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Full text of "Archiv für Reformationsgeschichte 19.1922-20.1923"

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ARCHIV 


RERORMATIONSGESCHICHTE 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


nn man 


Im Auftrag 
des Vereins für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


D. Walter Friedensburg. 


XIX. Jahrgang. 1922. 


Nachdruck mit Genehmigung vom Verein für Reformationsgeschichte 
KRAUS REPRINT LTD. 


Vaduz 
1964 


BR 
30 
AS 


y, 19-20 
J922-23 


Printed in Germany 


Lessing-Druckerei Wiesbaden 


Inhaltsübersicht. 


J. Hanbleiter, D. Geh. Kons.-Rat, Das Rätsel der Gothaer 
Luther-Handschrift A. 102 und seine J.ösung 1—21; 

Th. Wotschke, D. Dr., Pfarrer in Eutzsch, Georg Weigel, 
Ein Beitrag zur A an d Altpreußens 
und Lithauens . . . ue 

K. A. MeiBinger. Lic, theol, in Frankfurt, Die Urkunden- 
sammlung des Brettener Melanchthonhauses 

E. Körner, Lic. theol., Domprediger a. D., Leipzig, Dietrich 
von Starschedel, ein . vom Wormser Reichs- 
tage 1521 8 

G. Bossert, D., Pfarrer a. D. in Stuttgart. Briefe aus de 
16. Jahrhundert ; 

W. Kühler, D., Univ.-Prof. in Zürich, Brentiana ad andere 
Reformatoria -— 

K. Schornbaum, D. Dr. Pfarrer in Alfeld bei Hersbruck, 
Die brandenburgisch- -nürnbergische Norma doctrinae 
1573, I . . . ouo x 

K. Bauer, Lic. theol., Univereitütsprofessor i in Münster, 
Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M., I 

Mitteilungen: G. Stuhlfauth, Zum Passional Christi 
und Antichristi S. 154f, — K. Schornbaum, Zum 
Briefwechsel Veit Dietrichs S, 155f. — Neuer- 
scheinungen S. 72—75, 156—168. — Aus Zeit- 
schriften S. 75—80, 159—160, 252—966. 


Seite 


81—105 


22—47 


48--71 


106—137 


138—145 


119—153 


161—193 


191—351 


Das Rätsel der Gothaer Luther- 
Handschrift A 402 und seine Lösung. 


Ein. Beitrag zur Tischredenforschung. 


Von J. Haußleiter. 
EL 

Die große Sammelhandschrift der Landesbibliothek 
in Gotha: Farrago litterarum ad amicos et colloquiorum in 
mensa Reverendi Patris Domini Martini Lutheri eto, die etwa 
150 Briefe Luthers, 33 Melanchthons, 3 Bugenhagens und 
eine sehr große Anzahl von Tischreden Lutbers enthält, und 
deren Inhalt sachlich nach 93 Titeln geordnet ist (1 De Deo 
et operibus eius bis 93 Litterae commendaticiae ef testimonia), 
bat wiederholt die Aufmerksamkeitder Luther- und Melanchthon- 
forscher auf sich gezogen (so nennt z. B. Bretschneider im 
Corp. Ref. I, S. XCVI sie einen codex ob antiquitatem fide 
dignissimus); man hat sich aber damit begntigt, ihr einzelne 
Stücke zu entnehmen, ohne doch dem Rätsel ihrer Entstehung 
naehzusinnen und dasselbe, so gut es geht, der Lösung näher 
zu bringen. Der hochverdiente Herausgeber der Tischreden 
Luthers in der Weimarer kritischen Gesamtausgabe, Professor 
D. Dr. Ernst Kroker, hat für die sechs Bände der Ausgabe 
(1919 — 1921) mit bewundernswertem Fleiß und Scharf- 
sinn mehr als dreißig Handschriften geprüft. Er mußte 
aber seine Arbeit, sollte sie nicht ins Uferlose sich ausdehnen, 
(die Zahl der mitgeteilten Tischreden beläuft sich auf 7075), 
auf die Veröffentlichung der Urschriften beschränken, d. h. der 
Handschriften, in denen uns die Nachschriften der einzelnen 
Tischgenossen Luthers ohne Beimischung fremden Gutes in 
ihrer ursprünglichen chronologischen Reihenfolge erhalten 
sind; von den späteren Sammelhandschriften mußte er im 
großen und ganzen absehen. Von unserer Handschrift urteilte 
er so (V, S. XXVIII): „Die Texte von Farr. sind gut; im 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1. 1 


2 


übrigen hat Farr. für die Tischredenforschung nur geringen 
Wert, da es die einzelnen Reden unter Rubriken ordnet, und 
zwar scheint es die älteste Handschrift zu sein, die das ge- 
tan hat, denn auf dem vorderen Einbanddeckel von Farr. 
steht: M. B. 1551. Ob das der Sammler oder nur der Eigen- 
timer der Handschrift gewesen ist, das läßt sich nicht nach- 
weisen, ebensowenig, wer dieser M. B. gewesen ist. Da er 
aber seine Tischredensammlung schon 1551 hat binden lassen, 
so scheint der Sammler von Farr. als erster auf den Ge- 
danken gekommen zu sein, Luthers Tischreden nach Rubriken 
zu ordnen, denn Lauterbachs Umarbeitung seiner Sammlung 
füllt erst in die Jahre 1551 — 1560. Die Rubriken selbst 
sind in Farr. andere als in Lauterbachs Sammlung B.* 
Immerhin hat Kroker in einzelnen Abteilungen der Ausgabe 
Varianten von Farr. mitgeteilt, so namentlich im 11. und 12. Ab- 
schnitt, der Kaspar Heydenreichs Nachschriften aus den 
Jahren 1542 und 1543 und die dem Hieronymus Besold zu- 
geschriebenen Tischreden aus dem Jahre 1544 enthält; für 
Heydenreich steht unter den Parallelhandschriften Farr. mit 
120 Stücken voran. 


Das Rätsel der Buchstaben M. B. reist den Forscher 
um so mehr, als die Handschrift ohne Frage sehr wertvolles 
Gut enthält. So stehen z. B. auf den Blättern 444b bis 
451b 7 Briefe Luthers an Johann Staupitz aus den Jahren 
1518—1522, die uns sonst nur aus späteren Drucken 
bekannt sind. Chronologisch geordnet sind es in der Aus- 
gabe des Briefwechsels Luthers von Enders die Nummern 
90, 121, 154, 223, 388, 398, 549; fur Nr. 121 liegt eine 
Abschrift im Cod. Jen. B. 24, für 549 im Cod. Goth. 451 vor. 
Enders hat Farr. nicht verglichen; für die kritische Gesamt- 
ausgabe muß die Vergleichung nachgeholt werden. Auf 
Bl. 411—411b steht eine Formula promotionis in dooctoratu, 
qua Luth(erus) uti volebat, sed impeditus adversa valetudine. 
la Köstlin-Kaweraus Leben Luthers (5. Aufl, II 282) wird 
sie in deutscher Übersetzung aus unserer Handschrift mit- 
geteilt mit der Bemerkung, sie verbinde mit den herkömm- 
lichen feierlichen Ausdrücken des Reformators großartigen 


Stil. Sie lautet: „Kraft apostolischer, göttlicher und ferner 
kraft kaiserlicher und staatlicher Vollmacht — welche beide 


3 


göttlich sind, die eine himmlisch, die andere irdisch — be- 
rufe, verktindige, erkläre ich Dich zum Doktor der heiligen 
Theologie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen 
Geistes. Das jst Dir gesagt, damit Du eingedenk seiest, wer, 
welcher Art, wie groß der ist, welcher Dich berufen hat, 
und ferner, gegen welche, welcherlei und wie große Leute 
Du berufen bist, auf daß Du seiest Führer, Bote, Gesandter 
Gottes gegen die Widersacher dessen, der Dich sendet, 
gleichwie ich gesandt bin. So stärke Dich denn der Herr 
und sei‘stark. Fürchte Dich nicht, der Herr ist mit Dir, 
Amen“ ). Wir kennen diese Formel auch noch aus einem 
der vielen Handschriftenbände des unermüdlich nach- 
schreibenden und sammelnden Wittenberger Diakonus 
Georg Rörer (Bos. q. 24p Bl. 256b in der Jenaer Universitäts- 
bibliothek). Dort steht bei der Überschrift der Zusatz: qua 
uti volebat promoturus C(asparum) Cfrucigerum) eto. in 
doctoratum (vgl. Tischreden IV, S. XVI). Es handelte sich 
also um die am 17. Juni 1533 in Gegenwart des Kurfürsten 
Jobann Friedrich in feierlichster Form erfolgte Promotion 
Crucigers, Bugenhagens und des Hamburger Superintendenten 
Aepinus zu Doktoren der Theologie; es war die erste Pro- 
motion unter den neuen Statuten der theologischen Fakultät, 
überhaupt die erste seit 1525. Promotor war der Dekan 
Justus Jonas. Daß Luther selbst die Promotion vollziehen 
wcllte und nur durch Unwohlsein daran verhindert wurde, 
erfahren wir lediglich aus dem mitgeteilten Sohriftstück. 


1) (fol. 411) Autoritato apostolica et divina, deinde imperiali et 
politica, utraque divina, altera caelesti, altera terrena voco te vocatumque 
pronuntio, pronuntiatum declaro doctorem sacrae theologiae in nomine 
patris etc, Haec dicuntur tibi, ut memor sis, quis, qualis, quantus sit, 
qui te vocavit. Deinde contra quos, quales et quantos voceris, ut sis 
dux, nuntius, legatus Dei contra adver - (411 b) sarios illius, qui te mittit, 
sicat ego missus sum. | 

Confirmet ergo te dominus et robustus esto. Noli timere, 
dominus tecum. Amen. 

55 Ein dritter Zeuge ist nach Band V, S. 293 Anm. 8 die 
Münchener ‚Handschrift Clm. 987, 174. Auf Nr. 5658 (Responsio D. M. 
in tentationibus cuiusdam Doctoris Jacobi Sehenck) folgt dort: Formula, 
qua uti voluit in promotiune Doetorum Crucigeri et Pomerani. Die 
Handschrift entstammt nach Bd. II, S. IX ff. dem Wellerschen Kreis. 
. Bie ist ums Jahr 1550 von einem jungen sächsischen Geistlichen, 
Georg Steinert oder Steinhart, geschrieben und 1564 von ihm dem 
Chemnitser Superintendenten M. Johann Tettelbach geschenkt worden. 

10 


Was mich veranlaßte, der Handschrift ein eingehendes 
Studium zu widmen, ist die in ihr auf Bl. 263 b— 264 b ent- 
haltene Niederschrift der Koburger Trostsprüche Luthers, 
über die ich zweimal in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift 1917 
S. 149—187 und 1918 S. 430—457 gehandelt habe. Professor 
Paul Flemming in Pforta hatte mich freundlicher Weise 
auf diese Niederschrift aufmerksam gemacht. Die Vergleichung 
mit der ersten Ausgabe der Sprüche durch Matthias Flacius 
(1550) und mit ihrer Verwertung in Aarifabers handsohrift- 
lichem, dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich ge- 
widmeten Trostheft (1549) tbertraf meine Erwartungen. 
Farr. bietet den reinsten Text dar, der, da er keinerlei 
Zusätze aufweist, als ursprünglich gelten darf. Wie ist der 
Sammler von Farr. in den Besitz dieses reinen Textes ge- 
kommen? Man darf annehmen, daß alle Kunde von den 
Koburger Trostsprüchen auf Luthers damaligen Famulus, 
den Nürnberger Veit Dietrich, zurückgeht: Man wird um 
so mehr auf diese Spur gewiesen, als das nächste Stück in 
unserer Handschrift fol. 264b— 267, Luthers gewaltige Trost- 
rede an den schwer angefochtenen M. Johannes Bernhardi 
Feldkirch (vom 1. Febr. 1534 — Tischreden III, S. 503 — 508 
Nr. 3669 —) ebenfalls durch Veit Dietrich zur Kenntnis der 
Tischreden-Sammler gekommen ist (vgl. meinen Nachweis 
in der Allg. Ev.-luth. Kirohenzeitung 1917, Nr.21, Sp. 485—487) _ 
Die Frage taucht auf, welche Beziehung zwischen dem rätsel- 
haften M. B. und Veit Dietrich bestanden hat. 

II. 

Wir mussen eine Beschreibung der Handschrift voraus- 
schicken, bevor wir auf den Inhalt näher eingehen. Die 
Angaben in den „Beiträgen zur älteren Litteratur oder Merk- 
würdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha, 
herausgegeben von Fr. Jacobs und F. A. Ukert, dritter Band, 
Leipzig 1838", S. 304 und 305 genügen nicht. Der starke 
Folioband ist fest in zwei mit Schweinsleder tiberzogene 
Holztafeln gebunden, mit reich verzierten Rändern. Die 
größere Hälfte der vorderen Decke nimmt. eine Tafel ein, 
deren obere Leiste die Buchstaben M. B. enthält, während 
die untere Leiste die Jahreszahl 1551 trügt. In die Innen- 
seite der Deckel sind zwei Bildnisse eingeklebt, vorn ein 


5 


Bild Luthers mit dem Malerzeichen A. S. — Sin A geschlungen, 
hinten ein Bild des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, 
„anno captivitatis quarto, Anno Christi 1551“. Unter dem 
Bilde stehen 4 Disticha Paul Ebers, die unter anderem be- 
sagen, daß ,Lucae (d.h.des Lukas Cranach) doeta manus“ diese 
Züge abgebildet hat. Der Band enthält jetzt 474, von alter 
Hand gezählte Blätter, denen 8 ungezählte Blätter voraus- 
gehen. Das erste Blatt enthält oben einen Katalog-Vermerk 
„Catal. MSS. p 111“ und dann in roter Farbe von der Hand 
des Schreibers die fünf Zeilen: 

FARRAGO LRARVM AD AMICOS ET COL: || loqui- 
orum in mensa R. P. Domini Martini Lutheri || Saorae Theo- 
logiae Doctoris ete. | PESTIS ERAM VIVVS, MORIENS 
ERO MORS TVA || PAPA |, Dann folgen, von gleicher Hand 
mit schwarzer Tinte geschrieben, drei Zeilen: DE OBITV 
EIVSDEM DISTICHON || Magniloquus subiit coelestia tecta 
Lutherus | Anno quo paulus papa rebellis obit. | uber 
spätere Eintragungen von zwei andern Händen vgl. Jacobs- 
Ukert S. 304 Anm. 

Die Rückseite des ersten Blattes ist leer. Auf dem 
zweiten Blatt steht ein INDEX LOCORVM (rote Überschrift). 
Es handelt sich um 98 Rubriken, die in 3 Spalten geschrieben 
sind; die dritte Spalte (Nr. 63—93) befindet sich auf der 
Rüekseite. Die Zahlen (sowohl die Ordnungszahl, wie die 
Angabe der Blattzahl) sind mit roter Farbe, der Inhalt mit 
schwarzer Tinte geschrieben, also: 1 De Deo et operibus 
eius folio 7, 2. De maiestate Dei inserutabili fo: 2, 3 De 
Christo fo: 4, 4 De communicatione idiomatum fo: 6 usw. 
Am umfangreichsten sind folgende 3 Abteilungen: 22 Expositio 
aliquot locorum seripturae fo: 28 (bis fol. 55); der vorgesehene 
Raum reichte aber nicht aus, so daß noch 3 ungezählte Blätter 
eingeklebt sind; die Rückseite von fol. 55 quater ist leer. 
Daneben erscheint noch als besondere Abteilung: 23 In 
epistolam ad Titum scholia fo: 56 (—60). Diese Scholien 
sind unverwertet und ungedruckt. Sie hängen zusammen mit 
der Vorlesung über den Titusbrief im Nov. und Dez, 1527, 
die unter dem Titel: Annotationes Lutheri in epistolam Pauli 
ad Titum nach einer Nachschrift Rörers im 25. Bande der 
W. A. S. 6—69 (1902) veröffentlicht ist, sind aber von ihr 
zu unterscheiden. Die Bezeichnung der zweiten umfangreichen 


6 


Abteilung lautet: 60 Consolationes pro teufatis, infirmis, et 
quibus defuncti amici fo: 247 (bis 288); am Schluß von 
fol. 288b stehen die Worte: plura fo: 480. Da die Hand- 
schrift jetzt nur 474 Blätter zählt, ergibt sich aus dieser 
Bemerkung, daß mindestens 6 oder 8 Blätter am Schluß 
verloren‘ gegangen sind; denn am Schluß der Abteilung 75: 
De militibus et rusticis heißt es (fol. 376b): plura infra fo: 482. 
In der 60. Abteilung befinden sich Luthers Koburger Trost- 
sprüche, fol. 262b— 264 b, und die im Jahre 1547 erschienenen 
Loci consolatorii philosophici und theologici Melanchthons, 
fol. 279—281. Im Corp. Ref. VI 483—488 sind diese Loci 
abgedruckt, und Varianten unserer Handschrift sind angegeben. 
Die eigentümliche Fassung des 9. theologischen Trostgrundes 
Interea etiam gratias (nicht: gratiam) agamus usw. ist von 
Bretschneider vermerkt; hinzuzufügen ist die Mitteilung, dab 
die Fassung mit der deutschen Übersetzung der Loci über- 
einstimmt, die Veit Dietrich noch im Jahre 1547 veröffent- 
licht hat. Eine dritte, sehr umfassende Abteilung ist den 
Ehefragen gewidmet: 66 De matrimonio fo: 305(—320b) und 
69 De easibus matrimonii fo: 321(—344); für diese Abteilung 
war noch mehr Raum vorgesehen: Bl. 344b und die gezühlten 
Blätter 345, 346, 347, 349, 350, 351 und ein ungezähltes 
Blatt sind leer; die Zahl 348 ist bei der Zählung versehent- 
lich übergangen. 

Das dritte Blatt der Handschrift bringt unter der Über- 
schrift Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri 
ein lateinisches und ein deutsches Akrostichon auf die Namen 
Martinus Lutherus. Am Sehlusse des deutschen Akrostichons 
(Martinus heist ein streitbar man, Am Bapst man solchs wol 
sehen kan usw.) steht auf Blatt 3b Z. 5 als Unterschrift: 
Erasmus Alberus Lutheri theodidactus!). Dann folgen sechs 
deutsche Reimpaare „Von S. Cristoff“, die wohl auch dem 
Alberus angehören: 


1) Alber rechnete es für seine „höchste Ehre, wenn er al: 
D. Martini Schüler von Gott gelehrt verachtet wird“. (Widder die 
Carlst, Bl. s 4; A j? — vgl. Emil Körner, Erasmus Alber 1910, 
S. 18). Erasmus hatte für ihn die Bezeichnung gebraucht: e schola 
Lutheri 2cod(daxros; Alber verwandelte das hóhnende Wort in eincu 
Ehrentitel (ebenda S. 22.) 


„von S. Cristoff ist kein geschicht, 

Sondern ein fein christlich gedicht. 

Das Bilt bedeut ein Christen Mann, 

Der sich uf Gott verlaßen kan. 

Durchs mehr(= Meer) soltu vorstan 

Dadurch mus man in himmel gabn’). 

Der Baum in seiner rechten hand, das ist 

Das liebe Wort von Jehsu Christ, 

Daran der Christen glaub sich helt 

Vnd vberwindet damit die welt. 1 Joh. 5. 

Des helff vns Gott durch seinen Sohn, 

Dis sey die Summa kurtz darvon.* 
Das sind in Verse gebrachte Gedanken Luthers“), die er in 
einer Predigt am Christophstag (25. Juli) 1529 vorgetragen 
hat. Aurifaber haf einen Predigtauszug in seine Tischreden- 
Sammlung aufgenommen (Förstemann-Bindseil 4, 314 [53, 6]; 
W. A. VI, Nr. 6990); eine handschriftliche Vorlage dieses 
Auszugs ist nicht nachzuweisen. 

Die folgenden fünf Blütter der Handschrift waren ur- 
sprünglich leer gelassen und sind dann hernach, als der 
Band schon gebunden war, mit Nachträgen A—G zu ver- 
schiedenen Loci (A: Deus alit per media. Vide de illo loco 
fo: 1; B: De Christo fo: 4 usw.) ausgefüllt worden. Wir 
sehen in die Entstehungsgeschichte des Bandes hinein. Es 
sind zwei Personen zu unterscheiden: der Sammler und der 
Schreiber, und zwei Zeiten der Niederschrift — die erste 
Zeit für die große Masse der ursprünglichen Stücke vor dem 
Einbinden des Bandes und eine spütere Zeit für die Er- 
günzungsstücke, die in den schon gebundenen Band eingetragen 
wurden. Auch die Verschiedenheit der Tinte und des Ductus 
der gleichen Schreiberhand spricht für die Unterscheidung 
zweier Zeiten. Die Schrift ist gut leserlich; nur einzelne 

1) „Von S. Christoffeln, der mit dem kind Christo durchs vn- 
gestümme Meer geht, bedeut, das ein Christen durch viel trübsal in 
Gottes Reich kumpt, Act, 14* — in der Vorrede zu den Fabeln des 
Erasmus Alberus (nach der Ausgabe von 1550) — in den , Neudrucken 
deutscher Litteraturwerke des 16. und 17, Jahrh.“ Nr. 101—107, heraus- 
gegeben von W. Braune. 1892, S. 3. 


5 Vgl. die Predigt vom 25. Juli 1529 in der W. A. 29. 
S. 497—505. 


8 


Buchstaben (z. B.r und e) ähneln einander sehr. In der 
Tischrede Nr. 5394 (V, S. 194) — Farr. f. 360 — ist 
ein Satz verschieden gelesen worden: „Darumb lasse man 
einen jungen gesellen eheliche Freude haben; kompt er zum 
regiment, so wirt jn der kutzel wol vorgehen.“ So las Kroker 
in Übereinstimmung mit Aurifaber. In der Handschrift steht 
aber: „ehrliche Freude“. Der Schreiber hat sich bei seiner 
Arbeit manchmal wenig gedacht; er läßt fol. 173b einen 
Brief Luthers an Nikolaus Hausmann (Enders III 320, Nr. 501) 
mit den Worten beginnen: „Hic vir nunctius tuus nullicolas 
quaestiones fuo nomine mihi proposuit“; statt nullicolas muß 
es heißen: mi Nicolaé (so im Original des Briefes) Noch 
auf dem letzten Blatt — f. 474b — ändert er den Ausdruck 
Saulina poenitentia, quae non diu durat in „paulina sententia“ 
(vergl. Nr. 5519—V, S. 211). Dagegen war der Sammler 
ein gelehrter Mann, der in den Erinnerungen der Lutherzeit 
lebte, und der den reichen Vorrat von Briefen und Tisch- 
reden Luthers, den er gesammelt hatte, zu bequemer Be- 
nutzung in 93 Abteilungen gebracht hatte. Aus der Bevor- 
zugung der von der heiligen Schrift, vom Trost bei An- 
fechtungen und von der Behandlung schwieriger Ehefälle 
handelnden Abschnitte darf man wohl einen Schluß auf 
den Beruf des Sammlers ziehen; er wird im geistlichen Amte 
gestanden haben. Als der Band eingebunden wurde, blieb 
bei vielen Abteilungen ein größerer oder kleinerer Raum 
(einmal von 7 Blättern) für Ergänzungsstücke frei. Aber 
häufig reichte, als diese Stücke nachgetragen wurden, der 
freigelassene Raum nicht aus. Nun wurden zunächst die 
5 vorderen Blätter, dann der ganze Schluß des Bandes von 
fol. 457 an (Überschrift: De fide et ineredulitate et spe, 
de eodem supra fo: 18 usw.) mit Ergänzungsstücken gefullt. 
An fünf Stellen sind in den gebundenen Band ungezählte 
Ergänzungsblätter eingeschaltet worden: nach Bl. 55 (Nr 22 
Expositio aliquot locorum scripturae) 3 Blütter, nach Blatt 360 
(Nr. 71 De magistratibus) 2 Blätter und ebenso viele nach 
Bl. 383 (Nr. 76 De bello), nach Bl. 412 (Nr. 83 De linguis) 
und nach Bl. 423 (Nr. 85 Artes liberales). Die Zählung der 
Blütter hatte natürlich nur den beim Binden des Buches 
vorhandenen Bestand berücksichtigen können. Keunzeichnend 


9 


für das Interesse des Sammlers ist der Umstand, daß sämt- 
liche Ergänzungsstücke sich innerhalb der Lutherzeit halten 
und auf die Ereignisse der Jahre 1546—1551 nicht ein- 
gehen. Auch bei den ursprünglichen Stücken der ersten 
Niederschrift war der Raum der Lutherzeit nur ein paarmal 
überschritten worden. Das war der Fall bei der Aufnahme 
der Loci consolatorii Melanchthons aus dem Jahre 1547 
lol. 279 — 281, zweier Briefe Melanchthons an Johannes 
Mathesius: fol. 337b — 338 die brumae (1647), vgl. Corp. 
Ref. VI 745, Nr. 4089 und fol.443 b vom 24. August 1547 = Corp. 
Ref. VI 643, Nr. 3982, ferner einer Entscheidung Bugenhagens 
„sampt andern vorordenten“ in einer Ehesache fol. 338—339 
vom 23. April 1547 (vgl den Auszug bei Lic. O. Vogt, 
Bugenhagens Briefwechsel 1888, S. 393, Nr. 194) und end- 
lich eines Briefes Melanchthons an Andreas Huetel(— Hugel), 
pastor Brandenburgensis fol. 239 vom 12. Januar 1548, vgl. 
Corp. Ref. VI 779, Nr. 4182. Ein späterer Termin kommt 
in der ganzen Handschrift nicht vor. Ganz anders 
spielt das Gegenwartsinteresse herein in die in mancher 
Beziehung vergleichbare groBe Sammlung des Naumburger 
Ratsherrn Valentin Bavarus oder Bayer, deren zweiter Band 
am 14.Januar 1549 begonnen wurde (Goth. B. 15 und 16: 
Rhapsodiae et dicta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutheri 
in familiaribus colloquiis annotata etc.; vgl. Tischreden I, 
S. XVII und XXXIX); namentlich im zweiten Baud tritt in 
einer Reihe von Stücken die ungeheure Aufregung der 
Interimszeit deutlich zutage (vgl Jacobs - Ukert a. a. O. 
S. 300—304). In Farr. herrscht der Friede der Erinnerung 
an Luther. 
III. 

Unter den fremden Benutzern der Handschrift Farr., die 
wir nachweisen können, nimmt die erste Stelle Johannes 
Aurifaber ein, der zur Herstellung seines im Juli 1566 zu 
Eisleben erschienenen Tischredenbandes starke Anleihen bei 
unserer Handschrift gemacht hat. Mit dieser überaus wichtigen 
Feststellung rtickt die Handschrift für die Tischredenforschung 
in den Rang der Quellenschriften ein. Der Beweis läßt sich 
bei genauer Vergleichung des Aurifaberbandes (in der vier- 
bändigen Ausgabe von Förstemann-Bindseil, 1844—1848—F.) 


10 


mit Farr. so deutlich führen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen 
bleibt. Wertvollste Hilfe bei der Vergleichung leistet der 
20. Abschnitt der Krokerschen Ausgabe: Tischreden aus 
Johannes Aurifabers Sammlung FB. (= VI, S. 1—369). 


Kroker vereinigt in dieser Abteilung alle die von Aurifaber 
dargebotenen Tischreden, für welche eine handschriftliche 
Vorlage bisher nicht nachgewiesen werden konnte; ihre Zahl 
ist noch beträchtlich genug (Nr. 6508—7075 = 568 Stücke.) 
Davon sind abzuziehen die zahlreichen Reden, die Aurifaber 
selbst als Famulus und Begleiter Luthers während seines 
letzten Aufenthaltes in Eisleben aufgezeichnet hat; schon 
Nr. 6508 gehört, wie Kroker anmerkt, in diese Klasse; ferner 
Nr. 6516, 6526, 6527 usw. Bei einer anderen Reihe von 
Reden konnte jetzt erst festgestellt werden, daß die Quellen- 
belege schon an früherer Stelle begegnen. Das gilt x. B. 
von Nr. 6529. „Es ist Nr. 1265 in.“, bemerkt Kroker, d. b, 
eine der Nachschriften Schlaginhaufens ; die Feststellung war 
dadurch erschwert, daß Aurifaber mit Weglassung der ersten 
Sätze nur ein Stück der Rede wiedergibt. Eine dritte Reihe 
bilden die Entlehnungen aus Farr., zu denen wir uns nun wenden. 


Im Tischredenband VI, S. 345 lesen wir: FB. 4, 538 
(66,57) = Nr. 2831 + X. Die aus der Sammlung des 
Konrad Cordatus entnommene Tischrede Nr. 2831 (III, S. 10) 
lautet: Studium iuris est sordidum et quaestuosum, ac ultimus 
finis eius est pecunia; neque enim propter delectationem aut 
cognitionem rerum in iure student. Lauterbachs Sammlung 
(Bindseil 1, 290) bietet — als Verbindung zwischen Nr. 3690 
und Nr. 2809 — nur die Worte: Nam Juris studium est 
sordidum, tantam captat quaestum. Aurifaber aber gibt 
folgenden umfassenden Text (FB. 4, 538 — 66, 57): Um 
Genusses willen studiret man gemeiniglich 
Jura. Doot. M.L. sagte: „Studium Juris, im Rechten studirn, 
wäre ein sordidum, unfläthig und garstig Ding, da man nür 
Genieß, Geld und Gut mit suchte, daß man reich würde.“ 
Da sprach Peter Weller, der bey ihm ‚im Hause war und 
zu Tisch ging: „„Er hätte den Sinn nicht, und thäte es 
nicht.“ Da rief D. M. L. tberlaut, und sprach zu seinem 
Famulo: „Wolf, gehe und laß die große Glocke lauten, und 
bring Wasser her, daß man ihn kühle.“ Da er aber drauf 
bestand, und es theur verjahete; fragte ihn der Doctor: „Ob 
er allein von wegen des Erkenntniß der Händel, und daß 
er möge wissen, was Recht ist, oder Lust halben in Jure 


11 


studirte? So wäre er unsinnig; sondern die endliche Ureach 
darum ihr zu Juristen werdet und Jura studiret, ist das Geld. 
daß ihr reich werdet.“ 


Kroker bemerkt in einer Anmerkung (S. 10 A. 13): 
Aurifaber hat den ursprünglichen Text vollständiger, aber 
auf wen geht seine Vorlage zurück? Die Handschrift Farr. 
gibt die Antwort; sie enthält in ihrem 71. Abschnitt: De 
magistratibus auf fol 357b das gesuchte Stück X und 
die Vorlage für Aurifaber: 

Luth: dixit (rot) stadium luris esse sordidum et 
questuosum Tune Pjetrus Weller dixit huno animum non 
habere, Exolamavit Luth: Wolff, gehe, las die große glocke 
leuten vnd bring waßer hehr, das man jn kule. Is vero 
cum perseveraret affirmando, quaesivit Luth: , au propter 
rerum cognitionem et delectationem in iure studuerit, tunc 
esset plane insensatus, sed ultimum finem iurium esse pecuniam. 


Daß Aurifabers Übersetzung eine Bearbeitung dieser 
Vorlage ist, steht außer Frage. Aber es wäre immerhin 
noch denkbar, daß er sie nicht aus Farr. geschöpft hat, 
sondern daß er sowohl wie Farr. von einer uns unbekannten, 
verloren gegangenen Sammlung abhängen. Wir müssen 
daher unsre Untersuchung erweitern und auf die Frage ein- 
stellen, ob nicht Aurifaber sich abhängig von der Sach- 
ordnung der Handschrift Farr. zeigt und zusammenhängende 
Reihen von Tischreden übernommen hat. Erst dann wirkt 
die Beweisführung zwingend. 


Der 34. Abschnitt Aurifabers „Tischreden Luthers von 
Ceremonien“ (FB. 3, 329—332, sechs Stücke) lockt zur 
Vergleichung mit dem 48. Abschnitt von Farr.: De Ceremoniis 
fol. 169—170 (neun Stücke). Aurifaber folgt (mit Weg- 
lassungen) genau dem Gang unsrer Handschrift; der deut- 
liohste Beweis liegt in der Aufnahme zweier Lutherbriefe, 
die ja gar nicht zu „Tischreden“ gehören. Doch sehen wir 
näher zu. 


Das 1. Stück (Ceremoniae ... sunt ex se licitae ac 
liberae = W. A. I, Nr. 800) übergeht Aurifaber, weil er es 
schon in dem Abschnitt „von guten Werken“ FB.2, 226 
(14, 46) gebracht hatte, 


Das 2. Stück lautet: Paterfamilias dicit familiae suae : 
Estote studiosi voluntatis meae, sunst esset, trincket, kleidet 
euch, ut vultis. Sic Deus non curat, quomodo edamus et 


12 


vestiamur. Das Stück ist uns auch, wie Kroker VI, S. 241 
angibt, in Veit Dietrichs Nachschriften erhalten (W. A. I, 
Nr. 59). Aber Aurifabers Ubersetzung (Nr. 1) folgt nicht 
dem Texte Dietrichs, sondern unsrer Handschrift. (Beweis: 
Weglassen von Quemadmodum an der Spitze; „kleidet euch, 
wie ihr wollt“ gegen Dietrichs „wie ihrs habt“; „was wir 
essen uud wie wir uns kleiden“ gegen Dietrich: quomodo 
vestiamus aut edamus). Aus freien Stücken fügt dann Auri- 
faber hinzu. „Er (Gott) läßt uns alles frey, Ceremomien 
und was Mittelding, Adiaphora, sind, allein daß man nicht 
daran schmiere, als wären sie noth oder ntltz zur Seligkeit.“ 

Das 3. Stück ist der kurze Satz: Osculam manuum 
optima ceremonia, deponit suspitionem veneni. Der Satz 
findet sich in Johannes Sehlaginhaufens Nachschriften vom 
30. August 1532 (W. A. II, Nr. 1785); er wird von Auri- 
faber übergangen. 

Von nun an bleibt die Reihenfolge der Texte die gleiche. 

Der Handschrift viertes Stück: Licetne vesci carnibus 
Ícria sexta? ist Aurifabers zweites Stück: Ob man auch 
Fleisch am Freytage und andern verbotenen Zeiten essen 
möge. In VI, S. 341 wird das Stück als Nr. 6866 gezählt, 
ohne daß eine handschriftliche Vorlage angegeben wäre; 
Farrago bietet sie dar. Der Text lautet: 

Licetne vesci carnibus feria sexta? Licet et probo 
(rot) Quia Christus inquit: quod intrat os, non coinquinat 
(Matth. 15, 11) Item: omnia munda mundis 
(Tit. 1, 15). Contra (rot): Potestas ecclesiastica prohibuit esum 
earnium feria sexta. Ergo haec traditio est observanda. 
Rıespondit): Humana traditio servanda est in ecclesia propter 
finem politicum et non est assuenda opinio iustificationis. 

Aurifaber gibt eine genaue Übersetzung, die nur am 
Schluß in eine erweiternde Umschreibung ausläuft. Aber 
in der Handschrift ist ein Votum Melanchthons hinzugefügt, 
das Aurifaber natürlich übergeht. Es lautet: R(espondit) 
Phil. Mel. (rot): Libertas constituta est in evangelio, nulla 
humana autoritate potest mutari. Evangelium docet nos, 
non esse pro necessariis rebus habendas traditiones extra 
easum scandali. Ergo autoritas episcoporum non potest efficere. 
uf hae traditiones sint necessariae. 


13 


Es folgt als fünftes, bei Aurifaber als drittes Stück das 
Bruchstück eines lateinischen Briefes Luthers an Nikolaus 
Hausmann vom 17. November 1524 (= Enders, Briefwechsel 
Luthers, V 52f. Z. 21—37). Aurifaber gibt der Übersetzung, 
die genau den in Farrago mitgeteilten Abschnitt umfaßt, 
die Überschrift: „An M. Nicolaum Hausmann Bericht und 
Bedenken D. M. Luthers von Ceremonien.^ Am Schluß läßt 
er die Worte weg: „post Martini 1524.“ 

Auch das nächste, sechste, bei Aurifaber vierte Stuck 
ist ein Brief Luthers „an die Kirchendiener zu Nordhausen“ 
= Ad verbi ministros Northusiae; vgl. Enders XV 298f. 
(1543 7). Text und Übersetzung stimmen im Schlußsatz (gegen 
die Rezension bei Enders) überein. „Derselbige unser Herr 
Christus erhalte und vollführe das Werk, wie ers in Euch 
angefangen hat, bis an jenen Tag unser Hoffnung und Er. 
lösung! Amen.“ — Qui sicut coepit in vobis opus suum, ita 
servet et perficiat usque in illum diem spei nostrae Christus. 
Amen. Im Enders'schen Text fehlt Christus. 

In VI, S. 241 und 242 sind die beiden Lutherbriefe 
als Nr. 6867 und 6868 aufgeführt ohne Angabe einer haud- 
schriftlichen "Vorlage. Dagegen steht bei den folgenden 
Nummern die Angabe FB.3, 331 (34, 5) = X + Nr. 882 
+ 430 d.h. die Nummer ist aus drei Stücken zusammen- 
gesetzt, von denen das erste keine bekannte Vorlage in den 
„Urschriften“ hat, während das zweite (Nr. 882) in V. Dietrichs 
und Medlers Sammlung, das dritte (Nr. 430) in V. Dietrichs 
Nachschriften steht. Aber die drei Stücke folgen in Farrago 
unmittelbar hintereinander als Nr. 7, 8 und 9; damit ist 
die bisher vermißte Vorlage für den Umfang des (fünften) 
Aurifaber-Stückes gefunden, das die drei kleinen Texte ver- 
einigt. Die Vorlage lautet: 

(f.169b) „Festum (rot) Ioannis sol man bleiben lassen, 
est enim initium novi testa: (menti). Denn es heist: lex et 
prophetae usque ad loannem (Matth. 11, 13). So sol mans 
auch halten propter illa cantica, welche wir noch haben in 
papatu gele-(f. 170) sen, aber nicht vorstanden. Tunc 
(rot) quidam: Canticum Zachariae ist fein. Doctor): Ja, 
er ist fein, denn die praefation zeigt es wol an, die Lucas 
macht, da er spricht: repletus spiritu sancto (Luk. 1, 67).“ 


14 


Damit verbindet nun Aurifaber das in der Handschrift 
getrennt stehende achte Stück „Nos pastores debemus vigi- 
lare, das also ceremonien gemacht und gehalten werden, 
das das volck nicht so gar wilde, noch zu gar heiligk werde“. 
Das Stück findet sich zuerst in V. Dietrichs und Medlers 
Sammlung (Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger 
Jahre) Nr. 882 (Bd. I, S. 440). 

Die Handschrift fährt mit neuem Absatz fort: „Wer 
ein ceremonien anrichten wil, sie sey so geringe, als sie wolle, 
der muß das schwerdt zu beiden henden fassen“ usw. Die 
Worte hat Luther nach V. Dietrichs Nachschriften Nr. 430 
(I, S. 185) Weihnachten 1532 gesprochen. Daß aber nicht 
Veit Dietrichs Text, sondern unsre Handschrift die Vorlage 
für Aurifaber war, beweisen die Varianten, Dietrich hat, 
„anfechten“ (wohl richtiger als „anrichten“) und „zu beyden 
seytten“ ; Aurifaber aber folgt dem Text unserer Handschrift 
Das zeigt sich noch am Schlußsatz des Abschnitts: „Es ist 
unmtiglich, daß ein Gläubiger so viel Bücher könnte schreiben 
als Erasmus, und nicht ein einigen Vers und Zeilichen von 
Christo mit untersprengen und mischen“ = Impossibile est. 
quod credens homo tot libros possit scribere ut Erasmus 
et ne unum versum inserere de Christo. Dietrich dagegen 
schreibt, „nit ein zeyl de Christo setzen“. 

Mit diesem neunten Stück schließt in der Handschrift 
der ganze Abschnitt. Die Hälfte von fol. 170, dann die 
Rückseite und fol. 171 sind leer. Aurifaber hat den Abschnitt 
in der Urausgabe auch hier geschlossen; erst in der Frank- 
furter Folioausgabe mit der Vorrede vom 1. Juli 1568 ist 
ein weiteres, in der Urausgabe 1566 im Anhang (Bl. 623) 
nachgetragenes Stück hierher gesetzt worden (ebenso in dem 
Abdruck der Frankfurter Ausgabe bei Walch 22, 1511 nnd 
F B. 3, 332): Omnis spiritus landat Dominum, ergo omni lin- 
gua et sermone est laudandus (Ps. 150, 6). Die Vorlage des 
Stücks ist in der Sammlung von Konrad Cordatus nachgewiesen 
= Nr.2388b (II, S. 443). Es ist die Rede von dem Gebot des 
Kaisers, in allen Ländern die Messe nur in lateinischer Sprache 
zu celebrieren. EinParalleltext mit eigentümlichen Wendungen 
(z. B. dem Zusatz: et in Britannia etiam rustici coguntur 
latine orare) findet sich in Dietrichs uud Medlers Sammlung 


18 


Nr. 969 (I, S. 431), und eben diesen Text bietet auch Farrago 
in dem Abschnitt De linguis (immer ist liguis geschrieben) 
fol. 412 bis. 

Was den Text der besprochenen Stücke betrifft, so ist 
der Zusammenklang unsrer Handschrift mit den Varianten 
Rörers hervorzuheben. Das gilt mit Bezug auf die Tisch- 
reden I, Nr. 59 und 430 betreffs des Rörerbandes Ror. Bos. q. 
240, in bezug auf I, Nr. 882 und 969 betreffs des Bandes 
Ror. Bos. q. 24f. 

Ein noch viel umfangreicherer Beleg für die Abhüng- 
igkeit Aurifabers von Farr. kann dem in unsrer Handschrift 
ja mit besonderer Liebe ausgebauten 69. Abschnitt: De casibus 
matrimonii entnommen werden. Aurifaber hat in seinem 
43. Kapitel „Tischreden Luthers vom Ehestand“ nicht weniger 
als 184 Stücke gesammelt; eine ziemliche Anzahl davon 
entstammt unsrer Handschrift fol. 334—344, wie die Texte 
und besonders die Aufeinanderfolge der Stücke beweisen. 
Es folgt auf Nr. 108 (FB. 4, 101) „Ob der Aussatz die 
Ehe scheide* Nr. 109 Luthers Bedenken, da einer eine Magd 
geschwängert ; beides steht auf fol. 334. Über den Ehefall 
eines gewissen Ezold, der eine Witwe heiratete, die uxor 
avunculi gewesen war, findet sich in der Handschrift eine 
Reihe von Gutachten von Brenz, Amsdorf, Melanchthon, Luther 
und Jonas (vgl. Zeitschr. für Kirchengeschichte VI 1884 
S. 425 Nr. 5). Aurifaber übernimmt in Nr. 110 natürlich 
nur das Urteil Lutbers in einem Brief an Spalatin (vgl. 
Enders VII 232, Nr. 1602). Mit welcher Flüchtigkeit er 
mitunter arbeitete, zeigt der Schluß des Briefes, dessen Datum 
ical: Mart: 1530 (= 26. Februar) er in „den dritten Martii 
1530“ verwandelt. Die nächste Nr. 111, das Urteil des 
Wittenberger Consistoriums in einem Ehefall, ist von Auri. 
faber anderer Quelle entnommen. Aber die sieben Stücke 
Nr. 112—118, die bei Aurifaber die Überschriften tragen: 
Nr. 112: Von heimlichen Verlöbnissen und von der Eltern 
Gewalt, Nr. 113: Von Graden in Ehesachen, Nr. 114: Von 
Vormtinden-Gewalt in der Ehestiftung, Nr. 115: Frage (betr. 
der Trauung heimlich Verlobter), Nr. 116: Vom Weglaufen, 
Nr. 117: Von einem seltsamen Fall (zu Frankfurt an der 
Oder) und Luthers Bedenken drauf, Nr. 118: Des Papstes 


16 


Entschuldigung, warum er den Ehestand verbiete, finden sich 
in gleicher Aufeinanderfolge auf Blatt 342—344; dazu kommt 
noch Bl. 341 für die zweite Hälfte von Nr. 118 in Betracht. 
Nur übergeht Aurifaber wiederholt kleinere Stücke, wie er 
an Stücken auf Bl. 340 vorübergegangen war, die er aus 
anderer Vorlage schon früher gebracht hatte (Causae divortii 
= IV, Nr. 4499, in FB. Nr. 93; zwei Casus = IV, Nr. 4068, 
in FB. Nr. 82 (Schluß) und 83 usw.) | 

Vergleicht man hierzu in der W. A. den 6. Band der 
Tischreden S, 267—269, so ist für Nr. 6915, 6916 und 6917, 
die Aurifabers Stücken 108, 109, 110 entsprechen, nunmehr 
die vermißte Vorlage nachgewiesen. Und wenn auf S, 269 
zu Nr. 115, das aus zwei Stücken besteht, bemerkt ist, es 
entspreche dieser Tischrede Nr. 5566 (aus Heydenreichs 
Nachschriften) + X, so ist die unbekannte Größe nun gefunden; 
denn die Worte auf fol. 343b: Haec dicebat interrogatus, 
an pastor posset bona conscientia duos copulare, qui contra 
parentum voluntatem contraxissent matrimonium et iuris- 
periti tá (= tamen) confirmassent usw., bildeten die Vorlage für 
Aurifabers Übersetzung. Zugleich wird die Lesart der Ur- 
ausgabe „Das sagte er“ gegen die Änderung „Da sagte 
er“ bestätigt. Bemerkenswert und für die spätere Unter- 
suchung von großer Bedeutung ist der Umstand, daß nicht 
nur das Äquivalent für die Hälfte von Nr. 115, sondern die 
von Kroker angenommenen Aquivalente für die Nr. 119 —117 
überhaupt sämtlich in Kaspar Heydenreichs Nachschriften 
aus den Jahren 1542 und 1543 sich finden (Nr. 5541, 6543. 
5561, 5566, 5569, 5578; vgl. VI, S. 269). 

Mit „des Papstes Entschuldigung, warum er den Ehe- 
stand verbiete“ (Nr. 118, 1. Hälfte) war Aurifaber in fol. 344 
an den Schluß des Farr.-Abschnittes gelangt; fol. 344b und 
noch. sechs Blätter sind leer. Die Handschrift gefiel ihm 
aber so gut, daB er nun rückwärts blätterte und in den 
Nr. 119—124 eine Reihe von Lutherbriefen über Ehefragen 
der an solchen ja so reichen Vorlage entnahm. So ist 
Nr. 119, „Luthers Bedenken vom Scheiden ums Weglaufens 
willen an einen Kirchendiener zu N.“, der auf fol. 326 
stehende, ins Deutsche übersetzte Brief an den minister 
ecclesiae Simon Wolferinus in Eisleben (vom 19. September 


17 


1544; vgl. Enders XVI, 85). Nochmals wird rückwärts 
geblättert, und es folgen zwei tibersetzte Briefe an Nikolaus 
Hausmann, der eine f. 334b— 325 (= Nr. 120) vom 36. Oktober 
1530 (Enders VIII, 293f), der andere f, 325—325 b (= Nr. 121) 
vom 10. Mai 1531 (Enders IX, 9). Im Rüokwärtsblättern 
fortfahrend, bietet Aurifaber aus fol. 331—321b als Nr. 122 
eine Zitation Luthers dar. ,Ich, Martinus Luther, der heiligen 
Sehrift Doktor, zu Wittenberg Prediger, füge Dir B. H. zu 
N. zu wissen, daß die tugendsame Frau A, verlassene 
Witwe N. zu N., bei mir gewest und klagende angezeigt“ usw. 
In der Handschrift sind natürlich die unterdrüokten 
Namen ausgeschrieben; es handelt sich um die Zitation des 
Brosius Heinrich in Dittersdorf vom 29. April 1531 (Enders IX, 4). 
Mit dieser Zitation verbindet Aurifaber aus anderer Quelle 
„eine andere Zitation“ Nr. 123 (vom 22. Juni 1538 an Hans 
Sehwalb; Enders Xl, 375). Aber noch einmal kehrt er 
dann zu Farr, zurück. Dem Abschnitt de matrimonio ent- 
nimmt er aus fol, 314b—315 als Nr. 124 Luthers „Bedenken 
von gemeiner Weiber Hüuser an D. Hieroymum Weller*. 
Der Brief vom 3. September 1540 (Enders XIII, 174) schließt 
mit den Worten: ,Summa: contra Deum nihil possumus 
neo facere neo permittere nec tollerare. Fiat iustitia et 
pereat mundus," Aurifaber übersetzt dies geflügelte Wort: 
„Man lasse gehen, was recht ist, sollte gleich die Welt 
darüber zu scheitern gehen.“ 

Im 6. Band der Tischreden der W. A. entsprechen den 
Nummern 119—124 die Nummern 6919— 6924. Die Luther- 
briefe sind natürlich richtig nachgewiesen; aber die Auswahl 
gerade dieser Briefe und ihre Aufnahme in Aurifabers 
Tischreden-Sammlung ist erst jetzt erklärt. Aurifaber ging 
beharrlich in den Spuren der Handschrift Farr. Das zeigt 
sich auch noch bei Nr. 6926 (Nr. 131 bei Aurifaber; 
FB. 4, 115).  Aurifaber leitet den Fall mit den Worten 
ein: „Da D.,M. L. gefragt ward von etlichen Predigern um 
einen Fall im Ehestande, sprach er usw.“ Dazu wird 
VI, S, 274 mit Recht bemerkt: „Trotz dieser Worte haben 
wir keine Tischrede, sondern einen Brief oder ein Gutachten 
vor uns,^ Die lateinische Vorlage steht Farr. fol. 316b. Ea 
ist ein Brief der Theologi Wittebergenses vom 11. Febr. 1542 

Archiv für Reformationsgeechichte. XIX. 1. | 9 


18 


ad ministros ecelesiae Nordthausianae in bezug auf den 
Ehefall des Jakob Lewer oder Lówer. Der Brief stammt 
übrigens aus der Feder Melanchthons (— Corp. Ref. IV 776, 
Nr. 2447); er ist das Begleitschreiben zu einem ausführ- 
lieheren Gutachten (Enders XIV 178, Nr. 3101), das, weil 
auch für den Rat in Nordhausen bestimmt, deutsch abgefaßt 
ist, Auch dieses wird von Farr. mitgeteilt, aber nicht schon 
fol. 316b, sondern erst fol. 339b 340. Dem Schluß des 
Gutachtens sind die Worte beigefügt: Wite: ex manu Phil. Mel. 

Wir haben in die Arbeitsweise Aurifabers einige Ein. 
blicke getan. Was wir wahrnehmen, veranlaßt uns, nament- 
lich die Einfübrangsformeln der einzelnen Tischreden unit 
allem Bedacht zu prüfen. Es sei noch ein Beispiel angeführt. 
Luther hat, um die schlimmen Früchte des erzwungenen 
Coelibats zu kennzeichnen, öfters auf eine dem Bischof 
Ulrieh von Augsburg zugeschriebene Epistel de continentia 
clericorum hingewiesen und sogar eine Wittenberger Aus- 
gabe aus dem Jahre 1520 mit einer Vorrede versehen 
(vgl. meinen Nachweis in den „Beiträgen zur bayrischen 
Kirchengeschichte“ von Kolde, VI. Band, 1900, S. 121—126). 
Auf diese Epistel nimmt das 182. Stück der Tischreden vom 
Ehestand Bezug (FB. 4, 151; W. A. Nr. 6941). Aurifaber 
führt es mit den Worten ein: „Doktor M. L. sagte einmal 
in einer Predigt, daß ers gelesen hätte, daB S. Ulrich 
schrieb und klagte usw.^ Was er aber acs der Epistel 
mitteilt und weiter durch ein Beispiel ,zu unserer Zeit im 
österreichischen Nonnenkloster Neuburg" bekräftigt, ent- 
stammt mit nichten einer Predigt, sondern ist die Übersetzung 
eines Stückes des großen Kommentars zur Genesis. Die 
lateinische Vorlage steht in der Auslegung von Gen. 4,1 
(W. A. 42, S. 178, Z. 1—22) Wenn in der W. A. in der 
Anmerkung zu S. 178 es zweimal. heißt: „Aus den Tisch- 
reden“, so ist diese Quellenangabe irreführend. Wie sollte 
in den im Jahre 1544 erschienenen ersten Band des Genesis- 
Kommentars eine erst 1566 veröffentlichte angebliche Tisch- 
rede gedrungen sein? Umgekehrt hat vielmehr Aurifaber 
ein Stück der Vorlesung in eine „Tischrede* verwandelt 
und mit dem Exzerpt einen anderen Ausspruch Luthers ver- 
bunden. Der letzte Absatz von Nr. 182 beginnt: „Und sprach 


19 


D. Luther, als er ein junger Knabe gewesen wäre, da hätte 
man die Hochzeit und den Ehestand für sündlich und un- 
ehrlich Wesen gehalten usw.“ Dieser Absatz stammt aus 
einem anderen Zusammenhang. 

IV. 

Die Feststellung, daß Aurifaber die Handschrift Farrago 
als Quellenschrift für seinen Tischredenband benutzt hat, 
erleichtert die Frage nach der Person des Sammlers, Wir 
müssen ibn unter den Tischgenossen Luthers suchen; 
er gehört zu denen, die sich selber am Tisch des Reformators 
Aufzeichnungen gemacht haben. Woher sollte er sonst sein 
Sondergut haben? 

Es bleibt Aufgabe der Forschung, alle Stücke in Farr. 
festzustellen, die keine andere Tischreden-Handschrift, auch 
Rörer nicht, darbietet. Und ferner ist zu untersuchen, mit 
welchen von diesen Stücken Aurifaber seine Ausgabe be- 
reichert hat. Es ist merkwürdig, daß das erste Ergänzungs- 
blatt A der Handschrift mit einem solchen Stücke beginnt. 
Die allererste Rede, die Farr. mitteilt, ist Sondergut. Sie lautet: 

Deus alit per media. Vide de illo loco fo: 1. „Gott 
kondt vns wol an (= ohne) alle vnsere arbeit vnd an alle 
mittel ernehren, aber er wil die handt auffthun, das man 
sehen sol, er sey ein reicher Herr vnd ist doch alles.mirabile 
opus Dei, das wir mussen sagen, wir habens alles von jm, 
quia videmus quaedam flumina gignere pisces, do man keine 
bat eingesetzt. Also jn dem bechlein, das durch meinen 
garten fleust, sein feine heehtlein, schmirlen, vnd wenn man 
sic jn ein ander wasser setzt, so werden große hechte daraus.“ 


Aurifaber teilt die Rede als Nr. 80 in dem Abschnitt 
„von Gottes Werken“ mit (FB. 1, 123 [2, 80] W. A. Nr. 6538) 
unter Übersetzung der lateinischen Worte und verbindet 
damit ein Stück der Tischrede Nr. 1153 (I, S. 570), das er 
dann bei der Wiedergabe dieser ganzen Rede unter Nr. 103 
(FB. 1, 141) wiederholt. 

Aber nicht nur die Sonderstücke verraten den Tisch- 
genossen Lathers, soudern auch die originalen Fassungen, 
die hie und da solehe Reden in Farr. haben, die auch in 
anderen Tischredensammlungen begegnen. Ein hervorragendes 
Beispiel ist Nr. 5386 (V, S. 120) aus der Mathesischen 
Sammlung — eine Rede, die Kroker Kaspar Heydenreiclis 


2 


20 


Nachschriften zuschreibt und in den April 1542 versetzt, 
Luther schildert, wie sinnlich und fleischlich sich die Türken 
das Leben nach der Auferstehung vorstellen. ,Adiecit 
Doktor Pommer: So werden sie (die Männer) unter inen 
(den Weibern) rum gehen wie ein han vnter den hennen!“ 
Farr. f. 129b bietet aber den Text: Adiecit aliquando D. Pomer, 
eum hoc idem recitasset: So werden sie usw. Das ist eine 
richtigere Fassung; denn, wie Kroker anmerkt, Bugenhagen 
kehrte erst Ende Mai 1542 aus Dänemark zurück (Enders XIV 
168, Anm. 6); das aliquando bei Farr. betont also richtig, 
daß Bugenbagens drastische Äußerung bei einer anderen 
Gelegenheit gefallen ist. Diese richtigere Fassung ist aber 
gewiß ursprünglich; die andere ist durch Abkürzung des 
Textes entstanden. 

Um eine Textverkürzung handelt es sich auch bei einer 
anderen der Heydenreich' schen Nachschriften aus dem 
Sommer 1542: Cicero et Aristoteles (V, S. 155, Nr. 5440). 
In Farr. f. 422b lautet die Überschrift: De philosophia, und 
der ganze Abschnitt hat folgenden eigentümlichen Zusatz, 
[. 423: „Varro vnd Cicero sein die besten. Varro macht 
triplices Deos, poeticos, philosophicos et naturales. Cicero 
vorsteht wol, quod sit tantum unus Deus. Quid autem sit 
ille Deus, non videt. Ich glaub auch, quod minus in iuditio 
vapulabunt. Denn das Cicero so hart solt verdampt sein 
als Caiphas, halt ich nicht.“ Ein Stück dieses Zusatzes 
findet sich in Nr. 5972 (aus Ro. Bos. o. 17 0). 

Daß der Sammler von Farr. auch im Jahr 1543 in 
Wittenberg war, ergibt sich aus der Fassung, in der bei ihm 
(fol. 327 b) Luthers Erzäblung von einem skandalösen Erfurter 
Ehefall begegnet, wie jemand unwissenderweise eine Frau 
nahm, die zugleich beides, seine Tochter und seine Schwester 
war. Der Fall wird öfters in den Tischreden erwähnt, 
Eine Darstellung, die fast wörtlich mit dem Farr.-Text tiber- 
einstimmt (III, S. 501, Nr. 3665 A) schließt mit der Bemerkung: 
Hoc nostro saeculo contigit Erphurdiae. In Farr. folgt noch 
der Satz: Lutherus recitavit pro contione 1543. Diese Mit- 
teilung trifft vollkommen zu. Am 16. Okt. 1543 hat Luther 
in der Genesis-Vorlesung (W. A. Bd. 44, S. 222 f) bei der 
Auslegung von Gen. 36, 20—30 den Fall erzühlt und seel- 


21 


sorgerliche Bemerkungen angekntipft; ich habe das aus der 
Greifswalder Handschrift Mscr. theol. Quart 36 nachgewiesen 
(Theol. Literaturblatt 1918 Nr. 7, Sp. 105—109 und Archiv 
für Ref.-Gesch. XVII 1920, S. 81—91). Der Sammler von 
Farr. war wohl Hórer der Genesis-Vorlesung Luthers. 

Es liegt die Frage nahe, ob nicht der Sammler, wenn 
er ein Tischgenosse Luthers war, irgendwie in den Sonderstücken, 
die er bietet, persönlich mit seinem Ich hervortritt, Ahnlich 
wie Antonius Lauterbach, in dessen Tagebuch vom Jahre 1538 
oft Stellen begegnen, wie: Dixit ad me, Mihique indixit et 
ceteris diaconis, lllo die interrogavi Lutherum (III, S. 530, 17, 
672,12; 583, 21—Nr. 3685, 3729, 3740). Wir nehmen aber 
wahr, daß in Farr. beim Umschreiben der einzelnen Stücke 
in die Fächer der Sachordnung solche Ich-Stellen meist absicht- 
lich getilgt sind. Das ist z. B. der Fall bei Nr. 5459 (V, S. 165). 
Da heißt es in Heydenreichs Nachschriften: „Cum interrogarem: 
ob auch ein obrikeit macht hette, einen prediger zu fragen 
de adulteris, wenn er pro contione hart darauf gescholten 
bett“ und auf Luthers verneinende Antwort noch einmal: 
Deinde quaerebam. Der Sammler von Farr. war anwesend; 
denn er hat am Schluß den originalen Zusatz, den Aurifaber 
(FB. 4, 168 [44, 18]) von ihm übernommen hat: „Darumb 
lassen wir keine clandestina coniugia zu, quia est unius vox, 
quae nihil potest probare.^ Statt daß aber der Fragende 
genannt wäre, lautet die Einführung in  Farr. einfach: 
„Quaeritur, ob auch ein oberkeit usw.“ und hoch einmal: 
Item quaeritur. 

Ebenso lehrreich ist folgendes Beispiel. In Nr. 5504 
(V, S. 198— Winter 1542 auf 1543) lesen wir: Cum 
legeremus in mensa Antonii Margarithae, ludaei baptizati, 
(er war damals Professor des Hebräischen in Wien, wie 
Kroker anmerkt) libellum de variis ritibus et ceremoniis 
ludeorum, inquit Doctor etc. Aurifaber macht daraus 
(FB. 3, 392 [37, 83]): „Anno 1542 lase M. Mathesius und 
die anderen Tischgesellen usw.“ Aber Mathesius war schon 
im April 1542 als Diakonus nach Joachimsthal zurück- 
gekehrt. In Farr. f. 458 ist der ganze einleitende Satz 
absichtlich weggelassen. 

(Schluß im nächsten Heft). 


Georg Weigel. 
Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte 


Altpreussens und Lithauens. 
Von D. Dr. Th. Wotschke. 


Dem Thorner Professor Hartknoch verdanken wir eine 
eingehende Kirchengeschichte Altpreußens. Vor mehr denn 
200 Jahren geschrieben, ist sie noch heute, auf das Ganze 
gesehen, nicht überholt. Gründlich unterrichtet sie auf 1100 
Seiten über alle kirchlichen Ereignisse bis zum Jahre 1680- 
Aber mit keinem Worte erwähnt sie jenen unruhigen Theo- 
logen, der 1562/63 die kirchlichen Wirren in Königsberg 
noch mehrte, zum Osianderschen Hader einen Sakraments- 
streit fügte, dann in Wilna und Lithauen tiberhaupt ver- 
hängnisvoll wirkte und schließlich fast in die römische Kirche 
zurücktrat, Georg Weigel aus Nürnberg. Auch andere Kirchen- 
geschichten wissen nichts von ihm. Nur Löscher „Historia 
motuum“ kennt seinen Namen, bringt seine kurze Confession 
und einen Streitbrief seiner Feder wider Epplin, aber näheres 
weiß auch dieser Historiker über ihn nicht zu berichten. Außer 
den beiden genannten Urkunden ist ihm von Weigel nichts 
bekannt; über die Zeit seines Auftretens hat er nur eine 
Vermutung, und diese Vermutung ist falsch. Es wird des- 
halb die geschichtliche Forschung fördern, nähere Nachrichten 
über diesen fast ganz unbekannten Theologen zu bringen. 

Justus Jonas, der Jungere, der ungluckliche Sohn des 
treuen Freundes Luthers, schreibt in Beantwortung einest 
herzoglichen Briefes vom 14. Januar 1561 an den Hohen- 
zoller in Königsberg): „Es ist hier in Wittenberg ein frommer, 
gottesfürchtiger, eingezogener, stiller, ganz gelehrter Gesell 
mit Namen Magister Georg Weigel, ein Nürnberger, seines 
Alters ungefähr ein- oder zweiunddreißig Jahre, eine feine, 


) Vergl. J. Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten mit 
Herzog Albrecht von Preußen S. 388. 


23 


lange, ansehnliche, sittige Person, welcher drei Jahre von 
dem Rate zu Nürnberg allhier im Studium der Theologie 
verlegt ist, zuvor aber etliche Jahre allhier seinen Studien 
mit Fleiß obgelegen. Ich habe ihn etliche Male hier in der 
Schloßkirche, wenn die verordneten Prädikanten verhindert 
gewesen, predigen hören, habe seiner zuvor ganz und gar 
keine Kunde gehabt, aus seinen Predigten aber gespürt, 
daB er nicht allein die Bücher, woraus der mehrere Teil 
derjenigen, die sich für Theologen ausgeben, ihre Kunst 
schöpfen, sondern auch andere Schriften mit Fleiß gelesen 
und ein nicht gemeines Judizium habe. Ich habe ihn des- 
halb zu mir gebeten uud nach der Länge von den Artikeln, 
darüber man itzo streitig ist, konferiert und befunden, daß 
er dieselbigen Kontroverse allesamt ans dem Fundament 
versteht, so daß zu wünschen wäre, daß unter denjenigen, 
welchen die Herde Gottes zu weiden befohlen ist, viele 
seines Gleichen sein möchten. So hat er auf der Kanzel 
gar eine gute Art zu reden; damit aber E. F. D. eine kleine 
Anzeige habe, daB der Bericht, den ich von ihm tue, wahr- 
haftig sei, überschicke ich E. F. D. hierneben ein Büchlein 
welches er gemacht und allhier vor einem Jahr im Druck 
hat ausgehen lassen. Ich sähe darum gern, daB dieser 
Mann in E. F. D. Dienst käme, weil ich keinen noch gehört 
habe, der uber die Kontrovers Osianders so recht judiziert 
hätte als er. Er ist in Wahrheit ein großer Theologus. Su 
stimmt sein Judizium mit allen recht verständigen Leuten 
darin überein, daß er meint, es habe der mehre Teil den 
Osiander ex praeiudicio verdammt.“ 

Der hier so warm Empfohlene war 1529 in Nürnberg 
geboren, hatte die Schule seiner Vaterstadt besucht, dann 
das Straßburger Gymnasium vier Jahre; am 29. Juni 1542 
hatte er sich schon in Heidelberg einschreiben lassen. Seit 
dem 21. April 1548 bis Frübjahr 1850 sehen wir ihn in 
Tübingen, dann ein Jahr in Wien, 18 Monate in Ingolstadt. 
Wohl in Wien hatte er mit Thomas Pegüus!) Freundschaft 


1) Veit Nuber, der von Wittenberg nach Österreich gegangen, 
am 6. Angust 1568 in Steyr eingetroffen war, meldet unter dem 
20. August Paul Eber: ,M. Thomas Pegaeus, qui tibi autor fuit, hue 


24 


geschlossen, vielleicht in der Folgezeit auch unter ihm an 
der Schule zu Steyr in Österreich unterrichtet. Am 14. Sep- 
tember 1558 hatte er die Leucorea bezogen und war am 
1. Mai 1560 in die Artistenfakultät aufgenommen worden. 
1559 hatte er in Wittenberg erscheinen lassen: „Explicatio 
dilucida epistolae Judae* und „Historia de quodam episcopo 
a muribus consumpto“, Melanchthon und Peucer waren vor 
anderen seine verehrten Lehrer; mit Justas Jonas, dem Lehrer 
der Rechtswissenschaft, stand er in enger Verbindung. Dessen 
warme Empfehlung, die Vorliebe des Hohenzollern in Königs- 
berg für seine süddeutschen Landsleute, vor allem die Aussicht 
und Hoffnung, in Weigel einen gelehrten Richter in dem 
Osianderschen Streite zu erhalten, der vielleicht seinen ver- 
ehrten und geliebten, seit 1550 in der theologischeu Welt 
so verketzerten „Vater in Christo“ wieder zu Ehren brächte, 
bertimmte den Herzog Albrecht, ihn in seinen Dienst zu 
nehmen. Fast umgebend, am 25. März 1661, ließ er ihm 
schreiben:!) „Nachdem wir in unserem Fürstentum guter, 
christlicher, geschickter Pfarrherren und Seelsorger wohl 
benotdurft und derselben gern etliche in diesen Landen 
haben wollten, ihr aber uns euerer Lehre, Geschicklichkeit, 
eueres Lebens und Wandels halben gertihmt seid worden, 
so hätten wir wohl gnädige Neigung, daB. wir euch unter 
uns in einem Predigtamt wissen möchten, und wollen euch 


mittendi concionatorem aliquem ante meum adventum, a senatu dimissi- 
onem petiit propter multiplices persecutiones, quas patitur ob detestan- 
dam ingratitudinem civium strenue doctrinam evangelii et omnes bonos 
artes contemnentium. Utinam et ego aut huc venissem nunquam aut 
hona conscientia statim abire liceret^. Am 31. Juli 1565 schrieb Eber 
an Pegäus: ,Quod ad litteras tuas attinet, peto mihi decepto veniam 
dari, In posterum ero fautior incidens in alienos, cum quibus non 
modicum salis absumpsi, ne temere externae speciei et sono credam. 
Tuam amicitiam ut semper magnifeci, ita in posterum quoque officiis, 
quibus potero, tueri studebo.^ Am 29. Juni 1568, da der Steyrer 
Rektor ihn um einen Lehrer für seine Schule gebeten hatte, meldet 
ihm Eber, daß er ihm Daniel Möller sende, der vier Jahre in Witten- 
berg studiert und jetzt im Sommer den Magistergrad erworben habe. 
Zugleich tröstet er ihn über den Ehebruch seiner Frau. 


) Dieser Brief ist wie sämtliche anderen Urkunden dem Staats- 
archiv in Königsberg entnommen. 


25 


darauf hiermit gnädigst vociert haben. Begehren mit Gnaden, 
daß ihr euch ins Förderlichste allhero zu uns in einen 
Pfarrerdienst begeben wollet. Bei euerer Ankunft sind wir 
bereit, uns mit euch des Unterhalts halben mit Gnaden zu 
vergleichen. Im Falle euch hierin etwas Hinderliches vor- 
fiele, so wollet solches gegenwärtigem Johann Funck anzeigen. 
Ihm haben wir Befehl gegeben, deshalb allenthalben mit 
euch zu reden.“ 

Im April verhandelte Funck, der nach Wittenberg 
gekommen war, um den Theologen sein Glaubensbekenntnis 
vorzulegen, mit seinem Landsmann Weigel und bestimmte 
ihn, dem Rufe des Herzogs Folge zu leisten. Da er ein 
Nürnberger Stipendium genossen hatte und deshalb dieser 
Stadt verpflichtet war, versprach Funck, der nach Nürnberg 
reisen wollte, ihm dort Entlassung zu erwirken. Während 
er nun nach Leipzig!) und Süddeutschland aufbrach ), zog 
Weigel nach Königsberg. Am 2. Juni 1561 wurde er hier 
als ,reverendus vir pietate et eruditione praestans“ ins 
Album der Albertina eingetragen. Eine Ordination in Witten- 
berg mußte ihm nach Ansicht des Herzogs größerere Geltung 
und Autorität verleihen, desbalb ging er zugleich als herzog- 
licher Bote an Johann Major und Justus Jonas auf Anord- 
nung Albrechts noch einmal nach der Elbstadt zurück. Am 


1) Am 31. Mai 1561 schrieb Pfeffinger aus Leipzig dem Herzog 
Albrecht über Funcks Konfession. 


*) Nach seiner Rückkehr nach Königsberg schrieb Funck am 
15. Juli 1561 an Paul Eber. Vergl. Codex Gothanus chart 123 Bl. 854. 
»Volui tibi ad rescribendum ansam praebere, donec ipse ad nos in 
Prussiam nostram, ut aliquoties T. H. percupere coram intellexi, bonis 
avibus venias. Quod ut commodius citiusque fieret, dedi operam, ut 
ab ill. duce Alberto per literas vocarere, efficique simul, ut ad electorem 
itidem darentur literae, quibus ut D. T. huc venire atque ad unum 
mensem nobiscum esse liceat familiariter petit. Quas autem ob causas 
petitio ista flat, potest D. T. ex ill. principis mei literis, quas bisce 
meis adiunctas habes, una cum transsumpto aut descripto earum, quae 
sunt ad principem electorem, intelligere. Novit deus, quam bilari 
vultu animoque serenot pius princeps literas vestras acceperit, legerit, 
relegerit, quam avide etiam, quid inter nos sit actum, me referente ac 
declarante audierit. Saepius in haec verba erupit: ,Wolt got, das 
ieh mein leben volend mit solchen leuten vnd mit solchen Disputationen 
móchte hinbringen*. 


26 


24. Juni traf er hier ein, hündigte Major das für ihn 
empfangene Geld und Schreiben ein, ließ sofort auch in der 
Schwenckschen Offizin seinen Trauergesang auf Melanchthons 
Heimgang drucken, den er auf der Reise niedergeschrieben oder 
vollendet hatte. Da er am 30. Juni an den Herzog schrieb’), 
konnte er seinem Briefe ein Exemplar seines Epicedium bei- 
legen?). Als er seinen Freunden seine Berufung nach Preußen 
angezeigt hatte, hatte er sie um Gratulationen und Geleitgedichte 
gebeten. Er wollte sie drucken lassen, mit nach Königsberg neh- 
men und dort ausstreuen, um den Anschein eines allseitig geschátz- 
ten und hochverehrten Mannes zu erwecken. Bis sie eintrafen, 
wartete er mit der Einholung der Ordination und seiner Abreise. 
Am 19. September (1561) starb in Wittenberg ein 78 jähriger 
Pfarrer Michael Faust. Der Universitätsschrift, in der der 
Rektor die Studenten zur Teilnahme an dem Begräbnisse 
aufforderte, gab Weigel wie sein Landsmann Georg Mauri- 
tius, Jakob Alutarius aus Herborn, Georg Aperbach aus 
Erfurt und Joh. Reymann aus Löwenberg etliche Verse bei.“ 
«liche Tage später veröffentlichte er die inzwischen ein- 
gegangenen Geleitsgedichte seiner Freunde.“) Einen Lobpreis 
auf die Leucorea fügte er ihnen bei. Am 5. Oktober ordinierte 
ihn Paul Eber. 


) Vgl. Beilage I. Am 4. Juli 1561 schreibt Paul Eber dem 
Herzog: „Cum voluptate audivi ex M. Weigelio et deo gratias ago, 
quod terribilis illa expeditio Johannis Basilii, magni ducis Moscorum, 
impedita sit^. Im weiteren empfiehlt er den herzoglichen Alumnus 
Christian Farnhed, der lünger sls ein Jahr bei ihm gewohnt habe. 


9) Epicedion in honorem et memoriam obitus reverendi et incom- 
parabilis viri d. Philippi Melanthonis, patris et praeceptoris nostri 
summe colendi, scriptum a. M. Georgio Weigelio Noribergensi. Wite- 
hergae excudebat Laurentius Schwenk. 1561. 


5 Epitaphium scriptum venerando et optimo seni D. Michaeli 
Fausto pie Wittebergae mortuo 19. Septembris 1561, cum esset 
egressus annum aetatis 78., a. M, Georgio Weigelio Noribergensi. 

) , Hoozx£uzt'tixa scripta rev. viro d. Georgio Weigelio Noribergensi. 
liberalium artium magistro, vocato ad ministerium verbi divini ab ill. 
Borussiae principe Alberto Seniore, Witeberga. discedenti, Witebergae 
excudebaut haeredes Georgii Rhaw 1561“ in 4°, drei Bogen, Dreizehn 
Freunde, darunter Justus Jonas und Thomas Pegüus aus Landeshut, 
Rektor in Steyr, bringen ihre Wünsche dar, zum Schluß „ad Wite- 
bergensem academiaın M, Georgius Weigelius." 


21 


Weigel war Philippist und trat als solcher in dem gut 
lutherischen Königsberg sofort mit aller Schärfe auf, Schon 
seine ersten Predigten erregten Anstoß, die, welche er am 
21. Dezember 1561 in der Schloßkirche in Gegenwart der 
Herzogin, der Hofräte, des Präsidenten Johann Aurifaber 
hielt, fachte fast einen Aufruhr an. Er leugnete die Ubi- 
quität Christi, seine Realprüsenz im Abendmahle; nur geist- 
licher Weise werde der Leib des Herrn genossen!) Fast 
einmütig erklärten sich die Theologen wider ihn. Ihr Wort- 
führer wurde Epplin, der ältere Hofprediger. Von Anfang 
an bestand zwischen diesem und Weigel ein gespanntes Ver- 
hältnis. Justus Jonas hatte seinen jungen Freund schon in 
Wittenberg gegen diesen älteren Theologen eingenommen). 
Als Epplin jetzt auf der Kanzel sich wider Weigel und seine 
Predigt vom vierten Adventssonntage wandte, schrieb er ihm 
einen Brief“), der recht bezeichnend ist für die Weise, in 
der er seinen Kampf führte: „Ich kann mich nicht genugsam 
wundern der großen unverschämten Leichtfertigkeit, damit 
da die allergelehrtesten und heiligsten Leute unserer Zeit 
ganz liederlich bei dem gemeinen Volke angiebst und mit 
unerhörten Schmähworten beschwerst. Es pflegen sonst, die 
auf andere Lügen dichten, Diebe zu sein, du hast heute auf 
deine Präzeptores gut und büslich gesprochen (o du unver- 
schämtes Maul, das allein Schmach und Schande ausspeien 
vermag), daß sie mit diesen Worten, ihre Hände seien voll 
Blut, die Worte des Abendmahls ‚das ist mein Leib‘ aus- 
legen. Ich habe niemals anderen, die dir grobe, unver- 
schämte Leichtfertigkeit zugemessen, glauben wollen; nun 
aber muß ichs glauben, daß du ein hoffärtiger, überaus unver- 


) Mathias Wanckel schreibt unter dem 12. März 1562 aus Kemben; 
an Eber: „Calvini logma de coena domini etiam in Borussiam sparsum esse 
ex corde doleo et certe nescio, qua conscientia vestras sententias et 
formulas loquendi de coena sacrosanctissimae ecclesiae laboranti non 
eommittatis". 

2) Am 13. April 1559 in einem Briefe aus Leipzig hatte er gemeiut 
auch den Herzog vor Epplin „und seinen Narrenbüchern“ warnen zu 
müssen. 

3) Löscher, Historia motuum II, 218 ff. Im Einzelnen unterrichten 
über den Streit zwischen Weigel und Epplin zwei Aktenstücke vom 
10. März und 11, April 1562 im Königsberger Staatsarchive. 


28 


schümter, heilloser, unwissender Mensch seist... Ich will es 
mit Gott bezeugen, daß ich heute nichts denn eine eselische 
und cyklopische Unwissenheit gehört habe. Wahrhaftig ich 
habe einen Esel gesehen auf der Kanzel in einer leinenen 
Haut verkleidet.“ Und so geht es fort, jeder Satz eine 
schwere Kränkung und Beleidigung. Ein Glaubensbekenntnis, 
das Weigel weiter herausgab und in dem er mit aller Ent- 
schiedenheit die symbolische Deutung des Abendmahls ver- 
frat!) begegnete natürlich dem schroffsten Widerspruch. 
Bald stritt man nicht nur in Königsberg wider ihn und 
suchte dem 73jährigen Herzoge seine Entlassung abzu- 
drängen. Wie im Osianderschen Streite die Kunde von allen 
Vorgängen in Königsberg sofort nach Wilna flog?) wie 
Osianders Gegner am königlichen Hofe wider ihn und seine 
Anhänger Stimmung machten“), so denunzierte man jetzt 
beim polnischen Herrscher Sigismund August auch Weigel 
als einen Unruhstifter. Der König sah sich bewogen, an 
den Herzog zu schreiben und ibn eindringlich vor dem 
Zwietrachtprediger zu warnen. Als Albrecht antwortete, daß 


1) „Panis est corpus Christi non proprie vel realiter, sed. impro- 
prie, figurate vel sacramentaliter. Manducare corpus Christi et 
bibere sanguinem eius est in Christo manere et Christum manentem 
in se habere^. Löscher II, 917. 

?) Vgl. Pohibels Brief aus Wilna vom 4. Okt. 1551. Möller: 
Andreas Osiander S. 459, Schon am 29. Sept. hatte er aus Wilna dem 
Hersog geschrieben: ,Man hat hier aueh der prüdicanten zu Konig- 
sperg, e. f. g. auch hyn vnd her gedacht, der eyne besser dan der 
ander. Sprechen, der hertzog sambt der hertzogin haben eyn sonder- 
liche lere, das frewlein auch besonder, das hoffgesindt vnd dy rethe 
dergleychen. In den steten geht es auch seltzam zu . . . Es were 
besser gewesen, das dy predicanten den predigtstuel eyn zeytlangk, 
damit es vnder dy gemeyne nicht kommen were, gemyden, bis sy 
sich vereyniget vnd verglichen hetten. In Summa es begeben sich 
mancherlei worthe vnd rede, welche ich jtzo jn der feder mus rowea 
vnd bleiben lassen, jedoch bleibt solchs e. f. g. zu gelegener zeit 
vn verhalten.“ 

3) Krakau, den 22. März 1558 schreibt Pohibel dem Hersog: 
„Ich kann e. f. d. nit bergen, das in kortzen tagen der her marien- 
borgische woywoda durch eignen pothen an meinen bern [den könig- 
lichen Vorschneider Gabriel Tarlo] geschrieben vnd jm angezeigt, wie 
das eyn seltzam tumult vnd zwyspalt zu Konigaperg des predicanten 
halben d. Morlens erhoben, alzo, wo dem nicht vorgekommen, eyn 


29 


er unruhige Geister in seinem Herzogtum nicht dulde, gab 
er am 1. Mai seiner Freude daruber Ausdruck, unterließ 
aber nicht, von neuem zu warnen!) 

Den Hofmeister der Königin, Erhard von Kunheim, hatte 
der Herzog im Verdachte, den König wider Weigel ein- 
genommen zu haben. Aber dieser Bruder des Schwieger- 
sohnes unseres Luther war wohl unschuldig. „Die ganze 
Stadt allbier ist des Redens voll gewesen, und man hat sich 
mit Briefen umhergetragen, so von E. F. D. Hof anher 
geschrieben auch von denen, so E. F. D. nieht wenig ver- 
trauet“, schreibt er Wilna, den 3. Mai 1562 zu seiner Recht- 
fertigung. Um sich noch mündlich zu verteidigen, kam er 
im Juni nach Königsberg”). 


gros blutvorgyssen hyraus entstanden were. Jdoch hinge es noch an 
der wage usw., mit andern vil mehr vmstendigen worthen, wie dan 
seyner gnaden eigen hantschreiben mitbringt, meynem herrn zu erkennen 
geben vnd ferner gebeten, das meyn her bey der kön. majt treulich 
sollicitiren wolde, damit jre majt eyn eigen potschafft an e. f. g. ab- 
fertigen thete, damit e. f. g. vermanet, von solchem vornehmen der 
zwyspältigen lehren abzustehen etc. Were sonst zu besorgen, cyn 
schrecklichers hyraus zu erfolgen. Sind sonst auch zwei briefe bey 
meynes herrn briffe gewest an die kön. majt, eyner von dem herrn 
bischoff von Ermelant, der ander von gedachtem herrn woywoden. 
In dem vnd vff solch schreiben hat mich meyn herr gefragt, was er 
ja dem fall thun solde, ob er solchs jrer majt anzeigen solde oder 
nicht, weyl er sonst von nymandt schreiben hette, In dem alzo ge- 
schlossen, das sich mein her mit worthen vnd dergleichen nix kegen 
ire maj* einlassen solde". Im weiteren bittet er den Herzog um einen 
genauen Bericht, ,damit, ob hernachmals sich ethwas an tag geben 
würde, dem mit der warheit desto bas vorzukommen". Vgl. schließ- 
lich auch Pohibels Brief vom 21. April 1558: „Was den d. Morlein 
belangt, het man alhir vil seltzamer redenn vnd sonderlich an dem, 
das etzlich vill frawen vnd junkfrawen gleich eyner procession jns 
schlos zu Konigsperg gangen vnd e. f. g. durch dy fraw Venedigeryn 
eine supplication zustellen wollen, welche e. f. g, nicht angenommen, 
sonder sie sembtlich in jre behausunge abzugehen befelich geben, 
das alzo mit eynem gesange eynes psalmes gescheen. Wirt aber 
wenig hyvon am hofe gedacht, aufgenommen dy aus Preußen hier 
ankommen, dy haben vil geschwetz, mehr andern leuten zu gefallen, 
denn der warheit enlich". 

) Vgl. Wotschke, Abraham Kulvensis. Urkunden zur Refor- 
mationsgeschichte Lithauens. Altpr. Monatsschrift XLII S. 237 f. 

*) Über diesen Kunheim vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte 
aus der Interimsseit. Jahrbuch für Kirchengeschichte der Provinz 


30 


Der altersschwache Herzog und die wenigen Reformierten 
in seiner Umgebung, Friedrich von Kanitz!) Friedrich von 
Aulack*) und Schwerin, konnten Weigel gegen den allge- 
meinen Unwillen nicht schützen. Er ging deshalb, als ihm 
in Königsberg die Kanzel verboten wurde, nach Lithauen, 
um dort Unterstützung zu suchen, auch die Gunst des Fürsten 
Radziwill für sich zu gewinnen. Die deutsche lutherische 
Gemeinde in Wilna, welche erst im November 1560 in 
M. Simon Wanrab einen Pfarrer, Anfang 1562 in einem 
Königsberger Kaplan einen zweiten Prediger erhalten hatte, 
lehnte ihn ab, aber bei den lithauischen reformierten Pastoren 
fand er freundliche Aufnahme. Mit den Zürichern und Genfern 
waren sie im vergangenen Jahre in Verbindung getreten, 
erst am 23. Januar war einer unter ihnen, Martin Czechowicz, 
von einer Gesandtschaftsreise nach Genf“) heimgekehrt, jetzt 
dachten sie durch den Wittenberger Magister auch Beziehungen 
zu den Pbilippisten anzukntipfen. Durch sie fand er Ein- 
gang am Hofe des Fürsten Radziwill. Hier lernte er den 
theologisierenden Arzt Blandrata kennen, der im nächsten 
Jahre nach Siebenbürgen ging, vor allem aber den Geheim- 
schreiber Johann Maczinski, einst Pellikans Hausgenosse in 
Zürich, in Wittenberg Melanchthons Schüler. Er wurde ihm 


Sachsen 1913 3. 5 ff. Kunheim folgte der Künigin Katharina Herbst 1566 
nach Österreich. Linz, den 28. April 1571 empfiehlt die Königin Volmar 
von Kunheim aus Preufen dem Kurfürst August von Sachsen. Vor 
fünf Jahren sei ihr dieser Kunbeim als Edelknabe zugesandt, jetzt 
möge ihn der Kurfürst in seine Dienste nehmen. 

1) Dieser Kanitz war neben dem Abenteuerer Skalich und dem 
Radziwillschen Sekretär Maczinski der Testamentsvollstrecker Lisma- 
ninos. Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino, Zeitschrift der Hist. 
Gesellschaft Posens 1908 S. 323 ff. Über die heimliche Ehe, die er 
in Königsberg geschlossen, vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte S. 7. In 
Breslau war der reformierte Craco sein Freund. Auf dessen Empfehlung 
suchte er 1561 den kalvinisch gerichteten Birkenhan in Preußen zu 
versorgen. Gillet I 241. 

2) Über Aulack vgl. Wotschke, Herzog Albrecht und Graf 
Raphael von Lissa. Altpr. Monatsschrift XLVI S. 484 ff. und 489. 

3) Das Schreiben vom 9. Oktober 1561, das er von Calvins Hand 
mitbrachte, bewahrt noch heute das Archiv der reformierten Gemeinde 
Wilnas als kostbare Reliquie. Die Monumenta reformationis Polonicae 
et Lithuanicae bieten es im Gleichdruck an erster Stelle, 


31 


ein Freund und schrieb für sein großes polnisch-lateinisches 
Lexikon, das jetzt nach jahrelangen Bemühungen endlich 
in Königsberg gedruckt werden sollte, aber erst 1564 wirk- 
lich erschien ), ein empfehlendes Gedicht an den Leser 
Fürst Radziwill wandte ihm seine volle Gunst zu und war 
geneigt, ihn in seine Dienste zu nehmen als Erzieher seines 
ältesten Sohnes, des 13jährigen Nikolaus Christoph), dem 
Vergerio 1556 die trefiliohe Kinderlehre „Lao spirituale“ 
des evangelischen Spaniers Juan de Valdes gewidmet hatte*), 
ihn mit diesem auch nach dem Auslande, nach Deutschland, 
der Schweiz und Italien zu senden. Wilna, den 96. Juni (1562) 
schrieb er davon dem Herzoge und bat, Weigel aus seinen 
Diensten zu entlassen“). 

Albrecht hatte unterdessen alles versucht, den durch 
Weigel erregten Sakramentsstreit zu dämpfen, dabei unter 
dem Einfluß Johann Aurifabers auf Wege gesonnen, über- 
haupt zwischen Lutheranern und Reformierten einen Aus- 
gleich zu schaffen. Seine Theologen mußten ihm im Mai 
Gutachten ausarbeiten ). Obwohl mit Ausnahme Aurifabers 
sie alle kein Vertrauen zu einer Unionsaktion hatten, hielt 
der zühe Herzog doch an ihr fest. Im Juli mußte der 
aus Lithauen heimgekehrte Weigel eine Reise nach Std- 


1) „Lexicon Latino-Polonicum ex optimis latinae linguae scripto- 
ribus concinnatum", 

*) Er wat am 2. August 1549 geboren. 

3) Vgl. Wotschke, Eustachius Trepka. Zeitschrift der Hist. 
Gesellschaft der Prov. Posen 1903. Wie dem siebenjäbrigen Knaben 
die lac spirituale widmete Vergerio dem 16 jührigen Jüngling, als er 
bei ihm (1565) in Tübingen weilte, seine Risposta in quartro libri 
divisa ad una invettiva di fra Ippolito Chizzuola. Unter dem 81. März 
dieses Jahres hatte ihm Lorenz Tuppius in Straßburg schon zuge- 
schrieben: Adversus synodi Tridentinae restitutionem opposita grava- 
mina, Vom 15. März d. J. ıst datiert Sturms epistola de refutatione 
Tridentini concilii an Radziwill den Vater. 

*) Albrechts Antwortschreiben vom 12. August 1562 bei Wotschke, 
Culvensis S, 241. 

5) Vom 19. Mai 1562 sind die Gutachten Funcks, Epplins, Auri- 
fabers, Vogels datiert, vom 22. Mai das Jagenteuffels, vom 6. Oktober 
das des Sickius. Unter dem 21. Oktober warnt Funck den Herzog vor 
der kalvinischen Abendmahlslehre. Vgl, auch Hase, Herzog Albrecht 
und seine Hofyrediger S. 280. 


32 


deutschland antreten, um mit den Heidelberger und Württem- 
berger Theologen zu verhandeln. Im August sehen wir ihn 
in der Neckarstadt, wo er Olevian und Ursin sein Bekenntnis 
vorlegte. Natürlich fand es deren Zustimmung ). Dem Herzog 
schrieben sie, daß es biblisch wohl begründet sei. Weigel ruhmten 
sie als einen gelehrten und beherzten Mann?) Dafur begegnete 
es in Stuttgart, wohin Weigel sich nun wandte, um so ent- 
schiedenerem Widerspruch. Brenz und Andre wiesen es 
mit vollem Nachdruck ab. Da Weigel bei ihm verharrte, 
wurde der untiberbrückbare Gegensatz offenbar. Vergerio 
in Tübingen, zu dem er im Auftrage des Herzogs im Dezember 
kam?) hielt mit seiner Meinung vorsichtig zurück. Er 
wollte nirgends anstoßen. Im Januar ging Weigel auf eine 
Forderung Brenz zu neuen Verhandlungen nach Stuttgart‘), 
aber der Zwiespalt wurde durch diese weitere Aussprache 
nicht geringer. Selbst Vergerio, der in seinem Schreiben 
an den Herzog vom 23. Januar 1563 der gastfreundlichen 
Aufnahme gedenkt, die auch Weigel rühmen musse, sieht 
sich jetztveranlaßthinzuzuftigen: , Reliqua in homine non laudo“. 

Manchen Bekannten aus seiner Studienzeit 1548 — 1560 
hatte Weigel in Tübingen wieder getroffen, zu den hier seit 
dem 14. August 1560 studierenden Lithauern“) Beziehungen 
angeknüpft. Für seine Abendmahlslehre konnte er letztere 
indessen nicht gewianen. Ihr Präzeptor Georg Zablocki, 
seit seinem Studium an der Leucorea 1540 ein tiberzeugter 
Lutheraner), der für seinen Glauben in der Heimat 1544 
auch gelitten hatte, wies ihn ab. Anfang Februar wollte 
Weigel heimreisen. Schon batte er am 3. zwei Wagenpferde 

!) Vgl. Ursins Brief an Crato. Neue Heidelberger Jahrbücher XIV, 
S. 60 und Gillet, Crato von Krafftheim I S. 264. 

3) Vgl. Olivians Schreiben an Calvin vom 38. April 1568 
O. C. XIX Nr. 8995, 

*) Vgl. Vergerios Brief an den Herzog Christoph vom 10.Januar 1568 
Schott und Kausler, Vergerios Briefwechsel S. 869. 

*) Am 11. Nov. 1562 hat der Pole Valentin Maslovius (die Tübinger 
Matrikel liest Marlenius), seit dem 16. Sept. 1561 in Wittenberg, die 
Tübinger Hochschule bezogen, am 25. Januar 1568 der Preuße Joh. 
Hermann. Ihr Tübinger Studium hängt wohl mit Weigels Reise zusammen. 

5 Vgl. Wotschke, Culvensis S. 212. 


*) „Homo non indoctus et eximie Brentianus“ nennt ihn Bullinger 
in seinem Brief vom 31. Mai 1563 an Beza. O. C. XX Nr. 3959. 


33 


gekauft, schon schrieb am 6. auch Vergerio den Brief, den er ihm 
für den Herzog mitgeben wollte, da scheint das Ausbleiben 
der Briefe des Brenz und Andreae für den Herzog ihn zu 
weiterem Bleiben bestimmt zu haben. Ja am 20. Februar 
ging er, von Vergerio an Bullinger empfohlen, noch nach 
Zürich‘). Natürlich war er hier wie in Heidelberg den 
Theologen hochwillkommen®). Diese stimmten ihm zu, 
Bullinger entließ ihn mit einem warmen Brief an den Herzog 
und seine Räte. Die hohen Worte, mit denen er nach seiner 
Rückkehr in Tübingen die in Zürich gefundene Aufnahme 
rühmte, bestimmten auch drei der jungen lithauischen Barone 
mit ihrem Lehrer Zablocki, Bullinger aufzusuchen. Vergebens 
suchte der Züricher Theologe sie für seine Abendmahlslehre 
su gewinnen. So gewandt vertrat Zablocki ihm gegenüber 
den lutherischen Standpunkt, daß Bullinger meinte seine 
Genfer Freunde, die er mit seinen Sohtllern gleichfalls auf- 
suchen wollte, vor ihm warnen zu müssen. „Prudentes este“ 3), 
Im März, fünf Monate bevor der ihm im vergangenen Jahre 
zugedachte Schüler Nikolaus Christoph Radziwill, der spätere 
Jerusalemfahrer, nach Stuttgart kam“), trat ais die 
Heimreise nach Königsberg an. 


Noch ein Brief des Herzogs Albrecht, der im März in 
Tübingen eintraf, empfahl Weigel dem Vergerio, aber andere 
Schreiben aus Preußen meldeten, daß Weigel angesichts des 
allgemeinen Widerspruches schwerlich in Königsberg werde 
bleiben künnen*) Albrecht selbst wurde durch einen Brief 


1) Wotschke, Briefwechsel der Schweiger mit den Polen S. 166, 

3) Bullinger inseinem Tagebuch unter 1568: D. Georgius Weigelius, 
concionator principis Prusseni, venit huc mense Februario Stutgardia, 
ubi contulerat cum Brentio. Contulit et mecum de coena et consensit, 
Tulit a me literas ad principem eiusque consiliarios". Vergl. auch 
seinen Brief an Calvin vom 20. April 1563. O. C. XIX Nr. 8937. 

3) In den Briefen vom 81. Mai 1563. O. C. XX Nr. 8959 und 8960 

*) Am 3. Aug. 1568 traf Radziwill in Stuttgart ein, am 9. August 
schrieb Herzog Christoph für ihn nach Straßburg. Von dort imAugust 1564 
durch die Pest vertrieben, kam er nach Tübingen und studierte hier 
bis zum August 1566. Am 4. Sept. 1566 sehen wir ihn bei Bullinger. 

) Vgl. Vergerios Schreiben an Herzog Christoph vom 31. März 1568. 
Schott und Kaulser S. 381. 

Archiv für Beformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 8 


34 


Herzog Christophs von Württemberg bedenklich !). So vertröstete 
er Weigel, als dieser Bericht erstattete, auf späteren Bescheid, 
gab solchen aber nicht, obwohl Weigel darum anhielt. Dafür 
forderten die Räte in Abwesenheit des Herzogs, als dieser 
im Juli in Kauen beim Könige weilte, von ihm Amts- 
niederlegung, und der Burggraf ließ ihm „fein spöttisch Dienst 
und Tisch absagen“ ). Obwohl ihm eine „ehrliche Heirat“ 
in Königsberg angetragen war, verließ er jetzt Preußen und 
ging nach Lithauen. Hier hoffte er als Prediger Versorgung 
zu finden, hier hatte er durch die lithauischen Studenten in 
Tübingen neue Freunde gewonnen. Auf Grund der Briefe 
die er überbrachte, und der Berichte, die er erstattete, mag 
Wilna, den 26. September (1563) der Marschall Eustachius 
Wollowiez, seinen Neffen von der stiddeutschen Hochschule 
abgerufen haben. Am 17. November bittet Weigel den 
Herzog um Entschuldigung, daß er ohne formelle ne 
nach Wilna gezogen sei ). 


Radziwills jüngere Söhne Georg, Stanislaus und Albert 
waren erst acht, sieben und ein Jahr alt, sie brauchten zur 
Zeit noch keinen Gelehrten zum Erzieher. Erst Herbst 1566 
wurde für sie ein des Lateinischen, Deutschen und Polnischen 
kundiger Student gesucht“, der die jungen Fürsten nach 


) Vgl. Vergerios Brief vom 8. Sept. 1563 a. a. O. S. 394. 


*) „Audimus, quod princeps suos theologos et nobiles in potestate 
non habeat" schrieb Ursin. 


3) Vgl. Wotschke, Culvensis S. 242 ff. 


*) Der Wilnser Stadtvogt Augustin Rotundus schreibt Grodno, 
den 8. Angust 1567 an Hosius: ,De palatini Vilnensis filio ex Italia 
reverso constans bio farıa est, ipse enim eum nondum vidi, catholi- 
cum esse factum. Quin et quae d. Mielieczki, palatini Podoliae filio, 
nupsit, eiusdem d. palatini Vilnensis maxima nata filia catholica esse 
facta dicitur in mariti catholici ex Lutheiano facti gratiam. Tres quo- 
que reliquae natu minores in domo insignis matronae d. Voinicensis 
educantur et eandem, quam domina Voinicensis profitetur, catholicam 
doctrinam profitentur.^ Am folgenden 13. September melaet er aus Wilna: 
„Filii palatini Nesuesi sub praeceptoribus et paedagogis haereticis educan- 
tur, sed spes est eos quoque ad catholicam ecclesiam redituros fratris 
sororumque exemplo.“ Doch hat Nikolaus Mielecki (+ 5. Februar 1585) 
erst viel spüter seinen evangeli-chen Glauben sbgeschworen. Wohl 
hatte ihn schon 1569 Skarga zu bekehren gesucht, aber erst mehrere 


35 


Leipzig begleiten konnte.!) Seit Wintersemester 1570 sehen 
wir sie dann dort, wo der bekannte Arzt Simon Simonius 
aus Lucca ibre Studien leitete“). Der Fürst hatte für Weigel 
kein Amt, vielleicht trug dieser auch nach dem, was er in 
Zürich über Blandrata und dessen Gönner Radziwill gehört 
hatte, Bedenken in seine Dienste zu treten. Tatsächlich 
hatten ja die Tritheisten den größten Einfluß auf Radziwill 
gewonnen, und nur der Tod bewahrte ihn davon, entschiedener 
Antitrinitarier zu werden: 


Da nahm ein anderer lithauischer Magnat Weigel in 
seine Dienste, Johann Chodkiewicz, der Hauptmann von 
Samogitien. Schon als Kind war dieser im Elternhause 
evangelisch erzogen worden, als Student hatte er 1547 in 
Königsberg, seit 1549 in Leipzig evangelisches Gemeinde- 
leben kennen gelernt, vorübergehend auch in Wittenberg 
dessen Matrikel seinen Namen allerdings nicht bietet, zu- 
sammen mit Stanislaus Warschewicki, dem Sohne des 


Jahre später gelang es Benedikt Herbst. Seine Gattin Elisabeth Radziwill, 
die große Bibelkennerin, die sich den Antitrinitariern angeschlossen 
hatte, kehrte 1593 in den Schoß der römischen Kirche zurück. 

1) Am 29. Oktober 1566 bat Damian Nioossowius, den jungen 
Radziwill nach Deutschland begleiten zu dürfen, Er erhält den Bescheid: 
„F. D. wollen zufrieden sein, daß er mit des Radziwills Sohne hinausziehe 
und seine studia prosequire, doch daß er mit des Rektors Vorwissen 
abscheide und ihrer fürstl. Durchlaucht oder nachkommender Herr- 
schaft hernach vor anderen Herren diene, sich auch deshalb obligiere“, 
Seine Verpflichtung bei Wotschkes Vergerios zweite Reise S. 817. Am 
7. Juli 1567 stellte auch Matthäus Motzarus, der den 6. März 1567 
noch um ein Stipendium gebeten hatte und gleichfalls mit jungen 
Lithauern nach Deutschland gehen wollte, einen Revers aus, nach 
drei Jahren nach Preuf-n zurückzukehren, doch vgl. Beilage III. 

*) 1572 kehrten die Brüder nach Lithauen zurück und wurden 
hier von Skarga, damals Rektor des Wilnaer Jesuitenkollegiums, für 
den Katholizismus gewonnen, nachdem ihr ältester Bruder schon 1567 
in Italien übergetreten war. Georg wurde 1581 nach Rückkehr von 
einer Reise nach Italien Bischof von Wilna, dann Kardinal und Bischof 
von Krakau ( 21. Jan 1600 in Rom), Stanislaus richtete den Meß- 
gottesdienst in Olika wieder auf. Albrecht starb am 13. Juli 1592 ala 
Marschall von Lithauen, zwei Monate nachdem er die Braut des Königs 
von Österreich nach Krakau geleitet hatte. Skarga macht den Arianer 
Cikowskifür seinen Tod, der ob potionem quandam alchimisticam erfolgt 
verantwortlich. 

g* 


36 


Warschauer Kastellans Johann Warschewicki, dem späteren 
Jesuiten), auch zu Melanchthons Füßen gesessen). Sein 
Vater, der Kastellan von Troki Hieronymus Chodkiewicz, 
war ein Gönner des Staphylus und hatte diesem gelegentlich 
seiner lithauischen Reise April 1549 manche Förderung 
erwiesen. 1556 empfahl ihm der Herzog Albrecht einen 
Prädikanten Matthias Virowitta, der in Königsberg studiert 
batte und in Samogitien ein geistliches Amt suchte. Auch Gregor 
Chodkiewiez, das andere Haupt dieser hervorragenden lithau- 
ischen Magnatenfamilie, der Wilnaer Kastellan und Oberfeldherr 
(t 1572), war ein Freund der Reformation, die er in seiner 
Jngend am Hofe Herzog Albrechts kennen und lieben gelernt 
hatte. Seinen Sóhnen Andreas (geb. 1549) und Alexander 
(geb. 1550) gab er in Johann Mylius aus Liebenroda in 
Thüringen, dem namhaften Dichter der lateinischen Renaissance- 
poesie, dem Übersetzer von Luthers kleinem Katechismus 
ins Lateinische und Griechische und späteren Professor der 
hebräischen Sprache in Jena (f 3. Juli 1575), einen evange- 
lischen Erzieher. An den Königsberger Hof schickte er sie, 
daß sie dort unter den Edelknaben des Erbherzogs „Zucht 
und alle Tugend“ lernten, später aber auch an den kaiser- 


1) Geb. 1597. In Rom trat er 1567 zusammen mit Aquaviva in 
den Jesuitenorden ein, später arbeitete er in Rom, dann leitete er viele 
Jahre das Wilnaer und Lubliner Collegium und diente sechs Jahre 
der Königin Katharina von Schweden, der Jagellonin, als Beichtvater. 
Er starb am 8, Oktober 1591 in Krakau. Seine Übersetzung des 
Heliodor, welche 1555 in Antwerpen erschienen ist, ist datiert „Ex 
Warscbewicze paterno rure 12. Cal. Aug. 1551", | 


2) Rostowski schreibt von Chodkiewicg in seiner Geschichte 
Lithauens: ,Huic Varschevickius non modo notus erat, sed praecipua 
etiam familiaritate coniunctus ex eo iam tempore, quo ambo iuvenes 
olim Vitembergae famoso literarum et haeresis suae magistro Philippo 
Melanchthome usi essent.“ Der Neulateiner Johann Mylius sagt in seiner 
Elegie ad magnificum d, Joannem Chodciewitium, Samogitise praeeidem: 


„Ut Linus Herculeum mollivit pectus in arte, 
Posset ut humano commodus esse gregi, 
Sic te Pierio madefecit fonte Melanchthon 
Cui similem nondum Teutonis ora tulit, 
Illius e labris suxisti dogmata certa, 
Regula quae vitae sancta fuere tibi“. 


37 


lichen Hof nach Wien. Hier ging ihnen verloren, was sie 
an evangelischer Erkenntnis besaßen. 

Eine Hauptaufgabe Weigels war, dem in Lithauen um 
sich greifenden Antitrinitarismus entgegenzuwirken. Selbst 
sein Freund Maerynski war zu ihm übergegangen). Leider 
fließen die Nachrichten sehr spärlich, daß wir von Weigels 
Arbeit in den nächsten Jahren, von seinem Leben tiberhaupt 
fast nichts wissen. Hat er den Führernder lithauischen Antitri- 
nitarier, einem Gonesius, Czechowioz, Maczyuski, Budny, 
Kryszkowski sich entgegen geworfen, dem Superintendenten 
Simon Zasius, dem Prediger Wedrogowski zur Seite gestanden? 
Hat er Bezas dogmatisches Sendschreiben vom 19. März 1565 
das sehnstichtig erwartet im Laufe des Sommers in Lithauen 
endlich eintraf?), wider die Gegner ausgespielt? Hat er mit 
Lismanino verhandelt, den wir 1564 und 1565 von Königs- 
berg nach Lithauen reisen, Herbst 1565 gerade auch bei 
dem Marschall Georg Chodkiewicz sehen“). Hat Weigel 1564 
die Ehe seines Herrn mit Christiane, der Tochter des treu 
evangelischen Krakauer Wojewoden Martin Zborowski, der 


e 

1) Wilna, den 18. Sept. 1567 schreibt Rotundus an Hosius: „Credo 
R. D. V. multo melius nobis scire, quam variis et horrendis sectis 
conspirent in Polonia haeretici, quae etiam ipsis haereticis non pro- 
bantur, uti er hoc literarum cuiusdam J. Maczynski, prioris palatinj 
Vilnensis scriba, qui ante sacramentarius fuit, nunc et trinitarius et 
anabaptista esse factus dicitur, exemplo ad Pazum episcopum, si dis 
placet, Kijoviensem scriptarum cognoscet. Vidi ego es legi Grodnae typis 
excusos Polonicos libellos, quibus magis blasphemum in dei filium Jesum 
Christum dici aut cogitari nihil potest ac ne dictum quidem aut cogi- 
tatum unquam ab ullis haereticis existimo, de quibus fertasse Maczynski 
in his litteris innuit. Tollitur enim in illis omnis omnium magistra- 
tnum autoritas, probatur libertas christiana, et rerum omnium com- 
munio instituitur, ordinum in ecelesia atque adeo in republica omne 
discrimen tollitur, ne ullum sit inter regem et populum, principes et 
subiectos, nobiles et plebeios". Das Herrnhuter Archiv besitzt ein 
Schreiben Maesynskis vom 28. Febr. 1558 aus Wilna an den Pfarrer Johann 
inStawischin, in dem er sich günstig über die böhmischen Brüder ausspricht. 

3) Am 25. Mai 1565 befand es sich noch in den Händen des 
Badsiwillschen Reisemarschalls Balthasar Lehwald in Tübingen. Am 
28. April 1550 hatte dieser Radsiwillsche Beamte einst die Leucorea 
bezogen. 

*) Vgl. Wotachke, Francesco Lismanino. Zeitsch. d. hist. Gesell- 
schaft d. Prov. Posen 1903 S, 307. 


38 


jugendlichen Witwe oder nachgelassenen Braut des aben- 
teuernden Melanchthon- und Laskifreundes Jakob Heraklid 
Basilikus!) eingesegnet, getauft sein Söhnlein Johann Karl, 
den spüteren Kriegsmann und gewaltigen Feldherrn, dessen 
Siege tiber die Schweden bei Dorpat, Weißenstein und Kirch- 
holm ganz Europa aufmerken ließen? 


Der Kampf gegen die Antitrinitarier führte ihn mit dem 
großen reformierten Kämpfer Lithauens Andreas Volan zu- 
sammen, der 1531 in Neustadt bei Piune (Provinz Posen) 
geboren war, 1544—1546 die Universität Frankfurt besucht 
hatte, darauf seinem Verwandten Hieronymus Quilecki nach 
Lithauen gefolgt war, seit dem 5. Oktober 1550 noch etwa 
drei Jahre in Königsberg studiert hatte und schließlich in 
Radziwills Dienste getreten war, nach dessen Tode 1565 
auf seinem Landgute Bijuciszki bei Wilna lebte, soweit er nicht 
durch diplomatische Geschäfte in Anspruch genommen war. 
Vor allem aber trat Weigel Nikolaus Paz näher, der seit 
1555 Bischof von Kijew war. Er gewann ihn, den einzigen 
Bischof in Polen, der wirklich den Übertritt zur evangelischen 
Kirche vollzog, “) für die Reformation“) und bestimmte ihn, 
gegen die Tritheisten das altkirchliche Dogma in einer 
neuen Schrift zu verteidigen. Vom 22. Juli 1566 vom General- 
konvent in Brest ist sie, die orthodoxa fidei coufessio de una 
eademque dei patris, filii et spiritus sancti divinitate ac tribus 
personis, datiert. Ihr Verfasser gab ihr einen Brief“) Volans 
vom 1. April 1565 über die drei Personen in Gott und die 
eine göttliche Essenz bei, Weigel eine empfehlende Beurteilung, 
ein Epigramm an den Leser und fromme Verse. An- 
fang Oktober 1566 sandte ihn Chodkiewiez von Kauen nach 
Königsberg, um dort durch die Daubmannsche Druckerei 


) Vgl. Wotschke, Joh. Laski und der Abenteurer Heraklid 
Basilikus. Archiv XVII S. 57. 

9) 1588 —1585, wo er starb, war erKastellan von Smolensk. 

) Die Bischöfe von Kamieniecz, Leslau und Samogitien sympathi- 
sierten wohl mit der Reformation, mochten aber das Opfer eines Über- 
tritts nicht bringen. 

) Janocians II, 201: „Pacius Georgii Wiceli occulti Zwingliani inter 
Poloniae ac Lithuaniae proceres annis superioribus versati maxime artibus 
irretitus uxorem ducit,“ 

5) „Datum in praediolo ineo Bintiscano." 


39 


das Schriftehen zu veröffentlichen. Ein Empfehlangsschreiben 
des Chodkiewicz an den Herzog, bei dem dessen Schwager 
Petrus Zborowski im vergangenen August unter den polnischen 
Kommissaren erschienen war, förderte ihn, im November 
konnte er die Rückreise antreten.“) 

In den folgenden Jahren mag Weigel vielfach mit 
Friedrich Holsten aus Bunzlau zusammen gelebt haben, 
Dieser hatte 1565 das Präzeptoramt bei dem in Leipzig 
studierenden Konstantin Chodkiewicz?) angenommen und war 
seinem Schüler nach Lithauen grfolgt. Erst 1569 kehrte 
er von dort nach Wittenberg zurtick, um in den Jahren 1572 — 
1579 als Lehrer in den Brüdergemeinden zu Koschminek und 
Lissa noch einmal dem sarmatischen Osten zu dienen.“ 

Mit steigendem Befremden sah Chodkiewicz auf die seit 
1563schnell wachsende kirchliche Zerruttung seines Landes. Zu 
den griechischen und rümischen Katholiken waren Lutheraner 
und Reformierte getreten, ferner Tritheisten, welche die 
altkirchliche Trinitätslebre festhalten wollten ohne deren 
angeblichen Sabellianismus, Dystheisten, welche die Persönlich- 
keit des heiligen Geistes leugneten, Unitarier, Anabap- 
tisten. Welche Spaltung zeigte allein seine nächste Ver- 
wandtschaft! Von seinen Schwagern waren Johann v. Kurzbach*) 
und Johann Zborowski gute Lutheraner, Peter Zborowski 
damals noch ein Gönner und Schutzfreund des Stancaro,°) 
der eine eigene Sekte gegründet hatte und gerade 1565 mit 
besonderem Nachdruck für sie warb, Andreas Zborowski seit 
seinem Wiener Aufenthalte, Sommer 1560,5) strenger Katholik. 
Samuel, der am 26. Mai 1584 in Krakau das Blutgerüst 
h) Vergl. Wotschke, Kulvensis S. 250. 

*) Dieser Sohn des Georg Cb., des lithauischen Vorschneiders 
und Hauptmanns von Bielsk, studierte seit 1562 in Leipzig. 1568 hat 
ihm L. Camerarius seine Praecepta vitae gewidmet. 

*) Vergl. Wotschke, Graf Andreas von Lissa, S. 31. 

*) Gatte der Anna Zborowska. 

5) Vergl. Wotschke, Francesco Stancaro, S. 48. Peter Zborowski 
und seinem Bruder Samuel widmete spüter der reformierte Super- 
intendent Paul Gilowski seine Katechismusauslegung. 

) Wintersemester 1557—1558 sehen wir ihn mit seinen Brüdern 
Samuel, Martin und Petrus iu Frankfurt, seit dem 20. Januar 1561 in 
Wittenberg. Als er 1574 seine Hochzeit feierte, war König Heinrich 
sein Gast, 


40 


besteigen mußte, und Christoph Zborowski!) reformiert, doch 
bewarb sich letzterer 1567 um die Hand der griechisch- 
katholischen Schwester des Wojewoden Bogdan von der 
Moldau; seine Schwägerin Elisabeth heiratete allerdings erst 
September 1574 den bekannten Andreas Dudith, der sich 
viele Jahre zu den Unitariern gehalten hat. Unter dieser 
kirchlichen Zerrissenheit, die zugleich seine nächsten Ver- 
wandten spaltete, litt Chodkiewicz. Auf dem Reichstage zu 
Lublin, der am 8. Mai 1566 angehoben und auf den ihn 
Weigel begleitet hatte, hörte er mit tiefstem Unwillen be- 
sonders von dem Ansturm der Baptisten.?) Alle staatliche 
und gesellschaftliche Ordnung schien ihm durch sie gefährdet. 
Gelegentlich seiner Rückkehr aus Lublin blieb er eine Nacht 
in Stoklischki*) stidöstlich von Kauen und genoß hier die 
Gastfreundschaft des gelehrten Wilnaer Stadtvogts Augustin 
Rotundus, den die Pest aus Lithauens Hauptstadt vertrieben 
hatte. Einst (seit April 1539) hatte dieser in Wittenberg 
zu Luthers und Melanchthons Füßen gesessen, längst aber 
den Weg zur alten Kirche zurtückgefunden und sich wieder 
als deren eifriger Sohn gezeigt. In dem theologischen Ge- 
Sprüche, das sich beim Abendessen entspann, setzten er und 
zwei anwesende Münche, namhafte Wilnaer Kanzelredner, 
Weigel hart zu. Auf Chodkiewiez machten ihre Einwendungen 
gegen die Reformation einen gewissen Eindruck, beim Auf- 
bruch suchte er einen der Mönche zum Feldprediger für sein 
livländisches Heer zu gewinnen. Als er im Mai 1567 nach 
Wilna zurückkehrte und hier bei einem Gastmahl etliche 
neuerungsstichtige reformierte Prediger hart anfuhr, äußerte 
er zu dem gleichfalls anwesenden Stadtvogt halb scherzend 
und halb wahr: „Hätte ich aus Stoklischki einen der Mönchs- 
prediger erhalten, ich wäre wohl heute schon Papist.“ Noch 
unsicherer wurde er in seiner evangelischen Überzeugung, 

1) Seit dem 18. Dezember 1565 in Heidelberg; der Vater Martin 
Zborowski war am 25. Februar d. J. gestorben. 

*) Vergl. Wotschke, Christoph Thretius, S. 51f. 

3) Unfern Stoklischki hatte das Evangelium in Rykonty, dem Be- 
sitze der Talwosz eine Stätte. Der lutherische Kastellan von Samo- 
gitien Nikolaus Talwoez (f 1600) schickte seinen Sohn Adam, dea 


späteren Hauptmann von Dünaburg (T 1628) zum Studium nach 
Deutschland. Am 21. Juni 1579 ließ er sich in Königsberg einschreiben. 


41 


als jetzt auf des Rotundus Betreiben“) auch Hosius Mahn- 
schreiben an ihn richtete, ihm seine Konfession sandte und die 
katholische Kirche als den alleinigen Glaubenshort pries“). 

Weigel war nicht der Mann, seinem schwankenden 
Herrn eine feste Stütze zu sein. Schriften des Bischofs 


. Lindanus und des Cólner Karthäusermönches Surius, die 


ihm Rotundus aus Wilna sandte, machten ihn selbst unsicher 
und schwankend. Schon am 28. Januar 1568 konnte er 
aus Wenden nördlich von Riga, wohin er den Truppen des 
Hauptmanns von Samogitien gefolgt war“), schreiben“): 
„Libertas Lutherana pessumdabit Germaniam. Omnia sacra 
sunt prophanata et ad rudis plebeculae nutum atque volun- 
tatem ditorta, ut omnihus omnia liceant. Jam non amplius 
sustineo ealvianus diei, etsi nee ante per omnia illi sectae 
addictus fui, tamen paulo melius de ea sensi qam nunc, ubi video 
omnia plane sacra et humana violari et convelli. In hunc finem 
semper eollimarunt aliqui Gastoldici Vilnenses religionis alio- 
quin contemptores ). Die Bitte um Übersendung weiterer 
Schriften, die Weigel am Schlusse des Briefes an Rotundus 
richtete, fand natürlich bei dem eifrigen Werber für die alte Kirche 
willige Aufnahme. Bald erreichte der Wilnaer Vogt bei Chod - 
kiewicz sein Ziel. Seine letzten Bedenken tiberwand der Nuntius 
Francesco Commendone®), der Anfang Dezember 1571 wieder 
nach Polen kam. Um ihn für das evangelische Bekenntnis 
zurückzugewinnen, veranstaltete man eine Disputation über 
die Autorität der heiligen Schrift, an der außer Chodkiewicz 


1) Vgl. das Schreiben des Rotundus aus Grodno vom 3. August 1507 


an Hosius, E. S. Cyprian, Tabularium ecclesise Romanae S. 444ff. . 


*) Opera Hosii II, S, 242 findet sich die Antwort des Haupt- 
manns von Samogitien auf das erste Schreiben des Kardinals, das am 
99. Juni 1567 in seine Hünde gekommen war, S. 248 das zweite 
Schreiben vom 30. Oktober 1567 aus Heilsberg. 

*) Anfang 1568 belagerte Chodkiewicz vergeblich die Burg Ula, 
welche die Moskowiter unfern Polozk erbaut hatten. 

*) Vgl. E. S. Cyprian, Tabularium ecclesise Romanae 578 ff. 

5) Leider vermag ich nicht zu sagen, worauf Weigel hier anspielt. 
Der lithauische Kanzler Albert Gastold hat einst 1536 ff. Abraham 
Culvensis unterstützt, ihm die Mittel zum Studium in Wittenberg und 
Italien gewährt. Aber von einem Anschluß dieser Familie an die 
Reformation ist nichts bekannt. Doch vergl. Corp. Refor. X, 7. 

*) Vgl. Gratian, de vita Commendoni S. 826 ff. 


42 


sein Schwager Andreas Zborowski, dazu die evangelischen 
Wojewoden von Sendomir, Hohensalza, Brest, und viele 
andere teilnahmen. Der spanische Jesuit Franziskus Toletus?), 
der mit Commendone nach Polen gekommen war, verfocht die 
katholische Lehre, der bekannte Jakob Niemojewski, der so 
oft mit römischen Theologen die Klinge gekreuzt, unterstützt 
von Stanislaus Drojewski*) die evangelische. Beide Parteien 
schrieben sich den Sieg zu*) Jedenfalls konnte die Dispu- 
tation Chodkiewiez Entschluß nicht rückgängig machen. 
Fortan bekundete er regen Konvertiteneifer. Bei der Krönung 
König Heinrichs arbeitete er z. B. mit allem Nachdruck im 
Sinne des Hosius, um den von der Warschauer Konfoederation 
geforderten Eid des Königs auf die pacta conventa, der 


ı) Toletus starb als Kardinal in Rom am 14. Sept. 1596. 

2) Auch Drohojowski genannt. Dieser treu evangelische Kastellan 
von Przemysl, hatte am 20, Okt. 1542 die Leucorea besogen, war dann 
nach Italien, 1547 nach Zürich und Straßburg gegangen. Mit Flacius. 
der ihn um Material für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten bat, 
staud er in Verbindung (vgl. seinen Brief vom 6. Juni 1556 bei Wotschke, 
Francesco Stancaro 8.38). Zur Drucklegung der polnischen Bibel- 
übersetzung stellte er Geld zur Verfügung, auf seinem Erbgute 
Drohojow und in Jacmierza (beide Orte liegen bei Sanok in Galizien) 
führte er die Reformation ein. Einige Jahre war er ein Gönner und 
Schutzherr Stancaros. Er starb bald nach 1580, — Der Matthias 
Stanislaus Drohojowski, der seit dem 21. Sept. 1607 in Heidelberg 
studierte, in demselben Jahre mit seinem Bruder Johann, den wir seit 
dem 16, Okt, 1611 in Leyden sehen, auch die Marburger Hochschule 
bezog, der Stanislaus Dr., der mit seinem Bruder Andreas seit April 1617 
in Herborn studierte, hier 1619 eine Disputation de prudentia et iustitia 
veröffentlichte, waren wohl seine Enkel, die Söhne des um die evan- 
gelische Kirche verdienten Kastellans von Sanok Johann Drohojowski, 
Der letztgenannte Stanislaus Dr. hat 1645 das Thorner Bekenntnis 
unterschrieben. Sein 1624 geborener Sohn Stanislaus studierte seit 
dem 5, Juli 1644 in Leyden, sein Sohn Andreas seit 1651 in Frankfurt 
Das Thorner Gymnasium besuchten seit 1648 die Brüder Christoph 
und Wladislaus Dr., ersterer ist der spätere Przemysler Bannerträger, 
der manche Synode, 1689 die zu Radsieneiyn im Lubliner Lande, 
geleitet hat. 

s) Nähere Nachrichten über dies Religionsgespräch gibt ein Brief 
des Gratian an den sum Katholizismus übergetretenen Nikolaus Tomicki 
deu Sohn des Gnesener Kastellans Johann Tomicki, aus Warschau vom 
2. April 1572, Als Trumpf gegen Niemojewski, der sich des Sieges 
rühmte, veröffentlichte die Gegenseite den Brief polnisch und lateinisch 
au 18. August 1580. Vgl. Scriptores rerum Polonicaram VII, 225. 


43 


Religionsfreiheit verbürgte, zu verhindern oder abzuschwiichen!). 
Von den Gotteshäusern, in denen Chodkiewioz den römischen 
Meßgottesdienst wieder aufrichtete, seien die Kirchen in 
Martynow (in Wolhynien unfern Luzk) und Hnezna (unfern 
Wolkowisehki) in der 1588 Chodkiewiez' Gattin ihre letzte 
Ruhestätte fand, genannt“). Chodkiewicz selbst starb schon 
15785). . Von evangelischer Seite sind ihm noch 1574 von 
Nikolaus Rej, dem polnischen Hutten, und 1577 von 
Bernhard Gorecki Schriften zugeeignet worden. 

Trotz langen Schwankens blieb Weigel schließlich doch 
der Reformation treu. Dem Beispiele seines Herrn folgte ernioht. 
„Munera, dum vivo, tua, Leucoris alma, tenebo, 

Quaque decet memori mente fideque colam", 
hatte er 1561 gelobt. In der Tat brannte die Liebe zur 
Reformationsstadt in seinem Herzen. Nach des Chodkiewicz 
Übertritt kehrte er nach Wittenberg zurück. Hier sehen 
wir ihn 1573. Jn das Studentenalbum*) des Claudius Textor 
aus Savoyen, der am 15. April 1564 sich an der Leucorea 
hatte einschreiben lassen, trägt er Matth. 5,10, dazu lateinische 
und griechische Verse über diesen Spruch ein. Es ist das 
letzte, was ich tiber ihn ermitteln konnte. 

I. Georg Weigel an Herzog Albrecht. 

Gnadt, fridt vnd alle heilsame wolfart dureh Christum 
neben erpietung meiner alzeytt schuldigen, vnderthenigen. 
willigen vnd gehorsamen dienste vnd demtütigem gebett zu 
gott beuor.  Gnedigster fürst vnd herr. Ich bin den 
24. Juni, an S. Johannis des täufers tag, gott lob frisch vnd 

1) Am 12. Dezember 1578 hatte Hosius deshalb an ihn geschrieben. 
Hosii opera II, 974ff. 

*) Das Gotteshaus in Szklow am Dniepr, eine der óstlichsten 
reformierten Kirchen im Reformationsjahrhundert hat sein zweiter 
Sohn Alexander, der Wojewode von Troki, katholisiert. 

3) Februar 1578 gewann er noch den Rigaer Arzt Zacharias Slopius. 
den Bruder des Kottbuser Stadtschreibers Hieronymus Slopius für 
seine Dienste. Cichocki schreibt in den colloquia Osiecensia von Chod- 
kiewicz: „Vir sine controversia magnus, quem vulgus terrorem impro- 
borum hominum vocare consueverat, omnes fere haereses antea perva- 
gatus tandem levitatem inconstantiam que fluctuantium dogmatum 
detestatus toto animo catholicam amplexus est religionem, in qua 
tuenda adeo profecit, ut palam solidis rationibus assertores istos novi 
evangelii impietatis convinceret.* 

*) Im Besitse der Lutherhalle in Wittenberg. 


44 


gesundt gen Witeberg ankhomen vnd hab e. f. d. brieff eim 
jedlichen jn sonderheytt vnd D. Maiori brieff vnd die 100 fl. 
selbs treulich vnd fleißig nach e. f. d. gnedigem beuelch tiber- 
antwortet, welche alle zu jrer zeytt sich gegen e. f. d. vnder- 
theniglich bedanckhen werden, insonderheit D. Maior, welcher 
mir sagt, jch khäme jm darumb gantz gelegener zeytt, weyll 
er morgen, daß ist den andern tag meiner ankhunft, seiner 
tochter, welche er eim jungen magistro,') so nun jura studiret, 
verheirat, hochzeytt zu halten gedacht were. Herr D. Jonas 
war nit anheim, sonder wie jch von seim gemahel vnd 
letzlich von jme selbs verstanden, jn churfürstlichen von 
Sachsen geschefften, welcher e. f. d. brieff mit hoher freude 
gelesen vnd sich meiner ankhunft zu e. f. d. mit mir tróstlich 
erfreuet vnd wie sein brauch e. f. d. gnedigen willen, lust 
vnd lieb zum wort gottes mit merern worten exaggerirt vnd 
confirmirt hat, also daB jeh, weiß gott, je lenger je mer von 
hertzen beger, einer solchen theologischen fürstlichen per- 
sonen, welche incorruptam evangelii vocem ef ipsius ministros 
lieb vnd werdt helt, ernert vnd promouiert, jn vnderthenik- 
heitt neher zu sein. Vnd khan auff e. f. d. mit grundt vnd 
warheit der spruch Esaiae 49. wol gezogen werden: ,erunt 
reges nutriti tui et reginae nutrices tuae.“ Also khan vnd. 
will dan der fromme gott solche christlichen frommen regenten 
mit frolichem mundt anreden psalmo 81.: ,ego dixi, dii estis 
et filii excelsi omnes“. 


Hiemit, gnediger fürst vnd herr, sehickh jch e. f. d. 
zwey exemplaria der gehaltenen gedechtnus Philippi, dariu 
die zwen verB stehen. Mich rewet es offt, daß joh von 
e. f. d. khein anleitung brieflein an meine herren von Nürn- 
berg (wie mir wol zu thun gebürt hett, aber auß vergessen 
voderlassen) vndertheniglich begert vnd versucht habe, so 
heiten sie desto mer vrsach gehabt, mich maiori humanitate 
6% liberalitate von jnen zu lassen. Pitte hiemit den trewen 
lieben gott, er wolle e. f. d., derselben christlich lieb gemahl 
vnd junge herschafft jn langwiriger gesundtheit vnd glück- 
seligem regiment gnediglich erbalten vnd von allem Übell 
leibs vnd seel bewaren. Amen. Thue mich derselben e. f. d. 
jn vnderthenickheit ganz vnd gar ergeben. Datum Witeberg, 
den 30. Junii anno Christi 1561. E. f. d. vndertheniger vnd 
gehorsamer Georgius Vueigelius. 


IL Georg Weigel an Martin Faber. 


Pereupio abs te cognoscere, humanissime mi d. M. 
Martine, quam feliciter Noribergam veneris et qua etiam 
 puuc valetudine quove successu fruaris, Gratulor tibi, si 
eonditionem te dignam et tranquillam consecutus es. Ei 
dıaxoveig rag’ Alyıdlo, quod omnino spero, amplissimam 

1) M, Joh. Purgold aus Eisenach, 


45 


habes oecasionem contrahendi amicitiam cum Nentauichio, 
viro optimo fratre mihi carissimo, tuo favore et benevolentia 
dignissimo. Hunc ipsum, ne quid amicitiae nostrae desit, 
in meum locum interea statuo, qui sua morum suavitate et 
conditione facile efficiet, ut ipsius nomine et me arctius sis 
eomplexurus. Sic officiosus est, ut gaudeat sibi dari occasio- 
nem de quoque bene merendi, tam fidelis, ut proximi magis 
salutem quam suam curet, adeo candidus et apertus, ut dissi- 
mulare pariter aesimulare nesciat et, ut paucis dicam, ravdgıorog, 
stoÀvo gtÀijc dvio pikos avverös re xal sbvovg, ut Herodoti 
voce utar. Hune et meo et me ipsius nomine amabis, 
sumus enim idem corpus. Hic omnia adhuc salva sunt. Ad 
8. Augusti diem designati sunt magistri numero 33!), in quibus 
et nostri Gronus*) et Helmus*) erant. M. Schoppius 28. die 
Augusti suas celebravit nuptias satis solemniter, ad quas 
nos Noribergenses ferme omnes convenimus. Die Augusti 
14. obiit Elisabetha, filia D. Maioris natu media. Disputatio 
inter M. Victorinum et lllyricum interrupta est morte filioli 
principis Saxoniae Janfriderici natu maioris. Doctor Maior 
paulo ante mortem filiae aegrotare coepit et huc usque gra- 
viter decubuit, nunc melius habet, pro quo deum oramus, 
ne suam naviculam omnibus his gubernatoribus destituat; 
sed eam ipsam regat et doceat et subinde alios aliis nau- 


.eleros subiungat. Rumusculus hic est regem Galliae expediisse 


legatos ad caesarem de ablegandis nostris ad se theologis, 
ut cum ipsius conferant. Ita enim homines flagrare purioris, 
si quae praeter usitatam sit, doctrinae studio, ut si diutius 
recuset, periculum sit de tumultis. Plura alias. Bene 
vale. Vuittebergae raptim 1560 die Septembris 27.) 


III. Matthäus Motzarus an den Kanzler 
Hans von Kreitzen. 
Quamquam, magnifice domine, nullis a me studiis laces- 


Situs, multis tamen officiis a Tua M. D. sum cumulatus, pro 


quibus tantum me Tuae M. D. debere intelligo, ut nullis 
officiis, nulla opera, labore industriaque mea posse videar 
satisfacere. Quae quoniam ex aequo reponere non possum, 
referet M. D. Tuae hio, qui pietatis officia multo cum foenore 
solet remetiri. Sic etiam per sexennium Alberti olim prin- 
cipis beneficiis usus sum, cuius etiam munificentia ad culmen 
et fastiguum eruditionis in celebri hac academia Regiomontana 


!) Vgl. Köstlin, die Baccalaurei und Magistri der Wittenberger 
philos. Fakultät 1548— 1560 8. 28. 

) Melchior Gruen, seit Februar 1555 in Wittenberg, später Pro- 
fessor der Logik in Wittenberg. 

) Melchior Helm, seit August 1557 in Wittenberg. 

4) Dieser Brief ist entnommen dem Codex Gothanus chart. A. 123, 
Bl. 277. 


46 


aspiravi!), et ubi doctrinae mediocris quandam cognitionem 
mihi eomparaveram, alio me consensu eiusdem principis 
obligans me ad reversionem chirographo contuli, ut Tua M. D. 
haud dubie habet in recenti memoria, praesertim cum per 
Tuam M. D. oum ill. principe de impetranda venia egi. 
Quoniam autem ultra terminum in chirographo?) expressum 
in peregrina vel exterranea natione moror, videtur et fides 
apud me naufragium fecisse et fructus ingenii mei non in 
obsequia suae celsitudinis sed aliunde divertisse, ideo non 
immerito maeula ingratitudinis, quae mihi semper invisa 
detestataque est, videor nune notandus... Paucis attigi in 
literis meis ad ill. principem, quibus rationibus adductus 
peracta peregrinatione in regno Poloniae moror, nimirum 
quod mihi cuiusdam gymnasii curam contra propriam volun- 
tatem a quodam magnate regio commissa est, quam iam 
deponere vellem, si ill. principis literae, quales in literis?) 
ad suam celsitudinem expressi, advolabunt. Quam obrem 
Tuam M. D. submisse rogo, ut cum sua celsitudine hoc in 
meo negotio ita agat, quo et sim apud suam celsitudinem 
excusatus, quod diutius iusto in peregrina natione ultra 


1) Motsarus stammte aus Lyck, hat in Königsberg studiert und 
1566 eine Rede de excubiis angelorum dem Herzog Albrecht gewidmet. 
Ende 1571 gewann ihn der Radziwillsche Hauptmann in Klezk, 
Hieronymus Makowiecki, der Frühjahr 1563 mit dem jungen Nikolaus 
Christoph Radziwill nach Straßburg gezogen war, damals von dem be- 
kannten Unitarier Simon Budny gebeten war, Bullingers Ansicht über 
das zwischen der griechischen und römischen Kirche strittige „filioque“ 
einzuholen, der September 1568 von Tübingen über Stuttgart nach 
Lithauen zurückging. zum Leiter der Schule in Klezk (zwischen den 
Eisenbahnknotenpunkt Baranowitschi und Sluzk) Innerhalb der von 
den unitarischen Predigern Thomas Falkonius und Simon Budny ge- 
leiteten Gemeinde hat er als lutherischer Lehrer gewirkt. Doch nur 
kurze Zeit. Die noch 1572 aus Leipzig zurückkehrenden Albrecht 
und Stanislaus Radziwill richteten wohl schon im nächsten Jahre den 
Katholizismus in Klezk wieder auf. 

*) Vgl. oben S. 35. 

*) An den Herzog Albrecht Friedrich hatte Motzarus an dem- 
selben Tage geschrieben: „Post longam iactationem fati, ubi me for- 
tuna tandem ex variis periculis emersisset, in óptatum portum detulisset, 
duxi mibi in Polonia paululum respirandum. Et interes dum in aula 
regis Polonorum versor, opinione fortasse alicuius in me eruditionis 
quidam de proceribas Hieronimus Makovietius apud regem effecit, ut 
me suo gymnasio Klecensi praeficeret, quod, ne voluntati regiae videar 
cessisse, nefas mihi detractare iudicavi concessique verum tantum 
in annum docendi munus, quod iam iuvante deo die natalitii Christi 
conficiam deponamque. Verum ne contra propriam voluntatem petiti- 
onibus eiusdem dni Hieronimi Makovietii, capitanei Klecensis, viri sane 


47 


terminum in chyrographo datum maneo, et simul hae literae, 
ut sim nimirum funetione hac scholastica vacuus, mihi a sua 
celsitudine elargiantur, sine quibus deserere conditionem sine 
magna molestia et commotione eius, qui mihi eam iniunzit, 
non possum. 


Signifieavi efiam suae celsitudini brevibus, qualis esset 
rei publicae Polonorum status et quod ex tribus die epipha- 
niarum fieri deberet electio unaque ex his aut fratrem caesaris 
auf principem nostrum Prussiae aut ducis Moscorum filium 
proceres dominii in regnum substituere vellent. Exposui 
simul suae celsitudini meum consilium, quo pacto sua 
celsitudo prae ceteris potiri regno Poloniae poterit, quod procul 
dubio ex literis meis ad suam celsitudinem haud obscure M. D. T. 
perspiciet. Si autem M. D. T. rationes consilii mei non 
omnino displicuerint, pergratissimum mihi T. M. D. fecerit, 
si principis nostri animum M. D. T. eo inflectat, ut huic consilio 
asseutiat. Ego cum his proceribus, quos in literis meis ad 
suam celsitudinem memini, ita cautissime iuvante deo rem 
agam loco, tempore occasioneque idonea, uf nulla inde suspitio 
nascatur, hanc suae celsitudinis voluntatem fuisse. Si ill. princeps 
eonsilio acquievit, rogo T. M. D., ut quoque efficiat, ut sua 
celsitudo, saltem duo equi sunt mihi, alios duos, vestimenta, 
pecunias suppeditet, solomodo uf in aula horum procerum 
regni in quibus cardo totius regni versatur et cum quibus 
etiam mihi res erit, non inferior in omnibus ceteris eorum 
aulicis appaream. Hae vero impensae, si res ex voto ceciderit, 
quantó cum foenore revertantur, invante deo eventus ipse 
ostendet. Sed hac in re maturandum est, ut habeam spatium. 
quo in procerum animos insinuem, ut mihi rationes suarum 
sententiarum communicent, et hac nacta occasione conveniente 
loco et tempore ad amplificandas principis nostri laudes nec 
consilium nec studium meum deerit. 


Tua M. D. non gravetur mihi perscribere, qualis sit status 
reipublieae Prussiacae post ademptum nobis principem 
Albertum seniorem. Incerti enim rumores de ea apud nos 
vagantur, quare id certissimum existimabo, quiequid ex M. D. T. 
cognovero. Interim me meaque omnis generis obsequia 
M. D. Tua sibi commendata habeat. Datae ex Klecko 12. Novem- 
bris anno 1572. M. D. T. famulus obsequentissimus Matthaeus 
Motzarus. 


eruditi, suceumbam et in sequentem annum onus et molestias gym- 
nasii sustineam, submisse T. Celsitudinem obsecro, ut huic rei Tua 
Celsitudo clementer occurat.“ Der Herzog möchte ihn als seinen 
Untertanen und Stipendiaten heimrufen und bei Makowiecki seine 
Entlassung erwirken. Aus Daok würde er bei der bevorstehenden 
Kónigswahl die Stimmen der polnischen Großen auf ihn lenken. 


Die Urkundensammlung des Brettener 
Melanchthonhauses. 
Von Lie. Dr. Karl August Meißinger. 


Das Melanchthonhaus zu Bretten besitzt eine Sammlung 
von Urkunden aus der Reformationszeit, von ua im Folgen- 
den Nachricht gegeben werden soll. 


Den Grundstock der Sammlung, der dann durch Ge- 
schenke von Sr.K.H. dem Großherzog Friedrich I. von Baden 
und von Herrn Studienrat Wörner in Bretten vermehrt wurde, 
bilden die aus dem Nachlaß Nikolaus Müllers in den 
Besitz des Hauses Ubergegangenen Urkunden. Das weitaus 
wertvollste Stück, die bisher einzige studentische Nachschrift 
aus der ersten Vorlesung Luthers tiber den Galaterbrief, hat 
Hans v. Schubert veröffentlicht (Luthers Vorlesung tiber 
den Galaterbrief 1516/17. Zum ersten Male herausgegeben 
von Hans von Schubert. Abhandlungen der Heidelberger 
Akademie der Wissenschaften, Stiftung Karl Lanz, Philo- 
sophisch-historische Klasse, 5, Abhandlung, Heidelberg 1918, — 
Dazu: Haus von Schubert und Karl MeiBinger, Zu Luthers 
Vorlesungstütigkeit. Sitzungsberichte der Heidelberger 
Akademie der Wissenschaften usw. wie oben, 9. Abhandlung, 
Heidelberg 1920.) 

Den Rest der Sammlung machen Briefe und andere 
Urkunden aus der Reformationszeit aus. Diese habe ich im 
Auftrage des Vorstandes des Melanchthonvereins einer vor- 
, läufigen Bearbeitung unterworfen. 

Nach welchen Gesichtspunkten Nikolaus Müller bei 
Erwerbung der einzelnen Stücke verfahren ist, kann aus der 
Sammlung kaum vermutet werden, Äußerungen von ihm 
selbst scheinen darüber nicht vorzuliegen. Auf den ersten 
Blick könnte man denken, es sei dem Reformationsforscher 
um nichts als ein Magazin von Handschriftenproben zu fun 


49 


gewesen; denn außer den Originalen finden sich Facsimilia 
und Photographien. Diese sind, ebenso wie die sohon ander- 
weitig veröffentlichten Stücke, von der Bearbeitung aus- 
geschlossen worden. Bei den letzteren wurden lediglich 
Textvergleichungen vorgenommen. Hier sind die Ergebnisse: 

Nr. 18. Joh. Bugenhagen an Conrad Cordatus, Witten- 


berg, 35. II. 1530. Druck bei O. Vogt, Dr. Johannes Bugen- 
hagens Briefwechsel, S. 91ff, Nr. 36. 


Vogt 

Original nobis S. 91, Z. 5 vobis 
Turcam „ 6 Turcos 
Saxonas „ 15 Saxones 
Einbeke „ 16 Eimbeck 
fuit hue ad fuit ad 
illic S.92 , 8 illis 
eiectionem » 14 enectionem 
optima , 19 operam 
propter „ 21 apud 
Lubecae , 24 Lubeck 
praedicatur „ 26 praedicans 
canuntur „ 27 canens 
von S. 93, , 2 vom 
sehe darzu , 2 sieh darein 
irascetur „ 8 noscet 
Vrsalium „ 13 Vasalium 
papisticos » 16 papisticas 


Nr. 19. Schluß eines Briefes von Phil. Melanchthon 
an Bürgermeister und Rat von Nürnberg, Wittenberg, 
25. XIL 1543. Druck Corp. Ref, V, 257. 

Z. 29 des Druckes ist vor „Vater“ „Gott“ einsetzen. 

Nr. 57. Joh. Matthesius an Joachim Camerarius, 
Joachimstal 25, XII. 1556. Druck bei Lösche, Job. Matthesius 
Bd. II, S. 324, Nr. 127. 

a. a. O. Z. 16: cum vere etiam et veritati et Cliniae 
ex animo benevelle, Original: eum vere 8ciam et 
veritati et Cliniae te ex usw. 


Bei nüherem Zusehen findet sich, daB immerhin ein 
bestimmtes Interesse bei einer Reihe dieser Schriftstücke 
vorwaltet. Ein Blick auf das unten abgedruckte alphabetische 
Register lehrt zunächst, daß Joachim Camerarius und 


Georg Major als Absender oder Empfänger je mit einer 


längeren Reihe vertreten sind, Ferner findet man in dem 
Register Namen wie Hieronymus Baumgartner, Caspar 
Arohiv für Beformationsgeschiohte. XIX. I. 4 


00 


Cruciger, Paul Eber, Moritz Helling, Jacob Lechner, 
Caspar Peucer, Michael Röting, Esrom Rüdinger, 
Georg Sabinus, Johann Stigel. Mit einem Wort ist 
es also der Kreis der Melanchthonianer, der in 
unserer Sammlang ausgiebig zu Worte kommt, Der Prae- 
ceptor Germaniae steht im Hintergrund, und insofern ist die 
Sammlung gerade im Melanehthonhaus an ihrem rechten 
Ort. Von Nikolaus Müllers ausgebreiteten Melanchthonstudien 
her, die sich z. B. in den reichen Anmerkungen zu seiner 
Veröffentlichung ,Melanchthons letzte Lebenstage, Heimgang 
und Bestattung“ (Leipzig 1910) kundgeben, ist die Bevor- 
zugung dieses Kreises von Reformationsmännern zu verstehen. 

Im Ganzen bleibt der Eindruck einer gewissen wahl- 
losen Buntheit. Müller scheint die Antiquariatskataloge nach 
Reformationsurkunden durchgesehen und alles, was von 
einigem Interesse sein konnte, an sich gezogen zu haben. 
Auch darin liegt noch ein Verdienst, denn im Handel ver- 
zetielt sich dieses Material immer mehr. 

Der größte Teil der Urkunden ist zwischen 1530 und 
1560 entstanden. Älter sind von den 71 Nummern 8 
(1508—1529), jünger 10, eine ist undatierbar. Von den 
Stücken nach 1560 fallen 9 in den Zeitraum bis 1596. 
Ganz außerhalb des Rahmens der ubrigen Sammlung steht 
das zehnte, ein Schreiben von Martin Hasch(?) aus Ham- 
burg 1685, der als Nachrichtenagent eines baltischen(?) Herrn 
einen Bericht über ihm zu Ohren gekommene politische 
Neuigkeiten liefert. 

Ebenso fremd sind dem Stoffkreis der anderen Urkunden 
die Stücke Nr. 11 (eine Finanzverfügung Franz I. von Frank- 
reich) und 10 (Mahnung des Kaisers Ferdinand I. an Georg 
von Bitsch, betr. rückständige Steuerbeträge). 

Am meisten sticht der Name Luthers hervor, aber hier 
erwartet den Freund des Reformators eine Enttäuschung. 
Das Stück Nr. 14 scheint ein Stammbucheintrag zu sein, 
Für die Echtheit möchte ich mich nach gründlicher Ver- 
gleichung mit dem von mir gleichfalls untersuchten und nach 
Zweifeln für echt erkannten Bucheintrag, den die Frank- 
furter Stadtbibliothek verwahrt, zwar einsetzen, Allein auch 
so ist das Blüttchen ohne jede Bedeutung. Das Stück 43 


51 


ist kein Autograph, sondern ein von Schreiberhand, ein- 
schließlich der Namen, geschriebenes Visitationsgutachten 
Luthers, Bugenhagens und Melanchthons tiber einen Gegen- 
stand von sehr geringem Belang. Die Urkunde Nr. 65 ist 
zwar ein echtes und ansehnliches Autograph, aber auch nur 
für die Finansgeschichte des Wittenberger Augustinerkonvents 
von Bedeutung. Endlich das Stück Nr. 65a ist eine völlig 
obskure Zusammenstellung von Daten zu Luthers Leben 
bis 1525. Muller vermutet Abschrift eines Originals von 
der Hand des Hieronymus Sehurff. Irgendeine Bedeutung 
dürfte dem Blatt nicht zukommen. 

Überhaupt dürfen weltbewegende Enthüllungen von der 
Durchforschunng dieser Urkunden nicht erwartet werden. 
Hingegen bieten sie eine Fülle interessanter Einzelheiten, 
und fur Spexialforschungen mag sich manches Wichtige 
ergeben. Sich hierüber zu äußern, geht. über den Zweck 
der gegenwärtigen Anzeige hinaus, Nur einige Züge sollen 
aus der Masse ausgewählt werden. 

Camerarius (dessen künftiger Monograph an den 
Brettener Urkunden nicht vorbeigehen wird) ist z. B. nach 
Stück 32a und b in seiner Nürnberger Zeit englischer 
Agent — für einen Schulmeister nach unseren. Begriffen ein 
wenig sonderbar; übrigens wissen wir von dem großen 
Straßburger Pädagogen Johann Sturm das Gleiche. Noch 
interessanter ist, daß das „Stipendium“, dessentwegen unser 
Humanist der englischen Krone diese Dienste leistet, in dem 
genannten Doppelstuck eine so große Rolle spielt, daß alles 
übrige, freilich sehr geschickt, nar um diesen Hauptpunkt 
herumkomponiert scheint, Den gleichen Eindruck, daß 
nämlich der gefeierte Humanist, der Sprößling einer hoch- 
angesehenen Bambergischen Familie, damals in Geldverlegen- 
heit ist, gewinnen wir aus dem undatierten, aber gleichfalls 
nach Nürnberg gerichteten Schreiben des Basler Humanisten 
Johann Siehard. Diesem hat sich Camerarius als Über- 
Betzer seiner exegetischen Arbeiten angeboten und sogar. 
auf Nennung seines Namens auf dem Titel verzichten wollen. 
Der Hauptpunkt ist auch hier wieder das Honorar des Verlegers 
— wohl eine der frühesten Erwähnungen dieser damals 
noch neuen und von Vielen als bedenklich empfundenen 

4* 


52 


Einrichtung. Bekanntlich hat Luther großen Wert darauf 
gelegt, daß er nie einen Heller für seine Schriften von 
seinen durch ihn zu reichen Leuten gewordenen Druckern 
bekommen habe, — darin e ein Mann nach dem Herzen 
Schopenhauers. 

Eine höchst interessante Persönlichkeit ist der zum 
Protestantismus tübergetretene Bischof und päpstliche Nuntius 
Paul Vergerius, der in dem Stück Nr. 28, einem Briefe 
von Georg Sabi nus an den Brandenburgischen Rat Thomas 
Matthias, als Württembergischer Gesandter nach Nord- 
ostdeutschland auftaucht. Die Reise könnte mit der in der 
Allgemeinen Deutschen Biographie Bd, 39, S. 619, Z. 6ff. 
erwähnten identisch sein. 

Aus der Frühzeit der Religionsveränderung in Straßburg 
stammt ein kurzes undatiertes Schreiben des Caspar Hedio 
an Wolfgang Capito. Hedio schickt durch den berühmten 
Basler Drucker Proben seinem Freund einen Brief von 
einem Dritten, der an C. als Pfarrer von Jung-St. Peter 
adressiert ist. Hedio kennt Capito nur als Probst von 
St. Thomas. Stimmt die Adresse, so scherzt er, dann hast 
du demnach zwei Pfarren und kannst nach dem Gebot des 
Evangeliums dem eine geben, der keine hat. Das Stück, 
über dem es wie Frühlingshauch jener lebendigen Anfangs- 
jahre liegt, ist bestimmt auf Ostern 1524 zu datieren. Da- 
mals hatte die Gemeinde von Jung-St. Peter auf ziemlich 
gewalttätige Weise es eben durchgesetzt, den Probst von 
St. Thomas zu ihrem Pfarrer zu bekommen. 

Auch für Stadt- und Kulturgeschichte wird sich aus 
unserer Sammlung manches ergeben, so für Nürnberg, 
wo z. B. nach einem Briefe Majors von 1535 bei Immo- 
bilienverkäufen eine Steuer za entrichten ist (Nr. 20, 3), 
und wo bei der Pest von 1533 Meldepflicht für jeden Sterbe- 
fall besteht (Camerarius, Nr. 32a, 8). Für die Witten- 
berger Stadtgeschichte ist z. B. der Brief Paul Ebers 
von 1552 von Interesse. Eber klagt über schwere Ein- 
quartierung (41, 2 ff.). Es handelt sich um die heimlichen 
Truppenansammlungen, die im Zusammenhang mit der 
Belagerung Magdeburgs dem Abfall des Kurfürsten Moritz 
vom Kaiser vorangingen. Eber erhofft Besserung von der 


53 


Rückkehr des damals abwesenden Melanchthon — ein 
kleines aber sehr deutliches Zeichen für das hohe An- 
sehen des Mannes. 


Ein gewisser Michael Römer (Bomanus), der soeben 
eine Pfarre erhalten hat und die Welt in rosenroter Schminke 
sieht, rühmt 1550 die Einrichtung der Wittenberger Univer- 
sitätsprüfungen und „Abgangszeugnisse (Nr. 48). 

Sehr interessant ist eine Wittenberger Pfarrgehalts- 
quittung des Georg Major von 1544 (Nr. 5), wo die 
einzelnen Bezüge genau aufgezählt sind: Präbendenzins, 
Präsenz, Kapitelgeld, Wein- und Biergeld, Backgeld, Salz- 
geld, Obedienz, sowie Weizen und Korn in natura, alles als 
Stiftsherr des Altenburger Stifte. 


Einen Einblick in die Verhältnisse des Gothaer 
Kirchenkastens, deren Verworrenheit nicht zu den Ausnahmen 
gehört haben dürfte, erhalten wir aus einem Bericht des 
Justus Menius an seine Regierung (1547, Nr. 25). Von 
unzulänglichen Pfarr- und Schulgehältern, von Beitreibung 
außenstebender Gefälle usw. ist des Öfteren die Rede. Ein 
Kenner dieser Finanzverhältnisse wird aus unseren Urkunden 
vieles lernen. 


Zu allgemeinerer Bedeutung erhebt sich weniges. Zu 
nennen wäre etwa die sehr ausführliche Instruktion des 
Kurfürsten Angust von Sachsen an seine Räte beim Reichs- 
tag zu Augsburg (1559). Dieses Schriftstück, weitaus das 
umfänglichste der Sammlung (Nr. 61) gibt einen sehr deut- 
lichen Begriff von den verwickelten Verhandlungen, die nach 
dem mißlungenen Frankfurter Rezeß sich zwischen den 
protestantischen Ständen hin- und herschleppten, und tiber- 
haupt von der heillosen Diplomatie, die sich der Glaubens- 


fragen bemächtigt hatte. 

Im folgenden sollen nun zwei dieser wichtigeren Ur- 
kunden abgedruckt werden. Die erste ist eine Visitations- 
vollmacht des Landgrafen Philipp d. Großm. v. Hessen für 
den hessischen Reformator Adam Kraft und seine Mitarbeiter 
Jost v. Weiters und Kraft Ruwe vom 27. Februar 1528. 


Walter S o hm in seinem trefflichen Buch „Territorium 
und Reformation in der hessischen Geschichte 1526—1555“ 


54 


erwähnt S. 52, Anm. 4 einen Visitationsbefehl, der mit dem 
unseren vielleicht identisch ist. In diesem Fall würde sich 
die von ihm angenommene Chronologie der Visitation in 
der Oberen und Niederen Grafschaft Katzenelnbogen um ein 
ganzes Jahr zurtickdatieren. 


