,
die Stücke der christlichen Lehre den Unberichteten bekannt
zu machen, nicht fehlen lassen. Er beauftragte daher im
Sommer 1541 die Prädikanten mit der Abfassung eines
Katechismus für die Jugend!) Geltner und Ambach unter-
zogen sich darauf der Mühe, die vorhandene Literatur nach
einem geeigneten Lehrbuche durchzusuchen. In Betracht
gezogen wurden vor allem Luthers Kleiner Katechismus,
„der“ — wif Geltner etwas später betonte — „der erste
ist, und zuuor von kheinem nie gehört, welohen wir auch,
die wir am Eltesten hie sind, auf der Cahtzel getrieben
haben, und wirt umher in gantzem Fürstenthumb Hessen
gebraucht, . . daß es unnoth, auch spötlich ist, in solcher
später Zeit allererst newe Catechismos stellen“). Auch der
- Spangenbergische und Nürnbergische Katechismus u. a. m.
wurden in Erwägung gezogen. Aber schließlich fand man
etliche zu kurz, etliche zu lang für die Jugend. Man be-
schloß daher einstimmig, aus den vorhandenen Katechismen
einen neuen zu machen, und zwar sollten von Geltner,
Ambach und Limperger Entwürfe ausgearbeitet werden.
Diesen drei Entwürfen in einer abschließenden Arbeit die
endgültige Fassung zu geben, war eine ziemlich undankbare
Aufgabe, der sich Geltner und Limperger gerne entzogen.
So mußte es Ambach übernehmen, das neue Lehrbuch“) zu
fertigen, „welches also geschehen und folgender Zeit von
allen Praedicanten sämtlich aufs fleißigste durchlesen, er-
örtert und bewilligt worden.“ In Frage- und Antwortform
waren der Reihe nach der Dekalog, das Apostolikum (in
zwölf Artikeln) das Vater-Unser und die Sakramente be-
1) Unserer Darstellung liegt der Bericht zugrunde, welchen
Ambach, Lullius und Ligarius am 20. April 1549 an den Rat erstatteten.
Uffb. Mskr. Bd. 15. Erster Teil. S. 14—20, In den Act. Eccl.
Tom, III. ist er nicht enthalten. Auch Decbent hat ihn nicht gekannt.
9) F. R. II, 68. Aehnliche Empfehlungen haben wir jüngst auch
in Baden wieder zu hüren bekommen.
) Dieser Ambachsche Katechismus (also nicht der ursprüngliche,
eigene Entwurf Ambachs) findet sich in den Act. Eccl. Tom. III.
Nr. 1. Er trägt die Jahreszahl 1541 und hat den Titel: Catechis-
mus || Kurtze christliche Fragstuck vnd andtwurdten || für die Jugent [|
Von Den zehn gepoten || den zwölff artikul christlichs glaubens || dem -
Vater vnser || Den Sacramenten || Durch die Diener des Euangelij zu
Franckfurdt | am Meine, angesteldt | 1541. — Die Vorrede („Dem
christlichen Leser") findet sich mit geringen stilistischen Aenderungen,
dem Sinne nach unverändert in dem Neudruck von 1615.
| 141
handelt. Der dogmatische Charakter dieses Katechismus
. war der des Unionsprotestantismus, der nicht nur für die
Anschauungen der Wittenberger, sondern auch der Schweizer
-Ranum ließ. Am deutlichsten kennzeichnet es seine Weit-
herzigkeit, daß die Fremdengemeinden der Stadt im Jahre
1615 auf ihn zuruckgriffen namentlich die Fragen
von den Bildern (beim ersten Gebot) und die Abendmahls-
fragen entnahmen.
Aber eben dieser weitherzige Standpunkt war die Ur-
sache, daB mit der Abfassung des Ambachschen Werkes
die Angelegenheit nicht erledigt war. Zu ihrer Ueber-
raschung erfubren Ambach und seine Freunde, daß es
Geltner in seinem animus longe abditus, qui raro se aperit!),
gefallen habe, ohne ihr Vorwissen mit seinen Gesinnungs-
genossen Limperger, Zöpfel und Haberkorn eine eigene Be-
arbeitung der drei Entwürfe. abzufassen?), den sie dem Rate
vorlegten, nachdem sie diesen bereits durch eine Reihe von
Eingaben über ihren abweichenden Standpunkt unterrichtet
hatten. Geltners Arbeit hielt denselben Gang inne wie die
Ambachsche, nahm aber nach dem Vorbilde Luthers eine
Haustafel auf. Um ihr mehr Ansehen zu verleihen, ließen
sie ihre Urheber sich von D. Jan Cornarius von Nordhausen
zensieren?).
Um des Friedens willen verlasen Ambach und seine
Freunde auch diese Arbeit mit ihren Kollegen. Dabei be-
anstandeten sie, daß die Artikel über des Herrn Auffahrt,
Nachtmahl und die Götzen in der Kirche sich nicht im
Rahmen der Augustana, der Apologie und der Konkordie
1) Bei Steitz, Hartmann Beyer, S. 87 Anm. 26.
*) Dieser Catechismus Geltnerianus findet sich in den Act. Eccl.
Tom. III. Bl. 152. Nr. 80. Sein ausführlicher Titel lautet: Ein klainer
Catechismus || jn kurtze christliche frag- || stuck vnd antwort || fur
die Jugent || Die zehen gepotten || die xij stucken christliche glaubens ||
von dem Vater Vnser Vnd || den Sacramenten des | Heiligen tauffs vnd
Nachtmals || Des Herrn || Durch die Diener des || Euangelij zu Francken-
fart angestellet | Ein Hausstafel fur || allerley Stende.
*) Ueber Cornarius vgl. Ritter S. 254. Es ist ein Irrtum, wenn
Dechent 8. 157 Anm. 2 meint, dieser Geltnersche Katechismus sei bis
1557 gebraucht worden. Zunüchst wurde der Frankfurter Katechis-
mus überhaupt nur bis 1552 gebraucht, wie auch Dechent S. 216
richtig angibt. Sodann aber hätte ja die Geltnersche Arbeit bei der
Wiederaufnahme der Katechisationen dogmatisch vollständig genügt.
Und gerade das Dogmatische war der Grund, weshalb man 1557 nicht
zu dem eigenen Katechismus zurückkehrte, sondern zu Luthers En
chiridion überging- Das Genauere hierüber später.
143
hielten, auf die der Rat doch seine Prediger angenommen
habe. Die Gegenseite brach daraufhin die Erörterungen
ab und wollte es dem Rate überlassen, einen Katechismus
einzuführen.
Es folgte nun ein langwieriger Meinungsaustausch, der
zuerst mündlich, dann aber, „dieweil dieses viel Ungeschicks
und Zancks gebähren wollte,“ schriftlich durch Austausch
von Thesen und Gegenthesen geführt wurde!), zeitweise
sogar in Kanzelpolemik ausartete und sich bis in das Früh-
jahr 1542 hinzog. Geltner und die Seinen behaupteten,
der Ambachsche Katechismus suche den Zwinglianern das
Wort zu reden, indem er lehre: 1. Christus sei mit seinem
verklürten Leib sichtbar gen Himmel gefahren und des-
wegen nicht allenthalben leiblich gegenwürtig; 2. im hl.
Abendmahle werde zwar gelehrt, daß dabei der wahre Leib
und das wahre Blut Christi empfangen werde, aber gemeint
sei, daß das nicht natürlich geschehe, sondern nur zur Speise
der Seelen; 3. die Bilder seien gänzlich abzuschaffen. Schließ-
lich übergaben Ambach und die Seinen die gesamten Akten
mit einem Beibericht am 20. April dem Rate und baten um
ein Urteil über ihre Thesen durch einige Ratsverordnete
und andere Gottesverständige der Stadt. Führe das zu
keinem Ziele, so empfahlen sie, ihren Bericht und das ganze
Aktenmaterial zwei oder drei anderen christlichen Kirchen
und ihren Gelehrten, aber nicht einer oder zwei Personen
allein, zu übermitteln, um den Fall naeh Gottes Wort fürder-
lich zu erörtern und zu beurteilen, damit der Zwiespalt in
der Lehre und die Parteiung im Volk beseitigt werde und
ein Katechismus nach Form der Konkordie vom Nachtmahl
und nach dem Schmalkaldischen Beschluß von den Kirchen-
gótzen?) zustande komme, wie er dem Besten der Kirche
diene, Auch sie selber wollten sich bei Gelehrten befragen.
1) Vgl. die kurze Zusammenfassung K Gesch. S. 39. Ritter bfiugt
S 371—378 Summariae Propositiones M. Melchioris de tribus praece-
dentibus articulis, Ascensione, Caena et Idolis, oblatae 15. Martij 1542,
S. 373—379 von Peter Geltner, Matthias Limperger, Andreas Zöpfel
und Eberhard Haberkorn: „1542. Auf den Satz, welchen sie vns
vber das, so wir zu beyden Theilen beschlossen hatten eingenöttiget
habeu, Vnd ist fast die Summa worauf der Span steht:^ Neunmal
wurden^so Thesen und Gegenthesen ausgetauscht. Das sind die von
Dechent S. 158 erwühnten ,neun Disputationen, die von Ende 1541
bis April 1543 wührten*.
3) Da die Schmalkaldischen Artikel die Bilder nicht erwühnen,
überdies auch gar nicht zu offizieller Anerkennung gelangt waren, `
so ist hier an die Schmalkalder Tagung 1540 zu denken.
143
Wie sehr die Gemüter sich inzwischen erhitzt hatten, zeigte
dem Rate eine Flut von Sireitschriften, mit der er gleich-
zeitig tiberschüttet wurde.
Da eine Beilegung des Streites in diesem Stadium
durch Frankfurter Persönlichkeiten nicht mehr möglich schien,
so leg Rat den Streitfall dem Straßburger Rate vor,
während gleichzeitig Ligarius nach Straßburg reiste, um
mit den dortigen Reformatoren Rücksprache zu nehmen.
Das Ergebnis dieser Reise war ein ausführliches Schreiben,
das Butzer, Hedio, Zell und die übrigen Straßburger Prediger
am 7. Juni 1542 an ihre Frankfurter Amtsbrüder schickten!).
Eine Abschrift dieses Schreibens sandte der Straßburger Rat
am 5. Juli 1542 an Rat und Bürgerschaft zu Frankfurt mit
einer Zuschrift“), die zum Frieden mahnte und — im Sinne
Ambachs und seiner Gesinnungsgenossen — riet, man solle
„bey der gemeinen verordnung, so zu Schmalkalden der
bilder halb, vnd der Concordi so des sacraments halb zu
Wittenberg, jn beisein ewerer prediger vffgericht vff das
einfeltigest pleiben, vnd alle ferner disputation vnd gesuch,
daru mehr vnraths dan raths zu gewartten, vermeiden vnd
vnderlassen. Besonders zu itzigen Zeitten, da one das
villerlei bewegnussen vnd vnruw vorhanden.“
Der Rat hatte inzwischen die Angelegenheit seinen
Advokaten übergeben, und diese arbeiteten ein Bedenken
aus „Zuuergleichung der predicanten vnd Hinlegung jres
Zwispalts“ ), das den streitenden Brüdern am 19. Juli 1542
vorgehalten wurde. Als dann das Schreiben von Straßbufg
eintraf, nahm es der Rat zum Anlaß, seinerseits am 24. Juli
die endgültige Verfügung zu treffen“). In der Katechismus-
frage sollte, um Geltner zu befriedigen, dessen Entwurf,
jedoch nur soweit Ambach sich mit ihm einverstanden er-
klärt hatte, d. h. mit Ausnahme der drei strittigen Artikel,
zugrunde gelegt werden. Die Entscheidung über die Kirchen-
götzen behielt sich der Rat wegen des Schmalkaldischen
„Abschiedes selber vor; einstweilen wurden die Prediger in
diesem Stück auf diesen Abschied und das Scbreiben der
Straßburger Reformatoren verwiesen. In den beiden übrigen
Artikeln wählte der Rat eine Fassung, die er der Bibel,
der Augustana, der Apologie, der Wittenberger Konkordie,
der jüngsten Regensburgischen Vergleichung, dazu auch
rechtem, wahrem, christlichem Verstand gemäß fand.
1) Bei Ritter S. 3791f.
3) Act. Eccl. Tom. III. Bl. 21.
3) Act. Eccl. Tom. III. Bl. 62—71.
4) Ebenda Bl. 22f.
144
Der Katechismus, welcher als das Ergebnis so vieler
Mühen und Kämpfe zustandekam 1), geht davon aus, daß das
Kind ein Christenmensch ist und seinen Christenstand kennt,
weil es nach Christi Befehl getauft ist in dem Namen des
Vaters und des Sohns und des heiligen Geists und glaubt
an Jesum Christum. Dann wird sogleich gefragt, was einem
Christen anfänglich not sei zu wissen, nämlich fürnehmlich
diese vier Stücke; die zehn Gebote Gottes, die zwölf Stücke
des Glaubens, das Vater-Unser und die Sakramente des
heiligen Taufs und Nachtmahls des Herrn. Seinen Kom-
promißcharakter verrät der Katechismus, indem er beim
Dekalog das Bilderverbot wegläßt und so die Schwierigkeit
der Bildercrage umgeht. Ebenso sucht man in ihm die
Übiquität vergebens. Den Artikel von der Auffahrt im
Apostolikum erläutert er rein biblisch-religiös, worin ihm die
Herausgeber 1615 gefolgt sind. Die Frage nach dem Wesen
des Abendmahls hat folgende Fassung erhalten: „Was be-
kennst du im hl. Abendmahl? — Ich bekenne, daß im
Abendmahl des Herrn wahrhaftiglich und wesentlich der
Leib und das Blut Christi gegenwärtig sei und mit Brot und
Wein gereicht werde den NieBenden.^ So hatten sich weder
Ambach noch Geltner ausgedrückt. Auch der Hat hatte in
seiner vermittelnden Fassung ?) im Anschluß an Ambach nur
vorgeschlagen: „Was entpfehest du jn diesem Sacrament.?
