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Full text of "Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen"

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HANDBOUND 
AT  THE 


UNIVERSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


{P^       X-   7?J'' 


ARCHIV 

FÜR  DAS 

STUDIUM  DER  NEUEREN  SPRACHEN 
UND   LITERATUREN 


BEGRÜNDET  VON  LUDWIG  HERRIG 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

ALOIS  BRANDL  UND  HEINRICH  MORF 


LIX.  JAHRGANG,  CXIV.  BAND 

DER   NEUEN   SERIE  XIV.  BAND 


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BRAÜNSCHWEIG 

DRÜCK  UND  VERLAG  VON  GEORGE  WESTERMANN 
1905 


9B 
As 


Inhalts-Verzeiclinis  des  CXIIL  Bandes, 

der  neuen  Serie  XIII.  Bandes. 


Abhandlungen.  g^.,^ 

Zur  Entstehung  des  Märchens.    Von  Friedrich  von  der  Leyen.  11.  (Fort- 
setzung)    1 

Hrotsvita  literarische  Stellung.     Von  P.  v.  Winterfeld.     1 25 

Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.     Von  H.  Tardel 273 

Hrotsvits  literarische  Stellung.     Von  P.  v.  Winterfeld.     IL   (Schlufs,   mit 

Nachruf  auf  den  Verfasser) 293 

Der  sekundäre  Nasal   in   nighiingale,   messenger   und   ähnlichen  Fällen.     Von 

K.  Luick 76 

Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface.     Von  Johannes   Bolte      .     .     .     .  80 
Ein    Beitrag    zur   Quellenuntersuchung    von    Daniel   Defoes   'Journal    of  the 

plague  year'.     Von  F.  Bergmeier 87 

Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.   185.     Von  Wilhelm  Bolle     ...  326 

Zur  englischen  Syntax.     Von  Wilhelm  Hörn 358 

Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte.    Von  Leo  Jordan.    1 92 

Cyrano  de  Bergerac  (1619  bis  1655),  sein  Leben  und  seine  Werke.    Ein  Ver- 
such.    Von  H.  Dübi.    IL  (Fortsetzung) 115 

üngedruckte  Meister-Foscolo-Briefe.    1815—1817.     Von  Paul  Usteri    .     .  146 
Cyrano  de  Bergerac  (1619 — 1655),  sein  Leben  und  seine  Werke.    Ein  Ver- 
such.    Von  H.  Dübi.     III.  (Fortsetzung) 371 

Note   Bulla  fortuna   del   Boccaccio   in  Ispagna  neU'Etä  Media.     Di  Arturo 

Farinelli.     1 397 

Kleine  Mitteilungen. 

Rex  non  potest  peccare.     (Richard  M.  Meyer) 161 

'Den  Originalen.'     (Richard  M.  Meyer) 162 

Das  Motiv  von  der  untei^eschobenen  Braut.     (F.  Holt  hausen)    .     ,     ,     .  430 


IT 

Seite 

Das  angelsächsische  Rätsel  56:  'Galgen' al»  WaflFenständer.  (F.  Liebermann)  163 

Ae.  wej-lä,  wej-lä-wej,  me.  wei-la-wei  etc.     (ErikBjörkman)    .     .     .     .  164 

Zu  Lajamon  (Calig.)  13  857.     (L.  Kellner) 164 

Zur  Etymologie  von  schottisch  orra.     (OttoRitter) 165 

Zachariae  in  England.     (Georg  Herzfeld) 166 

Zu  Archiv  CXIII,  63  (Lewis'  Monk).    (Otto  Ritter) 167 

Zu  M.  Gr.  Lewis'   Tales  of  wonder.     (Otto  Ritter) 167 

Ein  englisches  Urteil  für  Byron.     (A.  B.) 167 

Ne.  lioehng.     (Wilhelm  Hörn) 431 

Ne.    pane,    panel;    nfrz.    panneau;    nhd.    paneel;    lat.    panis.      (Heinrich 

Schröder) 168 

Die  Quelle  des  Hervis  von  Metz.     (LeoJordan) 432 

Sitzungen   der  Berliner  Gesellschaft   filr   das  Studium   der   neueren  Sprachen  170 
Verzeichnis   der   Mitglieder    der   Berliner    Gesellschaft   flir   das   Studium   der 

neueren  Sprachen.     Januar  1905 182 

Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Wilh.  Brückner,  Der  Helianddichter  ein  Laie.     (Fr.  Klaeber)      ....  192 
B.   Eggert     Der   psychologische  Zusammenhang   in  der  Didaktik   des  neu- 
sprachlichen Reformunterrichts.     (H.  M.)  ...........  189 

B.  Litzmann,  Goethes  Faust.    Eine  Einführung.     (Richard  M.  Meyer)  .     .  195 

Karl  Luick,  Deutsche  Lautlehre.    (J.  Schatz) 189 

M.  Schi  an,  Der  deutsche  Roman  seit  Goethe.     (R.  M.  M.) 195 

Woerner,  Fausts  Ende.    Akademische  Antrittsrede.    2.  Auflage.    (R.  Petsch)  194 

C.  H.  Firth,   A  plea  for  the  historical  training  of  history.     (A.  Brandl)     .  200 
L.  Herrig:  British  classical  authors  with  biographical  notices.     On  the  basis 

of  a   selection   by    L.  Herrig   edited   by   Max   Förster.     86*^   edition. 

(W.  Münch) 197 

Songs  from  David  Herd's  manuscripts,  edited  with  introduction  and  notes  by 

Hans  Hecht.     (A.  Brandl) 209 

Die  altenglischen  Säugetiemamen  zusammengestellt  und  erläutert  von  Richard 

Jordan.     (Fr.  Klaeber) 203 

Englisches    Unterrichtswerk    für    höhere    Schulen.      Unter    Mitwirkung    von 

William  Wright  bearbeitet  von  Gustav  Krueger.  (Willi  Splettstöfser)  210 
Bernhard    Neuendorff,    Entstehungsgeschichte    von    Goldsmiths    'Vicar    of 

Wakefield'.    (Georg  Herzfeld) 206 

W.  E.  Parser,   Palmerin  of  England,    some  remarks   on  tliis  romance  and 

on  the  controversy  copcerning  its  authorship.     (A.  Brandl)      .     ,     .     .  204 


V 

Seite 
Alexander  Schmidt,  Shakespeare- Lexikon.    3^  ed.  revised  and  enlarged  by 

Gregor  Sarrazin.     (Hermann  Conrad) 441 

E.  Wölbe,  Quellenstudien  zu  John  Homes  'Douglas'.  (Heinrich  Spies)  .  .  206 
Color-names  and  their  congeners.    A  semasiological  investigation  by  Francis 

A.  Wood.     (Fr.  Klaeber) 201 

William  Wright,    s.  G.  Krueger. 

F.  Baldensperger,  Goethe  en  France.     (H.  M.) 222 

1)  O.  Born  er  und  F.  Schmitz,  Oberstufe  zum  Lehrbuch  der  französischen   ' 

Sprache,  Ausg.  D.  —  2)  O.  Born  er  und  Cl.  Pilz,  Lehrbuch  der  fran- 
zösischen Sprache  für  Präparandenanstalten  und  Seminare.   Ausg.  F,  H.  — 
3)  O.  Börner  und  F.  Schmitz,  La  France.    2.  Aufl.  —  4)  O.  Börner, 
Bemerkungen  zur  Methode  des  neusprachlichen  Unterrichts.  (George  Carel)     227 
David  Engländer,  La  X^  satire  de  Boileau  compar^e  k  la  VI®  de  Juvenal. 

(F.  Bastier) > 454 

Maurice  Grammont,   Le  vers  fran9ais,  ses  moyens  d'expression,  son  armo- 

nie.     (Adolf  Tobler) 231 

Heinrich  Grein,   Studien  über  den  Reim  bei  Theodore  de  Banville.     (Karl 

Vofsler) 468 

Oscar  Grojean,    Antoine  de  la  Säle.     (Carl  Haag) 453 

Henri   Hauvette,    Luigi   Alamanni   (1495  — 1556),    sa    vie    et   son   oeuvre. 

(E.  Bovet) 239 

Hilfsbuch  für  den  französischen  Unterricht  in  Sexta,  Quinta,  Quarta  im  An- 
schlufs   an  R.  Kuhns  Lehrbuch   von   den   Fachlehrern   der  Liebig-Real- 

schule  zu  Frankfurt  a.  M.     (J.  Block) 462 

Edmond  Huguet,  Les  m6taphores  et  les  comparaisons  dans  l'oeuvre  de  Victor 
Hugo.      Le   sens   de   la   forme    dans   les   m^taphores    de    Victor  Hugo. 

(Eugfene  Bigal) 218 

W.  Jonas,  25  deutsche  Dichtungen  im  Gewände  franz.  Prosa.  (Emil  Penner)  468 
F.  Koldewey,  Französische  Synonymik  für  Schulen.  4.  Aufl.  (G.  Krueger)  467 
Poema  de  Fernan  Gon9alez,  texto  critico  con  introduccion,  notas  y  glosario, 

por  C.  Carroll  Mar  den.     (R.  Menendez  Pidal) 243 

Toreau  de  Marney,    Grammaire  fran9aise   id^ographique.     (Felix  Kalepky)     230 
Wilhelm  Meyer-Lübke,  Die  lateinische  Sprache  in  den  romanischen  Län- 
dern.    (Max  Niedermann) 455 

A.  Morel-Fatio,  Etudes  sur  l'Espagne.  Troisifeme  s^rie.  (H.  M.)  .  .  .  257 
Alfred  Per  not,  Enseignement  par  l'Aspect.  (Felix  Kalepky)  .  .  .  .  .  230 
Cl.  Pilz,  B.  O.  Börner. 

Hans  Ränke,  Über  die  Sprache  des  französischen  Wallis   in  der  Zeit   vom 

11.  bis  14.  Jahrhundert.     (L.  Gauchat) 224 

Wilhelm  Ricken,  Französisches  Gymnasialbuch  für  den  Unterricht  bis  zum 

Abschlufs  der  Untersekunda.     (Vordieck) 465 


VI 

Seit« 
Max  Roediger,    Die  Bedeutung  des  Suffixes  -ment.     (K.  Jaberg).     .     .     .     458 

H,  von  Samson-Himmelstjerna,    Rhythmik-Studien.     (Karl  Vofsler)     .     234 
Franz  Settegast,  Quellenstudien  zur  galloromanischen  Epilc.    (Leo  Jordan)     212 
The  chronicle  of  Morea,  edited  in  two  parallel  texts  from  the  mss.  of  Copen- 
hagen  and  Paris,  with  introduetion,  critical  notes  and  indices,  by  John 

Schmitt.     (K.  Dieterich) 216 

F.  Schmitz,  s.  O.  Börner. 

Zur  «Herzogin  von  Parma'  (Archiv  CXIII,  433) 258 

Verzeichnis  der  von  Mitte  Dezember  1904  bis  Mitte  März  1905  bei  der  Re- 
daktion eingelaufenen  Druckschriften 259 

Verzeichnis    der   vom  13.  März   bis   zum  12.  Juni  1905    bei    der  Redaktion 

eingelaufenen  Druckschriften 471 


Zur  Entstehung  des  Märchens. 

(Fortsetzung.) 


Wir  kehren  nun  noch  einmal  zur  Zauberei  zurück  und  stellen 
noch  einmal  fest:  der  Zauberer  unterscheidet  sich  von  anderen 
dadurch,  dafs  er  Traumzustände,  auf  welche  wir  anderen  warten 
müssen,  selbst  herstellt.  Bei  uns  trennt  sich  nur  im  Traum 
die  Seele  vom  Körper,  und  wir  wissen  nicht,  wohin  sie  schwebt; 
der  Zauberer  kann  diese  Seele  selbst  vom  Körper  trennen,  er 
kann  sie  aufserdem  schicken,  wohin  er  will,  in  die  Luft  und  ins 
Meer,  in  Pflanzen,  in  Tiere,  in  andere  Menschen:  der  Zauberer 
entfaltet  also  eine  unbegrenzte  VerwandlungsfähigkeitJ  —  Wir 
sprechen  im  Traum  mit  den  Geistern  der  Entschlafenen;  der 
Zauberer  bannt  und  ruft  diese  Geister,  er  beherrscht  sie  und 
zwingt  sie  zum  Gehorsam.  Ja  —  und  das  ist  eine  weitere  merk- 
würdige Konsequenz  der  primitiven  Völker  —  er  kann  diese 
Geister  nicht  nur  rufen,  er  kann  seinen  Geist  aus  sich  heraus- 
und  den  eines  anderen  in  sich  hineinschicken,  er  ist  von  dem 
Geiste  eines  anderen  besessen,  wenn  er  wie  betäubt  daliegt  und 
Wahrsagungen  lallt.  ^  Und  dieser  Geist  des  anderen,  der  in  sol- 
chen Zuständen  aus  dem  Zauberer  spricht,  besitzt  Kenntnisse 
und  Gaben,  die  sich  weit  über  das  irdische  Mafs  erheben,  weil 
sie  einem  Geist,  einem  von  der  Körperhaft  befreiten  Wesen,  zu- 
kommen. 3 

Diesen  Darlegungen  entsprechend  erzählen  die  Märchen,  be- 
sonders orientalische,  gern,  dafs  die  Zauberer  ihren  Geist  in  den 
Verstorbener  oder  in  Tierleichname  schicken  und  diese  neu  be- 
leben, dafs  sie  die  Gestalt  eines  anderen  annehmen,  um  die  Men- 
schen zu  täuschen.*     Sie  erzählen  weiter,  dafs  die  Zauberer  sich 


*  Vgl.  Schoolcroft,  Indian  Tribes  VI,  662,  und  von  der  Leyen,  Qer- 
inanist.  Abhh.  für  Hermann  Paul  (1902)  S.  154  f. 

2  Vgl.  Frazer2  I,  132;  Tylor  II,  131  f.;  Schoolcraft  VI,  649  f.;  Andr^e, 
Ethnogr.  Parall.  II,  1  f. 

^  Vgl.  Cranz,  Historie  v.  Grönland^  I,  254  f.;  Radioff,  Aus  Sibirien 
II,  43  f. ;  Aurel  Krause,  Die  Tlinkit-Indianer  290  f. 

''  Nur  eine  Erweiterung  dieser  Motive  sind  die  Märchen  von  dem 
Kaiser,  der  seine  Seele  in  den  Leichnam  von  Tieren  schickte,  dem  Minister 
diese  Kunst  verriet,  worauf  jener  in  den  Körper  des  Kaisers  fuhr,  der 
unterdes  leblos  dalag,  und  sich  die  Rechte  des  Kaisers  anmafsen  wollte. 
Der  Kaiser  aber  schickte  seine  Seele  in  den  Körper  eines  Papageien,  kam 

Archiv  f.  u.  Sprachen.     CXIV.  1 


2  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

gern  verwandeln :  *  und  eines  dieser  Märchen  zeigt  wieder  über- 
raschende Übereinstimmung  mit  der  Wirklichkeit.  Ein  Bericht 
von  den  Zauberern  der  Naturvölker  erzählt  nämlich,  wie  ein 
Zauberer,  nachdem  er  sich  in  seinen  Paroxysmus  versetzte,  aller- 
hand Tiergestalten  und  Tiermasken  annahm,  wie  er  verfolgt 
wurde,  sich  seinen  Verfolgern  durch  lauter  Verwandlungen  ent- 
zog, wie  man  ihn  fesselte  und  er  dann  erst,  gegen  seinen  Willen, 
aussagte,  was  er  wufste:  das  ist  aber  nichts  anderes  als  das  uns 
aus  der  Odysse  bekannte  Märchen  von  Proteus,  das  wir  auch 
in  orientalischen,  in  germanischen,  in  mittelalterlichen  und  in  mo- 
dernen volkstümlichen  Überlieferungen  antreffen  —  von  Proteus, 
der  sich  auch  fortwährend  verwandelt,  gefesselt  werden  mufs 
und  höchst  widerwillig  aussagt,  was  er  weifs.  ^  —  Und  nicht  allein 
sich  selbst,  auch  andere  weifs  der  Zauberer  zu  verwandeln,  und 
diese  Verwandlungskraft  wird  von  den  Menschen  besonders  ge- 
fürchtet; wahrscheinlich  schon  vor  den  Zeiten  der  Kirke  ebenso 
lebhaft  wie  heute  noch  in  unseren  Volksmärchen.  —  Schliefslich 
erzählen  uns  höchst  interessante  Berichte  über  Zauberei  bei  Natur- 
völkern, dafs  der  Zauberer  seinen  Geist  unter  unsäglicher  Mühe 
und  Gefahr  in  den  Himmel  oder  in  die  Hölle  schickt,  dafs  ihm 
vorher  eine  Reihe  von  Fragen  mitgegeben  werden,  die  er  den 
Geistern,  die  er  auf  der  Himmelsreise  antrifft,  vorlegt,  und  die 
ihm  diese  beantworten.  Nach  langer  Zeit  kehrt  er  zurück  und  er- 
zählt von  seinen  Abenteuern.  ^  In  diesen  Berichten  haben  wir  gewifs 
den  Ursprung  der  Märchen  zu  suchen,  die  von  einer  Reise  zum 
Teufel  erzählen,  bei  der  dem  Reisenden  eine  Reihe  von  schweren 
Fragen  mitgegeben  wird,  auf  die  er  die  Antworten  unterwegs 
hört:  es  gehören  diese  Märchen  ja  auch  zu  den  verbreitetsten,  ^ 
und  in  anderem  Zusammenhange  werden  wir  sie  noch  einmal  zu 
betrachten  haben.  —  Man  sieht  übrigens  auch  hier:  die  Himmel- 
fahrts-  und  Höllenfahrtsmärchen  entwickeln  sich  aus  Erlebnissen 
und  Visionen  in   traumhaften  Zuständen.     Von   persischen  Zau- 

durch  seine  Klugheit  wieder  in  seinen  Palast  und  auch  mit  Hilfe  seiner 
treuen  Frau  wieder  in  seinen  Körper,  den  der  falsche  Minister  verlassen, 
um,  mit  seiner  Kunst  prahlend,  in  eine  tote  Henne  zu  fahren.  —  Eeiche 
Nachweise  bei  Bolte,  zu  Reise  der  Söhne  Giaffers,  Stuttg.  lit.  Verein  208, 
S.  208.  Vgl,  auch  ßenfey,  Pantschatantra  I,  Vit;  Wilhelm  Hertz,  Wer- 
wolf  S.  24  f. 

*  Vgl.  etwa  —  ich  komme  später  darauf  zurück  —  den  Märchentypus 
Grimm  KHM  68  vom  Zaubermeister  und  seinem  Lehrling,  die  in  Ver- 
wandlungen wetteifern. 

^  Aurel  Krause,  Tlinkit-Indianer  290,  und  von  der  Leyen,  Germanist. 
Abh.  Paul  S.  165  Anm.  1;  Rohde,  Oriech.  Bomati^  219  Anm.  3. 

^  Von  solchen  ßeisen  erzählen  Schoolcraft,  Cranz  und  besonders  Rad- 
ioff, Aus  Sibirien  II,  1 — 67.  —  Vgl.  auch  Bousset,  Himmelsreise  der  Seele, 
Archiv  für  Religionswissenschaft  IV,  136  f.  229  f. 

^  Z.  B.  KHM  29.  Ich  verweise  nochmals  auf  Kuhn,  Byx.  Zs.  IV,  241, 
wo  man  die  reichhaltigsten  literarischen  Nachweise  findet. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  S 

berern  etc.  ist  uns  noch  besonders  bestätigt,  dafs  sie  Narkotika 
einnehmen  und  dann,  im  Zustande  der  Ekstase,  die  Seele  in  den 
Himmel  schicken.  * 

Den  Paroxysmus  und  die  Betäubung  des  Zauberers  erklären 
sich  die  primitiven  Völker,  um  das  zu  wiederholen,  vielfach  so:  der 
eigene  Geist,  die  eigene  Seele  hat  den  Körper  verlassen,  ein  an- 
derer ist  in  den  Körper  eingezogen;  der  Zauberer  wird  dann  von 
einem  fremden  Geist  besessen.  Ein  Kranker  nun,  den  hysterische 
und  epileptische  Anfälle  plagen,  zeigt  ein  dem  Zauberer  durchaus 
ähnliches  Benehmen:  man  erklärt  sich  demgemäfs  auch  seinen 
Zustand  so,  dals  er  besessen  sei  von  irgendwelchen  fremden 
Geistern,  und  dafs  diese  Geister  eben  die  Krankheiten  wären.  So 
ergibt  sich  uns  die  wieder  sehr  alte  und  sehr  verbreitete  Vor- 
stellung: die  Krankheiten  sind  böse  Geister,  die  durch  die  Luft 
fliegen,  unsichtbar,  und  die  auf  unerklärhche  Weise  in  den  Men- 
schen eindringen.  Da  der  Zauberer  Herr  über  die  Geister  ist, 
so  ist  er  auch  Herr  über  die  Krankheiten;  er  ist  Wahrsager 
und  Medizinmann,  er  beschwört,  bannt  und  vertreibt  die  Krank- 
heitsgeister. ^  Auf  diesem  Glauben  beruht  manches  Märchen; 
z.  B.  das  spafshafte  indische:  ein  Mann  kann  seine  Frau  nicht 
ertragen,  und  der  Geist,  der  in  der  Nähe  des  Hauses  ist,  auch 
nicht:  um  den  Mann  zu  entschädigen,  fährt  der  Geist  in  eine 
Prinzessin  und  macht  sie  krank;  alle  versuchen  vergeblich  die 
Heilung,  endlich  kommt  jener  Mann,  der  Geist  weicht  sofort, 
wie  er  es  versprochen  hatte,  die  Prinzessin  wird  gesund  und  der 
Mann  berühmt.  ^  —  Es  gibt  nun  natürlich  viele  Mittel,  die 
Krankheiten  zu  vertreiben,  die  Geister  zu  beschwören:  etwa  dafs 
man  sie  (d.  h.  den  armen  Kranken)  prügelt,  dafs  man  ihnen 
fürchterliche  oder  komische  Grimassen  schneidet  usw.  —  aus  der 
letztgenannten  Beschwörung  entsprang  vielleicht  das  Märchen- 
motiv, dafs  eine  von  einer  Krankheit  unheilbare  Prinzessin  ge- 
heilt wird,  indem  sie  bei  dem  Anblick  sehr  possierlicher  Gebärden 
oder  beim  Anhören  unsinniger  Beschwörungen  unbändig  lacht.  ^  — 
Es  geschieht  auch  häufig,  dafs  man  die  Krankheiten  aus  den 
Kranken  heraus  auf  andere  Gegenstände  oder  auf  andere  Per- 
sonen oder  auf  Tiere  verwünscht,  wie  schon  nach  der  Sage  des 
Evangeliums  Christus  die  Teufel  aus  dem  Besessenen  trieb  und 
auf  eine  Herde  Schweine  wünschte.  ^ 


'  Vgl.  Bousset,  a.  a.  0.  153.  160.  162—167. 

2  Man  vgl.  Tylor  II,  120  f.  und  Frazer2  I,  73:  He  (der  Zauberer)  com- 
munes  with  spirits,  takes  aerial  flights  at  pleasure,  is  invulnerable  and 
invisible  at  will  and  controls  the  elements. 

^  ^ukasaptati,  Textus  simplicior  \6.  47  (=  Textus  ornatior  56.  57).  — 
ßenfey,  Pantschatantra  I,  519  f. 

^  Vgl.  z.  ß.  gukasaptati,  T.  s.  ^V  (=  T,  o.  49);  Benfey,  a.  a.  O.,  und 
im  ganzen  ij  212  zu  Pantschatantra  V,  12. 

'"  Tylor,  Primitive  Oulture  II,  146  f.  —  Frazer-'  III,  1  f. 

1* 


4  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

Zum  Schlufs  dieser  Zaubererörterungen  verweile  ich  bei  der 
Frage;  wer  wird  Zauberer?  Besonders  reizbare  und  sensitive 
Menschen,  der  Anlage  oder  der  Herkunft  nach.  Es  wird  nun 
viel  von  Zeremonien  gesprochen,  durch  die  man  seinen  Beruf 
zum  Zauberer  erweist,  in  geheimnisvollen,  noch  nicht  ganz  auf- 
geklärten Berichten :  ^  der  Zauberer,  heifst  es,  habe  sich  in  öde 
Einsamkeit  zurückgezogen,  sei  getötet  und  wieder  lebendig  ge- 
worden, habe  seine  Zauberseele  empfangen,  und  diese  wirke  nun 
in  ihm.  Diese  Zeremonien  werden  gewöhnlich  in  die  Zeit  ver- 
legt, in  der  der  Zauberer  aus  dem  Knaben  sich  in  einen  Mann 
verwandelt,  und  aus  dieser  Zeit  kann  man  sie  wohl  auch  ver- 
stehen. Viel  abergläubischer  Brauch  und  viele  Festhchkeiten 
gelten  ihr:  denn  sie  erscheint  unheimlich,  weil  sich  der  Mensch 
dann  gar  so  sehr  ändert,  die  alte  Knabenseele  scheint  ihn  zu 
verlassen  und  die  neue  Männerseele  in  ihn  einzuziehen.  Bei  den 
Zauberern  aber  vollzieht  sich  diese  Änderung  besonders  sichtbar 
und  heftig;  sie  zeigen  in  dieser  Periode  zum  erstenmal  die  Kraft, 
durch  die  sie  später  so  berühmt  werden:  ihre  eigene  Seele  aus 
sich  herauszuschicken  und  fremde  in  sich  hineinzulocken.  Ich 
halte  es  für  nicht  unmöglich,  dafs  in  dem  alten  sagenhaften  Be- 
richt über  Odins  Zauberei,  dafs  er  tot  am  windigen  Baum  ge- 
hangen, dafs  er  wieder  zu  neuem  Leben  erwacht,  gediehen  sei 
und  an  Weisheit  zugenommen  habe,  dafs  in  diesem  Bericht  alte 
Erinnerungen  an  solche  Zauber -Einweihungs- Zeremonien  nach- 
klingen. 2 

GefährUcher  noch  als  bei  den  Knaben  ist  die  Zeit  der  Mann- 
barkeit bei  den  Mädchen:  denn  Blut  ist  als  böser,  zauberischer 
Saft  bei  allen  Naturvölkern  gefürchtet,  und  zur  Zeit  der  Mann- 
barkeit dringt  dies  Blut  plötzlich,  in  unaufgeklärter  Weise,  aus 
den  Mädchen.  —  Die  Mädchen  werden  darum,  wenn  die  Menses 
eintreten  sollen,  ängstlich  abgesperrt  gehalten,  höchstens  eine  alte 
Frau  darf  mit  ihnen  reden,  oft  verbirgt  man  sie  in  Gemächer 
unter  die  Erde,  und  kein  Sonnenstrahl  dringt  zu  ihnen.  Dieser 
vielfältig  bezeugte  Brauch  erklärt  nun  sehr  einleuchtend  das  be- 
kannte Märchenmotiv:  Eltern  wird  geraten,  sie  sollten  ihr  Mäd- 
chen sofort  nach  der  Geburt  in  einen  einsamen  Turm  bringen, 
wo  sie  von  Menschen  nicht  gesehen  werde,  und  wo  die  Sonne 
sie  nicht  bescheinen  könne,  dort  solle  das  Mädchen  bis  zu  sei- 
nem fünfzehnten  Jahre,  d.  h.  bis  zur  Mannbarkeit,  bleiben.  ^    Es 


*  Besonders  reiches  Material  bei  Frazer^  III,  418  f.  Auch  Cranz 
spricht  a.  a.  O.  darüber. 

^  Danach  wären  meine  Bemerkungen,  Kleine  Studien  zur  deutschen 
Mythologie  {Oermanist.  Abhandlungen,  Paul)  S.  163,  zu  ergänzen  und  zu 
berichtigen. 

^  Namentlich  wäre  Frazer  2  III,  204  f.  zu  vergleichen. 


Zur  Entfitehung  des  Märchens.  5 

genügt,  hier  die  Danae  und  das  Dornröschen^  als  Beispiele  sol- 
cher abgesperrter  Märchenmädchen  zu  nennen.  ^ 

Die  Seele  des  Menschen  ist  in  Schlaf  und  Traum  aufserhalb 
des  Menschen,  d.  h.  aufserhalb  seines  Leibes,  und  der  Zauberer 
kann  seine  Seelen  besonders  weite  Strecken  und  für  besonders 
lange  Zeiten  aus  dem  Leibe  schicken.  Auch  dieser  Glaube  stei- 
gert sich  unmerklich,  bis  ein  Märchen  daraus  wird.  Dies  Mär- 
chen weifs  von  Zauberern  und  Riesen,  die  ihre  Seele  überhaupt 
nie  in  sich,  sondern  die  sie  immer  aufser  sich  haben,  sei  es  in 
einem  Baum,  sei  es  in  einem  Stein,  sei  es  in  einem  Speer,  sei 
es  in  einem  Ei  usw.  Schon  in  dem  ältesten  Märchen,  das  wir 
besitzen,  dem  ägyptischen  Brüdermärchen,  hören  wir  von  Men- 
schen, die  ihre  Seele  aufser  sich  haben  und  sie  in  Tiere  und 
Bäume  hineinschickten,  die.  Märchen,  die  ähnliches  fabeln,  nament- 
lich die  Märchen  vom  Riesen  ohne  Seele  '^  (wir  müssen  es  später, 
wenn  unsere  Erörterungen  komplizierter  werden,  noch  einmal  be- 
trachten) gehören  noch  heute  zu  den  beliebtesten,  abwechselungs- 
reichsten und  aufregendsten. 

Wie  sieht  nun  nach  der  Anschauung  der  primitiven  Völker 
die  Seele  aus,  und  wo  im  Leibe  hat  sie  ihren  Sitz?  Auf  diese 
Fragen  gibt  es  sehr  verschiedene  Antworten.  Vielleicht  die 
älteste:  die  Seele  ist  ein  Hauch  und  lebt  im  Atem,  haben  na- 
mentlich, wenn  ich  von  den  griechischen,  indischen,  römischen 
Berichten  absehe,  deutsche  Sagen  bewahrt,  es  heifst  darin  auch, 
dafs  die  Seelen  als  Hauch  oder  Wölkchen  aus  dem  Munde  des 
Schlafenden  schweben,  durch  Türritzen  in  andere  Gemächer 
dringen  und  die  darin  Schlafenden  wie  ein  Alp  peinigen;  oder 
dafs  sie  in  den  Mund  des  Schlafenden  zurückkehren,  nach  aller- 
hand seltsamen  Wanderungen  und  Erlebnissen ;  diese  Wanderungen 
und  Erlebnisse  aber  hat  der  schlafende  Mensch  gleichzeitig  ge- 
träumt.'•  Diese  Sagen,  dem  Wesen  nach  uralt,  erklären  uns,  wie 
wir  schon  erfuhren,  anschaulicher  und  reiner  als  es  jede  gelehrte 
Erklärung  kann,  die  primitiven  Vorstellungen  von  Schlaf  und 
Traum.   —   Eine  andere  Antwort  ist:   der   Schatten   enthält   die 


*  Vgl.  auch  Hartland,  Legend  of  Perseus  I,  71  f.;  Bohde,  Qriech. 
Roman  135. 

^  Vielleicht  hat  sich  auch  das  Motiv  von  der  Hexe  oder  bösen  Stief- 
mutter, die  das  Mädchen  absichtlich  abgesperrt  hält,  es  mifshandelt  oder 
verleumdet,  aus  diesem  alten  Aberglauben  entwickelt.  Ich  komme  auf 
dies  Motiv  der  bösen  Stiefmutter  noch  zurück  und  will  hier  nur  wiederum 
vermuten,  dafs  der  genannte  Aberglaube  eine  seiner  Wurzeln  sei.  —  Dafs 
das  Blut  bei  der  Defloration  gleichfalls  als  gefährlich  galt,  und  dafs  sich 
aus  der  Furcht  vor  diesem  Blute  die  Sage  von  dem  Mädchen  herausbil- 
dete, das  äufserlich  so  schön  war  und  dessen  Umarmungen  den  plötz- 
lichen Tod  brachten,  hat  Wilhelm  Hertz  {Sage  vom  Giftmädchen,  Oesam- 
melte  Abhandlungen,  1905,  S.  156  f.)  erwiesen. 

3  Vgl.  Reinhold  Köhler,  Kleinere  Schriften  I,  1581;  Frazer-'  III,  353  f. 
■^    '  Vgl.  Archiv  Bd.  CXIII,  S.  252,  Anm.  2. 


6  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

Seele.     Und   diese   Antwort  ist  als   Sagen-   und   Märchen motiv 
gleichfalls  lebendig,  wie  sie  ja  auch  eine  Fülle  von  Aberglauben 
hervorrief    —    es   heifst,    die  Kraft   eines   Helden   wächst  und 
sinkt  mit  der  Sonne,  je  nachdem  sein  Schatten  länger  oder  kürzer, 
d.  h.   seine  Seele   stärker   oder  schwächer  ist;^   und   wer   seinen 
Schatten  verliert,  hat  damit  gleichzeitig  seine  Seele  verloren,  wie 
der   unglückliche  Peter  Schlemihl.   —   Eine   dritte  Antwort  be- 
fremdet uns  zuerst:  die  Seele  ist  eine  Maus  und  läuft  als  Maus 
aus  dem  Munde  des  Schlafenden.     Sie   erklärt  sich   aber  leicht: 
die  Anschwellung   am  Arm,   die  die  Muskeln  verursachen,   sieht, 
wie  ja   auch    der   Name   Muskel    beweist,    einer  Maus    ähnlich: 
daraus  entstand  die  Vorstellung,  eine  Maus   ruhe   dort,  und   sie 
sei  die  Seele.    Nun  enthalten  die  Märchen  von  den  Prinzessinnen, 
die  sich  in  Mäuse  verwandeln,  ^  einen  neuen  Sinn,  und  man  darf 
wohl   auch   mit  Hilfe   dieser  Vorstellung   die  Sage  vom  Ratten- 
fänger von  Hameln  deuten:^   ursprünglich  lockte  er,   als  rechter 
Zauberer   und   Seelenfänger,   die   Seelen    der  Kinder  als   Ratten 
heraus,  und  die  Kinder  mufsten  ihren  Seelen  folgen:  daraus  wur- 
den zwei  Sagen,   erst  habe  er   die  Ratten    und  dann   die  Kinder 
gelockt;  da  man  nun  die  erste  Sage  und  somit  auch  den  eigent- 
lichen  Zusammenhang    zwischen    der    ersten    und   zweiten    nicht 
mehr  verstand,   erfand  man   eine  neue  Motivierung,   um  sie  von 
neuem  organisch  zu  verbinden,  man   brachte   das   alte,  bekannte 
Motiv  von  einem  überirdischen  Wesen,  das  Menschen  von  einer 
Plage  befreit  und  nicht  den  ausbedungenen  Lohn,  sondern  schnö- 
den Undank  erhält,  in  unsere  Sage;  so  verlief  sie  denn  wie  noch 
jetzt:  die  Einwohner  von  Hameln  werden  durch  den  Rattenfänger 
von  Mäusen  befreit,  sie  lohnen  ihm  mit  Undank,  und  er  verlockt 
dafür   ihre    Kinder,   bis    sie    auf    Nimmerwiedersehen    in    einem 
Wasser  oder  in  einem  Berge  verschwinden.  —  Eine  vierte  Ant- 
wort: die  Seele  ist  eine  Schlange,  begreift  sich  wohl  daraus,  dafs 
Schlangen   auf  der  Erde  und  aus  der  Erde  kriechen,   die  Leiber 
der  Entschlafenen   ruhen   auch  in   der  Erde.     Eine  Vereinigung 
beider  Tatsachen   ergibt  den  Glauben,  dafs  die  Seelen    der  Ver- 
storbenen, in  Schlangen  verwandelt,  aus  der  Erde  hervorkriechen, 
und    dann    weiter,    dafs    die   Seele    überhaupt    als    Schlange    er- 
scheint. ^     Manche  Sagen  und  Märchen  berichten,  dafs  ein  Kind 

*  Besonders  Frazer2  I,  285  f.;  Spencer,  Prinzipien  S.  177;  Negelein, 
Bild,  Spiegel  und  Schatten  im  Volksglauben  {Ar eh.  f.  Religionswiss,  V,  12  f.) ; 
Pradel,  Mitteilungen  der  schlesischen  Oesellschaft  für  Volkskunde  XII,  1  f. 

^  Etwa  Gawein,  vgl.  Gaston  Paris,  Eist.  litt,  de  la  France  XXX,  35/6 ; 
Pradel,  a.  a.  O.  S.  11. 

^  Ich  darf  vielleicht  an  das  reizendste  Beispiel,  an  Sisi  und  Fifi  in 
Brentanos  OocJcel,  Hinkel,  Oackeleia,  erinnern. 

''  Grimm,  Deutsche  Sagen,  Nr.  245  mit  Anm. 

*  Wie  die  Seele  Verstorbener  für  empfangene  Wohltaten,  so  ist  auch 
die  Schlange  dankbar.    Vgl.  Reinhold  Köhler  I,  366.  440. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  7 

mit  einer  Schlange  speiste  und  gedieh,  dafs  es  sie  dann  erzürnte, 
so  dafs  jene  wich,  und  seit  der  Zeit  nahm  auch  das  Kind  ab 
und  zehrte  sich  langsam  auf  —  es  hatte  eben  in  der  Schlange 
seine  Seele  gekränkt,  und  als  diese  es  verliefs,  mufste  es  natür- 
lich sterben.  *  Namentlich  orientalische  Märchen  wissen  von  Mäd- 
chen, die  sich  nächtens  in  Schlangen  verwandeln,  und  die  dann 
ihre  Schlangenhaut  abstreifen,  um  Mädchen  zu  werden,  oder  aus 
deren  Munde  eine  Schlange  hervorkriecht.  ^  Man  gab  ja  nun 
dem  Toten  öfters  Schätze  in  die  Erde  mit,  die  Schlangen  lebten 
in  der  Erde  bei  diesen  Schätzen  —  daher  vielleicht  nennt  das 
Märchen  so  oft  Schlangen  als  Schatzhüter,  ^  und  daher  kommt 
wohl  auch  das  Motiv  von  Menschen,  die  sich  nach  ihrem  Tode 
in  Schlangen  oder  Drachen  verwandeln,  um  bei  ihren  Schätzen 
zu  wachen:  ein  Motiv,  das  uns  allen  aus  der  Nibelungensage 
(Fafner)  erinnerlich  ist,  und  das  ich  auch  in  einem  buddhistischen 
Märchen  bemerkte.*  —  Die  Seele  entfaltet  ja,  vom  Leibe  ge- 
trennt, besondere  Gaben:  so  auch  die  Schlange,  ihr  wird  die 
Heilkraft  zugeschrieben,  denn  sie  lebt  in  nächster  Nähe  der  hei- 
lenden Kräuter  der  Erde,  und  sie  kennt  auch  das  Kraut,  das 
gegen  den  Tod  gewachsen  ist.  Eines  der  ältesten  griechischen 
Märchen  (schon  bei  Pindar  nachgewiesen)  weifs  davon:  Glaukos 
sitzt  an  der  Leiche  seines  Freundes  Polyidos,  eine  Schlange  er- 
scheint, er  tötet  sie;  eine  andere  Schlange  erscheint,  sieht  die 
entseelte,  verschwindet  und  kehrt  mit  einem  Kraut  zurück,  durch 
das  sie  die  getötete  belebt;  die  beiden  Schlangen  verschwinden, 
und  Glaukos  belebt  durch  das  zurückgelassene  Kraut  auch  seinen 
Freund.  Dies  Märchenmotiv  können  wir  durch  das  Mittelalter  — 
es  drang  bis  in  die  nordische  Y^lsungasaga  —  verfolgen,  und  es 
wurde  auch  einem  seiner  Herkunft  nach  orientalischen,  später  von 
uns  noch  einmal  zu  betrachtenden,  noch  gegenwärtigen  Märchen  ein- 
gefügt und  gab  ihm  einen  neuen,  echt  märchenhaften  Reiz.  ^  —  Der 
Schlange  wird  auch  noch  andere  Weisheit  nachgerühmt:  dafs  sie 
und  auch  dafs  jeder,  der  von  ihr  gegessen,  die  Sprache  der  Tiere 
verstehe,  und  dafs  sie  diese  Gabe  als  besondere  Gunst  mitteile.  ®  — 
Eine  fünfte  Antwort:  die  Seele  ist  ein  Vogel,  versteht  sich  sehr 
leicht,  wenn  wir  nur  daran  denken,  dafs  die  Seelen  sich  im  Traum 


^  KHM  105  und  Anm.r  Die  Unke'  ('Die  Ringelnatter  ist  gemeint').  — 
Tylor  II,  240. 

*  Vgl.  Benfey,  Pantschatantra  I,  §  92  und  bes.  S.  265 ;  v.  Haxthausen, 
Transkaukasia  I,  318.  333. 

^  Über  den  Glauben  an  Edelsteine,  die  Schlangen  im  Kopfe  tragen, 
Benfey,  Pantschatantra  I,  214  Anm. 

*  Jätaka,  übers,  von  Cowell,  etc.,  Nr.  137. 

^  Wilhelm  Hertz,  Spielmannsbuch  2  408,  4.  —  Reinhold  Köhler  zu 
'Die  Lais  der  Marie  de  France',  ed.  Warnke,  CIV  f. 

^  Grimm,  KHM  16  mit  Anm.  —  Reinhold  Köhler,  Kl.  Schriften  II, 
610  u.  Anm.  2;  I,  336.  340.  342. 


8  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

so  leicht  und  frei  bewegen  wie  ein  Vogel,  und  dafs  die  Stimme 
eines  Vogels  ungefähr  klingt,  wie  wir  uns  die  der  Seele  denken : 
der  der  Menschen  ähnlich,  nur  leichter  und  feiner.  Dem  Märchen 
vom  Machandelboom  gibt  die  Vorstellung  von  der  Seele  als 
Vogel  eine  ganz  seltsame  und  wehmütig  rührende  Kraft.  Ver- 
wandelte Menschen  fliegen  im  Märchen  oft  als  Vogel  davon.  *  — 
Als  Erscheinungen  der  Seele  haben  auch  die  Vögel  im  Märchen 
Kunde  von  verborgenen  Dingen,  warnen  den  Menschen  vor  Ge- 
fahren, zeigen  ihm  Schätze  (Siegfried,  Nibelungensage)  etc.;  ihren 
Lieblingen  geben  Sage  und  Märchen  die  Fähigkeit,  dafs  sie  die 
Sprache  der  Vögel  verstehen  können.  2  Wie  alt  diese  Vorstel- 
lung von  der  Seele  als  Vogel  ist,  hat  uns  zuletzt  ja  Weicker  ge- 
zeigt: Homers  Sirenen  zum  Beispiel  waren  ursprünglich  Vögel, 
von  der  Göttin  der  Unterwelt  entsandt,  den  Menschen  durch 
ihren  Gesang  in  die  Reiche  des  Hades  zu  locken.  ^ 

In  diesen  Fällen  —  und  noch  in  manchen  anderen,  die  an- 
zuführen ich  mir  aber  erspare  —  hat  die  Seele  eine  bald  weniger, 
bald  ganz  deutlich  bestimmte  und  sichtbare  Gestalt.  Unbestimmter 
schon  sind  die  Vorstellungen,  dafs  die  Seele  im  Blut  oder  im 
Speichel  eines  Menschen  wohne,  die  uns  ja  auch  durch  eine  Fülle 
von  abergläubischen  Gebräuchen  bezeugt  wird  und  im  Märchen 
meist  in  der  Form  fortlebt,  dafs  Blut  oder  Speichel  statt  des 
Menschen  antworten,  wenn  er  aus  der  Behausung  einer  Hexe 
oder  eines  Zauberers  floh  und  statt  seiner  Blutstropfen  oder 
Speichel  zurückliefs.  ^  Die  Sage  erzählt  ferner,  dafs  aus  Speichel 
Menschen  entstehen  können  —  z.  B.  die  nordische  Sage  von 
Kvasir,  und  dieselbe  Sage  berichtet,  was  uns  auch  als  Brauch 
verschiedener  primitiver  Völker  berichtet  wird,  dafs  die  Äsen 
und  Wanen  zum  Zeichen  des  Friedensschlusses  alle  in  ein  Gefäfs 
spuckten.  ^ 

Nach  der  Anschauung  des  primitiven  Menschen  lebt  nun 
die  Seele  oder  etwas  von  der  Seele  auch  in  allem,  was  je  mit 
dem  Menschen  zusammenhing,   und  was  mit  ihm  auch   nur   die 

^  J.  Grimm,  Deutsche  Mythologie  4  II,  690.  —  Ad.  Kuhn,  Mythol.  Stu- 
dien S.  96.  —  KHM  47  mit  Anm.  —  Frazer  2  I,  253  f.  278.  —  Negelein, 
Olohus  79  (1901),  357.  381.  —  Weicker,  Der  Seelenvogel,  1902,  S.  1  f.  20 
Anm.  4.  —  Schoolcraft,  Indian  tribes  VI,  637:  Seele  in  süfssingenden 
Vogel  verwandelt. 

^  Vgl.  oben  S.  7  Anm.  6.   —  Man  vergleiche  auch  das  Märchen  vom 

treuen  Johannes  KHM  6  und  ßeinhold  Köhler,  Aufsätxe  über  Märchen 

und  Volkslieder  S.  24  f.  —  Die  Erlernung  der  Sprache  der  Tiere  ist  in 

den  meisten  Fällen   die  Erlernung  der  Sprache  der  Vögel:   denn  deren 

'  Stimme  ist  ja  die  menschenähnlichste. 

^  Weicker   a.  a.  O.  S.  16  ff. 

"  Eeinhold  Köhler,  Kl.  Schriften  I.  163.  171.  —  Hartland,  Legend  of 
Persern  II,  60—62.  74—76.  261.  —  Frazer  2  I,  384.  390. 

^  Hartland,  Legend  of  Perseus  II,  126  Anm.  5 ;  II,  259.  —  Liebrecht, 
Zu  Gervasius  von  Tilbury,  72. 


Zur  EntstehuDg  des  Märchens.  9 

leiseste,  von  uns  kaum  gefühlte  Zusammengehörigkeit  aufweist.^ 
Die  Seele  eines  Menschen  liegt  z.  B.  nach  alter,  vielfältig  be- 
zeugter Anschauung,  in  seinen  Haaren.  ^  Daher  verliert  in  der 
biblischen,  auch  in  Indien  bezeugten  Sage  Simson  mit  seinen 
Haaren  seine  Kraft,  ^  daher  erscheinen,  namentlich  in  orientalischen 
Märchen,  Geister,  sowie  man  ihre  Haare  verbrennt,'*  darum  soll 
im  deutschen  Märchen  der  kühne  Bursche  dem  Teufel  drei  gol- 
dene Haare  ausreifsen  —  d.  h.  er  soll  ihm  seine  Kraft  rauben  — ,'* 
daher  erzählen  russische  und  altnordische  Märchen,  dafs  ein  Haar 
stärker  fessele  als  die  stärkste  Eisenschnur.  ^  Eine  ähnliche  Kraft 
wie  die  Haare  besitzen  die  Nägel,  die  Feinde  der  Menschen  zim- 
mern aus  ihnen  Werkzeuge  oder  Schiffe,  die  höchst  verderblich 
werden;^  eine  ähnliche  Kraft  haben  auch  die  Knochen,  die  Seele 
birgt  sich  darin :  in  dem  Grimmschen  gewaltigen  Märchen  vom 
singenden  Knochen,  einem  Märchen,  das  sich  über  weite  Strecken 
der  Welt,  bis  in  den  hohen  Norden  und  den  fernen  Osten  ver- 
breitete,** und  in  dem  der  Knochen  eines  Ermordeten,  zur  Flöte 
eines  Hirten  geschnitzt,  die  Untaten  selbst  singt,  die  der  Ermor- 
dete erdulden  mufste  —  in  diesem  Märchen  ist  der  Knochen  nur 
die  Seele  des  Erschlagenen.  —  Auch  im  Gewand  ruht  die  Seele 
und  die  eigentliche  Kraft  eines  Menschen;  wer  sein  Gewand  be- 
sitzt, der  besitzt  auch  ihn  selber;  das  ist  wieder  der  Sinn  des 
alten,  schon  in  der  nordischen  V^lundarkvida  und  auch  im  in- 
dischen Somadeva  bezeugten  Motivs  von  den  Schwanjungfrauen, 
denen  Sterbliche  ihre  Gewänder  rauben,  und  die  den  Sterblichen 
wieder  entfliegen,  sobald  sie  sich  ihrer  Schwanenge  wänder  wieder 
bemächtigten.^  —  Wenn  ein  altes  ägyptisch-griechisches  Märchen 
berichtet,  ein  Adler  (oder,  wohl  ursprünglicher,  der  Wind)  ent- 
führte einem  Mädchen   einen  Schuh   und  warf  ihn   einem  König 


^  Vgl.  Oldenberg,  Religion  des  Veda,  480. 

^  Frazer2  I,  368  f.  —  Hartland,  Perseus  III,  105—111.  —  Spencer, 
Prinxipien  298.  —  Andrew  Lang,  Myth.  Ritual  and  Religion  I,  95.  — 
Andr^e,  Ethnogr.  Parall.  II,  12  f. 

3  Frazer^!  III,  352  Anm.  1.   390. 

*  Viele  Beispiele  in  1001  Nacht 

^  Frazer  ^  III,  358  Anm.  5:  Seele  des  Nisus  in  einem  goldenen 
Haar.  —  Grimm,  KHM  29.  —  Saxo  Orammaticus   ed.  Holder  292,  21  f. 

•^  V.  d.  Leyen,  Märchen  in  Edda  28/29.  30.  —  Reinhold  Köhler,  Kleinere 
Schriften  I,  303 — 5.  —  J.  Hahn,  Griechische  und  albanesische  Märchen  I,  52. 
Leskien-Brugmann  S.  399.  552/3. 

■'  Frazer^  I,  371  f.  —  Hartland,  Legend  of  Perseus  II,  138.  —  Melu- 
sine I,  549.  —  Liebrecht,  Ziir  Volkskunde  319.  330.  367. 

®  KHM  28.  —  Schiefner,  Orient  und  Occident  (2).  —  Reinhold  Köhler, 
Kl.  Sehr.  I,  49.  54.    Ders.,  Aufsätxe  über  Märchen  und  Volkslieder  S.  90. 

•■»  Frazer-'  I,  60.  —  Reinhold  Köhler,  Kl.  Sehr.  I,  444;  II,  413  Anm.  1. 
—  Cosquin  II,  16  f.  —  Somadeva,  übers,  von  Tawney,  II,  452  (XIV,  108) 
und  Buch  XVIII,  121  (72  ff.).  —  Hertel,  Bunte  Geschichten  S.  59  f.  — 
Liebrecht,  a.  a.  O.  244. 


10  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

in  den  Schofs,  dieser  aber  ruhte  nicht,  bis  das  Mädchen  die  Seine 
wurde,  so  liegt  vielleicht  auch  die  Anschauung  zugrunde,  dafs 
das  Mädchen  dem  König  nicht  entrinnen  konnte,  weil  er  ihren 
Schuh  und  damit  einen  Teil  ihres  Selbst  besafs,  und  vielleicht 
entsprang  aus  derselben  alten  Anschauung  das  Schuhmotiv  im 
Aschenbrödelmärchen.  —  Man  gedenke  auch  an  Tristan  und 
Isolde,  dafs  dem  König  Marke  ein  goldenes  Haar  auf  einem 
Strom  entgegentreibt,  oder  dafs  zwei  Schwalben  es  vor  ihm  fallen 
lassen,  und  dafs  er  nur  die  zur  Gemahlin  haben  will,  der  solches 
Haar  gehört.  * 

Am  zahlreichsten,  fast  aus  dem  Glauben  aller  Völker  nach- 
gewiesen und  heute  eigentlich  mit  derselben  Kraft  lebendig  wie 
vor  Jahrtausenden,  ist  die  Meinung,  dafs  die  Seele  eines  Men- 
schen in  seinem  Bilde  wohne,  dafs,  wer  das  Bild  eines  Menschen 
besitzt,  zugleich  über  den  Menschen  Gewalt  hat,  und  dafs  alle 
Qualen,  die  man  dem  Bild  antue,  der  Mensch  selbst  empfinden 
müsse  —  eine  Meinung,  die  in  alten  und  neuen  Zeiten  eine  Fülle 
unheimlichen  Zaubers  erzeugte.  ^  Aus  diesem  Glauben  an  die 
Macht  des  Bildes  leite  ich  mir  ein  Motiv  her,  das  besonders 
orientalische  Märchen  bis  zum  Überdrufs  wiederholen:  ein  Prinz 
sieht  das  Bild  einer  Prinzessin,  er  zieht  aus,  die  Prinzessin  selbst 
zu  suchen,  findet  sie  nach  vielen  Abenteuern  und  Gefahren,  und 
sie,  die  alle  anderen  Freier  ausschlug,  ergibt  sich  ihm  gern,  denn 
sie  sah  sein  leuchtendes  Bild  im  Traum  —  d.  h.  ihre  Seele  sah 
es  — ,  und  sie  beide  gehören  nun  zusammen.  ^  —  Eine  Folge  aus 
dieser  Anschauung,  aus  der  wieder  eine  Fülle  von  Zaubergebräuchen 
entspringt,  ist  es,  wenn  primitive  Völker,  um  einen  gewünschten 
Vorgang  herbeizuführen,  diesen  Vorgang  zuerst  im  Bilde  nach- 
ahmen ;  ^  wenn  sie  z.  B.,  um  schwarze  Wolken  anzulocken,  schwarze 
Böcke  opfern,  wenn  sie,  um  ein  Gewitter  zu  beschwören,  mit 
Hämmern  auf  Kesseln  trommeln,  Feuerbrände  zusammenschlagen 
und  aus  einem  Bündel  Zweige  Wasser  nach  allen  Richtungen 
spritzen.  Oder  wenn  sie  einen  Teich  durch  Steine,  durch  Schläge 
mit  Zweigen  beunruhigen,  damit  ihn  nachher  Wind  und  Unge- 
witter  ebenso  erregen.  Mir  ist  die  Ansicht  recht  wahrscheinlich, 
dafs  das  namentlich  aus  Artussagen  bekannte,  in  unseren  Mär- 
chen und  Sagen  auch  vielfach  auftretende  Motiv:  der  Held 
kommt  an  einen  Teich,  er  wirft  einen  Stein  hinein,  da  zieht  ein 
greuliches  Unwetter  auf  —  dafs  dies  Motiv  eigentlich  ein  Wetter- 
zauber ist.  ^ 

Und  wie  das  Bild  der  Spiegel:  er  besitzt  zauberhafte  Kraft, 

*  Reinhold  Köhler,  Kleinere  Schriften  II,  328 — 46. 

2  Frazer  -^  I,  10  f.  293  f.  —  J.  Grimm  4  II,  913  f. 

^  Benfey,  Pantschatantra  1, 417  f.  —  Erwin  Rohde,  Oriech.  Boman-  52  f. 

^  Frazer  2  I    19  f. 

'  Frazer  2  I,'  106  f.  —  Liebrecht,  a.  a.  O.  335. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  11 

weil  er  das  Bild,  die  Seele  des  Menschen,  enthält  und  doch  nicht 
enthält,  weil  er  flach  ist  und  doch  die  ganze  Welt  aus  ihm  wieder- 
scheint. Aus  diesen  Beobachtungen  entwickelte  sich  sehr  leicht 
der  Wahn,  der  Spiegel  enthalte  Verborgenes,  was  wir  nicht 
sehen  —  er  zeige  nicht  nur  den  Menschen  selbst,  sondern  aufser- 
dem,  was  zu  ihm  gehört,  den  Geliebten,  er  zeige  nicht  allein  die 
Gegenwart,  sondern  aufser  ihr  noch  die  Zukunft.  ^  So  wurde 
aus  dem  einfachen  Spiegel  der  Zauberspiegel  des  Märchens.  ^ 

Wie  das  Bild  auch  der  Name:  wer  meinen  Namen  weifs, 
der  hat  Gewalt  über  mich,  und  wenn  ich  meinen  Namen  aus- 
spreche, so  gebe  ich  etwas  von  meiner  Seele  her.  So  erklärt 
sich  die  Scheu,  den  Namen  auszusprechen,  in  Glauben  und  Sage.  ^ 
Wieder  die  Helden  des  Artuskreises  nennen  ihren  Namen  un- 
gern. Lohengrins,  des  himmlischen  Helden,  Namen  darf  Elsa 
nicht  erfahren,  denn  wäre  sein  Name  einer  irdischen  Frau  be- 
kannt, so  wäre  Lohengrin  selbst  seiner  himmlischen  Kraft  be- 
raubt. —  Ins  Possenhafte  gewendet  ist  die  alte  Vorstellung  im 
deutschen  Märchen  vom  Rumpelstilzchen.*  —  Daher  ist  die 
Kenntnis  des  Namens  in  Märchen  und  Sage  auch  oft  ein  Zauber- 
wort, das  verschlossene  Türen  sprengt  und  den  Weg  zu  verbor- 
genen Schätzen  öffnet. 

Wer  diese  Beispiele  recht  überdenkt,  der  wird  sich  auch 
nicht  mehr  wundern,  wenn  etwa  im  böhmischen  Märchen  vom 
Wassermann  der  Wassermann  gewaltig  und  entsetzlich  anschwilllt, 
als  ihn  nur  ein  kleiner  Wassertropfen  berührte,''  wenn  in  einem 
amerikanischen  Märchen  —  und  ganz  ähnliches  erzählt  schon  das 
altindische  Mahabharata  —  ein  in  eine  Frau  verwandelter  Biber 
wieder  zu  einem  Biber  werden  mufs,  sowie  sie  ein  Tropfen  ihres 
früheren  Elementes,  des  Wassers,  erreichte,^  wenn  Proserpina 
der  Unterwelt  angehört,  kaum  dafs  sie  in  der  Unterwelt  von 
einem  Apfel,  d.  h.  von  einer  Frucht,  die  dort  heimisch  ist,  ge- 
nossen, wenn  Orpheus  sich  nicht  nach  der  Unterwelt  (Lots  Weib 
sich  nicht  nach  dem  untergehenden  Sodom)  umsehen  (der  Opfernde 
nur  mit  abgewandtem  Gesicht  opfern)  darf:   sowie   Orpheus   die 


^  Negelein,  Archiv  für  Rdigionsivissenschaft  V  (1902)  S.  22  f. 

^  Bolte  zu  Wetzel,  Reise  der  Söhne  Qiaffers  S.  203  f.  {LH.  Ver.  Stuttg. 
208).  —  Hartland,  Legend  of  Perseus  II,  13  f. 

^  Literatur  bei  Negelein,  a.  a.  O.  35  Anm. :  E.  B.  Tylor,  Early  History 
of  mankind  130 — 9<:i;  Nyrop,  Navnes  mögt,  Kopenhagen  1887,  Opuscula 
philologica  118 — 209;  Kroll,  Rhein.  Museum  1898,  345.  —  Andr^e,  Ethnogr. 
Parallelen  I,  165  f.  —  Zeitschrift  für  Ethnologie  27,  109—29.  —  Frazer  2 
I,  404  f.  —  Singer,  Schweizer  Märchen,  Bern  1903,  S.  20  f. 

^  KHM  55  mit  Anm.  —  Reinhold  Köhler,  Kleinere  Schriften  I,  54.  76. 
—  Folklore  Journal  7,  138—43. 

^  Waldau,  Böhmisches  Märchenbuch  (1866)  S.  186.  194. 

®  Erwin  Rohde,  Kleine  Schriften  II,  212.  —  Liebrecht,  Zur  Volks- 
kunde S.  58. 


12  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

Unterwelt  sieht,  tritt  er  in  ihren  Bannkreis,  sie  zieht  ihn  zu  sich 
und  vernichtet  ihnJ 

Wenn  die  Seele  des  Entschlafenen  sich  vom  Körper  trennt, 
so  verlangt  sie  nach  Ruhe  und  dem  Grabe,  "^  so  sehr,  dafs  sie 
dem  Überlebenden  im  Traum  erscheint  und  von  ihm  Bestattung 
erbittet,  wie  schon  Patroklos  nach  seinem  Tode  von  Achilles. 
Wieder  wurde  aus  dieser  Forderung  nach  der  Ruhe  des  Grabes 
ein  Märchen,  das  schon  die  alten  Griechen  kannten,  das  im  deut- 
schen Mittelalter  als  selbständige  Dichtung  wiederkehrt  und  dann 
in  vielen  neueren  Märchensammlungen,  abendländischen  und 
morgenländischen,  begegnet:  Ein  Reisender  findet  einen  bleichen 
Mann  oder  einen  Toten,  um  den  sich  Lebende  streiten,  er  be- 
zahlt dessen  Schulden  und  sorgt  für  das  Begräbnis,  nachher  er- 
scheint ihm  der  Tote  im  Traum,  warnt  ihn  vor  mancherlei  Ge- 
fahren, unterstützt  ihn  und  bringt  ihn  endlich  zu  grofsem  Glück.  "^ 
Wie  sehr  die  Toten  sich  nach  Ruhe  sehnen,  schildert  auch  keine 
Kunst  eindrucksvoller  und  zugleich  rührender  als  die  des  Mär- 
chens, wenn  es,  uraltem  Volksglauben  entsprechend,  berichtet,  die 
Tränen  der  Überlebenden  fielen  wie  salzige  oder  eisige  Tropfen 
auf  die  Leiche  des  Gestorbenen,  der  nun  umsonst  sich  in  den 
ewigen  Schlaf  hinübersehne,  und  der  nun  selbst  den  klagenden 
Hinterbliebenen  erscheint  mit  der  Bitte,  sie  möchten  aufhören 
mit  Weinen.* 


*  Wen  Geister  anrufen,  der  ist  ihrer  Macht  verfallen,  Weicker,  Seelen- 
vogel S.  39.  —  Wer  von  der  Speise  der  Unterirdischen  ifst,  kann  der  Unter- 
welt nicht  entrinnen,  Wilhelm  Hertz,  Spielmannsbuch'-  360  (zu  Herr  Orfeo). 

^  Es  war  ja  ein  weitverbreiteter,  uralter,  auch  als  Sage  fortlebender 
Brauch,  dem  Leichnam  Verstorbener  ein  Schiff  mitzugeben  oder  ihn  auf 
ein  Schiff  zu  bringen  und  es  den  Wellen  zu  überantworten,  die  des  Ge- 
schiedenen Seele  auf  dem  Schiffe  in  das  Toten  reich  tragen  sollten  (Usener, 
Sintflutsagen  214  f.  bis  220,  über  das  Alter  des  Brauches).  Wie  eine  Art 
Umkehrung  oder,  man  möchte  manchmal  auch  sagen :  wie  eine  Art  Fort- 
setzung, mutet  uns  das  Sagen-  und  Märchenmotiv  an  von  Knäblein,  die 
von  einem  Strom  oder  dem  Meere,  in  Schiffchen  oder  Kästchen  liegend, 
angespült  werden  und  später  zu  Heroen  emporwachsen  (Usener  S.  88  f. 
und  108  f.) :  die  alte  Anschauung  war  vielleicht,  dafs  sie  aus  dem  Reiche 
der  Seelen  kamen,  und  als  man  diese  Anschauung  nicht  mehr  verstand, 
erfand  man,  ein  böswilliger  König  habe  sie,  infolge  von  unheilkündenden 
Prophezeiungen,  ausgesetzt.  Wenn  diese  Knäblein  von  manchen  Völkern 
als  halbgöttliche  Wesen  gefeiert  werden,  darf  man  vielleicht  mit  Usener 
an  die  alte  Vorstellung  denken,  der  Mond  sei  ein  Nachen,  auf  dem  der 
Himmelsgott  über  das  himmlische  Meer  fahre,  vom  Reich  der  Seelen  zum 
Reich  der  Menschen,  diese  Knäblein  seien  also  eigentlich  Himmelsgötter: 
im  Falle  diese  Annahme  das  Rechte  träfe,  so  lebten  in  diesen  Findlings- 
sagen alte  Himmelsgottsagen  fort  (Usener,  a.  a.  O.  13o.  133.  242). 

^  Vgl.  Karl  Simrock,  Der  gute  Gerhard  und  die  dankbaren  Toten,  und 
Reinhold  Köhler,  Kleinere  Schriften  I,  5—38,  bes.  S.  38. 

^  Grimm,  KEM 109  und  Anm.  —  Gering,  Edda  181  Anm.  1.  —  Wacker- 
nagel, Kleinere  Schriften  II,  399.  —  Reiche  Literatur  bei  Hock,  Vampyr- 
sagen  S.  8  Anm.  5.  —  Jellinek,  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  1904,  S.  322. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  13 

Aufser  den  Menschen  haben  nach  der  alten  Anschauung  alle 
anderen  Wesen  eine  Seele,  namentlich  die  Tiere.  Berühmte  Helden 
führen  ihr  Geschlecht  mit  Vorliebe  auf  Tiere  zurück.*  Dann  wieder 
hält  der  primitive  Mensch  das  Tier  für  einen  Menschen,  der  nur 
zeitweise  Tiergestalt  annahm,  und  zu  dieser  Meinung  führt  ihn  ja 
auch  die  schon  betrachtete  Erscheinung,  dafs  Menschen  sich  zeit- 
weise in  Tiere  verwandelt  glauben  oder  die  Seele  in  Tiergestalt,  als 
Schlange,  Maus,  Vogel,  erscheint.  Daher  erscheinen  im  Märchen 
vieler  Völker  so  oft  die  Tiere,  die  nur  verurteilt  sind,  des  Tages 
als  Tiere  umherzustreifen,  die  des  Nachts  aber  ihre  Tierhülle 
ablegen  und  ihre  wahre  Menschengestalt  annehmen.  Dann  wieder 
erscheint  dem  Wilden  das  Tier  als  ein  durch  Sicherheit  und 
Stärke  der  Instinkte  dem  Menschen  überlegenes,  geheimnisvoll 
sprachloses  Geschöpf,  das  er  gern  als  halbgöttliches  Wesen  ver- 
ehrt, und  das  auch  das  Märchen  gern  als  hilfreich,  mächtig  und 
dankbar  feiert,  auch  darum,  weil  der  Mensch  dem  Tiere  alles 
verdankt,  wovon  er  lebt,  dessen  Fleisch  ihn  nährt,  dessen  Fell 
ihn  kleidet,  aus  dessen  Knochen  er  sich  seine  Geräte  und  Waffen 
schnitzt."^  Viele  Völker  bitten  wirklich  die  mächtigen  Tiere,  die 
sie  töten  mufsten,  hinterher  demütig  um  Verzeihung,  oder  sie 
töten  die  lebenden  und  verehren  die  getöteten  Tiere.  ^  Vielleicht 
schneidet  man  aus  dem  erlegten  Tiere  auch  die  Zunge,  damit 
die  Tierseele  nicht  weitersagen  könne,  dafs  der  Tierkörper  ge- 
tötet sei,  und  vielleicht  führt  auch  auf  diesen  Brauch  das  Mär- 
chenmotiv zurück,  dafs  das  Zeichen,  dafs  ein  Held  ein  Untier 
getötet,  immer  die  Zunge  des  Untieres  sein  mufs.*  Möglicher- 
weise ifst  man  auch  bestimmte  Knochen  und  Sehnen  des  Tieres 
nicht,  um  die  Tiere  an  ihrer  Auferstehung  nicht  zu  verhindern. 
Das  wäre  wieder  eine  recht  einfache  Erklärung  des  Märchen- 
motivs, dafs  ein  Tier  gegessen  werden  darf,  nur  bestimmte  seiner 
Knochen  nicht,  wenn  diese  aber  doch  gegessen  sind,  so  lahmt 
das  Tier,  nachdem  man  es  belebt  hat.^ 

Wie  die  Tiere  denkt  sich  die  primitive  Phantasie  auch  die 
Bäume  als  beseelte  Wesen  ^   oder  behauptet,   dafs   die  Menschen 

*  Vgl.  bes.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  17  f. 

^  V.  d.  Steinen,  Unter  den  Naturvölkern  Zentralbrasiliens  (1894)  354.  — 
Rohde,  KL  Schriften  II,  212.  —  Frazer  2  II,  485  f.  —  Tylor,  Primitive 
Oulture  I,  4Ö7/8. 

3  Tylor,  a.  a.  O.  468.  —  Frazer  2  II,  373  f. 

^  Frazer  2  II,  421.  —  Schon  antik:  Äpollodor  3,  313.  —  Erwin  Eohde, 
Oriech.  Roman  S.  47.  —  W.  Hertz,  Tristan  und  Isolde  529  (Anm.  8o).  — 
Reinhold  Köhler,  zu  Gonzenbach,  Sixilian.  Märchen  Nr.  40;  Zeitschrift 
des   Vereins  f.  Volkskunde  6,  75;  KL  Schriften  304.  399.  430. 

*  Frazer  2  II,  417.  —  Reinhold  Köhler,  KL  Schriften  I,  259.  273.  586. 
^  Andree,  Etknogr.  ParalL  II,  21.     Aus  der  Tatsache,  dafs  die  Bäume 

den  Menschen  schützen,  dais  ihre  Frucht  ihn  nährt,  dafs  sein  Schatten  ihn 


14  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

aus  Bäumen  entsprungen  seien.  Diese  Vorstellung  hat  manche 
Ursachen:  die  primitiven  Menschen  wohnen  vielfach  in  der  Nähe 
von  Bäumen  oder  unter  dem  Schutz  der  Bäume  oder  in  den 
Höhlen  der  Bäume;  daraus  entwickelt  sich  dann  der  Glaube, 
dafs  die  ersten  Menschen  aus  Bäumen  gekommen  seien.  Aus  den 
Bäumen  lassen  sich  ferner  Geräte,  Tiere,  Figuren  usw.  schnitzen, 
und  so  ergibt  sich  dem  Denken  des  Wilden  als  Folge,  dals  seine 
Voreltern  auch  einmal  von  einem  Gott  ebenso  aus  Bäumen  ge- 
schnitzt seien,  wie  er  jetzt  noch  seine  Geräte  aus  dem  Baume 
schnitzt.*  Genau  dieser  Vorstellung  entsprechend  erzählen  alte 
Sagen  und  Märchen  von  Menschen,  die  aus  Holz  oder  Bäumen 
geschnitzt  und  dann  belebt  wurden.  ^ 

Weiter  mufs  man  daran  erinnern,  dafs  die  Bäume  und  Pflan- 
zen aus  der  Erde  emporwachsen;  anderseits  aber  ruhen  in  dieser 
Erde  die  Seelen  der  Verstorbenen.  Aus  beiden  Tatsachen  zu- 
sammen ergibt  sich  die  Meinung,  dafs  die  Seelen  in  der  Erde 
in  die  Bäume  und  Pflanzen  eingehen  und  mit  ihnen  aus  der  Erde 
emporspriefsen.  Darum  heifst  es  in  Märchen  und  Sagen  überaus 
oft,  dafs  aus  den  Gräbern  Verstorbener  Blumen  oder  Bäume 
emporwachsen,  und  dafs  in  diesen  die  Seelen  der  Verstorbenen 
wohnten.  Und  diese  Vorstellung  haben  gerade  deutsche  Sagen, 
Lieder  und  Märchen  rührend  vertieft,  wenn  sie  etwa  erzählen, 
dafs  weifse  Lilien  aus  dem  Grabe  unschuldig  Verurteilter  sprie- 
fsen,  duftende  Veilchen  aus  dem  Grabe  von  Jungfrauen,  dafs 
sich  aus  den  Gräbern  Liebender  Blumensträuche  winden,  deren 
Aste  sich  verflechten.^  Aus  dem  Grabe  der  Mutter  wächst  nach 
dem  deutschen  Märchen  ein  Baum  mit  goldenen  und  silbernen 
Früchten,   und   diese   Früchte  belohnen   die   gute,   bestrafen   die 


erquickt,  konnte  sich  auch  leicht  die  Vorstellung  von  einem  Lebensbaum 
entwickeln  —  einem  Baum,  der  Leben  gibt,  und  dessen  Früchte  auch 
Leben  spenden  oder  gar  Tote  zum  Leben  zurückrufen.  —  Solche  Lebens- 
bäume mit  belebenden  Früchten  kennt  ja  bereits  die  Sage  des  Alten  Testa- 
ments vom  Paradies  und  die  griechische  der  Hesperiden.  —  Vielleicht 
hängt  mit  dieser  Vorstellung  auch  der  Glaube  an  die  befruchtende, 
schwängernde  Kraft  des  Apfels  zusammen.  Literatur  bei  Gunkel,  Genesis 
298  f.,  bei  Erwin  Rohde,  Qriech.  Roman  S.  46,  bei  Wilhelm  Hertz,  Sage 
vom  Oiftmädchen,  Qes.  Abk.  S.  273  f.,  bei  Hartland,  Legend  of  Perseus  I, 
71  f.,  bes.  154  f. 

^  Vgl.  V.  d.  Steinen,  a.  a.  0.  363:  die  Männer  seien  aus  Holzpfeilern, 
die  Frauen  aus  Maisstampfern  geschnitzt.  —  Ähnliche  Gründe  (dafs  man 
aus  Steinen  Geräte  und  Figuren  schafft)  haben  die  Sagen,  dafs  Menschen 
aus  Steinen  entstanden.  Über  diese  Sagen  vgl.  Usener,  Sintflutsagen  (1899) 
245.  —  Über  die  Vorstellung  vgl.  Erwin  Rohde  2  169  (i  159). 

2  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte  I,  7  f.  —  v.  d.  Leyen,  Indische  Mär- 
chen S.  145  f.     Ders.,  Märchen  in  Edda  S.  12. 

^  Jacob  Grimm  in  Deutsche  Mythologie'^  IV,  689.  —  Wilhelm  Hertz, 
Tristan  und  Isolde^  569. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  15 

böse  Tochter.  ^  Ein  anderer  hübscher  Glaube  ist  der,  dafs  die 
Seele  des  Menschen  in  einer  Blume  wohnt,  die  gedeiht,  wenn  er 
gedeiht,  und  welkt,  wenn  er  in  Gefahr  kommt.  ^  Märchenhelden 
lassen  solche  Blumen  ihren  Eltern  zurück,  wenn  sie  selbst  auf 
ihre  Taten  ausziehen.  ^ 

Wir  sind  nun  unmerklich  von  den  Menschen  in  die  Natur 
geführt  worden.  Es  war  eine  Anschauung  früherer  Gelehrter, 
dafs  die  Wilden  als  unverdorbene,  reine  Völker  auch  die  Natur, 
mit  der  sie  in  geheimem  Zusammenhange  lebten,  rein  erfafst 
hätten,  dafs  diese  Erfassung  sich  aber  in  alten  und  tiefen  Mythen 
spiegelte.  Diese  Anschauung  war  sehr  verkehrt.  Unbefangene 
Beobachter  der  Wilden  melden  eher  das  Gegenteil.  Sie  waren 
ganz  erstaunt  über  die  Gleichgültigkeit,  die  die  Wilden  allen 
Naturphänomenen  entgegenbrachten,  die  sie  ja  jeden  Tag  sahen, 
und  die  darum  nichts  Besonderes  für  sie  hatten.  ^  Ist  der  Wilde 
aber,  indem  sich  seine  Anschauungen  von  der  Seele  langsam, 
langsam  ausbilden,  einmal  dahin  gelangt,  die  Natur  als  ein  über- 
all belebtes  und  beseeltes  Wesen  zu  betrachten,  so  gewinnt  sie 
für  ihn  eine  neue  Bedeutung.  Nun  will  er  plötzlich  über  alles 
Bescheid  wissen,  was  in  ihr  vorgeht,  er  ist  wie  ein  Kind,  das, 
wenn  es  einmal  angefangen  hat  mit  Fragen,  einfach  nach  allem 
fragt  und  auch  so  leicht  nicht  mit  Fragen  aufhört.  Der  Wilde 
gibt  sich  auf  seine  Fragen  die  leichtesten  und  einfachsten  Ant- 
worten, denn  er  mag  noch  immer  nicht  viel  nachdenken.  Er  ist 
wieder  genau  wie  die  Kinder,  die  ja  auch  auf  alle  Fragen  Ant- 
wort fordern,  aber  ganz  schnelle  Antwort;  denn  das  Interesse  au 
einem  Dinge  währt  bei  ihnen  nie  lange  und  springt  sofort  auf 
ein  anderes  über.  Solche  Fragen  an  die  Natur  und  solche  Ant- 
worten aus  der  Natur  sind  aber  sehr  viele  alte  Sagen  und  Mär- 
chen, man  nennt  sie  ätiologische,  jedes  Volk  kennt  sie,  und  sie 
gehören  zum  ältesten  dichterischen  Besitz  des  Menschen. 

Wenn  etwa  in  irgendeiner  Landschaft  Felsen  menschenähn- 
lich aussahen,  so  erzählte  die  Sage,  dafs  diese  Felsen  ursprüng- 
lich Menschen  gewesen  und  dann  zu  Felsen  versteinert  wurden. 
Die  älteste  uns  bekannte  Sage  der  Art  ist  die  Sage  von  Lots 
Weib,  zu  der  ein  Felsen  in  der  Gegend  des  Toten  Meeres  An- 
lafs  gab,  der  wie  eine  versteinerte  Frau  aussieht.^  Die  Sagen 
vom  Watzmann  und  die  von  Hans  Heihng  zeigen  uns,  dafs  man 
sich  auch  ganze  Familien  als  versteinert  dachte.  Fanden  sich 
tiefe   Eindrücke  in   einem   Felsen,   so   erklärte  man   sie   als   die 


'  Vgl.  Archiv  Bd.  CXIII,  S.  256  Anm.  3. 
^  Vgl.  namentlich  Hartland,  Legend  of  Perseus  II,  1  f. 
3  Vgl.  Reinhold  Köhler,  Kleinere  Schriften  I,  67.  179/80.  303  (mit  Boltes 
Nachträgen).  —  Brugman -Leskien  Nr.  11—13,  Cosquin  Nr.  37. 

*  Vgl.  z.  B.  Seeck,  Neue  Jahrbücher  für  das  Mass.  Altertum  II,  225  f. 
'"  Gunkel,  Genesis  193.  —  Andree,  Ethnogr.  Parallelen  I,  97  f. 


16  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

Spuren,  die  ein  Riese  oder  das  Pferd  eines  Riesen  oder  der 
Finger  des  Teufels  oder  der  Fufs  des  Heilands  zurückliefs.  Man 
erinnere  sich  beispielsweise  an  die  Sagen  von  der  Rofstrappe  und 
viele  ähnliche.  ^ 

Die  Bäume  und  Berge,  alle  Tiere,  bestimmte  Eigenheiten 
in  ihrem  Aussehen  oder  ihrem  Benehmen,  ihre  Farbe,  ihr  Gang 
gaben  zu  ähnlichen  Sagen  Anlafs,  die  erzählten,  wie  die  Tiere 
zu  diesen  Besonderheiten  gekommen  seien,  warum  der  Rücken 
der  Schildkröte  etwa  geplatzt  wäre,  warum  die  Scholle  ein  schiefes 
Maul,  der  Esel  seine  langen  Ohren  und  der  Bär  seinen  stumpfen 
Schwanz  habe  usw.  ^  Man  darf  hierher  auch  die  Märchen  rech- 
nen, in  denen  die  Sprache  der  Tiere  gedeutet  wird.  Solche  Mär- 
chen erzählen  die  Märchensammlungen  der  Naturvölker  fast  aus- 
schliefslich. 

Es  seien  hier  auch  einige  alte  Kultursagen  der  Art  erzählt. 
Die  alten  Inder  erklären,  warum  die  Wolken  immer  bei  den 
Bergen  weilten:  früher,  sagten  sie,  waren  die  Wolken  Flügel  der 
Berge,  und  die  Berge  liefsen  sich  nieder,  wo  es  ihnen  gefiel.  Da 
geriet  die  ganze  Erde  in  Aufruhr,  und  so  trennte  ein  Gott  die 
Flügel  von  den  Bergen  und  gebot  diesen,  zu  bleiben,  wo  sie  ein- 
mal wären.  Die  Wolken  aber  haben  nicht  vergessen,  was  sie 
früher  den  Bergen  waren,  und  es  zieht  sie  immer  noch  mit  über- 
mächtiger Sehnsucht  zu  ihnen  hin.^  Man  darf  mit  dieser  Sage 
die  griechische,  vom  Plato  im  Gastmahl  erzählte,  vergleichen,  dal's 
es  Manu  und  Frau  so  unwiderstehlich  zueinanderzöge,  weil  sie 
in  früherer  Zeit  zusammengehört,  einen  hermaphroditischen  Kör- 
per gebildet  hätten.  Eine  andere  griechische  Sage  weifs,  warum 
der  Rabe  schwarz  wurde:  um  seiner  Schwatzhaftigkeit  willen 
verfluchte  ihn  Apollo  zur  Schwärze,  früher  trug  er  schneeweifses 
Gefieder.^  Ähnliches  behaupten  die  Hottentotten:  dem  Schakal 
sei  ein  schwarzer  Streifen  auf  dem  Rücken  eingebrannt,  weil  er 
einmal  die  Sonne  gestohlen  und  fortgetragen.  Eine  Fülle  anderer 
antiker  Sagen   derselben  Art   enthalten   etwa  die  Metamorphosen 

^  Vgl.  Grimm,  Deutsche  Sagen  135.  136  (mit  Anmerkung,  die  auf 
orientalische  Parallelen  hinweist).  184.  185.  189  f.  —  Hartland,  Persem 
III,  132  f.  —  Andree,  Ethnogr.  Parallelen  I,  94  f.  —  Liebrecht,  Zur  Volks- 
kunde 96. 

^  Beispiele  in  jeder  Märchensammlung.  Ich  verweise  etwa  auf  v.  den 
Steinen  357  f.  —  Tylor  I,  410  f.  —  Andrew  Lang,  Myth.  Ritual  and 
Religion  I,  140  f.  —  Emmy  Schreck,  Finnische  Märchen.  —  Wossidlo, 
Mecklenburgische  Volksüberlieferungen,  passim,  bes.  die  Anmerkungen  zu 
II,  1.  —  Gunkel,  Genesis  S.  VIII  ff.  —  Singer,  Schweizer  Märchen  S.  40  f. 

^  Pischel  und  Geldner,  Vedische  Studien  I,  284.  Und  noch  eine  schöne 
indische  Sage  derart  möchte  ich  hier  erzählen:  Wenn  es  Tag  geworden, 
geht  die  Nacht  in  das  Wasser,  daher  ist  es  so  dunkel;  wenn  es  Nacht 
wird,  taucht  wieder  der  Tag  in  das  Wasser,  und  daher  leuchtet  es  auf.  — 
Vgl.  Pischel,  Oöttinger  Qel.  Anxeigen  1895,  449  f. 

4  Ovid,  Metam.  II,  534. 


Zur  Entstellung  des  Märchens.  17 

des  Ovid;  deutsche  Beispiele  zu  uennen  erspare  ich  mir,  weil 
jedem  genug  in  Erinnerung  sein  werden.  Ich  will  hier  nur  kurz 
darauf  verweisen,  dafs  aus  diesen  ältesten  Sagen  einerseits  die 
Vorstellungen  von  wunderbaren  und  geheimnisvollen  Eigenschaften 
der  Tiere  sich  entwickelten,  etwa  die  vom  Schwanengesang,  von 
der  Mutterliebe  des  Pelikans,  von  den  Klagen  der  Turteltaube, 
von  der  Keuschheit  des  Einhorns  etc.,  und  dals  sie  anderseits 
die  Grundlage  für  alle  Tierfabeln  wurden,  die  dann  namentlich 
Griechen,  Juden  und  Inder  weiterpflegten. 

Der  Blick  der  Naturvölker  bleibt  aber  nicht  an  der  Erde 
haften,  er  kehrt  sich  aufwärts  gen  Himmel.  Fast  alle  Natur- 
völker haben  eine  Reihe  von  Sagen  über  Sonne  und  Mond,  Tag 
und  Nacht  etc.  Sie  fragten  sich,  warum  Tag  und  Nacht  wechsel- 
ten, warum  die  Sonne  nachts  untergehe  und  nicht  immer  scheine, 
warum  sie  gerade  den  Himmelsweg  gewählt  habe,  auf  dem  sie 
nun  Tag  für  Tag  wandle.  Warum  der  Mond  Flecken  habe, 
warum  er  bald  kleiner,  bald  gröfser  werde  etc.  Da  hiefs  es  denn 
etwa,  die  Sonne  laufe  so  regelmäfsig,  weil  sie  jemand  gebändigt 
habe,  oder  die  Sonne  habe  ewig  scheinen  wollen,  da  habe  man 
die  Nacht  zu  Hilfe  rufen  müssen  oder  sie  mit  der  Nacht  zu- 
gedeckt. Der  Mond  erscheint,  ich  weifs  nicht  recht  woher,  als 
das  unsittlichste  der  Gestirne.  Man  sagt,  er  müsse  immer  nackt 
umherlaufen,  weil  ihm  infolge  seines  ewigen  Ab-  und  Zunehmens 
kein  Kleid  passe,*  oder  er  führe  einen  unsittHchen  Lebenswandel 
und  nehme  deshalb  immer  ab,  oder  er  verfolge  die  Sonne  mit 
zudringlicher  Liebe,  bis  sie  endlich  sich  seiner  Zudringlichkeit 
erwehrte  und  ihm  das  Gesicht  mit  Asche  beschmierte;  davon  sei 
er  noch  heute  voll  schwarzer  Flecke.  ^  Sternbilder,  die  durch 
ihre  Stellung  oder  ihre  Form  auffallen,  haben  auch  besondere 
Sagen  hervorgerufen.  Die  Plejaden  denken  sich  z.  B.  viele  Völ- 
ker als  Henne  mit  sechs  Küchlein.  Wenn  in  manchen  Märchen 
ein  treues  Mädchen  von  den  Gestirnen  Geschenke  erhält,  mit 
denen  sie  sich  den  Geliebten  zurückerobern  soll,  der  ihrer  ver- 
gafs,  so  ist  das  schönste  Geschenk  meist  eine  Henne  mit  sechs 
goldenen  Küchlein.  "^     Eine  sehr  schöne  Sage   über  Sonne,  Mond 


*  Vgl.  auch  Cardauns,  Die  Märchen  des  Clemens  Brentano  {Schriften 
der  Oörres- Gesellschaft  1895)  S.  76/7. 

^  Vgl.  Tylor  I,  854/5;  Andrew  Lang,  Myth.  Ritual  and  Religion  I, 
122  f.  128  f.  —  V.  den  Steinen,  a.  a.  O.  351—8. 

3  Über  Sternsagen  (Milchstrafse  etc.)  auch  Tylor  I,  357—60 ;  Andr^e, 
Ethnogr.  Parallelen  I,  103  f.  Ein  sehr  merkwürdiges  Beispiel,  wie  solche 
Motive  immer  lebendig  bleiben  und  sich  in  später  Zeit  an  Märchen  fügen, 
ist  das  Märchen  von  den  vier  (oder  sechs)  kunstreichen  Brüdern.  Wir 
werden  später  erfahren,  dafs  es  aus  Indien  stammt  und  sich  über  Europa 
verbreitete;  das  Ende  war,  dafs  ein  König  nicht  weifs,  wem  von  sechs 
Brüdern  er  die  Prinzessin  geben  soll.  Da  verfielen  nun  ein  dänisches, 
serbisches  und  slavisches  (Kraus,  Sagen  und  Märehen  der  Südslaven  I,  120. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  2 


18  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

und  Sterne  wird  fast  gleichlautend,  nur  in  kleinen  Einzelheiten 
verschieden,  hier  von  den  Malaien,  dort  in  Kalifornien  erzählt, 
und  man  kann  daraus  ersehen,  wieweit  eine  Übereinstimmung 
zwischen  zwei  Sagen  gehen  kann,  wenn  sie  aus  den  gleichen 
Grundbedingungen  sich  entwickelten;  denn  irgendein  Einflufs 
der  einen  Sage  auf  die  andere  kann  hier  nicht  angenommen 
werden.  Beide  Sagen  erzählen,  dafs  die  Sonne  alle  Sterne  fressen 
wollte.  Der  Mond  rettete  sie,  als  seine  Kinder,  aber  einige 
Sterne  verschluckte  die  Sonne  doch.  Wenn  nun  des  Nachts  die 
Sonne  schläft,  führt  der  Mond  seine  Sterne  alle  heraus,  aber  er 
kann  den  Verlust  so  vieler  Kinder  noch  nicht  verschmerzen,  und 
so  verhüllt  er  denn  oft  sein  Antlitz  in  Wolken  und  weint.  ^  Auch 
über  die  Gestalt  der  Gestirne  fabelte  man  mancherlei.  Die  Sonne, 
hiefs  es,  sei  ein  Rad,  aber  den  dazugehörigen  Wagen  sehe  man 
nicht,  und  dieser  werde  von  Sonnenpferden  über  den  Himmel  ge- 
zogen. Der  Mond  erscheint  oft  als  Nachen,  der  über  das  Meer  des 
Himmels  fährt,  ^  der  Regenbogen  als  Bogen,  aus  dem  ein  Gott 
seine  Blitze  als  Pfeile  schiefst.  Beim  Gewitter  ist  dieser  Bogen 
nicht  sichtbar,  aber  sobald  das  Gewitter  geendet  hat,  stellt  ihn  der 
Gott  an  den  Himmel  zum  Zeichen  seiner  Versöhnung.  ^  Beispiele 
für  Vorstellungen  dieser  Art  liefsen  sich  natürlich  noch  viele  an- 
führen.'* Wenn  Mond  und  Sonne  sich  verfinstern,  so  meint  man, 
dafs  Dämonen  sie  verschlingen.  Sonne  und  Mond  verfolgende 
Untiere  fürchten  die  Sagen  sehr  vieler  Völker.  >'  Auch  die  Nacht 
denkt  man  sich  als  Ungeheuer,  das  die  Welt  verschlingt.  Die 
Sonne  versinkt  abends  tief  in  ihrem  Schofs  und  ringt  sich  mor- 
gens mühsam  wieder  empor.  Und  auch  alle  Menschen  und  Tiere 
werden  abends  von  der  Nacht  verschlungen  und  morgens  wiederum 
aus  ihrem  Bauche  befreit,   ohne   dafs  sie  irgendwelchen  Schaden 

Reinhold  Köhler,  KL  Schriften  I,  439)  auf  den  Ausweg,  Gott  habe,  um 
Zwietracht  zu  vermeiden,  die  sechs  Brüder  und  die  Prinzessin  als  Sieben- 
gestirn an  den  Himmel  versetzt.  —  Es  sei  hier  auch  kurz  auf  den  auch 
aufserhalb  Deutschlands,  in  Märchen  auftauchenden  Glauben  verwiesen, 
der  alte  Mond  werde  zerbrochen  und  daraus  die  Sterne  gemacht.  Rein- 
hold Köhler  I,  485.  505. 

'  Andrew  Lang  I,  130  f.  —  Tylor  I,  356. 

2  Herman  Usener,  Sintflutsagen  130.  133.  242.  —  Böklen,  Die  Sint- 
flutsage {Archiv  für  Religionswissenschaft  VI,  1  f.).  S.  lo  zitiert  ferner: 
Hillebrandt,  Vedische  Mythologie  I,  357.  Jensen,  Assyrisch  -  babylonische 
Mythen  und  Epen  534.     Wiedemann,  Religion  der  alten  Ägypter  13  f. 

^  Gunkel,  Genesis  138.  —  Kurz  erinnere  ich  an  die  Vorstellung  des 
Regenbogens  als  Götterbrücke  und  Himmelsleiter :  Gunkel,  Genesis  289  f. ; 
Röscher,  Ausf.  Lexikon  II,  3057.     Vgl.  ferner  Tylor  I,  294. 

^  Man  denke  nur  an  die  Sagen  vom  Mann  im  Mond  etc.  etc.  Einiges 
bei  Köhler,  Kl.  Schriften  I,  114. 

^  Tylor  I,  329  f.  —  Lasch,  Finsternisse  in  der  Mythologie  und  im 
religiösen  Brauch  der  Völker  [Archiv  für  Religionsivissenschaft  III,  152). 
Ders. ,  Ursache  und  Bedeutung  der  Erdbeben  in  Volksglauben  und  Vol/cs- 
brauch  (ebd.  V,  236  f.). 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  19 

genommen  haben.  Einen  solchen  Verschlingnngsmythns  erzählen 
sehr  hübsch  und  anschaulich  die  Zulus  als  eine  Art  von  Kinder- 
märchen. ^  Und  dieser  Zulugeschichte  ist  das  böhmische  Mär- 
chen von  Bumbrlicek  sehr  ähnlich,  mit  dem  man  auch  Kinder  zu 
schrecken  pflegte.-  Auf  Verschlingungsmythen  hat  man  weiter- 
hin alle  Märchen  und  Sagen  zurückführen  wollen,  die  berichten, 
wie  ein  Ungeheuer  einen  Menschen  verschluckt,  nachher  schlitzt 
man  den  Bauch  dieses  Ungeheuers  auf,  und  der  Mensch  findet 
sich  unversehrt  darin.  Also  nicht  nur  die  Geschichte  von  Jonas 
und  dem  Walfisch,  sondern  auch  Märchen  von  der  Art  des  Rot- 
käppchen, des  Wolfs  und  der  sieben  Geislein,  des  Däumhngs 
und  ähnliche.^  Ich  erwähne  das  hier  nur  als  Vermutung  und 
weil  ich  keine  bessere  Erklärung  für  diese  Märchen  weifs. 

Aufserdem  fragt  sich  der  Mensch,  woher  denn  das  gekommen 
sei,  wovon  er  lebt  und  sich  nährt,  seine  Speisen,  sein  Schlaf,  das 
Feuer,  das  Wasser  usw.  Auf  diese  Fragen  haben  sich  die  Natur- 
völker viele  und  verschiedene  Antworten  ersonnen.  Eine  Menge 
von  Tiermärchen  erzählten,  wie  man  die  Tiere  mit  List  über- 
wältigt hätte,  damit  sie  das  hergäben,  was  der  Mensch  brauchte. 
So  habe  man  der  Eidechse,  die  immer  schlafe,  den  Schlaf  ge- 
stohlen usw.  Von  den  Tieren,  die  im  Wasser  lebten,  erzählte 
man,  dafs  sie  alles  Wasser  verschluckt  hätten,  und  dafs  es  vieler 
List  bedurft  hätte,  bis  sie  es  wieder  von  sich  gaben;  oder  man 
sagte  auch,  das  Wasser  sei  in  Töpfen  verborgen  gewesen  oder 
in  Bergen  versteckt,  weil  ja  die  Quellen  den  Bergen  entspringen. 
Ähnliches  erzählte  man  vom  Feuer,  weil  das  Feuer  durch  Reiben 
zweier  Hölzer  entsteht,  hiefs  es,  das  Feuer  sei  aus  dem  Holze 
hervorgelockt  worden.  Andere  behaupteten,  ein  Heros  habe  es 
vom  Himmel  gestohlen  und  es  mit  dem  BHtz  auf  die  Erde  ge- 
bracht. Über  diese  Sagen  und  Märchen  habe  ich  in  anderem 
Zusammenhange  mich  geäufsert  und  mufs  sie  hier  später  noch- 
mals erwähnen.* 

Man  mufs  sich  nun  nicht  vorstellen,  dafs  alle  Märchen  und 
Sagen  aus  den  Vorstellungen  von  Schlaf,  Traum  und  Tod,  aus 
dem  Seelenglauben,  aus  dem  Glauben  an  die  Belebtheit  der 
Natur  und  aus  der  Beobachtung  der  Natur  sich  entwickelt  hätten ; 
das  alltägliche  Leben,   so  gleichmäfsig  und  abwechselungsarm   es 


»  Tylor  I,  335.  388. 

^  Waldau,  Böhmisches  Märchenbuch  S.  494. 

^  Tylor  I,  341.  Andere  Deutung  der  Däumlingsmärchen  -(Däumling 
sei  ursprünglich  der  kleine  Stern  über  grofsem  Bären)  Andree,  a.  a.  0. 
I,  105;  Globus  XXVIII,  10;  Gaston  Paris,  Le  petit  pouce  et  le  grand 
ourse,  1875. 

'*  Vgl.  Andrew  Lang,  Myth.  Ritual  and  Religion  I,  39 ;  v.  den  Steinen 
354;  Aurel  Krause,  Tlinkit- Indianer  259.  '^61;  von  der  Leyen,  Kleine 
Studien  {Germanist.  Abhh.,  Paul,  S.  144  f.). 


20  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

auch  war,  die  alltäglichen  Menschen,  so  ähnlich  einer  dem  an- 
deren auch  sah,  hatten  doch  alle  ihre  Besonderheiten,  und  diese 
Besonderheiten  hielt  die  Überlieferung  und  Dichtung  fest.  Wenn 
sich  ein  Mensch  etwa  durch  ungewöhnliche  Klugheit,  durch  feine 
Sinne  und  scharfe  Beobachtung  oder  durch  ungewöhnliche  Dumm- 
heit und  ungewöhnliches  Mifsgeschick  hervortat,  so  lebte  die  Er- 
innerung daran  bei  den  späteren  fort,  steigerte  und  vermehrte 
sich:  auf  solchen  Menschen  wurde  eine  ganze  Fülle  solcher  Ge- 
schichten übertragen,  gleichviel  ob  sie  ursprünglich  zu  ihm  ge- 
hörten oder  nicht.  Ein  sehr  verbreitetes  und  immer  von  neuem 
gern  gehörtes  Märchen  von  Scharfsinnsproben,  das  uns  später 
noch  beschäftigen  mufs,  hat  seinen  Ursprung  in  der  Gabe  der 
Naturvölker,  auch  die  leisesten  Spuren  von  Tieren  und  Menschen 
zu  erkennen  und  richtig  zu  bestimmen.  Ein  anderes,  bald  ins 
Possierliche  gewendetes,  bald  als  Beispiel  hervorragender  Klugheit 
erzähltes  Märchen  erklärt  sich  aus  der  bei  Naturvölkern  üblichen 
Zeichen-  und  Geberdensprache.  ^  Die  Märchen  vom  klugen  Hirten 
und  von  der  klugen  Dirne  preisen  wieder  die  ungewöhnliche 
Klugheit,  im  Orient  wurden  namentlich  Kindern  frühzeitiger 
Scharfsinn  und  frühzeitige  Klugheit  nachgerühmt.  Auf  der  an- 
deren Seite  begegnen  Motive  wie  die  aus  Grimms  Frieder  und 
Katerlieschen,  aus  seiner  klugen  Else,  aus  den  Schwabenstreichen 
und  Schildbürgerbüchern  schon  bei  den  Negern  und  bei  Völkern 
Südamerikas.  Ebenso  hatten  die  Inder  ihr  Vergnügen  daran, 
solche  Geschichten  zu  häufen,  etwa  von  einem  Jungen  zu  er- 
zählen, der  eine  Kanne  Ol  tragen  sollte,  und  zwar  vorsichtig, 
weil  sie  ein  kleines  Loch  habe,  und  der,  um  das  Loch  zu  finden, 
die  ganze  gefüllte  Kanne  umdrehte,  so  dafs  natürlich  das  ganze 
Ol  herausflofs.  Oder  von  einem  anderen,  ebenso  schlauen,  der 
sieben  Kuchen  als,  erst  beim  siebenten  satt  wurde  und  sich  dann 
beschwerte,  dafs  er  den  siebenten  nicht  zuerst  gegessen  hätte; 
dann  wäre  er  doch  sofort  satt  geworden.  Oder  die  Geschichte 
von  dem  Sohn,  der  mit  einer  Axt  nach  der  Stirn  seines  Vaters 
schlug,  um  eine  Fliege  auf  der  Stirn  zu  treffen,  und  dabei  den 
Vater  tötete.  Oder  von  Affen,  die  Bäume  an  der  Wurzel  be- 
giefsen  sollten,  und  die  die  Bäume  ausrissen,  um  diese  Wurzeln 
zu  finden.  Oder  von  dem  Burschen,  der  auf  die  Tür  achtgeben 
sollte  und  die  ganze  Tür  aushing  und  damit  herumlief.  Natür- 
lich erzeugt  das  Leben  solche  Geschichten  fortwährend,  und  sie 
finden  auch  immer  von  neuem  in  das  Märchen  und  die  Sage 
Eingang.  2  —  Ich  will  schliefslich  nicht  vergessen,  dafs  sich  wohl 

*  Die  ausführHchen  Hinweise  gebe  ich  später,  sobald  ich  zu  den  Mär- 
chen selbst  komme. 

^  Eine  Fülle  dieser  Geschichten  schon  in  den  Jätaküs  (übers,  von  Co  well), 
im  Pantschatantra  und  im  Kathasaritsügara  des  Somadeva.  Eine  Auswahl 
jetzt  bei  Hertel,  Bunte  Geschichten  S.  109  f.  —  Von   afrikanischen  Völ- 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  21 

schon  die  ältesteu  Völker  in  ihren  Märchen  an  den  Wunschdingen 
erlabten,  die  sie  im  Leben  doch  nie  erreichten,  an  Tischen,  die 
sich  immer  von  selbst  deckten,  Braten,  der  niemals  aufgezehrt 
worden,  an  Tieren,  die  immer  Gold  legten,  und  ähnlichen  Kost- 
barkeiten mehr. 

Schon  in  früher  Zeit  hatten  auch  die  verschiedenen  Stände 
und  Berufe  ihre  Sagen  und  Märchen.  Genauer  wäre  das  in 
einer  Geschichte  der  Sage  zu  erörtern,  was  leider  noch  nicht  ge- 
schah. Wieviel  Licht  könnte  doch  solche  Erörterung  in  die 
dunkle  Urgeschichte  der  Kultur  bringen.  Ich  mufs  mich  hier 
wieder  mit  ganz  spärlichen  Andeutungen  zufrieden  geben.  Den 
Jägern  und  Hirten  galten  viele  alte  Märchen,  sie  erscheinen  darin 
wie  im  Leben  auch:  im  Umgang  mit  Tieren  und  im  Kampfe 
gegen  Tiere.  Man  gedenke  hier  nochmals  des  Märchens  vom 
klugen  Hirtenknaben.  Die  Schiffer,  die  über  die  Meere  und  in 
fremde  Länder  sich  wagten,  denen  sich  bei  langen,  einförmigen 
Seefahrten  die  verlockendsten  Visionen  wunderprangender  Länder 
vorspiegelten,  behaupteten  bei  ihrer  Rückkehr,  ins  Paradies  ein- 
gedrungen zu  sein  und  haben  auch  schon  vor  Jahrtausenden  an- 
deres von  ihren  abenteuerlichen  und  unerhörten  Erlebnissen  ge- 
fabelt. Solche  Schiffermärchen  lebten  im  Lauf  der  Zeiten  immer 
neu  auf.  Die  Odyssee  darf  man  ein  grofses  Schiffermärchen 
nennen.  Der  alte  griechische  Roman  setzt  sich  vielfach  aus  Reise- 
und  Schiffermärchen  zusammen,  die  Araber  hatten  ihren  Sindbad 
und  das  Mittelalter  seinen  König  Alexander  und  Herzog  Ernst. 
Diese  Hinweise  genügen  vielleicht,  man  kann  schon  aus  ihnen  die 
endlose  Verbreitung  und  Bedeutung  der  Schiffermärchen  ahnen.  * 

Da  die  Menschheit  zu  allem,  was  sie  hatte  oder  dessen  sie 
bedurfte,  durch  Gewalt  oder  List  oder  Raub  gekommen  war, 
konnte  sie  vor  Räubern  und  Dieben  nur  Hochachtung  empfinden. 


kern  gibt  interessante  Beispiele  namentlich  Reinisch,  Bilinsprache,  Wien, 
Sitzungsber.  99  (1882),  bes.  703  f.;  Chamirsprache  in  Äbessinien,  ebenda 
106  (lb84),  317  f.  (322  Taler  säen,  326  Butter  auf  Boden  streichen,  Mehl 
im  Flufs  wärmen,  auf  den  Sonne  scheint:  beide,  Mann  und  Frau,  vom  Flufs 
verschlungen);  Afarsprache  I,  ebenda  111  (1885),  5  f.  114,  (1886)  160  f.; 
Kumänasprache  III,  ebenda  119  (1889),  Abhdlg.  5  (Nr.  8  Taler  säen,  Nr.  9 
Butter  auf  Gras  schmieren,  Mehl  im  Teich  wärmen,  Nr.  13  sexuelle  Un- 
erfahrenheit  verhöhnt).  Reiche  Zusammenstellungen  auch  bei  Reinhold 
Köhler,  Kleinere  Schriften  I,  604  (s.  v.  Narrenstreiche),  605  (s.  v.  Schild- 
bürgerstreiche), Liebrecht,  Zur  Volkskunde  117,  und  namentlich  bei  Bolte 
in  seinen  Anmerkungen  zu  Valentin  Schuman  (Lit.  Verein  197),  Jacob 
Frey  (Nr.  209),  und  Montanus  (217).  Auch  die  Unerfahrenheit  in  ge- 
schlechtlichen Dingen  wird  sehr  gern,  und  auch  schon  seit  recht  alter 
Zeit,  verspottet.  Bolte,  zu  Valentin  Schumann  Nr.  36.  37,  S.  407.  Auf 
den  Wettstreit  der  Faulen  im  Märchen,  auf  die  Lügenwettkämpfe  sei  nur 
hingedeutet. 

*  Vgl.  Erwin  Rohde,  Der  griechische  Roman  173.  176  f.  179.  180—83 
(Sindbad).  183  (Ägyptische  Reisemärchen).  185  f.  (Alexanderroman). 


22  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

und  dementsprechend  feierten  Märchen  und  Sagen  gern  den  küh- 
nen und  verschlagenen  Dieb.  Es  wird  hier  jedem  das  langhin 
fortlebende,  schon  von  Herodot  erzählte  altägyptische  Märchen 
vom  Meisterdiebe  einfallen,  und  wohl  auch  viele  ähnliche,  die 
sich  das  Volk  noch  heute  mit  gruselnder  Bewunderung  so  gern 
anhört. '  Die  alten  Inder  haben  gleichfalls  in  ihren  Märchen  die 
Diebe  gepriesen.  Die  vielen,  von  den  Germanen  vor  allen  oft 
erzählten  Sagen  von  Brautraub  und  Brautwerbung  dürfen  in  die- 
sem Zusammenhange  wenigstens  flüchtig  berührt  werden.  Ein 
rechter  germanischer  Held  raubt  seine  Braut  immer  den  Braut- 
eltern, die  sie  ängstlich  hüten,  oder  erkämpft  sie  sich  durch 
Heldentaten.-^  Und  diese  Helden  kamen  dann  ja  auch  von  der 
Sage  in  das  Märchen.  Die  Sagen  aber  erzählen  auch  hier  wieder 
nur,  was  wirklich  Sitte  war;  bei  vielen  primitiven  Völkern  be- 
stand die  Satzung,  dafs  die  Braut  geraubt  werden  mufste. 

Die  Richter,  die  besonders  kluge  und  scharfsinnige  Entschei- 
dungen gefällt,  wurden  durch  Sage  und  Märchen  ebenfalls  un- 
sterblich. Der  erste  dieser  Richter,  der  uns  bekannt  ist,  war 
wohl  Salomo.  Andere  höchst  spitzfindige  und  ausgetiftelte  richter- 
liche Entscheidungen  verbreitete  das  indische  Märchen.  ^ 

Wie  die  Diebe  bewunderte  und  fürchtete  man  in  alter  Zeit 
auch  die  Baumeister.  Jakob  Burckhardt  bemerkt  gelegentlich,^* 
der  Übergang  von  der  ländlichen,  nomadenhaften  Lebensweise 
der  Hirten  und  Jäger  zur  städtischen  und  sefshaften  der  Bürger 
wäre  kaum  im  Frieden  geschehen.  Er  sei  den  primitiven  Men- 
schen als  etwas  Widernatürliches  erschienen  und  habe  wohl  man- 
ches Blut  und  manche  Freveltat  gekostet.  Erinnerungen  daran 
zittern  in  Sage  und  Märchen,  auch  in  Brauch  und  Glauben,  bald 
leiser,  bald  stärker  nach.     Grofse  Bauten  gelten  als  Freveltaten, 

^  Auch  auf  das  Märchen  vom  Meisterdieb  habe  ich  zurückzukommen. 
Vorläufig  genüge  ein  Hinweis  auf  Wiedemann,  Das  IL  Buch  des  Herodot 
S.  447  f.,  und  auf  Jätaka  Nr.  305.  Thuhydides  I,  5:  Im  ältesten  Hellas 
waren  fortwährend  Raubzüge;  der  Erwerb  durch  Raub  galt  nicht  als  ehren- 
rührig, im  alten  Epos  fragte  man  unbedenklich  den  Fremden,  ob  er  als 
Räuber  über  das  Meer  gekommen.  Schrader,  Eeallexikon  der  indogerma- 
nischen Altertumskunde  I,  xxviii. 

^  Voretzsch,  Epische  Studien  S.  190  f. 

^  Vgl.  zum  salomonischen  Urteil,  das  auch  in  Indien  erzählt  wird, 
Oldenberg,  Literatur  des  alten  Indien  114;  sonst  etwa  Erwin  Rohde,  Qriech. 
Roman  870  Anm.  1 ;  Benfey,  Pantschatantra  I,  395  f. ;  Bolte,  zu  Wetzel, 
Reise  der  Söhne  Oiaffers  208  (auch  Scheinbufsen :  etwa  Bratenduft  mit 
Geldklang  bezahlt,  süfse  Musik  mit  süfser  Hoffnung  auf  Bezahlung); 
Hertel  S.  3;  Aristoteles,  Ethica  Nicom  9,  1;  Plutarch  ed.  Reiske  6,  150. 
7,  318  (Schattenbufse  für  geträumte  Kränkung  etc.). 

^  Qriech.  Kulturgesch.  I,  72.  Vgl.  ferner  Andräe,  Ethnogr.  Parallelen 
und  Vergleiche  I,  18  f.  (Einmauern  unschuldiger  Kinder  in  Fundamente 
von  Häusern).  I,  24  f.  (Hausbau) ;  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  284  f.  (Men- 
schen vergraben,  um  Einstürzen  von  Bauten  zu  verhindern);  Pradel, 
Schatten  im  Volksglauben  S.  25  Anm.  2.  3. 


Zur  Entstellung  des  Märchens.  23 

wie  schon  nach  der  jüdischen  Sage  der  Turmbau  zu  Babel,  nur 
dämonische  Geister,  in  deutschen  Sagen  der  Teufel,  können  sie 
vollbringen,  Unrecht,  Verrat  und  Betrug  hängen  schauerlich  mit 
ihrer  Entstehung  zusammen.  Man  erinnere  sich  etwa  an  die  alte 
griechische  Sage  von  Laomedon  und  dem  Bau  Trojas  oder  an 
die  nordische  vom  Riesenbaumeister. '  Ein  jeder  Bau  verlangt 
Menschenopfer  und  droht  Unglück  oder  Schrecken,  wenn  ihm 
diese  Opfer  nicht  gewährt  werden.  Auch  die  Seelen  aller,  die 
in  Häusern  und  in  Schlössern  jemals  lebten  und  litten,  Frevel- 
taten verübten  und  Freveltaten  erfuhren,  hausen  gespenstisch 
dort  weiter  fort,  zeigen  sich  klagend  und  warnend,  wenn  Unheil 
bevorsteht,  schrecken  oder  erwürgen  jeden  Unberufenen,  der  in 
das  Haus  eintritt,  machen  den  Aufenthalt  dort  zu  einem  Aufent- 
halt des  Grauens  und  sehnen  sich  und  wimmern  herzzerreifsend 
nach  Erlösung.  Solcher  Sagen  und  Märchen  gibt  es  schon  in 
Deutschland  unzählige:  und  da  in  solchen  Bauten  die  Seeleu 
Verurteilter,  zu  Erlösender  ihr  Wesen  treiben,  da  ihre  Schrecken 
denen  der  Hölle  gleichen,  sind  solche  Sagen  von  verwunschenen 
Schlössern  und  Häusern  öfter  mit  Unterweltsagen  zusammen- 
gefallen. Wir  können  das  schon  in  den  nordischen,  noch  deutlicher 
aber  in  den  französischen  Sagen  des  Artuskreises  beobachten.  2 
Diese  Sagen  von  Bauten  führen  von  selbst  zu  den  Opfer- 
sagen. Es  war  ein  alter  Brauch,  dafs  man  erzürnte  Geister,  die 
Seelen  der  Abgeschiedenen  etwa  oder  andere  Geister,  denen  man 
besondere  Macht  zutraute,  wie  die  Geister,  die  über  Wetter  und 
Regen  herrschten,  durch  Menschenopfer  zu  versöhnen  suchte. 
Auch  die  Flulsgottheiten,  die  im  Frühjahr  über  die  Ufer  traten 
und  die  Fluren  verwüsteten,  stellte  man  sich  als  empörte  Gott- 
heiten vor  und  suchte  ihren  Zorn  durch  Menschenopfer  alljähr- 
lich zu  besänftigen.  Aus  diesem  Brauch  löste  sich  wohl  die  als 
Märchen  und  Sage  überall  fortlebende  altfe  Erzählung  von  dem 
Opfer,  das  einer  Gottheit  oder  einem  Ungeheuer  oder  einem 
Drachen  alljährlich  gebracht  wird,  bis  ein  Held  kommt,  das  Un- 
tier überwindet,  das  letzte  Opfer,  oft  die  Tochter  eines  Königs, 
befreit  und  dann  heimführt.  Es  wurde  das  ein  Märchenmotiv, 
das  in  die  vielfältigsten  Sagen  und  Märchen  Eingang  fand,  und 
das  unsere  Aufmerksamkeit  noch  mehrfach  beanspruchen  mufs. 
Ob  das  Opfer  an  den  Drachen  ursprünglich  eine  Jungfrau  war, 
wage  ich  noch  nicht  zu  entscheiden,  vielleicht  kam  diese  Jung- 
frau aus  einem  anderen  Märchenkreis,  der  sich  um  das  Motiv 
des  vom  Ungeheuer  bewachten  Mädchens  drehte.^ 

*  Vgl.  V.  d.  Leyen,  Märchen  in  Edda  38 ;  Bugge,  Studien  zur  Entstehung 
der  nordischen  Oötter-  und  Heldensage  270;  J.  Grimm,  Mythologie^  I,  450. 

''  Vgl.  Archiv  CXIII,  258  Anm.  3. 

3  Vgl,  namentlicli  Hartland,  Legend  of  Perseus  III,  1  f.  38  f.  67  f. 
(über  Opfer). 


24  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

Diese  Opfersagen  gehören  kaum  noch  in  den  Rahmen  der 
gegenwärtigen  Erörterungen;  denn  diese  wollten  nur  zeigen,  wie- 
viele unserer  Märchenmotive  —  ich  glaube  fast  alle  wesent- 
lichen —  sich  aus  der  Urzeit  des  Menschen  ablösten,  aus  allem, 
was  ihm  damals  wirklich  war,  aus  seinem  Leben,  aus  der  Natur, 
wie  er  sie  sah,  und  noch  öfter  aus  seinem  Wahn,  seinem  Aber- 
glauben und  seinen  Träumen.  Es  klingt  das  gewifs  überraschend, 
dafs  auch  die  Heimat  des  Märchens  nur  unsere  Wirklichkeit  und 
deren  wache  und  geträumte  Erlebnisse  sein  sollen  —  die  Heimat 
desselben  Märchens,  das  nun  so  wirklichkeitsfremd  und  phan- 
tastisch geworden  — ,  aber  diese  Erkenntnis  ist  so  wahr,  dafs 
man  sich  mit  Hilfe  unserer  Sagen  und  Märchen  das  Leben  und 
die  Psyche  des  Urmenschen  wieder  vorstellen  kann. 

München.  Friedrich  von  der  Leyen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Hrotsvits  literarische  Stellung. 


I.  Franendichtung  im  Mittelalter:  1.  Des  Mädchens  Klage.  2.  Nieder- 
sächsische Heimatkunst  im  Mittelalter.  3.  Eine  Sequenz  Hrotsvits?  4.  Die 
Legende  der  h.  Agnes.  5.  Das  Mittelalter  und  die  moderne  Liebe.  — 
IL  Der  Mimus  im  Mittelalter:  Einleitungswort.  1.  Mimus  und  Siege.s- 
ballade.  2.  Mimus  und  Spottlied.  3.  Mimus  und  geistliche  Ballade.  4.  Der 
Mimus  und  die  Karolingische  Ekloge.  5.  Notker  und  der  Mimus.  6.  Der 
Mimus  im  Ruodlieb.    7.  Hrotsvits  Legenden.    8.  Hrotsvits  Dramen. 

I.  Frauendichtung  im  Mittelalter. 

1.    Des  Mädchens  Klage. 

Als  F.  Löher  1858  seinen  feinsinnigen  Vortrag  über  Hrotsvit 
hielt,  gedachte  er*  auch  der  schönen  Stelle  aus  der  Marien- 
legende, wie  die  h.  Anna  im  Garten  das  Vogelnest  sieht  mit 
den  Alten,  die  ihre  junge  Brut  atzen,  und  wie  sie  dabei  das 
bittere  Gefühl  ihrer  eigenen  Kinderlosigkeit  überwältigt.  Er 
gibt  die  Stelle  wieder  und  schliefst  mit  dem  pathetischen  Aus- 
ruf, so  empfinde,  so  dichte  nur  eine  deutsche  Frau.  Das  war 
denn  freilich  am  Ziele  vorbeigeschossen.  Hätte  er  sich  um  die 
Quelle  der  Marienlegende  gekümmert,  die  später,  gleichzeitig 
und  einer  vom  anderen  unabhängig,  R.  Koepke  und  0.  Schade 
nachgewiesen  haben,^  er  würde  gesehen  haben,  dafs  die  Szene 
dort,  in  dem  Kindheitsevangelium  des  sogenannten  Ps.-Matthaeus, 
schon  ganz  so  vorgebildet  ist,  wie  sie  sich  denn  auch  die  anderen 
mittelalterlichen  Bearbeiter  der  Legende  nicht  haben  entgehen 
lassen.  Aber  es  ist  lohnend,  das  Motiv  in  seiner  Loslösung  von 
der  Legende  zu  verfolgen.^ 

Die  Zeit  des  ausgehenden  Altertums  würde  das  Motiv,  wenn 
sie  es  für  sich  allein  gestaltet  hätte,  m  die  Form  des  Epigramms 
gekleidet  haben,  wo  es  denn,  fein  zugespitzt,  seine  Wirkung 
nicht  verfehlt  haben  würde.  Aber  es  wäre  das  doch  nur  ein 
Notbehelf  gewesen.  Voll  und  unmittelbar  wäre  es  nur  heraus- 
gekommen, wenn  es,  etwa  von  Sappho,  in  ihrem  Stil,  in  ihrem 
Dialekt,  behandelt  worden  wäre: 


*  Wissenschaftl.  Vortr.,  geh.  xu  München  im  Winter  1858,  S.  484. 

"  Darüber  jetzt  Strecker,  Hrotsvits  Maria  und  Ps.-Matthaetis,  Dort- 
mund 1902. 

^  Ich  knüpfe  hier  wieder  dankbar  au  Wilamowitz  an,  Reden  und  Vor- 
träge, S.  18  f. 


26  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

/dl^vAi  fiep  d  aekdvva 
aal  JJXijiaSegj  /iieoui  de 
vvy.Teg,  naQa  d^tQ/er'  OjQu, 
iya)  de  fiova  xa&tvdo). 

Die  Spätzeit  half  sich,  indem  sie  das  Motiv  in  die  Legende, 
d.  h.  die  fromme  Novelle,  herüberrettete.  Aber  es  kam  die  Zeit, 
die  es  wieder  zu  eigenem  Leben  erweckte,  und  die  es  aus  der 
scheinbaren  Objektivität  erlöste;  nun  ist  es  nicht  mehr  die 
h.  Anna  im  Garten,  sondern  das  Mädchen  selber,  das  im  Lenze 
dem  Kontrast  zwischen  seinem  eigenen  Schattenleben  und  dem 
Liebesleben  ringsher  in  der  blühenden  Natur  mit  bitterer  Klage 
Ausdruck  leiht.  Das  Gedicht  steht  in  den  hochbelobten  Cam- 
bridger Liedern.^  Aber  freilich,  wer  kennt  es?  denn  während 
die  'Denkmäler'  so  manchen  Schwank  bekannt  erhalten,  sind 
sie  an  diesem  intimen  Kabinettstück  vorübergegangen;  und 
Scherers  Hinweis  in  der  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  im 
11,  und  12.  Jahrhundert  (S.  8)  hat  nichts  gefruchtet.  Oben- 
drein ist  die  Hauptsache,  dafs  der  Mai  beim.  Point  d'honneur 
gefafst  wird,  durch  einen  bösen  Fehler  der  Überlieferung  ent- 
stellt.2  Ich  teile  es  hier  in  berichtigtem  Text  mit,  samt  einer 
Nachbildung,  als  Probe  eines  von  mir  seit  längerer  Zeit  vor- 
bereiteten mittellateinischen  Dichterbuches,  das  dem  Abschlufs 
nahe  ist. 

Levis  exsurgit  zephyrus  Quod  oculis  dum  video 

et  sol  procedit  tepidus;  et  auribus  dum  audio, 

iam  terra  sinus  aperit,  heü,  pro  tantis  gaudiis 

dulcore  suo  diffluit.  tantis  inflor  suspiriis. 

Ver  purpuratum  exiit,  Cum  mihi  sola  sedeo 

ornatus  suos  induit;  et  haec  revolvens  palleo, 

aspergit  terram  floribus,  si  forte  caput  suhle vo, 

ligna  silvarnm  frondibus.  nee  audio  nee  video. 

Struunt  lustra  quadrupedes  Tu  saltim,  Veris  gratia, 

et  dulces  nidos  volucres;  exaudi  et  considera 

inter  ligna  florentia  frondes,  flores  et  gramina; 

sua  decantant  gaudia.  —  nam  mea  languet  anima. 

Mit  lindem  Hauch  der  Westwind  weht, 
die  Sonne  warm  am  Himmel  steht, 
und  ob  dem  Acker  füllt  die  Luft 
der  frischen  Brache  würz'ger  Duft. 

Es  kam  der  Lenz  in  Herrlichkeit, 
er  trägt  sein  festhch  buntes  Kleid; 
nun  spriefsen  neu  das  Laub  im  Wald, 
der  Wiese  Blumen  mannigfalt. 

*  Jaff^,  Zs.  f.  dt.  Altertum  14,  492;  Piper  in  Kürschners  Dt.  Nat.-Lit. 
162,  231. 

^  tu  saltim  velis,  gratia,  exaudi  6,  1;  auch  2,  1  hat  die  Hs.  und 
Jaffö  exuit. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  27 

Das  Wild  in  Kluft  und  Waldversteck, 
die  Vöglein  bau'n  in  Busch  und  Heck'; 
und  frohen  Schalls  ihr  Hochzeitlied 
weithin  den  grünen  Wald  durchzieht. 

Wenn  solches  Bild  mein  Auge  schaut, 
mein  Ohr  vernimmt  des  Liedes  Laut, 
wie  alles  jauchzt  in  Freud'  und  Lust, 
ach,  dann  schwellt  Seufzen  meine  Brust. 

Ich  sitz'  für  mich  in  Einsamkeit 
versonnen  da  mit  meinem  Leid, 
und  hebe  ich  das  Haupt  empor, 
ist  blind  mein  Auge,  taub  das  Ohr. 

Erhöret  ihr  das  Flehen  mein, 
Herr  Mai,  in  Gnaden  seht  darein; 
die  ganze  Welt  in  Blüten  steht,  — 
indes  mein  darbend  Herz  vergeht. 

Das  ist  überraschend  modern.  Modern  ist  das  Naturgefülil, 
obwohl  Ostern  stets,  auch  für  die  Menschen  des  Mittelalters, 
das  Fest  der  auferstehenden  Natur  gewesen  ist;^  modern  vor 
allem  das  Gefühl  für  den  frischen  Erdgeruch.  Und  modern  ist 
die  Schilderung  des  Mädchens,  die  der  Dichter  so  wahr  und 
abgelöst  von  seiner  eigenen  Persönlichkeit  aus  sich  herausgestellt 
hat.  Aber  ist  denn  wirklich  ein  fahrender  Spielmann  der 
Dichter?  ist  es  nicht  vielleicht  doch  eine  Dichterin,  die  hier, 
um  die  Wende  des  ersten  Jahrtausends,  ausspricht,  was  ihr  die 
Brust  schier  zu  zersprengen  droht?  ist  es  nicht  am  Ende  wirk- 
lich eine  namenlose  Vorgängerin  Heloisens  und  der  grofsen 
Marie  de  France?  Gleichviel  —  die  Heimat  des  wundersamen 
Gedichtes  ist  unzweifelhaft  Frankreich,  und  hier  haben  wir  ein 
uraltes  Kleinod  der  eben  erwachenden  modernen  Lyrik. 

Das  Gedicht  ist  modern.  Das  läfst  sich  nicht  besser  klar- 
machen, als  wenn  wir  es  mit  einem  Gedicht  aus  unseren  Tagen 
vergleichen.  Man  könnte  es  mit  A.  Silbersteins  Gedicht  im 
Kloster  garten  zusammenhalten;  aber  dies  ist  wohl  kaum  ganz 
unabhängig  von  dem  alten  Ps.-Matthaeus  und  nur  ins  Moderne 
umgesetzt.  Wer  wirklich  verstehen  will,  nehme  ein  schönes 
Gedicht  von  Lulu  v.  Straufs  und  Torney  dagegen, ^  der  Heimat- 
dichterin Niedersachsens,  die  die  moderne  Kritik  mit  Gewalt  zur 
Balladendichterin  stempeln  will,  während  ihre  wahre  Bedeutung 
in  ihrer  Naturlyrik  und  zumal  in  den  edlen  Kesignationsgedichten 
der  Einsamkeiten  beruht. 


^  Darüber   ein  Wort  in   meiner  Dichterschule   St.   Oallens,  in   llbergs 
N.  JahrL  V,  855. 

^  Balladen  und  Lieder,  S.  113. 


28  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Hohe  Zeit. 
Aller  Sehnsucht  Qual  verlor  Sieh',  die  Linde  hütend  hängt 

sich  in  seligem  Gewähren  —  übers  Nest  die  grünen  Schleier  — 

sieh',  von  blühenden  Altären  hohe  Zeit  der  Lebensfeier, 

raucht  der  Blütenstaub  empor!  die  zu  sel'ger  Fülle  drängt! 

Meine  Sehnsucht  braust  und  schwillt  — 
marternd  mufs  ich  dich  erfahren, 
grofses  Frühlingsoffenbaren, 
das  nur  mir  sich  stumm  verhüllt! 

*Das  nur  mir  sich  stumm  verhüllt'  —  si  forte  caput  suhlevo, 
nee  audio  nee  video  — . 

Ich  sprach  vorhin  die  Vermutung  aus,  dafs  wir  in  dem 
alten  Gedicht  Frauenlyrik  vor  uns  haben.  Die  Frage  ist  nicht 
ganz  zu  trennen  von  der  anderen,  ob  die  *Frauenstrophen'  der 
mittelhochdeutschen  Lyrik  wirklich,  wie  W.  Scherer  gemeint  hat, 
von  Frauen  herrühren.  Wilamowitz  hat  in  seinem  grundlegenden 
Aufsatz  über  die  antike  Hilarodie  oder  Lysiodie,  die  er  für 
immer  *des  Mädchens  Klage'  getauft  hat,  gegen  die  Annahme 
von  Dichterinnen  die  Analogie  der  Griechen  geltend  gemacht.* 
Es  sei  undenkbar,  dafs  Dichterinnen  wie  Korinna,  so  sehr  ihr 
Dichten  den  konkreten  Aufgaben  und  dem  Momente  galt^  die 
Hingabe  ihres  eigenen  Herzens  und  Leibes  an  den  geliebten 
Mann  zum  Gegenstand  ihrer  Kunst  gemacht  hätten.  Und  voll- 
ends Sappho,  die  die  eigene  Empfindung  ausspricht,  habe  weder 
im  eigenen  Namen  noch  in  dem  der  Bräute,  für  die  sie  dichte, 
Liebe  zu  einem  Mann  ausgesprochen:  sie  würde  damit  sogleich 
ihre  gesellschaftliche  Stellung  verloren  haben.  Ein  Gedicht  wie 
das  vorhin  angeführte  {diövxt  /niy  u  oeXuyya),  scheide  aus:  das 
sei  'wirklich  Verfasser  los',  *gar  nicht  individuell'. 

Ich  habe  seine  Begründung  so  genau  angeführt,  weil  hier 
jedes  Wort  wichtig  ist.  Scheinbar  spricht  ja  die  Analogie  der 
Griechen  gegen  die  Annahme  einer  Dichterin,  obwohl  auch  dann 
auf  der  anderen  Seite  die  Analogie  Heloises  übrigbliebe,  von 
der  noch  zu  reden  sein  wird,  während  die  Liebesbriefe  der 
Sulpicia  (Tibull  IV  8—12)  nie  für  die  Öffentlichkeit  bestimmt 
waren; 2  aber  nur  scheinbar.  Denn  in  Wirklichkeit  haben  wir 
hier  ja  gerade  ein  Analogon  zu  Sapphos  dtdvxa  /.dy  «  aeT^upya: 
*gar    nicht    individuell'    —    aber   allgemeingültig,    ewig   wahr. 


»  Oött.  Nachr.  1896,  S.  225,  Anm.  2;  vgl.  Eeich,  Mimus  I  843. 

*  Ich  glaube  nun  und  nimmer,  dafs  man  gegen  die  Überlieferung  mit 
IV  7  die  Reihe  der  eigenen  Gedichte  Sulpicias  eröffnen  darf.  Das  ist  kein 
Anfang,  sondern  ein  Abschlufs.  Wer  dies  Gedichtchen  tibullischer  Kunst 
unwürdig  fände,  müfste  es  au  den  Schlufs,  nach  IV  12,  stellen,  würde  aber 
damit  immer  noch  die  kunstvolle  Komposition  aufheben,  in  der  IV  7 
unter  den  Gedichten  Tibulls  dem  Schluisgedicht  Sulpicias  (IV  12)  ent- 
spricht. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  29 

Und  wenn  die  Analogie  der  Griechen  gegen  die  mittelhoch- 
deutschen Frauenstrophen  spricht,  so  spricht  sie  ebenso  laut 
für  weibliche  Kunst  im  Frühlingsliede.  Die  Lysiodie  aber  wird 
den  vorhin  angenommenen  Stilmöglichkeiten  beizuzählen  sein, 
als  diejenige  Kunstform,  worin  die  Zeit  des  August us  solche 
Empfindung  ausgesprochen  haben  würde,  mag  auch  *des  Mädchens 
Klage'  die  Klage  der  Verlassenen  sein  und  nicht  die  Klage  der 
Einsamen.     - 

2.    Niedersächsische  Heimatkunst  im  Mittelalter. 

Die  moderne  deutsche  Dichtung  steht  im  Zeichen  der 
Heimatkunst;  ihre  besten  Vertreter  wurzeln  fest  im  Heimat- 
boden. Der  mittelalterliche  Mensch  dagegen,  sobald  er  der  ge- 
lehrten Bildung  teilhaft  geworden,  gehört  in  erster  Linie  der 
Kirche  an,  die  die  ecclesia  catholica  ist;  danach  seinem  Kloster; 
vom  Stammescharakter  ist  meist  wenig  zu  spüren.  Aber  es  ist 
doch  bezeichnend,  dafs  gerade  die  gröfsten  Talente  des  Mittel- 
alters Menschen  von  stark  ausgeprägter  Stammeseigentümlichkeit 
sind.^  Man  denke  an  Notker  und  Hrotsvit.  Notkers  beste  Kraft 
liegt  in  seinem  echt  schwäbischen,  an  G.  Keller  gemahnenden 
Humor,  mit  dem  er  alles  zu  vergolden  weifs:  die  Fabel  vom 
kranken  Löwen  und  das  Lügenmärchen  vom  Wunschbock,  das 
noch  heute  an  des  Bodensees  Ufern  lebendig  ist,  wie  die  Anek- 
doten vom  Kaiser  Karl,  dessen  überragende  Gröfse  sich  im  An- 
denken der  Nachwelt  nicht  schöner  abbilden  konnte,  als  es  in 
Notkers  Geiste  geschehen  ist,  alles  umfassend,  das  Gröfste  wie 
das  Kleinste.  Der  treue  Lehrer  seiner  Schüler,  an  denen  er 
hängt,  auch  wenn  sie  es  ihm  nimmer  danken,  dessen  Briefe  an 
Mörikes  *Musterkärtchen'  erinnern,  und  der  geniale  Schöpfer 
der  Sequenz,  der  die  geistliche  Lyrik  auf  Jahrhunderte  in  neue 
Bahnen  wies,  dessen  Gröfse  es  ist,  dafs  er  im  Göttlichen  stets 
das  Reinmenschliche  zu  sehen  weifs,  dafs  er  das  göttliche  Ge- 
heimnis dem  Herzen  nahe  zu  bringen  versteht,  er  ist  in  seiner 
liebevoll  sinnigen  Art  Schwabe  durch  und  durch.  Ganz  anders 
die  Nonne  von  Gandersheim.  Herbe  und  verschlossen  ist  sie, 
trotz  Annette  von  Droste-Hülshoff,  und  verbirgt  die  tief  inner- 
liche Weichheit  ihres  Wesens,  dafs  sie  nur  hier  und  da,  wo  sie 
von  ihrem  Heben  Gandersheim  redet  oder  liebevoll  verweilt  bei 
der  Charakteristik  ihrer  heiligen  Jungfrauen,  die  ihr  Schwester, 
Kind  und  heiliges  Vorbild  zugleich  sind,  unerwartet  und  schier 
elementar  durchbricht.  Ist  Notkers  Kennzeichen  die  Lust  am 
Fabulieren,   die  liebefvoll  das  Bild  aus  tausend  kleinen   feinen 


*  Ich  verfolge  hiermit  Gedanken,  die  ich  früher  {Stilfragen  S.  12)  nur 
andeuten  konnte. 


30  Hrotsvits  literarisclie  Stellung. 

Einzelziigen  zusammenstrichelt,  die  ihn  in  den  Sequenzen  be- 
fähigt, das  ganze  Lied  auf  ein  Bild  zu  stellen,  daraus  aber  auch 
alles  hervorzuholen,  was  darin  liegt,  so  liebt  sie  es,  kurz  und 
knapp,  mit  wenigen  Worten  ihr  Bild  zu  umreifsen,  und  führt 
in  ihren  Dramen,  worin  ein  geistvoller  Erklärer^  Nordseelult  zu 
spüren  gemeint  hat,  mit  sicherer  Hand  die  Fäden  der  Hand- 
lung: man  denkt  unwillkürlich  an  Hebbel.  Freilich  mufs  man 
dabei  nicht  Mafsstäbe  anlegen,  die  lür  ihre  Zeit  und  deren  so 
ganz  eigen  geartete  Kunst  nicht  passen;  doch  darüber  wird 
später  zu  reden  sein. 

Heimatkunst  im  schönsten  Sinne  ist  das  letzte,  reifste  Werk 
Hrotsvits,  ihr  Gedicht  von  den  Anfängen  des  Klosters  Ganders- 
heim.  Man  sehe  etwa  die  wundervolle  Schilderung  des  Zeichens, 
das  den  Ort  der  Klostergründung  bestimmt.  Ich  gebe  sie  hier 
deutsch,  freihch  in  einer  Übertragung,  die  ich  nachher  selber 
kassieren  mufs;  aber  ich  glaube,  trotz  ihrer  Unvollkommenheit 
mehr  damit  zu  erreichen,  als  wenn  ich  die  Stelle  lateinisch  oder 
nach  einer  der  gedruckten  Übersetzungen  gäbe. 

Wie  alte  Leute  sagen,      so  die  Wahrheit  wissen, 

war  nah  beim  Kloster      ein  Wald  in  jenen  Tagen, 

geborgen  im  Bergesschatten      gleich  wie  wir  noch  heute; 

und  war  ein  Hof  gelegen      dorten  im  Walde, 

wo  Herrn  Ludolfs  Hirten      zu  weiden  pflegten 

und  in  des  Meiers  Hütte      bei  nächthcher  Weile 

den  müden  Leib  zur  Ruhe      aufs  Lager  streckten, 

wenn  sie  zu  hüten  hatten       seiner  Schweine  Herden. 

Hier  sahen  einst  die  Hirten,      zu  zween  Tagen 

vor  Aller  Heiligen  Festtag,      in  nächthcher  Stunde 

in  des  Waldes  Dunkel      gar  viele  Lichter  schimmern. 

Ob  solches  Gesichtes      waren  sie  schier  verwundert, 

was  des  fremden  Scheines      Glanz  bedeuten  wolle, 

der  mit  solcher  Helle      der  Dämm'rung  Nacht  durchdringe. 

Dem  Meier  des  Hofes      sagten  sie's  mit  Beben. 

Und  wiesen  ihm  die  Stelle,      die  das  Licht  beschienen. 

Er  wollte  selber  sehen,      ob  sie  recht  berichtet, 

gesellte  sich  zu  ihnen      im  Freien  draufsen ; 

und  hüben  an,  zusammen      die  nächste  Nacht  zu  wachen, 

und  senkte  sich  kein  Schlummer      auf  ihre  Lider, 

bis  sie  zum  andern  dorten      die  Lichter  leuchten  sahen, 

mehr  denn  beim  ersten  Male      an  jener  Stelle, 

doch  war  es  auch  diesmal  wieder      die  selbe  Stunde. 

Solches  glückhaften  Zeichens      frohes  Ergehen 

verbreitete  sich  am  Morgen,      da  die  Sonne  _^auf ging 

mit  ihrem  ersten  Scheine,      in  raschem  Gerüchte. 

Nicht  mocht'  es  vor  dem  Herzog      verborgen  bleiben; 

auf  der  Stelle  kam  es      gleich  auch  ihm  zu  Ohren, 

und  so  beschlofs  er,  selber      in  der  Nacht  zum  Feste 

sorghch  achtzugeben,      ob  etwa  noch  einmal 

sich  ein  solches  Zeichen      vom  Himmel  zeigen  würde, 

und  wachte  mit  vielen  Leuten      drauCsen  dort  im  Walde. 


Bendixen,  Das  älteste  Drama  in  Deutschland  II  23.  59. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  31 

Da  nun  in  graue  Nebel      Nacht  die  Lande  hüllte, 

erschienen  rings  im  Kreise      in  des  Waldtals  Gründen, 

wo  stolz  erstehen  sollte      der  Bau  des  Klosters, 

gar  viel  der  Lichter  helle,      verteilt  aller  Orten, 

so  des  Waldes  Schatten      und  das  nächtige  Dunkel 

jäh  mit  lichten  Scheines      strahlendem  Glanz  durchbrachen. 

Des  priesen  aus  einem  Munde      sie  den  Herrn  im  Himmel, 

sagten  all  einmütig,      es  sei  der  Ort  zu  weihen 

dem  zu  Dienst  und  Ehren,      der  ihn  erfüllt  mit  Klarheit. 

Und  dankerfüllten  Herzens      für  Gottes  Gnade 

liefs  mit  seines  Weibes      Frau  Oden  Willen 

Herzog  Ludolf  von  Stund'  an      im  Wald  die  Bäume  schlagen, 

die  Dornen  ausroden      und  rings  den  Talgrund  reuten 

und  schuf  des  Waldes  Wüstnis,     da  Schrat  und  Kobold  hausten, 

um  zu  reiner  Stätte,      da  Gottes  Lob  erklänge. 

Was  nur  dazu  gehörte,      schafft  er  all  zur  Stelle 

und  legte  der  Kirche  Grundstein      an  selbigem  Platze, 

den  das  Licht  bezeichnet      mit  hellem  Scheine. 

Mirakelgeschichten  hat  das  Mittelalter  wahrhaftig  in  Hülle 
und  Fülle  hervorgebracht.  Aber  man  wird  vergebens  suchen 
nach  einer  solchen  Innerlichkeit.  Das  macht  nicht  blofs  Hrots- 
vits überragende  Begabung;  es  ist  für  sie  nicht  eine  beliebige 
Wundergeschichte,  wie  es  ihrer  zu  hunderten  gibt  und  gab;  sie 
schreibt  mit  der  ganzen  Liebe  und  Anhänglichkeit  an  ihr 
Kloster,  in  dem  stolzen  und  doch  demütigen  Gefühl,  Gott  an 
einer  Stätte  zu  dienen,  die  er  selbst  durch  ein  Wunder  aus- 
erwählt. Und  wenn  die  Lichter  aufglänzen  in  trüber,  neblichter 
Herbstnacht,  so  weifs  sie  das  Märchenhafte  dieses  Bildes  wohl- 
abgemessen in  dreifacher  Steigerung  darum  so  greifbar  deutlich 
zu  malen,  weil  dieses  Waldtal  mit  seinen  Hügeln  und  Hängen 
dasselbe  ist,  dessen  Naturzauber  sie  selber  oft  genug  erfahren 
hat;  wie  es  denn  auch  in  dem  schönen  Bilde  aus  dem  Briefe 
vor  den  Gesta  Oddonis  hervorbricht,  von  dem  im  verschneiten 
Walde  verirrten  Wanderer: 

ein  Wald, 
geborgen  im  Bergesschatten  gleich  wie  wir  noch  heute  . . . 

Diese  wundervolle  Dichtung  liegt  uns  aber  heute  nur  in 
zwei  gleich  unbrauchbaren  Übertragungen  vor,  die  ihr  den  Weg 
ins  Publikum  versperren.  Hätten  wir  eine  gute,  kongeniale 
Nachbildung,  so  könnte  das  Werk  der  alten  Nonne  von  Ganders- 
heim,  das  heute  im  Staube  der  Bibliotheken  ein  kümmerliches 
Dasein  fristet,  noch  einmal  auferstehen  und  ihren  niedersäch- 
sischen Landsleuten  ein  Volksbuch  werden  wie  nur  irgendein 
Werk  moderner  Heimatkunst.  Aber  freilich,  dieses  Ideal  einer 
Übertragung  vermag  ich  nicht  zu  leisten,  und  nicht  blofs,  weil 
jedes  Ideal  unerreichbar  ist,  oder  weil  meine  Kraft  und  Kunst 
zu  gering  ist.  Ich  mufs  etwas  ausholen,  um  klarzumachen, 
was  ich  meine,  und  wie  ich  auf  diesen  Gedanken  gekommen  bin. 


32  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Es  war  um  Weihnachten  1902,  als  ich,  bald  nach  Abschlufs 
der  *Stilfragen'  daran  ging,  die  Dichtung  Hrotsvits  zu  über- 
tragen, in  den  Stil,  wovon  die  oben  dargebotene  Probe  eine 
gewisse  Vorstellung  gegeben  haben  wird.  Ich  hatte  mir  das 
Versmafs  selber  geschaffen.  Den  Stabvers  meines  Waltharius 
hatte  ich  aufgegeben;  auch  ohne  Stabreim  gibt  der  straffe  Vers 
der  vier  Hebungen  die  liebevoll  redselige  Weise  Hrotsvits  nicht 
wieder.  Er  pafst  für  einen  Stoff'  voller  Handlung,  Vv'ie  ihn  die 
deutsche  Heldensage  bietet;  memetwegen  auch  für  eine  Parodie 
des  hohen  Stiles  wie  im  Wunschbock.  Aber  weder  ein  halb- 
modernes Rittergedicht,  wie  der  Ruodlieb,  noch  ein  Buch  der 
pietätvollen  Erinnerung,  wie  Hrotsvit  es  gibt,  durfte  so  über- 
tragen werden.  Aber  wie  der  knappe  Vers  des  Hildebrandliedes 
sich  im  Heliand,  wo  es  gilt,  den  Heiland  als  sächsischen  Herzog 
zu  schildern  und  den  Sachsen  so  lieb  zu  machen,  dehnt  und 
streckt,  so  setzte  ich  an  die  Stelle  der  2  -f-  2  Hebungen  eine 
Form,  die  schon  H.  Grimm  unbewufst  in  gewissen  homerischen 
Schilderungen  verwandt  hatte:  2  +  2,  2  +  3,  3  +  2,  3  +  3 
liefs  ich  nebeneinander  zu.  Damit  gewann  ich  ein  Weiteres; 
ich  konnte  nunmehr  die  Verse  Hrotsvits,  was  bei  ihr  wichtiger 
ist  als  im  Waltharius,  Vers  um  Vers  wiedergeben.  Und  indem 
ich  sowohl  im  Versausgang  wie  in  der  Cäsur  stumpfen  Tonfall 
durchführte,  der  doch,  wegen  der  Mannigfaltigkeit  der  Hebungen, 
nicht  eintönig  wirkt,  gab  ich  der  Eede  die  ruhige  Klangfarbe, 
deren  sie  hier  bedarf.  Ich  glaube,  damit  allerdings  dem  Ziele 
ein  gut  Stück  näher  gekommen  zu  sein;  aber  es  fehlte  noch 
eines,  das  Beste. 

Wenige  Wochen  vorher  waren  mir  die  Balladen  und  Lieder 
von  L.  V.  Straufs  und  Torney  bekannt  geworden.  Von  den 
Balladen  hatte  mir  namentlich  die  Hertje  von  Horsbüll  starken 
Eindruck  gemacht,  die  die  Prophezeiungen  der  alten  Friesin 
und  das  Motiv  des  eingemauerten  Kindes  glücklich  verbindet. 
Ich  hebe  ein  paar  Strophen  heraus. 

Es  steht  im  Kooge  zu  Gröde  der  Weizen  sommergrün, 

es  springt  ein  schwarzes  Fohlen  über  die  Weiden  hin  — 

aber  die  Saaten  sollen  keine  Sichel  seh'n, 

und  es  wird  das  schwarze  Fohlen  nicht  unter  dem  Sattel  geh'nl 

Sie  segnen  in  dreifsig  Kirchen  den  heiligen  Gottes  wein  — 
zu  Lindhölm  stand  die  erste,  die  soll  auch  die  letzte  sein. 
Es  wird  ein  Tag  des  Todes  über  den  Marschen  grau'n, 
dreimal  wehe  den  Augen,  die  seine  Schrecken  schau'n. 

Ich  konnte  das  Gedicht  auswendig;  aber  um  seine  Quelle  hatte 
ich  mich  noch  nicht  gekümmert,  ein  Bedenken  wegen  des  Stiles 
war  mir  nie  gekommen,  und  auch  die  Balladen  des  Freiherrn 
B.  V.  Münchhausen  kannte  ich   damals   noch   nicht.     Da  gehe 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  33 

ich,  während  ich  noch  an  der  Hrotsvit  arbeite,  eines  Tages  im 
Gespräch  über  alltägliche  Dinge;  währenddessen  aber  höre  ich 
es  in  einem  fort  im  Ohre  klingen: 

es  steht  im  Kooge  zu  Gröde  der  Weizen  sommergrün. 

Immer  wieder  diese  eine  Zeile,  wohl  zehn  Minuten  lang,  pei- 
nigend. Da  auf  einmal,  ohne  dafs  das  Gespräch  stockte,  hör 
ich  es  plattdeutsch: 

it  staht  in'n  Koog  to  Groeden  de  Witten  summergroen. 

Nun  dachte  ich  nach,  und  ich  glaube  wirklich,  L.  v.  Straufs 
hat  ihrem  Gedicht  geschadet,  indem  sie  hochdeutsch  schrieb: 
seine  volle  Wirkung  würde  es  erst  plattdeutsch  tun,  wie  denn 
auch  ihre  Quelle,  MüUenhoffs  Sagen,  Märchen  und  Lieder  aus 
Schleswig-Holstein,^  die  Prophezeiung  plattdeutsch  bieten,  was 
ich  damals  nicht  wufste.  Aber  plattdeutsch  hätte  es  werden 
müssen  ganz  und  gar.  Es  ist  heute  in  der  Heimatkunst  die 
üble  Unart  eingerissen,  die  Erzählung  hochdeutsch  zu  geben 
und  die  Reden  im  Dialekt.  In  der  Prosa  ist  das  ganz  allgemein 
üblich;  so  machen  es,  um  nur  zwei  der  besten  zu  nennen,  in 
Niedersachsen  H.  Voigt-Diederichs  und  L.  v.  Straufs  u.  Torney 
selber.  In  der  Ballade  hat  B.  v.  Münchhausen  wenigstens  ein- 
mal ('Der  Letzte  des  Stammes')  das  gleiche  getan.^  L.  v.  Straufs 
dagegen  hat  in  ihrer  mecklenburgischen  Ballade  *Dat  \Vater'3 
durchweg  mecklenburgischen  Dialekt  geschrieben  oder  doch 
schreiben  wollen;  denn  ich  glaube  nicht,  dafs  jemand,  der  platt- 
deutsch denkt,  *taum  tweitenmal'  sagen  wird:  er  sagt  'taum 
annernmal'.  Und  wenn  man  die  Fassung  der  Novelle  'Bauern- 
stolz' in  der  Buchausgabe  und  im  ersten  Druck*  vergleicht,  so 
wird  man  doch  zweifelhaft,  ob  dieses  unaufhörliche  Tasten  und 
Bessern  auch  im  Grammatischen  nicht  eine  bedenkliche  Un- 
sicherheit verrät.  Ist  doch  auch  das  Berlinisch  ihres  Romans 
aus  Bauernstamm  nur  ein  Bückeburgisch,  das  sich  ein  Ber- 
hner  Mäntelchen  umgehängt  hat;  aber  hier  und  da  guckt  doch 
das  Bückeburgische  hervor:  oder  sagt  der  Berliner:  'Sie  sollen 
auch  bedankt  sein?'^ 

Also  plattdeutsch  von  Anfang  bis  zu  Ende.  Die  heut  be- 
liebte Mischung  würde  ein  naives  Publikum  abstofsen,  das  wirk- 
lich Stilgefühl  im  Leibe  hätte,  auch  ohne  je  über  die  Frage 
des   Dialektes    nachgedacht    zu    haben.     Und    F.   Reuter    und 


*  Die  weise  Frau  Hertje,  S.  248;  Horsbüll,  S.  129  (Stabreim);  Das 
vergrabene  Kind,  S.  242 :  als  Ballade  ausgeschlachtet  von  G.  Falke,  Hohe 
Sommertage,  S.  105,  wie  denn  alle  sieben  Balladen  dieses  Buches  aus 
Müllenhoff  stammen. 

^  Balladen,  S.  65.      '  Niedersachsen  V  1. 

*  Niedersachsen  Yj  Nr.  14 — 24.      ^  Alis  Batcernstamm  II  114. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  3 


34  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Kl.  Groth  haben  auch  niemals  an  eine  solche  Stilpantscherei 
gedacht.  Ein  anderes  ist  es  natürlich,  wenn  Personen  ver- 
schiedenen Stammes  und  Standes  durch  den  Dialekt  charakteri- 
siert werden  sollen,  etwa  wie  Unkel  Bräsig  sein  Missingsch  und 
die  Fru  Pastern  ihr  Hochdeutsch  redet,  oder  wie  L.  v.  Straufs 
in  ihrem  Roman  moderne  Grofsstädter,  Berliner  Arbeiter  und 
Weserländer  Bauern  zusammenführt;  das  ist  voll  berechtigt. 
Sonst  dagegen  habe  ich  bei  diesem  modernen  Abklatsch  der 
Reden,  als  wären  sie  mit  dem  Phonographen  aufgenommen, 
immer  ein  unbehagliches  Gefühl;  genau  so,  als  wenn  ich  vor 
einem  historischen  Gemälde  stünde,  worin  die  Köpfe  der  han- 
delnden Personen  herausgeschnitten  und  durch  meinethalben 
noch  so  gute  Photographien  ersetzt  wären.  Und,  um  mit  einem 
Scherze  zu  schliefsen,  womit  mir  auf  eine  Expektoration  dieser 
Art  aus  gleichen  Gefühlen  heraus  Freund  Strecker  einmal  ge- 
antwortet hat,  bei  Hrotsvit  würde  die  erste  Person,  die  platt- 
deutsch zu  reden  hätte,  der  Täufer  Johannes  sein  . . . 

Damit  ist  denn  freilich  auch  gesagt,  dafs  ich  selber  als 
Westpreufse,  der  obendrein  nie  Dialekt  gesprochen  hat,  das  Ge- 
lobte Land  nur  von  fern  sehen,  nicht  es  betreten  darf.  Wohl 
aber  habe  ich  nach  vielen  vergeblichen  Versuchen,  einen  Be- 
arbeiter zu  gewinnen,  selber  einen  kurzen  Abschnitt,  so  gut 
oder  schlecht  es  gehen  wollte,  zu  übertragen  versucht,  in  ein 
Deutsch,  das  zu  dem  seit  F.  Reuter  uns  allen  geläufigen  Platt 
('ick  bün,'  nicht  'ick  syn'j  einige  alte  Elemente  mischt,  wie  sie 
der  Reineke  Vos  und  etwa  die  Chronik  des  Pfaffen  Eberhard 
von  Gandersheim  darbieten;  ja,  es  wird  gut  sein,  wenn  sie  sogar 
überwiegen:  nur  müssen  auch  sie  dem,  der  modernes  Platt  ver- 
steht, ohne  weiteres  verständlich  sein.  Das  ist  für  diesen  Fall 
erlaubt,  ja  geboten;  der  Theorie  eines  universellen  Schriftplatt 
für  moderne  Stoffe  soll  damit  nicht  das  Wort  geredet  werden: 
dergleichen  ist  freihch  totgeboren.  Ich  glaubte  mich  zu  einem 
solchen  Versuch,  der  nichts  soll  als  zeigen,  was  ich  ungefähr 
meine,  berechtigt  durch  lange  liebevolle  Lektüre;  und  ich  habe 
Herrn  Dr.  P.  Corfsen,  dem  ausgezeichneten  Bibelkritiker,  von 
Herzen  zu  danken,  dafs  er,  ein  geborener  Oldenburger,  mir 
trotz  prinzipieller  Bedenken  meine  Probe  durchgesehen  und  hier 
und  da  nachgebessert  hat. 

Ener  rede      lustet  mek  to  seggen 
van  aller  demut      in  minen  harten, 
van  det  closters  erbouwen      to  Gandesheme; 
dat  hebben  bouwen      van  Sassen  de  hertogen, 
her  Ludolf  voll  chreften      unde  sin  säen  her  Oddo, 
de  bracht  et  to  ende,      wat  sin  vader  begunde. 
Nu  moet  tovoerderst  ek  seggen,      van  anbeginne, 
van  uses  closters  bouwen      in  minem  maere, 
dat  het  her  Ludolf,      en  hertog  van  Sassenlande, 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  35 

voll  vromicheit  stiftet      to  Gandesheme. 

He  was  boren      ut  edelem  geslechte, 

unde  als  es  gezemde      sinem  huse, 

was  he  van  sitten  edel      unde  biderbe  van  sinne: 

des  loweden  si  jn  alle      to  Sassenlande. 

Nimmer  müde  to  strite,      schoen  van  angesichte, 

wise  to  rade,      verstendig  in  allen  dingen, 

hoffen  unde  gezirde      all  sines  geslechtes. 

In'n  herbann  hern  Ludewi^s,     dat  was  en  koning  to  Franken, 

do  het  he  sek  sworen      bi  sinen  jungen  jaren ; 

he  was  van  jm  hawen      to  hohen  eren, 

mit  euer  graveschefde      belenet  to  Sassenlande. 

unde  enwerede  nicht  lange,      do  ward  he  tom  annern 

hawen  to  vursten  eren,      recht  als  de  hertogen  hebben. 

Niemand  kann  das  Unvollkommene  eines  solchen  Versuches 
lebhafter  fühlen  als  ich;  aber  es  kam  mir  ja  auch  nicht  darauf 
an,  Vollkommenes  zu  geben,  sondern  eine  Prinzipienfrage  zu 
erledigen  —  das  ist  hoffentlich  gelungen  —  und  anzudeuten, 
wie   das  Endergebnis   sich   ungefähr  praktisch  ausnehmen  wird. 

3.   Eine    Sequenz   Hrotsvits? 

Bei  Kehrein,  Lat.  Sequenzen  des  Ma.  Nr.  480,  ist  eine 
Sequenz,  Gaude  caelestis  sponsa,  gedruckt,  die  genauerer  Be- 
trachtung lohnt.  Ihre  Melodie  hat  Bartsch  in  seinem  Buche 
über  die  lateinischen  Sequenzen  nicht  bestimmt:  es  ist  Äd- 
ducentur  (regi  virgines).  Das  Original  dieser  Melodie,  die 
einzige  Sequenz,  die  Bartsch  kannte,  ist  die  Sequenz  auf 
Marien  Geburt  Stirjae  Maria  regia,  die  zwar  nicht  von  Notker, 
aber  alt  und  weitverbreitet  ist;  ich  verweise  dafür  auf  das,  was 
ich  soeben  in  der  Zs.  f.  dt.  Altertum  47,  383  ausgeführt  habe. 
Indessen  ist  die  Melodie  doch  nicht  so  ganz  selten;  ich  nenne  die 
Cäciliensequenz  Virgo  devota  cunctis  (Dreves- Blume,  Anal, 
hymn,  34,  Nr.  214:  beachtenswert,  weil  es  eine  Jungfrauen- 
sequenz ist)  und  die  Ägidiensequenz  Confessor  pius  et  sacer 
Aeg.  (Drevcs-Blume  10,  Nr.  155)  mit  der  Variante  Stirpe  regius 
sacerdos  Aeg.,  die  die  Stammsequenz  verrät:  bei  der  ersten  ist 
die  Melodie  angegeben,  aber  der  Text  der  Analecta  hat  daraus 
auch  hier  keinen  Vorteil  gezogen.  Es  wäre  interessant,  zu  ver- 
folgen, wie  die  Ägidiensequenz  die  kleinen  Schnörkel  der  Ver- 
schiedenheit von  Versikel  und  Gegenversikel  beseitigt  und  die 
unwiederholte  Schlufszeile  verdoppelt;  aber  ich  kann  hier  auf 
diese  Dinge  nicht  eingehen. 

Dagegen  gebe  ich  den  Text  der  Sequenz  Gaude  caelestis 
sponsa  nach  den  von  mir  benutzten  Handschriften. 

1*.  Gaude  caelestis  sponsa 

summi  regis  iam  templum  ingressa, 
1^.  Ad  regale  quoque  convivium  ducta 

3* 


86  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

2*.  Et  mox  intratura      cubilis  secreta, 

semper  virgo  mansura: 
2^.  Filius  regis      amator  castitatis 

servat  locum  pudoris. 

3*.  Huic  sponso  venienti, 

virgines  omnes,  obviate, 
Ferte  lampades  iam  ardentes, 

in  vasis  oleum  simul  deferentes, 
3^.  Et  regium  festinanter 
adornate  thalamum 
Et  regi  regum  decantate 

canticum  solis  virginibus  cantandum, 

4*.  Janua  patet,      quae  paratae  sunt,  intrent ; 
i^.  Cum  sponsus  venit,      quis  eum  sequi  possit, 
omnis  virgo  memor  sit. 

5.    Ad  talia      tu  nos  gaudia 

perduc,  Christe  redemptor, 
per  te  memor  sponsae 

iungens  illi  sperantes  in  te. 

Die  Sequenz  ist,  auch  wenn  man  die  Schwierigkeit  der 
Melodie  noch  so  hoch  anschlägt,  von  einer  seltenen  Unbehilf- 
lichkeit.  Wer  sie  geschaffen  hat,  der  kann  vom  Wesen  der 
Sequenzendichtung  nur  eine  sehr  unklare  Vorstellung  gehabt 
haben.  Ich  habe  daher  darauf  verzichtet,  die  Abweichungen 
von  Versikel  und  Gegenversikel  zu  bezeichnen,  die  niemals  recht 
zur  Stammsequenz  stimmen  wollen;  ich  habe  darauf  um  so 
mehr  verzichtet,  als  die  Überlieferung  erst  mit  dem  12.  Jahr- 
hundert einsetzt. 

Aber  ist  denn  die  Sequenz  überhaupt  älter?  Fragen  wir 
ihr  lieber  das  ab,  was  sie  selber  über  ihre  Bestimmung  aus- 
sagt. Es  ist  eine  Sequenz  de  una  virgine,  eine  Sequenz  de 
communij  wie  man  das  nennt,  anwendbar  auf  jede  beliebige 
Heilige  dieser  Kategorie.  Und  zwar  ist  sie  bestimmt,  von  Hause 
aus,  für  einen  Jungfrauenkonvent;  sie  enthält  die  Mahnung  an 
die  Jungfrauen,  zu  wachen,  dafs  sie  alle  gleich  den  fünf  klugen 
Jungfrauen  bereit  seien,  wenn  der  Bräutigam  kommen  werde: 
das  Bild  schwebt  schon  bei  dem  convivium  (1^)  vor.  Die  Sequenz 
ist  für  ein  Nonnenkloster  bestimmt;  eine  Nonne  wird  es  auch 
gewesen  sein,  die  sie  gedichtet  hat. 

Ich  glaube  aber,  wir  brauchen  dabei  nicht  stehen  zu  blei- 
ben; es  läfst  sich  zwar  nicht  sicher  beweisen  —  dazu  reicht 
das  Material  nicht  aus  — ,  aber  doch  wahrscheinlich  machen, 
dafs  keine  geringere  als  Hrotsvit  die  Dichterin  ist.  Dafs  die 
Sequenz  nicht  in  der  Regensburger  Handschrift  ihrer  Werke 
steht,  darf  uns  nicht  irren;  die  enthält  ja  auch  das  Gedicht  auf 
Gandersheim  nicht.  Dafs  Hrotsvit  die  St.  Gallischen  Sequenzen 
gekannt  hat,  habe  ich  in  meiner  Ausgabe  zur  Sapientia  S.  188,  3 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  37 

gezeigt  (vgl.  Stilfrageu  S.  29):  sie  waren  ihr  wie  anderes  über 
St.  Emmeram  zugekommen.  Es  kommt  also  nur  darauf  an,  zu 
zeigen,  dafs  der  Gedankenkreis  und  die  Sprache  auf  ihre  Ur- 
heberschaft weisen.     Ich  stelle  die  Belege  zusammen. 

l^  Agn.  207  caelestis  sponsam  regis;  Christus  als  caelestis 
sponsus  Bas.  115.  Agn.  5.  419.  Abr.  2,  8.  Sap.  4,  3.  prim. 
322.  359;  Dulc.  14,  3  ego  autem  martyrii  palmam  virginita- 
tisque  receptura  (man  beachte  das  partic.  fut.  intratura) 
coronam,  intraho  aethereum  aeterni  regis  thalamum ;  diese 
Stelle  entscheidet;  alles  andere  ist  verhältnismäfsig  gleichgül- 
tiges Beiwerk. 

1^.  Agn.  419  ducunt  astrigeram  sponsi  caelestis  in  aulam 
(die  Engel  die  Seele  der  h.  Agnes). 

2*.  Agn.  106  ast  uhi  forte  sui  merear  complexibus  uti, 
eins  et  in  thalamum  sponsarum  more  coruscum  duci,  permaneo 
virgo  sine  sorde  pudica. 

2*^.  Die  Epitheta  Christi  werden  bei  Hrotsvit  stets  im  Zu- 
sammenhang der  Stelle  gewählt,  z.  B.  Abr.  2,  5  donec  amplexaris 
amplexihus  filii  virginis  in  lucifluo  thalamo  sui  genitricis; 
Gall.  5,  2  amator  virginitatis  et  inspirator  castitatis,  Christe 
(im  Gelübde  der  Constantia);  der  Sinn  ist:  er  wahrt  sein  Braut- 
gemach als  einen  locus  pudoris,  vgl.  Agn.  253  locus  scelerum 
domus  efficitur  precularum. 

3^  Gest.  1  rex  regum;  Sap.  9,  4  quamvis  non  possum 
canticum  virginitatis  dicere. 

5.  Gall.  13,  7  Simplex  esse  .  .  .  perducat  te  ad  gaudia 
aeternitatis. 

Ich  safs  zu  Prag  im  Prämonstratenserstift  Strahov  über  dem 
riesigen  unsignierten  Sequentiar  vom  Jahre  1610  und  den  anderen, 
bequemer  für  den  Hausgebrauch  hergerichteten,  als  mir  plötz- 
lich der  Gedanke  aufstieg,  sollte  diese  Sequenz  nicht  von  Hrotsvit 
sein?  Dafs  sie  zu  ihrer  Art  wohl  passen  würde,  war  mir  sofort 
klar;  aber  wie  stand  es  mit  der  Überlieferung?  Handschriften 
von  Pommersfelden,  Österreich  (vor  allen  Wien,  Nr.  13  314, 
die  Gottschalkhs.  des  12.  Jahrhunderts),  und  die  Sammelhs. 
J.  Branders  (St.  Gallen,  Nr.  546)  —  das  sah  wenig  nach  Hrots- 
vit aus;  aber  ich  wurde  den  Gedanken  nicht  los.  Einen  Monat 
später  benutzte  ich  in  der  Bossiana  zu  Lainz  das  Missale  VIII 120 
(13. — 14.  Jahrhundert),  woraus  Dreves,  Anal.  hymn.  9,  Nr.  393, 
eine  Sequenz  gedruckt  hat,  die  dort  de  s.  Lihorio  überschrieben 
ist,  die  er  aber,  weil  keine  Beziehung  auf  den  h.  Liborius  vor- 
kommt, de  uno  confessore  überschreibt.  Die  Sache  hat  ihre 
Richtigkeit,  beweist  aber,  was  Dreves  nicht  sagt,  da  Liborius 
der  Patron  der  Paderborner  Kirche  ist,  dafs  die  Handschrift 
dorther  stammt.  Und  in  dieser  Paderborner  Hs.  steht  auch 
die   Sequenz   Gaude   caelestis    sponsa.     So   scheint  wenigstens 


S8  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

eine  niedersäclisische  Hs.  (und  wie  wenig  ist  von  den  liturgischen 
Handschriften  Sachsens  erhalten  I)  noch  heute  für  Hrotsvits 
Autorschaft  Zeugnis  abzulegen. 

4.    Die  Legende  der  h.  Agnes. 

Eine  Betrachtung  für  sich  fordert  Hrotsvits  Behandlung 
geschlechtlicher  Dinge.  Gerade  hier  zeigt  sich  die  Frau.  Sie 
bewegt  sich  oft,  ja  in  der  Hälfte  ihrer  Legenden  und  Dramen, 
auf  sehr  bedenklichem  Gebipt.  Aber  während  ihr  der  Stoff  von 
der  kirchhchen  Tradition  überliefert  ward,  an  der  sie,  auch 
wenn  sie  sie  als  apokryph  erkannte,  keine  Kritik  üben  mochte, 
zeigt  sie  sich  in  der  Wortwahl  überaus  scheu.  Um  sich  das 
klarzumachen,  nehme  man  die  Legende  der  h.  Agnes.  Der 
Sohn  des  Präfekten  ist  in  sie  verliebt;  aber  sie  hat  sich  bereits 
dem  Herrn  gelobt.  So  wird  ihr  die  Wahl  gelassen  zwischen 
dem  Priestertum  der  Vesta  und  der  Verstofsuog  ins  Bordell. 
Sie  verweigert  das  Opfer,  wird  abgeführt  und  nackt  ausgezogen; 
doch  Wunder  über  Wunder  schützen  sie. 

Die  Quelle,  die  Darstellung  des  Ps.-Ambrosius,  hat  hier  u.  a. 
die  Worte  impotens  (impotent,  Syn.  vanus,  mollis,  miser),  in- 
shltare  und  insultatio  (im  wörtlichen  Sinne),  lihido  und  ludi- 
hrinm,  lupanar,  meretrix,  obscena  opera,  scortari  und  scortum. 
Von  dem  allen  hat  Hrotsvit  nur  das  eine  schlechterdings  un- 
vermeidliche lupanar,  daneben  meretrix:  beides  auch  sonst; 
lihido  kommt  einmal  in  der  Marienlegende  vor.  Aufserdem 
umschreibt  sie  den  Begriff  des  lupanar  durch  locus  turpis  (im 
Dulcitius  auch,  wie  hier  Ps.-Ambr.,  turpitudinis  locus),  sordi- 
dulum  antrurriy  latehrae  turpis  aedis,  locus  scelehrum,  detesta- 
hilis  aedes  (V.  222.  224.  245.  253.  259).  Dergleichen  war, 
wenn  sie  überhaupt  diese  Legende  bearbeiten  wollte,  nicht  zu 
vermeiden.     Aber  geradezu  naiv  ist  die  Definition  V.  210  ff.: 

inqtie  lupanaris  nigrum  conclvdier  antrum, 
in  quo  laseivi  iurenes  rationis  egeni 
colloquio  seelerosarum  gaudent  mulierum. 

Wenn  in  den  Dramen  Abraham  und  Pafnutius  das  colloquium 
im  Vordergrunde  steht,  so  ist  das  sehr  begreiflich;  aber  diese 
Stelle  versteht  man  nur,  wenn  man  weifs,  dafs  Hrotsvit  das 
Wort  concubitus,  das  ja  prosodisch  gleichwertig  ist,  und  seine 
Synonyma  streng  meidet.  Sie  braucht  dafür  regelmäfsig  am- 
plexus  oder  complexus  und  die  zugehörigen  Verba,  mehrmals 
auch  den  beliebten  Versschlufs  complexihus  uti.  Dabei  hat  sie 
gerade  im  Pelagius^  wo  sich  alles  um  die  unter  den  Mauren 
weit  verbreitete  Knabenliebe  und  die  Begierde  des  Kalifen  nach 
dem  gefangenen  schönen  Christenknaben  dreht,   augenscheinlich 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  39 

von  der  Sache  keinen  rechten  Begriff  und  braucht  gerade  hier 
das  Wort  jedesmal  im  eigentlichen  Sinn,  V.  269  laeva  com- 
plectens  colla  sacrata  (um  ihn  zu  küssen,  vgl.  V.  237)  und 
V.  244  sohria  barharico  complexu  suhdere  colla. 

Und  nun  vergegenwärtige  man  sich,  was  ein  Mönch  daraus 
gemacht  haben  würde.  Über  Knabenliebe  im  Mittelalter  genügt 
es  auf  die  von  Traube*  verzeichnete  Literatur  zu  verweisen, 
die  an  Verständnis  für  die  Sache  nichts  zu  wünschen  übrig- 
läfst.  Und  was  die  bei  Hrotsvit  in  der  Agneslegende  offenbare 
Vermeidung  anstöfsiger  Worte  betrifft,  so  können  wir  sie  hier 
mit  einer  anderen  metrischen  Vita  Agnetis  vergleichen,  aus  einem 
französischen  Mönchskloster  des  10.  Jahrhunderts.  Da  malt 
unreine  Phantasie  jede  Andeutung  der  Prosa  aus: 

149.  aut  Vestam  de  more  deam  venerare  pudicis 

cum  reliquis,  aut  moecka  vehä  stupranda  traheris; 

aber  sie  erwidert: 

qtiod  salver  ah  omni 
impolltäa,  feram,  stupro  nee  liba  metallis. 

Der  *Dichter'  hat  eine  pathetische  Anrede  an  den  Präfekten: 

1 78.  fare,  quid  horrendum  retegas  mulielrre  pudendum  ? 
reddo  tibi,  cum,  mute,  neges,  responsa  petenti: 
noluit  illa  pati  {miserum!)  qtiod  stupra  furentis,  ^ 

d.  h.,  wenn  wir  den  Überschwang  in  schlichtes  Deutsch  um- 
setzen, weil  sie  den  Verliebten  nicht  hat  heiraten  wollen  —  was 
die  überhitzte  Phantasie  des  Verfassers  als  stwprum  bezeichnet. 
Im  folgenden  begegnen  Stilblüten  wie  diese: 

185.  investis  (d.  h.  impubes)  iam  veste  carens,  suleanda  pudendis 
prostibulo  trahitur, 

und  V.  219  f.: 

ac  secum  nocturna  vocans  ad  bdla  sodales 
insuUare  petit  domino  scortator  amicae; 

denn  so  ist  die  von  Harster  verdorbene  Stelle  abzuteilen.  Aus 
dem  Lexikon  des  Verfassers  nenne  ich  noch  lustrum  im  Sinne 
von  lupanar  (V.  213),  was  nicht  auf  ciceronischen  Sprach- 
gebrauch zurückzugehen  braucht,  den  die  Wörterbücher  nach- 
weisen, sondern  Glossenweisheit  sein  wird,  und  die  Neubildung 
scortisequus  (V.  211).  Ich  denke,  das  genügt,  um  zu  zeigen, 
wes  Geistes  Kind  der  Bearbeiter  gewesen  ist.  Man  wird  viel- 
leicht einwenden,  das  sei  eine  Ausnahme.  Aber  nun  nehme 
man  einmal  die  beiden  kurzen  Darstellungen  in  Vers  und  Prosa, 


*  0  Roma  Nobilis,  S.  308. 


40  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

die  Aldhelms  grofses  Werk  de  virginitate  bietet.  Die  Verse 
(V,  1925—1974,  p.  188  f.  Giles)  sind  ohne  Anstofs,  aufser  etwa 
V.  1952: 

traditur  ad  tetrum  scortorum  casta  lupanar. 

Aber  sie  sind  freilich  auch  so  kurz,  dafs  Beschränkung  auf  das 
Notwendige  geboten  war;  und  die  Prosa  (Cap.  45,  p.  59  ff.  G.) 
macht  das  trotz  gleicher  Kürze  reichlich  wett.  Man  sehe  zwei 
Sätze  an: 

et  licet  huius  rei  gratia  ad  invisum  prostihuli  lupanar, 
uhi  scortorum  detestanda  ohscenitas  bacchatur  et  frontosa 
moecharum  impudentia  turpiter  stupratur,  ad  infame  dedecus 
natalium  propriis  exuta  vestihus  traderetur; 

und  gleich  danach: 

7iam  cum  praefatus  ohscenitatis  amatar  flammis  carna- 
lihus  succensus  lupanar  cum  sodalihus  scelerum  aggrederetur, 
ut  virgini  sacratissimae  spurca  lenocinii  ludihria  lahris 
procacibus  irrogaret. 

Das  geht  doch  auch  um  ein  beträchtliches  üler  das  hinaus, 
was  Hrotsvit  bietet;  namentlich  wird  man  guttun,  die  erste 
Stelle  mit  Hrotsvits  naiver  Definition  zu  vergleichen.  Und  Ald- 
helm  war  ein  frommer  Bischof,  sein  Werk  eines  der  Lieblings- 
bücher des  ganzen  Mittelalters   und  auch  in  Hrotsvits  Händen. 

Ich  habe  mit  Absicht  eine  Legende  gewählt,  bei  der  wir 
gutes  Material  zum  Vergleich  hatten.  Dasselbe  Ergebnis  würde 
sich  überall  herausstellen.  Ich  verzichte  auf  eine  Darlegung 
des  Sprachgebrauchs  im  einzelnen;  meine  Register  geben  da- 
durch, dafs  die  betreffenden  Vokabeln  fehlen,  genügend  Auskunft. 

Hierher  gehört  auch  ein  Hinweis  auf  die  naive  Art,  womit 
Hrotsvit  im  Pelagius  eine  fromme  Prudenzstelle  verwendet.^  Quos 
propriae  iunxit  amicitiae,  sagt  Prudentius,  ntQi  (yrecpauay  11,  16, 
von  Christo  und  seinen  Heihgen;  sie  aber  sagt,  V.  204: 

ipsum  felicis  certe  summum  caput  urhis 
corruptum  vitiis  cognoscebant  Sodomitis 
formosos  facie  iuvenes  ardentex  amare 
hos  et  amicitiae  propriae  coniungere  velle. 

Sie  braucht  in  aller  Unschuld  eine  überlieferte  Formel  ihres 
Lieblingsdichters,  freilich  in  bedenklich  abweichendem  Sinne; 
aber  sie  tut  es  eben,  um  nicht  selber  eine  neue  für  die  ihr 
widrige  Sache  prägen  zu  müssen. 

Einmal  freilich  hat  sie  trotz  allem  es  ihrer  Schreiberin 
nicht  recht  machen  können.  Im  Pelagius  ist  an  einer  schon 
vorhin  angeführten  Stelle,  V.  244  f.: 

*  Das  Folgende  andeutungsweise  in  meiner  Auegabe,  S.  XI,  Anm.  38. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  41 

non  decet  ergo,  virum  Christi  haptismate  lotum 
sohria  barharico  complexu  subdere  colla, 

der  Raum  für  complexu  s —  erst  ausgespart,  und  dann  sind  die 
Worte  mit  roter  Schrift  nachgetragen  worden.  Dieser  kleine 
Zug  bestätigt,  was  uns  der  Ductus  der  Schrift  überhaupt  zeigt, 
dafs  die  alte  Regensburger  Hs.  in  München  von  einer  Frauen- 
hand geschrieben  ist;  d.  h.  es  ist  ein  gleichzeitiges  Dedikations- 
exemplar  für  Regensburg,  woher  Hrotsvit  durch  die  Vermitte- 
lung  ihrer  Äbtissin  Gerberge,  der  Tochter  Heinrichs  von  Bayern, 
ihre  Klassikertexte  bezogen  haben  wird.^  Ein  eigener  Fall,  der 
wieder  einmal  lehrt,  dafs  auch  damals  Reinheit  nicht  vor  dem 
Anstofs  der  Prüderie  sichern  konnte. 

Es  ist  der  alte  Streit  um  den  moralischen  Charakter  der 
Dichterin.2  Ängstliche  Seelen,  die  nicht  gelernt  haben,  eine  Er- 
scheinung aus  ihrer  Zeit  heraus  zu  beurteilen,  haben  von  jeher 
an  dem  bedenklichen  Charakter  ihrer  Stoffe  Anstofs  genommen: 
sei  es,  dafs  sie  darum  meinten,  Hrotsvit  müsse  doch  erst  nach 
einer  bewegten  Vergangenheit  ins  Kloster  getreten  sein,  oder 
dafs  sie,  wie  Aschbach,  im  Brustton  der  Überzeugung  ausriefen, 
dergleichen  könne  eine  Frau  nicht  geschrieben  haben.  Der 
Kampf  wider  die  Echtheit  ihrer  Werke  ist  glücklica  vorüber, 
aber  man  soll  heute  gerecht  sein  und  einsehen,  was  J.  Grimm 
schon  vor  zwei  Menschenaltern,  als  es  noch  keine  Roswithafrage 
gab,  eingesehen  hat:  dafs  die  Dichtung  der  Nonne  gegenüber 
der  Mönchspoesie  'milde  und  scheu'  ist.  Freilich,  aus  ihrer 
Haut  konnte  sie  nicht  heraus.  J.  Scherr,  der  übrigens  selber 
ein  ErkleckUches  in  Verdächtigung  ihres  Charakters  geleistet 
hat,  sagt  dennoch  sehr  richtig:  *Wir  haben  sie  uns  zur  Zeit,  als 
sie  die  dramaturgische  Feder  ergriff  (an  der  Stilblüte  dürfen 
wir  bei  Scherr  keinen  Anstofs  nehmen),  allerdings  nicht  mehr 
als  junges,  heifsblütiges  Mädchen  zu  denken,  sondern  vielmehr 
als  gesetzte  Matrone  mit  einem  säuerlich  frommen  Zug  um  den 
Mund;  dessenungeachtet  aber  hatte  sie  den  Konflikt  zwischen 
antikem  Sensuahsmus  und  christlichem  Spiritualismus,  welcher 
in  einer  klassisch  gebildeten  Klosterschwester  notwendig  ent- 
stehen mufste,  noch  nicht  völlig  überwunden.'  Darin  steckt  viel 
Wahres.  Nur  kommt  der  Konflikt  nicht  eigentlich  durch  die 
klassische  Bildung  hinein;  er  liegt  viel  tiefer  begründet  im 
Wesen  des  Nonnentums.  Nonnen  waren  es,  die  dem  h.  Hiero- 
nymus  ängstliche  Fragen  vorlegten  über  die  Jungfräulichkeit 
Marias:  wurde  diese  von  einzelnen  Irrlehrern  bestritten,  was 
blieb  Verdienstliches  am  Nonnenstande,  an  ihrem  eigenen  Kampfe 
wider  Fleisch  und  Blut?     Nonnen  waren  es,   die  vier  Jahrhun- 


»  Ebenda,  S.  XII,  Anm.  39. 

^  Die  Literaturangaben  S.  XI,  Anm.  38. 


42  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

derte  später,  von  ähnlichen  Zweifeln  gepeinigt,  den  Anstofs 
gaben  zu  den  dogmatischen  Streitigkeiten  über  die  Geburt  aus 
der  Jungfrau.  So  ist  auch  lür  Hrotsvit  Maria  und  ihre  Ver- 
herrlichung der  Ausgancjspunkt  geworden  für  ihre  ganze  dich- 
terische Entwickelung.  Und  neben  der  Jungfrau,  der  Patronin 
des  Nonnenstandes,  stehen  Menschen  wie  sie,  aber  zum  Lohne 
ihrer  Standhaftigkeit  in  Versuchung  und  Martern  gen  Himmel 
entrückt,  Scharen  heilige  Jungfrauen,  Frauen  und  Büfserinnen, 
allen  voran  die  h.  Agnes,  die  von  jeher  in  der  Kirche  beson- 
derer Ehren  genossen  hat  und  den  Reigen  h.  Frauen  in  der 
Liturgie  zu  eröffnen  pflegt.  Die  Vorstellungen  der  Nonne  kon- 
zentrieren sich  mit  aller  Gewalt  auf  diese  eine  Haupt-  und 
Kernfrage  ihres  Lebens.  Und  wenn  wir  nichts  von  der  Per- 
sönlichkeit Hrotsvits  wüfsten,  wenn  selbst  ihr  Name  verweht 
und  vergessen  wäre,  ihre  Werke  würden  Zeugnis  ablegen:  das 
kann  nur  eine  Frau  geschrieben  haben;  die  Stoffwahl  und  die 
Behandlung  des  gewählten  Stoffes,  beides  ist  ganz  und  gar 
weiblich. 

5.   Das  Mittelalter  und  die  moderne  Liebe. 

K.  Breysig^  hat  jüngst  in  einem  schönen  Aufsatz  über  die 
Entstehung  der  modernen  Liebe  gesprochen,  wie  das  geistig- 
seelische  Element  zuerst  bei  den  Franzosen  des  12.  Jahrhunderts 
ins  Spiel  zu '  kommen  scheine.  Ich  kann  seine  interessanten 
Gedankengänge  hier  nicht  im  einzelnen  wiedergeben;  aber  ich 
habe  zu  Anfang  des  Mädchens  Klage  aus  den  Cambridger  Lie- 
dern behandelt,  und  darum  mufs  ich  jenem  Bilde  verkrampfter 
Resignation  ein  anderes  entgegenhalten  von  leidenschaftlichem 
Lebensdurst,  der  alle  Schranken  sprengt:  beides  zusammen  erst 
gibt  uns  die  volle  Anschauung.  Und  zwar  wähle  ich  zwei  Aus- 
nahmefälle. Ich  will  hier  ein  Wort  sagen  von  Heloise,  der  die 
Gabe  des  Wortes  verliehen  war,  und  die  jeder  kennt,  und  von 
einer  Verschollenen,  die  gewifs  niemals  eine  Zeile  gedichtet  hat, 
aber  ihr  Leben,  Lieben  und  Leiden  war  lautere  Poesie:  Irmgard 
von  Hammerstein.2 

Feste  hoher  Leidenschaft  sind  selten  gefeiert  worden  im 
Mittelalter:  bei  diesem  Satze  Breysigs  wird  es  schon  sein  Be- 
wenden haben  müssen.  Aber  wenn  sie  auch  selten  gewesen 
sind,  ganz  fehlen  sie  nicht.  C.  F.  Meyer  hat  so  lange  und  so 
heifs  gerungen  mit  dem  Charakter  der  'Richterin',  hat  ihn  erst 

*  Zukunft  1903,  Nr.  27;  der  Aufsatz  verwertet  eingehend  die  Zeugnisse 
des  Kaplans  Andreas  {de  amore  lihri  III,  ed.  Trojel),  greift  aber  nach 
Material  und  Bedeutung  weit  darüber  hinaus. 

2  Die  Geschichte  Irmgards  mit  den  Belegen  bei  Bresslau,  Jahrb.  des 
Deutschen  Eeiches  unter  Heinrich  IL,  Bd.  III,  72  f.  172  f.  258  f.  279  f. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  43 

in  die  Stauferzeit  verlegen  wollen  und  nach  Korsika,  ehe  er 
sich  nach  vielem  Schwanken  für  Karls  des  Grofsen  Tage  und 
Kurrätien  entschied.  Die  erst  unbewufste,  dann  mit  furchtbarer 
Gewalt  emporlodernde  Liebe  Wulfs  und  seiner  Schwester  Palma 
novella,  die  doch  nicht  seine  Schwester  ist,  diese  Liebe  mit 
ihren  Seelenkämpfen  und  ihrem  Schicksalstrotz,  sie  ist  nicht 
durch  Dichterwillkür  wider  den  Geist  der  Zeit  in  jene  frühen 
Tage  verlegt  worden.  Wie  Wulf  und  Palma  novella,  so  haben 
im  Beginn  des  IL  Jahrhunderts  Otto  und  kmgard  von  Ham- 
merstein bis  zur  Verzweiflung  gekämpft  lür  ihre  Liebe  —  und, 
bezeichnend  genug,  Irmgard  hat  sich  als  die  stärkere  erwiesen, 
als  ihr  Gemahl  endlich  zusammenbricht. 