Die Urkunde ist von einer Kanzleihand geschrieben und 
von Philipp eigenhändig gezeichnet. Das fehlende Siegel 
und die Aufschrift waren vermutlich auf dem in Verlust 
geratenen zweiten Blatt des Bogens. > 


Wir vonn gotts gnaden Philips Lantgraue zu 
Hessen Graue zu Caczenelnpogenn eto. fugen 
hie mit vnnserm vfinenn brieff menglich 
zu wiessenn, das wir gegenwärtigs denn 
Hochgelertenn wirdigenn vnnsern Capplan 
kamer diener lieben andechtigenn vnnd 
getreuwen Meyster adam Crafft vonn 
fuldaw Jostenn vonn Wyther vnnd orafft 
Ruwen vss gefertiget vnnd Inen beuolen 
kabenn Inn vnnsernn Obernn vnnd nydern 
kaezenelnpogenn graueschafften dye geystlichen 
zw visitiernn, dye pfarhern allenthalben 
dar ynn zw examiniern In massenn Jungst 
vor wyler zyt In vnnserm [sie] furstenthumen 
auch bescheen, dye vngeschicktenn vngelerten 
predigern zw entseczenn, andere Cristliche 
Euangelische Lerer an der vndochtige entseozt[e] 
stadt zw ordiniern, die selbigenn zw refor- 
miern, vnnd vonn vnnsernt wegenn, hie 
vor gegebnen beuelch vss zurichtenn, zw 

. vor sehenn vnnd zw volnfuren, wye sie des 
vonn vnnss bescheydt entpfangenn habenn 
Darumb wir hie mit allenp vnnd Jedenn 
pfarhern, pharuerwaltern Capellan vnnd 
geystlichenn guter besiczern, Auch allen vnsern 
amptleutenn Rentmeystern kellern rentschriebſern] 
Schultheissen landtknechten vnnd beuelhabern, darz[w] 
allenn Burgemeystern Rathen, vnnd andern de[n] 
vnnsern die mit duessem vunserm brieff 
ersucht vnnd angelangt werdenn, ernstlich 


(Rückseite) 
gepietenn beuelhen vnnd wollenn das yr eampt vnnd 
besunder vff der gedachten vnnser abgefirtigtenn 


farnemen, begernn vnnd an synuen diess 
mals glich als ob wyr selbs zu gegenn weren, 


55 


zuthun gleuben vnnd ir anbrengenn stadt geben, 
vnnd Inen xw solicher vonn vnnsernt wegenn vss- 
richtung verseung vnnd volfurungk wie sie 
eueh das anzeygenn werdenn, roitlich furderlich 
bestendig vnnd beuolenn, sie[sic] auch yhenen sampt 
denn Ihenen so sie mit sich bringenn vnnd 
haben werdenn, zimlich fueter vnnd Maell 
entrichten vnnd beczalen, vnnd euch In dem 
allem gehorsamlich haltet vnnd erzeyget Des 

woll [sie] wir vnns algo zw Euch samptlich vnnd 
Jedenn In besunderheyt verlaessenn, vnnd nach 
gepurnis eynis yedenn Mans wirdenn vnnd 
Wesenn gunstliglich zw beschulden vnnd In gnaden 
zw Erkennenn geneygt seyn, Es beschicht hir 
an vnnser gnedich ernste zuuerlesich befelch 
vnnd meynung zw vrkundt vnther vnnserm 
bir vff gedruckten Secret Gebenn In vnser 
stadt Cassell am donnerstag Nach Dionisij 
Anno etc. xxviij 


Philips L. z. H. etc. sscripsit. 


Von hohem persönlichem Interesse ist die folgende Ur- 
kunde, ein Brief Johann Friedrichs d. GroBm. aus derZeit seiner 
trauervollen „custodia“. Einige seiner Anhänger haben sich 
mit einem Zauberkünstler eingelassen, der sich anheischich 
gemacht hat, durch seine Künste die Erledigung des Kur- 
fürsten aus der Haft zu bewirken. Der Kurfürst hat es 
abgelehnt auf solche danklen Machenschaften einzugehen 
uud den Mittlern heftige Vorwürfe gemacht, gegen die jene 
sich verteidigt haben. Auf dieses Schreiben antwortet Johanı: 
Friedrich: 

Vonn gots gnadenn Johans Fridrich Hertzog zu Sachsen der 


Eldter Landgraue zu Duringen vnd Marggraue zu 
Meissen etc. 


Liben rethe vnd getreuenn, Wir haben euer an vns gethanes 
scbreibenn, dorinnen Ir auf jungste vnser euch gegebene 
antwurtt des furgebrachten kunstlers Rattschlag halbenn, 
euere endschuldigung furgewand habet, empfangen, vnd seines 
inhalts gelesen, Das wir nun den- 

selbigen radschlag mit Gott vnd gewissen vor gutt vnnd 
Christlich nitt erachten konnen, Sundern denselbigen vor 
abgottisch haltten; des habet Ir vnsere vnd aus Gottes wortt 
ergrundete vrsachen, aus derselbigen vnser antwurtt ver- 
standen, Des gemuts sein wir auch noch. Vnd konnen 


56 


es abermals nitt anders dan darfur achten; haben aber 
euer Personen; als die Ir es mitt vns vndterthenniglich vnd 
treulich meynett, vnd vns vnser beschwerunge gerne end- 
ledigett seghett; In diszem handel whol endschuldigen, Euch 
auch mitt solchem anziehen das es abgotterey vnd schwer- 
merey sey, nitt gemayntt, Sundern den meyster des 
wergks. Dann sol vnser sachen 
zu seinem guten bescheid vnd erledigung, wie wir zu Gott 
dem Almechtigen verhoffen, gereichen, So wirdett es sein 
Almechtikeitt, die wir darumb bitten, vnd gebeten, aber doch 
nichtt vf Creuter vnd derselbigen wirckung gesetzt sein wil, ver- 
leihen vnd schickenn, vnd dartzu der Key. Maiestet hertz (Bl. I b) 
In der 
handen es stehett, miltern, 'Vnd ob Ir whol 
anzaigett das er Justus Menius bemeltten Rattschlag mitt 
vor gutt angesehen, So zweiueln wir doch nitt, so er der 
Person d 
vnd seines Rattschlags genugsam vnd grundlich berichtett, 
vnd 
u‘ was der heilige man Doctor Luther von solchen 
un i 
dergleichen furgeben, gehalttenn, er als ain Theologus 
wurde sich In solche weltt hendel zurathenn nitt habenn 
bereden 
lassen, Sundern vil mher mitt Gott vnd seinem whortt, vnd 
was sein ambtt ist, bekommern, Sich auch In denen sachenn 
selbst wissen zubescheiden, Das man Gotte, vnd nitt Creaturn 
oder Creutern solle vertrauenn, vnd desselbigen hulf suchen 
vnd bitten. Es wurden auch alle erfarne vnd gelerte Medici 
wan sie gleich von Gottes wortt nichts wusten. solchen 
Fantaseyen l 
keinen Glauben geben, vnd ist kein lherer der Ertzney der 
auch authenticus where, der den sachen aynigen beifal 
geben f 
wirdett. Setzen demnach vnser 
vertrauen vf Gott, vnd kein menschliche vernunfft, Dem 
wollen wir vermittelst seiner Gotlichen gnaden, wie Dauid 
sagtt stillhaltten. Der wirdett die seinen wie Petrus sagtt 
tzu : 
seiner zeit, aus der Trubsahl, darmitt vnser Herrgott, vnns 
weiter nichtt, dan wir ertragen konnen, wissen zuerretten. 
vnd der ain gnedigs ende entweder hie In zeitlichem; oder 
Ihenem 
ewigen leben, mitt ewiger herlikeit, machen. vnd das (Bl. II a) 
gebett viler Frommen Christen. vnd guethertzigen. so 
neben euch vor vns treulich betten, gnedigist erhorenn, 
Vnd haben euch solchs hinwider 


57 


gnediger maynunge nitt wollen bergen, Datum Augs- 
burgk den 26den Julii 1550 
Jo: Fridrich: der elder eto. 
m: prop: sst: 
Vnseren ambtleuten zu Wartburgk 
Creusburgk vnd Gerstungen Rethen 
vnd liben getreuen Eberhardtenn 
von der Thann vnd Georgen vonn 
Harstall 


Worum es sich gehandelt hat, ist nicht auszumachen. 
Auch das neueste und ausführlichste Werk über Johann 
Friedrich, G. Menz, Johann Friedrich d. Großm., 3 Bde., 
1904 ff. (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens I, 1—3) 
meldet nichts von dieser mysteriösen Geschichte, die wahr- 
scheinlich immer in Dunkel gehüllt bleiben wird. Was dem 
Stück seinen Wert gibt, sind vor allem die Äußerungen 
der echten und klaren Frömmigkeit des schwergeprüften 
Herrn. 


Katalog. 
Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung 
3 65 Major, Georg, Brief an Hieron. Baum- 
gartner L, Wittenberg, 26. März 1529. 
4 66 Ders., Brief an Justus Jonas d. X., Witten- 
berg, 17. März 1542. 
5 67 Ders., Quittung an Heinr. Forster, Witten- 
: berg, 23. Nov. 1644. 
6 68 Ders., Brief an Hieron. Baumgartner I., 
Magdeburg, 1. Dez. (1546). 
7 69 Ders., Einzeichnung in einem Stammbuch, 
1. Nov. 1571. 


10 164 Ferdinand I., Deutscher Kaiser, Brief an 
Georg, Grafen zu Bitsch, Prag, 
8. Aug. 1562. 

11 166 Franz I., König von Frankreich, Erlaß, 
Fontainebleau, 11. Dez. 1529. 

14 181 Luther, Martin, Einzeichnung in einem 
(Stamm-)Buch, 1544. 

15 181 Cruciger, Caspar I., griechische und latei- 
nische Verse, 


58 


Lid. Nr. Inv. Nr. 
16 182 
17 183 
18 184 
19 300 
20 302 
21 306 bis 
29 303 
23 351 
24 304 
25 312 
26 331 
27 306 
28 361 
29 309 
30 317 


Beschreibung 

Chemnitz, Martin, Brief an Jakob Joveus(?) 
Hameln, 18. Aug. 1575. 

Chytraeus, David, Brief an Johann Lorbeer, 
Rostock, 22. Okt. 1582. 

Bugenhagen, Joh. L, Brief an Konrad 
Cordatas, Wittenberg, 25. Febr. 1530. 

Melanchthon, Phil, L, Schluß eines Briefes 
an Bürgermeister und Rat zu Nürn- 
berg, Wittenberg, 25. Dez. 1543. 

Maior, Georg, Brief an Hieron. Baum- 
gartner I., Magdeburg, 16. April 1535. 

Ders, Brief an denselben, Magdeburg, 
4. Sept. 1534. | 

Cruciger, Caspar L, Schluß eines Briefes 
an Veit Dietrich, Worms, 27. Nov. 1540, 

Ders., Schluß einer exegetischen Ausführung, 
am Ende ps. 46, hebräisch, arabisch 
und griechisch. 

Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, 
Fürsten zu Henneberg, (Gotha), 
18. Aug. 1552. 

Ders., Brief (an Gregor Brück ?), Gotha, 
26. Jan. 1547. 

Ders., Brief an Johann Friedrich d. M. und 
Johann Wilhelm, Herzöge v. Sachsen, 
(Gotha), 23. Nov. 1548. 

Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog 
v. Preußen), Königsberg (1553?). 

Ders., Brief an Thomas Matthias, Frank- 
furt a. O., 18. April (1557 7). 

Philipp d. Großmtitige, Landgraf v. Hessen, 
Visitationsvollmacht für Adam Crafft, 
Jost v. Wyther (= Weiter) und 
Crafft Ruwe, Cassel 1528. 

Cornarius, Janus, Brief an Joachim 
Camerarius I. (Zwickau), I. März 1552 


Ltd. Nr. Inv. Nr. 


31 315 
32a u. b 316 
33 318 
34 319 
35 320 
36 321 
37 322 
38 323 
39 324 
40 362 
41 327 
42 377 
43 328 
44 329 
45 330 


59 


Beschreibung 

Camerarius, Joachim I., Brief an Matthias 
Garbitius Illyricus (Leipzig), 30. März 
(1555). 

Ders., Konzept zweier Briefe, a) an einen 
englischen Würdenträger, b) an 
Thomas Cromwell, Nurnberg, 6. Sept. 
(1533). 

Fabricius, Georg, Brief an Joachim 
Camerarius I., Beichlingen, 5. Juli 
1544. 

Gerbel, Nicolaus, Brief an Joachim Came- 
rarius I., Straßburg i. E., 18. Aug. 1541. 

Mireonius, Friedrich, Brief an Johann, 

Kurfürsten v. Sachsen, Gotha 1530. 

Micyllus, Jakob, Brief an Joachim Came- 
rarius I., Heidelberg, 30. Nov. 1536. 

Praetorius, Abdias, Brief an Joachim 
Camerarius I, Frankfurt a. O., 
11. April 1559. 

Sichard, Johann, Brief an denselben. Basel. 

Stigel, Johann, Brief an Johann Friedrich- 
früheren Kurfürsten von Sachsen. 
Jena, 22. (?) Okt. 1549. 

Ders, Billet an einen ernestinischen 
Fürsten. 

Eber, Paul, Brief an Joachim Camerarius I., 
Wittenberg, 8. März 1552. 

Ders, Widmung auf einem Titelblatt, an 
Johann Meier (nach 1563). 

Luther, Martin, Bugenhagen, Johann und 
Melanchthon, Philipp, Brief an Johann 
Friedrich, Kurfürsten v. Sachsen, 
Wittenberg, 22. Juli 1539. 

Musculus, Wolfgang, Brief an Wolfgang 
Ampelander, Basel, 7. Jan. 1551. 

Sturm, Jakob, Brief an Ludwig d. J., Grafen 
zu Oettingen(?, Straßburg i. E, 7. 
März 1547. 


46 331 
47 332 
48 333 
49 340 
50 341 
51 344 
52 345 
53 352 
54 353 
55 354 
56 358 
57 359 
58 363 
59 364 
60 


365 


Beschreibung 

Schurff, Hieron und Melanchthon, Philipp, 
Brief an Bürgermeister ‘und ‚Rat in 
Neustadt‘ a. O. Jena, 31. Dex. 
1527. 

Rüdinger, Esrom, Brief an Joachim Came- 
rarius I. Zwickau, 23. Mai (1557.) 

Romanus, Michael, Brief an Bartholomäus 
Wolfhart, Wittenberg, 4. Okt. (1550.) 

Starschedel, Dietr. v., Brief an Johann 
v. Taubenheim, 28. Sept. 1531. 

Lechner, Jakob, Brief an Moritz Helling, 
Wittenberg, 12. Mürz 1558. Abschr. 
Hieron. Baumgartners. 

Tetelbach, Johann, Brief ohne Adresse, 
Chemnitz, 1. Nov. (1554?). 

Osius, Hieronymus, Brief an Nikolaus Gallus, 
Ohne Datum. 

Fischer, Christoph, Brief an Joh. Flemm « 
Celle, 12. Mai 1590. 

Forster, Jobann, Brief an Bürgermeister 
und Rat zu Kitzingen. Schleusingen, 
20. Juni 1546. 

Hedio, Kaspar, Brief an Wolfgang Fabricius 
Capito. (1624) 

Lotich, Peter II, Brief an Erasmus Neu- 
stetter. Heidelberg, 23. Juli 1557. 
Mathesius, Johann, Brief an Joachim Came- 

rarius L, Joachimsthal, 25. Dez, 1556. 

Friedrich III., der Weise, Kurfürst v. Sachsen, 
Brief an Philipp, Grafen zu Solms. 
Torgau, 20. Dez. 1508. 

Johann d. Beständige v. Sachsen, Brief an 
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg. 
Zwickau, 16. Mai 1518. 

Johann Friedrich d. Großmtitige, Kurfürst 
von Sachsen, Brief an Eberhard 
v. d. Thann und Georg v. Harstall. 
Augsburg, 26. Juli 1550. 


Lid, Nr. Inv. Nr. 


6i 368 
62 370 
63 374 
64 378—390 
65 185 
65a 186 
66 — 
67 — 
68 — 
69 — 
70 — 
71 — 


61 


Beschreibung 

August, Kurfürst v. Sachsen, Brief an Lud- 
wig, Grafen v. Eberstein und die 
andern kursächsischen Räte in Augs- 
burg. Dresden, 15. Febr. 1559. 

Wolfgang, Fürst v. Anhalt, Brief an Johann 
Friedrich d. M. und Johann Wilhelm, 
Herzöge v. Sachsen. 9. Jan. 1552. 

Georg Ernst, Graf v. Henneberg, Aus- 
führungen tiber die Zweinaturenlehre. 

Maior, Georg II. aus Nürnberg, Stammbuch- 
blütter. 

Luther, Martin, als Prior des Wittenberger 
Augustinerkonventes, Schuldschein an 
Henning Göde, Wittenberg, 14. Aug. 
1515. 

Ders.(?) Autobiographische Daten, s. o. S. 51. 

Heshusius, Tilemann, Brief (an Johann 
Wilbelm, Herzog v. Sachsen) (1572?) 

Rasch (?), Martin, Brief an einen baltischen 


Herrn, T Dezember 1685. 


Borcholt(en 7), ^ Heinrich, Stammbuch 
1586—1588. 
Sohnürlin, Johann, Stammbuch 1588 ff. 
(Wittenberger?) Stammbuchblatt 1558. 
— 159607) 


Alphabetisches Register. 
* bedeutet Absender oder Empfänger von Briefen oder sonstige 
Urheber von Urkunden. 
(Mag.) Aegoceros, Joh., Hauslehrer bei Dr. Georg von 


Commerstad 


37 


*(Albrecht, Herzog v. Preußen), Brief von Sabinus, 
Georg (1553?) 27 
Altenburg, Zusammenkunft des Fürsten Wolfgang v. An- 

han mit den Herzögen Johann Friedrich d. M. 
und Johann Wilhelm v. Sachsen 62 
* Ampelander, Wolfgang, Brief v. Musculus, Wolfgang1551 44 
Mag. Aquila, Caspar 24 


63 


Arnsnest(a), ev. Pfarrei 1539 43 

* August, Kurf. v. Sachsen, Instruktion an Ludwig 
Grafen v. Eberstein u. Gen. 1559 61 

Balthasar N.; zum Kreise des Joachim Camerarius 
gehörig 31,6 


Behem, Andreas, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,7 
Beneekendorf, Joh. v., Helmstädter Stammbuch- 


eintrag 1588 68 g 
s a ie Hieron., Brief v. Major, Georg 1529 3 
" » T - „ 1534 21 
= a " j 5 „ 1535 20 
2 n n " » » (1546) 6 
" 50,5 
Bitsch, Georg Graf zu, Mahnbrief des Kaisers 
Ferdinand L an, 1562 10 
* Borcholt(en?), Heinrich, Jenenser und Helmstädter 
Stammbuch 1586 — 1588 68 
Brandmüiller, ( ) wohl in Basel um 1551 44,3 


Dr. Brendel, Zacharias, Jenenser Stammbucheintrag 1586 68 f 
Bucretius s. Rindfleisch 

Bude(n?), Joh., ev. Pfarrer in Arnsnesta 1539 43 
(Buel), Eucherius, Wittenberger Stammbucheintrag 64,10 
* Bugenhagen u. Gen, amtl. Schreibeu an Kurf. Johann 


Friedrich d. Großm. v. Sachseu 1539 43 
* Bugenhagen, Joh., Brief an Cordatus, Conrad 1530 18 
Bulemann ( ), wohl in Basel, um 1551 44,3 

Bulgarien, Fürstentum, abhängig von dem Woiwoden 
v. Podolien 1533 82 b,8 

* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an Cromwell, 
Thomas (1533) 32b 

* Camerarius, Joachim, Briefentwurf an einen eng- 
lischen Würdentrüger (1533) 324 

+ Camerarius, Joachim, Brief an Garbitius IIlyricus, 
Matthias 1555 31 
von Cornarius, Janus 1552 30 


Eber, Paul 15523 41 
Fabrieius, Georg 1544 33 
Gerbel, Nikolaus 1541 34 
Mathesius, Joh. 1556 57 


# Á9» 9 9 ë 
wv 3 u u 3 
3 3 3 3 3 
3 3 3 3 3 


63 
* Camerarius, Joachim, Brief von Micyllus, Jac. 1536 36 


* 2 : „ „ Praetorius, Abdias 1559 37 
* 4 » a „ Rüdinger, Esrom 1557 47 
* " m Š „ Siehard, Joh. 38 
s : 50,6 

2 a als politischer Agent der engl. 
Krone 1533 32a, 4; 32b, 4 

: „ Übersiedelung von Tubingen 
nach Leipzig 1541 34,3 
i in Worms 1540 22,3 
* Capito, Wolfg., Brief von Hedio, Caspar (1524) 55 
Chemnitz, Pest in, 1554 (?) 51,3 
* Chemnitz, Martin, Brief an Joveus (?), Jac. 1575 16 
Christoph, Herzog von Württemberg, Kirchenpolitik 1559 61,12 
* Chytraeus, David, Brief an Lorbeer, Job. 1582 17 


Clarner, Paul, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,5 
Cöler, Hieron., Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,6 
Dr. Commerstad, (Georg v. ?), Söhne des 37,8 
*Cordatus, Conrad, Brief von Bugenhagen, Joh. 1530 18 
Corfinius, Friedr., Helmstüdter Stammbucheintrag 1588 68m 
* Cornarius, Janus, Brief an Camerarius, Joachim 1552 30 


Dr. Crakau, Kursächsischer Rat 1559 61,1 
* Cromwell, Thomas, Briefentwurf des Joachim 
Camerarius an, (1533) 32 b 
5 32 a, 3 
< Croeiger, par I, Brief an Dietrich, Veit 1540 22 
- 5 Stammbucbeintrag (7) 1544 15 
"o £ exegetische Ausführung 23 
Dachae (?) filius 47,3 
* Dietrich, Veit, Brief von Cruciger, Caspar 1540 23 
Dozue, (), Kanzleiverwandter des Königs Franz I. v. 
Frankreich 1529 11 
* Eber, Paul, Brief an Camerarius, Joachim 1552 41 
p" „ Dedikation an Johann Meier aus Nürn- 
berg, nach 1563 A3 
* Eberstein, Graf Ludwig v. kursächsischer Rat, u. 
Gen., Instruktion von Kurf. August 1559 61 


Eckhard, Georg 51.7 


64 


Eilenmair, Wolfg., Wittenberger Stammbucheintrag 1562 64,12 
Faber, Joachim, aus Magdeburg, Helmstüdter Stamm- 


bucheintrag 1592 69c 
* Fabricius, Georg, Brief an Camerarius, Joachim 1544 33 
" „ geistliche Oden 33,1 
= „ C) 51,2 

* Ferdinand I., Deutscher Kaiser, Mahnbrief an Georg 
Grafen zu Bitsch 10 
= Balkanpolitik 1533 32b, 8 
* Fischer, Christoph, Brief an Flemmer, Johann 1590 51 
- Biographisches 51,7 


Flacius Illyrieus, Matthias, Streit mit Justus Menius 50, 7 
* Flemmer, Johann, Pfarrer zu Hennefeld, Brief von 
Fischer, Christoph 1590 51 
* Forster, Heinrich, Schösser des Stifts Altenburg, 
Quittung von Maior, Georg 1544 6 


* x Johann, Brief an Bürgermeister und Rat 

von Kitzingen 1546 54 
Franz I., König von Frankreich, eine Finanzverfügung 1529 11 
Freder, Johann II. 17,2 


Frickelshausen im Hennebergischen, ev. Pfarrei 1559 48 

* Friedrich d. Weise, Kurt. v. Sachsen, Brief an Philipp 
Grafen zu Solms 1508 58 

Friedrich, Herzog zu Braunschweig u. Lüneburg, 
Helmstädter (7) Stammbucheintrag 1588 (s. Joachim 


Karl) 681 
Frobenius, Johann 55 
* Callus, Nikolaus, Brief von Osius, Hieron. 52 


* Garbitius, Matthias, Brief von Camerarius, Joachim 1555 31 
* Gerbel, Nikolaus, Brief an Camerarius, Joachim L, 1541 34 


Gochsheim, Schulze von | 59 
Goldstein, Kilian 4, 3; 6, 4 
* Göde, Henning, Schuldverschreibung v. Mart. Luther 1515 65 
Gotha, Kirchenkasten der Pfarrei 25 
Groß-Germersleben, protest. Pfarrei 1558 69e 
Gugel, (Christoph ?), zum Kreise des Joachim 

Camerarius in N MOS gehörig 38,7 
Halic, Georg 31,1 


Hameln, Superintentur 1575 16 


65 
* Harstall, Georg v. Brief von Johann Friedrich d. 


GroBm. v. Sachsen 1550 60 
Hartung, Nikolaus, Pastor zu Groß-Germersleben, Helm- 
städter Stammbucheintrag 1588 69e 
* Hedio, Caspar, Brief an Capito, Wolfgang (1524) 55 
* Helling, Moritz, Brief von Lechner, Jae. 1558 50 
Helmstüdter u. Jenenser Stammbuch des Heinrich 
Borcholt(en ?) 68 
* Henneberg, Georg Ernst Fürst zu, Br. v. Menius, 
Justus 1552 24 


* Henneberg, Georg Ernst Graf zu, Gisabessbek eundi 63 
Henneberg, Veit Ulrich Truchsess v., Jenenser Stamm- 


bucheintrag 68i 

* Wilh. IV., Graf zu, Brief v. Johann d. 
Bestünd. v. Sachsen 59 

* Heshusius, Thilemann, Brief (an Herzog Johann 
Wilhelm v. Sachsen) 1572 66 
Hofmann, (Christoph?) 47,3 
Honoricus, Georg, Helmstädter Stammbucheintrag 1588 69 b 
Jena, Lateinschule 1549 39 


Jenenser u. Helmstädter Stammbuch des Heinrich Borcholten 68 
Joachim Karl, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, 
Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Friedrich) 68 k 
*Johann d. Beständige, Kurf v. Sachsen, Brief an 
Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg 1518 59 
* Johann d. Beständige, Brief von Myconius, Friedrich, 1530 35 
* Johann Friedrich d. Grofmtütige, Kurf. v. Sachsen, 
Brief an Eberhard v. d. Thann u. Georg v. 


Harstall 1550 60 

* Johann Friedrich d. Großmütige, Brief von Johann 
Stigel 1549 39 

„Ratschlag“ zur 

"Befreiung des: aus kaiserlicher Haft 60 

* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Wolfgang, 
Fürsten v. Anhalt 1552 62 
* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Menius, Justus 1548 66 
m „ Kirchenpolitik 1559 61,5 

* (Johann Wilhelm, Herzog v. Sachsen), Brief von Hes- 
husius, Thilemann (1572?) 66 


Arehiv für Beformationsgeschichte. XIX, I. 5 


66 
* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von 


Menius, Justus 1548 26 
* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von 
Wolfgang, Fürsten v. Anhalt 1552 62 
* Jonas, Justus d. A., Brief von Maior, Georg 1542 
„ „ „ Biographisches 6,3 
* Joveus (?), Jacob, Superintendent in Hameln 1516, 
Brief von Chemnitz, Martin 16 
Irenaeus, (Christoph?) 52,2 
Karl V., Balkanpolitik 1533 38b, 8 
Katzenelnbogen, Obere und Niedere Grafschaft, Kirchen- 
visitation 1528 29 
Keyser, Hans, ehemaliger kursächsischer Hofkoch 35 
* Kitzingen, Bürgermeister u. Rat v., Brief von Forster, 
Joh., 1546 54 
* Kraft, Adam u. Gen., Visitationsvollmacht von Philipp d. 
| Großm. v. Hessen 1528 29 
KreB v. Kressenstein, Christoph, Ratsherr in Nürn- 
berg 1535 20, 2; 91,2 
Kuepacher, Kanzleiverwandter des Kaisers Ferdinand L, 
. 15623 10 
* Lechner, Jakob, Brief an Helling, Moritz 1558 50 
: „ Ubersiedelung nach Nürnberg 
1558 50, 4,5 
Leipold, Johann, aus Kitzingen, Stud. theol. 1546 54 


Leutzdorfer, Konrad, Prokurator d. Stifts Altenburg 1544 5 
Lickfett, Johann, aus Marienau in Preußen, Helm- 


städter Stammbucheintrag 1588 69d 
Livland, Einfall der Russen 1555 31,6 
* Lorbeer, Johann, Abt des Klosters Riddagshausen, 

Brief von Chytraeus, David 1582 17 
* Lotich, Peter II., Brief an Neustetter, Erasmus, 

gen. Sturmer 1557 56 
Ludwig XII., König v. Frankreich, als Schuldner des 

Prinzen von Orenge 11 
* Luther, Martin, u. Gen., amtl. Schreiben an Johann 

Friedr. d. Großm. 1539 43 
* Luther, Martin(?), Autobiographische Daten 65 
WA „ Schuldverschreibung an Henning Göde 

1515 65 


* „  Stammbucheintrag 1544 14 


* Luther, Martin, brieflicher Scherz mit Conrad Cordatus 
Mai, Michael, Pedell in Wittenberg, Stammbucheintrag 


1561 

* Maior, Georg, Brief an Baumgartner, Hieron. 1529 
* » » » n » 9 1534 
* o» n n 5 á » 1535 
* o» " „ (1546) 
EP » Quittung an Forster, Heinrich 1544 
a „ Brief an Jonas, Justus 1542 

; „ geplante Übersiedelung nach Nurn- 

berg 1546 

» „ (zum Majoristischen Streit) 

n „  Plarrgehalt in Wittenberg 1544 

n „  Stammbucheintrag 1571 
2 us „ II., Stammbuch 1560—1562 

„ Johann 

» „ Lemnica Carmina 


Marienau in Preußen ^ 

~ Matthesius, Joh., Brief an Camerarius, Joachim 1556 

* Matthias, Thomas, Brief von Sabinus, Georg (15577) 

Meienburg, Michael 

us Johann, aus Nürnberg, Widmung v. Eber, Paul 
= Schluß eines Briefes an 

E u. Rat v. Nürnberg 1543 
* Melanchthon, Phil. L, u. Gen., amtl. Schreiben an Joh. 
Friedr. d. GroBm. 1539 


" " » » Abwesenheit von Witten- 
berg, Mürz 1552 
" „ Reise nach Zerbst (1546) 
„ IL, (1596 7) 


Memmius, Conrad, Helmstädter Stammbucheintrag 1588 
* Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, Fürsten zu 
Henneberg 1552 

Brief an (Gregor Brück?) 


» 

n 

„ Streit mit Flacius lllyricus, Matthias 
„ beteiligt bei einem „Ratschlag“ zur 
Befreiung des Kurfürsten Joh. Friedrich d. Großm. 
aus kaiserlicher Haft 1552 


5* 


24 
25 


„ „ andoh. Friedr. d. M. v. Sachsen 26 


50,2 


60,4 


68 


Meurer (Wolfgang?) 33,2 
Michel N., in Neustadt a. O. gefangen 46 
* Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim i536 36 
Monthaborn (?), Christoph, englischer Gesandter in 


Deutschland 1533 32a, 5; 32b, 3 
* Musculus, Wolfgang, Brief an Ampelander, Wolf- 
gang 1551 44 
* Mieyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36 
W „ Ablehnung eines Rufes an die Univ. 
Tübingen 1536 36 
* Myconius, Friedrich, Brief an Joh. d. Beständig., 1530 35 
m Amtstätigkeit in Gotha 25,1 
Myusing v. Frundeck, Heinr. Albrecht, Helmstädter 
Stammbucheintrag 1588 68h 
Nachtenhofer, Lorenz | 55 
* Neustetter, Erasmus, gen. Sturmer, Brief von Lotich, 
Peter IL 1557 56 
* Nürnberg, Bürgermeister u. Rat v., Brief v. Melanchthon, 
Phil. L 1543 19 
Nürnberg, Meldepflicht von Todesfällen beim Rat, ge- 
legentlich der Pest 1633 32a, 8 
š Pest in, 1533 32a, b fl. 
» Steuer bei Immobilienverküufen 1533 20,3 
Orenge, Fürst von, als Gläubiger des Königs Ludwig XIL 
von Frankreich 11 
Osiander, ( ), Diener des Joachim Camerarius(?) 32 a, 1 
* Osius, Hieron, Brief an Gallus, Nicolaus 62 
* Oettingen (?), Ludwig d. J. Graf von, Brief von Sturm, 
Jacob 1547 45 
Petkum, Joh. v., aus Hamburg, Helmstädter Stammbuch- 
eintrag 1589 69a 
Peucer, Kaspar 47, 2; 50, 6 
Pfarrgehalt des Georg Maior in Wittenberg 1544 5 
Pforzheim, Fürstentag 1559 61,. 
* Philipp d. Grom., Landgraf v. Hessen, Visitations- 
vollmacht für Adam Kraft u. Gen. 1528 29 
Plankwald, Jobst, in Antwerpen 32a, 9 


Podolien, Woiwode von, Machinationen mit dem 
Türken 1533 32b, 8 


— . TE 


* Praetorius, Abdias, Brief an Camerarius, Joachim 1559 37 
* Rasch (?), Martin, in Hamburg, Brief an einen 


baltischen(?) Herrn 1685 67 
Mag. Reudenius, Ambrosius, Prof. in Jena (Amts- 

antritt 1572) 66 
Reichardt, Valentin, Witwe des Gothaer Pfarrers 26 


Rheinstein u. Blankenburg, Ernst Graf v., Helmstädter 
Stammbucheintrag 1588 68c 


Martin Graf v., desgl. 68b 
Riddagshausen b. Brexuselwele: Kloster 17 
" Katalog der Aebte 17,4 
Riga, Belagerung dureh die Russen 1555 31,6 
Rindfleisch (Buocretius) Daniel, Helmstüdter Stamm- 
bucheintrag 1589 68n 
Rolinger, Johann, Mag. Physicus 51,7 
* Romanus, Michael, ev. Pfarrer in Frickelshausen, Brief 
an Wolfhart, Barthol, 1550 48 
Rosa, Johann, Mag., Prof. in Jena, Tod des, 1572 66 
Röting (Michael L?) 50,6 
n ( » 1 50,6 


» Stammbucheintrag Wittenberg 1560 64,1 
* Rüdinger, Earom, Brief an Camerarius, Joachim L, 1657 47 


" „  Stammbucheintrag ( 15 

» ” 50,6 

Ruwe, Kraft, hessischer Visitator 1528 29 
* Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog v. 

Preußen) 1553 21 

* „ an Matthias, Thomas (15577) 28 


Schaller, Hieron. „Wittenberger Stammbucheintrag 1561 64,11 
Schauenburg, Adolf Graf zu, etc., Wittenberger Stamm 


bucheintrag 1560 64,4 
Scheggius (Jacob?), zum Kreise des Joachim Camerarius 
gehörig 31,6 


Schellhammer, Joh., Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,2 
Schmalkaldischer Krieg, Anfangsbewegungen der kaiser- 
lichen Truppen 45,4 
Sehnerrer, Joh., Wittenberger Stammbucheintrag um 1560 64, 13 
Schntirlin, Joh., aus Preußen, Helmstädter Stammbuch 
1588 ff. 69 


10 


* Sourff, Hieron, u. Melanchthon, Phil., Brief an Bürger- 


meister u. Rat von Neustadt a. O. 1627 46 
Sehweden, Bündnispolitik 1633 32b, 6f. 
Schwenter, Adam, aus Zellheim, f 1558 als Student in 

Wittenberg 10 
Sootus ( ), Professor an der Universität Frankfurt 1559 37,1 
Seld, Georg Sigismund 10 
* Sichard, Joh., Br. an Camerarius, Joachim 38 

- „ Kommentar zu Genesis u. Exodus 38,9 
Stibarus, (Daniel?) 38,1 
Dr. Simon, () 17,3 
Dr. Sitzinger, kurpfälzischer Kanzler 1559 61,11 
*Solms, Philipp Graf zu, Brief von Kurf. Friedrich d. 

Weisen 1508 58 
* Starschedel, Dietrich v., Brief an Johann v. Tauben- 

hain 1531 49 
:*Stigel, Joh., Brief an einen ernestinischen Fürsten 40 
r = „ „ Johann Friedrich d. Großm. 1549 39 
Straßburg, Akademie, leidet 1541 unter der Pest 34,4 

z Verhandlungen mit dem Kaiser 1547 (Sohmal- 

kald. Krieg) 45,3 
Strigel, Victorinus, Mag., Lehrer an der Jenenser Latein- 

schule 1549 39,1 
* Sturm, Jacob, Brief an Ludwig d. J., Grafen von 

Oettingen (?) 1547 45 


„ Joh., eine Ausgabe der Reden des, 1541 geplant 34,2 
Sturmer s. Neustetter 
Salzer, (Simon) 44,3 
Sygler ( ), (jüdischer?) Getreidehändler in Dresden 49,2 
* Taubenhain, Joh. v., Brief von Starschedel, Dietrich v., 


1531 49 
* Tetelbach, Joh., Brief ohne Adr. (1554?) 51 
* v, d. Thann, Eberhard, Brief von Johann Friedrich 

d. GroBm. 1550 60 
Thannhausen, Jacob v., Jenenser Stammbucheintrag 1586 68 d 

" Sigismund v., desgl. 68e 
Thurn, Franz Graf v., Kaiserl. Gesandter nach Kur- 

sachsen 1559 61,1 f. 


Türken, Baugelder und Nothilfe zum Krieg wider die, 1562 10 


71 


Vaughan, Stephan, englischer Gesandter in Deutsch- 


land 1533 32a, 5; 38b, 3 
Vergerius, Paulus, als Württembergischer Gesandter 
nach Preußen 1557 28 
Weiters, Jost v., hessischer Visitator 1528 29 
Wigand (Joh.?) 62,9 
Windruvius, Peter, Mag. 17,5 
Wittenberg, Universität, Bestehen akademischer 
Prüfungen 1550 48,4 
á lästige Einquartierung 1552 41,2 


* Wolfgang, Fürst von Anhalt, Brief an Johann Friedrich 
d. M. und Johann Wilhelm von Sachsen 1552 62 
* Wolfhart, Barthol, Superintendent in Schleusingen, 


Brief von Michael Romanus (1550) 48 
Worms, Religionsgespräch 1540 22 
Zirler, ( ) 56 
Zwingli, Ulrich, Enkel des Reformators 44,1 


Jeder Urkunde ist bei der Bearbeitung eine hand- 
schriftliche Inhaltsangabe beigefügt worden, nach der 
die Verwaltung des Melanchtonhauses bei Anfragen von 
auswärts jeweils vorläufige Auskunft geben kann. 


Notwendige Ergänzungen zu vorstehendem Verzeichnis 
wird eines der folgenden Hefte bringen. 


Mitteilungen. 


Neuerscheinungen. 


Mit gewandter Hand entwirft K. P. Hasse ein für weitere 
Kreise bestimmtes farbenreiches Bild vom deutschen Humanismus 
(„Die deutsche Renaissance I. Teil: Ihre Begründung durch den 
Humanismus“), Das Buch hat vor L. Geigers Darstellung besonders 
den Vorsug strafferer Zusammenfassung und größerer Abrundung 
voraus. Der Standpunkt des Verf. ist jedoch allzu einseitig vom 
humanistischen Ideal bestimmt, so wenn er Luther als einen kultnr- 
feindlichen Barbaren zeichnet und dem (tief unter Nikolaus von Kues 
gestellten) Melanchthon, dem er es nicht verzeiht unter die Theologen 
gegangen zu sein, jegliche Orginalität des Geistes schlechthin abspricht. 
Ein 2. Band soll die „Ausgestaltung der Renaissance durch Denker, 
Forscher und Künstler“ behandeln. Meerane i. S, E. R. Herzog 
489 S. Mk. 20.—. 

Herausgeber (O. Clemen) und Verleger (O. Harrassowitz) der 
1907 bis 1911 in 4 Bänden erschienenen Sammlung ,Flugschriften 
aus den ersten Jahren der Reformation" haben sich entschlossen, die 
Sammlung fortzusetzen als ,Flugschriften aus der Refor- 
mationszeit", also in weiterem Rahmen. Es sollen auch Flugschriften 
aus den vorbereitenden humanistischen Fehden, ebenso aus der Zeit 
vom Bauernkriege bis zu Luthers Tode und dem Schmalkaldischen 
Kriege Aufnahme finden. Die ersten vier unter Mitarbeit von 
A. Goetze von O. Clemen mit gewohnter Sorgfalt besorgten, 
mit Einleitung und knappen Erläuterungen versehenen Lieferungen 
enthalten zwei anonyme lutherische Augsburger Schriften von 1521 
(Weller, Rep. typogr. 1996 und 1997), den Ludus Sylvani Hessi 
(A. Corvinus) in defectionem G. Wicelii ad Papistas von 1534 und ein 
anonymes Wittenberger Epitaphium des ehrwürdigen . M. Lutheri 
von 1546. Die Ausstattung ist vortrefflich; die Facsimile-Reproduk- 
tionen auf imitiertem alten Büttenpapier geben die Originale einschließ- 
lich der bildlichen Zutaten in denkbar treuester Art wieder und bieten 
eine Grundlage für mannigfache Unter suchungen der Texte. Leipzig 
Harrassowits 1921. 

Erfreulicher Weise kann bereits die dritte Auflage des 1. Bandes 
von O. Scheel, Martin Luther angezeigt werden. Verf. hat 
den Text sorgsam durchgesehen, ohne Grund zu wesentlichen 


73 


Änderungen zu finden; die Anmerkungen dagegen sind um 15 Seiten 
angewachsen infolge der Auseinandersetzung des Verf. mit der neuesten 
Literatur, insbesondere mit Benary, zur Geschichte der Stadt und 
Universität Erfurt (S. 805—807) und A. V. Müller, Luthers Werdegang 
u. a. (S. 392 fl.) Tübingen, Mohr 1921 VIII, 840 S., M. 60. 

In „Der große Wormser Reichstag von 1591“ 
herausgegeben zur 400jährigen Gedächtnisfeier im Auftrage des Frei- 
herr]. Paares Heyl zu Herrnsheim, bewegt sich P. Kalkoff auf 
seinem eigensten Gebiet. Er wendet sich hier an den größeren Kreis 
der Gebildeten, denen er zuerst die geschichtliche Bedeutung des 
Reichstags im allgemeinen verständlich macht, um dann dessen Verlauf, 
soweit es sich um die lutherische Frage handelt, in gedrungener, 
fesselnder Darstellung zu schildern. Den ganzen Hergang rückt Verf - 
unter den Gesichtspunkt des Kampfes zwischen der romanischen 
Staatskunst, die in Karl V. und den Päpstlichen verkörpert erscheint, 
und dem deutschen Geist; erringt jene — durch den Erlaß des ver- 
fassungs widrigen Wormser Edikts — zunächst einen Scheinerfolg, so ist 
der wahre Sieger nichts desto weniger der durch Luther befruchtete 
deutsche Geist. Darmstadt, Joh. Waitz, 109 S., M. 25. 


Em.Hirsch „Die Theologie des Andreas Osiander 
und ihre geschichtlichen Voraussetzungen*, hellt zunüchst an der 
Hand der frühesten Schriften des O. dessen Werde- und Bildungsgang 
zum reformierten Theologen auf, wobei sich Beeinflußung durch Reuch- 
lin, besonders aber durch Luther herausstellt. Weiter wird unter- 
sucht, in welchen Punkten und unter welchen Einflüssen O’s. Theologie 
später Umbildungen erfahren hat; wobei Verf. nachweist, daß mittels 
gewisser entlegener Studien und absonderlicher Liebhabereien des O. 
einige Ideen des Picus von Mirandula und aus der Kabbale, im 
besonderen dem Sohar, bei ihm Eingang gefunden haben und nun 
zusammen mit den Reuchlinischen Spekulationen über das Wort eine 
Art Weltanschauungshintergrund für das reformatorische Evangelium 
bilden. Von dieser Grundlage aus werden endlich die Probleme des 
Osiandrischen Streits aufs neue gewürdigt (Rechtfertigungslehre, 
Frómmigkeit, Gottesbegriff) und die theologiegeschichtliche Bedentung 
des Streits entwickelt. Als Beigaben folgen eine Untersuchung über 
die mißglückte Berufung nach Tübingen (1584) und bibliographische 
Nachträge, endlich Abdrücke der Vorrede O's zu Copernicus de 
revolutionibus (1548), eines antiosiandrischen Chorals und Mörlins erster 
Eintrachtsformel. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, VIII. 
296 S. 1919 M. 15. 

Das Ein- und Durchdringen des Evangeliums in der kleinen 
fránkischen Stadt Windsheim, wie es Joh. Bergdolt in ,Die 
freie Reichsstadt W. im Zeitalter der Ref. (1590— 1570)" schildert, zeigtzwar 
wesentlich den gleichen Verlauf wie in zahlreichen anderen Gemein- 
wesen; gleichwohl folgt man der Darstellung des Verf., die auf 
breiter archivalischer Grundlage in das Leben und Treiben des ober- 


74 


dentschen Bürgertums jener großen Tage einführt, mit lebhafter Anteil- 
nahme. Auch fehlen nicht die eigentümlichen Züge, besonders in der 
Teilnahme hervorragender Persönlichkeiten wie Jakob Appels und des 
ehemaligen markgräflichen Kanzlers Georg Vogler. Ferner fallen vou 
hier aus Streiflichter auf die Politik der Stadt Nürnberg, des Hauptes 
der fränkischen Städte, mit der Windsheim das engste Einvernehmen 
unterhielt. Unter den neun archivalischen Beilagen ragt Nr. 1, der 
Windsheimer Ratschlag von 1524, hervor. — Quellen u. Forsch. z. 
bayr. KG. herausgeg. von H. Jordan V. Leipzig, A. Deichert XIII, 305 S. 


In dem Helden seines Buches „Wolf Dietrich von 
Maxirain und die Reformation in der Herrschaft Hohen- 
waldeck“ entwirft W. Knappe ein ansprechendes Lebens- und 
Charakterbild eines mannhaften, ausdauernden Bekenners evangelischen 
Glaubens, der freilich vergebens gegen ein unentrinnbares Schicksal 
stritt, indem er zusehen mußte, wie das Bayern der Herzöge Albrechts V. 
und Wilhelms V. mit übermächtiger Gewalt die Gegenreformation in 
Hohenwaldeck durchführte. Verf. bat sich bemüht, überall den größeren 
Zusammenhang, in erster Linie mit der bayerischen Politik, aufzu- 
suchen und somit im Bahmen der Geschichte Wolf Dietrichs und 
seiner Herrschaft ein Zeitbild aus der 3. Hülfte des 16. Jahrhunderts 
zu geben. Die Arbeit beruht auf den einschlägigen Akten der 
bayerischen Archive. Quellen u. Forsch. s. bayer. KG. herausgeg. von 
H. Jordan IV., Leipzig, Deichert 1920 V., 151 S., Mk. 19.—. 


Ein Werk deutschen Fleißes und deutschen Idealismus ist die 
„Einführung der ReformationinLiv-, Estund Kurland“ 
des baltischen Historikers Leonid Arbusow d. J., ein Werk 
dessen Vollendung dem VRG. zu danken ist (über die Entstehungs- 
geschiche und die zu Grunde liegenden Materialien s. das Vorwort): 
Nicht eigentlich aus Deutschland eingeführt, aber durch das dort 
gegebene Beispiel in dem kerndeutschen baltischen Bürgertum ent- 
facht, ist die baltische Ref. hernach in das Fahrwasser der Witten- 
berger gelenkt und endlich unter deren Einfluß ausgebaut 
worden. Verf. verfolgt die Entwicklung im einzelnen bis etwa 1588. 
Iu der breiten und anschaulichen Ausmalung des Einzelverlaufs verliert 
er doch die größeren Zusammenhänge nicht aus dem Auge. Sehr 
lesenswert ist auch die ausf. Einleitung: Livland am Ausgang des 
Mittelalters. — Quellen und Forsch. zur RG. herausgeg. vom VRG. III. 
Leipsig, Heinsius 1991 XIX. 851 S., Mk. 70.—. 

A. L. Veit, Kirche und Kirchenreform in der 
Erzdiözese Mainz im Zeitalter der Glaubensspaltung und der 
beginnenden tridentinischen Reformation 1517—1618 (—.Erl. u. Erg. 
zu Janssen G. d. d. V. X. 3), Herder, Freiburg i. Br. 1920 XIII, 98 
S., Mk. 25.— und Zuschläge —, beruht großenteils auf den bisher noch 
unbenutsten Mainzer Akten des Kreis- und des Bischöfljchen Ordinats- 
archivs in Würzburg; auch wird ein sehr inhaltreicher Bericht dee 
Nuntius Frangipaui über Verhandlungen mit Erzbischof Wolfgang 


75 


von Dalberg von 1575 aus dem Vat. Archiv verwertet. Verf. betrachtet 
getrennt die Stellung der Erzbischöfe, der Geistlichkeit und des 
Volkes. Leider wird die Verdienstlichkeit seiner Arbeit durch eine 
das Maß der Zulässigen bei wissenschaftlichen Schriften überschreitende 
konfessionelle Einseitigkeit und Gehässigkeit gegen alles, was mit dem 
Protestantismus zusammenhängt, beeinträchtigt. 

H. Preuss, Dürer, Michelangelo, Rembrandt, 
2. Aufl. Leipzig, Deichert 1921, 58 S., kl. 4° (= Lebensideale der 
Menschheit I). In den drei genannten Künstlern erblickt Preuss drei 
bestimmte Typen menschlichen Geisteslebens überhaupt, insbesondere 
des religiösen. In Dürer kommen die Eigentümlichkeiten des deutschen 
Volkes am reinsten zur Darstellung: Tiefe des (Geistes, sonniger 
Humor, Freiheit des Gedankens, Ehrung des Alltags, innige Frömmig- 
keit. Noch mehr bedeutet es, daß Dürer künstlerisch vom Mittelalter 
zur Reformation kam, vom Stil der Unruhe der Sündenerkenntnis 
zum Stil der Ruhe des reformatorischen Hochgefühis. Daß D. sich 
der Reformation Luthers anschloß, war selbstverstündlich; er hatte sie 
in seinem neuen, schon 1517 erschienenen Christusideal, das aus dem 
Jesus der zürtlich schwachen Minne und dem Christus der blutenden 
Anklage den Jesus Christus des Glaubens, männlich und stark und 
erbarmend, den „lieben Herrn Christus“ Luthers, machte, gleichsam 
vorausverkündigt. Neben dem Protestantismus steht bei Dürer jedoch 
die Renaissance, beide feiern in seinem letzten Werk eine programm- 
mäßige Synthese; die vier Apostel sind ebenso lutherisch wie 
antikisch. — Bei Michelangelo verfolgt Preuss, wie, ohne daß er sich 
von der katholischen Kirche förmlich löste, das Schwergewieht seinor 
Frömmigkeit sich nach der evangelischen Seite des katholischen Un:- 
kreises verlegt; seine Dichtungen und letzten plastischen Werke 
künden ein geläntertes Christentum. In Rembrandt endlich erkennt 
der Verf. einen der frühesten Vertreter des modernen Spiritualismus 
(,Individualspiritualismus*), R. steht auf der Linie, die sich vom 
Objektiven, geschichlich Gegebenen loslöst und den Menschen ganz auf 
sich selbst stellt. 

L. Raitz v. Frentz S. J., Der ehrwürdige Kardinal Rob. 
Bellarmin, in der Sammlung „Jesuiten, Bilder großer Gottes- 
streiter“ zum 300, Todestag B’s (+ 17. Sept. 1621) erschienen, ist ein 
Erbauungsbuch für Katholiken. XIV, 230 S., Freiburg in Br. Herder 1921 
Mk. 24.—, geb. Mk. 80.— mit Zuschlag. 


Aus Zeitschriften. 


Allgemeines. G. Wehrung, Reformatorischer Glaube 
und deutscher Jdealismus (Studien z. sysemat. Theol. Festgabe f. 
Th. v. Häring S. 187—225) zeigt gegen Tröltsch und Anhang, welche 


76 


gewaltige Arbeit die Reformation für die Heraufführung der Neuzeit 
geleistet hat und wie sie noch heute als kraftspendende Macht nebea 
dem deutschen Idealismus steht (vgl. G. v. Below in HZ. 125 5.355 —857). 

C. Fabricius Vom Luthertum zum Sozialismus 
versucht die Verbindungslinie zu ziehen, die diese beiden Erscheinungen 
der Geschichte durch die Jahrhunderte hindurch mit einander ver- 
bindet. Dem Verf. ist der Soszialist, der sich mit der gesamten 
Menschheit zu vereinigen trachtet, um in ihrem Schofe von über- 
mäßiger Arbeit auszuruhen, der weltliche Erbe des Lutheraners, der 
sich nach vergeblichen Mühen um Werkgerechtigkeit der für alle 
Menschen bestimmten göttlichen Gnade in die Arme wirft. Harnack- 
Ehrung S. 434—450. 

Den Ursprung, die Vorbereitungen und die ersten Kundgebungen 
der Reformation (bis 1528) stellt unter besonderer Berück- 
sichtigung des Anteils Frankreichs (Lefévre) und der Niederlande 
N. Weiß im Bnll. de la Soc. de l'hist. du prot. francais 66 (1918) 
S. 178—282 dar. — Derselbe erörtert ebendort 8. 97—126 unter dem 
Titel „L’ origine et les étapes historiques des droits de l'homme et 
des peuples^ den Einfluß der Reformation auf die individuelle 
uud kollektive Freiheit. i 

Aus den Ergebnissen der bibliographischen Aufnahmen der 
„Kommission zur Erforschung der G. d, Ref. und Gegenref.“ beginnt 
K. Schottenloher im ZblBw. 88 „Beiträge zur Bücher- 
kunde der Reformationsseit" mitzuteilen, Er verbreitet 
sich über Joh. Lobmeyer von Würzburg und seine Druckwerke 
(1518—1525), den Landshuter Drucker Joh. Weissenburger (1513—36), 
den Rechtsgelehrten Leopold Dick als Publizisten (a. a. O. S. 20—88); 
ferner tiber Stephan Agricola als Übersetzer des Schwäbischen 
„Syngrammas“, eine versteckte Abendmahlschrift Micharl Kellers von 
1525, die Evangeliensummmarien Pseudo- Luthers und ihren Heraus- 
geber Kaspar Bruschius (1544) und über Nik. Gallus den jüngeren 
(a. a. O. 67—78). 

Aus seltenen reformationsgeschichtlichen Druck- 
schriften (der Dresdner Landes- und der Zwickauer Ratsschulbibl.) 
teilt in ZKG. 89 (NF II) S. 88—92 O. Clemen mit 1. einen bisher 
unbemerkt gebliebenen Brief des Justus Jonas von 1553 an den 
als Professor der griechischen Sprache in Jena 1560 verstorbenen 
Johann Langer, Sohn des gleichnamigen ersten Koburger 
Superintendenten; 2. ein judicium von Melanchthon und ein 
Gedicht von Erasmus Alber (aus einer Schrift von Joh. Winnigstedt, 
Pfarrer zu Quedlinburg „wider die Kirchendiebe" von 1560) und 
3. zwei Flugschriften Amsdorfe („Quod Italia sit barbara terra“ etc, 
und „Der Bapst, Bischoff und Cardinel die rechten Ketzer“ etc.). 

Als Subjekt der Rede in der Augustana stellt F, Katten- 
bus ch, gestützt auf die Anfangsorte „ecclesiae magno consensu apud 
nos doent" „ecclesiae apud nos“ fest: ThStK. 98 (1920/21) S. 115 f. 


77 


O. Clemen untersucht in ZHV. Niedersachsen 86, 1/2 S. 24—81 
ein Neujahr 1546 erschienenes anonymes Schmähgedicht auf den 
gefangenen Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig, besonders 
dessen Abhängigkeit von Luthers bekanntem Brief vom 19. Des, 1545 
und der ,Wahrhaftigen Contrafaktur Hs. H.s" von 1541 (Schade, 
Satiren I 80 fl.). 


Vom Mennonistischen Lexikon herausgeg. von Chr. 
Hege und Chr. Neff (vgl. diese Zeitschr. XVI. S, 123) sind 1921 
die Lieferungen 9 und 10 (Dachser — Duchoborzen) erschienen 
8. 381—480. Besondere Beachtung verdient der sorgfültig gearbeitete 
Artikel Hans Denk (S. 401—415) von Neff; vgl. ferner: Deutche 
Theologie, Deutsches Reich, Adam, Franz und Siegmund von Dietrich- 
stein, die Mürtyrer Dirks und Hans Donner, Dreieinigkeit. 


Luther. Über die Lutherforschung des letzten 
Jahrzehnts erstattet Preserved Smith in der Harvard 
theological Review XIV, 9 (April 1921) S. 108—185 einen gedrängten, 
sehr reichhaltigen kritischen Bericht. Neben deutschen sind ameri- 
kanische, englische, französische, holländische, italienische usw. 
Erscheinungen herangezogen. Dem Verf. des Berichts selbst dankt 
die rfgachtl. Forschung außer anderen Beiträgen insbesondere die Hervor- 
ziehung von jetzt in Philadelphia befindlichen Befurmatorenbriefen 
(Harvard th. R. 12; vgl. HZ. 120, 2 S. 370). 


In Weiterführung seiner früheren Versuche, das Bestehen 
einer schola Augustiniana im Mittelalter zu erweisen, deren Lehren 
dann in Luther neues Leben erhalten hätten, sucht V. A. Müller 
zu zeigen, daß der sel. Simon Fidati aus Caacia (} 1348), Mitglied des 
Augustinerordens, Luther in entscheidender Weise beeinflußt habe: 
Una fonte ignota del sistema di Lutero (Il beato Fidati da Cascia e 
la sua teologia) = Bilychnis 1921 Nr. 2.— (94 S.). 


Die ThStK. geben das Heft 3/4 (1920/21) des Jahrg. 98 als 
drittes Lutherheft (Lutherana III) heraus. Den größten Raum 
nimmt ein: Der Gottesgedanke in Luthers Römerbriefvorlesung von 
Fr. W. Schmidt (S. 117—248); ferner untersucht O. Albrecht 
8. 249—977 Mathias und Andreas Wanckels Sammlungen Lutherscher 
Buch- und Bibeleinzeiebnungen (auf Grund von V. E. Loeschers 
Umschuld. Nachrichten 1712) unter Abdruck von zwei bisher unbe- 
kannten Stücken, die Matthias W. aufbewahrt hat. Sodann setzt sich 
A. V.Müller mit E. Hirsch über Luthers Eintritt ins Kloster (vgl. 
Lutherana I und II) auseinander (S. 278—285); den Schluß machen 
swei Mitteilungen von O. Clemen: „ein Zeugnis für die frühen 
(bis 1520 zurückgehenden) Beziehungen zwischen Holland uad Witten- 
berg“ (S. 286—293) und „Lutber und die Rüge der Sorbonne gegen 
Cajetan“ (8.2941—304) auf Grund eines von Cl. aufgefundenen Witten- 
berger Druckes von 1534, dessen im Wortlaut mitgeteiltes Nachwort 
er Luther zuschreibt. 


78 


Aus den Veröffentlichungen der Wittenberger Luthergesell- 
schaft führen wir an den Beitrag des Ephorus der Lutherhalle 
J. Jordan Zur Geschichte des Lutherhauses nach 1564 L Die 
Lutherwohnstube (Jahrbuch der LG. II/III. 1920/21 8. 109—185); 
das von G. Buch wald susammengestellte „Lutherkalendarinm für 1621“ 
(Mitteil. der LG. 1921, III S. 9—15); P. Althaus, Luther auf der 
Kanzel, Beobachtungen über die Form seiner Predigt (ebenda 
S. 17—94); G. Loesche, von Luthers Biographen [bis zu Joh. 
Mathesius) (ebenda S. 56—63). Dazu kommen die Flugschriften 2 
SJ. Jordan, Luther und der Bann in seinen und seiner Zeitgenossen 
Aussagen); 8 (= H. Boehmer, L. und der 10. Dez. 1520, SA. aus 
Lutherjahrbuch II/III, 48 S.; vgl. diese Zeitschr. XVIII S. 56); 
4 (—J. Jordan, L. und der Btg. su Worms nach seinen eigenen 
Zeugnissen, 62 8). 

Über Luthers Kirchenbegriff im Hinblick auf die gegen- 


wärtige kirchliche Krisis setzen sich E. Foerster und E. Troeltsch 
in ZThK. 28 (NF I) S. 108—198 auseinander. 


Luthers Ringen um das Gesamtverstündnis des 8. Artikels 
behandelt J. Meyer in NkZ. 81 S, 859—976. 


Den Charakter des kleinen Katechismus Luthers bestimmt 
W.Bornemann dahin, daß L. in diesem Buche undogmgtisches 
praktisches Christentam biete, und zwar nicht zufällig, sondern 
bewußt absichtlich, einen richtigen Instinkt mit genialer Intaition 
verbindend: Harnack-Ehrung S. 268—988 — Ebendort 8. 981—991 
untersucht A. Köster die Frage nach der Spannung zwischen der 
Ethik Luthers und der des syooptischen Jesus. — Endlich handelt 
a. a. O. 8. 202—307 H. Mulert von dem Kirchenbegriff der 
lutherischen Reformation auf Grund des Artikels 7 der AC. (ecclesia 
est congregatio sanctorum, in qua evangelium recte docetur). 


Luthers Stellang zur Frage der Pfarrbesoldung untersucht 
H. Steinlein in Nkirchl. Z., Aug. 1921 8. 438—450. L. betrachtete 
eine ausreichende Pfarrbesoldung als nicht un Lebensbedingung 
für Kirche und Evangelium. 


In den „Kirchenmusikalischen Blättern“ Jahrgang 2 (1921) Nr. 8 
(„Lutherheft“) bis 19 widmet H. Steinlein eine eingehende 
beachtenswerte Untersuchung der Frage: Ist das Lied „Ein feste 
Burg“ schon1521 entstanden?, die er verneint, um, hauptsächlich auf 
das Schrifttum Luthers gegründet, ala Entstehungsseit die Mitte des 
J. 1528 wahrscheinlich zu machen. 


Joh. Ficker, Hebräische Handpsalter Luthers (SB 
Heidelb. AkdW. philos.-histor. Kl. 1919, Abh. 5, 81 8.) legt die 
Rolle dar, die in Luthers Besitz der „Danziger“ und der „Frank- 
furter“ Psalter, besonders bei der Bibelübersetsung, gespielt haben, 
Mit zwei Tafeln. 


79 


Persönliches. Einige Bemerkungen zu den von Lemmens 
(„Aus ungedruckten Franziskanerbriefen“) verwertetea Briefen 
Augustins von Alfeld, des bekannten Luthergegmers, macht 
Fr. Loof s in ZVKG. Prov. Sachsen 18 8. 21—26. 


I. Wehrmann stellt in den Monatsbl. der Ges. f. Pom. 
G. u. A. Nov. 1918 S. 41—43 die Nachrichten über den Aufenthalt 
des Herzogs Barnim XI in Wittenberg (1518—1520) kritisch 
susammen und würdigt kurz die Wirkungen dieses Aufenthalts für 
die spätere kirchliche Haltung Barnim». 


Den Reformator von Pyrits in Pommern Faustinus Blenno 
(1487—1561) schildert Haß im Pyritser Kreisblatt vom 80. und 
81. Oktober 1517. 


G. Bossert, Brenz und die Ritterschaft (Bl. f. Württ. KG. 
NF. 95 S. 70—74) zieht aus einem Pasquill von 1523 (Ein Gespräch 
eines Fuchs und Wolf... auf dem Steigerwald, bei Schade, Satiren 
und Pasquillen S. 60—72) beachtenswerte Schlüsse auf die Parteiungen 
in der Reichsritterschaft und Brenz (Predigers in Hall seit 1522) 
Stellung dazu. 


Drei Untersuchungen G. Geisenhofs über Antonius 
Corvinus behandeln die Frage des Universitütsstudiums des C., 
die genaue Zeit seiner Geburt und seinen Beinamen Zythogallus: 
ZGes. Nieders. KG. 1921 S. 26—140. 


Das Jahrb. der philos. Fak. der Univ. Halle-Wittenberg für 1920, 
Abt. I, S. 45— 47 gibt Auszug aus der Dissertation von Curt Wulkau 
über das kirchliche Ideal des Johann Eberlin von Günzburg nach 
dessen Predigten und Schriften. 


In einer Abhandlung über „Erasmus und die Clevischen 
Kirchenordnungen von 1532/33“ geht J. Has hagen den &uBeren 
Beziehungen des E. zur Clevischen Kirchenreform und seinem direkten 
wie indirekten Einfluß auf die Kirchenordnungen nach. Die Unter- 
suchungen des Verf. rücken letztere in den breiteren Rahmen der 
Geschichte des allgemeinen vorjesuitischen Reform- oder Kompromiß- 
Katholizismus. Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 181— 2*0, 


Ein von ihm in der Wolfenbütteler Bibliothek handschriftlich in 
einer oberdeutschen Bearbeitung aufgefundenes, zweifellos ursprünglich 
niederdeutsch abgzefaBtes Lied des 16. Jahrhunderts, das angeblich 
von Herzog Ernst dem Bekenner von Braunschweig-Lüneburg 
herrührt und sicherlich seiner Auffassung der Reformation entspricht, 
veröffentlicht P. Zimmermann in der überlieferten Form und in 
niederdeutscher Übersetzung im Braunschweiger Magazin 1921 Nr. 5;6 
S. 25—29, 

Im 4. seiner „Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrich UI. 
von der Pfalz“ unteraucht A. Hasenclever das Zustande- 
kommen der Vermählung des Pfalzgrafen mit Dorothea von Dänemark, 
der Nichte des Kaisers (1535), unter dem Gesichtspunkt der habs 


80 


burgischen Politik und bespricht die Folgen dieser Verbindung für 
das Verhältnis zwischen Friedrich und Karl ZG. Oberrh. NF. 86 
8. 259—994. 

Der Versuch L. Theobalds, das bekannte Wort Frunds. 
bergs auf dem Wormser Rtg. als unhistorisch nachzuweisen, kann 
auch wenn andererseits sich dessen Geschichtlichkeit nicht einwandfrei 
erweisen läßt, als gelungen nicht gelten, BBK. 27,4 S. 187—161. 

In Harnack-Ehrung S. 308—316 untersucht H. Becker „Zur 
Charakteristik Herzogs Georgs von Sachsen als kirchlicher 
Schriftsteller“ die Abhandlung „Widder Luthers Trostung ann die 
Christen zu Hall vber er Georgen yhres Predigers todt,“ die einzige 
der unter Georgs Namen gehenden Schriften, von der der Orginal- 
entwurf — von Georgs Hand — vorliegt 

Einige Notitzen über den Nürnberger Exdominikaner Gallus 
Korn gibt O. Clemen in BBK. 27,4 S. 166—168. 

Simon Lemnius als Lyriker behandelt G. Ellinger in 
Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 221—233. Eine wilde unge- 
bündigte Natur mit heißen Trieben und leidenschaftlichem Begehren 
verkörpert Lemnius den Grundzug der neulateinischen Dichtung, der 
Individualität wieder zu ihren Rechte verholfen zu haben, in unye- 
wöhnlicher Stärke, freilich auch in abstoßender Weise. 

Auf Melanchthons Reise zum Wormser Kolloquium von 
1557 bezieht sich L. Kraft „Phil. Mel. in hessischem Reisegeleit“ in 
Beitr. z. hess. KG. » A. f. Hess. G. u. A, NF. Erg. Bd. VII, 3 S. 445 f 

Carla Weidemann behandelt in ZD. Philol. 48 S. 935 — 268 
Stephan Roth als Korrektor unter dem besonderen Gesichtspunkte 
zu zeigen, wie R. in dieser Tütigkeit der Verbreitung der Luther- 
sprache gedient habe, 

Aus der Gothaer Bibl, druckt in den Mitteil. d. Vereinigung f. 
Gothaische G. u. A. 1921 S. 1—20 R. Ehwald den Bericht des 
Hans von Sternberg, eines der Haupttrüger reformatorischer Be- 
strebungen in Franken, über seine Palüstinafahrt (1514) und Rechnungen 
und Dokumente über die Reise der Beauftragten Kurf. Johanns von 
Sachsen nach Valladolid zu Ka. Karl V (1527) mit Erläuterungen ab. 

Das Andenken des volkstümlichen, lutherischen Predigers Gregor 
Strigenitz, geb. 1548 in Meißen, t ebendort 1603, Predigers dort 
und in Wolkenstein, Weimar, Jena, Orlamünde, Verfassers von mehr 
als 50 weit verbreiteten Predigtbänden, erneuert F. Blanckmeister 
iw Mitt. VG. Stadt Meissen X. 3, S. 263—973. 

In den Mansfelder Bll. 33 S. 88—94 stellt P. Flemming 
die dürftigen Nachrichten über Dr. Val. Vigelius, den Nachfolger 
des C. Güttel als Superindendent in Eisleben (1542— 15416) zusammeft, 
und gibt Listen der Rektoren dort 1525—1546 uud Notizen zu 
Lehrern nach 1510, 

(Schluß folgt im nächsten Heft.) 


Druck von C. Schulse 4 Oo., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


Das Rätsel der Gothaer Luther- 
Handschrift A 402 und seine Lösung. 
Ein Beitrag zur Tischredenforschung. 

Von J. Haußleiter. 

(Schluß). 


Unter diesen Umständen erregt ein Sonderstück von 
Farrago, in dem das Ego des Tischgesellen begegnet, be- 
sondere Aufmerksamkeit. Ich teile zunächst das Stück mit; 
es lautet auf fol. 99, das lauter Ergänzungsstücke enthält, ulso: 

„In libris (rof) regum steht vil seltzams dings. 
Videntur esse libri simplices secundum carnem, aber in 
Spiritu sindt sie gros. Es hat der liebe David vil mußen 
leiden, der Saul hat jn wol XXX gantzer jar geplagt, aber 
ipse credidit ad se regnum pertinere, darauff ist er constanter 
blieben. Ich hett in die bruch (= in die Hosen) geschießen 
vnd wer davon gelauffen und hette gesagt: Herr, du leugest, 
sal (= soll) ich konig sein vnd sal also gemartert werden? 
Es wirt auch den Saul sehr confirmirt haben ille successus. 
Aber David steht wie eirie maur, isí daneben ein from man, 
wil die hand nicht an den konig legen uud hets doch wol 
konnen thun, quia habuit verbum. Wenn sie verbum hatten, 
so schlugen sie drein. Dem folgte Munster (= Münzer), 
sah, das David, Mose, Abraham vnd andere drein schlugen. 
Ja, es ist ein ander ding factum, aliud persona. Das erste 
ist verbum, das macht personam. persona macht das factum. 
Darumb gings jm auch also. O es ist ein gros ding, quando 
persona habet verbum, darauff thut sie alles. | 

Tum alius (rot): David hatte Jonathan lieb, es muß ge- 
wis ein frommer man gewest sein. Ej espondit (rot): Ja freilich 
wars ein from man, non sine fide etiam, Videbat regnum 
ad Davidem pertinere. Darumb bat er jn, er wolt in vnd die 
seinen nicht ausrotten. Fecit etiam miracula Jonathan, do 

Arehiv für ReformaHoosgeschishte XIX. 2 6 


82 


er mit seinem waffentreger vber den bergk steigk vnd schlug 
jr allein vil philister, dixit apud se: Der Gott, der mit vilen 
vberwindt, kan auch durch mich allein vberwinden. | 

Tum ego (rot): Attamen misere periit. Respondit (rot): 
Ja, so mus der fromme oft in ecclesia des bösen entgelten, 
wart doch Gottes sohn nicht vorschonet. Hoc maxime miror 
in historia Davidis, quomodo potuerit esse tam crudelis, 
quod Saulis reliquias adeo prorsus iusserit extirpare“ 
(vgl. dazu 2. Sam. 31, 5—9). 

Merkwürdig ist die Einreihung des Stückes in den 
31. Abschnitt: De sanctis patribus post apostolos. Der Ab- 
schnitt beginnt f. 97 mit dem Hinweis auf doctores et patres 
wie Augustinus, Hieronymus, Hilarius, Ambrosius, Bonaventura 
und geht auf fol. 98b bis zu Johannes Huß vorwärts. Aber 
die sechs Stücke auf fol. 99 haben weder mit der Überschrift 
des Abschnitts eine Berührung noch unter sich einen Zu- 
sammenhang. Das erste Stück ist der kurze Satz: „Brevi- 
tatem et perspicuitatem kann ich nicht also zusammenbringen 
sicut Philippus et Amsdorffius“ (= Nr. 3173 b). Dann folgt 
unser Stück; die letzten Stücke handeln vom Undank der 
Israeliten gegen Moses (= Nr. 6063 in.), vom Zeichen des 
Jonas in seiner Anwendung auf Christus (Nr. 3705), von Esau 
und Ismael (Nr. 5692) und von dem Schmerz Adams nach 
dem Fall (Nr. 5475). Man kann annehmen, daß der Schreiber 
auf eigene Faust diese Gruppe hier eingereiht hat, da in 
der Vorlage, die er abschrieb, ihre Verteilung auf bestimmte 
Abschnitte nicht angegeben war. So erklärt es sich dann 
auch, daß die Worte „Tum ego“ stehen geblieben sind. 
Der richtige Ort für das Davidstück wäre im 72. Abschnitt 
De regibus Israel fol. 361 gewesen, wo mehrfach von David 
gehandelt wird. Am Schluß von fol. 99b stehen die Worte: 
Plura fo: 469. In der Tat wird dort der Abschnitt von 
„den heiligen Vätern“ (wie Bernhard, Gerson, Bonaventura asw.) 
in richtiger Weise fortgesetzt (fol. 469—470b). 

Das Sonderstück von David, das in keiner andern Hand- 
schrift, auch in keiner der Sammlungen Lauterbachs be- 
gegnet, hat Aurifaber aus Farr. übernommen; wir haben die 
Vorlage für Nr. 7003 (FB. 4, 427— 60, 28) gefunden. Nun 
verblüfft hier zunüchst die Wiedergabe des Satzes: Tum ego: 


83 


Attamen (Jonathan) misere periit mit den Worten: „Darauf 
sagte M. Antonius Lauterbach: Er ist aber gleichwohl jämmer- 
lich umkommen.* Nun kann aber keine Rede davon sein, daß 
Lauterbach, dessen Sammlungen nach ganz anderer Sach- 
ordnung eingeteilt sind, hinter Farr. steht; aber auch eine 
nachlässige Herübernahme des Ego-Stückes aus einer dritten 
Sammlung ist ausgeschlossen!) Wir können eben keine 
andere Niederschrift des .Stüokes nachweisen. Hier redet 
also wirklich der Sammler von Farr. Aurifabers Text er- 
klärt sich aus der Flüchtigkeit seiner Arbeitsweise. Weil 
die meisten Ego-Stücke in den Zwischenreden auf Lauter- 
bach zurückgehen, nahm er es ohne weiteres auch von diesem 
Stück an“). Aurifaber las ja mitunter so flüchtig, daB er 
dem Melanchthon (in Nr. 4016 — aus Lauterbachs Tage- 
buch auf 1538) eine höhnische Äußerung über die kirchliche 
Trauung von Eheleuten mit Gebet zuschrieb; er hatte in 
seiner Vorlage, in der als Urheber jenes Wortes D. Pist. 
d. h. Doctor Pistoris (Kanzler Georgs des Bärtigen von 1525/39) 
genannt war, das Wort Pist. als Phil. gelesen und so den 
Melanehthon mit einer Äußerung belastet, die jeder auf- 
merksame Leser nur mit Kopfíschütteln betrachten kann 
(vgl. FB. 4, 53—43, 33). 

!) Bei genauer Durchsicht der Handschrift fanden sich noch 
folgende Ego-Stellen in Farr., von denen indes keine Sondereigentum 
der Handschrift ist: 

fol. 202, vgl. Nr. 868 (I, S. 498, Z. 6, Anm. 10): Dixi ego et 
Forstenius; Z. 11, Anm, 18: Ad haec ego Anto,nius adieci. 

fol. 907, vgl. Nr. 2724b (II, S. 617 Z. 3): Deinde dixit ad me 
Antonium. An beiden Stellen wird also ausdrücklich Antonius 
Lauterbach als Gewährsmann bezeichnet. Zwei andere Stellen gehen 
auf Veit Dietrich zurück: fol 222 b, vgl. Nr. 45 (I, S. 16 Z. 1): 
Ibi cum dicerem, und. fol 293, vgl. Nr. 3222 b (III, S, 228 Z. 27): 
Ita vidi saepissime D. L. deambulando. — Endlich findet sich in einer 
in den Dezember 1537 fallenden Tischrede (aus A. Lauterbachs uud 
H. Wellers Nachschriften) der Satz: Postea nobis dixit — fol. 199b; 
vgl. Nr. 3650b (III, S. 482 Z. 82), Aurifaber hat den Satz über- 
nommen: ,Darnach sagte er, D. Luther, uns“ (ebenda S, 488 Z. 18f.). 
Die Wendung: Ibi cum diceremus (I, S. 75 Z. 4) ist auch in Farr. 
f. 115 stehen geblieben. 

*) Das ist auch andern Sammlern begegnet. Von der eben an- 
geführten Außerung Veit Dietrichs Nr. 45 (I, S. 16 Z. 1): Ibi cum 
dicerem, heißt es in der Sammlung Ebummer: Ibi cum diceret Antonius. 

ar 


84 


Aurifaber reiht das Sondersttick von David in seinen 
. 60. Abschnitt ein „von Patriarchen und Propheten“ und bringt 
es als 28. (letztes) Stück. Auch sonst hat er für dieses 
Kapitel unsere Handschrift reichlich benutzt. Die Stücke 
Nr. 19—23 (FB. 4, 499—424) haben in bunter Reihe die 
Überschriften: 19) Von Hiob und David, 20) Von Adam, 
81) Von Jakob, 22) Von Hagar, Abrahams Kebsweib, 
23) David ein Rhetor. Die Vorlage für diese fünf Stücke 
in der gleichen Reihenfolge findet sich Farr. fol. 463—464. 
Die Stücke 21) und 23) stehen überhaupt in keiner andern 
Tischredensammlung (vgl. W. A. VI, S. 317, Nr. 7000 u. 7001). 
Dem Hiob-Stück Nr. 19 geht in Farr. und ebenso in Heyden- 
reichs Nachschriften (V, S. 243, Nr. 6564) ein größeres Hiob- 
Stück voraus, daß Aurifaber übergeht. Das Adam-Stück 
(Nr. 20) schließt bei Aurifaber ebenso wie in Farr.; bei 
Heydenreich ist ein Ausspruch über die Genesis hinzugefügt, 
den Farr. auf fol. 465 nachtrügt (V, S. 200, Nr. 5505). D 
Stuck von Hagar (Nr. 22) zerfällt in zwei Teile; für den 
ersten Teil findet sich in der Münchener Handschrift Clm. 943, 
118 eine entfernte Parallele (V, S. 327, Nr. 5714); aber 
Aurifabers Wortlaut stimmt mit Farr. fol. 464, wo auch die 
Vorlage für die zweite Hälfte des Stückes steht. So ist kein 
Zweifel darüber möglich, daß Aurifaber wirklich aus der 
Handschrift Farr. geschöpft hat. 


V. 


Es muß der Versuch gemacht werden, unter den uns 
bekannten Tischgenossen Luthers den Sammler von Farr. 
herauszufinden. Der Versuch ist aussichtsreich, da Aurifaber 
in der Vorrede seiner Tischreden-Ausgabe unter seinen 
Quellen alle Tischgenossen nennt, deren Bücher, Colloquiorum“ 
er benutzt hat; es ist nicht anzunehmen, daß er den Sammler 
von Farr. übergangen hat, dessen handschriftlichem Bande 
er so zahlreiche Stücke entnommen hatte. Die Reihenfolge, 
in der vielleicht der Stürkegrad der Benutzung sich aus- 
drückt, ist folgende: M. Antonius Lauterbach, M. Veit 
Dietrich, M. Hieronymus Besold, auch M. Johann Schlagin- 
hauffen und M. Johannes Mathesius, item M. Georg Rörers 
Bücher, auch M. Jobann Stolsii und M. Jacobi Webers ge- 


85 


schriebene Collectanea Colloquiorum, endlich Aur’fabers 
eigene Aufzeichnungen (W. A. VI, XV; FB. 4, XXII). Die 
Auswahl ist nicht groß; man könnte vielleicht noch. den 
von Mathesius in seiner Beschreibung der Tischgesell- 


schaft genannten M. Kaspar Heydenreich hinzufügen (Historien 


von Luthers Anfang usw., die 12. Predigt, Ausgabe von 
G. Loesche, 2. Aufl, 1906, S. 275). Heydenreich war, wie 
Kroker annimmt, in den Jahren 1542 und 1543 (bis 
24. Oktober) Tischgenosse im schwarzen Kloster, und die 
Reden aus dieser Zeit treten in Farr. besonders hervor. 
Nun findet sich aber fol. 269b —270b ein Trostbrief Luthers 
ad Casparum Heidenreich (vom 24. April 1545; Enders XVI 
209, Nr. 3505); wer so innerhalb der Sammlung eingeführt wird, 
scheidet als Sammler aus. Lauterbach und Veit Dietrich 
werden in Farr. öfters erwähnt (z. B. fol. 200b = Nr. 3143b 
Lutherus ait Antonio, vor den Worten W. A. III, S, 188 
Z. 6—14; fol 190 — Nr. 3464m: Antonius Lauterbach 
dixit Luthero; fol. 24 — Nr. 750 (vgl. Nr. 373): Magister 
Vitus interrogavit dialectice usw.) Überdies liegen ihre 
und des Mathesius Sammlungen in besonderen Handschriften 
vor. Auch Sehlaginhauffen und Rörer werden genannt 
(z. B. fol. 259 Luthlerus ad Schlaginhauffen: Esto bono 
animo efe, — Nr. 1288 in.; fol. 47 Magister Georgius Rorer 
orabat etc. = Nr. 3591). So fällt alles Gewicht auf den 
von Aurifaber an dritter Stelle aufgeführten M. Hierony- 
mus Besold; indem wir ihn nennen, haben wir zugleich 
die Lösung des Rätsels auf dem Buchdeckel in der Hand. 
Die Buchstaben M.B. scheinen nichts anderes bedeuten zu 
sollen als Magister Besold. Man könnte zwar an dem 
Fehlen des Vornamens Anstoß nehmen, der damals noch 
fast wichtiger war als der Familienname, Aber Besold 
redet in seinen Briefen doch nicht nur von M. Georgius 
(Rörer) oder M. Hieronymus (Schreiber), sondern gelegent- 
lich auch von M. Agricola, M. Floceus, M. Vogel, M. Auri- 
faber, M. Reischacher usw. (Archiv f. Ref, Gesch 13. Jahr- 
gang, S. 89, 93, 112, 117, 120, 165, 170 und 185). Vielleicht 
kommen die in den Buchdeckel eingeprügten Buchstaben 
M. B. überhaupt lediglich auf Rechnung des Nürnberger 
Buchbinders. 


86 


Wir sind über diesen treuen Schüler der beiden 
Reformatoren, namentlich durch seine 33 Briefe an Veit . 
Dietrich während der Jahre 1541—1546 (meist aus dem 
sog. Manusor. Thomasianum veröffentlicht von O. Albrecht 
und P. Flemming im 13. Jahrgang des Archivs für Ref. 
Gesch. 1916 S. 81ff., S. 161ff) und durch die zahlreichen 
(37) Briefe Melanchthons an ihn (im Corp. Ref) sehr genau 
unterrichtet. Eines Kürschners Sohn aus Nürnberg, bezog 
er etwa 17jährig im Sommer 1537 die Universität Witten- 
berg (Album I S. 166); zu seinen Nürnberger Lehrern hatte 
Joachim Camerarius gehört. Am 26. März 1542 erlangte 
er durch Rörers Vermittlung Zulassung zu Luthers Tisch 
und blieb nun Tischgenosse im schwarzen Kloster bis zum 
33. Januar 1546, d. h. bis zu Luthers letzter Reise nach Eisleben. 
In Wittenberg hatte er am 31. Januar 1544 die Magister- 
würde erworben und war auch am 18. Oktober 1545 in das 
Kollegium der Artistenfakultät aufgenommen worden (Köstlin, 
Bacc. und Mag. III, 15. 22). Nach Luthers Tod siedelte 
er in Melanchthons Haus über, kehrte aber nach Ausbruch 
des Schmalkaldischen Krieges am 2. November 1546 nach 
Nürnberg zurück. Dort war er gleichzeitig im Schul- und 
Kirchendienst tátig; mit der Zeit nahm er eine Art Super- 
intendentenstellung ein. Am 30. Januar 1548 heiratete er 
Osianders Tochter Katharina. Ihre Mutter war schon 1537 
gestorben; den Trostbrie, den damals Melanchthon an 
Osiander gerichtet hatte (10. August 1537; vgl. Corp. 
Ref. III 405—407, Nr. 1602) nahm Besold in seine große 
Sammlung auf (Farr. fol. 278b— 279). Ganz besonders 
verdient machte er sich nach Veit Dietrichs Tod durch 
Vollendung der Ausgabe von Luthers Genesisvorlesung, 
deren letzte Teile er selber gehört und nachgeschrieben 
hatte; Teil II, III und IV erschienen in den Jahren 1550, 
1552 und 1554. Im Jahre 1551 stellte er aus seinen 
reichen Sammlungen, den eigenen und denen der Genossen, 
den großen Band Farrago zusammen. 

Sein Briefwechsel ist noch nicht vollständig gesammelt. 
In der reichen handsehriftlichen Sammlung der Camerarii 
der Münchener Staatsbibliothek befinden sich neun Besold- 
Briefe (sieben an seinen Lehrer Camerarius aus den 


87 


Jahren 1554—1558, einer an dessen Sohn Joachim 1558, einer 
an Johannes Heß 1551) Wir erfahren aus diesen Briefen, 
daß der Pfalzgraf Wolfgang, Herzog von Zweibrücken und 
Nenburg, ihn 1557 zur Feststellung der Zweibrückener 
Kirchenordnung und 1558 zur Kirchenvisitation in Zwei- 
brücken heranzog. Zu letzterem Dienst entschloß sich der 
bescheidene Mann (,tennitatis meae mihi conscius^) nur 
auf Zureden des Zweibrückener Kanzlers Sitzinger. Julius 
Ney in seiner Schrift über den Pfalzgrafen Wolfgang (Verein 
für Ref. Gesch., 1911, Schrift 106/107) erkannte in dem 
Nürnberger Pezold nicht unsern Besold (vgl. S. 115 Anm. 47). 
Während er sich früher Besold oder Besolt schrieb, erscheint 
in den Briefen der Jahre 1557 und 1558 nur die Schreibung 
Hiero. Pesolt. Ende Juni 1562 wurde er Prediger an 
S. Lorenz, starb aber bereits Anfang November 1562 "m 
der Pest (Archiv Bd. 13, S. 81—86). — 

Unter den Tischreden Aurifabers, für die bisher noch 
keine Vorlage nachgewiesen werden konnte, befindet sich 
eine, in der Aurifaber ausdrücklich Besold erwähnt. Es ist 
Nr. 6586 (VI, S. 58 — FB. 1,285). Die Rede lautet: ,Von 
dem Abgott Moloch redete Anno 1540 D. Luther (wie es 
M. Hieronymus Besold seliger fleißig hat aufgeschrieben), 
daß die hl. Schrift des Molochs oft gedächte, und daß Lyra 
und der Juden Commentarii sagten, daß es wäre ein Abgott 
gewesen aus Kupfer und Messing gemacht wie ein Mensch, 
das die Hände hätte fur sich gehalten, darin hätte man 
glühende Kohlen gethan. Wenu nu das messinge Bilde gar 
heiß wär worden, so sei ein Vater hinzu gangen, hab dem 
Abgott geopfert und sein eigen Kind genommen, es in die 
glühenden Hände des Abgotts gelegt; da ist denn das Kind 
also zuschmolzen. Indeß haben sie mit Glocken und Zimbeln 
geklängelt und geläutet und mit Hörnern geblasen, daß die 
Aeltern des Kindes Geschrei nicht höreten. Dawider schrien 
nu alle Propheten, sonderlich Jeremias. Und schreiben die 
Propheten, daß Ahab (I) hab seinen Sohn also geopfert 
(vgl. 2. Kön. 16, 3). Im 106. Psalm steht auch davon. 
Dieses ist Alles aus der Meinung geschehen und herkommen, 
daß sie gedacht haben: Ei, soll ich unserm Herrn Gott 
Opfern, so will ich ihm etwas Köstliches opfern, was soll 


88 


ich ihm ein Kalb opfern? Ich will ihm meinen eigen Sohn 
opfern!“ 

Es hat doch den Wert einer Probe aufs Exempel, wenn 
sich herausstellt, daß die Hauptvorlage für diesen Abschnitt 
in einem Sonderstück von Farr. zu finden ist. Das Stück 
lautet auf fol. 53: 

„Traducere per ignem heist wie Achas thet (2. Kön. 16, 3), 
der ein gnedigen Gott wolt haben, es were Gott lieb oder 
leid, opfferte seine kinder. Lira schreibt, das sie haben ein 
bild gegoßen vnd das vol kolen gethan vnd die kolen an- 
gezundet, wanın nhu das bild gar ist erhitzet gewest vnd 
gluend, haben sie das kind dem Molach jn die arm gelegt 
vnd also laßen braten. O das war ein heiliger Gottesdinst! 
Damit aber die eltern vagitum puerorum nicht mochten 
boren, ut flecterentur ad misericordiam, hatte man zimbeln, 
damit richten sie einen klangk an, ne posset exaudiri. Das 
hieß demn dem Molach geopffert.“ 

Mit diesem Stück verband Aurifaber Ausführungen, die 
in dem ja auch von dem „fleißigen“ Besold herausgegebenen 
tomus quartus der Genesisvorlesung (zu 1. Mose 42, 38 — 
vgl. W. A. Bd. 44, S. 522 Z. 3—16) zu lesen waren. Dort 
findet sich aufer dem Hinweis auf Lyra und Künig Ahas 
die breite Schilderung des  ohrenbetüubenden Lärmens 
(sacerdotes crepitacula, tintinabula et tympana pulsabant, 
ne parentes pueri morientis clamorem exaudirent) und die 
Anführung von Psalm 106, 37f, sowie des Propheten 
Jeremias. 

Das von Aurifaber willkürlich genannte Jahr 1540 
muß preisgegeben werden. Da Luther im Oktober 1543 
(vgl. Heft 1 S. 20) beim 36. Kapitel der Genesis stand, 
fällt die bei Kapitel 42 gegebene Ausführung tiber den 
Molochdienst in den Lauf des Jahres 1544. 


VI. 

Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung wird durch 
mancherlei Beobachtungen bestätigt, die wir an dem Inhalt 
von Farr. machen können. Es ist lehrreich, einzelne Sach- 
abteilungen mit der gleichen Uberschrift bei Aurifaber und 
Besold zu vergleichen, um die ganz andere Orientierung des 


89 


Stoffes und die verschiedene Auswahl der Stücke zu erkennen 
Es soll im folgenden Aurifabers 62. Kapitel „Tischreden. 
von Kriegen“ (FB. 4, 437—447) mit Besolds 76. Abschnitt: 
De bello (fol. 377—383 ter) verglichen werden. 

Aurifabers elf Stücke haben einen sehr bunten Inhalt. 
Er läßt Luther davon reden, daß man durch Verräterei viel 
in Kriegen ausriehte (Nr. 1), daB Geschtitze ein grausames 
Instrument und Teufelswerk seien (Nr. 2) Dann ist die 
Rede vom Krieg um Mailand und dem Vorzug der deutschen 
Kriegsknechte vor den spanischen (Nr. 3), weiterhin daf. 
der Krieg Gottes größte Strafe sei (Nr. 4 — Bellum omnium 
poenarum est maxima — Nr. 6268) Er wird mit einem 
goldenen Hamen verglichen, mit dem man beim Fischen 
nicht viel gewinnt (Nr. 5), die varia arma populorum werden 
aufgezählt (Nr, 6 — — Nr. 3752). Die nächsten Äußerungen. 
(Nr. 7 und 8) fallen in die Zeit des Frankfurter Konvents 1539;. 
wir sollen wider den: Krieg bitten; causam habemus. 
iustissimam, sed proh dolor! ingrati et mali (sumus), ita 
ut Deus visitet pios cum impiis (Nr. 4482). Von Julius 
Cäsars Schlachten und vom Unterschied zwischen Simsons 
und Cäsars Mut handeln Nr. 9 und 10. Den Schluß (Nr. 11). 
bilden Mitteilungen aus einem langen, in vortrefflicher 
Niederschrift erhaltenen Gespräch Luthers und Melanchthons. 
über die bedrohlichen Tagesereignisse, das am 11. April 1542 
bei dem Abschiedsessen gehalten wurde, das Mathesius in 
Crucigers Haus gab (Nr. 5428). Die Stoffe, die Aurifaber 
hier vereinigt hat, entnahm er zumeist Lauterbachs Tage- 
büchern. Auch hier nehmen wir wahr, wie er gern bei 
einer Quelle verweilte und mehrere Stücke aus ihr schöpfte.. 

Im Unterschied von Aurifabers planlos zusammen- 
gewürfelter Karte zeigt Besolds Abschnitt vom Krieg eine 
durchaus einheitliche Konzeption. Es ist nur von zwei. 
Dingen die Rede, vom Türkenkrieg und von der Wurzener 
Fehde d. h. von dem drohenden Zusammenstoß des Kur- 
fürsten Johann Friedrich mit dem jungen Herzog Moritz um 
des Stüdtehens Wurzen willen, das der Kurfürst besetzt 
hatte, weil der Bischof von Meißen sich weigerte, die für 
den Türkenkrieg ausgeschriebene Steuer an den Kurfürsten 
abzuliefern; da Hoheitsrechte über Wurzen standen im. 


90 


Streit. Diese beiden Dinge standen im Frühjahr 1542 im 
Vordergrund des Interesses und bildeten gerade in der Zeit, 
als Besold seit dem 26. März Luthers Tischgänger wurde, 
des Tagesgespräch. Die starken Eindrücke jener Wochen 
spiegeln sich in den sechs Stücken ab, die Besold in dem 
Kriegskapitel vereinigt hat. 

Besold hatte erfahren, daß Luther einem Edelmann, 
der wider die Türken zog, auf dessen Bitte einen Ratschlag 
aus heiliger Schrift mitgegeben hatte, den dann jener im 
Wamms unter dem Harnische mit sich führte. „Ein krieger 
sol sich Gott befehlen vnd die zwey große heiligthumb jns 
hertz faßen. Das erste den glauben, credo, das ander das 
Vatervnser. Hiemit ist er gnug gerust geistlich, er sterbe 
oder bleib lebendig“. Besold verschaffte sich eine Abschrift 
des Briefes vom 14. August 1541 „An Georg Waise, 
Kammerdiener“ und teilt sie als erstes Stück fol. 377—377b 
mit. Der Abdruck bei Enders (XIV 50, Nr. 3036) erwähnt 
diese älteste Niederschrift nicht; sie muß für die Ausgabe 
der Briefe in der kritischen Gesamtausgabe verglichen werden. 

Zum Anführer des Reichsheeres wider die Türken war 
Kurfürst Joachim IE. von Brandenburg ernannt worden. Schon 
vor zehn Jahren, als er noch Kurprinz war, war er zum 
Hauptmann des niedersächsischen Kreises „wider den leidigen 
Tyrannen, den Türken“ bestellt und hatte damals (am 
3. August 1532) einen Geleitbrief Luthers empfangen 
(Enders IX 216, Nr. 2021). Jetzt ersuchte er die Refor- 
matoren um ihre Fürbitte und Gebet für den Feldzug. Luther 
antwortete am 17. Mai 1542 (Enders XIV 265, Nr. 3147). 
Beide Lutherbriefe, den vom Jahr 1532 „an den jungen 
Marggrafen Joachim“ und den von 1542 „An Marggraff 
Joachim, Churfurst“ teilt Besold als 2. und 3. Stück mit 
(fol. 377b—378b und fol 379—380). Es sind dié ältesten 
Niederschriften, die wir kennen, und darum ist ihre Ver- 
gleichung notwendig. | g 

Das nächste Sttick (fol. 380— 381 b) beginnt: „Anno 1542, 
11. aprilis. Phi li Mp us (rot): Ey, Her Doctor, es ist ein bose 
wetter itzund vnd ein vnfletige luff Luther (rot): Ja, denn 
es scheidet sich itz erstlich winter vnd sommer. Phili pus 
(rot): Es wirt aber nicht gut wetter sein fur arme landts- 


91 


knecht, die itz zu felde liegen. Luther (rot): Wer kann 
dafur, warumb fahen vnsere fursten ein solch spil an?“ Es 
folgen Abschnitte des langen Gesprüchs, die vortrefflich die 
Stimmung in Wittenberg wührend der drohenden Wurzener 
Fehde wiedergeben (Nr. 5428; V, S. 133 Z. 9 —135 Z. 22 und 
S. 138 Z. 14—34). lm tibrigen bringt es die Sachordnung 
in Farr. mit sich, daß das Gesprüch in sieben Abschnitte 
zerlegt ist, die auf das 76., 51., 41., wieder 76., 39., 82. und 
.97. Kapitel verteilt sind. 

Nur in diesem Stück trifft Besold mit Aurifaber zu- 
sammen, der ja hier auch nur ein Fragment des Gesprüchs 
mitteilt. Im nächsten (Nr. 5) greift er noch einmal auf den 
Türkenkrieg zurück und bringt eine Äußerung Luthers (Ende 
März 1532), in der er angesichts der ungeheuren Übermacht, 
mit der die Türken zu Felde ziehen wollten, auf Gott hin- 
weist, der, wie er einst das zahllose Heer der Äthiopier 
(Kuschiten) auf das Gebet des jüdischen Königs Asa (914— 
874) niederschlug (2. Chron. 14, 10ff.) und das Heer der 
Assyrer vernichtete (Jes. 37; vgl. 2. Könige 19, 35), so auch 
mit diesen stolzen Gesellen streiten und ihren Hochmut 
dämpfen werde. Das Stück entspricht der Tischrede Nr. 2548b 
aus der Sammlung des Konrad Cordatus; es ist von Aurlfaber 
im 75. Abschnitt „vom Türken“ in eine aus vielen kleinen 
Stücken zusammengesetzte Ausführung hineingearbeitet worden 
(FB. 4, 651 — 75, 1). 

Das letzte Stück des Abschnittes De bello — ein Nach- 
tragsstück — bildet einen Glanzpunkt der Handschrift Farr. 
(fol. 381b—383 ter); um es ganz aufzunehmen, wurden nach 
Bl. 383 zwei ungezühlte Blätter eingeschaltet. Weiteren 
Kreisen isí der Inhalt dieses Stückes erst durch die groBen 
Gesamtausgaben bekannt geworden. Es erschien 1558 im 
8. Band der Jenaer Ausgabe (VIII, 40) und 1559 im 12. Band 
der Wittenberger Ausgabe (XII, 225). Keine der zahlreichen 
Brief- oder Tischreden-Handschriften Luthers enthält das 
Stück. Es läßt sich aber der erwünschte Nachweis führen, 
-da und wie gerade Besold frühzeitig zur Kenntnis dieses 
Stückes gekommen ist. 

Das Stuck trägt f. 381b die Überschrift: „D. Marti: Luth: 
mißive an Churf. vnd Hertzog Moritz zu Sachßen, des fürge- 


92 


nohmen krigs vor Wurtzen.“ Es ist Luthers offenes und 
strenges, zugleich auch derbes und ktihnes Mahnwort (vom 
7. April 1542) an die beiden Fürsten, Frieden zu halten 
(Enders XIV 227—232, Nr. 3125). „Selig seindt die frid- 
fertigen, denn sie sollen Gottes kinder heißen, Mathei am 5. 
(V9). Ane zweiffel widervmb wirts heißen: Vermaledeyet 
sein die friedheßer, denn sie mußen des Teuffels kinder 
heißen“ Z. 35— 38. (Die späteren Drucke haben das Wort 
„triedhesser“ in „Friedbrecher“ geändert) Durch das ver- 
mittelnde Eingreifen des Landgrafen Philipps von Hessen 
wurde das Mahnschreiben überflüssig; es wurde weder an die 
Fürsten gesandt noch veröffentlicht. Nur Philipp bekam es 
zu lesen, und dem Kanzler Brück tiberschickte es Luther 
am 8. April, nachdem es schon zur Hälfte gedruckt war. 
Im Marburger Staatsarchiv und im Dresdener Archiv finden 
sich die handschriftlichen Zeugnisse. Ein dritter selbständiger 
Zeuge ist die Abschrift in Farr. Wie hat Besold Einblick 
in das geheime Sehriftetück gewonnen? 

Am 10, April gab Besold seinem Nürnberger Gönner 
Veit Dietrich in einem höchst interessanten, die ganze Auf- 
regung in Wittenberg wiederspiegelnden Brief genauen Be- 
richt tiber die Entstehung der Fehde, des subitus tumultus: 
„Mein Herr“, sagt Luther, „ist zu hais vor der Stirn“. Aber 
schon konnte der Schluß des Briefes melden, daß der Ver- 
mittlungsversuch des Landgrafen von Erfolg begleitet sei 
(Enders XIV 246—249, Nr. 3134°) und Tischreden V, S. 142 bis 
144, Nr. 5428 a). Höchst bedeutungsvoll sind nun die Schluß- 
worte des Briefs Z. 100—102: , Scriptum Lutheri ad Mauricium 
non potui nancisci celatur enim: sed rogo, ut petas a D. 
Crueigero aut M. Georgio (d. h. Rörer), tum describam et 


!) Z. 91—94: Sed commode intervenit Landgravius. Is soripsit 
ad nostros (an Luther und Melanchthon, 8. April — Enders Nr. 3137 —) 
et pollicitus est se daturum operam, ut bona gratia hoc dissidium 
componeretur, id qnod Dei benignitate effecit, sed quibus conditionibns, 
sane nescio. — Der letzte Satz setzt den szuversichtlichen Brief des 
Landgrafen an Luther vom 9. April voraus (= Nr. 8130), den dieser 
am 10. April beantwortete (= Nr. 8181). Am gleichen Tag wird auch 
Besold nach Nürnberg geschrieben haben. So kann also der Termin 
des Briefes (Nr. 8184) statt „Mitte April 1542“ auf den 10, April fest- 
gelegt werden, 


93 


mittam tibi.“ Die Fürsprache Dietrichs bei Cruciger oder 
Rörer war nicht nötig; denn schon am nächsten Tag, am 
11. April, konnte Besold an Dietrich schreiben: ,M. Georgii 
singularem erga me amorem non possum satis praedicare, 
qui me complectitur non secus ac filium . . . Dedit mihi 
describendum hoc scriptum Lutheri“ (Beiträge zur bayerischen 
Kirchengeschichte, 18. Bd., 1912, S. 46)!. So rasch be- 
kam also Besold das der Öffentlichkeit entzogene kostbare 
Dokument in die Hand, und so schnell ist es in Nürnberg 
bekannt geworden. Wir verstehen, daß Besold, als er Luthers 
Äußerungen „vom Krieg“ zusammenstellte und sich dabei 
der aufregenden Wochen am Beginn der Tischgenossenschaft 
mit Luther erinnerte, mit keinem besseren Stück den Ab- 
schnitt schließen konnte als mit einer Abschrift des gewaltigen 
Mahnschreibens. 

Stimmt das Ergebnis, daß M. Besold der Sammler von 
Farr. gewesen ist, zusammen mit dem früher schon be- 
gründeten Postulat, der Sammler müsse in den Jahren 1542 
und 1543 ein Tischgenosse Luthers gewesen sein, so erklärt 
sich nun auch die so nahe und enge Beziehung, in der 
Farr. zu dem Inhalt des 11. und 12. Abschnittes der Weimarer 
Tischredenausgabe, d. h. zu Kaspar Heydenreichs Nach- 
schriften aus den Jahren 1542 und 1543 (V, S. 115—274, 
Nr. 5379—5603) und zu Besolds Nachschriften aus dem 
Jahre 1544 (V, S. 297—314, Nr. 5659—5674) steht. Kroker 
gibt an, daß Farr. von den Heydenreich'schen Stücken 120, 
von den Besold'schen sechs darbietet (V, S. XXVII und 
XXXII); nach meiner Feststellung steigt die erste Zahl auf 139. 
Aber diese Scheidung der Heydenreich'schen und Besold'schen 
Stücke, bei der Besold viel zu kurz kommt, kann nicht auf- 
recht erhalten werden. Kroker hat seine Schlußfolgerungen 
aufgebaut auf einer von ihm entdeckten und genau heraus- 


1) Das im Archiv f. Ref. Gesch. (18. Jahrgang, 1916, S. 91, Anm. 1) 
vorgetragene Bedenken gegen das überlieferte Datum des „11. Aprils“ 
erledigt sich auf diese Weise. Die heftige Aufregung, die in Witten- 
berg seit dem 4. April wegen des Ausbruchs der Wurzener Fehde 
herrschte, war im Brief vom 10. April zum Ausdruck gekommen. Sie 
brauchte in dem Brief vom 11. April nicht mehr nschzuzittern — 
hatte doch dieser Brief die gewichtige Beilage des Schreibens Luthers. 


94 


. gegebenen Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, die 
„Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung“ enthält 
(Math. L., Leipzig 1903); sie ist von einem Joachimsthaler 
Sehüler des Mathesius, M. Johann Krüginger, geschrieben. 
In dieser Handsohrift folgen zwei Abschnitte auf einander, 
die hier in Betracht kommen: der Abschnitt S, 177—260 
der Handschrift mit der Überschrift: Haec sequentia communi- 
cavit mecum D. Matthesius, praeceptor meus, anno 1547. 
mense Septembri: Colloquia habita in mensa D. M. L. anno 
MD. XLII (a. a. O. S. 349) und ein weiterer Abschnitt der 
Handschrift S. 260 — 270 mit der Überschrift: Colloquia anni 
MD. XLIIII (S. 335). Es sind hier also nur Jahre, keine 
Namen genannt. Mit diesem Befund kombiniert nun aber 
Kroker eine Angabe des Mathesius selbst am Eingang der 
12. Predigt von Luthers Historien (vgl. oben S. 85), wo unter 
den nach ihm an Luthers Tisch schreibenden Männern in 
den vierziger Jahren, die ihm ihre Nachschriften zur Ab- 
Schrift anvertraut haben, an erster Stelle M. Kaspar Heyden- 
reich, an zweiter M. Hieronymus Besold angeführt werden. 
Wann Heydenreich (Mag. seit 15. September 1541), den nur 
Mathesius als Tischgenossen Lnthers nennt, wührend er von 
Aurifaber nicht erwähnt wird, an Luthers Tisch gekommen 
ist, wissen wir nicht; wohl aber steht fest, daß er am 
24. Oktober 1543 als Hofprediger der Herzogin Katharina 
von Sachsen, der Witwe Heinrichs des Frommen, nach Frei- 
berg berufen worden ist. Da er also für 1544 ausscheidet, 
schreibt ihm Kroker den großen Abschnitt der Reden von 
1542 und 1543 zu, so daß dann ftir Besold nur der kleine 
Abschnitt von 1544 übrig bleibt (V, S. XXII—XXIV, S. XXXII). 

Indes ein grofer Teil der von Kroker dem Heydenreich 
zugeschriebenen Tischreden wird auf Rechnung Besolds zu 
setzen sein. Das gilt, wie es scheint, schon von den ersten 
19 Stücken Nr. 5379 — Nr. 5397, die alle (mit Ausnahme 
von Nr. 5387) in Farr. sich finden und dort meist in 
besserem Text tiberliefert sind, obwohl der Schreiber sich 
manche Flüchtigkeit zu schulden kommen ließ.  Kroker 
druckt die Stücke nach der Mathesischen Handschrift ab, 
gibt aber Varianten von Farr. an. Unter diesen Stücken 
befindet sich die schon besprochene Nr. 5386 (vgl. Heft 1 


95 


S. 20) mit der eigentümlichen zeitlichen Näherbestimmung 
einer Äußerung Bugenhagens; hier merkt Kroker mit Recht 
an, daß Farr. wohl den ursprünglichen Text besser über- 
liefert habe. Ganz besonders lehrreich ist Nr. 5389, wenn 
man das Stück mit einer Stelle in dem Brief vergleicht, 
den Besold am 11. April 1542 an Veit Dietrich in Nürnberg 
geschrieben hat. Es heißt in dem Brief: Ferdinandum 
appellabat (Lutherus) calamitatem et pestem Germaniae, 
et recitabat vaticinium Erasmi de utroque Ferdinando et 
Carolo, qui dixerat: Isti duo pulli dabunt magnum malum 
Germaniae. ltem patris Maximiliani, qui intuens genesin 
Ferdinandi optaverat eum suffocatum periisse in primo 
lavaero. Et addebat (Lutherus): Profecto paternae voces 
sunt propheticae (vgl den Text in den Beiträgen zur 
bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 18, 1912, S. 46 Z. 4ff.). 
Genau den gleichen Inhalt hat Nr. 5389, bis in den wört- 
lichen Ausdruck hinein (Farr. fol. 375b bietet nur statt 
genesin den Ausdruck genealogiam). Selbst die irrige 
Angabe findet sich in beiden Stellen, als sei Maxi- 
milian I. der Vater von Karl V. und Ferdinand I. gewesen. 
Das Gewicht dieser Übereinstimmung ist so groß, daß 
Krokers Bedenken (V, S. XXIII), es müßten sich, wenn 
Besold alle diese Reden nachgeschrieben haben sollte, noch 
viel mehr Übereinstimmungen mit dem Inhalt der Briefe 
finden, das sei aber die einzige in ihrer Art, doch nicht 
dagegen aufkommen kann. Die nachgeschriebenen Reden 
bilden doch nur einen bescheidenen Bruchteil der Tisch- 
gesprüche; es ist recht gut denkbar, daß Besold in den 
Briefen an Dietrich sofort aktuelle Äußerungen Luthers 
mitgeteilt hat, die er in sein Tischredenheft nicht auf- 
nahm. Diese aus den flüchtigen Tischnotizen hergestellten 
Hefte hatten es doch in erster Reihe auf solche Aussprüche 
Luthers "abgesehen, von denen man sich danernde Belehrung 
versprach. Auch diese konnte man nicht sämtlich fest- 
halten. Das beweist die reiche Nachlese, die gerade Besold 
in der Vorrede zum vierten Teil der Ausgabe der Genesis- 
Vorlesung  betreffs der Äußerungen Luthers über die 
Genesis, über das Evangelium Johannis, über Paulus 
usw. gibt — Äußerungen, deren Gesamtinhalt in keiner 


96 


Tischredenhandschriſt begegnet (vgl. W. A. Bd. 44 
S. XXXII f.) ). 

Was übrigens die Übereinstimmungen zwischen Besolds 
Briefen und den fraglichen Tischreden, insonderheit mit 
Farr., betrifft, so sind sie bei näherem Zusehen doch zahl- 
reicher, als bisher angenommen wurde, In dem erwähnten 
Brief Besolds vom 11. April 1542 geht der Prophezeiung 
des Erasmus tiber Ferdinand und Karl der Satz voraus, 
daß Luther das Gebet der Kirche für den einzigen Schutz 
Deutschlands halte (vgl. a. a. O. S. 46: Unico illo praesidio 
austentari res Germaniae propemodum labentis ait, Oratione 
Ecclesiae). In den Tischreden finden wir ergänzende Aus- 
führungen tiber die Macht des anhaltenden Gebets überhaupt 
im Anschluß an Math. 7, 7; auf Nr. 5389 folgt Nr. 5392 
(Farr. fol. 295b): ,Oratio hat bisher ecclesiam erhalten, 
darumb mus es noch gebetet sein. Darumb sagt Christus: 
suchet, bittet, klopfet an! usw.“. Die Türkengefahr, die 


1) Zu einem Stück dieser Mitteilungen haben wir eine hand- 
‚schriftliche Parallele. Wir lesen Bd. 44 S. XXXII und XXXIII: „Nec du- 
bito reverendum virum D. Jastum Jonam pleraque adhuc memoria tenere, 
qui huic sermoni interfuit eique occasionem dedit. Forte enim, ex 
Salinis Saxonicis Vitebergam expaciatus erat ad D. Lutherumf et 
reliquos praeceptores invisendos, cumque eos audivisset in schola de 
variis rebus erudite et pie disserentes, narrabat in prandio se ex 
D. Philippo audivisse, totam scripturam nihil aliud esse quam certamen 
serpentis et seminis, Ad illud subiecit Lutherus: Glaubt jr auch, das 
Joannes ein Commentarius sey vber die gantzen Bibel? Paulus auch. 
Es ist kein wort, Joannes wolt gern Christum Deum machen. Sacra 
scriptura magis urget Filium quam Patrem. Quia tota scriptura est 
propter Filium. Ideo plura sunt testimonia, etiam (im Druck falsch 
enim) in Veteri Testamento, de Filio quam de Patre. — Den gleichen 
Wortlaut der Äußerung Luthers gibt die Tischrede Nr. 5585 (V, S. 262) 
wieder, die der Münchener Handschrift Clm. 987, 50 entnommen ist 
und dort als eine Nachschrift des Glauchau'schen Pfarrers Bartholo- 
mäus Wagner bezeichnet wird. Daß die Rede ins Frühjahr 1548 
gehürt, wird durch den Brief Besolds an Veit Dietrich vom 25. April 1548 
bestätigt, der diesen Besuch des Jonas erwähnt (,D. Jonas ex Salinis 
S huc venit^ — Kawerau, Briefwechsel des Justus Jonas, II, 1885, 

S. 101). Noch andere Äußerungen Luthers zu Jonas, 3. B. über die 
Nähe des jüngsten Tages, werden in dem Briefe mitgeteilt. Man 
‚sieht, daß die Wirklichkeit überall reicher war, als die bruchstück- 
weise Überlieferung der Tischreden erkennen läßt. 


97 


ganze Zeitlage überhaupt erweckte in Luther den Gedanken 
an die Nähe des jüngsten Tages. „D. Doctor quotidie 
exoptat adventum ultimi iudicii“ — schreibt Besold an 
Dietrich am 25. Juli 1542 (Beiträge zur bayer. Kirchengesch., 
18. Bd., 1912, S. 83). Wir kennen das Gebet, das Luther 
um diese Zeit sprach. Es ist nur von wenigen Zeugen 
überliefert. In Nr. 6777 (V, S. 349) ist es aus einer 
Münchener Handschrift (Clm. 939, 210b) mitgeteilt; außer- 
dem bietet es Rörer dar (Ror. Bos. q. 24p, 256b), der 
dritte (nicht erwähnte) Zeuge ist Farr. fol. 432: „Oratio. 
Hilff, lieber himmelischer Vater, das der selige tag deiner 
heiligen zukunfft bald komme, das wir aus der argen welt, 
des teuffels reich, erloset vnd von der greulichen plage, die 
wir auswendig vnd inwendig, beide von bösen leuten vnd 
vnserm gewißen leiden mußen, frey werden . . . durch 
Jesum Christum vnsern Herren, Amen“. (Der Zusatz am 
Schluß des Gebets wie bei Rürer). 

Zu diesen Beispielen, die sich noch vermehren lassen, 
treten nun die vielen Zeugen eines besseren Textes, den 
Farr. vor Math. L. darbietet, und der besonders in den 
Stellen, wo Nürnberg in Frage kommt, laut für die 
Urheberschaft Besolds spricht. 

In Nr. 5396 (Bd. V, S. 126) wird in einem Gesprüch 
über die Juden ein ,Morituus Doctor“ redend eingeführt. 
So Matth. L. 505 (S. 256). Man wuDte mit dem Wort nichts 
anzufangen; Math. N. korrigierte Morituus in Martinus, cod. 
Rhed. ließ die Worte ganz aus. Farr. fol. 403b (nicht 413b) 
bietet die richtige Lesart: Tum Mauritius: Dj omine Doctor 
usw. Es ist der Wittenberger Buchhändler und Ratsherr 
Moritz Golz aus Belzig demeint (vgl. über ibn Enders XV 64, 
Anm. 10 und Archiv f. Ref. Gesch. 1916 S. 171 Anm. 4), der in 
Luthers Haus verkehrte; seiner Gattin Christine widmete 
Erasmus Alber den Druck einer am zweiten Epiphanien- 
tag 1546 gehaltenen Predigt über die Hochzeit zu Kana 
(Emil Kürner, E. Alber, 1910, S. 92). 

Im Jahr 1542 wütete die Pest in Deutschland. Schon 
im Dezember 1541 hatte Besold an Dietrich geschrieben: 
Philippus in lectione locorum communium dicebat grassari 
nunc in Germania pestem (Beiträge zur bayer. Kircheng. 18, 

Archiv für Relormationsgeschichte. XIX. 2. 7 


98 


1912, S. 41). In Nr. 5503 (V, S. 195) steht ein langes 
Gespräch am Tische Luthers über die Pest, den Pestpsalm 91 
und den Aberglauben, der mit dem Johannesevangelium als 
Schutzmittel gegen den Donnerschlag getrieben werde. Das 
Gespäch beginnt Farr. fol. 392b: „Cum qui diceret duos 
praedicatores Nurmbergae peste absumptos esse, quaesitum 
est, an etiam ecclesiastes, qui tantum conductus est ad 
praedieandum, posset hominibus egrotis denegare suam 
operam tempore pestis? Ri espondit: Bey leibe neyn usw“. 
Nur Farr. bietet die richtige Lesart Nurmbergae und ebenso 
Aurifaber (FB. 2, 441 — 22, 155) „Nürnberg“; Aurifaber hat 
das ganze Stück, wie die übereinstimmenden Varianten 
beweisen, aus Farr. entlehnt. Die anderen Texteszeugen 
(Math. L., Math. N. und Obenander) geben statt „Nürnberg“ 
den Namen „Naumburg“. Das ist eine Eintragung aus dem 
Schluß des Gesprüches (V, S. 196, Z. 25), wo es heißt: Tum 
quidam dicebat in oppido quodam non procul a Naunburg 
parochum esse mortuum peste, item ludimagistrum; hier 
hat auch Farr. „Numburgk“. Die spätere Überlieferung hat 
zwischen dem Anfang und dem Schluß des Gesprächs Gleich- 
fórmigkeit hergestellt. Was für Naumburg nicht nach- 
gewiesen werden kann, der Tod zweier Prediger im Jahre 
1542, das trifft für Nürnberg zu. Am 2. Januar 1542 starb 
der Diakonus bei S. Laurenzen Leonhard Krügel (Karl Chr. 
Hirsch und Andr. Würfel, Diptycha ecclesiae Laurentianae, 1756, 
S. 84), und ebenso war 1542 das Todesjahr des Predigers bei 
St. Egidien, Sebastian Virnschild (Diptycha eccl. Egydianae, 1757, 
S. 41). Der letztere war wohl nur praedicator. Daher die 
Frage am Anfang des Gesprüches. Der quidam, der die 
Nachricht aus Nürnberg mitteilte, wird Besold selber 
gewesen sein. Daß er an Luthers Tisch auch Fragen zu 
stellen sich erlaubte, ergibt sich aus einem Gespräch über 
Osiander, das er am 8. August 1544 an Dietrich berichtete 
(Jam denuo quaesivi usw. Archiv f. Ref. Gesch., 1916, S. 164). 
So steht nichts im Wege, auch die früher besprochene, in 
Farr. stehen gebliebene Ego-Stelle auf Besold zurückzuführen. 

Auch in einer andern Tischrede des Winters 1542 
auf 1543 (Nr. 5538 — V, S. 222f.) nennt Farr. allein die 
„Nürnberger“. Es ist eine Erinnerung an Papst Hadrian VI. 


99 


(1522—1523), der, in Utrecht geboren, später Professor an 
der Universität Löwen, Karls V. Lehrer gewesen war. „So 
machen — Farr. 360 bis — die Nurmberger in gratiam 
Caesaris einen bogen; auf der einen seiten stundt: Vtrich 
plantavit, quia fuit patria Hadriani; auff der andern seiten: 
Löwen rigavit, quia ibi studuit Hadrianus; oben auff: Caesar 
dedit incrementum, quia ipse fecerat eum papam; da kam 
ein boser bube vnd schreib vnden in den bogen: Hic Deus 
nihil fecit.“ Die Handschriften Math. L. und Math. N. haben 
nur den Buchstaben N., Aurifaber (4, 171— 44, 21): ,Utrich". 
Das gleiche, in Anlehnung an 1. Kov. 3, 6 gebildete Witz- 
wort begegnet in Nr. 3689 (aus Lauterbachs Tagebuch vom 
8. Januar 1538); dort ist der ganze Zusammenhang anders. 
Es ist also nur eine scheinbare Parallele. 

In Farr. fol. 272—272 b steht unter der Überschrift 
Ad civem Nurmbergensem ein Trostbrief Luthers vom 
29. April 1532 an Thomas Zink, dessen Sohn Johannes, 
ein Schüler Veit Dietrichs, in Wittenberg gestorben war 
(vgl. Enders IX 180, Nr. 1998). Der Vater lebte damals in 
„Hoffheim“ (bei Königsberg in Franken), wie der von Dietrich 
geschriebene Cod, Solger. C 351 f. 87 angibt. Wenn er aber 
in Farr.als „Nürnberger Bürger“ bezeichnet wird, so spricht sich 
eine besondere Kunde Besolds aus!) Veit Dietrich hat 
ergreifende Aufzeichnungen tiber die letzten Stunden seines 
Schülers hinterlassen (vgl. Tischreden Bd. I, S. 103L, Nr. 249). 


Den erwünschten Bestätigungen, daß Farr. wirklich auf 
Besold zurückgeht, künnen wir noch eine weitere hinzu- 
fügen. Auf dem dritten Blatt der Handschrift stehen, wie 
Heft 1 S. 6f. angegeben, deutsche Verse des Erasmus Alber 


1) Diese Kunde setzt sich fort in der von dem sorgfältigen und 
suverlässigen Generalsuperintendenten Johann Christfried Sagittarius 
veranstalteten Altenburger Ansgabe der deutschen Schriften Luthers. 
Der Brief steht im 5. Band (1662) S. 961 mit der Überschrift „Trost- 
schrift D. M. L. an einen guten Freund zu Nürnberg, dem sein Sohn 
zeitlich mit Tod abgangen 1582“. Diese Überschrift ist von der 
Leipziger Ausgabe (22. Band, 1734, S. 516) und von Walch (10. Band, 
S. 2366) übernommen worden. In der Wittenberger und Jenaer Aus- 
gabe der Werke Luthers fehlen die Worte „zu Nürnberg“ (Witten- 
berger Ausgabe 9. Band, 1557, S. 474 und Jenaer Ausgabe 5. Band, 
1557, S. 560 [spätere Drucke S. 486). 


yo 


100 


auf Martinus Lutherus und auf S. Christoph. Alber und 
Besold haben sich an Luthers Tisch kennen gelernt. ' Im 
Herbst 1542 aus Brandenburg vertrieben, hatte Alber in 
Wittenberg Zuflucht gefunden und war dort noch während 
der ersten Monate des Jahres 1543. Er erzählt selber von 
dieser Zeit, daß er „täglich Luthers lieber Gast gewesen 
sei“ (Beiträge zu Luthers Tischreden, von Emil Körner — 
Archiv f. Ref. Gesch. XI, 1914, S. 135). Als Besold im 
Sommer 1543 eine Erholungsreise an den Rhein machte, 
war ihm, wie er am 13. September von Frankfurt aus an 
V. Dietrich schrieb, „comes iucundissimus Erasmus Alberus* 
(Archiv XIII, 1916, S. 113). Der geprüfte, oft verjagte 
ültere Dichter und sein junger Freund werden auf der 
gemeinsamen Reise häufig von Wittenberg und Luther 
gesprochen haben. Da mögen die akrostichischen lateinischen 
und deutschen Verse entstanden sein, mit denen Besold den 
Anfang des Farr.-Bandes schmücken ließ. Jedenfalls sind 
sie zu Lebzeiten Luthers niedergeschrieben, da sein Wirken 
als noch fortdauernd geschildert wird (Verbum cum doceat 
studio fervente Lutherus!). 


1) 8. Blatt der Handschrift (nicht gezählt) vor Blatt A: 
Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri. 


MARTINVS. 
Maxima pars mundi Christum neacivit Jhesum. 
Audita in templis non sunt nisi somnia vana. 
Romulidae Christi sponsae caput esse volebant, 
Tantum erat his studium, miseram seducere plebem, 
Iustitiam et fidei in Christum obscurare libido, 
Nemo operum et fideji quae siut discrimina, novit, 
Venter erat summus Doctor populi atque Magister, 
Spurcus et hoc docuit, voluit quod quisquis agaso. 


LVTHERVS. 


Luce sua Christus nunc totum illuminat orbem. 
Verbum cum doceat studio fervente Lutherus. 
Tantum illi studium, ad Christum perducere plebem, 
Hactenus in tenebris iacuit quae et mortis in umbra. 
Exardet furiis necquicquam perdita Roma, 

Roma videns hominem peccati praecipitari 

Vindice, quem pater omnipotens dedit ipse, Luthero, 
Sancta Dei totum qui dogmata spargit in orbem. 


101 


Als Besold im Jahre 1554 die Vorrede zum vierten 
Band der Genesis-Vorlesung Luthers schrieb, verband er 
mit der Mitteilung einiger Kernsprüche des Reformators das 
offene Bekenntnis, wie sehr die Erinnerung an Luthers 
öffentlich uud privatim gehörtes Lehrwort ihn stütze und 
aufrecht erhalte, Man könnte die Worte, die er damals 
schrieb, als Motto tiber den großen Sammelband setzen, den 
er aus Luthers Tischreden und Briefen zusammengestellt 
hatte, und in dem das Gedächtnis an die ersten an Luthers 
Tisch verbrachten Jahre (1542 und 1543) so stark auf- 
leuchtet. Die Sätze lauten: „Ego quidem in his furoribus 
diaboli, quibus in ecclesiam et respublieas liberas et bene 
constitutas horribiliter saevit, nulla re magis acquiesco, quam 
recordatione eorum, quae exLuthero publice 
et privatim audivi, quibus me utcunque sustento et 
eum aerumnas communes facilius tolero, tum vero accuratius 
et maiore diligentia hactenus cavere studui corruptelas 
doctrinae ab ipso traditae“ (W. A. Bd. 44, 1915, p. XXXIII). 
Wir haben den Farrago-Band als das viel bentitzte Ver- 
mächtnis eines treuen und dankbaren Lutherschtilers anzusehen 
und zu würdigen. | 
mm MARTINVS. 

Martinus heiſt ein freitbar man, 
Am Bapſt man ſolchs wol ſehen kan, 
Nom iſt darumb vorbittert ſehr, 
Thut, ob fie toll vnd toricht wer, 
Im Teuzſchlandt allenthalben flucht, 
Nit ein ort left fie vnbeſucht, 

Ens wil ausjagen Iheſum Chrift, 


So ſehr Sathan vorbittert iſt. 

LVTHE RVS. 
Lob ehr vnd dank ſey Gott dem Herrn, 
Wie hilft er doch ſo hertzlich gern. 
Trew iſt er, drumb ſeit vnvorzagt, 
Hat er vus doch hulff zugeſagt. 

(Rückſeite des dritten Blattes) 
Er ſteht bey ſeiner Chriſtenheit, 
Reich ift er von barmhertzigleit 
Bud wil uns lapen nimmermehr, 
So gebt dem Herrn allein die ehr. 
Erasmus Alberus, Lutheri 
theodidactus. 


102 
VII. 

Es bleibt ein Restbestand von Tischreden übrig, die 
uns nur durch Aurifaber Überliefert sind. Er verfügte über 
einen Reichtum von Quellen, von denen viele für uns ver- 
siegt sind. Der Satz in der Vorrede seiner Tischreden- 
Ausgabe, daB er „viele Jahre her einen großen Haufen 
geschriebener Bücher Colloquiorum Lutheri bei sich gehabt 
habe“ (FB. 4, XXII), enthält keine übertriebene Behauptung. 
Wie bei Lauterbach und Veit Dietrich, so hat er Auch 
bei Hieronymus Besold nicht nur aus der auch uns be- 
kannten Hauptquelle geschöpft, d. h. aus der Handschrift 
Farrago, die jetzt am Schluß defekt ist, sondern er hat 
auch Nebenquellen benützen können, die nameutlich den 
umfassenden Anhang speisten, der in der Urausgabe des 
Jahres 1566 sich findet. 


Der Anhang trägt jetzt die Überschrift: „Einige Tisch- 
reden, so in unten angezeigte Abschnitte gehören“ (FB. 4, 709) 
und umfaßt jetzt nur 19 Stücke. Er war aber anfänglich 
viel umfassender; die Nebenquellen lieferten eine große 
Anzahl von neuen Stücken, die nicht mehr in die betreffen- 
den Abschnitte der Hauptsammlung eingereiht werden 
konnten. Ihre Zahl beträgt in der Eislebener Urausgabe 
vom Jahre 1566 (Bl. 614—626) und ebenso im zweiten Teil 
der Frankfurter Nachdruck-Oktavausgabe vom Jahre 1567 
(FB. 4, XXV) nicht weniger als 75 (Bl. 720b—747b, ver- 
druckt in 774); die Überschrift heißt; „Andere Tischreden 
D. Martin Luthers, die zum teil in die obgesetzte Locos 
gebören, von allerley Sachen, aus etlichen geschriebenen 
Büchern zusammen getragen“ (Urausgabe Bl. 614). Erst 
die Frankfurter Folioausgabe des Jahres 1568 — mit be- 
sonderer Vorrede Aurifabers — hat die meisten dieser 
Nachtragsstücke bei den betreffenden Loci untergebracht 
und den Anhang auf 19 Stücke beschränkt (Bl. 447—449). 
Die Walch’sche Ausgabe der Werke Luthers und FB. sind 
dann bei dieser Anordnung stehen geblieben. Mau muß 
aber diesen Sachverhalt beim Studium von FB. im Auge 
behalten. Es soll dies an einem lehrreichen Beispiel nach- 
gewiesen werden. 


103 


Der 24. Abschnitt der Tischreden „vom Teufel und 
seinen Werken“ ist von Aurifaber mit besonderer Vorliebe 
ausgebaut worden; er bringt nicht weniger als 138 Stücke 
(FB. 3, 4—96), darunter eine Reibe von ausführlichen Er- 
zählungen (z. B. Nr. 79—84 Etliche Historien, von D. M. 
Luthern erzählet — FB. 3, 57—62). Für diesen Abschnitt 
konnte er aus Besolds Sammlung Farrago wenig entlehnen; 
der betreffende Abschnitt fol. 234—241 ‘De Sathana et eius 
illusionibus enthält nur 41 meist ganz kurze Aussprüche: 
darunter ist keiner von den von Aurifaber bevorzugten 
Sehwünken. Aber vorübergegangen ist er an Farrago 
doch nicht. 

Die Verlage von Nr. 130 „Vom Wallfische, dem Teufel“ 
(FB. 3, 89) steht Farr. fol. 465 und lautet: ,Iob hat 2 cap.; 
(Kap. 40 und 41) vom Behemoth, vom walfisch; niemandt 
ist fur jm sicher. Was wiltu mit dem Leviathan machen, 
meinstu, er werde dir zu fuße fallen vnd dich anbeten? 
(Vgl. Kap. 40, V. 22 und 23). Sunt figurae diaboli Der 
waltisch fragt nach keinem schiff, Behemoth auch nicht, er fragt 
nach keiner kunst, weisheit, princeps mundi omnia habet pro 
stipulis, er fragt nichts darnach. Aber ein Ding sal jn sturtzen, 
das ist verbum et fides. Semen mulieris, der mus es thun.“ 

Die W. A. bringt Aurifabers in keiner der verglichenen 
Handschriften nachweisbaren Text unter Nr. 6829 (VI, S. 216 f.). 
Aber nun ist die Vorlage gefunden; es ist kein Zweifel, 
daB Aurifaber das Stück, das ja Wort für Wort der Vorlage 
entspricht, aus Besolds Sammlung entlehnt hat. 

Nun liest man aber mit Überraschung beim folgenden 
Stück Nr. 131 (FB. 3, 89) = Nr. 6830 die Überschrift: „Von 
Poltergeistern, aus M. Hieronymi Besoldi Collectaneis“. Und 
die folgende Nr. 132 = Nr. 6831 ist überschrieben: „Von 
des Teufels Gespenst und Betrug, aus M. Veit Dieterichs 
geschriebenen Collectaneis* (FB. 3, 90). Es ist beispiellos, 
daß Aurifaber in der Überschrift eines Stückes seine Quelle 
angibt; was veranlaßt ihn in diesem Fall zu dem seltsamen 
Vorgehen? Und ferner — wenn erst bei Nr. 131 Besold'sche 
Herkunft hervorgehoben wird, wie steht es dann mit Nr. 130? 
Das Stück ist ja zweifellos der Handschrift Farr. entnommen; 
aber isí diese dann wirklich der codex Besoldi? 


104 


Das Rätsel löst sich sofort, wenn man wahrnimmt, daß 
Nr. 131 ein aus dem Tischreden-Anhang erst später hier- 
her versetztes Nachtragsstück ist, und daß von da an bis 
zum Schluß des Abschnittes, also von Nr. 131—138 lauter 
Anhangsstücke stehen (FB. 3, 89—96 = Urausgabe 1566 
Bl. 617b—620; dagegen Nr. 130 in der Urausgabe Bl. 3071) 
Aurifaber hatte den Abschnitt vom Teufel und seinen Werken 
mit der Herübernahme des Behemoth-Stückes aus Besolds 
Farrago geschlossen. Als er aber die Stücke des Anhangs 
sammelte, freute es ihn, noch einige Teufelsstücke nach- 
tragen zu können. Er gab die Quelle an, um die gerade 
bei diesen Stücken manchem doch wohl zweifelhafte Glaub- 
würdigkeit zu vermebren. Es war aber weder bei Besold 
noch bei V. Dietrich die sonst von ihm bentiizte Haupt- 
quelle; denn sonst stünden die Stücke wohl nicht im 
Anhang, sondern schon im 24. Tischreden-Abschnitt. „Besoldi 
Collectanea“ sind also etwas anderes als der Farrago-Band; 
es sind die chronologisch geordneten, für uns verlorenen 
Urschriften oder doch ein Teil von ihnen — die reichen 
Quellbäche, die den Sammelband gespeist haben. 

Wir haben schon früher gesehen, daß in Farr. nicht 
alles stand, was Besold gesammelt hatte (vgl. S. 95). Und 
ähnlich ist das Verhältnis der „geschriebenen Collectanea* 
Dietrichs zu seiner Hauptsammlung zu beurteilen. Diet- 
richs „Collectanea“ scheinen die Quelle fur sämtliche 
Stücke von Nr. 131—138 gewesen zu sein. Darauf deutet 
die programmatische Fassung der Überschrift: „T Is oh- 
reden D. Martini Luthers, von des Teufels 
Gespenst und Betrug, aus M. Veit Ditterichs geschriebenen 
Collectaneis“ hin, wie sie sich in der Urausgabe Bl. 618 
und auch noch in der Frankfurter Oktavausgabe „ander 
Teil“, Bl. 729b findet. Hatte Dietrich außer den chronologisch 
geordneten Heften auch solche mit Sachordnung, also etwa 
ein besonderes Heft mit Teufelsgeschichten? Die W. A. 
gibt für die meisten der genannten Stücke keine Vorlage 
an und zählt sie als Nr. 6831—6835 (VI, S. 218—222) 
Für Nr. 133 wird auf Nr. 1338, für Nr. 137 auf Nr. 491 
med., für Nr. 138 auf Nr. 5743 verwiesen. Die zweite Ver- 
weisung führt direkt auf V. Dietrichs Nachschriften zurück. 


105. 


Übrigens scheinen Besolds und Dietrichs Collectaneen, 
wie Aurifaber sie benutzte, eng mit einander verbunden 
gewesen zu sein. Das geht aus FB. 3, 264 (27, 154) hervor 
(in der Urausgabe Bl. 362b). Dort ist im Zusammenhang 
mit der Frage, ob der Papst über ein Concilium sei, von 
Äußerungen Luthers zu Job. 3, 19 und 12, 35 die Rede. 
„Solches hat Doctor Martinus einmal zu M. Hieronymus 
Besolde von Nürmberg gesaget". Es fehlt der Quellenbeleg 
für diese Rede. 

Wenn es dann in unmittelbarem Anschluß weiter heißt: 
„Doctor Martinus hat auch auf ein andere Zeit zu dem 
Herrn M. Veit Dieterich gesagt“ und dann eine freie 
Äußerung des Kanonisten Panormitanus mitgeteilt wird 
(= W. A. Bd. I, S. 303, Nr. 645), so fragt man sich wieder, 
warum gerade hier die beiden Namen genannt sind, und 
man nimmt wahr, daß wieder zuerst Besold und dann Veit 
Dietrich angeführt wird. 

Völlig vereinzelt steht da, was die Münchener Hand- 
schrift Clm 943, 144b de Besolto Nurmbergensi mitteilt 
(vgl. V, S. 333, Nr. 5730). Im Gespräch mit Besold fällt 
eine scharfe Äußerung Luthers gegen Bucer (1544) Auf 
welchen Tischgesellen Luthers die Mitteilung dieses ab- 
fälligen Urteils, dem viele andere zur Seite stehen, zurück- 
geht, läßt sich bis jetzt nicht ermitteln. 


Es ist mir der Auftrag erteilt worden, den reichen 
Ertrag des codex Besoldi (es sind u. a. c. 120 neue Tisch- 
reden mitzuteilen) in einem Band der Weimarer Aus- 
gabe der Lutherforschung zugänglich zu machen. Mit der 
Ausführung dieses Auftrags beschäftigt, spreche ich der 
Verwaltung der Landesbibliothek Gotha, insbesondere Herrn 
Staatsrat Prof. Dr. H. A. Krüger, für die Übersendung der 
Handschrift nach Greifswald, wo sie im feuerfesten Schrank 
der Universitütsbibliothek aufbewahrt wird, sowie dem 
Direktor unserer Bibliothek, Herrn Prof. D. Dr. Johannes 
Luther für mancherlei Beihilfe ergebensten Dank aus, den 
ich auch auf die Verwaltung der Münchener Staatsbibliothek 
für Übersendung der Besold-Briefe erstrecke. 


Dietrich von Starschedel, ein Zeuge 
vom Wormser Reichstage 1521. 


Von E. Körner. 
L 


Als „ein gutes, altes Geschlecht“ rühmt einmal Kur- 
Ófürsí August die Starschedel!) Von ihnen ist als erster 
Petrus Starcedele nachweisbar; er überließ 1311 dem 
Kloster Langendorf bei WeiBenfels eine Hufe. Im 15. Jahr- 
hundert nennen sie sich Torschedel, auch Dorstedel*) Ihr 
Stammsitz soll Starsiedel, unweit Lützen, im Merseburger 
Domkantoreisprengel gewesen sein“). Daneben besaßen sie 
bis in das 15. Jahrhundert hinein Dommsen, nordwestlich 
von Hohenmölsen. Noch in dessen erster Hälfte finden sie 
sich zu Mutzschen. Vordem gehörte die ziemlich umfäng- 
liche Herrschaft einem Zweige der Leisniger Burggrafen, 
der sich auch nach ihm benannte“). Als ihr Eigentümer 
erscheint 1445 unter den Starschedel Heinrich (L) in 
dem Vertrage zwischen Friedrich dem sanflıatitigen und 
Wilhelm III. Er ist der Begründer der Mutzschener Linie. 

Sein Sohn Heinrich (IL), gestorben 1495, erwarb 
Cannewitz. In der Geschichte wird er zum ersten Male 
1475 erwühnt, gelegentlich des Turnieres auf dem Markte 
zu Amberg bei der glänzenden Hochzeit Philipps von 


1) Cl. v. Hausen, Vasallen-Geschlechter der Markgrafen zu Meißen, 
Berlin 1899, S. 474fl. | 

3) Noch in Zuschriften an und Briefen von Johann Friedrich 
findet sich neben Dorschedel auch Storschedel Ihr Wappen nach 
Kneschke, S. 608: Schild rot, Silber und Schwarz, schräg rechts 
geteilt, ohne Bild. Vgl. auch König, Adelshistorie, 1727, I, S. 941—958. 
Wenig zuverlässig die Nachrichten in Dreßn. Gelehrten Anzeigen 1768, 
8. 588 fl. 

3) NASG. XXXII, S. 233. 

) Lorens, Die Stadt Grimma, Leipzig 1856, S. 1074. 


107 


der Pfalz mit Margarethe, der Tochter Ludwigs des 
Reichen von Niederbayern: er nahm da am Gesellen- 
stechen an Aschermittwoch teil!). Im Jahre darnach 
begleitete er Herzog Albrecht auf dessen Fahrt in das 
Gelobte Land. Mit 69 anderen ward er in der Kirche des 
Heiligen Grabes zum Ritter geschlagen?) Seine Beziehungen 
zum Hofe werden es gewesen sein, die ihn 1478 zum 
„Amtmanne auf dem Schneeberge“ werden ließen; noch 
1482 wird er als solcher bezeichnet. Er war es, der die 
Wasserkunst herrichtete. Hier vermehrte er seinen Reich- 
fum?) mit dem er oft den sächsischen Fürsten beistehen 
mußte. Schon bei der Erwerbung Sagans ‚durch Ernst 
und Albrecht (1472) ist er unter den Bürgen für die 
Kaufsumme von 40000 Gulden‘. An Kurfürst Ernst 
hatte er 1000 Gulden zum Meißner Schloßbaue zu schicken 5, 
Herzog Georg einmal nicht weniger als 8000 Gulden zu 
leihen®). Lieber als derartige Steuern war ihm die Ver- 
größerung seines Grundbesitzes). Dieser ward bald ein 
recht ausgedehnter; selbst Graupen erwarb er?) Infolge 
der Erbteilung 1485 fiel blos Mutzschen zum Weimarischen 
Teile, alles andere zum Meißner. Heinrich half als Herzog 
Georgs Rat als dessen Bevollmächtigter den Oschatzer 
Vertrag schließen (1490) ). In diesem Jahre stiftete er in 
Erinnerung an die glückliche Rückkehr von seiner Pilger- 
fahrt „das Klösterlein Servorum Mariae virginis zu 
Mutzschen 10). 

1) NASG., XXVIII, S. 161. 

9) Beschreibung der Mergenthalischen Familie. 1745, S. 7. 

) NASG., V, S. 173. 

*) Ebenda, XVIIII, S. 14. 

5) Ebenda V, S. 288. 

) Hauptstaatsarchiv zu Dresden, Cop. 1500, 134. 

?) Kneschke, S. 603. 

*) Archiv für Sächs. Gesch. (fortan: Archiv) V, S. 344. 

) Hausen, S. 474. 

10) Mencken, Scriptores rerum Germanic. Vol. II, p. 1585; 
„vogeferlich 1496". So noch NASG. I, 8. 85. Am genauesten 
Großmann, Die Visitarionsacten der Diöces Grimma. Leirig 1873, 
S. 141ff. Nach ihm Bau- und Kunstdenkmäler im KS. Bd, 19 und 20, 
S. 180f. Auch Hasse, Gesch. der Klöster in der Mark Meißen und 
Oberlausitz, Gotha 1888, S. 199. 


108 


Als sich die Zahl seiner Iusassen merklich steigerte, 
vermehrten seine Einkünfte als Patrone Heinrichs drei 
Sühne!) Es wird von ihnen besonders Heinrich (III.) 
dazu bewogen haben, der Zeitzer Dompropst und Meißner 
Domherr war (t 1530)*. Er stand Herzog Georg 
nahe und hielt, wie sein älterer Bruder Dietrich (L), 
gestorben 1523, fest an der mittelalterlichen Kirche ). 
Daß dessen Witwe Walburg das Schloß Kriebstein an 
Herzog Georg abtrat, wird ihr Schwager vermittelt haben; 
die drei Brüder hatten es 1510 gekauft‘). 

Ihr Sohn Dietrich (IL) wandte sich bald aus Über- 
zeugung der Reformation zu. Er hatte außer dem Haupt- 
gebäude des Mutzschener Schlosses das Rittergut und die 
Vorwerke, zu denen Wermsdorf gehörte, geerbt, während 
sein Bruder Ernst den Turmbau des Schlosses und außer 
den Mutzschener Teichen das Rittergut Cannewitz tiberkam. 
Es war ein stattlicher Besitz, den sie erhielten. Über seine 
einzelnen Stücke unterrichtet ihre Belehnung 1523 und 1533. 
Bei der ersten werden der Reihe nach aufgezählt außer 
Schloß und Städtlein Mutzschen mit aller freieigenen Jagd 
die Dörfer Böhlitz, Roda, Mahlis, Freigut und Dorf Cannewitz, 
Wagelwitz, Nerchau, Fremdiswalde*, Nennewitz, das wüste 
Dorf Naundorf, Wüstung Wermsdorf mit Sitz und Gehölz, 
Löbschütz, und das Raiche, Storkau, Wetheritz, Gottwitz, 
Merschwitz und Poschwitz, ein besessener Mann zu Leipnitz 
und ein besessener Mann zu Gottwitz, der Kretzschmar zu 
Gesewitz die Pfarre zu Mutzschen, Wermsdorf, Nerchau 
und  Fremdiswalde, außerdem Bäche und schließlich 
„Hundekorn, wie es vom Burggrafen zu Leisnig herrührt“. 
Ein Jahrzehnt darnach werden noch 18 Teiche, sowie zehn 
Hälter zu Mutzchen und Gottwitz genannt“). Es ist ver- 


A 


) Dreßnische Gelehrte Anzeigen 1758, S. 523 ff. 

*) Ursinus, Gesch. der Domkirche zu Meißen. Dresden 1788, 
S. 155. NASG. XXVI, 8. 38f. Über Jnnocenz von Starschedel 
s. ebenda XXIIII, S. 92. 

*) Beitr. z. Sächs. Kirchengesch. XV, S. 35. 

) Hausen, 8. 475. 

©) Lorenz, S, 1075. 

NASG. XXXVII, S. 147. 


109 


ständlich, wenn in Erinnerung an diese zahlreichen 
Liegenschaften sich die Nachkommen „Dinasten“ 
nennen!). 

II. 

Dietrichs Geburtsjahr wird vor 1500 zu setzen sein. 
Den ersten Unterricht hat er bei den Mutzschener Serviten 
genossen, die sich vorteilhaft vor anderen auszeichneten. 
So, wie er „von ihnen geleitet worden war, war er in der 
Jugend auf der papistischen Lehre gestanden“). Die 
geistliche Laufbahn jedoch zu beschreiten, die neben dem 
Waffenhandwerke bisher als standesgemäß gegolten hatte, 
dazu war er als ältester Sohn wohl nie bestimmt, noch hat 
er selbst es kaum je beabsichtigt. Daß er aber für das 
juristische Studium, das jetzt beliebt ward, eine Universität 
besucht hätte, dafür findet sich kein Anhalt; wenigstens 
wird sein Name in den Alben Wittenberge und Leipzigs 
nicht angeführt. Wann er mit dem kurfürstlichen Hofe in 
Beziehung kam, auch dafür finden sich keinerlei Spuren. 
Unter den sog. Einrossern des Kurprinzen wird seiner nie 
gedacht; sie waren dessen Altersgenossen entnommen, und 
Starschedel ist kaum unter sie zu rechnen. Früh regte 
sich in Johann Friedrich das Interesse für Jagd und 
Turnier. Mutzschens große Waldungen stießen an die 
landesherrlichen, und daß Starschedel gern pürschte, dadurch 
wohl mit ward er prinzlicher Begleiter auf Jagdausflügen. 
So kann er bald an solchen teilgenommen haben, vielleicht 
auch an dem eifrig betriebenen Stechen und Rennen am Hofe. 

Zum ersten Male tritt er 1519 im öffentlichen Leben 
hervor. Lehensstreitigkeiten hatten einen offenen Kampf 
Heinrichs von Lüneburg und des Bischofs Johann 
von Hildesheim gegen Erich von Braunschweig 
und den Bischof von Minden veranlaßt. Für diese ergriff 
Herzog Georg Partei und schickte ihnen „viel schöne und 
stolze Reiter“. Am Peter-Pauls-Tage, an dem zu Frankfurt 
KarlV. zum Kaiser gekrönt ward, kam es zur blutigen 
Schlacht auf der Soltauer Heide. Die Meißnischen Ritter 


1) BKD. XIX, S. 34 (Grabmal). 
5) Joh. Schuwardt, Regententaffel. Leipzig 1583, S. 159, 


e 


110 


sogen den Tod der Schande der Flucht vor. Die meisten 
von ihnen fielen, die überlebenden gerieten in Gefangen- 
schaft. Unter ibnen waren z. B. Moritz und Wolf von 
Pflugk, Albrecht von Heynitz, Heinrich von 
Bünau Als trotz dem Ausgange des Streites keine Einigung 
zu erreichen war, guchten die Kurfürsten von Sachsen, Branden- 
bnrg und Mainz eine Vermittlung; die Entscheidung sollte 
Herzog Johann von Sachsen und Herzog Heinrich 
von Mecklenburg treffen. Da baten süchsische Adlige, 
unter ihnen Dietrich von Starschedel, um Auslösung ihrer 
Standesgenossen '). 

Daß er bei der Nähe Leipzigs die Disputation zwischen 
Luther und Eck (1519) nicht unbeachtet ließ, ist zweifel- 
los. Der Eindruck des Wittenbergers wird ihn bewogen 
haben, alles aufzubieten, dem Wormser Reichstage beiwohnen 
zu dürfen. Die Reise dahin war für ihn von entscheidender 
Bedeutung. 

In welcher Eigenschaft, läßt sich nicht bestimmen. Zum 
prinzlichen Hofstaate wird er nicht gehört haben. Denn 
schon am 23. Februar verließ mit seinem Vater Johann der 
Prinz Worms, der sich damals noch als Schwager Karls V. 
betrachten konnte“); Starschedel jedoch blieb hier zurtick. 
Amtliche Befugnisse werden ihn festgehalten haben. Gewiß 
hatte auch ihn die allgemeine Spannung ergriffen, mit der 
Luthers Ankunft entgegengesehen ward. Sollte er nicht 
unter den Tausenden gewesen sein, die seiner in den StraDen 
harrten, wenn nicht gar unter denen vom Süchsischen Hofe, 
die ihm entgegenritten? Noch „in seinem Alter“ sprach er 
mit sonderlicher Freude und christlichem Frohlocken seines 
Herzens von den Aktis des Reichstages, den er in frischem 
Gedüchtnisse allezeit hatte, Denn es war ihm ernst ge- 
wesen, solcher Handlung von Anfang bis Ende eigentlich 
wahrzunehmen. „Ich ließ andere Frühstück essen, erzählt 
er, und ging beizeiten in die Kirche — so nennt er den 


ı) Weimar, Reg. C 690, Bl. 18; vgl. Rechtmeier, Braunschweig- 
Lüneb. Choronica. Braunschweig 1722, S. 866 ff., Havemann, Gesch. der 
Lande Braunschweig und Lüneburg, Bd. II, Göttingen 1855, S. 21ff. 

?) P. Kalkoff, Erasmus, Luther und Friedrich der Weise. 
Leipzig 1919, S. 17. 


111 


großen Saal — in welcher der Mönch vor allen Ständen 
des Römischen Reiches die Lehre göttlichen Wortes steif 
bekannt hat.“ Sehr anschaulich schildert Starschedel, „wie 
erstlich der Kaiser samt den Kurfürsten, Fürsten und Ständen 
des Reiches in ihren bereiteten Sesseln gesessen, als Luther 
unter dem Volke gar allein in seinem Ordenskleide, das er 
noch antrug, daher kam, ihnen entgegentrat, und Eccius als. 
päpstlicher Orator durch eine scharfe Rede ihn anschnaubte. 
Ich aber hatte ein Mitleiden mit ihm und besorgte, er würde 
sich vor falscher Gewalt entsetzen. Als er aber anfing, un- 
erschrocken, doch fein seltsam zureden, einem jeden Poten- 
taten seinen gehörigen Titel zu geben, verwunderte ich mich 
und gedachte: Das möchte mir noch wohl ein Mönchlein 
sein. Ich behielt mir aus allen Reden, die da mit großem 
Ernste von beiden Teilen geschahen, diesen herrlichen Spruch 
als ein teuer köstliches Kleinod, daß D. Luther sagte zu des 
Papstes Legaten (als er vermerkte, daß man an seiner Ver- 
antwortung nicht Gentige hatte): ‚Das Evangelium, so ich 
unserem Deutschen, meinem lieben Vaterlande, gepredigt 
habe, daß ist nicht mein, sondern meines Herren Jesu Christi, 
und ich lasse das S. Petern verantworten, der da spricht 
Actor. 10: Von diesem Jesu zeugen alle Profeten, daß in 
seinem Namen Vergebung der Stinden erlangen alle, die an 
ihn glauben“ ). Davon hat er, fügt der Nacherzähler bei, 
noch mit D. Luther selbst am Kurfürstlichen Hofe gesprochen. 

Starschedel wird dem 2. Erscheinen Luthers am Donners- 
tage, dem 18. April beigewohnt haben. Sein Bericht vom 
Wormser Tage weicht allerdings von dem anderer ab. Es 
will jedoch dabei beachtet sein, daß er nicht unmittelbar 
uns Überliefert ist. Wern er die Stätte der Verhandlung 
eine Kirche nennt, so im Hinblicke auf die Wichtigkeit der 
Stunde, die sie für ihn selbst behielt. Das Benehmen des 
Trierer Eck zeichnet er richtig; es erregte bei vielen Anstoß. 
Frische Begeisterung für Lutber wird Starschedel alles haben 
aufbieten lassen, in den bischöflichen Palast zu gelangen. 
Mit Luther zu sprechen, war ihm dadurch erleichtert, daß 
diesem im Johanniterhause Herberge angewiesen worden war, 
wo auch die kurfürstlichen Räte und Edelleute Wohnung 


) Schuwardt, S. 160. 


112 


‚aufgeschlagen hatten. Es fiel daher Starschedel nicht schwer, 
einen Augenblick zu erspühen, wo er vor den von ihm be- 
wunderten Glaubenshelden treten konnte.. Sollte er nicht 
bald Johann Friedrich über sein Erlebnis berichtet haben? 
Denn dieser machte kein Hehl aus seiner freundlichen Stellung 
zu dem Wittenberger. Sie war so bekannt, daß Aleander 
nach Hom meldete, der Neffe des Kurfürsten wäre noch viel 
ketzerischer als der Oheim, wie alle Welt wüßte ). Des 
Kurprinzen und Starschedels Wendung zum Evangelium 
ließen beide sich einander anschließen. Ein Verhältnis ent- 
spann sich zwischen ihnen, das fast für ihr ganzes Leben 
andauerte. | 
III. 

Landtage, welche die Stünde vollzühlig vereinten, 
fanden im Ernestinischen Sachsen selten statt. Es waren 
nicht allein die Kosten, welche die kurfürstlichen Kassen 
belasteten, die sie nicht häufig abhalten ließen, mehr noch 
die Abneigung des Hofes gegen sie überhaupt. Der Landes- 
fürst berief sie nach eigenem Ermessen und, da er sich von 
ihren Beratungen wenig versprach, schrieb er sie nur bei 
dringlichem Anlasse aus. Die Auswahl der zu ladenden 
Persönlichkeiten traf er nach reiflicber Erwägung. Es handelte 
sich zumeist um Steuervorlagen, zumal um „gute Ordnung“ 
in „das fürstliche Wesen“ zu bringen. Für sie meinte er, 
eher etwas von einem engeren Kreise zu erreichen, als von 
der Gesamtheit der vier Stände). 