— Ich entpfahe den waren leib vnd plut vnsers Herren
Jhesu Christi, mit brot und wein, vns Christen zu essen vnd
zu trincken von Christo selbs dargereicht, vnd zugesagt, zu
seiner gedachtnus.^ Die neue Formulierung war nur der
erste Artikel der eben damals von Butzer mit den Prädi-
kanten vereinbarten Frankfurter Konkordie, der ebenso in den
Katechismus zur Sieherung der rechten Lehre aufgenommen
wurde, wie in Baden die von der Unionssynode 1821 be-
schlossenen Abendmahlsfragen zum eisernen Bestande jedes
Katechismus gehören. Wie eine Randbemerkung zeigt, war
man sich übrigens darüber klar, daß das „mit“ umstritten
war, aber man hielt sich nicht für zuständig, über die
Augustana, die Apologie, die Konkordie und die jüngst zu
Regensburg geübte Handlung hinauszugehen, und die
Schmalkaldischen Artikel mit der Bugenhagenschen Formu-
lierung des Satzes über das Abendmahl waren trotz der Geltner-
schen Unterschrift kein Beschluß der Augsburgischen Kon-
1) Act, Eccl. Tom. III. Bl. 154—170, Er trägt den Titel: Ein
clainer Catechismus Inn || kurtze christliche fragstück vnnd |: Antwort
für die Jugent zu || gericht. ||
*) Ebenda Bl. 97.
145
fessionsverwandten, also auch nicht bindend. Das Entgegen-
kommen gegen die Geltnersche Partei bestand nur darin,
daß man die Frage Ambachs, die man an dieser Stelle ganz
angebracht fand, ihr zu Gefallen strich: „Warumb gibt uns
er leib von sei bludt mit brodt vnd wein? — Das
er vns damit lere, das sein fleisch warlich ein speiss, sein
bludt warlich ein tranck sey zum ewigen leben.“ Der
Herausgeber 1615 erst hat diese-Frage in seinem Druck ans
Licht gebracht, da er ja nicht an den Kompromiß von 1542
gebunden war.
In seiner endgültigen Fassung wurde der Katechismus
von den Prüdikanten unterschrieben: Huic Catechismo ví
orthodoxo nos infra notati subscripsimus ). Alsdann wurde
er gedruckt und eingeführt *), nieht ohne daß den Prüdikanten
noch besonders eingeschärft worden wäre, sich alles Zankes
untereinander zu enthalten.
4. Die Frankfurter Konkordie Butzers.
Noch während des Katechismusstreites unternahm der
Rat einen Schritt, der eine grundsätzliche und dauernde
Verständigung zwischen seinen Prädikanten herbeiführen
sollte. Er ging Butzer um seine Vermittlung an, um mit
ihnen uber die strittigen Punkte persönlich zu verhandeln. Die
Wahl gerade dieses Mittelsmannes zeigt, daß er nicht be-
absichtigte, seine Entscheidung einseitig im Sinn der luthe-
rischen Partei zu treffen, denn gerade damals war Luther
auf Butzer, zu dem er einst in Marburg gesagt hatte: Tu es
nequam! wieder sehr erbost und äußerte tiber ihn im
Freundeskreise: „das leckerlein *) hat den glauben gar bei
mir verlorn. Ich trau im niemer. Er hat mich zu offt be-
trogen! Er hat sich auf dem fag itzt zu Regenspurg ubel
gehalten *).*
Auf der Reise nach Bonn begriffen, wo er im Interesse
der Cölner Reformation tätig sein wollte, kam Butzer in den
ersten Dezembertagen 1542 nach Frankfurt, und in vier-
fügigen Verhandlungen gelang es ihm, die Einheit wieder-
!) Links unterzeichneten Geltner, Limperger und Haberkorn,
rechts Ambach, Lulhus und Ligarius. Ein Datum fehlt. |
*) Über die Verfügungen. die dabei im einzelnen getroffen
wurden, berichtet Ritter S. 285f.
5) = nequam, Nichtsnutz, Schlingel.
) E. Kroker, Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung,
S. 279, Nr. 548. Übrigens hat in jenen Jahren auch Calvin Bedenken
gegen die Vermittlertätigkeit Butzers geäußert. Vgl. seinen Brief an
Farel Calv. Opp. X, 2, p. 828, Nr. 162.
146
herzustellen, die, wie er fand, mehr durch fleischlichen Eifer und
giftige Reden, als durch eine ernste Meinungsverschiedenheit
in der Lehre gestört war!). Die Verständigung war für ihn
insofern leicht herbeizuführen, als Frankfurt die von ihm ge-
schaffene Wittenberger Konkordie angenommen hatte. Er
hatte also nicht erst nötig, durch langwierige Auseinander-
setzungen die Meinungsverschiedenheiten zu schlichten und
den Boden zu gewinnen, auf welchem sich die streitenden
Parteien in gemeinsamem Glauben zusammenfinden konnten.
Er brauchte nur daran zu erinnern, wie ein ähnlicher Streit
bereits vor Jahren verglichen worden sei, und es konnte
namentlich auf die Geltnersche Seite nicht ohne Eindruck
bleiben, wenn er die Autorität Luthers in die Wagschale
warf, der jenes Einigungswerk mitvollzogen und die An-
schauungen der ihm bis dahin als Sakramentierer verdächtigen
Oberdeutschen in aller Form als rechtgläubig anerkannt
habe. Angesichts der Wittenberger Konkordie war der
jetzige Frankfurter Streit im Grunde bereits eine res iudicata.
Ausbrechen hatte er überhaupt nur können, da Algesheimer,
der in Wittenberg mitunterschrieben hatte, inzwischen die
Stadt verlassen hatte und die neuen Männer von den Witten-
bergen Verhandlungen keine genauere Kunde besaßen. So
bestand Butzers Aufgabe im wesentlichen darin, die strittigen
Punkte von der Wittenberger Konkordie aus zu beleuchten
und dann das Ergebnis der Verhandlungen in einer Reihe
von Sätzen zusammenzufassen, die für die Zukunft von beiden
Teilen als bindend anzuerkennen waren. So konnte er be-
reits am 9. Dezember die streitenden Brüder die Urkunde ?)
über die vollzogene Verständigung unterschreiben lassen.
Die Unterzeichnung wurde zu einem feierlichen Akte
ausgestaltet, an welchem außer den Prädikanten der Stadt
auch D. Jan Cornarius von Nordhausen teilnahm und der
Rat durch vier Mitglieder — es waren Wycker Reis, Justinian
von Holzhausen, Daniel zum Jungen und D. Hieronymus zum
Lamm (Agninus) —, sowie durch einen Stadtschreiber ver-
treten war, die sämtlich mitunterschrieben: ein Zeichen,
welche hochpolitische Bedeutung man dem Schriftstücke bei-
legte, das die eigentliche Bekenntnisschrift Frankfurts ge-
worden ist.
1) Lenz, a. a. O. II, 109,
1) Concordia concionatorum Francofordiensium, constituta per Dn.
Martinum Bucerum, d. 9. Dec. Ao 1542. F. R. II Beil. 18, wo S. 42
die Abweichungen des Textes im Op. Angl. Buc. f. 697 angemerkt
sind, Ebenda die deutsche Übersetzung aus Ritter S. 275, die auch
K. Gesch, S, 40ff, abgedruckt ist, aber mit anderer Zählung.
147
Angesichts der Festsetzungen, die durch die Augustana,
die Apologie, die Regensburger Artikel und die Wittenberger
Konkordie von den protestantischen Ständen getroffen waren,
konnte sich die Frankfurter Konkordienformel darauf be-
schränken, die strittigen Punkte von der Gegenwart des Herrn
im Abendmahl, von seinem Sitzen zur rechten Hand des
Vaters im Himmel und von seinen beiden Naturen in einer
Person zu klären und im übrigen die Prediger zu verpflichten,
künftig in Eintracht zusammenzuwirken.
Indem die Konkordie (17) an erster Stelle die Bibel,
danach die genannten Bekenntnisschriften als Norm der
Lehre bezeichnet, nach der treulich und mit christlicher An-
dacht gelehrt werden solle, hielt sie ausdrücklich (13— 15)
an der altkirchlichen Zweinaturenlehre fest, „daß zwei
Naturen in Christo, die göttliche und menschliche, wie sie
in einer Person miteinander vereinigt, also beide ganz und un-
vermischt seien, und daß Christus der Herr wahrer Gott und
wahrer Mensch sei;^ die menschliche Natur „ist von der
göttlichen Natur nicht verschlungen, sondern bleibt in ihm
ganz vollkommen, gleichwie auch die Gottheit, denn die Auf-
erstehung hat dem Menschen Christus himmlische Glorie und
Herrlichkeit gebracht, nicht aber die Natur zerstört oder
hinweggenommen.^ Damit ist die grundsätzliche Ueber-
einstimmung mit der altkirchlichen Orthodoxie gewahrt.
Was nun aber die Auffahrt und das Sitzen Christi zur
Rechten Gottes betrifft, so warnt die Vereinbarung (10— 11)
vor 80 gotteslüsterlichen und spitzfindigen Fragen wie diesen:
„Wenn der Herr im Himmel ist, wie kann er dann im
Abendmahl gegenwürtig gegeben werden, welches auf Erden
gehalten wird? Hat er die Welt verlassen und ist in himm-
lischer Ehre, wie wird er dann von Menschen gegessen?"
Sie erinnert demgegenüber daran (9) daß ja nicht unsere
Sinne und unsere Vernunft ihn in den Elementen sehen und
erfassen, sondern allein Herz und Gemüt, im Glauben erhoben.
Weil aber die Ubiquitütslehre immer wieder Anlaß bot
zu jenen unfrommen und vorwitzigen Fragen, so ergab sich
ganz von selbst der Rat (16), den Disput über die Ubiquität
des Leibes Christi anstehen zu lassen, wie auch alles, was
von solchen großen Geheimnissen nicht in der Bibel stehe.
Ueber das Abendmahl stellte Butzer die Erklärung an
die Spitze (1—2): ,Im heiligen Abendmahl, wenn es wird
nach der Einsetzung des Herrn gehalten, wird der wahre
Leib und das wahre Blut Christi wabrhaftig und wesentlich
(vere et essentialiter) gereicht, und von denen, so die Sakra-
mente genießen, empfaugen. Doch wird allhier keine räum-
liche oder umschriebene Gegenwart des Herrn (praesentia
148
Domini localis vel circumscriptiva) gesetzt.“ Diese Er-
klärung wurde dann auch, wie wir bereits sahen, in den
neuen Katechismus aufgenommen und damit zu einem inte-
grierenden Bestandteil jeder künftigen Jugendunterweisung
und der Katechismuspredigten gemacht. Der neuen Scholastik
gegenüber zog sich Butzer auf Paulus und die heiligen Väter
zurück und bekannte mit ihnen (12), „daß im hl. Abendmahl
zwei Dinge gereicht werden, ein himmlisches und ein irdisches.
Das himmlische ist der Leib und Blut des Herrn; das
irdische ist Brot und Wein als heilige Symbole oder Wahr-
zeichen, dureh welche oder mit welchen der Herr uns seinen
Leib und Blut wahrhaftig und wesentlich (vere ef realiter),
d. h. mit der Tat und Wahrheit darreicht und mitteilt;“ eine
Transsubstantiation lehnte er in diesem Zusammenhange
ausdrücklich ab. Aber auch von einer Impanation wollte er
nichts wissen, wenn er (8—9) erklärte: „Wiewohl sich der
Herr im hl. Abendmahl dargibt im Spiegel und dunkeln
Wort, nämlich in seinem Wort und geheiligten Zeichen,
welche sind Dinge dieser Welt, so gibt er sich doch in diesen
Dingen nicht nach Art und Weise dieser Welt, sondern auf
eine göttliche und himmlische Weise . . . So gibt er sich
auch nicht zur Speise des Bauchs oder des alten Menschen,
sondern der Seelen und des neuen Menschen; denn es ist
eine Speise, die das ewige Leben bringt.“
Durch diese Festsetzungen war die Abendmahlslehre in
einem Sinne entschieden, mit dem beide Teile einverstanden
sein konnten. Der Anstoß, welchen Ambach an dem „In,
mit und unter“ nahm, war beseitigt, indem man von dieser
Formel nur das „Mit“ stehen ließ, das ja auch einer anderen
als der lutherischen Deutung fähig war. Geltner aber!),
der lieber die ganze Formel beibehalten hätte, mußte selber
zugeben, daß man in der Wittenberger Konkordie und in
den Regensburger Artikeln sich auf das „Mit“ beschränkt,
das „Unter“ aber als ein Hinterpförtchen für die Vorstellung
einer Wandlung preisgegeben habe. Und wenn er bemerkte,
in Frankfurt brauche man das „In und unter“, weil es hier
den Kampf gegen die Sakramentierer gelte, so war gerade
dieses Argument recht wenig geeignet, die Herren vom Rate
ihm willfáhrig zu machen. Denn bei den „Sakramentierern“
konnten sie nicht wohl an jemand anders denken, als an
Ambach und seine Gesinnungsgenossen, die von Geltner und
seinem Anhang fort und fort der Hinneigung zum Zwinglia-
nismus beschuldigt wurden, für den Rat aber sich ebenso
rechtmäßig im Amte befanden, wie ihre Ankläger, und sich
1) F. R. II, 62.
149
überdies beständig auf die öffentlichen Bekenntnisse des
deutschen Protestantismus beriefen.
Von den Bildern war in der Frankfurter Konkordie aus
dem bereits erwähnten Grunde nicht weiter die Rede. Da-
gegen wurde (19) die Buße und Sündenvergebung noch in
den Kreis der Erörterungen gezogen und ihretwegen aner-
kannt, daß der eine Prediger mehr geeignet sei, zur Buße
zu treiben, während ein anderer vor allem die Gabe besitze,
die Gnade Christi zu preisen, aber beide sollten eingedenk
bleiben, daß keines dieser. Stücke für sich allein gentige.
Den Kontroverspredigten machte die Konkordie ein
Ende und erinnerte an die Konvente, wo etwaige Meinungs-
verschiedenheiten zum Austrag gebracht und Anstöße be-
seitigt werden könnten (20— 22).