Ein  Jahrzehnt  hat  der  Kampf  gedauert.  Zuerst  jahrelang 
unangefochten,  mit  einem  Sohn  gesegnet,  wird  1018  die  Ehe 
wegen  zu  naher  Verwandtschaft  getrennt.  Aber  die  beiden 
bieten  dem  Spruch  der  Kirche  Hohn;  auf  ihrer  festen  Burg  am 
Rhein  trotzen  sie  jeder  Übermacht,  ja  Graf  Otto  wagt  sogar 
einen  Anschlag  auf  den  Erzbischof,  der  ihn  scheiden  will  von 
seinem  Weibe.  Da  zieht  sich  das  Gewitter  über  seinem  Haupte 
zusammen :  Kaiser  Heinrich  H.  selber  belagert  drei  Monate  lang 
die  Burg,  bis  Graf  Otto  in  trauriger  Weihnacht  sich  am  26.  De- 
zember 1020  ergeben  mufs  —  hier  hat  eben  die  Geschichte  im 
ganzen  und  im  einzelnen  ein  Drama  geschaffen,  wie  es  keines 
Dichters  Phantasie  kühner  träumen  könnte.  Nun  ist  das  Wild 
zum  Tode  wund:  Graf  Otto  bricht  zusammen;  er  läfst  Weib 
und  Kind  im  Stiche  und  unterwirft  sich.  Anders  Irmgard.  Von 
neuem  ist  ihre  Ehe  getrennt.  Da  fafst  sie  den  unerhörten  Ent- 
schlufs,  allein,  verlassen  von  allen,  selbst  von  ihrem  Gemahl, 
nach  Rom  zu  ziehen  und  dort  Hilfe  zu  suchen.  Und  sie  er- 
reicht so  viel,  dafs  Rom  die  Kompetenzfrage  aufwirft  und  der 
Mainzer  genug  zu  tun  hat,  sich  seiner  Haut  zu  wehren.  Schliefs- 
lich  stirbt  Kaiser  Heinrich,  und  Konrad  IL,  dessen  Ehe  selber 
der  Kirche  ähnlichen  Anstofs  gab,  nimmt  die  Verfolgten  in 
seinen  Schutz;  ein  Spätherbstglück.  —  Ein  Historiker'  spricht 
von  dem  'racheschnaubenden  Weibe':  aber  man  sollte  eher  die 
gewaltige  Willenskraft  bewundern  und  sich  in  scheuer  Ehrfurcht 
beugen  vor  den  ungeheuren  Seelenleiden,  die  vorangegangen  sein 
müssen,  ehe  ein  so  gigantischer  Plan  reifen  konnte.  Kriemhilde  — . 

Noch  wichtiger  aber  ist  für  uns  Heloise.  Sie  ist  so  modern, 
dafs  ich  geradezu  sagen  mufs,  erst  heute  ist  die  Zeit  gekommen, 
die  sie  verstehen  kann,  während  noch  vor  zwanzig  Jahren 
S.  M.  Deutsch  in  seinem  Buche  über  Abaelard  (S.  35)  schreiben 
konnte,  die  Offenheit,  mit  der  manche  unschöne  Züge  dargelegt 
seien,   befremde   das  moderne  Gefühl.     Seitdem  ist  die  Zeit  des 


*  Giesebrecht,  Kaiserxeit  W  195. 


44  Hrotsvits  literariBche  Stellung. 

Naturalismus  an  uns  vorübergezogen,  und  Dichterinnen  sind  auf- 
getreten von  einer  'Offenheit',  wovor  einem  allerdings  schaudern 
konnte.  Aber  wenn  wir  das  mit  Recht  ablehnen,  so  hat  uns 
dennoch  der  Sturm  und  Drang  der  letzten  Jahrzehnte  neben 
den  Extremen  auch  so  edle  und  vornehme  und  dabei  dennoch 
ganz  'moderne'  Erscheinungen  gebracht,  wie  Agnes  Miegel  und 
Margarete  Beutler,  deren  Auftreten  doch  früher  nicht  möglich 
gewesen  wäre;  und  neben  den  emanzipierten  Vertreterinnen  der 
Frauenbewegung  steht,  um  nur  eine  zu  nennen,  Ellen  Key,  die 
geistige  Erbin  Malvidas  v.  Meysenbug.  Es  wird  nicht  unnütz 
sein,  eine  Blutenlese  von  Stellen^  zu  geben,  die  den  Charakter 
Heloises  und  ihrer  Liebe  offenbaren^  und  daneben  gelegentlich 
einige  moderne  Parallelen  zu  setzen.  Manches  klingt,  nament- 
lich bei  A.  Miegel,  geradezu  wie  entlehnt,  obwohl  auch  sie 
sicher  den  Briefwechsel  des  alten  Liebespaares  nicht  gekannt 
hat;  nur  einmal  hat  Lenaus  Heloise  die  Brücke  geschlagen. 

Von  vornherein  springt  in  die  Augen,  wie  ganz  verschieden 
Abaelard  und  Heloise  die  Sache  ansehen.  Bei  ihm  ist  es  ein 
ganz  und  gar  sinnliches  Verlangen  und  der  Wunsch,  gerade  sie 
zu  besitzen,  weil  sie  überall  wegen  ihrer  Schönheit  und  ihrer 
Studien  gefeiert  wird.  Als  Lehrer  schleicht  er  sich  ein,  sogleich 
mit  dem  festen  Vorsatz,  das  Vertrauen  ihres  Oheims  zu  mifs- 
brauchen  und  seine  Schülerin  zu  verführen;  er  wundert  sich 
noch  nachträglich  über  die  Einfalt,  womit  man  den  Bock  zum 
Gärtner  gesetzt  habe!  Und  nun  läfst  er  seine  Künste  spielen, 
wohl  wissend,  welchen  Eindruck  sein  Name  und  seine  Schönheit 
ohnehin  auf  Frauen  machte.  Er  beschreibt  einem  Freunde  die 
Lehrstunden,  wie  er  die  Schülerin  weniger  in  die  verschlungenen 
Irrwege  der  Scholastik  als  in  die  süfsen  Heimlichkeiten  ver- 
stohlener Liebe  einführt:  es  ist  fast,  als  läse  man  im  Inferno 
von  Francesca  da  Rimini.  Der  Oheim  kommt,  natürhch  viel  zu 
spät,  als  die  Spatzen  es  längst  von  den  Dächern  pfeifen,  da- 
hinter und  trennt  sie.  Jedes  ist  unglücklich  um  des  anderen 
willen.  Bald  danach  fühlt  Heloise  sich  schwanger  und  meldet 
es  'jubelnd'  dem  Geliebten  (summa  cum  exultatione^  man  denke 
etwa  an  M.  Beutlers  'Sylvester').  Dabei  hat  sie  niemals  an 
Ehe  gedacht  und  will  auch  jetzt,  als  Abaelard  ihren  Oheim 
dadurch  zu  versöhnen  denkt,  nichts  davon  wissen.  Sie  dürfe 
ihn  nicht  hemmen  in  seiner  glänzenden  philosophisch -theolo- 
gischen Laufbahn.  Alles,  was  der  gottselige  Hieronymus  gegen 
die  Ehe  gesagt  hat,  kramt  sie  aus,  wie  schlecht  die  Ruhe  des 
Denkers  bei  Kindergeschrei  bestehe,  ob  Windeln  in  seinem 
Auditorium    herumhängen    sollten    usw.      Und    es    sei    so    viel 


*  Die  Stellen  aus  dem  Briefwechsel  (d.  h.  epp.  1 — 5,  die  allein  in  Be- 
tracht kommen)  im  wesentlichen  in  der  Reihenfolge  des  Textes. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  45 

schöner,  wenn  keine  Pflicht  sie  binde,  wenn  alles  stets  von 
neuem  ein  freies  Geschenk  gegenseitiger  Neigung  sei  —  man 
sieht,  eine  Idealistin  der  freien  Liebe.  Aber  sie  mufs  endlich 
nachgeben;  die  Ehe  wird  in  aller  Verborgenheit  geschlossen. 
Dennoch  spricht  es  sich  bald  herum;  dem  Oheim  liegt  eben 
daran,  sie  zu  'rehabilitieren' :  sie  aber  schwört  die  heiligsten 
Eide,  es  sei  kein  wahres  Wort  an  der  Sache!  Der  Oheim  rast 
vor  Wut;  um  sie  davor  zu  schützen,  bringt  Abaelard  sie  in  ein 
unfernes  Nonnenkloster.  Aber  der  Oheim  sieht  darin  nur  ein 
Zeichen,  er  wolle  sie  loswerden;  er  läfst  ihn  überfallen  und  ent- 
mannen. 

Ich  habe  mich  bisher  absichtlich  ganz  an  das  Zeugnis 
Abaelards  gehalten.  Um  jedoch  recht  zu  urteilen,  um  Heloise 
ganz  so  zu  sehen,  wie  sie  ist,  müssen  wir  ihre  eigenen  Briefe 
reden  lassen.  Auch  auf  Abaelard  wird,  durch  seine  Antworten, 
ein  interessantes  Schlaglicht  fallen. 

Wie  bezeichnend  sogleich  die  Anrede,  scholastisch  gekün- 
stelt in  ihren  Distinktionen,  aber  jedes  Wort  von  blutender 
Liebe  eingegeben: 

Domino  suo,  immo  patri, 

coniugi  suo,  immo  fratri, 

ancilla  stm,  immo  filia, 

ipsius  u/xor,  immo  soror, 

Abaelardo  Heloissa. 

Sie  hat  ihn  immer  geliebt  ohne  Mafs  und  Ziel  (immoderato 
amore)  und  liebt  ihn  noch;  nur  er  kann  sie  traurig  oder  froh 
machen,  nur  er  sie  trösten.  Was  er  begehrt,  das  tut  sie  ohne 
Besinnen;  auf  sein  Geheifs  ist  sie  sofort  nach  der  Trauung  ins 
Kloster  gegangen,  obwohl  sie  sich  damit  selbst  jede  Hoffnung 
abschnitt,  nur  um  ihn  als  Herrn  ihrer  Seele  und  ihres  Leibes 
zu  bekennen.  Gott  ist  ihr  Zeuge,  sie  hat  nur  ihn  gesucht,  nicht 
das  Seine  {te,  non  tua);  nicht  an  die  Ehe  hat  sie  gedacht  oder 
an  die  geehrte  Stellung  neben  dem  berühmten  Manne,  nicht  ihre 
Lust  hat  sie  gesucht,  nur  ihm  in  Demut  etwas  Liebes  erzeigen, 
ihm  ein  Opfer  bringen  wollen.  Man  denkt  an  A.  Miegels  'Legende': 

Was  ich  dir  geben  konnte,  ist  gegeben; 
auf  Knien  dankend,  dafs  du  es  genommen, 
küfs  ich  die  Hände  dir,  mein  süfses  Leben, 
denn  meines  Abschieds  Stunde  ist  gekommen  . . . 

Heiliger  vor  der  Kirche  und  stärker  bindend  mag  der  Name 
des  Eheweibes  sein:  süfser  sei  es  ihr  immer  erschienen,  seine 
Geliebte  (amica)  zu  heifsen;  ja  sich  immer  tiefer  vor  ihm  zu 
demütigen,  will  sie  sogar  seine  Konkubine  oder  Hure  heifsen 
(scortum;  auch  sonst  spricht  sie  von  fornicatio):  lieber  seine 
Dirne  {meretrix,  dem  Reim  zuliebe?)  als  des  Kaisers  Kaiserin 
{augusti  imperatrix)\    Es  folgen  wieder  entlehnte  Gründe.    Ein 


46  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Weib,  das  den  Reichen  lieber  heirate  als  den  Armen,  seines 
Geldes  wegen,  verkaufe  sich  selbst  und  sei  im  Grunde  nicht 
besser  als  eine  Dirne;  was  die  rechte  Ehe  ausmache,  sei  die 
Keuschheit,  nicht  so  sehr  des  Leibes,  als  des  Herzens  —  die 
Liebe,  die  in  dem  Geliebten  das  Ideal  sehe.  Was  ihn  aus- 
zeichne, sei  die  virtus:  dafs  er  alle  denkbaren  Vorzüge  in  sich 
vereine,  den  Ruhm  des  Theologen,  Philosophen  und  Lehrers 
und,  was  anderen  Gelehrten  abgehe,  Dichtung  und  Gesang; 
seine  Lieder,  in  denen  sie  gepriesen  werde,  lebten  in  aller 
Munde,  und  Königinnen  und  Fürstinnen  beneideten  sie  darum. 
—  Und,  so  schuldig  sie  sich  erscheint  in  ihrer  Selbstquälerei, 
eigentlich  sei  sie  doch  unschuldig:  denn  nicht  auf  das  Was, 
nur  auf  das  Wie  komme  es  an  (nee,  quae  fiunt,  sed  quo  animo 
fiunt,  aequitas  pensat):  ihr  einziges  Motiv  aber  sei  schranken- 
lose Liebe  gewesen,  während  ihn  nicht  Liebe,  sondern  Begierde 
getrieben  habe  und  sie  ihm  jetzt,  nachdem  diese  erloschen, 
gleichgültig  sei;  das  zeige  sein  Schweigen.  Früher  habe  man 
an  ihren  Motiven  wohl  gezweifelt;  jetzt,  wo  sie  alles  dem  Willen 
des  Geliebten  geopfert  habe,  zeige  der  Ausgang,  was  sie  von 
jeher  bestimmt  habe.  —  Ihr  ganzes  Denken  sei  bei  ihm:  ego 
autem  (deus  seit)  ad  Vulcania  loca  te  properantem  praecedere 
vel  sequi  pro  iussu  tuo  minime  duhitarem.  Da  hören  wir 
wiederum  wortwörtlich  A.  Miegel: 

Wenn  ich  wüfste,  dafs  du  warten  würdest,  — 
wandern  würde  ich,  wer  weifs  wie  weit, 
Haus  und  Heimat  würde  ich  verlassen 
und  die  Stätten  meiner  Kinderzeit. 

Lachend  würde  ich,  mit  schnellen  Schritten 
durch  das  dunkle  Tal  des  Todes  geh'n, 
wüfste  ich  es  nur,  ich  würde  drüben 
dich  und  deine  Augen  wiederseh'n. 

Abaelards  Antwort  lautet  merkwürdig  kühl.     Salbungsvoll, 
aber  ohne  allen  Überschwang  redet  er  sie  an: 

Eeloissae,  dilectissimae  sorori  suae  in  Christo 
Abaelardics  frater  eitis  in  ipso. 

Als  sie  sich  dann  später  wundert,  warum  er  ihren  Namen  voran 
setze  (die  Stelle,  I  85  Cousin,  ist  für  die  Briefetikette  wichtig), 
folgt  die  aus  Hieronymus  entnommene  Begründung,  das  ge- 
schehe —  weil  er  sie  als  die  Braut  Christi  zu  ehren  habe.  Ich 
fürchte,  Heloise  ist  trotz  ihres  geistlichen  Kleides  noch  Welt- 
kind genug  gewesen,  dafs  diese  korrekte  Antwort  ihr  einen 
Stich  ins  Herz  gab  . . .  Sein  langes  Schweigen  entschuldigt  er  — 
mit  dem  Zutrauen  zu  ihrer  Frömmigkeit  und  Klugheit,  die 
keiner  Ermahnung   und  keiner  Tröstung   bedürfe.     Sie  soll  für 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  47 

ihn  beten,  und  wenn  er  sterbe,  fügt  er  huldvoll  hinzu,  so  wolle 
er  in  ihrem  Kloster  begraben  sein. 

Das  ist  alles;  aber  der  Schlufs  ist  nur  zu  raffiniert  auf 
Heloises  weiche  Stimmung  berechnet.  Sie  ist  aufser  sich  bei 
diesem  Gedanken.  Sterbe  er,  so  solle  man  sie  und  ihre  Nonnen 
in  dasselbe  Grab  legen  wie  ihn :  ut  potius  et  nos  consepeliendae 
simus,  quam  sepelire  possimus  —  so  ruft  die  Schmerzensmutter 
in  einem  schönen,  seiner  Klangwirkung  nach  schier  unübersetz- 
baren Liede  den  Knechten  zu,  die  den  Heiland  vom  Kreuze 
nehmen  * : 

Mihi  meum  carissimum 

subtrahere  nolite; 

si  sepeliri  debeat, 

me  secum  sepelite. 

Sie  ist  von  Sinnen  und  hadert  mit  Gott:  das  sei  ja  noch  das 
einzige,  was  ihr  gebUeben,  dafs  er  wenigstens  lebe.  So  lange 
ihr  Bund  verboten  gewesen  sei  {fornicatio),  habe  Gott  ihrer 
verschont;  nachdem  ihn  die  Kirche  eingesegnet,  sei  das  Ver- 
derben hereingebrochen,  und  nur  über  ihn,  den  minder  Schul- 
digen! Sie,  sein  Weib,  sei  an  allem  schuld!  Bufse  will  sie 
tun  'durch  eines  langen  Lebens  Golgatha'  (A.  Miegel,  Karfreitag); 
aber  sie  kann  nicht  vergessen.  Immer  wieder  tritt  ihr  das  Bild 
der  genossenen  Liebesfreuden  vor  die  Seele,  greifbar  deutlich 
nach  Ort  und  Zeit  und  bis  in  die  kleinsten  Einzelzüge.  Selbst 
bis  in  ihre  Träume  verfolgt  es  sie  und  bis  in  die  Messe,  wo  sie 
unfähii^  ist,  ihre  Gedanken  davon  abzulenken  und,  wie  sie  sollte, 
auf  die  heilige  Handlung  zu  richten,  so  dafs  sie  sich  durch 
Wort  und  Gebärde  verrät.  Diese  verzweifelten  Geständnisse 
hat  Lenaus  Heloise  {Gedichte  II,  Gestalten)  übernommen  und 
an  A.  Miegels  *Madeleine  Bothwell'  weitergegeben: 

Und  wenn  ich  das  Verlor'ne  und  Versäumte, 
als  hätt'  ich  es,  in  süfsen  Nächten  träumte, 
vergib,  mein  Gott,  dafs  ich  in  meinen  Schrecken, 
wenn  kalt  die  Schwestern  mich  zur  Hora  wecken, 
nach  Truggestalten  strecke  meine  Hände, 
vergötternd  mich  zu  meinen  Träumen  wende. 

So  Lenau.  Das  kehrt  dann  in  einer  ganz  subjektiven  Ballade, 
die  eng  an  den  *Sterbesegen'  knüpft  {Deutsche  Heimat  1903, 
Nr.  1  =  Gedichte^  S.  12),  bei  Madeleine  Bothwell  wieder: 

Ich  träume  von  Sünden.  —  'Soeur  Madeleine, 
steh'  auf,  Zeit  ist  es,  zur  Messe  zu  geh'n. 

Du  Liebling  der  Jungfrau  —  siech  vom  Kastei'n, 
bald  gehst  du  zum  Glänze  der  Heiügen  ein  . . .' 


*  Mone,  Lat.  Hymnen  II  144. 


48  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Auch  sonst  hat  dies  Gedicht  Lenaus  die  Dichterin  beeinflufst; 
doch  hier  ist  nicht  der  Ort,  dem  nachzugehen.  —  Umsonst  ist 
all  ihr  Ringen:  denn  was  sie  tut,  tut  sie  nicht  aus  Liebe  zu 
Gott,  sondern  einzig  um  Abaelards  willen,  um  ihm  gehorsam  zu 
sein;  vor  Gott  sei  ihre  Frömmigkeit  eitel  Heuchelei. 

Auf  diese  furchtbaren,  erschütternden  Selb  st  vorwürfe,  die 
eben  nur  eine  so  fein  organisierte  Natur  spüren  konnte,  ant- 
wortet, wohlgesetzt  und  sehr  verständig,  sogar  logisch  mit 
erstens,  zweitens,  drittens,  viertens  disponiert,  ein  Schreiben 
Abaelards.  Bemerkenswert  ist  daraus  nur,  dafs  er  ihr  mit 
dürren  Worten  wiederholt,  seine  Liebe  zu  ihr  sei  niemals  etwas 
anderes  als  sinnliche  Begierde  gewesen,  Begierde,  wovon  er  nun 
glücklicherweise,  wenn  auch  nicht  ganz  ireiwillig,  kuriert  sei. 
Gott  aber  sei  gerecht:  sie  möge  nur  daran  denken,  wie  er  sie 
einmal  aus  Sehnsucht  im  Kloster  besucht  habe,  und  was  damals 
an  heiliger  Stelle  vorgefallen  sei  ...  Ich  glaube,  es  braucht 
nicht  mehr;  wir  können  von  dem  Briefwechsel  mit  der  Über- 
zeugung scheiden,  dafs  Heloise  nicht  blofs  *edler  und  liebens- 
würdiger' erscheint,  was  Deutsch  zugeben  wollte,  sondern  dafs 
sich  hier,  vor  achthundert  Jahren,  ein  Seelenkampf  abgespielt 
hat,  den  erst  wir  Menschen  von  heute  wieder  voll  zu  verstehen 
und  mitzuleben  vermögen;  dafs  da,  wenigstens  auf  Heloises  Seite, 
nichts  von  ^befremdender  Offenheit'  ist,  sondern  dafs  die  edel- 
sten unserer  modernen  Dichterinnen  alle  Ursache  haben,  in 
Heloise  ihre  Patronin,  ihre  Märtyrerin  zu  ehren. 

IL   Der  Mimus  im  Mittelalter. 

Durch  die  grundlegende  Forschung  H.  Reichs  und  seinen 
sicheren  Blick  für  das  Wahre  und  Notwendige  in  der  Ent- 
wickelung  der  Weltliteratur  ist  mit  einem  Schlage  der  Mimus 
in  seiner  ganzen,  ungeheuren  Bedeutung  für  Altertum,  Mittel- 
alter und  Neuzeit  aufgedeckt  worden.  Im  folgenden  wird  sich 
ergeben,  dafs  auch  die  lateinische  Kunstdichtung  des  Mittel- 
alters, dafs  gerade  Genies  wie  Notker  und  Hrotsvit  ihr  Bestes 
dem  Mimus  verdanken. 

Freilich,  kurz  ehe  ich  diesen  Aufsatz  abschliefse,  erscheint 
eine  Rezension  des  *Mimus',  die  ganz  andere  Töne  anschlägt, 
von  Herrn  Professor  Dr.  R.  Herzog  in  der  Berliner  philo- 
logischen Wochenschrift  1904,  Nr.  34.  Danach  wäre  es,  trotz 
vieles  Guten  im  einzelnen,  dennoch  als  Ganzes  ein  'schlechtes 
Buch'.  Ich  kann  es,  wenn  es  dessen  ja  bedürfen  sollte,  getrost 
dem  Verlasser  des  Mimus  überlassen,  seine  Darstellung  für  die 
Zeiten  des  Altertums  gegen  Herzogs  Vorwürfe  selber  zu  schützen. 
Ich  meinerseits  habe  den  unmafsgeblichen  Eindruck,  Herr  Herzog 
würde,   nach  dem,   was  er  vorbringt,  zu  urteilen,  wenn  er  etwa 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  49 

das  Unglück  hätte,  Germanist  zu  sein  und  z.  B.  Goethes  Briefe 
an  Frau  von  Stein  zu  rezensieren,  nach  berühmten  Mustern 
folgendes  schreiben:  'Die  Lektüre  ist  durchaus  unerquicklich, 
weil  es  dem  Briefschreiber  an  Logik  fehlt;  auch  wimmelt  der 
Text  von  Fehlern  der  Orthographie  und  Interpunktion.' 

Aber  ich  will  mich  auf  mein  Spezialgebiet  beschränken, 
dessen  Behandlung  Herrn  Herzogs  schärfsten  Tadel  heraus- 
gefordert hat.  Es  sei  nicht  bewiesen,  dafs  Shakespeare  mit  dem 
Mimus  zusammenhänge;  denn  —  man  höre  und  staune  —  die 
mimi  und  ioculatores  des  *dunklen  abendländischen  Mittelalters' 
hätten  mit  dem  antiken  Mimus  nichts  zu  schaffen.  Also  — 
Schuster  gab  es,  blofs  sie  konnten  keine  Schuhe  mehr  machen? 
Aber  Herr  Herzog  spricht  ja  von  dem  'dunklen  abendländischen 
Mittelalter'?  Was  kennt  er  denn  von  diesen  'dunklen'  Zeiten?! 
Ich  habe  lange  genug  im  Mittelalter  und  seiner  Dichtung  ge- 
arbeitet, um  mitzureden:  meine  Hrotsvitsausgabe,  erschienen  im 
Frühjahr  1902,  ist  die  Frucht  elfjähriger  Arbeit;  seit  sechs 
Jahren  steht  Notker  im  Mittelpunkt  meiner  Studien;  ich  glaubte 
sie  beide  gut  zu  kennen,  aber  ich  mufs  gestehen,  klar  geworden 
ist  mir  ihre  literarische  Stellung  und  damit  die  ganze  Entwicke- 
lung  der  mittellateiuischen  Poesie  erst  durch  Reich.  Und,  sollte 
Herr  Herzog  Autoritäten  verlangen,  so  wird  ihm,  denk  ich,  der 
Name  W.  Scherers  bekannt  sein;  der  aber,  in  seiner  Geschichte 
der  deutschen  Dichtung  im  11.  und  12.  Jahrhunderty  schreibt 
in  einer  ganz  ausgezeichneten  Auseinandersetzung  über  die 
Mimen,  die  noch  lange  nicht  den  gebührenden  Einflufs  geübt 
hat,  obwohl  sein  Buch  heute  längst  vergriffen  ist  (S.  12):  'Als 
gegen  das  Ende  der  römischen  Kaiserzeit  Schauspiel  und  regel- 
mäfsige  Bühne  ganz  aufhörten,  da  blieb  nur  die  Wirksamkeit 
der  Mimen  unberührt  von  dem  Verfalle  des  szenischen  Appa- 
rates, dessen  sie  nicht  bedurften.'  Ich  kann  Scherers  Betrach- 
tung hier  nicht  ausschreiben;  sie  sei  jedem,  dem  das  Buch  zu- 
gänglich ist,  aufs  dringendste  empfohlen.  Was  ich  hier  gebe, 
soll  einmal  die  Forschung  im  einzelnen  weiterführen,  sodann 
aber  durch  Proben  das  erläutern  und  anschaulich  machen,  was 
von  Mimenpoesie  auf  uns  gekommen  ist. 

Aber  zurück  zu  Herrn  Herzog.  Er  meint,  im  dunklen 
Mittelalter  verlören  wir,  wenn  wir  Reich  folgen,  den  Boden 
unter  den  Füfsen,  Nein,  wir  können  gerade  umgekehrt  sagen, 
erst  durch  den  Mimus  und  seine  Kontinuität  verstehen  wir  die 
Entwickelung  der  Jahrhunderte.  So  steht  es  im  Mittelalter. 
Und  anderswo?  Kaum  haben  sich  die  Gräber  Ägyptens  auf- 
getan,  und  die  Papyri  haben  dem  Mimus  zu  glücklicher  Stunde 
Zeugnis   gegeben:   und  schon   tut  Syrien  desgleichen.*     Für  die 


*  Demnächst  erscheint  Horovitz,  Spuren  von  Mimen  im  Orient. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  4 


50  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Beurteilung  einer  monumentalen  Leistung,  wie  es  der  Mimus  ist, 
bleibt  aber  doch  wohl  stets  das  entscheidende  Moment,  ob  ihr 
Bau,  wenn  auch  zyklopisch  gefügt  und  meinetwegen  nicht  frei 
von  Schönheitsfehlern,  der  von  allen  Seiten  andrängenden  Flut 
neuer  Funde  und  Entdeckungen  standhält,  oder  ob  seine  Pfeiler 
vor  einem  Papyrusblatte  zusammenknicken,  wie  es  E.  Rohdes 
Entwickelungsgeschichte  des  griechischen  Romans  hat  erleben 
müssen. 

1.    Mimus   und   Siegesballade. 

Widukind  von  Corvey  berichtet  in  seiner  Sachsengeschichte 
(I  23),  dafs  im  Jahre  915  Herzog  Heinrich  von  Sachsen  die 
Franken  unter  Eberhard  aufs  Haupt  geschlagen  habe  tanta  caede, 
ut  a  mimis  declamaretur,  uhi  tantus  ille  infernus  esset,  qui 
tantam  multitudinem  capere  posset.  Was  Lachmann  1836  für 
selbstverständlich  hielt  und  gar  nicht  erst  ausdrücklich  aus- 
sprach, dafs  es  ein  deutsches  Lied  gewesen,  dieser  Gedanke 
bestimmt  noch  1897  R.  Kögel,*  eine  tiefsinnige  Betrachtung  an- 
zustellen über  infernus  =  hella  und  den  Stabreim  wld  -  wal . . . 
Die  ganze  Methode  ist  verfehlt,  ebenso  verfehlt  wie  die,  im 
Waltharius  altdeutsche  Stabverse  zu  rekonstruieren,  ein  Sport, 
den  Kögel  gleichfalls  mit  Vorliebe  gepflegt  hat,  der  aber  in- 
zwischen durch  W.  Meyers  glänzenden  Aufsatz  über  den  Dichter 
des  Waltharius  leider  als  brotlose  Kunst  erwiesen  worden  ist. 
Auch  hier  kann  nichts  verkehrter  sein.  Ich  wüfste  schlechter- 
dings nicht  zu  sagen,  was  darin  ^heidnischer'  wäre  als  in  dem 
gewaltigen  Liede  auf  die  Schlacht  von  Fonteuoy  am  25.  Juni 
843,  im  Bruderkriege  der  Söhne  Ludwigs  des  Frommen,*  das 
dolium  Saturni:  das  war  kein  Sabbat  (die  Schlacht  fand  an 
einem  Sonnabend  statt),  nicht  der  Tag,  wo  Gott  einst  ruhte 
von  seinen  Werken,  sondern  ein  dies  Saturni^  des  alten  gries- 
grämigen Heidengottes,  der  seine  eigenen  Kinder  verschlang 
und  auch  jetzt  seine  Opfer  haben  will,  wie  Hucbald  von  St.  Amand 
(t  930,  achtzigjährig)  mit  einem  Wortspiel  von  den  dies  aegyp- 
tiaci,  den  Unglückstagen,  sagt:^  ut  inferat  Orcus  in  orcam  (in 
den  Lostopf?).  Ja,  ich  glaube  sogar,  dafs  der  Dichter  des 
späteren  Liedes  diesem  Vorbilde  gefolgt  ist,  dafs  wir  das  Lied 
auf  die  Schlacht  bei  Fontenoy  studieren  müssen,  um  von  dem 
anderen  auf  die  Schlacht  der  Franken  und  Sachsen  einen  Be- 
griff zu  kriegen.  Freilich  dürfen  wir  es  nicht  in  der  Nach- 
bildung Meyers  von  Knonau  nehmen,  die  dem  kraftvoll  einher- 


*  Gesch.  der  dt.  Liter.  I  2,  237. 

^  Poetae  lat.  aevi  Carol.  II  138;  vgl.  Meyer  von  Knonau,    Über  Nit- 
hards  vier  Bücher  Geschichten,  S.  188  f. 
3  Poetae  IV  272,  v.  4. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  51 

schreitenden  Original  mit  lahmen  Lenden  mühselig  nachhinkt, 
sondern  im  Original  oder  in  einer  Nachdichtung,  die  auch  den 
Geist,  nicht  blofs  den  Buchstaben,  wiedergibt,  mag  sie  dafür 
auch  auf  das  *Versmafs  des  Originals'  in  aller  Seelenruhe  ver- 
zichten. 

Aurora  cum  primo  mane      tetram  noctem  dividens 
(sabbatum  non  illud  fuit,      sed  Saturni  dolium), 
de  fraterna  rupta  pace      gaudet  daemon  impius. 

Für  die  Übertragung  wähle  ich  die  Nibelungenstrophe, ^  und  ich 
betrachte  es  geradezu  als  einen  Vorteil,  dafs  ihre  vier  Zeilen 
statt  der  drei  im  Original  mir  die  Möglichkeit  bieten,  schärfer 
herauszuarbeiten,  was  der  Dichter  gesagt  hat  und  zumal  was 
er  hat  sagen  wollen,  was  aber  nicht  selten,  sogar  im  lateinischen 
Text  und  nun  gar  bei  Meyer  von  Knonau,  in  keimhaften  An- 
sätzen stecken  gebheben  ist. 

Des  Frührots  erster  Strahl  das  Dunkel  der  Nacht  zerrifs; 
da  wurde  Macht  gegeben  dem  Fürsten  der  Finsternis, 
kein  Sabbat  war's,  der  graute:  gebrochen  der  Brüder  Bund, 
mit  wildem  Hohngelächter  frohlockte  der  Hölle  Schlund. 

Dröhnend  aller  Enden  der  Hall  der  Hörner  gellt, 
vom  Schlachtgeschrei  der  Feinde  schüttert  und  bebt  das  Feld; 
zum  Todeskampfe  sind  Brüder,  sind  Neffe  und  Ohm  entbrannt^ 
wider  den  Vater  frevelnd  erhebt  der  Sohn  die  Hand. 

Nie  hob  sich  in  heidnischer  Vorzeit  fürchterlicher  Gefecht, 
nicht  galt,  das  sonst  gegolten,  der  Christen  Christenrecht; 
eines  Heilands  Erlöste  vergossen  der  Brüder  Blut, 
dals  der  Hölle  Geister  jauchzten  in  wilder  Wut. 

Herr  Lothar,  der  Kaiser,  der  stand  in  des  Höchsten  Schutz, 
er  hat  sich  als  Held  gehalten  und  bot  den  Feinden  Trutz; 
hätte  sein  Heer  gekämpft,  wie  er  mit  kühner  Hand, 
bald  sollten  Friedensglocken  läuten  übers  Landl 

Aber  wie  einst  seinen  Heiland  Judas  Ischariot, 
verrieten  sie  dich  und  die  Führer,  mein  König,  in  Schwertesnot. 
So  leicht  der  Wolf  mit  Listen  das  Lamm  zu  trügen  weifs, 
betrifft  er's  auf  dem  Wege:  drum  wahre  dich  mit  Fleifs! 

Fontenoy  heifst  vom  Bache  der  Hof  in  Volkesmund, 
allwo  das  Blut  der  Franken  getrunken  der  Erde  Grund; 
in  Schauern  beben  die  Felder,  in  Schauern  bebt  der  Wald, 
schaurig  der  Sterbenden  Ächzen  in  Sumpf  und  Moor  verhallt. 

Auf  der  verfluchten  Stätte,  da  sprosse  nie  das  Gras; 
nimmer  werd'  ihr  Boden  von  Tau  und  Regen  nafs, 
wo  die  Helden  erlagen,  wohlbewährt  im  Streit, 
drum  Eltern  und  Geschwister  und  Freunde  tragen  Leid.' 


*  Es  wird  nicht  unnütz  sein,  die  Ballade  von  Fontenoy  mit  der  Hertje 
von  L.  V.  Straufs  zu  vergleichen. 

^  Hier  schwebt,  was  Dümmler  nicht  erkannt  hat,  Davids  Klage  um 
Saul  und  Jonathan  vor  {Regum  II  1,  21):  monies  Oilhoe,  nee  ros  nee  pluvia 
veniant  super  vos!  . . .  quomodo  fortes  ceciderunt  in  prelio! 

4* 


52  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Und  der  ich  euch  gemeldet,  was  Frevel  dort  gescheh'n, 
bin  Angilbert  geheilsen  und  hab'  es  selbst  geseh'n, 
hab'  selber  mitgestritten  wohl  in  der  Freunde  Reih'n  — 
und  bin  von  der  vordersten  Reihe  entronnen  ich  allein. 

Ich  liefs  mein  Auge  schweifen  und  sah  zum  letztenmal 
zur  Bergeswand  zurücke  und  abwärts  tief  ins  Tal; 
dort  jagte  Kaiser  Lothar  der  Feinde  Scharen  nach 
und  trieb  sie  all  zu  Paaren  weithin  bis  an  den  Bach. 

Von  Karls  und  Ludwigs  Heere  decken  das  Blachfeld  weit 
Mann  bei  Mann  die  Toten  im  weifsen  Linnenkleid; 
es  sind  so  weifs  die  Felder,  wie  wenn  zum  Süden  hin, 
wann  der  Herbst  gekommen,  der  Störche  Scharen  zieh'n. 

Nie  werde  Lob  gesungen  je  von  dieser  Schlacht; 

aus  Abend  und  aus  Morgen,  aus  Mittag  und  Mitternacht* 

sollen  Klagelieder  ertönen  mit  lautem  Schall, 

und  sollen  wehe  rufen  über  der  Helden  Fall! 

Verflucht  für  alle  Zeiten  sei  der  Tag  der  Schlacht! 
er  werde  ausgestrichen  und  nimmer  sein  gedacht! 
so  lange  die  Erde  steht,  soll  ihm  nie  ein  Morgen  grau'n, 
so  lange  die  Erde  steht,  soll  er  keine  Sonne  schau'n! 

Weh'  und  dreimal  wehe!  nackt  liegen  sie  im  Staub, 

sie  werden  der  gierigen  Wölfe,  der  Geier  und  Raben  Raub; 

nicht  schliefst  geweihte  Erde  ihre  Leiber  ein: 

frei  auf  wüstem  Felde  vermodert  ihr  Gebein. 

Indes  genug  der  Klage,  so  weh'  uns  auch  zu  Mut, 
wir  müssen  endlich  dämmen  unserer  Tränen  Flut 
und  wollen  beten  zum  Herrn  für  der  Gefall'nen  Heil, 
dafs  seine  Gnade  leuchte  über  ihr  himmlisch  Teil. 

Der  das  gesungen  hat  und  stolz  genug  war,  seinen  Namen 
einzuflechten  und  so  der  Nachwelt  aufzubewahren,  das  war  ein 
Mime;  ein  Mime  wie  jene  Sänger  des  10.  Jahrhunderts,  wovon 
uns  Widukind  meldet.  Er  klagt  um  die  unselige  Bruderschlacht, 
die  er  selber  mitgekämpft  hat;  er  hat  mitgestritten  in  vorderster 
Reihe  und  ist  nicht  wie  die  anderen  geflohen  in  bhnder  Hast, 
er  hat  Ruhe  und  Kaltblütigkeit  genug  bewahrt,  um  mitten  auf 
dem  Schlachtfeld,  vom  Kampfgetümmel  umbraust,  stehen  zu 
bleiben  und  das  schaurig -schöne  Bild  mit  durstigen  Dichter- 
augen in  sich  hineinzutrinken.  Und  in  demselben  Stil  und 
Versmafs  wie  er  hat,  ein  halbes  Jahrhundert  früher,  ein  Standes- 
genosse von  ihm   nach  Pippins  Avarensieg,   der   ohne  Blutver- 

*  Diese  Stelle  wirkt  weiter  auf  die  Totenklage  Leos  von  Vercelli  um 
Otto  ni.  {Stilfragm  S.  26): 

Der  Westen  wein'  um  seinen  Tod, 

Klage  heb'  der  Osten  rot, 
in  Asche  traure  Nordens  Reich 

und  der  Mittag  all'  zugleich! 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  53 

giefsen  durch  den  blofsen  Schrecken  des  fränkischen  Namens 
errungen  war,  das  siegreiche  Heer  zurückbegleitet  und  ihm 
seinen  und  des  königlichen  Führers  Ruhm  gesungen:* 

Pippins  Sieg  über  die  Hunnen. 

Cbriste,  du  Sohn  Gottes,  der  du  die  Völker  all 
erschaffen  und  Land  und  Quellen,  Bach  und  Berge  zumal, 
der  du  nach  deinem  Bilde  den  Menschen  hast  gemacht, 
du  hast  in  der  letzten  Frist  auch  die  Hunnen  heimgebracht. 

Sie  haben  des  Bösen  viel  getan  seit  alter  Zeit: 
sie  machten  gleich  der  Erden  der  Tempel  Herrlichkeit, 
zerstörten  der  Klöster  Bau  und  führten  ihr  Gut  davon, 
die  heiligen  Geräte  von  Gold  und  Silber  und  Ton; 

Des  heiligen  Altars  Decken  haben  sie  entweiht, 
sie  gaben  mit  frechem  Spotte  der  Priester  Linnenkleid, 
sie  gaben  ihren  Weibern  der  Nonnen  Kutte  hin: 
also  hat  verleitet  Satan  ihren  Sinn.  — 

Da  sah  der  Herr  darein  vom  hohen  Himmelsthron: 
es  zog  wohl  wider  die  Hunnen  Pippin  der  Königssohn; 
und  ward  ihm  zum  Geleite  Sankt  Peter  von  Gott  gef?andt, 
dafs  über  ihm  und  den  Seinen  er  hielte  seine  Hand. 

Das  war  in  der  Kraft  des  Höchsten  Pippin,  der  König,  fromm; 
er  zog  mit  seinem  Heere  hin  an  den  Donaustrom, 
er  schlug  ein  festes  Lager  und  schlofs  die  Feinde  ein: 
aller  Enden  mochte  kein  Entrinnen  sein. 

Nun  war  im  Hunnenvolke  ein  Mann  Ingwiomar, 
der  stellte  sonder  Zagen  sich  vor  dem  Fürsten  dar, 
den  hiefsen  sie  Caganum,  und  vor  des  Fürsten  Weib, 
die  hiefsen  sie  Catunam:  *Weh'  über  euren  Leib, 

Weh'  über  euer  Reich!  es  mag  nicht  länger  steh'n; 
nicht  möget  ihr  hinfüro  der  Herrschaft  Tage  seh'n: 
es  ward  euer  Reich  seit  langem  gegeben  den  Christen  hin; 
nun  bringt  es  an  ein  Ende,  der  fromme  König  Pippin. 

Mit  gewaltigem  Heere  naht  Pippin  zur  Hand; 

er  wird  in  kurzer  Frist  einnehmen  dein  ganzes  Land, 

er  wird  das  Volk  der  Hunnen  verstören  mit  Heeresmacht, 

es  werden  auf  allen  Höhen  die  Franken  steh'n  zur  Wacht. 

Eines  kann  dich  retten:  mach'  auf  dich  allsogleich 
und  nimm  mit  dir  zur  Stelle  Geschenke  köstlich  und  reich; 
biet'  ihm  Gold  und  Geschmeide  und  wirf  dich  in  den  Staub: 
so  läfst  er  dir  das  Leben;  sonst  bist  du  des  Todes  Raub.' 

Wie  das  der  Fürst  vernahm,  verzagte  das  Herz  ihm  schier: 
mitsamt  des  Landes  Grofsen  bestieg  er  zur  Stunde  sein  Tier 
und  warf  sich  in  den  Staub  zu  des  Königs  Füfsen  hin 
und  bot  ihm  Gaben  dar,  zu  versöhnen  seinen  Sinn. 


'  Poetae  I  116. 


54  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Und  sprach:  'Heil  dir,  Herr  König;  du  sollst  unser  Herrschor  sein: 
ich  gehe  mein  ganzes  Reich  dir  in  die  Hände  dein; 
mit  Blatt  und  Halm  gehört  es  dein  von  dieser  Frist, 
Wald  und  Berg  und  Höhen  und  was  darinnen  ist. 

Nimm  unsre  Kinder  zu  Geiseln:  dein  ist  jeder  Dienst; 

nimm  des  Landes  Erste:  es  ist  uns  reicher  Gewinnst, 

dafs  du  nur  von  dannen  führest  dein  Heergesind; 

dein  sind  wir  mit  Leib  und  Leben,  mit  Kind  und  Kindeskind.'  — 

So  singen  als  fromme  Christen  wir  Gotte  Preis  und  Ehr, 
der  uns  den  Sieg  verliehen  über  der  Heiden  Heer; 
der  Herr  ^ab  Macht  und  Ehr'  in  unsres  Königs  Hand, 
dafs  sich  jetzo  mufs  beugen  vor  ihm  der  Hunnen  Land. 

Es  lebe  König  Pippin  in  der  Furcht  des  Herrn; 
er  komme  hoch  zu  Jahren,  ein  König  nah  und  fern, 
sein  Auge  möge  Kinder  und  Kindeskinder  seh'n: 
so  wird  das  Reich  der  Franken  je  und  je  besteh'n. 

Doch,  des  das  Reich  der  Reiche  und  Macht  ist  aller  Macht, 
der  das  vollbringt,  was  nimmer  Menschenkraft  vollbracht, 
das  ist  der  Kaiser  nicht,  das  ist  nicht  der  Heiden  Heer, 
das  ist  nur  Gott  allein:  ihm  sei  Lob,  Preis  und  Ehr'. 

Von  diesem  Liede  aber  spinnen  wieder  feine  Fäden  zurück 
zu  einem  anderen,  verlorenen  Liede.  Man  denke  an  die  Sage 
vom  eisernen  Karl,  die  durch  die  Brüder  Grimm  aus  Notkers 
Gesta  Karoli  II  17  hervorgezogen  und  von  Simrock,  ich  mufs 
leider,  und  nicht  blofs  im  harmlosen  Sinne  des  Mimus,  sagen, 
gebänkelsängert  worden  ist.*  Auch  hier  hat  sich  Kögel  (II  2, 
227),  obwohl  er  das  Richtige  ahnte,  in  wunderliche  Irrwege  ver- 
loren. Über  dieser  Märe  soll  'der  tiefe  Glanz  langobardischer 
Dichtung  liegen'.  Also  die  Langoborden  hätten  in  einer  Art 
von  hypertrophischer  Gerechtigkeit  diese  gewaltige  Verherr- 
lichung ihres  Zernichters  geschaffen?!  Freilich,  in  einem  hat 
Kögel  ganz  recht:  'auf  ein  Lied  als  letzte  (aber  warum  letzte?) 
Quelle  weist  die  Anlage  des  Ganzen  und  die  poetische  Färbung 
der  Reden  hin.'  Das  ist  unbedingt  richtig;  blofs  es  ist  kein 
*langobardisches'  Lied  gewesen,  sondern  der  Dichter  war  ein 
Franke  und  dichtete  lateinisch,  und  sein  Stil  war  derselbe,  den 
die  Balladen  von  Fontenoy  und  von  Pippins  Avarensieg  zeigen: 
gerade  die  zweite  ist  in  Anlage  und  Bau  verblüffend  ähnlich; 
hätte  man  ihrer  gedacht,  so  hätte  man  das  Richtige  längst 
finden  müssen.  Notker  hat  die  Verse  des  alten  Mimen  ganz 
aufgelöst,  dafs  nirgend  mehr  deutliche  Spuren  erkennbar  sind. 
Dennoch  wage  ich  es,  versuchsweise  eine  Strophe  zu  rekon- 
struieren: wenn  Kögel  es  anderswo  in  unmethodischer  Weise 
getan  hat,    warum  soll  ich   deshalb  hier,    wo   wir  endlich  die 


Deutsche  Sagen^  Nr.  447;   Simrock,  Eerlingisches  Heldenbuch^  S.  47. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  55 

grofsen  Zusammenhänge  aufdecken  können,  davon  absehen? 
Ich  behaupte  ja  nicht,  dafs  die  Worte  im  einzelnen  so  gelautet 
haben  müssen,  und  wer  will,  mag  meine  Rekonstruktion  als 
Träumerei  beiseite  lassen;  aber  das  alte  lateinische  rhythmische 
Lied,  in  diesem  Balladenton,  das  wird  er  darum  doch  stehen 
lassen  müssen. 

^Quando  videris'  inquiens  ^segetem  campis  inhorrescere 
ferream  Fadiimque  et  Ticinum  mnrinis  fliictibus  ferro  ni- 
grantihus  muros  civitatis  inundantes,  tunc  est  spes  Karoli 
nieventisJ 

Die  Konstruktion  der  Schlufsworte  ist  vom  rhythmischen  Kursus 
beeinflufst,  den  Notkers  Prosa  liebt:  -^  -  -,  «  «  -i  «.  Ich  meine,  die 
alte  Strophe  könnte  etwa  so  gelautet  haben: 

Quando  segetem  videhis      campis  inhorrescere 

et  Padum  simul  cum  Ticino      nigris  muros  fluctibus 

civitatis  inundantes,    tunc  veniet  Karolus. 

Einmal  hat  Notker,  nicht  zum  Vorteil  seines  Werkes,  seiner 
gelehrten  Bildung  nachgegeben  und  das  gewaltige  Fortissimo 
des  Schlusses,  *all  Eisen,  Eisen,  Eisen'  durch  breite  Ausmalung 
der  Einzelzüge  und  rhetorische  Floskeln  wie  de  ocreis  quid 
dicam?  abgeschwächt:  es  ist  ein  hoher  Ruhm  für  den  Minus, 
dafs  selbst  ein  Genie  wie  Notker  da,  wo  er  ändert,  nur  ver- 
derben kann. 

Doch  ich  will  endhch  dem,  der  den  Eindruck  zu  gewinnen 
wünscht,  meine  Übertragung  vorlegen.  Sie  ist  gemacht,  ehe 
ich  diese  ganzen  Betrachtungen  über  den  Mimus  anstellte:  dafs 
ich  den  Stil  von  Fontenoy  wählte  (Simrock  hat  einen  lang- 
weiligen Vers  ohne  jede  VariabiUtät  und  Modulationsfähigkeit) 
und  nur  die  ersten  Hälften  der  Langzeilen  strenger  gebaut 
habe  (dies  sogar,  ohne  es  zu  wissen  und  zu  wollen),  war  In- 
stinkt. Aber  in  solchen  Dingen  pflegt  eben  der  Instinkt  das 
Ergebnis  gelehrter  Forschung  lange  vorwegzunehmen. 

Der  eiserne  Karl. 
Im  Langobardenlande  das  Orlogbanner  weht; 
der  König  zu  Pavia  auf  steiler  Warte  steht 
und  schaut  mit  seinem  Gaste  hernieder  ins  lachende  Land, 
ein  Graf  aus  Franken  ist  es,  landflüchtig  und  gebannt. 

Erst  kam  der  Trofs  gezogen  schier  endlos  ohne  Zahl; 

auf  Rofs  und  Reitern  blitzte  der  Morgensonne  Strahl. 

Der  Langobarde  fragend  zu  seinem  Gaste  spricht: 

'Ist  Karl  bei  diesem  Haufen?'    Antwortet  der:  'Noch  nicht.' 

Und  weiter,  neue  Scharen  und  immer  neue  traun; 
das  ist  der  Franken  Heerbann,  der  kommt  aus  allen  Gau'n. 
'So  ist  Herr  Karl  gewifslich  bei  diesen?  gib  Bericht.' 
Graf  Ottokar  dawider:  'Noch  nicht,  noch  immer  nicht.' 


56  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Des  Königs  Herz  entbrannte:  'Und  werden  es  noch  mehr, 
wie  soll  es  uns  ergehen  vor  Karl  und  seinem  Heer?' 
'Ihr  werdet  ihn  von  selber  erkennen,  wenn  er  naht; 
doch  was  mit  uns  ergehe,  des  weifs  ich  nimmer  Rat.' 

Nun  kam  das  Ingesinde,  und  scholl  der  Pfaffen  Sang, 
vom  Morgenwind  getragen,  das  weite  Feld  entlang. 
'So  lafs  uns  niedersteigen  tief  in  der  Erde  Schacht, 
ob  wir  uns  bergen  mögen  vor  solches  Feindes  Macht.' 

Graf  Ottokar  gedachte  fernferner  bess'rer  Zeit: 
'Seht  Ihr  in  Eisen  starren  die  Felder  weit  und  breit, 
und  dringt  zu  Tor  und  Mauern  Tessin  und  Po  herein 
mit  eisenschwarzen  Wellen,  so  mag  er  nahe  sein.' 

Und  eh'  das  Wort  verklungen,  im  Westen  es  wallt  und  webt 

gleich  dunkler  Wetterwolke,  dafs  jedes  Herz  erbebt; 

und  Waffen  über  Waffen  in  eisengrauem  Schein, 

und  dort  der  Held  von  Eisen,  das  mufs  der  Kaiser  sein. 

Von  Eisen  Helm  und  Brünne  so  Haupt  wie  Brust  ihm  deckt, 
den  Eisenspeer  die  Linke  hoch  auf  zum  Himmel  reckt, 
es  zückt  das  Schwert  von  Eisen  die  Eechte  grimmigwild, 
von  Eisen  schier  die  Schienen,  von  Eisen  schier  der  Schild. 

In  schwarzem  Eisenpanzer  sein  feurig  schnaubend  Eofs 
und  eisern  ihm  zur  Seite  ringsher  der  Seinen  Trofs; 
all  Eisen  nur  und  Eisen!    Dem  Grafen  das  Herz  verzagt: 
'Hier  habt  ihr  ihn  vor  Augen,  nach  dem  Ihr  so  gefragt!' 

Verweilen  wir  einen  Augenblick  bei  dem  Vergleich.  Un- 
zweifelhaft hat  das  alte  Lied  auf  den  Langobardensieg  dem 
Avarenliede  noch  viel  näher  gestanden  als  meine  Rekonstruktion. 
Notker  hat  sicher  am  Anfang  und  Schlufs  gewaltig  gekürzt. 
Aber  die  Gleichheit  der  Anlage  ist  unverkennbar.  Die  Franken 
tragen  den  Rachekrieg  ins  Langobarden-,  ins  Hunnenland.  Der 
König  fühlt  sich  sicher,  bis  ihn  ein  Franke  (denn  auch  in  dem 
Unguimeri  des  Avarenlides  hat  Seemüllers  Scharfsinn^  einen 
deutschen  Ingwiomar  erkannt)  aufrüttelt,  ihm  die  Furchtbarkeit 
der  Franken  in  eindringlicher  Mahnung  zu  Gemüte  führt  und 
ihn  mit  blasser  Furcht  und  unmännlicher  Verzagtheit  erfüllt, 
dafs  er  sich  ohne  Kampf  unterwirft.  Kein  Zweifel,  der  Dichter 
des  Avarensieges  hat  das  ältere  Lied  gekannt  und  nachgeahmt. 
Und  wir  halten  fest,  Mimen  sind  es,  die  diese  Lieder  gedichtet 
haben,  Mimen,  die  die  Heerzüge  und  Schlachten,  wovon  sie 
singen,  selber  mitgemacht  haben.  Und  was  war  jener  norman- 
nische Taillefer,  der  dem  Eroberer  und  seinem  Heere  in  die 
Schlacht  von  Hastings  voranritt?  Guy  von  Amiens  mag  es  uns 
sagen,  in  einer  Stelle,  deren  Kenntnis  ich  Reich  verdanke: 

histrio,  cor  audax  nimium  quem  nobilitabat, 
Incisor-ferri  mimus  cognomine  dietits. 


Festgabe  für  Heinxel,  S.  325. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  57 

Das  Versmafs  aber,  worin  jene  beiden  Lieder  gesungen  sind, 
das  auf  Fontenoy  und  das  auf  den  Avarensieg,  dies  Versmafs 
hat  keiner  der  beiden  erfunden;  das  war  längst,  seit  der  mero- 
wingischen  Zeit,  üblich  für  alle  möglichen  Stoffe  der  geistlichen 
und  weltlichen  Ballade.'  Und  die  merowingische  Zeit  war  besser 
als  heute  ihr  Ruf.  Sie  hat  in  den  Dichtungen  ihrer  Munen 
Werke  aufzuweisen,  die  mehr  poetische  Kraft  in  sich  haben,  als 
die  ganze  hochgelahrte  Tafeh-unde  Karls  des  Grofsen  aufzu- 
bringen vermochte.  Freilich  mufs  man  das  Gold  unter  dem 
Schutt  zu  finden  wissen,  und  das  ist,  wie  heute  die  Dinge  liegen^ 
noch  nicht  leicht. 

Der  am  meisten  dafür  getan  hat,  die  Denkmale  dieser 
Gattung  hervorzuziehen,  E.  Dümmler,  hat  ihnen  stets  den  Namen 
'karolingischer  Rhythmen'  gegeben.  Das  führt  aber  irre.  Es 
soll  ganz  und  gar  nicht  geleugnet  werden,  dafs  auch  eine  Reihe 
von  karolingischen  Stücken  dabei  ist,  wie  denn  eine  echt  mero- 
wingische Sprachverwilderung  auch  noch  in  karolingischer  Zeit 
hier  und  da  bis  tief  in  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  und 
darüber  hinaus  anhält.  Aber  die  Masse  stammt  sicher  aus  viel 
früherer  Zeit,  ob  auch  unsere  Überlieferung  selten  über  das 
Jahr  800  zurückreicht.  Ebendiese  Überlieferung  aber  ist  es, 
die  es  zu  würdigen  gilt.  Was  die  Mimen  sangen,  das  haben 
sie  mit  mehr  oder  minder  treuem  Gedächtnis  weitergegeben, 
der  Vater  dem  Sohne,  der  Meister  dem  Schüler.  Aufgezeichnet 
haben  sie  ihre  Texte  entweder  überhaupt  nicht,  oder  wenn  sie 
es  etwa  getan  haben,  so  sind  ihre  Aufzeichnungen  spurlos  unter- 
gegangen. Was  wir  heute  davon  haben,  sind  Niederschriften 
aus  dem  Gedächtnis,  ausgehend  nicht  von  den  Mimen  selber, 
sondern  von  ihrem  geistlichen  Publikum;  oder  es  sind  Abschritten 
solcher  gedächtnismäfsigen  Niederschriften.  Das  zeigt  der  Cha- 
rakter der  Überbeferung:  fast  überall,  wo  wir  mehr  als  eine 
Handschrift  zur  Verfügung  haben,  weist  der  Apparat  die  heil- 
loseste Verwirrung  auf,  endlose  Varianten,  Umstellungen,  Aus- 
lassungen und  was  es  für  Verderbnisse  sonst  gibt;  besonders 
oft  fehlt  der  Schlufs,  weil  dem  Aufzeichnenden,  der  das  Gedicht 
nie  gelernt  hatte,  die  Erinnerung  versagte.  Dergleichen  ist 
bei  einer  von  Anfang  an  buchmäfsigen  Verbreitung  ausgeschlossen. 
Und  nun  verstehen  wir  auch  ein  weiteres  Hilfsmittel  des  Mimen, 
das  uns  ohnedem  eine  Tollheit  oder  eine  müsgige  Spielerei 
dünken  müfste.  Die  Hälfte  dieser  Stücke  etwa  sind  Abecedarien, 
d.  h.  die  erste  Strophe  beginnt  mit  A,  die  zweite  mit  B,  die 
dritte  mit  C  usw.  Das  hat  seinen  guten  Sinn,  wenn  der  Vor- 
tragende dies  als  Gedächtnishilfe  benutzte,  um  die  Stichworte 
dar  Strophenanfänge  festzuhalten:  bei  schriftlicher  Tradition  ist 


W.  Meyer,  Der  ludus  de  Antichristo  (Münchener  S.-B.  1882),  S.  79  f. 


58  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

es  sinnlos;  Akrosticha  wie  die  Commodians  wird  man  nicht  da- 
wider ins  P'eld  führen  wollen.  Wo  aber  die  Nachfahren  der- 
gleichen in  literarisch  überlieferter  Poesie  haben,  da  sind  sie 
sicher  von  dem  Vorbilde  der  Mimen  beeinflufst  und  wenden  in 
bhnder,  dumpfer  Nachahmung  an,  was  für  sie  keine  Erleichte- 
rung, sondern  blofs  eine  Erschwerung  bedeutete. 

Das  Versmafs  ist  uralt:  es  ist  ja  schon  eines  der  häufigsten 
in  der  römischen  Komödie  und  immer  beliebt  gewesen  bei  der 
Masse  des  Volkes.*  Als  die  römischen  Soldaten  den  triumphieren- 
den Cäsar  verhöhnen,  da  singen  sie,  natürlich  metrisch,  die  Verse: 

Öallias  Caesar  subegit,  Nicomedes  Caesarem: 
ecce  Caesar  nunc  triumphat,  qui  subegit  Oallia^, 
Nicomedes  non  triumphat,  qui  subegit  Caesarem, 


oder: 


urhani,  servate  tixores,  moechum  calvum  adducimus; 
aurum  in  Oallia  effutuisti,  hie  sumpsisti  rmäuum. 


Hier  hat  denn  auch  A.  Schoene  die  Anspielung  auf  den  calvus 
und  adulter  als  typische  Mimenfiguren  erkannt.  Auch  die  Verse 
auf  die  gallischen  Parvenüs  scheinen  hierher  zu  gehören. 

2.    Mimus  und   Spottlied. 

Das  ist  ja  überhaupt  die  andere  Art  des  Mimenrhythmus, 
das  Spottlied.  Ich  lasse,  was  sonst  von  schönen  und  wirkungs- 
vollen Balladen  der  Merowingerzeit  erhalten  ist,  vorläufig  bei- 
seite und  verweise  dafür  auf  mein  nahe  bevorstehendes  Dichter- 
buch; aber  von  dem  übermütigen  Spott  wollen  wir  uns  ein  paar 
Prol)en  vorführen.  Da  hat  es,  etwa  zu  Karls  d.  Gr.  Zeit,  in 
Angers  einen  biederen  Abt  gegeben,  der  den  schönen  Namen 
Adam  führte  und  einen  guten  Trunk  liebte.  Sonst  freilich 
scheint  an  ihm  nicht  viel  Löbliches  gewesen  zu  sein,  oder  es 
verschwand  doch  in  den  Augen  des  ihn  liebevoll  porträtierenden 
Mimen  neben  jener  einen  Kardinaltugend.  Der  aber  sang,  frei- 
lich kaum  in  Angers,  obwohl  die  Schlufszeile  an  die  cives  be- 
denklich genug  klingt;  und  die  würdigen  Confratres  des  guten 
Abtes  rundumher  werden  wohlgefäUig  dabei  geschmunzelt  haben: 2 

Andecavis      abas  esse  dicitur, 
ille  nomen      primum  tenet  hominum; 
hunc  fatentur      viiium  vellet  bibere 
super  omnes      Andechavis  homines. 

Eia  eia  eia  laudes, 

eia  laudes      dicamus  Libero. 

1,   1  indeklinabler  Stadtname.       1,  2  lies  primi.       1,  3  velle  Dümmler. . 


*  Reich,  Der  Mimus  I  195,  Anm.  1. 

*^  Dümmler,  Zs.  f.  dt.  Altertum  23,  265;   zur  Kritik  Ebert,  Zarncke, 
Seiler  (Zs.  24,  147.   25,  25),  doch  ist  das  meiste  nicht  zu  brauchen. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  59 

Iste  malet      viniim  omni  tempore; 
quem  nee  dies      nee  nox  ulla  praeterit, 
quod  non  vino      saturatus  titubet 
velut  arbor      agitata  flatibus.    Eia  . . . 

Iste  gerit      corpus  inputribile 

vinum  totum      conditum  ut  aloe, 

et  ut  mire      corium  conficitur, 

cutis  eins      nunc  con  vino  extinguitur.    Eia  . . . 

Iste  cupa      non  curat  de  calicem 

vinum  bonum      bibere  suaviter, 

sed  patellis      atque  magnis  cacabis 

et  in  eis      ultra  modum  grandibus.   Eia  . . . 

Hunc  perperdet      Andechavis  civitas, 
nuUum  talem      ultra  sibi  sociat, 
qui  sie  semper      vinum  posset  sorbere; 
cuius  facta,      cives,  vobis  pingite.    Eia  . . . 

2,   1  'hat  gern'.     3,  2  vino  Zarncke.     3,  3  mitre  Ebert.    3,  4  tinguitur  Ebert. 
5,   1  si  perdet  Dümmler. 

Das  wäre  doch,  sollt'  ich  meinen,  ein  Ulk,  der  des  Kommers- 
buches nicht  so  ganz  unwert  wäre;  wenn  man  ihn  nur  erst  recht 
versteht. 

Zu  Angers,  hört'  ich,  soll  ein  Pf  äff  lein  leben, 

sein  Name  der  des  ersten  Menschen  ist; 

der  trinke,  munkeln  sie,  vom  Saft  der  Reben, 

soviel  wie  niemals  Jud'  noch  Christ. 

Man  sagt,  dafs  nimmer  Tag  und  Stund'  erscheine, 
wo  Pfaff  und  Fläschchen  nicht  zusammen  sind, 
wo  er  nicht  trunken  schwankt  von  süfsem  Weine, 
gleichwie  das  Bäumchen  schwankt  im  Wind. 

Nie  wird  in  Ewigkeit  sein  Leib  vergehen, 
zu  gut  hat  er  ihn  innen  ausgepicht: 
gleich  einer  Mumie  ist  er  anzusehen  — 
80  konserviert  kein  Balsam  nicht. 

Ein  WeinfaTs  selber,  legt  er  nicht  mit  Bechern 
wie  andre  Menschenkinder  schüchtern  los; 
er  ist  ein  Zecher  hoch  ob  allen  Zechern 
und  schlürft  aus  Kannen  extragrols. 

Stirbt  er,  so  werden  viele  Tränen  fliefsen, 
und  nie  verwindet  Angers  seinen  Schmerz; 
kein  zweiter  wird  soviel  hinuntergiefsen  — 
sein  Ruhm  leb'  fort  in  Stein  und  Erz. 

Hurra,  hurra,  hurra, 

St.  Bacchus  hoch,  hurra  I 

Das  ist  denn  freilich  noch  verhältnismäfsig  harmlos.  Aber 
es  bleibt  nicht  dabei.  Wir  haben  in  ^ut  merowingischer  Reim- 
prosa eine  blutige  Satire  auf  zwei  urkundlich  um  665  nachweis- 


60  Hrotsvitß  literarische  Stellung. 

bare  Bischöfe,  Importunus  von  Paris  und  Frodebert  (d.  h.  Chrode- 
bert)  von  Tours.  Es  mufs  ein^ar  nobile  fratrum  gewesen  sein; 
denn  sicher  ist  die  Sache  richtig,  das  Bild  getreu,  nicht  ge- 
schmeichelt und  nicht  mehr  entstellt,  als  es  in  jeder  Satire  ge- 
schieht und  geschehen  mufs.  Was  wir  hier  über  die  Ursache 
vom  Sturz  des  mächtigen  Hausmeiers  Grimald  erfahren,  scheint 
sonst  nicht  bezeugt  zu  sein;  aber  es  hat  alle  innere  Wahr- 
scheinlichkeit. Ich  meine,  Grimald  wird  bei  dem  willens - 
schwachen,  den  Pfaffen  verfallenen  Merowinger  vergebens  sein 
Recht  gesucht  haben;  und  dies  wird  der  Grund  gewesen  sein, 
der  ihn  in  Empörung  und  Untergang  hineingehetzt  hat:  ganz 
so,  wie  es  später  mit  Herzog  Erchanger  und  ßerthold  gewesen 
ist,  wo  auch  die  dem  Abtbischof  günstige  St.  Galler  Tradition 
Unrecht  und  Recht  vertauscht  hat.*  Aber  wie  dort  immerhin 
so  viel  zu  erkennen  ist,  dafs  die  Zeitgenossen  in  den  Herzögen 
die  unschuldigen  Opfer  bischöflichen  Ehrgeizes  und  königlichen 
Treubruches  gesehen  haben,  so  tut  sich  uns  hier  durch  die 
Satire  ein  Blick  auf  in  eine  dunkle  Zeit  und  in  das  erfolgreiche 
Treiben  zweier  dunklen  Ehrenmänner,  die  in  ihrer  Weise  Ge- 
schichte gemacht  haben.  'Das  ist  das  wahrste  Denkmal  der 
ganzen  Merowingerzeit,'  hat  mir  einmal  ihr  bester  Kenner, 
B.  Krusch,  gesagt. 

Ich  verzichte  darauf,  den  lateinischen  Text  zu  drucken,  der 
von  Zeumer  gut  herausgegeben  ist;^  nur  hätte  er  die  Reimprosa 
lieber  nicht  in  Verse  teilen  sollen.  Meine  Nachbildung  mufs 
an  einigen  Stellen,  wo  das  Pergament  zerfressen  ist,  ein  klein 
wenig  kürzen,  wird  aber  wohl  hinreichen,  von  dem  Geiste  des 
Poeten,  denn  ein  Poet  war  der  Mime,  der  diese  Satire  konzipiert 
hat,  eine  gewisse  Vorstellung  geben. 

Auf  einen   Schelmen  anderthalbe. 

I. 

Dem  Herrn  und  Bruder  Importun,  |  Dem  der  Heiligen  Verdienst 

helfen  möge  zur  ew'gen  Euh. 

Geliebter  Herr  und  Bruder  wert! 
Was  ihr  vernahmt,  hat  euch  so  beschwert, 
Derweilen  wir  litten  bittere  Not 
Und  vor  Hunger  schier  blieben  tot, 
Dafs  ihr  uns  tatet  ein  Korn  verehren  — 
Nicht  für  Geld,  nicht  geschenkt  wir  ein  solches  begehren. 
Nahmen  wir's  und  buken  Brot  daraus: 
Helf  uns  der  Himmel,  war  das  ein  Graus! 
Aulsen  die  Kruste,  verhutzelt  zu  schaun, 
Innen  die  Krume,  hübsch  dunkelbraun; 
Na,  wer's  beifsen  will,  mufs  gute  Zähne  haben, 
Doch  dann  darf  er  —  am  Stank  auch  die  Nase  laben  . . . 


*  Darüber  meine  Dichterschule  St.  Gallens  (Ilbergs  N.  Jahrb.  V  358). 
2  Formulae,  S.  220. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  61 

Uraltes  Korn  und  heuriges,  in  trauter  Gemein ; 

Das  gab  ein  Nachtmahlsbrot  —  die  Sorte  war  mehr  als  fein! 

WoUen's  euch  dankbar  allzeit  gedenken, 

Dafs  ihr  uns  so  freigebig  mochtet  beschenken; 

Gönn'  euch  der  Herrgott  ein  langes  Leben, 

Dafs  ihr  uns  solch  schönes  Korn  gegeben ! 

Freilich,  ihr  dürft  ja  zu  Hause  lungern ; 

Ein  andrer  kann  in  der  Klause  hungern  1 

Wahr  und  wahrhaftig,  Mann,  ich  lafs  euch  grüfsen 

Und  bitt'  schön,  in  euer  Gebet  uns  einzuschliefsen  I 

Täten  von  dem  Brot  euch  ein  Kosthäppchen  schicken; 
Probiert,  ob  ihr's  runterbringt,  ohne  zu  sticken! 
Nein,  uns  bewahre  der  hebe  Gott, 
So  lang  wir  leben,  vor  solchem  Brot! 
Nonnen  wie  meine,  müfst  ihr  wissen. 
Danken  ergebenst  für  solche  Leckerbissen! 

Wir  schreiben,  wie  uns  der  Schnabel  gewachsen. 
Nehmt's  nicht  für  ungut,  ohne  viel  Faxen. 
Mög'  es  euch  immerdar  wohl  ergeh'n 
Und  der  Lohn  eurer  Guttat  euch  nicht  entstehnl 


IL 
Dem  frommen  Herrn  und  Bruder  Chrodebert. 

Herr  Chrodebert,  wir  haben  vernommen. 
Unser  Korn,  ihr  hiefset  es  übel  willkommen. 
Wollet  lieber  an  die  eigene  Nase  fassen 
Und  mit  euresgleichen  solche  Scherze  bleiben  lassen. 
Es  sieht  einem  Bischof  wenig  gleich, 
Was  ihr  getan  in  Herrn  Sigeberts  Reich 
Mit  dem  Hausmeier  Grimald, 

dem  habt  ihr  sein  einzig  Schaf,  sein  Weib,  genommen, 
Dafs  er  im  Reiche  hernach 

nimmer  mochte  zu  Ehren  kommen. 
Und  als  ein  reisiges  Heer  sich  zeigte  zu  Tours  im  Land 
Da  habt  ihr  sie  flugs  zu  den  Nonnen  ins  Kloster  gesandt; 
Habt  dort  nicht  in  der  Bibel  gelesen. 
Triebt  mit  ihr  euer  sündlich  Wesen. 
Mögt  es  wenden,  wie  ihr  wollt,  und  dreh'n  — 
Nicht  vor  Gott,  nicht  vor  Menschen  mögt  ihr  besteh'n. 

Noch  eines,  Herr  Bruder:  zu  gutem  End' 
Gabt  ihr  das  Korn  dem  NonnenKonvent ; 
So  ist  es  doch  hübsch  in  der  Familie  blieben. 
Und  ihr  tatet  euren  Basen  eine  Liebe. 
Seid  ja  selbst  einer  Nonne  Sohn, 
So  'was  verdient  schon  seinen  Lohn! 

Gott  befohlen,  Herr  Bruder,  all  miteinand'! 
Importunus,  Bischof  im  Pariser  Land. 

III. 
Meinem  Herrn  Chrodebert, 

der  lebt  ohne  Gott  in  den  Tag  hinein. 
Mag  weder  heilig,  weder  Bischof  sein. 
Noch  ein  rechter  Pfaff  im  Pfaffenkleid, 
Dafs  er  komme  an  den  Ort, 

da  der  Gottseibeiuns  haust  in  Ewigkeit. 


62  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Braucht  kein  Mensch  mir  aufs  Wort  zu  trau'n; 
Kann  ein  jeder  selbst  eure  Werke  schau'n. 
Eines  geht  euch  ab;  des  habt  ihr  euch  abgetan: 
Ihr  habt  Gott  nicht  lieb  und  glaubt  nicht  an  seinen  Sohn. 
Gegen  den,  der  euch  zuwider  ist, 
Gebraucht  ihr  euch  ohne  Scheu  stets  arger  List. 
Haltet  euch  für  weise  —  doch  uns  dünkt  das  ein  Lügengewebe; 
Ihr  fürchtet  Christen  nicht,  noch  mögt  ihr  seines  Willens  leben. 
Den  ihr  liebhabt,  das  ist  sein  Widerpart; 
D'rum  tut  ihr  in  euren  Werken  nach  des  Teufels  Art. 

Haben  doch  eure  Eltern  schon  Christen  veracht't. 
Da  sie  im  Kloster  euch  gemacht; 
Kein  heilig  Ding  ist's  gewesen  trau'n, 
Was  euer  Vater  trieb  mit  der  Klosterfrau 'n. 
Dann  liefs  euer  Herr  euch  los,  nahm  sich  euer  in  Treuen  an,  — 
Hat  ihm  hernach  leid  genug  getan! 

Lebet  nimmer  nach  Gottes  Wort; 
Böse  sind  eure  Werke  fort  und  fort. 
Denkt,  wie  ihr  Grimald  vergolten  mit  üblem  Dank, 
Und  wissen's  Gott  und  Menschen, 

er  tat  euch  nur  Gutes  sein  Leben  lang. 
Und  was  hat  es  ihm  all  für  Lohn  gebracht? 
Zum  Danke  habt  ihr  euch  an  sein  Weib  gemacht. 
Liebt  weit  und  breit  jedes  hübsche  Mägdelein, 
Mag  aber  dabei  wenig  Heiligkeit  sein; 
Um  euch  es  allezeit  übel  steht. 
So  lang  ihr  auf  solch  krummen  Wegen  geht! 

Nein,  so  wahr  ihr  ein  Bock  seid,  ihr  treibt  es  zu  toll! 
Ist  euer  Mafs  denn  noch  immer  nicht  voll? 
Lafst  euch  ja  rasch  verschneiden,  will  ich  euch  raten, 
Sonst  müfst  ihr  einmal  in  der  Hölle  braten: 
Denn  euch  geht's  schlimm  beim  Jüngsten  Gericht, 
Sintemalen  die  Hurer  sind  verstofsen  von  Gottes  Angesicht! 

Könnte  leichtlich  noch  weiterfahren; 
Doch  will  ich  mir  etliche  Pfeile  versparen: 
Kommt  mir  Antwort  von  euch  in  Hulden  zu  Händen, 
Soll  auch  die  Fortsetzung  ausgeh'n  in  alle  Lande. 

Doch  nun  zum  Schlüsse:  seht  ihr  einen  guten  Freund, 
Der  euch  solches  kundmacht  und  es  wohl  mit  euch  meint. 
So  entfaltet  den  Brief  und  les't  und  lafst  euch  das  Gewissen  schärfen ; 
Oder  mögt  ihn  auch  in  den  Papierkorb  werfen  . . . 

3.    Mimus  und  geistliche  Ballade. 

Die  Kirche  und  ihre  Lehrer  hatten  ohne  Unterlafs  geeifert 
gegen  den  Mimus,  aber  sie  hatten  ihn  nicht  unterdrücken  kön- 
nen.' Da  machte  nicht  die  Kirche  ihren  Frieden  mit  dem  Mimus, 
sondern  ein  Teil  der  Mimen  den  seinen  mit  der  Kirche.  Das 
Volk  war  christlich  geworden;  es  war  ein  rauhes  und  rohes 
Christentum,  das  Christentum  eines  Kriegsvolkes,  das  sich  seinen 
Himmel  und  die  Belohnungen  der  Gläubigen  etwa  als  eine 
Veteranenkolonie  denken  mochte,   die  nun  auf  ihren  Lorbeeren 


ßeich,  Der  Mimus  I  109  ff.  130  ff. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  63 

ausruht  und  in  wohlverdienter  Mufse  ihr  Altenteil  geniefst  — 
wie  es  uns  der  von  Gregor  seiner  Mordtaten  und  seiner  poe- 
tischen Sünden  halber  so  hart  gescholtene  Chilperich  in  seinem 
Medardusrhythmus  ausmalt/  Aber  auch  dieses  barbarische,  von 
vornherein  auf  buchmäfsige  Verbreitung  angelegte  und  mit  lite- 
rarischen Ansprüchen  auftretende  Gedicht  wäre  nicht  denkbar 
ohne  den  Mimus.  Denn  der  Mimus  hat  schon  in  der  Mero- 
wingerzeit  biblische  und  Legendenstoffe  in  seine  Formen,  in  die 
Formen  des  Rhythmus  gekleidet.  Und  diese  geistUchen  Bal- 
laden, deren  Hauptinteresse  in  ihrem  Stoffe  lag,  sind  oft  von 
unverächtlicher  Kunst.  Jedoch  zuerst  vom  Stoff.  Da  finden 
wir  Bibelthemata  behandelt,  wir  liören  von  Jakob  und  Josef, 
von  Esther  und  Judith,  vom  reichen  Mann  und  armen  Lazarus, 
von  Jesu  Leben  und  Sterben;  und  zumal  ist  es  die  Höllenfahrt 
des  Herrn,  hinab  zu  den  'Geistern  im  Gefängnis',  die  die  Men- 
schen des  ganzen  früheren  Mittelalters  immer  wieder  gefesselt 
hat  mit  dämonischer  Gewalt.^  Und  neben  diesem  Hineinragen 
des  Höllenreiches  in  die  Geschichte  Jesu  finden  wir,  in  einem 
der  gewaltigsten  Lieder,  das  Reich  des  Antichristen  geschildert, 
das  einer  Zeit,  die  das  Ende  nahe  erwartete,  besonders  zu  denken 
geben  mufste:  es  ist  kein  Zufall,  dafs  die  Schriften  des  Ps.- 
Methodius  und  Adsos  von  Der  so  ungeheure  Verbreitung  und 
so  ungeheuren  Einflufs  gewonnen  haben,  gerade  so  wie  später 
zur  Zeit  der  Mysterienspiele  der  ludus  de  Antichristo  mit  seinen 
kirchenpolitischen  Träumen  die  Geister  bewegt  hat.  Ein  solches 
Lied  vom  Antichristen  mit  den  Bildern  des  himmlischen  Jeru- 
salem und  der  Höllenpein,  das  mochte  wohl  tieferen  Eindruck 
auf  die  Zuhörer  machen  als  manche  Predigt.^ 

Wer  waren  nun  aber  diese  Zuhörer?  Wenigstens  einmal 
können  wir  uns  diese  Frage  einigermafsen  beantworten.  Latein 
werden  sie  einigermafsen  verstanden  haben;  aber  das  sagt  in 
der  Merowingerzeit  und  in  romanischem  Lande  wenig.  Der 
Rhythmus  von  Christi  Höllenfahrt,  auch  er  wie  so  viele  mit 
audite  omnes  beginnend,  spricht  jedoch  am  Schlüsse  vom  Hof 
des  Königs,  vor  dem  Geistliche,  Äbte,  Neugetaufte  (es  ist  Ostern, 
die  alte  Taufzeit)  und  potentes  personae,  weltliche  Grofse,  Hym- 
nen singen:  saeculares  fahulas  hat  er  verboten,  und  so  singt 
auch  der  Mime  in  diesem  vornehmen  und  frommen  Kreise  von 
Christi  Sterben,  Höllenfahrt  und  Auferstehung. 

Auch   andere  geistliche  Stoffe  sind  viel  behandelt  worden, 

*  Von  mir  aufgefunden  und  mit  Kommentar  herausgegeben,  Zs.  f.  dt. 
Altertum  47,  7B  f. 

2  Ebenda,  S.  88  f. 

^  Dreves,  Anal.  hymn.  II,  91;  N.  Arch.  f.  alt.  dt.  Oeschicktskunde  25, 
40G  f.;  den  nach  der  Hs.  berichtigten  Text  gebe  ich  demnächst  dort  im 
30.  Bande. 


64  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

so  die  Zerstörung  Jerusalems,  nach  Josephus  ganz  realistisch, 
ja  naturalistisch  —  es  wird  uns  nichts  geschenkt,  nicht  einmal 
der  Gestank  der  Leichenhaufen;  und  die  Legende  des  h.  Placidas 
ist  in  einem  langen  Gedicht  bearbeitet  worden,  das  ich  künst- 
lerisch Herders  'wiedergefundenen  Söhnen',  die  den  gleichen 
Stoff  behandeln,  weit  vorziehe.  Ich  mufs  dafür  auf  mein  Dichter- 
buch verweisen.  Aber  das  Gedicht  vom  Antichristen  teile  ich 
hier  mit:  es  liegt  darüber  eine  Stimmung,  wie  wenn  es  um 
Mittag  dunkle  Nacht  geworden  wäre;  so  kommt  es  mir  jedes- 
mal wieder  von  neuem  vor,  vielleicht  empfinden  es  auch  andere. 
Es  ist  ein  wahrer  Dichter,  der  hier  zu  uns  spricht. 

Von  den  letzten  Dingen. 

Ein  Lied  begehrt  ihr  Leute  zu  hören  aus  meinem  Mund; 
So  lauschet  meiner  Eede:  ich  will  euch  machen  kund 
Ein  Lied  vom  höchsten  Gotte  in  seiner  Herrlichkeit 
Und  des  Widerchristen  Zukunft  in  der  allerletzten  Zeit. 

Der  Widerchrist  wird  kommen,  so  läfst  es  der  Herr  geschehen; 
Er  kommt  vom  Judenvolke  und  wird  das  Licht  erseh'n, 
Vom  Stamme  Dan  geboren,  im  Lande  Babylon, 
Empfangen  von  einem  Weibe,  Satans  einiger  Sohn. 

Dreifsig  Jahr  erwächst  er,  ein  Mensch,  den  andern  gleich, 
Verborgen  und  unerkannt,  bis  dafs  da  kommt  sein  Reich: 
Dann  wird  ihm  Macht  gegeben  auf  Erden  offenbar, 
Und  wird  das  Reich  behalten  bis  halb  ins  vierte  Jahr. 

Höret  wohl  und  merket,  was  der  Apostel  spricht; 
Also  gebeut  Sankt  Paulus:  'Lafst  seinen  Brief  euch  nicht 
Verführen,  den  er  sendet;  glaubt  nicht  der  Rede  sein, 
Seinem  Ruhm  und  Zeichen:  sie  sind  ein  leerer  Schein.' 

Die  Gott  der  Herr  vor  Zeiten  lebend  zu  sich  nahm, 
Henoch  mit  Elia,  dem  Boten  des  Herrn,  zusamm' 
Sie  werden  wiederkommen  zur  Erden,  den  Tod  zu  seh'n; 
Sie  fällt  der  Widerchrist:  so  läfst  es  der  Herr  gescheh'n. 

Und  wenn  bei  dreien  Tagen  ihr  Leib  im  Grabe  lag, 

So  wird  sie  Gott  der  Herr  erwecken  am  dritten  Tag; 

Und  werden  auferstehen,  zu  pred'gen  in  seiner  Kraft, 

Und  werden  zum  rechten  Glauben  bekehren  die  Heidenschaft. 

Danach  zum  andern  fahren  gen  Himmel  sie  empor 

Und  bringen  ihre  Klage  an  Gottes  Throne  vor; 

Ihr  vergossen  Blut  von  der  Erden  zu  ihm  um  Rache  schreit: 

Des  trifft  den  Höllengeist  Vergeltung  in  kurzer  Zeit. 

Jesus  Christus  selber,  unser  Herr  und  Gott, 

Der  aller  Welt  zum  Heil  am  Kreuze  litt  den  Tod, 

Er  läfst  ein  scharfes  Schwert  ausgehn  von  seinem  Mund, 

Das  fällt  den  Sohn  der  Sünde,  den  Widerchristen,  zur  Stund'. 

Dann  wird  bei  vierzig  Tagen  auf  Erden  nah  und  fern 
Noch  einmal  Friede  werden,  bis  zur  Zukunft  des  Herrn. 
Dann  werden  aller  Augen  ihn  schau'n  von  Angesicht 
Und  aller  Zungen  Volk  hintreten  vor  sein  Gericht. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  65 

Dann  wird  ein  Kreuz  am  Himmel  leuchten  mit  hellem  Schein, 
Ein  wunderbarlich  Zeichen;  des  müssen  verloren  sein 
Juden,  Heiden  und  Ketzer  all  zur  selben  Frist, 
Denen  das  Kreuz  ein  Ärgernis  und  eine  Torheit  ist. 

Die  Engel  selber  zittern,  die  steh'n  an  seinem  Thron, 
Wann  er  einem  jeden  wird  geben  seinen  Lohn: 
Die  gerecht  alleine  mögen  vor  ihm  besteh'n 
Und  ihrer  Werke  halben  seine  Klarheit  seh'n. 

Das  ist  die  wundersame,  die  hochgebaute  Stadt, 
Die  zwölf  der  güldnen  Tore  und  zwölf  der  Pfeiler  hat; 
Sonne  nicht  und  Mond  noch  Sterne  scheinen  dort  — 
Das  ist  des  Höchsten  Klarheit,  die  leuchtet  immerfort. 

Jerusalem  die  lichte,  so  paradiesesschön, 

Die  Gottesstadt,  die  sel'ge,  gebaut  in  Himmelshöh'n, 

Darinnen  Christus  waltet  als  König  allezeit 

Mit  seiner  Heil'gen  Heere  in  ew'ger  Seligkeit. 

Die  Mörder  und  Schelme  kommen  nimmer  ins  Paradies; 
Sie  sind  verdammt  zu  wohnen  in  Nacht  und  Finsternis. 
Ihr  Mund  gar  kläglich  immer  das  'wehe,  wehe'  ruft; 
Und  ist  dazwischen  befestigt  eine  grofse  Kluft. 

Wenn  ihr  nun  solches  höret,  verzage  nimmermehr 
Mutlos  euer  Herze;  folgt  nach  der  Heil'gen  Heer: 
Die  dürfen  nun  im  Himmel  tragen  des  Lebens  Krön'; 
Der  Höllenpein  enthoben  umsteh'n  sie  Gottes  Thron. 

Ja  furchtbar  in  der  Hölle  ist  der  Verworfnen  Qual: 
Wer  den  Tod  alldorten  geschmeckt  zum  andernmal. 
Der  findet  in  alle  Ewigkeit  nimmer  keine  Ruh; 
Mit  Satan  mufs  im  Schwefelpfuhl  er  brennen  immerzu. 

Nun  wollen  zum  Allmächt'gen  wir  beten  insgemein 
In  demutvollem  Herzen,  dals  vor  der  Höllenpein 
Er  uns  bewahren  wolle  in  Gnaden  für  und  für 
Und  selber  weit  uns  auftun  zu  seinem  Reich  die  Tür; 

Und  Lob  und  Ehre  singen  dem  Herrn  im  Himmelsthron, 
Zusamt  dem  heil'gen  Geiste  dem  Vater  und  dem  Sohn, 
Dem  dreieinigen  Gotte,  der  herrscht  in  Herrlichkeit, 
Ein  König  aller  Kön'ge,  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit. 

4    Der  Mimus  und   die   karolingische  Ekloge. 

Der  Mimus  blühte  im  Frankenreich  auch  in  den  dunkel- 
sten Zeiten;  aber  nun  kam  die  karolingische  Renaissance.  Sie 
hat  für  die  Erhaltung  dessen,  was  von  der  römischen  Lite- 
ratur die  Stürme  der  Völkerwanderung  überdauert  hatte  und 
irgendwo  in  Kirchen-  oder  Klosterbibliotheken  ungelesen  ver- 
staubte und  vermoderte,  unendlich  viel  getan:  die  Zahl  der 
Texte,  die  nicht  durch  die  sorgsamen  Hände  der  karohngischen 
Abschreiber  und  Philologen   gegangen   sind,  ist  verschwindend 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  5 


66  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

gering.  Aber  alles  hat  seine  zwei  Seiten.  Wie  die  klassizistische 
Renaissance  Karls  des  Grofsen  die  selbständige  Entwickelung 
der  altdeutschen  Heldenpoesie  gebrochen  und  sie,  was  er  selber 
auch  dagegen  tun  mochte,  unrettbar  dem  Untergange  geweiht 
hat,  so  tritt  nun  auch  der  Mimus,  soviel  wir  sehen  können, 
zurück  hinter  die  anspruchsvolle  Nachahmung  der  Antike.  Oder 
er  sollte  wenigstens  zurückgedrängt  werden.  Was  man  an  die 
Stelle  zu  setzen  hatte,  das  war  freilich  dürftig  genug.  Einen 
wirklichen  Dichtergenius  hat  die  ganze  Generation,  die  sich 
um  Karl  geschart  hat,  nicht  aufzuweisen.  Und  als  dann  end- 
lich Walahfrid  Strabo*  erscheint,  der  Schüler  und  Abt  von  der 
Reichenau,  da  haben  ihm  Pedanten  und  Philister  daheim  und 
in  der  Fremde  Steine  genug  in  den  Weg  geworfen.  Dennoch 
hat  er  Grofses  erreicht  und  keine  Bitterkeit  bewahrt,  ein  starkes 
Talent  und  ein  liebenswerter  Mensch.  Aber  ich  kann  mich  des 
Eindruckes  nicht  erwehren,  dafs  er  noch  höher  gekommen  sein 
würde,  wenn  er  gewagt  hätte,  ganz  er  selbst  zu  sein.  So  ist 
er,  hoch  über  den  anderen  stehend,  doch  selber  im  letzten 
Grunde  nur  der  Johannes  eines  Gröfseren,  Notkers  des  Stamm- 
lers; von  ihm  wird  im  nächsten  Abschnitt  zu  reden  sein;  erst 
er  hat  die  karolingische  Kunstpoesie  mit  dem  Mimus  wahrhaft 
versöhnt  und  jedem  das  Seine  gegeben.  Aber  einen  Ansatz  hat 
die  Epoche  Karls  des  Grofsen  doch  gemacht,  den  Mimus  zu 
sich  herüberzuziehen.  Das  ist  geschehen  auf  dem  Gebiet  der 
Ekloge. 

Die  Ekloge  ist  von  Hause  her  ein  Kind  des  Mimus.  Mimisch 
sind,  nach  Sophrons  Vorgange,  die  Eklogen  des  Theokrit  und 
Herodas,  die  zur  Kunstpoesie  ausbildeten,  was  der  Mimus  längst 
volksmäfsig  gepflegt  hatte.  'Theokrits  ^  Adoniazusen  und  Simaetha 
sind  doch  zunächst  von  ihm  selbst  vorgetragen;  das  ist  keine 
Buchpoesie:  er  hat  ja  gar  kein  Buch  gemacht.  Und  so  hat  es 
im  Jambos  ihm  Herodas  nachgetan.'  Anders  sodann  Virgil, 
dessen  Ekloge  gelehrte  Nachahmung  ist,  ob  er  auch  Verhält- 
nisse seiner  Zeit  e'nmengt,  Calpurnius  und  nun  gar  der  Spät- 
ling Nemesianus.  Die  Form  bleibt,  aber  es  ist  kein  Leben 
mehr  darin.  Dann  geht  das  Altertum  zugrunde,  und  auf  den 
Trümmern  des  römischen  Imperiums  erheben  sich  die  Germanen- 
reiche, zuletzt  das  Kaisertum  Karls  des  Grofsen.  Die  Ekloge 
war  tot,  aber  der  Mimus  lebte.  Nicht  von  selber  hat  er  den 
Weg  zur  Ekloge  neu  gefunden.  Die  karolingische  Renaissance, 
soviel  sie  zu  einem  lilofsen  Scheinleben  geweckt  hat,  hier  hat 
sie  dem  Mimus,  d.  h.  dem  lebendigen  Leben,  in  die  Hände  ge- 
arbeitet. Das  römische  Altertum  wurde  neu  entdeckt,  und  nun 
schuf  man  Eklogen  nach  dem  Vorbild  Virgils;  sogar  Calpurnius 

»  Ilbergs  N.  Jb.  V  342  ff.      »  Wilamowitz  im  Eermes  34,  207. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  67 

und  Nemsianus  feierten  ihre  Auferstehung.  Man  entnahm  ihnen 
poetische  Beinamen,  wie  sie  an  dem  Musenhofe  'Davids',  wie 
der  Kaiser  selber  genannt  ward,  im  Schwange  gingen.  Und  es 
war  eine  wirksame  Empfehlung,  den  Kaiser  in  einer  Ekloge  als 
modernen  Augustus  anzusingen,  auch  wenn  man  selber  —  kein 
Virgil  war  und  ebensowenig  ein  Ovid.  So  steht  es  mit  den 
beiden  Eklogen  des  'Naso',  die  für  diese  Sorte  Epigonenpoesie 
typisch  sind.  Aber  dann  steht,  unter  Alcvins  Gedichten,  ein 
sonderbarer  conflictus  veris  et  hiemis,^  ein  richtiges  Streitgedicht 
{certamen),  allerdings  rezitativ,  nicht  dramatisch,  worin  Winter 
und  Frühling  vor  einem  Chore  von  Hirten  einander  schelten, 
bis  zum  Schlüsse  der  Winter  ausgetrieben  wird  und  der  Früh- 
ling das  Feld  behauptet  und  seinen  Freund,  den  Kuckuck,  her- 
beiruft. Das  Gedicht  geht,  wie  gesagt,  unter  Alcvins  Namen, 
und  man  hat  über  seine  Bedeutung  hart  hin  und  her  gestritten. 
Ich  fasse  mich  möglichst  kurz.  Das  Gedicht  hat,  der  von 
Dümmler  gesichteten  Überlieferung  nach,  als  namenlos  zu  gelten; 
mit  dem  Pedanten  Alcvin  hat  es  um  nichts  mehr  zu  schaffen 
als  die  drei  hübschen  Fabeln,  die  sich  mir  kürzUch  als  Eigen- 
tum Notkers  ausgewiesen  haben.  Es  hängt  aber  allerdings  mit 
Alcvins  Versen  de  cuculo  zusammen,  die  an  seinen  Schüler 
Dodo  gerichtet  sind,  von  dem  wir  nicht  viel  mehr  wissen,  als 
dafs  der  Lehrer,  streng  und  mürrisch,  mit  seinem  Wandel  wenig 
zufrieden  war.  Da  klagt  Alcvin,  dafs  Dodo,  sein  Cuculus,  trotz 
des  Lenzes  nicht  komme ;  Bacchus  halte  ihn  gefangen :  das  knüpft 
offenbar  an  Verse  des  conflictus  an.  Wenn  nun  aber  ein  Teil 
der  Überlieferung  das  Streitgedicht  den  Versen  de  cuculo  an- 
schliefst, so  folgt  daraus  nur,  dafs  man  sich  bei  Alcvins  Gedicht 
des  beliebten  Streitgedichtes  einmal  erinnert  hat,  das  er  benutzt 
hatte.  Mehr  nicht.  Eberts  Vermutung,  dafs  Dodo  den  Streit 
von  Winter  und  Frühling  gedichtet  und  von  dem  sehnsüchtigen 
Ruf  nach  dem  Kuckuck  seinen  Beinamen  erhalten  habe,  ist  geist- 
reich, aber  sie  schwebt  völlig  in  der  Luft.  Ganz  unmöglich 
aber  ist  Dümmlers  Gedanke,  das  Gedicht  sei  *an  Dodo  gerichtet'. 
Es  ist  überhaupt  an  keine  bestimmte  Person  'gerichtet'.  Ebert 
war  dem  Richtigen  ganz  nahe  und  hat  sich  den  Erfolg  blofs 
durch  übertriebene  Deutelsucht  verdorben.  Das  Gedicht  ist, 
was  es  sein  will,  ein  conflictus  veris  et  hiemis^  weiter  nichts. 
Es  gibt,  leider  in  antikem  Kostüm,  die  alte,  echt  germanische 
Austreibung  des  Winters  wieder.  Leben  doch  solche  mimischen 
Darstellungen  des  Wettstreits  von  Sommer  und  Winter  noch 
heute  allerorten;  und  der  erste  Kuckucksruf  im  Frühling  gilt 
heute  noch,  wenn  man  blofs  den  Augenblick  nicht  verpafst,  als 


*  Poetae   Carolini  I  270;   Ebert,  Allgem.   Oesch.    d.  Ldt.  d.  M.-A.  im 
Äbendlande  II  68. 

5* 


68  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

heil-  und  segenbringend.*  So  haben  wir  hier,  indem  die  Ekloge 
sich  auf  sich  selber  besann  und  den  Weg  zum  Mimus  heimfand, 
ein  Stück  altgermanischen  Volksbrauches  wiedergewonnen;  es 
ist  dasselbe,  wie  wenn  der  altgriechische  Mimus  an  die  Feier 
der  Fruchtbarkeitsdämonen  anknüpft. 

Hier  hatten  wir  das  echte  mimische  Certamen  in  rezitativer 
Verkleidung.  Daneben  fristete  natürlich  die  reine  Kunstekloge 
ein  blutloses  Scheindasein  weiter.  Eine  eigentümliche  Mittel- 
stellung nehmen  zwei  Dichtungen  ein,  deren  Charakter  L.  Traube  ^ 
bestimmt  hat.  Es  sind  zwei  Totenklagen:  Pascasius  Radbertus 
um  seinen  Abt  Adelhard  von  Corbie  und  Agius_  von  Corvey 
um  seine  Schwester  Hadumod,  Gandersheims  erste  Äbtissin.  Ich 
kann  sie  hier  übergehen,  da  sie  nach  Traubes  scharfsinniger 
Deutung  in  letzter  Linie  auf  die  Totenrollen  zurückgehen,  die 
bei  den  verbrüderten  Klöstern  umlaufen,  um  zur  Fürbitte  für 
die  arme  Seele  aufzufordern:  jedes  Kloster  fügt  in  Vers  oder 
Prosa  sein  teilnehmendes  Trostwort  hinzu.  Daraus  hat  dann 
Pascasius  seine  ecloga  duarum  sanctimonialium  geschaffen,  und 
Agius  ist,  in  der  neuen  Corbeia  im  fernen  Sachsenlande,  seinem 
Beispiel  gefolgt.  Namenthch  Agius  hat,  weil  ihm  die  Klage 
von  Herzen  kam,  ein  echtes,  tief  ergreifendes  Gedicht  geschaffen. 
Aber  hier,  wo  wir  den  Zusammenhängen  von  Mimus  und  Ekloge 
nachgehen,  müssen  wir  sein  Werk  beiseite  lassen:  es  ist  keine 
Ekloge  mehr,  obwohl  es  die  Form  der  Ekloge  trägt. 

Das  Zeitalter  der  Ekloge  ist  eng  begrenzt.  Sie  setzt  mit 
Karl  dem  Grofsen  ein  und  hält  sich  ein  knappes  Jahrhundert. 
Das  bedarf  freilich  noch  der  Begründung.  Den  Streit  von 
Sommer  und  Winter  hat  man  in  die  Zeit  des  Absterbens  der 
Antike  versetzt,  —  in  die  ^lateinische  Anthologie'  hat  sich  ja 
manch  sonderbares  Kräutlein  verirrt;  man  hat  an  Beda  gedacht, 
der  seinen  Namen  für  soviel  herrenloses  Gut  hat  hergeben 
müssen,  an  Alcvin  und  Dodo,  ja  selbst,  trügerischem  Scheine  zu- 
liebe, an  Milo  von  St.  Amand.  Sicher  ist  nur  eines,  dafs  das 
Gedicht  aus  dem  Kreise  Karls  des  Grofsen  kommt. 

Es  bleiben  noch  zwei  Gedichte,  der  Streit  zwischen  Terenz 
und  einem  delusor  und  die  Ekloge  des  sogenannten  Theodul. 
Über  beide  mufs  hier  geredet  werden. 

In  dem  Streitgedicht  ^  tritt  der  delusor  auf  und  schilt  den 
Terenz  als  einen  aus  der  Mode  gekommenen,  unflätigen  Alten. 
Seine  Lustspiele  seien  voll  gemeiner  Witze;  indes  was  er  an- 
führt (quae  nil,  credo,  iuvantj  federe  ni  doceant),  stimmt  ganz 
und  gar  nicht  zum  Charakter  des  Terenz  und  seiner  Komödie, 

^  J.  Grimm,  Dt.  Mythol}  II  640  ff.  719  ff.;  W.  Mannhardt,  Wald-  und 
Feldkulte  I  245.  488  ff. 

2  O  Roma  nobilis  {Münchener  Abhdlg.  I.  CL,  XIX)  S.  310  ff. 
^  Hrotsvitausgabe,  S.  XX. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  69 

wohl  aber  ist  es,  man  erinnere  sich  nur  des  Anfangs  der 
'PVösche',  ein  beliebter  Bühnentrick  gewesen,  blofs  nicht  in  der 
vornehmen  Komödie,  für  die  schon  Aristophanes  dergleichen 
Dinge  ablehnt,  die  seinen  Kollegen  jederzeit  recht  waren,  auch 
wenn  sie  sie  rein  vom  Zaune  brachen.  Die  mittlere  uud  die 
neuere  Komödie,  worauf  Terenz  fufst,  ist  ganz  davon  frei. 
Anders  aber  ist  es  mit  dem  Mimus.  Wenn  hier  Terenz  be- 
kämpft wird,  so  heifst  das  lediglich,  den  Sack  schlagen  und  den 
Esel  meinen.  Eigenthch  soll  der  Mimus  die  Prügel  kriegen, 
der  in  den  Oxyrrhynchospapyri  die  snncta  noQÖij  anruft.  Aber 
der  Mimus  ist  unliterarisch  geworden,  und  hier  braucht  es 
eines  literararischen  Vertreters,  so  wird  Terenz  herangeholt 
und  auch  ihm  nebenher,  weil  man  seine  Metrik  nicht  verstand, 
etwas  am  Zeuge  geflickt  (an  sit  prosaicum  nescio  an  metricum, 
nebst  der  Anmerkung).  Der  Mimus  also  ist  es,  der  die  Zech^ 
zahlt,  und  es  wäre,  wenn  nicht  die  Absicht  des  Dichters,  um 
diesen  Eindruck  zu  verstärken,  so  doch  ein  guter  Witz  des 
Zufalls,  dafs  die  Form  der  Dichtung  die  mimische  ist  und  der 
Mimus  geschlagen  wird  mit  seinen  eigenen  W^affen.  Denn  diese 
Szene  ist  aufgeführt  worden.  Nachdem  der  delusor  seine  Schelt- 
rede geendet,  tritt  Terenz  auf  (nunc  Terentius  exit  foras,  audiens 
haec,  et  ait)  und  fordert  den  Schelter  heraus,  um  ihn  nach 
Gebühr  zu  bezahlen.  Der  setzt  sich  in  Positur  (praesentatur, 
tritt  dicht  vor  ihn  hin),  und  das  Schimpfduett  geht  weiter,  bis 
Terenz  vor  dem  bedenklich  fuchtelnden  delusor  retiriert: 

Ter.    Cur,  rogo,  me  sequeris?  cur  me  ludendo  lacessis? 

Del.  Sic  fugit  horrendum  praecurrens  dama  leonem. 
Terenz  droht  mit  Ohrfeigen,  mufs  aber,  da  der  andere  auf  seine 
Jugendkraft  pocht,  als  alter  gebrechlicher  Mann  klein  beigeben 
und  kann  den  delusor  nur  darauf  verweisen,  dafs  auch  seine 
Zeit  nicht  ewig  währen  werde.  Ein  echter  Mimus,  mit  dem 
üblichen  delusor  und  dem  alaparum  sonitus;  natürlich  haben 
sich  die  Zuschauer  gewälzt  vor  Lachen,  wenn  der  trotz  seines 
grofsen  Maules  furchtsame  Terenz  von  dem  delusor  auf  der 
Bühne  im  Kreise  herumgejagt  wird. 

Ich  komme  zu  der  Ekloge  Theoduls,  die  neuerdings  H.  Voll- 
mer^ als  ein  'verschollenes  Buch'  ausgegraben  hat  —  zwei  Jahre 
nachdem  uns  J.  Osternacher^  den  ersten  Teil  seiner  auf  jahre- 
lange Studien  und  reichstes  kritisches  Material  gegründeten  Aus- 
gabe beschert  hat.  Es  ist  wieder  ein  Streitgedicht,  in  bucolischer 
Verkleidung:  der  mit  athenischer  Weisheit  getränkte  Hirt  Pseustis 
und  die  christliche  Hirtenjungfrau  Alethia,  Lüge  und  Wahrheit, 
streiten   beide   für  ihre  Religion.     Jeder  heidnischen  Sage  setzt 

*  Mmatschr.  f.  d.  kirchl  Praxis  1904,  S.  321  ff. 
^  Programm  von  TJrfahr-Ldwx,  1902. 


70  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Alethia  eine  biblische  Geschichte  entgegen,  von  Saturns  golde- 
nem Alter  und  dem  Paradiese  an,  bis  sie  sich  schiefslich  in  allgp- 
meine  philosophisch-theologische  Spekulationen  verlieren.  Oster- 
nacher  meint,  hier  müsse  eine  patristische  Quelle  zugrunde 
liegen  aus  der  Zeit,  wo  Athens  Philosophenschulen  noch  be- 
standen; nachweisen  hat  er  sie  aber,  trotz  alles  Suchens,  nicht 
können.  Ich  glaube,  er  verkennt  das  Kunstprinzip.  Wir  müssen 
das  Gedicht  eben  einreihen  in  die  Gruppe  der  Streitgedichte, 
müssen  ferner,  um  die  vier  Verse,  die  jede  Geschichte  enthält, 
und  die  Disposition  der  Alethia  zu  begreifen,  an  Prudenz  und 
sein  Dittochaeum  denken  (was  denn  freilich  wieder  über  die 
Ekloge  hinausführt);  so  werden  wir  keine  Quelle  vermissen:  die 
Anlage  des  Ganzen  gehört  eben  dem  Dichter.  Und  dieser 
Dichter  hat  in  der  Zeit  gelebt,  wo  die  Ekloge  wieder  im 
Schwange  war,  d.  h.  im  9.  Jahrhundert.  Auch  hier  ist  es 
charakteristisch,  wie  die  gelehrte  Forschung  hin  und  her  getappt 
hat,  ehe  sie  das  Richtige  fand.  Eine  verbreitete  Annahme  setzte 
Theodul  um  980,  liefs  ihn  aus  Italien  stammen  und  in  Athen 
studieren.  Das  zeigt  im  besten  Falle,  wann  das  Gedicht  etwa 
anfing  bekannt  und  beliebt  zu  werden,  und  was  man  damals 
aus  der  Einleitung  herauslas.  Daneben  aber  schwankten  die 
Ansätze  um  mehr  denn  ein  halbes  Jahrtausend.  Osternachcr 
und  Vollmer  haben  beide  das  Richtige  getroffen,  und  Vollmer 
freut  sich,  mit  seinem  Ansatz,  etwa  um  die  Mitte  des  9.  Jahr- 
hunderts, *der  Üb  erlief erunj]j  näher  zu  kommen':  schade  blofs, 
dafs  hier  von  wirklicher  *  Überlieferung'  keine  Rede  sein  kann 
und  dafs  980  nicht  '9.  bis  10.  Jahrhundert'  ist  ... 

Beide  haben  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  dafs  ein  so 
frühes  Vorkommen  gereimter  Hexameter  nicht  unerhört  ist,  dafs 
die  Verskunst  der  Ekloge  viel  Gemeinsames  zeige  mit  der  eines 
Gedichtes  an  Erzbischof  Ebo  von  Reims  (abgesetzt  835).  Das 
ist  richtig,  aber  es  läfst  sich  von  dort  aus  weiter  kommen,  als 
sie  gekommen  sind.  Jenes  Gedicht  an  Ebo  steht  mit  seiner 
Technik  nicht  ganz  vereinzelt  da  im  9.  Jahrhundert.  Aber  alles, 
was  man  Ahnliches  hat,  stammt  aus  der  Diözese  Reims  i;  vor 
allem  gehören  hierhin  die  Gedichte  des  unglücklichen  Haere- 
tikers  Gottschalk  von  Orbais.  So  werden  wir  nicht  fehlgehen, 
wenn  wir  auch  den  Dichter  der  Ekloge  in  jenem  Kreise  suchen. 
Dort  war  die  Ekloge  eine  beliebte  Kunstform:  ich  erinnere  an 
Pascasius  Radbertus  von  Corbie,  und  jetzt  wird  es  auch  wichtig, 
dafs  im  Terenzdialog  eine  Verschreibung  (armice  er  ehr  o  für 
arma  cerebro)  auf  eine  Vorlage  in  frühkarolingischer  Schrift 
von  Corbie  zu  führen  scheint.     Und  nun  betrachte  man  den 


*  Traube,  Poetae  Carolini  III  711  (Anm.  2  zu  S.  710),  in  seinen  grund- 
legenden Regesten  zur  Geschichte  Gottschalks. 


Hrotevits  literarische  Stellung.  71 

Namen  des  Eklogendichters :  Theodulus,  d.i.  der  *Knecht  Gottes', 
oder,  um  es  altertümlich  zu  sagen,  *Gottes  Schalk'  —  Gottschalk. 
Ich  meine  in  der  Tat,  Gottschalk  von  Orbais  und  kein  anderer 
ist  'Theodul';  und  zwar  ist  die  Ekloge  später  als  seine  von 
Traube  herausgegebenen  Gedichte:  ein  Werk  seiner  letzten 
Epoche,  als  man  ihn  in  HautviUiers  Bücher  abschreiben  liefs.^ 
Und  er  nannte  sich  Theodul,  wie  er  schon  früher  mit  seinem 
Namen  und  dessen  Bedeutung  gespielt  hatte,  weil  durch  die 
Härte  seiner  geistUchen  Oberen  der  Name  Gottschalk  verfemt 
worden  war.  In  jungen  Jahren  hatte  sein  Freund  Walahfrid 
ihn  Fulgentius  genannt,  allerdings  wohl  nach  dem  Schüler 
Augustins;  doch  mochten  ihm  auch  mythologische  Studien  nicht 
fremd  geblieben  sein.  So  erklärt  sich  auch,  was  sonst  auffallen 
müfste,  die  Strenge,  womit  die  Ekloge  die  Elision  vermeidet  — 
darin  verschieden  von  Gottschalks  Gedicht  an  Walahfrid  (848), 
verschieden  auch  von  den  Versen  an  Ebo.  Er  hat  eben  im 
Metrischen  dieselbe  Entwickelung  durchgemacht  wie  wenige 
Jahre  später  Agius  von  Corvey,  den  wir  doch  wohl  mit  H.  Hüffer  ^ 
im  Poeta  Saxo  wiedererkennen  müssen.  Die  Ekloge  aber  blieb 
ein  Jahrhundert  und  darüber  verschollen.  Und  als  man  sie 
^entdeckte'  und  ein  beliebtes  Schulbuch  daraus  machte,  dachte 
niemand,  dafs  ihr  Dichter  ein  schlimmer  Ketzer  gewesen. 

Es  bleibt  dabei:  die  Zeit  der  Ekloge  ist  mit  dem  9.  Jahrhun- 
dert, ja  wir  dürfen  sagen,  mit  der  Regierung  Karls  des  Kahlen 
vorüber.  — 

5.    Notker   und   der   Mimus. 

Ich  habe  schon  zweimal  auf  Notkers  allerliebstes  Märchen 
vom  Wunschbock  hingewiesen,  zuletzt  in  den  Stilfragen  (S.  17), 
wo  ich  auch  eine  Übersetzung  versucht  habe  in  einem  absicht- 
lich episch  getragenen  Versmafs,  das  mir  für  den  Zweck  der 
Parodie  zu  passen  schien.  Ich  setze  den  Wunsch  des  dritten  Bru- 
ders her: 

O  wollte  der  Herr  einen  Bock  mir  gewähren, 
Des  Hörner  so  weit  voneinander  stünden, 
Dafs  der  Vogel  Phönix,  der  rüstigen  Fluges 
Vom  Libanon  heimfliegt  tief  aus  der  Wüste, 
Ermattet  die  Schwingen  sinken  liefse, 
Eh*  von  einem  Hörn  er  zum  andern  flöge. 

Die  Stelle  ist  stark  beschädigt,  liefs  sich  aber  mit  Wahrschein- 
lichkeit, wenigstens  in  der  Hauptsache,  ergänzen.  Eine  Parallele 
kannte  ich  nicht;  da  stiefs  ich  kürzlich  auf  das  Märchen  vom 
'Ochsen  am  Bodensee' ^  und  war  nicht  wenig  erstaunt,   dafs  es 

'  Traube  S.  714,  Anm.  1. 

'  Korveier  Studien  I ;  anerkannt  in  meinem  Addendum  zum  Poeta  Saxo; 

'  Sagen  des  Bodensees  usw.  S.  72. 


72  Hrotsvits  literarisclie  Stellung. 

sich  als  guter  alter  Bekannter  entpuppte.  Der  Ochs  hat  in 
seinem  Durst  bei  einem  Spaziergang  durch  den  Bodensee  so 
nebenher  den  ganzen  See  ausgetrunken.  Alsdann  will  er  sich 
doch  auch  die  Schweiz  beschauen.  *Wie  er  nun  einmal  still- 
stand und  sich  die  fernen  Berge  ansah,  kam  ein  mächtiger 
Vogel  und  setzte  sich  auf  das  eine  Hörn  des  Ochsen.  Nach 
einer  Weile  schüttelte  der  Ochs  ganz  ruhig  nur  ein  wenig  seinen 
Kopf,  worauf  der  Adler  fortflog  und  sich  auf  das  andere  Hörn 
setzen  wollte.  Bis  er  dies  aber  erreichte,  brauchte  er  nicht 
weniger  als  zwei  volle  Stunden.  Da  kann  man  sich  wohl  denken, 
was  das  für  ein  grofser  Ochse  gewesen  sein  mufs.'  Es  versteht 
sich  von  selber,  dafs  Notker  sich  den  Vogel  Phönix  und  seinen 
weiten  Wüstenflug  aus  dem  Physiologus  geholt  hat;  das  ist  un- 
zeitige Gelehrsamkeit,  ein  'Schulschmäcklein'  ä  la  Mörike,  das 
wir  abziehen  müssen.  Im  übrigen  aber  folgt  er,  wie  wir  jetzt 
handgreiflich  sehen,  und  wie  wir  es  auch  ohnedies  annehmen 
müfsten,  uralter  Volküberlieferung,  dem  Märchen. 

Daneben  aber  steht  der  Schwank.  Nehmen  wir  die  Ge- 
schichte, wie  Karl  den  Bischof,  der  nur  für  Allotria  Sinn  hatte, 
durch  einen  weisen  Juden  ad  absurdum  führen  läfst,  der  dem 
Raritätensammler  für  eine  einbalsamierte  Maus,  indem  er  sie 
ihm  als  ein  seltenes  Tier  aus  dem  Gelobten  Lande  aufschwatzt, 
einen  Scheffel  Silbers  abnimmt;  auch  dieses  Stück  steht  einst- 
weilen in  meinen  Stilfragen  (S.  14)  zu  lesen.  Wo  hat  Notker 
den  Stoff  her?  Kögel  (I  2,  246  f.)  ist  hier  rasch  mit  der  Ant- 
wort bei  der  Hand:  *die  Anknüpfung  des  Schwankes  an  Karl 
und  den  Bischof  ist  natürlich  sekundär  (dies  ist  gewifs  richtig); 
denn  auch  hier  wird  Einwanderung  aus  dem  Orient  angenommen 
werden  müssen.'  Schade,  dafs  Notker  gut  200  Jahre  vor  den 
Kreuzzügen  geschrieben  hat,  die  sonst  immer  herhalten  müssen, 
wenn  es  gilt,  die  als  Axiom  angenommene  ^Einwanderung  aus 
dem  Orient'  zu  erklären,  und  die  man  hier  leider  ebensowenig 
wie  beim  Ruodlieb  bemühen  kann. 

Mit  ihr  hat  man  auch  der  bei  Notker  begegnenden  Anekdote 
von  dem  umgewendeten  Fisch  beikommen  wollen.  Sie  findet 
sich*  auch  bei  Alexander  Neckam  {de  naturis  rerum  cap.  40), 
in  den  Gesta  Romanorum  (Nr.  194  Oesterley),  in  Enenkels  Welt- 
chronik und  sonst.  Ich  verzichte  darauf,  diese  Geschichte  hier 
ausführlich  zu  besprechen;  worauf  ich  vor  allem  Wert  lege,  ist, 
dafs  Notker  der  erste  ist  in  der  mittellateinischen  Kunstliteratur, 
der  Stoffe  dieser  Gattung  heranzieht,  wie  sie  bis  dahin  nur  der 
Mimus  verwertete.  Und  jetzt  gewinnt  eine  alte  Kombination 
von  mir  überraschende  Bestätigung.  Ich  habe  nacheinander  eine 
ganze  Reihe  kleiner  Dichtungen,  die  namenlos  überliefert  wurden. 


»  R.  Köhler,  Qesamm.  Sehr.  II  651. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  73 

Notker  zugeschrieben.  Da  ist  es  nun  von  besonderem  Interesse, 
zu  sehen,  wie  die  sicher  von  Notker  verfafsten  Gesta  Karoli 
in  weitestem  Umfang  mimische  Schwanke  aufnehmen,  und  wie 
ein  gleiches  auch  einzelne  der  von  mir  instinktiv  auf  Notkers 
Namen  geschriebenen  Sachen  aufweisen.  Vom  Wunschbock  mit 
seinem  Märchencharakter  war  schon  die  Rede.  Ferner  habe  ich 
kürzhch*  die  Fabel  vom  Floh  und  Zipperlein,  die  seit  Müllen- 
hoff  und  Dümmler  unter  Faul  Diaconus  umlief,  als  Dichtung 
Notkers  erkannt  und  mit  ihr  zwei  andere  Fabeln.  Die  Fabel 
aber  ist  von  jeher,  wie  die  Untersuchungen  Reichs  schon  ge- 
zeigt haben  und  weiter  zeigen  werden,  Geschwisterkind  mit  dem 
Mimus.  Und  speziell  die  Fabel  vom  ritten  und  der  vlö  steht 
auch  in  der  Scala  caeli,  wie  die  Forschung  über  ßoner,  bei 
dem  sie  als  Fabel  48  wiederkehrt,  längst  ermittelt  hat,  auch 
die  metrische  Fabel  hat  man  dort  verglichen,  freihch  ohne  ihren 
wahren  Ursprung  zu  ahnen.  Was  aber  die  Hauptsache  ist,  und 
was  wir  heute  nach  Reich  mit  Sicherheit  erkennen  können, 
während  die  Bonerforschung  es  nicht  erkannt  hat,  das  ist,  dafs 
die  ganzen  Prediger  und  Beispielsammler  Schüler  des  Mimus 
sind,  die  das  Wirksame  im  Mimus  wohl  erkannten  und  es  sich, 
weil  sie  ihm  seinen  Einfluß  nun  einmal  nicht  abgraben  konnten, 
wenigstens  zunutze  machten. 

Es  ist  Notkers  Größe,  dafs  er  als  der  erste  Kunstdichter 
des  Mittelalters  in  sicherem  Takte  den  Mimus  und  die  Kunst- 
dichtung überall  verschmolzen  hat.  Damit  steht  er,  sonst  der 
Mittelpunkt  regen  geistigen  Lebens  in  St.  Gallen,  dennoch  ein- 
sam in  seiner  Zeit.  Aber  auch  unter  den  nächsten  Generationen 
innerhalb  des  ersten  Jahrtausends  wüfste  ich  nur  eine  Erschei- 
nung, die,  einsam  und  noch  viel  einsamer  als  er,  aus  sich  her- 
aus den  gleichen  Schritt  getan  hat:  Hrotsvit  von  Gandersheim. 
Aber  während  Notker  nur  die  mimische  Novelle  übernimmt,  tut 
sie  mit  noch  gröfserer  Kühnheit  und  mit  nachtwandlerisch 
sicherem  Instinkt  das  gleiche  mit  dem  Drama.  Davon  wird 
nachher  zu  handeln  sein. 

Dann  kam  die  Zeit,  wo  der  Mimus  es  Notker  heimgezahlt 
hat,  dafs  er  ihn  wieder  literaturfähig  gemacht  hatte.  W.  Meyer 
hat  kürzlich  in  seiner  Einleitung  zur  Ausgabe  des  Modus  Liebinc  ^ 
gesagt,  die  Sequenz  habe  sich  der  weltlichen  Stoffe  bemächtigt, 
vom  Schneekind,  vom  König,  der  alles  glaubte,  usw.  Das  ist 
falsch,  zum  mindesten  falsch  ausgedrückt;  und  es  ist  kein  blofser 
Streit  um  Worte,  sondern  es  iührt  gründhch  irre.  Nicht  die 
Sequenz  hat  sich  der  weltlichen  Stoffe  bemächtigt,  sondern  um- 
gekehrt; der  Mimus  hat  sich,  mit  sicherem  Gefühl  für  das,  was 


'  Neues  Archiv  20,  468  ff. 
^  Fragmenta  Burana,  S.  171. 


74  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

lebenskräftig  war  in  der  Kunstdichtung,  der  von  ihr  geschaffe- 
nen Sequenzeiiform  bemächtigt.  So  ist  der  Kreis  geschlossen. 
Mimen  sind  es  gewesen,  die  das  lustige  Lied  vom  Schnee- 
kind, dessen  Stoff  weit  verbreitet  ist,  gedichtet,  vorgetragen 
und  mit  ihren  Gestikulationen  unterstützt  haben;  ein  Mime  ist 
es,  der  die  Lechfeldschlacht  vor  Otto  III.  gesungen  und  am 
Schlufs  mit  dem  obligaten  Katzenbuckel  um  ein  Trinkgeld  ge- 
beten hat. 

Mimen  überall.  Es  kommt  ja  im  Grunde  auf  ein  Zitat 
mehr  oder  weniger  blutwenig  an.  Aber  eine  Stelle  des  Sextus 
Amarcius  (I  403-443)  wollen  wir  doch  betrachten,  weil  sie  so 
einläfslich  Zeugnis  gibt  von  dem  ganzen  Gebaren  und  Reper- 
toire eines  Mimen,  der  hier  ausdrücklich  mimus  (V.  404.  428) 
und  iocator  (V.  428)  heifst  —  also  beides  identisch  — ,  der  den 
hohen  Herren  (dominis)  die  Zeit  vertreibt  und  ihnen  das  Geld 
aus  der  Tasche  lockt.  Der  Herr  will  in  der  Herberge  ein  wenig 
Rast  machen  (brevi's  hic  quia  mansio  nohis;  der  Ton  liegt  auf 
mansio):  da  braucht  es  zweierlei,  für  den  Gaumen  ein  leckeres 
Mahl,  fürs  Ohr  einschmeichelnde  Weisen  {aures  mulcerent  mo- 
duli).  Einen  Spielmann  will  er  haben  (lyricus,  citharista)  und 
zwar  einen,  der  sein  Handwerk  versteht  (gnarus):  si  non  mul- 
cebit  lidius  aures  (wenn  nämlich  der  Knecht  keinen  auftriebe) 
—  den  Nachsatz  zu  diesem  trostlosen  Wenn  verschluckt  er 
lieber.  Bei  lidius  mögen  wir  etwa  an  Ekkeharts  IV  lidius 
Charromannicus  und  an  den  modus  qui  et  Carelmanninc  der 
Cambridger  Lieder  denken,  beides  sind  geisthche  Sequenzen; 
ob  man  recht  tut,  nur  immer  an  die  lydische  Tonart  zu  denken, 
ist  eine  Sache  für  sich.  —  Wie  sich  anscheinend  von  selbst 
versteht,  ist  ein  iocator  gleich  zu  haben,  als  schössen  die  Mimen 
aus  der  Erde  wie  Pilze  nach  dem  Regen.  Er  kommt,  notabene 
nachdem  ihm  sein  Douceur  garantiert  ist  (disposita  mercede\ 
bringt  seine  Laute  {chelys)  im  Lederfutteral  (taurina  theca) 
mit,  das  Volk  strömt  aus  den  Dörfern  der  Umgegend  und  von 
den  Landstrafsen  (omuibus  ex  vicis  plateisque)  zusammen  und 
schaut  gespannt  auf  den  Mimen,  der  nun  mit  den  Fingern  über 
die  Saiten  fährt  und  ihnen  bald  helle  bald  tiefe  Töne  entlockt, 
dafs  man  es  kaum  begreift,  wie  beide  von  demselben  Instrument 
kommen.^  Dann  singt  er  vier  Lieder,  1.  von  David  und  Goliath, 
2.  vom  Schneekind,  3.  von  der  Tonkunst  des  Pythagoras,  4.  von 
der  Nachtigall.  Das  Schneekind  hat  M.  Haupt,  den  Pythagoras 
und  die  Nachtigall  W.  Scherer  in  den  Cambridger  Liedern 
wiedererkannt,  wo  sie  alle  fast  unmittelbar  beieinander  stehen; 
den  Goliath  hat  L.  Traube,  vielleicht  mit  Recht,  mit  dem  Namen 
der   Goliarden   in  Verbindung   gebracht,   deren   Patron   er  also 


V.  481 — 437  ziehe  ich  zum  Vorhergehenden. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  75 

schon  damals  gewesen  wäreJ  Also  drei  von  vier  Liedern  des 
Programms  finden  wir  in  der  einen  Cambridger  Sammlung,  ob- 
wohl soviel  Mimengut  verloren  ist.  Aber  wir  müssen  bedenken, 
Amarcius  schreibt  um  1050  und  wahrscheinlich  in  Speier,  und 
die  Cambridger  Hs.  enthält  so  vieles  vom  Kaiserhof  und  den 
geistlichen  Fürsten  vom  Rheine. 

Aber,  und  das  ist  wichtig,  die  Stelle  des  Amarcius  beweist 
nicht,  wie  Haupt  es  hinstellte,  der  mit  diesem  Trumpf  seine 
Abhandlung  sclilofs,  dafs  wir  mit  Lacbmann  von  'lateinischer 
Hofpoesie'  zu  reden  hätten.  Sehr  im  Gegenteil.  Versteht  denn 
der  Ritter  Latein?  Und  wenn  auch,  kann  denn  ein  Mensch  die 
subtile  Theorie  des  i'ythagoras,  noch  dazu  gesungen  und  mit 
der  Laute  begleitet,  auffassen  vom  einmaligen  Hören?  Und  nun 
gar  die  nassauernden  Dorfleute?  denen  ist  es  docli  blofs  um  die 
'Musik'  zu  tun;  und  auch  den  Herrn  verlangt  es  nur  nach  den 
moduli:  was  gesungen  wird,  ist  egal.  Wir  haben  eben  hier,  so 
deutlich  wie  sonst  nirgend,  den  Beweis,  dafs  die  Mimen  damals, 
auch  wenn  sie  lateinisch  sangen,  für  das  ganze  Publikum,  hoch 
und  niedrig,  gebildet  oder  ungebildet,  mit  ihrer  Musik  das 
boten,  was  heute,  mehr  oder  weniger  scharf  geschieden,  Kon- 
zertsaal, Tingeltangel  und  Leierkasten  darbieten.  Wer  das 
Publikum  ausmacht,  ist  nahezu  gleichgültig.  Es  ist  nicht  'Hof- 
dichtung', sondern,  wenn  wir  auf  das  Wesentliche  gehen,  haben 
wir  von  Mimendichtung  zu  sprechen. 


*  Haupt,  Berh  Monatsher.  1854,  S.  163  f.;  Scherer,  öesch.  der  deutschen 
Dichtung  im  IL  und  12.  Jh.,  S.  16  (angeführt  von  Traube  in  seiner  Amar- 
cius-Rezension,  Anx.  f.  dt.  Altertum  15,  200,  der  nach  V.  436  vielmehr 
eine  Lücke  annimmt). 

Schöneberg  -  Berlin.  P.  v.  Winterfeld. 

(Schlufs  folgt.) 


Der  sekundäre  Nasal  in  niffhtinffale, 
messenffer  und  ähnlichen  Fällen. 


über  diesen  Gegenstand  ist  in  jüngster  Zeit  mehrfach  gehandelt 
worden.  Jespersen  hat,  Engl.  Stud.  XXXI,  239,  Belege  gesammelt 
und  eine  phonetische  Erklärung  zu  geben  versucht.  Bradley  möchte, 
Modern  Philology  I,  203,  eher  an  Übertragung  denken.  Loge- 
man.  Engl.  Stud.  XXXIV,  249,  vermehrt  die  bisher  gesammelten 
Fälle  und  fafst  im  Gegensatz  zu  Bradley  den  Vorgang  wieder  rein 
lautlich.  Ohne  diesen  Aufsatz  zu  kennen,  hat  soeben  Ritter  in 
diesem  Archiv  CXIII,  31  neues  Material  beigebracht  und  eine  Er- 
klärung gegeben,  die  derjenigen,  welche  ich  mir  indessen  gebildet 
hatte,  sehr  nahe  kommt.  Da  er  aber  doch  nicht  alle  m.  E.  in  Be- 
tracht kommenden  Umstände  berücksichtigt  und  noch  einiges  un- 
erklärt läfst,  möchte  ich  mit  meiner  Auffassung  nicht  länger  zurück- 
halten. 

Ritter  hat  bereits  hervorgehoben,  dafs  der  Nasaleinschub  an 
eine  bestimmte  Wortform  gebunden  ist:  in  Fällen  wie  message,  pas- 
sage  taucht  ein  solches  n  nie  auf,  auch  nachdem  messenger,  passenger 
üblich  geworden  ist.  Auszugehen  ist  nun  von  der  Tatsache,  dafs  im 
Englischen  dreisilbige  Wörter  mit  kurzer  Mittelsilbe,  die  nur  einen 
Sprechtakt  füllen,  also  aufser  dem  Hauptton  auf  der  ersten  Silbe 
keinen  deutlichen  Nebenton  haben,  bei  ungestörter  volkstümlicher 
Entwicklung  Synkope  der  Mittelsilbe  erleiden  und  dadurch  zwei- 
silbig werden,  wie  ich  Ä7igl.  XXII,  351  ff.  dargelegt  habe.  Aus  me. 
courtesie,  remenaunt,  hodekin,  capitain,  die  ihren  ursprünglichen 
Nebenton  auf  der  Schlufssilbe  bald  verloren  haben,  wurde  curtsy, 
remnant,  hodkin,  captain,  wie  wir  noch  heute  sprechen.  Für  me. 
prisoner,  rigorous,  difference  erscheint  im  16.  Jahrhundert  prisner, 
rygrous,  diffrence  (vgl.  a.  a.  0.  und  NED.),  Formen,  die  heute  noch 
in  der  ungezwungenen  Umgangssprache  vorhanden,  in  der  literari- 
schen Sprache  aber  durch  gelehrte  Einflüsse  wieder  beseitigt  sind. 
Es  handelt  sich  also  nicht  blofs  um  eine  'Neigung'  zur  Synkope,  wie 


Der  sekundäre  Nasal  in  nightingale,  messenger  u.  ähnl.  Fällen.       77 

Ritter  S.  34  meint,  sondern  um  ein  Lautgesetz,  das  nur  durch  andere 
Einflüsse  vielfach  gestört  wird. 

Bei  dreisilbigen  Wörtern  mit  langer  Mittelsilbe,  d.  h.  solcher, 
deren  Vokal  vor  einer  Konsonanten  gruppe  steht,  tritt  derselbe  Vor- 
gang ein,  wenn  er  möglich  ist:  me.  Oloucester  erhält  die  Lautung 
Gloster.  In  der  Regel  aber  ist  diese  Verkürzung  infolge  der  Natur 
der  Konsonanten  ausgeschlossen,  so  namentlich  bei  Nasalgruppen,  in 
Fällen  wie  calendar,  carpenter,  luvender,  die  alle  schon  seit  dem 
13.  Jahrhundert  dem  Englischen  angehören  und  in  volkstümlichem 
Gebrauch  sind.  Wenn  auch  Synkope  des  e  eintrat,  so  ergab  sich 
doch  silbisches  n,  das  Wort  bleibt  also  jedenfalls  dreisilbig.  Die 
Folge  war,  dafs  die  Schlufssilbe  einen  leichten  Nebenton  erhielt,  des- 
sen Bedeutung  Ängl.  XXII,  354   beleuchtet  ist. 

Die  Worttypen  x  x  und  x  —  x  sind  somit  das  Endergebnis, 
zu  denen  die  unbeeinflufste  Entwicklung  der  ursprünglich  dreisilbi- 
gen Wörter  führt:  Formen  nach  dem  Typus  x  -  x  werden  durch 
Synkope  dem  ersten  eingefügt. 

Betrachten  wir  nun  die  in  Rede  stehenden  Wörter,  wie  me. 
nihiegale,  messager  usw.:  es  sind  durchaus  Fälle,  deren  letzte  Silbe 
mit  Verschlufslaut  beginnt.  Auch  in  ihnen  sollte  Synkope  eintreten, 
aber  dabei  würden  sich  zumeist  harte  Konsonantengruppen  ergeben, 
die  sonst  im  einfachen,  d.  h.  unter  einem  Akzent  zusammengefafs- 
ten  Wort  nicht  vorkommen:  ytg  {nihtgale),  rdg  (verdgale),  Kons.  -)-  dz 
(messger  usw.).  Dies  ist  m.  E.  die  Ursache  gewesen,  warum  die  Syn- 
kope nicht  durchdrang.  Wir  haben  uns  wohl  vorzustellen,  dafs  sie 
zunächst  im  Satzinneren  tatsächlich  eintrat,  während  in  pausa  noch 
die  vollen  Formen  bestanden,  und  dann  die  Kurzformen,  die  aus 
dem  angegebenen  Grunde  dem  Sprachgefühl  widerstrebten,  wieder 
durch  die  vollen  ersetzt  wurden.  Aber  dabei  vollzog  sich  eine  Um- 
bildung der  Wortform,  die  sie,  da  der  erste  in  solchen  Fällen  übliche 
Typus,  X  X,  nicht  zu  erreichen  war,  in  den  zweiten,  x  —  x,  über- 
führte: es  wurde  ein  Nasal  eingeschoben. 

In  Fällen  wie  celandine  aus  me.  celidoine  oder  dialektischem 
skelinton,  müintary  aus  skeleton,  military  hätte  die  Synkope  aller- 
dings keine  ungewöhnliche  Konsonantenverbindung  ergeben.  Wenn 
sie  trotzdem  nicht  eintritt,  wird  das  wohl  dem  Bemühen  zuzuschrei- 
ben sein,  sich  von  den  vollen  Formen  in  der  Sprache  der  Gebildeten, 
die  unter  gelehrtem  Einflufs  stehen,  nicht  zu  weit  zu  entfernen:  der 
Rhythmus  des  Wortes  und  damit  die  Silbenzahl  wurde  festgehalten, 
im  übrigen  aber  vollzog  sich  dieselbe  Überführung  in  einen  geläu- 
figen Worttypus  wie  früher. 

Der  Vorgang,  der  sich  in  beiden  Fällen  abspielt,  läfst  sich  also 
in  Kürze  folgendermafsen  beschreiben.  Kurze  Mittelsilbe  wurde  bei 
unbehinderter  Entwicklung  beseitigt,  lange  mufste  sich  erhalten. 
Wenn  ursprünglich  kurze  Mittelsilbe  nicht  gut  zu  beseitigen  war, 
wurde  sie  daher  zu  einer  langen  umgebildet.    So  erklärt  sich  das 


78       Der  sekundäre  Nasal  in  nightingale,  messenger  u.  ähnl.  Fällen. 

,reaktionäre  Streben',  das  Ritter  richtig  herausgefühlt,  aber  unerklärt 
gelassen  hat,  so  auch,  warum  ein  blofses  e,  i  der  Mittelsilbe  *zu  leicht* 
war  (S.  34). 

Dafs  nun  gerade  ein  Nasal  eingeschoben  wurde,  wird  kaum 
mit  Logeman  S.  252  ff.  aus  der  Neigung  zu  lockerer  Artikulation 
in  unbetonter  Silbe  zu  erklären  sein.  Eine  Folge  derselben,  meint 
er,  sei  Neigung  zur  Nasalierung  gewesen,  und  aus  dem  nasalierten 
Vokal  sei  dann  durch  eine  zeitliche  Verschiebung  der  einzelnen  Teil- 
artikulationen die  Folge  Vokal  -|-  Nasal  entstanden.  Das  ist  un- 
wahrscheinlich, weil  wir  sonst  im  Englischen  nirgends  Spuren  einer 
solchen  Nasalierung  in  unbetonter  Silbe  finden.  Wir  werden  viel- 
mehr davon  auszugehen  haben,  dafs  sich  in  diesen  Wörtern  aus  den 
früher  dargelegten  Gründen  ein  Bedürfnis  nach  Steigerung  der 
Quantität  der  Mittelsilbe  einstellte.  Der  erste  Schritt  war  wohl  die 
Hereinziehung  des  Verschlusses  in  die  Mittelsilbe,  d.  h,  die  Ver- 
legung der  Silbengrenze  in  die  Verschlufspause,  so  dafs  Geminaten 
entstanden:  ni/teg-gale,  mesed-dzdfrj.  Nun  sind  Geminaten  im  Eng- 
lischen überhaupt  früh  verloren  gegangen  und  jedenfalls  in  unbe- 
tonter Silbe  im  Mittel-  und  Neuenglischen  ungeläufig :  daher  wurde  ihr 
erster  Teil  durch  den  homorganen  Nasal  ersetzt.  Dieser  Vorgang  ist 
artikulatorisch  leicht  verständlich  und  bedeutet  eine  viel  geringere 
Veränderung,  als  es  auf  dem  Papier  scheint:  es  braucht  an  den 
früheren  Bewegungen  der  Mundorgane  gar  nichts  verändert  zu  wer- 
den, sondern  blofs  die  Senkung  des  Gaumensegels  hinzuzutreten. 
Man  spreche  sich  nur  einmal  mesed-dzd  und  mesen-did  vor,  und  man 
wird  wahrnehmen,  wie  geringfügig,  sowohl  artikulatorisch  wie  akus- 
tisch, der  Unterschied  zwischen  diesen  zwei  Formen  ist.  Dazu  kam 
noch  das  Muster  der  schon  vorliegenden  Wörter  der  Gestalt  x  —  x_, 
wie  carpenter  usw.,  die  vorwiegend  die  Lautfolge  Nasal  -j- Verschlufs- 
laut  aufweisen,  endlich  wohl  auch  der  Umstand,  dafs  in  unbetonter 
Silbe  überhaupt  diese  Folge  häufig  ist  {-ing^  -ant,  -ent,  me.  -ende, 
-ande,  -inde  usw.). 

Ritter  hat  wieder  das  m.  E.  Richtige  geahnt;  aber  wenn  er  sagt, 
dafs  der  Einschub  des  n  sich  'aus  physiologischen  Gründen  empfahl' 
(S.  34),  so  ist  das  eine  Ausdrucksweise,  welche  nach  gemeinem  Wort- 
gebrauch doch  zu  sehr  auf  bewufste  Tätigkeit  hinweist  und  für  solche 
dem  Sprechenden  völlig  unbewufste  lautmechanische  Vorgänge  wenig 
passen  will. 

Die  Erklärung  Logemans  S.  252  f.  mag  für  ähnliche  Erschei- 
nungen in  anderen  Sprachen  zutreffen.  Die  englischen  aber  sind 
deutlich  an  einen  gewissen  Formtypus  gebunden,  müssen  daher  ihre 
Wurzeln  in  der  Eigenart  dieses  Typus  haben. 

Wenn  in  me.  herigaut  und  ne.  pedigree,  verdigris  kein  Nasal 
auftritt,  worauf  Bradley  (S.  203)  verwiesen  hat,  so  ist  zu  beachten, 
dafs  das  erstere  Wort,  kaum  im  13.  Jahrhundert  entlehnt,  schon 
im  14.  wieder  ausstirbt,  das  zweite  nicht  eigentlich  volkstümlich  ge- 


Der  sekundäre  Nasal  in  nightingale,  messenger  u.  ähnl.  Fällen.       79 

worden  zu  sein  scheint  und  im  übrigen  bei  diesem  wie  bei  dem  letz- 
ten erst  abzuwarten  ist,  ob  in  dem  Material  des  NED.  nicht  auch 
Formen  mit  Nasal  auftauchen  oder  etwa  die  Gründe,  warum  es  zu 
keinem  Nasaleinschub  kam,  deutlich  werden.  Das  Fehlen  eines 
solchen  in  manager  (Jespersen  241)  wird  daher  rühren,  dafs  das 
"Wort  eine  junge  Bildung,  also  noch  nicht  lange  in  volkstümlichem 
Gebrauch  ist:  es  taucht  erst  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts  auf. 

Sowohl  von  Logeman  als  Ritter  sind  auch  altenglische  Formen 
mit  eingeschobenem  Nasal  herangezogen  worden.  Zum  Teil  sind  es 
vereinzelte  Schreibungen :  polenden,  halantunge,  zum  Teil  spärlich  be- 
legte Wörter:  cumendre  (bei  Sweet  angeführt,  aber  wo  belegt?),  Sar- 
mondisc  (einmal  belegt  bei  Bosworth-Toller),  Sermende  (wo  belegt?). 
Nun  hatte  ja  das  Altenglische  ein  ganz  ähnliches  Synkopierungs- 
gesetz  wie  dasjenige,  welches  im  späteren  Mittelenglischen  auftritt, 
nur  mit  der  Beschränkung,  dafs  es  blofs  nach  langer  Tonsilbe  wirkt. 
Es  wäre  also  denkbar,  dafs  sich  hier  derselbe  Vorgang  ergab  wie  in 
späterer  Zeit,  etwa  in  Sermende,  Sarmondisc.  Indessen  ist  bei  diesen 
wenigen  Fällen  doch  wahrscheinlicher,  dafs  irgendwelche  Form- 
mischungen vorliegen.  Vollends  in  polenden  für  poledon  ist  trotz 
Logemans  Einspruch  die  Annahme  eines  Schreibfehlers  viel  wahr- 
scheinlicher. Solange  nicht  deutlicheres  Material  aufgefunden  ist, 
werden  wir  also  wohl  diese  altenglischen  Fälle  beiseite  lassen  müssen. 

Graz.  K.  Luick. 


Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface, 


In  Band  CVI,  S.  1  habe  ich  ein  deutsches  Bildergedicht 
aus  dem  Jahre  1586  mitgeteilt,  das  sich  als  die  Übersetzung 
zweier  französischer  Dichtungen  von  den  Wundertieren  Bigorne 
und  Chicheface  erweisen  liefs.  Kürzlich  erst  stiefs  mir  bei  einer 
Durchsicht  der  auf  der  Wolfenbütteler  Bibliothek  aufbewahrten 
Flugblättersammlung  ein  etwa  gleichzeitiger  Bilderbogen  des 
Lyoner  Formschneiders  Leonard  Odet  ^  auf,  der  die  französischen 
Originale  enthält  und  einen  Abdruck  zu  verdienen  scheint,  weil 
er  bisher  noch  nirgends  erwähnt  ist  und  den  von  A.  de  Mon- 
taiglon^  aus  älteren  Drucken  gegebenen  Text  um  eine  Strophe 
bereichert.  Dafs  das  Lyoner  Blatt  jedoch  nicht  etwa  dem  un- 
bekannten Verdeutscher  von  1586  vorlag,  ergibt  sich  schon  aus 
einer  Vergleichung  der  beiden  Holzschnitte. 

Histoire  facecieuse  de  la  Bigorne,   qui  ne  vit  que  de  bons  Hommes.    Et 

la   Chiche-Face    qui   ne   vit   que   de   bonnes   Femmes.     [Holzschnitt, 

10  X  44,5  cm,   aus  zwei  Platten   zusammengesetzt;    hier   auf   S.  81    in 

starker  Verkleinerung  reproduziert.] 

Bigorne. 
Bigorne  suis  en  Bigornois 
Qui  ne  mange  figues  ne  nois 
Car  ce  n'est  mye  mon  vsage, 
Bons  hommes  qui  fönt  le  commandement 
5   De  leurs  femmes  entierment, 

Sont  si  bons  pour  moy  que  c'est  rage: 
Je  les  mange  de  grand  courage 
C'est  vn  beau  meta  pour  abreger, 
Bons  hommes  sont  bons  ä  manger. 

Le  bon  homme. 
10        Tres-doux  Seigneur,  vostre  mercy, 
S§aches  que  venu  suis  icy, 
Vous  requerir  misericorde, 


*  Von  1578  bis  1610  tätig.  Vgl.  N.  Rondot,  Graveurs  sur  hois  ä  Lyon 
au  16.  siecle  (Paris  1897)  S.  20.  118. 

^  Recueil  de  poesies  fran^oises  des  15.  et  16.  siecles  2, 187  (Bigorne)  und 
11,  284  (Chicheface).  Vgl.  [E.  Picot,]  Gatalogue  de  la  bibliotheque  d^  James 
de  Rothschild  1,  No.  527—528  (1884). 


Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface. 


81 


Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV. 


82  Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface. 

J'ay  vne  Diablesse  de  femme, 


Qui  me  tance,  bat,  &  diffame, 
15   Et  iamais  ä  moy  ne  s'accorde: 
Mais  comme  li^  de  sa  corde, 
Fais  de  moy  tout  ä  son  plaisir, 
Bon  homme  vient  ä  grand  desplaisir. 

La  Bigorne. 
Attens  vn  peu  beau  Damoyseau, 

20   Laisse  m'aualler  ce  morceau, 
Qui  est  tres-bon  ie  t'en  asseure, 
Et  puis  ä  toy  ie  parleray, 
Et  volontiers  t'escouteray, 
Tu  es  venu  ä  la  droicte  heure, 

26   Homme  qui  j^laint  &  si  fort  pleure 
Comme  tu  fais,  n'est  pas  ioyeux, 
Trop  pleurer  fait  grand  mal  aux  yeux. 

Le  bon  homme. 
Bien  dois  gemir  &  souspirer, 

Car  ie  ne  syaurois  empirer 
30   De  femme  au  demeurant  du  monde. 

Si  ie  dy  nuf  eile  dit  naf, 

Si  ie  dy  buf  eile  dit  baf, 

Toute  malice  en  eile  abonde, 

Elle  est  en  tout  mal  si  profonde, 
35   Que  nuict  &  iour  ne  fait  que  braire, 

Bon  homme  n'a  rien  plus  contraire. 

La  Bigorne. 
Tu  es  vne  sötte  personne, 
Je  croy  que  ta  femme  soit  bonne, 
Toutes  sont  faictes  d'vne  masse: 

40   Et  pource  qu'elles  sont  malles. 
Plus  jangleresses  que  figalles, 
Font  mourir  de  faim  Chiche-face, 
Leur  volonte  faut  que  ce  face, 
L'homme  n'y  peut  contrarier, 

45   Bon  homme  ne  peut  varier. 

Le  bon  homme. 
Bien  y  a  pire,  pour  le  vous  dire 
Mais  quoy,  on  ne  s'en  doit  pas  rire: 
Car  le  faict  est  trop  malotru. 
Elle  a  iur^  par  sainct  Martin, 
50   Que  deuant  que  soit  le  matin, 
Elle  me  mangera  tout  cru; 
En  son  jardin  ne  suis  pas  creu, 
J'ayme  mieux  que  vous  me  mangez, 
A  fin  que  d'elle  me  vangez. 

La  Bigorne. 
56         Si  je  suis  grasse,  n'est  pas  merueilles, 

Bons  hommes  m'essourdent  les  oreilles, 

Pour  estre  deuorez  de  moy. 

Ils  viennent  ä  moy  ä  milllers, 

Aussi  grands  comme  des  piliers 
60   Parquoy  ie  n'en  ay  point  d'esmoy, 


Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface.  88 

Que  ie  trouue  sans  toy, 
Attens  iusqu'ä  vne  autre  fois, 
C'est  la  grace  que  ie  te  fais. 

Le  bon  homme. 
Helas  pour  Dieu,  n'attendez  plus, 
66   Par  ma  foy  il  en  est  conclus. 

Mieux  vaut  mourir,  que  tant  languir, 

Depeschez-moy  ie  vous  en  prie, 

Apres  moy  vient  grand  compagnie 

De  bons  hommes,  pour  vous  nourrir, 
70   Vueillez-moy  donc  faire  mourir: 

Premier  qu'ils  soyent  en  presence 

Bon  homme  prend  tout  en  patience. 

La  Bigorne. 
Puiß  qu'es  de  si  grand'  volonte, 

Et  qu'ä  moy  t'es  tant  presentö; 
76   Je  te  veux  premier  depescher. 

[Mais,  quant  en  ma  gorge  seras,] 

D'vne  chose  te  faut  garder, 

C'est  de  peter  ne  de  vesser: 

II  ne  te  taut  point  dechausser, 
80   Ne  despouiller,  c'est  ma  nature, 

Bons  hommes  sont  ma  nourriture. 

Cy  fine  le  dict  de  Bigorne. 

A  l'ayde  ä  l'ayde  bonnes  genes. 

Bigorne  qui  mange  les  gens, 

Veut  deuorer  mon  bon  mary, 
85   Mais  si  vne  fois  il  est  deffaict, 

Tout  sera  destruict  en  effect, 

Des  bons  sera  le  pays  tary. 

Je  vous  iure  par  sainct  Marry, 

Sa  mort  voulusse  retarder. 
90   Qui  bon  homme  a,  le  doit  garder. 

Cy  commence  le  dict  de  Ch ich e -face,  horrible  beste,  laquelle  ne  vit 
sinon  des  femmes  qui  fönt  en  tout  temps  le  commendement  de  leurs  marys. 

Chi  che -face  suis  appellee, 

Maigre,  seiche,  &  desolee, 

Et  bien  y  a  droict  &  raison: 

Car  ie  ne  mange  seulement 
95   Que  femmes  qui  fönt  le  commandement 

De  leurs  marys  en  toute  saison, 

Et  qui  regissent  la  maison, 

Sans  faire  leurs  marys  marry. 

Bonne  femme  fait  bon  mary. 
100         II  y  a  des  ans  bien  deux  cens, 

Que  greuee  de  faim  me  sens, 

Par  lorce  de  grande  famine, 

Que  i'en  tiens  vne  entre  mes  dents, 

Que  ie  n'ose  aualler  dedans, 
105   Par  grand  peur  de  cheoir  en  ruine, 

Et  que  par  faim  la  mort  me  fine, 


76  nach  Montaiglou,  Recueü  2,  190.  —  82—90  fehlen  bei  Montaiglon  2,  191. 


84  Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface. 

Dont  nul  ne  se  peut  recouurer. 

Bonne  femme  ne  puis  trouuer. 

Depuis  le  temps  que  ie  vous  compte, 
110   Je  la  prins  confuse  ä  grand'honte, 

Et  si  ne  le  cuidoy  pas  faire, 

Bien  vint  ä  poinct,  plus  n'en  pouuoye. 

Deux  mil'  ans  ay  estö  en  la  voye, 

Dont  i'en  auoye  bien  af faire: 
115   Depuis  n'ay  sceu  par  mon  af  faire, 

De  manger  femme  n'autre  chose, 

Femmes  syauent  texte  &  glose. 
Si  ie  demeure  encore  autant, 

Mon  ventre  n'en  sera  content. 
120   Mais  i'espere  misericorde, 

Que  quelque  femme  obeyra 

A  son  mary,  &  se  duira 

Selon  son  lien  &  sa  corde 

[Et  aymera  paix  et  concorde]; 
125   Toutesfois  ie  crains  le  contraire, 

Femmes  sont  fortes  ä  retraire. 

11  y  a  si  long  temps  que  ie  chaase, 

Et  toutesfois  en  nulle  place 

Ne  puis  bonne  femme  trouuer. 
180   Les  vnes  ont  mauuaise  teste,! 

Les  autres  sont  comme  tempeste, 

Les  autres  veulent  mal  ouurer. 

Si  i'en  puis  aucune  trouuer, 

Geste  lä  sera  tost  mangee: 
185   Je  suis  de  faim  presque  enragee. 
Femmes,  femmes,  par  amiti^ 

Vueillez  auoir  de  moy  piti^, 

Ne  me  laissez  de  faim  mourir, 

Aymez  vos  marys,  qu'on  se  coyse, 
140   Et  faictes  qu'ä  eux  n'ayez  noyse, 

Vueillez  leur  vn  petit  obeyr: 

Ne  vous  faictes  battre  ne  ferir, 

Sur  vous  en  viendra  le  dommage, 

Quand  vous  voulez  vous  faictes  rage. 

La  bonne  femme  qui  s'excuse,  disant  qu'elle  ne  cuidoit  pas  faire. 
146         Pour  faire  le  commandement 

De  son  mary  aucunement, 

Et  Sans  que  nul  mal  i'y  pense, 

Souffrir  me  conuient  peine  dure. 

Et  si  faut  que  la  mort  i'en  dure: 
150   Gar  prinse  suis  par  Ghiche-face, 

Par  sa  gorge  faut  que  ie  passe. 

De  rien  ne  sert  ma  repentance, 

Femme  doit  vser  de  science. 

Faux  mary,  pour  faire  ä  ton  ayse, 
155   Si  i'en  meurs,  tu  en  es  bien  ayse, 

Et  de  ioye  n'en  fais  que  rire. 

Mais  si  entre  mil'  en  trouue  vne, 

Qui  te  donne  plaisance  aucune, 

Gomme  i'ay  fait  en  grand  martyre, 
160   Quelque  iour  tu  le  S9aura8  dire, 

124  nach  Montaiglon,  Recueil  11,  285. 


Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface.  85 

On  en  verra  l'experience, 

Femme  veut  viure  ä  sa  plaisance. 
A  Dieu  V0U8  dy,  bonne  commere, 

Aduisez  vous,  filles  &  mere, 
166   Gardez- vous  de  la  malle- beste, 

Gardez-vous,  quov  qu*on  en  die, 

Et  prenez  exemple  en  ma  vie, 

Gouuernez-vous  par  vostre  teste, 

Et  si  vostre  mary  tempeste, 
170   Laissez  le  crier  ne  vous  chaille. 

Femme  qui  craint,  ne  vaut  pas  maille. 

Cy  finissent  les  dicts  de  Chiche-face. 
A  LYON, 
Par  LEONARD  ODET. 

Dafs  diese  französische  Satire  auch  in  England  und  Italien 
nachgeahmt  wurde, '  sahen  wir  schon  früher.  Ein  weiteres  Zeug- 
nis ihrer  Verbreitung  vermag  ich  aus  den  Niederlanden  bei- 
zubringen. 1621  erschienen  bei  P.  van  der  Keere  zu  Amsterdam 
zwei  Flugblätter  'Bigorne  en  Scherminckel-aensicht^  -  mit  hollän- 
dischen Versen.  Leider  sind  diese  von  F.  Müller^  nachgewiesenen 
Stücke  nach  Amerika  verkauft  worden  und  vorläufig  unerreich- 
bar. Dafs  sie  nicht  direkt  dem  Französischen,  sondern  einer 
deutschen  Übersetzung  nachgebildet  sind,  könnte  man  aus  Mullers 
Bemerkung  schliefsen,  dafs  das  eine  Bild  auch  mit  deutschen  Versen 
auf  einem  Flugblatt  von  J.  Klocker  in  Augsburg  erscheine. 
**  Von  dem  Bd.  CVI,  S.  13  zitierten  Kupferstiche  des  17.  Jahr- 
hunderts: 'Der  Junckfrawen  Hundt'  fand  ich  vor  kurzem  einen 
späteren  Druck  auf,  den  ich  hier  wiedergebe: 

Zur  Zeitvertreibung,  Kurtzweiliger  Aderlal],  Wie  auch  Eigentliche  Abbil- 
dung des  dürren  vud  verhungerten  Jungf  rau-Hund ,  welcher  kein  an- 
deres, als  Jungfern -Fleisch  verdauen  kan,  samt  noch  beygeaetzten,  Lust- 
machenden Aderlalj-Retzeln,  1666.  [Kupferstich,  14,6  ><  24,3  cm :  Ein 
magerer  Hund  (C)  sitzt  zwischen  einem  Kavalier  (A),  der  mit  seinem  Stock 
auf  ihn  zeigt,  und  einer  Dame  {B).  Darüber  drei  Medaillons  (DEF)  mit 
Brustbildern  von  Damen,  die  sich  im  Spiegel  betrachten.]  Darunter  folgt 
das  Gedicht.  —  (Wolfenbüttel.) 

A.  Sehet  hier  den  Jungfer-Hund, 

Der  so  dürr  und  ungesund. 
Der  so  mager  einhergehet, 
Der  so  elend  vor  euch  stehet. 
Weil  das  Jungferfleisch  ihm  fehlt,  6 

Das  er,  sonsten  keins,  erwehlt; 
Er  laufft  alles  auszugründen, 
Kan  kein  Jungferfleisch  mehr  finden; 

*  Zu  S.  8  3  verweise  ich  noch  auf  Gattinger,  Die  Lyrik  L^dgates,  1896, 
S.  55  f. 

^  Scharminkel  oder  Scherminkel  heifst  eine  Hopfenstange  und  ein 
dürrer,  langer  Mensch;  also  eine  passende  Bezeichnung  für  Chicheface. 

3  De  ncderlandsche  Oeschiedenis  in  Platen  4,  44  No.  118  Ae  (188'2)  nach 
F.  Muller,  CatcUogus  Atlas  van  Voorst  S.  52. 


!6  Noch  einmal  Bigorne  und  Chicheface. 

Hurenfleisch  hat  er  die  Mäng, 

Aber  das  ist  ihm  zu  streng,  10 

Das  kan  er  in  seinem  Magen 

Nicht  verkochen  und  vertragen. 
B.  Pack  dich,  troll  dich  weg  von  mir, 

Von  mir,  aller  Jungfern  Zier! 

Wie,  Schelm!  wilt  du  mich  wol  beissen,  16 

Dich  mit  meinem  Fleisch  zu  speisen? 

Nein!  das  gehet  gar  nicht  an. 

Komm  nur  nicht  zu  mir  heran! 

Ach,  was  würde  mein  Schatz  sagen, 

Wann  du  mich  davon  getragen  20 

Und  mich,  seine  Zeitvertreib, 

Hättest  in  dem  dürren  Leib 

So  vergraben!     Dein  Verderben 

War'  dir  nah',  du  müss[t]est  sterben. 
G.  Fürchtest  du  dich  auch  vor  mir?  25 

Nein!  mich  hungert  nit  nach  dir: 

Ey,  du  darffst  mir  gar  wol  trauen. 

Solche,  wie  du  bist,  Jungfrauen 

Friß  ich  nicht;  dein  Fleisch  ist  hart. 

Vor  zwölff  Jahren  war  es  zart,  30 

Da,  da  hätt'  ich  nicht  vergessen, 

Dich  mit  Haut  und  Haar  zu  fressen. 

Bleibe,  bleibe,  kecklich  hier, 

Gehe  näher  her  zu  mir! 

Du  wirst  in  der  Warheit  spüren,  35 

Daß  ich  dich  nicht  werd  anrühren. 

D.  Ich  laß  mich  zwar  Jungfer  heissen, 
Aber  nein,  kein  heisses  Eisen 

Trag  ich  in  der  Hand  zur  Prob; 

Ich  habs  schon  gemacht  zu  grob.  40 

E.  Es  gefällt  mir  Übermassen, 
Wenn  ich  gehe  auf  der  Strassen, 
Daß  man  mich  noch  Jungfer  heisst: 
Alles  ist  nicht  Gold,  das  gleist. 

F.  Manchen  hab  ich  schon  bestricket  46 
Und  an  meine  Brüst  gedrücket; 

Dorten  jener  Jungferhund 
Lässet  mich  wol  unverwund. 

Eine  Anspielung  auf  dieses  Flugblatt  bietet  Harsdörffer 
{Schauplatz  tust-  und  lehrreicher  Geschichte,  1660,  1,  300):  'weil  ... 
der  Hund,  welcher  Jungfrawen  frisset,  fast  außdorret^  —  über 
den  Narrenfresser  (oben  S.  14)  vgl.  noch  Wickram,  Werke  5, 
LVII^  —  Zu  dem  S.  18  angeführten  Kinderfresser  endlich 
bitte  ich  einen  bei  Boesch,  Kinderleben  in  der  deutschen  Vergangen- 
heit, 1900,  S.  87  reproduzierten  Augsburger  Bilderbogen  des  17. 
bis  18.  Jahrhunderts  zu  vergleichen,  auf  dem  der  Wau  Wau  und 
die  Bercht  als  Hausgenossen  des  Kinderfressers  genannt  werden. 
Bei  Hans  Sachs  (Fabeln  und  Schwanke  ed.  Goetze  4,  77  No.  287) 
entspricht  dieser  Figur  der  Pöpelmann. 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


Ein  Beitrag 

zur 

Quellenuntersuchung  von  Daniel  Defoes 
'Journal  of  the  Plague  Tear'. 


SiebenundfGnfzig  Jahre  waren  seit  jenen  Tagen  des  Schreckens 
verflossen,  in  den  die  Pest  des  Jahres  1665  die  Bevölkerung 
Londons  versetzt  hatte.  Die  Generation,  die  dem  Wüten  der 
Seuche  getrotzt  hatte,  war  dahingegangen.  Zahllose  Stätten  — 
einst  die  Schauplätze  erschütternder  Tragödien  —  waren  der 
Feuersbrunst  im  Jahre  1666  zum  Opfer  gefallen  und  den  Men- 
schen von  1722  nicht  mehr  bekannt.  Da  erschien  Defoes  Jour- 
nal of  the  Plague  Year.  Das  erneute  Umsichgreifen  der  Pest  auf 
dem  Kontinent,  die  Verheerung  in  Frankreich,  die  Furcht  vor 
der  Übertragung  hatten  ihm  die  Feder  in  die  Hand  gedrückt. 
Niemand  zweifelte  an  der  historischen  Treue  des  Werkes.  Die 
Gunst  der  Verhältnisse,  das  glänzende  Erzählertalent  des  Ver- 
fassers, die  überzeugende  Treue  seiner  Detailmalerei  liefsen  kei- 
nen Zweifel  aufkommen.  Das  Buch  galt  als  Geschichtsquelle. 
Gelehrte,  Männer  der  Wissenschaft  wie  Dr.  Mead  beriefen  sich 
auf  den  Traktat  wie  auf  einen  authentischen  Bericht.  Zwar 
konnte  dieser  Irrtum  einer  späteren  Kritik  nicht  standhalten,  aber 
noch  heute  wirkt  der  Zauber  Defoescher  Erzählungskunst  fort, 
noch  die  jüngsten  Biographen  des  Schriftstellers  vertreten  die 
Ansicht,  dafs  der  Traktat  zum  Teil  ^Geschichte'  sei.  ^  Wert  oder 
Unwert  einer  solchen  Hypothese  läfst  sich  leicht  ermessen,  wenn 
man  sich  erinnert,  dafs  Defoe  im  Jahre  1665  vier  Jahre  alt  war, 
wenn  man  bedenkt,  wie  schwankend  der  Boden  mündlicher  Über- 
lieferung ist  (auf  dem  er  vielleicht  zum  Teil  gefufst),  und  wenn 
man  in  Betracht  zieht,  dafs  eine  Untersuchung  etwaiger  schrift- 
licher Quellen  fehlt.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dafs  hier  nur  die 
Lösung  der  Quellenfrage  —  soweit  diese  heute  noch  möglich 
ist  —  Licht  schaffen  kann. 

Der  erste  Schritt  hierzu  ist  bereits  getan.  Jedenfalls  fehlt 
es  nicht  an  gelegentlich  ausgesprochenen  Vermutungen.  So  fügt 
A.  H.  Bullen  bei  der  Erwähnung  der  Dekkerschen  Pestbeschrei- 

*  The  Life  of  Daniel  Defoe  by  Th.  Wright,  London  1894,  p.  294,  desgl. 
by  W.  Lee  Bd.  I,  p.  359. 


88  Ein  Beitrag  zur  Quellenuntersuchung 

bung  aus  dem  Jahre  1603  ^  im  Dictionary  of  National  Biograijhy 
die  Bemerkung  hinzu :  'douhtless  well  known  to  Defoe'.  Und  Jusse- 
rand  neigt  der  gleichen  Ansicht  zu^  wenn  er  meint,  dafs  Defoe 
dem  Wonderful  Year  ^einige  Winke'  entnommen  habe.  ^  Schwer- 
lich sind  beide  Ansichten  unabhängig  voneinander  entstanden. 
Zwar  fehlt  es  den  genannten  Werken  nicht  an  Berührungspunkten, 
und  besonders  den  allgemein  gehaltenen  Betrachtungen  des  einen 
lassen  sich  ohne  Schwierigkeit  einige  Analogien  aus  dem  Werke 
des  anderen  gegenüberstellen.  Beide  erzählen  z.  B.  von  der  Be- 
seitigung der  Hunde,  sie  berühren  gemeinsam  den  Mangel  an 
Verkehrsmitteln,  sie  weisen  auf  die  Quacksalberanschläge  an  den 
Strafsenecken  hin,  klagen  über  die  ünzuverlässigkeit  der  Wärte- 
rinnen usw.  Aber  berechtigen  derartige  Angleichungen,  die  in 
einem  sonst  fremden  Milieu  einander  gegenüberstehen,  zu  der 
Annahme,  dafs  Defoe  mit  Dekkers  Traktat  bekannt  war?  Gewifs 
nicht.  Man  nehme  eine  beliebige  Pestbeschreibung  zur  Hand, 
z.  B.  die  bekannte  Erzählung  in  Manzonis  'Promessi  Sposi',  ver- 
gleiche sie  mit  der  Abhandlung  Defoes,  und  man  wird  unschwer 
eine  gleiche  Anzahl  von  Analogien  zusammenstellen  können.  Doch 
hat  sich  bislang  niemand  einfallen  lassen,  beide  Werke  mitein- 
ander in  Verbindung  zu  bringen.  Auch  die  abgerundeten,  kleinen 
Erzählungen,  die  sich  bei  Dekker  wie  bei  Defoe  finden,  haben 
nichts  miteinander  zu  tun.  Zur  Verteidigung  von  Bullens  An- 
sicht liefse  sich  allenfalls  der  Bericht  von  einem  Betrunkenen 
anführen,  der  in  seinem  bewufstlosen  Zustande  unter  die  Pest- 
leichen gerät  und  hier  seinen  Rausch  ausschläft,  ohne  sich  den 
geringsten  Schaden  zuzuziehen.  Die  hervorgehobenen  Punkte 
dieser  Erzählung  finden  sich  sowohl  bei  Dekker  als  bei  Defoe. 
Ein  wesentlicher  Unterschied  beider  Versionen  ist  jedoch  der, 
dafs  bei  Dekker  der  Bacchant  in  die  Totengrube  fällt,  bei  Defoe 
in  den  Leichenkarren  geworfen  wird.  Dafs  auch  hier  die  Analo- 
gien durchaus  zufällige  sind,  wird  die  Angabe  der  wirklichen 
Quelle  aufser  Zweifel  stellen. 

*  The  Wonderfully  Year  (Non-dramatie  Works  of  Th.  Dekker  ed.  by 
Dr.  Grosart,  London  1884,  vol.  I).  —  Swinburne  äufserte  im  Januar  1887 
in  ^The  19"'  Century',  dafs  Dekkers  Wonderful  Year  Zöge  enthielte,  die 
'wenn  nicht  an  den  Decameron,  so  doch  an  die  Gent  Nouvelles  Nouvelles 
erinnerten'.  Es  trifft  dies  wohl  nur  für  eine  Erzählung  zu,  nämlich  für 
den  Bericht  von  einem  Schuhflicker,  der  die  Beichte  über  das  bewegte 
Leben  seiner  Frau  hört,  was  an  das  bekannte  altfranzösische  Fabliau 
erinnert,  das  sich  sowohl  im  Decamerone  (VII,  5)  als  in  den  Gent  Nouv. 
Nouv.  (LXXVIII  Le  mari  confesseur)  findet  und  Dekker  vielleicht  zu 
seiner  Erzählung  angeregt  hat.  Dafs  Dekker  gut  mit  den  französischen 
Fabliaux  vertraut  gewesen,  beweist  die  Erzählung  vom  Frier  Pedro,  die 
sich  in  einem  Traktat  aus  dem  Jahre  1609  (The  Rauens  Almanacke)  findet, 
und  deren  Schlufs  offenbar  den  Cent  Nouv.  Nouv.  (LXXXV  Le  curö  clou^) 
entnommen  ist. 

'■^  The  Fmglish  Novel  in  the  time  of  Shakespeare,  London  1890,  p.  335. 


von  Daniel  Defoes  'Journal  of  the  Plague  Year\  89 

Als  solche  ist  aber  offenbar  eine  kleine  Abhandlung  aus 
dem  Jahre  1604  anzusehen,  deren  einziges  mir  bekanntes  Exem- 
plar sich  in  der  Bodleiana  (Malone  635)  befindet.  Das  Buch 
führt  den  Titel  'The  Meeting  of  Gallants  at  an  Ordinarie:  or  the 
Walkes  in  Powles.  Londofi  1604'.  Es  ist  erwähnt  in  Disraelis 
^  Cxiriosities  of  Literatur e'  Bd.  II,  p.  165,  und  scheint  von  Thornbury 
{ Shakespeare' s  England  Bd.  I,  p.  165/66)  benutzt  zu  sein.  Der 
Inhalt  dreht  sich  wie  bei  Dekker  um  die  Pest  des  Jahres  1603. 
Ich  übergehe  den  einleitenden  Dialog  zwischen  Krieg,  Hungers- 
not und  Pest,  die  sich  gegenseitig  den  Vorrang  streitig  zu  machen 
suchen,  sowie  die  Unterhaltung  der  Stutzer  in  der  Paulskirche, 
die  die  Pest,  ihre  Folgen,  den  traurigen  Zustand  der  Kleidung 
zum  Gegenstande  hat,  um  auf  die  Erzählungen  des  Wirtes  zu 
kommen,  die  den  letzten  Teil  des  Buches  ausmachen,  und  die 
hier  allein  besonderes  Interesse  verdienen.  Wie  bei  Dekker,  so 
sind  hier  zwanglos  kleine  zusammenhangslose  Erzählungen  an- 
einandergereiht, in  denen  Scherz  und  Humor  einen  Schleier  über 
den  traurigen  Hintergrund  breiten,  der  nur  hier  und  dort  von 
hellerem  Streiflicht  getroffen  wird.  Es  fehlt  diesen  Erzählungen 
indes  die  frische,  flüssige  Diktion,  die  dem  Dekkerschen  Werke 
eigen  ist.  Auch  ist  die  Wahl  des  Stoffes  nicht  so  glücklich  und 
die  Anzahl  der  Anekdoten  eine  zu  beschränkte,  als  dafs  das 
Werk  gleichen  Rang  mit  dem  Dekkers  beanspruchen  könnte. 
Unter  diesen  Erzählungen  nun  befindet  sich  auch  der  oben  er- 
wähnte Bericht  von  dem  Betrunkenen.  Ich  stelle  unter  a)  das 
Original  der  Defoeschen  Fassung  gegenüber  und  lasse  unter  b) 
und  c)  je  zwei  weitere  Abschnitte  folgen,  deren  Vergleichungs- 
punkte zwar  nicht  so  zahlreich  und  überzeugend  sind  wie  die 
der  ersten  Erzählung,  die  aber  immerhin  die  Ansicht,  den  Ox- 
forder Traktat  als  eine  Quelle  der  Defoeschen  Pestbeschreibung 
betrachten  zu  dürfen,  unterstützen  werden. 

a)  Ein  Hausbesitzer  trifft  mit  den  ^Maisters  of  the  Pestcart' 
ein  Abkommen,  die  Toten  aus  seinem  Hause  heimlich  zu  be- 
seitigen : 

To  cleare  his  house  of  all  suspition,  the  dead  body  should  bee  laide 
upon  a  stall,  some  fiue  or  sixe  houses  of :  wbere,  there  tbey  should  enter- 
taine  him  and  take  him  in  amongst  his  dead  companions:  To  conclude, 
night  drewe  on-ward,  and  the  servant  concluded  bis  life,  and  according 
to  tbeir  appointment  was  enstalde  to  be  made  Knigbt  of  the  Pestcart. 
But  here  comes  in  the  excellent  Jest,  Gentlemen-Gallants  of  five  and 
twentie,  about  the  darke  and  pittifuU  season  of  the  night:  a  shipwracke 
drunkard,  (or  one  drunke  at  the  signe  of  the  Ship,j  new  cast  from  the 
shore  of  an  Alehouse,  and  bis  braines  sore  beaten  with  the  cruell  tem- 
pests  of  Ale  and  Beere,  feil  flounce  upon  a  lowe  stall  hard  by  the  house, 
there  being  little  difference  in  the  Carcasse,  for  the  other  was  dead,  and 
he  was  dead  drunke,  (the  worse  death  of  the  twaine)  there  taking  up  his 
drunken  Lod^ing,  and  the  Pest-cart  comming  by,  they  made  no  more 
adoe,  but  taking  him  for  the  dead  Bodie,  placed  him  amongst  his  com- 


90  Ein  Beitrag  zur  Quellen  Untersuchung 

panions,  and  away  they  hurred  with  him  to  the  Pest-house:  but  tliere  is 
an  oulde  Proverbe,  and  now  confirmed  true,  a  Druncken  man  neuer  takes 
härme:  to  the  Approbation  of  whieh,  for  all  hin  lying  with  infectious 
Bedfellowes,  the  next  morning  a  little  before  he  should  be  buried,  he 
strecht  and  yawnde  as  wholesomely,  as  the  best  Tinker  in  all  Banburie, 
and  returned  to  bis  olde^Womlt  againe,  and  was  druncke  in  Shoreditch 
before  Euening. 

Vgl.  Bohns  Standard  Library,  De  Foe's  works  vol.  V,  p.  67/68: 

It  happened  one  night,  that  this  poor  fellow,  whether  somebody  had 
given  him  too  much  drink  or  no  (John  Hayward  said  he  had  not  drink 
m  bis  house,  but  that  they  had  given  him  a  little  more  victuals  than 
ordinary  at  a  public-house  in  Coleman-street),  and  the  poor  fellow  having 
not  usually  had  a  bellyful,  or,  perhaps,  not  a  good  while,  was  laid  all 
along  upon  the  top  of  a  bulk  or  stall,  and  fast  asleep  at  a  door,  in  the 
Street  near  London-wall,  towards  Cripplegate,  and  that,  upon  the  same 
bulk  or  stall,  the  people  of  some  house,  in  the  alley  of  which  the  house 
was  a  corner,  hearing  a  bell,  which  they  always  rung  before  the  cart 
came,  had  laid  a  body  really  dead  of  the  plague  just  by  him,  thinking 
too  that  this  poor  fellow  had  been  a  dead  body  as  the  other  was,  and 
laid  there  by  some  of  the  neighbours.  —  Accordingly,  when  John  Hay- 
ward with  bis  bell  and  the  cart  came  along,  finding  two  dead  bodies  lie 
upon  the  stall,  they  took  them  up  with  the  Instrument  they  used,  and 
threw  them  into  the  cart;  and  all  this  while  the  piper  slept  soundly.  — 
From  hence  they  passed  along,  and  took  in  other  dead  bodies,  tili,  as 
honest  John  Hayward  told  me,  they  almost  buried  him  alive  in  the  cart, 
yet  all  this  while  he  slept  soundly;  at  length  the  cart  came  to  the  place 
where  the  bodies  were  to  be  thrown  into  the  ground,  which,  as  I  do  re- 
member,  was  at  Mountmill;  and,  as  the  cart  usually  stopt  some  time  be- 
fore they  were  ready  to  shoot  out  the  melancholy  load  tney  had  in  it,  as 
soon  as  the  cart  stopped,  he  fellow  awaked,  and  struggled  a  little  to  get 
his  head  out  from  among  the  dead  bodies,  when,  raismg  himself  up  in 
the  cart,  he  called  out,  Hey,  where  am  I? 

b)  Eid  leichtsinniger  Weinhändler  stellt  sich,  als  ob  er  an  der 
Pest  erkrankt  sei,  und  begibt  sich  in  das  Haus  seines  Freundes: 

where  being  allighted,  not  long  after,  he  rounded  one  in  the  eare  in 
priuate,  and  bad  that  the  great  Bell  should  be  towlde  for  him,  the  great 
Bei  of  all,  and  with  all  possible  speede  that  might  be  . . .  within  fewe 
dayes  after,  he  was  found  to  be  the  man  indeed,  whose  part  he  did  but 
play  before. 

Vgl.  De  Foe's  works  vol.  V,  p.  63  f.  Ein  Bekannter  von 
Defoes  Gewährsmann  schickt  seinen  Lehrling  fort,  um  Geld  ein- 
zufordern, dieser  erhält  folgende  Antwort  auf  sein  Gesuch: 

Very  well,  child,  returns  the  living  ghost,  call,  as  you  go  by,  at 
Cripplegate  church,  and  bid  them  ring  the  bell;  and,  with  these  words, 
shut  the  door  again,  and  went  up  again  and  died  the  same  day,  nay,  per- 
haps the  same  hour. 

c)  Ein  Betrunkener  fällt  vom  Pferde  und  wird  für  einen 
an  der  Pest  gestorbenen  Londoner  gehalten,  es  werden  Vorberei- 
tungen zu  seiner  Beseitigung  getroffen: 

Euery  Townseman  at  his  wise  Non-plus,  nothing  but  looking  and 
wondering,  yet  some  wiser  then  some,  and  those  I  thinke  were  Watch- 


von  Daniel  Defoes  'Journal  of  the  Plague  Year'.  91 

men,  told  them  flatly  and  plainly,  that  the  body  must  be  remoued  in 
any  case,  and  that  Extempore :  it  would  infect  all  the  Ayre  round  about 
eise.  These  horesons  seemed  to  haue  some  wit  yet,  and  their  politick 
counsell  was  tooke,  and  embracst  amongst  them,  but  all  the  cunning  was 
how  to  remoue  him  without  taking  the  winde  of  him:  whereuuon  two  or 
three  weather  wise  Stinkards  pluckt  up  handfulls  of  Grasse,  and  tost  them 
into  the  Aire,  and  then  whoopeing  and  hollowing,  told  them  the  winde 
blewe  sweetly  for  the  purpose,  for  it  stood  füll  on  bis  Back-part,  then 
all  agreed  to  remoue  him  with  certaine  long  Instruments,  senaing  home 
for  hookes  and  strong  Ropes,  as  if  they  had  bene  pulling  downe  a  house 
of  Fire. 

Vgl.  die  allgemeine  Betrachtung  Defoes  p.  73: 

The  number  of  these  miserable  objects  were  many;  and  1  know  so 
mauy  that  perished  thus,  and  so  exactly  where,  that  I  belle ve  1  could  go 
to  the  very  place  and  dig  their  bones  up  still;  for  the  country  peopie 
would  go  and  dig  a  hole  at  a  distance  froni  them,  and  then,  with  long 
poles  and  hooks  at  the  end  of  them,  drag  the  bodies  into  these  pits,  and 
then  throw  the  earth  in  form,  as  far  as  they  could  cast  it,  to  cover  them ; 
taking  notice  how  the  wind  blew,  and  so  come  on  that  side  which  the 
eeamen  call  to  windward,  that  the  scent  of  the  bodies  might  blow  from  them. 

Greifswald.  F.  Bergmeier. 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte, 


I.    Die  Folko-Aupais-Episode  im  Girart  von  Rossillon 
und  Alphaid,  Mutter  Karl  Martells.^ 

Über  die  Enfances  Karls  des  Grofsen,  die  Verdrängung 
seiner  Mutter  durch  die  'falsche  Berta*,  seine  eigene  Verdrängung 
durch  deren  Bastarde,  wie  sie  in  den  beiden  Dichtungen  Berthe  as 
grans  pies  und  Mainet  dargestellt  werden,  haben  Gaston  Paris 
und  nach  ihm  Pio  Rajna  in  erschöpfender  Weise  gehandelt.  Ihre 
Untersuchungen  (Histoire  Poetique  S.  438  ff.,  Origini  S.  202  ff.) 
zeigen  die  interessanteste  Sagen  verquickung  und  Übertragung,  die 
man  sich  denken  kann:  die  Grundgedanken  der  Sagen  —  Konkur- 
renz zweier  Gattinnen  hier,  Konkurrenz  der  Söhne  aus  zwei  Ehen 
dort  —  gehören  Karl  Martell  an  und  zwar  geschichtlich.  Er  ist 
es,  der  als  Sohn  Pipins  und  der  Alphaid  die  Söhne  Drogo  und 
Grimoald  der  rechtmäfsigen  Ehe  des  Königs  mit  Plectrud,  also  seine 
Stiefbrüder,  verdrängte.  Der  historische  Bestand  ist  von  der  Sage 
umgedreht  worden,  der  Bastard  wurde  zum  rechtmäfsigen  Sohne,  die 
legitimen  Kinder  zu  untergeschobenen.  Bewirkt  wurde  diese  Umfor- 
mung dadurch,  dafs  man  einen  internationalen  Sagenstoff  als  Muster 
der  Erzählung  genommen  hat:  Die  Geschichte  von  der  untergescho- 
benen Braut,  etwa  des  Inhalts:  Eine  Alte  bringt  ihre  Tochter  statt 
ihrer  Stieftochter  durch  List  ins  Ehebett,  wohl  auch  statt  einer 
Fremden,  die  nun  ausgesetzt  wird  und  bis  zur  Wiederentdeckung  in 
niedriger  Stellung  bleibt.  2  So  wird,  nach  der  ältesten  Darstellung 
der  Erzählung  in  der  Chronique  saintongeoise,  Berta  unmittelbar 
nach  ihrer  Ankunft  in  Frankreich  von  einer  Alten  verdrängt,  die  ihre 
eigene  Tochter  unterschiebt.  Sie  hält  Pipin  für  die  ungarische  Prin- 
zessin, die  ihm  bestimmt  war,  bis  die  Königin  von  Ungarn  erscheint 
und  das  Verbrechen  entdeckt,  das  man  an  ihrer  Tochter  verübt  {Hist. 
Poet.  S.  224).  Zeigt  die  historische  Sage  über  den  Konflikt  der  Mütter 
Kontamination  mit  einem  internationalen  Novellen stoff,  so  zeigt  der 
epische  Konflikt  zwischen  den  Söhnen  einen  solchen  mit  einem  an- 
deren episch  -  historischen  Stoff:  statt  der  historischen  Namen  der 
Stiefbrüder  Karl  Martells  Drogo  und  Grimoald  finden  wir  im  Mainet 

*  Vgl.  meine  Sage  von  den  vier  Haimonskindem,  1005,  S.  144 — 150. 
'^  Z.  B.  Grimms  Märchen  :  8.  Marienkind;  11.  Brüderchm  und  Schivester- 
chen;  12.  Eapunxel. 


Studien  zur  fränkischen  Sagen geschichte.  93 

die  epischen  Namen  Rainfroi  und  Heudri,  d.  i.  Childerich  IL 
(Chilperich)  und  seinen  Majordomus  Raginfred,  gegen  die  Karl 
Martell  im  Felde  gestanden  hat,  und  deren  Schicksal  sich  in  süd- 
französischer Sage  in  dem  der  Haimonskinder,  wenn  auch  durch 
mehrere  Zwischenglieder,  widerspiegelt. 

So  wie  wir  also  die  von  Karl  Martell  auf  Karl  den  Grofsen, 
von  Alphaid  auf  Berta  übertragene  Sage  im  1 2.  Jahrhundert  wieder- 
treffen, enthält  sie  sehr  verschiedenartige  Elemente.  Und  wenn  sich 
auch  der  historische  Kern  sauber  abheben  läfst,  so  ist  es  dennoch 
unmöglich,  die  ältere  Gestalt  der  Sage  zu  bestimmen,  wie  sie  etwa 
ursprünglich  von  Alphaid  wirklich  erzählt  wurde. 