Die Starschedel mussen das Vertrauen genossen haben, 
daB sie es nicht mit den Widerwilligen hielten. Sie befinden 
sich fast regelmäßig unter den Entbotenen. Heinrich (IL). 
war 1495 unter den Räten auf dem Tage zu Altenburg und 
Heinrich (III) 1498 auf dem zu Naumburg unter der 
Ritterschaft. Die Brüder stellen sich 1511 auf dem Land- 
tage zu Jena und dem Ausschuftage zu Fahner ein. Einer 
von ihnen vertritt Meißen 1515 zu Naumburg, und unter 
den Grimmaern sind die Mutzschener 1518 nach Jena erfordert). 

1) Kalkoff, S. 106. 

*) S. A. H. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten, Jena 1904, 
8, III ff, XXXIXf. Auch Mentz, Joh. Friedrich der Großmütige. 
Jena 1908, III, S. 197fl. 

) Ebenda 8. 10; 80; 84; 115; 126. 


113 


Es kann daher nicht überraschen, daß bald auch Dietrich 
an solchen Tagungen teilnimmt. Er war unter der Ritter- 
schaft Sonntag Kantate 1533 zu Altenburg, mit seinem Bruder 
Ernst Dezember 1530 wieder in Altenburg und im Januar 1531 
in Zwickau, wo er mit anderen das Amt Grimma vertrat. 
Hier war er unter den von gemeiner Landschaft zum Aus- 
schuß Vorgeschlagenen, die mit weitgehenden Vollmachten 
ausgerüstet wurden. So kam er zu dem wichtigen Ausschuß- 
tage zu Torgau, März 1521, und ward an erster Stelle zum 
ersten Einnehmer der Anlagegelder im Kreise Torgau be- 
stimmt. Den letzten Ausschußtag hatte Kurfürst Johann 
für Mai 1532 nach Torgau ausgeschrieben und endlich auf 
1. September verschoben; er erlebte ihn nicht: er starb am 
16. August). 

Im Besitze der Kurwürde hat sein Nachfolger blos 1533 
zu Jena und 1542 zu Weimar wirkliche Landtage veran- 
etaltet. Er war kein Freund von ihnen und hat sogar den 
Ausschuß selten zu Rate gezogen. Als er ihn im Oktober 1532 
in Torgau um sich sammelte, tat er es wohl unter dem 
Zwange der finanziellen Mißstände. Sie besonders waren es 
ja, welche ihn die Landschaft nicht gänzlich unbeachtet 
sein ließen. ; 

Für ihre Regelung wirkte auch jetzt, wie schon früher 
Starschedel eifrig mit. Er mag dafür vor anderen Geschick 
besessen haben. Gern übertrug man ihm deshalb die Ein- 
nahme von Steuern. Neben der des Zehnten Pfennigs hatte 
er die der wenig beliebten Tranksteuer des Adels?) Mit 
welcher Gewissenhaftigkeit er solche "Aufgaben erfüllte, be- 
zeugt er mit seinen musterhaften Listen über die Türken- 
‘steuer. Wennschon sie in der Hauptsache von seinem 
Schösser, Hans Schütz, geführt wurden, so tat er es 
doch unter Starschedels Aufsicht, der sich um alles be- 
kümmerte. Aus den 21 Dörfern und der Wüstung Naun- 
dorf seiner Pflegschaft konnte er 1542 an Lütare 90 fl. 


1) Ebenda, S. 200; 214; 280; 268f. Vgl. Köstlin-Kawerau, 
M. Luther, Bd. I. S. 1181f. 
*) Weimar, Beg. Qg., pag. 759, C 545 fl. 
Arehiv für Reformationsgeschichte. XIX. $, 8 


114 


12 Groschen und an Martini 90fl. 19 Groschen 7 Pfennige, 
abliefern). 

Seine Umsicht und Sorgfalt ward von der Landschaft 
geschätzt. Er war ein Mann allgemeinen Vertrauens. Als 
während der Wurzener Fehde sich Johann Friedrich 
in Grimma aufhielt und der hessische Marschall Hermann 
von Hundelshausen in Philipps Auftrage zwischen 
den Parteien eine Vermittlung anstrebte, empfahl dieser dem 
Herzog Moritz neben Mügeln das Haus Starschedels als 
Verhandlungsort für die beiderseitigen Räte. Kaum wird 
es bloß die günstige Lage Mutzschens, sicherlich vielmehr 
Starschedels Persönlichkeit gewesen sein, die eine versöhnende 
Einwirkung erwarten ließ. Die Zusammenkunft bei ihm 
ward durch des Landgrafen Eingreifen unnötig “. 

Im Schmalkaldischen Kriege griff die Ernestinische Seite 
den Gedanken der Herzogin Elisabeth von Rochlitz 
und des Fürsten Georg von Anhalt auf, daß je vier von 
den beiden Landschaften in Beratung treten möchten. Auf 
Bitten der Seinen verhinderte sie Johann Friedrich 
nicht, hoffte wohl sogar von ihr einigen Erfolg. Die Vor- 
schläge dafür entwarf Hans von Ponikau, ließ sich selbst, 
wie auch Brück, jedoch nicht dazu abordnen. Außer dem 
Kanzler Jobst von Hain wurden voran Starschedel neben 
Wolf von Schönberg und Georg von der Planitz 
geschickt. Die Albertiner waren zu der Unterrcdung bereit, 
wenn vom 28. März bis drei Tage nach beendeter Aussprache 
Waffenstillstand zugesichert würde, Von ihnen kamen nach 
Mittweida außer Ludwig Fachs noch Kaspar von Schön- 
berg,Gottschalg von Haugzwitz und WolfKoller. 
Starschedel scheint recht entschieden gesprochen zu haben. 
Er drang auf „Verhütung weiteren Verderbens des Landes 
und auf Wiederaufrichtung des Friedens.“ Seine Befürebtungen 


) Weimar, Reg. Pp, Nr. 618%. Als Orte werden verzeichnet: Roda, 
Göttwitz, Merschwitz, Gastewitz, Poischwitz, Serka, Löbschütz, 
Fremdiswalde, Wermsdorf, Döbern, Grauschwitz, Ablaß, Leipen, Prösitz, 
Schmorditz, Grottewitz, Golpern, Nerchau, Cannewitz, Wachelwits 
und Wüstung Naundorf. 


) Archiv IV, S. 76. E. Brandenburg, Moritz von Sachsen, I, 
S. 203 fl. 


116 


suchten noch die Herzoglichen schriftlich zu widerlegen. Er 
aber wich nicht von seiner Auffassung der Lage zuruck ). 
Ob er nicht merkte, daß die Ernestiner nur Zeit hatten 
gewinnen wollen für einen Abzug Moritzens und Ferdi- 
n&nds nach Eger zur Vereinigung mit dem Kaiser? 

Von den Rechten, die er als zur Landschaft gehörig 
besaß, machte er bei sich bietender Gelegenheit Gebrauch. 
Am 25. März 1528 hatte Kurfürstin Elisabeth von 
Brandenburg in Torgau Zuflucht gesucht, wo Kurfürst 
Johann für ihren Empfang alles vorbereitet hatte. Welches 
Aufsehen bei Katholiken und Protestanten der Vorfall erregte, 
ist bekannt. Mit Hans von der Planitz und Christoph 
Groß verteidigte Starschedel Elisabeth, wie aus einem 
Schreiben an Kurfürst Johann erhellt, das er als erster 
unterzeichnet hat, wohl, weil er es veranlaßt hatte ). 

Wenn er als Verordneter des Landes Meißen Vorschläge 
für Verteilung von Wittenberger Stipendien zu machen hatte, 
so bewährte er sicherlich das ihm geschenkte Vertrauen. 
Als geeignete Empfänger empfahl er 1544 Hans Zosche 
in Böhlen (Amt Colditz) und den Sohn Bernhards von 
Hirschfeld’). | 


IV. 

Daß man Starschedel offenbar gern bei wichtigen 
Anlässen heranzog, geschah wohl auch in Rücksicht auf 
seine amtliche Stellung. Möglich, daB er durch sie zur 
Übernahme von Aufträgen verpflichtet war. Er war kur- 
fürstlicher Rat; seit wann, ist nicht genau bestimmbar: 
er scheint es bald geworden zu sein. Die Obliegenheiten 
eines solchen waren mannigfache*) Als sich 1529 Kurfürst 
Johann zum Reichstage nach Speyer begab, ließ er den 
Kurprinzen zur Regierung des Landes zurück. So ungern 
dieser den religiösen Verhandlungen fern blieb, so fleißig 
widmete er sich der überkommenen Tätigkeit. Durch den 


1) Weimar, Reg. J, pag. 405, Q 18, Vgl.: von Langenn, Moritz von 
Sachsen I, S. 337 fl., Brandenburg, I, S. 528ff, Mentz, I, S. 94f. 
*) Weimar, Reg. C 38, Bl. 14. 
3) Ebenda, Reg. O 444. 
4) Mentz, III, S. 194ff; 144. 
gt 


116 


Einblick in die Regierungsgeschäfte fühlte er sich bewogen, 
Vorschläge für ihre Erledigung zu machen, wie er sie für 
die erregte Zeit nötig errachtete. Für Weimar und für 
Torgau als den Residenzen empfahl er gesonderte Kammern; 
für jede von ihnen hatte er schon je acht geeignete Männer 
als Räte ausersehen, unter ihnen für Torgau Starschedel'). 
Obwohl er sich für sein Amt stets dienstbereit halten mußte, 
empfing er doch eine nur geringe Entschädigung. Über sie 
um Auskunft angegangen, gibt er 100 fl. als sein „Ratgeld“ 
an; von Hofkleidung und Naturalien, wie sie außerdem 
andere bezogen, erwähnt er nichts“. 


Auf sie hat ihn vielleicht seine Stellung als Hof- 
marschall verzichten lassen. Er trat in sie ein auf Grund 
einer neuen Hofordnung 1533 und begleitete sie bis 1547 *). 
Mit ihr hatte er eine selten umfängliche Tätigkeit über- 
nommen. Alles und jedes unterstand ihm, was irgend den 
Hof betraf und am Hofe vorging. Nicht bloß, daß er die 
Aufsicht über das gesamte Hofpersonal bis herab zum ge- 
ringsten Dienstboten tiben sollte, er sollte auch ein scharfes 
Auge haben auf das „Frauenzimmer“, für Ktiche und Keller 
bedacht sein, auf Tischgebet und Tischzucht halten, um Be- 
wachung, Belepchtung und Heizung des Schlosses besorgt 
sein, Klagen des Hofgesindes entgegennehmen und Streitig- 
keiten schlichten, das Rechnungswesen prüfen, das Jahr- 
zehnte hindurch auf Landtagen viele Ursache zu Beschwerden 
und Ratschlägen gab‘). 

Es war ihm also das gesamte Hofwesen tiberlassen. 
Nun werden aber bis 1547 außer ihm noch Kaspar und 
Nickel von Minkwitz, Asmus Spiegel and Heinrich 
von Schönberg“) als Hofmarschülle genannt. Ihres Bei- 
standes wird Starschedel dringend bedurft haben, seitdem 


1) Mentz, I, S. 68; 126. 

* Weimar, Reg. L, pag. 79—90, A 5. Soviel auch D. Bleick- 
hardt und Hindringer, D. Benedickt Pauli 80 und D. Kilian Goldstein 
sogar bloß 601. 

*) Burkhardt, S. XXXVIII und XL; Mentz III, S. 187; 181f. 

*) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (70 Paragraphen, dazu 
17 ungezählte); Reg. 408, VV Nr. 2. — Vgl. Mentz III, S. 187f. 

5 Mentz, III, S. 138a. 


117 


er und Asmus Spiegel Erzieher der Prinzen geworden 
waren. Wie väterlich Johann Friedrich für die gelehrte 
und die sittliche Bildung seiner Söhne sorgte, dafür liefern 
Beine Briefe aus der Gefangenschaft schöne Beweise. Daß 
er sie zur Gottesfurcht, zu regelmäßigem Kirchenbesuche 
und täglicher Bibellesung anhält, versäumt er nicht. Eine 
gute Handschrift verlangt er. Immer wieder ermahnt er. 
zu fleißigem Betriebe der alten Sprachen, da er selbst die 
ihm mangelnde Kenntnis des Lateinischen empfand. Das 
Deutsche sollen sie darum nicht vernachlässigen. Ihren 
Eifer lohnt er mit Erholungsstunden !). 

Daher soll Starschedel mit den Prinzen „ein bar stunden 
Ins feldt einen Hasen zu hetzen spatzieren reiten“. Um so 
unwilliger ist der Vater, wenn er erfährt, daß diese nicht 
„wollten sich furstlich, Zuchtig vnd ehrlich, wie Fursten wol 
anstehet vnd gebuhret, halten“ und ihren Kavalieren und 
Lehrern nicht „unweyerlich vnd unwidersetzt folgen.“ Als er 
gar berichtet wird, daB sie „falsch vnd vnrecht gespiellet, 
ob sie auch solchs vileicht möcht scherz weise gethan haben“, 
rügt er ernstlich. Leichtfertiger Worte und Fluchens, auch 
unbeständiger Reden und seltsamer Geberden sollen sie sich 
enthalten; des Weins über Tische zum Nachtrank nicht 
mehr zu sich nehmen, als des Leibes Notdurft erfordert; 
unmäßiges Saufen meiden. Mit Brück sollen Starschedel 
und Spiegel streng darauf achten, daß seine väterliche 
Vermahnung befolgt wird. Sie suchen ihn zu beschwichtigen, 
da sie versichern können, daß sie „keine sonderliche 
vnschicklichkeit vermerkt oder befunden haben“ ). Trotz- 
dem gelangte bald eine eingehende Instruktion an sie, 
welche bis ins einzelnste „das fürstliche Leben“ der Prinzen 
regeln sollte). 

Solche unangenehme Zwischenfälle steigerten für Star- 
schedel die schon umfängliche Mühewaltung seines Amtes. 
Als er sich von ihm infolge des Ausganges des Schmalkal- 


1) Chr. G. Neudecker, Die handschriftliche Gesch. Ratzebergers. 
Jena 1850, S. 275. Beck, Joh. Friedrich der Mittlere. Weimar 1858, 
I, 8. 7. Ments, III, S. 259. 

*) Neudecker, S. 279. Beck, II, 177ff. 

*) Mentz, III, S. 257ff. 


118 


dischen Krieges zurückgezogen hatte, berichtet er, daß er 
160 Gulden Besoldung empfangen hätte 1). Der Betrag war 
nicht das einzige, was ihm zufloß. Für seinen Nachfolger 
unterbreitete Johann Friedrich der Mittlere Vor- 
schlüge. Die Geldsumme setzte der alte Herr niedriger, die 
Naturalbezüge hóher an.  AuBer 200 Gulden an barem 
Gelde sollten dem Hofmarschall geliefert werden, 225 Scheffel 
Korn, 150 Scheffel Gerste, 6!/, Scheffel Erbsen, für 12 Gulden 
Hopfen, 7 Schock „Michels Hühner“, 13 Kapaunen, 6 Gänse, 
6 Schook Eier, 6 Stein Unschlitt, 2 wöchentlich „Dienst“ 
Fische, „der jeder 16 Pf. würdigk“, 2 Zentner Karpfen, 
6 Eimer Rotwein; die Schäferei Zossen, von der 80, Fuder 
Heu, Hafer für 5 Pferde u. a. zu liefern waren. Da Wolf 
Goldacker, der zum Hofmarschall ausersehen war, keiu 
Rindvieh halten könnte, sollte er mit jährlich 40 Gulden 
entschädigt werden; zudem behielt er die Nutznießung seines 
Gartens zu Weida, Schweine, Hühner und Gänse hatte er 
auf seine Kosten zu halten. Für Sommer und Winter be- 
kam er je eine gewöhnliche Hofkleidung, Holz zur Feuerung 
nach Bedarf?) Starschedel wird kaum geringer bedacht 
gewesen sein, als sein Nachfolger. 


Daß er bei seiner andauernden Anwesenheit am Hofe 
häufig als Zeuge erscheint, bedarf nicht der Erwähnung 
und des Nachweises. 


V. 


Seinen Neigungen würde es entsprochen haben, wenn 
er bald zu den Kirchenvisitationen berangezogen 
worden wäre. Der Gedanke an sie hatte nur allmählig zur 
Geltung gelangen können. Staatlicherseits war er zuerst 
von Johann Friedrich vertreten worden (1524)?). 


1) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Fr. 3 (Instruktion für 
Weißenbach. 

2) Ebenda, Reg. K, pag. 448, WW Nr. 4 (Instruktion für 
Goldacker). 

*) CAH. Burkhardt, Gesch. der sächs. Kirchen- und Schul- 
visitationen, Leizig 1879, S. 3 ff. Sehling, Ev. KOO. I, S, 33, Mentz, 
Bd. III, 230ff. 


119 


Von Alteren ), selbst noch von Burkhardt?, wird Star- 
schedel neben Anark von Wildenfels, sowie Spalatin 
und Anton Musa genannt, um die Verhältnisse in Alten- 
burg, „das mit Mönchen und Nonnen überschüttet war“, zu 
untersuchen. Da er zu dem amtsschriftsässigen Adel ge- 
hörte, wird er auch unter denen bezeichnet worden sein, 
welche der Altenburger Amtmann zur Teilnahme an der 
Visitation bescheiden sollte. Unter den vier jedoch, welche 
schließlich für Altenburg gewählt und im September nach 
Torgau berufen wurden, war Starschedel nicht’). Es ist nicht 
ersichtlich, warum es unterblieb. An seiner Stelle war 
Ewald von Brandenstein tätig. 

Die Gruppe der Visitatoren, welche den Teil Meißens 
bereiste, zu dem das Amt Colditz mit dem Grimmaer Kreise 
gehörte, hatte wiederholt Ursache zu scharfen Eingriffen. 
Um so anerkennenswerter ist ihr Befund in Mutzschen‘). 
Dem Pirnaischen Mönche entlockte es die Klage: „Alldo rast 
besamt dem voleke die Martinische Seckte“; und er tiber- 
treibt nicht. Der Pfarrer Adam Burkhorveon, ein Kur- 
hesse, aus der Zahl der Serviten, wird zensiert als „in seiner 
lahr richtig, auch seines wandels vnd lebens vom lehnherrn 
vnd Pfarrkindern gelobt.“ Der Diakonus, der nicht namentlich 
angeführt wird, wohl Christof Strobel, später Herzog 


Heinrichs Hofprediger, ist ,vor andern der lahr halber. 


geschickt.“ Er ist auch „ein ordensmann servorum Mariae“. 
Der Fremdiswalder Parochus, Jakobus Klappe, wird 
Sogar gerühmt als ,wohlgelehrt, seines lebens und wandels 
ganz richtig befunden“; er starb als Superintendent zu 
Großenhain (1553). Mutzschener Patronat war Wermsdorf 
ehedem dem Kloster inkorporiert. Aus ihm war dahin ge- 
kommen Valentin Zeppler. Zwar gilt er nur „der lahr 


!) Seckendorf, Hist, Lutheranismi. Leipzig 1694 II, pag. 101. 
E. von Braun, Die Stadt Altenburg in den Jahren 1525—1826, 
Altenburg 1876, S. 11ff. Richtig bei Löbe, Gesch. der Kirchen und 
Schulen in H. Altenburg, Altenburg 1884, Bd. I, S. 39ff. 

*) Burkhardt, S. 27; 48f. 

3) Weimar, Reg. K, fol. 9 II, Bl. 830b; Ji. 904. 

) Nach Großmann, S. 141 hatte es „j sloß vnd xl. einwoner* 
in den 9 eingepfarrten Dörfern 49 Pferdner und 80 Gärtner. 


120 


zimlich bericht“, jedoch „seines wandels richtig“. Es muß 
ihm aber angedroht werden, „wo er nicht fleißiger studieren 
wti .e“, sollte er der Pfarre auf nächste Ostern entsetzt 
werden. Zu diesen drei Fratres ist noch Cyriakus Heidler 
zu nehmen; er war im nahen Altenhain. Freilich wird er 
beschuldigt, daß er „sich oft des trinkens vleissige“, aber 
„in der christlichen lahr ist er zimlich bericht“ ). Daß diese 
alle unter vielen ihrer Umgebung hervorragen, läßt nur 
günstig das Klüsterlein beurteilen, was sicherlich seinem 
Schutzherren mit zuzuschreiben ist. 


Er war hier bei der Untersuchung der Zustände (Mai 
und Juni 1529) nicht tätig. Daß aber auf sie Starschedels 
wegen Nachsicht geübt worden wäre, läßt sich nicht arg- 
wöhnen. Sehr genau forschen die Visitatoren nach den 
Bestandteilen des Einkommens. Für den Pfarrer betrug es 
bare 114 fl. 5 Groschen 5 Pfennige ohne die Haushaltung. 
Sie bestand aus Wohnung im Kloster und vorigem Pfarr- 
gebäude, sowie in einem Garten, der so groß ist, daß er 
Grasweide für fünf Kühe abgibt. Daher wird es nicht als 
Mangel empfunden, daß „Artfeld und Wiesenwuchs vererbt ist.“ 
Holz wird ihm soviel geliefert, als „zum Gebäude und Feuer- 
werk bedürftig“ ist. Weil der Pfarrer für Feld und Wiese 
48 fl. 19 Groschen 6 Pfennige an Zinsen hatte, fiel es ihm 
nicht schwer, davon 36 fl. an Geld und je sechs Scheffel- 
Korn uhd Hafer dem Diakonus zu reichen; auferdem bezog 
dieser 31 fl, hatte eigenes Haus, Garten und Grasweide für 
eine Kuh, dazu auch Holz zum Feuerwerk. Pfíarrer und 
Diakonus wurden ihre Pflichten eingeschürft Ein Schul- 
meister ist vorhanden, vermißt wird aber in dem kleinen 
Mutzschen eine gelehrte Schule. Starschedel erbietet sich, 
eine solche einzurichten. 


Obwohl von seinen Vorfahren und ihm alles Kirchen- 
vermögen stammt, wird ihm nicht verschwiegen, daß man 
die Urkunden tiber Gtiter, Einkommen, Gerechtigkeiten usw. 
„zu Pfarre, Frühmessen oder auch zum Kloster gehörig ver- 
misse“, Es wird ihm darum aufgegeben, „ein klares, voll- 
ständiges Verzeichnis und Erbregister aufs förderlichste zu 


1) Großmann, S. 142 f.: 104. 


121 


fertigen und zu machen“, dazu ein genaues „Verzeichnis 
und Inventarium des Vorrats und Kirchengerätes von Stück 
zu Stück“. Was darin anzuführen ist, wird bis ins einzelste 
vermerkt. Erst wenn Starschedel genugsam die verlangten 
Nachweise beigebracht hat, „soll dann weiter, was bequem 
und gut sein wird, vorgenommen werden“ !). Ob dabei an 
eine Mägdleinschule gedacht wird? In der ganzen Diözese 
hatte nur Grimma und Eilenburg eine solche. Bei der 
Forderung ließ man es nicht etwa bewenden. Am 12. März 1534 
erschien Starschedel in Grimma vor den Visitatoren Mutzschens 
mit den verlangten Nachweisen und erhielt daraufhin nach- 
her die Verpflichtung fur die Pfarrbesoldung seines Patronates ). 

Auch an der Visitation 1532 war Starschedel nicht 
beteiligt. Seine Stellung am Hofe wird ihm dazu keine 
Zeit gelassen haben. Hingegen befand er sich unter denen, 
die 1541 vom Kurfürsten nach Zeitz entsandt wurden, 
um Nikolaus von Amsdorf für Julius Pflug k zum 
Naumburger Bischofe zu wählen. So wenig angenehm der 
Auftrag für ihn war, wegen seiner Verschwägerung mit 
Pflugks, ward er doch aus evangelischer Uberzeugung von 
ihm übernommen. Der vom Kurfürsten erkorene war ihm 
verwandt und befreundet; in Zschepa bei Wurzen hatte er 
seine Heimat und wird mit Starschedel häufigen Verkehr 
gepflogen haben ). Auf Widerstand war man gefaßt. Star- 
schedel wird nachgerühmt, daß er das befestigte Schloß 
eingenommen habe. 

Einen Beweis seiner Klugheit und Tatkraft hatte Star- 
schedel bei der Visitation des Domstiftes, des Amtes und 
der Stadt Wurzen zu liefern (Mai 1542). Für sie hatte 
Johann Friedrich im Oschatzer Vertrage freie Hand 
bekommen. Mit ihr waren ex nobilitate außer ihm As mus 
Spiegel und von den Theologen Georg Spalatin 
und der Superintendent Schreier von Grimma betraut. 
Für ihr allgemeines Ansehen spricht es, daB sie berufen 
wurden, in diesem Gebiete Wandel zu schaffen. Die 


1) Ebenda, 8. 143 fl. 

5) Weimar, Reg. Di, 6, Bl. 181. 

3) Seckendorff, Vol. III, XCVI, 9, pag. 390; Hortleder, lib. V, 
ca). 12. E. Zergiebel, Chronik von Zeitz. Zeitz 1896, I, S. 211 ff. 


122 


Schwierigkeit der Aufgabe hatte damit bisher zögern lassen. 
Wurzen war der letste Stützpunkt der Meißner Bischöfe 
und stand unter ernestinischem und albertinischem Schutze. 
Hatte schon Herzog Georg den Vertrag von 1485 für 
sich ausgebeutet, so war auch Moritz sehr dazu geneigt 
und Bischof Johann VIII. dem Kurfürsten feindlich gesinnt: 
ahm war der Ausbruch des Streites zwischen den Vettern nur 
recht gewesen. Das von ihm gewtinschte Ende hatte dieser 
nicht genommen. Mit voller Befugnis konnte jetzt Johann 
Friedrich in Wurzen eingreifen. 


Am 11. Mai trafen die Visitatoren ein. Gegen die 
Domherren übten sie Schonung, benahmen sie jedoch jed- 
weden Einflusses. Ein gänzlich Neues mußten sie in der 
Stadt begründen. Der Dürftigkeit hier entsprach die auf 
den Dörfern. Sie bedingte, daß fast kleinlich erscheinende 
Vorschriften gegeben wurden, die aber nur von im alltäg- 
lichen Leben erfahrenen Männern gemacht werden konnten. 
Einen Erfolg suchten die Gegner in einer Weise zu 
vereiteln, mit welcher sie sich selbst genugsam kenn- 
zeichneten )). 


Sie erreichten damit bloß, daß im August und Sep- 
tember 1546 von Bruck verfaßte scharfe Erklärungen gegen 
„den papistischen Bischoff zu Meissen und sehlenmorder“ 
ergingen. Nochmals ward Starschedel und Spiegel ange- 
wiesen, „seine Teuffelslehre, greul und unchristliche Ceremonien 
zu dempffen, niederzulegen, auch gänzlich auszurotten“. Die 
anwesenden Kapitelsherren und Vikare sollten sie „ver- 
warnen, von ihnen hören, ob sie bei dem gottlich wort 
bleiben und daselbig bekennen und soviel an ihnen 
mher Gott dan den Menschen gehorchen“ wollten. Be- 
rufungen auf den Bischof sollten sie abschlagen. Seiner 
„practick und teufflischen List“ sollte für immer ein Ziel 
gesetst werden. Es geschah im Einvernehmen mit der 
Ritterschaft im Amte Wurzen, und am Egidientage 1546 
wurde Starschedel und der Hauptmann von Wittenberg 
damit beauftragt). 


1) Burkhardt, S. 206 fl., 288. . 
*) Weimar, Reg. J, pag. 964, Nr. 4 A. Beg. J, pag. 265, Nr. 4B. 


Ld 


123 


| VL 

Sein Wohlwollen gegen Geistliche uud Lehrer genossen 
reiehlich die seines Patronates. Nicht nur, daB er darauf 
hielt, daß ihre Einkünfte nicht geschmälert oder ihnen gar 
entzogen würden, wo er es angebracht fand, erstrebte er 
auch ihre Aufbesserung. Die besondere Begabung seiner 
Pfarrer verstand er anzuregen und zu benutzen. Wenn er 
erfuhr, daß ihre Gefälle ihnen verkümmert und sie mit 
übeler Nachrede belästigt wurden, pflegte er zu sagen: „O, 
wie wird sie der Teufel einmal darum kratzen, die ihre 
Prediger jetzund so gering achten. Heute oder morgen, 
wenn ihr letztes Stündlein kommt, da wird sich's finden, 
was sie sich selbst damit gestiftet haben.“ 

Wozu er aber andere ermahnte, darin ging er selber 
ihnen voran. Legte er den Eingepfarrten eine Zulage zum 
Pfarrgehalte auf, so war er der erste, der von seinem Gelde 
und Getreide etwas gewisses vermidmete und ohne Verzug jähr- 
lich entrichtete. Daß er von seinen Feldern den Zehnten eben- 
so gab, wie seine Untersassen, war ihm etwas selbstverständ- 
liches. Daran ließ er sich nicht einmal genügen; selten 
lieb er es an einer Zugabe fehlen, und, wenn Miswachs 
einfiel, sprach er: „Es muß darum an Eurer Besoldung 
nichts abgehen. Ich will einen Nachschuß tun vom Boden.“ 

Jahrzehnte hindurch prüfte er alle halben Jahre den 
Zustand der Kirchen ‚und Pfarrgebäude, sowie der Schulen. 
Schößer, Richter und Kirchenväter mußten ihn dabei be- 
gleiten. Nicht das geringste entging seinen scharfen Blicken. 
Kaum, daß eine Schindel ausgefallen war, so befahl er ihre 
alsbaldige Ergänzung. Die Kirchenväter mußten dabei 
hören: „Ei, wenn Ihr Eure Seelsorger recht lieb hättet, so 
würdet Ihr auch Achtung haben, daß sie im trocknen sitzen 
möchten!“ 

Um Zwistigkeiten vorzubeugen, merkte er darauf, daß 
die Pfarrgrundstücke gehörig verraint und vermalt würden. 
Keine Beschwerde scheute er deshalb, ritt selber auf alle 
Winkel, führte die Gemeindeältesten an Teichen, Hölzern, 
Wiesen und Brachen herum, beschied dazu an jede Stelle 
die Leute, welche Güter dabei oder daneben hatten, schlichtete 
Meinungsverschiedenheiten, richtete Zeichen und Merkmale 


124 


an Rainsteinen, Bäumen und Gräben auf, damit ein jedes 
das seine in Ruhe und Frieden ohne Verletzung brauchen 
möchte. Auch den Grenznachbarn seiner Gemeinden prägte 
er ein, daß sie ja nichts den Kirchengtitern entziehen oder 
abzwacken dürften; denn es käme ihnen und ihren Erben 
doch nicht zu gute; sie hätten es hoch vor Gotte zu ver- 
antworten, wo sie seinen lieben Dienern etwas raubten. 


Sein Verhalten und Reden bei solchen Besichtigungen 
lassen schon vermuten, daß ihnen Beeinflussungen des Ge- 
meindelebens entsprochen haben werden. Er war ein Feind 
der bäuerlichen Prozeßsucht. Ihr trat er zeitigst entgegen. 
Täglich gab er nach Tisch eine Stunde lang seinen Unter- 
tanen Audienz und beschied sie gütlich“). Wo Lust vor- 
banden war nach gerichtlicher Entscheidung, lud er den 
damit behafteten vor sich und bemühte sich um Beilegung 
des Handels. Gelang es ihm nicht, so befahl er dem Schößer: 
„Laß mir diesen in das Studierstüblein führen.“ Im Schloß- 
turme hatte er nämlich einen besonderen Raum für Zänker. 
In diesen wurden sie eingesetzt, damit sie sich besinnen 
und gutem Rate folgen lernten. „Denn,“ erklärte er, „es ist 
viel besser, ich bringe sie durch solches Mittel zu Verstande, 
als daß ich sollte zugeben, daß sie nach ihrem störrischen 
Sinne das ihre verhadern.^ So verhinderte er von vorn- 
herein, daß der Rechtsweg beschritten wurde, er meinte, die 
Leute gewöhnten sich sonst ans Zanken, wenn man ihnen 
nicht einredet, und verderben darüber. „Kann ich einem 
sagen, wie er sein Recht ohne Unkosten finde, und, wo er 
nicht will, so gebührt mir, den Ernst zu gebrauchen und 
solche mutmaßliche Lust zum Zanken zu strafen.“ 


Seine Friedensliebe wird es gewesen sein, die ihn nicht 
erst warten ließ, bis er gedrängt wurde, Mutzschen Stadt- 
rechte zu verleihen, Er tat es freiwillig 1544. Wußte er 
sich jedoch im Rechte, so verzichtete er nicht auf dieses, 
wenn er den Gegner nicht anders überzeugen konnte. Als 
er wegen einiger neuerbauter Häuser in Gastewitz mit dem 
Amte Grimma in Irrung geriet, wich er dieser nicht aus“). 


1) Peccenstein, Theatrum Sax. Jehna 1008, S. 87, 
9) Dresden, Cop. 288, fol. 175 b. 


125 


VII. 

Diese Nachrichten über Starschedel überliefert Schuwarüt 
in seiner „Regententafel“, dessen Vater 24 Jahre Pfarrer 
und Prediger zu Mutzschen war!) So oft er Starschedels 
gedenkt, verrät er, daB er es aus inniger Verehrung tut. Es 
hatte schon auf den Knaben einen tiefen Eindruck gemacht, 
daß der Patron alle Predigten mit Fleiß hörte und durch 
keinen Frost, Schnee, Regen oder Schlaf sich davon zurück- 
halten ließ. Noch vor Beginn des Gottesdienstes fand er 
sich. ein, und wie er als erster in die Kirche kam, so ver- 
ließ er sie als letzter. Seitdem er durch Luther die reine 
evangelische Lehre erkannt hatte, war er beflissen, beim 
rechten Glauben zu bleiben. Alle Sophisterei und falsche 
Lehre war ihm zuwider. Immer nach voller Gewißheit 
strebend, holte er sich bei seinem Geistlichen Rat, wenn er 
sich über etwas unklar war. 

Ausgeprägt war seine „Abscheu gegen des Papstes 
Tand und Irrtum“. Welche Stellung er daher gegen das 
Interim einzunehmen hätte, darüber war er sofort nicht 
im geringsten Zweifel. Wie mag er sich gefreut haben, als 
sein einstiger Pfarrer Klappe als Superintendent zu Großen- 
hain gegen die Einführung des Leipziger Interims heftigen 
Widerstand leistete, und daß es der Superintendent Wolf 
in Colditz tapfer ablehnte, dafur fand er in Mutzschen Beifall. 
Als Moritz seinen Räten befahl, außer den Geistlichen auch 
„andere Leute“ Mai 1549 nach Grimma zu laden, rechnete 
er offenbar mit starkem Widerstande; denn er bedachte alle 
mit Strafe, welche das Interim nicht annähmen. Nicht bloß 
Superintendenten und Pfarrer sollten erscheinen, auch Fürst 
Georg von Anbalt, Melanchthon und Camerarius 
fanden sich ein. Zwar nahmen die Theologen den Agenden- 


1) Nach Knauth, Altzellaer Chronik, III, S. 182 verließ Schuwardt 
Roßwein 1539, wo er Schulmeister gewesen war. Als Zeit seiner 
Mutzschener Amtsdauer gibt Kreysig 1537—1574 an und läßt die 
seiner Vorgängers Burkhoven ungewiß; er kennt auch nicht den 
2. Diakonus in Mutzschen. Dieser war Schuwardt sen.; daher wird 
er vom Sohne Prediger genannt, rückte später ins Pfarramt auf. 
Nicht zutreffend können auch die Angaben der Kirchengalerie, Eph. 
Grimma sein, nach denen er 1529 Diakonus, 1553 Pfarrer in Possen- 
dorf, und 1557—1574 Pfarrer in Mutzschen war. 


126 


entwurf Georgs an, jedoch nur unter der Bedingung, daß 
mit Publizierung und Druck der neuen Ordnung gezögert 
und zunächst bloß etliche Artikel aus ihr den Pfarrern be- 
kanntgegeben würden. Aber gerade im Grimmaer Kreise 
war der Unwille gegen das Interim so heftig, zumal unter 
dem Adel, daß in diesem nicht einmal der sog. Auszug zur 
Einführung gelangte). Starschedel war das Interim gleich 
von vornherein darum verdächtig, weil er von ihm Streitig- 
keiten befürchtete; und wenn irgendwelche, so waren ihm 
solche um das Glaubensbekenntnis besonders verhaßt. Junge 
Leute ermahnte er deshalb oft, sich vor diesen zu hüten und 
„durch keine schöne Deutelung von der gegründeten Wahr- 
heit sich abführen zu lassen“. 

Am besten fand er sie von Luther zum Ausdrucke 
gebracht. Alle und jede Bticher von ihm, große und kleine, 
seit dessen Auftreten, hatte er nacheinander erworben. Sie 
las er fleißig und ließ sie später von seinen Geistlichen und 
anderen sich vorlesen. Am höchsten schätzte er des Refor- 
mators Kommentar zum Galaterbriefe. So war er mit dessen 
Auslegung vertraut, daß er sie auswendig konnte. Um nötigen 
Falles die Stellen zu finden, die er für die wichtigsten hielt, 
hatte er sie unterstrichen nnd sonst sich merklich ge- 
macht. Viele von ihnen hatte er in sein Gebetbuch einge- 
tragen, das er sich eigens zusammengestellt hatte und auf 
seinen Reisen stets mit sich führte. Aus den Lehrschriften 
Luthers hatte er sich einen Auszug gefertigt, in dem er 
so ziemlich alle Aussprüche desselben tiber die Rechtfertigung 
avs dem Glauben bei einander hatte. Über dieses Lehrstück 
besprach er sich am häufigsten mit seinen Geistlichen. 

Die einzigen waren sie nicht, die ihm hierüber Rede 
stehen mußten. Hatte er Gäste um sich, so war er mit ihnen 
bald in einem christlichen Gespräche. Mit „Gelehrten vom 
Adel“ solche zu führen, liebte er sehr. War er bei seiner 
regelmäßigen Bibellesung auf einen Spruch gestoßen, über 
dessen Auffassung er sich nicht völlig klar war, so wußte 


1) Sehling, Die Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen, 
Leipzig 1899, S. 109, Westphal, Fürst Georg zu Anhalt, Leipzig 1907, 
S. 70. A. Chalybäus, Die Durchführung des Leipziger Interims 
Chemnitz 1905 (Diss.), S. 67, NASG. XV, 8. 229. 


127 


er „ihn auf die Bahn zu bringen“. Es entwickelten sich 
dann jörmliche Disputationen, zu denen er aus seiner statt- 
lichen Bibliothek Schriften herbeiholen ließ, nicht zuletzt die 
Bibel, und er ruhte nicht eher, als bis „die gründliche Wahr- 
heit erkundet war. Das war seine liebste Kurzweil und 
beste Übung“ ). 


VIH. 


Der kirchlichen Bewegung und seinem eigenen Gebiete 
konnte er in ausgedehntem Maße seine ganze Aufmerksam- 
keit schenken, seitdem er die kurfürstlichen Ämter nieder- 
gelegt hatte. Schwere Kämpfe wird es ihm verursacht 
haben, sich von Johann Friedrich zu trennen, dem er 
Jahrzehnte hindurch nahe gestanden und dessen Vertrauen 
er reichlich genossen hatte. Seiner Pflichten war er allerdings 
nicht entbunden worden. Wohl möglich, deshalb, oder viel- 
mehr darum hatte er sie nicht freiwillig niedergelegt, weil 
er die Hoffnung hegte, daß des gefangenen Kurfürsten Ge- 
schick noch eine günstige Wendung nehmen könnte. Ab- 
wartend folgte er den Ereignissen und bezog noch, wie 
andere Räte, seine Besoldung?). Die Behandlung, die von 
Karl V. seinem Herrn und dem Landgrafen Philipp wider- 
fuhr, verdunkelte von Woche zu Woche die Aussicht auf 
eine Verbesserung ihrer und damit ihrer Anhänger Sache. 

Nun war Starsobedel mit Erbhuldigung und Lehnspflicht 
infolge der Ereignisse an die Ernestiner gewiesen. Würde 
er sie Moritz nicht leisten, so hälte er zu gewürtigen 
gehabt, daß dieser, wie König Ferdinand die Güter 
in'den ihm zugefallenen Gebieten, auch Mutzschen mit Beschlag 
belegen würde. Ein Ersatz für den ihm von Moritz drohenden 
Verlust durch die Ernestiner war ausgeschlossen. So war es 
die Existenzfrage für ihn und seine Familie, daß Starschedel 
Ende Juli 1547 sich auf dem Leipziger Landtage einstellte. 
Ein geringer Trost wird es ihm gewesen sein, daß er die 
alten Freunde, wie AsmusSpiegel,Hansvon Weißenbach, 
Heinrich von der Planitz u. a. zu Genossen hatte ). 


) Schuwardt, S. 159 fl. 
) Neudecker, S. 151. 
) von Langenn, II, S. 351 fl.; Archiv VIII, S. 172, 


128 

Wie empfand Johann Friedrich den Abfall seiner 
bisher Treuesten? Er mußte sich bitter getäuscht fühlen, 
daß er sich auch von seiner nächsten Umgebung verlassen 
sah um äußerer Vorteile willen. Auf den Brief, in welchem 
der im Unglück Standhafte von seinen Söhnen tiber das 
Zurückweichen seiner Räte Kunde empfing, antwortete er: 
„Wir müssen solche Untreue Gott befehlen, dessen Gericht 
sie nicht entlaufen werden“ !). 


IX. 


Daß Starschedel seitdem öffentlich hervorgetreten wäre, 
dafür liegen keinerlei Belege vor. Nur bei besonderen An- 
lüssen schwieg er nicht, jedoch auch da, mehr von anderen, 
wie es scheint, dazu bewogen, als freiwillig handelnd. Er 
lebte fortan Haus und Gemeinde, von denen er bisher zu- 
meist hatte fern sein müssen. Für die Kinder bemühte er 
sich um tüchtige Lehrer, aber auch er selbst unterrichtete 
und prüfte sie. Dazu war er sicherlich befähigt. Denn wie 
hätte er die Studien der Prinzen beaufsichtigen können, wenn 
er selbst dafür die nötigen Kenntnisse nicht besessen hätte? 
Mit Vorliebe unterwies er seine Kinder im evangelischen 
Glauben. Vielmals sprach er ihnen Luthers Kleinen 
Katechismus vor. In seinem Alter „hatte er große, tröst- 
liche Freude“ an den schönen Reimen, darein der Spruch von 
dem Nutz des Leidens Christi darch D. Erasmus Alber 
gefaßt ist. Diesen Reim mußten ihm die Kinder alle Tage 
vor Tische erzählen, welche also lauten: 

Das Lemblein Gottes Jesus Christ 
Für vnser Sund gestorben ist. 
Er trug die straff an vnser statt 
Von wegen vnser missethat: 
Ein jeder Christ das eben merck 
Vnd frey verwerff all ander werck, 
Die sich setzen an Christus statt 
Wider des ewigen Vaters rath. 

Bisweilen pflegte er hinzuzufügen: „Da liegt alles. Wenn 

das meine Kinder behalten, wo es gleich zur Verfälschung 


1) Beck, I, S. 91. 


129 


des göttlichen Wortes wiederum käme (davor Gott behüte), 
so würde Gott sie und alle, so es von Herzen glauben, durch 
seinen heiligen Geist wobl vor allem Irrtum bewahren und 
erhalten“ ). 


Vermählt war Starschedel in erster Ehe mit Ursula 
Pflugk aus Lampertswalde, in zweiter mit Sara von 
Haugwitz’). Drei Töchter“) waren an Schleinitze 
verheiratet, Anna (geb. 1546, gest. 1595) nach Seerhausen *), 
Katharina nach Hof, Margarethe nach Jahnishausen- 
Sein ältester Sohn Heinrich starb vor dem Vater. Dieser 
hatte für ihn Markkleeberg erworben, das bis 1620 in den 
Händen der Starschedel blieb. Von den Markkleebergern 
studierten einige in Leipzig. Haubold (f 1581) hatte 
Merzdorf inne, das seine Nachkommen bis 1730 besaßen ). 
Als er, wie damals manche andere, gern Ankäufe in Nord- 
böhmen gemacht hätte (1585), hatte er an Kurfürst August 
einen Fürsprecher, damit er von Kaiser Rudolf, „wie in 
der Krone Böhmen gebräuchlich, zu einem Böhmen ange- 
nommen würde“). Innocenz (geb. 22. Juli 1543, gest. 
15. Aug. 1605), „ein trefflich ansehnlicher Mann““), war 
kurfürstlicher Landrat und Obersteuereinnehmer, auch Hof- 
marschall. Er hatte außer Borna bei Oschatz noch Mölbis 
im Leipziger Kreise, das sein gleichnamiger Sohn bis 1650 
zu eigen hatte. Dem jüngsten Sohne Georg, dem Gelehr- 
samkeit nachgerühmt wird, wird Stein und Wolfersdorf zu- 
geschrieben: über den Besitz von diesem läßt sich zuver- 
lässiges nicht ermitteln; mit jenem wird Steinigtwolms- 
dorf gemeint sein. Gleich 1586 ward er mit ihm von 
Christian I. belehnt. Dabei verblieb ihm noch soviel 
an Geld, daß er seinem Schwiegervater 20000 Gulden 


1) Schuwardt, S. 159f.; vgl. des Verfassers Erasmus Alber, 
Leipzig 1910, S. 159ff. 

*) Dreßn., g. Anzeiger, S. 527. 

) Ebenda, S. 554. 

*) Über ihr Grabmal Bau- und Kunstd. i. K. S. Heft 27/28, 
8. 114ff, 

) Hausen, S. 475. 

*) NASG. XXII, S. 995. 

7?) Peccenstein, 8. 87. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 3. 9 


130 


zum Ankaufe der böhmischen Herrschaft Hainspach borgen 
konnte !). 

Den Söhnen ward dieser reiche Grundbesitz dadurch 
ermöglicht, daß sie Mutzschen mit dessen ganzem Zubehöre 
unter sich teilten und nach und nach an Kurfürst August 
veräußerten, der es mit anderen Liegenschaften 1585 zu dem 
Amte Mutzschen vereinte?) Erst ihre Nachkommen traten 
durch verwandtschaftliche Beziehungen wieder mit den 
Ernestinern in nähere Verbindung. Dagegen verknüpften bald 
solche Heinrich mit Dresden. Hier genoß er so hohes 
Ansehen, daB er 1558 dahin während August's Abwesenheit 
zum Kurfürstentage in die Regierung berufen ward )). 

Wie stand nun zu diesem der Vater? Moritzens 
Politik hatte er nie gebilligt. Der einflußreiche Adel hatte 
im Herzogtum ausgeprägt romanisierende Neigungen und 
ward in ihnen durch Christofs von Garlowitz 
Pläne bestärkt, die dem Interim zugute kamen. Dieser 
wird es vor anderen gewesen sein, der Starschedel abstieß:. 
mit seiner verschlagenen Art erweckte er bei Starschedel 
nur berechtigten Argwohn. Jedoch waren die vielfachen 
Verschwägerungen und sein zerstreuter Grundbesitz wie für 
seine Standesgenossen, so auch für ihn nicht von solchem 
trennenden Einflusse, daß sie ibm nicht von jeher Beziehungen 
zu beiden sächsischen Höfen wtinschenswert gemacht hätten. 
Bezeugt wird es von dem wohl einzigen Briefe, der sich 
von Starschedels Hand erhalten hat. Er ist an den Sekretär 
Moritzens, Joachim Faust, gerichtet. In der Anschrift 
nennt er ihn seinen „freundlichen, lieben Schwager“, Der 
Brief*) lautet: . 

Dem erbarn und vesten Her Jochem Fausten f. g. 
Herczog Moriezen zu SachBen ete. Secretarir meinem 
freuntlichenn liben Schwagern zu Handenn. In Dreßdenn. 

 Erbarer und namhafter Her Schwager Faust, wo es 
euch allenthalben glüeglichen Zustunde sampt al dem eurn 
libenn vorwanttenn, erfure ich gerne, meiner Perschen halben 
danke ich got, der schaffs auch weyter nach seine gothlichem 


ı) W. von Boetticher, Gesch. des Oberlaus. Adels und s. Güter 
1635— 1835, Bd. II. S. 914. 

*) Lorenz, S, 1075f. 3) Hausen, S. 474. 

) Dresden. Loc. 966 ff. Etzliches Herzog Moritzen zu Sachsen. 
Altes gemeines Landhandels 1517—1576, II, S. 281. 


131 


gefallenn und ferleye geduld Jnn in aller widerwertigkeyt etc. 
Was aber meine Sache belangende alhy mit meinem 
glaubiger darinnen Jr mir willig gedenet und freunthlich 
erezeyget, mir zu furderungk und wy dy fortragen und 
hingelett, hab ich meinem Vetter Josten geschrieben, for 
eezlichen wochenn, euch dasselbe zu berichten, hoff sey Jm 
auch nachkomenn, bedank mich euer gunstigen furderungk. 

Auch weyter wil ich euch nicht bergenn, gunstiger 
Her Schwager, eines Hendlers von Kraca dener, alhy bey 
mir gewest, Jm durchreyten ken Nurmberk, schreybt mir 
sein Her, mein gar gut freundt, under andern, wy Er forder 
gute Zebel bekomen, mittell gattungk, desgleychen geringer, 
ecgliche Zimmer!), mich zu erkunden, ob m. g. Hern von 
solcher gathungk icziger Zeyt was willens zu keuffen, bitt ganz 
freundthlichen mit, dasselbe bey f. g. Herczog Moriczen etc. 
erforen, desgleychen vonn großen schenen Zal Perln 
aber sunst Klenodia und mir solchs zu wissen thuen, Ich 
Jm antwort schribe, wolde alhier an mich schicken, dis 
dan f. g. besichtigen mochten, das Erbithe ich mich als ein 
dankbarer zu vordenenn etc. Sunst sagt derselbe dener, 
wy Er den nechsten markt zu Lublyn geweßen, seint vil 
thurkische Kaufleute daselbst mit vil waren ahnkomen, 
al Schamlot muh?) eyer und dem meysten teyl Ingwere, 
sey dy sage allentthalben, der thurk mit dem Persier so 
vil Zuthuen gewunnen, denn Er Jm ein son Erschlagen, er 
dysen Sumer unser forgessen sol, geb got diese zeytungk 
mit wohrheyt verfolge Amen. Dormithe Jn dy bewahrungk 
gotis befolnn, des sey unser trost mit bit Eur libe haüsfraw 
von meine wegen zu grüssen. 

dat. Freyberk uff 24 merczo A? 1545. 

Bit mit ersten antwort. 

D: Starczedell. 
E. w. G. 


Zu diesem Briefe bewog Starschedel offenbar eine Streit- 
Sache. Da sie bis in die Herzogliche Kanzlei gelangte, 
wird die Geldangelegenheit, um die es sich handelte, keine 
geringe gewesen sein. Für ihre ihm günstige Erledigung 
stattet Starschedel seinen Dank ab und möchte sich durch 
eine Aufmerksamkeit Moritz erkenntlich erweisen. Mehr 
als dieses wird er nicht bezweckt haben wollen. Vermitt- 
lungen wie die, zu welcher er sich erbot, wird er oft am 
kurfürstlichen Hofe übernommen haben. Aus seiner „Freund- 
wir Paar zusammen gebundene Zobelfelle. 


3) unleserlieh. 
Q ? 


132 


schaft“ mit dem Krakauer Händler darf schwerlich auf 
Eigennutz bei ihm geschlossen werden!). Wahrscheinlich hatte 
er, gleich vielen seiner Zeit, eine Vorliebe für kostbare 
Seltenheiten, und für sie entbehrte er nicht der Mittel. 

Den völligen Bruch zwischen Weimar und Dresden sah 
er wohl kommen. Daß er seines alten Herren je vergessen 
hätte 9), ist schwerlich anzunehmen; ganz unwahrscheinlich 
aber, daß er in die Spuren eines Carlowitz getreten wäre. 
Aber wie hart mag er es empfunden haben, daß er seinem Kur- 
fürsten im September 1552 bei dessen Rückkehr aus der Ge- 
fangenschalt nicht inmitten der alten Gefährten begrüßen konnte? 

Noch einma! war er für die Ernestiner tätig und wird 
für sie nur zum guten geredet haben: es war für ihn wohl 
die letzte Gelegenbeit, ihnen seine dankbare Gesinnung zu 
bezeugen. Denn zu den „teuflischen Räten“, vor denen 
Johann Friedrich im Testament seines Vaters gewarnt 
worden war, gehürte er nicht. Bei der Achtung, die er ge- 
noD, war er unter denen, die zum Abschlusse des wichtigen 
Naumburger Vertrages 1554 zugezogen wurden. Unter dessen 
Unterzeichnern steht sein Name an zehnter Stelle“). Am Tage 
vor seinem Tode (2. Mürz 1554) unterschrieb ihn noch 
Johann Friedrich. Seine Mahnung an die Sóhne, unter 
sich Zwietracht und Uneinigkeit zu vermeiden, baben diese 
nicht erfüllt: wer wird dartiber betrübter gewesen sein, als 
ihr einstiger, fürsorglicher Tutor? 

Daß er mit Kurfürst Augustin ein ertrüglicheres Ver- 
hültnis kam, als mit Moritz, erleichterte ihm die kirchliche 
Wandlung. Aber wenn jener am 24. Juli 1557 von den 
34 Stellen für den Adel an der Meißener Landesschule eine 
den Mutzschener Starschedel verlieh“), so war dieses zunächst 
als eine ausgleichende Gewährung für die klösterliche 
Stiftung der Familie gedacht und zugleich als ein huldvolles 
Zeichen der Anerkennung für sie: ob sie mehr dem Sohne, 
als dem Vater galt, muß dahingestellt bleiben. 


1) Dresden, Loc. 9664, Bd. II, S. 281. 

7) Weimar, Reg. L. 

3) Weichselfelder, Johann Friedrich, Frankfurt 1754, S. 901 ff.; 
Mentz III, 328 ff. 

4) NASG., VIII, S. 142. 


133 


Ganz in Schweigen hüllte sich Starschedel nicht. Zu 
teilnehmender Verfolgung der Ereignisse bewog ihn schon 
das Amt seines Sohnes Innocenz. Fand er es geboten, so 
griff er auch in sie ein. Wie vermochte er denn Zurück- 
haltung zu. üben, wenn er andere mit Unrecht leiden sah? So 
„suppliziert“ er mit Hans von Scholemberg und Christof 
von Haugwitz 1554 für Gefangene beim Rate zu Borna!) 

Aus Thalheim stammte seine zweite Frau. Sie wird 
ihn beredet haben, an einer gemeinsamen Fürbitte bei Kur- 
fürst August für Johann VIII. von Haugwitz sich zu 
beteiligen. Bekannt war er ja gewiß mit den Vorverhand- 
lungen für dessen Wahl zum Meißner Bischofe. Daß er ohne 
Erfolg für ihn sich verwandte, ist begreiflich. Denn wenn der 
Bischof sich bei Ferdinand dartiber beschwert hatte, daß 
seine „Jugend und Unerfahrenheit“ — er war damals 
31 Jahre alt — vom Kurfürsten zu einem ihm lästigen Ver- 
trage mißbraucht worden wäre, und wenn er diese Anklage 
gerade zur Zeit der Verhandlungen zum Augsburger Religions- 
frieden erhob, so mußte er damit Augusts Unwillen er- 
regen“). So fällt denn der Bescheid an die Fürsprecher 
ziemlich ungnädig aus. Es wird ihnen eröffnet: „Wir haben 
Bedenken, daß wir uns für uns selbst oder unsere Räte mit 
dem Bischof in Schriften oder sonst einlassen, denn ihm selbst 
„ohne das wohl bewußt, wessen er sich gegen uns wohl- 
bedächtig verpflichtet, wie ihm denn alles sein gertihmtes 
enges Gewissen bezeugen kann“ ). 

Nachgetragen hat jedoch Kurfürst August die Ein- 
mischung in die heikle Sache Starschedel nicht. Ein Lob 
spendet er ihm und seiner ganzen Familie, wenn er Pfalzgraf 
Wolfgang bittet, den Sohn von Innocenz Starschedel 
als Edelknaben anzunehmen und zu erhalten. Er begrtindete 
es damit: „Denn er eines guten, alten Geschlechtes und Her- 
kommens und Namens ist, sein Vater auch unser ältester 
Rat und Diener gewesen“. So am 16. Februar 1562*).- 


2) Dresden, Cop. 265, Bl. 2241. 

2) Machatscheck, Gesch. des Hochstiftes Meißen, Dresden 1884, 
S. 774. 

) NASG., VI. S. 1981. 

) Dresden, Cop. 318, fol. 4f.; auch Hausen, S. 474. 


134 


X. 


Dietrich von Starschedel lebte damals nicht mehr. 1561 
ist er gestorben. Weder in der Kirche zu Mutzschen, noch 
in seinem Schlosse hat sich eine Erinnerung an ihn erhalten. 
Aber er verdient des Gedächtnisses, nicht bloß als ein sächsischer 
Zeuge des Wormser Reichstages, auch um seiner ganzen 
Persönlichkeit willen. Er ist vor vielen seines Standes eine 
liebenswürdige Erscheinung. Peocenstein hebt seine Gott - 
seligkeit, Demut und Sanftmut hervor; der Kanzler David 
Peifer nennt ihn fortem virum, Marschalli munere ita per- 
functum, ut omnes intelligerent, neque ei fidem deeBe neque 
industriam!)  GewiB, seine evangelische Stellung' ist nicht 
nur eine äußerliche, er ist ein evangelischer Bekenner in 
seinem ganzen Leben und Wandel, so weit er aus der 
Überlieferung erkennbar ist. Daß er nach 1521 nochmals 
mit dem Reformator zusammengetroffen, ist wahrscheinlich, 
jedoch nicht nachweisbar. Ob er davon auch viel Rühmens 
gemacht hätte? Schwerlich; denn von Selbstlob, schon von 
Selbstverteidigung ist er weit entfernt. Bei seiner Verehrung 
Luthers wird es ihn unangenehm berührt haben, daß seine 
Nichte Anna den Wittenbergern Anlaß gab, sich mit ihr be- 
schäftigen zu müssen. Als sie eine Zeitlang zu der Um- 
gebung der Kurfürstin Sibylle gehörte, hatte ihr Prinz 
Ernst von Braunschweig-Grubenhagen „mit Beteuerung ein 
Ehegelübde getan“. Der Vorfall erregte Jahre hindurch 
vieles Aufsehen. Aus Rücksicht auf den Braunschweiger Hof 
ließ der Weimarische den Prozeß im Sande verlaufen, zu- 
mal als Ernst von Starschedel Herzog Philipp I. den Eid 
zuschob, daß dieser selbst dem Verlöbnisse nicht zuwider 
gewesen wäre. Luther erklärte schließlich: „Heimlich Gelübd 
nichts anderst ist, noch sein kann, denn ein päpstlich Ge- 
schäft und Teufelsgestift wider der Ältern Willen, d. i. wider 
Gottes Gebot und Befehl den Ältern gegeben, und eitel groß 
iammer und Herzeleid daraus kommt mit allerley verwirrung 
und ferlichkeit der Gewissen“ ). 


!) Peiferi epp., Jenae 1708, pag. 111. 
) Luthers Briefe, ed. Enders, XIII. S. 320, 316; XIIII, S. At; 
XV, S, 16. — König, I, 948. 


135 


Wenn Luther oft harte Reden führen mußte uber die 
Begehrlichkeit des Adels nach Kirchengtttern!), so konnte 
sich Starschedel nicht davon getroffen fühlen. Die Opfer- 
willigkeit seiner Ahnen gegen die mittelalterliche Kirche 
übte er gegen die evangelische Kirche. Vor vielen zeichnet 
er sich aus durch sein Verständnis für bäuerliche Verhält- 
nisse. Dabei läßt er nicht das geringste davon merken, als 
ob er mit seiner Leutseligkeit etwas besonderes tue. Große 
Gewissenhaftigkeit ist ihm eigen. Sie läßt ihn jedoch nicht 
seinen Nutzen allein im Auge haben. Er verrät eine ge- 
wisse Vertrauensseligkeit, wenn er wiederholt Schuldnern 
Beträge borgt, die er nur mit Mühe zurückerhalten konnte. So 
konnte er sich ausgeben, daß er selber Johann Friedrich 
um ein Darlehen angehen mußte und bei Fälligkeit der 
Rückzahlung diese nicht zu leisten vermochte, weil er von 
seinen Schuldnern nichts zurück erhielt“). Sicher hat Johann 
Friedrich genau gewußt, was er an Starschedel verloren 
hatte, und dieser, eine mehr innerlich gerichtete Natur, wird 
schwer an dem Vorwurfe der Untreue getragen haben: ob 
er nicht infolgedessen von Dresden sich mehr fern hielt, als 
andere? | 

Ein neues Geschlecht sah er in den eigenen Söhnen 
heraufkommen, dem er bisweilen fremd gegentiber gestanden 
haben mag: regen Geistes, hat er versucht, sie zu verstehen. 
Denn ähnlich wie ihm, wird auch den Söhnen nachgesagt, 
daß sie ,sanftmütig gegen männiglich, dienstfertig und frei- 
gebig gewesen seien“). Sie wurden von ihm ermuntert, in 
des Vaters Fußtapfen zu treten. 

Mit seinem ganzen Hause muß er vorbildlich gewirkt 
haben. Daß er sich in ihm, und zwar nicht erst in späteren 
Jahren am wohlsten fühlte, ist sicherlich keine bloße Ver- 
mutung. Daher wird es rühren, daß er trotz seiner geistigen 
Begabung öffentlich nicht so hervorgetreten ist, wie andere, 


1) Eine übersichtliche Zusammenstellung dieser bei Mentz, 
Bd. III, S. 2341. 
9 Weimar, Beg. K, fol. 324—388, Faszikul SS 1, fol. 2ff. Er 
hatte 7000 fi. erhalten, konnte jedoch blos 5000 fl. zurlickerstatten, 
weil sein Schuldner ihm nichts zahlte. 

3) Peccenstein, S. 87. 


136 


denen er an Begabung und Kenntnissen nicht nachstand. 
Nach seiner ganzen Art war er in engem Kreise einflußreich. 
Daher vertraute ihm auch mit Vorliebe Johann Friedrich 
die Prinzen an, und nichts wird Starschedel versänmt haben, 
ihnen ein gewissenhafter Erzieher zu sein. Wer möchte 
vicht den Gesprächen auf Jagdausflügen gelauscht haben? 
Es will scheinen, als ob auch manche Verbesserungen in der 
weimarischen Hofhaltung auf ihn zurückzuleiten sind. Denn 
hätte er im gegebenen Falle nachdrücklicher Bestimmtheit 
ermangelt, so wäre kaum gerade er zu schwierigen Auf- 
trägen und Verhandlungen benutzt worden. Zu ihnen hat 
er sich gewiß nie gedrängt, Bene vixit, qui bene latuit, 
mag seine Meinung gewesen sein. Es war ihm daher nur 
recht, wenn er in seinem stillen Mutzschen dem Verlaufe 
der Dinge folgen konnte. Hier hätte er jedoch nimmer Be- 
suche empfangen, wie sein Bruder Ernst den eines Nickel 
Minckwitz, welcher Sold vom französischen Könige an- 
genommen hatte, selbst wenn dieser durch Ernsts Schwager, 
den Leipziger Amtmann Joh. Spiegel vermittelt war!). 
Dagegen scheute er sich nicht, für bedrüngte Standesgenossen : 
Fürsprache zu tun, wie er auch geringer Leute sich für- 
sorglich annahm. 

Je länger, desto mehr galt sein Sinnen und Wirken 
der evangelischen Kirche. Einer Verquickung ihrer Interessen 
mit der Politik, wie er ihr bei Moritz begegnete, hat er 
niemals das Wort geredet. An Kompromißsucht krünkelte 
er nicht. Was er durch Luther von und an der evangelischen 
Kirche hatte, schätzte er zu hoch, als daß er je das geist- 
liche Regiment mit dem weltlichen Regiment vermengt hätte. 
In der Zeit des Interim sah er, wie schwüchliches Nachgeben 
nur größte Gefahren und schwerste Verluste zur Folge hat. 
Der Bestand der Kirche verlangt unverktimmertes Bekenntnis 
in Wort und Tat, um segensreich wirken zu können für die 
Gesamtheit. 

Vier Jahrzehnte seines Lebens hatte er hierüber 
Beobachtungen anstellen können. In dieser ganzen Zeit 
zeigt er sich als evangelischen Christen. An Worms er- 


1) Archiv X, S. 406. 


137 


innerte er sich häufig, weil er hier durch Luther für 
das Evangelium gewonnen worden war, und weil die Kirche: 
des Augsburgischen Bekenntnisses nichts anderes als das 
ganze lautere Evangelium als Regel und Richtschur hat, hielt 
er entschlossen an ihr fest. Es spricht für ihn, daß er 
Gefallen fand an Erasmus Alber, dem charaktervollen 
Schuler Luthers, und dessen Reime für die Kinder be- 
vorzugte. An ihnen erntete Starschedel das schöne Lob 
Albers, daß angeborner Adel zum Adel, d. i. zur Tugend 
reizen und treiben soll!). Näher jedoch liegt es, daß der 
dankbare Verehrer Luthers zeitig von ihm sich hatte 
sagen lassen: „Gott hat dir den Adel nicht zur Hoffart, 
sondern nur zum Nutz und Gebrauch gegeben. Ein löblicher 
Adel heißt, der Gott fürchtet, sein Wort ehrt, seinem Fürsten 
und Herrn treu und gehorsam ist, sein Haus ehrlich und 
züchtig regiert, sein armes Land schützt und fördert, wo er 
nur kann“); und dem hat Dietrich von Starschedel nach- 
gestrebt. S . 


) Ein gut Buch von der Ehe, Bl. Giij 2, vgl. Körner, E. Alber S. 34, 
5 Lutbers Werke, Erl. Ausg.. Bd. 45, S. 412; Bd. 82, S. 19. 


Briefe aus dem 16. Jahrhundert. 


Mitgeteilt von Gastav Bossert. 


Die Sammlung historisch-berühmter Autographen oder 
Faksimiles von Handschriften ausgezeichneter Personen alter 
und neuer Zeit. Erste Serie Stuttgart, Ad. Bechers Ver- 
lag 1846 enthält einige Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die 
noch unbekannt sind. Leider sind die Briefempfänger nicht ge- 
nannt, da die Anschriften nicht mit abgedruckt sind. Man 
ist also auf Umwege angewiesen, um die Briefempfänger 
festzustellen. Freilich ist dabei die Gefahr, daß daneben 
gegriffen wird. Daher bleibt es bei salvo meliori. 

]eh gebe einen Brief von Bucer, dann von: Cochleus, 
weiter ein Fragment von Johann Forster, ein Schreiben von 
Kardinal Albrecht von Mainz, und endliche einige Berichti- 
gungen zu einem Erasmus-Brief. | 

Bucer an die Prediger zu Basel, Augs- 
burg 1537 Juni 9. Am 18. Mai 1537 war Bucer auf 
den Ruf des Rats nach Augsburg zur Durchführung einer 
Kirchenordnung und zur Hemmung jener der Wittenberger 
Konkordie ungünstigen Bestrebungen gekommen und weilte 
dort bis 9. Juli (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 324. 365. Anm. 103). 
Der Brief Bucers enthält nur das Monatsdatum 9. Juli, aber 
er kann nur, wie der Inhalt zeigt, aus dem Jahre 1537 und 
der Zeit von Bucers Tätigkeit in Augsburg stammen. Denn 
dieser diente, wie er schreibt, instituendis lectionibus, con- 
firmandis ritibus, restitutioni disciplmae. Dabei aber be- 
‚schäftigte ihn auf das heftigste die Sorge um die Gewinnung 
der Schweizer für die Wittenberger Konkordie.. Über diese 
Bestrebungen bekam er sehr ungtinstige Äußerungen zu hören. 
Vor seiner Reise nach Schmalkalden, wo er am 7. März 1537 
weilte (Schieß, Briefwechsel der Brüder Blaurer I, XLV, 
Nr. 762. 2, 829), hatte er sich noch brieflich an die Prediger 


139 


der Schweizer Kantone gewandt, aber nicht viel ausgerichtet. 
Am meisten schmerzte ibn, obwohl Bullinger in Zürich die 
Führung in der Abweisung der Wittenberger Konkordie 
übernommen hatte, die Haltung der Berner, auf welche er 
sich Hoffnung gemacht hatte, da dort einige Vertreter der 
lutherischen Richtung sich fanden (ARG. 14, 288. Kunz und Meyer. 
Blösch, Geschichte der Schweiserisch- Reformierten Kirchen 1, 
198fl. Hundeshagen, Die Konflikte des Zwinglianismus, 
Luthertums und Calvinismus in der Bernischen Landes- 
kirche 1532 — 1538, S. 372). Aber jetzt war er tiefbetrübt, 
daß ihm die Berner keine Gelegenheit gaben, seine Be- 
strebungen zu rechtfertigen, die dann später noch einen 
glänzenden Sieg mit dem Sturz des bisher in Bern ton- 
angebenden Zwinglianers Megander finden sollten, aber frei- 
lich war dies nur vorübergehend. In seiner Betrübnis wandte 
sich Bucer am 9. Juni an die Prediger in Basel, die noch 
am ehesten eine Vermittlerrolle zwischen Bucer und den 
Bernern übernehmen konnten. Denn daß der Brief an sie 
gerichtet ist, ergibt sich aus dem Gruß an die nicht mit 
Namen genannten Bürgermeister Jakob Meyer und tribunus 
Theodor, der wohl Theodor von Brand, oberster Zunftmeister 
in Basel ist, weloher 1538 April 15. an Bucer und Capito 
ein Schreiben richtete (Thes. Baumianus S: 25). Merkwürdig 
ist, wie man in Augsburg schon im Juni 1537 von des Kaisers 
politischen Plänen verhältnismäßig gut unterrichtet war. Die 
Quelle dafür wird der Graf von Ortenburg Gabriel von 
Salamanea sein, der, wie wir sehen, damals im Augsburg 
weilte, um für den Kaiser Geld aufzunehmen. Margarete, 
die natürliche Tochter Karls V., war am 29. Februar 1536 
mit Alessandro de Medici von Florenz verehelicht worden. Ihr 
Gemahl wurde in der Nacht vom 5.—6. Januar 1537 durch 
seinen Vetter Lorenzino ermordet, die Herrschaft aber kam 
an Cosimo de Medici (Pastor, Paul III. 222). Überraschend 
ist, daB Karl V. jetzt schon daran dachte, um den Papst 
Paul III. für sich zu gewinnen, nicht nur seine verwitwete 
Tochter, sondern auch seine Nichte, die Tochter seines 
Bruders Ferdinand, an den Enkel des Papstes zu verehe- 
lichen. Wirklich mußte sich die 16jührige Witwe Margarete 
mit dem drei Jahre jüngeren Ottavio Farnese, dem Sohn 


140 


Pieri Luigis, zu unglücklicher Ehe verbinden, nachdem der 
Kaiser sie im Juni 1538 zu Genua dem Papst persönlich 
für seinen Enkel versprochen hatte. Merkwürdig ist, daß 
die Nichte Ferdinands in der Frage des Streits um Mailand 
schon 1537 eine Rolle spielte, Aber es handelte sich später 
nicht mehr um einen Enkel des Papstes, dem sie gegeben 
werden sollte. Es muß dem Kaiser gelungen sein, den 
Heiratsplan mit seiner Nichte beim Papst anzuregen, so daß 
dieser im Juni 1538 vorschlug, Mailand an Ferdinand zu 
geben, welcher sich unter den weitgehendsten Bürgschaften 
zu verpflichten habe, eine Tochter an den Herzog von Orleans 
zu vermühlen, um ihm nach drei Jahren das Herzogtum 
Mailand zu tbergeben (Pastor a. a. O. S. 204). Von der 
spanischen Flotte, die Gold aus Peru bringe und einstweilen 
durch Schiffe aus der Bretagne und Normandie im Dienst 
des Königs Franz gehindert wurde, wird der Graf von Orten- 
burg den Augsburgern zur Erleichterung einer Anleihe für 
den Kaiser erzählt haben (Brittones sind nach Du Cange 1, 
752 Bretagner). Der Rat in Augsburg lieh dem Kaiser 
15000 fl. (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 385). Bucer aber weiß, 
daß die Kaufleute die damals ungeheure Summe von 600000 fl. 
liehen. Über die Ereignisse in Ungarn scheint Bucer gut 
unterrichtet zu sein. Cascaw ist Kaschau im Norden Un- 
 garns. Alba graeca ist Belgrad. 

Über die Provinzialsynode in Salzburg berichtet Winter, 
Geschichte der Schicksale der evangelischen Lehre in 
Baiern 2, 51ff. 


Bucer an die Prediger in Basel. 
Augsburg 1537 den 9. Juni. 

Gratia et pax, symmistae et fratres obseruandi. Ne 
quid mali dent comitia sacra Bernensium, spero, prouidistis. 
Etenim hactenus inuigilare in pacem ecelesiarum soliti estis, 
gratia domino. Testes eritis (2) eorum, quae ad omnes 
precipuos concionatores ecclesiarum Helueticarum scripsi, 
antequam Schmalkaldum irem. Quid ita afflictas alioqui 
ecclesias et dissipatas nimium, quibus adhuc non defuerunt 
et hostes foris et factiosi intus, ipsi affligimus et contur- 
bamus? Sed moderabitur his quoque motibus deus. Hic 
instituendis lectionibus et confirmandis ritibus ecclesiae, tum 
aliis quibusdam negotiis pro restitutione] disciplinae detineor 


141 


et occupor valde. Sed tum, si dominus vitam et vires dederit, 
sistam me Bernatibaus, cum volent, quibus vos illud indicabitis. 
. Ego id indicare nolui, ne viderer minari. Si detrectent me 
audire, et quod poscit ius gentium et naturae, non facient 
copiam respondendi calumniatoribus, me compvlli(?)), vt 
ad ecclesias publiee de ea iniuria querar. Facile ergo, quod 
facitis, venerandi fratres et symmistae. Dabit forsan dominus 
meliora. Orate pro me. HonoratiBimis viris domino consuli 
et tribuno Theodoro me diligenter commendate. Hic noua 
nune nulla prope sunt. Pontifex concilium distulit. Caesar 
dicitur filiam et neptem suam, veduam duci(ssam) Florentinam 
et Mediolanensem nepotibus papae tradidisse cum ducata 
Florentino. lta augemus imperium. Hoc anno Caesar non 
facile in Italiam p... piet?). Obstat inopia pecuniae. Naues, 
quae ex Peru aurum adferent, haerent in noua Hispania. 
Arcentur enim littore Hispanico per classem || Brittonum et Nor- 
mannorum, In Hungaria dubie belligeramas. lllis(?)®), qui 
Cascaw obsident, subsidium venire non potest. Quidam dux 
Turcorum eum copiis venisse dicitur ad Albam graecam, vt 
cinctam(?)*) Cascaw obsidione liberet. Quattuor millia Boe- 
morum regi militabunt. Caesar a mercatoribus Augustanis ad 
bellum praeteriti anni accepit foenore non contemnendo sexies 
centena millia. Nune comes Ortenburger rursus hie diu fuit 
et etiamnunc est. Creditur nouam pecuniam conflare. Vtcunque 
autem hic sint istae monstrosae opes, tum populus et senatus 
admodum ad pietatem duci se patitur et verbum domini 
satis amat. Interim pauci isti principes mammonie suum 
negotium agunt. Valete iterum(?)°) viri fratres colendissimi. 
Augustae IX. Juni. 
M. Bucerus vester totus. 

Salisburgi episcopi et principes prosynodum habuerunt 
non pro Christo, quo euentu, nescitur, illud scitur, fulmine 
ictum sacrarium est, et grandine maxima pars agri in aliquot 
milliaria vastata est. 

Sammlung berühmter Autographen usw. Nr. 273. Landes- 
bibliothek Stuttgart. Aus der Sammlung des Herrn Karl 


Künzel in Heilbronn. 
Cochleus®) an den Bischof Johann Dantiscus 1530 von 
Culm, 1537 von Ermeland. Dresden 1534 September 9. 


1) oomp und lli ist deutlich. t) jet ist sicher, p... p ziem- 
lich sicher. 3) Sehr undeutlich geschrieben. *) tam ist sicher, 
cin ziemlich deutlich. 5) erum ist sicher, iterum müßte Bucer auf 
frühere Rriefe beziehen. 

) So wunterschreibt er sich selbst, nicht Cochläus, was eine 


falsche Bilduug aus cochlea wäre. 


142 


Die Sammlung von Autographen, welcher der Brief 
entstammt, gibt die Adressen nicht. Der Briefempfänger 
muß deshalb auf anderem Weg festgestellt werden. Aus 
dem Inhalt des Briefes ergibt sich, daß es sich um einen 
hohen Geistlichen handelt, der lang in Deutschland geweilt 
und die starke Einbuße, welche die alte Kirche durch die 
Peformation erlitt, wahrgenommen hatte. Auch hatte er sonst 
„vieler Menschen Sitten und Städte, ja die größten und 
reichsten Königreiche“ genauer kennen gelernt hatte. Das 
paßt vollkommen auf Johann Dantiscus, der von 1515—1532 
als Orator des Königs von Polen in Deutschland, Spanien 
und Italien geweilt hat (Wetzer und Welte, Kirchen- 
lexikon 3, 1397). Cochleus erinnert ihn daran, daß er ihn 
persönlich kennen gelernt habe auf dem Reichstag zu 
Regensburg, auf welchem Dantiscus wirklich anwesend war. 
Denn hier empfing er einen Brief von Alfons Valdes 
ZK G. 4, 629.  Fürstemann 27 Beiheft zum Zentralblatt 
des Bibliothekwesens 336). Dazu stimmt, daß Cochleus 
erwähnt, Johann Dantiscus habe den Verfasser der Para- 
phrasen des Psalters Johann Campensis von Regensburg mit 
nach Polen genommen. Uber diesen Gelehrten, den Nestle 
Theol. Re. E. 3, 51, irrig Jakob nennt, findet sich auffallender 
Weise weder bei Wetzer und Welte, Kirchenlexikon 2, 1778 
noch bei Hegler, Theol. Re. E. 3, 696 noch bei Rembart in 
seinem reichhaltigen Buch tiber die Wiedertäufer im Herzog- 
tum Jülich etwas, um ihn klar zu unterscheiden von dem 
wiedertäuferischen Mystiker. Wir wissen nicht einmals ge- 
nau, welcher Joh. Campanus in Wittenberg weilte und zu 
Witzel nach Niemeck ging und Einfluß auf ihn gewann 
Was Förstemann-Günter im 27. Beiheft zum Zentralblatt 
für das Bibliothekwesen S. 37 bietet, ist wenigstens zuver- 
lässig, wenn auch nicht vollständig. Auffallend ist, daß 
Cochleus annimmt, Dantiscus sei seit 1532 zu höheren 
Stellungen gekommen (auctam) wovon wir bis jetzt nichts 
wissen, und was erst 1537 der Fall war. Nicht weniger 
befremdet, daß Cochleus nichts davon erwähnt, daß er am 
27. April 1534, also vor 4½ Monaten, Dantiscus seine XXI 
Articuli Anabaptistarum Monasteriensium per Doctorem Jo- 
hannem Cochleum confutati gewidmet hatte. (Spahn, Cochläus(!) 


143 


357 Nr. 102), während er doch angibt, er habe im Sommer 
1534 verschiedene seiner Schriften an Bischöfe in Polen 
geschickt, was durch Spahns Zusammenstellung von Cochleus 
Schriften S. 357, Nr. 100 — 105 vollkommen bestätigt wird. 

Cochleus will von etlichen Polen wissen, welcbe in 
Wittenberg Luther und Melanchthon hören. Allein das. 
Album, Academiae Vitebergense weist in den dem Brief 
unmittelbar vorangehenden Jahren nur ganz wenige Namen 
auf, die sich etwa als Polen erkennen lassen. Erst im Winter- 
semester 1534/35, also später, als Cochleus seinen Brief 
geschrieben hatte, treffen wir vier Polen in Wittenberg 
Alb. Ac. Viteb. 155, 156). Es bleibt immerhin möglich, 
daß sie schon einige Zeit in Wittenberg weilten, ehe sie 
sich immatrikulieren ließen, und Cochleus Kunde von ihrem 
Kommen nach Wittenberg hatte. Es wird sich verlohnen 
festzustellen, ob Cochleus mit seinem Brief an Dantiscus 
den Anstoß zu dem Verbot des Besuchs der Universität 
Wittenberg durch Polen gab. 

Sehr beachtenswert ist die Anerkennung Melanchthons. 
dnreh Cochleus und die Sorge um die für ihn widrigen, 
Folgen seiner Angriffe auf den in ganz Deutschland hoch- 
geschätzten Reformator. 

Neu ist die Nachricht über den Bruder des Buch- 
händlers Nikolaus Wolrab in Leipzig, dem Cochleus seine 
Sehwestertochter zur Ehe gegeben hatte. Über die weiteren 
Sehicksale des Matthias Wolrab in Polen scheint nichts be- 
kannt zu sein. 


Cochleus an Joh. Dantiscus 
1534 September 9. 


Reuerendissime in Christo pater et domine perquam 
gratiose. S. cum debita reuerentia ac prompta obsequendi 
voluntate. Difficile mihi est haud immerito, ad reuerendissi- 
mam dominationem fuam scribere, non solum publice, sed 
iam priuatim, quum et residenciae tuae locum ignoro et 
dignitatibus auctam esse reuerendissimam dominationem tuam 
audiui, debitos itaque titulos reuerendissimae dominationi tuae 
ascribere non possum, donec ab aliis docear de omnibus. 
Generalis quidem causa scribendi ad catholici regni Polonici 
episcopos facile intelligitur ex libellis, quos hac estate ad 
quosdam edidi. Ad reuerendissimam dominationem tuam 


144 


Specialis mihi est et quidem duplex. Vna, quod te vnum 
ex omnibus Polonieis episcopis facie ad faciem Ratisbonae 
in comitiis imperialibus alloquutus sum, altera, quod affinis 
meus Mathias Wolrab Lipsensis in familiam reuerendissimae 
. dominationis tuae gratiose assumptus est, cuius fratri germano 
neptem meam hoc anno despondi et tradidi. Jure igitur 
affinitatis illum reuerendissimae dominationi tuae suppliciter 
commendo. Tertiam quoque causam adiicere possum’ quod 
magno teneor desyderio intelligendi, quo modo valeat, 
et ubi agat doctissimus vir Johannes Campensis, paraphrastes 
psalterii, qui reuerendissimam doninationem tuam in regnum 
comitatus est e Hatisbona. Ceterum potissima ac maxima 
causa est, ut praemoneam cum alios episcopos tum vero 
maxime reuerendissimam dominationem tuam, quae diutius 
in Germania versata certius nouit, quantum malorum huic 
patriae nostrae ex nouis sectis inuectum sit. Ad ea igitur 
mala in amplissimo regno vestro praecauenda nemo potest 
iustius aut utilius moueri, quam reuerendissima dominatio 
fua, quae et apud regiam maiestatem et apud summos et 
optimos quosque regni prelatos, presides, castellanos et 
palatinos autoritate plurimum valet ac gratia, immo et 
.eloquentia, eruditione, prudentia et rerum experientia, quae 
mores hominum multorum vidit et vrbes, immo et latissima 
ac opulentissima regna. Certe non leue mihi onus est, 
hune | in modum irritare in me Philippum Melanchthonem, 
qui eruditione ingeniique nobili Minerua fauorem et gratiam 
plurimorum consecutus est. Quare si non esset prae foribus 
periculum animarum et fidei, pro nulla re temporali eius in 
me stylum ac odium prouocaturus eram. At circa fidei 
iacturam imminentem facere aut dissimulare me non sinit 
lex dei et accusatrix conscientia, Nam lex diuina et 
euangelium in rebus fidei iubent posthabere non solum 
.amicos familiares, verum etiam patrem et matrem, fratres 
et sorores ac liberos, ne parcamus eis, si nos a vera 
religione abducere studeant. Cum igitur intelligam, aliquot 
adolescentes Polonos nobiles Wittenbergae Lutherum audire 
et Philippum, territus Bohemorum calamitatibus, quas nobilis 
quidam nomine Putridus piscis ex Anglia per libros Vuiclephi 
florentissimo et christianissimo regno illi inuexit, illos vestrates 
a simili periculo auocari velim (illos bis Nam aus Rand). 
Nam vrget me secundum legem et euangelium conscientia, 
zelus fidei, salus animarum et fraterna charitas de tanto 
periculo vos episcopos et regni speculatores suppliciter 
admonere, ut in tempore prospiciatis, ne quid detrimenti 
respublica patiatur. Bene valeat reuerendissima dominatio 
fua, sapientissime presul, et hanc meam sollicitudinem 
studiumque et admonitionem, quae certe nec leui nec paruo 


145 


mihi tum labore tum sumptu constat, clementer et gratiose 
in bonam partem accipiat. Ex Dresda Misniae sub 
illustrissimo principe duce Saxoniae Georgio V. idus Sep- 
tembris Anno Domini M. D. XXIII E. Reuerendissimae 
Dominationi Tuae 
Deuotus olientulus, 
A. a. O. Nr. 274. Johannes Cochleus. 


Fragment einer Abhandlung von Joh. Forster. 

Das nachfolgende Fragment einer theologischen Ab- 
handlung in der schönen, klaren Handschrift Forsters be- 
handelt das von Forster sehr geschätzte Dreiblatt christlicher 
Tugenden, nachdem er auch seine drei Töchter Charitas, 
Fides und Spes genannt hatte (Germann, D. Joh. Forster 
S. 468 fl.). Man erkennt den gut lutherisch gesinnten und 
scharf logisch denkenden Theologen aus diesen Zeilen. Es 
wäre nur sehr erwünscht, daß nachgewiesen würde, welchem 
Zusammenhang sie entnommen siud. Wir haben ja aus der 
späteren Lebenszeit wenig Werke seiner Hand außer seinem 
hebräisch-lateinischen Wörterbuch. 


Deinde definit quoque fidem!), qua gentes recipiuntur 
in ecclesiam et fiunt gens iusta, non simplicem esse historiae 
notitiam, sed quae firmata est ef nititur super promissione 
de gratuita remissione peccatorum propter Christum et eam 
sibi applicat*). Tertio addit etiam spem”), quae (ut indiuidua 
comes veram fidem comitatur) duplicem pacem efficit, foris 
contra mundi furores adeoque cunctas corporis aduersitates )), 
intus in conscientia contra ignita Satanae iacula°) vt animo 
simus tranquillo, eaque vniuersa mala, nedum vt patienter 
ferre, verum etiam fortiter et contemnere ef vincere possimus 
simulatque veram illam liberationem) aeternamque, vitam 
ac faelicitatem nune in hac etiam vita inchoemus. 

Et quia doctrina de iustificatione, quae in eeclesiis nostris 
Dei misericordia iam patefacta est et sonat, consentit cum 
ista prophetae?) contione, quod sola fide in Christum sumus 
iusti, Item quod fides firmus sit assensus, non nuda hiftoriae 
notitia, Item quod spe iam salui simus facti e$ nunc gustum 
habeamus vitae aeternae?). 

Idea ingrediamur porta sillas, audiamus et amplectemur?) 
testimonia prophetarum et apostolorum, adiungamus nos 
piorum eoetibus et vera fiducia mediatoris invocemus patrem. 


1) Röm. 1, 5. 16, 26. ?) Acta 18, 38. 3) 1. Thess. 1, 5. 
1. Kor. 1. 8, 18. ) Rim. 8, 37. 5) Eph. 6, 16. ) Röm. 8, 21$. 
7) Habakuk 2, 4. 5) Röm. 8, 21. *) Forster flektiert amplector 
wie amplexor. 


146 


Coeterum coram mundo confiteamur constanter hanc doctri- 
nam, tum et iusti et salvi sumus iuxta illud apostoli 
dictum: Corde creditur ad iustitiam, ore fit confessio ad 
salutem ). 
Johannes Forsterus, D. (sen.) 
A. a. O. Nr. 254. 1554. 


Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz 
und Magdeburg, an den Magdeburgischen Kanzler Dr. Christoph 
Türk. Halle 1536, Januar 28. 

Die Sammlung historisch berühmter Autographen, welcher 
dieser Brief entnommen ist, gibt auch hier keine Adresse, ` 
aber der Briefempfünger ist schon in den ersten Worten des 
Briefs genannt als Albrechts Kansler, der kein anderer ist 
als der Magdeburgische Kanzler Dr. Christoph Türk. Dieser 
war von ihm an einen Vetter gesandt worden, um mit ihm 
uber den Handel mit Hans Schenitz und dessen Angehörigen, 
insbesondere mit dessen Bruder Antonius (Tonius) und den 
damit in Verbindung stehenden Handel mit Kursachsen wegen 
der Burggraíschaft und deren Gerichtsbarkeit zu verhandeln. 
Der Kanzler hatte Albrecht tiber diese Verhandlungen be- 
richtet, Der vorliegende Brief ist die Antwort auf diesen Be- 
richt. Der Vetter, an den Türk gesandt war, kann kaum 
ein anderer sein als Herzog Georg von Sachsen. Der Brief 
zeigt, wie unangenehm die ganze Schenitzsache, tiber die 
am besten Hülßes Abhandlung „Kardinal Albrecht und Hans 
Schenitz“ Magdeburger Geschichtsblätter 1889, 1— 82 und 
kurz Enders, Luthers Briefwechsel 10, 235 ff. unterrichtet, für 
Albrecht sein mußte, da Luthers Eingreifen ihn in der öffent- 
lichen Meinung bloBstellte. Er erwähnt zwar Luther nicht 
und will sich auch von den Drohungen Antons Schenitz 
nicht schrecken lassen, aber man sieht deutlich, wie 
gern er die ganze Sache aus der Welt geschafft sehen 
móchte. 

Die im Brief erwühnten Personen sind Dr. Andreas 
Frank aus Kamenz genannt Camitianus, Schöppenschreiber 
in Leipzig, über welchen Clemen im Neuen Sächsischen 


1) Röm. 10, 10. 


147 


“ Archiv 19, 95. 20, 143. 24, 168 ff. Auskunft gibt, Dr. Hans 
Eberhausen, Bath des Kardinals Albrecht in Halle, tiber 
welchen Kawerau, Justus Jonas Briefwechsel 2, 55, 76, 83 
zu vergleichen ist, Hieronymus Walther in Leipzig, der 
Vater der Magdalene Schenits, Gattin des Hans Schenita, 

und der Vormünder von dessen Kindern. | 


Albrecht von Brandenburg, Kardinal und Erzbischof an den 
Kanzler Dr. Türk. 1536 Januar 28. 

Lieber her Cantsler, ieh hab ewr schreiben von beyden 
meinen knaben nechten ganz spet entpfangen vnd her fast 
gern, das meinen vettern dy lutherysche weyß zu torgaw 
nicht gefallen, vnd das dy mutter nicht wyder in das landt 
kommet, was aber dy ander sache betryfft, darumb ir zu 
seiner lyebe geschickt, wil ich mit vernigen ewr zukunft 
erwarten, vnd horen, was ir außgericht, vnd halt es darfhor, 
hat man lust zu der sachen, man werdt es an dem oder 
grosser nicht mangeln oder fhelen lasen, vnd habt recht 
gethan, das ir meinen vetter || dahyn vermocht, das er Sachsen 
des tags halber geschryben, was aber schantzen sache be- 
tryfft, laß ich heut ewr concept beratslagen, wy wol es on not, 
vnd wil euch nicht bergen, das doctor Camicianus heut dato sich 
hat lassen angeben von wegen Walthers, der frawen vnd der 
kinder, vormunder zu bitten, dan sy wolten dy bryeff vnd register 
mit recht von Thonius fordern mit wyder anhang,; wy euch 
doctor Eberhausen, wenn er gehort, in meinem nhamen 
hernacher schryeben wirdt, so sein auch dy III m gulden 
zu Leypzig erlegt, vnd wil by Walther Im rat nymants sitzen, 
aber von entlichem vortrag mit der frawen vnd kindern 
hor ich nichts. Ir wolt auch meinem vettern von meinen 
wegen freuntlich dank sagen, das mich sein lyeb des tags 
auch schántzen halber kege sachsen vorantwort, vnd mir 
hat lasen antzeigen, was Thonius dem kurfürsten geschryben 
vnd im willen hat, last ehr etwas auß gheen, sol ehr mich 
an antwort nieht finden vnd bin auch ewr meinung, das es || 
screck gebot sein, aber nichts deste weniger kendt man es 
vorkommen, so sehe ich es gern. Darvmb so ir noch bei 
meinem vetter, so beger ich, Ir wollet euch mit sein lyeb 
voderreden, mit was fugen vnd durch was mittel sulchs 
mecht fürderlich abgewendt werden. DaB hab ich euch in eil 
vf ewr schreyben ganz gnediger meynung nicht wollen verhalten. 
Datum Hall vf Sanct Moritzburgk am freitag nach conuersionis 
Pauli anno ich?) XXX vj. Albrecht reh 


A. a. O. Nr. 278. manu propria. 


1) Sic, mir unverständlich. 
10* 


148 


Berichtigungen zu dem Brief der Erasmus an Graf Hermann 
von Neuenahr (Nova Aquila vom 3. Januar. Erasmi opera 
ed. Clericus 3, 1057. 

Die Sammlung historisch berühmter Autographen oder 
Faesimiles von Handschriften gibt in Nr. 252 auch das 
Original des Briefes von Erasmus wieder, das in Erasmus 
Werken 3, 1067 abgedruckt ist. Wie sonst, gibt die Samm- 
lung den Briefempfünger nicht an, aber die Vergleiche des 
Textes zu Op. 3, 1057 und der Wiedergabe des Originals 
läßt keinen Zweifel übrig, daB es der Kölner Dompropst 
Hermann von Neuenahr ist. Dagegen ergeben sich aus dem 
Vergleich beider Texte einige Berichtigungen für den Text 
in Op. 3, 1057. Z. 13 v. u. steht celeriter nicht im Text, 
statt sequuturum ist consequuturum zu lesen. Z. 10 v. u. 
ist enim nach per hunc ausgelassen. Z. 9 v. u. l. Antwer- 
piam statt Antuerpiam. S. 1058 Z. 1 hat dicant keinen 
Sinn. Es ist verlesen für durum; et ist ausgelassen. Es ist 
zu lesen: non durum et iniustum. Nach Severum ist aus- 
gelassen: Suspicantur Fabrum autorem. Z. 4 ist zu lesen: 
3 Non. Ian Basileae. Am Schluß fehlt die Unterschrift 
Erasmus tue Celsitudini addictiss (imus) mea manu., 


Brentiana und andere Reformatoria 
| von W. Köhler‘). | 
35. Praefacio in epistolam ad Galatas ex ore D. M. 
Lutheri excepta 1531, missa D. Johanni Brentio a M. 
Vito Theodoro ex Wittemberga. 

Diese Version der Vorrede Luthers zum Galaterbriefe 
ist dem Herausgeber in der Weimarer Lutherausgabe, A. Freitag, 
entgangen, trotzdem ich schon 1903 in der Theol. Láteratur- 
zeitung Nr. 24 darauf hingewiesen hatte. Die Einstellung 
des vorliegenden Textes ist nicht allzuschwer zu geben: 
wie Freitag schon festgestellt hat und die Überschrift unseres 
Textes besagt, hat auch Veit Dietrich die Vorlesung Luthers 
über den Galaterbrief gehört. Ein Stück von seinen Auf- 
zeichnungen hat nun Dietrich an Brenz geschickt. Aber 
offenbar in Ausarbeitung, genau wie das später Rörer bei 
der Drucklegung auch getan hat. Und zwar hat er, wie 
Freitag festgestellt hat, dabei auch Rörers Aufzeichnungen 
benutzt. Umgekehrt hat aber auch Rörer Dietrichs Auf- 
zeichnungen bei der Fertigstellung des Druckes benutzt, 
Fraglich bleibt zunächst, ob nun die Dietrichsche Aus- 
arbeitung — wohl zu unterscheiden von seinen ersten Auf- 
zeichnungen! — später von Rörer für seine Ausarbeitung 
benutzt wurde, oder ob Dietrich unter Benutzung von Rörers 
Aufzeichnungen die eigenen frei gestaltete. Ich möchte 
ersteres annehmen (in teilweisem Gegensatz zu dem analogen 
Fall bei Freitag WA 40, 690). Denn die Bertihrungen 
zwischen unserem Texte und Rörer betreffen nicht etwa 
nur die Rörerschen Aufzeichnungen, sondern ebenso sehr die 
Rörersche Bearbeitung; diese und die Dietrichs stehen auch 
in unmittelbarer Beziehung zueinander. Es scheint mir aber 
weniger wahrscheinlich, daß Dietrich für eine Ausarbeitung, 

1) Vgl. diese Zschr. IX 8. 79—84 und 98—141, X 8. 166—197, 


XI S. 941—290, XIII S. 228—989. XIV S. 118—159 und S. 386—941 
XVI S. 285—246. 


150 


die er Brehz geschickt hat, außer Rörers Kollegheft noch 
dessen Ausarbeitung benutzte, als daß Rörer, der einen für 
die Offentlichkeit bestimmteu Druck vorbereitete, alles heran: 
zog, was ihm von Wert erscheinen mochte. Sollte vollends 
Brenz die Sendung Dietrichs schon 1531 empfangen haben, 
so wäre unsere Vermutung bewiesen. Aber das ist nicht 
sicher; der Schreiber des Codex Suevo-Hallensis hat die 
Sendung unter 1531 eingestellt, d. h. im Anschluß an die 
Akten vom Augsburger Beichstag, weil diese Zahl in der 
Titeluberschrift stand, er hat 1531 zu missa gezogen, während 
es ebenso gut zu excepta zu ziehen wäre und dann der 
Termin für die Sendung unbestimmt bleibt. Wahrscheinlich 
also ist unser Text zwischen die Aufzeichnung Rörers und 
den für den Druck bestimmten Text zu setzen; er bietet 
ein genaues Analogon zu dem WA 40, 24e bzw. 690 ge- 
schilderten Fall. 

Prefacio in Epistolam ad Gal. ex ore D. M. L. excepta 
1531 missa D. Joben. Brentio a M. Vito Theod. ex Wittemberga. 

Primum dicendum est de argumento et materia subiecta 
huius epistole. 1. de qua re agat Paulus. Est autem hoc 
quod vult stabilire doctrinam illam iusticie fidei et gracie et 
remissionis peccatorum, ut habeamus perfectam cognicionem et 
differeneiam inter iusticiam Christianam et alias omnes iusticias. 
Justicia enim multiplex est. Quedam politiea, quam tractat 
Cesar et principes mundi, Philosophi et Sapientes. Alia 
esí Ceremonialis, quam tradunt seu exercent tradiciones 
humane et Papa, sed peius, melius autem pater familias et 
pedagogi, qui habent necessarias ceremonias propter com- 
ponendos gestus et certas observaciones. Supra has est alia 
quedam iusticia legalis seu decalogi, quam Moses et nos 
efiam docemus post doctrinam fidei. Sed he omnes iusticie 
fluunt ex preceptis et versantur in operibus nostris. Ergo 
ultra et supra has omnes est Cristiana iusticia et diligenter 
ab illis discernenda est. Sunt enim huic prorsus contrarie, 
scilicet nate ex legibus et preceptis vel tradicionibus, et 
(Mser.: et et) tales que a nobis fiunt sive ex puris naturalibus, 
ut sophiste loquuntur, sive ex dono dei — quia et he iusticie 
dona dei sunt sieut omnia nostra, Breviter quicquid tale 
est quod nos facimus et nostrum opus vocatur, non est 
iusticia Christiana. Sed hec est plane contraria et mera 
passiva sicut ille sunt active, ubi nihil operamur ef facimus, 
sed tantum recipimus et patimur alium operantem in nobis, 
scilicet deum. Et hec est inscicia!) in misteria abscondita, 


!) lies: iusticia. 


151 
quam mundus non iutelligit et Christiani ipsi diffieulter et 
non satis comprehendunt. Adeo semper est inculcanda et 
assidue usu exercenda. Quia qui in tentacionibus et peri- 
culis hanc non tenet vel apprehendit, non potest consistere, 
neque est ulla consolacio conscienciarum, quam illa passiva 
iusticia, Fit enim naturaliter in tentacione et pugna con- 
sciencie, quod heremus in hoc spectro et intuemus(/!] legem, 
et sic tantum magis confunditur consciencia. Nec potest se 
hine evolvere natura ef racio ef attollere se ad aspectum 
buius iusticie. Quia hoc situm est extra cogitaciones ef 
captum humanum adeoque et iam extra legem dei, que 
quamvis summum est bonum, quo sunt in mundo, tamen 
longe est infra hane Christianam iusticiam, ita nobis hoc 
malum est affixum operante et iam diabolo cum natura quod 
intencione nihil spectamus et desideramus nisi nostram 
iusticiam, cum famen nullum aliud remedium sit nisi in 
iusticia fidei et aut morte eterna perire aut hano fidem depre- 
hendere ct tenere, que dicat: Non quaero iusticiam activam, 
quamvis hec quoque facienda est, et posito quod istam omnem 
habeam, tamen eam non possum confidere nec per eam stare 
eoram deo. Sed simpliciter reiicio me extra omnem activam 
et meam iusticiam et extra conspectum legis et tantum volo 
recipere aliam passivam, que est iusticia gracie et remissionis 
peccatorum et in summa Christi et spiritus sancti, quam ipse. dat 
et nos adeipimus. Sicut terra pluviam accipit, quam ipsa non 
gignit nec ullo suo opere, cultu aut viribus potest acquirere, sed 
tantum dono celesti desuper recipit; quam erga!) propria terrae 
est pluvia, tam propria est nobis ista iusticia. Hec cum 
dicuntur putamur esse facilia, sed res et experiencia docet 
nihil esse difficilius. Det dominus graciam et salutem, 
aliquam cognicionem retineamus, ne ab intuitu gracie ad 
legem relabamur. Quia summa ars et sapientia Christi- 
anorum est nescire légem, ignorare opera et totam iusticiam 
activam. Sicut extra Christianos et populum dei summa 
sapiencia est nosse et inspicere legem. Mira res docere 
homines, ut discant legem ignorare et sic vivere coram deo 
quasi nulla sit lex et tamen contra in mundo sic urgere 
legem et opera, quasi nulla sit gracia, utrumque recte securi 
debetur secundum Paulum, ut sic informes consciencias ad 
Spectandam graciam, quasi nulla sit lex in mundo, alioqui 
nemo potest salvus fieri Quia lex et exactio operum sic 
urget et premit, ut cogantur desperare ef ruere. Econtra 
quando humiliare et terrere volumus, ibi nihil est ponendum 
ob oculos nisi lex, que est data ad humiliandum, vexandum 
et exercendum veterem hominem. Hic ergo requiritur prudens 


!) lies: ergo. 


152 


et diligens pater familias, qui sic moderetur legem et intra 
suos limites maneat promens nova et vetera, cum est com- 
modum. Nam qui sic docent legem, quod per eam iusti- 
fioentur homines coram deo, illi iam ex[ejesserunt hos limites 
ef confundunt has duas iusticias, activam et passivam. Sunt 
modo dialectici, qui non recte dividunt. Cum ventum est 
ultra veterem hominem, iam iam sum ultra legem, qnia caro 
vel vetus homo et lex ac opera sunt coniuncta, sic etiam 
vel novus homo ef evangelium seu gracia. Cum ergo video 
hominem satis contritum presenti lege et sentire peccatum ete., 
ibi iam tempus est tollere legem ex oculis et conspectu et 
ingredi alteram iusticiam, in qua regnat non lex, sed gracia, 
sicut ait Paulus [Röm. 6, 14]: iam non estis sub lege, sed 
sub gracia. Quomodo non sub lege? secundum novum 
hominem, quia ad hunc nihil pertinet lex, quia lex usque ad 
Chistum II], hoe veniente cessat lex, Sabbathum, Moses et 
prophete. Hic est nostra theologia, qua docemur acurate 
distinguere has duas iusticias, quod utraque sit necessaria, 

sed intra suos limites continenda. Quod dico, ne quis putet 
bona opera reiicere aut vetare, sicut adversarii de nobis 
elamant non intelligentes neque quid ipsi neque quid nos 
loquamur; nihil enim norunt nisi solam iusticiam legis, et 
tamen volunt iudicare de doctrina, que posita est longe supra 
et ultra legem. Ideo non possunt non scandalizari, cum 
nihil alcius videre et comprehendere possunt quam legem. Nos 
vero quasi duos mundos constituimus, unum celestem, alterum 
terrenum et in illos ponimus has duas iusticias separatas 
et longissime inter se distantes; iusticia legis terrena est et 
de terrenis agit operibus, tantum exercetur, que nihil 
pertinent ad illam celestem i. e. christianam iusticiam, per 
quam ascendimus super omnia opera et leges. Sicut ergo 
portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem celestis, 
ait Paulus [1. Cor. 15, 49], qui est novus homo et in novo 
mundo, ibi nulla est lex et consciencia, sed liberrima vita, salus 
et gloria, per quid ergo aut quid facit? Nihil, quia heo 
iusticia est prorsus nihil facere, nihil statuere et audire de 
operibus legis, sed hoc solum, quod Christus sedet ad dextram 
patris pro nobis intercedens et regnans per graciam, ibi 
nihil lucet et videtur quam gracia et nullus terror vel 
remorsus consciencie. Sicut Johannes inquit [1. Joh. 3, 9]: 
Qui natus est ex deo, non potest peccare etc. Quia in 
hane iusticiam non cadit peccatum, cum ibi nulla sit lex; 
ubi non lex, non est ibi nec prevaricacio. Cum ergo hic 
peecatum non habeat locum, nulla est consciencia vel pavor 
et tristicia, et si adsit, signum erit Christum et graciam 
amissam e conspectu vel tanquam nube obducta obscuratam. 
Sed ubi vere est Christus, ibi necesse est adesse gaudium 


153. 


in domino et pacem cordis; quod sio statuit, licet sim 
peccator legalis in iusticia legali, non tamen ideo mereor, 
quia Christus vivit, qui est mea iusticia et in illa vita 
nullum habeo peccatum et conscienciam. Sum quidem 
peccator secundum hane vitam et eius iusticiam et et filius 
Adam, ubi adcusat me lex et regnat, sed supra hane vitam 
habeo aliam vitam, aliam iusticiam, que nescit peccatum et. 
mortem, sed est vita eterna, propter quam eciam hoc corpus 
mortuum resuscitabitur et liberabitur a servitute legis et 
peccati. Itaque utrumque manet, dum hic vivimus, quod 
earo adeusatur, exercetur, contristetur et conteritur iusticia 
activa legis, sed spiritus regnat, letatur et salvatur iusticia. 
passiva Christi. Qui contrivit peccatum, legem ef mortem 
et triumphavit illam in se ipso Collo. 2. (V. 15]. Hoo 
ergo agit Paulus in hac epistola, uf nos diligenter instituat, 
eonfortet et retineat in cognicione perfecta huius Christiane 
iusticie. Quia amisso hoc loco vel articulo amissa est simul 
doctrina Christiana tota, quia sine hac quiequid est in 
mundo, est vel Judeus vel Turea vel papista, quia inter 
has duas iusticias, activam legis vel passivam Christianam, 
non est medium — ergo qui ex hac excidit, hunc oportet 
in alterum circulum relabi, ut amisso Christo ruat in fiduciam: 
operum etc. Sicut videmus in omnibus sectariis, quod nihil 
docent nec reete possunt docere de hac iusticia gracie, sed 
tantum ferent in iusticia legis, quia nemo illorum potest 
intrare in hanc cognicionem ef ascendere ultra illam activam. 
iusticiam, itaque manent iidem, qui fuerunt sub (Mser.: sup) 
papa, nisi quod nomina ef opera nova faciunt, cum res sit 
` eadem, Ideo nos sic semper urgemus ef inculeamus hunc 
locum, scientes hee, quam sunt facilia dictu tam esse diffi- 
eilia experiencia ef usu, efiamsi diligentissime acuas ef exer- 
ceas et intencione conscienciam pacifices et traduceris a con- 
spectu legis ad conspectum gracie, et eum caro et sathan 
opponit conscienciam peccati, iram dei et infernum, ut te 
Sibi subiiciat et abstrahat a Christo. Nam tum pereundum 
fibi est, nisi secundum ista noveris discernere et revocare 
earnem, que egreditur extra suos limites volens ascendere 
in regnum consciencie et damnare in corde, in quo debet 
regnare Christus ef servare conscienciam pacatam et letam 
in pura ac sana doctrina evangelii et cognicione istius 
passive iusticie. Hane eum intus habeo, tuno demum prodeo 
foras in aliud regnum et descendo de celo tanquam pluvia 
fecundans terram i. e. facio opera bona ef subiicio me per 
earitatem legibus ef aliis necessitatibus huius vitae (Mscr.: 
vita) etc. Hoc esf epistole argumentum, quod sumit Paulus 
tractandum occasione adcepta a falsis doctoribus, qui istam 
doctrinam obscurarunt Galatis eto. 


Mitteilungen. 


Zum Passional Christi und Antichristi. 


8.1) G. Kawerau hat bereits darauf hingewiesen, daß einzelne 
Bilder aus Cranachs Passional, und zwar unter Benutzung der Original- 
:stücke, noch Verwendung zur Illustration anderer Druckschriften des 
16. Jahrhunderts fanden). Zwei Fälle dieser Art waren ihm bekannt 
‚geworden: a) Bild 18 (Christus lebrend und die Kinder segnend) kehrt 
wieder in „Kirchen Agenda... Für die Prediger in. . . Mansfeld“. 
Eisleben, Urban Gaubisch, 1580. 4°; b) Bild 18 (Der Papst, von 
Kardinälen und Bischöfen begleitet, reitet der Hölle entgegen) kehrt 
wieder auf der Titelrückseite in „Eyn Clag der deutschö Nation an 
den almechtigen gott. . .* o. O. u. J., 4° (Wittenberg, 1521) ). 

Von diesem Bild 18 existiert nun auch ein alsbald nach der 
Veröffentlichung des Passionals entstandener Nachschnitt, der es 
im Gegensinne gibt. Er findet sich als Titelholzschnitt in einem 
Einzeldruck des berühmten Hans Sachsschen Dialoges: „Von einem 
Schumacher: vnd Chorherren: ein vast || kurtzweilig Christliche 
disputation (von der Euan-|gelischen Wittenbergischen Nachtgallen. || 
MdXXIIII. Hans Sachs.“) Wie der Holzschnitt ein Nachschnitt, so 
scheint auch der Text ein Nachdruck zu sein. An jenem weist manches 
nach Straßburg. Die Vorlage ist inhaltlich und formal im wesent- 
lieben unverändert wiedergegeben; abgesehen von der Umkehrung der 
Komposition treten ale bedeutsamste Abweichungen hervor die Aus- 
bildung der Bergkuppe im Mittelgrunde vor dem Felsmassiv im Hinter- 
grunde, die Verminderung des päpstlichen Gefolges und die deutlichere 
Kennzeichnung der im Höllenfeuer schmachtenden Personen, die über- 


1) S. Archiv für Reformationsgeschichte 17, 1920, S. 71 f. 

2) Weimarer Lutherausgabe 9, 699. | 

*) Diese Schrift ist außer in der von Kawerau a. a. O. ge- 
nannten Fürstl. Bibliothek zu Wernigerode u. a. noch vorhanden in 
Berlin, Staatsbibliothek (2 Exemplare: Yg. 7621 und Yg 7692). 

) Hans Sachs. Hrsg. von A. v. Keller u. E. Goetze, Bd. 24 (Biblio- 
thek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. 220), Enr. 7i. 


155 


dies auf drei (statt fünf) nebst einem Teufel reduziert sind, als Ton- 
surierte. Beziehungen zwischen Titelbild und Text bestehen. nicht. 
Der Holzschnitt ist durchaus unabhängig von diesem entstanden und 
dürfte wohl einige Zeit vor ihm gearbeitet sein ). 

Georg Stuhlfauth. 


Zum Briefwechsel Veit Dietrichs. 


Zu den im 12, und 18. Bande des Archivs für Reformations- 
geschichte mitgeteilten Briefen Veit Dietrichs bietet die Regierungs- 
bibliothek Ansbach eine kleine Ergänzung. Unter den Reformatoren- 
briefen aus den 16. Jahrhundert ist auch er mit einem Schreiben an 
den Schaffer Joh. Seubold von St. Sebald ) vom Regensburger Religions- 
gespräch vertreten. Seubold diente nach demselben als Vermittler 
zwischen Wittenberg und den protestantischen Gelehrten zu Regensburg. 

Die von Flemming und Albrecht gesuchte Biographie Veit 
Dietrichs von Zeltner befand sich zuletzt in der Ebnerschen Bibliothek 
zu Nürnberg ?). 

Etliche Briefe von Veit Dietrich hat Seb. Stiber seinem „Prozeß 
der Hailsbrunnischen Handlung das kayserlich ja verfluchte Interim 
belangend zusammengebracht durch Sebastian Stieber prediger zu der 
Zeyt zu Hailsbrunn im 1548 Jahr“ einverleibt“). 


Veit Dietrich an Joh. Seubold Begensburg. 10. Härz 1546. 


Salutem in domino. Eur Schreiben, lieber Herr Schaffer, ist 
mir heut zukommen samt den eingelegten Schriften von Witten- 
berg, die mir und allen andern Herrn ser lieb gewest. Denn aie 
nu bis in die vierte Woche nichts von Herrn Philipp gehabt. Unser 
Handel läßt sich gar leppisch an. Die Presidenten sagen, sie können 
von der kays. Mjt. geschickten Resolution nit weichen noch etwas 
nachgeben. So kennen wirs nit einraumen. Ist beschlossen, darauf 
bei k. Mjt. beschids sich zu erholen, ob sie wolte etwas lindern. 
Wir künnen solches nicht wegern; aber wie wit begert, im colloquio 
furtzuschreiten, da wollen die schalk, so sich kaiserische colloquenten 
nennen, nit hinan.  Besorge einer langen und langweiligen Feier, 
kann aber mit keinem Fuge es dahin bringen, daß ich mit ehren 
wider davon kome. Dem Malvenda ist hie simlich gelohnet. 
Als er die leut mit Haufen hat sehen in die Kirch zur Predigt gehen, 


1) Vgl. noch C. Kaulfug-Diesch, Lukas Cranachs Passional 
Christi und Antichristi, in Der Sammler, Wochenschr. für alte und 
neue Kunst 19, 1922 S, 65—70, mit 7 Abb. 

1) 1520—1535 Kaplan, 1535—1549 Schaffer bei St. Sebald: 
G. E. Waldau, Nürnbergisches Zion, Nürnberg 1787 S. 11, 19. 
Beiträge zur bayr. KG. X, 80. 

5 G. A. Will u. Chr. C, Nopits ch, Nürnbergisches Ge- 
lehrtenlexikon VI. 1802 Altdorf, S. 218. 

t) Bibliothek zu Wolfenbüttel, 


156 


hat er sich daruber erzürnet und deudsch gesagt (denn der schalk 
kann es ziemlich): es sey unrecht, daß man also zur kezerischen 
Predigt gehe. Der Hausknecht hat gesagt: es sei kein ketzerische 
Predigt, die Tumpredigt sey ketserisch. Als nun ein wort das ander 
erregt und Malvenda erzürnet, hat er sum rapier gegriffen; aber 
der knecht sein nit gewartet, hat im mit eim leuchter auf die brust 
geworfen, daß er zu boden gefallen und sich davon gemacht. Dieser 
ist meines Erachtens der beste disputator fur diese gesellen. Ways auf 
dismal mer nit anzuzeigen. Laßt Euch mein Haus befolen sein. Und 
grußet mir die Herren alle, sonderlich unseren guten Nachbaurn den 
Bernbecken, den laßt solches lesen. und behalt diese und andere 
folgende Brief bei einander. 

Datum Regensburg an des Herrn Faßnacht 1540. 

V. D. 


Johans(?) lest euch alle grügen. 
0 K. Schornbaum. 


Neuerscheinungen. 


In seiner Abhandlung „Die weltgeschichtliche Bedeutung der 
Wittenberger Reformation“ bekämpft O. Scheel nachdrücklich das 
Zerrbild, das, wie sich besonders im Jubiläumsjahre 1917 gezeigt hat, 
der der Kriegspsychose verfallene westeuropüische Protestantismus aus 
der deutschen Reformation als dem „Vorläufer des Potsdamer Militaris- 
mus“ gemacht hat, wogegen als der eigentliche Reformator Calvin 
gefeiert wird. Diesen Verirrungen gegenüber zeigt Scheel, daß die 
Führer der westeuropäischen Reformation mit Luther eng verbunden 
sind, der der Schöpfer und Träger der Reformation bleibt. Letztere 
aber kann nicht als eine Teilerscheinung des Mittelalters begriffen 
werden, sondern führte, indem sie das geistliche Leben entrechtete 
d. h. vom Recht befreite, und das Recht entgeistlichte, d. i. der Herr- 
schaft des göttlichen Rechts ein Ende machte, eine völlig neue Welt 
herauf und zwar eben jene Welt, in der wir leben. Den Grund, auf 
dem sich die neue Zeit aufbauen konnte, hat Luther gelegt. Übrigens 
läßt Scheel auch Calvin volle Gerechtigkeit widerfahren; er bedauert 
auch nicht, daß das Luthertum sich im 19. Jahrhundert mehr und 
mehr ,calvinisiert^ hat, eine Entwicklung, die in dem gegenwärtigen 
Neuaufbau der deutschen Landeskirchen als Synodalkirchen ihren Ab- 
schluß findet, und begrüßt es mit Holl als ein Glück, daß wir in 
Deutschland reformierte Gebiete neben lutherischen haben. Festgabe 
z. 70. Geburtstag von A. von Harnack, S. 869—888, Tübingen, Mohr 1921. 

Mit Calvin im besonderen beschäftigt sich Hans von Schubert. 
Er schildert den großen Genfer Refornıator als den Meister der pro- 
testantischen Religionspolitik, der beides besaß: die weltweiten Ziele 
und den Sinn für Form, Ordnung und Zucht, einen Mann von höchsten 
organisatorischen, politischen Fähigkeiten, der über die volle Einsicht 


157 


in das innere Wesen der Sache gebot und über den tödlichen Ernst, 
sie in Reinheit durchzuführen. Die politischen Nachwirkungen seines 
vom Verf. mit Meisterhand umrissenen Lebensganges erstreckten sich 
über die Jahrhunderte: durch Calvin ward die von der politischen nicht 
zu trennende Religionsfrage aus einer deutschen zu einer europäischen; 
der politische Calvinismus aber stellte sich in den Zeiten der Gegen- 
reformation rettend und schützend vor den deutschen Herd der Re- 
formation, und fund endlich, als er im 17. Jahrhunderte hier versagte 
und auch Calvins eigenstes Werk, der französische Calvinismus, zu- 
sammenbrach, in der ruhmvollen holländisch-englischen Geschichte in 
mannichfacher Misehung und Abwandlung seine Fortsetzung bis in die 
moderne Kulturwelt hinein. Überhaupt hat Calvin dem neuen Ver- 
hältnis von Kirche und Staat, von Religion und Politik den Weg ge- 
bahnt: der Glaube frei im Staat, das Gewissen des einzelnen auf sich 
allein gestellt und somit auch der Staat den Dingen des Glaubens gegen- 
über frei, die Kirche aber dem Staate die willigsten Dienste leistend, 
indem sie die Pflege der sittlichen Werte im breiten Umkreis der sozialen 
Pflichten fruchtbar macht. — In „Meister der Politik“ S. 167—498 
(Sonderdruck). Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart und Berlin 1922. 


P. Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. Bio-- 
graphische und quellenkritische Studien zur Reformationsgeschichte. 
Herausgeg. mit Unterstützung der Hist. Komm. f. den Volksstaat Hessen, 
der Notgemeinschaft der deutschen Wissensch. und der Schles. Ges. 
z. Förder. der ev.-theel. Wissenschaft. l 


Das Buch bildet, wie auch der Untertitel andeutet, kein einheit- 
liches Ganzes, sondern setst sich aus verschiedenen kleineren und 
größeren Untersuchungen zusammen, die auch für sich bestehen könnten. 
Zuerst zeigt K. auf Grund der Veröffentlichung der ältesten Reichs- 
regietraturbücher Karls V., wie durch das Mittel der primariae preces 
der Kaiser über einen reichen Schatz von Gnade und Gunst verfügen 
und dadurch die Haltung zahlreicher Personen (selbst auch in der 
Glaubensfrage) beeinflussen konnte. Ein zweiter Abschnitt handelt 
von den Ausschüssen des Reichstages. Daran schlieBen sich, vielleicht 
der ertragreichste Teil des Buches, Untersuchungen über die papistische 
Aktionspartei unter den Reichsfürsten und über die Mitarbeiter Aleanders 
am Wormser Edikt im deutschen Hofrat und bei den übrigen Mit- 
gliedern der alten kaiserlichen, wie in der burgundisch-spanischen 
Regierung; es ergibt sich, daß in der Umgebung des Kaisers für eine 
kirchliche Vermittlungspartei kein Raum war, Nun folgen 4 mehr 
oder minder miteinander zusammenhängende Abschnitte über Luther 
in Worms (Vorgeschichte der Berufung; letzter Versuch zur Aus- 
schaltung des Reichs durch Beeinflussung Kurfürst Friedrichs; die 
Verhandlungen über Luther; Luther vor Kaiser und Reich). Hier 
wandeln wir in der Hauptsache auf bekannten, nicht am wenigsten 
von Kalkoff selbst uns erschlossenen Pfaden; doch sucht letzterer be- 
sonders in den reichbaltigen Anmerkungen, seine Auffassung noch zu ver- 


158 


tiefen oder ihr neue Stützen hiozuzuführen. Der 8. Hauptabschnitt 
erhärtet gegen N. Paulus die Verfassungswidrigkeit des Wormser 
Edikts und legt die Zusammenhänge zwischen dem Zustandekommen 
dieses erschlichenen Reichsgesetzes und den Festsetzungen des Reichstags 
über Romzugshilfe und Reichsreform dar, Endlich greift der letzte 
Abschnitt auf Friedrich den Weisen zurück, um dessen aus tiefer 
Überzeugung hervorgehende Fürsorge für das Gelingen des Reformations- 
werks nochmals hervorzuheben. Den Band schmücken Bilder des 
Reformators und seines Hauptgegners von 1521, Hieronymus Aleanders. 
München und Berlin, R. Oldenbourg 1923. VII, 486 8. M. 85.—, geb. 
M. 105.—. 

Karl Holl, Gesammelte Aufsätse zur Kirchenge- 
schichte. Bd. I Luther (Tübingen, Mohr 1991, 458 8. M. 96.—, 
geb. 114.—). Man muß Holl su dem Entschluß, seine im Laufe der 
letzten 10—12 Jahre entstandenen und in verschiedenen Zeit- und 
Gelegenheitsschriften veröffentlichten Aufsätze über Luther an 
einer Stelle zu vereinigen, lebhaft beglückwünschen. Erst dadurch 
ist diesen gehaltvollen Darbietungen gleichsam die Dauer verbürgt. 
Und wenn je, bedarf, lehrt uns Holl, die Gegenwart Luthers, um der 
Verwirrung der Gewissen zu steuern und angesichts des sichtlich im 
Wachsen begriffenen, aber von der Gefahr, sich in Aberglaube und 
Träumerei zu verlieren, bedrohten Sinnes für Religion eine Gesunduag 
herbeizuführen. Die einzelnen Aufsätze behandeln die Fragen: Was 
verstand L. unter Religion?; die Rechtfertigungslehre in L.s Vor- 
lesung über den Römerbrief mit besonderer Rücksicht auf die Frage 
des Heilsgewißheit; der Neubau der Sittlichkeit; die Entstehung von 
L.’s Kirchenbegriff; L. und das landesherrliche Kirchenregiment; L.'s 
Urteile über sich selbst; die Kulturbedeutung der Reformation; L.'s 
Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungakunst. Die Aufnahme 
der beiden letzten Arbeiten in die Sammlung ist um so wertvoller, 
als sie bisher nur als Vorträge mündliche Verbreitung gefunden haben. 
Die beigegebenen reichhaltigen Anmerkungen geben teils die Beleg- 
stellen, teils dienen sie der kritischen Auseinandersetzung des Verf. 
mit andern Forschern. 

P. Wernle, Melanchthon und Schleiermacher. Zwei dog- 
matische Jubiläen, gibt einen am 10. Oktober 1921 in Baden vor dem 
schweizerischen Göttinger Krünzchen gehaltenen Vortrag wieder. Hat 
von den beiden Glaubenshelden jeder seine Stärke da, wo er sich vom 
andern unterscheidet — Mel. im engen Anschlus an das Bibelwort 
und in der Absage an die Philosophie, Schl. in der Freiheit von allem 
Biblizismus und der Harmonie von Glauben und Denken — so predigen 
sie doch beide eine gegenwürtige Erlósung, ein neues Leben in Frieden 
und Freude, festem inneren Halt und sittlicher Kraft, das sich scharf 
abhebt vom Leben unter der Sünde in der Unseligkeit und das wir 
alle der Wohltat Christi verdanken. Sammi. gemeinverst. Vorträge 
u. Schriften aus d. Gebiet der Theol. u. Religionsgesch. 98. Tübingen, 
Mohr 1921. 54 8. M. 9.—. 


159 


Zu der aus dem Mittelalter überkommenen. bis heute fast lücken- 
los erhaltenen Bibliothek der protestantischen Stadtkirche zu Schwa- 
bach gibt H. Claus, der Verf. der Reformationsgesch. der Stadt,. 
in 1797 Nrr. ein sorgfältig gearbeitetes Verzeichnis (Die Schwabacher 
Kirchenbibliothek). Die Bibliothek zerfällt in Hess. als ältesten. 
Teil, Wiegendrucke und Drucke nach 1500, unter denen die des Zeit- 
alters der Reformation (seit 1518) hervorragen. Eine Einführung, die 
u. a. von der Geschichte der Bibliothek handelt, Einzelheiten aus den 
ältesten Hes. beibringt und die Drucker und Druckorte des 15. u. 16, 
Jahrh. verzeichnet, geht vorauf; den Schluß machen Sach-, geographisches 
und Personenregister. München, Müller & Fröhlich 1921. 117 S. M. 18.—. 

Jos. Ehret, Das Jesuitentheater zu Freiburg in der 
Schweiz I. Die äußere Gesch. der Herbstepiele von 1580 bis 1700, 
mit einer Übersicht über das Schweizerische Jesuitentheater (Freiburg: 
i Br. Herder 1991. XV, 959 S. mit 7 Tafeln und 2 Karten M. 50.—) — 
arbeitet auf einem fast noch unbeackerten Felde und kommt s. T.. 
über Materialsammlung nicht wesentlich hinaus; gleichwohl ist die: 
Arbeit als Beitrag zur Geschichte des Jesuitismus in der Schweiz. 
sowie zur Literatur- u. Kulturgeschichte willkommen zu heißen. 


Zeitschriftenschau. 
(Fortsetzung von Heft 73). 


Landsehaftliches. Aus den BIL f. Württemb. KG, NF 25 (1921). 
Heft 8/4, der Festschrift su unseres eifrigen Mitarbeiters D. Gustav 
Bosserts 70. Geburtstage, erwähnen wir die Beiträge von Duncker, 
Die kirchlichen Zustände Heilbronns vor der Ref. (S. 111—128); O. Lense, 
Isnyer Altdrucke (= Verz. der Drucke 1501—1517 der Bibl. der ev. 
Nikolauskirche in I.) S, 198—178; Rentschler, Zur Frage der 
Schwarzwaldzuflucht des Joh. Brenz (S. 178—181); M. von Rauch,, 
Theologen und Ketzer in der Beleuchtung eines luth. Gelehrten (des 
Heilbronner Syndikus Stefan Feierabend + 1574), 8. 181—187; v. Kolb, 
Die alte Konsistorialbibl, (S. 187—194). 

In der Sonntagsbeilage zum Schwäb. Merkur Nr. 160 (Abendbl. 
9. April 1921) behandelt G. Bossert „Die Schwenckfelder in Cann- 
stadt und ihre Freunde". Die Lehre Schw.'s in C. hat besonders durch 
die Predigten Burkhardt Schillings im benachbarten Stetten Fuß ge- 
faßt; den geistigen Mittelpunkt bildete der Buchhändler Andreas Neff, 
der auch in schweren Prüfungen für seinen Glauben einstand. 

Eine lebendig geschriebene, kurze Geschichte der Reformation 
der Stadt Straßburg i. E. bis 1586 gibt R. Reuß in Bull. de la Soc., 
de l hist. du prot. francais Bd. 66, 232—261; 67, 249—280; 68 
257—975; am Schluß eine Bibliographie. 

In Z. d. Ges. f. Befürder. der Geschk. von Freiburg Bd. 36 
S. 58—67 stellt E. Krebs fest, daß das Gutachten, das die Universität 
Freiburg am 12. Oktober 1524 dem Erzh. Ferdinand über Luthers 
Lehre erstattete, seinem Hauptteil nach aus der päpstlichen Bann- 


160 


bulle und der Pariser Universitätszensur vom Mai 1520 abgeschrieben 
ist, natürlich ohne Quellenangabe. 

^ In ZKG 3A (= NF Bd. 2) 3. 1—44 behandelt P. Kalkoff „die 
Vollziehung der Bulle Exsurge insonderheit im Bistum Würs burg“. 
Besonders beachtenswert erscheint der Hinweis, wie das erdrückende 
Übergewicht des Adels in den Einrichtungen der Kirche, die zu einer 
Versorgungsanstalt für den jüngeren Nachwuchs dieses Standes herab- 
gesunken war, sich hernach als stürkste Süule der Gegenreformation 
und damit als eine der vornehmsten Ursachen der konfessionellen, 
dann territorialer Zersplitterung und schließlich der politischen Ohn- 
macht Deutschlands erwiesen hat. 

Über die Ansbacher Synode 1556 handelt aktenmügig K. Schorn- 
baum in BBK 27, 1 S, 1—11; 2 S.,88—48; 8 S. 106—118 und 4 
S. 161—168. 

In Monatsh. f. Rhein. KG 15, 1—3 S, 8—27 betrachtet J. Has- 
hagen die Bundesgenossen, die an geistlichen und weltlichen Fürsten, 
an Weltgeistlichen, Orden und Laien die jesuitische Gegenref. in den 
Eheinlanden gefunden hat, sowie deren Vorläufer. 

O. Clemen weist einen Fabian Kayn als einen der frühesten 
Evangelischen unter den Meißner Domherren nach und gibt den In- 
halt eines reformationsgeschichtlichen Sammelbandes der Leipziger 
UB (Kirch.-Gesch. 1087 1) an: NASG 42 s. 259—261. 

Einen von J. K. Seidemann aus dem Orig. der Landesbibl. in 
Dresden mangelhaft veröffentlichten Brief des Zwickaner Franziskaner- 
guardians Martin Baumgart an 2 Ordensbrüder vom Jahre 1522 über 
seine Streitigkeiten mit Nikolaus Hausmann und dessen Anhang in 
der Stadt Zwickau druckt G. Sommerfeldt in Franziskan. Studien 
VIII, 1 S. 80—84 mit Erläuterungen erneut ab. 

Eine Untersuchung über die Säkularisation des Klosters Coelled a 
im Lichte der Frage, ob seine Güter „bestimmungsgemäß“ verwandt 
worden sind, führt L. Naumann zu dem Ergebnis, daß man im ganzen 
Reformationsjahrhundert an der bestimmungsmäßigen Verwendung des 
‚alten Klosterguts festgehalten, später freilich sich von dieser Grund- 
lage mehr und mehr entfernt hat (woraus Vf, Nutsanwendungen für 
die Gegenwart zu gewinnen bemüht ist): ZVKG Prov. Sachsen 18, 1—20. 

Im Correspondenzbl. des V. f. Gesch. d. evangel. Kirche 
Schlesiens Bd. 17, 1 stellt S: 51—63 Söhnel die ersten ev. Geist- 
lichen von Wohlau fest und behandelt S, 64—67 die kirchlichen Ver- 
hältnisse in Raudten 1519—1549.  Ebendaselbst S. 68—102 bietet 
Th. Wotschke aus dem Dresdener HStA eine Anzahl Urkunden zur 
-schles. Reformationsgesch., die sich vornehmlich auf den evangelischen 
Augustinerabt Paul Lemberg, einen der ersten Anhünger der Ref, in 
Schlesien beziehen. Anderes betrifft Glogau, das Kloster Trebnitz, 
-die Stadt Freistadt usw. 


Die brandenburgisch-nürnbergische 
Norma doctrinae 1573. 


Von Karl Schornbaum. 


I 


Mit dem Tage von Zerbst hatten die Bemühungen 
Jakob Andreäs, zwischen den Theologen Niederdeutsch- 
lands Einigkeit durch Annahme einer von ihm entworfenen 
Formel über die fünf wichtigsten Streitpunkte zu stiften, 
einen vorläufigen Abschluß gefunden. Allerdings ent- 
sprach dieser nicht ganz seinen Erwartungen. Dennoch 
ließ er sich nicht irre machen; er wandte sich nun nach 
Oberdeutechland. Am 19. Oktober 1570 überreichte er 
dem Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg sein 
vom Herzog Julius von Braunschweig ausgestelltes Be- 
gleubigungsschreiben!). In Ansbach war man über seine 
Mission nicht im Unklaren. Gemäß der bestündigen 
Fühlungnahme der Hófe zu Ansbach und Stuttgart in 
allen wichtigen politischen und theologischen Punkten 
hatte Herzog Ludwig von Württemberg seinem Onkel, 
dem Markgrafen, gelegentlich der Hochzeit des Pfalz- 


1) Julius von Braunschweig an Georg Friedrich d. d. Gan- 
dersheim 14. 9. 1570. Nürnberger Kreisarchiv. Ansbacher Reli- 
gionsakte 25, 32. Wann die Reise nach Ansbach beschlossen wurde, 
ob vielleicht Georg Friedrich ihn zur Beilegung der Kargschen 
Streitigkeiten vorher schon berief, läßt sich nicht mehr sagen. 
Am 29. 9. 1570 schreibt Andreä an J. Marbach: Recta nunc 
domum Domino volente ibo, ut tandem meos videam. J. Fecht, 
historiae ecclesiasticae a. n. Chr. XVI. supplementum.  Durlaci 
1684, S. 327. 

Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 5/4. 11 


162 


grafen Johann Kasimir mit der sächsischen Prinzessin 
Anna zu Heidelberg Kunde von dem Tage zu Zerbst 
und den Berichten Andreäs gegeben!) Da man in Ans- 
bach von jeher darauf sein Augenmerk gerichtet hatte, 
unter den Protestanten möglichste Einigkeit zu erhalten, 
war man Andreäs Reisen mit Interesse gefolgt. Er konnte 
mit gutem Grund hoffen, hier volles Verständnis zu 
finden. Allerdings wartete seiner noch eine andere Auf- 
gabe. Die ,Kargschen Händel“ näherten sich ihrem 
Ende. Nachdem der Ansbacher Generalsuperintendent 
durch Besprechungen in Wittenberg sich von seiner Mei- 
nung über die oboedientia activa und passiva Christi 
hatte abbringen lassen, Kurfürst Joachim und Markgraf 
Johann dem Antrag der Regierung, ihn wieder in sein 
Amt einzusetzen, zugestimmt hatten?), sollte nach dem 
Willen des Markgrafen in feierlicher Weise seine Rehabi- 


1) Am 15. 6. 1570 bat Ludwig um Rücksendung der in 
Heidelberg übergebenen Schriften über den Tag von Zerbst. 
d. d. Stuttgart. ARA. 25, 29. Es handelte sich wohl um den Ab- 
schied des Zerbster Tages d. d. 10. 5. 1570. (ARA. 25, 15 u. 62) 
und den Bericht Andreäs vom 27. 5. 1570, worin er nicht nur 
höchst hoffnungsvoll über den Zerbster Tag berichtet, sondern 
auch den infolge des Leipziger Promotionsaktes neu auflebenden 
Streit möglichst zu beschönigen suchte. (ARA. 25, 13, 59. d.d. 
Wolfenbüttel.) Die den Anlaß bietenden Propositiones com- 
plectentes summam praecipuorum capitum doctrinae christianae 
sonantis dei beneficio in academia et ecclesia Vitebergensi. Witteb. 
1570 in den ARA. 29, 757 (vgl. H. Heppe, Geschichte des deut- 
schen Protestantismus in den Jahren 1555—81. Marburg 1853. 
II, 312]. Am 22. 6. 1570 sandte Georg Friedrich die Originale 
retour. ARA. 25, 31. Ludwig war vor der Reise nach Heidelberg 
in Ansbach gewesen. D. Osiander in comitatu Illustr. principis, 
qui per Onoltzpachium transiens ad nuptias Heidelbergenses 
proficiscitur. J. Brenz und W. Bidembach an J. Marbach 31. 5. 
1570. J. Fecht, Historiae ecclesiasticae eaeculi a. n. Chr. XVI 
supplementum Durlaci 1684 S. 320. 


3) Georg Friedrich an Joachim, August und Johann. s. d. et. ]. 
ARA. 30, 271. Zustimmende Antworten Joachims d. d. Cóln. 
Mo. n. Egidi (4. 9.) 1570. [pr. 17. 9. 1570] u. Johanns d. d. Küstrin 
8. 10. 1570 (pr. 23. 10) ARA. 30, 283 u. 279. 281. August riet ihm, 
Karg eine andere Superintendentur zu geben. d. d. Sitzenroda 
6. 9. 1570. ARA. 30, 276. 


163 


litation erfolgen. Andreä war dabei eine besondere Rolle 
zugedacht. Er unterzog sich gewiß gern dieser Aufgabe. 
Nicht nur, weil er eine besondere Neigung zu allen der- 
artigen Veranstaltungen hatte, sondern auch, weil er er- 
kannte, wie er dadurch das Gelingen seiner Mission vor 
allem befördern konnte. 

Genauer sind wir nun über die einschlägigen Verhand- 
lungen nicht unterrichtet, aber eines ergibt sich mit aller 
Klarheit: Andreä gewann bald das volle Vertrauen des 
Markgrafen und seiner Räte. 

Am 31. Oktober fanden nun die abschließenden 
Verhandlungen mit Karg statt. In Gegenwart des Mark- 
grafen und etlicher Theologen besprach Andreä mit ihm 
noch einmal weitläufig den ganzen Handel und bewog 
ihn, eine von ihm verfaßte Erklärung zu unterschreiben. 
Dann wurde die Versammlung durch die sämtlichen 
Dekane und je zwei Kapitelssenioren ergänzt. Nach 
eingehender Darlegung des ganzen Sachverhalts erklärten 
diese sich bereit, das von Andreä entworfene Schriftstück 
sofort zu unterzeichnen; da sie „dasselbe für christlich 
und recht, den prophetischen und apostolischen Schriften, 
den drei Symbolen, der Augsburger Konfession, der 
Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln und der Nürn- 
bergisch-Brandenburgischen Kirchenordnung gemäß“ er- 
kannten. Damit verbanden sie aber das dringende Er- 
suchen, „Karg nicht länger zu suspendieren, sondern 
zur Verrichtung seines Amtes in der Pfarrei und Super- 
intendentur wieder kommen zu lassen, den sie für ihren 
lieben Herrn und Bruder erkennen und allen gebührlichen 
Gehorsam als ihrem vorgesetzten Superintendenten leisten 
und erzeigen wollten.“ Der Markgraf entsprach dieser 
Bitte. Er selbst nahm mit allen Räten und Dekanen 
am folgenden Tage an der Wiedereinsetzung Kargs teil. 
Andreä vollzog sie in der St. Johanniskirche, wobei er 
nicht unterließ eine genaue Darstellung des Sachverhalts 
zu geben!). 

1) siehe die Instruktion für Gg. von Wambach und Johann 
Schnabel für die Verhandlungen mit den Geistlichen auf dem 


Gebirg. ARA. 30, 297f. Formula concordiae d. d. Onolzbech 
1]* 


164 


Nach der Abwicklung der ersten, dem Lande vor allem 
am Herzen liegenden Angelegenheit, kam nun Andreä 
wohl noch am 31. Oktober auf seinen eigentlichen Zweck 
zu sprechen. „Die Katholiken könnten sich nicht genug 
tun, die Protestanten aufs ‚schmählichste und lästerlichste‘ 
zu verrufen, als sollte kein evangelischer Fürst mit dem 
andern in der Lehre einig sein. Etliche Fürsten hätten 
dagegen feststellen lassen können, daß in Sachsen, Bran- 
denburg, Braunschweig, Hessen, Pommern, Mecklenburg, 
Holstein, Lüneburg, Grubenhagen, Anhalt, Henneberg, 
Braunschweig, Hamburg, Lübeck, Rostock, Greifswald, 
Goslar, Magdeburg, Hildesheim und Hameln Fürsten und 
Theologen auch in den zwiespältigen Artikeln im Grund 
und Fundament der göttlichen Lehre mit den ober- 
deutschen besonders den schwäbischen Theologen einig 
seien. Deshalb hätten die Kurfürsten von Sachsen und 
Brandenburg auf den 7. Mai einen Konvent der nieder- 
sächsischen Theologen berufen; hier hätte man sich 
wider alle alte und neue falsche Lehren zu den Schriften 
des alten und neuen Testaments, den drei Symbolen 
und der Augsburger Konfession, wie sie 1530 Kaiser Karl V. 
übergeben wurde, bekannt. Damit aber Calvinianer 
und andere falsche Lehrer unter letzterer nicht ihre 
falsche Lehre treiben könnten, habe man sich: dahin ge- 
einigt, in,den fünf strittigen Punkten: Der Gerechtigkeit 
des Glaubens vor Gott, guten Werken, freien Willen, 


-— 


31. X. 1570. ARA. 30, 286ff. gedr. bei J. G. Wunderlich, de 
formulis concordiae in terris burggraviatus Norici ab ecclesiae 
doctoribus subnotatis. Baruthi 1783 S. 17ff. Befehl des Mark- 
grafen an Pfarrer und Superintendent Wolfg. Albinus in Uffen- 
heim, mit Senior und Kamerar Montag nach Sim. et. Iude (30. 10.) 
gegen Abend in Ansbach zu erscheinen d. d, Ansbach 26. 10. 1570. 
Dek. Uffenheim: Reformations-, Religions- und Kapitulsakte 
1523— 1687 fol. 73. Lor. Krauß old, Geschichte der evangelischen 
Kirche im ehemaligen Fürstentum Bayreuth. Erlangen 1860. 
S. 174. G. Wilke, Georg Karg. Scheinfeld 1904. S. 81f. J. Döl- 
linger, Die Reformation. Regensburg 1848. III, 572f. K. H. 
Lang, Neuere Geschichte des Fürstentums Baireuth. Nürnberg 
1811. III, 371. J. W. Rentsch, Der Heilige Jubelbronn, Bayreuth 
1681 8. 34. 


165 


Adiaphoris, Abendmahl sie nicht anders anzunehmen, 
denn wie sie in der Apologie erklärt und ausführlich 
mit Zeugnissen der heiligen Schrift erwiesen, in den 
Schmalkaldischen Artikeln wiederholt und im Katechis- 
mus Luthers auf das einfültigste für den gemeinen Mann 
und die einfültige Jugend begriffen sei." Er bat um Zu- 
stimmung der Versammlung. Sie erfolgte wohl bald. 
In Gegenwart des Fürsten erklürten die Theologeu, den 
sächsischen und schwäbischen Theologen in bezug auf 
obige Erklärung hinsichtlich der strittigen Artikel voll- 
kommen beipflichten zu wollen!). 

Der Markgraf sowohl wie Andreä waren vollkommen 
befriedigt. Ersterer freute sich, Karg wieder an seinem 
alten Platze zu sehen. Es waren nicht nur Worte, wenn 
er von ihm schrieb: „ein alter, gelehrter, gottesfürchtiger, 
sehr erfahrener Mann, eines vortrefflichen judicii in 
Händeln, auch eines ehrbaren und unsträflichen Wandels 
und Lebens, „jetziger Zeit, sonderlich dieweil er auch 
am Konsistorium Richter ist, wüßte man ihn mit einer 
solchen qualifizierten Person nicht zu ersetzen“). Andi en 
dagegen hatte beim Markgrafen volles Interesse gefunden ; 
er weihte ihn sogar in seine weiteren Pläne ein, wie daß 
er nun in Speier selbst seine Sache betreiben wollte?). 
Nach dem Scheitern seiner Pläne in Norddeutschland 
faßte er neue Hoffnung und neue Entschlüsse ®). 


1) s. die Instruktion für Gg. von Wambach u. Joh. Schnabel. 
ARA. 30, 297. 

3) ARA. 30, 271. 

3) Georg Friedrich an Herzogin Witwe Anna Maria von 
Württemberg. d. d. Ansbach 4. 11. 1570. ARA. 29, 753. Gedr. 
Beilage I. 

*) Am 18. 3. 1571 schlugen die Räte Georg Friedrich vor, 
bei seiner Anwesenheit in Kulmbach durch Georg von Wambach 
und Mag. Joh. Schnabel den oberländischen Geistlichen von der 
am letzten Oktober zwischen den Kirchendienern getroffenen 
Concordia Kunde geben zu lassen (ARA. 34, 1). Nachdem der 
Markgraf zugestimmt hatte (d.d. Arnswalde 27. 3. 1571. pr. 4. 4. 71. 
ARA. 34, 3), ergingen die nötigen Weisungen. Schnabel 
wollte ablehnen wegen Krankheit; auch müsse er den Neubau 
seines Pfarrhauses beschleunigen wegen der dumpfen Zimmer 


166 


Noch fehlte die Erklärung der Pfarrer des Oberlandes. 
Ostern 1571 begab sich Georg von Wambach mit dem 
Kitzinger Pfarrer Mag. Joh. Schnabel!) nach Kulmbach. 
Am 18. April 1571 erschienen M. Joh. Streitberger, General- 
superintendent des Oberlandes, Justus Bloch, Superinten- 
dent von Bayreuth, M. Andreas Pancratius, Superintendent 
von Hof, M. Frid. Stretius, Superintendent von Wun- 
eiedel, Johann Saher, Pfarrer in Himmelkron, M. Joh. 
Stumpf, Diakon in Hof, Mag. Wolfgang Dobenecker, 
Pfarrer in Rehau, Konr. Baurschmidt, Pfarrer von GeseeB, 
Balthasar Gaißler, Kaplan auf der Plassenburg, Mag. 
Arnold Hein, Pfarrer von Selbiz, Georg Rhein, Diakon 
von Bayreuth, Georg Strobel, Pfarrer in Röslau, Joh. 
Venatorius, Pfarrer in Trebgast und Moses Pöhlmann, 
Pfarrer von Berg. Der erste Punkt der Vorlage betraf 
die Wiedereinsetzung Gg. Kargs. Der Sachverhalt wurde 
genau berichtet, auch die von Andreä verfaßte formula 
coneordiae vorgelegt. Die Geistlichen drückten ihre Freude 
darüber aus, daß diese Kontroverse zu einem günstigen 
Ende gekommen würe. Ob sie aber der Formel unbedingt 
beistimmten, kónnte zweifelhaft sein. ,,Dieweil auch die 
Herrn Legaten und Abgesandten die durch den ehr- 
würd'gen und hochgelehrten Herrn Dr. Jacobum Andreae 
praepositum Tubingensem gestellte und durch die Theo- 
logen, Superintendenten und Dekane und Senioren im 
Fürstentum unterhalb des Gebirges bewilligte und unter- 
Schriebene formulam concordiae ihnen übergeben, haben 
sie dieselbe mit besonderem Fleiß erwogen. Weil sie 


(26. 3. 1571 ARA. 34, 30), aber die Regenten blieben auf ihrer 
Weisung bestehen. (d. d. 28. 3. 1571 ARA. 34, 32). 

1) geboren 1530 in Kulmbach. 29. 10. 1549 in Wittenberg 
immatrikuliert. Bis 1567 in Amberg. 1570—73 in Kitzingen. 
Chr. Guil. Chr. Heerwagen, ad vitam Streitbergerianam aliquot 
documenta Culmbach 1774 S. 4. Fr. Lippert, Die Reformation 
in Kirche, Sitte und Schule der Oberpfalz, 1520 — 1620. Rothen- 
burg 1897 S. 97, 106, 109, 110—112. C. E. Förstemann, album 
academiae Vitebergensis. Leipzig 1841 M. J. M. Groß, Histo- 
risches Lexikon evangelischer Jubelpriester. Nürnberg 1727 
8. 306. G. Buchwald, Geschichte der evangelischen Gemeinde 
zu Kitzingen. Leipzig 1898 S. 95. 


167 


auf gewisse testimonia und Hauptsprüche sehen müßten, 
hätten sie das einzige dictum Pauli: unius oboedientia 
sumus justi vorgenommen als ein Fundament dieser 
Disputation. Dieses hütten sie von ihren Lehrern immer so 
erklärt bekommen, daß zugleich der Gehorsam Christi, 
welchen er dem Gesetz geleistet und auch sein Tod und 
Leiden bei der Erklärung des Artikels De justificatione 
müsse zusammen genommen werden und als die Ursache 
unserer Gerechtigkeit vor Gott verstanden werden; 
eines ohne das andere könnte keine genugsame Genug- 
tuung oder Erlösung sein. So verstünden sie auch die 
Concordie. Darum ließen sie sich auch diese Einigkeit 
wohl gefallen.“ Der zweite Punkt befaßte sich mit den 
Bemühungen Andreäs um die Einigung der Evangelischen. 
Der Markgraf ließ ersuchen, auch in dieser Angelegenheit 
den Theologen des Unterlandes sich anzuschließen. Das 
Oberland erklärte sich dazu bereit: „Die christliche Ver- 
gleichung aller und jeder Artikel in der christlichen Augs- 
burger Konfession belangend, sonderlich aber die fünf 
vornehmlich angezogenen Artikel als von der Gerechtig- 
keit des Glaubens vor Gott, von guten Werken, vom 
freien Willen, von den Mitteldingen, Abendmahl wollen 
wir den Herrn Gesandten nicht verhalten, daß vor der 
Zeit, da wir gehört, daß solche Vergleichung vorgenommen, 
wir uns derhalben zum höchsten erfreut, auch Gott treu- 
lich angerufen, er wolle dazu Gnade verleihen. Dieweil 
wir aber nunmehr erfahren, daß solche christliche Ver- 
gleichung ins Werk gezogen, hören wir solches nicht allein 
von Herzen gern mit schuldiger Dankbarkeit gegen Gott, 
sondern erklären hiermit gleichergestalt unsern consens, 
wie die wohlgedachten Herrn Gesandten anstatt des 
Markgrafen solche Erklärung von uns gefordert. Denn 
da wir aus der Herrn Theologen und Prädikanten, so 
diesem Werk beigewohnt, öffentlich in Druck ausgegange- 
nem gründlichem Bericht (wie der durch Dr. Jacobus 
Andreae an Tag geben!) den uns jetzt wohlgedachter 
Herr Legat und Abgesandter auch übergaben, ersehen 


1) Heppe II, 334. R. Calinich, Kampf und Untergang 
des Melanchthonismus in Kursacheen. Leipzig 1866 8. 16ff. 


168 


und die oberzählten fünf Artikel in der Vorrede kurz 
gefaßt, hernach aber in demselben Buch wiederholt und 
mit ihrer weiteren Erklärung ausführlich als litera P. 
prima et secunda facie und sonst declariert befunden 
und vermerkt, daß in Vergleichung und Erklärung der- 
selben Artikel nichts zu reprehendieren, dieweil sie aus 
der A. C., gegen die wir sie gehalten, genommen und in 
derselben sowohl als in den schmalkaldischen . Artikeln, 
in unserer Kirchenordnung und dem Katechismus Luthers 
gegründet, lassen wir uns dieselbige gefallen, wollen auch 
in Ruhe und Einigkeit bei solcher Erklärung bleiben, 
wünschen demnach, daß solche Vergleichung, wie es 
gemeint, möge dazu dienen, daß dadurch die erdichtete 
diffamationes unserer wahren Religion und die beschwer- 
lichen calumnien, durch welche die evangelischen Kirchen 
zu großer Unbilligkeit bis daher beschwert worden sind, 
den adversariis benommen und abgeschnitten werden i).“ 


1) Credenz für Georg von Wambach und Mag. Joh. Schnabel. 
d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34. 35, Instruktion d. d. 5. 4. 1571. ARA. 
34, 33 u. 30, 297ff. Weisungen der Räte an die Räte und den 
Hauptmannsverweser auf dem Gebirg d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34, 36. 
Bericht des Wambach und Mag. Schnabel ARA. 30, 310ff. Ein 
dritter Punkt betraf den Unfleiß, die Völlerei und das ärgerliche Leben 
der Geistlichen. Nicht nur wurde das Konsistorium zu fleiDiger 
Aufsicht ermahnt, sondern auch die jährliche Vornahme von zwei 
Kirchenvisitationen angeordnet. Zuletzt wandten sich die Räte 
gegen das ärgerliche Holhippen, Schelten und Schenden der 
Privatpersonen auf den Kanzeln. Das solle unterbleiben. Zwar 
dürften falsche Lehren und Öffentliche Sünden auf den Kanzeln 
gestraft werden, eber die Nennung von Namen sei zu unterlassen; 
auch dürfe auf niemand dermaßen mit Worten gestochen werden, daß 
jeder gleich merke, wer gemeint sei. Die Pfarrer sollten jeden mit 
falscher Lehre oder öffentlichem Laster Behafteten allein verhören, 
dann durch den Dekan vermahnen, und erst, wenn er nicht abließe, 
dem Konsistorium anzeigen. Die Geistlichen erklärten darauf: 
Von solchen, die sich so enormiter vergriffen, sei bei ihnen wenig 
zu merken; die Visitationen ließen sie sich gefallen; aber es handle 
sich um die Kosten und die nähere Instruktion; es gäbe keine 
Kapitel, Einkünfte seien solchen nicht zugewiesen, auch seien 
noch keine Senioren aufgestellt. Frühere Vorstellungen inbetreff 
der Vornahme von Visitationen wären ohne Bescheid geblieben. 
Ebenso machte sich auch Widerspruch gegen den letzten Punkt 


169 


Wie schon im Unterland am 27. November 1570 
wurde bald darauf auch den Oberländischen Superinten- 
denten die formula Concordiae als Lehrnorm übersendet 
mit der Weisung, allen Disputationen auf den Kanzeln 
entgegenzutreten. „Denn die disputationes auf die hohen 
Schulen und nicht in die Kirchen auf die Kanzel (allda 
allein, was bauet, gelehret, aber, was abbricht und ärgert, 
vermieden bleiben soll) gehórig, wie denn auch ohne 
das nichts so einfültig fürgebracht, das nicht etwan von 
etlichen in Mißverstand gezogen würdet, derwegen sie 
sich solchen allen und jeden gemäß erzeigen sollen; 
dann uns hinfüro einige Trennung und Spaltung, so der 
Augspurgischen Confession, deren Apologien, den Schmal- 
kaldischen Artikeln und unserer Kirchenordnung ent- 
gegen, zu gedulden, gar nicht gemeinet sein will, sondern 
wollen ernstlich, daß unsere Geistliche in den Kirchen 
unsers Landes durchaus in solchem allen christlich, ein- 
hellig und friedlich leben, lehren und predigen 1).“ 

Inzwischen war auch Andreä nicht untätig gewesen; 
er hatte der Württembergischen Regierung vorgeschlagen, 
den zu Speier versammelten evangelischen Fürsten von 
dem bisherigen Verlauf seiner Aktion Kunde zu geben, 
bei Gelegenheit auch den Kaiser in Kenntnis zu setzen, 
ja sogar mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz 
ins Benehmen zu treten, hatte aber keine Zustimmung 


geltend. Irrtümer in der Lehre und. Ärgernis im Leben müsse 
gestraft werden. Exalta vocem tuam,sicut tubam, increpa ergue 
oportune et importune. Öffentliche Sünder müßten öffentlich 
bestraft werden; dem heiligen Geist dürfe man das Maul nicht 
verbinden, sein Strafamt nicht aufheben. Doch erboten -ie sich 
zu christlicher Bescheidenheit. ARA. 30, 297ff., 310ff. Holle, 
Alte Geschichte der Stadt Bayreuth. Bayreutb 1833 S. 124. Die 
weiter erfolgten Maßnahmen s. Lang III, 371f. Kraußold 
S. 162, 174. Siehe Kraußold 8. 162. Corpus constitutionum 
Brandenburgico Culmbacensium. Bayreuth 1746 I, 346f. 380. J. G. 
Wunderlich 8. 7. 