Auch ein Hinweis darauf, was die Prediger dem An-
sehen der Obrigkeit schuldig seien, schien angezeigt, und
ebenso fand die Mahnung Aufnahme, ein Prediger Christi
habe sich mit Fleiß zu hüten, daß er nicht mutwilligen
Ohrenblüsern und Verlüumdern zu Gefallen sich bewegen
lasse, anderer Leute Sünden und Laster allzu heftig. und
bitter anzutasten und zu strafen (23).
Man beurteilt die Frankfurter Konkordie nicht richtig,
wenn man behauptet!) in ihr sei ,in der Hauptsache der
lutherische Lehrtypus festgehalten, wenn auch nicht die
äußersten Folgerungen daraus gezogen wurden“. Ein Aus-
druck wie der, daß der Leib Christi keine Bauchspeise sei,
wäre niemals aus Luthers Feder geflossen, er ist in der
Schweiz zu Hause. Und über das Verhältnis von Brot und
Wein im Abendmahl zu Leib und Blut Christi gab die
Buceriana überhaupt keine Auskunft, während Luther in den
Schmalkaldischen Artikeln geschrieben hatte, daß Brot und
Wein im Abendmahl sei der wahrhaftige Leib und Blut
Christi. Tatsächlich hält sich die Frankfurter Konkordie
nicht in der Linie der Schmalkaldischen Artikel, die man
ja in Frankfurt überhaupt ignorierte, sondern sie setzt nur
die Traditionen der Wittenberger Konkordie fort. Ihr dogma-
tischer Standpunkt entspricht ganz der Vermittlungstheologie
Butzers. Auch sie hat ebensowenig wie die Wittenberger
Konkordie die Gegensätze wirklich überwunden, sondern sie
nur zum einen Teil zurtickgeschoben, zum anderen Teil durch
Formeln verhüllt, die jeder Teil in seinem Sinne nehmen
konnte. Mit seiner persönlichen Ueberzeugung stand Butzer
zweifellos Ambach näher als Geltner. Aber sollte ihm das
Einigungswerk gelingen, so sah er keinen anderen Weg, als
2) Dechent S. 159.
150
daß er sich einer Ausdrucksweise bediente, die stark an die
lutherischen Wendungen anklang, ohne doch wirklich die
Meinung der strengen Lutheraner wiederzugeben, „Dahero
dachte Geltnerus mit seinem Theile, Bucerus hätte also ge-
redet, daß es ihrer Meynung beystimmete, und sie dahero
die Concordiam wohl könten annehmen, ja weilen Ambach
und dessen Beystimmer ebenmäßig sich zur Unterschrifft
sothaner Concordie verstunden, meyneten sie nicht anders,
als solche hegeten nun mit ihnen gleiche Gedancken .. .
worauf denn sie sich hiermit unter einander ohne einige zu
vermuthende Gefährde und arge List vereinigten*!). Aber
wie bei Kompromissen zuletzt immer die massivere An-
schauung die Oberhand bekommt, so fragte man bald nicht
mehr nach der ursprünglichen Absicht und dem eigentlichen
Sinn der Konkordie, sondern deutete sie nach dem Kanon
des strengen Luthertums. Obwohl Ambach und Lullius bei
der Vereinbarung blieben, mußten sie sich doch seit den
fünfziger Jahren?) den Vorwurf gefallen lassen, sie neigten
zum Zwinglianismus, und es kam die Sage auf, die auch
jetzt noch in der Frankfurter Kirchengeschichte ein schüch- :
ternes Dasein führt, sie seien als Sakramentierer schließlich
entlassen worden“). Es war auch umsonst, daB noch im
18. Jahrhundert die Reformierten öffentlich erklärten“), daß
mit der Konkordie „die Principia Reformatorum, wann alles
in sano sensu genommen wird, vollkommen tbereinstimmen,
und hätte in diesem Verstand Valerandus Polanus wohl sagen
können, daß derselbe mit den Evangelisch-Lutherischen in
der Lehre und Glauben, soviel nehmlich die substantialia.
fidei Christianae belanget, gantz einig seye". Auf lutherischer
Seite maß man*) die Konkordie an den von ihr selbst zitierten
Bekenntnisschriften, die man natürlich im Sinne der Kon-
kordienformel auslegte, oder man behauptete), daß einzelne
Sätze der Konkordie selbst — z. B. der sechste: „von dem
Ort und von der Weise, wie der Herr im Himmel sei, forschen
wollen, ist heidnisch und fremd von der Gottseligkeit des
Glaubens“ — „die fürnehmste Grundfesten der Zwinglianer und
Sakramentirer offenbahrlich umstossen und niederwerffen“
1) Ritter 8. 288.
) Vorher verlautet nichts von diesem Vorwurf. Beyer und
Ambach stehen bis dahin zusammen, Und Ambachs Glaubensbekenntnis.
ist 1564 noch genau dasselbe wie 1542.
5) Dechent S. 214.
) In ihrem ,Gründlichen Bericht“ 1788. Kap. IV. $8 12. F. R. I, 61
5) In der „Gegen-Information“ 1785. F. R. I, 119,
) In der ,Gründlichen Ableihnung" 1786. F. N. II, 61.
151
Das war der Maßstab, an dem man nun bald den Glauben
der Fremden maß. Kein Wunder, daß sie an ihm nicht
bestanden, wenn schon die Ambach und Lullius!) ihn auf
die Dauer nicht ertrugen.
5. Melanchthon und Frankfurt
Der Friede, welcher durch die Frankfurter Konkordie
besiegelt werden sollte, war von kurzer Dauer. Es kam
zwar in der Folge zu keinen Lehrstreitigkeiten mehr zwischen
den Prädikanten der Stadt. Aber im Jahre 1543 brach
zwischen Geltner und Ambach ein Streit aus tiber die
Zeremonien.
Ambach, so berichtet Ritter), konnte die Zeremonien
gar nicht dulden und wollte die Bilder und den Kirchen-
schmuck gar abgeschafft wissen, wogegen Geltner sie ge-
stattete, sofern sie der evangelischen Wahrheit nicht hinderlich
wären und sonst zu geziemender Ordnung gereichten*). Nament-
lich waren die beiden Prädikanten verschiedener Meinung
über den Taufritus. Bisher waren, wenn mehrere Kinder
getauft wurden, immer nur die ersten Paten gefragt worden,
die dann auch für das Kind die erforderte Zusage gaben.
Jetzt wollte Geltner, daß jeder einzelne Pate sich erkläre.
Er meinte, damit werde das Gedränge und die. Unordnung
eher verhütet, und den jungen Leuten, die oft zu Gevattern
gebeten würden, sei es eine nützliche Erinnerung, wenn sie
auf die Fragen, die sie zu Glauben und Besserung vermahnten,
selber antworteten. Auch beanstandete Geltner, daß man in
dem Fragestück vom Glauben den Vater und den Sohn zu-
sammennahm, dem heiligen Geiste aber eine besondere Frage
widmete. Ebenso wünschte er eine Aenderung in der Abend-
mahlsfeier. Endlich hielt er es nicht für richtig, wenn bei
gleichzeitiger Trauung verschiedener Paare nur über das
erste die Worte des göttlichen Segens ausgesprochen wurden,
es sollte vielmehr jedes Paar für sich eingesegnet werden.
Die Verhandlungen, die nach Weisang der Konkordie
im Konvent geführt wurden, blieben ohne Erfolg. So ge-
Jangte die Sache an den Rat, an den sich Ambach am 12.
und 26. Juni wandte. Von dem neuen Streite, der zudem
!) Ligarius starb vorher.
*) Ev. Denckmahl S. 987 ff.
5) In seinem Katechismus hatte er über sie geschrieben: „Deren
Bilder, die wahre und besserliche Dinge oder Geschichten und nichts
Üppiges, Schädliches, Falsches oder Abergläubiges fürbilden, kann sich
ein Christ wohl gebrauchen.“ Dechent 8. 159.
152
nur Nebensachen betraf, nahm man auf dem Römer mißfällig
Kenntnis, zumal da man bald die Wahrnehmung machen
mußte, daß kein Teil nachgeben wollte. So sah man sich
auswärts wieder nach einer Mittelsperson um. Butzers
Dienste wurden diesmal nicht in Anspruch genommen )).
Man benutzte die Nähe von Melanchthon und Pistorius, die
gerade auf der Bückreish von Cóln begriffen waren, um
durch sie eine Einigung herbeizuführen. Da die Ratsherren
Justinian von Holzhausen, Johann von Glauburg und Nicolaus
Bromm von ihrer Wittenberger Studentenzeit her persönliche
Freunde Melanchthons waren, brauchen wir nicht lange zu
fragen, wie man gerade auf diese Auskunft kam.
Melanchthon war damals nicht mehr der eifrige Partei-
gänger Luthers, der einst in der Erstausgabe der Loci dessen
Grundgedanken auf einen dogmatischen Ausdruck gebracht
hatte. Das Wartburgjahr, die Freundschaft mit Camerarius,
der Streit mit Erasmus, auch Luthers Heirat hatten ihn in
seiner Haltung selbständiger gemacht. Und wenn er auch
in Marburg einer Einigung mit den Schweizern womöglich
noch ablehnender gegenüber gestanden hatte wie Luther
selbst, so hatte er sich doch bereits 1531 in der Abend-
mahlslehre mit Butzer zusammengefunden, die absolute
Prädestination hatte er um dieselbe Zeit aufgegeben, und
nachdem er 1535 seine Loci in einer mannigfach veränderten
Ausgabe veröffentlicht hatte, schien er Cordatus und Agricola
hinreichend des Abfalls vom wahren Evangelium verdächtig, so
daß er sich ein Jahr später in zwei theologische Debatten
hineingezogen fand. Der Einfluß Calvins, mit dem er 1539
in Frankfurt bekannt geworden war, hatte sich dann in der
bekannten Aenderung des 10. Artikels der Augustana gezeigt,
und die Cölner Reformation, an welcher er gerade jetzt be-
teiligt war, bewegte pich in ähnlichen Bahnen, so daß ihr
Urheber bald besorgte, er werde Wittenberg vor dem Zorn
Luthers verlassen müssen.
Wenn die Frankfurter ihn gleichwohl eben damals
riefen, so lag darin nun freilich an sich noch keinerlei
Tendenz, sich gegen Luther festzulegen. Der ganze Gesichts-
punkt, unter welchem man die kirchlichen Dinge ansah, war
überhaupt nicht darauf eingestellt, sich dogmatisch irgendwie
zu binden. Man wollte Eintracht haben und eine Frömmig-
keit, die sich mit der städtischen Kultur und namentlich mit
der aufstrebenden neuen Bildung vertrug. Für diesen Zweck
aber schien sich Melanchthon in hervorragender Weise zu
1) Er war am 18. September 1548 in Frankfurt, erwähnt aber
nichts von dem Streite. Vgl. Lenz IT, 158.
153
eignen. Von Geburt ein Pfälzer, stand er in seinem ganzen
Wesen den Frankfurtern beträchtlich näher als die mittel-
deutschen Reformatoren. Die städtischen Traditonen, unter
denen er groß geworden war, bildeten gleichfalls von voto-
herein eine Brücke, auf welcher er sich mit den Söhnen der
Wahlstadt zusammenfand, während andere Theologen ihre
Herkunft aus dem Kloster oder aus dem Bauernstande nicht
verleugnen konnten. Vor allem aber imponierte er den
Frankfurtern als der Humanist, der den Zusammenhang mit der
Kirche festhielt und zu dessen Füßen ein Geschlecht heran-
wuchs, welches — darin sehr verschieden von den Auf-
klürungsmünnern Italiens — die religiösen und sittlichen
Werte festhielt, ohne auf die wissenschaftlichen und
ästhetischen Ideale des Zeitalters zu verzichten. Unter
diesem Gesichtspunkte hatten die Patrizierfamilien längst
angefangen, ihre Söhne zu ihm nach Wittenberg zu schicken,
und dureh diese seine Zöglinge war er auch persönlich den
Frankfurtern bekannt geworden. Nach dieser Seite lag auch
der erste Dienst, den sich der Rat von ihm leisten ließ.
Bereits bei den Verhandlungen über die Wittenberger
Konkordie 1536 sprach er dem Vertreter der Stadt, dem
Prädikanten Johann Bernhard Algesheimer, sein Befremden
darüber aus, daß über die Frankfurter Schule, die damals
unter Leitung Mosers stand, nicht viel Gutes zu berichten
war, und stellte seinen Rat und seine Mitwirkung in Aus-
Sicht. Als er dann im September 1536 auf der Durchreise
in seine Heimat ein paar Tage in der Stadt weilte, scheint
der Rat seine Anwesenheit benützt zu haben, um sich für
die Reorganisation der Lateinschule von ihm Winke geben
zu lassen!) Jedenfalls wurden. am 18. Januar 1537
.Sehrifften Herrn Philipp Melanchthons die Aufrichtung der
Schulen betreffend“ auf dem Römer verlesen, auf Grund
deren — sie sind uns leider nicht mehr erhalten — eine
Kommission eingesetzt wurde, deren Bemuhungen im Sep—
tember 1537 zu einer zweiten Berufung des Jakob Mieyllus ?)
führten. Der lange Aufenthalt. welchen er dann aus Anlaß
der Frankfurter Tagung von Mitte Februar bis Mitte April
1539 in der Stadt nahm, wo er in dem Elternhause seines
) Classen, Beziehungen usw. S. 28.
*) Vgl. über ihn Classen, Jacob Micyllus, Rector zu Frankfurt
a. M. 1524—1533 und 1537—1547, sls Schulmann, Dichter und Ge-
lehrter. Frankfurt a, M. 1858. — Steitz, Abhandlungen zu Frankfurts
Reformationsgeschichte. (S. A. aus F. A. V.) 1872, S. 216 ff.: Des
Rector Micyllus Abzug von Frankfurt 1533, nach seinen bisher un-
ermittelt gebliebenen Ursachen.