Innerhalb  des  Oirart  von  Bossillon  sondert  sich  die  liebliche 
Folko-Äupais-Episode  scharf  von  den  übrigen  epischen  Ereignissen  ab, 
und  Stimming  ist  in  seinem  Werke  ^Über  den provenzalischen  Oirart 
von  Rossillon'  zu  dem  Resultat  gekommen,  dafs  wir  es  hier  mit  einer 
ziemlich  späten  Interpolation  zu  tun  haben. '  Und  das  liegt,  wenn 
man  Verbindung  und  Inhalt  prüft,  auf  der  Hand: 

Als  Girart  in  entscheidender,  letzter  Schlacht  vom  König  ge- 
schlagen worden  war,  hatte  er  Boso  und  Folcher,  seine  Getreuen, 
verloren;  Folko  aber,  sein  Vetter,  war  nur  gefangen  worden.  Die 
Königlichen  hatten  ihn  dem  König  selber  ausgeliefert. 

7141     Lai  ocistrent  Oilbert,  prest[rjent  Folcon. 
Tuit  le  voudrent  ocire  fors  dan  Peinm, 
Qui  l'amenet  au  rei  por  garisun. 

Nach  diesen  Worten  verläfst  die  Dichtung  Folko,  um  bei  Girarts 
Schicksalen  zu  bleiben,  wir  begleiten  ihn,  den  eigentlichen  Helden 
der  Dichtung,  in  die  Verbannung,  und  erst  als  er  zurückkehrt,  vom 
König  in  Gnaden  wieder  aufgenommen  wird,  hören  wir  abermals 
von  Folko:  vergebens  bittet  Girart  um  seine  Freiheit;  Karl  Martell 
verweigert  sie  ihm.  Da,  in  demselben  Augenblick,  stofsen  Boten 
zum  Kaiser:  der  Fürst  der  Bretagne  ist  in  sein  Land  eingefallen, 
hat  ihm  Mont  St.  Michel  weggenommen  und  will  noch  schlimmer 
hausen,  wenn  der  König  ihm  nicht  zuvorkommt.  Karls  Leute  be- 
stürmen ihn:  8031  'Eure  Nichte  mit  dem  rotblonden  Haar,  au  ranc 
talon,  die  Tochter  Dietrichs,  des  Reichen,  hat  euch  wegen  des  Mordes 
an  ihrem  Vater  gebeten,  ihr  Folko  auszuliefern.  Denn  seine  Brüder 
waren  die  verräterischen  Mörder.  Ihr  habt  ihrem  Willen  damals 
Folge  geleistet.  Wir  denken,  sie  nimmt  Rache  an  ihm,  da  verliebt 
sie  sich  in  Leib  und  Antlitz  und  flieht  mit  ihm  nach  Auridon,  im 


*  Kap.  VIII,  S.  132  ff.  Hervorzuheben:  Die  Episode  findet  sich  in 
der  Vita  nicht.  Weiterhin:  'Die  Episode  kennzeichnet  sich  schon  äuTserlich 
als  einen  Anhang,  der  ein  Ganzes  für  sich  bildet,  dagegen  mit  dem  eigent- 
lichen Epos  fast  gar  nicht  oder  doch  nur  ganz  lose  in  Verbindung  steht'. 


94  Studien  zur  fränkischen  Sagen geschichte. 

gaut  d'Ärdane.  Silbern  waren  die  Ketten,  die  sie  ihm  anlegte,  statt 
eisern.  So  war  seine  Gefangenschaft,  dafs  er  es  besser  hatte  wie  ein 
Fischlein  im  Wasser.  [Einen  Bastard  zeugte  sie  mit  ihm  . . .]  * 
Und  mehr  liebte  sie  jenen  Habenichts  als  den  reichen  Grafen  im 
Elsafs  oder  jenen  Briten,  dem  Ihr  sie  durch  uns  zugesagt  habt,  und 
der  Euch  nun  um  ihretwillen  mit  Krieg  überzieht.  [Ich  rate  Euch:] 
Schickt  zu  ihr,  dafs  sie  Euch  Folko  ausliefere,  und  wenn  sie  Nein 
sagt . . .'  Karl  antwortete :  'Ich  überlasse  sie  Euch.'  —  Mittlerweile  ist 
Girart  in  Rossillon  wieder  eingezogen  und  festlich  von  den  Seinen, 
die  ihn  für  tot  gehalten,  empfangen  worden.  Aber  bleiben  wir  bei 
Karl:  (8271)  *Ich  werde  der  Alpais  Berart  del  Brun  zusenden,  dafs 
sie  mir  Folko  nach  Aix  oder  Laon  sende,  und  wenn  sie  es  nicht  tun 
will,  so  sei  ihr  Schlofs  vogelfrei,  dann  brecht  mir  ihr  trotziges  Ge- 
mäuer.' Der  Bote  geht  ab,  aber  zu  gleicher  Zeit  mit  Karls  Forderung 
an  Alpais  ein  Brief  Girarts,  der  ihr  seine  Hilfe  zusichert.  Karls  Bote 
war  der  schnellere:  'Karl,  dein  Onkel,'  meldet  er,  'teilt  dir  mit,  dafs 
er  dir  in  Ais  den  Herzog  im  Elsafs  oder  den  von  der  Bretagne  geben 
wird.  Um  deinetwillen  hat  dieser  ihn  mit  Krieg  überzogen,  nur 
daraufhin  wird  er  Frieden  machen.  Du  aber  liefere  ihm  Folko  aus, 
halte  ihn  nicht  länger,  oder  ...  hüte  dich!  Denn  der  König  wird 
dich  zu  belagern  kommen.  Wenn  sie  dir  dann  Gärten  und  Hecken 
zerstören,  wird  dir  wohl  die  Lust  vergehen,  Folko  zu  küssen.' 

Alpais  wies  den  Boten  von  sich. 

Da  kommt  Girarts  Bote  und  hinter  ihm  eine  Schar  Bewaffneter. 
Alpais  sieht  sie  von  der  Höhe  ihres  Turmes,  das  Herz  zittert  ihr  im 
Leibe.  Schon,  glaubt  sie,  macht  der  König  seine  Drohung  wahr: 
'Folko,  Geliebter,'  fragt  sie,  'was  für  Fahnen  sind  das,  die  die  Hügel 
besetzen?'  —  'Ich  weifs  es  nicht,  nur  dafs  es  sich  zu  verteidigen  gilt!' 
Und  wirft  die  silbernen  Ketten  von  sich  und  geht  sich  rüsten. 

'Ach!'  klagt  Alpais,  'Zeit  und  Jugend  habe  ich  an  dich  ver- 
schwendet, um  deinetwillen  wurde  mir  meine  Sippe  gram,  um  deinet- 
willen stehe  ich  nun  allein,  ohne  Vasallen  da!' 

Da  ruft  Droon,  Girarts  Gesandter,  an  der  Pforte,  dafs  man  ihm 
öffne,  und  kündet  das  Nahen  seines  Herrn.  Freudig  überrascht 
bringt  Alpais  die  Botschaft  von  der  Wiederkehr  des  totgeglaubten 
Girart  ihrem  Geliebten  und  von  dem  nahenden  Entsatz.  Aber  vor 
der  Befreiung  mufs  ihr  Folko  geloben,  sie  nun  auch  zu  ehelichen 
(8385).  'Nun  zieh  ich  zu  meinem  Manne,'  sagt  sie,  'arm  wie  eine 
Kirchenmaus,  nichts  habe  ich  ...'.  —  '0  nein,'  antwortet  Bertrand, 
'Schönheit  und  lieblichen  Leib!  Einen  Schatz  führt  uns  zu,  der  Euch 
Folko  schenkt.'  So  verläfst  das  Paar  Auridon,  und  wie  Folko  aufs 
Pferd  steigt,  ohne  die  Bügel  zu  brauchen,  da  rufen  die  Zuschauer: 
'Der  hat's  im  Gefängnis  nach  seinem  Wunsche  gehabt!'  —  Auf  dem 


0.  8043    E  annia  mais  de  lui  une  atwltron 
L.  2ö98    E  ama  assex  plus  icel  gloton  . . . 


Studien  zur  fränkischen  Sagen  geschieh  te.  95 

Zuge  nach  Roussillon  bringen  sie  die  Frankenschar,  die  bereits  gegen 
Auridon  zog,  zwischen  zwei  Fronten,  schlagen  sie  und  fangen  ihre 
Häupter  ab.  In  Rossillon  sodann  fröhlicher  Empfang  (8590).  Unter 
den  Gefangenen  ist  Oudin,  Alpais'  Vetter.  'Geh!'  ruft  die  Königin 
ihm,  'gib  jenem  Jüngling  deine  Base  zur  Frau.'  Er  aber  weigert 
sich:  'Lange  schon  hat  sie  ihres  Schlosses  Herrn  aus  ihm  gemacht' 
Da  läfst  Folko  heilige  Reliquien  kommen  und  schwört,  dafs  er  Alpais 
nie  berührt  habe.  So  wurden  sie  dann  zusammengegeben.  Durch 
die  Gefangenen  aber  wird  der  Frieden  vermittelt,  der  auf  sieben  Jahre 
beschworen  wird  (8949).  Vom  Bretonenherzog  hören  wir  nichts  mehr. 

IL 

Es  liegt  über  dieser  Sage  wie  ein  Schimmer  von  den  silbernen 
Ketten,  die  Folko  trug,  oder  von  dem  rotgoldenen  Mädchenhaar  der 
Aupais.  Dafs  der  geistliche  Bearbeiter,  der  sie  hier  mit  Girards 
Rückkunft  und  Wiederaufnahme  zu  Gnaden  verwob,  sie  nicht  er- 
funden hat,  brauche  ich  nicht  besonders  hervorzuheben.  Ich  glaube 
nicht  einmal,  dafs  er  sie  auf  Tierri  d'Ascanes  Tochter  und  seinen  Erb- 
feind Folko  übertragen  hat.  Dazu  passen  sich  Personen  und  Um- 
stände der  Girartsage  zu  gut  an.  Ich  glaube  im  Gegenteil,  dafs 
wir  hier  eine  volkstümliche  Fortsetzung  des  Oirart  haben,  die  etwa 
den  Nostoi  entspricht,  wie  sie  die  Ilias  erzeugte.  Der  Vers  7141, 
den  wir  anführten,  hat  die  Erzählung  eingegeben:  'Den  gefangenen 
Folko  wollten  die  Königlichen  umbringen,  da  rettete  ihn  Peires,  indem 
er  ihn  Karl  auslieferte.'  Nichts  weiter  von  ihm  im  Epos,  denn  was 
wir  eben  nacherzählt  haben,  ist  ja  eine  späte  Interpolation.  Den  Zu- 
hörern aber  war  die  liebenswürdige  Gestalt  des  Folko,  die  durch  das 
ganze  Gedicht  hindurch  verwoben  ist,  ans  Herz  gewachsen,  und  die 
natürliche  Begierde,  zu  erfahren,  was  denn  der  König  mit  seinem 
Gefangenen  gemacht  hätte,  erzeugte  eine  novellistische  Sage  über  ihn, 
eine  Sage,  die  alle  Anzeichen  langen  Lebens  im  Volke  zeigt,  die  in 
ihr  Detail  Märchenmotive  aufgenommen  hat,  das  rotgoldene  Haar,  die 
silbernen  Ketten. '  In  ihrem  Kern  reproduziert  sie  eine  internatio- 
nale novellistische  Sage:  wenn  wir  nämlich  die  Verknüpfung  zweier 
feindlichen  Familien  durch  die  Neigung  eines  beiden  entsprossenen 
Paares  'die  Romeo-  und  Julia- Gruppe'  nennen,  so  gehört  die  Folko- 
Aupais- Episode  dem  folgenden  Typus  dieser  Gruppe  an:  Ein  Mäd- 
chen schenkt  dem  Mörder  ihres  Vaters  ihre  Liebe,  statt  an  ihm  Blut- 
rache zu  nehmen.  Dieselbe  Sage  finden  wir  auf  die  Vorgeschichte 
der  Beziehungen  zwischen  Tristan  und  Isolde  und  zwischen  Ro- 
drigo  und  Ximena  mit  dem  jeweiligen  Kerne  verflochten.  Die 
symbolische  Umwandlung  der  Gefangenenketten  in  Liebesketten,  die 
gemeinsame  Flucht  in  ein  Ardennenschlofs,  die  Unternehmungen  der 


'   Silberne  Ketten,   ein  fränkisches  Sagenmotiv  1     Vgl.  die  fränkische 
Helisarsage  Fredegars:   II,  G2. 


96  Studien  zur  fränkischen  Sagen geschichte. 

Verwandten  der  Aupais  und  der  zurückgewiesenen  Freier  gegen  das 
Paar  stellen  unsere  Sage  für  sich.  Wie  diese  Konflikte  gelöst  werden, 
zeigt  uns  die  Interpolation  des  Oirart  leider  nicht.  Innerhalb  des 
Oirart  wird  vermittelt,  damit  sich  die  Sage  dem  Ganzen  einfüge:  das 
Motiv  der  abgewiesenen  Freier*  gänzlich  fallen  gelassen,  das  ur- 
sprünglich wohl  an  der  Spitze  stand.  Eine  Belagerung  Auridons 
durch  diese  wird  wohl  ehemals  im  Mittelpunkte  gestanden  haben. 
Wir  werden  darauf  zurückkommen. 

III. 

Wenn  die  Sage  ihre  Motive  auch  aus  der  zeitlosen  internatio- 
nalen Novelle  nahm,  die  immer  geneigt  ist,  sich  zu  verjüngen,  und 
selten  einem  ihrer  Lieblinge  gegenüber  treu  bleibt,  so  scheint  sie  hier 
einen  ganz  seltsamen  Verjüngungsprozefs  durchgemacht  und  dennoch 
eine  Sagengestalt  aus  älterer  Fassung  beibehalten  zu  haben.  Die 
Sage  von  der  falschen  Berta,  die  ja,  wie  wir  nach  Paris  und  Rajna 
dargestellt,  eine  Sage  über  Alphaid,  Pipin  des  Mittleren  Nebenfrau, 
mit  Sicherheit  voraussetzt,  nennt  Berta  nach  einem  physiognomischen 
Charakteristikum:  ß^^f^  ^  g^^^  ^^^ 

Diese  grofsen  Füfse  sind  nämlich  das  Zeichen,  an  dem  später 
die  richtige  von  der  falschen  unterschieden  wird.  So  ergreift  noch  in 
der  französischen  Dichtung  des  Adenet  die  falsche  Berta  beim  Nahen 
der  Königin  von  Ungarn,  ihrer  angeblichen  Mutter,  Todesangst: 

1837     'Je  /o  'pour  le  meüleur  que  nous  noics  enfuions; 
Bien  sai  qice  par  mes  pies  conneties  serons.'^ 

Und  als  die  Königin  ankommt,  ihr  das  Zimmer  ihrer  Tochter  ver- 
wehrt wird  und  sie,  einen  Betrug  argwöhnend,  mit  Gewalt  bei  ihr 
eindringt^  ist  das  erste,  dafs  sie  ihrer  vermeintlichen  Tochter  die 
Decke  wegreifst,  um  die  Füfse  zu  sehen: 

2146    Blaneheflour  vint  au  lit  oü  la  serve  choisi, 
Toute  la  couverture  ä  ses  deus  mains  saisi, 
Si  la  saeha  que  toute  la  serve  descouvri: 
Blaneheflour  voit  les  piex,  tous  li  cuers  li  failli 
La  serve  prent  un  drap,  jus  dou  lit  se  sailli; 
Blaneheflour  par  les  treces  ä  terre  Vabati. 

Genau  so  in  der  älteren  franko-italienischen  Dichtung.  Also  auch 
dies  Motiv  kann  von  ihrem  Vorbild  Alphaid  stammen.  Aupais 
nennt  aber  unser  Text:         ^^  ^^^^  ^^^^^^ 

*  Vgl.  Mainet,  Aie,  Oarin  (Blaneheflour),  Hervis  v.  Metx,  zahlreiche 
Märchen. 

2  Nach  der  Dichtung  des  Adenet  le  Roi  ed.  Scheler,  Brüssel  187-i. 
Vgl.  das  Märchen  vom  Asehenbrödel,  wo  am  kleinen  Fufs  die  Richtige 
erkannt  werden  soll.  Die  Falschen  schneiden  sich  Zehen  und  Ferse  ab, 
damit  ihr  Fufs  in  den  Schuh  passe.  In  anderen  Versionen  ist  die  falsche 
Braut  physiügnomisch  gezeichnet:  z.  B.  in  ^Briiderc/ien  wid  Sehwesterehen' 
ist  sie  einäugig. 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte.  97 

Eine  'verwachsene  Ferse'  ist  zwar  kein  Merkmal  besonderer 
Schönheit,  aber  ist  desto  charakteristischer,  weit  charakteristischer 
etwa  als  die  ganz  relative  Angabe,  sie  habe  grofse  Füfse  gehabt. 
Ja  es  ist  nicht  unmöglich,  dafs  as  rans  pies  mifsverstanden  und  zu 
OS  grans  pies  geworden  ist.  Wenn  man  dann  bedenkt,  dafs  Aupais 
dem  Vorbilde  der  Berta  nicht  nur  durch  dies  physiognomische  Merk- 
mal gleicht,  sondern  auch  gegen  sie  der  (bei  Alphaid  historische)  Vor- 
wurf des  aufserehelichen  Beilagers  erhoben  wird,  dafs  schliefslich  als 
Krönung  des  Ganzen  der  historische  Name  Alphaid  >  Aupais 
ihr  geblieben  ist,  mufs  man  zu  dem  Resultat  kommen,  dafs  eine 
Hypothese  sich  recht  empfiehlt:  Die  Sage  hat  nicht  nur  jene 
Abart  des  Romeo-  und  Julia -Schema  benutzt,  sie  hat 
aufserdem  die  zu  ihrer  Zeit  als  Liebhaberin  noch  typi- 
sche Aupais  la  rousse  al  ranc  talon  zur  Heldin  gewählt, 
indem  sie  sie  zur  Tochter  Tierris  von  Ascane  machte, 
den  im  Girart  von  Rossillon  Folkos  Brüder  umgebracht 
haben.  Oder  existierte  gar  eine  ältere  Sage,  nach  welcher  Alphaid, 
Karl  Martells  Mutter,  die  Tochter  jenes  Tierri  in  der  Tat  gewesen 
wäre?  Kennen  wir  den  Helden  doch  nur  als  greise,  typische  Figur, 
deren  echte  Sagen  sich  im  Dunkel  ältester  kärlingscher  Epik  ver- 
lieren. Wenn  dem  so  wäre,  wenn  Tierri  in  der  ursprünglichen  Sage 
Ahnherr  Karls  des  Grofsen  wäre,  so  könnten  wir  den  eigenen  Sach- 
verhalt haben: 

Vor  Girart  von  Rossillon  wird  die  Aupais-Episode  von  Aupais, 
Tierris  Tochter,  und  Pipin  als  Vorgeschichte  der  Enfances  Karl  Mar- 
tells erzählt. 

Da  im  Girart  von  Rossillon  Aupais'  Vater  Dietrich  wieder  auf- 
lebt, seine  Tochter  Aupais  also  nicht  Mutter  Karl  Martells,  Girarts 
Gegner,  sein  kann,  so  wird  die  Sage  mit  der  Leichtigkeit  novellisti- 
scher Verjüngung  modernisiert,  Pipin  wird  nun  von  Folko  vertreten, 
die  Sage  ist  vom  fränkischen  Herrscherhaus  abgelöst  und  auf  einen 
Liebling  der  Burgunder  übertragen.  Genau  wie  sie  die  Franken 
von  Alphaid -Pipin  ablösten  und  auf  Berta -Karl  übertrugen,  aber 
dort  mit  gröfserer  Treue  der  Gestalt  von  Aupais  und  ihrem  Vater 
Tierri  gegenüber. 

Um  diese  Hypothese  genauer  zu  erörtern,  bedarf  es  einer  Unter- 
suchung über  jene  Figur,  an  die  wir  sie  organisch  anzuknüpfen 
suchten,  über  Tierri  d 'Ascane. 

Über  Tierri  d 'Ascane  habe  ich  schon  einmal  mancherlei 
Vermutungen  geäufsert:  in  den  Girartstudien  I.  machte  ich  darauf 
aufmerksam,  dafs  der  Girart  ein  älteres  Epos  voraussetze:  Die  Ver- 
bannung Dietrichs  (Tierri),  und  folgerte  auf  Grund  von  acht  Wider- 
sprüchen, die  nur  so  ihre  Erklärung  fanden,  dafs  die  Schlacht  bei 
Valbeton  eine  Verjüngung  der  Vorgeschichte  der  Verbannung  Dietrichs 
sei:  Tierri  mufs  nach  Valbeton   abermals  in  die  Verbannung,  alles 

Archiv  f.  n.  Öpiachen.    CXIV.  7 


98  Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte. 

deutet  darauf  hin,  dafs  im  Laufe  der  Erzählung  Draugo,  nicht  Girart, 
sein  Gegner  war,  Girart  aber  und  seine  Vettern  noch  im  ersten  Jüng- 
lingsalter standen,  während  sie  in  den  übrigen  Teilen  des  Epos  in 
reifen  Mannesjahren  sind. 

Von  der  ursprünglichen  Verbannung  selbst  hören  wir  nur  durch 
Anspielungen,  allerdings  sind  solche  sehr  zahlreich :  1580  ff.,  1715  ff., 
1800  ff.,  2549  ff.,  3127  ff.,  3150  ff. 

Danach  ist  Tierri  d'Ascane  zu  Lothringen  in  Beziehungen 
gesetzt.    Das  eine  Mal  ist  er  dort  geboren: 

1581     Na%  est  de  Loheraine  la  tieriane. 

Tier'iane  hat  bis  jetzt  der  Erklärung  widerstrebt.  Aber  es  verbirgt 
sich  dahinter  die  Landschaft  Ti brache,  die  bei  Ersetzung  der  Asso- 
nanz zu  Tieriane  (von  Tierri)  wurde.  Wir  werden  auch  später 
sehen,  dafs  tatsächlich  weniger  Lothringen  als  die  Tierache  Anspruch 
auf  den  Helden  erheben  kann. 

Ein  andermal  wird  er  Herr  eines  Teiles  von  Lothringen  ge- 
nannt: 1714. 

Beiden  Angaben  glaube  ich  mifstrauen  zu  müssen.  Denn  nie 
sonst  wird  er  Le  Loherain  oder  de  Loheraine  genannt.  Übrigens 
stehen  beide  Anspielungen  mit  anderen  Teilen  des  Gedichtes  im 
Widerspruch:  nach  ihnen  hatte  König  Ludwig  den  Verbannten 
zurückgeholt  und  ihm  seine  Tochter  zur  Frau  gegeben  (1585;  1715). 
Aber  einen  Ludwig  hat  es  ja  vor  Karl  Martell  gar  nicht  gegeben. 
Und  für  Chlodwig  gilt  im  Epos  die  Form  Gl o Ovis,  deren  Identität 
mit  Ludwig  kaum  mehr  geahnt  werden  kann. 

Eine  glaubwürdigere  Anspielung  läfst  darum  Karl  Martell  selber 
den  Alten  aus  der  Verbannung  holen  und  ihm  seine  Schwester  zur 
Frau  geben:  1804.  Und  dementsprechend  ist  später  Aupais 
seine  Tochter,  die  Nichte  Karl  Martells.  —  Über  den  Ort 
der  Verbannung  gehen  die  Berichte  ebenfalls  recht  auseinander.  Die 
eine  von  den  unglaubwürdigen  Anspielungen  gibt  an: 

1583  dan^  bos  sox  come  iane. 

Die  glaubwürdigere,  die  Karl  als  einen  Retter  und  späteren  Schwager 
bezeichnet,  sagt  allgemein: 

1802     ^Set  ans  ziestiu  faidis  en  bos  espes.' 
Ebenso : 

2550     'Set  anx  n'aistei  faidix,  en  un  buisson.' 

Eine  dritte,  offenbar  ganz  unzuverlässige  Anspielung  läfst  die  Ver- 
bannung jenseit  des  Meeres  bei  Moni  Caucei^  vor  sich  gehen: 

.S127     'De  France  fui  ietat  a  grant  beslei, 

Passai  un  brax  de  mar  a  mon  navei, 
Set  anx  fui  en  eseil  ä  Mont  Gaueei.' 


*  Von  seiner  zweiten  Verbannung  kehrt  er  3364  von  Mont  Causil 
zurück. 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte.  99 

Wir  wissen  also  nur,  dafs  Tierri  seine  Verbannung  in  dichtem 
Walde  durchmachte.  Und  dies  ist  der  gewöhnliche  Schauplatz,  den 
die  ältere  germanische  Sage  dem  Banditen  leben  zuweist.  Die  nord- 
französische Sage  speziell  hat  ihre  'Outlawsagen'  stets  in  die  Ar- 
dennen  verlegt  und  liebt  es,  mit  dem  Titel  Vardenois  Persönlich- 
keiten zu  bezeichnen,  die  eine  Periode  der  Friedlosigkeit  in  den  Ar- 
dennen  überstanden  haben.  Darstellungen  von  'Outlawsagen',  die 
in  den  Ardennen  spielen,  sind  noch  überaus  häufig:  die  verlorene 
Dichtung  von  Basin  spielte;  dort  der  Räuber  Lambert  d'Oridon  im 
Avheri  le  Bourguignon  hat  gleichen  Schauplatz  für  seine  Untaten 
gewählt;  auf  die  entsprechenden  Teile  der  Haimonskinder  brauche 
ich  gar  nicht  erst  hinzuweisen.  Das  Stereotype  der  Ardennenverban- 
nung  führt  auch  im  Qirart  (7344)  den  Helden  in  seiner  Verbannung 
dorthin,  wir  finden  den  gleichen  Verbannungsort  in  Ouy  von  War- 
ivick  und  Doon  von  Mainz.  Der  Dieb  Galopin  (Elie)  ist  in  den 
Ardennen  geboren.  —  Wie  Gui,  Doons  Vater,  von  Mainz  aus  in 
den  Ardennen  jagt,  sucht  Bovons  von  Hanstone  Vater  gleiche 
Jagdgründe  von  demselben  Mainz  auf  (franco-ital.  Version),  woran 
sich  Rajna  mit  Unrecht  stöfst. ^  Karl  Martell  führt  der  Jagdzug, 
der  Girarte  Feste  überraschen  soll,  durch  die  Ardennen: 

Oirart  651     E  trespassent  Ärdane  e  bois  d' Argon, 
E  perhoc  s(c)i  ant  pres  prou  vena^on ! 

Im  Roland    hat  Karl   einen   vorbedeutenden  Traum,    der   auf   das 
Gottesgericht  am  Schlufs  zu  beziehen  ist: 

728     De  vers  Ardene  vit  venir  un  leupart 

(vgl.  2558).    Andere  Redaktionen  haben  Espaigne  korrigiert.     Das 
ist  nicht  nötig,  denn  der  Typus  findet  überall  Platz. 

Die  Haimonskinder  jagen  sogar  von  Montauban  und  Bordeaux 
aus  in  den  Ardennen.  Und  wenn  dies  auch  zu  jüngeren  Interpola- 
tionen dieser  Dichtung  gehört,  so  zeigt  es  doch  unzweifelhaft,  welche 
Rolle  die  Ardennen  in  Volksbewufstsein  und  Sage  spielten.  Auch 
eine  Tirade  vom  Anfang  des  Parthenopeus  über  sie  zeigt  uns,  wie 
sagenumwoben  der  Ort  war:  (Vers  499)  'Unermefslich  waren  die  Ar- 
dennen in  der  Vorzeit  und  nahmen  ein  riesiges  Gebiet  ein.  Ja,  die 
Rodung  nahm  damals  mehr  Raum  ohne  das  staunenswerte  Ungerodete 
als  heute  ganz  Ardennenland.  In  den  Tagen  aber,  von  denen  ich 
euch  erzähle,  waren  die  Wälder  so  dicht,  dafs  die,  welche  von  der 
Meeresküste  kamen,  sich  nicht  zu  landen  getrauten  wegen  der  schreck- 
lichen, wilden  Tiere  und  der  anderen  grofsen  Wunder,  von  denen  es 
im  AValde  wimmelte.  Schrecklich  war's  darin  und  des  Zaubers  voll: 
der  zehnte  Teil  war  von  Unholden  besessen.   Die  Bauern  errichteten 


*  Vgl.  P.  M  e  y  e  r ,  Daurel  et  Beton  XXIX.  Rajna  schreibt :  ^Per  altro 
codesta  collocazione  del  castello  a  me  non  va:  siamo  troppo  remoti  da  Ma- 
gonxa'  {Origini  S.  382i).  Er  hat  übersehen,  dafs  die  Ardennen  typisch 
sind,  also  unabhängig  von  ihrer  Lage. 

7* 


100  Studien  zur  fränkischen  Sagen geschichte. 

Grenzsteine,  um  das  Ende  der  Rodung  zu  bezeichnen:  keiner,  der 
diese  Grenze  überschritt,  ist  je  wieder  dahin  zurückgekehrt,  von  wo 
er  gekommen.  Da  gab's  keine  Rodung,  kein  jagdbares  Getier,  nur 
Unholde,  die  die  Verirrten  auffrafsen/  Die  Ardennen  waren  eben 
für  die  Franken  'der  Wald',  die  Lieblingsjagdgründe.  Kaum  ein 
Jahr,  aus  dem  Einhards  Ännalen  nicht  von  Jagden  in  diesem  Ge- 
biete erzählen. 

Und  wie  Venantius  Fortunatus  im  6.  Jahrhundert  schrieb: 

VII,  4,  19    Ardenna  an  Vosagus  cervi  caprae  helicis  uri 
Caede  sagittifera  silva  fragore  tonat? 

so  schrieb  etwa  im  Jahre  1331  Francesco  Petrarca  von  einer 
seiner  Reisen  an  den  Kardinal  Giovanni  Colonna:  'Arduennam  sil- 
vam  ...  visu  atram  atque  horrificam  transivi  solus.'  Und  in  dem 
Sonett  Mille  piagge  in  un  giorno  nennt  er  sie: 

la  famosa  Ardenna. 

Das  moderne:  Meyrac,  Traditions  etc.  des  Ardennes  (Charleville 
1890)^  ist  mir  leider  unzugänglich. 

Dies  zeigt  uns,  dafs  auch  für  Tierri  der  geeignete  Ort  einer  Ver- 
bannungssage die  Ardennen  waren.  Und  darauf  könnte  bereits  un- 
sere Vermutung  deuten,  dafs  er  einmal  als  aus  der  Ti brache  gebürtig 
bezeichnet  wird.  Die  benachbarten:  Ti^rache,  Ardennen,  Argonnen 
werden  aber  im  erweiterten  Sinne  stets  füreinander  gebraucht.   Z.  B.: 

Haim.-K.  119  i    Ens  el  cief  de  lerasse  pristrent  [lor]  herhergage 

wird  von  Montessor  in  den  Ardennen  gesagt. 

Auf  der  anderen  Seite  bewahrt  das  nordfranzösische  Epos  die 
Erinnerung  an  einen  Helden,  der  Tierri  d'Ardane  oder  je  nach 
Reimbedürfnis  d'Argone  (Roland)  heifst.  Er  tritt  fast  in  allen 
Nachepen  als  typische  Figur  auf.  Innerhalb  der  Ardennen  spielt 
er  seine  Rolle  im  nordischen  Basin  der  Karlamagnus- Saga.  Dort  ist 
Tierri  d' Ardennes  der  Getreue,  welcher  Karl  (das  Urbild  ist  Karl 
Martell!)  bei  sich  aufnimmt.  Aber  eine  Anspielung  auf  jene  Vor- 
gänge, die  ihm  den  Beinamen  d'Ardane  eingetragen  haben,  hat 
der  Merabras  bewahrt,  auf  eine  Zeit  der  Friedlosigkeit,  in  der  er 
Tausende  hingemordet  habe: 

3703    M  Tieris  VArdenois  o  le  grenon  melle, 

.1.  viellart,  .1.  cenu  de  moult  grant  cruaute, 
Qui  pltcs  a  de  .M.  hommes  mordris  et  estranles 
Ml  la  forest  d'Ardane  oü  il  a  converse. 

Das  müfgte  doch  mit  merkwürdigen  Dingen  zugehen,  wenn  wir 
da  nicht  eine  nordfranzösische  Anspielung  auf  die  Verbannung  Diet- 
richs gefunden  hätten.  Der  Verbannte  {hannitus)  wird  der  Sage 
naturgemäfs   zum    Banditen.     Jeder   Outlaw    mordet   und    stiehlt. 


'  Vgl.  Jahresbericht  1890,  655  n. 


Studien  zur  fränkischen  Bagengeschichte.  101 

Den  Haimonskijidern  wird  in  den  Ardennen  noch  viel  Schlimmeres 
vorgeworfen. ' 

Beide  Tierri  haben  also  eine  Verbannung  durchgemacht,  der 
eine  in  ungenannten  Wäldern,  der  andere  in  den  Ardennen.  Den 
einen  nennt  die  Sage  d'Ascane,  den  anderen  d'Ardane.  Paul 
Meyer  genügen  diese  Parallelen  nicht  zur  Identifikation:  in  seinem 
Girart  de  Rossillon  (1884,  S.  50,  Anm.)  macht  er  auf  die  Ähnlichkeit 
der  Namen  zwar  aufmerksam,  aber  ohne  sich  bestimmt  auszusprechen. 
Ascane  kann  er  geographisch  nicht  erklären  -  kein  Wunder.  Denn 
es  ist  doch  wahrscheinlich  nur  eine  Verstümmelung  von  Ardane.  Die 
Beziehungen  unseres  Tierri  zu  den  Ardennen  werden,  wenn  wir  den 
Girart  allein  für  sich  nehmen,  durch  seine  Geburt  in  der  Ti brache 
doch  schon  sehr  wahrscheinlich,  und  werden  zu  einer  durchaus  posi- 
tiven Annahme  dadurch,  dafs  ja  seine  Tochter  nach  seinem 
Tode  in  einem  Schlosse  in  den  Ardennen,  also  doch  wohl 
dem  väterlichen  Schlosse,  haust: 

8037     Si  s'en  fuii  ab  el  en  Auridon  ... 

El  gaut  d'Ardane  sest  sobre  Argan^on. 

Das  ist  doch  wohl  kein  Zufall!  Die  Tochter  sucht  denselben  Zu- 
fluchtsort auf  wie  der  Vater.  Des  Vaters  Beiname  wurde  von  Vor- 
tragenden mifsverstanden  und  geändert,  und  nur  die  volkstüm- 
liche AwpaiS'Episode  erhielt  uns  den  Tatbestand  in  einem  Echo. 

V. 

Auridon,  Oridon,  Ordon  ist  der  Name  eines  Ardennen- 
schlosses,  das  wir  für  eine  typisch  gewordene  Rebellenburg  halten. 
Im  Auberi  le  Bourguignon  tritt  ein  Outlaw,  ein  reich  gewordener 
Räuber  auf,  der  in  Oridon  in  den  Ardennen  seinen  uneinnehm- 
baren Sitz  hat.  Alles  spricht  dafür,  dafs  dieser  hübsche  und  volks- 
tümliche Teil  der  Auberi-Sage  ursprünglich  nur  ein  kleines  Theater 
beanspruchte  und,  da  Auberis  Residenz  in  Dijon  feststeht,  die 
Stammburg  Lamberts  um  Dijon  gesucht  werden  müsse.  Diese  An- 
nahme scheint  in  einer  Anspielung  des  Ogier  ihre  Bestätigung  zu 
finden:        jqiq    .  _  <o  sanles  vos  bricon! 

Vtts  resanles  ä  Malbert  de  Dignon 

ün  mal  tirant  qui  tu[l]oit  le  molton, 

QtLant  fu  petis,  si  cdi  el  carbon: 

En  vostre  barbe  n'a  mie  du  grenon!' 

Ein  kleiner  Hammeldieb  Malbert  aus  der  Nähe  von  Dijon. 
Malbert  kann  sehr  wohl  eine  volkstümliche  Verstümmelung,  ein  Spitz- 
name für  Lambert  im  Stile  von  Mau  gis,  Malaquin,  Malcud  u.a. 
sein.  Die  volkstümliche  Sage  hat  sich  seiner  bemächtigt,  das  zeigt 
die  Bartlosigkeit,  denn  diese  bildet  das  tertium  comparationis  mit 


*   Der   Märchendieb   Galopin   (Elie)   wird    entsprechend   zu   Tierris 
Sohn.    Vgl.  Anhang  II. 


102  Studien  zur  fränkischen  Sagen geschichte. 

dem  im  Kampf  Getroffenen,  dem  diese  Verse  als  Eeprovier,  als  Trutz- 
wort, entgegengehalten  werden.  Der  Grund  der  Bartlosigkeit:  er  sei 
als  Knabe  ins  Feuer  gefallen. 

Können  wir  mit  diesem,  den  die  Volkssage  schon  mit  halb 
Mythischem  bekleidet  hat,  Lambert  d'Oridon,  den  grofsen  epischen 
Dieb,  der  über  unerschöpfliche  Mittel  verfügt,  mit  denen  er  den 
naiven  Auberi  blendet,  zusammennehmen  ?  Der  ursprüngliche  Schlofs- 
besitzer  des  sagenumwobenen  Oridon,  das  wir  in  viel  älterer  Zeit 
im  Besitze  der  Aupais,  Tierris  d'Ardane  Tochter,  fanden,  ist  Lam- 
bert sicher  nicht.  Also  steht  doch  wohl  fest,  dafs  er  nach  berühmten 
Mustern  hineinversetzt  worden  ist  und  zwar  aus  Dijon  oder  dessen 
Umgebung,  wo  der  von  ihm  hintergangene  Auberi  sitzt. 

Auch  Dordon,  das  väterliche  Ardennenschlofs  der  Haimons- 
k  in  der,  steht  Oridon,  Ordon  zu  nahe,  um  eine  Konfrontation 
nicht  herauszufordern.  Schon  Tarb^  hat  im  Glossar  seiner  Auberi- 
Ausgabe  vermutet,  dafs  Oridon  und  Dordon  identisch  seien.  Er 
brachte  einen  Text  bei,  nach  welchem  Aimon  noch  Duc  d'Ordon 
betitelt  war,  und  tatsächlich  ist  das  Anwachsen  von  Artikel  oder 
Präposition  an  ein  Hauptwort,  das  mit  Vokal  anlautet,  ja  reich 
belegt. 

'li  Ich  habe  in  meiner  Gesamtbehandlung  der  Sage  von  den  Hai- 
monskindern  meine  Ansicht  dahin  ausgesprochen,  dafs  erst  der  Inter- 
polator  der  Ardennensage  innerhalb  der  südfranzösischen  Montavhan- 
sage  den  Namen  Oridon  zu  Dordon  machte  [D'Oridon  und  de 
Dordon  sind  gleichsilbig],  um  durch  die  Namenidentität  mit  der 
Dordogn(e),  die  in  der  Montaubansage  häufig  vorkommt,  eine  Art 
von  formeller  Einheitlichkeit  herzustellen,  wie  auch  er  es  ist,  der  die 
Brüder  von  Montauban  aus  in  den  Ardennen  jagen  läfst.  Das  Volks- 
bewufstsein  hat  diese  Änderung  öfters  rückgängig  gemacht,  indem  es 
den  Vater  Aimon  d'Ordon  oder  häufiger  Aimon  von  Ar- 
dennen nennt.  Auch  hierin  ist  eine  Verstümmelung  von  Oridon, 
Ordon  zu  sehen  (vgl.  S.  149  ff.). 

Also  Oridon  ist  Typus  für  eine  Ardennenburg.  Ein  weiteres 
Zeugnis  für  die  Verbreitung  der  Sage  von  Tierri  dem  Ardenesen, 
dessen  Tochter  als  älteste  Besitzerin  des  Schlosses  im  Girart  gilt. 
Aber!  Wenn  auch  sicher  ist,  dafs  Lambert,  von  einem  anderen 
Orte  kommend,  hierher  versetzt  wurde,  wer  kann  denn  entscheiden, 
ob  die  Burg  nicht  durch  die  Sage  von  den  Haimonskindern  eher  als 
durch  die  von  Tierri  und  Aupais  bekannt  wurde?  Jene  trägt  alle  An- 
zeichen langen,  volkstümlichen  Lebens  an  der  Stirn.  Diese  hat  sich 
im  Laufe  der  Zeiten  bis  auf  wenige  Reste  verloren.  Jedoch  —  in  den 
Haimonskindern  ist  Dordon  ja  nur  die  Stammburg;  die  Rebellen- 
burg in  den  Ardennen  heifst  Montessor.  Dordon  ist  blofs  ein  ein- 
ziges Mal  Schauplatz  der  Handlung  und  auch  da  nur  für  kurze  Zeit. 
Also  hieraus  konnte  Oridon  nicht  zum  Typus  der  Rebellenburg 
werden.    Und  da  Tierri  ohne  Zweifel  die  älteste  Figur  ist,  die  wir 


Studien  zur  fränkischen  Sagen  geschieh te.  103 

als  ihren  Besitzer  fanden,  so  müssen  wir  die  Burg  ihm  und  seiner 
Erbin  lassen,  wobei  nicht  ausgeschlossen  ist,  dafs  dieselbe  auch  schon 
auf  ihn  als  ein  Typus  übertragen  wurde. 

Für  die  Gestalt  seiner  Sage  ist  das  letztere  durchaus  unwesent- 
lich. Es  erschliefst  sich  uns  diese  als  eine  Ardennen-Outlawsage,  wie 
wir  so  manche  finden,  und,  da  sie  die  älteste  von  allen  ist,  die  wir 
besitzen,  als  ein  Vorbild  der  Sagen  über  feste,  von  Wasser  und  Fels 
geschützte  Burgen,  wie  Nantueil,  Aigreraont,  Gironville  in 
den  Lothringern,  die  alle  in  gleicher  Weise  beschrieben  werden  — 
und  ihrer  Belagerungen.  Woraus  man  schliefsen  könnte,  dafs 
Auridon  noch  unter  der  Herrschaft  Tierris  eine  Belagerung  durch- 
zumachen hatte,  und  dafs  der  Liebesroman  seiner  Tochter  mit  dem 
gefangenen  Folko  eine  gleiche  Handlung  enthielt. 

Und  was  ist  nun  das  Resultat  unserer  bisherigen  Mühen?  Alle 
Anzeichen  sprechen  dafür,  dafs  Tierri  d'Ardane  eine  vielbesungene 
Persönlichkeit  war.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dafs  er  und  Tierri 
d'Ascane  des  Oirart  eine  Person  sind.  Eine  ihm  dort  gegebene 
Tochter  Aupais  trägt  Namen  und  Züge  der  historischen  Alphaid, 
Mutter  Karl  Martells,  und  besitzt  Auridon,  die  spätere  typische 
Rebellenburg  in  den  Ardennen.  Ob  die  Beziehung  zwischen  Vater 
und  Tochter  auf  Zusammenwerfen  zweier  ursprünglich  getrennter 
Sagen  beruht  oder  eine  ihm  von  der  Sage  gegebene  Tochter  sekundär 
Züge  der  Alphaid  erhalten  hat  oder  gar  beider  Sagen  organisch  zu- 
einander gehören,  ist  noch  nicht  entschieden.  Wichtig  ist,  dafs  keine 
der  Anspielungen  im  Epos  von  einer  Tochter  weifs  und  auch  der 
I.  Teil  des  Girart  von  Rossillon  nur  von  zwei  Söhnen  berichtet,  die 
er  von  der  Schwester  des  Königs  habe  (1717,  1807).  Aber  wir  werden 
sehen,  dafs  das  Epos  ältere  Beziehungen  nur  vergessen  hat. 

VI. 

Läfst  uns  nämlich  das  Epos  im  Stiche,  so  kommt  uns  der 
halbgeschichtliche  Bericht  zu  Hilfe;  diesmal  mit  einer  Anspie- 
lung, die  alle  unsere  Zweifel  tilgt,  alle  unsere  Vermutungen  und  halb- 
bewiesenen Behauptungen  zu  voll  Bewiesenem  erhebt.  Philippe 
Mousket  schreibt  nämlich  in  seiner  Chronique  Rimee  von  der  Ge- 
burt Karl  Martells: 

1666     Carles  Martiatcs  fu  apieles, 

Pour  <pu  que  de  sotcgnant  fu  nes: 
Uune  seror  Teri  d'Ardane 
Qu'ot  en  l'abeie  d'Andane. 

Philippe  Mousket  kann  diese  Mitteilung  nicht  mehr  aus  einer 
Dichtung  haben,  nachdem  in  Nordfrankreich  die  Bertasage  jene  von 
Alphaid  überdeckt  hatte.  Ihrem  ganzen  Charakter  nach  ist  die  An- 
spielung aus  einem  Chronikenbericht  entnommen.  Dafs  Alphaid  eine 
Kebse  (so9/gnant,  soignant)  war,  hat  die  Sage  natürlich  vergessen. 
Also  hier  finden  wir  offenbar  ein  historisches  Element    Die  Er- 


104  Studien  zur  fränkischen  Bagengeschichte. 

klärung  des  Namens  Marti  aus  weiterhin,  ein  Beiname,  den  Karl 
wegen  seiner  aufserehelichen  Geburt  erhalten  habe,  steht  einzig  da. 
Wie  allgemein  bekannt  die  Deutung  'Hammer'  ist  und  die  Herleitung 
von  den  gewaltigen  Schlägen,  die  Karl  gegen  die  Feinde  der  Kirche 
geführt,  möge  Du  Ganges  Sammlung  unter  Martus  zeigen  und  ist 
ohnehin  bekannt.  Aber  die  Erklärung,  die  wir  bei  Mousket  fin- 
den, und  die  sicherlich  älter  ist  denn  Mousket,  ist  ebenso  naiv  wie 
getreu,  ist  nicht  dumm  und  braucht  kein  Beispiel  scholastischer 
Grübelei  zu  sein,  sondern  klingt  recht  volkstümlich.  Es  wird  offen- 
bar Martellus  wie  afrz.  martel  übertragen  gefafst,  also  in  der  nach- 
gewiesenen Bedeutung  'Sorge'.  Ähnliche  Märchennamen  kennen 
wir  ja  aus  anderen  verwandten  Sagen:  Herzeleide,  Tristan. 

Die  Nachricht  endlich,  dafs  Aupais  zur  Zeit  ihres  Romans  in 
einem  Kloster  gewesen  sei,  klingt  wie  eine  Klostertradition.  Dazu 
kommt,  dafs  And  an  e  wirklich  in  den  Ardennen  liegt,  ein  Frauen- 
kloster ist  und,  was  mir  das  Wichtigste  scheint,  von  Begga,  der 
Frau  jenes  Anseis,  gegründet  worden  war,  von  dem  wir  in  einer  wei- 
teren Abhandlung  zu  reden  haben.  So  berichtet  die  Vita  S.  Gere- 
trudis  (Pertz,  Script.  Rer.  Mer.  H,  S.  469  i),  so  berichtet  noch  Al- 
berich von  Trois-Fontaines  ad  686:  Sigebertus:  Begga  re- 
licta  Änsigisi  —  monasterium  Ändanense  fundat.  Begga  ist  aber 
die  Mutter  Pipins,  der  mit  Alphaid  Karl  Martell  zeugte, 
d.  h.  ihre  Schwiegermutter.  Erinnert  soll  noch  daran  werden, 
dafs  sich  Alphaid  an  ihrem  Lebensende  in  das  von  ihr  gegründete 
Kloster  von  Grp-li-Grand  (Belgien)  zurückgezogen  haben  soll. 

Das  einzige,  was  Mouskets  Anpielung  neben  der  Deutung 
von  Martel  der  Heldensage  verdankt,  ist  die  Nennung  Tierris 
d'Ardane  als  ihres  Bruders.  Auch  Alberich  von  Trois- 
Fontaines  kennt  im  Gegensatz  zu  erhaltenen  älteren  Chroniken, 
die  niemand  von  Aupais'  Sippe  nennen,  einen  Bruder  derselben: 
Dodo.  Ad  698:  Sandus  Lambertus  Traiectensis  episcopus  Pipinum 
principem  increpare  ausus,  quod  pelicem  Alpaidem  sue  legitime  uxori 
Plictrudi  superduxerit,  a  Dodone  fratre  ipsius  Älpaidis  ...  martiri- 
zatur.  Er  hat  den  Erzbischof  Lambert  von  Lüttich,  der  es  ge- 
wagt hatte,  seine  Schwester  Alphaid  zu  beleidigen,  umgebracht.  — 
Das  ist  offenbar  eine  kirchliche  Tradition,  die  ursprünglich  dem 
Martyrolog  des  Lambert  angehörte.  Und  tatsächlich  enthält  dieser 
den  ausgeschmückten  Bericht  jenes  Mordes,  dessen  Tradition  bis  in 
das  9.  Jahrhundert  zurückgeht.  Dewez  hat  in  einem  Memoire  pour 
servir  ä  Vhistoire  d'Alpaide  (Brüssel  1826)  diese  Heiligenlegende  in 
allen  ihren  Phasen  studiert  und,  wenn  wir  auch  nicht  alles  unter- 
schreiben, was  er  über  sie  gesagt,  dennoch  ein  Bild  von  der  Ent- 
wickelung  derselben  gegeben,  auf  das  wir  auch  heute  noch  verweisen 
können. 

Bei  Alberich  wird  von  Dodo  noch  eine  Tat  erwähnt,  die  die 
himmlische  Strafe,  die  ihn  nach  der  Legende  traf  (er  sei  von  Wür- 


Studien  zur  fränkischen  Sasrengeschichte.  105 

mern  aufgezehrt  worden,  Dewez  S.  332),  durch  eine  realistischere 
ersetzt:  Im  Jahre  darauf  tötet  nach  derselben  Chronik  ein  Dodo 
(sicherlich  für  die  Sage  derselbe,  da  er  gleichen  Interessen  dient) 
Plectruds  ältesten  Sohn  Drogo  und  ebnet  so  Karl  Martell  den  Weg 
zum  Throne:  Dodo  interfecior  —  ab  alter o  perimitur  (699;  historisch 
wurde  Grimoald  714  von  einem  Heiden  Ran  gar  ermordet).  —  Inter- 
essante Mitteilungen,  über  deren  Authentizität  wir  nur  mangelhaft 
unterrichtet  sind,  die  uns  aber  zeigen,  dafs  eine  kirchliche  Tradition 
unabhängig  von  der  volkstümlichen  und  ihr  entgegengesetzt  lebte,  die 
Alphaid  als  Kebse  (pelicem,  sougnant)  und  einen  Bruder  Dodo  als 
Bischofs-  und  Königsmörder  darstellte,  wobei  letztere  Tat  als  Über- 
tragung gesichert  ist,  Dodo  aber  als  eine  im  Mittelpunkte  des  Inter- 
esses stehende  Sagenfigur  hervortritt. 

VII. 

Ob  Geschwisterpaar,  wie  hier,  ob  Vater  und  Tochter,  wie  in  der 
Folko-Aupais-Episode:  Tierri  d'Ardane  und  Aupais  die  rot- 
blonde haften  nun  fest  und  organisch  aneinander.  Zwei  aus  gänz- 
lich verschiedenen  Quellen  stammende  Darstellungen,  beide  durch 
Mischung  mit  anderen  Traditionen  wesentlich  entstellt,  kennen  ihre 
Beziehungen  noch,  die  dem  Gedächtnis  des  nordfranzösischen  Volkes 
längst  entschwunden  sind.  Die  eine,  nordfranzösische,  beruht  auf 
einer  Klostertradition,  vielleicht  eben  jenes  Klosters  Andane  an 
der  Maas,  das  als  Gründung  der  Begga  mit  den  Arnulfingen  eng 
verknüpft  war,  und  in  dem  sie  die  Heldin  weilen  läfst.  Wie  aus 
weiter  Ferne  blinkt  durch  die  Mischung  kirchlicher  und  geschicht- 
licher Angaben  eine  längst  versiegte  sagenhafte  Quelle,  die  den 
berühmten  Tierri  d'Ardane  als  Anverwandten  und  Beschützer  der 
Alphaid  nannte  und  eine  ganz  eigenartige,  nie  sonst  angetroffene 
Deutung  des  Namens  Martel  überlieferte.  Die  offenbar  der  Volkssage 
entstammende  Genealogie  erhebt  unsere  Folko-Aupais-Episode  im 
Girart  von  Rossillon  zu  einem  Schöfsling  dieser  Sage  von  Alphaid: 
denn  wie  sie  auf  der  einen  Seite  dem  historischen  Tatbestand 
mit  dem  Namen  Alphaid  —  Aupais  und  dem  Vorwurf  aufser- 
ehelichen  Verkehrs  entspricht,  so  geben  auf  der  anderen  Seite  auch 
sagenhafte  Züge  ihr  das  Zeugnis  der  Authentizität:  dem  Urbild  der 
Sage  von  Berthe  as  grans  pies,  das  stets  in  einer  verlorenen,  volks- 
tümlichen Überlieferung  über  Alphaid  vermutet  wurde,  entspricht 
sie  mit  der  eigenartigen  Bezeichnung:  au  ranc  talon.  Die  sagen- 
hafte Genealogie  der  Chronique  rimee  ist  ihr  ebenfalls  eigen,  indem 
sie  Dietrich  d'Ascane  (dessen  Identität  mit  Dietrich  d'Ar- 
dane nun  vollends  hervortritt)  als  ihren  Vater  nennt  und  ver- 
wendet. 

Ob  dieser  Verwandtschaftsgrad  der  ursprüngliche  ist,  oder  ob 
die  Chronik  recht  behält,  die  ihn  Bruder  nennt,  wird  nicht  endgültig 
zu  entscheiden  sein.     Vater  und  Bruder   tauschen  ihre  Rollen   oft 


106  Studien  zur  fränkischen  Sagen  geschieh  te. 

genug  in  der  Sage.  In  unserem  Falle  lassen  sich  für  beides  Gründe 
anführen:  im  Girart  von  Rossillon  ist  Tierri  Schwager  des  Königs, 
dessen  Schwester  er  zur  Frau  hat,  im  niederländischen  Karl  Meinet 
erhält  Elegast,  wohl  eine  typische  Outlawfigur  des  Rheins,  ^  in 
dessen  Rolle  sich  in  der  nordischen  Fassung  Tierri  d'Ardane 
und  Bas  in  teilen,  Karls  Schwester,  die  Witwe  des  Verräters,  zur 
Gattin.  Da  nun  die  Bezeichnung  'Schwager'  zweideutig  ist,  so 
könnte  sie  der  Form  nach  aus  der  Aupaissage  stammen,  die  Dietrich 
als  den  Bruder  der  Königsbraut,  Schwager  des  Königs  genannt  hätte. 
Sie  wäre  dann  weiterhin  falsch  interpretiert  und  er  zum  Gemahl  von 
des  Königs  Schwester  gemacht  worden. 

Aber,  wie  gesagt,  Familienbeziehungen  fluktuieren  wie  Sand  in 
der  Sage,  wer  sich  auf  sie  verläfst,  geht  leicht  fehl.  Darum  werden 
wir  guttun,  folgende  Auffassung  voranzustellen:  die  Folko-Äupais- 
Episode  benutzt  als  Schema  die  Sage  von  der  Tochter^  die  den  Mörder- 
ihres  Vaters  liebt.  Wenigstens  ist  in  den  Versionen  der  Sage,  die 
wir  kennen,  stets  der  Vater  der  Ermordete.  Da  nun  die  Episode 
mit  dem  Kennzeichen  ihrer  Heldin:  au  ranc  talon,  sich  als  Vorbild 
der  Bertasage  ausweist  und  es  deshalb  wahrscheinlich  ist,  dafs  die 
vorauszusetzende  fränkische  Fassung  —  das  verlorene  Urbild  —  in 
gleicher  Weise  verlief,  so  ergibt  sich,  dafs  diese  Sage  einen  Vater 
der  Aupais  und  nicht  einen  Bruder  brauchte:  den  Vater  als  Quelle 
der  Blutrache,  während  ein  Bruder  neben  diesem  den  Verlauf  der 
Sage  gestört  haben  würde,  da  ja  sonst  die  Pflicht  der  Blutrache  nicht 
auf  die  Tochter,  sondern  auf  ihn  übergegangen  wäre. 

Nun  hat  uns  aber  Alberich  von  Trois-Fontaines  aus  dem 
Beginn  des  1 3.  Jahrhunderts  eine  Tradition  überliefert,  nach  welcher 
Alphaid  einen  Bruder  besessen  habe,  der  die  Interessen  seiner 
Schwester  in  der  Art  des  Cesare  Borgia  vertrat  und  dabei  schliefs- 
lich  selber  ums  Leben  kam,  gerade  als  er  seinem  Neffen  durch  Er- 
mordung des  Kronprinzen  Platz  gemacht.  Er  war  von  der  kirchlichen 
Tradition  festgehalten  worden,  weil  er  dem  Bischof  Lambert  von 
Utrecht,  der  es  gewagt  hatte,  seine  Stimme  gegen  Alphaid  zu  er- 
heben, zur  Märtyrerkrone  verholfen  hatte.  —  Sollte  sich  hieraus  nicht 
ergeben  können,  dafs  die  Version  der  Chronique  rimee  eine  Ver- 
quickung kirchlicher  (historischer?)  und  volkstümlicher 
Tradition  zeigt;  dafs  sie  den  sagenumwobenen  Tierri  d'Ar- 
dane  zwar  nennt,  aber  ihn  nach  der  kirchlichen  Tradition  zum 
Bruder  der  Heldin  macht? 

Das  scheint  tatsächlich  das  Wahrscheinlichste  zu  sein.  Man  stelle 
sich  nur  vor:  in  kirchlichen  Traditionen  ist  nur  von  einem  Bruder 
die  Rede,  nach  dem  Epos  weifs  Mousket,  als  Epenkenner,  von  ihren 
Beziehungen  zu  Tierri  d'Ardane,  die  beiden  Charaktere  scheinen 
ihm  eine  gewisse  Ähnlichkeit  zu  haben,  der  ihm   geläufige  epische 

'  Gaston  Paris,  Eist.  poet.  p.  142. 


Studien  zur  fräntischen  Sa  gen  geschieh  te.  107 

Name  ist  nicht  durch  Dodo  zu  verdräogen,   er  macht  ihn  aber  nach 
seinen  geschriebenen  lateinischen  Quellen  zum  Bruder. 

Diese  Identifikation,  die  der  Chronist  machte,  ist  auch  für  uns 
ein  Fingerzeig:  denn  warum  sollte  der  Satellit  der  Alphaid,  den  ihr 
kirchliche  Tradition  und  volkstümliche  Sage  geben,  nicht  wirklich 
ursprünglich  eine  Person  sein?  Finden  wir  nicht  die  spärlichen  No- 
tizen, die  wir  über  den  Bruder  der  Alphaid  in  der  Chronik  besitzen, 
in  der  Sage  über  ihren  Vater  wieder?  Ist  die  Stelle  aus  Fierahras 
nicht  eine  sagenhafte  Verallgemeinerung  des  Charakters  eines  Bischofs- 
und Prinzenmörders:  'Tierri  d'Ardane,  der  Graubart,  der  Alte,  der 
grausamen  Sinnes  mehr  denn  Tausend  hingemordet  hat  in  den  Ar- 
dennen,  wo  er  hauste/  Dazu  liegt  der  Schauplatz  des  Bischofsraor- 
des  an  den  Ardennen.  —  Und  finden  wir  den  gewaltsamen  Tod 
Dodos  nicht  auch  in  der  Sage  widergespiegelt,  wenn  Alphaid  Blut- 
rache seinetwegen  übernehmen  mufs?  Zudem  ist  es  nicht  unmöglich, 
dafs  Dodo  nur  ein  Kosename  von  Theoderich  ist,  der  ihm  in  der 
Sage,  die  ihn  als  Jüngling  ausstellt,  blieb,  während  er  als  greiser 
Vater  der  Aupais  Tierri  genannt  wurde. 

VIII. 

Bei  dieser  Parallele,  die  bei  den  gemeinsamen  Beziehungen  ihrer 
Träger  zu  ein  und  derselben  Person  nicht  zu  kühn  erscheinen  möge, 
ja  die  sich  dem  Sagenforscher  aufdrängen  mufs,  der  von  dem  realen 
Quell  seiner  Sage  überzeugt  ist,  würde  eins  entscheidend  sein ;  wenn 
wir  die  kirchliche  Tradition  auf  Historisches  zurückführen  könnten. 
Der  Versuch  ist  ja  schon  gemacht  worden,  wenn  auch  mit  negativem 
Resultat  für  die  Verwandtschaft  Dodos  mit  Alphaid,  hat  aber  von 
Seiten  Dahns  folgende  scharfe  Kritik  erfahren  {Geschichte  der  germ. 
n.  vom.  Völker  II,  3,  S.  757):  'Namentlich  ist  es  eitel  Fabel,  dafs  sie 
(Alphaid)  durch  ihren  Bruder  Dodo  Bischof  Lambert  von  Lüt- 
tich habe  ermorden  lassen,  weil  dieser  gegen  ihre  "Ehe",  d.h.  Buhl- 
schaft mit  Pipin  geeifert  habe.' .  [In  der  Anmerkung  6 :]  'Jene  späten 
und  böswillig  tendenziösen  Quellen  wissen  nicht  einmal,  dafs  Pipin 
nicht  König  war.  Wertlos  ist  das  Memoire  von  Dewez  etc.'  —  Ja 
welchen  Grund  haben  denn  'jene  späten  Quellen',  um  'böswillig  ten- 
denziös' zu  sein?  Im  allgemeinen  findet  man  doch  die  Tendenz,  nach 
irgendeiner  Seite  zu  entstellen,  nur  bei  Zeitgenossen,  wenn  es  in  einer 
Frage  noch  Parteien  gibt.  Aus  welcher  Ursache  hätten  denn  im  12. 
und  13.  Jahrhundert  Stimmen  gegen  Karl  Martells  Mutter  erstehen 
können,  gegen  die  Urahne  Karls  des  Grofsen,  des  Heiligen  der 
Kirche,  Stimmen,  die  ihr  gar  einen  Bruder  andichten  und  eine  Reihe 
von  Schandtaten  dazu?  Dahns  Urteil  scheint  uns  weder  logisch 
noch  kritisch.  Das  Gegenteil  geradezu  wäre  verständlicher!  'Diese 
Quellen  zeigen  eine  Art  der  Tendenz,  die  auf  hohes  Alter  schliefsen 
läfst.  Dafür  spricht  auch,  dafs  sie  Pipin  König  nennen.  Denn  diese 
Anschauung,  die  ja  aus  der  Chronik  leicht  zu  korrigieren  gewesen 


108  Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte. 

wäre  und  sich  im  12.  Jahrhundert  nur  noch  in  der  Dichtung  findet, 
stammt  aus  der  Volkssage  und  ist  dort  durch  Vermischung  Pipins 
mit  seinem  Enkel,  der  wirklich  König  war,  bewirkt  worden.' 

Und  die  Geschichte  Alphaids  wie  ihres  Sohnes  zeigt  ja  günstig- 
sten Boden  für  die  Entstehung  tendenziöser  Legenden  und  Sagen: 
Die  Neustrier  waren  Gegner  Plectruds  und  ihres  Kegiments  und 
somit  auf  seiten  Karl  Martells.  Umgekehrt  sahen  die  Austrasier  in 
Karl  Martell  ihren  Gegner.  Die  Kirche  schliefslich  war  Pipin  wie 
Karl  feindlich  gesinnt.  Nun  besitzen  wir  ja  zu  dieser  Sachlage  zwei 
Stimmen,  eine  günstige,  verklärende  und  eine  gehässige,  die  Kirch- 
liches und  Volkstümliches  gemischt  zeigt.  Durch  die  Verschiedenheit 
ihrer  Stimmung  aber  gewinnen  beide  Sagen  aufserordentlich  an  Wert, 
denn  sie  können  nicht  voneinander  abhängig  sein.  Und 
wenn  sie  unabhängig  sind,  die  eine  von  der  anderen,  so  kann  eine 
Konkordanz  zwischen  ihnen  nicht  auf  Zufall  zurückgeführt  werden, 
sondern  in  dem  beiden  Gemeinsamen  sehen  wir  einen  Kern,  der  nicht 
leichthin  als  blofse  Fiktion  angesehen  werden  kann:  neben  Alphaid 
stand  als  der  uns  im  historischen  Berichte  fehlende  Spiritus  Bector 
eine  Persönlichkeit,  Vater  oder  Bruder,  vielleicht  auch  nur  ein  Ge- 
treuer, den  eine  wohlwollende  Sage  als  mörderischen  Outlaw  in  den 
Ardennen,  eine  'böswillig-tendenziöse'  als  politischen  Mörder  eben- 
falls in  der  Ardennengegend  darstellt,  und  der  nach  beiden  Berichten 
eines  unnatürlichen  Todes  starb. 

Mag  die  Ermordung  Lamberts  auf  Dodo  eine  Übertragung 
sein,  wie  es  die  Ermordung  Grimoalds  sicher  ist,  mag  man  die 
Übertragung  für  tendenziös  halten,  was  durchaus  nicht  gesagt  ist, 
oder  in  ihr  die  Tätigkeit  der  Kirche  sehen,  was  sicherlich  unrichtig  — 
auch  eine  Übertragung  ging  nicht  von  realen  Figuren  auf  Erfin- 
dungen der  Phantasie  über,  sondern  zeigt  nur,  dafs  der  Satellit  der 
Aupais,  wenn  auch  nicht  als  Typus  politischer  Klugheit  und  Rück- 
sichtslosigkeit, so  doch  als  solcher  Handlungsweise  fähig  gehalten 
wurde. 

Und  hierin  liegt,  wenn  man  die  von  den  unsrigen  durchaus  ab- 
weichenden moralischen  Vorstellungen  in  Betracht  zieht,  der  fränkisch- 
volkstümliche Charakter  dieser  Übertragung:  beide  Taten,  die  Be- 
strafung eines  Beleidigers  seiner  Schwester,  selbst  wenn  dieser  ein 
frommer  Mann  war,  die  Beseitigung  eines  ihrem  Sohn  im  Wege 
stehenden  Thronerben,  sind  nicht  gerade  geeignet,  nach  den  damaligen 
Anschauungen  der  Franken  ihnen  Abscheu  vor  der  Persönlichkeit 
des  Dodo  zu  erregen.  Die  Konsequenz,  die  in  der  Handlung  liegt, 
so  verwerflich  diese  auch  sein  mag,  erschien  dem  fränkischen  Volke, 
das  200  Jahre  früher  Chlodwig  wegen  gleichen  Vorgehens  vergöt- 
terte und  140  Jahre  später  Ludwig  den  Frommen  wegen  schwäch- 
licher Vermeidung  gewaltsamer  Lösungen  verachtete,  als  etwas  Be- 
wunderungswürdiges. So  dachten  sich  die  germanischen  und  kriege- 
rischen Teile  der  Bevölkerung   ihre  Helden   und   die  Gegner,   vor 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte.  109 

denen  sie  Respekt  hatten.  Erst  in  der  Hand  der  Kirche  bekam  diese 
urfränkische  Art  der  Übertragung  und  Ausschmückung  das  'Böswillig- 
Tendenziöse',  welches  Dahn  ausschliefslich  in  der  Sage  sehen  will. 

IX. 

Kehren  wir  zur  Folko-Äupais-Episode  zurück,  die,  wenn  uns 
nicht  alles  täuscht,  in  ihrer  Verwendung  novellistischer  Motive  das 
Erzeugnis  stillsitzender,  d.  i.  romanischer  Bevölkerung  ist.  Sie  liefert 
uns  zu  der  Sage  über  Alphai d  eine  dritte  Version,  die  insofern  sehr 
getreu  genannt  werden  kann,  als  der  Name  der  Heldin,  ein  sagen- 
haft-physiognomisches  Merkmal  an  ihrem  Körper  und  eine  Neben- 
figur, hier  ihr  Vater  Tierri,  sich  erhalten  haben. 

Der  Mord  an  Tierris  wahrscheinlichem  Urbilde,  dem  Bruder 
der  Alphaid,  Dodo,  geschah  nun  erst  nach  ihrem  Roman  mit  Karl 
Martell.  Wenn  also  die  burgundische  Sage  ihre  Aupais  au  ranc 
talon  noch  nach  diesem  Morde  an  Tierri  einen  Herzensroman  er- 
leben läfst,  so  zeigt  das,  dafs  einerseits  die  Erinnerung  an  die  Be- 
ziehungen der  Heldin  zu  Karl  Martell  geschwunden  war,  ander- 
seits der  Mord  an  dem  an  verwandten  Satelliten  Dodo  •  Theoderich - 
Tierri  und  die  Blutrache  hierfür  von  der  burgundischen  Sage  in 
den  Vordergrund  gerückt  worden  war,  in  welcher  Stellung  wir  ihn 
ja  auch  im  Girart  von  Rossillon  finden. 

Aus  der  vergessenen  Sage  von  Alphaid  und  Karl  Martell  blieb 
nur  eine  dunkle  Erinnerung  an  einen  weltvergessenen  Liebesbund 
der  Heldin  im  väterlichen  Ardennenschlofs,  blieb  nur  als  unverstan- 
dener Rest  der  hieraus  entstehenden  Verwickelung  das  Merkzeichen 
an  ihrer  Ferse,  an  dem  sie  der  König  oder  Königssohn  später  er- 
kennen sollte.  So  wurde  das  Motiv  der  Blutrache,  das  vielleicht 
früher  in  unerbittlicher  Form  durchgeführt  war  —  so  vielleicht  wie 
von  Ludie  in  den  Lothringern  — ,  gemildert,  von  der  unkriege- 
rischen, stillsitzenden  Bevölkerung  nach  dem  ihr  geläufigen  Märchen 
von  der  Tochter,  die  den  Mörder  ihres  Vaters  lieht,  umgestaltet,  so  dafs 
Dodo -Tierri  zum  Vater  wurde. 

Von  diesem  hatten  allerorts  Sagen  berichtet,  wie  er  zu  Pipins 
Zeiten  in  den  Ardennen  eine  wilde,  friedlose  Zeit  durchgemacht,  wie 
er  schliefslich,  selbst  ein  Mörder,  ermordet  worden  war. 

Mit  der  Leichtigkeit  der  Sage  hat  die  Schlacht  hei  Valheton  inner- 
halb des  Girart  von  Rossillon  ein  Stück  aus  dieser  Verbannung  ver- 
jüngt und  unter  Karl  Martell  vor  sich  gehen  lassen,  der  II.  Teil  des- 
selben Girart  den  Mord  des  Helden  durch  Boso  wiederholt,  als 
Grundlage  zu  weiteren  Kriegen  zwischen  Karl  und  Girart. 

Auf  demselben  zweiten  Tode  Dietrichs  fufst  unsere  Folko- 
Äupais-Episode.  Denn  Boso,  sein  Mörder,  ist  ein  Bruder  Folkos,  der 
der  trauernden  Tochter  ausgeliefert  wird.  'Sie  aber  verliebte  sich  in 
seinen  Leib  und  sein  Antlitz  und  hielt  ihn  in  silbernen  Ketten.  Und 
es  geht  das  Gerücht,  dafs  sie  ein  Knäblein  von  ihm  habe.'   —   So 


110  Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte. 

trat  Folko  an  die  Stelle,  an  der  ursprünglich  Pipin  gestanden  hatte. 
Karl  Martell  aber  wurde  zum  Zeugen  einer  romantischen  Sage,  die 
ursprünglich  die  Liebesgeschichte  der  eigenen  Eltern  und  die  eigene 
Herkunft  geschildert  hatte. 


Anhang  I.    Die  Bertasage. 

Die  Bertasage  ihrerseits  ist  dem  Kern  der  alten  Dichtung  von 
Aupais  treu  geblieben,  wenn  sie  auch  den  Namen  der  Heldin  auf- 
gegeben hat  und  einen  Satelliten  nicht  mehr  kennt.  Selbst  in  der 
ursprünglichsten  uns  zugänglichen  Version,  dem  franko  -  italischen 
Gedichte  Berta  de  li  gran  pie,  das  uns  Mussafia  in  Eomania  Bd.  HI 
und  IV  herausgegeben  hat,  ist  keine  Rede  von  einem  Bruder,  wildem 
Waldleben,  schrecklichem  Tode  desselben. 

Die  Sage  hat  hier,  im  Gegensatz  zu  der  burgundischen  Tra- 
dition, das  Derb- Volkstümliche,  wenn  ich  so  sagen  darf,  das  Nicht- 
Hoffähige  an  Herkunft  und  Familie  ihrer  Heldin  aufgegeben  und 
sie  zu  einer  ungarischen  Königstochter  gemacht,  um  die  Pipin  in  aller 
Form  werben  mufs,  und  die  dann  durch  ihre  eigene  Schuld  von  einer 
Doppelgängerin  aus  dem  ehelichen  Bette  verdrängt  wird.  * 

Immerhin  verdient  die  Frage  eine  Prüfung,  ob  hierbei  sich  nicht 
trotzdem  Ursprüngliches  erhalten  hat,  ob  nicht  echtes,  altes  Sagengut 
aus  den  wilden,  schaurigen  Ardennen  in  das  gesittete,  romantische 
LJngarland  übertragen  worden  ist. 

Da  ist  erstens  einmal  der  Vater  der  Berta: 

555     Li  rois  d' Ongarie,  c'oit  nome  Alfaris. 

Alf  aris,  mufs  man  bekennen,  ist  ein  seltsamer  Name  für  einen 
Ungarkönig,  aber  auch  ungewöhnlich  für  eine  Erfindung  des  12.  Jahr- 
hunderts, das  Namen  wie  Floire  (so  bei  Adenet),  Felis  für  solch  exo- 
tische Fürsten  vorzog.  Alfaris  aber  ist  ein  gut  germanischer  Name, 
wir  kennen  ihn  in  der  Gestalt  Alphari,  Alpher  u.  a.  m.  -  Der 
erste  Bestandteil  des  Namens  ist  aber  derselbe  wie  im  Namen  von 
Bertas  Urbild  Alphaid.  Und  da  wir  die  Vorliebe  germanischer 
Völker  für  solche  Namengebung  kennen:  Gernot  und  Ger  linde, 
Hildebrant  und  sein  Sohn  Hadubrant,  so  kann  man  sich  der  An- 
sicht nicht  verschliefsen,  dafs  Alfaris  sagenecht  ist  und  wir  den 
ursprünglichen  Namen  von  Alphaids  Vater  in  ihm  zu  sehen  haben. 

^  797  Berta  bittet  eine  ihr  gleichende  Gefährtin,  die  Brautnacht  bei 
Pipin  statt  ihrer  zu  verbringen,  sie  sei  von  der  ßeise  wie  zerschlagen. 
Auf  ihre  Bitten  würde  er  sie  verschonen.  Die  Gefährtin  benutzt  dies,  um 
sie  zu  verdrängen.  Ursprünglich  war  vielleicht  Pipin  selber  derjenige,  der 
Berta  wegen  ihrer  grofsen  Füfse  verschmähte,  worauf  dann,  um  dies  fallen 
zu  lassen,  jene  wenig  wahrscheinliche  Intrige  erfunden  wurde.  (Vgl.  Pio 
Rajna,  Ricerche  intorno  ai  Reali  di  Francia  S.  227.) 

'^  Förstemann,  Altdeutsches  Name^ihuch:  ALFI.  'Alfheri'. 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte.  111 

Auch  hierdurch  ergibt  sich,  dafs  Dodo-Tierri  Bruder,  wie  in 
der  kirchlichen  Tradition,  und  nicht  Vater,  wie  in  der  burgundischen 
Sage,  gewesen  ist.  Nach  der  ersteren  schien  nun  dieser  Bruder  die 
Rolle  eines  in  der  Wahl  seiner  Mittel  skrupellosen  Helfers  seiner 
Schwester  gehabt  zu  haben.  Diese  Rolle  fällt  aber  in  Berta  de  li 
gran  pie,  wie  es  die  gute  Sitte  vorziehen  läfst,  einer  Frau,  und 
zwar  der  Mutter  Bertas,  zu.  Diese  Mutter  heifst  (694)  Belisant, 
ein  häufiger  Name  in  späterer  Dichtung  {Amis  und  Ämiles),  und 
wenn  auch  Adenet  le  Roi  einen  romantischeren  Namen  für  sie  vor- 
zieht: Blancheflour,  so  ist  auch  an  Belisant  nichts  auszusetzen. 

Wohl  aber  an  der  Trägerin:  dieselbe  benimmt  sich  nämlich 
weniger  wie  eine  wohlerzogene  Ungarkönigin  als  wie  ein  derber 
und  nicht  sehr  rücksichtsvoller  Mann.  Sehen  wir  uns  ihre  Rolle 
näher  an: 

Schon  hat  die  falsche  Berta  dem  König  drei  Kinder  geboren 
(946),  schon  hat  König  Pipin  mit  der  unbekannten,  echten  Königs- 
tochter, die  bei  seinem  voier,  nach  der  Chronique  Saintongeoise  bei 
seinem  Hirten  Aufnahme  gefunden,  ein  romantisches  Beilager  ab- 
gehalten '  (1130).  Da  schöpft  Belisant  Verdacht,  dafs  bei  ihrer 
Tochter  etwas  vorgekommen  sein  müsse,  und  beschliefst,  nach  Frank- 
reich zu  reisen.  Ihr  Gemahl  schlägt  ihr  diesen  Wunsch  rund  ab. 
Sie  aber  herrscht  ihn  erzürnt  an: 

1228     'Cativo  rois,  tu  no  vale  un'alie. 

Se  con^  no  nie  doni,  por  Deo  le  ß  Marie 
A  tot  to  malgre  me  meterö  en  vie, 
Sola  li  alird  sen^a  nul  com'pagnie, 
E  tat  colsa  iarö,  sempre  sera'  honie.' 

Auf  diesen  Ton  hin,  der  eher  zu  dem  Gebaren  trotziger  Söhne  als 
einer  Frau  pafst,  ist  der  König  auf  den  Tod  erschrocken  und  weifs 
nicht,  was  er  sagen  soll.  Dann  gibt  er  ihr  demütig  die  volle  Er- 
laubnis, entschuldigt  seine  vorherige  Absage  mit  seiner  zu  grofsen 
Liebe,  bietet  ihr  Geld  und  Geleit  an. 

'Das  hättet  Ihr  mir  gleich  sagen  sollen!'  schilt  sie  und  weist 
alle  Unterstützung  zurück: 

1265     ^Non  voio  del  vostro  espenser  un  diner 
Asa'  06  da  Spender  e  da  doner/ 


*  Ein  natürlicher  Instinkt  läfst  in  Pipin  heftige  Liebe  zu  der  ver- 
meintlichen Hirtentochter  entstehen.  Diese  weifs,  wer  er  ist,  und  versagt 
sich  ihm  nicht.  Der  Hirte  bereitet  ihnen  das  symbolische  Lager  auf  einem 
Karren.  'Daher,'  sagt  die  etymologische  Fabel,  'der  Name  Karl'.  Das 
franko-italische  Gedicht  findet  sich  mit  dem  Karren  folgendermafsen  ab: 
Karl  sagt: 

1180  '  Vu  aves  ben  ovree. 

Por  li  calor',  —   qe  fu  da  meqa  stee  — 

*£»  Celle  carte  sor  un  caru  roee 

Falles  qe  un  gran  leito  si  li  sia  ben  concee  .  .  / 

Elo-l  düse  por  gabes,  me'l /u  ben  averee. 


112  Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte. 

Sie  fafst  offenbar  das  eheliche  Verhältnis  etwas  frei  auf.    Auch  zu- 
letzt noch  hätte  sie  der  König  gern  zurückgehalten,  aber  er  wagte  es 

nicht:         jyQ3    ji/^^-  i^fito  la  dotava,  por  q'ela  era  si  ß. 
No  la  olsava  por  le  viso  nul  hon  guarde, 
Par  Mo  li  regno  se  fasea  si  dote, 
No  la  olsava  nul  hon  de  nient  contraste. 

Nicht  viel  zarter  ist  ihr  Betragen  am  fränkischen  Hofe.  Steht 
da  der  Helfershelfer  der  falschen  Berta  vor  der  Tür  ihrer  vermeint- 
lichen Tochter  und  wehrt  ihr  den  Eingang:  sie  nimmt  ihn,  stöfst  ihn 
beiseite  und  tritt  trotz  seiner  ein. 

Und  wie  sie  in  der  Kammer  Licht  gemacht  und  die  kleinen 
Füfse  der  Patientin  gesehen,  also  den  Betrug  entdeckt  hat,  reifst  sie 
die  Pseudo-Berta  an  den  Haaren  zum  Bett  heraus  und  schleift  sie 
hinter  sich  heraus.  Die  anderen  kommen  gelaufen  und  wollen  ihr 
wehren.  Vor  allen  anderen  der  König.  Wie  sie  diesen  sieht,  läfst 
sie  ihr  Opfer  los  und  wirft  sich  auf  ihn: 

1476  ^Fel  traito  renoie, 

o'est  ma  ßle?' 

Und  mitleidslos  schlägt  sie  auf  ihn  ein  mit  Händen  und  Füfsen, 
dafs  wenig  fehlte,  dafs  sie  ihn  niedergeschlagen  hätte.  Für  Pipin, 
den  Löwenbezwinger,  eine  ziemlich  beschämende  Szene! 

Aber  sie  bringt  die  Lösung  herbei.  Pipin  ist  durch  die  Prügel 
auf  die  Spur  gebracht  worden.  Er  erinnert  sich  der  Hirtentochter, 
der  einst  auf  einem  Karren  mit  ihm  das  Brautbett  bereitet  worden 
war,  sie  hatte  jene  grofsen  Füfse,  die  Belisant  an  der  falschen  Berta 
vermifst,  und  so  findet  man  denn  auf  seinen  Wink  hin  die  richtige 
(1554);  die  Betrügerin  aber  wird  verbrannt  (1629). 

Wenn  dies  das  beglaubigte  Porträt  von  unserem  Dodo-Tierri 
wäre,  so  würden  wir  uns  weiter  nicht  wundern.  Denn  so  müfste  wohl 
das  Bild  jenes  Mannes  sein,  jenes  Unholdes  aus  den  Ardennen.  Denn 
wenn  auch  in  der  Vorzeit  die  Frau,  wo  sie  auftritt,  zur  Intrigantin 
wird,  so  sind  es  ihre  Ränke,  ihre  Listen,  in  denen  sie  Meisterschaft 
zeigt.  Es  ist  vergeblich,  auf  Walkürenfiguren  wie  Brunhild  aufmerk- 
sam zu  machen.  Denn  auch  ihre  unbändige  Kraft  ist  nur  dazu  da, 
um  die  Gewalt  des  männlichen  Recken,  der  sie  sich  zur  Trauten 
zähmt,  doppelt  hervortreten  zu  lassen.  Kurz,  ich  halte  es  für  aus- 
gemacht, dafs  das  Urbild  dieser  Frau  ein  Mann  ist.  ^ 

Auch  das  Verhältnis  zum  Ungarkönig  ist  zweifellos  kein  ehe- 
liches. Es  ist  eher  das  eines  dienstbar  gewordenen  jungen  Helden, 
der  sich,  nachdem  die  Kräfte  sich  entfaltet,  losmacht  wie  Siegfried 
von  dem  Zwerge. 

Da  nun  die  Rolle,  die  dieses  Mannweib  Belisant  hier  spielt,  in 
älterer  Version,   der  kirchlichen  Tradition  nach  jenem  Dodo  zukam, 


Auch  Rajna  fiel  questa  singolare  pittura  auf:  Op.  eil.  S.  229,  230. 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte.  113 

einem  als  Mordgesellen  berüchtigten  Outlaw,  so  halte  ich  es  für  eine 
gewichtige  Stütze  unserer  Annahme,  dafs  auch  Belisant  mit  dem 
Messer  droht.  Wie  nämlich  alles  vorbei  ist,  gratuliert  sie  dem  König, 
dafs  Berta  wiedergefunden  sei,  denn  sonst  würde  sie  ihn  mit  einem 
Messer  erstochen  haben: 

158r?     ^Deo  vos  oit  secoru  e  la  Maeste  sant; 
Car  por  cel  Deo  qtce  naque  en  Oriant, 
Se  mia  filla  tornea  nen  aiimes  al  presant, 
Morto  v'averoie  a  un  coltel  tren^nt, 
Ne  da  le  mi  man  nen  aüses  guarcmt.' 

Die  Beriasage  hat  also  einerseits  den  Kern  der  Dichtung,  der 
schon  die  Awpaissage  ausmachte  (Zeugnis :  Äupais  al  ranc  talon),  wohl 
bewahrt.  In  dem  Vater  der  Berta,  Alfari,  ist  ein  sagenechter  Name 
wegen  des  Alphaid  identischen  ersten  Bestandteils  zu  vermuten. 
Zu  einem  Ungarkönig  hat  ihn  wohl  erst  das  12.  Jahrhundert  ge- 
macht '  Zugleich  ist  der  alte  Helfer  der  Heldin  aus  einem  Bruder 
zu  deren  Mutter  gemacht  worden,  in  deren  Gebaren  aber  derartig 
männlich-wilde  Züge  zu  finden  sind,  dafs  man  sich  der  Annahme 
nicht  verschliefsen  kann,  dafs  diese  Umbildung  des  Dodo-Tierri  in 
eine  Frau  nur  eine  formelle  ist  und  die  trotzig-männliche  Gestalt 
des  Ardenesen  in  ihrer  ursprünglichen  Wildheit  und  Grausamkeit 
in  Belisant  noch  fortlebt. 


Anhang  H.     Der  Ardenois  Galopin. 

Galopin  ist  ohne  Zweifel  eine  Märchenfigur,  wie  überhaupt  der 
Elie  de  St-Gille  ein  zur  'Chanson  de  Geste'  aufgeputztes  Märchen  zu 
sein  scheint,  in  dem  alles  Epische  entlehnt  ist.  Dafs  der  Märchen- 
zwerg zum  Sohne  Tierris  gemacht  worden  ist,  zeigt  eben  wieder  das 
Typische  der  Outlawgestalt  des  Ardenesen  im  12.  Jahrhundert. 
Galopins  Geschichte  ist  folgende: 

1179     'Amis,  com  as  tu  non?'  — 

'Biaiis  sire,  Oalopin, 
Et  si  sui  nes  d'Ardane,  ßeus  au  conte  Tieri. 
{Berrars  si  fu  mes  freres,  li  preus  et  li  gentis.) 
A  l'ore  que  fui  nes  ceste  paine  m'avint: 
.Uli.  fees  i  ot;  quant  vint  al  departir, 
Li  une  me  voloit  a  son  etcs  detenir; 
Mais  les  autres  nel  vaurent  endurer  ne  soufrir 
Et  prierent  ä  dieu  qui  onques  ne  menti, 
Que  ia  mais  ne  creusse,  tous  iors  fuisse  petis, 
Se  n'eusse  de  lonc  que  .III.  pies  et  demi, 
Et  s'alaisse  plus  tost  que  chevals  ne  ronehins. 
Certes,  et  ie  si  fac,  por  voir  le  vous  plevi. 

^  Der  Vater  der  Manekine  ist  Ungarkönig;  in  den  Enfances  Ogier  eine 
Tante  Karls  des  Grofsen  Ungarkönigin.  Auch  im  Hervis  de  Mßtx  erschei- 
nen Ungarn. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  8 


114  Studien  zur  fränkischen  Sagen geschichte. 

Lors  fu  morte  ma  mere  et  mes  pere  autressi, 
Mi  parent  m'orent  vil  por  chou  qu'ere  petis, 
Si  me  vaurent  noier  en  le  mer,  el  grant  ßl. 
Ost  laron  m'aeaterent  que  troves  aves  cht, 
Tant  7n,'ont  de  lor  mestier  ensegniet  et  apris, 
Sotts  siel  nen  a  chastel,  dongon  ne  roellis, 
Ne  sor  pilers  de  marbre  tant  soit  palais  assis, 
Que  n'en  traie  l'avoir,  tant  parfont  i  soit  mis. 
Ör  devenrai  vostre  kom,  si  vous  vaurai  servir.' 

Die  vier  Feen,  welche  bei  der  Geburt  Galopins  Schicksal  be- 
stimmen, verknüpfen  ihn  mit  der  Märchenliteratur:  warum  sie  erwirkt 
haben,  dafs  er  nicht  gröfser  würde  wie  SVg  Fufs,  ist  unklar.  Sicher 
ist  nur,  dafs  eine  (böse)  Fee  Anspruch  auf  ihn  hatte,  wie  ja  so  oft 
in  den  Märchen,  und  dafs  sie  durch  den  Wunsch  der  drei  anderen 
darum  gebracht  wurde.  Da  nun  in  den  Märchen  die  Ansprüche  über- 
natürlicher Wesen  an  ein  Kind  fast  immer  an  eine  bestimmte  Alters- 
grenze geknüpft  sind,  so  erhellt,  dafs  das  Kind  der  bösen  Fee  ver- 
fallen war,  wenn  es  gröfser  wie  S^/^  Fufs  geworden  wäre. 

Mit  dieser  Gabe  verbinden  die  gütigen  Frauen:  besondere 
Schnelligkeit  ^  (daher  der  Name)  und  wunderbare  Diebeskunst.  Aber 
die  Kleinheit  bringt  ihm  die  Verachtung  der  Seinigen  ein.  Sie  setzen 
ihn  aus  und  verkaufen  ihn  dann,  wie  es  seit  Josef  in  Ägypten  vielen 
lästigen  Brüdern  ergangen  ist. 

Von  nun  an  spielt  Galopin  seine  Rolle  als  Helfer  des  Helden, 
wobei  wir  öfters  an  entsprechende  Grimmsche  Märchen:  an  den 
Meisterdieb,  an  Daumesdick  und  den  Daumerling ,  erinnert  werden. 
Sehr  nahe  steht  das  Märchen,  das  im  Dolopathos  7984  ff.  erzählt 
wird.  Dort  stehlen  nämlich  drei  Brüder  ein  Pferd,  indem  sie  den 
jüngsten  und  kleinsten  (es  ist  nicht  gesagt,  dafs  er  Zwerggestalt  hat) 
ihm  ins  Futter  binden.  —  Auch  Daumerling  und  Daumesdick  werden 
im  Heu  dem  Vieh  vorgeworfen  und  so  gefressen. 

Diese  letzteren  Eigenschaften,  Schnelligkeit,  Fertigkeit  im  Steh- 
len, sind  es  gewesen,  welche  die  Beziehungen  Galopins  zu  Tierri 
d'Ardane  vermittelt  haben,  und  es  erhellt,  wie  dieser  den  Vermitt- 
lern im  Lichte  eines  halb  mythischen  Outlaw  stand,  dessen  Bezie- 
hungen zum  Königshause  bereits  gänzlich  verwischt  waren. 

*  Von  Panzer  in  Hilde- Gudrun  besprochen. 
München.  Leo  Jordan. 


[Es  mag  zu  S.  9ß  f.  und  110  f.  darauf  hingewiesen  werden,  dafs  es 
auch  in  den  Berta- Überlieferungen  nicht  an  Indizien  dafür  fehlt,  dafs 
Berta  nicht  sowohl  'grofse  Füfse'  als  'einen  grofsen  Fufs'  {ranc  talon, 
grand  pied),  d.  h.  einen  Klumpfufs,  gehabt  habe.  Vgl.  die  Reali  di  Francia 
VI,  2 :  io  vi  avviso  che  Berta  ha  un  pie  maggiore  delV  altro,  ed  e  il  pie 
deatro.    H.  M.] 


Cyrano  de  Bergerac  (1619—1655), 
sein  Leben  und  seine  W^erke. 

Ein  Versuch. 

(Fortsetzung) 


Literarisches. 

Nachdem  wir  im  vorhergehenden  versucht  haben,  aus  dem 
Leben  Cyranos  ein  Bild  seiner  Persönlichkeit  zu  gewinnen,  wen- 
den wir  uns  der  leichteren  Aufgabe  zu,  zu  dem  nämlichen  Zwecke 
seine  Schriften  durchzugehen.  Wir  ordnen  diese  nach  der  Zeit 
ihrer  Entstehung,  soweit  dies  möglich  ist,  denn  die  Briefe  z.  B. 
gehen  wohl  über  den  gröl'sten  Teil  von  Cyranos  Mannesleben 
hin  und  sind,  wie  Spuren  zeigen,  auch  vereinzelt  erschienen, 
bevor  sie,  zu  zwei  verschiedenen  Malen,  gesammelt  herausgegeben 
wurden.  Wir  beginnen  also  mit  dem  Pedant  joue  und  schlielsen 
mit  dem  Roman,  an  dem  Cyrano  noch  auf  seinem  Sterbebette 
arbeitete. 

1.   Le   Pedant  joue. 

Wir  haben  Bd.  CXIII,  S.  361  und  369  gezeigt,  dafs  diese 
Komödie  bald  nach  1645  entstand,  1654  zum  erstenmal  aufgeführt 
wurde  und  im  gleichen  Jahre  als  Buch  erschien.  Neben  den  ver- 
schiedenen Ausgaben  dieses  Druckes  existiert  auch  eine  offenbar 
gleichzeitige  Handschrift,  die  Nr.  4557  der  Biblioth^ue  nationale, 
Fonds  fran9ais,  nouvelles  acquisitions,  welche  verdiente,  heraus- 
gegeben zu  werden,  denn  sie  enthält  aufser  einem  unverkürzten 
und  ^ungereinigten'  Text  mehrere  in  den  gedruckten  Ausgaben 
nicht  zu  findende  Stellen  und  Szenen.  Die  schöne  und  gut  les- 
bare Handschrift,  welche  auch  die  Letires  enthält,  wurde  von 
M.  de  Monmerqu^  am  18.  April  1833  in  der  Nähe  von  Saint- 
Sulpice  erworben,  1861  im  März  unter  Nr.  4015  auf  der  Auktion 
verkauft  und  war  am  29.  April  1890  im  Besitz  von  M.  DeuUin, 
von  Epernay,  der  sie  unter  diesem  Datum  der  Bibliothek  schenkte. 
Bisher  ist  P.  Brun  der  einzige  gewesen,  der,  ziemlich  schüchtern, 
etwas  daraus  publiziert  hat. 

Dem  gleichen  entnehmen  wir  folgendes  Szenarium; 

Die  Szene  ist  in  Paris,  teils  im  College  de  Dormans,  teils 
auf  der  davorliegenden  Strafse,  an  welche  auch  das  Haus  des 
Sieur  de  la  Tremblaye  stöfst. 

8» 


116  Cyrano  de  Bergerac. 

I.  Akt.  Granger,  der  p^dant,  Prinzipal  des  College,  emp- 
fängt mit  seinem  Küster  und  Spafsmacher  Pasquier  den  Besuch 
des  ^Capitan'  Chasteaufort,  der  ihn  unter  einer  Flut  bombastischer 
Reden  um  die  Hand  seiner  Tochter  Manon  bittet.  Granger  weist 
ihn  mit  einer  Menge  von  zum  Teil  höchst  unanständigen  Wort- 
witzen ab,  weil  er  seine  Tochter  einem  reichen  Bauern  Gareau 
zugedacht  hat,  dessen  Pflug  ihn  blendet.  Der  Bramarbas  gerät 
in  heftigen  Zorn  und  bedroht  Granger  und  seinen  Rivalen.  Der 
Pedant,  um  ihn  irre  zu  führen,  spricht  von  einem  dritten  Prä- 
tendenten. Chasteaufort  geht  ab  unter  riesigen  Drohungen  auch 
gegen  diesen.  Grauger  erklärt  nun  seinem  Diener  seine  Kriegs- 
üst,  die  beiden  Renommisten  und  Hasenfülse  Chasteaufort  und 
La  Tremblaye  aufeinander  zu  hetzen,  um  so  das  Feld  für  Gareau 
frei  zu  bekommen.  Aber  er  hat  noch  einen  anderen  Kummer. 
Er  selbst  liebt  Genevote,  die  Tochter  von  La  Tramblaye,  und 
sein  Sohn  Charlot  ist  sein  Nebenbuhler.  Er  will  ihn  deswegen 
entfernen  und  läfst  ihn  durch  Pasquier  herbeirufen.  In  einem 
Monolog  legt  sich  Granger  die  bekannte  Frage  vor:  heiraten  oder 
nicht  heiraten  ?  mit  dem  ebenfalls  bekannten  Schlufs :  beides  ist 
mifslich,  und  macht  eine  Vergleichung  ä  la  Tabarin  zwischen 
den  Frauen  und  den  Bäumen.  Pasquier  bringt  Charlot  herbei, 
aber  weder  seine  Scherze  noch  die  Insinuation  des  Vaters,  dafs 
er  in  Venedig  bei  einem  kinderlosen  Onkel  sein  Glück  machen 
werde,  vermögen  etwas  über  den  Sohn,  der  es  vorzieht,  als  Stab 
des  Alters  für  seinen  Vater  in  Paris  zu  bleiben.  Auch  dem 
direkt  ausgesprochenen  Befehle  widersetzt  er  sich  im  Abgehen. 
Seinem  dazukommenden  Cousin  Fleury  erklärt  der  Pedant,  sein 
Sohn  sei  plötzlich  verrückt  geworden,  und  läfst  den  Zurück- 
gekommenen durch  seine  Klassenaufseher  'ex^cuteurs  de  justice 
latine'  fesseln,  bis  Charlot  verspricht  zu  reisen.  Sein  spitzbübi- 
scher Bedienter  Corbinelli  verspricht  ihm  zu  helfen. 

II.  Akt.  Chasteaufort  bespricht  mit  sich  selbst  die  Chancen 
des  imaginären  Duells  mit  La  Tremblaye.  Er  wird  unterbrochen 
durch  die  Ankunft  des  Bauern,  welcher  im  Dialog  die  Spitz- 
findigkeiten des  Bramarbas  durch  seine  Naivitäten  übertrumpft 
und  eine  Lebensgeschichte  und  Reisebeschreibung  zum  besten 
gibt,  die  den  Hörer  ganz  wirbelig  macht.  Seine  Versuche,  die 
grammatischen  Schnitzer  des  Bauern  zu  verbessern,  verwickeln 
ihn  in  einen  Faustkampf,  bei  dem  er  als  Edelmann  grofsmütig 
alle  Schläge  einsteckt.  Den  dazukommenden  Granger,  Manon 
und  Fleury  setzt  Gareau  auf  die  Frage,  ob  seine  Güter  in  Ren- 
ten, Häusern  oder  Möbeln  beständen,  seine  Ansprüche  an  eine 
Erbschaft  auseinander,  die  so  verworren  ist,  dafs  der  Pedant 
im  Namen  seiner  Tochter  auf  den  Kandidaten  verzichtet.  Er 
tut  dies  mit  einer  unflätigen  Anspielung,  die  der  Bauer  ent- 
sprechend erwidert.     Corbinelli  kommt  und  erzählt,  dafs  Charlot, 


Cyrano  de  Bergerac.  117 

im  Begriff,  etwas  Wohlfeiles  als  Geschenk  für  den  Onkel  in  Ve- 
nedig zu  kaufen,  in  die  Hände  der  Türken  gefallen  sei,  die  ihn 
auf  ihrer  Galeere  gefangen  halten  und  ein  Lösegeld  von  100  Pi- 
stolen verlangen.  Granger  holt  unter  schweren  Seufzern  über 
die  Galeere  und  die  Türken  das  Geld,  da  er  kein  anderes  Mittel 
weifs.  Corbinelli  und  Charlot  bergen  es  im  Koffer  von  M"*"  Ge- 
nevote,  damit  es  für  die  Kosten  der  Hochzeit  diene.  Granger 
und  Pasquier  treffen  Mafsregeln,  um  Manon  und  den  Rest  des 
Vermögens  von  Granger  in  Sicherheit  zu  bringen  und  die  Heirat 
von  Granger  mit  Genevote  zu  beschleunigen.  Pasquier  verhandelt 
mit  dieser,  aber  sie  wird  durch  die  Ankunft  von  Chasteaufort 
vertrieben,  der  auf  der  Suche  nach  seinem  Wächter  ist,  den  er 
sich  durch  die  Obrigkeit  hat  geben  lassen,  um  das  Duell  mit  La 
Tremblaye  zu  verhindern.  Er  ist  deswegen  in  tausend  Ängsten, 
die  ihm  Pasquier  nicht  auszureden  vermag. 

in.  Akt.  Pasquier  gibt  Granger  Bericht  von  dem  guten 
Erfolg  seiner  Mission,  und  der  Pedant  hält  Rundschau  über  seine 
Garderobe  und  übt  sich  vor  dem  Spiegel  in  galanter  Haltung 
und  Reden.  Genevote  kommt  und  entdeckt  ihm,  man  weifs  nicht 
recht  warum,  den  Betrug,  dem  er  zum  Opfer  gefallen  ist,  und 
er  macht  ihr  pedantische  Liebeserklärungen  im  Stil  der  Astr^e, 
des  Francion  und  der  alten  Ritterromane.  Genevote  macht  dazu 
feine  Bemerkungen,  deren  Ironie  er  übersieht,  und  gibt  ihm  ein 
Rendezvous  für  die  kommende  Nacht.  Er  soll  auf  einer  Leiter 
ihr  Fenster  ersteigen.  Die  Schlaue  teilt  aber  das  nämliche  an 
Charlot  mit,  mit  der  wörtlichen  Mahnung  'ä  bon  entendeur  saluf. 
Corbinelli,  La  Tremblaye  und  Manon  beraten  ebenfalls,  wie  sie 
die  Situation  für  ihre  eigenen  Pläne  ausnutzen  wollen. 

IV.  Akt.  Granger  und  Pasquier  belagern  das  Haus  Trem- 
blayes.  Corbinelli  erschreckt  sie  im  Dunkeln  durch  allerhand 
Späfse,  schleicht  sich  vermittels  eines  Passepartout  ins  Haus 
und  hält  ihnen  vom  Fenster  aus  eine  magische  Beschwörung,  die 
wir  in  einem  der  Briefe  Cyranos  wiederfinden  werden.  La  Trem- 
blaye kommt  hinzu  und  bedroht  die  beiden  als  Diebe  mit  Dau- 
menschraube und  Galgen.  Der  Pedant  ruft  Chasteaufort  zu 
Hilfe,  der  mit  einem  unwiderstehlichen  coup  de  revers  renommiert, 
aber  von  La  Tremblaye  im  Namen  der  ganzen  Welt  verhaftet 
wird.  Manon  erscheint  und  bietet  sich  als  Lösegeld  für  ihren 
Vater  an,  und  nach  einigem  W^iderstreben  willigt  Granger  in  den 
Handel.  Chasteaufort  wird  mit  Schlägen  fortgejagt  und  Pasquier 
mit  den  Zurüstungen  zur  Hochzeit  beauftragt.  Vorher  mufs 
dieser  sich  noch  von  Corbinelli  wegen  eines  in  der  Nacht  vor- 
gekommenen Diebstahls  aufziehen  lassen.  Corbinelli  erhält  von 
Granger  Verzeihung  unter  der  Bedingung,  dafs  er  Charlot  ent- 
ferne. Corbinelli  verabredet  nun  mit  diesem,  dafs  er  ihn  als  tot 
ausgeben  werde.    Dem  zurückkehrenden  Pedanten  wird  berichtet, 


118  Cyrano  de  Bergerac. 

dafs  sein  Sohn  in  der  Croix  blanche  mit  zwei  oder  drei  Zög- 
lingen der  Schule  sich  betrinke  und  vorderhand  unschädlich  sei. 
La  Tremblaye  wird  von  seinem  künftigen  Schwiegervater  auf 
die  Festlichkeiten  aufmerksam  gemacht,  die  bei  der  Hochzeit 
vorkommen  sollen.  Er  wünscht  die  Mitwirkung  Corbinellis,  der 
als  Italiener  ein  geborener  Komödiant  sei.  Als  Beweis  dafür 
folgt  ein  komisches  Intermezzo  zwischen  Corbinelli,  Pasquier  und 
Granger,  das  nur  in  der  Handschrift  steht  (bei  Brun  p.  363  f.). 
Der  (scheinbar)  betrunkene  Charlot,  spielt  seine  Rolle  so  gut,  dafs 
der  geprügelte  Pasquier  sich  vornimmt,  alles  zu  verraten. 

V.  Akt.  Pasquier  teilt  seinem  Herrn  mit,  dafs  die  verstellte 
Trunkenheit  Charlots  nur  den  Zweck  gehabt  habe,  einen  eben- 
falls verstellten  Tod  desselben  zu  motivieren.  Dann  werde  Ge- 
nevote  erklären,  sie  habe  einen  Eid  geschworen,  Charlot  tot  oder 
lebendig  anzugehören;  sie  werde  verlangen,  diesen  Schwur  durch 
Kopulierung  mit  dem  angeblichen  Toten  zu  lösen,  unter  den 
Augen  und  mit  der  Zustimmung  des  Vaters.  Sobald  dies  ge- 
schehen sei,  werde  der  Tote  wieder  auferstehen  und  dem  Vater 
für  seine  Einwilligung  danken.  In  der  Tat  kündigt  nun  Corbi- 
nelli  an,  dafs  Charlot  in  einem  Wirtshausstreit  erschlagen  worden 
sei.  Granger  stellt  sich,  als  ob  er  es  glaube,  und  rät  der  herbei- 
gerufenen Genevote,  den  Leichnam  zu  heiraten,  es  sei  denn,  sie 
bewirke  ein  Wunder  und  mache  die  Leute  lebendig,  die  nicht 
gestorben  seien.  Zugleich  wirft  er  Corbinelli  seine  erneute  Schel- 
merei vor.  Dieser  entschuldigt  sich  mit  Witz  und  Unverschämt- 
heit und  verspricht,  zur  Sühne  das  Fest  mit  einem  'divertissemenf 
zu  verschönern,  in  dem  jeder  eine  Rolle  spielen  soll.  Der  ihn 
wegen  seiner  mifsglückten  List  verspottenden  Genevote  erklärt 
Corbinelli,  dafs  er  einen  anderen  Ausweg  bereit  habe.  Der  Pe- 
dant macht  nun  Corbinelli  zum  Arrangeur  des  Stückes,  dessen 
Plan  ihm  angegeben  wird,  und  setzt  Pasquier  als  Cerberus  an 
die  Tür,  damit  kein  Unberechtigter  das  Schauspiel  mit  geniefse. 
Dieser  weist  unter  lächerlichen  Reden  auch  wirklich  Chasteaufort 
und  Gareau  ab,  die  vor  dem  Hause  zusammentrefiPen,  aber  der 
hinzukommende  Pedant  ladet  sie  zum  Eintritt  ein.  In  der  Schlufs- 
szene,  der  mit  Ausnahme  von  Fleury  sämtliche  Personen  bei- 
wohnen, geht  nun  der  Pedant  in  der  plumpesten  Art  in  die  Falle, 
indem  er  in  der  Meinung,  es  handle  sich  um  eine  Komödie,  in 
der  er  die  Rolle  des  durch  die  Liebe  des  jungen  Paares  ver- 
söhnten harten  Vaters  zu  spielen  habe,  seinen  Namen  unter  den 
Ehekontrakt  von  Charlot  und  Genevote  setzt,  worauf  ihm  die 
Sache  erklärt  wird.  Er  macht  gute  Miene  zum  bösen  Spiel,  da 
ihn  La  Tremblaye  mit  seinem  Zorn  bedroht,  und  unter  einigen 
derben  Späfsen  schliefst  die  possenhafte  Handlung. 

Man  sieht  aus  diesem  Szenarium,  dafs  das  Ganze  sich  nicht 
über  den  Durchschnitt  der  aus  der  italienischen  commedia  dell'arte 


Cyrano  de  Bergerac.  119 

stammendoii  französischen  Posse  erhebt,  wie  sie  auch  Moli^re  in 
seinen  ersten  Stücken  noch  pflegte.  Auch  die  typischen  Per- 
sonen: der  Doktor,  der  Eisenfresser,  der  Parasit,  der  Sohn  als 
Rivale  des  Vaters,  der  spitzbübische  Bediente  sind  alte  Bekannte 
schon  von  Plautus  und  Terenz  her.  Auch  die  Intrige  und  die 
Bühnenmittel  sind  meist  die  herkömmlichen,  aber  die  Fuhrung 
des  Dialogs,  der  sprühende,  allerdings  oft  unsaubere  Witz  und 
die  komische  Kraft  in  der  Ausgestaltung  der  Personen  sind  doch 
unseres  Autors  persönliches  Verdienst.  Neuhinzugefügt  hat  er, 
wie  schon  die  fr^res  Parfait'  hervorgehoben  haben,  den  Bauern, 
zu  dem  er  in  der  Farce  vom  avocat  Pätelin  Anregungen  emp- 
fangen haben  mag.  Der  allerdings  grob  motivierte  Intrigenzug 
von  der  türkischen  Galeere  scheint  seine  Erfindung  zu  sein,  viel- 
leicht auch  der  komische  Rechtsstreit  zwischen  Corbinelli  und 
Pasquier,  der  freilich  nur  eine  Variante  älterer  Dilemmas  ist. 
Er  lautet  folgendermafsen :  Pasquier  hat  Corbinelli  versprochen, 
ihm  zehn  Taler  zu  bezahlen,  wenn  dieser  ihn  so  rechtskundig 
mache,  dafs  er  seinen  ersten  Prozefs  gewinne.  Corbinelli  verlangt 
nun,  dafs  Pasquier  entweder  plädiere  oder  zahle,  und  zitiert  ihn 
vor  das  Tribunal  von  Granger.  Wenn  Pasquier  hier  seine  Sache 
gewinnt,  so  mufs  er  versprochene  zehn  Taler  zahlen;  wenn  er  sie 
verliert,  so  mufs  er  die  eingeklagten  zehn  Taler  bezahlen.  Pas- 
quier antwortet:  entweder  werde  ich  von  der  Zahlung  frei- 
gesprochen, dann  habe  ich  nichts  zu  bezahlen,  oder  ich  werde 
dazu  verurteilt,  dann  habe  ich  meinen  ersten  Prozefs  verloren, 
bin  dir  folglich  nichts  schuldig.  Granger  fällt  den  salomonischen 
Spruch:  Pasquier  ist  nicht  gebunden,  seine  Schuld  zu  bezahlen, 
weil  ich  befehle,  dafs  Corbinelli  sich  von  ihm  bezahlen  lasse,  und 
weil  Corbinelli  von  Pasquier  nichts  verlangen  kann,  da  dieser 
seinen  Prozefs  gegen  Corbinelli  verloren  hat.  P.  Brun  hat  pp. 
164 — 198  genau  nachgewiesen,  was  etwa  Cyrano  von  früheren, 
wie  namentlich  von  Sorel  und  Rabelais,  haben  kann,  und  was 
andere,  wie  Moli^re,  Lafontaine  und  Racine,  von  ihm  entlehnt 
zu  haben  scheinen.  Die  Entlehnungen  Cyranos,  Lafontaines  und 
Racines  sind  unbedeutend.  Moli^re  hat  neben  Kleinigkeiten  zwei 
Szenen  des  Pedant  jou^  II,  4  und  III,  2,  in  den  Fourberies  de 
Scapin  II,  7  und  III,  8  direkt  kopiert,  aber  freilich  die  rohe 
Motivierung  seines  Vorbildes  höchst  geschickt  verbessert.  Eine 
einfache  Vergleichung  beider  Stücke  wird  dies  dem  Leser  sofort 
zeigen,  weshalb  wir  hier  darauf  verzichten,  nachdem  wir  die 
Priorität  Cyranos  konstatiert  haben.  Die  Szenen  betreffen  die 
angebliche  Gefangennahme  Charlots  durch  die  Türken  und  die 
Anzeige   dieser   List   durch   Genevote   an   Granger.     Racine   hat 


*  Histoire  du  Theatre  fran^ois,  tonie  VIII  p.  0,  wo  es  heilst,  ein  Jurist 
habe  die  Erbschaftsausprüche  Gareaus  nachgeprüft  und  richtig  befunden 


120  Cyrano  de  Bergerac. 

das  sehr  geschickt  gemachte  'Stück  im  Stück^,  durch  welches 
Graoger  betrogen  wird  (Pedant  jou^  V,  10),  in  seinen  Plaideurs 
A.  III  nachgeahmt,  ohne  es  zu  übertreffen.  Dafs  in  Granger 
eine  nach  dem  Leben  kopierte  Figur  stecke,  haben  wir  schon 
erwähnt.  Auch  die  Namen  Corbinelli,  Chasteaufort  und  La  Trem- 
blaye  kommen  in  der  Zeitgeschichte  vor,  aber  die  historischen 
Träger  dieser  Namen  sind  hochgeachtete,  zum  Teil  mit  Cyrano 
befreundete  Leute,  so  dafs  es  unwahrscheinlich  ist,  dafs  unser 
Autor  eine  Persiflage  beabsichtigt  hätte.  Wahrscheinlich  kam 
ihm  der  blofse  Wortklang  passend  für  diese  Rollen  vor.  Zum 
Schlufs  dieses  Abschnittes  wollen  wir  noch  einige  Stellen  zitieren, 
welche  besonders  charakteristisch  für  Cyrano  und  seine  Komödie 
sind.  Witze  des  Bauern:  '0  quian,  sgachez  que  les  naissances 
ont  de  marveilleuses  propretez;  c^est  un  certain  oignement  dont  les 
ancians  s'oignient  quand  ils  estient  morts,  dont  ils  vivient  si  longue- 
meni\  II,  2.  'Stawpandant  moy  qui  ne  veux  pas  qu'on  me  fasse  des 
Trogedies,  si  favoüas  trouve  queuque  Eihaut  liehe?'  le  Morviau  ä  ma 
Femme,  comme  cet  affront-lä  frape  Man  au  coßur,  peut-estre  que  dans 
le  desespoir  je  m' empor teroüas  ä  jeter  son  clmpiau  par  les  fenestres, 
pis  ce  seret  du  scandale',  II,  3.  Sprichwörter  und  Redens- 
arten des  Bauern:  'Qui  te7Te  a,  guarre  a.'  —  'C'est  de  la  noblesse 
ä  Mathieu  Furon:  va  te  cou^her,  tu  souperas  demain.'  —  'Vous  avez 
mange  de  la  soupe  ä  neuf  heures.'  —  'Monsieu  de  Marsilly  m'appel- 
let  Man  son  hastar.  Vieux-ga,  ce  me  fit-il  une  fois,  gros  Fils  de  Pu- 
tain,  car  j'etions  tout  comme  deux  frares\  II,  3. 

Anrede  an  die  Zuschauer:  'Et  vous  autres,  messieurs  qui 
m'ecoutez,  allez  m^en  querir  tout  ä  Vheures  des  gardes\  II,  2. 

Gasconnade  von  Chasteaufort:  'Si  je  recule  c'est  pour 
mieux  sauter',  IV,  2. 

Corbinelli  und  Pasquier:  'Nostre  Domine,  ne  songe  pas 
que  ces  Turcs  me  devoreront.'  —  'Vous  estes  ä  Vdbry  de  ce  coste-lä, 
car  les  Mahometans  ne  mangent  point  de  Pore,'  II,  5. 

Wert  der  Frauen:  Genevote:  'Usez  de  moy  aussi  librement 
que  le  ckat  fait  de  la  Souris.  Rognez,  tranchez,  taillez,  faites  en  comme 
des  Choux  de  Vostre  Jardin.'  Pasquier:  'Je  trouve  pour  tant  Men  du 
distinguo  entre  les  Femmes  et  les  Choux,  car  des  Choux  la  teste  en  est 
bonne  et  les  Femmes  c'est  ce  qui  n'en  vaut  rien/ 

IL   La  Mort  d'Agrippine. 

Dafs  diese  Römertragödie  vor  1650  entstanden  sein  mufs, 
geht  aus  folgender  Notiz  des'Abb^  de  Marolles  hervor:  'Un  jeune 
homme  de  Paris,  appele  Cyrano  . . .  me  donna  son  livre  du  Voyage 
de  la  Lune  qui  est  une  piece  ingenieuse  et  sa  tragedie  d' Agrippine' ,  zu- 
sammengehalten mit  der  Bd.  CXIII,  S.  368  besprochenen  Tatsache, 
dafs    Royer    de    la   Prade   die   Existenz   eines   Manuskripts   von 


Cyrano  de  Bergerac.  121 

Uautre  Monde  für  1650  bezeugt.  Man  darf  aber  nicht  so  weit 
gehen  wie  P.  Lacroix  und  andere,  denen  Rostand  gefolgt  ist,  die 
Entstehung  der  Tragödie  zwischen  1638  und  1640  zu  verlegen. 
Für  ein  so  reifes  Werk  war  Cyrano  damals  entschieden  zu  jung, 
und  wie  liefse  sich  die  lange  Zeit  zwischen  der  Entstehung  und 
der  ersten  Aufführung  (1653)  und  Drucklegung  (1654)  erklären? 
Denn  dafs  dem  Abb^  de  Marolles  nur  ein  Manuskript  vorlag, 
ist  soviel  wie  sicher.  Auch  die  Vorrede  Cyranos  in  der  ersten 
Buchausgabe  deutet  keine  so  entlegene  Entstehungszeit  an,  wäh- 
rend er  die  fast  gleichzeitig  dem  Duc  d'Arpajon  dedizierten 
Lettres  ausdrücklich  ein  'ramas  confus  des  premiers  caprices,  ou, 
pour  mieux  dire,  des  premieres  folies  de  sa  jeunesse'  nennt.  Die 
'dedicace'  der  Tragödie  ist  insofern  interessant,  als  sie  in  der  Art 
der  'Examens'  von  Corneille  und  der  'Frefaces"  von  Racine  über 
den  Gegenstand  des  Stückes  sich  verbreitet.  Es  wird  hier  von 
Agrippina  gesagt,  dafs  diese  Dame  aus  fürstlichem  Blut  die  un- 
glücklichste aller  Frauen  gewesen  sei,  der  alles  zum  Nachteil  aus- 
schlug, und  welcher  die  Ruhe  des  Todes  besser  wäre  als  Nach- 
leben in  einer  Tragödie,  wenn  diese  nicht  von  einem  Helden 
protegiert  wäre,  gröfser  als  Germanicus.  Man  könnte  dieser 
/  Prinzessin  vorwerfen,  fährt  der  Autor  fort,  dafs  sie  gegen  ihren 
Souverän  intrigiert  habe.  Aber  sie  verfolgt  den  Tod  des  Ti- 
berius  nur,  um  den  des  Germanicus  zu  rächen,  und  wird  eine 
ungetreue  Untertanin,  um  eine  treue  Gattin  zu  bleiben.  In  dieser 
Apologie  steht  also  kein  Wort  von  Sejanus,  der  es  nötiger  ge- 
habt hätte,  erklärt  oder  entschuldigt  zu  werden.  Hat  Cyrano 
das  für  hoffnungslos  gehalten,  oder  wollte  er  seine  Herzens- 
meinung lieber  erraten  lassen  als  aussprechen?  Eine  Analyse 
des  Stückes  nach  P.  Brun,  p.  211 — 215,  und  Zitate  der  inter- 
essantesten Stellen  sollen  dem  Leser  ein  Urteil  erlauben. 

I.  Akt.  Agrippina  erinnert  ihre  Vertraute  Cornelia  an  den 
Tod  des  Germanicus  und  kündigt  an,  dafs  sie  die  Mörder  ihres 
Gatten  mit  unversöhnlichem  Hasse  verfolgen  werde.  Zu  diesem 
Zwecke  will  sie  sich  mit  dem  allmächtigen  Sejanus  verbünden, 
d.  h.  ihn  für  ihre  Zwecke  benutzen.  Aber  neben  der  ihrigen 
spielt  eine  zweite  Intrige.  Livilla,  die  Schwiegertochter  des  Kai- 
sers, liebt  Sejanus  und  verlangt  aus  Eifersucht  vom  Kaiser  den 
Tod  der  Agrippina.  Sejanus  enthüllt  seinem  Vertrauten  Teren- 
tius,  dafs  er  Livilla  hasse  und  mit  der  Hand  Agrippinas  die 
höchste  Gewalt  zu  erringen  hoffe. 

n.  Akt.  Tiberius  bespricht  mit  seinem  Vertrauten  Galba 
die  Sorgen  und  Gefahren  der  Herrschaft  und  fürchtet  den  toten 
Germanicus,  der  ihn  in  seiner  Frau  bekämpft.  Er  will  diese 
mit  List  besiegen,  da  er  nicht  ihren  Tod  zu  befehlen  wagt.  Er 
bietet  also  Agrippina,  die  ihm  die  Hilfe  ihrer  persönlichen  Freunde 
gegen   allfällige  Volksaufläufe  verspricht,  die   kaiserliche  Gewalt 


122  Cyrano  de  Bergerac. 

an,  welche  sie  kalt  zurückweist.  Sejanus  tadelt  sie  darüber  und 
enthüllt  vor  Terentius  seine  gefährlichsten  Geheimnisse.  Die 
Warnungen  des  Getreuen  erwidert  er  mit  kühnem  Trotz  gegen 
Tod  und  Götter.  Die  ungünstigen  Vorbedeutungen,  von  denen 
Livilla  spricht,  rühren  ihn  ebensowenig.  Die  Verschwörung 
wird  ausgehen,  wie  das  blinde  Geschick  sie  sich  zu  verschwören 
zwingt. 

III.  Akt.  Von  der  Vision  des  blutigen  Schattens  des  Ger- 
manicus  verfolgt,  will  Agrippina  die  Dinge  beschleunigen.  Sie 
kündigt  Cornelia  an,  dafs  sie  von  Tränen  zur  Tat  übergehen 
werde  und  zwar  schon  in  wenigen  Tagen.  Tiberius,  der  sie  be- 
lauscht hat,  läfst  sich  anscheinend  durch  die  Lüge  täuschen, 
Agrippina  habe  nur  einen  Traum  erzählt.  Sie  denunziert  hier- 
auf Sejanus,  den  ein  kindisches  Wortspiel  scheinbar  rechtfertigt. 
Ihren  Mitschuldigen  stellt  sie  ihrerseits  durch  eine  ebensowenig 
genügende  Erklärung  zufrieden  und  verabredet  mit  ihm,  dafs  sie, 
um  loszuschlagen,  abwarten  wollen,  bis  Tiberius  sich  nach  Capri 
zurückgezogen  hat.  Livilla  bringt  die  Nachricht  von  einem  Auf- 
stande, der  Agrippina  den  Thron  eintragen  soll.  Diese  erklärt 
ihrer  Rivalin,  dafs  sie  den  Tod  des  Tiberius  wie  den  des  Se- 
janus wünsche.  Ihr  Schwur,  dafs  sie  den  Sejanus  nicht  liebe, 
entwaffnet  die  Eifersucht  der  Livilla  nicht,  welche  blutige  Rache 
verhelfst,  wenn  ihr  Verdacht  wahr  sein  sollte. 

IV.  Akt.  Tiberius  hat  das  empörte  Rom  niedergeschlagen 
und  teilt  dem  Sejanus  seine  Absicht  mit,  sich  der  verdächtigen 
Agrippina  zu  entledigen.  Zu  diesem  Zwecke  läfst  er  sie  kommen 
und  hält  ihr  ihren  Undank  gegenüber  seinen  Wohltaten  vor.  Die 
Angeklagte  verschmäht  die  Verteidigung,  geht  ihrerseits  zu  den 
heftigsten  Anklagen  über  und  schleudert  dem  Tyrannen  einen 
Dolch,  den  sie  gegen  ihn  gerüstet,  zu  Füfsen.  Tiberius  wagt 
nicht,  sie  zu  verurteilen,  und  will  nur  ihren  Sohn  Caligula  als 
Geisel  mit  nach  Capri  nehmen.  Sejanus  und  Cornelia  dringen 
in  Agrippina,  die  Verschwörung  durch  Aufstiftung  der  Soldaten 
zum  Ausbruch  zu  bringen.  Sie  zögert  und  will  aus  eigenen 
Mitteln  den  Tyrannen  stürzen.  In  zweideutigen  Worten  ver- 
spricht sie  Sejanus  ihre  Hand.  Livilla,  welche  dessen  Liebes- 
schwüre  belauscht  hat,  beschuldigt  Sejanus  der  Verräterei.  Er 
verteidigt  sich  matt  und  verspricht  den  Tod  der  Agrippina  und 
des  Tiberius. 

V.  Akt.  Livilla  entdeckt  dem  Kaiser  die  Verschwörung. 
Dieser  trifft  seine  Mafsregeln.  Livilla  verlangt  und  erhält  die 
Verurteilung  der  Agrippina.  Nerva  berichtet  von  der  Verhaftung 
des  Sejanus.  Livilla  verlangt,  dafs  sie  ihn  noch  einmal  sehen 
dürfe,  und  enthüllt  dem  Kaiser  alle  Verbrechen,  die  sie  selbst 
gegen  ihn  begangen  hat,  aus  Hafs  gegen  sein  Geschlecht  und 
aus  Liebe  zu  Sejanus.     Sie   freut  sich  darauf,  von  den  Händen 


Cyrano  de  Bergerac.  123 

eines  Tyrannen  zu  sterben.  Dem  herbeigerufenen  Sejanus  kün- 
digt sie  an,  dafs  sie  ihn  besiegt  habe,  dafs  er  Agrippina  nicht 
heiraten  werde,  dafs  beide  sterben  müssen  und  sie  selbst  sie  bis 
in  die  Hölle  verfolgen  werde.  Sejanus  bleibt  kalt.  Selbst  als 
nun  Agrippina  triumphierend  seinen  Tod  mit  allen  schrecklichen 
Einzelheiten  ihm  ausmalt  und  als  ihr  Werk  erklärt,  verliert  er 
seine  geistige  Überlegenheit  nicht  und  ladet  sie  ein,  seinen  Tod 
mit  anzusehen,  was  auf  Agrippina  einen  gewissen  Eindruck  zu 
machen  scheint.  Sie  provoziert  den  Tiberius,  indem  sie  ihn  mit 
Schmähungen  überhäuft,  so  dafs  er  sie  und  alle  ihrigen,  mit 
Ausnahme  von  Caligula  (zu  seinem  Verderben,  wie  Agrippina 
höhnt),  zum  Tode  verurteilt.  Er  verzeiht  dem  Terentius  und 
erfährt  von  Nerva,  dafs  alle  Verurteilten  mutig  gestorben  seien. 
Man  hat  mit  Recht  hervorgehoben,  dafs  diese  'Römertragödie' 
den  Vergleich  mit  ähnlichen  von  Tristan,  Rotrou  und  anderen 
Zeitgenossen  wohl  aushalte  und  nur  hinter  den  Meisterwerken 
von  Corneille  zurückstehe,  mit  dem  Cyrano  Vorzüge  und  Fehler 
dieser  Gattung  gemein  hat.  Aber  auch  hier  wieder  hat,  wie 
schon  Bd.  CXIII,  S.  359  gesagt  worden  ist,  Cyrano  ein  Original 
auf  die  Bühne  gebracht  in  dem  'soldat  philosophe'  und  auch  den 
übrigen  Hauptpersonen  einen  Hauch  wirklichen  Lebens  gegeben, 
den  wir  selbst  bei  Corneille  nicht  immer  finden.  In  der  Durch- 
führung der  Intrige  und  der  Charaktere  ist  ein  Fortschritt  gegen- 
über dem  Pedant  jou^  unverkennbar,  und  der  Stil  erhebt  sich 
oft  zu  klassischer  Reinheit.  Hierfür  ein  paar  Beispiele,  die  auch 
den  Gedankenreichtum  unseres  Autors  und  sein  'prophetisches 
Gemüt'  illustrieren  sollen: 

S  e j  a  n  u  s :        Qii'il  fut  ne  d'un  grand  Roy,  moy  d'un  simple  pasteur, 
Son  sang  aupres  du  mien  est-il  d'autre  couleur^ 

Terentius:  Mais  le  crime  est  affreux  de  massacrer  son  maiire. 

Sejanus:        Mais  on  devient  au  moins  un  m^gnifique  traistre  etc. 

Sejanus:        Penses-tu  qu'un  vain  nom  de  traistre,  de  voleur 
Aux  hommes  demi-Dieux  doive  abattre  le  ccßur'f 

Terentius:   Respede  et  crains  des  Dieux  Veffroyahle  tonnerre. 

Sejanus:        II  ne  tomhe  jamais  en  hyver  sur  la  terre. 

J'ai  six  mois  pour  le  moins  de  me  moqueur  des  Dieux, 
En  suite  je  feroy  ma  paix  avec  les  Cieux  etc.     II,  4. 

Sejanus:        Madame,  ce  n'est  pas  connoistre  mon  genie 

Car  faurois  fort  bien  sQeu  mourir  sans  compagnie. 

Sejanus:        Tay  beau  plonger  mon  ame  et  mes  regards  funebres 
Dans  ce  vaste  neant,  et  ces  longues  tenebres, 
J'y  rencontre  par  tout  un  estat  sans  douleur 
Qui  n^eleve  ä  mon  front  ny  trouble  ny  ierreur; 
Car  puisque  Von  ne  reste  apres  ce  grand  passage 
Que  le  songe  leger  d'une  legere  image 


124  Cyrano  de  Bergerac. 

Et  que  le  coup  fatal  ne  fait  ny  mal  ny  hien; 
Vivant  parce  qu'on  est ;  mort  parce  qu'on  est  rien ; 
Pourquoi  perdre  ä  regret  la  Iv/miere  receüe, 
Qu'en  ne  peut  regretter  apres  qu'elle  est  perdue/    V,  6. 

Packend  wie  irgend  etwas  von  Corneille  sind  die  Repliken 
im  grofsen  Dialog  zwischen  Tiberius  und  Agrippina  und  be- 
sonders der  Schlufs  der  Tragödie. 

Nerva:  Sejanus  a  d'un  coßur  qui  ne  s'est  point  soumis 
Maintenu  hautement  ce  quHl  avoit  promis, 
Et  Livilla,  de  mesme,  eclatante  de  gloire 
N'a  pas  d'un  seul  soüpir  offense  sa  memoire, 
Enfin  plus  les  Bourreaux  qui  les  ont  menassez  . . . 

Tibfere:  Sont-ils  morts  Vun  et  Vautre? 

Nerva:  11  sont  morts. 

Tib^re:  Cest  assex. 

Wir  können  also  dem  Urteil  des  Abb^  Gurret  in  dem  Toten- 
gericht über  Cyrano  beistimmen,  wo  es  heifst,  dafs  die  Agrippina 
ohne  30-40  Verse,  welche  die  guten  Sitten  verletzen,  das  Pu- 
blikum lange  ergötzt  haben  und  noch  ihren  Platz  auf  dem  Theater 
behaupten  würde.  Wir  müssen  aber  hinzufügen,  dafs  gerade 
diese  ^gottlosen'  Verse  es  sind,  welche  uns  das  Stück  interessant 
und  noch  heute  wertvoll  machen.  Es  verschlägt  nichts,  dafs 
diese  atheistische  Philosophie  stoisch  ist  und  sich  im  Tragiker 
Seneca  Belegstellen  finden;  denn  Cyrano  läfst  uns  fühlen,  dafs 
diese  Ideen  bei  ihm  und  den  Libertins  eine  Wiedergeburt  er- 
fahren haben,  und  dafs  er  sie  mit  kühner  Absichtlichkeit  aus- 
spricht. ^  Die  Wiederaufführung  der  Mort  d'Agrippine  im  Th^ätre 
de  la  Gait^,  November  1872,  hatte  einen  entschiedenen  Erfolg, 
obschon  M'**^  Karoly,  welche  die  Agrippina  spielte,  bei  ihrer 
grofsen  Szene  mit  Tiberius  den  Dolch  in  der  Requisitenkammer 
vergessen  hatte. 

///.   Les  lettres. 

Die  Briefe  Cyranos  sind  niemals  alle  publiziert  worden,  und 
einige  haben  schon  bei  seinen  Lebzeiten  in  Doppelformen  kur- 
siert. So  existieren  über  den  Aqueduc  von  Arcueil  zwei  Briefe, 
denn  der  erste  war  verloren  gegangen  und  durch  eine  Kopie 
aus   dem    Gedächtnis   ersetzt    worden,    dann    aber   selber   wieder 

^  Die  von  M.  Baron,  de  Li^ge  (Platow  p.  16  macht  daraus  einen  baron 
de  Imge!)  im  Athenaeum  fran^is  1855,  Juli  21,  aufgebrachte  und  seitdem 
zum  Überdrufs  wiederholte 'Legende',  Cyrano  habe  die 'Agrippina' Shake- 
speares, speziell  Hamlet,  Kaufmann  von  Venedig  und  Cymbeline,  direkt  oder 
indirekt,  benutzt,  hat  J.  J.  Jusserand  in  der  Revue  d'hisioire  litteraire 
1899  p.  343  hoffentlich  definitiv  begraben. 


Cyrano  de  Bergerac.  125 

zum  Vorschein  gekommen.  Auch  die  Widersprüche  in  den  Über- 
schriften einzelner  Briefe  zwischen  dem  Ms.  Nr.  4557  und  den 
verschiedenen  Ausgaben  seit  1654  scheinen  darauf  hinzudeuten. 
Von  dem  Manuskript,  welches  aufser  den  Lettres  den  Pedant  joue 
enthält,  habe  ich  oben  S.  115  geredet.  Die  erste  gedruckte 
Ausgabe  ist  die   in   den  'Oeuvres  diverses',    Paris,   Ch.  de  Sercy, 

2  part.  en  un  in-4*^,  1654,  mit  der  Widmung  an  den  Duc  d'Ar- 
pajon;  die  neueste  ist  immer  noch  die  von  P.  L.  Jacob  (Biblio- 
phile) in  'Oeuvres  diverses  et  facetieuses  de  Cyrano  de  Bergerac', 
Paris,  Ad.  Delahays,  m-W,  1858.  Nach  P.  Brun  p.  82  hatte 
Bergerac  53  publizierte  Briefe  hinterlassen,  denen  man  nach 
seinem  Tode  7  in  seinen  Papieren  gefundene  hinzugefügt  habe 
(erstmals  in  den  'Nouvelles  oeuvres  de  Cyrano  Bergerac',  Paris,  Ch. 
de  Sercy,  in-12*\  1662),  die  man  zum  Teil  als  brouillons  zu  be- 
trachten habe.  Diese  Angabe  stimmt  auch  mit  meinen  Beob- 
achtungen, obschon  Brun  ein  Versehen  mit  unterlaufen  ist,  von 
dem  ich  zu  sprechen  habe  werde. 

Das  Manuskript  enthält  41  Briefe.  Ich  habe  sie  in  der 
Beilage  A  mit  den  entsprechenden  in  der  Amsterdamer  Ausgabe 
von  1710  zusammengestellt  und  füge  hier  nur  folgende  Notizen 
zur  Erklärung  hinzu.  Den  nicht  ohne  weiteres  zu  identifizieren- 
den 6  lettres  d'amour   des  Manuskripts    stehen    8   in  vol.  I  und 

3  in  vol.  II  der  genannten  Ausgabe  gegenüber.  Im  Manuskript 
fehlen  die  2^  lettre  sur  l'Aqueduc  d'Arcueil,  die  lettres  pour  et 
contre  les  sorciers,  die  lettres  coiftre  un  ingrat,  ä  Monsieur  le 
Coq,  contre  les  M^decins,  contre  un  faux  brave,  le  Songe,  contre 
les  Frondeurs,  Th^s^e  ä  Hercule,  TEnigme,  cinq  lettres  d^Amour, 
sur  le  blocus  d^une  ville.  Dagegen  enthält  es  auiser  den  bis 
1710  gedruckten:  1.  Lettre  contre  un  je.  assassin  et  m^disant 
(P.  Brun  p.  357);  2.  A  Mons"^  le  chancelier  Säguier  sur  les  hommes 
illustres  de  la  Gallerie  du  Palais  Cardinal  gravez  par  M'  Heince 
(P.  Brun  p.  361). 

Einen  dritten,  angeblich  unedierten  Brief  ^Regret  d'un  ^loigne- 
ment'  (P.  Brun  p.  360)  finde  ich  wörtlich  gleich  in  der  Amster- 
damer Ausgabe  von  1710,  U  p.  233. 

Beilage  A. 

Vergleichende  Übersicht  der  Briefe   Cyranos. 

Manuskript  Nr.  4557.  Amsterdamer  Ausgabe  von  1710. 

1.  L'Hyver.  i  g  Contre  l'Hyver 

Lettre  I    vol.  I   p.   107. 
Pour  l'Et^ 

Lettre  III  vol.  I  p.  114. 
Pour  le  Printemps 

Lettre  II   vol.  I  p.  112. 
Contre  l'Automne 
Lettre  IV  vol.  I  p.  118. 


2.  L'Ete.  ^|:z: 

3  «  a> 

0)     O     OQ 

3.  Le  Printemps.  a'^  § 

4.  L'Automne.  ^  % 


126 


Cyrano  de  Bergerac. 


5.  Contre  nn  m^disant. 

t).  Lettre  d'Amour  ä  Mademoiselle 
de  Saint  D^nis. 

7.  Lettre  d'amour. 

8.  Lettre  d'amour.  Sign^elePauvre 
D.  C. 

9.  Lettre  d'amour. 

10.  A  Monsieur  Chapelle  pour  con- 
solation  sur  l'eternite  de  son 
beau-p^re. 

11.  Contre  La  Mothe,  brigand  de 
Pensees.     Sign^e  De  Bergerac. 

12.  Sur  le  möme  sujet,  contre  Cha- 
pelle. 

13.  Contre  le  gras  Monfleury,  mau- 
vais  auteur  et  Com^dien.  Signee 
Serviteur  ä  la  Paillasse. 

14.  Apot^ose  d'un  ecclesiastique 
boufon. 

15.  Sur  le  faux  bruit  qui  courut  de 
la  mort  de  Monsieur  le  Prince. 

16.  Contre  un  je.  assassin  et  me- 
disant. 

17.  Sur  la  gu^rison  d'une  maladie 
mortelle. 

18.  Description  de  l'aqueduc  ou  la 
fontaine  d'Arcueil. 


19.  Regret  d'un  ^loignement,  lettre 
d'amour.  Signöe  De  Bergerac. 
NB.  Bei  P.  Brun  p.  857  als 
Lettre  in^dite. 

20.  Contre  une  femme  inter^ssee. 

21.  Effet  amoureux  d'une  absence 
lettre  d'amour.    Signee  De  B. 

22.  Sur  un  hipocondre  h^roique  de 
roman. 

23.  Eloge  d'une  rousse. 

24.  Satire  contre  Soucidas. 

25.  Satirique  contre  le  sieur  de 
Tage. 

2*3.  Description  d'une  tempfete. 

27.  Le  Campagnard. 

28.  Sur  des  brasselets  de  cheveux 
lettre  d'amour. 

29.  Des  Miracles  de  rivifere.  Signöe 
De  B. 


Contre  un  M^disant 
Lettre  II  vol.  I  p.  173  (satyriques). 


?  Lettre  d'Amour.  Signee  vostre  Ser- 
viteur D.  C.  vol.  II  p.  237. 

Consolation  ä  un  ami  sur  l'^ternit^ 
de  son  beau-p^re 

Lettre  VII  vol.  I  p.  185. 
Contre  un  pilleur  de  Pens^es 

Lettre  VIII  vol.  I  p.  187. 
Autre  contre  un  pilleur  de  Pensees 
Lettre  IX  vol.  I  p.  189. 
Contre  un  gros  homme 

Lettre  X  vol.  I  p.  193. 

ä  Messire  Jean 

Lettre  XII  vol.  I  p.  201. 

ä  Monsieur  fff  sur  le  faux  bruit 
qui  courut  de  la  mort  d'un  grand 
guerrier  vol.  II  p.  227. 

[Lettre  inedite.    P.  Brun  p.  357.] 

Sur  un  recouvrement  de  Sant^ 

Lettre  XVI  vol.  I  p.  165. 
Description  de  l'aqueduc  ou  la  fon- 
taine d'Arcueil.    Lettre  V.  ä  mes 
amis  les  buveurs  d'eau 

vol.  I  p.  122 
Lettre  VI  Sur  le  möme  sujet 

vol.  I  p.  124. 
Regret  d'un  eloignement,  lettre  d'a- 
mour vol.  II  p.  233. 


Contre  une  demoiselle  avare 

Lettre  III  vol.  I  p.  175. 


Contre  un  liseur  de  roman 

Lettre  XVII  vol.  I  p.  213. 
Pour  une  dame  rousse 

Lettre  X  vol.  I  p.  135. 
Contre  Soucidas 

Lettre  V  vol.  I  p.  178. 
Contre  Monsieur  de  V. 

Lettre  VI  vol.  I  p.  181. 
Description  d'une  tempeste 

Lettre  IX  vol.  I  p.  133. 
Le  Campagnard 

Lettre  XI  vol.  I  p.  140. 
Lettre  d'amour   VI  vol.   I   p.  264. 

Sur  l'ombre  que  faisoient  des  arbres 
dans  l'eau.  Lettre  VII  vol.  I  p.  128. 


Cyrano  de  Bergerac. 


127 


30.  Pour  Soucidas  contre  un  parti- 
gan  qui  avait  refus^  de  lui  preter 
de  1  argent.  Sign^e  votre  M^- 
decin. 

31.  ä  Monsieur  le  Chancelier  Seguier 
sur  les  horames  illustres  de  la 
Gallerie  du  Palais  Cardinal,  gra- 
vis de  M.  Heince. 

32.  Le  Poltron. 

33.  A  Monsieur  Jerssan  sur  son  tri- 
omphe  des  femmes. 

34.  Lettre  d'amour. 

35.  Contre  Scarron,  po^te  burlesque. 

36.  Le  duelist.    Sign^e  De  Bergerac. 

37.  D'un  comte  de  bas  aloy. 

38.  Au  r^gent  de  la  r^torique  des 
Jes. 

39.  Contre  le  Caröme. 

40.  Reproche  ä  une  Cruelle,  lettre 
d'amour. 

41.  Le  Cipres. 


Pour  Soucidas,  contre  un  Partisan 
qui  avoit  refuse  de  luv  prester 
de  l'argent  vol.  I 

[Lettre  in^dite.     P.  Brun  p.  361.] 


232. 


Contre   un    Poltron.      Lettre   saty- 
rique  I  vol.  I  p.  169. 

A  Monsieur  Gerzan  sur  son  triomphe 
des  Dames 

Lettre  XIV  vol.  I  p.  160. 

Contre  Ronscar 

Lettre  XI  vol.  I  p.  196. 
Le  dueliste  Lettre  XV  vol.  I  p.  164. 
jl  un  comte  de  bas-aloy 

Lettre  XVI  vol.  I  p.  212. 
Contre  un  p^dant 

Lettre  XIII  vol.  I  p.  204. 
üescription  du  Caresme 

Lettre  XIV  vol.  I  p.  207. 
Lettre    d'amour,     reproche    a    une 
Cruelle  vol.  II  p.  238. 

Description  d'un  Cyprez 

Lettre  VIII  vol.  I  p.  131. 


Schon  die  ersten  Ausgaben  der  Werke  Cyranos  haben  die 
Lettres  nach  Kategorien  abgeteilt:  Satyriques,  d'Amour,  diverses 
oder  sur  divers  sujets;  1658  kam  in  London  eine  englische  Über- 
setzung der  Briefe  heraus,  betitelt:  Satirical  characters  and  hand- 
some  descriptions  in  letters,  ivritten  to  Several  persans  of  quality,  hy 
M,  de  Cyrano  Bergerac,  translated  from  the  french  hy  a  Person  of 
honour  ;^  die  neueren,  wie  P.  Lacroix  und  M.  Fournel,  teilen  sie 
ein  in  lettres  galantes,  diverses  oder  descriptives  und  satiriques. 
Aber  diese  Einteilungen  haben  viel  willkürliches,  und  wir  folgen 
in  unserer  Analyse  lieber  P.  Brun,  der  zwei  Gruppen  unter- 
scheidet: die  der  konventionellen  Briefe,  die  nur  Witzspielereien 
oder  rhetorische  Übungen  darstellen,  und  die  der  persönlichen 
Briefe,  in  denen  ein  Gegner  angegriffen  oder  ein  literarhistorisches, 
politisches  oder  soziales  Thema  behandelt  wird. 

1.  Im  Charakter  und  teilweise  in  Nachahmung  von  Ron- 
sard,  Thdophile,   Boisrobert,   Scud^ry    und  Saint -Amant   schrieb 

*  Einen  interessanten  Beitrag  zur  literarischen  Persönlichkeit  Cyranos 
teilt  Platow  p.  16  aus  der  Vorrede  zu  dieser  Übersetzung  mit:  'You'l 
confesse  he  may  with  some  allowance  passe  for  a  French  Cleveland,  and  in- 
deed  if  our  authur  were  not  ignorant  of  this  tongue  1  should  think  he  en- 
deavourd  to  imitate  that  great  Satyrist.'  Die  in  Le  Songe  (s.  unten  S.  130, 
Anni.  1)  vorkommende  Anspielung  auf  den  Tod  des  Herzogs  von  Cla- 
rence  im  Malvasierfafs  braucht  Cyrano  nicht  aus  Shakespeare  zu  haben, 
beweist  also  auch  nicht  seine  Kenntnis  der  englischen  Sprache. 


128  Cyrano  de  Bergerac. 

CyraDO  seine  vier  Briefe  über  die  Jahreszeiten:  L'Hyver, 
PEst^,  le  Printemps,  FAutomne,  je  zwei  für  und  gegen 
eine  Jahreszeit.  Sie  sind  entstellt  durch  die  Sucht  nach  Anti- 
thesen und  Pointen,  oft  unnötig  burlesk  und  zweideutig,  aber 
hier  und  da  bricht  ein  Schönheitsgefühl  und  Naturempfiuden 
durch,  namenthch  in  dem  Lobe  des  Frühüngs,  wie  wir  es  vorher 
nur  etwa  bei  Charles  d'Orl^ans,  nachher  bei  Lafontaine  und  J. 
J.  Rousseau  finden.  Individuelle  Züge  in  diesem  Naturbild:  'Le 
lys  ...  glorieux  de  voir  ses  Images  triompher  au  Louvre,  s'eleve  sur 
ses  compagnes  —  MaUhieu  Gareau  saute  de  tout  son  ccßur  au  broüet 
de  sa  Tante  —  Le  Vigneron  appuye  sur  un  echalas,  rit  dans  sa  barbe 
ä  mesure  qu'il  voit  pleurer  sa  vignef  An  ein  aktuelles  Ereignis, 
die  Wiederherstellung  des  Arcus  Juliani  durch  Marie  de  M^dicis 
und  Jean  de  ßrosse  1624,  beziehen  sich  die  zwei  Briefe:  De- 
scription  de  FAqueduc  ou  la  Fontaine  d^Arcueil,  welche 
Cyrano  dediziert  ä  mes  amis  les  buveurs  d'eau.  Auch  hier  sind 
Extravaganzen,  aber  zum  Teil  sehr  witzige,  wie  der  Vergleich 
'un  serpent  liquide,  un  os  dont  la  moelle  chemine'  oder  'Enfin  il  n'est 
pas  jusqu'ä  ceux  qui  fönt  semblant  de  la  baiser,  qui  ne  luy  montrent 
les  dents.  Pour  moy  je  m'en  lave  les  mains,  car  fay  devant  les  yeux 
trop  d'eooeniples  de  la  punition  des  yvrognes  qui  la  mep'isent.'  Kin- 
disch, wenn  man  will,  aber  von  einem  wahren  Glücksgefühl  ein- 
gegeben sind  die  Lettres:  Des  Miracles  de  rivi^re  und  Le 
Cipr^s.  Der  erste,  gezeichnet  De  B.,  enthält  den  Satz:  'Le  venire 
couche  sur  le  gazon  d'une  Riviere  et  le  dos  etendu  sous  les  branches 
d'un  Säule  qui  se  mire  dedans  je  voy  renouveller  aux  arbres  VHistoire 
de  Narcisse'  und  in  der  Beschreibung  ein  paar  reizende  Züge,  die 
an  Statins  erinnern.  Der  zweite  beginnt  mit  'J'avois  envie  de 
vous  envoyer  la  description  d'un  cyprez,  mais  je  ne  Vay  qu'ebauchee, 
ä  cause  qu'il  est  si  pointu  que  Vesprit  mesme  ne  scauroit  s'y  asseoir' 
und  fährt  leider  in  diesem  Stil  fort,  wofür  uns  die  unverständ- 
lichen Anspielungen  auf  'les  amours  du  jeune  Cyparisse'  (sie!) 
nicht  entschädigen.  Noch  geschmackloser  sind  in  der  Descrip- 
tion d^une  Tempeste  Stellen  wie:  'La  mer  vomit  sur  nous  et 
nous  vomissons  sur  eile',  aber  daneben  stofsen  wir  auf  einen  Zug 
grandioser  Phantasie :  'quand  je  preste  un  peu  d'attention,  je  m'ima- 
gine  discerner  {comnie  s'ils  partent  de  dessous  VOcean)  yarmy  les 
effroyables  mugissemens  de  l'Onde,  quelques  versets  de  l'office  des 
Morts.'  Ein  hübsches  Idyll,  worin  der  Natursinn  des  Libertin 
das  Preziöse  überwunden  hat,  ist  Le  Campagnard,  der  auch 
für  die  Biographie  des  Autors  Wert  hat.  Nur  eine  paradoxe 
Stilübung'  ist  Eloge  d^uneRousse.  Es  wird  hier  der  Satz 
verfochten,  alle  Dinge  in  der  Natur  seien  mehr  oder  weniger 
vornehm,  je  nachdem  sie  mehr  oder  weniger  rot  sind.    Beispiele: 


^  Dieses  Thema  war  damals  sehr  beliebt.     Vgl.  P.  Brun  p.  91. 


Cyrano  de  Bergerac.  129 

das  Feuer,  das  Gold,  die  Sonne,  die  Kometen  usw^  Ein  selt- 
sames, wohl  nur  der  Phantasie  Cyranos  entsprungenes  Mytholo- 
gem  ist  folgendes :  '  Castor  et  Pollux  ces  petits  feux  qui  fönt  predire 
aicoL'  matelots  la  fin  de  la  Tempeste  peuveut-üs  estre  autre  chose  que  les 
ofieveux  roux  de  Junon  qu'elle  envoye  ä  Neptune  en  signe  d'amourf 
Ein  aktuelles  Thema  streift  Cyrano  wiederum  mit  seiner  Lettre 
ä  Monsieur  Jerssan  (sie!)  sur  son  triomphe  des  fem- 
mes.  Der  Alchimist  Fran9ois  de  Soucy,  sieur  de  Gerzau  hatte 
in  seinem  Werke,  1643,  auf  die  wachsende  Vorliebe  der  Frauen 
für  die  okkulten  Wissenschaften  aufmerksam  gemacht,  und  die 
Empfehlung  dieses  Werkes  benutzt  nun  unser  Autor,  um  einige 
zweideutige  Witze  loszuwerden.  Eine  dieser  Anspielungen  auf 
den  P^re  Bernard  (genannt  le  pauvre  pretre,  gestorben  1641  im 
Geruch  der  Heiligkeit)  ist  so  zynisch  und  zugleich  so  gottlos 
('cette  precieuse  momi^),  dafs  diese  Stelle  in  allen  Ausgaben  seit 
1654  nur  verkürzt  wiedergegeben  ist.  Historisch  interessant  ist 
die  unedierte  Lettre  ä  Monsieur  le  chancelier  Seguier  (s. 
oben  S.  125).  Es  handelt  sich  um  Bildnisse  berühmter  Zeit- 
genossen, die  in  einer  Galerie  des  Palais  Cardinal  aufgehängt 
waren,  welches  der  Kanzler  der  von  Richelieu  gestifteten  Aka- 
demie eingeräumt  hatte.  An  sich  ist  diese  Vorrede  zu  einer 
Kupferstichsam  ml  uug  ziemlich  platt  und  der  Ton  der  Verehrung 
zu  geschraubt,  um  für  aufrichtig  gelten  zu  können.  Eine  blofse 
Modekomposition  in  der  Art  von  Trissotin  ist  der  Brief  Sur 
la  Gu^rison  d'une  maladie  m erteile.  Die  Scherze,  die 
über  den  Tod  gemacht  werden,  sind  entsetzlich  grotesk,  z.  B. 
vom  Kirchhof:  'quoiqu'ä  la  Flamande  on  ait  de  la  hiere  jusque  par- 
dessus  les  yeux,  on  n'y  holt  que  de  VEau  beniste.'  Blol'se  Spielereien 
sind  auch  die  Briefe:  L^Enigme  und  Le  Songe.^  Bei  dem 
ersteren  wird  das  Auflösungswort,  der  Schlaf,  vom  Autor  am 
Schlüsse  selbst  mitgeteilt,  wie  wenn  er  daran  zweifelte,  dafs  es 
sein  Korrespondent  aus  der  Fülle  von  Antithesen  und  Anspie- 
lungen herauslesen  könnte;  der  zweite  ist  offenbar  eine  Nach- 
ahmung Ovids  und  ein  auch  in  dem  Roman  Cyranos  wiederholtes 
Thema.  Die  witzelnde  Allegorie  ist  von  ermüdender  Länge,  und 
verhältnismäfsig  selten  treffen  wir  auf  originelle  Einfälle  des 
Dichters  bei  den  grotesken  Paarungen,  die  er  in  der  Unterwelt 
gesehen  zu  haben  träumt.  So  wird  Echo  mit  den  modernen 
Autoren  zusammengetan,  weil  beide  nur  wiederholen,  was  andere 
vorher  gesagt  haben;  Orpheus  mit  den  Chantres  du  Pont  Neuf, 
weil  beide  das  Talent  haben  d'attirer  les  bestes.  Nero  gibt  seiner 
Mutter,  die  sich  über  eine  Schrift  Senecas    beklagt,   wonach   sie 


'  P.  Brun  hat  diesen  Brief  wegen  der  literarischen  Kenntnisse,  die  er 
verrät,  unter  die  zweite  Gruppe  eingereiht;  ich  sehe  die  Notwendigkeit 
dafür  nicht  ein. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     CXIV.  9 


130  Oyrano  de  Bergerac. 

seit  ihrer  Verheiratung  vier  uneheliche  Kinder  gehabt  habe,  den 
seltsamen  Trost,  man  dürfe  einem  Verleumder  immer  nur  die 
Hälfte  dessen  glauben,  was  er  sage.  Lucan  wird  mit  einem 
kleinen  Kinde  gepaart,  das  an  den  Würmern  (vers)  gestorben  ist. 
Das  Ganze  schlieCst  mit  einer  sprachlich  lustigen  Wendung: 
^ Apres  ceite  distribution  par  laquelle  chacun  fut  mis  dans  sa  chacu- 
niere'  etc.'  Wie  Rabelais  und  Beroalde  de  Verville  greift  Cyrano 
in  komischer  Weise  das  Caresme  au.  Seine  Scherze  sind  nicht 
alle  geschmackvoll,  z.  B. :  'je  trouve  que  les  Jours  maigres  ont  tort 
de  tuer  tant  de  Veaux  en  une  saisofi,  oü  ils  ne  permettent  pas  qu'on 
en  mange.'  Andere  sind  von  gefährlicher  Kühnheit  für  jene  Zeit, 
wie:  'si  fetois  asseure  d'abjurer  Uheresie  tous  les  Samedys-Saints,  je 
me  ferois  Huguenot  tous  les  mereredys  de  Gendres'  u.  ä.  Kaum  ernst- 
haft gemeint  ist  die  Mahnung  'ä  Monsieur  le  Coq^,  zu  seiner 
'CoqueUe\  die  ihm  ein  Hühnchen  ohne  Schale  geschenkt  habe, 
zurückzukehren.  Auch  die  'Lettres  d'amour'  scheinen  nur  Kom- 
positionen, nicht  wirkliche  Herzensergüsse  zu  sein.  Immerhin 
verdienen  einige  Stellen  aus  denselben  hervorgehoben  zu  werden, 
schon  damit  wir  Vergleichspunkte  dafür  gewinnen,  was  Kostand 
aus  dem  Stoffe  gemacht  hat.  Jedenfalls  ist  Cyrano  auch  hierin 
ein  gewandter  Schriftsteller,  der  in  der  Wahl  seiner  Genre  und 
deren  Mischung  zu  literarischen  Effekten  oft  recht  glücklich  ist, 
wenngleich  das  Burleske  und  das  Preziöse  leider  überwiegen. 
Einer  Dame,  die  auf  ihrem  Schlots  in  der  Provinz  weilt,  schreibt 
er  über  seine  stille  Liebe:  'Je  pense  que  vous  me  refuse%  vostre 
veue,  pour  ne  pas  communiquer  plus  d'urie  fois  un  miracle  avec  un 
profane;  cependant  vous  s^avez  que  la  conversion  d'un  incredule  comme 
moy  {c'est  une  qualite  que  vous  m'avez  jadis  reprochee),  demanderoit 
que  je  visse  un  tel  miracle  plus  d'une  fois/'^  Ein  andermal  schreibt 
er  seiner  Korrespondentin,  indem  er  ihre  zufällige  erste  Begeg- 
nung in  Verbindung  bringt  mit  der  harmonischen  Ordnung  im 
Weltall :  'ce  fut  ä  la  jJesche  que  je  vous  rencontray :  les  filets  qus  vous 
depliastes  en  me  7'egardant,  ne  vous  annoncaient-üs  pas  ma  prise? 
et  quand  j'eusse  evite  vos  filets,  pouvois-je  nie  sauver  des  liameQons 
pendus  aux  lignes  de  cette  belle  lettre,  que  vous  me  fistes  l'lionneur  de 
m'envoyer  quelques  jours  apres.  —  Aussi  je  Vay  receue  avec  des  re- 
speets,  dont  je  ferois  l'expression,   en  disant  que  je  Vadore,  si  j'etois 


^  Der  Brief  ist  literarisch  interessant,  weil  er  Lesefrüchte  aus  Que- 
vedo,  der  Odyssee,  der  Äu eis,  der  divina  Commedia,  Rabelais  ( Gargamelle) 
und  Anspielungen  auf  Raimundus  LuUus  (l'or  potable),  Saionion  de  Caus 
(Les  raisons  des  Forces  niouvantes),  Montmoreucy-Boutevilie  und  die 
griechischen  Grammatiker  (inventeurs  du  duel)  enthält. 

'^  In  dem  nämlichen  Brief  kommt  die  'brenzlige'  Phrase  vor:  'Cette 
chaleur  Celeste  par  qui  tant  de  fois  Saint  Xaoier  pensa  crever  son  pour- 
point,  n^etait  pas  plus  pure  que  la  mientie,  puisque  je  vous  ainie  commj.  il 
ainiait  DieuJ 


Cyrano  de  Bergerac.  13l 

capable  d'adorer  qyslque  autre  chose  que  vous.  Je  la  haisay  au  moins 
avec  heaucou})  de  tendresse,  et  je  m'imaginois,  en  pt-essant  mes  levres 
sur  vostre  chere  lettre,  baiser  vosire  hei  Esprit  dorit  eile  est  Vouvrage. 
—  Vous  ftissiex-vous  imaginee,  Madame,  que  d'une  feuille  de  papier 
j'eusse  pu  faire  un  si  grand  feu  .  . . ,  que  si  mon  ame  et  mon  amour 
se  partagent  en  deux  soüpirs,  quand  je  mourray,  celui  de  mon  amour 
partira  le  deryiier'  etc.  Auch  in  den  nachgelassenen  Briefen  Cy- 
ranos  finden  sich  hübsche  Stellen:  'Imaginez-vous  un  feu  compose 
de  glace  embrasee  qui  brüJe  ä  force  de  trembler,  que  la  douleur  fait 
tressaillir  de  joye  et  qui  craint  autant  que  la  mort  la  Guerison  de  ses 
blessures.  Voilä  ce  que  je  suis  lorsque  je  parle  ä  vous.'  —  'Je  ne  te 
vois  qu'ä  demy,  parceque  je  t'aime  trop  ;  et  tu  peux  me  voir  trop,  parce- 
qu£  tu  ne  m'aime  qu'ä  demy.  Viens  chez  moy  tout  ä  Vheure  si  tu 
vevjx  convaincre  de  mensonge  l'appreheyision  que  j'ay  de  ne  te  voir  Ja- 
mals' Der  Brief,  betitelt  regret  d'un  eloignement,  von  dem  schon 
oben  S.  125  die  Rede  gewesen  ist,  beginnt  mit  den  Worten:  'Ma- 
dame, dois-je  pleurer,  dois-je  ecrire,  dois-je  mourir.  II  vaut  vieux  que 
j'ecrive,  mon  cornet  me  p-etera  plus  d'encre,  que  mes  yeux  ne  me  four- 
niront  de  larmes.' 

2.  Unter  den  Briefen,  die  ein  wirkHches  Interesse  des  Autors 
an  ihrem  Thema  beweisen,  sind  zunächst  die  vier  auf  Duell  und 
Ehrenfragen  befindlichen  hervorzuheben.  Le  Dueliste  ist  ein 
merkwürdiges  Dokument  für  Leben  und  Stil  Cyranos,  denn  er 
spricht  offenbar  von  seiner  eigenen  Person,  wenn  er  erzählt: 
'  Vrayment  vous  auriez  grand  iort  de  m'appeller  maintefiatit  le  premier 
des  hommes,  car  je  vous  proteste  qu'il  y  a  plus  d'un  mois  que  je  suis 
le  second  de  tout  le  monde.'  Eine  grausame  Ironie  ist  die  Lettre 
contre  un  poltron,  der  zur  Rechtfertigung  seiner  Duellscheu 
nur  zu  sagen  weils :  'quoyque  je  sois  mary  d'estre  appelle  sot,  je  serois 
hien  plus  fasche  qu'on  me  reprochast  d'estre  defunt.'  Der  Feigling 
verabscheut  den  Tod,  der  nur  ein  Bankerott  für  seine  Gläubiger 
wäre,  und  hängt  selbst  an  einem  beschimpften  Leben,  denn  'der 
kleinste  lebendige  Floh  ist  mehr  wert  als  der  grofse  Alexander 
tot.'  Ähnlich  denkt  offenbar  ein  ^Comte  de  Bas  aloy',  der 
zögert,  seine  Brust  dem  Degen  oder  seinen  Rücken  dem  Stocke 
darzubieten.  Er  würde  den  Brief  Cyranos  mit  dem  Rücken 
lesen,  wenn  Stockschläge  sich  schriftlich  geben  Hefsen.'  Noch 
gröber  sind  die  Beschimpfungen  eines  faux  brave.  Auch  ihm 
wird  sein  junger  Adel  vorgehalten  und  ihm  empfohlen,  und  das 
ist  das  einzige  Witzige  in  diesem  Schreiben,  folgendes  Wappen 
anzunehmen:  'Vous  porterez  de  gueules,  ä  deux  fesses  chargees  de 
cloux  Sans  nombre,  ä  la  vilenie  en  coeur  et  un  baston  brise  sur  le  ohef.' 
Der  in  der  Art   der  Herolden  Ovids   abgefafste   Brief  Th^s^e 


'  Diese  Phrase,   an   der  offenbar   Cyrano    Geschmack    fand,    kommt 
noch  in  mehreren  Briefen  vor. 


132  Cyrauo  de  Bergerac. 

ä  Hercule  wird  von  P.  Brun  in  der  zweiten  Gruppe  be- 
sprochen, weil  der  Bibliophile  Jacob  darin  eine  Anspielung  auf 
Mazarins  Verbannung  erblickte.  Das  ist  sicherlich  ganz  ungerecht- 
fertigt, und  der  Brief  gehört  als  Stilübung  zu  der  ersten  Gruppe. 
Er  ist  für  uns  fast  ohne  Interesse,  wenn  wir  ihn  nicht  als  Beleg 
für  Cyranos  Kenntnis  des  Altertums  deuten  wollen,  an  der  so 
wie  so  nicht  zu  zweifeln  ist.  Getäuscht  durch  einen  undeut- 
lichen Titel  in  den  Ausgaben,  hat  P.  Lacroix  auch  den  folgen- 
den Brief  rnifsverstanden :  Sur  le  Faux  Bruit  qui  courut  de  la  Mort 
de  M.  Le  Prince.  Er  deutet  den  Grand  Guerrier  der  Ausgaben 
auf  Turenne  1654,  während  der  prince  unstreitig  Cond^  ist  und 
das  Jahr,  nach  der  mir  einleuchtenden  Deutung  Bruns,  1649. 
Die  Darstellung  ist  grandios  und  erinnert  an  die  Oraison  fun^bre 
Bossuets  über  den  gleichen  Mann,  wobei  zu  beachten  ist,  dafs 
der  Libertin  nie  von  Gott,  sondern  von  der  Schicksalsgöttin 
spricht,  welcher  die  Gewaltigen  dieser  Erde  mehr  als  alle  anderen 
unterworfen  sind.  Aber  dem  Libertin  gehört  auch  der  unflätige 
Witz  über  die  Verwundung  des  Prinzen  an:  ^car  qu'ü  ait  receu 
une  playe  entre  les  deux  aines,  je  ne  puis  croire  que  les  Parqites,  qui 
sont  filles  vierges,  ayent  ose  prendre  un  jeune  komme  aux  parties  hon- 
teuses/  Und  die  Sucht  nach  der  Pointe  feiert  Orgien  in  dem 
Schlufs  des  Briefes,  worin  er  droht,  wenn  die  Nachricht  nicht 
sofort  dementiert  werde,  'je  m'en  vais  pi'ophaner  un  Temple,  trahii- 
mon  Amy,  violer  ma  Soßur,  etrangler  mon  Pere  et  mesme,  ce  qui  ne 
tombera  jamais  en  aucune  Pensee,  je  m'en  vais  n'estre  plus,  monsieur, 
vostre  affectionne  Serviteur/  In  noch  bestimmterem  Sinn  ist  ein 
historisches  Stück  das  Fragment  sur  le  blocus  d^une  ville. 
Es  ist  dies  wohl  eine  Erinnerung  Cyranos  an  die  von  ihm  mit- 
gemachte Einschlielsung  in  Mouzon  1639.  Von  einem  wahren 
Galgenhumor  zeugt  darin  die  Stelle :  'de  peur  que  nous  ne  prenions 
mesms  quelque  nourriture  par  les  oreilles  on  nous  defend  jusqu'aux 
paroles  grosses.  Les  malavisez  quHls  sont  ne  prevoyant  pas  qu'en 
nous  demeurant  dans  le  corps,  elles  nous  pourroient  faire  vivre! 
Wohl  auch  der  Jugendzeit  Cyranos  gehört  der  Brief  ä  une  De- 
moiselle  int^ress^e  an.  Die  Vorwürfe  über  Habsucht,  welche 
er  diesem  käuflichen  Liebchen  macht,  interessieren  uns  nur  aus 
dem  Grunde,  weil  er  am  Schlüsse  bekennt,  dals  er  die  Gunst- 
bezeugungen der  Dame  mit  seinem  Gelde  bezahlt  hat.  Auch 
das  Sprichwort  ipoint  d^argent  point  de  Suisse  finden  wir  hier  und 
zwar  in  der  ursprünglichen  Bedeutung,  Suisse  =  Kirchendiener, 
speziell  Türöffner,  gebraucht.  Die  Anspielungen  auf  kirchliche  und 
religiöse  Dinge  sind  auch  hier  recht  gewagt.  Auf  das  Verhältnis 
zuDassoucy  beziehen  sich  zwei  Briefe.  Wir  haben  Bd.  CXIII, 
S.  362  3  und  366  7  von  dieser  Persönlichkeit,  ihrer  Freundschaft 
und  ihrem  Zerwürfnis  mit  Cyrano  gesprochen.  In  die  erste  Pe- 
riode gehört  die  Lettre    Pour   Soucidas,   contre   un  parti- 


Cyrano  de  Bergerac.  133 

san  qui  avoit  refus^  de  luy  prester  de  Targent.  Der 
Betreffende,  offenbar  ein  Finanzier  und  Steuerpächter,  wird  mit 
den  gröbsten  Vorwürfen  überschüttet,  weil  er  diesen  Dienst  ver- 
weigerte, nachdem  der  Schreibende  sich  soweit  prostituirt  hatte, 
mit  dem  Finanzmann  sich  öffentlich  sehen  zu  lassen  und  ihn 
einen  ehrlichen  Mann  zu  nennen.  Cyrano  unterschreibt  sich 
^Vosire  medecin',  und  die  zum  Teil  höchst  unanständigen  Witze 
sind  der  Arzneikunst  entnommen.  Die  Anspielung  auf  die  fievre  de 
SainUMathurin  ist  mir  unverständlich  geblieben.  Desto  klarer  ist 
folgendes :  'la  Eepublique  est  trop  interessee  a  vostre  conservation,  car 
on  ne  sgauroit  vous  entamer  sans  repandre  le  sang  du  Peuple,  dont 
vous  estes  plein.'  Der  Konfliktszeit  gehört  die  grimmige  Satire 
contre  Soucidas  an.  Es  werden  nun  dem  undankbaren 
Freund  '  die  schlimmsten  Dinge  vorgeworfen:  Atheismus,  schimpf- 
liche Krankheit,  Schulden,  unnatürliche  Liebschaften  u.  dgl.  Er 
heifst  jetzt  ^un  clou  au  fesses  de  la  nature',  und  er  werde  vergeblich 
seinen  jetzigen  Feind  durch  die  Dedikation  einer  langweiligen 
Posse  zu  rühren  versuchen.  In  dem  wüsten  Geschimpf,  welches 
die  Grenzen  der  Satire  entschieden  überschreitet,  sind  zwei  An- 
deutungen literarisch  und  historisch  wichtig.  Es  ist  von  der 
Einschliefsung  von  St.  M^n^hould  die  Rede  mit  der  Wendung: 
'Vautre  jour  au  conseil  de  guerre  on  donna  advis  ä  Monsieur  de  Tu- 
renne'  etc.  Ferner  eine  Anspielung  auf  den  schlechten  Verkauf 
des  Jugement  de  Paris  von  Dassoucy,  wobei  Cyrano  Gelegenheit 
zu  einem  ziemlich  guten  Wortwitz  findet.  Ebenfalls  sehr  bissig 
ist  die  Lettre  Satirique  contre  le  Sieur  de  Tage. 
Diesen  nicht  weiter  bekannten  Namen  eines  adligen  Gecks  zeigt 
die  Handschrift.  P.  Lacroix  hat  den  Titel  der  Ausgaben  'contre 
Monsieur  de  V.'  ergänzt  mit  Vauhert,  was  nun  leider  nicht  mehr 
angeht.  Unter  den  schnöden  Witzen  über  die  Dummheit  des 
Menschen,  mit  welcher  seine  Körpergröfse  konkurriert,  ist  nur 
einer  wirklich  lustig:  'Vous  avez  la  houche  si  large  que  je  crains 
quelque  fois  que  vötre  teste  ne  tomhe  dedans.'  Auf  das  Verhältnis 
zu  Chapelle  beziehen  sich  drei  Briefe,  ein  freundschaftlicher 
und  zwei  feindliche.  Der  erste  ä  Monsieur  Chapelle  pour 
consolation  sur  P^ternit^  de  son  beau-p^re  ist  ein 
blofser  und  nicht  einmal  sehr  geschmackvoller  W^itz,  denn  Cha- 
pelle war  Junggeselle  und  hatte  nur  einmal  die  Absicht,  eine 
Demoiselle  Chouars  zu  heiraten.  Auch  um  einen  zweiten  Mann 
seiner  Mutter,  Demoiselle  Chanut,  kann  es  sich  nicht  handeln. 
Später  macht  Cyrano  den  nämlichen  Chapelle  zum  Gegenstand 
seiner  Angriffe  und  mit  ihm  einen  gewissen  La   Mothe,   bri- 


*  Ist  die  trotz  sehr  kräftiger  Schimpf  reden  ziemlich  farblose  Lettre 
contre  un  ingrat,  die  im  Manuskript  fehlt,  auch  auf  Dassoucy  ge- 
münzt?   P.  Brun  spricht  sich  über  sie  nirgends  aus. 


lai  Cyrano  de  Bergerac. 

gand  de  pens^es.  Dieser  Brief  ist  signiert  de  Bergerac.  Die 
Vorwürfe  des  Plagiats  werden  nicht  nur  in  Beziehung  auf  einen 
Brief  Cyranos  erhoben,  sondern  ganz  im  allgemeinen  wird  ge- 
sagt, dafs  vor  den  beiden  weder  Alte  noch  Moderne,  weder 
Bücher  noch  Gespräche  in  Gesellschaft  sicher  seien.  Wir  wissen 
nicht,  wer  dieser  La  Mothe  ist.  Es  kann  unmöglich  der  Philosoph 
La  Mothe  le  Vayer  sein  (s.  Bd.  CXIII,  S.  368),  der  Vater  eines 
Freundes,  mit  dem  sich  Bergerac  nie  entzweite.  Die  in  den 
Ausgaben  vorkommende  Änderung  des  Namens  in  Beaulieu, 
welcher  noch  P.  Lacroix  folgte,  ist  unhaltbar.  An  den  Briefen 
ist  für  uns  nur  der  ausgesprochene  Hafs  unseres  Dichters  gegen 
Plagiat  und  sein  Kespekt  vor  geistigem  Eigentum  merkwürdig. 
Aber  ist  er  ganz  frei  von  eigenem  Fehl?  Das  werden  wir  später 
zu  untersuchen  haben.  Von  sich  sagt  er  freimütig:  'Vous  sgavez 
que  fay  un  esprit  vangeur  de  torts  et  fort  enclin  ä  la  justice  distribu- 
tive,' und  angesichts  dieser  und  der  folgenden  Briefe  kann  man 
daran  nicht  zweifeln.  Der  Streit  mit  Antoine,  alias  Zacharie 
Jacob  de  Montfleury,  von  dem  Bd.  CXIII,  S.  367  die  Rede 
gewesen  ist,  hat  ein  ^Meisterwerk  burlesken  Humors^  gezeitigt, 
in  dem  freilich  gewisse  Roheiten  nur  aus  dem  Charakter  der 
Zeit  verzeihlich  erscheinen.  Auch  gegen  Montfleury  wird  der 
Vorwurf  des  Plagiats  erhoben.  In  bezug  auf  sein  Amhigu  co- 
mique  ou  les  amours  de  Didon  et  d'Enee  wird  ihm  vorgeworfen, 
dafs  von  Tasso  bis  auf  Corneille  alle  Dichter  mit  seinem  Kinde 
niedergekommen  seien.  Noch  strenger  geht  Cyrano  ins  Gericht 
mit  dem  ^Homer  der  Fronde\  In  seiner  Lettre  contre  Scar- 
ron,  poete  burlesque  verurteilt  Cyrano  die  ganze  Dichtungs- 
gattung,' welche  Scarron  mit  dem  Virgile  travesti  in  Frankreich 
eingeführt  hatte.  Er  beschuldigt  ihn,  die  heilige  Kunst  Apollos 
profaniert  zu  haben.  Niemals  hat  Cyrano  Lächerliches  ernst- 
hafter und  Ernsthaftes  lächerlicher  behandelt  gesehen.  Es  komme 
ihm  vor,  er  höre  einen  erbosten  Frosch  am  Fufse  des  Parnafs 
quaken.  Wenn  in  diesem  Vorwurf  etwas  Wahres  ist,  so  ist  da- 
gegen die  Polemik  gegen  Scarron  in  anderen  Punkten  recht 
schwach,  so  namentlich  in  bezug  auf  die  Abneigung  Scarrons 
gegen  die  Pointe  und  auf  den  Stil  des  komischen  Dichters. 
Und  wenn  Cyrano  meint,  das  Werk  Scarrons  werde  nicht 
länger  leben  als  die  'Peaux  d'Änes'  und  die  'Contes  de  ma 
Mere  l'oye%  so  ist  das,  nach  unserer  heutigen  Erfahrung,  eine 
kleine  Ewigkeit.  Höchst  ungerecht  und  roh  ist  Cyrano,  wenn 
er  das  Aufsere  des  Krüppels  Scarron,  dieser  'lebenden  Mumie', 
verspottet   und  in  giftiger  Weise   als   Folge   des  'mal  de  Naples' 

'  Hatte  Cyrano  seine  Meinung  geändert?  Noch  1619  gefiel  ihm,  wie 
Ch.  Peirault  in  seinen  Memoiren  erzählt,  die  Eneide  burlesque  der  Brüder 
Perrault  und  namentlich  zwei  burleske  Verse  darin  ausnehmend  wohl, 
Siehe  P.  Brun,  Eevue  d'Histoire  lüteraire  1901,  p.  128. 


Cyrano  de  Bergerac.  135 

bezeichnet.  Auf  festerem  Boden  stellt  Cyrano  und  ein  ehrlicher 
Fechter  ist  er,  wenn  er  gegen  die  Mazarinade  von  Scarron  los- 
zieht. Über  dieses  Sujet  werden  wir  später  noch  zu  sprechen 
haben.  Dagegen  können  wir  hier  nicht  unerwähnt  lassen,  dafs 
die  Kritik  Cyranos  einen  pikanten  Beigeschmack  hat.  Er  er- 
zählt: 'fay  appris  qiie  quelqu'un  luy  (d.  i.  Scarron)  depliani  un  Son- 
net, qu'il  disoit-esire  de  moy,  il  tourna  sur  luy  des  yeux  qui  Vohligerent 
de  le  replier  sans  le  lire'  und  erklärt  dies  so:  'c'auroit  este  un  petit 
miracle,  si  mon  Sonnet,  qui  passe  pour  assez  doux,  n'avoit  pas  semhle 
fade  ä  un  komme  poivre.'  Hinc  illae  lacrimae!  Wenn  wir  in 
dieser  Polemik  einige  Vorbehalte  gegen  Cyrano  machen  mufsten, 
so  hat  er  dagegen  unsere  volle  Sympathie  in  seinem  Kampfe 
gegen  die  Jesuiten.  Nicht  weniger  als  vier  Briefe  handeln  von 
denselben,  und  sie  sind  alle  voll  Interesse.  Der  erste  ist  im  Ms. 
betitelt:  'Apot^ose  d'un  eccl^siastique  boufon^  Es 
werden  hierin  im  heftigsten  Tone  dem  Messire  Jean  (ein  Name, 
dem  wir  im  Roman  Cyranos  wieder  begegnen  werden)  die  für 
einen  Priester  ärgsten  Dinge  vorgeworfen.  Scharlatanerie,  un- 
züchtige Reden  auf  der  Kanzel,  Unglaube,  ausschweifendes  Leben, 
und  es  wird  ihm  empfohlen,  seine  Predigten  auf  einem  Prellstein 
an  einem  öffentlichen  Platze  fortzusetzen,  wo  sie  besser  ange- 
bracht seien  als  in  der  Kirche.  Aber  ebensowenig  wie  als 
Prediger  taugen  die  Jesuiten  als  Lehrer.  Ein  Regent  de  la 
Rh^torique  des  J^s...  ist  nicht  nur  ein  Pedant  wie  Sidias, 
ein  unwissender  Barbar,  der  noch  lernen  sollte,  statt  zu  lehren, 
ein  Henker  von  hundert  Schülern,  eine  Schande  für  die  Univer- 
sität, diese  ^glorreiche  Mutter  der  Wissenschaften^  Er  ist  auch 
ein  Verleumder  und  hat  den  Namen  Bergerac  in  eine  seiner 
Perioden  verflochten.  Aber  obwohl  er  das  Recht  hat,  'empereurs^ 
ein-  und  abzusetzen,  so  hat  er  doch  selbst  seinen  Brutus  ge- 
funden. P.  Brun  hebt  hervor  'gleich  zwei^,  denn  auch  Le  Bret 
habe  in  seinen  Lettres  diverses  eine  Lettre  ä  M.  de  B.  qui  traite  ce 
'maitre  Picard  d' Esteion  et  de  Hippocampelephantocarnelos'.  In  dem 
Briefe  Cyranos  ist  eine  hübsche  Wendung.  Er  nennt  den  Pro- 
fessor den  Gröfsten  in  seinem  Kollegium,  wie  St.  Christof  der 
gröfste  Heilige  in  der  Kirche  von  Notre  Dame  ist.^  Wertvoll 
ist  uns  auch  die  Notiz,  dafs  jeden  Tag  zwei  Klassen  von  je 
zwei  Stunden  gehalten  werden  mu/sten.  Wenn  Cyrano  hier 
heftig  auftritt,  so  war  er  aber  auch  mit  Feder  und  Dolch  ange- 
griffen worden.  Er  antwortet  in  zwei  Briefen.  Den  'M^di- 
sant^,  den  wir  uns  als  Professor  der  Philosophie  in  einer  Je- 
suitenschule zu  denken  haben,  überschüttet  er  mit  den  boshaftesten 

'  Der  nämliche  Witz,  sowie  eine  unflätige  Anspielung  auf  die  Ab- 
kunft des  Pfaffen  findet  sich  auch  in  dem  vierten  (unedierten)  Brief,  der 
überhaupt  wie  eine  Dublette  des  zweiten  aussieht,  obschon  die  Namen 
verschieden  sind. 