1) ARA. 30, 322, 325. gedr. Corpus Constitutionum 
Brandenburgico-Culmbacensium. Bayreuth 1746. I, 116ff. Dai 
nach Uffenheim gegangene Exemplar s. Dek. Uffenheim l. c. 
fol. 74. Vgl. Kraußold S. 174. Wunderlich 8. 9. 


174 


gefunden. Sie durchschaute die wirkliche Lage besser 
als er, sie wußten, alles würde nur dazu dienen, das bisher 
Erreichte ganz illusorisch zu machen. Richtig bemerkten 
die Räte, wie sein letzter Vorschlag nur dazu dienen 
könne, um eine Einigung mit den Weimarischen Theologen 
unmöglich zu machen. Man käme nur in den Verdacht 
des Zwinglianismus. Beim Kaiser könnte er sich nur 
lächerlich machen, wenn er keine anderen Erfolge auf- 
weisen könnte; ja Herzog Hans Wilhelm von Sachsen 
. könnte nur Verdacht schöpfen, als habe man sich über 
ihn beschwert. Mit den evangelischen Ständen aber in 
Speier ins Benehmen zu treten, hätte gar keinen Wert. 
Persönlich seien nur Johann Wilhelm von Sachsen und 
Albrecht von Mecklenburg da, beide könnten sich aber 
um. die Sache nicht annehmen; eine Aussicht auf Erfolg 
wäre nur dann, wenn die Kurfürsten selbst sich darum 
bemühen würden. Die Räte aber würden mit vollem Recht 
erklären, sie hätten in dieser Sache keine Instruktion. 
Andreä selbst könne keine Garantie für einen günstigen 
Fortgang bieten. Die Theologen zu Bremen und Witten- 
berg seien gegen ihn; über die Vereinigung der beiden 
Naturen in Christo dächten sie ganz anders; darum 
hätten sie auch seine Eintrachtsformel zu Zerbst nicht 
unterschrieben, sondern nur die drei Symbole, die A.K., 
die Apologie, Schmalkaldische Artikel und den Katechis- 
mus Luthers angenommen. Die Theologen zu Jena um- 
gekehrt beschuldigten ihn, die Irrtümer der Wittenberger 
sich zu eigen gemacht zu haben. Die Räte legten dem 
Propste nahe, überhaupt recht zurückhaltend mit seiner 
Meinung, daß die Einigkeit unter den Theologen herge- 
stellt sei, zu sein. Nachdem Nördlingen, Öttingen, Lindau 
und Ravensburg schon sich abseits hielten, würde vom 
Herzog Johann Wilhelm nichts besseres zu erwarten sein. 
Solange zwischen ihm und Kurfürst August keine Einig- 
keit herrsche, seien alle Bemühungen in dieser Sache um- 
sonst. Andreä sollte sich überhaupt möglichst zurück- 
halten; die Jenenser würfen ihm vor, er habe gar keinen 
Auftrag, sondern „laufe nur für sich selbst“. Herzog 
Ludwig könne aber wegen seiner Jugend die Sache nicht 


in die Hand nehmen; um so weniger könne er ihn jetzt 
nach Speier senden, da bisher Wilhelm von Hessen und 
Julius von Braunschweig seine Auftraggeber gewesen 
seien?). 

Andreä sann infolgedessen darauf, wie er die Einig- 
keit unter den Theologen trotz aller Mißerfolge herbei- 
führen könnte. Auf seine Formel über die fünf strittigen 
Punkte glaubte er nicht mehr zurückkommen zu dürfen; 
er hatte erkannt, daß dadurch die Kluft zwischen ihm 
und den Wittenbergern nur immer größer wurde. Dagegen 
griff er seinen zu Zerbst gemachten Vorschlag, die heilige 
Schrift als das Fundament aller Lehren zu bezeichnen 
und zur Erklärung derselben als die geeignetsten Schriften 
die drei Symbole, die Augsburger Konfession, die Apologie, 
die Schmalkaldischen Artikel und den Katechismus 
Luthers zu betrachten, wieder auf. Er entwarf eine Er- 
klärung zur Unterzeichnung durch die Theologen: ,,nach- 
dem sich zu Zerbst meist niederdeutsche Theologen dahin 
geeinigt hätten, als das öffentliche Zeugnis ihrer Einig- 
keit und als norma doctrinae neben der heiligen Schrift 
und den drei Hauptsymbolen die Augsburgische Kon- 
fession, wie sie 1530 dem Kaiser Karl V. übergeben worden 
wäre, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und den 
Katechismus Luthers anzusehen, hätten andre Theologen 
in Oberdeutechland zur Beförderung göttlicher Einigkeit 
durch Annahme der gleichen Schriften ein Zeichen ihres 
consens in der reinen Lehr geben wollen." Er gab also 
noch nicht die Hoffnung auf Philippisten und Gnesio- 
lutheraner zu gewinnen; aber aus der Hervorbebung der 
Augustana Invariata läßt sich doch schon schließen, daß 
er es als sein Hauptziel ansah, mit letzteren vor allem 
einig zu werden. Nachdem es ihm nun gelungen war, 
die Württembergischen Theologen zur Unterzeichnung 
zu bewegen, wandte er seine Blicke auf Ulm, Augsburg, 
Basel, Straßburg; auch an der Gewinnung Brandenburgs 


1) Bedenken der Geheimen- u. Kirchenräte in Stuttgart 
22. 11. 1570: ARA. 25, 2. Georg Friedrich wurde davon in Kennt- 
nis gesetzt, nachdem er die Bitte Andreäs, nach Speier sich wenden 
zu dürfen, unterstützt hatte. 


172 


lag ihm viel. Nicht nur Karg!), auch den einflußreichen 
Kammerrat Andreas Musmann?) ersuchte er besonders, 
seine Bitte vom 1. März 1571 zu unterstützen®). Durch 
brandenburgische Hilfe hoffte er dann auch Georg Ernst 
von Henneberg zu gewinnen. 

Die Ansbacher Regierung wäre anfänglich gewillt 
gewesen, dem Wunsche Andreäs zu willfahren. Bereits 
war ein Zirkularschreiben an die Superintendenten, 
Dekane, Senioren und Kamerare unterhalb des Gebirgs 
entworfen, in dem sie zur Unterschrift aufgefordert, 
auch an den Generalsuperintendenten Joh. Streitberger 
in Kulmbach die Weisung ergangen, nicht nur selbst 
mit allen Kaplänen zu unterschreiben, sondern die Formel 
auch den Dekanen zuzusenden, damit sie sich mit den 
Ortskaplänen und nahegelegenen Pfarrern auch anschließen 
könnten“), da erhob Karg doch etliche Bedenken. An 
und für sich hatte er natürlich gegen die vorgeschlagenen 
Schriften nichts einzuwenden; auch stieß er sich nicht 
daran, wenn Calviner (am Rhein) und Flacianer (Thü- 
ringen) sich nicht bereit finden ließen zu unterzeichnen; 
aber er warf die Frage auf, ob denn eine Garantie geboten 
sei, daß alle andern evangelischen Stände unterschreiben 
würden; war ihm doch die ablehnende Haltung Kur- 
sachsens gegen alle Schritte nur zu bekannt; würde 
denn aber nicht nur größere Uneinigkeit die Folge sein ? 
Auch bat er von einer Unterzeichnung durch sämtliche 
Pfarrer absehen zu wollen; es genüge die Einhelligkeit 
durch die vornehmsten Theologen und Kirchendiener 
bezeugen zu lassen). Daraufhin entschloß man sich mit 


1) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 54. Gedruckt Beilage IJ. 

*) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 38. ! 

) J. Andreá an die Superintendenten, Pastoren und Diener 
der Kirche. d. d. Tübingen 1. 3. 1571. ARA. 35, 34. 34, 8. Ge- 
druckt bei J. Fecht S. 345 nr. 33.| Die Formel ARA. 35, 47. 34, 15. 
Gedruckt Beilage III, pr. 18. 3. 1571. Vgl. W. Preger, Matthias 
Flacius Illyricus und seine Zeit. Erlangen 1861 II, 364. 

t) d: d. Ansbach. Mo. u. Oculi (19. 3.) 1571. ARA. 34, 28 
u. 35, 40. | 

) Praesentiert 20. 3. 1571. ARA. 34, 24, 26. 35, 42. Gedruckt 
Beilage IV. 


173 


Sachsen und Brandenburg zuerst einmal ing Benehmen 
zu treten!). 

Damit war auch dieser Versuch Andreäs als gescheitert 
zu betrachten. Die Stimmung war gegen ihn in Sachsen 
immer erbitterter geworden. Das Gutachten, das Kurfürst 
August dem Markgrafen übersandte, läßt das deutlich 
noch erkennen. Zunächst erhoben die sächsichen Theo- 
logen gegen die Behauptung Einspruch, als ob man 
im Grund und Fundament ganz einig sei. Sie verwiesen 
auf die Lehren des Flacius von der Erbeünde und von der 
Rechtfertigung sowie von dem Gesetz, die enthusiastischen 
und antinomistischen Lehren der Jenenser von der Buße; 
über die Rechtfertigung hätte Osiander schlimme Ge- 
danken ausgehen, von der ewigen Vorsehung Gottes 
Spangenberg einen ,,gotteslüsterlichen Schwarm“ drucken 
lassen. Von den neuen Arianern und Antitrinitariem 
wollten sie schweigen; aber nicht umgehen könnten sie 
die „schreckliche Disputation von der physica und realis 
communicatio idiomatum'', die man „jetzt unter dem 
Titel und Schein der Majestät der menschlichen Natur 
in Christo zu beschónigen suche." Würden doch dadurch 
die Hauptpunkte im Bekenntnis: verbum caro factum 
est, etiam passus sub Pontio Pilato etc. verderbt. Die 
Ketzereien des Nestorius, Eutyches, der Monophysiten und 
Monotheleten würde wieder auf die Bahn gebracht. 
Und alle beriefen sich auf die vorgeschlagenen vier Schriften. 
Gegen wen sie sich damit wandten, war klar; sie bekämpften 
die Ubiquitätelehre der Württemberger. Aber sie griffen 
Andreü auch offen an und warfen ihm Unredlichkeit vor. 
In Zerbst hätten sie ausdrücklich erklärt, von ihrem 
consensus doctrinae, dem Corpus Misnicum, nicht ab- 
gehen zu kónnen; die vorgeschlagenen Schriften kónnten 
sie nicht ohne weiteres annehmen. Warum berufe er sich 
nun auf den Abschied dieses Tages und gedenke doch 
dabei nicht ihres corpus doctrinae. Hätte er doch selbst 
wiederholt, zuletzt in Dresden erklürt, an demselben 


1) A. v. Eyb, Chr. Tetelbach, Endr. Musmann, Endr. Junius 
an G. Fr. d. d. Ansbach 21. 3. 1571. pr. Landsberg 28. 3. 1571. 
ARA. 34, 5. 35, 45. 


174 


nichts aussetzen zu können, hätten doch auch die Hessen 
in Zerbst die sächsische Formel unterschreiben? Allem 
Anschein nach wolle er nur seine „disputation von der 
Ubiquität“ durchsetzen, darum habe er wohl auch unter 
den strittigen Artikeln einen besonderen Passus über 
das Abendmahl aufgeführt und damit eine Disputation 
von der Majestät der menschlichen Natur in Christ us 
verbunden. Darum sei er gegen ihr corpus doctrinae, 
weil es darüber nichts enthalte. Von ihrer norma doctrinae 
könnten sie nicht weichen. Sie enthielte keine neue 
sondern lauter bekannte Schriften. Die Schmalkaldischen 
Artikel seien nur zur Vorbereitung auf das Konzil zu 
Mantua verfaßt und auf keinem Reichstag übergeben 
worden; nicht besser stehe es mit dem Katechismus 
Luthers. Erst die Flaianer hätten sie „her vorgezogen“. 
Verdächtig sei auch, daß zwischen den Ausgaben der 
Augustana ein Unterschied gemacht werde. Man könne 
sich aber nicht nur an solchen Schriften genügen lassen, 
welche allein ‚eine summarische Erzählung‘ bóten, sondern 
benótige auch solche, welche durch eine ausführliche 
Erklärung gegen Katholiken wie Flacianer Stellung 
nähmen. Solche aber fände man nur im sächsischen 
corpus. Die von Andreä aufgestellten Schriften seien 
allein gegen die Papisten gestellt, und enthielten nur 
die „bloße Erzählung etlicher vornehmer Hauptstücke 
ohne methodische Erklärung und ausführliche Anzeigung 
der mannigfaltigen Irrtümer“ !). Kurfürst August riet 
infolgedessen dem Markgrafen: sich durch „Dr. An- 
dreae oder andrer widriger und unruhiger Personen ver- 
meinte Conziliation nichts anfechten zu lassen und bei 
der einträchtigen und einhelligen Meinung der branden- 
burgischen und sächsischen Kirchen zu bleiben“. (11. Mai 
1571)?). Dem wird Georg Friedrich und mit ihm Georg 
Ernst von Henneberg wohl gefolgt sein?). l 

1) Bedenken von der Subskription, so Doktor Andreä, 
Probst zu Tübingen von etlichen Kirchen der Augsburgischen 
Konfession zugetan aufs neue begert. ARA. 35, 70. 

*) d. d. Dresden 11. 5. 1571. pr. 7. 6. 1571. ARA. 3b, 56. 

3) Auf eine Mitteilung der Räte und Regenten, daß die 
Unterschrift etwas bedenklich vorkomme und man sich deswegen 


a — — — — — ET 
ce ee nn II i 


175 


II. 


Zu einer norma doctrina sollte Brandenburg auf 
ganz andre Weise kommen. Gemeinsam mit Nürnberg 
hatte es die Reformation durchgeführt; den Abschluß 
bildete die gemeinsame Brandenburgisch-Nürnberger 
Kirchenordnung 1533. Aber dann war jedes seine eigenen 
Wege gegangen. Jetzt erst sollten sie sich wieder finden. 

Seit der Zeit des Interims war es in Nürnberg auf 
kirchlichem Gebiete nie mehr zur Ruhe gekommen, ins- 
besondere seitdem einer der echtesten Schüler Melanch- 
thons Mag. Moriz Heling zum Prediger bei S. Sebald 
und , vordersten“ Geistlichen ernannt worden war (1555)!). 
Ihm gegenüber neigten Mag. Hier. Besold, Prediger 
z. heil. Geist, zuletzt Prediger bei St. Lorenz, Georg 
Klingenbeck, Prediger bei St. Ägidien, und Michael 
Pesler, Prediger bei St. Marien immer mehr zu den Luthe- 
ranern von Jena. Auch die Gemeinde nahm regen Anteil 
an diesen theologischen Streitigkeiten. Die Patrizier 
standen mit verschwindenden Ausnahmen auf Seite 
Helings; unter den Bürgern aber hatte Flacius treue und 
opferwillige Anbànger?). 

Der Rat der Stadt sah das nicht ohne Besorgnis; 
um so mehr als bei dem lebhaften Handelsverkehr 
auch die geistigen Unter- und Nebenstrómungen wie 
Schwenkfeldianismus?), Wiedertäuferei immer wieder 
an den Markgrafen gewandt habe (21. 3. 1571), erwiderte G. E. von 
Henneberg, ohne diesen nichts weiter unternehmen zu wollen 
(26.3. 1571 Schleusingen). Am 28. 5. 1571 bat er um Auskunft über 
die Stellungnehme Brandenburgs; er hatte Andreä zunächst nur 
einen hinhaltenden Bescheid gegeben (d. d. Schleusingen); erhielt 
aber nur den Bescheid, daß Sachsen noch nichts geantwortet 
habe (1. 6. 1571). ARA. 35, 44, 53, 89, 90, 93. | 

1) Für die ganze Entwicklung vgl. Dissertatio historica, 
qua Mauritii Helingi vita, placita et studia percensentur et praeside 
G. G. Zeltnero disquisitioni academicae subjciuntur a Sigism. 
Jacobo Apin. Altdorf 1714. G. G. Zeltner, Kurzgefaßte Historie 
der librorum Normalium der Nürnbergischen Kirche. Nürnberger 
Stadtbibliothek. Bibl. Nor. Will. II, 354. 

23) W. Proger II, 426, 429 Anm. . 

3j RV. 30. 6. 1556: Hans Wilhelm von Lautenberg schreiben 
samt Caspar Schwenfeld uberschickte missiven von der Ent. 


176 


unter den Bürgern Boden gewannen. Sein Hauptbestreben 
mußte daher darauf gerichtet sein, die beiden Richtungen 
des lutherischen Protestantismus zu versöhnen, mochten 
auch seine Sympathien, er bestand ja nur aus Patriziern, 
mehr den Philippisten gehören. 

» 


schuldigung auch einem gedruckten büchelein wider Herr Philipp 
Melanthon und das hier ausgangene und zu Wittenberg 
gedruckte buchlein von der rechtfertigung des armen sünders 
soll man auf im selbst ruen laBen. So auch 1558 s. Rate- 
verlaß 3. 12. 1558: auf Markgraf Karls zu Paden kirchenräte zu 
Pforzheim schreiben und begeren, soll man bernharden Fischer, 
puchtrucker, beschicken und beaidigen, ein warheit zu sagen, 
wie es mit Jorg Raben, buchdruckers zu Pfortzheim gedruckten 
postill gestalt, was er dazu geholfen, wo die herkommen, were 
gemacht und ob er etliche exemplar hab und wem ers zugestelt. 
dasselb alles herwiderpringen. 12. 12. 1558: Uf Hansen Weixers 
verlesene ansage, soll man ine, Wolfen Ulrich, Jorg Langen und 
&ndere benannte personen, so die neugetruckte pforzhaimische 
postill von im genommen und unter eich ausgetailt haben, oe. 
schicken und beaidigen, dieselben bucher meinen herrn in die 
kanzlei zu antworten, hinfuro keins mer hieher zu pringen nocb 
zu haben, sondern dieser secten mußig zu steen, und ob sich dern 
ainer solchem bevel widersetzen wolt oder würde, dasselb meinen 
herrn wider anzuzeigen, ferner rätig zu werden. 18. 12. 1558: 
Uf die verlesene verzaichnis, welcher gestelt Wolf Ulrich und 
Jorg Lang geschworen und sich erpoten, die schwenkfeldische 
postill meinen herrn zu uberantworten und derselben sect mußig 
zu sten, die andern aber als Hans Meichsner, Jörg Schedner, 
Bernhard Fischer und Lienhard Aman solche bucher auch uberant- 
wortet, aber diese schwenkfedlische Lere aus angezeigten ursachen 
nit verschwoeren wollen, soll man von inen allen die pucher an- 
nemen und die sach der ersten zweier als des Ulrichs und Langen 
halben ruen laßen; aber von wegen der andern die ganze sach, wie 
diean meineherrn komen und was bisher darinnen gehandelt worden, 
fur die 3 fordersten predicanten pringen, ir bedenken daruber ein- 
nemen, weil sich dieselben personen berümen, das sie in Schwenk- 
felds lere nichts ungerechtes befinden, der Schwenkfeld auch bis da- 
her desselben nieuberwunden worden. De mansie auch berichten und 
uberwinden werd, daB sie sich weisen lassen und von dem un- 
recht absten wollen, etc. was meinen herrn als der weltlichen ober- 
keit in dieser sachen, so das gewissen belanget, weiter furzunemen 
gepuren wolle, sonsten zweifelten meine herrn nit, was inen als 
den seelsorgern in solchem felle gezimet, wurden sie zu handeln 
nit unterlaßen und dasselb ir bedenken widerpringen. 


177 


Der Schulmeister bei St. Sebald, Sebald Heyden, 
neigte in seinem Alter zur Anschauung Calvins vom heil. 
Abendmahl. Er bestritt die „mündliche NieBung' des 
Leibs und Blute Christi und erklärte, nur die Gläubigen 
empfingen dieselben, nicht aber Ungläubige, Unwürdige 
und Heuchler.  Beeold schlug nun Heling vor, unter 
Zuziehung Mag. Jakob Lechners, Predigers bei St. Lorens, 
mit Heyden mündlich zu verhandeln. Heling lehnte ab; 
er mied ängstlich jede Gelegenheit, die ihn hätte zwingen 
können, seinen Standpunkt zu offenbaren; er hielt es 
für das beste, wenn Heyden und Besold sich allein über diese 
Frage!) auseinandersetzten. Ob unter diesen Umständen 
diese Angelegenheit von den Predigern beigelegt wurde, 
ist mehr als fraglich. Als Heyden und seinem Sohne 
Christian Heyden, Schulmeister bei Egidien, ihre Dienste 
wieder übertragen wurden, drückte ihnen der Rat sein 
Befremden darüber aus, daß sie die rechte Lehre vom 
heiligen Abendmahl aufgegeben und dadurch den Anlaß 
zu einem „scisma“ zwischen den Prädikanten gegeben 
hätten; er versah sich auch, daß sie den Kalvinischen 
Katechismus in ihren Schule nicht mehr dozierten 
und die eigenmächtigen Änderungen an der Liturgie 
unterlieBen?). Der Tod Heydens am 9. Juli 1561 überhob 
den Rat bald weiteren Eingreifens. Zu einem ‚„scisma‘“ 


1) Hier. Beeold an H ling s. d. et l. Nürnberger Kreisarchiv. 
Rep. 52. Ms. 1110 fol. 94. Heling an Besold. d. d. 2. 12. 1560. 
ibidem fol. 94. gedruckt: Dissertatio historica, qua Mauritii Helingi 
vite, placita et studia percensentur et praeside G. G. Zeltnero 
disquisitioni academicae subjeiountur a M. Sigismundo Jacobo 
Apino. Altdorf 1714. 8.35f. Vgl. G.G. Zeltner, Kurze Erläuterung 
der Nürnbergischen Schul- und Reformationsgeschichte aus dem 
Leben und Schriften des berühmten Sebald Heyden Nürnberg 1732 
fol. 83f. 39. 

3) RateverlaßB 24. 4. 1561: den beiden schulmaistern bei 
S. Sebald und 8. Egidien soll man, ehe sie widerum mit pflicht 
gefertigt werden, anzeigen, meine herrn weren glaublich bericht, 
daß sie wider eins rate kirchenordnung sich des hochwirdigen 
sacraments halben von der rechten lere und gebrauch abgesondert 
und in diesem fall ein sciama zwischen den predicanten und lerern 
allhier angericht, daB sie auch den kalvinischen catechismum in 
iren schulen docirten, auch die alten approbirten geseng in der 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 5/4 19 


178 


war es aber nun wirklich gekommen. Besold hatte sich 
mit Heling über die Abendmahlslehre unterredet. Statt 
zu einer Einigung zu kommen, stellte sich erst recht die 
Verschiedenheit ihrer Anschauungen heraus. Trotz seiner 
Beteuerung: cum pane et vino, symbolis et rebus visi- 
bilibus, offerri, dari et exhiberi ad manducandum verum 
corpus domini et salvatoris nostri Jesu Christi, qui affixus 
ligno crucis pro nobis factus est victima et Ayrgov, nec 
non dari, offerri et exhiberi verum sanguinem ad biben- 
dum, quem idem filius dei ad abluendas nostras sordes 
etexpianda peccata in cruceeffudit, trotz seiner Beteuerung, 
daß das Abendmahl nicht nur beneficiorum et. efficaciae 
Christi, sondern auch seiner essentiae, nicht nur seiner 
göttlichen, sondern auch seiner menschlichen Natur teil- 
haftig mache, konnte es nicht verborgen bleiben, daß 
er die manducatio corporalis eben doch leugnete. Denn 
über das „Wie“! der sakramentlichen Einigung wollte 
er sich nicht näher ausdrücken; es sei ein mysterium; 
daß er auch einen Unterschied machte zwischen indignis 
und infidelibus beim Abendmahl, ließ deutlich genug 


kirche de temporibus etwas geendert hetten, welches alles dann 
eim erbern rat fast beschwerlich und misfellig were, und, wiewol 
ein erber rat hierauf genugsam ursach hetten, derwegen ir notdurft 
gegen inen den beden schulmeistern furzunemen, so wolt man doch 
von inen anhören, ob sie von irem furnemen und getaner enderung 
absten und sich hinfuro der neu gestellten pflicht gemeß (welche 
man inen furlesen lassen soll) erzeigen wollen oder nit. Was sie 
nun zur antwort geben, das soll herwider gebracht werden. 25. 4. 
1561: der zweier schulmeister zu Sant Sebald und Sant Egidien 
referirte entschuldigung, das inen in dem, das sie calvinisch, den- 
selben catechismum lerten oder ichts an den kirchengesengen one 
vorwissen geendert hetten, mit dem erpieten, daß sie der neuge- 
stellten pflicht allerding nachkomen wolten, soll man Herrn 
Hi. Baumgartner anzeigen, und sein ferneres bedenken darüber 
einnemen und widerpringen. 28. 4. 1561: auf Herrn Hi. Baum- 
gartners weiters bedenken, soll man den zweien schulmeistern bei 
Sant Sebald und Sant Egidien ferner anzeigen, ein erber rat hab 
ir entschuldigung gehort und wiewol man in guter erfarung, daß 
sie allerlei unnötige disputationes vom heiligen sacrament erregt, 
so wöll mans doch diser zeit dabei bleiben lassen und sich versehen, 
sie würden irem erpieten nachkomen und irs ding warten, auch 
keinen andern catechismum leren, denn wie ir pflicht vermöchte. 


179 


seine Auffassung erkennen. Aber nicht nur umsonst war 
diese Beratung gewesen, sie führte auch zu einer ernsten 
Entzweiung zwischen Heling und Besold. Und Heling 
mußte zugeben, daß ihn an dem schroffen Ausgang nicht 
die geringste Schuld traf. Er suchte sich damit zu ent- 
schuldigen, daß ihn die beständigen Angriffe auf seinen 
über alles geliebten Lehrer Melanchthon aufs höchste 
erregt hätten. Das hätte ihn um so mehr geschmerzt, 
als er hören mußte, daß auch Besold sich daran beteiligte !). 
Schon schien es, als sollte der Streit sich nicht mehr beilegen 
lassen. Heling hatte sich nicht damit begnügt, die Lehre 
vom heiligen Abendmahl zu berühren, er kam auch auf 
die andern theologischen Streitigkeiten, wie den rechten 
Verstand des Wortes „Evangelium“, die Lehre vom 
freien Willen zusprechen, worüber sie schon früher de- 
battiert hatten; er warf Besolt vor, man hätte dazumal 
gegen ihn nicht die „severitas“ walten lassen, die sich 
jetzt an ihm finde; auch mischte sich Jakob Lechner 
in den Streit. Am 22. Dezember 1560 trat Heling sogar 


auf der Kanzel so offen für Calvins Anschauung vom' 


Abendmahl ein, daB sich sogar Hier. Baumgartner ver- 
anlaßt sah, ihn zu warnen?). Da hielt es der Rat für seine 
Pflicht einzugreifen, ehe es zu spät war; mußte doch auch 
das Werk der groBen Kirchenvisitation des gesamten 
Gebietes durch solche Streitigkeiten aufs ungünstigste 
beeinflußt werden. Am 29. Mai 1561 erging der Befehl 
an die Ratsherren B. Derrer und J. Haller: nachdem 


. 1) Besold an M. Heling und Jakob Lechner. Rep. 52 Ms. 
1110, 62f. gedruckt G. Th. Strobel, Neue Beyträge zur Litteratur 
besonders des 16. Jahrhdts. Nürnberg und Altdorf. 1793. IV, 1, 
141ff. Antwort Helings d. d. 22. 12. 1560. Ms. 1110, 45ff. vgl. 
G. G. Zeltner, diss. historica fol. 37ff. Besold an Heling 1561. 
Ms. 1110, 49 gedr. (G. Th. Strobel] Hieronymi Besoldi olim 
pastoris ad Sp. S. Norimbergae fidelissimi epistola ad Mauritium 
Helingum de sacra coena, viribus humanis et evangelio nune 
primum in lucam edita. Frankfurt und Leipzig 1767. 

3) Hi. Baumgartner an M. Heling postridie Thomae (22. 12.) 
1560. Ms. 1110, 73 gedr. G. G. Zelt ner, diss. S. 44. Baumgartner 
an Besold s.e. d. Ms. 1110, 78, gedr. Zelt ner, 45., vgl. J. Dóllinger 
Die Reformation Regensburg 1848. II, 107. . 

| 38° 


180 


sich zwischen den predikanten im Spital auch S. Laurenzen 
und dann dem bei S. Sebald zwaiung und misverstand 
zutregt, ist zu verhütung merers gezenks und weitleuftig- 
keit bevolen, ermelte predikanten zu erfordern und inen 
furzuhalten, das eim erber rate solche misshellung nit 
lieb, wäre derwegen irer erberkeit begeren, sich freund- 
lich miteinander zu bereden, einer den andern zuhören 
und sich selbsten miteinander gutlich und christlich zu 
vergleichen, die einigkeit in der kirchen zu befurdern 
und allen zwiespalt und mishelligkeit zu vermeiden und 
hinzulegen und wie man die sach bei inen befinden würdet, 
dasselbe herwiderzupringen." Die gewünschte Unter- 
redung fand wirklich statt. Sie führte auch zu einer „Ver- 
gleichung! zur Befriedigung des Rates. Er beeilte sich, 
beiden seine Zufriedenheit auszusprechen und erbot sich, 
in künftigen Fällen auch wieder vermitteln zu wollen!). 
Ob es allerdings zu einer wirklichen Ausgleichung der 
Gegensätze gekommen ist, sei dahingestellt. Als Heling 


1) Ratsverlaß 19. 7. 1561: auf der verordenten herrn verlesene 
relation und protokollierte disputation, so bede herrn predicanten 
im spital und bei S. Sebald von wegen eingefallnen streits vom 
heiligen sacrament des abendmals christi mit einander in beiwesen 
etlicher anderer predicanten gehabt, und wes sie sich endlich 
erclert und verglichen, ist fur gut angesehen, daß man bei solchem 

olloquio und erclerung dismals bleiben laßen und berurten bei- 
den herrn predicanten Mag. Hi. Pesolden und Maur. Heling 
anzeigen soll, ein erber rate hette der verordneten herrn relation 
ires gehaltenen geeprechs und wes sich ain teil gegen dem andern 
erclert, hören leser. und gern gehört, daß sie sich mit einander 
so freundlich und gutlich verglichen. Es were auch irer erberkeiten 
begeren und vermanen, bei solcher einigkeit zu pleiben und sich 
gegeneinander wie christliche predicanten zu erzeigen und in diesen 
beschwerlichen zeiten zu ergernis und weitleuftigkeit nit urgach 
zu geben. Und do sich kunftig (des man sich doch nicht versehen 
wollt) einigcher misverstand zwischen inbn zutrüg und-sie sich 
selbst mit einander nit vergleichen konnten, würe eins rate begeren, 
solichs jedesmals an ire erberkeiten zu gelangen. Wollte man zur 
verhórung der sachen verordnen und darunter, was sich gepurt, 
handeln und furnemen, damit die raine lehr, auch fried und einig- 
keit in der kirche Gott dem allmechtigen zu lob und eren und den 
CapMten PU Nun und; «Toric Destendiguoh erhalten werden mage: 
Ratebuch 31, 252. 


181 


später sich den Anschein gab, als ob er mit Besold auch 
in diesem Punkte einig gewesen wäre, trat ihm der Astro- 
nem Mag. Joachim Heller offen entgegen. Er wies auf 
die Briefe hin, die Besold an Heling in dieser Sache ge- 
schrieben hatte; er behauptete, wenn Besold erlebt hätte, 
wie „grob“ Heling in dieser Sache „herausfahre“, hätte 
er sich gewiß auf seine Seite gestellt. Heling begnügte 
sich nicht, diese Behauptungen ruhig zurückzuweisen; 
in hellem Zorn warf er Heller vor, er habe sich gestohlene 
Briefe zustecken lassen; ihn gehe die Sache so wenig 
an als den Mesner von Poppenreuth oder einen Altreußen; 
weder Besold noch der Rat habe ihm etwas mitgeteilt, 
er könne also die Sache nur erfunden haben oder auf 
unrechte Weise etwas gehört haben. Dadurch fällt ein 
eigentümliches Licht auf seine Ausführung: er habe sich 
mit Besold freundlich unterredet; der habe ihn mit keinem 
Wort mehr angesprochen; friedlich sei man beieinander in 
der Visitation und bei vielen Examina gewesen. Warum 
blieb denn die ganze Sache so geheim? Warum hielt es 
Heling für unnótig, dieselbe ausführlich zu erórtern!)? 
Ganz gewiß aber war der Rat über diese Regelung der 
Angelegenheit froh. Es war ein Zeichen der Anerkennung, 
wenn man Besolt zum Prediger bei St. Lorenz ernannte 
(27. Juni 1562)?). Leider sollte er nur noch etliche Monate 


1) S. I. L. 102. Nr. 1. Erklärungen Hellers vom 30. 12. 1562 
n. Helings vom 4. 2. 1563. 

3) RV. 29. 10. 1561: auf der genachbarten herrn und bürger 
um St. Laurenzen verlesene Supplication und bitlichs ansuchen 
von wegen herrn ler. Pesolte, predigers im neuen Spital, ist den 
herrn kirchenpflegern bevolen, der sachen nachzudenken, mit 
was fugen und welcher gestalt die gebetene enderung des herrn pre- 
digers bei S. Laurenzen möchte furgenomen werden und solichs in 
14 tagen ungeverlich widerumb furzulegen, rätig zu werden, mitler- 
. zeit die Supplicanten beantworten, ein erber rat wolle disen handel, 
dieweil der nicht eilen lage, in bedenken nemen. 27. 6. 1562: Die- 
weil Magister Jacobus Lechner, prediger bei S. Laurenzen, sein 
gebrechlichkeit und plödigkeit seins hauptes geclagt, daß er da- 

von wegen der predicatur in dieser großen kirchen nit mehr vorsten 
konnte, ist er desselben predigamts mit der condition erlaßen, 
daß er darfur die wochen den 12 Knaben etliche lectiones in 
theologia tun soll, dagegen soll ime sein jerliche besoldung, so er 


182 


daselbst wirken; er starb am 4. November 1562 an 
der Pest!). 

Den ersten tieferen Einblick in die die Bürgerschaft 
weithin bewegenden Streitigkeiten bot dem Rat der bald 
darauf spielende Prozeß des Astronomen M. Joachim 
Heller, der, nachdem er bei einer Musik bei Michael Graf 
mit dem Kaplan Joh. Müller vom neuen Spital über Abend- 
mahl und freien Willen eine erregte Auseinandersetzung 
gehabt hatte, am 30. Dezember 1562 eine heftige An- 
klage wegen Hinneigung zum Kalvinismus gegen Heling 
und den an Stelle Besolds getretenen Mag. Joh. Schel- 
hamer?) an den Rat richtete. Mit Schrecken nahm man 


bisher gehabt, nachmalen gereicht, im auch sein wonung im 
pfarrhof gelassen werden. Und ist daneben mit Herrn Hi. Pesoldo 
gehandelt, daß er die pracdicatur in ermelter kirchen bei S. Lau- 
renzen auf ein versuchen angenommen. Vgl. Ratsbuch 32, 15. 


1) Ratsverlaß 15. 10. 1562: Herrn Jer. Pesolden auf sein 
Bitt Heinrich Preuen zu einem werter zulaßen und an sein statt 
hermann Karln auf meiner herrn kosten und belonung in die mül 
verordnen. 16. 10. 1562: Dieweil dem herrn Pesold, predigern zu 
S. Laurenzen, sein hausfrau mit tod abgangen, soll man ine von 
meiner herrn wegen clagen und trósten und ime daneben anzeigen 
laGen, meine herrn sehen fur gut an, daB er sich seins haus ein zeit 
lang enteußert und sich an andre orte tete, dazu man ime dann 
der Neumairs haus zu werd oder ein zellen in der cartausen fur- 
schlagen soll, mit dem erpieten, wenn er hinaus ziehe, voll man ine 
mit fur, zerung und in ander weg versehung tun. 17. 10. 1562: 
dieweil sich herr Jer. Pesolt auf meiner herrn ersuchen gen word 
in des neumairs haus getan, soll man jemand zu ime verordnen, 
zu erkundigen, ob er zur notdurít versehen sei. Und dieweil im 
uf das zweifache haushalten diser zeit viel aufgehet, soll man ime 
50 fl. hinausschicken mit dem erpieten, wo er ferner ainich mangel 
hab, ime ferner versehung zu tun. dergleichen soll man Heinrich 
Preuen, seinem warter, auch 20 fl geben lassen mit dem bevel, 
davon in seinem des Herrn Pesolts haus den kranken personen, 
BO weit cs reicht, nottürftige unterhaltung zu verschaffen. 
7. 11. 1562: dem stadrichter bevelen die truhen und behalter in 
verstorbnen herrn Pesolts behausung durch seinen diener neben 
Heinrich Preuen versecretieren zu laßen, bis man des gedachten 
Herrn Pesolts tochter vormunder verordne und dazwischen nichte 
verzogen werde. 

*) Ratsverlaß: 9. 11. 1562: Anstatt des verstorbnen herrn 
Mag. Hi. Pesoldi christlicher gedechtnus soll man Mag. Schel- 


183 


wahr, wie viele Fäden von der Bürgerschaft zu Flacius 
liefen. Zwar die Prediger wie Mich. Besler und Konrad 
Klingenbeck konnten sich rechtfertigen ; denn derdabeidem 
Rat in die Hände gefallene Brief wandte sich ja gerade 
gegen sie; enthielt die ärgsten Klagen über die Unter- 
drückung seiner Bücher, während der gemeine Mann 
sowohl sowie hochverständige Personen aufs ‚äußerste‘ 
und ,greulichste' wider die Wahrheit stritten und der 
Verfülscher Schriften offen in den Buchlüden feilgehalten 
werden dürften. Von den besten und einfáltigsten Lehrern 
werde zur Unterdrückung der Wahrheit stillgeschwiegen 
‚oder doch nur so gepredigt, daß der gemeine Mann nicht 
verstehe, welche Bücher nun die rechten seien. Besold 
sowohl als die andern angegriffenen Geistlichen hatten 
sich entschieden gegen diese Vorwürfe gewehrt!) Um 
80 weniger konnte dies sie belasten, als Besold auch 
mündlich dem Flacius sein Ansuchen, seine Bücher doch 
in Nürnberg frei verkaufen zu lassen, abgelehnt hatte. 
Dagegen ward man auf einen seines Standes aufmerksam, 
einen Studenten Christoph Harsdorfer, der nicht nur 
Flacius selbst schon beherbergt hatte, sondern auch mit 
Gleichgesinnten wie Gundlach, Hans Behem, Cunz Mör- 
lein, Vogel, Irtenberger, Endres Örtel, Röting und Conrad 
Klingenbeck Konventikel &bhielt?) Andere Briefe, die 
dem Rate bei der Beschlagnahme der Bücher des Joachim 
Heller in die Hände gefallen waren, ließen erkennen, 
haimern zu eim prediger in die kirchen S. Leurenti verordnen 
und ime die Superintendenz neben den andern zweien herrn auch 
bevelen und an sein des Schelhamers statt christoforum Kaufman 
zu eim prediger im neuen spital annemen. Ratabuch 32, 49. 

1) Nikolaus Gallus u. Flacius Illyrikus an H. Besold, Mich. 
Besler, Conrad Klingenbek, Michael Röting, Joech. Heller, 
Regensburg. Freitag nach Barthol. (28. 8.) 1562. Antwort Beslers 
8. d. et. l. Verhór Beslers, Klingenbecks, Rótings am 22. 3. 1563. 
S. I. L. 102. Nr. 1. 

3) Harsdorfer, Meinschein, Pack, Irtenberger, Örtel ermög- 
lichten auch die Herausgabe der Centurien.  Preger II, 429. 
Vgl. August an Georg Fr. v. Brandenburg. d. d. Dresden 1. 5. 1570. 
ARA. Tom. Suppl. 2, 198. Vgl. G. Chr. Neudecker, 
neue Beiträge zur Geschichte der Reformation II, 272. Döllinger 
II, 259. 


— a —̃ 


184 


welche Hilfe Flacius in Nürnberg zur Herausgabe seiner 
Schriften fand. Den Mittelsmann, der die Verbindung 
mit den Nürnberger Freunden immer aufrecht zu er- 
halten wußte, glaubte man endlich in Bertholomäus 
Schober gefunden zu haben. Als nun gegen Ende des 
ganzen Prozesses Flacius am 11. Mai 1563 selbst nach 
Nürnberg kam und bei Schober wieder übernachtete, 
verwies man diesen kurzerhand aus der Stadt, weil er 
im Verhör nicht gleich Rede stehen, sondern sich 
nur zur schriftlichen Verantwortung erbieten wollte. 
Bei Joachim Heller aber benützte man seinen höchst 
anstößigen Lebenswandel, um ihm seinen Dienst aufzu- 
kündigen (28. Mai 1563)!). 


!) Den ganzen Prozeß des Joachim Heller enthält der Akt: 
S. IL. 102 Nr. 1. Ratsverlaß 12. 5. 1563: und nachdem an meine 
herrn gelangt, das Illiricus nechten allhie gesehen, ist Bartl 
Schober darum beschickt und befragt worden, wann er herkomen, 
wo und bei wem er sich halt und was seine gescháft seien. Als er 
nun auf das getan angloben an eides statt angezaigt, daß er gestern 
zu mittag zeit herkommen, bei ime eingezogen und abends nach 
dem nachtessen wider davongereist, unwissend, was er alhıe ge- 
macht, habens meine herrn dabei bleiben laßen. 13. 5. 1563: 
nachdem Bartl Schober auf die gestellte fragstück kein mundlich 
antwort geben wollen, sondern vermóg der verlesenen verzeichnus 
begert, im dieartikel zuzestellen, sein antwortschriftlich — und doch 
der furgehaltenen schriften an den Heller bekentlich gewest, da- 
rinnen er meine herren ein erber rate antast und beschuldigt, als 
sollten aie dio adiaphoristerei und Majoristerei schützen und dagegen 
die anderen reinen schriften verfolgen, ist erteilt, daß man sich 
mit ime ferner in einich schrift noch wortgezenk als einer privat- 
person nicht begeben noch einlaßen, sondern ime jetzo alspalden 
anzeigen soll: er weßt, welcher maßen ine meine herrn veruckter 
zeit zu burger angenomen, der Hoffnung, er würde sich in seinem 
beruf burgerlich gehalten haben. Dieweil es aber nıcht bescheen 
und meine herren sein heßig gemut auch gelegenheit seiner hand- 
lungen dermaßen spurten, so wolt irer erberkeiten gelegenheit 
nit sein, ine lenger zu einem burger zu haben, sonder es were 
irer erberkeiten endlicher bevel, das er sich noch vor untergang 
der sonnen aus der statt und meiner herrn oberkeit und gepiet 
hinweg tun, dieselbig sein leben lang meiden und nit mer darein 
kommen wolle bei einer leıbesstraff. so sollt er auch sein weib und 
kinder mit sich nemen. doch was er derselben auch seiner farnus 
halb allhie zu verrichen, daß er dasselb durch sein waib oder 


185 


Man merkteden Aktennoch heutean, welcher Schrecken 
den Rat erfüllte, wenn bei der Untersuchung wieder eine 
Spur auf Flacius führte. Kaum zu verstehen ist, warum 
man diesen Mann, der noch nicht einmal gut deutsch 
reden konnte, also haßte. Er blieb allerdings dem Rat 
die Antwort auch nicht schuldig. In seiner Schrift: 
Trewe Warnung und Vermanung, das man das h. Testa- 
ment des hochw. Nachtmals .. . unverfelscht — rein 
behalten soll!) erzählte er von einer großen Stadt, die 
im Winter 1561 fast drei Monate lang großen Mangel 
an Lichtern gehabt habe; an den Läden hätten sich die 
Menschen so gedrüngt, daB etliche zerdrückt worden 
würen.  Gottesfürchtige und verstündige Leute hátten 
gleich daraus auf einen bevorstehenden Mangel am geist- 
lichen Licht geschlossen. Das sei auch bald Wirklichkeit 
geworden. Denn etliche Prediger und Bürger, die den 


andere personen in 14 tagen den nechsten tun laßen möge. Der 
nachsteur halben soll man gegen ime kein meldung tun. Auf 
solchs haben die verordenten herrn referirt, das gedachter Schober 
nach angesagtem beschaid geantwort: er hett rich solchs beschaids 
und gar nit versehen, daß man den proceß an der execution an- 
heben sollte. dann er gestern begert, ine schriftlich zu hörn, und 
wenn e8 bescheen und sich erfinden würd, das er geirrt, wolt er 
sich haben weisen laßen. dergestalt aber mit ime zu handeln, 
were contra jus divinum et humanum. beruft sich derwegen auf 
den passauischen vertrag, welcher vermöcht, das niemand der 
religion halben vervolgt werden soll. Darauf ist befolen, ime zu 
sagen, er hab gehört, aus was ursachen ine meine herrn alhie 
weiter nit gedulden wolten. Darum ließ mans bei gegebnen be- 
scheid bleiben und solt er allein lauter sagen, ob er solchem oeschaid 
nachkomen woll oder nit. Tu ers, so solte mans geschehen und 
dabei bleiben laßen. Wo nit, ine alspalden ins loch zu füren be- 
velen. 28. 5. 1653: des im loch verhafteten Joachim Hellers 
halben ist beim rat verlassen, im seine dienst, so er bisher meinen 
berrn als ein profeßor astronomiae und sonst in ander weg gehabt, 
in bedacht seiner mishandlung und das er bishero seinen diensten 
und beruf in keinen weg ausgewartet genzlich auf und abzukunden 
und zu sagen, sıch mit seinem ganzen haushalten von hinnen aus 
der stat und meiner herrn oberkeit und gepiet hinweg zu tun. 
Vgl. E. Dóllinger II, 107ff. Ratsbuch 32, 84a, 112, 115. 

!) Datum der Widmung d. d. Regensburg am Tage Purifikat. 
Mariae 1564. 


186 


rechten Verstand in den jetzt schwebenden Kor- 
ruptelen auch in der Vergleichung Christi mit Belial 
gehabt hätten, seien gestorben, andere verjagt worden, 
endlich seien die rechten Prediger veranlaßt worden, 
einen heimlichen Vertrag mit den andern in Religions- 
sachen zu machen und ganz zu schweigen. Der Hieb 
s1D; wenn auch die Schrift dem Rat der Stadt Danzig 
gewidmet war, merkte man bald, daß auf die Stadt Nürn- 
berg besonders auf den Prozeß Heling-Besold und die im 
Jahre 1563 erfolgte Auseinandersetzung zwischen Klingen- 
beck und den Philippisten gezielt war. Aber der Rat 
sah selbst ein, daß es am klügsten wäre zu schweigen). 

Man kann es aber verstehen, wie entrüstet der Rat 
war, als eben in jenen Tagen, wo eine Spur des Flacius 
nach der andern auftauchte, auch auf der Kanzel und 
in der Gemeinde der theol. Streit von neuem aufflackerte. 
Georg Klingenbeck, Prediger bei St. Egidien, war mit 
Sixt Huber, Kaplan bei St. Sebald, über den freien Willen 


1) Rateverlaß: 26. 4. 1564: auf die verlesen vorredei n des Illirici 
ausgangnem püchlein wider die sacramentirer, weil er meine herrn 
so hoch und mit solch ungrund darinnen anzeucht, sol man die 
drei vordersten predicanten und neben inen die prediger zu 8. Egi- 
dien und unser Frauen erfordern, inen solchs furlesen und fragen, 
ob ir einer zu jungster irer mit einander verglichene vereinigung 
genótigt oder einiche beschwerung noch darin het und solchs 
elles widerpringen. 27. 4. 1564: auf der verordenten herrn getane 
mundliche relation, daß sie den 5 predicanten des Illirici vorrede 
seins ausgangnen büchleins furgehalten, die darob die hochste 
be:chwerd trügen, wißte irer keiner zu erinnern, daß sie zu voriger 
vergleichung genótigt, hetten zu solchem des Illirici ausschreien 
kein ursach geben und weren alle miteinander ganz einig und fried- 
sam und de: entlichen meinung, wes sie sich hievor miteinander 
einhellig verglichen, dabei bestendiglich zu bleiben und mit dem 
Ilirico nichs zu tun zu haben, ist verlaßen, die ganze handlung 
den herrn hochgelerten um ir ratlich bedenken furzutragen, und 
da sie fur gut ansehen würden, derwegen gegen denen von Regens- 
burg andung zu tun, ir einem bevelen, solch schrift zu stellen. 
17. 5. 1564: auf den verlesnem ratschlag des Flacium Illirici aus- 
gengen tractetlein, darinnen er meine herrn etwas mit unwarheit 
anziehen tut, soll man sich mit ime nit ein, sondern die sach dem 
ratschlag gemeß beruen lassen. Das Bedenken der Rechtsgelehrten: 
G. Th. Strobel, Beyträge zur Litteratur. Nürnberg und Altdorf 
1785. I, 2, 406ff. 


187 


in Streit gekommen. Er faßte ihn gewiß, wie alle Luthe- 
raner als gänzlich erstorben zum Guten und deshalb 
unwirksam bei der Bekehrung auf, während Huber ihm 
die facultas applicandi se ad gratiam zuschreiben wollte. 
Wie nicht anders dazumal möglich, hatte auch gleich die 
Bürgerschaft lebhaft Partei für oder wider ergriffen. Der 
Rat griff energisch ein. Klingenbeck mußte sich anheischig 
machen, in der Predigt diese Materie gar nicht mehr zu 
berühren; auch erklärte er seine Bereitwilligkeit zu einer 
gütlichen Unterredung. Daraufhin untersagte der Rat 
auch Heling und Schellhammer jede Erwähnung dieser 
Sache auf der Kanzel!). 

Am 7. Juli traten Heling, Lechner, Schellhammer, 
Beßler auf dem Rathaus zur Beratung zusammen. Hier. 
Baumgartner, Joachim Haller, Georg Volkamer ermahnten 
zur Einigkeit. Manchem sei es nicht um die Ehre Gottes, 
sondern nur um den Ruhm vor der Gemeinde zu tun. 
14 Tage dauerten die Verhandlungen; nicht nur die Lehre 


1) Ratsverlaß 12. 5. 1563: in dem noch ungeorterten streit 
vom freien Willen, so sich zwischen dem prediger zu Sand Egidien 
Cunrad Klingenpeck und Sixten Huber caplan zu S. Sebeld zu- 
getragen, soll man auf gemeltes herrn predigers schrift di 3 herrn 
superintendenten ir bedenken und meinung auch verfassen lassen 
und widerbringen, damit man zu erórterung der sachen kommen 
möge. 1. 7. 1563: dieweil der prediger zu Sand Egidien herr 
Cunrad Klingenpeck je lenger je mer auf der kanzel wider die 
freiwillisten schreibt, ist befolen, ine zu erfordern, was ine doch 
über das, so hievor ernstlich mit ime gehandelt worden, dazu: 
verursach, sonderlich, weil die sache zwischen im und seinem 
widerteilen nit geortert, sein antwort wider bringen, mitlerzeit bis 
zur orterung solchs handels dise materi auf der kanzel undisputirt 
zu lassen und solchs den andern herrp predicanten auch anzeigen. 
2. 7. 1563: dieweil sich herr Cunrad Klingenpeck, prediger zu 
S. Egidien, nach getaner entschuldigung seines schreiens auf der 
canzel vom freien willen erpoten, sich solchs strits halo mit sein 
widerteiln gutlich zu bereden, ist bevolen, sie die predicanten, 
80 ob diesen artikel miteinander strittig seien, mit erstem zu- 
samen fordern und von der sachen reden und disputiren zulassen, 
ob sie sich darob freundlich mit einander vergleichen könnten 
und alles zu verzeichnen und widerzubringen, mitlerzeit den 
zwaien predicanten Sebaldi und Laurerti euflegen, sich diser 
disputation auf der canzel zu entnalten [Ms. 1112, 18. Stadtbibl. 
Nürnberg. Will. bibl. Nor. II, 358.) Vgl. Zelt ner, vita Helingi 
S. 49. Ratsbuch 32, 125. 


188 


vom freien Willen, sondern auch alle übrigen Differenz- 
punkte, wie die rechte Auffassung des Wortes Evangelium, 
die Notwendigkeit der guten Werke, die Gottessohnschaft 
Christi, die Abendmahlslehre, die Adiaphora wurden be- 
sprochen. Unter dem Druck der Obrigkeit kam man 
auch zu einer Einigung. Heling und Schellhammer faßten 
das Ergebnis in einer umfangreichen Schrift, „dem später 
sogenannten scriptum declaratorium“, zusammen, welches 
dann am 23. Juli von sämtlichen Predigern unterschrieben 
wurde. Es trügt alle Müngel eines Kompromisses an sich: 
Dürnhofer hatte nicht so unrecht, wenn er von ihm ur- 
teilte: ,,es sei, als wenn man dreierlei Eisen, gutes, böses 
und mittelmäßiges zusammenschweiße“. Doch zeigen 
sich auch hier schon manche Ansätze, mit denen es später 
gelang. die Streitigkeiten im Luthertum zu überwinden. 
Den fünf Geistlichen scheint das Ungenügende des Schrift- 
stückes selbst zu Bewußtsein gekommen zu sein; dem 
Rat überreichte man eine kurze Zusammenfassung, ‚die 
Synopsis scriptideclaratorii'*. Um so zufriedener war der Rat. 
Die Stimmen unter den Bürgern, Herr ‚Cunrad (Klingen- 
beck) habe die andern Prädikanten auf die rechte Bahn 
gebracht und von ihrem Irrtum bekehrt“, verstummten 
immer mehr; nur der unruhige Mag. Seb. Röting konnte 
sein Hetzen auch jetzt noch nicht einstellen. So wurde 
denn nicht nur den fünf Geistlichen die Anerkennung 
des Rates ausgedrückt und der Hoffnung dabei Ausdruck 
gegeben, daß der Zwiespalt unter ihnen endgültig bei- 
gelegt sei, sondern auch sämtlichen Geistlichen in einer 
besonderen Versammlung die ‚Konfession und Ver- 
gleichung“ als Lehrnorm bekannt gegeben, die sie durch 
Unterschrift anerkennen mußten. So haben wir in den 
Abmachungen der fünf Prediger die erste norma doctrinae 
oder Bekenntnisschrift der Nürnberger Kirche zu sehen 
(Rateverlaß 28. September 1563)!). 

!) Bedenken von Hi. Baumgartner, Joachim Haller, Gg. 
Volkamer Rep. 52. Me. 1112 fol. 15. Stadtbibl. Nürnoerg. Bibl. 
Nor. Will. IT, 358. Das declaratorium Kr. N. D 212, 34ff. Fasc. I 
ad D 212 fol. 20ff. Ms. 1112, 23ff. St. Nürnbg. Bibl. Nor. Will. II 
358, 335. vgl. 368 Amb. 269 u. 68. Solg. I, 32. Erl. Univ. Bibl. 


Ms. 913, 1ff. 1458, fol. 169ff. Über den Verfasser s. D 212 Fasc. IV:? 
Originalprotokollum der ao. 1685 konfirmirten normae doctrinae 


189 


Fünf Jahre gelang es nun dem Rat, auf Grund dieser 
Maßnahme Frieden unter den Geistlichen aufrecht zu 
erhalten. Energisch ging man gegen alles vor, was zu 
Verwicklungen führen konnte. Wie man nach außen 


von allen Kirchen- und Schuldienern hiesigen orte samt derselben 
teils schriftlich gegebenen bedenken: Erklärung Schelheimers 
vom 21. 5.: er wüßte sich der Erklärungsschrift, welche ao. 1563 
von seinem Vorgänger Herrn Jakob Lener und ihm Schellheimer 
meistenteils gestellt und begriffen worden, die sie auch approbiert 
und subekribiert hätten, wohl zu erinnern Erklärung Helings vom 
29 5.: „welche er neben andern hiesigen Prädikaten ao. 63 gestellt 
und unterschrieben und einem erbern Rat übergeben“. Die An- 
gaben von Hirsch, Acta historico ecclesiastica Weimar 1747. 
XI, 432 kónnen nicht nachgeprüft werden. Das Urteil Dürnhofers: 
Es sei eben, als wenn man dreierlei Eisen, Gute, Böse und mittel- 
mäßige zusammenschweiBte G. G. Zeltner, kurzgefaßte Historie 
S. 46. Joh. Kaufmann urteilte 27. 1. 1578: Die Schrift 1563 sei 
nur Gleisnerei Ms. 1110, 355ff. Punkt 10. Ratsverlaß 28. 9. 1563. 
Auf die getane mündliche relation, was maDen sich die drei vör- 
dersten predicanten neben M. Micheln PeBler mit Herrn Cunraden 
Clingenpecken, predigern zu St. Egidien, in der irrung, so sich 
ein lange Zeit zwischen inen vom freyen willen und andern 
puncten erhalten, allerdings verglichen, diselb vergleichung 
schriftlich verfaßt und sich zu ends derselben alle mit eignen 
händen underschrieben, damit dann solche ir vergleichung allent- 
halben bei den kirchendienern offenbar und bei inen nicht dafur 
gescht werde, als wolte mans in gehaimd behalten und also etliche 
derselben allerlei davon reden möchten, soll man alle predicanten, 
caplän und schulmaister hie zusammen erfordern und inen solche 
vergleichung anzeigen und die gestelte schrift furlesen und inen 
sagen, weil dieser vergleichung meine herrn zufrieden und inen 
dieselb wol gefallen ließen, so wolt man inen hiemit angezeigt 
haben, sich zu enthalten, daß keiner uf der canzel oder auch andern 
winkeln weder heimlich noch offentlich davon reden, disputirn 
oder andere darwider zureden verursschen, sonder, do einer einen 
mangel an diser schrift und vergleichung het, dasselb alsbald an- 
zuzeigen. diejenigen aber, so kein einrede und inen dieselben ge- 
fallen ließen, solten sich alsbald auch unterschreiben. welcher aber 
mangel daran und ytzo nit ercleren kont, dem wolt man 8 tag 
bedacht darzu lassen. und wiewol etliche statliche burger diser 
disputation und stritts halben viel böser reden ausgoßen, aber 
weil diese irrung nimer uf der canzel triben, etwas still worden, 
sol man ee irenthalben also ruhen laßen. Micheln Röting aber, der 
uber vielfeltige warnung noch für und fur schret und schreibt und 
von seiner opinion nit abstehen will, ungeacht daß es nit seiner 
vocation, soll man beachicken und ime mit allem ernst undersagen, 


190 


hin alles mied, was als eine Begünstigung des Kurfürsten 
von der Pfalz erscheinen konnte, und sich in der Politik 
ganz nach Kurfürst August und Wolfgang von Zwei- 
brücken richtete!), so auch im Innern. Der Buchhändler 
Jan Monte aus Heidelberg durfte keine Calvinische Bücher 
in der Stadt verkaufen?); die niederländischen calvinistisch 
gesinnten KaufleutewurdenzurRuhe undStilleangehalten?) ; 


seines berufs und schuldienste zu warten und sich seiner disputatio- 
nen in geistlichen sachen zu enthalten. dann do er davon nicht 
absten, werden meine herrn ungeachtet seiner langwierigen dienst 
und altere das gegen im furzunemen, das im nit gefallen werd. 
Vgl. Ms. 1112 fol. 21. Will. bibl. Nor. II, 358. Ratsbuch 32, 180. 
1) RV.: 28. 12. 1565: Und demnach in dem ausschreiben der 
kais. mjt. auch meldung geschieht, den gesandten befel zu geben, 
in der stritigen religion und furnemlich der vilfeltigen secten halben 
auch zu handeln, und es danneinenlaut hat, das pfalzgraf Friedrich 
churfurst seiner sect halben im bei etlichen stenden einen beifall 
und anhang machen woll seine sect zu verteidigen, ist verlaßen, 
da der herrn gesandte zu Augspurg zu beratschlagung der religion 
in abgesonderte rete gefordert und die pfelzischen darauf tringen 
wolten, inen anhengig zu sein, sol man inen dasselb mit gutem 
glimpf weigern und sich anders und weiters nit einlassen, denn 
meiner herrn erclerung, so sie auf der churfürsten und fürsten 
überschickt confession, welcher sie zu Naumburg sich verglichen, 
zu erkennen gibt, und mag sich der herr wol in solchen selben fall 
zu den churfurst sáchsischen, pfalzgraf Wolfgang reten, denen 
von Ulm und andern, die meiner herrn confession seien, halten. 
er 1) RV. 2. 4. 1565: Jan Monte von Heidelberg, so die cal. 
vinischen Bucher hie feil gehabt, soll man in die canzlei füren, 
ein sage von im aufschreiben laßen, wo er mit diesen buchern 
herkume, und wer ims erlaubt, hie feil zu haben, sein sag wider 
priagen, ine dieweil warten laßen. Auf Johann Monts ansag, soll 
man ine schweren lassen, der bucher keins weder hie noch in meiner 
herrn oberkeit zu verkauf n, das angezeigt vaß auch unaufge- 
schlagen hinweg zu füren und sich bei sonnenschein aus der stat 
zu machen. Als er nun den eid geleistet und gepeten, ine hie zu 
laßen, bis sein ross ankume, woll er inmittels die pücher in der 
kanzlei laßen, soll man im wilfaren, doch bei geleisten aid sagen, 
sobald das faß kume, daßelb ungeoffent hinweg zu schicken. Die 
andern bucher inmittels bei der hand behalten, dem wirt zum 
schwarzen bären auch sagen, acht zu haben, wenn das faß herkum, 
dasselb nit offnen zu laßen, daneben will man Wolfen Geigenberger 
und andere, die bucher von im kauft, beschicken, diselben ver- 
pflichten, alle in die kanzlei zu geben. 
3) RV. 31. 5. 1567: auf gescheen anbringen, daß ein burger 
hie, so ein niderlender, zu Amberg offentlich in die calvinische 


191 


Geistliche, welche Unruhe stiften wollten, wie der zweite 
vórderste Geistliche, Jacob Lechner, entfernt!); den 
Lutheranern kam man auf die Weise entgegen, daB man 


kirchen gangen und daselbst nach irem prauch communiciert, 
sol man denselben beschicken, beeidigen, zu rede halten und sein 
sag widerpringen, daneben soll man kuntschaft machen, was fur 
fremder niderlender sich der jtzigen entbórung halb hieher getan, 
wer diselben und bei wem sie innen, ob sie auch conventicula halten 
oder nit, alles widerpringen. 4.6. 1567: auf die verlesene anseg, 
was vilfeltiger disputationes die calvinischen niderlender, so jtzo 
hieher kumen, sie erregen, sol man sich in aller eil und mit eim 
grund erkundigen, wieviel und wer dieselben niderlender, auch bei 
wem sieinnen, insonderheit wer derjenige, so sich vernemen lassen, 
christus rei ein pastart. 

RV. 23. 7. 1567: auf verlesene ansagen, was fur nider- 
lendische calvinisten sich hie enthalten und allerlei disputiren 
sollen, sol man zuforderst Egidi Großen, den collaboratoren bei 
S. Egidien, beschicken, uf sein irrtum zu red halten, sein sag wider- 
pringen. Gabriel Schlüßelberger, Jorgen Maleprand, Niclasen de 
Nova Castel und andere, die der calvinischen Schwermerei verdacht 
und disputiren, soll man beschicken, inen meiner herrn ernstlichs 
misfallen ires irrtums und disputirens halben und dabei anzeigen, 
von solchem irrtum abzusten und sich der hioigen oder A. Confession 
gemes zu erzeigen, welcher aber in seinem gewissen ein anderes 
erkennet und hielt, das solt er sich bei sich behalten und mit nie. 
manden disputieren auch niemand kein ergernus geben noch einiche 
conventicula halten, sonder sich eins solchen eingezogenen stillen 
wesens und wandels verhalten, das iren halben kein weitere Klage 
kume. Welcher aber wider solchs in wenigsten handeln, gegen 
den oder denselben wolt man einen solchen ernst geprauchen der 
im zu schwer fallen würde. 

1) Verlaß 23. 7. 1565: dieweil sich befind, daß Mag. Jacobus 
Lechner nicht allein, seid er von seiner predicatur abgestanden, 
gar nichts getan und die große besoldung so vergebenlich eingenumen, 
sonder auch allerlei uneinigkeit und disputationes zwischen den 
hieigen predicanven erweckt und sich allerlei fremden secten und 
rottierungen anhengig macht und sich mit den hiesigen predicanten 
gar nit vergleichen will, sondern was zwischen oder unter inen hie 
gehandelt wird, an fremde auswendige orte schreibt und ursach 
sucht, wie er diselben wider die hieigen predicanten wehig machen 
möchte und darzu sich nit allein mit seinem weib ganz ergerlich 
u. streflich het, sondern auch, wann er bezecht u. bei gast ungen ist. 
mit schenden, schmehen und andern ungeburn dermaßen erzeigt, 
das ime als einem teologo gar keinswegs geburt, meinen herrn auch 
keinswegs zu gedulden geburen will, soll man solcher seiner un- 
geschick halben an den angezeigten orten zeugen und kundschaft 


193 


Michael BeBler zu seinem Nachfolger ernannte!) Doch 
unterdrückte man auch von ihrer Seite alles, was Anstoß 
eregen konnte. So wurde dem Buchführer Jorg Fischer 


horen, dieselb herwiderpringen. 25. 8. 1565: auf der verhórten 
zeugen verlesene ansag, sol man M. Jacoben Lechner sagen, er 
wißt sich zu erinnern, daß er sich beschwert, daß er schwacheit 
halben seins leibs der predicatur nicht kont furstehen, derwegen 
denn meine herrn in derselben erlassen und bisher in seiner herberg 
pleiben auch sein besoldung volliglich ime verfolgen laßen. weil 
aber meinen herrn furkeme, wie ungeschickt und rumorisch er 
sich bisher vilfeltig erzeigt, welches denn meine herrn zu gedulden 
nit gemeint, so wolt man ime hiemit sein besoldung aufgesagt 
haben, mocht sich an andern orten um dinst bewerben, solt auch 
sein herberg im pfarrhof raumen, dazu wolt man ime zeit bis 
Michaelis geben. 4. 9. 1565: M. Jacob Lechner sol man zur ab- 
fertigung das halbe quartalgeld, so uber 8 Tag verfallen, dergleichen 
das halbe quartalgeld der 37 ½ fl, so auf allerheiligentag fellig wird 
auch, und einen schriftlichen abschied geben, daß er ein zeit lang 
bei 8. Lor. predicant und superintendent gewesen, solches stands 
hette man ine erlaßen und entledigt, also daß er mit meiner herrn 
gut wissen abgeschieden. 8. 9. 1565: Mag. Jaooben Lechner auf 
sein suppliciren weiter vernemen, wie sein gemut des angezogenen 
gelds halben eigentlich gestellt und wie sein meinung zu verstehen 
sei und widerpringen. 10. 9. 1565: auf die getane erkundigung, 
das Mag. Jacob Lechners gemut dahin gestelt, meinen herrn 1500 fl 
zuzustellen, dieselbigen zu gebrauchen und ime jerlich dagegen 
100 fl. als ein stipendium zugeben, doch daß einem jeden teil 
frei sten solt, dasselbig zu seiner gelegenheit wiederum ab und 
aufzukunden, soll man ime sagen, das meine herrn im dergestalt 
willfaren wolten, nemlich die 1500 fl auf vier jar lang anzunemen 
und jedes hundert mit 5 procento zu verzinsen und dann ime 
dise 4 jar lang ein jedes 25 fl zu ainem stipendio reichen. da es 
ime aber nit annemlich zu vermelden, das er solch: 1500 fl ander 
ort zu seinem pesten anlegen mocht, wolt man ime dennoch die 
25 fl die 4 jar lang reichen und solche 25 fl solt man jerlichen von 
der kirchen einkomen nemen. 

9) RV. 9. 1. 1566: den beden herrn predicanten und Superin- 
tendenten zu S. Sebald und Lorenzen soll man M. Michel PeBler, 
den prediger zu unser Frau zu einem dritten Miteuperintendenten 
zuordnen und im die 100 fl besoldung, wie den andern zwei geben. 
Ebenso bedachte man M. Heling: Ratsverlaß der H. Eltern: 
23. 11. 1566: Herrn Mauritio Heling prediger bei 8. Sebald soll 
man auf sein supplicieren um ein Steuer, weil er bisher noch kein 
anlangen getan und sich gegen herrn Andreas Imhof den eltern 
soviel vernemen lassen, daß er ein unversehen zugestandenen un- 
fallshalben 100 Taler notdürftig, mit denselben 100 Talern vereren 
und im sagen, solchs in geheim zu halten. 


193 


der Verkauf der Streitschriften Mörlins gegen die Heidel- 
berger verboten!). Einmal schien es allerdings, als sollten 
alle Bemühungen des Rates umsonst sein. Durch Herzog 
Christoph von Württemberg wurde man auf zahlreiche 
Schwenkfelder, wie den Uhrmacher Paul Graßmann, 
den Schmied Linhard Nürnberger, Jörg Schechtner in 
der Breiten Gasse aufmerksam. In den mit ihnen an- 
gestellten Verhandlungen bekannte sich Heling zu mancher 
ihrer Anschauungen; so sprach auch er von einer doppelten 
Taufe; auch er leugnete den Kinderglauben. Doch kam 
es zu keinem offnen Zwist. Der Rat ließ sich lieber 
von den Schwenkfeldern eine halbwegs befriedigende 
Erklärung geben, als daß er die bisher mühsam behauptete 
Einigkeit hätte in Trümmer gehen lassen?). 


!) RV. 17. 5. 1567: Jorgen Fischer und allen buchfürern 
soll man verpieten, des buch intituliert wider die handlungen der 
heidelbergischen theologen dureh D. Jochim Mörlin gemacht 
weiter zu verkaufen, sondern alle in die canzlei zu antworten. 

2) Verläße des Herrn Eltern 25. X. 1565. RV. 18. XI. 1563. 
6. VII. 1564. 11. XI., 22. XI., 23. XI., 1. 5. 12. 15. 18. 22. 23. 29. 
XII. 64. 11. I., 26. I., 27. II., 27. 29. III., 17. IV., 11. V., 14. VII., 
21. VI., 25. VIII., 8. X., 27. X., 27. XI., 4 5 8 XII., 65. 9. I., 
6. II., 9. 26. II., 23. 27. III., 4. 18. 25. 27. IV, 6. 8. 9. 10. 15. V., 
19. VIII., 30. IX., 22. X., 10. XI., 12. 16. XI., 9. 10. 28. XII. 1566. 
27. 29. I., 23. I., 3. 6. II., 3. V., 7. XI. 1567. RV. 9. III. 1566: 
weil die predicanten in irem eingefallenen strit verglichen, soll 
man nunmehr das examen mit Paulusen Graßmann furgehen 
laßen. 10. 11. 1566: dieweil ein erbarer rat sorgfeltig, do man solche 
confeesion den beden predicanten bei S. Sebald und zu unser Frau 
furhalten, das es zu allerlei weitläufigkeit gereichen und sie die - 
predicanten villeicht selbs darob nit allerding einig sein und allerlei 
beschwerlicher disputationen zwischen inen verursachen möchte ... 
ist bei einem erbern rate verlassen, von sein des Schechtners 
confession weder mit ime noch den predicanten zu disputieren, 
sondern dieselb genzlich an ein ort zu stellen und dieselbe weder gut 
oder bos zu heißen, sondern bei Schechtner zu erfordern und von 
im ein lautere unoonditionirte antwort mit ja oder nein anhoren, 
ob er sich gänzlich und allerdinge zu der A. C. und der hiesigen 
mein herrn kirchenordnung bekenne und sich derselben gemäß 
erzeigen und verhalten wolle oder nicht, solches alles widerpringen. 
Vgl. Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften 
zu Göttingen. Band 40. Göttingen 1915 B. 49. Zeltner, vita 
Helingi 8. 51. Ratsbuch 32, 167, 270, 297, 302, 307, 309, 320, 326, 
845, 367, 370, 372f., 375, 378., 33, 3f., 39, 64, 184. 


Der Bekenntnisstand 


der Reichsstadt Frankfurt a. M. im 
Zeitalter der Reformation. 


Lersner = 


Ritter, 


Ev. Denkmal = 


F. R. = 


K Gesch. = 


Von K. Bauer. 


Abkürzungen. 


Der Weit- berühmten Freyen Reichs-, Wahl- und 
Handels- Stadt Franckfurt am Mayn Chronica, 
Oder Ordentliche Beschreibung der Stedt Franck- 
furt Herkunfft und Auffnahmen / wie auch allerley 
denckwürdiger Sachen und Geschichten / so bey 
der Römischen Königen und Kayser Wahl und 
Crönungen, welche mehentheils allhier vorge- 
nommen worden / vorgegangen / nebst denen Ver- 
änderungen / die sich in Weltlich- und Geistlichen 
Sachen / nach und nach zugetragen haben. 
Anfänglich durch Gebhard Florian, an Tag ge- 
geben / Anjetzo aber Aus vielen Autoribus und 
Manuscriptis vermehret / mit nöthigen Kupffern 
gezieret / und per modum Annalium verfasset / 
und zusammen getragen. Durch Achillem Augustum 
von Lersner / Patricium  Nobilem, Civitatis 
Francofurtensis. — 1. Band 1706; 2. Band 1734. 
Joh. Balthasar Ritter, Evangelisches Denckmahl 
der Stadt Franckfurth am Mayn, Oder Ausführ- 
licher Bericht von der daselbst im XVI. Jahr- 
Hundert ergangenen Kirchen-Reformation, Mit- 
hin von dem Anfang, weitern Fortgang, und der 
Bestättigung des wieder hervorgebrachten Heiligen 
Evangelii in besagtem Ort, aus bewährten schr'fft- 
lichen Documenten und anderen Urkunden ver- 
fertiget. — Frankfurt a. M., Johann Friedrich 
Fleischer 1726. 

Franckfurtische Religionshandlungen etc. — Vier 
Bände. 1735ff. 

Kirchen-Geschichte von denen Reformirten in 
Franckfurt am Mayn, worin derselben Ankunft, 


195 


Aufnahme und Zuwachs, das Gesuch einer be- 
sondern Kirche in der Stadt und die darüber er- 
hobene Streitigkeiten bis auf itzige Zeit unpar- 
theyisch vorgetragen werden. Mit einer VORREDE 

Herrn D. Joh. Philip Fresenii, in welcher die gegen 

Seine Abwiegung der Gründe kürtzlich heraus- 

gekommene so genante ausführliche Prüfung 

gründlich beleuchtet wird. Franckfurt una Leipzig, 

Bey Heinrich Ludwig Brönnern, 1751. 

Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. 

.F.= Dasselbe. Neue Folge. 

.F.= Dasselbe. Dritte Folge. 

= Akten des Frankfurter Stadtarchivs über Religion 
und Kirchenwesen. (Tom. III: 1541—1560. — 

Suppl. = Supplementum ad. Tom. III. Actorum 

Ecclesiasticorum de 1541—1560. Das Interim 

bet. v. J. 1548—1549. Oglb. lit.: p.) 

Uffb. Mscr. = Uffenbachsche Manuskripten- Sammlung des Frank- 
furter Stadtarchivs. (Band 15, S. 1—131: Acta 
varia Ecclesiastica Francofurten.) 

Act. Ref. I. — Tom. I. Actorum des FrantzóDisch- und Nieder- 
ländischen Kirchen-Weßens. de 1554— 1561. 
(Frankfurter Stadtarchiv.) 


Einleitung. 

In dem Gesuche, mit welchem Poullain für sich 
und 24 wallonische Familien um Aufnahme in das Frank- 
furter Bürgerrecht und um Einräumung einer eigenen 
Kirche bei dem Rate am 15. Mürz 1554 vorstellig wurde, 
hieß es über die religiöse und kirchliche Seite der Ange- 
legenheit: „Dieweil aber die sonder Religion nit leben 
kunden, wiewol wir Euer Religion seynd, so kenden wir 
doch Euerer Sprach nit. Hierumb ist an E. F. W. unser 
fleisig Bitt, Sie wolten uns n dem Thal), da sie Unß 
ufnehmeten, auch eine Kirche oder Tempel eingeben, 
darinn wir Unser Gebeth, Predigt des Evangelii und Aus- 
theilung der Heil. Sacramenten in unserer Sprach nach 
der Lehr des Apostels Pauli haben mógten, soll doch hie- 
durch keiner Pfarr, darunter ein jeder wird wohnen, 
an Pfarr-Rechten nichts benommen seyn, sondern allezeit 


1) Schreibfehler für „Fall“ (Tal = Fal). Der französische 
Wortlaut hs: au cas, que. 
18e 


196 


gevolgt werden; Zudem wollen wir unser Kirchen-Diener 
E. F. W. anzeigen, dieselbigen haben anzunehmen und 
zu Kirchen-Ambt zuzulassen !).*' 

Der RatebeschluB, der auf dieses Gesuch erging, 
lautete dahin: man solle ihnen willfahren und sie in dem 
Namen Gottes aufnehmen. Die Lage, welche damit ge- 
schaffen war, hatte indessen nicht lange Bestand. Bald 
stellten sich allerlei MiBhelligkeiten heraus, die zur Folge 
hatten, daf bereits im Jahre 1561 den Fremden die 
ihnen bis dahin eingeräumte Weißfrauenkirche gesperrt 
wurde, bis sie sich mit den Stadtpredigern in Lehre und 
Zeremonien verglichen haben würden“). 

Schon wührend der Erórterungen, welche zu dieser 
MaBregel führten, wurden Zweifel laut, ob die Fremden 
den Rat nicht von vornherein über ihren dogmatischen 
Standpunkt falsch berichtet hätten. Und in den Verhand- 
lungen, welche die Reformierten dann mehr als zwei 
Jahrhunderte lang mit dem Rate der Stadt führten, 
um das exercitium religionis publicum zu erlangen, kehrt 
je und je der Vorwurf wieder, Poullain habe sich die 
Erlaubnis, eigene Gottesdienste zu halten, auf hinterlistige 
Weise erschlichen, denn tatsächlich seien seine Wallonen 
nicht nur anderer Sprache, sondern auch eines anderen 
Glaubens gewesen, nämlich Zwinglianer, während in 
Frankfurt das reine Luthertum geherrscht habe. 

Es fragt sich, ob dieser Vorwurf mit Recht erhoben 
werden durfte. Es handelt sich dabei nicht nur um den 
persönlichen Charakter Poullains. Es handelt sich vor 
allem auch um die richtige Erkenntnis von den Aufängen 
und der dogmatischen Ausprägung der Reformation in 
Frankfurt. 

Was Poullain betrifft, so hat er sich von jeher eine 
recht ungünstige Beurteilung gefallen lassen müssen. 


1) F.R. I, 17. Im französischen Wortlaut mitgeteilt von 
F. C. Schröder in Troisième Jubilé séculaire de la fondation de 
l'église réformée française de Francfort s. M. 1854, p. 6—8. 

3) Vgl. dazu meine demnächst erscheinende Schrift: Die 
Einstellung des reformierten Gottesdienstes in der Reichsstadt 
Frankfurt a. M. im Jahre 1561. 


197 


Daß zwar bei seinen lutherischen Gegnern sein Bild so 
unvorteilhaft herausgekommen ist, dürfen wir wohl zu 
einem guten Teil auf Rechnung der damals üblichen Art 
der Polemik setzen. Aber auch ein so maßvoller Beurteiler 
wie Steitz!) hat noch gemeint: „Die Art, wie er sich 
hier die Pforte eröffnete, die Geschicklichkeit und Glätte, 
womit er sich bei den Verhandlungen zu wenden wußte, 
muß auch auf Unbefangene einen peiulichen Eindruck 
machen, und wir begreifen vollkommen das Mißtrauen, 
das die Prädikanten gegen ihn empfanden, wenn wir auch 
zugeben müssen, daß bei der Härte und Unduldsamkeit, 
welche die Reformierten von den Lutheranern erfuhren, 
nur Schleichwege einen Erfolg in Aussicht stellten.“ 
Indessen dieses Urteil, daß er Schleichwege gewählt habe, 
stützt sich doch lediglich auf das Zeugnis seiner Gegner, 
und Gegner pflegen selten unbefangene Zeugen zu sein. 

Es ist nun zunächst in sich selbst wenig wahrschein- 
lich, daß die Wallonen, die um ihres Glaubens willen 
England verlassen und sich auf Betreiben des Retsherrn 
Claus Bromm, mit dem sie in Köln zusammengetroffen 
waren, nach Frankfurt gewendet hatten, nun ausgerechnet 
in Frankfurt ihre innersten Überzeugungen verheimlicht 
haben sollten, wo ihnen doch gerade in der nächsten 
Nachbarschaft der Stadt bei dem Landgrafen Philipp 
von Hessen die Aufnahme sicher gewesen wäre. 
Wenn sie den Frankfurtern versicherten: „Wir sind 
Euerer Religion“, so hätte die Glaubenstreue, welche sie 
bisher bewiesen hatten, sie zur Genüge vor dem Verdachte 
schützen können, als versuchten sie, in Frankfurt auf 
Schleichwegen zu erlangen, was ihnen anderswo verweigert 
worden war. Sie müssen dann doch wohl selber der 
Meinung gewesen sein, daß zwischen ihnen und den 
Frankfurtern in der Tat kein Unterschied im Glauben 
bestehe. Demgemäß hat denn auch bereits Neudecker?) 


1) Steitz, Der lutherische Prüdicant Hartmann Beyer. Ein 
Zeitbild aus Frankfurts Kirchengeschichte im Jahrhundert der 
Reformation. Frankfurt a. M. 1852. S. 123. ( 

2) Neudecker, Geschichte des Evang. Protestantismus in 
Deutschland. I, 392. 


198 


geurteilt: „In Wahrheit konnte Pollanus dem Frankfurter 
Magistrate erklären: Wir sind eures Glaubens!“ 

Stimmt man dem einmal zu, so bleibt aber immer 
noch die Frage offen, wie diese Erklärung eigentlich 
gemeint war. Dechent!) hat sie in einem ganz allge- 
meinen Sinne verstehen wollen: „Es liegt auf der Hand, 
daß eine solche Versicherung recht wohl gegeben werden 
konnte, um den Gegensatz gegen die römische Konfession 
auszudrücken, ohne damit Übereinstimmung in allen 
Einzeiheiten der Lehre und Verfassung zu behaupten.“ 
Das ist aber eine Zurückdatierung moderner Gedanken 
in eine Zeit, die diese Gedanken noch gar nicht kannte. 
Die Idee eines Gesamtprotestantismus, dessen einigendes 
Band nur der gemeinsame Gegensatz gegen Rom sein 
sollte, war jenem Geschlechte noch völlig fremd. Auch 
die Schweizer und die Täufer und religiöse Spiritualisten 
und Individualisten wie Sebastian Frank standen im 
Gegensatze zu der katholischen Kirche. Aber wo man sich, 
wie in Frankfurt, zu der Augsburger Konfession bekannte, 
fragte man nicht nur nach der negativen Seite, sondern 
auch nach dem positiven Inhalte des Bekenntnisses. 
Schon seit Jahrzehnten hatte man im evangelischen 
Deutschland die Grenzen deutlich abgesteckt gegen die 
Schwärmer und Rotten. Und seitdem Westphal mit 
seinem Alarmruf das Signal zu dem zweiten Abendmahls- 
streite gegeben hatte, genügte es vollends nicht mehr 
zum Ausweis über die eigene Rechtgläubigkeit, wenn 
man sich nur auf die Verwerfung der papistischen Irr- 
tümer berufen wollte. Wenn jene Wallonen eben damals 
die Erklärung abgaben: „Wir .sind Euerer Religion“, 
so müssen sie davon überzeugt gewesen sein, daß ihr 
eigener Bekenntnisstand mit demjenigen der Frankfurter 
sich wirklich decke. 

Hiernach ist die Frage die: Gab es Tatsachen, die 
ihnen zu dieser Meinung ein Recht gaben? Dann müßte, 
als sie ihre Blicke nach Frankfurt richteten, der offizielle 
Bekenntnisstand dieser Reichsstadt noch nicht im Sinne 


1) Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der 
Reformation. I, 204. 


199 


der Beyer und Ritter der des Gnesioluthertums gewesen 
sein, und Luthertum und reformiertes Wesen könnten 
sich hier noch nicht als.die abgeschlossenen, festumrissenen 
Größen gegenübergestanden haben, als die sie nach den 
Schilderungen der lutherischen Prädikanten erscheinen. 
Wie es sich hiermit in Wirklichkeit verhalten hat, 
soll im folgenden aufgehellt werden. Wir stellen zunächst 
fest, welches der rechtliche Bekenntnisstand Frankfurts 
bei der Ankunft der Fremden war; dabei wird es nötig 
sein, dem Gang der Frankfurter Reformationsgeschichte 
von ihren Anfängen an zu folgen. Sodann suchen wir 
den dogmatischen Standpunkt der Fremdengemeinden 
kennen zu lernen. Und schließlich haben wir zu unter- 
suchen, wie sich der Gegensatz zwischen ihnen und den 
Prädikanten der Stadt herausgebildet hat. 


Erster Teil. 


Die Entwicklung des Frankfurter Bekenntnisstandes 
bis zu dem Verbot des katholischen Gottesdienstes. 


Während man auf lutherischer Seite in katholisieren- 
der Weise das Endergebnis einer längeren Entwicklung 
in die Anfangszeit zurückdatierte und die These verfocht, 
Frankfurt sei vom Anbeginn der Reformation an eine 
genuin und exklusiv lutherische Stadt gewesen, hat man 
bei den Reformierten noch lange Erinnerungen daran 
bewahrt, daß es Symptome gegeben hatte, die eher für 
den Schweizer als den Wittenberger Typus der Frank- 
furter Reformation sprachen!). So folgerte man aus der 
Tatsache, daß Wilhelm Nesen in seiner Frankfurter Zeit 
(1521) mit Zwingli korrespondierte, Francofurtum nobi- 
lissimum ad Moenum emporium Zwinglii aluisse fautores. 
Oder man erinnerte daran, die beiden ersten evangelischen 
Prediger der Stadt hätten in ihrer Verteidigungsschrift 
1526 erklärt, sie seien keine Lutheraner. Aus der Wendung, 
deren sich Heinrich Bullinger bediente, als er 1533 seine 
. Auslegung der Apostelgeschichte dem Rate zu Frankfurt 


1) Vgl. hierfür F. R. I, 48. 


200 


widmete: Habetis ministros claros et in doctrina Evangelii 
laudatos, las man heraus, die damaligen Frankfurter 
Prediger müßten mit Bullinger und den Reformierten 
einig gewesen sein. Auf dieselbe Spur sah man sich durch 
den Brief gewiesen, mit welchem in dem gleichen Jahre 
Luther die Frankfurter vor der falschen Lehre Zwinglis 
warnte. Auch darauf machte man aufmerksam, daß 
der Vertreter Frankfurts die Wittenberger Konkordie auf 
Butzers, nicht auf Lutbers Seite unterschrieben habe. 
Und den Frankfurter Katechismus von 1541 und die 
Frankfurter Konkordie von 1542 fand man, wenn man 
sie in ihrem natürlichen Sinne (sensu sano) nehme, in 
Übereinstimmung mit den reformierten Prinzipien. Noch 
in der Mitte des 18. Jahrhunderts haben es sich die Frank- 
furter Lutheraner redlich Mühe kosten lassen darzutun, 
daß diese Symptome nichts bewiesen. 

Nachdem die Frage dann aufgehört hatte, eine 
konfessionelle Streitfrage von unmittelbar praktischer 
Bedeutung zu sein, und statt dessen einfach in das Licht 
streng historischer Forschung gerückt war, ist gerade 
von einem lutherischen Forscher!) festgestellt worden: 
„Eine unbefangene Einsicht der Quellen bestätigt im 
Gegenteil eine vorwiegende Hinneigung zu dem Lehrtropus 
der Schweizer.“ 

Es wird unsere Aufgabe sein, die Frankfurter Re- 
formation Schritt für Schritt auf ihren dogmengeschicht- 
lichen Charakter zu prüfen. 


1. Die ersten reformatorischen Tendenzen. 


Beim Beginn der Reformation begegnen uns auch 
in Frankfurt einige Männer, deren Namen im Zusammen- 
hang mit der großen Bewegung der Zeit weit über den 
Bannkreis ihrer Stadt hinaus bekannt geworden sind. 
Einige von ihnen teilen die Bestrebungen des Humanis- 
mus. Andere gehören dem Klerus an. Soweit sie von einer 
Reformation der Kirche reden, liegen ihre Interessen 
ganz nach der nationalen und ethischen Seite. Sie erhoffen 


1) Steitz a. a. O. S. 17. 


201 


die Reform, von deren Notwendigkeit sie durchaus über- 
zeugt sind, im Rahmen der katholischen Kirche. Der 
Gedanke an eine neue Kirchenbildung liegt ihnen gänzlich 
fern. Vollends von irgendwelchen neuen Festsetzungen 
über die Glaubenslehre ist bei ihnen keine Eede. 

Von den Geistlichen der Stadt ist hier zunächst 
Thomas Murner zu nennen, der im Advent 1511 in Frank- 
furt predigte. Nachmals ein entschiedener Gegner Luthers, 
hat er auf der Kanzel der Barfüßerkirche die Torheiten 
und die Sittenverderbnis seiner Zeit gegeißelt. In den 
Briefen der Dunkelmänner erscheint er darum als einer 
der Führer im Kampf gegen den Klerus, zumal den 
Dominikanerorden. 

Nach ihm hat Johannes Cochläus!) zehn Jahre lang 
dem Frankfurter Liebfrauenstifte als Dechant angehört. 
Als er am Neujahrstag 1520 sein Amt antrat, war er der 
Gesinnungsgenosse Huttens, mit dem er im Briefwechsel 
stand. „Der Mann“, so rühmte er ganz begeistert, „ ver- 
tritt mit bewunderungswürdigem Freimute Deutschlands 
Ruhm und entbrennt in heftigem Hasse gegen den rö- 
mischen Bischof. Ein halbes Jahr später bekannte 
er sich als unbedingten Parteigänger Luthers, von dem 
er freilich damals in der Stadt nur äußerst selten etwas 
hörte. Als er am 12. Juni 1520 Willibald Pirckheimer 
von einer Disputation mit den Dominikanern schrieb, 
unterlied er nicht, ausdrücklich zu bemerken: ,,Luthe- 
risches wurde nichts aufgestellt. Ich würde es sicher 
nicht versäumt haben, für ihn einzutreten, wenn mir 
ein Anlaß geboten worden wäre.“ Ebenso, wie er hier 
für Luther eintreten wollte, suchte er die Freundschaft 
von Wolfgang Capito, der bald nach ihm seine Predigt- 
tätigkeit im Dom zu Mainz begonnen hatte. Von den 


1) Vgl. außer der Biographie von Spahn die vier von ihm aus 
Frankfurt an Pirckheimer geschriebenen Briefe vom 26. Januar, 
8. Februar, 5. April und 12.Juni 1520 bei Joh. Heumann, Documents 
litteraria varii argumenti (1758), auf Grund deren Steitz, Refor- 
matorische Persönlichkeiten, Einflüsse und Vorgänge in der Reichs- 
stadt Frankfurt a. M. von 1519 bis 1522 (F. A. N. F. IV, 90ff.) 
diese Zeit des Cochläus gekennzeichnet hat. 


202 


Umständen, unter denen er bald darauf seine kirchliche 
Haltung änderte, wird noch die Rede sein (Vgl. S. 49). 

Aus den Kreisen der Patrizier ist hier vor allem 
Arnold Glauburger, der Schwiegersohn Hamans von 
Holzhausen, von 1516—1521 Syndikus seiner Vaterstadt, 
für uns von Interesse!) Er ist der Ernold in Huttens 
Vadiscus, dessen Schauplatz Frankfurt ist, und die Äuße- 
rungen, welche der Dialog diesem in den Mund legt, 
entsprechen ganz seiner Denkweise. Sie kommen im 
wesentlichen darauf hinaus, daß er Rom und rómisches 
Wesen ebenso inbrünstig haBt, wie der ihm befreundete 
Ritter, und daß sein Lieblingsgedanke die Unabhängigkeit 
der Deutschen von den Welschen ist. In seinem Familien- 
kreise stand er mit seinen Anschauungen nicht allein. So 
wie man heutzutage in klerikal gesinnten Kreisen gegen 
die Vertreter des Liberalismus, die sich auch der Kirche 
gegenüber das Recht der Kritik vorbehalten, mit dem 
Vorwurfe der Kirchenfeindschaft ziemlich freigiebig zu 
sein pflegt, so hatte man bereits Arnolds Oheim, den 
1499 verstorbenen Schöffen Henne von Glauburg, als 
osor cleri bezeichnet, und mit dem gleichen Prädikat 
war auch der jüngere Bruder Hamans von Holzhausen, 
der 1514 verstorbene Gilbrecht zum Goldstein, belegt 
worden. | 

Luthers Auftreten wurde in der Stadt mit dem 
größten Beifall begrüßt. Auf der Messe verkaufte im 
Jahre 1520 ein einziger Buchhändler nicht weniger als 
1400 Exemplare seiner Schriften, und Spalatin konnte 
im September desselben Jahres von Frankfurt aus an 
Mutianus berichten: · Nihil frequentius emitur, nihil cupi- 
dius legitur?). Als am Sonntag Misericordias Domini 
(14. April) 1521 der Wittenberger Reformator auf der 
Reise nach Worms selber die Stadt berührte?), strömte 

1) Über ihn unterrichtet Steitz, Ref. Persónlichkeiten usw. 
S. 59ff. 

2) Kampschulte, Die Universität Erfurt in ihrem Verhält- 
nisse zu dem Humanismus und der Reformation. II, 80f. 

3) Steitz, Die Melanchthons- und  Luthersherbergen zu 


Frankfurt a. M. Neujahrsblatt dee Vereins für Geschichte und 
Altertumskunde zu Frankfurt a. M. 1861. S. 14ff. 


203 


alles zusammen, um ihn zu sehen. Quacunque iter facie- 
bant, frequens erat concursus hominum videndi Lutheri 
studio, bezeugt uns Cochläus. Katharina Holzhausen 
aber, die verwitwete Schwägerin Hamans, suchte ihn 
in seiner Herberge zum Straußen auf, küßte ihm die Hände, 
brachte ihm einen Krug edlen Malvasier und sprach ihm 
die Hoffnung aus, er sei der von ihren Ahnen geweissagte 
Mann, der den Immunitäten des Papstes widersprechen 
werde. Auch als er 14 Tage später auf seiner Rückreise 
in der alten Herberge über Nacht blieb, ist nach dem Be- 
richt des Kanonikus Wolfgang Königstein vom Lieb- 
frauenstift ,,doselbst im vil von etlichen syner gunner 
er gescheen". Einen Bruch mit der Kirche bedeuteten 
diese Huldigungen nun freilich nicht im geringsten. 
Man stand erst am Anfang einer Bewegung, deren Ende 
noch niemand absehen konnte. Katharina Holzhausen 
fand sich durch ihre Begeisterung für Luther nicht be- 
hindert, zwei Jahre später in ihrem Testamente Jahrtage 
und Seelenmessen im Dom und in der Klosterkirche zu 
St. Katharinen zu stiften. 

In welchem Sinne man sich in dieser ersten Zeit 
zu Luther bekannte, hat niemand so deutlich ausgesprochen 
wie der greise Dechant des Leonhardsstiftes, Johannes 
ab Jndagine!) der am 1. Juli 1522 von seiner Pfarrei 
Steinheim?) aus an den Schützling Huttens, Otto Brun- 
fels, schrieb: „Ich sei Lutheraner, werfen sie mir vor 
und verteidigen damit ihre Hartnückigkeit. Denn ihnen 
heißt Lutheraner, wer ihre Laster angreift, wer Christi 
Amt verwaltet, und wie zu großer Schmach wird ihm 
dieser Name gerechnet! Was den Namen selbst betrifft, 
obgleich ich mit Paulus ihn nicht anerkenne, so schäme 
ich mich seiner doch nicht allzusehr, wenn Lutheraner 
sein heißt: der Wahrheit und der Gerechtigkeit nach- 
streben. Was jedoch die Lehre betrifft, wie kann man 
mich um ihretwillen anklagen, da ich mich zu ihr nicht 
bekenne, und wenn ich mich zu ihr bekenne, so bekenne 

1) Vgl. Steitz, Reformatorische Persónlichkeiten usw. S. 138ff. 


3) Oder Steinau an der Straßen (Bei Steckelberg). Vgl. 
F. A. N. F. VI, 124 Anm. 1. 


204 


ich mich zu ihr als zu Christi Lehre, denn wenn sie mit 
dieser nicht stimmt, so erkenne ich sie unter Allen am 
wenigstens an. Aber ob sie mit dieser stimmt oder nicht, 
danach habe ich, mein’ ich, nichte zu fragen. Auch ist 
sie, wenn ich sie verdamme, darum nicht verworfen, 
wenn ich sie gut heiße, darum noch nicht angenommen. 
Mich nimmt es Wunder, daß sie mir nicht einen anderen, 
gehässigeren Namen gegeben haben. Denn diesen sehen 
wir hochgeachtet vom Volke, von allen Gelehrten, von 
allen Fürsten, kein anderer hat bessern Klang und wird 
ehrenvoller erwähnt; je übler bei jenen Luther berüchtigt 
ist, desto mehr wird er fast von allen Christen gerühmt. 
Auch ich habe für mein Teil Luther gelesen. Er lehrt nicht 
schlecht leben, noch lehrt er übeltun. Aber geben wir auch 
zu, daß er bei diesen ein Ketzer ist, was geht das mich 
an, der ich hier (in Steinheim) mein Amt hatte, ehe Luther 
je schrieb? - 

Der Dekan, der bei der Niederschrift dieser Worte 
bereits auf eine 52jährige Amtstätigkeit zurückblickte, 
ist uns ein unverdächtiger Zeuge dafür, daß auch die 
Frankfurter kirchlichen Zustände von der allgemeinen 
Reformbedürftigkeit keine Ausnahme machten. Er 
schreibt an Brunfels von der Frechheit der Priester, 
die ihm Scham und Verdruß erwecke, und bekennt: ‚Nicht 
ganz ohne Grund wütet gegen uns das Voik. Unsere 
Schuld ist es, wenn wir so leben, daß unsere Schand- 
taten die der Schlemmer und Wüstlinge (ganeorum et 
lurconum) hinter sich lassen. Wer haßt uns nicht mit 
Recht? Wie hätte ich aber wissen sollen, daß’ dieses 
Übel unter denen herrsche, welche sich den Ehrennamen 
Kanoniker anmaßen, d. h. von Leuten, die nach der 
Regel leben? Wer hätte glauben sollen, daß mit einem 
so hohen Namen eine so plumpe und faule Nachlässigkeit, 
eine so Taffinierte Leidenschaft, ein in jeder Beziehung 
so verbrecherischer Wandel verknüpft sei, Dinge, die 
nicht Priestern, sondern Taugenichtsen ziemen? Du 
weißt, ich sollte Dekan sein, aber ich werde geringer ge- 
achtet als ein ägyptischer Esel. Das bringen diese Zeiten 
mit sich. Alle wollen herrschen, niemand will untergeben 


205 


sein. Wer möchte daher heutzutage nicht lieber 
Schweinehirte als Dekan sein?“ Der Vergleich zwischen 
seinen Frankfurter Kanonikern und seinen Steinheimer 
Bauern fällt durchaus zuungunsten der ersteren aus. 
„Wenn ich,“ so muß er bekennen, „mich auf meine Pfarrei 
begebe, — ich berichte es mit tiefer Trauer — so finde 
ich manche von schlechtem Rufe:  Geizige, Neidische, 
Unwissende, Ehebrecher,, Trunkenbolde. Ich kehre zu 
meinem Stifte zurück: hier finde ich nicht solche, die 
diesen gleichen, sondern sie an Bosheit übertreffen.“ 
Seinen Trost sucht er in der Wissenschaft, und zwar 
in der Astrologie. In den Sternen liest er jetzt, daß die 
nächsten vier Jahre schwere Gefahr und viele Unglücks- 
fälle bringen sollen, so wie er dem Mainzer Generalvikar 
Dieterich Zobel bereits früher aus den Gestirnen ‚einen 
neuen Zustand der Kirche, ferner Kriege, Aufstände, 
die Bewegung vieler Völker, eines Reiches gegen das andere, 
Seuchen und großes Sterben‘ geweissagt hat. Aber er 
glaubt auch versichern zu dürfen: „Wie sehr auch die 
Großen sich dawider stemmen, es wird kommen, daß 
jenes Gepränge der Priester und Mönche sich mindere. 
Einmal muß die Krone des Stolzes abgelegt werden.“ 
Ähnliche Zustände, wie sie ihm zu St. Leonhardi zu schaffen 
machten, lernte Cochläus bei seinem Aufzuge in Frank- 
furt am Liebfrauenstifte kennen. Dem Scholaster dieses 
Stiftes, Stephan Fischer, war der Dekan des Dompakitels, 
Friedrigh von Martorff, aufsäßig, und die Vikare der 
Liebfrauenkirche, die gegen das ganze Kapitel Opposition 
machten und sich auch untereinander nicht vertrugen, 
lagen gleichfalls mit ihm im Streit. 

Aber so sehr das alles zu einer Reform drängte, 
so wenig empfand man irgendwelche dogmatischen Be- 
schwerden. An irgendwelche Neuregelung des kirchlichen 
Bekenntnisses dachte kein Mensch. 


2. Humanisten und Ritter. 


Auch die Kreise der Stadt, bei welchen die Reforma- 
tion zuerst eingesetzt hat, nahmen zunächst an ganz 
anderen Dingen Interesse als an einer neuen bekenntnis- 


206 


mäßigen Ausprägung der kirchlichen Lehre. Es waren 
die humanistischen Kreise, deren Tendenzen auch in 
Frankfurt national und antihierarchischh aber nicht 
religiös und dogmatisch bestimmt waren. Zu ihnen 
zählten Huttens Freunde in der Stadt: Philipp Fürsten- 
berger, die beiden Glauburger, Haman von Holzhausen 
und sein Bruder Gilbrecht zum Goldstein. 

Dem Einflusse solcher Männer war es zuzuschreiben, 
daß der Rat im Dezember 1519 die Anstellung eines 
tüchtigen Lehrers für die humanistischen Studien be- 
schloß. Große Hoffnungen auf dieses Amt machte sich - 
Johannes Cochläus, der, humanistisch gebildet, im Januar 
1520 als Dekan des Liebfrauenstiftes in Frankfurt auf- 
zog und sich in seinem Kapitel von Anfang an recht 
unbehanglich fühlte. Er verfehlte denn auch nicht, 
Fürstenberger auf seine Qualifikation für diesen Posten 
aufmerksam zu machen!). Und wenn es den Frankfurtern 
auf einen Anhänger Luthers ankam, so schien er der ge- 
eignete Mann zu sein, denn in dem Nürnberger Kreis, 
der sich um Pirckheimer sammelte, war er in enge Fühlung 
mit den Wittenberger Gedanken gekommen, und noch 
im Juni 1520 bekannte er, daß er bei einer Disputation 
der Frankfurter Dominikaner unfehlbar für Luther Partei 
ergriffen hätte, wenn über dessen Sache eine These auf- 
gestellt worden wäre ). Aber der kleine, unruhige Mann 
verstand nicht genug Griechisch. Vielleicht hatten die 
Stadt vater auch kein rechtes Vertrauen zu seinem Cha- 
rakter. Jedenfalls mußte er hinter einem viel jüngeren 
Gelehrten zurückstehen, der als Kenner des Griechischen 
und als früherer Erzieher der beiden jungen Stallburger 
den Frankfurtern bestens empfohlen war, dem Nassauer 
Wilhelm Nesen. 

Nesens kirchliche Stellung ist schon recht verschieden 
beurteilt worden. Man hat ihn ebenso sehr als Zeugen 
für den lutherischen wie für den reformierten Charakter 


1) Spahn, Johannes Cochläus. 8. 69. 


*) Brief an Pirckheimer vom 12. Juni 1520. Vgl. Wede wer, 
Jobannes Dietenberger. 8. 46. 


207 


der Frankfurter Reformation in ihren Anfangsjahren in 
Anspruch genommen. In Wirklichkeit fällt sein Leben 
in eine Zeit, die den innerprotestantischen Gegensatz 
zwischen den Schweizern und den Wittenbergern noch 
gar nicht kannte, er hatte also auch keinerlei Gelegenheit, 
für oder gegen Luther oder Zwingli Partei zu ergreifen. 
Beziehungen hatte er zu beiden. Seinen Ausgangspunkt 
hat er von Erasmus genommen, dessen Schüler er 1514 
in Basel war. Er ist Humanist, kennt aber auch religiös- 
kirchliche Interessen, erscheint also als Vertreter der 
Denkart, die uns am ausgeprügtesten in dem um vier 
Jahre jüngeren Melanchthon entgegentritt. Er ist mit 
Zwingli befreundet, dem er durch den Basler Humanisten- 
kreis nahe gekommen ist, und er verehrt Luther, dessen 
Schriften er in seiner Frankfurter Zeit übersetzt, und 
zu dem er dann bald von Frankfurt nach Wittenberg 
übersiedelt. Er beherbergt Ökolampad in seiner Schule im 
Hause zum Goldstein, der aber auch Luther auf seiner 
Wormser Reise einen Besuch abstattet, und er steht 
in freundschaftlichen Beziehungen zu Melanchthon. Für 
ihn ist noch alles in schónster Harmonie, Luther und 
Zwingli, die alten Klassiker und die Münner der Bibel, 
Kirche und Bildung, Reformation und Humanismus. 
Diesen auf Einklang und Eintracht gerichteten Sinn hat 
er in der kurzen Zeit seiner Frankfurter Wirksamkeit 
dem Geschlechte eingeprügt, das zu seinen FüBen heran- 
wuchs. Ihn hat er auch den Männern eingepflanzt, die 
es nicht verschmähten, noch auf der Höhe ihres Lebens 
sich in seiner Schule weiterzubilden. 

In den Jahren, in welchen er die neue Gelehrtenschule 
leitete, beobachten wir in den humanistischen Kreisen 
der Stadt eine Vertiefung des Interesses an den Fragen 
der kirchlichen Reform. Ursprünglich hatte den Frank- 
furter Patriziern ein eigentliches religiöses Interesse an 
der Frage der Zeit gefehlt. Ihre kirchliche Haltung war 
zunächst die Indifferenz der feingebildeten Humanisten 
gewesen, denen für die eigene Person religióse Bedürfnisse 
im Grunde fremd waren. Das ünderte sich jetzt allmáhlich. 
Luther wurde nun auch für diese Kreise zum Heros, 


208 


der in der kirchlichen Frage das rechte Wort für das 
ganze Zeitalter gefunden hatte. Aber wenn man auch 
anfing, auf die neuen Töne zu achten, die er in seinen 
Schriften anschlug, so fehlte doch viel, daß man in ihm 
den Kirchenvater erkannt hätte, als den ihn ein späteres 
Geschlecht ansah. Der Luther, dem man zujauchzte, 
und auf den aller Augen erwartungsvoll gerichtet waren, 
war der Mann, der den christlichen Adel deutscher Nation 
zu des christlichen Standes Besserung aufgerufen, der 
den Gebildeten das Auge für die babylonische Gefangen- 
schaft der Kirche geöffnet, und der mit der Verbrennung 
der Bannbulle und der päpstlichen Rechtsbücher allen 
das Herz abgewonnen hatte. Im übrigen war man 
lutherisch mit Vorbehalt, etwa in demselben Sinne wie 
Johannes ab Jndagine. Ein Lutheraner sein hieß soviel 
als: Der Wahrheit und Gerechtigkeit folgen und die 
Laster strafen. Und die Summe dessen, was Luther 
schrieb, faßte man mit dem gelehrten Dechanten von 
St. Leonhardi dahin zusammen: Er lehrt nicht laster- 
haft leben, er lehrt auch nicht unrecht tun. Eine lutherische 
Glaubenslehre aber, zumal in ihrer Ausprägung gegen 
die Reformierten lag noch ganz außer allem Gesichtskreis. 

Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, die Entschei- 
dung sei auch nur in diesem begrenzten Sinne damals 
auf der ganzen Linie für Luther erfolgt. Es hatte nur 
eine Scheidung der Geister stattgefunden zwischen Huma- 
nisten und Barbaren, zwischen Lutheranem und Roma- 
nisten, und die Anhänger des Alten waren nicht bloß 
unter den Kanonikern des Leonhardstiftes noch immer 
recht zahlreich. Zu ihnen gehörte z. B. der Pfarrer Michael 
Groß an St. Peter, der schlecht und recht im alten Gleise 
ging. Viel bedeutender als er war der Prior des Domini- 
kanerklosters Johannes Dietenberger!), der im Sinne der 
alten Schule eine tüchtige Bildung besaß. An ihn, den Ordens- 
bruder Hoogstraatens und Tetzels, schloß sich jetzt auch der 
ehemalige Bewunderer Reuchlins und Luthers, Cochläus 
eng an. Dieser hatte inzwischen, seitdem ihm die Leitung 

1) Vgl. über ihn Wedewer, Johannes Dietenberger. Frei- 
burg i. B. 1888. 


209 


der Lateinschule entgangen war, sein katholisches Herz 
entdeckt und zerschnitt nun das Band, welches bis dahin 
in seiner Brust die humanistischen Ideale mit der Sym- 
pathie für Luther verknüpft hatte. Da der ehrgeizige 
Mann die wissenschaftliche Tüchtigkeit seines siegreichen 
Rivalen nicht anfechten konnte, so bekümpfte er jetzt 
die Schule Nesens als eine Ketzerschule!), und gar zu 
gern hätte er in Worms eine Disputation mit Luther 
herbeigeführt, um vor aller Öffentlichkeit seine Fähig- 
keiten ins rechte Licht zu setzen. Vor allem aber stand 
auf dieser Seite der Stadtpfarrer am Bartholomäusstifte 
Peter Meyer, der uns als einer der magistri nostri aus den 
Briefen obskurer Männer bekannt ist*) Er erscheint 
hier als ein selbstbewußter Mann, der über Grammatik 
und Poeterei abspricht und gelehrter sein will als Reuchlin, 
denn Reuchlin kennt sich in den Subtilitäten des Lom- 
barden nicht aus, er selber aber vertritt die Erfahrungs- 
theologie und hat den heiligen Geist. In seiner Polemik 
freilich merkte man ihm von dem Heiligen Geiste nicht 
viel an. Da war er ein derber Polterer von heftiger Ge- 
mütsart, der auch auf der BI nicht eben wühlerisch 
in seinen Worten war. 

Der Erfolg war zunächst bei den Anhängern des 
Neuen. Cochläus blieb die Erlaubnis zur Verbreitung 
seiner Kontroversschriften versagt, und als Meyer die 
Frankfurter Ketzer schalt, weil sie die Fastengebote 
übertraten, verbat sich der Rat das ganz energisch, weil 


1) Die Perspektiven, die uns Spahn, Joh. Cochläus S. 61 auf 
ein Fiasko der Reformation in Frankfurt eröffnet, falls nicht 
Nesen, sondern Cochläus die Leitung der Schule erhielt, wider- 
legen sich von selbst angesichts der lutherischen Haltung, die 
Cochläus damals noch einnahm. Der Wendepunkt in seiner Stellung 
yuder Reformation fällt mit der Berufung Nesens zeitlich zusammen. 
Im lutherischen Lager hat man denn auch seitdem eine schlechte 
Meinung von seinem Charakter gehabt. Kolde (Wie wurde Coch- 
läus zum Gegner Luthers? Kirchengeechichtl. Studien. Hermann 
Reuter zum 70. Geburtstag gewidmet. S. 197ff.) hat den hier 
vorliegenden Zusammenhang nicht gesehen. 

3) Spahn, 8. 102 nennt ihn „humanistisch gebildet“, gibt 
aber keinen Beleg dafür. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 8/4. 14 


210 


die Stadt nach außen nicht in den Ruf der Ketzerei 
kommen sollte. Dagegen geschah es mit Vorwissen des 
Rates, daß die Frankfurter in der Fastenzeit 1522 die 
ersten evangelischen Predigten zu hören bekamen. Die 
Anregung dazu ging von Nesens Gönnern Haman und 
Blasius von Holzhausen aus, die als Patrone des Katha- 
rinenklosters für dessen Kirche als Fastenprediger in 
der Person Hartmann Ibachs einen Mann beriefen, den 
der Kanohikus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstift 
in seinem Tagebuch einen „discipel Martini Luthers“ 
und einen „vorlaufen lutterßen monnich“ nennt!) und 
bei dem sich später ein starker Einschlag Zwinglischer 
Gedanken nachweisen läßt 2). Bei seinem Auftreten in 
Frankfurt lagen ihm sehr praktische Fragen am Herzen. 
Das erstemal, am Sonntag Invocavit (9. März) pries er 
den Nonnen des Katharinenklosters die Ehe als einen Segen 
für Geistliche wie für Laien. Zwei Tage spáter predigte er 
gegen die Abgaben und riet, man solle keinen Zins geben, 
sondern lieber arme Leute damit versorgen. Wieder nach 
zwei Tagen nahm er sich die Heiligen aufs Korn und setzte 
dem Volke auseinander, Maria und die übrigen Heiligen 
seien nicht so hoch zu loben; sie zu verehren, sei auch 
gar nicht in ihrem Sinne. Dann ging er zu den Bruder- 
schaften und ähnlichen Dingen über. Er hätte wohl 
noch ófter in dieser Weise gepredigt, aber die lebhaften 
Auseinandersetzungen, die auf dem Heimwege unter den 
Kirchgüngern stattfanden — Königstein redet geradezu 
von einem Aufruhr —, sowie die Einsprache, die Cochläus 
und Meyer als Hörer der Predigten in Mainz veranlaßten, 
ließen es dem Rate angezeigt erscheinen, dem Prediger 
die Kanzel zu verbieten. 

Wenn er dabei glaubte, so allen Weiterungen vorzu- 
beugen, so erfuhr er freilich bald, daß gerade dieses Verbot 

1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am 
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Ereig- 
nisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 1548. 
8. 31 und 33. 

2) Ritter, Ev. Denkmal S. 55f. — Vgl. über Ibach auch 
Dechent S. 84ff., wo auch die neuere Literatur über ihn verzeich- 
net ist. 


211 


die Sache in ein neues Stadium brachte. Jetzt be- 
mächtigte sich ihrer der ‚christliche Adel deutscher 
Nation“. Einer der benachbarten Taunusritter, Hartmut 
von Cronberg, „der fromme und christliche Bischof des 
ganzen Rheinstroms“, richtete, als Ibach an Reminiscere 
nicht mehr predigen durfte, scgleich andern Tags einen 
Brief an den Rat und ließ das Schreiben, als die Veröffent- 
lichung am Römer nicht zugelassen wurde, in dessen 
nächster Nähe am Falirtor anschlagen!). Der Eindruck 
seiner Schrift, die vor den falschen Propheten und Wölfen 
warnte, war sehr groß. Der Rat hielt es für nötig, den 
Zünften besondere Weisung zugehen zu lassen, wie sie 
sich verhalten sollten. Er konnte damit aber nicht ver- 
hindern, daß die Geistlichen allerlei Unfug und Spott 
über sich ergehen lassen mußten. Bald zeigte es sich, 
daß man es nicht: mit dem Cronberger allein zu tun hatte. 
Am 12. Mai war am Fahrtor wieder ein Brief angeschlagen, 
diesmal von der Taunusritterschaft an:die Pfaffheit zu 
Frankfurt gerichtet, und eine Abschrift davon erhielten 
noch besonders die Herren zu St. Bartholomäi, also vor 
allem Stadtpfarrer Meyer. Der Adel verlangte evangelische 
Predigt und drohte zu handeln, falls sie nicht zugelassen 
würde. Dann stellte Hartmut wieder Meyer schriftlich 
darüber zur Rede, daB er bisher mit seinen Predigten 
das Seine gesucht habe. Auch Hutten hatte in den Gang 
der Dinge einzugreifen gesucht, indem er — es war offen- 
bar auf Cochläus, den Apostaten des Humanismus ab- 
gesehen — bereite am 15. April an der Tür des Liebfrauen- 
stiftes zwei Briefe anheften ließ, in denen er den Prediger- 
mönchen und den Kurtisanen Fehde ansagte. 

Indessen gerade dieses Eingreifen der Ritterschaft 
in die Frankfurter Angelegenheiten brachte dem Klerus 
bald wieder bessere Tage. Hartmut von Cronberg war 
mit Sickingen nahe verwandt und wurde in der Folge 
in die Katastrophe der Sickingenfehde mit hereingezogen. 
Bereits im Oktober 1522 war seine Burg in der Hand 
1) Dieses ist von Königstein S. 83 mit der „farphort“ ge- 

meint. Wedewer, mit den Frankfurter Lokalitäten anscheinend 
nicht vertraut, gibt es 8. 54 mit „Pfarrpforte“ wieder. 
14° 


212 


der Fürsten, und; seine Hoffnungen auf eine Wendung 
zum Besseren sanken in sich zusammen, als im nächsten 
Jahre auch Landstuhl und die Ebernburg fielen. Der 
Rückschlag dieser Ereignisse auf die kirchliche Entwick- 
lung in Frankfurt blieb nicht aus. Von den Rittern 
und den ihnen nahestehenden Humanisten hatte „das 
Evangelium“ seitdem nicht mehr viel zu erwarten. 

Um so wichtiger war es, welche Stellung der Rat 
einnahm. 

3. Die Haltung des Rates. 


Den ersten Anlaß, in die kirchlichen Verbältnisse 
der Stadt einzugreifen, bot dem Rate das kaiserliche Man- 
dat, welches am 6. März 1523 auf Grund der Nürnberger 
Reichstagsverhandlungen verkündigte !), quod nihil praeter 
verum, purum, sincerum et sanctum evangelium et 
approbatam scripturam pie, mansuete, christiane iuxta 
doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia 
christiana receptae scripturae doceant. Er eröffnete 
dieses Edikt den püpstlichen Prüdikanten in den Stiftern 
und Klóstern der Stadt mit der Weisung, sich mit ihren 
Predigten danach zu richten, ‚und solches alles“, wie Ritter 
nach den Ratschlagungsprotokollen mitteilt?), ,fürnem- 
lich auch deswegen, weilen sich vieler Unmuth wegen 
des Predigers zu St. Bartholomäi Dr. Meyers wie schon 
bekant, bißhero erreget hätte, als der nebst denen andern 
das Evangelium und Wort Gottes nicht reine und lauter 
gepredigte, sie aber gern alles in ihrer Stadt, wie in poli- 
tischen, also auch kirchlichen Dingen zur Ruhe und Frieden 
gerichtet sähen.“ 

Daß der Rat mit seinen Sympathien auf der Seite 
der Reformation stand, zeigt. sich daran, daß Haman 
von Holtzhausen, der mit anderen die Stadt auf dem 
Reichstage vertrat, noch in demselben Jahre 1523 den 
Pfarrer Dietrich Sartor von der Ignatiuskirche in 
Mainz, der ihm als tüchtiger Prediger bekannt war, 

!) Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation 


2. Bd. 8. Aufl. 8. 44 Anm. 1. 
*) Ritter, Ev. Denkmal S. 61. 


213 


nach St Katharinen brachte !). Aber die Führung in 
den kirchlichen Dingen überließ man auf dem Römer 
lieber anderen Händen. Die Stimmung der Bürgerschaft 
war der Reformation von Anfang an günstig. Doch 
scheint es sich zunächst mehr um einen Anstoß an dem 
sittenlosen Wandel der Geistlichen und um eine tiefge- 
wurzelte Abneigung gegen das religiöse Ausbeutungs- 
system, den Reichtum, die Abgabenfreiheit und das 
Asylrecht der Stifter, als um religiöse Interessen ge- 
handelt zu haben. Der Abfall vom Papsttum war bald 
fast allgemein, und schon 1524 verließen Mönche und 
Nonnen in großer Zahl ihre Klöster, lernten ein Hand- 
werk und traten ebenso wie manche Weltgeistliche in 
die Ehe. Der Stadtpfarrer Meyer aber konnte sich bald 
nicht mehr auf der Straße sehen lassen, ohne ausgerufen 
und verspottet zu werden. Auch an allerlei Unordnung 
und Unruhe fehlte es nicht, so daß der Rat immer 
wieder warnen und wehren mußte. Zu mancherlei 
Schwierigkeiten kam es, als zuerst die Sachsenhäuser, 
dann die Bornheimer evangelische Prediger begehrten. 
Namentlich seit dem Bürgeraufstand 1625 kamen immer 
mehr Anbänger der neuen Lehre als Prediger in die Stadt, 
und wenn es dem Mainzer Bischof einmal gelang, der 
Wirksamkeit der schärfsten Eiferer schon nach wenigen 
Wochen ein Ende zu bereiten, so traten an deren Stelle 
baldandereStürmer und Dränger, z.B. Dionysius Melander 3), 
der sogar einmal (1533) von der Kanzel des Doms den 
Bannfluch gegen den Papst und die gesamte römische 
Geistlichkeit schleuderte. 

Wie die Bewegung sich allmählig klärte und langsam 
zu einer neuen Kirchenbildung führte, läßt sich an der 
Stellung erkennen, welche die Mitglieder des Rates zu 

1) Ebenda S. 62—64. Auch für das Folgende ist Ritter zu 
vergleichen. 

3) Er wer „ein um das Evangelium wohlverdienter, dabey 
aber ungemein hitzig- und etwas ausschweifender Mann“. 
K. Gesch. 8. 36. Ähnlich charakterisiert ihn Köstlin-Kawerau, 
Martin Luther, 5. Aufl. II, 315: „Ein schlagfertiger, stürmischer 
und herrischer, nach Umständen auch plumper, ja schmutsziger, 
in seinem persönlichen Charakter nicht fleckenloser Volksredner"''. 


214 


ihr einnehmen. Sie ist bei dem älteren Geschlechte anders 
als bei dem jüngeren“ Arnold Glauburger fand es mit 
seiner reformfreundlichen Haltung noch durchaus ver- 
einbar, sich von Kurtrier 1521 als Kammorgerichts- 
assessor präsentieren zu lassen, und Haman von Holz- 
hausen, „einer der ersten und fürnehmsten mit, welche 
im Anfang die erste Evangelische Predigt allhier . . be- 
sorgten ), ging noch 1525 am Maria-Magdalenentag 
(22. Juli) in der Prozession neben dem Priester, der das 
Sakrament trug. Man empfand das damals noch ebenso 
wenig als einen inneren Widerspruch, wie wenn dieselbe 
Katharina Holzhausen geb. Fröschin, die in Luther 
den von ihren Ahnen geweissagten Bestreiter der päpst- 
lichen Immunitäten erblickt und ihm bei seiner Durch- 
reise nach Worms die Hände geküßt und ihn in seiner 
Herberge mit Malvasier gelabt hatte, noch zwei Jahre 
später in ihrem Testamente Jahreszeiten und Seelen- 
messen zu St. Bartholomäi und St. Katharinen stiftete“). 
Viel einheitlicher war schon die Haltung des Ratsherrn 
und Schöffen Hans Bromm, der sich um die Einführung 
der Reformation so offenkundige Verdienste erwarb, 
daß bei seinem Begräbnis 1536 ein Maurer die Gedächtnis- 
predigt in der Peterskirche mit den Worten unterbrach: 
„Deß danck ihm GOtt und sey ihm gnädig, daß er den 
großen Greuel und Bestien der Messe hingelegt!“ )). 
Und als der Gothaer Stadtpfarrer Friedrich Myconius 
im Jahre 1542 in seiner Reformationsgeschichte*) die 
Frankfurter Freunde der Reformation Revue passieren 


1) Ritter 8. 40. Er vor allem hatte Ibach 1522 berufen. 
1531 empfahl er dem Rete die Anstellung eines neuen Prüdikanten 
an St. Peter. Ritter S. 148. Für die Besoldung des Rektors 
Micyllus leistete er 1526 aus seinen privaten Mitteln einen Zuschuß. 
Ritter S. 97f. Dem Rate gehörte er seit 1493 an, 1499 wurde er 
Schóffe, 1507 und 1518 war er Erster Bürgermeister. Er sterb am 
81. Oktober 1536. Sein Epitephium in der Katharinenkirche 

bei Dechent S. 150. 

| 3) Steitz, F. A. N. F. IV, 871. 

3) Ritter S. 229. 

t) In der Ausgabe von O. Gemen (Voigtländers Quellen- 
bücher, Band 68) 8. 59. 


215 


ließ, durfte er bereits schreiben: „In dieser Kommun 
waren treffliche Leut im Regiment, die über dem Evan- 
gelio hielten." An erster Stelle nennt er hier den jüngeren 
Hans Bromm, bei dessen verwitweter Mutter!) er vor drei 
Jahren mit Melanchthon Gastfreundschaft genossen hatte, 
und durch dessen Bruder Myconius inzwischen über die 
Frankfurter Verhältnisse weiter unterrichtet worden war *). 
Der jüngere Hans Bromm, 1510 geboren, kam 1537? 
nach dem Tode seines Vaters in den Rat und wurde 
1546 Schöffe, zehn Jahre später Erster Bürgermeister?). 
Er ist 1564 gestorben. Nächst ihm nennt Myconius 
Philipp Fürstenberger, dem er das Zeugnis eines vir 
eruditus, bonus, prudens et erga omnes affabilis mini- 
meque superbus ausstellt“), ohne übrigens zu wissen, 
daB er bereite seit 1540 tot war.  Fürstenberger war 
1505 als Sechsundzwanzigjähriger in den Rat eingetreten. 
Fünf Jahre später wurde er Schöffe, wollte sich aber von 
diesem Amte bereite 1513 beurlauben lassen, — wie 
Steitz meinte5) weil seinem hochstrebenden Geiste die 
städtischen Verhältnisse zu eng waren. Er war ‚im 
Kleinen für Frankfurt, was Willibald Pirckheimer für 
Nürnberg war, der tätige Beförderer der Wissenschaft, 
der Bildung und der Kunst, . . . eine Zierde seiner Vater- 
stadt, eine staatsmännische Größe im Rate, die starke 
Stütze der humanistischen und reformatorischen Inter- 


1) Melanchthon redet in einem Briefe an ihn von ihr als 
hospitae nostrae Francofordianae. Der Brief vom 4. April gehört 
übrigens nicht in das Jahr 1529, wo ihn C. R. I, 1047 unterbringt, 
sondern er ist, wie Classen, Über die Beziehungen Melanchthons 
su Frankfurt a. M. (Frankfurter Gymnasialprogramm 1860) S. 9f. 
richtig erkannt hat, 1540 geschrieben. 

2) Melanchthon gab ihnen den in der vorigen Anmerkung 
erwähnten Brief mit Grüßen an Myconius mit. 

3) Wenn ihn Myconius schon 1542 ,,Bürgermeister" nennt, 
so ist das offenbar eine Verwechslung mit seinem Vater, der 1526 
und 1532 Erster Bürgermeister war. 

*) Auch bei Cochláus (Brief an Willibeld Pirckheimer vom 
. 8. April 1520. Bei Steitz, F. A. N. F. IV, 106) ist er „der gute 
und milde Mann‘. 

) F. A. N. F. IV, 89. 


216 


essen. ). Als Erster Bürgermeister fungierte er 1519, 
1525 und 1531 und hat in dieser Stellung mit Klugheit 
Geschick und Besonnenheit das Schifflein des Frank- 
furter Gemeinwesens namentlich durch das schwere 
Jahr 1525 hindurchgesteuert. Für auswärtige Missionen 
ist er gern verwendet worden. Bekannt ist vor allem seine 
Entsendung zum Wormser Reichstag. 1521; auf seine 
ungenaue Berichterstattung geht das Mürlein?*) von dem 
zaghaften Auftreten Luthers bei dem ersten Verhör 
zurück?) Mit Hutten und Willibald Pirckheimer stand 
er im Briefwechsel. Sein Interesse an der gelehrten Bildung 
ging so weit, daB er es nicht verschmühte, noch 1520 
mit Jakob Neuhaus und Haman von Holzhausen Schüler 
des jungen Wilhelm Nesen zu werden. Die Reformation 
hatte an ihm nächst Haman von Holzhausen ihren ent- 
schiedensten und besonnensten Fórderer. Von den übrigen 
Mitgliedern des Rates, die nach Myconius über dem 
Evangelio hielten, verdient haupteüchlich noch Erwüh- 
nung Justinian von Holzhausen, Hamans Sohn, den 
wir 1524 und 1525 in Wittenberg treffen, wo er auf den 
Rat seines Vaters namentlich bei Melanchthon Dialektik 
hörte, „den in unserm uffleuf denselbigen zu dilgen und 
nidder zu drucken haben wir mangel gehabt leude, die 
etwas beret waren und perswadiren kuntten. Die rhe- 
torica mach einen geschick der ungeschick von natur 
ist, darumb soltu dich darin allen Dag uben et latine 
et vulgari sermone ). Von der Universität zurückgekehrt, 
kam er bereits 1529 in den Rat und wurde 1534 Zweiter 
Bürgermeister, 1537 Schöffe. Das Amt des Ersten Bürger- 
meisters bekleidete er nicht nur 1538 und 1543, sondern 
besonders auch in dem durch den Interimsstreit so kri- 
tischen Jahre 1549. Er mahnte damals Hartmann Beyer 

ı) Ebenda 8. 105. ' 

2) Vgl. Hausrath, Aleander und Luther auf dem Reichstage 
zu Worms. S. 265ff. 355ff. und Luthers Leben I, 430. 

3) In. demselben Jahre 1521 wurde er mit Stephan Grün- 
berger nach Mainz zu Kaiser Karl V. entsandt. Als Städtebote 
begegnet er uns außerdem 1518 in Augsburg, 1527 in Regensburg, 
1530 in Augsburg und 1532 in Regensburg. 

*) Classen, Beziehungen usw. S. 6 Anm. 8. 


217 


. dringend zu Mäßigung in seinen Predigten: „Ihr werdet 
uns, bei Gott, noch um das Evangelium bringen ! wir werden 
euch, bei Gott dem Herrn, noch einen Urlaub geben, 
wo ihr nicht nachlasset!!'*). Ein Jahr bevor er 1553 starb, 
betrieb er noch die Berufung des jürgeren Matthias 
Ritter in das Predigerministerium?), die nächst der- 
jenigen Hartmann Beyers für die. weitere Entwicklung 
der kirchlichen Verhältnisse in der Stadt so folgenreich 
geworden ist. Die anderen Ratsherren, die Myconius 
noch erwähnt?), sind nicht weiter hervorgetreten. Wenn 
er sie aber als omnes eruditi bezeichnet, so wissen wir, 
daß auch bei ihnen jener Bund von Humanismus und 
Reformation geschlossen war, der der kirchlichen Haltung 
der Patrizier sein Gepräge gab, und der sein Ansehen 
in der Stadt wieder fand, seit 1537 Micyllus zurückge- 
kehrt war, „der fein trefflich gelehrte Mann,“ „in soluta 
et ligata oratione incomparabalis‘“. 

War die Stellung der Ratsherren nicht in erster Reihe 
von ihrem religiösen Standpunkte, sondern u. a. auch 
von ihrem Humanismus beeinflußt, so beobachtete der 
Rat als solcher bei allem Wohlwollen doch eine vorsichtig 
zurückhaltende Stellung. Er ließ die evangelisch ge- 
sinnten Prediger gewähren, weil er wußte, was Unraths 
in der Stadt daraus erfolgen möchte‘), wenn er sich ihnen 
und der ihnen blindlings ergebenen Bürgerschaft in Fragen 


1) Steitz, Hartmann Beyer. S. 54. 

3) Ritter S. 421. 

3) Es sind: 1 Ortwinus zum Jungen, im Rat scit 1533, 1536 
Zweiter Bürgermeister, 1539 Schöffe, gestorben 1547. 2. Christo- 
phorus Stallberger, im Rat seit 1536, 1540 Zweiter Bürgermeister, 
gestorben 1541, 3. Georgius Weiß senior, entweder: zu Sachsen- 
hausen, seit 1527 im Rat, 1531 Schóffe, gestorben 1539 (6. No- 
vember); oder: zu Löwenstein, seit 1537 im Rate, 1542 Zweiter 
Bürgermeister, 1548 Schöffe, gestorben 1551. (Die Daten nach 
Lersner.) Gemeint ist jedenfalls der Zweite, der auf der Frank- 
furter Tagung 1539 seine Vaterstadt vertrat und dadurch Myconius 
bekannt wurde. 

*) Bürgermeisterbuch, 20. Februar 1533 fol. 86, mitgeteilt 
von Steitz, Abhandlungen. zu Frankfurts Reformationsgeschichte. 
8.-A. aus F.-A. V.) Frankfurt a. M. 1872. 8. 262, vgl. 264. 


218 


der kirchlichen Reform widersetzte, und sorgte bei Er- 
ledigung von Pfarrstellen dafür, daß solche Leute ein- 
rückten, die „das Evangelium“ predigten. Dabei war 
ihm aber jede Art von Kanzelpolemik zuwider, und ale 
1524 Johann Rau gegen seinen Kollegen Meyer im Gottes- 
dienst ausfällig wurde, ließ er allen Predigern ansagen, 
nur das zu predigen, was keinen Aufruhr erwecke, denn 
wenn sie nicht nach dem Edikt von 1523 das Evangelium 
lauter und rein predigten, könne ihnen der Rat keines 
Schutzes weder vor dem Gnädigsten Herrn zu Mains, 
noch auch vor dem Volke versichern!) Vollends von 
sich aus einen entscheidenden Schritt zu tun, vermied 
er sorgfältig. Das ihm 1526 von dem Landgrafen von Hessen 
angetragene Torgauer Bündnis lehnte er ab“), und unter 
den Reichsständen, die gegen den Speyerer Abschied von 
1529 protestierten, fehlt Frankfurt, auch wenn es mit 
der protestierenden Minderheit Fühlung nahm?), noch 
ebenso, wie es ein Jahr später unterließ, die Augsburger 
Konfession zu unterzeichnen. Die Augustana hatte zwar 
die Autorität der Wittenberger Theologen auf ihrer 
Seite. Aber angenommen war sie zunächst nur von 
wenigen Reichsständen. Überdies war sie nicht das 
einzige Bekenntnis der neuen Lehre, das dem Reichstage 
vorlag. Die Tetrapolitana der vier oberdeutschen Städte 
Konstanz, Lindau, Memmingen und Straßburg, sowie 
Zwinglis Glaubensbekenntnis standen ihr gegenüber. So 
schien die theologische Seite der Sache noch zu wenig 
geklärt. Bei den Bündnisverhandlungen aber, die den 
Erörterungen über das Dogma parallel gegangen waren, 
hatte die Angelegenheit auch einen starken politischen 
Beigeschmack, der es den Herren auf dem Römer rätlich 
erscheinen ließ, sich freie Hand vorzubehalten, zumal 
ihre Interessen mehr nach Oberdeutschland ala nach 
Kursachsen gravitierten. Wenn so die Stadt davon Ab- 
stand nahm, das Bekenntnis Melanchthons zu unter- 
zeichnen, so gab sie aber doch ihre Unterschrift auch 


1) Ritter, Ev. Denkmal S. 70. 
3) Ebenda S. 99. 
3) Ebenda S. 1231. 


219 


nicht zu dem Reichstagsabschied von Augsburg, weil 
in diesem die Wendung vorkam, die Lehre der Prote- 
stanten sei mit Zeugnissen der Heiligen Schrift widerlegt 
worden. Sie bat sich vielmehr Bedenkzeit aus und plädierte 
für ein allgemeines Konzil!) Erst als 1532 der Nürnberger 
Religionsfriede den Ständen wenigstens bis zur Einbe- 
rufung eines Konzils oder einer Nationalversammlung 
Religionsfreiheit gewährte, befahl der Rat am 23. April 
1533 die Einstellung des katholischen Gottesdienstes in 
der Stadt und verbot zugleich den Besuch der katholischen 
Gottesdienste in Höchst und Bockenheim. Doch ließ 
er sich auch zu diesem Schritte erst durch die Bürger- 
schaft drängen, deren unruhige Elemente einen Kirchen- 
sturm ins Werk gesetzt hatten, und die Verantwortung 
für seine Maßregel schob er den Zünften zu, indem er 
diese zuvor darüber befinden ließ, ob ,,die Messe mit 
ihrer Rüstung und alten Ceremonien“ als „ ungöttliches 
und unchristliches Ding" abzutun sei?) Auch ließ er 
schon sehr bald wieder (1535) den katholischen Gottes- 
dienst zu und gab für ihn sogar den Dom frei. Es be- 
durfte erst einerseite der drohenden Haltung, welche die 
katholischen Nachbarn und das Reichskammergericht ein- 
nahmen, und andrerseits der untrüglichen Gewißheit 
dafür, daB der deutsche Protestantismus politisch als eine 
imponierende Macht im Reiche dastehe, bis man es 1536 
geraten fand, seine Zuflucht bei dem Schmalkaldischen 
Bunde zu nehmen. Als aber zehn Jahre später in den 
ersten Monaten des Jahres 1546 alles auf den unmittel- 
baren Ausbruch des Krieges hinwies, war das Vertrauen 
des Rates zu der Macht des Bundes so gering, daB er aus 
Furcht vor dem Zorn des Kaisers vorzog, den Nieder- 
ländern, die durch Jan Utenhove um Aufnahme in die 
Bürgerschaft nachsuchten, das Gastrecht zu verweigern, 
das er 1498 den aus Nürnberg verjagten Juden aus freien 


1) Ebenda S. 145. 

2) Auszüge aus den Antworten der Zünfte bei Dechent, 
Geschichte der Stadt Frankfurt in der Reformationszeit. Schriften 
für das deutsche Volk, herausgegeben vom Verein für Reformations- 
geschichte. Nr. 43. 8. 17f. 


220 


Stücken angetragen hatte. Und als dann bald die Macht 
des Bundes die Feuerprobe bestehen sollte, lieferte der 
Rat (im Dezember 1546) die Stadt ohne Schwertstreich 
an den kaiserlichen Feldherrn Maximilian von Büren 
aus. Auch als der Kaiser in dem Augsburger Interim 
versuchte, die früheren kirchlichen Zustände wieder 
herzustellen, war es wieder der Rat, der sich im Gegen- 
satze zu dem mannhaften Widerspruche der Prädikanten 
zu jedem schwächlichen Zugestündnisse bereit finden 
ließ. Erst der Passauer Vertrag stärkte dem Rate, der 
durch seine schwankende Haltung die Stadt 1552 der 
‚schweren Belagerung durch Moritz von Sachsen ausgesetzt 
hatte, das Selbstvertrauen, und als gesichert durfte der 
Bestand der Reformation in Frankfurt angesehen werden, 
als der Augsburger Religionsfriede den evangelischen 
Reichsständen das ius reformandi einräumte. 

Fragt man, von welchem Gesichtepunkte der Rat 
sich bei dieser ganzen Haltung in der kirchlichen Frage 
leiten ließ, so ergibt sich als Kanon, daß für ihn nur 
auBerkirchliche Erwägungen maßgebend waren. Sein 
Verhalten kann vom kirchlichen Standpunkte aus nur 
als unentschieden, sprunghaft, widerspruchsvoll beurteilt 
werden. Aber sofort erkennt man Einheit, Stetigkeit 
und Folgerichtigkeit darin, wenn man als ausschlag- 
gebenden Beweggrund die Rücksicht auf die politische 
Zeitlage und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt 
ins Auge faßt!). In der Tat stand für Frankfurt viel auf 
dem Spiele. Hier wurden seit alters die deutschen Könige 
gewählt, und das Ziel, auch Krönungsstadt zu werden, 
schien nicht ferne“). Es war nicht zu erwarten, daß 
das alte Privileg erhalten blieb, viel weniger daB ein 
neues hinzukam, wenn man in der kirchlichen Frage 
dem Kaiser offen entgegentrat. Eswarnach dieser Richtung 
ein sehr deutlicher Wink, den man in Frankfurt auch 
recht gut verstand, wenn Karl V. 1531 die Wahl seines 


1) Auf „Motive des innern städtischen Lebens“ führt auch 
Ranke III, 349 den Anschluß Frankfurte an die Reformation 
zurück. 

3) Erreicht wurde es 1562. 


221 


Bruders Ferdinand zum rómischen Kónig nicht in Frank- 
furt, sondern in Köln vornehmen ließ. Auch die Freiheit 
der Reichsstadt kam in Frage. War der Zorn des Kaisers 
einmal herausgefordert, so konnte es leicht geschehen, 
daß auf kaiserlichen Machtepruch hin die Stadt ihren 
reichsunmittelbaren Charakter verlor und als schätzens- 
werte Landstadt in den Besitz eines dem Kaiser ergebenen 
Territorialfürsten überging. Und vor allem stand zu be- 
sorgen, daß die Messen, diese ergiebigen Quellen für den 
Wohlstand der Bürgerschaft und des städtischen Ge- 
meinwesens, der Stadt entzogen würden, um etwa dem 
benachbarten Mainz oder Worms überwiesen zuwerden!). 
Schließlich schien auch für die Sicherung der Reformation 
selbst ein maßvolles und kluges Vorgehen immer noch 
am aussichtsreichsten, wührend ein intransigentes Ver- 
halten, wie es die Prädikanten nach der Verkündigung 
des Interims beobachteten, so charaktervoll es war, 
doch leicht alles in Frage stellen konnte?). 

Wo solche Sorgen den Rat bedrückten, ist es nicht 
weiter zu verwundern, daß er die Regelung der inner- 
kirchlichen Fragen in dieser ganzen Zeit gern anderen 
Händen überließ, sich auf ein bei aller Vorsicht doch 
immer wohlwollendes Gewührenlassen dem Neuen gegen- 
über beschränkte und jedenfalls darauf verzichtete, von 
sich aus zur Aufstellung einer festen Norm der Lehre 
zu schreiten. Fast zwei Jahrzehnte lang genügte ihm die 
Bestimmung von 1523, daB das Evangelium rein und 
lauter zu verkündigen sei. Die Annahme der Augsburger 
Konfession und die Zustimmung zu der Wittenberger 
Konkordie ging für ihn nicht wesentlich über jene Be- 
stimmung hinaus. Erst am Anfang der vierziger Jahre 
sah er sich durch die Entwicklung der kirchlichen Ver- 


1) Bothe, Frankfurt in Sage und Geschichte. II, ?. S. 6. 28. 
Erläuterungen S. IIIf. Ranke IV, 340: „Ich finde in der Tet, daß 
die Stadt Worms sich schmeichelte, dieselben (nämlich die Messen 
an sich zu ziehen, als Büren 1546 vor der Stadt erschien. 


2) Hierauf machte der Rat die Prädikanten auch aufmerk 
sam. Steitz, Hartmann Beyer. S. 32f., 43. 


222 


hältnisse in der Stadt veranlaßt, von sich aus genauere 
Festsetzungen zu treffen. 

Den Gang dieser Entwicklung haben wir nunmehr 
näher ins Auge zu fassen. 


4.Der Bürgeraufruhr und der kirchliche Radi- 
kalismus. 


Die nächste Welle reformatorischer Erhebung stieg 
in dem unruhigen Jahre 1525 empor. Auch Frankfurt 
hat damals seinen Aufruhr erlebt. Noch ehe er ausbrach, 
mußte Stadtpfarrer Meyer flüchten; daß er in einer Fasten- 
predigt am 12. Mürz in seiner derben, anzüglichen Weise 
von „Hundsbräuten“ gepredigt hatte, war den Frank- 
furtern denn doch zuviel. Drei Tage spüter verschwand 
er auf Nimmerwiedersehen. Fremde Kaufleute, die dann 
zur Fastenmesse kamen, hórten ein Gerücht, am Ende 
der Fastenzeit werde man in der Stadt etwas Neues 
erleben, Verschwörung und Aufruhr seien im Werk. 
Dieses Gerücht bestätigte sich dann auch, als am Oster- 
montagmittag (17. April) sich auf dem Peterskirchhofe 
ein großer Haufe Unzufriedener ansammelte, deren Un- 
wille sich „widder den rat und geystlichkeit“ richtete!). 
Wie die beiden Bürgermeister, die alsbald auf dem Platze 
erschienen, feststellten, betrafen die Beschwerden ,,das 
ungelt, wyn und korn, zins und sunst der glichen vill“ 
und gingen von der Gesamtheit der Zünfte aus. Wührend 
nun der Rat in Verhandlungen mit den Wortführern 
der Menge eintrat, drang der Haufe in Klóster und Pfarr- 
häuser ein und hielt sich an Speise und Trank schadlos. 
Cochläus, dem schon seit geraumer Zeit der Frankfurter 
Boden recht heiß geworden war, fand es ebenso wie sein 
Kollege vom Bartholomäusstift geraten, der Stadt den 
Rücken zu kehren. Die Verhandlungen der Aufstän- 
dischen mit den beiden Bürgermeistern führten am 


1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am 
Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Er- 
eignisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 
1548. Frankfurt a. M. 1876 8. 79. 


223 


20. April zur Übergabe von 42 Artikeln, die bis zum 
23. April auf 45 ergänzt wurden!). 

Diese Artikel, die eine unverkennbare Ähnlichkeit 
mit den 12 Artikeln der Bauernschaft besitzen, zeigen 
uns deutlich den religiós-sozialen Charakter der Be- 
wegung. „Erstlich“, so beginnen sie, „ist unser Bitt 
und Begehr und ernstlich Meinung, daß hinfürter ein 
ehrsamer Rat und Gemein, einen Pfarrherrn in den Pfarr- 
kirchen und andere Kirchen zu setzen und zu entsetzen, 
Macht haben sollen; dieselben erwühlten Pfarrherrn 
auch nichts anderes, denn das lautere Wort Gottes, 
das heilig Evangelium, unvermengt menschlicher Satzung, 
predigen sollen, damit das Volk in rechter Lehr gestärket 
und nit verführet werde.“ Des weiteren wird eine Reihe 
von sittlichen und sozialen Forderungen aufgestellt. 
Der Klerus wurde u. a. an die Pflicht der Keuschheit 
erinnert, — eine Forderung, die noch Nachdruck erhielt, 
als am 26. April im Auftrag der Gemeine eine Abordnung 
in etlicher Prälaten, Kanoniker und Vikare Häuser ging 
und ausrichtete, ‚sie sollen ire maid von inen thun 
und sich vor schaden hutten,“ worin die verängstigten 
Kleriker auch willigten?). Zu den Pflichten der Bürger 
sollten auch die Geistlichen herangezogen werden, den 
Mönchen sollte Bettel, Predigt und Beichtehören ver- 
boten, der Austritt aus ihren Klöstern dagegen freige- 
stellt, den Orden aber die Aufnahme neuer Mitglieder 
verwehrt sein. Auch die Einrichtung eines gemeinen 
Kastens war vorgesehen, damit die Armen versorgt 
würden und nicht betteln müßten. Von dem sittlichen 
Ernste der Aufständischen zeugte die Forderung, daß 
alle Zusäufer und Gotteelästerer gestraft werden sollten 
ohne alles Nachlassen. Andere Beanstandungen betrafen 
die gleichzeitige Zugehörigkeit von Vater und Sohn oder 
zweier Brüder zum Rat, den kleinen Zehnten, die Schäfe- 
reien der Deutschherren auf dem linken Mainufer, die 
Kosten für die Söldnerpferde u. a. m. 

!) Vgl. über sie Dr. R. Jung, Zur Entstehung der Frankfurter 


Artikel von 1525. F. A. 3. F. 2. Bd. (1889) S. 198ff. 
°) Steite, Königstein B. 83. 


224 


Als Verfasser dieser Artikel kommt nach Königstein!) 
der Schwager Carlstadte, Dr. Gerhard Westerburg) in 
Betracht, der in jener Zeit in Frankfurt wohnte. Dieser, 
aus einer Kölner Patrizierfamilie hervorgegangen und 
in seiner Vaterstadt und in Italien humanistisch vorgebildet, 
war seit 1521 unter den EinfluB der Zwickauer Propheten 
geraten, hatte dann deren Trüume in Zürich, wo er zwar 
nicht mit Zwingli, wohl aber mit der radi kalennoch nicht 
zum Anabaptismus ausgearteten Partei der Stadt Fühlung 
nahm, mit einem strengen Schriftprinzip vertauscht und 
verfolgte nun mit Ernst und Eifer das eine Ziel, das kirch- 
liche und bürgerliche Leben nach den Normen der Bibel 
umzugestalten, wofür ihm aber ,das Wort“ allein nicht 
genügte. Im Jahre 1524 finden wir ihn in dem Aufstands- 
gebiete um Waldshut, wo eine „evangelische Brüder- 
schaft" die zwölf Artikel der Bauernschaft verbreitete. 
In demselben Religion und Politik verquickenden Sinne 
war er dann als „evangelischer Mann“, wie er sich selbst 
nannte, in Frankfurt tütig, wo er sich lange vor Ausbruch 
der Unruhen einmietete und bei Tag und Nacht evan- 
gelische Brüder in großer Zahl um sich sammelte. In 
seiner Hand liefen die Fäden des Frankfurter Aufstandes 
zusammen, und er leitete die Bewegung mit solchem 
Geschick, daß er, als sie fehlgeschlagen war, sich unan- 
gefochten in das Privatleben zurückziehen konnte. Von 
Natur heftig und leidenschaftlich, verfügte er über eine 
volkstümliche Beredsamkeit, von der uns heute noch 
seine Schriften Zeugnis ablegen?). Zum Schwärmer 
war er nicht geboren, er war vielmehr ein „Mann der 
Wirklichkeit und der scharfen Reflexion, klug, sogar 
schlau, gewandt und schlagfertig. Obgleich des Wortes 
in hohem Grade mächtig, war doch sein eigentliches 
Gebiet das des Handelns und der überlegten Tat“. Wir 
beobachten bei ihm ,,die Lust an der Opposition und dem 


1) Ebda S. 86. 

3) Vgl. über ihn Steitz in den Abhandlungen zu Frankfurts 
Reformationsgeschichte. (8.-A. aus F. A. N. F. 5. Bd.) Frankfurt 
a. M. 1872 8. 1— 215. 

*) Ebda. S. 198. 


22b 


Streite, verbunden mit dem unruhigen Drang, eine tätige 
Rolle zu spielen“ !). Es war ihm nicht sowohl darum 
zu tun aufzubauen, als vielmehr niederzureißen und für 
einen neuen Bau Raum zu schaffen. Religiöse Tiefe 
und Gemüt gingen ihm ebenso ab, wie Gelehrsamkeit 
oder gar Genialität. Dafür aber besaß er einen klaren 
Blick und einen redlichen Sinn, eine aufrichtige Liebe 
zur Kirche und ein warmes Mitgefühl mit ihren Schäden, 
einen unbeugsamen und geraden Charakter?) Am meisten 
interessiert uns hier sein kirchlicher Standpunkt. Über 
ihn urteilt sein Biograph?): „Durch alle Wandlungen 
seines bewegten Lebensganges geht eine evangelische An- 
schauung hindurch, die in der Bestimmtheit und Richtung, 
welche sie von Anfang an zeigt, ihn für die reformierte 
Kirche prüdestinierte. Dahin gehört vor allem die unbe- 
dingte Unterwerfung unter Gottes Wort in der heiligen 
Schrift, das ihm die alleinige und ausschließliche Richt- 
schnur aller Wahrheit ist." Es ist nur eine naturgemäße 
Entwicklung, die er durchlief, wenn er nach der wieder- 
täuferischen Episode seines Lebens schließlich in der 
reformierten Kirche landete und uns 1546 an der Seite 
Laskis in Ostfriesland begegnet. 

Eine Schilderung des Verlaufs, welchen der Frank- 
furter Aufstand unter der Leitung dieses Mannes genommen 
hat‘), würde über den Rahmen unserer Aufgabe hinaus- 
gehen. Es genügt, an die Haupttateachen zu erinnern. 
Der Rat nahm am 22. April die Artikel an, nachdem 
die Geistlichkeit ihre Zustimmung erklürt hatte, und 
ließ sie von den Bürgern beschwören. Damit schienen 
im Innern geordnete Zustände wiedergekehrt zu sein. 
Aber nun erhoben sich von außen her neue Schwierig- 
keiten. Die Bauern näherten sich auch Frankfurt, und 


1) Ebda. S. 164. 
3) Ebda. 8. 210. 
3) Ebda. S. 202. 
*) Vgl. dazu das Frankfurter Aufruhrbuch von 1525, als 


Neujahrsblatt des Frankfurter Geschichts- und Altertumsvereins 
herausgegeben von Steitz 1875. 