Archiv für Beformatonsgeschiohte. XX. 34. 11
154
Schülers Claus Bromm Gastfreundschaft genoß ), kam durch
seinen Verkehr mit Micylius auch wieder dem städtischen
Schulwesen zugute. Daneben aber begleitete er auch die
kirchliche Entwickelung der Stadt mit seinem aufmerksamen
Interesse, wie wir aus seinem Postskriptum zu dem Briefe
von Friedrich Myconius an Luther und Justus Jonas vom
3./4. März 1539 wissen: Frequentia in cbncionibus magna
est... Utinam tenerae adhuc ecclesiae Deus aliquamdiu
pacem concedat, sed talem, in qua efiam possint Ecclesiae
ornari ). Dem Einflusse seines Geistes ist es wohl auch
mitzuzuschreiben, wenn es der Raf nach der Berufung eines
so entschiedenen Lutheraners wie Geltner geraten fand; in
Männern wie Lullius, Ambach und Ligarius Persönlichkeiten
in das Kirchenamt zu berufen, die der Wittenberger Ortho-
doxie ferner standen und einen engeren Anschluß an den
oberdeutschen Protestantismus erwarten ließen.
.Zur Schlichtung der ärgerlichen Händel über Fragen
der Liturgie scheint sich nun freilich der Praeceptor Ger-
maniae nicht für die geeignete Persönlichkeit gehalten zu
haben, und so überließ er die Leitung der Verhandlungen
seinem Begleiter Pistorius und beschränkte sich seinerseits
darauf, das Protokoll aufzunehmen). Johannes Pistorius,
der bis 1583 in dem benachbarten Nidda wirkte und bei
der Cölner Reformation mitgeholfen hatte, darf zu den Unions-
theologen des 16. Jahrhunderts gezählt werden. Die päpst-
lichen Legaten hatten ihm erst kürzlich in Regensburg das
Zeugnis ausgestellt, er sei ein frommes, aufrichtiges, be-
ständiges Männlein. Auch bei den Schweizern war er wohl-
gelitten, da er von sich erklärte, se suam simpliciter (de
sacra Coena) exponendo sententiam nec Zwinglium nee quen-
quam damnasse. Id potius quaesivisse, ut ne propter ali-
qualem dissensum in coena Domini charitas perfectionis
vinculam rumperetur )).
Die „Vergleichung der Prädikanten allhier zu Franck-
furth im Jahr 43“, die unter dem Vorsitze dieses Mannes
1) Steitz, Die Melanchthons- und Lutherherbergen zu Frankfurt
a. M. S. 11.
*) Classen, Beziehungen usw. S. 16.
*) Das Protokoll mit den charakteristischen Schriftsügen Melanch-
thons und vielen Einschaltungen und Verbesserungen findet sich in
den Act. Eccl. Tom. III, 209 fl. Abgedruckt ist es bei Ritter, S. 289
bis 291. Ueber den unzulünglichen Abdruck C. R. V, 158f. vgl. Classen,
Besiehungen usw. S. 27 Anm. 64.
*) Ritter S. 998f.
155
zustande kam!), befriedigte die Wünsche Geltners bezüglich
der Tauffragen und der Einsegnung der Brautpaare. Da-
gegen hielt sie es für besser, an dem bestehenden Tauf-
und Abendmahlsritus nichts Wesentliches zu ändern, es würde
denn durch mehr Stünde, so reiner Lehre anhingen, samt
dieser Stadt eine Form, die für ordentlicher möcht bedacht
werden, vorgenommen. Der Schluß enthielt ganz in dem
friedfertigen Sinne, in welchem die Verhandlungen geleitet
worden waren, die Mahnung: „Wo auch zwischen den pre-
dicanten jn der lehr oder von ettlichen ceremonien Mißver-
stand vnd Vneinigkeit furfiel, so sollen sie erstlich jn yrem
gewohnlichen gesprech sich da von vnterreden, vnd sollen die
andern den jrrenden vermanen sein vnrechte meinung fallen
zu lassen, Wo aber solchs nicht helffe, sollen sie die streittige
sach, one bitterkeit vnd one lesterwort an Ein Erbarn Radt
gelangen lassen, der sich daruff wirt zu erzeigen wissen, vud
so es wichtige sachen sind, wirt ein Erbar Radt bey andern
Kirchen, da reyne lehr geprediget wirt, radt suchen. Vnd
sollen also, alle zwispalt vffgehoben seyn, vnd wollen wir
beide Pistorius vnd Philippus sie, die berrn predicanten vmb
gottes willen gebeten haben sie als gottforchtige wollen got
zu lob, vnd jn betrachtung, das sunst leider viell grösser
zerrüttungen sind, vnd wir schuldig sind vnsere kirchen mit
allem vleis zusamen zu halden, gemeine Einikeit jn dieser
kireben vnd stadt albie erhalden helffen.“
Viel wichtiger für die kirchliche Entwickelung der Stadt
als dieser Besuch Melanchthons waren die Ratschlüge, welche
er in den Streitigkeiten über das Interim erteilte ?).
Am 15. Mai 1548 war das Interim in Augsburg als
Reichsgesetz proklamiert worden. Eine ganze Reihe katho-
lischer Lehren und Einrichtungen, die von den Protestanten
verworfen wurden, waren von ihm ausdrücklich beibehalten:
die autoritative Schrifterklärung durch die Kirche, die
Siebenzahl der Sakramente, die Transsubstantiationslehre, die
Anrufung der Maria und der Heiligen, die Fastengebote, die
alten Kirchenfeste, die Prozessionen, Chorhemden und Kerzen.
Ein Zugeständnis, nicht au den Protestantismus, sondern den
Episkopalismus war es, wenn neben dem Primat des Papstes
auch das Recht der übrigen Bischöfe auf unmittelbare gött-
1) Außer von Pistorius und Melanchthon ist sie noch unter-
zeichnet von Peter Geltner, Matthias Limperger, Melchior Ambach,
Johannes Lullius, Andreas Zöpffel, Sebastian Ligarius und Eberhard
Haberkorn.
23) Ueber die Einführung des Interims in Frankfurt unterrichtet
im einzelnen Steitz, Hartmaun Beyer S. 25 ff.
11*
156
liche Einsetzung zurückgeführt wurde. Rechnung getragen
war der Reformation, wenn der Artikel von der Recht-
fertigung eine Fassung bekommen hatte, in der allenfalls
auch die Evangelischen ihre Auffassung ausgedrückt finden .
konnten, und wenn die Messe statt für ein Sühnopfer viel-
mehr für ein Gedenkopfer erklärt wurde. Die einzigen
wirklichen Zugeständnisse an die Protestanten waren der
Laienkeleh und die Priesterehe. Ueber den Entschluß des
Kaisers, diese kirchliche Neuordnung auf jeden Fall durch-
zuführen, war man in Frankfurt von Anfang an nicht im
Unklaren. Dem Vertreter der Stadt, Dr. Humbracht, hatte .
bei den Augsburger Verhandlungen der kaiserliche Vize-
kanzler Heinrich Hase gedroht: „Das ist des Kaisers Meinung,
daß er das Interim gehalten wissen will, und sollte er ein
Königreich dartiber zusetzen. Lernet nur das Alte wieder,
oder man wird euch Leute schicken, die es euch lehren;
ihr sollt noch Spanisch lernen !).“
In Frankfurt richtete man in dieser kritischen Zeit die
Blicke nach Sachsen, wo der Widerstand gegen das neue
Reichsgesetz sich am kräftigsten regte, und verschaffte sich
ein Gutachten, das Melanchthon für Moritz von Sachsen auf-
gesetzt. hatte °). Dieses Gutachten beteuert zunächst, die
Friedensliebe seines Verfassers und gibt auch zu, die Kirchen
seien in vielen Landen also ungleich und zerrissen, daß die
Notdurft erfordere, daß Kaiserliche Majestät auf eine ziem-
liche Form trachte. Aber Melanchthon findet es mit dem
vorläufigen Charakter des Interims, das die endgültige Ent-
scheidung einem Konzil vorbehalten wollte, nicht entsprechend,
daß es sich nicht auf das Notwendige beschränkt habe,
sondern gegen Ende viel unnötige Sachen bringe, von denen
zwar einige wie die Fasten und Kirchenkleider leidlich seien,
andere aber, wie z. B. die Privatmesse, die Seelenmessen, der
Kanon, die Anrufung der Heiligen von evangelischer Seite für
unrecht und nichtig angesehen würden. „Dieser Stücke Auf-
richtung“, erklärte er, „ist in unsern Kirchen nicht wohl mög-
lich, und so sie sollen ins Werk gebracht werden, würde es Ver-
folgung und große Betrübung machen, würden auch viel gott-
fürchtiger Leut geärgert, und also verwundt, daß darnach
) Steitz, Hartmann Beyer S. 82.
) Philippi Melanchthonis Consilium 1548. Act. Eecl. III Suppl.
Stück 2. Ohne Datum und Unterschrift, Abgedruckt C. R. VI. No. 4190.
8. 842—845 mit Datum vom 1. April und der Ueberschrift: Responsio
Philippi Melanchthonis ad Interim, bzw. Ein Bedenken D. Philipp
Melanthonis an Herzog Moritzen des Interims halben. MDLVIII.
Bei Steitz ist das Stück nicht berücksichtigt.
157
in ihren Herzen Unwille zu aller Religion aufwachsen würde,
und sonderlich solche äußerliche Ceremonien, die vor Augen
sind, bewegen das gemeine Volk heftiger denn andere
Sachen, die nicht also vor Augen sind. Ich achte, daß
solche Veränderungen in den großen Städten nicht werden
aufgenommen werden. Auch würden Fürsten und andre
Personen ausgeschrieen, als seind sie vom Glauben abge-
fallen.“ —Diese entsehiedenen Sätze hinderten dann freilich
Melanchthon nicht, im einzelnen mit seinen Zugeständnissen bis
an die äußerste Grenze zu gehen. Von der Väter Lehre,
von der Kirche, dem Papst, Bischöfen, Konzilien und Sakra-
menten meinte er, man könne sich so vernehmen lassen,
damit Kaiserliche Majestät sehen möge, daß der gute Wille
zur Einigkeit vorhanden sei. Selbst der Fassung, die der
Artikel von der Rechtfertigung gefunden batte, riet er nicht
zu widersprechen. Er fand am Schlusse selber, daß er um
gemeiner Einigkeit willen viel nachgegeben habe, aber er
kündigte zugleich an, er wolle und müsse härter reden, so
kein Friede zu erlangen sei, und er wies auf andere hin,
die wohl nicht so gelinde reden würden.
Das Bestreben zu jedem nur irgend müglichen Ent-
gegenkommen war Wasser auf die Mühle der Frankfurter
Friedenspolitik, die im Schmalkaldischen Kriege dahin ge-
führt hatte, daß der Rat, um nur die Gunst des Kaisers
nicht zu verscherzen, im Dezember 1546 die Stadt ohne
Schwertstreich an Büren auslieferte, der schon an ihr vor-
übergezogen war. So nahm der Rat jetzt auch das Interim
an und verbot den Prädikanten, Kontroverspredigten zu
halten. Ebenso sollten sie künftig in der Abendmahls-
vermahnung den Passus weglassen: „Auch ist dies heilige
Sakrament ein Kennzeichen dieser Zeit vor Gott und der
Welt, daß wir mit Worten und Werken allen Verführungen
des Papsttums und anderem Irrtum entsagen.“ Aber ab-
gesehen von Peter Geltner zeigten sich die Prädikanten
den Vorstellungen des Rates wenig zugänglich, und als
dieser ihnen am 18. August zumuten wollte, am nächsten
Sonntag die in dem Interim gebotenen Feiertage und das
Fastengebot von der Kanzel zu verkündigen, weigerten sie
sich dessen und begründeten ihren Widerspruch durch eine
mannhafte Erklärung Melchior Ambachs. Durch Hartmann
Beyer wandten sie sich zugleich im Namen einiger Nach-
bargeistlichen an eine Reihe angesehener Theologen wie
Pistorius, Brenz und Aepinus, auch an Melanchthon um Rat,
was zu tun sei, si peterent gubernatores, ut ritus aliquos
veteres adiaphoros restituamus, quia sperant, ea moderatione
vel servitute potius obtineri posse, ne alia imperentur, quae
158
recipi non possunt!) Melanchthon kam diesem Wunsche
nach und wiederholte den Frankfurtern und ihren Kollegen
seine Ansicht in einer ausführlichen Darlegung vom 20. Januar
1549. In dem Briefe, von welchem sein Votum begleitet
war, gab er gegen den vop ihm vorausgesehenen Vorwurt
der Schwäche seinen allgemeinen Gesichtspunkt an: Videor
fortassis mollior aut timidior; sed omne consilium meum
eo spectat, ne deserantur Ecclesiae. Auch der Bußruf
fehlte nicht: Saepe cogito, haec mala, in quibus nune sumus,
ex nostris dissidiis orta esse, et confirmatam esse audaciam
eorum, qui stabilire impios cultas conantur, cum viderent
nos de re non parva dissidere. Deploremus igitur nostras
miserias, etf nostra moderatione eas lenire studeamus, ita
ne prorsus Ecclesiae deserantur.
Das Gutachten selbst muß für Beyer und seine Ge-
sinnungsgenossen eine schwere Enttäuschung gewesen sein.
Hatten sie erwartet, Melanchthon werde sie in ihrer ent-
schiedenen Haltung bestürken und mit der Autorität seines
Namens decken, so fanden sie nun gerade das Gegenteil.
Melanchthon will nicht den starken Geistern Vorschriften
machen, die, unbekümmert um die damit verbundene Gefahr,
bei der geringsten Gelegenheit ein herrliches Bekenntnis
ablegen möchten. Für sie hat er nur die Warnung, sie
sollten nicht Igaovdeloı sein, so wie Petrus, der zuerst
der treuste unter allen Aposteln sein wollte und dann seinen
Herrn vor einer Magd verleugnete. Ihm handelt es sich
um einen Rat für die Schwachen, und dabei ist er mit den
vielen Fürsten einverstanden, die von ihren Pfarrern die
Wiedereinführungeiniger alten, unwesentlichen Riten wünschten
und sich von dieser entgegenkommenden Haltung für die
Kirche den Gewinn versprachen, daB keine weitergehenden
1) So rekapituliert Melanchthon die Anfrage in seinem Schreiben
an die Frankfurter Pastoren und ihre Kollegen, C. R. VII, 321 Nr. 4175.