136  Cyrano  de  Bergerac. 

Schul witzen  {'sorii  de  Vhumanite,  echoue  au  bancs  de  la  Bhetorique, 
porte  en  philosophie  sans  tele")  und  droht  ihn  zu  züchtigen,  kalt- 
blutig und  höflich,  den  Hut  in  der  einen  und  den  Stock  in  der 
anderen  Hand.  Fulminant  ist  der  unedierte  Brief:  Contre  un 
je.  assasin  et  m^disant  (s.  P.  Brun  p.  357).  Der  Jesuit 
sieht  mich,  sagt  Cyrano,  offenbar  für  einen  König  an,  dafs  er  die 
Chätel  und  die  Ravaillac  gegen  mich  zu  erwecken  sucht.  Hätte 
er  den  gedungenen  Mörder  besser  bezahlt,  so  hätte  unser  Dichter 
sicherlich  das  Pflaster  mit  seinem  Blute  gerötet.  Und  der  An- 
stifter gehört  der  Gesellschaft  Jesu  an!  Eine  saubere  Gesell- 
schaft, ähnlich  der,  welche  Jesus  am  Kreuze  hatte  in  den  beiden 
Schachern.  Nein,  Maitre  Nicolas  B . . .  deckt  nur  seine  Ver- 
worfenheit mit  dem  Hute  und  dem  Ansehen  dieser  h.  Gesell- 
schaft, welche  Cyrano  nicht  dafür  verantwortlich  machen  will, 
'car  on  scait  hien,  que  si  de  ce  corps  vous  composez  quelque  chose, 
vous  en  etes  les  parties  honteuses.'  Der  Grund  des  Hasses  bei  dem 
Priester  ist  Neid  auf  Cyranos  geistige  Überlegenheit,  wie  auch 
dem  Streit  mit  dem  'Pedanten^  literarische  Fehde  beigemischt 
ist.  Die  nämliche  Krankheit  (quinte)  habe  auch  Geist  und  Kör- 
per des  P.  Garasse  ins  Spital  geführt;  eine  äufserst  kühne  An- 
spielung, wenn  man  den  unheilvollen  Einflufs  bedenkt,  den  dieser 
Fanatiker  selbst  nach  seinem  Tode  noch  ausübte.  Den  Vorwurf 
des  Atheismus,  den  M'^*'  Nicolas  B.  vor  seinen  800  von  ihm  ge- 
knechteten Schülern  gegen  unseren  Dichter  erhoben  hat,  wird 
von  diesem  energisch  und  in  ausnahmsweise  würdigen  Worten 
zurückgewiesen.  ^Me  croyez-vous  si  stupide  de  me  figtirer  que  le 
monde  soit  nay  comme  un  Champignon,  que  les  Ästres  aient  pris  feu 
et  se  soient  arangez  par  hazard;  qu'une  Matiere  morte,  de  teile  ou  teile 
faQon  disposee,  ait  pu  faire  raisonner  un  komme,  sentir  une  beste, 
vegeter  un  arbre.'  Es  folgt  noch  ein  Schlufs  aus  dem  Leben  des 
Bösewichts  für  die  Langmut  Gottes,  den  wir  aber  hier  lieber 
durch  das  ungleich  flottere  Argument  aus  dem  Brief  gegen  den 
Pedanten  ersetzen  wollen:  'sgachez  que  je  connois  une  chose  que 
vous  ne  connoissez  point,  que  cette  chose  est  Dieu,  et  que  Fun  des  plus 
forts  argumens,  apres  ceux  de  la  Foy,  qui  m^ont  convaincu  de  sa  veri- 
table  existence  c'est  d'avoir  considere  que  sans  une  premiere  et  souve- 
raine  bonte  qui  regne  dans  V  Univers,  foible  et  mechant  comme  vous 
estes,  vous  n'auriez  pas  vescu  si  longtemps  impuny.'  Wenn  wir  in 
diesen  Briefen  das  Glaubensbekenntnis  eines  freisinnigen,  aber 
nicht  ungläubigen  Mannes  lesen,  so  finden  wir  in  dem  Briefe 
Sur  un  hipocoudre  h^roique  de  romau  eine  interessante 
ästhetische  Theorie,  eine  Art  Poetik  vor  Boileau.  Energisch  und 
mit  geistreicher  Ironie  spottet  Bergerac  über  die  faden  Romane 
wie  Polexandre  und  Alcidiane,  welche  bei  den  Autoren  wie  beim 
Pubhkum^  den  guten  Geschmack  verderben  und  die  Köpfe  mit 
Hirngespinsten  füllen.  Der  Brief  Schreiber  nimmt  sich  vor,  für 
die  Genesung  des  tollen  Romanlesers  Saint  Mathurin  eine  Kerze 


Cyrano  de  Bergerac.  187 

zu  weihen,  eine  Redewendung,  deren  Sinn  mir  unklar  geblieben 
ist.  Von  ebenso  gesunden  Lebensansichten  zeugt  die  Lettre 
contre  les  m^decins,  welche  die  veralteten  Moden  und  bar- 
barischen Mittel  der  damaligen  Arzneiwissenschaft  in  meister- 
hafter Weise  geifselt;  ebenso  wie  die  Unwissenheit,  Habsucht 
und  das  scharlataumäfsige  Auftreten  der  Ärzte.  Sehr  lustig  ist, 
wie  der  persiflierte  Arzt  alle  Krankheitssymptome,  über  welche 
der  Patient  sich  beklagt,  mit  einem  ^fort  hien,  tant  mieux'  u.  ä. 
Ausdrücken  begutachtet.  Wir  können  auf  den  sehr  langen  Brief 
nicht  im  einzelnen  eintreten,  aber  neben  den  vielen  Stellen  bei 
Moli^re,  Scarron  u.  a.  ist  er  ein  wertvolles  Dokument  auch  für 
die  Kulturgeschichte.  Die  Witze,  die  Cyrano  über  den  ärztlichen 
Stand  macht,  sind  beifsend,  manchmal  auch  recht  unanständig 
oder  in  anderer  Weise  riskiert.  So  die  Zusammenstellung  von 
je  drei  Geifseln  der  Menschheit:  Pest,  Krieg  und  Hunger,  Ader- 
lafs,  Medizin,  Klistier  etc.  mit  drei  Henkern :  der  Advokat  quält 
den  Geldbeutel,  der  Arzt  den  Körper  und  der  Theologe  die 
Seele.  Wir  kommen  nun  zu  zwei,  respektive  drei  Briefen,  die 
alle  Vorzüge  des  Menschen  und  Schriftstellers  Cyrano  enthalten 
und  nur  einen  Bruchteil  seiner  Fehler,  Schriftstücke,  die  genügen 
sollten,  um  seinen  Namen  in  dieser  Dichtungsgattung  unsterblich 
zu  machen.  Der  erste  dieser  Briefe,  die  im  Ms.  fehlen,  ist  in 
den  Ausgaben  betitelt:  Contre  les  Frondeurs  und  adressiert 
k  Monsieur  D.  L.  L.  V.  In  einer  Vorbemerkung,  die  sich  wohl 
auf  die  Ausgabe  der  Briefe  von  1654  bezieht,  wird  das  Publi- 
kum davon  verständigt,  dafs  dieser  Brief  zur  Zeit  der  Belagerung 
von  Paris  und  des  gröfsten  Hasses  der  Bevölkerung  gegen  den 
Kardinal  geschrieben  worden  sei,  und  dafs  sich  Stimmung  und 
Zustände  seitdem  sehr  geändert  hätten.  Das  führt  uns  also  auf 
das  Jahr  1649,  in  eine  Zeit,  wo  es  keinen  geringen  Mut  brauchte, 
um  öffentlich  zu  erklären,  wie  es  unser  Autor  gleich  im  Eingang 
seines  Briefes  tut:  Ja,  ich  bin  ein  'Mazarin^  und  zwar  aus  der 
Überzeugung,  dafs  diese  Sache  die  gerechte  ist,  weil  ich  nur 
fine  Sprache  für  mein  Herz  und  meine  Karriere  habe,  weil  wir 
unserem  legitimen  Souverän  Gehorsam  schulden  und  ich  von 
dem  Toben  des  Pöbels  und  den  verleumderischen  Schriften  der 
Feinde  des  Kardinals  mich  nicht  zu  einem  falschen  Urteil  be- 
kehren lasse.  Cyrano  ist  also  Legitimist  und  Monarchist,  ein 
Aristokrat,  aber  kein  Höfling  und  ein  guter  Patriot,  der  in  seinem 
originellen  Fühlen  ohne  weiteres  den  rechten  Weg  und  zur 
Rechtfertigung  seiner  Grundsätze  auch  das  rechte  Wort  findet. 
Die  Logik,  mit  welcher  Punkt  für  Punkt  die  Vorwürfe  der 
Frondeurs  gegen  den  Kardinal,  besonders  in  der  sogenannten 
Mazarinade  ou  le  Ministre  d'Estat  flamhe  (von  Scarron?),  widerlegt 
werden,  ist  von  schneidender  Schärfe  und  Konsequenz.  Alles 
macht  so  sehr  den  Eindruck  der  Aufrichtigkeit,  dafs  man  nicht 
begreift,  wie  P.  Lacroix   und   noch  Platow,   trotzdem    er  Bruns 


188  Cyrano  de  Bergerac. 

Widerspruch  zitiert,  dazu  kommen  konnten,  diesen  Brief  in  die 
zweite  Fronde  1652  zu  verlegen  und  als  eine  Art  freiwillige 
Bufse  {amende  honorable)  Cyranos  für  die  Mazarinade  anzusehen, 
welche  er  1649  gegen  den  Kardinal  geschrieben  habeJ  Das 
ist  nicht  nur  chronologisch  (die  Lettre  contre  les  Frondeurs  ist  sicher 
zu  datieren),  sondern  vor  allem  psychologisch  unmöglich  bei 
einem  Manne  wie  Cyrano,  der  in  Liebe  und  Hafs  launisch,  aber 
nicht  käuflich  und  kein  Streber  war.  Der  Stil  des  Briefes  er- 
hebt sich  bisweilen  zu  pathetischem  Schwung,  und  die  Gedanken 
sind,  obschon  manchmal  einseitig,  doch  stets  originell  und  ver- 
raten bisweilen  eine  ihrer  Zeit  weit  vorauseilende  Geistesgröfse. 
Ein  paar  Beispiele  mögen  dies  zeigen,  da  eine  Analyse  des  ziem- 
lich langen  Schriftstückes  nicht  angeht.  Auf  den  Einwand  der 
Frondeurs  gegen  Mazarin,  dafs  er  ein  Fremdling  sei,  antwortet 
Cyrano:  ein  Ehrenmann  ist  weder  Franzose,  noch  Deutscher, 
noch  Spanier,  er  ist  ein  Bürger  der  Welt,  und  sein  Vaterland  ist 
überall.  Die  Kritik,  welche  die  Bürger  von  Paris  an  dem  Fi- 
nanzsystem des  Kardinals  üben,  wird  verspottet  mit  den  Worten : 
^Monsieur  le  drapier  se  figure  qu'il  en  va  du  Gouvernement  d'une 
Monarchie,  comme  des  gages  d'une  chamhriere,  ou  de  la  pension  de  son 
fils  Pierrot/  Überhaupt  ist  Cyrano  kein  Freund  der  Demokratie, 
welche  er  rundweg  für  die  schlimmste  Geifsel  erklärt,  womit 
Gott  ein  Volk  für  seine  Sünden  straft.  Ein  ganz  moderner 
Ausdruck  begegnet  uns  in  dem  Satz,  dafs  der  Bau  des  Palais 
Mazarin  in  Rom  das  'prestige'  der  französischen  Nation  erhöhe 
und  schon  darum  Beifall  verdiene.  Am  Schlufs  des  Briefes  er- 
geht eine  strenge  Strafpredigt  über  die  grofsen  Herren,  welche 
gegen  den  von  Gott  selbst  gesetzten  König  und  seine  Regierung 
sich  empören,  und  in  der  leidenschaftlichen  Sprache  eines  alt- 
testamentlichen  Propheten  wird  an  dem  Beispiel  des  unseligen 
Scarron  gezeigt,  wie  der  Himmel  die  züchtigt,  welche  sich  gegen 
ihn  vergehen.  'Darum  fallt  ab  von  dieser  ungerechten  Sache, 
damit  das  Strafgericht  euch  nicht  wie  ihn  verschlinge.^  Wenn 
wir  um  dieses  Briefes  willen  Cyrano  als  Politiker  achten  können, 
so  müssen  wir  ihn  als  Denker  und  Menschenfreund  lieben  für 
seine  Lettres  pour  et  contre  les  Sorciers.  Die  beiden 
Briefe  gehören  zusammen,  nicht  so,  wie  in  den  rhetorischen 
Schulen  über  das  gleiche  Thema  für  und  wider  disputiert  wurde, 
ohne  Herzensanteil  und  blofs  zur  Übung,  sondern  so,  dai's  im 
ersten  Briefe  in  pikanter  Weise  der  Stoff  gesammelt  und  in 
einer  phantasie-  und  geisterfüllenden  Weise  zum  Bewulstsein  ge- 
bracht wird,  um  dann  im  zweiten  Briefe  als  Folie  kritischer 
Erörterung   praktischer   Fälle    zu    dienen.     Der    erste   Brief    ist 

'  Hätten  die  beiden  die  Stelle  im  Manuskript  1558  gekannt,  wo  sich 
Cyrano  schon  vor  1650  als  V^erehrer  von  'Lotiis  le  jiiste'  und  damit  auch 
des  Kardinals  zu  erkennen  gibt,  so  hätten  sie  diese  Behauptung  gewifs 
nicht  aufrechterhalten. 


Cyrano  de  Bergerac.  139 

eine  Gespenstergeschichte,  wie  sie  grausiger  auch  E.  T.  A.  Hoff- 
mann oder  Edgar  Poe  nicht  fertig  gebracht  haben,  und  doch 
spuren  wir  an  geschickt  gesäeten  Einzelheiten,  dafs  der  Erzähler 
ein  Schalk  ist.  Müde  von  der  Lektüre  eines  Buches  über  Hexe- 
rei ist  unser  Autor  ausgegangen.  Er  gerät  in  einen  Wald,  wird 
von  einem  Hexenbesen  emporgehoben  und  durch  die  Luft  ent- 
führt. An  einem  geheimnisvollen  und  schaurigen  Orte  naht  sich 
ihm  ein  ehrwürdiger  greiser  Hexenmeister,  der  mit  einer  Zauber- 
rute seine  Kreise  zieht,  umgeben  von  seltsamen  Tieren,  und  seine 
Beschwörungen  murmelt.  Auch  die  Hexenküche  fehlt  nicht. 
Ein  helles  Licht  durchbricht  den  Zauberdunst,  und  ein  junger 
Mann  erscheint,  den  rechten  Fufs  auf  einem  Adler,  den  linken 
auf  einem  Luchs.  Er  tauscht  mit  dem  Magier  Fläschchen  gegen 
Haare  aus.  Dann  verschwindet  er.  Die  Sonne  geht  auf,  aber 
Cyrano  wird  von  dem  Zauberer  in  eine  Ruine  geschleppt,  wo 
die  Jahrhunderte  daran  arbeiten,  die  Zimmer  in  die  Keller  zu 
verlegen.  Dort  nennt  sich  der  Führer.  Es  ist  Agrippa  von 
Nettesheim,  voreinst  Zoroaster,  der  durch  die  Kraft  des  ^flüs- 
sigen Goldes^  lebt.  Der  junge  Mann  ist  der  'König  der  Feuer- 
geister'. Nun  erscheinen,  wie  in  der  (abgekürzten)  Nomenklatur 
des  vierten  Aktes  des  Pedant  joue,  alle  Mysterien  der  Magie: 
die  Irrlichter,  die  Feen,  die  Larven,  die  Inkubus  usw.,  das  vier- 
blätterige Kleeblatt,  das  Armensünderschmalz,  die  Mandragora 
usw.,  der  kettenschleppende  Mönch,  der  Kobold,  der  Paladin 
Hugo  von  Tours,  der  Teufel  Vauvert,  der  Ewige  Jude,  der  in 
Frankreich  zuletzt  1604  zu  Beauvais  gesehen  worden  war,  der 
wilde  Jäger  aus  dem  Wald  von  Fontainebleau,  zuletzt  unter 
Henri  IV.  erschienen,  u.  ä.  Nach  dieser  fürchterlichen  Prozession 
erwacht  Cyrano  in  seinem  Bette,  in  Schweifs  gebadet  und  mit 
Herzklopfen.  Schon  die  Erwähnung  des  Cornelius  Agrippa,  der 
in  seinem  Buche:  De  Incertitudine  et  Vanitate  Scientiarum  sich 
über  den  Glauben  an  Magie  lustig  gemacht  hatte,  würde  ge- 
nügen, um  zu  beweisen,  dafs  auch  unser  Autor  ein  Spötter  ist. 
Aber  die  Maske  der  Ironie  wirft  er  ab,  und  in  bitterem  Ernst 
redet  er  im  zweiten  Briefe.  Sein  Verdienst  hierin  ist  um  so 
gröfser,  als  er  mit  seiner  Ansicht  ziemlich  vereinzelt  dasteht  und 
die  Magie  zu  jener  Zeit  offiziell  anerkannt  war.  Selbst  Gelehrte 
wie  La  Mothe  le  Vayer  und  Guy  Patin  gaben  die  Existenz  der 
Magie  ausdrücklich  zu  und  empfahlen  nur  gewisse  Vorsichten  in 
der  Beurteilung  der  einzelnen  vorkommenden  Fälle.  Man  be- 
trachte nun  diesem  gegenüber  die  stolze  Art,  mit  der  Cyrano 
einer  ganzen  Zeitanschauung,  die  von  Staat  und  Kirche  gleich 
geschützt  war,  im  Namen  der  Vernunft  den  Fehdehandschuh 
hinwirft.  Nein,  er  glaubt  nicht  an  Hexerei  und  fügt  sich  der 
Autorität  weder  eines  Philosophen,  noch  des  Parlaments,  wenn  sie 
nicht  durch  Vernunftgrüude  gestützt  ist  oder  von  Gott  kommt. 
'La  raison  seule  est  ma  Reine  ä  qui  je  donne  volontiers  les  mains  et 


140  Cyrano  de  Bergerac. 

puis  je  s(^ay  par  experience  que  les  esprits  les  plus  sublimes  ont  choppe 
le  plus  lourdement ;  comme  ils  tomhent  de  plus  haut  ils  fönt  de  plus 
grandes  chutes.'  Mit  aufserordentlicher  Geschicklichkeit  und  Schärfe 
bespricht  er  verschiedene  einzelne  Fälle,  nachdem  er  im  allge- 
meinen das  Törichte  des  Glaubens  an  Geschichten  gegeifselt  hat, 
die  von  unwissenden  und  halb  verrückten  Leuten  niedersten 
Standes  oder  gar  von  Unglücklichen  auf  der  Tortur  ausgehen. 
Nicht  minder  treiFend  ist  seine  Kritik  der  Argumente  für  die 
Magie.  ^Les  sorciers  (disent-ils)  n'ont  aucune  puissance,  des  qu'ils 
sont  entre  les  mains  de  la  justice.  0  par  ma  foy  cela  est  bien  trouve, 
donc  Maistre  Jean  Guillot,  de  qui  le  pere  a  vole  les  biens  de  son  Pu- 
pille, s'est  acquis  par  le  moyen  de  vingt  mille  ecus  derobez  que  luy 
cousta  son  office  de  Juge  le  pouvoir  de  Commander  aux  Diables,  vray- 
ment  les  Diables  portent  grand  respect  aux  Larrons/  Einige  Fälle, 
die  Cyrano  bespricht,  bieten  auch  kulturgeschichtliches  Interesse. 
Ein  flirte  soll  am  Hexensabbat  teilgenommen  haben.  Das  sind 
durch  die  eigenen  Mittel  hervorgerufene  Traum  Vorstellungen,  ant- 
wortet Cyrano  und  scheint  damit  auf  ein  merkwürdiges  Experi- 
ment anzuspielen,  das  sein  Lehrer  Gassendi  in  einem  Alpendorfe 
angestellt  hatte.^  Man  sieht,  dals  diese  beiden  hervorragenden 
Geister  das  Wesen  der  Autosuggestion  und  des  Hypnotismus 
erkannt  hatten,  wenn  sie  es  auch  noch  nicht  wissenschaftlich  zu 
begründen  vermochten.  Auch  der  Einflufs  der  Hysterie  scheint 
Cyrano  nicht  verborgen  geblieben  zu  sein,  wenn  er  zur  Erklärung 
der  Tatsache,  dafs  es  viel  mehr  angeblich  besessene  Frauen  als 
Männer  giebt,  sagt:  ^une  femme  ä  Vesprit  plus  leger  qu'un  komme 
et  plus  hardy  par  consequent  ä  resoudre  des  Comedies  de  cette  nature : 
et  enfin  eile  pense  estre  si  forte  de  sa  foiblesse,  que  Vimposture  estant 
decouverte,  on  attribuera  ses  extravagances  ä  quelques  suffocations  de 
matrice  ou  q'au  pis  aller  on  pardonnera  ä  l'infirmite  de  son  sexe.' 
Dabei  spricht  unser  Autor  nicht  aus  Unglauben,  oder  weil  er  die 
Religion  verachtet;  denn  er  anerkennt  ausdrücklich  die  in  der 
Heiligen  Schrift  zitierten  Fälle:  Geist  Samuels,  der  Dämon  in 
Saul  und  in  den  Schweinen  der  Gargasener,  aber,  sagt  er,  wir 
müssen  annehmen,  dafs  die  Herrschaft  des  Teufels  zu  Ende 
ging,  als  Gott  leibhaftig  zur  Erde  kam.  Die  gleiche  Geschick- 
lichkeit, einer  mifsleiteten  Theologie  ihre  Waffen  zu  entwinden, 
beweist  er  in  der  Diskussion  des  Exorzismus,  wenn  er  darauf 
aufmerksam  macht,  dafs  die  Kreuzesform,  vor  welcher  die  Teufel 
einen  solchen  Respekt  haben  sollen,  ja  überall  in  der  Natur  vor- 
komme, wo  eine  Längslinie  von  einer  kürzeren  Querlinie  senk- 
recht geschnitten  werde.  Wenn  die  Kirche  es  ihm  befiehlt,  will 
er  an  die  grofsen  Wirkungen  der  Magie  glauben;  bis  dahin  hält 
er  diese  Erzählungen   für   die   'gazette  des  Sots'  oder   das   Credo 


*  .Alfr.^Rainbaud,  Histoire  de  la  Civilisation  fran^mse,  tom.  II  p.  154, 
und  P.  Brun  p.  152  u.  2.    j 


Cyrano  de  Bergerac.  141 

derer,  welche  zuviel  Glauben  habeu.  Seiner  Meinung  nach  sind 
alle  diese  Besessenen,  wie  ^cette  Penitente  de  Goffredy,^  eette  religieuse 
de  Loudun,^  ceite  fille  d'Evreux','^  abgeschmackte  Komödiantinnen, 
und  er  empfiehlt  sehr  energische  Mittel,  um  ihnen  diese  Possen 
auszutreiben.  Und  er  spricht  als  Kenner,  denn  er  hat  einer 
solchen  Verhandlung,  in  der  Richter  und  Angeklagte  eine  gleich 
unwürdige  Rolle  spielten,  beigewohnt.  Sicherlich  ist  Cyrano  in 
seinem  Urteil  den  Zeitgenossen  weit  voraus,  und  wenn  Charles 
Nodier  und  P.  Brun  diesen  Brief  mit  den  Lettres  provinciales 
Pascals  vergleichen,  so  erweisen  sie  ihm  damit  nur  genau  soviel 
Ehre,  als  ihm  zukommt. 

Auf  die  Gefahr  hin,  den  guten  Eindruck,  den  die  vorher- 
gehenden Briefe  auf  den  Leser  gemacht  haben  mögen,  wieder 
zu  verwischen,  wollen  wir  aus  chronologischen  und  sachlichen 
Gründen  hier  die  Entretiens  pointus  besprechen,  deren  Auf- 
zeichnung und  Herausgabe  von  V.  Fournel  und  P.  Lacroix  un- 
serem Cyrano  zugeschrieben  wird,  und  welche  mit  dem  Stoff  des 
ersten  Teils  der  Lettres  eine  gewisse  Ähnlichkeit  haben.  An 
sich  tragen  sie  zum  Ruhm  unseres  Schriftstellers  nicht  gerade 
bei,  und  wir  hätten  an  den  Pointen,  die  er  in  seinen  übrigen 
Schriften  verstreut  hat,  gerade  genug  für  dies  Genre.  Nach  den 
genannten  Kritikern  soll  Cyrano  aus  den  Gesprächen  mit  seinen 
witzigen  und  freigeistigen  Freunden  das  Beste  oder  vielleicht 
nur  das  Passabelste  herausgesucht  und  mit  einer  Vorrede  aus 
seiner  Feder  bekannt  gemacht  haben.  Ahnlich  und  mit  ähn- 
lichen Einschränkungen  hatten  dies  vor  ihm  schon  Beroalde  de 
Verville  und  Sorel  getan.  Die  Vorrede  enthält  eine  Verteidigung 
der  Pointe.  Sie  ist  nicht  in  Übereinstimmung  mit  der  Vernunft 
und  nur  ein  angenehmes  Spiel  des  Geistes,  wunderbar  nur  in 
dem  Sinne,  dafs  sie  alles  auf  den  Standpunkt  des  Vergnügens 
bezieht  ohne  Rücksicht  auf  den  Stoff.  Wenn  sie  aus  einer 
schönen  Sache  eine  häfsliche  macht,  so  kann  das  ohne  Bedenken 
geschehen,  denn  man  hat  immer  recht  getan,  wenn  man  gut  ge- 
redet hat.  Man  wägt  die  Dinge  nicht,  wenn  sie  nur  glänzen. 
Übrigens  haben  es  die  erleuchteten  Geister,  welche  sich  in  solchen 
Gesprächen  ergingen,  nur  auf  Unterhaltung  abgesehen.  Der 
Leser  soll  ihnen  also  die  offenbaren  Widersprüche  und  Unrichtig- 
keiten nicht  anrechnen,  mit  denen  sie  sich  untereinander  und 
über  alle  Welt  lustig  machen  wollten.  Auch  hat  der  Heraus- 
geber Sorge  getragen,  ihre  Namen  zu  maskieren,  damit  sie  sich 
unerkannt  unter  die  Menge   mischen  könnten    und    sicher  wären 


'  Madeleine  de  Mandols,  wegen  welcher  der  Priester  Gauff'redy  1611 
lebendig  verbrannt  wurde. 

^  Die  Ursulinerinnen  von  Loudun,  deren  Verfolgungen  1G84  Urbain 
Grandier  auf  den  Scheiterhaufen  brachten. 

^  Vielleicht  Madeleine  Baveut,  die  mit  zwei  angeblichen  Komplizen 
1G47  ebenfalls  durch  Feuer  hingerichtet  wurde. 


142  Cyrano  de  Bergerac 

vor  dem  brutalen  Zorn  allfällig  Angegriffener.  Die  ^Xenien^ 
dieser  Tafelrunde,  soweit  sie  publiziert  wurden,  sind  nun  herzlich 
schwach,  so  dais  es  sich  nicht  der  Mühe  verlohnt,  nachzuforschen, 
wer  unter  den  Namen  Sokrates,  Phocion,  Timander,  Plato,  Si- 
marander,  Epaminondas,  Philogias  verborgen  sein  könnte.  Platte 
Wortwitze  wechseln  ab  mit  unsauberen  Späfsen,  und  die  paar 
Spöttereien  über  kirchhche  Dinge  haben  wenig  Salz.  Es  ist  an- 
zunehmen, dalis  das,  was  die  Freunde  von  ihren  Gesprächen  zu 
unterdrücken  vorzogen,  gescheiter  war  als  diese  'hetises  de  gens 
d'esprW,  die  ich  aus  den  Werken  Cyranos  hinwegwünschte.  Die 
zwei  Bonmots,  welche  die  Menagiana  II,  p.  144,  als  vom  Hofe 
bewunderte  Produkte  von  Cyranos  Witz  zitieren,  sind  um  kein 
Haar  besser. 

IV.    Le   Fragment    de   Phy sique    ou   la    Science 
des    choses   naturelles. 

Die  kleine  Abhandlung,  welche  den  Zweck  hatte,  die  Physik, 
oder  was  man  zu  jenen  Zeiten  unter  diesem  Namen  verstand, 
zu  popularisieren,  ist  erst  1662  in  den  Nouvelles  Oeuvres  mit 
einer  Vorrede  von  Jacques  Rohault  herausgekommen,  im  An- 
schlufs  an  die  Histoire  comique  des  Estats  et  Empires  du  Soleil, 
um  zu  beweisen,  dal's  der  Sieur  de  Bergerac  ein  Philosoph,  d.  h. 
ein  gelehrter  Physiker,  gewesen  sei  und  nicht  nur  ein  Poet  und 
ßomanschreiber.  Wann  die  Abhandlung  entstanden  und  warum 
sie  Fragment  geblieben  ist,  ist  nicht  klar.^  Ich  bin  geneigt,  sie 
in  das  vorletzte  Lebensjahr  Cyranos  zu  verlegen,  und  denke, 
dafs  sie  aus  der  gleichen  Ursache  ein  Torso  wurde  wie  der 
Roman.  Dals  der  Autor  einen  ausführlichen  Traktat  im  Auge 
hatte,  beweist  schon  der  Umstand,  dafs  demselben  eine  sehr  aus- 
führliche Übersicht  über  den  zu  behandelnden  Stoff  vorangeht, 
betitelt:  Id^e  g^n^rale  de  la  Physique,  und  eingeteilt  in  drei 
Partien :  eigentliche  Physik,  Kosmographie  und  Mineralien.  Nur 
die  erste  Partie  ist  zur  Ausführung  gelangt  in  folgenden  Ka- 
piteln: I.  Von  der  Physik  und  ihrem  Ursprung.  II.  Vom  Fort- 
schritt in  der  Physik  und  Anweisung  für  denjenigen,  der  sie 
studieren  will.  III.  Vom  Prinzip  der  sinnlichen  Wesenheiten  {etres 
sensibles)  und  der  Materie.  IV.  Vom  Fortschritt  der  Materie  im 
allgemeinen.  V.  Von  der  Bewegung  und  der  Ruhe.  VI.  Von  den 
Ursachen  der  Bewegung  und  der  Ruhe.  VII.  Von  der  Verlang- 
samung der  Bewegung.  Das  letzte  Kapitel  ist  nicht  vollständig. 
Das  ganze  Unternehmen  hatte  zum  Zweck,  die  Lehren  von  Des- 

'  P.  Brun  p.  32:5  bezieht  die  Phrase  Rohaults  in  der  Vorrede:  Lec- 
teur,  comme  en  4toit  eiicore  aprbs  les  Estats  du  Soleil'  auf  die  Ent- 
stehung des  Fragments,  das  er  demgemäls  frühestens  1(J50  ansetzt;  aber 
diese  Phrase  selbst  und  die  Angabe,  dafs  Rohault  dies  Fragment  nicht 
gekannt  habe,  als  er  seine  Vorrede  zum  Voyaye  au  Soleil  schrieb  (1662), 
zeigt,  dafs  dies  unrichtig  ist. 


Cyrano  de  Bergerac.  148 

cartes  unter  die  Menge  zu  bringen  und  die  wissenschaftlichen 
Theorien  zu  erklären,  die  in  den  Diopt^rique  und  den  M^t^ores 
1638,  den  M^ditations  1641  und  den  Principes  1644  vorlagen. 
Ebenso  hatte  unser  Autor  wohl  die  Physique  du  Prince  von  La 
Mothe  le  Yayer  gelesen,  obschon  sie  erst  1657  von  dessen  Sohn 
publiziert  worden  ist;  denn  in  den  acht  ersten  Kapiteln  dieses 
Buches  finden  sich  viele  Analogien  mit  den  sieben  des  unserigen. 
Umgekehrt  hat  Jacques  Rohault  für  seinen  traite  de  Physique, 
1691,  sich  oft  eng  an  Cyrauos  Darstellung  angeschlossen.  Wir 
wollen  nun  diese,  soweit  sie  in  Ausarbeitung  erhalten  ist,  kurz 
besprechen. 

I.  In  der  Frage  der  Vorurteile  ergreift  Cyrano  Partei  für 
Descartes  gegen  Gassendi  und  widerholt  die  'Eclaircissemenis'  des 
ersteren  gegen  die  'objections'  des  letzteren.  Wir  werden  sehen, 
dafs  er  in  seinem  Roman  teilweise  einen  anderen  Standpunkt 
einnimmt.  Als  Beweis,  dafs  unsere  Sinne  uns  täuschen,  zitiert 
Cyrano  aulser  der  Nadel,  die  uns  sticht,  das  heifse  Feuer,  das 
schmackhafte  Rebhuhn,  den  duftenden  Moschus,  die  tönende 
Trommel,  entsprechend  den  Cartesianischen  Stellen  über  den  Tast- 
sinn, den  Geschmack,  den  Geruch  und  das  Gehör.  Cyrano  unter- 
scheidet und  bespricht  aparte  das  Gesicht,  denn,  sagt  er.  Hl  n'en 
est  pas  de  meme  de  Vimpression  des  ohjets  sur  Voeuil  et  du  sentiment 
qui  en  resulte,  lequel  est  ce  qu'on  nomme  lumiere  ou  chaleur.'  Er 
zitiert  für  diese  Lehre  verschiedene  Beispiele  sowohl  aus  dem 
wachenden  Zustande  als  aus  dem  Traume.  Eines  dieser  Experi- 
mente scheint  von  ihm  selbst  hinzugefügt:  'Wenn  wir  einen 
Feuerbrand  im  Kreise  herumschwingen,  so  verlegen  wir  den 
Feuerreif,  den  wir  so  hervorbringen,  ebenso  hartnäckig  aufserhalb 
unser  selbst  wie  den  Feuerbrand  selbst.^  Auch  aus  den  wech- 
selnden Erscheinungen  des  gleichen  Gegenstandes  in  Konvex- 
und  Konkavspiegeln  zieht  er  Konsequenzen  und  kommt  zu  dem 
Schlüsse:  Wir  erkennen  ohne  Räsonnement  nur  die  blofseu 
Sinneseindrücke  und  nicht,  was  sie  erzeugt,  woraus  folgt,  dafs 
die  Physik  wenig  zur  absoluten  Sicherheit  (in  der  Erkenntnis 
der  Dinge)  beiträgt,  und  dafs  wir  von  den  äufseren  Dingen, 
welche  die  Physik  studiert,  nur  durch  Konjektur  und  Räsonne- 
ment etwas  wissen. 

II.  Mit  Berufung  auf  das  so  festgestellte  Prinzip  preist  Cy- 
rano die  cartesianische  Methode  der  Erfahrung,  um  die  Ursachen 
der  uns  bekannten  Wirkungen  zu  erkennen,  nämlich  voraus- 
gehende logische  Ableitung  (deduction),  nachträglich  kontrolliert 
durch  die  Beobachtung,  wie  in  der  rationellen  Mechanik,  aber 
immerhin  mit  der  Vorsicht,  welche  einem  nicht  voreingenomme- 
nen Geiste  geziemt.  Die  Fehlerquellen  der  Beobachtung  werden 
beachtet  und  der  Satz  aufgestellt,  dafs  jede  Theorie  mit  der  Er- 
fahrung stehe  und  falle,  und  daft  wir  keine  als  unumstöl'slich 
annehmen   dürfen,   auch   wenn   noch   kein   Gegenbeweis  vorliegt. 


144  Cyrano  de  Bergerac. 

Wie  bei  Descartes  wird  übrigens  auch  hier  der  Vorbehalt  des 
religiösen  Glaubens  gemacht.  Anderseits  ist  Cjrano  weit  davon 
entfernt,  auf  die  Worte  des  Meisters  zu  schwören.  Er  stellt 
zwei  methodische  Grundsätze  auf:  1)  es  ist  viel  besser,  zu  sagen, 
ich  weifs  es  nicht,  als  in  dunkle  Erklärungen  zu  verfallen;  2) 
die  Erklärungen  müssen  in  kurze  und  klare  Sätze  gefalst  sein. 
Das  zweite  Prinzip  ist  offenbar  cartesianisch  (Diseows  de  la  Me- 
thode), das  erste  aber  gehört  der  Schule  von  Montaigne,  Charron 
und  der  Gassendisten  an. 

III.  über  das  Wesen  des  Stoffes  äufsert  Cyrano  hier  die 
gleichen  Gedanken  wie  Descartes.  Stoff  ist  Ausdehnung,  'corpus 
est  res  extensa\  Auch  die  Beweise,  mit  denen  er  diesen  Satz  stützt, 
sind  die  cartesianischen.  Er  betrachtet  hier  das  Vakuum  als 
eine  Schimäre,  während  er  im  Roman  anderer  Ansicht  ist.  Auch 
in  bezug  auf  die  unendliche  Teilbarkeit  der  Materie,  die  unbe- 
schränkte Ausdehnung  des  Stoffes  und  der  Welt  ist  Cyrano  hier 
Cartesianer.  Für  beide  Philosophen  ist  also  die  Welt  unbegrenzt, 
es  sei  denn,  dafs  die  göttliche  Offenbarung  uns  belehre,  dafs  die 
Welt  begrenzt  ist.  Auch  der  Satz,  dafs  von  zwei  Körpern  glei- 
cher Ausdehnung  der  eine  nicht  mehr  Stoff  enthält  als  der  an- 
dere, auch  bei  ungleicher  Schwere,  ist  cartesianisch. 

IV.  Zu  den  Eigenschaften  des  Stoffes :  unendliche  Teilbarkeit 
und  Beweglichkeit  der  Teile,  rechnen  Descartes  und  Cyrano  noch 
die  Gestalt  (figure).  Die  unendUche  Teilbarkeit  war  von  Gas- 
sendi  mit  guten  Gründen  bekämpft  worden,  und  wir  werden 
diese  Einwände  im  Roman  wiederfinden.  Hier,  wo  Cyrano  nicht 
seine  Überzeugung  zu  vertreten,  sondern  eine  Schulmeinung  zu 
popularisieren  hat,  geht  er  nicht  darauf  ein. 

V.  Cyrano  gibt  für  den  Satz,  dals  ein  Körper  sich  nicht 
von  einem  anderen  loslösen  könne,  ohne  dafs  dieser  andere  sich 
gleichzeitig  von  ihm  loslöst,  folgenden  Beweis :  wenn  ich  mich 
in  einer  Pirouette  um  meine  Achse  drehe,  so  kommt  das  für  die 
mich  umgebenden  Teile  der  Welt  ganz  aufs  gleiche  hinaus,  als 
wenn  ich  mich  unbeweglich  verhielte  und  die  Welt  sich  um  mich 
drehte.  Für  die  Reziprozität  von  Bewegung  und  Ruhe  führt  er 
zwei  Beispiele  an.  Der  Schiffer,  der  in  seinem  Schiffe  von 
W^ind  und  Wellen  entführt  wird,  ist  unbeweglich,  insofern  er 
sich  nicht  von  den  Teilen  des  ihn  umgebenden  Körpers,  die  mit 
ihm  gehen,  ablöst,  und  beweglich,  insofern  er  sich  von  einem 
bestimmten  Punkte  des  Ufers  entfernt.  Ferner:  ein  Schwimmer, 
der  in  einem  Flusse  ebensoviel  Kraft  verwenden  würde,  um 
gegen  den  Strom  aufzukommen,  wie  der  Strom  verwendet,  um 
ihn  abwärts  zu  treiben,  würde  unbeweglich  sein  in  Beziehung 
auf  die  beiden  Uferpunkte,  denen  er  immer  parallel  bliebe,  und 
beweglich  in  Beziehung  auf  die  Wasserteilchen,  von  denen  er 
sich  abwechselnd  ablöst  und  mit  ihnen  verbindet.  Dafs  diese 
Beispiele  weniger  stringent  seien  als  das  bekannte  Cartesianische 


Cyraiio  de  Bergerar.  145 

von  dem  Mann  auf  dem  Hinterteil  eines  Schiffes,  der  zu  fahren 
glaubt,  wenn  er  nach  dem  Ufer  zurückblickt,  und  zu  ruhen,  wenn 
er  nur  auf  sein  Schiff  sieht,  kann  ich  P.  Brun  p.  238  nicht 
glauben,  der  aul'serdem  die  zwei  Beispiele  Cyranos  in  leicht- 
fertiger Weise  kombiniert,  indem  er  von  einem  'nageur  dans  son 
bateau'  spricht. 

VI.  Unser  Autor  resümiert  die  Ursachen  der  Bewegung  in 
folgender  Weise:  Gott  hat  gewissen  Teilen  der  Welt  eine  Be- 
wegung verliehen,  welche  er  anderen  versagt  hat.  Diese  partielle 
Bewegung  wird  beständig  unterhalten  durch  den  nämlichen  Gott, 
dessen  Wille  die  primäre  Ursache  von  allem  ist,  was  wir  in  dem 
Mechanismus  des  Weltalls  wahrnehmen.  Aus  diesem  Prinzip 
entspringen  folgende  Konsequenzen:  1)  ebenso  wie  Gott  ist  die 
Welt  ewig;  2)  da  die  Welt  keinen  Anfang  gehabt  hat,  so  ist 
kein  bestimmender  Grund  vorhanden,  warum  sie  aufhören  sollte; 
3)  die  Unbeweglichkeit  braucht  nicht  aufzuhören ;  4)  das  Quadrat 
sich  nicht  in  eine  andere  Form  zu  verwandeln;  5)  die  Dinge 
müssen  in  dem  Zustande  verharren,  in  welchem  sie  sich  be- 
fanden, eben  weil  sie  sich  darin  befanden.  An  der  Bewegung  ist 
also  nichts  Erstaunliches.  Die  Nachforschung  der  Wissenschaft 
mufs  sich  einzig  auf  den  Punkt  richten,  warum  hört  die  Bewegung 
eines  Körpers  auf?  In  Descartes^  und  Cyranos  System  ist  ein 
Grund  für  das  Aufhören  der  Bewegung  a  priori  nicht  vorhanden. 

VII.  Immerhin  verlangsamt  sich  diese  Bewegung  in  Anbe- 
tracht dessen,  dafs  verschiedene  Grade  der  Geschwindigkeit  denkbar 
sind.  Die  durch  Bewegung  ausgelöste  Kraft  (effort)  heifst  Schwere, 
wenn  die  Bewegung  von  oben  nach  unten  geht.  Man  kann 
dieses  System  auf  jede  Ortsveränderung  anwenden.  Der  Ort  ist 
nämlich  die  Oberfläche  des  umgebenden  Körpers.  Der  in  Be- 
wegung befindliche  Körper  teilt  diese  Bewegung  einem  anderen 
Körper  mit,  aber  mit  gradueller  Abnahme  der  eigenen  Kraft  bis 
auf  Null.  Zum  Beweise  dieser  graduellen  Verlangsamung,  welche 
das  System  des  vorhergehenden  Kapitels  umstöfst,  will  Cyrano 
zwei  Beispiele  bringen  und  beginnt  die  Beschreibung  eines  (von 
ihm  erdachten?)  besonders  konstruierten  Rades. 

Hier  bricht  leider  das  Fragment  ab.  Es  ist  nicht  genügend, 
um  uns  von  Cyranos  wissenschaftlichen  Kenntnissen  ein  fertiges 
Bild  zu  geben.  Von  Rohault  wurden  diese  sehr  hoch  eingeschätzt, 
und  wir  glauben,  dafs  bei  weiterer  Fortsetzung  unser  Autor  sich 
noch  mehr  von  Descartes  Autorität  freigemacht  haben  würde; 
denn  dafs  er  die  Schwächen  in  dessen  System  in  der  Schule 
Gassendis  zu  erkennen  gelernt  hatte,  werden  wir  in  dem  Roman 
sehen,  zu  dessen  Besprechung  wir  nun  übergehen. 

Bern.  H.  Dübi. 

(Portsetzung  folgt.) 


ArchiT  t.  n.  Sprachen.    CXIV.  10 


Ungedruckte  Meister  -  Foseolo  -  Briefe. 

1815—1817. 


Hugo  Foseolo  (1778—1827),  der  Verfasser  des  Ortis  und 
der  Sepolcri,  hatte  sich,  um  dem  vod  ihm  als  Offizier  von  der 
neuen  österreichischen  Regierung  geforderten  Eide  zu  entgehen, 
Ende  März  1815  aus  Italien  nach  der  Schweiz  geflüchtet,  wo  er 
im  Mai  unter  dem  Namen  Lorenzo  Alderani  in  Zürich  eine  Zu- 
fluchtsstätte fand,  die  er  im  Sommer  1816  mit  England  ver- 
tauschte. Obschon  mit  einem  einzigen  Empfehlungsschreiben  an 
das  Bankierhaus  Pestalozzi  im  Steinbock  versehen,  wufste  er  sich 
doch  mit  Zürchern  zu  befreunden,  besonders  mit  den  Gelehrten 
Joh.  Heinrich  Fül'sli  und  Jacob  Heinrich  Meister.  Im  geselligen 
Hause  des  ersteren,  wo  Witz  und  Heiterkeit  herrschten,  spielte 
er  gern  Whist.  Mit  letzterem,  der  von  1773  an  während  vierzig 
Jahren  die  Grimmsche  Correspondance  litteraire  fortführte,  trat  er 
in  regen  Briefwechsel,  ihn  seinen  Wohltäter,  seinen  guten  Nestor, 
seinen  väterlichen  Freund  nennend. 

Seine  Briefe  an  denselben  wurden  von  Adolf  Tobler  in  der 
Reinhartschen  Sammlung  in  Winterthur  aufgefunden  und  in  Eberts 
Jahrbuch  für  romanische  und  englische  Lite^^atur  1871  veröffent- 
licht.^  Derselbe  Romanist  hatte  schon  vorher  in  seinem  Ugo  Fos- 
colos  Aufenthalt  in  Zürich^  viel  Interessantes  über  diesen  berühm- 
ten Dichter  und  Gelehrten  mitgeteilt. 

Obwohl  mau  Meisters  Antworten  an  Foseolo  in  der  Labro- 
niea  (Livorno)  aufbewahrt  wufste,^  blieben  sie  in  Ermangelung 
einer  getreuen  Abschrift  ungedruekt;  nachdem  aber  ihr  Wortlaut 
festgestellt  worden  ist,  steht  einer  Veröffentlichung  nichts  mehr 
im  Wege. 

Die  in  diesen  Briefen  oft  genannte  'bella  donna'  ist  Mathilde 
Viscontini.  Als  Siebzehnjährige  mit  dem  Napoleonischen  General 
Jean-Baptiste  Dembowsky  vermählt  (1807),  lebte  sie  mit  ihrem 
gewalttätigen  und  brutalen  Manne  in  unglücklicher  Ehe,  die 
schliefslich    zur    gerichtlichen    Trennung    führte.      Während    der 


'  Die  Originale  sind  seitdem  leider  abhanden  gekommen. 
"^  Separatabdruck  aus  der  Schweiz,  Zeitschrift  für  Literatur  und  Kunst, 
Bern  1862. 

^  Epistola/rio  dt  Ugo  Foseolo  II,  326. 


tJngedruckte  Meister- Foscolo- Briefe.  147 

Dauer  des  Prozesses  hielt  sie  sich  in  Bern  auf  uud  besuchte  in 
Zürich  Foscolo,  mit  dem  sie  seit  vielen  Jahren  befreundet  war 
(Epist  II,  245).' 

Stendhal,  der  sie  in  Mailand  sah  und  für  sie  mit  uner- 
widerter Leidenschaft  schwärmte,  schreibt:  'Elle  ressemble  en  bien 
ä  la  charmante  Herodiade  de  Leonard  de  Vinci'  und  anderswo:  'J'ai 
decouvert  chez  eile  un  tact  parfait  pour  les  beaux-arts.'  Sie  scheint 
sich  gern  mit  ernsten  Dingen  beschäftigt  zu  haben.  Meisters 
Dialogues  sur  Vimmortalite  und  sein  Livre  de  Frierest  werden  ihr, 
schreibt  Foscolo,  willkommen  sein,  'eile  a  assez  d'eUvation  d'esprit 
pour  apprecier  ce  genre  d'ouvrages,  et  trop  d'amertume  pour  ne  pas  en 
seniir  le  besoin.' 

Neben  ihrer  Anmut  und  Lieblichkeit  besafs  sie  einen  ener- 
gischen Charakter;  sie  war  eine  jener  italienischen  PVaueu,  die 
im  Kampf  mit  der  österreichischen  Regierung  für  ein  unab- 
hängiges Italien  Gefahren  und  Opfer  nicht  scheuten.  Sie  starb 
im  Jahre  1825,  35  Jahre  alt.  S.  Barbiera,  Figur e  e  figurine  del 
Secolo  che  muore,  Milano,  Treves,  1899.  Ihre  (8)  Briefe  an  Mei- 
ster befinden  sich  in  der  Reinhartschen  Sammlung. 

Die  soeben  erwähnte  Schrift  über  die  Unsterblichkeit  trägt 
den  Titel:  Euthanasie  ou  mes  derniers  entretiens  avec  eile  sur  Vim- 
mortalite  de  Väme,  Paris,  Renouard,  1809,  und  da  sie  in  den 
folgenden  Briefen  oft  erwähnt,  aber  wohl  unbekannt  ist,  so 
dürfte  darüber  folgendes  der  Correspondance  litteraire-^  entnommen 
werden. 

. . .  Le  cadre  de  ces  entretiens  est  fort  simple  . . .  L'ami  d'une  femme 
interessante,'  attaquee  depuis  longtemps  d'une  maladie  de  langueur,  se 
voit  menac^  du  malheur  de  la  perdre,  et  sent  plus  vivement  que  jamais 
le  besoin  de  s'attacher  aux  seules  esp^rances  qui  puissent  adoucir  nos  plus 
profondes  douleurs.  II  trouve  dans  ces  memes  espörances  le  charme  le 
plus  propre  ä  repandre  quelque  douceur  sur  les  tristes  moments  qui  doi- 
vent  pr^eöder  une  Separation  si  cruelle,  et  recueille  tous  les  efforts  de  sa 
pens^e  pour  faire  partager  ä  son  amie  un  espoir  dont  son  esprit,  pr^venu 
malheureusement  par  d'autres  systfemes,  avait  paru  jusqu'alors  peu  sus- 
ceptible. 

Dans  le  premier  eutretien,  on  prouve  par  differentes  analogies  qüe  la 
vie  peut  exister  encore,  m§me  lorsque  tous  les  phenom^nes  qui  Tannon- 
eent,  ont  disparu.  On  montre  la  n^cessit^  de  chercher  dans  un  principe 
invisible  le  premier  moteur  de  nos  sentiments  et  de  nos  id^es. 


*  S.  Chiarini,  QU  amori  di  Ugo  Foscolo,  Bologna  1892. 

^  Heures  ou  meditations  religieuses  ä  l'usage  cfe  toutes  les  communions 
de  l'Eglise,  Zürich,  Orell,  Füfsli  &  Comp.,  3  parties  1816,  1817  u.  1819. 
Sie  sind  dem  Kaiser  Alexander  gewidmet,  der  dafür  dem  Verfasser  durch 
Capo  d'Istria  einen  mit  Diamanten  besetzten  Ring  einhändigen  liefs. 

^  Aus  einem  in  Winterthur  befindlichen  Manuskript. 

"  Madame  Germaine  de  Vermenoux  in  Paris,  deren  Sohn  von  Meister 
erzogen  wurde.  S.  Henri  Meister,  Bevue  des  deux  mondes,  l*""  novembre 
1902,  und  heitres  inedites  de  M""  de  Stael  ä  Henri  Meister,  par  MM.  Paul 
Usteri  et  Eugene  Ritter,  Paris,  Hachette,  1903. 

10* 


148  Ungedruckte  Meister-Foscolo-Briefe. 

Dans  le  second,  on  täche  d'^tablir  plus  positivement  l'existence  de  ce 
principe,  l'unit^  du  pouvoir  auquel  sont  subordonnöes  les  diff^rentes  fa- 
cultas de  notre  6tre,  quelque  diff^rentes  en  effet,  quelque  oppos^es  möme 
que  ces  facultas  semblent  6tre  souvent  Tune  ä  l'autre. 

Dans  le  troisi^me  entretien,  apr^s  un  coup  d'oeil  rapide  sur  les  bornes 
de  notre  savoir,  on  d^couvre  dans  les  esp^rances  que  Ton  rencontre  aux 
demiferes  limites  de  ce  faible  savoir,  la  preuve  d'une  facult^  bien  sup^rieure 
ä  toutes  Celles  dont  notre  Organisation  purement  physique  peut  nous  laisser 
entrevoir  le  myst^re.  On  s'arrete  ä  la  contemplation  du  contraste  6ton- 
nant  de  nos  voeux  et  de  nos  moyens,  de  la  hardiesse  de  nos  aper§us,  de 
nos  int^röts  et  des  pesantes  chalnes  de  notre  ignorance,  du  merveilleux 
pouvoir  de  nos  passions  et  des  limites  ^troites  de  notre  activit^.  On  fait 
sentir  que  tout  ce  qu'il  y  a  de  plus  admirable  dans  les  dispositions  de 
la  nature  de  l'liomme,  n'offrirait  aucun  resultat  digne  de  la  pens^e  qui 
les  a  congues,  si  la  fin  de  cette  vie  devait  6tre  le  dernier  terme  de  nos 
destin^es. 

Dans  le  quatri^me  entretien,  on  präsente  surtout  la  tendance  morale 
du  Systeme  de  l'immortalite  de  l'äme  comme  une  des  plus  fortes  preuves 
de  la  v^rit^  de  ce  syst^me. 

Le  cinqui^me  expose  d'une  mani^re  peut-^tre  aussi  sensible  que  nou- 
velle  l'heureuse  conviction  dont  jouit  le  vrai  chr^tien,  en  trouvant  dans 
le  fait  le  plus  remarquable  de  sa  croyance  le  gage  de  cette  r^v^lation  si 
vivement  d^siröe  par  Socrate. 

Le  sixifeme  d^veloppe  les  raisons  par  lesquelles  la  sagesse  divine  n'a 
pas  permis  sans  doute  que  nous  pussions  obtenir  de  plus  vives  lumi^res 
sur  la  certitude  d'une  vie  ä  venir. 

Le  septifeme  offre  le  tableau  des  impressions  qu'^prouve  une  äme 
remplie  de  ces  sublimes  esp^rances,  ä  la  vue  des  ravissantes  merveilles 
d'une  belle  soiröe. 

Le  huitifeme  präsente  dans  une  espfece  de  vision  quelques  aper§us  des 
f^licit^s  d'une  autre  vie. 

Malgr^  tout  ce  que  laisse  ä  d^sirer  l'ex^cution  d'un  pareil  plan,  ou 
plutöt  le  simple  r^cit  de  ces  diff^rents  entretiens,  j'aime  ä  croire  que  des 
ämes  sensibles  y  trouveront  un  int^röt  assez  doux,  et  les  philosophes  de 
bonne  foi  l'indication  du  moins  des  preuves  et  des  probabilit^s  les  plus 
frappantes  eu  faveur  de  la  plus  sainte  et  de  la  plus  consolante  de  nos 
opinions  religieuses. 

Pour  prouver  que  ces  entretiens  ne  sont  pas  une  simple  fiction,  peut- 
ötre  nous  pardonnera-t-on  de  rapporter  ici  le  t^moignage,  quoique  trop 
flatteur  sans  doute,  de  deux  araies  qui  connurent  particuli^rement  la  per- 
sonne d^sign^e  sous  le  nom  d^ Euthanasie  : 

Lettre  de  M»^e  ^^  St[ael]-H[olstein]. 
'C'est  avec  un  veritable  entrainement  que  j'ai  commencd  et  fini  la 
lecture  le  möme  jour.  II  y  a  tant  de  puret^,  de  douceur  et  d'^l^gance 
dans  le  style,  qu'on  se  laisse  s^duire  par  des  pens^es  justes  et  profondes, 
comme  par  un  roman.  Je  voyais  aussi  dans  ces  Entretiens  l'image  d'une 
personne  qui  a  prot^gö  mon  enfance  . . . '  Vous  portez  une  grande  clart^ 
dans  les  abimes,  et  cela  fait  du  bien,  au  moins  pour  un  moment:  car  les 
tön^bres  y  reviennent  bien  vite.' 

Extrait  d'une  lettre  de  M"^«  E[imet]  H[uber].2 
'La  forme  que  vous  avez  donn^e  ä  l'ouvrage  captive  et  soutient  l'at- 
tention  tout  k  la  fois;  et  cette  Elle  [M™®  de  vermenoux]  que  vous  avez 

*  W^^  Germaine  de  Vermenoux  war  Patin  der  M"^^  de  Stael. 

*  Jugendfreundin  der  Frau  v.  Stael.  S.  M"^«  Necker  de  Saussure,  Notice  aur 
le  caractere  et  les  ecrits  de  M"**  de  Stael. 


Ungedruckte  Meister-Foscolo-Briefe.  149 

montr^e  sous  im  jour  si  touchaot,  et  dans  laquelle  je  me  plais  ä  retrouver 
tous  les  traits  d'iine  personne  que  j'ai  regard^e  dfes  ma  plus  tendre  jeu- 
nesse  comme  le  tvpe  de  la  gräce  et  le  veritable  modele  ä  suivre  pour  une 
femme,  cette  Elle,  combien,  combien  vous  faites  envier  son  sort  par 
l'ami  qui  la  conaole  et  la  soutient.* 

1.   Meister  an  Foscolo. 

Berne,  23  d6cembre  1815. 
Monsieur, 

C'est  peu  de  joure  apr^s  mon  arrivee  ä  Berne  que  je  devais  recevoir, 
vous  me  l'avez  fait  esp^rer,  Tint^ressante  lettre  dont  j'ai  vu  le  commence- 
ment,  il  y  a  quelques  mois,  dans  votre  scartafaccio.  Tr^s  bötement 
j'ai  la  faiblesse  de  l'attendre  encore.  Mais  il  y  aurait  plus  que  de  la 
b^tiee,  il  y  aurait  de  l'ingratitude  ä  differer  plus  longtemps  de  vous  re- 
mercier  de  la  lettre  dont  vous  aviez  eu  la  bont^  de  me  charger  ä  mon 
Premier  d^part  de  Z[urich]  pour  M'"»^  la  gfen^rale]  Dembowsky.*  Je  lui 
dois  Sans  doute  l'accueil  favorable  dont  eile  a  daign^  m'honorer,  et  par 
cons^quent  les  plus  agr^ables  soir^es  que  j'ai  pass^es  ici.  J'ai  vu  v^ritable- 
ment  peu  de  personnes  dou^es  d'une  äme  plus  forte,  plus  douce,  plus 
sensible.  Aux  charmes  touchants  de  sa  figure,  de  son  esprit,  de  son  ca- 
ractfere,  eile  Joint  encore  un  talent  dont  vous  ne  m'aviez  point  parl4,  un 
talent  tr^s  distingu^  pour  la  musique. 

Tout  ce  qui  m'entoure  ici  n'en  est  pas  moins  enchant^  que  moi,  sur- 
tout  ma  belle-fille,^  sa  bonne  mfere  [Frau  Meister],  et  l'une  de  nos  ni^ces,' 
ä  qui  M™^  D.  a  ^t^  particuli^rement  recommand^e  par  une  maison  de 
Gen^ve.  Ainsi  j'ai  le  bonheur  de  me  trouver  dans  la  seule  soci^t^  avec 
qui  les  circonstances  et  son  extreme  reserve  lui  ont  permis  de  se  Her. 

Ma  vieillesse  m'a  fait  obtenir  la  faveur  de  la  voir  m§me  assez  souvent 
chez  eile,  et  je  ne  jouis  jamais  d'un  si  doux  privilfege  de  mon  äge,  sans 
me  consoler,  encore  un  peu  plus  s^rieusement  que  dans  mon  cat^chisme 
De  senectute,"*  de  n'etre  plus  jeune.  Nous  nous  entretenons  souvent  de 
vous,  de  vos  ouvrages,  de  vos  projets,  car  eile  aime  mieux  s'occuper  des 
autres  que  d'elle-möme.  Que  l'on  serait  heureux  de  meriter  sa  confiance ! 
et  mille  fois  plus  heureux  encore  de  pouvoir  contribuer  ä  lui  faire  oublier 
ses  peines,  ä  lui  rendre  ce  bonheur,  ce  repos  qu'il  est  si  difficile  de  trouver 
dans  ce  monde  avec  une  sensibilit^  comme  la  siennel 

Quelles  sont  en  ce  moment  les  dispositions  de  la  vötre  ?  II  est  permis 
ä  l'int^ret  le  plus  sinc^re  de  vous  adresser  cette  question.  Vos  projets, 
l'irr^sistible  ascendant  de  votre  g^nie  et  de  vos  destinees,  ne  vous  entral- 
neront-ils  pas  bientöt  loin  de  nous?  Aurai-je  du  moins  le  bonheur  de 
vous  retrouver  encore  ä  mon  retour  ä  Zürich? 

En  attendant,  j'ose  vous  f^liciter,  je  crois,  de  la  nouvelle  aurore  d'in- 
d^pendance  qui  vient  de  luire  sur  votre  ancienne  patrie.  Ah!  puisse-t-elle 
^tre  suivie  d  un  jour  plus  long,  plus  tranquille  qu'elle  ne  le  fut  au  com- 
mencement  de  ce  si^cle!'    Sera-t-on  plus  libre  en  effet  sous  la  protection 


*  S.  Foscolos  Brief,  datiert  Baden,   22.  Sept.   1815. 

'  Meisters  Stieftochter  Charlotte  Bürkli.  Sie  war  mit  einem  Sohne  der  durch 
M'^ß  de  Staels  Delphine   bekannten   Frau  Zeerleder   (M™®  de  Cerl^be)    verheiratet. 

^  Frau  Beuther,  Tochter  des  bekannten  Historikers  Gottlieb  Emanuel  Haller, 
Sohnes  des  grofsen  Haller  and  der  Margaretha  Schulthefs,  der  ältesten  Schwester 
der  Frau  Meister. 

*  Lettres  sur  la  vieillesse  par  J.  H.  Meister.    Paris,  Renouard,  1810  und  1817. 
^  Foscolo  war  von  Zante,  einer  der  ionischen  Inseln,  gebürtig.    Nachdem  die- 
selben  unter   venezianischer  Herrschaft   gestanden,   wurde  1800   der  Freistaat  der 


150  Ungedruckte  Meister-Foscolo-Briefe. 

de  la  natioD  la  plus  ^clair^e  que  sous  celle  du  peuple  le  plus  Ignorant  et 
le  plus  esclave?  Le  progr^s  des  lumi^res  et  de  l'industrie,  plus  favoris«^ 
pour  l'int<5ret  meme  des  protecteurs,  ne  finira-t-il  pas  par  etre  une 
meilleure  garantie  de  votre  independance  que  toute  protection  etrang^re, 
meme  la  plus  puissante  de  Tunivers?  Je  veux  Tesperer,  car  enfin,  ä  force 
de  vouloir  surveiller  et  prot^ger  la  libert^  dans  toutes  les  quatre  partics 
du  globe,  no  risque-t-on  pas  d'user  enfin  tous  le«  ressorts  de  sa  propre 
puissance,  tous  les  bienfaits  de  sa  propre  libert^?     Dii  meliora. 

Sur  ce,  permettez-moi,  Monsieur,  de  vous  renouveler  ici  tous  les  hom- 
mages  de  ma  plus  tendre  reconnaissance,  de  me  plus  vive  admiration. 

Yours  for  ever 

J.  H.  M. 
Maison  de  M.  Zeerleder-Burkli. 

2.  Foscolo   an   Meister. 

16  juin  1816. 
A  Monsieur  Meister.^ 
Si  vous  avez  l'occasion  de  parier  ä  M'"^  et  ä  M.  Finsler,  ayez  la  bont^ 
de  les  prier  (sans  trop  d'empressement)  qu'ils  tächent  ä  Berne  de  d^couvrir, 
s'il  est  possible,  les  raisons  de  ce  M.  Ettori.  A  present  je  suis  sür  qu'il 
est  en  correspondance  avec  quelques  ministres  des  cours  etrang^res  ä 
Berne,  et  je  ne  puis  plus  presque  douter  qu'il  ne  soit  envoy^  par  les 
Autrichiens,  mais  ä  quel  objet?  et  avec  quelles  intentions?  J'aperyois 
aussi  qu'il  commence  ä  m'assi^ger  dans  les  formes.  II  n'a  pas  cepen- 
dant  la  volonte  de  me  faire  du  mal,  mais  peut-6tre  il  en  aura  l'int^ret. 
Je  ne  crains  rien  au  reste,  mais  je  voudrais  ^tre  ä  l'abri  fin  an  che 
dalle  molestie  . . . 

Je  recommande  le  paquet  ä  la  protection  de  M"'^*^  Finsler. 

Adieu.    Hugues. 

3.  Meister  an  Foscolo. 

A  Monsieur  Monsieur  Ugo  Foscolo. 
Tout  ce  que  j'ai  pu  apprendre  de  M.  Ettori^  ne  justifie  que  trop  vos 
appr^hensions.  II  a  dit  ici  qu'il  avait  6t6  charg^  de  d^p^ches  pour  le 
ministre  de  Prusse  qui  vient  d'acheter  une  petite  campagne  aux  environs 
de  Berne.  D'aprfes  Tid^e  que  vous  m'avez  donn^e  vous-meme  de  l'homme, 
et  que  d'autres  rapports  ont  encore  confirmee,  je  pense  que  vous  n'avez 
point  ä  le  craindre,  mais  qu'il  ne  vous  convient  nuUement  d'entretenir 
aucune  liaison  avec  un  pareil  ötre.    Hie  niger  est,  bunc  tu  fugito,  Eomane.^ 

Addio. 

4.  Meister  an   Foscolo. 

[Baden  en  Argovie],  ce  dimanche  matin  30  juin   1816. 
Caro  car'"*',  N'^tais-je  pas  assez  disappointed  d^jä  de  passer  uniour 
apr^s  Pautre  ici  sans  vous  y  voir  arriver?    Faut-il  encore  apprendre  helas! 


sieben  vereinigten  Inseln  unter  Hoheit  der  Pforte  gegründet.  1807  kamen  sie  an 
Frankreich  und  1809  an  England.  Am  15.  November  1815  wurden  sie  unter 
englischem  Protektorate  unabhängig,  1863  aus  demselben  entlassen  und  mit  Grie- 
chenland vereinigt. 

•  Dieses  der  Reinhartschen  Sammlung  entnommene  Billet  Foscolos  trägt  auf 
dom  zerrissenen  Siegel  die  fünf  ersten  Buchstaben  seines  Mottos:  Accingar  zona 
forütudinis  ('Mannhaftigkeit  mein  Gürtel'). 

*  Sehr  waürsoheinlich  ein  österreichischer  Spion. 

^  Hie  niger  est,  hunc  tu,  Romane,  caveto.     (Horaz,  Sat.  I,  4,  85.) 


Ungednukte  Meister-Foscolo-Briefe.  151 

?|ue  ce  sont  de  trop  bonnes  ou  de  trop  fächeuses  raisons  qui  vous  ont 
ait  renoncer  au  projet  dont  je  m'^tais  promis  tant  d'agr^ables  moments! 
Si  j'en  avais  eu  la  possibilit^,  ce  n'est  pas  par  öcrit  que  je  vous  r(5pon- 
drais;  mais  demain  au  soir  je  compte  etre  de  retour  d'assez  bonne  heure 
pour  aller  m'assurer  moi-meme  que  votre  indisposition  physique  et  morale 
n'aura  pas  eu  de  suite,  et  que  vous  aurez  pu  vous  dispenser  m^me  de 
reeourir  au  temuto  salasso. *  En  attendant,  permettez-moi  de  vous  le 
dire,  mon  tr^s  eher,  il  me  semble  que  vous  voyez  et  que  vous  prenez  en 
g^D^ral  les  choses  de  la  vie  beaucoup  trop  po^tiquement.  N'oubliez-vous 
pas  trop  souvent  que  les  trois  quarts  et  demi  de  notre  existence  actuelle 
sont  do  la  prose  tr^s  positive  et  trfes  commune,  qu'il  faut  malheureusement 
la  eonsid^rer  et  la  traiter  dans  ce  seus  pour  s'^pargner  toute  sorte  de 
contrari^t^s.  J'espfere  qu'il  n'y  a  rien  de  personnel  dans  Tavis  aussi  mys- 
terieux  que  d^sobligeant  dont  vous  a  gratifi^  votre  albergatore.'-^  II  ne 
serait  pas  iiupossible  ä  la  v^rit^  que  notre  baute  police  ait  cru  devoir 
faire  reserver  les  meilleurs  appartements  de  toutes  les  grandes  auberges 
aux  deput^s  de  la  Difete  et  aux  membres  du  corps  diplomatique  qu'on  ne 
sait  oü  loger.  Mais  il  est  trfes  possible  aussi  que  tout  simplement  le  signor 
albergatore  ait  ealcul^  qu'il  pourrait  les  louer  avec  plus  de  profit  ä  l'un 
de  ces  messieurs  qu'il  tout  autre  etranger,  et  surtout  ä  un  po^te  qui  ne 
boit  point  de  vin. 

Quoi  qu'il  en  soit,  je  n'en  suis  pas  moins  d^sol^  de  tous  ces  contre- 
temps,  et  surtout  de  1  odieuse  Impression  qu'ils  paraissent  vous  avoir 
donnee  contre  un  pays  oü  j'aurais  tant  d^sir^  que  vous  eussiez  pu  trouver 
un  asile  assez  tranquille,  assez  confortable  pour  vous  consoler  de  la 
belle  patrie  dont  les  circonstances  vous  tiennent  si  peniblement  ^loign^. 
Addio,  domani  vi  rivedrö,  e  poi  domani  ancora,  lo  spero  almeno;  mais 
le  silence  della  gentile  e  piü  eara  donna  commence  ä  me  donner  quelque 
inqui^tude.    Xm^e  et  vale. 

5.    Meister  an   Foscolo. 

Zürich,  9  aoüt  1816. 
A  Monsieur  Monsieur  Ugo  Fo8colo. 
Sig.  mio,  caro  carissimo,  Votre  lettre^  et  les  nouvelles  que  vous  me 
donnez  de  l'amabile  Beltä  m'ont  fait  un  extreme  plaisir,  mais  comme 
nought  is  pure  in  this  bad  world,  j'ai  eu  beaucoup  de  chagrin  de 
l'impertinente  tracasserie  que  vous  venez  d'^prouver  ä  B[erne].  Au  reste, 
j'en  suis  peu  surpris.  H41as !  ce  qui  doit  garantir  le  plus  essen tiellement 
votre  repos,  vos  talents,  votre  rdputation  et  le  nom  de  l'illustre  ami/  voilä 
justement  ce  qui  donne  de  l'ombrage  ä  certaines  gens.  Dans  toute  cette 
ridicule  affaire,  l'effrontamente  (sie)  me  console  un  peu.'^  Si  ces  mes- 
sieurs ^taient  plus  accoutum^s  au  vilain  mutier  dont  ils  veulent  bien  se 
charger,  ils  s'en  acquitteraient  avec  moins  de  gaucherie. 


*  Temo,'  schreibt  Foscolo  an  Meit^ter  am  28.  Juni,  'che  a  levare  i  semi  di 
queste-  noie  ricorrenti  [rheumatische  Schmerzen]  ci  vorrä  il  temuto  salasso.^ 

^  Nachdem  Foscolo  bis  zum  19.  Juni  in  Hottingen  bei  Zürich  {Epist.  II,  p.  239) 
zur  Miete  gewesen,  war  er  in  den  Gasthof  zum  Raben,  Zürich,  Hechtplatz  1,  gezogen. 

*  Datiert  [Berna],  martedi  6  agosto.  Foscolo  hatte  Zürich  im  Juli  verlassen, 
und  nach  kurzer  Kur  in  Baden  weilte  er  in  Bern  vor  seiner  Abreise  nach  England. 

^  Capo  d'Istria,  1814  russischer  Geschäftsträger  bei  der  Eidgenossenschaft  und 
nachher  russischer  Minister  des  Auswärtigen.  Er  besuchte  Foscolo  in  Zürich. 
Epist.  n,   162. 

**  Foscolo  beklagte  sich  (6.  Aug.),  dafs  seine  Briefe  von  der  Polizei  'sfrontata- 
mente'  mit  Beschlug  belegt  worden  seien. 


152  IJogedruckte  Meister-Foscolo-Briefe. 

Au  reste,  soyons  iustes,  merae  avec  ceux  qui  le  sont  le  moins.  N'ou- 
blions  pas,  mon  excellent  ami,  que,  si  d'une  part,  dans  prosqnc  toutes  les 
classes,  il  y  a  non  seulement  plus  de  m^contentement  r^el,  mais  encore 
plus  d'inquietude  et  d'int^ret  et  d'opinion  qu'il  n'y  en  a  jamais  eu,  Ton 
ne  doit  pas  etre  surpris  que  de  l'autre  il  y  ait  aussi  plus  de  soupyon, 
plus  de  d^fiauce,  et  par  cons^quent  toutes  les  mesures  illiberales  qu'in- 
spire  un  pareil  ^tat  de  choses.  J'en  conclus  qu'avec  la  conscience  la  plus 
pure,  la  poesie  la  plus  sublime  dans  Pesprit  et  dans  le  coeur,  il  faut  bien 
se  r^signer  au  triste  soin  d'^viter  jusqu'ä  l'ombre  des  dispositions  si  re- 
dout^es  aujourd'hui  des  plus  grandes  comme  des  plus  minces  puissances 
de  la  terre;  elles  n'en  restent  pas  moins  responsables  au  tribunal  de  la 
post^rite,  plus  silrement  encore  ä  celui  de  r^ternel  arbitre.  de  l'univers. 
Quelque  effort  qu'on  fasse  en  ce  moment  pour  etablir  la  sainte  Alliance 
et  la  paix  universelle,  eile  est  bien  loin  d'^re  encore  finie,  la  grande  lutte 
entre  Jupiter  stator  et  Zsvg  ve^ekrjys^srijs.^ 

Vous  voulez,  sig.  mio  caro,  que  je  vous  dise  sans  menagement  mon 
jugement  sur  ce  que  vous  appelez  fort  mal  ä  propos  vos  lunghissime 
filastrocche.^ 

Eh  bien!  je  vous  dirai  sans  aucune  esp^ce  d'indulgence  que  je  les  ai 
relues  avec  infiniment  d'interöt  et  sans  aucun  egard  ä  la  corde  dont  je 
vous  sais  tant  de  gr^.  ^  On  cherchera  toujours  dans  l'examen  le  plus  s^v^re 
et  le  plus  impartial  que  puisse  faire  un  auteur  de  son  ouvrage  quelque 
finesse  d'amour-propre  cach^e,  mais  c'est  une  remarque  si  commune  que 
je  rougis  presque  de  l'avoir  röp^tee  ici.  II  n'en  est  pas  moins  sür  qu'un 
pareil  examen,  fait  aussi  consciencieusement  que  le  votre,  et  compar^  encore 
avec  les  opinions  de  tant  de  critiques  etrangers,  est  peut-etre  une  des 
choses  les  plus  instructives  et  le  plus  moralement  utiles  qu'on  puisse  lire. 

Je  vous  remercie  beaucoup  de  l'indulgence  que  vous  avez  eue  pour 
mes  Etudes.^  Plus  j'en  suis  touch^,  plus  j'ai  de  regret  de  ne  pouvoir 
causer  avec  vous  tr^s  particuli^rement  sur  Celles  de  mes  opinions  qui  dif- 
f^rent  le  plus  des  votres.  S'il  est  des  sentiments  auxquels  je  tiens  avec 
assez  de  constance,  il  n'est  aucune  de  mes  opinions  que  je  n'abandonne 
encore  facilement,  comme  dans  ma  jeunesse,  pour  une  autre,  n'eüt  eile 
meme  d'autre  attrait  pour  moi  que  d'etre  plus  ancienne  ou  plus  nouvelle. 

A  present,  addio,  caro  carissimo._  L'excellent  Acate,^  qui  vous  remettra 
ces  lignes,  se  Charge  de  vous  porter  mes  voeux  et  ceux  de  ma  jeune  vieille 
amie/ 

S'il  ^tait  encore  permis  de  me  livrer  ä  quelque  esp^rance,  comme 
j'embrasserais  vivement  celle  de  vous  revoir  encore  dans  ce  monde,  et 
plus  volontiers  encore  qu'ailleurs  dans  ce  pays,  quelque  sombre  que  soit 


*  Der  Streit  zwischen  dem  erhaltenden  und  dem  wolkensammelnden  Gotte, 
den    konservativen   und   den    revolutionären  Mächten. 

^  Die  lange  Notizia  hihliografica  der  1816  in  Zürich  gedruckten,  den  Titel 
Londra  1814  tragenden  Ausgahe  der   Ultime  lettere  di  Jacopo   Ortis. 

^  La  corde  sensible.  Diese  empfindsame  Saite  hatte  Foscolo  in  folgender  Stelle 
seiner  Notizia  hihliografica  des  Orüs  p.  XCVIII  angestimmt:  'Euthanasie,  operetta  sul- 
rimmorfaHtä  delV  anima,  e  forse  il  piii  beüo  de  molti  lavori  lettcrari  del  Sr.  Meister.  Uno 
scrittore  italiano  la  sta  traducendo.'  Nichts  konnte  Meister  mehr  freuen,  als  in  Fos- 
colo einen  berühmten  Übersetzer  seiner  Euthanasie  zu  finden.  Auch  war  sie  nicht, 
wie  die  Mehrzahl  seiner  Schriften,  in  eine  andere  Sprache  übertragen  worden.] 

*  Etudes  sur  Vhomme  dans  le  monde  et  dans  la  retraite,  Paris,  Renouard,   1804. 
'  So  nennt  Foscolo   seinen    Sekretär  Andrea  Calbo,   mit   dem    er    in    England 

bald   leidige  Erfahrungen   machen   sollte.     Calbo   war   ftir  den  Druck  des   Ortis  in 
Zürich   zurückgeblieben   und   traf  nachher    mit    seinem  Herrn  in  Basel  zusammen. 

*  Im  Alter  von  62  Jahren  hatte  sich  Meister  mit  der  Witwe  Ursula  Bürkli, 
einer  Jugendliebe,  verheiratet. 


Ungedruckte  Meister-Foscolo-Briefe.  153 

l'horizon  sous  lequel  vous  ^tiez  dispos^  h  le  voir  en  m'^crivant  votre 
de^ni^re  lettre.  Je  suis  d^soM  qii'au  moment  de  quitter  ma  patrie,  eile 
vous  laisse  une  impression  par  trop  sinistre.  Croyez  que  nous  ne  sommes 
pas  auBsi  m(^chaiits  que  nous  sommes  faibles  et  gauches, '  que  ces  formes 
qui  vous  blessent  cachent  seulement  un  grand  fond  de  prudence  et  de 
bonhomie.  Oubliez  tout  le  reste  et  souvenez-vous  seulement  de  nos  beaux 
Sites,  de  l'amabile  donna,  de  quelques  amis  parmi  lesquels  je  me  flatte 
d'^tre  au  moins  le  plus  reconuaissant  et  le  plus  d^vou^.    Xai^e  xai  cpiXei. 

Yours  for  ever. 
Je  f^licite  notre  bonne  nifece  M'"''  ßeuther  d'avoir  eu  le  plaisir  de 
faire  votre  conuaissance.  Tant  mieux  si  eile  ne  vous  a  pas  trouv^  trop 
amabile.  M.  Addington'  me  Charge  de  vous  faire  ses  remerciments  les 
plus  empress^s.  II  n'a  pas  encore  lu  le  nouveau  volume  [Ortis],  mais  il 
a  ^t^  transport^  des  Sepolcri  que  je  lui  avais  p^^t^8  il  ^  a  quelques 
jours.  Notre  eher  Andr^  [Calbo]  doit  6tre  charg6  des  Souvenirs  reconnais- 
sants  de  W^^^^  Mousson''  et  Finsler." 

6.    Meister  an   Foscolo. 

Zürich,    16  novembre   1816. 
Sig.  ed  amico  caro  carissimo, 

Je  vous  aurais  dejä  remercie  de  l'int^ressante  et  douce  lettre  que  vous 
ni'avez  ^erite  de  Francfort,''  si  je  n'avais  pas  cru  devoir  attendre  celle 
que  vous  mV  promettiez  d'abord  apr^s  votre  arriv^e  ä  Londres.  Je  ne 
l'ai  point  re9ue,  mais  je  n'en  ai  pas  eu  moins  de  joie  des  bonnes  nouvelles 
que  vous  avez  donnees  ä  la  famille  Füssli.  Et  je  ne  puis  diff^rer  plus 
longtemps  de  vous  5ire  combien,  malgre  tous  les  regrets  que  m'a  laiss^s 
votre  d^part,  je  suis  heureux  de  vous  savoir  dans  un  pays  o^X  votre  g^nie 
et  vos  talents  peuvent  se  d^ployer  en  libert^,  oü  votre  renomm^e  et  Tin- 
t^ret  des  amis  dont  vous  ötes  entour^,  vous  assurent  tout  le  repos  et 
toute  Tindependance  dont  vous  avez  besoin,  oü  vous  serez  enfin  plus  ä 
meme  que  partout  ailleurs  de  rendre  ä  votre  ancienne  patrie  les  Services 
les  plus  ^minents.  J'aurais  bien  pr^fer^  sans  doute  que  vous  eussiez 
trouv^  dans  la  mienne  un  asile  digne  de  vous;  mais  on  ne  m^rite  pas 
d'avoir  des  amis,  quand  on  ne  sait  les  aimer  que  pour  soi.  II  faut  donc 
se  r^signer  ä  ne  les  aimer  que  de  loin.  Serait-il  vrai  que  cette  espfece  de 
d^sint^ressement  doit  paraitre  un  peu  moins  difficile  ä  mon  äge  qu'ä 
tout  autre?^    Mon  coeur  a  plus  d'une  raison  d'en  douter. 

Notre  cara,  Celeste  e  misera  donna  vient  de  repartir  pour 
Milan,  mais  avec  des  pressentiments  bien  penibles,  bien  sombres,  quoique 
accompagnee  de  tri^s  puissantes  et  tr^s  aimables  recommandations.  En 
est-il,  helasi  ^ui  puissent  surmonter  tous  les  obstacles,  tous  les  interets 
et  toutes  les  inimities  qui  s'opposent  au  bonheur  de  cette  äme  si  noble 
et  si  sensible?  Ah!j  je  suis  bien  sür  que,  si  vos  relations  en  Angleterre 
vous  pouvaient  offrir  quelque  moyen  aussi  favorable  qu'impr^vu  jusqu'ici 


*  Die  Plackereien  der  kantonalen  Polizeibehörden  hatten  Foscolo  erbittert. 
'  V*e  pur  della  gran  putredine  polifica  in  questa  arcimoralissima  Svizzera,'  schreibt  er 
am  6.  August  an  Meister. 

*  Sekretär  Canniugs,  britischen  Gesandten  in  der  Schweiz. 

*  Gattin  des  Kanzlers  der  Schweizerischen  Eidgenossenschaft. 

*  Wahrscheinlich  die  schon  genannte  Frau  General  Finsler-Escher,  der  Meister 
seine  Promenade  au-delä  des  Alpes  widmete. 

»  Dat.  30.  August  1816. 

•I  Meister  war  geboren  am  6.  August  1744,  er  starb  am  10.  November  1826. 


154  Ungedructte  Meister-FoBcolo-Briefe. 

de  la  tirer  de  l'affreux  labyrinthe  oü  le  sort  l'a  jet^e,  elle-m§me  n'en  serait 
pas  plus  heureuse  que  son  digne  ami. 

Le  ciel  du  pays  que  vous  habitez  en  ce  moment,  n'est  pas  ä  mon 
gr4  plus  n^buleux,  plus  arvyva^cor^  que  tout  l'horizon  politique  de  notre 
pauvre  vieille  Europe.  Je  m'en  afflige  comme  si  j'avais  eu  l'espoir  d'^tre 
encore  longtemps  t^raoin  des  prosp^rit^s  oü  semblaient  l'appeler  et  le 
progr^s  g^n^ral  des  lumiferes  et  l'exp^rience  de  ces  derni^res  annees,  ou 
plutöt  de  ces  derniers  si^cles  de  bouleversement  et  de  malheur.  J'ose  re- 
gretter  quelquefois  de  n'avoir  pas  eu  le  courage  ou  l'indiscr^tion  de  vou> 
remettre  ä  votre  d^part  le  manuscrit  de  mes  Esquisses  europ^ennes, 
commenc^es  en  1798  et  finies  en  1815.^  Ce  ne  sont  que  des  frag- 
ments,  mais  je  me  persuade,  ou  je  me  flatte  d'y  avoir  consigne  quelques 
v^rit^s  utiles,  avec  une  mani^re  tr^s  franche  et  tr^s  independante  de  toute 
autre  opinion  du  moment  que  de  la  mienne.  Quoique  j'y  dise  assez  de 
mal  de  votre  fifere  Albion, ^  c'est  toujours  avec  le  sentiment  du  propre 
respect  que  doivent  inspirer  et  sa  Constitution  politique  et  l'esprit  public 
qu'a  fait  naitre  cette  admirable  Constitution,  et  qui  sans  doute  lui  sur- 
vivra  longtemps,  de  quelques  dangers  que  la  menacent  aujourd'hui  les  abus 
et  les  illusions  de  la  plus  Enorme  puissance  et  de  la  plus  enorme  richesse. 

En  attendant,  grondez-moi,  caro  amico,  grondez-moi  comme  je  le 
merite.  Faible  et  vieux  comme  je  le  suis,  ne  devrais-je  pas  etre  gu^ri  de 
la  manie  de  barbouiller,  et  surtout  d'importuner  le  public  de  mes  jeunes 
et  vieilles  reveries  ...  Eh!  bien,  je  tächerai  d'y  renoncer  ...  La  seule 
jouissance  de  ce  genre  que  vous  me  pardonnerez  d'esperer  avant  de  mourir, 
c'est  de  voir  encore  mon  Euthanasie  ressuscit^e,  embellie  par  vous,  et 
d'en  faire  l'hommage  ä  la  donna  gentile  dont  le  seul  int^ret  a  pu  vous 
engager  ä  l'honorer  de  taut  de  faveur.  Si  vous  avez  eu  v^ritablement 
Textr^me  bont^  d'achever  cette  traduction,  toute  rßflexion  faite,  ne  con- 
viendrait-il  pas  mieux  de  la  faire  imprimer  ä  Londres,  et  n'en  tirerait-on 
lä  plus  de  parti  qu'en  France  ou  bien  ici?  Je  ne  doute  pas  cependant 
que  mon  ami,  M.  Eenouard,  ne  se  chargeät  tr^s  volontiers  d'en  ötre  l'^di- 
teur,  et  vous  savez  qu'il  imprime  assez  bien.  II  m'annonce  une  nouvelle 
Edition  de  mes  Lettres  sur  la  vieillesse. 

Addio,  caro,  carissimo  amico,  je  vous  embrasse  de  toute  mon  äme,  et 
je  d^sire  ardemment  que  tous  les  charmes  de  l'amiti^,  des  talents  et  des 
arts,  avec  tous  ceux  de  cette  libertö  si  chfere  au  g^nie,  se  r^unissent  sans 
cesse  autour  de  vous,  et  puissent  vous  consoler  de  tout  ce  que  vous  avez 
quitt^,  ä  commencer  par  le  beau  soleil  de  votre  patrie  ...  Le  comte  de 
Capo  d'Istria  est-il  encore  ä  Corfou?"*  M'"*^  M[eister]  vous  dit  toutes  les 
tendresses  qu'il  est  permis  de  dire  ä  son  äge.  Ne  me  laissez  point  oublier 
de  votre  bon  et  fid^le  Acate. 

Comment  les  grands  yeux  noirs  trouvent-ils  les  beauties  of  England  ? 
Yours  for  ever. 

»  Trübe. 

*  Esquisses  europeennes,  commencees  en  1798,  et  Jinies  en  1815,  pour  servir  de 
suite  ä  la  Correspondance  du  baron  de  Grimm  et  de  Diderot.  Paris  et  Genöve, 
Paschoud,  1818. 

^  '.  .  .  Le  beau  sifecle  de  la  gloire  litt^raire  de  TAngleterre,  celui  qui  avait 
produit  Shakespeare  et  Milton,  Dryden  et  Pope,  Bacon  et  Newton,  Locke  et  Shaf- 
teabury,  n'a-t-il  pas  flni  depuis  l'6poque  oü  sa  puissance  commerciale  et  maritime 
ont  achev6  d'envahir,  pour  ainsi  dire,  toute  l'activit6,  toute  I'ambition  nationale?  .  .  . 
Au  milieu  de  tous  ses  succfes,  si  l'Angleterre  ne  met  aucune  borne  aux  orgueilleux 
projets  de  son  ambition,  ne  doit-elle  pas  redouter  enfin  le  jugement  annonc6  dans 
I'Apocalypse  sur  le  sort  de  cette  Babylone  la  grande,  qui  est  assise  sur  les  grosses 
eaux,  qui  disait  dans  son  coeur:  je  sifege  comme  une  reine,  rule  on  (he  waves,  je  ne 
suis  point  veuve  et  ne  verrai  point  de  deuil  .  .  .'     p.  251  ff. 

*  Korfu  war  die  Heimat  des  Grafen. 


Ungedruckte  Meister- Foscolo-Briefe.  155 

7.   Foscolo   an   Orell,  FüfsH   &  Cie. 

London,  4  mars  1R17. 
Foscolo  an  Mess'^^  Orell,  Füssli  &  Comp.,  Zürich  Suisse, 

Mon  eher  ami,*  Je  viens  de  recevoir  par  M.  Colnaghi  une  de  vor 
iettres;  il  m'a  trouv^  malade  et  au  lit,  comme  je  le  suis  presque  toujours 
pour  mon  malheur;  en  perdant  l'usage  de  mon  corps,  je  sens  que  je  per- 
drai  Tusage  aussi  de  mon  esprit,  je  n'ai  que  de  Taraertume  dedans  moi, 
et  autour  de  moi  des  t^n^bres.  Je  souhaite  de  toute  mon  äme  les  tinfebres 
de  la  nuit  ^ternelle,  car  en  \^nt6  je  n'en  puis  plus;  mon  courage  n'est 
pas  tout  ä  fait  us^,  mais  mes  forces  le  sont  tout  k  fait. 

M.  Colnaghi  m'a  promis  qu'il  vous  aurait  ecrit  au  sujet  de  M.  Le 
Vasseur,  car  ni  le  portrait,  ni  les  Didymes,'^  ni  les  Ortis^  ne  sont  point 
arrives;  m^me  d'apr^s  votre  lettre,  qui  m'annonyait  l'expddition  depuis  le 
mois  de  novembre,  je  n'en  ai  jamais  entendu  de  nouvelles. 

Quant  ä  votre  papier,"*  je  vous  ai  souvent  öcrit,  mais  pour  ^pargner 
les  Enormes  frais  de  l'affranchissage,  j'ai  donne  mes  Iettres  pour  le  con- 
tinent  ä  une  personne  qui  apparemment  m'a  desservi,  ou  elle-meme  a  ^t^ 
desservie,  car  ni  vous  ni  M.  Meister,  ä  qui  j'ai  r^pondu  deux  tr^s  longues 
Iettres,  ni  ma  m^re,  ni  personne  en  Italic  n'ont  reyu  ces  malheureuses  Iettres. 
Ainsi  soit-il.  J'^crirai  donc  directement  par  la  poste  et  je  retrancherai 
sur  mon  dlner;  car  je  n'ai  pas  honte  de  vous  l'avouer,  ma  maladie  et  la 
d^tresse  horrible  du  pays  o\\  je  me  trouve  m'ont  oblig^  ä  vivre  ä  mes 
d^penses  uniquement,  et  pour  mal  vivre  il  me  faut  une  trentaine  de  livres 
Sterling  par  mois,  car  je  dois  aussi  payer  les  m^decins,  et  chaque  lettre 
que  je  dois  mettre  ä  la  poste  ou  recevoir,  me  coüte  pr^cis^ment  l'argent 
ndcessaire  ä  mon  diner  de  malade.  Celle  que  vous  avez  envoy^e  derni^re- 
ment  a  Mons''  Colnaghi  a  coüt^  pr^s  de  six  Schillings,  ce  qui  fait  ä  peu 
pr^s  huit  francs  de  France:  ne  m'envoyez  plus,  je  vous  en  conjure,  aucune 
lettre  sous  enveloppe,  ^crivez-moi  dans  une  seule  feuille  de  papier  comme 
celle-ci,  et  ramassez-y  tout  ce  que  vous  voudrez,  comme  je  ferai  aujourd'hui. 

D'abord  ä  M'  Gianni,  banquier  de  Turin,  qui  est  parti  de  Londres 
pour  sa  patrie,  et  qui  dans  le  temps  pass^  a  demeur^  chez  le  D'^  Kömer, 
l'ai  consign^  une  lettre  pour  vous,  mon  ami,  et  j'y  ai  Joint  toutes  les 
pi^ces  justificatives  relativement  ä  l'achat,  au  payement  et  ä  l'exp^dition 
du  papier.  M.  Gianni  m'a  promis  sur  son  honneur  que,  aussitöt  qu'il 
aurait  touchö  Paris,  il  aurait  affranchi  la  lettre  pour  Zürich;  aussi 
j'esp^re  que  vous  l'aurez  ä  cette  heure.    Je  vous  r^pMe  ma  prifere  de  con- 


*  Dieser  an  Joh.  Hagenbuch,  Gerant  et  As8oci6  der  Buchhandlung  Orell,  Füfsli, 
gerichtete  Brief,  auf  den  Foscolo  am  28.  März  1817  verweist  (Epist.  II,  296),  hat 
sich,  weil  auch  für  Meister  geschrieben,  im  Nachlafs  des  letzteren  gefunden. 

^  Didymi  chrici  propheiae  minimi  hypercalypseos  über  singularis,  Pisis  M.D.CCC.XV 
('oder  vielmehr  Turici  MDCCCXVI),  eine  von  Foscolo  gegen  Monti  und  andere  ita- 
lienische Schriftsteller  gerichtete  Schmähschrift.  Dazu  erschien  in  zwölf  Exem- 
plaren ein  Schlüssel.  Das  elfte  ist  der  Stadtbibliothek  Zürich  gewidmet,  das 
siebente  Joh.  Heinrich  Füfsli  mit  folgender  Aufschrift: 

Sitis  Jeüces  et  tu  simul  et  iua  natu 

Et  domus  ipsa,  in  qua  lusimus,  et  domina. 

^  Am  26.  Mai  1818  schreibt  Hagenbuch  an  Foscolo:  '.  . .  Vedition  dOrtis  va 
peu  ä  peu.  Si  Veniree  en  Italie  n'etait  pas  inierdtte,  eile  serait  dejä  epuisie;  par 
contre  In  fres  bonne  traducHon  de  M.  Orell  ria  pas  encore  de  succes,  quoiqu'elle  sott 
bien  priferahle.  ä  celle  de  M.  Luden.  On  a  ajcnite,  (nitre  les  notices  litfSraires,  votre 
discours  tenu  ä  Lyon  . . .' 

^  'Papier  velin  anglak\  das  Foscolo  in  London  für  Orell,  Füfsli  gekauft  hatte. 


156  ÜDgedruckte  Meister-Foscolo-Briefe. 

Server  soigneusement  les  papiers  justificatifs ;  je  vous  ^crirai  en  temps  et 
Heu  le  moyen  de  me  les  renvoyer:  de  ces  papiers  seuls  dopend  la  possi- 
bilit^  de  rattraper  mon  argent  qui,  d'apr^s  votre  commission,  m'a  ^U  ex- 
torqu^  par  un  escroc  et  par  la  faute  du  malheureux  Calbo.  Je  tiens  pour 
certain  que  le  papier  ne  vous  a  et^  Jamals  envoy^ ;  mais  en  tout  cas  vous 
verrez  par  les  pifeces  que  les  prix  de  commission,  emballage,  &c.  en  sont 
exorbitants,  et  comme  le  courtier  s'^tait  engag^  de  vous  faire  arriver 
le  papier  pour  fevrier,  vous  avez  le  droit  de  le  renvoyer;  mais  il  me  faut 
une  protestation  en  forme  de  votre  part,  qui  declare  que  le  papier  n'^tant 
arriv^  dans  le  temps  promis  faute  de  prompte  expödition,  vous  r^clamez 
votre  argent,  et  vous  avez  laiss^  la  marchandise  ä  la  douane;  vous  verrez 
(pie  j'ai  donn^  le  14  novembre  une  lettre  de  change  ä  trois  mois  sur  moi- 
m^me,  et  il  m'a  fallu  payer  les  64  livres  Sterling,  sans  quoi  j'aurais  ^t^ 
rais  en  prison  par  le  m^me  escroc  qui,  selon  toute  apparence,  n'a  jamais 
achet^  ni  envoye  le  papier.*  Au  reste,  ma  lettre  prec^dente  vous  aura 
instruit  plus  en  detail  de  cette  triste  affaire  qui  m'a  trouble  plus  que  vous 
ne  croyez,  et  plus  que  la  chose  meme  ne  m^rite  pas;  mais,  mon  eher  ami, 
je  suis  tr^s  malade  et  tr^s  pauvre,  et  dans  mon  etat  l'imagination  s'exalte 
facilement. 

A  präsent,  pour  mon  tr^s  eher  M.  Meister:  il  m'est  doux  comme  ami, 
comme  maitre  et  comme  p^re.  Souvent,  en  d^sirant  la  mort,  je  m'afflige 
de  ne  pouvoir  pas  expirer  dans  ses  bras;  c'est  ä  lui  seul  que  je  vou- 
drois  confier  mes  demieres  volont^s  et  mes  manuscrits.  J'avais  l'intention 
de  lui  faire  une  surprise  en  lui  envoyant  un  bei  exemplaire  de  son 
Euthanasie  que  j'ai  tournd  de  mon  mieux  en  Italien.  Au  commence- 
ment  d'octobre  j'en  avais  entrepris  l'ödition  en  trfes  joli  caractere;  j'avais 
alors  plus  d'argent,  plus  de  forces  et  surtout  plus  d'esperances ;  mainte- 
nant,  ä  chaque  pas  que  je  fais  avec  mon  Imagination  dans  l'avenir  de  ma 
vie,  je  n'y  trouve  que  de  l'obscurite  et  de  la  glace,  ma  lanterne  magique 
est  d^sormais  sans  lumi^re  et  sans  feu.  J'ai  chez  moi  la  premi^re  feuille 
de  la  traduction  de  l'Euthanasie  imprimee,'^  mais  mon  infirmit^,  la 
pauvret^  qui  en  est  la  suite,  et  l'abandon  du  malheureux  Calbo  m'a  em- 
p^ch^  de  continuer  l'^dition.  Je  vous  ai  ddjä  ^crit  avec  quelle  ingratitude 
iroide  Calbo  m'a  abandonne  lorsque  j'^tais  presque  ä  l'extr^mite:  Tant 
que  j'etais  riebe  et  que  je  le  traitais  en  padrone,  il  me  craignait  et  il 
craignait  de  me  perdre;  mais  lorsque  j'etais  son  ami  et  son  fr^re,  et  qu'il 
a  eu  peur  que  ma  mort  le  laisserait  sans  appui,  il  a  perdu  tout  6gara,  et 
m^me  toute  compassion;  il  m'a  oblig^  de  lui  dire  de  songer  ä  ses  int^rets; 
il  m'a  r^pondu  qu'il  y  avait  dejä  song^,  et  qu'il  avait  cherche  möme  un 
autre  logis  pour  lui  seul,  plus  ä  port^e  de  donner  des  legons  d'italien;  il 
m'a  cependant  assur^,  comme  d'une  grande  g^n^rosit^  de  sa  part,  qu'il 
m'aurait  tenu  compagnie  jusqu'au  moment  que  je  me  serais  trouv^  mieux, 
mais  je  n'ai  point  voulu  attendre  ce  moment,  je  lui  ai  donn^  möme  de 
mon  peu  d'argent  pour  payement  entier  de  ses  gages,  et  malgr^.  ma  triste 
Situation  il  a  eu  la  bassesse  de  l'accepter.  Je  ne  le  vois  plus,  que  le  ciel 
ne  le  punisse  jamais!  Mais  c'est  une  des  blessures  les  plus  profondes 
que  la  main  d'un  homme  a  ouverte  dans  mon  coeur.  Vous  savez,  mon 
eher  Monsieur  Meister,  que  je  m'abandonne  facilement  aux  remords,  mais, 
quant  k  Calbo,  je  vous  assure  devant  Dieu  que  je  n'ai  aucun  remords. 
Personne  n'a  re9u  plus  de  bienfaits  de  moi  que  Calbo,  et  je  n'ai  t^moign^ 
plus  d'egards   ä  personne,  et  je  peux  jurer  que  c'est  le  seul  homme  avec 


*  'La  caisse  est  arriv^e ;  c'est  une  grande  satisfaction  pour  moi  . . .'  schreibt 
Hagenbuch  an  Foscolo  am  26.  Mai   1818. 

^  Was  der  Dichter  als  Tatsache  hinstellt,  war  vielleicht  blofse  Absicht.  Ähn- 
lich ftufsert  er  sich  später  über  einen  von  ihm  geplanten  Roman,  als  ob  derselbe 
schon  niedergeschrieben  wäre.     S.  Chiarini,  a.  a.  O.  p.  525. 


Ungedruckte  Meister-Foscolo-Briefe.  157 

lequel  je  ne  me  sois  jamais  miß  en  colfere.  J'ai  souffert  tout  de  lui;  je 
croyais  que  sa  froideur  ötait  l'effet  de  mauvaise  honte ;  je  Tai  mal  connu, 
et  c'est  ma  faule.  Que  Dieu  lui  pardonne!  et  qu'il  soit  heureux:  L'on 
m'a  dit  qu'il  fait  trfes  bien  ses  affaires  en  donnant  des  leyons. 

En  attendant,  mon  eher  Monsieur  Meister,  faites-moi  savoir  si  vous 
avez  reyu  par  le  moyen  de  M.  Canning,  mes  deux  lettres,  et  quando  no, 
je  vous  enverrai  un'altra  lunghissima  chiacchiera,  tanto  da  spas- 
sionarmi  con  lei,  caro,  carissimo,  dolcissimo  signor  mio,  et 
aussitot  que  je  serai  en  ^tat  de  sant^  et  de  bourse  ä  pouvoir  continuer  l'im- 
pression  della  nostra  Euthanasie,  je  vous  enverrai  la  plus  jolie  petite 
Edition  italienne  qui  soit  sortie  des  presses  anglaises.  Or  fate  ch'io  sappia 
aic'una  novella  sicura  della  bella  donna;  mi  scrisse  mentr'era  in  viaggio, 
le  öcrissi  beuchfe  malatissimo,  e  col  cuore  affannato.  Mandai  le  mie 
lettere  per  la  via  econoniica  de'diplomatici,  ma  veggo  pur  troppo  che  non 
c'^  da  fidarsi.  Fate  anche  la  mia  corte  a  mia  intenzione  ed  a  mio 
merito  ä  Madame  Meister,  mais  assez  pour  vous. 

rJ  Vous  direz,  mon  eher  H.,  au  D^  EbeP  qu'il  est  bien  certain  que  tout 
homme  qui  l'a  connu  autant  que  moi  doit  l'aimer  et  l'estimer  autant  que 
moi;  mais  il  est  presque  impossible  qu'aucun  autre  au  monde  l'estime  et 
Taime  davantage. 

A.  M.  Füssli*  vous  r^pöterez  que  j'aurais  d^sir^  de  vi  vre  toujours 
parmi  ses  concitoyens,  si  ses  concitoyens  ^taient  moins  Suisses,^  et  plus 
Suisses  que  lui."  Priez-le  de  dire  ä  M"*'  Susette^  que  je  lui  ^crirai  avec; 
le  courrier  prochain. 

Embrassez,  mon  eher  H.,  vos  petites-filles  pour  moi,  pr^sentez  mes 
compliments  ä  votre  ^pouse,  et  soyez  sür  que,  quand  meme  je  finirais  mes 
jours  ici  et  dans  cette  ann^e  meme,  je  prendrais  soin  pour  que  vous  ne 
soyez  nullement  endommage.    Adieu.  Hugues  Foscolo. 

8.    Meister  an   Foscolo. 

Zürich,  4  avril  1817. 

To  Hugh  Foscolo  Esq'^^,  N  11,  Soho  Square,  London. 

Caro,  carissimo  sig.  mio,  la  seule  de  vos  lettres  qui  me  soit  parvenue, 

Celle  du  4  mars  adressee  ä  M.  Hagenbuch,  m'a  fait  une  peine  inexpri- 

mable:   Je  vous  croyais  plus  tranquille  et  plus  heureux  que  jamais,  et  je 

vois  que  votre  existence  est   tourmentee  de  nouvelles  incertitudes  et  de 


*  Joh.  Gottfr.  Ebel  (1764—1830)  aus  Zülichau  (Schlesien),  Übersetzer  von 
Sieyte,  Verfasser  des  ersten  schweizerischen  Reisehandbuchs.  Seit  1810  lebte  er 
in  Zürich,  wo  ihm  das  Bürgerrecht  geschenkt  wurde.  Sein  Biograph,  Prof.  Hein- 
rich Escher,  nennt  ihn  eine  edle,  sittlich  grofse  Natur. 

*  Der  Obmann  (Verwalter  von  eingezogenen  Kirchengütern)  und  gelehrte 
Schriftsteller  Joh.  Heinrich  Füfsli  (1745—1832)  wird  im  Anhang  des  Ortis  p.  XXXVI 
erwähnt.  Er  war  Teilhaber  der  Buchhandlung  Orell,  Füfsli  &  Comp.  Seine 
Historische  Beschreibung  der  vom  Maler  Heinrich  Füjsli  illmirierten  Merhwürdigen  Ge- 
genden der  Schweiz  wurde  von  Meister  ins  Französische  übertragen. 

'  Foscolo  warf  den  Schweizern,  vielleicht  weil  er  nicht  immer  mit  denen,  die 
ihm  in  Hottingen  Quartier  gaben,  zufrieden  war,  Kälte  und  Habsucht  vor;  ander- 
seits, als  politischer  Flüchtling,  fand  er  sie  dem  Ausland  gegenüber  willfährig  und 
schwach. 

*  Füfsli  widmete  sich  in  seinen  späteren  Jahren  ausschliefslich  kunstgeschicht- 
lichen Studien.  Dafa  er  früher  seinen  vaterländischen  Sinn  vielfach  betätigt  hatte, 
wufdte  der  Dichter  vielleicht  nicht.  S.  Joh.  Heinrich  Füfsli,  NeufahrsblaU  der 
Stadänbliothek  in  Zürich  1900. 

^  S.  die  Meiawria  am  Schlufs  dieser  Briefe. 


158  tJngedruckte  Meister-Foscolo-Briefe. 

trop  sensibles  chagrins.  Je  coinprends  trop  bien  les  penibles  m^comptes 
qu'ont  öprouv^s  vos  plus  doux  projets,  vos  plus  justes  esp^rances  par  le 
d^rangement  de  votre  sant^.  J'avais  toujours  un  peu  redout^  pour  vous 
rinfluence  d'un  climat  et  d'un  regime  qui  ne  me  paraissent  gufere  con- 
venir  ä  votre  temp^rament.  Mais  permettez-moi  de  vous  le  dire,  mon 
excellent  ami,  je  crains  aussi  que  la  trop  grande  susceptibilit^  de  votre 
imagination  et  la  trop  grande  d^licatesse  de  votre  caract^re  n'ajoutent 
beaucoup  en  ce  moment  aux  embarras  de  votre  Situation.  Pourquoi  ne 
pas  les  confier  ä  des  amis  absents  ou  pr^sents  qui  sürement  ne  man- 
quent  ni  de  moyens  ni  de  volonte  de  vous  obliger,  en  attendant  que  vos 
ressources  personnelles  puissent  vous  suffire,  et  vous  mettre  ä  m^me 
d'acquitter  les  Services  qu'ils  auront  eu  le  bonheur  de  vous  rendre. 

Vous  savez,  caro  amico,  que  mes  facultas  ne  sont  pas  fort  ^tendues 
et  mon  öconomie  assez  s^v^re,  mais  faute  de  mieux,  si  vous  en  avez  besoin, 
tirez  sur  moi  cinquante  louis;  c'est  avec  la  plus  sensible  reconnaissance 
que  je  recevrai  cette  marque  de  votre  amiti^. 

Le  proc6d6  du  sgr.  Calbo,  pour  lequel  je  m'^tais  pris  d'un  v^ritable 
attachement,  m'afflige  de  toute  mani^re.  Cependant,  ne  serait-il  pas  pos- 
sible  qu'il  y  eüt  dans  ce  mauvais  procede  plus  de  gaucherie  et  de  pusil- 
lanimite  que  d'ingratitude  et  de  noirceur?  Peut-6tre,  vous  dirait  Mr.  Har- 
mony,'  peut-etre  a-t-il  cru  qu'en  s'occupant  avec  si  peu  de  m^nagement 
de  ses  propres  inter^ts,  il  vous  engagerait  enfin  ä  songer  plus  sörieusement 
aux  vötres. 

Quoi  qu'il  en  soit,  je  me  d^sole  de  vous  voir  priv^  d'un  aide  qui,  sous 
tant  de  rapports,  semblait  vous  ^tre  si  commode  et  meme  si  näcessairc. 
Et  l'eüt-il  6t4:  moins,  il  est  toujours  cruel  de  perdre  une  Illusion  de  plus 
sur  notre  pauvre  espfece  humaine. 

Votre  sant^  retablie,  caro  carissimo,  vous  retrouverez  bientöt  dans 
votre  lanterne  magique  la  lumi^re  et  le  feu  que  votre  noble  insouciance 
avait  trop  ueglig^s.  Pour  jouir  de  tout  le  peu  de  bien  qu'elle  peut  nous 
offrir  dans  ce  monde,  il  faut  encore  se  r^signer  aux  soins  qu'exige  im- 
p^rieusement  l'entretien  habituel  de  cette  luraifere  et  de  ce  feu.  Mais  ces 
soins  pris  et  supportös  sans  trop  d'impatience,  ovdev  xwlvti,^  comme  dit 
Aristote,  qu'avec  un  g^nie  et  des  talents  comme  les  vötres  on  ne  puisse 
encore  se  cr^er  une  plus  grande,  une  plus  belle  lanterne  magique  pour  se 
consoler  de  ce  qui  manque  ä  l'autre.  C'est  ce  que  j'ai  tent^  d'entreprendre 
tant  bien  que  mal,  du  moins  ä  mon  usage,  dans  cette  Euthanasie  ä 
qui  votre  amitiö  destinait  une  si  glorieuse  resurrection.  Comment  prendre 
mon  parti  de  tout  ce  qui  est  venu  troubler  l'intention  d'un  si  doux  miraclel 

J'ai  diff^r^  quelques  jours  de  vous  röpondre  dans  l'espörance  de 
pouvoir  vous  donner  d'heureuses  nouvelles  de  la  bella  donna.  Mais  elles 
tardent  trop  longtemps.  Les  derniferes  m'annon9aient  que  son  proc^s '^ 
devait  etre  jug6  par  l'auditoriat  militaire,  et  qu'elle  avait  pour 
avocat  uu  ami  digne  de  toute  sa  confiance.  Ah!  puisse-t-il  justifier  cette 
confiance,  et  lui  faire  rendre  plus  de  bonheur  et  de  repos  que  je  n'en  ai 
Jamals  d^sir^  pour  moi-meme.  Quel  est  l'^tre  au  monde  qui  le  m^rite 
da van tage! 

Addio,  caro  carissimo.    Yours  for  ever.  J.  H.  M. 

Folgende  Zeilen  Joh.  Heinrich  Füfslis  in  Beantwortung  eines 
langersehnten  Briefes  Foscolos  entnehmen  wir  der  Bibliothek  in 
Livorno. 

*  Vielleicht  ein  allegorischer  Peraouenname  eines  Komans. 

'  Nichts  hindert. 

^  Wegen  gerichtlicher  Trennung  von  ihrem  Manne. 


Ungedruckte  Meister-Foecolo-Briefe.  159 

26  mai  1818. 

Je  V0U8  embrasse  de  tout  mon  coeur,  mon  eher  HuguesI  Chr^tien, 
et  comme  tel  persuad^  de  la  r^surrection  des  morts,  je  ne  doutais  jamais 
de  la  vötre.  Mais  ce  qui  est  vraiment  dröle,  de  ceux  qui  ne  vous  ont 
jamais  connu,  les  uns  vous  donnaient  une  chaire  de  professeur  de  litt^- 
rature  italienne  ä  Oxford,  les  autres  vous  transportaient  dans  les  isles 
Joniennes,  tandis  que  vos  vrais  amis,  il  est  vrai  bien  attrist^s  de  votre 
silence  permanent,  recevaient  de  temps  eii  temps,  par  maints  dötours,  des 
indices  de  votre  existence  ä  Londres  et  dans  ses  environs,  ils  ne  doutaient 
ni  de  votre  existence  ni  de  vos  Souvenirs,  se  plaisaient  ä  vous  supposer 
d&w*  la  solitude,  möditant  quelque  grand  ouvrage  digne  de  vos  talents,  et 
se  flattent  qu'un  jour  11  pourrait  vous  prendre  la  fantaisie  de  venir  jouir 
d'une  partie  de  vos  travaux  dans  nos  contr^es  autrefois  si  ch^ries  de  vous. 

Quant  ä  uous  autres,  nous  nous  portons  tant  bien  que  mal.  Madame 
Füssli  souffre  toujours  de  sa  toux  et  de  ses  rhumatismes,  la  Susi  de  sa 
migraine,  moi  de  mes  78  ans;  mais,  en  attendant,  chacun  de  nous  jouit 
de  la  vie  ä  sa  fa9on,  Susi  surtout  en  cultivant  avec  une  ardeur  presque 
outr^e  ses  talents  pour  le  dessin  et  son  amour  de  T^tude  de  vos  classiques. 

Nous  vous  saluons  bien  cordialement.     Vale  e  anüa. 

J.  H.  Füssli. 

Es  kann  den  Lesern  des  Archivs  nicht  allgemein  bekannt 
sein,  dals  im  Fanfulla  della  domenica  (15.  Mai  1892)  Giuseppe 
Taormina  eine  'Memoria'  von  Susanna  (Susi)  Fül'sli  über  die  Be- 
ziehungen ihrer  Familie  mit  dem  italienischen  Dichter  veröffent- 
licht hat.  Aus  dieser  ^Memoria' '  teilen  wir  hier  in  Übersetzung 
das    Wichtigste  mit. 

*Es  liegt  Foscolos  erster  Besuch  in  unserem  Hause  meinem 
Gedächtnis  so  fern,  dafs  ich  nur  oberflächlich  davon  sprechen 
kann.  Auch  war  ich  damals  in  einem  Alter,-  wo  seine  tollen 
Abenteuer  viel  tieferen  Eindruck  auf  mich  machten  als  seine 
Gespräche  über  Politik  und  Literatur.  Vous  voyez  devant  vous 
uu  pauvre  exil^  qui  va  demander  l'aumone  de  porte  en  porte. 
Das  sind  die  ersten  Worte,  die  ich  von  ihm  hörte,  und  die  nicht 
verfehlten,  mir  inniges  Mitleiden  für  diesen  edlen,  unterdrückten 
Mann  einzuflöfsen,  obwohl  ich  nicht  leugne,  dals  mich  beim  An- 
blick seiner  hageren  Gestalt,  seines  finsteren,  unruhigen  Blicks, 
seiner  Menge  wirrer  Haare  und  seines  Bartes  ein  gewissei* 
Schauer  überlief. 

Bald  wurde  Foscolo  heimisch  in  unserem  Hause.  Wenn 
mein  Vater  nicht  dawar,  unterhielt  er  sich  gerne  mit  uns  Damen 
über  seine  Erlebnisse,  seine  Jugend  und  seine  Mutter.  Diese  sei 
schön  gewesen  wie  eine  aus  dem  Geschlecht  der  Niobe,  hoch- 
herzigen und  männlichen  Sinnes;  er  selbst  ein  stolzer,  wilder, 
eigensinniger  Junge,  der  sich  beim  geringsten  Widerstand  auf  den 


'  Taormina  hatte  die  'Memoria'  vom  Florentiner  Verleger  P.  Barbara 
erhalten;  die  italienische  Redaktion  der  wohl  ursprünglich  deutsch  ge- 
schriebenen Aufzeichnung  mag  von  dem  Foscolo  -  Herausgeber  Enrico 
Mayer  herrühren. 

*  Geb.  27.  Juni  1795,  gest.  23.  Oktober  1863. 


160  Un gedruckte  Meister- Foscolo-Briefe. 

Boden  warf,  vor  Wut  mit  den  Zähnen  knirschend,  und  den  nie- 
mand als  die  Stimme  der  trefflichen  Mutter  zur  Vernunft  bringen 
konnte  . . .  Oft  sagte  er  uns  Verse  von  Petrarca  her  und  Stucke 
aus  Dante  und  zwar  mit  einer  Stimme,  die  mich  eigentlich 
schaudern  machte  . . .  Nie  war  er  so  umgänglich,  als  wenn  er 
sich  am  Abend  mit  Mr.  Finch  *  und  meinem  Vater,  Männern,  die 
er  liebte  und  schätzte,  unterhielt  und  zwar  ohne  jede  Künstelei. 
Artig  und  liebenswürdig  zeigte  er  sich  auch  beim  Whist,  das 
am  späteren  Abend  gespielt  wurde;  nie  Ungeduld  zeigend,  ob- 
wohl alle  anderen  schlechter  spielten  als  er.  Nur  wenn  etwa 
junge  Damen  bei  der  Partie  waren,  schlug  er  bei  der  geringsten 
Zerstreutheit,  beim  kleinsten  Fehler  mit  der  Faust  auf  den  Tisch, 
ein  Verfahren,  das  ihm  sehr  behagte  . . .  Seine  Sucht,  Lärm  zu 
machen,  nahm  so  überhand,  dafs  wir,  ob  wir  auch  seine  glänzen- 
den Eigenschaften  liebten  und  schätzten,  doch  Freunde,  mit  denen 
er  in  unserem  Hause  zusammenkam,  gegen  seine  Unschicklich- 
keiten schützen  mufsten. 

Ji  jr  Ihm  fehlte  jene  edle  Humanität,  die  die  Bräuche  und  An- 
sichten anderer  ehrt  und  lieber  das  Schöne  und  Gute  der  nach 
höherer  Bildung  Strebenden  hervorhebt,  als  ihre  Unwissenheit 
und  Schalheit  aufzudecken. 

Gewöhnhch  schien  er  von  bösen  Geistern  besessen,  häufiger 
noch  konnte  man  glauben,  dieses  Dämonenheer  sei  in  seiner 
Gewalt. 

Er  liebte  nicht  immer  die  Wahrheit. 

Die  heilige  Flamme  der  tiefen  und  wahren  Gefühle,  des 
Schönen  und  Guten  war  fast  ganz  durch  seine  ungestümen  Lei- 
denschaften verzehrt. 

So  war  Foscolo,  für  den  wir  trotz  seiner  Fehler  grolse 
Freundschaft  hegten;  seine  Abreise  war  für  uns  ein  wahrer  Ver- 
lust, und  tief  betrübte  uns  sein  unglückliches  Ende  . . ! 

*  Diesen  Engländer  erwähnt  auch  Hagenbuch  am  angeführten  Orte: 
^J'ai  des  nouvelles  indireetes  de  notre  honorable  Chevalier  Finch;  ü  est  de 
retour  de  la  Grece  en  Italic,  et  je  pense  qu'il  nous  rend  bientot  visite.* 

Zürich.  Paul  Usteri. 


Kleine  Mitteilungen. 

Bex  non  potest  peccare. 

Faust  n,  V.  11 115  (Weim.  Ausg.  15,  1,  S.  293): 

Kann  der  Kaiser  sich  versünd'gen, 
Der  das  Ufer  ihm  verllehn? 
Tat's  ein  Herold  nicht  verkünd'gen 
Schmetternd  im  Vorüberzieh'n  ? 

Weder  Loeper  noch  Düntzer,  weder  Calvin  Thoraas 
noch  Otto  Harnack  finden  an  diesen  Versen  etwas  zu  erinnern. 
Und  mit  Philemons  sanft  ergebener  Art  ist  ja  der  politische  Köhler- 
glaube auch  wohl  in  Einklang  zu  bringen,  der  meint:  was  der  Kaiser 
tut,  müsse  auch  mit  rechten  Dingen  zugegangen  sein.  Aber  die  For- 
mulierung bleibt  auffallend:  dafs  auch  der  Fürst  sündigen  kann, 
weifs  jeder  fromme  Christ,  der  zu  dem  alten  Gott  betet.  Doch  dem 
Dichter  klang  vielleicht  von  fern  ein  berühmtes  Wort  ins  Ohr:  die 
Formel  des  englischen  Staatsrechts,  auf  der  das  Wesen  des  Kon- 
stitutionalismus beruht.  *Rex  non  potest  peccare,'  heifst  es  da;  wozu 
freilich  ein  juristischer  Humorist  in  den  witzigen  'Scintillae  iuris' 
(London  1877,  S.  101)  verständnisvoll  blofs  bemerkt:  'AhemT  —  Ge- 
rade als  Goethe  den  Faust  vollendete,  stand  die  Frage  im  Mittel- 
punkt des  öffentlichen  Interesses,  wie  weit  ein  Herrscher  selbst  ver- 
antwortlich sei.  Thiers  hatte  im  Februar  1830  die  alte  Formel  der 
französischen  Doktrinäre  in  die  neue  Wendung  gefafst:  'Le  7'oi  regne, 
et  ne  gouverne  pas\  der  König  herrscht,  regiert  aber  nicht  (Büch- 
mann, Geflügelte  Worte,  21.  Aufl.,  S.  544). 

So  drängten  sich  vielleicht  die  Worte  der  Formel  in  die  Stelle 
hinein.  Philemon  meint  eigentlich  nur:  was  der  Kaiser  öffentlich 
als  seinen  Willen  verkünden  läfst,  mufs  doch  in  Ordnung  sein  — 
aber  von  der  juristischen  Rechtskraft  gleitet  der  Ausdruck  zu  der 
moralischen  Verantwortlichkeit  über.  Ob  der  Kaiser  sich  versündigt 
hat  oder  nicht,  das  hat  ja  eigentlich  mit  der  Frage  gar  nichts  zu  tun, 
ob  sein  Lehnsmann  Menschenopfer  bluten  lasse  oder  sonst  schwarze 
Magie  treibe.  Der  Erzbischof  mag  in  der  Belehnung  des  sehr  ver- 
rufenen Mannes,  in  der  Begnadigung  des  verfluchten  Hauptes  einen 
schweren  Fehl  sehen  —  der  arme  Alte  im  Hüttchen  weifs  davon 
nichts.  Eine  politische  Reminiszenz  aus  den  Tageskämpfen  hat  sich 
in  dem  durchsichtigen  Bernstein  der  Dichtung  eingeschlossen  erhalten, 
wie  bei  dem  Spruch  von  den  'Kreaturen,  die  uns  machten'  (vgl.  Chro- 
nik des  Wiener  Goethe -Vereins  15.  Oktober  1902). 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  H 


162  Kleine  Mitteilungen. 

*Den  Originalen.* 

Ein  Quidam  sagt:  'Ich  bin  von  keiner  Schule I 

Kein  Meister  lebt,  mit  dem  ich  buhle; 

Auch  bin  ich  weit  davon  entfernt, 

Dafs  ich  von  Toten  was  gelernt.' 

Das  heilst,  wenn  ich  ihn  recht  verstand: 

Ich  bin  ein  Narr  auf  eigne  Hand. 

Merkwürdigerweise  hat  man  den  höchst  persönlichen  und  ak- 
tuellen Anlafs  dieses  Epigramms  (Hempel  2,  259)  meines  Wissens 
noch  gar  nicht  beachtet.  (Jetzt  allerdings  hat  Steigs  Buch  gleich- 
zeitig mit  mir  Morris  zu  diesem  Fund  geführt,  wie  ich  aus  persön- 
licher Mitteilung  weifs.)  Denn  es  stimmt  gewifs  nicht  zufällig  mit 
Achim  V.  Arnims  Zueignung  seiner  vier  Novellen  an  die  Brüder 

Grimm: 

Ihr  Freunde  wifst,  dafs  ich  von  keiner  Schule, 
Dafs  ich  um  keines  Menschen  Beifall  buhle  — 

und  da  jede  Wahrscheinlichkeit,  Arnim  habe  mit  diesen  Versen 
{Werke  I,  XVI)  auf  ein  nicht  veröffentlichtes  Sprüchlein  Goethes 
anspielen  wollen,  fehlt,  wird  man  umgekehrt  eben  annehmen  müssen, 
Goethe  habe  Arnim  gemeint. 

Dafür  spricht  denn  auch  alles.  Um  1810,  1811  bis  1815  sind 
die  umgebenden  Sprüche  verfafst  (vgl.  Strehlke  bei  Hempel).  Die 
Verse  der  Zueignung  treten  (schon  durch  Arnims  Unterstreichungen) 
so  stark  hervor,  dafs  auch  R.  Steig  (Arnim  und  die  Brüder  Grimm, 
S.  187)  sie  heraushebt;  und  Goethe  war  damals  gleichzeitig  mit  Arnim 
in  Teplitz,  hielt  sich  aber  geflissentlich  von  ihm  fern  (ebd.  S.  212). 

Einwenden  könnte  man  nur:  auf  Achim  v.  Arnim  passe  wenig, 
dafs  er  'von  Toten  nichts  gelernt  habe.'  Wohl ;  aber  auf  die  Zueignung 
in  Versen  folgt  eine  'Anrede  an  meine  Zuhörer'  in  Prosa,  die  min- 
destens recht  leicht  mifsverstanden  werden  konnte.  'Als  ich  heran- 
wuchs an  das  Mafs,  das  uns  Gott  unwandelbar  gestellt  hat,  da  stand 
ich  früher  auf,  und  skandierte  Horaz,  und  sah  mich  weiter  um.'  Und 
was  sieht  er?  'viele  liebe  und  gute  Leutchen  mit  Lorbeerkränzen  ge- 
schmückt', die  sich  Dichter  nannten  und  den  Pegasus,  statt  ihn  zu 
reiten,  erst  zureiten  wollten  ...  Gewifs,  Arnim  meinte  eine  be- 
stimmte Art  von  Poeten ;  aber  er  stellt  sich  doch  in  recht  gefährlicher 
Weise  zu  den  Dichtern  überhaupt  in  Gegensatz  und  geht  in  die 
Verse  über: 

Denn  wifst,  wo  euch  der  Atem  schon  vergangen, 
Da  fühlte  ich  das  Herz  sich  fort  beflügeln. 
Da  hat  es  recht  zu  leben  angefangen. 

Spricht  doch  Arnim  noch  später  (bei  Steig  S.  544)  unbedenk- 
lich von  der  'falschen  Richtung'  Lessings,  Herders,  Goethes,  Schil- 
lers! Dürfen  wir  diesem  selbstsicheren  Ton  gegenüber,  der  sicherlich 
seinen  mündlichen  Äufserungen  erst  recht  nicht  fehlte,  wirklich  mit 
Steig  {Neue  Heidelberger  Jahrbücher  X,  S.  168,  vgl.  a.  a.  O.  S.  478) 


Kleine  Mitteilungen.  163 

aus  der  berüchtigten  Briefstelle  vom  5.  August  1812  (Weim.  Ausg. 
23,  51)  das  Gegenteil  ihres  Tenors  heraushören?  'Von  Arnim  nehme 
ich  nicht  die  mindeste  Notiz;  ich  bin  sehr  froh,  dafs  ich  die  Toll- 
häusler los  bin.'  Er  vertrug  eben  damals,  mehr  als  je  auf  dem  festen 
Boden  der  'Überlieferung'  ruhend,  ein  stürmisches  Negieren  und 
Verkleinern  der  Meister,  eine  leidenschaftliche  Originalitätssucht 
schlechterdings  nicht,  am  wenigsten  bei  Dichtern,  die  unter  seinem 
eigenen  persönlichen  Einflufs  hätten  stehen  können,  was  Kleist  oder 
Hoffmann  versagt  blieb. 

Ich  glaube  also,  man  mufs  das  Epigramm  in  die  vielbewegte 
Geschichte  'Goethe  und  die  Romantik'  als  ein  wichtiges  Dokument 
von  Goethes  Zorn  über  die  romantische  'Rücktendenz'  (vgl.  Walzel, 
Goetheschriften  14,  S.  11)  aufnehmen. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Das  Angelsächsische  Rät«el  56:  *Galgen'  als  Waflfenständer. 

'Ich  sah  in  die  Halle,  wo  Helden  tranken,  in  die  Hausflur, 
viererlei  tragen:  wundersamen  Waldbaum  und  gewunden  Gold  (kunst- 
voll gebundenen  Schatz)  und  eine  Menge  Silbers  und  [viertens] 
Kreuzeszeichen  ([Christi],  dessen,  der  für  uns  zu  den  Himmeln 
empor  den  Aufstieg  errichtete,  bevor  er  der  Hölle  Feste  erbrach).  Ich 
vermag  leicht  vor  den  Menschen  anzugeben  jenes  Baums  Edelnatur 
[=  Bestandteile]:  da  war  hlin  (Ahorn?)  und  ac  (Eiche)  und  der 
harte  iw  (Eibenbaum)  und  der  braungelbe  holin  (Stechpalme).  Dem 
Herrn  sind  alle  zusammen  nützlich  [=  ihrem  Besitzer  dient  der  vier- 
gliedrige  Begriff  als  Eine  Sache];  Namen  haben  sie  Einen:  "Ver- 
brecherbaum", welcher  oft  von  seinem  Mannenherrn  in  der  Halle  ab- 
forderte (=1  erlangte,  bekam)  die  Waffe,  das  Kleinod,  das  Schwert 
mit  goldnem  Griff  [=z  Heft].  Dieses  Rätselspruchs  Antwort  [=  Lö- 
sung] lege  mir  nun  dar,  wer  sich  unterfängt  mit  Worten  zu  sagen, 
wie  das  Holz  heifst.' 

Gemeint  ist  ein  hölzerner  Gegenstand.  Er  ist  tragbar.  Er  er- 
scheint beim  Bankett.  Er  dient  dem  reichen  Krieger.  Er  empfängt 
dessen  Schwert.  Er  verbindet  sich  mit  Edelmetallen.  Er  trägt  die 
Form  des  Kreuzes  (im  alten,  weiteren  Sinne,  für  den  nur  ein 
senkrechter  und  ein  wagerechter  Schenkel  nötig  ist).  Sein  Name 
dient  zugleich  für  den  Galgen.  Das  Wort  besteht  aus  vier  Buch- 
staben, mit  denen  die  Bezeichnungen  von  vier  Baumarten  beginnen: 
(h)l,  a,  i,  h. 

Nun  heifst  das  Ags.  *ialhi  (laut  der  Wörterbücher  unter  geagl) 
zwar   nur  'Schlund,   Rachen,  Gaumen'.     Allein   es   ähnelte   galga 


*  Dafs  i  für  ge  geschrieben  werden  konnte,  s.  Sweet,  Eist,  of  Bngl. 
Sounds  145,  uml  iac  für  geac  {Oauch)  bei  Toller;  hiniong[a]e  in  Bedas 
Sterbegesang  Z.  3  ed.  Kluge  (1897)  S.  91. 

11* 


164  Kleine  Mitteilungen. 

'Galgen',  dessen  Kompositum  gealgireow  überliefert  ist,  so  sehr,  dafs 
der  Dichter  die  Wörter  als  Eines  im  Wortspiel  behandeln  mochte. 
Eine  Form  des  Wortes  ohne  das  -a  der  Endung  fehlt;  und  ob  der 
Dichter,  vielleicht  im  Hinblick  auf  jenes  Kompositum,  nur  die  Wurzel 
im  Auge  hatte,  scheint  zweifelhaft. 

Dafs  ein  Schwertständer  den  Namen  'Galgen'  geführt  habe,  ist 
leicht  denkbar.  Denn  dieser  dient  noch  heute  für  vielerlei  technische 
Vorrichtungen  und  bezeichnete  z.  B.  mhd.  das  Gestell  über  dem 
Brunnen  zum  Heraufziehen  des  Eimers.  Auch  ist  die  Bedeutung 
des  Gestells  zum  Henken  nur  später  verengt  aus  der  ursprünglichen : 
'Stange'. 

Berlin.  F.  Lieb  ermann. 

Ae.  wej'lä,  wej-ta-wej,  Me.  wei-la-wei  etc. 

In  meinen  Scand.  Loanwords,  S.  51  habe  ich  bemerkt,  dafs  diese 
Wörter  zu  früh  belegt  sind,  als  dafs  man  an  nordische  Entlehnung 
denken  dürfte.  Ich  vermutete,  dafs  der  Diphthong  mit  der  Funktion 
der  Wörter  als  Interjektion  in  Zusammenhang  zu  bringen  sei.  Diese 
Vermutung  hat  sich  jetzt  bestätigt.  In  dem  neuerdings  von  Boeder 
veröffentlichten  Regius-Psalter  (Morsbach,  Studien,  XVIII,  S.  126) 
findet  sich  ein  ej-lä-ej  'enge'.  Das  auch  sonst  belegte  ej  'alas'  ist 
sicher  nichts  als  eine  'natural  ejaculation'  (vgl.  N.  E.  D.).  wej  ist 
wohl  eine  Kontaminationsform  aus  wä  und  dem  gleichbedeutenden 
6j.  So  entstanden  aus  wä-lä-wä  und  ej  als  neuere  Produkte  ej-la-ej 
und  wej-lä-wej. 

Lund.  Erik  Björkman. 

Zu  Lajamon  (Calig.)  13  857. 

vmbe  fiftene  jer 
{)at  folc  is  isomned, 
al  ure  iledene  folc, 
and  heore  loten  werped. 

Was  bedeutet  iledene?  Mätzner  liest  ledene,  und  Schipper  scheint 
die  Änderung  gutzuheifsen,  denn  im  Glossar  zum  Alt-  und  me.  Lese- 
hu^h'^  wird  nicht  iledene,  sondern  ledene  verzeichnet  und  dabei  auf 
leod  verwiesen.  Bradley  scheint  die  Stelle  nicht  in  sein  Wörterbuch 
aufgenommen  zu  haben. 

Ist  es  sehr  gewagt,  ileuede  (aus  ae.  jelyfed  'advanced  in  age')  zu 
lesen?  Das  Wort,  das  schon  im  Ae.  nicht  sehr  geläufig  war,  wurde 
wohl  vom  Schreiber  nicht  mehr  verstanden;  das  erklärt  auch  die 
Lücke  in  der  Handschr.  Otho. 

Die  entsprechenden  Verse  des  französischen  Brut  sind  wohl 
geeignet,  die  Lesung  ileuede  zu  stützen. 

Quant  nostre  gent  est  tant  cr^ue 
Qua  li  t^re  en  est  trop  vestue, 


Kleine  Mitteilungen.  165 

Li  prince  qui  les  t^res  ont 

Tos  les  jenes  asambl^  fönt 

Qui  de  quinze  ans  sunt  et  de  plus; 

Tot  li  millor  et  li  pltis  fort 

SoDt  mis  fors  del  pais,  par  sort. 

Le  Roman  de  Brut  6907—6914. 

Statt  tot  li  millor  liest  eine  Handschrift  (MS.  du  Roi,  7515, 
Colb.)  tout  li  viellart. 

Czernowitz.  L.  Kellner. 

Zur  Etymologie  von  schottisch  orra. 

Das  schottische  Adjektiv  orra,  das  dem  englischen  odd  in  ver- 
schiedenen seiner  Bedeutungen  entspricht,  hat  man  früher  als  Ent- 
lehnung aus  dän.  uvrig  gedeutet  (so  Grieb-Schröer,  Wörterbuch,  und 
Skeat,  Notes  on  English  etymology,  1901).  Diese  Erklärung  ist  un- 
möglich, da  das  dän.  K)vrig  (vgl.  schwed.  öfrig)  seinerseits  aus  dem 
Deutschen  entlehnt  ist  (Herrigs  Archiv  CIX,  167).  Das  New  English 
dictionary  bemerkt  zu  orra  kurz:  *0f  unascertained  origin.' 

Ich  möchte  in  dem  rätselhaften  orra  einfach  eine  Dublette  zu 
dem  gleichbedeutenden  odd  sehen.  Neben  das  (aus  dem  Nordischen 
entlehnte)  me.  odde  hat  sich  dialektisch  eine  zunächst  wohl  vulgäre 
Nebenform  orre  gestellt;  das  -a  von  orra  läfst  verschiedene  Deutun- 
gen zu  —  vielleicht  war  später  analogisch  das  Suffix  -y  angetreten, 
das  im  Dialekt  die  Form  -a  annahm  (vgl.  vera,  countra  usw.). 

Der  hier  für  orra  angenommene  Übergang  von  d  >  r  ist  ja 
auch  sonst  (namentlich  in  der  Vulgärsprache  und  den  Dialekten) 
mehrfach  zu  belegen.  Ich  erinnere  an  Fälle  wie:  (pottage  >)  poddige 
>  porridge ; '  catechize,  frz.  catechese  >  schott.  carritches  (Zwischen- 
stufe *cade-);  vulgärengl.  experetion  <  expedition,  imperence  <  impu- 
dence,  moral  <  model  (s.  Flügel  s.  v.) ;  dial.  perricot  <  petticoat.  ^  Nicht 
ganz  geklärt  ist  das  Verhältnis  von  me.  charlock,  chadlock,  kedlock 
usw.  zu  ae.  cerlic  und  cedelc. 

"^^  Der  umgekehrte  Lautwandel  von  r  >  d  liegt  vor  z.  B.  in  ae. 
pearruc  >  me.  parrok  >  ne.  paddock  ('the  railway-station  now  called 
Paddock  Wood  is  in  the  old  manor  of  Parrocks',  Skeat,  Princ.  Engl. 
Etym.  I,  376).  Auch  die  Koseformen  von  Namen  wie  Dick  (Richard), 
Doh  [Robert),  Dodge  (Roger)  wären  hier  anzuführen.  In  der  Sprache 
ungebildeter  Kinder  tritt  sogar  r  für  ih  ein:  there  (>  *dere)  >  rere, 
they  >  rey,  this  >  ris  (Beispiele  hierfür  bei  Hesba  Stretton,  Älone 
in  London). 

Halle  a.  S.  Otto  Ritter. 

*  'just  as  the  Southern  E.  errish  is  corrupted  from  eddish  (A.  S.  edisc), 
stubble'  (Skeat,  Gone.  Etym.  Dict.).  Doch  vgl.  Pogatscher,  Engl.  Studien 
27,  222. 

^  Einige  weitere  Beispiele  erinnere  ich  mich  in  Bardsleys  Dictionary 
of  sumatnes  getroffen  zu  haben. 


166  Kleine  Mitteilungen. 

Zachariae  in  England. 

Rudolf  Erich  Raspe  (1787 — 1794)  darf,  wenn  auch  in  zweiter 
Reihe,  als  einer  der  ersten  Vermittler  der  deutschen  Literatur  in 
England  gelten.  ^  Er  hatte  wegen  einer  Veruntreuung  im  Jahre  1775 
die  Heimat  verlassen  und  sich  nach  England  geflüchtet,  wo  er  durch 
Schriftstellerei  seinen  Lebensunterhalt  erwarb.  Am  bekanntesten  ist 
sein  Münchhausen  geworden,  der  nachher  Bürger  als  Vorlage  diente; 
daneben  kommt  noch  seine  Übersetzung  des  Nathan  (1781)  in  Be- 
tracht. Im  gleichen  Jahre  übertrug  Raspe  unter  dem  Titel  Tahhy  in 
Elysium  ein  ^scherzhaftes  Heldengedicht'  von  Zachariae:  Murner  in 
der  Hölle  (zuerst  Rostock  1757  erschienen).  Dies  Gedicht  steht  an 
Bedeutung  weit  hinter  dem  Renommisten  zurück:  es  ist  'eine  Travestie 
auf  den  Tod  Elpenors  im  elften  Buche  der  Odyssee,  eine  recht  witz- 
lose Geschichte  vom  Tode  eines  Katers,  der  im  ganzen  Hause  spukt, 
bis  sein  Kadaver  feierlich  bestattet  wird'  (Schüddekopf,  Ä.  D.  B.  44, 
638).  Tahhy  in  Elysium  (der  Titel  ist  gewifs  mit  Rücksicht  auf  das 
englische  Publikum  ungenau  wiedergegeben)  würde  daher  kaum  mehr 
als  eine  vorübergehende  Erwähnung  verdienen,  wenn  nicht  ein  Um- 
stand formeller  Natur  in  Betracht  käme.  Die  Übersetzung  ist  näm- 
lich wie  die  des  Nathan  in  Prosa  abgefafst,  das  Original  dagegen  in 
Hexametern.  Bei  der  Lektüre  der  Übersetzung  fallen  nun  eine  Reihe 
von  Stellen  durch  ihren  hexametrischen  Rhythmus  auf,  z.  B.: 

the  lamentable  fate 
of  an  immortal  Tabby:   he  passed  the  black  banks  of  Cocytus  (p.  1). 
Now  saucy  he  bids  thee  defiance 
in  his  golden  cage;  whenever  he  pleases  he  calls  thee, 
names,  nay  often  he  dares  to  utter  foul  language  and  curses  (p.  4), 
When  he  had  breathed  and  recovered  his  voice,  he  directed  it  thundering 

to  the  lady  in  tears  (p.  6). 
As  when  winter  comes  on  and  Boreas  wars  through  the  forest  (p.  11). 
With  grief  and  with  sorrow 

he  remained  on  the  banks  and  hoped  for  a  passage  in  vain.    He 
ventured  into  the  water  and  tried  to  cross  it  by  swimming  (p.  11). 
when  he  heard  the  groans  and  the  flogging,  the  jarring  of  iron 
and  the  rattling  of  heavy  chains,  dragged  along  by  those  wretches  (p.  18). 

and  which 
pimish  the  ravenous  beasts  that  are  guilty  of  murder  or  prey  on 
animals  harmless  and  useful!    This  judgment  does  not  concem  thee. 
As  the  herd  of  the  gossiping  geese,  pursued  by  a  playful 
Spaniel,  wing  their  vociferous  flght.  —  (p.  28.) 
Where  the  elastic  ball  was  driven  into  the  air  with 
Shouting  and  jubilee.    But  the  schoolmaster  laid  down  his  fasces  (p.  23). 

Es  kann  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs  Raspe  zunächst 
versucht  hat  das  Metrum  des  Originals  im  Englischen  nachzubilden, 
dafs  er  aber  damit  aus  Mangel  an  Gewandtheit  nicht  zustande  kam; 
die  Bruchstücke  bat  er  dann,  soweit  sie  ihm  gelungen  schienen,  sei- 
ner Arbeit  einverleibt.  Wir  hätten  hiermit  aus  neuerer  Zeit  den  ersten 


•  Vgl.  über  ihn  u.  a.  ArGhir  LXXXIV,  380. 


Kleine  Mitteilungen.  167 

Versuch,  englische  Hexameter  zu  bilden,  anderthalb  Jahrzehnte  bevor 
Coleridge  und  Southey  einerseits  und  William  Taylor  anderseits 
mit  ähnlichen  Versuchen  hervortraten.  So  zeigt  es  sich  wieder,  wie 
die  Anwendung  dieser  Versform,  die  sich  ja  in  der  englischen  Poesie 
immer  noch  nicht  recht  eingebürgert  hat,  ausschliefslich  auf  deutschen 
Einflufs  zurückgeht. 

Berlin.  Georg  Herzfeld. 

Zu  Archiv  CXni,  63  (Lewis'  Monk). 

Infolge  der  Unzulänglichkeit  der  mir  zu  Gebote  stehenden 
bibliographischen  Hilfsmittel  habe  ich  die  Erscheinungszeit  des  Ro- 
mans Die  blutende  Gestalt  mit  Dolch  und  Lampe  zu  spät  angesetzt. ' 
Wie  ich  aus  einer  Mitteilung  von  Dr.  Egon  von  Komorzynski  ersehe, 
wird  die  Blutende  Gestalt  in  der  Wiener  Zeitung  vom  23.  März  1799 
als  eben  erschienen  angekündigt. 

An  meiner  Beweisführung  a.  a.O.  ändert  diese  kleine  Verschiebung 
natürlich  nichts;  ich  freue  mich  vielmehr,  feststellen  zu  können,  dafs 
die  Prioritätsfrage  Monk'^- Blutende  Gestalt  durch  diese  Zeitungsnotiz 
definitiv  in  meinem  Sinne,  d.  h.  zugunsten  des  Monk,  entschieden  wird. 

Halle  a.  S.  Otto  Ritter. 

Zu  M.  Gr.  Lewis*   Tales  of  wander. 

Seine  Ballade  The  gay  gold  ring  in  den  Tales  of  wonder  (ed. 
Morley,  p.  175  ff.)  begleitet  Lewis  mit  der  folgenden  Notiz:  *I  once 
read  in  some  Grecian  author,  whose  name  I  have  forgotten,  the  story 
which  suggested  to  me  the  outline  of  the  foregoing  ballad.'  Da  auch 
der  letzte  Biograph  von  Lewis,  M.  Rentsch  (M.  Gr.  Lewis,  Lpz.  Diss. 
1902),  nur  von  der  'Geschichte  eines  griechischen  Schriftstellers',  die 
die  Grundlage  der  Ballade  gebildet  habe,  spricht  (S.  62),-^  so  möchte 
ich  kurz  bemerken,  dafs  Lewis  nur  die  Geschichte  von  Machates 
und  Philinnion  aus  dem  Werke  des  Phlegon  TIeQi  ^^av^iaotwv  (Kap.  I) 
gemeint  haben  kann,  jene  selbe  Erzählung  also,  die  als  die  Urquelle 
der  Goethischen  Braut  von  Corinth  nachgewiesen  worden  ist. 

Halle  a.  S.  Otto  Ritter. 

Ein  englisches  Urteil  für  Byron. 

John  Morley  hielt  am  17.  Dezember  1904  bei  der  Eröffnung 
einer  neuen  Volksbibliothek  in  Plumstead  High-Street,  Manchester, 
eine  Rede  (gedr.  im  Manchester  Guardian,  19.  Dez.),  worin  er,  aus- 
gehend von  der  überwiegenden  Nachfrage  nach  Romanen  in  den 
englischen  Volkslesehallen,  z.  B.  in  Woolwich,  eine  Lanze  für  Byron 
brach.  Er  sagte:  There  was  something  to  be  said  for  fiction.  Their 
prosaic  lives  needed  all  the  stir  and  Imagination  that  could  be  given 

*  Der  Roman  ist  buchhändlerisch  erst  seit  1816  nachzuweisen. 
2  Erschienen  1795. 

^  Weder  Dunlop  noch  St.  Hock,  Vampyrsagen,  nehmen  auf  Lewis* 
Ballade  Bezug. 


168  Kleine  Mitteilungen. 

them  by  Walter  Scott,  Dumas,  Dickens,  Thackeray,  George  Eliot, 
Jane  Austen,  Mrs.  Gaskell,  and  all  the  other  admirable  story-tellers. 
Some  of  the  characters  of  Scott  and  of  the  poets  were  as  real  to  us 
as  any  of  the  great  actors  in  history.  Of  course  comparisons  be- 
tween  men  of  action  and  men  of  letters  were  idle.  They  were  not 
always  very  fair,  and  were  rather  meaningless.  He  was  reading  the 
other  day  that  the  world  of  books  was  a  world  of  shadows.  In  a 
sense  it  was  true.  We  were  all  shadows.  But  great  ideas  launched 
into  the  world  were  not  shadows  —  they  were  the  substance.  Would 
any  man  say  that  Napoleon  Bonaparte  was  a  substance  and  Goethe 
and  Byron  but  transient  shadows  ?  That  Pitt  and  Fox  and  Canning 
and  Castlereagh  were  the  substance  and  Scott  and  Shelley  and 
Wordsworth  mere  phantoms?  —  (Cheers.)  It  would  be  very  wrong 
if  any  man  said  any  such  thing.  He  who  was  not  stimulated  and 
afreshed  by  poetry  led  but  a  rautilated  existence.  Shakspere  was  the 
poet  of  poets,  but  in  looking  out  for  poets  let  the  rule  be  for  prefe- 
rences,  not  exclusions.  And  here  he  would  like  to  say  something 
which  might  bring  a  storm  of  criticism  upon  him.  If  he  were  libra- 
rian  at  Plumstead  or  Woolwich  and  were  asked  what  poet  he  would 
recommend  he  thought  he  would  say  Byron.  —  (Hear,  hear.)  Byron 
was  not  the  greatest  of  poets,  but  he  had  got  daring  and  energy  and 
historic  sense  and  a  loathing  —  which  he  hoped  they  all  feit  —  for 
cant  in  all  its  aspects.  There  were  two  cants  —  the  cant  of  the 
Upper  ten  thousand  and  the  cant  of  the  million,  and  Byron  loathed 
them  both.  Byron  was  at  the  beginning  of  last  Century  the  great 
central  inspiriting  force  of  democracy  on  the  Continent  of  Europe, 
and  he  thought  that,  when  the  democracy  extended  its  reading  and 
applied  itself  for  inspiration  to  poetry  apart  from  the  inspiration  of 
facts  and  the  needs  and  demands  of  the  time,  Byron  would  once  more 
have  his  day.  (Cheers.)  A.  B. 

Ne.  pane,  panel;  nfrz.  panneau;  nhd.  paneel;  lat.  panis. 

Ne.  parte  bedeutet  nach  Grieb-Schröer:  '1.  (veraltet)  Tuchstück, 
Tuchstreifen  zum  Einsetzen  in  ein  Kleid;  2.  (veraltet)  Schlitz  (an 
Kleidern);  3.  Fläche,  Fach, Feld;  Füllung  (eines Tafel werks) ;  4. Scheibe 
(von  Glas  usw.);  kleines  Viereck  (viereckiges  Stück)',  vgl.  window- 
pane  'Fensterscheibe',  pane  vb.  'mit  Scheiben,  Feldern  usw.  versehen'. 
In  den  beiden  ersten  Bedeutungen  ist  das  Wort  wohl  unzweifelhaft 
frz.  pan,  lat.  pannus.  Auch  in  den  Bedeutungen  3,  4  ('Füllung, 
Scheibe  usw.')  wird  es  von  Schröer,  sowie  auch  von  Klatt  (Muret- 
Sanders,  Hand-  und  Schulausgabe,  Berlin  1901)  und  Skeat  {A  con- 
cise  etym.  dicL,  Oxford  1901)  noch  nicht  von  1,  2  getrennt.  Diese 
Trennung  scheint  mir  jedoch  notwendig. 

A.  Ludwig  hat  bereits  1895  (Sitzungsber.  der  böhm.  Gesellsch.  d. 
Wiss.,  Phil.-Hist.  Kl.,  1895,  Stück  XVIII,  S.  4)  darauf  hingewiesen, 
dafs  lat.  panis  auch  die  in  den  Wörterbüchern  nicht  aufgeführte  Be- 


Kleine  Mitteilungen.  169 

deutung  'Türspiegel,  Türfüllung'  hat,  wofür  er  zwei  schlagende  Belege 
(Poenulus  III,  4,  19  und  Bacchides  No.  1,  8)  anführt.  Er  ist  nun 
der  Ansicht,  dafs  lat.  panis  'Brot'  mit  diesem  panis  'Türfüllung,  Tafel' 
identisch  ist.  Dann  würde  also  panis  nicht  von  seinem  Zweck,  son- 
dern von  seiner  Form  den  Namen  haben,  was  sehr  einleuchtet,  da 
für  eine  solche  Bedeutungsentwickelung  namentlich  in  Gebäcknamen 
sich  zahlreiche  Beispiele  anführen  lassen.  ^  Wir  würden  dann  nicht 
mehr  (wie  Vanicek  1,  449,  Prellwitz  240,  Persson,  Wurzelerweiterung 
33  u.  a.)  von  einer  Wurzel  pä-  'zu  sich  nehmen,  essen,  nähren'  in 
gr.  nareofiat,  got.  födjan  usw.  bei  lat.  panis  ausgehen  dürfen.  Doch 
das  interessiert  uns  hier  nicht;  wir  haben  es  nur  mit  der  Frage  zu 
tun,  die  Ludwig  a.  a.  O.  zum  Schlufs  auf  wirft:  'Wie  verhält  sich  nun 
zu  diesem  panis  ("[Tür]füllung")  engl,  pane  (glass-pane,  door-pane)V 

Ich  glaube,  wir  dürfen  die  Vermutung,  die  in  dieser  Frage  liegt, 
für  zutreffend  halten.  Die  Bedeutung  'Tafel'  zeigt  das  roman.  Wort 
noch  heute:  span.  pan  bedeutet  aufser  'Brot,  Laib'  auch  'Tafel  (Wachs, 
Seife  usw.)'  sowie  'Gold-,  Silber-,  Metallblättchen',  auch  ital.  pane 
'Tafel  (von  Schokolade,  Wachs,  Metall  usw.)'.  Diese  Bedeutungen 
stimmen  sehr  gut  zu  panis  'Türfüllung',  die  ja  auch  ein  dünneres,  in 
den  stärkeren  Rahmen  eingefügtes  Täfelchen  ist;  jedenfalls  lassen 
sie  sich  so  besser  erklären  als  aus  der  Bedeutung  'Brot,  Laib'.  Wir 
dürfen  daher  wohl  das  aus  dem  Romanischen  stammende  Wort,  ne. 
me.  pane,  das  auch  im  me.  die  Bedeutung  pane  of  glass  hat,  in  letzter 
Linie  auf  lat.  panis  'Füllung'  zurückführen. 

Für  diese  Etymologie  spricht  auch  ne.  panel  '(in  der  Baukunst 
usw.)  Feld,  Fach,  Füllung,  Tafel,  Täfelung,  Tafelwerk ;  hölzerne  Tafel 
(für  ein  Gemälde);  Verzeichnis  der  Geschworenen  usw.'  ==:  me.  panel, 
panell  auch  in  der  Bedeutung  *jury  list',  eig.  '(umrahmte)  Tafel  (mit  den 
Namen  der  Geschworenen)'.  Das  me.  Wort  stammt  entweder  aus  dem 
afrz.  panel  oder  wie  dieses  direkt  aus  mlat.  panellus  von  panis  'Tafel, 
Türfüllung',  neben  dem  pannellus  (afrz.  pannel)  aus  pannus  bestand, 
das  mit  dem  ersten  vermengt  wurde.  Vgl.  nfrz.  panneau  (afrz.  panel) 
'Füllung  (Fläche  innerhalb  einer  meist  erhöhten  Einfassung)',  Aus 
derselben  Quelle  ist  auch  nl.  paneel  'Tafel werk,  Getäfel'  geflossen, 
das  durch  Vermittelung  des  Nd.  ins  Hochd.  eingedrungen  ist. 

Kiel.  Heinrich  Schröder. 


'  Auch  Geräte  usw.  haben  oft  nicht  von  ihrer  Bestimmung,  sondern 
von  ihrer  Gestalt  den  Namen  erhalten.  Diese  Tatsache  wird  in  der  ety- 
mologischen Forschung  viel  zu  wenig  beachtet.  So  hat  man  für  die  Sichel- 
namen gr.  a^jir],  aksl.  srüpü,  russ.  serpu  usw.  eine  eigene  Wurzel  serp- 
'schneiden'  aufgestellt,  neben  der  Wurzel  serp-  '(sich)  krümmen,  winden', 
wozu  u,  a.  lat.  serpo,  serpens,  alban.  garpsr  'Schlange',  Und  doch  liegt 
es  näher,  die  Sichelnamen  von  serp-  'krümmen'  als  'gekrümmtes  Schneide- 
werkzeug' zu  erklären  denn  als  'Schneidewerkseug'  schlechthin,  so  dafs 
die  Aufstellung  einer  indog,  Wurzel  serp-  'schneiden'  vollkommen  über- 
flüssitr  ist.     Vgl.  Verf.  Indogerm.  Forsch,  nächstes  Heft. 


Sitzungen  der  Berliner  Gresellschaft 

für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 


Sitzung  vom  8.  Dezember  1903. 

Herr  Cornicelius  sprach  über  Ein  Pamphlet  gegen  den  letzten  duc 
de  Nivertmis.  Die  Persönlichkeit,  Leben  und  Leistungen  des  letzten 
Herzogs  von  Nevers  hat  Lucien  Perey  in  den  Büchern  Un  petit-neveu 
de  Maxarin  und  La  fln  du  XVIII ^  siede  sehr  anziehend  geschildert. 
Nur  gerade  die  Beziehungen  zu  seinem  ducke-pairie  sind  dürftig  behan- 
delt. Diese  Lücke  wird  indessen  gutenteils  ausgefüllt  durch  eine  kleine 
Schrift  des  Keohtsanwalts  Paul  Meunier  in  Nevers:  Duc  et  duche  de  Ni- 
verniis,  Never>>  1891.  Wir  sehen  hier  an  einem  in  mancher  Besonderheit 
einzig  dastehenden  Beispiel  die  letzten,  vor  der  vorschreitenden  Zentrali- 
sation Frankreichs  immer  mehr  zusammenschrumpfenden  Reste  der  alten 
Feudaladministration.  —  Als  die  Rivalität  der  beiden  Verwaltungen,  ver- 
körpert einerseits  in  dem  bailliage  ducal  in  Nevers  und  anderseits  in 
in  dem  bailliage  royal  et  siege  presidial  in  Saint-Pierre-le-Moütier,  bei  Ge- 
legenheit der  Wahlen  zu  den  Etats -gener aux  1789  besonders  scharf  zum 
Ausdruck  kam,  verfafste  ein  Jurist  Etienne-Guyot  Sainte-H^lfene  (in  Ne- 
vers 1740  geb.  und  in  Paris  als  Richter  am  Tribunal  de  la  Seine  1815  gest.) 
ein  überaus  drastisch  und  lebendig  gehaltenes  Pamphlet  gegen  den  Herzog 
und  seine  gerade  in  dem  damaligen  Zwist  von  Paris  her  unterstützte  Herr- 
schaft. Veröffentlicht  aber  hat  er  seine  Patatras!  betitelte  Streitschrift 
nicht.  Sie  ist  nach  seinem  Manuskript  erst  im  Almanach  de  la  Nievre 
für  1845,  leider  nicht  recht  sorgfältig,  gedruckt  worden.  Er  fingiert  in 
dem  Pamphlet  eine  Versammlung  der  armen  Bewohner  der  Vorstadt 
Mouesse-les-Nevers  auf  dem  Saint-Lazare-Kirchhof  am  3.  Mai  1789  und 
liest  ihnen  in  der  Maske  eines  Schweinezungenbeschauers  Fleurimond 
Bondon  die  lange,  in  22  Paragraphen  zusammengefafste  Liste  ihrer  Be- 
schwerden vor,  so  wie  er  sie  dem  König  selber  in  ihrem  Auftrage  hätte 
vorlegen  möeen,  die  jetzt  aber  laut  einstimmigem  Beschlufs  der  Versamm- 
lung gedrucKt  zur  Kenntnis  der  Generalstände  kommen  soll.  —  Der 
Patatras  ist  ein  Dokument  des  schon  vor  der  Revolution  im  Nivernais 
lebendigen  demokratischen  Geistes,  literarisch  und  philologisch  bemerkens- 
wert durch  seinen  echten  Pamphletstil,  durch  die  mit  Bildern,  sprich- 
wörtlich-volkstümlichen Wendungen  fast  zu  sehr  belebte  Darstellung  und 
durch  seine  vielfach  provinziell-altertümliche  Sprache. 

Herr  Le  Tournau  spricht  über  Brizeux'  Gedicht  Les  Bretons.  Er 
gibt  eine  eingehende  Analyse  des  Werkes  und  liest  einige  besonders  be- 
merkenswerte Stücke  daraus  vor. 

Herr  Oberlehrer  Felix  Wilke  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 

Sitzung  vom  12.  Januar  1904. 

Herr  Adolf  Tobler  macht  einige  Bemerkungen  über  die  doppelte 
Möglichkeit,  einen  Wunschsatz  der  dritten  Person  auszudrücken:  Qu'il 
s'en  aiUe!    Puisse-t-il  vivre  longtemps!    Mit  dem  letzteren  mufs  man   ur- 


Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft  etc.  171 

sprünglich  gemeint  haben:  Er  möge  können,  es  sei  ihm  möglich,  es  sei 
ihm  vergönnt.  Dann  aber  verschwand  dieser  Sinn  und  jmisse-t-il  vivre 
wurde  gleich  qu'il  vivc  gebraucht.  In  der  Schweiz  hat  das  Verbum  'mögen' 
noch  heute  den  Sinn  von  'überwältigen,  überwinden';  'es  mag  ihn  nie- 
mand' heifst  'es  kann  ihn  niemand  überwinden'.  —  Nach  kurzer  Erörte- 
rung berichtet  Herr  B  ran  dl  über  literarische  Eindrücke  von  einer  eng- 
lischen Reise.  Er  bat  die  Heimatstätten  mehrerer  englischen  Dichter 
besucht:  1.  Die  Heimat  Walter  Scotts,  Edinburgh,  Melrose,  Abbots- 
ford,  an  dessen  Ausbau  der  Dichter  finanziell  zugrunde  'gegangen  ist; 
2.  Stratford-on-Avon,  das  im  Geburtshause  und  Geburtszimmer 
Shakespeares  vieles  Unechte  und  Moderne  zeigt.  Schön  ist  nur  die  alte 
Trinity  Church,  scheulslich  dagegen  das  Memorial  Theatre  und  dürftig  die 
dazugehörige  Bibliothek.  B.  Wordsworth's  Wohnsitze  in  Cumberland, 
Grasmere  und  Ridal  Mount,  wo  man  alle  Erinnerungen  an  den  Dichter 
aufs  sorgfältigste  aufbewahrt  und  ihn  'unsern'  Wordsworth  nennt.  Die 
Überschätzung  des  Dichters,  der  man  so  vielfach  in  England  begegnet, 
erklärt  sich  daraus,  dafs  er  dem  religiös  Sanften,  Volkstümlichen,  der 
Sehnsucht  nach  dem  Landleben,  nach  allem  was  man  sweet  nennt,  ent- 
gegengekommen ist.  4.  Burns' Wohnstätten  in  Mauchlin  und  Dumfries, 
wo  man  schlechte  Denkmäler  von  ihm  besitzt,  wo  aber  der  schlichte 
Bauersmann  Hunderte  von  seinen  Versen  herzusagen  vermag.  5.  New- 
stead  Abbey,  das  unter  der  Aufsicht  von  Mifs  Webb  steht,  an  deren 
Vater  einst  der  Byronsche  Besitz  verkauft  wurde.  Die  alte  Abtei  wird 
vor  jedem  Fremden  sorgfältig  gehütet,  und  nur  dem  Zusammentreffen 
verschiedener  glücklicher  Umstände  verdankte  es  der  Vortragende,  dai's  er 
eingelassen  und  in  der  Abtei  und  im  Park  herumgeführt  wurde.  Die 
wundervolle  Abtei  mit  ihren  geheimen  Treppen  und  geheimen  Türen,  die 
nicht  weit  von  Nottingham  und  seinen  Robin -Hood- Erinnerungen  liegt, 
erklärt  Byrons  Neigung  zur  Romantik,  das  Hundedenkmal  im  Park  genau 
über  dem  ehemaligen  Hochaltar  der  Kirche  mit  der  bekannten  verletzend 
pessimistischen  Inschrift  erklärt  Byrons  Isoliertheit  in  England  und  die 
Abneigung  der  Besitzerin  gegen  fremden  Besuch.  —  Sodann  berichtet  der 
Vortragende  über  die  neueren  literarischen  Bestrebungen  unter  den  jung- 
irischen Dichtern.  George  Moore  und  Yeats  kämpfen  für  Wiederbelebung 
der  irischen  Poesie  und  Restauration  der  irischen  Sprache.  Der  sehr 
fruchtbare  Yeats  verlangt  überdies  Vorherrschaft  der  Phantasie  in  der 
Dichtkunst  und  Entwickelung  der  musikalischen  Wirkung  in  ihr.  Von 
seinen  Gedichten  'Der  junge  Ossian'  und  'The  EarWs  Breath'  in  der 
Sammlung  'The  Nuts  of  Knowledge'  gibt  der  Vortragende  Inhaltsangaben 
und  Proben. 

Sitzung  vom  26.  Januar  1904. 

Herr  Mangold  spricht  über  Voltaires  Prozefs  mit  dem  Juden  Hir- 
schel.  Der  Vortrag  zusammen  mit  dem  Aktenraaterial  wird  demnächst 
als  Sonderpublikation  erscheinen   {Voltaires  Rechtsstreit  etc.,   Berlin  1905). 

Herr  Le  Tournau  setzt  seinen  Vortrag  über  Brizeux,  poete  epique 
und  Les  Bretons  fort.  Wieder  gelangen  einzelne  besonders  interessante 
und  schöne  Stellen  zum  Vortrag,  so  besonders  diejenigen,  wo  die  Ge- 
bräuche der  Bretagne  bei  Leichenfeiern,  am  Allerheiligentag,  bei  Ver- 
lobungen und  Hochzeiten  geschildert  werden.  Der  Vortragende  gibt  so- 
dann eine  eingehende  Analyse  des  Brizeuxschen  Werkes,  das  ihm  wegen 
seiner  Mängel  in  der  Komposition  und  Form  unter  dem  Gedicht  'Marie' 
zu  stehen  scheint.  Brizeux  wird  mit  den  Lakists  verglichen,  und  es  wird 
auf  Renans  'Essai  sur  la  poesie  des  raees  celtiqttes'  hingewiesen,  in  welchem 
Brizeux  als  keltischer  Dichter  gewürdigt  wird. 

Die  Herren  Oberlehrer  Dr.  Carl  Philipp  und  Direktor  Prof.  Dr. 
Wolter  haben  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 


172  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Sitxmtg  vom  9.  Februar  1904, 

Der  Vorsitzende  Herr  Adolf  Tobler  macht  Mitteilung  von  dem 
Tode  des  stellvertretenden  Vorsitzenden  Prof.  Dr.  Bieling,  eines  der 
ältesten  Mitglieder  der  Gesellschaft,  und  widmet  ihm  einen  warmen  Nach- 
ruf. Die  anwesenden  Mitglieder  ehren  das  Andenken  des  Verstorbenen 
durch  Erheben  von  den  Sitzen. 

Herr  Mangold  beendigt  seinen  Vortrag  über  Voltaires  Prozefs  mit 
dem  Juden  Hirschel;  der  Vortrag  wird,  wie  schon  erwähnt,  als  Sonder- 
publikation erscheinen. 

Herr  Adolf  Tobler  spricht  über  dje  Bedeutung  von  par  eocemple,  das 
in  den  Wörterbüchern  mit  verschiedener  Übersetzung  angeführt  wird,  wobei 
aber  nicht  ersichtlich  ist,  wie  die  Entwickelung  der  Bedeutung  vor  sich  ge- 
gangen ist.   Der  Vortrag  ist  inzwischen  in  Archiv  CXIII,  1.S6  ff.  erschienen. 

Die  Herren  Prof.  Dr.  Wolter,  Direktor  der  12.  Realschule,  und 
Oberlehrer  Dr.  Philipp  werden  in  die  Gesellschaft  aufgenommen.  Die 
Herren  Oberlehrer  Dr.  Borbein,  Hilfsarbeiter  im  Provinzial-SchulkoUe- 
gium,  und  Oberlehrer  Dr.  Luft  haben  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  23.  Februar  1904. 

Herr  Herzf  eld  spricht  über  das  Thema:  Zur  Geschichte  der  Faustsage 
in  Frankreich  und  in  England.  —  Der  Vortragende  weist  auf  zwei  Stellen 
in  Goethes  'Faust'  hin,  die  eine  im  1.  Teil,  wo  Faust  Helena  im  Zauber- 
spiegel sieht,  die  andere  im  2.  Teil  (Akt  I),  wo  er  ein  Schattenbild  ihrer 
Gestalt  erblickt.  Die  Quelle  zu  dieser  zweiten  Szene  bietet  eine  Erzählung 
des  Hans  Sachs;  daneben  kommt  aber  eine  Novelle  des  Grafen  Antoine 
Hamilton  {U enchanteur  Faustus)  in  Betracht.  Der  Inhalt  dieser  Novelle 
(Faust  erscheint  als  Magier  am  Hofe  der  Elisabeth  und  führt  hier  ver- 
schiedene Erscheinungen,  unter  anderen  Helena,  vor)  wird  mitgeteilt.  Als 
Anlafs,  die  Handlung  in  England  vor  sich  gehen  zu  lassen,  vermutet  der 
Vortragende  das  Verhältnis  der  Königin  Elisabeth  zu  dem  bekannten  Alchi- 
misten John  Dee  (1527 — 1608).  Sein  Lebensgang  wird  dann  etwas  ausführ- 
licher besprochen.  Er  ist  um  deswillen  besonders  interessant,  weil  er  mehr- 
fach direkte  Parallelen  zu  Fausts  Schicksalen  in  Sage  und  Dichtung  dar- 
bietet, wodurch  es  sich  zeigt,  dafs  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  in  England 
der  Boden  für  die  Rezeption  der  Faustsage  besonders  gut  vorbereitet  war. 

Herr  Ludwig  spricht  über  Friedrich  den  Grofsen  im  spanischen 
Drama.  —  Ausgehend  von  Stümckes  Buch  'Hohenzollemfürsten  im  Drama' 
bespricht  der  Vortragende  mehrere  Stümcke  unbekannt  gebliebene  spanische 
Dramen  aus  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts.  Nach  einer  Skizze  der 
literarischen  Stellung  ihres  Verfassers,  des  'spanischen  Kotzebue'  Cornelia, 
behandelt  er  die  Schauspiele  nach  Inhalt,  Quellen,  Technik  und  literarischem 
Wert.  Sodann  gibt  er  zusammenfassend  eine  Charakteristik  Friedrichs 
nach  den  Comellaschen  Dramen:  der  König  ist  in  ihnen,  seiner  nationalen 
Eigenschaften  entkleidet,  zum  kosmopolitischen  Ideal  des  aufgeklärten 
Despoten  geworden  (seither  gedruckt  in  Ztf.  f.  vgl.  Litgesch.  N.  F.  XV,  431). 

Oberlehrer  Dr.  Borbein  und  Oberlehrer  Dr.  Luft  werden  in  die 
Gesellschaft  aufgenommen. 

Zum  stellvertretenden  Vorsitzenden  an  Stelle  des  verstorbenen  Herrn 
Bieling  wird  Herr  Mangold  gewählt. 

Herr  Dr.  Otto  So  bring  hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  8.  März  1904. 

Herr  Willert  sprach  über  den  von  der  Acad^mie  Goncourt  preis- 
gekrönten Roman  Force  ennemie  von  John- Antoine  Nau.  Nach  einigen 
Notizen  über  den  Verfasser  teilte  er  den  Inhalt  des  Romans  mit  und  gab 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  178 

Proben  der  sich  darin  findenden  verschiedenen  Stilarten.  Er  war  der  An- 
sicht, dafs  dieses  Werk  trotz  mancher  Schwächen  Beachtung  verdiene  und 
nicht  ohne  Interesse  sei,  während  Herr  Mangold  erklärte,  nicht  zu  ver- 
stehen, wie  man  ein  solches  Buch  durch  einen  Preis  habe  auszeichnen  können. 

Herr  Lamprecht  besprach  Hanotaux,  Histoire  de  la  France  contem- 
poraine.  Band  1,  632  Seiten.  Die  Vorrede  des  Werkes  ist  Ende  April 
1903  geschrieben  und  in  derselben  Zeit  der  Druck  vollendet  worden.  Es 
umfalst  in  zehn  Kapiteln :  La  guerre,  L'assemblee  nationale  ä  Bordeaux,  La 
commune,  Premiere  crise  constitutionelle,  Le  traite  de  Francfort,  Vers  la  lihe- 
ration,  Le  travail  parlementaire,  L'apogee,  La  liberation  du  territoire,  Le  24  mai 
1873.  Als  Quellen  führt  H.  etwa  siebzig  Werke  an,  davon  verschiedene, 
die  noch  nicht  gedruckt  sind.  Was  den  Standpunkt  und  die  Auffassung 
des  Verf.  betrifft,  so  ist  er,  wie  er  in  der  Vorrede  sagt,  ausgesprochener 
Republikaner,  sucht  aber  doch  und  weifs  dem  Legitimisten,  dem  Orleanisten 
und  dem  Bonapartisten  in  Gutem  wie  in  Bösem  gerecht  zu  werden.  Treff- 
liche Charakteristiken  sind  gegeben  worden  von  Thiers  an  vier  Stellen, 
Gr^vy,  Henri  V.,  Dupanloup,  Gontaud-Biron,  Pius  IX.,  Challemel-Lacour 
und  dem  Herzog  von  Broglie,  während  man  denen  von  Manteuffel,  Graf 
von  Arnim  und  Bismarck  weniger  Vertrauen  schenken  wird.  Die  Darstel- 
lung fliefst  in  schöner  und  edler  Sprache  über  die  inneren  und  äufseren 
Angelegenheiten  dahin.  Der  Verf.,  auf  der  Ecole  des  Chartes  gebildet,  war 
allerdings  in  der  in  diesem  ersten  Bande  behandelten  Zeit  noch  ein  Jüng- 
ling, trat  aber  dann  bald  in  die  Republiqv£  fram^aise  als  Mitarbeiter,  her- 
nach in  das  Ministerium  des  Auswärtigen  ein,  dessen  Leitung  er  mehrere 
Jahre  gehabt  hat.  Diese  Laufbahn  und  die  Kenntnis  der  handelnden 
Personen  befähigt  ihn,  von  einem  hohen  und  freien  Gesichtspunkt  zu 
schreiben;  er  erinnert  in  dieser  Beziehung  an  Thiers,  Histoire  du  consulat 
et  de  l'empire.  Daher  sind  die  Kapitel  über  finanzielle  und  Verwaltungs- 
angelegenheiten sehr  genau  gearbeitet,  ebenso  die  Neugestaltung  des  Heer- 
wesens nach  dem  Kriege.  Es  muTs  uns  Achtung  einflöfsen,  zu  sehen,  wie 
Thiers  es  verstanden  hat,  das  Land  aus  der  schweren  Schuldenlast,  in  die 
es  der  Krieg  und  der  Aufstand  der  Kommune  gestürzt  hatten,  heraus- 
zuziehen und  es  aus  der  Zerrissenheit  der  drei  genannten  Parteien  in  die 
republikanische  Verfassung  hinüberzuführen.  Und  wenn  auch  in  der  Be- 
handlung der  auswärtigen  Angelegenheiten  sich  einige  Irrtümer,  Mängel 
und  allzu  chauvinistische  Stellen  finden,  so  verdient  das  Werk  doch  die 
wärmste  Empfehlung,  und  wir  dürfen  mit  Spannung  dem  zweiten  Bande, 
der  im  Mai  dieses  Jahres  erscheinen  soll,  entgegensehen. 

Herr  Spies  regt  zu  allgemeiner  Mitarbeit  an  Mätzners  Altenglischem 
Wörterbuch  an,  dessen  Weiterführung  er,  der  Redner,  nach  Bielings  Tode 
übernommen  habe,  und  beantragt  eine  pekuniäre  laufende  Unterstützung 
von  Seiten  der  Gesellschaft.  —  Herr  B  ran  dl  unterstützt  diesen  Antrag 
aufs  nachdrücklichste;  schon  wenn  die  Gesellschaft  als  Protektorin  des 
Unternehmens  aufträte,  würde  das  eine  kräftige  Unterstützung  bedeuten. 
—  Der  Antrag  soll  in  der  nächsten  Sitzung  verhandelt  werden. 

Herr  Dr.  So  bring  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 

Sitzung  vom  22.  Marx  1904, 

Herr  Spies  sprach  über  Neus  Shakespeare- Übersetxungen  aus  dem 
Nachlafs  Otto  Oildemeisters.  Es  sind  das  die  bisher  noch  unveröffent- 
lichten Stücke  Romeo  und  Julie,  Othello,  Lear,  Macbeth,  die  im  Mai  in 
einer  vom  Vortragenden  besorgten  Ausgabe  bei  Georg  Reimer  erscheinen 
werden.  Der  Vortragende  gibt  zunächst  im  Anschlufs  an. .seinen  am  13.  Ja- 
nuar 1903  in  der  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrag  einen  Überblick  über  die 
Tätigkeit  Gildemeisters  als  Übersetzer  und  bespricht  dann  die  neuen  Über- 
tragungen.   Nach  einigen  Mitteilungen  über  Zeit  und  Art  der  Entstehung 


174  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

erläutert  er  die  Übersetzungskunst  öildemeisters  im  Vergleich  zu  den 
früheren  Übersetzern  an  der  Hand  zahlreicher  Beispiele  in  bezug  auf  die 
Wiedergabe  der  Reime,  Wortspiele,  Alliterationen  usw.  und  teilt  schliefslich 
einige  gröfsere  Stellen  im  Zusammenhang  mit.  —  Die  Ausführungen 
werden  teils  in  der  Ausgabe,  teils  an  anderer  Stelle  veröffentlicht  werden. 

Herr  Pariselle  sprach,  gestützt  auf  neuere  Untersuchungen,  beson- 
ders auf  das  Werk  von  Paul  Gautier,  Madame  de  Stael  et  Napoleon  (Paris, 
Librairie  Plön,  1903),  über  die  Entstehung  der  Feindschaft  zwischen  Bona- 
parte und  Frau  von  Stael.  Der  Vortrag  wird  in  der  Sonntagsbeilage  der 
'Vossischen  Zeitung'  gedruckt  erscheinen. 

In  bezug  auf  das  Mätznersche  Wörterbuch  wurde  folgender  Be- 
schlufs  gefalst:  'Die  Gesellschaft  empfiehlt  ihren  Mitgliedern,  sich  an  der 
Vollendung  des  Mätznerschen  Wörterbuches  durch  freiwillige  Mitarbeit 
mit  allen  Kräften  zu  beteiligen.'  Von  einer  pekuniären  Beihilfe  wurde 
Abstand  genommen,  da  die  Weidmannsche  Buchhandlung  sich  bereit  er- 
klärt hat,  alle  Herstellungskosten  selbst  zu  tragen. 

SÜMmg  vom  12.  April  1904. 

Herr  Emil  Penner  sprach  über  Viereck,  Geschichte  des  deutschen 
Unterrichts  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika.  Der  Verfasser 
bietet  mit  seinem  vorzüglichen  Buch  eine  Neubearbeitung  eines  umfäng- 
lichen Berichts,  der  ihm  vor  einigen  Jahren  vom  United  States  Bureau  of 
Education  übertragen  wurde.  Der  Verfasser  steckt  sein  Ziel  nicht  niedrig ; 
er  will  nicht  nur  vom  rein  technisch -pädagogischen  Standpunkt  aus  die 
Frage  erörtern,  sondern  vor  allem  vom  kulturellen  Standpunkt.  Der 
deutsche  Unterricht  ist  für  die  Amerikaner  nicht  nur  das  Mittel,  mit  der 
deutschen  Sprache  bekannt  zu  werden,  sondern  er  trägt  auch  dazu  bei, 
die  Studenten  in  die  deutsche  Denkweise  einzuführen  und  sie  für  die 
deutschen  Kulturideale  zu  gewinnen.  Deutschland  ist  für  die  Amerikaner 
ungefähr  das,  was  das  klassische  Griechenland  für  die  alten  Kömer  war, 
und  Berlin  ist  für  sie  der  'Weltmittelpunkt  der  humanen  Bildung'.  Des- 
halb verdient  die  Entwickelung  des  deutschen  Unterrichts,  eingehendste 
Beachtung.  Zunächst  gibt  der  Verfasser  einen  historischen  Überblick  über 
die  drei  grofsen  Perioden:  1)  vom  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  bis  1825; 
2)  von  1825  bis  I87ö;  3)  von  187ö  bis  zur  Jahrhundertwende.  Darauf  wird 
der  gegenwärtige  Stand  des  deutschen  Unterrichts  eingehend  besprochen, 
und  zwar  so,  wie  er  sich  in  den  Elementarschulen,  in  den  Secondary 
Schools  und  endlich  in  den  Colleges  und  Universities  darstellt.  Von  be- 
sonderer Wichtigkeit  ist,  dafs  sich  Bestrebungen  mit  grofser  Wucht  gel- 
tend machen,  welche  auf  gröfsere  Einheitlichkeit  im  amerikanischen  Schul- 
wesen hinarbeiten.  Es  folgen  Kapitel  über  das  Teachers'  College  in  Neu- 
york,  in  dem  ein  deutscher  Schulmann,  Prof.  Dr.  Bahlsen- Berlin,  prak- 
tische und  theoretische  Vorlesungen  über  deutsche  Pädagogik  und  deutsche 
Schulmethoden  gehalten  hat,  sowie  Kapitel  über  die  Zukunft  des  deut- 
schen Unterrichts,  über  deutsche  Gesellschaften  zur  Hebung  des  deutschen 
Unterrichts,  über  Bibliotheken,  über  das  Germanische  Museum,  sowie 
reichhaltiges  statistisches  und  biographisches  Material,  so  dafs  man  sagen 
kann,  Viereck  habe  seinen  Stoff  erschöpfend  behandelt. 

Herr  Schultz-Gora  sprach  über  seine  in  Vorbereitung  befindliche 
Ausgabe  des  afr.  Epos  Folcon  de  Gandie.  Die  bisherige  von  Tarbe  gelie- 
ferte sei  unvollständig  und  fehlerhaft ;  der  im  Mittelalter  überaus  verbreitete 
und  oft  zitierte  Roman  verdiene  wohl  eine  sorgfältige  Neubearbeitung. 

Sitzung  vom  26.  April  1904. 

Herr  Förster  sprach  über  Ernst  Schäfer,  Beiträge  xur  Geschichte 
des   spanischen  Protestantismtis   und  der  Inquisition  im  16.  Jahrhundert. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  175 

Das  Buch  soll  keine  absch liefsende  Geschichte  jener  Zeit  sein,  sondern  es 
will  nur  den  aktenmäfsigen  Quelleiistolf  als  Bausteine  für  spätere  Arbeiten 
beibringen.  Trotzdem  die  spanischen  Archive  echon  lange  den  Forschern 
freigegeben  sind,  hat  hier  doch  der  Kostocker  Forscher  zum  ersten  Male 
Gebrauch  von  der  Zulassung  zu  den  Archiven  gemacht  und  wichtige  Ur- 
kunden veröffentlicht.  Die  bisherigen  Arbeiten  über  die  Inquisition  sind 
durchweg  von  begeisterten  Anhängern  oder  fanatischen  Gegnern  verfafst; 
auf  Grund  gewissenhafter  Quellenforschungen  hat  noch  kein  Historiker  über 
das  seltsame  Gericht  geschrieben,  so  dais  sich  meist  falsche  und  übertriebene 
Vorstellungen  in  den  Köpfen  festgesetzt  haben.  Schäfers  Buch,  das  diese 
Übertreibungen  beider  Seiten  auf  das  richtige  Mals  zurückführt,  ist  des- 
halb mit  Freude  zu  begrülsen.  Insbesondere  machen  es  die  von  Seh.  ge- 
öffneten Quellen  möglich,  zweierlei  festzustellen:  1)  Die  Stellung  der  In- 
quisition gegenüber  den  protestantischen  Ketzern ;  2)  Die  Ausbreitung  des 
rrotestantismus  in  Spanien;  3)  Einzelheiten  aus  her  Geschichte  der  zwei 
Gemeinden  von  Valladolid  und  Sevilla.  Nicht  zu  vermischen  sind  die 
alte  Inquisition  der  Dominikaner  und  die  neue,  ein  Bollwerk  gegen  geist- 
liche und  zugleich  staatliche  Häresie,  das  zeitweise  ein  Staat  im  Staate 
zu  werden  drohte,  sich  dann  aber  auf  sein  Amt  der  'Reinhaltung'  des 
Glaubens  zurückziehen  mufste.  Der  Redner  schilderte  endlich  die  Art 
und  Weise  des  Gerichtsverfahrens  und  der  Folterung  und  den  Hergang 
bei  den  Autodafes,  denen  dann  an  einem  anderen  Orte  die  Verbrennung 
der  'Relaxados'  folgte. 

Herr  R.  Tob  1er  berichtet  über  Le  Rcyniancero  poptdaire  de  la  France, 
choix  de  chansons  populaires  fran^aises,  textes  critiques  par  George  Don- 
cietix.  Ävec  un  avant-propos  et  un  index  musical  par  Julien  Tiersot  (Paris, 
Bouillon,  1904).  Das  vortreffliche  Buch  ist  leider  nicht  ganz  vollendet, 
da  der  Verfasser  über  der  Arbeit  gestorben  ist.  Statt  der  beabsichtigten 
fünfzig  sind  nur  vierundvierzig  Lieder  bearbeitet  worden.  Der  Vortragende 
rühmt  die  geschickte  und  gründliche  Verwertung  des  gewaltigen  Materials 
und  glaubt,  dais  der  Versuch,  den  ursprünglichen  Text,  den  Ort  und  die 
Zeit  der  Entstehung  der  einzelnen  Lieder  zu  bestimmen,  als  recht  gelungen 
bezeichnet  werden  darf.  Er  gibt  kurz  den  Inhalt  der  Einleitung  (Metrik 
des  Volksliedes,  seine  Stoffe,  seine  Sprache  und  Verbreitung)  an  und  gibt 
einige  Proben  aus  der  inhaltreichen  Sammlung. 

Herr  Dr.  Sachrow  hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  10.  Mai  1004. 

Herr  Pochhammmer  spricht  über  Goethe  als  Dante- Erklärer. 
Goethe  hat  sich  für  Dante  nie  erwärmt,  hat  ihn  aber  bewundert  und  auch 
('Lethe'  der  Ariel-Szene)  benutzt.  Seine  Aufseruugen  über  ihn  sind  lehrreich. 
Ein  wirklicher  Dante-Erklärer  aber  ist  Goethe  durch  sein  dichterisches 
Schaffen  geworden,  so  fern  von  Dante  dies  auch  sich  vollzogen  hat.  Im 
'Faust'  hat  Goethe  an  die  Schöpfungen  der  Volksseele  ebenso  angeknüpft, 
wie  Dante  in  der  Commedia  getan,  was  diese  uns  wesentlich  näherbringt. 
Aufserdem  hat  Goethe  mit  der  scharfen  Unterscheidung  zwischen  alle- 
gorischer und  symbolischer  Dichtung  (Sprüche  IV)  ein  Grundgesetz  für  die 
Sinnbild  Verwertung  gefunden,  was  das  Dante -Yerständnis  sehr  erleichtert. 

Herr  Mangold  spricht  über  J.  B^dier,  JEtndes  critiques  (Paris  1903). 
Er  empfiehlt  diese  interessanten  Studien,  die  sich  durch  Klarheit,  Schärfe 
und  Feinsinnigkeit  auszeichnen,  als  eine  genulsreiche,  anregende  Lektüre. 
B^diers  Kritik  ist  immer  schlagend  und  überzeugend,  mag  er  beweisen, 
dafs  eine  kritische  Ausgabe  der  Tra^iques  das  Ms.  Tronchin  zugrunde  legen 
mufs  oder  dafs  Naigeon  nur  der  Kopist,  nicht  der  Verfasser  des  Paradoxe 
sur  le  comedien  von  Diderot  (?)  ist,  mag  er  den  authentischen  Text  des 
Entretien  de  Pascal  avec  M.  de  Saci  konstruieren  oder  das  Niemcewicz 


176  Sitzungen  der  Berliner  GesellschaftJ 

zugeschriebene  Gedicht  an  Mifs  Cosway  seinem  wahren  Verfasser  Andre 
Öhenier  wieder  zurückgeben.  Länger  verweilt  der  Vortragende  bei  der 
mehr  als  die  Hälfte  des  Buches  ausfüllenden  Studie  Chateaubriand  en 
Amerique,  Verite  et  Fiction,  in  der  B^dier  schlagend  nachweist,  dafs  der 
gröfste  Teil  von  dem,  was  Chateaubriand  in  verschiedenen  Werken  über 
seine  ^ieise  in  Amerika  geschrieben  hat,  erdichtet  ist,  und  auch  die  Quellen 
aufdeckt,  aus  denen  Chateaubriand  geschöpft  hat.  La  poetique  legende  du 
voyage  en  Amerique  offre  en  effet  un  exemple  acheve  d' auto-suggestion. 

Herr  Ad.  Tobler  spricht  sich  ebenfalls  überaus  anerkennend  über  das 
B^diersche  Buch  aus.  Es  ist  eine  geradezu  meisterhafte  Arbeit,  und  sie 
wirkt  um  so  mehr,  als  Bedier  sich  jedes  doch  so  naheliegenden  Spottes 
enthält  und  Chateaubriands  Verfahren  psychologisch  zu  erklären  sich  be- 
gnügt. An  einigen  Stellen  früherer  Schriften  hat  Ch.  seine  Behauptungen 
mit  Beispielen  zu  belegen  gesucht  und  dabei  gewisse  Reisebeschreibungen 
benutzt.  In  den  Memoires  d' outre-tomhe  hat  er  dann  geglaubt  sagen  zu 
müssen,  dafs  er  die  Kenntnis  jener  Tatsachen  auf  eigenen  Reisen  gewonnen 
habe,  und  ist  so  von  Schritt  zu  Schritt  weitergetrieben  worden  mit  seinen 
Erfindungen  und  Flunkereien. 