Archiv für Reformationsgesehiochte. III. 3/4. 15 


226 


unter den Zünften der Stadt ließen sich trotz der beruhi- 
genden Erklärungen, die sie dem Rate abgaben, Stimmen 
genug vernehmen, „die vermeinten, die geistlichkeit und 
Juden, auch die deutschen herren uf die fleisch bank 
zu libern, han sich auch heimlich lassen horen, wo es 
nit nach irem willen ghe, wolten sie der artikel gar keinen 
halten“ 1). Die Bewegung in der Stadt geriet in die Hände 
der radikalsten Elemente, und selbst der ältere Bürger- 
meister Philipp Fürstenberger war in seiner Wohnung 
nicht mehr sicher. Doch führte gerade der Terrorismus, 
der nun drohte, den Umschwung herbei. Der konser- 
vative Teil der Bürgerschaft trat aus seiner Untätigkeit 
heraus, und, auf ihn gestützt, verfügte der Rat die Aus- 
weisung Westerburgs. Eine weise Milde, die mit solcher 
Festigkeit gepaart war, führte dann wieder zu ruhigen 
und gesicherten Verhältnissen. Es war höchste Zeit. 
Denn in denselben Tagen brach die Herrlichkeit der Bauern 
zusammen, und die Sieger verlangten nun auch von 
Frankfurt die Auslieferung der Empörer, die sich dahin 
geflüchtet hatten. Bei den Verhandlungen, die daraufhin 
in Pfeddersheim gepflogen wurden, kamen auch die Frank- 
furter Unruhen zur Sprache. Ein strengeres Strafgericht 
der Fürsten konnten die Vertreter abwehren. Doch mußte 
. der Artikelbrief ausgeliefert und der alte Stand der Dinge 
wieder hergestellt werden. 

Gingen der Bürgerschaft die sozialen Errungenschaften 
des Aufruhrs verloren, so blieb ihr die evangelische Predigt 
erhalten. Wie sie in den Artikeln an erster Stelle ge- 
fordert worden war, so hatte der Rat bereits am 24. April 
die Berufung evangelischer Prädikanten erwogen. Er 
wandte sich deswegen an Luther, der daraufhin Johann 
Agricola schickte). Doch blieb dieser nur einen Monat, 
da er bei seiner Ankunft bereits andere Männer an der 
Arbeit fand, mit denen er nicht gleichen Sinnes war. 
Es waren Dionysius Melander und Johannes Bernhard 


1) Königstein 8. 85. 

3) Vgl. das Beglaubigungsschreiben vom 30. Mai 1525 in der 
Erlg. Ausg. 53, 307 und die Erläuterungen dazu bei Enders, 
5, 183f. 


227 


genannt Algesheimer, beide der reformierten Denkweise 
viel näher stehend als der lutherischen. Melander, der 
einmal von der Kanzel den Bann gegen den Papst und die 
ganze Klerisei schleuderte, begegnet uns später als geist- 
licher Berater Philipps von Hessen, dessen Bigamie er 
auch auf der Kanzel verteidigte!) Algesheimer hat 
nachmals den Frankfurter mit dem Ulmer Kirchendienst 
vertauscht, als ihm (1536) in Peter Geltner ein ausge- 
sprochener Schüler Luthers zur Seite trat. Die von diesem 
betriebene Einführung der sächsischen Zeremonien, na- 
mentlich der Gebrauch der Alba und das Brennen von 
Kerzen bei der Abendmahlsfeier, war offenbar nicht 
nach seinem Sinne?). 

Ihre Tätigkeit in Frankfurt begannen die neuen 
Männer an Pfingsten (4. und 5. Juni) 1525 unter großem 
Zulauf in der Liebfrauen- und Leonhardskirche?). Sie 
reprüsentieren die Sturm- und Drangperiode in der Frank- 
furter Reformationsgeschichte. Auch der Pfeddersheimer 
Vertrag setzte ihrer Wirksamkeit kein Ende. , Welchen 
Anklang sie fanden, zeigt die Bitte, welche damals die 
Steinmetzen dem Rate vortrugen, keine anderen Prediger, 
denn so jetzo seien, aufstehen zu lassen, damit weiterer 
Aufruhr unter der Gemeine nit entstehe. Ahnlich baten 
die Zünfte insgesamt, daß das Evangelium nach Laut 
des ersten Artikels auch ferner gepredigt werde‘). So 
hielt denn der Rat schützend seine Hand über die beiden 
Prediger, von denen Melander die Sonntags-, Algesheimer 
die Wochengottesdienste (am Mittwoch- und Freitag- 
nachmittag) übernahm. ‚Sie han alle beyde den pabst, 
pristerschaft hochlich angetast, das hochwirdig sacra- 
ment, all ceremonien der kirchen und sunderlich die 
meß ganz veracht‘“®). Dazu richteten sie auch den Gottes- 

1) Hiergegen erhob Bucer Einsprache in seinem Brief an 
den Landgrafen vom 19. April 1540. Lenz, Briefwechsel Landgraf 
Philippe des Großmütigen von Hessen mit Bucer, I, 165f. 

3) Über Algesheimer vgl. Enders 11, 15. Er hat seinen 
Namen von Algesheim bei Ingelheim, wo er früher Pfarrer war, 

®) Königstein S. 89. 

*) Steitz, Westerburg S. 101. 

5) Königstein S. 99. 


15* 


228 


dienst ganz neu ein „mit ongewonlichem gesang in der 
pharkirchen"!), d: h. sie führten den Gemeindegesang 
ein. Der Rat ließ sie bei alledem ruhig gewähren. Auch 
der neue Dompfarrer Dr. Friedrich Nausea, der Anfang 
1526 sein Amt antrat, richtete nichts gegen sie aus, da 
die Gemeinde sich vorgenommen hatte, ihn überhaupt 
nicht zu Worte kommen zu lassen?) Ebenso war eine 
Beschwerde des Mainzer Ordinariates über sie vergeblich. 
Die Verantwortung, welche sie dagegen dem Rate vor- 
legten, ist deshalb besonders denkwürdig, weil sie uns zeigt, 
wie abhängig die beiden Prädikanten von Zwingli waren, 
— „selbst die Schlagwörter des Schweizer Reformators 
hatten sie sich angeeignet. Frankfurt trat durch ihre 
Wirksamkeit entschieden in die Reihe der vom Geiste 
Zwinglis beherrschten Städte“). 

Einen Bundesgenossen erhielten Melander und Alges- 
heimer 1529 noch in dem bisherigen Lektor und Guardian 
der Barfüßer Peter Pfeiffer, genannt Chomberg, der nach 
Auflösung seines Klosters (1529) gleichfalls scharf gegen 
die Lehren und Einrichtungen der alten Kirche eiferte, 
später aber, als Geltner die sächsischen Riten in Frank- 
furt einführen wollte, mit Algesheimer nach Ulm zog. 
Wir besitzen von ihm noch eine Skizze der Predigt, 
welche er am 12. Juli 1529 morgens 7 Uhr in der Bar- 
füßerkirche in habitu saeculari vor viel Volk über Joh. 14, 6 
hielt. Er nahm die drei Mönchsgelübde vor und be- 
kannte, „alles, das er getan hab im orden und kutten, 
sei widder Goit gewest, wan die werk gar nit selig machen. 
Er hat auch gezwifelt, ob sanct Franciscus selig sei, 
und gesagt: Francisce, Francisce, die blat, kutt, gepett 
hot dich nit selig gemacht! auch es sei kein obberkeit 
meh, wan die weltlich, welcher man gehorsam leisten 
soll, und der gleichen ketzersch artikel vill, alle zu eyner 
schande, ußgeruffen, den babet vernicht, die beicht ver- 
acht, die meß gar abgethan“). 


!) Ebda. 8. 101. 

3) Wedewer, Johannes Dietenberger. S. 73f. 
*) Steitz, Abhandlungen usw. S. 221. 

*) Königstein S. 153. 


229 


Ebenso wie über die Lehren und Einrichtungen 
der Kirche setzten sich diese Prediger freilich oft auch 
über die Gebote von Sitte und Anstand hinweg. Zu 
lange hatten diese Männer wider ihre Natur gelebt. Jetzt 
ließen sie sich widerstandslos von ihr zu allem fortreißen. 
Auf die Frage, was denn noch gelten solle, hatte ihr 
Radikalismus keine Antwort. Chomberg fing am Brunnen 
Liebschaften mit den Mägden an, die Wasser holten. 
Die beiden anderen gaben so vielfaches und schweres . 
Ärgernis, daß der Rat zeitweilig (1528) erwog, nach zwei 
anderen, ehrbaren Prädikanten zu trachten, die sittiger 
wären, denn diese zwei!). Es kam indessen nicht so weit, 
wohl mit Rücksicht auf die Gunst, die Melander?) und 
Algesheimer bei dem Volke genossen. So beschrünkte 
sich der Rat darauf, ein Jahr später, in der Person des 
Johannes Cellarius einen Wittenberger Theologen zu be- 
rufen, der, von Luther warm empfohlen®), Garantien für 
Gelehrsamkeit, Mäßigung und Sittenstrenge zu bieten 
schien. 

Der Versuch indessen, mit ihm ein gemäßigteres 
Element in das Predigerministerium zu bringen, scheiterte 
an der Verschiedenheit der Dogmatik. Cellarius konnte 
sich auf die Dauer nicht halten. Bereits nach einem 
halben Jahre stellten sich zwischen ihm und den drei 
anderen Predigern bei Aufstellung einer Abendmahls- 
liturgie erhebliche Meinungsverschiedenheiten heraus, die 
sich in der Folge so zuspitzten, daß der Rat sich schließlich 
im Frühjahr 1532 genötigt sah, ihm „einen freundlichen 
Urlaub zu geben“. An seiner Statt wurde Matthias 
Limberger als Prediger an St. Peter angestellt und damit 
die Homogenität des Kollegiums wieder hergestellt. 
Doch setzte Cellarius auch jetzt noch seine Predigt- 
tätigkeit im Katharinenkloster fort, bis die Prädikanten 
dem Rat erklärten, sie würden ihre’ Wirksamkeit ein- 


1) Steitz, Abhandlungen usw. S. 269. 

2) Melander mußte aber zuletzt doch um unsauberer Dinge 
willen seine Stelle aufgeben. 

3) Wrampelmeyer, Tagebuch über Dr. Martin Luther ge- 
führt von Dr. Conrad Cordatus. Nr. 1139. S. 299. 


230 


stellen, falls er den Winkelprediger noch länger dulde!). 
Daraufhin benutzte Cellarius die Herbstmesse, um sich 
nach Wittenberg zu begeben. 

Der Charakter des Frankfurter Reformationswerkes 
ist in dieser Phase der Entwicklung erheblich verscbieden 
von demjenigen des vorhergehenden Stadiums. Der Huma- 
nismus, welcher damals die Führung hatte, mußte jetzt, 
da man die Zünfte gewähren ließ, mehr und mehr zurück- 
treten. Charakteristisch dafür ist das Schicksal, welches ' 
den Rektor Micyllus?) eben in diesen Jahren traf. Dieser 
hatte im Herbst 1524 die Leitung der Schule Wilhelm 
Nesens übernommen. Seine Geistesrichtung war bestimmt 
worden durch den Erfurter Humanistenkreis, dem er 
1518 —1522 angehört hatte. Sie faßt sich in dem Be- 
kenntnis?) zusammen: „Ich habe mich überzeugt und 
bin durch gründliches Nachdenken zu der Einsicht ge- 
langt, daß ohne die Grundlage dieser Studien, mag man 
sie poetische oder humane nennen wollen, weder göttliche 
noch menschliche Dinge auf die rechte und erfolgreiche 
Weise behandelt werden können.“ Ein Aufenthalt in 
Wittenberg 1523 hatte ihn nicht tiefer unter den Einfluß 
Luthers gebracht. Wenigstens erklärte er bei seiner 
Bewerbung um die Professur für die griechische Sprache 
an der Heidelberger Universität gegen den Kurfürsten 
Ludwig V. von der Pfalz am 5. Dezember 1532: , Wo 
vielleicht, als ich besorg, in Ew. Churfürstl. Gnaden 
durch Mißgunst eingebildet wäre, daß ich der lutherischen 
Sekte anhängig sein sollte, geb’ ich diesen wahrhaftigen 
Bericht, daß mir solches ganz zu Unschulden zugemessen. 
Dann wo dem also, wäre ich bei einer ehrsamen Stadt 
Frankfurt, da ich ehrlich Unterhaltung gehabt, blieben 


1) Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f. 

2) Vgl. Steitz, Ebda. S. 216—256:.Dee Rector Micyllus 
Abgang von Frankfurt 1533 nach seinen bisher unermittelt. ge- 
bliebenen Ursachen dargestellt. Über Micyllus vgl.noch: J.Classen, 
Jacob Micyllus, Rector zu Frankfurt a. M. 1524—1533 und 
1537 —1547, als Schulmann, Dichter und Gelehrter. Zwei Abtei- 
lungen. Frankfurt a. M. 1858. 

3) In der Widmung seiner Ausgabe von Boccacios Genealogia 
Deorum (4. November 1531), bei Steitz 8. 226. 


231 


und wollte wohl bei Andern eine mehrer Besoldung er- 
langen mögen. Ich hab’ bisher mich der Theologie nichts 
unterzogen und mit keinerlei Secten umgangen, allein 
bonis litteris und meinem fürgenommenen Studio ange- 
hangen, wie ich auch fürder zu thun gedenke i).“ Für 
einen solchen wissenschaftlichen Betrieb hatte man aber 
in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre keinen Sinn, 
und ehemalige Mönche wie Melander, Algesheimer und 
Chomberg waren nicht die Leute, ihn zu pflanzen. Die 
anfangs freundlichen Beziehungen zwischen ihnen und 
dem Rektor erkalteten. Ihr demagogisches Auftreten 
war seiner Gelehrtennatur im höchsten Grade zuwider, 
und nach den stachelichten Versen zu schließen, die er 
ihnen gewidmet hat, waren auch die persönlichen Er- 
fahrungen, welche er mit ihnen machte, recht unerquick- 
lich. Als er sich dann enger an Cellarius anschloß, der 
ihm aus der Schule Melanchthons ein größeres inneres 
Verständnis für seiner Interessenkreis entgegenbrachte, 
wurde seine Stellung vollends unhaltbar. Es waren die 
Wege des Humanismus und der Reformation, die sich 
damals in Frankfurt schieden, um sich spüter unter 
günstigeren Umständen wieder zusammenzufinden. Die 
Prädikanten ‚‚verdächtigten seine Wissenschaft und 
seinen Unterricht als heidnisch und machten es ihm wohl 
unverhohlen zum Vorwurf, daß er durch die Einführung 
der Jugend in die antiken Religionen dem heidnischen 
Götzendienst der katholischen Tempel, der Messe und 
der Heiligen einen Halt gewähre; rie wußten die Bürger- 
schaft, die sie mit ihren demagogischen Künsten bear- 
beiteten und lenkten, gegen die Schule einzunehmen 
und wurden dadurch die Urheber ihres Verfalles; der 
Rat aber, der selbst dem Terrorismus des Dionysius 
keine Macht entgegenzustellen hatte, vermochte weder 
den Micyllus, noch die Schule zu schützen und mußte 
ihn zuletzt seinen Feinden opfern“ ). Mit Beginn des 


!) Bei Steitz 8. 252. 

3) Steitz, S. 227. — Als verfehlt erscheint mir der Versuch 
von Steitz S. 253, aus Micyllus einen Märtyrer des Luthertums 
zu machen, der den Anhängern Zwinglis habe weichen müssen. 


233 


Jahres 1533 siedelte Micyllus nach Heidelberg über, 
Damit schied der Humanismus als reformatorisches 
Prinzip endgültig aus der Frankfurter Kirchen- 
geschichte aus. 


5. Luther und die Frankfurter Kirche. 


Der Einfluß Luthers, den Cellarius vermittelt hatte, 
ging an dem Frankfurter Kirchenwesen nicht spurlos 
vorüber. Er zeigt sich in dem „Bedenken“, welches 
die vier Prädikanten am 3. März 1530 auf Veranlassung 
des Rates „einhellig“ vorlegten, und das von Cellarius 
verfaßt ist. Dieses , Bedenken", in welchem wir die 
älteste Frankfurter Kirchenordnung zu erblicken haben ), 
nimmt sich Luthers „Deutsche Messe zum Vorbild, 
läßt aber dabei das Nebeneinander des Wittenberger 
und des Schweizer Typus mit ziemlicher Deutlichkeit 
erkennen. Wie Luther, so wollen auch die Frankfurter 
aus ihrer Gottesdienstordnung kein Gesetz machen, das 
die Gewissen wie unter dem Papsttum verwirren könnte. 
Sie behalten je nach Zeit und Umständen Änderungen 
ausdrücklich vor. Auch die Benützung des Gottesdienstes 


Die konfessionelle Antithese, die Steitz zwischen M. und den Prädi- 
kanten machte, hält nicht Stich angesichts der oben mitgeteilten 
Erklärung des M., Frankfurt sei eine lutherische Stadt, in der er, 
falle Lutheraner, hätte bleiben können. Auch der Anschluß an 
Cellarius ist kein hinreichender Beweis für die lutherische Denk- 
weise des M. beide begegneten sich auf der gemeinsamen Basis 
des Humanismus. Unhistorisch und Silbenstecherei ist es, wenn 
Steitz meinte, M. habe sich nur zu einer lutherischen „Kirche“ 
als der „Kirche Christi selbst in ihrer gereinigten Gestalt‘, als der 
„Gemeinschaft des wahren Protestantismus“, aber nicht zu einer 
lutherischen „Sekte“ bekannt. Es ist eine Vorausdatierung einer 
sehr viel späteren Ausdrucksweise, sehon im Jahre 1532 eine solche 
luth. Kirche erwähnt finden zu wollen. Über den Sinn, welchen 
der Ausdruck „luth. Sekte“ in dem damaligen Frankfurt hatte, 
läßt das Tagebuch Königsteins keinen Zweifel: zu ihr gehören die 
kirchlichen Neuerer insgesamt. Ihnen will M. nicht zugezählt 
sein, gleichviel ob sie auf Wittenberg oder auf Zürich eingeschworen 
seien. Er ist nicht Theolog, sondern Humanist. 
1) Abgedruckt bei Ritter, Evang. Denckmahl 8. 195ff. Der 
Entwurf des Cellarius ebenda S. 199ff. 


233 


zur Belehrung der Jugend und des Volkes entspricht 
genz dem Wittenberger Muster, an das sie sich auch 
mit der Anmeldung zum Abendmahl anschließen. Und 
wenn die Einsetzungsworte aus den vier Berichten zu- 
sammengearbeitet sind, so geht das ebenso auf den 
Vorgang Luthers zurück, wie die Reihenfolge, in der 
die Kommunikanten am Altar erscheinen. Anderes 
dagegen ist stillschweigend aufgegeben, manches 
auch neu eingeführt. Meßgewänder, Altar und Lichter, 
die Luther nicht angetastet hatte, sind in der Frankfurter 
Ordnung nicht erwähnt. Für die Abendmahlsfeier sollen, 
„wie auch zuvor, unter dem Bapstthum, hie breuchlich 
gewest ist, lange Tische vor dem Chor aufgestellt werden. 
Auch wurde der Rat ersucht, er möge „etliche dapfere 
ansehliche Menner verordnen, die Got und dem hoch- 
würdigen Sacrament zu Ehren auf beiden Seiten des 
Tischs da stünden, Unordnung oder Unehr so sich be- 
geben möcht, zu verhüeten". Die Feier selbst wurde 
eingeleitet mit dem Gesang der zehn Gebote, unter dem 
der Tisch bereitet wurde; es folgte eine kurze Abend- 
mahlsvermahnung, die vor unwürdigem Genusse warnte, 
das Gebet, eine Paraphrase des Vater-Unser, wie bei 
Luther, und die Einsetzungsworte; die Distribution er- 
folgte unter Psalmengesang der Gemeinde; den Schluß 
bildeten Danksagung und Segen. Endlich lassen die 
Prediger durchblicken, daß ‚solch Nachtmal villeicht 
nit alle Sonntag gehalten würdet“ i), sie sind also nicht 
der lutherischen Meinung, daß zum rechten Gottesdienst 
die Abendmahlsfeier als integrierender Bestandteil ge- 
höre, weil er erst in ihr seinen Höhepunkt erreiche. In 
diesem wie in den übrigen Punkten nähert sich die Kirchen- 
ordnung in demselben Maße dem Schweizer Typus, wie 
sie sich von dem Wittenberger entfernt. Besonders deutlich 
zeigt sich die Abweichung von der lutherischen Weise 
auch in der Liturgie des sonntäglichen Hauptgottes- 
dienstes. Bei Luther verläuft der Gottesdienst, wie er 
ibn selber nennt, als eine „Deutsche Messe“ mit allen 


!) Seit 1533 wurde es alle drei Wochen gefeiert. Steitz, 
Hartmann Beyer S. 19. 


234 


Stücken desrömischen Kanons, soweit dieser nicht unevan- 
gelisch ist. In Frankfurt dagegen hat man sich eine 
ganz einfache Form neu geschaffen. Auf einen Psalm, 
den die Gemeinde zum Eingang sang, folgte ein Gebet 
mit kurzem Gesang, etwa: Nun bitten wir den heiligen 
Geist. Daran schloß sich eine biblische Lektion deutsch 
oder lateinisch an, und zwar am liebsten durch die Zög- 
linge der Lateinschule. Dann gab der Prädikant in einer 
halbstündigen Predigt Erklärung und Anwendung des 
Gelesenen und schloß mit der Kollekte, d. h. der Mahnung 
zur Wohltätigkeit. 

Die KompromiBarbiet konnte doch nicht alle Diffe- 
renzen beseitigen. Nicht nur die beiden Prediger in 
Sachsenhausen und an St. Peter widersprachen öffentlich. 
Cellarius selbst verließ nach ärgerlichen Auseinander- 
setzungen mit seinen Kollegen die Stadt. Es scheint, 
daß er dann in Wittenberg versucht hat, die Autorität 
Luthers gegen die Frankfurter in Bewegung zu setzen. 
Doch war er klug genug, andere Leute vorzuschieben, 
die auf der Rückreise von der Messe in Wittenberg an- 
kehrten und sich nun hier bei Luther darüber beklagten, 
daß man von den Frankfurter Kanzeln seine Lehre nicht 
zu hören bekomme. Vor allem reizten sie den Zorn 
Luthers gegen die Frankfurter Prediger, indem sie ihm 
zutrugen, diese hätten die Beichte verworfen und ver- 
spottet, und sie predigten vom hl. Sakrament „auf Zwing- 
lische Weise, doch unter dem Schein und mit solchen 
Worten, als solt es gar gleich und Ein Ding sein mit 
unser und unser Gleichen Lehre“. 

Luther richtete daraufhin gegen Ende des Jahres 1532 

e „Warnungsschrift an die zu Frankfurt am Mayn, 
sich vor Zwinglischer Lehre zu hüten‘), in der er klar- 
stellte, daß die dort übliche Formel, „es sei Christi Leib 
und Blut wahrhaftig gegenwärtig im Sacrament“, sich 
mit seiner Lehre noch nicht decke, solange die heimliche 
Glosse und Verstand der sei: „daß der wahrhaftige Leib 
und Blut Christi sei wohl gegenwärtig im Sakrament, 


1) Erlg. Ausg. 26, 370ff. Vgl. Steitz, Abhandlungen S. 257ff. 


235 


aber doch nur geistlich, und nicht leiblich; wird auch allein 
im Herzen mit dem Glauben empfangen, und nicht leib- 
lich mit dem Munde, welcher empfähet eitel Brot und 
Wein“, wie Zwingli mit dürren Worten gelehrt habe. 
Er fand es ein doppelzüngiges Spiel, wenn man sich 
auf eine Formel einigte, unter der sich jeder Teil denken 
konnte, was er für richtig hielt. Er konnte sich das nur 
so erklären, daß etliche gesehen hätten, ‚daß der Karren 
zu fern und tief in Schlamm geführet ist, und nicht mehr 
lauten will ihr voriges Geschrei von eitel Brot und Wein 
im Sacrament“. Er verwirft die Fides implicita, die sich 
darauf zurückzieht zu sagen: „Ei, es ist genug, daB du 
gläubest: den Leib, den Christus meinet"; denn das 
heißt ihm nicht Urkund gegeben der Hoffnung, so in 
uns ist (1. Petr. 3, 15); im Gegenteil: „Das wäre mir 
eine lóbliche Kirche in den Säustall gebauet!“ Und so 
schließt er diesen Teil seines offenen Briefes mit den 
zornigen Worten: , Türken und Jüden sind viel besser, 
die unser Sacrament leugnen und frei bekennen; denn 
damit bleiben wir unbetrogen von ihnen und fallen in 
keine Abgótterei. Aber diese Gesellen mußten die rechten 
hohe Erzteufel sein, die mir eitel Brot und Wein geben, 
und ließen mich's halten fur den Leib und Blut Christi, 
und so jàmmerlich betrógen. Das wäre zu heiß und zu 
hart, da wird Gott zuschmeißen in Kurzen. Darumb, 
wer solche Prediger hat, oder sich del zu ihnen versieht, 
der sei gewarnet fur ihnen, als fur dem leibhaftigen Teufel 
selbs. 

Da Luther außer über das Abendmahl auch noch 
um Rat gefragt worden war, wie sich die guten, frommen 
Herzen in der Beichte halten sollten, „weil ihre Prediger 
dieselbigen ganz verdammen und verspotten“, so ver- 
breitete er sich in dem zweiten Teile seines Sendschreibens 
auch noch über diese Frage. Die Beichte besteht ihm 
aus Sündenbekenntnis und Absolution. Das Sünden- 
bekenntnis, das er nicht mit der erzwungenen Ohren- 
beichte verwechselt wissen will, erstreckt sich auf die Sünden, 
die das Beichtkind am meisten drücken. Es wird aber 
nicht von den Verständigen gefordert, die wohl wissen, 


236 


was Sünde ist, sondern von dem Pöbel und der Jugend, 
die wenig aus der Predigt lernen!). Und die sollen in der 
Beichte nicht nur nach ihren Sünden gefragt werden, 
sondern auch nach den Hauptstücken des Katechismus. 
Vor allem vor der Feier des hl. Abendmahls ist das nötig, 
denn es ist nicht gleichgültig, wen man zu dieser Feier zu- 
läßt, nur „wo die Prediger eitel Brot und Wein reichen 
fur das Sacrament, da liegt nicht viel an, wem sie es 
reichen, oder was die können und gläuben, die es empfahen. 
Da frißt eine Sau mit der andern, und sind solcher Mühe 
billig uberhaben, denn sie wöllen wüste, tolle Heiligen 
haben, denken auch keine Christen zu erziehen, sondern 
wöllen’s also machen, daß uber drei Jahr alles verstöret 
sei, weder Gott, noch Christus noch Sacrament, noch 
Christen mehr bleibe." Von dem Werte der Beichte 
ist Luther tief durchdrungen. Ihre Gegner sind ihm 
„der Teufel und seine Apostel“. Er will sie sich aber nicht 
nehmen lassen. „Wer sie fur sich nicht will haben, der 
laß sie gehen, doch soll er sie darumb uns und andern 
Frommen (die ihr benöthigt, und ihren Nutzen verstehen) 
nicht nehmen noch vernichten. Es heißt: Qui ignorat, 
ignoret. Wenn tausend und abertausend Welt mein 
wäre, so wollt ichs alles lieber verlieren, denn ich wollt 
dieser Bejicht?) das geringste Stücklin eines aus der 
Kirchen kommen lassen. Ja lieber sollt mir sein des 


1) Dem stimmte Bucer zu in seinem Brief an den Landgrafen 
Philipp von Hessen vom 25. Februar 1545. Bei Lenz II, 296. 

2) Luther rechtfertigt diese Schreibweise mit der Etymologie 
und folgert aus ihr, daß die Beichte auch ein Glaubensbekenntnis 
in sich schließe: „Bejichten heißt bekennen, wie auch im Gericht 
das Wort noch in Übung ist: Urjicht; und man sagt: das jicht er, 
das hat er bejicht usw. Und sind zwei unterschiedlich j in dem 
Wort Bejicht, welches mit der Zeit ist in Ein i verwandelt, und 
durch Mißbrauch „Beicht“, als mit Einem i' geschrieben und geredt, 
wie viel andere alte deutsche Wörter also verderbet sind. Da- 
rumb soll ein Bejichter oder Bekenner nicht alleine Sunde wissen 
zu erzählen, sondern auch daher aufsagen, was er vom Glauben 
und Christo gelernt hat, und was dawider gethan heiße, auf das sie 
solchs fur den Eltern, Schulmeistern, Pfarrherrn also gewohnen zu 
bejichten, und wo es not sein würde, such fur dem Richter bejichten 
und darüber sterben künnten. 


237 


Papstthumbs Tyrannei von Fasten, Feirn, Kleidern, 
Stätten, Plappen, Kappen, und was ich kunnt ohn Ver- 
sehrung des Glaubens tragen, denn daß die Bejicht sollt 
von den Christen genommen werden. Denn sie ist der 
Christen erste, nöthigste und nützlichste Schule, darin 
sie lernen Gottes Wort und ihren Glauben verstehen und 
uben; welchs sie nicht so gewaltig thun in Öffentlichen 
Lectionen und Predigten. Das andere Stück der Beichte, 
die Absolution, ,,die der Priester spricht an Gottes Statt“, 
ist „nichts anders denn Gottes Wort, damit er unser Herz 
tróstet und stürket wider das bóse Gewissen, und wir 
sollen ihr gläuben und trauen, als Gott selber". Luther 
läßt hier nur die Wahl: „Wer so blind ist, daß er solches 
nicht siehet, oder so taub ist, daß ers nicht höret, der 
weiß freilich nicht, was Gottes Wort und christlicher 
Glaube und Trost sei; was kann er denn Guts lehren? 
Siehet ere aber und hórete, und verdampt also wissentlich 
die Bejicht in diesem Stücke, so ist er ein lauter Teufel 
und kein Mensch, als der sich wissentlich wider Gott 
setzt, und wehret, daß man Gottes Wort den Leuten 
nicht soll sagen, noch die Herzen trösten, und im Glauben 
stärken; der mag billig Gottes und aller Menschen Feind 
gehalten werden, sonderlich der heiligen Christenheit. 
Und wo solche Prediger sind, da mügen sich wahrhaftig 
alle fromme Christen fur ihnen hüten, als fur den leib- 
haftigen Teufeln." Luther sagt auch, warum ihm dieses 
Stück ao wichtig ist, und warum er es für unentbehrlich 
auch für die gelehrtesten und heiligsten Leute hält. Er 
denkt an den Trost, den er selber je und je aus der Ab- 
solution geschöpft hat. „Umb dieses Stücks willen“, 
bekennt er, „brauch ich der Bejicht am allermeisten, 
und will und kann ihr nicht empehren; denn sie mir 
oft und noch täglich großen Trost gibt, wenn ich betrübt 
und bekömmert bin.“ Nach diesen Darlegungen blieb 
ihm nur noch übrig, sich zu dem Anstoße zu äußern, 
den man in Frankfurt daran genommen haben sollte, 
daß die Kinder im Katechismus angewiesen wurden, 
den Beichtvater: , Würdiger Herr!“ anzureden. Er ist 
an sich geneigt, statt dessen die Anrede: „Lieber Herr“ 


238 


oder: „Lieber Vater“ zuzulassen. Aber auch hier meint er 
den Pferdefuß zu sehen. Denn die weltliche Zucht fordert, 
daß die Jugend und der Pöbel die Alten und die Lehrer 
ehrt. „Aber weil die Schwärmer solch nöthige Zucht 
verspotten, kann man wohl merken, daß ihr hoher Geist 
nichts anders ist, denn ein boshafter, fursetziger Haß 
und Neid, nicht allein wider unser Lehre und Gottes 
Wort, sondern auch wider alle weltliche Zucht und Ehre. 
Die Aufruhr stinkt ihn zum Halse heraus, und wollten 
gern alles gleich und kein Unterscheid leiden, doch sofern, 
daß sie allein zuletzt Wirdige Herrn heißen, und sonst 
niemand; wie Münzer wollt alle Herrn tödten, und allein 
Herr sein." Weil er also den Schalk hervorlugen sieht, 
deshalb sollen Rat und Gemeine dem treugesinnten 
Warner seinen Rat zugute halten. „Habt das Spiel in 
guter Acht, und steckt die Augen nicht in Beutel, damit 
nicbt solche Prediger bei euch sein, noch zu euch kommen; 
der Teufel ist ein Schalk.'' 

Um den Frankfurtern zu zeigen, was ihnen bevor- 
stehe, legte er dann noch eine Copie seines Briefes an 
die Gemeinde zu Mühlhausen vom Jahre 1524 bei. Dann 
schloß er: „Ich weissage nicht gerne, und ahnet mir 
doch nichts Guts in meinem Herzen von den frechen 
Geistern, denn sie haben auch bisher nichts Gvte, sondern 
viel Böses geschafft. Gott steure ihnen, und bewahre 
euch und alle fromme Herzen in seinem reinen Wort 
und rechten Glauben, in Christo unserm Herrn; dem 
sei Lob und Ehre in Ewigkeit, Amen.“ 

Noch ehe dieses Schreiben förmlich an den Rat 
gelangte (13. Februar 1533), erhielten die Prüdikanten 
von seinem Inhalte Kenntnis und ließen es sich alsbald 
angelegen sein, sich von den Beschuldigungen zu reinigen, 
die darin gegen sie erhoben waren. Auf ihr Betreiben 
bestätigte ihnen der Rat am 28. Februar mit Brief und 
Siegel ihre Unschuld, „daß sie . . . das Wort Gottes lauter, 
wohl und recht, und nit aufrührisch gepredigt noch ge- 
lebt haben, wie dann bis heut dato ihrer Predig halben 
in unser Stadt kein Uffruhrerschienen, noch entstanden ist !). 


1) Bei Steitz, Abhandlungen usw. 8. 263. 


239 


In der Verteidigungsschrift, welche sie sodann am 
1. Mürz einreichten !), waren sie insofern in einer günstigen 
Lage, als Luther von seinen Gewährsmännern nicht 
durchweg recht berichtet worden war. Hatte er selber 
in seiner Warnungsschrift zugestanden, er kenne die 
Personen, welche aus den Reden der Frankfurter Prediger 
nicht klug geworden sein wollten, nicht einmal dem 
Namen nach, so forderten diese nun ihre Ankläger auf, 
mit ihren Fragen und Klagen ans Licht zu treten, damit 
sie nach der von Luther angezogenen Schriftstelle sich 
vor ihnen verantworten oder von ihnen eines Besseren 
belehren lassen könnten. Nach Wittenberg aber zielte 
die Bemerkung, es sei „nit allweg gut zu glauben, was 
gesagt wird, dann leider viel unnützer Schwätzer in der 
Welt seind, die mit Unwahrheit gern Unfrieden wöllten 
anrichten. Der Herre wehre ihnen, bessere sie und ver- 
gebs ihnen, dann wir anderst gelehrt haben, dann für- 
bracht ist worden. Hatte sich Luther darüber beklagt, 
daß man in Frankfurt seine Lehre in vielen Stücken 
verspotte und verwerfe, so warnten die Beklagten die 
Verbreiter solcher Reden, sie möchten wohl zusehen, 
wie sie das vor Gott verantworten könnten. Und hatte 
er vor ihnen gewarnt, weil sich niemand darauf verlassen 
dürfe, von ihnen seine Lehre zu hören, so war ihre Ant- 
wort gut biblisch: „Wir predigen Christum, den Gekreu- 
zigten. — Die Schäflein Christi hören die Stimme Christi; 
predigen wir Christum nit, oder ein Engel vom Himmel 
oder ein Mensch uff Erden, soll man's nit annehmen.“ 

Zu der Abendsmahlslehre übergehend, beriefen sich 
die Prädikanten einfach auf die Bibel. Sie hätten nach 
den Einsetzungsworten gelehrt, wie das der Gemeine 
Gottes am heilsamsten sei, daß der Herr seinen Jüngern 
in diesem Sakrament seinen wahren Leib und wahres 
Blut wahrlich zu essen und zu trinken gebe zur Speise 
ihrer Seelen und ewigem Leben, daß sie in ihm und er 
in ihnen bleibe. Dabei hätten sie mit allem Fleiß das 


1) Abgedruckt in F. R. II Beil. 10 8.23ff. Ritter, Ev. Denck- 
mahl 8. 203ff. Luthers Werke, Erlg. Ausg.’ 26, 389ff. 


240 


Volk von allem Zank und unnötigen und fürwitzigen 
Disputieren zu dem, was nützlich und von dem Herrn 
Christus allein gemeint sei, gewiesen. Daraus ergebe 
sich für jedermann, daß sie gar nicht gelehrt hätten, 
in dem Sakrament sei eitel Brot und Wein. Sie hätten 
auch weder Karren noch Wagen zu fern und tief in den 
Schlamm geführt, sondern nur dringend gemahnt, bei 
den Worten des Herrn in einfältigem Glauben und ohne 
Zweifel zu bleiben. Auch müßten sie es ablehnen, daß 
man ihnen eine andere Meinung, Glosse oder Verstand 
unterschiebe. Es sei ihr Sinn und Meinung nie gewesen, 
der christlichen Gemeine den teueren Schatz der wahren 
Gegenwart Christi im Abendmahl zu nehmen. Damit 
die Gläubigen diesen Schatz recht und wahrlich zugegen 
und in sich hätten, wiesen sie sie vor allem zu dem einigen 
Heiland Christus im wahren Glauben, ohne den doch 
Wort und Sakrament und alles Reden und Tun der Diener 
vergeblich sei. 

Bei dem anderen Anklagepunkt, sie verdammten 
und verspotteten die Beichte, konnten sich die Prädikanten 
auf die Rechtfertigung beziehen, die sie bereits sieben 
Jahre früher gegen eine ähnliche Beschwerde des Erz- 
bischofs von Mainz bei dem Rate eingereicht hatten!). 
Sie unterließen aber auch nicht, auf das zu verweisen, was 
sie in ihren Predigten immer wieder von üer Beichte 
gesagt, und was die Gewährsmänner Luthers da von 
ihnen ganz klar hätten hören können: , Wahre und gött- 
liche Beicht der Sünden ist von uns nit verdampt, wir 
. haben aber gelehrt, sie mög von niemand geleistet werden, 
dann welichen seine Reu uber die Sünd und Forcht 
göttlichs Zorns darzu treibt, derhalb ee nit müglich ist, 
solche mit Geboten zu fordern, darumb sie dann weder 
der Herr selb noch die Apostel geboten haben; lehren 
auch, daß nit eben dem Priester geschehen muB, durch 
welches Wort man gemeinlich die päpstischen Pfaffen 
versteht; sunder wer Rath, Trost oder Unterweisung 
bedarf und begehret, der such einen recht christlichen, 


1) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denckmahl 8. 183ff. 


241 


vesständigen Mann an, der rathen, trösten, lehren und 
ermahnen kann, so wird derselbig, er sei ein Prediger 
oder sunst einer in Gottes Wort verständig, ihm aus der 
Schrift den rechten Arzt, der allein unsere Sünd hin- 
nimpt, anzeigen, Rat, Trost und dergleichen treulich 
mittheilen“. Mit tiefem Ernst weisen sie in diesem Zu- 
sammenhang den Vorwurf zurück, als handelten sie so, 
daB über drei Jahre alles zerstört sei und weder Gott 
noch Christus, Sakrament noch Christen bleibe. „Da 
behüt uns Gott vor! Dann wir darüber Rechenschaft 
vor dem Richterstuhl Jesu Christi geben müften, ja es 
würde Gott das Blut derjenigen, so unserer Verssumnuß 
halben verdürben, von unseren Hünden forderen. Darumb 
begehren wir, bezeugen das mit Jesu Christo unserem 
Herrn, dem Richter der Lebendigen und Todten, daß 
die Jugend und der gemein Mann zu christlicher Zuch$ 
und Verstand erzogen werden, wóllen auch nit wüste, 
tolle Heiligen haben, denken aber Christen zu erziehen, 
soviel uns Gott Gnad verleihet und aus Christus Kirchen 
keinen Säustall machen, wöllen auch niemands zum 
Sacrament wie die Sáu zum Trog lassen laufen, habens 
auch nie gethan.“ Deß zum Zeugnis schildern sie dann 
im einzelnen, wie sie darauf bedacht seien, daB in allen 
Stücken also gehandelt werde, daß es Gott wohlgefüllig 
und den Menschen besserlich sei. 

Den Vorwurf endlich, daß sie Aufrührer seien, über- 
lieBen sie dem Herzenskündiger zu beurteilen; vor der 
Öffentlichkeit aber glaubten sie von sich bezeugen zu 
dürfen: , Wir haben, Gott sei Lob! zu Franckfurt kein 
Aufruhr gesehen, zu Aufruhr nicht gepredigt, aber mit 
allem Fleiß und Treuen gelehrt und ermahnt zu der 
Gehorsame Gottes und seines Worts, auch der Oberkeit, 
die von Gott verordnet ist." Nur Eines lag ihnen zum 
Schlusse noch am Herzen: „Das begehren wir von Herzen 
mit allen Auserwählten Gottes, daß er uns in der reinen 
Lehre seines Worts wölle erhalten zu seiner Ehre, Er- 
haltung christlicher Zucht und Gehorsame der Oberkeit, 
und wölle uns gnädiglich behüten vor falschen, ver- 
kehrten Lehren, auch Schleichern und heimlichen, wider 


Archiv far Beformationsgeschlichte, XIX. 5/4. 16 


243 


Verbot der Oberkeit Winkelpredigern!), hoffen wir zu 
Gott durch Jesum Christum, er werd unser Vater sein 
und uns, seine Kinder, hie uff Erden nit verlassen.'' 
Man wird dieser „Entschuldigung der Prediger zu 
Frankfurt a. M. auf Luthers Sendbrief'^die Anerkennung 
nicht versagen können, daß sie geschickt abgefaßt ist 
und ruhig und würdig auf die teilweise recht leidenschaft- 
lichen Angriffe antwortet, welche Luther gegen ihre 
Unterzeichner erhoben hatte. Ihr Inhalt ist freilich 
keineswegs lutherisch, auch wenn ihn dogmatische Be- 
fangenheit im 18. Jahrhundert dafür hat ausgeben wollen 3). 
I:uther selber, der ihn unerwidert ließ, hat sich doch im 
Kreise seiner Freunde sehr abfällig über ihn geäußert. 
Als ihn Cellarius, der inzwischen die Pfarrstelle in Bautzen 
übernommen hatte, Anfang Mai aufsuchte und ihm viel 
von seinen Frankfurtern erzühlte, die zwar geantwortet, 
aber nicht offen Farbe bekannt hätten (,ihr andtwortt 
wer mum mum, — ein Ausdruck, dessen sich Luther 
in seiner Schrift gegen sie bedient hatte), gab er zur Ant- 
wort: „Es ist ia war, synceriter non responderunt, solche 
vertzweiffelte buben sint sie, das sie nicht dürffen be- 
kennen, was sie glauben, sunt plane Erasmici et amphi- 
bolici®). Richtig hat bereits Steitz*) erkannt, daB die 
Abendsmahlslehre, zu welcher sich die Frankfurter Prädi- 


1) Damit zahlten die Frankfurter ihrem früheren Kollegen 
den Vorwurf heim, sie lehnten sich gegen die öffentliche Ordnung . 
auf. Cellarius hatte nämlich, nachdem er sein Amt an der Peters. 
kirche hatte aufgeben müssen, bei den Konventualinnen des 
Katharinenklosters die pfarramtlichen Funktionen vollzogen, so 
daß die Stadtprediger am 29. August 1532 bei dem Rate Beschwerde 
führten, daß Meister Johann Cellarius heimlich und in Winkeln 
predige. Vgl. Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f. 

3) Ritter, Ev. Denckmahl S. 211. — K. Gesch. S. 33f. 

3) Bindseil, D. Martini Lutheri Colloquia, Meditationes, 
Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae 
II, 36. De Luther in der unmittelbaren Fortsetzung dieser Tisch- 
rede auf Bucer zu reden kommt, so hat, er vielleicht auf ihn als den 
Mentor der Frankfurter geraten. Daß sein Urteil über die Frank- 
furter auch sonst nicht günstig war, ergibt sich aus Wrampelmeyer 
Nr. 1134 S. 297 und Nr. 1684 8. 462. 

) Steitz, Hartmann Beyer S. 17f. 


243 


kanten in ihrer Rechtfertigungsschrift bekannten, in 
Form und Inhalt sich kaum von derjenigen der Tetra- 
politana unterscheidet, in der es heißt: Cum hanc coenam, 
ut ipse instituit, repetunt, verum suum corpus verumque 
sanguinem, vere edendum et bibendum in cibum potumque 
animarum, quo illae in aeternam vitam alantur, dare 


per Sacramenta dignatur. 

Wie diese Übereinstimmung sich erklürt, wird sofort 
deutlich, wenn wir erfahren, daß der Verfasser der „Ent- 
schuldigung kein anderer als Martin Bucer!) ist, der 
offenbar an diese Schrift dachte, als er nicht viel spüter 
dem Landgrafen Philipp von Hessen meldete, daB zu 
den Ständen, die er für seinen Unionsplan gewonnen habe, 


auch Frankfurt gehóre?). 

Geht man den Tatsachen auf den Grund, die Luther 
veranlaßten, von einem Aufruhr in Frankfurt zu reden, 
so ergibt sich eine drohende und gewalttätige Haltung, 
die die Massen gegen die Kanoniker einnahmen, indem 
sie ihnen den Chor sperrten und auf dem Wege zur Kirche 
ihnen durch Steinwürfe zu verstehen gaben, sie brauchten 


1) Baum, Capito und Butzer. 8. 595. Das Original von 
Bucers Hand (im Archiv ru St. Thomas in Straßburg) trug den 
Titel: „Eyn Bericht was zu Frankfort am Meyn von christlicher 
Religion vnd in sonders vom heyligen Sacrament des leybs vnd 
bluts Christi gelert vnd geprediget, mit warhaffter verantwortung 
des so die Prediger doselbet vor D. M. Luther in seinem Brief an 
Ein Erb. Rath vnd gemeyn der stadt Frankfort vngütlich be- 
schuldigt seynd." Auch später kam Bucer — in einem speziellen 
Punkte zustimmend — auf den Brief Luthers zurück. Vgl. Lenz II, 
296. Woher die Beziehungen Bucers zu den Frankfurter Prädi- 
kanten stammen, wissen wir nicht. Steitz, Abhandlungen usw. 
S. 177 hat an das Marburger Religionsgespräch gedacht. Ebensogut 
kónnen sie aber auch durch die genaue Fühlung vermittelt sein, 
die Frankfurt nach Ritter, Ev. Denckmahl S. 216 mit Straßburg 
unterhielt. Durch die Schrift Luthers fühlten sich übrigens auch die 
Schweizer beschwert und wollten ihrem alten Wittenberger Gegner 
scharf antworten. Doch hielt sie Bucer, der im Mai 1533 in Zürich 
weilte, von der Ausführung dieses Vorhabens zurück, das seinen 
Unionsplänen natürlich sehr hinderlich geworden wäre. Secken- 
dorf, comm. III Sect. 7 ; 23. (Scalig, Hist. der Augsb. Conf. I, 
414 schreibt dieses Verdienst Capito zu). 

3) Lenz I, 34. 

16° 


241 


keine Meese mehr zu lesen, Diese Vorgünge, die indessen 
zu keiner Auflehnung gegen den Rat führten, bewirkten, 
daB am 23. April 1533 der ganze katholische Gottesdienst 
in der Stadt eingestellt werden mußte. Den Anhängern 
des Alten wurde sogar verboten, auswärts den römischen 
Gottesdienst zu besuchen oder ihre Kinder auswärts 
taufen zu lassen. Auch ein Brief, in welchem sich Cochläus 
am 8. Juli von Dresden aus bei dem Rate für seine Glaubens- 
genossen verwendete!) konnte an der einmal getroffenen 
Entecheidung nichts mehr ündern. Die einzige Erleichte- 
rung, die sich mit der Zeit ergab, bestand in einer ge- 
wissen Nachsicht gegen auswürtige Taufen. 

Fragen wir an diesem ersten Abschnitte der Frank- 
furter Reformationsgeschichte, welchen Charakter der 
Bekenntnisstand der Stadt trug, so finden wir, daß noch 
alles stark im Flusse war. Man ließ sich an der allgemeinen 
Bestimmung, daß „das Evangelium“ gepredigt werden 
solle, genügen. Einer bekenntnismäßigen Formulierung 
dieses Evangeliums war man noch nicht näher getreten. 
Die Augustana hatte man nicht unterzeichnet. Mit der 
Lehre Zwinglis wollte man nichts zu schaffen haben. 
. Aber auch Luther gegenüber wahrte man die eigene 
Selbständigkeit. Die Kirchenordnung von 1530 zeigte, 
daß man das Gute nahm, wo man es fand, ohne viel nach 
Namen und Autoritäten zu fragen. Es war ein Unions- 
typus im Entstehen begriffen, wie er sich besonders 
charakteristisch in Straßburg ausgebildet hat. Dieser 
Unionstypus hat sich in der Folge weiter ausgebildet, 
und es sind vor allem die Straßburger Theologen ge- 
wesen, die dabei als Führer und Berater ihre Dienste 

Zweiter Teil. 
Bis zur Entstehung der Fremdengemeinden. 


1. Die „Ermahnung“ Capitos von 1536. 
Die Beziehungen zwischen Frankfurt und StraBburg 
welche wir bei der Auseinandersetzung mit Luther zum 
ersten Male nachweisen kónnen, setzten sich in der Folge 


1) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denckmahl S. 178ff. Genaueres 
über diese Vorgänge bei Dechent I, 139ff. 


245 


fort, und unter ihrem Einflusse gewann in der Stadt 
jener oberdeuteche Unionstypus, wie er uns bereite in 
der Kirchenordnung von 1530 entgegengetreten ist, 
festere Gestalt. 

Den Anlaß zum Ausbau der Straßburger Beziehungen 
bot zunächst Melander!) Dieser eiferte am Sonntag 
Kantate 1534 auf der Kanzel gegen die Bilder in der Kirche 
und wollte dieselben durchaus abgeschafft wissen. Hier- 
über wie auch über einige Zeremonien geriet er in Streit 
mit seinen, Kollegen, in dessen Verlauf der hitzige, um 
die Reformation in der Stadt hochverdiente Mann seinen 
Rücktritt vom Amte erklärte. Zu diesen Differenzen 
kam noch der Anstoß, den er durch einen ärgerlichen 
Ehehandel gab. Der Rat wandte sich, um Frieden und 
Ordnung zu stiften, durch Vermittlung Butzers, der seit 
Ende 1534 vorübergehend in Tübingen weilte, wo er mit 
Ambrosius Blaurer aus Konstanz und Simon Grynäus 
aus Basel an der Ordnung des württembergischen Kirchen- 
wesens und der Beilegung dogmatischer Streitigkeiten 
arbeitete?), nach Straßburg und bat um Sendung eines 
gelehrten Geistlichen, etwa Hedios oder Capitos. Die 
Straßburger warteten daraufhin zunächst die Rückkehr 
Butzers ab, der über den Jahreswechsel auf der Heim- 
reise von Kassel sich in Frankfurt aufgehalten und hier 
mit den Predigern und dem Rate über die Wiederzu- 
lassung der Messe im Dom verhandelt hatte?), und schickten 
dann Capito, der am 25. Februar 1535 in Frankfurt 
eintrafundalsbald versuchte, denStreitgütlich zu schlichten, 
was freilich bei dem schwierigen Charakter Melanders 
nur teilweise gelang. 

Über seine Bemühungen unterrichtet uns seine 
„Ermahnung an den Rat‘), in welcher er zur Schaffung 
fester kirchlicher Verhältnisse folgende vier Artikel emp- 
fahl: „Zum ersten daß der Predicanten Unruwe und 


1) Vgl. K. Gesch. 8. 35. 

2) Baum, Capito und Butzer. 8. 499. 

3) Baum, S. 501. 

) Bei Ritter S. 329ff.: D. Wolffgang Capitonis an ein Ehr- 
bern Rath zu Franckfurth beschehene Ermahnung. 


246 


Beschwerd würd gar hingelegt. Zum andern die daß 
Ursachen bekant weren, so ain Ehrsamen Rath für Par- 
theiung in Burgerlicher Handlung verhüten mogen, 
obschon der Religion halben ein Mißverständnüß ver- 
handen. Zum dritten daß Seniores Ecclesiae, Ältere 
der Kirchen und andere Ordinantzen die Geistlich-HauB- 
haltung belangend angericht wurden. Zum vierten daß 
statlich Schulen aufgericht und geschickte Franckfurter 
Kind zur Lere fürnemlich zur heiligen Schrifft auferzogen 
wurden.“ 

Der. Standpunkt Capitos ist der der Tetrapolitana, 
auf die er sich in seinem zweiten Artikel ausdrücklich 
bezieht. In Übereinstimmung mit ihr erklärt er: „Die 
Sach und Sacrament Handlung ist ainerley, aber die 
Gmüter sein verwirret.‘‘ Schon hier kommt der Streit- 
punkt zum Vorschein, um den sich dann später die Aus- 
einandersetzungen mit den Fremdengemeinden vor allem 
und immer wieder bewegt haben, die Ubiquitätslehre: 
„Die so man Luthers heist“, gibt der Straßburger Berater 
zu erwägen, „haben zu bedencken daß nyemant vnter 
der Sunnen ist der offentlich sage, daß niehts den Brod 
vnd Wein im Nachtmal sei, vnd daß es lere Zaichen 
seien, sonder wo die Kirche ist, da ist Christus welcher 
dureh Wort und Sacrament oder Zaichen dem Glaubigen 
Gwissen im Dienst der Kirchen dargereicht wird, dann 
allein ist widderfochten die Localis Presencis raumliche 
Gegenwartigkeit und natürliche Vereinigung des Leibe 
Christi mit dem Creaturischen Brot." Die Zwinglianer, 
die ‚sich achten inn hohern Verstand kommen sein, 
die sollen die vberigen so noch an Ceremonien oder Ele- 
menten etwas hangen mögten, als die Geringern nicht 
verachten, wofür das Bedenken an Röm. 14 erinnert. 
Zwei leitende Gesichtspunkte weist Cápito auf: der christ- 
lichen Gemeinde Besserung und sodann der Stadt Ehre 
und Nutzen. Und hier ist es, wo am Horizont die Idee 
eines paritätischen Staates heraufzieht, und zwar nicht 
wie in späterer Zeit als Forderung und Ideal der Unter- 
drückten und Verfolgten, sondern als wirkliche Toleranz 
auf dem Boden des gleichen Gemeinwesens: , Wo auch 


247 


dergleichen Zertailung bey E. E. W. were, so wolle jeder 
den andern für ain frommen Franckfurter achten ob 
Ire schon nit alle ain an der für fromme Christen und 
Gottverstündigen halten mögen, das ist von nöten.“ 
Schon diese Anschauungen Capitos sind von den- 
jenigen Luthers erheblich verschieden. In besonders 
charakteristischer Weise kommt sein abweichender Stand- 
punkt aber in dem dritten Artikel!) „von Eltern. der 
Kirchen vnd Kirchen-Ordinantzen zum Ausdruck. Hier 
kennzeichnet sich die Straßburger Haltung, die, vom 
Täufertum beeinflußt, später durch Calvin diejenige der 
reformierten Kirche geworden ist, zunächst dadurch, 
daß ihm zufolge das geistliche Regiment die Gewissen 
erbaut nicht nur durch Wort und Sakrament, sondern 
auch durcb ,,Brüderliche Straf und dergleichen“, während 
die Augustana von einer Kirchenzucht nichts weiß. 
Doch will Capito der Zucht ihre Grenzen ziehen. Sie 
soll wirklich eine Zurechtweisung mit sanftmütigem 
Geiste sein, nach der Regel Pauli Gal. 6. Der Bann soll 
nur mit Genehmigung des Rates von der Kanzel aus über 
ein Gemeindeglied verhängt werden, wenn die durch 
Matth. 18 vorgezeichneten Wege nicht zum Ziele geführt 
haben. Im übrigen soll man das Urteil über die Menschen 
Gott überlassen und allewege das Beste von ihnen erhoffen, 
wegen zeitlicher Strafen aber sich an die Obrigkeit wenden. 
Sodann offenbart sich der Unterschied von Luther durch 
das Bekenntnis zum Gemeindeprinzip. Dem zeitlichen 
Regiment steht nur, die euserliche Regierung der Kirchen“ 
. zu, und auch diese nur, „so es ein glaubigliches Volck 
ist". Das geistliche Regiment aber ist „,bei der Kirchen, 
und nicht allein bei den Dienern der Kirchen, viel weniger 
bei der zeitlichen Obrigkeit“; die Berufung an die &xxAnala, 
wie sie Matth. 18 vorgesehen ist, muß auch bei uns statt- 
haben können. Als Organe der Gemeinde genügen Capito 
auch die Kasten-Herren?) nicht, denen die Armenpflege 


3) Abgedruckt bei Richter, Gesch. der ev. Kirchenverfaesung 
in Deutschland, 8. 159—166. 
3) Über die Neuordnung des Almosenkastens seit 1530 vgl. 
Dechent S. 182. 


248 


oblag. Er will vielmehr fromme, ernste, eifrige und be- 
scheidene Männer zu Ältesten des Volks und Verwesern 
der Kirche aufgestellt wissen, wofür ihm als Vorbild 
übrigens nicht die Ordnung der Pastoralbriefe, sondern 
die mosaische dient. Drei dieser Ältesten sollen vom Rat, 
wenigstens sechs von der Gemeinde erwählt werden, 
und zwar in einem Turnus, daß keiner über drei Jahre 
bleibt. Diese Ältesten mit den Dienern am Evangelio 
und den Diakonen samt anderen Ämtern „sein die Kirch“, 
die sich also — ein ganz moderner Gedanke — wesent- 
lich als Arbeitegemeinschaft darstellt. Für notwendig 
werden die Ältesten, die mit den Dienern zu verwalten 
haben, was der Kirche gebührt, namentlich deshalb 
erklärt, weil ohne ihre Aufsicht die Prediger, wie man 
z. T. schon in der Stadt beklagt hat, sich dünken ließen, 
über und wider alle Gewalt der Erde gesetzt zu sein. 
Capito schlägt nun vor, in der Frankfurter Kirche, „, der 
Diener vnd Ältern halb diese Ordnung vngefehrlich an- 
zurichten, daß die Pfarrer vnd Prediger inn der Stadt 
vnd nächst-gelegenen Dörffern alle 14. Tage oder ehe 
jederzeit Gelegenheit nach zusamen kemen, vnd drey 
Älter zu inen, also daß in der vierten Versamlung an jedes 
stat ein newer anging, vnd mit ine inn solche Ordnung 
bracht werde, daB allweg zween fürhanden, die auch 
bei nechster Versamblung gewesen; oder möchte die 
Veränderung der Person weiter erstreckt werden, vieleicht 
auf ain virthail Jars, oder wie Euch jederzeit Erfarung 
leren wird.“ Diese Kirchenversammlung, auch Pfarr- 
konvent oder Kirchenrat oder Versammlung der Brüder 
genannt, berüt unter einem Vorsitzenden über die ganze 
Haushaitung der Kirche, namentlich Zeremonien, brüder- 
liche Ermahnung, Strafe der Laster, Ordnung der Prediger 
und Materie der Predigten, um Trennung zu verhüten. 
Jede Zusammenkunft wird von dem Vorsteher mit einem 
Gebet und einer kurzen biblischen Betrachtung eróffnet. 
Capito hält für nötig, noch besonders einzuschürfen: 
„Was aber zu beratschlagen, soll auch mit Ordnung 
vnd Dapferkeit fürgenommen werden, dabei sich jeder 
geweenen soll dem andern zu weichen vnd mit nichten 


249 


sich erzürnen zu lassen auch zu redden mit Ere erbietlichen 
Worten, vf daß nit alle Ding fürter so grob vnd flaisch- 
lichen abgehen.“ Besonders hat sich der Konvent mit 
Lehre und Wandel der Geistlichen zu befassen, dann 
aber auch mit der Handhabung der Kirchenzucht. Die 
kirchlichen Ordnungen, die er "beschließt, unterliegen der 
Genehmigung durch den Rat, „sunst wurd gar bald 
wieder einwachsen ain Regiment neben einem Erbaren 
Rat in euserlichen Dingen daß nit sein soll, dann aus 
solchem ist der schadlich Gwalt der Gaistlichen ent- 
standen. Soweit Dinge im Konvent zur Sprache kommen, 
die ohne weiteres zur Zuständigkeit des Rates gehören, 
sind sie, der bestehenden Ordnung gemäß, durch die Kasten- 
Herren an den Rat zu bringen und jedenfalls vom Konvent 
nicht weiter zu behandeln als nötig. Endlich liegt dem 
Konvente auch noch die Aufgabe ob, die Diener und 
Pfarrer auszusuchen und sie dem Rate zur Anstellung 
zu empfehlen, nachdem sie gepredigt, dem Volke gefielen 
und ihre Lehre und Leben erkundigt wäre. Schnellen 
. Wechsel der Pfarrer, wie er bei der bisherigen Anstellung 
auf ein Jahr oft vorkam, widerrüt Capito. Läßt einer 
von ihnen es an sich fehlen, so soll man versuchen, ihn 
zu bessern; die neuen aber stelle man mit dem Vorbe- 
halte an: solange sie ihrem Dienste treulich vorstünden, 
oder nach dem Brauche der anderen Kirchen überhaupt 
ohne jeden Vorbehalt, nur mit dem Auftrage: die Ge- 
meinde zu weiden im Wort. Mit der Warnung, sich mit 
Ánnahme und Einführung von Kirchenübungen auf das 
MindestmaB des Notwendigen zu beschränken und ab- 
zuwarten, bis daß mit einhelligem Rat dieser Nation 
solches erörtert werde, schließt der dritte Artikel, dem 
der vierte im wesentlichen nur noch den Rat beifügt, 
durch Einrichtung von Schulen für einen theologischen 
Nachwuchs, am liebsten aus der Frankfurter Jugend selbst, 
Sorge zu tragen. ' 

Das Straßburger Vorbild ist in dieser Ordnung un- 
verkennbar. Auch nach der Straßburger Kirchenordnung 
von 1534 liegt das Regiment zunächst in der Konvokation, 
einer Synode, zu der die Prediger von 14 zu 14 Tagen 


250 


mit dreien von den Kirchspielpflegern zusammentreten, 
welche die letzteren aus ihrer Mitte abordnen. Schwie- 
rigere Sachen gelangen an die Gesamtheit der Kirch- 
spielpfleger oder an den Magistrat. In der Gemeinde 
üben die Kirchspielpfleger mit den Pfarrern die Zucht, 
jedoch nicht in der strengen Form des Bannes, sondern 
durch das Mittel der Ermahnung. Bei der Bestellung 
der Geistlichen aber treten zu ihnen noch zwölf gottes- 
fürchtige Männer hinzu, ‚die bey der gemeyn Christliches 
wandels gute Zeügnus haben“, worauf alsdann in Ge- 
meinschaft mit den Examinatoren die Wahl vollzogen 
und, wenn der Erwäblte tauglich befunden worden, von 
dem Rate bestätigt wird!). 

Interessant ist nun aber zu beobachten, wie auf dem 
Wege über Straßburg der Einfluß Zürichs nach Frank- 
furt vermittelt worden ist. Der Frankfurter Rat hat, 
als einmal die Fremdengemeinden entstanden waren, die 
Kirchenzucht, welche diese nach Genfer Muster übten, 
argwöhnisch beobachtet als einen Eingriff in seine Rechte. 
Er übertrug die kirchliche Disziplin nicht dem Konvent, 
auch nicht in der von Capito vorgesehenen Form der 
brüderlichen Ermahnung, sondern behielt sie ausschließ- 
lich sich vor. Hierin aber folgte er letztlich dem Vorbilde 
Zwinglis, der der Obrigkeit ebenso wie Butzer die Aufgabe 
zuschrieb, das Reich Gottes zu fördern und zu erhalten). 

Es scheint indessen, als habe gerade dieser Einschlag 
Zwinglischer Gedanken bewirkt, daB der Rat im übrigen 
Bedenken trug, die unbetretenen Wege zu gehen, die 
Capito wies. Zwar griff man in Frankfurt die Anregung 
des Konvents auf. Längst vor der Ankunft der Fremden 
berichtete der Prädikant Beyer es in einem seiner Briefe 
als feststehende Übung: Solemus n. singulis septimanis 
feria quarta convenire et ibi de ecclesiasticis negotiis 
conferre sermones in monasterio Franciscanorum?). Und 


1) Richter 8. 158f. Joh. Adam, Ev. Kirchengeschichte der 
Stadt Straßburg. (Straßburg. J. H. Ed. Heitz. 1922.) S. 184f. 

*) Richter S. 158. 

2) Steitz, Hartmann Beyer 8. 23 Anm. 12. Steitz setzt den 
Brief wegen der in ihm berührten Zeitverhältnisse 1549 an. 


251 


Poullain hat seine ersten Erklärungen über seine Auf- 
fassung vom Nachtmahl in diesen Konventen gegeben. 
Aber das Laienelement war von diesen Zusammenkünften 
bezeichnenderweise ausgeschlossen. Überhaupt mochte 
man sich nicht dazu entschließen, zur Einführung einer 
so ausgebildeten Presbyterialverfassung!) zu schreiten, 
die dem lutherischen Norden gegenüber als eine völlige 
Neuerung um so verdächtiger gewesen wäre, je mehr sie 
nach dem Sinne der Eidgenossen und der oberdeutschen 
Städte war. 

Blieb aber somit die „Ermahnung! Capitos im 
Grunde nur eine gutachtlighe Äußerung, so ist es doch 
auch so noch charakteristisch genug, daß man sich diese 
Äußerung gerade von einem Straßburger erbat. Und 
ebenso ist es bezeichnend, daB trotz der Zurückhaltung, 
die man in diesem Falle geraten fand, der Faden zwischen 
Frankfurt und Straßburg nicht abriß. Schon die nächste 
Zukunft mit den Verhandlungen über die Wittenberger 
Konkordie ließ ihn auch für die Öffentlichkeit sichtbar 
werden. 

Luther aber, zu dem man ebenso bezeichnenderweise 
die Beziehungen aufrecht erhielt?), schrieb in jener Zeit 
dem Rate: Non posui spem evangelii mei in Francfordiam 
vestram?). Dem entsprach es denn auch, daß dem all- 
gemeinen Urteil die Beziehungen zwischen Frankfurt und 
Wittenberg für gespannt galten‘). 


1) Sie bezeichnet das letzte Glied der Kette, die von Lambert 
von Avignon zu Calvin führt. Vgl. Lechler, Gesch. der Presbyterial- 
und Synodalverfassung seit der Reformation. S. 30f. 

2) Die Prädikanten und der Rut wandten sich im Herbst 1535 
an ihn und M»lanchthon wegen der Wiederzulassung der Messe 
im Dom. 

3) Bei Enders, Dr. Martin Luthers Briefwechsel X, 270. 

) Hactenus autem inter Vos et Wittenbergenses (Ritter 
S. 346: Wirtenbergenses ist Druckfehler, wenn nicht Verschlimm- 
besserung) species dissidii alitur, schrieb Capito am 2. April 1536 
an Algesheimer. F. R. II. Beil. 11. 8. 28. 


Mitteilungen. 


Zeitschriftenschau, 


Landschaftliches. Über die Reformationsgeschichte von 
Iugenheim in Rheinhessen handelt W. Hoffmann im A. 
hess. G. u. A. NF. XIII 2, S. 163—172, 

W.E.Schwarz, Herausgeber der , Akten der Visitation des 
Bistums Münster... 1571—1573*, erörtert auf Grund eines 
nachträglich zum Vorschein gekommenen Aktenstücks des Archivs 
des hischöfl. Generalvikariats die Vorgeschichte dieser Visitation. 
Z. vaterl. G. u. A. 79 I, S. 95—185. 

Im Reformationsheft der Z. d. Ges. NdsKchs. KG. (Jahrg. 22, 1) 
gibt F. Cohrs Listen der Niedersachsen und Niederländer, 
die von 1502—1532 in Wittenberg studiert haben, nach den 
Heimatsorten sowie der in W. ordinierten nieders&chsichen Geist- 
lichen 1542—1560 mit Erläuterungen (S. 1—50).  Ebendort ver- 
öffentlicht Wolters die Protokolle der Kirchenvisitationen im 
Erzb. Bremen 1588 mit Übersicht über die früheren Visitationen 
(S. 51—122); stellt J. Regula die kirchlichen Selbständigkeits- 
bestrebungen der Städte Göttingen, Northeim, Hannover und 
Hameln 1584—1601 nach Akten des Göttinger Stadtarchivs dar 
(S. 128—152); schildert Wolters die Kirchengemeinde Mulsum 
(Dorf bei Bremervörde) im Reformationsjahrhundert (S. 158—165) 
und gibt Fr. Günther Beitráge zur Kirchengeschichte von 
Altona nach Kirchenrechnungen usw. von 1582 ab (S. 166—219). 

Die in verschiedenen Fassungen überlieferte Urkunde tiber 
die Vereinigung der hamburgischen Kirchspiele zur Abwehr 
geistlicher Übergriffe (des Domkapitels) vom 2. September 1528 
druckt H. Nirrnheim nach dem Original der St. Jacobikirche 
ab. Z. V. Hamb. G. 21 2, S. 186—192. 

Plantiko bespricht in den Monatsbl. der Ges. f. Pom. G. 
u. A. April / Mai 1919, S. 18—19 die Beschlagnahmungen der Kloster- 
kleinodien durch die Herzóge Georg und Barnim seit 1525 auf 
Grund archivalischer Aufzeichnungen. 

In Balt. Studien NF. XXII (1919) S, 85—141 schildert 
derselbe mit Hilfe reichhaltigen, von M. Wehrmann zusammen- 


253 
gebrachten archivalischen Materials eingehend, und im einzelnen, 
wie sich auf Grund der Kirchenordnung von 1563 das po m- 
mersche Schulwesen entwickelt hat. 

Kurze Mitteilungen über die im Danriger Staatsarchiv be- 
lindlichen, bis 1580 surückreichenden Visitationsberichte des 
Klosters Oliva gibt E. Wasohinski in Mitt. des Westpreuß. 
GV. XX, Nrn. 8 und 4. 

In lehrreicher Weise schildert A. Seraphim in Altpreuf. 
Monatsschrift Bd. 58 1, S. 1—86 und 2, S. 71—104 die sosialen 
Bewegungen in Altpreußen 1525, insbesondere den bäuerlichen 
Aufruhr im Samlande und dessen Niederwerfung. Unter den 
Zielen der Bewegung steht das Verlangen nach dem lauteren, 
reinen Evangelium ohne menschliche Zusätze mit in erster Linie. 
Auch die städtiche Demokratie in Königsberg hatte an die Be- 
wegung der Bauern Hoffnungen geknüpft, die mit dem Fehl- 
schlagen jener begraben wurden. 

Beiträge zur alt preuß. Reformations- und Literaturgesch. 
gibt Pf. Lic. Benrath in einer ausführlichen Arbeit über „die 
fünf Agendenreformen unter Herzog Albrecht“. Altpreuß. Monats- 
schrrift 57, S. 235—265; 58, S. 37—63, 153—175. 

Ausland. Eine eindringende Untersuchung über „das 
Verhältnis der schweizerischen zur deutschen 
Reformation“ führt P. Wernle zu dem Ergebnis: Die 
Reformation, aus dem Zusammenwirken der allermannigfaltigsten 
Faktoren hervorgegangen, ist als religiöse Bewegung das Werk 
Luthers und seiner Jünger und insofern geht auch die 
schweizerische Reformation durchaus auf Luther zurück in allen 
‚Landesteilen der Schweiz ohne Ausnahme. Trotzdem kann von 
einer schweizerischen Reformation als selbständiger Größe ge- 
redet werden dank Zwingli, der zu dem lutherischen Grundstock 
so viel Eigenes aus seiner Seele und seinem Charakter hinzu- 
gebracht hat, daß daraus ein selbständiger Typus der Refor- 
mation werden mußte. Kurz: durch Luther in die Reformations- 
bewegung hineingezogen, haben die Schweizer mittels Zwinglis 
etwas Selbständiges und Eigenes daraus gemacht. Basler Z. f. 
G. u. A. XVII 2, S. 297—815, — An dem gleichen Orte Bd. XVII I, 
8.1—119gibt E.Staehelin eine sehr dankenswerte Oekolampad- 
Bibliographie für das 16. Jahrh, d. i. ein chronologisch 
geordnetes Verzeichnis der im 16. Jahrh. erschienenen Oekolampad 
Drucke in 226 Nrn, gedacht als Vorarbeit zu einer geplanten 
Darstellung des gesamten Oekolampadischen Schrifttums. — End 
lich untersucht der nämliche a.a. O. XVI 2, S. 367—392 „Die 
beruflichen Stellungen Oekolampads während seiner vier Basler 
Aufenthalte“. 

In der literarischen Umschau der ZK G. 39 (NF. II) S. 166—176 
bespricht E. Staehelin die Zvingli literatur der Jahre 
1913—1920. 


254 


In Zwingliana 1990, Nr. 1 (Bd. III, Nr. 15) gibt 
W. Wuhrmann die Bibliographie des Zürcher Reformations- 
jubiläums 1919 (S. 477—486); und handelt J. Pfister über 
Bullingers, von diesem mit Strichen und Notizen usw. bereichertes 
Handexemplar des Tertullian (Ausgabe Froben, Basel 1521), um 
zu zeigen, wie Tertullians Schriften zur Abklárung und Befestigung 
der evangel. Glaubensüberzeugung Bs. beigetragen haben (8. 486 
bis 494). In 1920, Nr. 2 (Bd. III, Nr. 16) stellt R. Hoppeler die 
Lebensnachrichten des letzten Embracher Stiftspropstes Heinrich 
Brennwald, t 1551 zu Zürich, fest (S. 509—514) und verbreitet 
sich Jos. Th. Müller über die Böhmische Brüderunität und 
Zwingli, mit Beigabe eines (verdeutschten) tschechischen 
Schreibens aus dem Herrnbuter Archiv (8. 514—524); endlich 
verfolgt K. Gauf die Schicksale des Dichters Valentin Boltz im 
Zürcher und Glarnerland 1541—1542 (S. 521f.). 

.In scharfsinniger Untersuchung weist K. Müller. den als 
„Libertinern“ verdächtigen Gegnern Calvins, einem Pocque, 
Quintin und Genossen, ihren Platz unter den quietistischen 
Mystikern nikodemitischer Art an und zeigt, auf welchem Wege 
Calvin zu seinen Nachrichten über die „Sekte“ (der Libertiner) 
gekommen ist. ZK. 40 (NF. 8) S. 88 — 129. 

Das Bulletin de la Soc. de ]' hist. du protest. francais 
65—68 (1916—1919) bietet eine größere Reihe von Beiträgen zur 
meist örtlichen Reformationsgeschichte Frankreichs. Wir ver- 
zeichnen daraus: 65, 97—113 H. Aubert, Marie de Lur6 dame 
de la Noue (Gattin von Francois de la N., gen. Bras-de-Fer), 
mit Briefen an Beza 1596—1600; über den Sohn des Francois, 
den hugenottischen Dichter Odet de la Noue handelt 
G. de Pourtalés ebenda 67, 8.81—111 (Art. 1). — 65, 165—177 
J. Roman, Le meurtre de Louis Aymé à Gap en.Dauphiné (im 
ersten Religionskriege). — S. 195—235 N. Weiß, Episode de la 
réforme à Paris, l'assembleé de la rue S. Jacques 4—5 sept. 
1557. — 66, 2929—34 und 126—186; 67, 28—43 M. Go det, Les 
Protestants à l' A b b 6ville1560—1572: dazu Listen der des Calvinis- 
mus Verdächtigen 67, 48—61; 115—122, — 66, 187—141 H. Aubert, 
Les débuts de l' église de Marseille (nach einem Dok. von 
1559). — 66, 828—888. G. dePourtalóés, 4textes du psaume 42 
(1548—1555) — 66, 68—78 J.Pannier, Anciens lieux de culte 
prot. autour de Soissons et de Laon. — (7, 113—115 H. Aubert, 
Une lettre inédite de Calvin à Farel (von 1514, aus der 
Bibl nat) — 67, 162—183 N. Weiß, Louis de Berquin, son 
premier procès et sa retractation (1523), mit Dokk. S. 909—411. — 
68, 1—15 N. Weiß, Le premier traité prot en francais (La 
Summe de ! escripture saincte 1528). 

Einen Beitrag zur Gesch. der italienischen Ref. liefert 
E.Rodocanachi,L'attitude des autorités civiles et religieuses 
à T égard de la réformation en Piémont au 16 siècle (von 


255 


Margarete von Frankreich bis Emanuel Philibert) im Bull. de la 
Soo. de l' hist. du prot. francais 67 (1918), 128—150. 

Aus Bijdragen en mededelingen van het Historisch Genoot- 
schaf, 41. Deel, Amsterdam 1920 ist zu notieren: S. 1— 197 Mej. 
G. Gros heide, Verhooren en Vonnissen der Weder“ 
do pers betrokken bij de Aanslagen op Amsterdam 1584/1535; 
S. 198—220 A, Hulshof, Extracten uit de rekeningen van het 
Sehoutambacht van Haarlem betreffende Wederdoopers 
te Amsterdam en te Haarlem; S.221—231 Derselbe. alfa- 
betisches Register zu den beiden voraufgehenden Veróffent- 
lichungen; S. 389—246 P. J. Blok, Bref van den Utrechtschen 
Burgemeester Aernt Dirssz van Lejden over zijne zendung naar 
den prins van Oranje, Antw. 26/9 1579. 

Die am 12. April 1920 in Krakau begründete Gesellschaft zur 
Erforschung der Gesch. der Ref. in Polen gibt unter Leitung 
des Univ.-Prof. Stanislaus K ot eine Zeitschrift „Reformacya 
w Polsce“ heraus, von der drei Hefte vorliegen (Jahrg. von zwei 
Heften je 80 S, = Mk. 100,—). Heft I bringt einen Aufsatz von 
A.Brückner-Berlin, „Einige Worte über die polnische Ref.“, 
in dem er den starken Einfluß der Ref. auf das polnische Geistes- 
leben zeichnet; eine Abh. von Kot über die Schule in Princzew, 
die erste prot. Schule in Polen. J. Czubek gibt eine kleine 
Ergänzung meiner Thretiusbiogr. (1907); J. Plasnik schildert 
die Entwicklung des protestantischen Buchhandels in Krakau; 
E.Berwinski handelt über die Stellung K. Sigismunds III su 
den Dissidenten; W. Sobieski berichtet über ein unitarisches 
polnisches Gebetbuch im Brit. Mus.; endlich teilt Kot einen 
Brief des Grafen Joh. Ternowski vom 8. 8. 1560 an Calvin mit. 
— Heft II: Brüokner bespricht N. Reys Werk „der Kauf- 
mann“, das von Naogeorgus’ Mercator seu Judicium wesentlich 
abhängig ist; V. Fija le k behandelt den samogitischen Freund 
der Ref. Joh. Tortylowioz-Batocki; Kot handelt über die polni- 
schen Studenten in Basel; W.Bobieski gibt einen Beitrag 
zum Lebensbilde des Unitariers Martin Ruer aus Holstein; 
J. Wlodek berichtet über den Reformer der Landwirtschaft in 
England, Samuel Hartlieb, geb. 1600 in Posen. — Heft III 
(Jahrg. II, 1): K. Kolbussewski sehreibt über die husitische 
Bewegung in Polen und ihren Einfluß auf die Literatur; 
J. Plasnik über die evangel Buchdrucker Krakaus im 
16. Jahrh.; L. Chm aj über Andreas Wissowetius, Enkel Sozins, 
als religiösen Denker und Kämpfer; St. Zacherewski „die 
ätlesten Synoden der poln. Arianer" veröffentlicht Synodalakten 
16601570 (Forts. der 1898 von Dalton hrsg. Lasciana-Synodal- 
protokolle Polens 1555—1661). Zacherewski fand die Synoda? 
akten hsl in Klausenburg, wohin die poln. Arianer (Unitarier) 
sie bei ihrer Vertreibung aus Polen 1660 gerettet haben. Die 
Veröffentlichung wirft helles Licht auf die Entstehung der 


256 


unitarischen Kirche Polens und läßt uns die Nachrichten, die 
Lubieniecki in seiner Hist. ref. Polon. bietet, nachprüfen. Von 
deutschen Gelehrten hat der Königsberger Konsistorialrat Fr. 
Samuel Buk diese Akten noch besessen, und in seiner Bibl. Anti- 
trinitariorum verwertet; seitdem waren sie verschwunden. — 
Heft IV: In ihm bietet Brückner einen Aufsatz über den 
literarischen Einfluß des bekannten Nikolaus Rey, des polnischen 
tantische Polemik gegen die Jesuiten zu Anfang des 17. Jahr- 
hunderts, an der sich neben Zygrovius, Mikolajewski, Biskupski 
auch der Thorner Joh. Turnowski beteiligte. Nach den Akten 
des Przemysler Kapitels berichtet Joh. Kwolik über Ab- 
schwörungen des evangel. Glaubens unter dem Bischof Valentin 
Hierburt (1560 — 1572); L. Wachhols in Krakau bietet z. T. auf 
Grund archivalischer Forschung eine ziemlich vollständige Chro- 
nologie der ev. Gemeinde in Krakau. L. Ch maj veröffentlicht 
den zweiten Teil seiner Studien über Andreas Wissowetius, den 
Enkel Sozins. Er bespricht hier besonders dessen Hauptwerk 
Religio noturalis und die Polemik Leibnitz’ wider dasselbe. 
Wedkiewicz behandelt den Einfluß der polnischen Pro- 
testanten auf die Anfänge des rumänischen Schrifttums, Dr. e i 
die Monogramme und Akrostychen in verschiedenen alten 
polnischen evangelischen Liedern; Budka bringt den Text der 
Warschauer Konfüderation 1578, der magna charta religióser Frei- 
heit in Polen, zum Abdruck mit ihren 98 Unterschriften. — Die 
nämliche Gesellschaft nimmt die Herausgabe des Briefwechsels 
Melanchthons mit Polen und eine Sammlung von Liedern. 
Gesangbüchern, Katechismen und Synodalakten in Aussicht. 
- Th. Wotschke. 

Einen wertvollen Beitrag zur Poln. Ref.-Gesch. gibt ferner 
K. Volker in seiner Untersuchung über den „Kampf des 
Adels gegen die geistliche Gerichtsbarkeit in seiner Trag- 
weite für die Reformation in Polen“.  Harnack-Ehrung 
S. 317—327. — Derselbe bespricht in ZKG. 39 (NF. II) S. 176—187 
die jüngsten Erscheinungen zur RG. Polens. 

Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten 
Theologen der polnischen Ref, bis zu seinem Bruch mit der 
reformierten Kirche (1562) stellt Th. Wotschke unter Beigabe 
von sechs Briefen aus dem Herrnhuter Archiv in Z.f. Brüdergesch. 
XIV, S. 1—32 dar. 


Hutten; in einer zweiten Abhandlung wee die protes- 


Druck von C. Schulze 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen. 


ARCHIV 


RERORMATIONSGESCHICHTE. 


TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN. 


— 


Im Auftrag 
des Vereins für Reformationsgeschichte 


herausgegeben von 


Dr. theol., jur. et. phil. Walter Friedensburg. 


XX. Jahrgang. 1923. 


Nachdruck mit Genehmigung vom Verein für Reformationsgeschichte 
KRAUS REPRINT LTD. 


Vaduz 
1964 


Printed in Germany 


Lessingdruckerei Wiesbaden 


Inhaltsübersicht. 


Otto Clemen, Prof, Dr. in Zwickau i. Sa., Ein Lather- 


autograph im Privatbesitz in Nijmegen s 

K. Schornbaum, D. Dr. Pfarrer in Alfeld bei Hersbruck, 
Die nen Norma doctrinae 

1578, IT, IH . . . . . 65-197; 


Nebelsieck, 3 in Weterlingen, Vier Refor- 


mationsbriefe aus dem Arolser Archiv 


G. Bossert, D., Pfarrer a. D. in Stuttgart, Ein aibo: 
kanntes Stück aus dem Leben des Flacius 


Wilhelm Stieda, Prof. Dr. in Leipsig, Jakob Schenck 
und Universität Leipaig 
K. Bauer, Lic. theol., Bie in Münster, 
Der Bekenntnisstand d. Reichsstadt Frankfurt a, M., II 
“Mitteilungen: W.Friedensburg, Ein Brief Aurifabers 
an Flacius (1549) S, 62— 65; „Acontius“ 8. 176. — 
Th. Wotschke, Ein Sammler van Melanchton- 
briefen S. 65f.; Offener Brief an den Präsidenten 
des Augsburg. Konsistoriums in Warschau 8. 176 f. 
— Buchwald, Zur Mathesiusforschung S. 67 — 
Neuerscheinungen S. 67— 79. 


Seite 


109—196 
88— 48 
49—61 
78—101 


197—174 


Ein Lutherautograph im Privatbesitz 
in Nijmegen. 
Von Otto Clemen. 


Zuletzt bei Enders-Kawerau, Luthers Briefwechsel 15 
(1914), S. 300 Nr. 3357 ist eine Bibelinschrift Luthers von 
1543 abgedruckt, die an 17 Kor. 15, 55 und Jes. 25, 8 an- 
knüpft. Das Original befinde sich im Martinsstift in Erfurt. 
Ebenda werden zwei Faksimilia erwähnt: „in Keyser, Re- 
formations-Almanach 1817, S. XCI und in Joh. Falk, Dr. 
Martin Luther und die Reformation in Volksliedern, Leipzig 
1830", sowie zwei angebliche Originale, von denen das eine 
ursprünglich der Nikolaikirche in Hamburg gehörte, dann 
in Privatbesitz überging und 1907 von der Firma Jos. Bär 
& Co. in Frankfurt a. M. zum Kauf angeboten wurde, während 
dag andere 1898 im Besitz des Lehrers Schwarz in Bad 
Essen (Bez. Osnabrtück) war. 

O. Albrecht schreibt dagegen in den Theolog. Studien 
und Kritiken 1915, S. 99f. über unsere Bibelinschrift folgendes: 
„In der Erlanger Lutherausgabe 56, S. LXX Nr. 882 ist 
durch D. Neudecker eine Eintragung Luthers aus einer Bibel 
abgedruckt, die sich „in der Bibliothek des Erfurter Augustiner- 
klosters“ befand. Die Bibel ist dort verschollen. Vorbanden 
aber sind zwei Faksimiles, ein minder gutes, mittels Durch- 
pausens hergestelltes, in der Bibliothek des Martinsstifts, wo 
es in einer Bibel von 1541 eingeklebt ist, und ein gutes, 
durch Phototypie gefertigtes, in der Lutherzelle*. Endlich 
sandte mir der Erhaltungsrat des Erfurter Martinsstifts im 
Juli 1920 die Auskunft, daß dort weder das Original noch 
eine Kopie der Inschrift vorhanden wäre und in der Luther- 
zelle „nur die verkohlten Ueberreste einer 1872 in den 
Brand geratenen Bibel“ und eine Lithographie des Luther- 
autographs unter Glas und Rahmen aufbewahrt würden. Bei 
der sattsam bekannten Pünktlichkeit Albrechts möchte ich 
eigentlich dessen Angaben den Vorzug geben. Aber lassen 
wir die Diskrepanz zwischen seinen Angaben und jener Aus- 
kunft auf sich beruhen, halten wir uns an das beiden Nach- 
richten Gemeinsame, daß jetzt in Erfurt keinesfalls mehr das 
Original der Inschrift vorhanden ist, wohl aber — gleich- 


Archiv für Reformationsgeschichte. XX. 1/2, 1 


2 


gültig, an welcher Stätte — die Bibel von 1541, und mustern 
wir die früheren Nachrichten über das Lutherantograph! 
Die Wünde der alten Lutherzelle, d. h. wie sie be- 
Schaffen war vor der Restauration nach dem Brande von 
1872, waren über und über mit Inschriften und Bildern be- 
deckt!) 1677 erschien nun eine Schrift: „Wahrer Abdruck 
derer Schriften, welche in der gewesenen Mönchszellen des 
theuren Mannes Gottes Herrn D. Martin Luthers in dem 
Augustinerkloster zu Erffurt, drinnen jetzo das Evangelische 
Waisenhaus ist, angemahlt zu befinden.“ In der 2. Auflage 
von 1702 werden die Bücher, die damals in der Lutherzelle 
vorhanden waren, beschrieben, darunter: „Altes Testament 
von 1541 mit eigenhändigen Eintragungen von Luther und 
anderen Reformatoren“ ). Dagegen lesen wir im Keyserschen 
Reformations-Almanach 1821 in einem Aufsatz von Joh. Fr. 
Möller, damals Diakonus an der Barfüßerkirche in Erfurt, 
in dem der damalige Zustand der Lutherzelle beschrieben 
wird, daß damals zwar jene Ausgabe des Alten Testaments 
ebenda noch vorhanden war, daß man aber die Vorsatzblätter, 
„auf welchen wie zur freundschaftlichen Erinnerung D. Luther, 
Bugenhagen, Jonas und Agathon®) biblische Sprüche mit Aus- 
legung niedergeschrieben haben“, herausgelöst und unter 
Glas und Rahmen in der Fenstervertiefung zu beiden Seiten 
aufgehangen hatte“). Diese Autographen werden noch 1830 


1) Nach Joh. Biereye, Die Erfurter Lutherstätten nach ihrer 
geschichtlichen Beglaubigung, Jahrbücher der Königl. Akademie ge- 
. meinnütziger Wissenschaften zu Erfurt N. F. Heft 48 (1917), S. 189, 
findet sicb eine Abbildung im Keyserschen Reformationssimanaeh von 
1891. In dem Prachtwerk „Im Morgenrot der Reformation“ (Hersfeld 
1912), S. 869 ist ein „Stahlstich nach einer Zeichnung von G. C. Wilder 
1824“ reproduziert. — Daß übrigens Biereye S. 199 mit seiner Ver- 
mutung, daß man bis 1561 in Erfurt nicht vergessen habe, welche 
Zelle Luther zuletzt bewohnt hatte, recht hat, bestätigt der Brief des 
David Chytraeus in Rostock an Andreas Poach in Erfurt vom 15. Juni 
[1568), in dem er diesen bittet, zweier seiner Zuhörer, die nach Erfurt 
reisen, ,templa praecipua et cellam Monasterij Augustinensis, in qua 
Lutherus hebitauit, et Collegia Academie et alia isthie aks zeigen 
zu lassen, Der Brief ist faksimiliert in meinen „Handschriftenproben 
aus der Reformationszeit“. 

*) Biereye 8. 189. 

) Philipp Agathon, gest. 1548 als Pfarrer von Querfurt, vgl. 
G. Kawerau, Justus Jonas’ Briefwechsel 2 (1885), S. 162; P. 
Flemming in der Ztschr, des Vereins f. Kirchengesch. der Provins 
Sachsen 16 (1917), S. 11 Anm. 

) Biereye 8. 195. — Auf dem Stahlstich von 1624 sind die 
Tafeln in der Fensternische deutlich zu erkennen. l 


3 


unter den Sehenswürdigkeiten der Lutherzelle als „unter 
Glas und Rahmen auf beiden Seiten des Fensters aufge- 
hangen“ erwähnt (Joh. Falk, Dr. Martin Luther in Volksliedern. 
Im Luthershofe zu Weimar, im Martinsstifte zu Erfurt und, 
bei K. H. Reklam in Leipzig 1830, S. 112), desgleichen „das 
Alte Testament von 1541, aus welchem sie herausgenommen 
sind“. Interessanterweise werden hier nun aber nicht nur fünf 
sondern sieben Autographen erwähnt, nämlich auch noch Hand- 
schriften von Melanchthon und Cruciger. Es drängt sich 
uns die Vermutung auf, daß diese beiden letzteren Hand- 
schriften auf Blätterrückseiten standen und, wenn die Blätter 
—an der Wand hingen, nicht zu sehen waren. (Auf dieses 
Detail werden wir unten noch einmal zurückkommen.) 

Nach alledem scheint die Sache so zu stehen: 

1. Das alte Testament von 1541, das 1702, 1821 und 
1830 als in der alten Lutherzelle zu Erfurt befindlich er- 
wähnt wird, war ein Exemplar des Weimarer Lutherausgabe, 
Deutsche Bibel I], S. 637 ff. Nr. 69 beschriebenen Druckes. 
Exemplare dieser Ausgabe legte man mit Vorliebe den 
Wittenberger Reformatoren zu Einzeichnungen vor. Solche 
Exemplare mit Einträgen von der Hand Luthers u. a. werden 
S. 722 fl. aus Breslau, Dessau, Helmstedt erwähnt. Das 
Erfurter Exemplar entging mit knapper Not dem Brande von 
1872; die „verkohlten Ueberreste“ sind jetzt noch vorhanden. 

2. Schon vor 1821 wurden die Originalautographen 
herausgelöst und unter Glas und Rahmen zu beiden Seiten 
des Fensters an die Wand gehängt. Sie sind verloren 
gegangen — wohl bei dem Brande von 1872 —; für das 
Lutherautograph bietet eine Lithographie, die jetzt in der 
restaurierten Lutherzelle unter Glas und Rahmen hängt, 
kümmerlichen Ersatz. 


Vielleicht sind wir nun aber damit doch noch nicht am 
Ende. Vielleicht ist nämlich das Original des Lutherauto- 
graphs doch noch erhalten, der Katastrophe von 1872 ent- 
ronnen oder schon vorher aus Erfurt ausgewandert. Vielleicht 
taucht es jetzt an einem ganz anderen Punkte wieder auf. 
Herr F. J. A. Werners, Kaplan an der St. Augustinerkirche 
in Nijmegen (Holland), schickte mir jüngst auf Veranlassung 
des Herrn Prof. Grisar freundlichst Photographien in Original- 
größe von einem Blatte, das er erworben hat und das auf 
der einen Seite die uns hier beschäftigende Bibelinschrift 
Luthers, auf der anderen aber eine Eintragung Melanchthons 
aus demselben Jahre 1543 trägt. Letztere ist das Stück 
Corpus reformatorum V (1838), col. 278 Nr. 2838!) Auch 


1) Z. 4 heift es auf der Photographie richtig „samens“statt „Sohnes“, 
1* 


4 


Melanchthon kntipft darin an ein Bibelwort, und zwar Jes.59, 21 
an. Im Corp. ref. findet sich zu dieser ‚Insoriptio‘ die Be- 
merkung: ‚Inscripta manu Melanthonis bibliis, quae sunt in 
bibliotheca Monasterii August. Erfordiae‘. Diese Bemerkung 
erinnert uns an die Ueberschrift zu dem Lutherautograph in 
der Erlanger Ausgabe: ,Inschrift von Luthers Hand in einer 
Bibel, 1543. Diese Bibel hefindet sich in der Bibliothek 
des Augustinerklosters zu Erfurt. Dr. Neudecker“. Aller 
Wahrscheinlichkeit nach hat Neudecker, der in der Zeit 
1832—38 von Gotha einmal nach Erfurt herübergereist war"), 
in der dortigen alten Lutherzelle das Lutherautograph und 
von der Rückseite des Blattes (s. o.!) das Melanchthonauto- 
graph kopiert und bei der Mitteilung seiner Kopien an die 
Erlanger Ausgabe und an das Corpus reformatorum beide 
Male die Tradition weitergegeben, die er an Ort und Stelle 
gehört hatte, daß nämlich das Blatt einer Bibel entstamme, 
die ursprünglich dem Erfurter Augustinerkloster gehört habe. 
Nach den vorzüglichen Photographien zu urteilen, ist an 
der Echtheit der Schriftzüge der beiden Reformatoren auf 
dem Nijmegener Blatt kaum zu zweifeln, und der Umstand, 
daß es auf der Rückseite jene Melanchthoninschrift aufweist, 
scheint den Rest von Mißtrauen zu verscheuchen, das man 
zunächst dem Blatt entgegenbringt, weil gerade von diesem 
Lutherautograph mehrfach Faksimilenachbildungen angefertigt 
worden sind und zwei. angebliche Originale von ihm auf- 
getaucht sind. 


1) Vgl. Realensyklopüdie 18, 754. 


Die braudenburgisch-nürnbergische 


Norma doctrinae. 
Von K. Schornbaum. 
II. 


Am 27. August 1567 starb Conrad Klingenbeck!) Sein 
Nachfolger wurde Mag. Laur. Dürnhofer, ein überzeugter 
Philippist. Bei seiner impulsiven Art waren neue Zusammen- 
stöße unausbleiblich. Um den Frieden war es in Nürnberg 
geschehen. Er stellte sich alsbald als Ziel die Vertreibung 
sümtlicher Lutheraner und die Durchführung des Melanch- 
thonianismus in der ganzen Stadt. Er hielt den Zeitpunkt 
dafür gekommen, Wurde er doch nicht nur von seinen 
Gesinnungsgenossen Heling und Schellheimer aufs tatkräftigste 
unterstützt, sondern hatte auch an dem einflußreichen Rats- 
konsulenten Dr. Christoph Hardesheim einen mächtigen 


1) Ratsverlaß: 28, 8. 1567: Herr Cunraden Klingenbecken den ge- 
wesenen prediger bei Sant Egidien seligen soll man under des Abts 
zu Sant Egidien Stein auf Sant Johanns Kirchhof begraben und ver- 
nemen, was sie im fur ein epitaphium wollen machen laßen. Zu seiner 
Grabschrift s. G. E. Waldau, Vermischte Beytrüge zur Geschichte 
der Stadt Nürnberg III, 240. 1788, Nürnberg. B. V. 30. 8. 1567: 
Christofen Koppel, den Caplan bei Sant Egidien und Ulrichen Neuber, 
buchtrucker, 80] man beschicken, den Koppel zu rede halten, warum 
er Herrn Cunraden dis epitaphium gemacht und den Neuber, warum 
er es wider sein pflicht one bevel getruckt, im auch auflegen, weiter 
keins zu trucken, ir verantwortung wider pringen. 2.9.1567: auf 
Christofen Koppels, caplans zu S. Egidien, und Ulrichen Neubers ver- 
lesene entschuldigung herrn Cunraden Klingenbecken seligen getruckten 
epitaphiums halben, sol man dem Koppel ein ganz ernstliche strüfliche 
rede sagen und warnen, sich dergleichen furnemens hinfuro zu ent- 
halten. Dann da er wider damit kumen solt, würd man ine seins 
dinsts urlauben. und sonst mit straf auch geburlich einsehen gegen 
ime tun. dem Neuber aber, als der gleichwol auch nit allerdings zu 
entschuldigen, s0] man auch solches untersagen und warnen, hinfuro 
behutsamer zu sein und on wissen der verordenten herrn nichts zu 
trucken. Ferner 22. 11. 1567., 17. 1. 1568. Vgl. Zeltner, vita Helingi 52. 


6 


Förderer!). Dazu fehlten unter den Lutheranern bedeutendere 
Persönlichkeiten. Die beiden Brüder Mag. Joh. Kaufmann, 
Prediger bei St. Jakob und den Barfüßern, und Mag. Christoph 
Kaufmann, Prediger im neuen Spital*), die neben Besler immer 


1) Verlaß der H. Eltern 12. 10. 1568: Auf Herrn Hi. Baumgartners 
getane mundliche relation, daß im Herr Dr. Bayr angezeigt, daß er 
den fremden doctor herrn christofen Hertesheim auf empfangenen 
bevel angeredet, ob er sich in meiner herrn dinst und bestallung geben 
wolt; der sich ganz gutwillig erboten, allein angezeigt, daß dieser 
zeit der endliche beschluß einer bestallung nicht gescheen kont aus 
ursachen, das er noch etlich wichtig hendel zu augsburgk zu verrichten 
het, darzu er verpflicht und unterhalb dreien monaten oder zwischen 
hie und Weynachten dieselben nit wol verrichten oder davon ledig 
werden könt, und dann furs ander, daß ime die jungen herrn so gar 
ernstlich angehalten, sich zu inen in dienst zu begeben, daß er nit 
hinum kunnt und die sach in bedenken zunemen sich erpieten müssen 
aber er gedechte inen doch keineswegs zu dienen. Wofer meine herrn 
nun uf kunftige Weihnacht oder Neujahr mit ime ferner zu handeln 
gesinnt, wolt er sich gegen meine herrn der bestallung halben also 
einlassen, daß ire erberkeiten spüren solten, das er vor andern orten 
und stenden meinen herrn zu dienen neigung hette. Ist verlaßen, D. 
Baym. weiter zuzusprechen in acht mit vleiß zuhaben, wenn es des 
Herrn Dr. Gelegenheit sein mocht, bei ime widerum anzuhalten und 
um bestallung mit im zu handeln. 17. 8. 1564: Herr Doctor Christof 
Hardisheim von Halberstadt hat sich von meinen herrn den Eltern 
zu eins erbern rats ratgeben und advocaten auf vier jar lang dergestalt 
bestellen lagen, daß ime meine herrn jerlich zu dienstgeld 400 fl 
geben und die bestallung auf ostern schirstkunftig angehen soll. und 
ist im zugelassen, ytzo zu ostern ins wildbad zuziehen und uf schirst- 
kommende pfingsten gewißlich zu Speier anzukamen und von dannen 
an ein halbes jar zu erfarung der praktik sich doselbsten enthalten, 
doch mit ofner hand, da es die noturft erfordert und er um lengere 
zeit am kamergericht zu pleiben bei meinen herrn ansuchen würde, 
iren erberkeiten freisteen, wie lange sie ime daruber erlauben wollen; 
dagegen soll er schuldig sein, die zeit er zu Speier ist, wann ime 
appellations- oder ander sachen von meinen herrn gen Speier gesendet 
werden, sich mit beratschlagung derselben auch gebrauchen zu lagen. 
dagegen ist im bewilligt, die Seilerische Handlung auch zum ende za 
füren, doch daß meiner herrn sachen dadurch nicht versäumt werden 
und ist im zu leikauf 100 fl verert worden, Batsbuch 82, 240. 

3) R. V. 10. 11. 1562: weil herr christof Kaufman zu eim prediger ins 
. Spital verordent, soll man seinem bruder, der 12 Knaben praeceptor 
im spital, die predicatur zu S. Clara bevelen und ime wochentlich 
davon 1 fl. raichen. 8.5. 1565: weil man soviel in erfarung hat, das 
die closterfrauen su S. Clara wenig ja gar nit in die predig in irer 
kirchen kumen und dann dieselb kirchen an ir selbs gans eng, do 


7 


mehr die Führer der luth. Gesinnten wurden, waren doch 
nur im zähen Festhalten an der einmal erkannten Wahr- 
heit groß. 

Es dauerte kaum ein Vierteljahr, da sah sich der Rat 
vor die wichtigsten und folgenschwersten Entscheidungen 
gestellt. Dürnhofer hatte Joh. Kaufmann des Flacianismus 
bezichtigt; dessen „Apologie“ genügte ihm nicht; er lenkte 
die Aufmerksamkeit des Rates auf die Hinneigung verschie- 
dener Geistlicher zu Flacius. Die Sache war schlau ein- 
gefädelt. Denn der Haß gegen diesen Mann hatte unter 
den Ratsherren noch nicht im mindesten sich gelegt. Aber 
dennoch besann sich der Rat. Hatte sich doch noch keiner 
von den durch diese Anzeigen getroffenen Geistlichen offen 
für Flacius erklärt; in der ganzen Stadt herrschte Ruhe. 
Aber dennoch meinte der Rat, nicht untätig sein zu dürfen, 
sondern die Sache gleich im Keime unterdrücken zu sollen. 
Nach längeren Beratungen heriefen die Kirchenherren Joachim 
Haller und Thomas Löffelholz gegen Ende März 1568 Heling, 
Sehellheimer, Dürnhofer, Besler und die beiden Kaufmann 
in den Sebalder Pfarrhof. Die Deklaration 1563 wurde 
ihnen vorgelegt und das Ersuchen an alle gerichtet, sie 
zu unterzeichnen. Während die ersten drei dazu sofort 
bereit waren, äußerten die anderen manches Bedenken. 
Die Ausführungen der declaratio über „den freien Willen“ 
und das „Evangelium“ (ob es eine Bußpredigt sei) schienen 
ihnen sehr anfechtbar; vor allem bestritten sie, daB die 
Lehre des Flacius hier recht zur Darstellung gekommen 
wäre: „dann des Illirici Irrtums halber, daß sie denselben 
nicht condemniren konnten, wie in diese schriften condem- 
nirten“. Mehrere Tage unterredeten sich die beiden Parteien; 
zu einer Einigung schien es nicht kommen zu sollen. Die 
Philippisten wohl wünschten nichts anderes. Recht bezeich- 
nend ist es, wenn auf einmal von den Kanzeln die heftigsten 


aber den prediger gern vil leute hören wolten, sol man dieselbe kirchen 
hinfuro sperren, nit mer darin predigen lagen und den alten prediger 
zu Sant Jacob abschaffen und disen hinaus verordnen, an den feiertagen 
su mittag doselbst zu predigen, ine auch auf künftigen Sontag uber 
8 Tag anfangen zu laßen. dem Herrn Hauscomentur auch solche ver- 
enderung anzuzeigen. Ratsbuch 32, 210. 94. 11. 1563: weil die kirchen 
bei 8. Clara so gar eng und viel volks zur selben predigt geht, soll 
man hinfuro allein auf Sonntag bei S. Clara, aber alle Samstag früh 
denselbigen prediger bei den barfüßern predigen laßen und also die 
predigt am Samstag bei St. Clara gar abschaffen. die kirche beim 
barfüßerkloster laßen mit dem forderlichsten ausräumen und saubern 
und der stül halben solche verordnung und vorsehung tun,- damit kein 
widerwillen zwischen der burgerschaft erfolge. Vgl. fol. 899. 


8 


Angriffe gegen die „Flacianer“ gerichtet wurden, wenn der 
Schulmeister Christ. Heiden von Egidien ungescbeut das Volk 
gegen Besler und die Brüder Kaufmann aufzuhetzen versuchte. 
Anders der Rat. Er kannte besser die Stimmung der Bürger- 
schaft, er wußte, welche Sympathien unter dem gemeinen 
Mann gerade die Lutheraner hatten. Darum ließ er durch 
Kanzlist Joh. Kezmann Paul Eber, der gerade zur Beilegung 
der Streitigkeiten zwischen Karg und Peter Kezmann in 
Ansbach weilte, um seine Vermittlung bitten. Während Eber 
in Nürnberg im Egidienkloster mit Dr. Paul Krell die deola- 
ratio Uberlas, ließen sich Besler und seine Gesinsungsgenossen 
endlich herbei, die Lehre derselben auch hinsichtlich der 
beiden Punkte: „Freier Wille und Evangelium“ anzunehmen. 
Sie wollten wohl um diesen Preis von der Verurteilung des 
Flacius befreit werden; den Rat glaubten sie auf diese Weise 
für sich gewinnen zu können. Sie hatten aber den Einfluß 
Helings und Dürnhofers unterschätzt; der Rat bestand darauf, 
daß sie sich von Flacius offen lossagten. Dürnhofer mochte 
glauben, bald an das Ziel seiner Wünsche gekommen zu 
sein, da erklärten die drei: „sie wollten insgemein allen 
denjenigen widersprechen. welche diesen beiden Schriiten 
entgegen und zuwider lehrten“. Das war natürlich nur 
eine Umgehung der Forderung des Rates; die Philippisten 
wollten sich nicht damit begnügen; sie sahen, daß sie ihr 
Ziel nicht erreichen würden; aber Eber redete zum Frieden; 
er fand diese Erklärung für genügend; er riet überhaupt 
von Verdammung einer Person ab. Und der Rat schloß 
sich ihm an. Die Lutheraner hatten doch mehr Mäßigkeit 
und Entgegenkommen bei den Verhandlungen bewiesen; das 
war nicbt ohne Eindruck geblieben. Den Kaplänen und 
besonders Christian Heiden wurden ihre „schimpflichen“ und 
,ehrenrübrigen^ Reden gegen Besler und die beiden Kauf- 
mann nachdrücklichst untersagt!). 


1) Rep. 52, Ms 1112, 115ff. Ms 1110, 74. 222 (Bericht Paul 
Harsdörfers 28, 1. 1618) 271 (Relation Hi. Baumgartners) 855 (Re- 
lation J. Kaufmanns). D 212 Fasc. IV. Originalprotokoll 1585, (Er- 
klärung Helings und Kaufmanns). Verlag der Herrn Eltern 99. 3. 1568: 
Als die herrn eltern in erfahrung kumen, das D. Paulus Eberus, pfarr- 
herr zu Wittenberg gein Onolzbach von dem marggrafen etlicher irrung 
halben, welche seiner f. gn. theologen miteinander haben, erfordert, 
und sich dann ytzo auch zwischen den predicanten hier etlichermaßen 
misverstand und irrung ereignen will, ist bei iren erberkeiten bevolen, 
durch Johann Kezman ime dem herrn Ebero zuschreiben nnd ine zu 
ersuchen, seinen hineinweg von Onolzbach nach Wittenberg hierher 
zunemen, wie er denn solchs bewilligt. Darauf bevolen, ine mitsamt 
herr Dr. Krellen, den er bei sich hat, im egidierkloster einzufuren und 


9 


Paul Eber hatte sich an der Uebereinstimmung in der 
Lehre gentigen lassen; er betrachtete die ganze Sachlage 
anders als seine Nürnberger Freunde. Diese hofften auf 
das siegreiche Vordringen des Melanchthonianismus, er kannte 
die StoBkraft der luth. Gedanken. Darum versammelte er 
vor seinem Abschied am 3. April in seinem Absteigequartier 
Heling, Dürnhofer, Leonh. Krieg, Sixt Huber, Nikolaus Herold 
und Heinrich Fabrizius und rief ihnen zu: Liebe Herrn, bleibt 
bei der Lehre, die ihr von uns gehört habt; ihr wisset, was 
ihr an unserer Lehre habt. Es ist das ander so ein subtil, 
irrig, spinosum et perplexum quiddam, daß man sich nicht 
drein richten kann, und ist kein Trost darinnen, sein so 
wunderliche, ungeschickte, neue Reden: homo convertitur 
nolens, homo habet se repugnative, hostiliter, adversative. 
Da hebt man das ganze Ministerium auf, und wo das so 
were, so nemet ihr alle Eure Besoldung mit bösem Ge. 
wissen ein!). 

Der Plan der Philppisten war gescheitert; aber sie 
ließen sich dadurch nicht irre machen; sie gingen jetzt nur 
behutsamer zu Werke; der Haß gegen alles, was an Flacius. 
erinnerte, steigerte sich immer mehr. Im Jahre 1597 er- 
schien eine Schrift, welche gegen den Wankelmut Schell. 
heimers Stellung nahm; sie berichtef, ,wie er etliche unter 
den Flacianern zum Feuer verdammt, etliche dem Julian 
Apostata verglichen habe, wie er ausspie, wenn er an ihren 
Wohnungen vorbeiging“ ). Zunächst glückte es Heling, 


uf meiner herrn kosten hie zu underhalten, im fall sich die predicanten 
nicht vergleichen konten, seines rats haben zu pflegen. Ratsbuch 88, 
202—904. Til. Heßhusius an J. Marbach 29. 4. 1568 Neuburg: Eberus 
nuper Onolsbachii et Noribergae fuit, ut lites coneionatorum componeret. 
Majoris falsum dogma de necessitate bonorum operum ad salutem 
pertinaciter tuentur. In lectionibus palam Prof. Witeberg. argumenta 
Zwingli serunt et propugnant, ferunt et publica scripta adornari, 
quibus tuos et Brentii libros impugnent. Fecht S. 207. Zeltner, 
vita Helingi 58f, Kurxgefaßte Geschichte. 8. 47. J. P. Müller, 
diss. hist. theol. qua Johannis Kaufmanni past, ad Spir. Noribergensis 
vita et merita percensentur. 1729. Altdorfi, S, 16 fl.: „Subscripsimus 
ego Christophorus Kaufmannus et M. Johannes Kaufmannus fratree 
haic scripto, postquam explicationem et declarationem praesertim in 
articulo de libero arbitrio audivimus. Qua de re M. Schiller notarius 
Protocollo sufficienter testabitur.^ Vgl. Stadtbibliothek Nürnberg. Bibl. 
Nor. W. II, 858 Pr. 5. 

1) B. F. Hummel, Neue Bibliothek von seltenen und sehr 
seltenen Büchern. 1789. Nürnberg. III, 106. 

*) Kurzer Bericht / Von dem eifer / und bestendikeit in Evan- 
gelischer lere / M. Johannis Schellhameri / Predigers in Nürnberg // 


10 


Dürnhofer und Schellheimer die Lutheraner ihrer stärksten 
Stütze, des Predigers Michael Besler, des dritten vordersten 
Geistlichen zu berauben. Dieser hatte seinen Gegnern selbst 
die Mittel in die Hand gegeben. Die Beziehungen zu Witten- 
berg wußten diese geschickt zu benutzen. Kurfürst August 
beschwerte sich bei dem Rat tiber das Treiben der Flacianer 
in Nürnberg. Eine Haussuchung brachte auch bei Besler 
Material zutage. Er besaß eine Abschrift des von Flacius 
für Straßburg verabfaßten Lebenslaufes ). Und bald darauf 
kam eine neue Klage des Kurfürsten. Diesem war der 
Briefwechsel Beslers mit seinem alten Freund Mag. Michael 
Kilian, in dem das Gespräch zu Altenburg freimtitig genug 
kritisiert worden war, in die Hände gespielt worden?). Besler 


zu Sant Laurenzen //. Allen / so die Warheit dis Orta liben / // nütz- 
lich zu lesen. 1597. Blatt Aiiijb Ms 1110, 95. Vgl. auch die Klage 
Johann Kaufmanns vom 10. 8. 1569. Abhandlungen der Kgl. Ge- 
sellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. 40. Göttingen 1915. S. 51. 

1) R. V. 31. 8, 69: auf des Churfursten zu Saxen schreiben, daß 
sein churf. gnad angelangt, das Illiricus einem hieigen predicanten 
ein buch zugeschickt, welchs meine herrn sollen aufgefangen haben, 
mit beger, iren churf. gnaden copei davon zukumen zu lagen eto und 
Herrn M. Michael Peßlers, predigers zu unser Frau anzeig, das im 
einig buch nicht, sondern allein ein schrift von Illirico zakumen, sein 
lebensbeschreibung, die er gern mein herren zustellen wolt, sol man 
dieselbe von im anemen, gegen der andern copei collationiren und 
lauter abschreiben lagen, dem churfursten zuschicken mit meldung, 
das dises buchs oder schrift halb meine herren als die obergkeit vor 
zukunft irer churf. gnaden schreibens nichts angelangt, aber uf berurt 
irer churf. gnaden schreiben hete man in der sachen erkundigung 
geton und dise schrift beim herrn Peßler gefunden, wie ir churf. 
gnaden daraus zuvernemen. morgen wider abhoren. Preger II, 
806. 299. Der Rat an Kurfürst August. 1.4.1569. Briefbuch 181, fol. 15. 

5) G. B. Waldau, vermischte Beyträge zur Geschichte der Stadt 
Nürnberg IV, 242. Nürnberg 1789. J. Chr. Siebenkees, Materialien 
zur Nürnberger Geschichte III, 316. Nürnberg 1794. Verläße der 
Eltern: 30. 6. 1569: Auf herzog Augusten zu Saxen churfurstens schreiben 
mit einschluß eines lateinischen briefleins, dessen überschrift an M 
Michael Peßler, prediger zu u. Frau gestellt, welches von einem 
Flaeianer wider sein churf. gnaden und die theologen zu Wittenberg 
ausgangen, und dem gnedigen begeren, beim Peßler zu erkunden, wer 
die dichter solchs schreibens, sein churf. gnaden desselben zu berichten 
and gegen dem Peßler die gebur zu handeln und herrn Peßlers darauf 
getanen bericht, sol man sein churf. gnaden wider beantworten, das 
man solch schreiben entpfangen und nit unterlaßen, den Peßler darauf 
su vernemen, der zu antwort geben, das dieses schreiben von einem 
seiner alten bekannten freund, der sein schulgesell gewest, ausgangen, 


11 


bat darauf, er hatte auch genug unliebsames mit seinen 
Kindern durchzumachen, war auch kränklich, um Enthebung 
von der Prädikatur bei den Predigern. Der Rat aber enthob 
ihn auch der Predigerstelle bei St. Marien und der Super- 
intendenz (26. 7. 1569)!). Zu gleicher Zeit gelang es auch 
einen der Buchführer unschädlich zu machen, die das Volk 
immer wieder mit Flacianischen Schriften versahen. Dem 
Rat fielen einige luth. Streitschriften tiber das Altenburger 
Gespräch in die Hände. Bei dem peinlichen Verhör stellte 
sich heraus, daß der Buchführer Christoph Häusler noch der 
unschuldigste war; der schon oben erwähnte Buchführer 
Georg Fischer hatte sie gedruckt, der Kaplan an S. Sebald, 
Mag. Adam Birkhamer sie korrigiert. Die Bucher wurden 
konfisziert, den Buchführern die Ausübung des Handwerks 
verboten, Fischer aus der Stadt gewiesen, dem Kaplan ein 


weleher Mag. Mich. Kilian genannt und ein schulmeister zu Altenburg 
were. Ob nun wol dieser Kilian ein hisig burgerkind, so were doch 
derselbige in seiner jugend von hinnen kumen, das meine herrn mit 
ime nichts zu schaffen hetten und wolten meine herrn sonst in der sachen 
ir notdurft ferner bedenken. sunst sol man dem Peßler das original 
und copei von solchem schreiben abschlagen und erwarten, was herr 
Jochim Haller in der hauptsache furbringen wirdet. Der Rat an 
Kurfürst August. 30. 6. 1569. Briefbuch 181, 164 

1) R. V. 26.7.1569: auf herrn Michael Peßlers, prediger zu unser 
Frauen und den predigern an herrn Jochimen Haller getanes schreiben, 
ine seiner unvermöglicheit und schwacheit halben der predicatur zu 
den predigern zuerlaßen, inmassen er dem herrn solchs hernach auch 
mundlich angezeigt und gepeten, ist beim rat verlaßen, weil er so ein 
alter verlebter und schwacher mann, sol man ine nicht allein der 
predicatur zu den predigern, sondern auch der bei U. Frauen und der 
superintendens erlassen und ime sein leben lang 200 fl pension mit 
ofner hand geben, ime aber ernstlich undersagen und anzeigen, meine 
herrn wolten sich zu ime genzlich versehen, er würde sich eingezogen 
halten und weder hie oder auswendig die kirehen beunruigen, sich 
auch des hin und widerschreibens enthalten, oder da er sich unge- 
burlich halten, würde man im sein pension gar wider nemen. dagegen 
sol man M. Nicolaum Herolt obgesetzte bede predicaturen zu verrichten 
befelen, ime jerlich 200 fl pension geben und M. Martinum Faber den 
Caplan im Spital sum Caplanstand zu S. Sebald an M. Herolds statt 
kumen lassen, 1.8. 1569: auf Mag. Michael Peßlers verlesene suppli- 
cation und beschwerung, das man ine der predicaturn und Superintendenz 
erlassen mit bit, weil er noch wol vermüglich, daß er die sonntags- 
predigt bei U. Frauen wol verrichten künt, ine dabei lenger bleiben 
zu lagen, ist beim rat erteilt, ime sein vorhaben mit guten worten, 
das es im zum besten gescheen, benemen und es bei jüngstem bescheid 
und verordnung pleiben lagen. 2. 8. 1569: auf getane relation, daß 


12 


ernster Verweis erteilt !). Weithin fühlte man, welchen 
Schlag die luth. Richtung in Nürnberg dadurch bekommen 
hatte. „Flaciani etiam magnam rerum suarum jacturam 
fecerunt, de qua longum esset scribere. Nam senex Beslerus 


M. Michel Pesler uf eröffneten bescheid angezeigt, weil ain erber rate 
ine je aller seiner diensten erlassen wolten und solchs also fur gut an- 
sehen, wer er damit ‚auch gesettigt, neme solchs zu dankbarem ge- 
fallen an und wolt sich als ein gehorsamer bürger verhalten und 
erzeigen. sol mans dabei pleiben lassen. 29. 7. 1569: der universität 
za Wittenberg sol man uf ir schreiben von wegen Policarpi Peßlers 
schulden seins vaters M. Michael Peflers antwort einschließen und 
melden, daß meine herrn die sach nicht gern gehort, könten aber doch 
dem herr Peßler über sein rechtspot nichts auflegen. 8. 5. 1566: M 
Michel Peßler soll man auf sein supplicieren die gepeten furschrift 
an den erzbischofen zu Salsburg von wegen seines verhaften sones in 
bester form mitteilen. 14. 1. 1566: Herrn Mag. Michel Peßler soll 
man von wegen seins verhaften suns zu Salzburg die gebeten furschrift 
an den herrn ersbischof in bester form mitteilen, insonderheit ver- 
melden, wie wol sich gedachter herr PeBler verhalten. 8. 10. 1569: 
der universität zu Wittenberg furbittlich schreiben von wegen Prisca 
Winterin und der Herrn Vorsteher der universität Fisci Policarpi 
Peslers schuld halben und M. Michael Peelers darauf gegebene ant- 
»wort soll man neben vorigen actis bei den gelerten ratschlagen. Vgl. 
Zeltner, vita Helingi 8. 55 f. Ratsbuch 38, 812. 

1) B. V. 26. 1. 1569: auf der Flacianer Theologen zu Northausen 
übergebne greuliche und lesterliche articul, so bei den herrn Eltern 
verlesen, soll man herrn Jochimen Haller anzeigen, nachfrag zu haben, 
bei wem hie solche articul zu finden, dieselben alle zr meiner herrn 
banden zu pringen, daneben alle buchtrucker, fürer, briefmaler und 
die mit schriften umgehen, beschicken, inen von neuen bei iren eids- 
pflichten einbinden, was sie fur dergleichen Flaccianische schmach- 
schriften haben oder künftig bekumen, meinen herrn unseumlich zu 
wissen zu machen und zuzustellen. daneben soll man der schreinerin 
auch ernstlich auflegen, sobald ein bot herkume, und ein Truck bring, 
os sei, was es wolle, dem herrn Haller desgleichen dem Kezel alsbald 
und unverlengt anzuzeigen, dem Kezel auch ernstlich einbinden, sobald 
ein pot ein truck hieher pring, sei was es wol, ein knecht zu sich 
zu nemen, dieselben aufheben und den poten damit fur den herrn 
Haller zu pringen. 4.8. 1569: als bei den herrn eltern angebracht, 
das Christoph Heusler buchtrucker des churfursten su Saxen schreiben 
nach zerschlagung des colloquii zu Altenburg an herzog Johanns 
Wilhelmen zu Saxen ausgangen, desgleichen andere schriften mer das 
colloquium belangend [drucken soll] und sonderlich Mag. Johann Schel- 
hamer, predicant zu S. Lorentzen, Herr Jochim Hallern [anzeigt] ein 
ra ctetlein, so von den Flacianern ausgangen intituliert, wie das alten- 
burgischen colloquium zergangen, so christoph Henßler buchtrucker 


J 


13 


loco motus est et ei surrogatus M. Heroldus, cui successit 
M. Martinus, M. Martino Caspar Koeler. Bibliopolae Georgio 
Fischer, qui euravit imprimi famosos libellos Galli una cum 
uxore et liberis civitas perpetuo interdicta est“ schrieb Joh. 


hie allbereit getruckt, ist verlaßen, alsbald einzufallen, den heusler und 
sei r ins loch zu furen alsbald, darauf die originalien und alle 
abtruck zur han en und in die kanzlei bis auf weitern bescheid 
zu antworten. 5.8.1569: a e relation, das sich Christoph 
HeuBler der buchtrucker gestern, als mum bei im eingefallen, samt 
seinen geselln sich absentiett, auch alle exemplärien verschoben, das 
man zu keinem kumen mögen, aber doch sein setzer Jörg Muntzer 
betreten und ins loch gefürt, doselbst vermöge seiner urgicht zu rede 
gehalten und sich dann befunden, daß Jörg Fischer der buchfürer die 
Flacianischen bücher dem Heußler zu trucken geben, welcher dann 
auch uf ein turn geschafft und des Heußiers aiden gleichwol heute 
früe die originalien samt den abdrücken im die canzlei geantwortet 
und sich erpoten, den heusler auch zustellen, soll man den Fischer 
unter essens ins loch füren, zu rede halten. da sich der heusler stellt, 
ine auf ein tarm schaffen und die exemplar in verwarong tan. 6.8.1569: 
auf Jorgen Fischers im loch sage, daß im D. Johann Fridericus Celestinus 
zu Jena und der Gallus zu Regensburg die zwei tractetlein von alten- 
burgischen colloquio zugeschickt, sol man solch bede dea Coelestini 
und Galli schreiben zur Hand pringen, Jorg Schraufen auch erfordern, 
ine zu rede halten, ob er diese tractétlein abgeschrieben, wem er mit- 
geteilt und sehen lassen, christophen Heusler inmittels uf dem turn 
ruen lassen, 10.8. 1569: auf D. Celestini uad Galli verlesene schreiben 
an Jorgen Fischer, buchfürer, soll man munmer Christophen Heusler 
uf alle umstende, sonderlich, wer ime die tractetlein corrigiert, zurede 
halten. 11.8. 1569: auf Christophen Hewslers aufm turn verlesene 
sag sol man ine heut bei der nacht ins loch furen lassen und Jorgen 
Fischer in der alten Capellen uf des Heuslers sag der briefe des Galli 
halb, item wo er mer zu trucken geben ime die pflicht furlesen, 
binden und betrohen, auch nachfrag haben, ob von den trucken etem- 
plaria kumen und Jörgen Münzer pflicht tun lassen, 12. 8. 1569: auf 
Jörgen Fischers im loch sag, soll man Christofen Heusler in der alten 
prisaun auch zu red halten, binden und betrohen und zur entscheft 
der sachen indenk sein, was man gegen M. Adam Pirkamer handeln 
wolle. 16.8.1569: M. Adamen Birkhamer, caplan zu S. Sebald, sol 
man fordern, ime meiner herrn ernstlich misfallen anzeigen, das er 
die tractetlein vom colloquio zu Altenburg eorrigirn und sich unter- 
standen, dieselben verdrucken zu helfem, sel demnach gedenken, sich 
hinfaro dergleichen hendel zu entschlagen eder man muß mit ernst 
einsehen gegen ine tun. sunst sol man solehe tractetleim in ein palin 
binden und an ein feucht ort setzen, das nicht jedermann dazu kum, 
und dieselben also verderben und verfaulen mögen. desgleichen sol 
man alle buchführer erfordern, inea anzeigen, weil die messen wieder 


14 


Molitor an M. Ciriacus!), Ja auch der einzige Patrizier, 
der für Flacius einzutreten wagte, Cristoph Harsdörfer, mußte 
seinen Freimut mit zwei Tage Gefängnis auf dem Turm 
büßen (1569)?). 

Nun meinten diePhilippisten, ihr Ziel erreichen zu können. 
Auf Grund der von Paul Eber noch übersandten Akten über 
das Altenburger Gespräch stellten sie kurz zusammen, wie 
die eiuzelnen strittigen Punkte unter den Evangelischen zu 
entscheiden wären. Diesen „extract“ tübergaben sie dem 
Rate mit dem Ersuchen, ihn als „norma doctrinae“ anzu- 
erkennen und ihm unter allen Theologen zur Geltung zu ver- 
helfen. Wider Erwarten aber lehnte der Rat ab; er sah voraus: 
nicht zur Beruhigung, sondern nur zu neuem erbitterten 
Kampfe wurde dies dienen. Trotz aller Hinneigung zum 
Philippismus war ihm doch die Aufrechterhaltung der Ruhe 
in der Stadt das wichtigste“). Heling, Schellheimer und 
Dürnhofer waren gewiß enttäuscht; die Lutheraner aber, 
denen diese Sache doch zu Ohren gekommen war, ließen 
es an Spott nicht fehlen. Noch im Februar 1570 ging auf 
einmal durch die Stadt das Gerticht, Heling und Dtürnhofer 
hütten sich so entzweit, daß einer dem andern ins Angesicht 
geschlagen hätte“). Im September 1570 konnte man an 


hinzukemen, sich zu enthalten, kein buch zu kaufen, hieherzupringen, 
und hie wider zuverkaufen, welche in religiónssachen zu spaltung 
und trennung ursach geben, inen auch ir pflicht furlesen, dieselbe 
schweren laßen und in acht haben, das alle jar vor dem amptbuch 
dise amtleut und iresgleichen, so in dieser pflicht begriffen, sie dieselb 
schworen. 81.8.1569: den supplierenden Linharten HeuBler soll man 
sein begeren, ime zu vergonnen, sich seins vaters christoph Heuslers 
druckerei zu gebrauchen ableinen und sagen, wenn er verheirat und 
eignen rauch halte, wieder anzusuchen. Und demnach Jürg Fischers 
weib iren buchladen noch offen helt, soll man sie beschicken, beaidigen, 
kein fremd oder neu buch mer einzukaufen noch zu ir zupringen, in 
zweien monaten auch ire bücher, die sie jtzo hat, verkaufen und den 
laden zusperren, auch kein buch verkaufen, das mein herrn zuwider, 
20. 9. 1569: der supplicierenden Barbara Jörg Fischerin buchfürerin 
sol man ir begern, sie den buchhandel also treiben zu lassen, ab- 
leinen und zu sperrung desselben noch frist bis lichtmeB geben. 

y B. Fr. Hummel, epist. hist. eccl. semicenturia Hallae 1778, 8,77. 

*) Ma. 1110, 238. Der oben genannte kurze Bericht schreibt: 
„man habe noch gut Wissen, daß Schellheimer dazumal in seinem 
Grimm und Bosbeit einen vornehmen Herrn aus den Geschlechtern 
des Flacianismus halben zu verhaft und auf den Turm gebracht". 

*) Ratsbuch 84, 19bf. 31. 1. 1570. 

*) Ratsverlaß 10. 2. 1570: als bei den herrn Eltern anbracht, 
das ein gemeine sag in der stadt, daß bede Herrn predicanten su Sand 


15 


verschiedenen Orten Zettel finden, in den Heling, Dürnhofer 
und Schellbeimer samt etlichen Kaplünen offen des Calvinismus 
beschuldigt wurden. Nicht nur die Angegriffenen, nein auch 
der Rat war aufs höchste bestürzt; denn trotz aller Hin- 
neigung zum Melanchthonianismus hatte man ängstlich darauf 
gesehen, immer als gut lutherisch zu gelten. Man suchte 
auf alle Weise den Verfasser herauszubekommen; man ver- 
mutete BeBler, die Bruder Kaufmann, den Kaplan Heinrich 
Virn als Verfasser; aber alle Bemühungen waren umsonst!). 
Zu denken gab aber die Erklärung Beßlers: Schellheimer 
sei mit diesem Vorwurf Unrecht geschehen; aber Heling 


Sebald und Sand Egidien in uneinigkeit mit einander erwachsen und 
einer den andern ins angesicht geschlagen haben soll, welchs denn 
ein lauter ertichter ungrund, inmassen denn M. Mauritius fur sich 
und von wegen des Dürnhofers dessen gegen dem herrn Haller zum 
höchsten beschwert und ir beder unschuld statlich angezogen, ist ver- 
lagen, Johann Pipler, als der es ausgeben, zu beschicken, beeidigen, 
die warheit zu sagen, von wem er diese rede gehort, also von einem 
zum andern inquirieren und alle beeidigen, bis man zum ersten aus- 
geber komt, und damit es laut were, das meine herrn daran misfallen 
und daß es ein erdichter ungrund, und vielleicht nur von den Flacia- 
nischen haufen und rott also ausgeben, sol man einem jeden insonderheit 
anzeigen, zu sagen, wer solche lügen ausgeben, dieweil es ein wissent- 
licher ungrund. denn meine herrn weren bedacht, den ernst und ir 
misfallen darinnen zu erzeigen. 17. 2, 1570: dieweil man über ange- 
wandten vleid weder bei Lucas Sizinger noch Johann Pipler zu keinem 
grund kumen kann, wer der erste ausgeber des unwillens zwischen 
den beden herrn predicanten zu S. Sebald und Egidien ist, sol mans 
also ruen lagen, Johann Pipler aber sagen, weil es ein lauter ungrund, 
sich solches ausgebens genzlich zu enthalten. den beden herrn predi- 
canten auch anzeigen, das man uber allen angewandten vleif zu keinein 
grund kumen mugen. dieweil denn nunmer offenbar, dag meine herrn 
in der sachen nachfrag gehabt und sie solcher beschuldigung halb bei 
meinen herrn wol entschuldigt, wolt man dafur achten, es würde solches 
geschrei nunmer erlosehen sein und weiter nichts ausgeben werden. 
Den herrn predicanten solchs durch Herrn Jochimen Haller anzeigen 
Jagen. 

T) Verlaß 23. 9. 1570: auf die an den stöcken angeschlagene und 
verlesene Schmachzettel wider die 8 herrn predicanten zu S. Sebald, 
Lorenzen und Egidien auch etliche caplan sol man inen den predicanten 
furhalten und anzeigen, daß meine herrn sie der beschuldigung allent- 
halben one verdacht hielten, nichts weniger aber het man inen solchs 
darüm furhalten wollen, ob sie die handschrift kenneten oder auf 
jemanden einichen verdacht hetten. Das solten sie anzeigen. denn 
meine herrn wollten auch kuntscbaft darauf machen und wern ent- 
schloßen, da man die teter in erfahrung precht, ir ernsts misfallen 


16 


könnte sich „aus dem Verdachte, darinnen er bei vielen 
stecke, nicht lösen“. Beßler bezeichnete ihn offen als Sakra- 
mentierer!). Der Rat sah mit Entsetzen, wie die Entzweiung 
in der Stadt immer ärger zu werden drohte; trotz der wieder- 
holten Verbote, Flacianische Bücher zu verkaufen, schienen 
die Lutheraner immer mehr Sympathien gewinnen zu sollen?). 
Deshalb wurde Andreä, als er Ende Oktober 1570 auch 
hier für seine Unionspläne werben wollte, kurz abgewiesen. 


gegen denselben zu erzeigen. man wolt sie auch ersucht haben, auf 
der canzel von diesen dingen nichts zu melden, sondern bei sich zu 
behalten, wolt man hoífen, es würden die autores sich mer an tag 
geben und sie dardurch desto ehe offenbar werden. man sol auch bei 
den stöcken mit fleiß gute wacht bestellen, ob dieser zettel mehr an- 
geschlagen werden wolten, dieselben personen zur hand zu pringen. 
5.10. 1570: Auf der herrn predicanten zu S. Sebald, Lorenzen und 
Egidien verantwortung und entschuldigung uf die wider sie ange- 
schlagene schmachzettel, sol man inen sagen, es wer dern von unnoten 
gewesen, denn meine herrn sie hievor solcher beschreiung halben ent- 
schuldigt gehalten und noch und weren inen allein die zettel darum 
zugestellt, ob sie die schrift kenneten und suf den autorem verdacht 
hetten. Darauf solten sie noch kuntschaft machen. und do sie jmandt 
in verdacht, denselben anzeigen, wolt man die gebur handeln, wie 
meine herrn dann noch in allerlei erfarung stünden. Daneben und 
weil der herr Schellhamer sich insonderheit vernemen lassen, daß er 
der niderlender kindertauf halben nit schweigen künt, soll man ine 
warnen, auf der canzel nichts zu regen, denn meine herrn stünden 
deshalb auch noch in allerlei handlung. den niederlender auch hören. 
aber obangeregter schmachizettel halben, sol man M. Peßler und die 
zwei predicanten im spital und bei den parfüßern auch beschicken, 
inen die zettel zeigen und zu rede setzen, ob sie nicht von diesen 
zetteln wißten, auch die Schrift nicht kennten. Darnach den Heinrich 
Virn, den alten Laur, und welche Schelhamer weiter benennt, auch 
beschicken, sie alle beeidigen, anzuzeigen, ob sie um diese Zettel und 
schmach kein wissens. wiederbringen, Vgl. Zeltner, vita Helingi S. 54. 


1) Michaelis Pesleri senis afflictissimi responsio. Ms. 1110, 426 ff. 


*) R. V. 1. 6. 1570: auf die furbrachte Flacianische, dann Johann 
Seheitlichs, pfarrherrn zu Harburg verpitterte bücher, soll man 
Ulrichen Neuber und Endres Eschenberger, die sie herpracht und 
feilgehabt, einziehen in alle buchladen ordnen, inquierieren lassen und 
solche schedliche bucher alle aufheben. 2. 6. 1570: den verlaß mit 
Ulrichen Neuber und Endresen Eschenberger desgleichen der Fla- 
„cianer bücher halben sol man einstellen, bis die kais. mjst. von hinnen 
weg kumt, darnach wider furlegen. 29. 9. 1570: den buchfürern sol 
man sagen, die frankfurtische hieher gebrachten Flacianischen bucher 
zu hinterhalten bis uf weitern bescheid, inmittels deren keins verkaufen, 


Der Rat fürchtete einen offenen Zwiespalt unter den Geist- 
lichen). Ill 


Was der Rat verhindern wollte, wurde doch bald darauf 
Wirklichkeit. Der Streit zwisehen Philippisten und Luthe- 
ranern wurde immer heftiger; ,Sakramentierer* oder „Fla- 
oianer“ waren noch die geringsten Schimpfwörter, mit denen 
man sich gegenseitig bedachte?). Vor allem wurden jetzt 
auch die Kanzeln die Schauplätze erbitterter theologischer 
Kämpfe. Auf lutherischer Seite scheinen die größten Heiß- 
sporne die Kapläne Adam Birkamer bei St. Sebald und 


1) R. V. 81. 10. 1570: als D. Jacobus Andreas Wirtenbergischer 
theologus am verschinon samsstag durch den jungern herrn burger- 
meister anbringen laßen, wie er vor dieser zeit von herzog Christofen 
zu Wirtenberg an etliche stende der A. C. geschickt und abgefertigt, 
etlicher sachen und strit halben, so sich zwischen derselben theologen 
gehalten, handlung zu pflegen, also het er bisher solche handlung 
verricht. Weil er aber jtzo anher gelangt, were sein bit, ime in seiner 
werbung andienz zu geben und die hieigen theologen darzu zu er- 
fordern, das er sich mit inen unterreden mocht, Het auch alsbald 
deswegen ein credenz von- herzog Juliusen von Braunschweig uber- 
geben, wie dieselbige verlesen worden. und darauf erteilt, ime zu 
sagen, daß beim rat nit herkumen, wann potschaften oder gesandte 
hieher gelangt und werbung beim rat gehabt, daß man andere denn 
ratspersonen dazu gezogen. Darum wolt man auf ine stellen, ob er 
sein werbung also tun, wolt man ime zu bescheiden, Doch kont 
die sache eher nit widerpracht werden oder er bescheid bekumen bis 
uf montag, weil der rat die 2 feiertage nit zusammenkome. Als im 
nun dieser bescheid angesagt, hat er vermeldet, daB im nit muglich, 
diserzeit zu erwarten, sintemaln er nicht allein von herzogen von 
Wirtenberg sonder auch vom marggrafen eilends emfordert; er het 
aber gern gesehen, das sein anbringen noch desselben tags gescheen. 
weil es aber von alter lóblich nit herbracht, daß man die theologen 
bei den werbungen sein lagen, ließ ers auch dabei pleiben, wiewol er 
nun gleichwol bedacht gewest, mit den theologen aus den sachen zu 
reden, weil es aber kürze der zeit halben nit sein können und aber 
doch seiner sachen ausrichtung tete, so hette er ime herrn burger- 
meister ein getruckt buchlein zugestellt intituliert: gründlicher war- 
haftiger und bestendiger bericht von christlicher einigkeit der Theo- 
logen der Augspurgischen Confeßion — ist verlaßen, der sache also 
ruhe zu geben und dieselbe ersitzen zu laßen. (gedruckt zu Wolfen- 
büttel von Conrad Horn 1570. Staatsbibliothek München. 4*. H. Ref. 101. 
-Credenz des Herzogs Julius von Braunschweig d. d, Gandersheim 
17. 9. 1570, Kreisarchiv Nürnberg. Rep. 12 S. 8 Nr. 660 Produkt 1] 

*) Siehe den Brief des M. Heling an Dechant Chr. Homugius 
in Schwabach. 8. 12. 1572. Ms 1110, 492 fl. Die Erwiederung M. 
Peslers fol. 426 fl. Zeltner, vita Helingi 51. 55. 

Arohiv für Reformationsgeschichte. XX. 1/9. 2 


18 


Heinrich Virn!) bei St. Egidien gewesen zu sein. Alle 
Mahnungen, sich zu mäßigen, waren umsonst; dem Rat blieb 
zum Schluß nichts anderes Übrig, als sie am 13. Juli 1571 
ihrer Stellen zu entheben. Die Lutheraner fühlten sich 
aufs schwerste verletzt?) Am Samstag, den 21. Juli, bat 
Joh. Kaufmann nach der Predigt in der Barfüßerkirche auf 
der Kanzel die Gemeinde: sich die beiden Kapläne im Gebete 
befohlen sein zu lassen, daß sie Gott in ihrem Kreuz mit 
Weib und Kind wolle trösten und erhalten; er mtüsse ihnen 
das Zeugnis geben, daß sie genau wie Luther das Evangelium 
gelehrt hätten. Dem Rat blieb nichts anderes übrig, als ihn 
zu suspendieren (23. Juli 1571)*). Aber er sah ein, mit solchen 


) R. V. 7.11. 1567: an Sebalden Bayreuters statt ist Heinrich 
Firn zum Kaplan zu S. Egidien an den sein des Firn statt Johannes 
Pickhart zum Píarrherrn gen Meckenhausen verordnet. Doch soll es 
erst ufs quartal angestellt werden, 

2) R. V. 18. 7. 1571: Dieweil herr Adam Burkhamer zu S. Sebald 
und Heinrich Viern, caplan bei S. Egidien, hiebevorn gar etlichen malen 
gewarnt worden, sich der Flacianischen und anderer gezenk und irrtum- 
ben zu enthalten und sich mit disputationen nicht einzulassen, aber 
solches nit mußig gestanden und darzu in irer letzten antwort sich 
nit lauter ercleren wollen, sondern so verzickte anwort geben, sol 
man sie bede irer Dienst urlauben und sagen, wolten sie je hier sein, 
sich dermaßen zu halten, daß kein clag irenthalben keme oder man 
würd mit ernst gegen inen handeln. 7,8. 1571: auf herrn Adam Birk- 
amers verlesene supplication ine wider gu seim caplan stand kumen 
zu lassen oder mit andern diensten zu versehen und ime das wohnhaus 
auch pleiben zu lassen mit anzeig, daß er der Augspurgischen Con- 
fession halb geurlaubt, soll man im anzeigen, daB er der A. C. halben 
nit, sondern darum geurlaubt, daß er uber alle treue vermanung und 
warnung des Flacii und anderer zankschriften nit müfig gangen, 
sonder diselben allenthalben ausgebreit. darum hette man ine zu keinem 
kireben mer brauchen können, wiss ine auch noch zu keim dienst 
kumen zu lassen, weil er damit behaft. So muß man auch die be- 
hausung fur andere leute und caplan haben. aber aus günstigem willen 
wolt man im dieselb bis uf allheiligen laßen, inmittels mecht er nach 
einer andern trachten. cf, 10, 8. 14. 4. 1572 (Will) bist. diplo- 
matisches Magazin für das Vaterland und angrenzende Gegenden, 
Nürnberg 1780. 8.852. Zeltner, kursgefaßte Geschichte S, 50. Diss. 
historica, qua Joh. Kaufmanni vita percensentur. 1722. Altdorf. S. 20. 
Ratsbueh 34, 150f. 

) R. V. 23. 7. 1571: als herr Johann Kaufman prediger bei den 
barfüBern am verschinen samstag nach vollendeter predigt in der ge- 
meinen furbit der zwei geurlaubten caplan auch gedacht und dieselben 
in irer ler und confession hoch gerümt, auch das volk ermant, fur sie 
su piten, seien die herrn eltern verursacht worden, ine su beschicken, 


19 


Maßregeln war wenig erreicht; zur Beruhigung konnte das 
nicht dienen; er mußte daran gehen, die Gegensätze aus- 
zugleichen oder zu überbrücken. Ueber die Verhandlungen 
sind wir nun nicht im geringsten unterrichtet; aber soviel 
scheint klar zu sein, die drei vördersten Geistlichen Heling, 

er, Sehellheimer schlugen wiederum vor, für das 
Nürnberger Gebiet. eine norma docírina festzusetzen und 
als solche benannten sie-das corpus doctrinae Philippicum, 
das 1560 in Sachsen zur Einführung gelangt war. Sämtliche 
Geistliche außer den drei Kaplänen Georg Pfeifer, Joh. Bern- 
hard, Mich. Fabri waren auch bereit, es anzunehmen!) 
Um so erbitterter war der Widerstand der beiden Bruder 
Kaufmann. Enthielt es doch z. B. die Ausgabe der loci 
communes, in der dem Menschen die facultas applicandi 
se ad gratiam zugeschrieben war. Sie proponierten dafür 
als Lehrnorm die auf dem Konvent zu Zerbst erst jüngst 
benannten Schriften: Augustana, wie sie 1530 dem Kaiser 


sein ganze predigt samt der furbit von ime schriftlich begert mit 
anseig, daß er den Suntag der predigt erlaßen, damit er solchem bevel 
desto ehe nachkumen könt. Als er nun dieselb heutigs morgens 
übergeben, die auch beim rat ad longum abgehort, ist ime anzuzeigen 
befolen, daß ein erbarer rate dieser seiner furbit ein beschwerlichs 
mißfallen trügen, het im keins wegs, viel weniger das er iren er- 
berkeiten in disen und andern fellen mas oder ordnung zu geben geburt. 
denn es einmal keinen andern verstand haben konnt, dann daß er die 
gemeinde damit wider die oberkeit verhetzen wollen. Darum man 
wol ursach, in ander wege gegen im zu handln. solte gedenken, 
sich solchs in gemein und ins privat zu enthalten oder man würd 
uf ander weg gedenken mußen und wollten ire erlerkeiten die sachen 
mit offner hand also bei sich behalten. Und weil dann bisher zwischen 
ime und seinem bruder und den andern predicanten allerlei zwiespalt 
erhalten, wer einem erbern rate beschwerlich, denselben lenger zu 
gedulden und weren entschlossen denselben haubthandel furzunemen 
und in vergleichung zu pringen, denn sie solchen zwiespalt keins wegs 
gedulden künten. Darum solt er sich des predigens bis zu ende dis 
streits oder vergleichung deeselben enthalten. diese handlung alle in 
hochster geheim halten. Nach solchem sollen die verordneten herrn 
beede Kaufmenner gebruder unseümlich erfordern und lautere erclerung 
von ir jedem insonderheit begeren” ob sie sich zu der schrift, dern 
sich im 63. hie verglichen, welche sie underschrieben, sich darzu be- 
kennt und dieselb fur gut geacht, mit handgebenden treuen dieselb 
approbiert und ein erbern rate gepeten, sie dabei handsuhaben, noch- 
maln bekennen und derselben gemeß predigen und leren wollten oder 
nicht, solchs widerpringen. 

3) Acta historico ecclesiastica. Weimar. XI, 411. 1747. Zeltner, 
vita Helingi 8, 61, kursgefaßte Geschichte 8. 50. | 


20 


Karl V. übergeben worden war, Apologia, die Schmalkaldischen 
Artikel und die beiden Katechismen. 

Der Rat wußte nicht, wie er die streitenden Parteien 
vereinigen sollte. Sein Blick fiel auf das benachbarte Mark- 
graftum. Die Not der Zeit hatte dazu geführt, daß Nürnberg 
und Brandenburg in den Fragen der äußeren Politik eng 
zusammenhalten mußten; seit Jahren ging ein reger diplo- 
matischer Verkehr hin und her; auch konnte man hoffen, 
die seitJahrzehnten spielenden nachbarlichen Differenzen durch 
gütlichen Vergleich zu beiderseitiger Zufriedenheit zu regeln. 
Es lag nahe, auch in kirchlichen Dingen wie einst vor 40 
Jahren wieder zusammenzugehen. Auch das Markgraftum 
war von den tbeologischen Kämpfen nicht unberührt ge- 
blieben; aber nunmehr herrschte Ruhe; die Abmachungen 
im Jahre 1570 hatten ihren Zweck erreicht. In Nürnberg 
glaubte man des Rates der brandenburgischen Theologen 
und Räte sich bedienen zu sollen. Am 13. August 1571 
wandten sich die Herren Eltern nach Ausbach. „Es ist 
leider vor Augen, mit was beschwerlichem und ärgerlichem 
Gezänk die Theologen hin und wieder in einander erwachsen 
sind, dadurch je länger je mehr ein Streit und Neuerung 
in die christliche Kirche eingeführt, das gemeine Volk 
irrig gemacht und auf das letzt, wie leichtlich zu erachten, 
nichts gutes daraus folgen kann und wird. So haben wir 
auch mit Schmerzen im Werk befunden, daß durch die neuen 
subtilen und unsers Verstands mehrerteils solche bisanher 
getribene Disputationes und Schriften, die zur Besserung 
wenig nütze und dienlich, unserer Kirchen Diener und 
Prediger über unsern vorgewendeten möglichen Fleiß auch 
zwiespältig worden und uns schier der Schulen, die in solchen 
Sachen Richter sein möchten, entrinnen wollen.“ Der Mark- 
graf habe die scismata zwischen seinen Kirchendienern gütlich 
und ohne alle Weitläufigkeit beigelegt. In Erinnerung an 
die gemeinsame Kirchenordnung möge er mitteilen „in was 
gestalt und durch welche Mittel solche lobsame Einigkeit 
gefunden und getroffen, unsere Kirche und derselben Diener 
darnach auch haben zu richten und zu regulieren“ 1). In 
Ansbach war man natürlich über diese Streitigkeiten schon 
längst unterrichtet. Trotz langjähriger politischer Entfremdung, 
ja schroffen Widerstreites ließen sich die geistigen Beziehungen 
zwischen den beiden Territorien nicht ausschalten. Karg 
war sich deshalb von vornherein klar, daß die kirchliche 
Lage im Markgraftum ganz verschieden von der der Reichs- 
stadt war. Im Markgraftum hatte es sich doch nur um einen 
lokalen Streit gehandelt; in Nürnberg aber lagen die beiden 


! ARA. 34, 242. 


21 


den ganzen Protestantismus im Reiche aufs tiefste bewegenden 
Richtungen: Philippisten und Lutheraner im Kampfe. Der 
Vorgang Ansbachs bedeutete deshalb für Nürnberg gar nichts, 
Ihm war es aber sehr fraglich, ob es überhaupt möglich 
wäre, beide Richtungen miteinander zu versöhnen und die 
prinzipiellen Gegensätze auszugleichen; am geratensten er- 
schien ihm, eine Form zu finden, die für beide Raum bot, 
aber zugleich die beiden Extreme „Sakramentierer“ und 
„Flacianer“ ausschloß. Dies legte sich ihm um so näher, 
als die Philippisten wie die Lutheraner mit Entschiedenheit 
eine derartige Bezeichnung ablehnten. So schlug er denn 
dem Rate vor, zu den Schriften des corpus doctrinae 
Philippicum: 1. den drei Symbolen 2. Augustana 3: Apologia 
4. Repetitio Aug. conf. 5. loei theologici communes 6. Examen 
ordinandorum 7. Definitiones Appellationum Phil. Mel. 8. Re- 
sponsio de controversia Stancari, 9. Responsiones ad impios 
artieulos Bav., noch den grofen und kleinen Katechismug 
sowie die Schmalkaldischen Artikel als Lehrnorm für das 
Nürnberger Gebiet zu bestimmen. Karg glaubte, daß sich 
beide Teile darauf einigen könnten. Die Lutheraner mußten 
befriedigt sein durch die Aufnahme der Schmalkadischen 
Artikel ,war doch in ihnen die Lehre von der Gegenwart 
und mündlichen Nießung des wahren Leibs und Bluts Christi 
in oder unter Brot und Wein, so guten und bósen Christen 
gemeinsam", rund gesetzt; und die Philippisten konnten sich 
an die klare und entschiedene Ablehnung der ,erdichteten 
physica communicatio idiomatum“ durch das corpus doctrinae 
Philippicum halten. Auch hatte man im Markgraftum in, 
gleicher Weise Bücher beider Richtungen wie die Aug., Apol, 
Repetitio Aug. Conf., loc. communes, Schmalkaldische Artikel 
und die Katechismen den Kirchendienern zum Studium 
empfohlen!) 

Heling, Dürnhofer, Schellheimer liesen sich diesen Vor- 
schlag Kargs gefallen, nicht so Johann und Christof Kauf- 
mann. Ihre Einwünde waren die alten; die Lehre der Kirche 
von dem mündlichen Genuß des Leibes und Blutes Christi 
durch Gute und Böse komme noch nicht zum rechten Aus- 
druck. An den locis communibus hatten sie vor allem die 
Erklärung „liberam arbitrium in homine facultatem esse 
applicandi se ad gratiam“ und die drei Ursachen der Be- 
kehrung: „Wort, heiliger Geist und des Menschen Wille“ 
zu tadeln. Die Annahme dieser Schriften würde Nürnberg 
in den Verdacht des Calvinismus bringen; sei doch der 


1) Gutachten Kargs. ARA. 34, 333 ff. Räte an G. Friedrich 
28. 8, 1571. ARA. 84, 243 G. Fr. an die Herrn Eltern zu Nürnberg. 
d. d. Bergel 24. 8. 1571. ARA, 31, 246. 


Wittenberger Katechismus, der überall als sakramentiererisch 
gelte, aus ihnen genommen. Ueberhaupt sei es fraglich, ob 
man Melanchthons Schriften solche Bedeutung zumessen 
dürfe; seien sie doch meist nach Luthers Tode geschrieben 
und von ihm ausdrücklich dem Urteil der Kirche unter- 
worfen worden. Warum sollte man Nürnberg etwas auf- 
erlegen, was im ganzen Markgraftum noch nicht angeregt 
sei. Am einfachsten wäre es, zu bleiben bei der declaratio, 
die man 1568 doch ausdrücklich unterschrieben hätte; hätten 
die anderen sich an sie immer gehalten, so würde es keinen 
Streit gegeben haben. 