Der Brief trügt das Datum vom 20. Januar 1549. Hiernach dürfte
das Datum des gleichzeitigen Gutachtens Melanchthons, das C. R. VII,
922—896 auf den 29. Januar ansetzt, zu berichtigen sein, Die Ab-
schrift dieses Gutachtens Act. Eccl. Tom. III, 202—207, deren Lesart
stellenweise von dem Text in C. R. abweicht, trägt kein Datum. Eine
deutsche Übersetzung dieses Gutachtens findet sich Act. Eccl, III
Suppl, 1. Stuck, mit der Überschrift: Sententia Philippi Mel: De
rebus mediis, Die für Melanchthon besonders charakteristischen Stellen
sind unterstrichen, und zwar — nach dem Unterschiede der Tinte zu
schließen — von dem Referenten im Rate. Abgedruckt ist das Gut-
achten auch bei Ritter S. 403ff. Der 29. Januar dürfte das Eingangs-
datum sein.
159
Forderungen gestellt und die Gemeinden nicht um anderer,
größerer Dinge willen verwirrt würden. Maßgebend ist ihm
dabei der Rat des Petrus (1. Petr. 4, 17), man müsse leiden,
wenn es nötig sei. Man müsse das Volk dazu erziehen,
den Unterschied zu verstehen zwischen Notwendigem und
Nichtnotwendigem. Das Bekenntnis der Wahrheit müsse
sicherlich nicht nur bei den Gelehrten und Helden, sondern
bei jedermann der Rücksicht auf Leben und Frieden vor-
gehen, wenn z. B. die Wiederannahme von Irrlehren oder:
der offenbare Mißbrauch der Messe oder die Anrufung der
Heiligen verlangt werde. Aber wo die Beobachtung der
alten Ordnung der Gesänge, Feiertage und Meßgewänder
gewünscht werde, da dürfe man nicht ein ganzes Volk Ge-
fahren ausseizen, und wenn bei Basel ein Mann verbrannt
worden sei, der die Fasten gebrochen habe, so'sei zwar die
Grausamkeit seiner Richter verwerflich und seine Charakter-
festigkeit nur zu loben, aber er hätte gewiß nicht übel ge-
tan, wenn er sich dieser Gefahr gar nicht erst ausgesetzt
hütte, und keinesfalls dürfe man es andern durch den Hin-
weis auf ihn zur Pflicht machen, die gleiche Gefahr zu suchen.
Es sei auch noch die Frage, wer übel tue: wer fest und
starr dabei bleibe, etwa in der Frage der Meßgewänder
nicht nachzageben, um nur als charaktervoll gerühmt zu
werden, auf die Gefahr hin, daß die Kirche veröde; oder
wer sich füge und um des Wohls der Kirche willen aller-
lei lästige Dinge hiunehme, die nicht geradezu gottlos seien,
damit nur in den Haupsachen die Kirche in ihrem bisherigen
Zustande erbalten bleibe und die Predigt des Evangeliums
nicht verboten werde. Auch darauf macht Melanchthon
aufmerksam, daß es noch ein anderes Feld gebe, auf dem
jene entschiedenen Geister ihren Eifer betätigen könnten,
nämlich die Kirchenzucht, aber da heiße es von manchen,
daß sie Mücken seihen und Kamele verschlucken (Matth. 23, 24);
— Pugnant aliqui de veste et interea prorsus tacent de dis-
ciplina, imo magis iam?) laxant, tacent et de excommuni-
catione ef aliis nervis vitiosorum cultuum. Auf die christ-
liche Freiheit dürfe man sich in dieser Frage nicht berufen,
denn nicht um sie handle es sich jetzt, sondern um die not-
wendigen Artikel der Lehre, die christliche Freiheit aber
sei mannigfach mißbraucht worden. Sie werde aber durch
die Unterwerfung unter das Interim auch gar nicht berührt,
wofern nur die rechte Lehre erhalten bleibe. Denn der
wahre Gottesdienst bestehe nicht in den Riten, sondern in
größeren Dingen, im wahren Glauben, in der Anrufung, in
1) Ist wohl Schreibfehler für eam.
160
Liebe, Hoffnung, Geduld, Wahrheit, Bekenntnis, Keuschheit,
Gerechtigkeit gegen den Nächsten und anderen Tugenden.
Ohne jene Lehre und ohne diese Tugenden sei die äußere
Freiheit in Speisen, Kleidung und &hnlichen "Dingen gar
keine christliche Freiheit, sondern nur eine neue äußere
Ordnung (nova politia), die allerdings dem Volke mehr be-
hage, weil sie nicht soviel Gebundenheit an sich habe. Zum
Schlusse erfahren wir auch, warum Melanchthon sich so
leicht mit den alten Bräuchen wieder anfreundet: sie sind
ihm selber lieb, Hält man ihm das Pauluswort (Gal. 2, 18)
entgegen: „Wenn ich das, so ich zerbrochen habe, wiederum
baue, so mache ich mich selbst zu einem Ueberireter,^ so
erkennt er die Richtigkeit dieses Wortes für Paulus an:
Non erravit Paulus in destruendo. Für seine eigene Zeit
aber macht er die bedeutungsvolle Einschränkung, daß an
der Beseitigung der alten Riten nostra infirmitas schuld ge-
wesen sei; namentlich die Abschaffung der Privatbeichte
kann er nicht verschmerzen, und ihre Wiedereinführung hätte
er längst gewünscht. Deshalb rät er: Fateamur nos homines
esse ef potuisse quaedam temere et incircumspecte dicere
et facere. Talia, si qua sunt, non gravatim emendemus.
Nee restitutio aliorum rituum mediorum praevaricatio est,
cum doctrinae puritas retinetur. Zuletzt klingt das Gutachten
aus in die. Mahnung, nicht immer neuen, unnötigen Streit
heraufzubeschwören, und in den Wunsch, der Sohn Gottes,
unser Herr Jesus Christus, wolle das Licht der wahren Lehre
und die wahre Anrufung nicht auslöschen lassen.
Wir besitzen kein unmittelbares Zeugnis über die Auf-
nahme, welche dieses Votum Melanchthons bei den Frank-
furter Pfarrern gefunden hat. Wenn es immer wieder sich
bemühte, eine durior opinio zurückzuweisen und die duri
und docti auf die praktische Tragweite dessen, was sie
horride et Stoice gegen jeden Vorschlag zur Nachgiebigkeit
vorbrachten, hinwies, so waren das ebensoviel Versuche, die
Frankfurter Prüdikanten zu modestia et tolerantia in unter-
geordneten Fragen zu bestimmen und sie davon zu Über-
zeugen, daß haec ipsa submissio, cum?) fieret retinendi
Evangelii causa, honestior esset quam superbia in deseren-
dis ecclesiis. Aber der weitere Gang der Dinge zeigte, wie
wenig Eindruck diese Ausführungen auf das Predigermini-
sterium machten. Dagegen gab es dem Rate, der von seinem
Inhalte Kenntnis erhielt, Anlaß, den Prädikanten seine Forde-
rungen von neuem einzuschürfen. Am 22. Februar und am
12. März 1549 verlangte er von ihnen, sie sollten mindestens
1) C. R.: si.
161
die Alba anlegen und beim Abendmahl Kerzen auf dem
Altar anzünden. Da er sich dabei auf das Gutachten Me-
lanchthons berief, so nahm Hartmann Beyer Veranlassung,
ihm in einem ausführlichen Schreiben zu beweisen, daß
diese Berufung nicht statthaft sei. Um diesen schwierigen
Nachweis zu erbringen, der Melanchthon doch nur das Gegen-
teil von dem sagen lassen wollte, was dieser tatsächlich ge-
sagt hatte, „geht er auf dessen Unterscheidung des Not-
wendigen und Zufälligen ein, sucht aber die Grenzlinie
zwischen beiden mit Schärfe zu bestimmen. Zum Kern und
Wesen des Evangeliums, wovon die Kirche auch nicht ein
Haar breit weichen dürfe, rechnet er vor allem die Lehre
von der Rechtfertigung aus dem Glauben allein, mit Ver-
werfung der Sätze: der Mensch werde vor Gott durch die
Werke gerecht, oder durch Glauben und Werke, oder durch
Glauben, Liebe und Hoffnung. Wesentlich sind ihm ferner
die Lehren von Christo, dem einzigen Mittler, von dem Unter-
schiede zwischen göttlichen Gesetzen und menschlichen Ueber-
lieferungen, von der Berechtigung aller Stände zur Ehe, von
der wahren Kirche, deren Merkmal ihm nicht die Zahl der
Glieder ist, noch die äußere Macht, noch die Zeit ihrer
Dauer, sondern die lautere Predigt des göttlichen Wortes
und der rechte Gebrauch der Sakramente, sowie das Kreuz
und die Trübsal, welche dem Bekenntnisse folgen. In Be-
ziehung auf die Sakramente betrachtet er als wesentlich ihre
Zahl und ihren Gebrauch, der das Opfern, Herumtragen und
Anbeten der Hostie ausschließe. Was in diesen Lehren ent-
halten sei, dürfe nicht nur affirmativ, sondern auch negativ,
d. h. durch ausdrückliche Verwerfung des Gegenteils, aus-
gesprochen werden; ja, diese letztere Behandlung sei die
nachdrucksvollere und fruchtbarere, wie denn auch Gott die
zehn Gebote in negativer Form aufgestellt habe. Wenn
diese Lehren in ihrer ganzen Reinheit und ihrem ungeschmä-
lerten Umfange bewahrt würden, könne man im übrigen,
in Melanchthons Sinne, wohl zweckmäßige Aenderungen vor-
nehmen. Der Magistrat aber erfülle diese Bedingung nicht,
da er die wahre Lehre beschränke und Mißbräuche anzu-
zeigen und zu strafen verbiete. Darum dürfe er sich auch
Melanchthons Folgerung nicht aneignen*!) Der Streit um
das Interim setzte sich dann noch lange fort, bis zum Jahre
1553. Dann gaben die Prüdikanten „aus christlicher Frei-
heit und Liebe^ wenigstens in der Frage der Feiertage nach.
Auf den Dom hatten sie bereits im Herbst 1549?) verzichten
miissen.
1) Steits, Hartmann-Beyer S. 12f.
*) Oder schon 1548?
162
Der Verkehr zwischen Melanchthon und Hartmann Beyer,
der in diesen Kämpfen eine besonders exponierte Stellung
einnahm, brach auch in diesen kritischen Zeiten nicht ab.
Aus einem Briefe Melanchthons, den die Herausgeber des
Corpus Reformatorum dem Jahre 1550 zugeschrieben haben)),
ersehen wir, daB sich Beyer in Wittenberg Rats erholte
(tu nune consilium flagitas). Doch ist nicht ersichtlich, um
was es sich handelte (Non scio, quid . . .) a vobis). Es
scheint sich um eine Meinungsverschiedenheit mit Geltner
gehandelt zu haben, der in den Interimsstreitigkeiten seine
eigenen Wege ging (Petrum miror suis interpretationibus
lenire manifeste absurda. — Der „handgreifliche Unsinn“
Geltners ist uns freilich gänzlich unbekannt. Die Verant-
wortung, die für Melanchthon mit der Erteilung eines Rates
verbunden ‚war, schien groß, aber er wich ihr nicht aus.
(Non fugio periculum in dando consilia) Beyer muß sich
für seine Stellungnahme auf sein Gewissen berufen haben,
und Melanchthon versicherte ihm, daß er ihn nichts wider
sein Gewissen tun heißen werde. (Te non iubeo aliquid
facere contra conscientiam.) Im folgenden Jahre?) be-
scheinigte Melanchthon „seinem Freunde“ Beyer auf Grund
der Lektüre einiger seiner Schriften 9: Pietatem tuam, et
in explicatione dogmatum diligentiam et fidem probo, und
suchte zugleich durch seine Vermittelung für einen jungen
Verwandten Wellers, Johannes Stumm aus Freiberg, eine
Stellung im Schuldienst in Frankfurt oder anderswo. Aus
den folgenden Jahren liegen uns von Melanchthon Beteuerungen
seiner Freundschaft mit Beyer vor°). Beyer seinerseits unter-
ließ es nicht, wenn er nach Thüringen und Sachsen reiste,
auch Melanchthon aufzusuchen. Aber wer erkennt nicht an
1) C. R. VII, 711. Nr. 4830.
*) C. R. ergänzt die Lücke: requiratur.
3) Am 20. August 1551. C. R. V, 822f. Nr. 4941.
*) Gemeint sind jedenfalls die veiden in jener Zeit von ihm
pseudonym veröffentlichten Bücher, die Steitz S. 182 Anm. 185 er-
wähnt. Nicht gekannt hat Steitz übrigens die in dem Briefe bezeugte
Publikation von Aepins oúyyoapna neol Óuxatoobvag.
5) C. R. VIII, 158. Nr. 5476. Brief an Beyer vom 6. Oktober 1553:
Volo nempe inter nos perpetuam esse amicitiam, C. R. VIII, 484.
Nr. 5785 vom 20. Mai 1555: Cum et utiliter servias Ecclesiae dei in
propagatione doctrinae et coniunctionem Ecclesiarum nostrarum eximia
pietate et constantia tuearis, diligi te ab omnibus piis iustum est.
Mea etiam erga te benevolentia confirmata est vetustate, Quod autem
raro ad te scribo, fit non oblivione tui, sed propter occupationum
nostrarum confusionem.
163
der Geflissentlichkeit, mit welcher namentlich Melanchthon
jetzt seine freundschaftlichen Gefühle betont, daß es dieser
ausdrücklichen Betonung bedurfte, und daß bereits der
Zündstoff sich ansammelte, der im Jahre 1557 zu jener
Explosion zwischen den beiden Männern am Tische Claus
Bromms führte? Est intimus Vestphalo, berichtete damals
Languet als Augenzeuge über Beyer an Calvin!) Daß aber
bei dem Frankfurter Prüdikanten die Freundschaft mit
Westphal an die Stelle derjenigen mit Melanchthon treten
konnte, das batte seine letzte Ursache in seiner Unzufriedenheit
mit der Haltung Melanchthons in der Frage der Adiaphora.