Herr  R.  Tobler  berichtet  im  Anschlufs  an  seinen  Vortrag  über 
Doncieux,  Le  Romancero  populaire  de  la  France  über  den  dem  Werke  bei- 
gefügten Index  musical  von  Julien  Tiersot.  Der  Herausgeber  hat  versucht, 
bei  jedem  der  vierund  vi  erzig  Lieder  des  Romancero  festzustellen,  nach 
welcher  Melodie  es  ursprünglich  gesungen  worden  ist.  Er  erreicht  das, 
indem  er  —  immer  unter  Berücksichtigung  des  Ergebnisses  der  textkriti- 
schen Untersuchung  —  aus  den  zahlreichen  und  oft  stark  abweichenden 
Melodien,  mit  denen  ein  Lied  an  verschiedenen  Stellen  überliefert  ist,  das 
allen  oder  den  meisten  gemeinsame  typische  Motiv  heraussucht.  Der  Vor- 
tragende gibt  noch  einige  Proben  aus  Doncieux'  Sammlung  und  zeigt  an 
Beispielen,  wie  der  Herausgeber  die  Verbreitung  des  Stoffes  der  Lieder 
untersucht  hat.  —  Herr  Splettstöfser,  Herr  Kuttner  und  Herr  Adolf 
Tobler  erinnern  daran,  dafs  eins  dieser  Beispiele,  die  Geschichte  des  heim- 
kehrenden Verlobten,  auch  von  Maupassant,  Theuriet,  Richepin  und  Hebel 
behandelt  worden  sei. 

Herr  Dr.  Sachrow  ist  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 

Sitzung  vom  27.  September  1904. 

Der  Vorsitzende  macht  Mitteilung  von  dem  Ableben  zweier  Mitglieder, 
des  Oberlehrers  Dr.  Dressel  und  des  Geheimerats  Wätzoldt,  und  ge- 
denkt ihrer  in  ehrenden  Worten.  Die  Gesellschaft  ehrt  das  Andenken  der 
Verstorbenen  durch  Erheben  von  den  Sitzen. 

Herr  Ad.  Müller  entwirft  ein  Charakterbild  des  Geheimerats  Wätzoldt, 
dessen  Mitarbeiter  er  lange  Jahre  gewesen  ist. 

Herr  Werner  sprach  über  zwei  Schriften  von  Franz  Meder:  Er- 
läuterungen ^ur  französischen  Syntax  und  Wie  kann  der  französische 
Unterricht  an  den  höheren  Schulen  eine  Vertiefung  erfahren?  Durch  beide 
Schriften  will  der  Verf.  dazu  beitragen,  den  franz.  Unterricht  auf  eine 
höhere  Stufe  als  blofses  Abrichten  zu  heben.  Ausgerüstet  mit  gründ- 
licher Kenntnis  der  historischen  franz.  Grammatik  und  feinem  Sprach- 
gefühl, erörtert  er  eine  Reihe  sprachlicher  Erscheinungen,  bei  denen  dem 
Schüler  nicht  blofs  das  Was?,  sondern  auch  das  Warum?  ohne  Schwierig- 
keit erklärt  werden  kann.  Er  bringt  zwar  nicht  viel  Neues,  aber  das  gute 
Alte  in  vortrefflicher  Auswahl.  Namentlich  dem  französischen  Lehrer  in 
kleineren  Orten,  der  in  der  Benutzung  wissenschaftlicher  Hilfsmittel  be- 
schränkt ist,  werden  beide  Schriften  treffliche  Dienste  leisten  können.  — 
An  zahlreichen  Beispielen  wurde  dies  im  einzelnen  dargelegt.  —  In  der 
sich  anschliefsenden  Erörterung  traten  die  Herren  Mangold,  Engwer, 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  177 

Penn  er  und  Mackel  mehr  oder  minder  eingeschränkt  der  Ansicht  des 
Vortragenden  bei,  während  Herr  Selge  glaubt,  dafs  bei  all  den  philo- 
logischen Erörterungen,  die  der  Herr  Vortragende  schon  von  der  Tertia 
ab  vornehmen  will,  keine  guten  praktischen  Resultate  erreicht  werden 
können.  Die  Grundlagen  der  Grammatik,  Sicherheit  in  der  Lektüre,  ein 
wenig  Sprechen  und  Verstehen  seien  schon  schwer  genug  zu  erreichende 
Ziele.  Daran  allerdings,  dafs  wir  bei  der  so  gering  Gemessenen  Zeit 
unsere  Schüler  zu  fliefsendem  Sprechen  führen  können,  glaube  wohl 
heute  niemand  mehr  recht. 

Herr  Dr.  Otto  Driesen  hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  11.  Oktober  1904. 

Herr  Eng  wer  berichtete  über  den  Neuphilologen  tag  in  Köln.  Nach 
einem  Überblick  über  die  gehaltenen  Vorträge  verweilte  er  länger  bei  dem 
Vortrage  Morfs  Die  Tempcn-a  historica  im  Fratixösiscketi  und  bei  dem 
Walters  über  den  Gebrauch  der  Fremdsprache  bei  der  Lektüre  in  den 
Oberklassen.  Herr  Engwer  bezweifelt,  ob  alles  das,  was  Walter  in  der 
Stunde  mit  den  Schülern  durcharbeiten  zu  müssen  erklärte,  unter  nor- 
malen Verhältnissen  zu  leisten  sei;  besonders  für  die  Oberklassen  mit 
ihren  abstrakten  Lektu restoffen  eigne  sich  der  vorgeschlagene  Weg  nicht. 
Ein  Ausgleich  zwischen  Walter  und  dem  Oberschulrat  Waag  -  Karlsruhe, 
der  einen  anderen  Standpunkt  in  seinem  Vortrage  eingenommen  habe,  sei 
leider  nicht  erfolgt.  —  In  der  Erörterung  hebt  Herr  Selge  hervor,  dafs 
ihm  doch  eine  gewisse  Versöhnlichkeit  zwischen  den  entgegengesetzten 
Standpunkten  und  die  Neigung  zu  Zugeständnissen  aufgefallen  sei. 

Herr  Cornicelius  gab  Anmerkungen  zu  Goethes  Symholum.  Schon 
das  äufsere  Verständnis  des  Gedichtes  ist  schwierig  in  der  zweiten  und  der 
dritten  Strophe ;  zudem  weicht  hier  die  Interpunktion  der  Ausgabe  letzter 
Hand  stark  ab  von  der  des  ersten  Druckes  1816  in  der  Sammlung:  'Ge- 
sänge für  Freimaurer  zum  Gebrauche  aller  Teutschen  Logen'.  Anhang. 
Der  Vortragende  spricht  eregen  andere  Deutungsversuche  für  die  Erklärung 
V.  Loepers  (Goethes  Gedichte.  Mit  Einleitung  und  Anmerkungen.  2  T. 
Berlin  18:53).  —  Die  fruchtbarste  Wirkung  hat  Goethes  Gedicht  auf  Car- 
lyle  gehabt,  der  es  —  wie  auch  Froude  wiederholt  ausdrücklich  bezeugt  — 
zu  seinem  eigenen  Glaubensbekenntnis  gemacht  hat.  Am  17.  Januar  1837 
zitiert  C.  in  diesem  Sinne  das  ganze  Gedicht  deutsch  in  einem  Brief  an 
John  Sterling;  die  Rektoratsrede  in  Edinburg  1866  schlofs  er  mit  denselben 
(xoetheschen  Versen  in  eigener  Übersetzung;  ganz  erfüllt  davon  ist  sein 
Buch  Post  and  Present,  1843.  Aus  dieser  Zeit  wohl  stammt  auch  seine 
Übertragung  in  englische  Verse,  deren  Änderungen  besonders  in  den  beiden 
letzten  Strophen  sehr  charakteristisch  für  Carlyle  sind.  Der  Einflufs  des 
Gedichtes  auf  die  Ausführungen  in  P.  and  P.,  wo  es  wiederholt  ganz  oder 
in  einzelnen  Strophen  und  Versen  zitiert  ist,  zeigt  sich  an  vielen  Stellen; 
am  tiefsten  in  Carlyles  eigenes  Wesen  aufgenommen  im  12.  Kapitel  des 
3.  Buches.  —  Eine  rein  literarhistorisch  vergleichende  Umschau  von  Goe- 
thes 'Symbolum'  aus  müfste  vor  allem  Foscolos  Gedicht  Bei  Sepolcri  be- 
trachten, dessen  epochemachende  Bedeutung  für  die  moderne  Gräberpoesie 
Zumbini  dargelegt  hat  in  seiner  Abhandlung  La  poesia  sepolcrale  straniera 
e  italiana  e  il  carme  del  Foscolo  (in  Sttidi  di  letter.  ital.,  Firenze  1894). 

Herr  Dr.  Driesen  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen.  H^rr  Ober- 
lehrer Seibt  hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  25.  Oktober  1904. 

Herr  Ludwig  berichtet  über  neuere  spanische  Veröffentlichungen 
zur  Lebensgeschichte   des   Cervantes.     Er   gibt,   besonders   nach   Pastor, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  12 


178  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Documentos  cervantinos,  eine  Darstellung  von  dem  Lebenslaufe  des  Dich- 
ters, wie  er  sich  in  diesen  Dokumenten  widerspiegelt.  Dabei  fällt  neues 
Licht  auf  die  Jugendgeschichte  des  Cervantes,  seine  Geschwister,  die  Ver- 
hältnisse seiner  Eltern  während  seiner  Gefangenschaft,  sowie  auf  die 
näheren  Umstände  seines  Loskaufes.  Seine  Teilname  am  Feldzug  gegen 
die  Azoren  erweist  sich  als  sehr  unwahrscheinlich,  für  die  Zeit  seiner  amt- 
lichen Tätigkeit  ergeben  sich  eine  Reihe  charakteristischer  Einzelheiten. 
Charakter  und  Lebensschicksale  seiner  Frau  und  seiner  Tochter  sowie  das 
Ende  seines  Bruders  können  jetzt  mit  Hilfe  ihrer  Testamente  und  anderer 
Urkunden  in  grofsen  Zügen  authentisch  geschildert  werden.  Auch  in  Ute- 
rarischer Hinsicht  ergibt  sich  einiges  Neue  über  die  Beziehungen  zu  den 
Verlegern  seiner  Bücher  und  ein  ihm  zugeschriebenes  Erzeugnis  höfischer 
Gelegenheitspoesie  (s.  jetzt  Zts.  f.  vgl.  Ldteraturgesch.   N.  F.  XVI,  1). 

Herr  Kabis ch  leitet  lexikalische  Aphorismen,  die  er  zu  bringen  be- 
absichtigt, mit  einer  Darlegung  von  vier  Punkten  ein,  in  denen  die  in 
Deutschland  erschienenen  Wörterbücher  des  Französischen  der  Verbesserung 
bedürfen:  1.  Die  Beseitigung  von  Falschem,  namentlich  auf  dem 
Gebiete  der  sog.  Realien ;  '^;.  Die  Beseitigung  von  Überflüssigem, 
wobei  ganz  auffallend  ein  Übermafs  medizinischer  Fachausdrücke  hervor- 
tritt; 3.  Die  Aufnahme  von  neuen  Wörtern  und  namentlich  von 
Realien;  hier  hat  die  Sprache  der  Familie,  aber  auch  die  populäre 
und  fachliche,  Berücksichtigung  zu  finden,  da  ein  Wörterbuch  'für 
Schule  und  Haus'  dem  Besitzer  auch  beim  Lesen  eines  französischen 
Journals  behilflich  sein  soll;  und  da  fehlt  zur  Zeit  noch  viel  auf  dem 
Gebiete  der  Technik,  des  internationalen  Verkehrs,  des  Sports, 
ja  sogar  des  Argot,  Gebiete,  aus  denen  Wörter  auf  jeder  Seite  der  Jour- 
nale wie  in  der  modernen  Literatur  überhaupt  vorkommen.  Endlich 
4.  Die  planmäfsige  Anordnung.  Die  bis  jetzt  in  allen  (deutschen) 
Wörterbüchern  des  Französischen  befolgte  Anordnung  ist  auf  dem  Boden 
des  Schulunterrichts  entstanden  und  bringt  daher  nicht  nur  die- 
jenigen Bedeutungen  zuerst,  die  die  häufigsten,  gewöhnlichsten,  geläufig-  . 
sten  sind,  sondern  oft  die,  die  im  Schulunterricht  zufällig  zuerst  zu  be-^^ 
gegnen  pflegten,  so  accent  =  'das  Akzentzeichen'  (aigu,  grave,  circon- 
fl^).  Ersteres  tun  die  in  Frankreich  erschienenen  Dictionnairas  auch, 
vor  allen  die  Academie;  letzteres  mufs  beseitigt  werden.  Eine  Anordnung, 
die  in  etymologisch -historischer  Folge  das,  was  Littr^  V enchainement  (ks 
derivations  und  la  filiation  des  sens  nennt,  gäbe  und  doch  auch  das  heute 
Gebräuchliche  scharf  und  übersichtlich  hervortreten  liefse,  wäre  zweifellos 
die  beste,  da  sie  wissenschaftliche  Gründlichkeit,  besonders  des  Schul- 
unterrichts, wesentlich  unterstützte,  ohne  darum  einer  kursorischen  Be- 
schäftigung mit  der  französischen  Literatur  unnötige  Schwierigkeiten  zu  be- 
reiten. Dafs  das  nicht  so  leicht  ist,  zeigt  z.  B.  das  Wort  avaler,  als  dessen 
Hauptbedeutung  heute  jeder  Franzose  'hinunterschlucken'  fühlt.  Die 
Etymologie,  ä  val,  ad  vallem,  gibt  nur  'hinunterbringen';  und  Wen- 
dungen und  Worte  der  französischen  Sprache  weisen  zahlreich  auf  diese 
Etymologie  zurück.  Wenn  nun  die  Grundbedeutung  von  avaler  'hinunter- 
bringen' ist,  und  wenn  dieselbe  sich  im  heutigen  Französisch  in  zahlreichen 
Fällen  noch  findet,  so  läge  es  nahe,  eine  Reihe  von  Wendungen,  alle  mit 
der  Bedeutung  'sterben',  darauf  zurückzuführen,  nämlich  avaler  sa  cuil- 
ler,  ^  sa  four dielte,  ^  ses  bagtietles,  ^  sa  gaffe  (irrtümlich  gibt  Schuster- 
R^gnier  auch  ^  le  goujon,  was  nur  bedeutet  'in  die  Falle  gehen',  da  le 
goujon,  der  Gründling,  der  Köderfisch  am  Angelhaken  für  Raubfische  ist). 
In  allen  diesen  Wendungen  könnte  man  avaler  =  'senken',  'ablegen'  er- 
klären und  die  Bedeutung  'sterben'  entstände  auf  die  leichtest  erklär- 
liche Weise  aus  der  Wendung  'seinen  Löffel,  seine  Gabel,  seine  Trommel- 
stöcke (vom  Trommler),  seinen  Bootshaken  (vom  Schiffer)  ablegen,  weil 
man  sie  nach  dem  Tode  nicht  mehr  braucht.    Diese  so  einleuchtend  schei- 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  179 

nende  Erklärung  gibt  nun  aber  kein  Franzose,  sondern  jeder  versucht, 
wenn  man  ihn  fragt,  irgendeine  Erklärung  mit  'verschlucken'.  Und 
freilich  sind  die  Wendungen,  die  auf  ad  vallem  hinweisen,  fast  alle  nur 
in  Fach  ausdrücken  vorhanden  (in  denen  sich  bekanntlich  etymolo- 
gische Grundbedeutungen  immer  am  längsten  erhalten),  oder  sie  sind 
veraltet:  selbst  zu  avaler  son  chaperon  glaubt  Littr^  ein  erläuterndes 
abaisser  hinzusetzen  zu  müssen.  Und  so  mag  der  deutsche  Lexikograph, 
wenn  er  sich  nicht  den  Franzosen  anschlielsen  will,  diese  Wendungen 
bringen,  ohne  sie  einer  der  beiden  Bedeutungen  unterzuordnen.  Jedenfalls 
aber  kann  er  die  Grundbedeutung  'herunterbringen'  als  'nur  in  Fach- 
ausdrucken und  veraltet'  zur  Belehrung  und  Freude  der  heutzutage 
nicht  seltenen  Laien,  die  gern  an  die  Etymologie  der  Wörter  denken, 
voranstellen. 

Herr  Oberlehrer  Seibt  ist  in  die  Gesellschaft  aufgenommen.  Herr 
Oberlehrer  Dr.  Böhm  hat  sich  zur  AufnjQime  gemeldet. 

Sitzung  vom  8.  November  1904. 

Herr  Krueger  sprach  über  die  in  Stratford  befindliche  Büste  Shake- 
speares und  vertrat  ihre  Glaubwürdigkeit  einer  Anfechtung  durch  Mrs. 
Stopes  in  The  Monthly  Review  (Nr.  48,  April  1901)  gegenüber. 

Auf  eine  Frage  des  Herrn  Förster  gibt  Herr  B  ran  dl  Auskunft 
über  die  Shakespearestatue  in  Weimar.  Der  Bildhauer  Lessing  habe  sich 
von  Herkomer  sieben  kleine  Nachbildungen  von  den  bekannten  Shakespeare- 
bildnissen kommen  lassen;  nachdem  er  schon  hiernach  einen  Entwurf 
gemacht  habe,  sei  ihm  noch  die  angebliche  Totenmaske  Shakespeares  zur 
Verfügung  gestellt  worden,  die  die  Jahreszahl  1616  trage,  noch  Spuren 
von  Haut-  und  Wimperhaaren  zeige  und  nach  Haar-  und  Barttracht  mit 
dem  Bilde  von  Droeshout  übereinstimme.  Diese  Totenmaske  sei  gewifs  die 
eines  Schauspielers,  wie  die  Mundpartie  zeige,  habe  aber  eine  etwas  mehr 
gebogene  Nase  als  die  sonstigen  Shakespearebilder.  Lessing  habe  danach 
seine  Büste  geändert  und  ihr  die  jugendlichen  Züge  eines  Schauspielers 
aus  den  Königsdramen  gegeben. 

Herr  Mackel  bespricht  Erscheinungen  aus  der  französischen  Stilistik. 
Im  Anschlufs  an  den  Hauptsatz  mit  dreigliedrigem  Prädikat  (vgl.  Archiv 
CV,  48  ff.)  erörtert  er  zunächst  eine  typische  Satzform  des  Französischen 
für  den  deutschen  Nebensatz  mit  zweigliedrigem  Prädikat.  Sodann  weist 
der  Vortragende  mit  Bezugnahme  auf  Archiv  CV,  55  ff.  nach,  dafs  tout 
ce  qui,  tout  ce  que  nicht  nur  'alles,  was',  sondern  auch  'was  alles'  bedeute. 
Schliefslich  erörtert  er  die  Entsprechung  'tous  las  yeux'  und  'aller  Augen' 
und  mehrere  andere  Besonderheiten  im  Gebrauche  von  tous,  toutes. 

Der  alte  Vorstand  wird  für  das  Jahr  1905  wiedergewählt.  —  Herr 
Dr.  Joh.  Böhm  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 

Sitzung  vom  22.  November  1904. 

Herr  Comic elius  bemerkt  nachträglich  zu  dem  Vortrage  von  Herrn 
G.  Krueger,  dafs  schon  1867  Herman  Grimm  die  besprochene  Totenmaske 
für  Shakespeare  in  Anspruch  genommen  habe,  und  zwar  in  dem  Buche 
Über  Künstler  und  Kunstiverke. 

Herr  Kabisch  spricht  über  einige  französische  Wörter,  deren  Be- 
deutung durch  bessere  Kenntnis  der  Realien,  unter  strenger  Berücksich- 
tigung der  Etymologie,  in  den  Wörterbüchern  richtig  zu  stellen  ist: 

J .  accotcer  kommt  her  von  ad  catedam,  und  es  bezeichnet  ^  des  chevaux 
'Pferde  zum  Transport  (mit  möglichst  wenig  Knechten)  so  aneinander  be- 
festigen, dafs  das  folgende  immer  mit  seinem  Halfterstrick  am  Schwänze 
des  vorhergehenden  festgebunden  ist'.     ^  un  cer/  heifst  'von   hinten 

12* 


180  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

an  den  von  den  Hunden  gedeckten  Hirsch  herantreten  und  ihn  am 
Weiterziehen  verhindern,  bis  der  zum  Abfangen  berechtigte  Reiter  heran 
ist,  also  'ausheben'. 

2.  amhle  ist  nichts  Fehlerhaftes  am  Gange  des  Pferdes,  sondern  der 
'Pafsgang',  den  man  Damenreitpferden  zu  geben  sich  bemüht.  Die 
damit  verwechselte  fehlerhafte  Gangart  heifst  traquenard  oder  anbm  oder 
trot  deeousu  oder  amble  rompu. 

3.  In  venire  de  son  kann  sich  das  tadelnde  'Kleibauch'  nicht  auf 
Puppenbälge  beziehen,  sondern  auf  schlechte  Ernährung,  wie  bei 
Pferden  durch  Kleie. 

4.  banvin  braucht  nicht  zwei  Bedeutungen  zu  haben  (Verkündigung 
1.  des  Verbots  und  2.  der  Freigabe  des  freien  Wein  Verkaufs),  sondern 
heilst  'Wein bann',  d.h.  Bekanntmachung  des  Lehnsherrn,  dafs  von  einem 
bestimmten  Tage  an  bis  zu  einem  anderen  niemand  aufser  ihm  Wein  ver- 
kaufen darf. 

5.  Je  suis  venire  par  le  manche  heilst  in  Paris:  'Ich  bin  mit  dem 
vorletzten  Wagen  einer  Omnibuslinie  nach  Hause  gekommen'.  Le 
balai  heifst  nämlich  der  letzte  Wagen  (Lumpensammler),  und  danach 
hat  man  den  vorletzten  den  'Stiel  am  Besen'  genannt. 

6.  Ghef  d'aitaque  heilst  der  in  jeder  Stimme  eines  Sängerchors  dazu 
angestellte  Sänger,  die  Einsätze  seiner  Stimme  rechtzeitig  und  sicher 
zu  bringen  {attaqtier  les  sons,  les  noies);  daher  ist  die  Beschränkung  des 
Gebrauches  auf  aitaqtier  bien  in  den  Lexiken  falsch. 

Herr  Block  berichtete  über  den  vom  17.  bis  29.  Oktober  1904  zu 
Frankfurt  a.  M.  abgehaltenen  englischen  Fortbildungskursus. 
Dieser  zerfiel  1)  in  wissenschaftliche  Vorträge  über  Phonetik  und  Gram- 
matik in  englischer  Sprache,  2)  in  Vorträge  über  Literatur  und  in  Rezi- 
tationen, 3)  in  praktische  Übungszirkel,  4)  Hospitieren  in  höheren  Schu- 
len, 5)  'social  meetings'.  Der  Kursus  wurde  geleitet  von  Prof.  Dr.  Curtis, 
welchen  Direktor  Dörr  und  die  Engländer  Messrs.  Chesterton,  Gill  und 
Cliff  unterstützten.  In  einer  einleitenden  Vorlesung  sprach  Prof.  Curtis  über 
Standard  English,  als  welches  er  für  eine  frühere  Zeit  das  Westsächsische, 
für  die  Gegenwart  die  Sprache  des  gebildeten  Londoners  oder  des  gebil- 
deten Südengländers  bezeichnete.  Die  Vorträge  über  Phonetik  schlössen 
sich  in  elementarer  Weise  an  Victors  Lauttafeln  an.  Die  Bildung  der 
einzelnen  Konsonanten  und  Vokale  wurde  der  Reihe  nach  erklärt  und 
besonders  vor  dem  bei  Deutschen  häufigen  Fehler  gewarnt,  die  stimm- 
haften Konsonanten  am  Ende  des  Wortes  mit  allzu  deutlicher  Vibration 
zu  sprechen  und  den  vokalischen  Anlaut  mit  festem  Einsatz  {glottal  catch) 
zu  artikulieren. 

Der  englischen  Grammatik  waren  nur  die  letzten  Tage  gewidmet, 
so  dafs  nur  wenige  Punkte  berührt  werden  konnten,  wie  z.  B.  der  Unter- 
schied zwischen  shall  und  will. 

In  ihren  Rezitationen  trugen  Mr.  Chesterton  und  Mr.  Gill  Stücke 
aus  Sweet  und  Lloyd  vor  und  dann  eine  Reihe  anderer  Gedichte  und  Prosa- 
stücke, bei  deren  Vortrag  es  interessant  und  lehrreich  war,  die  dialek- 
tischen Eigentümlichkeiten  der  beiden  Vortragenden  zu  studieren,  von 
denen  der  erstere  der  Typus  eines  echten  Londoners  war,  der  letztere  da- 
gegen die  Besonderheiten  der  nordenglischen  Aussprache  zur  Geltung  zu 
bringen  suchte. 

Direktor  Dörr  zeigte,  wie  man  Byrons  Gedicht  Oood  night,  good  night, 
my  native  shore  (aus  dem  Childe  Harold)  in  der  Schule  in  englischer 
Sprache  durchnehmen  kann. 

Mr.  Gill  sprach  über  East  London  sowie  über  das  Leben  in  einer 
englischen  public  school,  die  er  selbst  besucht  hatte.  In  dem  ganzen  Sy- 
stem geifselte  er  scharf  die  so  häufig  mit  dem  Internatsleben  verbundene 
ünsittlichkeit  der  Schüler  und  die  Roheit  ihres  Betragens,  die  doch  keine 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  181 

richtige  mmüwess  erzeuge.  —  Mr.  Chesterton  hielt  eine  Reihe  von  sehr 
nn regenden  und  geistvollen  Vorträgen  über  Englisk  Poetry  of  To-day 
(Tennyson,  Browning,  Swinburne  und  Kipling)  sowie  über  Journalist  Life 
in  Fleet  Street,  und  an  zwei  Nachmittagen  sprachen  Prof.  Curtis  und 
Direktor  Dörr  über  English  Literaiure  in  the  SchooL  An  der  Hand  einer 
fast  unübersehbaren  Fülle  von  deutschen,  englischen  und  amerikani- 
schen Büchern  und  Anschauungsbildern,  welche  die  Verleger'  in  höchst 
dankenswerter  Weise  für  den  Kursus  zur  Verfügung  gestellt  hatten, 
wurden  Proben  dieser  neuen  Erscheinungen  herumgezeigt  und  kurz  cha- 
rakterisiert. 

In  den  vier  Übungszirkeln,  von  denen  jeder  aus  vier  bis  fünf  Mit- 
gliedern sich  zusammensetzte  und  von  je  einem  Engländer  der  Reihe  nach 
geleitet  wurde,  wurde  Sweets  Elementar  buch  des  gesprochenen  Englisch, 
Lloyds  Northern  English,  das  Buch  von  Wells  The  Making  of  Mankind 
uncf  die  wöchentliche  Ausgabe  der  Times  zugrunde  gelegt. 

Das  gemeinsame  Hospitieren  beschränkte  sich  auf  die  Klinger- 
Oberrealschule  und  auf  die  von  Direktor  Walter  geleitete  Musterschule. 
Viele  Kollegen  hospitierten  aber  aufserdem  noch  in  anderen  Schulen,  so 
dafs  sie  dadurch  ein  anschauliches  Bild  des  Frankfurter  Reformsystems 
sowie  der  von  mehreren  Neuphilologen  gepflegten  Refornimethode  im 
Unterricht  der  neueren  Sprachen  erhielten.  Der  Vortragende  gab  eine 
Kritik  der  von  ihm  gehörten  Unterrichtsstunden  in  der  Klinger- Oberreal- 
schule, der  Musterschule,  dem  Wöhler- Realgymnasium  und  dem  Goethe- 
Gymnasium,  wobei  besonders  die  eigenartige  Persönlichkeit  und  Methode 
Walters  die  ihr  gebührende  Beachtung  fand. 

Nachdem  der  Vortragende  noch  kurz  die  an  mehreren  Abenden  ab- 
gehaltenen 'social  meetings'  erwähnt  hatte,  faiste  er  seine  Wünsche  für 
einen  späteren  Kursus  in  folgenden  Punkten  zusammen:  1)  Statt  der 
etwas  elementaren  phonetischen  und  grammatischen  Vorträge  wären  mehr 
Vorträge  literarischen  oder  allgemeinen  Inhalts  vorzuziehen,  wodurch  die 
stark  besetzten  Nachmittage  entlastet  würden  und  die  Teilnehmer  etwas 
mehr  freie  Zeit  gewönnen.  2)  Für  ebenso  wichtig  wie  die  englischen  Vor- 
träge hält  der  Vortragende  gerade  in  Frankfurt  das  Hospitieren  in  den 
höheren  Lehranstalten,  für  das  etwas  mehr  Zeit  frei  bleiben  müfste.  3)  An- 
statt Sweet  und  Lloyd  wäre  vielleicht  ein  inhaltlich  bedeutenderes  Buch 
als  Grundlage  der  Lektüre  zu  wählen.  4)  Jeder  Teilnehmer  müfste  schon 
vorher  zu  Hause  imstande  sein,  sich  auf  diese  Übungszirkel  mehr  vor- 
zubereiten, damit  es  diesen  nie  an  Stoff  mangele  und  eine  Zersplitterung 
in  Kleinigkeiten  vermieden  werde. 

In  der  sich  anschliefsenden  Erörterung  weist  Herr  Mangold  auf 
die  Klagen  hochstehender  Engländer  über  die  Mängel  ihres  Schulwesens 
hin.  Herr  Spies  vermifst  bei  dem  Ferienkursus  in  Frankfurt  a.  M.  die 
historische' Grundlage  und  Vertiefung.  Man  müsse  verlangen,  dafs  die 
neuenglische  Ausprachelehre ,  vor  einer  wissenschaftlich  gebildeten  Zu- 
hörerschaft vorgetragen,  in  jedem  schwierigen  Falle  geschichtlich  begrün- 
det werde.  Die  verschiedene  Aussprache  von  either  und  die  Doppelformen 
fifth  und  fift  z.  B.  könnten  nur  dann  richtig  gewürdigt  werden.  Auch 
das  Fehlen  des  sogenannten  'festen  Einsatzes'  dürfe  nicht  als  eine  blofse 
Tatsache  hingestellt  werden,  sondern  verlange  eine  historische  Würdigung, 
und  anderes  mehr.  Herr  Sp.  verweist  zum  Schlufs  auf  die  jährlich  von 
Prof.  Morsbach  in  Göttingen  abgehaltenen  Ferienkurse. 

Herr  Dr.  Gustav  Thurau,  Privatdozent  an  der  Universität  Königs- 
berg, hat  sich  zum  Eintritt  gemeldet. 


Verzeichnis  der  Mitglieder 

der 
Berliner  Gesellschaft  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 


Vorstand. 


Vorsitzender:  Herr  A.  Tob! er. 

Stellvertretender  Vorsitzender:      „     W.  Mangold. 
Schriftführer:  „     E.  Penn  er. 

Stellvertretender  Schriftführer:      „     G.  Krueger. 
Erster  Kassenführer:  „     E.  Pari  seile. 

Zweiter  Kassenführer:  „     G.  Tanger. 

Ä.    Ehrenmitglieder. 

Herr  Dr.  Furnivall,  Frederick  J.,   3  St.  George's  Square,  Prim- 
rose Hill,  London  NW. 
„     Dr.  Gröber,    Gustav,    o.    ö.    Professor    an    der    Universität. 

Strafsburg,  Universitätsplatz  8. 
„     Dr.  Mussafia,  Adolf,  Hof  rat,  o.  ö.  Professor  an  der  Uni- 
versität.   Wien  Xni,  Trauttmannsdorfferstrafse  50. 
Frau  Vasconcellos,    Carolina   Michaelis   de,    Dr.   phil.      Porto, 
Cedofeita. 

B.    Ordentliche  Mitglieder. 

Herr  Dr.  Bahlsen,  Leo,  Professor,   Oberlehrer  an  der  VL  städti- 
schen Kealschule.    Friedenau,  Wielandstrafse  38part. 

„  Dr.  Block,  John,  Oberlehrer  am  Reform -Realgymnasium. 
Deutsch -Wilmersdorf,  Preufsische  Strafse  7. 

„     Boek,  Paul,  Professor,  Oberlehrer  am  Königstädtischen  Real- 
gymnasium.   Grofs-Lichterfelde,  Marthastrafse  2. 
*    „     Dr.  Böhm,  Joh.  F.,  Oberlehrer  an  der  Charlottenschule.   Ber- 
lin N.  4,  Gartenstrafse  25. 

„  Dr.  Borbein,  J.,  Professor,  schultechnischer  Mitarbeiter  im 
Kgl.  Provinzial  -  Schulkollegium  zu  Berlin.  Friedenau, 
Beckerstrafse  311. 


Mitglieder- Verzeichnis  der  Berliner  Gesellschaft  etc.  183 

Herr  Dr.  Born,  Max.    Berlin  NW.  52,  Thomasiusstrafse  26. 

„  Dr.  Brandl,  Alois,  ord.  Professor  an  der  Universität,  Mit- 
glied der  Akademie  der  Wissenschaften.  Berlin  W.  10, 
Kaiserin- Augusta-Strafse  73IIL 

„  Dr.  Carel,  George,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Sophien  schule, 
Charlottenburg,  Schlofsstrafse  25. 

„  Dr.  Churchill,  George  B.,  Professor  am  Amherst  College. 
Amherst,  Massachusetts,  U.  S.  A. 

„     Cohn,  Alb.,  Buchhändler.    Berlin  W.,   Kurfürstendamm  259. 

„     Dr.  Cohn,  Georg.    Berlin  W.,  Linkstrafse  29 III. 

„  Dr.  Conrad,  Herm.,  Professor  an  der  Haupt-Kadettenanstalt. 
Gr.-Lichterfelde,  Berliner  Strafse  19. 

„     Dr.  Cornicelius,  Max.    Berlin  W.,  Luitpoldstrafse  4. 

„  Dr.  Dibelius,  W.,  Professor  an  der  Kgl.  Akademie.  Posen, 
Nollendorf strafse  23. 

„  Dr.  Dieter,  Ferd.,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  O.,  Frankfurter  Allee  80. 

„     Dr.  Dr lesen,  Otto.    Charlottenburg,  Fried bergstrafse  28. 

„  Dr.  Ebeling,  Georg,  Privatdozent  an  der  Universität.  Char- 
lottenburg, Leonhardstrafse  19. 

„  Engel,  Hermann,  Oberlehrer.  Charlottenburg,  Leibniz- 
strafse  79  a. 

„  Dr.  Engelmann,  Hermann,  Oberlehrer  an  der  Friedrichs- 
Werderschen  Oberrealschule.  Berlin  C,  Niederwall- 
strafse  12. 

„  Dr.  Eng  wer,  Theodor,  Oberlehrer  an  dem  Kgl.  Lehrerinnen- 
seminar und  der  Augustaschule.  Berlin  SW.  47,  Hageis- 
berger  Strafse  44. 

„  Falck,  Karl,  Oberlehrer  an  der  XI.  städtischen  Realschule. 
Beriin  SW.,  Solmsstrafse  7 III. 

„  Dr.  Förster,  Paul,  Professor,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm- 
Realgymnasium.    Berlin  SW.  12,  Kochstrafse  66. 

„  Dr.  Fuchs,  Max,  Oberlehrer  an  der  VI.  städtischen  Real- 
schule.   Frieden  au,  Stubenrauchstrafse  6. 

y,  Dr.  Gade,  Heinrich,  Oberlehrer  am  Andreas-Realgymnasium. 
Berlin  NO.  43,  Am  Friedrichshain  7nib. 

„     Dr.  Gold  staub,  Max.    Berlin  W.  30,  Pallasstrafse  1. 

„  Dr.  Greif,  Wilhelm,  Oberlehrer  am  Andreas-Realgymnasium. 
Berlin  SO.  16,  Köpenickerstrafse  162  IL 

„  Dr.  Gropp,  Ernst,  Professor,  Direktor  der  städtischen  Ober- 
realschule.   Charlottenburg,  Schlofsstrafse  27. 

„  Grosset,  Ernest,  Lehrer  an  der  Kriegsakademie  und  am 
Viktorialyzeum.    Berlin  SW.  48,  Wilhelm  strafse  146 IV. 

„     H  a  a  s ,  J.,  Oberleutnant  a.  D.   Berlin  C,  An  der  Schleuse  5  a. 

„  Dr.  Hahn,  O.,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Viktoriaschule. 
Berlin  S.  59,  Urbanstrafse  3111. 


184  Mitglieder- Verzeichnis  der  Berliner  Gesellschaft 

Herr  Harsley,  Fred,  M.  A.,  Lektor  der  englischen  Sprache  an  der 
Universität.    Berlin  W.  30,  Gleditßchstrafse  48. 

„  Dr.  Hausknecht,  Emil,  Professor,  Direktor  der  Oberreal- 
schule.   Kiel,  Jahnstrafse  11. 

„  Dr.  Heck  er,  Oscar,  Professor,  Lektor  der  italienischen 
Sprache  an  der  Universität.  Berlin  W.  30,  Traunsteiner 
Strafse  10. 

„  Dp.  Heinze,  Alfred,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm-Realgym- 
nasium.   Berlin  W.  35,  Wichmann  strafse  12  b. 

„  Dr.  Hellgrewe,  Wilh.,  Oberlehrer  an  der  städtischen  Ober- 
realschule.   Charlottenburg,  Berlin erstrafse  40. 

„  Dr.  Hendreich,  Otto,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Luisen- 
städtischen Oberrealschule.  Berlin  SO.  16,  Köpenicker 
Strafse  39. 

„  Dr.  Herrmann,  Albert,  Oberlehrer  an  der  XH.  städtischen 
Realschule.    Berlin  NO.  18,  Elbingerstrafse  98  L 

„  Dr.  H  e  r  z  f  e  1  d ,  Georg.  Berlin  W.  1 0,  Kaiserin- Augustastrafse 
77  part. 

„  Dr.  Ho  seh,  Siegfried,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Luisen- 
städtischen Oberrealschule.    Berlin  S.,  Oranienstr.  144n. 

„  J  a  e  g  e  1 ,  Emil,  Oberlehrer  am  Kgl.  Prinz-Heinrich-Gymnasium. 
Berlin  W.  30,  Gleditschstrafse  49. 

„  Dr.  Johannesson,  Fritz,  Oberlehrer  am  Andreas-Realgym- 
nasium.   Berlin  SO.,  Köpenick  erstrafse  133. 

„  Kabisch,  Otto,  Professor,  Oberlehrer  am  Luisenstädtischen 
Gymnasium.    Johannistal,  Waldstrafse  6. 

„     Dr.  Käst  an.  Albert.    Berlin  W.  64,  Behrenstrafse  9. 

„  Dr.  Keesebiter,  Oscar,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen 
Realschule.    Grunewald,  Gillstrafse  5. 

„  Keil,  Georg,  Oberlehrer  an  der  Elisabethschule.  Berlin  SW.  48, 
Friedrichstrafse  3  2  HL 

„  Dr.  Keller,  Wolf  gang,  aufserord.  Professor  an  der  Universi- 
tät.   Jena,  Inselplatz  7. 

„  Dr.  K Olsen,  Adolf,  Dozent  an  der  Kgl.  Technischen  Hoch- 
schule.   Aachen,  Theresien strafse  14. 

„  Dr.  Krueger,  Gustav,  Oberlehrer  am  Kaiser-Wilhelm-Real- 
gymnasium.   Berlin  W.  10,  Bendlerstrafse  17. 

„  Dr.  Kuttner,  Max,  Oberlehrer  an  der  Dorotheen schule.  Ber- 
lin W.  50,  Neue  Ansbacherstrafse  11 IV. 

„     Lach,  Handelsschuldirektor.  Berlin  SO.  16,  Dresdner  Strafse  901. 

„  Dr.  Lamprecht,  F.,  Professor,  Oberlehrer  am  Gymnasium 
zum  Grauen  Kloster.    Berlin  C.  2,  Klosterstrafse  73  IL 

„  Langenscheidt,  C,  Verlagsbuchhändler.  Berlin  SW.  46, 
Hallesche  Strafse  1 7  part. 

„  Dr.  Lindner,  Karl,  Oberlehrer  am  Luisenstädtischen  Real- 
gymnasium.   Berlin  SO.,  Köpenicker  Strafse  88. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  185 

Herr  Dr.  Löschhorn,  Hans,  Professor,  Oberlehrer  am  Kgl.  Lehre- 
rinnenseminar und  der  Augustaschule.  Berlin  W.  35, 
Genthin  er  Strafse  41 III. 

„  Dr.  Lücking,  Gustav,  Professor,  Direktor  der  III.  städtischen 
Realschule.    Berlin  W.,  Steglitzer  Strafse  8  a. 

„  Dr.  Ludwig,  Albert,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule. 
Schöneberg,  Grunewaldstrafse  98  a. 

„  Luft,  F.,  Oberlehrer  an  der  IX.  städtischen  Realschule.  Ber- 
lin N.  58,  Gneiststrafse  19  IL 

„  Dr.  Lummert,  August,  ordentlicher  Lehrer  an  der  Viktoria- 
schule.   Berlin  S.  59,  Camphausenstrafse  3. 

„  Dr.  M  a  c  k  e  1 ,  Emil,  Oberlehrer  am  Prinz-Heinrich-Gymnasium. 
Friedenau,  Dürerplatz  3. 

„  Dr.  Mangold,  Wilhelm,  Professor,  Oberlehrer  am  Askanischen 
Gymnasium.    Berlin  SW.  47,  Grofsbeerenstrafse  71. 

„  Dr.  Mann,  Paul,  Oberlehrer  am  Luisenstädtischen  Realgym- 
nasium.   Berlin  SW.,  Neuenburgerstrafse  28. 

„  V.  Mannt z,  A.,  Oberstleutnant  a.  D.  Charlottenburg,  Knese- 
beckstrafse  2. 

„  Dr.  Mertens,  Paul,  wissenschaftlicher  Hilfslehrer  an  der 
Oberrealschule  in  Charlottenburg.  Berlin  W.,  Luther- 
strafse  44. 

„  Michael,  Wilhelm,  Oberlehrer  an  der  Oberrealschule.  Char- 
lottenburg, Kaiser-Friedrich-Strafse  92. 

„  Dr.  M  i  c  h  a  e  1  i  s ,  C.  Th.,  Stadt-Schulrat.  Berlin  W.,  Kurfürsten- 
strafse  149. 

„  Mugica,  Pedro  de,  Lizentiat,  Lehrer  der  spanischen  Sprache 
am  Orientalischen  Seminar.  Berlin  NW.  21,  Wilsnacker 
Strafse  3. 

„  Dr.  Müller,  Adolf,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Elisabeth- 
schule.   Berlin  W.,  Geisbergstrafse  1 5. 

„  Dr.  Müller,  August,  Oberlehrer  an  der  Kgl.  Elisabethschule. 
Berlin  SW.,  Grofsbeerenstrafse  55  part. 

„  Dr.  Münch,  Wilhelm,  Geh.  Regierungsrat,  ord.  Honorar-Pro- 
fessor an  der  Universität.  Berlin  W.  30,  Luitpold- 
strafse  22  IL 

„  Dr.  Münster,  Karl,  Oberlehrer  an  der  VII.  städtischen  Real- 
schule in  Berlin.    Köpenick,  Kurfürsten allee  1. 

„  Dr.  Naetebus,  Gotthold,  Bibliothekar  an  der  Universitäts- 
Bibliothek.    Grofs-Lichterfelde,  Moltkestrafse  22A. 

„  Dr.  Noack,  Fritz,  Oberlehrer  am  Gymnasium.  Grofs-Lichter- 
felde, Lorenzstrafse  62. 

„  Dr.  Nobiling,  Franz,  Oberlehrer  an  der  Realschule  zu  Pan- 
kow.   Berlin  N.  54,  Lothringerstrafse  82. 

^  Dr.  N  u  ck ,  Richard,  Oberlehrer  an  der  Luisenstädtischen  Ober- 
realschule.   Berlin  SW.,  Gneisenaustrafse  88. 


186  Mitglieder -Verzeichnis  der  Berliner  Gesellschaft 

Herr  0  p  i  t  z ,  G.,  Professor,  Oberlehrer  am  Dorotheenstädtischen  Real- 
gymnasium.   Charlottenburg,  Goethestrafse  8 1 III. 

„  Dr.  Palm,  Rudolf,  Professor,  Oberlehrer  an  der  I.  städti- 
schen Realschule,  Lehrer  an  der  Kgl.*"  Kriegsakademie. 
Berlin  SW.,  Yorkstrafse  7  6 II. 

„  Dr.  Pariselle,  Eugene,  Professor,  Lektor  der  französischen 
Sprache  an  der  Universität,  Lehrer  an  der  Kgl.  Kriegs- 
akademie.   Berlin  W.  30,  Landshuterstrafse  3 6  IL 

„  Dr.  Penn  er,  Emil,  Professor,  Direktor  der  XIII.  städtischen 
Realschule.    Berlin  NW.  23,  Schleswiger  Ufer  9. 

„  Dr.  Philipp,  Carl,  Oberlehrer  am  Askanischen  Gymnasium. 
Berlin  ISTW.  23,  Lessingstrafse  15,  Gartenhaus. 

„  Dr.  Risop,  Alfred,  Professor,  Oberlehrer  an  der  IL  städti- 
schen   Realschule.     Berlin    SW.  16,    Grofsbeerenstrafse 

61  m. 

„  Dr.  Ritter,  O.,  Professor,  Direktor  der  Luisenschule.  Berlin 
N.24,  Ziegelstrafse  12. 

„  Dr.  Roediger,  Max,  aufserord.  Professor  an  der  Universität. 
Berlin  SW.  48,  Wilhelmstrafse  140 IH. 

„  Roettgers,  Benno,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Dorotheen- 
schule.    Berlin  W.,  Fasanen strafse  83. 

„  Dr.  Rosenberg,  Oberlehrer  am  Köllnischen  Gymnasium. 
Charlottenburg,  Knesebeck strafse  75. 

„  Rossi,  Giuseppe,  Kgl.  italienischer  Vizekonsul.  Berlin  NW.  40, 
In  den  Zelten  5  a. 

„  Dr.  Rust,  Ernst,  Oberlehrer  an  der  VLEI.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  N.,  Dunckerstrafse  5  I. 

„     Dr.  Sabersky,  Heinrich.  Berlin  W.  3 5,  Genthiner  Strafse  281. 

„  Dr.  Sachrow,  Karl,  Kandidat  des  höheren  Lehramtes.  Ber- 
lin SW.  61,  Teltowerstrafse  16,  8.  Aufg.  II  r. 

„  Dr.  S  c  h  a  y  e  r ,  Siegbert,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  NO.  43,  Georgenkirchplatz  1 1 II  1. 

„  Dr.  Schleich,  Gustav,  Professor,  Direktor  des  Friedrich- 
Realgymnasiums.    Berlin  NW.,  Albrechtstrafse  261. 

„  Dr.  Schienner,  R.,  Oberlehrer  an  der  Luisenstädtischen  Ober- 
realschule.   Berlin  S.,  Urbanstrafse  29. 

„  Dr.  Schmidt,  August,  Oberlehrer  an  der  Realschule.  Steglitz, 
Düppelstrafse  22. 

„  Dr.  Schmidt,  Karl,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm-Realgym- 
nasium.   Berlin  SW.,  Yorkstrafse  68. 

„  Dr.  Schmidt,  Max,  Professor,  Oberlehrer  am  Prinz-Heinrich- 
Gymnasium.    Berlin  W.,  Rankestrafse  2  9  HI. 

„  Schreiber,  Wilhelm,  Oberlehrer  an  der  VI.  städtischen  Real- 
schule.   Tegel,  Hauptstrafse  33  a. 

„  Dr.  Schulze,  Georg,  Direktor  des  Königlichen  Französischen 
Gymnasiums.    Charlottenburg,  MarchstraTse  11. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  187 

Herr  Dr.  Seh ulze-Veltrup,  Wilhelm,  Oberlehrer  am  Falk-Real- 
gymnasium.    Berlin  NW.  23,  Lessingstrafse  30. 

^  Seibt,  Robert,  Oberlehrer  an  der  VII.  städtischen  Realschule 
zu  Berlin.    Schöneberg,  Siegfriedstrafse  7. 

^  Dr.  Seifert,  Adolf,  Oberlehrer  an  der  städtischen  Oberreal- 
schule.   Charlottenburg,  Strafse  12B,  Nr.  31. 

„  Sohier,  Albert,  Lehrer  an  der  Vereinigten  Artillerie-  und 
Ingenieur-Schule.    Berlin  W.,  Köthenerstrafse  41. 

„  Dr.  Söhring,  Otto,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule  in 
Schöneberg.    Berlin  W.  30,  Viktoria-Louisen  platz  9. 

„  Dr.  Spatz,  Willy,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule. 
Schöneberg,  Hauptstrafse  146. 

„     Dr.  Speranza,  Giovanni.    Berlin  W.  62,  Bayreutherstr.  17 IL 

„  Dr.  S  p  i  e  s ,  Heinrich,  Privatdozent  an  der  Universität.  Berlin, 
W.  57,  Kurfürstenstrafse  164 II  1. 

„  Dr.  Splettstöfser,  Willy,  Oberlehrer  an  der  XII.  städtischen 
Realschule.    Berlin  NW.,  Oldenburgerstrafse  5BIII. 

„  Dr.  Strohmeyer,  Fritz,  Oberlehrer  am  Dorotheenstädti- 
schen  Realgymnasium  zu  Berlin.  Charlottenburg,  Kant- 
strafse  104  a. 

„  Stumpff,  Emil,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule  zu 
Schöneberg.    Friedenau,  Sponholzstrafse  26. 

„  Dr.  Tanger,  Gustav,  Professor,  Direktor  der  IV.  städtischen 
Realschule.    Berlin  NO.  1 8,  Distelmeyerstrafse 

„  Dr.  Thum,  Otto,  Lehrer  an  der  Berliner  Handelsschule.  Char- 
lottenburg, Rönnestrafse  2  5  IL 

„  Dr.  T  h  u  r  a  u ,  Gustav,  Privatdozent  an  der  Universität  Königs- 
berg i.  P.,  Königstrafse  5. 

„  Dr.  Tobler,  Adolf,  ord.  Professor  an  der  Universität,  Mitglied 
der  Akademie  der  Wissenschaften.  Berlin  W.  1 5,  Kur- 
fürstendamm 25. 

„  Dr.  Tobler,  Rudolf,  Oberlehrer  am  Joachimsthalschen  Gym- 
nasium.   Berlin  W.  15,  Kaiserallee  1. 

„  Truelsen,  Heinrich,  Professor,  Oberlehrer  am  Real-Progym- 
nasium  in  Luckenwalde. 

„  Dr.  U 1  b  r  i  c  h ,  O.,  Professor,  Direktor  des  Dorotheenstädtischen 
Realgymnasiums.    Berlin  NW.  7,  Georgenstrafse  30/31. 

„  Dr.  Vollmer,  Erich,  Oberlehrer  am  Bismarck-Gymnasium. 
Deutsch- Wilmersdorf,  Güntzelstrafse  28. 

„     Weisstein,  Gotthilf,  Schriftsteller.  Berlin  W.,  Lenn^strafse  4. 

„  Dr.  Werner,  R.,  Professor,  Oberlehrer  am  Luisenstädtischen 
Realgymnasium.    Tempelhof,  Albrechtstrafse  12. 

„  Dr.  Wespy,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule  in  Schöne- 
berg.   Berlin  W.  30,  Eisenacherstrafse  65. 

„  Wilke,  Felix,  Oberlehrer  am  Reformgymnasium.  Charlotten- 
burg, Carmerstrafse  7. 


188  Mitglieder -Verzeichnis  der  BerÜDer  Gesellschaft  etc. 

Herr  Dr.  W  i  1 1  e  r  t ,  H.,  Oberlehrer  an  der  Margaretenschule.  Ber- 
lin W.  9,  Köthenerstrarse  39  IL 

„  Dr.  Wolter,  Eugen,  Professor,  Direktor  der  XII.  städtischen 
Realschule.    Berlin  O.  34,  Rigaerstrafse  8. 

„  Dr.  Wychgram,  Jakob,  Professor,  Direktor  des  Kgl.  Lehre- 
rinnenseminars und  der  Augustaschule.  Berlin  SW.  46, 
Kleinbeerenstrafse  161. 

„  Zack,  Julius,  Oberlehrer  an  der  XIII.  Realschule.  Berlin 
SW.  46,  Luckenwalderstrafse  10. 

C.    Korrespondierende  Mitglieder.'^ 

Herr  Dr.  Begemann,  W.,  Direktor  einer  höheren  Privat-Töchter- 
schule.    Charlottenburg,  Wilmersdorf erstrafse  14. 

Dr.  Gl  aufs,  Professor.    Stettin. 

H  u  m  b  e  r  t ,  C,  Oberlehrer.    Bielefeld. 

Dr.  Jarnik,  Joh.  Urban,  Professor  an  der  tschechischen  Uni- 
versität.   Prag. 

Dr.  Kelle,  Professor  an  der  deutschen  Universität.    Prag. 

Dr.  Krefsner,  Adolf.    Kassel. 

Dr.  Meifsner,  Professor.    Belfast  (Irland). 

Nagele,  Anton,  Professor.    Marburg  (Steiermark). 

Dr.  Neubauer,  Professor.    Halle  a.  S. 

Dr.  Sachs,  C,  Professor.    Brandenburg. 

Dr.  Scheffler,  W.,  Professor  am  Polytechnikum.    Dresden. 

Dr.  Wilmanns,  Professor  an  der  Universität.    Bonn. 


Berichtigungen  und  Ergänzungen  dieser  Liste  erbittet  der  Vorsitzende. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Eggert,  Oberl.  Dr.  B.,  Der  psychologische  Zusammenhang  in  der 
Didaktik  des  neusprachlichen  Reformunterrichts  (Sammlung  von 
Abhandlungen  a.  d.  Gebiete  der  pädag.  Psychologie  und  Physiologie, 
hg.  V.  Prof.  Th.  Ziegler  und  Prof.  Th.  Ziehen,  VII,  4).  Berlin,  Reu- 
ther  &  Reichard,  lyü4.    IV,  74  S.    M.  1,80. 

Schon  oft  ist  wiederholt  worden,  dafs  der  methodologischen  Worte 
nun  genug  gewechselt  seien.  Man  hat  'Schlul's!'  gerufen,  und  eine  er- 
quickliche Wendung  hatte  ja  die  Debatte  wirklich  nicht  genommen,  so  dafs 
bei  denen,  die  dem  grofsen  Streiten  lernbegierig  zuhörten,  die  Unlust- 
gefühle  längst  überwogen. 

Die  vorliegende  Schrift  hat  diese  Stimmung  indessen  nicht  zu  fürch- 
ten. Sie  ist  sachlich,  wissenschaftlich  und  wahrlich  nicht  überflüssig.  Sie 
wiederholt  und  vermengt  nicht;  sie  fördert  und  klärt.  Auch  wer  sich  in 
Pauls  Prinxipien  und  in  Wundts  Völkerpsychologie  selbständig  umgesehen 
hat,  wird  durch  Eggerts  zusammenfassende  und  ergänzende  Darstellung 
der  psychischen  Grundlagen  der  Sprachvorstellung  angezogen  und  belehrt 
werden  und  sich  in  der  Einsicht  dessen,  was  im  Sprachunterricht  not  tut, 
gefördert  sehen. 

Die  Schrift  bietet  nach  einer  trefflichen  Einleitung  zwei  Teile:  I.  Ent- 
wickelung  der  Spraehvorstellung,  II.  Analyse  der  Spraehvor Stellung.  Jeder 
Teil  zerfällt  wieder  in  A.  Psychologische  Erörterungen  und  B.  Didaktische 
Folgerungen. 

Eggert  legt  dar,  wie  sich  die  Sprachvorstellung  am  Satze  entwickelt; 
wie  der  Satz  die  primäre  und  das  Wort  die  sekundäre  Vorstellung  ist, 
oder,  mit  Meumanns  Ausdruck,  wie  die  Wortfunktion  des  Wortes  sich  aus 
seiner  Satzfunktion  entwickelt.  Er  insistirt  namentlich  auf  den  Gefühls- 
elementen der  Sprachvorstellung,  insbesondere  dem  Gefühlswert  der 
Wortvorstellung.  Das  'Denken  in  der  Sprache'  ist  vielmehr  ein  'Fühlen 
in  der  Sprache'.  Daran  knüpft  sich  die  didaktische  Forderung,  dals  der 
Sprachunterricht  vom  Satz  auszugehen  und  dafs  er  Gefühlswerte  mit- 
zuteilen hat.  Dabei,  wird  mit  Umsicht  und  Lehrerfahrung  erörtert,  wel- 
ches die  Rolle  des  Übersetzens  (als  Kontrollmittel)  sein  mag,  in  welchem 
Mafse  die  muttersprachlichen  Vorstellungen  ausgeschaltet  werden,  wie 
grammatische  Reihen  induktiv  gewonnen  werden  können  etc. 

Im  zweiten  Teile  kommen  die  Sprachstörungen  (die  verschiedenen 
Formen  der  Aphasie  u.  s.  f.)  auf  Grund  der  Untersuchungen  von  Broca, 
KuTsmaul,  Lichtheim  u.  a.  zur  Erörterung,  die  Sprachvorstellungen  werden 
nach  Wundt  schematisch  dargestellt,  die  Formen  der  Sprach tätigkeit 
(Hören,  Verstehen,  Nachsprechen,  willkürliches  Sprechen,  Lesen,  Schrei- 
ben) mit  der  vorherrschenden  Bedeutung  des  Klangbildes  analysiert 
und  damit  die  alte  Forderung  neu  beleuchtet,  dafs  die  gesprochene  Sprache 
Ausgang  und  Grundlage  des  Unterrichts  bilden  mufs.  H.  M. 

Karl  Luick,  Deutsche  Lautlehre.  Mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Sprechweise  Wiens  und  der  österreichischen  Alpenländer.  Leipzig 
und  Wien,  Franz  Deuticke,  1904.    XII,  103  S.  8.    M.  2,50. 

Diese  deutsche  Lautlehre  befafst  sich  ausschliefslich  mit  den  Lauten 
des  heute  gesprochenen  Deutsch  unter  Zugrundelegung  jener  Aussprache, 


190  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

in  welcher  unsere  Schrift-  und  gebildete  Umgangssprache  im  südöstlichen 
deutschen  Sprachgebiet  gesprochen  wird.  Der  erste  Teil  handelt  in 'ge- 
drängter, aber  klarer  und  glücklich  auswählender  Darstellung  über  die 
Grundbegriffe,  welche  zur  Erkenntnis  der  Lautbildungen  wichtig  sind, 
über  das  Wesen  der  Einzellaute  und  deren  Gruppierung  nach  phonetischen 
Gesichtspunkten,  über  ihr  Verhältnis  bei  Lautverbindungen,  endlich  über 
die  Silben  und  Sprechtakte  sowie  die  Betonung.  Im  zweiten  Teile  werden 
die  Grundlagen  der  Umgangssprache  in  Deutsch-Österreich  und  ihr  Ver- 
hältnis zur  Schriftsprache  erörtert,  wie  sie  sich  zur  Bühneusprache  stellt, 
inwieweit  sie  mit  ihr  in  Einklang  zu  bringen  ist  oder  aber  ihre  Besonder- 
heiten beibehält.  Auch  hier  zeigt  sich  wie  im  ersten  Teile  die  sorgfältige, 
klare  Darstellung,  wegen  welcher  das  Buch  zumal  Lernenden  die  besten 
Dienste  leisten  wird. 

In  den  allgemeinen  Erörterungen  ist  der  Standpunkt  vertreten,  dafs 
eine  einheitliche  Musteraussprache  des  Deutschen,  die  im  gesamten  deut- 
schen Sprachgebiete  Geltung  hätte,  in  Wirklichkeit  sich  nicht  erreichen 
lasse.  Die  Bülmensprache,  welche  seit  langem  schon  als  Muster  gilt  und 
auch  den  Gesangsvortrag  beherrscht,  wird  immer  nur  auf  einen  kleinen  Teil 
der  Gebildeten  übergehen,  weil  die  besonderen  Artikulationsbedingungen, 
welche  man  sich  von  jung  auf  in  den  einzelnen  Teilen  des  deutschen  Sprach- 
gebietes verschieden  angewöhnt  hat,  nicht  mehr  abgestreift  werden  kön- 
nen, wenigstens  vom  grölsten  Teile  der  Gebildeten  nicht;  auf  solche,  welche 
zeitlebens  sich  in  derselben  Gegend  aufhalten,  wirkt  die  Mundart  und  die 
Umgangssprache  immer  wieder  ein,  auch  wenn  sie  sich,  wie  Redner  und 
Lehrer,  eines  guten  Deutsch  befleifsigen,  und  zwar  so  sehr,  dafs  die  land- 
schaftlichen Besonderheiten  immer  in  der  Übung  bleiben  und  zum  Vor- 
schein kommen.  Mit  Recht  wird  daher  in  dem  Buche  betont,  dafs  die 
Frage,  wie  wir  sprechen  sollen,  nicht  für  das  ganze  deutsche  Sprachgebiet 
einheitlich,  sondern  nur  für  jede  einzelne  Sprachgegend  auf  Grund  einer 
genauen  Einsicht  in  ihren  Sprachzustand  zu  lösen  sei. 

Mit  der  Lösung  dieses  Problems,  mit  der  Darstellung  und  Begrün- 
dung, wie  im  bairisch- österreichischen  Sprachgebiet  das  gute  Schriftdeutsch 
mit  Rücksicht  auf  die  Sprachgewohnheiten  der  Gebildeten  lautet,  kann 
man  sich  durchaus  einverstanden  erklären ;  das  Buch  ist  eine  entschiedene 
Förderung  dieser  Bestrebungen  und  wird  von  allen,  welche  sich  mit  der- 
artigen Fragen  beschäftigen,  mit  Nutzen  herangezogen  werden.  Im  be- 
sonderen aber  werden  gerade  die  österreichischen  und  bayrischen  Lehrer- 
kreise an  Volks-  und  Mittelschulen  die  Darlegungen  für  sich  und  die 
Schule  anwenden  können,  denn  die  Schule  ist  ja  für  ihre  meisten  Be- 
sucher die  erste  und  wichtigste  Stätte,  an  der  sie  das  Schriftdeutsche  nicht 
nur  hören,  sondern  auch  sprechen  müssen.  Aber  auch  für  solche,  welche 
die  deutsche  Sprache  erst  erlernen  und  sich  zunächst  im  genannten  Ge- 
biete aufhalten  wollen,  dünkt  mir  dies  Buch  von  grofsem  Vorteil  zu  sein, 
denn  sie  werden  hier  auf  speziell  süddeutsche  Lautbildungen  aufmerksam 
gemacht,  die  unseren  romanischen  und  slawischen  Nachbarn  fremd  sind. 

Sollte  sich  die  Anregung  des  Verfassers,  es  möchte  für  jede  deutsche 
Landschaft  mit  sprachlicher  Eigenart  eine  den  besonderen  Sprechgewohn- 
heiten angepafste  'Deutsche  Lautlehre'  zusammengestellt  werden,  erfüllen, 
so  wären  die  Bestrebungen  um  die  Vereinheitlichung  der  deutschen  Schrif  t- 
sprache  in  bester  Weise  gefördert,  es  wäre  vor  allem  Erreichbares  in 
Angriff  genommen,  von  dem  der  deutschsprachliche  Betrieb  allseitigen 
Vorteil  hätte;  die  Vereinheitlichung  der  Aussprache  des  Schriftdeutschen 
bleibt  immer  ein  erstrebenswertes  Ziel,  das  freilich  nie  vollkommen  er- 
reicht werden  kann ;  das  Aufgeben  dieses  Strebens  würde  auch  ihren  Zer- 
fall bedeuten. 

Im  einzelnen  sei  hervorgehoben,  dafs  für  b,  d,  g,  s  stimmlose  Lenis 
gefordert  wird;  für  Süddeutsche  ist  die  stimmhafte  Lenis  des   Bühnen- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  191 

deutschen  völlig  ausgeschlossen.  Auslautendes  g  wird  im  ganzen  Süd- 
bairischen  bei  schriftdeutschem  Sprechen  als  Verschlufslaut  festgehalten, 
die  Aussprache  als  Reibelaut  -x  hätte  hier  keine  Aussicht  durchzudringen. 
Dafs  h,  d,  g  im  Anlaut  als  Lenes  gesprochen  werden,  wird  sich  in  Gegenden, 
welche  die  Anlautverstärkung  kennen,  nicht  allgemeiner  durchführen 
lassen;  in  Nordtirol  wird  man  auch  bei  sorgfältigster  Aussprache  d  und  t 
in  dieser  tag  als  Satzbeginn  nicht  auseinanderhalten,  sondern  sprechen 
tlsdr  tag.  Bei  ck  ist  im  Südbairischen  die  Vorstellung,  es  sei  als  Affrikata 
oder  Apirata  zu  sprechen,  allgemein,  gleichviel  ob  ck  sprachgeschichtlich 
einem  kk  oder  gg  entspricht;  wir  empfinden  die  vom  Verfasser  angeregte 
Aussprache  als  nicht  aspirierten  Verschlufslaut  als  affektiert  oder  stark 
mundartlich.  Schwierigkeiten  dürfte  es  in  Nordtirol  z.  B.  begegnen,  im 
Inlaut  die  Fortes  ff  nach  Längen  mit  der  Lenis  f  zusammenzuwerfen  (vgl. 
släffn  'schlafen'  gegen  häfn  'Hafen'),  wie  es  Südtiroler  und  Kärntner  tun, 
denen  anderseits  die  Scheidung  zwischen  ss  und  s  in  gleicher  Stellung, 
trotzdem  sie  durch  die  Orthographie  sehr  gefördert  wird,  nicht  leicht  wer- 
den dürfte.  Wegen  der  /-Artikulationen  scheint  mir  die  dem  Mittelbairi- 
schen  eigene  /-Bildung  zu  wenig  hervorgehoben.  Einfach  zerebrale  /  mit 
Aufstülpung  der  Zunge,  die  mit  ihrer  unteren  Fläche  an  der  inneren  Seite 
der  Kante  des  Zahnfleisches  den  Mittelverschlufs  bildet,  und  welche  im 
Buche  (§  41)  als  Eigenheiten  des  Mittelbairischen  hervorgehoben  werden, 
können  wir  auch  in  Tirol  nach  Lippenlauten  und  o,  u  bilden  und  zwar 
neben  den  dorsalen  und  koronalen  Arten,  ohne  dafs  die  Verschiedenheit 
des  Gehörseindruckes  zu  merklich  hervorträte;  ich  war  immer  der  Mei- 
nung, dafs  die  dem  Mitteibair.  eigene  /-Bildung  ähnlich  dem  slaw.  /  durch 
Artikulation  eines  breiteren  Teiles  des  Zungenrückens  mit  oder  ohne 
Mittelverschlufs  hervorgerufen  werde  (über  derartige  Artikulationen  z.  B. 
Sievers,  Phonetik  ^  <  315;  Jespersen,  Lehrbuch  der  Phonetik  §  133.  13ü), 
man  vergleiche  die  Ausführungen  von  Nagl,  ßoanad  S.  19  §  29  f.,  und 
Schwäbl,  Die  altbair.  Mundart  §  25.  Daher  stammen  denn  auch  die 
Übergänge  des  /  in  i  oder  u,  welche  Laute  dann  allem  Anschein  nach 
enger  und  energischer  gebildet  werden  als  die  i  und  u  in  diphthongischer 
Verbindung,  man  beachte  z.  B.  franz.  kavaje  =  cavalier  (Jespersen  a.  a.  0. 
S.  13Ü)  und  armen,  j'^  in  pavjos  für  HavXos  (Sievers  a.  a.  0.  S.  124); 
die  damit  auffällig  verbundene  Lippenartikulation  ist  ein  Faktor  für  sich. 
Mir  erscheint  es  fruchtbar,  wenn  dem  Lernenden  bei  den  Sonorkonso- 
nanten aufser  den  Nasalen,  den  r-Lauten  neben  den  /-Lauten  noch  Sonor- 
laute mit  engster  Ausflufsöffnung  klargemacht  werden,  welche  ohne  Ge- 
räuschbildung artikuliert  werden  und  so  eng,  dafs  wir  sie  von  den  Vo- 
kalen entschieden  trennen;  ihnen  fehlt  der  die  /-Laute  kennzeichnende 
Mittelverschlufs.  Derartige  Laute  sind  die  oben  angeführten  Vertreter 
des  /,  ferner  oft  die  Laute,  welche  für  sonores  j  und  w  in  Süddeutschland 
gesprochen  werden  (nicht  überall  natürlich),  ja  das  tv  unserer  Gegend, 
das  bilabial,  ohne  Geräusch  und  mit  Mittelverschlufs  der  Lippen  zustande 
kommt,  stellt  sich  zu  den  /-Lauten;  der  Klang  ist  freilich  ein  anderer. 
Got.  waürstw  spreche  ich  mit  diesem  w,  das  hier  an  zweiter  Stelle  in 
gleicher  Art  Silbenträger  ist  wie  /  im  got.  Akk.  tweifl,  in  nhd.  Zweifel. 
Auch  unsere  ungeroUten  Zungen-  und  Zäpfchen-r  sind  diesen  Sonorlauten 
mit  engster  Ausflufsöffnung  anzureihen,  wenn  sie  ohne  Geräuschbildung 
erzeugt  werden.  Der  Stimmton  kann  bei  einigen  dieser  Lautbildungen 
fehlen. ' 

Die  Aussprache  der  Vokale  deckt  sich  in  Tirol  mit  der  vom  Verfasser 
ermittelten  im  wesentlichen,    i  und  u  sind  wie  o  als  Kürzen  und  Längen 


*    über  derartige  Bildungen  im  allgemeinen  z,  B.  Sievera,  Phonetik  §  195  flf, 
und  496  ff. 


192  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

annähernd  von  gleicher  Klangfarbe,  ebenso  die  a,  die  hier  unbefangen 
mit  der  Klangfärbung  des  mundartlichen  Umlauts-a  gesprochen  werden; 
aber  auch  e  und  e  unterscheiden  sich  in  unserem  Schriftdeutsch  nicht 
merklich,  nur  der  Buchstabenzwang  bringt  öfters  in  Schulen  für  ä  in 
hätte,  Käfer,  Qläser  einen  sehr  offenen  e-Laut  zutage.  Der  im  Buche 
festgelegte,  in  Niederösterreich  vorhandene  Unterschied  zwischen  offenem  e, 
das  altes  e,  e  vor  /,  r,  h  und  e  in  Fremdwörtern  vertritt,  wird  hier  nicht 
gemacht,  trotzdem  die  Mundart  es  begünstigen  würde,  also  gleiches  e  in 
Reh,  Mehl,  säen,  Bett,  Parkett,  Epos  usw.  Wir  haben  hier  also  die  deut- 
liche Tendenz,  das  Vokalsystem  bei  gut  schriftdeutscher  Aussprache  zu 
vereinheitlichen. 

Der  Verfasser  hat  mit  dieser  Arbeit  einen  neuen  Weg  betreten,  um 
unserer  Schriftsprache  als  gesprochenes  Gebilde  zum  Durchbruch  zu  ver- 
helfen ;  die  Vereinheitlichung  der  donau-  und  alpenländischen  Aussprache 
des  Deutschen  wird  sich  im  wesentlichen  in  den  Bahnen  bewegen,  welche 
im  Buche  nachgewiesen  und  angegeben  sind.  Es  ist  zu  wünschen,  dals 
nicht  nur  andere  Länder  derartige  Lautlehren  erhalten,  sondern  dals  auch 
Luicks  Buch  in  den  Ländern,  für  welche  es  berechnet  ist,  von  allen  jenen 
beachtet  wird,  welche  sich  mit  dem  Schriftdeutschen  abzugeben  haben; 
es  wird  nicht  in  letzter  Linie  unseren  Germanisten  gute  Dienste  leisten. 
Es  wäre  für  den  Verfasser  ein  schöner  Lohn,  wenn  seine  Aufstellungen 
in  der  Weise  illustriert  würden,  dafs  für  verschiedene  Gebiete  die  übliche 
Handhabung  des  Schriftdeutschen  nachgewiesen  würde. 

Innsbruck.  J.  Schatz. 

Wilh.  Brückner,  Der  Helianddichter  ein  Laie.  Wissenschaftliche 
Beilage  zum  Bericht  über  das  Gymnasium  in  Basel,  Schuljahr  1903/04. 
Basel,  Friedrich  Reinhardt  (üniversitätsbuchdruckerei),  1904.     36  S.  4. 

Wo  und  wie  wir  uns  den  Heiland  entstanden  zu  denken  haben,  wer 
der  Verfasser  gewesen,  ob  er  als  germanischer  Volkssänger  die  Taten  sei- 
nes göttlichen  Herrn  besungen,  ob  er  in  der  Mönchszelle  mit  Fleifs  theo- 
logische Autoren  studiert,  und  welche  besonderen  Quellen  er  für  seine 
Dichtung  ausgeschöpft  habe  —  diese  Fragen  haben  seit  langer  Zeit  die 
Gemüter  beschäftigt  und,  trotz  erfreulicher  Klärung  nach  mancher  Rich- 
tung hin,  noch  immer  keine  definitiven,  allgemein  als  richtig  anerkannten 
Beantwortungen  gefunden.  In  dem  vorliegenden  wertvollen  Beitrage  zur 
Quellenkunde  des  Heliand  und  zur  Würdigung  der  Arbeitsweise  des  Dich- 
ters knüpft  Brückner  an  den  bekannten  Versuch  Jostes'  an,  den  Verfasser 
des  Heliand,  im  Widerspruch  mit  der  vorherrschenden  Ansicht,  als  Laien 
zu  erweisen  {Z.  f.  d.  Ä.  40,  341  ff.).  An  der  Hand  von  sorgfältig  gesam- 
meltem Material  beleuchtet  er  das  Verhältnis  der  altsächsischen  Dichtung 
zu  den  Quellen  und  gelangt  zu  Resultaten,  durch  welche  die  Ansicht  des 
westfälischen  Gelehrten  gestützt,  weitergeführt  und  teilweise  modifi- 
ziert wird. 

Im  ersten  Teile  seiner  Arbeit  behandelt  Brückner  die  Stellung  des 
Dichters  zur  Hauptquelle,  dem  Tatian.  Er  deckt  allerhand  Mifsverständ- 
uisse  auf,  Mangel  an  Übersicht  über  den  Stoff,  auffallende  Abweichungen 
von  der  Erzählung  der  Evangelien,  Auslassungen,  Zusätze,  kurz  derartige 
absichtliche  und  unabsichtliche  Veränderungen,  die  bei  einem  geistlichen 
Verfasser  undenkbar  seien.  Der  Dichter  habe  offenbar  nicht  selbst  den 
Tatian  in  der  Hand  gehabt,  sondern  den  ihm  mündlich  übermittelten  hei- 
ligen Stoff  einfach  aus  dem  Gedächtnis  bearbeitet.  Im  zweiten  Teile, 
welcher  des  Plausibelu  am  meisten  enthält,  wird  die  Benutzung  der  Kom- 
mentare erörtert.  Windisch  hatte  in  seiner  trefflichen  Schrift  'Der  Heliand 
und  seifie  Quellen'  dargelegt,  dafs  neben  dem  Tatian  auch  Kommentare 
Hrabans,  ßedas  und  Alcuins  herangezogen   worden  sind,  während  Grein 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  193 

bald  danach,  die  Benutzung  Alcuins  und  Hrabans  ablehnend,  auf  Beda 
sowie  auch  Augustin,  Hieronymus  und  Gregor  hinwies.  Andere  entdeckten 
andere  Quellen  zweiten  Grades  (z.  B.  Juvencus,  Haimo  von  Halberstadt, 
Paschasius  Radbertus).  Und  wer  weifs,  was  die  Quellenjagd  noch  alles 
zutage  fördern  wird.  Mit  Recht  wendet  sich  nun  Brückner  gegen  die 
übliche  Auffassung,  speziell  die  Ansichten  Schönbachs,  Jellineks  und  Sie- 
vers', betreffend  den  Einflufs  der  Kommentare  und  betont,  dafs  viele  an- 
geblich auf  gelehrte  Quellen  zurückgehende  Bemerkungen  doch  so  einfach 
und  naheliegend  seien,  dafs  der  Dichter  sehr  wohl  von  selbst  darauf  ge- 
kommen sein  könne,  während  man  in  vielen  Fällen  über  unsichere  Ver- 
mutungen nicht  hinauskomme.  Fast  die  Hälfte  der  in  Sievers'  Ausgabe 
angeführten  Verweise  auf  Hraban,  Beda,  Alcuin  könnten  gestrichen  wer- 
den. Allerdings  sei  nicht  zu  leugnen,  dafs  manche  Ausführung  (nament- 
lich erläuternder  Art)  auf  gelehrten  Quellen  fufse,  jedoch  sei  mit  den  letz- 
teren in  der  Regel  in  sehr  freier  Weise  geschaltet  worden,  so  dafs  sich 
nicht  nur  kleinere  Abweichungen,  sondern  sogar  öfter  Widersprüche  her- 
ausstellten. Beiläufig  äufsert  Brückner  Zweifel  über  die  Benutzung  Al- 
cuins, hält  aber  den  Einflufs  Haimos  in  der  44.  Fitte  für  sicher,  in  der  42. 
für  nicht  unwahrscheinlich. 

Als  Resultat  ergibt  sich  dem  Verfasser,  dafs  der  Dichter  des  Heliand 
ein  der  lateinischen  Sprache  unkundiger  Laie  gewesen  sei,  dem  ein  tüch- 
tiger Geistlicher  als  Berater  zur  Seite  gestanden  habe.  Es  sei  anzuneh- 
men, dafs  'eine  eigentliche  Unterweisung  des  Dichters  in  der  biblischen 
Geschichte  durch  einen  Geistlichen  stattgefunden  hat;  partienweise  wird 
dieser  den  Stoff  vorgetragen  haben,  manche  Erzählung  mag  er  seinem 
Zuhörer  schon  gekürzt,  manches  weniger  Wichtige  oder  schwer  Verständ- 
liche überhaupt  nicht  mitgeteilt  haben.  In  Rede  und  Gegenrede  mochten 
dabei  diejenigen  Stellen,  die  einer  weiteren  Erläuterung  bedürftig  erschie- 
nen, erörtert  werden'  (S.  34  f.).  Dafs  dem  freien  künstlerischen  Schaffen 
des  Laiendichters  eine  nicht  unerhebliche  Rolle  zuzuerkennen  und  dem- 
nach der  Wert  des  Heliand  als  Quelle  deutscher  Altertumskunde  höher 
zu  bemessen  sei,  als  gegenwärtig  im  allgemeinen  angenommen  werde,  ist 
eine  willkommene  Schlufsfolgerung,  über  die  sich  Vilmar  gefreut  haben 
würde. 

Die  Untersuchung  ist  mit  lobenswerter  Gründlichkeit  geführt  worden 
und  wirft  interessantes  Licht  auf  gar  manche  Stellen  der  Dichtung.  Und 
doch  ist  es  dem  Verfasser  meines  Erachteus  nicht  gelungen,  seine  These 
zu  beweisen.  Die  Schlüsse  sind  oft  nicht  zwingend,  die  Erklärungen  nicht 
über  jeden  Zweifel  erhaben.  Z.  B.  wenn  im  Heliand  öfter  Tatsachen,  die 
in  den  Evangelien  getrennt  sind,  vereinigt  und  dadurch  wenigstens  in 
mehreren  Fällen  wirkliche  Verbesserungen  geschaffen  worden  sind,  warum 
soll  man  dem  Dichter  nicht  zutrauen,  dafs  dies  mit  bewufster  Absicht 
geschehen  sei?  (Genau  dasselbe  wird  in  der  ae.  Genesis  beobachtet, 
8.  Heinzes  Dissertation  S.  11  ff.)  Dies  dürfte  überhaupt  von  manchem 
gelten,  was  von  mangelndem  Verständnis  oder  ungenauer  Erinnerung 
zeugen  soll.  Sicher  lag  ja  dem  Dichter  weniger  an  theologisch-philologischer 
Geoauigkeit  als  daran,  von  seinen  Sachsen  verstanden  zu  werden  —  Laien 
sowohl  wie  Geistlichen,  vgl.  Kauffmann,  Z.  f.  d,  P.  32,  517  — ,  und  dies 
erreichte  er  in  wirksamster  Weise  durch  Anpassung  an  die  Vorstellungs- 
kreise  seiner  Landsleute.  Wenn  also  an  Stelle  des  Namens  'Pharisäer' 
allgemein  gehaltene  Ausdrücke  wie  oära  Jucleon,  nithfole  Jydemw  gesetzt 
werden,  wenn  die  Rats  Versammlung  der  Priester  und  Pharisäer  in  eine 
grofse  Volksversammlung,  meginthiodo  gimang,  verwandelt  wird,  so  läfst 
sich  dies  als  eiue  wohlerwogene,  im  Interesse  der  Zuhörer  vorgenommene 
Vereinfachung  erklären.  Auch  mag  hier  an  die  schon  von  Jostes  ange- 
zogene (wenn  auch  für  seine  eigene  Theorie  verwertete)  Rede  des  Haupt- 
manns von  Kapernaum,  V.  2104  ff.,  erinnert  werden,  deren  vom  Bibeltext 

Archiv  f.  n.  Sprachen,     CXIV.  13 


194  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

abweichender  Gedankengang  offenbar  durch  Rücksichtnahme  auf  die  den 
Geistlichen  (nach  Jostes  auch  den  'gescheiteren'  Laien)  vertrauten  Worte 
der  Liturgie:  Domine,  non  sum  dignus,  ut  intres  sub  tectum  meum,  sed 
tantum  die  verbo,  et  sanabitur  anima  mea  veranlafst  wurde.  Und  warum 
sollten  gelegentliche  Abweichungen  von  der  Evangelienharmonie  bei  einem 
Geistlichen  undenkbar  sein?  Dals  der  sogenannte  geistliche  Berater , viel- 
leicht zu  den  Kommentaren  'kleine  Zusätze  machte  oder  sich  kleine  Ände- 
rungen erlaubte,  wenn  er  dadurch  den  biblischen  Vorgang  dem  Laien 
deutlicher  zu  machen  glaubte;',  wird  ja  von  Brückner  selbst  zugestanden. 
Und  was  unvollkommene  Auffassung  des  Schrifttextes  und  regelrechte 
Schnitzer  betrifft,  wer  steht  uns  denn  dafür,  dafs  ein  geistlicher  Autor 
jener  Tage  darüber  erhaben  war?  Gibt  es  doch  wohl  im  20.  Jahrhundert 
manche  Geistliche,  die  nicht  ganz  taktfest  im  Kirchenlatein  sind,  vom 
Griechischen  und  Hebräischen  ganz  zu  schweigen. 

Nichts  ist  ferner  zugunsten  der  Laien theorie  daraus  zu  folgern,  dafs 
der  Dichter  'die  Verstechnik  und  den  Stil  des  altgermanischen  Epos  in 
hohem  Grade  beherrscht'.  Sollen  wir  etwa  annehmen,  dafs  die  altenghschen 
geistlichen  Dichtungen,  die  den  alten  epischen  Ton  und  Stil  zum  Teil 
ganz  vortrefflich  bewahrt  haben,  sämtlich  von  Laien,  von  'Volkssängern' 
herrühren?  Es  ist  a  priori  ganz  und  gar  unwahrscheinlich,  dafs  ein  Laie 
solch  ein  Evangeliengedicht  verfafst  hätte.  Wie  wäre  er  überhaupt  darauf 
gekommen  ? 

Freilich  die  Praefatio !  Nun  wohl,  die  Praefatio  ist  nicht  einfach  aus 
der  Luft  gegriffen,  aber  die  (mündlicher  Tradition  entnommenen  [Win- 
disch]) Angaben  derselben  sind  in  der  Tat  zu  unbestimmt  und  zu  wenig 
verläfslich,  um  in  der  Frage  nach  dem  Stande  des  Verfassers  erheblich  ins 
Gewicht  zu  fallen.  Eine  vorurteilslose  Betrachtung  des  Gedichtes  selbst 
aber  kann,  wie  mir  scheint,  zu  keiner  anderen  Ansicht  führen  als  der, 
welche  Sievers  in  seiner  Ausgabe  (S.  XLIII)  klar  und  präzis  ausgesprochen 
hat.  Mit  Kompromifsversuchen  wie  denen  Jostes'  und  Brückners  ist  uns 
nicht  geholfen.  Wozu,  so  fragt  man  sich  vergeblich,  diese  Dualität  von 
Dichter  und  theologischem  Beirat?  Ein  Geistlicher  mit  poetischem  Talent, 
der  dem  Laienvolke  nicht  entfremdet  war  und  sich  ein  warmes  mensch- 
liches Herz  'unter  der  Kutte'  bewahrte  (vgl.  z.  B.  V.  878  ff.,  736  ff.,  2183  ff., 
2205  ff.)  —  eine  solche  Persönlichkeit  gehört  doch  nicht  zu  den  Unmög- 
lichkeiten. Und  genau  diese  Vorstellung  müssen  wir  uns  von  dem  Dichter 
des  Heliand  machen. 

Am  Schlufs  der  Abhandlung  wird  noch  ein  schüchterner  Versuch  ge- 
macht, den  sprachlichen  Mischcharakter  des  Gedichtes  wenigstens  zum 
Teil  zu  erklären.  Wahrscheinlich  würden  die  betreffenden  Bemerkungen 
etwas  anders  ausgefallen  sein,  wenn  der  Verfasser  den  Aufsatz  von  Collitz 
'The  Home  of  the  Heliand'  {Publ.  Mod.  Lang.  Ässoc.  IG,  128  ff.)  beachtet 
hätte. 

University  of  Minnesota.  Fr.  Klaeber. 

Woemer,   Fausts  Ende.     Akademische  Antrittsrede.    2.  Auflage.   Frei- 
burg i.  B.,  Troemers  Universitätsbuchhdlg.,  1904.    28  S.  8. 

Woerners  gedankenreiches  Schriftchen  ist  in  seiner  ersten  Auflage 
(1901)  an  dieser  Stelle  nicht  besprochen  worden,  und  so  sei  jetzt  darauf 
hingewiesen.  Wie  in  meiner  ausführlicheren  Besprechung  {Literaturbl.  /. 
german.  u.  roman.  Philol.  1902,  Sp.  281  ff.)  stehe  ich  zu  Woemer  in  der 
Bekämpfung  jener  'neuen  Fausterklärung'  Türcks,  wonach  Faust,  von  der 
Sorge  geblendet,  als  Philister  enden  soll.  Die  Bedeutung  von  'Furcht  und 
Hoffnung',  insbesondere  in  der  Elefantengruppe  des  II.  Teils,  hat  mir, 
wie  ich  hier  (gegenüber  Ldt.  Zentralbl.  1904,  1789  f.)  nur  versichern  kann, 
von  jeher  festgestanden,  doch  danke  ich  Türck,  wie  ich  ausdrücklich  au- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  195 

erkenne,  die  genauere  Begründung  dieser  Deutung,  insonderheit  durch 
den  Hinweis  auf  Spinoza.  Die  Leser  meiner  'Vorträge  über  Ooethes  Faust' 
(1903)  ausdrücklich  auf  Türcks  Schriften  zu  verweisen,  hatte  ich  nach  der 
Anlage  meines  Buches  (s.  Vorwort)  um  so  weniger  zwingenden  Anlafs,  als 
ich  mich  eben  in  der  Hauptsache,  in  der  Auslegung  der  die  Entwicke- 
lung  krönenden  Todesszene,  nicht  mit  ihm  einyerstanden  fühle.  Woemer 
gegenüber  muls  ich  daran  festhalten,  dafs  ich  in  Fausts  Verhalten  gegen- 
über Philemon  und  Baucis  keine  Heuchelei,  sondern  ein  letztes  Auf- 
flackern egoistischer  Leidenschaftlichkeit  sehe,  deren  Folgen  ihm,  dem 
Geblendeten,  den  inneren  Blick  für  die  Verkettung  von  Handlung  und 
Schicksal  schärfen. 

Heidelberg.  Robert  Petsch. 

M.  SchiaD,  Der  deutsche  Roman  seit  Goethe.     Skizzen  und  Streif- 
lichter.   Görlitz,  R.  Dülfer,  1904.    23G  S.    M.  4. 

Zu  Vorträgen  für  ein  gemischtes  Publikum  sind  diese  ruhig  gehaltenen 
Skizzen  wohl  geeignet;  eine  Notwendigkeit,  sie  in  Buchform  herauszugeben, 
lag  nicht  vor.  Neues  bieten  sie  nirgends;  denn  den  Satz,  dafs  'das  Gesetz 
iler  Wirklichkeit  überall  im  deutschen  Roman  des  19.  Jahrhunderts  re- 
giert', wenn  auch  in  vielen  Formen  (S.  280),  wird  der  Verfasser  selbst 
kaum  dafür  halten.  Will  man  das  Buch,  das  sich  übrigens  von  seinen 
Autoritäten  Koch  und  Bartels  recht  selbständig  hält,  nicht  umsonst 
gelesen  haben,  so  mufs  man  ihm  symptomatische  Züge  abzugewinnen 
suchen.  Dahin  gehört  denn,  dafs  der  geistliche  Autor  sich  ziemlich  ent- 
schieden von  der  Romantik  abwendet;  dafs  ihm  Gustav  Freytag  der  eigent- 
liche Heros  des  deutschen  Romans  und  'Ekkehard'  ihm  wertvoller  ist  al« 
der  'Grüne  Heinrich';  endlich  allgemein:  dafs  auch  heute  noch  der  Satz 
besonders  verfochten  werden  mufs,  nicht  Wieland  habe  den  deutschen 
Roman  geschaffen,  sondern  Goethe. 

Berlin.  R.  M.  M. 

B.  LitzmaDD;  Goethes  Faust.  Eine  Einführung.  Berlin,  FleischelÄ  Co., 

1904.    400  S. 

Nachdem  Litzmann  eine  'künstlerische  Auslegung'  von  Goethes  Lyrik 
gegeben,  meint  er  nun  auch  den  'Faust'  dem  deutschen  Volke  wieder 
erobern  zu  sollen.  Seit  rund  dreifsig  Jahren  (S.  1  f.)  schwebte  ihm  als  ein 
Lieblingsgedanke  ein  grofses,  tief  angelegtes  Werk  über  ihn  vor.  Doch 
verstand  er,  der  Versuchung  Widerstand  zu  leisten.  Keine  Zeile  hat  in 
diesem  IVlenschenalter  für  Litzmanns  Beschäftigung  mit  dem  'Faust'  Zeug- 
nis abgelegt;  und  was  jetzt  erscheint,  läfst  die  Frage  nur  erneuern:  warum 
er  denn  eigentlich  trotz  jener  frühen  Liebe  sich  nur  so  obenhin  mit  dem 
tiefsinnigsten  unserer  Meisterwerke  befafsthabe?  Weshalb  hat  er  schliefs- 
lich  die  Intimität  dieser  Gymnasiastenliebe  der  schnöden  Welt  geopfert? 
Er  gesteht  es:  Jetzt  ist  die  Gefahr  vorhanden,  der  'Faust'  könne  durch 
die  Gleichgültigkeit  der  Lebenden  für  die  künftige  Generation  verloren 
gehen  (S.  4).  Da  springt  Litzmann  kühn  in  die  Lücke,  und  er  rettet  den 
'Faust'  für  die  deutsche  Nation.  Nicht  durch  einen  Kommentar  'nach  be- 
rüchtigten Mustern'  (S.  2) ;  er  hat  für  die  'neuere  Faustforschung'  (S.  34) 
und  gar  die  'Faustphilologie'  (S.  07  Anm.)  nur  Hohn.  Von  der  Unfähig- 
keit der  früheren  Ausleger  und  Herausgeber  fS.  202)  spricht  er  mit  dem- 
selben Hochmut  und  fast  mit  denselben  Worten  (S.  304)  wie  in  der  'Lyrik'. 
Er  gibt  offenbar  etwas  durchaus  anderes.  Aber  was?  Eine  exegetische 
Paraphrase  (S.  '2).  Nun,  das  hat  auch  v.  Kupffer  schon  getan.  Ja; 
aber  L.  tut  es  mit  seitenlangen  Zitaten  (S.  281.  294  f.  302.  307.  312.  315  f. 
319  1  324  f.  374  f.  usw.),  die  namentlich  gegen  Schlufs  eigene  Gedanken 

13* 


196  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

immer  entbehrlicher  erscheinen  lassen.  Femer  druckt  er  Hauptstellen 
(z.  B.  S.  130.  3ö3  f.)  in  Sperrdruck  ab.  Hierin  mufs  wohl  das  wirksame 
Element  gesucht  werden.    Denn  im  Inhalt  steckt  es  nicht. 

Kein  tiefes  Problem  wird  ernstlich  angerührt;  nur  über  die  Erdgeist- 
frage werden  (S.  134.  149  f.)  wenigstens  Hypothesen  mitgeteilt.  Denn  natür- 
lich macht  es  hier  L.  gerade  wie  es  H.  Grimm,  nur  etwas  geistvoller 
in  seinem  'Homer'  machte:  alle  Philologie  wehrt  er  ab,  aber  wo  es  be- 
quem ist,  arbeitet  er  selbst  mit  Interpolationen,  Verschiebungen  und  Da- 
tierungen (S.  lt>9.  185.  200.  '239.  248  f.  348  f.).  Freilich  schwimmen  diese 
Datierungsversuche  (S.  213.  223)  und  Erörterungen  der  Paralipomena  u.  dgl. 
recht  seltsam  in  dem  breiten  Gewoge  gefühlvoller  Textumschreibungen. 
Das  Publikum,  dem  diese  Mädchenschulvorträge  Neues  bieten,  würde  ver- 
mutlich lieber  etwas  über  das  Spalten  von  weichem  Holz  (S.  115),  eine 
Auslegung  der  Hexenküche  (S.  221 ;  der  Eaum  fehlt,  weil  so  viel  sonst 
nicht  zu  erlangende  Verse  aus  dem  'Faust'  abgedruckt  werden  mulsten)  oder 
über  die  Lautmalerei  mitgeteilter  Verse  (S.  335)  hören.  Doch  der  ernstere 
Leser,  den  es  befremdet,  was  alles  L.  von  der  vielgescholtenen  'Faustphilo- 
logie' nicht  gelernt  hat  —  er  wiederholt  sogar  noch  das  alte  Mifsver- 
ständnis  der  Worte  'Geniefsen  macht  gemein'  (§.  379)  — ,  freut  sich,  einige 
solche  Ansätze  zu  eigener  Gedankenarbeit  zu  bemerken.  Er  verzeichnet 
sie  sorgfältig:  eine  viel  zu  ausführliche,  aber  geschickte  Charakteristik  der 
Faustbücher  (S.  23  f.),  Gedanken  über  die  Anordnung  in  den  Schriften 
(S.  lOö),  eine  gewandte  Einführung  des  Teufels  (S.  123  f.);  schliefslich 
zwei  Punkte,  auf  die  L.  grolses  Gewicht  legt:  mit  der  'Helena'  trete  an 
die  Stelle  des  Einzelschicksals  ein  Menschheitserlebnis  (S.  358.  3ö3.  398), 
und  Philemons  Ende  wirke  umgekehrt  auf  Faust  als  ein  'einzelnes  Men- 
schenschicksal' (S.  391).  Beides  scheint  mir  grundfalsch,  vor  allem  das 
zweite ;  aber  es  sind  doch  Anregungen.  Sonst  aber  —  welche  Leere  1  wel- 
ches Ausstopfen  mit  Deklamation! 

Wenn  Minor  in  seinem  Kommentar  fortwährend  auf  die  Philologen 
des  19.  Jahrhunderts  stichelte,  hat  das  mit  Recht  geärgert;  immerhin, 
sagte  man  sich,  er  bringt  doch  allerlei,  worauf  er  sich  was  zugute  tun 
mag.  Hier  mufs  man,  wieder  wie  bei  der  'Lyrik',  fragen :  was  hat  L.  ge- 
leistet, um  auf  die 'berüchtigten  Muster'  so  herabblicken  zu  dürfen?  Aus 
Loeper  und  Düntzer,  aus  Minor  und  Kuno  Fischer,  aus  Bayard 
Taylor  und  Calvin  Thomas  hat  der  Verfasser  dieser  Einführung  noch 
recht  viel  zu  lernen.  Für  ihn  aber  existiert  nur  Erich  Schmidt,  den 
er  (S.  67.  78.  82.  87.  95  u.  ö.)  mit  auffallender  Absichtlichkeit  nennt,  wäh- 
rend von  neueren  Faustforschern  nur  noch  J.  Colli n  (S.  141.  145)  und 
G.  Witkowski  (S.  229)  für  ihn  geschrieben  haben.  Und  Erich 
Schmidt  sucht  er  nun  (S.  67  Anm.)  zu  seinem  Schutzpatron  im  Kampf 
gegen  die  Vertiefung  zu  machen !  einen  Forscher,  dessen  Faustkommentare 
so  viel  neue  Probleme  aufgeschlossen  und  abgeschlossen  haben!  einen 
Mann,  dessen  berechtigte  Abwehr  gewisser  Übertreibungen  der  philo- 
logischen Manier  gerade  deren  Oberflächlichkeit  blolslegten! 

Hiergegen  vor  allem  muls  denn  doch  Protest  eingelegt  werden.  Ist 
der  'Faust'  in  Gefahr,  verloren  zu  gehen,  so  gibt  es  zwei  Wege,  ihn  zu 
retten.  Man  schaffe  ihn,  von  dem  Fertigen  ausgehend,  künstlerisch  nach, 
auf  der  Bühne,  im  Bildwerk,  in  der  literarhistorischen  Darstellung;  oder, 
vom  Keim  ausgehend,  wissenschaftlich,  in  philologischer  Einzelforschung. 
Beides  ist  längst  im  Werke  und  das  zweite  vor  allem.  Oberflächlich- 
keit aber  als  Rettungsmittel  zu  preisen  und  die  besten  Namen  zum  Deck- 
mittel solcher  Art  zu  verwenden  —  dafür  müssen  wir  danken;  da  ballen 
wir  zornig  die  'Auslegerfäuste'.  In  Frankreich  war  früher  solches  Auf- 
weichen ernster  Probleme  in  gefühlvollen  Phrasen  beliebt;  man  hat  es 
dort  verlernt  —  soll  es  jetzt  uns  als  Heilmittel  für  die  Jugend  ge- 
predigt werden?    Mit  seinem   überheblichen  Ton;   mit  der  Darstellun^s- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  197 

art,  die  Ältestes  (wie  etwa  die  Benutzung  des  Buches  Hiob  S.  121)  so 
hinstellt,  dafs  der  Unkundige  den  Verfasser  für  den  Entdecker  halten 
mufs;  mit  seinem  Ausweichen  vor  jeder  Schwierigkeit  mufs  dies  Buch 
geradezu  verderblich  wirken.  Redeblüten  vom  vorigen  fin  de  sifecle  (S.  52) 
und  die  Vorstellung,  jahrhundertelang  habe  vor  Rousseau  die  demokra- 
tische Gleichmacherei  und  der  Rationalismus  regiert  (S.  9),  kommen  da- 
gegen gar  nicht  einmal  in  Betracht. 

Wir  glauben  nicht  an  die  Gefahr  für  den  'Faust'.  Besteht  sie  aber, 
so  eigne  ich  wenigstens  mir  Thodes  kräftiges  Wort  über  die  'Wieder- 
herstellung' der  Heidelberger  Schlofsruinen  an :  Wenn  sie  nur  so  zu  retten 
sind,  sollen  sie  lieber  untergehen. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

li.  Herrig:  British  classical  authors  with  biographical  notices.  On 
the  basis  of  a  selection  by  L.  Herrig  edited  by  Max  Förster.  86*'' 
edition.  Braunschweig,  George  Westermann,  1905.  XX,  760  u.  48  S. 
gr.  8. 

Vierundfunfzig  Jahre  sich  in  der  Gunst  des  Publikums  zu  erhalten, 
ist  viel  für  ein  Buch,  das  zur  Klasse  der  belehrenden  gehört;  und  in  die- 
sen 51  Jahren  85  Auflagen  zu  erleben,  das  wiegt  noch  viel  schwerer.  Un- 
berechenbar ist,  wieviel  der  alte  Herrig  zur  Einführung  deutscher  Leser 
in  englische  Sprache  und  Literatur  geleistet  hat;  keine  Konkurrenz  wurde 
an  ihn  heranreichen.  Übrigens  hat  er  sich  in  dieser  langen  Zeit  nicht 
starr  gezeigt,  hat  sich  einigermalsen  entwicklungsfähig  erwiesen;  es  ist 
nach  und  nach  mancherlei  daran  gebessert  oder  geändert  worden.  Aber 
nun  wurde  doch  das  Bedürfnis  einer  tiefergreifenden  Veränderung  gefühlt, 
die  Verlagshandlung  hat  sich  nicht  ablehnend  verhalten,  und  sie  hat  das 
Glück  gehabt,  Professor  Max]  Förster  von  der  Würzburger  Universität  für 
die  Aufgabe  dieser  Erneuerung  zu  gewinnen.  Vor  allem  bedurfte  es  einer 
Weiterführung  bis  auf  die  Gegenwart,  einer  Vertretung  der  bedeutendsten 
literarischen  Namen  aus  den  letzten  fünfzig  Jahren.  Und  dafe,  um  für 
sie  Raum  zu  gewinnen,  eine  Anzahl  der  früheren  Stücke  sich  ausmustern 
und  ausscheiden  liefse,  war  leicht  anzunehmen;  verhältnismäfsig  Minder- 
wertiges oder  minder  Wichtiges  kann  doch  in  einer  solchen  Sammlung 
nicht  fehlen.  Eine  besonders  grolse  Arbeit  brauchte  die  ganze  Neuge- 
staltung nicht  zu  bedeuten.  Aber  M.  Förster  hat  sich  nicht  mit  dem  in 
diesem  Sinne  Nötigen  begnügt.  Wenn  man  näher  zusieht,  was  mit  der 
neuen  Bearbeitung  wirklich  'gegeben  wird,  und  berechnet,  wieviel  Mühe 
dazu  hat  aufgewandt  werden  müssen,  so  kommt  ein  höchst  respektables 
Etwas  heraus,  ja  ein  schwerwiegendes  Vielerlei.  In  Wahrheit  ist  schon, 
was  die  Auswahl  der  Textstücke  betrifft,  geradezu;  ein  neues  Buch  ent- 
standen. Nur  ein  kleiner  Bruchteil  der  alten  Stücke  ist  geblieben;  gegen 
ein  halbes  Hundert  neuer  Autornamen  sind  vertreten,  und  die  verbliebene 
Gruppe  hat  sich  eine  Art  von  Kleiderwechsel  gefallen  lassen  müssen:  es 
sind  auch  für  sie  fast  überall  neue  Textstücke  gewählt  worden.  Fast  ist 
nur  der  Name  Herrig  geblieben,  und  auch  dieser  scheint  im  Titel  nur 
noch  mit  durch. 

Man  wird  über  die  Notwendigkeit  einer  so  weit  gehenden  Erneuerung, 
eines  so  strengen  Gerichts  verschiedener  Meinung  sein;  man  könnte  viel- 
leicht wegen  jeder  einzelnen  Aus-  und  Einschaltung  mit  dem  Herausgeber 
diskutieren,  und  oft  wird  man  sich  wohl  alsbald  überzeugen  lassen,  wahr- 
scheinlich aber  nicht  ganz  selten  auch  keineswegs.  Doch  viel  Zweck  hätte 
das  ja  nicht,  die  neue  Auswahl  ist  getroffen,  und  sie  darf  an  sich,  so  wie 
sie  da  ist,  Wohlgefallen  erwecken.  Hat  doch  auch  der  Herausgeber  seine 
Grundsätze  für  Wahl,  Abgrenzung  und  Zusammenstellung  in  der  Vorrede 
klar  entwickelt.     Bedeutende  literarische  Erzeugnisse  sollten  es  sein,  wert 


198  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

in  den  Mittelpunkt  des  Sprachunterriclits  gerückt  zu  werden,  tauglich  zur 
Bildung  von  Geist  und  Gemüt;  dabei  sollten  auch  die  erhöhten  Anforde- 
rungen der  modernen  Literaturbetrachtung  nicht  unerfüllt  bleiben,  und 
es  sollte  die  im  Laufe  der  Zeit  veränderte  Bewertung  mancher  literarischen 
Erscheinungen  berücksichtigt  werdeii.  Zur  Anschauung  kommen  sollten 
die  Hauptströmungen  der  englischen  Literatur,  in  ihren  charakteristischen 
Vertretern  und  in  ihren  vollendetsten  Schöpfungen.  Auch  zur  Gesamt- 
kultur des  modernen  England  sollte  Bezug  genommen  werden,  und  ebenso 
sollten  die  Beziehungen  zur  heimischen  Literatur  mitsprechen.  Dem 
19.  Jahrhundert  mufste  der  breiteste  Eaum  (mehr  als  die  Hälfte  des  Ge- 
samtumfangs)  zugestanden  werden.  Die  biographischen  Vorbemerkungen 
zu  den  Textstücken  der  einzelnen  Autoren  wurden  nicht  etwa  blofs  er- 
gänzt oder  sonst  im  einzelnen  abgeändert,  sondern  vollständig  neu  ent- 
worfen und  ausführlicher  gestaltet  als  ehedem.  Die  von  Herr  ig  in  einigen 
Fällen  (bei  Shakespeare,  Sheridan,  Marryat,  Dickens)  aufgenommenen 
vollständigen  Einzelwerke  wurden  ausgeschlossen,  offenbar  auch  in  dem 
Gedanken,  dafs  Lektüre  ganzer  Werke  ohnehin  neben  derjenigen  der 
Chrestomathie  hergehen  müsse.  Vor  schwierigen  Texten  ist  nicht  zurück- 
geschreckt, weil  energische  geistige  Bemühung  nicht  erspart  werden  soll, 
namentlich  nicht,  wenn  es  sich  um  Schüler  oberer  Realklassen  handelt, 
denen  die  neusprachliche  Lektüre  Ersatz  für  altklassische  und  besonders 
für  griechische  werden  soll.  Um  das  Buch  recht  brauchbar  zu  machen, 
ist  dann  zunächst  ein  Glossar  beigefügt:  hier  werden  alle  die  in  den 
Texten    vorkommenden  Wörter   erklärt,   welche   in  den  gebräuchlichsten 

frofsen  Wörterbüchern  entweder  überhaupt  nicht  verzeichnet  sind  oder 
em  Herausgeber  doch  nicht.,  genügend  erklärt  erschienen ;  und  es  ist 
deren,  da  Mundartliches  und  Älteres  neben  sonst  Seltenem  berücksichtigt 
werden  mufste,  eine  sehr  erhebliche  Zahl  zusammengekommen;  die  Deu- 
tungen sind  kurz  und  treffend,  Aussprachebezeichnung  fehlt  nicht.  Sehr 
willkommen  mufs  auch  das  ferner  angefügte  Pronouncing  glossary  of  pro- 
per names  heifsen :  bleibt  man  hier  doch  leicht  an  vielen  Punkten  in  einer 
unangenehmen  Unsicherheit.  Von  kleineren  weiteren  Beigaben  seien  noch 
die  Karten  von  England,  Schottland  und  Irland  erwähnt,  gewissermafsen 
literarhistorische  Karten.  Dazu  nun  kommt  eine  vortreffliche  Druckaus- 
stattung, wie  sie  eben  Vernunft  und  Hygiene  erfordern  und  wie  sie  dem 
alten  Buche  gänzlich  fehlte.  Ebenso  wird  das  im  ganzen  freilich  sehr 
starke  Buch  handlich,  da  es  ebensowohl  wie  in  einem  Gesamtband  auch 
in  zwei  Sonderbänden  zu  haben  ist,  und  man  mufs  es  dankbar  anerkennen, 
dafs  alsdann  die  vorerwähnten  Beigaben  jedem  der  zwei  Sonderbände  mit- 
gegeben werden.    Der  Preis  ist  entschieden  nicht  hoch  zu  nennen. 

Somit  sei  das  Werk  beim  Antritt  dieser  neuen  Lebenswanderung  auf- 
richtig bewillkommt.  Ist  es  in  Wirklichkeit  ganz  und  gar  nicht  mehr  der 
alte  Herrig,  wir  sehen  es  doch  ungefähr  so  an  wie  das  Kind  die  restau- 
rierte Puppe,  an  der  nun  Kopf,  Bekleidung,  Hände  und  Füfse  neu  sind, 
die  aber  aoch  den  Namen  der  vertrauten  alten  Puppe  weiterführt  und 
als  die  alte  empfunden  und  behandelt  wird.  Ganz  so  neu,  wae  die  Vorrede 
ausführt,  ist  der  jetzige  Bestand  aber  doch  nicht.  Sir  Philip  Sidney  z.  B. 
oder  Thomas  Chatterton,  ebenso  Thackeray,  fehlten  auch  früher  nicht, 
wenigstens  nicht  in  der  mir  vorliegenden  Ausgabe  (sie  scheinen  also  erst 
allmählich  ausgemerzt  worden  zu  sein).  Manches  neu  Aufgenommene 
mufs  man  besonders  begrüfsen:  so  Ben  Jonsons  Gedicht  auf  Shakespeare, 
von  Shakespeare  selbst  die  kleine  Reihe  von  Sonetten  und  aus  seinen 
Dramen  die  planvoll  gewählten  Proben  seiner  verschiedenen  Schaffensart, 
von  den  alten  Balladen  die  Ckevy  Chase,  die  von  Robin  Hood,  von  den 
schottischen  die  Ballade  Edivard,  Edward,  ebenso  Thomas  Rymer,  auch 
die  Faustballade.  Von  Milton  ist  nun  auch  Gomus  und  Lycidas  vertreten 
und  das  Sonett  auf  seine  Blindheit;  aus  Paradise.Lost  ist  eigentümlicher- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  199 

weise  das  zweifellos  Grofsartigste,  nämlich  die  Schilderung  Satans  und 
der  Holle  in  den  ersten  Gesängen,  kaum  herbeigezogen,  und  das  unver- 
gleichlich Liebliche,  die  Schilderung  des  paradiesischen  Zusammenlebens 
des  Menschenpaares,  noch  weniger:  statt  dessen  wesentlich  nur  der  Ver- 
lauf der  Versuchung  und  Verführung  in  Buch  IX,  was  poetisch  durchaus 
nicht  zum  Höchsten  gehört.  Neu  sind  Walton  und  Butler,  ebenso  Richard- 
son  mit  einem  Stuck  aus  Clarissa.  Bei  Thomson  sind  nun  Proben  aus 
allen  vier  Jahreszeiten  gegeben,  bei  Walter  Scott  auch  Bruchstücke  aus 
seinen  Eomanen;  bei  Byron  sind  auch  Manfred  und  Don  Juan  herbei- 
gezogen, und  gewisse  beliebte  Bruchstücke  aus  Childe  Harold  haben  leider 
weichen  müssen ;  von  seinen  gröfseren  erzählenden  Gedichten  findet  sich 
nichts  mehr,  aber  auch  von  kleineren  Sachen  nicht  das  bekannte  Fare 
thee  well,  and  if  for  eier  etc.  Shelley  ist  reichlicher  vertreten  als  früher, 
Keats  in  ansehnlicher  Breite,  Carlyle  mit  Stücken  aus  Sartor  Fesarttis 
und  aus  Frederick  the  Qreat  und  mit  dem  berühmten  Brief  über  den 
deutsch-französischen  Krieg,  Dickens  mit  Bruchstücken  aus  Pickwick  und 
David  Copperfield,  Thackeray  mit  solchen  aus  Vanity  Fair  und  The  New- 
comes,  Thomas  Hoods  Song  of  the  shirt  wird  nicht  länger  vermifst  und 
ebensowenig  E.  A.  Poes  Raren;  Tennyson  erscheint  nun  mit  Abschnitten 
aus  den  Idylls  und  mit  Gedichten  aus  In  Memoriam.  Ganz  verändert  ist 
die  Auswahl  auch  bei  Macaulay,  und  seine  virtuose  Kunst  der  Schilde- 
rung politischer  Zustände  ebenso  wie  diejenige  eigentümlicher  Persönlich- 
keiten dürfte  jetzt  weniger  zur  Anschauung  kommen  als  früher.  Einer 
strengen  Kontrolle  hat  sich  ferner  Thomas  Moore  unterziehen  müssen,  und 
die  vertrauten  evening  bells  erklingen  nicht  mehr. 

Unter  den  zahlreichen  ^anz  ausgemusterten  Autoren  vermifst  wahr- 
scheinlich nicht  jeder,  aber  doch  wohl  mancher  oder  manche  (und  m.  E. 
nicht  mit  Unrecnt)  die  zarte  Dichterin  Felicia  Hemans.  Aufserdem  ge- 
hören zu  diesen  refuses  u.  a.  Sir  Walter  Raleigh,  die  Lady  Montague, 
.Tunius,  Sheridan  und  Bulwer,  und  von  den  grofsen  Rednern,  die  für  den 
Ruhm  englischer  Geisteskultur  so  viel  bedeuten,  ist  eigentlich  nichts  ge- 
blieben :  die  prachtvolle  kurze  Rede  des  älteren  Pitt  On  American  affairs 
aus  1778  fehlt,  und  ebenso  weiterhin  der  jüngere  Pitt,  Fox,  Cannin^,  Sir 
Robert  Peel!  Hier  scheint  doch  der  spezifisch  literarhistorische  Gesichts- 
punkt über  den  pädagogischen  den  Sieg  davongetragen  zu  haben:  denn 
von  'pädagogisch'  darf  man  doch  wohl  sprechen,  da  der  Herausgeber  sich 
ausdrücklich  Schüler  höherer  Schulen  als  die  normalen  Leser  denkt. 
Denen  gegenüber  ist  nun  die  Vermittelung  zwischen  literarhistorischem, 
kulturhistorischem  und  ethischem  Gesichtspunkt  gar  nicht  so  einfach. 
Zur  Charakterbildung  vermögen  manche  Geistesproaukte  vorzügliche  An- 
regung zu  geben,  die  unter  dem  rein  literarischen  Gesichtspunkt  etwas 
zurückstehen.  Die  besten  Redner  mit  ihren  besten  Reden  gehören  sicher 
hierher.  Oder  hätte  man  anzunehmen,  dafs  diese  Reden  eine  besondere 
Schullektüre  aufserdem  bildeten  ?  Das  ist  nicht  ganz  ausgeschlossen,  aber 
doch  sehr  schwer  einzurichten :  denn  in  ihrer  Vollständigkeit  sind  sie 
meist  doch  dem  Schülergeist  nicht  recht  zugänglich,  da  zu  viel  politische 
Erläuterung  nötig  würde.  Ich  würde  auch  den  schlichten,  aber  doch  in 
seiner  Einfachheit  grolsartigen  Benjamin  Franklin  auszuschliefsen  nicht 
das  Herz  gehabt  haben.  Ganz  erwünscht  kann  es  wohl  nicht  heifsen,  dafs 
die  vor  kaum  zwei  Jahren  erschienene  Neubearbeitung  des  französischen 
Herrig  (eigentlich  Herrig-Burguy,  La  France  litterairi)  durch  Fr.  Tende- 
riug,  also  einen  Schulmann,  sich  von  dem  Original  gerade  in  entgegen- 
gesetzter Linie  entfernt  wie  die  vorliegende  englische:  dort  nämlich  findet 
man  ausdrücklich  mehrere  vollständige  Dichtungen  eingefügt  an  Stelle 
vieler  kürzerer  Proben,  dazu  ganz  knappe  biographische  Notizen,  und  im 
übrigen  bei  der  Auswahl  mehrfach  unverkennbar  pädagogische  Rücksichten 
—  die  nicht  etwa  gleichbedeutend  sind  mit  pedantißch-moralischer  Tendenz! 


200  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

So  dürfte  denn  immerhin  der  Leserkreis  der  beiden  Sammlungen 
einigermafsen  auseinandergehen.  Auf  Schuler  mufs  derselbe  ja  überhaupt 
keineswegs  beschränkt  sein.  Viele  Schulen  bedienen  sich  überhaupt  keiner 
Chrestomathie,  und  die  Gesichtspunkte  für  die  Ablehnung  sind  bekannt. 
Anderseits  versäumen  die  Studenten  der  neueren  Philologie  viel  zu  sehr, 
sich  mit  einem  solchen  Buche  allmählich  und  in  Nebenstunden  des  stren- 
geren Studiums  vertraut  zu  machen.  In  Wirklichkeit  dürfte  ein  Buch 
wie  der  neue  Herrig -Förster  auf  dem  Tische  keines  Studierenden  dieses 
Faches  fehlen.  Dadurch,  dafs  nun  eine  ganze  Reihe  von  hochstehenden 
oder  wenigstens  allbekannten  Schriftstellern  der  Neuzeit  und  Gegenwart 
hinzugekommen  ist  (es  seien  nur  Ch.  Kingsley  und  George  Eliot,  Eobert 
und  Elizabeth  Browning,  Matthew  Arnold,  John  Stuart  Mill  und  Darwin 
und  Huxley,  Ruskin  und  Emerson,  Rossetti,  Morris,  Swinburne,  Meredith, 
Stevenson  genannt),  ist  die  Chrestomathie  für  uns  alle  aufserordentlich 
viel  schätzbarer  geworden,  und  den  überschätzten  Kipling  wie  den  krassen 
ßret  Harte  lassen  wir  uns  durchaus  mit  gefallen,  ebenso  wie  Mark  Twain 
und  Walt  Whitman  mit  zum  Bilde  gehören,  um  von  anderen  zu  schweigen 
—  und  um  hiermit  überhaupt  endlich  zu  schweigen!  Ist  unsere  Be- 
sprechung schon  zu  gesprächig  ausgefallen,  so  sei  hiermit  um  Entschuldi- 
gung gebeten.  Jedenfalls  sollte  damit,  wenn  auch  eine  Anzahl  Fragen 
oder  Zweifel  auftauchten,  im  ganzen  der  höchst  sorgfältigen  und  umfas- 
senden Bemühung  Försters  Dank  abgestattet  werden,  und  bei  diesem  Danke 
sei  auch  seiner  stillen  (übrigens  in  der  Vorrede  genannten)  Helfer  oder 
Mitberater  gedacht. 

Berlin.  W.  Münch. 

C.  H.  Firth,  A  plea  for  the  historical  traiaing  of  history.  In- 
augural  lecture  delivered  on  November  9,  1904.  Oxford,  Clarendon 
Press,  1904.    30  p.     l  sh.  net. 

Was  im  historischen  Studium  zu  Oxford  vorgeht,  wo  die  gröfsten 
englischen  Geschichtsforscher  der  letzten  Generation  gewirkt  haben,  ist 
auch  für  den  Anglisten  von  Interesse.  Der  Regius  Professor  of  Modern 
History  entwirft  hier  ein  kurzes,  aber  lebendiges  Bild.  Jeder  Gedanke  an 
Lob  oder  Tadel  einer  Persönlichkeit  ist  ausgeschlossen ;  nur  die  sachlichen 
Richtungen  werden  geschildert.  Wir  sehen,  welche  Hoffnungen  sich  an  die 
Berufung  eines  Professors  knüpfen,  der  neuenglische  Literaturgeschichte 
betreibt,  und  an  Baits  Angebot  einer  Professur  für  Kolonialgeschichtc. 
Wir  erfahren,  dafs  450—500  Studierende  der  Geschichte  dasind,  aber  vor 
lauter  Arbeit  für  die  allgemeinen  Prüfungen  fast  zu  keiner  wissenschaft- 
lichen Forschung,  speziell  auf  neuerem  Gebiete,  kommen.  Ein  degree  of 
Bachelor  of  Letters  ist  eingerichtet  worden,  dem  Kandidaten  wird  a  course 
of  special  study  in  research  geboten  samt  einem  Diplom,  wenn  er  solche 
Spezialarbeit  getan  hat;  die  Masse  der  Studentenschaft  jedoch  bereitet 
sich  nach  wie  vor  zu  den  Prüfungsessays  vor,  durch  die  zwar  nützliche 
Journalisten,  Politiker  und  Beamte  herangezogen  werden,  aber  keine 
Historiker.  Indem  Firth  die  Vorteile  dieses  Betriebes  mit  konservativem 
Sinne  vollauf  würdigt,  ist  doch  seine  Rede  ein  starker  Ruf  nach  wissen- 
schaftlicher Spezialisierung,  nach  gründlicher  Einzelforschung,  nach  Mono- 
graphien über  begrenzte  Perioden  und  Begebenheiten.  Das  ist  zu  fordern 
im  Interesse  der  Wahrheit;  'the  time  has  gone  by  when  one  man  coiild  sit 
doivn  in  his  study  and  undertake  to  write  a  continuous  history  of  England 
or  France;  we  must  ßrst  make  the  foundations  störe';  beim  gegenwärtigen 
System  wächst  uns  allen  das  ungesichtete  Material  über  den  Kopf.  In 
England  the  publication  of  materials  has  outstepped  the  capacity  of  our 
historical  worlmen  to  utilixe  them.  Es  ist  aber  auch  zu  fordern  im  Inter- 
crse  der  höhcrstrebenden  Studierenden.     Das  jetzige  utilitarische  System 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  201 

does  extremeJy  Utile  for  the  exceptional  man  tvho  tvishes  to  study  history  for 
its  otcn  sake.  Firth  beklagt  es  mit  den  Worten  von  Williarn  Stubbs, 
'Oxford,  greatest  historian',  dafs  the  historical  teaching  of  history  has  been 
partially  left  out,  in  favour  of  the  class-getting  system  of  training  (1883). 
Um  eine  Wendung  zum  Besseren  herbeizuführen,  bietet  er  einer  Auslese 
seiner  Hörer  ein  Seminar  an  oder,  wie  er  es  umschreibt,  'a  small  class 
for  the  critical  study  of  one  particular  authority'.  Er  hofft,  dafs  einige 
der  Seminaristen  es  zu  einer  'dissertation  for  the  degree  of  Bachelor  of  Lei- 
ters' bringen  werden.  Er  empfiehlt  ihnen,  solche  Konzentrierung  nicht 
für  Engherzigkeit  zu  halten :  'the  unity  of  history  is  not  only  in  its  conti- 
nuity,  but  in  its  integrity.'  Endlich  mahnt  er  sie,  das  Studium  der  Hilfs- 
wissenschaften,  der  schönen  Literatur,  der  Rechts-  und  Wirtschafts- 
geschichte innerhalb  der  selbstgewählten  Arbeitsperiode  mit  zu  betreiben. 
Nicht  jeder  könne  zu  solchem  Zwecke  nach  Paris  oder  Deutschland  gehen ; 
Oxford  müsse  gleiches  ermöglichen.  —  Wir  wünschen  diesen  erleuchteten 
Bemühungen  des  Prof.  Firth  kräftigen  und  dauernden  Erfolg! 

Berlin.  A.  B  ran  dl. 

Color-names   and   their  congeners.    A  semasiological  investigation  by 
Francis  A.  Wood.     Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer,  1902.    Ul  S. 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  hat  sich  Dr.  Wood  auf  dem  Gebiete  der 
indogermanischen,  speziell  der  germanischen  Wortforschung  hervorgetan 
und  eine  erstaunliche  Fruchtbarkeit  im  Etymologisieren  entfaltet.  Zahl- 
reiche Arbeiten,  welche  in  amerikanischen  und  deutschen  Zeitschriften 
(Am.  Jour.  Phil.,  Mod.  Lang.  Notes,  Publ.  Mod.  Lang.  Ass.,  Jour.  0er.  Phil., 
Am.  Germ.,  P.  B.  Beitr.,  Indog.  Forsch.)  veröffentlicht  wurden,  haben  sein 
durch  gediegene  Kenntnisse  unterstütztes  Talent  nach  dieser  Richtung 
hin  bewiesen.  Insbesondere  hat  Wood  mit  Eifer  und  Geschick  die  sema- 
siologische  Seite  der  Untersuchung  betont.  Das  Studium  der  lautlichen 
Verhältnisse  ist  selbstverständlich  die  unerläfsliche  Grundlage  für  die 
Wortforschung.  Aber  eine  ebenso  unabweisliche  Forderung  ist  die  be- 
deutungsgeschichtliche Behandlung.  'The  fact  is,  it  is  the  common  idea 
not  the  common  form  that  is  the  important  dement  of  a  group  of  words. 
For  it  is  only  where  we  can  trace  a  group  of  words  to  their  primary 
meaning  that  we  really  know  anything  about  those  words.  To  study  the 
outward  form,  the  phonetic  changes,  is  necessary  in  all  word-study.  But 
after  all  the  main  thing  is  to  know  the  real  life-history  of  the  idea  in 
the  Word'  (S.  7  f ).  Wie  man  also  nach  bekannter  Methode  die  Urform 
der  Worte  erschliefst,  so  soll  man  danach  streben,  durch  vergleichende 
Betrachtung  der  historisch  erwiesenen  Bedeutungen  zu  der  Urbedeutung 
vorzudringen.  Und  zwar  wird  sich  dieselbe  in  der  Regel  als  ein  Begriff 
der  Bewegung  herausstellen.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  untersuchte 
Wood  schon  früher  (die  Arbeit  Bechtels  wieder  aufnehmend)  *The  Sema- 
siology  of  words  for  "smell"  and  "see"'  (Publ.  Mod.  Lang.  Ass.  14, 299 — 846),' 
sowie  *The  Semasiology  of  understand,  verstehen,  iTciorauai ;  guess,  think, 
mean'  (Mod.  Lang.  Notes  14,  257  ff.,  15,  27  ff.)  und  'Some  derived  mean- 
ings'  (Mod.  Lang.  Notes  16,  16  ff.,  19,  1  ff.).  Ein  etwas  ausgedehnteres 
Gebiet,  das  der  Farbennameii,  hat  nunmehr  eine  eingehende  Behandlung 
in  gleichem  Sinne  erfahren.  Über  die  Bedeutungsentwickelung  dieser  Wort- 
klasse im  allgemeinen  äufsert  sich  der  Verfasser  (S.  9)  wie  folgt:  'Now 
in  discussing  color-names  we  must  bear  in  mind  that  they  are  necessarily 
secondary.    For,   being  descriptive  terms,  there  was   a  time  when  there 


''  *   In    demselben   Jahre    erschien    A.    Rittershaus,    Die  Ausdrücke  für    Gesichts- 
empßndungen    in  [den  alt  germanischen  Dialekten.    I.  Teil.     Dissertation,   Ztirich   1899. 


202  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

were  no  color-names  as  such.  That  is,  there  was  a  time,  and  that  not 
very  remote,  when  the  present  color-names  were  terms  that  could  be  used 
in  describing  quite  different  qualities.  This  earliest  stage  can  be  seen  at 
all  periods,  for  color-words  are  continually  arising.  It  is  represented  in 
English  by  such  terms  as  '*§ay,  lively,  smart,  dashy,  loud,  gaudy;  dull, 
dead,  dreary;  tarnished,  stained,  spotted,  dirty,  smeared;  faint,  faded, 
feeble",  etc.  From  such  and  similar  terms  come  color-names  as  such. 
This  happens  because  a  Community  describes  a  certain  color  by  a  certain 
term  and  by  association  the  term  comes  to  denote  that  color.  Different 
communities,  however,  may  use  the  same  term  differently.  Thus  by  asso- 
ciation "smeared"  may  mean  to  one  "dirty,  dark-colored",  to  another  "oily, 
shiny,  bright".' 

Eine  ganze  Reihe  von  Gruppen  wird  behandelt:  Words  for  *burn, 
blaze,  glitter,  shine';  *grow'  :  *glow'  ('green'  :  'bright');  'separate,  distinct'  : 
'clear,  bright';  *dip'  :  'dye';  'covering'  :  'color',  'covered'  :  'dark';  'marked'  : 
'colored'  ('A  large  class  of  color-names  is  composed  of  words  meaning 
primarily  "cut,  scratched,  marked,  rubbed,  smeared,  dotted",  and  the  like. 
Here  may  be  found  a  large  variety  of  colors  from  "bright"  to  "dark". 
For  the  same  word  may  mean  "white"  or  "black"  according  to  the  basis 
of  comparison') ;  'changing'  :  'variegated';  'dripping,  misty'  :  'dark';  'dis- 
appear' :  'clear  up'  :  'fade,  get  dark'  ('The  starting  point  of  a  large  number 
of  color-words  is  "flow,  flow  out;  vanish,  disappear;  fall  away,  dwindle" 
and  the  like.  This  gives  1.  "clear  up"  or  2.  "fade".  From  1.  develops 
"clear,  serene,  bright";  from  2.  "pale,  sallow,  livid,  dark-colored" ') ;  'move 
rapidly'  :  'rattle,  resound',  usw. 

Die  Zusammenstellungen  sind  natürlich  äufserst  interessant  und  bieten 
sehr  reiches  semasiologisches  Material.  Vieles  muls  man  freilich  dahin- 
gestellt sein  lassen.  Über  manche  der  vielverzweigten  Wurzeln  (deren  Er- 
schliefsung  nach  den  von  Wood  im  Jour.  0er.  Phil.  1,  280  ff.,  142  ff.  dar- 
gelegten Prinzipien  erfolgt  ist)  werden  weniger  kühn  veranlagte  Leser  den 
Kopf  schütteln,  ü.  a.  dürfte  spontane  Wortschöpfung  ('root-creation') 
doch  wohl  eine  gröfsere  Rolle  spielen  als  ihr  vom  Verfasser  zugewiesen 
wird  (vgl.  Henry  Bradleys  treffliche  Bemerkungen  in  ^The  Making  of  Eng- 
lish' S.  154  ff.).  '  ^ 

Dafs  ae.  sengan  (engl,  singe)  nicht  als  Faktitivum  zu  singan  zu  fassen 
sei,  sondern  eine  in  anderer  Richtung  verlaufene  Bedeutungsentwickelung 
derselben  Wurzel  darstelle  {sengan  :  'strike,  touch'  >  'strike  fire,  kindle', 
cf.  gr.  anrco)  av&Qay.es  f]u/i.eiot;  singan:  'strike,  touch'  >  'ring,  resound, 
sing',  cf.  gr.  o«(^yy)  (S.  62)  ist  eine  bestechende  Vermutung,  bedurfte  aber 
erst  noch  beweiskräftigerer  Stützen.  Die  Berechtigung  der  gänzlichen 
Trennung  von  ae.  sprecan  und  specan  (S.  17)  ist  immer  noch  anzuzwei- 
feln. Zu  ae.  culfre  (S.  87)  ist  anzumerken,  dafs  Pogatscher  vor  einigen 
Jahren  einen  beachtenswerten  Versuch  gemacht  hat,  die  alte  Etymologie 
{cul(u)fre  von  lat.  columha)  zu  retten  mit  Rücksicht  auf  ähnliche  Fälle 
des  Lautüberganges  mr  >  Tir  (wie  camera  >  cafor[tun]),  s.  Anglia-Beihlatt 
10, 144.  Der  Zurückführung  von  giddy,  ae.  gydig  sowohl  als  girl  auf  eine 
Wurzel  gheuo-  'move  rapidly,  whirl,  turn'  (S.  52)  mag  semasiologisch  nichts 
im  Wege  stehen ;  indessen  was  wäre  gegen  die  Ableitung  von  ae.  gidig, 
'gydig  von  god  ('possessed  by  a  god',  svd'8oe,  Bradley)  einzuwenden  ? 
S.  NED.  Ebenda  äufsert  sich  Bradley  auch  sehr  viel  vorsichtiger  über 
girl.  Ae.  hrypig  'in  ruins'  (S.  59,  116)  ist  wahrscheinlich  ein  falsch  er- 
schlossener Ansatz;  1.  vielmehr  hryäig  ^==^  hriäig  'snow-covered'  (Strunk, 
Mod.  Lang.  Notes  18,  72  f.).  Statt  ae.  wlanea  (S.  1*2)  ist  wlane  zu  lesen, 
statt  swmp  (S.  32)  swcBp,  statt  as.  adro  (S.  57)  ädro,  statt  got.  sunna 
i  S.  28,  30)  sunnö.  Vor  rvnen  'whisper'  (S.  48)  fehlt :  ahd.  —  düst  (ae.)  ist 
besser  als  diist  (S.  87). 

Zu  der  Beobachtung,  dafs  die  Bedeutungen  'Spitze,  Tropfen,  Teilchen 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  208 

Stückchen'  zu  'glänzender  Punkt,  Funke'  spezialisiert  weiden  können,  z.  B. 
skt.  drapsd  'Tropfen  :  Funke,  Mond';  lat.  Spina,  spica,  gr.  otiivos,  ahd.  spix, 
ae.  spi'iu  'Spiels',  ahd.  spixxi  'spitz'  (Base  spt-)  :  gr.  onivd't]Q  'Funke' 
könnte  übrigens  an  den  Gebrauch  bewufster  poetischer  Metaphern  erinnert 
werden,  wie  z.  B.  in  Lowell,  Above  and  Beloic :  "T  is  frora  these  heights 
alone  your  eyes  The  advancing  spears  of  day  can  see';  Longfellow,  Hy- 
perion, b.  III,  eh.  2:  'year  by  year  the  Sun  strives  in  vain  to  lift  it  [the 
gauntlet  of  ice]  from  the  ground  on  the  point  of  his  glittering  spear'; 
ae.  Oenesis  2874 :  od  \>&t  wuldortorht  |  daeges  |)riddan  up  ofer  deop  waeter 
ord  arsemde;  Felix  Dahn,  Die  Baiaver  S.  59:  'Jetzt  schofs  der  erste  Licht- 
strahl, einem  leuchtenden  Speere  vergleichbar,  durch  das  duftige  Gelb- 
rot'; usw. 

Für  den  Etymologen  ist  Woods  Schrift  natürlich  von  speziellem  Inter- 
esse. Durch  umfängliche  Indices  ist  dafür  gesorgt,  dafs  dieselbe  auch  als 
Nachschlagebuch  in  bequemer  Weise  benutzt  werden  kann. 

University  of  Minnesota.  Fr.  Klaeber. 

Die  altenglischen  Säugetiernamen  zusammengestellt  und  erläutert  von 
Richard  Jordan.  (Anglistische  Forschungen,  herausgeg.  von  Dr.  Jo- 
hannes Hoops,  Prof.  an  der  Universität  Heidelberg.  Heft  12.)  Heidel- 
berg, Carl  Winters  Universitätsbuchhdlg.,  1903.     XII,  212  S. 

Die  systematische  Erforschung  des  altwestgermanischen  Wortschatzes, 
die  lange  Zeit  hindurch  ungebührlich  vernachlässigt  worden  war,  macht 
neuerdings  erfreuliche  Fortschritte.  Den  Arbeiten  von  Hoops,  Whitman, 
Palander,  Björkman  folgt  die  von  Jordan  auf  dem  Fufse,  gewissermafsen 
eine  Übertragung  der  Paianderschen  Studie  auf  das  Altenglische.  Der 
Verfasser  hat  sein  Material  mit  grofser  Sorgfalt  zusammengetragen  und 
gründlichst  verarbeitet,  er  hat  die  einschlägige  Fachliteratur  mit  Fleifs 
und  Sachkenntnis  benutzt,  ohne  dabei  auf  ein  eigenes  Urteil  zu  verzichten, 
und  hat  uns  so  eine  wirklich  erschöpfende,  durchaus  gediegene  Behand- 
lung seines  bestimmt  umgrenzten  Themas  geboten. 

In  der  Einleitung  werden  die  altenglischen  Tiernamen  in  chronologisch 
geordneten  Gruppen  aufgeführt,  als  indogermanisch,  europäisch,  nord- 
europäisch, westgermanisch  usw. ;  daran  schliefsen  sich  die  Lehnwörter,  zu- 
meist aus  dem  Lateinischen  stammend,  doch  einige  auch  aus  dem  Kelti- 
schen (brocc,  assa,  wahrscheinlich  apa,  mearh,  vielleicht  das  mask.  catt), 
dem  Altnordischen  {hrän  und  hoishwcel  in  Ohtheres  Reisebericht),  dem 
Französischen  (da  und  vermutlich  das  ursprünglich  spanisch  -  arabische 
calfara),  und  möglicherweise  dem  Deutschen  (stän-bucea,  vgl.  ahd.  stein- 
hock). Sodann  werden  die  Mittel  der  Geschlechtsunterscheidung  und  der 
Bezeichnung  von  Tierjungen  erörtert  und  einige  Bemerkungen  über  Ver- 
schiebung der  Bedeutung  vom  Indogermanischen  zum  Germanischen  und 
über  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  Tiernamen  gemacht. 

Der  Hauptteil  der  Arbeit,  sozusagen  ein  philologisches  Bestiary, 
behandelt  die  in  zoologische  Klassen  eingeteilten  einzelnen  Namen,  welche 
genau  durchgenommen  werden  mit  Rücksicht  auf  Form,  Belege,  Ablei- 
tungen, Bedeutung,  Etymologie.  Namentlich  die  Bedeutung  und  Etymo- 
logie geben  öfter  zu  längeren  Erörterungen  Anlafs,  wobei  auch  die  spätere 
Entwickelung  im  Englischen  herangezogen  wird.  IT.  a.  stellt  sich  die 
(auch  auf  anderen  Gebieten  beobachtete)  interessante  Erscheinung  heraus, 
dals  verschiedene  ae.  Namen  in  der  me.  Periode  durch  die  etymologisch 
entsprechende  französische  Form  ersetzt  werden,  wie  ae.  [lat.J  leo,  mfd, 
me.  [afr.]  Hon,  mute;  ae.  mearä,  hearma,  me.  [afr.  <  deutsch]  martre 
(>  martern  >  märten),  ermine.  So  tritt  auch  an  Stelle  des  alten  lox  im 
Me.  das  stammverwandte  lat. -gr.  lynx.  Von  ähnlichen  Vertauschungen 
sei  erwähnt,  dafs  da»  anglisierte  altnord.  hru7i  später  in  der  echt  nord. 


204  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Form  rein(deer)  erscheint,  und  dafs  schon  im  ae.  Zeitraum  des  germ.  [lat.] 
esol  allmählich  vor  dem  kelt.  [lat.]  assa  zurückweicht.  Auch  die  Bedeu- 
tungsabgrenzung von  Synonymen,  wie  eoh,  hors,  steda,  hengest,  mearh, 
wieg,  hlanca,  sceam;  kund,  dogga,  ryääa,  rcBCc  kommt  zur  Sprache. 

Zu  den  Pferdenamen  könnte  eafor  hinzugefügt  werden  {äjerian  'Pferde- 
spanndienst leisten'),  dessen  Vorkommen  im  Ae.  Liebermann  wahrschein- 
lich gemacht  hat  {Archiv  CIX,  73—82).  Bei  hivelp  wäre  auf  *hioelpend 
hinzuweisen  auf  Grund  von  Brights  Konjektur  hwelpendra  (MS.  helpendra) 
päd  Hhe  path  of  sea-dogs,  sea-monsters',  Exod.  487  {Mod.  Laiig.  Notes  17, 
426).  Die  mit  Fragezeichen  zu  eoh  gestellte  Form  orcneas,  Beow.  112,  ist 
schwerlich  mit  Kluge  aus  orcen-eos  {*eohas)  zu  erklären;  plausibler  ist 
die  Ableitung  aus  orcus  und  *neo  (Grein;  Bugge,  Beiir.  12,  81 ;  ten  Brink, 
Beowulf  B.  10  Anm.).  Zu  dem  Gebrauch  von  kwcel  im  Sinne  von  Walrofs, 
Oros.  18,  3.  17,  ist  zu  bemerken,  dafs  die  Verwendung  des  gewissermalsen 
als  Kurzform  anzusehenden  Gattungsnamens  in  diesem  Zusammenhange 
nicht  mifsverständlich  war,  geht  doch  die  Bezeichnung  horsfcjhwcel  un- 
mittelbar voraus;  vgl.  Hl.  u.  Eadr.  Oes.  16:  in  Lundenwic  . . .  to  tote, 
s.  Anglia  27,  261.  Dals  der  Wolf  mit  dem  Raben  und  Habicht  auf  der 
Walstatt  erscheint  (S.  63),  ist  eine  unrichtige  Folgerung  aus  Brunnanb.  64 ; 
mit  dem  gr&dig  güähafoc  ist  der  Adler  {earn)  gemeint. 

'In  den  Komposita'  (S.  139)  ist  wohl  Druckfehler,  ebenso  'Old  Eng- 
glish  Litterature'  (S.  136).    Auf  S.  133  steht  Hahn  für  Hehn. 

Vielleicht  ist  der  Verfasser  in  seinem  Streben  nach  Vollständigkeit 
öfter  etwas  zu  weit  gegangen.  Z.  B.  eine  ganze  Seite  Belege  für  Formen 
von  hund  und  swm  war  nicht  geradezu  nötig.  Auch  hätte  die  Liste  der 
Abkürzungen  für  ae.  Texte  bedeutend  gesichtet  werden  können.  Und  dais 
die  Grammatiken  von  Sievers,  Bülbring,  Morsbach  oder  die  Wörterbücher 
von  Skeat,  Murray,  Kluge  usw.  benutzt  worden  sind,  darüber  brauchte 
man  doch  eigentlich  kein  Wort  zu  verlieren.  Indessen  dies  sind  Äufser- 
lichkeiten,  die  mit  dem  Wert  der  Arbeit  nichts  zu  tun  haben. 

Es  ist  sehr  zu  wünschen,  dafs  die  streng  wissenschaftliche  Wort- 
forschung in  der  begonnenen  Weise  fröhlich  weitergeführt  werde.  Für 
Doktorarbeiten  sind  solche  Themata  vortrefflich  geeignet. 

University  of  Minnesota.  Fr.  Klaeber. 

W.  E.  Purser,  Palmerin  of  England,  some  remarks  on  this  ro- 
mance  and  on  the  controversy  concerning  its  authorship. 
Dublin,  Browne  and  Nolan;  London,  D.  Nutt,  1904.    X,  466  p. 

Im  wesentlichen  beschränkt  sich  Purser  auf  die  Verfasserfrage.  Er 
stellt  fest,  wie  aus  dem  ursprünglich  j)ortugiesischen  PE  (1544?)  durch 
Übersetzung,  den  Ehrgeiz  des  toledanischen  Verlegers  Miguel  Ferrer, 
dessen  Änderungen  und  Schwindelei  ein  spanischer  PE  entstand  (1547 — 8), 
und  wie  dieser  Roman  Fortsetzungen  erhielt :  zuerst  eine  italienische  durch 
Mambrino  Rosco,  gedruckt  nicht  vor  1558;  danu  eine  portugiesische  1587, 
die  über  P.s  Sohn,  Dom  Duardos  IL,  handelt;  eine  von  1602  über  dessen 
Sohn  Dom  Clarisol  de  Bretanha  u.  a.  Über  die  innere  Entstehungs- 
geschichte erhalten  wir  nur  vereinzelte  Andeutungen.  Der  ursprüngliche 
portugiesische  Verfasser  zeigt  sich  mit  einem  Teile  von  Irland  so  vertraut, 
dafs  er  wenigstens  Seefahrer  von  dort  in  Lissabon  gesehen  haben  mufs; 
der  spanische  Bearbeiter  Ferrer  dagegen  verwischt  diese  Lokalkenntnis 
und  macht  z,  B.  aus  dem  echt  irischen  St.  Brandun  einen  St.  Cyprian. 
Jener  borgte  ferner  von  älteren  Ritterromanen,  besonders  Amadis  de  Oaul, 
Las  Sergas,  Clarimundo,  kannte  den  Arthurzyklus  gut  (S.  422)  und  rich- 
tete sich  vielfach  nach  den  fünf  Romanbüchern  von  Palmerin  de  Oliva, 
dessen  zwei  Söhnen  und  zwei  Enkeln,  wovon  sein  Werk  eigentlich  nur  eine 
Fortsetzung  ist.    Dafs  die  ganze,  weitverzweigte  Geschichte  des  Konstant!- 


BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  205 

nopolitaner  Kaisers  Falmerin  de  Oliva  und  seines  Geschlcclits  dem  'grie- 
chisch-asiatischen Roman'  angehört,  ist  das  einzige,  was  uns  über  die  tie- 
feren Wurzeln  angedeutet  wird  (S.  4).  Systematischer  sind  die  Angaben 
Fursers  über  die  Aufnahme  des  PE  in  England,  wo  derlei  Ritterromane 
für  die  romantische  Komödie,  die  'Feenkönigin'  und  Sidneys  Romanschule 
wichtig  wurden.    Hierüber  einiges  Nähere. 

Wartons  Notiz  über  die  Drucklizenz  eines  PE,  erteilt  an  John  Charle- 
wood  im  Jahre  1580 — 1,  bestätigt  sich  durch  Arbers  ^Transcript  of  the 
registers'.  Das  Buch  soll  1587  erschienen  sein,  wie  Watts,  Doii  Quixote, 
1895,  I  81,  bezeugt;  aber  das  ist  wohl  eine  Verwechselung  mit  Palmerin 
d' Oliva,  wovon  J.  F.  Collier,  Bibliogr.  account  of  the  rarest  books  in  the 
Engl,  language,  London  1805,  I  55u,  ^the  earliest  impression  by  Charle- 
wood  in  1588,  4'"'  nennt.  Das  eigentliche  Erscheinungsjahr  war  1596,  der 
Übersetzer  A.  Munday,  die  Vorlage  nicht  etwa  der  portugiesische  Text 
oder  die  spanische  Überarbeitung,  sondern  eine  französische  Übersetzung 
von  1574  (ß.  25  f.).  Was  Underhill,  Spanish  literature  in  the  England  of 
the  Tudors,  Neuyork  1899,  S.  *297  ff.,  darüber  sagt,  hätte  zitiert  werden 
dürfen.  Meres  in  'Palladis  tamia'  1598  hat  andere  Falmerinbücher,  nicht 
PE,  als  verderblich  für  die  Jugend  bezeichnet;  merkwürdigerweise  sind 
ihm  Oargantua,  Owlglass  und  heimische  Volksbücher  wie  Guy  of  Warivick 
und  Bewis  of  Hampton,  an  denen  Capt.  Cox  und  sein  Kreis  1575  viel 
Freude  hatten,  ebenso  verbalst;  sein  Geschmack  bedarf  noch  der  Auf- 
hellung. Im  Jahre  1602  folgte  Mundays  Übertragung  der  italienischen 
Fortsetzung,  wieder  unter  französischer  Vermittelung.  Die  Ausgabe  dieses 
'third  part'  ist  von  Collier  (das.  I  550  fl.)  eingehend  beschrieben,  wobei 
das  Einleitungsgedicht  von  J.  Webster  (löBO? — 1Ü25?)  Hervorhebung  ver- 
dient, weil  es  die  eingehendste  und  freundlichste  Kritik  dieses  Romans 
aus  romantischer  Zeit  enthält: 

To  my  kinde  friend  Ma.  An.  Mundy. 

TLe  sigbes  of  Ladies,  and  the  splcene  of  Knighta, 

The  force  of  Magicke,  aud  the  map  of  Fate; 
Strauge  pigmey-siugleues  in  giant-fights, 

Thy  true  translation  sweetly  doth  relate. 

Nor  for  the  tiction  is  the  worke  lesse  fiue: 
Fables  have  pith  and  morall  discipliue. 

Now  Palmenn  in  Ins  own  language  singes, 

That  (tili  thy  Studie)  raaskt  in  unknowne  fashion, 
Like  a  fantastick  Brittaine,  and  hence  Springs 
'J'he  mappe  of  his  faire  life  to  his  own  Nation. 
Translation  is  a  traffique  of  high  price: 
It  brings  all  learning  in  one  Paradise.^ 

Die  weiteren  Ausgaben  des  17.  Jahrhunderts  verzeichnet  Purser  sum- 
marisch auf  S.  392;  sie  reichen  bis  1691,  also  in  die  Jugendzeit  des 
Famela- Dichters.  Dann  taucht  PE  nur  einmal  noch  in  der  englischen 
Literatur  auf:  im  Jahre  1807,  als  Southey  die  Übersetzung  Mundays 
—  leider  mit  einer  grofsen  Lücke  —  neu  druckte,  angeblich  corrected 
from  the  original  Porttigtiese,  tatsächlich  mit  Benützung  der  spanischen 
Fassung. 

Purser  hat  das  Verdienst,  durch  fleil'sige  Vergleichung  manches  Detail 
klargestellt  zu  haben.  Allerdings  mufs  man  auch  immerfort  verschiedene 
Stellen  seines  Buches  zusammensuchen  und  vergleichen,  wenn  man  seine 
Ergebnisse  realisieren  will;  denn  seine  Kompositions  weise  ist  nicht  über- 
sichtlich: 10  Kapitel  und  V6  Anhänge  —  da  gibt  es  viele  Hin-  und  Her- 
beziehungen, bald   halbe  Andeutungen   und   bald  Wiederholungen.     Man 


206  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

mufs  beim  Lesen  scharf  die  Hauptfragen  festhalten,  um  nicht  ganz  zer- 
streut zu  werden.  Ein  Register  wäre  unter  solchen  Umständen  besonders 
dankenswert  gewesen. 

Berlin.  A.  Brandl. 

E.  Wölbe,  Quellenstudien  zu  John  Homes  'Douglas^   Diss.   Berlin, 
Mayer  u.  Müller,  1901.    48  S. 

Eine  anspruchslose  Schrift,  die  sich  mit  dem  Douglasdrama  des  schot- 
tischen Pfarrers  John  Home  (1722—1808)  befal'st,  das,  1754  entstanden, 
1756  in  umgearbeiteter  Fassung  zum  erstenmal  mit  grofsem  Erfolge  über 
die  Bretter  des  Edinburger  Theaters  ging.  —  Kapitel  I  (S.  1—11)  gibt  eine 
Zusammenstellung  der  über  die  Entstehung  und  die  Aufführungen  be- 
kannten Tatsachen.  —  Kapitel  II  (S.  11— ii8)  handelt  von  den  Quellen. 
Den  dort  angeführten  Parallelen  vermag  ich  nicht  sämtlich  überzeugende 
Beweiskraft  für  literarische  Beziehungen,  auf  die  sie  deuten  sollen,  beizu- 
messen, wenn  es  sich  nur  um  entfernte  Anklänge  oder  um  allgemeine 
menschliche  Gedanken  handelt,  denen  eine  charakteristische  Besonderheit 
nicht  innewohnt.  Gedanken  wie  'He  seldom  errs,  Who  thinks  the  worst  he 
can  of  womankind'  und  'Who  trusts  his  heart  with  woman's  surely  lost', 
die  miteinander  in  Parallele  gestellt  werden,  werden  sich  überall  als  selb- 
ständig entstanden  nachweisen  lassen.  Solche  Gedanken  liegen  in  der 
Luft.  —  Kapitel  III  (S.  88—45)  erörtert  Komposition  und  Stil,  und  der 
Schlufs  (S.  45 — 48)  ♦enthält  eine  zusammenfassende  Übersicht. 

Berlin.  Heinrich  Spies. 

Dr.  Bernhard  Neuendorff,  Entstehungsgeschichte  von  Goldsmiths 
'Vicar  of  Wakefield'.    Berlin  1903.    IV,  107  S. 

Wer  die  vorliegende  Arbeit  zu  beurteilen  unternimmt,  kann  nicht 
umhin,  eine  zweite  über  denselben  Gegenstand  mit  heranzuziehen:  den 
Aufsatz  von  W.  Fischer  in  der  Anglia,  Bd.  25,  p.  129  ff.,  der  ein  Jahr 
früher  erschienen  ist.  Dazu  kommt  von  dem  gleichen  Verfasser  ein  in 
den  letzten  Wochen  gedruckter  weiterer  Aufsatz  {Anglia  27,  516),  der  sich 
mit  Neuendorffs  Arbeit  kritisch  beschäftigt  und  die  eigenen  Aufstellungen 
teils  rechtfertigt,  teils  modifiziert.  Beide  Arbeiten  unterscheiden  sich  in 
ihrer  Schreibweise  wie  auch  im  Ziel  und  Umfang  der  Untersuchung.  F. 
schreibt  frisch  und  energisch,  so  dals  seine  Ausführungen  viel  Bestechendes 
haben,  N.  etwas  ruhiger  und  farbloser.  F.  richtet  sein  Augenmerk  fast 
ausschlielslich  auf  die  literarischen  Quellen,  aus  denen  Goldsmith  geschöpft 
hat;  N.  zieht  auch  manches  andere  in  Betracht,  das  auf  den  Gegenstand 
neues  Licht  wirft. 

Fischer  hat  in  ganz  überraschender  Weise  einmal  Goldsmiths  weit- 
gehende Abhängigkeit  von  seinen  Vorbildern,  zweitens  aber  die  geradezu 
haarsträubenden  Widersprüche  und  Unwahrscheinlichkeit  in  der  Erzählung 
aufgedeckt.  Ganz  unbekannt  waren  diese  Dinge  ja  nicht.  Schon  Laun 
hatte  in  seiner  Biographie  des  Dichters  (1876,  p.  150)  davon  gesprochen, 
und  auch  Austin  Dobson  waren  die  'structural  inconsistencies  and  its 
naive  neglect  of  probability'  nicht  entgangen  (vgl.  die  Vorrede  zu  seiner 
Ausgabe  des  F.  of  W.).  Aber  so  ausführlich  und  überzeugend  war  dies 
noch  nicht  dargelegt  worden,  wie  es  jetzt  von  Fischer  geschehen  ist. 

Nach  F.  sind  vor  allem  Fielding  und  Richardson  als  Vorbilder  für 
die  Charaktere,  für  das  Miheu  sowie  für  allerhand  Kleinigkeiten  benutzt. 
So  ist  der  Vikar  im  wesentlichen  gleich  dem  Pfarrer  Adams  (p.  130),  De- 
borah  gleich  Mrs.  Adams,  Moses  eine  Verjüngung  von  Adams  (was  nicht 
ganz  richtig  ist);  Sophia  ist  Mifs  Byron  (aus  dem  Orandismi);  Georg  — 
Tom  Jones  usw. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  207 

Für  die  eigentliche  Handlung  im  Vicar  of  Wakefleld  ist  jetzt  eine 
Entlehnung  aus  drei  verschiedenen  Komanen  nachgewiesen.  Es  sind  dies: 
a)  die  Handlung  zwischen  Lovelace  und  Klarissa,  b)  die  zwischen  Gran- 
dison  und  Mifs  Byron,  c)  die  zwischen  Tom  Jones  und  Sophia  Western. 
Dadurch  wurde  wieder  die  Verschmelzung  mehrerer  Charaktere  bedingt: 
so  ist  Thornhill  ein  Gemisch  aus  Lovelace  und  Blifil,  Burchell  eine  Ver- 
schmelzung von  Grandison  und  Allworthy.  Hierbei  ging  indessen  nicht 
alles  glatt  ab,  sondern  es  entstanden  eine  Reihe  von  Widersprüchen  und 
Unebenheiten.  Ein  solcher  Widerspruch  der  schlimmsten  Art,  um  nur 
ein  Beispiel  zu  nennen,  ist  der,  dai's  Burchell  und  Thornhill,  also  Onkel 
und  Neffe,  obwohl  sie  in  derselben  Gegend  wohnen  und  in  derselben  Fa- 
milie aus-  und  eingehen,  sich  niemals  treffen,  ja  nicht  einmal  voneinander 
wissen  dürfen.  Deshalb  ist  der  Dichter  darauf  gekommen,  Burchell  ver- 
kleidet auftreten  zu  lassen.  Aber  trotz  dieser  Verkleidung  weifs  Thorn- 
hill, dafs  sein  Onkel  in  der  Nähe  ist,  denn  auf  dessen  anonymen  Brief 
hin  unterläfst  er  es,  Olivia  und  Sophia  nach  London  zu  bringen ;  ander- 
seits weifs  Burchell,  wie  verworfen  Thornhill  ist,  denn  er  warnt  ja  Olivia 
vor  ihm  (c.  21).  Trotzdem  weifs  Burchell  nun  wieder  am  Schlufs  des 
Romans  nichts  von  den  Schandtaten  seines  Neffen  und  mufs  erst  durch 
die  Pfarrersfamilie  über  diesen  aufgeklärt  werden.  Man  sieht  also,  wie 
Fischer  recht  hat,  wenn  er  (1.  p.  177)  sagt:  die  gesamte  Handlung  des 
V.  of  W.  ist  auf  etwas  Unmöglichem  aufgebaut.  Der  Dichter  ist  aber 
ebenso  ungeschickt  als  unklar;  wenn  er  Motive  entlehnt  und  sie  seiner 
Erzählung  einverleiben  will,  entsteht  fast  immer  eine  heillose  Verwirrung. 
Das  kommt  daher:  die  Erfindungsgabe  ist  bei  ihm  nur  schwach  ent- 
wickelt. Als  er  einige  Jahre  nach  dem  grofsen  Erfolge  des  F.  of  W.  sei- 
nem Verleger  eine  neue  Erzählung  lieferte,  kam  sie  als  unbrauchbar 
zurück :  er  hatte  nämlich  einfach  sein  Lustspiel  The  good-natured  man  in 
Prosa  aufgelöst!  Wie  ist  nun  nach  alledem  der  Erfolg  des  Werkes  zu 
erklären?  Fischer  weist  mit  Recht  darauf  hin:  es  lag  daran,  dafs  Gold- 
smith keinerlei  Tendenz  hatte,  dafs  er  allen  gerecht  wurde,  während  Ri- 
chardson  moralisierte  und  Fielding  wie  Smollett  scharfe  Satiren  schrieben. 
Dazu  kam  noch  eins :  gerade  dadurch,  dafs  Goldsmith  seine  Vorgänger  so 
ausgiebig  benutzt  hatte,  war  in  seinem  Roman  das  Gesamtergebnis  einer 
ganzen  Epoche  vereinigt.  Nimmt  man  dazu  noch  den  glänzenden  Stil, 
die  liebenswürdige  Grazie  der  Darstellung,  so  versteht  man,  wie  der  V.  of  W. 
bis  auf  den  heutigen  Tag  einen  so  hohen  Rang  behauptet  hat.  Für 
Deutschland  speziell  ist  bekanntlich  das  Urteil  Goethes  in  Wahrheit  u?id 
Dichtung  (Buch  II,  Kap.  10)  mafsgebend  gewesen. 

Sind  wir  so  weit  den  Ausführungen  Fischers  mit  Anerkennung  gefolgt, 
so  dürfen  wir  uns  doch  nicht  verhehlen,  dafs  er  in  einigen  Punkten  in 
seinem  Eifer  über  das  Ziel  hinausgeschossen  ist,  folglich  der  Ergänzung 
und  Berichtigung  bedarf.  Hier  setzt  nun  Neuendorff  ein,  wenigstens  mit 
dem  Hauptabschnitt  seiner  Arbeit,  den  er  'innere  Entstehungsgeschichte' 
nennt.  Sechs  verschiedene  Unglücksfälle  sind  es,  die  den  wackeren  Pfarrer 
Primrose  treffen,  sie  bilden  das  eigentliche  Gerüst  der  Handlung  im 
Roman.  Dann  kommen  zwei  angebliche  Hauptquellen  des  V.  of  W.  zur 
Sprache:  1.  The  history  of  Miss  Stanton  (im  British  magaxine  Juli  1760 
erschienen),  2.  The  Journal  of  a  Wiltshire  curate  (ebd.  Dezember  1766). 
Die  letztere  kann  schon  deshalb  nicht  in  Betracht  kommen,  weil  sie  später 
als  Goldsmiths  Roman  erschienen  ist,  aber  auch  die  erstere  möchte  ich 
weder  als  Quelle  noch,  wie  N.  will,  als  von  unserem  Dichter  geschrieben 
gelten  lassen.  Die  Schilderung  des  guten  Pfarrers  findet  sich,  wie  N. 
selbst  zugibt,  ganz  ähnlich  schon  in  Fieldings  Joseph  Andrews,  die  stilisti- 
schen Kriterien  sind  trügerisch,  und  w^enn  die  Erzählung  der  Zelis  in 
Goldsmiths  Oitixen  of  de  world  (etwa  einen  Monat  nach  The  history  of 
Miss  Stanton  gedruckt)  auffallende  Ähnlichkeit  mit  dieser  Geschichte  auf- 


208  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

weist,  so  scheint  mir  im  Gegensatz  zu  N.  dies  gegen  Goldsmiths  Verfasser- 
schaft zu  sprechen,  denn  in  so  kurzer  Zeit  würde  auch  er  sich  selbst 
schwerlich  wiederholt  oder  kopiert  haben.  Ob  die  Erzählung  ihm  aber 
als  Quelle  gedient  hat,  kann  man,  da  ihr  Inhalt  nicht  mitgeteilt  wird, 
hier  nicht  entscheiden.  In  etwas  losem  Zusammenhang  mit  dem  Thema, 
wenn  es  uns  auch  über  des  Dichters  ethische  und  politisch  soziale  An- 
sichten gut  unterrichtet,  steht  das  dritte  Kapitel.  Um  so  wichtiger  ist 
das  vierte,  das  die  Vorbilder  füs  die  einzelnen  Gestalten  des  Romans  be- 
handelt; zugleich  berührt  es  sich  aufs  engste  mit  der  Arbeit  von  Fischer. 
Ich  kann  hier  nur  auf  einzelne  Punkte  eingehen.  Was  den  Pfarrer  be- 
trifft, so  hat  N.  gewils  recht,  wenn  er  (p.  b\)  zwar  zugibt,  dafs  Primrose 
und  Adams  im  Kerne  ihres  Wesens  gleich  sind,  wenn  er  aber  anderseits 
betont,  wie  Primrose  durch  seine  AVeisheit  und  seine  Weltanschauung, 
die  ihn  alle  ünglücksschläge  mit  Fassung  ertragen  läfst,  über  sein  Vor- 
bild (trotz  F.s  Widerspruch:  Anglia  21,  520)  sich  erhebt.  Ebenso  steht 
es  mit  der  Pfarrerin,  die  der  Mrs.  Adams  gegenüber  auf  einen  etwas 
höheren  Standpunkt  gehoben  ist  (p.  53).  Wenn  dann  N.  (p.  5ö)  die  Kon- 
trastierung der  Charaktere  der  beiden  Schwestern  aus  einem  Essay  im 
Tatler  herleiten  will,  so  kann  man  das  nur  billigen.  (Für  weitere  Ein- 
flüsse des  Tatler  und  Spectator  vgl.  p.  37:  Richtung  aufs  Lehrhafte:  Be- 
kämpfung des  Duells.)  Sicher  richtig  ist  es  auch  bei  N.,  dals  Moses  als 
Abbild  von  Goldsmiths  eigener  Person  als  Knabe  —  allerdings  auch  mit 
Zügen  von  Adams  —  anzusehen  ist  (p.  58).  Was  Burchell  betrifft  (p.  62), 
so  scheint  mir  die  Einmischung  Goldsmiths  eigener  Gestalt  hier  nicht  be- 
wiesen: annehmbar  dagegen,  dafs  aufser  Grandison  die  Charakterzüge  in 
Betracht  kommen,  die  dieser  von  seinem  Vater  berichtet  (so  F.  in  seinem 
zweiten  Aufsatz).  Entschieden  falsch  ist  es,  wenn  N.  (p.  67)  behauptet, 
Jenkinson  sei  eine  nebensächliche  Figur.  Das  ist  er  ganz  und  gar  nicht; 
spielt  er  doch  am  Schlüsse  die  Hauptrolle  bei  der  Entlarvung  Thornhills. 

Im  fünften  Kapitel  von  N.s  Arbeit  werden  einzelne  Episoden  auf  ihre 
Vorbilder  untersucht.  Es  wird  gezeigt,  dals  z.  B.  der  Pferdekauf  im 
zwölften  Kapitel  des  Romans  auf  eine  Szene  im  Oü  Blas  zurückweist, 
wie  es  auch  früher  (p.  41)  wahrscheinlich  gemacht  wird,  dafs  bei  der 
Schilderung  des  Landlebens  Lesages  Roman  von  Einfluls  gewesen  ist. 
Freilich  spielen  hier  auch  wie  sonst  häufig  Goldsmiths  Jugenderinnerungen 
mit.  Fischer  erwähnt  dies  alles  nicht,  und  so  rächt  es  sich,  dafs  er  in 
seiner  Arbeit  wesentlich  auf  die  traditionellen  Züge  sich  beschränkt,  die 
Individualität  des  Dichters  und  dessen  Erlebnisse  ab^r  beiseite  gelassen  hat. 

Zum  sechsten  Kapitel  (die  Umgebung)  möchte  ich  meinen  Zweifel 
darüber  äulsern,  ob  Goldsmith  wirklich  bei  dem  Titel  seines  Romans  an 
Wakefield  in  Yorkshire  gedacht  hat.  Ist  es  nicht  wahrscheinlicher,  dafs 
auch  hier  ihm  wieder  die  Eindrücke  aus  seiner  irischen  Heimat  vor- 
schweben? Übrigens  ist  ja  das  Landschaftliche  bei  ihm  ziemlich  neben- 
sächlich behandelt,  so  dals  man  gültige  Schlüsse  hier  kaum  ziehen  kann. 

Dankenswert  ist  die  eingehende  Untersuchung  der  Ballade  Edwin  and 
Angelina,  die  den  gröfsten  Teil  des  siebenten  Abschnitts  ausfüllt.  Wenn 
auch  zum  Teil  an  eine  Volksballade  angelehnt,  ist  das  Gedicht  doch  die 
durchaus  kunstmäfsige  Nachahmung  einer  solchen.  Wichtig  ist  es  aber 
als  ein  Glied  in  der  Entwickelungsreihe,  die  im  15.  Jahrhundert  anhebt 
und  bis  ins  19.  Jahrhundert  verläuft.  Als  der  Gipfelpunkt  dieser  Ent- 
wickelung  würden  wohl  die  noch  nicht  genügend  gewürdigten  Balladen 
von  Southey  und  die  von  Coleridge  anzusehen  sein.  Der  Gegenstand 
verdient  jedenfalls  noch  eine  ausführüchere  Behandlung,  als  sie  in  diesem 
Zusammenhange  gegeben  werden  konnte. 

Nach  alledem  ist  anzuerkennen,  dafs  auch  N.  eine  tüchtige,  unsere 
Kenntnisse  wesentlich  fördernde  Arbeit  geliefert  hat. 

Berlin.  Georg  Herzfeld. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  209 

Songs  from  David  Herd's  manuscripts,  edited  with  introduction  and 
noteß  by  Hans  Hecht.  Edinburgh,  W.  Hay,  1904.  XV,  438  p. 
12  s.  net. 

Für  die  Geschichte  der  Volicsballade  hat  Child  vorgesorgt;  für  die 
der  Volkslyrik  ist  auf  angloschottischem  Boden  —  in  England  herrscht 
hierin  Arraut  —  noch  furchtbar  viel  zu  tun,  bis  das  Material  gesammelt 
und  gesichtet  sein  wird.  Dafs  eine  Menge  bisher  unbeachteter  Lieder- 
bücher, gedruckte  und  handschriftliche,  aus  der  Zeit  vor  Bums  vorhanden 
ist,  wurde  1896  durch  Henleys  und  Hendersons  centenary  edition  von 
Burns  offenkundige.  Ein  reicnliches  Verzeichnis  erhielten  wir  kürzlich 
durch  J.  C.  Dick,  The  songs  of  R.  Bums  now  ßrst  printed,  with  the  melodies 
for  which  they  were  icrittm,  London,  Frowde,  1903,  S.  XXVIII— XLIII, 
und  Hecht  zeigt  uns  jetzt,  dafs  diese  Liste  noch  mehrfach  zu  ergänzen 
ist.  Als  nächste  und  dringendste  Arbeit  ergibt  sich  danach  die  Ver- 
öffentlichung eines  Liederbuches  nach  dem  anderen,  jedes  vollständig  re- 
produziert und  als  Individuum  behandelt,  damit  man  sieht,  wie  es  zu- 
stande kam,  ob  durch  Aufzeichnung  nach  mündlichem  Vortrag  oder  durch 
Auslese  aus  älteren,  mehr  oder  minder  kunstmäfsigen  Publikationen.  Es 
ist  verdienstlich  von  Hecht,  mit  solch  methodischer  Ausbeutung  zu  be- 
ginnen und  uns  zunächst  den  handschriftlichen  Nachlafs  von  Herd  zu 
bieten,  der  nicht  blofs  ein  früher  und  glücklicher  Finder,  sondern  auch 
ein  sehr  treuer  Aufzeichner  von  Volkslyrik  war.  Das  wertvolle  Gut,  das 
Herd  selbst  .1769  und  177G  in  seinen  'Collections  of  songs  and  hallads' 
drucken  liefs  (nachgedruckt  Glasgow  18t)9  und  Edinburgh  1870),  erfährt 
dadurch  eine  Ergänzung,  und  zugleich  bestätigt  sich  das  gunstige  Urteil, 
das  sich  bereits  über  Herds  Verläfslichkeit  gebildet  hatte. 

Hecht  hat  seine  Ausgabe  so  eingerichtet,  dafs  er  ein  Lebensbild  von 
Herd  und  dessen  Freund  Paton  vorausschickt,  aus  dessen  Korrespondenz 
mit  Percy  —  hier  zum  erstenmal  vollständig  mitgeteilt  —  das  Verhältnis 
von  Herds  Sammlung  zu  den  'Reliques  of  ancient  English  poetry'  genau 
erhellt.  Percy  ging  auf  Romantik  aus,  Herd  lediglich  auf  Volkspoesie; 
Percy  verwechselte  und  vermischte  immerfort  die  mittelalterliche  und 
Volksdichtung,  Herd  ist  für  Stileinheit;  Percy  will  die  Texte  verschönern 
und  ergänzen,  Herd  nicht;  Percy  kommt  darüber  zu  dem  lange  geplanten 
vierten  Bande  der  'Reliques'  niemals,  Herd  druckt  eine  Auswahl  und  läfst 
viele  kleinere  Fragmente  liegen.  Die  Ausgabe  der  letzteren  schliefst  sich 
bei  Hecht  daran.  Mit  wenigen  mythologisierenden  Ausnahmen  sind  es 
Perlen  der  Volkslyrik,  in  denen  sich  alles  wiederfindet,  was  von  der 
Eigenart  dieser  Gattung  anderweitig  bekannt  ist:  dipodische  Rhythmik 
mit  losem  Bau  der  Senkungen,  syntaktische  Geschlossenheit  der  Zeile, 
einfachste  Strophenformen  zwei-  oder  dreiteiliger  Art,  Abwesenheit  von 
Tropen  und  gelehrten  Wörtern,  Vorliebe  für  Wiederholung  von  Sinn,  Satz 
und  Wort,  Zersungenheit.  Mehrfach  begegnen  Doppelfassungen,  wie  sie 
bei  mündlicher  Überlieferung  gern  entstehen;  besonders  ist  dies  der  Fall 
bei  der  dialogischen  Ekloge  'Pate's  and  Maggie' s  courtship'  (S.  224  ff.).  Die 
meiste  Gelehrsamkeit  entfaltet  Hecht  in  den  Anmerkungen  am  Schlufs 
(S.  279—385):  da  geht  er  den  Parallelen  in  anderen  Liederbüchern  nach, 
was  eine  grofse  Vertrautheit  mit  der  einschlägigen,  meist  nur  auf  schot- 
tischen Bibliotheken  vorhandenen  Literatur  voraussetzt;  er  verfolgt  die 
Einwirkungen  auf  Burns,  wobei  er  Henley  mehrmals  zu  ergänzen  vermag, 
und  er  beleuchtet  das  Verfahren  von  Walter  Scott,  dessen  'Minstrelsy' 
zwar  den  Höhepunkt  des  Sammeins  bezeichnet,  aber  durchaus  nicht  den 
der  ungeschminkten  Wiedergabe. 

Nachdem  ich  den  sachlichen  und  den  Arbeitswert  von  Hechts  Buch 
hervorgehoben,  mufs  ich  auch  eine  Ausstellung  machen,  die  freilich  mehr 
die   äufsere   und    geschäftliche   Seite   berührt.     Die  Ausstattung    ist   fast 

Archiv  f.  n.  Sprachen.     CXIV.  14 


210  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

luxuriös,  und  ihr  entspricht  der  Preis;  wäre  es  bei  einfacherer  Ausstattung 
nicht  möglich  gewesen,  uns  um  ungefähr  denselben  Preis  den  ganzen 
Herd,  Neudruck  seiner  'Collection'  und  Erstausgabe  des  Nachlasses,  zu- 
sammen zu  bieten  ?  Ich  glaube  für  viele  zu  sprechen,  wenn  ich  die  Selten- 
heit seiner  ^Collection'  und  ihrer  Neudrucke  als  ein  grofses  Hindernis  für 
den  Fortschritt  der  Forschung  auf  diesem  Gebiete  bezeichne;  ein  Hinder- 
nis, das  für  uns  Deutsche  noch  empfindlicher  ist  als  für  Engländer  und 
Schotten.  Selbst  der  Vertrieb  der  Ausgabe  wird  darunter  leiden;  denn 
wer  das  Hauptwerk  nicht  erlangen  kann,  kauft  nicht  gern  die  Ergänzung. 
Was  wir  brauchen,  ist  ein  umfassendes  Corpus  der  Volkslyiik,  ähnlicn 
wie  es  Child  für  die  Volksballaden  geliefert  hat.  Inzwischen  sind  wir 
schon  dankbar  für  jede  Einzelausgabe  der  noch  ungedruckten  Sammlungen, 
wenn  sie  mit  solcher  Verarbeitung  gemacht  ist,  wie  sie  hier  vorliegt. 
Berlin.  A.  Brand  1. 

Englisches  Unterrichtswerk  für  höhere  Schulen.  Unter  Mitwirkung 
von  Mr.  William  Wright  bearbeitet  von  Dr.  Gustav  Krueger, 
Oberlehrer  am  Kaiser -Wilhelms -Realgymnasium  und  Lektor  an  der 
Technischen  Hochschule  in  Berlin.  I.  Teil.  Elementarbuch.  Leipzig, 
G.  Freytag,  1905.    Geb.  M.  1,6U. 

Diese  neue  englische  Schulgrammatik  ist  hervorgegangen  aus  der  Be- 
obachtung, dafs  die  Schüler  im  Anfangsunterricht  nach  einiger  Zeit  eine 
gewisse  Unsicherheit  der  Aussprache  zeigen,  die  darauf  zurückgeht,  dafs 
sie  die  Aussprache  der  in  der  Schule  geübten  Musterwörter  vergessen,  zu 
Hause  das  Lehrbuch  um  Rat  gefragt  und  sich  eine  falsche  Aussprache 
eingeprägt  haben.  Diesem  Übelstand  will  das  neue  Lehrbuch  in  der 
Weise  begegnen,  dafs  es  jedes  englische  Wort  und  Lesestück  nicht  nur 
in  seiner  gewöhnlichen  Orthographie,  sondern  —  auf  einer  späteren  Reihe 
von  Seiten  —  auch  in  phonetischer  Umschrift  wiedergibt,  damit  der 
Schüler  ein  Bild  erhalte  von  der  Aussprache  des  Wortes  für  sich  allein 
und  im  Zusammenhange  mit  anderen  Wörtern.  Die  Absicht  ist  dankens- 
wert. Aber  sie  stützt  sich  auf  einen  Fehlschlufs  und  verliert  darum  an 
Bedeutung.  Der  Schüler  soll  darum  falsch  oder  unsicher  lesen,  weil  in 
seinem  Lehrbuch  die  Wörter  nur  für  sich  transskribiert  sind.  In  Wirk- 
lichkeit erklärt  sich  jene  Erscheinung  so.  Der  Schüler  hat  nach  einiger 
Zeit  eine  Fülle  von  Kenntnissen  in  seinem  Kopf  angesammelt,  die  sich 
noch  nicht  geklärt  haben.  Dabei  geht  eins  durch  das  andere,  und  das 
Elementarste  verzerrt  und  verflüchtigt  sich  zuerst.  Das  Elementarste  ist 
die  Aussprache  der  Musterbeispiele,  an  denen  der  Schüler  den  Klang  der 
einzelnen  Laute  kennen  lernen  und  üben  soll;  doppelt  leicht  vergifst  er 
sie  in  einer  Sprache  wie  das  Englische,  wo  ihre  Aussprache  ungemein 
kompliziert  ist.  Ihr  gedächtnismäfsiges  Behalten  ist  aber  die  Vorbedingung 
zu  jeder  Weiterbildung  durch  eigene  Kraft.  So  mufs  der  Schüler  auch 
alle  die  Zeichen  kennen,  die  Herr  Krueger  angewandt  hat,  und  die  Laute, 
die  sie  vertreten,  sonst  steht  er  seiner  Transskription  so  hilflos  gegen- 
über wie  jeder  anderen.  Und  eben  weil  seine  Schüler  jene  Stütze  in  ihrem 
Gedächtnis  verloren  hatten,  darum  wurden  ihnen  die  phonetischen  Zeichen 
ihres  Lehrbuches  zu  böhmischen  Dörfern,  deren  Sprache  sie  nicht  ver- 
standen. Man  überschätze  in  der  Schule  doch  ja  nicht  den  praktischen 
Wert  der  Phonetik,  besonders  nicht  für  eine  Sprache  wie  das  Englische. 
Seine  Aussprache  sich  ohne  tüchtigen  Lehrer  anzueignen,  ist  meiner  Mei- 
nung nach  ein  Ding  der  Unmöglichkeit.  Das  hat  man  früher  gewufst 
und  danach  gehandelt.  Der  Lehrer,  wenn  er  verständig  war,  hat  Wörter 
und  Sätze  unermüdlich  vorgesprochen  und  seine  Schüler  wiederholen 
lassen.  So  hat  es  mein  Lenrer  im  englischen  Anfangsunterricht,  Herr 
Prof.  Tanger,  gehalten ;  und,  wenn  meine  Aussprache  leidlich  ist,  so  dank' 


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ich  es  ihm  und  dieser  unersetzlichen  Methode.  Sie  ist  'natürlich'  in  gutem 
Sinne,  darum  spricht  sie  den  Schüler  am  freundlichsten  an;  und  für  den 
Lehrer  hat  sie  den  Vorzug,  dafs  sie  ihm  Gelegenheit  gibt,  sich  in  Geduld 
zu  Oben;  und  die  braucht  er  bekanntlich  allerwegen.  Der  Erfolg  aber, 
der  früher  möglich  war,  mufs  auch  heute  zu  erreichen  sein,  wo,  dank  der 
'Neuen  Methode',  viel  gröfsere  Anforderung  als  damals  an  die  Sprech- 
fähigkeit des  Lehrers  gestellt  wird.  Das  ist  ihr  Verdienst,  und  das  soll 
man  ihr  danken.  Aber  es  mufs  auch  gesagt  werden,  dafs  ihre  Betonung 
der  Phonetik  für  den  Schulunterricht  vom  Übel  ist.  Die  bleibe  dem 
Privatstudium  des  Lehrers  überlassen  und  mag  der  Schule  auf  indirektem 
Wege  zugute  kommen.  Und  wenn  es  wahr  ist,  wie  ich  gehört  habe,  dafs 
den  Schillern  sogar  phonetische  Extemporalien  gegeben  werden,  so  würde 
ich  das  für  einen  Unfug  halten,  gegen  den  die  vorgesetzte  Behörde  ihr 
strengstes  Veto  einzulegen  hätte.  Der  Schüler  müht  sich  genug  mit  der 
englischen  .Orthographie.  Der  Lehrer  suche  ihm  das  Ohr  zu  üben  und 
lasse  das  Überflüssige;  denn  er  hat  keine  Zeit  dazu.  Herr  Krueger  als 
bekehrter  Gegner  der  Phonetik  —  welcher  Kenegat  stürbe  nicht  zwiefach 
für  seinen  neuen  Glauben  1  —  meint  mit  Hilfe  der  Phonetik  schneller 
und  gedeihlicher  vorwärts  zu  kommen  und  spricht  die  tönenden  Worte: 
'Wer  das  nicht  selbst  ausprobiert  hat,  hat  kein  Urteil  darüber'  (Vorrede 
S.  5).    Das  ist  so  bequem  gedacht,  wie  es  nichtssagend  ist. 

Die  Beobachtungen  über  englische  Aussprache  sind  aufserordentlich 
fleilsig  und  das  Beste  des  ganzen  Buches.  Nur  sind  sie  häufig  für  den 
Schüler  sicherlich  von  übertriebener  Genauigkeit.  Was  fängt  dieser  z.  B. 
mit  dem  Hinweis  an,  er  müsse  'die  Zungenwurzel  so  weit  als  möglich 
nach  rückwärts  unten,  gegen  den  Schlund  zu,  sinken'  lassen  (S.  8),  oder 
er  müsse  den  w-Laut  durch  'Verschlufs  zwischen  Hinterzunge  und  weichem 
Gaumen'  hervorbringen  (S.  13).  Was  nützt  selbst  vielen  Lehrern  die  An- 
gabe (S.  11),  eine  gewisse  Nuance  des  englischen  a  entspreche  dem  han- 
noverischen a  in  dem  Satze:  'Mein  Vater  ist  Theatermaler'.  Ist  es  nicht 
übertrieben,  den  Schüler  von  vornherein  eine  doppelte  Aussprache  für 
shcdl  und  was  zu  lehren,  je  nachdem  diese  Wörter  betont  sind  oder  nicht? 
Er  lerne  und  übe  ihren  vollen  Klang;  mit  der  wachsenden  Fähigkeit  des 
geläufigen  Lesens  wird  er  ihn  von  selbst  abschwächen.  —  Übertrieben 
genau  ist  auch  die  Akzentangabe  in  den  Ordnungszahlen  (S.  26).  Hier 
wird  sogar  der  Nebenakzent*  bezeichnet:  ßikß'-tTn|)',  (]e'-wn-tin|)'  etc.,  ein 
Verfahren,  das  den  sich  zu  Hause  selbst  überlassenen  Schüler,  der  oben- 
drein vom  Französischen  herkommt,  geradeswegs  zur  Einprägung  des  fal- 
schen Akzentes  führen  kann,  zumal  bei  der  Besprechung  des  Akzentes 
(S.  15)  der  Hinweis  vergessen  ist,  dafs  im  Englischen  wie  im  Deutschen 
der  Hauptakzent  die  erste  Silbe  des  Wortes  zu  treffen  pflegt.  Es  will 
mir  ein  geringeres  Übel  scheinen,  wenn  der  Schüler  arckbishopiß.  15)  nach 
deutscher  Art  wie  'Erzbischof'  betont,  als  wenn  er,  durch  den  Doppel- 
akzent (ätsch'-bi'-schap)  irregeleitet,  den  Hauptton  auf  die  zweite  Silbe  legt. 

Eine  gute  Absicht  liegt  zweifellos  dem  Gedanken  zugrunde,  den  Schüler 
aus  ad  hoc  gebildeten  Sätzen  grammatische  Regeln  allein  finden  zu  lassen. 
Herr  Krueger  hat  daher  im  Auschhifs  an  jene  Sätze  Fragen  gestellt,  die 
ihm  den  Weg  weisen  sollen.  Sie  sind  nicht  immer  geschickt.  Als  ganz 
müfsig  ist  mir  die  P>.  Frage  im  17.  Abschnitt  (S.  37)  aufgefallen.  Es  sind 
die  Substantiva  mit  unregelmäfsigem  Plural  aufgeführt  worden.  Dann 
heifst  es:  'Wie  viele  davon  bezeichnen  lebende  Wesen?  Wie  viele  Tiere?' 
Bemängeln  mufs  ich  die  Form  der  5.  Frage  im  31.  Abschnitt  (S.  53),  wo 
von  der  to  cfe-Umsehreibung  in  Fragesätzen  die  Rede  ist:  'In  welchen  be- 
jahenden, kein  'not'  enthaltenden  Fragesätzen  wird  also  to  do  nicht  an- 
gewendet?'  Ein  bejahender  Fragesatz  könnte  eine  sogenannte  'Rhetorische 

*  Es  sind,  wenn  das  Wort  frei  steht,  zwei  gleiche  Akaente.     D.  R. 

14* 


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Frage*  bedeuten;  Mer  handelt  es  sich  um  'positive'  Fragesätze.  Schief 
und  ungeschickt  ist  der  Wortlaut  der  -1.  Frage  in  Abschnitt  6,  II  (S.  21). 
Es  handelt  sich  um  den  Plural.  Frage  3:  'Mit  welchem  Buchstaben  wird 
er  bezeichnet?'  Dann  4:  'Ist  die  Bildung  der  Mehrzahl  der  auf  stimm- 
haften Konsonanten  endigenden  Wörter  lautlich  dieselbe  wie  derer,  welche 
mit  stimmlosem  schliefsen?'  Warum  nicht  einfach:  Hat  dieser  Buchstabe 
nach  stimmhaften  Konsonanten  denselben  Laut  wie  nach  stimmlosen? 