Der Rat merkte, am ehesten noch würden die beiden 
Brüder Kaufmann ihren Widerstand gegen die Unterzeich- 
nung aufgeben, wenn sich auch Brandenburg zu gleichem 
Vorgehen entschließen würde. Wohl um dies zu erreichen, 
sandte man am 2. Januar 1572 einen eigenen Syndikus, 
Joachim König, nach Ansbach. „Man spüre aus dem mark- 
gräflichen Schreiben vom 24. August 1571, daß es auch Georg 
Friedrich für gut finde, wenn die benachbarten Fürsten und 
Stände in solcher ganz wichtigen Sache zusammenhielten 
und einander die Hand böten um zu verhüten, daß weder 
bei einem noch dem anderen teil gefährliche Spaltungen 
einrissen, aus welchen Ursachen Markgraf Georg aus christ- 
licher Anmut ein besonderer Stifter und Beförderer der da- 
zumal zwischen Brandenburg und uns beiderseits aufgerichteten 
gemeinen einhelligen Kirchenordnung gewesen, damit gegen- 
wärtig und in künftiger Zeit eine einhellige Lehre in beider 
Herrschaften Kirchen erhalten werden und bleiben möchte“ !). 
Dazu konnte man sich aber in Ansbach noch nicht ent- 
schließen. Wohl erklärte Karg, er würde es gern sehen, 
wenn die von ihm vorgeschlagenen elf Schriften von sämt- 
lichen ev. Ständen als norma judicii angenommen und als 
besonderes Buch jeder Kirche zugestellt würden, aber eine 
weitere: Bedeutung hatte diese Anregung noch nicht. Er 
blieb vielmehr auf dem Standpunkt, daß der von ihm vor- 
geschlagene Weg noch immer das beste Mittel sei, um in 
Nürnberg zur Einigkeit zu kommen. Durch eine Ablehnung 
der bewußten Bticher wtirden die beiden Lutheraner sich 
ganz und gar des Flacianismus verdächtig machen, wogegen 
sie sich doch bis jetzt immer verwahrt hätten. Wegen des 
Abendmahls brauchten sie nach Aufnahme der Schmalkal- 
dischen Artikel gar kein Bedenken zu haben; zu allem 
Ueberfluß bleibe ja auch noch die alte Kirchenordnung von 
1533 in Kraft. Die Lehre Melanchthons über das liberum 
arbitrium verstünden sie falsch; Melanchthon rede ja immer 


1) Eltern des Rats an Georg Friedrich 2.1. 1572, ARA. 34, 963. 


23 


vom menschlichen Willen „in der Bekehrung, wenn er ver- 
mittels des Worte vom heiligen Geist bewegt und angetrieben 
werde“. Karg konnte nicht begreifen, warum die beiden 
Kaufmänner sogar gegen Melanchthon Stellung nahmen; 
war er denn nicht mit Luther durch die treueste Freund- 
schaft verbunden und dessen bester Gehilfe gewesen. Wohl 
seien die benannten Bücher Melanchthons zumeist erst 
nach Luthers Tode verfaßt worden; aber nur an einem 
hätten doch die Lutheraner etwas auszusetzen: den locis 
communibus, die wären aber zu Luthers Lebzeiten verfaßt 
und von ihm hoch commendirt und gelobt worden. Wohl 
habe Melanchthon seine Schriften „dem judicio der Kirchen“ 
unterworfen; aber damit habe er nur Luthers Beispiel ge- 
folgt; in der ev. Kirche müßten sich ja alle Schriften auch 
die vorgeschlagene norma judicii der Autorität der heiligen 
Schrift beugen. Gar kein Anlaß wäre, sich auf das Mark- 
graftum zu berufen, denn auch hier wären Confessio, Augustana, 
Apologia, Repetitio Aug. Conf., Loci communes, articuli 
Schmalcaldici, die Katechismen und die Kirchenordnung 1533 
den Geistlichen als libri methodici zum Studium empfohlen. 
Doch glaubte Karg den Lutheranern noch mehr entgegen- 
kommen zn sollen. In einem „Katalog“ stellte er noch 
einmal die elf Schriften zusammen, welche als Lehrnorm 
für Nürnberg gelten sollten. Bei Punkt 3: der Augsburgischen 
Konfession setzte er aber hinzu: und sonderlich auch neben 
den letzteren die erste Edition lateinisch und deutsch, so zu 
Naumburg anno 61 vor Churfursten und fursten ratificirt und 
unterschrieben worden). | | 

Der Rat berief darauf am 14. April 1572 Heling, Dürn- 
hofer und Schellheimer und legte ihnen die Frage vor, ob 
sie die von Karg benannten elf Schriften als norma doctrinae 
et judicii annähmen. Sie erklärten sich dazu bereit. „Doch 
sollten die schmalkaldischen Artikel in ihrem rechten Ver- 
stand gebraucht werden und beide Kaufmänner sollten sich 
nicht unterstehen, wie Flacius, ihre irrige Lehren damit zu 
beweisen: daß die Erbsünde eine Substanz sei, daß der 
Mensch wider seinen Willen müsse bekehrt werden, daß er 
ein Stock und Block sei, der Mensch sei nicht Gottes Bild, 
das Kind werde im Mutterleib vom Teufel formiert und 
was dergleichen Artikel mehr sind.“ Anders verhielten sich 
Johann und Christoph Kaufmann, die am 19. April bzw. 
14. April befragt wurden. Ohne alle Bedenken stimmten 
sie nur den drei alten Symbolen, dem großen und kleinen 


1) Bedenken Kargs ARA. 34, 250. 254. (abgedruckt als Bei- 
lage V.) G. Fr. an die Eltern des Rats. Ansbach 10. 1. 1572. 
ARA. 34, 261. 


24 


Katechismus, der Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln 
zu. Bei der Confessio Augustana betonten sie die von Karg 
hinzugesetzte Erläuterung. Von den locis communibus wollte 
Hans Kaufmann nur die zu Luthers Zeit gedruckten Aus- 
gaben anerkennen.. Bedenken hatten sie gegen die repetitio 
Aug. Confessionis, Examen ordinandorum, Definitiones theo- 
logicae, Responsio Mel.ad impios articulos Bavaricos, Responsio 
Melanchthonis de controversia Stancari; sie wollten sie nicht 
verwerfen, läsen sie so gern als andere Schriften Luthers 
und Melanchthons; aber sie könnteh nicht begreifen, warum 
‚sie als norma judicii gelten sollten. Seien sie doch da- 
zu auch im  Markgraftum noch nicht erklärt worden. 
Christoph Kaufmann erklärte sich zur Annahme sämtlicher 
Sehriften bereit, falls Nürnberg und Brandenburg auch in 
dieser Sache einig vorgingen. Johann zögerte: er würde 
tun, was recht ist und mit gutem Gewissen geschehen könnte; 
erst wenn alle ev. Stände sich einer einhelligen Norm be- 
dienen würden, wollte er sich nicht ausschließen. Beide 
aber erklärten bei Aufstellung einer norma doctrinae von 
der Kirchenordnung nicht Umgang nehmen zu wollen. Der 
Rat war nun der Ansicht, am meisten dadurch erreichen 
zu können, wenn er die einzelnen Parteien auch einmal 
miteinander verhandeln ließ. Am 3. Juli 1572 fand eine 
Besprechung zwischen den 5 Geistlichen statt. Das Protokoll 
ist zwar recht farblos abgefaßt, läßt aber doch erkennen, 
mit welcher Erbitterung die beiden Parteien einander gegen- 
überstanden. Heling und die beiden andern vordersten Geist- 
lichen ließen sich davon nicht im mindesten abbringen, daß 
die andern eben doch Gesinnungsgenossen des verhaßten 
Flacius wären. Scharf geißelte Heling, daß die Kaufmünner 
an allen Schriften Melanchthons etwas auszusetzen hätten. 
Das Examen Philippi hätte man jahrelang bei der Examination 
der Kandidaten in Nürnberg zugrunde gelegt; auch bei 
der großen letzten Kirchenvisitation sei es zugrunde gelegt 
worden, ohne daß jemand daran Anstoß genommen hätte. 
Die definitiones wären eine „tröstliche“ Arbeit; vielen ge- 
lehrten Leuten würde schwer fallen, so treffliche Definitionen 
zu verfassen. An den beiden letzten Schriften: responsiones 
ad Bav. articulos et de controversia Stancari hätte niemand 
etwas zn tadeln. Was die beiden bestimme, zeige ihre Ab- 
lehnung der repetitio Aug. Confessionis; sie treten damit in 
die Fußtapfen Wigands, der allein sie verworfen habe; wenn 
sie die locos communes nur mit Vorbehalt annehmen wollten, 
würen sie noch Flacianischer als Flacius selbst, der doch 
gesagt habe: ego tam nollem perire locos communes quam 
me ipsum; nur Gallus und andere Alterlutheraner hätten 
sie da auf ihrer Seite, Alle anderen von ihnen erhobenen 


Einwendungen bezeichnete er als grundlos. Wenn der Mark- 
graf diese Bücher selbst als norma doctrinae vorschlage, 
erkläre er doch damit, daß auch in seinen Landen nur diese 
Lehre Geltung habe; es habe also wenig zu bedeuten, 
wenn sie von den markgrüflichen Theologen nicht noch 
förmlich unterschrieben würden. Abzuwarten aber, bis alle 
ev. Stände eine gemeinsame Lehrnorm festsetzen würden, 
hätte je keinen Wert, schon aus dem Grunde, weil man 
damit bekennen würde, daß die Evangelischen in der Lehre 
„zweifenlich“ gewesen wären; überhaupt sei es fraglich 
schon wegen Flacius und seiner Genossen, ob man je soweit 
kommen würde. Am allerwenigsten hätten aber beide Grund, 
sich auf die Kirchenordnung zu berufen; denn gerade sie 
bringe Osianders und Majors falsche Lehren nur allzu deutlich 
zum Ausdruck. Christoph Kaufmann beklagte sich wohl 
über die persönlichen Verdüchtigungen, denen er meist ganz 
grundlos ausgesetzt wäre, rückte aber doch ganz entschieden 
von Flacius ab. „Er sage nicht, daß der Mensch Satans 
Bild sei, daß peccatum sit substantia.“ Solche Lehre habe 
ihm nie gefallen. Auch die loci communes wollte er sich 
gefallen lassen, falls die markgräfliche Erklärung vom freien 
Willen zu Recht bestände. Daß er die erste Ausgabe der 
Confessio Aug. so sehr betone, könne man ihm nicht ver- 
denken; durch die Hinzufügung der Damnation nehme sie 
doch allein entschieden Stellung gegen die Sakrainentierer. 
Christoph Kaufmann konnte nicht recht einsehen, warum 
gerade diese Schriften zur norma doctrinae ausersehen seien; 
die Kirchenpostille und die Postille Luthers ständen gewiß 
ihnen an Wert gleich. Trotz aller Ausführungen Helings 
bleibe er dabei, daß im Markgraftum noch kein Kirchendiener 
dieses. corpus habe annehmen müssen; er hielt aber seine 
frühere Zusagung aufrecht, im Fall einer gemeinsamen An- 
nahme desselben sich nicht ausschließen zu wollen. Auch 
Joh. Kaufmann hielt es für nötig, jede Beziehung zu Flacius 
abzulehnen. ,So tue er sich auch weder des Flacii noch 
des Heßhusii annehmen“; „hab Flacius oder andere viel 
angefangen, sollen dieselben sehen, wie sies hinausführen“; 
wollte aber dann in eine ausführliche Erörternng tiber die 
Lehren eintreten, die ihm eine Annahme des vorgeschlagenen 
corpus doctrinae unmöglich machten. Doch ließ es der Rat 
nicht soweit kommen; es hätte ja nur dazu gedient, um den 
Riß zwischen Lutheranern und Philippisten noch zu erweitern. 
Am 8. August 1572 übergab Kaufmann darauf eine besondere 
Erklärung über die Gründe, welche ihm die Annahme des 
corpus doctrinae unrätlich erscheinen ließen. 1. Nur im 
Kurfürstentum Sachsen sei dieses corpus zur Geltung ge- 
kommen. Solange die einzelnen Territorien bei der Augs- 


26 


burgischen Konfession sowie der gebräuchlichen Kirchen- 
ordnung geblieben seien, habe es nie Streitigkeiten gegeben. 
Das gelte auch für Nürnberg. 2. Die Annahme dieses corp. 
doctrinae bedinge nur eine Sonderung vom Markgrafen; denn 
er habe noch keinen gleichartigen Befehl in seinem Gebiete 
gegeben. 3. Dem Verdacht des Zwinglianismus werde man 
nicht entgehen; denn aus dem corp. doctrinae stamme der 
Wittenberger Katechismus, der Überall als calvinisch gelte. 
4. Nicht bestündiger Frieden, sondern das Gegenteil würde 
die Folge sein, ,Bei Beschwerung der Gewissen finge man 
gewiß an allerlei Behelfe zu suchen und mancherlei Aus- 
legung zu machen).“ 

In Ansbach entschloß man sich, Nürnberg tatkräftigst 
zu unterstützen; vielleicht hatte der Rat durch eine persön- 
liche Rücksprache den Markgrafen dazu geneigt machen 
können. Karg schlug in Gemeinschaft mit dem Stiftsprediger 
Ko. Limmer, dem Hofprediger Joh. Unfug und seinem Ge- 
hilfen Adam Francisci dem Markgrafen vor, das vorgeschlagene 
corpus doctrinae von allen Superintendenten und Senioren 
ober- und unterhalb des Gebirgs unterschreiben zu lassen. 
Die beiden Brüder Kaufmann spekulierten darauf, daß eine 
Unterschreibung im Markgraftum auf heftigen Widerstand 
stoßen würde. Das sei eine Täuschung. Die Aufnahme 
des großen und kleinen Katechismus sowie der Schmalkal- 
dischen Artikel trete allem Verdacht des Calvinismus ent- 
gegen; nur M. Georg. Kayser, Pfarrer von Wendelstein, der 
mit Kaufmann gut befreundet sei, würde sich sträuben; es 
wäre aber besser, er wohnte über 70 Meilen weg in Oester- 
reich und nicht bei Nürnberg an der Ringmauer Von einer 
Neuerung würde niemand reden können, würde doch keine 
neue Lehre dadurch eingeführt; auch würde nicht mehr 
Zank und Unwillen entstehen, wenn man an dieses corpus 
gebunden wäre; auch wenn man nur an die heilige Schrift 
gebunden sei, könnte man Irrtümern nicht entgehen. In 
den vorgeschlagenen Büchern sei „methodus und summa 
christianae doctrinae begriffen, expliziert, notdürftig erklärt“; 
was in einem zu kurz komme, sei im anderen ausführlicher 
behandelt. Allen Postillen und Kommentaren seien sie um 
des „methodi“ willen und weil die christliche Lehre ordent- 
lich von Artikel zu Artikel darinnen gefaßt, weit vorzuziehen. 
Man dürfe nur nicht einzelne Stücke herauszwacken, sondern 


!) Memoriale der Nürnberger mit zwei Beilagen A u. B. ARA. 
34, 353. 268. (A) 274 (B gedruckt als Beilage VI). Erklärung, warum 
Herr Johann Kaufmanu das c. d. nicht annehmen könne. 34,356. Be- 
wleitschreiben der Herrn Eltern an den Markgrafen d. d, 9. 8. 1572. 
51. 266. 


27 


müsse immer die perpetua sententia betrachten!) Aber 
bevor man noch diesen Vorschlag ausführte, griff man in 
Ansbach einen alten Plan Kargs wieder auf. Man wollte 
versuchen, die benannten elf Schriften als Lehrnorm für den 
gesamten Protestantismus zur Geltung zu bringen. Der Land- 
richter J. Chr. von Giech wurde beauftragt, in diesem Sinne 
zunächst bei Kurfürst August und dann bei Kurfürst Johann 
Georg von Brandenburg vorstellig zu werden (5. Oktober 1572)?). 
Ueber den Erfolg seiner Mission verlautet nichts, allem An- 
schein nach zeigte schon Kurfürst August keine Geneigtheit, 
dem brandenburgischen Plane näherzufreten. So blieb denn 
nichts übrig, als allein mit Nürnberg eine gemeinsame Lehr- 
norm für die beiderseitigen Gebiete festzustellen. Am 24. Ok- 
tober 1572 machte der langjährige Mittelsmann Endres Mus- 
mann den Nürnberger Syndikus Joachim König mit den 
brandenburgischen Absichten bekannt. Der Rat war natürlich 
darüber hocherfreut „hierauf durch Herrn Georg Volkamer 
(Kirchenherrn) ihm König befohlen worden, Ehrengedachten 
Herrn Musmann zu vermelden, daß solchen Vorschlag ein 
erbar Rate zu untertünigem dank gnädig angehört“. Nur 
bat der Rat von dem „was ihr fürstlichen Gnaden in 
diesen Sachen auf diese jetzt benannte oder andere Mittel 
angestellten gnüdigen und treuherzigen Bedenken wären, 
dasselbe in einem schriftlichen Ratschlag zu verfassen“, um 
ihn in „gebührender Weise mit desto mehr Ernst und An- 
sehen den Theologen“ vorzuhalten; auch wünschte er die 
Aufnahme der gemeinsamen Kirchenordnung in das corpus 
doctrinae ). 

Der Markgraı ging auf diese Wünsche ein. Karg ent- 
warf das gewünschte Bedenken. „Der Markgraf hábe ver- 
nommen, welcher Zwiespalt sich zu Nürnberg erhoben habe. 
Der eine Teil wolle das sächsische corpus doctrinae, der 
andere Teil nur die Augsburger Konfession, Apologia, 
Sehmalkaldischen Artikel, die beiden Katechismen nach der 
heiligen prophetischen und apostolischen Schrift zur Richt- 
schnur annehmen. Weil nun jede Partei ihre besondere 
Opinion und Meinung mit begehrter Norma zu verdecken 
meine, solle man zur Erhaltung des reinen, alleinselig- 
machenden Wortes Gottes in einem gesunden Verstand und 
zur Verhütung allerlei Neuerung alle, Bücher zusammen- 


1) ARA. 34, 300 (geschrieben von Karg). 369. 

*) Bedenken der vier Theologen (geschrieben von Karg) ARA. 34, 
298. 366, Georg Friedrich an den Landrichter. Fol. 289. Der mit- 
gegebene Katalog. ARA. 34, 364. 

*) ARA. 34, 327. E. Musmann war nach den Verlüssen der 
Herrn Eltern den 21. Okt, 1572 in Nürnberg. 


28 


nehmen und sämtlich eine Norm und Regel der Lehre sein 
lassen. Weil der Markgraf eine gemeinsame Kirchenordnung 
mit Ntirnberg habe und keine Neuerung, welche derselben 
zuwider sei, zulasse, so wolle er um christlicher Einigkeit 
und guter Beständigkeit willen die gleiche norma und corpus 
doctrinae annehmen, sie jedem Kirthendiener vorlegen und 
unterschreiben lassen. Auch solle die Kirchenordnung zur 
Verhütung von Verfälschungen angehängt werden. Darinnen 
sei christliche Lehre und Gottes Wort methodice ordentlich 
und richtig von Artikel zu Artikel gefaßt und widerwärtige 
falsche Lehre, Irrtum, Ketzerei und Schwärmerei refutiert 
und widerlegt; was in einem Buch zu kurz und zu dunkel 
ist, würde im andern erhohlt, compliert, weitläuftig ausge- 
führt und erklärt, sintemal man nicht einzelne Sprüche heraus- 
zwacken sondern perpetua sententia betrachten solle. Diese 
Bücher seien sämtlich ein rechtes, völliges, unmangelhaftiges 
corpus, welches zwar der heiligen Schrift nicht gleich ge- 
achtet, sondern in allweg nachgesetzt und nur um Richtigkeit 
und besseren Verstands willen angehängt werden solle, wie 
ja auch Philipp Melanchthon und Luther alle ihre Schriften 
dem Urteil der heiligen Schrift und der wahren, christlichen 
Kirche unterworfen hätten. Durch diese norma doctrinae 
und corpus sollen andere gute nützliche Bücher nicht ver- 
dammt werden, sondern diesem gemäß verstanden werden)). 
Am 1. Januar 1573 übersandte Georg Friedrich diesen Rat- 
schlag nach Nürnberg; er erklärte sich bereit, das corpus 
doctrinae auch von seinen Theologen unterschreiben zu 
lassen und darnach zu streben, daß es auch andere Stände 
annähmen; dann sollten alle diese elf Schriften zusammen- 
gedrückt und für jede Kirche angeschafft werden. Und so 
geschah es auch?). 

Karg, Limmer, Unfug und Francisci hatten sich bereits 
im Dezember mit Freuden bereit erklürt, dieses corpus auch 
im Markgraftum zur Lehrnorm bestimmen zu lassen. In 
einem „gnädigen Gesinnen“ sollten zunächst die Dekane und 
Senioren jedes Kapitels ersucht werden, die elf Bücher durch 
Unterschrift als norma doctrinae anzuerkennen. Die „Notel“ 
solle folgendermaßen lauten: Nachdem der Feind des mensch- 
lichen Geschlechts allerlei Zwietracht in der Lehre täglich 
erregte und des ärgerlichen, schädlichen Gezänks schier 
weder Ende noch Maß wäre, damit die Kirchendiener 
sich und die Kirchen, so ihnen zu weiden befohlen, vor 
denselben verwahrten und bei reinem, gesunden Verstand 
göttlichs Worts, wie das in den Kirchen dieses Landes von 


1) ARA, 84, 880. D242 Fass. III. Pred. 2. 
*) ARA. 34, 294. D212 Fasz. III. Prod, 1. 


29 


der Zeit der Reformation bis hieher gelehrt und gespürt 
worden, einhellig verharrten, er und hielten sie her- 
nachbezeichnete. Bücher für die norma döctrinae, nach der 
sie sich in Lehre, Predigten richten sollten und wollten: 
1. drei alte Symbole, 2. großer und kleiner Katechismus, 
3. Augsburger Konfession, sonderlich neben der letzten die 
erste edition lateinisch und deutsch, so zu Naumburg 1561 
von Churfürsten und Fürsten ratifiziert und unterschrieben 
worden, 4. Apologie, 5. Schmalkaldische Artikel, 6. Repetitio 
der augsburgischen Konfession, so dem Konzil zu Trient, 
vom Churfürsten zu Sachsen übergeben worden, 7. loci com- 
munes theol., 8. Examen theol. Phil. Mel., 9. Definitiones 
Appell. Mel, 10. responsiones Phil. Mel. ad impios bavaricos 
Articulos, 11. responsio Mel. de controversia Stancari, 12. die 
brandenburgische Kirchenordnung!). 

Gleich im Januar 1573 begab sich der Kanzleischreiber 
Martin Danner, nachdem die Theologen zu Ansbach unter- 
schrieben hatten, in die einzelnen Kapitelssitze: Lehrberg, 
Feuchtwangen (14.1.) Krailsheim, Wassertrüdingen (14. 1.), 
Gunzenhausen, Weimersheim (16. 1.), Schwabach, Cadolzburg, 
Neustadt a. A. Kitzingen und Uffenheim?), übergab das 
„gnädige Gesinnen* des Markgrafen „das Patent“) und ließ 
überall die mitgebrachte Notel*) von Dekanen, Senioren 
und Kameraren unterschreiben. Anfang Februar ging Christoph 
Rupprecht ins Oberland zunächst nach Kulmbach (5. 2.), 
dann nach Hof (10.2.), Wunsiedel und Bayreuth. Allein 
im letzteren Kapitel erhob sich Widerspruch. Die Unter- 
schrift des Dekans Justus Bloch, der Senioren Conr. Bauer- 
schmidt von Gesees und G. Rhein von Bayreuth und des 
Kamerers Joh. Raming von Bayreuth war so „conditionaliter“ 
gestellt, daß Karg sie am liebsten in Stücke zerrissen hätte. 


1) ARA. 84, 292. 

*) d. d. 9. 1. 1578 Ansbach. ABA, 84, 44. Räte an G. Fr. d. 
d. 10. 1. 1578. Fol. 806. 

5) d. d. Mittw. n. Trium Regum (7. 1.) 1573. ARA. 84, 88. 40. 
D 212 Fasz, III. Prod. 12. gedr. G. Th. Strobel, Beytrüge I, S. 367 ff, 

*) Die Notel enthält gegenüber dem Entwurf Kargs nur den 
kursen Zusatz, daß durch dieses corpus andere Bücher nicht ausge- 
schlossen sein sollen und alles der heiligen Schrift gemäß ver- 
standen werden soll. ARA. 84, 42. Ms 1112, 126. ARA. Tom. 
suppl. II, 872. Das Exemplar mit den Unterschriften der Unterländer 
ARA. 84, 46ff. 83 pars. II. Fasz. IV. Pr. 18. D 212, Fasz. III. Pr. 16 
gedr. Strobel I, S. 886 fl. J. G. Wunderlich S. 32ff. G. Th. 
Strobel, Versuch einer Litterärgeschichte von Philipp Melanchthons 
locis theologicis als dem ersten ev. Lehrbuche. Altdorf und Nürnberg 


1776. 8. 990ff. 


30 


Dem erneuten Auftrag, „obne einige Ausftihrung, zankstichtige 
Kondition“ zu unterschreiben, kamen sie dann ohne weiteres 
nach!). 

Bereits am 7. Januar hatten die Dekane die Weisung 
bekommen, bei nächster Gelegenheit oder nächster Synode 
das neue corpus doctrinae von der Kapitelsgeistlichkeit 
unterschreiben zu lassen. Noch im Januar 1573 konnte 
Dekan J. B. Lechelius von Krailsheim die Unterschriften 
seines Dekanates einsenden?) Im März folgte das Kapitel 
Schwabach“). Die übrigen wie Kitzingen“) Langenzenn), 
Weimersheim®) Uffenheim’), Feuchtwangen“), Neustadt“), 
Gunzenhausen ie), Baiersdorf 10), Wassertrüdingen!) Leuters- 
hausen !?) warteten die im Sommer stattfindenden Synoden 
ab. Ebenso machten es die Oberländer !“). Einen Wider- 
spruch scheint es nirgends gegeben zu haben. Die meisten 


1) Georg Fr. an Hauptmann und Räte auf dem Gebirg. 28. 1. 1578. 
ARA. 84, 53. Castell Oberhauptmann, N. Stadtmann und Landschreiber 
Hofmann an den Markgrafen. Culmbach 14. 9. 1578, ARA. 84, 55. 
G. Fr. an Dekan, Senior und Camerarii zu Bayreuth. Ansbach 16. 2. 
1578. ARA. 84, 65. Das neue Oberlündische Exemplar ARA. 84, 57. 
D 212 Fasz. III. Pr. 15. gedr. Strobel I, S. 398 ff. Credens für Christoph 
Rupprecht d. d. Ansbach 6, 2.1578. Wunderlich S. 11. Kraußold 
S. 175. 

3) d, d. 26. 1, 1573. ARA. 84, 108. 110. 

) Chr. Homagius an G. Fr. Schwabach 9.8.1578. ARA. 84, 106 ff. 

*) decuriones Kytz. an G. Fr. 19. 5. 1578. ARA. 34, 68 ff. 

5) 19. 5. 1578. ARA. 84, 94. 

e) Joh. Stiber, Dekan su Weimersheim an G. Fr. 90. 5. 1578. 
ARA. 34, 97fl. 

7) 26. 5. 1578. ARA. 84, 79. Dekanatsregistratur Uffenheim. 
Ret, Rel- und Kapitulsakte 1598—1687. Fol. 71. 

*) 26. 5. 1578. ARA. 84, 74. 

) Kapitel am 26. 5. 1578, Gg. Leutner, Dekan von Neustadt. 
Gg. Danzer, Pf. zu Ipsheim, IMich. Lochner, Pf. zu Schwebheim, Lor. 
Kremer, Pf. zu Gerhardshofen an G. Fr. 27. 5. 1578. ARA. 84, 83 fl. 

10) Jobst Braun an G. Fr. 8. 6. 1578 (Synode). ARA. 84, 79. 

11) Georg Grenner an G. Fr. 7.6.1573. Baiersdorf. ARA. 84, 89. 

1 Michael Stieber von Wassertrüdingen an G. Fr. 10, 6. 1878. 
ARA. 84, 101. 

M) 10. 8. 1578. ARA. 84, 76. 

M) Culmbach am 20. 5.1573. ARA. 84,120. Bayreuth 27. 5. 1578. 
ARA. 84, 124. Hof. ABA. 84, 126, Wunsiedel. ARA. 34, 198. Am 
21. 7. 1578 von der Regierung des Oberlandes nach Ansbach geschickt. 
ARA. 34, 118. Zur Stellung des A. Pankratius von Hof s. G. Th. 
Strobel, neue Beyträge sur Litteratur besonders des 16, Jahrhunderts. 
Nürnberg und Altdorf 1798 IV. 150ff, 


31 


unterschrieben nur mit ihren Namen. Jobst Braun von 
Gunzenhausen unterschrieb auch noch einmal bei der Synode: 
manu propria et corde syncero. Lukas Korneffer, Pf. von 
Merkendorf: ut una sit vox multarum ecclesiarum et ego 
subscripsi. Val. Tilgener, Pfarrer zu Solnhofen: „Unterschreib 
mich den tomis Lutheri, der Augsburgischen Konfession, die 
nach der ältesten unverfälscht gedruckt ist; auch den andern 
Büchern allda bemeldet: insonderheit habe ich lieb das 
corpus doctrinae Philippi und irrt mich nichts der Streit vom 
freien Willen und Abendmahl, denn hierinnen halt ich mich 
an den Katechismus Luthers, der nach der Bibel mein Leitung, 
Regel und Norm ist.“ „Weil mein gnädiger Herr Markgraf 
Georg Friedrich dermaßen Superintendenten und Räte hat, 
welche obgedachter Herrn Präzeptoren dispuli und ich als 
der wenigst gewesen, laß ich mir bis an mein Ende solche 
Bücher und deren Inhalt wohl gefallen. Des gib ich von 
mir mein Joh. Ihenners, Pfarrherrn zum Krebes Handschrift.“ 
Bernh. Riedhart, Pfarrer in Wiedersberg: hos libros orthodoxos 
esse approbat, in cujus rei testimonium propria manu subscripsit. 
Wie in Gunzenhausen unterschrieben auch in Uffenheim, 
Feuchtwangen, Krailsheim, Kulmbach und Bayreuth die De- 
kane, Senioren und Kamerare noch einmal die Erklärung 
ihrer Kapitel. Die „Decurionen“ von Kitzingen erklärten: 
Zwar habe sich das Kapitel schon auf die concordia ver- 
pflichtet, aber eine zweite Unterschrift sei nicht unnötig, um Ruhe 
in der Kirche zu erhalten, ne sycophantici isti frivolorum 
paradoxorum propugnatores impressionem forte ip nos facere 
ac auream hanc ecclesiae tranquillitatem fraudulenter pertur- 
bare valeant Wenn doch alle égzugoa illa et ludicra 
mataiologorum scripta meiden würden. Dekan Chr. Homagius 
zu Schwabach wünschte, daB Gott solche Unterschrift, die 
mit der Hand geschehen sei, auch in den Herzen der Lehrer 
und Kirchendiener konfirmiere. 

Am 1. Januar hatte Georg Friedrich seinem Versprechen 
gemäß den „Ratschlag“ übersendet. Am 14. und 15. Januar 
verhandelten Gg. Volkamer, Thomas Löffelholz, Philipp 
Gender und Christoph Fürer mit den fünf Prädikanten über 
die endgiltige Annahme der zwölf Schriften; es wurde ihnen 
nach Verlesung des „Ratschlages“ mitgeteilt, daß der Rat 
entschlossen sei, gemeinsam mit dem Markgrafen diese Bücher 
als norma doctrinae und judicii anzuerkennen. Christoph 
Kaufmann erklärte, sich noch nicht mit der Erklärung des 
Evangeliums als einer Bußpredigt befreunden zu können. 
Johann Kaufmann meinte, daß nur neue und ärgere Streitig- 
keiten entstehen würden, weil die Schriften doch vielfach 
einander widersprächen. Aber beide hatten gemerkt, daß 
der Rat diesmal durchgreifen würde; darum suchten sie auf 


32 


eine andere Weise die Unterschrift womöglich verzögern zu 
können. Sie hatten gewiß davon Kenntnis, daß die Geist- 
lichen im Kap. Bayreuth keine Lust hatten, ohne weiteres 
der markgräflichen Aufforderung Folge zu leisten. Darum er- . 
klärten beide, erst dann unterschreiben zu wollen, weun auch 
im Markgraftum das gleiche geschehen würde!) Der Rat ent- 
schloß sich nun, die ganze Angelegenheit zu einem endgültigen 
Abschluß zu bringen und wenn es nicht anders ginge, auch mit 
Gewaltmaßregeln nicht mehr zu zügern?). Thomas Löffelholz 
und Hi. Baumgartner begaben sich nach Ansbach, um dem 
Markgrafen vorzuschlagen, an einem Tage und auf gleiche 
Weise die Unterschrift in beiden Gebieten vollziehen zu 
lassen?). Diese Vorschläge waren durch die Ereignisse im 
Markgraftum schon überholt. Markgraf Georg Friedrich 
konnte nur darauf hinweisen, daß die Unterzeichnung im 
Unterlande sich schon dem Ende näherte und dann unver- 
züglich im Oberland ins Werk gesetzt werden sollte. Er 
erbot sich, dann die Originale dem Rat zu übermitteln. Auch 
ließ er den Gesandten ein Exemplar der Notel oder des 
Dekrets aushändigen und bat, desselbigen sich auch im 
Nürnberger Gebiet bedienen zu wollen. Zwar erklärte er, 
gegen Widerspenstige in schärfster Weise vorgehen zu wollen, 
und riet, auch in Nürnberg davor nicht zurückzuschrecken. 
Aber vorher sollten alle gütlichen Mittel angewendet werden; 
der Markgraf war bereit, seine Theologen zu einer Besprechung 
nach Nürnberg abzuordnen. Diese machten auch darauf auf- 
merksam, daß Chr. Kaufmann den Begriff „Buße“ nicht recht 
verstehe. Buße sei gleich Bekehrung und schließe in sich 
Reue über die Sünde, Glauben an Jesum Christum, den 
neuen Gehorsam*). Am 3. März 1573 sandte Georg Friedrich 
Albr. Widmann mit den Originalen der norma doctrinae und 
den Unterschriften im Ober- und Unterland nach Nümberg; 
er übergab sie dem Ratsherren Gg. Volkamer. Am 6. März 
wurde den beiden Brüdern Kaufmann davon auf dem Rat- 
haus Kenntnis gegeben. Sie waren erstaunt genug und er- 
baten Bedenkzeit. Am nächsten Tage überreichten sie eine 
eigene Erklürung; der Rat nahm dieselbe aber nicht an, 


!) D 212 Fasz. 9. Pr. 5. Dr. Christoph Gugel an Gg. Volkamer. Pr.3., 
Y D212 Fasz. 8. Pr. 7. Dr. Gugels Bedenken. 19.1.1578. Pr. 8 
*) Verzeichnis, was auf das markgrüfliche Bedenken mit den 
Theologen zu Nbg. gehandelt. ARA. 84,811. D919. Fass. III. Pr. 4. 
gedr. Strobel I. 8.369. Memorial. ARA. 84, 808. D 212, Fasz. III. Pr.9. 
9 Antwort des Markgrafen. 94. 1, 1573. ARA. 84, 818. D 919. 


Fasz. III. Pr. 14. gedr. Strobel I, 8. 876ff. Bedenken der Theologen 
Karg, Limmer, Unfug, Francisci, ARA. 84, 818. 


33 


sondern bestand auf der Annahme der Brandenburgischen 
norma dootrinae. Als sie endlich einwilligten, ließ er 
schnell ,eine summarische Norm deutsch verfertigen und 
von ihnen uuterschreiben“, damit sie bis zur allgemeinen 
Subskription nicht noeh einmal ihren Sinn änderten ). Diese 
erfolgte dann im Laufe des März. Am 28. März wurden 
die Originale nach Ansbach gesandt; den markgräflichen 
Theologen und Räten „die in diesen theologischen Sachen 
Mühe und Arbeit gehabt hatten, eine besondere Verehrung 
noch überreicht^*). Am 30. 3. 1573 erging dann ein Mandat, 
wonach diese norma doctrinae als Lehrnorm für Predigt 
und Unterricht erklärt wurde. Der Rat verbot, Worte aus 
den Predigten herauszureißen und sie dazu benutzen, um, 
Uneinigkeit zwischen den Geistlichen zu stiften; wenn einer 
an der Lehre des anderen etwas zu beanstanden habe, solle er 
sich freundlich mit ihm unterreden. Ungewöhnliche Phrasen, 
subtile Fragen sollten weder privatim noch auf der Kanzel 
gebraucht werden; auch mit auswärtigen Theologen sollten 
keine Disputationen geführt werden*) Im Mai 1573 ließ 
man diese norma doctrinae auch von den tuchtigsten Geist- 
lichen auf dem Lande unterschreiben“). 


1) D 212 Fasz. III, Pr. 14. ARA. 84, 386 gedr. Strobel I, 8. 3961. 
Relation des Abraham Widmann. ARA. 84, 889. Nürnberg an Georg 
Fr. 9. 8. 1573. ARA. 84, 388. D 219 Fass. III. Pr.17. Briefbuch 
187, 119 b. 

8) ARA. 34, 841 ff. (Briefbuch 187, 149 b). [844 die Unterschrift 
der Nürnberger Theologen gedr. Beilage VII] D 212 Fasz. 3 Pr. 18. 
Gutachten von Gg. Karg, K. Limmer, Joh. Unfug, Adam Francisci. 
ARA. 84, 851. Das Nürnberger Exemplar der norma doctrinae D 212. 
Fol. 28. Ms. 1112, 126. Erl. Univ. Bibl. 918. Zeltner, kurzgefaßte 
Geschichte. S.58f. Bibl. Nor, Will. II, 855, 860 gedr. Acta historico 
ecclesiastica Weimar 1747 XI, 419. G. Th. Strobel, Versuch einer 
Litterär Geschichte von Philipp Melanchthons locis theologicis als 
dem ersten Evangelischen Lehrbuche. Altdorf und Nürnberg 1776. 
8. 988 ff. 

3) cf Dr. Gugels Concept. D 212. Fasz. 8 Pr. 19. Der Befehl 
D 212 fol 26 fl. Ms. 1112, 121ff. Zeltner, kurzgefaßte Geschichte 
S. 54. Erl. U. Bibl. 1458, 231. Stadtbibl. Nürnberg. Solg. I, 82. Bibl. 
Nor. Will. II, 865, 860, 868. gedr. A cta historico ecclesiastica XI, 
414f. Strobe! I, 399 fl. cf, Ratsbuch 34, 278. 

*) R. V. 20. 5. 1573: auf Herrn doctor Gugels des eltern ver- 
lesens bedenken, die subscription normae seu corporis doctrinae aufm 
Land betreffend, soll man demselben bedenken gemäß die furnemsten 
pfsrrer und kirchendiener in den furnemsten meiner herren flecken 
und wo es die verordenten herren sonsten mer fur notwendig ansehen 
werden underschreiben lassen und das werk also vollend verrichten, 


Archiv für Reformationsgeschichte, XX. 1/3. 8 


34 


IV. 


Diese zwölf Schriften bildeten also nunmehr die Bekenntnis- 
schriften der Nürnbergisch-Brandenburgischen Kirche. Aber 
bald sollten sich beide Gebiete wieder voneinander sondern. 
In Nürnberg blieben sie bis zum Ende ihrer Selbstündigkeit 
in Kraft; auf dem Kirchen- und Vormundamt mußte sie jeder 
Pfarrer unterzeichnen!); wiederholt wurden sie später ge- 
druckt“), ein Exemplar dieser libri normales mußte jede 
Pfarrei besitzen. Ja man kann sagen, auch heute noch gelten 
sie im Gebiete der ehemaligen Reichsstadt. Denn in der 
Zeit der Gründung der bayr. Landeskirche dachte niemand 
daran, der Kirche besondere Schriften als Norm aufnötigen 
zu wollen. So sind die Nürnbergischen libri normales nie 
fórmlich aufer Kraft gesetzt, noch die Symbolischen Bücher 
der luth. Kirche ausgesprochenermaßen an deren Stelle 
getreten. 

Anders im Markgraftum. Durch Ànnahme der Konkordien- 
formel und des Konkordienbuches wurde nicht nur obiges 
eorpus doctrinae auDer Geltung gesetzt, man sagte sich doch 
auch vom Geiste Melanchtbons los, der in ihm zum Ausdruck 
gekommen war. Aber auch in den wenigen Jahren seiner 
offiziellen Geltung kostete es manchen heftigen Kampf um 
seine Annahme zu erzielen. Erinnert sei uns an Benedikt 
Thalmann aus Münchberg und Heinrich Brem von Hof, die 
sogar gefangen genommen wurden, weil sie die Unterschrift 
verweigerten. Doch verdient diese Angelegenheit eine eigene 
Darstellung). Es kann nur soviel gesagt werden, im Mark- 
graftum neigte man immer mehr zu den Lutheranern; das 
kam auch in diesen Prozessen zum Ausdrucke. Hatte es 
1573 heißen können: man habe Luther durch Philipp er- 
klären wollen, als man die zwölf Bücher zur norma doctrinae 
annahm, so tat sich jetzt immer mehr das Gegenteil kund )). 
Luthers Autorität verdrängte Melanchthon. Allein eine Affäre 
sei in Kürze behandelt. Durch eben genannten Prozeß hatte 
sich in Ansbach die Meinung gebildet, daß die markgräflichen 
Stipendiaten in Wittenberg nür allzusehr vom calvinischen 
Geist angesteckt würden. Man beschloß, auch sie zur Unter- 
schreibung der norma doctrinae zu verrnlassen; besonders 
aber wollte man sie bei der luth. Abendmablslehre festhalten. 


!) Stadtbibl, Nürnberg. Bibl. Nor. Will. II, 868. Das Subskriptions- 
buch befindet sich nunmehr im Besitz des Herrn Ober-Reg. Rates Frh. 
von Haller in Nürnberg. 

*) 1646 und 1721: ibidem II, 368, 864. 

) Ansb. Rel, Akten Tom. 88 pars II. cf. K. H. Lang 3, 375. 

) Bedenken Joh. Kaufmanns in der Zeit der Beratung über 
Annahnie der Koukordienformel, 27.1.1578. Ms. 1110, 855 Punkt 38. 


35 


Darum wurde ihnen folg. Formel durch Professor Paul Krell 
im Januar 1575 vorgelegt: „Und daß ich sonderlich auch 
halte und glaube, daß inhalts heiliger Schrift und gedachts 
eorporis doctrinae einhelligem, stetem Consens Herrn Lutheri 
und Philippi nach der wahre, wesentliche Leib und Blut 
unsers lieben Herrn Jesu Christi übernatürlicher, himmlischer 
und menschlicher Vernunft unbegreiflicher Weise laut seiner 
klaren Worte wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei 
in seinem heiligen Abendmahl und mit Brot und Wein aus- 
geteilt und mündlich empfangen werde von guten und bösen 
Christen und es also nicht halte mit den Sakramentierern, 
Zwinglianern und Calvinisten. Verheiße, verspreche und 
gelobe auch hiemit in Kraft dieser meiner wahrhaftigen 
Bekanntnus, daß ich neben andern meinen notwendigen 
Studiis ermeldet corpus doctrinae fleißig lesen und studieren 
und dagegen sakramentiererische verführerische Schriften und 
Bücher samt andern Irrtümern und Lehren, so heiliger Schrift 
und oftgedachtem corpus doctrinae zuwider sind, fliehen und 
meiden wolle ).“ Die meisten unterschrieben am 7. Januar 1575: 
Nic. Wittich von Marktleuthen?), Matthäus Gemlich von Hof’), 
Georg Poschel von Pegnitz*); am 8. Januar: Arnold Ferber“), 
Christoph Meier von Hof“), Wolfg. Manlius?) von Langen- 
zenn, Salomon Streitberger von Hof“), Andr. Menger von 
Ebersbach °), Timotheus Albinus von Uffenheim 1), Joh. Sebald 
von Windsbach 10), Joh. Hutten von Kulmbach !?), Gg. Birkner 
von Zwerniz !), Joh. Franzk von Jügerndorf!*, Joh. Faber 
von Kitzingen ““); am 9. Januar: Joh. Schönherr von Krails- 


1) Notula subscriptionis et confessionis proponenda stipendiariis. 
ARA. 34, 986. 288. 

5) immatrikuliert 22. 8. 1578, — ARA. 84, 194. 

9) immatrikuliert 8. 1. 1578. — ARA. 84, 186. 

*) immatrikuliert 14. 5. 1566. — ARA. 84, 156. 

) immatrikuliert 24. 10, 1578. — ARA. 84, 154. 

) immatrikuliert 12. 5, 1578. — ARA. 84, 158. 

7) immatrikuliert 18. 4. 1578. — ARA. 84, 160. 

5) immatrikuliert 8. 1. 1676. — ARA., 84, 168. Bemerkung 
ist richtig. 

) immatrikuliert 4. 5. 1574. — ARA. 84, 170. 

10) immatrikuliert 24. 10. 1578. — ARA. 84, 173. 

11) immatrikuliert 5. 5. 1574. — ARA. 84, 176, 

19) immatrikuliert 9. 10. 1571. — ARA. 84, 178 „hat nicht per- 
sönlich erscheinen wollen“. 

19) immatrikuliert 17. 11. 1572, — ARA. 84, 180, 

M) immatrikuliert 6. 1. 1571. — ARA. 84, 190. 

15 immatrikuliert 14. 6. 1570. — ARA. 84, 192. 


30 


36 


heim!); am 10. Januar: Joh. Bermuth von Ansbach“), Eras- 
mus Seheuermann von Feuchtwangen*) Ferner: Joh. Herzog 
von Schwabach“) und Joh. Nagel von Wunsiedel“). Die 
drei Juristen: Seb. Kaiser von Ansbach) Joh. Büttner von 
Wiesenbrunn?) und Val. Dreßler von Lübschütz*®) unter- 
schrieben zwar am 10. Januar 1575; doch wollten sie ihrem 
Gewissen in den Dingen, die sie noch nicht verstünden, 
nicht vorgreifen?). Joh. Codomann von Schauenstein fügte 
ein: „und daß ich sonderlich auch bisher und noch jetziger 
Zeit, wie und soviel ich noch bis dahin neben meinen andern 
studiis linguarum et artium philosophiae in heiliger Schrift 
und scriptis Lutheri und Philippi hievon gelesen und gehört, 
gelernt und in Summa verstehe, halte und glaube, daß inhalts 
heiliger Schrift . . .*!9. Georg Stang von Feuchtwangen 
erklärte: sich bisher nur in Grammatik, Dialektik und Rhe- 
torik getibt zu haben; er sei bisher bei dem einfachen Ver- 
stand des Katechismus geblieben; die formula des Markgrafen 
lasse er sich aus Gehorsam gefallen, wenn er auch noch 
nicht alles verstehe !). Friedrich Monniger aus Gunzen- 
hausen fügte ein: „und daß ich derwegen auch, diese Zeit 
und meiner Studien Gelegenheit nach, soviel ich bis daher 
in heiliger göttlicher Schrift und seriptis Lutheri und Philippi 
gelesen und erlernet, auch noch verstehe, halte und glaube, 
daß inhalts heiliger Schrift . . .“ 1). Joh. Gall von Berneck !°), 
Mag. Justus Bloch von Baireuth“), Mag. Joh. Fischer von 
Kirchenlamitz“), Joh. Wagner ) und Joh. Han !?) von Kulmbach, 
M. Georg Besserer von Kitzingen !“) und Mag. Joh. Lenk “ 


1) immatrikuliert 18. 7. 1570. — ARA. 84, 152. 

3) immatrikuliert 17. 6, 1568. — ARA. 84, 150. 

3) immatrikuliert 15. 5. 1573. — ARA. 34, 164, 

9) immatrikuliert 5. 6. 1568. — ARA. 84, 174, 

5) immatrikuliert 29. 1. 1574. — ARA. 84, 182. 

*) immatrikuliert 24, 10, 1568, — ARA. 84, 196. 

?) immatrikuliert 17. 6. 1566. — ARA. B4, 198. 

) immatrikuliert 16. 7. 1568. — ARA. 84, 200. 

*) d. d. 10. 1. 1576, — ARA. 34, 188. 

10) immatrikuliert 99. 4. 1570. — ARA. 34, 160. 

11) immatrikuliert 24. 10. 1573. — ARA. 84, 162. 

19) immatrikuliert 27. 5. 1570. — ARA. 84, 188. Karg bemerkt: 
ist richtig. 

18) immatrikuliert 5.5.1569. 14) immatrikuliert 26. 10. 1570. 

15) immatrikuliert 5. 10. 1570. 16) immatrikuliert 9. 5. 1572. 

1?) immatrikuliert 29, 1. 1574. 19) immatrikuliert 1565. Theo- 
logische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger- 
verein. N. F. XVII, 63fl. Tübingen 1917. 19) jmmatrikuliert 
17. 6. 1568, 


37 


von Wassertrüdingen hatten die Universität unter Angabe 
mancherlei, Paul Crell nicht recht glaubhafter Gründe ver- 
lassen. Wenzeslaus Gurkfelder von Tarnowitz und Mich. 
Dreßler von Lübschütz lehnten eine Unterschrift ab; nicht 
nur, weil sie die Schmalkaldischen Artikel und die Kirchen- 
ordnung noch gar nicht gelesen hatten, sondern vor allem 
wegen der Betonung der luth. Abendmahlslehre. Gurkfelder 
wollte nur eine praesentia ministerii oder sanctificationis im 
Abendmahl gemäß Melanchthon annehmen; Dreßler erklärte 
offen, darüber noch zu keiner Klarheit gekommen zu sein !). 
Paul Krell war mit diesen Zusätzen und Weigerungen höchst 
unzufrieden?) 5: Gurkfelder, Mich. Dreßler, Georg Stang, 
Erasmus Scheuermann, Joh. Codomann bezeichnete er offen 
als Calvinisten*). Viel ruhiger betrachtete man die Sache 
in Ansbach; noch lebte ja Georg Karg, der seine Vergangen- 
heit noch nicht verleugnen konnte. Die, welche unterschrieben 
hatten, wenn auch mit Limitation, behelligte man weiter 
nicht; die, welche bereits Wittenberg verlassen hatten, als 
die norma judicii zur Unterschrift vorgelegt wurde, bekamen 
die Weisung, sofort sich dahin zu begeben*) Ob sie sich 
den anderen Stipendiaten anschlossen, wissen wir nicht; vor- 
handen ist neben der Unterschrift des Justus Bloch nur noch 
eine längere Erklärung des Mag. Joh. Lenk: „me syncera 
mente amplecti doctrinam in corpore doctrinae ducatus et 
burggraviatus Noribergensis comprehensam juxta perpetuum 
D. Lutheri et Philippi consensum“ ). Wenzel Gurkfelder*) 
und Mich. Dreßler“) verweigerten zwar auf erneute Auf- 
forderung hin die Unterschrift nicht; erklürten aber beide 
,damit ibrem Gewissen nichts prüjudizieren zu wollen". 


!) Erklärung beider an G. Fr. d. d. 12. 1. 1575. Wittenberg. ARA. 
34, 141, Mich. Dreßler an Andr. Junius d. d. Idibus Januarii 1575. Fol. 220. 

3) Paul Krell an Andreas Musmann d. d. Wittenberg 14. 1. 1575. 
ARA. 24, 131. Paul Krell an G. Fr. d. d. Wittenberg 15. 1. 1575. 
ARA. 34, 184. 

) ARA. 34, 148b. 

4) Bedenken von Karg, Conrad Limmer, Joh. Unfug, Adam 
Francisci. ARA. 84, 224, Georg Fr. an Paul Krell und Mag. Martin 
Heinrich, den neuen Inspektor des Stipendiaten. d. d. 7. 8. 1575. Ans- 
bach. ARA. 84,229. G.Fr. an M. Joh. Lenk und Mag. Joh. Besserer. 
A, 25. 2, 1575. ARA. 84, 226. 

5$) ARA. 34, 208, 284. 

©) immatrikuliert 3. 7. 1568, s. Erklärung ARA. 84, 210, Brief 
an den Markgrafen. ARA. 84, 218. d. d. 21. 8. 1575. 

7) immatrikuliert 21. 7. 1570. Erklärungen am 21. 8. 1575. 
ARA. 84, 201 an G. Fr. 21. 8. 1575. ARA. 34, 218. Dr. Paul Krell und M. 
Martin Henricus an G. Fr. d, d. Wittenberg 22. 3. 1575. ARA. 84, 144. 


Vier Reformationsbriefe aus dem Arolser 
Archiv. 


Mitgeteilt von Superintendent Nebelsieck. 


1. Johannes Pistorius) an Graf Wolrad II von Waldeck ). 
1555, März 15., Nidda, Ä 


Arolser Archiv. Reformations- und Religionssachen. Original. 
Erinnerungen an das Regensburger Religionsgespräch von 1546 und 
wichtige, interessante Mitteilungen über das Ergehen der prote- 
stantischen Teilnehmer an demselben. Allgemeine Bemerkungeh über 

kirchliche Zeitereignisse. 


Tuae celsitudinis literas heri debita cum reverentia acce} 
atqüe primum egi gratias Deo aeterno patri domini nostr. 
Jesu Christi, quod t. c. audio ef corpore ef animo una cum 
suis omnibus et bene ef pie valere, atque peto in nomine 
domini nostri Jesu Christi, uf t. c. una cum suis omnibus 
adhue diu incolumes et salves conservef, in nominis sui 
gloriam ecelesiaeque suae profectum, maxime vero suorum 
salutem. 

Vere scribit c. t. iam annum praeterisse nonum Do- 
minica Reminiscere, quo sanctum et eruditum sodalitium 
Augustanae confessionis solutum est, et ita solutum, ut non 
credam simile congregandum, doneo hic durat mundns “). 
Portendebat enim haeo solutio non exiguam dissipationem 


1) Johannes Pistorius (1508?—1588), Pfarrer in Nidda, Ver- 
trauter des Landgrafen Philipp von Hessen, Freund Melanchthons. 

y Graf Wolrad von Waldeck (1509—1578), eifriger Förderer 
der Reformation. Wolrad und Pistorius nahmen im Auftrage des 
Landgrafen Philipp von Hessen an dem Regensburger Religions- 
gespräche von 1546 teil. 

*) Auflösung des Regensburger Religionsgesprächs im März 1546, 
Die Verhandlungen blieben ergebnislos. Es war dem Kaiser Karl V 
von vornherein nicht um eine Einigung zu tun gewesen, er wollte 
vielmehr nur durch Täuschung der Protestanten Frist für seine 
Rüstungen gegen den Schmalkaldischen Bund gewinnen. Die prote- 
stantischen Stände riefen schließlich ihre Abgeordneten ab. 


39 


ecclesiae consecuturam, sicut etiam consecuta est, et timen- 
dum propter nostrorum ingratitudinem et defectionem maiorem 
adhue subsecuturam. Etsi enim, sicut literae nostri principis 
ad me perseriptae rursum testantur colloquium fore insti- 
fuendum Augustae Vindelicorum religionis gratia, ad quod 
rursum me vocat, tamen sodalitium tam sanctum et eruditum 
exspectare nequeo et boni nihil ex illo etiam mihi polliceri 
possum, cum non ex animo colloquium instituatur, ut obtineat 
veritas, sed ut praestigiis eo magis obscuretur, ut vere 
oporteat nos cogitare incidisse in talia tempora, in quibus 
orationem Augustini a.c. t. recitatam serio vera poenitentia 
et fide orare quotidie oporteat. 

Certe etiam hoc tempore colloquii Ratisponensis postremi 
Sathan ecclesiam satis superque crib avit, ita ut, nisi Christos 
Sponsus et caput sua deprecatione pro nostri temporis 
ecclesia intercessisset, ceríe actum de ea et nobis omnibus 
fuisset. Oportet enim nos fateri cum Esaia dicente; „Nisi 
dominus reliquisset nobis semen, sicut Sodomea et Gomorrha 
facti essemus“!), atque cum Jeremia propheta: „Misericordia 
Dei est, quod non consumpti sumus“ ). Re ipsa experti 
sumus de vera ecclesia vere-dixisse nostros maiores eymbam 
Petri fluctibus obrui posse at non submergi. 

Vere scribit t. c. fore quosdam, qui haee nostra fata 
posteritati commendent, nam hisce nundinis iam proxime 
futuris Francofordiensibus habebimus cronicam Argentinensis 
cuiusdam, quae continet historias ab anno 16, in quo Lutherus 
incepit divina excitatione evangelium paulatim illustrare, 
usque ad annum 54°). 

Facit autem t. c. mihi rem gratissimam, quod sodali- 
tium hoe nostrum Ratisponense fam diligentur describit*) 
ac confert eos, quas divina elementia ex hoc malo mundo 
ad suam aeternam conversationem ef patriam recepit, cum 
nobis, qui adhue in hac misera vita cum carne nostra, 
mundo et Sathana conflictamur. ! 

Laurentium Zogium°), doctorem eximium ef pium, in 
media tragoedia ad se vocavit Deus pater domini nostri J. C., 


) Jes. 1,9. 

*) Jerem, Klagel. 8, 22. ' 

5) Jedenfalls denkt Pistorius an das Werk des Straßburger Ge- 
lehrten Johannes Sleidanus: De statu religionis et reipublicae Carolo V 
Caesare Commentariorum libri XXVI, erschienen 1555. 

*) Graf Wolrad hat über das Regensburger Religionsgesprăch 
ein ausführliches Tagebuch geführt, dasselbe ist herausgegeben von 
V. Schulze, Archiv für Reformationsgeschichte 7. Jahrgg. 1909/10. 

5) Dr. Laurentius Zoch, Professor der Jurisprudenz in Wittenberg, 
nahm an dem Gesprüch als Auditor teil. l 


40 


ne videret tanta mala et patriae et christianissimi principis 
electoris ducis Joannis Friderici, Ita enim, ut propheta 
Esaias dicit!) iusti abripiuntur et nemo considerat. Sicut 
etiam beatissimus pater D. Lutherus piae memoriae ante 
haec mala omnia abreptus nobis est, uf re ipsa compro- 
baretur, qualem prophetam in ipso Deus nobis dedit. 

Georgius Maior?) adhue suam tenet speculam, ef licet 
humani aliquid forte passus sit, tamen ego a multis nostrorum 
candorem requiro in diiudicandis aliorum delictis. Si enim 
dietum illud Maioris rite et recte ponderetur sine invidia et 
philautia, in quo dicit, bona opera sicuti etiam poenitentiam 
esse necessaria ad salutem, nescio, quo pacto ob id tanta 
tragoedia excitetur, maxime cum ipse in tot scriptis publice 
editis sese declaret nec latum digitum a nobis in iusti- 
fieatione discedat. Legantur commentaria in epistolas Pauli 
ad Ephesios et Philippenses, item contio habita in die con- 
versionis Pauli et iudicetur ex hisce de hac controversia, 
tum luce clarius liquebit (ut ita dicam) esse contentionem 
logomachiae potius quam rei ipsius. Quare ego sepositis 
affectibus Georgium Maiorem imo dona ipsi a Deo collata 
veneror atque ex animo complector, 

D. Bucerum?), os Dei, ingrata Argentina trusit in exilium 
Angliae, ubi summa cum laude vivente rege nec omnino sine 
fructu Christum professus est atque edidit librum de regno 
Christi, omne aurum mundi longe superantem, quem iam 
laboramus nancisci, ut nostris impressoribus possit tradi ad 
imprimendum ef vulgandum etiam per Germaniam. Hic in 
Anglia superos conscendif, postquam prophetiam suam Anglis 
ingratis aperuisset, quam iam, heu dolor, nimis veram esse 
re ipsa sentiunt. Uxor autem ef unica filia superest; at per 


) Jes. 57, 1. 

*) Georg Major, geboren 1508 in Nürnberg, gestorben 1574 als 
Professor der Theologie in Wittenberg. Er nahm als Vertreter 
Melanchthons an dem Religionsgespräche teil. Seine Behauptung, 
daß die guten Werke sur Seligkeit notwendig seien, erregte den 
sogenannten Majoristischen Streit (1552), in welchem besonders Nico- 
Jaus Amsdorf und Matthias Flacius als Gegner Majors hervortraten. 

*) Martin Butzer, geb. 1491 in Schlettstadt, gestorben 1551 in 
Cambridge. Er kam 1528 nach Straßburg, wurde dort 1524 Prediger 
an St. Aurelien, später an St. Thom& Im Verein mit Zell, Capito 
und Hedio führte er die Reformation in der Stadt zur Herrschaft. 
1549 verließ er, wegen seiner Bekämpfung des Interims bei dem Rate 
mißliebig geworden, Straßburg und begab sich nach England, wohin 
ihn Thomas Cranmer eingeladen hatte. Hier erschien veine in dem 
Briefe erw&hnte Schrift: ,de regno Christi^, 9 Bd. — Butser war auf 
dem Religionsgespräch der tüchtigste Vertreter der evangelischen Sache. 


41 


regem Angliae piae memoriae divina largitate ita donata 
est uxor, ut commode et pie vivere possit. Rex enim curavit 
illam vehi ad Argentinam salvo conductu et 800 anglotes 
illi donavit, quae iam quarta vice matrimonium ingressa iuncta 
est eruditissimo viro Osualdo Mycenio!) Ante Bucerum enim 
habuit Capitonem?), ante quem Oecolampadio*) copulata fuit. 

Deus pater domini nostri Jesu Christi det, sicuti et 
fua c. pie optat, uf quem una in domo hic commorari non 
licuit neque licebit, in illa magna domo, in qua nobis man- 
siones paravit pater domini nostri Jesu Christi, una con- 
veniamus in aeternum cohabituri in sempiterna felicitate. 

D. Hiltnerus*), bonus ille senex, adhuc proximis praeteritis 
nundinis Francofordiensibus supervixit et divina bonitate 
vidit ecclesiam Ratisbonensem rursum habere suos concio- 
natores, excepto optimo viro Doctore. Nopo), qui astra 
conscendens nos reliquit, 

Quid dicam de D. Vito Theodoro?) quem virum si 
Deus nobis reliquisset, una cum D. Crucigero?) habuissemus, 
qui partes et vices D. Lutheri sancti nobis supplere potuissent. 
Verum iuxta prophetam omnia eveniunt: pereunt iusti et 
nemo considerat, ne videant mala terrae. Mors enim tan- 
torum virorum accidit non temerario casu, sed divino consilio, 
ut nobis significarent tragicas calamitates et ingentia mala 
imminere nostro orbi. 

Abiere etiam interim ad suos daemones nostri anti- 
gonisíae, qui rebus ecclesiae potuissent melius consuluisse, 
si Deum praeposuissent imperatori. Verum iam sentiunt 
imperatorem ipsos etiam in hac vita non potuisse servare, 
et illis deletis adhuc regnat Christus evangeliumque suum 
refinet cursum. Excepto enim misero homine et infelice 
canonico Eystatense Cochleo5) de quo nihil certi habeo, 
reliqui omnes coelum cum terra perdiderunt. 


!) Oswald Mykonius, geboren 1488 in Luzern, gestorben 1552 
als Pfarrer und Professor der Theologie in Basel. 

1) Wolfgang Capito, geb. 1478, gest, 1541, Prediger und Refor- 
mator in Straßburg. 

) Oecolampadius, geb. 1482, gest. 1581, der Reformator der 
Stadt Basel. 

*) Johannes Leittner, Ratsherr in Regensburg. 

5) Hieronymus Nopus, 1543 Pfarrer in Regensburg. 

*) Veit Dietrich, geb. 1506, gest. 1549, Pfarrer in Nürnberg, mit 
Luther und Melanchthon befreundet. 

7 Kaspar Cruciger, 1504—1548, Professor der Theologie und 
Prediger in Wittenberg, Luthers Gehilfe bei der Bibelübersetzung. 

) Johannes Cochlaeus, 1479—1552, Kanonikus in Meißen und 
Breslau (nicht, wie Pistorius annimmt, in Eichstedt), erbitterter Gegner 


42 


De Nicodemis quoque nihil comperti habeo. D. Schnepfius!), 
misere tractatus a mundo et a suis, tamen vel tandem etiam 
portum attigit in hac vita et Jenae florente et schola et 
ecclesia vitam agit. Didicit ipsa re promissionem Christi 
veram esse, ubi dicit: si quis reliquit patriam, parentes, 
domum etiam propter me, reperiet centuplum cum tribulatione 
et habebit vitam aeternam. 

Quid dicam de fortitadine D. Frechti*), viri humanissimi, - 
qui ex ignea fornace liberatus iam Christum suum profitetur 
maiore parrhisia quam olim unquam ef domini consolationem 
ipsa re expertus est. 

Brentius?) noster, per aquas, per ignem deductus, tamen 
propter ecclesiam conservatus est et centuplum accepit pro 
omnibus amissis. Habet principem elementissimum, qui donavit 
illi et domum egregiam et reditus non exiguos. Is iam agit 
summum visitatorem in ducatu Wirtembergensi et ecclesiis 
suis lucubrationibus fideliter inservit, id quod testatur vel 
primi libri Samuelis commentarius, qui modo extat. Quam 
vellem t. c. cum eo inisse in Prussiam, an illi irreparabili 
modo potuisset praeveniri*). 

Non ignoro multos esse, qui insimulent Brentium Osian- 
drici veneni atque huc res deduxisse, ut etiam fuerint aliquamdiu 


Luthers und der Reformation, nahm an dem BRelig'onsgesprüch als 
Kolloquent teil. 

1) Erhard Schnepff, 1495—1558; 1526— 15841 Professor und Prediger 
in Marburg, 1534 von Ulrich v. Württemberg zur Durchführung der 
Reformation berufen, Prediger in Stuttgart, Professor und Prediger 
in Tübingen, nahm an dem Regensburger Gespräch teil, wurde 1548 
nach der erzwungenen Einführung des Interims in Württemberg aus 
seinen Aemtern entlassen und erhielt 1549 eine Professur in Jena, 
Als Anhänger der strenglutherischen Riehtung wurde er 1556 in die 
Streitigkeiten mit den Wittenberger Philippisten hereingezogen. 

?) Martin Frecht, 1494—1556, wurde 1533 Prediger in Ulm, 
1548 auf Befehl Karls V. verhaftet, 1549 aus dem Gefängnis entlassen, 
lebte bis 1550 im Exil, wurde dann Stiftssuperintendent in Tübingen 
und 1552 Professor daselbst. 

) Johann Brenz, 1199—1570, Reformator der Reichsstadt 
Schwäbisch-Hall, wo er seit 1522 als Prediger wirkte. 1548 mußte 
er flüchten. Nach schweren Verfolgungen wurde er Berater des 
Herzogs Christoph von Württemberg, der ihn 1553 zum Propst und 
ersten Prediger an der Stiftskirche in Stuttgart ernannte. Er beteiligte 
sich an dem Regensburger Religionsgespräch. ; 

4) Andreas Osiander. 1498—1552, Prediger in Nürnberg, hatte 
diese Stadt wegen der Einführung des Interims verlassen und bei 
dem Herzog Albrecht von Preußen Aufnahme gefunden. Er wurde 
zum Prediger an der altstädtischen Kirche in Königsberg und zum 


43 


simultates inter Wittenbergenses et ipsum Brentium, verum 
quam vere et iuste, viderint ipsi. Ego scio et affirmare 
possum Brentium eundem esse et animo et sententia et 
professione erga religionem nostram, quo fuit semper et 
divina bonitate etiam perpetuo erit. Nam quod quadam 
mitigatione errorem Osiandri curavit leniri, ita tamen, ut 
de veritate nostrae iustificationis nil decederet, scio ego 
causas atque ea de re etiam multa cum d. Isenmanno !), 
suo affini, egi. Qua re non est, ut tua celsitudo aliquid sinistri 
de D. Brentio cogitet vel persuaderi sinat; scio enim, quae 
scribo vera esse. 

Nobiles illi viri et Balthasar Gultingerus*) et Georgius 
Volekmarus?) adhuc vivunt, sed non sine magno maerore ob 
patriae calamitates, licet Deus Suevos nune rursum facie 
magis amica respiciat. Nee ignoro autem, quanta t. c. passus 
sit interim et hodie patiatur ab Antichristi satellitibus conclusa 
‘fere cum sua ditione, et tamen non diffido verissima consolatione 
ac forti fide t. c. posse Deo patri nostro in Christo in laudem 
ac gratiarum actionem canere illud Virgilianum: „o socii, 
olim graviora passi, dabit Deus his quoque finem, sie enim 
itur ad astra“. Ita ait dominus ac episcopus noster ad 
euntes in Emaus; „nonne oportuit Christum pati et sic intrare 
in suam gloriam“? Oportet enim nos conformes fieri imagini 
filii Dei; si cum Christo patimur, cum ipso regnabimus, Quare 
non dubito Deum patrem domini nostri Jesu Christi t. c. 
una cum illustri domina uxore ef liberis adhuc diu sanam 
salvamque conservaturum atque cum foenore restituturum, 
quae pro nominis sui gloria et confessione verbi expendit 
et erogaía est. | 


Professor an der dortigen Universität ernannt. Seine von der herrschenden 
Auffassung der Rechtfertigung abweichende Lehre, daß durch die reale 
Einwohnung Christi der Mensch gerecht gemacht werde, erregte einen 
sehr heftigen Streit. Der Herzog rief die Vermittlung des Joh. Brenz 
an, und dieser bemühte sich, die Gegner zu versöhnen, zog sich aber 
dadurch die Feindschaft der Königsberger und Wittenberger Theologen 
zu. Brenz hatte einen Ruf nach Preußen ausgeschlagen. Graf Wolrad 
von Waldeck sollte an einer Abordnung, die der Kurfürst Johann 
Friedrich von Sachsen 1553 an den Herzog Albrecht von Preußen 
zum Zweck der Vermittlung in dem Osiandrischen Streit sandte, teil- 
nehmen. Der Graf lehnte aber ab (Schultze, Waldeckische Reformations- 
geschichte, Seite 189/90). 

!) Isenmann, Pfarrer in Urach, der Schwiegervater des Joh. Brenz. 

2) Balthasar Gultinger, Rat des Herzogs Ulrich von Württemberg. 


3) Georg Volckmar, Ratsherr in Nürnberg. — Gultinger und 
Volckmar nahmen an dem Religionsgespräch als Auditoren teil. 


44 t 


l Quod t. c. meae orationi suos commendat, scit dominus 
me c. t. ef tuorum alioqui semper memorem esse in precibus 
meis, id enim et requirunt tuae celsitudinis beneficia mihi 
Ratisbonae affatim praestita, et nihil magis cupio, quam ut 
Deus det occasionem et facultatem t. c. invisendi. Praeterea 
quod t. c. non sine ingenti dolore scribit de regni Bohemiae 
persecutione in pios ministros!), ego quoque non sine maerore 
legi. Verum oportet, ut compleant mensuram peccatorum 
suorum ef accederent iram Dei parentque Turco viam, quo 
et tutius et citius atque maiore indignatione divina pomeria 
huius regni incurrat atque devastet. Nolunt habere Christum, 
habeant igitur Antichristum, ut Sathanam quoque admittere 
queant. | 
Si vera sunt, quae f. o. scribit de Menio?) condoleo 
homini, estque nobis admonitio gravissima, ut in simplicitate 
verbi maneamus nec immisceamus nos peregrinis dogmatibus. 
Procul dubio sequentur defectionem et abnegationem Germa- 
norum infinitae poenae ef calamitates, Id quod semper soleo 
meis diceré. Non enim exiguum peccatum est amplexam 
et agnitam veritatem tam perfide et pertinaciter in unius 
hominis gratiam a tam multis et eximiis abnegare et ab ea 
deficere. Dominus adsit suae ecclesiae et liberet nos suo 
glorioso adventu ab omnibus malis, Amen. 


Seriptum ex Nidda 15. Martii, anno domini 1555. Hisce 
t. c. cum omnibus suis commendo Deo patri domini nostri 
Jesu Christi et verbo gratiae eigs, meque offero f. c. ad 
omnia obsequia, quae me f. e. debere agnosco. Iterum valeat 
foeliciter et pie c. t. 


0. t. 
deditissimus 
Joannes Pistorius Niddanus. 


1) Die „böhmischen Brüder“ wurden seit 1547 von dem König 
Ferdinand heftig verfolgt. 

) Justus Menius, 1499—1558, Superintendent in Eisenach und 
Gotha, wurde von Amsdorf in den Majoristischen Streit (8.40 Anm. 2) 
hineingegogen. Bei dem Herzog Johann Friedrich dem Mittlern von 
seinen Gegnern Amsdorf, Schnepff und Stolz als Anhänger Majors 
angeklagt, entwich er im Februar 1556 nach Halle und Wittenberg. 
Er kehrte bald nach Gotha zurück, wurde abermals angegriffen und 
vom Amte suspendiert. Obwohl er sieben von seinen Gegnern auf- 
gestellte Sätze unterschrieb, blieb er nicht mit weiteren Angriffen 
verschont. Im Herbst 1556 legte er sein Amt in Gotha uieder, 1557 
ward er Prediger in Leipzig. 


45 


2. Wolfgang Musculus!) an Martin Frecht?. Augsburg, 
6. Februar 1546. 


Kopie. Arolser Archiv, Fach 88 G. Nr. 4. 


Allgemeine Mitteilungen über das Befinden des Verfassers. Kurze Er- 
wühnung des Tridentiner Konzils und einer Verhandlung des Landgrafen 
Philipp von Hessen mit dem Kurfürsten von der Pfalz in Frankfurt. 


Museulus Frechto suo s. (salutem). 


Tu mihi forsan, Frechte charissime, commoditatem istam 
invides, quod domi meae sum apud meos. Fateor, est ista 
commoditas viro drre&yusv: admodum suavis et grata. Verum 
nescio, qui fiat, quod dum praesens est, non ita penitus 
adlubescit, sicut absens desideratur. Ego prope tibi iam 
consuetudinem bonorum virorum domini Buceri*) Schnepfii *) 
et Pistorii?), charissimorum fratrum, invideo non minus quam 
tu mihi domesticam hanc quietem. Ita comparati sumus, 
ut praesentibus bonis non ftam delectemur quam absentia 
affecíamus. Verum ego hic patienter utar sorte a Domino 
concessa; idem facias et tu. 

Nihil habeo, quod seribam, ideo nugari tecum libuit. 
Tu istic minuta horarum momenta numeras, ego hie, dum 
in vertendo Eusebio occupor, e tribus horis vix unam observo. 
Tibi dies unus prolixior est quam mihi integra septimana. 
Sed cesso, ne molestiam illam taam molestiorem reddam. 

De conciliabulo Tridentino?) nihil habeo, quod scribam. 
Frater forsan certa quaedam, quae me latent, ex hero suo 
habet. Legati nostri exspectantur quotidie ex Francovado, 
ubi hisce diebus una fuerunt Cattus?) et elector Palatinus “). 
De Caesare nihil aliud, quam quod adhuc cum podagra sua 


1) Wolfgang Musculus, 1497—1563, 1581 Pfarrer an der Heiligen- 
Kreuzkirche in Augsburg, verließ 1548 die Stadt wegen der Einführung 
des Interims und wurde 1549 Professor der Theologie in Bern, 

3) Martin Frecht, 1494—1556; 1538 Prediger in Ulm, 1550 Stifta- 
superintendent in Tübingen und 1552 Professor daselbst. Er nahm 
1545 an dem Regensburger Religionsgespräche teil. ; 

3) Martin Bucer, 1491—1551; 1524 Prediger in Straßburg, Re- 
formator der Stadt, 1546 in Regensburg zum Religionsgespräch. 

4) Erhard Schnepff, 1495—1558, 1526 Professor in Marburg, 
1584 Reformator Württembergs, 1547 Professor in Jena, 1546 in 
Regensburg. 

) Johannes Pistorius, 1533—1588, Pfarrer in Nidda, 1546 in 
Regensburg. 

*) Das Konzil zu Trient wurde 1545 eröffnet. 

7) Landgraf Philipp von Hessen. 

) Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz. 


46 


dimioat. Gallus fertur 1500 milites Anglicos ex insidiis 
interceptos stravisse!) 

Bene in Domino vale. Saluta quaeso dominos meos 
et fratres D. Brentium, D. Schnepfium et D. u: 


Augustae, 6. Februarii 1546. | 
T(tuus), euius manum nosti. 


3. Wolfgang Musculus an Martin Bucer. 


Ort und Datum fehlen. Der Brief ist wührend des zweiten Regens- 
burger Religionsgesprüchs, Anfang 1546, geschrieben, Kopie. Arolger 
Archiv, Reformations und Religionssachen. 

[Nachrichten aus Bayern über eine bevorstehende Verhandlung der 
Bischöfe. Verfahren gegen Uebertreter der katholischen kirchlichen 
Gesetze. Abfülliges Urteil des Bernardino Ochino tiber die katholischen 
Teilnehmer an dem Regensburger Religionsgesprüch 1546.) 


Musculus D. Bucero S. D. 


De Bavaris ista ad te rescribere iussit Doctor Gerion 
vocari episeopos a duce Vuilhelmo?), qui se iurisdictionem 
ecclesiasticam in Bavaria habere gloriantur, ut cum illis de 
religione nonnulla fractentur. Sperat se brevi coram tecum 
de quibusdam collaturum. Deinde de nobili quodam nescio 
quae narravit, qui propter vim causibus (sic! wahrscheinlich 
casibus) ecclesiasticis illatam et quod rusticos coegerit, diebus 
prohibitis vesci carnibus, custodiae sit traditus, rusticos vero 
mox dimissos. Et de sacrificulo incarcerato ao postea 
proscripto literas D. Eccii*) ostendit, qui illum nescio quae 
blasphema praedicasse protexit, Meo quidem indicio parum 
sperandum est dià và» Fvuòy Tod jytuóvov. 

Bernhardinus*) te plurimum salutat. Jussit haec ad te 
scribere, quoniam sole clarius sit adversarios hoc colloquio 
non veritatem, sed concilii sui praeludia quaedam quaerere, 
opus fore, ut illis magno serio in faciem resistant (resistas oder 


Seit 1544 herrschte Krieg zwischen Fraukreich und England. 
König Heinrich VIII. von England hatte sich mit Kaiser Karl V. 
gegen Franz I. von Frankreich verbündet. . 

* Herzog Wilhelm IV. von Bayern 1508—1550. Bis 1545 
regierte er gemeinschaftlich mit seinem Bruder Ludwig. 

5) Jedenfalls Simon Thaddaeus Eck, Stiefbruder des bekannten 
Johann Eck (Luthers Gegner) Hofkanzler des Herzogs Wilhelm IV. 
von Bayern, gestorben 1574. 

4) Bernardino Ochino 1487—1565. Beichtvater des Papstes 
Paul III, General des Ordens der Kapuziner, brach, von der Wahrheit 


47 


resistatis) Ego (inquit) plane deriderem eos ef aperte di- 
cerem: impossibile est, ut ignoranter peccetis et veritatem 
ignoretis. Christum et verftatem eius irridetis, indigni, qui- 
buscum conferatur de veritate Christi. 


4. Wolfgang Musculus an Martin Bucer, 8. Febr. 1546 0.0. 


Kopie. Arolser Archiv. Fach 88, G. Nr. 4. 
Musculus meint, daß das Religionsgesprüch in Regensburg (1546) ohne 
Erfolg bleiben würde, Von den katholischen Teilnehmern sei nichts 
Gutes zu erwarten. Der Kaiser lasse Soldaten anwerben. Maßregelung 
einiger Kanoniker in Mairfg wegen Verschmähung der Messe. Un- 
erfreuliches aus Straßburg. 


Musculus Bucero sò eù didyeiv. 


Quod colloquium tandem progressurum soribis, uec 
laetitia nec me tristitia afficit. Ubi cogito, quales et a quibus 
ex altera parte sunt isti accomodati negotio, haeret illud in 
mente. Tu, si ex animo diceres, an sic diceres, si hoe xozcag 
del ex animo causam banc ageret, quaeso per Christum, per 
hos nebulones et hoc pacto illam institueret? Triduo desti- 
nantur in re tam levicula et non nostrae modo, sed ipsorum 
causae, si quid ipsis adesset iustitiae et innocentiae, profutura. 
Quid, obsecro, ex his hominibus sperandum ? Seris includent 
[unt] quod natura sua lucem parit pro veritatis ingenio. 
Sed intelligo vobis ineptiendum esse cum ineptis ef huius- 
modi verandam molestiam. Ä 

Heri accepi Caesarem traiecto Noviomagum!) usque 
movisse, deinde conscribi nomine ipsius milites, interea dum 
vos eum monachis et Malvendis?) dimicatis. Dominus in 
coelo est, qui revera causae suae non deerit, id quod non 
nostra probitate, sed partim multorum miserorum calamitate, 
partim ratione afferendae veritatis suae et disturbandi regni 
Antichristi motus facturus est. 

Apud seniorem Peutingerum*) heri accepi quosdam 
canonicos Moguntinos ita missae abominationem aversari, ut 


der evangelischen Anschauungen ergriffen, mit der katholischen Kirche, 
flüchtete aus Italien, wurde Prediger in Genf, 1545 Prediger einer 
italienischen Gemeindd in Augsburg, später Prediger in London, kehrte 
nach der Schweiz zurück, wirkte in Genf, Basel, Zürich und starb 
nach unruhigem Wanderleben 1564 zu Schlackau in Mähren. 

1) Nymwegen. 

) Pedro Malvenda, ein spanischer Theologe, der Führer der 
katholischen Teilnehmer an dem Religionsgespräch. 

) Konrad Peutinger, Rechtsgelehrter in Augsburg. 


48 


adesse illi amplius noluit (sic! noluerint), ideoque capituli 
decreto praebendis suis esse spoliatos, verum electorem Pala- 
finum capitulo sese opponere, ut spes sit studium veritatis 
innoxium fore illis canonicis. Alter conventus est indiotus 
ad Francovadum ad mensem Aprilis, unde colligo eum, 
qui praecessit, non pervenisse ad propositum. 

E Strassburg de vestris et universis audio, quae me 
parum delectant, Scriptum est ita: ne sis nimium iustus, 
ifa ego iam dico: ne sis nimium sapiens. Dominus adsit 
nobis spiritu sapientiae ef fortitudinis, ut magos Pharaonis 
vi veritatis tantisper confundatis, donec dicant: digitus Dei 
est hio. 


8. Februarii 1546. 


Ein unbekanntes Stück aus dem Leben 
des Matthias Flacius. 


Von G. Bossert. 


Am 8. August 1566 richtete Matthias Flacius von Regens- 
burg aus eine Bitte an Herzog Christoph von Württemberg 
um Aufnahme in den Dienst der Kirche oder Schule Würt- 
tembergs. Seine Verlegenheit muß groß gewesen sein, wenn 
er diesen Schritt tat. Denn ihm konnte die Stellung des 
Herzogs gegenüber den Wirrnissen innerhalb der lutherischen 
Kirche nicht ganz unbekannt sein, war doch das letzte Re- 
ligionsgespräch mit den Katholiken in Worms 1557 durch 
die Schuld der unter dem geistigen Druck des Flacius 
stehenden herzoglich sächsischen Theologen ganz verunglückt, 
hatte nur den Zwiespalt der evangelischen Theologen vor 
der Welt geoffenbart und den Hohn der päpstlichen Gegner 
herausgefordert zum Verdruß des Herzogs, dessen Theologen 
unter der Führung von Brenz und Andreä treu auf der Seite 
Melanchthons standen und auf die Eintracht der Evangelischen 
in Worms hinwirkten. Aber Flacius war sein Aufenthalt in 
Regensburg gekündigt; er wußte nicht, wohin er sich jetzt 
wenden sollte. Wenn er aber an einen Dienst in Württem- 
berg dachte, so beweist das seine Unbekanntschaft mit den 
Verhältnissen in Württemberg unter dem Einfluß von Brenz 
und Andrei. Denn hier war man zwar gut lutherisch, aber 
stets auf Einigung des lutherischen Protestantismus bedacht, 
was zuletzt in der, Formula concordiae seinen Ausdruck fand. 
Der Herzog gab den Brief zur Begutachtung an den Land- 
hofmeister, Vizekanzler und. Brenz weiter. Das Gutachten 
gaben diese drei Männer am 13. September offenbar nach 
längerer Beratung. Dieses Gutachten!) gab Theodor Pressel 
in seinen Anecdota Brentiana S. 535ff. 1868 heraus. Er 
gah den Text getreu, aber in ganz moderner Schreibweise 
uud ohne alle Erläuterung. Dazu führte er das Gutachten 


1) Auf das Gutachten habe ich in den Blättern für württemb. 
Kirchengeschichte 1899, 184 ale charakteristisch für Brenz kurz auf- 
merksam gemacht. 


Archiv für Refermationsgeschichte. XX. 1,2. 4 


50 


in der Ueberschau S. XXXIX. Nr. 492 mit der unrichtigen 
Ueberschrift auf „Brenz etc. an Herzog Christoph“, während 
der Text klar ergibt, daß er nicht von Brenz stammt, denn 
dieser war mit dem Inhalt des Gutachtens nicht einverstanden 
mit Ausnahme des Schlußabschnitts, wie das Schriftsttick 
selbst besagt. Brenz fand wohl das Urteil über Flacius zu 
scharf, was uns nicht überraschen kann, wenn wir die beiden 
Männer näher betrachten, die für den Hauptinhalt des Gut- 
achtens verantwortlich sind. Aber auf Brenz Rechnung wird 
der Rat kommen, Flacius in seiner Bedrängnis eine ansehn- 
liche jährliche Unterstützung zukommen zu lassen. 

Das Gutachten ist ohne Zweifel zunächst von dem Vize- 
kanzler Dr. iur. utr. Hieronymus Gerhard verfaßt 
Dieser treffliche, reichbegabte und fromme Mann war am 
31. Dezember 1518!) geboren zu Heidelsheim ‚bei Bruchsal 
und kam erst mit zwölf Jahren auf eine Schule in Heil- 
bronn, Eßlingen, Guttenberg und 1531 Schwäbisch Hall, wo 
Brenz und Isenmann ihn liebgewannen. Brenz empfahl ihn 
an Melanchthon, als er 1534 (inskribiert 19. April) nach 
Wittenberg ging, wo ihn Melanchthon aufnahm. (Förstemann, 
Album academiae Witeberg. 1, 152.) 1537 wurde er Bacca- 
laureus (Köstlin, Baccalaurei und Magistri S. 16). Als Brenz 
im April 1537 für ein Jahr nach Tübingen ging, siedelte 
Gerhard entsprechend einem Wunsch seines Vaters nach 
Tübingen tiber, wobei ihn wohl der jüngere Bruder von 
Brenz Bernhard begleitete, mit welchem er am 18. Juni 1537 
inskribiert wurde. Brenz nahm ihn in sein Haus und seine 
Kost. Am 28. Juni wurde er unter die Tübinger Baccalaurei 
aufgenommen und im Januar 1539 zugleich mit Bernhard 
Brenz Magister. (Hermelink, Tübinger Matrikel 1, 286, 10). 
Er wollte sich nun dem Studium der Rechte widmen, aber 
der Vater wünschte, daB er Theologie studiere, reiste aber 
nach Hall, um Brenz, der bei ihm in höchster Achtung stand, 
um Rat zu fragen. Dieser äußerte, Gott habe nicht nur gute 
und gelehrte Theologen nötig, sondern auch fromme und 
rechtschaffene Rechtsgelehrte, und ein frommer Rechtsgelehrter 
könne der evangelischen Kirche mehr Nutzen schaffen, als 
viele gelehrte Gottesgelehrte. Darauf ging Gerhard wieder 
nach Tübingen und las zunächst Dialektik, aber studierte 
nun die Rechte unter Johann Siehard, Ludwig Gremp und 
Gebhard Brastbergers. Mit zweiundzwanzig Jahren aber 
wurde er zum Aufseher, Magister Domus, für das neu- 
gegründete Stipendium berufen, in welchem Theologen für 
den Dienst der Kirche und andere tüchtige Studenten für 


! Historische Handschrift Quart Nr. 41 der Landesbibliothek 
Stuttgart. 


51 


den Dienst des Herzogs und des Landes herangebildet werden 
sollten. Er bekleidete dieses Amt fünf Jahre unter großer 
Anerkennung. Deshalb nahm ihn der Bruder Herzogs Ulrich 
Graf Georg in seinen Dienst, der ihm die Mittel gewährte, 1546 
in Tübingen die Würde eines Doctor juris utriusque zu er- 
werben. Er fiel aber 1547 in eine schwere Krankheit, 
weshalb er seine Entlassung erbat, welche ihm der Graf 
nur sehr ungern gewährte. 1549 trat er in den Dienst des 
Herzogs Ulrich und begab sich nach Stuttgart, wo er zugleich 
als Rechtsanwalt arbeitete, aber oft verschickt wurde. 1550 
wurde er wirklicher Rat und nach des Herzogs Tod von 
seinem Nachfolger Christoph noch mit größerem Vertrauen 
zu den wichtigsten Arbeiten und Gesandtschaften verwendet, 
so schon 1550 nach Augsburg an den Kaiser, wegen Be- 
lehnung des Herzogs, Herbst 1551 mit Werner von Münchingen 
aufs Konzil nach Trient, wohin später Brenz mit den vor- 
nehmsten Theologen Württembergs folgten. 

1554 ging er mit Hans Dietrich von Plieningen 
zum Konvent in Naumburg. 1556 wurde er Vizekanzler, 
besorgte aber als solcher zugleich die Geschäfte des alternden 
Kanzlers Feßler. Er war ein großer Verehrer von Brenz, 
dessen Kommentar zum Propheten Jesaia er fleißig auch in 
schlaflosen Stunden der Nacht las,, und der ihm mit in das 
Grab gegeben werden muBte. Er starb den 12. Mai 1574. 

Der Landhofrheister, nach heutigen Begriffen Minister- 
präsident, welcher mit Gerhard das Gutachten verfertigte, 
war Hans Dietrich von Plieningen, der Enkel 
jenes Dietrich von Plieningen, der um die Wende des 15. Jahr- 
hunderts am pfälzer und später am bayrischen Hof eine große 
Rolle spielte und bei den Heidelberger Humanisten in großem 
Ansehen stand, wie ihm denn Rudolf Agricola seine Dialektik 
widmete und ihm den Namen Plinius gab. (Corp. Ref. 2, 721) 
Hans Dietrich hatte noch in großer Jugend 1521 die Uni- 
versität Tübingen bezogen und war 1529 dort in einen Rauf- 
handel verwickelt. (Hermelink 1, 237.) 1531 ging er nach 
Wittenberg. (Förstemann a, a. O. 142, inskribiert 17. Juni.) 
Erbewohnte dort mitseinem Landsmann Ulrich Schilliug 
von Cannstadt, dem Rektor der Universität Wittenberg 
1531/32 und Paten eines Kindes Melanchthons (CR. 2, 585, 721) 
ein Zimmer, bis Schilling 1532 in die Heimat zurückging. 
Haus Dietrich studierte in Wittenberg das bürgerliche Recht, 
aber zugleich Philosophie unter Melanchthons Leitung, mit 
dem er sich befreundete. Als..der angestammte Herzog 
Ulrich nach dem Sieg bei Läuffen am 13. Mai 1534 sein 
Land wieder gewann, kehrte Hans’ Dietrich bald heim und 
trat in den Dienst des Herzogs. Melanchthon gab ihm für 
seine Reise einen Brief an seinen Freund Joachim Camerarius 


52 


in Nürnberg mit, in welchem er ihm den jungen Schwaben 
warm empfahl. Der undatierte Brief CR. 2, 721 wird etwa 
in den Anfang Juni zu setzen sein. Der junge Mann kam 
an den Hof des Herzogs Ulrich, wurde dann bald Obervogt 
von Leonberg und Marbach, endlich in Stuttgart und fürst- 
licher Rat. Der neue Herzog verwandte ihn zu den Ver- 
handlungen mit der Landschaft und zu wichtigen Sendungen. 
So würde er schon am 8. Oktober 1551 nach Trient ab- 
gesandt. 1556 bekam er das höchste Amt des Landes als 
GCandhofmeister. Er starb 1570 den 8. September. 

Diese beiden welterfahrenen, staatsmännisch bewährten, 
wissenschaftlich gebildeten, ernsten und Melanchthon dankbar 
verbundenen Männer hatten nun die Aufgabe, das oben ge- 
nannte Schreiben des Flacius in Gemeinschaft mit Brenz zu 
begutachten und dem Herzog zu raten, was mit dem An- 
suchen des sehr bedrängten Theologen um Anstellung in 
Kirche oder Schule Württembergs zu tun sei. 

Flacius ahnte nicht, daß unter den Staatsınännern, welche 
in der Umgebung des Herzogs Christoph als seine Ratgeber 
die bedeutendste Rolle spielten, Leute waren, welche in ihrer 
Jugend dem von ibm bitter angefeindeten Melanchthon nahe 
gestanden und ihm viel zu verdanken hatten, und darum auch 
über ihn ein wenig güustiges Urteil haben mochten. Leider 
gibt das Gutachten nur an, daß Brenz nur mit dem Schluß 
des Gutachtens, dem Vorschlag einer jährlichen Unterstützung 
des Flacius, einverstanden war, aber wir hätten wünschen 
mögen, genauer zu erfahren, wie er sich zu dem Urteil über 
die ganze Haltung des Flacius und die Gefahr, welche seine 
Austellung der Kirche oder der Universität Württembergs 
bringen konnte, stellte. Man wird wohl nicht ganz irre 
gehen, daß sein Urteil auf Grund der persönlichen Begegnung 
mit Flacius 1564 etwas milder ausgefallen wäre, hatte er 
doch auch gegenüber der allseitigen Verurteilung des Andreas 
Osiander den milderen Standpunkt vertreten. Aber er konnte 
doch wohl kaum den Gedanken an die Gefahren und Be- 
schwerden abweisen, welche die mit den heimischen Ver- 
hältnissen nicht vertrauten Fremdlinge, die in Württemberg 
Aufnahme gefunden hatten, wie der vielgeschäftige Vergerius, 
auf welchen sich Flacius berief, und gar der Jurist Matteo 
Gribaldi (Theol. RE. 7, 159) der Regierung bereitet hatten. 
Auch den Vorwurf der Undankbarkeit gegen Melanchthon, 
dem Flacius doch viel zu verdanken hatte, und den er in 
der heftigsten Weise angegriffen hatte, konnte Brenz sicher 
nicht ganz entkrüften. Ebenso mußte er anerkennen, daß 
Flacius wegen seiner Sprache nicht wohl auf einer Kanzel 
in Schwaben zu verwenden war. 

Auch ist richtig, daB es in Tübingen nicht an einem 


53 


Nachwuchs von Landeskindern fehlte, der auf erledigte 
Professuren wartete. Aber Brenz wird hauptsächlich durch 
das Mitleid mit der schwerbedrängten Lage des Flacius be- 
stimmt worden sein und däbei auch die Tücktigkeit der 
Schriften des Flacius anerkannt baben, welche nicht un- 
mittelbar mit den theologischen Streitigkeiten zusammen- 
hängen. Besonders #ird er die von Flacius in Aussicht 
gestellte Glosse zur Bibel, den Clavis scripturae seu de sermone 
sacrarum literarum, für wertvoll geachtet haben. Beachtens- 
wert ist auch, daD das Gutachten der humanistiseh gebildeten 
Staatsmünner zwei römische Sentenzen zitiert, deren Fundorte 
noch nachzuweisen sind. 

Aus Flacius Brief erfahren wir, daß er die zehn Taler, 
welche ihm der Herzog für seine Schrift „De translatione 
Imperii Romani ad Germanos. ltem de eleetione episcoporum, 
quod aeque ad plebem pertineat* zustellen ließ (Preger, 
Matthias Flacius Illyrieus und seine Zeit 2, 282) dureh den 
ihm befreundeten Augsburger Arzt Achilles Gasser bekam. 
Ebenso ist neu, daß Flacius schon am 8. August 1566 deu 
Aufang seines Catalogus hebraismorum, der eben im Druck 
war, dem Herzog Christoph übersenden konnte, Weiterer 
Forschung bedarf es, nm festzustellen, wo das Gespräch des 
Herzogs mit Johann Wigand stattgefunden bat. von welchem 
dieser günstige Erinnerungen an Flacius mitgeteilt hatte. 

Mit dem Gutachten hatten Landhofmeister, Vizekanzler 
und Brenz dem Herzog auch den Entwurf einer Antwort 
auf den Brief des Flacius zugestellt, Er ist von der Hand 
des Vizekanzlers geschrieben und wohl auch von ihm ver- 
faDt. Aber der Herzog hielt es unter seiner Würde, an 
Flacius persönlich zu schreiben, wenn auch der Entwurf 
ganz seinen Gedanken entsprach. Er befahl deshalb dem 
Hofprediger Johann Parsimonius, an Flacius ganz in seinem 
Sinn und gemäß dem Entwurf zu schreiben. Parsimoinus 
tat dies am 21. September. und berief sich auf seinen vor 
einem Monat an Flacius gerichteten Brief und die gemein- 
schaftlichen Freunde und gab dann genau die Gedanken 
des Herzogs und das Versprechen einer jährlichen Unter- 
stützung von 50 fl wieder. Diese Gabe bezog Flacius bis 
1569 aus den Mitteln des Kirchenkastens, d. h. der Kasse 
der Kirchen verwaltung. Aber nach dem Tod des Herzogs 
am 28. Dezember 1568 stellte sich die Notwendigkeit größerer 
Sparsamkeit für die ganze Verwaltung und auch für den 
Kirchenkasten heraus. Dazu mochte die 1568 von Flacius 
aufgebrachte Lehre von der Erbsunde als Substanz des 
Menschen gegen ihn einnehmen. Deswegen wurde ihm am 
20. August 1569, als er sich wegen der Zusendung der 
50 fl an den Hofprediger Balthasar Bidenbach gewandt 


54 54 


hatte, von diesem mitgeteilt, daß unter Genehmigung der 
Herzogin Witwe infolge der eingetretenen Veränderungen 
ihm die 50 fl nun zum letzten Mal zukommen. Doch bekam 
Flacius für seinen dem Herzog dedicierten Clavis scripturae 
sacrae 40 Taler und für seine Glossa in novum testamentum 
40 Gulden. 


1. Brief des Matthias Flacius Illyricus au Herzog 
Christoph vou Württemberg. 


Regensburg, 8. August 1566. 


Salutem ab unico mundi totius seruatore. Maxima cum 
letitia et gratiarum actione primum erga Deum, deinde etiam 
erga tuam celsitudinem, princeps illustrissime, accepi ex 
meo hospite domino doctore Achille Gassaro medico Augustano, 
quod tua clementia mihi non tantum munus 10 talesorum, 
sed etiam omnem gratiam clementiamue benignissime per 
suum concionatorem dominum magistrum Joannem Parsimonium 
obtulerit. Spero enim istum tuae clementiae erga me fauorem 
non fantum mihi priuatim, set etiam ipsi ecclesiae Dei ac 
religioni per aliquam occasionem utilem esse posse, quod 
unum teste mea conscientia in hisce meis laboribus ac 
difficultatibus potissimum specto et quaero. Offert autem 
sese nuno in primis occasio, in qua tuae clementiae fauor 
mihi ad publicam bonum non fantum utilis esse potest, sed 
et plane efiam necessarius. Papistae enim et persecutores 
undiquaquam ab oriente et meridie mihi et ciuitati huic dira 
minantur, quod etiam praesenti meo libello de translatione 
imperii et electione presulum eo magis irritati esse putantur. 
Suadent igitur nostri uehementer, ut tum suae tum etiam 
meae securitatis gratia alium locum quaeram, ubi et tutior sim 
et aliqua functione ecclesiae Dei prodesse queam. Testimonium 
alioquin mihi gubernatores hi honestissimum offerunt, quod 
tuae celsitudini mittam, quandocunque uolet, ne quis putet 
me ob facinus aliquod aut turbas hinc in exilium ablegari. 

Cum uero nullus iam locus aut homines perinde commodi 
ad meam aliquam operam Ecclesiae Dei praestandam sese 
offerat, ac tuae clementiae regio, statui ista ipsius tam benigne 
oblata gratia uti. Qnare defero Christo et tuae clementiae, 
qui eius minister es, meam operam ac fidem, si quis mei 
usus istic / usquam, praesertim in academia esse possit, orans 
taam celsitudinem, ut ad eum me promoueat. 

Adsunt iam profecto difficilia certamina cum papistis, 
sacramentariis et Stencfeldianis aliisque, in quibus aliquid 
forte et ego pro meorum donorum tenuitate una cum aliis 


55 


fratribus prodesse possem, ut ex aliquibus meis scriptis 
eernere licet. 

Caluiniani certe et multi et docti et denique uehementes 
aduersarii sunt, ut merito etiam nostra pars aliquanto melius 
sese contra eos armare deberet. 

Habeo quoque alios non contemnendos conatus prae 
manibus. Absolui enim uolumen hebraismorum non paruum, 
quod nunc sub prelo est, cuius inicium tuae clementiae 
uidendum mitto. Iam uero in manibus mihi ect ualde arduum 
opus glossae auf compendiariae cuiusdam explicationis ipsius 
textus super tota biblia. Quae opera sane etiam digna essent 
tanto Moecenate, quantum tua celsitado sese hactenus erga 
bona studia religionemque!) praestitit. 


Facit certe mihi bonam spem etiam illud, quod tua 
clementia plures exteros, qui quidem aliqua uirtute ac pietate 
praediti fuerunt, benignissime hactenus fouerit, cuiusmodi 
fuit in primis popularis meus reuerendus dominus Vergerius 
episcopus Iustinopolitanus. 


Quae uero pie ac honeste praestari poterunt, ea profecto 
a me summa fide praestabuntur. Libenter etiam uerbq Dei 
de quauis sententia aut dubio doceri patiar. Non dubito 
quoque, quin, si tua clementia a me coram ueras narrationes 
et rationes de meis actis laboribusque audiret, sicut sane 
paratus sum, ei omnium meorum actorum rationem reddere, 
facile me pro sua singulari clementia et pietate sacrarumque 
rerum intelligentia excusatum haberet. In qua sententia 
me etiam non parum tuae celsitudinis pientissimum colloquium 
eum domino Ioanne Wigando confirmat. // 


Quapropter oro et obsecro tuam celsitudinem, ut benigne 
uelit mei rationem habere uel potius ipsius publicae utilitatis 
ac gloriae Del, quam certo scio me toto pectore per omnes 
istas meas cruces aut etiam paene mortes quaerere. 


Si ex decima parte tantum gratiae apud Euangelicos 
gubernatores meis laboribus scriptisque consequerer, quantum 
apud pontifices sacramentariosque mihi odii periculorumque 
eoncilio, dudum hercle res meae melius haberent. 


Sacramentarium quidem certamen, ut denuo eius mentionem 
faciam, arduum est, et de quo necessario plures intelligentes 
sincerique ac serii fratres diligenter conferre deberent. Non 
enim est ignotum tum consiliarios praecipuos tum theologos 
apud praecipuum principem Augustanae confessionis maxima 
ex parte caluinianos esse, ut in omnibus deliberationibus 
istis etiam in nostra parte aduersarii sint regnaturi. Quare 
tua clementia tanto magis cum suis doctissimis theologis, 


) Religionemque über der Zeile. 


56 


ut «t hactenus fecit, aduigilabit, ne quid respublica christiana 
detrimenti patiatur. 


Oro reuerenttr, ut tua celsitudo me benigno ao maturo 
responso dignetur. Dominus Jesus eam suo -sancto spiritu 
regat et in omnem ueritatem ac salutarem conatum deducat 
ad gloriam nominis sui et Ecclesiae. utilitatem. Amen. 


Ratisbonae 8. Augusti 1566. 
Tuae celsitudini deditus 
Matthias F4acius lllyricus. 


Illustrissimo principi ae domino domino Christophoro 
duci Wirtembergensi et comiti Mompelgardensi ac Tecensi!) 
ete. suo domine clementissimp. 

Ad manus proprias eius. 


Von des Herzogs Hand stebt DETA 


Landhofmeister, Vice Canzler und Brencius sollen be- 
denkhen, waD zu thun. 


2. Bedenken, von Landhofmeister, Brenz und Vizekanzler 
über das. Schreiben des Matthias Flaeius 
vom 13. September 1566. 


Durchlauchtiger, hochgeborner Fürst, Gnediger Herr. 
E. F. G. seyen Vnser Vnderthenige gehorsam schuldig Ver- 
pflicht vnd willig Dienst Jederzeit bereits bests Vleiß zuuor. 


Gnediger Fürst vnd Hem, auff beyuerwardt Illlirici 
Vnderthenigs Ansuchen vnd Pitten, Auch E- F. G. darauf 
verzaichnet Decret haben Wir Angeregt schreyben Inn Vnder- 
thenigkhait mitt ainander erwegen, Vnd seyen Vnns Allerhand 
bedenkhen hin vnd wider fürgefallen, Vnd das E. F. G. seinem 
beger gnediglichen statt geben möchten, Erwegen wir zum 
fordersten, das er ain eyffriger, guthertziger erkbenner vnd 
bekhenner der warhait Christi; der auch inn seiner geliebten 
Kürchen bißher trewlich vnd nicht, gahr obne frucht Vnd 
nutzen geschaffen. Vnd weiter für ander thun mag, über solchs, 
das er diser zeitt In persccutione Vnd bey E. F. G. Alla 
Aim Christlichen Fürsten Vnd Nutricio Ecclesiae Hospitium 
Vnd protectionem suechen thuet, Welches Ime souil dester 
weniger Abzuschlahen, Souil er E. F. G. der Kürchen vnd 
bey der Schule nutz Vund fürstendiger sein möchte, dann 
e Wölchen gleicbergestalt solche Vnderschlauff bißher 


N Flacius irrt im Titel des Herzogs. Denn cs müßte heißen: 
duci Wirtembergensi ac Teece:.si et comiti Mompelgardensi. 


57 


gnediglichen gestatt vnd miltiglichen mitgethaylt worden. 
Zu dem Vnnsers Vnderthenigen Verhoffens er in seinen ge- 
haltenen Certaminibus vnd erregten Condemnationibus mehr 
Imprudentia quam malitia gefochten möcht haben, Wölche 
auch durch die gaadt deb Allmechtigen für sich selbs ge- 
fallen, // Vnd erloschen, er auch derselbigen selbs müthe 
sein möchte. Hinvider aber das wir sorgueltige Vnd vnsers 
erachtens nicht onnötige bedenkhen, solchs nitt zu thon sein, 
haben, dartzu bewegen Vnns nicht allein die Verschinen 
Exempel, Wölche wir dißfahls Überschreytten, Sonnder auch 
volgennde Vhrsachen, Inn welchen doch Euer F. G. Probst 
Brentius- nicht allerdings mitt Yustimmen, doch den Be- 
schluß Vnsers bedenkhens Ime gefallen lassen thuet. 
Erstlichen, das durch die gnad def Allmechtigen Eurer 
F. G. Kürchen vnd Schulen In Gottseeligem friden, Ruw 
Vnd rechter brüederlicher Ainigkhait, auch die Kürchen Vnd 
Sebuelen mitt fridliebenden eyfferigen!) Vnnd gutherzigen 
Vorsteern.Vnd lehrern also besetzt Vnd versehen, das nicht 
allein Euren F. G. Sonder auch Land end leutten solchs 
Alls Ain sonndere gab vnd gnad Gottes, so zur ehre, Lob 
vnd wolstandt thut Raichen. Sollte dann solcher Ainmtüettiger 
Consensus ministrorum et ministerii vnnd dann die grata et 
locunda tranquillitas ecclesiarum et scholarum, Welches der 
Allmechtig gnedig vnd Vätterlich wöll verhtietten, durch 
vBlendischer frembder Vnrüewiger Vnnd Aigensinniger Köpf 
singularitet oder capitositet zerrütt vnd tusbiert wurden), 
Haben Eure F. G. gnediglichen zu erachten, zu was be- 
schwerlicher zerrüttung Vnnd weitterung solehs nicht allein 
Inn der Kürchen Gottes, sonder // auph zu was schmertz- 
licher bekhümmerung Aller der Ihenigen, so bißher durch 
Gottes gnad dise Ainigkhait Pflantzen, erhallten Vnd be- 
fürdern helffen, solehs Raichen Vnd darneben auch Im Po- 
litisehen Wesen Vnordnung bringen wurde. Nun begeren . 
wir disen Supplikanten nicht zu vrtheylen, Es betzeugen 
aber seine schrifften sein vnbedechtlich vnd hitzige hand- 
lungen. So lst sein Vndannkhbar- Vnd vnbeschaidenhait 
gegen seinem herrn Vnd Preceptorn Philippo Melanchthone 
Gottseeliger gedächtnuß mehr Reichskhündig, Dann mitt Ver- 
bitterung auDzufüeren. Dabey auch der Hayden lIuditium 
Von der Vndankhbarkhait also offenbar, daß sie gesagt: 
Maledieta cuncta dixeris, si hominem Ingratum dixeris. 
Neben dem, das Euren F. G. Vnuerborgen, auch bey 
etlichen Chur- Vnd Fürstenthumb mit höchster Zerrüttung 
Vnd beschweerung Iun erfarung bracht worden, das die 


1) Gestrichen ist einfelltigen und über der Zeile eyfierigen gesetzt. 
?) So statt werden. 


58 


trembden Ingenia sich nicht gebrn authoritate der Ihenigen 
Regieren lassen, 80 zuuor mitt Vnd bey ainander Im Kürchen 
Regiment gewesen Vnd demselbigen Gottseelig, fridlich 
vnnd Ainmtlettig fürgestannden, In dem wir auch viler arro- 
gantiam et Cupiditatem praeeminentiae nicht Antziehen wollen, 
Dann Eure F. G. sich dessen alles mitt gnaden besser zu 
Aerichten, Dann Von nötten mitt Verdruß VBZufderen. Sollte 
sich dann dergleichen ettwas In Eurer F. G. Fürstenthumb // 
Zutragen, so wurde das Allte Dictum fürfallen: Turpius 
ejieitur, quam non admittitur hospes. Welches auch ettwann 
bndern leutten Ain sonder Frolockhen möchte geberen vnd 
bringen. i 

So seyen alle functiones Theologiae bey Eurer F. G. 
Vniuersitet zu Tübingen allso stattlich versehen, das Ime 
khain Vacierender Locus möchte eingeraumbt werden, man 
wöllte dann Andere trewhertzige professores vnuerschuldter 
sachen Vßschließen, Welches khains Wegs zumachen. Dabey 
mögen wir auch nitt wissen, Ob er In ministerio Ecclesiae zu 
gebrauchen, Dieweil er Zweyuells ohne der Tetitschen Sprach 
alls Ain gebornner auß Illiria nicht sonders bericht oder, sich 
derselbigen auff der Canzell mit Frucht gebrauchen möchte. 
Darmitt er Aber dannocht seinen studiis Obligen Vnnd seyne!) 
inegebene Conatus Inn das werckh Richten, dartzu nit er- 
achten möchte, Als hetten Eure F. G. die Hand gahr vonn 
Ime abzogen, So möchten Eure F. G. Ime ettwas gnaden- 
gellt, alls Jarlichs viertzig Oder fünftzickh gulden mit diesem 
Anhang gnediglich anbietten lassen, Das Eure F. G. Ime 
solches solanng mitt gnaden zu raichen bedacht, biß seine 
sachen zu besserung merer Ruw vnd gelegenheit sich Richten 
möchten, Oder sein leben lang bedenckhen, Vnd Ine Widerumb 
beanttwurtten lassen, [n massen beyuerwardt Concept?) ver- 
mag. Vnnd thun Euren F. G. Vns zu gnaden Vnderthenig 
befelben. Actum den 13. Septembris Ao. 66. 


Eurer F. G. 
Vnderthenige 
Gehorsame 
Landhofmeister 
Brentzius vnnd 
Vice Canzler. 


!) seyne über der Zeile. 
5) das Concept folgt unter Nr. 3. 


59 


3. Schreiben des Herzogs Christoph an Matth. Flacius. 
19. September 1566. 


Christoff etc. Hochgelerter lieber besonnder. Wir haben 
eur schreyben sambt dem Vnderthenigen gegen Vnns ge- 
schehnem erbietten, dabey auch mitt christlichem mittleyden 
eur betrtiebnuß Vond das Ir AllBo Angefochten auch ettwas 
ln gefahr gesetzí werden, vernommen. Da wir Inn dem 
auch mit gnediger hülff euch erscheinen mögen, seyen wir 
defen mit gnaden genaigt, khönnen euch aber gnediger 
Mainung nicht Verhallten, das durch die gnad def Allmech- 
tigen dißer Zeit die Kürchen Vnnd Schuelen Vnsers Fürsten- 
tumbs mitt gelerten, Gotsförchtigen Kürchendienern Vnd 
Theologen allso bestellt Vnnd Versehen, das wir auch (Gott 
Lob) ettliche supernumeros zu Tübingen (haben)), welche 
extra ordinem lesen, biß ettwann loca vacantia An sie ge- 
langen mögen. So wollen sich die sterbend leuff Inn Vnserm 
Fürstenthumb Vnd sonnderlich zu Tübingen diser Zeitt Allso 
ertzeigen, Dasza besorgen, Vnser // Vniuersitet Derend (wegen) *) 
Vueruckhen werd mtiessen. Damitt Ihr aber Vnsern gnedigen 
Willen Im werckh befinden, Auch eure Vorhabende Conatus 
zu Gottes ehr vnd Vistannd Vnd erbawung seiner geliebten 
Kürchen befürdern mógen, So wüllen Vnns Jeder zeitt be- 
richten, An was Ortten Ihr eurn Vnderschlauff Vnnd Domi- 
eilium Werden haben. Wollen wir fürsehung Thuen, das 
euch Jürliehs Inn der herpft Oder Fastenmeß oder auch 
Von hierauß Fünfzickh Gulden“) Von Vnsertwegen gereicht 
werden. Haben Wir euch gnediger Mainung nitt wöllen 
verhalten. 


Datum Stutgarten den 19. Septembris Ao. 66. 


Ad Flaceium () Illiricum. 
Konzept. 


Außen steht von des Herzogs Hand: Magister Johannes 
parsimonius gebe Ime Auß meynem beuelh dise Anntwurtt 
vnd promission Ánnui subsidii. 


4. Schreiben des Johannes Parsimonius an Matth. Flaeius. 
21. September 1566. 


Gratiam et pacem in Christo. Quo sim erga te et omnes 
sinceros Christi confessores affectus animo, Reuerende et 
clarissime vir, non tam ex meis fortasse literis intra mensis 


1) haben fehlt. *) wegen fehlt. 5) gestrichen ist Thaler. 


60 


spacium ad te scriptis, quam ex bonis et nostri vtriusque 
studiosis amicis iam antea intellexisti. Huius rei gratia hians 
causam!), ut a me petiisti, non serius, ac si mea esset propria 
aut certe omnis ecclesiae causa, apud illustrissimum nostrum 
Principem egi. Qui post habitam deliberationem tandem 
hoc responsum dedit, et ut illud eius celsitadinis nomine, ac 
mandato ego tibi perscribam?) ac significem, clementer mihi 
incunxit: se nimirum ex tuis literis et mea percepisse) relatione, 
quomodo res tuae se habeant, et quid tibi velis, cumque intelligat, 
variis te adversitatibus, imprimis vero diuturno propter 
veram confessionem exilio premi, condolere se tibi iuxta 
Christianam charitatem ex animo, Et licet pro sua erġa 
omaes literatos et praesertim Christi exules pietate et clementia 
libenter tuae pietati morem gereret tuaque supplicanter de- 
lata eius celsitudini opera ac fide multo libentius vteretur, 
tum cum hoc presenti tempore nusquam in eius clementiae 
Ducatu, quod quidem ipse sciat, vacans sit locus aut pro 
tua persona siue in ministerio aliquo scholastico siue ecelesi- 
astico digna conditio, adde, quod et pestis Tubingae iam 
. ingruere scholaque diffluere incipit, et quod multi tam ex 
theologis quam aliis professoribus vacantes in academia locos 
seu functiones expectant, qui alios sibi praeferri plurimum 
offenderentur, Ideo tuis iam supplicibus votis satisfieri non 
posse. Vt autem eius celsitudinis pium et benignum erga 
te animum nihilo minus // re ipsa sentias et experiaris, 
víque incoeptos tuos conatus et pios labores, quorum fuae 
literae mentionem faciunt, eo commodius ad nominis Dei 
gloriam et eeclesiae ipsius aedificationem proficere queas, 
eius celsitudo perquam clementer promisit ac decreuit an- 
nuùm tibi dare subsidium, hoc est, singulis posthac annis 
quinquaginta tibi numerare aureos seu florenos, quos, si 
prius eius celsitudinem quovis tempore certiorem feceris, 
vbi locorum degas aut tuum habeas domicilium, annuatim 
accipies, vel in nundinis Francofordensibus, quae, quia bis 
in anno habentur, alterutrum ex iis tempus siue vernale siue 
autumnale tibi eligere potes, vel hic in ciuitate Stutgardiana. 
Hase sunt, quae illustrissimus noster Princeps suo nomine 
tibi me scribere et significare iussit. Bene et feliciter vale 
et Deum pro me ora. Stutgardiae ipso die Matthei Anno 66. 


Tuus Joan. Parsimonius. 
Konzept. 


, 9 abgekürzt cám. ) perscribam ac am Rand. ) percepisse 
am Rand, 


6l 


9. Befehl des Herzogs an die Kirchenkastenverwalter. 
29. September 1566. 


Von Gottes gnaden Christoff, Hertzog zu Würtemberg. 
Vnsern grus zuuor, lieben getrewen. Alls sich kurzer tagen 
bey vnns Mathias Flatius Illiricas seinem vnnderthenigen 
Dienst offeriert vnnd angebotten, Vnnd aber zu disem mah 
von vns nit anderst bedacht mügen werden. Demnach geben 
wir euch zuuernemmen, das wir Ime bewegender vrsachen 
halb vsser gnaden zu vnnderhaltung Jerlichs fünftzig gulden 
reichen zu lassen gnedig bewilligt. Derwegen vnser beuelch, 
Ir wellenndt Ime solche hinfüro, von nechstuerschinen Crucis!) 
an zu rechnen, Jedes Jars zu der gewohnlichen Frankfurter 
herpst oder fastenmeß oder von hie us, wie ers erfordert, 
gegen quittung vßrichten vnnd betzalen. Solle auch in 
Rechnung für guet ußgab passiert werden. Daran geschicht 
vnnßer meinung. Datum Stutgarten den 29. September 
Anno 66. 

Christoff Hertzog zu Wurtemberg. 


Vnsern Rüthen vnnd Verwaltern gemeins Kürchenoastens 
vnd lieben getrewen, Conradten Engeln vnd Matheo Heller. 


6. Beschluß, diese 50 fl. nicht mehr zu reicher. 


Auf einem Vorsetzblatt steht: Mathiam Flaceium Illyricum 
betreffend No. Als er diB 69 Jars die 50 fl gnadengeldt 
erfordert, Ist die sach an vnser gnedige Fürstin vnd Frawen 
gelangt vnd notwendiger bericht gethon worden. Vnd daruff 
von Ir f. g. Resolution eruolgt, welche die Verwalter des 
Kürcheneastens beyhanden haben, das namlich Ime Ietzmals 
die 50 fl gereicht, Aber durch M. Balthassarn Bidenbach, 
Hofprediger, durch den ers erfordern lassen, zugeschribeu 
werden solle, Weil sich laider allerlei enderungen zugetragen 
vnd man die sachen hin vnd wider eingezogen, werden solche 
50 fl hinfüro ab sein. Actum 20. August 1569. 


Konsistorialregistratur Stuttgart. 


764. Sectarii 1573—1578 und 1608— 1620. 


1) 14. September. 


Mitteilungen. 


Ein Brief Aurifabers an Flacius (1549). 

Der nachfolgende Brief stammt aus den Tagen des Beginns des 
offenen Zerwürfnisses zwischen Melanchthon und Flacius und führt 
n die Entstehung dieses unseligen Zwiespalts ein. Aurifaber schildert 
anschaulich, wie, nachdem Flacius, durch Melanchthons Nachgiebig- 
keit in den Verhandlungen über das sog. Leipziger Interim von 1548 
seinem einst hochverehrten Lehrer entfremdet!), zu Anfang des fol- 
genden Jahres Wittenberg verlassen hatte, dort infolge der nach und 
nach eintreffenden Streitschriften des Abtrünnigen, in denen dieser 
seine Ansicht mit großem Nachdruck und obne Ansehen der Person 
verfocht, die Stimmung gegen ihn immer gereizter wurde. Aurifaber 
sah das mit Schmerz und versuchte — dies ist der Zweck seines 
(übrigens ursprünglich von Melanchthon angeregten) Briefes, der 
seinem milden und friedliebenden Wesen ein schönes Zeugnis aus- 
stellt?) — Öl auf die erregten Wogen zu gießen. Er mahnte Flacius, 
indem er ihm den Eindruck, den seine Schriften in Wittenberg hervor- 
gerufen, unverhüllt schilderte, in beweglichen Worten, zu sorgen, daß 
mindestens die persönliche Ehre des „Praezeptors“ unangetastet bleibe. 
Hatten doch zwar nicht der Illyriker selbst, wohl aber übereifrige 
Anhänger sich nicht gescheut, Melanchthons und der Seinen Nach- 
giebigkeit auf schnöde Selbstsucht und klägliche Sorge um die eigene 
Person zurückzuführen, was Melanchthon in seiner Auffassung, ia 
Flacius unter Verkennung des Gewissenszwanges, der sein Handeln 
bedingte, lediglich den undankbaren Schüler zu erblicken, nur be- 
krüftigen konnte, 

Ganz ohne Frucht ist der Brief des wohlmeinenden Vermittlers 
vielleicht nicht geblieben; er mag dazu beigetragen haben, daß Flacius 
sowohl eine ausführliche Schrift zur Rechtfertigung seiner Handlungs- 
weise gegenüber den Wittenbergern ausgehen ließ, als auch sich un- 
mittelbar an Melanchthon wandte, in einer Weise, die unverkennbar 


1) Über Flacius in Wittenberg s. meinen Aufsatz in dieser Zeit- 
schrift, Bd. XI, S. 302—809, und meine Geschichte der Universität 
Witeenberg (Halle 4917) S. 222. 

3) Über Aurifaber (Goldschmidt), der von 1546 bis 1549 in 
Wittenberg Mathematik lehrte, s. ebendaselbst S. 281f. 


63. 


das Bestreben zeigt, den Gegensatz mindestens nicht noch zu ver- 
schärfen. Daß jedoch letzterer damit nicht aus der Welt geschafft 
wurde, liegt freilich auf der Hand. 


Johannes Aurifaber an Matthias Flacius. Wittenberg, 


14. April 1549. 
S. in Christo domino et redemptore nostro. quid potissimum ad 
te scribam, mi M, Matthia? nihil enim habeo quo vel ego acribendo- 
vel tu legendo delectari possis. aliquid tamen scribendum est, praesertim 
cum id in mandatis etiam habeam, quemadmodum paulo post audies. 
Eodem quo hinc disceesisti die, ego una cum praeceptoribus ac 
theologis nostris a Johanne Lufft!) ad caenam vocatus sum. in ea. 
cum d. praeceptori Philippo assiderem, faeta tui tuique discessus men- 
tio est, idque ita ut nihil in te diceretur iracundius, sed d. praeceptor 
placide tantum sibi quaedam tua displicere significaret. simul etiam tum 
de habendis tuo loco lectionibus mecum egit, quod ego me facturum. 
recepi et tertio deinde a discessu tuo die tum intimavi tum inchoavi 
sumpsique interpretandum psal. 22, postea vero nescio quibus ratio- 
nibus quorumve relationibus factum sit, ut idem d. praeceptor Asa- 
riam?) a te scriptum esse credere tibique graviter succensere ce- 
perit. itaque proximo die lunae, cum eum negociorum quorundam 
causa adiissem, querebat ex me primum, num quas literas abs te 
accepissem; cumque ego, id quod res poscit, responderem nullas me 
accepisse, addebat porro: scribas illi, ne mihi properet maledicere. 
haec cum viderem ab eo animo vehementer commoto dici, valde pro- 
fecto dolui tum ipsius praeceptoris causa, quem non possum non unice. 
diligere, tum tua quoque, cui certe bene volo, tum nostra omniun: 
atque adeo ecclesiae Dei causa. judico enim has quoque dissensiones. 
et distractiones periculorum et offendiculorum esse plenissimas. ego. 
tum, cum ille multa in eandem sententiam subjungeret, me hoc quod 
mandaret diligenter facturum respondi: et certe si illico tum habu- 
issem nunctium, scripsissem ea de re summa qua potuissem diligentia, 
meque impetraturum sperassem, ne quid paterere contumeliosum in 
hunc tantum virum in scriptis tuis extare, id quod plane judico et 
justissimum esse et in omnem eventum utilissimum. nam etsi quid 
habeas, de quo utiliter moneri aut doceri ecclesiam posse existimes, 
quorsum tamen attinet hunc virum, qui tanta cum utilitate hactenus. 
ecclesiae Dei servit, contumelia adficere? 


1) Der bekannte Lutherdrucker Hans Luft in Wittenberg. 

2) „Wider den schnöden Teuffel, der sich itzt abermals in einen 
Engel des Lichts verkleidet hat, das ist wider das neue Interim, 
durch Carolum Azariam Gotsburgensem.“ 1549 o. O., pseudonyme 
Schrift des Flacius, der in der Vorrede darüber klagt, daß nicht 
schlechte (d. i. schlichte) Laien, sondern ein Teil derer, so zuvor die 
Säulen und vornehmsten in der Kirche gehalten waren, jetzt gotte 
loses Leben fördern helfen usw. 


64 


Sed hujus causae apud te agendae occasionem magna ex parte 
me amisisse video, allatus enim paulo post ad nos est libellus epi- 
stolarum D. M. Lutheri!), in quo cum multa scripta editione et lectione 
dignissima contineantur, adjecta passim in margine sunt scholia 
ita amarulenter, ut merito bonis ac piis omnibus vehementer impro- 
bentur. quid enim illud sibi vult philippisare did td dd,? ) quis 
unquam tam. iniquus fuit, ut hoc crimine insimulare Philippum 
potuerit, quod scilicet sui ventris causa seu öLd tà dã uta quicquam 
molitus esse visus sit? ideo quisquis est, qui haec et similia verbs 
in margine adjecit (nam te profecto id non fecisse mihi persuadeo), 
puto eum male feciese et quod nominatim Philippum perstringit et 
eum tam manifeste falsi criminis reum facit et causam non malam 
male agendo corrumpit?) haec tecum amice colloquor et spero tibi 
animum meum notunf esse, quod et te et ecclesiam dei vere diligam. 
cumque bactenus in hisce tuis actionibus te nibil dare vel tuis vel 
aliorum affeetibus, multo minus hostili animo praeceptorem aggredi 
censuerim, sed tantum utilitatem ecclesiae spectare crediderim, valde 
nunc dolerem, si abduci te ab isto proposito (quod Deus pro aua miseri- 
cordia avertat!) intelligerem. fac ergo, mi carissime amice, ut et pie 
et prudenter agas quod agis, neque vel tuis vel aliorum affectibus 
nimium indulgeas, et verearis nonnihil te etiam in bona causa modum 
excedere et eam male agendo corrumpere et ita plus deatruere quam 


1) „Etliche Brieffe des ehrwürdigen Herrn D. Martini Luthers... 
an die Theologos auff dem Reichstag zu Augsburg geschrieben anno 
MDXXX von der Vereinigung Christi und Belials. . . verdeudscht, 
stem etliche andere Schriften nützlich und tröstlich zu lesen.“ Gedruckt 
zu Magdeburg bei Christian Rüdinger a. 1549. Mit Vorrede des 
Flacius, in der er Melanchthon, jedoch ohne Gehässigkeit, angreift, 
und einigen Scbolien am Rande. 

3) In der mir vorliegenden Ausgabe des Werkes findet sich das 
betreffende Scholion nicht; nur wird in einem der Scholien von Luther 
bemerkt: er würde so nicht heucheln Herrngunst des bauches unge- 
schenk halben (so!). — Tà gira = des Lebens Nahrung und Not- 
durft. — Übrigens erklärte Flacius in seiner Apologia ad scholam 
Vitebergeneem missa 23 julii anno 1549 ausdrücklich: „Scholion 
philippizare me inscio adjectum est": Omnia latine scripta Matthiae 
Flacii Illyrici... contra Adiaphoricas fraudes... edita (o. O. u. J.) 
L 7* (auch daselbst L 5a allgemein: scholia me inscio adjecta eunt.) 
Andererseits spricht Flacius in den Schriften dieser Zeit wiederholt 
von „multi non veritatem, sed ventrem respicientes“ und ähnlich. 

) Wie bitter Melanchthon die Angriffe des Flacius empfand, 
bezeugen mehrere seiner brieflichen Äußerungen aus dieser Zeit, so 
an Matbesius: ego ab Illyrico magnis contumeliis afficior (Corp. 
Ref. VII Sp. 450); an G. Fabricius: Multis beneficiis affectus est 
Slavus óga;:tétgg ab academia nostra et a me. verum aluimus in 
sinu serpentem (ebenda 449) usw. 


65 


aedificare ea ratione posee. cumque pro gloria dei utilitateque ec- 
elesiae spernendum tibi bominum furorem dureris, fae seltem, ne tua 
culpa pro hoste bonorum ac piorum hominum haberi possis. nam eo 
jam rem rediisse video, ut plerique tui amantes te petulanter et 
hostiliter lacessere dominum Philippum querantur. scis autem utraque 
extrema perinde fugienda seu vitanda esse, sed haec tuae permitto 
prudentiae. quod ad me attinet, ego pro mea simplicitate judico tui 
officii esse, ut nomini et honori praeceptoris nostri parcas. et hanc 
dei etiam voluntatem esse credo. atque utinam de illo etiam placando 
eogitare velles. nam posse hoc fleri, praesertim si in tempore id 
ages et te conviciorum illorum autorem non esse ostendes, non diffido. 

Heri primum Torga ad nos dominus praeceptor e couventu quodam 
rediit!) quid actam aut propositum sit, nibil comperi. eadem autem 
terme hora, qua is rediit, libellus etiam tuus Hermannique primatis 
hie vulgatus est”). adfui, cum ejus a praeceptore fleret mentio. 
affirmabat ille se bono et simplici animo scriptum illud composuisse 
neque incerto autore, ut Hermannus affirmat, sparsisse. item se semper 
et fuisse et esse in ea sententia idque in comiciis Augustanis et 
Batisponensibus palam in deliberationibus principum professum: „quod 
vellet necessaria retineri, de non necessariis non dimicari“. haec a me 
tecum communicari libere in bonam te partem accepturum confido, 
idque ut facias rogo. ego te domino Jesu Christo commendo. prodease 
sicubi tibi aut tuis potero, nullo id vel tempore vel loco praetermittam. 
rogo Deum, seternum patrem domini nostri Jesu Christi, ut nostri 
misertus clementer haec tanta nostra vuluera sanet et tanta mala tum 
praesentia tum impendentis mitiget. amen! 

Datae Vitebergae dominica palmarum anno 1519. 
Halle, Wittenberger Universitätsarchiv Tit. 43 Nr. 6 Bd, 1 


Bl. 623f., eigenhändige Ausfertigung. 
Friedens burg. 


Ein Sammler von Helanchthonbriefen. 


Schon zu Lebzeiten Melanchthons wurden die Briefe, die er er- 
hielt und schrieb, von Anhängern und Freunden eifrig gesammelt. 
Sein Famulus und Diener Johann kam darüber in den Verdacht der 
Untreue und Unredlichkeit. Man sagte ihm nach, er hätte Briefe ent- 
wendet und verkauft, an seinem Lehrer und Herrn geradezu Verrat 
geübt. Die Grafen Johann und Adolf“) von Nassau, in deren Dienst 


1) Zu der Torgauer Theologenzusammenkunft vgl. Corp. Ref. VII 
Nr, 4515 (vom 18. April 1549), 

5) Welcher libellus hier gemeint, und was nachstehend unter 
scriptum illud verstanden, auch wer der Hermannus primas ist, ver- 
mag ich nicht zu sagen. 

) Grat Adolf von Nassau hat am 17. Januar 1558 die Leukorea 
bezogen und wurde am folgenden Mai deren Ehrenrektor. 

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1/i. 5 


66 


er später getreten war, schrieben deshalb Sommer 1561 an Peucer und 
Eber, die jedoch, wie folgender Brief?) zeigt, für den beschuldigten 
Famulus eintraten und das gute Zeugnis, das Melanchthon ihm einst 
ausgestellt hatte, ihrerseits bestütigten. Wohl habe er Melanchthon- 
briefe sich abgeschrieben, doch das hätten auch andere, ja die meisten 
der Hausgenossen Melanchthons getan. 

Ineliti et generosi domini comites, domini elementissimi. Gratias 
agimus, quantas possumus, Celsnibus Vris et de vero atque ardente 
studio erga puriorem religionem et ecclesias recte sentientes et de 
singulari affectione erga sanctae et piae memoriae Philippum Melan- 
thonem, quorum utrumque ut conservetis ea, qua par est, animi sub- 
lectione petimus deque nobis vicissim promittimus Cels. Vris vota pre- 
cesque ad deum patrem, ut clementer Cels, Vras vestraque omnia 
tueatur, protegat et servet. Quantum ad negotium attinet, de quo 
requiritis testimonium nostrum, brevibus, quod nobis sit compertum, 
referemus. 

Servivit d. Philippo Melanthoni biennium M. Johannes curandis 
et expediendis iis, de quibus mandata habuit, et domesticis officiis 
praestandis, quae munus ministri complectitur. Vixit cum Philippo 
tum in iisdem aedibus ut gener ego Casparus Peucerus, sed quod 
sciam, nunquam in eo fidem aut diligentiam Philippus desideravit, in- 
telligentiae aliquando plus et iudicii ac cautionis et cireumspectionis 
interdum desideravit, Unde itaque haec sit nata de eo suspitio, quod 
clam surreptas amicorum epistolas precio inimicis vendiderit aut enun- 
tiarit arcana, conicere non possumus, nisi quod ipsum, cum ex vera 
phrenitide graviter decumberet, cum summa mentis non perturbatione 
tantum, sed alienatione astantes aliqui inter caeteras delyras voces 
et vero inconsentaneas hanc etiam misisse affirmabant, quod epistolas 
aliquas Philippi ad amicos adornatas descripsisset. Sed ex his verbis 
mentis extra se motae prorsus et errantis accusatio tanta, quae pene 
est capitalis, institui non potest, multo minus proditionis alicuius aut 
perfidiae argui ipse aut convinci poterit. Fecerunt idem multi alii vel 
potius plerique, quos in contubernio eodem secum ut domesticos habuit, 
Si quid ergo iis, qui talia de eo sparserunt, suspicandi causam dedit, 
h&c est quod praebuit. 

Sed neque socerum meum neque me aut suspicatum esse de eo 
aut expertum quidquam dubiae fidei, quamdiu vixit nebiscum, vere 
affirmo neque de his vulgi rumoribus hactenus nobis auditum aliquid 
cognitumve fuit, Cum ergo meminimus Philippum Melanthonem hunc 
Johannem ita sine suspitione ulla, cum convalesceret, dimississe, ut 
reficiendarum virium causa discedentem in patriam honorifico testi- 
monio sit prosecutus et in academiam cum inclyto comite d. Adolpho 
reversum non minore sit benevolentia complexus quam antea, rogamns 
Cels. Vras, ut si quam de eo suspitionem conceperunt, hanc deponant 
et clementer eum foveant et iuvent et promoveant cum propter senem 


— 


1) Aus der Gothaer Staatsbibliothek, Codex 125, Bl. 9. 


67 


patrem, euius opera utiliter servivit ecclesiis vestris, tum propter ipsum 
Philippum Melanthonem, quem ita scimus fuisse affectum, ut gravius 
tulerit nihil, quam si sua causa in discrimen aliquis vel fortunarum 
vel vitae vel existimationis veniret, quacumque de causa id fleret. Nos 
etiam Cels. Vris humiliter commendamus et ut scholam nostram autori- 
tate et patrocinio vestro tueri pergatis, suppliciter petimus . . . Datae, 
Witebergae 18. Junii a. 1561. Cels. Vris deditissimi Paulus Eberus D: 
Casparus Peucerus D. Wotschke. 


Zur Mathesiusforschung. 


In einem alten auf dem Rochlitzer Amtsgericht verwahrten 
Gerichtsbuch findet sich ein Dienstag nach Bartholom&i 1527 datierter 
»Vertrag Magister Lucassen, Nickeln und Burgkardten die Mattes Eins 
und Fraw Gerdrudt Valten Mattissen seligen verlassen Witwe und yre 
Kinder befangend*. Darnach haben sich ,zwischen dem Wirdigen und 
Achtbarn Hern Magister Lucassen Mattis pfarrer zu Grunaw und seinem 
brader Nickeln, auch in vollermocht und von wegen Burgkardten 
Mattis ires außlendischen brudern Eins, dergleichen der Tugentsamen 
und Erhafften Frawen Gerdrudten, ettwo Valtten mattissen seligen 
nschgelossen wittwen sampt iren kindern und dero vormunden zu 
Rochlitz anders teils irrig gehalten und derhalb an Rechten gehangen.“ 
Es handelte sich um ein Besitztum, den „Keßling mit dem Gehölz 
und Teichen“. Uns interessieren hier lediglich die Personen. Georg 
Loesche, Johannes Mathesius Bd. 1 S. 6 macht Lukas, Nickel und 
Burgkardt zu Brüdern des Johann Mathesius. Nach dem obigen Ver- 
trag muß das als ausgeschlossen gelten, da sonst unbedingt auch 
Johann M. genannt sein müßte. — Als Johann Mathesius Mutter wird 
Christine Scheuerfuß genannt (Lösche a. a. O. S. 5). Der Name ist 
von vorne herein verdächtig. Ich vermute, daß diese Christine eine 
geborene Schmerfaß war. Ein Simon Schmerfaß aus Rochlitz wird 
am 22. Dezember 1498 Akoluth and am 23. März 1508 Subdiakonus, 
beides in Merseburg. 

Rochlitz, Buchwald. 


Neuerscheinungen. 


Die Karl Müller-Tübingen zum 70. Geburtstag (Sept. 1929) von 
21 Fachgenossen und Freunden dargebrachte literarische „Festgabe“ 
berührt in mehreren ihrer Abhandlungen die Reformationsgeschichte: 
8. 118—181 O. Scheel, Luther und der angebliche Ausklang 
des „Observantenstreites“ im Augustinereremitenorden 
(zeigt die Leichtfertigkeit auf, mit der Grisar in seinem „Luther“ dem 
sog. Observantenstreit die Handhabe entnommen hat, um das Bild des 
werdenden Reformators von vornherein zu schwärzen). — S. 182—144 
Eb. Teufel, Luther und Luthertum im Urteil Seb. Francks 

55 


68 


(stellt die Urteile Francks im ,Ketzerbuch" und anderswo systematisch 
zusammen) — 8. 145—170 Em. Hirsch, Zum Verständnis 
Schwenekfelds (Schw. ein Vorläufer des Pietismus). — 8. 171—177 
J. Rauscher, Zur Entstehung der großen Württem- 
bergischen Kirchenordnung v. 1559 (nach einem neu ent- 
deckten ersten Entwurf, der abgedruckt wird). — S, 178—197 K.Holl, 
Die Frage des Zinsnehmens und des Wuchers in der 
ref, Kirche (der ältere Calvinismus hat die sich ausbreitende 
Geldwirtschaft nicht sowohl gefördert als bekämpft). — S. 198—308. 
W. Köhler, Geistesahnen des Joh, Acontius (verfolgt die 
Grundgedanken der Stratagemata Satanae des A. bis zur Stoa und 
zum Humanismus zurück). — Endlich geht der Aufsatz von Hjalmar 
Holmquist, Kirche und Staat im evangelischen Schweden 
(S. 309—227) von den kirchlichen Zuständen des Landes im beginnenden. 
Reformationszeitalter sus. Tübingen, I. C. B. Mohr 1939. VII, 8518. 
(mit dem wohlgetroffenen Bilde des Jubilars). 

Den in Jahrg. 18 8.157 gewürdigten Aufsatz von M. Lens, 
„Luthers Tat in Worms“ druckt Vf. an der Spitze der von. 
ibm unter dem Titel „Wille, Macht und Schicksal" veröffent- 
lichten 8. Sammlung seiner kleinen historischen Schriften (8. 1—40). 
erneut ab. München u. Berlin, R. Oldenbourg 1929, 272 S. 

Den Fortgang der großen Veröffentlichung von I. M. Reu Aber 
die Quellen des kirchlichen Unterrichts in der evan-- 
gelischen Kirche Deutschlands zwischen 1580 und 1600 hat 
erfreulicherweise der Weltkrieg nicht zu unterbinden vermocht. Reu. 
legt jetzt vor, was während des letzteren gedruckt worden ist, die 
2. Hälfte der 8. Abt. (Texte) des 3. Bandes, nämlich der Ost-, Nord- 
und Westdeutschen Katechismen, und zwar handelt es sich hier aus-- 
schließlich um die Braunschweigischen und Hannoverschen Katechismen, 
deren 17 gedruckt werden von Urbanus Rhegius’ niederdeutscher Aus- 
gabe der 12 Artikel des Glaubens für Lüneburg 1582 bis zu Joh.. 
Aumanns Kat. von 1597 mit Anhang des Kat. des Joh. Sötefleisch 
Superint. zu Göttingen (zwischen 1589 und 1608) Über die Sorg- 
falt des Herausgebers in der Auswahl und Wiedergabe der Texte 
braucht kaum noch ein Wort verloren zu werden. Es stehen jetzt 
Doch aus die ostfriesischen, westfälischen und rheinischen Katechismen 
nebst der historisch-biograf. Einleitung zur ganzen 8. Abteilung dew. 
1. Teils. Möge es unserem wackern Landsmanne jenseits des Welt- 
meers gegönnt sein, sein mühevolles Werk, dergleichen wohl keine 
andere Nation aufzuweisen hat, demnächst zu Ende zu führen! 
Gütersloh, C. Bertelsmann 1920 (S. 561—981). 

Das von J. Köstlin 1883 verfaßte und herausgegebene Verzeichnis 
der „Lutherbibliothek des Paulus-Museums der Stadt 
Worms“, d. h. der Sammlungen von Schriften Luthers und seiner 
Zeit und Anhänger, die der jetzige Generalleutnant Max von Heyl 
in Darmstadt gesammelt und zum 400. Geburtstag des Reformators 
der Stadt Worms geschenkt hatte, veröffentlicht Fritz Herrmann. 


69 


aufs noue unter Aufnahme der seit 1888 hinzugekommenen Stücke, 
Vervollständigung der bibliographischen Hinweise usw. Das Ver- 
seichnis umfaßt über 500 Nr.; den Hauptbestandteil bilden Luther- 
drucke von 1516—1546. Darmstadt 1999, 87 8. 

Adolf Risch, Luthers Bibelverdeutschung, be- 

handelt 1) als „Voraussetzungen in der Vergangenheit" die alten 

gen und die Deutschen im Verhältnis zur Bibel vor Luther; 
9) die persönlichen Voraussetzungen in Luther, sein Erlebnis an der 
Bibel, seine Bibelauslegung, sein Verhältnis zur deutschen Sprache; 
8) das Werk der Bibelverdeutschung selbst (geschichtliche Daten, Art 
des Arbeitens Luthers), Am Schluß gedenkt Verf. der Auswirkung 
der Lutherbibel, die über die deutsche Sprachgrenze weit hinaus weist. 
Erst L. s Tat hat der Bibel die Bahn freigemacht, ihr Licht in alle 
Welt hinausleuchten zu lassen. Beigegeben ist die Nachbildung je 
einer Seite des alten und neuen Testaments. Leipzig, Komm. Verlag 
M. Heinsius Nachf. 1999. $89 S. (= Schriften des Vereins für Ref. 
Gesch. Jahrg. 40, Nr. 185). 

G. Buchwald, Martin Luther in seinen Tisch- 
reden gibt eine systematisch geordnete Auswahl aus den Tischreden. 
Die Haupteinteilung ist: Empor zum Licht; Luther der Held; Luther 
der Christ; Luther der Prediger; Lebensweisheit; Luther und die 
Umwelt; Luther der Prophet. Den Schluß bilden sprachliche Erläu- 
terungen und Nachweise der Vorlagen. Die von dem bewährten 
Kenner getroffene Auswahl ist bestens geeignet, das Verständnis der 
Tischreden weiteren Kreisen zu vermitteln und ihnen dadurch das 
Charakterbild des größten Deutschen nahezubringen. Zu rühmen ist 
auch die würdige Ausstattung des Buches. Leipzig, Voigtländer 
216 8. 4°, 

E. Kohlmeyer, Die Entstehung der Sehrift 
Luthersan denchristlichen Adel deutscher Nation 
zerlegt in scharfsinniger Untersuchung die Schrift in 9 Teile: den 
ursprünglichen Entwurf (Widmung, theolog. Grundlegung und erste 
Reihe von Mißbräuche betr. Verweltlichung und Finanzwirtschaft der 
Kurie nebst kurzen Besserungsvorschläg®en) nnd einen zweiten Teil mit 
ausführlicher Wiederholung des nämlichen Reformprogramms unter 
Hinzufügung zahlreicher anderer Reformpunkte betr. Schäden des 
religiösen Volkslebens und soziale Mißstände — Teil 1 wesentlich die 
Kurie, Teil 2 den Papst angreifend —, und entwickelt die Veran- 
lassung und die näheren Umstände der Entstehung. Er zeigt dabei 
die volle Unabhängigkeit L.’s von irgendwelchen fremden Einflüssen, 
vielmehr ergaben den Plan und die Ausführung Luthers eigene Erleb- 
nisse, zumal mit der Kurie. — Mit Recht zeigt Vf. u.a. auch, daß 
der „Adel“ im Titel der Schrift die Reichsstände, zumal den regie- 
renden hohen Adel des Reichs, bedeutet, während an die Reichsritter- 
schaft nicht gedacht ist. Gütersloh, Bertelsmann 1922, 91 8. 

G. Wünsch, Der Zusammenbruch des Luthertum 
als Sozial gestaltung. Diese nicht eigentlich historische 


70 


Stadie versucht nachzuweisen, daß das Luthertum als Sozialgestaltung, 
d. h. die vergröberte und den menschlich-selbstsüchtigen Interessen 
dienbar gemachte Sozialgestaltung der Epigonen des Reformrtets, 
endgültig zusammengebrochen sei und daß diejenigen, die noch inner- 
halb dieses Sozialschemas stehen und sich die Weltgestaltung nicht 
anders vorstellen können, d. h. zumal die Regierungen der evan- 
gelischen Kirchen und derjenige Teil des ,Kirchenvolks", der sich 
aktiv zur Kirche hält, sich soziologisch neu einstellen müßten. Tübingen, 
I. C. B. Mohr 1921, 70 8. , 

H. Grisar S. I. beginnt die Veröffentlichung einer Reihe von 
„Lutherstudien“: Heft 1, Luther zu Worms und die jüngsten 
Jahrhundertfeste der Reformation; 2 und 8 (in Verbindung mit Franz 
Heege S.I) Luthers Kampfbilder: I. Passional Christi und Anti- 
ehristi; Eröffnung des Bilderkampfes (1521) mit 5 Abb.; II. Der 
Bilderkampf in der deutschen Bibel (1522 fl.) mit 9 Abd.; 4. Luthers 
Trutzlied ,Ein feste Burg" in Vergangenheit and Gegenwart. Grisars 
bekannte Art, die geschichtlichen Ereignisse und Verhältnisse so zu- 
zustutzen, daß sie sich seinen vorgefaßten Ansichten und Meinungen 
anzubequemen scheinen, tritt auch hier zutage: er bietet, soweit Luther 
und Luthertum in Geschichte und Gegenwart in Frage kommen, 
Zerrbilder; das beigebrachte Material ist zum Teil nicht ohne Wert. 
Freib. i. Br., Herder & Co. 1991 und 1922, VI, 89; 68; 45; 57 8. 

Die M. Lenz dargebrachte Studie von Arnold Reimann, 
Sebastian Franck. Ein moderner Denker im 16.Jahr- 
hundert, würdigt Fr. als einen Denker, der, seiner Zeit voraus- 
eilend, Toleranz, geistiges Christentum und das Recht der freien 
Persönlichkeit gepredigt und zu seinem Teil beigetragen habe, dem 
deutschen Gemüt die Frömmigkeit der mittelalterlichen Mystik zu 
bewahren, die tiefsten und besten Gedanken der Reformation zu retten 
und die idealistisch-pantheistische Spekulation der modernen Philo- 
sophie vorzubereiten. Berlin, Unger 1921, 101 8. (Comeniusschriften 
zur Geistesgesch. 1) — Im 3. Heft der nämlichen Reihe behandelt 
E. Diestel in großen Zügen den Teufel als Sinnbild des 
Bösen im Kirchenglauben, in den Hexenprozessen und als Bundes- 
genossen der Freimaurerei. Berlin, Unger 1922, 45 8. 

Einen sehr wertvollen Beitrag zur deutschen Kultur- und Wirt- 
schaftsgesch. des 16. Jahrh., zugleich einen neuen Beweis für den 
innigen, unlöslichen Zusammenhang mit deutscher Art und Sitte 
bietet O. Winkelmann (t) in dem mit musterhafter Sorgfalt ab- 
gefaßten Buche „Das Fürsorgewesen der Stadt Straßburg 
vorundnach der Reformation bis sum Ausgang des 
16. Jahrhunderts“. Verf. behandelt hier, in der Hauptsache 
auf Grund der Akten des seit 1890 mit dem Stadtarchiv vereinigten 
Hospitalsarchivs der Stadt Str., das gesamte öffentliche Fürsorgewesen 
dieser. Den Hauptplatz beansprucht die Gesch. der öffentlichen 
Armenpflege von 1598 bis etwa 1550; der vorhandene reiche Stoff 
ist im 9. Teil (Urkunden und Aktenstücke) möglichst vollständig 


71 


wiedergegeben, während der 1. Teil (Geschichtliche Übersicht) sich 
darüber verhältnismäßig kurz faßt. Umgekehrt ist der Stoff über 
daa Armenwesen vor und nach der Ref. und tiber die geschlossene 
Fürsorge tunlichst im 1. Teil verwertet und im 9. nur eine Auswahl 
der wichtigsten Stücke abgedruckt. Ohne auf die Einteilung und 
den Inhalt im einzelnen näher einzugehen, möchten wir als ein 
wichtiges Ergebnis der Untersuchungen W.'s darauf hinweisen, daß 
die neuen, die besten reichsstädtischen Armenordnungen des 16, Jahrh., 
und zumal die Straßburgische, beherrschenden Grundsätze der Armen- 
pflege (die in der pflichtmäßigen Obrigkeitsfürsorge für alle einhei- 
mischen Armen mit Verbot des Bettelns, auch des geistlichen, gipfeln) 
an Forderungen anknüpfen, die zuerst von dem jungen Luther auf. 
gestellt wurden, aus seiner Gedankenwelt stammen und zu den alten 
kirchlichen Überlieferungen in entschiedenem Gegensatz standen, 
Leipzig 1922, Kommiss.-Verlag M. Heinsius Nachf, 2 Teile in 1 Bd; 
XVI, 908 u. 801 S. gr. 8° (= Quellen und Forsch. zur Beformations- 
gesch. V.). 

Die aus einem der Leipziger Juristenfakultät erstatteten Rechts- 
gutachten hervorgegangene Abhandlung von Alfr. Schultze, 
Die Rechtslage der evangelischen Stifter Meißen 
und Wurzen schildert zuerst die geschichtlichen Vorgänge vom 
Mittelalter bis zur Gegenwart, um dann die heutige Rechtslage fest- 
zustellen. Die Grundlage dieser bildet die „Kapitulation“ zwischen 
den Stiften und Kurfürst August von 1581, die ihrerseits die An- 
nehme der Ref. durch erstere zur Voraussetzung hatte. Die Stifter 
sind, das ist das Ergebnis der Untersuchung, autonome Körperschaften 
des öffentlichen Rechts mit kirchlichen Zwecken, der Einmischung 
des Staats enthoben und lediglich seiner Aufsicht unterstellt, von 
ausschließlich evangelischem Charakter. Leipziger rechtswissenschaft!. 
Studien herausg. von der Leipziger Juristenfakultät I. L., Theodor 
Weicher 1992. VIII, 99 8. 

Dem unermüdlichen Schaffensdrange von G. Loesche ver- 
danken wir eine neue (stark vermehrte und bis auf die Gegenwart 
fortgeführte) Auflage seiner 1902 erschienenen ,Geschichte des 
Protestantismus in Osterreich“, bestehend aus Darstellung, 
fast 2000 Anmerkungen, Verzeichnis einer Auswahl von Quellen- 
schriften (Literatur) und Register. Das Werk füllt den Doppeljahr- 
gang 40 und 41 des Jahrbuchs der Gesellsch. f. d. G. des Prot, in 
Österr. (Wien, Manz und Leipzig, Klinkhardt 1921) — Aus der 
nämlichen Feder stammt „Die böhmischen Exulanten in 
Sachsen. Ein Beitrag zur G. des 80j. Krieges und der Gegen- 
ref.“, geschöpft aus deutschen (bes. Dresdner) und böhmischen (bes 
Prager) Archiven. Hier schließen sich an die Darstellung zunächst 
zahlreiche Anmerkungen und weiter, fast die Hälfte des starken 
Bandes einnehmend, die archivalischen Beilagen (meist Regesten), die 
von 1557 bis 1747 reichen. Den Orts- und Namensverzeichnissen 
folgt endlich noch eine Übersicht über die Exulanten nach Ständen. 


72 


Das Ganze bildet den 43. bis 44. Jahrgang des Jahrbuchs. Wien usw. 
1998; XII, 585 8. x 

L. von Pastor, Geschichte dor Päpste seit dam 
Ausgang des Mittelalters. Bd. 8, 9: G. d. P. im Zeitalter der 
katholischen Reformation und Restauration. Pius V. (1566—1579); 
Gregor XIII (1572—1585). — Die 2 neuesten Bünde des groban- 
legten Werkes führen hinüber in die Zeit eines bedeutsamen, von 
reichen Erfolgen begleiteten Aufschwungs des Katholizismus, den 
Verf. mit merkbarer innerer Genugtuung und warmer Anteilnahme, 
wenn auch nicht eben mit voller Unparteilichkeit schildert. Insbe- 
sondere ist es ihm ausgemacht, daß alles, was der katholischen Sache 
irgendwie zugute kommt, schlechthin gut, nützlich und erfreulich sei 
ohne Rücksicht auf die angewandten Mittel und die Art der Aus- 
wirkung. Doch darf diese Einseitigkeit, die der Kundige ja obne 
weiteres bei sich berichtigt, nicht abhalten anzuerkennen, daß die 
neuen Bände den voraufgegangenen mindestens ebenbürtig zur Seite 
stehen. Man bewundert wiederum die meisterhafte Verarbeitung 
eines kaum übersehbaren, von Pastor selbst aus den Archiven ansehn- 
lich bereicherten Stoffes und die mit sorgsamster Behandlung des 
Einzelnen und Einzelsten verbundene Weite des Blickes. Die beiden 
Bände erweitern sich aus einer Papstgeschichte im engeren Siun zu 
einer einheitlich aufgefaßten, ausführlichen und ergebnisreichen uni- 
versalhistorischen Darstellung zweier der bedeutsamsten und an Ereig- 
nissen reichsten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Auf einzelnes 
einzugehen müssen wir uns hier versagen; nur sei auf das besonders 
reichhaltige 9. Kapitel des 9. Bandes hingewiesen, das die katholische 
Reform und Restauration in Deutschland und der Schweiz auf Grund 
der in großer Fülle vorliegenden Nuntiaturberichte aus dieser Periode 
eingehend schildert (3. 427—662). Der Stellungnahme Pastors in der 
Maria Stuart-Frage (VIII, S. 40811) stimmt Ref. durchaus bei. — 
Die Bünde bringen wiederum eine Anzahl wichtigerer Aktenstücke 
als Beilagen, Literaturverzeichnisse, Überblicke über die benutzten 
: Archive und Register. Freib. i. Br, Herder & Co. 1990, XXXVI, 
676 8. und ebenda 1923, XLV, 983 8. W. Fr. 