Die Spannung, welche seitdem zwischen beiden Münnern
bestand und weder durch Briefe, noch durch persönliche
Begegnungen sich beseitigen ließ, führte in der Folge dazu,
daß der Einfluß Melanchthons auf die Frankfurter Kirche
in den fünfziger Jahren merklich zurückging. Man traute
ihm hier nicht mehr recht, nachdem er im Streit um das
Interim eine so große Nachgiebigkeit bewiesen hatte. Und
die Stellung, welche er dann in der Abendmahlsfrage ein-
nahm, als der zweite Abendmahlsstreit ausgebrochen war,
diente nicht dazu, sein Ansehen zu stärken.
Diese Entwicklung wird uns aber noch verständlicher,
wenn wir beobachtet haben, wie gleichzeitig das lutherische
Element im Predigerministerium die Oberhand bekam.
6. Das Erstarken des lutherischen Elementes.
Schon mit der Uebersiedelung Butzers nach England 1549
schied eines der vermittelnden Elemente aus, die bis dabin
den dogmatischen Charakter der Stadt bestimmt hatten.
Nachdem dann der adiaphoristische Streit die bisher unbe-
strittene Autorität Melanchthons erschüttert hatte, wuchs sich
mit dem Beginn des zweiten Abendmahlsstreites das Gnesio-
luthertum auch in Frankfurt zu einem Faktor aus, der für
den weiteren Gaug der Dinge allmälig mafgebende Be-
deutung erlangte. Ihm schlossen sich jetzt auch hier die
Mehrzahl der Pfarrer an, und nicht nur ziffernmäßig waren
seine Vertreter hier nun bald im der Mehrheit, sondern sie
standen auch moralisch wegen ihres charaktervollen Auf-
tretens gegen das Interim in hohem Ansehen.
Lutber selbst hatte die Frankfurter Verhältnisse, seit er
durch Cellarius für sie interessiert worden war, nicht wieder
aus dem Auge gelassen, und wenn wir hören, daß der
spätere Frankfurter Prädikant Hartmann Beyer, ein geborener
1) Brief vom 15. März 1558. C. R. IX, 484,
164
Frankfurter, von 1534 an bis za Luthers Tode in Witten-
berg studierte!), so wissen wir auch, auf wen seine Infor-
mationen über die kirchlichen Zustände in der alten Kaiser-
stadt zurückgingen. Auch in Frankfurt ließ man die Be-
ziehungen zu dem anerkannten Haupte des deutschen Pro-
testantismus nicht abbrechen. Man wandte sich 1535 an
Luther wegen der Wiederherstellung der Messe im Dom),
und ebenso nahm man außer den Diensten von Brenz?)
auch die seinen in Anspruch“), als man um dieselbe Zeit
auf der Suche nach einem Nachfolger für Melander war.
Luther hätte es damals am liebsten gesehen, wenn Cellarius
nach Frankfurt zurückgekehrt wäre. Aber die Verhandlungen
zerschlugen sich. Die Frankfurter beriefen daraufhin 1536
Nikolaus Maurus aus St. Goarshausen, einen unverträglichen
Menschen, den man schon nach kurzer Zeit gern wieder
ziehen lief?) Geneigter einem Rufe nach Frankfurt zu
folgen, war Cellarius 1539. Sein Hausrat war bereits dahin
unterwegs, als er sich in letzter Stunde noch entschied, lieber
nach Dresden zu gehen“). Doch hinderte ihn das nicht,
sich 1540 von Frankfurt zum Wormser Religionsgespräch
abordnen zu lassen *).
Mit ihm war zugleich Peter Geltner in Worms, der 1536
in den Frankfurter Kirchendienst eingetreten war und bis
zu seinem Tode (1572) blieb. Er war ein entschiedener
Vertreter des genuin süchsischen Luthertums, das mit durch
sein Ansehen zum Siege in der Stadt gelangte. Ihm waren
alle, die in der Abendmahlslehre nicht den schroff lutherischen
Standpunkt einnahmen, ,Sakramentierer", und er hielt es,
wie sich in dem Katechismusstreite zeigte, für seine Pflicht,
den Rat und die Gemeinde gegen sie scharf zu machen,
selbst wenn sie seine nächsten Kollegen waren?) Es be-
1) Steitz, Hartmann Beyer, S. 10. 15.
*) Brief des Rates an Luther und Melanchthon vom 27. Oktober
1535. Enders X, 251 ff.
) Ritter S. 221, Man dachte damals auch daran, Schnepf nach
Frankfurt zu ziehen.
) Erl. Ausg. 55, 113. Vgl. dazu Enders X, 271: Brief des Rates
an Luther vom 98, November 1535.
5) Vgl. Enders X, 271 Anm. 2.
) Vgl. seinen Brief aus Dresden an den Frankfurter Rat vom
1. Juli 1539, Bei Ritter 8. 131f.
) Eine sonst nicht bezeugte zweite Tätigkeit des Cellarius in
Franifurt, die Dechent 8.153 gern annehmen möchte, ist hieraus
nicht zu folgern. Theologen wurden damals auch sonst ausgeliehen.
) F. N II. 62.
168
reitete ihm dabei auch nicht die geringsten Skrupel, daB
auf der Tagung des Schmalkaldischen Bundes in Frankfurt
der Kaiserliche Gesandte eben dieses Schlagwort hatte be-
nützen wollen, um Uneinigkeit in die Reihen der Verbündeten
zu bringen, die Versammlung aber ihm auf diesem Wege
nicht gefolgt war!). Sympathischer berührt es uns, daß er
eine hervorragende Arbeitskraft war und über eine große
Gelehrsamkeit verfügte. Der Rat machte sich seine Ge-
lehrsamkeit gern zunutze, indem er ihm bei Streitigkeiten
mit dem Mainzer Erzbischof wegen des Dominikanerklosters
die: Ausarbeitung von Gutachten über die Rechtslage der
Klöster in der Stadt übertrug“). Ebenso empfahl er sich
dem Rate durch seine Fähigkeit, sich schwierigen Verhält-
nissen mit Geschick anzupassen. Das zeigte sich besonders
in den kritischen Zeiten, welche mit dem Interim anbrachen.
An der Spitze seiner Kollegen hatte damals der greise
Melchior Ambach erklärt, er könne sich dem Gebote, die
katholischen Feiertage und die Fastenordnung wieder ein-
zuschärfen, nicht fügen, und das tapfere Bekenntnis abgelegt:
„Muß ich schon ins Elend, welches doch mir alten und
Schwachen hoch beschwerlich, oder sonst etwas, so Gott
über mich verhängen möchte, drob gewarten, so ist's besser,
in der Menschen, denn Gottes Zorn und Urteil fallen“).
Geltner aber meinte wie der Rat, mit Nachgiebigkeit am
weitesten zu kommen, und verktindigte die Gebote. Dabei
behauptete er, das Interim sei durchaus dahin gerichtet,
daß es auf den Glauben an Christum weise, und verschanzte
sich dann hinter der Erklärung: „Wo der Glaube an
Christum ist, da kann man sich solche andere Dinge nicht
irren lassen.“ Auch sonst liebte er es, seine eigenen Wege
zu gehen. Hartmann Beyer, der ihm theologisch sehr nahe
stand, nannte ihn einen Mann von verschlossener Gemtitsart
und zweideutigem Charakter, und selbst der Verdacht wurde
geäußert, daß ihm die Gunst der Großen wichtiger sei als
die Stimme seines eigenen Gewissens“). Wenn sich später
Poullain, der doch in der ersten Zeit viel Verkehr mit den
Vertretern des Luthertums in der Stadt unterhielt, zu diesem
Mann nicht hingezogen fühlte, so ist das einem so eigen-
artigen Charakter gegentiber nicht eben auffallend.
1) Vgl. die Briefe Calvins an Farel vom März und April 1589.
Calv. Opp. X, 2. p. 880. Nr. 164 und p. 841, Nr. 169.
3) Steitz, Hartmann Beyer, S. 167.
) Ebenda S. 86.
) Steitz, Hartmann Beyer, S. 87.
166
Es begreift sich unter diesen Umständen auch leicht,
daB Geltner, obwohl der älteste, doch an Ansehen bedeutend
überflügelt wurde durch einen anderen Kollegen, der zwar
erst zehn Jahre nach ihm sein Pfarramt in Frankfurt an-
trat, aber durch sein mannhaftes Verhalten in den Kämpfen
um das Interim sich das höchste Maß von Achtung und
Vertrauen in der Bürgerschaft erwarb, aus deren Mitte er
selber hervorgegangen war. Es war Hartmann Beyer, der
für den 1545 verstorbenen Sebastian Ligarius an die Peters-
kirche berufen wurde. Er war 1516 in Frankfurt geboren
und durch ein Stipendium der Stadt in die Lage versetzt
worden, seit 1534 in Wittenberg zu studieren, wo er 1539
zum Magister der freien Künste promovierte, aber erst nach
Luthers Tode sich examinieren und ordinieren ließ. Sein
Interesse gehörte in jenen Jahren ganz besonders stark neben
der Theologie der Mathematik. Als den Gewührsmann für
Luthers Kenntnis der Frankfurter Dinge haben wir ihn be-
reits kennen gelernt. Doch scheint er dem strengen Luther-
tum nicht von Anfang ergeben gewesen zu sein. Auf nähere
Beziehungen zu Melanchthon, der selber das Alter seiner
Freundschaft mit ihm betonte, weist es hin, wenn der Prae-
ceptor Germaniae bei seinem Aufenthalt in Frankfurt im
Sommer 1536 bei Antonius Eller Quartier nahm, der Beyer
bis an sein Ende nahe stand!) Einen Vertreter milderer
Anschauungen wenigstens in seinen jüngeren Jahren lift
es vermuten, wenn er sich zunächst an Ambach anschloß,
mit ibm in dem Streite um das Interim Schulter an Schulter
kämpfte und in schwierigen Füllen sich mit ihm besprach.
In dieselbe Richtung scheint es auch zu weisen, daß er sich
in dritter Ehe mit der Tochter seines Amtsvorgängers ver-
mühlte. Erst nach dem Ausbruche des zweiten Abendmahls-
streites, als er durch den Buchdrucker Brubach mit Joachim
Westphal bekannt geworden war, scheint sich seine Wand-
lung angebahnt zu haben. Poullain konnte anfangs noch
ganz unbefangen mit ihm verkehren; nicht er, sondern
Geltner üuDerte die ersten Bedenken gegen die Fremden.
Interessant ist der Rat, welchen ihm Luther bei der Berufung
in die Frankfurter Heimat mitgab. Hatte Geltner in den
ersten Jahren unnötige Aufregung verursacht, indem er die
Zeremonien der sächsischen Kirche nach Frankfurt zu ver-
pflanzen suchte, wo man von ihnen nichts wuDte und auch
nichts wissen wollte, so mahnte Luther den neuernanuten
Frankfurter Prädikanten zur Vorsicht in diesen Dingen: er
solle es so belassen, wie er es finde, und sofern die Lehre
1) Steitz, Melanchthons- und Lutherherbergen. S. 11.
167
lauter und rein getrieben und geduldet werde, in den kirch-
lichen Gebräuchen keine Aenderung vornehmen, weil diese an
sich „ein frei Ding“ seien und nichts gäben noch nühmen!)
Bei den Erürterungen über die Durchführung des Interims
scheint sich Beyer dieses Rates erinnert zu haben, und
Luthers Rat scheint ebensoviel Anteil wie das Verhalten
Ambachs an der Haltung zu haben, die er damals einnahm.
Bei dem Widerstande, den die Prädikanten der Forderung
des Rates, sich dem Kaiser zu fügen, entgegensetzten,
stand er bald mit in der vordersten Reihe?) Nicht er und
seine Kollegen, so gab er dem Rate zu bedenken“), brüchten
mit ibrem Widerspruch gegen das Interim die Stadt in Ge-
fahr, sondern der Rat selbst, der so schwach gewesen sei,
das Interim anzunehmen, und er unterließ es nicht, auf die
Folgen der kaiserlichen Verordnung hinzuweisen: ,Warum
läßt denn das Interim die in Meißen, die in der Grafschaft
Dillenburg und an anderen Orten mehr nicht unverworren
und unbeschwert, welche der Mitteldinge viel zuvor gehabt,
als Lichter, Bilder, Gefäße, den Ornat, lateinische Gesänge,
Orgel, Vesper, Feste und Feiertage, welches von außen dem
Papsttum fast gleich anzusehen, sondern dränget sie, in allen
Dingen dem Interim nachzukommen, welches nicht solche
geringe Dinge allein, sondern Wiederaufrichtung und Stärkung
aller päpstlichen Abgötterei, Greuel, Tyrannei, Gotteslästerung,
Menschensatzungen und Aberglauben unter falschem Schein,
durch listige, heimliche und geschwinde Griffe sucht?“ Als
der Rat, um ihn kaltzustellen, ihn (1550) vom Pfarramt in
das Rektorat der Lateinschule zu bringen suchte, lehnte er
diesen Stellentausch ab und erklärte dabei: „Man gibt mir
schuld, ich sei zu geschwind. Ich leugne es nicht, aber die
Ursache ist die, weil ich mich nicht mit Fleisch und Blut
bespreche und nicht meiner Vernunft folge, sondern sehe,
was mein Amt und Beruf erfordert, und demselben mit
1) So berichtet Beyers erster Biograph Petrus Patiens. F. R. II, 68.
* Da wir gerade über seine Stellung zum Interim besonders
gut unterrichtet sind — er bat sehr frühe schon in Petrus Patiens
einen Biographen und Lobredner gefunden —, so ist es Übung ge-
worden, ihn als die Seele des Widerstandes gegen das Interim hin-
zustellen. Er selber hat diese Rolle doch abgelehnt, er fühlte sich mehr
geschoben und wurde dann von seinem jugendlichen Ungestüm weiter
getrieben, Es scheint, daß Ambach, der bisher in der Frankfurter
Kirchengeschichtschreibung recht stiefmütterlich behandelt worden ist,
zunüchst die treibende Kraft gewesen ist.