Auch  die  Fassung  der  Regeln  läfst  bisweilen  die  zum  Verständnis 
notwendige  Sauberkeit  vermissen,  so  dafs  ein  Schüler  schwerlich  mit  ihnen 
zu  Bande  kommen  wird.  Die  Erklärung  des  Modalzeitwortes  (Abschnitt 
34,  1;  S.  54),  dafs  es  ein  Verhältnis  des  Subjekts  zum  eigenen  oder  zu 
einem  fremden  Willen  ausdrücke,  kann  nicht  befriedigen.  —  Seltsam  ist 
es,  wenn  Herr  Krueger  in  dem  Satze:  'Können  Sie  Deutsch?'  das  Verbum 
'können'  für  ein  Modalverb  hält.  —  Abschnitt  24,  3  (S.  45)  heifst  es  un- 
verständlich: 'Vom  Begriffszeitwort  (?)  gibt  es  als  äufserlich  erkennbare 
Form  eines  Konjunktivs  nur  die  3te  Person  der  Einzahl  der  Gegenwart, 
z.  B.  Ood  save  the  King  T  Ein  Mann,  der  selbst  das  Wesen  der  Regeln 
so  wenig  zu  fassen  und  zu  formulieren  weifs,  wie  Herr  Krueger,  sollte 
diese  Aufgabe  nicht  einem  Schüler  zumuten.  Den  30.  Abschnitt  (S.  50) 
hätte  ich  nicht  überschrieben:  'Verschiedene  Fürwörter',  sondern  'Unbe- 
stimmte Fürwörter',  wenn  nicht  'Indefinitpronomen'.  Herr  Krueger  hat 
eine  gewisse  Abneigung  gegen  Fremdwörter.  Ich  lobe  sie,  aber  ich  hätte 
doch  nicht  geschrieben :  'Wie  zählt  man  zu,  ab;  wie.. nimmt  man  Mal;  wie 
teilt  man?'  (10.  Abschnitt,  1;  S.  27).  —  Auch  die  Überschrift  der  'Deut- 
schen Übungen'  (S.  81):  'Stelle  die  englischen  Wörter  nach  den  vor 
den  deutschen  befindlichen  Ziffern'  ist  nicht  glücklich.  Der  Verfasser 
will  sagen:  Die  Ziffer  bezeichnet  die  Stelle  des  englischen  Wortes  im 
Satze.  —  S.  27,  10.  Abschnitt  ist  mir  ein  Druckfehler  aufgefallen :  '8  into 
80  goes  6  times'. 

Wenn  mir  die  deutschen  Partien  des  Buches  wenig  gefallen  haben 
—  man  vergleiche  unter  den  häufig  sehr  trivialen  deutschen  Übersetzungs- 
beispielen das  folgende  (S.  85,  Nr.  32):  'Gestern  waren  alle  (die)  Bäume 
noch  unbeschädigt,  und  heute  sind  sie  jämmerlich  abgeschnitten ;  wer  mag 
diesen  Unfug  begahgen  haben?'  — ,  so  habe  ich  um  so  gröfsere  Freude 
an  den  englischen  Sätzen  gehabt.  Ihre  Zusammenstellung  im  Hinblick 
auf  die  Aussprache  ist  recht  geschickt  (vgl.  z.  B.  S.  22  Leseübung);  das 
Englische  ist  entschieden  eleganter  als  das  Deutsche.  Und  doch  ist  auch 
das  eine  gute  Forderung  der  Neuzeit,  dafs  neben  ..der  fremden  die  Mutter- 
sprache nicht  zu  kurz  kommen  soll,  auch  beim  Übersetzen  nicht. 

Hoffentlich  ist  der  Gesamtgehalt  der  folgenden  Teile  dieser  Gram- 
matik wertvoller  als  der  des  ersten.  Von  diesem  mufs  ich  sagen,  dafs 
nach  dem  vortrefflichen  'Elementarbueh  der  engl.  Sprache  von  Dubislav- 
Boek'  für  sein  Erscheinen  keine  Notwendigkeit  bestand. 

Berlin.  Willi  Splettstöfser. 

Franz  Settegast,  Quellenstudien  zur  galloromanischen  Epik.    Leip- 
zig, Harrassowitz,  1904. 

Unter  diesem  Titel  veröffentlicht  Settegast  vier  Aufsätze  nebst  einer 
Reihe  von  Nachträgen,  die  ein  gemeinsames  historisches  Band  verknüpft: 
Dichtungen  des  Mittelalters  werden  mit  historischen  Vorgängen  aus  der 
Zeit  der  Völkerwanderung  in  Beziehung  gebracht. 

Als  Hauptkriterien  erscheinen  hierbei  neben  den  stofflichen  Parallelen : 
Eigennamen  und  geographische  Bezeichnungen  der  besprochenen  Dich- 
tungen. Um  diese  auf  historische  Namen  zurückzuführen,  hält  sich  der 
Verfasser  nicht  in  den  Grenzen  einer  lautlichen  Entwickelung,  mit  dem 
Argument,  dafs  selten  solche  Namen  sich  regelrecht  verschieben,  und  ge- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  213 

winnt  dadurcli  eine  Bewegungefreiheit  im  Aufsuchen  etymologischer  Be- 
ziehungen, bei  denen  es  nicht  möglich  ist,  mit  ihm  zu  gehen. 

Denn  wenn  es  auch  unbestreitbar  ist,  dafs  oftmals  von  fremden  Völ- 
kern übernommene  Namen  seltsame  Verstümmelungen  zeigen,  so  kann  diese 
Beobachtung  auf  keinen  Fall  zum  Gesetze  erhoben  werden,  und  wenn 
sie  dies  könnte,  so  wären  wir  eben  einmal  wieder  an  den  Grenzen  unseres 
Könnens  angelangt  und  müTsten  ein  Weiterschrciten  aus  Methode  ablehnen. 

Anderseits  ist  in  volkstümlicher  Dichtung  nichts  so  sehr  der  Verände- 
rung ausgesetzt,  als  gerade  die  Namen :  Modernisierung  dieser,  Anpassung 
der  geographischen  Verhältnisse,  das  sind  Mauserungen,  die  die  Sage  stets 
durchzumachen  hat,  so  lange  sie  vorliterarisch  ist.  Was  dabei  aus  älteren 
und  ältesten  Schichten  gerettet  wird,  ist  durchaus  in  der  Minderzahl. 

Im  Gegensatz  zu  dieser  Erfahrung  sucht  der  Verfasser  in  dem  Roman 
von  Elechis  und  Serena  sämtliche  Namen  und  Bezeichnungen  mit  solchen 
des  4.  und  5.  Jahrhunderts  in  Beziehung  zu  bringen.  Nehmen  wir  vorab 
die  stofflichen  Parallelen,  welche  die  ziemlich  blassen  Vorgänge  dieses 
Spätlings  mit  der  Geschichte  der  Völkerwanderung  verbinden  sollen  : 

Wie  Eledus  und  der  Intrigant  Maugrer  um  Serena  streiten,  so  stritten 
einst  Athaulf,  der  Schwager  und  Nachfolger  Alarichs  des  Westgoten,  und 
Konstantins,  des  Honorius  Feldherr,  um  rlacidia,  des  Kaisers  Schwester. 
Wie  Maugrer  Serena  aus  Tubie  stiehlt,  so  entführte  Alarich  bei  Einnahme 
Roms  die  Placidia.  Wie  der  Fall  Roms  durch  den  Tod  der  Lieblings- 
henne des  Kaisers  vorausgesagt  wurde,  so  entführt  im  Eledus  ein  Falke 
eine  Henne,  was  auch  im  Gedicht  als  Prophezeiung  der  Eroberung  von 
Tubie  aufgefafst  wird.  Die  Hochzeit  der  entsprechenden  Paare  fand 
beiderseits  im  Januar  statt. 

Die  Namen :  Serena  =  Serena  (Schwester  der  Placidia  durch  Adop- 
tion); Eledus  =  Attalus  (ein  Freund  des  Athaulf  über  Alatus  unter  dem 
Einflufs  eines  Alatheus);  Sapin  (ein  Knappe)  =  Saphrax  (ein  bei  Am- 
mian  dem  Alatheus  beigesellter  Gote);  Potantas  ^-  Potentius  (römischer 
Offizier,  der  nach  Ammian  bei  Adrianopel  fiel);  Ouixel  =  Lupicinus 
(Ammian,  Jordanes:  Nach  Xixos:  *Lucicmus  >  *Cuzilinus);  vermischt  mit 
S  tili  CO  (Vandale:  *Costilo  (?)  >  Cossilo);  Manimus  =  Volk  der  Ma- 
nimi  (Tacitus);  Äla7i  =  Volk  der  Alanen  usw. 

Die  Ortsnamen:  Tubie  =  Theben  in  Griechenland,  und  zwar  unter 
Einwirkung  von  Boiotia  (*Butia  >  Tubia):  Bonneilh  =  Peloponnes; 
Valmoray  "  Morea  (vgl.  S.  114);  Qelcridar  =  Gibraltar;  Boreil  ■= 
Baliares;  Tours     -  Turris  (Sardinien)  usw. 

Es  wäre  nun  des  Verfassers  Aufgabe  gewesen,  uns  zu  sagen,  wie  es 
möglich  war,  dafs  die  Sage  Namen  und  Geschehnisse  aus  allen  Winkeln 
des  4.  und  5.  Jahrhunderts  hat  sammeln  können,  um  dann,  ein  Jahrtau- 
send gleichsam  kristallisiert,  nach  lebhaftestem  Wachstum  erstarrt,  sich 
unverändert  zu  erhalten. 

Die  eigene  Methode  verlassend,  erhebt  der  Verfasser  (S.  24  ff.),  gegen 
Voretzschs  einsichtige  und  weitsichtige  Behandlung  der  Endpartien  des 
Ogier,  die  Frage,  ob  wir  es  hier  wirklich  auch  mit  einem  Sachsen einf all 
zu  tun  hätten.  Weil  nämlich  Brehier  neben  Saisne  auch  König  von  Babi- 
loine  und  Aufrike  genannt  würde.  —  Der  Verfasser  tut  dies,  um  bei  seiner 
späteren  Deutung  (die  ja  der  meinigen  entspricht,  dafs  nämlich  an  dieser 
Stelle  die  Belisarsage  eingemischt  worden  sei)  für  Brehier  als  Etymon  den 
Hunnen  Zabergafi  beibringen  zu  können  (S.  228).  Nun  finden  sich  an 
dieser  Stelle  augenscheinlich  Motive  der  byzantinischen  Sage,  und  die  Art, 
wie  die  einfallenden  Sachsen  beschrieben  werden,  hat  ohne  Zweifel  etwas 
von  einem  mongolischen  Reitervolke.  Alles  aber,  was  mit  der  Brehier- 
tötung  zusammenhängt,  gehört  or gemi seh  zur  Sacksensage,  der  National- 
sage der  Merowingerzeit,  wie  aus  zwei  Anspielungen  des  Sachsenliedes  zu 
ersehen  ist,  in  welchen  die  B r eh i ertötung  auf  den  Arnulf ing  Anseis  in 


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volkstümlicher  Weise  übertragen  erscheint  und  von  byzantinischen  Mo- 
tiven absolut  frei  ist. 

Auf  die  Gefahr  hin  pedantisch  zu  erscheinen,  mufs  ich  weiterhin  die 
häufige  Verwendung  offenbarer  Gemeinplätze  in  der  Diskussion  erwähnen. 

Schon  bei  den  Namen  wird  ohne  Unterschied  auch  Typisches  zur 
Deutung  herangezogen.  Zwei  Beispiele:  Auf  S.  18  erscheint  ein  Heide, 
ein  Vandale  aus  den  Lothringern,  namens  Golias,  König  der  bekannten 
Pinconnie.  Ebenso  heifst  ein  gegnerischer  König  im  Trubert  und  im  Än- 
seis  de  C.  (2485  etc.),  vgl.  ähnliche  Namen,  wie  das  häufige  Macabre, 
Lucifer  {Für.  68).  Der  Verfasser  aber  deutet  Golias  auf  Goar.  einen 
Alanen,  den  Gregor  von  Tours  nennt. 

Der  Intrigant  ^es,  Eledtis  heifst  Maugrer,  offenbar  nach  matigre  ge- 
bildet, wie  Malcuidant,  Malcut  und  ahnliche.  Der  Name  wird  (S.  123) 
auf  den  Vandalen  Gelimer  zurückgeführt  (*Galimer  >  *Maligerj. 

Ebenso  bei  der  sachlichen  Vergleichung:  Hier  wird  beispielsweise  beim 
Eledus  eine  Spur  der  Herdkiessage  wiedergefunden,  weil  beide  Eber  und 
Hirsch  jagen,  einen  Löwen  töten,  Kentauren  besiegen  und  mit  Amazonen 
zu  tun  haben.  Bei  der  Jagd  erscheint  dem  Verfasser  die  Erlegung  eines 
Löwen  als  das  Bemerkenswerteste,  'weil  sonst  durchgängig  der  Löwe,  wo 
er  in  der  mittelalterlichen  Epik  auftritt,  als  das  edle,  dem  Helden  be- 
freundete Tier  dargestellt  wird'.  Löwenkämpfe  sind  aber  zahlreich:  Auf 
den  Löwenkampf  Pipins,  Pepin  qui  ocist  le  Hon,  wird  ja  oft  genug  ange- 
spielt; in  Berthe  as  grans  pies  (43  ff.)  wird  er  erzählt.  Ein  anderer,  den 
der  Verfasser  als  'Ausnahme'  (172 2)  nennt,  findet  sich  im  Boeve  de  H.  1700; 
weitere  ausführlich  beschriebene  im  Aiol  1301;  Parxival  9228  (GavainI) 
und  aus  diesem  abgeschrieben  Cristal  4177.  Nicht  anders  die  Eber-  und 
Hirschja^d,  für  die  man  mir  Beispiele  beizubringen  ersparen  wird.  Auch 
der  Sagittaire  kommt  oft  genug  vor:  Im  Oristal,  jenem  geschickten 
Flickwerk  aus  klassischen  Zitaten  und  Gemeinplätzen,  erlegt  der  Held 
ein  solches  Wesen.  Vgl.  weiterhin  Ro.  XXXII,  380  und  eine  mittelalter- 
liche Abbildung:  Oaxette  des  beaux  arts,  1900.  XXIV,  S.  107.  Auch  die 
Amazonen  gehören  doch  wohl  zu  den  Fabelwesen,  die  gemeinhin  bekannt 
waren.  Ihre  Heimat  Femenie  wird  überall  genannt.'  Kein  Wunder,  da 
doch  beide  Figuren  dem  so  allgemein  bekannten  Trojaroman  angehörten. 

Der  Verfasser  sieht  nun  besonders  darin  eine  Bestätigung  seiner  An- 
sicht, dafs  diese  Motive  in  beiden  Werken  gepaart  erschemen  (doch  auch 
im  Roman  de  Troie!).  Als  Argument  mag  das  gelten.  Um  aber  auf 
einem  solchen  die  Verwandtschaft  zweier,  Jahrtausende  auseinanderlie- 
genden Dichtungen  aufzubauen,  dazu  taugt  es  doch  nicht. 

Noch  ein  letzter,  die  Methode  betreffender  Punkt.  Man  sollte  nie  ein 
volkstümliches  Gedicht  auf  seine  Quellen  hin  untersuchen,  ohne  vorher 
mittels  philologisch-logischer  Analyse  versucht  zu  haben,  seine  Komposi- 
tion zu  erkennen.  Wie  bei  einer  archäologischen  Ausgrabung  die  Schich- 
ten auseinandergehalten  werden  müssen,  so  auch  in  der  Dichtung,  wenn 
wir  nicht  Heterogenes  vermischen  wollen.  Soweit  ich  sehe,  hat  der  Ver- 
fasser keine  einzige  der  Dichtungen  einer  solchen  Analyse  unterzogen. 

Beim  Bueve  de  Hanst.,  den  er  S.  338  ff.  bespricht,  ist  eine  solche  un- 
erläfslich:  Von  den  zwei  Verbannungen  des  Bueve  kann  nur  eine  ur- 
sprünglich sein ;  sie  sind  beide  kunstlos  aneinandergereiht.  Welche  ist  die 
alte,  welche  die  Wiederholung?  Die  zweite  ist  auf  einer  fränkisch- 
historischen Novelle  aufgebaut,  die  in  Regmonis  Chron.  (ad.  870)  erzählt 
wird:  Ein  Prinz  versucht  einem  Vasallen  das  Pferd  abzunehmen  und 
kommt  dabei  um,  der  Vasall  geht  in  die  Verbannung  (vgl.  GrÖbers  Grdr. 
II,    1,   S.  451).    Beide  Verbannungen  aber  entlehnen  ihre  Motive  inter- 

*  FefMnie  als  Frauenland  s.  AJort  Aymeri  Index.  Grodefroi  hat  vier  weitere 
Beispiele. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  215 

nationalen  Sagen  und  Märchen  typen,  die  sich  in  Mainet,  Kaiser  Oktavian, 
Appoloniiis  von  Tyrus,  Flore  und  Blanchefleur  zum  Teil  wiederfinden.  Und 
hier  haben  des  Verfassers  Nachweise,  soweit  sie  nicht  historische  Remini- 
szenzen betreffen  (er  sucht  solche  in  Armenien  und  Persien),  ihren  Wert 
als  Zuflüsse  zum  Detail.  Dafs  aber  Buevc  ein  armenischer  Prinz  Bab  sei, 
das  ist  ausgeschlossen.  Da  der  Bruder  des  fränkischen  Helden  in  der 
Pferdediebstahlsepisode  Bivinus  heifst,  so  könnte  man  nach  des  Verfassers 
eigener  Methode  den  Namen  hierher  ableiten. 

Dem  Charakter  des  Buches  entsprechend  wie  dem  Gewicht,  das  der 
Verfasser  selber  auf  die  Methode  legt  (S.  1,  5),  hat  die  Besprechung  sich 
vorwiegend  mit  Fragen  allgemeiner  Natur  beschäftigen  müssen.  Eine  kurze 
Übersicht  des  Inhalts  möge  dafür  entschädigen: 

Sehr  wertvoll  ist  im  ersten  Aufsatz  Oarin  le  Loherain,  Rolandslied 
und  Hervararsaga,  die  Parallele  zwischen  letzterer  nebst  der  Örvar-Oddsaga 
einerseits  und  Roland-Oirart  v.  Vienne  anderseits.  Örvar-Odd  (Pfeilspitze) 
und  Hjalmar  sind  nach  einem  Zweikampf  Waffenbrüder  geworden,  Hjal- 
mar  mit  seines  früheren  Gegners  Schwester  Ingeborg  verlobt.  In  einem 
Kampfe,  den  die  beiden  neuen  Freunde  gegen  überlegenen  Gegner  kämpfen, 
einem  Kampfe,  der  mehr  wie  eine" Analogie  mit  Roncesrals  zeigt,  fällt 
Hjalmar.  Örvar-Odd  kehrt  zurück  und  meldet  seinen  Tod.  Ingeborg 
stirbt  daraufhin. 

Diese  schöne  Sage  ist  mit  jener  im  Roland  und  Oirart  v.  Vienne 
untergegangenen  sicherlich  identisch,  und  diese  Identität  wird  durch  die 
Namengleichheit  des  Bruders  der  Heldin  Örvar(-Odd)  =  Olivier  (volks- 
etymologisch aus  *Orvrier  *01vier)  bestätigt.  Die  nordische  Sage  soll 
auf  Traditionen  des  !^  Jahrhunderts  zurückgehen,'  so  dafs  also  die  ver- 
wandten Dichtungen  auf  gemeinsame  Quellen  zurückzuführen  wären  und 
es  ausgeschlossen  scheint,  dafs  wir  es  lediglich  mit  einer  Nachahmung 
des  Rolandsliedes  und  seiner  Voraussetzung  zu  tun  haben. 

Ob  man  nun  mit  dem  Verfasser  den  Namen  Alda  auf  eine  aus  einer 
anderen  nordischen  Sage  geholte  Alfhildr  zurückführt  oder  mit  mir  an 
Hilde  denkt,  gleichviel:  wir  haben  es  in  Besprochenem  mit  einem  Nach- 
weis von  aufserordentlicher  Wichtigkeit  zu  tun,  der  alles,  was  bisher  über 
Roland-Olivier-Alda  gesagt  worden  ist,  modifiziert. 

Annehmbarer  als  der  byzantinisch-historische  Ursprung  des  Eledus- 
romans  ist  der  Nachweis  antiker  Elemente  in  ihm  (S.  135).  Der  Raub 
der  Serena  scheint  unter  dem  Einflufs  des  Raubes  der  Helena  zu  stehen. 
Wie  Paris  durch  Venus  hierzu  verlockt  wird,  so  hier  Maugrer  durch  eine 
dragonesse,  eine  natürliche  Vertretung  der  Liebesgöttin  nach  mittelalter- 
licher Anschauung.  Diese  Verwendung  von  Motiven,  die  natürlich  nicht 
auf  sagenhafter  Überlieferung  beruhen,  sondern  literarischen  Quellen  ent- 
stammt, stimmen  zu  den  Amazonen  und  Zentauren  {Sagittaire)  des  Troja- 
romans  in  auffallender  Weise.  Die  Ähnlichkeit  der  Namen:  Gemenas  = 
Agamemnon ;  Manimus    —  Menelaos  möge  erwähnt  werden. 

Ingeniös,  wenn  auch  weniger  geeignet  als  festes  Resultat  der  Lite- 
raturgeschichte einverleibt  zu  werden,  ist  der  Versuch  der  Quellenbestim- 
mung des  Aigar  und  Maurin:  Die  Weifsen  und  Roten,  die  auf  beiden 
Seiten  kämpfen,  werden  auf  Parteien  der  byzantinischen  Rennbahn,  die 
ganze  Erzählung  auf  den  Konflikt  zwischen  Belisar  und  Justinian  zurück- 
geführt, den  ja  der  Verfasser  gleich  mir  auch  in  einer  Stelle  des  Ogier 
wiedersieht.  Wenn  auch  aus  Gregor  von  Tours  hervorgeht;  dafs  die 
Franken  im  6.  und  7.  Jahrhundert  die  Bedeutung  des  byzantinischen 
Zirkus  kannten  (vgl.  dort  V,  30.    VI,  30),  so  scheint  mir  ein  Zirkusstreit 

*  S.  67*  nach  Boer,  Altnord.  Saga-Btbl.  IL,  Halle  1892,  S.  XV.  Mogk  in 
Pauls  Grtiftdiifs  11.,  S.  836 — 837. 


216  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

wenig  geeignet,  episch  umgeformt  werden  zu  können.  Dazu:  Finden  sich 
zu  den  Weifsen  und  Roten  in  der  Kreuzzugsdichtung  nicht  Analoga?  — 
Der  Verfasser  erwähnt  nicht,  dafs  im  Gedicht  typische  Figuren  der 
Girartdichtung  vorkommen,  dafs  die  angebliche  Bastardschaft  des  Königs- 
sohnes  ein  sehr  charakteristisches  Motiv  ist,  das  in  altem  romanischen 
Sagengut  immerhin  eher  zum  Kärlingerepos,  als  zu  fremder  Sage  gehört. 
Einzelne  Szenen  sind  echt  fränkisch,  und  ich  werde  noch  Gelegenheit 
haben,  solches  hier  darzulegen,  wenn  auch  auf  diesem  Wege  über  den 
Ursprung  der  Sage  über  Vermutungen  nicht  hinauszukommen  ist. 

Im  vierten  Aufsatz,  Öenerides,  werden  zu  diesem  mittelenglischen 
Roman  Beziehungen  zur  Geschichte  Kaiser  Zenos',  zu  indischer  und  per- 
sischer Sage  besprochen.  Wenn  wir  von  den  historischen  Parallelen  ab- 
sehen, so  handelt  es  sich  hier  um  sichere  und  interessante  Nachweise: 
Dem  Öenerides  entspricht  einerseits  die  indische  Sahmtalasage,  anderseits 
zwei  offenbar  sagenhafte  Erzählungen  aus  Firdusis  Königsbuch. 

Bemerkt  mufs  freilich  werden,  dafs  man  sich  hier  vor  dem  Fehler  zu 
hüten  hat,  den  wir  alle  schon  gemacht  haben,  solche  Verwandtschaft  mit 
der  Methode  historisch-epischer  Forschung  zu  treiben.  Eine  Prüfung  kann 
hier  nur  'folkloristisch'  sein  und  wird  über  eine  Sammlung  der  verwandten 
Märchentypen  nicht  hinausgehen.  Die  gegebene  Sammlung  aber  liefse 
sich,  besonders  eine  solche  zum  Sakuntalatkema '  aus  fränkischer  Sage,  aus 
UOl  Nacht  und  sicher  auch  aus  anderen  Märchen-  und  Novellensamm- 
lungen leicht  vermehren.  Bei  dem  Verhältnis  der  Stiefmutter  zum  Helden 
durfte  ein  Hinweis  auf  Syntipas  und  besonders  Dolopathos  nicht 
fehlen. 

Aus  den  Nachträgen  schliefslich  seien  hervorgehoben :  IV.  Über  einige 
altfranzösische  Schwertnamen;  VII.  Zur  Olafsage  (Volkslied  vom  König 
Eenaud.)',  XI.  Die  Majoriansage,  wo  in  interessanter  Weise  darauf  auf- 
merksam gemacht  wird,  dafs  dieselbe  Verkleidung,  die  Pseudoturpin  u.  a.  m. 
von  Karl  dem  Grofsen  erzählen,  in  Prokops  Vandalenkrieg  von  Majorianus 
berichtet  wird;  XIV.  Über  den  episch  -  französischen  Namen  Naime. 
S.  379  Ganseron  (aus  Anseis  de  Cart.)  =  Genserich. 

Eine  erschöpfende  Behandlung  aller  bemerkenswerten  Erörterungen 
und  Fragen,  die  der  starke  Band  aufwirft,  ist  natürlich  unmöglich. 

München.  Leo  Jordan. 

The  chronicle  of  Morea,  edited  in  two  parallel  texts  from  the  Mss. 
of  Copenhagen  and  Paris,  with  introduction,  critical  notes  and  indices, 
by  John  Schmitt,  Ph.  D.  (Byzantine  Texts,  ed.  by  J.  B.  Bury).  Lon- 
don, Methuen  &  Co.,  1904.    XCII,  640  S. 

Eine  Verschronik  aus  dem  griechischen  Mittelalter,  die  in  einer  Samm- 
lung byzantinischer  Texte  erschienen  ist,  hat  auf  den  ersten  Bhck  kaum 
auf  die  Teilnahme  des  auf  die  Erforschung  westeuropäischer  Kultur  ge- 
richteten Neuphilologen  zu  rechnen.  Das  wäre  vollständig  richtig,  wenn 
der  Begriff  'mittelgriechisch'  oder  'byzantinisch'  wirklich  etwas  so  Exklu- 
sives, von  Westeuropa  scharf  Getrenntes  wäre.  Leider  ist  man  sich  selbst 
in  Fachkreisen  über  die  Dauer  der  echt  byzantinischen  Welt  noch  nicht 
einig:  die  landläufige  Abgrenzung  durch  das  Jahr  1453  kann  nur  für  die 
politische  Geschichtsforschung,  nicht  aber  für  die  kulturelle  und  literarische 
Itig  sein.  Das  byzantiniscne  Reich  bestand  wohl  noch  bis  zur  tür- 
ächen  Eroberung,  die  spezifisch  byzantinische  Kultur  aber  hatte  schon 


*  Ein  König  findet  bei  einer  Jagd  eine  Jungfrau,  die  er  durch  Versprechun- 
gen u.  a.  verfuhrt.  Später  zieht  ihm  dann  ein  Sohn  aus  diesem  freien  Bunde  zu, 
den  er  anerkennen  mufs. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  217 

1204,  mit  der  Eroberung  Konstantinopels  durch  die  Lateiner,  also  250  Jahre 
früher,  ihr  Ende  gefunden:  mit  dem  Eindringen  okzidentalischen  Geistes 
in  das  orientalisch  -  byzantinische  Wesen  ist  es  mit  der  geistigen  Herr- 
schaft des  Byzantinertums  vorbei.  Mit  dieser  Tatsache  hat  z.  B.  Krum- 
bacher, der  beherrschende  Darsteller  der  byzantinischen  Literatur,  nicht 
genügend  gerechnet,  wenn  er  in  seinem  Werk  auf  Grund  eines  rein  äufser- 
lichen,  sprachlichen  Unterschiedes  einen  eigenen  Teil  als  Vulgärliteratur 
gesondert  behandelt  hat,  der  innerlich  ganz  heterogene  Elemente  umfafst; 
denn  nur  etwa  die  Hälfte  der  dort  charakterisierten  Produkte  sind  auf 
rein  byzantinischem  Boden  gewachsen,  die  übrigen  sind  erst  unter  dem 
befruchtenden  Einflufs  romanischer  Phantasie  zustande  gekommen  und 
gehören  daher  gar  nicht  mehr  zur  byzantinischen,  sondern  zur  neugriechi- 
schen Literatur,  jedenfalls  zu  dem  Übergang  zwischen  beiden.  Referent 
hat  diese  Auffassung  in  seiner  Darstellung  der  neugriechischen  Literatur 
(P.  Archiv  Bd.  0X1,  S.  247)  zur  Geltung  zu  bringen  versucht. 

Zu  dieser  Gruppe  von  Erzeugnissen  einer  ausgesprochenen  Misch- 
kultur gehört  auch  die  sogenannte  Chronik  von  Morea,  und  darum  recht- 
fertigt sich  auch  ein  Eingehen  auf  sie  an  dieser  Stelle. 

Über  den  Inhalt  der  Chronik  s.  die  Charakteristik  von  Krumbacher, 
Gesch.  der  hyxant.  Lit.'^  ^  8tj(),  und  die  eingehende  Analyse  in  der  vorlie- 
genden Ausgabe  S.  LXVII  ff.  Zur  Orientierung  hier  nur  so  viel:  der 
Chronist  schildert  aufser  der  Eroberung  Konstantinopels  die  fränkische 
Herrschaft  im  Peloponnes  vom  Jahre  1201 — 1202,  besonders  die  Ereignisse 
unter  Wilhelm  IL  Ville-Hardouiu,  mit  besonderer  Hervorhebung  der 
Feudalsitten,  der  Beratungen  des  'Oberhofes',  überhaupt  der  diplomatischen 
und  juristischen  Einzelheiten,  während  die  kriegerischen  Ereignisse  auf- 
fallend zurücktreten.     Vgl.  S.  XL  f.  der  Einleitung. 

Die  vorliegende  Ausgabe  ist  nicht  die  erste  des  Werkes  überhaupt, 
wohl  aber  die  erste  von  rein  philologischem  und  literarischem  Standpunkt 
befriedigende.  Schon  vor  80  Jahren  (1825)  hat  der  Franzose  J.  A.  Buchon 
die  Chronik  zuerst  herausgegeben  und  mit  einer  französischen  Übersetzung 
begleitet  unter  dem  Titel:  Chronigtie  de  la  conquete  de  Constantinople  et 
de  V etahlissement  des  Fran^ais  efti  Moree,  ecrite  en  vers  politiques  par  un 
auieur  anonyme  etc.  d'apres  le  manuscrü  grec,  Paris  1825. 

Diese  Ausgabe  hatte  aber  den  Mangel,  dafs  sie  zunächst  nicht  auf 
der  besten  Handschrift  beruhte  und  sodann,  dafs  sie  die  Chronik  zu  ein- 
seitig als  historische  Quelle  behandelte.  Schmitt  hat  nun  in  der  Einlei- 
tung seiner  neuen  Ausgabe,  die  u.  a.  die  textkritischen  Ergebnisse  einer 
früheren,  als  Dissertation  erschienenen  Untersuchung  zusammen fafst,  das 
Denkmal  vornehmlich  betrachtet  ^as  the  chief  literary  monument  of  the 
Frankish  period  . . .'.  Denn  als  Geschichtswerk  ist  es  durch  des  Italieners 
S  a  n  u  d  0  'Istorm  del  Begno  di  Romania'  (bei  Hopf,  Chroniques  greco-romanesj 
Berlin  1873)  längst  als  unglaubwürdig  erwiesen  (s.  Schmitt  S.  XL VIII  f.). 
Buchon  war  auch  der  Ansicht,  dafs  die  griechische  Chronik  nur  eine  Bearbei- 
tung des  französischen  'liire  de  la  conqueste'  sei,  eine  Ansicht,  die  Schmitt 
S.  XXX  ff.  mit  guten  Gründen  zurückweist  zugunsten  einer  Priorität 
der  griechischen  Fassung.  Übrigens  ist  diese  Frage  ohne  jede  Bedeutung 
für  nationale  Tendenzen,  denn  auch  aus  der  griechischen  Form  spricht 
durchaus  französische  Gesinnung  und  heftiger  Griechenhafs,  so  dafs  man 
es  im  Grunde  mit  einem  französischen  Erzeugnis  zu  tun  hat,  jedenfalls 
mit  einem  solchen,  das  durchaus  okzidentalisch-mittelalterlichen  Charakter 
trägt.  Es  ist  Schmitts  Verdienst,  diese  Zugehörigkeit  der  Chronik  zu  un- 
serer westlichen,  nicht  zur  byzantinischen  Kulturspäre  zuerst  klar  erkannt 
und  deutlich  ausgesprochen  zu  haben:  'Looked  at  in  this  light  (der  An- 
w^endung  der  Volkssprache),  our  Chronicle  is  closely  connected  ivith  the  lite- 
rature  of  the  West,  especially  that  of  France,  and  it  can  favourably  compete 
iciih  many  of  the  old  chansons  de  geste,   in  which  hisiory,   legeyid  and 


218  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

poetical  Imagination  are  closely  united.  It  is  Oreek  only  in  language,  hut 
thoroughly  French  in  its  literary  form  and  in  its  spirit.  (S.  XLIII.)  Vgl. 
auch  S.  XLVI  über  den  wahrscheinlichen  Einflufs  altfranzösischer  Ro- 
manzen und  S.  LVI  über  die  Wiederbelebung  der  neugriechischen  Volkp- 
poesie  durch  den  romanischen  Geist  überhaupt,  worin  er  sich  mit  der  Auf- 
fassung des  Referenten  berührt.  Interessant  ist  auch  der  Hinweis  auf  das 
verschiedene  Schicksal  der  französischen  Eroberer  in  England  und  Griechen- 
land S.  LI.  LVII. 

Noch  interessanter  wäre  ein  anderer  Nachweis,  den  Schmitt  S.  LVIII  ff. 
zu  führen  versucht,  wenn  er  ihm  gelungen  wäre,  nämlich  der,  dafs  Goethe 
die  Chronik  von  Morea  als  Quelle  zur  Helena-Episode  in  Faust  II  be- 
nutzt habe.  Obwohl  der  Herausgeber  seine  Gedanken  hierüber  in  einem 
eigenen  Vortrag  ausführlich  dargelegt  hat  (Hochschul -Vorträge  für  jeder- 
mann, Heft  34/35),  so  mufs  Referent  leider  bekennen,  dafs  er  der  Begrün- 
dung dieser  Gedanken  nicht  beizustimmen  vermag,  dafs  ihm  vielmehr 
diese  Begründung  einen  sehr  gezwungenen  Eindruck  macht.  Gewifs  wäre 
zu  wünschen,  dals  der  Verfasser  recht  hätte,  denn  dann  wäre  unsere 
Chronik  mit  einem  Schlage  aus  der  Verachtung  in  den  Uterarischen  Adels- 
stand erhoben,  so  aber  gesellt  sich  sein  Versuch  zu  den  vielen,  die  die 
Goethe-Philologie  auf  dem  Gewissen  hat,  und  es  wäre  besser  gewesen, 
er  wäre  ganz  unterblieben,  denn  Positives  bietet  er  gar  nicht,  er  bewegt 
sich  vielmehr  in  reinen  Hypothesen  und  in  äufserst  gewagten  Deutungen, 
wie  z.  B.  dafs  Goethes  Kenntnis  der  Chronik  einen  Wendepunkt  bilde  in 
der  Entstehungsgeschichte  der  'Helena'.  Das  heilst  doch  philologisches 
Quellenstudium  und  dichterisclie  Inspiration  arg  miteinander  verwechseln. 

Im  übrigen  verdient  die  neue  Ausgabe  der  Chronik  schon  darum 
hohes  Lob,  weil  es  die  erste  mit  allen  Mitteln  textkritischer  Forschung 
hergestellte  Ausgabe  eines  vulgärgriechischen  Werkes  ist.  Mögen  ihr  bald 
ebenbürtige  folgen  aus  der  Gruppe  der  auch  für  den  Romanisten  wich- 
tigen  griechisch-romanischen  Volksliteratur  des   11. — 17.  Jahrhunderts. 

"    ■       ■  "  K.  Dieterich. 

Edmond  Hugnet,  Les  m^taphores  et  les  comparaisons  dans  Foeuvre 
de  Victor  Hugo.  Le  sens  de  la  forme  dans  les  ra^taphores 
de  Victor  Hugo.     Paris,  Hachette,  1904,  in-S«  de  VIII— 392  p. 

En  1888,  M.  Georges  Duval  a  publik  un  Dictionnaire  des  metaphores 
de  Victor  Hugo,  pr^c^d^  d'une  pr^face  de  M.  Fran§ois  Coppee.  La  preface 
n'avait  pas  grande  port^e,  et  le  dictionnaire  ^tait  m^diocre.  Aussi  n'est 
il  pas  etonnant  qu'un  philologue  de  grand  merite,  M.  Edmond  Huguet, 
professeur  ä  la  Faculte  des  Lettres  de  l'Universit^  de  Caen,  ait  entrepris  de 
remplacer  par  un  recueil  complet  et  möthodique  le  recueil,  d'ailleurs  ^puis^ 
en  librairie,  de  M.  Duval. 

Son  dictionnaire  termine,  M.  Huguet  a  sans  doute  songe  ä  le  faire 

Srecöder  d'une  introduction,  qui  obvierait  aux  inconv^nients  inevitables 
'un  r^pertoire  par  ordre  alphab^tique,  en  rapprochant  ce  qui  peut  6tre 
rapproche,  en  classant  les  divers  proc^d^s  plus  ou  moins  consciemment 
mis  en  oeuvre  par  l'imagination  du  po^te,  en  d^terminant  la  nature  et  les 
lois  de  cette  imagination  prodigieuse.  Täche  d^licate,  et  surtout  täche 
agr^able!  L'auteur  s'y  est  si  bien  complu,  qu'il  a  cit^  et  comment^  des 
milliers  de  metaphores  et  que  l'introduction  est  devenue  un  ouvrage  en 
plusieurs  volumes.  C'est  le  premier  de  ces  volumea  qui  seul  nous  est 
donn^  aujourd'hui :  il  a  pour  sujet  le  sens  de  la  forme  dans  les  metaphores 
de  Victor  Hugo. 

\  ;En  un   premier  chapitre,   M.   Huguet  Studie  la  nature  de  la   vision 
du  po^te:   il  montre  que  jses  Images  visuelles,  d'abord  nettes  et  exactes, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  219 

sont  ensuite  agrandies  et  transform^es  —  ou  d^form^es  —  par  le  travail 
de  son  esprit,  jusqu'ä  produire  parfois  de  pures  illusions  (en  certains  cas 
volontaires),  des  fantömes  et  des  cauchemars. 

Apr^s  cette  explication  toute  generale,  il  est  temps  de  passer  en  revue 
les  grandee  categories  de  formes  oü  Victor  Hugo  puise  ses  comparaisons 
et  ses  metaphores.  Les  huit  chapitres  qui  suivent  sont  consacres  ä  cette 
revue. 

Chapitre  II:  les  formes  geometriques.  Une  ligne  droite,  comme  le  sil- 
lage  d'un  navire,  rappelle  au  po^te  un  sapin  ou  le  sillon  trac^  par  une 
charrue ;  une  ligne  briste,  celle  que  forment  les  toits  d'une  ville,  par 
exemple,  fait  songer  a  une  scie;  une  spirale,  c'est  l'enroulement  d  un 
perpent;  un  cercle,  c'est  un  carcan  ou  une  couronne,  un  palet  ou  une 
roue  etc. 

Chapitre  III:  les  animatix.  Victor  Hugo  a  toujours  vu  entre  les 
regiies  de  la  nature  de  frappantes  correspondances.  'Tonte  chose,  disait-il, 
se  refl^te,  en  haut  dans  une  plus  parfaite,  en  bas  dans  une  plus  grossi^re, 
aui  lui  ressemblent.'  Et,  par  suite,  d'innombrables  metaphores  devaient, 
dans  ses  ecrits,  rapprocher  un  rocher  perce  de  trous  et  un  zoophyte,  une 
racine  d'arbre  et  un  reptile,  les  flots  de  la  mer  et  un  troupeau,  la  flamme 
d'un  incendie  et  un  cneval  sans  frein,  voire  un  navire  qui  fait  clapoter 
l'eau  et  un  chien  qui  nage,  l'ile  de  la  Cit^  de  Paris  sous  Louis  XI  et  une 
tortue. 

Le  chapitre  IV  ne  s'occupe  plus  des  comparaisons  d'ensemble  avec 
les  animaux,  mais  des  comparaisons  avec  teile  ou  teile  partie  du  corps  de 
l'homme  et  de  l'animal:  une  montagne  a  des  vertfebres,  un  rocher  a  un 
front  et  verse  des  larmes,  la  vague  dresse  la  tete  et  hurle,  la  pioche  est 
un  bec  qui  fouille,  la  lave  est  une  chevelure  qui  se  rdpand  sur  les  ^paules 
du  volcan  . . . 

Un  arbre  n'a  pas  seulement  des  bras  ou  un  torse,  il  peut  sur  son 
ecorce  avoir  des   excroissances  qui  rappellent  des  verrues;   la  montagne 

f)eut  paraitre  une  bosse,  aussi  bien  qu'un  corps  de  g^ant;  la  lave,  au 
ieu  d  une  chevelure  glissant  sur  des  ^paules,  peutetre  le  pus  qui  s'^coule 
d'un  abcfes.  Autrenient  dit,  apr^s  le  corps  de  rhomme  et  de  l'animal,  il 
convient,  dans  les  chapitre  V,  d'^tudier  les  difjformites  et  les  maladies. 

Et,  de  m^me,  le  chapitre  VI  ötudiera  le  vetement,  l'arfnure  et  laparure: 
le  turban  d'Ali  pacha,  qu'on  croit  voir  repr^sente  par  les  murs  de  sa 
citadelle;  le  panache  que  le  feuillage  d'un  arbre  met  sur  une  vieille  tour; 
le  volle  d'or  que  la  flamme  met  au  front  d'une  foröt  ineendiee  . . . 

Tout  ce  aui  se  rapporte  ä  l'homme  et  aux  animaux  ayant  ^tö  ainsi 
examine,  les  cnapitres  VJI,  VIII  et  IX  abordent  d'autres  sources  d'images, 
et  ils  etudient:  Tun  la  Vegetation;  l'autre  la  mer,  le  cours  d'eau,  la  mon- 
tagne, le  troisi^me  V architecture,  ä  laquelle  l'auteur  de  Notre-Dame  de 
Paris  a  toujours  accorde  une  attention  si  passionn^e.  Et,  cette  fois,  ce 
serait  tout,  si  les  metaphores  de  Victor  Hugo  ^taient  purement  descrij)- 
tives;  mais  souvent  elles  sont  appelees  par  la  sym^trie  ou  par  une  anti- 
th^se;  souvent  elles  contiennent  un  symbole,  comme  lorsque  la  tombe 
est  comparee  ä  un  creuset,  ou  les  nuages  de  la  libre  Suisse  ä  un  drapeau. 
II  ne  s'agit  plus  ici  d'un  champ  nouveau  oil  le  'sens  de  la  forme'  qu'on 
a  reconnu  au  pofete  se  serait  exerc^ ;  et,  d^s  lors,  M.  Huguet  a  du  hesiter 
ä  comprendre  une  teile  ^tude  dans  son  livre.  Mais,  si  le  goßt  des  anti- 
th^ses  et  des  symboles  a  donne  au  'sens  de  la  forme'  chez  Victor  Hugo 
de  puissantes  raisons  de  s'exercer,  convient-il  de  les  passer  sous  silence? 
et,  si  un  chapitre  sur  les  antitheses  et  les  symboles  risque  de  revenir  sur 
ce  qui  a  et^  dit  anterieurement,  est-ce  lä  un  obstacle  insurmontable? 
'Les  symboles  et  les  antitheses,  dit  M.  Huguet  p.  329,  abondent  dans  les 
citations  que  j'ai  faites  jusqu'ici.  Aussi  est-ce  un  peu  arbitrairement  que 
je  groupe  dans  ce  chapitre  quelques  exemples  nouveaux.    La  plupart  du 


220  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

temps,  une  m^taphore  de  Victor  Hugo  est  interessante  de  plus  d'une 
fa^on,  et,  parmi  les  citations  qui  vont  suivre,  beaucoup  auraient  pu 
trouver  place  dans  les  chapitres  qui  pr^c^dent.'  Cette  f  ran  che  confession 
suffit  Sans  doute  ä  faire  tomber  les  objections  qu'on  aurait  pu  Clever 
contre  le  chapitre  X. 

La  conclusion,  qui  vient  ensuite,  insiste  sur  ce  qu'ont  de  naturel  et 
de  spontane  les  mötaphores  de  Victor  Hugo.  Un  index  bien  congu  ter- 
mine  le  volume. 

On  voit  quel  est  l'int^ret  du  travail  de  M.  Huguet.  Les  citations  de 
V.  Hugo  y  sont  classees  en  bon  ordre  et  comment^es  avec  une  finesse 
discr^te.  Si  'ce  livre  n'est  pas  autre  chose  qu'un  mus^e',  il  est  juste  de 
dire  que  les  oeuvres  exposees  y  sont  plac^es  sous  le  jour  le  plus  favorable 
et  que  le  catalogue  en  a  et^  r^dige  avec  beaucoup  de  goüt.  A  tout  in- 
stant, la  difficulte  etait  grande  de  ne  dire  que  ce  qui  se  rapportait  au 
'sens  de  la  forme';  ou,  pour  mieux  dire,  il  etait  souvent  impossible  de 
faire  un  d^part  rigoureux  entre  ce  qui  devait  trouver  place  ici  et  ce  qui 
devait  l^gitimement  figurer  ailleurs.  Avec  beaucoup  de  bonne  gräce, 
M.  Huguet,  en  pareil  cas,  a  signal^  lui-meme  ce  que  les  metaphores 
eitles  devaient  au  sens  du  mouvement,  au  sens  de  la  couleur,  ä  Tid^e 
morale,  et,  quand  il  se  sentait  decid^ment  glisser  hors  du  sujet,  il  s'ar- 
r^tait. 

Seulenient,  je  lui  ferai  ici  un  premier  reproche:  pourquoi  ne  nous 
a-t-il  pas  dit  dans  son  avant-propos  comment  il  entendait  diviser  l'ensemble 
de  ses  etudes  sur  les  comparaisons  et  les  m^taphores  du  po^te?  S'il 
l'avait  fait,  teile  ou  teile  objeetion  que  suscite  la  lecture  de  l'ouvrage 
n'aurait  peut-etre  pas  eu  lieu  de  naitre.  Ainsi,  le  livre  de  M.  Huguet 
nous  präsente  pele-mMe  des  ra^taphores  empruntees  ä  tous  les  moments 
de  la  carrifere  de  son  auteur,  il  ne  nous  donne  que  tr^s  exceptionnellement 
des  indications  sur  l'evolution  de  ces  Images,  et  nous  sommes  tent^s  de 
le  regretter.  Mais  la  lacune  que  nous  croyons  voir  etait-elle  inevitable? 
ou  sera-t-elle  comblee  dans  un  prochain  volume?  —  M.  Huguet  reconnait 
en  maints  eudroits  que  certaines  Images  de  Hugo  reprennent  des  m^ta- 
phores  inconscientes  du  langage  courant;  il  remarque  que  le  pofete  *joue 
sur  les  deux  sens  du  mot  lame'  ou  du  mot  fleche  (p.  280,  p.  46);  et  ce- 
pendant  il  parait  croire  qu'en  pareil  cas  ses  Images  sont  le  plus  souvent 
'naturelles  et  spontanees'  et  ont  une  origine  visuelle.  II  se  peut;  mais 
un  ecrivain  qui  adorait  les  alliterations  et  qui  prenait  pour  titres:  vis  et 
vir  ou  huvard  bavard  peut  etre  parti,  pour  tormer  des  m^taphores  sur  les 
l^vres  d'une  plaie,  les  dents  d'une  montagne,  ou  une  foret  de  cheveux, 
des  emplois  que  la  langue  donne  aux  mots  levre,  dent  et  foret.  M.  Huguet 
nous  parlera-t-il  ailleurs  du  sens  du  langage  ou  de  la  mythologie  du  Jan- 
gage dans  les  m^taphores  de  Victor  Hugo? 

Exprimons  un  autre  re^ret.  M.  Huguet  a  not^  avec  soin  l'origine 
de  toutes  ses  citations;  mais  il  a  renvoy^,  pour  chaque  ouvrage,  aux 
volumes  et  aux  pages  de  l'edition  dite  ne  varietur,  du  format  in-8".  Or 
les  editions  de  Victor  Hugo  sont  trfes  nombreuses,  celle  dont  M.  Huguet 
s'est  servi  n'est  meme  pas  la  plus  repandue,  et  les  verifications  deviennent 
ainsi  bien  difficiles.  N'eüt-il  pas  ^te  bon  d'ajouter  aux  indications  adop- 
tees  les  divisions  r^glees  par  l'auteur:  acte  et  scfene  pour  le  theätre;  partie, 
livre  et  chapitre  pour  les  romans;  lettre  pour  le  Rhin;  livre  et  num^ro 
pour  les  po^sies,  etc.  ...? 

Sur  le  detail  j'aurai  peu  de  remarques  ä  faire.  Voici  d^abord  un 
exemple  (^ui  ne  me  parait  pas  tr^s  bien  choisi. 

On  lit  p.  21  et  22:  'Bien  moins  souvent  que  la  r^duction  du  grand 
au  petit,  on  trouve  chez  Victor  Hugo  le  grossissement.  C'est  d'ailleurs 
une  manifestation  de  la  m^me  habitude  de  comparaison,  de  la  tendance  k 
suivre  une  forme  ä  travers  les  changements  de  directions  ...: 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  221 

^    Une  cloehette  bleue  trembiait  au  veiit  et  toute  uiie  natioii  de  puceroiis  s'etait 
abritee  sous  cette  enorme  tente.  \Le  Rhin,  II,  235. 

L'iusecte  est  au  bout  du  brin  d'herbe 
Comme  un  matelot  au  grand  mät. 

Les  chonsons  des  rues  et  des  bois^   204.* 

Au  preraier  coup  d'ceil,  ces  deux  citations  paraissent  offrir  des  ni^taphores 
tout  ä  fait  analogues;  mais,  ä  vrai  dire,  il  u'en  est  rien.  C'est  le  pofete 
qui  (jrossit  l'insecte  et  le  brin  d'herbe  jusqu'ä  voir  eii  eux  un  matelot  et 
un  grand  mät;  mais  ce  sont  les  pucerons  qui,  tout  naturellement,  voieut 
dans  la  cloehette  bleue  oü  ils  s'abritent  une  Enorme  teute.  IIa  fönt 
comme  la  fourmi  de  La  Fontaine,  perdue  dans  l'ocean  d'un  clair  ruisseau 
(Fables,  II,  12),  et  le  pofete,  en  ce  cas,  n'a  rien  ä  grossir. 
i^L'exemple  suivant  demanderait  ä  6tre  compl^t^. 

On  lit,  p.  r>7  et  38,  que  le  pofete  change  en  spectre  la  comfete,  cette 
effrayante  apparition : 

£t  soudain,  comme  un  spectre  entre  en  une  maison, 

Apparut,  par-dessus  le  farouche  h(»rizon, 

Une  flamme  emplissant  des  millions  de  Heues, 

Monstrueuse  lueur  des  immensites  bleues  ... 

£t  l'astre  etfrayant  dit  aux  hommes:  Me  voici! 

La  Legende  des  siecles,  IV,   18. 

A  lire  ces  vers,  on  peut  croire  que  le  po^te  compare,  non  pas  pr^cis^- 
ment  la  comfete  ä  un  spectre,  mais  l'entr^e  niyst^rieuse  de  la  comfete  ä 
Celle  d'un  spectre.  II  eilt  fallu  les  faire  prdcöder  d'autres  vers  de  la 
möme  pifece  (XLVI,  la  Comete),  de  ceux-ci,  par  exemple: 

Ne  questionnez  point  sur  son  itin6raire 

Ce  fantöme,  de  nuit  et  de  clarte  vdtu.  Vers  36—37. 

P.  35,  une  citation  est  peu  compröhensible,  parce  qu'uu  mot  pr^c^- 
demment  exprim^  dans  le  contexte  n'a  pas  6t^  rappelt: 

Dans  les  bois,  mes  royaumes, 

Si  le  soir  l'air  bruit, 

Qu'il  semble,  a  voir  leurs  dömes, 

Des  tStes  de  fantömes 

Se  heurtant  dans  la  nuit. 

Ödes  et  Ballade/t,  428—429. 

Au  Heu  de  que,  entendez :  pourvu  que  (Ödes,  V,  25). 

M.  Huguet,  qui  prend  d'ordinaire  grand  soin  de  donuer  les  explica- 
tiouö  n^cessaires  pour  que  les  metaphores  soient  intelligibles,  aurait  pu 
prendre  une  pr^caution  semblable  pour  les  suivantes: 

P.  1.58.  Les  sorbiers,  les  lilas  ... 

Semblaient  se  divertir  ä,  faire  les  coulixses, 

Et  pour  nous  voir,  ouvrant  leurs  fleurs  comme  des  yeux, 

Joignaient  aux  vioions  leur  murmure  joyeux. 

Lts  ContemplatlonSf  91. 

(Le  mot  coidisses  est  obscur,  si  l'on  ne  fait  pas  pr^c^der  la  citation  de 
cet  autre  vers,  livre  I,  pifece  22,  v.  17: 

A  midi  le  spectacle  avec  la  m61odie.) 

P.  181.     Les  grands  arbres  profonds  qui  vivent  dans  les  bois, 
Tous  ces  vieillards,  les  ifs,  les  tilieuls,  les  6rable3, 
Les  saules  tout  rid6s,  les  ebenes  vendrabies, 


'222  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

L'orme  au  branchage  noir,  de  mousse  appesanti, 
Comme  les  ul6mas  quand  parait  le  muphti, 
Lui  fönt  de  grands  saluts  et  courbent  jusqu'ä  terre 
Leurs  t^tes  de  feuillee  et  leurs  barbes  de  lierre. 

ie*   Contemplafions,  I,   15 — 16. 

{Lui,  c'est  le  pofete;  et  la  pi^ce  commence  par: 

Le  pofete  s'en  va  dans  les  champs.          Livre  I,  pi6ce  2.) 

P.  191.     Vous  pouvez,  gräce  au  chiffre  escorte  de  z6ros, 

Prendre  aux  cheveux  l'etoile  ä  travers  les  barreaux! 

La  Legende  des  siecles,  IV,  13. 

( Vous,  ce  sont  les  savants ;  et  il  eüt  ^t^  bon  de  citer  quelques  vers  encore, 
avant  et  apr^s  ceux  que  M.  Huguet  a  choisis: 

Vous  avez  dans  la  cage  horrible  vos  entrees!  ... 
Vous  connaissez  les  moeurs  des  fauves  m^t^ores  ... 
Vous  allez  et  venez  dans  la  fasse  aux  soleils! 

XLVI,  La  Comete,  v.   124—130.) 

A  le  page  354,  ä  propos  d'une  th^orie  sur  l'alphabet  exposöe  dans 
une  lettre  du  26  septembre  1839,  M.  Huguet  met  en  note:  'Nous  voyons 
d^jä  l'y  servir  de  point  de  comparaison  dans  le  Rhin  (I,  423)'.  II  y  avait 
lieu  aussi  de  renvoyer  ä  un  passage  du  Rhin,   II,  25 — 26,  cit^  page  252. 

Et  voici  enfin  quelques  fautes  d 'Impression.  P.  103,  au  lieu  de:  'la 
pompe  ...  crache  avec  fureur  un  jet  d'acier  sur  l'^pou  van  table  chimere 
a  mille  tetes  (la  flamme)',  il  faut  lire:  un  jet  d'acier  liquide  (Le  Rhin, 
I,  270—271,  lettre  19:  la  citation  est  faite  exactement  p.  138;.  —  P.,^187, 
une  virgule  est  necessaire  ä  la  fin  du  premier  vers  de  La  Legende  des  siecles, 
III,  272  (XLI,  V.  111): 

Je  (l'Oc^an)  suis  TOnde  en  sa  tauiäre 
Que  prennent  ä  la  criniöre 
Les  quatre  vents. 

P.  285,  il  faut  lire:  de  toutes  parts. 

Montpellier.  Eugene  Rigal. 

Baldensperger,  F.,  Goethe  en  France.   Etüde  de  litt^rature  compar^e. 
Paris,  Hachette,  1904.     392  S. 

Goethe  hat  Frankreich  aus  eigener  Anschauung  nicht  gekannt.  Sein 
Strafsburg  kann  nicht  als  französische  Stadt  gelten  und  seine  'Kampagne 
in  Frankreich'  nicht  als  französische  Reise.  Der  Einladung  Napoleons, 
nach  Paris  zu  kommen,  ist  er  nicht  gefolgt.  Aber  mit  der  Literatur  dieses 
ungekannten  Landes  war  er  wie  kein  zweiter  vertraut.  Er  hat  tiefe  und 
vielgestaltige  Anregung  aus  ihr  empfangen,  und  wenn  er  in  jüngeren 
Jahren  mit  Ungeduld  die  Blätter  der  Grimmschen  Correspondance  litte- 
raire  erwartete,  so  las  er  im  Alter  eifrig  den  Olobe.  Er  hat  Frankreich 
auch  viel  gegeben.  Welches  das  Schicksal  seiner  Werke  in  Frankreich 
gewesen  ist,  seit  Werther  1776  drüben  bekanntgeworden;  wie  seine  Kunst 
und  Weltanschauung  gewirkt,  wie  das  Urteil  über  den  Dichter,  den  For- 
scher und  den  Menschen  im  Laufe  der  Zeit  sich  gestaltet  hat,  das  will 
Baldensperger  zeigen.* 


*  Der  Name  Goethe  hat  den  Franzosen  jederzeit  Schwierigkeiten  bereitet. 
Wir  finden  Monsieur  Scheet  1801  (Rev.  d'histoire  Hit.  de  la  France  II,  200).  Napo- 
leon, der  den  Klang  des  Namens  durch  das  Ohr  au%enommen,   pflegte  zu  fragen: 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  223 

Sein  Buch  beruht  auf  der  umfassendsten  Information ;  *  es  ist  ein 
Werk  unverdrossener  Forschung,  solidester  Fundamentierung;  ein  kom- 
paktes Gefüge  von  zahllosen  Bausteinen.  Aber  keine  rudis  raoles,  sondern 
ein  schöner,  heller,  vierteiliger  Bau:  aus  der  Vorhalle,  die  nach  Werther 
benannt  wird,  treten  wir  in  den  dämmerigen  Kaum,  wo  Faust  und  die 
Gestalten  der  Balladen  uns  empfangen ;  daran  schliefst  sich  der  hohe  Saal, 
den  Goethes  griechische  Schöpfungen,  seine  Philosophie  und  Wissenschaft 
erfüllen,  und  endlich  das  Sanktuarium :  La  persomialite  de  Goethe. 

B.s  Darstellung  ist  künstlerisch  auch  im  Stil ;  er  schreibt  formvollendet. 
Er  schreibt  auch  in  dem  unparteiischen,  freien  Geiste,  den  die  verglei- 
chende Literaturforschung  verlangt,  zu  deren  hervorragendsten  Vertretern 
er  gehört  (cf.  hier  CXIII,  48b).  Ihm  verdankt  Frankreich  das  erste  Buch 
über  Gottfried  Keller.  Ein  Oessner  en  France  ist  1903  in  der  Remte  d'hist. 
litt,  de  la  France  (X,  473)  erschienen. 

Goethe  ist  in  Frankreich  nicht  wirklich  populär  geworden  trotz  des 
breiten  und  tiefen  Stromes  seines  Einflusses.  Mancher  Franzose,  der  die- 
sen Einflufs  in  seinen  Schöpfungen  deutlich  verrät,  hat  ihn  nicht  direkt 
aus  Goethe,  sondern  auf  dem  Umweg  über  allerlei  Interpreten,  Vermittler 
und  Nachahmer  erfahren.  Es  ist  der  Einflufs  eines  Vertreters  der  künst- 
lerischen und  philosophischen  Freiheit,  und  er  ist  auf  allen  Gebieten  mit 
Ausnahme  des  Naturalismus  zu  erkennen. 

Zunächst  ist  Goethe  fünfzig  Jahre  lang  für  die  Franzosen  l'auteur  de 
Werther  geblieben,  obwohl  M'"''  de  Stael  schon  seit  1813  Goethes  Theater 
analysiert,  von  seinen  Balladen  übersetzt  und  von  seinen  Romanen  ge- 
sprochen hatte.  Dann  wird  er  seit  der  Nervalschen  Faustübersetzung  (1828) 
lauteur  de  Faust,  d.  h.  nicht  sowohl  der  Gestalter  des  Faustdramas  als 
der  Bildner  des  Mephisto  und  Gretchens.  Von  seiner  Lyrik  sprechen  die 
Romantiker  nur  die  Balladen  an.  Weder  Wilhelm  Meister  noch  die  Wahl- 
verwandtschaften noch  das  Theater  Goethes  oder  Hermann  und  Dorothea 
vermochten  die  Franzosen  zu  fesseln.  Einzelne  Verehrer  oder  Verehrer- 
gruppen fanden  sich  freilich  auch  für  diese  Werke  und  führten  daraus 
manches  dem  Strom  des  literarischen  Lebens  zu,  so  z.  B.  die  Parnassiens.  ^ 
Geoffroy  St-Hilaire  huldigt  dem  Naturforscher  Goethe,  Renan  und  Taine 
huldigen  dem  Philosophen  und  verkünden,  wie  sein  Weltbild  auf  sie  ge- 
wirkt. 

Fausts  zweiter  Teil  und  Goethes  Lieder  sind,  seit  die  Romantiker  sie 
ablehnten,  auch  zu  Ehren  gekommen. 

Gewifs  gibt  ein  Buch,  das  es  mit  so  feinen  und  so  reichen  geistigen 
Beziehungen  zu  tun  hat,  jedem  Leser  zu  Vorbehalten  Anlafs  und  zu  Nach- 
trägen Gelegenheit.  Geht  nicht  B.  in  der  Vermutung  Goetheschen  Ein- 
flusses in  Einzelheiten  etwa  zu  weit,  während  er  anderes  übersehen  hat? 
Goethe  selbst  hat  z.  B.  auf  das  Plagiat  aufmerksam  gemacht,  das  Stendhal 


Qtt'cn  petve  M.  Götf  Und  so  sprechen  die  Gebildeten  den  Namen  denn  auch  heute 
allgemein,  und  Montesquieu  reimt  Goethe  mit  bleute^  Baldensperger  mit  meute.  Vgl. 
dazu  des  letzteren  Mitteilung  im  Euphorion  IX  (1902),  423 — 26.  Die  Romantiker 
lautierten  ihn  nach  dem  Schriftbild  und  reimten   Goethe  (=  goete)  mit  poete. 

*  Die  Bibliographie  zu  Goethe  en  France  wird  B.  als  besondere  Publikation 
erscheinen  lassen. 

*  Dabei  ist  interessant  zu  sehen,  wie  die  Auffassung  eines  Kunstwerkes  mit 
den  Zeiten  wechselt.  M™^  de  Stael  schon  bewundert  die  Braut  von  Konnth  (De 
rAllemagne  II  cap.  13),  doch  lehnt  sie  die  heidnische  Tendenz  ab.  Auch  die  Ro- 
mantiker halten  sich  ausschliefslich  an  das  Schaurige  der  Vampirsage.  Die  Par- 
nassiens aber  fesselt  gerade  der  Gegensatz  zwischen  christlichem  Asketismus  und 
heidnischer  LebensfüUe,  und  sie  machen  aus  dem  Thema  ein  Bekenntnis  ihres 
Heidentums  (cf.  Baldensperger  p.  246). 


224  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

in  Rome,  Naples  et  Florence  an  seiner  italienischen  Reise  begangen  hat; 
B.,  der  Stendhal  häufig  zu  Wort  kommen  iäfst,  erwähnt  diese  Entlehnung 
nicht.  Im  übrigen  möchte  ich  nur  auf  einen  Punkt  hinweisen,  der  wichtig 
genug  scheint,  einem  so  lehrreichen  Buche  gegenüber  moniert  zu  werden: 
Chateaubriands  Verhältnis  zu  Goethe. 

Chateaubriand  hat  mit  Rene  gewifs  keinen  Änti-Werther  schreiben  wollen 
(S.  39).  Ren6  ist  ein  zweiter  Werther,  ein  Werther,  der,  von  seinem  Selbst- 
mordversuch genesen,  sich  hoffnungsvoll  in  die  Revolution  gestürzt  hat 
und  auch  diesen  Traum  hat  verfliegen  sehen:  er  ist  der  postrevolutionäre 
Werter,  der  Mann  universeller  Enttäuschung.  In  dessen  prahlerischer 
Ausmalung  in  den  Natehex  tut  sich  Chateaubriand  ein  Genüge:  je  m'y 
delectais,  sagt  er.  Er  führt  ihn  an  die  Grenzen  der  Blutschande  und  des 
Lustmordes  und  macht  sozusagen  einen  Werther  rosse  aus  ihm.  Wenn 
er  vom  poison  des  Goetheschen  Werther  spricht,  so  ist  von  seinem  Rene 
zu  sagen,  dafs  er  das  Werthergift  noch  mehr  vergiftet  hat.  Als  er  ein 
Stück  dieses  Rene  dann  in  sein  Oenie  du  christianisme  aufnehmen  w^oUte, 
hing  er  ihm  nachträglich  ein  christliches  Mäntelchen  um.  Aber  damit  hat 
er  den  Geist  des  Rene  nicht  zu  einem  christlichen,  anti-wertherischen  ge- 
macht, sondern  er  hat  blofs  einen  unversöhnlichen  Widerspruch  geschaffen. 
Dans  Rene,  Chateaubriand  a  cache  le  poison  sous  l'idee  religieuse;  c'est  em- 
poisonner  dans  une  hostie,  sagte  Chönedoll^  (cf.  Ste-Beuve,  Ghai,.  et  son 
groupe  litt.  I,  379),  und  so  ist  es.  — 

1873  schrieb  Dumas  fils  als  unrühmliche  literarische.  Rache  für 
1870/71  seine  berüchtigte  Vorrede  zu  Bacharachs  neuer  Faws^Übersetzung, 
die  damit  schliefst,  dafs  Goethe  wohl  ein  grand  ecrivain,  grand  poete, 
grand  artiste  gewesen  sei,  dafs  aber  die  Nachwelt  ihm  das  Prädikat  grand 
homme  versagen  werde:  Orand  homme?  Non!  —  Heute,  dreifsig  Jahre 
später,  bringt  eine  Pariser  Zeitschrift  der  Jungen,  U Erinitage,  revue  men- 
suelle  de  litterature  (1905),  eine  Artikelserie  von  M.  Arnauld  über  La  sagesse 
de  Ooethe,  in  der  Goethe  vorzüglich  als  Lebenslehrer,  als  gröfster  Erzieher 
gepriesen  wird.     Sic  transit  —  infamia  mundi. 

Baldensperger  hat  ein  schönes  Buch  des  Friedens  und  der  gegenseitigen 
Anerkennung  geschrieben,  das  diesseit  und  jenseit  des  Rheins  mit  dem  glei- 
chen Nutzen  und  der  gleichen  Freude  gelesen  werden  mag.         H.  M. 

Hans  Ränke,  Über  die  Sprache  des  französischen  Wallis  in  der 
Zeit  vom  11.  bis  14.  Jahrhundert.  Dargestellt  nach  romanischem 
Sprachgut  in  lateinischen  Urkunden.  Doktordissertation  von  Halle, 
1903.    69  S. 

Die  fünf  Bände  lateinischer  Urkunden  aus  dem  W^allis,  welche  Gre- 
maud  von  1875  an  in  den  Memoires  et  documents  publies  par  la  Societe 
d'histoire  de  la  Suisse  romande  veröffentlichte,  warteten  längst  auf  einen 
Forscher,  der  die  darin  enthaltenen  romanischen  Bestandteile  untersuchte. 
Nachdem  man  durch  verschiedene  Publikationen,  besonders  durch  die- 
jenigen Gilli^rons  (dessen  Atlas  phonetiqu£.  du  Valais  roman  man  unter 
den  von  Ränke  benutzten  Werken  vermifst)  und  Zimmerli,  einen  Begriff 
der  sprachlichen  Tatsachen  erhalten  hat,  wäre  es  nun  wünschenswert,  das 
Verhältnis  der  Sprachgesetze  unter  sich  und  besonders  ihr  verschiedenes 
Alter  zu  kennen.  Dazu  bieten  die  von  Ränke  studierten  Urkunden 
Material.  Ich  greife  zwei  Beispiele  heraus,  ein  morphologisches  und  ein 
lautliches.  Man  kann  sich  fragen,  ob  der  Unterschied,  den  einige  Walliser- 
mundarten  sowie  einige  angrenzende  Waadtländer  und  die  Genfer  Patois 
zwischen  des  kommes  und  de  les  femmes  machen,  alt  oder  relativ  modern 
ist.  Die  von  Ränke  zitierten  Formen,  z.  B.  Hec  est  conditio  des  lax  vendes 
apud  Sedunenses  (p.  69),  beweisen,  dafs  die  Konstruktion  alt  ist  und  direkt 
auf  den  lateinischen  Unterschied  zwischen  de  illos  und  de  illas  zurück- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  226 

geht.  Zweitens:  Für  o/'*^'"^-  sowie  für  al,  die  in  der  französischen  Schweiz 
gewöhnlich  zusammengehen  (aufser  in  Genf,  vermutlich),  hat  das  heutige 
XVallis  zwei  Vertreter:  a  und  o.  Man  kann  sich  fragen,  ob  die  heutigen 
Formen  Sa  {sale),  tsovä  (caballu)  etc.  von  Lens  z.  B.  eine  Rückkehr  von 
altem  o  zu  a  darstellen  und,  da  die  Mundarten  derselben  Gegend  auch 
pra  {pratu)  gegenüber  pro  des  unteren  Wallis  aufweisen,  ob  dasselbe 
Lautgesetz  in  beiden  Serien  von  Wörtern  wirksam  gewesen  ist.  Die  For- 
men der  Dokumente  haben  für  lat.  a  fast  ausnahmslos  a,  für  al:  a  und 
au,  und  zwar,  soweit  ich  sie  nachgeprüft  habe,  mit  derselben  Verteilung 
wie  heutzutage.  Die  Formen  Jomaux,  Deschaux,  Uassaul,  Vaux,  Seschaux, 
Communaux  stammen  aus  Sitten,  Ayent  (heute  Sprachinsel  mit  g  im 
a-Gebiet!),  Bex  im  Waadtland,  Val  d'Entremont,  während  Chesalx,  Our- 
tinaly  Vassah  etc.  dem  östlichen  Gebiet  angehören.  Sitten  gehört  aller- 
dings heute  zum  Osten.  Der  alte  Sprachzustand  deckte  sich  also  vielleicht 
ungefähr  mit  dem  neuen.  Da  für  -aiu  unsere  Dokumente  nur  ein  ein- 
ziges Mal  au  zeigen,  wird  man  annehmen  dürfen,  dafs  die  Entwickelung 
von  al  sui  generis  ist,  dafs  somit  das  a  im  östlichen  pra  das  lateinische 
ist,  in  tsovä  eher  eine  Weiterbildung  eines  alten  über  das  12.  Jahrhundert 
zurückliegenden  au.  Ränke  hat  übersehen,  dafs  al  heute  zwei  Resultate 
hat,  wie  er  denn  überhaupt  gar  kein  Gewicht  auf  die  räumliche  Ver- 
teilung der  Spracherscheinungen  und  die  Herkunft  der  Dokumente  legt. 

Was  die  Entwickelung  von  -atu  etc.  anbelangt,  so  meint  Ränke 
durch  die  interessante  Form  praux  ryont  (=  pratu  rotundu)  nachge- 
wiesen zu  haben,  dafs  auch  a  vor  freiem  t  etc.  über  au  zu  p  wurde..  Ich 
glaube,  dafs  er  zu  wenig  mit  der  Ungenauigkeit  rechnet,  mit  welcher  mit- 
telalterliche Schreiber  die  heimatlichen  Laute  wiedergeben;  mit  der  Mög- 
lichkeit umgekehrter  Schreibungen  usw.  Praux  beweist  nicht  unmittelbar, 
dafs  einmal  in  diesem  Wort  ein  Diphthong  gesprochen  wurde.  Wo  sollte 
auch  das  u  herkommen?  Von  der  Endsiloe  pratu  sicherlich  nicht,  da 
die  Auslautgesetze  so  ziemlich  dieselben  sind  wie  im  Altfranzösischen  (an- 
ders im  Rätischen)  und  da  auch  die  Wörter  auf  -täte,  nave,  clave  etc. 
den  Wandel  a  —  p  mitmachen.  Ich  würde  in  au  eine  ungefähre  Wieder- 
gabe des  Lautes  ä  sehen,  eines  a,  das  anfing  sich  nach  p  zu  bewegen.  Ich 
meine  also,  dafs  man  die  alten  Graphien  mit  gröfserer  Vorsicht  deuten 
sollte,  als  es  Ränke  tut.  Er  schaut  die  mittelalterlichen  Buchstaben  mit 
allzu  ^ofsem  Vertrauen  als  Laute  an.  Er  sagt  in  bezug  auf  Casal,  Cablo 
etc.,  hier  sei  die  Palatalisierung  unterblieben  (p.  58),  während  es 
sich  doch  nur  um  eine  lat.-rom.  Bastard  Orthographie  handelt.  Was  soll 
z.B.  der  Satz  heifsen :  ü  ist  erhalten:  muax  ^=  mutatus  etc.  Erhalten 
ist  doch  nur  der  Buchstabe,  aber  der  Laut? 

Leider  läfst  sich  an  Hand  der  Dokumente  nicht  ausmachen,  ob  im 
12.  bis  13.  Jahrhundert  für  lat.  tl  die  Aussprache  u  oder  ü  bestand;  die 
Wörter  rouua  =  ruga  und  Doux  =  dux  (?)  sind  zweifelhaft,  alle  übrigen 
mit  dem  herkömmlichen  u  geschrieben. 

Lassen  uns  auch  die  Dokumente  oft  im  Stich,  wegen  der  Seltenheit 
der  romanischen  Sachbezeichnungen  (fast  das  ganze  zu  benutzende  Ma- 
terial besteht  aus  Personen-  und  Ortsnamen,  mit  oder  ohne  Latinisierungs- 
versuche)  und  wegen  der  Schwierigkeit  der  lautlichen  Interpretation,  so 
bringt  doch  die  Arbeit  Rankes  eine  ganze  Reihe  von  nützlichen  Aus- 
künften. Wir  erfahren  z.  B.,  dafs  -ata  =  -a  (noch  1588  plantaa),  -atas 
■=■  -aes  wird,  woraus  durch  Einschub  von  y  -ayes  entstand:  plantayes  1318, 
prayes  1375.  Unter  den  modernen  Patois  der  Westschweiz  hat  nur  das- 
jenige des  Val-de-Travers  dieses  Verhältnis  heute  ganz  rein  erhalten,  cfr. 
in  C6te-aux-föes:  la  matnä  ^  fr^da,  l^  matney'  so  fr^d'  etc.  So  auch 
das  Partizip:  fem.  sing,  tsätä,  fem.  plur.  tsätey*.  Im  Wallis  sind  heute  die 
Partizipien  analogisch  umgeformt,  während  Substantive  die  alte  Flexion 
bewahren:    rosata  =  roxg,    plur.   roxi  (V^troz).     Die    Singularformen 

ArchiT  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  15 


226  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

unserer  Mundarten  maimäyd  (Freiburg,  Waadt  etc.)  sind  also  aus  dem 
Plural  entstanden.  Schon  im  13.  Jahrhundert  bestand  die  Aussprache  pya 
oder  jda  für  pede:  pia  de  fer  1214,  cfr.  lua  =  locu  1299.  Leider  ent- 
halten die  Dokumente  keinen  einzigen  casus  obliquus  von  i'^^-a<w;  man 
kann  also  nicht  ersehen,  ob  damals  schon  medxia  oder  medxya  für  mandu- 
catu  gesagt  wurde.  Für -arm  zeigen  die  Texte  zwei  Resultate  wie  unsere 
Patois.  Doch  ist  die  Scheidung  der  Texte  weniger  rein  als  diejenige  der 
Sprechsprache.  Vielleicht  herrscht  schon  zur  Zeit  der  Texte  schriftfran- 
zösischer Einflufs  zugunsten  der  nach  Palatal  entwickelten  Form  -ier. 
Ränke  irrt  sich,  wenn  er  vier  Resultate  für  -ariu  annimmt.  Die  Schrei- 
bungen er  und  eir,  eyr  beruhen  auf  derselben  Aussprache  (cfr.  e  und  ey 
z=  -etu  etc.),  und  die  Wörter  auf  ar  stellen  -aris  oder,  was  der  Verfasser 
nicht  beachtet  hat,  -ator  dar,  z.  B.  quartars  =  quartätor.  Interessant 
ist  das  Schwanken  zwischen  e  und  a  in  -ittu,  z.  B.  Rosset  neben  Rossat 
{Leonat  1214).  Die  heutige  Sprache  hat  vom  alten  a  nur  das  proklitische 
Septem  =  saftj  und  rdsa  =  receptu  bewahrt,  aufser  Verben  auf  -ittare 
wie  koraiä  und  den  Fällen  bala  =  bella,^  apalä  ■=  adpellare.  Die  Dimi- 
nutiva  auf  -ittu,  -itta  sind  alle  wieder  zu  ^  zurückgekehrt.  Die  Schrei- 
bung moleing  =  molinu  1286  lehrt,  dais  es  schon  nicht  mehr  i  war.  Für 
Q  _|_  Nasal  und  ü  -\-  Nasal  treffen  wir  promiscue  on  und  un :  olun,  olons 
etc. ;  Aussprache  wohl  on  oder  etwas  ähnliches.  Die  heutigen  Verhältnisse 
der  unbetonten  Vokale  sind  in  den  alten  Formen  fontana,  ßlly,  aiuui 
(aqua),  plantaes,  rives,  sore,  carro,  ehablo,  rodiomont,  earros  deutlich  er- 
kennbar. Unter  den  Konsonanten  erregen  unsere  Aufmerksamkeit  z.  B. 
das  germ.  w,  das  meist  schon  g  geschrieben  wird,  gegen  einmaliges  warda 
1299.  Man  hat  vielleicht  unrecht,  anzunehmen,  dafs  sich  im  SOdostfran- 
zösischen  das  w  gehalten  habe,  es  war  möglicherweise  auch  hier  ursprüng- 
lich =  gw,  cfr.  lingua  z=.  le^wa.  Die  Gruppe  st  wird  vom  14.  Jahr- 
hundert weff  t  geschrieben,  aber  wohl  schon  &  gesprochen :  Chattillon  1303. 
Der  Laut,  der  aus  c  vor  a  entstand  (heute  durchwegs  ts),  wird  in  den  Ur- 
kunden ch  notiert:  chavana,  chastel,  chinal  etc.  Diese  Schreibung  spricht 
eher  für  t§  als  ts.  Wäre  es  schon  letzteres  gewesen,  so  wäre  das  Zeichen  x 
nahe  gelegen.  Es  ist  also  auch  hier  anzunehmen,  dafs  cä  über  kyä—tyä— 
t^ä — tsä  ging.  Übrigens  darf  man  sich  darüber  verwundern,  dafs  auch 
das  Wallis  den  neuen  I^aut  durch  ein  diakritisches  h  auszudrücken  ver- 
suchte. Es  drängt  sich  die  Vermutung  auf,  dafs  schon  damals  (chasta- 
gnyers  aus  dem  Jahre  1200!)  irgendeine  offizielle  französische  Recht- 
schreibung einen  Einflufs  ausübte.  Es  ist  doch  wirklich  auffallend,  dafs 
unsere  UÄunden  die  Palatallaute  der  Wörter  Qerman,  jaiies  (=  galbi- 
nas),  jurax,  Johanx,  Juglars,  joiios,  gierles,  chesalx,  charita,  cendaL  cita 
(=  civitate),  engagiex  etc.  alle  wie  im  Französischen  schreiben.  Das 
lat.  Vorbild  reicht  zur  Erklärung  nicht  aus.^  Französisch  sieht  auch  aus 
die  Verdrängung  des  Suffixes  -arius  —  -eyr  durch  -ier  nach  Nicht- 
Palatalen, Formen  wie  garda,  garentir,  guerra,  guerrier,  die  Orthographie 
-ain  für  -anu  {Pitevilain  1233)  neben  dem  gewöhnlichen  an,  das  durch 
das  durchgängige  ä  der  Patois  gestützt  ist. 

Aus  diesen  Bemerkungen  mag  ersehen  werden,  wie  nützlich  Unter- 
suchungen wie  diejenige  Rankes  für  die  historische  Betrachtung  des 
Frankoprovenzalischen  wären.  Das  Material  ist  gut  gesichtet^  und  iiber- 
sichtlicn  zusammengestellt,  aber  die  Resultate  hätten  durch  sorgfältigere 
Methode  und  intimere  Kenntnis  der  modernen  Dialekte  gewonnen.    Die 

*  balafontana  1204. 

*  Für  den  Laut  dz — dz  wäre  das  Analogon  eines  selbstgefundenen  ch  ein  yh 
gewesen,  das  nirgends  vorkommt. 

*  Immerhin  mit  Ausnahmen:  meitein  =  medium  tempus  p.  30  ist  nicht 
e  -f-  n  in  oflfener  Silbe! 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  227 

vor^esclilagenen  Etymologien  finden  nicht  immer  unsere  Billigung,  so  geht 
colhour  (p.  39)  nicht  auf  collutn,  sondern  auf  colatorium  zurück,  cullir 
ist  nicht  =  colligere,  poya  ist  nicht  podiu,  sondern  podiata,  wie  der 
Autor  selber  vermutet,  granea  ^=  orange  mufs  in  Hinsicht  auf  die  deutsche 
Form  Orenchen  des  Ortsnamens  Oranges  überhaupt  fallen  gelassen  und 
durch  granica  ersetzt  werden,  alpieios^  ^  al]ois  -\-  aticu  ist  unstatt- 
haft, escheyta  ist  =  excadecta,  nicht  excadtta*  etc.  Aber  im  allge- 
meinen sind  die  Etymologien  zuverlässig  und  die  aufgestellten  Gesetze 
richtig. 

Vollständig  ausgeschöpft  hat  der  Verfasser  sein  Material  nicht,  aber 
das  war  auch  nicht  zu  erwarten.  Wer  das  Wallis  mit  seinen  Gewohn- 
heiten und  seinem  Wortschatz  kennt,  dem  sagen  die  Urkunden  von  Gre- 
maud  noch  vieles,  das  Ränke  unberücksichtigt  lassen  mufste;  in  der  Ur- 
kunde, welche  die  Form  praux  ryont  enthält,  vom  Jahre  1228,  finde  ich 
z.  B.  fr  est  am  de  Prato  rotundo,  per  saxum  de  lenuers  de  la  dent,  ad 
summ  um  de  Bauons,  quadam  agyecP  (vielleicht  agyeti  zu  lesen  =  agiettes, 
gites  =  Maiensäfse)  usw.;  häufig  trifft  man  das  Wort  racardus  für  die 
bekannten  Heuschuppen  etc.  Ausgiebiger  als  die  Dokumente  des  11.  bis 
14.  Jahrhunderts  sind  diejenigen  des  15.  bis  17.  Jahrhunderts,  die  von 
Patois  wimmeln.  Wenn  sich  nur  jemand  fände,  der  zu  Gremauds  Werk 
eine  Fortsetzung  publizierte!  Damit  würde  dem  Studium  des  Franko- 
provenzalischen  ein  sehr  wichtiger  Dienst  geleistet  werden. 

Bern.  L.  Gauchat. 

Von  den  Archiv  Bd.  CI,  S.  238  bereits  angezeigten  Bänden  des  Unter- 
richtswerkes von  Börner  liegen  vor: 

1)  O.  Börner  und  F.  Schmitz,  Oberstufe  zum  Ijehrbuch  der  Fran- 
zösischen Sprache,  Ausgabe  D. 

2)  O.  Börner  und  Cl.  Pilz,   Lehrbucli  der  Französischen  Sprache 
für  Präparandenanstalten  und  Seminare.     Ausgabe  F,  II. 

3)  O.  Börner  und  F.  Schmitz,  La  France.    Mati^res  pour  conversa- 
tion  et  lecture.    2.  Auflage. 

4)  O.  Börner,    Bemerkungen   zur   Methode    des    neusprachlichen 
Unterrichts  nebst  Lehrplänen  für  das  Französische. 

Sämtlich  im  Verlage  von  B.  G.  Teubner,  Leipzig  und  Berlin  1903. 

In  den  'Bemerkungen  zur  Methode  des  nspr.  U.'  fällt  es  angenehm 
auf,  dafs  der  Verfasser  nicht  abstrakte  Ideale  aufstellt,  mit  deren  Ent- 
wickelung  mancher  Reformer  sein  Bestes  erreicht  zu  haben  meint;  viel- 
mehr verfolgt  er  durchaus  praktische  Zwecke:  er  gibt  bis  ins  einzelne 
ausgearbeitete  Pläne  der  Verwendung  seiner  Materialien  für  bestimmte 
Bildungsziele,  die  nach  den  von  den  Regierungen  gegebenen  Lehrplänen 
aufgestellt  sind.  Daher  eine  ganze  Reihe  von  Lehrbüchern,  und  nicht 
eine  'französische  Grammatik',  sondern  ein  'Unterrichts werk',  das  mit 
seinem  verschiedenartig  zusammengestellten  Lehrstoff'  für  viele  Arten  von 
Lehranstalten    Verwendung   finden    will,    auch   die   Mitarbeit    erfahrener 

'  Der  heutige  mundartliche  Ausdruck  ist  arpyedzo,  die  Urkunden  haben  dafür 
alpeagium  (cfr.  campeagium,  busceagium  etc.),  dessen  Bildung  mir  nicht 
klar  ist. 

^  -itu  wechselt  überhaupt  mit  -ectu,  so  erklärt  sich  wohl  auch  Chamoney 
für  Ckamonix,  aus  campus  munitus;  Känke  verwirft  mit  Recht  das  von  Kühler 
vorgeschlagene  campus  molinarius,  wofür  alte  Formen  mit  r  erscheinen  müfsten. 

^  [Wohl  das  aus  Urkunden  Frankreichs  bekannte  aiace  >  aise,  cf.  Rom.  XXI, 
507.   —  H.  M.J 

15* 


228  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Praktiker  auf  den  einzelnen  Gebieten  zu  diesem  Zweck  in  Anspruch  nahm, 
ohne  der  einheitlichen  Durchführung  des  Ganzen  Abbruch  zu  tun. 

Börner  und  seine  Mitarbeiter  sind  gemäfsigte  Reformer.  Was  in  den 
'Bemerkungen  zur  Methode  des  nspr.  U.'  als  billige  Forderung  für  die 
Anfänge  der  Aussprache,  die  daran  anschliefsenden  Sprechübungen,  die 
Gewinnung  des  Wort-  und  Phrasenschatzes,  endlich  für  die  AVahl  der 
Lesestoffe  aufgestellt  wird,  ist  auf  dem  Boden  praktischer  Erfahrung,  un- 
befangener Beobachtung  und  besonnener  Erwägung  gewonnen  worden:  es 
ist  überall  etwas  Richtiges,  nicht  das  einzig  Richtige,  auch  nicht  er- 
schöpfend und  haarscharf  Abgegrenztes,  aber  von  allen  Methodikern  als 
zweckmäfsig  Gebilligtes,  und  darum  das  Richtige.  Das  gilt  vielleicht  in 
noch  weit  höherem  Mafse  von  Börners  Art  der  grammatischen  Verarbei- 
tung der  Pensen,  Durchdringung  des  Übungsstoffes  und  richtigem  Wechsel 
mündlicher  und  schriftlicher  Übungen.  Nirgends  tritt  eine  Übertreibung  zu- 
tage, aber  ein  Streben  nach  richtiger  Erkenntnis  und  Erfüllung  des  Zu- 
nächstliegenden, ohne  zubienden,  ohne  Paradeeffekte,  denen  häufig  genug 
die  mühsame  Erarbeitung  eines  bescheidenen  Erfolges  zum  Opfer  fällt. 

Über  die  Art  der  grammatischen  Bewältigung  des  Arbeitsstoffes,  viel- 
leicht die  schwerste  von  allen  Aufgaben  des  nspr.  Lehrers,  gehen  die  An- 
sichten der  Methodiker  sehr  auseinander.  Börner  überläfst  jedem  Leh- 
renden seine  eigene  Art,  mit  dem  Stoffe  fertig  zu  werden;  aber  er  ver- 
langt, bei  aller  zulässigen  Verschiedenheit  der  Bildungsziele,  das  unver- 
rückbar allen  gemeinsame  Ziel  der  Aneignung  einer  korrekten  Sprache  im 
mündlichen  und  schriftlichen  Ausdruck.  Die  Vorbereitungen,  besonders 
für  den  letzteren,  zeigen,  mit  welchem  Fleifs  der  oder  die  Verfasser  die 
Materie,  die  sie  zur  Verarbeitung  auftischen,  erst  selbst  geprüft  und  durch- 
gearbeitet haben.  'Grammaire,  Exercice,  Thfeme,  Composition'  oder  'Dict^e, 
Com]>',)sition,  R^troversion,  Th^me'  liegen  in  solchen  Formen  und  Ge- 
stalt^:, vor,  dafs  jeder  Lehrende,  gleichgültig  welcher  methodischen  An- 
sicht, ihre  Erfüllung  als  eine  gute  und  zweckmäfsige  Leistung  erkennen 
und  anerkennen  wird  oder  als  für  seine  Methode  verwendbar  zuge- 
stehen kann. 

Auch  was  der  Verfasser  schliefslich  über  Französisch  als  Unterrichts- 
sprache und  über  die  schwierige  Frage  der  Konzentration  im  Unterricht 
sagt,  wird  schwerlich  Widerspruch  erfahren:  denn  auch  hier  meidet  er 
einseitige  Beschränkung  und  behält  immer  die  Augen  offen  für  unbefan- 
gene Betrachtung  eines  wirklichen  Bedürfnisses.  Endlich  im  Anhang  zu 
seiner  Methodik,  S.  52 — 50,  zählt  der  Verfasser  die  Arten  der  Verwen- 
dung seiner  Lehrbücher  auf  für  die  verschiedenen,  von  ihm  berücksich- 
tigten Lehrpläne  und  Lehranstalten,  unter  Fixierung  der  bei  gegebener 
Stundenzahl  mit  den  gegebenen  Materialien  zu  erreichenden  Ziele. 

Zu  Ausgabe  D.  Oberstufe  bemerke  ich: 

Bei  steter  Weiterarbeit  nach  den  in  den  'Bemerkungen  zur  Methodik' 
entwicE:elten  Erfahrungsgrundsätzen  gelangten  Verfasser  und  Mitarbeiter 
dahin,  den  Lehrstoff  immer  zweckmäfsiger  zu  gestalten.  Bei  verschiedener 
Anordnung  desselben  formalen  Lehr-  und  Lesestoffes  wurde  nach  gröfserer 
Knappheit  gestrebt  und,  wie  das  vorliegende  Bändchen  erweist,  solche 
auch  errreicht,  ohne  den  gegebenen  Lehrstoff  zu  alterieren:  der  von  der 
Kritik  anfänglich  nicht  mit  Unrecht  als  zu  reichlich  bezeichnete  Stoff 
konnte,  ohne  wesentliche  Einbufse  an  Gründlichkeit,  gekürzt  werden.  Was 
sonach  an  Breite  verloren  geht,  wird  dafür  an  Gründlichkeit  der  gram- 
matischen Beschäftigung  zugute  kommen  können.  'Und  selbst  ein  viel- 
artiges und  aus  recht  verschiedenen  Methodikern  bestehendes  Kollegium 
wird  mit  diesen  Materialien  einheitlich  und  erfolgreich  arbeiten  können' 
(Vorwort,  S.  TU). 

Anordnung  und  Aufbau  des  grammatischen  und  sprachlichen  Stoffes 
können  'recht  gut'  genannt  werden.    Die  15  Abschnitte  der  Grammatik, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  229 

die  nur  Wesentliches  und  keine  Wiederholungen  bieten,  sind  als  Pensen 
von  ü  III,  O  II  und  U II  höherer  Lehranstalten  gedacht  und  bilden  in 
je  fünf  Abschnitten  das  Jahrespensum  einer  Klasse.  Diese  scheinbar  ge- 
ringe Quantität  mufs  aber  in  sehr  vielfacher  Weise  verarbeitet  werden. 
Die  die  Grammatik  begleitenden  Prosaabschnitte  bieten  eine  gute  Ein- 
führung in  die  Realien:  Volkskunde,  Geschichte,  Geographie,  Literatur 
in  zusammenhängenden,  passend  ausgewählten  und  trefflich  geschriebenen 
Aufsätzen.  Wie  gründlich  die  Verfasser  bei  der  grammatischen  Verarbei- 
tung vorgehen,  zeigen  die  deutschen  Stücke  mit  Übersetzungsschwierig- 
keiten in  zusammenhängenden  Texten  und  schliefslich  Einzelsätzen  zur 
Übun^  in  bestimmten  Erscheinungen. 

Nicht  minder  gut  gewählt  und  reichhaltig  entwickelt  ist  der  im  An- 
hang A  eingeführte  poetische  Teil,  der  eine  besondere  Anthologie  entbehr- 
lich macht.  Einige  der  erfahrungsmäfsig  am  meisten  gelernten  Gedichte 
sind  aufser  im  Lesetext  an  besonderer  Stelle  auch  noch  in  Passys  pho- 
netischer Umschrift  gegeben  und  bieten  die  sicherste  Stütze  für  Bewah- 
rung und  Weiterbildung  einer  guten  Aussprache.  —  Ferner  liegen  zwei 
Hölzelbilder,  nämlich  'Wohnung'  und  'Grofsstadt',  in  mustergültiger  Be- 
arbeitung vor,  endlich  die  auch  durch  acht  leidliche  Abbildungen  wirksam 
unterstützten  Realien  von  Paris. 

Ein  nützlicher  Zusatz  zu  Anhang  A  sind  die  biographischen  Notizen 
über  die  Dichter,  enthaltend  nur  Wesentliches  in  löblicher  Kürze.  Ferner 
erscheinen  in  den  Abschnitten  bis  Anhang  F:  deutsche  und  französische 
Geschäftsbriefe,  Muster  für  Quittungen,  Wechsel,  Schuldscheine,  Post- 
anweisungen, Zolldeklarationen,  Frachtbriefe;  schliefslich  der  Ministerial- 
erlafs  vom  26.  Februar  IPOl,  betreffend  Vereinfachung  der  Orthographie. 
Für  die  in  allen  Abschnitten  des  Buches  vorkommenden  Vokabeln  ist 
ein  vollständiges  deutsch-französisches  und  französisch-deutsches  Verzeich- 
nis in  Mappe  beigegeben. 

Es  ist  bei  dem  Streben  der  Verfasser  nach  zweckmäfsiger  Kürze 
eigentlich  selbstverständlich,  dafs  die  in  manchen  Beziehungen  grammati- 
scher Arbeit  gegebenen  Anfänge,  und  zwar  namentlich  der  Ausgabe  D, 
die  sich  an  die  obersten  Klassen  höherer  Lehranstalten  wendet,  demnach 
an  das  beste  Schulermaterial,  der  Weiterbildung  und  des  Ausbaues  fähig 
sind,  und  dals  daher  die  im  Lehrbuch  gegebenen  Proben  zu  Unterhaltungs- 
und Gesprächsstoffen  dem  Bedürfnis  nicht  genügen.  Passend  haben  daher 
die  Verfasser  Gegenstände  der  Konversation  besonders  zusammengestellt 
unter  dem  Titel:  La  France.  Matieres  pour  Conversation  et  Lecture.  88  S.  8". 
Sie  behandeln  nur  praktische  Zwecke:  die  Reise  nach  Frankreich;  Paris; 
Geographisches  und  Chronologisches;  Stand  und  Art  der  Staatsverwaltung; 
staatliche  Einrichtungen;  etwas  Literaturgeschichte,  wie  der  Besuch  der 
Stadt  Paris  sie  erfordert;  endlich  Münzen,  Mafse,  Gewichte;  Berechnun- 
gen. Der  trefflichen  Auswahl  sind  drei  Tafeln  beigegeben,  nämlich  eine 
Karte  von  Frankreich,  ein  Plan  von  Paris,  eine  Münztafel  mit  Abbildun- 
gen des  französischen  Geldes. 

Zu  Ausgabe  F,  Lehrbuch  für  PräparandenanstcUten  und  Seminare  von 
0.  Börner  und  Gl.  Pilz,  bemerke  ich: 

Anlage  und  Aufbau  der  nach  den  Bestimmungen  vom  1.  Juli  1901 
gegebenen  zwei  Teile  des  Lehrbuches  sind  ähnlich  denen  der  Ausgabe  D. 
Abweichungen  sind  bedingt  durch  die  Verschiedenheit  der  vorgesteckten 
Ziele.  Der  zur  Beurteilung  vorliegende  IL  Teil  beschäftigt  sich  vornehm- 
lich mit  Einübung  der  Syntax,  von  der  in  fünfzehn  Abschnitten  alles 
Wesentliche  abgehandelt  wird.    Im  ganzen  sind  die  Anforderungen  etwas 

fringer  bemessen,  was  sich  in  der  Art  der  grammatischen  Arbeit  und  der 
ahl  der  Lesestoffe  zeigt.  Den  Stoff  zur  grammatischen  Behandlung 
bieten  naturgeschichtliche  Gegenstände,  Welt-  und  Literaturgeschichte, 
endlich  Realien  aus  dem  Kulturleben,  namentlich  von  Paris.    Die  Ver- 


230  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

arbeitung  erfolgt  in  vierfacher  Form:  Grammaire,  Th^me,  Conversation, 
Composition.  Der  in  Ansehung  der  Ziele  gewählte  Lese-  und  Lernstoff 
zeigt  gegen  Ausgabe  D  einfachere  und  leichtere  Aufsätze,  und  in  der  Be- 
handlung der  Hölzelbilder  verminderte  Anforderung:  nur  das  wichtigste 
Bild  wird  behandelt,  nämlich  die  'Grofsstadt'.  Eine  ähnliche  Beschrän- 
kung zeigt  sich  in  der  taktvollen  Auswahl  der  Gedichte  im  Anhang  A 
und  der  geographischen  und  geschichtlichen  Abschnitte  im  Anhang  B, 
die  allgemeine  und  grundlegende  Kenntnis  von  Frankreich  in  leichtem  und 
gefälligem  Vortrag  vermitteln.  Da  auch  hier  die  Bekanntschaft  mit  Paris 
das  Ziel  ist,  sind  die  Anschauungsbilder  dieselben  wie  in  Ausgabe  D. 
Selbstverständlich  ist  auch  hier  wie  in  Ausgabe  D  eine  selbständige  Weiter- 
arbeit, z.  B.  auf  dem  Gebiete  der  Konversation,  der  Hölzelbilder  usw.,  mög- 
lich und  durchführbar. 

Auch  diesen  Band  begleitet  in  angefügter  Tasche  ein  vollständiges 
Wörterbuch. 

Charlottenburg.  George  Carel. 

Alfred  Pernot,  Enseignement  par  l'Aspect.  Methode  Pernot.  Legons 
de  Choses  et  Grammaire.    Esslingen- Allemagne  [o.  J.].     II,  146  S. 

Nach  dem  Vorwort  ist  das  Buch  für  französische  Elementarschüler 
sowie  für  Französisch  lernende  Ausländer  bestimmt.  Es  soll  den  Unter- 
richt in  der  Grammatik  einfacher  und  interessanter  gestalten.  Jeder  der 
vierzig  Lektionen  liegt  ein  Bild  zugrunde.  In  einfachen  Sätzen  werden 
die  Gegenstände  benannt,   öfters   auch   in   Dialogform   besprochen.     Ein 

grammatisches  Pensum,  Fragen  und  Aufgaben  schliefsen  sich  an.  Weiter- 
in werden  auch  Fabeln  und  Anekdoten  eingestreut.  Die  Bilder  ent- 
sprechen grofsenteils  den  farbigen  Wandbildern  des  Schreiberschen  Ver- 
lages in  Efslingen;  sie  sind  leider  sehr  entstellt  durch  die  eingedruckten 
grofsen  Ziffern,  aber  auch  davon  abgesehen  hart  in  Zeichnung  und  Be- 
leuchtung. Die  Benutzung  des  Buches  setzt  beim  Schüler  schon  Sprach- 
kenntnisse voraus ;  schon  auf  der  zweiten  Seite  finden  sich  unregelmäfsige 
Verbformen.  Der  Zusammenhang  zwischen  den  grammatischen  Übungen 
und  dem  übrigen  Sprachstoff  ist  sehr  lose,  wie  das  meist  bei  Lehrbüchern 
dieser  Art  der  Fall  ist.  Lehrer,  die  nach  der  sogenannten  direkten  Me- 
thode unterrichten,  dürften  in  dem  Buche  manches  Anregende  und  Ver- 
wendbare finden.  Für  den  Klassen  Unterricht  in  deutschen  Schulen  kann 
es  schwerlich  in  Betracht  kommen. 

Kiel.  Felix   Kalepky. 

Toreau  de  Mamey,  Grammaire  fran9aise  id^ographique.  Franzö- 
sische Grammatik  mit  suggerierenden  (ideographischen)  Zeichen.  Leipzig 
1903.     VII,  136  S. 

'Die  Psychologie,  die  Lehre  vom  Ich,  befindet  sich  leider  noch  in  der 
Kindheit,*  sagt  der  Verfasser  im  Vorwort  seines  merkwürdigen  Buches. 
'Immer  noch  beginnt  man  mit  der  Regel  und  geht  dann  erst  zu  den  Aus- 
nahmen über  und  wird  sich  nicht  bewufst,  dais  man,  um  ein  vollständiges 
Ganzes  zu  erhalten,  umgekehrt  beim  Schlüsseziehen  von  den  Ausnahmen 
zur  Regel  gehen  sollte.'  Denn  'alles,  was  nicht  zu  den  Ausnahmen  ge- 
hört, ist  eine  Regel.  Diese  scheinbar  so  einfache  Lösung  war  bisher  doch 
unerreichbar  für  diejenigen,  die  auf  wissenschaftlichem  Wege  zu  ihr  ge- 
langen wollten;  denn  niemandem  war  es  bisher  gelungen,  von  selbst  (spon- 
tan) alle  Ausnahmen  der  französischen  Grammatik  zu  kennen  und  dem- 
nach von  den  Ausnahmen  zur  Regel  fortzuschreiten.  Aufserdem  ermög- 
licht es  die  Ideographie,  vom  Einfachen  zum  Zusammengesetzten  zu  ge- 
langen, eine  Methode,  die  noch  kein  Grammatiker  einschlug.'    Diese  Sätze 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  231 

mögen  als  Proben  für  die  wissenschaftliche  Befähigung  des  Verfassers 
genügen.  Aus  der  Grammatik  selbst  einige  Proben.  S.  11:  Die  Kon- 
jugation eines  Zeitworts  richtet  sich  nach  der  Verschiedenheit  des  Ortes, 
der  Zeit,  der  Zahl  und  der  Person.  S.  12:  Das  französische  Zeitwort  hat 
wie  das  lateinische  vier  Arten  der  Aussage  (Modi)  und  zwar:  den  Indika- 
tiv, den  Imperativ,  den  Konjunktiv,  den  Infinitiv  und  aufserdem  einen 
fünften:  den  Konditionalis.  S.  15:  Der  offene  Laut  ais  (Imperfekt,  Kon- 
ditional) und  ai  (Perfectum  historicum  und  Futur)  wird  wie  ä  aus- 
gesprochen, während  in  der  dritten  Person  der  Einzahl  das  a  zu  beachten 
ist.  S.  98:  Im  P^anzösischen  wird  der  Konjunktiv  angewendet:  A)  nach 
vier  Formen:    1.  fragend   2.  verneinend    8.  Konjunktiv   4.  Superlativ.  ... 

S.  100:   Der  Superlativ  wird  ausgedrückt  durch:   1.  le  premier l.le 

peu  der  wenigste  8.  le  moins  der  wenigste  9.  le  mieux  der  beste.  In  den 
Beispielsätzen  feiert  Ollendorf  seine  Auferstehung:  Voulais-tu  qu'elle  put 
m'expliquer  ce  qtie  je  pourrai  faire?  Vois  que  tu  bats  toujours  mon  chien. 
Faut-il  que  je  rie  toutes  les  fois  qu'elle  rompt  le  silence?  Durch  das  ganze 
Buch  sind  die  wunderlichsten  Diagramme  verstreut,  eine  Art  mnemotech- 
nischer Stützen  teils  zur  Einübung  der  Verbformen,  teils  zur  Einprägung 
aller  nur  möglichen  Wortreihen,  welche  auswendig  zu  lernen  kein  ver- 
nünftiger Mensch  einem  Schüler  zumuten  wird.  Das  ganze  Buch  ist  ein 
Kuriosum  und  sei  Sammlern  von  dergleichen  empfohlen. 

Kiel.  Felix  Kalepky. 

Maurice  Grammont,  Le  Vers  fran9ais,  ses  moyens  d'expression, 
son  armonie.  Paris,  Alphonse  Picard  et  fils,  MCMIV.  (Publications 
de  la  Sociöt^  des  Langues  romanes,  tome  XVII.)    454  S.  8. 

Das  so  betitelte  Buch,  dessen  Verfasser  man  nicht  mit  dem  eines 
1876  unter  ähnlichem  Titel  erschienenen,  mit  dem  Dichter  F.  de  Gramont, 
verwechseln  darf,  ist  nicht  so  sehr  eine  Zusammenstellung  der  Regeln, 
die  bis  vor  ziemlich  kurzer  Zeit  für  Versbau  und  Reimkunst  bei  den  neu- 
französischen Dichtern  gegolten  haben,  oder  eine  Darstellung  des  ge- 
schichtlichen Verlaufes,  der  zu  der  Gültigkeit  solcher  Regeln  geführt  hat, 
wie  eine  Belehrung  darüber,  dafs  und  mit  welchen  Mitteln  innerhalb  der 
bestehenden  Vorschriften  die  Kunst  in  besonderer  Weise  auf  das  Ohr  des 
Geniefsenden  einzuwirken,  wie  sie  der  dichterischen  Rede  durch  Vertei- 
lung der  Akzente  und  Wahl  der  Laute  erhöhte  Ausdrucksfähigkeit  zu  ver- 
leihen vermocht  habe  und  noch  vermöge.  Die  Kritik  des  bisher  Üblichen 
und  das  Urteil  über  Versuche,  sich  von  dessen  Herrschaft  zu  befreien, 
kommen  hie  und  da  ebenfalls  zu  Gehör.  So  ist  denn  aus  dem  Werke 
ohne  Zweifel  für  Dichter,  dann  für  solche,  die  bei  der  Dichtung  Genufs 
suchen,  auch  für  Ausländer,  die  sich  über  die  Art  der  Wirkung  franzö- 
sischer Verse  auf  französisches  Ohr  unterrichten  wollen,  mancherlei  zu 
lernen,  und  man  würde  nicht  wohl  daran  tun,  an  ihm  darum  vorbei- 
zugeheuj  weil  es  stellenweise  gar  zu  reichlich  mit  Beispielen  überschüttet 
oder  weil  es  vielleicht  nicht  überall  im  Recht  ist,  oder  weil  es  bisweilen 
mehr  als  das  angemessene  Wohlgefallen  an  sich  selbst  bekundet  (S.  76, 
292)  oder  vollends  um  gewisser  orthographischer  Neuerungen  willen,  in 
denen  der  Verfasser,  wenn  er  einmal  vom  Üblichen  abweichen  wollte, 
unbedenklich  hätte  viel  weiter  gehen  dürfen. 

In  dem  Abschnitte,  der  dem  Rhythmus  gewidmet  ist  und  sich,  wie 
bei  einem  heutigen  Franzosen  fast  selbstverständlich,  beinahe  ausschliefs- 
lich  mit  dem  Alexandriner  beschäftigt,  findet  man  mit  grofser  Sorgfalt 
die  ganze  Fülle  der  Gestalten  zur  Anschauung  gebracht,  die  dieser  Vers 
annwimen  kann,  und  die  Wirkung  dargelegt,  die  ihrer  jede  naturgemäfs 
auf  das  Empfinden  eines  Hörers  üben  mufs  oder  doch  bei  gutem  Vortrag 
üben  kann.   Dankbar  wird  man  dies  anerkennen,  auch  wenn  man  manche 


232  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Aufstellung  des  Verfassers  bestreiten,  seine  Terminologie  vielfach  irre- 
führend finden  mag.  Es  ist  z.  B.  kaum  zu  begreifen,  wie  der  Verfasser, 
der  doch  Legionen  von  Alexandrinern  der  verschiedensten  Bewegung  vor- 
führt und  rhythmisch  kennzeichnet,  davon  reden  m.ag,  vier  (rhythmische) 
Anapäste  seien  der  'Typus'  dieser  Versart,  was  doch  sicher  gleich  wenig 
erweislich  ist  wie  die  ebensooft  gehörte  Behauptung  eines  'Typus'  von 
sechs  (rhythmischen)  lamben.  Es  ist  schwer  zu  rechtfertigen,  dafs  er  von 
'Tetrametern'  spricht,  wenn  das,  was  nach  ihm  ein  'Metron'  (mesure) 
wäre,  doch  hier  aus  einer,  dort  aus  fünf  Silben  bestehen  darf,  auch  die 
Zeitdauer,  die  es  beansprucht,  keinesfalls  immer  die  gleiche  bleibt  (wie 
S.  13  aller  Erfahrung  entgegen  behauptet  ist).  Der  Verfasser  sieht  sich 
(S.  72)  genötigt,  ein  Gedicht  V.  Hugos,  in  dem  gelegentlich  Alexandriner 
mit  sechs  gleich  schwer  betonten  Silben  vorkommen,  als  vers  libres  zu  be- 
zeichnen, also  auch  diesem  Terminus  einen  Sinn  beizulegen,  den  er  bisher 
nie  gehabt  hat.  Begnügte  er  sich,  zu  fordern,  dafs  die  sechste  und  die 
zwölfte  Silbe  betont  seien,  und  für  die  anderen  Stellen  Betonung  oder 
Tonlosigkeit  zuzulassen,  so  bliebe  alles,  was  er  über  die  Wirkung  gehäufter 
oder  spärlicher,  regelmäfsig  oder  wechselnd  verteilter,  dicht  nebeneinander 

ferückter  oder  durch  viele  leichte  Silben  getrennter  Tonstellen  mit  feinem 
Irteil  äul'sert,  unanfechtbar  bestehen,  seine  Darstellung  würde  aber  an 
Einfachheit  gewinnen ,  ohne  an  Richtigkeit  irgend  einzubüfsen  —  im 
Gegenteil;  er  würde  sich  auch  weniger  leicht  zu  so  unnatürlichen  Vers- 
zerlegungen  versucht  finden  wie  Si  je  vous  \  le  disais  . . .  (66),  sur  tous 
leurs  compagnons  (69),  faisait  des  enjambees  (20),  je  vais  quitter  la  terre  (21). 
Auch  der  Vers  mit  ganz  schwacher  oder  gar  keiner  Cäsur  nach  der  sechsten 
Silbe,  den  Herr  Grammont,  wie  viele  andere  getan  haben,  irreführend  den 
der  Romantiker  nennt,  als  ob  nicht  auch  bei  diesen  die  Cäsur  in  der 
Mitte  überwöge,  erscheint  nicht  im  richtigen  Lichte,  wenn  man  ihn  Tri- 
meter  nennt.  Einmal  ist  wieder  von  Metron  nicht  zu  reden,  wo  irgendein 
bestimmtes  Mafs  nicht  eingehalten  wird;  und  hätte  denn  V.  Hugo,  der 
sich  so  gern  als  Titanen  aufspielte,  so  ängstlich  die  sechste  Silbe  jederzeit 
die  letzte  eines  Wortes  sein  lassen  und  zwar  nicht  eine  völlig  tonlose, 
wenn  er  nicht  hätte  an  die  alte,  eigentlich  immer  noch  zu  respektierende 
Pause  erinnern  wollen,  über  deren  Fortbestehen  er  sich  nur  hin  und  wieder 
mit  bestimmter  Absicht  hinwegsetzt?  Worauf  die  Wirkung  des  rhyth- 
mischen Wechsels  in  den  vers  libres  beruhe,  ist  eine  Frage,  die  man  ver- 
schieden beantworten  kann.  Dafs  kürzere  Verse  zwischen  längeren  immer 
den  Eindruck  gesteigerter  Schnelligkeit  hervorbringen,  ist  mir  nicht  ganz 
sicher.  Könnte  man  nicht  auch  sagen,  das  häufigere  Eintreten  der  Pausen, 
die  durch  das  Auftreten  der  Reimwörter  veranlaßt  werden,  bewirke  gerade 
eine  Verlangsamung  des  Vortrages,  und  diese  lasse  auch  den  Inhalt 
der  Rede  als  etwas  sich  langsamer  Vollziehendes  erscheinen?  Jedenfalls 
wird  ein  Wechsel  im  Mafse  der  durch  Reim  erkennbar  gemachten  Rede- 

glieder  mit  häufigem  Wechsel  in  der  Art  des  Erzählten,  mit  wieder- 
oltem  Überspringen  von  Dingen  zu  anderen  Dingen  passend  Hand  in 
Hand  gehen  und  wird  leicht  den  Eindruck  sorglosen,  auch  mutwilligen 
Sichgehenlassens  hervorbringen  können.  Auch  wird  hier  die  Kunst  des 
Vortrages  weiteren  Spielraum  und  besonders  gute  Gelegenheit  zu  über- 
raschenden Wirkungen  finden.  Auf  die  Gefahr  hin,  abgekanzelt  zu  wer- 
den, wie  S.  76  anderen  geschehen  ist,  möchte  ich  auszusprechen  wagen, 
das  berühmte  Le  berger  in  der  ersten  Fabel  von  La  Fontaines  siebentem 
Buche  werde  am  besten  nach  einer  gewissen  Pause  und  nur  im  Flüster- 
tone gesprochen  werden,  wie  ein  zögernd  und  verschämt  abgelegtes  Ge- 
ständnis (anders  S.  93^.  Ist  sodann  die  Wirkung  gewisser  Wechsel  der 
Versart  eine  so  unausoleibliche,  wie  der  Verfasser  annimmt,  so  erwächst 
daraus  eine  nicht  geringe  Schwierigkeit  für  den  Dichter,  der  kongruente 
Strophen    aus  Versen    ungleicher  Längen    zu    bauen    unternimmt.      Dem 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  283 

Übergang  von  einem  Versmafs  zum  anderen  mülste  in  jeder  Strophe  an 
entsprechender  Stelle  ein  Wechsel  in  der  Gedankenart  und  -folge  recht- 
fertigend sich  zugrunde  legen,  und  dies  dürfte  in  vielen  Fällen  schwer 
zu  erreichen  sein.  Man  verlange  nicht  das  Unmögliche  und  dabei  Un- 
nötige (wertlos  scheint  mir  auch,  dafs  im  Sonette  die  einander  der  Stelle 
nach  entsprechenden  Verse  gleichliegende  Pausen  haben,  wie  S.  35  ge- 
fordert wird). 

Mit  Interesse  wird  man  dem  Verfasser  auch  im  zweiten  Teile  folgen, 
wo  er  darlegt,  welche  Ausdrucksfähigkeit  dem  Verse  durch  die  Wahl  der 
ihn  bildenden  Laute  verliehen  werden  könne.  Dafs  eine  gewisse  Symbol- 
kraft gewissen  Lauten  eigen  sei,  gehäufte  Verschlufslaute  z.  B.  anders 
wirken  als  sich  wiederholende  Spiranten  oder  Zischlaute,  helle  Vokale 
anders  als  dunkle,  wird  man  nicht  bestreiten  können  und  wird  an  wohl- 
gewählten Beispielen  dargetan.  Immerhin  gesteht  der  Verfasser  selbst 
wiederholt  zu,  aafs  die  durch  gewisse  Lautanordnungen  mögliche  Wirkung 
auch  ausbleiben  könne  (S.  189,  250,  268),  und  mancher  mag  denken,  der 
Verfasser  sei  wohl  gar  zu  feinhörig,  er  erwarte  zu  leicht  von  der  Wieder- 
holung gleicher  Laute  einen  Eindruck  auch  dann,  wenn  diese  Wieder- 
holung in  ganz  gewichtlosen,  unbetonten  Wörtern,  Präpositionen,  Kon- 
junktionen statthat,  in  tu,  toi,  te,  ton,  ta,  tes,  wofern  es  sich  um  Anrede 
im  Singular  handelt,  u.  dgl.  Immerhin  wird  der  Leser  durch  die  vielen 
Beispiele  wirklich  oder  vermeintlich  durch  Lautsymbolik  sich  auszeich- 
nender Verse  des  musikalischen  Reichtums  dichterischer  Rede  klarer  be- 
wufst  und  wird  nicht  in  Abrede  stellen,  dafs  manche  Stellen  einem  ge- 
schickten Rezitator  Gelegenheit  bieten,  zu  der  Wirksamkeit  des  Wort- 
sinnes etwas  hinzuzutuu,  jndem  er  auch  glücklich  angebrachte  Laute  zur 
Geltung  kommen  läfst.  Übertriebene  Aufmerksamkeit  eines  Zuhörers  auf 
dergleichen  könnte  freilich  auch  durch  Zerstreuung  schaden.  Wenn  er 
hört  Ils  gardaient  saus  souci  ces  troupcaux,  so  könnte  er  in  störender 
Weise  an  das  Zischen  der  Schlangen  erinnert  werden,  das  man  ihn  in  der 
Schule  aus  Racines  Verse  Pour  qui  sont  ces  serpents  qui  siffent  sur  vos 
tetes  herausvernehmen  lieis. 

In  bezug  auf  den  Hiatus  lälst  der  Verfasser  eine  weitgehende  Dul- 
dung walten,  indem  er  nur  diejenigen  Hiate  untersagt  (oder  sie  blofs  zum 
Zwecke  besonderer  Wirkung  zuläfst),  die  sich  ergeben,  wenn  auf  einen 
Vokal  der  nämliche  Vokal  unmittelbar  folgt;  und  dabei  gilt  ihm  gleich, 
ob  dergleichen  zwischen  Auslaut  und  Anlaut  oder  im  Innern  eines  Wortes 
sich  einstellt,  ob  die  Schrift  zwischen  die  zwei  Vokalzeichen  einen  Buch- 
staben setzt  oder  nicht,  dem  kein  Laut  entspricht  (verboten  sind  also 
toiicha  ä,  creer.  tu  hurlais,  la  harangue;  denn  das  sogenannte  aspirierte  h 
ist  für  den  Verfasser  gleich  Null).  Wenn  mit  dieser  Lehre  die  Praxis 
der  Dichter  sich  in  Übereinstimmung  setzte,  würde  das  gewifs  kein  Un- 
glück sein.  Ob  gleichwohl  in  der  Theorie  das  aspirierte  h  ganz  aufzugeben 
ratsam  ist,  und  ob  ferner  Vokale,  die  ein  stummes  e  am  Wortende  hinter 
sich  haben,  ganz  gleich  lauten  und  gleich  viel  gelten  sollten  wie  die 
nämlichen  Vokale  ohne  solches  e,  ob  die  Verbindung  epee  et  ganz  gleich- 
artig ist  mit  frappe  et,  scheint  mir  weiterer  Erwägung  wert. 

Auch  da,  wo  Herr  Grammont  vom  Reime  handelt,  erscheint  er  mehr- 
fach als  Neuerer,  allerdings  fast  noch  mehr  in  der  Terminologie  als  in 
der  Sache.  Wo  zu  dem  gleichen  Tonvokal  gepaarter  Wörter  nicht  auch 
noch  davor  oder  dahinter  ein  gleichlautender  (aber  wirklich  lautender) 
Konsonant  kommt,  erkennt  er  blols  Assonanz  an ;  temps  :  enfants  ist  für 
ihn  kein  Reim,  und  derartige  Paarungen  läfst  er  blofs  in  paarweise  ge- 
reimten Versen  zu,  indem  er  offenbar  fürchtet,  der  gewollte  Gleichklang 
könnte  unbemerkt  bleiben,  wenn  noch  ein  Versausgang  zwischen  zwei 
Wörter  von  so  beschränkter  Ähnlichkeit  träte.  Auch  die  Ausdrücke 
'männlich'  und  'weiblich'  verwendet  er  anders  als  andere  Leute :  männlich 


234  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ist  ihm  ein  Ausgang  auf  Vokal,  auch  dann,  wenn  hinter  diesem  noch  ein 
Konsonant  geschrieben  steht,  der  nicht  hörbar  wird,  oder  ein  stummes  e, 
von  dem  nach  Vokalen  ja  dasselbe  gilt  {nation,  vous,  aber  auch  voie  sind 
männliche  Ausgänge);  weiblich  sind  die  mit  Konsonanten  schliefsenden, 
auch  wenn  sie  hinter  diesen  kein  dumpfes  e  aufweisen  {Michel  :  Nivelle; 
ohscure  :  mur  sind  weibliche  Reime;  table,  fenetre  endigen  auf  Konso- 
nanten). Bei  der  Abwechselung  von  männlichen  und  weiblichen  Aus- 
gängen soll  es  bleiben,  wofern  man  darunter  das  versteht,  was  Herr 
Grammont  will.  Ob  die  von  ihm  gewünschten,  teilweise  auch  schon  vor 
ihm  versuchten  Abweichungen  bei  den  Franzosen  Anklang  finden,  können 
wir  Deutschen  mit  Ruhe  abwarten;  zu  bedauern  scheint  mir  die  ganz  un- 
nötige Änderung  in  der  Terminologie,  die  nur  Verwirrung  schaffen  kann. 

Die  Auseinandersetzungen  des  Verfassers  über  die  Anordnung  korre- 
spondierender Silben gruppen  eines  Verses  und  der  in  jenen  auftretenden 
Vokale,  wovon  die  Harmonie  des  Verses  abhängen  soll,  entziehen  sich 
meinem  Verständnis,  und  ich  bin  unbescheiden  genug,  zu  glauben,  dafs 
die  Schuld  davon  mindestens  so  sehr  an  der  Darstellung  des  Verfassers 
als  an  meiner  Unzulänglichkeit  liegt.  Einen  gewissen  Trost  mag,  wer 
nicht  zu  folgen  imstande  ist,  darin  finden,  dafs  nach  Herrn  Grammont, 
auch  den  besten  Dichtern  die  wünschenswerte  Harmonie  sehr  oft  nur  in 
der  einen  Hälfte  je  eines  Verses  zu  erreichen  gelungen  und  dafs  auch  da, 
wo  sie  wirklich  besteht,  sie  sehr  häufig  difßcüe  ä  saisir  ist. 

Mag  man  bedauern,  dafs  der  Verfasser  sich  fast  nur  mit  dem  Alexan- 
driner beschäftigt,  den  kürzeren  Versen  nur  wenige  Seiten  gönnt,  so  wird 
man  sich  anderseits  des  frischen  Mutes  nur  freuen  können,  mit  dem  er 
von  manchem  sich  lossagt,  was  mit  dem  heutigen  Sprachstande  im  Wider- 
spruche steht,  namentlich  von  der  ängstlichen  Rücksicht  auf  Buchstaben, 
denen  keine  Laute  mehr  entsprechen,  und  von  dem  Festhalten  an  gewissen 
Diäresen,  die  die  lebendige  Sprache  längst  aufgegeben  hat.  Er  ist  auch 
geneigt,  Verse  gleicher  oder  ungleicher  Länge  zuzulassen,  die  blofs  den 
Rhythmus  zur  Grundlage  haben,  sich  nicht  an  bestimmte  Silbenzahlen 
halten,  verlangt  aber,  dafs  sie  gereimt  werden.  Dafs  in  dieser  Weise  schon 
jetzt  Befriedigendes  zutage  getreten  sei,  bestreitet  er  allerdings. 

Von  dem  anregenden  Buche,  der  Frucht  unverkennbaren  Fleifses  und 
unabhängigen  Urteils,  kann  ich  nicht  scheiden,  ohne  auch  der  sehr  aus- 
führlichen Indices  zu  gedenken,  von  denen  namentlich  derjenige  der  un- 
gemein zahlreichen  zur  Sprache  gebrachten  Dichterstellen  gute  Dienste 
auch  im  Auslande  tun  wird. 
,       Berlin.  Adolf  Tobler.  ^ 

H.  von  Samson-Himmelstjerna,  Rhythmik-Studien.  Riga,  N.  Kymmel, 

1904.     136  S.  quer  4. 

Der  Verfasser  gibt  sich  als  Laie  und  tut  sich  auf  seine 'laienhafte' 
Unbefangenheit  etwas  zugute.  Seine  Vorurteile  aber  hat  er  mit  den  über- 
zeugungstreuesten  Männern  der  Zunft  gemeinsam,  und  zwar  —  um  das 
Schlimmste  gleich  zu  Anfang  zu  sagen  — :  das  ganze  Buch  der  Rhythmik- 
Studien  mit  seinen  Zwecken  und  seinen  Wegen  ist  ein  solches  grofses 
zünftiges  Vorurteil. 

^Ähnlich  wie  Saran,  sucht  auch  Samson-Himmelstjerna  nach  einem 
rhythmischen  Gesetz,  das  'unabänderlich'  über  dem  Schaffen  des  Dichters 
waltet.  Vergebens  hat  er  sich  bei  der  modernen  Philologie  über  die  'kon- 
stitutiven charakteristischen  Grundgesetze  des  romanischen  Verses'  erkun- 
digt. Man  vermochte  ihm  die  augenfälligsten  äufserlichen  Eigenschaften 
der  romanischen  Verse  nur  ungefähr  und  oberflächlich  zu  beschreiben, 
nicht  die  geheime  Zauberkraft  ihrer  Rhythmen  mit  wissenschaftlicher 
Gründlichkeit  zu  erklären.    So  macht  er  sich  denn  selbst  ans  Werk,  greift 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  285 

nach  einem  besonders  wohlgebildeten  spanischen  Gedicht:  dem  zweiten 
Gesang  von  Don  Jos^  de  Espronceda's  Diablo  mundo,  zählt  in  den  352 
Elfsilblern  sämtliche  Hebungen  (ohne  Rücksicht  auf  ihre  relative  Stärke) 
und  verzeichnet  in  statistischen  Tabellen,  wie  oft  der  Ton  auf  die  ein- 
zelnen Silben  der  Verse  zu  stehen  kommt.  Es  ergibt  sich,  dafs  aufser 
der  Zahl  der  Silben  auch  die  der  Hebungen  eine  fest  normierte  ist.  'Der 
normale  Vers  hat  in  seiner  ersten  Gruppe  regelmäfsig  6  Silben  und 
3  Hebungen,  in  seiner  zweiten  Gruppe  aber  5  Silben  und  2  Hebungen, 
wobei  aber  ...  die  Stellen  der  freien  Hebungen,  d.  h.  derjenigen,  welche 
nicht  auf  die  6.  und  10.  Silbe  entfallen,  innerhalb  ihrer  Gruppe  eine  sehr 
verschiedene  sein  kann.'  Sieht  man  von  'Akzenthäufungen  innerhalb  der 
Gruppen'  ab,  so  ergeben  sich  für  das  gewöhnliche  System  des  Elfsilblers : 

xxxxxx||xxxxx 

sechs  Typen,  in  denen  sich  die  ganze  Möglichkeit  rhythmischer  Kombi- 
nationen erschöpft:  nämlich  Hebung  auf  der 

2.  4.  6.  I  8.  10.  11  2.  4.  6.  I  7.  10. 
1.  3.  6.  !  8.  10.  I  1.  3.  6.  7.  10. 
1.  4.  6.     8.  10.  1.  4.  6.     7.  10. 

Etwas  abweichende  Verhältnisse  zeigt  eine  statistische  Untersuchung  des 
volksmäfsigen  spanischen  Romanzenverses.  In  den  Halbversen  bleibt  nur 
die  Silbenzahl  (8)  konstant,  während  die  Zahl  der  Hebungen  zwischen  3 
und  4  schwanken  kann.     Haupttypen  mit  Hebung  auf  der 

1.  3.  5.  7. 
2.  4.  7. 
2.  5.  7. 
1.  4.  7. 
Das  Schwanken  der  Hebungszahl  soll  für  den  volkstümlichen  Vers  cha- 
rakteristisch sein.    Selbst  der  altspanische  Kunstvers,   wie  er  uns  in 
dem  Lihro  del  Palacio  des  Pero  Lope  de  Ayala  entgegentritt  (Alexandriner 
mit  1— C-silbiger  Cäsur),  bewahrt  hinsichtlich  der  Hebungen  strenge  Regel- 
mäfsigkeit;  betont  also  die 

2.  4.  6.  —  1.  3.  6.  —  1.  4.  6. 

Ahnlich  sind  die  französischen  Verse  gestaltet,  wie  der  Verfasser  am 
Aveugle  des  Andr^  Ch^nier,  an  einem  Stück  aus  Racine,  einem  Gedicht 
von  Rabelais  und  an  einigen  französischen  Volksliedern  nachzuweisen 
sucht.  Auch  hier  wieder  haben  wir  in  den  volkstümlichen  Gesängen  ein 
leichtes  Schwanken  der  Hebungszahlen,  das  der  Kunstpoesie  fremd  sein  soll. 
'"  Ein  Vergleich  sämtlicher  geprüfter  Verse  ergibt,  nach  Ausschaltung 
des  Ungleichartigen,  die  gemeinromanischen  rhythmischen  Grund- 
prinzipien, von  denen  man  a  priori  annehmen  darf,  dafs  sie  auch  für 
das  Italienische  und  Portugiesische  gelten.  Sie  lassen  sich  etwa  folgender- 
mafsen  formulieren: 

1)  Es  können  nie  mehr  als  zwei  Senkungen  aufeinander  folgen. 
'Treffen  drei  an  sich  tonlose  Silben  zusammen,  so  gewinnt  die  mittlere 
derselben  einen,  wenn  auch  schwachen,  so  doch  merklichen  und  rhyth- 
misch gültigen  Ton,  sei  es  durch  Betonung  eines  indifferenten  einsilbigen 
Wortes,  sei  es  durch  Hervorziehung  des  Nebentones  eines  mehrsilbigen 
Wortes'  etc.  (S.  107). 

2)  Am  Versanfang  und  am  Versschlusse,  ebenso  in  der  Cäsur,  können 
Doppelhebungen  nicht  vorkommen. 

^ Diese  Betonungsregeln  erscheinen  'alle  als  logische  Konsequen- 
zen der  Tendenz:  Abwechselung  zwischen  Hebung  und 
Senkung  eintreten  zu  lassen'  (S.  106). 

Der  Verfasser   nähert   sich   damit   stark   der   kürzlich   von   uns   bc- 


236  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

sprochenen  alternierenden  Theorie,  die  er  übrigens  nicht  kennt.'  Über- 
haupt sind  ihm  die  rhythmischen  Untersuchungen  etwa  der  letzten  zwanzig 
Jahre  offenbar  fremd  geblieben.  Um  so  merkwürdiger  ist  es,  zu  sehen, 
wie  er  spontan  und  auf  eigenen  Pfaden  in  die  Richtung  der  alternierenden 
Lehre  gerät  und  sich  in  bewufsten  Gegensatz  zu  den  'Akzentuierenden', 
besonders  zu  Quicherat  und  Lubarsch  stellt.  Der  'alternierende'  Irrtum 
liegt  eben  in  der  Luft,  und  er  wird  sich  wohl  immerzu  reproduzieren,  so 
oft  man  auf  dem  Wege  positivistischer  Analyse  und  Statistik  nach  einem 
'objektiven  rhythmischen  Gesetze'  forscht.  Ein  Körnchen  von  Wahrheit 
steckt  ja  auch  in  diesem  Irrtum,  nämlich  die  Binsenwahrheit,  dafs  unser 
organisches  Gefühl  an  regelmäfsiges  Auf  und  Ab  von  Tönen  (Hebung  und 
Senkung)  sich  rasch  und  gern  gewöhnt  und  mit  einer  Art  passiven  Be- 
harrungsvermögens die  gleichartige  Fortsetzung  des  angeschlagenen  rhyth- 
mischen Wechsels  erwartet.  Diese  organische  Gefühlsveranlagung,  die  wir 
mit  den  höher  entwickelten  Tieren  gemein  haben,  kann  vom  Dichter,  je 
nachdem  es  seinen  Absichten  entspricht,  sekundiert  oder  brüskiert 
werden:  sie  ist  die  organische  Vorbedingung,  aber  doch  nicht  das 
geistige  Regulativ  für  rhythmische  Kunstformen. 

Der  'alternierende'  Irrtum  entsteht  dadurch,  dafs  man  vom  Inhalt  der 
Dichtung  absieht,  nur  auf  das  Klappern  der  Akzente  hört,  es  mifst  und 
'Rhythmus'  nennt.  Dabei  wird  vorausgesetzt,  dafs  die  regelmäfsige  Wieder- 
kehr von  relativ  bestimmten  Hochtönen  oder  Schlägen  in  relativ  be- 
stimmten Zeiträumen  'Rhythmus'  mache:  das  Ticktack  einer  Uhr,  das 
Stofsen  eines  rollenden  Eisenbahnwagens  wären  rhythmisch.  Rhythmus 
wäre  ein  physikalischer,  kommensurabler,  durch  Zahlen  (Brüche)  oder 
Kurven  darstellbarer  Vorgang  und  nichts  anderes.  Rhythmik  wäre  — 
arithmetische  Akustik.  Tatsächlich  aber  ist  Rhythmus  ein  psychophysischer 
Vorgang  und  enthält  ein  wichtiges  inkommensurables  Element,  nämlich 
eben  das  psychische,  und  Rhythmik  ist  ein  Zweig  der  Ästhetik.  So- 
wenig man  mit  den  von  Helmholtz  entdeckten  Gesetzen  der  Akustik 
die  psychische  Wirkung  eines  Musikstückes  oder  gar  musikalische 
Gesetze  statuieren  kann,  gerade  so  wenig  läfst  sich  der  psychische  Wert 
(Eindruck)  des  rascheren  oder  langsameren  Tickens  einer  Uhr  nach  irgend- 
welcher Regel  feststellen.  Das  Ticktack  hat  gar  keinen  psychischen  Wert, 
aber  es  kann  sich  mit  jedem  beliebigen  geistigen  Eindruck  und  Ausdruck 
aufs  innigste  verbinden.  Ein  Reisender  in  der  Eisenbahn  kann  das  Stofsen 
der  Räder  zu  den  rosigsten  Phantasien  rhythmisch  verarbeiten,  während 
i&ein  Nebensitzer  sich  auf  dasselbe  Tempo  ein  Grablied  singt. 
Goethe  sagte  lächelnd  in  straffen  Trochäen: 

Fand  mein  Holdchen 

Nicht  daheim, 

Mufa  das  Goldchen' 

Draufsen  sein. 
Sein  Freund  Schiller  träumte  nach  dem  gleichen  Ticktack: 

Von  dem  Dome 

Schwer  und  bang 

Tönt  die  Glocke 

Grabgesang. 
Beide  aber  haben  den  richtigen  Rhythmus  für  ihre  Stimmung  getroffen.  — 
Daraus    folgt    nun    doch    wohl,    dafs   der  Rhythmus    als  kommensurable 

'  Saran  in  seiner  Kritik  des  Buches  (Deutsche  Literaturzeitung  1904)  läfst  den 
Verfasser  mit  Recht  nicht  als  einen  reinen  Vertreter  der  alternierenden  Theorie 
gelten,  denn  dazu  fehlt  ihm  das  spezifische  Charakteristikum,  nämlich  die  Lehre 
von  der  'schwebenden  Betonung'.  Geradesowenig  aber  darf  Samson-Himmelstjerna 
ohne  weiteres  zu  den  'Akzentuierenden'  gerechnet  werden. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  237 

GrÖfse,  als  Schema,  Kurve,  statistisches  Objekt  keinerlei  psychischen  Werl 
hat;  er  kann  einen  solchen  nur  haben  insofern,  als  er  etwas  Inkom- 
mensurables, ein  geistiger  Vorgang  ist.  Für  die  Philologie,  d.  h.  für  die 
Wissenschaft  vom  geistigen  Ausdruck  (Sprache^,  ist  darum  das  Messen 
und  Zählen  der  Verse,  Silben,  Hebungen  usw.  absolut  nutzlos. 

Aber  nicht  blofs  nutzlos,  sondern  auch  unmöglich:  theoretisch  un- 
möglich. Will  man  es  trotzdem  praktisch  versuchen,  so  wird  das  Re- 
sultat immer  unzulänglich  ausfallen,  und  das  ist  für  einen  exakten 
Menschen  dasselbe  wie  falsch.  Ich  behaupte,  dafs  ich  imstande  bin, 
von  sämtlichen  rhythmischen  Normen,  Regeln,  'unabänderlichen  Gesetzen', 
die  auf  statistischem  Wege  gewonnen  wurden,  zu  beweisen,  dafs  sie 
falsch  sind. 

Falsch  ist  es,  dafs  im  spanischen  und  französischen  Verse  nie  mehr 
als  zwei  Senkungen  aufeinander  folgen.  Ich  schlage  aufs  Geratewohl  die 
Komödien  des  Lope  de  Vega  auf  und  finde  einen  Elfsilbler: 

Padre,  ninguno  en  Ndpoles  me  culpa 

{La  obediencia  lanreada  II,   10). 
Falsch  ist  es,  dafs  im  Spanischen  keine  Doppelsenkungen  zu  Anfang  des 
Verses  stehen.     Wieder  hilft  mir  Lope: 

Quieo  la  tieue, 
Tiene  pölvo,  hümo,  iiäda,  vi6nto  y  sombra 

(La  discreta  vengama  II,   19). 
Falsch,   dals  kein  romanischer  Vers  mit  Doppelhebung  beginnen   dürfe. 
Ein  rhythmisch  berühmter  Dantescher  Vers  lautet: 

Lk  öve  terminava  quella  valle  (Inferno  I,  14) 

usw.  usw.  Eines  mufs  in  diesen  Fällen  immer  vergewaltigt  werden :  ent- 
weder das  Kunstwerk  oder  die  Regel.  In  solcher  Alternative  aber  ist  mir 
jenes  unendlich  viel  heiliger  als  diese. 

Je  weiter  man  das  statistische  Beobachtungsmaterial  ausdehnen  wird, 
und  je  mehr  man  in  Aer  Methode  nach  Exaktheit  streben  lernt,  desto 
rascher  ist  zu  hoffen,  dafs  die  Unzulänglichkeit  und  Nutzlosigkeit  des  Be- 
mühens einleuchtet.  Ein  Anhänger  der  experimentellen  Psychologie  in 
Würzburg  hat  sich  bereits  ans  Werk  gemacht  und  zählt  mit  treuem  Eifer 
die  rhythmischen  Akzente  in  der  deutschen  und  französischen  Prosa  I' 
Das  Verhängnis  der  Philologie  scheint  zu  wollen,  dafs  sie  den  Kelch 
dieses  Irrtums  bis  zur  Neige  trinke.  Meinerseits  kann  ich  ihr  zu  diesem 
trüben  und  faden  Gebräu  nur  ein  ironisches  Prosit!  wünschen.  Das  Re- 
sultat ist  leicht  vorauszusehen:  anstatt  gründlicher  ästhetischer  (rhyth- 
misch-stilistischer) Analysen,  aus  denen  der  organische  Zusammenhang 
resp.  die  Diskrepanz  von  Inhalt  und  Form  in  den  einzelnen  Kunstwerken 
ersichtlich  wird,  bekommen  wir  einen  Haufen  von  unsicheren  Zahlen  oder 
Kurven,  ein  verschwommenes  statistisches  Bild  von  Schwankungen,  deren 
Grund  uns  verborgen  bleibt.  Nirgends  wird  das  mephistophelische  Wort 
besser  passen: 

Wer  will  was  Lebendigs  erkennen  und  beschreiben, 

Sucht  erst  den  Geist  herauszutreiben, 

Dann  hat  er  die  Teile  in  seiner  Hand, 

Fehlt  leider!  nur  das  geistige  Band.  — 

Neben  zahllosen  Ausnahmefälleh,  die  unser  rhythmischer  Gesetzgeber 
nicht  sieht  oder  nicht  sehen  darf,  gibt  es  nun  aber  eine  Gruppe  von  Er- 


K.  Marbe,   Über  den  Rhythmus  der  Prosa,  Vortrag.     Giefsen  1904. 


238  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

scheinungen,  die  seinen  Aiternationsformeln  so  überlaut  ins  Gesicht  schla- 
gen, dafs  er  sich  mit  ihnen  auseinandersetzen  mufste.  Es  sind  die  so- 
genannten Akzenthäufungen  oder  starken  Cäsuren.    Fälle  wie: 

Y  no  te  escuchö  Diös,  y  blasfemaste 
oder :  Soleil,  qui  vois,  entends,  connais  tout,  et  toi  mer.  . . . 

Diese  Akzenthäufungen  bezeichnet  der  Verfasser  als  'poetische  Li- 
zenzen', von  denen  zugegeben  werden  müsse,  'dafs  sie  nicht  als  Fehler 
zu  gelten  haben  und  nicht  durchaus  vermieden  werden  müssen,  dafs  sie 
vielmehr  höchst  wahrscheinlich  zum  Hervorbringen  besonders  starker 
Effekte  hin  und  wieder  statthaft  sind'  (S.  15),  und  dafs  sie  'überall  zu 
vermeiden  bezw.  nicht  willkürlich  hervorzurufen'  sind,  'wo  nicht  besondere 
Effekte  augenscheinlich  beabsichtigt  waren  oder  vorausgesetzt  werden 
durften.  —  Kaum  weiter  ist  Willkür  zuzulassen.'  —  Sonderbare  Logik! 
Wenn  der  Dichter  mit  bestimmter  und  guter  Absicht  vom  Schema  ab- 
weicht, so  ist  es  Willkür,  aber  erlaubte  Willkür,  denn  sie  hat  ihren 
Grund  —  also  keine  Willkür?  Bei  uns  in  Deutschland  nennt  man  das 
Freiheit,  nicht  Willkür. 

So  hätten  wir  also  zwei  Prinzipien,  die  über  den  Rhythmen  walten: 
1)  das  der  objektiven  Regel,  das  die  'Natur  des  Verses'  ausmachen  soll, 
'2)  das  der  subjektiven  Freiheit  ('poetische  Lizenz').  —  Dafs  die  'objektive 
Regel'  kein  'Gesetz'  ist,  haben  wir  gesehen  und  ergibt  sich  aus  der  Exi- 
stenz des  zweiten  Prinzips:  der  Lizenz.  Was  ist  sie  denn,  diese  Regel? 
Nennen  wir  das  Kind  beim  Namen:  es  ist  Sitte,  Konvention,  Tradition, 
technische  Gewohnheit  und  hat  mit  der  'Natur  des  Verses'  gar  nichts  zu 
tun:  denn  die  wahre  Natur  der  poetischen  Formen  ist  Freiheit: 
Autonomie.  Sitte  und  Konventionen  aber  beruhen  auf  Nachahmung 
und  entstehen  durch  Mangel  an  geistiger  Aktivität  und  Originalität.  Sie 
sind  das  Passive  und  Defiziente  in  unserem  Geistesleben,  kein  positives 
Prinzip,  mit  dem  die  Wissenschaft  arbeiten  könnte.  —  Wir  haben  ein 
Analogon  in  der  Ethik:  da  die  Menschen  leider  nicht  immer  nach  eigenem 
ethischen  Willen  handeln,  so  entstand  das  Handeln  nach  Gewohnheiten 
und  Trieben,  das  moralisch  oder  unmoralisch  sein  kann,  und  es  ent- 
stand zugleich  in  unphilosophischen  Köpfen  die  Illusion,  dafs  es  in  der 
Ethik  zwei  Prinzipien  gebe:  das  des  vernunftgemäfsen  ethischen  Willens, 
d.  h.  das  Prinzip  des  Guten  und  der  Freiheit,  und  das  der  Konvention, 
der  objektiven  Menschennatur,  des  Nichtwillens  oder  das  Prinzip  des 
Bösen  und  der  Gebundenheit.  An  objektive  Regeln  in  der  Dichtkunst 
glauben  ist  dasselbe  wie  an  den  Teufel  in  der  Ethik  glauben.  Gäbe  es 
nur  gute  und  durch  und  durch  originelle  Dichter,  so  wäre  dieser  ästhetische 
Teufelsglaube,  den  man  die  mechanische  Verslehre  nennt,  schwerlich  ent- 
standen. Die  Silbenzähler  und  Silbenmesser,  kurz:  die  Pedanten  wüfsteu 
sich  dann  in  all  der  herrlichen  und  souveränen  Freiheit  einer  vollkom- 
menen Dichtkunst  gar  nicht  mehr  zu  helfen.  —  So  aber  scheint  es,  dafs 
das  Häfsliche  in  der  Kunst  und  die  Pedanterie  in  der  Verslehre  füreinander 
geschaffen  sind.  Mag  man  doch  immer  die  Verse  der  Stümper  zerpflücken 
und  messen!  Aber  wer  Goethes  'Über  allen  Wipfeln  ist  Ruh^  in  ein 
Schema  prefst,  der  vergreift  sich! 

Man  wird  uns  einwenden,  dafs  auch  vollendete  Meister  sich  gern  in 
hergebrachten  Formen  bewegen,  wie  Sonett,  Alexandriner,  Ballata  u.  dgl. 
(jrewifs,  aber  sie  durchgeistigen  diese  Formen  so  sehr,  dafs  die  Vierteilungen 
in  ihren  Sonetten,  die  Cäsur  in  ihren  Alexandrinern,  der  Refrain  in  ihren 
Ballaten  sich  als  innere,  autonome  und  organische  Notwendigkeiten  er- 
geben, nicht  mehr  als  Konventionen.  In  der  Lösung  dieser  Aufgabe 
liegt  gerade  der  Reiz,  den  hergebrachte  Formen  auf  grofse  Meister  aus- 
üben. —  Auch  eine  gute  Tat  verliert  oder  gewinnt  an  ethischem  Werte 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  239 

nicht  das  geringste  dadurch,  dals  sie  den  gesellschafthchen  Gebräuchen 
entspricht  oder  zuwiderläuft.  —  Und  ich  möchte  fast  behaupten,  dafs  ein 
recht  schönes  Sonett  auch  eine  Handvoll  Silben  zuviel  oder  zuwenig 
haben  darf. 

Mit  all  dem  soll  nicht  gesagt  sein,  dafs  die  Untersuchung  und  Kennt- 
nis der  rhythmischen  und  metrischen  Konventionen  wertlos  sei.  Dem 
Dichter  freilich  kann  sie  gerade  so  viel  schaden  als  nützen,  dem  Literar- 
historiker und  dem  Sprachhistoriker  aber  ist  sie  unentbehrlich.  Nur  darf 
man  von  dieser  empirischen  und  meinethalben  auch  dogmatischen  Hilfs- 
wissenschaft nicht  mehr  erwarten,  als  sie  geben  kann:  eine  ungefähre, 
mehr  oder  weniger  oberflächliche  Beschreibung  und  Klassifizierung  rhyth- 
mischer und  metrischer  Gebilde  ohne  Einsicht  in  deren  Lebensbedingungen. 

Treten  wir  mit  diesen  stark  reduzierten  Erwartungen  an  die  Rhythmik- 
studien des  Verfassers  heran,  so  werden  wir  auch  manches  Wertvolle 
darin  finden.  Besonders  den  kritischen  Auseinandersetzungen  mit  Quicherat, 
Lubarsch,  Lachmann  und  A.  Amelung  wird  man  unbedingt  zustimmen. 
Es  bewahrheitet  sich  hier,  was  wir  schon  angedeutet  haben :  nämlich  dafs 
die  qualitative  und  quantitative  Steigerung  der  positivistisch-statistischen 
Methode  zur  allmählichen  Selbstauflösung  derselben  führt.  Für  sach- 
kundige Philologen  freilich  standen  wohl  alle  Türen,  die  der  Verfasser 
einzurennen  glaubt,  schon  lange  offen.  Auch  die  'neuen'  Probleme,  die  er 
der  Forschung  stellt,  sind  teils  gelöst,  teils  unlösbar.  So  z.  B.  die  Frage 
nach  dem  historischen  Zusammenhang  der  achthebigen  Hymnenlangzeile 
mit  dem  Saturnier. 

Am  schwächsten  ist  der  dritte  Teil  der  Arbeit.  Dort  bemüht  sich  der 
Verfasser,  die  aus  der  spanischen  und  französischen  Dichtkunst  abstrahierten 
Regeln  in  deutschen  Versen  nachzuweisen.  Nur,  meint  er,  seien  bei  uns 
die  ursprünglichen  (gemein-indogermanischen !)  Verhältnisse  durch  natur- 
widrige gelenrte  Bestrebungen  entstellt  und  müfsten  erst  in  ihrer  alten 
Reinheit  wieder  herausgearbeitet  werden.  Zu  diesem  Zweck  empfiehlt  er 
uns  möglichst  treue  Nachbildung  der  romanischen  Rhythmen  und  gibt 
dazu  eine  Reihe  von  selbstgedichteten  Proben,  die  eher  abschreckend 
wirken  dürften.  Von  der  grundverschiedenen  Natur  des  germanischen 
Akzentes,  von  der  aufserordentlichen  Variationsfähigkeit  unserer  jambischen 
und  trochäischen  Rhythmen,  die  sich  freilich  nicht  im  Schema,  sondern 
erst  in  der  Diktion  offenbart,  scheint  er  keine  Ahnung  zu  haben.  Über- 
haupt kann  ich,  angesichts  seiner  nicht  ungewandten,  aber  häufig  inkor- 
rekten Ausdrucksweise,  mich  eines  leisen  Zweifels  an  der  Sicherheit  seines 
deutschen  Sprachgefühls  nicht  erwehren. 

Grauenvoll  aber  ist  die  Zahl  der  Druckfehler.  Am  Schlul's  des  Heftes 
steht  ein  Verzeichnis  von  199  'Drjickfehlern  die  vor  dem  Lesen  des  Textes 
zu  berichtigen  sind'.  Der  Leser  mag  sich  die  Mühe  sparen,  denn  ich  kann 
ihn  versichern,  dafs  w^enigstens  noch  zweimal  so  viele  nicht  verzeichnete 
sich  im  Text  und  besonders  in  den  spanischen  und  französischen  Zitaten 
verbergen.  Auf  S.  44  habe  ich  deren  etwa  zwanzig  gezählt.  Eine  ge- 
nauere Statistik  halte  ich  auch  hier  für  unerspriefslich. 

Heidelberg.  Karl  Vofsler. 

Henri  Hauvette,   Luigi  Alamanni  (1495 — 1556),   sa  vie  et  son 
cjeuvre.    Paris,  Hachette,  19^3.    Un  vol.  in-8,  de  XIX  et  583  pages. 

Ce  n'est  pas  sans  quelque  inquietude  que  j'ai  ouvert  le  gros  volume 

?ue  M''  Hauvette  consacre  a  un  po^te  de  deuxi^me  ordre  du  XVI^  si^cle. 
^ranchement,  je  redoutais  d'avance  une  de  ces  ^tudes,  d'une  Erudition  fati- 
gante  et  parfois  inutile,  par  lesquelles  la  science  contemporaine  täche  de 
racheter  son  peu  d'originalit^.  Cette  crainte  s'est  heureusement  dissipee; 
d^s  les  premieres  pages,  on  sent  que  les  documents  des  archives,  consultös 


240  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

d'ailleurs  avec  fruit,  ne  tont  oublier  ä  M'  Hauvette  ni  les  ceuvres  littöraires, 
ni  les  inoeurs  et  les  passions  des  hommes,  ni  l'art  de  la  dispositiou.  SauB 
exag^rer  une  seule  fois  les  m^rites  d'Alamauni,  il  a  su  le  ressusciter,  le 
rendre  sympathique ;  par  une  juste  appr^ciation  de  l'^poque  et  du  milieu 
oü  le  po^te  a  vecu,  ce  livre  apporte  une  contribution  tr^s  remarquable 
ä  rhistoire  litt^raire  de  Tltalie  et  de  la  France. 

L'influence  de  l'Italie  sur  la  Pleiade,  affirm^e  nagu^re  d'une  fayon 
tr^s  g^n^rale,  a  4it6  l'objet,  depuis  quelques  annees,  de  plusieurs  ötudes 
speciales.  Tout  le  monde  connait  les  beaux  travaux  de  MM.  Vianey,  Fla- 
mini, Pi^ri,  Chamard;  il  reste  encore  beaucoup  ä  faire,  particuliferement 
sur  Tepoque  qui  präc^da  et  pröpara  la  Pleiade.  Une  th^se  de  Zürich  (de 
M""  A.  Baur)  paraitra  prochaiuement  sur  Maurice  Sc^ve  et  la  ville  de  Lyon, 
qui  fut  la  porte  par  oü  l'italianisme  entra  en  France.  Le  livre  de  M''  Hau- 
vette concerne  ^galement,  en  deruier  ressort,  cette  genese  de  la  Renaissance 
franyaise,  puisque  Alamanni  v^cut  en  France  les  plus  belles  annöes  de 
son  activit^  litt^raire. 

N4  ä  Florence  le  3  Octobre  1495,  il  Studie  au  Studio  et  fr^quente  les 
Orti  Oricellari,  oü  Giovanni  et  Cosimo  Eucellai,  Zanobi  Buondelmonti, 
Francesco  Guidetti  et  d'autres  encore,  group^s  autour  de  Machiavel  et  du 
Trissin,  parlent  de  philosophie,  de  politique  et  surtout  de  litt^rature.  D^s 
1515  il  fait  des  sonnets  amoureux;  il  lit  beaucoup  les  classiques  grecs  et 
latins.  La  plupart  de  ces  jeunes  gens  sont  fortement  influenc^s  par  les 
id^es  politiques  de  Machiavel;  ils  fönt  contre  les  M^dicis  (mai  et  juin  1522) 
une  conspiration  qui  aboutit  ä  une  debandade  g^n^rale.  Alamanni  s'en- 
fuit  ä  Venise,  de  lä  ä  Lyon;  en  1524  il  est  ä  Aix,  oü  il  se  lie  d'une 
amiti^  durable  avec  une  noble  femme,  Batina  Larcara  Spinola,  qui  figu- 
rera  dans  ses  vers  sous  le  nom  de  Ligura  Planta, '  et  lui  vaudra  jplus  tard 
la  protection  de  Frangois  I'^' ;  mais  pour  le  moment  il  ne  re9oit  du  roi 
aucune  faveur  particuli^re ;  en  mai  1527,  il  rentre  ä  Florence  (qui  avait 
chass^  les  M^dicis)  et  met  au  service  de  la  patrie  en  danger  un  sens  poli- 
tique.tr^s  avis^.  Soins  inutiles  d'ailleurs:  gräce  ä  la  rivalitö  des  villes,  ä 
l'ambition  du  pape  et  aux  armees  etrang^res,  l'Italie  etait  condamn^e  ä  la 
d^ch^ance  politique  et  morale;  lorsque  Florence  capitula  (12  aoüt  1530), 
Alamanni  s'^tait  d^jä  r^fugi^  en  France;  il  ne  revit  pas  sa  viile  natale. 
Une  vie  toute  nouvelle  commence  pour  lui:  le  citoyen  d'une  ville  libre 
devient,  sur  la  terre  d'exil,  po^te  courtisan. 

II  faut  s'entendre  pourtant:  la  terre  d'exil  fut  pour  le  pofete  une  se- 
conde  patrie,  et  il  sut  m^riter  l'estime  de  Franyois  I  par  des  Services 
exempts  de  toute  bassesse;  11  demeura  jusqu'ä  la  fin  un  homme  de  ccBur 
et  de  probit^.  Ses  Opere  toscane,  publikes  de  1532  ä  1533,  ^taient  d^di^es 
au  roi,  qui  lui  accorda  dfes  lors  de  nomt)reuses  largesses,  sans  lui  imposer 
des  charges  pr^cises.  II  est  probable  qu'Alamanni  plaida  plus  d'une  fois 
pour  sa  patrie  asservie;  sans  r^sultat;  il  revit  du  moins  l'Italie  ä  plusieurs 
reprises,  soit  comme  secr^taire  du  cardinal  Hippolyte  d'Este,  soit  comme 
ambassadeur.  Au  cours  de  ses  sejours  ä  Padoue,  Ferrare,  Rome,  Naples 
et  Venise,  il  connut  Benedetto  Varchi,  Bembo,  Annibal  Caro,  Barbaro, 
Operone,  1' Ärztin,  Beatrice  Pia,  Vittoria  Colon  na,  et  se  maintint  ainsi  en 
contact  constant  avec  la  litt^rature  italienne;  le  fait  n'est  pas  ä  n^gliger. 

En  1544,  Alamanni  est  nomm^  maitre  d'hötel  de  la  Dauphine,  Catne- 
rine  de  M^dicis;  il  avait  ^pous^  en  secondes  noces  une  de  ses  dames 
d'honneur;  il  m^ne  une  vie  ais^e,  paisible  et  6cnt  ses  grands  ouvrages :  la 
Goltivaxione,  Qyrone  il  öortese,  Flora.  Catherine  devenue  reine  lui  con- 
serva  toute  sa  faveur;  il  est  ambassadeur  ä  Genes  en  1551.  II  meurt  ä 
Amboise  le  18  avril  1556,  sans  avoir  pu  publier  VAvarehide,  achev^e  d^s  1554. 

Les   6ditions   modernes   portent  ügure;   Alamanni  a  ecrit  ligura.     De  m§me 
l'editeur  Kaffaelli  ecrit  k  tort  Badsta  au  lieu  de  Baiina. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  241 

M'  Hauvettc  consacre  147  pages  a  la  biographie  d'Alamanni;  c'est 
peut-etre  beaucoup  pour  une  vie  qui  fut  somme  toute  assez  tarne;  mais 
c'est  qu'Alamanni  a  6t6  möl^,  sans  y  prendre  une  part  pr^pond^rante,  ä 
une  quantit^  d'ev^nements,  grands  ou  petits,  politiques  ou  litt^raires.  II 
y  a  de  ces  hommes  utiles  et  modestes  d!ont  rhistorien  rencontre  le  nom  ä 
chaque  pas,  sans  avoir  une  idee  bien  nette  de  leur  personnalit^ ;  ils  ap- 
paraissent  un  instant,  puis  s'effacent  pour  reparaitre  encore;  on  devine 
leur  influence,  sans  r^ussir  A,  la  pr^ciser.  Cellini  nous  raconte:  *Mr.  Luigi 
Alamanni  . . .  con  grandissima  piacevolezza  in  mio  favore  aggiunse  molte 
virtuose  parole;  e  allui  s' avvenivano,  perch^  gli  era  bello  d'aspetto  e  di 
Proportion  di  corps,  e  con  suave  voce.'  Ces  hommes  furent  ^cout^s  et 
respect^s;  leur  voix  est  steinte  pour  nous.  Ils  sont  non  pas  la  fleur  ä 
laquelle  on  s'arrete,  mais  l'insaisissable  papillon  qui  vole  d'une  fleur  ä  l'autre 
en  transportant  sans  le  savoir  un  pollen  f^condateur.  Pour  bien  com- 
prendre  l'histoire,  il  faut  rendre  ä  ses  ombres  le  geste  et  la  voix;  il  faut 
reconstruire  patiemment  le  milieu  dans  lequel  et  par  lequel  ils  v^curent; 
M»  Hauvette  y  a  parfaitement  r^ussi  pour  Lui^i  Alamanni,  qui  nous  apparalt 
desormais  dans  ses  traits  essentiels  et  d^finitifs:  non  point  un  capitaine, 
mais  un  chef  de  file;  non  point  un  cr^ateur,  mais  un  heureux  m^diateur. 

De  lt\  r^sulte  pour  nous  la  valeur  de  son  oeuvre  litteraire,  que  M""  Hau- 
vette Studie  en  la  s^parant  nettement  de  la  biographie;  c'est  la  m^thode 
la  plus  simple;  on  en  abuse  souvent;  ici  eile  se  legitime  en  ce  qu'Ala- 
manni n'est  pas  de  ces  hommes  chez  lesquels  l'art  est  un  facteur  essentiel 
de  la  vie,  inseparable  de  la  biographie;  les  rapprochements  sont  d'ailleurs 
indiqu^s  en  leur  lieu. 

C'est  ä  Lyon,  la  ville  italianisante,  chez  S^bastien  Gryphe,  que  paru- 
rent  de  1532  a  1533  les  deux  volumes  intitul^s:  Opere  toscane  di  Luigi 
Alamanni  al  Ghristianissimo  Re  Francesco  Primo.  Le  contenu  en  est 
trfes  variä  de  forme  et  de  fond,  et  se  lit  aujourd'hui  encore  avec  plaisir 
et  profit.  Les  Opere  toscane  sont  d'un  accent  nettement  personnel  et  trai- 
tent  tantöt  d'amour,  tantot  de  politique,  de  morale  ou  de  religion.  M»"  Hau- 
vette consacre  quelques  pages  charmantes  aux  femmes  qu'Alamanni  a 
aimees,  de  facon  diverse,  et  chant^es :  c'est  d'abord  Flora,  la  belle  infidfele 
qu'il  identifie  peu  ä  peu  avec  Florence;  puis  une  Parisienne,  Vermiglia 
rosa,  dont  la  iaveur  dura  ce  que  durent  les  roses;  Cynthia,  qui  ne  fut 
gu^re  qu'un  amour  litteraire;  la  Ligura  Planta,  pure  amie  et  tid^le  pro- 
tectrice;  Beatrice  Pia,  la  belle  Ferraraise,  qu'Alamanni  c^lfebre  en  une 
vingtaine  de  sonnets  d'une  galanterie  aussi  conventionnelle  que  respectueuse ; 
enfin,  Elena  Bonaiuti,  la  seconde  femme  du  po^te;  les  vers  qu'il  fit  cer- 
tainement  pour  eile  sont  perdus. 

Les  po^sies  politiques  sont  plus  Vivantes  encore,  animöes  par  un  amour 
ardent  de  Florence.  II  y  a  lä  de  beaux  accents  de  col^re,  de  d^sespoir  ou 
de  m^lancolie.  Le  civisme  a  inspire  Alamanni  beaucoup  mieux  que  la  pure 
morale  ou  que  la  religion;  sa  'conversion'  qui  daterait  d'octobre  1525  fut 
^videmment  peu  profonde.  Sa  muse  ne  s'est  jamais  abandonn^e  aux  vo- 
lupt^s  des  po^tes  latins  ou  Italiens;  eile  est  chaste,  mais  eile  a  ignor^ 
aussi  la  pensee  originale  et  profonde. 

Pour  la  forme,  ä  cot^  de  l'imitation  directe  de  P^trarque  (sonnet,  can- 
zone,  bailade,  madrigal),  il  y  a  chez  Alamanni  quelques  nouvaut^s  parti- 
culi^rement  importantes  pour  la  litt^rature  frangaise:  c'est  Töl^gieamou- 
reuse  (forme  nouvelle  du  capitolo)  oü  la  terza  rima  r^pond  au  distique 
de  TibuUe  et  Properce;  dans  cette  voie,  Alamanni  avait  ^t^  prec^d^  par 
l'Arioste,  mais  sans  en  avoir  connaissance  ä  ce  qu'il  semble;  l'id^e  ätait 
dans  l'air  et  fut  r^alisee  ä  la  möme  ^poque  par  differents  po^tes;  c'est 
ensuite  la  satire,  d^riv^e  egalement  du  capitolo  en  terza  rima;  ici  la 
priorit^  de  l'Arioste  est  aussi  indiscutable  que  sa  sup4riorit6;  c'est  encore 
le  vers  blanc  (verso  sciolto)  employ^  d^jä  par  le  Trissin  et  par  Giovanni 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  16 


242  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Rucellai  dans  la  po^sie  dramatique  et  didactique,  introduit  par  Alamanni 
dans  la  po^sie  narrative  et  descriptive  (les  ^glogues,  les  Selve  et  plus  tard 
la  Coltivazione) ;  et  enf in  c'est  1 '  n  y  m  n  e  qui  est  au  fond  Tode  pindarique. 
Toutes  ces  formes  vont  devenir  classiques  en  France  comme  en  Italie,  et 
d'autres  pofetes  feront  oublier  la  part  qu'Alamanni  a  prise  ä  leur  diffusion; 
M*"  Hauvette  a  ce  m^rite  de  r^tablir  un  fait  historique  en  montrant  com- 
ment  Alamanni,  par  son  long  söjour  en  France,  a  puissamment  contribue 
ä  J'av^nement  du  classicisme  dans  sa  forme  et  dans  son  esprit. 

Les  traductions  et  imitations  de  po^mes  antiques  ne  nous  ar- 
reteront  pas  longtemps,  bien  qu'il  soit  instructif  de  voir  les  nuances  qu'y 
apporte  le  goüt  'classique'.  Ainsi  dans  VAntigone  (traduite  entre  1520  et 
1527),  la  traduction  quoique  fid^le  a  une  tendance  ä  la  paraphrase;  au 
detail  realiste,  pittoresque,  Alamanni  pr^f^re  les  expressions  les  plus  g4- 
n^rales,  les  plus  nobles;  il  efface  certains  coutrastes  oü  le  comique  sert 
de  repoussoir  au  tragique;  sa  psychologie  est  plus  uniformement  h^roique, 
eile  a  quelque  chose  de  th^ätral.  Dans  la  Favola  di  Narcisso  (Ovide, 
Metam.  III,  344 — 510)  le  merveilleux  est  exclu  autant  que  possible;  la 
vraisemblance  et  la  raison  triomphent  de  Timagination. 

Les  Oeuvres  les  plus  considörables  d'Alamanni,  Celles  qui  firent  sa  c^- 
l^brit^,  sont  pour  nous  moins  Vivantes  que  les  Opere  toscane;  elles  gardent 
leur  valeur  relative  ou  historique.  La  Coltivazione  (6  livres,  en  vers  blancs) 
fut  inspir^e  par  les  Göorgiques,  comme  le  Äpi  de  Rucellai.  L'observation 
y  a  pour  point  de  d^part  le  travail  du  paysan  fran§ais,  mais  g^n^ralisö 
et  avec  de  fröquents  emprunts  ä  l'agriculture  en  Toscane.  La  conception 
philosophique  et  po^tique  de  la  nature  y  manque  totalement;  quelques 
bonnes  descriptions  y  sont  noy^es  dans  des  digressions  deplacöes.  Le 
style  est  'noble',  il  evite  avec  soin  toutes  les  expressions  paysannes.  On 
s'explique  que  ce  mödicore  po^me  ait  ^t^  surtout  c^lfebre  au  XVIII^  sifecle; 
par  une  de  ces  ironies  dont  Thistoire  litt^raire  abonde,  il  a  sauv^  le  po^te 
de  l'oubli,  en  attendant  que  la  critique  remit  les  choses  au  point. 

De  Qyrone  il  Gortese  il  suffira  de  dire  qu'il  compte  28720  vers  (en 
octaves)  Berits  en  vingt  mois!  Publik  en  1548,  c'est  une  traduction  de 
Qyron  le  Courtois,  avec  coupures  et  additions ;  vers  la  fin,  il  y  a  aussi  des 
emprunts  ä  Meliadus  et  ä  Tristan. 

La  com^die  intitul^e -Mora  (terminde  en  1549,  jou^e  devant  la  cour  en 
1555,  imprim^e  ä  Florence  en  l55Öj  nous  Interesse  surtout  par  sa  versi- 
fication.  Suivant  l'exemple  de  Claudio  Tolomei,  Alamanni  pr^tend  sou- 
mettre  le  vers  Italien  aux  regles  de  Ja  m^trique  latine  et  grecque,  non  pas 
en  attribuant  aux  syllabes  une  quantite  conventionnelle,  mais  par  l'alter- 
nance  des  syllabes  atones  et  toniques.  Son  s6naire  iambique  pourrait 
donc  se  repr^senter:  --  ^-  --  «-  -^  --,  avec  Substitution  possible  du 
iambe  par  l'anapeste.  —  Le  sujet  lui-meme  est  mediocre;  c'est  une  mo- 
saique  d'emprunts  ä  Piaute,  T^rence  et  Boccace;  compar^e  aux  comädies 
r^alistes  de  TArioste,  de  Machiavel,  de  l'Aretin,  celle  d'Alamanni  marque 
un  recul,  par  exag^ration  de  classicisme.  Le  style  pourtant  est  vivant  et 
ne  manque  pas  d'une  saveur  toute  florentine. 

La  derni^re  oeuvre,  VAvarehide,  me  parait  la  plus  interessante  au 
point  de  vue  historique.  Cette  öpop^e,  congue  dfes  1548,  achev^e  dans 
sa  premifere  r^daction  en  1554,  ne  fut  publice  qu'en  1570,  par  le  fils  du 
po^te;  eile  raconte  le  si^ge  d'Avaricum  (Bourges)  vers  l'an  500,  par  une 
arm^e  chr^tienne,  dont  les  chefs  s'appellent  Arthur,  Lancelot,  Tristan. 
Avarco,  c'est  la  Troie  de  Vlliade.  C  est  dire  qu'Alamanni  a  essay^  de 
fondre  le  roman  chevaleresque  de  l'Arioste  avec  l'^pop^e  classique  d'Ho- 
mfere  et  de  Virgile.  Son  oeuvre  est  en  quelque  sorte  une  r^ponse  ä  V  Or- 
lando Furioso,  dont  Alamanni  devait  blämer  l'intrigue  enchevetr^e  et  la 
merveilleux.  Entre  VItalia  Über  ata  du  Trissin  et  VAmadigi  de  ßernardo 
Tasso,  VAvarehide  repr^sente  une  Solution  intermediaire,  celle-lä  möme  qui 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  243 

sera  realis^e  par  le  g^nie  de  Torquato  Tasso.  Chez  Alamanni,  ce  n'est 
qu'un  essai;  le  souffle  lui  manquait;  il  emprunte  ä  l'^popee  romanesque 
les  noms,  les  moeurs,  quelques  aventures;  ä  Vlliade  tout  le  reste;  sans 
r^ussir  ä  fondre  les  deux  ^l^ments.  II  supprime  d'ailleurs  le  merveilleux 
pai'en  aussi  bien  que  le  merveilleux  chr^tien. 

Pour  la  prose,  il  faut  citer  surtout  les  lettres.  D'une  vaste  correspon- 
dance  qui  va  de  1519  ä  1555,  nous  ne  poss^dons  que  65  lettres,  dont  25 
n'ont  i)a8  ^t^  r^dig^es  par  Alamanni;  elles  sont  d'un  style  sans  apparat, 
et  contiennent  peu  de  d^tails  personnels. 

Aprfes  une  discussion  des  oeuvres  apocryphes,  et  un  chapitre  de  con- 
clusion  tout  ä  fait  remarquable,  M*"  Hauvette  public,  en  quatre  appen- 
dices,  quelques  poesies  inedites,  une  bibliograpnie  des  lettres  et  douze 
lettres  inedites,  des  documents  relatifs  ä  la  biographie,  une  bibliographie  des 
ceuvres.  Enfin  un  index  trfes  complet  des  noms  propres  augmente  encore  la 
valeur  du  volume  comme  source  de  renseignements  sur  toute  cette  ^poque. 

La  conclusion,  dont  on  ne  saurait  trop  louer  la  perspicacit^  et  la  mo- 
d^ration,  couronne  dignement  une  ^tude  qui  en  d'autres  mains  n'eüt  ^t^ 
p)eut-6tre  qu'uue  accumulation  de  petits  faits.  M'"  Hauvette  y  montre 
combien  grande  a  ^t^  Tinfluence  d'Alamanni  sur  le  programme  ;fcrac^  par 
Du  ßellay  dans  sa  Deffence.  Dans  les  genres  c^ue  recommande  Du  Bellay, 
dans  ses  exclusions  et  jusque  dans  ses  contradictions,  M^  Hauvette  rel^ve 
des  coincidences  frappantes  avec  l'oeuvre  d'Alamanni;  il  me  paralt  avoir 
prouvö  que  Ronsard  et  Du  Bellay  ont  connu  la  r^volution  litt^raire  ac- 
complie  en  Italic  surtout  par  Alamanni,  beaucoup  plus  que  par  le  Trissin 
ou  rArioste.  '. . .  ä  l'heure  oü,  tout  jeunes  encore  et  reduits  ä  tätonner, 
ils  ne  savaient  clairement  qu'une  chose,  c'est  qu'ils  voulaient  rompre  avec 
les  traditions  alors  en  honneur  dans  la  po^sie  frangaise,  Alamanni  leur 
apprit  par  son  exemple  oü  ^taient  les  modales  ä  imiter  et  comment  on 
pouvait  implanter  la  po^sie  classique  dans  une  litt^rature  moderne.  Son 
(Buvre  suppl^a  donc  dans  une  certaine  mesure  ä  l'inexp^rience  de  ces 
jeunes  r^formateurs ;  eile  leur  fournit  le  point  d'appui  n^cessaire,  le  terrain 
solide  dont  ne  peut  se  passer  aucun  construeteur  de  Systeme;  eile  les  aida 
grandement,  dans  la  häte  avec  laquelle  ils  formulferent  leur  programme,  ä 
pr^ciser  quelques  id^es  essentielles.  Ces  id^es  constituent  toute  une  po^- 
tique,  qui  se  d^gage  spontan^ment  et  avec  une  remarquable  nettet^  de 
chacune  des  oeuvres  d'Alamanni.' 

En  somme,  je  le  r^pfete,  M'"  Hauvette  a  su  nous  donner  un  Alamanni 

vivant  et  sympathique,  un  vrai  galantuomo.     Comme  pofete,  il  manque 

d'imagination,  de  profondeur;   il  a  du  moins  le  souci  de  la  forme  (ce 

qui  est  tr^s  important  ä  ce  moment  lä)  et  la  curiosite  des  formes  nouvelles. 

Quant  ä  l'esprit  classique,  il  se  manifeste  chez  lui  plutöt  comme  un 

appauvrissement,  mais  d'autres  en  tireront  un  meilleur  parti  et  r^aliseront 

ce  que  le  po^te  florentin  n'a  su  qu'ebaucher.    Lui-meme  se  consolait  en 

disant,  non  sans  raison,  et  avec  une  modestie  touchante: 

E  se  ben  mancheran  l'ingegno  e  l'arte, 

So  che  il  semplice  dir,  la  voglia  pia 

Talor  piu  val  che  un  onorato  canto. 

Zürich.  E.  Bovet. 

Poema  de  Fernan  Gon9alez,  texto  critico  con  introdacciön,  notas 
y  glosario,  por  C.  Carroll  Marden,  profesor  adjunto  de  filologia 
espanola  en  la  Universidad  de  Johns  Hopkins.  Baltimore:  The  Johns 
Hopkins  Press.  Madrid:  Libreria  de  M.  Murillo.  1904.  LVIII  -j-  225 
päg%  23  X  16  Cent». 
El  poema  de  clerecia  mäs  estropeado  y  mäs  dificil  de  publicar,  es  el 

que  primero  logra  una  ediciön  critica.    El  autor  de  ella,  el  profesor  de 

10* 


244  BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen. 

Baltimore  C.  C.  Marden,  nos  hace  esperar  desde  luego  un  resultado  satis- 
factorio,  dado  su  conocimiento  de  los  antiguos  textos  espafioles,  ä  los 
cuales  61  ha  consagrado,  preferentemente  sus  estudios  y  publicaciones, 
cuando  aun  en  los  Estados  Unidos  la  atencion  se  iba  en  general  hacia 
las  ^pocas  cläsica  y  moderna  de  la  literatura  espanola. 

Las  dificultades  que  ofrece  el  Poema  de  Fernän  Gonzalez  son  de  las 
mayores;  los  recursos  con  que  cuenta  la  critica  para  su  estudio  son:  un 
solo  manuscrito  muy  malo  y  muy  tardio;  una  prosificaciön  completa, 
posterior  en  40  anos  ä  la  fecha  del  Poema;  algunos  otros  reflejos  prosaicos 
en  obras  mäs  modernas,  y  unas  pocas  coplas  conservadas  segün  otro  ma- 
nuscrito. Marden  aprovechö  estos  escasos  recursos  con  maduro  esmero, 
con  erudiciön  y  talento,  empenando  su  atencion  en  dominar  el  texto,  en 
el  continuo  cotejo  del  mismo  con  las  crönicas  que  le  prosifican,  en  hallar 
oportunas  comparaciones,  en  restaurar  la  ortografla  del  siglo  XIII,  en 
sacar  ä  salvo  la  m^trica,  implacablemente  atropellada  por  el  copista  del 
siglo  XV. 

Es  particularmente  instructivo  seguir  ä  Marden  en  su  compleja  labor; 
tanto  ensena  cuando  atrae  al  asentimiento  como  cuando  sugiere  contra- 
dicciön.  Apuntar^  aqui  las  observaciones  que  se  me  ocurren  al  revisar 
el  libro,  sin  desechar  muchas  bien  menudas  sobre  todo  en  el  examen  del 
texto  restaurado  por  Marden. 

He  aqui  el  contenido  de  la  Introducciön  de  Marden: 

I.  Noticia  de  las  obras  po^ticas  que  inspirö  Fernän  Gonzalez  ä  la 
literatura  antigua,  hasta  el  siglo  XVI.  Limitändonos  al  Poema,  basta 
recordar,  para  comprender  su  importancia,  que  influyö  en  los  cuentos  de 
don  Juan  Manuel,  en  la  leyenda  del  Abad  don  Juan  de  Montemayor,  en 
el  poema  francds  de  Hernaut  de  Beaulande,  y  sobre  todo  en  la  Crönica 
General,  y  por  ella  en  los  romances  y  el  teatro  de  la  6poca  cläsica  y  ro- 
mäntica  de  la  literatura  espanola. 

II.  Los  manuscritos.  El  ünico  extenso,  aunque  no  completo,  el  del 
Escorial  B-IV-12,  es  obra  de  dos  manos  de  fines  del  siglo  XV;  el  examen 
de  las  filigranas  lleva  ä  creer  que  el  papel  se  fabricö  hacia  1465 — 1479. 
Este  era  un  periodo  de  transiciön  en  el  idioma,  sumamente  perjudicial 
para  la  fidelidad  de  la  trasmisi^n  de  la  obra  literaria ;  asl  piden  continua 
atencion  las  formas  gramaticales  que  los  dos  copistas  emplean  en  lugar 
de  las  viejas  del  siglo  XIII,  como  por  ejemplo  las  2^^^  personas  de  plural 
aveys  534b  deves  421d;  estorba  tambi^n  la  extravagante  ortografia  del 
siglo  XV,  tan  caprichosa  en  el  uso  de  la  rr,  la  y,  la  u,  la  s.  Ademäs  uno 
de  los  copistas  ofrece  resabios  galaico  -  portugueses  en  la  m  y  ^  finales 
{afam  513d  etc.,  lorigadox  381,  383,  384,  399),  y  en  alguna  forma  grama- 
tical  (rescebe  546c  etc.).  Anädase  que  ninguno  de  los  dos  amanuenses  tiene 
la  menor  idea  del  metro  ni  el  menor  instinto  de  fidelidad,  y  se  compren- 
derä  el  sinnümero  de  dificultades  con  que  continuamente  ha  tenido  que 
bregar  el  moderno  editor. 

Marden  caracteriza  perfectamente  ambos  copistas:  su  ignorancia,  su 
infidelidad,  su  color  regional.  Solo  insistir^  algo  en  los  resabios  habituales 
que  suelen  viciar  el  metro  de  la  copia;  ya  estän  senalados  por  Marden, 
como  el  poner  nosotros  por  nos  (p.  XVI),  ansyna  por  assi,  de  voluntad 
por  volunter,  Jesu  Oristo  por  Gristo  (coplas  8c,  15b,  201c,  410d)  ö  por  don 
Gristo^  (p«  171  abajo),  menester  por  mester,  etc.;  pero  creo  se  deben  suponer 
en  mäs  ocasiones  que  las  admitidas  en  la  ediciön. 

El  copista  rachaza  la  enclisis  del  pronombre  personal,  que  Marden 
restablece  en  multitud  de  casos;  ademäs  ques  131c,  temom  158b,  nol  207c, 
muertel  209d,  nuncal  215c  (segün  T),  nol  241b,  yl  vio  el  su  f.  248c,  quel 
copo  278c,  quet  286d,  7iol  307c,  qttet  344a,  poral  404d,  otorgat  y  tul  405a,  d, 
qu£.l  449d,  ques  473a,  rrexios  516a,  nol  676a,  alongar  nol  q.  745a. 

El  copista  desconocia  la  palabra  deserrado  o  desarrado  y  escribia  de- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  245 

seredado  (aegiin  feliz  correcciön  de  Marden  ä  3c,  530c)  6  ponla  desonrrado 
379b,  380a.  —  El  adverbio  y  era  para  el  un  arcaismo,  y  ponia  ay  (segim 
advierte  Marden,  466a,  b,  c,  460b,  d,  508c,  516d,  517c,  563b);  6  ally  (Mar- 
den en  464d)  424a  (Marden  mide  puerio^alli),  562c;  6  aqui  639a,  653a.  — 
Pone  ninguno  en  vez  del  arcäico  nul  nuUa  (Marden  344c,  369d,  441  d, 
453c,  537b,  598d,  720a,  723b)  acaso  en  301c;  y  seeuramente  en  668d,  donde 
el  qua  inicial  debe  suprimirse  por  ser  propio  del  verso  6:  non  reyen  nul 
logar;  y  en  381c  {por)  nulla  guisa  contados  (comp,  el  adverbio  otra  guisa 
que  citamos  abajo,  al  verso  154a),  y  en  43d:  nos'  podrya  nulla  guisa.  — 
Creo  que  rechaza  el  adverbio  abes,  para  poner  apenas  en  504  b;  v^ase 
adelante.  —  Desconoce  el  sustantico  euer  (en  302c  pone  aver/)  y  lo  susti- 
tuye  por  cora^on:  los  eueres  demudados  6  el  so  euer  demudado  8b,  tenia 
cada  vno  en  su  euer  grran  manxilla  600d.  —  Sustituye  el  relativo  qui  por 
el  que  6  quien  (Marden  444c);  l^ase  pues  qui  fuyer  de  nos,  yapa  44 5d,  quil 
pudies  meiorar  515b,  qui  a  Gustios  Oon^ulex  536a,  quil  avia  conoscido 
606d;  V.  adelante  614c.  —  Adelante  hablo  de  caballero  puesto  en  vez  de 
cavero.  —  Pudiera  suponerse  el  arcaismo  pues  que  con  el  sentido  de  luego 
que  en  43d.  —  Las  mismas  modernizaciones  en  el  verbo.  Sustituye  tomar 
a  prender  (442b),  contecer  a  cuntir  (576d)  v.  adelante  6I4d.  —  En  lugar 
de  salir  puede  suponerse  de  exir  de  las  cavanas  180a.  —  Pone  quitar  en 
vez  de  toller:  a  quien  toldras  la  vida  237b;  tollo  dice  la  Crönica  en  477c, 
y  tuelle  en  618c.  —  Kechaza  las  formas  fuertes  del  verbo  faxer;  alguna 
vez  deja  pasar  fer  (288a),  pero  hay  que  restaurar  esta  forma  en  otros 
muchos  casos  (Marden  70c,  Ulb,  150b,  234d,  etc.):  fer  les  e  todas  armas 
45c;  V.  adelante  165c;  o  por  fer  rromeria  230d.  Y  ademäs  del  infinitivo: 
sy  otrra  cosa  femos  205d,  y  probablemente  e  fet  grandes  fogu£ras  63d, 
[fetj  rejas  e  a^adas  64  b.  —  Sustituye  las  formas  arcäicas  del  verbo  seer 
por  otras  del  verbo  estar;  l^ase  a  quien  seyen  llamando  11 4 d,  en  valde 
non  sovieron  492c,  529b,  en  valde  non  seyan  500a  (sin  que  haya  que 
seguir  la  fräse  de  Alexandre  "yazer  en  valde");  todos  seyen  en  canpo 
i't09b  (para  todos  comp.  82b);  y  acaso  do  seye  soterrado  423b,  contra  la 
mejor  lecciön  de  la  Crönica  que  dice  yaxie,  pues  si  el  copista  hubiera 
visto  en  su  original  yaxie  no  es  probable  que  lo  sustituyese;  el  que  con 
el  soviesse  535c  (6  qui  con  el  se  cryaset);  com  sy  sovies  con  el  541  d; 
s(yvo  byen  medio  dia  688b  (bien  estä  en  la  Crönica  y  no  debe  suprimirse). 
Pone  tambien  estar  mudando  el  uso  sintäctico:  com  eran  mal.  418a,  vyo 
los  ser  cansados  690b.  En  fin,  aunque  sea  indiferente  para  el  metro  debe 
suponerse  que  el  original  del  Poema  decia  prisieron  372b,  como  la  Crö- 
nica escurialense,  en  vez  de  prendieron;  y  que  en  vez  de  qu£dar  decia 
fincasse  205b  (segün  Arredondo),  finco  216c  (segün  la  Crönica). 