Vermerk. 


Die Anschrift des Herausgebers lautet fortan Wernigerode a. H., 
Lüttgenfeldstraße 12, 


Jakob Schenck u. die Universität Leipzig. 


Von Wilhelm Stieda. 


Nach den eindringenden Untersuchungen von Georg 
Müller!), J. K. Seidemann?) P. Vetter®), Otto Kirn*) und 
anderen steht die Persönlichkeit Jakob Schencks und seine 
Bedeutung fest. Ihn als Antinomisten zu bezeichnen liegt 
kein gentigender Anhalt vor“). Wenn sowohl Luther als 
Melanchthon ihm durchaus ungünstig gesinnt waren, sogar 
behauptet wird, daß letzterer an der Vertreibung Schencks 
aus Leipzig wenigstens indirekt beteiligt gewesen ist, so mag 
das auf seinen keineswegs anziehend geschilderten Charakter 
zurückzuführen sein. Ein selbstbewußter Herr, eitel, eigen- 
mächtig, hochfahrend im Auftreten, konnte er sich kaum 
viele wahre Freunde erwerben. Seine Energie, die bei der 
Einführung der Reformation in Freiberg alle sich entgegen- 
stellenden Hindernisse überwand, brachte ihn auf der anderen 
Seite in unliebsame Berührung mit dem „notorischen Zänker 
und Kanzelpauker“ Paul Lindenau, dem er schlielich weichen 
mußte). Aber große Begabung, Glaubenseifer, unermüdliche 
Arbeitskraft auf der einen Seite, Unbeugsamkeit und Eigen- 
wille auf der anderen Seite ließen den stolzen Mann, der 
im Grunde geschaffen schien mit seinen hohen Geistesgaben 
sich als erfolgreichen Mitarbeiter in der Reformation zu be- 


1) In der Allgem. Deutschen Biographie 81, S. 50 sowie in seiner 
Schrift „Paul Lindenau“ 1880 

*) Dr. Jacob Schenk, der vermeintliche Antinomer, Freibergs 
Reformator usw. Leipig 1875. 

3) Jakob Schenck und die Prediger zu Leipzig 1541-43 im 
Neuen Archiv f. Sächsische Geschichte und Altertumskunde 12 (1891), 
S. 247 ff. 

4) Die Leipziger theologische Fakultät in fünf Jahrhunderten, 
Leipzig 1909, S. 44, 51. 

5 Hauck, Realencyklopädie für -protestantische Theologie und 
Kirche, 8. Aufl., S. 590. 

©) Vetter, a. a. O., S. 248. 

Archiv für Refomstlonsgeschlchte. XX. 5/4. 6 


tätigen, doch nicht zu dauerndem Einflusse und allgemeiner 
Anerkennung kommen. 

Geboren 1508 zu Waldsee im Württembergischen, kam 
er als 18jähriger nach Wittenberg, trieb neben theologischen 
Studien auch humanistische, wurde bald Magister und 1536 
Doktor der II eologie. Dann folgte er einem Rufe des 
Herzogs Heinrieh von Sachsen, der damals zur evangelischen 
Lehre sich bekannte und dem schmalkaldischen Bunde sich 
anschloß. Aber obwohl die Herzogin Katharina für ihn ein- 
genommen war, gelang es ihm doch nicht trotz der unleug- 
baren Verdienste, die er sich in Freiberg erwarb, sich auf 
die Dauer zu halten und er siedelte 1538 als Hofprediger 
nach Weimar zum Kurfürsten Johann Friedrich über. Hier 
erwies er sich als begabter und sehr beliebter Prediger!). 
Trotzdem wollte sich kein rechtes Verhältnis zu den Witten- 
bergern entwickeln. Luther sagte wohl einmal von ihm „Ich 
will ihn der Lehre halben nicht beschuldigen“?), aber dann 
äußerte er sich bei anderer Gelegenheit wieder dahin, daß 
er mit Jäckels und Grickels — so nannte er Jakob Schenck 
und Agricola — Meinung und Opinion nicht einverstanden 
sei, daB er der Religion Pestilenz und Gift wäre, daß er 
dummkühn, in süßmündigen glatten prächtigen Worten und 
Redekünsten sich erging“) kurz, er urteilte über ihn hart. 
Am ausfälligsten vielleicht, als er am 13. Oktober 1538 an 
seinem Tische tiber ihn bemerkte: „Niemand wundere sich 
über den Ruhm Jakob Schencks, der eine Zeitlang Beifall 
haben wird um seiner Beredsamkeit willen, die inhaltsleer 
ist; denn die eitle Welt hascht stets nach dem Neuen und 
Ungewöbnlichen. Sobald aber die Hofleute seiner Worte ge- 
wohnen und merken, daß er immer dasselbe Lied singt, 
werden sie seiner überdrüssig werden*) Und als gar 
Schenck seine Augen zu Luthers Nichte, Anna Schtitzmeister, 
aufhob und sie als seine Frau heimzuführen wünschte, ließ 
Luther ihm sagen: Das soll in Ewigkeit nicht gescheben. 
Und zum Mägdlein: willst du ihn haben, so heb dich alsbald 
immer von mir! Ich will dich weder hören noch sehen*)* 

Bei dieser Sachlage wird es verstündlich, daB Schenck, 
obwohl er seinen Lehrern in Wittenberg herzlich zugetan 
blieb, sich dennoch aus einer Umgebung fortsehnte, in der 
man so viel an ihm auszusetzen wußte und dahinstrebte, wo 
er darauf rechnete, selbständiger und freier ohne so scharfer 
Kritik preisgegeben zu sein, seine Gedanken vortragen zu 


1) Seidemann, a. a. O., S. 88. 1) Seidemann, a. a. O., S. 41. 
) Seidemann, a. a. O., S. 38,39, 40. ) Seidemann, a. a. O., S. 43. 
) Seidemann, a. a, O., S. 45. 


75 


können. In dieser Verstimmung kam er nach Leipzig, wo 
er zunächst Hofprediger des dort studierenden Herzogs August 
wurde und als dieser fortzog, sich anschickte, Vorlesungen 
an der Universität zu halten. In die Fakultät trat er jedoch 
erst 1542 ein, nachdem er am 10. August die hierfür vor- 
gesehene Disputation pro loco gehalten hatte!) Die Er- 
mächtigung Vorlesungen zu halten und in den Kirchen za 
predigen, hatte ihm ein Erlaß Herzog Heinrichs zuerkannt. 
Doch soll er, obwohl neben ihm nur Johann Sauer als aka- 
demischer Lehrer im Amte war, gar nicht begonnen haben 
zu lesen, weil die hierauf verwandte Mühe nicht ausreichend 
von den Zuhörern, die sich in nur geringer Zahl einfanden, 
honoriert zu sein schien?) Von anderer Seite wird freilich 
behauptet, daß er bei den Studenten so gut Anklang ge- 
funden hätte wie bei der Gemeinde in der kleinen Kapelle 
in der Pleißenburg®). 

Jedenfalls geriet er auch hier mit dem Superintendenten 
Jobann Pfeffinger, der nachher seit 1544 als ordentlicher 
Professor die Seele der theologischen Fakultät wurde, an- 
einander. Auch Professor Sauer nahm gegen den Kollegen, 
mit dem zusammen er die theologische Fakultät bildete, 
Partei. Die Veranlassung dazu war die Herausgabe einer 
Postille, die Jakob Schenck auf Anregung des Professors 
Dr. Andreas Franck Camitianus, der neben seiner Lehr- 
fütigkeit an der Universität zugleich Ratsherr urid Schöppe 
war, im Februar 1542 im Begriffe stand drucken zu lassen, 
um sie dem Rate der Stadt Leipzig zu widmen. In diesem 
Werk, dessen Korrekturbogen nur auf unrechtmäßigem 
Wege in fremde Hände gekommen sein können, fand der 
Superintendent Pfeffinger eine Reihe von Irrtümern und ver- 
steckten Angriffen auf die Wittenberger. Schenck hatte die 
an verschiedenen Orten gehaltenen Predigten zusammen- 
gefaßt, das Manuskript dem Dr. Andreas Franck übergeben, 
der es in die Druckerei besorgt hatte, wohl nicht ohne 
es gelesen und gebilligt zu haben. Denn es sollte ja dem 
Rate gewidmet werden. Mit ziemlicher Schnelligkeit, erst 
auf einer Presse, dann auf zwei Pressen, war der Druck 
bis zum zwölften Bogen vorgeschritten, als plötzlich Wider- 
spruch erhoben und Schenck aufgefordert. wurde, sich vor 
dem Rektor der Universität und einigen Herren der Uni- 
versität wie des Stadtrates zu rechtfertigen. Die mit der 


) Kirn, a.a. O., 8. 45. 

1) Seidemann, a. a. O., 8. 47. 

3) Georg Müller in der Allg. D. Biogr. 

) Kirn, a. a. O., S. 46. — Seidemaun, a. a. O., S. 51. 
6* 


76 


Prüfung des ganzen Manuskripts oder der bereits vorliegenden 
Druckbogen betraut gewesenen Herren Sauer und Pfeffinger 
hatten ein Verzeichnis der beanstandeten Artikel aufgestellt 
und es wurde jetzt von Schenck verlangt, zu widerrufen 
oder in einer dem Buche vorauszustellenden Deklaration 
eine dahingehende Erläuterung abzugeben. Da sich Schenck 
zu diesem Schritte unter keinen Umständen verstehen wollte, 
wurde die Vollendung des Drucks verboten. Dadurch nicht 
nur, sondern auch noch durch eine andere Druckverweigerung 
aufs härteste betroffen, wandte sich Schenck am 8. September 
1542 an die herzoglichen Statthalter in Dresden mit der 
Bitte, ihm die Erlaubnis zur Fertigstellung des Drucks seiner 
Postille sowie eines anderen von ihm beabsichtigten Werks 
zu erteilen. Er hatte nämlich auf Bitten seiner Anhänger 
aus seinen schon gedruckten Auslegungen der zehn Gebote, 
des Glaubens und des Vaterunsers einen Auszug gemacht, 
für den ihm die Druckerlaubnis zu erteilen, der Bürger- 
meister Morch abgelehnt hatte. Dieser hatte es für wünschens- 
werter gehalten, so lange mit dem Erscheinen der neuen 
Druckschrift zu zögern, bis auch die Angelegenheit mit der 
Postille beendet worden sei!). Die Antwort, die ihm von 
dieser Seite zuteil wurde, ließ alles in der Schwebe, in der 
Annahme, daß Schenck demnächst zur mündlichen Ver- 
handlung nach Dresden kommen werde. Das lehnte jedoch 
Schenck ab und folgte auch einer erneuten Einladung nach 
Dresden nicht. Die Folge aller dieser Uneinigkeiten war, 
daß Herzog Moritz, der einerseits für den begabten Mann 
Interesse zeigte, andererseits ihn gegen die von verschiedenen 
Seiten über ihn hereinbrechenden Angriffe nicht zu halten 
vermochte, ihm nahe legen ließ, auf das eben erst an- 
getretene akademische Lehramt zu verzichten und sich 
lieber als Lektor zum Unterricht in Sprachen verwenden zu 
lassen ?). 

Ob er diesem Rate gefolgt ist, läßt sich nicht nach- 
weisen. Jedenfalls lebte er in einer ihm eingeräumten 
Wohnung des Barfüßerklosters still und zurückgezogen, 
lediglich mit seinen Studien beschäftigt, im steten Umgange 
mit seinem Bruder Michael und seinem Famulus Werlin. 
Indes selbst hier traf ihn Mißgeschick. Herzog Moritz hatte 
am 22. Mai 1542 dem Rate das Kloster auf ein Jahr zu- 
gestanden und dieser wünschte den Propst des Thomas- 
klosters, Ambrosius Rauch, dort einzuquartieren, nachdem er 
dessen Wohnung einem reichen Bürger, Heinrich Scherl, 


1) Seidemann, a. a. O., S. 53. 
1) Seidemann, a, a. O., S, 55. — Vetter, a. a. O., S. 266. 


77 


eingeräumt hatte. Schenck, wahrscheinlich in finanzieller 
Bedrängnis, wollte seine Wohnung im Barfüßerkloster nicht 
aufgeben, geriet deswegen mit dem Rate in Konflikt, ließ 
sich lediglich durch Gewalt aus dem Hause herausführen 
und wurde im Rathause gefangen gehalten. Außerdem war 
er von dem Buchdrucker Wolrab, der seine Postille druckte, 
bei der Universität wegen der Unterbrechung des Drucks oder 
einer zu zahlenden Entschädigung belangt worden. So saß 
der vielgeplagte Mann in tausend Aengsten und wußte nicht 
Tus und ein! 


Darüber war das Jahr 1543 herangekommen, wohl das 
schwerste für den verfolgten Schenck, der wie es scheint, 
es niemandem recht machen konnte außer einem kleinen 
Häuflein Getreuer, das zu ihm hielt. 

Aus dieser Zeit bis zur Katastrophe haben sich im 
Universitätsarchiv an einer Stelle, wo man sie nicht suchen 
konnte, nämlich in einem Faszikel „Miscellanea“ ) Original- 
briefe des Jakob und Michael Schenck sowie zwei Schreiben 
der Universität in dieser Angelegenheit an den Herzog Moritz 
erhalten. Sie bieten kein Material die Vorgänge anders zu 
erzählen als sie bei den genannten Autoren oder in den 
Acta rectorum), auf die jene sich stützen, dargestellt sind. 
Auch hat Vetter für seinen Aufsatz ein Faszikel im Haupt- 
Staatsarchiv zu Dresden benutzt, das, wie es scheint, die 
gleichen Aktenstücke in Abschrift aufweist. Wenigstens 
nennt er das Schreiben der Universität vom 25, Juli 1543 
an den Herzog und die Schreiben Schencks an Rektor und 
Universität vom 14. Juli desselben Jahres*). Immer verdienen . 
diese Sohriftstücke vollständig ans Tageslicht gezogen zu 
werden, Sie beweisen, daB die Universität im Grunde Wohl- 
wollen für den nach der Ansicht Sauers und Pfeffingers 
Abtrünnigen bewies und auf der anderen Seite Schenck allen 
Weiterungen aus dem Wege zu gehen sich bemühte, ledig- 
lich von dem Wunsche geleitet, seine begonnene Postille zu 
Ende drucken lassen zu können. Offenbar wollte er dem 
ungestümen Drängen des Druckers Wolrab, der ihm hart 
zusetzte, entgehen und mag vielleicht erhofft haben, aus 
seiner Geistesarbeit einen bescheidenen Gewinn zu erzielen. 
Wovon er seinen Lebensunterhalt bestritt, war vielen damals 
ein Rätsel). 


1) Seidemann, a. a. O., S. 57. 

*) Repert. G. A. X 10. 

*) ed, Frid. Zarncke, S. 174—176, 184—187. 
4) Vetter, a. a. O. S. 269/270. 

5) Seidemann, a. a. O. S. 55. 


78 


Die nachstehend zum ersten Male abgedruckten Schrift- 
stücke begionen mit einem Briefe Schencks an Jörg von 
Karlowitz und den Kanzler Simon Pistoris vom 27. Juni 1543, 
der, so viel ich sehe, noch nicht bekannt ist. Ich wähle 
nach dem Vorgange Vetters die Schreibweise „Schenck“ 
da beide Brüder sich derart unterschreiben, im Gegensatz zu 
Seidemann, der die Schreibweise „Schenk“ aufgebracht 
hat. Bedrückt durch den Rat, der ihn aus der Wohnung im 
Barfüßerkloster vertreiben wollte, wandte er sich in diesem 
Briefe an die Statthalter mit der Bitte, ihn in dem vom 
Herzog ihm zugewiesenen Quartier zu belassen oder eine be- 
quemere Herberge zu verschaffen. Auf einmal war die 
Wohnung im Kloster, obwohl sie ein „herrlich ansehen“ hatte, 
für einen Gelehrten mit Dienstboten nicht mehr guf genug. 
Sollte man indes ihm kein anderes Logis besorgen können, 
80 bat er den Fürsten doch daran erinnern zu wollen, daB 
er ihm eine Stellung mit festem Gehalt in Aussicht gestellt 
hätte. Offenbar war, als er von seinem akademischen Lehr- 
amte enthoben wurde, vom Herzog irgendein derartiges Ver- 
sprechen gegeben worden. Die ganze Angelegenheit war 
dem Doktor Schenck so eilig, daß er mit einem besonderen 
Boten das Brieflein nach Dresden befördern ließ. Leider 
war die Antwort für ihn nicht tróstlich. Herr von Karlowitz 
entschuldigte sich damit, daB der Herzog abwesend sei und 
er in dessen Abwesenheit nicht verfügen könne. Sobald 
der Herzog oder sein Kanzler zurückgekehrt sein würden, 
sollte ein Bescheid an Doktor Schenck ergehen. Doch auch 
dieser wurde ihm lange vorenthalten. Bis zum 19. Juli nach- 
mittags um 2 Uhr, d. h. mithin zehn Tage ungefähr vor der 
Katastrophe, die den Doktor gewaltsam aus seiner Be- 
bausung entfernte, war ihm eine Antwort aus Dresden nicht 
zuteil geworden. 

Kein Wunder, wenn Schenck, in steter Furcht vor einer 
Gewalttat ‚bestrebt war sich mit den Predigern, dem Rat 
und der Universität auseinander zu setzen. Das Schreiben 
vom 13. Juli, das er in dreifacher Ausfertigung ausgehen 
ließ, versucht es. Er will, offenbar durch Wolrab, der mit 
Ansprüchen auf Entschädigung beim Rektor der Universität 
sich eingefunden hatte, zu diesem Schritte bewogen, die 
Fertigstellung der im Drucke begonnenen Postille durch- 
setzen. Er hält sein Buch für ein gutes christliches, seine 
Auslegung für heilsam und der heiligen Schrift gemäß. Auch 
betont er, daß ihr Inbalt von keinem Menschen angeklagt 
worden sei. Hierin lag freilich eine bewußte Unwahrheit, 
denn er hatte doch mit Vertretern des Rats und der Uni- 
versität über gewisse in der Postille vorkommende Unstimmig- 


19 


keiten im Jahre vorher verhandelt. Doch das hatte er ver- 
gessen und bat „christlich und dienstlich“ die Vollendung des 
Drucks zu erlauben. Er wolle nur Gottes Ehre, der Seelen 
Heil und der ganzen Christenheit bestes. 

Die Universität scheint dieses Schreiben keiner Er- 
widerung fur notwendig erachtet zu haben. In unseren 
Akten ist keine Antwort verzeichnet und wahrscheinlich lag 
es daran, daß die beiden Schenck sich schon nach sechs 
Tagen abermals an die Universität wandten. In diesem 
Schreiben, vom 19. Juli, das wieder in drei Ausfertigungen 
an die genannten drei Stellen ging, von denen Rat und die 
Prediger geantwortet hatten, is$ die Abschrift des von Schenck 
schon am 8. September des vorhergehenden Jahres an die 
Statthalter gerichteten Schreibens, wenigstens zum größten 
Teile enthalten. Nach dem bei Seidemann gebotenen voll- 
ständigen Abdruck hat Schenck bei der erneuten Eingabe 
an die Universität die Stelle fortgelassen, daß die Ver- 
hinderung des Drucks beinahe ein Jahr zurücklüge und der 
Bürgermeister die ersten drei Bogen seines Manuskripts 
durchgesehen hätte, ohne ein Verbot des Drucks auszu- 
sprechen. Schenck fand darin eine Bestätigung seiner Auf- 
fassung, daß die von ihm vorgetragene Lehre unantastbar 
„gewiß, grundtlich, christlich und notig^ wäre. Ebenso hat 
er unterlassen zu erwähnen, daß der Bürgermeister die 
Erlaubnis zum Druck der zweiten Schrift, nämlich der Aus- 
legung der zehn Gebote und des Vaterunsers, nicht eigent- 
' lich deswegen verweigert hätte, weil er den Inhalt für an- 
stößig erachtete, sondern weil es ihm zweckmäßiger zu sein 
schien, solange nichts neues von Schenck an die Oeffentlich- 
keit gelangen zu lassen als die alte Angelegenheit noch 
nicht geordnet sei. Es bleibe dahingestellt, ob diese Aus- 
lassungen beabsichtigte oder zufällige waren. Man könnte 
glauben, daß er den Gedanken gehegt habe, den Bürger- 
meister nicht gegen die Prediger und die Universität aus- 
spielen zu wollen, die ihm doch wegen seiner Irrlehren 
kräftig entgegengetreten waren. Mag dem gewesen sein, 
wie ihm wolle, am Schluß schlagen die Brüder hohe Töne 
an, indem sie die Verantwortung für die Unterbrechung 
des Drucks der Universität und den Predigern zuschieben. 
Sie halten ihnen vor, daß „sie Gottes ernsten ewigen al- 
mechtigen zorn dadurch auf sich lüden* und erklären mit 
den Verblendeten „hertzliches christliches mitleiden“ zu 
haben. Vielleicht ist dieser Brief gemeint, wenn es im Be- 
richt des Rektors über das Sommersemester 1543 heißt: 
deinde altera die misit ad me literas bene longas per aliquot 
folia de hae causa sua, sed nobis et universitati minus 


80 


gratas!)“. Mit den Daten der Ereignisse hapert es aller- 
dings, aber Bussinus war darin nicht genau, denn er läßt 
die Abführung des Doktors Schenck und seines Bruders am 
30. Juni geschehen, während nachweislich das Gefängnis im 
Rathause erst am 30. Juli über beide Brüder verhängt wurde. 

Der Universität scheint bei dieser Selbstgerechtigkeit 
und den harten Anschuldigungen doch nicht recht geheuer 
geworden zu sein, denn.sie wandte sich alsbald, am 25. Juli, 
an den Herzog und klagte ibm, daß Doktor Schenck sie in 
seine Sachen „wyeder unserenn willen“ hineingezogen hätte. 
Sie wollte nichts verschuldet haben als die kleine Aus- 
einandersetzung freundschaftlieher Natur mit Doktor Schenck, 
in der er gebeten worden war, zur Vermeidung von Miß- 
verständnissen eine Erklärung abzugeben. Warum er dann 
gleich die ganze Angelegenheit an die Stadthalter gebracht 
hätte, sei ihr unverständlich. Sie hätte nichts „liebers dann 
das die freuntlich hingelegt und vertragen“, wozu sie gerne 
hilfreiche Hand bieten wolle. Indem die Universität auf 
diese Weise ihre Geneigtheit bekundete, den häßlichen Streit 
beizulegen und den Doktor Schenck zu seinem Rechte kommen 
zu lassen, bat sie zugleich den Herzog um Rat, ob er etwa 
anders dächte. Er sollte dann gnädigst sie davon in Kennt- 
nis setzen, damit ihr „keyn schimpff ader nachtheil endt- 
stehen und erwachsen moge." 

Es wird immer bedauerlich bleiben, daß diese versöhn- 
liche Stimmung nicht die Oberhand gewann und sehr bald, 
nachdem dieses Schreiben abgegangen war, jene Katastrophe 
eintrat, die den Doktor Schenck aufs gröblichste verletzte 
und auch die Gerechtsame der Universität gefährdete. 

Nachdem die wiederholt an Schenck ergangenen - Auf- 
forderungen das Kloster zu verlassen fruchtlos geblieben 
waren, entschloß sich der Rat, Gewalt zu gebrauchen. Die 
Professoren Johannes Sauer und Joachim Camerarius waren 
auf Veranlassung der Bürgermeister Fachs und Morch beim 
Rektor Bussinus und berichteten von der Verlegenheit, daß 
Sehenck die Wohnung nicht aufgeben wolle, ,Proposuerunt 
nobis*, fährt der Bericht des Rektors fort!), ,quam graviter 
Ludovicus Fachsius et Morchius illum d. doctorem accusas- 
sent quod coenobium minoritanum exire repugnando recusaret 
contra illustrissimi principis mandatum ef rescriptum, et 
universitati nostre obedire noluit, cum toties pie sit ad- 
monitus.^ Demnach hatte auch die Universität sich an den 
Versuchen, Schenck zum Aufgeben der Wohnung zu ver- 
anlassen, beteiligt, aber mit dem gleichen MiBerfolg wie der 


1) Acta rectorum 8. 175. 


81 


Rat. Daß sie jedoch zur gewalttätigen Entfernung des 
Doktors ihre Zustimmung gegeben hätte, ist in dem Bericht 
des Rektors nicht angedeutet, vielmehr lakonisch fortgefahren: 
quare altera die quinque civitatis ministri jussu civitatis, 
d. doctor Jacobus Schengk et fratbr ejus et postea famulus 
doctoris, dum toties invitati exire noluissent, in curiam sena- 
toriam dedueti sunt.^ Zu diesem Vorgehen gegen den ge- 

errn, was immer man auch an ihm auszusetzen 
hatte, wollte die Universität ihre Hand nicht geben. 

Und alsobald richtete die Universität an den Landes- 
herrn ein neues Schreiben, in dem sie den Vorfall berichtete 
und mitteilte, daß diese Arretierung wider ihre Privilegien 
und Vereinbarungen mit dem Rat verstieße, sie somit vom 
Rate die Auslieferung des Schenck gefordert habe. Der Rat 
aber habe diese verweigert unter der Behauptung, daß die 
Angelegenheit auch den Herzog anginge und er deshalb vor- 
züge, so lange den Gefangenen in sicherem Verwahrsam zu 
halten, bis der Herzog verfügt hätte. 

Auf einem Tags zuvor stattgehabten Universitätskonzil 
hatte man sich darauf geeinigt, den Rat ein Reversal aus- 
stellen zu lassen, daß er mit der gefäuglichen Einziehung 
der Gebrüder Schenck nicht habe die Privilegien der Uni- 
versität antasten wollen, die Gebrüder Schenck jedoch ihrer- 
seits Urfehde schwören zu lassen, daß sie sich für die ihnen 
widerfahrene Unbill nicht rächen würden. Diese „Caution“, 
die man von der Brüdern forderte, machte insofern Schwierig- 
keiten, als man zuerst ihnen zumutete zu beschwören, daß 
sie schuldig gewesen wären das Kloster aufzugeben. Dazu 
wollte sich Jakob Schenck im Bewußtsein des ihm zuge- 
fügten Unrechts schlechterdings nicht verstehen, und daher 
wurde die Eidesformel in der Gestalt ihm vorgelegt, wie 
wir sie am Schlusse bringen. 

Das Schreiben der Universität an den Herzog Moritz, 
in dem der eben geschilderte Vorgang berichtet wird, ist 
datiert von „donnerstagks nach cathedra Petri 43“. Dieses 
Datum kann unmöglich das richtige sein, da in ihm von der 
Ueberführung der Gebrüder Schenck am „montagks nach 
Jacobi gesprochen wird, d. h. vom 30. Juli, während der 
Donnerstag nach Petri Stuhlfeier der 1. März gewesen wäre. 
Die Verwirrung wird dadurch größer, daß Bussinus in seinen 
Rektoratsakten die Ereignisse auf den 29/30. Juni verlegt. 
Augenscheinlich hat sich derjenige, der zu dem Entwurf das 
Datum hinzufügte, das von anderer Hand herrührt als der- 
jenigen, die den Brief an den Herzog aufsetzte, sich geirrt 
und „cathena Petri" schreiben wollen. Das wäre der 
2. August gewesen und im Einklang mit der vom Rektor 


82 


erwähnten Tags zuvor „Die mensis Augusti“ stattgehabten 
Versammlung, die die Annahme der städtischen Reversals 
und die Anerkennung der ihnen vorgelegten „formula jura- 
menti“ durch die Gefangenen billigte). Das Reversal des 
Rats ist bei Seidemann gedruckt“), das Schreiben der Uni- 
versitit, das den bisherigen Darstellern dieser Vorgänge 
entgangen zu sein scheint, wird nachstehend zum erstenmal 
bekannt gegeben. 

Die Universität bat nun den Herzog anzuordnen, was 
weiter geschehen solle. Sie erwartete augenscheinlich, daß 
die Gebrüder Schenck freigegeben würden und ihre Be- 
hausung sich suchen dürften, wo sie wollten. Aber es kam 
anders. Der Herzog, erbittert durch die Hartnäckigkeit des 
Doktor Schenck, vielleicht von anderer Seite geflissentlich 
in seinem Aerger bestärkt, verfügte die Landesverweisung 
über beide Brüder. Dem Famulus Werlin wurde zugestanden 
in Leipzig zu bleiben, falls er ebenfalls Urfehde schwören 
wollte. Alle drei haben den Eid geleistet, wie die ab- 
gedruckten Urfehden erhürten. 

Damit war dann die Angelegenheit beendet. Indes 
mußten die Gefangenen doch mehr als vierzehn Tage im 
Gewahrsam des Rats verbleiben. Nicht früher als am 
16. August wurde den Gefangenen der Eid abgenommen). 
Die Vorlage, nach der der Abdruck erfolgt, weist kein Datum 
auf. Nachdem sie unterschrieben, waren die Gefangenen frei und 
scheinen alsbald das ungastliche Leipzig verlassen zu haben. 
Derjenige aber, für den man die Wohnung zu haben wünschte, 
nämlich Ambrosius Rauch, zog erst fünfzehn Monate später, 
im Oktober 1544, ins Franziskanerkloster, hat sich jedoch 
der Annehmlichkeiten, die ihm dort geboten werden konnten, 
nicht lange mehr erfreut. Er starb bereits am 9. Juni 1545). 

Auch Jakob Schenck hat den Ausgang seines Prozesses 
nicht lange Überlebt. Er trat in die Dienste des Kurfürsten 
von Brandenburg und starb 1546 oder 1547 in Engelsdort 
bei Leipzig). 

Die Universität hat sich, so weit aus ihren nachstehend 
zum erstenmal an die Oeffentlichkeit gebrachten Briefen erhellt, 
die doch von Bussinus herrühren müssen, obwohl weder er noch 
Kaspar Borner in ihren Berichten der Anfragen beim Herzog 
Erwähnung tun, nichts vorzuwerfen. Der Schuldige, der im 


1) Acta rectorum, S. 176. 

3) A a. O., 8.176. 

9) Vetter, a. a. O., S. 271. — Seidemanı, a. a. O., S. 60, 
) Seidemann, a. a. O., 8. 60. 

5) Kirn, a. a. O., S. 45. — ADB. 


83 


Namen der Prediger gegen Schenck auftrat, ist Pfeffinger 
gewesen, der 5 einzigen Professor der Theologie, 
Johannes Sauer, auf seine Seite zu bringen wußte. Nach 
der Unterredung mit Schenck, in der ihm auf Pfeffingers 
Veranlassung allerlei Vorhaltungen gemacht wurden, hat die 
Universität zum Frieden gerufen und nichts mehr gegen den 
verdienten, wenn auch eigensinnigen gelehrten Herrn unter- 
nommen. Sie war es nicht, die die Ausweisung verschuldete, 
auf die sie anscheinend nicht gefaßt war. Wenn es nach 
ihr gegangen wäre, hätte Jakob Schenck wohl länger in 
Leipzig verweilen können. Ob er wieder in die theologische 
Fakultät aufgenommen worden wäre, steht dahin. Die Auf- 
fassung, die später Pfeffinger in die Fakultät berief, wäre 
wobl ein unüberwindliches Hindernis gewesen. 

Die Vollendung des Drucks der Postille hat Jakob Schenck 
indes noch die Freude gehabt zu erleben. Sie ist 1545 
fertiggestellt worden. Ein Exemplar des seltenen Buchs 
hat sich in der Schulbibliothek in Zwickau erhalten. Ob 
sie von Nickel Wolrab zu Ende gedruckt ist, kann nicht 
festgestellt werden!). 

Eine eigentümliche Rolle spielt in der ganzen Begeben- 
heit Professor Andreas Franck, Camitianus, über dessen 
Leben und Leistungen wenig genug bekannt ist Die all- 
gemeine Deutsche Biographie kennt ihn nicht Geboren in 
Kamenz wurde er im S.S. 1511 in Leipzig immatrikuliert 
und der Meifnischen Nation zugeschrieben. Nach der bei 
der philosophischen Fakultüt üblichen Dauer des Studiums 
von eineinhalb Jahren wurde er im S.-S. 1513 Baccalarius 
artium und erlangte im W.-S. 1517 den Magistergrad?). Seit 
W.-S. 1518 erscheint er bis zum W.-S. 1523 als Magister 
legens und behandelt nach und nach Poetices schlechthin 
im S.-S. 1518, dann aber der Reihe nach Terenz, Virgil, 
Quintilian, Silus Italicus (loco rhetorices). Ueber Quintilian 
las er im S.-S. und im W.-S. 1520 und wiederholte diese 
Interpretation im S.-S. und im W.-S. 1523. Mit Terenz be- 
gann er seine Vorlesungen im S.-S. 1518. Ueber seine Vor- 
lesungen des Jahres 1521 liegen keine Nachweise vor“). 
Im W.-S. 1522 war er Rector*) und wandte ‚sich dann 


1) Seidemann, a. a. O., S. 78/79. 

*) Die Belegstellen siehe bei Georg Erler, Die Matrikel der Uni- 
versität Leipzig III (1902) im Register s. n. Franck. 

5) Bruno Stübel, Urkundenbuch d. Univ. Leipzig (1879) S. 375 
und 489, Erler, a.a. O. II 528, 589, 538, 543, 552, 556, 568, 574, 
577, 579. 

) Erler, a. a. O. I 585,586, 


84 


dem juristischen Studium zu. Hier erklomm er rasch die 
akademischen Würden: im Jahre 1524 ist er bacoalarius 
jur. utr, im folgenden Jahre licentiat jur. utr. und im Jahre 
1526 Doctor jur. utr. Als Vizekanzler der juristischen Fakul- 
tät amtiert er 1533 und 1541'). Zweifelsohne war er es, 
der den Jakob Schenck zu der Abfassung der dem Rate zu 
widmenden Schrift anregte. Ich glaube nicht, daß man nötig 
hat an den Aussagen Schencks zu zweifeln. Schenck war 
ein hervorragender. Gelehrter, hatte sich durch seine Be- 
mtihungen um die Einführung der Reformation in Freiberg 
besondere Verdienste erworben, ferner durch Veröffentlichung 
von elf Schriften von 1539 — 1541) augenscheinlich einen 
weithin bekannten und geachteten Namen erworben. Kein 
Wunder, daß der Rat ihm nahe legen ließ, ihm einmal 
ein Buch zu widmen. Darin lag immer, wenn auch der 
Verfasser eine klingende Anerkennung verlangte, eine 
Auszeichnung für den, dem das Buch gewidmet wurde. 
Franck hat auch tatsächlich das Manuskript gesehen, jeden- 
falls am Titel und der Vorrede Verbesserungen vorgenommen?). 
Später leugnete er jedoch jede Beteiligung an der Druck- 
legung ab. Die allgemeine Entrüstung von seiten der Pre- 
diger mag ihn zu dieser Haltung veranlaßt haben. Wenn 
er sich als warnenden Berater und Freund Schencks hin- 
stellte, so mag das ja seine Berechtigung gehabt haben. 
Aber wenn er versicherte, lediglich auf seine Anregung oder 
jedenfalls obne Auftrag des Rats den Druck und die Wid- 
mung Schenck nahe gelegt zu haben, so ging er wohl mit 
der Wahrheit hausieren, Die Aussagen Reuschs und Auer- 
bachs bestätigen Schencks Bericht durchaus. Vermutlich 
hatte Franck, als er das Manuskript gelesen hatte, an seinem 
Inhalte keinen Ansoß genommen. Die zum Abdruck ge- 
langenden Predigten mochten ihm auch geläufig sein, da 
Schenck sie teilweise in der Kapelle der Pleißenburg ge- 
halten hatte. Erst später als das Unwetter über den ver- 
folgten Gelehrten hereinbrach und er voraussehen zu müssen 
glaubte, daß es nicht gut für ihn ablaufen würde, gab er 
den Doktor Schenck auf. | 
Einen ebenso unzuverlässigen Freund hatte Schenck in 
dem Buchdrucker Nickel Wolrabe. Dieser sowie sein Ver- 
leger Sebastian Reusch genießen in 'der Geschichte des 
deutschen Buchhandels keines guten Rufes. Sie galten beide 


J) Belegstellen bei Erler, III, Register. 

) Seidemann, a. a. O., S. 63—78 führt die Titel der einzelnen 
Bücher an. 

3) Vetter, a. a. O., S. 264. 


85 


als Sehwindler. Doch trifft den Wolrabe geringere Schuld 
als den ersteren. Wolrabe wird als waghalsiger schwin- 
delnder Spekulant geschildert, der sich in den wucherischen 
Füngen des Reusch verblutete !). Der Vater, Nickel 
Wolrabe der Aeltere, ursprünglich Buchbinder, aber im 
Jahre 1506 in der Bürgermatrikel ausdrücklich als Buch- 
drucker eingetragen, hatte ebenfalls keinen rühmlichen Fort- 
gang seines Geschäfts zu verzeichnen. Besitzer eines eigenen 
Hauses, das er 1522 für 265 fl. von Peter Hofer in der 
der Plauenschen Straße gekauft hatte), war er einige 
Jahre darauf in so wenig geordneten Verhältnissen, daß er 
den Buchhändler Wolf Präunlein 16 fl. nicht bezahlen konnte 
und sich von diesem verklagen lassen mußte“). Wahrschein- 
lich hatte er seinen Betrieb ausdehnen wollen und auch mit 
dem Bücherhandel begonnen, ohne in der Lage zu sein, die 
daraus sich entwickelnden Verbindlichkeiten zu erfüllen. 
Aus den Schulden kam er Zeit seines Lebens nicht mehr 
heraus. Nach seinem Tode mußte seine Witwe das sämt- 
liche Werkzeug seiner Werkstätte an die Buchbinderinnung 
zuerst versetzen und später verkaufen. Aus dem hierbei 
sich ergebenden geringen Erlös von 16 fl. darf geschlossen 
werden, daß die Offizin keinen beträchtlichen Umfang hatte“). 

Sein Sohn mit gleichem Vornamen wie der Vater, hat 
nicht mit glücklicherer Hand operiert. Mit deu vierziger 
Jahren des 16. Jahrhunderts erscheint in Leipzig auf dem 
Gebiete des Verlagsbuchhandels eine fieberhaft arbeitende 
Spekulation, an der gerade Nickel Wolrabe in hervorragendem 
Umfange beteiligt ist". Er kommt seit 1539 als Verleger 
vor und hat vielleicht kurz vorher die Druckerei des Jakob 
Thanner erworben?) Es war damals nicht gerade mit An- 
nebmlichkeiten verknüpft, eine Buchdruckerei zu betreiben. 
Zensur und Nachdruck erschwerten den Druckern das Leben ?). 
Mit diesem Jakob Thanner stand Andreas Franck Camitianus 
nachweislich in Verbindung, wie aus einem seiner Briefe 
vom 25. Februar 1518 an den Stadtschreiber Stephan Roth 
in Zwickau hervorgeht“). Es ist nicht von der Hand zu 
weisen, daß durch den Ankauf der Thannerschen Druckerei 
Nickel Wolrabe hoffte, sich der Vergünstigung durch den 
angesehenen Doktor Andreas Franck erfreuen zu können, 
der ihm Druckaufträge oder Verlagsgegenstände zuführen 
konnte. Wirklich hat Jakob Schenck die ersten fünf Druck- 


2) Arch. f. Gesch. d. Buchh. 10, S. 249. ) Ebenda 18, S. 94. 
) Ebenda 12, 8. 100. ) Ebenda 12, S, 3804, 162; 15, S. 58. 
5) Ebenda 11, S. 184. ©) Ebenda 18, S. 51; 15, 8.18. 


7) Ebenda 15, S. 47. 5) Ebenda 16, S. 27 Nr.4. 


86 


schriften, die er in den Jahren 1539—41 veröffentlichte, in 
Wittenberg von dortigen -Druckern, durch Joseph Klug, 
Nickel Schirlentz und Georg Rhaw herstellen lassen!). Erst 
mit dem Buch „Von dem Diebstal“, das 1541 gedruckt 
wurde und alsdann bei allen anderen, die noch bis zu seinem 
Tode folgten, im ganzen elf, die beanstandete Postille ein- 
geschlossen, wird Nickel Wolrabe in Leipzig als Drucker 
genannt“). Ueberlegt man dieses intime Verhältnis zum 
Autor, so begreift sichs schwer, daß Wolrabe sofort mit Ent- 
schädigungsansprüchen gegen Doktor Schenck beim Rektor 
Bussinus erschien, als ohne dessen Schuld der Druck der Postille 
sistiert wurde®). Er hätte doch wissen können, daß Schenck, 
dessen Bücher er in den beiden letzten Jahren gedruckt 
hatte, ihm seine Kundschaft nicht zu entziehen wtinschen 
konnte. Der Grund für dieses Vorgehen lag offenbar in der 
finanziellen Bedrängnis, in die Wolrabe unterdessen geraten 
war. Er hatte bereits 1541/42 Haus und Hof, große Teile 
seines Verlags und Bücherlagers an Andreas Wollensücker 
und Genossen verkaufen müssen. Trotzdem war er „säumig* 
geworden und es war ihm in der Person seines früheren 
Handlungsdieners Hans Hüffel gen. Mauser ein Sequester 
und Faktor bestellt worden“). Diese Verlegenheit zwang 
ihn dazu, seinem Betriebe Aufträge zuzuführen und begonnene 
nicht ruhen zu lassen, da selbstverständlich ihm hieraus 
neue Verbindlichkeiten erwuchsen. Geholfen hat ihm das 
strengere Vorgehen gegen Doktor Schenck nicht, Es ging 
immer mehr mit ihm bergab und im Jahre 1552 war er 
so weit, daß ihm sein früherer Gehilfe, eben der Hans 
Mauser, -11 fl. vorschießen mußte, wofür ihm Nickel Wolrabe 
100 Exemplare eines für Reusch gedruckten Werkes lieferte 
oder verpfändete“). Kurz vorher scheint er nach Dresden 
verzogen zu sein, wo er sein Leben im Jahre 1555 beschloß). 
Der Versuch, sich durch den Druck von Schriften, die gegen 
Luther gerichtet waren, Reichtum und Ansehen zu ver- 
schaffen, endete mit einem Fiasko). 

Zu den gegen Luther gerichteten Schriften darf man die 
im Wolrabschen Verlage erschienenen Bticher Schencks ge- 
wiß nicht rechnen. Mit Recht betont Seidemann immer 
wieder den „alten lebendigen Eifer für Luthers Sache und 
sein treues festhalten an Wittenberg“, das seine Auslassungen 
charakterisierte“). Dennoch ließ sich Schenck auch leicht 


1) Seidemann, a. s. O., S. 68—68, 3) Ebenda, S. 68—77. 
) Acta rectorum, 8.174. - 9) Arch. f. Gesch. d. Buchh. 11, S. 224. 
) Ebenda 18, 8. 86. *) Ebenda 12, S. 809, 804. ) Carl 


B. Lorck, D. Druckkunst u. d. Buchh. in Leipzig, 1879, 8.7. Y Seide- 
mann, a.a. O., 8.49, 


87 


hinreißen und erlaubte sich mit einem hier wohl kaum richtig 
angewandten Freimut den großen Reformator zu tadeln. n 
der beanstandeten Postille befindet sich eine Stelle, die direkt 
auf Luther gemünzt ist und ihm vorhält, daß er keine Autorität 
neben sich gelten lassen wolle"). Daß er mit solchen Be- 
hauptungen sich Luthers Freundschaft nicht erhalten konnte, 
ist erklürlich. So machte Schenck es Niemandem recht. 
Den noch vielfach papistisch gesinnten Leipziger Predigern 
ging er in Anerkennung der Lutherischen Lehre zu weit 
und Luther selbst sowie Melanchthon verletzte er durch 
unbegründete Schärfe und Kritik. So hat im letzten Grunde 
der Doktor Schenek sich sein Unglück selbst zuzuschreiben. 


1. Jakob Schenck bittet Jörg von Karlowitz und den 
Kanzler Simon Pistoris, ihm eine andere Wohnung in 
Leipzig anweisen oder den Herzog an seine end- 
gültige Anstellung erinnern zu wollen, Leipzig 1543, 
Juni 27. 

Universitütsarchiv Reg. G. A. X, Blatt 28. Ein Zusatz 
am Ende des Briefs besagt: diese vorgehende schrifft hat 
d. Jacobus Schenck mitwochs nach Johannis baptiste im 
43 ten jar bey einen eignen botten gen Dressden geschickt. 
Die Antwort Jörg von Karlowitz, die auf der Rückseite des 
Blatts geschrieben ist, lautet: Jörgen von Karlwitzens ant 
wurt. Mein willigen dienst zuvor, lieber er doctor, mein 
gnediger herr, desgleichen doctor Pistoris, der cantzler, seind 
beide nicht einheimisch. Sobald aber mein g. h. anheim 
kommet, sollet ir antwurt auffs erste überkommen. Datum etc. 
Georg von Karlowitz auff Senfftenberg. Dazu ist von der- 
selben Hand, die die vorstehende Antwort abgeschrieben hat, 
hinzugefügt: Es hat aber doctor Jacobus, heut Donnerstags 
nach Margarethe umb seigers zwey nachmittag (wahrschein- 
lich 1543 den 19. Juli gemeint) Karlwitzens schrifftlicher 
zusage nach, noch keine antwurt empfangen gehabt. 


An Jörgen von Karlwitz und D. Simon Pistoris cantzler 
zu Dresden. 


Gnad und fried durch unsern Herrn Jhesum Christum, 
amen. 

Gestrenger und ehrnvhester, achtbarer und hochgelerter, 
grosgünstige herren und förderer. Weil mein g. h. herr 
Moritz hertzog zu Sachsen etc. durch euer einen jeden inn- 
sonderheit mir freie herberg im Barfusser kloster, bis mir 


1) Vetter, a. a. O., S. 259. 


88 


bequemere eingegeben wiirde, zugesagt hat, hernach auch 
ir (der von Karlwitz) neben andern im Leiptzger marckt 
verordneten reihen, Michaelis des 41 ten jars mich auff diese 
freie herberg bestellet habt, und aber itzund die herren des 
radts zu Leiptzig sölche herberg inen von mir eingereumbt 
haben wóllen (davon mir doch im nechsten Ostermarckt von 
den rethen keine anzeigung, viel weniger zuvor einige mel- 
dung geschehen ist, mir auch keine andere herberg, wie. 
gedachte bestellung mit sich bringt, angebotten oder für- 
geschlagen wird) so ist an e. g. und a. meine gantz dienst- 
liche vleissige bitt, daran zu sein, das ich diese herberg 
móge behalten oder eine bequemere haben (denn ob sie wol 
ein herrlieh ansehen hat, ist sie doch einem gelerten, der 
gesind helt, sehr unbequem) oder, wo Ê g. und a. sólchs nicht 
zu schaffen haben, hochgedachten fürsten meiner bestellung 
untertheniglich erinnert. Das bin ich, meines vermögens, 
umb e, g. und a. zu verdienen willig und gevlissen. Datum 
Leiptzig, mitwochs nach Johannis baptiste des 43 ten iare. 
e. g. und a. 
williger Jacobus Schenck. 


2. Jakob Schenck und Michael Schenck bitten die Uni- 
versität Leipzig, ihnen bei der Fertigstellung des 
begonnenen Drucks ihrer Schrift helfen zu wollen. 
Leipzig 1543, Juli 13. 

Universitätsarchiv Rep. G. A. X 10, Blatt 29. Nur die 

Unterschrift eigenhändig. 


Unsere willige Dienst zuvor.  Ehrwirdige, achtbare, 
hochgelerte grosgünstige herren und freund. Weil eure 
ehrwirden und achtbarkeit wissen, das unser der sontags 
und feiertags evangelien inn druck gegebne und schier gar 
ausgedrückte heilsame und der heiligen schriffi gemesse 
auslegung, von keinem menschen angeklagt, und doch nu- 
mehr nicht viel wochen weniger denn ein gantzes jar im 
druck, das zu versuchen, gesteckt, unausgedrückt geblieben, 
so ist an eure erwirden und achtbarkeit unser christliche, 
vleissige, dienstliche bitt, daran zu sein, das sie der christen- 
heit lenger nicht fürgehalten werde. Denn wo dils gute 
christliche buch (welches so gewis rechtschaffen und heilsam 
ist, als gewis gemeine frauenheuser und die heidnische, 
viehische, teufflische unzucht darinnen, wider Gotteswort und 
folgend verdümlich sind) lenger verdrückt solte bleiben, 
wissen wir gewis, das sich eure erwirden und achtbarkeit 
mit einer viel grössern schrecklichern sünde beladen würden, 
und beide für Got und seiner christenheit eben so wenig 


89 


möchten entschuldiget sein, als wenig wir des ergernis halben 
unschuldig weren, so wir von gemeltem buch und reiner 
lehr wölten weichen oder fliehen. Welches wir aber eurer 
erwirden und achtbarkeit zur warnung, christlicher wol- 
meynung, aus mitleidigem hertzen freundtlich haben wöllen 
anzeigen, christlich und dienstlich bittend, Gottes ehr, eurer 
seelen heil und der gantzen christenheit bestes, treulich und 
vleissig wharzunemen, und unschuldig blutvergiessen christ- 
lich und gebürlich zu verhüten. Denn im fall, es würde 
gleich (menschlicher weise zu reden) das ergste an uns ge- 
übet, weren wirs doch alles umb des namens Jhesu Christi 
willen durch seine gnad zu leiden willig, und wissen, das 
wirs weder allein noch von ersten leiden, sondern haben 
viel gewaltige, übertreffliche, tröstliche vorgenger, als Abel, 
No&, Loth, Joseph, Mosen, David, Naboth, Eliam, Zachariam, 
Esaiam, Jeremiam, Daniel, Amos, Johannem den teuffer 
Paulum eto. und unsern herrn Jhesum Christum selbs, welcher 
(warhafftiger Got und mensch, sitzend zur rechten seines 
himlischen vaters) die gantze Welt richten, auch dils, so 
durch des Teufels list, lügen und gewalt, inn dieser welt 
heimlich ist, für allen geschlechten und engeln offenbarn, 
und seiner armen glieder unschuld gewaltiglich an tag bringen 
wird. Derselbig gebe eurer erwirden und achtbarkeit und 
uns, seinen heiligen Geist reichlich, das von uns beiderseidts 
dils möge gedacht, geredt, bekennet, gethan und gelidten 
werden, was zu ehre seiner Götlichen maiestet, zu unser 
seelen seligkeit, zu besserung gemeiner christenheit und zu 
fórderung reiner lehr (welche Gottes almechtiges, ewiges, 
lebendiges und allein lebendigmachendes Wort ist) dienet 
und nützlich ist, Amen. Datum Leiptzig am tag Margarethe. 
im 43iar. 
Euer Erwirden und achtbarkeit eto. willige 
Jacobus Schenk doctor 


Michael Schenck. 


3. Jakob Schenck und Michael Schenck teilen der Uni- 
versität mit, was ersterer am 8. September 1542 den 
herzoglichen Statthaltern über den Druck seiner 
Postille berichtet hat und bitten um Förderung bei 
der Drucklegung des Buches. Leipzig 1543 Juli 19 

Repert. G. A. X 10, Bl. 34—37. Die Einlage vom 

8. Septbr. 1542 ist bereits gedruckt bei Seidemann, a. a. O., 


S. 169—174, dort mit Hinzufügung eines Passus, der hier 
fehlt. Die bei jenem Abdruck vorgekommenen Lesefehler 


Archiv für Reformationsgeschiehte. XX. 3/4. 7 


90 


hat Vetter nach einer im Hauptstaatsarchiv zu Dresden auf- 
bewahrten Vorlage richtig gestellt im Neuen Archiv f. säch- 
sische Geschichte 12, S. 260/261. 


Gnad und fried durch unsern Herrn Jhesum Christum, 

amen. 
Ehrwirdige, hochweise, achtbare, hochgelerte und er- 
bare, grosgünstige herren, fórderer und freunde. Das euer 
gunsten (ir herren bürgermeister und radt) auff unser 
Bchreiben, nechst vergangnen freitags an euer gunst, auch an 
euer ehrwirden und achtbarkeiten (die andern zween stende) 
gethan, uns durch doctor Cammitz antwurtsweise haben 
anzeigen lassen (welches on zweifel, herr rector und ir 
andern herren der universitet, desgleichen herr superattendens 
und andere prediger alhie zu Leiptzig auch euer antwurt 
ist, weil wir noch nicht mercken, das unser der sontags 
und feiertags evangelien inn druck gegebne und schier gar 
ausgedrückte heilsame und der heiligen schrift gemesse 
auslegung, vollend ausgedrückt wird) wir mógen an unsern 
g. h. herrn Moritzen, hertzogen zu Sachsen etc. suppliciern, 
daraus werden wir zu gedencken verursacht, als sólten euer 
gunsten, ehrwirden und achtbarkeiten, anderer geschefft 
halben inn vergessenheit gestellet haben, wie es von anfang 
mit gedachten guten christlichen buch ergangen, welches 
aber euer gunsten, ehrw. und achtb. aus folgendem langen 
schrifftlichen bericht, den ich doctor Jacobus ongefehrlich 
vor einem jar gegen Dresden an fürstliche räthe geschrieben, 
gründtlich und auffs kürtzte zu erkennen haben. 

Meine willige dienst zuvor, achtbare hochgelerte, ge- 
strenger ehrnvhester, grosgünstige herren und fórderer, E. 
a. und g. weis ich nicbt zu verhalten, das der herr doctor 
Cammitz am montag vor Esto mihi!) bei mir gesucht, ich 
wólle einem erbarn radt alhier ein buch zuschreiben, und 
auff difs mein bedencken, das ich nicht allein den geitz 
sondern auch desselbigen lasters argwhon gern meiden wölte, 
und derhalben bisher niemand etwas zugeschrieben etc. bey 
mir angehalten, ich wólle es zu thun nicht unterlassen. Denn 
ich des geitzes halben bey meniglich wol entschuldiget, wenn 
ich gleich inn sólchem fall eine verehrung von den herren 
neme, damit ich deste besser meine unterhaltung möge haben, 
weil meine besoldung so gering, das ich doppelt mehr ver- 
zeere denn verdiene. Auff sólche seiner achtbarkeit rede 
nam ich für, die auslegung der sontags und feiertags evan- 
gelia, wie ich sie bey sieben jaren, so ich im predigerampt 


1) 1542, Febr. 13. 


9 


gewesen, zu Wittemberg, zu Freiberg, an Churfürstlichem 
hof und zum theil auch alhier, daheim schrifftlich ausgelegt 
und darnach öffentlich on alle einrede geprediget, inn druck 
zu geben, dazu mir seine achtbarkeit den drücker bestelleten, 
inn meine whonung nach dem exemplar zu mir schickten 
und mir entlich anzeigten, der radt wissete wol davon, der 
herr bürgermeister hette im sölchs befolhen, und ich dórffte 
es nicht heimlich halten, das sölch buch den herren zu 
Leiptzig sölte zugeschrieben werden. Als man nu bey einem 
vierteil jar an dem fürgenommen buch mit einer prefs ge- 
drückt hatte, ward ich von Bastian Reuschen (welcher das 
buch, wie ich bericht, sol verlegt haben) und vom drücker, 
neben überreyehung einer verehrung von vier thalern sampt 
vertröstung eines sonderlichen geschencks, gebeten, ich wölte 
mich zwu pressen zu fördern vleissigen, damit das buch 
Bartholomei!) inn die Franckfurter mels möchte gefertiget 
werden. Und als es nu mit zweien pressen fast bis auff 
zehen oder zwelf bogen gedrückt, ward mir angezeigt, es 
sölte an pappir mangel sein, wie seltzam es aber damit zu- 
gegangen, davon wil jch, e. a. und g. mit langer schriſſt zu 
verschonen, ferner nichts schreiben, denn das ich bey dem 
drücker und verleger die vierzehen tage über, welche man 
ongefehrlich feyrete, also anbielt, das man gemeltes werk 
lenger ligen zu lassen pappirs halben ferner keinen schein 
hatte. Acht tag aber nach Anne?), als man nun inn der 
drückerey widerümb fort zu faren hatte zugerichtet, und 
doctor Cammitz die vorrede, an den radt gestellet, gelesen, 
uud (on zweifel mit der andern herren bewilligung) den 
tittel, eingang und anders darinnen geendert, wie sólchs mit 
seiner handtschrifft kan gezeiget werden, daran auch sein a. 
(als ich hoffe) keine abscheu würde baben, ward nicht allein 
dem buchdrücker auff dem radthaus von den herren, ehe 
er widerümb anfing zu drücken, das büch zu fertigen ver- 
botten, sondern auch einer des radts mit einem knecht inn 
die drückerey geschickt, das werck zu verbieten. Zu mir 
aber kamen desselbigen tags, alle, die dieser sach halben 
mich anzusprechen einigen schein oder glimpff haben mochten, 
und machtens auffs greulichste, welch ein aus- und einlauffen 
inn der drückerey von des radts dienern meines buchs halben 
were, also, das auch einer über meinen willen, ‘da ich itzt 
solt und wolt anfahen zu lésen, dorffte zu mir auffs cattheder 
tretten etc. Welches lauffen und verkündigen, woher sichs 
geursachet und was darinnen gesuchet, weil ich ir keinen 
darümb gebeten, ist mir verborgen, allein das ich aus viel 


1) 24. August. ) 2. August. 


92 


anzeigungen spüret, inen were, mir sólche botschafft auff 
mancherley weise fürzutragen, etwas hefftig angelegen. Der 
herr bürgermeister aber zeiget mir an, der drücker sölte 
das buch on der herren vorbewusst auffgelegt haben, welches 
den predigern alhier ires ampts halben nicht sólle zu leiden 
Sein, derhalben wern es inen zu übersehen gegeben, damit 
inen hierinnen genug geschehe. Uber einen fag, zween, 
drey, sólte es wider einen fortgang haben, wie auch folgend 
anfieng zu geschehen. Denn es warden von neuem zween 
bogen darinnen gedrückt, und mir vom drucker angezeigt, 
er hette von dem superattendenten und vom bürgermeister 
erlaubnis, das buch gar zu fertigen. Ehe es aber gesteckt 
ward, wusste man albereit, das ich auff den tag Laurenti!) 
eine disputation halten würde (wider wen aber, inn was 
gestalt und mit was worten ich mich inn der disputation 
einzulassen, von namhafftigen leuten, nicht allein etlich tag 
vor gehaltner disputation, unterrichtet und vermanet worden 
sey, achte ich zu schreiben unnötig, dienstlicher christlicher 
zuversicht, e. a. und g. werden das buch, mutwilliges ergernis 
inn abwesen des landesfürsten zu verhüten, one verzug, das 
es auff nechsten Michelsmarckt zum lengsten gefertiget werde, 
fördern). Als ich nu am tag Laurenti zu disputieren für- 
hatte, verstendigte mich der drücker des abents zuvor, im 
were widerümb zu drücken verbotten. Jedoch hat niemand 
der lehr halben, 80 im buch gehandelt, mit mir allein geredt, 
viel weniger mich etwas, das darinnen ergerlich und unrecht 
sey (Christi befelh nach Matth. 18) erinnert, sondern nach 
dem ich die disputation also gehalten, das ich bey für- 
genommener materien geblieben, nichts frembdes eingefürt, 
und inn diesem handel Gottes ernstem gebot, nicht mensch- 
lichen radt, nachkommen, bin ich nechst folgendes freitags 
für den herrn rector, für andere herren der universitet und 
des radts gefodert, gleich als sólte und móchte das buch 
schwer und hefftig angeklagt werden, so doch die prediger 
daselbst für den herren, ehe denn ich ein wort redet, an- 
gezeigt, sie wissen nichts im buch, das mit Gottes wort nicht 
möchte verteidiget werden, sondern wólten mich allein gern 
von etlichen locis hören reden. Darauff ich die herren vom 
radt dienstlich gebeten und christlich vermanet hab, bey dem 
herrn bürgermeister daran zu sein, man wólle das buch aus- 
drücken, und sich beide für ergernis und Gotteszorn hüten, 
ich wólte mich, ehe denn es gar fertig werde, wol mit den 
predigern vergleichen, wo sie einigen mangel daran hetten. 
Auff diese meine rede hat mir Doctor Auerbach daselbst 


1) 10. August. 


98 


angezeigt, er und die andern herren wöllen sólche meine 
bitt dem bürgermeister anzeigen, er werde auch one zweifel 
das buch vollend lassen drücken. Gleichwol merke ich 
nicht, das sólchs geschehe, unangesehen das mir die prediger 
(als ich allerley mit inen geredet) hernach inn sonderheit 
angezeigt, sie wóllen die lehr darinnen nicht angefochten 
haben, und, das es ausgedrückt werde, stehe bei den herren 
des radts, sie wóllens- nicht hindern. Weil mir nu weder 
von der universitet noch vom radt einiges wörtlin, das wider 
Gottes wort sein sólte, im buch angezeigt, und gleichwol 
darinnen nicht gedrückt wird, so ist an e. g. und a. meine 
dienstliche christliche bitt, sie wóllen auffs fórderlichste den 
herren vom radt alhier schreiben, und dieser versuchung ab- 
belffen, sintemal ich sölche versuchung, damit man (wie mich 
der herr bürgermeister selbs am nechsten donnerstag !) freundt- 
lich verstendiget) mich und die andern prediger albier ver- 
suchet, aus Gottes gnad nicbt weniger von den herren gut- 
wilig auffnemen kan, denn ire gunsten willig zu leiden und 
mit dancksagung anzunemen schuldig weren, da sie etwan 
von einem rechtschaffnen, getreuen und inn Got mutigen 
theologo und seeleusorger, wie ire gewissen inn etlichen 
stücken verwaret, lehrhafftiger weise gefragt würden, allein 
das man Gótlicher weise im versuchen gebrauche, und mache, 
das die versuchung (wie S. Paulus 1. Cor. 10 von Gof der 
ehristen versucher zeuget) ein ende gewinne und von der 
christenheit möge ertragen werden, inn ansehung, das wir 
prediger, wie fest ein jeder inn der versuchung stehen 
möchte, leichtlich können beweret werden, ob man gleich 
rechtschaffne bücher ungehindert liesse. Denn da man würde 
einen ernst daraus machen, und durch des buches ver- 
drückung nicht allein ich und difs, so Got durch mich inn 
diesem fürstenthumb, vielen seelen zur ewigen seligkeit, durch 
seine almechtigkeit krefftiglich und gnediglich gewirckt hat, 
sondern auch andere meine predigten, an Churfürstlichem 
hof für so mancherley gemeinen und stenden gethan, sampt 
der Wittenbergischen theologen, die mich gelehret, sölten 
verdacht gemacht und Gottes wort verdampt werden, haben 
euer a. und g. günstiglich und christlich zu bedencken, das 
ich sóleher verdrückung rechte quelle müsse suchen, mit 
lengerm stillschweigen darein nicht willigen, und mich beide 
der sünde und Gottes zorns theilhafftig machen, sondern die- 
selbig gebürlicher christlicher weise an tag bringen und mit 
Gottes wort straffen, wenn ich gleich bey reiner lehr Götlichs 
worts (welche gewislich inn gedachtem buch verfasset ist, 


1) 7. September. 


94 


denn es versuche mich die universitet und der radt, oder 
meynen das buch mit ernst, welchs ich nicht hoffe und Got 
wólle sie: gnediglich dafür bebüten, amen, so würden sie 
mirs lengst haben lassen zu gemüt füren, wo ires erachtens 
inn demselbigen einiger spruch, dem heilsamen wort Gottes 
inn einigem fall entgegen, were) mein blut und leben sölte 
zusetzen, welches ich zwar besser nicht anlegen kóndte, 
weil ichs doch one das, der natur nach, nicht inn die lenge 
behalten, alle augenblick aber verlieren kan. Jedoch wünsche 
ich der stadt Leiptzig von hertzen, weil sie Got mit sonder- 
licher weisheit und hohem verstand begnadet, und an leib- 
licher macht gnediglieh lesset wachsen und zunemen, der- 
selbig wólle sie váterlich und gnediglich leyten und füren, 
das sie die leiblichen gaben zu förderung seines worts, zu 
irer selbs seelen heil, dieselbigen inn Got reich zu machen, 
und nicht zu meiner oder meines gleichen unschuldiger christ- 
licher lehre beschwerung, gebrauche, damit sie' der Almech- 
tige seines worts, der leiblichen güter und anderer segen, 
welche durch dasselbig gleich als an sie erben, nicht be- 
raube, wie denen zu Jherusalem und andern mechtigen stedten 
geschehen, Sölchs hab ich euer a. und g., nach dem bie 
alle gebürliche christliche mittel gnugsam versucht, nicht 
wissen unangezeigt zu lassen, dienstlich und christlich bittend, 
euer a. und g. wóllen verschaffen, das gedachtes buch ge- 
fertige werde. 

Und da vielleicht etliche herren, keiserlicher und kónig- 
lieher maiestet oder der lehr halben, so inn der vorrede 
begriffen, reine lehr unter iren namen ausgehen zu lassen 
bedencken oder abschea hetten, bin ichs wol zufrieden, das 
e8 "inen nicht zugeschrieben werde, hab auch niemals darümb 
gebeten, und weil ich mich selbs darinnen nicht nenne, lals 
ich mirs gefallen, das Gottes wort an aller menschenstadt 
getrieben werde, denn das ich durch sólche mittel keine 
güter suche, mag, wo nicht aus andern fellen, jedoch hieraus 
gespüret werden, das ich die gerechtigkeit alhier christlich 
zu disputiern, mehr denn mit achtzig baren gülden, on was 
ich noch schuldig bleib, von meinem eignen und meiner 
blutsfreunde schweis und blut gesucht, erkaufft und be- 
kommen bab, weil ich je sunst, von wegen der vermeynten 
statuten (Got wölle, das es nicht aus hals gegen einer wahr- 
hafftiger lehr Götlichs worts geschehen) zum disputieren 
night mochte zugelassen werden, so man doch inn andern 
fellen mit den statuten, vielleicht zu schwechung der studien 
und facultet, ziemlich weis und pflegt zu dispensieren. Hie- 
mit befelhe ich euer a. und g., denen ich zu dienen willig 
und gevlissen bin, dem Almechtigen inn seinen gnedigen 


95 


schuts, amen. Datum Leiptzig am tag Nativitatis Marie, 
Anno 42). 
Jacobus Schenck. 


Aus diesem bericht haben euer gunsten, erw. und a,, 
eigentlich und gründlich zu vernemen, das sie offtgemeltes 
gestektes buch viel angehet und wie desselbigen fertigung 
billich bey euren gunsten, erw. und a., als bey den mittel 
stenden, dienstlich, christlich und freundtlich suchen, sind 
auch dienstlicher christlicher zuversicht, eure gunsten, erw. 
und a. werdens auffs erste fördern, und durch desselbigen 
verdrückung, Gottes unsers schöpffers, erlösers und heilig- 
machers namen lenger nicht entheiligen. Im fall aber, euer 
gunsten, erw. und a. liessen dils gute christliche buch stecken 
und förderten auch uns zum tod, so trösten wir uns, wie im 
vorigen brief vor acht tagen angezeigt, und hetten hertzliches 
christliches mitleiden mit euren gunsten, er w. und a., das 
sie Gottes ernsten, ewigen, almechtigen zorn dadurch auff 
sich laden sölten, denn eure gunsten, erw. und a., würden 
so wenig entschuldiget sein können, als Judas und die 
hohenpriester, ob wol kein theil die dreissig silberling (dar- 
uͤmb Christus war verkaufft worden) behalten wolt, und Pi- 
latus, ob er wol Christi unschuld offtmals rhümete und entlich 
die hende wusche, sintemal sie alle zugleich den unschuldigen 
und gerechten nichts deste weniger den hengern, das er 
gecreutziget und schmehelich umhgebracht würde, helffen 
überantwurten, deshalben auch nicht allein der radt und die 
gelerten zu Jerusalem (als die ungerechten richter und 
thäter selbs) sondern auch andere viel tausend jüden, welche 
vielleicht nichts gründtlichs umb diesen mord gewusst haben, 
durch Gottes grimm verzeeret wurden. Unser almechtiger 
schöpffer wolle eure gunsten, er w. und a. gnediglich be- 
huͤten, das sie an Christi gliedern nicht dergleichen beide 
leibliche und geistliche, zeitliche und ewige straff ver- 
dienen, Amen. Datum Leiptzig donnerstags nach Margarethe, 
Anno 43 ten. 


Euer Gunsten ehrwirden und achtbarkeit 
willige 
Jacobus Schenck doctor 
Michael Schenck. 


) 1542, 8. September. 


96 


4. Die Universität bittet den Landesherrn Herzog Moritz, 
in der Angelegenheit des Doktor Jakob Schenck 
ihr mitzuteilen, wie sie sich verhalten solle, damit 
ihr kein Unheil erwachse. Leipzig 1543, Juli 25. 


Repert. G. A. X 10, Bl. 32/33. Adr.: Dem durchlauchtenn 
hochgebornen fursten unnd herrenn herrn Moritzen hertzogen 
zu Sachssen landtgraven in Dhuringen unnd marggrafenn zu 
Meyssen unsernn gnedigen herrn. 


Durchlauchter hochgeborner furst. E. F. g. seindt unsere 
underthenige gantz willige dienst zcuvor. Gnediger herre. 
Was uff unser freundtlich und rechtmessig erinnern vor- 
mahnen unnd anhalten, so wir uf empsich anregenn Nickeln 
Wolraben, buchtruckers, von wegen der im druck ange- 
fangener postill, unnd auch eines Erbarn raths alhier das 
barfuser closter belangende, bei dem hochgelerten hern 
doctori Jacobo Schencken myt allem treuen vleis furgewant, 
jetzgemelter doctor erstlich an uns insunderheit darnach 
auch an wolgedachten rath uns, und die prediger semptlich 
in schriften gelangett, das werden E. F. g. aus beyvorwarten 
abschriftenn gnediglich vornehmen. Nu befrembdet unß nicht 
wenig, das wyr durch gemelten doctorem Jacoffen inn dyese 
sachenn, wyeder unserenn willen gezcogenn unnd gedrungenn 
werden, so wyr doch dhamit zcum wenigsten bißher zcu thun 
gehabt, ausserhalb das ungevherlich vor eym jhar unsere 
theologi neben den predigern unnd vorordenten des raths 
etlicher artickell halber sich myt mehr gedachtem doctore 
freundtlich unterredet unnd gebethen haben, das ehr gezcenck 
unnd zwitracht, so aus dem misvorstande derselbigen mochte 
 geschópffet werden, zeuvorkomen, sich in dehnenn zoum 

forderlichsten erelerenn woltbe. Des sich die unseren also 
zcu geschehen freundtlichen haben vorsehenn, warumb aber 
daß von ihme vorplieben unnd unterlassen, angesehen, das 
ebr anfencklich dawieder nicht harte gefochten, unnd wie 
wyr berichtet, vor E. F. g. rethen alhier solchs zu thun be- 
williget, dyeweil die gantze sache an E. F. g. unnd in ab- 
wesen derselbigen an stadthalder unnd rethe gelangett, ist 
uns vorborgen. Unnd nachdem es hierumb also gelegen 
unnd doch gleichwoll wir dehnen dyese irrungen anderer 
leuthe halber, die sich daraus vielleicht ergern mochten, 
zeum hochsten endtkegen unnd nichts liebers dann das die 
freuntlich hingelegt und vertragen, darzcu wir dann auch, 
das unsere soviele uns jetziger zceidt hat gebueren mogen, 
myt allen vleis gethan sehen woltenn, vormercken, das nach 
gelegenheitt dieser sachen, darinnen E. F. g. hiebevor manich- 
feltigenn befehell gnediglich haben thun lassen, uns dareynn 


97 


ferner zou begeben nicht gebueren wyll. Unnd do es ane das 
auch sunsten schwer fallen wolte, als gelangett an E. F. g. 
ünser gantz underthenige bitte, dye wollenn unß hierinnen 
ihren gnedigen rath unnd bedenckenn in gnaden myttheilen. 
unnd darob gnediglich seyn, dho etwas weyther hierinne 
zu thun unnd zu vorfuegen, domyt solches dohin gerichtet das 
daraus E. F.g. universitet keynn schimpff oder nachtheil 
endtstehen und erwachsen moge. Das geburet uns umb E. 
F. g. mit unseren underthenigen willigen dynsten myt hochstem 
gehorsamen vleis undertheniglich zu vordienen. Datum Midt- 
woch am fag Jacobi Anno XLIII. 


E. F. G. 
underthenige und gehorsame 
rector, magistri unnd doctores 
der universitet zcu Leyptzigk. 


5. Die Universität Leipzig bittet den Herzog Moritz 
von Sachsen um Anweisung, wie sie sich in der 
Angelegenheit des Jakob Schenck dem Rathe gegen- 
über verhalten solle. Leipzig 1543 August 2. 


Universitätsarchiv Rep. G. A. X 10, Blatt 30/31. 


Durchlauchter hochgeborner fürst. E. F. g. seindt unsere 
underthenige willige dienst zuvor. Gnediger herr. E. F. g 
haben wyr hievor, was an unß doctor Jacobus, Schenck zeu 
etliche mhalen schrifftlich gelangett, auch ein erbar rath der- 
wegen bey uns suchen lassen, undertheniglich zeu erkennen 
geben unnd wywol waß darauff zu thun E. F. g. unzweifelich 
uns vorfhallener vorhinderung uns ‚bisher nycht haben 
schreyben lassen, so haben wir dennoch dye sachen in der 
guethe zeu berichten, an unseren moglichen vleiß es nycht 
erwinden lassen. Wye aber wyr dye folge bey den parthen 
nycht gehabt und auch sunsten durch das so unß dißfhals 
hatt gebueren wollen, nychtes haben schaffen und aufrichten 
mogenn, hatt es sich ferner zugetragen, das obgemelter 
rath gedachten doctorem auß dem closter zu ziehen durch 
ihre stadtliche beschickung haben bitten und uff den fhall 
ers nycht thete, wa ihme daraus endtstehen mochte, ver- 
warnen lassen, und ehr darzcu nycht zu bewegen gewest, ist 
erfolgett das mehrgedachter doctor, sampt seinen brudern 
und dienern, weil sie anhedaß nicht haben gehen wollen, 
myt den stadtknechten und rathsdyenern uffs rathhaus mon- 
tagks nach Jacobi!) seindt beleytet worden. Welchs als wir 


1) 80, Jali 1648, 


98 


inne worden, haben wyr zcu erhaltung unserer privilegien und 
nach inhalt der vertrege und conpactaten, so zwischen mehr- 
gedachtem rath und unß aufgericht, den doctorem sampt 
seynen brudern und dyenern abgefordert, darauf sich der 
rath mit unvorweisslicher andtwort und also hatt vernehmen 
lassen, das sie uns die gefangenen gerne und willigk wolten 
folgen lassen, doch dyeweil dyese sache sie nicht allein, 
besonder E. F. g. myt betreffe, haben sie gesucht, das wyr 
die gefangene also bewaren lassen wolten, dhamyt sie an 
ihnen zu gelegner zeit das, waß sich disfhals gebürete, er- 
langen und das sie uf E. F. g. und ir vorwissen uf bevor- 
worte caution und anders nycht iress gefengkniBes erlediget 
werden mechten. Nach dyeser endtpfangener andtwort haben 
wir die caution erwogen und so wyr auch anhe solche vor- 
sicherung sie vor.unD selbst schwerlich hetten loßzalen 
mogen, haben wyr die formulam dem doctori fuerhalten 
lassen, und seint berichtet, das ehr dye zcu thun und zu vol- 
ziehen unbeschwertt außgeschlossen, das ehr sich des closters 
darein nycht wieder anhe deß rathes vorwissen zukennen 
nycht wuste zcu begeben, und der rath sich ferner vor- 
nehmen lassen, dho ehr auch dye caution wie dye begrieffen 
fhun wolthe, daß sye dennoch anhe E. F. g. vorwissen ihnen 
seines gehorsams zcu endtledigen bedengken hetten, haben 
wyr anngesehen, daß diese sache sich in eyll nicht wolte 
richten lassenn, unnd wyr doch myt solcher vorwarungenn 
darynnen ein soleber mau bequemlich unnd ane vorletzung 
mochte gehalten und vorwaret werden, nicht vorsehen, und 
darzu unb befhareten, das in dem uberandtworten auch 
der vorwarunge der gefangenen sich wol allerley unwider- 
bringliche weiterungen zutragenn mochten, haben wyr ge- 
schehen lassen, und bewilligt, das vielgemelte gefangene biß 
uf E. F. g. gnediges wiederschreyben myt dyeser bedingung 
das wyr dagegen vonn eym rath durch eyn reverß, daß 
solches und an unseren privilegien compactaten und her- 
gebrachter gerechtigkeytt keinen nachtheil geberen solthe, 
versichert, uff dem rathhauß bewaret würden. Dem allen 
nach gelangett an E. F.g. unser gantz underthenige bitte 
dye wollen und waB in diesen sachen ferner vorzeunehmen 
und zcu thun, gnediglich durch ir schreyben vorstendigen 
lassen unnd sich in dehm mit gnaden erzeigen. Das ge- 
büret uns umb E, F. g. undertheniges gehorsams willigklich 
zcu vordienen. Datum Leipzigk Donerstagks naeh Cathedra 
petri!) Anno im XLIII. 

E. F. g. underthenigste gantzwillige rector, magistri und 

doctores der universitet zu Leipzigk. 


!) Über das irreführende Datum siehe oben S. 81. 


99 


6. Herzog Moritz von Sachsen teilt der Universität mit, daß 

er den Doktor Jakob Sobenck und seinen Bruder Michael 

des Landes verwiesen habe. Dresden 1543, August 9. 

Repert. G. A. X 10 Bl. 43 Orig. Adr.: Den erwirdigenn 
bochgelarten unsern liben andechtigen und getreuen rectori 
magistern und doctorn unserer universitet zu Leyptzick. Von 


anderer Hand_unter der Adresse bemerkt: Doctor Jacobus 
in exilium. 


Von Gotsgnaden Moritz Hertzog zu Sachsenn landgraf 
in Duringen und marggraf zu Meissen. Unsern grus zuvoren. 
Erwirdigen hochgelarten liben andechtigenn und' getreuen, 
wier baben aus euerem schreiben vernohmen, was sich mit 
doctor Jacoben Schencken, seinem bruder und diner zu- 
getragen, und das yhr euch in dem allem vohrsichtiglich er- 
tzeigt, zu guttem gefallen vormerckt, so sal es euch auch an 
ewern privilegien und befreiung ahne schaden und nachteil 
sein, aber in der nottel der caution, so euch der Rat hat 
zugestalt, haben wier einen zusatz machen lassen, das ge- 
dachter doctor und sein bruder nit alleine das closter, 
daran sie keine gerechtigkeit haben mögen, sondernn auch 
unser land und furstenthumb mittels einer bestimptenn zeit 
reumen sóllen, außgenomen dem famulo, welchen ihr auf die 
gestaltten nottel, und die zwene deu. ..uctor und seinen 
bruder nach inhaltt des zusatzes caution thun, und ane das 
der gefengnis nicht woldet entledigen, noch ethwas w 'ter 
darin aussernn oder vorandern lassen. In deme geschiedt 
unsere genzliche unndt gefellige meinung. Datum Dresden 
dornstag nach Donati Anno Domini 1513. 


7. Die Urfehden des Jakob Schenck, des Michael Schenck 
pnd des Famulus Johannes Werlin aus Nördlingen. 
1543 August 16. 


Repert. G. A. X, 10 Bl. 38—40 ohne Angabe des 
Tages. Dieser nach Vetter, a. a. O. S. 261. Auf der 
Rückseite des von den Brüdern Schenck unterzeichneten 
Schriftstücks steht von anderer Hand: caution uff doctor 
Jacobum Schencken und Micheln Schencken seinenn brudernn. 
1543 mense Augusto. 


Nachdem ich doctor Jacobus Schencke uff des durch- 
lauchtenn hochgeborenenn fürsten und herrn herrn Moritzenn 
hertzogenn zu Sachsenn etc. bevhell und geboth unnd uff eins 
erbarenn rats zu Leipzick ansuchen güthliche warnunge und 
geboth, das barfusser eloster nicht habenn enthreumenn, von 
mir selbst nicht heraussgehen und die schriftliche versiche- 


100 


rung, wie sie die von mir gefoddert, nicht habe thuenn auch 
benebenn ihrenn -ratsfreundenn nicht uffs rathauss gehenn 
wöllenn, derwegenn ich mit denn stadtknechten auss dem 
closter uff das rathhauss geleitett und meine bücher und 
haussgeredte durch einenn erbaren radt und gerichte inn 
eine andere vorwarunge geleckt, als gerede gelobe und 
Schwere ich, das ich solchs alles an hochgedachtenn landes- 
fürstenn herzog Moritze von Sachsenn etc. seiner fürstl. gnaden 
landenn, leuthenn und underthanenn der universitedt und einem 
ehrbaren radte und denn pfarrernn, predigern und seelsorgern 
zu Leipzick allenn irenn membris, bürgerenn, vorwanthenn, 
dienernn und andern nicht will rechen widder mit wortenn 
noch mit werckenn, widder durch mich noch durch niemants 
von meineth wegenn und ob ich jemants erfure, der sich des 
zu rechenn unterstunde, das will ich nach meinem vermügenn 
werenn und vorkommen. Ich will mich auch dieser und 
aller andern sache halber, insonderheit auch von wegenn der 
postill, die man nicht hat wöllenn vollend aussdrücken lassenn, 
kegenn alle diejenigen widder, die ich derwegenn anspruch 
oder einige ursach zu habenn vermeine, an gleich und an 
rechte vor irem ürdenthlichen und geptirlichenn richter be- 
genügenn lassenn und mich enthaltenn derwegen ethwas mit 
der thadt vorzunemenn, noch auch widder seine f, g., die 
universitedt, rath, prediger und die irenn zu schreibenn ader 
ethwas aussgehenn zu lassenn, auch solches nicht in vor- 
schaffenn darinne sein f. g. und anderen obgenannten vor- 
unglimpfft und beschwerdt werdenn söltenn. Ich will mich 
auch hinförder sampt meinem weib und kindernn zu hoch- 
gedachts meins g. b. hertzogen Moritzenn fürstenthumb und 
landen nicht wesenthlich enthaltenn noch niedderlassenn, 
sondern dieselbenn zwischenn hier und dem tage exaltionis 
crucis schirst künfftigk reumenn und mithlerzeit mein weib, 
kinder und gesinde darzu halden das sie auss dem closter 
ziehenn; und will mein bücher und gerethe in meine vor- 
warunge nehmenn und also das closter enthreumenn und 
selbst ane erleubnis des raths nicht hineingehenn. Solchs 
alles gerede, gelobe und schwere ich treulich und ane ge- 
gelerde als mir Got helffe und sein heiliges wort. 


Jacobus Schenck doctor manu propria subscripsit. 
Michael Schenck manu propria subscripsit. 


Nachdem ich Joannes W. von Norling uff des erbaren 
rats zu Leipzick geboth so meynem herenn doctori Jacobo 
Schencken unnd seinenn bruder beschehenn, das closter zunn 
parfüsser nicht habe enthreumen- auch ungeführth mit denn 
herrenn das rats uffs rathhaus nicht habe gehenn wöllenn, 


101 


derwegenn man mich mit zweien stadtknechtenn hinauff ge- 
leitet, demnach gerede, gelobe und schwere ich das ich solch 
füren und enthalten auch enthreumung des closters an und kegen 
herzog Moritz zu Sachsen etc. seiner f. g. erben, landt und 
leuten an der universitedt und einenu erbarenn rath der 
Stadt Leipzick, auch iren predigern, pfarrernn, seelsorgern, 
membris, vorwantenn auch bürgernn dienernn und sonst nicht 
rechen will, widder mit worten noch mit werckenn widder 
durch mich noch durch andere von meinethwegenn und ap 
ich yhmants erfuere, der es meineth halbenn rechenn wölde, 
das will ich nach meinem vermügen werenn und vorkommen. 
Ich will mich auch kegenn alle obgemelte on gleich und 
und recht von irenn ördenthlichenn und gebürlichen richter 
genügenn lassenn und aller obgeschribener sache auch der 
postill halber so mein herr doctor Schenek und sein bruder 
in druck aussgehenn wollenn lassenn widder hochgedachtenn 
fursten, universitedt, rath und alle derselbenn membra vor- 
wante und underthane ete. nichts schreybenn noch zu 
schreiben vorschaffenn, das ich auch inn das barfuser closter 
nicht gehen will ane des radts erleubnus, auch des doctors 
und seines bruders weibere und kindere nicht sterckenn noch 
bereden will das closter nit zu enthreumen widder durch 
mich noch durch andere. Das alles schwehre ich als mir 
Got helffe und sein heiliges worth. 

Ich bekenne auch mit dieser meiner eignen handschrifft 
das ein erbar radt mir angebotten hat alles das unser volgen 
zu lassen, welches aber ich inn wegerung gestanden aus 
dem closter zu empfahen, derwegen hats ein erbar radt also 
bald inn ein gemach beneben des herrn doctors und seines 
bruders geredt verwaren lassen, welches alles ich doch 
numals empfangen. 


Johannes Werlin von Nórlingen manu propria subscripsit. 


Die Wiedergabe der Urkunden ist buchstabengetreu nach den Ori- 
gum erfolgt. Veründerungen sind nur insoweit vorgenommen, als 
r alle Eigennamen und zu Anfang jedes Satzes große Buchstaben 
gewählt, v inmitten eines Wortes in u, i im Anfang eines Wortes in 
j pig ida sind und gelegentlich die Interpunktion eine andere ge- 
worden ist. 


Die brandenburgisch-nürnbergische 
Norma doctrinae. 
Von K. Siehornbaum. 
Beilagen. 


1. Mf. Georg Friedrich an Hzin. Ww. Anna Marie von 
Württemberg. Ansbach, 4. 11. 1570. 


Hochgeborne fürstin, fr. liebe Schwester und Gevatterin. 
Ob wir wol E. L. vergangener tage freundlich zuerkennen 
gegeben, daß wir den wirdigen und hochgelarten herrn 
doctorem Jacobum Andreae nicht lang mer ufhalten 
wolten, so kunnen wir doch E. L. fr. meinung nit bergen, 
dass sondere verhinderung furgefallen sein, davonwegen wir 
ine nicht eher dan heut dato haben urlauben kunnen und 
E. L. die verhinderung von ime vernemen werden. wir 
haben aber die verantwortung gegen E. L. uf uns genommen 
und bitten ganz freundlichs vleis, E. L. wollen gedachten 
doctorem Jacobum in ansehung der wichtigen verhinde- 
rung uns zu fr. gefallen von wegen des verzugs gnedig ent- 
schuldigt nemen. 

Uns isf auch von ime von dem gemeinen werk die 
concordi und ainigkait zwischen den churfursten, fursten 
und stende der Augsburgischen confeßion verwandten und 
derselben theologen betr., von welchs gemainem werks wegen 
gedachter Dr. Jacobus ausgesandt, ausfurlicher bericht 
getan worden, welcben wir mit sondern freuden vernomen. 
Und lassen uns freundlich ganz wolgefallen, daß mit solchem 
gemain werk in alwege vortgefaren werde und daß zu vort- 
stellung desselben sich ehegedachter Doctor Jacobus 
sich furderlich gein Speier verfugen und bei der R.K. Mjt. 
unserm allergnedigsten herrn und an andern orten, was die 
notturft erfordert, aucb handele und verrichte doch mit 
guter vorsichtigkeit und bescheideuheit aus allerlei ursachen, 
wie E. L. von ime den notturftigen bericht horen werden. 
Das wollen wir E. L., dern wir zu bruderlichen treuen wol- 
genaigt, der notturft nach fr. maynung nit unangezeigt laßen. 

Datum O. den 4. Novembris anno ete. 70. 


Georg Friedrich. 
Concept Ansbacher Religionsakta 29, 758. 


103 


2. Jakobus Andreä an Georg Karg. Tübingen, 1.März 1571. 


Salutem in Christo. Aliquoties nunc ad te scripsi, re- 
verende vir, frater carißime, sed nullum accepi responsum, 
quia causa est, ut dubitem, an tibi meae litterae sint redditae. 
Nunc mitto scriptum, cujus exempla multa misi ad omnes 
ecclesias Germaniae superioris, uf eorum suffragia colligam 
ad éontinuendum purum consensum superioribus annis ten- 
tatum. Et quoniam nihil novi susceptum est, sed iisdem 
libris pius consensus compositus, quos etiam nos in trans- 
actione nuper Onoltzbachii facta confirmavimus, rogo per 
Christum, uf nulla interposita . mora subscriptionem hujus 
transmißi scripti promoveas, quemadmodum nuper in com- 
positione tuae controversiae factum est. Qua in re deo 
inprimis cultum praestabis gratiBimum et ego quibus poßum 
officiis promereri studebo. Ut autem id commodius per nuntios 
expedire poDis, scripsi D. Musmanno intimo vestri principis 
consiliario, qui te pro virili sua juvabit Non puto opus 
ehe conventu, cum nibil sit novi, sed tantum nunciis. Rogo 
autem, ut id maturare velis, quantum potes. Nam plurimum 
referre puto, ut quam primum conficiatur negotium. Bene 
et Salve vale. et copiose rescribe. Salutabis meo nomine 
uxorem tuam ef collegas omnes reverenter. Haptim Tubingae 
Cal. Marcii 1571. 

Tuus ex animo frater Jacobus Andreae D. 


P. Scriptum: Non vellem unum aut paucos pro omnibus 
sed quam plurimos subscribere, ac si aliter fieri non poit, 
Saltem superintendentes et decanos cum suis senioribus ad- 
dito numero tot et tot past pastorum () quatenus praesunt, 
Idque non eo consilio, ut suffragiorum multitudine pugnemus, 
sed pontificiorum adulatorum blasphemos clamores reipsa 
refutemus, qui impune ter aßerere audent, vix duos pastores 
inter omnes Augustanae confeBionis ministros reperiri, qui 
in omnibus articulis dictae confeßionis consentiunt. In Urbe 
et agro Argentoratensi subscripserunt 60 doctores pastores 
et ministri?) Idem fit in aliis locis. Tu igitur pro tua 


1) Transmisit ad me, clarissime domine doctor, frater carissime, 
subscriptiones pastorum et ministrorum in urbe et agro Argentinensi 
D. D. Wilhelmus, proquo filio dei ago gratias et ut nos omnes in 
hoc. pio consensu confirmet, oro. Andreä von Marbach 9.8. 1571. 
Fecht S, 350. cf. 870. Nec dubium est, quin cordati omnes forma- 
lam Servesti constitutam *sint approbaturi. Nos certe hic eamdoctrinae 
rationem observamus. De subscriptione tamen polliceri idcirco nihil 
possumus, quod cum eitra consensum nostri magistratus a nobis fleri 
non queat, periculum est, ne velint concedere, ut cum nuper Tigurinis 


104 


pietate et sapientia negocium, quam rectißime, curabis quod ut 
arbitror nnlla deliberatione opus habebit Ut in literis. 
Rogo autem per Christum negocium maturare velis, ne forte 
inquieta ingenia institutum perturbent, quae una causa est, 
ut festinandum existimem. Nos in ducatu Wirtebergensi 
ita adornavimus, ut profeßores in facultate theologica, ab- 
bates ef generales superintendentes omnes subscribent manu 
propria. Idem facient etiam superintendentes speciales sin- 
guli cum duabus praecipuis pastoribus pro se et omni pastore, 
qui ad ejus superintendentiam pertinet, addito numero tot 
et tot pastorum!). Das wird demnach ein zimlicher galg (7) 
vol pfaffen sein, das die papisten nicht hoch erfreuen wird. 
aber vil fromer herzen widerumb aufrichten. 
Original in den Ansbacher Religionsakten 85, 54 f. 


3. Jakob Andreäs Entwurf einer gemeinsamen Er- 
klärung. 1571. 


Nachdem sich ein zeit lang hero etliche beschwerliche 
irrungen und streit zwischen denen theologen, so sich zu 
der christlichen augspurgischen confeßion bekennen, gehalten, 
daruber gutherzige christen hochbetrtibet, die schwach- 
gläubigen sich schwer daran gestoßen und geergert, die 
feind aber der reinen lehr uber gedachten zwispalten jubiliren 
und in irem schmehen und lestern desto trutziger vortfaren, 
auch uns in aller welt ausrufen, als sollten unsere christ- 
liche reformirte kirchen samt iren dienern alle jar oder 
monat ein neue confeßion stellen und doch unter sich selbst 
in allen derselben articuln genzlich zurißen und also ge- 
trennt sein, das selten zwen evangelische prediger der sachen 
in, allen: Punkten christlicher religion mit einander einig. 
Demnach haben gutherzige und eyferige christen notwendigs 
nachgedenken gehabt, welcher gestalt gedachtem ergernus 
der schwachglaubigen und frolocken der feind gottes füglich 
und furderlich also zubegegnen, daß der reinen lehr nichts 
abgebrochen, den irrtumen im wenigsten nit stat gegeben 
und doch alle die streit und uneinigkeit, so zwischen den 
theologis, welche der augspurgischen confeßion zugethan, 
von der zeit D. Luthers seligen entstanden, abgeschniten 


postulantibus negata sit, ne etiam recuset aliis ad evitandam con- 
foederatorum offensionem. Sulcer an Marbach, Basel 12./8. 1571. 
Fecht S. 852, Vgl. 878 (20. 6. 1571). 

ı) S. Andreä an Marbach. Cal. Marii 1571. Fecht S. 844. 
vgl. Andre&ä an Wilhelm von Hessen. Tübingen 10. II. 1571. G. Chr. 
Neudécker, Neue Beiträge zur Geschichte der Reformation. 
Leipzig 1841. 8. 859. 


105 


und die betrübte kirch christi widerumb gottseliglich befridet 
wurde und dis alles nach lehre des heiligen apostels Pauli, 
der uns ernstlich vermanet, das wir allezumal einerley reden 
füren und nit laßen spaltungen unter uns sein, sondern fest 
in einem sinne und einerley maynung aneinander halten!) 
Wie dann auch der haylig prophet David gottselige ainig- 
keit christlicher lerer preiset, do er sagt, sie, wie fein und 
lieblich ists, wann bruder eintrechtig beieinander wohnen?) 
Und ist hierzu fur ein notturft und zuerlangung gedachts, 
ehristlichs consens fur nuzlich angesehen worden, bei der 
kirchen, so der augspurgischen confeDion zugethon und mit 
dern secten keiner behaftet, welche in der augspurgischen 
confeßion verworfen, z@erkundigen, was derselben theologen 
hierinn rätlich bedenken und welcher gestalt sie ire gott- 
selige ainigkeit in allen articuln der reinen lehr und rechter 
christlicher confeBion zum richtigsten und leutersten also 
ercleren möchten, daß sie niemand ainiger falschen seck- 
tischen lehr zuverdenken oder an dern ainigkeit und gleichem 
verstand zu zweifeln. 

derwegen dann kurtzverruckter zeit etzliche vornehme 
teologen zu Zerbst versamblet worden. alldo durch gottes 
gnad sovil befunden, daß dieselbige die erclärung ires consens 
und christlicher ainigkeit auf nachbenannte schriften ge- 
stellt und sich christlich und bruderlich verglichen, die- 
selbigen nechst nach der hayligen schrift (welche billich 
vox judicis, daraus auch die nachbenannten schriften ge- 
zogen und deren gemäß) zuhalten fur das offentlich be- 
stendig zeugnus gedachter irer christlichen ainigkeit und fur 
die normam doctrinae oder richtschnur der lehre, also das 
sie sollen in allen stritten, so allbereit vorgefallen oder 
nachkunftig furfallen mochten, sein die regula judicii oder 
solche schriften, nach dern ainhelliger ausweisung alle stritt 
und zwiespalt sollen geurteilt werden. 

Und haben gedachte theologi diser gestalt sich bekennet: 

Erstlich zu den prophetischen und apostolischen schriften 
(als zu dem brunnen Israel) welchs die warhaftige richt- 
schnur ist, nach dern billich alle lehren und lehrer zu 
richten und zu urteilen sein. 

Zum Andern: zu den dreyen symbolis Apostolico, Ni- 
caeno, und Athanasiano als zu den kurzen christlichen und 
in bailiger schrift vest gegrundten herrlichen bekandtnussen 
des glaubens, in welchen allen denen kezereyen, so zur 
selbigen zeit sich erhoben, lauter und beständig wider- 
sprechen wurd. 


1) 1, Cor. 1, 10. *) Ps. 188, 1. 
Archiv für Reformationsgeschichte. XX. 5/4. 8 


106 


Zum Dritten: haben sie sich widerumb erceret undl 
bekennt zu der auch christlichen und in gottes Wort wohl- 
gegrundten augspurgischen confeDion allermaßen, wie sie ao 
30 in schriften verfaßt und damals keysern Carolo V. von 
etlichen christlichen churfursten und stenden fur ir bestendige 
bekantnus irer k. mjt. zu Augspurg ubergeben als zu 
dieser unser zeit unserm symbolo, durch welches unsere 
reine reformierte kirchen von den papisten und andern ver- 
worfen secten und kezereyen abgesondert worden. 

Zum vierdten: Was dann derselben grundlichen aigent- 
lichen und warbaftigen verstand belangt, nachdeme dieselbig 
kurz, haben sie sich bekennt ainhellig zu der darauf er- 
volgten Apologia, darinnen ermsite augspurgische con- 
feBion nit allein notturftiglich ausgefuret und verwahret, 
sonder auch mit hellen unwidersprechlichen zeugnußen der 
hailigen schrift erwisen; desgleichen auch zu den schmal- 
kaldischen articuln, in welchen ermelte lehr widerholet, 
und darneben ursach und grund angezeigt, warum man von 
den papistischen irrtumern und abgötterei abgetreten, auch 
mit denselben irrtumben keine gemeinschaft zu haben und 
sich uber denen mit dem bapst nit zuvergleichen wiße oder 
gedenke. 

Und dann weil diese hochwichtige sachen auch den 
gemainen mann und layen betrifft, welche irer seelen seelig- 
keit zu gutem dannoch als christen zwischen rainer und 
falscher lehr unterscheiden müßen, haben sich gedachte zu 
Zerbst versamblete theologi auch bekennet zu dem 
cathechismo Lutheri, in welchem gemelte christliche lehr 
für die einfeltige layen uf das richtigst und einfeltigst be- 
griffen und gleicher gestalt notturftiglich ercleret worden. 

Nachdem aber obernennte conventui zu Zerbst merer- 
teils sächsische theologi beygewohnet und andere kirchen- 
diener in oberteutschland und Schwaben zum selbigen aus 
allerhand domals ungelegenheiten nit erfordert werden mögen, 
seindt der oberlendischen und schwäbischen kirchen theologi 
der zu Zerbst furgeloffenen handlungen freundtlich und 
bruderlich berichtet worden, darmit sie auch ires teils das 
angefangen werk, die christliche und gottgefällige ainigkeit, 
sovil an inen, befurdern und fortzusetzen helfen wollen. 

Haben demnach etliche vorneme gutherzige theologen, 
so bei den christlichen kirchen und schulen bishero die 
rainen lehre zu pflanzen und christliche einigkeit (one ab- 
pruch der göttlichen warheit) zubefurdern und zuerhalten 
gearbeitet, fur notwendig und fruchtbar gehalten, das auch 
andere theologi in oberteutschland und Schwaben iren christ- 
lichen consensum in der rainen lehr und uber den ober- 


107 


zelten schriften mit irem unterschreiben eroleren und hie- 
mit bezeugten, das sie oberzelte.bucher nit allain fur christ- 
liche schriften (in welchen alle artieul unser reinen lehr 
nach notturft grundlich verfaßet), sondern auch nechst der 
heiligen schrift fur die normam doctrinae und richtschnur 
erkennen, nach dern alle irrige lehr geurteilt und alle Mis- 
verstand aus derselbigen lautern inhalt abgeschaffen werden 
sollen. 

Und dis alles aus nachvolgenden ursachen. Dann weil 
die hocherleuchte theologi, so damaln der kirchen vorge- 
standen, do die christliche augspurgische confeßion kayser 
Carolo V, ubergeben, fast alle im herrn selig entschlafen 
und aber diejhenigen, so in irem beruf bei der kirchen und 
Schulen an ire stat kommen, billich in derselbigen christliche 
fuBtapfen treten und die mit pflanzung und erhaltung der 
rainen lehr getreulich und bestündig ersetzen sollen, haben 
sie derwegen nit ursach, in ainig bedenken zu ziehen, vil- 
gemelte augspurgische confeDion, uber deren ire vorfahren 
damals nit geringe gefahr ausgestanden, zu underschreiben, 
inmaßen dann solchs in der alten kirchen also herkommen 
und preuchig gewesen, das die volgende synodi, bischof 
und lehrer sich auf die vorgeende und sonderlich hicenisch 
symbolum gezogen und sich darzu bekennet. | | 

Weil auch erstgedachte theologi zur underschreibung 
der schmalkaldischen articul mehr ansehnlicher theologen 
zu sich gezogen und sich dieselbigen mit inen in guter an- 
zahl deshalben verglichen, die auch nunmehr seliglich im 
herrn ruhen, werden diejhenige, so bei ermelter theologen 
reiner lehr zuverharren ernstlich gesynnet, sich zu derselben 
articuln zubekennen one zweifel onbeschwert sein. 

So man sich auch zu dem Catechismo Lutheri mit 
vnderschreibung bekennen, wird hiemit nit allain dem ge- 
mainen mann und einfaltigen layen gedienet, die nach der 
christlichen lehr (so in selbigen einfeltig und rain begriffen 
und ercleret) sich vor irriger lehr zu hüten und was sie zu 
irer seligkeit glauben sollen, daraus wißen mugen, sondern 
wird auch also die unverfelschte lehr, so wir von unsern 
vorfaren empfangen, auf die kinder und kindskinder gebracht 
und inen bei derselbigen zu bleiben hinderlaßen. 

Aus welchem allem dann vermittels göttlicher gnaden 
sich christliche gottgefellige ainigkeit der lerer, so sich zu 
der augspurgischen confeßion bekennen, erfindet, so die in 
allen articuln unser reinen religion nach ausweisung vilge- 
dachter schriften ainerlei glauben, lehr und bekentnus haben, 
dardurch dann ferner je lenger je mer freundlichs und bruder- 
lichs gottseligs vertrauen zwischen den rainen lehrern ge- 


8* 


108 


pflanzt und erhalten, als do je einer von dem andern desto 
mehr wißen und versichert sein mag, was er sich in religions- 
sachen zu dem andern zu trösten und zuversehen. Und 
wurdt hiedurch nichts neues gestellt, darob die feinde des 
heiligen evangelii ursach zu lestern und calumnien nemen 
oder sich auch einfeltige gutherzige darob ergern möchten. 
Dargegen soll und wurdet dis werk erweisen, das unsern 
kirchen in dem gewalt und unrecht von den papisten ge- 
schicht, daß sie mit unaufhörlichem lestern furgeben, es halte 
es bei den evangelischen kein theologus mit dem andern, 
Und werde bei uns alle tag eine neue confeßion gemacht 
und also die lehr teglich verendert, in maßen im anfang 
dieser schrift auch anregung bescheen. 

Und hann also die raine lehr dieser gestalt erhalten, 
auf unsere nachkommen gebracht und inen mit diesem werk 
anleitung gegeben werden, auf was mittel und wege sie die 
von uns empfangene reine lehr standhaftig handhaben und 
gleichfalls auch auf jre nachkomen gelangen laßen sollen. 

Welchs alles zu der ehre des allmächtigen, zu ferner 
ausbreitung des heiligen evangelii und der hochbetrübten 
kirchen christi zu großer freud, sterkung und ergetzung 
wider so mancherlei entstandene beschwerlich ergernus tröst- 
lich auch zur bestendigkeit sehr nutzlich und zu andern 
notwendigen kirchensachen ein gute vorbereitung und anfang 
sein mag. | 

Derwegen denn wir (die nachgeschribne theologi und 
kirchendiener) in ansehung obgesetzts berichts zu erclerung 
unsers christlichen consens mit andern christlichen theologen 
auch allen, so inen dis werk und bedenken belieben laßen 
oder noch künftig selbigs approbiren werden, hiermit be- 
kennen, daß wir mehrgedachte schriften, so nechst der heili- 
gen schrift fur die normam doctrinae zum Zerbstischen 
abschied erkannt, fur reine, christliche schriften, in denen 
die ganze christliche lehre nottürftiglich ereleret, erkennen 
und uns dergestalt zu denselbigen bekennen, daß nach derer 
ausweisung jederzeit gelert werden, auch alle streit vermug 
derselben inhalt abgehürter maßen entscheiden werden sollen. 
Und verwerfen demnach alle lehre, alt und neu, sozuvorderst 
der propheten und Apostelschriften den ermelten, dreien 
symbolis Apostolico, Niceno, und Athanasiano, der Augs- 
purgischen confeBion, Apologiae, Schmalcaldischen articuln 
und Catechismo Lutheri zuwider ist. 

Do auch in unsern oder andern sehriften etwas dunkels 
oder zweifelhaftig gefunden wurden, wollen wir, daß solichs 
nit wider ermelte schriften als der dreien symbolorum, der 
augspurgischen confeßion, Apologien, Schmalkaldischen arti- 


109 


euln und cathechismi Lutheri helle und deutliche erelerung, 
sondern in allewege nach anleitung derselben verstand und 
anders nit angenommen werden soll, 


Das nun sollichs unser entlicher will und maynung Bey 
und wir vermittels göttlicher gnaden darbey zubleiben ge- 
denken, haben wir zu erclerung vilgemelter unser christlichen 
ainigkeit dieses. mit unsern aigen handen vnderschriben. 

Ansbacher Religionsakta Tom. 84, 15 ff., 85, 48 fl. 


4. Bedenken der markgräflichen Theologen. März 1571. 


Gestreng, Edel, hochgelert, ernvest, hochachtbar, gnedig 
und gunstig gepietende Herrn. Was D. Jacobus An- 
dreae guter christlicher wolmeinung zu Aufrichtung christ- 
licher einigkeit unter den evangelischen lerern sucht, wenn 
es allenthalben und bei allen aller evangelischen chur-fursten 
stende und Stetten im h. röm. Reich Theologen und kirchen- 
dienern zu erheben, weren wir fur unser person ime zu 
willfaren ganz unbeschwert, sintemal die bucher, so zur 
Norma «loctrinae ernent, gut, rein und bewert sind als wirs 
auch fur beßer achten, diese wenige algemeine kurze be- 
kenntnißen denn andere viel privatbücher neben der b. schrift 
fur die richtschnur christlicher lehr zu setzen und zu halten. 
Und were wol zu wunschen, wenn gleich die am Rhein 
undin Thuringen.irer zwitracht halben sich widersetzten, 
daß dennoch die andern alle gesetzte normam approbierten. 
Solt aber solchs nicht geschehen, so konden wir nicht ge- 
denken, wie dieses werk zur einigkeit geraichen möchte, 
sondern were sich hernach mehr zwitracht, dann vorhin zu 
befahren. Darumb achten wir, daß zuvor und ehe die unter- 
schreibung von uns geschehe, der sachen bei Sachsen 
und Brandenburg sich zu erkundigen und hierinnen 
nach derselben exempel zu richten sein sollt. Wir hielten 
auch dafur, wenn es zur unterschreibung köme, es sollte 
uberig genug sein an den Superintendenten und were gar 
nicht von nöten, das andere pfarrherrn auch unterschrieben, 
weil doch ja die einhelligkeit durch die furnemsten theologen 
und kirchendiener genugsam bezeuget were, durch die große 
menge aber der pastorn den widersachern und feinden ur- 
sach zur lästerung gegeben und darzu das ubermeßig lang 
register verdrißlich zu lesen sein wurde. Dieses unser be- 
denken E. G. u. G. anstatt des durchleuchtigen, hochgebornen 
fursten und Herrn haben wir aus schuldiger Pflicht aufs 
aller kurzesí in untertenigkeit anzeigen sollen und bitten 
hieneben den almechtigen, ewigen Gott, er wolle seiner be- 


110 


trubten kirchen gewunschte einigkeit gnediglich verleihen und 
geben. 
E. G. n. G. gehorsame willige 
verordente examinatores. 


Orig. von Karg geschrieben. Ansbacher Religionsakta 35. 42f.; 
Copie Tom. 34, 24 u. 26. Vermerk pr. 20./3. 1571. 


5. Erklärung Georg Kargs. Januar 1572. 


Durchleuchtiger hochgeborner furst. Gnediger herr. 
Der Eltern Herrn des Rats zu Nurnberg schreiben an E. F. Gn. 
betreffend die uneinigkeit irer theologen und dan auch 
beederseits erklerungsschriften von E. F. G. uns um unser be- 
denken vertraulichen zu ersehen ubergeben haben wir ge- 
horsamlich gelesen und ires gantzen inhalts vernommen. 
Wiewol wir uns aber unsers geringen verstands wol bewußt 
sind und far diejenigen nicht dargeben, die in dieser und 
dergleichen hohen wichtigen Sachen zu gebrauchen seyen, 
haben wir doch E. F, G. zu untertenigem gehorsam unser 
einfeltig bedenken anzuzeigen uns mit nichten weigern sollen. 

Nachdem es sich denn nun im werk gantz eigentlich 
befindet, das es in genere um die normam doctrinae et 
judieii zu tun ist und ein teil diese, der ander ein andere 
furgeschlagen hat, wird es unsers erachtens noch der nehest 
und einige weg zur concordia sein, daß sie zu beden teilen 
beide furgeschlagene normas zusammenfaßen und fur eine 
balten und darf nicht mehr, denn das man die schmal- 
kaldischen artikel und Catechismum Lutheri zu dem corpore 
doctrinae neme und alles zusammen ein corpus und ein 
normam doctrinae sein laße. Und weil der eine teil sich 
allbereit dahin ercleret hat, solchs zu willigen und einzugehen, 
soll sich billich der ander teil nemlich die beede Kauf- 
menner auch weisen laßen und können sich eines solchen 
mit gutem gewißen nicht weigern, sie wollten sich denn 
aller flaeianischen neuerung und schwiirm verdacht machen 
und schuldig geben, welchs inen aber zu tun schwer fallen 
und im gewißen zu verantworten unmuglich sein würde. 

Sie die beede herrn kaufmenner setzen eiu mis- 
trauen in. die andern hern theologen iren gegenteil des 
heiligen nachtmals halben. Aber solcher ir argkwon ist inen 
genugsam und uberflüßig benomen durch ratification der 
Schmalkaldischen artikel, welehen zwar in Philippi schriften 
an keinem ort widersprochen wird. Und ist darzu solche 
meinang in brandenburgischer und Nurnbergischer kirchen- 
ordnung deutlich gesetzt und kann one verkleinerung und 
abbruch gedachter kirchenordnung nicht verneint werden. 


111 


Dergleichen vergebliche ausrede ist es auch, das sie 
furwenden, Philippus hab ein bapstische definitionem liberi 
arbitrii in locis theologicis gesetzt. denn er sich daselbsten 
vor und nach und in andern seinen buchern genugsam 
erklert, das ers rede und verstehe von des menschlichen 
willen in der bekerung, wenn er vermittels des worts vom 
heiligen geist bewegt und angetriben wird, wie er in Re- 
petitione Augustanae. ConfeDionis sagt: „Voluntas accepto 
spirita sancto iam non est veiosa“. „wenn der mensch den 
heiligen Geist empfangen hat, so ist alsdann sein will nicht 
müßig“ und in responsionibus ad bavaricos articulos: Voluntas, 
quatenus sanari coepit, comes est spiritus sancti „wofern 
des menschen will hat angefangen geheilet zu werden, volget 
er dem heiligen Geist". ltem fatendum est, multa fieri in 
omnibus sanetis, in quibus voluntas habet se tantum ut 
subjectum patiens. Soll sie derhalben nicht wunder nehmen 
noch unrecht und verwerflich denken, daß Philippus sagt: 
„liberam arbitrium est facultas voluntatis ad eligendum ac 
expetendum ea, quae monstrata sunt et adrejeiendum eadem". 
item „Veteres aliqui sic dixerunt, „liberum arbitrium in 
homine facultatem eBe applicandum se ad gratiam"; und 
dass er drey wirkliche ursachen setzt der bekerung, das 
wort, den heiligen Geist, und des menschen willen, sintemal 
er von des menschen willen nicht wie er an ime selbs von 
natur ist, sondern wie er vom heiligen Geist durchs wort 
beweget und augetriben wird, redet. Wie solchs auch in 
definitionibus Appellationum klerlich zusehen, da er also 
saget: „Cum voluntas trahitur a spiritu sancto, potest obsequi 
et repugnare. Fit igitur major libertas, cum corda renata 
reguntur spiritu sancto, sieut Paulus inquit, qui spiritu dei 
ducuntur, hi sunt filii dei. Ac tunc libertas est facultas, 
qua homo renatus gubernanti spiritui saneto potest obtem- 
perare*. Geschicht derhalben Herrn Philippo ungutlich, in 
deme ime schuld gegeben wird, dass er dem freyen willen 
zu viel zulege, als ob er in geistlichen sachen ohne den 
heiligen Geist seine kraft und wirkung zum guten habe, 
und bedarf die alte definition sampt den dreien wirklichen 
ursachen der bekerung nur eines guten auslegers. 

Der neu Wittenbergisch Catechismus gehort hieher gar 
nicht, muß sich auch niemand darzu bekennen und sollen 
sich die herrn Kauffmenner nicht drumb bekümmern, 
als der in corpore doctrinae nicht begriffen ist, sonder sollen 
in auf ime selbs beruhen und diejenigen verantworten 
lassen, die in gestelt haben, wie treulich sie inc ex corpore 
doctrinae ausgezogen haben. 

Mögen sich demnach mehrgedachte herrn kaufmenner 


112 


in das corpus doctrinae zusampt den schmalkaldischen artikeln 
und Catechismo Lutheri zu willigen und sich demselben 
nach der heiligen schrift zu unterwerfen gar nicht be- 
schweren, sonder sollen vielmehr betrachten und sich zu 
ermelter formula concordiae bewegen laBen, daß Herr Lutherus 
und Philippus seliger und heiliger gedechtnus in zeit ires 
lebens einig und fridlich miteinander gewesen und treulich 
zusammen gehalten und Philippus die christliche lere in ein 
richtige, gute ordnung gefaDet und Lutheri treuer gehilf gewesen 
und Lutherus in auch dafur erkant und gehalten hat. 

Denn, daß sie furwenden: Philippus habe den mehrern 
teil seiner bucher, so in corpore doctrinae begriffen, erst 
nach Lutheri Tod geschriben, kan sie ja so wenig furtragen 
und schützen als andere ire furgeschutzte ausreden, sintemal 
sie in keinem andern buch on allein in den locis tbeologicis 
einigen fehl oder mangel anzeigen. Nu hat aber Philippus 
loeos theologieos bei Leben D. Lutheri geschrieben und hat 
sie Lutherus ime gefallen laßen und darzu, wie menniglich 
bewußt, hoch commendirt und gelobt. Und ob sie wolten 
furwerfen, die definitio liberi arbitrii were erst hernach dazu 
kommen und gleich eingeschleicht worden, so ist doch ein 
gleichstimmende definition zuvor auch von ime Herrn Philippo 
gesetzt und nachmals fur und fur darinnen blieben neben 
christlicher und wie droben angezeigt heiliger schrift ge- 
meßer erclerung. 

Und weil sie die Kaufmenner sich referirn auf E. F. Gn. 
verordnung gegen den kirchendienern in derselben furstentum 
und landen, sovil die methodicos libellos betrifft, und aber 
neben andern auch die loci theologiei und dergleichen nutz- 
liche schriften mit begriffen sind, wolt inen ehren halben 
dieselben E. F. G. verordnung ganz und unzerstumpelt anzu- 
ziehen und bleiben zu lassen geburen. Und sollen solche 
bucher den lerern sonderlich wol bekannt sein und die 
nutzliche arbeit keinswegs veracht werden und hindert 
nichts daran, das das gemein volk nicht lesen kann, wie 
wol dennoch die loci theologiei zu deutsch haubtartikel 
christlicher lere genant vielen gutberzigen christen auch wol 
bekant sind. 

Es kann sie auch nicht furtragen, daß Herr Philippus 
seine Schriften der kirchen judieio und urteil unterworfen 
hat, dann solchs hat auch her Lutherus getan und nicht 
gewollt, daß seine bucher der heiligen schrift gleich sollten 
geachtet werden, wie es auch ebenmeßige meinung mit der 
norma doctrinae hat, als die der heiligen schrift nachgesetzt 
und nur um richtigkeit und befers verstands willen ange- 
henkt wird. 


113 


| Was dann fur nutz und frommen beede der kirchen 
Gottes su Nurmberg_und inen den kaufmennern, so diese 
norma judicii angenomen, und was hergegen fur schaden 
daraus erfolgen wurde, wann sie auf irn gefaßten streit 
hartneckig beruheten, des werden sie sich als die versten- 
digen leichtlich zu berichten wissen. 

Was betrifft die vormals unter und zwischen inen voder- 
seits theologen aufgerichte formulam concordiae und ob ein 
oder bede teil ausgesprungen 'seyen, laßen wir es billich 
auf ime selbs beruhen und halten dafur, damit es nicht das 
ansehen gewinne, als werde allzugroße licentia darunter 
gesucht, daß dieselbige vorige handlung an diesem nutzlichen 
werk unverhinderlich sein soll. 

Und unsers bedunkens were zu wunschen, das angeregte 
norma judieii mit einhelligem rat, consens und willen aller 
evangelischen churfursten, fürste, stende und stete im heiligen 
reich deutscher nation und auch in andern konigreichen 
und landen angenomen und ratificirt wurde. doch sollten 
andere gute bucher dadurch nicht verschlagen, vernichtiget, 
verworfen und verdampt sein, sonder müßten alle dieser 
normae oder corpori doctrinae und zuforderst heiliger schrift 
gemäß verstanden und danach geriehtet werden. 

Und were weiter zu wunschen, das alle und jede tractatus 
und schriften in. dieses corpori und normam doctrinae ge- 
hörig in ein buch ordentlich und vleißig zusammengedruckt 
und zu allen kirchen neben der heiligen bibel und jedes 
lands kirchenordnung und Agenda erzeuget und erkauft und 
allen kirchendienern vleißig zu lesen furgelegt wurden. 
Denn also wurde man nicht allein den jetzt schwebenden, 
Sondern auch den zukunftigen rotten, secten und kezereyen 
desto statlicher begegnen und widerstand tun können. 

Wir sind auch der tröstlichen hoffnung und zuversicht 
zu Gott dem allmechtigen, er werde seiner diener, der herrn 
theologen zu Nurnberg herzen durch seinen heiligen Geist 
leiten und füren, das sie zu beeden teilen um der er Gottes, 
umb frieden und vieler Menschen seligkeit willen und 
zu erpauung der kirchen unsers herrn Jesu Christi in der 
löblichen weit berumten stat Nurmberg das furgeschlagene 
mittel und wege zur Concordia inen gefallen laßen und 
hinfuro in dem heiligen predigampt treulich zusammen setzen 
und friedlich und bruderlich miteinander leben und sich 
auswendiger streit nicht leichtlich teilhaftig machen noch 
dieselben auf die canzel bringen, sondern alles ergerlichen 
gezenks, disputirens, als dadurch der gemein mann nicht 
gebessert wird, sich willig enthalten, welches wir inen hiemit 
von herzen wünschen. 


114 


Den proceß furstehender handlung wird ein erbar rat 
zu Nurnberg anzustellen und erstlich mit den kaufmennern 
ad partem, das, wovern der ander teil die schmalkaldischen 
artikel und Lutheri Catechismum (unvermeldet ihres getanen 
erbietens) [bewilligen und eingeen], sie das corpus doctrinae 
bewilligen wollten, zu handlen wol wißen. 

Solchs E. F. G. auf derselben gnedigs synn und begeren 
gehorsamlich anzuzeigen haben wir aus schuldiger pflicht 
nicht unterlassen sollen, denselben uns hiemit zu gnaden 
unfertenig bevelend. 

E. F. G. 


vntertenige gehorsame caplon 
Georg Karg 
Conrad Limmer 
Johann Unfug. 


Catalogus der schriften, so in corpore doctrinae und 
norma judicii begriffen und darzu vermeint sind: 

I. die drei alte symbola, 

II. Lutheri kleiner und großer Catechismus, 

III. die Augspürgische ConfeBion und sonderlich auch neben 
den letzern die erste edition lateinisch und deutsch, 
so zu Naumburg anno 61 von churfursten und fursten 
ratificirt und unterschriben worden, | 

IV. Apologia der Augspurgischen Confeßion, ` 

V. Schmalkaldischen Artikel, 

VL Repetitio der Augspurgischen confefion, so zu Trient 
auf dem concilio vom Churfursten zu Sachsen uber- 
geben worden, 

VII. Loci communes Theologici Phil. Mel., 

VIII. Examen theologicum Phil. Mel., 

IX, Definitiones Appellationum Phil. Mel., 

X. Responsiones Phil. Mel, ad impios bavaricos Articulos, 

XL Responsio Phil. Mel. de Controversia Stancari. 


Orig. Ansbacher Religionsakta 84, 250ff, Original v. Kargs Hand. 
Copie 254. 


6. Verhandlung zu Nürnberg am 3. Juli 1572. 


Actum 3. Julii 1572. 


die herren Prädikannten haben sich ferner uf volgende maß 
resolviert: Und hat nemlich Magister Mauritius fur sich 
volgende antwort geben, die gleichwol Magister Schel- 
hamer und Magister Durnhover, so auch zugegen ge- 
wesen, ratificiri und die nit zu verbeßern gewußt. Darauf 
erstlich nach kurzer widerholung, was jungst mit inen gehandelt, 
angezeigt, daß er erstlich das für sich nemen woll, so sie 


115 


selbsten belang, und nemlich, das ers dabey beruhen laß, so 
jungsten von im und seinen mitcollegis uf das marggrevisch 
bedenken und catalogum der schriften furgebracht worden, 
in maßen dasselb bona fide aufgeschriben und inen wider 
furgelesen worden, one dasselb widerumb weitleuftig zuerholen, 
dann sie ihnen nochmaln solche schriften und bücher in an- 
gezognem catalogo hegriffen, zum besten gefallen ließen. Was 
aber jungsten von andern mitteln und stücken zur concordia 
gehörig von inen geredet und jetzt in dem auszug, der inen 
gegeben, wer umgangen worden, das were allein in eventum, 
da die concordia volgen würde und jetzt zu der haubtsach 
nit gehorte, gemaint, doch uf aines erb. rats verbessern. 

Das dann damaln der Schmalkaldischen artikel halben 
ein merere aufferung geschehen, das dieselben von inen fur 
gut gehalten worden ja noch also gehalten werden, allein 
das dieselben irrtumb, die Illiricus daraus gespunnen, nit 
naéh denselben sollten verstanden werden, sondern wie das 
corpus doctrinae ausweise, darinn alles clerer und deutlicher 
gesetzt worden, das wußte er nochmaln nit zu verbessern 
und dis soviel sie berurte. 

Dieweil aber der kaufmenner antwort also gestalt, 
sovil er aus der kurzen verzeichnus befinden konnen, das sie 
fast kein buch in dem corpore doctrinae begriffen, one cautel 
und exception gefallen lassen, weil dann solchs die normam 
doctrinae anbelang und die sach nach notturft erwogen werd, 
wolt er gebeten haben, nit misfallens zu tragen, da er etwas 
lenger davon reden wurde. 

Und erstlich der ausgspurgischen confeßion halben, 
legten sich die bede kauf menner darauf, das sie damit 
spielten, wie Illyricus, als ob zwo confeßiones weren 
ein alte und ein neue, damit man die letztere edition in 
einem zweivel ziehen mocht, da doch nit mehr als ain con- 
feDion vorhanden were. Aber damit geben sie gnugsam zu 
verstehen, das sie dieselben nit fur recht erkenneten. Und 
mufte volgen, wann solchs ir furgeben grund het, das man 
nun 42 ganze jar ber kain rechte confeDionem gehabt het, 
und das man die erst von den adversariis begern müßt. 
Wann nun solchs gleich bei inen den adversariis solte fur- 
gebracht oder das erst exemplar erhalten werden, so konte 
er dannoch nit sehen, was fur nutz der kirchen daraus ent- 
steen sollt. Dann obwol nit on, daß die confeßion, die zu 
Augsburg kaiser Carl ubergeben und von dem herrn Phi- 
lippo seligen nach gehabter collation mit den gelerten et- 
licher churfürsten und stete geschriben nit also in truck 
ausgangen, darzu dann die Sophistien und calumniae adver- 
sariorum ursach geben, wie dann dieselben von etlichen in 


116 


publico consessu aufgezeichnet worden, also das der herr 
Philippus die emendirt, damit den adversariis die calumniae 
abgeschnitten, darnach aus bevel Lutheri wider unter die 
hand genummen auch von Luthero selbst wider wer corri- 
girt worden, so wer doch dieselb confessio hernach fur und 
fur in allen colloquiis furgelegt worden. und zu deren er 
sich bekennete und dabei zu bleiben gedechte, also das er 
nicht mehr dann diese confeßion, inmaßen die in corpore 
doctrinae begriffen, wüßte. 

Daß dann gedachte Herrn Kaufmenner zu den 
buecher mit Numeris 6.8. 9. 10. 11 signiert sich auch nit be- 
kennen wolten, unter denen auch das erste wer die repe- 
titio der confeDion, wie die von dem churfursten zu Sachsen 
in dem concilio zu Trient ubergeben, das befremd in nit 
wenig, daß diese bucher nit auch ein locum bei inen haben, 
sondern gleich gar unter die bank geschoben werden wollen, 
welchs er sag, nit als ob er mit adversariis disputirte, sonder 
dieweil es dahin gemainet, das frid und einigkeit zwischen 
inen möcht angerieht werden. Nun sey es je mit dieser 
confeßion also geschaffen, das. sie von vilen gelerten leuten 
zusammen gebracht, dámit man nach vilen disputationibus, 
die derselben zeit vorgangen, wißen möcht, wie in unsern 
kirchen gelehret wurd, zu welchem scripto sich auch fürsten, 
Grafen und Stet bekennt als Markgraf Hans hochloblicher 
gedechtnus zu Custrin, Marggraf Jorg Friedrich, Hertzog 
Philip za Pommern. die Graven Mansfeld und Stolberg und 
die Stat Straßburg, die auch bisher bestendig dabei gebliben 
und ir subscription gehalten haben. Aber Wigandus unan- 
gesehen, daß er dieselb zum andernmal unterschrieben, 80 
hab ers doch durchstochen, revocirt und verworfen, wie er 
auch fast der erst gewesen, der spotischer weis das corpus 
doctrinae das corpus Misnicum (wie auch die Herrn Kauf- 
menner) genennt, warumb aber, das sei menniglich bewußt, so 
doch dits corpus ein corpus doctrinae und consensus ecelesiarum 
Saxonicarum und nit Misnicarum gewesen und viel stend in 
Sachsen sich vor und ehe darzu bekennt, dann die in 
Meichsen. Es habe aber gleichwol auch Philippus seliger 
geclagt, daß solch scriptum ringschätzig gehalten wurde. 

Also nem in auch wunder, daß das gestellte examen 
Philippi vernicht werden soll, gleich als wer es nit ein solch 

scriptum, da sich die kirch und deren ministri daraus beßern 
sollten. Nun wer solch examen gestellt uf begeren und vil- 
feltig ansuchen hertzog Hans Albrechts zu Mechelburg, es 
wer auch von den seinen nit allein approbiert, sondern auch 
in sein kirchenordnung gebracht, und solch examen wer 
auch von dem Herrn Philippo selbst zu Wittenberg publice 


117 


gelesen worden und konte je nit wißen, worinnen solch 
examen zu sírafen, da jemand sine calumniis judici 
wöll. Es weren dann die definitiones de libero arbitrio, de 
justificatione, de definitione evangelii und andere mer, die 
von Illirico seien angefochten worden, ursach daran. Aber 
so wenig man im die aus den handen nemen soll, sovil 
weniger werd man im die aus dem herzen reifen. Dann 
auch die examina bisher und bei lebzeiten M. Pesoldi 
seligen und anderer, die damaln in ministerio hie gewesen, 
nach diesem methodo gehalten worden. Und er selbst hab 
in disen sibenzehn jaren nit vil unter dreyhundert examinen 
gehalten, die aber alle auf diesen methodum gericht gewesen 
sonderlieh in der durch meine herrn uf dem land gehabter 
visitation. Dann nachdem in der instruktion zubedenken 
furgefallen, nach was methodo solche visitation gericht werden 
sollt, und aber obgedacht des Herrn Philippi examen fur- 
geschlagen worden, habs ein erbar rat im wolgefallen laßen. 
Und auch vor 5 jaren, als die schul zu Wittenberg des 
sterbens halben dissipir und meine herrn im spital ire 
stipendiaten unterhalten und von inen den praedicanten das 
erbieten geschehen, damit dieselben nit feyrend umgingen, 
inen auch zu lesen, wer ime das examen zu profitirn auf- 
erlegt worden, wie ers inen dann gelesen. Darumb sovil 
desto beschwerlicher zuvernemen, daß solch examen erst in 
dubium soll gebracht werden, als daß man schier nit wißen 
sollt, was man gelernt het und wurden darzu vil leut ver- 
kurzt werden, die man darauf gewiesen hat. 

Belangend die definitiones appellationum Philippi halt 
er, daß es so ein gute tröstliche arbeit, dergleichen nit 
leichtlich aine zu finden, dann man sunsten wol wiß, was 
für ursache auch die geringste definition mach, wie dann 
ein gemeine regel: omnem definitionem esse periculosam 
und wurde wol vilen gelerten leuten schwer gefallen sein, 
wenn sie ererst solche definitiones, die im vermelten buch- 
lein definitionum allberait begriffen, hetten verfaßen sollen. 
Dann obwol auch Illirteus etliche definitiones gemacht, all- 
dieweil nun dieselben des herrn Philippi gemeD, da seyen 
sie gut, da er aber wie Heshusius abspring, da seyen sye 
nichts wert und werd nur allein veritas dadurch depravirt. 

Warumb aber die. bede responsiones ad Bavaricos Arti- 
eulos et de controversia Stancari nit wolten fur gut gehalten 
werden, da konnt er nit wißen, was fur ein mangel daran 
wer, so doch vil gelerter leut ein gut gefallens daran haben, 
ja die Kaufmenner selbst etlichs ires intents aus den respon- 
sionibus zu den bayrischen articuln in vergangnen dispu- 
tationen mit inen probirt und bewiesen, wie solchs im pro- 


118 


tocoll zu befinden. Derhalben laß er baide buchlein noch 
in eorpore doctrinae bleiben bis er ains beßern unterricht 
werde. 

Nun kome er uf die locos communes des Herrn 
Philippi. d& wollen die Herrn Kaufmenner annemen, die 
zgr Zeit Lutheri weren ausgangen und publiciert worden, 
daraus sei genugsam zu versteen, daß sie das, so von dem 
Flacio aus diesen locis communibus gezogen und sie publice 
in der kirchen ausgestreut, ratificirten und nemlich suchten 
sie herfur das gar alt exemplar (von dem auch Herr Jorg 
Pfeifer sagt, daß er dasselb da er noch im closter gewesen 
bekomen, welches im ursach geben hab, dasselb zu ver- 
laBen) oder aber wollten je die nit haben, die in corpore 
doctrinae begriffen, aus welchen locis communibus dann wie 
auch aus andern mebr Wigandus und seine mitverwandten 
allerlei zusammengeraspelt und per calumniam et sophishcen 
in dem aldenburgischen colloquio angezeigt, warumb sie inen 
nit gefallen; er achte aber genzlich dafur, das niemand das 
umstoßen werd, so bono consilio uber die ersten edition 
hinein gebracht worden. Nicolaus Gallus zu Regensburg 
und andere mehr Flacianische hetten gern die locos com- 
munes gar aus den kirchen und schulen gebracht, da doch 
Flacius selbs gesagt und geschrieben: ego tam nollem perire 
locos communes quam me ipsum. So sey wißentlich, daß 
Heshusius angezogne locos communes Philippi und eben die 
posteriorem editionem selbst zu Wittenberg profitiert, die 
die dann herr Schelhammer und andere auch vom im gehört 
und je die Kaufmenner derwegen nit Ursach haben, das buch 
zuverwerfen, wie er dann nit. hoff, daB dits so Flacius darin 
gestritten, mit gutem grund von ibm werd erhalten werden 
konnen. 

Dem allem nach und zu beschluß seyen von den kauf- 
mennern nit sblche ursachen angezogen, warumb er von 
den buchern, die in corpore doctrinae begriffen weichen 
sollte, sondern gedenk, wie auch vor und obengemelt dabei 
zuverharren, 

Das nun ferner oftgedachte herrn Kaufmenner anzaigten, 
warum sie dem corporidoctrinae nit subscribirten, das die ursach 
sei: nemlich daß, mein gnediger herr marggraf Jorg Friederich 
daBelb seinen theologen noch nicht aufgelegt, achte er genz- 
lich dafur, wann es die kaufmenner recht bedenken wolten, 
wurden sie je dis nit furwenden, dan eben in dem, das ir 
f. gn. die bücher in mehrgedachtem corpore benennt eben 
fur die normam und richtschnur der doctrin zur concordien 
halten, ercleren sich ir f. g. dardurch, daß sie in irer f. gn. 
landen kain andere doctrin laiden, die diesem corpori za- 


119 


wider wer, noch auch, das sie gedulden wurden, da ein 
andere lehr jn derselben kirchen wurd geschoben werden, 
sondern allein das affirmirn, so in oft gedachtem corpore 
begriffen sey. Nem in derhalben nit wenig wunder, daB die 
kaufmenner solches fur sie ziehen, da es doch wider 
sie; inmaßen auch mehrgedacht marggravisch bedenken solchs 
gnugsam ausweis, dieweil die confutatio irer mhynung eins- 
teils aus dem corpore doctrinae refutiert worden. Daß aber 
Herr Johann Kaufmann das mittel furschlegt, wann etwan 
die protestirende stende sich dieses corporis halben verglichen, 
das wer ein sehr schlupferige und unrichtige antwort. Dann 
wo solchs geschehen sollt, wurd man hierdurch zuversteen 
geben wollen, das man bisher in der lehr zweifenlich ge- 
wesen wer und das alsdann erst das corpus die norma sein 
mußt. Welches aber keineswegs zu hoffen, daß es dahin 
gelangen werd, es wollte dann der allmechtig Gott ains- 
mals sein sondere gnad geben, daß ein solche zusammenkunft 
mocht gehalten werden, damit so vielen schweren und erger- 
lichen disputationen, die sich teglichs erregen, der weg ver- 
laufen wurde, welchs aber Flacius und die seinen, die kain 
fried leiden mögen nit gern sehen wurden, dann wo man 
einmal zu aim solchen fried und ainigkeit, die auch wol zu 
wunschen weren, kommen solt, wurd es mit inen aus sein 
und wurd erst erscheinen, was bisher von ihnen wer gesucht 
vorden. Sein und seiner mitkollegen halber sollt es one 
schen sein, dann in dem allen, was sie bisher gelehret und 
gehandlet, möchten sie nit allein die judicia verstendiger 
gelerter leut, sondern auch virorum politicorum leiden. 
Daß dann im end von gedachten beden herrn die marg- 
gravische und hieige kirchenordnung auch angezogen werden, 
daß sie sich darzu bekenten, sagte er mit austruklichen 
worten, daß vermelte kirchenordnung hie nit strittig worden, 
balt auch noch nit, daß jemand hie darwider streite. Wann 
aber die beede herrn den locum de evangelio in solcher 
kirchenordnung recht ansehen wollten, wtirden sie befinden, 
daß des Osiandri lehr de justificatione sehr darinn bestetigt 
wer und sein anhang, mit denen man vil zu tun gehabt, 
iren irrtum aus demselben bewisen, auch er Osiander selbst 
das er demselben gemeß in die dreißig jar also hie gelehrt hat, 
furgeben, der im aber statlich abgeleint worden. Er Mauritius 
nem auch denselben nicht nach des Osiandri misverstand an, 
sondern wie derselb artikel bisher in unsern kirchen christ- 
lich gelehrt und verstanden sey worden. Vnd da auch sie 
die kaufmenner ihre lehr de libero arbitrio vermeinten daraus 
zu erweisen und des Flacii lehr zubestetigen, so feleten sie 
weit, dann er konnt es dergestalt nit finden, dieweil darin 


130 


sehr kurz abgebrochen und ob man propositionem Majoris, bona 
opera neceBaria esse ad salutem disputirn, da wer nit on, daß 
dieselb proposition schier viel sterker in der kirchenordnung be- 
griffen wer in dem artikel de calamitatibus et crucé als eben 
Major sie selbst gehandelt und getriben, welche propositiones 
sie aber keineswegs in der kirchen gebrauchen. Nit melde 
er solchs darumb, daB er die kirchenordnung verwerf, dann 
er im die zum besten gefallen laB, sondern das die lehr, die 
darinn begriffen, commode verstanden werd, wie er sie dann 
selbs also verstee. In -irer einfalt wolten sie aber dafür 
achten, dem stritt, der zwischen ihnen den bederseits pre- 
dicanten wer, wurde leichtlich geholfen sein, da ir gegenteil 
sich des Flacii lehr nit teilhaftig machte. 

Als nun wie obgemelt Herr Schelhammer und Durnhover 
an dieser des herrn Mauritii antwort zufriden und allain 
herr Schellhaimer das darzu tete, das er sich ore, corde et 
doctrina von den Flacianern sonderte und die antwort an 
Herr Christof Kanfmann, predigern im spital, war, meldet 
und citirte er anfenglich aus den epistolis Pauli etliche 
locos, wie hoch uns der Fried und ainigkeit empfohlen und 
wie Gott allein ein Gott des friedens wer. Solchem frid 
wer er fur sein gering ainfeltige person nachzukomen ge- 
naigt, sovil on verletzung der ehren Gottes, seiner Seel, des 
gehorsam gegen der oberkeit und seiner scheflein, die im 
zu weiden bevolen, gescheen konte. Weil aber allerley 
ergerlicher sachen (scherfer wollt ers nit melden) einfielen, 
were dardurch zu spuren und abzunemen, daß aus allerlei 
verborgenen ursachen schwerlich ein gerader aufrichtiger 
frid zwischen inen kont aufgericht werden. Dann M. Schel- 
hamer sein freund und collega hab im montags vergangen 
gleich mit eim mitleiden angezeigt, das ime etliche predigten 
seyen ubel ausgelegt worden, erstlich von der erbsunde und 
furs andere wider den Herrn Fabricium der kindlein halben, 
die ohne tauf absterben, die er samstags vor Trinitatis und 
er kaufmann sontags Trinitatis darauf getan haben soll. 
Nun bezeug er vor Gott und meinen herrn, daD er desselben 
ganzen tags nit ain jota oder silben von des Fabricii predigt 
gehürt, vil weniger deswegen und darauf gepredigt, sonder 
wie es das Sontags evangelium und text selbst an im geben, 
darumb auch den diaconis, die es angebracht, nit von stund 
an zu glauben, die den nechsten von der gronen es daher 
lüffen, on verstand handelten und ains in andere mengeten. 
Dieweil dann er und sein bruder zu friden genaigt, so pro- 
testirten sie himit stark, das es an inen nit mangel, und bisher 
lange geduld gehabt, es seien auch viler leut seufzen, wolten 
auch dest lieber sterben, damit fliese sach einsmals zu end kome. 


121 


Was dann nun den extract irer erclerung anbelang, 
las ers im namen des Herrn bei solicher voriger seiner er- 
klärung beruhen. Er hab sich wol alzeit zu den locis com- 
munibus Philippi bekent, wie auch noch, allain an der de- 
finition liberi arbitrii, die ererst nach dem interim zu Leipzig 
in dem herrn Philippo hineingebracht worden (was gestalt 
wiß er die historien wol) hab er mangel gehabt, doch die 
jeder zeit anders nit verstanden, dann wie die im marg- 
grevischen bedenken auch verleibt, des bedenkens er sich 
auch halten woll Er bitt aber man woll doch nit alle 
ding ime zugegen sondern candide versteen, dann die augs- 
purgischen confeßion hab er anders gestalt nig angefochten, 
dann der Sacramentarier halber, denn er bekenn sich sowol 
zu. der letzern als der erstern, das er aber uf die ersten 
trung, sey darumben, das darinn de coena domini begriffen: 
damnamus autem secus docentes, welchs in der letzern 
edition nit stee und derhalben die sacramentarier diese 
letztere edition als die inen in diesem artikel nit zuwider 
auch wol leiden mogen. 

Daß man aber achten wolt, als wollte er sein lehr 
regulirn nach den articulis Schmalcardieis (sic) in dem ver- 
stand, wie Illiricus, sag er nit, daß der mensch satans bild 
sei, item quod peccatum sit substantia, hab auch nit also 
gelehret noch es also gebrauchet, es hab ime dergleichen 
lehr nie gefallen, wie ers dann in diesem und dergleichen 
fur ein irrige dunkle lehr halte. 

Die propositionem Majoris brauch er nit; er hab sie 
ainsmals zu Wittenberg, da er gepredigt hab, angeregt, aber 
Herr Doctor Pomeranus selig hab darnach selbst geredet, es 
wer ein Ambiguitas darinn, die wollen wir, sagt er, nit 
leiden. Woll derhalben seine collegas freuntlich gebeten 
haben, da man an seinen predigten und lehr mangel hat, 
das man im dasselb sagen oder schriftlich anzaigen, wollt 
er darumb antworten und fuß halten. 

Und laß sich diese sach ausehen, als seien sie von- 
einander und doch nit von einander. Dann ob er wol diese 
numerierte bucher ytzt darumb an ir ort gesetzt, seye es 
doch nit darumb, das er die verwerf, sondern allain darumb, 
daß die bei neulichen jaren congerirt worden. Warumb aber 
die den ministris ytzt alhie sollten aufgelegt werden, kont 
er nit sehen, quo modo vel fine. Es seyen doch auch die 
kirchenpostill und Postill Lutheri vorhanden, die bede gut, 
und wurden doch niemanden aufgelegt. volgte darumb nit, 
weren auch kainswegs zuverwerfen, ob sie gleich nit in 
diesem catalogo stunden. Man sag auch, daß der Witten- 
bergische Catechismus aus diesem corpore doctrinae ge- 


Archiv für Reformationsgeschicbte. XX. 3,4. 9 


122 


nommen sei, das laß er seinen wert haben, wie es auch die 
Wittenberger nit verantworten, das er nit sollt aus dem 
eorpore genommen sein; aber das wiD er, daß sehr vil 
ehristlicher leut darwider sein. 

Und wiewol solch corpus doctrinae von inen das corpus 
doctrinae Misnicum genennet worden, so wolle er doch ge- 
beten haben, das nit in ungutem zuversteen, dann solchs 
ad differentiam Corporis doctrinae Thuringici vel Jhenensis 
(wie Herr Schelhamer darunter meldet) geschehen wer. 

Darumben aber jungst obgedachte numerirte bucher 
nit angenomen, were nochmaln deshalben, das ein erbarer 
rat je und allwegen mit dem genachbarten fursten dem 
marggraven in ainer confeßion blieben. Da man nun nach- 
fragen werd, wer sich lauter befinden, daß ir f. g. deren 
Ministris das corpus doctrinae bisher nie aufgetrungen, da- 
rumb sag er nochmaln gleichwol niemanden zu veracht, 
wann bederseits theologi ire sententias decisivas und sub- 
scriptiones uber dem corpore doctrinae conferirn und willigen 
würden, wie uber der kirehenordnung geschehen, woll ers 
im auch wolgefallen lagen; damit er aber nichts neues in 
dieser kirchen einfuret, sein seel selbs nit beschweret noch 
seine zuhörer ergerte, achte er in seiner ainfalt solches 
statliche gute motiven dieser jetzigen weigerung sein. 

Die kirchenordnung laß er im nochmaln wolgefallen, 
wiß auch, wie statlich der Osiandrismus daraus refutirt worden, 
darumb laß ers im lieb sein. 

Was maßen aber der Majorismus daraus jetzt angezogen 
worden unter dem articl vom Creuz und leiden, das hab 
seinen weg, er begere niemand zu geverden, Welchs er 
alsc dismal als ein arme schwache und kranke person für 
sich wolle vermeldet haben. 

So sagte Herr Johann Kaufmann, er hab die 
schriften, so im und dem bruder vor zwayen tagen gegeben 
verlesen und derselben in aller Gotsforcht nachgedacht. 

Was nun den gatalogum der schriften anbelang, bekenn 
er sich zu diesen schriften, so im marggraftum von den 
ministris ecclesiae angenomen und approbirt seien, dann er 
aus nachst furgebrachten ursachen nichts neues in diese 
kirchen einzufüren bedacht, mit bitt, in dabei bleiben zu 
laBen. Welchs er aber nit der maynung sag, das corpus 
doctrinae zu verwerfen, dann er dasselbig fleißig lese sonder- 
lich jetzt in seinem exilio und laß ims ein werdes buch sein. 

So tue er sich auch weder des Flacii noch des Heshusii 
annemen, sonder sehe allein dabin, damit Gottes wort rain 
und lauter gepredigt werde, Hab Flacius oder ander vil au- 
gefangen, sollen dieselben sehen, wie sies hinausfüren. Mit 


123 


bitt, seine Herrn Collegae wollten im doch anzeigen, worinn 
sy in seiner lehr mangel hetten. Und repetirte darauf locum 
de libero arbitrio in maßen er den jungst in seiner antwort 
angezogen; aber die andere herrn praedicanten fielen im 
in die red und repetirten die marggrevischen erelerung, das 
des Herrn Philippi definition vom freien willen zuversteen 
sey, von des menschen willen in conversione in der be- 
kerung, welchem auch herr Christof Kaufmann beistimte. 

Als aber hieraus mehr ain disputatio dann ein erelerung 
volgen wollt, haben die herren verordneten begert, sich rund 
zu ereleren und die disputation als die dismals zu ler pro- 
position und haubtfrag nit dienlieh faren zu laßen. 

Hat er hierauf kurz angezeigt, das ers bei yetzigen 
seines bruders und nechstgegebener sein selbsten antwort 
bleiben laB. 

Ausb. Religionsakten Tom. 34, 974ff. 


7. Unterschrift der Nürnberger Theologen. März 1573. 


In dem namen der heyligen unzertailbaren drifaltigkait 
Gottes des Vatters, des Sohns und des hejligen Gaistes. 
Amen. 

Zu Wissen und kund getan sey aller menniglich, dem- 
nach der feind meuschliehs geschlecht allerlay zwitracht in 
der lehr teglich erreget und des ergerliehen, schedlichen 
gezenks schier weder mass noch ende ist, damit nun die 
kirchendiener in aines ernvesten fursichtigen erbarn und 
waysen rats der stat Nurnberg unserer gunstigen herrn 
obrigkeit und gebiet, sich und die kirchen, so inen zu 
weiden bevolen fur denselben bewaren und bey rainem ge- 
sunden verstand gotliehs worts, wie das in der kirchen 
dieser orf von der zeit erster reformation bishieher geleret 
und gefuret worden ainhelliglich und auch in guter be- 
stendigen christlichen ainigkeit verharren mögen, so er- 
kennen und halten gedachte kirehendierer nach den pro- 
phetischen und apostolischen schriften hernach gezaichnete 
bucher fur die normam doctrinae et judicii, nach der sie 
sich in lebren und predigen richten sollen und wollen nemlieh 

1) die drey alten symbola, das apostolisch, Nicenisch 
und Athanasii. 

2) Herrn D. Martini Lutheri klainen und großen cate- 
chismum. 

3) Die Augspurgische Confession und sonderlich auch 
neben der letzten die erste edition lateinisch und 
deutsch, so zur Naumburg ao 1561 von Chur- und 
Fursten ratificiert und unterschriben worden. 

9% 


124 


4) Die Apologiam der Augspurgischen Confession. 

5) die Schmalkaldischen artikel. 

6) die repetition der Augspurgischen Confeßion, so dem 
concilio zu Trient vom churfursten zu Sachsen uber- 
geben worden. 

7) die locos communes theologicos Philippi Melanchthonis. 

8) das examen Theologicum Philippi Melanchthonis. 

9) die definitiones Appellationum Phil. Melanchthonis. 

10) die responsiones Philippi Melanchthonis ad impios 
articulos Bavaricos. - 

11) die Responsion Philippi Melanchthonis de contro- 
versia Stancari. 

12) die Nurmbergische kirchenordnung. 

Es solle doch durch dits corpus oder normam doctrinae 
andere gute nutzliche bucher nicht verschlagen, vernichtiget, 
verworfen und verdamt sein, sondern dieser normae oder 
corpori doctrinae und zuforderst heyliger schrift gemäß ver- 
standen und darnach geurtailt werden. des zu waren urkundt 
haben uf ernermelts ains rats gesinnen und begeren alle 
irer erberkeiten herrn superintendenten, prediger, pfarrherr 
und diaconi in der stat Nurmberg desgleichen irer obrigkeit 
und gebiets ain jeder insonderhait sich mit aignenhanden 
unterschriben. Actum im Monat Martio Anno 1573, 

Ego M. Mauritius Helingus ecclesiae filii dei in templo 
Sebaldino minister sic sentio, credo et doceo, sicut in his 
Scriptis normae judicii doctrina prophetarum, Apostolorum 
et nostrorum praeceptorum fideliter recitatur et explicata 
est. et hane meam sententiam propriae manus subscriptione 
confirmo. huic doctrinae vero contrarias opiniones improbo 
et damno. 

Ego Joannes Schelhamer minister verbi Christi in 
templo Laurentiano affirmo et sentio me toto pectore am- 
plecti normam doctrinae in his libris comprehensam et fateor 
haec scripta congruere cum sacris bibliis et damno contraria 
sentientes. 

Ego M. Laurentius Durnhofer verbi dei in templo Egi- 
diano minister hos libros singulos et universos uno volumine 
comprehensos et normae doctrinae post scripta Prophetica 
et Apostolica, quod cum his congruere judicati sint, in ecclesia 
duleissimae patriae meae destinatos pio consensu impro- 
batis ac damnatis omnibus contrariis et pugnantibus opinioni- 
bus libenter amplector idque propriae manus subscriptione 
professus attestor; sic docui, sic nune doceo, sic deinde 
docebo. 

Ego Christophorus Kaufmann minister evangelii Christi 
in republica Nornbergensi subscribo huic normae doctrinae 


125 


et judicii sacrae scripturae consencienti pura et simplici 
mente et secus docentes improbo. 

M. Johannes Kaufman ecclesiastes Noribergensis testatur 
hoe autographo propositam normam doctrinae et judicii 
scriptis prophetarum et Apostolorum esse conformem et con- 
- sentaneam et contraria dogmata rejecit. 12. Mar. 

Ego M. Nicolaus Herolt verbi dei concionator in ecclesia 
Noribergensi huic normae doctrinae congruenti cum scriptis 
Cid spl d et Apostolicis ac symbolis ao pie et erudite ea 

propria manu subscribo ae simul profiteor me 

tolo pectore et anime_abhorrere ab istis, qui ab hac doc- 

trinae regula discedunt et aliter docent. 

Georgius Sigel oeconomus Sebaldinus manu propria sese 
subscripsit 

Leonartus Pfaler Sebaldinae ecclesiae diaconus propria 
manu subscripsit 

Leonardus Krieg ecclesiae, quae est apud D. Sebaldum, manu 
propria subseripsid 

Sixtus Hammon ecclesiae Sebaldinae minister propria manu 


 gubsoribo 
Henricus Schmidel minister ecolesiae Sebaldinae manu propria 
subscripsit 


Johannes Ernestus minister ecclesiae Sebaldinae manu pro- 
pria subscripsit 

Eucharius Buel Winshemius manu propria subscripsit 

Simon Spatz ecclesiae Laurentianae oeconomus propria manu 
subscripsit 

Georgius Lerchenfelder subscripsit 

Joannes Coriarius Laurentianae ecclesiae minister manu 
propria subscripsit 

Adam Sengeisen ecclesiae Laurentianae minister subscripsit 
propria manu 

Ego Nicolaus Silberhorn hae mea manu testor me amplecti 
doctrinam in his libris comprehensam 

Johannes Holfelder minister ecclesiae Laurentianae manu 
propria subscripsit 

M. Johannes Molitor ecclesiae Laurentianae minister manu 
propria subscripsit 

Sebaldus Parreuter minister ecclesiae Laurentianae se 
subscribebat 

Guolfgangus Stainberger manu propria subscripsit 

Gregorius Forwerk senior Aegidianus sanis christi verbis acce- 
dens Vitebergae anno 42 semel pro semper ut tuno 
subscripsi, ita nunc eaudem repeto manu propria 
huncce orthodoxum consensum approbans 

Joannes Bey diaconus Egidianas manu propria subscribo 


126 


Ego Christophorus Coepel diaconus Aegidianus et concio- 
nator apud D. Petrum manu propria subscribo 

Michael Rauenpusch minister ecclesiae Egidianae propria 
manu subscripsit 

Paulus Pfister m. p. subscripsit 

Georgius Demminger m. p. subscripsit 

Et ego Petrus Faber D. Mariae diaconus hoe proprio meo 
ehyrographo obtestor, hanc normam judicii esse 
consentaneam saerae scripturae 

Johannes Bach m. p. subscripsit 

Ego Georgius Seharrerus hoc tempore pastor apud v. Jo- 
hannem hae mea propriae manus subscriptione ob- 
testor me amplecti amare ef docere eam doctrinam, 
quae in his libris Lutheri et Philippi est comprehensa 

Georgius Pfeiffer mand propria et corde subscripsi. ` 

Marcus Eller verbi Jesu Christi minister manu propria 
subscripsit 

Michael Schmidt subscripsit propria sua manu diaconus im 
neuen spital 

Johannes Bernhart manu propria subscripsit 

Bartholomaeus Agricola eclesiae Xenodochianae minister 
propria subscripsit manu 

M. Joannes Schnerrerus manu propria subscripsit 

M. Caspar Cólerus Meiningensis manu propria subsoripsit 

M. Johannes Probst Noribergensis manu propria subscripsit 

Ego Christophorus Zecher pastor ecclesiae Christi in Wenr 
manu propria subscripsi i: 

Ego Joachimus Windhesel Diaconus in suburbio Wehr manu 
propria subscripsi 

Georgius Rupertus minister verbi dei apud divum Leonhardum 
manu propria subscripsit ` 

Diaconi apud divam Jacobum: Dominicus Episcopus Norieus 
manu propria subscripsi 

Casparus Renner propria manu subscripsit 

Johannes Scheurmann propria manu yubeeripat 

A. R. A. 84, 844 fl. 


Der Bekenntnisstand 
der Reichsstadt Frankfurt a. M. im 
Zeitalter der Reformation. II. 