3) Steitz, Hartmann Beyer 9. 43 ff.
168
allem Ernst und Fleiß nachkomme. Das ist etlichen ver-
drieBlich und dünket sie unnötig. Wenn ich darauf sähe,
was den Menschen wohlgefällt, würde ich auch etwas ge-
linder sein.. . Ich habe anfänglich, wie ich mich auf das
Studium der Theologie ergeben, gar wohl zuvor bedacht-
und mich also darin ergeben und nur Gott gebeten, daß
er mir seine Gnade, meinem Amte nachzukommen, und auch
Geduld in demselben möge verleihen .... Ich begehre
also zu handeln, daß ich ein gut Gewissen behalte und daß
ichs vor Gott und verständigen Leuten könne verteidigen“).
Als dann wenige Jahre später (1553) über die von dem
Rate betriebene Wiedereinführung einiger Feiertage aufs
Neue ein Streit entbrannte und der kluge Geltner sich mit
diplomatischem Geschick aus der Schwierigkeit zog, seufzte
Beyer: „Ich muß allweg der sein, der der Katz die Schelle
anhüngt, das Licht putzen und verbrennen muB. Doch —
fuhr er fort — möcht’ ich in dieser Sache alles mit gutem
Gewissen tun“ ). Da er sich unnachgiebig zeigte, wollte
der Rat an ihm ein Exempel statuieren und sprach seine
Absetzung aus. Aber schließlich mußte diese Maßregel
wieder rückgängig gemacht werden. Denn Beyer genoß,
namentlich seit dem Streit um das Interim allgemein An-
sehen und Vertrauen in der Bürgerschaft, und den Rat
lüstete es nicht nach neuen Unruhen in der Stadt Seit
seiner Wiedereinsetzung aber war der Einfluß des feurigen
Mannes größer als je zuvor, und auch in den Streitigkeiten
mit den Fremden, die bald darauf einsetzten, ist im Grunde
er es gewesen, der den Sieg davongetragen hat.
Mit Beyer war gleichzeitig Marcus Sabander (oder
Sebander, Eydmann) berufen worden, der früher Mönch im
Frankfurter Dominikanerkloster, dann Wollenweber in Fulda
und zuletzt bis zur Uebernahme des Pfarrdienstes in Sachsen-
hausen Pfarrer in der Rhön gewesen war. In seinem
wechselvollen Leben allmählich müde und „baufällig“ ge-
worden '), ist er neben Beyer nicht weiter hervorgetreten,
erscheint aber mit seiner Unterschrift unter dessen Eingaben
gegen die Fremden als sein Gesinnungsgenosse.
Ebenso „baufällig“ wie er waren bis zur Ankunft der
Fremden auch Melchior Ambach und Johannes Lullius ge-
worden), die als die einzigen Vertreter des oberdeutschen
Typus noch im Amte standen, für das kirchliche Leben der
1) Ebenda S. 57 ff.
*) Ebenda S. 69.
3) F. R. II, 67. 69.
*) F. R. 64f.
169
Stadt aber so gut wie ausgeschaltet waren, seitdem sie
(1551) ihre Predigttätigkeit eingestellt hatten).
Um dieselbe Zeit traten zwei junge Frankfurter in das
Predigerministerium ein, — eine Frucht der Anregung, die
einst Capito in seiner „Ermahnung“ 1535 gegeben hatte,
etliche Jungen, so eines frommen Wesens und ehrbaren Ver-
standes wären, zur Theologie und zukünftigen Pfarrherren
xu erziehen, denn Frankfurter Kinder würden ja mehr An-
mut zu ihrem Vaterland haben, denn etwa Fremde, die ge-
wöhnlich sich selbst suchten *). Beide sehen wir später ent-
schieden auf der Seite Geltners und Beyers stehen. Der
eine ist Christian Egenolph, der Sohn des bekannten Buch-
druckers und im Unterschiede von ihm „der Jüngere“ ge-
nannt, noch während ‚seiner amtlichen Wirksamkeit in dem
Geschäfte seiners Vaters tätig '), der andere Matthias Ritter,
der Sohn eines ehemaligen Barfüßers, der Begründer eines
ganzen Geschlechtes von Pfarrern, die einander in der
Führung des Pfarramtes in ihrer Vaterstadt ablösten.
Dank der Fürsorge Philipp Fürstenbergers und Justinians
von Holzhausen hatte der frühe verwaiste Ritter eine
gründliche Ausbildung erhalten und noch in den letzten
Jahren Luthers bei diesem und Melanchthon Theologie studiert.
Als Erzieher der Söhne Holzhausens war er dann mit seinen
Züglingen nach Straßburg gekommen, wo er Martin Butzer
näher trat), und hatte schließlich noch Paris, Poitiers ufid
Angers und die gelehrten Studien, die an diesen Universi-
täten getrieben wurden, kennen gelernt. Die Beziehungen,
die er in diesen Jahren angekntipft, hat er später in einer
ausgedehnten Korrespondenz mit lutherischen Theologen des
In- und Auslandes°) gepflegt und aufrecht erhalten. Da er
von seinen ausgedehnten Reisen her die französische Sprache
gründlich beherrschte, wurde er später dazu ausersehen, die
Verhandiungen der Stadigeistlichen mit den Fremden zu
führen. In der Zeit, in welcher er in der Frankfurter Kirchen-
geschichte hervortritt, ist bei ihm in theologischer Hinsicht
von einem Einflusse seiner Bekanntschaft mit Butzer und
1) Steitz, Hartmann Beyer, S. 107,
*) Ritter S. 818.
) Steitz, Hartmann Beyer, S. 105 f.
) An ihn wandte sich deshalb auch (am 99. Deszenver 1584)
D. J. Pappus, als er den litterarischen Nachlaß Butzers su sammeln
suchte. F. R. II, 16f.
5) Aufbewabrt in den Akten des Ev.-luth. Predigerniinisteriums,
aber heute nicht mehr in derselben Vollständigkeit vorhanden wie
zur Zeit Ritters. Vgl. das Verzeichnis bei Ritter S. 480f.
Arehiv für Reformationsgesehichte. XX. 5/4. 19
170
Melanehthon nichts mehr zu bemerken. Da erscheint er viel-
mehr als der Vertreter jenes intransigenten Luthertums, das,
bei dem alternden Luther in die Schule gegangen und von
der Denkweise Melanchthons unberührt, mit der evange-
lischen Heilserkenntnis zugleich auch ihre konfessionell-
dogmatische Ausprägung mit schroffer Ablehnung nicht nur
des Papismus, sondern auch des Schweizer und des ober-
deutschen Lehrtropus übernommen hatte. Seinen Beziehungen
zu den Fürstenbergern und Holzhausen ist es zuzuschreiben, daß
dieser Standpunkt mit der Zeit auch seine Vertreter unter
den Geschlechtern auf dem Römer fand. Bereits vor seinem
Eintritt in das Predigerministerium hatte er dem Rate eine
Probe seiner Entschiedenheit abgelegt, indem er, noch als
Krankentröster am Spital angestellt, in der Frage wegen der
Feiertage, als ihn der Rat gegen Beyer ausspielen wollte,
offen die Partei seines Kollegen ergriff).
Wenn nun auch mit dem Eintritt dieser Männer das
lutherische Element in der Stadt immer mehr vordrang, so
fehlte doch noch viel daran, daß es zur Alleinherrschaft in
ihr gelangt gewesen wäre. Dazu hätte cs zunächst der
offenen Parteinahme des Rates für seine kirchlichen Ziele
bedurft. In diesem aber waren immer noch namhafte Ver-
treter einer anderen Denkart zu finden.
Es sind bier zunächst Jobann von Glauburg und sein
jüngerer Vetter Adolf zu nennen, die beide mit Calvin im Brief-
wechsel standen und uns später als Fürsprecher der Fremden
begegnen werden. Adolf von Glauburg, der sich mit der Mystik
der lutherischen Abendmahlslehre nicht befrennden konnte,
sondern das Geheimnis der Realpräsenz mit seiner Vernunft
ergründen wollte ?) und ihr gegenüber die reformierte Abend-
mahlslehre vertrat, sich auch jede Fürbitte der lutherischen
Eiferer, daß Gott ihn aus seinem Zwinglischen Irrtum reiße,
noch in seinen letzten Tagen ganz entschieden verbat, starb
(1555) im Unfrieden mit den Prüdikanten der Stadt. Und
wenn das Verhältnis seines Vetters Johann zu diesen noch
ein Jahrzehnt später ein merklich ktühles war, so war eine
der Ursachen davon ihre Haltung gegen die Fremden, die
er nicht zu billigen vermochte.
Auch Dr. Conrad Humbracht neigte so stark zu der
reformierten Lehre und vertrat sie den Prüdikanten gegen-
über so offen und entschieden, daß er besorgen mußte, von
ihnen vom Altar zurückgewiesen zu werden, und deshalb der
kirchlichen Feier längere Zeit fernblieb. Tatsächlich wurde
1) Steitz, Hartmann Beyer 8. 79.
n Vgl. den Bericht Beyers bei Steitz a, a. O. S. 118f.
171
ihm auch, als er bei Matthias Ritter um Zulassung nach-
suchte, trotz der Fürsprache Johanns von Glauburg das
Sakrament verweigert, falls er nicht vorher vor dem ver-
sammelten Konvente sich förmlich zu der lutherischen Abend-
mablslehre bekenne. Nicht ohne Bewegung liest man die
bitteren Worte, die er für diese Härte in einem Briefe ge-
funden hat: „Wie ganz anders unser Hirte und Meister, den
sie doch preisen! Wenn der eins von seinen Schäflein ver-
loren hat, läßt er es nicht fahren, sondern läßt die neun-
undneunzig zurück und rastet nicht, bis er das verlorene ge-
funden. Mögen sie immerhin mich ausschließen, mit Gleich-
mut trage ich ihre papistische Anmaßung, halte ich mich
doch tiberzeugt, von Christus nicht ausgeschlossen zu sein,
und freue mich, mit seinen Erwählten sein Angesicht zu
schauen !).
Am wichtigsten aber war es, daß der Maun, welchen
man schon „die Seele der Frankfurter Politik“ in jenen
Jahren genannt hat?), Dr. Johann Fichard, weit davon ent-
fernt war, mit den Prädikanten einig zu geben. Dieser,
von 1533 an mit einer zweijährigen Unterbrechung (1536
bis 1538) bis zu seinem Tode (1581) Stadtadvokat in Frank-
furt, war zwar mit Ritter persönlich befreundet, wie denn
auch Ritter ihm bei seinem Tode einen warm empfundenen
dichterischen Nachruf gewidmet hat. Aber die Richtung
beider Männer war dabei doch grundverschieden. Fichard
ist von Hause aus Anhänger der alten Kirche, der sein Vater
treu ergeben war, und in der sein Oheim Konrad Fichard
das Amt eines Kanonikus an dem Frankfurter Liebfrauen-
stifte bekleidete. Ihm selbst scheinen tiefere religiöse Inter-
essen ferner gelegen zu haben. Wenn er bei seiner Be-
rufung zum juristischen Beistande des Frankfurter Rates
Bedenken trug, sich auch zur Beratung der Stadtvüter in
den kirchlichen Angelegenheiten verpflichten zu lassen, so
war dabei für ihn in erster Linie die rein praktische Er-
wägung®) maßgebend, daß er sich damit den Weg in die
Dienste eines katholischen Fürsten verbaute, auf die er ernst-
lich reflektierte. Nachdem er sich aber einmal dem Rate
zur Verfügung gestellt hatte, verstand es sich für ihn nun
auch von selbst, daß er in kirchlichen Dingen dieselben
) Ebenda S. 122.
5) Jung, Dr. Johann Fichard, F. A. 3. F. II, 229 und 241.
3) Jung, S. 238. Auf seiner italienischen Reise fand er zeitweilig
Beschäftigung bei dem Kaiserlichen Vizekanzler Matthias Held, und
nach seiner Rückkehr wäre er lieber in die Dienste des Kurfürsten
von Mainz als in die Frankfurts eingetreten.
12*
172
Wege ging wie seine Auftraggeber. Eine große Begeisterung
für die evangelische Sache freilich wird man hiernach bei
ihm nicht erwarten dürfen. Für ihn kam die Religion
wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Politik in Betracht.
Sein leitender Gedanke bei allen diplomatischen Missionen
war ein „gutes Einvernehmen mit dem Kaiser, von dessen
Gnade der Wohlstand der Stadt abhängig war, und welcher
dabei doch die Entwicklung der inneren Verhältnisse weit
weniger störte und gefährdete, als von Seiten der benach-
barten Territorialfürsten zu befürchten stand; daraus folgt,
daß er ein Feind ali der Maßregeln seitens der Protestanten
war, welche zu einem Bruch mit dem Kaiser führen mußten.
So betrachtete er nur mit großer Besorgnis den Tag dej
Schmalkaldener zu Frankfurt im Jahre 1539; aus derartigen
Sonderzusammenkünften könne nichts Gutes ersprieBen, da-
durch reiße man die Wunde auf, statt sie zu heilen. Als
der Bundestag zu Schmalkalden 1543 eine kriegerische
Wendung zu nehmen schien, warf ihn die Aufregung über
diese Vorgünge auf das Krankenlager. Daher auch seine
eifrigen Bemtihungen im Dezember 1546, die Stadt vom
Sehmalkaldischen Bunde loszulósen und, wenn auch unter
Demttigungen, dem Kaiser wieder zuzuführen“ ). Sein kirch-
liches Ideal war ,das friedliche Zusammenleben beider Kon-
lessionen^?), und deshalb war er auch überzeugter Befür-
worter des Interims. Seine.Grundsätze hat sich dann der
Rat angeeignet und die Prädikanten wiederholt ermahnt,
sich der Polemik gegen Messe und Papsttum auf der Kanzel
zu enthalten und den Bestimmungen des Interims nachzu-
kommen, sonst werde man bald die spanische Soldateska in
der Stadt haben, der Privilegien und Freiheiten verlustig
gehen und ein allgemeines Sinken des Wohlstandes erleben.