La  libertad  del  copista  es  tal  que  cambia  ä  veces  sin  razön  de  ar- 
caismo. Conoce  y  admite  los  verbos  guarnir,  demandar  y  fallir,  y  sin 
saberse  por  quo,  los  sustituye  en  ciertos  lugares  por  aperpibir  509b,  pedir 
508b,  y  fallescer  494c,  692d ;  conoce  la  fräse  otro  dia  maiiana  82a,  250a,  y 
luego  la  estropea  en  otro  dia  por  la  manana  447a,  457c,  509a,  510b.  — 
Sin  mäs  que  una  simple  preferencia  por  nunca,  lo  pone  en  vez  de  non, 
como  nota  Marden  en  24d,  30d,  198d,  347c  (löase  nol),  442d,  443b,  614b ; 
y  lo  mismo  debe  ser  en  151d  en  el  mundo  non  viemos,  182d  non  ovo  mayor 
goxo,  435d  jamas  non  los  veremos,  y  en  534d  donde  nunca  es  algo  impropio. 
Con  mäs  razön  pudiöramos  suponer  que  este  preferido  nunca  naya  venido 
a  suplantar  ä  un  arcaismo:  alguandre  non  fu£,  omne  605d,  comp,  "al- 
quantre  non  aplekan"  ■=  numquam  accedant,  Glos.  Silenses  111.  —  En 
36a  puso  partyda  en  vez  de  parte.  —  En  61d  y  65c  se  advierte  que  el 
copista  por  simple  preferencia  ponia  vesquir  donde  el  original  tenIa  vivir, 
y  puede  asegurarse  que  el  tema  visq-  es  intruso  en  39a,  d,  96d,  349c, 
debiendo  solo  admitirse  en  el  perfecto  fuerte  (v.  glos.  de  Marden),  leyendo 
vysco  en  33  b,  122d  en  vez  de  visquiö. 


246  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

El  copista  repite  frecuentemente  una  preposiciön:  co7i...c'on  540, 
de. .  .de  76b,  281a,  487b,  etc. ;  Mase :  todos  irres  de  grrand  guisa  e  (de) 
grrandes  cora^ones  166b. 

Marden  observa  y  explota  con  habilidad  la  equivocaciön  del  copista 
en  repetir  palabras  6  rimas  de  otro  verso  proximo,  por  ej.  mando  66a,  b, 
ptteblos  69a,  b,  ^ra  147b,  148a,  espantado  241b,  d,  de  voluntad  567b,  c. 
Creo  en  igual  caso  synon  44d,  v.  adelante,  cesura.  Ademäs  en  613c  se 
repitiö  coyta;  la  Cronica:  "cuedando  muchas  guisas"  nos  da  el  hemlsti- 
quio:  muchas  guysas  cuedando;  luego  un  copista  modernizö  m.  guysas 
pensando,  j  otro  puso  m.  coytas  pasando. 

Claro  es  que,  como  en  esta  ultima  suposiciön,  los  yerros  no  proceden 
todos  de  los  dos  desdicbados  copistas  del  ms.  escurialense.  Algunos  son 
ya  comunes  ä  ^ste  y  al  ms.  que  ä  fines  del  siglo  XIII  sirviö  para  la 
Crönica  General.  El  ms.  que  ä  principio  del  XVI  tenia  Arredondo,  Abad 
de  Arlanza,  y  que  Marden  (p.  XX)  afirma,  con  razon,  que  era  di verso 
del  escurialense,  ofrece  grandes  yerros  comunes  con  ^ste;  asi  la  copla  254 
tenia  cinco  versos  en  el  ms.  de  Arredondo  (p.  XX)  como  en  el  escuria- 
lense; y  la  196d  (p.  114)  coincidia  en  arabos  en  el  disparatado  nümero 
cinco  mtl. 

III.  Ediciones.  Las  dos  ünicas  completas,  de  Gallardo  y  de  Janer, 
son  muy  imperfectas ;  la  mala  letra  del  ms.  escurialense  es  causa  de  abun- 
dantes  yerros.    Marden  juzga  quizä  menos  mala  la  de  Gallardo. 

IV.  El  autor  y  la  fecha.  Es  uno  de  los  capitulos  que  mayor  nove- 
dad  6  inter^s  encierra.  Marden  asiente  ä  la  opinion,  general  desde  Rios 
acä,  de  que  el  autor  del  Fernän  Gonzalez  era  un  monje  de  Arlanza.  Pero 
la  fecha,  que  se  colocaba  entre  los  siglos  XII  y  XIV,  y  que  es  de  im- 
portancia,  no  s61o  en  si  misma,  sino  por  relacionarse  con  la  del  Alexan- 
dro,  Uega  ä  fijarla  Marden  con  precisiön,  gracias  ä  un  episodio  sagazmente 
restaurado  en  el  que  figura  un  Conde  de  Piteos  y  Tolosa;  como  este  doble 
titulo  solo  existiö  en  dos  fechas  1098—1100  y  1250—1271,  concluye  Mar- 
den que  solo  entre  estos  dos  afios  Ultimos  pudo  escribirse  el  Poema.  Como 
ademäs  se  llama  habitualmente  ä  los  soldados  cristianos  cruxados  (470d, 
471c,  507a,  y  päg.  182  nota  ä  445a)  y  en  640d  se  usa  la  fräse  plogol  mas 
que  sy  ganas  a  Acre  e  Damiata,  y  Damieta  s61o  estuvo  en  poder  de  los 
cristianos  en  1249 — 12 ')0,  se  ve  en  el  Fernan  Gonzalez  un  fresco  recuerdo 
de  la  primera  cruzada  de  San  Luis,  debiendo  haber  sido  escrito  "en  el 
ano  1250  6  muy  poco  despu^s". 

V.  Las  fuentes.  Se  precisa  y  amplia  lo  que  el  Poema  imitö  de 
Berceo  y  del  Alexandro,  lo  que  tomö  del  Epitoma  Imperatorum  6  Pa- 
cense,  del  Turpin  y  del  Tudense.  Me  parece  indudable  la  sospecha  que 
apunta  Marden  (p.  XXXVI  n.  4,  y  p.  172)  de  que  el  FnGz  alude  ä  los 
primeros  versos  del  Cantar  de  Roldän,  versos  famosos  en  Espana,  ä  los 
que  tambiön  alude  el  Arzobispo  don  Rodrigo  de  Toledo:  "nonnulli  histrio- 
num  fabulis  inhaerentes,  ferunt  Carolum  civitates  plurimas,  castra  et 
oppida  in  Hispaniis  acquisisse . . ."  (IV,  !")• 

Yo  habia  creido  que  ei  Tudense  era  la  ünica  fuente  del  FnGz  en  el 
Loor  de  Espaiia.  El  Tudense  se  refleja  en  la  menciön  de  los  caballos  y 
del  Apostol  y  en  otros  pormenores  del  Loor  en  Fn  Gz ;  pero  Marden  tiene 
razön  (p.  XXXV)  al  decir  que  la  alabanza  del  clima  de  Espana  y  la  men- 
J  ciön  de  la  grana  parecen  provenir  del  Laude  Hispaniae  que  figura  en  la 
Historia  Gothorum  de  San  Isidoro.  Ademäs  ^de  dönde  tomö  FnGz  el 
mentar  la  sal,  el  lino,  la  lana,  la  cera?;  acaso  son  anadiduras  sin  fuente 
precisa,  pues  la  enumeraciön  convidaba  ä  ser  ensancbada;  asi  la  Primera 
Crönica  General,  traduciendo  al  Toledano,  interpola  la  menciön  de  la  sal 
y  la  cera  (v.  mi  pröxima  ediciön  p.  311b,  20  y  25). 

Las  relaciones  del  FnGz  con  el  Alexandro  son  particularmente  curiosas 
y  abundantes.     No  s61o  la  copla  351  de  FnGz   estä  inspirada  en  la  2124 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  247 

del  Alex,  sino  todo  el  episodio  FnGz  3S7 — 355  (Nufio  Laynez  y  los  cas- 
tellanos  tratan  de  calmar  el  afan  guerrero  del  Conde;  respuesta  de  ^ste) 
esta  imitado  de  Alex  2107—2131  (los  vasallos  de  Alejandro  tratan  de 
apartarle  de  nuevas  aventuras;  respuesta  del  rey);  compärense  especial- 
mente  FnGz  :^.39c  v  Alex  2110a;  FnGz  340a  y  Alex  2112c;  ademas  FnGz 
350a  y  Alex  722a;  FnGz  353d  y  Alex  74d,  721d.  —  Tambi^n  el  episodio 
de  FnGz  104—480  es  recuerdo  de  Alex  1151—1183  (una  senal  del  cielo 
asusta  al  ej^rcito  la  noche  antes  delabatalla;  explicaciön  tranquilizadora 
de  la  senal).  La  prisiön  del  Conde  en  Ciruena  se  parece  de  lejos  ä  la 
prisi^n  de  Dario,  Alex  1540;  comp,  especialmente  FnGz  586a,  592c  y 
Alex  1505a,  c.  —  Las  descripciones  del  ejörcito  bärbaro  de  Almanzor  en 
FnGz  se  procuraron  un  color,  que  quizä  quisiera  ser  oriental,  tomando 
rasgos  de  las  descripciones  del  ej^rcito  de  Dario  en  Alex;  la  diversidad 
de  paises  6  idiomas  que  concurren  en  el  ejörcito  (FnGz  385b,  Alex  760c, 
761b,  807b),  la  muchedumbre  que  cubre  oteros  y  llanos  (FnGz  251c,  383d, 
384d,  Alex  761,  827,  1146b)  que  vienen  como  en  romeria  6  dperdön  (FnGz 
382d,  Alex  203d,  761d),  haciendo  tal  alegria  y  ruido  que  los  montes  y  los 
valles  parecen  conmoverse  (FnGz  252,  509,  82,  Alex  803),  el  contar  por 
legiones  estas  multitudes  (FnGz  196d,  Alex  807c),  la  menciön  de  las 
hallestas  ^rheras  (FnGz  383c,  Alex  17(i5b).  —  Tambi^n  son  curiosas  las 
analoglas  sueltas.  Marden  indica  imitaciones  del  Alex  en  las  notas  ä  las 
eoplas  248,  305,  811,  511.  A  la  analogla  de  FnGz  240,  Alex  55  puede 
anadirse  la  de  FnGz  222,  Alex  56.  Pueden  compararse  las  cartas  por  a. 
h.  c.  FnGz  573,  Alex  1375. 

VI.  El  Poema  y  las  Crönicas.  Las  varias  crönicas  que  prosificaron 
el  FnGz  son  una  ayuda  critica  preciosa,  que  Marden  aprovechö  con  for- 
tuna,  sacando  de  ellas  felices  correcciones.  Marden  ademas  aporta  al 
conocimiento  de  las  crönicas  una  novedad  importante:  la  prueba  de  que 
la  Crönica  de  1344,  aun  en  los  capitulos  en  que  copia  la  narraciön  de  la 
Primera  Crönica  General,  utiliza  directamente,  para  algunas  frases  6 
pärrafos  sueltos,  el  mismo  Poema,  del  cual  refleja  bastantes  versos  que  no 
ostan  6  estän  imperfectamente  reflejados  en  la  Primera  Crönica;  v^anse 
como  ejemplo  de  buenas  correcciones  apoyadas  en  la  Crönica  de  1344  los 
V.  528c,  572d,  etc.  En  consecuencia,  adiciones  episödicas  que  antes  podlan 
parecer  propias  del  cronista  de  1341,  deben  ahora  mirarse  como  derivadas 
de  fuente  escrita,  con  mayor  razön  que  palabras  ö  frases  sueltas  que 
Marden  ba  probado  derivarse  del  Poema.  Por  ejemplo,  v^ase  la  adiciön 
a  las  eoplas  588 — 589:  los  escuderos  se  retiran  al  Camino  franc^s;  el 
escudero  del  conde  cambia  sus  vestidos  con  los  de  un  romero  y  vuelve 
ä  la  ermita  como  ä  orar,  llevando  asi  ocultamente  sus  espadas  al  Conde 
y  ä  los  Caballeros  que  estaban  encerrados  en  la  ermita.  Pero  queda  por 
resolver  un  problema :  ^stas,  y  otras  adiciones  por  el  estilo,  i  derivan  de 
un  Poema  igual  al  escurialense  aunque  ampliado,  ö  de  una  Gesta  populär 
que  contaba  los  sucesos  con  mäs  despacio  y  claridad,  y  cuyo  asunto 
resumiö,  ä  veces  demasiado  secamente,  el  monje  de  Arlanza  que  trovö 
„por  la  cuaderna  via"  la  vida  de  Fernän  Gonzalez?  Mäs  es  de  creer  lo 
segundo;  esto  es,  que  la  Crönica  de  1344  tuvo  presentes  el  Poema  hoy 
conocido  y  una  Gesta  populär  perdida;  el  tono  de  östa  se  descubre  clara- 
mente  en  ciertos  trozos  de  la  Crönica. 

En  cuanto  al  valor  del  ms.  escusialense  de  la  Primera  Crönica  (Mar- 
den lo  llama  X),  he  podido  precisarlo  recientemente  con  motivo  de  la 
fdiciön  de  ella  que  estoy  haciendo.  Representa  X  la  Variante  de  la  Pri- 
mera Crönica  mäs  literaria,  correcta  y  de  lenguaje  mäs  arcäico,  pero  el 
ms.  de  Menöndez  Pelayo  (Marden  lo  llama  P)  representa  una  rama  mäs 
fiel  en  giros  y  vocablos  ä  las  fuentes  de  la  Crönica,  mientras  X  aparece 
si  mejor  estilizado,  pero  mäs  verboso.  Hermana  inferior  de  P  es  la  ediciön 
de  la  Crönica  publicada  por  Ocampo   (Marden  la  llama  0),    de  la  cual 


248  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

habia  notado  ya  Milä  {De  la  Poes,  her.-pop.  pag.  414 — 416)  que  on  algunas 
cosas  era  mäs  fiel  al  FnGz  que  el  ms.  X  Por  lo  tanto,  para  la  critica 
del  FnGz  es  preferible  el  texto  de  P,  sobre  todo  ayudado  del  de  otros 
mss.  hermanos,  especialmente  de  otro  del  Escorial  Y-ij-11. 

VII.  Lenguaje.  Marden  trata  de  restaurar  la  buena  ortografia  del 
siglo  XIII  en  cuanto  ä  la  ^  x,  ss  s,  x  j,  ^pero  por  quo  no  en  cuanto  ä  la 
b  vt  Es  bien  cbocante  ballar  en  un  texto  del  siglo  XIII  lovos  222d,  450d, 
descave^aron  12d,  rovar  281d,  vuen  49a,  60a,  caballo  497a,  rogaba  730b, 
732.  Tampoco  debe  admitirse  la  f  de  fa^  453a,  faxes  309b,  483c,  que  es 
antietimolögica  y  estorba  para  el  metro  en  485c,  comp.  457a.  Las  grafias 
Ueno  504a  y  aliegan  475b  son  aisladas  y  sugeridas  por  lieva. 

Apöcope.  Dan  correcciones  mäs  sencillas  franc  30b,  muert  307d, 
xdmet  374b ;  y  arreglan  versos  que  Marden  deja  como  incorregibles  omenax 
591c,  linax  15c  (acentuando  Magog),  \llc,  comp,  barnax  por  bamage  en 
el  Poema  del  Cid.  El  nombre  propio  ante  el  apcllido  podia  apocoparse, 
como  Vernald  del  Garpio,  y  debe  leerse  fino  Dia  Gonzalez  168a,  comp.  P. 
Cid  3662. 

Articulo.  Se  omite  ante  todos  63a,  62c,  e  todos  (los)  pytavynos  433a. 
Se  suprime  tambi^n  ante  el  titulo  de  rey,  y  como  431c,  debe  leerse  rreyno 
(el)  rrey  don  Rodrygo  35a,  ovo  (el)  rrey  77a,  78a,  128a,  313c.* 

Pronombre.  Sospecho  que  pudiera  conservarse  nosotros  vosotros  en 
algiin  caso  en  que  es  enfätico  por  estar  opuesto  ä  otro  pronombre  per- 
sonal: a  mi  e  a  vosotros  299d,  por  quanto  ellos  son  mayor  cavallerya,  no- 
sotros non  (a)mostremos  y  nulla  cocardia  301c,  si  ella  non  fuyre  nosotros 
non  (nunca)  fuyamos  657b,  y  aun  por  oposiciön  al  pronombre  yo  callado: 
quiero  que  esto  sea,  si  a  vosotros  (vos)  plax  65d. 

Imperfecto  indicativo.  Entre  los  casos  de  -ie  disilabo  debe  dejarse 
muryen  en  94  c. 

Imperfecto  subjuntivo.  La  förmula  si  tuviera  daria  se  impone  ne- 
cesariamente  por  la  rima  en  si  non  fuera  . . .  non  podriemos  678d  (comp, 
päg.  188  de  Marden),  y  acaso  debiera  admitirse  en  si  quisieras  te  temta 
597,  dado  que  la  Crönica  dice  quisieras,  si  bien  mudando  el  tiempo  corre- 
lativo  que  es  ouiera  yo. 

Participio.  Nötese  venuda  400,  de  un  verbo  -ir,  que  es  insustituible 
por  otro  verbo  -er,  dado  que  tambi^n  las  Cröiiicas  ponen  venida.  El 
participio  puede  no  concordar  con  el  objeto  del  verbo  (198a,  272c,  278a, 
666a,  717a),  y  no  es  forzosa  la  correcciön  en  360a,  724c.  En  cambio  724b 
exige  correcciön. 

VIII.  Metrica.  Creo  acertado  el  criterio  mötrico  que  Marden  fija. 
Nötese  que  rechaza  la  parägoge,  erradamente  escrita  en  la  ediciön  de  Janer; 
y  que  admite  una  sinalefa  ä  trav^s  de  la  cesura,  por  ejemplo :  que  dies  la 
delantera\\a  los  pueblos  eastellanos  14 Ic.^ 

Tambiön  debe  admitirse  una  cesura  forzada  6  contra  la  fräse,  sepa- 
rando  voces  que  sintacticamente  forman  un  grupo  mäs  6  menos  estable, 
por  ejemplo:  mefor  tierra  es  de  las  \\  que  quantas  nunca  viemos  151c,  non 
la  podrrya  por  guisa  ||  ningima  defender  401b;  Marden  (p.  LH)  da  estos 
dos  versos  como  defectuosos,  pero  Alex  2061b,  d,  en  que  apoya  äl  mismo 
(p.  181)  la  correcciön  del  segundo  de  ellos,  ofrece  igual  cesura  forzada, 
que  Berceo  tambi^n  conocia:   "non  podria  en  cosa  |1  meior  lo   emplear" 


*  Marden  seflala  (päg.  XLIIl)  ä  unos  valor  distributive  en  el  v.  362c  dun 
logar  eran  todos  e  dunos  coraqones,  pero  no  indica  sino  la  identidad,  comp.  302c; 
y  coraqon  ■=■  voluntad  ö  intenciön  296d,  627d.  El  de  trygo  234c,  citado  en  la 
päg.  XLIV,  linea  9,  indica  la  materia,  como  de  ordio,  y  no  es  de  partitivo. 

^  En  este  ejemplo  y  en  558a  pudiera  suprimirsc  los,  pero  v.  ademas  43c, 
281a,  341d,   164b,  d,   etc. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  249 

SDom  363c,  "commo  avio  los  oios  11  feos  la  boca  tuorta"  SDom  294c, 
"entendien  quo  el  padre  !|  sancto  lo  bastecio"  371c.  Asi  debe  admitirse 
en  otros  versos  de  Fn  Gz,  de  los  cuales  unos  da  Marden  por  incorregibles, 
y  otros  corrige  creo  innecesariamente :  (sy  no7i  repetido  dol  vcrso  anterior) 
de  mi  non  fyes  mas  \\  que  sy  fuese  (yo)  vn  can  44d,  mucho  ovo  e  mucha 
p/ata  a  llena  medida  60c,  (asy)  sodes  mejores  qua?itos  \\  en  Espanna  morades 
155b,  avya  el  mo^o  quando  \\lo  oya  muy  gran  plaxer  177d,  estan  oy  dia  en 
(el)  SU  altar  aseniadas  275 d,  podrya  (y)  todo  el  grrand  \\ prex  por  y  astra- 
gar  340d,  ya  yva  Ja  lid  (de)  fyera\\guisa  escalentando  363b  (comp,  los  ad- 
verbios  nulla  guisa,  otra  guisa  de  que  ya  se  ha  hablado),  non  pudo  de  lo 
que  II  quiso  (el  rey)  acahar  nada  590c,  partiose  el  altar  de  ||  somo  fasta  fon- 
don  392d  (fasta  estä  tambi4n  en  la  Cr6nica),  sera  toda  [aqujesta  \\  culpa  a 
iy  eckada  619d,  sy  yo  (aqui)  finar(e)  vos  non  \\  querryedes  ser  nas^idos  691c, 
rr^gna  de  Leo7i  de  \\  Navarra  natui'al  726a  (el  de  ätono,  como  el  las  del 
primer  ejemplo  citado  151c). 

La  m^trica  no8  asegura  que  el  autor  del  FnGz  usaba  regularmente 
la  voz  cavero  donde  el  copista  pone  caballero.  Marden  no  quiso  sacar  esta 
conclußiön  (p.  LH  y  175 — 176),  sin  duda  por  ser  poco  usada  la  voz  cavero. 
Sin  embargo,  en  el  mismo  FnGz,  el  copista  la  dejö  pasar  cuatro  veces,  y 
si  una  vez  pone  caveros  castellanos  266b,  y  otra  caballeros  castellanos  665a, 
6  cab.  tolosanos  372a,  por  qud  no  hemos  de  corregir  estos  dos  hemistiquios 
defectuosos,  eu  vista  del  primero?  Las  otras  tres  veces  que  el  copista  deja 
cavero  son  457a,  513d,  582c.  Dada  la  tenacidad  con  que  el  copista  pone 
siempre  menester  en  vez  de  mester,  ninguno  en  vez  de  nul  etc.,  no  nos 
debe  chocar  que  tengamos  que  corregir  una  multitud  de  versos  leyendo 
cavero  en  vez  de  caballero;  asi  c.  et  peones  I96c,  204b,  263a,  355a,  446c; 
peones  e  c.  52a  (invertidas  las  palabras  por  el  copista,  segün  la  förmula 
anterior  que  le  zumbaba  al  oido),  62c,  195c,  304a;  sus  c.  {a)yuntar  45b, 
non  as  a  los  c.  54a,  c.  muy  lo^ano  168a  (segün  lecci6n  de  Arredondo, 
p.  114,  ünica  aprovechable),  mas  ralen  cient  c.  302c,  nunca  de  dos  c.  315c, 
de  todos  sus  c.  317d,  c.  lorigados  381b,  c.  de  p^-estar  451b,  715a,  c.  byen 
ligeros  455b,  entraryan  los  c.  458d,  dexie  feryt  c.  534b,  de  c.  con  el  551c, 
con  solos  dos  c.  611c,  de  c.  amor  621b,  damos  a  vn  c.  660a,  c.  esfor^ados 
751a;  en  254d  acaso  (e)  somiose  el  cavero,  lo  cual  quitaria  una  rima  repe- 
tida.'  —  La  voz  cavero  se  halla  en  un  diploma  de  Fernando  III,  escrito 
en  1251  por  J.  Perez  de  Berlanga:  ''ante  mi  madre  et  ante  mios  ricos 
omnes  et  antel  aryobispo  et  ante  los  obispos  et  ante  caueros  de  Castilla 
et  de  Estremkdura  et  ante  toda  mi  corte ;  ...  oue  mio  conseio  con  . . . 
otros  rycos  omnes  et  con  causros  et  omnes  buenos  de  Castilla  et  de  Leon ; 
. . .  que  ninguno,  tambien  jurado  como  alcalde  como  otro  cauallero  ninguno 
podereso;  ...  quando  quisieredes  uos  a  mi  enbiar  uucstros  omnes  buenos 
de  pro,  de  uuestro  conceio,  que  uos  catedes  eu  uuestro  conceio  caueros 
atales  quales  touieredes  por  guisados  de  enbiar  a  mi;  et  aquellos  caueros 
que  en  esta  guisa  tomaredes  pora  enbiar  a  mi  que  les  dedes  despesa  de 
conceio;"  (documento  en  el  Archive  Municipal  de  Guadalajara).  He  aqui 
otros  ejemplos;  "tod  poblador  que  venga  poblar  a  Briuega,  aea  cauero  o 
ifanzon,  biua  a  fuero  de  los  otros  omnes  de  Briuega"  (F.  Brihuega,  publ. 
por  J.  Catalina  Garcia,  p.  160) ;  "priso  el  rey  don  Sancho  de  Castieylla  a 
Kodic  Diaz  et  criolo  et  fizolo  cavero;  . . .  no  ovo  migor  cavero  de  Rodic 
Diaz;   . . .  qui  era  muyt  buen  cavero"  (F.  Navarra  publ.  por  P.  Ilarregui 


*  La  forma  cauallero  era  tambien  usada  por  el  autor  del  Fn  Gz,  aunque  menos, 
61a,  173b,  254a  =  526c,  262d  (en  que  la  supresiön  de  con  me  parece  justificada), 
450b,  528c;  v.  adelante  3ü4d.  El  derivado  caballena  es  el  ünico  usado:  30]|.b, 
351b,  387d,  399c,  607c  (corregido  gran,  segim  la  Cronica),  267b  Tel  copista  eüi- 
pezö  ä  querer  poner  e  todos  sus  cabaüeros). 


250  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

y  S.  Lapuerta,  p.  144a);  "nos  don  Jaymes  ...  prometemos  ...  a  voß  don 
Remir  Rodriguez  que  vos  tingamos  quitos  vint  caveros,  en  los  quales  de- 
vedes  aver  quinze  con  cavallos  armados,  et  los  cingo  con  cavallos  et  armas ; 
...  et  entre  escuderos  et  otros  horanes  devedes  seer  entre  todos  cient 
homnes ;  et  daremos  cascun  an  por  vestir  a  cada  uno  de  los  eaveros  CC  sol 
...  et  a  XL  de  los  escuderos,  a  cada  uno  L  sol."  etc.  (carta  del  rey  de 
Aragon,  1255,  Memorial  Hist.  espanol,  tomo  T,  p.  76).  Como  se  ve,  la  voz 
cavero  se  usaba  en  el  siglo  XIII  en  Castilla,  Aragon  y  Navarra ;  probable- 
mente  la  voz  venia  del  provenzal,  donde  era  muy  usada;  por  ej.  en  los 
Fors  de  B^arn,  art.  10  y  11  del  For  g^n^ral  se  usan  caver  y  cavaler  uno 
por  otro  (Lespy  et  Raymond,  Dict.  B^arnais,  1887). 

En  cuanto  al  silabeo  (p.  LIII)  nötese  regi-on  no  solo  en  34b,  sino  en 
122c,  donde  no  hay  que  anadir  en;  d'ori-ente  15a,  413a,  SMillan  90;  Gtuidi- 
ana  78d  (sobra  el  es  anadido)  aun  en  los  romances  del  siglo  XVI:  "por 
eima  de  Guadi-ana,"  "por  partes  de  G."  Primavera  y  Flor  nos  19  y  25. 
La  terminaciön  -ia  es  monosilaba  no  solo  en  el  imperfecto  sino  en  el 
sustantivo:  es  erejya  llamada  22c,  valia  d'vna  meaja  29 Id,  y  en  los  verbos 
en  -iar  tambidn  es  monosilaba  no  solo  en  enhyar  formando  futuros  y  con- 
dicionales  (Marden,  p.  LIII),  sino  en  algiin  otro  caso  como  {qvs)  Oristo 
los  quiso  guiar  19d,  er  an  pora  lidiar  79b,  y  mandate  desafyar  290d,  292b, 
294d,  299d  si  no  se  admite  con  Marden  la  forma  desßar  que  me  parece 
era  mäs  rara. 

Por  la  idea  que  acabo  de  dar  de  la  Introducciön  del  libro  de  Marden, 
se  podrä  comprender  que  el  editor  nada  descuidö  de  cuanto  podia  con- 
tribuir  ä  la  crltica  del  estropeado  texto;  por  todas  partes  se  hallarän  en 
la  restauraciön  del  mismo  acertadas  correcciones,  muchas  dificiles  y  felices; 
por  todas  partes  la  familiaridad  con  la  lengua  v  la  literatura  casteUana 
del  siglo  XIII. 

El  trabajo  de  esta  restauraciön  es  penosisimo.  Muy  raro  es  el  verso 
que  no  pide  algün  retoque,  y  el  convencimiento  solo  puede  imponerse 
mediante  la  conformidad  con  el  estilo  del  mismo  Poema  y  de  las  obras 
coetaneas,  6  mediante  la  prosificaciön  de  las  Crönicas.  Asi,  aunque  Marden 
hace  en  esto  una  labor  muy  meditada,  queda  necesariamente  en  su  restaura- 
ciön mucho  de  pura  apreciaciön  personal,  que  por  su  vaguedad  propia  no 
debiera  discutirse;  no  obstante,  incluyo  en  mi  revisiön  bastantes  correc- 
ciones de  este  gönero,  anotando,  aun  ä  riesgo  de  ser  pesado,  conjeturas 
quizä  no  justificadas,  si  bien  en  general  tiendo  ä  mantener  las  lecciones 
del  ms  escurialense.  La  importancia  del  texto  y  de  la  nueva  ediciön  me 
disculparän  de  esta  pesadez. 

Hago  ademäs  alusiön  d  las  correcciones  ya  propuestas  arriba,  para 
ofrecer  asi  la  serie  completa  por  orden  num^rico. 

2,  el  sentido  exige  que  el  verso  c  pase  ä  ser  b,  j  el  b  pase  ä  c.  — 
3a,  \en]  commo  la  perdieron.  —  4d,  no  creo  llcito  reproducir  aqui  un  verso 
de  SDomingo  54,  y  debe  leerse  sufr\i]en  frio  e  fambre  e  muchos  amargores, 
Sa,  predicado{s) ;  b,  v.  arriba  ctier.  —  lid,  qtie  godos  los  llamamos.  —  15a, 
d'oryente  v.  m^trica,  silabeo;  c,  Hnax  v.  apöcope.  —  19b,  nos  (les)  ptido 
anparar,  como  en  43d  nos  podrie  . . .  defender.  —  30b,  franc,  v.  apöcope. 
—  32c,  [este)  rrey  Vanva  aponQonnado.  —  36a,  parte;  d,  commos  perdyo  la 
tierra.  —  37d,  el  consonante  debe  ser  enten^ia,  que  era  la  voz  usual,  Alex 
195,  321  (dice  entien^a  contra  la  rima),  448,  1543,  SLaur  15,  Milg  208, 
573 ;  el  copista  de  Fn  Gz  puso  contienda  como  el  de  la  Variante  del  Fuero 
de  Leon  n^  XXII  "dienlo  a  so  senior  sen  entencia  ninguna",  Variante 
"sen  contienda"  (Muiioz,  Colecc.  p.  81).  El  eontien^ia  de  SDom.  334  es 
yerro  por  eontenencia  que  piden  el  sentido  y  el  metro;  el  eontienssa  de 
Alex  599,  debe  ser  contiessa  por  el  consonante.  —  40a,  todu  en  tal  estado. 
41c,  {en)volvyo.   —   43a,   dejese  tray<}ion  (a)  volver,   la  fräse  volver  traiciön 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  251 

como  "volver  pelea,  v.  guerra^\  etc.;  la  construcciön  con  a  no  creo  pueda 
mantenerse  ä  pesar  de  "fagovos  a  saber"  en  YÜ9uf  p.  51 ;  d,  nos  podrya 
ntdla  guisa  Espanna  defender,  v.  resabios  del  copista.  —  44d,  v.  cesura.  — 
45b,  cavero;  c,  fer  v.  resabios.  —  48a,  quäl  ora  (ms.  era)  fue  passado, 
comp,  "con  quäl  abito  pudo"  SMill  77,  "de  quäl  part  uos  semeiar" 
Cid  2364 ;  d,  pcyr  qtie  as  enbyado.  —  52a,  54a,  caveros.  —  53d,  synon  con 
las  que  aren.  —  60c,  v.  cesura.  —  62c,  cuveros.  —  63d,  64b,  fet,  v.  resa- 
bios. —  65d,  uosotros,  v.  pronombre.  —  67c,  sea  [a]jtisti^iado.  —  TOa^  fer 
j  que  [e]l,  sin  suprimir  rey  que  aclara  el  sentido;  c,  en  estos{e)  travajava. 
—  77a,  78a,  v.  rey  sin  artlculo.  —  78a,  syenpre  la  delantera  es  impropio 
antes  de  empezar  la  batalla,  y  mäs  antes  de  ponerse  en  marcha  el  ejercito ; 
d,  Ouadi-ana,  y.  silabeo.  —  80c,  [non]  serya  tornada  seria  inexacto  en 
el  siglo  XIII  en  que  la  reconquista  estaba  casi  terminada;  lease  [les]  serya 
tomaäa,  es  paleogräficamente  läcil  la  confusiön  de  los  dos  verbos,  y  mäs, 
ompezando  con  tomar  el  verso  siguiente.  —  83b,  comen^aron  el  [fecho].  — 
84a,  {des)pues;  b,  totalmente  estropeado:  yaxia  v  sepulcro  son  contamina- 
ciones  de  los  versos  pröximos;  acaso:  do  auie  en  pitafio  escrita  la  mestura ; 
el  Tudense:  "sepultura  in  qua  epitaphium  est  superscriptum;"  mestura  es 
la  voz  propia  para  significar  inscripciön  sepulcral,  Alex  :'.()6,  comp.  YÜ5uf 
p.  56.  —  94b,  debe  quedar  el  imperf.  muryen.  —  97b,  v\e]yen  se  de  n.  en 
la  t.  toruados,  de  nuevo  "ahora",  opuesto  a  otro  tiempo  y  toruado  opuesto  ä 
segurado  del  verso  anterior.  —  lOOd,  \tod]  el  vyen  de  los  godos  "por  los 
peccados  del  rey  Vitiza  et  de  todas  sus  yentes  quiso  Dios  crebantar  la 
gloria  et  el  poder  de  los  godos"  Prini.  Cr.  Gral  306a,  88,  y  Rod.  Toi.  III, 
17,  inic.  —  105d,  deniro  (en)  la  mar,  como  en  294c.  —  lila,  tu  que  asy 
podiste  a  la^  yervas  toller  {su  poder),  debe  admitirsc  un  sentido  de  toller 
"privar  de  su  fuerza,  inutilizar",  comp,  el  mod.  tullirse  inutilizarse;  el 
copista  lo  desconocia  y  anadiö  las  ültimas  palabras.  —  114a,  dur.  en  [tal] 
vyda;  d,  seyen  v.  resabios  del  copista.  —  122c,  v.  silabeo  regi-on.  —  124b, 
Braga  es  un  portuguesismo  que  creo  desconocido  en  Castilla  en  el  siglo 
XIII,  siendo  corriente  Brägana.  —  126b,  entiendase  "e/  Casto^'  que  dixeron, 
syervo  del  Oryador.  —  130d,  parece  que  el  copista  desconocia  la  construc- 
ciön venir  en,  y  aqui  la  tomö  por  plural  del  verbo;  en  127d  y  en  137a 
la  estropeö  de  otras  maneras.  —  133d,  al  rey  Carlos  ribar,  SDom  435, 
SMill  752.  —  139d,  grandes  virtos{'!)  juntados.  —  149d,  (e)  otrras  muchas 
mineras  de  que  faxen  la  sal,  "de  sales  de  mar  et  de  salinas  de  tierra,  et 
de  sal  en  pennas  et  dotros  mineros  muchos :  azul,  almagra,  greda,  alumbre ..." 
Prim.  Cr.  Gral  311a,  19,  variantes  "mineras,  ueneras".  —  150,  no  veo 
razön  para  mudar  el  orden  de  los  versos,  y  el  consonante  estropeado  cal, 
contaminado  de  la  copla  anterior,  indica  que  ese  verso  estaba  el  primero 
en  la  copla  cuando  se  cometiö  la  falta;  ademäs  las  venas  mejores  (de  oro) 
deben  nombrarse  despiiös  de  las  de  hierro  y  plata;  a,  a  y  muchas  venera^ 
de  fierro  e  [de  plata] ;  b,  a  y  cenas  de  oro  (que)  son  de  mejor  varata;  c,  a 
[en]  syerras  e  valles  (e)  mucha  ...  —  151c,  v.  cesura ;  d,  non,  v.  resabios 
de  copia.  —  153c  d,  Marden,  p.  173,  recuerda  la  opiniön  de  san  Felipe 
enterrado  en  Francia,  pero  el  autor  del  Fn  Gz  creerla  que  habia  sido  enter- 
rado  en  Hieröpolis  de  Asia,  siguiendo  la  opiniön  del  Tudense,  Hisp. 
Illustr.  IV  84,  26.  —  154a,  sobra  [d\,  el  adverbio  otra  guisa  vese  en 
Milg  205,  Alex  703,  913,  939.  —  155b,  v.  cesura.  —  161d,  dejese  intacto: 
posyeron  qui  podiessen  los  canes  referir,  establecieron  pastor  que  rechazase 
f^ste  es  el  sentido  corriente  de  referir,  comp.  165d)  ä  los  canes  que  querian 
hacer  dafio  en  la  grey.  —  162a,  en  uno  s'  acordaron;  d,  grran[de]  tienpo 
duraron  dado  que  tampoco  Arredondo  pone  muy;  lo  mismo  habrä  quo 
hacer  en  176d,  340c  etc.  —  165c,  nada  hay  que  mudar:  fixo  quanto  f{ax)er 
pudo,  H  leyö  fer  por  fer  y  puso  el  impropio  hapodido;  en  abd  restäurense 
los  participios  -udo.  —  166b,  e  (de)  gr.;  c  (e).  —  168a,  v.  apöcope.  — 
173a,    \esse\   conde  prymero,    interpreta   mal  Milä,    De  la  poes.   her.   pop. 


252  Boiirtcilungen  inul  kiirzo  Anzoigen. 

päg  183  n.  2,  ä  quien  segiii  on  La  Leyenda  del  Abad  Juan,  Dresden  1903, 
päg  XXV  n.  4;  el  ms.  de  Arredondo  da  la  buena  lecciön,  pues  no  se 
trata  de  diversos  nombres  del  h^roe,  sino  del  prinier  conde  que  tuvo 
Castilla  despu^s   que   dej6  de  ser  alcaldia,  como  se  dice  en  la  copla  172. 

—  177c,  linax,  v.  apöeope;  d,  v.  cesura.  —  182d,  non,  v.  resabios  de  copia. 

—  187a,  caye{re)mos,  como  X.  —  192c,  [e  quadriellos]  6  [e  daxconas],  aten- 
diendo  a  la  buena  observaeiön  de  Janer.  —  194d,  en  mal  ora  fuy  nas^ido 
estä  igual  en  H  j  en  X  j  solo  puede  corregirse  (en),  6  en  mala  f.  n.,  lo 
mismo  que  286b;  comp,  "ca  en  buena  napieron"  SMill  481.  —  195c  y  196c, 
caveros.  —  196d,  de  siete  legiones,  segün  la  Crönica ;  para  legi-on  v.  Alex  807 ; 
ä  pesar  de  la  coincidencia  del  ms.  de  Arredondo  y  del  Escorial,  es  dis- 
paratado  el  numero  cinco  mill.  —  199b,  que  fuessen  en  Muno,  ä  pesar  de 
que  H  dice  tambi^n  en  vno,  comp.  224  c.  —  204a,  mucho  son  syn\es\  guisa, 
comp.  609c;  b,  caveros.  —  205c,  (este)  es  el  mejor  consejo  que  pod[ri\emos 
aver.  —  212d,  quanto  sabor  ovieron  por  y  lo  acabdaron,  la  Cr6nica :  "acab- 
daron  quanto  quisieron";  saher  no  bace  sentido.  —  217c,  pocos  omnes, 
^'eran  pocos  et  en  poca  tierra"  dice  P.  —  218a,  (e)  m.  c.  sofryeron;  b, 
[dotros]  syenpre  ganaron,  de  lo  so  noti  perdieron,  desconozco  ejemplos  de 
al  =  "cosas  agenas";  d,  por  adversarios  la  Crönica  da  la  Variante  enemigos. 

—  223c,  ä  pesar  de  la  coincidencia  de  la  Cr6nica  con  el  ms.  de  FnGz 
creo  no  hay  otro  remedio  que  leer  faredes  me  el  mejor.  —  224c,  la  forma 
verdadera  del  nombre  propio  es  Munnö,  y  asi  escribe  el  ms.  P,  y  no 
Munön  como  dice  la  ediciön  del  mismo;  Muno,  antes  ciudad  importante 
y  silla  episcopal,  boy  no  existe;  pero  la  recuerdan  mucbos  pueblos  que 
se  titulan  de  Muno,^  principalmente  en  la  parte  sur  del  valle  del  Arlanzön 
desde  Burgos  hasta  el  linde  con  Palencia:  Pedrosa  de  Munö,  Quintanilla 
de  Somun6,  Olmillos  de  M.  Barrio  de  M.  etc.;  la  antigua  jurisdicciön  de 
Munö  debia  abarcar  todo  el  S.  de  la  provincia  de  Burgos,  (poco  mäs  6 
menos  lo  que  el  partido  de  Candemunö  en  el  mapa  de  don  Tomas  Lopez) 
desde  el  E.  donde  estä  Piedrahita  de  Munö  (nombrada  en  FnGz)  entre 
Barbadillo  del  Pez  y  Barbadillo  del  Mercado,  basta  el  O.  donde  estä 
Abellanosa  de  M.  al  S.  de  Lerma.  —  230d,  fer  v.  resabios  de  copia.  — 
231b,  q.  t.  me  seguda,  el  ms.  seguia;  no  estä  el  conde  en  el  caso  de  la- 
mentarse  de  que  los  moros  se  mantengan  erguidos  ante  öl.  —  232d,  sal- 
vol,  comp.  Fita  1479  ed.  Ducamin.  —  234b,  como  ruego  cortös  seria  pre- 
ferible  {que)  ospedasses  conmigo,  "fuessedes  my  buesped"  Cid  2046.  — 
235d,  uiu^o  se  deja  en  233d.  —  237b,  toldräs,  v.  resabios  de  copia.  — 
241d,  consörvese  metyendo  apellido,  fräse  muy  usual  "meter  vozes,  gritos" 
etc.  Siete  Infantes  410,  11.  —  247d,  (e  que)  f.  su  mandamiento,  como  dice 
tambiön  el  ms.  Arredondo  (päg.  XXXIX);  el  conuento  de  la  Crönica  no 
se  refiere  ä  este  verso  sino  al  c.  —  254c  d,  la  Crönica  y  D  (päg.  XX) 
coinciden  en  los  verbos  cavalgar  dar  y  abrir  contra  el  ms.  escurial.  de 
FnGz:  caualgo  su  cauallo;  diole  de  las  espuelas;  Marden  acepta  ahrios.  — 
263a,  caveros.  —  264b,  yvas  ...  acostando;  acostarse  ordinariamente  re- 
flexive. —  266b,  y  me  parece  mäs  necesario  para  la  claridad  que  hyen; 
el  copista  en  vez  del  arcaismo  veniurado  sustituyö  el  compuesto  byenaven- 
turado.  —  268b,  v.  194d.  —  273b,  qy£^  eran  dvn  fino  oro,  hay  mucbos 
ejemplos  del  articulo  indefinido  con  los  nombres  de  materia,  "bicete  cuerpo 
de  plata,  pies  y  manos  de  un  marfil"  Primav.  y  Flor,  n"^^  183.  —  275d, 
V.  cesura.  —  276b,  mas  quedo  (mejor  ßnco)  de  dos  partes.  —  282,  pro- 
bablemente  283  debe  ir  antes  de  282,  pues  su  sentido  une  bien  con  281; 


^  La  acentuaciön  correcta  aparece  en  el  Diccioii.  geografico  postal,  publ.  p. 
la  Direccion  de  Correos,  Madrid  1880,  ö  en  el  Mapa  de  Biirgos  por  Coello  etc. 
El  Dice.  geogr.  de  Madoz  no  escribe  acento.  Me  he  asegurado  de  burgaleses 
acerca  de  la  acentuaciön  Candemuno  etc.  necesaria  para  el  metro  de  FnGz. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  253 

de  todoß  modos,  antes  de  282  faita  una  copla  en  que  se  diga  que  "enuio 
el  conde  F.  G.  sus  cartas  por  toda  Castiella  que  fuessen  todos  con  ^1, 
caualleros  e  peones,  fasta  diez  dia.s"  segün  expresa  la  Crönica,  y  comp, 
adelante  686.  —  294:C,  v.  105d.  —  297c,  cons^rvese  el  orden  del  ms. 
amigos  a{vemos)  me{ne)ster,  la  forma  continuamente  usada  por  el  poeta  es 
mester  54  d,  177a,  305a  etc.;  d,  recabdar  no  hace  sentido,  y  paleogräfica- 
mente  mäs  cerca  de  recurrir  estä  rencurar  que  signitica  "demandar  un 
agravio"  Alex  1480.  —  299d,  vosotros,  v.  pronombre.  —  301a,  el  pronombre 
da  claridad:   en  nos  los   cometer;   c,  v.  pronombre.   —    302b,  \campales'\\ 

c,  caeero.  —  304a,  caveros;  d,  de  buenos  [escuderos].  —  306b,  sere  en  p. 
—  307b,  euedo  le  demandar,  la  Crönica  cuedol  acalonar.  —  314c,  ^erteros 
los  f.?  la  Crönica  "connoscieronse  en  las  armas".  —  317c,  ningun  fv£.  y 
viado,  comp.  329a;  suponiendo  que  el  copista  por  riado  puso  vasallo;  d, 
caveros.  —  325b,  m.  fuert  c,  el  copista  se  confundiö  con  c  y  d.  —  326d, 
a  Nagera  L,  lecciön  de  X,  que  debe  prevalecer,  aunque  P  dice  tambiön 
Nauarra,  por  ser  la  batalla  dentro  de  Navarra;  es  muy  comün  la  con- 
fusiön  de  los  dos  nombres  en  las  variantes  de  los  ms.  de  las  Crönicas.  — 
329c,  el  orden  de  las  palabras  debe  ser  cuydo  lo  bien  v.  ö  b.  lo  c.  v.  — 
331a,  la  rima  es  confuerto  SDom  225,  404,  Duelo  46,   SOr  22.  —  334b, 

d.  non  es  tal  v.  sy  non  p.  (los)  p.,  6  sy  (nmi)  p.  los  p.,  comp,  "no  quiero 
otro  ejercicio  si  alabarte  cada  dia"  L.  Kouanet,  Colecc.  de  autos,  IV  p.  12, 
verso  333.  —  335c,  me  parece  improbable  la  forma  estmitigua,  teniendo 
en  cuenta  friiente  600b  y  Burueva  739a  donde  ue  se  conserva;  si  bien  est- 
puede  mirarse  ya  como  inicial  ätona,  debe  tenerse  en  cuenta  que  el  tardio 
copista  del  FnGz  usaba  aun,  como  ßerceo,  la  forma  con  ue,  y  que  la 
Crönica,  posterior  al  FnGz,  usa  tambiön  hueste  antigua;  l^ase  (a)  los  de 
la  uest  antygua,  objeto  anticipado  en  nominativo.  —  339c,  la  Crönica  dice 
tambi^n  nos,  pero  vos  Alex  2110a.  —  340d,  v.  cesura.  —  342c,  ca  avn.  — 
347c,  not.  —  348d,  deste  tal  viuer  su  fecho,  la  Crönica  tiene  tambi^n  tal, 
y  aunque  pone  fechos  puede  ser  plural  debido  ä  la  prosificaciöii.  —  350c, 
de  no  poder  conservar  la  igualdad  de  tiempos  de  la  Crönica  comieron  qui- 
sieron,  ni  la  del  ms.  comen  quieren,  debe  ponerse  comien  querien,  y  acaso 
en  d  auien.  —  352d,  Sal.  (e)  el  otro,  segiin  Milä,  De  la  poes.  päg.  329, 
n.  10;   el  Turpln:   "Salomon  socius  Estulti."   —  355a,   caveros. 


V.  cesura;  c  [essa]  glera  p.,  la  Crönica  pone  campo  porque  antes  olvidö  el 
hablar  de  glera,  contra  el  Poema  359c.  —  364b,  porque  non  los  ven^ia,  ä 
pesar  de  la  Crönica.  —  365b,  aleando  mas  pintoresco  que  al^ndo ;  c,  assy 
y.  (gr.)  v.  d.  —  367b,  fyncaron  con  el  c.  muy  poca  \de\  conp.  —  368d,  scU. 
l.  [apartado]  ?  la  Crönica  "apartosse  de  sa  companna".  —  370b,  de  lan^ada 
mortal,  el  f^rida  es  conlusiön  con  el  v.  siguiente  y  lanQ.  estä  en  la  Crönica ; 
c  {muy).  —  372a,  caveros.  —  379b,  380a,  deserrado,  v.  resabios  de  copia. 
—  381b,  {que  tr.)  p.  e  tr.  m.  caveros  l.;  c,  nulla,  v.  resabios  de  copia;  d, 
Munno,  v.  224c.  —  383a,  [los]  t.  [e]  aldrabes.  —  384a,  no  conozco  el  signi- 
ficado  "almogavar"  de  almofares,  y  creo  que  almohades  de  la  Crönica  es 
preferible,  lo  mismo  que  los  benimerinos  que  sugiere  Gallardo.  —  386a, 
[e]  p.  la  m.,  ö  p.  [aquend]  m.  —  395b,  non  of  m.  de  m.  nin  quis  a.  [pecado], 
pecado  con  sentido  de  "delito",  y  no  con  el  de  "diablo"  como  creyö  el 
copista.  —  396a,  Munno,  v.  224c.  —  403d,  v{e)yera  y  lo  mismo  en  408, 
comp.  93a,  r20a,  junto  ä  veyeron  395c.  —  404b,  o  velas  me  parece  una 
impertinencia  del  copista,  y  falta  en  la  Crönica;  la  cesura  estä  despuös  de 
commo.  —  406c,  c.  l.  p.  paganos  lidi{ar)as  por  {el)  su  a.  —  410c,  echar  en 
yaque  error,  yaque  Fita  1319  ed.  Ducamin;  es  sin  duda  un  caso  de  susti- 
tuciön  de  arcaismo,  y  pudiera  tambiön  suponerse  qualque  usado  en  los 
siglos  XllI  y  XIV.  —  411c,  lieua  dend  us  tu  via,  tambien  dende  en  415a 
y  426b;  d,  esperat  Ä.  —  412b,  no  es  preciso  cambiar  nada  del  ms.;  d,  [a] 
todo  el  tu  p.,  ö  t.  esse  tu  p.  —  413a,  de  partes  dor.  v.  silabeo,  el  arcaismo 
de  partes  se  ve  en  P  y  en  15a,  y  debe  subsistir  tambiön  en  414a.  —  415a, 


254  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

(joor  ende)  l.  dend;  el  verso  suplido  debe  ir  el  cuarto,  segün  la  Crönica.  — 
417b,  segün  la  Crönica  fallo  a  sus  v.,  confusion  grälica  de  fablar  y  fallar. 

—  418a,  Go7n  eran  (v.  resabios)  mal.  todos  con  gr.  d.;  c,  f.  d.  (al)  c.  — 
420b,  buena  la  correcciön  de  Marden  en  las  Notas;  d,  non  ovo  en  mundo 
mos  II  leales  nin  mejores,  pues  no  se  trata  de  senores  sino  de  vasallos ; 
hales  estä  tambi^n  en  la  Crönica.  —  422b,  por  (qtce)  yo  et  el  en  vno  atnos 
(a  dos)  aver  pL;  d,  di{x)erom  por  n.  q.  e.  —  423b,  seye,  v.  resabios  de  copia. 

—  424d,  dix,  [qtie).  —  426b,  lieva  dend  ve,  v.  415a.  —  430d,  [d]e  por,  la 
construcciön  es :  aguardar  de  non  caer.  —  433a,  {los),  v.  articulo.  —  435d, 
non,  V.  resabios  de  copia.  —  445d,  qui,  v.  resabios.  —  451b,  caveros.  — 
454b,  (v.  la  interpretaciön  de  Marden  p.  183),  el  poeta  del  siglo  XIII 
hablando  de  don  Lope  el  Vizcaino,  gasta  la  misma  burla  que  en  el 
siglo  XVII  usa  Tirso  de  Molina  en  la  P  escena  de  La  Prüden cia  en  la 
Mujer,  hablando  de  otro  senor  de  Vizcaya,  don  Diego  de  Haro: 

V08,  Caballero  pobre,  cuyo  estado 
cuatro  silvestres  son,  toscos  y  rudos, 
montes  de  hierro  para  el  vil  arado, 
Mdalgos  como  Adan,  como  el  desnudos; 
adonde  en  vez  de  Baco  sazonado, 
manzanos  üenos  de  groseros  nudos, 
dan  mosto  insulso;  siendo  silla  rica, 
en  vez  de  trono,  el  arbol  de  Garnica. 

Sabida  es  la  escasez  de  trigo  del  pais  vascongado,  que  tiene  que  impor- 
tarlo  de  Navarra,  de  Soria  6  del  extranjero,  habi^ndose  Uegado  en  tiempo 
de  guerra  con  Francia  ä  permitir  como  excepciön  la  entrada  de  este  cereal 
en  Guipuzcoa  y  Vizcaya';  el  poco  vino  (6  chacoli  como  lo  liaman  en  esa 
Costa)  que  en  el  pais  se  coje,  no  da  siquiera  para  el  consumo  de  las  loca- 
lidades  que  lo  cultivan,  que  son  bien  pocas;  en  cambio  la  manzana  se 
cultivö  y  se  cultiva  en  abundancia,  aunque  hoy  no  est^  floreciente  la 
fabricaciön  de  la  sidra  6  mosto  insulso  ä  que  alude  Tirso;  como  prueba 
de  la  importancia  historica  del  cultivo  de  la  manzana  en  el  suelo  vascon- 
gado estin  los  muchos  apellidos  ^uscaros  compuestos  con  '^sagar"  manzana, 
'•sagasti"  manzanal:  Sagasti,  Sagastizabal,  Sagastibelza,  Sagastume,  Sa- 
gasta,  Oruesagasti,  Anasagas ti,  Guilisagas ti,  Sagardia,  Sagarna,  Sagarzazu, 
Sagarmlnaga.  —  454c,  en  essa  ax  fite  contado.  —  455a,  la  forma  antigua 
ha  de  ser  huroveses,  comp.  335c;  b,  caveros.  —  459d,  por  todos  cinqtmenta, 
non  mos  fueron  contados;  pero  en  540a  parece  se  impone  quarenta  y  no 
quaraenta,  como  no  se  quiera  suponer  que  bien  se  introdujo  independiente- 
mente  en  la  Crönica  y  en  el  ms.  de  FnGz.  —  462c,  mäs  propio,  segün  la 
Crönica,  ques  tirassen  af.  —  469  d,  marauüla  la  tierra  non  la  enp.,  en 
lugar  de  era  marauüla;  hälianse  varios  ejemplos  de  esa  elipsis:  "e  era 
tan  fermoso  que  marauilla"  Prim.  Crön.  Gral  38b,  31.  —  474b,  läase  como 
la  Crönica  espiramientos,  spiramentum,  "conjuro",  segün  la  Prim. 
Crön.  2ü5b,    30:    "Mahomat;   quando   aquello   uio,   comenpo   de   coytarla 


*  Vease  permiso  de  1468,  y  otros,  en  la  Noticia  de  las  cosas  memorables  de 
Guipuzcoa  por  D.  Pablo  de  Gorosäbel,  t.  III,  Tolosa  1900,  p.  312—317.  Debo 
esta  cita  a  la  erudicion  de  D.  Carmelo  de  Echegaray,  quien  ademäs  me  indica 
la  existencia  del  folleto  titulado  Les  traites  de  bonne  correspondance  entre  le 
Labourd  la  Biscaye  et  Guipuscoa,  par  F.  Habasque,  Paris,  Impr.  nat.  1895,  y  me 
copia  el  texto  de  11  viaggio  fatto  in  Spagna  dal  magn.  M.  Andrea  Navagiero, 
Vinegia  1563,  fol.  44:  "vino  non  nasce  in  questo  paese,  e  poco  fromento  ...  Tutto 
il  paese  in  loco  de  vite  pianta  pomari  ...  dei  pomi  di  questi  fanno  vino  che 
chiamano  Sedra,  il  quäl  . . .  a  chi  non  h  usato  a  beverlo  k  duro  da  digerire  e 
oflFende  il  storaaco." 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  255 

mucho  et  de  costrennirla  por  sus  coniuracioues  et  sus  espiramientos  que 
se  el  sabie".  —  476d,  cuydando  nos  toruar,  el  plnral  cuydaron  es  error,  y 
toruar  se  confunde  graficamente  con  tornar.  —  477b',  que  el  non  hapoder, 
se  refiere  al  diablo  segün  la  Crönica;  c,  ca  tollo  le  don  Gristo,  segün  la 
Crönica,  v.  resabios  de  copia.  —  480c,  la  Crönica  da  la  Variante  grand 
manana  seamos.  —  491b,  {en)antes,  y  ddjese  el  subjuntivo  necesario  y 
todo;  el  entro  de  la  Crönica  forma  otra  fräse.  —  492c,  sovieron,  v.  resa- 
bios de  copia.  —  495a,  {m)derredor  su  mesnada.  —  498a,  m.  de  otros  reyes, 
consonante  natural,  v.  Alex  1008.  —  500a,  seyan.  —  504b,  que  non  podia 
fablar  es  impropio,  pues  inmediataniente  se  pone  ä  hablar,  supongamos  el 
arcaismo  de  apenas :  abes  p.  f.  —  509b,  seyen,  v.  resabios ;  c,  la  Crönica 
pone  alaridos.  —  510c,  en  canpo,  la  Crönica  pone  al,  pero  con  el  verbo 
salir.  —  515b,  quel  pud.  mei.?  comp.  451d  que  con  el  pronombre  del  ms. 
serä  nol  podryan  me/orar.  —  518b,  m.  a  prima  n.,  en  0:  "a  la  prima  n."; 
essa  mesnada  responde  al  estilo  ^pico  usando  el  demostrativo  esse  en  vez 
del  articulo.  —  527a,  {el)  eap.  e  {el)  almofar,  el  acento  de  almofar  estä  en 
la  0  como  lo  prueba  la  Variante  almofre  que  en  Alex  401  rima  con  pobre. 

—  529a,  {de)  er.  o.  m.;  b,  sovieron.  —  534b,  caveros;  d,  non,  v.  resabios 
de  copia.  —  535c,  soviesse.  —  536a,  qui,  v.  resabios.  —  539c,  X  j  0  dan 
la  Variante  mäs  racional  cient  en  vez  de  mill.  —  540b,  puede  mantenerse 
vdxio  con  mucha  siella,  teniendo  con  el  valor  conjuntivo  de  e;  "tres  sieUas 
yran  väzias"  Cid  997,  asonante  a-a.  —  541b,  yba,  si  sei  fyxiesse,  su  muerte 
aguisando,  esto  es:  iba  buscando  su  muerte  si  pudiese  hallarla,  pues  el 
conde  quiere  morir,  segün  la  copia  542d;  la  fräse  si  sel{e)  fyxiesse  =  "si 
pudiese,  si  se  le  arreglase,  si  se  le  deparase"  se  repite  en  727b,  y  debe 
encerrarse  entre  comas;  es  rara,  y  la  Crönica  no  la  entendiö  ya:  "se  le 
yua  guisando  la  muerte,  si  Dios  non  acorriesse";  d,  sovies.  —  542b,  quier 
que  escap[ar  pudiesse],  la  Crönica  "aunque  pudiesse".  —  545a,  {padr)e  vero 
Jesu  Crisie.  —  551c,  caveros.  —  554d,  e  au[r]a  con  sus  g.  el  a  nos  {a)co- 
meter,  la  forma  tönica  a  nos  aclara  el  sentido.  —  556a  acrespioles  esf.  — 
558a,  Almenar  dice  la  Crönica,  y  claro  es  que  se  trata  del  pueblo  de  la 
provincia  de  Boria  donde  ocurriö  la  muerte  de  los  infantes  de  Salas; 
Almeria  es  demasiado.  —  573b,  paramentos,  lo  que  se  "para"  ö  conviene 
ö  pacta.  —  576c,  la  misma  oportuna  comparaciön  que  hace  Marden  con 
Alex  1245  asegura  prometyol  al  b.  c.  —  577,  me  parece  necesaria  la  In- 
version de  los  versos  b  c;  c,  al  c.  la  r.  con  igual  equivocaciön  de  sujeto  y 
dativo  que  en  598a,  696a.  —  581d,  el  diablo  pexiento.  —  584b,  solos  cinco 
viaron,  comp.  329a,  SDom  506d,  507d ;  c,  [aqu]el  phyto  f.,  pues  pleyto  estä 
tambiön  en  la  Crönica;  d,  la  Crönica  pone  bien  cinco  en  vez  de  seys.  — 
585  segün  la  Crönica  el  verso  creyndo  etc.  debe  ir  en  esta  copia,  y  no  en 
la  586,  y  el  v.  suplido  Santa  Maria  val  debe  ser  el  c  de  585.  —  590c,  v. 
cesura.  —  591c,  omenax.  —  592d,  v.  cesura.  —  600d,  euer,  y  605d,  al- 
guandre{'i)  v.  resabios  de  copia.  —  611a,  y  614c,  demando  {por)  losporteros, 
demando  {por)  la  donxella,  vese  demandar  con  acusativo  en  la  Biblia  Es- 
curialense  I-i-6,  fol  17b  "demandit  en  mio  lecho  el  que  ama  la  mi  alma, 
demandit  le  e  nol  fall6  . . .  demandarö  el  que  ama  la  mi  alma"  (v.  en 
Cornu,  Das  Hohelied,  p.  122),  la  construcciön  con  por  se  halla  en  FnGz 
üOSb.  —  614c,  dem.  la  donx.  por  qui  f.  cuntido;  d,  commo  el  conde  ouiera 
a  ser  della  marido,  la  Crönica  "ouiera  a  ser  marido"  y  el  copista  leyö  fer 
por  ser  y  escribiö  faxer.  —  628b,  döjese  intacta  la  lecciön  del  ms.,  es 
corriente  la  construcciön  /we  . . .  sobyda.  —  639a,  {aqu)i.  —  645c,  amos 
e{n)  el  condado,  segün  el  sentido  que  da  la  Crönica;  d,  ayunar  tres  un 
pecado,  segün  la  Crönica:  repartirlo  entre  los  tres;  se  reparte  la  penitencia 
del  pecado  que  se  cree  disculpable  ö  beneficioso,  como  mäs  claramente  se 
dice  en  Siete  Infantes  299,  14 :  "ca  vos  tomariedes  penitengia  e  yo  tomaria 
la  uieetad;  e  tales  pecados  como  este  toviesedes  vos  oy  fechos  siete  o  mas!" 

—  649c,  tomol  (o  major  trauol)  a  la  boruca,  es  la  buena  lecciön,  segün 


256  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

la  Crönica,  otros  ms.  de  la  cual  tambi^n  cstropearf)ii  cl  texto  leyendo 
a  la  barva  (v.  var.  de  mi  pröxima  edic.  p.  414  a  39).  —  652b,  la  Twc/ie 
huuiada  ?  —  653a,  {aqu)i.  —  657,  la  Crönica  apoya  el  orden  de  los  versos 
del  ms.;  b,  v.  pronombre.  —  660a,  665a,  caveros.  —  665d,  el  ms.  P  (contra 
SU  ediciön)  dice  quando,  v.  Prim.  Crön.  p.  415  a  15,  Variante.  —  677d, 
[de]  todos  por  s.  —  684,  creo  debe  invertirse  el  orden  de  los  versos  ajb. 

—  686,  antes  de  esta  copla  falta  una  que  dijese  como  el  Conde  "enuio 
sus  cartas  por  toda  Castiella  que  fuessen  luego  con  eil  caualleros  et  peones", 
comp,  lo  dicho  de  '282.  —  687a,  las  axes  f.  puestas,  movidas  tan  pr.;  b, 
aquel  su  mesier  era.  —  688b,  sovo  byen;  d,  tomaran.  —  689,  el  verso  b 
debe  ser  el  primero  de  la  copla,  pues  el  pronombre  de  levaronlos  se  refiere 
ä  los  castellanos.  —  690b,  v.  los  ser  c.  —  691b,  la  fräse  serä  de  grado  o 
amidos;  c,  v.  cesura.  —  700c,  si  se  acepta  al  conde  habrä  que  leer  saqtie- 
uos,  pero  como  esta  idea  se  expresa  en  701a,  debe  darse  por  buena  la 
correcciön  del  copista  al  rey.  —  702 — 712,  la  extensiön  de  la  laguna  del 
ms.,  calculada  ingeniosamente  por  Marden  como  de  12  coplas  (p,  118),  nos 
hace  suponer  que  ocupaba  una  lioja  entera  perdida  del  original  del  ms. 
escurialense;  ese  original,  por  la  dislocaciön  de  las  coplas  80 — Bö,  sabemos 
que  tenia  7  coplas  en  cada  pägina  (p.  168),  por  donde  debemos  elevar  a 
14  el  nümero  de  coplas  que  aqui  faltan.  —  715a,  caveros.  —  721b,  q.  mos 
f.  p.  la  Crönica:  "a  foyr  quanto  mas  podien".  —  721d,  firio  en  vez  de 
fallo.  —  724b,  q.  o.  la  ganancia,  la  confusiön  de  los  antiguos  sinönimos 
robo  j  ganancia  se  da  tambiön  en  el  Poema  del  Cid.  —  726a,  v.  cesura. 

—  727,  puede  suplirse  como  segundo  verso  [abiuö  leoneses  por  con  ellos 
lidiar].  —  729d,  llegados  parece  preferible,  comp.  Marden  p.  153,  linea  4 
de  abajo.  —  730b,  rogaua  puede  quedar  en  singular.  —  733c,  otro  tanio 
es  inexacto,  l^ase  atanto.  —  735d,  en  Estellal  dexamos,  alude  el  poeta  ä 
que  la  ultima  vez  que  hablö  de  los  navarros  (acaso  en  el  primer  hemisti- 
quio  de  c  se  nombraba  al  rey  Garcia)  los  dejö  reunidos  en  cortes  en 
Estella,  pasaje  perdido  en  el  ms.  pero  que  se  ve  en  la  Crönica,  Marden 
päg.  149  linea  26;  esto  recuerda  ahora  el  Poema  (y  la  Crönica,  Marden 
p.  151  inic);  la  misma  errata  Gastilla  por  Estella  del  ms.  de  FnGz,  se  da 
en  algunos  mss.  de  la  Crönica  (mi  edic.  p.  417  a  5  y  6).  —  741a,  corrido 
no  puede  suprimirse  porque  esta  en  la  Crönica,  lo  mismo  que  robado; 
acaso  el  verso  ultimo  de  740  nombraba  al  rey  Oarcia  y  podra  suprimirse 
aqui  ese  nombre.  —  744d,  la  Crönica  da  la  Variante  mäs  clara  de  lo  quel 
desfiaua.  —  745b,  q.  {mas)  ayna  p.  —  748c,  el  [conde]  nin  el  rey  non 
podrien  mos  faxer,  esto  es,  "fazian  tod  su  poder",  como  se  dice  luego.  — 
751a,  caveros. 

Como  ap^ndices  del  libro  de  Marden  se  hallan  las  coplas  del  FnGz 
citadas  segiin  otro  ms.  en  el  siglo  XVI  por  Arredondo;  el  texto  entero 
de  la  Primera  Crönica  General  de  Espana,  recurso  critico  que  ayuda  ä 
cada  paso  en  el  estudio  del  Poema,  y  que  Marden  publica  segiin  el  mejor 
cödice  escurialense  hasta  ahora  inödito;  notas  gramaticales,  histöricas  y 
literarias  en  que  el  editor  apoya  sus  correcciones  ö  que  sirven  de  comentario 
al  Poema;  gloaario  ö  indice  de  nombres  proprios.  Arriba  se  han  hecho 
algunas  alusiones  ä  estos  apöndices ;  aqui  solo  dirö  del  indice  de  nombres 
que  para  ser  completo  falta  en  öl  el  nombre  de  Satan  334d,  385c;  y  que 
Valpirre  es  la  Uanura  que  hoy  se  Uama  de  Valpierre,  entre  Briones  y 
Nägera  de  N.  a  S.  y  entre  San  Asensio  y  Ciruefla  de  E.  ä  O.  ^  Eespecto  al 
nombre,  me  comunican  de  San  Asensio  que  es  un  llano  muy  pedregoso 


'  Valpierre  no  figura  en  los  Diccionarios  Geogräficos  generales,  pero  si  en  el 
de  la  Rioja  de  Angel  Casimiro  de  Govantes,  1846,  donde  pueden  verse  mäs 
noticias  de  el. 


BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  257 

abundante  en  cautos  rodados  y  muy  ärido,  aunque  destinado  hoy  ä  vinas  y 
cereales;  el  P.  Anguiano,  Compe7idio  hist.  de  la  Rioja,  üb.  3,  cap.  19,  dice 
que  en  Valpiedra  6  Valpierre  "hay  una  piedra  que  hasta  hov  llaman  del 
conde".  En  Valpierre,  me  dicen,  existe,  en  la  carretera  de  Nagera  ä  Santo 
Domingo,  un  termino  que  llaman  La  Degollada;  es  "la  era  Degollada"  de 
que  hablan  las  Crönicas,  y  que  Mariana  y  otros  historiadores  llaman 
Gollanda.  La  De»ollada  es  nombre  topogräfico  que  se  encuentra  en  varias 
provincias  de  la  Penlnsula  espanola  y  en  las  islas  Canarias. 

La  Cuaderna  via  va  teniendo  sus  textos  bien  publicados.  Precediö 
ä  todas  la  ediciön  del  poema  de  YÜ9uf,  la  obra  mäs  importante  de  la  lite- 
ratura  aljaraiada,  hecha  por  H.  Morf;  el  texto  de  mäs  valor  artistico,  el 
Arcipreste  de  Fita,  cuenta  con  la  excelente  ediciön  paleografica  de  Duca- 
min;  el  que  mäs  obras  literarias  ha  inspirado,  el  Femän  Gonzalez,  sigue 
ahora  con  la  ediciön  critica  que  acabamos  de  resenar;  acaba  de  salir  ä 
luz  la  Vida  de  Santo  Domingo  editada  por  el  profesor  de  la  Universidad 
de  Columbia,  Fitz-Gerald;  ya  se  ha  publicado  una  interesante  muestra 
del  Catön  que  darä  ä  luz  el  profesor  de  Chicago,  Pietsch;  anos  hace  que 
el  profesor  de  Indiana,  Kuersteiner,  prepara  la  ediciön  del  Rimado  de  Pa- 
lacio;  en  fin,  el  Apolonio  lo  debe  publicar  el  mismo  Marden,  y  ojalä 
veamos  pronto  texto  Unguis ticamente  tan  curioso  ilustrado  por  la  pericia 
y  concienzudo   trabajo  del  editor  del  Poema  de  Fernän  Gonzalez. 

Madrid,  Julio  1901.  R.  Men^ndez  Pidal. 

A.  Morel-Fatio,  Etudes  sur  FEspagne.  Troisifeme  s^rie.  Paris,  Bouillon, 

1904.    438  S.     G  frs. 

Drei  dieser  wertvollen  Bände,  die  aus  der  Fülle  der  Kenntnis  Spaniens 
und  seiner  Literatur  heraus  geschrieben  sind,  liegen  nun  vor.  Der  erste 
ist  1888  (in  zweiter  Auflage  1895),  der  zweite  1890  erschienen.  Dieser 
zweite  Band  schilderte  in  zusammenhängender  Darstellung  das  Leben 
der  vornehmen  spanischen  Gesellschaft  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts nach  den  Briefen,  die  der  Graf  Fernan  Nunez  seit  1768  an  seinen 
Freund,  den  deutscheu  Prinzen  Emanuel  von  Salm-Salm,  schrieb.  Der 
erste  Band  setzte  sich  aus  fünf  Monographien  —  Reden  und  Studien  — 
zusammen,  die  sehr  bekannt  geworden  sind :  1)  L'Espagne  en  France  stellt 
dar,  wie  Frankreich  im  Laufe  der  Jahrhunderte  Spanien  studiert  und  auf- 
gefalst  hat;  2)  die  Recherches  sur  le  Laxarillo  de  Tormes  sind  die  erste 
wissenschaftliche  Untersuchung  über  die  Bibliograj)hie  dieser  novela  pica- 
resca  und  über  ihren  unbekannten  Autor;  3)  L'histoire  dans  'Ruy  Blas' 
zeigt,  wie  der  Dramatiker  Hugo  in  Geschichtsklitterung  macht;  1)  Espagnols 
et  Flamands  sind  ein  kulturgeschichtliches  Bild  dieser  Völkerbeziehungen ; 
der  letzte  Abschnitt  behandelt  den  Don  Quijote  als  Abbild  der  spanischen 
Gesellschaft  von  1600  —  alle  fünf  Arbeiten  gleich  reizvoll  durch  die 
Sicherheit  und  den  Umfang  des  Wissens  wie  durch  die  Klarheit  und  Ele- 
ganz der  Form. 

Der  dritte  Band  enthält,  wie  dieser  erste,  eine  Sammlung  von  —  dies- 
mal elf  —  Aufsätzen  über  verschiedene  Themata  aus  der  Literatur-  und 
Kulturgeschichte  Spaniens:  Poeten,  Granden  und  Soldaten,  Kirchenfürsten 
und  Universitätsleute  ziehen  an  uns  vorüber  —  und  nicht  nur  spanische, 
sondern  z.  B.  auch  Alessandro  Manzoni,  der  dem  Grofskanzler  Ferrar  im 
13.  Kapitel  seiner  Promessi  Sposi  kastilische  Worte  in  den  Mund  legt, 
die  er,  wie  M.-F.  scharfsinnig  zeigt,  seiner  spanischen  Lektüre  und  nicht 
der  gesprochenen  Rede  verdankt. 

Die  Themata  der  elf  Aufsätze  verteilen  sich  über  mehrere  Jahrhun- 
derte, vom  Mittelalter  bis  zur  jüngsten  Vergangenheit.  Am  weitesten 
zurück  führt  der  Brief  Sanchos  IV.  (1295)  an  Alonso  P^rez  de  Guzman, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  17 


258  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

den  tapferen  Verteidiger  von  Tarifa,  der  als  unecht  erwiesen  wird:  ein 
Chronist  des  herzoghchen  Hauses  Medina  Sidonia  hat  ihn  nach  zeit- 
genössischen Dokumenten  redigiert.  Fast  in  der  Gegenwart  stehen  wir 
mit  Fernän  Caballero  (f  1877),  der  merkwürdigen  und  trefflichen 
Frau,  deren  anziehendes  Bild  der  Verfasser  nach  ihren  Briefen  an  A.  de 
Latour  im  neunten  Beitrag  zeichnet. 

Dazwischen :  Dona  Marina  de  Aragon  (1523 — 1549),  eine  reizvolle  Skizze 
des  von  den  spanischen  Poeten  und  besonders  von  Diego  de  Mendoza  ge- 
feierten Mädchens;  Une  Comedie  de  College  ^'Arr,  relegata  et  Minerva  resti- 
tuta'  führt  in  die  Universitätskämpfe  des  16.  Jahrhunderts;  die  Histoire 
de  deux  sojinets  verfolgt  die  Themata  zweier  französischer  Gedichte  (Scar- 
rons  Sonett:  Süperbes  monuments  und  Voitures  Rondeau:  Ma  foi,  c'est 
fait  de  moi)  durch  die  spanische  und  italienische  Literatur;  Soldats  espa- 
gnols  du  XVII'  siecle,  nach  drei  interessanten  Autobiographien  ungleichen 
literarischen  Wertes ;  ün  Orand  d'Espagne,  agent  politique  de  Louis  XIV 
(1688 — 1700):  ein  geldbedürftiger  Herzog,  der  sich  in  den  Jahren,  die  dem 
spanischen  Erbfolgekrieg  vorangehen,  m  den  Geheimdienst  des  franzö- 
sischen Königs  stellt;  La  golilla  et  l'habit  müitaire,  eine  Kostümstudie, 
die  zu  einer  fesselnden  Charakteristik  des  spanischen  Geistes  im  18.  Jahr- 
hundert sich  erweitert,  ein  Muster  feiner,  belebender  Interpretation  schein- 
bar unbedeutender  Details. 

In  gewissem  Sinne  das  Hauptstück  des  Bandes  bildet  die  vorbildliche 
Untersuchung  über  Tirsos  Drama  La  prudencia  en  la  muger  (1634),  dessen 
historische  Quellen  nachgewiesen  werden.  M.-F.  zeigt  uns  den  grofsen 
Dramatiker  an  der  Arbeit  und  gibt  so  ein  typisches  Bild  jener  naiven 
Verschmelzung  von  Vergangenheit  und  Gegenwart,  welche  zum  Wesen 
des  spanischen  Nationaltheaters  gehört,  das  sich  in  unvergleichlicher  Macht 
auf  Chronik  und  Romancero  aufbaut.  Wer  die  gehaltreichen  Anmer- 
kungen zum  Texte  des  Tirsoschen  Stückes  kennen  lernen  will,  der  mufs 
zum  Bulletin  hispanique,  1900,  greifen :  M.-F.  hat  sie  leider  im  vorliegen- 
den Bande  nicht  mit  abgedruckt. 

Den  Schlufs  bilden  die  Melanges  de  philologie,  fünf  kurze  linguistische 
Aufsätze  über  ipse  als  katalanische  Artikelform;  duelos  y  quebrantos,  die 
Samstagsmahlzeit  des  Don  Quijote ;  ä  roso  y  velloso ;  armado  de  punta  en 
blanco;  rmcion  =  Fremder.  — 

Die  Arbeiten  dieses  Bandes  sind  alle  bereits  früher  gedruckt  worden ; 
die  älteste  (über  ipse)  ist  schon  1886  erschienen;  die  meisten  stammen  aus 
dem  jungen  Bulletin  hispanique.  Wir  dürfen  dem  Verfasser  sehr  dankbar 
sein,  daß  er  sie  wieder  vorgenommen  und  vereinigt  hat.  Es  hat  einen 
grofsen  Reiz,  mit  diesem  kundigen  Führer  durch  Spaniens  Schrifttum 
und  Sprache  zu  wandern.  H.  M. 


Zur  'Herzogin  von  Parma'  (Archiv  CXIII,  433).  O.  Wilde  hat  den 
Titel  'Herzogin  von  Padua'  vorgezogen,  und  so  mufs  es  auch  in  obzitierter 
Anzeige  des  Buches  heifsen. 


Verzeichnis 

der  voD  Mitte  Dezember  1904   bis   zum  12.  März  1905  bei  der 
Redaktion  eingelaufenen  Druckschriften. 


American  Journal  of  philology  XXV,  3,  whole  no.  99  [Report:  Engl. 
Studien.] 

Festschrift  aus  Anlafs  des  zehnjährigen  Bestandes  des  Vereins  für 
österreichische  Volkskunde  (189^—1904),  hg.  von  Dr.  M.  Haberlandt. 
(Zs.  f.  österr.  Volksk.,  Jahrg.  X,  Heft  5.)  177—224  S.  mit  5  Tafeln  und 
20  Textabbildungen.  Wien,  Gerold,  1904.  [M.  Haberlandt,  Der  Verein  f. 
österr.  Volkskunde  1894—1904.  —  R.  Meringer,  Die  Glocke  des  Bauern- 
hauses. —  V.  Hintner,  Egerländisch  lein.  —  J.  Blau,  Die  Spitzenklöppelei 
in  Neuern,  Böhmerwald.  —  E.  Domluvil,  Die  Kerbstöcke  der  Schafhirten 
in  der  mährischen  Walachei.  —  A.  Petak,  Über  die  Herdform  in  der 
Friaul.  —  Kleine  Mitteilungen.]  —  Heft.  6  [M.  Haberlandt,  Votive  und 
Weihegeschenke.  —  Besprechungen  und  Übersichten]. 

Weber,  L.  F.,  Märchen  und  Schwank,  eine  stilkritische  Studie  zur 
Volksdichtung.    Kieler  Diss.     Leipzig,  Fock,  1904.    84  S.    M.  1,50. 

Wohlthat,  Arthur,  Dr.,  Die  klassischen  Schuldramen  nach  Inhalt  und 
Aufbau.  2.  verb.  Aufl.  Leipzig,  G.  Freytag,  Wien,  F.  Tempsky,  1905. 
VI.  192  S.    Geb.  M.  2     -  K.  2,40... 

Sophokles,  Antigone,  in  der  Übersetzung  von  J.  J.  C.  Donner,  in 
neuer  Bearb.  hg.  und  mit  Einl.  u.  Anm.  versehen  von  F.  Mertens.  1.  Aufl. 
(Freytags  Schiuausgaben  u.  Hilfsbücher  für  d.  deutschen  Unterricht.)  Leip- 
zig, G.  Freytagj^  Wien,  F.  Tempsky,  1905.   92  S.    Geb.  M.  0,60  =  K.  0,70. 

Vol'sler,  K.,  Positivismus  und  Idealismus  in  der  Sprachwissenschaft. 
Eine  sprachphilosophische  Untersuchung.  Heidelberg,  Winter,  1904.  VI, 
98  S.     M.  2,80. 

Walter,  M.,  Der  Gebrauch  der  Fremdsprache  bei  der  Lektüre  in  den 
Oberklassen.  Vortrag,  gehalten  auf  dem  XL  deutschen  Neuphilologentag 
in  Köln.  Mit  Ergänzungen  und  Anmerkungen.  Marburg,  El  wert,  1905. 
32  S.    M.  0,70. 

Kaluza,  M.,  und  Thurau,  G.,  Ed.  Koschwitz,  ein  Lebensbild.  Ber- 
lin, Weidmann,  1904.    50  S.    M.  1. 

Glauser,  Dr.  Gh.,  Die  Weiterbildung  in  den  modernen  Sprachen  nach 
Absolvierung  einer  Realschule  und  einer  höheren  Handelslehranstalt.  Vor- 
trag, gehalten  auf  dem  XL  Neuphilologentag  in  Köln.  Braunschweig, 
Limbach,  1904.     16  S. 

Belli,  Dr.  A.,  Der  Lehrer  der  neueren  Sprachen,  Randbemerkungen 
zur  Frage  der  Lehrmethode  im  neusprachl.  Unterricht.  Venezia  1904.   60  S. 

Literaturblatt  für  germ.  u.  rom.  Philologie.  XXVI,  1.  (Jan,  1905.) 
Modern  language  notes.  XIX,  0  [H.  Schilling,  Two  reminiscences  of 
children's  rhymes  in  Goethe's  Faust  I.  —  N.  Sivert  Hagen,  Classical  names 
and  stories  in  the  Beowulf.  —  Jessie  Raven,  The  source  of  Schlegel's  comedy 
Die  stumme  Schönheit.  —  C.  G.  Child,  The  rise  of  the  heroic  play.  —  Lucy 
Gay,  Oi  in  Eust.  Deschamps.  —  Phil.  S.  Allen,  Turteltaube.  —  A.  M. 
Frieden berg:  Samsone  Pine.  —  Gertrud  C.  Schmidt,  Die  Quelle  des  Ratten- 

17* 


260  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

fängerliedes  in  Des  Knaben  Wunderhorn.  —  Reviews.  —  Correspondence]. 
7  [J.  P.  Wickersham  Crawford,  On  the  relations  of  Congreve's  Mourning 
hride  to  Racine's  Bajaxet.  —  O.  Patzer,  The  wealth  of  the  clergy  in  the 
fabliaux.  —  Eleanor  P.  Hammond,  Ms.  Pepy's  2006  —  a  Chaucerian 
codex.  —  P.-J.  Frein,  The  Reims  ms.  of  the  fables  of  Walter  of  England.^ 

—  Charles  C.  Clarke,  Two  investigations  in  French  phonetics  (Referat  über 
Poirot's  Deux  questions  de  phon.  franyaise  in  den  Helsingforser  Me- 
moires  III).  —  P.  ReifF,  Views  of  tragedy  among  the  early  German  roman- 
ticists  I.  —  Reviews  —  Correspondence].  8  [Cord.  Hall  Gerould,  Moll  of 
the  Prima  pastorum.  —  P.  Keiff,  Views  of  tragedy  among  the  early 
German  romanticists.  —  G.  Ph.  Krapp,  I.  Anglo-Saxon  chronicle  897; 
II.  Smrheard,  Beowulf  1033,  Andreas  1133;  III.  Chaucer's  Troilm  and 
Oriseyde  813—814.  —  R.  Holbrook,  Exorcisme  with  a  stole.  —  P.  M.  Bück, 
New  facts  concerning  the  life  of  Edm.  Spenser.  —  Phil.  Barry,  The  ballad 
of  the  demon  lover.  —  John  L.  Lowes,  'The  tempest  at  hir  hoom-cominge.' 

—  D.  Klein,  English  loan-words  in  Yiddish.  —  Reviews.  —  Correspon- 
dence.]. XX,  1  [Hope  Traver,  The  relation  of  musical  terms  in  the 
Woodkirk  Shepherds  plays  to  the  date  of  their  composition.  —  R.  Hol- 
brook, The  Harvard  ms.  of  the  farce  of  M.  Pierre  Pathelin  and  Pathelin's 
Jargons.  —  Fr.  Klaeber,  Hrothulf.  —  W.  Nicholson,  Did  Thackeray  write 
Elixabeth  Brownrigge?  —  Cl.  W.  Eastman,  Goethe's  Hermann  und  Doro- 
thea and  Voss'  Iliade.  —  C.  L.  Nicolay,  Balth.  Gracian  and  the  chains  of 
Hercules.  —  H.  Z.  Kip,  Noch  ein  Wort  über  germ.  f,  p,  h,  s>  h,  ä,  j,  x. 

—  Reviews.  —  Correspondence.  —  Brief  mention.].  V  [G.  P.  Krapp, 
The  parenthetic  exclamation  in  0.  E.  poetry.  —  M.  A.  Buchanan,  Notes 
in  the  Spanish  drama :  Lope  Mira  de  Amescua  and  Moreto.  —  P.  A.  Wood, 
Etymological  notes.  —  0.  Patzer,  The  'Miracles  de  Nostre  Dame'  and  the 
fourteenth  Century.  —  J.  A.  Walz,  The  phrase  'Sturm  and  Drang'.  — 
J.  E.  Routh  jr.,  R.  Kyd's  rime  schemes  and  the  authorship  of  'Soliman 
and  Perseda'  and  of  The  first  part  of  Jeronimo'.  —  Reviews  etc.]. 

Neuphilologische  Mitteilungen,  hg.  v.  Neuphilol.  Verein  in  Helsing- 
fors.  1904.  Nr.  7 — 8  [W.  Söderhjelm,  Eine  Bemerkung  zur  romanischen 
Syntax.  —  Die  erste  Einführung  in  das  historische  Sprachstudium,  be- 
sonders des  Deutschen.  —  H.  Pipping,  Germanische  Miszellen.  —  Be- 
sprechungen. —  Protokolle  des  Neuphil.  Vereins.  —  Verzeichnis  der  Mit- 
glieder. —  Mitteilungen]. 

Die  neueren  Sprachen  ...  h^.  v.  W.  Vietor.  XII,  7  [M.  Löwisch, 
Die  litt,  polit.  und  wirthschaftl.  Kultur  der  Franzosen  in  der  Lektüre  und 
im  freien  Fachunterricht.  —  R.  J.  Lloyd,  Glides  between  consonants  in 
English,  IL  —  Besprechungen.  —  Vermischtes].  8  [K.  Breul,  Das  Deutsche 
im  Munde  der  Deutschen  im  Auslande.  —  Hörnig,  Über  den  Stand  des 
französ.  Unterrichts  an  den  sächsischen  Gymnasien,  Realgymnasien  und 
Realschulen.  —  Besprechungen.  —  Vermischtes]. 

Publications  of  the  Modern  Language  Association  of  America,  XX,  1 
[W.  H.  Chenery,  Object-pronouns  in  dependent  clauses.  —  P.  L.  Revenel, 
Tydorel  and  Sir  Gowther.  —  G.  L.  Hamilton,  Gower's  use  of  the  enlarged 
Roman  de  Troie.]. 

Schweizerisches  Archiv  f.  Volkskunde,  hg.  v.  E.  Hof f mann -Krayer 
und  J.  Jeanjaquet.  VIII,  4  [V.  Pellandini,  Usi  e  costumi  di  Bedano 
(Ticino).  —  G.  Züricher  und  M,  Reinhard,  AJlerhand  Aberglauben  aus 
dem  Kanton  Bern.  —  A.  Rossat,  Les  Paniers  (suite).  —  J.  Ochsner, 
Volkstümliches  aus  Einsiedeln  und  Umgebung.  —  Mölanges.  —  Bücher- 
anzeigen. —  Kleine  Chronik]. 

The  modern  language  quarterly,  VII,  3  [K.  Breul,  Schiller  as  an 
historian.  —  C.  B.  Low,  Wieland  and  Richardson.  —  W.  W.  Grey,  A 
dramatic  fragment.  —  V.  Payen-Payne,  Jersey  French.  —  Observations, 
reviews,  modern  language  teaching]. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  261 

Modern  language  teachiug,  edited  by  W.  Rippmann,  vol.  I,  no.  1 
[Report  of  the  annual  meeting  of  the  Modern  Language  Association.  — 
M.  K.  Pope,  The  place  of  philology  in  the  study  of  modern  languages.  — 
C.  Brereton,  Organizing  the  second  stage  in  modern  language  teachmg.  — 
Correspondence,  notes  and  queries,  from  here  and  there.].  London,  E.  & 
Ch.  Black,  March  1905.    32  p.     Price:  sixpence. 

Schweizerisches  Idiotikon  . . .  LI.  Heft,  Band  V,  Bogen  72 — 81,  ent- 
haltend die  Stämme  pf-nd  bis  qu-d.  Bearbeitet  von  A.  Bach  mann  und 
H.  Bruppacher,  E.  Schwyzer.    Frauenfeld,  Huber  u.  Co.,  1904. 

Breymann,  H.,  Das  neue  bayerische  Lehrprogramm  für  den  Unter- 
richt in  den  neueren  Sprachen.    München,  Oldenoourg,  1905.    16  S.  M.  0,50. 


Das  Nibelungenlied.  (Übersetzung  nach  der  Handschrift  A.)  Aus- 
wahl. Für  den  Schulgebrauch  hg.  von  Prof.  Dr.  Oskar  Henke.  8.,  neu 
durchgesehene  Aufl.  (Freyta^  Schulausgaben  u.  Hilfsbücher  für  d.  deut- 
schen Unterricht.)  Leipzig,  G.  Freytag,  Wien,  F.  Tempsky,  1905.  182  S. 
Geb.  1  M.  -=  K.  1,20. 

Das  Gudrunlied  in  Auswahl  und  Übertragung.  Für  den  Schulgebrauch 
hg.  von  Walter  Hübbe.  (Frey tags  Schulausgaben  u.  Hilfsbücher  für  d. 
deutschen  Unterricht.)  Leipzig,  G.  Freytag,  Wien,  F.  Tempsky,  1905. 
112  S.    Geb.  M.  0,60  =  K.  0,72. 

Arndt,  Wilh.,  Die  Personennamen  der  deutschen  Schauspiele  des 
Mittelalters.  (Germanistische  Abhandlungen,  begr.  von  Karl  Weinhold, 
hg.  von  Friedrich  Vogt,  23.  Heft.)  Breslau,  M.  u.  H.  Marcus,  1904.  X, 
118  S.    Brosch.  M.  3,60. 

Briefe  von  und  an  Gotthold  Ephraim  Lessing,  in  fünf  Bänden,  hg. 
von  Franz  Muncker.  Leipzig,  Göschen,  1904.  I.  Band:  Briefe  von  Les- 
ßing  aus  den  Jahren  1743—1771.  X,  429  S.  III.  Band:  Briefe  an  Les- 
sing  aus  den  Jahren  1746—1770.   V,  431  S.   Brosch.  ä  5  M.,  geb.  ä  M.  6,50. 

Kettner,  Gustav,  Lessings  Dramen  im  Lichte  ihrer  und  unserer  Zeit. 
Berlin,  Weidmann,  1904.     VII,  511  J?. 

Wolfgang  von  Goethe,  Götz  v.  Berlichingen  mit  d.  eisernen  Hand. 
Ein  Schauspiel.  Für  den  Schulgebrauch  hg.  von  Dr.  August  Sauer.  2. 
verb.  Aufl.,  mit  einem  Kärtchen.  (Freytags  Schulausgaben  u.  Hilfsbücher 
für  d.  deutschen  Unterricht.)  Wien,  F.  Tempsky,  Leipzig,  G.  Freytag, 
1905.    172  S.    Geb.  K.  0,90  =  M.  0,75. 

Goethe,  Iphigenie  auf  Tauris,  ein  Schauspiel,  ed.  by  Karl  Breul. 
Cambridge,  University  Press,  1904.    XXXIV,  254  S. 

Schillers  sämtliche  Werke,  Säkularausgabe.  XIV,  XV:  Historische 
Schriften,  2.  u.  3.  Teil.  434  u.  462  S.  XI:  Philosophische  Schriften, 
1.  Teil.    LXXXIV,  337  S.    Stuttgart,  Cotta,  1905.    ä  M.  1,20. 

Schiller,  Friedrich,  Geschichte  des  Dreilsigj ährigen  Krieges  (Buch  III) 
ed.  by  Karl  Breul.  Cambridge,  At  the  University  Press,  1904.  XXXII, 
194  S.     1  Karte. 

Deibel,  P.,  Dorothea  Schlegel  als  Schriftstellerin  im  Zusammenhang 
mit  der  romantischen  Schule.  (Palaestra  XL.)  Berlin,  Mayr  u.  Müller, 
1905.     188  S.     5  M. 

Fränkel,  Jonas,  Dr.  phil.,  Zacharias  Werngrs  Weihe  der  Kraft.  Eine 
Studie  zur  Technik  den  Dramas.  (Beiträge  zur  Ästhetik,  hg.  von  Theodor 
Lipps  u.  Rieh.  Maria  Werner,  IX.)  Hamburg  und  Leipzig,  Leopold  Vofs, 
1904.    X,  141  S.    4  M. 

Lessing,  Dr.  O.  E.,  Grillparzer  und  das  neue  Drama.  Eine  Studie. 
München  und  Leipzig,  R.  Piper  u.  Co.,  1905.   VIII,  175  S.    Brosch.  4  M. 

Fischer,  A.  W.,  Über  die  volkstümlichen  Elemente  in  den  Gedichten 
Heines.  (Berliner'  Beiträge  zur  germ.  u.  rom.  Philologie,  XXVIII.)  Ber- 
lin, Ebering,  1905.     150  S. 


262  Verzeichnis  der  ciDgelaufenen  Druckschriften. 

Deetjen,  Dr.  Werner,  Immermanns  Jugenddramen.  (Mit  einem 
Porträt  Immermanns.)  Leipzig,  Dieterich,  1904.  200  S.  Brosch.  5  M., 
geb.  6  M. 

ßeynaud,  L.,  N.  Lenau,  po^te  lyrique.  Paris,  Soci^t^  Nouvelle  de 
Librairie  et   d'Edition,  1905.    XVII,  463  p. 

Alt-Innsbrucker  Hanswurstspiele.  Nachträge  zum  'Höttinger  Peterl- 
spieP,  hg.  von  A.  K.  Jennewein.    Innsbruck,  Wagner,  1905.    199  S.    2  M. 

Schumann,  C,  Lübecker  Spiel-  und  Rätselbuch.  Neue  Beiträge  zur 
Volkskunde.    Lübeck,  Borchers,  1905.     XXII,  208  S.    M.  1,50. 

Becher,  A.  L.,  Deutsch  für  Ausländer.  Das  Notwendigste  aus  der 
deutschen  Sprachlehre  mit  praktischen  Beispielen,  Lese-  und  Gesprächs- 
übungen. Mit  Ansichten  von  Berlin,  Dresden,  Köln  und  Nürnberg.  (Teub- 
ners  kleine  Sprachbücher:  V.  Deutsch.)  Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1904. 
132  S.    Geb.  M.  2,40. 

Methode  Toussaint  -  Langenscheid t.  Brieflicher  Sprach-  und  Sprech- 
unterricht f.  d.  Selbststudium  der  schwedischen  Sprache  von  E.  Jonas, 
J.  West  erblad,  C.  G.  Mor^n.  Berlin,  Langenscheidt.  Brief  13—19 
zu  M.  1. 

Anglia.  XXVIII,  1  [E.  P.  Hammond,  Two  British  Museum  mss., 
Harley  2251  and  Adds.  34  300 ;  a  contribution  to  the  bibliography  of  John 
Lydgate.  —  J.  E.  Wülfing,  Das  Bild  und  die  bildliche  Verneinung  im 
Laud-Troy-book  (Fortsetzung  u.  Schlufs).  —  A.  Lange,  Lyndesay's  Men- 
arche und  die  Chronica  Carionis,  eine  Quellen  Studie.  —  E.  Einenkel,  Zum 
engl.  Indefinitum.  —  E.  A.  Koch,  Zu  Anglia  XXVII,  216  f.,  Beitr.  z. 
Gesch.  d.  d.  Spr.  u.  Lit.  XXIX,  560  ff.]. 

Beiblatt  zur  Anglia.    XVI,  1  (Januar  1905). 

Scottish  historical  review.  II,  6  [A.  Lang,  Knox  as  an  historian.  — 
D.  H.  Fleming,  The  influence  of  Knox.  —  G.  A.  Sinclair,  Periodical  lite- 
fature  of  the  eighteenth  Century.  —  D.  M.  Rose,  Mary  Queen  of  Scots 
and  her  brother.  —  S.  Terry,  The  siege  of  Edinburgh  Castle  1689.  — 
G.  S.  C.  Sainton,  Six  early  charters.  —  Notes  and  comments,  queries, 
replies,  reviews]. 

The  battle  of  Maldon  and  short  poems  from  the  Saxon  Chronicle, 
ed.  with  introduction,  notes  and  glossary  by  Walter  John  Sedgefield 
(The  belles-lettres  series,  section  I :  Engl.  lit.).  Boston  and  London,  D.  C. 
Heath  &  Co.,  1904.    XXIII,  96  S. 

Süfsbier,  Karl,  Sprache  der  Cely-papers,  einer  Sammlung  von  engl. 
Kaufmannsbriefen  aus  den  Jahren  1475 — 88.  Berlin,  Ebering,  1905.  97  S. 
M.  1,50.  [*Au8  der  Vergleichung  mit  Caxton  ergibt  sich,  wieviel  gewählter 
dessen  Sprachgebrauch  ist.'] 

Eicnhoff,  Th.,  Die  beiden  ältesten  Ausgaben  von  Romeo  and  Juliet 
(Unser  Shakespeare  IV).    Halle,  Niemeyer,  1904.    XII,  278  S.    M.  1. 
Collection  of  British  authors.    Tauchnitz  edition.     ä  M.  1,60. 
Vol.  3775—6:  H.  Rider  Haggar d,  The  brethren. 

^      3777—8:  A.  E.  Mason,  The  truants. 

„      3779—80:  A.  Marion  Crawford,  Whoever  shall  offend  ... 

„     3781—2:  R.  Hieben s,  The  garden  of  Allah. 

„      3783:  P.  White,  A  passionate  pilgrim. 

„      3784—5:  M.  Pemberton,  Beatrice  of  Venice. 

„      3786:  W.  W.  Jacobs,  Dialstone  Lane. 

„      3787—8:  E.  Thorneycroft  Fowler  (Mrs.  A.  L.  Felkin)  and  A.  L. 
Felkin,  Kate  of  Kate  Hall. 

„      3789—90:  Hall  Caine,  The  prodigal  son. 

y,     3791:  A.  Morrison,  The  green  eye  of  Gooan. 

„      3792:  B.  M.  Croker,  The  happy  Valley. 


Verzeichnis  der  eiugelaufeDtn  Druckschriften.  268 

Vol.  879.":  Franceß  M.  Peard,  The  ring  from  Jaipur. 

y,      3794:  S.  Levett-Yeats,  Orrain. 

„     3796:  W.  R.  Trowbridge,  That  little  Marquis  of  Brandenburg. 

Sattler,  W.,  Verzeichnis  der  englischen  Wörter  zum  deutsch-eng- 
lischen Sachwörterbuch.  12.  (Schlurs-)Lieferung.  Leipzig,  Eenger,  1905. 
89  S. 

Beckmann,  Prof.  Dr.  E.,  Hilfswörterbuch  zum  englischen  Ausdruck. 
Leipzig,  Benger,  1905.     144  S.    Brosch.  M.  1,60,  geb.  M.  2. 

PTcetz,  Gustav,  English  vocabulary.  Methodische  Anleitung  zum 
Englisch-Sprechen  mit  durchgehender  Bezeichnung  der  Aussprache,  b.  verm. 
u.  verb.  Ausg.     Berlin,  Herbig,  1904.     VIII,  816  S.    Ungeb.  M.  2,60. 

Hausknecht,  Emil,  The  English  Student,  Lehrbuch  zur  Einführung 
in  die  englische  Sprache  und  Landeskunde.  8.  Aufl.  Berlin,  Wiegandt 
u.  Grieben,  1905.  366  S.,  Wörterbuch  144  S.  Maps  of  England  and  Lon- 
don.   Geb.  M.  3,50. 

Conrad,  Her.,  Syntax  der  englischen  Sprache  für  Schulen.  Berlin, 
Mittler,  1904.    XVI,  176  S. 

Deutschbein,  K.,  Methodisches  Irving-Macaulay-Lesebuch  mit  Vor- 
stufen, Anmerkungen,  Karten  und  Anhang.  5.  verb.  u.  verm.  Auflage. 
Köthen,  0.  Schulze,  1905.  231  S.  Ausg.  A  mit  Vorstufen  ungeb.  M.  2,50, 
Ausg.  B  ohne  Vorstufen  ungeb.  M.  2. 

Shakespeare,  W.,  Macbeth.  Für  den  Schulgebrauch  hg.  von  Dr.  Ernst 
Regel.  1.  Aufl.  (Freytags  Schulausgaben  u.  Hilfsbücher  für  den  deut- 
schen Unterricht.)  Leipzig,  G.  Freytag;  Wien,  F.  Tempsky,  1905.  92  S. 
Geb.  M.  0,60  =  Kr.  0,70. 


Romania,  p.  p.  P.  Meyer  et  A.  Thomas.  XXXIII,  No.  132  (Oc- 
tobre  1904)  [A.-G.  van  Hamel,  Cligh  et  Tristan.  —  L.  Constans,  Le  songe 
vert.  —  A.  Thomas,  Notes  et  documents  in^dits  pour  servir  ä  la  biographie 
de  Pierre  de  Nesson.  —  A.  DelbouUe,  Mots  obscurs  et  rares  de  l'ancienne 
langue  fran9aise  (suite).  —  M^langes:  A.  Jeanroy,  Any.  fran9.  frenpiev, 
aengier,  onger,  fr.  mod. :  enger.  —  A.  Thomas,  Anc.  fr.  ehalemine,  it.  gtcdla- 
mina.  —  La  date  de  la  mort  de  Thomas  de  St-Pierre.  —  Comptes-rendus. 
—  P^riodiques.  —  Chronique]. 

Revue  des  lan^ues  romanes.  XLVII,  5  [H.  Guy,  La  chronique  fran- 
gaise  de  maitre  Guill.  Cr^tin.  —  L.  Lambert,  Chansons  de  printemps.  — 
G.  Bertoni,  Sülle  redazioni  provenzale  e  francese  della  'Practica  oculorum' 
di  Benvenuto.  —  L.-G.  P^lissier,  Documents  sur  les  relations  de  Tempe- 
reur  Maximilien  et  de  Lud.  Sforza  en  l'ann^e  1499.  —  Bibliographie.  — 
Chronique].  —  6  [B.  Sarrieu,  Le  parier  de  Bagn^res-de-Luchon  et  de  sa 
vall^e  (suite).  —  A.  Vidal,  Les  d^liberations  du  conseil  communal  d'Albi 
de  1372  ä  1388  (suite).  —  Bibliographie]. 

B^dier,  J.,  et  Roques,  M.,  Bibliographie  des  travaux  de  Gaston 
Paris  (Soci^t^  amicale  Gaston  Paris).    Paris  1904.    VI,  201  S. 

Grundrifs  der  romanischen  Philologie,  hg.  von  G.  Gröber.  I.  Band, 
8.  Lieferung  (Bogen  33—48).  Zweite  verb.  u.  verm.  Auflage.  Stralsburg, 
K.J.  Trübner,  1904.  [Diese  Lieferung  bringt  zunächst  'Die  vorromanischen 
Volkssprachen  der  roman.  Länder'  zum  Abschlufs,  wobei  Kr.  Sandfeld 
Jensen  jetzt  die  nichtlatein.  Elemente  des  Rumänischen  behandelt  (524—34), 
und  be^nnt  die  Darstellung  der  roman.  Idiome.  Tiktin  braucht  für  das 
Rumänische  fast  doppelt  so  viel  Raum  wie  früher;  Meyer  hat  die  Über- 
arbeitung des  Italienischen  übernommen.  Französisch  und  Provenzalisch 
sind  in  der  Suchierschen  Darstellung  vereinigt  geblieben :  diese  Vereinigung 
hat  ihren  besonderen  Reiz  und  ihren  besonderen  Lehrwert.] 

Richter,  Dr.  Elise,  Ab  im  Romanischen.  Halle,  Niemeyer,  1904. 
VIII,  120  S.    M.  3. 


264  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Herzog,  E.,  Streitfragen  der  romanischen  Philologie.  Erstes  Bänd- 
chen: Die  Lautgesetzfrage.  Zur  franz.  Lautgeschichte.  Halle,  Niemeyer, 
1904.     122  S.    M.  3,60. 

Mölanges  de  philologie  offerts  ä  Ferdinand  Brunot  ä  Foccasion 
de  sa  20^'  ann^e  de  professorat  dans  l'enseignement  superieur  par  ses 
öl^ves  frangais  et  ^trangers.  Paris  1904.  452  S.  [Von  den  mehr  als  hun- 
dert Schülern  und  Freunden  F.  Brunots,  die  ihm  aus  Anlafs  des  zwanzig- 
sten Jahres  seiner  Lehrtätigkeit  ihre  Glückwünsche  darbrachten,  haben 
einige  dreifsig  diese  Wünsche  mit  wissenschaftlichen  Arbeiten  begleitet. 
Dieser  stattliche  Band  vereinigt  sie.  Sie  erstrecken  sich  über  Französisch, 
Provenzalisch,  Spanisch,  Italienisch,  sowie  Griechisch  und  Latein,  über 
Linguistik,  Metrik  und  Literaturgeschichte  und  bieten  viel  Schönes  und 
Interessantes,  nämlich:  Ch.  Beaulieux,  Liste  des  dictionnaires,  lexiques  et 
vocabulaires  franyais  anterieurs  au  'Thr^sor'  de  Nicot  (1606)  —  0.  Bloch, 
Etüde  sur  le  dictionnaire  de  J.  Nicot  (1606)  —  H.  Bornecque,  La  prosodie 
et  l'art  m^trique  d'Horace  dans  Fart  poetique  —  E.  Brandon,  Date  de  la 
naissance  de  Kobert  Estienne  —  M.  Brunet,  Quelques  notes  sur  un  chapitre 
de  Michelet,  'La  Tempete  d'octobre  1859'  —  J.  Buche,  Pernette  du  Guillet 
et  la  'D^lie'  de  Maurice  Sc^ve  —  J.  Charles,  Etymologie»  for^ziennes  — 
H.  Chatelain,  Le  vers  libre  de  Molifere  dans  'Amphitryon'  —  G.  Cirot,  'Ser'  et 
'Estar'  avec  un  participe  pass^  —  A.  Cuny,  A  propos  des  adjectifs  en  'Mus'  — 
L.  Delaruelle,  Un  professeur  italien  d'autrefois.  Etüde  sur  le  sdjour  ä  Milan 
d'Aulo  Giano  Parrasio  —  J.  D^sormaux,  Contribution  ä  la  morphologie 
des  parlers  savoyards.  Les  noms  de  nombre  cardinaux  —  Fauste-Laclotte, 
Note  sur  l'epenth^se  en  frangais  —  P.  Fouquet,  J.-J.  Rousseau  et  la  gram- 
maire  philosophique  —  A.  Fran9ois,  Note  sur  le  'Quinte-Curce'  de  Vaugelas 

—  E.  Frey,  La  langue  de  J.-K.  Huysmans  —  F.  Gaffiot,  "Cest  que'  — 
F.  Gaiffe,  Un  drama  sur  les  'Remplagantes'  en  1771.  La  'Vraie  M^re'  de 
Moissy  —  F.  Gohin,  La  question  du  fran§ais  dans  les  inscriptions  du 
XVIII''  si^cle  —  P.  Horluc,  L  non  mouille  -|-  Y  peut-il  se  reduire  ä  Y? 

—  C.  Kattein,  Histoire  du  mot  Idylle'  —  C.  Latreille  et  L.  Vignon,  Les 
grammairiens  lyonnais  et  le  franyais  parl^  ä  Lyon  ä  la  fin  du  XVIII^ 
sifecle  —  J.  Luchaire,  Quelques  formes  du  dialecte  siennois  —  J.-M.  Meu- 
nier,  Les  d^riv^s  nivernais  de  'mauere'  et  Etymologie  du  nom  de  lieu 
'Maumigny'  —  M.  Roques,  Notes  sur  Fran§ois  de  Calliferes  et  ses  oeuvres 
grammaticales  (1645—1717)  —  Th.  Rosset,  E  feminin  au  XVII^  si^cle  — 
M"^  E.  Samfiresco,  Essai  sur  V.  Conrart,  grammairien  —  J.  Saroihandy, 
Origine  frangaise  du  vers  des  romances  espagnoles  —  J.  Trenel,  Le 
psaume  CX  chez  Marot  et  d'Aubigne  —  J.  Vendry^s,  Un  petit  problfeme 
d'accentuation  hom^rique  —  A.  Weil,  Sur  une  herborisation  de  J.-J. 
Rousseau  —  H.  Yvon,  Y  a-t-il  un  präsent  passif  en  franyais  ?  —  A.  Zünd- 
Bourguet,  Recherches  expErimentales  sur  le  timbre  des  voyelles  nasales 
frangaises.] 

Revue  de  philologie  frangaise  ...  p.  p.  L.  ClEdat.     XVIII,  3  et  4 
""       "     B  au  XVI      "  "  *    "' 


[L.-E.  Kastner,  L'infinitif  historique  au  XVl®  sifecle.  —  R.  Harmand,  Ob- 
servations  critiques  sur  le  Tournoi  de  Chauvency.  —  J.  DEsormaux,  ME- 
langes  savoisiens,  IV.  —  Gasse  et  Chaminade,  Vieilles  chansons  patoises 
du  PErigord  (suite).  —  L.  Vignon,  Patois  de  la  rEgion  lyonnaise :  pronom 
de  la3*^pers.,  rEg.  direct  fem.  plur.  —  L.  Cledat,  Essai  de  sEmantique  III: 
la  famille  du  verbe  'dire'.  —  MElanges:  L.  C.  Äspect  et  egard;  Ne  pas 
laisser  que  de,  —  Comptes  rendus.  —  Livres  et  articles  signalEs.  —  Chro- 
niquej. 

Zeitschrift  für  französ.  Sprache  und  Literatur,  hg.  von  D.  Behrens. 
XXVII,  6  u.  8:   der  Referate  und  Rezensionen  drittes  und  viertes  Heft. 

Revue  des  Etudes  Rabelaisiennes.  II,  4  [J.  Boulenger,  Rabelais  et 
V.  Hugo.  —  Melanies.  —  Comptes-rendus.  —  PEriodiques.  —  Chronique. 
—  Supplement:   REimpression  de  VIsle  sonante,  f«  1  et  2.  —   Die  Revim 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  265 

A.  Lefrancs  hat  damit  ihren  zweiten  Jahrgang  abgeschlossen.  Redaktor 
und  Mitarbeiter  können  mit  berechtigter  Genugtuung  auf  diesen  wohl- 
gelungenen Versuch,  der  Rabelais  -  Forschung  ein  Zentrum  zu  schaffen 
und  ihr  zugleich  einen  neuen  Aufschwung  zu  geben,  zurückblicken.  Bio- 
graphie und  Bibliographie,  Lexikologie  und  Topographie,  die  Interpretation 
einzelner  Stellen  wie  die  Kenntnis  ganzer  grofser  Teile  von  Rabelais'  Werk 
sind  erheblich  gefördert  worden.  Pantagruel  II  ist  nach  der  Lyoner  Aus- 
gabe von  153S  (Kgl.  Bibliothek  zu  Dresden)  wiedergegeben  (VIII  u.  112  S.); 
der  Neudruck  der  Isle  sonante  (1562)  ist  begonnen.  Interessante  Faksimile 
sind  reproduziert  oder  zum  erstenmal  vorgelegt.  Die  Frage  des  apokry- 
phen fünften  Buches  von  1549  sowie  der  im  wesentlichen  echten  Briefe 
aus  Rom  (1535 — 36)  und  der  SuppUcatio  pro  apostasia  ist  ausgiebig  und 
überzeugend  behandelt.  Bisher  unbekannte  Zeugnisse  über  die  Persön- 
lichkeit R.s  (z.  B.  über  seinen  frühen  Ruf  als  Philosophen,  I,  202)  sind 
mitgeteilt.  Das  Grabgedicht,  das  Ronsard  dem  Freunde  gewidmet,  und 
das  dessen  Ruf  so  verhängnisvoll  geworden  ist,  ist  als  ein  Scherz  im 
Stile  der  Anakreonteia  erwiesen  (I,  215).  In  einem  vortrefflichen  Artikel 
zeigt  Lefranc,  wie  R.  dazu  kam,  in  dem  dritten  Buch,  das  er  1546  nach 
so  langem  Schweigen  folgen  liefs.  seinen  Beitrag  zur  Behandlung  der 
'Frauen frage*  zu  liefern,  die  damals  im  Gefolge  der  Parfaite  amie  und  der 
Amie  de  cour  eine -Tagesfrage  geworden  war.  Die  gelehrten  Werke  R.s 
finden  ihre  Würdigung  (II,  p.  67,  cf.  p.  289).  Einzelne  dieser  Arbeiten 
stammen  aus  Lefrancs  Seminar  an  der  Ecole  des  Hautes  Etudes.  Auch 
die  Mitteilungen  über  die  Verhandlungen  der  Societe  bringen  manches, 
auf  dessen  nähere  Ausführung  man  gespannt  ist,  z.  B.  II,  291  über  den 
Anteil,  den  Rabelais'  Jugenderinnerungen  an  der  Topographie  und  den 
Erfindungen  des  ersten  Buches  haben.  Sein  Vater  war  übrigens  Jurist 
und  Beamter.  —  Auch  auf  Lefrancs  fesselnden  Nachweis,  dafs  Pantagruels 
Reise  (Buch  IV  und  V)  trotz  ihrer  Phantastik  auf  ernsten  geographischen 
Studien  Rabelais'  beruht  und  eine  literarische  Verherrlichung  der  Nord- 
west-Passage (Saint -Malo  — Neufundland  —  Ostasien)  darstellt,  sei  hier 
nachdrücklich  hingewiesen  (Bevue  de  Paris,  Februar  1904)]. 

Bulletin  du  Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  romande.  III,  4  [E.  Tap- 
polet,  Les  quatre  Saisons  dans  les  patois  romands.  —  Textes]. 

Rey,  Prof.  A.,  La  France  industrieuse  et  litt^raire.  Lectures  choisies 
pour  les  ^l^ves  des  dcoles  superieurs  de  commerce.  Vienne  et  Leipsic, 
Fr.  Deuticke,  1905.    VIII,  606  S.    Geb.  M.  6. 

Sammlung  französ.  u.  englischer  Schulausgaben.    Prosateurs  fran5ai8, 
No.  152 — 55;  Th^ätre  frangais,  No.  70.    Jedes  Bändchen  geb.,  mit  einem 
Heft  deutscher  Anmerkungen  zu  No.  152 — 54  und  70  und  franz.  Anmer- 
kungen zu  No.  155.     Bielefeld  u.  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1904. 
I.  Prosateurs: 

152.  Zwei  Erzählungen    aus  Servitude  et  grandeur  militaires  p.  A.  de 
Vigny,  hg.  von  Berta  Breest.    VIII,  82  S.    M.  0,80. 

153.  Maroussia  p.  P.  J.  Stahl,  hg.  von   Dr.  L^on  Wespy.    IV,  140  S. 
M.  1,10. 

154.  La  Belgique  p.  E.  Reclus,  hg.  von  Dr.  E.  Vogel.  VIII,  124  S.  M.  1,40. 

155.  A  travers  les  journaux  fran^ais,  hg.  von  M'"^  H.  Fr  an  50  is.   VII, 
161  S.    M.  1,40. 

IL  Th^ätre: 
70.   Le   monde  oü    l'on    s'ennuie   p.   E.   Pailleron,   hg.   von    Prof.  Dr. 
R.  Werner.    VIII,  140  S.    M.  1,60. 
Velhagen  u.  Klasings  Sammlung  franz.  u.  engl.  Schulausgaben.     Re- 
form-Ausgaben mit  fremdsprachl.  Anmerkungen.    Bielefeld  1904: 
Nr.  1.   M^moires  d'un  coU^gien   p.  A.  Laurie;   texte  abr^g^  et  annot^ 
ä  l'usage  des  ^coles  p.  E.  Wolter.    VI,  130  S.  und  Commentaire 
82  S.    Geb.  M.  1,40. 


266  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Frey  tags  Sammlung  franz.  u.  engl.  Schriftsteller  [mit  Anmerkungen]. 
Leipzig  1905: 
J.  Sandeau,   M*"^^^"  de  la  Seigli^re  (roman),   hg.  von  ü.   F.  .Schmidt. 

123  S.    Geb.  M.  1,20  und  Wörterbuch  M.  0,50. 
A.  Daudet,  Ausgew.  Erzählungen,  hg.  von  Prof.  Dr.  Schindler.   103  S. 
Geb.  M.  1,20  und  Wörterbuch  M.  0,50. 

Les  Paniers.  Po^me  en  patois  bisontin,  traduit  en  patois  jurassien 
p.  F.  Raspieler,  cur^  de  Courroux.  Etüde  critique  des  diverses  versions 
p.  A.  Rossat  (S.-A.  aus  d.  Schiveix.  Archiv  f.  Volkskunde,  VIII).  Zürich 
1904.  38  S.  [Der  erste  Teil  einer  eingehenden  Untersuchung  über  das 
satirische  Gedicht  'Die  Reifröcke',  das  im  Berner  Jura  sehr  bekannt  ist, 
und  dessen  Original  Rossat  in  Besan5on  aufzufinden  so  glücklich  war 
{Uarriree  dans  Vautre  monde  d'ime  dame  habillee  en  panier,  Besangen  1735). 
Hier  wird  nun  zunächst  dieser  bisontinische  Text  mit  interessanten  lexiko- 
iogischen  Noten  und  einer  Übersetzung  gegeben.] 

Flamini,  Fr.,  Robert  Gaguin  e  l'umanesimo  italiano.  Nota  letta  al 
R.  Istituto  Veneto,  19  giu^no  1904.  Venezia,  Ferrari  1904.  12  S.  [Auf 
Grund  der  von  Thuasne  in  der  Bibliotheque  litteraire  de  la  Renaissance 
gelieferten  trefflichen  Ausgabe  der  Briefe  und  Reden  R.  Gaguins  stellt 
Flamini  hier  die  Beziehungen  Gaguins  zu  Italien  und  speziell  zu  Männern 
wie  Andreiini,  Ficino,  Beroaldo  dar,  als  Beleg  für  den  Einflufs  des  ita- 
lienischen Geistes  auf  Frankreich  des  15.  Jahrhunderts.] 

Stiefel,  A.  L.,  Die  Nachahmung  italienischer  Dramen  bei  einigen 
Vorläufern  Moli^res.  I.  D'Ouville.  Berlin,  Gronau,  1904  [S.-A.  aus  Beh- 
rens' Zeitschrift,  XXVII.  Verf.  weist  mit  der  ihn  auszeichnenden  Sach- 
kenntnis nach,  dafs  der  Bruder  des  Boisrobert  in  seinen  beiden  Lustspielen 
Aimer  sans  savoir  qui  und  Les  morts  vivants  nicht  zwei  Comedias  des 
Lope  de  Vega,  sondern  italienische  Renaissancestücke,  den  Hortensio  der 
Intronati  (1570)  und  die  Morti  vivi  des  Oddi  (1576),  benutzt  hat]. 

Schneegans,  H.,  Moli^res  Subjektivismus  (S.-A.  aus  der  Zeitschr. 
f.  vergleichende  Literaturgeschichte,  hg.  von  Wetz  und  Collin,  XV,  407 — 22). 
Berlin  1904  [ct.  hier  CXIII,  459]. 

Mangold,  Prof.  Dr.  W.,  Voltaires  Rechtsstreit  mit  dem  kgl.  Schutz- 
juden Hirschel  1751.  Prozelsakten  des  kgl.  preufs.  Hausarchivs,  mitgeteilt 
von.  . . .  Mit  einem  Anhang  ungedr.  Voltaire-Briefe  aus  der  Bibl.  des  Ver- 
legers und  mit  drei  Faksimiles.    Berlin,  Frensdorff,  1905.   XXXVII,  138  S. 

Sakmann,  Prof.  Dr.  P.,  Voltaire  als  Politiker.  55  S.  (S.-A.  aus  d. 
Zeitschr.  f.  d.  gesamte  Staatswissenschaft,  Tübingen,  Laupp,  1904). 

Sakmann,  Prof.  Dr.  P.,  Voltaire  als  Philosoph,  I.  Teil  (S.-A.  aus 
d.  Archiv  f.  Geschichte  der  Philosophie,  hg.  von  L.  Stein,  XVIII,  166—215; 
Berlin,  Reimer,  1005). 

Cartier,  Julia,  Un  interm^diaise  entre  la  France  et  l'AUemagne: 
G^rard  de  Nerval.  Etüde  de  litt^rature  compar^e.  Gen^ve  1904.  130  S. 
[Diese  Pariser  Dissertation,  die  B.  Bouvier  in  Genf  jiewidmet  und  wohl 
in  Genf  entstanden  ist,  macht  der  Schule,  aus  der  sie  hervorgegangen  ist, 
alle  Ehre.  Sie  ist  eine  vortrefflich  und  sicher  dokumentierte  Schilderung 
des  Vermittelungswerkes  G^rards  und  schliefst  mit  einer  Bibliographie, 
zu  der  Spoelberch  de  Lovenjoul  das  wertvollste  Material  geliefert  hat.  Zu 
den  Arbeiten  über  G^rard  ist  der  Aufsatz  von  Betz:  Ooethe  und  Oerard 
im  Ooethe-Jahrbuch  1897  nachzutragen.] 

Jade,  Oberl.  Dr»  E.,  Henry  Becque  (S.-A.  aus  der  Festschrift  %um 
Kölner  Neuphilologentag).  Köln,  Neubner,  1904.  44  S.  [Der  Verfasser  der 
Corbeaux  (1882)  und  der  Parisienne  (1885)  hat  hier  eine  sehr  lebendige 
Darstellung  gefunden.  Seine  Stücke  heben  sich  vom  Hintergrunde  der 
leidenschaftlichen  Diskussionen,  die  sie  riefen,  eindrucksvoll  ab,  und  seine 
Kunstanschauungen  kommen  auf  Grund  seiner  'Erinnerungen'  und  seiner 
'Literarischen  Händel'  zum  Wort.   Jädes  Urteil  über  Becque  ist  mafsvoll; 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  267 

er  berichtigt  mit  guten  Gründen  manches,  was  über  Becque  und  die  Schule 
der  comedie  rosse  gesagt  und  geglaubt  wird.  Der  Aufsatz  über  die  conie- 
die  rosse,  der  hier  CV,  343  ff.  erschienen  ist,  scheint  ihm  entgangen 
zu  sein.] 

Menger,  Dr.  L.  E.,  The  anglo-nornian  dialect.  A  manual  of  its 
phonology  and  morphology,  with  illustrative  specimens  of  the  literature. 
New  York,  London,  Macmillan  &  Co.,  1904.  XX,  167  S.  Geb.  7/6  Sh. 
[L.  E.  Menger  vom  Bryn  Mawr  College  ist  vor  zwei  Jahren,  32  Jahre 
alt,  im  Lago  Maggiore  beim  Baden  ertrunken,  betrauert  nicht  nur  von 
seinen  Freunden  (cf.  Mod.  Lang.  Notes  1903,  S.  225),  sondern  von  allen, 
deren  Interesse  seine  vielversprechende  Tätigkeit  erregt  hatte.  Er  plante 
eine  Serie  von  Handbüchern  zur  Kenntnis  der  altfranz.  Dialekte  (cf.  ib. 
S.  106  ff.).  Über  der  Korrektur  der  Druckbogen  dieses  ersten  Bandes 
seiner  Sammlung  ist  er  gestorben.  Freundesdienst  hat  den  Druck  zu  Ende 
geführt.  —  Das  Buch  besteht  aus  drei  Teilen.  Der  erste  gibt  eine  Biblio- 
graphie von  etwa  drei  Dutzend  representafive  iexis  der  anglonorm.  Lite- 
ratur von  Philipp  de  Thaün  bis  Bozon  (6 — 36).  Dann  folgt  eine  Laut- 
und  Formenlehre  (37 — 129),  und  daran  schliefsen  sich  auf  weiteren  40  Seiten 
15  Textproben.  Das  ist  alles  mit  guter  Überlegung  und  mit  sicherer 
Kenntnis  ausgewählt  und  zusammengestellt,  und  nicht  nur  der  Student, 
an  welchen  das  Manual  sich  zunächst  wendet,  wird  hier  treffliche  Füh- 
rung finden,  sondern  auch  dem  Forscher  wird  damit  ein  bequemes  Nach- 
schlagebuch und  viele  Anregung  geboten.  —  Die  literaturgeschichtliche 
Bedeutung  des  Anglonormannischen,  dem  wir  die  Erhaltung  so  manches 
alten  und  wichtigen  Werkes  verdanken,  das  in  Frankreich  selbst  verloren 
ging  oder  nur  in  jüngerer  Gestalt  sich  erhielt,  rechtfertigt  es  reichlich, 
dafs  M.  gerade  diesen  Dialekt  für  sein  erstes  Manual  gewählt  hat.  Die 
Trefflichkeit  des  ganzen  Planes  dieser  Manuals  of  Old  French  Dialects, 
powie  der  Ausführung  dieses  Spezimens  läfst  es  als  höchst  beklagenswert 
erscheinen,  dafs  das  vom  Autor  hinterlassene  Material  für  die  weiteren 
Bände  nicht  druckfertig  ist.] 

Rydberg,  G.,  Zur  Geschichte  des  französischen  a.  II,  3:  Monosyl- 
laba  im  Französischen :  Artikelformen  und  Objektspronomina.  Upsala 
1904.  S.  400 — 618.  [Die  im  Jahre  1896  begonnenen  interessanten  und 
fördernden  Publikationen  Rydbergs  über  franz.  a  ruhten  seit  1898;  vgl. 
Rotnan.  Jahresbericht  VI,  i,  228.  Diese  Fortsetzung  behandelt  resümierend 
den  Artikel  und  eingehend  das  Objektspronoraen  und  konstituiert  einen 
wichtigen  Beitrag  zur  franz.  Sprachgeschichte  und  zwar  nicht  nur  pho- 
netisch, sondern  auch  morphologisch  und  syntaktisch.] 

Ritter,  Prof.  E.,  Les  quatre  dictionnaires  frangais  (Extrait  du  Bulletin 
de  l'Institut  genevois,  tome  36).  Geneve,  Kündig,  1905.  243  S.  [Der  Titel 
dieser  sehr  gehaltreichen  Schrift  orientiert  nicht  hinreichend  über  ihren 
Inhalt,  der  im  wesentlichen  (S.  47 — 243)  durch  mehrere  hundert  alpha- 
betisch geordneter  Nachträge  zu  dem  Wörterbuch  Littr^s  und  dem  Diction- 
naire  general  Hatzfeld-Darmesteter-Thomas  gebildet  wird.  Diese  Nach- 
träge bestehen  zumeist  aus  neuen  Belegen  für  den  von  den  genannten 
Wörterbüchern  geführten  Wortschatz  —  Belegen,  die  entweder  eine  be- 
sondere Bedeutungsnuance  vertreten  oder  geradezu  die  Definitionen  eines 
Wortes  modifizieren  oder  dessen  Auftreten  neu  umgrenzen.  Daneben 
fallen  sehr  viele  ergänzende  oder  berichtigende  Bemerkungen  ab:  Zitate 
werden  richtiggestellt,  Stellen  neu  interpretiert,  grammatische  Ausfüh- 
rungen gegeben.  Gelegentlich  vermifst  man  hier  etwas  (wie  z.  B.  zu  qui 
den  Hinweis  auf  Toblers  Vermischte  Beiträge  I,  126  oder  zum  Konjunktiv 
nach  oublier,  p.  101,  die  Anführung  von  Haases  Franz.  Syntax  des  17.  Jahr- 
hunderts), während  anderseits  das  Stichwort  bisweilen  zur  Veranlassung 
wird,  auch  weiter  abliegende  Dinge  zu  erörtern  (z.  B.  bei  davantage  que).  — 
Die  Einleitung  gibt  hauptsächlich  eine  geschichtliche  Skizze  der  lexiko- 


268  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

graphischen  Arbeit  der  Academie  Fran^ise  mit  feinen  kritischen  Bemer- 
kungen und  unter  Benutzung  entlegener  Literatur.  Es  fällt  auf,  dafs  R. 
(S.  4)  die  Tatsache  nicht  erwähnt,  dafs  Chapelain  schon  bei  der  Grün- 
dung der  Akademie  vorschlug,  das  Wörterbuch  mit  Belegen  aus  den  guten 
Schriftstellern  der  letzten  hundert  Jahre  zu  versehen,  während  die\Gom- 
pagnie  dann  beschlofs,  die  erläuternden  Beispiele  selbst  zu  erfinden,  und 
so  dem  sprachmeisterlichen  Treiben  freie  Bahn  schuf.  —  Geschichtliche 
und  kritische  Ausführungen  über  die  Arbeit  Littr^s  und  Godefroys  schlie- 
Isen  die  Vorrede.  —  Das  Buch  E.  Ritters  ist  eine  auf  umfangreicher  Be- 
lesenheit  beruhende,  mit  Scharfsinn  und  philologischer  Akribie  ausgeführte 
Ergänzung  und  Berichtigung  der  grolsen  Wörterbücher  Frankreichs.] 

Eberle,  E.,  Amüsements  dans  l'^tude  du'franyais.  Hors  d'oeuvre  de 
la  grammaire  fran^aise.  Freienwalde  und  Leipzig,  Rüger,  1904.  125  S. 
M.  2.  [Ein  Buch  in  der  Art  von  Dr.  A.  Schenks  Vive  le  rire,  das  zur 
Erheiterung  des  Unterrichts  bestimmt  und  dafür  auch  wohl  geeignet  ist.] 

Klöpper,  Cl.,  und  Schmidt,  H.,  Französische  Stilistik  für  Deutsche. 
Dresden  und  Leipzig,  Koch,  1905.    VIII,  382  S.    M.  8. 

Heine,  K.,  Einführung  in  die  franz.  Konversation  auf  Grund  der 
Anschauung.  Mit  einer  kurzgefafsten  Grammatik  als  Anhang.  Ausgabe  B. 
Nach  den  Bildertafeln  von  Ed.  Hölzel.  Für  die  Hand  der  Schüler  be- 
arbeitet. 4.  Aufl.  Hannover,  C.  Meyer,  1904.  VIII,  111  S.  Geb.  M.  1,30 
(cf.  hier  CV,  210). 

G^nin,  L.,  et  Schamanek,  J.,  Description  des  tableaux  d'enseigne- 
ment  d'Ed.  Hoelzel  ä  Tusage  des  ecoles.  2^"'^  ed.  revue  et  augment^e. 
Vienne,  Hoelzel,  o.  D...  92  S.    Geb.  M.  1,20. 

Ploetz,  Dr.  G.,  Übungsbuch  (Ploetz  -  Kares,  Kurzer  Lehrgang  der 
franz.  Sprache).  Ausgabe  E.  Neue  Ausgabe  für  Gymnasien,  bearbeitet 
nach  den  Lehrplänen  von  1901.  Berlin,  Herbig,  1905.  XIT,  298  S.  Geb. 
M.  2,75. 

Knörk,  Dr.  0.,  et  Puy-Furcat,  G.,  Le  frangais  pratique  pour  la 
jeunesse  commergante  et  industrielle  (Sammlung  von  Lehrmitteln  f.  Fach- 
u.  Fortbildungsschulen).  1^^*^  partie.  Berlin,  Mittler,  1905.  IX,  128  S. 
und  Vocabulaire  23  S.     Geb.  M  '.»,80. 

Schiewelbein,  K.,  Die  für  die  Schule  wichtigen  franz.  Synonyma. 
2.  Auflage.    Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1904.   IV,  49  S.   Kart.  M.  0,60. 

Lacombld,  E.-E.-B.,  Complement  de  l'Histoire  de  la  litt,  frangaise 
(morceaux  choisis,  po^sies,  analyses).  2®  ed.  revue  avec  soin  et  consid^- 
rablement  augment^e.  Groningue,  Noordhoff,  1904.  XII,  232  S.  Kart, 
fl.  1,40.  

Armana  prouvengau  p^r  lou  bfel  an  de  Difeu  1905  adouba  e  publica 
de  la  man  di  Felibre.    Avignoun,  Roumanille.    112  S. 

Giornale  storico  della  lett.  italiana,  'dir.  e  red.  da  F.  Novati  e 
R.  Renier.  Fase.  182  [A.  Farinelli,  Note  sulla  fortuna  del  Petrarca  in 
Ispagna  nel  Quattrocento.  —  Varietä:  A.  Foresta,  Per  la  storia  di  una 
lauda.  —  A.  F.  Mass^ra,  Un  contrasto  amoroso  di  messer  Ubertino  di 
Giovanni  Del  Bianco  d'Arezzo.  —  A.  Belloni,  L'usuriere  Vitaliano,  illustr. 
storica  di  un  verso  di  Dante.  —  Rassegna  bibliografica  —  Bollettino 
bibliografico  —  Annunzi  anaÜtici  —  Pubblicazioni  nuziali  —  Cronaca]. 
Supplemento  N^'  7:  A.  Galletti,  L'opera  di  V.  Hugo  nella  letteratura 
italiana. 

Bulletin  Italien.  IV,  4,  oct.  — d^c.  1904  [P.  Toldo,  Quelques  notes 
pour  servir  ä  l'histoire  de  l'influence  du  'Furioso'  dans  la  litt^rature  fran- 
gaise  (4®  article).  \ —  E.  Picot,  Les  Italiens  en  France  au  XVI*^^  si^cle 
(9*=  article).  —  M^langes  et  documents:  L.  Auvray,  Inyentaire  de  la  Col- 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  269 

lection  Custodi  (4®  article).  —  Questions  d'euseignement.  —  Bibliographie 

—  Chronique]. 

Vitagliano,  Adele,  Storia  della  poesia  estemporanea  nella  lettera- 
tura  italiana  dalle  origini  ai  nostri  giomi.  Eoma,  Loescher,  1905.  XVII, 
268  S.    M.  4.j 

Farinelii,  A.,  Sulla  fortuna  del  Petrarca  in  Ispagna  nel  Quattro- 
cento. Torino,  Loescher,  1904.  54  S.  [S.-A.  aus  Oiornale  storico  della 
lett.  italiana,  XLIV.  Der  gelehrte  Verfasser  geht  hier  auf  Grund  seiner 
ausgedehnten  Lektüre  den  Spuren  Petrarcas  in  der  kastilischen  und  kata- 
lanischen Literatur  des  ausgehenden  Mittelalters  nach,  die  von  Sanvisenti 
in  seinen  Primi  influssi  di  Dante,  del  Petrarca  e  del  Boccaccio  sulla  lett. 
spagnuola  nur  ungenügend  erkannt  worden  sind,  und  die  auch  Baist  im 
Qnmdrifs  II '^  p.  4*28  unterschätzt.  F.  führt  aus  den  entlegensten  Winkeln 
der  Literatur  des  spanischen  Quattrocento  die  Urteile  über  Petrarca  und 
seine  Werke,  die  Zitate,  die  Nachahmungen  an,  welche  die  Verbreitung 
seines  Ruhmes  und  die  Kenntnis  seiner  Schriften  bezeugen,  und  insbeson- 
dere zeigt  F.,  in  welchem  Umfange  der  Marques  de  Santillana  der  Herold 
seines  miyer  Francisco  Petrarcha  gewesen  ist,  des  Moralisten,  der  De  Re- 
mediis  geschrieben,  wie  des  Dichters  der  Sonette,  Kanzonen  und  Trionfi, 
und  wie  Santillanas  Verse  von  Reminiszenzen  aus  Petrarca  erfüllt  sind.] 

Dai  tempi  antichi  ai  tempi  moderni.  Da  Dante  al  Leopardi.  Rac- 
colta  di  studi  critici  di  ricerche  storiche  filologiche  e  letterarie.  Con  facsi- 
raili  e  tavole.  Per  le  nozze  di  Michele  Scherillo  con  Teresa  Negri.  Mi- 
lano,  Hoepli  [1905].  XIV,  782  S.  4.  35  Lire.  [Die  siebzig  Autoren,  die 
dem  Hochzeitspaar  Scherillo  -  Negri  ihre  literarischen  Gaben  darbringen 
wollten,  haben  sich  unter  der  Redaktion  G.  Lisios  zu  einer  gemeinsamen 
Publikation  geeinigt  und  haben  in  U.  Hoepli  einen  verständnisvollen 
Herausgeber  gefunden.  Es  ist  dies  im  höchsten  Grade  erfreulich.  Denn, 
was  sich  auch  grundsätzlich  gegen  solche  Sammelbände  als  Festgaben  ein- 
wenden läfst,  so  mufs  dankbar  anerkannt  werden,  dafs  der  Forschungs- 
arbeit ein  Dienst  geschieht,  wenn  ein  buchhändlerisch  zugänglicher  Band  all 
die  Blätter  vereinigt,  die  sonst,  in  einzelnen  Per-Nozze-Heftchen  zerstreut, 
der  Mehrzahl  der  Fachgenossen  unzugänglich,  ja  unbekannt  geblieben  wären. 
Folgendes  ist  der  reiche,  wissenschaftliche  Inhalt  des  vornehm  ausgestat- 
teten Buches:  U.  Pestalozza,  OlKl.^  JinTPPM  —  G.  Vitelli,  Scheda  per 
il  censimento  dell'  a.  248/4  di  Cr.  —  F.  Cimmino,  Un  poeta  lirico  persiano 

—  A.  Sepulcri,  Antiche  tracce  d'un  verbo  volgare  —  C.  Merlo,  Etimologie 

—  A.  Mussafia,  Lat.  ille  nel  'Gelindo'  —  V.  Crescini,  Postilla  a  'Aucassin 
et  Nicolette'  —  N.  Zingarelli,  Le  donne  nel  'Girart  de  Roussillon'  — 
M.  Barbi,  Un  trattato  morale  sconosciuto  di  Bono  Giamboni  —  Paget 
Toynbee,  'Tisrin  primo'  (Vita  Nuova,  §  30)  —  W.  Warren  Vernon,  Con- 
trasts  in  Dante  —  F.  D'Ovidio,  II  pi^  fermo  —  E.  G.  Parodi,  Perchfe 
Dante  lo  condanna?  —  M.  Porena,  Postille  dantesche  —  L.  Rocca,  La 
processione  simbolica  del  canto  XXIX  del  'Purgatorio'  —  E.  Sannia,  Le 
'confessioni'  di  Dante  —  G.  Zuccante,  La  vita  attiva  e  la  vita  contemplativa 
in  S.  Tomaso  e  in  Dante  —  P.  Papa,  Di  un  Casella  fiorentino  —  P.  Rajna, 
Qual  fede  meriti  la  lettera  di  frate  Ilario  —  S.  Ambrosoli,  Medaglie  del 
Petrarca  nel  R.  Gabinetto  numismatico  di  Brera  in  Milano,  mit  2  Tafeln 
G.  A.  Cesareo,  La  *Carta  d'Italia'  del  Petrarca  —  I.  Del  Lungo,  II  papa 
Soldano  (Petrarca,  Son.  CXXXVII)  —  E.  Zincone,  'Spirto  gentil  . . .'  — 
G.  Ricchieri,  Le  geografie  metriche  italiane  del  Trecento  e  del  Quattro- 
cento —  V.  Cian,  Una  silloge  ignota  di  laudi  sacre  —  R.  Sabbadini,  Ugo- 
lino  Pisani  —  G.  Mazzoni,  Su  Giovanni  Antonio  Romanello  —  A.  Medin, 
II  canzoniere  di  Antonio  Grifo  —  A.  Serena,  Attorno  a  Giovanni  Aurelio 
Augurello  —  F.  Romani,  Noterella  sull'uso  della  camicia  nel  Medioevo  — 
G.  ß.  Marchesi,  Mode  e  costumanze  femminili  del  Quattrocento.  Da  un 
serventese  inedito  —  G.  L.  Passerini,  Da  una  raccoltina  di  segreti  ms.  del 


270  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

sec.  XVI  —  F.  Brandileone,  Per  la  storia  dei  riti  iiuziali  in  Italia  — 
Ch.  Dejob,  I^es  peintres  dans  la  litt^rature  italienne  d 'Imagination,  durant 
la  Periode  classique  —  G.  Lisio,  Karitä  ariostesche  —  G.  Lisio,  Autografi 
arioBteschi,  mit  vier  Tafeln  —  F.  Pintor,  Una  commedia  politica  per  la 
restaurazione  medicea  del  1512  —  F.  Flamini,  Di  un'ignota  imitazione 
cinquecentistica  della  'Commedia'  di  Dante  —  V.  Rossi,  Notereile  d'eru- 
dizione  spicciola  —  F.  Foffano,   Un  secentista  plagiario  dell'Aretino  — 

E.  Pistelii,  Uno  scolopio  galileiano  —  L.  ßiadene,  L'Ercolana  —  A.  De- 
Marchi,  La  'Storia  Romana'  in  una  'Storia  d'Italia'  inedita  di  Alessandro 
Verri  —  L.  G.  P^lissier,  La  tendre  Maltzam  —  N.  Scarano,  II  'Saul'  e  la 
sua  fönte  biblica  —  8.  Ricci,  II  Parini  e  le  belle  arti  —  E.  Bertana,  Un 
altro  arcade  younghista  —  E.  Filippini,  'II  primo  amore'  ferroniano  se- 
condo  l'autografo  conservato  a  Brera  —  A.  Butti,  Una  lettera  di  Vincenzo 
Cuoco  al  vicerfe  Eugenio  —  F.  Pellegrini,  L'Ode  di  Vincenzo  Monti  'Per 
uozze  illustri  veronesi'  —  A.  D'Ancona,  Gino  Capponi  e  Pietro  Giordani 

—  F.  Tocco,  II  carattere  della  filosofia  leopardiana  —  M.  Schipa,  Una 
lettera  della  Guacci  —  S.  Friedmann,  La  fönte  di  una  Urica  di  Heine  — 

F.  Novati,  Freschi  storici  del  Trecento.  U  cappellone  degli  Spagnuoli  in 
S.  Maria  Novella,  mit  zwei  Tafeln  —  G.  Oberziner,  Antichi  rapporti  fra 
la  chiesa  di  Trento  e  le  chiese  di  Milano  e  Aquileia  —  G.  Capasso, 
Turchi?  —  G.  Bognetti,  Nascite  sovrane  in  Milano  (1773—1830)  —  G.  A. 
Venturi,  Una  lettera  di  Alberto  Cavalletto,  mit  dem  Bildnis  Cavallettos  — 
V.  Simoncelli,  Un  episodio  dei  brigantaggio  nel  Mezzogiorno  —  G.  Jan- 
delli,  Dell'Emozione  estetica  —  F.  Masci,  Religione  e  matrimonio  nello 
Stato  socialista  —  G.  Della  Valle,  La  dualitä  fondamentale  —  O.  Bacci, 
Dei  generi  e  specialmente  dei  letterari.  Postille  ad  alcuni  luoghi  deWEstetica 
di  B.  Croce  —  G.  Francesco  Gobbi,  11  credo  ultimo  di  uno  degli  ultimi  ro- 
mantici  —  E.  Landry,  'Endecasillabo'  et  Alexandrin  —  G.  Grasso,  Leggenda 
australiana  suU'origine  delle  Plejadi  —  A.  Pichon,  L'abbaye  de  Saint 
Gu^nol^.  Lägende  bretonne  —  M.  Vanni,  Un  Bruscello  nella  Maremma 
toscana  —  V.  Inama,  I  vecchi  ritratti  di  famiglia.] 

Cesano,  Amalia.  Hans  Sachs  ed  i  suoi  rapporti  con  la  letteratura 
italiana.    Roma,  Off.  poligrafica  italiana,  1904.     103  S.    M.  3,20. 

Opere  di  Alessandro  Manzoni,  edizione  Hoepli,  Milano  1905. 
I.  I  Promessi  Sposi,  illustrati  con  40  tavole  tratte  da  disegni  originali  di 

G.  Previati  e  ipreceduti  da  uno  studio  su  gli  anni  di  noviziato  poetico 
del  Manzoni  di  M.  Scherillo.  LIV,  574  S.  5  Lire,  geb.  6,50.  IL  Brani 
inediti  dei  Promessi  Sposi  per  cura  di  G.  Sforza.  LXVIII,  624  S.  5  Lire, 
geb.  6,50.  [Von  der  auf  acht  Bände  berechneten  neuen,  schönen  Manzoni- 
Ausgabe  des  Verlages  U.  Hoepli,  die  Scherillo  und  Sforza  besorgen,  sind 
vorläufig  diese  beiden  erschienen.  Der  erste  enthält  den  unvergänglichen 
Roman  mit  feinen  Nachbildungen  jener  Illustrationen,  die  Gaetano  Pre- 
viati für  die  Prachtausgabe  von  1896  geliefert  hat,  und  mit  einer  hübscheu 
Skizze  der  poetischen  Jugendarbeit  Manzonis  (bis  zu  seiner  Verheiratung). 

—  Seit  R.  Bonghi  davon  Kenntnis  gegeben  hatte  (vgl.  Morandis  Äntologia 
della  critica  lett.  italiana  p.  636  f.),  dafs  die  erste  handschriftliche  Fassung 
der  Prom.  Sposi  (v.  1823)  erheblich  vom  Drucke  (1827)  verschieden  sei 
und  er  sowie  Sforza  dies  durch  einzelne  Veröffentlichungen  belegt  hatten, 
war  man  begierig,  den  ganzen  Umfang  dieser  Abweichungen  zu  kenneu. 
Der  zweite  dieser  Bände  erfüllt  diesen  Wunsch.  Er  bringt  viele  Über- 
raschungen und  verbreitet  nicht  nur  neues  Licht  über  Manzonis  Arbeits- 
weise und  seine  Kunstanschauung,  sondern  z.  B.  auch  über  die  viel- 
besprochene Frage  der  Topographie  des  Romans.  Sforza  schickt  eine  sehr 
trefflich  dokumentierte  Einleitung  über  die  ersten  romanxi  storici  und  die 
Handschriften  der  Promessi  Sposi  voraus.] 

Heyse,  P.,  Italienische  Dichter  seit  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts. 
Band  V:   Lyriker  und  Volksgesang.     Deutsch  von  P.  H.     Neue  Folge. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  271 

Stuttgart,  Cotta,  1905.  XVIU,  471  S.  M.  6.  [Dieser  fünfte  Band  der 
'Ital.  Dichter'  P.  Heyses  geht  unter  dem  nämlichen  Sondertitel  wie  der 
vierte:  er  bringt  neben  den  Kunstdichtungen  auch  Volkslieder  (431 — 71). 
Die  Meisterschaft  dieser  Übertragungen  bedarf  keines  neuen  Lobes.  Heyses 
ernstes  und  tiefes  Verständnis  für  italienisches  Idiom  und  Volkstum  ver- 
bunden mit  seiner  Kunst  deutscher  Sprachbeherrschung  machen  seine  'Ital. 
Dichter'  auch  dem  willkommen  und  lieb,  der  Belli,  Giusti,  Carducci  im 
Original  zu  lesen  und  zu  geniefsen  versteht.  Dankbar  dürfen  wir  uns 
jeder  dieser  Gaben  freuen,  insbesondere  aber  froh  sein,  dafs  Heyse  auf 
Belli  zurückgekommen  ist  (mit  63  Sonetten),  dafs  er  Bellis  originellen 
Nachfolger  Pascarella,  dafs  er  Vittoria  Aganoor  -  Pompili,  Adda  Negri, 
Annie  Vivanti  reichlich  hat  zu  Wort  kommen  lassen.  Auch  jene  fesseln- 
den Studien,  die  H.  zu  einzelnen  dieser  Poeten  früher  z.  B.  in  der  Deut- 
schen Rundschau  veröffentlicht  hat,  sind  hier  wieder  abgedruckt.  Möchten 
viele  deutsche  Leser  sich  aus  dieser  fünfbändigen  Anthologie,  um  die  uns 
andere  Völker  beneiden  dürfen,  überzeugen,  dafs  Italien  eine  eigenartige, 
kraftvolle  und  reiche  moderne  Lyrik  besitzt  und  es  sich  lohnt,  von  Dante 
und  Petrarca  den  Blick  auch  gelegentlich  zu  diesen  Modernen  zu  wenden.] 

Malagöli,  Gius.,  Ortoepia  e  Ortografia  italiana  moderna  (xManuali 
Hoenli).    Milano,  Hoepli,  1905.    XVI,  193  S. 

Methode  Toussaint-Langenscheidt.  Brieflicher  Sprach-  und  Sprech- 
unterricht für  das  Selbststudium  der  italienischen  Sprache  von  Dr.  H. 
Sabersky,  unter  Mitwirkung  von  Prof.  G.  Sacerdote.  Berlin,  Langen- 
scheidt.    Brief  13—19  zu  M.  1. 

Levi,  Dr.  ügo,  I  monumenti  del  dialetto  di  Lio  Mazor.  Venezia 
1904.  80  S.  [Die  von  Ascoli,  Saggi  ladini  p.  465  ff.,  verwerteten  alt- 
venezianischen  Atti  dei  Podestä  di  Lido  Maggiore  (1312 — 19)  werden  hier 
vollständig  ediert  (was  sie  auch  kulturgeschichtlich  wohl  verdienen)  und 
vom  Herausgeber  linguistisch  sorgfältig  erläutert.] 

Salvioni,  C,  Appunti  sul  dialetto  di  Val  Soana  (Estratto  dai  'Rendi- 
conti'  del  R.  Istituto  Lombardo,  Ser.  II,  Vol.  37,  p.  1043—56)  1904.  [Sehr 
willkommene  Ergänzungen  und  Berichtigungen  zu  C.  Nigras  'Fonetica  del 
dialetto  di  Val  Soano'  im  Archivio  glotiologteo  HL] 


Revue  hispanique.  Recueil  consacr^  ä  l'^tude  des  langues,  des  litt^- 
ratures  et  de  l'histoire  des  pays  castillans,  catalans  et  portugais  p.  p. 
R.  Foulch^-Delbosc.  Taole  des  dix  premi^res  annäes  1894 — 1903. 
Paris,  Picard  [S.-A.  aus  dem  11.  Jahrgang  der  Revue,  S.  643—707.  Die 
sehr  inhaltreiche  Zeitschrift  kostet  jährlich  20  frs.]. 

Bulletin  hispanique.  VI,  4  (oct.  — d^c.  1904)  [J.  Jungfer,  Noms  de 
lieux  hispaniques  d'origine  romaine.  —  A.  Morel-Fatio,  Vida  de  Don  Luis 
de  Requesens  y  Züniga  (suite).  —  G.  Cirot,  La  famille  de  Juan  Mariana. 
—  C.  PitoUet,  A  propos  d'un  'romance'  de  Quevedo.  —  Vari^t^s.  —  Biblio- 
graphie —  Chronique], 

Barthe,  H.,  Morceaux  choisis  des  principaux  ^crivains  espagnols 
classös  d'aprfes  les  genres  litt^raires  et  pr^c^d^s  d'une  introduction  par 
G.  Desdevizes  du  Dezert.  Premiere  partie:  Prose  III,  276  S.;  deuxi^me 
partie:  Poesie  III,  327  S.  Paris,  Gamber.  Albi,  Fahre,  1903.  Jeder  Teil 
3  fr.  50.  [Diese  Chrestomathie  ist  für  die  höheren  Schulen  Frankreichs 
bestimmt.  Aufgabe  und  Grenze  dieses  Schulunterrichts  bedingen  die  Aus- 
wahl des  Stoffes.  Er  ist  recht  reich ;  über  hundertfünfzig  Autoren  sind  in 
etwa  400  Stücken  vertreten.  Unser  Universitätsunter rieht  oder  das  Selbst- 
studium des  Erwachsenen  würde  z.  B.  eine  reichlichere  Vertretung  der  so 
eigenartigen  satirischen  Literatur  wünschen.  Auch  in  der  Einteilung  zeigt 
sich  der  Charakter  des  Schulbuches;  doch  stört  das  weniger  als  der 
Mangel  jeder  Angabe  über  die  Ausgaben,  denen  die  Texte  entnommen 


272  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

sind,  und  die  ungenügende  sprachliche  und  metrische  Kommentierung, 
deren  Gebrechen  besonders  deshalb  auffallen,  weil  der  Verf.  in  den  An- 
merkungen mit  literarischen  Parallelen  so  verschwenderisch  ist.  Trotzdem 
wird  das  Buch,  das  einzig  in  seiner  Art  ist,  auch  bei  uns  gute  Dienste 
leisten  können  und  manchem  Benutzer  der  schönen  Beckerschen  Geschichte 
der  spart.  Literatur  ein  willkommenes  Lesebuch  sein.] 

Fitzmaurice-Kelly,  J.,  Litt^rature  espagnole.  Traduction  de  H.-D. 
Davray.  Paris,  CoHn,  1904.  XV,  499  S.  5  fr.  [Das  ist  in  gewissem  Sinne 
eine  dritte  Auflage  des  bedeutenden  Buches,  das  vor  sechs  Jahren  in  eng- 
lischer Sprache  erschienen  und  vor  drei  Jahren  ins  Spanische  übersetzt 
worden  ist  (mit  einem  Vorwort  von  E.  Men^ndez  y  Pelayp).  Und  zwar 
eine  verbesserte  Auflage:  nicht  nur  gibt  der  französische  Übersetzer  den 
persönlichen  Stil  des  Verfassers  besser  wieder  als  der  spanische,  sondern 
Text  und  Noten  haben  eine  durchgehende] Überarbeitung  erfahren.  Wäh- 
rend Ph.-A.  Becker  in  seiner  so  lebendig  geschriebenen,  geschmackvollen 
Geschichte  der  spanischen  Literatur  (Strafsburg,  Trübner,  1904)  sich  be- 
sonders an  ein  weiteres  gebildetes  Publikum  wendet,  setzt  Fitzmaurice- 
Kelly  oft  genug  fachmännische  Interessen  beim  Leser  voraus,  wie  schon 
aus  der  50  Seiten  starken,  übrigens  vorzüglichen  Bibliographie  hervorgeht. 
Auch  gestattet  ihm  der  Raum  —  sein  Buch  hat  den  dreifachen  Umfang 
des  Beckerschen  — ,  nachdrücklicher  von  den  Beziehungen  des  kastilischen 
Schrifttums  zu  den  übrigen  Literaturen  zu  sprechen  und  so  dem  verglei- 
chenden Literarhistoriker  vieles  zu  bieten.  —  In  der  Überarbeitung,  die 
dieser  französischen  Übersetzung  zugrunde  liegt,  sind  z.  B.  zehn  Seiten 
(115  ff.)  über  die  Romanzen  hinzugekommen:  in  seiner  knappen,  sicheren 
Form  gibt  dieses  Resümee  des  heutigen  Standes  der  Romanzenforschung 
ein  Bild  des  ganzen  Buches:  gründliche  Sachkenntnis,  Genauigkeit  im 
Detail,  Klarheit  der  Disposition.] 

Saroihandy,  J.,  Remarques  sur  le  Po^me  de  YÜ9uf  (S.-A.  aus  dem 
Bull,  hispaniqtce  VI,  182 — 194).  1904.  [S.  versucht  den  Nachweis  ^  und, 
wie  mir  scheint,  mit  Glück  — ,  dafs  das  Poema  de  Jose  in  der  Aljamia- 
Niederschrift  des  Ms.  der  Biblioteca  Nacional  aus  dem  hocharagonesischen 
Pyrenäental  des  Cinca  (Gegend  von  Ainsa)  stammt.  Das  Ms.  selbst  habe 
ich  seinerzeit  in  die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  gesetzt.  S.  ist 
geneigt,  es  für  noch  etwas  jünger  zu  halten  und  es  eher  dem  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  zuzuweisen.  Zur  sprachgeschichtlichen  Deutung  des 
Textes  bringt  er  willkommene  Beiträge.] 

Saroihandy,  J.,  Du  vers  des  romances  espagnoles.  14  S.  (S.-A.  aus 
den  Melanges  de  philologie  offerts  ä  M.  F.  Brunot).  Paris  1904.  [S.  nimmt 
die  schon  von  Damas-Hinard  geäufserte  und  dann  auch  von  Restori  ver- 
tretene Meinung  wieder  auf,  dafs  der  kastilische  epische  Vers  aus  dem 
Französischen  stamme,  und  begründet  sie  neu  mit  dem  Hinweis  auf  die 
Vorsetzsilbe  des  Verso  de  arte  niayor.  Ich  kann  ihm  nicht  folgen  und 
glaube  nicht,  dals  es  seiner  sinnreichen  Hypothese  gelungen  ist,  die  Uu- 
regelmäfsigkeit  des  Versbaus  des  Poema  del  Cid  zu  erklären.  Des  Rätsels 
Lösung  liegt  vielleicht  in  der  Auffassung  Men^ndez  Pidais,  dafs  der  uns 
überlieferte  Text  des  Poema  eine  Prosaauflösung  des  14.  Jahrhunderts  sei.] 


Vasile  Alexandris  Pastelle,  aus  dem  Rumänischen  übertragen  von 
Konrad  Richter.    Berlin,  Meyer  &  Müller,  1904.    38  S.    M.  1. 

Golschmann,  L.,  Nouveau  dictionnaire  de  poche  franpais  et  russe, 
contenant  tous  les  mots  indispensables  ä  la  conversation  familiäre  ainsi 
qu'aux  voyageurs  et  hommes  d' affaires.  Vol.  I:  franyais-russe.  Leipzig, 
Teubner,  1904.     516  S. 


Quellenstudien  zu  Ghamissos  Gedichten. 


1.    Roland  ein  Rofskamm. 

Das  aus  Ariost  entlehnte  Gedicht  mit  dem  alliterierenden 
Titel  'Roland  ein  Rofskamm'  (1832)  enthält  ebenso  wie  das  Don 
Quichote-Gedicht  eine  selbständige  Schlufspointe.  Eine  Episode 
aus  dem  30.  Gesang  des  ^Orlando  Furioso'  erzählt,  wie  der  Held 
eine  von  ihm  in  seiner  Raserei  totgerittene  Stute  an  einen 
Hirten  für  einen  lebenden  Gaul  einhandeln  will  und,  als  dieser 
auf  den  ungleichen  Handel  nicht  eingeht,  ihm  ohne  viel  Um- 
stände das  Haupt  abschlägt.  Diese  rohe,  ungefüge  Szene  reizte 
den  Dichter  nicht,  sondern  die  drastische,  hochkomische  Art,  wie 
der  rasende  Ritter  in  seiner  Herrenmoral  noch  den  Wert  seiner 
elenden  Stute  herausstreichen  will: 

Jenseits  des  Flusses  liegt  sie  tot  im  Feld. 
Du  kannst  hernach  gesund  sie  wieder  pflegen. 
Sonst  hat  sie  keinen  Fehl,  der  mir  mifsfällt. 

Chamisso  gibt  das  erweiternd  wieder: 

Sieh  her,  die  vortreffliche  Stute, 

Du  kaufst  sie,  das  sag'  ich  dir! 
Mein  Ohm,  der  mächtige  Kaiser, 

Besitzt  kein  schöneres  Tier. 

Betrachte  den  Hals  und  die  Hüften, 

Den  zierlichen  Gliederbau; 
Kein  Fehler  an  ihr  zu  rügen. 

Und  forschtest  du  noch  so  genau. 

Ist  leider  sie  tot,  was  verschlägt  das? 

Ein  Unglück  ist  es  doch  nur. 
Kein  Fehler;  es  lieget  das  Totsein 

In  solcher  Stuten  Natur. 

Dann  vergleicht  der  Dichter  mit  einer  kühnen  Wendung  ins 
Literarische  die  schön  gewachsene,  aber  tote  Stute  mit  Dichtungen, 
die  zwar  eine  schöne  Form,  aber  nicht  die  innere  Lebenskraft 
des  Erfolges  besitzen: 

Ist  musterhaft  auch  geschrieben 

Und  regelrecht  das  Gedicht, 
Wir  kaufen  die  tote  Stute, 

Wir  lesen  die  Verse  doch  nicht. 

Archiv  f.  u.  Sprachen.    CXIV.  18 


274  Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten. 

Ein  jetzt  unbekannter  Berliner  Schriftsteller  jener  Zeit,  Adolf 
Scholl,  hat  in  einem  'Spruch  Chamissos^  {Gedichte  aus  den  Jahren 
1823—39,  Leipzig  1879,  S.  219)  denselben  Gedanken  wiederholt: 

Die  schöne  Form  hat  ihren  Wert  — 

Wer  möchte  das  bestreiten? 
Indessen  läfst  das  schönste  Pferd, 

Wenn's  tot  ist,  sich  nicht  reiten. 

Chamisso  selbst  hat  in  einer  Stelle  seines  'Tagebuchs'  unter  Bezug- 
nahme auf  sein  Gedicht  ein  Beispiel  dazu  gegeben.  Die  schönen 
und  glatten  Verse  des  'Älarcos'  von  Friedrich  Schlegel  und  des 
'Jon'  von  seinem  Bruder  August  Wilhelm  sind  unbekannt  ge- 
blieben, aber  Kotzebues  weit  weniger  schönes,  aber  dem  Zeit- 
geschmack angepafstes  Drama  'Menschenhafs  und  Reue'  hat  einen 
Weltruhm  davongetragen.  Kotzebue,  meint  der  Dichter,  besafs 
eben  ein  Erfordernis,  das  manchem  Vornehmen  abgeht  {Werke 
ins,  27/28). 

2.    Der  vortreffliche   Mantel. 

Zwei  Gedichte  Chamissos,  ^Der  vortreffliche  Mantel'  und 
'San  Vito',  lassen  sich  auf  bekannte  Facetiensammlungen  aus  der 
Zeit  des  Humanismus  zurückführen.  Der  Stoff  des  'Vortreff- 
lichen Mantels'  findet  sich  aufser  in  mehreren  lateinischen  Fas- 
sungen in  Paulis  Schimpf  und  Ernst,  Burkhard  Waldis'  Esop,  im 
'Wohlgemuth'  und  im  'Scherz  mit  der  Wahrhey  f.  Hans  Sachs  hat 
den  Schwank  wohl  nach  Pauli  mit  einer  kleinen  Änderung  (Ring 
für  den  Mantel)  versifiziert.  ^  Als  anscheinend  erster  in  der 
neueren  Lyrik  hat  Hagedorn,  dem  auch  eine  französische  Fassung 
in  Garons  Chasse-ennui  und  eine  italienische  in  Guiccardinis  Höre 
di  recreatione  bekannt  war,  den  Schwank  in  dem  zweistrophigen 
Gedicht  'Reue  über  eine  nicht  begangene  Bosheit'  {Poetische  Werke, 
1800,  n,  119)  behandelt.  Er  hat  vor  allem  nur  die  Pointe  der 
Erzählung  herausgehoben  und  sie  in  ein  Zwiegespräch  zwischen 
der  frivolen  Frau  und  ihrer  Nachbarin  gefafst.  Die  Frau,  die 
antikisierend  die  'theure  Nymphe'  und  die  'Lais  ihrer  Zeit'  ge- 
nannt wird,  fafst  ihre  Trauer  über  den  Verlust  ihrers  Verehrers 
in  die  erbaulichen  Worte  zusammen: 

Doch  darum  kann  ich  mich  nicht  fassen, 
Dafs  ich  ihm,  als  er  Abschied  nahm, 
Da  er  durch  mich  um  alles  kam, 
Den  schönen  Mantel  noch  gelassen. 


'  Vgl.  die  stofflichen  Nachweise  von  Österley  in  Paulis  Schimpf  und 
Ernst,  Stuttgart  1866,  S.  474,  aufserdem  Hans  Sachs,  Sämmtliehe  Fabeln 
und  Schwanke  ed.  Goetze-Drescher  (1890)  III,  804,  und  Jaques  de  Vitrya 
Exempla  ed.  Th.  Fr.  Crane  (1890)  Nr.  200;  zu  der  Sammlung  'Schere  mit 
der  Wahrheyt'  vgl.  Stiefel,  Arch.  f  d.  Stud.  d.  n.  Spr.  XCV,  70. 


Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.  275 

Auch  Charaisso,  dem  vielleicht  nur  die  Fassung  bei  Pauli  (Nr.  10) 
oder  eine  daraus  abgeleitete  vorgelegen  hat,  hat  die  Tendenz,  die 
ursprünglich  derbere  Form  der  Erzählung  etwas  abzuschwächen. 
Denn  was  der  alte  Facetist  von  einem  leichtsinnigen,  adligen  Stu- 
denten, einer  'Metze'  und  deren  Mutter  erzählt,  erfahren  wir  bei 
Chamisso  aus  dem  Zwiegespräch  von  Mutter  und  Tochter  über 
den  Jüngling,  der,  nachdem  er  alles  mit  dem  Mädchen  vertan  hat, 
bis  auf  den  Mantel  gerupft  werden  soll.  Während  die  Mutter 
die  verbuhlte  Tochter  über  den  Verlust  des  Geliebten  mit  dem 
Hinweis  auf  andere  Jünglinge  zu  trösten  sucht,  erwidert  diese 
bei  Pauli  zynisch:  ^O  liebe  muter,  ich  wein  nit  das  er  hinweg 
ist,  ich  klag  den  guten  mantel  mit  den  silberin  stefften,  den  er 
antregt,  das  ich  in  auch  nit  verzert  hab.'  Chamisso  läfst  sie 
ziemlich  ähnlich  sagen: 

Liebe  Mutter,  es  fällt  mir  nicht  ein,  Ach,  der  gute  Mantel,  beschwert 
Um  ihn  zu  klagen;  Mit  silbernen  Ketten! 

Um  den  Mantel  klag'  ich  allein.  Den  behielt  er  noch  unversehrt, 
Ich  wiU's  dir  sagen.  Wenn  den  wir  hätten! 

3.    San  Vito. 

Das  Gedicht  'San  Vito'  gehört  stofflich  in  den  Kreis  der 
Heimkehrsagen,  und  insofern  der  zu  seinem  untreuen  Weibe  heim- 
kehrende Gatte  ein  Seemann  ist,  erinnert  es  uns  an  die  gegen- 
wärtig bedeutendste  Bearbeitung  dieses  der  Weltliteratur  ange- 
hörenden Vorwurfs,  an  Tennysons  'Enoch  Arden',  In  seinem 
volkstümlichen,  knappen,  aber  inhaltsreichen  Stil  gemahnt  es  an 
die  zahlreichen  deutschen  und  französischen  Volkslieder,  in  denen 
ein  Soldat  oder  Matrose  unerwartet  zu  seinem  inzwischen  wieder- 
verheirateten Weibe  zurückkehrt.  ^  Die  genaue  Vorlage  Chamissos 
ist  nicht  bekannt,  aber  nach  der  mehr  humoristisch -satirischen 
Darstellungsart  pafst  es  am  besten  zu  der  Schwankform  des 
Stoffes.  In  der  ersten  Facetie  ('Fahula  cujusdam  Caietani  pauperis 
naucleri')  seiner  berühmten  Sammlung  erzählt  Poggio,  wie  ein 
armer  Schiffspatron  aus  Cajeta  des  Gewinnstes  wegen  übers 
Meer  zieht  und  sein  junges  Weib  hilflos  zurückläfst,  die,  nach 
längerer  Zeit  an  der  Wiederkehr  ihres  Gatten  verzweifelnd,  mit 
einem  anderen  Mann  Umgang  pflegt.  Nach  fünf  Jahren  erscheint 
der  Gatte  wieder,  betritt  verwundert  sein  verändertes  Haus  und 
fragt  die  erstaunte  Frau,  weshalb  das  Haus  neu  ausgestattet,  Zim- 
mer, Bett  und  Hausrat  so  schön  geschmückt  seien,  worauf  sie 
sich  jedesmal  auf  die  'dei  gratiam'  (indulgentiam)  beruft.  Als  er 
dann  nach  der  Herkunft  des  kleinen,  dreijährigen  Knaben  fragt 

»  Vgl.  darüber  R.  Köhler,  Kl.  Schriften  III,  229  (auch  1, 117,  584),  und 
Ulrich,  Franxösische  Volkslieder,  Leipzig  18i>9,  zu  Nr.  37  und  71. 

18* 


276  Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten. 

und  dieselbe  Antwort  erhält,  gerät  er  über  die  vermeintliche  Güte 
Gottes  in  hellen  Zorn.  Diese  Fabel  des  Poggio  erfreute  sich 
bis  ins  18.  Jahrhundert  hinein  zahlreicher,  oft  kürzender  Nach- 
ahmungen.^ In  der  neueren  Dichtung  scheint  Lessing  den  Stoff 
zuerst,  und  zwar  direkt  nach  Poggio,  aufgegriffen  zu  haben.  Als 
Taustin^  erscheint  er  unter  den  'Fabeln  und  Erzählungen'  (lY  Nr.  8, 
zuerst  in   den  Schriften  1753),  von   einer  geplanten  Behandlung 


*  Der  Fabel  des  Poggio  steht  die  Darstellung  des  Phil.  Hermotimus 
sehr  nahe,  die  unter  dem  Titel  'De  benedictione  dei'  Frischlins  'Facetiae 
selectiores'  (1660)  angehängt  ist,  die  Erzählung  aber  nur  von  einem  'vir 
quidem'  berichtet.  Die  Fassung  Poggios  wird  im  Anhang  von  Stein- 
höwels  Esop,  jedoch  nicht  ganz  wörtlich,  ins  Deutsche  übersetzt.  Die 
Cajetaner  werden  als  'burger  von  der  gemaind  ze  Venedig  (sie!),  die  iere 
nerung  mit  der  schiffung  und  merfarten  gewonnen'  bezeichnet. 

Das  Schema  der  Poggioschen  Erzählung  (Schiffer,  Gottes  Segen)  findet 
sich  in  mehreren  deutschen  Schwankbüchern  des  17.  und  18.  Jahrhun- 
derts. In  der  'Ergötzlichen  burger-lusf  (1659,  I  Nr.  97,  in  einer  Ausgabe 
der  Bremer  Stadtbibliothek,  s.  a.  I  Nr.  70)  fragt  der  schon  nach  drei 
Jahren  heimkehrende  Mann  nach  dem  schönen  Hause,  den  Hühnern  in 
der  Küche,  dem  schönen  Bett  und  dem  Kind  in  der  Wiege,  worauf  die 
Frau  jedesmal  'Das  Glück  hat  es  beschert'  antwortet.  Neu  ist  die  rheto- 
rische Schlufs  wen  düng.  Als  der  Mann  sich  beklagt,  dafs  ihm  trotz  Mühe 
und  Arbeit  vom  Glück  nichts  beschert  sei,  entgegnet  die  Frau:  'darum 
heifst  es  nicht  unrecht  das  andächtige  Weibes -Volk,  daher  werden  wir 
mehr  erhört  als  ihr  Männer  und  bringen  Frucht  wie  die  Ölzweig.'  Joh. 
Peter  von  Memels  'Lustige  Oesellschaft'  (1659,  Nr.  659)  ist  nur  ein  Auszug 
aus  der  vorigen  Sammlung.  Sehr  ähnlich  und  fast  wörtlich  übereinstim- 
mend ist  auch  die  Fassung  der  Sammlung  'Mala  gallina,  malum  ovum. 
Zkoeites  centifolium  hundert  ausbündiger  Närrinnen'  (c.  1709,  S.  23).  Das 
gleiche  gilt  von  dem  'Kurtxweiligen  Polyhistor'  (1719).  Wieder  mehr  in 
der  Fassung  Poggios  steht  die  Geschichte,  die  hier  in  einer  'gewissen  See- 
stadt' spielt,  in  dem  'Vademeoum  für  lustige  Leute'  (1768). 

In  der  Schwankliteratur  des  16.  Jahrhunderts  begegnet  noch  eine 
verwandte  Fassung.  Bebel  erzählt  in  seinen  Facetien  (I,  &i  de  quodam 
lanceario)  von  einem  Landsknecht,  der  nach  über  drei  Jahren  aus  Mailand 
zurückkehrt  und  zwei  Kinder  vorfindet.  Die  Frau  begründet  unter  Be- 
rufung auf  den  Kaplan  den  Familienzuwachs  damit,  dafs  bei  ihr  schon 
der  Traum  zur  Empfängnis  genüge,  welcher  Ausrede  der  törichte  Mann 
auch  Glauben  schenkt.  Die  Version  Bebeis  wird  in  Jacob  Freys  Oarten- 
gesellschaft  (1556)  ins  Deutsche  übertragen  und  in  Bretten  lokalisiert. 
Freys  Erzählung  wird  von  Dietrich  Mahrold  (1608)  in  Eeime  gebracht, 
von  Hulsbusch  (1568)  ins  Lateinische  übersetzt  und  von  Benedikt  von 
Watt  (1609)  zu  einem  Meisterlied  verarbeitet. 

Das  hier  verwertete  Material  verdanke  ich  der  Anmerkung  Boltes  in 
seiner  Ausgabe  von  Freys  Oartengesellschaft  Nr.  112  (Bibl.  d.  Lit.  Ver.  in 
Stuttgart,  1896,  Nr.  209),  wo  auch  die  näheren  Zitate  stehen.  Nicht  zu- 
gänglich waren  mir  die  beiden  französischen  Sammlungen  Dictionnaire 
d'anecdotes,  1781  (1, 192),  und  Nouveau  dictionnaire  d'anecdotes,  1789  (II,  262). 
Verwandt,  aber  mit  anderer  Lösung,  ist  die  Erzählung  vom  Bootsknecht 
in  Dublin  in  dem  'Vademecum  für  lustige  Leute'  II,  206  Nr.  291.  Im  wei- 
teren Sinne  verwandt  ist  auch  der  weitverbreitete  Schwank  vom  Schnee- 
kind (darüber  R.  Köhler,  Kl.  Schriften  II,  564).  Beide  Gruppen  sind  in 
Splettstöfsers  Arbeit  über  den  'Heimkehrenden  Gatten  und  sein  Weib  in 
der  Weltliteratur'  (Berlin  1899)  nachzutragen. 


Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.  277 

als  Hanswurstiade  ist  das  dramatische  Fragment  'Das  Kobold- 
chen' erhalten.  Der  nach  fünfzehn  Jahren  heimkehrende  Schiffer 
heifst  Faustin  in  Anlehnung  an  die  mittelalterlichen  Schiffbruch- 
legenden von  Faustin,  Faustinian  oder  wahrscheinlicher  nach  der 
damals  überhaupt  beliebten  antiken  Namengebung.  Eigentümlich 
ist  Lessing  ein  larmoyantes  Gebet,  in  dem  Faustin  beim  Anbhck 
seiner  Vaterstadt  Gott  bittet,  seine  früheren  Sünden  nicht  an 
ihm  zu  entgelten.  'Und  Gott  erhört  den  Sünder,'  sagt  Lessing 
ironisch,  um  dann  die  Pointe  scharf  in  zwei  Schlufsversen  aus- 
zusprechen : 

Er  fand  sein  Weib  und  seine  beiden  Kinder 

Und  —  Segen  Gottes!  —  zwei  dazu. 

Lessings  Darstellung  hält  sich  im  wesentlichen  noch  in  den 
Grenzen  der  Geliert -Hagedornschen  Stilart.  Seine  lakonische 
Kürze  hat  Langbein  in  dem  strophisch  gegliederten  Gedicht  'Die 
Gaben  des  Herrn'  (Gedichte,  1800,  II,  68)  durch  übertriebene  Weit- 
schweifigkeit in  das  Gegenteil  verkehrt.  Den  Namen  Faustin 
hat  er  aus  Lessing  beibehalten,  sonst  mag  ihm  eine  der  in  der 
Anmerkung  genannten  Prosadarstellungen  des  Schwanks  aus  dem 
18.  Jahrhundert  vorgelegen  haben.  Faustin,  ein  'müfsiger  Schla- 
raffe',  und  seine  Frau,  die  putzsüchtige  'Mimi',  überbieten  ein- 
ander an  Verschwendungssucht,  bis  er  in  Not  gerät  und  seine 
Frau  nach  'langem  Kufsgeschnäbel'  verlassen  mufs.  Sie  will  sich 
zuerst  in  ihrem  Gram  ertränken,  stürzt  sich  aber  statt  dessen  in 
die  Arme  eines  jungen  Herrn  der  Nachbarschaft,  dessen  Reich- 
tum schnell  aus  der  'öden  Scheuer'  einen  Palast  macht.  Als  der 
Mann  nach  zwei  Jahren  zurückkehrt,  hüllt  sich  die  Frau  in  den 
Mantel  christlicher  Tugend  und  Unschuld  und  antwortet  auf  die 
bekannten  Fragen  stets  'Der  Herr  hat  es  gegeben.'  Bei  dem 
letzten,  höchsten  Gnadengeschenk  Gottes  bricht  der  Mann  in  die 
komischen  Worte  aus: 

Ich  wünschte  wenigstens,  er  hätte  huldreich  sich 

Mit  seinem  Kindgeschenk  neun  Monden  noch  geduldet. 

Trotz  ihrer  Breite  mag  uns  Langbeins  Erzählung  den  Übergang 
darstellen  zu  der  von  Bürger  geschaffenen  Erzähluugsform  der 
humoristischen  Romanze,  die  hauptsächlich  durch  eine  Angleichung 
der  alten,  einfachen  Verserzählung  an  die  belebtere,  strophisch 
gegliederte  Balladenform  charakterisiert  wird.  Ohne  Bürger  als 
Bindeglied  ist  die  Kluft  zwischen  Langbein  und  Chamisso  in 
der  Behandlungsart  unseres  Schwankes  nicht  zu  überbrücken. 
Unabhängig  von  Lessing  und  Langbein  stellt  Chamisso  in  'San 
Vito'  ohne  die  Abschweifungen  des  einen  und  ohne  die  epigram- 
matische Kürze  des  anderen  den  eigentlichen  Inhalt  der  Fassung 
Poggios  wieder  her  und  befleifsigt  sich  einer  gleichmäfsig  fort- 
schreitenden,  strophisch  geschickt  verteilten   und  durch   die  An- 


278  Quellenstudien  zu  Cliamissos  Gedicliten. 

Wendung  des  Refrains  sehr  wirkungsvollen  Darstellungsart.  Die 
erste,  erzählende  Strophe  führt  den  nach  sechs  Jahren  zurück- 
kehrenden Mann,  dem  in  der  Fremde  nichts  hat  gelingen  wollen, 
in  der  Ich-Form  ein.  Dann  entwickelt  sich  ein  lebhaftes  Zwie- 
gespräch zwischen  dem  verwundert  fragenden  Mann  und  der 
Frau,  die  stets  die  stereotype  Antwort  gibt: 

's  ist  Gottes  Segen,  mein  lieber  Mann, 
Wozu  mir  half  San  Vito. 

Die  Nennung  dieses  Heiligen  kommt  in  den  bis  jetzt  bekannten 
Quellen  nicht  vor.  Zuletzt  verflucht  der  zum  Hahnrei  gemachte 
Mann  in  einer  sarkastischen  Schlufsstrophe  den  unbequemen  Hei- 
ligen mit  einem  kräftigen  'Hole  der  Hund  San  Vito!' 

4.    Die  Quelle. 

Im  Jahre  1827  entstanden  nach  Hitzigs  chronologischem 
Verzeichnis  (Werke^  VI,  341)  u.  a.  die  Gedichte  'Verratene  Liebe', 
'Georgis'  und  die  'Quelle',  von  denen  die  beiden  erstgenannten 
nachweislich  neugriechischen  Volksliedern  in  der  Sammlung  ^Chanis 
populaires  de  la  Grece  moderne\  (1824:/ 26)  von  Fauriel  oder  wahr- 
scheinlicher in  der  deutschen  Übersetzung  derselben  von  Wilhelm 
Müller  (1825)  nachgebildet  sind.  ^  Schon  in  der  ersten  Samm- 
lung der  Gedichte  (1831)  folgte  der  'Verratenen  Liebe'  das  er- 
wähnte kleine  Gedicht  'Die  Quelle',  und  da  der  Dichter  geistig 
Zusammengehöriges  oft  auch  durch  die  Anordnung  auszudrücken 
pflegte,  so  liefse  sich  vermuten,  dafs  auch  die  'Quelle'  dem  Boden 
der  neugriechischen  Volkslyrik  entsprossen  sei,  um  so  mehr,  als 
inhaltlich  und  stilistisch  ungefähr  der  gleiche  Ton  obwaltet.  Nun 
findet  sich  bei  Fauriel  II,  412  (bei  Müller  II,  85)  ein  stofflich 
verwandtes  Lied  *7»  oTaf.ivl  joayuGfitvov'  {La  cruche  cassee).  Es 
enthält  die  Verabredung  eines  Jünglings  und  eines  Mädchens, 
sich  am  Brunnen  zu  treffen,  und  darauf  das  Zwiegespräch  des 
heimkehrenden  Mädchens  und  seiner  Mutter;  obwohl  sich  die 
Tochter  wegen  des  zerbrochenen  Kruges  zu  entschuldigen  ver- 
sucht, durchschaut  die  Mutter  den  wahren  Zusammenhang.  Sollte 
sich  Chamisso  an  diesem  Liede  mit  demselben  Gedankengang 
und  einer  ähnlichen,  nur  drastischeren  Motivierung  am  Schlufs 
inspiriert  haben?     Ist  dies  der  Fall,   was  natürlich  nur  als  Ver- 


*  Vgl,  Tardel,  Stvdien  xur  Lyrik  Chamissos,  Progr.  Bremen  1902, 
S.  20,  29.  Über  den  Stoffkreis  der  'Verratenen  Liebe'  handelt  Arnold  in 
der  Ztschr.  f.  Volkskunde  XII  (1902),  155  f.  und  291  f.;  den  dort  angeführten 
Übersetzungen  des  Chamissoschen  Gedichtes  kann  eine  holländische  in  der 
Sammlung 'Lied£ren,  naar  het  hoogduitsch',  Zwolle  1861,  S.  17:  Verraden  min 
(nach  der  Vorrede  von  T.  H.  Buser),  und  eine  niederdeutsche  in  mecklen- 
burgischem Dialekt  in  der  Sammlung  Ln  körten  Tilg'  von  Fr.  Cammin 
(1903)  hinzugefügt  werden. 