Von K. Bauer. 


2. Der Anteil Frankfurts 
an der Wittenberger Konkordie und den 
Schmalkaldischen Artikeln. 


Das Verbot der Messe im Dom war eine Ungesetzlich- 
keit gewesen, da der Rat über die Hauptkirche der Stadt 
kein Partronatsrecht hatte!) und wesentliche Bestimmungen 
der Goldenen Bulle dadurch verletzt wurden. Um daher 
einer schweren Geldbuße und der Reichsacht zu entgehen, 
nahm der Rat einen Vermittelungsvorschlag des Kurfürsten 
Ludwig V. von der Pfalz?) an und ließ neben dem evan- 
gelischen Dienste auch die Messe wieder im Dome zu, wie 
auch im Liebfrauen- und Leonhardsstift und einigen Klöstern. 
Er fand es aber geraten, nunmehr Anschluß bei dem Schmal- 
kaldischen Bunde zu suchen, der seit dem Nürnberger Reli- 
gionsfrieden einen steten Aufschwung nahm und sich eben 
damals am Weihnachtsabend 1535 um zehn Jahre ver- 
längerte®). Die Aufnahme in die „Christliche Einigung“ 
wurde der Stadt auch in Aussicht gestellt, falls sie sich auf- 
richtig auf die Augustana verpflichte. Auf einem Fürstentag 
in Frankfurt am 24. April 1536 *) wurde dann die Aufnahme 
auch Öffentlich bekanntgegeben, gleichzeitig mit derjenigen 
einiger anderen Stände, darunter Augsburg und Kempten. 
Sie schloß die Hinneigung zum oberdeutschen Typus keines- 


1) Vgl. den Brief Melanchthons an den Rat vom 5. November 
1585. Vgl. Enders X, 259. 

1) Kirchner, Geschichte der Stadt Frankfort a. M. II, 585—537. 

5) Sleidan, Ed. Le Courrayer I, 409, 

1) Ebenda S. 486. Lersner, 1. Bd. II, 4 Spalte 2 schreibt Sleidan 
aus, hat aber infolge eines Lese- oder Druckfehlers den 29. April. 
In Spalte 1 derselben Seite, wo er einen anderen Autor ausschreibt, 
list er Frankfurt bereits 1588 in den Bund aufgenommen sein. 


128 


wegs aus, da auch die Städte, welche die Tetrapolitana 
übergeben hatten, seit einigen Jahren bereits dem Bunde 
angehörten. Weil aber die Spannung zwischen Frankfurt 
und Wittenberg allbekannt war, gebot die Klugheit, sich an 
dem Einigungswerke zu beteiligen, welches gerade in jenen 
Tagen zwischen den oberdeutschen Städten und Kursachsen 
ins Werk gesetzt wurde. Am 2. April 1536 hatte Capito 
an Algesheimer geschrieben: Hactenus autem inter Vos ef 
Wittenbergenses species dissidii alitur | icoirco velim, mi 
Joannes, fuo nomine, sed publico pariter sumptu adesses 9. 
Diesem Rate gemäß ließ sich Algesheimer zu Luther ab- 
fertigen, da die Stadtväter, auch wenn sie nicht in dem- 
selben Maße wie die Oberländer dem Verdachte der Irrlehre 
im Abendmahle ausgesetzt waren, es doch nützlich fanden, 
sich ihre Rechtglüubigkeit ausdrücklich bestätigen zu lassen ). 
Um sich aber in keiner Weise zu binden, wurde dem Ver- 
treter der Stadt eingeschärft, daß er nicht als ein Actor 
dieser Handlung abgeordnet sei, sondern als ein Hörer und 
Spectator “). 

Die Wittenberger Konkordie, an deren Zustandekommen 
sich Frankfurt so. beteiligte, ist das Ergebnis der Bemthun- 
gen, die dahin zielten, die Möglichkeit einer Einigung 
zwischen Schweizern und Wittenbergern zu verwirklichen, 
die der Schluß der Marburger Artikel offen gelassen hatte *). 
Zwischen Luther und Zwingli war eine Verständigung in der 
Abendmahlslehre daran gescheitert, daß dieser mit aller Ein- 
seitigkeit den symbolischen Charakter der Feier betont, 
jener aber mit derselben Einseitigkeit das Interesse an der 
Realpräsenz Christi beim Abendmahl in den Vordergrund ge- 
stellt hatte. Die Grundlage zu einer Einigung gab dann 
1531 Luther in Verbindung mit Jonas und Melanchthon 
durch die Formel, „daß Christus wahrlich nicht allein bei 
der Seele sei, sondern auch bei dem Zeichen Brotes und 
Weines“, wobei die Frage, was die Gottlosen empfingen, aus- 
gesetzt blieb 5. Wenn dieser Formel auch Zwingli nicht bei- 
trat, so éigneten sie sich doch eine Reihe oberdeutscher Städte 
an, unter ihnen namentlich Straßburg, und seitdem ) waren 


) Ritter, S. 846, *) Ritter, S. 847. 

*) So die ausdrückliche Erklärung Algesheimers in Wines 
Bei Ritter S. 356, 

) Es hieß nur, daß man sich „dieser Zeit" über die Frage, ob der 
wahre Leib und Blut Christi leiblich im Brot und Wein sei, nicht 
habe vergleichen können. 

5 Köstlin-Kawerau, Martin Luther II, 258. 

*) Vgl. Köstlin-Kawerau II, 827 ft. 


129 


Butzer und Capito unermüdlich tätig, das Einigungswerk zu 
Ende zu führen. In der Tat kam man sich auch von beiden 
Seiten näher. Bereits Zwingli hatte in seinem Glaubens- 
. bekenntnis für Karl V. ein Jahr vor seinem Tode der my- 
stischen Betrachtung Einfluß‘ auf seine Abendmahlslehre ein- 
geräumt, indem er zwar die Meinung, quod Christi corpus 
per essentiam ef realiter, hoc est corpus ipsum naturale, in 
coena auf adsit aut ore dentibusque nostris mandetur, als 
Irrlehre und schriftwidrig ablehnte, aber doch eine durch 
den Glauben vermittelte Gegenwart des wahren Leibes 
Christi im Abendmahl bekannte: Credo in sacra eucharistiae, 
hoc est gratiarum actionis, coena verum Christi corpus adesse 
fidei contemplatione; hec est: eos, qui gratias agunt domino 
pro beneficio nobis in filio suo collato, agnoscere, illum in filio 
veram carnem adsumsisse, verum in illa passum esse, vere nostra 
peccata sanguine suo abluisse, et sic omnem rem per Christum 
gestam illis fidei contemplatione velut praesentem fieri!) 
Zwinglis Nachfolger Bullinger schrieb dann in einem Bekennt- 
nis Ende 1534 ganz im Sinne der Tetrapolitana: Christi 
Leib sei im Abendmahl wahrhaft gegenwürtig zur Speise 
für die gläubigen Seelen. Und die confessio Helvetica I. 
. stellte Anfang 1536 in ihrem 22. Artikel folgenden Satz?) 
auf: „Vom heylgen Nachtmal hallten wir also, das der Her 
jm helgen abendmal sin Lyb und Blut, das jst sich selbs, 
den sinen warlich anbütet und zu solcher frucht zu nießen 
gip& das er je mer und mer jn jnen, und sy jn jm lebennd, 
nit das der lyb und das Blut des heren mit brot und wyn 
natürlich vereinbaret oder rumlich darjn verschlossen 
werdend, oder das ein lipliche fleyschliche gegenwürtigkeit 
hie gesetzt werde, Sonnder das brot und wyn us der jnsatzung 
des Herren hoch bedtitende, heilige waarzeychenn syind, durch 
die von dem Herren selbs, durch den dienst der kilchen, 
die ware gemeinschafft des lyps unnd Bluts Christi den 
glöubigen fürgetragen und dargebotten werde, nit zu einer 
hynfelligen spys des buchs, Sonder zu einer spis und 
narung geystlichen und Ewigen lebens. Luther freilich, der 
von einer Kompromißformel ohne innere Einheit und Wahr- 
heit nichts hielt, stellte als Probe, ob man sich innerlich 
näher gekommen sei, ohne Erläuterung und Einschränkung 
den Satz auf, zu dem er Zustimmung verlangte: „daß wahr- 
haftig in und mit dem Brot der Leib Christi gegessen wird, 


1) Huldrici Zwinglii opera. Ed. Schuler-Schulthess, IV, 11. 

) E. F. Karl Müller, Die Bekenntnisschriften der ref? Kirche, 
8. 107. Der lateinische Text bei Niemeyer, Collectio confessionum in 
ecclesiis reformatis publicatarum I, 115, sqq. 


130 


also daß alles, was das Brot wirket und leidet, der Leib 
Christi wirke und leide, daß er ausgeteilt, gegessen und 
mit den Zähnen zerbissen werde.“ Aber Melanchthon 
näherte sich mehr und mehr den Butzerschen Anschauungen, 
seitdem er aus Oekolampads Dialogus gelernt hatte, daB die 
alte Kirche die Einsetzungsworte in geistigem Sinne ge- 
nommen habe. Als er von einer Besprechung mit Butzer 
aus Kassel Anfang 1535 nach Wittenberg zurückkehrte, ent- 
nahm Luther seinen Argumenten, daß er fast Zwinglischer 
Meinung sei, und die neue Ausgabe seiner Loci, die er 
eben damals veranstaltete, konnte ihn in dieser Auffassung 
nur bestärken. Schließlich kam alles darauf an, ob Luther 
von seinem Mißtrauen gegen die Sakramentierer abkam und 
auf den Gedanken eiuer Einigung einging. 

Die Verhandlungen sollten ursprünglich am Sonntag 
Kantate 1536 in Eisenach beginnen. Doch wurde Luther 
noch zuletzt durch Krankheit verhindert, dahin zu reisen. 
Selbst die Fahrt nach Grimma, wohin er die Abgeordneten 
dann bestellte, durfte er sich nicht zumuten, so daß die 
Zusammenkunft schließlich in Wittenberg stattfand, wo die 
Süddeutschen am 21. Mai eintrafen. Luther hatte bereite 
stark bezweifelt, ob die Beratungen tiberhaupt noch statt- 
finden würden. Aber die Straßburger waren entschlossen, 
der Einladung nötigenfalls ad extremum Saxoniae augulum zu 
folgen, und sie bedauerten, daß bei der kurzen Frist die 
Schweizer sich nur in ganz kleiner Zahl oder tiberhaupt 
nicht einfinden könnten!). Tatsächlich lehnten die Eid- 
genossen auf einem Konvent zu Aarau am 1. Mai die Teil- 
nahme ab und schickten statt dessen die Confessio Helvetica 1. 
ein in der „guten Hoffnung“, die Wittenberger würden sich 
mit ihr zufrieden geben. 

Am 10. Mai verließ Algesheimer Frankfurt. Mit ihm 
reisten Butzer und Capito aus Straßburg, Musculus und 
Lykosthenes aus Augsburg, Schuler aus Memmingen, Frecht 
aus Ulm, Otther aus Eßlingen, M. Alber und Schradin aus 
Reutlingen und Germann aus Fürfeld. In Eisenach und 
Gotha schlossen sich noch Menius und Myconius an, mit 
denen nun schon unterwegs die obschwebenden Fragen be- 
sprochen wurden. 

Luthers Mißtrauen hatte inzwischen neue Nahrung ge- 
zogen aus Zwinglis nachgelassener Expositio Fidei, die eben 
damals mit einem Vorwort von Bullinger erschienen war 
und neben dem Glauben an die Seligkeit frommer Heiden 


1) So Capito in seinem Briefe an Algesheimer vom 2. April 1556. 
Bei Ritter S. 846, 


131 


wie Herkules, Theseus, Sokrates, Aristides, Numa, Ca- 
millus u. a. auch die symbolische Abendmahlslehre vortrug. 
Auch ein Briefwechsel Zwinglis mit Oekolampad, den ein 
Basler Buchdrucker jetzt sehr zur Unzeit mit einem Briefe 
Butzers öhne dessen Vorwissen veranstaltete, verstimmte ihn 
sehr. Zudem schenkte er den Nachrichten Glauben, im 
Suden lasse man das Volk bei der Meinung, im Abendmahl 
sei nur Brot und Wein, oder rede doch nur von einer geist- 
lichen NieBung. Ueberdies hatte ihn sein Kurfürst noch 
besonders angewiesen, fest bei der Augustana und der 
Apologie zu bleiben!). Es bedurfte unter diesen Umständen 
des ganzen Geschickes Butzers, wenn die Einigung nicht 
noch in letzter Stunde scheitern sollte. 

Im Vordergrunde stand, wie nicht anders zu erwarten 
war, die Abendmahlslehre. Ueber sie gab Butzer folgende 
Erklärung ab: Sie hätten die wahre Gegenwart Christi im 
Abendmahl nie verneint, und wenn sie davon redeten, dab 
der Leib Christi dem Munde des Glaubens dargereicht und 
geistlich gegessen werde, so wollten sie damit nicht eine 
bloß erdichtete Gegenwart und Nießung setzen, sondern nur 
die Transsubstantiation ausschließen. Bei der Frage, ob auch 
die Gottlosen den Leib Christi empfingen, unterschied er 
zwei Arten von Gottlosen. Die einen halten des Herrn 
Wort und Einsetzung und glauben dem Sakrament, aber sie 
üben nicht?) den wahren, lebendigen Glauben, sie empfangen 
also das Sakrament unwtirdig und werden derhalben schuldig 
am Leib des Herrn; sie empfangen nicht allein Brot und 
Wein, sondern auch den wahren Leib und Blut des Herrn, 
wie sie denn auch glauben, daß ihnen derselbe mit dem 
Brot übergeben werde laut den Einsetzungsworten. Die 
anderen haben gar keinen Glauben; ihnen wird zwar nach 
der Einsetzung des Herrn, die ja an keines Menschen 
Glauben oder Unglauben steht, und nach dem Dienst der 
Kirche, der wahre Leib und das wahre Blut vorgetragen, 
aber sie empfangen nur Brot und Wein. 

Nach diesen Darlegungen fragte Luther jeden einzelnen 
noch, wie er zu der Abendmahlslehre und den Ausführungen 
Butzers stehe. Ehe die Reihe an Algesheimer kam, ließ 
sich dieser von Melanchthon bestätigen: „Wir wissen wol 
das yr zu Franckfort in der Handlung das Nachtmal be- 


1) Brief des Kurfürsten vom 14. Mai 1586. Bei Enders X, 333. 

*) Dieses „nicht“ fehlt in der Relation Algesheimers bei Ritter 
8.855. In den anderen Relationen ist es enthalten, wie es auch durch 
den Zusammenhang erfordert wird. Vgl. auch die Darstellung bei 
Köstlin-Kawerau II, 340. 


132 


treffend ohnschuldig seyd.“ Dann erklärte er: „Lieben Herrn 
und Vetter, wir Diener am Evangelio zu Franckfort glauben 
gentzlich, yr habt keinen Zweiffel an unserer Leer, den wir 
nie anders geleret, den das der ware Leib und das ware 
Blut Christi im Nachtmal sey.“ Im übrigen zog er sich 
darauf zurück, daß er gekommen sei nicht als ein Actor, 
sondern als Hörer und Spectator, wie sie sich allesamt mit 
einander verglichen, und berief sich auf das Zeugnis, welches 
ihm Melanchthon soeben über die Frankfurter Recht- 
gläubigkeit ausgestellt hatte. 

Luther und die Seinen waren mit den abgegebenen 
Erklärungen zufrieden, und Melanchthon erhielt den Auftrag, 
das Ergebnis zu formulieren. Er faßte es in drei Para- 
graphen!) zusammen, deren erster die Realpräsenz des Leibes 
und Blutes Christi im hl. Abendmahle feststellte, während 
der zweite unter Ablehnung der Transsubstantiation und der 
Ubiquitát?) eine sakramentale Vereinigung des Brotes mit 
dem Leibe Christi lehrte. Der dritte zog sich bei der Frage 
nach der Nießung der Gottlosen auf die paulinische Fassung 
zurück, daß auch die Unwtirdigen Leib und Blut Christi 
empfingen, aber zum Gericht. 

Was man mit diesen Festsetzungen erreicht hatte, war 
freilich trotz aller Bemühungen um eine innere Verständigung, 
im Grunde doch nur eine concordia discors. Der Gegensatz, 
der zwischen Butzer und Luther in der Frage nach dem 
Genusse der Gottlosen zutage getreten, aber als unerheblich 
zurückgestellt worden war, hatte seine tieferen Wurzeln in 
ganz verschiedenen Grundanschauungen. Für Butzer gab 
es eine Realpräsenz von Leib und Blut Christi nur in einem 
geistigen Sinne. Nach Luther dagegen sollte der „wahre“ 
Leib Christi „mit den Zähnen zerbissen" werden. „Wie das 
Wesen des Leibes Christi geistartig ist, so gibt es für Butzer 
kein anderes Aufnehmen desselben als mit dem Geiste, dem 
jener im Sakrament nahe gebracht wird; hierbei blieb er 
ja gerade auch dann, als er erklärte, in welchem Sinne 
man doch von einem Essen mit dem Mund reden könnte, 
und hierfür auf jenes Sehen des heiligen Geistes in der 
Taube sich berief. Damit ergab sich für ihn auch sein 
Zugeständnis, daß unwürdige Empfänger dennoch vermüge 
ihres Glaubens an die Einsetzung den Leib empfangen: sie 
setzen sich ja zu diesem doch noch in eine gewisse geistige_ 


1) Bei Ritter S. 286f. 

N... „auch nicht halten, daß der Leib und Blut Christi räumlich 
ins Brot eingeschlossen, oder sonst beharrlich damit vereiniget werde 
ausser der Niessung des Sacramenta", 


133 


Beziehung. Dem gegenüber bestand Luther zwar auf seiner 
eigenen Auffassung, wonach bei einer den Einsetzungsworten 
entsprechenden Kommunion auch ganz ungläubige Gäste — 
und zwar sie nur mit dem Munde — den wirklichen Leib 
des Herrn empfingen; er wünschte ohne Zweifel auch fort 
und fort dieselbe zum Gegenstand allgemeiner Ueberzeugung 
zu machen. Allein nicht minder bleibt für uns die Tat- 
sache bestehen, daB er den Anhängern jener Auffassung 
und Deutung, die ihm im Wittenberger Konvent klar genug 
vorlag und in der er nicht die volle Wahrheit sehen konnte, 
doch die brüderliche Gemeinschaft nicht versagt hat“ !). Das 
Entgegenkommen war also mehr bei ihm als bei Butzer, 
dem durch den Wunsch, auch die Schweizer zu gewinnen, 
zum voraus eine sehr bestimmte Grenze gezogen war. Es 
fragt sich, was Luther bestimmt hat, seine Bedenken zurtiok- 
zustellen. Auf dem Boden der Vermittelungstheologie des 
letzten Jahrhunderts?) wollte man den Grund darin finden, 
daß Luther unterschieden habe „zwischen Grundwahrheiten, 
zu denen eine echt christliche Kirche sich bekennen müsse, 
und zwischen solchen Momenten und Auffassungen der 
Wabrheit, mit Bezug auf welche ein abweichendes, nach 
seiner Ueberzeugung noch irrendes Verständnis zu dulden, 
eine Differenz innerhalb der einen evangelischen Kirche 
zuzulassen, ein durchweg scharfes Bekenntnis nicht aufzu- 
stellen sei“. Ein anderer Grund scheint doch näher zu 
liegen. Aus der Behauptung Luthers, daß der Leib Christi 
„gegessen und mit den Zähnen zerbissen werde“, hatten 
die nüchternen Eidgenossen die naheliegende Folgerung ge- 
zogen, daß er dann natürlich auch in den Magen gelange 
und „zu einer hynfelligen Spys des Buchs“ werde, und 
indem sie sich dagegen sträubten, war ihnen auch die Prä- 
misse Luthers unannehmbar. Butzer teilte das Bedenken 
der Schweizer, ihr Argument von der „Bauchspeis“ kehrt 
bei seinen späteren Verhandlungen über das Abendmahl 
wieder. Luther fühlte sich für seine Person durch diese 
Konsequenz seiner Lehre nicht gestört, er reflektierte nicht 
weiter über sie. Aber es konnte ihm nicht erwünscht sein, 
wenn um ihretwillen das Einigungswerk scheiterte. So war 
er es zufrieden, wenn auch die Oberdeutschen, obschon in 
einem anderen Sinne als er und ohne jene Folgerung, eine 
wirkliche Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abend- 
mahl lehrten“). Doch sind die Gegensätze, wie sie an dieser 


1) Köstlin-Kawerau II, 348. ) Köstlin-Kawerau a. a. O. 
N 9) Vgl. Hausrath, Luthers Leben II, 856: „Die Frage, was Zähne, 
Mund und Magen erhalten, mochte doch Luther selbst nicht zum 


134 


Stelle nur verhüllt, nicht wirklich überwunden waren, gerade 
an ihr später wieder aufgebrochen. 

Immerhin war damals in Wittenberg mit der Ver- 
ständigung, welche man so erreicht hatte, das schwerste 
Sttick der Arbeit getan. Doch fand es Luther noch ange- 
zeigt, sich weiter auch darüber zu vergewissern, ob die Std- 
deutschen nicht etwa anabaptistischen Anschauungen hul- 
digten. So fand jetzt zunächst eine Aussprache über die 
Taufe statt, bei der man festsetzte, die Kindertaufe sei not- 
wendig, in den Kindern müsse aber eine Wirkung Gottes 
erfolgen; verstehe man diese dem Glauben und der Liebe 
ähnlichen Bewegungen auch nicht, so sei doch durch die 
Schrift bezeugt, daB sie bei Johannes schon im Mutterleibe 
vorgekommen sei Auch die Notwendigkeit der Nottaufe 
wurde anerkannt. 

Ueber die Beichte wurde gleichfalls eine gemeinsame 
Erklärung vereinbart. Allerseits wünschte man die Abso- 
lution beizubehalten, einmal um des gewissen Trostes willen, 
den sie dem einzelnen spende, dann aber auch im Interesse 
der Kirche, da bei solcher Disziplin und Zucht ein jeder 
sonderlich gehöret und die Unerfahrenen unterrichtet werden 
könnten. Nur von der Wiedereinführung der päpstlichen 
Ohrenbeichte mit Aufzählung der einzelnen Sünden wollte 
man nichts wissen. 

Peinlich wurden die Verhandlungen für den Frankfurter 
Abgeordneten nur, als die Rede auf die Schulen kam!). 
Aus allen übrigen Städten konnte berichtet werden, daß 
Sehulen bestünden, sonderlich zum Gebrauch des Evangelii 
und der Kirchenübungen. Nur Frankfurt machte seit dem 
Abgang seines Rektors Micylius (1533) eine traurige Aus- 
nahme, und Algesheimer mußte mitteilen: „Ob wir schon 
die Jugent in Kirchen Ubungen brauchen wolten, so hetten 
wir kein Schul darzu, den allein zwo Pfaffen Schulen, die 
dienten uns mit beim Lvangelio.^ Melanchthon, der sich. 
erinnerte, daB doch ein Schulmeister dort sei, meinte dazu 
mißbilligend: „Das ist nit fein, was thut den Moser? Ist 
er nit von einem Ersamen Rat darzu bestalt?* Und als er 
hörte, der Mann sei gar nicht öffentlich besoldet und werde 
bald naeh Wittenberg zurückkehren, fuhr er fort: ,Das sol 
er nit thun, man sol im eynen oder etliche zugeben, wie 
kompt es, daß yr von Franckfort der Leut so bald mude 
werdet?" Algesheimer bat dann Melanchthon, an den Rat 


Gegenstand einer Kirchentrennung machen, auf sie aber reduzierte 
Butser den ganzen Dissensus.“ 
1) Ritter S. 361. 


135 


zu schreiben und nach gelehrten Leuten zu trachten. In 
Aussicht genommen wurde zunächst Carolus Figulus, nach 
dem Urteil des Frankfurter Pfarrers ein feiner, frommer, ge- 
Jehrter Mann, bei dem die Frankfurter Patriziersöhne in 
Wittenberg gerne studierten ). | 

Auf der Heimreise, die sie am 29. Mai antraten, nahmen 
die Oberländer vom 9. bis zum 12. Juni Aufenthalt in Frank- 
furt. Bei dem kirchlichen Standpunkte der Stadt war es 
nur natürlich, daß Butzer am Trinitatisfeste (11. Jani) im 
Dome predigte, wobei er auch der Konkordie öffentlich ge- 
dachte?) Am gleichen Tage nachmittags um 3 Uhr predigte 
auch Musculus in der alten Lutherherberge zum Straußen 3), 
Ehe man sich trennte, benutzte man noch die Zeit, um einen 
gemeinsamen Bericht über den Verlauf der Verhandlungen 
aufzusetzen. Dabei kam man zu folgendem Schlusse: Die 
Konkordie sollte zunächst nicht veröffentlicht, sondern vor- 
lüufig nur gesagt werden, es sei eine Verständigung mit 
Luther und den Seinen erzielt worden, im Übrigen warte 
man, bis alle Gemeinden sich anschlössen. Inzwischen wollten 
die Unterzeichner nach der Konkordie tiber das Abendmahl 
lehren und dahin wirken, daß auch ihre Oberen und Prediger 
die vereinbarten Artikel als schriftgemäß anerkennten und 
bewilligten. Auch die Zustimmung der Eidgenossen zu den 
Artikeln hoffte man zu erlangen. Die endgültige Einigung 
sollte nur auf die Augustana und deren Apologie gestellt 
werden, nicht auf besondere Artikel, doch mit ausdrücklicher 
Ablehnung des Irrtums, daß im hl. Nachtmahl nichts denn 
Brot und Wein, also nicht auch der wahre Leib und das 
wahre Blut des Herrn dargereicht und empfangen werde. 

Gemäß der getroffenen Abrede berichtete Algesheimer 
dem Frankfurter Rate von der erfolgten Verständigung in 
den Fragen des Abendmahls, der Taufe, der Schlüssel, der 
Beichte, der Schulen und beantragte, Luther mitzuteilen, daß 
Frankfurt der Konkordie beitrete. Daraufhin erklärte der 
Rat am 26. Juli seine Zustimmung und schrieb darüber an 
Luther: „Dieweil sich dann dieselb eur gehabte Handlung 
allenthalben anf die Confession und Apologia, durch die 
protestierenden Ständ jungst zu Augspurg ubergeben, zeucht, 
und wir uns hiervor, als wir in die christlich Einigung an- 
genommen worden, bewilliget und erboten, derselben ge- 


1) Melanchthon hat dann noch im gleichen Jahre bei einem Auf- 
enthalte in Frankfurt die Angelegenheit gefördert. Doch wurde 
nicht Figulus angestellt, sondern Micyllus kehrte zurück. 

5) Ritter S. 242. 

) Vgl. seinen Reisebericht bei Kolde, Analecta Lutherana S. 230, 


136 


mäß bei uns predigen und handeln zu lassen, so lassen wir 
uns diese jungst zu Wittenberg gehabte Unterred und was 
daselbst beschlossen ist, demnach auch gefallen, und wöllen 
bestellen und darob sein, daß die Ding mit Predigern, Gottes- 
dienst, Schulen und anderm, derselben Confession und Apo- 
logie, auch diesem Beschluß und VerzeichnuB, so viel an 
uns und nach Gelegenheit unserer Kirchen moglich, gemäß 
und gleichformig bei uns angericht werden sollen“ ). Diese 
Antwort entsprach vollkommen der uns bekannten Rats- 
politik Man hielt sich nach jeder Richtung die Hände frei. 
Da die Konkordie kein Werk des deutschen Gesamtprote- 
stantismus war, so ließ man sie sich nur gefallen, berief 
sich aber für alle Fälle auf die Augustana ‘und die Apologie. 
Luther gegentiber band man sich nicht, wenn man sich auf 
die Konkordie nur verpflichtete, soweit es „nach Gelegenheit 
unsrer Kirchen moglich“ schien. Aber auf der andern Seite 
war man auch keineswegs gesonnen, sich vorbehaltlos auf 
die Seite der oberdeutschen Städte zu schlagen, an denen 
man im Ernstfalle ja längst nicht den gleichen Rückhalt 
fand, wie an den lutherischen Ständen im nördlichen 
Deutschland. 

Vom dogmengeschichtlichen Standpunkte aus wird 
freilich, wie von reformierter Seite auch geschehen ist?), 
daran zu erinnern: sein, daß bei den Verhandlungen Alges- 
heimer die Konkordie nicht auf der Seite der „Uusern“, 
sondern auf der Seite Butzers unterschrieben hat und sich 
ebenso wie die übrigen Süddeutschen vor Luther über seine 
Abendmahlslehre verantworten mußte. - 

An dieser Tatsache änderte auch die Stellung nichts, 
die Frankfurt ein Jahr später auf dem Schmalkalder Konvent“) 
einnahm, wo die Stadt durch Georg Weiß von Lympurg und 
Justinian von Holzhausen‘), das Predigerministerium durch 
den erst jüngst von Erfurt eingetroffenen Peter Geltner ver- 
treten war. Für diesen Konvent, der über die Beschickung 
des nach Mantua ausgeschriebenen Konzils durch die Pro- 
testanten zu beschließen hatte, lagen Artikel Luthers vor, 
die die Stände unterschreiben sollten. Ueber das Abend- 
mahl hatte Luther hier zuerst geschrieben, „daß unter Brot 
und Wein sei der wahrhaftige Leib nnd Blut Christi im 
Abendmahl“. Dann aber hatte Bugenhagen, nach Melanchthons 


1) Enders XI, 14f. Ritter S. 248 f. K. Gesch. S. 16—18, (Der 
letztere Abdruck ist Enders entgangen.) 

9) F. R. IL. Kap. IV 87. 

*) Köstlin-Kawerau II, 376 fl. 

) Lersner 1. Bd, II, 4 8. 14. 


137 


Urteil „ein heftiger Mann und grober Pommer“, ihn be- 
stimmt, dafür zu setzen, „daß Brot und Wein im Abendmahl 
sei der wahrhaftige Leib und Blut Christi‘, Außerdem stand 
neben der Ablehnung der Transsubstantiation als einer spitzen 
Sophisterei die Behauptung, daß Leib und Blut auch von 
bösen Christen empfangen werden. An der schroffen Fassung 
der lutherischen Abendmahlslehre scheiterte die Absicht des 
Kurfürsten, die Artikel „allen Religionsverwandten vorzu- 
tragen und vorzuhalten, damit eine einhellige Vergleichung 
geschehe“. Als Bugenhagen die Artikel im Konvent der 
Theologen zur Sprache brachte, hatte Butzer zwar nichts 
an ihnen auszusetzen, aber er erklärte zugleich, er habe 
von seiner Obrigkeit keine Vollmacht, sie zu unterzeichnen. 
.So kam man zuletzt auf den Rat zurück, den Melanchthon 
dem Landgrafen von Hessen erteilt hatte, die Stände sollten 
„allwegen sagen, sie hätten die Konfession und die Kon- 
kordie angenommen; da wollten sie bei bleiben“. ^ Die 
Mehrzahl der Theologen — nur Butzer, Fagius, Blaurer 
und Lykosthenes machten eine Ausnahme — unterschrieb 
allerdings auch die Artikel Luthers. Wenn sich ihnen Geltner 
anschloß!), so folgte er damit lediglich seiner persönlichen 
Ueberzeugung und gab zu erkennen, daß er mit der Frank- 
furter Kirchenpolitik sich noch nicht hinreichend vertraut 
gemacht hatte. Im übrigen kam seiner Unterschrift ebenso- 
wenig wie derjenigen der anderen Theologen irgendwelche 
praktische Bedeutung zu. Denn die Artikel „sind, wie der 
Abschied dies auch ausdrücklich bemerkt, in der Haupt- 
sache nichts als eine Wiederholung der in Konfession und 
Apologie aufgestellten Lehre“), ihre Unterzeichnung konnte 
also in den Augen des Rates an dem Bekenntnisstande der 
Stadt ebensowenig ändern wie ein Jahr vorher die Witten- 
berger Konkordie. Soweit aber die Schmalkaldischen Artikel 
in der Abendmahlslehre tiber diese hinausgingen, sah sich 
Geltner durch den Rat in der Folge stillschweigend rekti- 
fiziert, indem dieser es bei den weiteren Verhandlungen 
vermied, irgendwie auf die Artikel Luthers zurückzukommen. 

Das Mißtrauen der Sachsen gegen Frankfurt schwand 
allmälig. Die kirchlichen Zustände und Einrichtungen der 
Stadt fanden, als sie sie persönlich kennen lernten, ihren 
Beifall. Als bei Gelegenheit des Frankfurter Konvents 
Butzer am 2. März 1539 im Dom Über das Sonntagsevangelium 
vom kananäischen Weibe predigte und dabei zum Schlusse 
auch auf das Abendmahl zu reden kam, spendete Friedrich 
Myconius in einem Briefe an Luther nicht nur dem Prediger 

1) Ritter S. 950. *) Ranke IV, 68, 

Archiv für Reformationsgesohiehte. XX. 8/4. 10 


138 


hohes Lob, der et doctissimam et vere plenam spiritualissimis 
affectibus concionem habuit, non sine magna et diligenti 
gratia et attentione totius eeclesiae; er bezeichnete auch 
nicht, nur die Ausführungen Butzers de vera exhibitione 
praesentis corporis Christi etiam ore huius corporis in coena 
domini sub pane et vino ausdrücklich als ecclesiae senten- 
fiam; auch die Abendmahlsfeier sprach ihn sehr an: Vidi 
deinde, quanta devotione et honestate aliqua pars populi 
sacram communionem acceperit . .. Nescio, an viderim 
aut audierim ullam ecclesiam, quae tam diligenter audiat 
verbum Christi, et tanta concordia, quasi una voce, illius 
hymnos eí laudes canat. Melanchthon aber, erfreut über 
den guten Gottesdienstbesuch, bestütigte dieses Urteil!). 


3. Der Frankfurter Katechismusstreit. 


Dem Bestreben des Rates. zu vermitteln, entsprach es, 
daB er bei der Besetzung von Pfarrstellen nicht einseitig 
verfuhr. So berief er 1536 in Peter Geltner aus Bamberg, 
der bis dahin an der Kaufmannskirche in Erfurt gewirkt 
hatte, einen Schüler Luthers, der seinen lutherischen Stand- 
punkt so eifrig geltend machte, daß schon nach einem Jahre 
die Bevölkerung sich beklagte, er führe neue Lehren und 
Zeremonien in der Kirche ein?) Als er dann auch die 
Schmalkaldischen Artikel aus eigener Machtvollkommenheit 
unterschrieben hatte, fand der Rat für gut, ein Gegengewicht 
gegen ihn zu schaffen und zog bei den folgenden Berufuugen 
Männer in seinen Dienst, die von den Schweizer Anschau- 
ungen berührt waren.  Zuersí kam 1540 Johann Lullius 
von Hochheim a. M., der von 1524 an bis zu seiner Be- 
kehrung Vikar am Dom zu Frankfurt gewesen war und 
dann seit 1538 in dem benachbarten Bonames als evange- 
lischer Pfarrer gewirkt hatte. Im Auftrag des Rates und 
in Verbindung mit Philipp Fürstenberger, der kurz darauf 
starb, verhandelte er schon bald nach seinem Aufzuge mit 
Melchior Ambach in Neckarsteinach wegen Uebernahme 
eines Pfarramtes in der Stadt, das dieser dann auch an- 
trat). Er wurde auf die Augustana und die Apologie ver- 
pflichtet“). Einen Gesinnungsgenossen erhielten die beiden 


1) Classen, Beziehungen usw. S. 16. Im Gegensatz su diesen 
Urteilen steht das Befremden, mit welchem umgekehrt Musculus bei 
der Reise nach Wittenberg 1586 dem Gottesdienst und der Abendmahls- 
feier in Kursachsen gefolgt war. Vgl. Kolde S. 216ff, 

2) Ritter, S. 258. 9) Ritter, S. 264 Anm. c. 

) KGesch., S. 88. Das Urteil eines Geistlichen vom Ende des 
16. Jahrh, bei Dechent S. 157, aus Ambachs Schriften gehe hervor, 


139 


„Zwinglianer“ in Sebastian Ligarius, der von 1542 bis zu 
seinem Tode (1545) in Frankfurt arbeitete. Aber auch der 
‚Geltnersche Standpunkt erhielt dann wieder seine Ver- 
stärkung, als 1541 Andreas Zöpfel (Zöphelius oder Zopfelius, 
gestorben 1545) und 4542 der Hesse Eberhard Haberkorn, 
sowie Simon Kittel!) von Miltenberg a. M. berufen wurden, 
von denen Haberkorn 1548 nach Oberursel ging. Ihren 
Standpunkt teilte auch Matthias Limperger von Mainz, „der 
große Herr Matthes“), der bereits 1525 von Cronberg am 
Taunus nach Frankfurt gekommen war und von dem Mar- 
burger Professor Johannes Lonicerus als ein homo pius et 
eruditus xal die und als idoneus praedicando verbo 
bezeichnet wurde*). 

Wie aber das Nebeneinander verschiedener Richtungen 
in einer und derselben Gemeinde bloß scheinbar dem Frieden 
dient, in Wirklichkeit aber nur zu leicht eine Quelle un- 
aufhörlicher Auseinandersetzungen bildet, die durch persön- 
liche Differenzen oft noch verschärft werden, so geschah es 
jetzt auch hier. Frankfurt bekam seinem Katechismusstreit “). 
| Der Rat hatte 1539 die bisher in der Barfüßerkirche 


daß er nicht ganz aufrichtig und orthodox gewesen sei, liefert des- 
halb keinen Beitrag zu seiner Charakteristik, weil es ihn an einem 
:Maßstabe mißt, der für ihn noch nicht in Betracht kam, nämlich an 
der Theologie der Konkordienformel, Mit dieser stimmt allerdings 
das Glaubensbekenntnis (denn dieses ist mit den „Schriften“ gemeint; 
die Chronik über die Belagerung Frankfurts, die Traktate vom Zu- 
saufen und vom Tanzen, sowie die Klage Jesu Christi wider die ver- 
meinten Evangelischen liefern für seine Dogmatik naturgemäß keine 
Ausbente) nicht überein, das Ambach am 14. Oktober 1542 in schwerer 
Krankheit aufzeichnete, und das er noch kurz vor seinem Tode am 
28. Januar 1554 erneuerte (Uffb. Mskr. Bd. 15 S. 1—14). Aber bei den 
Bekenntnissen, auf die er verpflichtet war, ist er bis an sein Eude 
geblieben, so gut wie Butzer und Melanchthon. Daß man freilich 
auf der Augustana und der Apologie fußen konnte, ohne orthodox 
zu sein im Sinne der Konkordienformel, begriff das endende Jahr- 
hundert nicht mehr: daher der Vorwurf mangelnder Aufrichtigkeit. 
1) Die Dauer seiner Wirksamkeit und seine späteren Schicksale 
sind unbekannt. 
*) So genannt zum Unterschiede von Matthias Ritter dem älteren, 
„dem kleinen Herrn Matthes“, der 1588—1586 Pfarrer in Frankfurt war. 
3) Brief an Spalatin vom 7. August 1526. Bei Ritter S, 166. — 
Die Daten für Ligarius, Zöpfel und Haberkorn bei Grabau, Das er.- 
luth. Predigerministerium der Stadt Frankfurt a. M. (1913), S. 618f. 
) Vgl. Ritter S. 259, 265, 271ff. Die Akten finden sich in den 
Act. Eccl. Tom. III und Uffb. Mskr. Bd. 15 S. 14ff. 
; ; 10* 


140 


am Mittwoch Nachmittag Übliche Katechismus- und Kinder- 
predigt abgestellt, wollte es aber an einer besseren Weise, 
die Stücke der christlichen Lehre den Unberichteten bekannt 
zu machen, nicht fehlen lassen. Er beauftragte daher im 
Sommer 1541 die Prädikanten mit der Abfassung eines 
Katechismus für die Jugend!) Geltner und Ambach unter- 
zogen sich darauf der Mühe, die vorhandene Literatur nach 
einem geeigneten Lehrbuche durchzusuchen. In Betracht 
gezogen wurden vor allem Luthers Kleiner Katechismus, 
„der“ — wif Geltner etwas später betonte — „der erste 
ist, und zuuor von kheinem nie gehört, welohen wir auch, 
die wir am Eltesten hie sind, auf der Cahtzel getrieben 
haben, und wirt umher in gantzem Fürstenthumb Hessen 
gebraucht, . . daß es unnoth, auch spötlich ist, in solcher 
später Zeit allererst newe Catechismos stellen“). Auch der 
- Spangenbergische und Nürnbergische Katechismus u. a. m. 
wurden in Erwägung gezogen. Aber schließlich fand man 
etliche zu kurz, etliche zu lang für die Jugend. Man be- 
schloß daher einstimmig, aus den vorhandenen Katechismen 
einen neuen zu machen, und zwar sollten von Geltner, 
Ambach und Limperger Entwürfe ausgearbeitet werden. 
Diesen drei Entwürfen in einer abschließenden Arbeit die 
endgültige Fassung zu geben, war eine ziemlich undankbare 
Aufgabe, der sich Geltner und Limperger gerne entzogen. 
So mußte es Ambach übernehmen, das neue Lehrbuch“) zu 
fertigen, „welches also geschehen und folgender Zeit von 
allen Praedicanten sämtlich aufs fleißigste durchlesen, er- 
örtert und bewilligt worden.“ In Frage- und Antwortform 
waren der Reihe nach der Dekalog, das Apostolikum (in 
zwölf Artikeln) das Vater-Unser und die Sakramente be- 


1) Unserer Darstellung liegt der Bericht zugrunde, welchen 
Ambach, Lullius und Ligarius am 20. April 1549 an den Rat erstatteten. 
Uffb. Mskr. Bd. 15. Erster Teil. S. 14—20, In den Act. Eccl. 
Tom, III. ist er nicht enthalten. Auch Decbent hat ihn nicht gekannt. 

9) F. R. II, 68. Aehnliche Empfehlungen haben wir jüngst auch 
in Baden wieder zu hüren bekommen. 

) Dieser Ambachsche Katechismus (also nicht der ursprüngliche, 
eigene Entwurf Ambachs) findet sich in den Act. Eccl. Tom. III. 
Nr. 1. Er trägt die Jahreszahl 1541 und hat den Titel: Catechis- 
mus || Kurtze christliche Fragstuck vnd andtwurdten || für die Jugent [| 
Von Den zehn gepoten || den zwölff artikul christlichs glaubens || dem - 
Vater vnser || Den Sacramenten || Durch die Diener des Euangelij zu 
Franckfurdt | am Meine, angesteldt | 1541. — Die Vorrede („Dem 
christlichen Leser") findet sich mit geringen stilistischen Aenderungen, 

dem Sinne nach unverändert in dem Neudruck von 1615. 


| 141 
handelt. Der dogmatische Charakter dieses Katechismus 


. war der des Unionsprotestantismus, der nicht nur für die 


Anschauungen der Wittenberger, sondern auch der Schweizer 
-Ranum ließ. Am deutlichsten kennzeichnet es seine Weit- 


herzigkeit, daß die Fremdengemeinden der Stadt im Jahre 
1615 auf ihn zuruckgriffen namentlich die Fragen 


von den Bildern (beim ersten Gebot) und die Abendmahls- 
fragen entnahmen. 

Aber eben dieser weitherzige Standpunkt war die Ur- 
sache, daB mit der Abfassung des Ambachschen Werkes 
die Angelegenheit nicht erledigt war. Zu ihrer Ueber- 
raschung erfubren Ambach und seine Freunde, daß es 
Geltner in seinem animus longe abditus, qui raro se aperit!), 
gefallen habe, ohne ihr Vorwissen mit seinen Gesinnungs- 
genossen Limperger, Zöpfel und Haberkorn eine eigene Be- 
arbeitung der drei Entwürfe. abzufassen?), den sie dem Rate 
vorlegten, nachdem sie diesen bereits durch eine Reihe von 
Eingaben über ihren abweichenden Standpunkt unterrichtet 
hatten. Geltners Arbeit hielt denselben Gang inne wie die 
Ambachsche, nahm aber nach dem Vorbilde Luthers eine 
Haustafel auf. Um ihr mehr Ansehen zu verleihen, ließen 
sie ihre Urheber sich von D. Jan Cornarius von Nordhausen 
zensieren?). 

Um des Friedens willen verlasen Ambach und seine 
Freunde auch diese Arbeit mit ihren Kollegen. Dabei be- 
anstandeten sie, daß die Artikel über des Herrn Auffahrt, 
Nachtmahl und die Götzen in der Kirche sich nicht im 
Rahmen der Augustana, der Apologie und der Konkordie 


1) Bei Steitz, Hartmann Beyer, S. 87 Anm. 26. 

*) Dieser Catechismus Geltnerianus findet sich in den Act. Eccl. 
Tom. III. Bl. 152. Nr. 80. Sein ausführlicher Titel lautet: Ein klainer 
Catechismus || jn kurtze christliche frag- || stuck vnd antwort || fur 
die Jugent || Die zehen gepotten || die xij stucken christliche glaubens || 
von dem Vater Vnser Vnd || den Sacramenten des | Heiligen tauffs vnd 
Nachtmals || Des Herrn || Durch die Diener des || Euangelij zu Francken- 
fart angestellet | Ein Hausstafel fur || allerley Stende. 

*) Ueber Cornarius vgl. Ritter S. 254. Es ist ein Irrtum, wenn 
Dechent 8. 157 Anm. 2 meint, dieser Geltnersche Katechismus sei bis 
1557 gebraucht worden. Zunüchst wurde der Frankfurter Katechis- 
mus überhaupt nur bis 1552 gebraucht, wie auch Dechent S. 216 
richtig angibt. Sodann aber hätte ja die Geltnersche Arbeit bei der 
Wiederaufnahme der Katechisationen dogmatisch vollständig genügt. 
Und gerade das Dogmatische war der Grund, weshalb man 1557 nicht 
zu dem eigenen Katechismus zurückkehrte, sondern zu Luthers En 
chiridion überging- Das Genauere hierüber später. 


143 


hielten, auf die der Rat doch seine Prediger angenommen 
habe. Die Gegenseite brach daraufhin die Erörterungen 
ab und wollte es dem Rate überlassen, einen Katechismus 
einzuführen. 

Es folgte nun ein langwieriger Meinungsaustausch, der 
zuerst mündlich, dann aber, „dieweil dieses viel Ungeschicks 
und Zancks gebähren wollte,“ schriftlich durch Austausch 
von Thesen und Gegenthesen geführt wurde!), zeitweise 
sogar in Kanzelpolemik ausartete und sich bis in das Früh- 
jahr 1542 hinzog. Geltner und die Seinen behaupteten, 
der Ambachsche Katechismus suche den Zwinglianern das 
Wort zu reden, indem er lehre: 1. Christus sei mit seinem 
verklürten Leib sichtbar gen Himmel gefahren und des- 
wegen nicht allenthalben leiblich gegenwürtig; 2. im hl. 
Abendmahle werde zwar gelehrt, daß dabei der wahre Leib 
und das wahre Blut Christi empfangen werde, aber gemeint 
sei, daß das nicht natürlich geschehe, sondern nur zur Speise 
der Seelen; 3. die Bilder seien gänzlich abzuschaffen. Schließ- 
lich übergaben Ambach und die Seinen die gesamten Akten 
mit einem Beibericht am 20. April dem Rate und baten um 
ein Urteil über ihre Thesen durch einige Ratsverordnete 
und andere Gottesverständige der Stadt. Führe das zu 
keinem Ziele, so empfahlen sie, ihren Bericht und das ganze 
Aktenmaterial zwei oder drei anderen christlichen Kirchen 
und ihren Gelehrten, aber nicht einer oder zwei Personen 
allein, zu übermitteln, um den Fall naeh Gottes Wort fürder- 
lich zu erörtern und zu beurteilen, damit der Zwiespalt in 
der Lehre und die Parteiung im Volk beseitigt werde und 
ein Katechismus nach Form der Konkordie vom Nachtmahl 
und nach dem Schmalkaldischen Beschluß von den Kirchen- 
gótzen?) zustande komme, wie er dem Besten der Kirche 
diene, Auch sie selber wollten sich bei Gelehrten befragen. 


1) Vgl. die kurze Zusammenfassung K Gesch. S. 39. Ritter bfiugt 
S 371—378 Summariae Propositiones M. Melchioris de tribus praece- 
dentibus articulis, Ascensione, Caena et Idolis, oblatae 15. Martij 1542, 
S. 373—379 von Peter Geltner, Matthias Limperger, Andreas Zöpfel 
und Eberhard Haberkorn: „1542. Auf den Satz, welchen sie vns 
vber das, so wir zu beyden Theilen beschlossen hatten eingenöttiget 
habeu, Vnd ist fast die Summa worauf der Span steht:^ Neunmal 
wurden^so Thesen und Gegenthesen ausgetauscht. Das sind die von 
Dechent S. 158 erwühnten ,neun Disputationen, die von Ende 1541 
bis April 1543 wührten*. 

3) Da die Schmalkaldischen Artikel die Bilder nicht erwühnen, 
überdies auch gar nicht zu offizieller Anerkennung gelangt waren, ` 
so ist hier an die Schmalkalder Tagung 1540 zu denken. 


143 


Wie sehr die Gemüter sich inzwischen erhitzt hatten, zeigte 
dem Rate eine Flut von Sireitschriften, mit der er gleich- 
zeitig tiberschüttet wurde. 

Da eine Beilegung des Streites in diesem Stadium 
durch Frankfurter Persönlichkeiten nicht mehr möglich schien, 
so leg Rat den Streitfall dem Straßburger Rate vor, 
während gleichzeitig Ligarius nach Straßburg reiste, um 
mit den dortigen Reformatoren Rücksprache zu nehmen. 
Das Ergebnis dieser Reise war ein ausführliches Schreiben, 
das Butzer, Hedio, Zell und die übrigen Straßburger Prediger 
am 7. Juni 1542 an ihre Frankfurter Amtsbrüder schickten!). 
Eine Abschrift dieses Schreibens sandte der Straßburger Rat 
am 5. Juli 1542 an Rat und Bürgerschaft zu Frankfurt mit 
einer Zuschrift“), die zum Frieden mahnte und — im Sinne 
Ambachs und seiner Gesinnungsgenossen — riet, man solle 
„bey der gemeinen verordnung, so zu Schmalkalden der 
bilder halb, vnd der Concordi so des sacraments halb zu 
Wittenberg, jn beisein ewerer prediger vffgericht vff das 
einfeltigest pleiben, vnd alle ferner disputation vnd gesuch, 
daru mehr vnraths dan raths zu gewartten, vermeiden vnd 
vnderlassen. Besonders zu itzigen Zeitten, da one das 
villerlei bewegnussen vnd vnruw vorhanden.“ 

Der Rat hatte inzwischen die Angelegenheit seinen 
Advokaten übergeben, und diese arbeiteten ein Bedenken 
aus „Zuuergleichung der predicanten vnd Hinlegung jres 
Zwispalts“ ), das den streitenden Brüdern am 19. Juli 1542 
vorgehalten wurde. Als dann das Schreiben von Straßbufg 
eintraf, nahm es der Rat zum Anlaß, seinerseits am 24. Juli 
die endgültige Verfügung zu treffen“). In der Katechismus- 
frage sollte, um Geltner zu befriedigen, dessen Entwurf, 
jedoch nur soweit Ambach sich mit ihm einverstanden er- 
klärt hatte, d. h. mit Ausnahme der drei strittigen Artikel, 
zugrunde gelegt werden. Die Entscheidung über die Kirchen- 
götzen behielt sich der Rat wegen des Schmalkaldischen 
„Abschiedes selber vor; einstweilen wurden die Prediger in 
diesem Stück auf diesen Abschied und das Scbreiben der 
Straßburger Reformatoren verwiesen. In den beiden übrigen 
Artikeln wählte der Rat eine Fassung, die er der Bibel, 
der Augustana, der Apologie, der Wittenberger Konkordie, 
der jüngsten Regensburgischen Vergleichung, dazu auch 
rechtem, wahrem, christlichem Verstand gemäß fand. 


1) Bei Ritter S. 3791f. 

3) Act. Eccl. Tom. III. Bl. 21. 

3) Act. Eccl. Tom. III. Bl. 62—71. 
4) Ebenda Bl. 22f. 


144 


Der Katechismus, welcher als das Ergebnis so vieler 
Mühen und Kämpfe zustandekam 1), geht davon aus, daß das 
Kind ein Christenmensch ist und seinen Christenstand kennt, 
weil es nach Christi Befehl getauft ist in dem Namen des 
Vaters und des Sohns und des heiligen Geists und glaubt 
an Jesum Christum. Dann wird sogleich gefragt, was einem 
Christen anfänglich not sei zu wissen, nämlich fürnehmlich 
diese vier Stücke; die zehn Gebote Gottes, die zwölf Stücke 
des Glaubens, das Vater-Unser und die Sakramente des 
heiligen Taufs und Nachtmahls des Herrn. Seinen Kom- 
promißcharakter verrät der Katechismus, indem er beim 
Dekalog das Bilderverbot wegläßt und so die Schwierigkeit 
der Bildercrage umgeht. Ebenso sucht man in ihm die 
Übiquität vergebens. Den Artikel von der Auffahrt im 
Apostolikum erläutert er rein biblisch-religiös, worin ihm die 
Herausgeber 1615 gefolgt sind. Die Frage nach dem Wesen 
des Abendmahls hat folgende Fassung erhalten: „Was be- 
kennst du im hl. Abendmahl? — Ich bekenne, daß im 
Abendmahl des Herrn wahrhaftiglich und wesentlich der 
Leib und das Blut Christi gegenwärtig sei und mit Brot und 
Wein gereicht werde den NieBenden.^ So hatten sich weder 
Ambach noch Geltner ausgedrückt. Auch der Hat hatte in 
seiner vermittelnden Fassung ?) im Anschluß an Ambach nur 
vorgeschlagen: „Was entpfehest du jn diesem Sacrament.? 
— Ich entpfahe den waren leib vnd plut vnsers Herren 
Jhesu Christi, mit brot und wein, vns Christen zu essen vnd 
zu trincken von Christo selbs dargereicht, vnd zugesagt, zu 
seiner gedachtnus.^ Die neue Formulierung war nur der 
erste Artikel der eben damals von Butzer mit den Prädi- 
kanten vereinbarten Frankfurter Konkordie, der ebenso in den 
Katechismus zur Sieherung der rechten Lehre aufgenommen 
wurde, wie in Baden die von der Unionssynode 1821 be- 
schlossenen Abendmahlsfragen zum eisernen Bestande jedes 
Katechismus gehören. Wie eine Randbemerkung zeigt, war 
man sich übrigens darüber klar, daß das „mit“ umstritten 
war, aber man hielt sich nicht für zuständig, über die 
Augustana, die Apologie, die Konkordie und die jüngst zu 
Regensburg geübte Handlung  hinauszugehen, und die 
Schmalkaldischen Artikel mit der Bugenhagenschen Formu- 
lierung des Satzes über das Abendmahl waren trotz der Geltner- 
schen Unterschrift kein Beschluß der Augsburgischen Kon- 


1) Act, Eccl. Tom. III. Bl. 154—170, Er trägt den Titel: Ein 
clainer Catechismus Inn || kurtze christliche fragstück vnnd |: Antwort 
für die Jugent zu || gericht. || 

*) Ebenda Bl. 97. 


145 


fessionsverwandten, also auch nicht bindend. Das Entgegen- 
kommen gegen die Geltnersche Partei bestand nur darin, 
daß man die Frage Ambachs, die man an dieser Stelle ganz 
angebracht fand, ihr zu Gefallen strich: „Warumb gibt uns 
er leib von sei bludt mit brodt vnd wein? — Das 
er vns damit lere, das sein fleisch warlich ein speiss, sein 
bludt warlich ein tranck sey zum ewigen leben.“ Der 
Herausgeber 1615 erst hat diese-Frage in seinem Druck ans 
Licht gebracht, da er ja nicht an den Kompromiß von 1542 
gebunden war. 

In seiner endgültigen Fassung wurde der Katechismus 
von den Prüdikanten unterschrieben: Huic Catechismo ví 
orthodoxo nos infra notati subscripsimus ). Alsdann wurde 
er gedruckt und eingeführt *), nieht ohne daß den Prüdikanten 
noch besonders eingeschärft worden wäre, sich alles Zankes 
untereinander zu enthalten. 


4. Die Frankfurter Konkordie Butzers. 


Noch während des Katechismusstreites unternahm der 
Rat einen Schritt, der eine grundsätzliche und dauernde 
Verständigung zwischen seinen Prädikanten herbeiführen 
sollte. Er ging Butzer um seine Vermittlung an, um mit 
ihnen uber die strittigen Punkte persönlich zu verhandeln. Die 
Wahl gerade dieses Mittelsmannes zeigt, daß er nicht be- 
absichtigte, seine Entscheidung einseitig im Sinn der luthe- 
rischen Partei zu treffen, denn gerade damals war Luther 
auf Butzer, zu dem er einst in Marburg gesagt hatte: Tu es 
nequam! wieder sehr erbost und äußerte tiber ihn im 
Freundeskreise: „das leckerlein *) hat den glauben gar bei 
mir verlorn. Ich trau im niemer. Er hat mich zu offt be- 
trogen! Er hat sich auf dem fag itzt zu Regenspurg ubel 
gehalten *).* 

Auf der Reise nach Bonn begriffen, wo er im Interesse 
der Cölner Reformation tätig sein wollte, kam Butzer in den 
ersten Dezembertagen 1542 nach Frankfurt, und in vier- 
fügigen Verhandlungen gelang es ihm, die Einheit wieder- 


!) Links unterzeichneten Geltner, Limperger und Haberkorn, 
rechts Ambach, Lulhus und Ligarius. Ein Datum fehlt. | 

*) Über die Verfügungen. die dabei im einzelnen getroffen 
wurden, berichtet Ritter S. 285f. 

5) = nequam, Nichtsnutz, Schlingel. 

) E. Kroker, Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung, 
S. 279, Nr. 548. Übrigens hat in jenen Jahren auch Calvin Bedenken 
gegen die Vermittlertätigkeit Butzers geäußert. Vgl. seinen Brief an 
Farel Calv. Opp. X, 2, p. 828, Nr. 162. 


146 


herzustellen, die, wie er fand, mehr durch fleischlichen Eifer und 
giftige Reden, als durch eine ernste Meinungsverschiedenheit 
in der Lehre gestört war!). Die Verständigung war für ihn 
insofern leicht herbeizuführen, als Frankfurt die von ihm ge- 
schaffene Wittenberger Konkordie angenommen hatte. Er 
hatte also nicht erst nötig, durch langwierige Auseinander- 
setzungen die Meinungsverschiedenheiten zu schlichten und 
den Boden zu gewinnen, auf welchem sich die streitenden 
Parteien in gemeinsamem Glauben zusammenfinden konnten. 
Er brauchte nur daran zu erinnern, wie ein ähnlicher Streit 
bereits vor Jahren verglichen worden sei, und es konnte 
namentlich auf die Geltnersche Seite nicht ohne Eindruck 
bleiben, wenn er die Autorität Luthers in die Wagschale 
warf, der jenes Einigungswerk mitvollzogen und die An- 
schauungen der ihm bis dahin als Sakramentierer verdächtigen 
Oberdeutschen in aller Form als rechtgläubig anerkannt 
habe. Angesichts der Wittenberger Konkordie war der 
jetzige Frankfurter Streit im Grunde bereits eine res iudicata. 
Ausbrechen hatte er überhaupt nur können, da Algesheimer, 
der in Wittenberg mitunterschrieben hatte, inzwischen die 
Stadt verlassen hatte und die neuen Männer von den Witten- 
bergen Verhandlungen keine genauere Kunde besaßen. So 
bestand Butzers Aufgabe im wesentlichen darin, die strittigen 
Punkte von der Wittenberger Konkordie aus zu beleuchten 
und dann das Ergebnis der Verhandlungen in einer Reihe 
von Sätzen zusammenzufassen, die für die Zukunft von beiden 
Teilen als bindend anzuerkennen waren. So konnte er be- 
reits am 9. Dezember die streitenden Brüder die Urkunde ?) 
über die vollzogene Verständigung unterschreiben lassen. 

Die Unterzeichnung wurde zu einem feierlichen Akte 
ausgestaltet, an welchem außer den Prädikanten der Stadt 
auch D. Jan Cornarius von Nordhausen teilnahm und der 
Rat durch vier Mitglieder — es waren Wycker Reis, Justinian 
von Holzhausen, Daniel zum Jungen und D. Hieronymus zum 
Lamm (Agninus) —, sowie durch einen Stadtschreiber ver- 
treten war, die sämtlich mitunterschrieben: ein Zeichen, 
welche hochpolitische Bedeutung man dem Schriftstücke bei- 
legte, das die eigentliche Bekenntnisschrift Frankfurts ge- 
worden ist. 


1) Lenz, a. a. O. II, 109, 

1) Concordia concionatorum Francofordiensium, constituta per Dn. 
Martinum Bucerum, d. 9. Dec. Ao 1542. F. R. II Beil. 18, wo S. 42 
die Abweichungen des Textes im Op. Angl. Buc. f. 697 angemerkt 
sind, Ebenda die deutsche Übersetzung aus Ritter S. 275, die auch 
K. Gesch, S, 40ff, abgedruckt ist, aber mit anderer Zählung. 


147 


Angesichts der Festsetzungen, die durch die Augustana, 
die Apologie, die Regensburger Artikel und die Wittenberger 
Konkordie von den protestantischen Ständen getroffen waren, 
konnte sich die Frankfurter Konkordienformel darauf be- 
schränken, die strittigen Punkte von der Gegenwart des Herrn 
im Abendmahl, von seinem Sitzen zur rechten Hand des 
Vaters im Himmel und von seinen beiden Naturen in einer 
Person zu klären und im übrigen die Prediger zu verpflichten, 
künftig in Eintracht zusammenzuwirken. 

Indem die Konkordie (17) an erster Stelle die Bibel, 
danach die genannten Bekenntnisschriften als Norm der 
Lehre bezeichnet, nach der treulich und mit christlicher An- 
dacht gelehrt werden solle, hielt sie ausdrücklich (13— 15) 
an der altkirchlichen Zweinaturenlehre fest, „daß zwei 
Naturen in Christo, die göttliche und menschliche, wie sie 
in einer Person miteinander vereinigt, also beide ganz und un- 
vermischt seien, und daß Christus der Herr wahrer Gott und 
wahrer Mensch sei;^ die menschliche Natur „ist von der 
göttlichen Natur nicht verschlungen, sondern bleibt in ihm 
ganz vollkommen, gleichwie auch die Gottheit, denn die Auf- 
erstehung hat dem Menschen Christus himmlische Glorie und 
Herrlichkeit gebracht, nicht aber die Natur zerstört oder 
hinweggenommen.^ Damit ist die grundsätzliche Ueber- 
einstimmung mit der altkirchlichen Orthodoxie gewahrt. 

Was nun aber die Auffahrt und das Sitzen Christi zur 
Rechten Gottes betrifft, so warnt die Vereinbarung (10— 11) 
vor 80 gotteslüsterlichen und spitzfindigen Fragen wie diesen: 
„Wenn der Herr im Himmel ist, wie kann er dann im 
Abendmahl gegenwürtig gegeben werden, welches auf Erden 
gehalten wird? Hat er die Welt verlassen und ist in himm- 
lischer Ehre, wie wird er dann von Menschen gegessen?" 
Sie erinnert demgegenüber daran (9) daß ja nicht unsere 
Sinne und unsere Vernunft ihn in den Elementen sehen und 
erfassen, sondern allein Herz und Gemüt, im Glauben erhoben. 

Weil aber die Ubiquitütslehre immer wieder Anlaß bot 
zu jenen unfrommen und vorwitzigen Fragen, so ergab sich 
ganz von selbst der Rat (16), den Disput über die Ubiquität 
des Leibes Christi anstehen zu lassen, wie auch alles, was 
von solchen großen Geheimnissen nicht in der Bibel stehe. 

Ueber das Abendmahl stellte Butzer die Erklärung an 
die Spitze (1—2): ,Im heiligen Abendmahl, wenn es wird 
nach der Einsetzung des Herrn gehalten, wird der wahre 
Leib und das wahre Blut Christi wabrhaftig und wesentlich 
(vere et essentialiter) gereicht, und von denen, so die Sakra- 
mente genießen, empfaugen. Doch wird allhier keine räum- 
liche oder umschriebene Gegenwart des Herrn (praesentia 


148 


Domini localis vel circumscriptiva) gesetzt.“ Diese Er- 
klärung wurde dann auch, wie wir bereits sahen, in den 
neuen Katechismus aufgenommen und damit zu einem inte- 
grierenden Bestandteil jeder künftigen Jugendunterweisung 
und der Katechismuspredigten gemacht. Der neuen Scholastik 
gegenüber zog sich Butzer auf Paulus und die heiligen Väter 
zurück und bekannte mit ihnen (12), „daß im hl. Abendmahl 
zwei Dinge gereicht werden, ein himmlisches und ein irdisches. 
Das himmlische ist der Leib und Blut des Herrn; das 
irdische ist Brot und Wein als heilige Symbole oder Wahr- 
zeichen, dureh welche oder mit welchen der Herr uns seinen 
Leib und Blut wahrhaftig und wesentlich (vere ef realiter), 
d. h. mit der Tat und Wahrheit darreicht und mitteilt;“ eine 
Transsubstantiation lehnte er in diesem Zusammenhange 
ausdrücklich ab. Aber auch von einer Impanation wollte er 
nichts wissen, wenn er (8—9) erklärte: „Wiewohl sich der 
Herr im hl. Abendmahl dargibt im Spiegel und dunkeln 
Wort, nämlich in seinem Wort und geheiligten Zeichen, 
welche sind Dinge dieser Welt, so gibt er sich doch in diesen 
Dingen nicht nach Art und Weise dieser Welt, sondern auf 
eine göttliche und himmlische Weise . . . So gibt er sich 
auch nicht zur Speise des Bauchs oder des alten Menschen, 
sondern der Seelen und des neuen Menschen; denn es ist 
eine Speise, die das ewige Leben bringt.“ 

Durch diese Festsetzungen war die Abendmahlslehre in 
einem Sinne entschieden, mit dem beide Teile einverstanden 
sein konnten. Der Anstoß, welchen Ambach an dem „In, 
mit und unter“ nahm, war beseitigt, indem man von dieser 
Formel nur das „Mit“ stehen ließ, das ja auch einer anderen 
als der lutherischen Deutung fähig war. Geltner aber!), 
der lieber die ganze Formel beibehalten hätte, mußte selber 
zugeben, daß man in der Wittenberger Konkordie und in 
den Regensburger Artikeln sich auf das „Mit“ beschränkt, 
das „Unter“ aber als ein Hinterpförtchen für die Vorstellung 
einer Wandlung preisgegeben habe. Und wenn er bemerkte, 
in Frankfurt brauche man das „In und unter“, weil es hier 
den Kampf gegen die Sakramentierer gelte, so war gerade 
dieses Argument recht wenig geeignet, die Herren vom Rate 
ihm willfáhrig zu machen. Denn bei den „Sakramentierern“ 
konnten sie nicht wohl an jemand anders denken, als an 
Ambach und seine Gesinnungsgenossen, die von Geltner und 
seinem Anhang fort und fort der Hinneigung zum Zwinglia- 
nismus beschuldigt wurden, für den Rat aber sich ebenso 
rechtmäßig im Amte befanden, wie ihre Ankläger, und sich 


1) F. R. II, 62. 


149 


überdies beständig auf die öffentlichen Bekenntnisse des 
deutschen Protestantismus beriefen. 

Von den Bildern war in der Frankfurter Konkordie aus 
dem bereits erwähnten Grunde nicht weiter die Rede. Da- 
gegen wurde (19) die Buße und Sündenvergebung noch in 
den Kreis der Erörterungen gezogen und ihretwegen aner- 
kannt, daß der eine Prediger mehr geeignet sei, zur Buße 
zu treiben, während ein anderer vor allem die Gabe besitze, 
die Gnade Christi zu preisen, aber beide sollten eingedenk 
bleiben, daß keines dieser. Stücke für sich allein gentige. 

Den Kontroverspredigten machte die Konkordie ein 
Ende und erinnerte an die Konvente, wo etwaige Meinungs- 
verschiedenheiten zum Austrag gebracht und Anstöße be- 
seitigt werden könnten (20— 22). 

Auch ein Hinweis darauf, was die Prediger dem An- 
sehen der Obrigkeit schuldig seien, schien angezeigt, und 
ebenso fand die Mahnung Aufnahme, ein Prediger Christi 
habe sich mit Fleiß zu hüten, daß er nicht mutwilligen 
Ohrenblüsern und Verlüumdern zu Gefallen sich bewegen 
lasse, anderer Leute Sünden und Laster allzu heftig. und 
bitter anzutasten und zu strafen (23). 

Man beurteilt die Frankfurter Konkordie nicht richtig, 
wenn man behauptet!) in ihr sei ,in der Hauptsache der 
lutherische Lehrtypus festgehalten, wenn auch nicht die 
äußersten Folgerungen daraus gezogen wurden“. Ein Aus- 
druck wie der, daß der Leib Christi keine Bauchspeise sei, 
wäre niemals aus Luthers Feder geflossen, er ist in der 
Schweiz zu Hause. Und über das Verhältnis von Brot und 
Wein im Abendmahl zu Leib und Blut Christi gab die 
Buceriana überhaupt keine Auskunft, während Luther in den 
Schmalkaldischen Artikeln geschrieben hatte, daß Brot und 
Wein im Abendmahl sei der wahrhaftige Leib und Blut 
Christi. Tatsächlich hält sich die Frankfurter Konkordie 
nicht in der Linie der Schmalkaldischen Artikel, die man 
ja in Frankfurt überhaupt ignorierte, sondern sie setzt nur 
die Traditionen der Wittenberger Konkordie fort. Ihr dogma- 
tischer Standpunkt entspricht ganz der Vermittlungstheologie 
Butzers. Auch sie hat ebensowenig wie die Wittenberger 
Konkordie die Gegensätze wirklich überwunden, sondern sie 
nur zum einen Teil zurtickgeschoben, zum anderen Teil durch 
Formeln verhüllt, die jeder Teil in seinem Sinne nehmen 
konnte. Mit seiner persönlichen Ueberzeugung stand Butzer 
zweifellos Ambach näher als Geltner. Aber sollte ihm das 
Einigungswerk gelingen, so sah er keinen anderen Weg, als 


2) Dechent S. 159. 


150 


daß er sich einer Ausdrucksweise bediente, die stark an die 
lutherischen Wendungen anklang, ohne doch wirklich die 
Meinung der strengen Lutheraner wiederzugeben, „Dahero 
dachte Geltnerus mit seinem Theile, Bucerus hätte also ge- 
redet, daß es ihrer Meynung beystimmete, und sie dahero 
die Concordiam wohl könten annehmen, ja weilen Ambach 
und dessen Beystimmer ebenmäßig sich zur Unterschrifft 
sothaner Concordie verstunden, meyneten sie nicht anders, 
als solche hegeten nun mit ihnen gleiche Gedancken .. . 
worauf denn sie sich hiermit unter einander ohne einige zu 
vermuthende Gefährde und arge List vereinigten*!). Aber 
wie bei Kompromissen zuletzt immer die massivere An- 
schauung die Oberhand bekommt, so fragte man bald nicht 
mehr nach der ursprünglichen Absicht und dem eigentlichen 
Sinn der Konkordie, sondern deutete sie nach dem Kanon 
des strengen Luthertums. Obwohl Ambach und Lullius bei 
der Vereinbarung blieben, mußten sie sich doch seit den 
fünfziger Jahren?) den Vorwurf gefallen lassen, sie neigten 
zum Zwinglianismus, und es kam die Sage auf, die auch 
jetzt noch in der Frankfurter Kirchengeschichte ein schüch- : 
ternes Dasein führt, sie seien als Sakramentierer schließlich 
entlassen worden“). Es war auch umsonst, daB noch im 
18. Jahrhundert die Reformierten öffentlich erklärten“), daß 
mit der Konkordie „die Principia Reformatorum, wann alles 
in sano sensu genommen wird, vollkommen tbereinstimmen, 
und hätte in diesem Verstand Valerandus Polanus wohl sagen 
können, daß derselbe mit den Evangelisch-Lutherischen in 
der Lehre und Glauben, soviel nehmlich die substantialia. 
fidei Christianae belanget, gantz einig seye". Auf lutherischer 
Seite maß man*) die Konkordie an den von ihr selbst zitierten 
Bekenntnisschriften, die man natürlich im Sinne der Kon- 
kordienformel auslegte, oder man behauptete), daß einzelne 
Sätze der Konkordie selbst — z. B. der sechste: „von dem 
Ort und von der Weise, wie der Herr im Himmel sei, forschen 
wollen, ist heidnisch und fremd von der Gottseligkeit des 
Glaubens“ — „die fürnehmste Grundfesten der Zwinglianer und 
Sakramentirer offenbahrlich umstossen und niederwerffen“ 


1) Ritter 8. 288. 

) Vorher verlautet nichts von diesem Vorwurf. Beyer und 
Ambach stehen bis dahin zusammen, Und Ambachs Glaubensbekenntnis. 
ist 1564 noch genau dasselbe wie 1542. 

5) Dechent S. 214. 

) In ihrem ,Gründlichen Bericht“ 1788. Kap. IV. $8 12. F. R. I, 61 

5) In der „Gegen-Information“ 1785. F. R. I, 119, 

) In der ,Gründlichen Ableihnung" 1786. F. N. II, 61. 


151 


Das war der Maßstab, an dem man nun bald den Glauben 
der Fremden maß. Kein Wunder, daß sie an ihm nicht 
bestanden, wenn schon die Ambach und Lullius!) ihn auf 
die Dauer nicht ertrugen. 


5. Melanchthon und Frankfurt 


Der Friede, welcher durch die Frankfurter Konkordie 
besiegelt werden sollte, war von kurzer Dauer. Es kam 
zwar in der Folge zu keinen Lehrstreitigkeiten mehr zwischen 
den Prädikanten der Stadt. Aber im Jahre 1543 brach 
zwischen Geltner und Ambach ein Streit aus tiber die 
Zeremonien. 

Ambach, so berichtet Ritter), konnte die Zeremonien 
gar nicht dulden und wollte die Bilder und den Kirchen- 
schmuck gar abgeschafft wissen, wogegen Geltner sie ge- 
stattete, sofern sie der evangelischen Wahrheit nicht hinderlich 
wären und sonst zu geziemender Ordnung gereichten*). Nament- 
lich waren die beiden Prädikanten verschiedener Meinung 
über den Taufritus. Bisher waren, wenn mehrere Kinder 
getauft wurden, immer nur die ersten Paten gefragt worden, 
die dann auch für das Kind die erforderte Zusage gaben. 
Jetzt wollte Geltner, daß jeder einzelne Pate sich erkläre. 
Er meinte, damit werde das Gedränge und die. Unordnung 
eher verhütet, und den jungen Leuten, die oft zu Gevattern 
gebeten würden, sei es eine nützliche Erinnerung, wenn sie 
auf die Fragen, die sie zu Glauben und Besserung vermahnten, 
selber antworteten. Auch beanstandete Geltner, daß man in 
dem Fragestück vom Glauben den Vater und den Sohn zu- 
sammennahm, dem heiligen Geiste aber eine besondere Frage 
widmete. Ebenso wünschte er eine Aenderung in der Abend- 
mahlsfeier. Endlich hielt er es nicht für richtig, wenn bei 
gleichzeitiger Trauung verschiedener Paare nur über das 
erste die Worte des göttlichen Segens ausgesprochen wurden, 
es sollte vielmehr jedes Paar für sich eingesegnet werden. 

Die Verhandlungen, die nach Weisang der Konkordie 
im Konvent geführt wurden, blieben ohne Erfolg. So ge- 
Jangte die Sache an den Rat, an den sich Ambach am 12. 
und 26. Juni wandte. Von dem neuen Streite, der zudem 


!) Ligarius starb vorher. 

*) Ev. Denckmahl S. 987 ff. 

5) In seinem Katechismus hatte er über sie geschrieben: „Deren 
Bilder, die wahre und besserliche Dinge oder Geschichten und nichts 
Üppiges, Schädliches, Falsches oder Abergläubiges fürbilden, kann sich 
ein Christ wohl gebrauchen.“ Dechent 8. 159. 


152 


nur Nebensachen betraf, nahm man auf dem Römer mißfällig 
Kenntnis, zumal da man bald die Wahrnehmung machen 
mußte, daß kein Teil nachgeben wollte. So sah man sich 
auswärts wieder nach einer Mittelsperson um. Butzers 
Dienste wurden diesmal nicht in Anspruch genommen )). 
Man benutzte die Nähe von Melanchthon und Pistorius, die 
gerade auf der Bückreish von Cóln begriffen waren, um 
durch sie eine Einigung herbeizuführen. Da die Ratsherren 
Justinian von Holzhausen, Johann von Glauburg und Nicolaus 
Bromm von ihrer Wittenberger Studentenzeit her persönliche 
Freunde Melanchthons waren, brauchen wir nicht lange zu 
fragen, wie man gerade auf diese Auskunft kam. 

Melanchthon war damals nicht mehr der eifrige Partei- 
gänger Luthers, der einst in der Erstausgabe der Loci dessen 
Grundgedanken auf einen dogmatischen Ausdruck gebracht 
hatte. Das Wartburgjahr, die Freundschaft mit Camerarius, 
der Streit mit Erasmus, auch Luthers Heirat hatten ihn in 
seiner Haltung selbständiger gemacht. Und wenn er auch 
in Marburg einer Einigung mit den Schweizern womöglich 
noch ablehnender gegenüber gestanden hatte wie Luther 
selbst, so hatte er sich doch bereits 1531 in der Abend- 
mahlslehre mit Butzer zusammengefunden, die absolute 
Prädestination hatte er um dieselbe Zeit aufgegeben, und 
nachdem er 1535 seine Loci in einer mannigfach veränderten 
Ausgabe veröffentlicht hatte, schien er Cordatus und Agricola 
hinreichend des Abfalls vom wahren Evangelium verdächtig, so 
daß er sich ein Jahr später in zwei theologische Debatten 
hineingezogen fand. Der Einfluß Calvins, mit dem er 1539 
in Frankfurt bekannt geworden war, hatte sich dann in der 
bekannten Aenderung des 10. Artikels der Augustana gezeigt, 
und die Cölner Reformation, an welcher er gerade jetzt be- 
teiligt war, bewegte pich in ähnlichen Bahnen, so daß ihr 
Urheber bald besorgte, er werde Wittenberg vor dem Zorn 
Luthers verlassen müssen. 

Wenn die Frankfurter ihn gleichwohl eben damals 
riefen, so lag darin nun freilich an sich noch keinerlei 
Tendenz, sich gegen Luther festzulegen. Der ganze Gesichts- 
punkt, unter welchem man die kirchlichen Dinge ansah, war 
überhaupt nicht darauf eingestellt, sich dogmatisch irgendwie 
zu binden. Man wollte Eintracht haben und eine Frömmig- 
keit, die sich mit der städtischen Kultur und namentlich mit 
der aufstrebenden neuen Bildung vertrug. Für diesen Zweck 
aber schien sich Melanchthon in hervorragender Weise zu 


1) Er war am 18. September 1548 in Frankfurt, erwähnt aber 
nichts von dem Streite. Vgl. Lenz IT, 158. 


153 


eignen. Von Geburt ein Pfälzer, stand er in seinem ganzen 
Wesen den Frankfurtern beträchtlich näher als die mittel- 
deutschen Reformatoren. Die städtischen Traditonen, unter 
denen er groß geworden war, bildeten gleichfalls von voto- 
herein eine Brücke, auf welcher er sich mit den Söhnen der 
Wahlstadt zusammenfand, während andere Theologen ihre 
Herkunft aus dem Kloster oder aus dem Bauernstande nicht 
verleugnen konnten. Vor allem aber imponierte er den 
Frankfurtern als der Humanist, der den Zusammenhang mit der 
Kirche festhielt und zu dessen Füßen ein Geschlecht heran- 
wuchs, welches — darin sehr verschieden von den Auf- 
klürungsmünnern Italiens — die religiösen und sittlichen 
Werte  festhielt, ohne auf die  wissenschaftlichen und 
ästhetischen Ideale des Zeitalters zu verzichten. Unter 
diesem Gesichtspunkte hatten die Patrizierfamilien längst 
angefangen, ihre Söhne zu ihm nach Wittenberg zu schicken, 
und dureh diese seine Zöglinge war er auch persönlich den 
Frankfurtern bekannt geworden. Nach dieser Seite lag auch 
der erste Dienst, den sich der Rat von ihm leisten ließ. 
Bereits bei den Verhandlungen über die Wittenberger 
Konkordie 1536 sprach er dem Vertreter der Stadt, dem 
Prädikanten Johann Bernhard Algesheimer, sein Befremden 
darüber aus, daß über die Frankfurter Schule, die damals 
unter Leitung Mosers stand, nicht viel Gutes zu berichten 
war, und stellte seinen Rat und seine Mitwirkung in Aus- 
Sicht. Als er dann im September 1536 auf der Durchreise 
in seine Heimat ein paar Tage in der Stadt weilte, scheint 
der Rat seine Anwesenheit benützt zu haben, um sich für 
die Reorganisation der Lateinschule von ihm Winke geben 
zu lassen!) Jedenfalls wurden. am 18. Januar 1537 
.Sehrifften Herrn Philipp Melanchthons die Aufrichtung der 
Schulen betreffend“ auf dem Römer verlesen, auf Grund 
deren — sie sind uns leider nicht mehr erhalten — eine 
Kommission eingesetzt wurde, deren Bemuhungen im Sep— 
tember 1537 zu einer zweiten Berufung des Jakob Mieyllus ?) 
führten. Der lange Aufenthalt. welchen er dann aus Anlaß 
der Frankfurter Tagung von Mitte Februar bis Mitte April 
1539 in der Stadt nahm, wo er in dem Elternhause seines 

) Classen, Beziehungen usw. S. 28. 

*) Vgl. über ihn Classen, Jacob Micyllus, Rector zu Frankfurt 
a. M. 1524—1533 und 1537—1547, sls Schulmann, Dichter und Ge- 
lehrter. Frankfurt a, M. 1858. — Steitz, Abhandlungen zu Frankfurts 
Reformationsgeschichte. (S. A. aus F. A. V.) 1872, S. 216 ff.: Des 
Rector Micyllus Abzug von Frankfurt 1533, nach seinen bisher un- 
ermittelt gebliebenen Ursachen. 

Archiv für Beformatonsgeschiohte. XX. 34. 11 


154 


Schülers Claus Bromm Gastfreundschaft genoß ), kam durch 
seinen Verkehr mit Micylius auch wieder dem städtischen 
Schulwesen zugute. Daneben aber begleitete er auch die 
kirchliche Entwickelung der Stadt mit seinem aufmerksamen 
Interesse, wie wir aus seinem Postskriptum zu dem Briefe 
von Friedrich Myconius an Luther und Justus Jonas vom 
3./4. März 1539 wissen: Frequentia in cbncionibus magna 
est... Utinam tenerae adhuc ecclesiae Deus aliquamdiu 
pacem concedat, sed talem, in qua efiam possint Ecclesiae 
ornari ). Dem Einflusse seines Geistes ist es wohl auch 
mitzuzuschreiben, wenn es der Raf nach der Berufung eines 
so entschiedenen Lutheraners wie Geltner geraten fand; in 
Männern wie Lullius, Ambach und Ligarius Persönlichkeiten 
in das Kirchenamt zu berufen, die der Wittenberger Ortho- 
doxie ferner standen und einen engeren Anschluß an den 
oberdeutschen Protestantismus erwarten ließen. 

.Zur Schlichtung der ärgerlichen Händel über Fragen 
der Liturgie scheint sich nun freilich der Praeceptor Ger- 
maniae nicht für die geeignete Persönlichkeit gehalten zu 
haben, und so überließ er die Leitung der Verhandlungen 
seinem Begleiter Pistorius und beschränkte sich seinerseits 
darauf, das Protokoll aufzunehmen). Johannes Pistorius, 
der bis 1583 in dem benachbarten Nidda wirkte und bei 
der Cölner Reformation mitgeholfen hatte, darf zu den Unions- 
theologen des 16. Jahrhunderts gezählt werden. Die päpst- 
lichen Legaten hatten ihm erst kürzlich in Regensburg das 
Zeugnis ausgestellt, er sei ein frommes, aufrichtiges, be- 
ständiges Männlein. Auch bei den Schweizern war er wohl- 
gelitten, da er von sich erklärte, se suam simpliciter (de 
sacra Coena) exponendo sententiam nec Zwinglium nee quen- 
quam damnasse. Id potius quaesivisse, ut ne propter ali- 
qualem dissensum in coena Domini charitas perfectionis 
vinculam rumperetur )). 

Die „Vergleichung der Prädikanten allhier zu Franck- 
furth im Jahr 43“, die unter dem Vorsitze dieses Mannes 


1) Steitz, Die Melanchthons- und Lutherherbergen zu Frankfurt 
a. M. S. 11. 

*) Classen, Beziehungen usw. S. 16. 

*) Das Protokoll mit den charakteristischen Schriftsügen Melanch- 
thons und vielen Einschaltungen und Verbesserungen findet sich in 
den Act. Eccl. Tom. III, 209 fl. Abgedruckt ist es bei Ritter, S. 289 
bis 291. Ueber den unzulünglichen Abdruck C. R. V, 158f. vgl. Classen, 
Besiehungen usw. S. 27 Anm. 64. 

*) Ritter S. 998f. 


155 


zustande kam!), befriedigte die Wünsche Geltners bezüglich 
der Tauffragen und der Einsegnung der Brautpaare. Da- 
gegen hielt sie es für besser, an dem bestehenden Tauf- 
und Abendmahlsritus nichts Wesentliches zu ändern, es würde 
denn durch mehr Stünde, so reiner Lehre anhingen, samt 
dieser Stadt eine Form, die für ordentlicher möcht bedacht 
werden, vorgenommen. Der Schluß enthielt ganz in dem 
friedfertigen Sinne, in welchem die Verhandlungen geleitet 
worden waren, die Mahnung: „Wo auch zwischen den pre- 
dicanten jn der lehr oder von ettlichen ceremonien Mißver- 
stand vnd Vneinigkeit furfiel, so sollen sie erstlich jn yrem 
gewohnlichen gesprech sich da von vnterreden, vnd sollen die 
andern den jrrenden vermanen sein vnrechte meinung fallen 
zu lassen, Wo aber solchs nicht helffe, sollen sie die streittige 
sach, one bitterkeit vnd one lesterwort an Ein Erbarn Radt 
gelangen lassen, der sich daruff wirt zu erzeigen wissen, vud 
so es wichtige sachen sind, wirt ein Erbar Radt bey andern 
Kirchen, da reyne lehr geprediget wirt, radt suchen. Vnd 
sollen also, alle zwispalt vffgehoben seyn, vnd wollen wir 
beide Pistorius vnd Philippus sie, die berrn predicanten vmb 
gottes willen gebeten haben sie als gottforchtige wollen got 
zu lob, vnd jn betrachtung, das sunst leider viell grösser 
zerrüttungen sind, vnd wir schuldig sind vnsere kirchen mit 
allem vleis zusamen zu halden, gemeine Einikeit jn dieser 
kireben vnd stadt albie erhalden helffen.“ 

Viel wichtiger für die kirchliche Entwickelung der Stadt 
als dieser Besuch Melanchthons waren die Ratschlüge, welche 
er in den Streitigkeiten über das Interim erteilte ?). 

Am 15. Mai 1548 war das Interim in Augsburg als 
Reichsgesetz proklamiert worden. Eine ganze Reihe katho- 
lischer Lehren und Einrichtungen, die von den Protestanten 
verworfen wurden, waren von ihm ausdrücklich beibehalten: 
die autoritative Schrifterklärung durch die Kirche, die 
Siebenzahl der Sakramente, die Transsubstantiationslehre, die 
Anrufung der Maria und der Heiligen, die Fastengebote, die 
alten Kirchenfeste, die Prozessionen, Chorhemden und Kerzen. 
Ein Zugeständnis, nicht au den Protestantismus, sondern den 
Episkopalismus war es, wenn neben dem Primat des Papstes 
auch das Recht der übrigen Bischöfe auf unmittelbare gött- 


1) Außer von Pistorius und Melanchthon ist sie noch unter- 
zeichnet von Peter Geltner, Matthias Limperger, Melchior Ambach, 
Johannes Lullius, Andreas Zöpffel, Sebastian Ligarius und Eberhard 
Haberkorn. 

23) Ueber die Einführung des Interims in Frankfurt unterrichtet 
im einzelnen Steitz, Hartmaun Beyer S. 25 ff. 

11* 


156 


liche Einsetzung zurückgeführt wurde. Rechnung getragen 
war der Reformation, wenn der Artikel von der Recht- 
fertigung eine Fassung bekommen hatte, in der allenfalls 
auch die Evangelischen ihre Auffassung ausgedrückt finden . 
konnten, und wenn die Messe statt für ein Sühnopfer viel- 
mehr für ein Gedenkopfer erklärt wurde. Die einzigen 
wirklichen Zugeständnisse an die Protestanten waren der 
Laienkeleh und die Priesterehe. Ueber den Entschluß des 
Kaisers, diese kirchliche Neuordnung auf jeden Fall durch- 
zuführen, war man in Frankfurt von Anfang an nicht im 
Unklaren. Dem Vertreter der Stadt, Dr. Humbracht, hatte . 
bei den Augsburger Verhandlungen der kaiserliche Vize- 
kanzler Heinrich Hase gedroht: „Das ist des Kaisers Meinung, 
daß er das Interim gehalten wissen will, und sollte er ein 
Königreich dartiber zusetzen. Lernet nur das Alte wieder, 
oder man wird euch Leute schicken, die es euch lehren; 
ihr sollt noch Spanisch lernen !).“ 

In Frankfurt richtete man in dieser kritischen Zeit die 
Blicke nach Sachsen, wo der Widerstand gegen das neue 
Reichsgesetz sich am kräftigsten regte, und verschaffte sich 
ein Gutachten, das Melanchthon für Moritz von Sachsen auf- 
gesetzt. hatte °). Dieses Gutachten beteuert zunächst, die 
Friedensliebe seines Verfassers und gibt auch zu, die Kirchen 
seien in vielen Landen also ungleich und zerrissen, daß die 
Notdurft erfordere, daß Kaiserliche Majestät auf eine ziem- 
liche Form trachte. Aber Melanchthon findet es mit dem 
vorläufigen Charakter des Interims, das die endgültige Ent- 
scheidung einem Konzil vorbehalten wollte, nicht entsprechend, 
daß es sich nicht auf das Notwendige beschränkt habe, 
sondern gegen Ende viel unnötige Sachen bringe, von denen 
zwar einige wie die Fasten und Kirchenkleider leidlich seien, 
andere aber, wie z. B. die Privatmesse, die Seelenmessen, der 
Kanon, die Anrufung der Heiligen von evangelischer Seite für 
unrecht und nichtig angesehen würden. „Dieser Stücke Auf- 
richtung“, erklärte er, „ist in unsern Kirchen nicht wohl mög- 
lich, und so sie sollen ins Werk gebracht werden, würde es Ver- 
folgung und große Betrübung machen, würden auch viel gott- 
fürchtiger Leut geärgert, und also verwundt, daß darnach 


) Steitz, Hartmann Beyer S. 82. 

) Philippi Melanchthonis Consilium 1548. Act. Eecl. III Suppl. 
Stück 2. Ohne Datum und Unterschrift, Abgedruckt C. R. VI. No. 4190. 
8. 842—845 mit Datum vom 1. April und der Ueberschrift: Responsio 
Philippi Melanchthonis ad Interim, bzw. Ein Bedenken D. Philipp 
Melanthonis an Herzog Moritzen des Interims halben. MDLVIII. 
Bei Steitz ist das Stück nicht berücksichtigt. 


157 


in ihren Herzen Unwille zu aller Religion aufwachsen würde, 
und sonderlich solche äußerliche Ceremonien, die vor Augen 
sind, bewegen das gemeine Volk heftiger denn andere 
Sachen, die nicht also vor Augen sind. Ich achte, daß 
solche Veränderungen in den großen Städten nicht werden 
aufgenommen werden. Auch würden Fürsten und andre 
Personen ausgeschrieen, als seind sie vom Glauben abge- 
fallen.“ —Diese entsehiedenen Sätze hinderten dann freilich 
Melanchthon nicht, im einzelnen mit seinen Zugeständnissen bis 
an die äußerste Grenze zu gehen. Von der Väter Lehre, 
von der Kirche, dem Papst, Bischöfen, Konzilien und Sakra- 
menten meinte er, man könne sich so vernehmen lassen, 
damit Kaiserliche Majestät sehen möge, daß der gute Wille 
zur Einigkeit vorhanden sei. Selbst der Fassung, die der 
Artikel von der Rechtfertigung gefunden batte, riet er nicht 
zu widersprechen. Er fand am Schlusse selber, daß er um 
gemeiner Einigkeit willen viel nachgegeben habe, aber er 
kündigte zugleich an, er wolle und müsse härter reden, so 
kein Friede zu erlangen sei, und er wies auf andere hin, 
die wohl nicht so gelinde reden würden. 

Das Bestreben zu jedem nur irgend müglichen Ent- 
gegenkommen war Wasser auf die Mühle der Frankfurter 
Friedenspolitik, die im Schmalkaldischen Kriege dahin ge- 
führt hatte, daß der Rat, um nur die Gunst des Kaisers 
nicht zu verscherzen, im Dezember 1546 die Stadt ohne 
Schwertstreich an Büren auslieferte, der schon an ihr vor- 
übergezogen war. So nahm der Rat jetzt auch das Interim 
an und verbot den Prädikanten, Kontroverspredigten zu 
halten. Ebenso sollten sie künftig in der Abendmahls- 
vermahnung den Passus weglassen: „Auch ist dies heilige 
Sakrament ein Kennzeichen dieser Zeit vor Gott und der 
Welt, daß wir mit Worten und Werken allen Verführungen 
des Papsttums und anderem Irrtum entsagen.“ Aber ab- 
gesehen von Peter Geltner zeigten sich die Prädikanten 
den Vorstellungen des Rates wenig zugänglich, und als 
dieser ihnen am 18. August zumuten wollte, am nächsten 
Sonntag die in dem Interim gebotenen Feiertage und das 
Fastengebot von der Kanzel zu verkündigen, weigerten sie 
sich dessen und begründeten ihren Widerspruch durch eine 
mannhafte Erklärung Melchior Ambachs. Durch Hartmann 
Beyer wandten sie sich zugleich im Namen einiger Nach- 
bargeistlichen an eine Reihe angesehener Theologen wie 
Pistorius, Brenz und Aepinus, auch an Melanchthon um Rat, 
was zu tun sei, si peterent gubernatores, ut ritus aliquos 
veteres adiaphoros restituamus, quia sperant, ea moderatione 
vel servitute potius obtineri posse, ne alia imperentur, quae 


158 


recipi non possunt!) Melanchthon kam diesem Wunsche 
nach und wiederholte den Frankfurtern und ihren Kollegen 
seine Ansicht in einer ausführlichen Darlegung vom 20. Januar 
1549. In dem Briefe, von welchem sein Votum begleitet 
war, gab er gegen den vop ihm vorausgesehenen Vorwurt 
der Schwäche seinen allgemeinen Gesichtspunkt an: Videor 
fortassis mollior aut timidior; sed omne consilium meum 
eo spectat, ne deserantur Ecclesiae. Auch der Bußruf 
fehlte nicht: Saepe cogito, haec mala, in quibus nune sumus, 
ex nostris dissidiis orta esse, et confirmatam esse audaciam 
eorum, qui stabilire impios cultas conantur, cum viderent 
nos de re non parva dissidere. Deploremus igitur nostras 
miserias, etf nostra moderatione eas lenire studeamus, ita 
ne prorsus Ecclesiae deserantur. 

Das Gutachten selbst muß für Beyer und seine Ge- 
sinnungsgenossen eine schwere Enttäuschung gewesen sein. 
Hatten sie erwartet, Melanchthon werde sie in ihrer ent- 
schiedenen Haltung bestürken und mit der Autorität seines 
Namens decken, so fanden sie nun gerade das Gegenteil. 

Melanchthon will nicht den starken Geistern Vorschriften 
machen, die, unbekümmert um die damit verbundene Gefahr, 
bei der geringsten Gelegenheit ein herrliches Bekenntnis 
ablegen möchten. Für sie hat er nur die Warnung, sie 
sollten nicht Igaovdeloı sein, so wie Petrus, der zuerst 
der treuste unter allen Aposteln sein wollte und dann seinen 
Herrn vor einer Magd verleugnete. Ihm handelt es sich 
um einen Rat für die Schwachen, und dabei ist er mit den 
vielen Fürsten einverstanden, die von ihren Pfarrern die 
Wiedereinführungeiniger alten, unwesentlichen Riten wünschten 
und sich von dieser entgegenkommenden Haltung für die 
Kirche den Gewinn versprachen, daB keine weitergehenden 


1) So rekapituliert Melanchthon die Anfrage in seinem Schreiben 
an die Frankfurter Pastoren und ihre Kollegen, C. R. VII, 321 Nr. 4175. 
Der Brief trügt das Datum vom 20. Januar 1549. Hiernach dürfte 
das Datum des gleichzeitigen Gutachtens Melanchthons, das C. R. VII, 
922—896 auf den 29. Januar ansetzt, zu berichtigen sein, Die Ab- 
schrift dieses Gutachtens Act. Eccl. Tom. III, 202—207, deren Lesart 
stellenweise von dem Text in C. R. abweicht, trägt kein Datum. Eine 
deutsche Übersetzung dieses Gutachtens findet sich Act. Eccl, III 
Suppl, 1. Stuck, mit der Überschrift: Sententia Philippi Mel: De 
rebus mediis, Die für Melanchthon besonders charakteristischen Stellen 
sind unterstrichen, und zwar — nach dem Unterschiede der Tinte zu 
schließen — von dem Referenten im Rate. Abgedruckt ist das Gut- 
achten auch bei Ritter S. 403ff. Der 29. Januar dürfte das Eingangs- 
datum sein. 


159 


Forderungen gestellt und die Gemeinden nicht um anderer, 
größerer Dinge willen verwirrt würden. Maßgebend ist ihm 
dabei der Rat des Petrus (1. Petr. 4, 17), man müsse leiden, 
wenn es nötig sei. Man müsse das Volk dazu erziehen, 
den Unterschied zu verstehen zwischen Notwendigem und 
Nichtnotwendigem. Das Bekenntnis der Wahrheit müsse 
sicherlich nicht nur bei den Gelehrten und Helden, sondern 
bei jedermann der Rücksicht auf Leben und Frieden vor- 
gehen, wenn z. B. die Wiederannahme von Irrlehren oder: 
der offenbare Mißbrauch der Messe oder die Anrufung der 
Heiligen verlangt werde. Aber wo die Beobachtung der 
alten Ordnung der Gesänge, Feiertage und Meßgewänder 
gewünscht werde, da dürfe man nicht ein ganzes Volk Ge- 
fahren ausseizen, und wenn bei Basel ein Mann verbrannt 
worden sei, der die Fasten gebrochen habe, so'sei zwar die 
Grausamkeit seiner Richter verwerflich und seine Charakter- 
festigkeit nur zu loben, aber er hätte gewiß nicht übel ge- 
tan, wenn er sich dieser Gefahr gar nicht erst ausgesetzt 
hütte, und keinesfalls dürfe man es andern durch den Hin- 
weis auf ihn zur Pflicht machen, die gleiche Gefahr zu suchen. 
Es sei auch noch die Frage, wer übel tue: wer fest und 
starr dabei bleibe, etwa in der Frage der Meßgewänder 
nicht nachzageben, um nur als charaktervoll gerühmt zu 
werden, auf die Gefahr hin, daß die Kirche veröde; oder 
wer sich füge und um des Wohls der Kirche willen aller- 
lei lästige Dinge hiunehme, die nicht geradezu gottlos seien, 
damit nur in den Haupsachen die Kirche in ihrem bisherigen 
Zustande erbalten bleibe und die Predigt des Evangeliums 
nicht verboten werde. Auch darauf macht Melanchthon 
aufmerksam, daß es noch ein anderes Feld gebe, auf dem 
jene entschiedenen Geister ihren Eifer betätigen könnten, 
nämlich die Kirchenzucht, aber da heiße es von manchen, 
daß sie Mücken seihen und Kamele verschlucken (Matth. 23, 24); 
— Pugnant aliqui de veste et interea prorsus tacent de dis- 
ciplina, imo magis iam?) laxant, tacent et de excommuni- 
catione ef aliis nervis vitiosorum cultuum. Auf die christ- 
liche Freiheit dürfe man sich in dieser Frage nicht berufen, 
denn nicht um sie handle es sich jetzt, sondern um die not- 
wendigen Artikel der Lehre, die christliche Freiheit aber 
sei mannigfach mißbraucht worden. Sie werde aber durch 
die Unterwerfung unter das Interim auch gar nicht berührt, 
wofern nur die rechte Lehre erhalten bleibe. Denn der 
wahre Gottesdienst bestehe nicht in den Riten, sondern in 
größeren Dingen, im wahren Glauben, in der Anrufung, in 


1) Ist wohl Schreibfehler für eam. 


160 


Liebe, Hoffnung, Geduld, Wahrheit, Bekenntnis, Keuschheit, 
Gerechtigkeit gegen den Nächsten und anderen Tugenden. 
Ohne jene Lehre und ohne diese Tugenden sei die äußere 
Freiheit in Speisen, Kleidung und &hnlichen "Dingen gar 
keine christliche Freiheit, sondern nur eine neue äußere 
Ordnung (nova politia), die allerdings dem Volke mehr be- 
hage, weil sie nicht soviel Gebundenheit an sich habe. Zum 
Schlusse erfahren wir auch, warum Melanchthon sich so 
leicht mit den alten Bräuchen wieder anfreundet: sie sind 
ihm selber lieb, Hält man ihm das Pauluswort (Gal. 2, 18) 
entgegen: „Wenn ich das, so ich zerbrochen habe, wiederum 
baue, so mache ich mich selbst zu einem Ueberireter,^ so 
erkennt er die Richtigkeit dieses Wortes für Paulus an: 

Non erravit Paulus in destruendo. Für seine eigene Zeit 
aber macht er die bedeutungsvolle Einschränkung, daß an 
der Beseitigung der alten Riten nostra infirmitas schuld ge- 
wesen sei; namentlich die Abschaffung der Privatbeichte 
kann er nicht verschmerzen, und ihre Wiedereinführung hätte 
er längst gewünscht. Deshalb rät er: Fateamur nos homines 
esse ef potuisse quaedam temere et incircumspecte dicere 
et facere. Talia, si qua sunt, non gravatim emendemus. 
Nee restitutio aliorum rituum mediorum praevaricatio est, 
cum doctrinae puritas retinetur. Zuletzt klingt das Gutachten 
aus in die. Mahnung, nicht immer neuen, unnötigen Streit 
heraufzubeschwören, und in den Wunsch, der Sohn Gottes, 
unser Herr Jesus Christus, wolle das Licht der wahren Lehre 
und die wahre Anrufung nicht auslöschen lassen. 

Wir besitzen kein unmittelbares Zeugnis über die Auf- 
nahme, welche dieses Votum Melanchthons bei den Frank- 
furter Pfarrern gefunden hat. Wenn es immer wieder sich 
bemühte, eine durior opinio zurückzuweisen und die duri 
und docti auf die praktische Tragweite dessen, was sie 
horride et Stoice gegen jeden Vorschlag zur Nachgiebigkeit 
vorbrachten, hinwies, so waren das ebensoviel Versuche, die 
Frankfurter Prüdikanten zu modestia et tolerantia in unter- 
geordneten Fragen zu bestimmen und sie davon zu Über- 
zeugen, daß haec ipsa submissio, cum?) fieret retinendi 
Evangelii causa, honestior esset quam superbia in deseren- 
dis ecclesiis. Aber der weitere Gang der Dinge zeigte, wie 
wenig Eindruck diese Ausführungen auf das Predigermini- 
sterium machten. Dagegen gab es dem Rate, der von seinem 
Inhalte Kenntnis erhielt, Anlaß, den Prädikanten seine Forde- 
rungen von neuem einzuschürfen. Am 22. Februar und am 
12. März 1549 verlangte er von ihnen, sie sollten mindestens 


1) C. R.: si. 


161 


die Alba anlegen und beim Abendmahl Kerzen auf dem 
Altar anzünden. Da er sich dabei auf das Gutachten Me- 
lanchthons berief, so nahm Hartmann Beyer Veranlassung, 
ihm in einem ausführlichen Schreiben zu beweisen, daß 
diese Berufung nicht statthaft sei. Um diesen schwierigen 
Nachweis zu erbringen, der Melanchthon doch nur das Gegen- 
teil von dem sagen lassen wollte, was dieser tatsächlich ge- 
sagt hatte, „geht er auf dessen Unterscheidung des Not- 
wendigen und Zufälligen ein, sucht aber die Grenzlinie 
zwischen beiden mit Schärfe zu bestimmen. Zum Kern und 
Wesen des Evangeliums, wovon die Kirche auch nicht ein 
Haar breit weichen dürfe, rechnet er vor allem die Lehre 
von der Rechtfertigung aus dem Glauben allein, mit Ver- 
werfung der Sätze: der Mensch werde vor Gott durch die 
Werke gerecht, oder durch Glauben und Werke, oder durch 
Glauben, Liebe und Hoffnung. Wesentlich sind ihm ferner 
die Lehren von Christo, dem einzigen Mittler, von dem Unter- 
schiede zwischen göttlichen Gesetzen und menschlichen Ueber- 
lieferungen, von der Berechtigung aller Stände zur Ehe, von 
der wahren Kirche, deren Merkmal ihm nicht die Zahl der 
Glieder ist, noch die äußere Macht, noch die Zeit ihrer 
Dauer, sondern die lautere Predigt des göttlichen Wortes 
und der rechte Gebrauch der Sakramente, sowie das Kreuz 
und die Trübsal, welche dem Bekenntnisse folgen. In Be- 
ziehung auf die Sakramente betrachtet er als wesentlich ihre 
Zahl und ihren Gebrauch, der das Opfern, Herumtragen und 
Anbeten der Hostie ausschließe. Was in diesen Lehren ent- 
halten sei, dürfe nicht nur affirmativ, sondern auch negativ, 
d. h. durch ausdrückliche Verwerfung des Gegenteils, aus- 
gesprochen werden; ja, diese letztere Behandlung sei die 
nachdrucksvollere und fruchtbarere, wie denn auch Gott die 
zehn Gebote in negativer Form aufgestellt habe. Wenn 
diese Lehren in ihrer ganzen Reinheit und ihrem ungeschmä- 
lerten Umfange bewahrt würden, könne man im übrigen, 
in Melanchthons Sinne, wohl zweckmäßige Aenderungen vor- 
nehmen. Der Magistrat aber erfülle diese Bedingung nicht, 
da er die wahre Lehre beschränke und Mißbräuche anzu- 
zeigen und zu strafen verbiete. Darum dürfe er sich auch 
Melanchthons Folgerung nicht aneignen*!) Der Streit um 
das Interim setzte sich dann noch lange fort, bis zum Jahre 
1553. Dann gaben die Prüdikanten „aus christlicher Frei- 
heit und Liebe^ wenigstens in der Frage der Feiertage nach. 
Auf den Dom hatten sie bereits im Herbst 1549?) verzichten 
miissen. 


1) Steits, Hartmann-Beyer S. 12f. 
*) Oder schon 1548? 


162 


Der Verkehr zwischen Melanchthon und Hartmann Beyer, 
der in diesen Kämpfen eine besonders exponierte Stellung 
einnahm, brach auch in diesen kritischen Zeiten nicht ab. 
Aus einem Briefe Melanchthons, den die Herausgeber des 
Corpus Reformatorum dem Jahre 1550 zugeschrieben haben)), 
ersehen wir, daB sich Beyer in Wittenberg Rats erholte 
(tu nune consilium flagitas). Doch ist nicht ersichtlich, um 
was es sich handelte (Non scio, quid . . .) a vobis). Es 
scheint sich um eine Meinungsverschiedenheit mit Geltner 
gehandelt zu haben, der in den Interimsstreitigkeiten seine 
eigenen Wege ging (Petrum miror suis interpretationibus 
lenire manifeste absurda. — Der „handgreifliche Unsinn“ 
Geltners ist uns freilich gänzlich unbekannt. Die Verant- 
wortung, die für Melanchthon mit der Erteilung eines Rates 
verbunden ‚war, schien groß, aber er wich ihr nicht aus. 
(Non fugio periculum in dando consilia) Beyer muß sich 
für seine Stellungnahme auf sein Gewissen berufen haben, 
und Melanchthon versicherte ihm, daß er ihn nichts wider 
sein Gewissen tun heißen werde. (Te non iubeo aliquid 
facere contra conscientiam.) Im folgenden Jahre?) be- 
scheinigte Melanchthon „seinem Freunde“ Beyer auf Grund 
der Lektüre einiger seiner Schriften 9: Pietatem tuam, et 
in explicatione dogmatum diligentiam et fidem probo, und 
suchte zugleich durch seine Vermittelung für einen jungen 
Verwandten Wellers, Johannes Stumm aus Freiberg, eine 
Stellung im Schuldienst in Frankfurt oder anderswo. Aus 
den folgenden Jahren liegen uns von Melanchthon Beteuerungen 
seiner Freundschaft mit Beyer vor°). Beyer seinerseits unter- 
ließ es nicht, wenn er nach Thüringen und Sachsen reiste, 
auch Melanchthon aufzusuchen. Aber wer erkennt nicht an 


1) C. R. VII, 711. Nr. 4830. 

*) C. R. ergänzt die Lücke: requiratur. 

3) Am 20. August 1551. C. R. V, 822f. Nr. 4941. 

*) Gemeint sind jedenfalls die veiden in jener Zeit von ihm 
pseudonym veröffentlichten Bücher, die Steitz S. 182 Anm. 185 er- 
wähnt. Nicht gekannt hat Steitz übrigens die in dem Briefe bezeugte 
Publikation von Aepins oúyyoapna neol Óuxatoobvag. 

5) C. R. VIII, 158. Nr. 5476. Brief an Beyer vom 6. Oktober 1553: 
Volo nempe inter nos perpetuam esse amicitiam, C. R. VIII, 484. 
Nr. 5785 vom 20. Mai 1555: Cum et utiliter servias Ecclesiae dei in 
propagatione doctrinae et coniunctionem Ecclesiarum nostrarum eximia 
pietate et constantia tuearis, diligi te ab omnibus piis iustum est. 
Mea etiam erga te benevolentia confirmata est vetustate, Quod autem 
raro ad te scribo, fit non oblivione tui, sed propter occupationum 
nostrarum confusionem. 


163 


der Geflissentlichkeit, mit welcher namentlich Melanchthon 
jetzt seine freundschaftlichen Gefühle betont, daß es dieser 
ausdrücklichen Betonung bedurfte, und daß bereits der 
Zündstoff sich ansammelte, der im Jahre 1557 zu jener 
Explosion zwischen den beiden Männern am Tische Claus 
Bromms führte? Est intimus Vestphalo, berichtete damals 
Languet als Augenzeuge über Beyer an Calvin!) Daß aber 
bei dem Frankfurter Prüdikanten die Freundschaft mit 
Westphal an die Stelle derjenigen mit Melanchthon treten 
konnte, das batte seine letzte Ursache in seiner Unzufriedenheit 
mit der Haltung Melanchthons in der Frage der Adiaphora. 

Die Spannung, welche seitdem zwischen beiden Münnern 
bestand und weder durch Briefe, noch durch persönliche 
Begegnungen sich beseitigen ließ, führte in der Folge dazu, 
daß der Einfluß Melanchthons auf die Frankfurter Kirche 
in den fünfziger Jahren merklich zurückging. Man traute 
ihm hier nicht mehr recht, nachdem er im Streit um das 
Interim eine so große Nachgiebigkeit bewiesen hatte. Und 
die Stellung, welche er dann in der Abendmahlsfrage ein- 
nahm, als der zweite Abendmahlsstreit ausgebrochen war, 
diente nicht dazu, sein Ansehen zu stärken. 

Diese Entwicklung wird uns aber noch verständlicher, 
wenn wir beobachtet haben, wie gleichzeitig das lutherische 
Element im Predigerministerium die Oberhand bekam. 


6. Das Erstarken des lutherischen Elementes. 


Schon mit der Uebersiedelung Butzers nach England 1549 
schied eines der vermittelnden Elemente aus, die bis dabin 
den dogmatischen Charakter der Stadt bestimmt hatten. 
Nachdem dann der adiaphoristische Streit die bisher unbe- 
strittene Autorität Melanchthons erschüttert hatte, wuchs sich 
mit dem Beginn des zweiten Abendmahlsstreites das Gnesio- 
luthertum auch in Frankfurt zu einem Faktor aus, der für 
den weiteren Gaug der Dinge allmälig mafgebende Be- 
deutung erlangte. Ihm schlossen sich jetzt auch hier die 
Mehrzahl der Pfarrer an, und nicht nur ziffernmäßig waren 
seine Vertreter hier nun bald im der Mehrheit, sondern sie 
standen auch moralisch wegen ihres charaktervollen Auf- 
tretens gegen das Interim in hohem Ansehen. 

Lutber selbst hatte die Frankfurter Verhältnisse, seit er 
durch Cellarius für sie interessiert worden war, nicht wieder 
aus dem Auge gelassen, und wenn wir hören, daß der 
spätere Frankfurter Prädikant Hartmann Beyer, ein geborener 


1) Brief vom 15. März 1558. C. R. IX, 484, 


164 


Frankfurter, von 1534 an bis za Luthers Tode in Witten- 
berg studierte!), so wissen wir auch, auf wen seine Infor- 
mationen über die kirchlichen Zustände in der alten Kaiser- 
stadt zurückgingen. Auch in Frankfurt ließ man die Be- 
ziehungen zu dem anerkannten Haupte des deutschen Pro- 
testantismus nicht abbrechen. Man wandte sich 1535 an 
Luther wegen der Wiederherstellung der Messe im Dom), 
und ebenso nahm man außer den Diensten von Brenz?) 
auch die seinen in Anspruch“), als man um dieselbe Zeit 
auf der Suche nach einem Nachfolger für Melander war. 
Luther hätte es damals am liebsten gesehen, wenn Cellarius 
nach Frankfurt zurückgekehrt wäre. Aber die Verhandlungen 
zerschlugen sich. Die Frankfurter beriefen daraufhin 1536 
Nikolaus Maurus aus St. Goarshausen, einen unverträglichen 
Menschen, den man schon nach kurzer Zeit gern wieder 
ziehen lief?) Geneigter einem Rufe nach Frankfurt zu 
folgen, war Cellarius 1539. Sein Hausrat war bereits dahin 
unterwegs, als er sich in letzter Stunde noch entschied, lieber 
nach Dresden zu gehen“). Doch hinderte ihn das nicht, 
sich 1540 von Frankfurt zum Wormser Religionsgespräch 
abordnen zu lassen *). 

Mit ihm war zugleich Peter Geltner in Worms, der 1536 
in den Frankfurter Kirchendienst eingetreten war und bis 
zu seinem Tode (1572) blieb. Er war ein entschiedener 
Vertreter des genuin süchsischen Luthertums, das mit durch 
sein Ansehen zum Siege in der Stadt gelangte. Ihm waren 
alle, die in der Abendmahlslehre nicht den schroff lutherischen 
Standpunkt einnahmen, ,Sakramentierer", und er hielt es, 
wie sich in dem Katechismusstreite zeigte, für seine Pflicht, 
den Rat und die Gemeinde gegen sie scharf zu machen, 
selbst wenn sie seine nächsten Kollegen waren?) Es be- 


1) Steitz, Hartmann Beyer, S. 10. 15. 

*) Brief des Rates an Luther und Melanchthon vom 27. Oktober 
1535. Enders X, 251 ff. 

) Ritter S. 221, Man dachte damals auch daran, Schnepf nach 
Frankfurt zu ziehen. 

) Erl. Ausg. 55, 113. Vgl. dazu Enders X, 271: Brief des Rates 
an Luther vom 98, November 1535. 

5) Vgl. Enders X, 271 Anm. 2. 

) Vgl. seinen Brief aus Dresden an den Frankfurter Rat vom 
1. Juli 1539, Bei Ritter 8. 131f. 

) Eine sonst nicht bezeugte zweite Tätigkeit des Cellarius in 
Franifurt, die Dechent 8.153 gern annehmen möchte, ist hieraus 
nicht zu folgern. Theologen wurden damals auch sonst ausgeliehen. 

) F. N II. 62. 


168 


reitete ihm dabei auch nicht die geringsten Skrupel, daB 
auf der Tagung des Schmalkaldischen Bundes in Frankfurt 
der Kaiserliche Gesandte eben dieses Schlagwort hatte be- 
nützen wollen, um Uneinigkeit in die Reihen der Verbündeten 
zu bringen, die Versammlung aber ihm auf diesem Wege 
nicht gefolgt war!). Sympathischer berührt es uns, daß er 
eine hervorragende Arbeitskraft war und über eine große 
Gelehrsamkeit verfügte. Der Rat machte sich seine Ge- 
lehrsamkeit gern zunutze, indem er ihm bei Streitigkeiten 
mit dem Mainzer Erzbischof wegen des Dominikanerklosters 
die: Ausarbeitung von Gutachten über die Rechtslage der 
Klöster in der Stadt übertrug“). Ebenso empfahl er sich 
dem Rate durch seine Fähigkeit, sich schwierigen Verhält- 
nissen mit Geschick anzupassen. Das zeigte sich besonders 
in den kritischen Zeiten, welche mit dem Interim anbrachen. 
An der Spitze seiner Kollegen hatte damals der greise 
Melchior Ambach erklärt, er könne sich dem Gebote, die 
katholischen Feiertage und die Fastenordnung wieder ein- 
zuschärfen, nicht fügen, und das tapfere Bekenntnis abgelegt: 
„Muß ich schon ins Elend, welches doch mir alten und 
Schwachen hoch beschwerlich, oder sonst etwas, so Gott 
über mich verhängen möchte, drob gewarten, so ist's besser, 
in der Menschen, denn Gottes Zorn und Urteil fallen“). 
Geltner aber meinte wie der Rat, mit Nachgiebigkeit am 
weitesten zu kommen, und verktindigte die Gebote. Dabei 
behauptete er, das Interim sei durchaus dahin gerichtet, 
daß es auf den Glauben an Christum weise, und verschanzte 
sich dann hinter der Erklärung: „Wo der Glaube an 
Christum ist, da kann man sich solche andere Dinge nicht 
irren lassen.“ Auch sonst liebte er es, seine eigenen Wege 
zu gehen. Hartmann Beyer, der ihm theologisch sehr nahe 
stand, nannte ihn einen Mann von verschlossener Gemtitsart 
und zweideutigem Charakter, und selbst der Verdacht wurde 
geäußert, daß ihm die Gunst der Großen wichtiger sei als 
die Stimme seines eigenen Gewissens“). Wenn sich später 
Poullain, der doch in der ersten Zeit viel Verkehr mit den 
Vertretern des Luthertums in der Stadt unterhielt, zu diesem 
Mann nicht hingezogen fühlte, so ist das einem so eigen- 
artigen Charakter gegentiber nicht eben auffallend. 


1) Vgl. die Briefe Calvins an Farel vom März und April 1589. 
Calv. Opp. X, 2. p. 880. Nr. 164 und p. 841, Nr. 169. 

3) Steitz, Hartmann Beyer, S. 167. 

) Ebenda S. 86. 

) Steitz, Hartmann Beyer, S. 87. 


166 


Es begreift sich unter diesen Umständen auch leicht, 
daB Geltner, obwohl der älteste, doch an Ansehen bedeutend 
überflügelt wurde durch einen anderen Kollegen, der zwar 
erst zehn Jahre nach ihm sein Pfarramt in Frankfurt an- 
trat, aber durch sein mannhaftes Verhalten in den Kämpfen 
um das Interim sich das höchste Maß von Achtung und 
Vertrauen in der Bürgerschaft erwarb, aus deren Mitte er 
selber hervorgegangen war. Es war Hartmann Beyer, der 
für den 1545 verstorbenen Sebastian Ligarius an die Peters- 
kirche berufen wurde. Er war 1516 in Frankfurt geboren 
und durch ein Stipendium der Stadt in die Lage versetzt 
worden, seit 1534 in Wittenberg zu studieren, wo er 1539 
zum Magister der freien Künste promovierte, aber erst nach 
Luthers Tode sich examinieren und ordinieren ließ. Sein 
Interesse gehörte in jenen Jahren ganz besonders stark neben 
der Theologie der Mathematik. Als den Gewührsmann für 
Luthers Kenntnis der Frankfurter Dinge haben wir ihn be- 
reits kennen gelernt. Doch scheint er dem strengen Luther- 
tum nicht von Anfang ergeben gewesen zu sein. Auf nähere 
Beziehungen zu Melanchthon, der selber das Alter seiner 
Freundschaft mit ihm betonte, weist es hin, wenn der Prae- 
ceptor Germaniae bei seinem Aufenthalt in Frankfurt im 
Sommer 1536 bei Antonius Eller Quartier nahm, der Beyer 
bis an sein Ende nahe stand!) Einen Vertreter milderer 
Anschauungen wenigstens in seinen jüngeren Jahren lift 
es vermuten, wenn er sich zunächst an Ambach anschloß, 
mit ibm in dem Streite um das Interim Schulter an Schulter 
kämpfte und in schwierigen Füllen sich mit ihm besprach. 
In dieselbe Richtung scheint es auch zu weisen, daß er sich 
in dritter Ehe mit der Tochter seines Amtsvorgängers ver- 
mühlte. Erst nach dem Ausbruche des zweiten Abendmahls- 
streites, als er durch den Buchdrucker Brubach mit Joachim 
Westphal bekannt geworden war, scheint sich seine Wand- 
lung angebahnt zu haben. Poullain konnte anfangs noch 
ganz unbefangen mit ihm verkehren; nicht er, sondern 
Geltner üuDerte die ersten Bedenken gegen die Fremden. 
Interessant ist der Rat, welchen ihm Luther bei der Berufung 
in die Frankfurter Heimat mitgab. Hatte Geltner in den 
ersten Jahren unnötige Aufregung verursacht, indem er die 
Zeremonien der sächsischen Kirche nach Frankfurt zu ver- 
pflanzen suchte, wo man von ihnen nichts wuDte und auch 
nichts wissen wollte, so mahnte Luther den neuernanuten 
Frankfurter Prädikanten zur Vorsicht in diesen Dingen: er 
solle es so belassen, wie er es finde, und sofern die Lehre 


1) Steitz, Melanchthons- und Lutherherbergen. S. 11. 


167 


lauter und rein getrieben und geduldet werde, in den kirch- 
lichen Gebräuchen keine Aenderung vornehmen, weil diese an 
sich „ein frei Ding“ seien und nichts gäben noch nühmen!) 
Bei den Erürterungen über die Durchführung des Interims 
scheint sich Beyer dieses Rates erinnert zu haben, und 
Luthers Rat scheint ebensoviel Anteil wie das Verhalten 
Ambachs an der Haltung zu haben, die er damals einnahm. 
Bei dem Widerstande, den die Prädikanten der Forderung 
des Rates, sich dem Kaiser zu fügen, entgegensetzten, 
stand er bald mit in der vordersten Reihe?) Nicht er und 
seine Kollegen, so gab er dem Rate zu bedenken“), brüchten 
mit ibrem Widerspruch gegen das Interim die Stadt in Ge- 
fahr, sondern der Rat selbst, der so schwach gewesen sei, 
das Interim anzunehmen, und er unterließ es nicht, auf die 
Folgen der kaiserlichen Verordnung hinzuweisen: ,Warum 
läßt denn das Interim die in Meißen, die in der Grafschaft 
Dillenburg und an anderen Orten mehr nicht unverworren 
und unbeschwert, welche der Mitteldinge viel zuvor gehabt, 
als Lichter, Bilder, Gefäße, den Ornat, lateinische Gesänge, 
Orgel, Vesper, Feste und Feiertage, welches von außen dem 
Papsttum fast gleich anzusehen, sondern dränget sie, in allen 
Dingen dem Interim nachzukommen, welches nicht solche 
geringe Dinge allein, sondern Wiederaufrichtung und Stärkung 
aller päpstlichen Abgötterei, Greuel, Tyrannei, Gotteslästerung, 
Menschensatzungen und Aberglauben unter falschem Schein, 
durch listige, heimliche und geschwinde Griffe sucht?“ Als 
der Rat, um ihn kaltzustellen, ihn (1550) vom Pfarramt in 
das Rektorat der Lateinschule zu bringen suchte, lehnte er 
diesen Stellentausch ab und erklärte dabei: „Man gibt mir 
schuld, ich sei zu geschwind. Ich leugne es nicht, aber die 
Ursache ist die, weil ich mich nicht mit Fleisch und Blut 
bespreche und nicht meiner Vernunft folge, sondern sehe, 
was mein Amt und Beruf erfordert, und demselben mit 


1) So berichtet Beyers erster Biograph Petrus Patiens. F. R. II, 68. 

* Da wir gerade über seine Stellung zum Interim besonders 
gut unterrichtet sind — er bat sehr frühe schon in Petrus Patiens 
einen Biographen und Lobredner gefunden —, so ist es Übung ge- 
worden, ihn als die Seele des Widerstandes gegen das Interim hin- 
zustellen. Er selber hat diese Rolle doch abgelehnt, er fühlte sich mehr 
geschoben und wurde dann von seinem jugendlichen Ungestüm weiter 
getrieben, Es scheint, daß Ambach, der bisher in der Frankfurter 
Kirchengeschichtschreibung recht stiefmütterlich behandelt worden ist, 
zunüchst die treibende Kraft gewesen ist. 

3) Steitz, Hartmann Beyer 9. 43 ff. 


168 


allem Ernst und Fleiß nachkomme. Das ist etlichen ver- 
drieBlich und dünket sie unnötig. Wenn ich darauf sähe, 
was den Menschen wohlgefällt, würde ich auch etwas ge- 
linder sein.. . Ich habe anfänglich, wie ich mich auf das 
Studium der Theologie ergeben, gar wohl zuvor bedacht- 
und mich also darin ergeben und nur Gott gebeten, daß 
er mir seine Gnade, meinem Amte nachzukommen, und auch 
Geduld in demselben möge verleihen .... Ich begehre 
also zu handeln, daß ich ein gut Gewissen behalte und daß 
ichs vor Gott und verständigen Leuten könne verteidigen“). 
Als dann wenige Jahre später (1553) über die von dem 
Rate betriebene Wiedereinführung einiger Feiertage aufs 
Neue ein Streit entbrannte und der kluge Geltner sich mit 
diplomatischem Geschick aus der Schwierigkeit zog, seufzte 
Beyer: „Ich muß allweg der sein, der der Katz die Schelle 
anhüngt, das Licht putzen und verbrennen muB. Doch — 
fuhr er fort — möcht’ ich in dieser Sache alles mit gutem 
Gewissen tun“ ). Da er sich unnachgiebig zeigte, wollte 
der Rat an ihm ein Exempel statuieren und sprach seine 
Absetzung aus. Aber schließlich mußte diese Maßregel 
wieder rückgängig gemacht werden. Denn Beyer genoß, 
namentlich seit dem Streit um das Interim allgemein An- 
sehen und Vertrauen in der Bürgerschaft, und den Rat 
lüstete es nicht nach neuen Unruhen in der Stadt Seit 
seiner Wiedereinsetzung aber war der Einfluß des feurigen 
Mannes größer als je zuvor, und auch in den Streitigkeiten 
mit den Fremden, die bald darauf einsetzten, ist im Grunde 
er es gewesen, der den Sieg davongetragen hat. 

Mit Beyer war gleichzeitig Marcus Sabander (oder 
Sebander, Eydmann) berufen worden, der früher Mönch im 
Frankfurter Dominikanerkloster, dann Wollenweber in Fulda 
und zuletzt bis zur Uebernahme des Pfarrdienstes in Sachsen- 
hausen Pfarrer in der Rhön gewesen war. In seinem 
wechselvollen Leben allmählich müde und „baufällig“ ge- 
worden '), ist er neben Beyer nicht weiter hervorgetreten, 
erscheint aber mit seiner Unterschrift unter dessen Eingaben 
gegen die Fremden als sein Gesinnungsgenosse. 

Ebenso „baufällig“ wie er waren bis zur Ankunft der 
Fremden auch Melchior Ambach und Johannes Lullius ge- 
worden), die als die einzigen Vertreter des oberdeutschen 
Typus noch im Amte standen, für das kirchliche Leben der 


1) Ebenda S. 57 ff. 
*) Ebenda S. 69. 
3) F. R. II, 67. 69. 
*) F. R. 64f. 


169 


Stadt aber so gut wie ausgeschaltet waren, seitdem sie 
(1551) ihre Predigttätigkeit eingestellt hatten). 

Um dieselbe Zeit traten zwei junge Frankfurter in das 
Predigerministerium ein, — eine Frucht der Anregung, die 
einst Capito in seiner „Ermahnung“ 1535 gegeben hatte, 
etliche Jungen, so eines frommen Wesens und ehrbaren Ver- 
standes wären, zur Theologie und zukünftigen Pfarrherren 
xu erziehen, denn Frankfurter Kinder würden ja mehr An- 
mut zu ihrem Vaterland haben, denn etwa Fremde, die ge- 
wöhnlich sich selbst suchten *). Beide sehen wir später ent- 
schieden auf der Seite Geltners und Beyers stehen. Der 
eine ist Christian Egenolph, der Sohn des bekannten Buch- 
druckers und im Unterschiede von ihm „der Jüngere“ ge- 
nannt, noch während ‚seiner amtlichen Wirksamkeit in dem 
Geschäfte seiners Vaters tätig '), der andere Matthias Ritter, 
der Sohn eines ehemaligen Barfüßers, der Begründer eines 
ganzen Geschlechtes von Pfarrern, die einander in der 
Führung des Pfarramtes in ihrer Vaterstadt ablösten. 

Dank der Fürsorge Philipp Fürstenbergers und Justinians 
von Holzhausen hatte der frühe verwaiste Ritter eine 
gründliche Ausbildung erhalten und noch in den letzten 
Jahren Luthers bei diesem und Melanchthon Theologie studiert. 
Als Erzieher der Söhne Holzhausens war er dann mit seinen 
Züglingen nach Straßburg gekommen, wo er Martin Butzer 
näher trat), und hatte schließlich noch Paris, Poitiers ufid 
Angers und die gelehrten Studien, die an diesen Universi- 
täten getrieben wurden, kennen gelernt. Die Beziehungen, 
die er in diesen Jahren angekntipft, hat er später in einer 
ausgedehnten Korrespondenz mit lutherischen Theologen des 
In- und Auslandes°) gepflegt und aufrecht erhalten. Da er 
von seinen ausgedehnten Reisen her die französische Sprache 
gründlich beherrschte, wurde er später dazu ausersehen, die 
Verhandiungen der Stadigeistlichen mit den Fremden zu 
führen. In der Zeit, in welcher er in der Frankfurter Kirchen- 
geschichte hervortritt, ist bei ihm in theologischer Hinsicht 
von einem Einflusse seiner Bekanntschaft mit Butzer und 


1) Steitz, Hartmann Beyer, S. 107, 

*) Ritter S. 818. 

) Steitz, Hartmann Beyer, S. 105 f. 

) An ihn wandte sich deshalb auch (am 99. Deszenver 1584) 
D. J. Pappus, als er den litterarischen Nachlaß Butzers su sammeln 
suchte. F. R. II, 16f. 

5) Aufbewabrt in den Akten des Ev.-luth. Predigerniinisteriums, 
aber heute nicht mehr in derselben Vollständigkeit vorhanden wie 
zur Zeit Ritters. Vgl. das Verzeichnis bei Ritter S. 480f. 

Arehiv für Reformationsgesehichte. XX. 5/4. 19 


170 


Melanehthon nichts mehr zu bemerken. Da erscheint er viel- 
mehr als der Vertreter jenes intransigenten Luthertums, das, 
bei dem alternden Luther in die Schule gegangen und von 
der Denkweise Melanchthons unberührt, mit der evange- 
lischen Heilserkenntnis zugleich auch ihre konfessionell- 
dogmatische Ausprägung mit schroffer Ablehnung nicht nur 
des Papismus, sondern auch des Schweizer und des ober- 
deutschen Lehrtropus übernommen hatte. Seinen Beziehungen 
zu den Fürstenbergern und Holzhausen ist es zuzuschreiben, daß 
dieser Standpunkt mit der Zeit auch seine Vertreter unter 
den Geschlechtern auf dem Römer fand. Bereits vor seinem 
Eintritt in das Predigerministerium hatte er dem Rate eine 
Probe seiner Entschiedenheit abgelegt, indem er, noch als 
Krankentröster am Spital angestellt, in der Frage wegen der 
Feiertage, als ihn der Rat gegen Beyer ausspielen wollte, 
offen die Partei seines Kollegen ergriff). 

Wenn nun auch mit dem Eintritt dieser Männer das 
lutherische Element in der Stadt immer mehr vordrang, so 
fehlte doch noch viel daran, daß es zur Alleinherrschaft in 
ihr gelangt gewesen wäre. Dazu hätte cs zunächst der 
offenen Parteinahme des Rates für seine kirchlichen Ziele 
bedurft. In diesem aber waren immer noch namhafte Ver- 
treter einer anderen Denkart zu finden. 

Es sind bier zunächst Jobann von Glauburg und sein 
jüngerer Vetter Adolf zu nennen, die beide mit Calvin im Brief- 
wechsel standen und uns später als Fürsprecher der Fremden 
begegnen werden. Adolf von Glauburg, der sich mit der Mystik 
der lutherischen Abendmahlslehre nicht befrennden konnte, 
sondern das Geheimnis der Realpräsenz mit seiner Vernunft 
ergründen wollte ?) und ihr gegenüber die reformierte Abend- 
mahlslehre vertrat, sich auch jede Fürbitte der lutherischen 
Eiferer, daß Gott ihn aus seinem Zwinglischen Irrtum reiße, 
noch in seinen letzten Tagen ganz entschieden verbat, starb 
(1555) im Unfrieden mit den Prüdikanten der Stadt. Und 
wenn das Verhältnis seines Vetters Johann zu diesen noch 
ein Jahrzehnt später ein merklich ktühles war, so war eine 
der Ursachen davon ihre Haltung gegen die Fremden, die 
er nicht zu billigen vermochte. 

Auch Dr. Conrad Humbracht neigte so stark zu der 
reformierten Lehre und vertrat sie den Prüdikanten gegen- 
über so offen und entschieden, daß er besorgen mußte, von 
ihnen vom Altar zurückgewiesen zu werden, und deshalb der 
kirchlichen Feier längere Zeit fernblieb. Tatsächlich wurde 

1) Steitz, Hartmann Beyer 8. 79. 

n Vgl. den Bericht Beyers bei Steitz a, a. O. S. 118f. 


171 


ihm auch, als er bei Matthias Ritter um Zulassung nach- 
suchte, trotz der Fürsprache Johanns von Glauburg das 
Sakrament verweigert, falls er nicht vorher vor dem ver- 
sammelten Konvente sich förmlich zu der lutherischen Abend- 
mablslehre bekenne. Nicht ohne Bewegung liest man die 
bitteren Worte, die er für diese Härte in einem Briefe ge- 
funden hat: „Wie ganz anders unser Hirte und Meister, den 
sie doch preisen! Wenn der eins von seinen Schäflein ver- 
loren hat, läßt er es nicht fahren, sondern läßt die neun- 
undneunzig zurück und rastet nicht, bis er das verlorene ge- 
funden. Mögen sie immerhin mich ausschließen, mit Gleich- 
mut trage ich ihre papistische Anmaßung, halte ich mich 
doch tiberzeugt, von Christus nicht ausgeschlossen zu sein, 
und freue mich, mit seinen Erwählten sein Angesicht zu 
schauen !). 

Am wichtigsten aber war es, daß der Maun, welchen 
man schon „die Seele der Frankfurter Politik“ in jenen 
Jahren genannt hat?), Dr. Johann Fichard, weit davon ent- 
fernt war, mit den Prädikanten einig zu geben. Dieser, 
von 1533 an mit einer zweijährigen Unterbrechung (1536 
bis 1538) bis zu seinem Tode (1581) Stadtadvokat in Frank- 
furt, war zwar mit Ritter persönlich befreundet, wie denn 
auch Ritter ihm bei seinem Tode einen warm empfundenen 
dichterischen Nachruf gewidmet hat. Aber die Richtung 
beider Männer war dabei doch grundverschieden. Fichard 
ist von Hause aus Anhänger der alten Kirche, der sein Vater 
treu ergeben war, und in der sein Oheim Konrad Fichard 
das Amt eines Kanonikus an dem Frankfurter Liebfrauen- 
stifte bekleidete. Ihm selbst scheinen tiefere religiöse Inter- 
essen ferner gelegen zu haben. Wenn er bei seiner Be- 
rufung zum juristischen Beistande des Frankfurter Rates 
Bedenken trug, sich auch zur Beratung der Stadtvüter in 
den kirchlichen Angelegenheiten verpflichten zu lassen, so 
war dabei für ihn in erster Linie die rein praktische Er- 
wägung®) maßgebend, daß er sich damit den Weg in die 
Dienste eines katholischen Fürsten verbaute, auf die er ernst- 
lich reflektierte. Nachdem er sich aber einmal dem Rate 
zur Verfügung gestellt hatte, verstand es sich für ihn nun 
auch von selbst, daß er in kirchlichen Dingen dieselben 

) Ebenda S. 122. 

5) Jung, Dr. Johann Fichard, F. A. 3. F. II, 229 und 241. 

3) Jung, S. 238. Auf seiner italienischen Reise fand er zeitweilig 
Beschäftigung bei dem Kaiserlichen Vizekanzler Matthias Held, und 
nach seiner Rückkehr wäre er lieber in die Dienste des Kurfürsten 
von Mainz als in die Frankfurts eingetreten. 

12* 


172 


Wege ging wie seine Auftraggeber. Eine große Begeisterung 
für die evangelische Sache freilich wird man hiernach bei 
ihm nicht erwarten dürfen. Für ihn kam die Religion 
wesentlich unter dem Gesichtspunkt der Politik in Betracht. 
Sein leitender Gedanke bei allen diplomatischen Missionen 
war ein „gutes Einvernehmen mit dem Kaiser, von dessen 
Gnade der Wohlstand der Stadt abhängig war, und welcher 
dabei doch die Entwicklung der inneren Verhältnisse weit 
weniger störte und gefährdete, als von Seiten der benach- 
barten Territorialfürsten zu befürchten stand; daraus folgt, 
daß er ein Feind ali der Maßregeln seitens der Protestanten 
war, welche zu einem Bruch mit dem Kaiser führen mußten. 
So betrachtete er nur mit großer Besorgnis den Tag dej 
Schmalkaldener zu Frankfurt im Jahre 1539; aus derartigen 
Sonderzusammenkünften könne nichts Gutes ersprieBen, da- 
durch reiße man die Wunde auf, statt sie zu heilen. Als 
der Bundestag zu Schmalkalden 1543 eine kriegerische 
Wendung zu nehmen schien, warf ihn die Aufregung über 
diese Vorgünge auf das Krankenlager. Daher auch seine 
eifrigen Bemtihungen im Dezember 1546, die Stadt vom 
Sehmalkaldischen Bunde loszulósen und, wenn auch unter 
Demttigungen, dem Kaiser wieder zuzuführen“ ). Sein kirch- 
liches Ideal war ,das friedliche Zusammenleben beider Kon- 
lessionen^?), und deshalb war er auch überzeugter Befür- 
worter des Interims. Seine.Grundsätze hat sich dann der 
Rat angeeignet und die Prädikanten wiederholt ermahnt, 
sich der Polemik gegen Messe und Papsttum auf der Kanzel 
zu enthalten und den Bestimmungen des Interims nachzu- 
kommen, sonst werde man bald die spanische Soldateska in 
der Stadt haben, der Privilegien und Freiheiten verlustig 
gehen und ein allgemeines Sinken des Wohlstandes erleben. 
Nur willkommen war es Fichard, daß unter den Gutachten, 
die Beyer bei auswärtigen Autoritäten erhoben hatte, gerade 
das von Melanchthon ausgestellte mit seiner Erklärung der 
Kirchengebräuche für Adiaphora, in denen man mit gutem 
Gewissen auch einmal nachgeben könne, ganz seiner eigenen 
Meinung entsprach. Bei dieser auf Ausgleich und Versöh- 
nung bestehender Gegensätze gerichteten Sinnesart tüber- 
rascht es nicht, daß auch die Fremden, die seit 1554 in 
Frankfurt eine Zuflucht suchten, an ihm eine kräftige Sttitze 
fanden®). Unbedingt konnten sie sich freilich nicht auf ihn 
. verlassen. Seine Toleranz gegen sie dürfte an der ntichter- 


) Jung, 8. 943. 
) Jung, S. 258. 
5 Jung 8. 254. 


173 


nen Erwägung, daß die fleißigen Ausländer die Kapitalkraft 
der Stadt heben konnten, eine sehr reale Grundlage gehabt 
haben. Und diesem Realismus entsprach es, daß sie um- 
gekehrt auch in zwei Fällen ein Ende finden konnte: ein- 
mal, wenn zu besorgen stand, daß der konfessionelle Friede 
durch sie gestört werde; und dann, wenn der Neid der Zünfte 
gegen ihre Geschäftstüchtigkeit wach wurde. Aber inner- 
kirchliche Gründe waren dabei nicht für ihn maßgebend. 

So lagen die Dinge bei der Entstehung der Fremden- 
gemeinden in Frankfurt. Der Bekenntnisstand der Stadt 
war noch keineswegs fesigeregelt, und seine abschließende 
Gestalt hatte er eben darum auch noch nicht erreicht, Auf 
dem Punkte, den er einstweilen erreicht hatte, ließe er sich 
in Kürze als evangelisch-reformiert bezeichnen, wobei das erste 
Wort den Wittenberger, das zweite den Straßburger Ein- 
schlag bedeuten soll. Luther, sowie Capito und Ratzer, 
daneben auch Melanchthon, sind die Autoritäten, die die 
Reformation von dem Verbote der Messe an bis zum An- 
fang der fünfziger Jahre beeinfluBt haben. Bis in die vierziger 
Jahre ist der Einfluß der Straßburger, verstärkt durch den- 
jenigen Melanchthons, weitaus der stärkere. Soweit man 
von eigenen Urkunden spreohen kann, die kirchenrechtliche 
Bedeutung für das junge evangelische Kirchenwesen der 
Stadt besaßen, atmen sie ausgesprochen Butzerischen Geist: 
die Frankfurter Konkordie und der nach ihr verfaßte Kom- 
promißkatechismus. Erst mit der Zeit des Interims bahnt 
sich ein Umschwung zugunsten des lutherischen Elementes 
an. Die mannhafte Entschiedenheit, mit welcher Ambach 
und Beyer hier auftraten, kam schließlich doch der lutherischen 
Seite zugute. Das ist zunächst auffallend angesichts der 
klugen Zurückhaltung, die sich diese Seite in Geltner auf- 
erlegt hatte. Aber es erklärt sich aus der Schwenkung, 
die Beyer zu ihr vollzog, als er von Melanchthon zu 
Westphal überging. Ob diese Richtung sich auf die Dauer 
stark genug erweisen würde, um das reformierte Element 
als etwas ihr innerlich Fremdartiges und Widerstrebendes 
auszuscheiden, hing zunächst davon ab, wie lange ihre Wort- 
führer am Ruder blieben. Wenn sie ebenso rasch ver- 
schwanden, wie Cellarius, Melander, Mylius usw. verschwunden 
waren, so konnte sich auch in Frankfurt ein Umschwung 
vollziehen, wie ihn nicht viel später Straßburg und die Kur- 
pfalz erlebten. Aber gerade die eifrigsten unter ihnen, 
Beyer und Ritter, waren ebenso wie auch ihr Gesinnungs- 
zenosse Egenolph, geborene Frankfurter, und es konnte 
diese Jungen nach einem Stellenwechsel ebensowenig ge- 
'lüsten wie ihren Parteigänger Sabander,.der nach seinem 


174 


wechselvollen Leben froh war, eine Stätte gefunden zu 
haben, wo er in leidlicher Ruhe seine Tage beschließen 
durfte. So war für eine absehbare Zukunft eine Aenderung 
in der Zusammensetzung des Predigerministeriums, die dem 
reformierten Element wieder mehr zur Geltung verhalf, nicht 
zu erwarten. Ein Gegengewicht gegen das Ueberhandnehmen 
des Luthertums bildeten somit nur die Mitglieder des Rates, 
die zur reformierten Lehre neigten. Diese aber waren ihren 
Gegnern in der Stadtgeistlichkeit nicht gewachsen, da sie 
nicht theologisch geschult waren und sich für die kirchlichen 
Fragen vorwiegend an volkswirtschaftlichen und politischen 
Gesichtspunkten orientierten. Ein haltbarer Zustand war 
dieser Antagonismus, bei dem die geschriebene Rechts- 
ordnung schließlich nichts weiter war als ein Stück Papier 
obne praktische Bedeutung, auf die Dauer ganz gewiß nicht. 
Wie die Dinge lagen, drüngte alles mit einer gewissen 
inneren Notwendigkeit zu einer Klärung. 

Diese blieb denn auch nicht aus. Der Anstoß zu ihr 
kam von außen, durch den Zuzug der fremden Evangelischen, 
die um des Glaubens willen ibre Heimat hatten verlassen 
müssen. Sie haben der weiteren Entwicklung als Ferment 
gedient. Erst in der Auseinandersetzung mit ihnen hat der 
Frankfurter Bekenntnisstand seine für die weitere Zukunft 
gultige Fixierung erhalten. 


Mitteilungen. 


,Acontius.* 


Den Nachrichten, die K. Bauer in ZKG XLII (N. F. V) 8 76/81 
über verschiedene Träger des Namens Acontius im Refurmationszeitalter 
beibringt, vermag ich ein weiteres Zeuguis anzufügen. In Ms. boruss. 
201 fol. der Berliner Staatsbibl Bl. 97 findet sich nämlich ein lateinisch 

eschriebener eigenhündiger Brief mit der Unterschrift Acontius. Der 

rief, datiert aus Speier 31. März 1542, ist gerichtet an den kurfürst- 
lich brandenburgischen Rat Lic. Joh Heiler Chlamus. Der Schreiber 
gibt darin einige Nachrichten über sich selbst: „Contuli me, ut scis, 
ante 2 annos in aulam domini Ludovici comitis a Konigstein, non qui- 
dem eo animo, ut perpetuo in ea bsererem, sed ut partim ipsi domino, 
partim quibusdam amicis, qui id summopere flagitabant, gratificarer. 
et quamquam aulicis negociis unum tant. annum destinaram, tamen, 
nescio quomodo, tempus extractum est longius, cum me magnis polli- 
citationibus nostri subinde conarentur retinere. flagitavi tandem missio- 
nem et liberum ad stadia, quibus ab ineunte aetate assuevi ac delec- 
tatus sum, reditum. verum nondum potui me ex hoc magnete pror- 
sus avellere, spero tamen fore, ut cum bona venia ac gratia brevi 
dimittar.^ Jedenfalls liegt ibm nichts ferner als aetatem in aula per- 
dere, und nonnulli vestrum schmähen ihn daher sehr mit Unrecht 
tanquam desertorem et transfugam. Das ist der wesentliche Inhalt 
des Briefes: Uberbringer ist ein doctor Christophorus, der sich um A. 
besonders dadurch verdient gemacht hat, quod mihi de te atque aliis 
amicis, quos habeo in Marchia, plurima narravit. — Wer ist nun der 
Schreiber? Mit großer Wahrscheinlichkeit wohl Bauers Melchior Volts 
(Acontius), der aus Oberursel in der Grafschaft Künigstein stammte. 
Es ist also der Landesherr, in dessen Dienste A. sich begeben hat, 
und die nostri, die ihn darin festzuhalten suchen, sind wohl die eigenen 
Eltern oder Anverwandten. In die freilich sehr bruchstückartigen 
Nachrichten, die Bauer über Melchior hat mitteilen können. fügt sich 
unser Brief passend ein. Friedensburg. 


Offener Brief an den Präsidenten des Augsburgischen 
Konsistoriums in Warschau, Herrn J. Gla8. 
Sehr geehrter Herr! 


Anläßlich der Gründung der Gesellschaft zur Erforschung der 
Geschichte der Reformation in Polen haben Sie behauptet, der Posener 
Kirchengeschichtliche Verein habe es bei der Betrachtuog der Wissen- 
schaft den Pastoren zur Aufgabe gemacht, eine deutsche Schutzwehr 
an den östlichen Grenzen zu bilden, und auf eiue Zurückweisung dieser 
Unterstellung erklürt, eich dei diesem Urteil auf den Geist gestützt 
zu haben, der in den Jahrbüchern herrsche, „die in den Lebensäuße- 
rungen des Protestantiamus in Grofpolen immer und überall deutache 
Anregungen und Einflüsse sehen". Das sagen Sie, obwohl gleich das 
erste Jahrbuch zwei umfangreiche Arbeiten meiner Feder bringt, die 
den Anregungen und Einflüssen, die von dem tschechischen Böhmen 
ausgegangen sind, nacbspüren! Das sagen Sie, obwohl ich wie kein 
anderer Forscher vor mir die Einflüsse der Schweizer, nicht nur der 
deutschen, sondern auch der französıschen und italienischen betont, 
den Briefwechsel der Schweizer mit den Polen heiausgegeben und in 
jedem Jahrbuch Ergänzungen zu ihm geboten habe! Das sagen 
Sie, obwohl ich drei reformatorisch gerichtete Italiener in Groß- 
polen mit eingehenden Monographieen bedacht, polnischen Kirchen- 


176 


patronen, polnischen Theologen viele tausend Seiten gewidmet, da- 
en vom keinem deutschen Kirchenpatron, von keinem deutschen 
eistlichen in Polen Lebensbilder gegeben habe! Das sagen Sie, ob- 
wohl der andere Hauptmitarbeiter an den Jahrbüchern, Herr Lic. Bicke- 
rich, fast ausschließlich Studien zur Geschichte der böhmischen Brüder 
jn Großpolen veröffentlicht hat, also fast lediglich außerdeutschen Ein- 
flüssen nachgegangen ist! Ihre Behauptung schlägt dem offenkundigen 
Tatbestande so ins Angesicht, daß ich die Frage nicht zurückstellen 
kann: Kennen Sie überhaupt die Jahrbücher, Herrn Lic. Bickerichs 
und meine Arbeiten? Nennen Sie mir eine polnische Zeitschrift, die 
in den Jahren 1911— 1917, der kurzen Zeit, da unser Jahrbuch be- 
stand, soviele Dokumente über die Beziehungen der Großpolen zu den 
Schweizern und zu den Tschechen veröffentlicht hat wie unser Jahr- 
buch. Sie finden keine, und doch erlauben Sie sich zu sagen, daß 
unser Jahrbuch immer und überall nur von deutschen Einffüssen 
wisse, daß unsere wissenschaftliche Forschung im Dienste der Politik 
gestanden habe. 

„Alle Bezeichnungen in den polnischen Ländern sind ausschließ- 
lich in deutschen Lauten angeführt, was besonders in der Anwendung 
nicht nur auf Ortschaften, sondern auch auf Personen verletzend wirkt, 80 
. B. Graf Andreas von Lissa für unseren Andrzej Lessczynski.“ Das 
sagen Sie, obwohl schon ein flüchtiger Blick in die Beiträge des 
Herrn Lic. Bickerich Ihnen das egent gezeigt hätte. Ich in meinen 
Arbeiten habe allerdings immer die deutschen Ortsnamen, auch die 
neueren deutschen bevorzugt. Wie sollte ich es nicht, der ich deutsch 
für Deutsche schrieb, der ich nicht nur für Gelehrte und Antiquare 
schrieb, die in der Vergangenheit leben, sondern für Menschen der 
Gegenwart! Und die Personennamen? Weshalb solite ich Andrzej 
Leszczynski schreiben, den Namen in einer Form bieten, die meinen 
Lesern fremd ist, in einer Form, die sogar sein Träger im schriftlichen 
Verkehre nie gebraucht hat, Ich habe recht viele Briefe des Grafen 
durchgesehen, aber nie die Unterschrift Andrzej gefunden. Immer 
hat der Graf mit seiner kräftigen Hand Andreas unterzeichnet. Und 
der Familienname? In welcher Form sich dies Geschlecht seiner 
Deutschen gegenüber bedient hat, zeigt der Brief, den ich Jahrb. IV 
S. 50 mitgeteilt habe, wo der Schreiber „Andreas, Graf von der Lissa“ 
unterzeichnet. Wenn Sie es nicht billigen, daß ich hier den Quellen 
gefolgt bin, so haben Sie deshalb doch noch nicht das Recht, meine 

nze wissenschaftliche Arbeit zu verdächtigen, sogar dem Posener 

irchengeschichtlichen Verein politische Tendenzen zu unterschieben. 
Wir wenige Pastoren, die wir einst in Posen uns zusammengetan 
haben, um das völlig brachliegende Gebiet der Reformation in Polen 
zu durchforschen, die wir in mühseliger, opferfreudiger Arbeit die zer- 
streuten Quellen gesammelt, zuerst gezeigt haben, welche Schätze hier 
noch zu heben sind, hätten wohl eine freundliche Anerkennung er- 
warten, von der neun Jahre nach unserem Verein gegründeten polnischen 
Gesellschaft eine verständnisvolle Würdigung erhoffen können, statt 
dessen verdücbtigen Sie, z. T. unter Verdrehung des Tatbestand 
unsere redliche Arbeit und setzen sie herab. Ich überlasse das U 
jedem billig Denkenden, Daß polnische Gelehrte ganz anders tiber 
unsere Arbeit denken, verbürgt mir unter anderem ein Schreiben der 
Krakauer Akademie der Wissenschaften, in dem die Akademie bedauert, 
nur einige meiner Verüffentlichungen su besitzen, um die übrigen 
bittet, auch ersucht, die neu erscheinenden ihr alsbald zu senden. 


Pratau, den 90. Juni 1923. D. Dr. Wotschke. 


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DUE DUE 


Usually books are lent out for two weeks, but 
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L-1—7672044 


A 2 88