Nur willkommen war es Fichard, daß unter den Gutachten,
die Beyer bei auswärtigen Autoritäten erhoben hatte, gerade
das von Melanchthon ausgestellte mit seiner Erklärung der
Kirchengebräuche für Adiaphora, in denen man mit gutem
Gewissen auch einmal nachgeben könne, ganz seiner eigenen
Meinung entsprach. Bei dieser auf Ausgleich und Versöh-
nung bestehender Gegensätze gerichteten Sinnesart tüber-
rascht es nicht, daß auch die Fremden, die seit 1554 in
Frankfurt eine Zuflucht suchten, an ihm eine kräftige Sttitze
fanden®). Unbedingt konnten sie sich freilich nicht auf ihn
. verlassen. Seine Toleranz gegen sie dürfte an der ntichter-
) Jung, 8. 943.
) Jung, S. 258.
5 Jung 8. 254.
173
nen Erwägung, daß die fleißigen Ausländer die Kapitalkraft
der Stadt heben konnten, eine sehr reale Grundlage gehabt
haben. Und diesem Realismus entsprach es, daß sie um-
gekehrt auch in zwei Fällen ein Ende finden konnte: ein-
mal, wenn zu besorgen stand, daß der konfessionelle Friede
durch sie gestört werde; und dann, wenn der Neid der Zünfte
gegen ihre Geschäftstüchtigkeit wach wurde. Aber inner-
kirchliche Gründe waren dabei nicht für ihn maßgebend.
So lagen die Dinge bei der Entstehung der Fremden-
gemeinden in Frankfurt. Der Bekenntnisstand der Stadt
war noch keineswegs fesigeregelt, und seine abschließende
Gestalt hatte er eben darum auch noch nicht erreicht, Auf
dem Punkte, den er einstweilen erreicht hatte, ließe er sich
in Kürze als evangelisch-reformiert bezeichnen, wobei das erste
Wort den Wittenberger, das zweite den Straßburger Ein-
schlag bedeuten soll. Luther, sowie Capito und Ratzer,
daneben auch Melanchthon, sind die Autoritäten, die die
Reformation von dem Verbote der Messe an bis zum An-
fang der fünfziger Jahre beeinfluBt haben. Bis in die vierziger
Jahre ist der Einfluß der Straßburger, verstärkt durch den-
jenigen Melanchthons, weitaus der stärkere. Soweit man
von eigenen Urkunden spreohen kann, die kirchenrechtliche
Bedeutung für das junge evangelische Kirchenwesen der
Stadt besaßen, atmen sie ausgesprochen Butzerischen Geist:
die Frankfurter Konkordie und der nach ihr verfaßte Kom-
promißkatechismus. Erst mit der Zeit des Interims bahnt
sich ein Umschwung zugunsten des lutherischen Elementes
an. Die mannhafte Entschiedenheit, mit welcher Ambach
und Beyer hier auftraten, kam schließlich doch der lutherischen
Seite zugute. Das ist zunächst auffallend angesichts der
klugen Zurückhaltung, die sich diese Seite in Geltner auf-
erlegt hatte. Aber es erklärt sich aus der Schwenkung,
die Beyer zu ihr vollzog, als er von Melanchthon zu
Westphal überging. Ob diese Richtung sich auf die Dauer
stark genug erweisen würde, um das reformierte Element
als etwas ihr innerlich Fremdartiges und Widerstrebendes
auszuscheiden, hing zunächst davon ab, wie lange ihre Wort-
führer am Ruder blieben. Wenn sie ebenso rasch ver-
schwanden, wie Cellarius, Melander, Mylius usw. verschwunden
waren, so konnte sich auch in Frankfurt ein Umschwung
vollziehen, wie ihn nicht viel später Straßburg und die Kur-
pfalz erlebten. Aber gerade die eifrigsten unter ihnen,
Beyer und Ritter, waren ebenso wie auch ihr Gesinnungs-
zenosse Egenolph, geborene Frankfurter, und es konnte
diese Jungen nach einem Stellenwechsel ebensowenig ge-
'lüsten wie ihren Parteigänger Sabander,.der nach seinem
174
wechselvollen Leben froh war, eine Stätte gefunden zu
haben, wo er in leidlicher Ruhe seine Tage beschließen
durfte. So war für eine absehbare Zukunft eine Aenderung
in der Zusammensetzung des Predigerministeriums, die dem
reformierten Element wieder mehr zur Geltung verhalf, nicht
zu erwarten. Ein Gegengewicht gegen das Ueberhandnehmen
des Luthertums bildeten somit nur die Mitglieder des Rates,
die zur reformierten Lehre neigten. Diese aber waren ihren
Gegnern in der Stadtgeistlichkeit nicht gewachsen, da sie
nicht theologisch geschult waren und sich für die kirchlichen
Fragen vorwiegend an volkswirtschaftlichen und politischen
Gesichtspunkten orientierten. Ein haltbarer Zustand war
dieser Antagonismus, bei dem die geschriebene Rechts-
ordnung schließlich nichts weiter war als ein Stück Papier
obne praktische Bedeutung, auf die Dauer ganz gewiß nicht.
Wie die Dinge lagen, drüngte alles mit einer gewissen
inneren Notwendigkeit zu einer Klärung.
Diese blieb denn auch nicht aus. Der Anstoß zu ihr
kam von außen, durch den Zuzug der fremden Evangelischen,
die um des Glaubens willen ibre Heimat hatten verlassen
müssen. Sie haben der weiteren Entwicklung als Ferment
gedient. Erst in der Auseinandersetzung mit ihnen hat der
Frankfurter Bekenntnisstand seine für die weitere Zukunft
gultige Fixierung erhalten.
Mitteilungen.
,Acontius.*
Den Nachrichten, die K. Bauer in ZKG XLII (N. F. V) 8 76/81
über verschiedene Träger des Namens Acontius im Refurmationszeitalter
beibringt, vermag ich ein weiteres Zeuguis anzufügen. In Ms. boruss.
201 fol. der Berliner Staatsbibl Bl. 97 findet sich nämlich ein lateinisch
eschriebener eigenhündiger Brief mit der Unterschrift Acontius. Der
rief, datiert aus Speier 31. März 1542, ist gerichtet an den kurfürst-
lich brandenburgischen Rat Lic. Joh Heiler Chlamus. Der Schreiber
gibt darin einige Nachrichten über sich selbst: „Contuli me, ut scis,
ante 2 annos in aulam domini Ludovici comitis a Konigstein, non qui-
dem eo animo, ut perpetuo in ea bsererem, sed ut partim ipsi domino,
partim quibusdam amicis, qui id summopere flagitabant, gratificarer.
et quamquam aulicis negociis unum tant. annum destinaram, tamen,
nescio quomodo, tempus extractum est longius, cum me magnis polli-
citationibus nostri subinde conarentur retinere. flagitavi tandem missio-
nem et liberum ad stadia, quibus ab ineunte aetate assuevi ac delec-
tatus sum, reditum. verum nondum potui me ex hoc magnete pror-
sus avellere, spero tamen fore, ut cum bona venia ac gratia brevi
dimittar.^ Jedenfalls liegt ibm nichts ferner als aetatem in aula per-
dere, und nonnulli vestrum schmähen ihn daher sehr mit Unrecht
tanquam desertorem et transfugam. Das ist der wesentliche Inhalt
des Briefes: Uberbringer ist ein doctor Christophorus, der sich um A.
besonders dadurch verdient gemacht hat, quod mihi de te atque aliis
amicis, quos habeo in Marchia, plurima narravit. — Wer ist nun der
Schreiber? Mit großer Wahrscheinlichkeit wohl Bauers Melchior Volts
(Acontius), der aus Oberursel in der Grafschaft Künigstein stammte.
Es ist also der Landesherr, in dessen Dienste A. sich begeben hat,
und die nostri, die ihn darin festzuhalten suchen, sind wohl die eigenen
Eltern oder Anverwandten. In die freilich sehr bruchstückartigen
Nachrichten, die Bauer über Melchior hat mitteilen können. fügt sich
unser Brief passend ein. Friedensburg.
Offener Brief an den Präsidenten des Augsburgischen
Konsistoriums in Warschau, Herrn J. Gla8.
Sehr geehrter Herr!
Anläßlich der Gründung der Gesellschaft zur Erforschung der
Geschichte der Reformation in Polen haben Sie behauptet, der Posener
Kirchengeschichtliche Verein habe es bei der Betrachtuog der Wissen-
schaft den Pastoren zur Aufgabe gemacht, eine deutsche Schutzwehr
an den östlichen Grenzen zu bilden, und auf eiue Zurückweisung dieser
Unterstellung erklürt, eich dei diesem Urteil auf den Geist gestützt
zu haben, der in den Jahrbüchern herrsche, „die in den Lebensäuße-
rungen des Protestantiamus in Grofpolen immer und überall deutache
Anregungen und Einflüsse sehen". Das sagen Sie, obwohl gleich das
erste Jahrbuch zwei umfangreiche Arbeiten meiner Feder bringt, die
den Anregungen und Einflüssen, die von dem tschechischen Böhmen
ausgegangen sind, nacbspüren! Das sagen Sie, obwohl ich wie kein
anderer Forscher vor mir die Einflüsse der Schweizer, nicht nur der
deutschen, sondern auch der französıschen und italienischen betont,
den Briefwechsel der Schweizer mit den Polen heiausgegeben und in
jedem Jahrbuch Ergänzungen zu ihm geboten habe! Das sagen
Sie, obwohl ich drei reformatorisch gerichtete Italiener in Groß-
polen mit eingehenden Monographieen bedacht, polnischen Kirchen-
176
patronen, polnischen Theologen viele tausend Seiten gewidmet, da-
en vom keinem deutschen Kirchenpatron, von keinem deutschen
eistlichen in Polen Lebensbilder gegeben habe! Das sagen Sie, ob-
wohl der andere Hauptmitarbeiter an den Jahrbüchern, Herr Lic. Bicke-
rich, fast ausschließlich Studien zur Geschichte der böhmischen Brüder
jn Großpolen veröffentlicht hat, also fast lediglich außerdeutschen Ein-
flüssen nachgegangen ist! Ihre Behauptung schlägt dem offenkundigen
Tatbestande so ins Angesicht, daß ich die Frage nicht zurückstellen
kann: Kennen Sie überhaupt die Jahrbücher, Herrn Lic. Bickerichs
und meine Arbeiten? Nennen Sie mir eine polnische Zeitschrift, die
in den Jahren 1911— 1917, der kurzen Zeit, da unser Jahrbuch be-
stand, soviele Dokumente über die Beziehungen der Großpolen zu den
Schweizern und zu den Tschechen veröffentlicht hat wie unser Jahr-
buch. Sie finden keine, und doch erlauben Sie sich zu sagen, daß
unser Jahrbuch immer und überall nur von deutschen Einffüssen
wisse, daß unsere wissenschaftliche Forschung im Dienste der Politik
gestanden habe.
„Alle Bezeichnungen in den polnischen Ländern sind ausschließ-
lich in deutschen Lauten angeführt, was besonders in der Anwendung
nicht nur auf Ortschaften, sondern auch auf Personen verletzend wirkt, 80
. B. Graf Andreas von Lissa für unseren Andrzej Lessczynski.“ Das
sagen Sie, obwohl schon ein flüchtiger Blick in die Beiträge des
Herrn Lic. Bickerich Ihnen das egent gezeigt hätte. Ich in meinen
Arbeiten habe allerdings immer die deutschen Ortsnamen, auch die
neueren deutschen bevorzugt. Wie sollte ich es nicht, der ich deutsch
für Deutsche schrieb, der ich nicht nur für Gelehrte und Antiquare
schrieb, die in der Vergangenheit leben, sondern für Menschen der
Gegenwart! Und die Personennamen? Weshalb solite ich Andrzej
Leszczynski schreiben, den Namen in einer Form bieten, die meinen
Lesern fremd ist, in einer Form, die sogar sein Träger im schriftlichen
Verkehre nie gebraucht hat, Ich habe recht viele Briefe des Grafen
durchgesehen, aber nie die Unterschrift Andrzej gefunden. Immer
hat der Graf mit seiner kräftigen Hand Andreas unterzeichnet. Und
der Familienname? In welcher Form sich dies Geschlecht seiner
Deutschen gegenüber bedient hat, zeigt der Brief, den ich Jahrb. IV
S. 50 mitgeteilt habe, wo der Schreiber „Andreas, Graf von der Lissa“
unterzeichnet. Wenn Sie es nicht billigen, daß ich hier den Quellen
gefolgt bin, so haben Sie deshalb doch noch nicht das Recht, meine
nze wissenschaftliche Arbeit zu verdächtigen, sogar dem Posener
irchengeschichtlichen Verein politische Tendenzen zu unterschieben.
Wir wenige Pastoren, die wir einst in Posen uns zusammengetan
haben, um das völlig brachliegende Gebiet der Reformation in Polen
zu durchforschen, die wir in mühseliger, opferfreudiger Arbeit die zer-
streuten Quellen gesammelt, zuerst gezeigt haben, welche Schätze hier
noch zu heben sind, hätten wohl eine freundliche Anerkennung er-
warten, von der neun Jahre nach unserem Verein gegründeten polnischen
Gesellschaft eine verständnisvolle Würdigung erhoffen können, statt
dessen verdücbtigen Sie, z. T. unter Verdrehung des Tatbestand
unsere redliche Arbeit und setzen sie herab. Ich überlasse das U
jedem billig Denkenden, Daß polnische Gelehrte ganz anders tiber
unsere Arbeit denken, verbürgt mir unter anderem ein Schreiben der
Krakauer Akademie der Wissenschaften, in dem die Akademie bedauert,
nur einige meiner Verüffentlichungen su besitzen, um die übrigen
bittet, auch ersucht, die neu erscheinenden ihr alsbald zu senden.
Pratau, den 90. Juni 1923. D. Dr. Wotschke.
ALDERMAN LIBRARY
The return of this book is due on the date
indicated below
DUE DUE
Usually books are lent out for two weeks, but
there are exceptions and the borrower should
note carefully the date stamped above. Fines
are charged for over-due books at the rate of
five cents a day; for reserved books there are
special rates and regulations. Books must be
presented at the desk if renewal is desired.
L-1—7672044
A 2 88