Quellenstudien  zu  Clianiissos  Gedicliten.  27Ö 

mutung  gelten  kann,  so  hätte  er  den  obscönen  Doppelsinn  des 
^Krugbrechens'  durch  die  Wendung  vom  leichten  und  schweren 
Gang  zum  und  vom  Brunnen  und  durch  das  Singen  der  Vögel 
an  der  Quelle  ersetzt.  Dies  letztere  Motiv  erinnert  an  die  Gruppe 
der  ^NachtigalF- Dichtungen,  von  denen  Boccaccios  Novelle  (De- 
camerone  Y,  4)  und  Vergiers  ^RossignoF  in  Lafontaines  Conies  die 
bekanntesten  sind,  wo  es  aber  in  obscöner  Fassung  erscheint.^ 
Man  vergleiche: 

Fauriel:  Müller: 

'Ch^re  Marion,  quand  tu  vas  ä  l'eau,  'Maria,  wenn  du  Wasser  holst, 

dis-moi  ä  quelle  heure.  So  sage  mir,  zu  welcher  Zeit, 

Je  serai  sur  pied,  je  t'attendrai;  Damit  ich  geh'  und  warte  dein, 

et  te  casserai  ta  cruche.  Dann  brech  ich  dir  den  Krug  entzwei, 

afin  que  tu  t'en  retournes  vide  ä  ta  Und   leer    kömmst  du   zur  Mutter 

m^re.'  —  heim.'  — 

*Ma  fille,  oü  est  ta  cruche?'  —  'Mein    Töchterchen,     wo     ist    der 

'Ma  m^re,  j'ai  fait  un  faux  pas,  Krug?'  — 

je  suis  tomb^e  et  Tai  cassde.'  —  'Ich  stolperte,  mein  Mütterchen, 

'Ahl  il  n'y  a  point  lä  de  faux  pas,  Und  fiel  und  brach  den  Krug  ent- 

mais  bien  plutot  quelque  ^troite  em-  zwei.'  — 

brassade!'  'Dich  hat  ein  Mann  zu  eng  umarmt.' 

Charaisso: 

Unsre  Quelle  kommt  im  Schatten  Mögen  wohl  geplaudert  haben, 

Duft'ger  Linden  an  das  Licht,  Kam  das  Mädchen  spät  nach  Haus: 

Und  wie  dort  die  Vögel  singen,  Gute  Mutter,  sollst  nicht  schelten, 

Nein,  das  weifs  doch  jeder  nicht!  Sandtest  selbst  ja  mich  hinaus. 

Und  das  Mädchen  kam  zur  Quelle,  Geht  man  leicht  zur  Quelle,  trägt  man 

Einen  Krug  in  jeder  Hand,  Doch  zu  Haus  ein  schwer  Gewicht, 

Wollte  schnell  die  Krüge  füllen.  Und  wie  dort  die  Vögel  singen  — 

Als  ein  Jüngling  vor  ihr  stand.  Mutter,  nein,  das  weifst  du  nicht! 

Die  möglicherweise  vom  Dichter  vorgenommenen  Änderungen 
wären  als  wertvolle,  künstlerisch  gelungene  zu  bezeichnen,  doch 
kann  das  Gedicht  in  einen  ganz  anderen  literarischen  Zusammen- 
hang gehören. 

5.   Herzog  Huldreich  und  Beatrix. 

Die  diesem  Gedichte  zugrunde  liegende,  wohl  als  geschicht- 
lich  zu   betrachtende   Tatsache,    die   Heirat    eines   Herzogs    und 

'  Darüber  vgl.  H.  May,  Die  Behandlungen  der  Sage  von  Eginhard  und 
Emma,  Berlin  1900  (Munckers  Forschungen  Nr.  16),  S.  18.  Ein  franzö- 
sisches Volkslied  bei  Weckerlin  {L'ancienne  Chanson  populaire  en  France, 
1887,  S.  280)  aus  einer  Sammlung  von  1633,  wo  das  Mädchen  auch  zum 
Wasserholen  fortgegangen  ist,  gibt  eine  sehr  derbe  Ausmalung  des  Vogel- 
gesanges. In  einem  polnischen  Volksliede  ( Fo/Ä;5/«ec?er  der  Polen,  von  W.  P. 
übersetzt,  Berlin  1833:  'Die  Zigeunerin')  findet  das  Mädchen  nach  der 
Voraussage  der  Zigeunerin  an  der  Quelle  den  erträumten  Geliebten.  Vgl. 
auch  das  zweite  der  von  Lessing  im  33.  Literaturbrief  mitgeteilten 
litauischen  Volkslieder.  Weiterab  liegt  Antreaus  'La  cruche'  in  Lafon- 
taines Contes  mit  anderer  frivoler  Schlufswendung. 


280  Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedicliteu. 

einer  Bauernmagd,  bezieht  sich  auf  Herzog  Ulrich  XVIII.  von 
Böhmen  und  seine  Gattin  Bozena,  alias  Beatrix.  Die  Geschichte 
wird,  soweit  mir  böhmische  Geschichtsquellen  zugänglich  sind, 
in  Dalimils,  dem  14.  Jahrhundert  angehörender  tschechischer  Vers- 
chronik und  danach  in  der  mittelhochdeutschen  Bearbeitung  {Bihl. 
d.  Lit  Vereins  in  Stuttgart  Bd.  48  [1859]  S.  96)  kurz  erzählt.  Sie 
steht  femer  in  der  tschechisch  geschriebenen,  um  1540  entstan- 
denen Böhmischen  Chronik  von  Wenzeslaus  Hagek  und  in  der 
deutschen  Übersetzung  von  Johann  Sandel  (1596,  Blatt  129  f.) 
in  gröfserer  Ausführlichkeit.  Wiederum  kurz  wird  sie  in  späteren 
lateinischen  Chroniken  berichtet,  so  in  der  Historia  Bohemica  des 
Dubravius  (Hanoviae  1602,  S.  47),  in  der  Chronica  Bohemorum 
von  Cosma  (Hanoviae  1607,  S.  131)  und  in  des  Bartholdus  Pon- 
tanus'  Bohemia  Pia  (Francofurti  1608,  S.  16).  Eine  kurze  Erwäh- 
nung findet  sich  in  A.  W.  Griesels  Mährchen-  und  Sagenbuch  der 
Böhmen  (Prag  1820)  I,  139.  Von  diesen  Darstellungen  böhmischer 
Geschichte  ist  die  Chronik  des  Hagek -Sandel  in  der  neueren 
deutschen  Literatur  am  bekanntesten  geworden,  denn  sie  enthält 
die  Hauptquelle  der  Libussa-Dichtungen,  deren  es  vor  und  nach 
Brentanos  dramatischer  Gestaltung  viele  gegeben  hat.  Sie  erzählt 
aus  dem  Jahre  1007,  wie  Herzog  Udalricus  bei  der  Rückkehr 
von  der  Jagd  im  Dorfe  Opuczena  ein  schönes  Mädchen  am 
Brunnen  waschend  trifft.  Er  läfst  sie  durch  seine  Diener  nach 
ihrem  Namen  fragen,  sie  antwortet  Bozena  (auf  der  nächsten 
Seite  wird  sie  Beatrix  genannt;  Cosma  erklärt:  Bozenam,  quod 
Beatricem  interpretatur).  Sogleich  ruft  der  Herzog  aus:  ^Glaubet 
mir  gewisslichen,  das  diese  mein  Weib  und  Gemahl  werden  mus.' 
Am  anderen  Morgen  tun  die  Diener  des  Herzogs  den  Eltern 
des  Mädchens  den  Willen  des  Herrschers  kund,  das  Mädchen 
wird  auf  ein  Rofs  gesetzt,  an  das  Hoflager  gebracht,  in  schöne 
Gewänder  gesteckt  und  von  einem  Priester  mit  dem  Herzog  ge- 
traut. Die  Adligen  des  Hofes,  empört,  eine  Bäuerin  als  Fürstin 
zu  erhalten,  werden  durch  einen  Abgesandten  bei  dem  Herzog 
vorstellig,  aber  bestimmt  abgewiesen.  Die  Bauernmagd,  später 
die  Mutter  des  Brzetislaw,  gewinnt  bald  durch  ihre  Herzensgüte 
die  Achtung  aller  Untertanen.  Man  könnte  sich  zwar  denken, 
dafs  die  behagliche,  gemütvolle,  wenn  auch  sehr  breite  Darstel- 
lungsart des  alten  Chronisten  Chamisso  zur  Behandlung  angeregt 
hätte;  wahrscheinlich  hat  ihm  aber  eine  andere,  aus  der  Chronik 
abgeleitete  neuere  Fassung  vorgelegen,  um  so  mehr,  als  im  Ge- 
dicht einige  abweichende  Züge  vorkommen,  so  die  Auslegung 
der  Namen  (Ulrich  =  der  Huldreiche,  Beatrix  =  Heilesbringerin). 
Das  Ideelle  des  Stoffes,  die  Ausgleichung  des  Standesunterschiedes 
zwischen  hoch  und  niedrig,  zog  ihn  gewifs  an,  ebenso  das  see- 
lische Liebesmotiv:  er  männlich-entschlossen,  sie  bescheiden  und 
voller  Liebreiz,   so  dafs   die  erste  Begegnung   über  die   Liebes- 


Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.  281 

gemeinschaft  entscheidet.  Die  dichterische  Ausführung  idealisiert 
bedeutend.  Der  geschichtliche  Ulrich  war  nichts  weniger  als  ein 
sentimentaler  Liebesheld,  denn  bevor  er  die  Bauerndirne  heiratete, 
verstiefs  er  seine  Frau  wegen  ihrer  Unfruchtbarkeit,  und  auch 
die  Heirat  und  Standeserhebung  der  Bozena  ist  im  Grunde  nur 
ein  Akt  fürstlicher  Selbstherrlichkeit.  Chamisso  tat  daher  von 
seinem  psychologischen  Gesichtspunkt  aus  ganz  recht,  wenn  er  das 
Geschichtliche  fast  ganz  in  den  Hintergrund  treten  lieis.  Er  ge- 
staltet ein  lyrisches  Duett,  das  zum  gröfsten  Teil  aus  einem  fort- 
laufenden Zwiegespräch  der  beiden  Liebenden  besteht,  in  Form 
und  Ton  den  Stimmungsbildern  sehr  ähnlich,  die  er  ein  Jahr 
später  in  dem  Zyklus  ^ Frauenliebe  und  Leben'  (1830)  dichtete,  so 
dafs  unsere  Romanze  als  eine  Art  Vorstufe  zu  jener  gröfseren 
Dichtung  angesehen  werden  kann. '     Die  Worte  der  Beatrix: 

Gott  segne  dich  und  die  dereinst 
Wird  deines  Himmels  Stern  I 

kehren  in  'Frauenliebe  und  Leben'  wieder: 

Nur  die  Würdigste  von  allen 

Soll  beglücken  deine  Wahl, 
Und  ich  will  die  Hohe  segnen, 

Segnen  viele  tausend  Mal. 

Die  vorstehenden  Zeilen  waren  bereits  geschrieben,  als  ich  durch 
eine  Notiz  im  Euphorion  (X,  677)  auf  die  tschechisch  geschriebene 
Arbeit  von  Ernst  Kraus:  'Böhmens  alte  Geschichte  in  der  deutschen 
Literatur'  (Prag  1902)  aufmerksam  wurde.  Hier  wird  (S.  266), 
wie  der  Verfasser  mir  freundlichst  mitteilt,  neben  mehreren  an- 
deren epischen  und  dramatischen  Bearbeitungen  des  Stoffes  in 
betreff  Chamissos  auf  Georg  Neumarks  '  Verhochteutschte  Fryne 
Bozens'  (1651)  und  desselben  'Historischen  Lustgarten'  (1666)  ver- 
wiesen, doch  bezweifelt  Kraus,  dafs  dies  die  schwer  zu  fassende 
Quelle  des  Gedichtes  sei. 


6.    Don   Raphaels  letztes   Gebet. 

Als  politischer  Dichter  hat  Chamisso  die  grofsen  Ereignisse 
der  Zeit,  den  Sturz  Napoleons,  die  philhellenische  Bewegung  und 
besonders  die  Entwickelung  des  Liberalismus  in  Frankreich  und 
den  Ausbruch  der  Julirevolution  mit  ihren  Anzeichen  und  Folgen 
auf  der  Leier  begleitet.  Ja,  er  ist  dem  russischen  Revolutionär 
Bestujeff  bis  in  die  Schneefelder  Sibiriens  gefolgt,  nachdem  er 
zuvor   die  Verbannung  eines  Anhängers  Mazeppas,   des  Woina- 


*  Vgl.  Tardel,  Die  Frau  in  der  Lyrik  Chamissos,   im  'Janus,  Blätter 
für  Literaturfreunde'  Heft  II  (1904),  S.  491  f. 


282  Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten. 

rowski,  besungen  hatte.  Auch  den  spanischen  Empörer  Raphael 
Riego  y  Nunez,  den  Helden  der  auch  ins  Deutsche  übersetzten 
Riegohymne  (so  von  O.  L.  B.  Wolff,  Halle  der  Völker,  Frankfurt 
1837,  II,  29),  hat  Chamisso  im  Liede  gefeiert.  In  der  Verherr- 
lichung dieses  Helden  war  ihm  Wilhelm  Müller  vorangegangen, 
mit  dem  er  in  der  Verehrung  Byrons,  in  der  Neigung  für  Volks- 
poesie und  in  der  Begeisterung  für  die  Freiheitskämpfe  unter- 
drückter Völker  übereinstimmte.  Riego  wurde,  nachdem  er  sich 
durch  Entfachung  eines  Aufstandes  bis  zum  JFeldmarschall  und 
Präsidenten  der  Cortes  emporgeschwungen  hatte,  im  Kampf  gegen 
die  Franzosen  besiegt,  gefangen  genommen,  der  spanischen  Re- 
gierung ausgeliefert  und  am  7.  November  1823  durch  den  Strang 
hingerichtet.  Die  freien  Rhythmen,  die  der  Sänger  der  Griechen- 
lieder in  der  ^Hymne  auf  den  Tod  Raphael  Riegos'  {Gedichte, 
Leipzig  1868,  II,  131)  unter  dem  Eindruck  des  Ereignisses  dem 
Helden  gewidmet  hat,  schildern  in  kühnem  Bilde  den  Märtyrer 
der  Freiheit  am  Galgen,  fordern  in  wilder  Begeisterung  Rache 
und  Gerechtigkeit  und  verkünden  den  Ausbruch  des  Freiheits- 
kampfes —  ^der  Pöbel  wird  ein  Volk\  Der  Dichter  trübt  aber 
den  Eindruck  durch  eine  Betrachtung  über  den  Wankelmut  des 
Volkes,  das  an  demselben  Tage  seinen  Helden  dem  Galgen  über- 
liefert und  seinem  heimgekehrten  König  eine  Ehrenpforte  er- 
richtet. Weit  ruhiger  und  abgeklärter  sind  Charaissos,  vier  Jahre 
später  entstandene  Riego-Terzinen,  die  in  die  Form  eines  Ge- 
betes, das  der  Held  vor  dem  Besteigen  des  Blutgerüstes  an  Gott 
richtet,  gekleidet  sind.  Da  ist  keine  Aufforderung  zur  Rache, 
nur  Vergebung  hat  Riego  für  seine  Gegner,  die  ihn  aufs  Scha- 
fott gebracht  haben,  aber  eine  frohe  Hoffnung  auf  das  nahe 
Morgenrot  der  Freiheit  erfüllt  ihn,  denn  sein  Opferblut  wird  die 
Herzen  aller  Spanier  entflammen  und  zu  endlichem  Siege  führen. 
Die  Form  des  Gebetes  kehrt  noch  in  der  ^Stillen  Gemeinde' 
wieder,  dort  handelt  es  sich  um  die  Freiheit  der  Religion,  hier 
um  die  politische  Freiheit.  Man  wird  sonst  nicht  häufig  in  der 
deutschen  Dichtung  auf  den  spanischen  Revolutionär  stofsen, 
Karl  Nissel  hat  ihn  zum  Helden  einer  egmontähnlichen  Tra- 
gödie (1871)  gemacht. 

7.    Die   stille   Gemeinde. 

In  Ergänzung  meiner  früheren  Ausführungen  über  die  drei 
Gedichte  von  Prutz,  Eichendorff  und  Chamisso  über  den  Meeres- 
kult der  Bretagner  hat  K.  Reuschel  die  gemeinsame  Quelle  dieser 
Gedichte  in  einer  Stelle  von  Souvestres  'Derniers  Bretons'  (1836) 
nachgewiesen  {Z.  f.  d.  dtsch.  Unt,  1900,  S.  266).  Dazu  sei  be- 
merkt, dafs  der  fragliche  Abschnitt  aus  Souvestre  sich  schon  in 
einem  Aufsatz  ^Les  poesies  populaires  de  la  Basse-Bretagne^  in  der 


Quellenstudien  zu  Cliamissos  Gedichten.  283 

Revue  des  deux  mondes  1834  (3^  sdrie,  t.  IV,  p.  528)  vorfindet, 
also  schon  in  dieser  Form  den  Dichtern  vorgelegen  haben  kann. 
Das  Gedicht  von  Prutz  'Bretagne'  (1836)  und  Eichendorf fs  'Stille 
Gemeine'  hat  Chamisso  als  Redakteur  in  den  Musenalmanach  von 
1837  (S.  227  und  243)  aufgenommen.  Er  kannte  also  bei  der 
Abfassung  seines  1838  entstandenen  und  ein  Jahr  später  im 
Musenalmanach  gedruckten  Gedichtes,  das  die  Titelgleichheit  mit 
Eichendorff  teilt,  aul'ser  der  Urquelle  die  Behandlungen  seiner 
beiden  Vorgänger,  und  seine  eigene  Darstellung  bewegt  sich  im 
Gegensatz  zu  ihnen.  In  anschauhcher,  poesievoller  Art  berichtet 
Souvestre,  wie  sich  in  Crozon,  einem  kleinen  Küstenort  südlich 
von  Brest,  dessen  Häuser  und  Kirchen  von  den  Revolutions- 
heeren zerstört  sind,  nachts  die  Fischerbevölkerung  in  Booten 
auf  dem  Meere  versammelt  und  ein  Priester  angesichts  der 
Meereswogen  feierlichen  Gottesdienst  abhält.  Prutz  schildert  in 
ernsten  Trochäen,  im  einzelnen  mit  manchen  neuen  malenden 
Zügen,  diese  ergreifende  Handlung  und  fügt  einen  erschüt- 
ternden Schhifs  hinzu.  Schon  Souvestre  hatte  am  Schlufs  von 
den  'grandes  menaces  de  la  mer',  die  der  stillen  Gemeinde  drohen, 
gesprochen  und  darauf  ein  wahres  Ereignis  aus  Morlaix  erzählt, 
wo  eine  nächtliche  Prozession  von  den  Revolutionstruppen  in 
einem  Hohlweg  niedergemetzelt  worden  sei.  Bei  Prutz  erhebt 
sich  plötzlich  ein  Unwetter,  und  die  Ufer  erglänzen  von  den 
Wachtfeuern  der  kriegerischen  Horden,  im  Wogengebrause  und 
Kugelregen  geht  die  Gemeinde  mitsamt  ihrem  Priester  zugrunde. 
Eichendorff  erweitert  in  seinen  balladenartigen  Liedstrophen  den 
Vorwurf  Souvestres  novellenartig,  vielleicht  nach  anderweitiger 
Anregung,  und  stellt  in  Vater  und  Sohn  den  Royalisten  und 
den  Jakobiner  scharf  umrissen  nebeneinander.  Im  Gegensatz  zu 
Prutz  und  Eichendorff  vermeidet  Chamisso  durch  engeren  An- 
schlufs  an  Souvestre  alles,  was  die  Einfachheit  der  Szenerie,  die 
Feierlichkeit  der  Gottesverehrung  und  den  Glauben  an  die  Macht 
dieses  Gottes  irgendwie  beeinträchtigen  könnte.  Wir  sollen  der 
Muse  seiner  Terzinen  nach  der  Bretagne  folgen,  nicht  um  Bilder 
des  Blutes,  an  denen  es  bei  Prutz  und  Eichendorff  nicht  fehlt, 
sondern  um  Bilder  des  Friedens  zu  enthüllen;  die  Eigenart  des 
Kultus  soll  für  sich  allein  wirken.  Das  Zwiegespräch  zwischen 
einem  'Mann  des  Schreckens^,  der  den  Bauern  wegen  ihres  Fest- 
haltens am  alten  Glauben  die  Kirchen  anzustecken  droht,  und 
einem  Greis,  der  stolz  antwortet,  dafs  man  ihnen  nie  die  Sterne 
und  damit  den  Glauben  an  Gott  rauben  könne,  entspricht  dem 
Gespräch  eines  Jakobiners  und  eines  Gemeindevorstehers  bei 
Souvestre.  Einige  Einzelheiten  weisen,  wie  Reuschel  angeführt 
hat,  auf  Eichendorff.  Am  Ende  der  ungestörten,  heiligen  Hand- 
lung spricht  der  Priester  ein  längeres  Gebet,  das  das  Vaterunser 
und  biblische  Wendungen  paraphrasiert. 


284  Quellenstudien  zu  Cliamissos  Gedicliten. 

8.    Das  Lied   von   der  Weibertreue. 

Der  Stoff  dieses  Gedichtes  führt  vom  Altertum  über  Lafon- 
taine zu  Chamisso.  Petronius,  der  Günsthng  Neros,  hat  dieser 
Erzählung  von  vermutlich  hohem  Alter  zuerst  literarische  Gestalt 
gegeben.  Lessing,  der  sich  mit  der  Dramatisierung  des  Stoffes 
beschäftigte,  hat  sie  mit  Recht  die  bitterste  Satire  genannt,  die 
jemals  gegen  den  weiblichen  Leichtsinn  geschrieben  sei.  Eine 
Matrone  in  Ephesus  will,  untröstlich  über  den  Verlust  ihres 
Gatten,  in  einem  Grabgewölbe  des  Hungertodes  sterben.  Ein 
Soldat,  der  in  der  Nähe  einen  toten,  am  Galgen  hängenden  Räuber 
bewacht  und  eines  Nachts  Licht  in  der  Grabkammer  bemerkt,  eilt 
hinzu,  reicht  mitleidig  zuerst  der  Magd,  dann  der  klagenden  Frau 
Speise  und  Trank  und  gewinnt  schliefslich  ihre  Liebe.  Als  der 
Soldat  entdeckt,  dafs  der  Leichnam  inzwischen  gestohlen  ist,  will 
er  sich  selbst  töten,  da  er  nach  dem  Gesetz  dem  Tode  verfallen 
ist.  Aber  die  Witwe  rettet  ihren  lebenden  Gatten,  indem  sie 
den  Körper  des  toten  an  den  Galgen  hängen  läfst.  Dieser  Er- 
zählung verdankt  Lafontaine  den  Stoff  seiner  Conte  'La  Matrone 
d'^phese',  in  der  das  antike  Kolorit  nach  Möglichkeit  gewahrt 
bleibt.  Der  gewandte  Dichter  lehrreicher  Fabeln  und  frivoler 
Contes  erzählt  die  Geschichte  in  f liefsenden,  prickelnden  Vers 
libres,  anfangs  ziemlich  ausführhch,  dann  schnell  zu  dem  effekt- 
vollen Schlufs  eilend;  ironische  Bemerkungen  über  die  Untreue 
und  den  Wankelmut  der  Frauen  durchziehen  das  Ganze.  Der 
Dichter  will  das  Vergehen  dadurch  mildern,  dafs  die  Sklavin  den 
sittenlosen  Vorschlag  macht  und  die  Herrin  nur  einwilligt.  Damit 
stimmt  denn  auch  die  moralische  Auffassung,  die  der  Dichter 
des  Zeitalters  Ludwigs  XIV.  ungeschminkt  genug  am  Ende  verrät, 
und  die  auf  eine  Rechtfertigung  des  Verhaltens  der  Witwe  hinaus- 
läuft —  mieux  vaut  goujat  debout  qu'empereur  enterre.  Lessing  und 
Heinse,  der  Übersetzer  Petrous,  haben  darüber  nicht  viel  anders 
geurteilt.  Es  scheint,  dafs  Chamisso  diese  Ansicht  ebenfalls  ge- 
teilt hat,  wenn  auch  nur  vom  Standpunkt  des  objektiven  Denkers 
aus.  Denn  er  hat  seinem  Gedicht  die  Anfangs verse  von  Lafon- 
taines Gedicht  als  Motto  vorangestellt,  in  denen  die  Erzählung 
als  'un  conte  use,  commun  et  rebattu'  bezeichnet  wird.  Das  rein 
Stoffliche  mag  Chamisso  ebenfalls  aus  dem  französischen  Fabu- 
listen  geschöpft  haben,  doch  läfst  die  grofse  Verschiedenheit  der 
Bearbeitung  sowie  einige  neue  Nebenmotive  auf  Benutzung  einer 
anderen  Quelle  schUefsen.  Er  hat  zwar  den  Inhalt  beibehalten, 
aber  die  Personen  sind  von  Ort  uad  Zeit  losgelöst  und  sehr 
modernisiert  —  es  gibt  da  nur  die  Frau  und  deren  Amme,  der 
erste  Mann  der  Frau  ist  ein  Hauptmann,  der  Soldat  ein  Lands- 
knecht. Wie  bei  Lafontaine  ist  es  die  Amme,  die  den  Ratschlag 
des  Leichentausches  gibt,  doch  will  diese  Milderung  gegen  andere 


Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.  285 

rohe  Züge  nicht  viel  bedeuten.  Einige  Verse,  wie  54  f.,  61  f. 
und  83,  könnten  noch  einen  wörtlichen  Anklang  an  die  Conte 
enthalten.  In  zwei  sekundären  Motiven  ist  Chamisso  über  Petron- 
Lafontaine  hinausgegangen  und  nähert  sich  in  dem  einen  den 
mittelalterlichen  Darstellungen  des  Stoffes.  Ein  Zug,  der  die 
Liederlichkeit  der  Witwe  bis  zur  Gemeinheit  steigert,  findet  sich 
schon  in  der  Darstellung  des  Romans  von  den  Sieben  weisen  Mei- 
stern. In  der  französischen  und  deutschen  Fassung  desselben 
hat  der  die  Wache  haltende  Ritter  (Landsknecht)  bemerkt,  dafs 
dem  Räuber  zwei  Zähne  fehlen,  worauf  die  Frau  der  Leiche  ihres 
Gatten  zwei  Zähne  mit  einem  Stein  ausschlägt,  um  den  Betrug 
zu  verdecken.  Ahnliches  berichten  auch  die  ^Cento  Novelle  An- 
tiche'  (No.  59),  die  Chamisso  für  den  'Vertriebenen  König'  be- 
nutzte. Aufserdem  treffen  wir  ein  bisher  nicht  belegtes  Motiv 
im  Gedicht  an:  der  Hauptmann  hat  den  am  Galgen  hängenden 
Räuber  verfolgt  und  ist  im  Kampfe  gefallen,  der  Landsknecht 
erkennt  in  ihm  am  Schlufs  seinen  früheren  Führer. 

In  der  künstlerischen  Behandlung  entfernt  sich  Chamisso 
ebenfalls  um  ein  bedeutendes  von  Lafontaine.  Er  übernimmt 
nichts  von  der  Eleganz  und  Grazie,  nichts  von  den  Reflexionen, 
nichts  von  der  verschleierten  Frivolität  des  Franzosen.  Rabelais 
oder  Juvenal  hätten  eher  bei  dem  Gedicht  Pate  stehen  können 
als  Lafontaine.  Chamisso  wendet  den  rücksichtslosesten  Realis- 
mus an,  der  die  menschliche  Natur  als  rohe  Begierde  enthüllt. 
Gleichsam  als  sezierender  Naturforscher,  als  empirischer  Philosoph 
führt  er  die  Novelle  auf  die  zwei  ürtriebe  der  menschlichen 
Natur,  auf  Hunger  und  Liebe,  zurück.  Die  dafür  gewählte  Form 
ist  ein  Mittelding  zwischen  der  grotesken  Schauerballade  und 
der  komisch-satirischen  Verserzählung,  alles  ist  halb  barock  und 
abgerissen,  halb  grausig -furchtbar,  mit  Sarkasmus  untermischt, 
hingeworfen.  Die  strophische  Einteilung  begleitet  der  Refrain, 
ähnlich  wie  im  'San  Vito'.  Die  einleitenden  Strophen  führen 
uns  unmittelbar  in  die  Situation  ein,  hier  der  am  Galgen  Posten 
stehende  Soldat,  dort  die  im  Grabgewölbe  neben  ihrem  toten 
Mann  trauernde  Frau.  Der  erste  Teil  des  Gedichtes  baut  sich 
ganz  auf  dem  Thema  vom  Hunger  auf.  Dazu  pafst  der  dreizehn- 
mal, sei  es  von  der  Amme,  sei  es  von  der  Frau,  wiederholte  Re- 
frain 'Es  plagt  mich  sehr  der  Hunger',  in  den  auch  der  Soldat 
miteinstimmt.  Mit  besonderem  Gefallen  führt  der  Dichter  aus, 
wie  der  derb-gesunde  Landsknecht  sein  einfaches  Mahl  hervor- 
zieht, mit  Behagen  ifst  und  trinkt  und  den  hungernden  Frauen 
davon  etwas  anbietet,  wie  die  Amme  zuerst  etwas  nimmt  und 
ihrer  Herrin  zuredet.  Sobald  der  Hunger  gestillt  ist,  geht  die 
Schilderung  auf  das  Liebesthema  über,  wobei  der  passende  Re- 
frain 'Du  lieber,  lieber  Landsknecht'  zehnmal  von  den  Lippen 
der  Frauen  wiederholt  wird.    Der  Soldat  ist  ein  stürmischer  Ver- 


28(3  Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten. 

führer  und  gewinnt  das  Weib  bald,  doch  deutet  Chamisso  nur 
an,  was  Lafontaine  unzweideutig  sagt:  Elle  ecoute  un  amant,  eile 
en  fait  un  mari.  Diese  tierisch  sinnliche  Liebe  kennt  keine 
Schranken,  und  der  Leichentausch  erfolgt  ohne  viel  Über- 
redungskunst.    Dann   schliefst   der  Dichter   mit   den   höhnischen 

Worten  * 

Und  streift  nun  der  Wind  die  Heide  entlang, 

So  geben  die  Knochen  gar  guten  Klang 

Zum  Lied  von  der  Weibertreue. 

Der  Dichter  ist  zu  sehr  Künstler,  er  gibt  weder  eine  moralische 
Rechtfertigung  noch  eine  Verurteilung.  Das  Gedicht  ist  meines 
Erachtens  nicht  so  schlecht,  wie  der  Dichter  selbst  nach  einer 
Brief  stelle  vom  10.  April  1830  annahm,  wenn  er  schreibt:  ^Weiber- 
treue'  und  ^Frühlingslied'  sind  nur  mitgegangen  (nämlich  in  den 
Berliner  Musenalmanach  von  1830),  um  Zeugnis  abzulegen,  dafs 
das  Beste  schon  bei  den  Akten  lag  {Deutsche  Dichtung  IV,  303).  * 

9.    Don  Juanito  Marques  Verdugo  de  los  Leganes, 
spanischer  Grande. 

Diese  umfangreiche  Terzinendichtung,  die  schon  durch  ihre 
prunkvolle  Überschrift  auf  den  spanischen  Adelsstolz  hinweist, 
von  dem  sie  handelt,  ist  unzweifelhaft  nach  der  Novelle  'El  ver- 
dugo' von  Balzac  geschaffen  worden,  wie  bereits  Xavier  Brun  in 
seiner  Chamisso  -  Biographie  angemerkt  hat.^  Die  Novelle  ist 
nach  Charles  de  Lovenjoul  (Histoire  des  oeuvres  de  H.  de  Balzac, 
Paris  1879,  S.  183)  im  Oktober  1829,  nicht  1820,  wie  die  defini- 
tive Ausgabe  fälschlich  angibt,  entstanden  und  zuerst  unter  dem 
Titel  'Souvenirs  soldatesques.  El  Verdugo;  guerre  d'Espagne  (1809/ 
in  der  Zeitschrift  'La  Mode'  (29.  Januar  1830)  erschienen.  Die 
hier  gegebene  Bemerkung:  Le  respect  du  ä  des  infortunes  contem- 
poraines  oblige  le  narrateur  ä  changer  le  nom  de  la  ville  et  de  la  fa- 
mille  dont  il  s'agit  würde  auf  die  geschichtliche  Wahrheit  der  Er- 
zählung, wenigstens  ihrem  Kern  nach,  schliefsen  lassen.  Die 
Novelle  ging  1831  in  die  Sammlung  der  'Romans  et  Corites  philo- 
sophiques'  über,  woraus  sie  Chamisso  vermutlich  kennen  lernte, 
der  sie  im  Mai  1832  bearbeitete  und  sie  im  folgenden  Jahre  im 
Musenalmanach  veröffentlichte,  jedoch  ohne  Quellenangabe.  Im 
Jahre  1846  nahm  Balzac  die  Novelle  in  die  erste  Ausgabe  seiner 

*'  Über  die  Stoff geschichte  der  Matrone  von  Ephesus  vgl.  Benfey, 
Pantschatantra  I,  460,  und  Ed.  Grisebach,  Die  Wanderung  der  Novelle  von 
der  treulosen  Witwe  durch  die  Weltliteratur,  Berlin  1886,  besonders  S.  79,  91, 
104  und  127;  Er.  Schmidt,  Lessing  IT,  81  f.;  ferner  R.  Köhler,  Kl.  Schriften 
ed.  Bolte  II,  564  und  583. 

^  Eine  unbedeutende  Nachahmung  in  Prosa  gab  ohne  Quellenangabe 
vor  etwa  zwei  Jahren  S.  Dommershausen  im  Bremer  Courir  unter  dem 
Titel  ^Der  Stammhalter'. 


Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.  287 

grofsangelegten  'Comedie  humaine'  und  zwar  in  den  zweiten  Teil, 
den  'Etudes  phüosophiques' ,  auf  {(Euvres  completes  Band  XYI, 
S.  214  f.).  Man  mufs  den  philosophischen  Grundgedanken  der 
Dichtung,  der  indes  nicht  aufdringlich  hervortritt,  das  starre  Fest- 
halten des  Menschen  an  der  Erhaltung  seiner  Rasse  und  seiner 
Familie,  im  Auge  behalten,  um  an  der  grausigen  Dichtung,  der 
grausigsten,  die  Chamisso  behandelt  hat,  Interesse  gewinnen  zu 
können.  Nur  damit  ein  einziger  das  Geschlecht  fortpflanzen 
kann,  wird  eine  ganze  spanische  Grandenfamilie  hingeschlachtet; 
es  ist  vielleicht  die  stärkste  Geschichte,  die  je  von  dem  sprich- 
wörtlichen spanischen  Adelsstolz  erzählt  worden  ist.  Zugleich 
ist  sie  ein  entehrendes  Beispiel  französischer  Grausamkeit,  ein 
Punkt,  den  Balzac  freilich  nicht  betont,  denn  im  Grunde  zwingt 
doch  der  französische  Machthaber  den  Spanier  zum  Vater-  und 
Familienmord. 

Chamisso  beginnt  abweichend  von  Balzac  mit  dem  für 
deutsche  Leser  nötigerem  Hinweis  auf  die  Erhebung  der  Spanier, 
als  Napoleon  I.  den  usurpierten  Thron  Spaniens  seinem  Bruder 
Joseph  gegeben  hatte.  Balzac  fängt  seinerseits  sogleich  mit  einer 
Schilderung  des  Schlosses  Menda,  dem  Schauplatz  der  Begeben- 
heit, an;  es  liegt  auf  einem  Felsen,  zu  Füfsen  die  kleine  Stadt, 
in  der  Nähe  das  Meer,  dessen  leises  Rauschen  man  vernimmt, 
darüber  ein  schöner,  klarer  Abendhimmel.  Dann  erzählt  er:  Hei- 
tere Tanzweisen  ertönen  aus  dem  Schlosse  des  altadligen  Marquis 
de  L^gan^s,  ein  französischer  Offizier  steht  allein,  in  Gedanken 
versunken,  auf  der  Terrasse,  es  ist  Victor  Marchand.  Da  der 
kommandierende  General  G..t..r  eine  geheime  Empörung  der 
Spanier  befürchtet  und  eine  gleichzeitige  Landung  der  mit  Spanien 
verbündeten  Engländer  an  der  Küste  möglich  ist,  so  hat  er  ein 
Bataillon  Besatzungstruppen  unter  Leitung  Victor  Marchands 
nach  Menda  gelegt.  Obwohl  dem  Marquis  nicht  ganz  zu  trauen 
war,  hat  Victor  die  freundliche  Einladung  auf  das  Schlofs  ange- 
nommen. Während  der  Festlichkeit  haben  ihn  die  traurigen, 
mitleidsvollen  Blicke  Claras,  der  ältesten  Tochter  des  Marquis, 
nachdenklich  gestimmt;  als  Sohn  eines  Pariser  Epiciers  kann  er 
sich  auf  die  Hand  der  adelsstolzen  Marquistochter  kaum  Hoff- 
nung machen.  Denselben  Inhalt  bringt  Chamisso  (V.  7 — 24), 
wobei  der  eine  Gedanke  mehr,  der  andere  weniger  hervortritt, 
nicht  immer  so  präzise  und  nicht  in  derselben  Reihenfolge  wie 
in  der  Novelle.  Der  französische  Offizier  heifst  nur  Victor,  seine 
bürgerliche  Abkunft  wird  nicht  erwähnt,  der  Name  des  Generals 
wird  begreiflicherweise  ausgelassen.  Chamisso  nimmt  abweichend 
von  Balzac  von  vornherein  eine  innige  Liebesneigung  Victors  zu 
Clara  an  und  setzt  dies  Motiv  durch  die  ganze  Dichtung  fort. 
Plötzlich  sieht  Victor,  fährt  Balzac  fort,  überall  Lichter  auf- 
blitzen,  obwohl  er  dies   trotz   der  ^ßte  de  Saint  Jacques'  verboten 


288  Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten. 

hatte,  und  ein  ihn  begleitender  Soldat  teilt  ihm  seine  Vermutung 
über  einen  bevorstehenden  Aufstand  mit.  Chamisso  bringt  diese 
Beobachtungen  zusammen  in  der  Anrede  des  Soldaten  an  den 
Offizier,  die  Feuer  brennen  ^wider  Ordnung^  zur  Feier  der  'Jo- 
hannisnacht' (V.  29).  Den  Ausbruch  der  Empörung,  die  Tötung 
des  Soldaten  neben  Victor,  die  drohende  Landung  der  Engländer 
schildert  Chamisso  ein  wenig  ausgeführter  als  die  Vorlage.  Clara 
mahnt  den  fast  umzingelten  französischen  Offizier  zu  schleuniger 
Flucht  auf  dem  unten  am  Felsen  bereitstehenden  Andalusier 
ihres  Bruders  Juanito  (=  Cham.  V.  46  f.).  Der  Schauplatz  der 
Handlung  wird  für  kurze  Zeit  in  das  Hauptquartier  des  Generals 
G..t..r  verlegt,  wohin  sich  Victor  hat  retten  können.  Den  knappen 
Bericht  seiner  Niederlage  'Je  vous  apporte  ma  tete'  gibt  Chamisso 
gut  wieder: 

*Ich  bringe  dir  mein  Haupt,  mein  Haupt  allein, 

Sonst  keines,  was  du  mir  vertrauet  hast.' 

Der  General  verzeiht,  indem  er  dem  Kaiser  das  Urteil  über  den 
Offizier  überläfst,  rückt  schnell  zum  Entsatz  heran,  und  da  die 
Engländer  die  erwarteten  Truppen  nicht  landen,  wird  Menda 
schnell  gewonnen.  Da  die  Spanier  den  Krieg  'ä  la  fagon  des 
sauvages'  führen,  beschliefst  der  General,  eine  beispiellose  Rache 
zu  nehmen:  zweihundert  Soldaten  werden  sofort  erschossen,  die 
Stadt  wird  nur  durch  die  Übergabe  des  Schlosses  und  seiner 
Bewohner  vor  der  Plünderung  bewahrt.  Von  diesen  militärischen 
Mafsregeln  teilt  Chamisso  nur  die  wichtigsten  Züge  mit.  Die 
Hauptrache  ist  für  die  Familie  der  L^gan^s  aufgespart,  alle  Mit- 
glieder werden  geknebelt  in  den  Tanzsaal  geführt,  und  der  General 
befiehlt  einem  Henker,  so  viele  Galgen  zu  errichten,  als  das 
Schlofs  Insassen  hat.  Chamisso  betont  mehr  als  Balzac  das  Mit- 
leid, das  dies  harte  Schicksal  der  Familie  verdient,  selbst  der 
Henker  rüstet  sich  mit  Widerstreben  zu  einem  so  ruchlosen  Ver- 
brechen. Dann  naht  sich  Victor  dem  General  mit  einem  Gnaden- 
gesuch, dieses  Zwiegespräch  zwischen  dem  gerührt  bittenden, 
jungen  Offizier  und  dem  grausamen,  sarkastischen  General  ist 
bei  Balzac  von  einer  schlagenden  Kürze,  die  Chamisso  in  gleich 
treffender  Weise  zum  Ausdruck  bringt  (V.  106 — 128).  Die  Bitte, 
wenigstens  einem  einzigen  Spröfsling  als  Träger  des  Familien- 
namens das  Leben  zu  schenken,  wird  unter  der  furchtbaren  Be- 
dingung gewährt,  dafs  derselbe  das  Amt  des  Henkers  an  den 
anderen  übernehme.  Victor  teilt  zunächst  Clara  die  unmensch- 
liche Forderung  mit.  Zwischen  der  Erteilung  des  grausamen  Be- 
fehls und  seiner  Ausführung  schiebt  Balzac  geschickt  als  retar- 
dierendes Moment  eine  kurze  Charakteristik  der  einzelnen  Fa- 
milienmitglieder ein,  die  Chamisso  fortläfst.  Clara  ist  in  Gestalt, 
Teint,  Haar  und  Auge  ganz  Spanierin,  der  älteste  Sohn  Juanito 
hat  die  Züge  der  altspanischen  Grandezza,  Philippe  ähnelt  Clara, 


Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.  289 

der  achtjährige  Raphael  mit  einem  gewissen  Ausdruck  römischer 
Stand haftigkeit  erinnert  Balzac  an  die  Kinderbilder  Davids,  und 
der  alte  weifshaarige  Marquis  gemalmt  ihn  au  die  Porträts  spa- 
nischer Granden  von  Murillo.  Clara  gewinnt  zuerst  die  Fassung 
wieder,  stürzt  zu  den  Fülsen  ihres  Vaters  und  bittet  ihn,  Juanito 
zu  befehlen,  das  Schreckliche  auszuführen,  der  aber  abweisend 
mit  dem  Kopfe  schüttelt.  Erst  als  Clara  ihn  anfleht,  sie  nicht 
den  Franzosen  auszuliefern,  was  Chamisso  im  Hinblick  auf  Victor 
weiter  ausführt,  erst  als  ihm  die  ganze  Familie  zu  Füfsen  liegt 
und  der  Vater  das  entsetzliche  ^Ich  befehle  es  dir'  ausstöfst,  gibt 
er  der  Mutter  durch  ein  Zucken  der  Augenbrauen  seine  Ein- 
willigung kund.  Der  Schlufs  der  Novelle  bei  Balzac  sei  wört- 
lich mit  einigen  Varianten  mitgeteilt: 

Clara  8'^lan9a  la  premi^re  vers  son  frfere.  'Juanito,  lui  dit-elle,  aie 
pitie  de  mon  peu  de  courage!  commence  par  moü'  En  ce  moment,  lea 
pas  pröcipit^s  d'un  homme  retentirent.  Victor  arriva  sur  le  lieu  de  cette 
sc^ne.  Clara  ^tait  agenouill^e,  d^jä  son  cou  blanc  appelait  le  cimetierre. 
L'officier  pälit,  mais  il  trouva  la  force  d'accourir.  Le  g^n^ral  t'accorde 
la  vie  si  tu  veux  m'^pouser,  lui  dit-il  [ä  voix  bassel.  L° Espagnole  lan§a 
sur  l'officier  un  regard  de  m^pris  et  de  fiert^.  —  Allons,  Juanito!  dit-elle 
d'un  son  de  voix  profond.  Sa  t^te  roula  aux  pieds  de  Victor.  La  mar- 
quise  de  L^gan^s  laissa  ^chapper  un  mouvement  convulsif  en  entendant 
le  son  lourd  du  cimetierre  [le  oruit] ;  ce  fut  la  seule  marque  de  sa  dou- 
leur.  —  Suis-je  bien  comrae  9a,  mon  bon  Juanito?  fut  la  demande  que 
fit  le  petit  Raphael  [Manuel]  ä  son  frfere.  —  Ah!  tu  pleures,  Mariquita! 
dit  Juanito  ä  sa  soeur  {vgl.  Cham.  V.  211).  —  Oh!  oui,  r^pliqua  la  jeune 
fille.  Je  pense  ä  toi,  mon  pau vre  Juanito ;  tu  seras  bien  malheureux  sans 
nousl  Bientöt  la  grande  figure  du  marquis  apparut.  II  regarda  le  sang 
de  ses  enfants,  se  tourna  vers  les  spectateurs  muets  et  immobiles,  ^tendit 
les  mains  vers  Juanito,  et  dit  d'une  voix  forte:  Espagnols,  je  donne  ä 
mon  fils  ma  b^n^diction  paternelle!  —  Maintenant,  marquis,  ...  frappe 
sans  peur,  tu  es  sans  reproche.  Mais,  quand  Juanito  vit  approcher  sa 
m^re,  soutenue  par  le  confesseur:  Elle  m'a  nourri!  s'^cria-t-il.  Sa  voix 
arracha  un  cri  d'horreur  ä  l'assembl^e.  Le  bruit  du  festin  et  les  rires 
joyeux  des  officiers  s'apais^rent  ä  cette  terrible  clameur.  La  marquise, 
comprenant  aue  le  courage  de  Juanito  ^tait  ^puis^,  s'^langa  d'un  Ibond 
pardessus  la  balustrade  et  alla  se  fendre  la  t§te  sur  les  rochers.  Un  cri 
d'admiration  s'^leva.    Juanito  ^tait  tomb^  övanoui. 

Hier  zeigt  sich  Balzac  als  der  gröfsere  Künstler,  indem  er 
bei  den  einzelnen  Hinrichtungen  nur  ganz  kurz  verweilt  und 
durch  eine  Reihe  rührender  und  heldenhafter  Züge  —  die  stolze 
Ablehnung  der  Bewerbung  Victors  durch  Clara,  die  naiven  Aufse- 
rungen  der  jüngeren  Geschwister  Juanitos,  die  Erteilung  des 
väterlichen  Segens  an  diesen  und  seine  Ernennung  zum  Marquis, 
seine  Mutlosigkeit  beim  Anblick  der  Mutter  und  deren  Selbst- 
mord —  das  Grausige  der  Szene  mildert.  Chamisso  ergeht  sich 
leider  in  einer  zu  breiten  Ausmalung  der  einzelnen  Vorgänge 
(V.  193 — 268);  von  Mitgefühl  überwältigt,  sieht  er  bei  jeder  Hin- 
richtung das  Beil  auf  den  Block  fallen  und  dichtet  eine  Terzine 
darüber.     Als  Ganzes  betrachtet,  würde  Chamissos  Nachahmung, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  19 


290  Quellen  Studien  zu  Chamissos  Gedichten. 

so  gut  auch  einzelne  Abschnitte  gelungen  sind,  durch  straf- 
feres Zusammenziehen  der  einzelnen  Handlungen  sehr  gewonnen 
haben. 

10.    Idylle  (aus   der  Tongasprache). 

Herder  glaubte  zwar  in  seiner  Volksliedersammlung  wirklich 
echte  'Lieder  der  Wilden^  geben  zu  können,  aber  seine  aus  dem 
Französischen  des  Parny  übertragenen  madagassischen  Lieder 
sind  wahrscheinlich  eine  Fälschung  ä  la  Macpherson.  Goethe 
übersetzte  aus  Montaignes  Essais  und  zwar  aus  dem  über  die 
Kannibalen  handelnden  Kapitel  zwei  aus  Brasilien  stammende 
wirkliche  Volkslieder  dieser  Art  ('Todeslied  eines  Gefangenen' 
und  das  'Liebeslied  eines  amerikanischen  Wilden').  Doch  erst 
Chamisso  konnte  auf  diesem  so  schwer  zugänglichen  Gebiete 
wirklich  an  der  Quelle  schöpfen.  Er  hat  uns  aus  den  von  ihm 
besuchten  Gegenden  des  Stillen  Ozeans,  wenn  wir  von  den  win- 
zigen Liedchen  aus  Radack  absehen,  drei  Volkslieder  aus  dem 
Malaiischen  und  ein  mehr  episches  Gedicht  aus  der  Tongasprache 
vermittelt.  Den  malaiischen  Nachbildungen  (1822)  setzte  er  eine 
kurze  Vorbemerkung  voraus,  in  denen  er  die  Pantuns,  so  werden 
die  Volkslieder  dieses  Volksstammes  genannt,  mit  deutschen 
Volksliedern,  namentlich  dem  Schnadahüpfl-Typus,  verglich  und 
auf  das  Gemeinsame  des  Inhalts  und  der  Form  hinwies,  doch 
reichte  für  eine  eingehende  Vergleichung  das  vorhandene  Material 
nicht  aus.  Er  benutzte  dazu  hauptsächlich  William  Marsdens 
Orammar  of  the  Malayan  language  (London  1812),  besonders  den 
Abschnitt  über  die  Metrik  der  Pantuns.  Hier  findet  sich  auch 
der  Urtext  und  eine  englische  Übersetzung  des  in  der  Einlei- 
tung mitgeteilten  Liedchens  'Kdlau  tüan\  Letztere  lautet;  'If 
you  precede  me  in  Walking,  seek  for  me  a  leaf  of  the  kamböja-flower 
{plumeria  ohtusa,  planted  about  graves);  if  you  should  die  hefore  me, 
await  my  Coming  at  the  gaie  of  heaven'  (S.  132).  Es  zeigt  den 
Dichter,  wenn  er  für  die  genannte  Pflanze  in  der  Übertragung 
'Rosmarin'  einführt.  Später  gab  Chamisso  in  den  'Bemerkungen 
und  Ansichten'  zur  Weltreise  eine  allgemeine  Charakteristik  von 
Land  und  Leuten  des  malaiischen  Sprachgebietes.  Die  dort  ge- 
nannten Schriften  (Werke'^  IV,  49),  namentlich  die  Äsiatic  Be- 
searches  und  das  Äsiatic  Journal,  dürften  für  die  Feststellung  der 
Originale  der  drei  übersetzten  Lieder  ('Genug  gewandert';  'Die 
Korbflechterin';  'Totenklage')  durchzumustern  sein. 

Auch  über  die  gleichfalls  zum  malaiischen  Sprachsystem  ge- 
hörende Tongasprache  hat  der  Dichter  in  den  'Bemerkungen  und 
Ansichten'  in  Kürze  gehandelt  {Werke ^  IV,  57  f.).  Das  grund- 
legende Werk  über  diese  Sprache  ist  Mariners  Account  of  the 
natives  of  the  Tonga  Islands,  herausgegeben  von  John  Martin  (Lon- 
don, 2.  Aufl.,  1818),  das  in   seinem  ersten  Teile   die  Erlebnisse 


Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten.  291 

und  BeobachtuDgen  des  Kapitäns  Mariner  enthält  und  eine  Quelle 
für  Byrons  ^InseF  ist,  in  seinem  zweiten  eine  ausführliche  Gram- 
matik und  ein  Lexikon  der  Sprache  der  Eingeborenen  bietet. 
Hier  nun  findet  sich  eine  freiere  englische  Übersetzung  (I,  293  f., 
Kap.  9)  und  der  Originaltext  nebst  wörtlicher  englischer  Wieder- 
gabe (Bd.  II,  377  f.)  der  von  Chamisso  gelieferten  Nachbildung. 
Mariners  Buch  ist  auszugsweise  in  der  'Neuen  Bibliothek  der  wich- 
tigsten Beisebeschreibungen  zur  Erweiterung  der  Erd-  und  Völkerkunde', 
herausgegeben  von  F.  J.  Bertuch,  ins  Deutsche  übersetzt  erschienen 
(Weimar  1819).  Hier  werden  (S.  .269  f.)  Zweifel  geäufsert,  ob 
etwa  Mariner  bei  dem  Tpngalied  Änderungen  vorgenommen  hat. 
Die  wörtliche  englische  Übersetzung  lautet: 

We  remained  about  Vavaoo  Tooa  Licoo,  when  said  to  us  the  women. 

Let  US  go  (a)  walk  to  Licoo,  *  that  (we  may)  behold  the  going  down 
(of j  the  sun :  we  (will)  listen  to  the  singing  (of)  the  birds,  and  the  lamen- 
tations  (of)  the  wood-pigeon. 

We  (will)  gather  flowers  near  the  precipice  at  Matawto. 

We  (will)  remain,  and  we  (will)  share  out  the  provisions  brought  us 
from  Licoo  One. 

We  will  bathe  in  the  sea,  and  (will)  rinse  in  the  Vaoo  Aca,  and  we 
(will)  anoint  (with)  oil  sweet-scented :  we  (will)  string  flowers,  and  we 
(will)  plait  the  chi^  (which)  we  (have)  plucked  from  Matawto. 

Whilst  (are)  standing  we  upon  the  precipice  at  Ana  Manoo,  we  (will) 
look  down  without  breath,  in  the  distance  (upon)  the  sea  below. 

As  our  minds  (are)  reflecting,  the  great  wind  whistles  towards  us 
from  the  great  (lofty)  Toatrees^  in  the  Inland  upon  the  plains. 

Is  (to)  me  (the)  mind  large,  beholding  the  surf  below,  endeavouring 
in  vain  to  tear  away  the  rocks  firm. 

Our  State,  when  thus  employed,  will  be  indeed  happy  in  comparison 
with  the  State  of  those  engaged  in  the  common  affairs  of  life  [at  the 
the  Mooa].'* 

(It)  18  evening,  (let)  us  go  to  (the)  Mooa:  harkl  there  sounds  to  me 
the  band  of  singers:  are  they  practising  a  bo-oola^  to  perform  to  night 
at  the  Maläi  'at  Tanea? 

Let  US  go  there. 

Not  shall  we  think  (by  periph.  we  shall  deeply  think)  to  our  former 
State  (of  affairs)  whilst  not  yet  (had)  torn  the  war  our  land. 

Alas!  (it)  is  a  thing  terrible,  the  war;  behold  is  bushy  (over-grown 
with  weeds  and  bushes)  the  land,  and  are  dead  sadly  many  men. 

Are  remaining  unsettled  there  our  chiefs ;  not  shall  they  much  wander 
singly  (by)  the  moonlight  to  their  mistresses. 

Desist  US  reflecting:  how  can  it  be  helped,  is  (at)  war  our  land! 

The  land  (of)  Fiji  has  brought  the  war  to  our  land  (of)  Tonga,  and 
(as)  it  is,  let  us  act  accordingly  like  them  (i.  e.  like  the  Fiji  people). 

Desist  US  (being)  melancholy  (i.  e.  let  us  be  merry),  we  (shall  be) 
dead  perhaps  to-morrow. 

Let  US  dress  (with)  the  chicoola,  let  us  bind  our  waists  with  tapa 
(of)   gnatoo:®  we   (will)  put   on   the  head-dress   (made  of)  strung  jiale- 

*  Bei  Chamisso  in  der  Anmerkung  erklärt.  ^  chi,  Name  einer  Pflanze.  '  Eine 
Äa«»naW  (casuarina).  *  Hauptstadt -=2  nth^'^  vgl.  Chamissos  Anmerkung]  der  Absatz  ist 
nur  in  der  etwas  freieren  Übersetzung  wiedergegeben.  '  Eine  Art  Fackeltanz.  *  sub- 
stance  uaed  for  closing,  prepared  from  the  back  of  the  chiuese  paper  mulberry 
tree,  and  imprinted. 

19* 


292  Quellenstudien  zu  Chamissos  Gedichten. 

flowers;  and  (put  on)  our  neck-laces  (of)  the  hooni-flower  to  shew  off 
our  sun-coloured  skins. 

Listen  to  the  applauses  (of)  the  multitude  (i.  e.  mark  how  they 
praise  us). 

Now  is  ended  the  oola;  and  (they)  are  distributiug  the  materials  (of) 
our  feast:  let  us  go  to-morrow  to  the  Mooa. 

Not  (are)  eager  towards  us  (meaning,  are  very  eager)  the  (young) 
men  begging  our  wreaths  (of)  flowers,  and  thus  their  flattery  towards  us. 

They  (are)  not  beautiful,  our  (young)  women  (coming)  from  Licoo, 
not  good  their  skins  sun-coloured  (by  periph.  our  young  women  are  ex- 
ceedingly  beautiful,  the  complexion  of  their  skins  is  very  good  . . .) ;  is  to 
be  compared  their  fragrance,  with  the  precipice  at  Mataloco,  and  Vy-booa : 
1  am  anxious  to  go  Licoo:  let  us  go  (we)  ourselves  to-morrow. 

Chamisso  erkannte  in  der  Widmung  an  Ottilie  von  Goethe, 
in  deren  Zeitschrift  'Chaos'  das  Gedicht  zuerst  erschien,  ausdrück- 
lich die  Schwierigkeit  an,  in  einer  Kultursprache  die  ^kinder- 
gleichen  Laute  der  Natur'  nachzuahmen.  Den  Inhalt  und  das 
eigenartige  Gepräge  des  Liedes  hat  er  in  seinen  reimlosen,  fünf- 
füfsigen  Trochäen  getreu  wiedergegeben,  im  Ausdruck  und  Satz- 
bau mufste  er  sich  erklärlicherweise  gröl'sere  Freiheiten  gestatten, 
und  die  inhaltsreiche,  sprachliche  Kürze  des  Originals  konnte 
nicht  erreicht  werden.  Wenn  er  eine  Stelle  in  Anlehnung  an 
das  Horazische  'Carpe  dient'  mit  'Lasset  uns  des  flüchtigen  Tags 
geniefsen'  (V.  44)  übersetzt,  so  ist  das  eine  etwas  zu  weit  gehende 
Freiheit.  Das  Gedicht  selbst  ist  treffend  als  'Idyll'  bezeichnet. 
Es  ist  ein  Stilleben  aus  Polynesien  mit  allem  Spezifischen  dessen, 
was  die  Natur  des  Bodens  und  die  einfache  Kulturstufe  seiner 
Bewohner  bieten  kann,  und  man  versteht  es,  wie  sich  Chamisso 
der  mit  Unrecht  sogenannten  'Wilden'  vorurteilsfrei  annehmen 
konnte. 

Bremen.  H.  Tardel. 


Hrotsvits  literarische  Stellung. 

(Schlufs.) 


6.    Der  Mimus  im  Ruodlieb. 

Hier  wäre  die  Stelle  gekommen,  wo  wir  uns  der  Zeitfolge 
nach  endlich  zu  Hrotsvit  wenden  könnten.  Wir  wollen  jedoch 
lieber  fürs  erste  an  ihr  vorübergehen,  um  eine  spätere  Dichtung 
zu  betrachten,  die  ganz  und  gar  vom  Mimus  durchtränkt  ist. 
Ich  meine  den  Ruodlieb.  Es  kann  hier  nicht  meine  Aufgabe 
sein,  den  alten  Streit  für  oder  wider  Froumund  aufzunehmen, 
obwohl  auch  diese  Sache  vielleicht  durch  das  Ergebnis,  das  wir 
erzielen  werden,  gefördert  werden  könnte.  Uns  interessiert  hier 
nicht  die  Frage:  wer  war  der  Dichter?  sondern  die  andere:  wie 
hat  er  gearbeitet?  Und  selbst  da  werden  wir  uns  auf  die  eine 
Hälfte  beschränken  und  die  andere  auf  später  versparen  müssen. 
Hier  soll  nur  kurz  das  Resultat  der  Analyse  hingestellt  werden. 
Die  Formel  lautet:  die  Szenen  der  Rahmenerzählung  sind  mög- 
lichst nach  dem  Vorbilde  des  Waltharius  komponiert  —  das 
hat  Kögel  wenigstens  hier  und  da  geahnt;  die  Lehren  des 
Königs  dagegen  und  die  Binnen erzählung  stammen  vom  Mimus 
—  das  hat  Seiler  gesehen,  aber  nicht  genügend  ausgenutzt. 

Zuvor  aber  ein  Wort  über  Seilers  Ausgabe.  Sie  ist  bei 
ihrem  Erscheinen  nicht  sehr  freundlich  behandelt  worden,  und 
es  ist  ja  wahr,  dafs  Laistner  mit  seiner  Anordnung  der  Bruch- 
stücke gegen  Seiler  im  wesentlichen  recht  behalten  hat  Aber 
in  der  Sauberkeit  des  Textes,  in  der  liebevollen  Erforschung 
und  Feststellung  von  tausend  kleinen  Einzelheiten,  an  denen 
denn  doch  schliefslich  wieder  das  Ganze  hängt,  ist  sie  geradezu 
mustergültig,  zumal  wenn  man  die  Verhältnisse  in  Anschlag 
bringt,  unter  denen  sie  entstanden  ist,  und  worüber  die  Vorrede 
bewegliche  Auskunft  gibt.  Auch  was  die  Weise  betrifft,  wie  all 
die  novellistischen  Stoffe,  die  der  Dichter  teils  bearbeitet  hat, 
teils  bearbeiten  wollte,  ihm  zugekommen  sind,  zeigt  Seiler  durch- 
aus richtigen  Instinkt.  Zuerst  führt  ihn  freilich  (S.  73)  die 
nahe  Verwandtschaft  des  irisch  -  cornischen  Märchens  mit  der 
Erzählung  vom  Rotkopf  auf  den  mehr  als  abenteuerlichen  Ge- 
danken, die  Verbindung  der  oberdeutschen  Klöster  mit  Irland 
sei  schuld;  er  läfst  ihn  aber  sogleich  wieder  fallen,  um  auf 
mimi  und  ioculatores  als  Vermittler  zu  raten  —  von  denen  er 
nur  nicht  genug  weifs. 


294  Hrotsvits  literarisclie  Stellung. 

Charakteristisch  ist  zumal  die  Geschichte  mit  dem  Rotkopf, 
Sie  umfafst  die  drei  ersten  Weisheitslehren: 

1.  trau  keinem  rothaarigen  Mann; 

2.  reite    nie    durchs    Kornfeld,    auch    wenn    die    Strafse 
schmutzig  ist; 

3.  kehre  da  ein,  wo  der  Mann  jung,  die  Frau  alt  ist,  nicht 
umgekehrt. 

Als  Ruodlieb  nicht  mehr  weit  von  Hause  ist,  drängt  sich 
ein  Rotkopl  ihm  als  Begleiter  auf  und  benutzt  die  erste  Ge- 
legenheit, die  sich  bietet,  dem  Ritter  seinen  Mantel  zu  stehlen. 
Als  sie  beide  zugleich  ins  Dorf  einreiten,  hält  Ruodlieb  sich 
auf  der  Landstrafse;  dem  Roten  ist  der  Weg  zu  schlecht,  er 
reitet  durch  die  Saat,  kriegt  Prügel  und  schimpft  hinterdrein. 
Als  sie  Herberge  suchen,  kehrt  Ruodlieb  bei  einem  jungen 
Knecht  ein,  der  nach  des  alten  geizigen  Bauern  Tode  die  Witwe 
geheiratet  hat;  der  Rote  fragt,  ob  es  nicht  einen  alten  Kerl 
im  Dorfe  gebe,  der  eine  hübsche  junge  Frau  habe  —  und  auch 
er  findet,  was  er  sucht.  Das  Folgende  wird  von  dem  Gegen- 
satz in  den  beiden  Bauernhäusern  beherrscht;  wir  brauchen 
hier  nur  die  Herberge  des  Roten.  Der  poltert,  verlangt  als- 
bald in  frechem  Ton  zu  seiner  *Base'  {neptis^  'Niftel',  im  weiteren 
Sinne  als  unser  *  Nichte'),  der  er  Botschaft  von  den  Eltern 
bringe.  Der  Bauer  glaubt  erst,  mit  einem  Verrückten  zu  tun 
zu  haben,  gibt  aber  schliefslich  der  Gewalt  nach  und  ruft  seine 
Frau  heraus.  Die  ist  sofort  mit  dem  Roten  im  Einverständnis, 
und  er  verabredet  mit  ihr,  er  wisse  ihr  einen  frischen  jungen 
Burschen,  der  sie  'erlösen'  wolle.  Sie  solle  sich  bereit  halten 
und  in  der  Frühe  auf  ein  gegebenes  Zeichen  heraustreten;  dann 
werde  der  sie  entführen.  Zum  Lohn  für  seine  Vermittelung 
solle  sie  sich  vorher,  gleich  diese  Nacht,  ihm  selber  hingeben. 
Sie  schlägt  mit  Freuden  ein  und  übertrumpft  seine  Worte  noch. 
Im  Hause  kümmert  sie  sich  nicht  ums  Abendbrot,  sondern  hat 
nur  Sinn  für  ihre  verliebten  Schäkereien.  Der  Mann  verbietet 
ihr  solche  Frechheit;  aber  es  ist  umsonst.  Er  tut,  als  gehe  er 
auf  den  Abtritt;  in  Wirklichkeit  beobachtet  er  die  beiden  durchs 
Astloch,  während  sie,  nach  ihrer  Meinung  unbeobachtet,  ihr 
Spiel  noch  ärger  treiben.  Der  Mann  kommt  wieder  herein  und 
fährt  mit  einem  Donnerwetter  dazwischen;  auch  jetzt  zeigt  das 
Pärchen  nicht  die  leiseste  Spur  von  Scham.  —  Das  Folgende 
ist  verloren:  wir  sehen,  der  Alte  hat  das  Paar  in  der  Nacht  in 
flagranti  ertappt  und  ist  dabei  von  dem  Roten  auf  den  Tod  ver- 
wundet worden.  Er  läfst  den  Priester  rufen,  beichtet,  verzeiht 
seinen  Mördern  und  stirbt.  Bei  der  Verhandlung  unter  der  Dorf- 
linde, wobei  auch  Ruodlieb  erscheinen  und  Zeugnis  geben  mufs, 
wird  der  Frau,  die  in  Tränen  zerfliefst  und  sich  selber  anklagt, 
das  Leben  geschenkt;  das  Schicksal  des  Roten  scheint  besiegelt, 


Hrotsvits  literarisclie  Stellung.  295 

doch  hält  Kögel  (I  380)  es  *bei  der  grofsen  Humanität  und 
Mildherzigkeit  des  Dichters  nicht  für  unmöglich,  dafs  Ruod- 
liebs  Zeugnis  für  ihn  mildernde  Umstände  erwirkt  habe',  zumal 
dadurch  die  Anklage  auf  Blutschande  widerlegt  worden  sei. 

Soweit  der  Inhalt  in  grofsen  Zügen.  Hier  haben  wir  den 
alten  Ehebruch smimus.  Gleich  die  erste  Szene,  das  Bramarba- 
sieren des  Roten  vor  der  verschlossenen  Tür,  die  Drohung,  die 
Tür  aufzubrechen,  das  kennen  wir  alles  aus  Plautus  (den  natür- 
lich der  Ruodliebdichter  nicht  gekannt  hat),  auch  aus  Terenz' 
Eunuchen  mit  den  Szenen  des  Thraso,  nur  dafs  es  sich  dort 
immer  um  Hetären  handelt,  weil  die  griechische  Komödie,  der 
die  Sujets  entlehnt  sind,  die  Unantastbarkeit  der  Ehefrau  respek- 
tiert. Der  Mimus  dagegen,  in  dessen  Stil  Plautus,  wie  Reich 
noch  ausführen  wird,  die  Komödienstoffe  umsetzt,  der  spielt  in 
ganz  anderen  Kreisen:  da  ist  es  die  Ehefrau,  an  die  sich  der 
geschniegelte  Liebhaber  (cultus  adulter)  heranmacht.  Diesen 
aber  schildert  hier  der  Rote  der  jungen  Bäuerin  in  lebendigem 
Bilde: 

Ich  weifs  dir  einen  jungen  Knaben, 

Er  mag  die  rechte  Gröise  haben, 

Mit  gelben  Locken,  rank  und  schlank, 

Die  Wangen  rot,  das  Auge  blank. 

Dafs  der  so  beschriebene  Liebhaber  hier  nur  in  der  Phantasie 
existiert,  ändert  nichts  daran,  dafs  wir  in  diesen  Worten  sein 
typisches  Konterfei  erhalten;  wie  denn  ja  auch  die  Figur  der 
kuppelnden  Zofe  {cata  carissa)  hier,  bei  der  Vereinfachung  des 
Vorgangs,  eingeht:  hier  ist  der  Rotkopf  eben  beides  zugleich, 
Liebhaber  und  (dem  Scheine  nach)  Gelegenheitsmacher  in  einer 
Person.  Die  sehr  handgreillichen  Scherze  des  Pärchens  sind 
auch  echt  mimisch:  dergleichen  hat  ja  eben  den  ganzen  Mimus 
in  Bausch  und  Bogen  in  Verruf  gebracht.  Und  nun  gar  das 
Astloch,  wodurch  der  Alte  sie  beobachtet;  das  ist  der  alte  Trick 
mit  der  durchbrochenen  Wand. 

Und  noch  eines,  was  in  diesem  Zusammenhang  Beachtung 
verdient.  Die  *cornische',  mit  dem  Ruodlieb  so  eng  verwandte 
Fassung  oder  eine  der  anderen  zunächst  stehenden  kehrt  wieder 
in  der  Legende  des  h.  Nikolaus  von  Patara,  der  1087  nach 
Bari  übertragen  wird  und  nun  im  Fluge  eine  ungeheure  Popu- 
larität gewinnt  über  das  ganze  Abendland  hin.  Ich  meine  die 
Szene  von  den  drei  in  böser  Herberge  ermordeten  Kaufleuten: 
sie  ist  immer  und  immer  wieder  lateinisch,  deutsch,  französisch 
als  Mysterium  bearbeitet  worden,  schon  im  11.  Jahrhundert  in 
Hildesheim.  Hier  haben  wir  wieder  den  grofsen  Kreislauf^  wo 
alles  ineinander  greift,  Mimus,  Märchen  und  Legende,  der  Ruod- 
lieb und  das  Mysterienspiel. 

Zum  Schlufs  die  Gerichtsszene.  Auch  die  ist  ja  altes  Mimen- 


Ö96  Hrotsvits  literarisclie  Stellung. 

inventar.  Im  Ehebruchsmimus  schleppt  der  betrogene  Mann 
den  Liebhaber  vor  Gericht  und  gibt  sich  mit  der  zuerkannten 
Bufse  zufrieden,  damit  alles  fröhlich  ausgehe,  wie  ein  echter 
Mimus  soll.  Im  Giftmischermimus  tritt  einer  der  Richter  her- 
vor und  gibt  sich  als  den  Arzt  zu  erkennen,  der  den  Schlaf- 
trunk hergegeben  hat:  damit  wird  der  Knoten  entwirrt,  der 
Stiefsohn  zugleich  von  der  Anklage  auf  Blutschande  entlastet. 
Im  Ruodheb  hat  sich  der  Rote  durch  sein  frivoles  Geschwätz 
selber  in  den  Verdacht  gebracht,  dafs  die  Bäuerin  seine  Base 
und  mit  ihm  in  verbotenem  Grade  verwandt  sei.  So  hat  sicher 
Ruodliebs  Zeugnis,  was  Kögel  gesehen  hat,  ohne  es  verwerten 
zu  können,  den  Verdacht  der  Blutschande  von  ihm  genommen. 
Und  wenn  Kögel  daran  die  Vermutung  knüpft,  auch  dem  Roten 
sei  es  zuletzt  nicht  an  den  Kragen  gegangen,  so  will  ich  das 
weder  annehmen,  noch  bestreiten;  es  würde  aber  ganz  zu  der 
Natur  des  Mimus  und  seines  mehr  oder  weniger  heiteren 
Schlusses  stimmen. 

Ich  verzichte  darauf,  die  anderen  nur  angedeuteten  Novellen- 
themata ebenso  zu  untersuchen,  und  gehe  lieber  auf  ein  paar 
bisher  ganz  mifsverstandene  Stellen  der  Dichtung  ein,  um  ihnen 
abzufragen,  was  sie  uns  über  Mimen  und  Mimenkünste,  über 
Gaukler  und  Jongleure  zu  sagen  haben. 

Ich  habe  schon  vorhin  Gelegenheit  gehabt,  altes  lateinisches 
Mimengut  gegen  Kögel  zu  schützen,  der  es  ins  Altdeutsche 
'zurückübersetzen'  wollte.  So  will  ich  denn  abermals  einer 
Stelle,  der  Kögel  ganz  ähnlich  mitgespielt  hat,  zu  ihrem  Rechte 
verhelfen.  Es  handelt  sich  um  das  verliebte  Würfelspiel  des 
Junkers  mit  dem  Fräulein  (fragm.  10,  23  ff.): 

Hunc  ea  ter  vicit,  haue  is  totiens  superavit, 

Älterutrim  vidi  gavdentes  omine  pacti, 

Virginia  is  qtiod  erat,  iuvenis  quod  virgo  manebat, 

Non  se  vicisse,  sed  victos  succubuisse. 

Haec  suus,  ille  sua  voeitabantur  vice  versa, 

Mutato  sexu  soloecismi  scemate  facto. 

Also,  wer  im  Spiel  verliert,  soll  dem  anderen  gehören  —  wobei 
nun  jeder  lieber  verlieren  als  gewinnen  will,  und  wobei  es  oben- 
drein gleichgültig  ist,  wer  gewinnt:  zusammen  gehören  sie  auf  alle 
Fälle,  ob  er  gewinnt  oder  sie,  wie  das  praktisch  veranlagte  Fräu- 
lein bei  der  Vermählung  die  Sache  einfacher  umschreibt  (15, 
52  ff.;  weder  Seiler  noch  Kögel  verweist  auf  diese  Parallelstelle). 
Das  Folgende  ist  schwierig.  Kögel  (S.  387)  erklärt  so: 
*[Jm  den  Ausdruck  der  Zugehörigkeit  auf  das  höchste  Mafs  zu 
steigern,  gebraucht  das  Fräulein  beim  Possessiv  dtn  von  sich 
das  Maskulinum  und  er  das  Femininum;  das  eine  geht  gewisser- 
mafsen  völlig  in  der  Person  des  anderen  auf.  Sie  sagt  also: 
ih  bin   dlner,  und  er  ih  bin  diniu.     Wie  es  scheint,  setzt  die 


Hrotsvits  literarisclie  Stellung.  297 

Stelle  das  Liedchen  du  bist  mm,  ih  hin  dtrij  des  solt  du  gewis 
sin  bereits  voraus;  ein  Tegernseer  Schriftsteller  war  es  bekannt- 
lich, der  es  zuerst  aufgezeichnet  hat,'  usw.  Ich  glaube  nicht, 
dafs  es  gut  möglich  ist,  den  Sinn  des  reizenden  Scherzes  ärger 
mifszuvorstehen.  Da  müfste  der  weltkundige  Dichter  des  Ruod- 
lieb  mit  einem  Male  zum  tüftelnden  Grammaticus  geworden  sein. 
Nein,  Kögel  hat  eines  vergessen,  was  den  Schlüssel  zu  allem 
bietet;  er  hat  *daz  sluzzelin  verloren'  ...  Der  Dichter  hat,  wie 
andere  auch  (man  denke  an  Goethe),  seine  Personen  ohne  Namen 
gelassen  und  blofs  als  Typen  hingestellt:  der  Junker,  das  Fräu- 
lein, die  Mutter,  der  König  usw.;  selbst  Ruodlieb  heifst  im  ersten 
Teil  blofs  der  'Ritter'.  Diese  Namenlosigkeit  der  beiden  zwingt 
ihn,  hier  zu  solch  verzweifelten  Umschreibungen  zu  greifen;  der 
soloecismus  soll  die  Leute  nur  auf  den  rechten  Weg  weisen, 
dafs  sie  ihn  bei  diesem  grammatischen  Quodlibet  nicht  für  ver- 
rückt halten.  Wie  die  Stelle  ungefähr  aussehen  würde,  wenn 
das  Mädrhen  und  der  Junker  Namen  trügen,  mag  uns  Gott- 
fried von  Strafsburg  zeigen  (Tristan  V.  1356  tf.  B.): 


stis  wds  er  st  una  st  tvas  er, 
er  tcas  ir,  und  st  was  sin; 
da  Blansoheflür,  da  Riwaltn, 
da  Riwaltn,  da  Blancheflür: 
da  beide,  da  leal  amür. 

Man  sieht  aus  dem  französischen  leal  ämur,  dafs  Gottfried  hier 
genau  seiner  Quelle  folgt,  selbst  im  Reim.  Wir  haben  damit 
also  geradezu  den  vollen  Namenstausch  bei  Liebesleuten  für 
Deutschland  und  auch  für  Frankreich  erwiesen. 

Aber  wir  finden  ihn  noch  bei  einem  dritten,  bei  Shake- 
speare; ja,  ich  bin  fest  überzeugt,  dafs  man,  einmal  aufmerk- 
sam geworden,  noch  gar  mancherlei  hinzufinden  wird,  wie  denn 
mir,  der  ich  weder  Germanist  noch  Anglist  bin,  beide  Parallelen 
bald  nacheinander  rein  zufällig  ins  Garn  gelaufen  sind.  Die 
Stelle  steht  im  Cymbeline,  d.  h.  in  einem  alten  Mimus  —  und 
dies  ist  wichtig.  Posthumus  sagt  beim  Ringtausch  (auch  der 
kommt  ganz  ebenso  in  unserer  Ruodliebszene  vor:  9,  62  ff.), 
Absch  ed  nehmend,  zu  Imogen  (I  2): 

und,  Süfse,  Holde, 
wie  ich  mein  armes  Selbst  für  dich  vertauschte, 
zu  deinem  schlimmsten  Nachteil,  so  gewinn'  ich 
sogar  bei  diesem  Tand. 

Hier  steckt  nicht  irgendwelche  allgemeine  Liebesphrase,  sondern 
ein  ganz  fest  bestimmter  Vorgang,  den  der  Dichter  seinem 
Pul)likum  sogar  blofs  anzudeuten  braucht:  Posthumus  und 
Imogen  haben  den  Namen  (und  damit  die  Person)  ausgetauscht, 
so  dafs  Imogen  dadurch  zu  Posthumus  geworden  ist  —  ein 
schlechter  Tausch  für  sie,  meint  er  galant. 


298  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Sollte  ein  solcher  Namenstausch  allerorten  im  wirklichen 
Leben  des  Mittelalters  und  noch  soviel  später  zu  den  land- 
läufigen Tändeleien  verliebter  Leutchen  gehört  haben?  Ich  kann's 
nicht  glauben.  Dergleichen  liegt  doch  eigentlich  weit  vom  Wege 
ab,  und  z.  B.  Weinhold  in  den  deutschen  Frauen  im  Mittelalter 
scheint  davon  nichts  zu  wissen.  Wohl  aber  mufs  es,  wie  die 
Beschaffenheit  der  drei  Quellen  zeigt,  im  Mimus  gang  und  gäbe 
gewesen  sein.  Cymbeline  ist,  wie  Reich  noch  im  einzelnen  be- 
weisen wird,  der  alte  Giltmischermimus.  Der  Ruodlieb  lebt 
geradezu  vom  Mimus  und  bietet  ganz  dieselbe  Szene  wie  Shake- 
speare! Die  altfranzösischen  Tristandichtungen  endlich  sind  von 
den  mimischen  Fabliaux  nicht  zu  trennen  und  haben  sogar  ein- 
mal, wie  W.  Golther^  scharfsinnig  bemerkt  hat,  im  Reinigungs- 
eide Tristans  ein  altes  Mimenmotiv  übernommen,  das  sich  sonst 
nur  noch  in  dem  Roman  des  Achilles  Tatius  findet.  Und 
wenn  uns  das  alte  du  bist  min,  ich  hin  diu  noch  heute  so  ver- 
traut anheimelt  und  weit  verbreitet  ist  im  deutschen  Mittel- 
alter und  darüber  hinaus,  wie  es  denn  auch  Gottfried  mit  dem 
Namenstausch  verbindet,  so  darf  uns  das  nicht  irre  machen. 
Das  eine  lag  dem  natürhchen  Gefühl  nahe  und  stammt  über- 
dies vielleicht  aus  einer  volkstümhchen  Rechtsformel ;  ^  das  andere 
ist  ein  Bühnentrick,  das  zarte  Gegenstück  zu  dem  anderen, 
derbkomischen  Motiv  der  Menaechmen  und  des  Amphitruo,  dafs 
einem  sein  eigenes  Ich  vor  der  Nase  wegdisputiert  wird.  Der- 
gleichen gehörte  eben  mit  dem  unvermeidlichen  Versprechen 
und  Verwechseln  zum  Mimus,  wie  das  Süfsholzgeraspel  Ver- 
liebter zum  eisernen  Bestände  der  Posse  gehört. 

Noch  eine  andere  Stelle  bedarf  der  Untersuchung;  auch 
sie  wird  sich  für  diese  ganze  Betrachtung  wichtig  erweisen. 
Die  Edeldame  geht  mit  ihrer  Tochter  und  den  Gästen  auf  die 
Strafse,  wo  gerade  Harfner  Qiarpatores)  spielen.  Allein  selbst 
ihr  Meister  spielt  so  schlecht,  dafs  Ruodlieb  die  Edelfrau  um 
eine  Harfe  bittet  und  nun  drei  nagelneue  Tanzmelodien  spielt: 
die  Harfner  stehen  beschämt  dabei  und  sperren  Nase  und  Mund 
auf.  Zum  Schlüsse  wollen  das  Fräulein  und  der  Junker  tanzen, 
und  nun  gibt  Ruodlieb  noch  ein  viertes  Stück  zu  (fragm.  9,  46  f.). 

Quartum  poscit  hera  faceret,  petit  et  sua  nata, 
eitcs  contribulis  qtiem  saltaret  vel  herilis. 
qtiem  per  systema  sive  diastema  dando  responsa 
dum  mirdbiliter  operareturve  deeenter, 
surrexit  iuvenis,  quo  contra  surgit  herilis. 
nie  velut  faleho  se  gyrat,  et  haec  ut  hirundo; 
ast  ubi  conveniunt,  citius  se  praeteriebant : 
is  se  movisse,  sed  cernitur  illa  natasse, 


*  Die  Sage  von  Iristan  und  Isolde,  S.  14. 

2  J.  Bolte,  Zs.  f.  dt  Altertum  31,  161  (Nachtrag  im  Anz.  17,  343). 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  299 

neuirum  saltasse,  neumas  manihus  variasse 
nemo  corrigere  quo  posset,  si  voluisset. 
tunc  Signum  dederant,  ihi  multi  quod  dolueruni, 
deponendo  manus,  ßnittcs  sit  quia  rhythmvs. 

Die  Stelle  ist  von  Seiler  in  der  Einleitung  S,  103  besprochen 
worden,  aber  die  Hauptsache  hat  er  nicht  begriffen.  Es  soll 
ein  Fortschritt  der  ritterlichen  Kultur  sein,  dafs  der  Ritter  die 
Spielleute  *durch  Lieblichkeit  des  Spiels,  durch  kunstreiche 
variamina  und  vor  allem  durch  die  Neuigkeit  seiner  Rhythmen' 
aussticht;  der  Tanz  soll  ein  Typus  des  Einzeltanzes  in  der  vor- 
nehmen Welt  sein.  —  Bei  dieser  Auffassung  geht  alles  verloren. 
Wir  dürfen  diese  ganze  Szene  nicht  lür  sich  allein  betrachten, 
wir  müssen  sie  einreihen  unter  die  grofse  Zahl  der  mimischen 
Tiertänze. 

Erst  aber  möchte  ich  die  ganze  Stelle  deutsch  so  wieder- 
geben, wie  sie  hoffenthch  bald  in  meinem  Dichterbuch  zu  lesen 
stehen  wird,  worein  ich  auch  den  ganzen  Ruodlieb  aufnehme. 
Wir  haben  hier  ein  mittelalterliches  Gegenstück  zu  der  grofsen 
Szene  in  Lenaus  Faustdichtung,  wo  Mephisto  in  Jägerkleidung 
bei  der  Bauernhochzeit  zum  Tanz  aufspielt.  Lenau  war  ja  selber 
ein  Meister  des  Geigenspiels:  um  so  höher  ist  es  anzuschlagen, 
dafs  der  Dichter  des  Ruodlieb  neben  ihm  bestehen  kann.  Die 
Worte  per  systema  sive  diastema  dando  responsa  sind  schwierig; 
sie  müssen  wohl  ungefähr  das  bedeuten,  was  Heyne  gibt:  *ein 
kunstvoll  Vorspiel  voller  schwerer  Läufe';  nur  liegt  noch  mehr 
darin.  Durch  den  Charakter  des  Vorspiels  mit  seinem  systema 
und  diastema  bezeichnet  er  den  beiden  das  Thema  und  ihre 
Rollen,  die  sie  auch  sofort  begreifen  und  verständnisvoll  aus- 
iühren;  das  Haschen  und  Fliehen  mufs  in  dem  Ausdruck  sym- 
bolisch angedeutet  sein.  Ich  habe  das  mehr  in  die  Schilderung 
des  Tanzes  hineingearbeitet  ('bald  laut,  bald  leise'),  diesen  über- 
haupt ganz  frei  übersetzt  und  meine,  dafs  hier  noch  viel  weniger 
als  sonst  auf  die  Worte  ankommt,  dafs  unsere  Aufgabe  ohne 
Rest  gelöst  ist,  wenn  das  Bild  greifbar  vor  uns  steht  und  der 
Eindruck  erzeugt  wird,  den  der  Dichter  erzeugen  wollte. 

Der  Ritter  und  der  Neffe  sein 
geh'n  mit  den  Damen  auf  die  Gassen, 
wo  Harfner  grad'  sich  hören  lassen. 
Ihr  Meister  spielt;  allein,  o  je, 
dem  Ritter  tun  die  Ohren  weh 
von  seinem  Kratzen,  und  er  spricht 
zur  Edelfrau:  'Habt  ihr  hier  nicht 
selbst  eine  Harfe?'    'Freilich,  ja,' 
erwidert  sie;  *'8  ist  eine  da, 
die  gibt  gar  wundervollen  Klang. 
Mein  Mann  darauf  zu  spielen  pflag; 
dann  ward  ums  Herz  mir  froh  und  bang  — 
jetzt  schweigt  sie  über  Jahr  und  Tag, 


300  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

seit  meines  lieben  Mannes  Tode: 

die  steht  euch,  wollt  ihr's,  zu  Gebote.' 

Rasch  bringt  man  sie  zur  Stelle, 
er  nimmt  und  stimmt  sie  schnelle, 
greift  in  die  Saiten  hin  und  wider 
und  spielt  die  allerschönsten  Lieder. 
Er  hält  den  Takt  so  akkurat, 
wer  niemals  je  den  Reihen  trat, 
begreift  es  dennoch  gleich  im  Nu; 
die  Harfner  hören  staunend  zu, 
die  erst  so  unverfroren  waren. 
Er  spielt  geschickt  und  wohlerfahren 
drei  nagelneue  Melodien. 
Allein  die  Damen  bitten  ihn 
zum  vierten  noch  um  einen  Reihen: 
es  möchten  tanzen  gern  zu  zweien 
das  Fräulein  und  der  junge  Mann; 
er  tut's  und  fängt  von  neuem  an. 

Da  hebt  sich  der  Junker,  es  hebt  sich  die  Magd, 
ein  Suchen  und  Flieh'n,  bald  laut,  bald  leise, 
ein  Heben  und  Schweben  in  weitem  Kreise, 
wie  wenn  der  Falke  die  Schwalbe  jagt. 
Jetzt  holt  er  sie  ein:  es  ist  zu  Ende, 
er  fafst  sie  —  doch  nein:  sie  entflattert  behende. 
Schon  wieder,  schon  wieder,  er  stöfst  aufs  neue 
aus  der  Höhe  nieder:  bang  fitticht  die  scheue. 
Fürwahr,  im  Tanzen  ihre  Kunst 
erwürbe  jedes  Richters  Gunst. 
Nun  hat  der  Tanz  ein  Ende; 
da  senken  sie  die  Hände  — 
das  war  wohl  manchem  schier  zu  Leide. 

Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  Lenau  daneben  zu  stellen. 
Ganz  die  gleiche  Situation:  wie  die  Harfner  gegen  Ruodlieb,  so 
sind  die  Spielleute"  in  der  Dorfschenke  arme  Stümper  gegen 
Mephistopheles.  Ich  glaube  kaum,  dafs  an  Lenaus  Ausmalen 
des  musikalischen  Eindrucks,  soviel  man  suchen  mag,  ein  an- 
derer näher  heranreicht  als  der  alte  Ruodliebdichter,  wenn  es 
auch  bei  ihm  erst  knospenhafte  Ansätze  sind. 

'Ihr  lieben  Leutchen,  euer  Bogen 
ist  viel  zu  schläfrig  noch  gezogen  I 
Nach  eurem  Walzer  mag  sich  drehen 
die  sieche  Lust  auf  lahmen  Zehen, 
doch  Jugend  nicht,  voll  Blut  und  Brand. 
Reicht  eine  Geige  mir  zur  Hand, 
's  wird  geben  gleich  ein  andres  Klingen 
und  in  der  Schenk'  ein  andres  Springen!' 

Der  Spielmann  dem  Jäger  die  Fiedel  reicht, 
der  Jäger  die  Fiedel  gewaltig  streicht. 
Bald  wogen  und  schwinden  die  scherzenden  Töne 
wie  selig  hinsterbendes  Lustgestöhne, 
wie  süfses  Geplauder,  so  heimlich  und  sicher, 
in  schwülen  Nächten  verliebtes  Gekicher. 
Bald  wieder  ein  Steigen  und  Fallen  und  Schwellen; 
so  schmiegen  sich  lüsterne  Badeswellen 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  801 

um  blühende,  nackte  Mädchengestalt. 

Jetzt  gellend  ein  Schrei  ins  Gemurmel  schallt: 

das  Mädchen  erschrickt,  sie  ruft  nach  Hilfe, 

der  Bursche,  der  feurige,  springt  aus  dem  Schilfe. 

Da  hassen  sich,  fassen  sich  mächtig  die  Klänge 

und  kämpfen  verschlungen  im  wirren  Gedränge. 

Die  badende  Jungfrau,  die  lange  gerungen, 

wird  endlich  vom  Mann  zur  Umarmung  gezwungen. 

Dort  fleht  ein  Buhle,  das  Weib  hat  Erbarmen, 

man  hört  sie  von  seinen  Küssen  erwarmen. 

Jetzt  klingen  im  Dreigriff  die  lustigen  Saiten, 

wie  wenn  um  ein  Mädel  zwei  Buben  sich  streiten; 

der  eine,  besiegte,  verstummt  allmählich, 

die  liebenden  beiden  umklammern  sich  selig, 

im  Doppelgetön  die  verschmolzenen  Stimmen 

aufrasend  die  Leiter  der  Lust  erklimmen. 

Und  feuriger,  brausender,  stürmischer  immer, 

wie  Männergejauchze,  Jungferngewimmer, 

erschallen  der  Geige  verführende  Weisen, 

und  alle  verschlingt  ein  bacchantisches  Kreisen. 

Wie  närrisch  die  Geiger  des  Dorfs  sich  gebärden! 

sie  werfen  ja  sämtlich  die  Fiedel  zur  Erden! 

Der  zauberergriffene  Wirbel  bewegt, 

was  irgend  die  Schenke  Lebendiges  hegt.* 

Mit  bleichem  Neide  die  dröhnenden  Mauern, 

dafs  sie  nicht  mittanzen  können,  bedauern. 

Vor  allem  aber  der  selige  Faust 
mit  seiner  Brünette  den  Tanz  hinbraust; 
er  drückt  ihr  die  Händchen,  er  stammelt  Schwüre 
und  tanzt  sie  hinaus  durch  die  offene  Türe. 
Sie  tanzen  durch  Flur  und  Gartengänge, 
und  hinterher  jagen  die  Geigenklänge; 
sie  tanzen  taumelnd  hinaus  zum  Wald, 
und  leiser  und  leiser  die  Geige  verhallt. 
Die  schwindenden  Töne  durchsäuseln  die  Bäume 
wie  lüstern  schmeichelnde  Liebesträume. 
Da  hebt  den  flötenden  Wonneschall 
aus  duftigen  Büschen  die  Nachtigall, 
die  heifser  die  Lust  der  Trunkenen  schwellt, 
als  wäre  der  Sänger  vom  Teufel  bestellt.* 
Da  zieht  sich  ni^er  die  Sehnsucht  schwer. 
Und  brausend  verschlingt  sie  das  Wonnemeer. 

Wir  kehren  zum  Ruodlieb  zurück  und  fragen  nunmehr: 
ist  die  Szene  so,  wie  der  Dichter  sie  mit  hoher  Kunst  ge- 
schaffen, wirklich  ein  getreues  Bild  jener  Tage?  und,  wenn 
nicht,  welches  ist  der  Punkt,  von  dem  wir  ausgehen  müssen, 
um  zur  Klarheit  durchzudringen?  Die  Szene  ist  ein  mimischer 
Tiertanz.     Ich  verweise   für  den  Tiertanz   im   allgemeinen   auf 


*  Beiläufig,  dieses  Motiv  in  Lenaus  Faust  (erschienen   1836)  ist  an- 

Siregt  durch  Heines  Salon  II  (erschienen  1834;  bei  Elster  4,  172,  der 
eines  Quelle  nachweist).  Die  älteste  Quelle  scheint  Grofs,  Basler  Chronik, 
die  ich  dafür  zufällig  in  Joh.  v.  Müllers  Qes.  Sehr.  21,  24  (Nr.  222)  an- 
geführt finde. 


302  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

die  gelehrten  und  scharfsinnigen  Auseinandersetzungen  Reichs 
(I  476  ff.)-  Er  geht,  zur  Erklärung  der  aristophanischen  Chor- 
tänze, von  den  primitiven  Völkern  aus.  So  ahmen  die  Australier 
in  ihren  Tänzen  Schmetterlinge,  Frösche,  Känguruhs,  die  Damara 
in  Südafrika  das  Nilpferd,  die  Herero  den  Pavian  in  Bewegungen 
und  Stimme  naturgetreu  nach.  Vogeltänze  sind  bei  den  Eskimos 
übhch,  in  Japan  ein  Rebhuhntanz  der  Frauen,  dort  auch  Löwen- 
und  Fuchstänze:  und  zwar  sind  es  Solotänze  der  Gaukler,  keine 
Chortänze  des  Pubhkums.  Anderswo  maskieren  sich  die  Tänzer 
geradezu  als  Löwen,  Bären  oder  Büffel.  Reste  dieser  Tänze  finden 
sich  nun  auch  im  griechisch-römischen  Altertum  und  im  abendlän- 
dischen Mittelalter,  wie  Reich  selber  (S.  491,  Anm.  1)  erwähnt. 

Damit  ist  sodann  auch  klar,  dafs  dieser  Tiertanz  eigentlich 
kein  Tanz  der  vornehmen  Gesellschaft  sein  kann.  Und  es  ist 
kein  Zufall,  dafs  wir  in  derselben  Szene  die  Mimen  oder  Harfner 
haben:  diese  fahrenden  Leute  als  Zuschauer  der  sich  in  Spiel 
und  Tanz  produzierenden  Ritterbürtigon!  Das  ist  keine  hoch- 
entwickelte Kunstübung  im  Ritterstande,  sondern  bare  Umkeh- 
rung der  Verhältnisse  des  wirklichen  Lebens.  Diese  hat  frei- 
lich ihren  guten  Grund.  Eigentlich  sollten,  wie  bei  Amarcius, 
die  Mimen  als  Harfaer  und  Tänzer  die  Edelleute  unterhalten; 
aber  es  sind  hier  so  jämmerliche  Repräsentanten  ihres  Standes, 
dafs  es  eine  Qual  ist,  ihnen  zuzuhören.  So  zeigt  ihnen  Ruod- 
lieb,  der  natürlich  wie  ein  richtiger  Romanheld  von  heutzutage 
alles  kann,  wie  sie  es  machen  sollen.  Und  wenn  Ruodlieb  über 
alle  Fähigkeiten  verfügt,  so  geht  es  dem  Junker  und  dem  Edel- 
fräulein  natürlich  ebenso.  Dafs  dabei  eigentlich  ein  unmögliches 
Bild  herauskommt,  hat  der  Dichter  freilich  im  Eifer  des  Ge- 
fechtes übersehen.  Aber  —  Hand  aufs  Herz  —  ist  das  moder- 
nen Romandichtern  nicht  viel  öfter  und  viel  schlimmer  passiert? 

Auch  sonst  macht  dem  Dichter  alles  Mimen-  und  Gaukel- 
wesen, alles  was  Tiere  und  ihre  Kunststücke  angeht,  von  Herzen 
Spafs.  Ihn  freuen  die  jungen  Stare  und  das  dozierende  Staren- 
fräulein, das  dem  jungen  Gesindel  das  Vaterunser  beibringt 
(*bis:  der  du  bist  im  Himmel  —  Himmel  —  Himmel'  . . .),  die 
Dohlen  mit  ihrer  gelösten  Zunge,  die  alles  aufschnappen  und 
auf  der  Stelle  nachplappern;  vor  allem  aber  haben  es  ihm  die 
Bären  mit  ihren  Tanzkünsten  angetan,  und  hier  haben  wir  aufs 
schönste  wieder  einmal,  durch  ausdrückliches  Zeugnis,  die  Spiel- 
leute, die  mimi.  Unter  den  Geschenken,  die  der  besiegte  König 
dem  Sieger  anbietet,  ist  (5,  81  ff.): 

Von  Bären  auch  ein  Zwillingspaar, 

Die  Pranken  schwarz,  sonst  weifs  wie  Schnee. 

Sie  heben  Eimer  in  die  Höh', 

Und  auf  zwei  Beinen  geh'n  sie  schier 

Daher  wie  Menschen  mit  Manier. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  803 

Und  greift  der  Spielmann  in  die  Saiten, 

Gelehrig  nach  dem  Takt  sie  schreiten; 

Sie  hopsen,  überschlagen  sich 

Dazwischen  wohl  und  tragen  sich, 

Wie's  trifft,  auch  huckepack  einand'. 

Sie  balgen  sich,  bis  in  aen  Sand 

Der  eine  stürzt.    Und  wenn  die  Geigen 

Aufspielen  einen  lust'gen  Reigen 

Und  jodelnd  sich  die  Weiber  dreh'n, 

Da  mögen  sie  nicht  stille  steh'n; 

Sie  treten  ein  an  ihrem  Platze, 

Flink  fassen  Pätschchen  sich  und  Tatze, 

Sie  stapfen  mit  ohn'  Unterlafs 

Und  brummen  in  vergnügtem  Bafs. 

Man  staunt  und  lacht,  ob  auch  die  Tatzen 

Mal  hin  und  wieder  unsanft  kratzen  . . . 

Nach  Seiler  (S.  105)  soll  diese  Schilderung  freilich  *ins  Fabel- 
hafte' übergehen.  'Fabelhaft'  heifst  dann  auch  Ruodliebs  Hund 
(13,  60  ff.),   der  jeden  Dieb   erkennt  und  nur  das  nimmt,  was 

sein  Herr  ihm  reicht; 

fällt  was  daneben, 
Kommt's  ihm  nicht  bei,  das  aufzuheben. 
Sagt  man:  'Ein  Schelm  hat  dies  Gericht 
Gekocht',  so  nimmt  der  Hund  es  nicht; 
Und  wenn  er's  schon  im  Maule  hält, 
Gewifs  es  gleich  zur  Erde  fällt. 
Nun  gingen  heut  verloren 
Dem  Ritter  ein  Paar  Sporen  — 
Die  hat  der  Truchsefs  ihm  gestohlen. 
Wie  der  jetzt  kommt,  die  Teller  holen, 
Sieht  ihn  der  Hund  erst  grimmig  an, 
Dann  fährt  er  los  mit  scharfem  Zahn 
Und  hätt'  ihn  bös'  ins  Bein  gebissen, 
Wenn  man  ihn  nicht  zurückgerissen. 
Der  Ritter  lacht.    Den  andern  all 
Scheint  dies  ein  rätselhafter  Fall. 
Die  Frau  sagt:  'Ich  begreife  nicht, 
Was  will  das  Tier?'    Der  Ritter  spricht: 
'Hier  euer  Truchsefs  ist  der  Dieb; 
Das  weifs  der  Hund.     Wohlan  denn,  gib 
Nur  wieder,  Freund,  was  du  genommen; 
Sonst  könnt'  es  leicht  dir  schlecht  bekommen.' 
Der  Truchsefs  drückt  sich  schnelle 
Und  schafft  sie  her  zur  Stelle: 
'Die  nahm  ich  euch  vom  Sattel  fort; 
Es  war  kein  Menschenkind  am  Ort 
Zugegen  —  weifs  es  euer  Hund, 
So  tat  es  ihm  der  Teufel  kund!' 
'Lafs  seh'n,  wem  er  sie  bringen  wird!' 
Der  wirft  sie  hin;  er  apportiert 
Die  Sporen  ihrem  Herrn  behende. 
Noch  ist  das  Kunststück  nicht  zu  Ende: 
'Nimm  sie  und  bringe  sie  dem  Hans.' 
Er  tut's  und  wedelt  mit  dem  Schwanz. 
'Mach  vor  dem  Dieb  nun  Reu'  und  Leid, 
Bitt'  ab,  damit  er  dir  verzeiht.' 


304  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Er  streckt  sich  hin,  wie' ihm  geboten, 
Die  Schnauze  legt  er  auf  die  Pfoten 
Und  heult  und  winselt  jämmerlich, 
Zum  Steinerweichen.    *So,  jetzt  sprich, 
Ihr  wollet  gut  sein  wie  zuvor.' 
Laut  bellend  springt  der  Hund  empor. 
Bedankt  sich  schön  im  ganzen  Saai. 
Der  Eitter  drauf:  'Jetzt  nehmt  einmal 
Den  Dieb,  zum  Scheine  blofs,  beim  Kragen 
Und  tut,  als  wolltet  ihr  ihn  schlagen.' 
Sie  tun  es:  *Ei,  du  schlimmer  Wicht!' 
Allein  der  Hund,  der  leidet's  nicht. 
Springt  wütend  auf  die  beiden  ein. 
Den  Dieb  von  ihnen  zu  befrei'n, 
Dieweilen  der  sein  Freund  nun  heilst; 
Macht  ihn  von  ihnen  los  und  beifst 
Sie  in  die  Waden.     Alles  staunt, 
Manch  einer  lacht  auch  gut  gelaunt. 

Das  also  nennt  Seiler  '^fabelhaft',  und  Kögel  bemüht,  nicht  ohne 
Kopfischütteln,  Fausts  Hund  Praestigiar.  Beide  haben  leider  die 
ganze  Schilderung  lediglich  durch  die  gelehrte  Brille  gesehen: 
nicht  *fabelhaft'  ist  es,  sondern  es  sind  Zirkustricks  —  was  heute 
bei  uns  der  Zirkus  ist,  das  sind  eben  für  das  Mittelalter  die  Mimen, 
die  Gaukler,  Jongleure  und  Tierbändiger.  Der  Trick  mit  dem 
Hunde,  der  den  Dieb  erkennt,  soll  'fabelhaft'  sein;  dann  ist, 
von  dem  Hunde  im  Giftmischermimus  ^  und  dem,  vor  dem  Goethe 
weichen  mufste,  und  von  dem  'klugen  Hans'  zu  schweigen,  wohl 
auch  das  fabelhaft,  was  E.  Förster  -  Nietzsche  so  hübsch  in  der 
Biographie  ihres  Bruders  erzählt  (I  49)?  Zuletzt  machte  der 
Zirkusdirektor  ein  Späfschen:  er  meinte,  Orest  und  Pylades 
wären  so  kluge  Pferdchen,  sie  könnten  jedem  in  die  Seele  sehen, 
so  sollten  sie  jetzt  zeigen,  wer  der  faulste  und  durchtriebenste, 
und  dann,  wer  der  fleifsigste  und  klügste  Junge  sei.  Darauf 
ging  Orest  zu  einem  kleinen  Burschen,  der  allseitig  als  ein 
notorischer  Strick  bekannt  war,  und  scharrte  vor  seinem  Platz 
etwas  verächtlich;  aber  Pylades  stand  vor  unserem  Fritz  still 
und  verneigte  sich  ehrfurchtsvoll  dreimal.  Ein  Jauchzen  er- 
füllte den  engen  Raum,  all  die  kleinen  Mitschüler  meines  Bru- 
ders verkündeten  jubelnd:  *Das  ist  wahr!'  und  unsere  Dienerin, 
die  gute  Mine,  ergriffen  von  der  Gröfse  des  Augenblicks,  rief 
schluchzend  ein  über  das  andere  Mal:  *Er  ist  der  beste  Junge 
von  der  Welt!'  —  Also  auch  das  'fabelhaft'  —  ?  Nein,  der 
Fehler  des  Dichters  ist  wieder  blofs,  dafs  er,  der  ein  höfisches 
Rittergedicht  schreibt,  all  diese  Dinge,  die  er  aus  dem  Leben 
des  Volkes  und  seiner  guten  Freunde,  der  fahrenden  Leute  und 
Gaukler,   nimmt,  in  höfische  Kreise  verpflanzt.     Mit  dem  Prae- 


*  Reich,  Der  Mimus,  S.  587. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  305 

stigiar  aber  hat  Ruodliebs  Hund  allerdings  eine  gewisse  Ver- 
wandtschaft. Denn  Faust  selber  ist  als  Zauberer  und  Hexen- 
meister der  richtige  alte  S-av/naroTioiogy  wie  er  leibt  und  lebt, 
und  es  war  nicht  mehr  als  billig,  dafs  er  selbst  eine  Mimen- 
figur, dafs  er  zum  Helden  des  Puppenspiels  wurde.  So  kommt 
denn  auch  sein  Praestigiar  zu  Ehren:  er  ist  der  dressierte  Hund 
des  Zauberkünstlers,  und  wenn  man  dies  alles  zusammennimmt, 
wird  man  sich   über  die  Ähnhchkeiten  nicht  grofs  verwundern. 


7.   Hrotsvits  Legenden. 

Nun  endlich  können  wir  uns  wieder  zu  Hrotsvit  wenden. 
Ihre  Dichtungen  zerfallen  schon  handschriftlich  in  drei  grofse 
Gruppen:  Legenden,  Dramen,  historische  Gedichte.  So  hat  schon 
sie  selber  abgeteilt.  Aber  wer  tiefer  sieht  und  ihr  ganzes 
Lebenswerk  überschaut,  wird  anders  urteilen  als  sie  damals, 
sicher  noch  vor  den  Primordia,  vielleicht  sogar  vor  den  Gesta 
Oddonisj  getan  hat.  Er  wird  in  ihrer  Arbeit  zwei  Epochen 
scheiden,  und  wieder  innerhalb  jeder  eine  Zeit  des  Suchens 
und  Tastens  und  eine  der  Vollendung  und  Erfüllung.  Sie  wählt 
zuerst  Stoffe  der  Legende,  dann  Stoffe  der  Geschichte;  und  dieser 
zunächst  rein  äufserliche  Gesichtspunkt  hat  hier  viel  zu  be- 
deuten. 

Wer  Legenden  dichterisch  bearbeitete,  der  war  durch  die 
altchristliche  Dichtung,  durch  Prudenz  vor  allen,  auch  durch 
Fortunat,  Paulin  und  ihre  karolingischen  Nachfahren,  an  epische 
Behandlung  gewiesen.  Und  so  hat  denn  auch  Hrotsvit  schlecht 
und  recht  begonnen  mit  versifizierten  Legenden.  Wie  sie  zuerst 
gearbeitet  hat,  kann  die  sorgsame  Analyse  ihrer  Mariendichtung 
zeigen,  die  K.  Strecker  gegeben  hat.  Sie  ist  aber  sehr  bald 
fortgeschritten.  Nach  den  ersten,  streng  anschliefsenden  Ver- 
suchen in  Maria  und  Himmelfahrt  bewegt  sie  sich  schon  im 
Gongolf  und  Pelagius  freier.  Hier  wandert  sie  nicht  mehr  auf 
staubiger  Strafse  mit  gebundener  Marschroute,  sondern  erlaubt 
sich  allerlei  Allotria.  Im  Gongolf  schreibt  sie  carmine  compto, 
d.  h.  in  Distichen;  sie  will  eben  zeigen,  was  sie  gelernt  hat: 
ich  kann  auch  auf  Stelzen  gehen  wie  ihr,  wenn  ich  einmal 
will  . . .  Diese  Künstelei  bei  unflügger  Technik  verleidet  einem 
heute  die  Lektüre  des  Gongolf.  Aber  sie  hat  durch  den  Zwang, 
Gedanken  und  Versmafs  halbwegs  in  Einklang  zu  setzen,  die 
Dichterin  von  der  einschnürenden  Fessel  der  Vorlage  freigemacht 
und  ihr  den  Weg  zu  sich  selber  gewiesen. 

Der  Gongolf  ist  die  erste  Dichtung,  worin  Hrotsvit  zeigt, 
dafs  sie  Humor  besitzt.  Da  ist  die  prächtige  Schilderung  des 
dreihärigen   Kerls,    der    seinen   Herrn   vor    allem    Gesinde    als 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  20 


806  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Dummkopf  blamieren  will  und  schliefsiich,  nachdem  er  selbst 
im  Sande  herumgeleckt  hat,  um  eine  Spur  der  verschwundenen 
Quelle  zu  entdecken,  trotz  all  seines  guten  Willens  selber  der 
blamierte  ist.  Diese  Schilderung  gehört  ganz  und  gar  der  Dich- 
terin ;  die  Legende  berichtet  die  nackte  Tatsache  ohne  jede  Spur 
von  Humor.  Schon  ehe  Reichs  Buch  erschien,  hatte  ich  dieses 
hübsche  Stück  übertragen  und  zwar,  rein  instinktiv,  einem  dunk- 
len Gefühl  folgend,  in  der  Weise,  dafs  ich  es  in  den  Ton  der 
Spielmannsmäre  umsetzte,  d.  h.  noch  etwas  weiterging  auf  der 
von  Hrotsvit  betretenen  Bahn.  Ich  habe  dabei  nirgend  aus 
eigenem  zugesetzt,  wohl  aber  hier  und  da  abgekürzt,  wenn  ich 
den  Eindruck  hatte,  dafs  Hrotsvit  sich  nur  in  den  Maschen 
ihres  selbstgestrickten  Netzes  wider  Wunsch  und  Willen  ver- 
heddert habe.  Blofs  die  Schlufspointe,  vor  der  sich  die  fromme 
Nonne  trotz  aller  Schalkhaftigkeit  wahrscheinlich  bekreuzt  und 
gesegnet  haben  würde,  mufste  ich  hinzutun: 

Was  alles  nicht  ein  heil'ger  Mann 
In  seine  Tasche  stecken  kann  . . . 

Ich  glaube,  es  war  mein  gutes  Recht,  so  zu  verfahren:  der 
Knecht  ist  der  echte  Typus  des  mimischen  stupidus,  und  die 
Legende  von  der  Quelle  lebt  noch  heute,  schwerlich  ohne  Zutun 
der  Mimen,  im  Hessenlande  fort,  wo  sie  an  eine  Belagerung  des 
Milsburger  Riesen  angeknüpft  und  mit  einem  Zuge  aus  der 
Alexandersage  verbrämt  worden  ist.^ 

Geradezu  genialen  Blick  für  das  Dramatische,  dem  sie  nur 
selber  noch  nicht  zu  vertrauen  wagt,  bewährt  die  Dichterin  mit 
der  Wahl  ihres  nächsten  Stoffes,  des  Theophilus.  Hier  haben 
wir,  episch  noch  und  im  Puppenzustand,  die  Faustdichtung. 
Und  als  wäre  sie  sich  bewufst,  wie  ihr  eigenstes  Talent  sich 
gerade  an  diesem  Stoffe  bewähren  könnte,  und  doch  wieder  in 
der  alten  Form,  folgt  ein  zweiter  Teufelsbund,  die  Legende  des 
h.  Basilius,  der  den  Knecht  des  Proterius  aus  den  Klauen  des 
Teufels  rettet.  Sie  mag  es  empfunden  haben,  dafs  mit  dem 
Theophilus  eigenthch  nur  die  eine  Seite  des  Themas  erledigt 
war:  der  Teufelsbund  aus  Begierde  nach  Macht  und  weltlicher 
Ehre.  Hier  tritt,  in  der  Basiliuslegende,  das  andere  Motiv  her- 
vor, die  Liebe,  die  den  Knecht  zu  der  Tochter  seines  Herrn 
ergreift,  die  vom  Vater  fürs  Kloster  bestimmt  ist.  Das  dritte 
Motiv  aber,  das  erst  hinzutreten  mufste,  um  uns  den  Faust  zu 
geben,  der  unstillbare  Wissensdurst,  konnte  bei  ihr  noch  keinen 
Ausdruck  finden;  haben  doch  erst  viel  spätere  Zeiten  die  Per- 
sönlichkeit Gerberts  so  aufgefafst. 


*  J.  W.  Wolf,  Hessische  Sagen,  Nr.  208;   Deutsche  Sagen  und  Sitten, 
in  hessischen  Gauen  gesammelt  von  K.  Lyncker,  Nr.  121. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  307 

Es  ist  interessant,  zu  sehen,  dafs  sich  bei  dieser  Legende 
das  gleiche  Schauspiel  wiederholt  wie  beim  Gongolf.  Sie  lebt 
in  den  Niederlanden  fort,*  nicht  als  Basiliuslegende,  sondern  es 
ist  ein  Knecht  aus  Nederbrakel,  der  von  seinem  Pfarrer  ge- 
rettet wird ;  aber  die  Übereinstimmung  des  Schlusses  ist  so  frap- 
pant, dafs  kein  Zweifel  bestehen  bleiben  kann.  Und  dort  am 
Niederrhein  hat  es  wirklich  einst  einen  mimischen  Spielmanns- 
leich  über  dieses  Thema  gegeben.  Und  wenn  wir  fragen,  woher 
das  alles  kommt,  so  ergiebt  sich  uns  mit  einem  Schlage  die 
Lösung. 

Im  Basihus  hat  Hrotsvit  zum  erstenmal  ihren  Stoff  aus 
einem  Buche  geschöpft,  das  vor  allen  anderen  novellistischen 
Stoff  enthielt  und  weitergegeben  hat:  aus  den  Vitae  patrum. 
Wir  werden  ihnen  in  den  Dramen  noch  wieder  begegnen  und 
dort  die  Natur  der  betreffenden  Stoffe  zu  prüfen  haben.  Die 
Viiae  patrum  haben  aber  auch  den  Mimen  und  Erzählern  von 
jeher  viele  Stoffe  gegeben;  ich  erinnere  nur  an  die  Geschichte 
von  dem  wunderlichen  Heihgen  und  durchgefallenen  Engels- 
kandidaten Johannes,  die  in  den  Cambridger  Liedern  steht,  und 
die  ich  in  den  Stilfragen  bearbeitet  und  übersetzt  habe.^  Eigen 
blofs,  dafs  dem  Leich  und  der  Dichtung  Hrotsvits  beiden  das 
gleiche  Proömium  vorausgeht,  niemand  dürfe  an  Gottes  Gnade 
verzweifeln,  so  grofs  seine  Sünde  auch  sei.  Dieser  Gedanke  lag 
nahe,  und  auch  der  Dichter  des  Rhythmus  vom  Antichristen 
hat  ihm  nebenbei  Ausdruck  gegeben.  Aber  hier  ist  das  doch 
sehr  auffällig.  Ich  habe  früher,^  als  ich  den  Zusammenhang 
Hrotsvits  mit  den  Vitae  patrum  noch  nicht  richtig  beurteilte 
und  Benutzung  von  Einzelüberlieferungen  annahm,  vermutet,  es 
müsse  eben  die  Bekehrungsgeschichte  aus  der  Vita  s.  Basilii 
losgelöst,  und  mit  einem  solchen  Proönium  ausgestattet,  die 
gemeinsame  Quelle  gewesen  sein.  Das  war  ein  Irrtum.  Hrotsvit 
hat  die  Vitae  patrum  als  Ganzes  gekannt,  nicht  eine  Einzel- 
überheferung  der  Vita  s.  Basilii  (Amphilochius  oder  Ursus),  wie 
W.  Meyer  früher  annahm,  noch  weniger  eine  absolut  nicht  nach- 
weisbare Einzelanekdote  mit  Proömium.  Anderseits  stimmt  der 
Leich  mit  der  Prosavita  in  dem  seltenen  Ausdruck  peribolus 
überein  —  der  Kreuzgang,  wo  Basilius  den  Sünder  Bufse  tun 
läfst  — ,  den  Hrotsvit  nicht  kennt.  Danach  werden  wir  zu  über- 
legen haben,  ob  nicht  vielleicht  der  Dichter  des  Leichs,  ein 
Mime,  die  Vitae  patrum  mit  Hrotsvit  kontaminiert  hat;  genau 
so  wie  Shakespeare  im  Sommernachtstraum  den  Eselraimus  mit 
dem  daraus  geflossenen  Roman  des  Apuleius  kontaminiert. 


*  J.  W.  Wolf,  Niederländ.  Sagen,  Nr.  454. 

2  Hrotsvitausgahe  S.  VIII,  Anm.  17  und  S.  XVI. 

'  Hrotsvitaiisgabe  S.  VIII,  Anm.  17. 

20- 


308  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

Die  Legenden  des  Areopagiten  Dionysius  und  der  h.  Agnes 
ergeben  für  diese  unsere  Betrachtung  nichts;  ich  lasse  sie  hier 
beiseite. 

Ehe  ich  nun  aber  zum  Drama  übergehe,  will  ich  an  einem 
mir  kürzlich  aufgestofsenen  Fall  zeigen,  wie  sonderbar  die  Mimen- 
motive in  die  Legende  hineinschillern,  und  wie  uns  die  Le- 
gende plötzlich  zum  Zeugen  für  den  Mimus  werden  kann.  Es 
handelt  sich  um  die  Legende  des  Bischofs  Germanus  von  Paris 
(t  28.  Mai  576),  aufgezeichnet  von  seinem  jüngeren  Zeitgenossen 
Venantius  Fortunatus.  Der  Heilige  besucht  als  Knabe  zusam- 
men mit  seinem  Vetter  Stratidius  die  Schule.  Die  Mutter  des 
Stratidius,  nach  seinem  Erbe  lüstern,  will  ihn  vergiften  und 
weist  die  Magd  an,  den  beiden  Knaben,  wenn  sie  durstig  aus 
der  Schule  kommen,  zu  trinken  zu  geben,  jedem  aus  besonde- 
rer Flasche.  Indes  die  Magd  verwechselt  die  Flaschen  und  gibt 
das  Gilt  dem  Stratidius,  der  tot  niederfällt.  Als  man  sich  sehr 
um  ihn  bemüht  (sollicite  inpenso  studio),  erwacht  er  wieder 
zum  Leben,  bleibt  aber  in  der  Leibes  färbe  gezeichnet  für 
Lebenszeit. 

Damit  vergleiche  man  nun  eine  Novellette  des  Apuleius 
(Metam.  X  zu  Anfang).  Da  ist  ein  Oberst  in  zweiter  Ehe  mit 
einer  schönen,  aber  sittenlosen  Dame  verheiratet.  Diese  ver- 
liebt sich  in  ihren  Stiefsohn,  aber  er  weist  sie  ab  und  verwan- 
delt dadurch  ihre  Liebe  in  Hafs.  Sie  verschafft  sich  mit  Hilfe 
eines  Sklaven  ein  schnell  wirkendes  Gift  und  giefst  es  in  einen 
Becher  Weins,  um  es  dem  spröden  Jüngling  beizubringen. 
Darüber  kommt  der  rechte  Sohn  der  Dame  aus  der  Schule 
durstig  nach  Hause,  trinkt  und  fällt  tot  hin.  Nun  beschuldigt 
sie  den  Stiefsohn  der  Giftmischerei  und  des  Versuchs  der  Blut- 
schande; es  folgen  grofse  Szenen,  bis  schliefslich  einer  der  Richter 
sich  als  der  Arzt  erweist,  der  dem  Sklaven  das  vermeintliche 
Gift  gegeben:  es  ist  kein  Gift,  sondern  ein  starker  Schlaftrunk; 
man  geht  zum  Grabmal  und  weckt  den  Knaben  wieder  auf.  — 
In  dieser  Erzählung  des  Apuleius  hat  Reich  einen  alten  Gift- 
mischermimus  erkannt,  der  auch  sonst  seine  Spuren  hinterlassen 
hat,  bei  Plutarch  und  bei  Shakespeare.  Es  kann  wohl  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dafs  wir  in  der  Germanuslegende  eine  neue 
Abzweigung  zu  sehen  haben.  Es  trifft  alles  bis  ins  einzelne  zu; 
besonders  beweiskräftig,  ja  geradezu  durchschlagend  ist  der  Um- 
stand, dafs  es  sich  beidemal  um  durstig  heimkehrende  Schul- 
buben handelt:  das  kann  schlechterdings  kein  Zufall  sein.  Eines 
nur  ist  verändert,  das  mehr  tragische  Motiv  der  verbrecherischen 
Liebe  der  Stiefmutter  zum  Stiefsohn  ist  ersetzt  durch  das  alte, 
echt  mimische  Erbschleichermotiv.  So  beweist  nicht  blofs  die 
Gleichheit,  sondern  gerade  auch  die  Verschiedenheit  durchaus  für 
den  Mimus. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  809 

8.    Hrotsvits  Drameo. 

Die  Kritiker,  die  Hrotsvit  mit  Shakespeare  verglichen  haben, 
gehen  zumeist  aus  von  einer  gewissen  Ähnlichkeit  zwischen  dem 
Callimachus  und  Romeo  und  Julie.  So  zuerst  Ch.  Magnin;  da- 
nach, seine  Andeutung  ausführend,  J.  ßendixen.  Es  handelt 
sich  um  Eingang  und  Schlufs  beider  Stücke. 

Callimachus  hat  seine  Freunde  beiseite  genommen  und  ge- 
steht ihnen,  nicht  geradezu,  sondern  auf  Umwegen,  dafs  er 
Drusiana  liebe,  die  Frau  des  Fürsten  Andronikus.^  Er  liebe. 
Was?  Der  Gegenstand  sei  schön.  Eine  schlechte  Definition: 
die  passe  auf  mehrere  verschiedene  Dinge.  Weib  ist  sein  Name 
{mulierem).  Das  Wort  umfasse  das  ganze  Geschlecht.  Nein, 
eine  einzelne  sei  es.  Und  wer?  Drusiana.  —  Dies  alles  in 
einer  spitzfindigen  Terminologie,  nach  einem  philosophischen 
Werke,  das  unter  Augustins  Namen  umlief.  Das  sollte  nun 
mystisch  zusammenhängen  mit  dem  Gespräch  zwischen  Romeo 
und  Benvolio.  Aber  die  Ähnlichkeit  beschränkt  sich  zunächst 
doch  auf  den  einen  gewifs  bei  Verliebten  nicht  eben  merkwür- 
digen oder  seltenen  Punkt,  dafs  beide,  statt  sogleich  den  Namen 
der  Gehebten  herauszusagen  (Romeo  tut  es  überhaupt  nicht), 
erst  Winkelzüge  machen;  das  einzige,  was  man  mit  Grund  ver- 
gleichen könnte,  ist  die  Aussage,  sie  hebten  —  ein  Weib.  Gewifs 
wenig  beweiskräftig. 

Aul  ein  anderes  ist  etwas  mehr  zu  geben:  dafs  dann  so- 
gleich, von  Drusiana  wie  von  Julien,  gesagt  wird,  sie  hätten, 
die  eine  sogar  trotz  der  Ehe,  *der  Enthaltsamkeit  Gesetze  be- 
schworen'. Aber  dieses  Motiv,  für  Hrotsvit  übrigens  durch  die 
Legende  gegeben  und  sogar  leicht  gemildert,  dient  beidemal 
dazu,  die  unübersteigbaren  Hemmnisse  zu  malen,  die  sich  dem 
Liebhaber  in  den  Weg  stellen. 

Ebensowenig  kann  im  Grunde  die  ÄhnKchkeit  des  Schlusses 
beweisen,  die  Szene  im  Grabgewölbe,  mit  der  Auferweckung 
Drusianas  und  dem  Schlaftrunk  bei  Shakespeare.  Hier  sind 
keine  wirklichen  Zusammenhänge;  hier  haben  wir  ein  seltsames 
Spiel  des  Zufalls,  mehr  nicht.  Ich  gebe  J.  L.  Klein,^  so  wider- 
wärtig sein  bald  witzelndes,  bald  pathetisches  Räsonnement  durch- 
weg berührt,  darin  durchaus  recht.  Aber  wir  werden  uns  aller- 
dings freuen  dürfen,  in  solchen  Dingen  die  angeborene  Sicherheit 
der  Dichterin  zu  erkennen,  die  aus  den  gegebenen  Motiven  *etwas 
zu  machen'  wufste.    Nur  für  den  Mimus  ist  hier  nichts  zu  holen. 


*  Andronici  huius  principis  conitigem  (der  Kürze  halber  hie  princeps 
=  huius  patriae  princeps,  was  der  Gebrauch  Hrotsvits  eigentlich  fordern 

de;  nur  war  es  zu  scJ 

*  Oeseh.  des  Dramas 


würde;  nur  war  es  zu  schwerfällig). 
o«  III  710  ff. 


BIO  Hrotsvits  Üterarisclie  Stellung. 

Ganz  anders  aber  steht  es  mit  den  anderen  Dramen.  Um 
von  dem  Gallicanus  einmal  abzusehen,  der  in  zwei  Teilen 
etwas  unbehilflich  dramatisiert  ist  mit  allzu  reichlichem  Szenen- 
wechsel, so  ordnet  sich  der  Rest  paarweise,  zwei  Märtyrer- 
dramen und  zwei  Bufsdramen.  Wir  werden  guttun,  zusammen 
zu  behandeln,  was  dem  Stoff  nach  zusammengehört. 

Zwei  der  Dramen  sind,  wie  gesagt,  Märtyrerdramen,  Dul- 
oitius  und  Sapientia;  wenn  man  will,  mag  man  auch  den  Gal- 
licanus, seines  zweiten  Teiles  wegen,  zu  dieser  Gruppe  rechnen. 
Jedenfalls  empfiehlt  es  sich  nicht,  mit  ihm  zu  beginnen.  Man 
gibt  für  gewöhnlich  die  Sapientia  als  eine  Kopie  des  Dulcitius 
aus,  nicht  ganz  mit  Unrecht,  aber  doch  ohne  die  Sache  damit 
zu  erschöpfen.  Ich  beginne  mit  dem  Dulcitius.  Er  folgt  getreu 
der  Legende;  aber  das  Wichtige  ist  eben,  dafs  Hrotsvit  sich 
gerade  diese  Leger  de  ausgesucht  hat. 

Kaiser  Diokletian  hält  Gericht.  Drei  Schwestern  aus  vor- 
nehmem Geschlecht  werden  vorgeführt  und  aufgefordert,  den 
Göttern  zu  opfern ;  dann  sollen  sie  mit  Würdenträgern  des  kaiser- 
lichen Palastes  vermählt  werden.  Sie  aber  weigern  sich;  sie 
wollen  ihrem  Glauben  treu  bleiben  und  ihre  Jungfräulichkeit 
bewahren.  Dem  Kaiser  erscheint  dies  als  Halsstarrigkeit  und 
Torheit;  sonst  würden  sie  einsehen,  dafs  die  alte  Religion  die 
wahre  sei.  Daraus  entspinnt  sich  dann  ein  Religionsgespräch, 
in  dessen  Verlauf  erst  Agape,  dann  Chionia  als  toll  abgeführt 
werden;  aber  Irene,  die  jüngste,  nimmt  erst  recht  kein  Blatt 
vor  den  Mund,  so  dafs  der  Kaiser  sie  ebensowenig  zur  Räson 
bringen  kann  und  die  Sache  an  den  Statthalter  (praeses)  Dul- 
citius verweist. 

Der  entbrennt  sofort  in  Begierde,  und  weil  ihm  die  Kriegs- 
knechte vorhersagen,  es  werde  schwer  halten,  die  Mädchen  mit 
Güte  oder  mit  Drohungen  gefügig  zu  machen,  läfst  er  sie  im 
Amtshause  unterbringen,  um  sie  nach  Gefallen  ^besuchen'  zu 
können.  Hier  hat  Hrotsvit  halb  durch  Mifsverständnis,  halb 
durch  die  Unmöglichkeit,  eine  Bühnenanweisung,  wie  wir  sagen 
würden,  einzuschalten,  eine  sonderbare  Verwirrung  angerichtet. 
Die  Quelle  spricht  von  der  Bewachung  durch  einen  Beamten 
(officiaUs)f  der  mit  Dulcitius  unter  einer  Decke  steckt,  und  fügt 
hinzu,  in  demselben  Räume,  wo  sie  eingesperrt  waren,  sei  allerlei 
Küchengerät  verwahrt  worden.  Das  wird  nachher  szenisch 
wichtig;  aber  es  war  doch  wahrhaftig  nicht  des  Statthalters 
Absicht,  sie  in  die  Küche  zu  sperren.  Hrotsvit  hätte  sich  helfen 
und  in  der  nächsten  Szene,  ehe  Dulcitius  auftritt,  die  Mädchen 
das  Lokal  beschreiben  lassen  können.  Sie  tut  es  nicht,  sondern 
Dulcitius  befiehlt  ganz  naiv,  die  Gefangenen  in  dem  Räume 
hinter  der  Rüstkammer  zu  verwahren  (in  interiorem  officinae 
aedem,  in  cuius  proaulio  ministrorurti  servantur  vasa). 


Hrotsvits  literarisclie  Stellung.  SU 

Nacht.  Dulcitius  tritt  mit  den  Knechten  auf  und  befiehlt 
ihnen,  mit  den  Fackeln  draufsen  zu  warten,  während  er  hinein- 
geht, seine  Lust  zu  büfsen.  Aber  er  verirrt  sich,  und,  mit  Ver- 
wirrung geschlagen,  umarmt  er  statt  der  Mädchen  die  russigen 
Töpfe  und  Pfannen,  bis  er  schwarz  aussieht  wie  ein  leibhaftiger 
Mohr.  Diese  ganze  Szene,  von  Hrotsvit  kurz,  aber  wirksam  mit 
burlesker  Komik  durchgeführt,  geschildert  im  Gespräch  der 
durch  eine  Spalte  beobachtenden  Mädchen,  die  trotz  der  Gefahr 
das  Lachen  nicht  halten  können,  erinnert  seltsam  an  Shake- 
speares Sommernachtstraum,  wo  die  Elfenkönigin,  mit  gleicher 
Blindheit  geschlagen,  den  eselköpfigen  Weber  Zettel  als  den 
schönsten  der  Sterblichen  begrüfst  und  liebkost,  ohne  seiner 
Ungestalt  gewahr  zu  werden;  die  Rolle  der  Trabanten  spielen 
gleichsam  die  Elfen  Bohnenblüte  und  Senfsamen.  Wir  wissen 
durch  Reich,  dafs  Shakespeare  auf  den  Eselroman  des  Apuleius 
zurückojeht  und  daneben  der  alte,  nie  untergegangene  Eselmimus 
selber  hineinspielt.  Aber,  worauf  es  mir  ankommt,  das  ist,  dafs 
Dulcitius  und  Titania  nicht  wissen,  was  sie  tun,  während  bei 
Apuleius  die  Matrone  in  ihrem  perversen  Begehren  sehr  natura- 
listisch von  dem  Esel,  dessen  Menschennatur  sie  nicht  kennt, 
erwartet,  was  des  Esels  ist:  was  denn  doch,  trotz  der  Täuschung, 
etwas  ganz  anderes  ist.  . . .  Vielleicht  stand  der  alte  Eselmimus 
hier  den  Dramen  Hrotsvits  und  Shakespeares  näher  als  dem 
Eselroman  des  Apuleius. 

Den  Heraustretenden  empfangen  die  Knechte  entsetzt,  als 
sähen  sie  ein  Gespenst.  Ein  wirres  Durcheinander  entsteht. 
MiLiTES.  Quts  hie  egrediturf  —  Daemoniacus.  —  Vel  magis 
ipse  diabolus.  —  Fugiamus.  So  habe  ich  schon  in  der  Aus- 
gabe abgeteilt,  denn  es  kann  kein  Zweifel  sein,  dafs  Hrotsvit 
hier  das  Stimmengewirr  von  Frage  und  Antwort  hat  charakte- 
risieren wollen.  Zur  Darstellung  bedürfte  es,  genau  genommen, 
nur  zweier  Kriegsknechte:  sie  werfen  sich  Frage  und  Antwort 
zu,  ziehen  zuletzt  mit  dem  gemeinsamen  Ausruf  'Fort!'  das 
Fazit  und  suchen  das  Weite.  Vergebens  heifst  Dulcitius  sie 
stehen  bleiben.  Wieder  Frage  und  Antwort:  Milites.  Vox 
senior is  nostri,  sed  imago  diaholi.  —  Non  subsistamus,  sed 
fugam  maturemus ;  phantasma  vult  nos  pessundare.  Also  eine 
Szene,  gerade  wie  wenn  der  Kasperle  des  Puppentheaters  vor 
dem  Gottseibeiuns  Reifsaus  nimmt.  —  So  geht  der  Gekränkte 
zum  Palast,  um  sich  zu  beschweren,  aber  die  Pförtner  werfen 
ihn  kurzerhand  die  Treppe '  hinunter  {de  gradu  praecipitemus). 
Hier  könnte  man  wieder  verschiedene  Stimmen  sondern  und  wird 
es  vielleicht  der  Analogie  wegen,  nur  läfst  es  sich  diesmal  nicht 
strikt  erweisen.  Die  Rolle  aber,  die  Dulcitius  bei  den  Pförtnern 
spielt,  ist  die  des  geprellten  und  gepritschten  Narren,  der  des 
betrogenen  Teufels  verwandt.  —  Nun  will  er  nach  Hause.    Also 


Bl2  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

müfsten  Amtshaus,  Palast  und  Wohnung  des  Dulcitius  zugleich 
auf  der  Bühne  angedeutet  gewesen  sein;  das  würde  auch  noch 
für  Shakespeare  nichts  Auffälliges  haben.  Seine  Frau  kommt 
ihm  entgegen  mit  allen  Zeichen  der  Trauer,  und  nun  endlich 
erwacht  auch  er  aus  seiner  Verblendung:  nun  müssen  die  Mädchen 
Hexen  sein  und  ihn  verzaubert  haben.  Aber  jetzt  soll  es  ihnen 
schlecht  gehen;  jetzt  will  er  ihnen  seine  Künste  weisen  {quo 
versa  vice,  quid  nostra  possint  ludihria,  experiantur):  er  ge- 
bietet, sie  vorzuführen  und  vor  seinen  Augen  nackt  auszuziehen. 
Aber  die  Kleider  sitzen  fest  wie  angewachsen,  und  er  selbst 
schnarcht  in  tiefem  Schlaf.  Es  ist  das  Motiv  von  der  h.  Agnes, 
die  auf  andere,  aber  ähnliche  Weise  wunderbar  beschützt  wird. 
Bezeichnend  auch,  dafs  die  Szene  mit  der  h.  Agnes  einer  er- 
zählenden Legende,  diese  hier  einem  Drama  angehört.  Die  eine 
war  eben  dramatisch  nicht  darzustellen,  während  hier  einer  Dar- 
stellung prinzipiell  nichts  im  Wege  gestanden  hätte. 

Die  Soldaten  beschlief sen,  den  Fall  dem  Kaiser  vorzutragen 
und  seine  Entscheidung  einzuholen.  —  Der  tritt  denn  auch  in 
der  nächsten  Szene  auf  und  ernennt  den  Grafen  {comes)  Sisin- 
nius,  die  Strafe  zu  vollziehen.  Der  läfst  zuerst  die  beiden 
ältesten  vorführen,  die  er  für  inkurabel  hält,  um  so  wenigstens 
Irene  zu  retten.  Natürlich  verweigern  sie  das  Opfer;  sie  werden 
ins  Feuer  geworfen,  aber  sie  bitten  Gott  um  einen  schnellen 
Tod  und  sterben,  ohne  dafs  ihr  Leib  vom  Feuer  versehrt  wird. 

Irene  wird  nun  vorgeführt;  sie  bleibt  standhaft,  auch  als 
ihr  mit  der  Verurteilung  zum  Bordell  gedroht  wird:  lieber  das 
als  abzufallen  vom  Glauben ;  aber  es  werde  nicht  dahin  kommen, 
Gott  werde  sie  erretten.  Und  so  geschieht  es;  die  Knechte,  die 
sie  abführen,  werden  durch  eine  Erscheinung  von  Engeln  ge- 
täuscht, die  Irene  in  ihre  Obhut  nehmen  und  auf  einen  hohen 
Berg  führen.  Sisinnius  will  ihr  nach,  aber  er  kann,  am  Fufse  des 
Berges  angekommen,  nicht  vom  Fleck  und  läfst  sie  erschiefsen; 
sie  stirbt  triumphierend,  das  Lob  Gottes  auf  den  Lippen. 

Nachdem  ich  dieses  Stück  eingehend  wiedergegeben  habe, 
kann  ich  mich  bei  der  Sapientia  um  so  kürzer  fassen.  —  Hadrian 
wird  von  seinem  Ohrenbläser  Antiochus  gegen  die  h.  Sapientia 
und  ihre  drei  Töchter  Fides,  Spes  und  Karitas  aufgehetzt.  Sie 
werden  vorgeführt,  es  beginnt  das  Verhör.  Sapientia  antwortet 
ruhig,  aber  fest  und  ohne  jede  Devotion.  Das  Alter  ihrer  Töchter 
gibt  sie  in  einer  Art  von  Zahlenrätsel  oder  Rechenexempel  an 
und  erläutert  dies  dann  in  langer  theoretischer  Auseinander- 
setzung: Sie  sind  12,  10  und  8  Jahre  alt.  Hadrian  hat  sie 
ausreden  lassen,  selbst  hin  und  wieder  daz  wischengefragt,  um 
sie  besser  zu  verstehen,  aber  nun  kommt  er  aut  seine  alte 
Forderung  zurück,  den  Glauben  abzuschwören.  Sie  verweigert 
es  und  wird  ins  Gefängnis  zurückgeführt,   wo   sie   ihre  Kinder 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  313 

ermahnt,  standhaft  auszuharren.  Es  folgt  die  neue  Verhandlung. 
Eine  nach  der  anderen  verhöhnt  den  Kaiser  und  wird  zu  Tode 
gemartert.  Auf  der  Bühne  (ich  sage  damit  noch  gar  nichts 
darüber  aus,  ob  das  Stück  wirklich  aufgeführt  worden  ist)  wird 
Fides  erst  ausgepeitscht,  dann  werden  ihr  die  Brüste  (gemellae 
pectoris  particulae)  abgeschnitten  —  aber  es  fliefst  Milch  statt 
Blutes,  und  schliefslich  wird  sie  zum  Feuertode  verurteilt;  aber 
der  Kessel  mit  glühendem  Pech  kann  ihr  nichts  anhaben,  so 
mufs  die  ultima  ratio,  das  Schwert  helfen.  Ganz  ähnlich  geht  es 
mit  Spes:  sie  wird  gepeitscht,  dafs  das  l^leisch  in  Fetzen  herab- 
hängt; der  Kessel  wallt  über  und  verbrennt  die  Knechte  statt 
ihrer  —  endlich  wird  auch  sie  enthauptet.  Zuletzt  Karitas:  bei  ihr 
wird  gleich  mit  dem  drei  Tage  und  drei  Nächte  zu  heizenden 
Kessel  angefangen  (während  der  Heizung  bleibt  alles  auf  der 
Bühne!);  er  verbrennt  5000  Menschen,  und  Karitas  mufs  mit  dem 
Schwert  gerichtet  werden.  Sapientia  begräbt  die  Leichen  ihrer  Kin- 
der und  stirbt  an  ihrem  Grabe  unter  dem  Gebet  frommer  Frauen. 

Hier  geht  alles  drunter  und  drüber.  Das  war  denn  freilich 
unaufführbar  auch  zu  Hrotsvits  Zeit,  unaufführbar  mit  seinen 
Folterszenen,  obwohl  z.  B.  die  englische  Bühne  vor  Shakespeare 
und  auch  er  im  Titus  Andronicus  ein  Erkleckliches  darin  zu- 
wege gebracht  hat;  unaufführbar  auch  in  seinen  zahlentheore- 
tischen Erörterungen,  über  die  noch  zu  reden  sein  wird.  Ganz 
anderen  Charakter  aber  trägt  der  Dulcitius. 

Im  Dulcitius  haben  wir  die  typische  Märtyrerkomödie.  Es 
zeugt  für  Hrotsvits  unvergleichliche  dramatische  Begabung,  dafs 
sie  gleich  in  den  Anfängen  ihres  Dramas  diesen  Stoff  aufgegriffen 
hat,  der  durch  die  Mischung  des  Tragischen  mit  einer  so  star- 
ken Dosis  des  Burlesken  es  ihr  ermöglichte,  ihr  Talent  nach 
allen  Seiten  zu  entfalten.  Hierfür  verschlägt  es  nicht,  ob  Hrots- 
vit  zu  ihrer  Zeit  ein  auf  der  Bühne  lebendes  Drama  gekannt 
hat,  das  ihr  allerhand  Anregungen  bot,  oder  ob  sie  blofs  auf 
die  Lektüre  des  Terenz  angewiesen  war.  Ihr  Stil,  kleine  Einzel- 
heiten der  Sprache  und  Technik,  das  Formelhafte  des  Dialogs, 
das  alles  ist  ja  dem  Terenz  nachgebildet;  und  es  beweist  die 
aufserordentliche  Stilsicherheit,  das  angeborene  Stilgefühl  der 
Dichterin,  dafs  sie  so  selbstverständlich  epischen  und  drama- 
tischen Stil  auseinanderhält  und  wieder  in  ihren  prosaischen 
Vorreden  sich  sowohl  der  epischen  wie  der  dramatischen  Flos- 
keln so  gut  wie  ganz  enthält.  Eine  scheinbare  Ausnahme  wird 
nachher  zu  erwähnen  sein,  aber  vollkommen  aufgeklärt  werden. 

Hatte  Hrotsvit  für  ihre  Märtyrerkomödien  wirklich  keine 
Vorbilder?  Sie  nennt  nur  Terenz;  aber  dafs  sie  nichts  anderes 
nennt,  beweist  wenig.  Hier  klafft  einstweilen  eine  Lücke;  aber 
ich  kann  sie  zum  Glück  durch  ein  Beispiel  ausfüllen,  worauf 
Reich  mich  einmal  nebenher  hinwies.    In  seinem  Mimus  (I  82  ^, 


&14  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

566  f.)  hatte  er  ausführlich  von  den  christologischen  Mimen 
gesprochen,  die  den  Glauben  und  die  Caerimonien  der  Christen 
und  ihr  Martyrium  der  Spottlust  der  Heiden  preisgaben.  Das 
typische  Beispiel  ist  der  Mimus  des  Genesius.  Der  hatte,  als 
Heide,  alle  christlichen  Gebräuche  erkundet,  um  sie  mit  seiner 
Bande  realistisch  darzustellen,  zum  Gaudium  des  Kaisers  Dio- 
kletian. Der  Inhalt  des  Mimus  war  dieser:  Genesius  brach  in 
der  ersten  Szene  auf  offener  Strafse  zusammen  und  verlangte, 
als  Schwerkranker,  die  Taufe.  Wir  müssen  uns  gegenwärtig 
halten,  dafs  viele,  wie  auch  Konstantin  der  Grofse,  die  Taufe 
eben  verschoben,  bis  sie  das  Ende  nahe  fühlten;  einen  solchen 
Halbchristen  also  gab  Genesius  wieder.  Nächste  Szene:  Genesius 
liegt  zu  Bett;  seine  Freunde  sind  um  ihn.  Er  fühle  sich  schwer 
und  wolle  leicht  werden.  Antwort  der  Umgebung:  'Wir  sind 
doch  keine  Tischler,  dich  auf  die  Hobelbank  zu  legen  und  dir 
ein  Stück  abzuhobeln'  —  richtige  grobkörnige  Mimenwitze.  Er 
macht  ihnen  klar,  er  wolle  Christ  werden.  Lauter  Beifall  des 
Kaisers  über  diesen  kostbaren  Spafs.  Man  ruft  den  Priester 
und  Küster;  sie  kommen,  fragen  nach  seinem  Begehren,  und  es 
folgt  (wohl  gleich  an  Ort  und  Stelle)  die  Taufhandlung  mit 
allem  Zeremoniell.  Aber  schon  erscheinen  die  Kriegsknechte, 
um  ihn  vor  den  Kaiser  zu  führen.  Er  bekennt  sich  als  Christen 
—  und  nun  sollte  natürlich  im  Mimus  Verurteilung  und  Hinrich- 
tung folgen.  Da  tritt  ein  unerwarteter  Zwischenfall  ein.  Den 
Mimen,  der  eben  noch  als  Spötter  das  Christentum  verhöhnt 
hat,  fafst  plötzlich  der  Geist:  er  bekennt  sich  im  Ernst  zu  dem, 
was  er  eben  in  seiner  Rolle  deklamiert  hat,  und  fordert  in  begei- 
sterter Rede  den  Kaiser  und  das  Publikum  auf,  sich  zu  bekeh- 
ren. So  wird  aus  dem  Spiele  blutiger  Ernst;  man  ergreift  ihn, 
er  wird  verurteilt  und  hingerichtet.  So  wird  der  Mime  zum  Hei- 
ligen; und  dieser  Fall  soll  sogar  mehreremal  vorgekommen  sein. 
Das  war  der  heidnische  Märtyrermimus.  Aber  die  Mimen 
haben  nicht  abgelassen,  ihren  Patron,  den  Heiligen  aus  ihrem 
von  der  Kirche  immer  wieder  verlästerten  Stande,  zu  feiern.  An 
die  Stelle  des  heidnischen  Märtyrermimus  tritt  der  christliche; 
und  Genesius,  der  Darsteller  des  heidnischen  Mimus,  wird  der 
Held  des  christlichen.  Ist  das  wirklich  Zufall?  es  ist,  mag  der 
Hergang  gewesen  sein  wie  er  will,  ein  Abbild  des  weltgeschicht- 
lichen Umschwunges  im  kleinen.  Aber  ich  meine,  es  wird  den 
christlich  gewordenen  Mimen  schon  früh  nahegelegen  haben,  den 
Spiefs  umzukehren.  Und  wenn  wir  heute  den  christlichen  Gene- 
siusmimus  erst  als  französisches  Mystere  des  15.  Jahrhunderts 
nachweisen    können,^    so    beweist    das    nicht,    dafs   erst   damals 


*  Herausgeg.  von  W.  Mostert  und  E.  Stengel;  B.  v.  d.  Lage,  Studien 
7(Air  Oenesiibslegende,  Berlin  1898  f. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  815 

jemand  auf  den  Gedanken  gekommen  ist,  die  Legende  des 
heilig  gesprochenen  Mimen  wieder  in  einen  Mimus  zurückzubil- 
den:  solche  Stoffe  wandeln  die  J'orm  mit  jedem  Tage:  zeigt  ja 
die  einzige  zufällig  auf  uns  gekommene  Hs.  ein  gutes  Dutzend 
hin  und  her  korrigierender  und  umarbeitender  Hände  und  ein 
Bruchstück  einer  zweiten  verschiedenen  Fassung.  Es  verschlägt 
nicht  viel;  aber  ich  glaube  allerdings,  dafs  wir  eine  lateinische 
Vorstufe  des  französischen  Mysteriums  zu  erschliefsen  haben, 
im  wohlbekannten  Stil  der  lateinischen  Mysterien,  und  dafs  auch 
diese  lateinische  Fassung  nur  die  Fixierung  eines  mündlich  über- 
lieferten, uralten  und  immer  neugeborenen  und  bei  jeder  Auf- 
führung neugestalteten  Mimus  ist.  Und  solch  einen  Mimus, 
meine  ich,  könnte  Hrotsvit  wohl  gekannt  haben,  wenn  nicht 
diesen  Genesiusmimus,  dann  einen  anderen.  Sollte  sie  aber  ohne 
ein  solches  Vorbild,  dessen  Existenz  wir  nur  vermuten  können, 
zu  ihrem  Märtyrerdrama  gekommen  sein,  so  erscheint  ihr  dra- 
matisches Genie  nur  um  so  gröfser.  Besteht  kein  äufserer, 
direkter  Zusammenhang  mit  dem  Märtyrermimus,  so  hat  sie 
aus  sich  heraus  genau  das  geschaffen,  was  vor  ihr  und  nach 
ihr  der  Mimus  geschaffen  hat.  Die  Frage  liegt  ja  so,  dafs  sie 
am  Einzelfalle  nicht  entschieden  werden  kann.  Jeder  einzelne 
Fall,  für  sich  allein  betrachtet,  bringt  es  blofs  zu  einem  gröfseren 
oder  geringeren  Grade  von  Wahrscheinlichkeit.  Wenn  aber  in 
mehreren  Punkten,  jeden  für  sich  untersucht,  das  an  sich  noch 
hypothetische  Ergebnis  nach  der  gleichen  Richtung  weist,  dann 
wird  die  Wahrscheinlichkeit  zur  Gewifsheit. 

Es  wären  jetzt  noch  ein  paar  Worte  zu  sagen  über  die 
Sapientia.  Diese  aber  versparen  wir  uns  besser  bis  dahin,  wo 
wir  auch  die  Bekehrungsdramen  behandelt  haben.  Denn  der 
Paphnutius  zeigt  zum  Teil  dieselben  Eigentümlichkeiten,  die  man 
erst  dann  versteht,  wenn  man  beide  Dramen  zusammennimmt.  — 

Neben  den  Martyrien  stehen,  ebenso  gepaart,  die  Bufsdramen. 
Der  Einsiedler  Abraham  nimmt  seine  siebenjährige  verwaiste 
Nichte  Maria  zu  sich  und  erzieht  sie  in  strenger  Kasteiung  und 
Gebet  in  einem  kleinen  Anbau  seiner  Klause.  So  lebt  sie 
zwanzig  Jahre  lang.  Da  gelingt  es  einem  falschen  Mönch,  der 
sie  unter  frommen  Vorwänden  oft  besucht  hat,  das  unbehütete 
Mädchen  zu  verführen;  und  als  ihr  ihre  Schuld  zum  Bewufst- 
sein  kommt,  entweicht  sie  und  führt  in  weltlicher  Lust  ihr 
Leben  als  Dirne.  Abraham  aber  sucht  sie,  als  Ritter  verkleidet, 
auf,  gibt  sich  ihr,  als  sie  beide  allein  sind,  zu  erkennen  und 
holt  sie  zurück.  Dies  in  grofsen  Zügen  die  Handlung  des  ersten 
Bufsdramas.  Ich  gehe  hier  auf  das  Technische  nicht  ein;  aber 
ich  will  doch  so  viel  sagen,  dafs  man  stets  mit  Recht  des  höch- 
sten Lobes  voll  gewesen  ist.  Da  ist  kein  Zug  zuwenig,  keiner 
zuviel.     Dafs  Maria  uns  erst  als  Kind  gezeigt  wird,    während 


Sl6  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

sie  nachher  als  reifes,  heifsblütiges  Weib  auftritt,  ist  gut  und 
recht:  diese  Szenen  gehören  zum  Ganzen,  nur  so  wird  uns  der 
Charakter  verständlich  gemacht,  die  Erinnerung  an  diese  ihre 
unschuldige  Jugendzeit  überkommt  sie  mitten  im  Strudel  ihres 
Weltlebens,  als  Abraham  unerkannt  ihr  gegenübertritt. 

Der  Stoff  ist  aus  den  Vitae  patrum  entlehnt,  von  denen 
schon  früher  die  Rede  war.  Dort'  findet  sich  auch  die  Schil- 
derung des  Verführers  genau,  wie  Hrotsvit  sie  gibt;  erat  aiitem 
quidam  professione  tantummodo  monachus,  qui  suh  obtentu 
aedificationis  ad  eiim  (d.  h.  zu  Abraham)  saepius  pergere  sole- 
bat, sed  et  illam  beatam  (Marien)  j)er  fenestram  iiihilominus 
contemplando  cum  ea  colloqui  cupiebat:  amor  (wohl  eher 
ardor?)  namque  libidinis  cor  eins  quasi  ignis  succenderat, 
Insidiabatur  ei  quoque  multo  temporis  spatio,  ita  ut  unius 
anni  circulus  volveretur,  donec  cogitationem  eins  verborum 
suorum  mollitie  enervaret.  Denique  aperiens  cellae  suae  fene- 
stram egreditur  ad  eum;  qui  eam  protinus  scelere  iniquitatis 
atque  libidinis  contaminavit  ac  polluit.  Gewifs,  eine  Szene 
aus  dem  Leben.  Aber  —  der  das  Leben  treu  in  seinem  Spiegel 
auffafst  und  wiedergibt,  das  ist  der  biologische  Mimus.  Und 
gerade  hier  tritt  uns  ein  klassischer  Zeuge  zur  Seite.  Man  denke 
an  den  h.  Hieronymus,  an  die  Schilderung,  die  er  in  dem  Brief 
an  Eustochium  von  den  frommtuenden  Galanen  entwirft,  und 
zumal  an  seinen  Brief  an  den  Diakonen  Sabellian.2  Der  hat  in 
Rom  einen  Ehebruch  begangen,  ist  mit  Mühe  und  Not  dem 
betrogenen  Gatten  entgangen  und  mit  einem  Empfehlungsbrief 
seines  Bischofs  zu  Hieronymus  nach  Bethlehem  gekommen. 
Hieronymus  nimmt  ihn  freundlich  auf,  aber  ehe  er  sich's  ver- 
sieht, hat  Sabellian  wieder  eine  Nonne  verführt  und  auch  gleich 
einen  verschmitzten  Entführungsplan  ausgeheckt.  Das  ist  das 
Leben;  und  nun  sagt  Hieronymus:  repertum  est  facinus,  quod 
nee  mimus  fingere,  nee  scurra  ludere,  nee  Atellanus  possit 
effari.  Dergleichen  überbiete  die  Frechheit  der  Erfindungen 
des  Mimus.  Er  mufste  es  wohl  wissen.  Und  wenn  die  alte 
Legende  die  Geschichte  genau  so  ausmalt  wie  Hieronymus,  so 
haben  wir  hier  blofs  wiederum  den  alten  Kreislauf  Das  Inter- 
essante aber  ist,  dafs  Hrotsvit  aus  der  unendlichen  Fülle  von 
Legenden  gerade  die  dramatischen  auswählt,  die,  in  denen  wirk- 
lich mimischer,  biologischer  Gehalt  steckt.  Denn  die  Vitae 
patrum  mit  ihren  Berichten  aus  der  ägyptischen  Wüste,  sie 
entstammen  ja  wieder  einem  Lande,  das  wie  nur  irgendeines 
dem  Mimus  gefrönt  hat. 

Aus  dem  Paphnutius  greife  ich  nur  die  eine  Szene  heraus, 


*  Kölner  Ausgabe  von  1548,  Alphabet  17,  letztes  Blatt. 
2  Eeich,  Mimus  I  751.  763. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  317 

wie  der  Heilige  mit  Entrüstung  die  wüsten  Szenen  vor  dem 
Hause  der  Thais  beschreibt,  wo  sieb  die  Liebhaber  die  Köpfe 
blutig  schlagen.  Alles  nach  der  Legende,  gewifs;  daneben  kamen 
für  Hrotsvit  etwa  die  Rivalitätsszenen  aus  Terenz'  Eunuchen  in 
Betracht.  Aber  es  sind  wieder  die  Vitae  patrum,  der  Schau- 
platz wieder  Ägypten. 

Und  hier  dürfen  wir  an  ein  anderes  erinnern.  Diese  Legende 
von  dem  frommen  Einsiedel  Paphnutius  und  der  Thais,  die  hat 
kein  geringerer  als  G.  Keller  bearbeitet,  in  seiner  Legende  vom 
*schlimmheiligen  Vitalis':  das  hat  J.  Baechthold  nachgewiesen;^ 
freilich  hat  Keller  den  Stoff  nicht  aus  alten  Pergamenten  oder 
Inkunabeln  genommen,  sondern  aus  Kosegartens  Legenden.  Dem 
^Shakespeare  der  Novelle',  wie  P.  Heyse  ihn  einmal  genannt 
hat,  dem  grofsen  Lebensschilderer  der  Leute  von  Seldwyla,  er- 
schien es  eben,  als  ob  sich  auch  in  dieser  Legende  *nicht  blofs 
die  kirchliche  Fabulierkunst  geltend  mache,  sondern  wohl  auch 
die  Spuren  einer  ehemaligen  mehr  profanen  Erzählungslust  oder 
Novellistik  zu  bemerken  seien.'  Was  wollen  wir  eigentlich  mehr? 
Da  hat  G.  Keller  mit  dem  genialen  Instinkt  des  Dichters  ja 
alles  vorweggenommen,  was  wir  uns  erst  im  Schweifs  unseres  An- 
gesichtes erarbeiten  müssen.  Es  steckt  ein  gut  Stück  weltlicher 
Fabulierkunst,  ein  gut  Stück  —  wie  wir  jetzt  sagen  dürfen; 
Mimus  in  dieser  Legende  —  mögen  wir  dabei  mehr  an  den 
dramatischen  oder  an  den  rezitativen  Mimus,  die  Novelle,  denken. 

Nein,  es  kann  nicht  anders  sein.  Grofs  und  bewunderns- 
wert für  alle  Zeiten  bleibt  Hrotsvits  Genie;  und  wenn  G.  Frey- 
tag im  Alter  seine  Jugendliebe  verleugnet  und  in  seiner  Selbst- 
biographie einmal  gesagt  hat,  die  Dramen  Hrotsvits  bewiesen 
nur,  dafs  damals  kein  Drama  möglich  war,  so  ist  das  lediglich 
die  Einseitigkeit,  die  alles  an  seiner  alleinseligmachenden  Technik 
des  Dramas  mifst. 

Aber  freilich,  man  mufs  sich  an  die  rechten  Gegenbilder 
halten.  Historisch  zu  begreifen  ist  die  Nonne  von  Gandersheim 
nur  vom  Mimus  und  Mysterium  her,  die  dann  wieder  zu  Shake- 
speare führen.  Näher  aber  als  Shakespeare  steht  ihr  im  Tech- 
nischen ein  anderer  Grofser,  Goethe,  in  seinem  Jugendwerk,  dem 
grandios  hingeworfenen,  auch  so  recht,  recht  *undramatischen' 
Götz  von  Berlichingen  in  seiner  ersten  Fassung;  die  heifst:  *Ge- 
schichte  Gottfriedens  von  Berlichingen  mit  der  eisernen  Hand, 
dramatisiert.'  Er  schrieb  nicht  für  die  Bühne;  ^  aber  er  hatte 
das  Vorbild  der  mit  geringem  Bühnenapparat  arbeitenden 
Volkskomödie,  des  Puppenspiels,  instinktiv  begriffen;  jeder  Ver- 
such,  den  Götz   umzuarbeiten   für   die   moderne  Bühne,   mufste 


*  O.  Kellers  Leben  III  23  ff. 

*  A.  Bielschowsky,  Goethe  V  172. 


'318  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

der  Lebendigkeit  Abbruch  tun.  Das  ist  das  Rechte;  wenn  wir 
wissen  wollen,  was  Hrotsvit  gemacht  hat,  sie  sagt  es  uns  selbst. 
Denn  jetzt  erst  werden  wir  auch  die  -Inhaltsangaben'  ver- 
stehen. Wir  sind  gewohnt,  die  Dramen  kurzweg  nach  einer 
Hauptperson  als  Gallicanus,  Dulcitius  usw.  zu  bezeichnen.  Das 
ist  auch  praktisch  fürs  Zitieren;  nur  müssen  wir  wissen,  was 
Hrotsvit  gewollt  hat.  Ich  habe  in  meiner  Ausgabe  zuerst  er- 
kannt, dafs  diese  'Inhaltsangaben'  mit  ihren  ellenlangen  Sätzen 
in  Wirklichkeit  die  Titel  der  Dramen  sind.  Damit  war  immer- 
hin etwas  gewonnen,  aber  lange  nicht  genug.  Wie  kam  Hrotsvit 
auf  diesen  Einfall?  Ihr  nächstes  Vorbild  waren  die  Komödien 
des  Terenz,  und  die  haben  doch  in  der  Überlieferung  ihre  kurzen, 
bündigen  Titel,  Andria,  Eunuchus  usw.  Auch  in  ihren  eigenen 
Legenden  hatte  sie  ein  vernünftiges  Mafs  innegehalten,  wenn  sie 
etwa  schrieb: 

Historia  nativitatis       laudahilisqtie  conversationis 

intactae  dei  genitricis, 

quam  scriptam  repperi 
suh  nomine  sancti  lacohi       fratris  domini. 

Aber  nun  geht  es  endlos,  von  einem  Satz  in  den  anderen,  und 
doch  soll  alles  Titel  sein;  aber  wenn  der  erste  Satz  zu  Ende  ist, 
haben  wir  längst  vergessen,  wie  es  angefangen  hat,  so  dafs  man 
die  Ungeheuerlichkeit  kaum  bemerkt.   Ein  Beispiel  wird  genügen: 

Conversio  Gallicani  principis  militiae;  qui,  iturus  ad 
bellum  contra  Scythas,  sacratissimam  virginem  Constantiam, 
Constantini  imperatoris  filiam,  desponsavit,  \  sed  in  conflictu 
praelii  nimium  coartatus,  per  loJiannem  et  Paulum,  primi- 
cerios  Constantiae,  conversus,  \  ad  baptisma  convolavit  \  caeli- 
bemque  vitam  elegit,  \  postea  autem  iuhente  luliano  apostata 
in  exilium  missus,  |  martyrio  est  coronatus.  \  Sed  et  lohannes 
et  Paulus  eodem  iubente  dam  occisi  \  et  in  domo  occidte  sunt 
sepulti.  I  Nee  mora,  percussoris  filius,  \  a  daemonio  arreptus,  \ 
patris  commissum  |  et  martyrum  confitendo  meritum,  \  iuxta 
eorum  sepulchra  salvatus,  |  una  cum  patre  est  baptizatus.  \ 

Dieses  ganze  sonderbare  Verfahren  läfst  nur  eine  Erklärung 
zu.  Die  lateinische  Komödie  des  Terenz  und  ebenso  der  Mimus 
(z.  B.  des  Laberius)  waren  mit  Prologen  ausgestattet,  worin  der 
Dichter  über  sich  und  das  Sujet  des  Dramas  referierte,  ohne 
doch  eine  Inhaltsangabe  zu  bieten.  Später,  als  man  diese 
Dramen  nur  noch  als  Buchdramen  las,  kamen  dann  die  periochae 
des  C.  Sulpicius  Apollinaris  hinzu.  Diese  waren  in  dem  Haupt- 
versmafs  der  terenzianischen  Komödie  gehalten,  im  jambischen 
Senar:  reine  Inhaltsangaben,  weiter  nichts,  in  abgemessenem 
Umfang.  Auch  der  Mimus  wird,  zumal  in  der  Zeit,  wo  er  das 
dramatische  Element  überhaupt  einschränkte,   den  eigentlichen 


Hrotsvitß  literarische  Stellung.  819 

Prolog,  den  ein  Schauspiel  zu  agieren  hatte  (die  pronuntiatio 
fabulae),  auf  eine  prosaische,  die  Zuhörer  schlicht  instruierende 
Inhaltsangabe  reduziert  haben,  die  etwa  den  ältesten  Theater- 
zetteln entspricht,  welche  sich  auch  nicht  auf  den  blofsen  Titel 
beschränken,  sondern  angeben,  was  in  der  Komödie  'vorgestellt' 
wird.  Die  langen  Titel  Hrotsvits  aber  sind  ein  Ersatz  für  die 
Periochen  der  terenzianischen  Komödie  und  zwar  in  einer  dem 
Mimus,  wie  sie  ihn  kannte,  angepafsten  Form,  in  derselben 
kunstvollen  Reimprosa  wie  das  Drama  selbst  und  der  Titel  der 
Marienlegende.  Freilich,  woher  wissen  wir,  dafs  der  dramatische 
Mimus  ihrer  Zeit  noch  einen  solchen  Prolog  hatte?  Nun,  dieser 
Prolog  ist  das  naturgemäfse  Gegenstück  zu  dem,  nicht  obliga- 
torischen, aber  weitverbreiteten  Rhythmenprolog  des  erzählen- 
den Mimus.    Wie  z.  ß.  der  Rhythmus  vom  Antichristen  beginnt: 

Quiconque  cupitis  audire      ex  meo  ore  carmina, 
de  summo  deo  nunc  audite      gloriosa  famina 
et  de  adventum  antichristi      in  extremo  tempore, 

wie  so  viele  Rhythmen  ihr  Thema  mit  audite  omnes  ankün- 
digen, so  bedurfte  das  Drama,  bedurfte  der  Mimus  in  einer  Zeit, 
die  noch  keine  gedruckten  Theaterzettel  kannte,  unbedingt  einer 
voraufgehenden  Orientierung  der  Zuhörer.  Eine  einzige  Aus- 
nahme ist  hier  vorzubehalten.  Bei  den  Weihnachts-,  Dreikönigs-, 
Passions-  und  Osterspielen  (und  das  ist  ja  die  Mehrzahl  der 
Mysterien)  wufste  das  Publikum  von  vornherein,  was  ihm  ge- 
boten werden  sollte;  da  war  keine  Belehrung  nötig.  Trug  ein 
Mysterium  anderen  Charakter,  so  wurde  eine  Einleitung  vorauf- 
geschickt; datür  ist  lehrreich  das  niederdeutsche  Theophilus- 
spiel,  das  Hoffmann  von  Fallersleben  1853  herausgegeben  hat,  wo 
sogar  ein  zwiefacher  Prolog  voraufgeht,  weil  man  damit  rechnet, 
dafs  der  kürzere  erste  bei  der  Zuhörerschaft  im  allgemeinen 
Lärm  verloren  gehen  würde:  er  ist  gewissermafsen  das  Zeichen 
mit  der  Theaterkhngel.  Dem  lateinischen  ludus  de  Antichristo 
geht  in  der  Hs.  von  Tegernsee  keine  solche  Orientierung  voran. 
Da  hat  eben  bei  der  Aufzeichnung  die  Analogie  der  kirchlichen 
Festfeiern  eingewirkt;  aber  als  das  Stück  gegeben  wurde,  hat 
sicher  eine  solche  kurze  Belehrung  stattfinden  müssen. 

Daneben  wird  man  guttun,  an  das  englische  Theater  vor 
Shakespeare  und  an  das  zu  denken,  was  Shakespeare  selber  bei 
seinen  Schauspielen  im  Schauspiel,  im  Hamlet  als  das  Übliche 
voraussetzt  und,  im  Sommernachtstraum,  verspottet.  Im  Som- 
mernachtstraum die  Orientierung  über  die  Geschichte  von  Pyra- 
mus  und  Thisbe  und  die  allerdings  sehr  eigentümlichen  Ver- 
hältnisse der  Darstellung.  Im  Hamlet  geht  eine  kurze  Pan tomine 
vorauf.  Ophelia  vermutet  sofort,  dafs  'diese  Vorstellung  den 
Inhalt  des  Stückes  anzeige',   und  erwartet   dann  von  dem  auf- 


320  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

tretenden  Prolog,  der  allerdings  nachher  blofs  um  geneigtes 
Gehör  bittet  (das  'nu  hört,  nu  hört  unde  swyget  stille'  des 
Theophilus),  dafs  er  sagen  werde,  'was  diese  Vorstellung  be- 
deute': alles  vor  dem  Beginn  des  eigentlichen  Schauspiels. 

Hrotsvits  Dramen  aber  mit  ihrer  Inhaltsangabe  im  Titel 
sind  vollgültige  Zeugen  der  Mimenpraxis  ihrer  Zeit:  '(wir  werden 
agieren)  die  wunderbare  Historie  von  dem  Herzog  Gallican;  dem 
hat  Kaiser  Konstantin  seine  Tochter  versprochen,'  usw. 

Aufserdem,  sollte  man  denken,  käme  noch  das  Personen- 
verzeichnis in  Betracht.  Dieses  lehrt  uns  aber  nichts.  Die  Per- 
sonen werden  bei  Hrotsvit  ganz  wie  bei  Terenz  in  der  Reihen- 
folge aufgeführt,  wie  sie  auftreten;  nur  werden  Nebenpersonen 
(z.  B.  die  Frau  des  Dulcitius,  der  Wirt  im  Abraham)  übergangen, 
Gruppen  von  Personen,  wie  die  principes  im  Gallican,  die  milites 
im  Dulcitius,  ans  Ende  gestellt:  dafs  im  Callimachus  die  amici 
gleich  an  zweiter  Stelle  stehen,  erklärt  sich  aus  der  Rück- 
beziehung auf  die  Hauptperson  —  hiefsen  sie  etwa  cives,  so 
würden  sie  auch  an  letzter  Stelle  stehen.  Aus  dieser  Anlehnung 
an  Terenz  ist  gar  nichts  zu  schliefsen.  Wichtig  für  uns  ist 
nicht,  was  Hrotsvit  mit  Terenz  gemein  hat,  sondern  das,  worin 
sie  von  ihm  abweicht. 

Gedacht,  meine  ich,  hat  Hrotsvit  zuerst  an  Darstellung, 
ohne  viel  szenischen  Apparat,  nach  dem  Vorbilde  der  Mimen. 
Aber  wirklich  aufgeführt  sind  ihre  Dramen  damals  nicht  wor- 
den, weder  im  Kloster  noch,  was  Scherer  für  denkbar  hielt,^ 
von  den  Mimen.  Wohl  aber  hat  die  Stauferzeit  die  Dramen 
Hrotsvits  als  Geist  von  ihrem  Geist  erkannt.  Damals  wurde  der 
Gallican  aus  der  Regensburger  Hs.  in  das  grofse  österreichische 
Passionale  übernommen.  Und  der  Anfang  desselben  Dramas 
trägt,  in  staufischer  Schrift,  eine  Reihe  von  Beischriften  zu  den 
Personennamen,  wie  C.  d.  (=  Constantinus  dicit),  G.  r.  (==  Gal- 
licanus  respondet),  Beischriften,  wie  sie  in  den  lateinischen  Dra- 
men der  Stauferzeit,  den  Mysterienspielen,  üblich  sind. 

Wenn  übrigens  hier  das  Passionale  die  Wortstellung  ver- 
einfacht und  dadurch  die  Reimprosa  zerstört,  so  sollte  uns  das 
eine  Lehre  sein,  frei  von  Buchstabenfurcht  und  Verehrung  wür- 
digen Pergamentes  auch  über  die  Regensburger  Hs.  hinaus  der 
echten  Wortstellung,  d.  h.  der  Reimprosa  Hrotsvits  nachzuspüren. 
Ich  bin  darin,  als  ich  meine  Ausgabe  druckte,  noch  viel  zu 
ängstlich  gewesen;  Strecker  ist  der  Sache,  wie  schon  seine  Re- 
zension zeigte,  mit  glücklichstem  Erfolge  weiter  nachgegangen, 
und  wir  dürfen  noch  viel  Aufklärung  darüber  von  ihm  erwarten. 
Wer  hätte  so  leicht  gedacht,  dafs  im  Callimachus  9,  13  zu  lesen 
sei:  ex  cuius  flammea  facie  \  candentes  in  bustum  transiliehant 


*  Qesch.  d.  dt.  Dichttmg  im  IL  und  12.  Jh.,  S.  17. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  321 

scintillae;  \  quarum  una  mihi  in  faciem  ferebatur  resiliens,  \ 
simidque  vox  facta  est  dicens:  \  Calimache,  movere,  ut  vivas. 
Zwei  kühne  Umstellungen,  die  Strecker  vornimmt;  aber  sie  sind 
schlechterdings  zwingend.  Hätte  Hrotsvit  geschrieben,  was  die 
Hs.  gibt,  scintillae  transiliebant  und  q.  u.  res.  m.  in  f,  fere- 
batur, sie  wäre  der  von  ihr  so  heifs  geliebten  Reimprosa  geflis- 
sentlich aus  dem  Wege  gegangen.    Und  so  noch  vieles. 

Es  ist  nicht  Zufall,  dafs,  gerade  ebenso  wie  Dulcitius  und 
Sapientia  nebeneinanderstehen,  zum  Abraham  der  Paphnutius 
tritt.  Dagegen  möchte  ich  den  dritten  analogen  Fall  absondern, 
die  doppelte  Behandlung  des  Teufelsbundes  in  den  Legenden: 
ich  wies  schon  früher  darauf  hin,  dafs  es  sich  dort  um  ver- 
schiedene Motive,  um  Ehrgeiz  und  Liebe,  handelt.  Hier  aber 
ist  zwar  auch  ein  Gegensatz  vorhanden:  Maria,  die  Nichte 
Abrahams,  nach  langer,  strenger  Askese  verführt  und  zur  Dirne 
herabgesunken,  während  wir  über  das  Vorleben  der  Thais  gar 
nichts  erfahren;  aber  es  ist  doch  mehr  als  fraglich,  ob  Hrotsvit 
sich  dieses  Gegensatzes  genügend  bewufst  geworden  ist,  um  den 
Paphnutius  deswegen  als  selbständig  und  nicht  als  Dublette  zu 
empfinden.  Mir  scheint  der  Umstaad,  dafs  Paphnutius  und 
Sapientia  die  beiden  letzten  Dramen  sind,  eine  andere  Auffassung 
zu  empfehlen. 

Nicht  als  ob  die  dramatische  Kraft  der  Dichterin  erlahmt 
wäre,  dafs  sie  plötzlich  sich  selbst  hätte  ausschreiben  müssen. 
Wer  so  kühn  und  sicher  seinen  Weg  genommen  und  nach  dem 
etwas  ungeschickten  (ich  möchte  lieber  sagen :  noch  nicht  bühnen- 
sicheren) Gallican  die  meisterhafte  Burleske  des  Dulcitius,  da- 
nach den  wenigstens  in  seiner  ersten  Hälfte  straff  komponierten 
Callimachus  gedichtet  hat,  dann  den  ohne  jede  Einschränkung 
vollendeten  Abraham:  der  ist  auf  dem  Gipfel  und  nicht  mit 
einem  Male  am  Ende  seines  Könnens;  ganz  abgesehen  davon,  dafs 
Hrotsvit  ja  noch,  nach  der  vorhin  vorgetragenen  Einteilung  der 
Werke,  in  ihrer  ersten  Periode  steht  und  ein  Meisterwerk  wie 
das  Gedicht  über  ihr  Kloster  erst  vor  sich  hat.  Wenn  die  beiden 
letzten  Dramen  so  ganz  abfallen  oder  wenigstens  etwas  so  ganz 
anderes  sind,  dann  mufs  dies  seine  besondere  Ursache  haben. 
Hier  kann  freilich  von  strengem  Beweis  keine  Rede  sein.  Hier 
braucht  es  des  psychologischen  Verständnisses,  eines  Hinein- 
lebens in  die  ganze  Art  der  Dichterin;  wir  müssen  versuchen, 
die  äufseren  und  inneren  Bedingungen  zu  erfassen,  worunter 
sie  ihre  Dichtungen  geschaffen  hat  —  vielleicht  dafs  wir  dann 
eher  die  Ursache  des  Umschwunges  erraten.  Ich  meine,  wie 
gesagt,  Hrotsvit  hat,  als  sie  ihr  erstes  Drama  begann,  allerdings 
mimische  Aufführungen  gekannt  und  hat  bei  ihren  vier  ersten 
Dramen  eine  Aufführung  ins  Auge  gefafst,  wenn  auch  nur  im 
stillen;  wir  wissen,  es  war  nicht  ihre  Art,  in  den  Anfängen  viel 

Archiv  t.  n.  Sprachen.    CXIV.  21 


322  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

iiber  Werdendes  zu  reden.  Von  ihren  Legenden  hat  sie  ihrer 
Äbtissin,  ihrer  Lehrerin  und  vertrauten  Freundin  Gerberge,  erst 
gesagt,  als  der  Theophilus,  die  fünfte  Legende,  fertig  war:  die 
vielen  Einzelausgaben,  die  ich  auf  Grund  der  angehängten  Ge- 
bete konstruiert  habe  (Maria;  Maria  +  Himmelfahrt;  Gongolf; 
Pelagius;  Maria  4  Himmelfahrt  -f  Gongolf  -f-  Pelagius  -\-  Theo- 
philus), sind  nichts  als  Privatreiu Schriften  der  Dichterin,  die 
dabei  wohl  hier  und  da  nachgebessert  haben  wird,  auch  mögen 
ihr  selber  allerhand  Versehen  und  Schreibfehler  untergelaufen 
sein,  wovon  zumal  die  Maria  geradezu  wimmelt.  Gerade  so 
schüchtern  und  zaghaft  wird  sie  zuerst  ihre  Dramen  gehegt  und 
geheimgehalten,  ganz  und  gar  nicht  sogleich  von  einer  Auf- 
führung als  dem  Ziel  ihrer  Wünsche  gesprochen  haben.  Was 
da  vorgegangen  ist,  läfst  uns  die  epistola  ad  quosdam  sapientes 
liuius  Hhri  (der  Dramen)  fautores  erraten.  Sie  hat  bisher  nur 
ganz  wenigen  nahe  Vertrauten  (wir  verstehen  Gerberge  und 
Klosterschwestern)  gezeigt,  was  sie  geschrieben;  aber  Ermunte- 
rung oder  Belehrung  sei  ihr  so  gut  wie  gar  nicht  zuteil  gewor- 
den. Jetzt  aber,  wo  sich  drei  Stimmen  zu  ihren  Gunsten  er- 
hoben (quia  trium  testimonium  constat  esse  verum,  nach  5.  Mos. 
19,  15),  ist  ihre  Zuversicht  und  ihr  Selbstvertrauen  gewachsen; 
sie  wolle  mit  ihrem  Pfunde  wuchern,  und  so  habe  sie  einige 
Fetzen  vom  Kleide  der  Frau  Weltweisheit  (nach  Boethius)  in 
ihr  Werk  verwoben.  Wer  waren  nun  jene  sapientes?  so  fragen 
wir.  Und  was  kannten  sie  von  Hrotsvit?  Ich  habe  schon 
früher^  vermutet,  dafs  es  Gelehrte  aus  St.  Emmeram  waren. 
Und  die  Werke  Hrotsvits?  Das  könnten  allenfalls  die  Legenden 
sein.  Aber  wahrscheinlicher  ist  es  doch,  dafs  es  sich  um  eine 
Probe  der  Dramen,  und  zwar  die  ersten  vier,  handelt,  d.  h.  dafs 
das  neue,  mehr  als  verwegene  Unterfangen  Hrotsvits  ilu-er  Äbtis- 
sin, als  diese  davon  erfuhr,  gar  zu  bedenklich  vorgekommen  ist: 
Gerberge  wird  Bedenken  getragen  und  erst  ein  Obergutachten 
eingeholt  haben  bei  ihren  eigenen  Lehrern;  wir  müssen  beden- 
ken, dafs  St.  Emmeram  in  Regensburg  das  berühmteste  Kloster 
Bayerns  und  Herzog  Heinrich  von  Bayern  der  Vater  Gerberges 
war.  Das  Gutachten  fiel  zu  Gunsten  der  Dichterin  aus;  aber 
aus  der  erhofften  Darstellung  wurde  nichts.  Dafür  wurde  ge- 
hörig Wasser  in  den  Wein  gegossen:  etwas  gelehrtes  Beiwerk 
als  Markknochenzugabe,  das  werde  gut  sein  —  utile  cum  dnlci. 
Nun,  Hrotsvit  hatte  von  Anfang  an  ihre  dramatische  Diktion 
an  den  Komödien  des  Terenz  gebildet;  er  war  das  Vorbild,  das 
sie  wegen  seiner  Kunst  bewundern  und  wegen  seiner  Heiden- 
haftigkeit  und  Ungebundenheit  als  Nonne  hassen  mufste.  Ich 
verstehe  nicht,  wie  Ebert  es  hat  bestreiten  können,  dafs  sie  ihn 


Hrosvitatcsgabe  S.  XII,  Anm.  39. 


Hrotsvits  literarische  Stellung.  823 

verdrängen  will.  So  fügte  sie,  obwohl  ilire  Hoffnungen  zerstört 
waren,  um  doch  die  Sechszahl  der  Komödien  des  Terenz  zu  er- 
reichen, jene  zwei  Dubletten  hinzu.  Aber  sie  bekamen  eine 
Mitgift,  die  sie  von  ihren  Geschwistern  merklich  unterschied. 
Mit  der  Aufführung  war  es  nichts;  dalür  wollte  man  etwas  Ge- 
lehrsamkeit. Nun,  gelehrte  Kenntnis  in  Frage  und  Antwort  zu 
vermitteln,  das  war  längst  üblich  und  ist  es  ja  noch  heute. 
Wir  nennen  das  Katechismus.  Das  Mittelalter  hatte  dergleichen 
auch:  besonders  charakteristisch  ist  die  disputatio  de  rhetorica 
et  de  virtntibus  sapientissimi  regis  Karli  et  Albini  (d.  h.  Alcvins) 
magistri.  Auch  sie  mochte  der  Dichterin  von  St.  Emmeram 
aus  zugekommen  sein,  woher  eine  Haupths.  des  10.  Jahrhunderts 
stammt.  Das,  was  uns  zunächst  ins  Auge  fällt,  worin  sich  diese 
mittelalterlichen  Katechismen  von  vornherein  von  unseren  mo- 
dernen unterscheiden,  ist  dies:  nicht  der  Lehrer  'überhört'  und 
der  Schüler  gibt  nun  in  vorgeschriebener  Form  seine  Antworten, 
sondern  der  wissenschaftlich  interessierte,  wifsbegierige  Schüler 
fragt  und  der  Lehrer  antwortet,  wobei  sich  seine  Antworten 
natürlich  gleich  sehr  ausführlich  nach  allen  Seiten  hin  verbreiten 
können,  so  dafs  der  triviale,  elementare  Charakter  unserer  mo- 
dernen Katechismen  gar  nicht  aufkommen  kann.  Wie  diese 
Form  des  Dialogs  allmählich  entstanden  ist,  gehört  nicht 
hierher:  genug,  dafs  Hrotsvit  sie  fertig  vorfand.  Ihrer  hat  sie 
sich  dann  in  den  beiden  letzten  Dramen  bedient,  um  *einige 
Fetzen  vom  Kleide  der  Frau  Weltw^eisheit'  hineinzuweben,  d.  h. 
die  Erörterungen  über  Musik  und  Zahlentheorie,  die  zu  den 
sieben  freien  Künsten  gehören.  Sie  mochte  sich  dazu  um  so 
eher  entschliefsen,  als  sie  schon  im  Callimachus  mit  den  scho- 
lastischen Terminis  gespielt  hatte.  FreiHch  war  es  dort  ein 
anderes  gewesen,  viel  kürzer  und  keine  Belehrung  Unwissender 
durch  einen  Eingeweihten,  sondern  es  sind  lauter  Adepten,  die 
unter  sich  ihren  Schuljargon  sprechen.  Aber  allerdings  wird 
die  Szene  im  Callimachus  die  wohlmeinenden  Ratgeber  auf  ihren 
weisen  Rat  gebracht  haben. 

Noch  eines.  Die  Sapientia  ist  verhältnismäfsig  frei  be- 
arbeitet. Darüber  wollte,  als  ich  im  Herbst  1900  die  Ausgabe 
druckte,  ein  Schüler  H.  Useners  und  L.  Traubes  handeln,  der 
über  diese  Legende  arbeitete;  ich  weifs  jedoch  nicht,  was  daraus 
geworden  ist  oder  noch  werden  will.  Aber  K.  Strecker  hat  fein 
beobachtet,  dafs  Hrotsvit  sich  überall,  wo  sie  ihrer  Quelle  frei 
gegenübertritt  (Gongolf,  Sapientia)  oder  überhaupt  keine  schrift- 
liche Quelle  hat  (Pelagius),  desto  enger  an  die  Sprache  und 
die  Bilder  des  Prudenz  hält:  hier  hat  sie,  wie  ich  früher  ge- 
sehen hatte  und  Strecker  in  den  Nachträgen  weiter  ausführt, 
gar  ganze  Szenen  nach  seiner  Romanuslegende  gestaltet. 

Wenn  wir  so  begriffen  haben,  was  Hrotsvits  Dramen  eigent- 

21* 


324  Hrotsvits  literarische  Stellung. 

lieh  sind,  so  werden  wir  gewifs  nicht  lange  im  Zweifel  sein, 
wie  wir  sie  zu  übersetzen  haben.  Sie  sind  geschrieben  in  Reim- 
prosa; und  es  hat  sich  wirklich  ein  Übersetzer  gefunden,  der 
das  schöne  Prinzip  vom  Versmafs  des  Originals  auch  hier  —  ich 
mufs,  um  ihm  gerecht  zu  werden,  auch  von  der  Prosa  den  papier- 
nen  Ausdruck  brauchen  —  zur  Geltung  gebracht  hat.  Dafs  Reim- 
prosa, wie  Hrotsvit  sie  schreibt,  für  uns  etwas  ganz  anderes  ist, 
dafs  ihr  Stil  für  uns  durch  Rückerts  Makamen  festgelegt  ist, 
dafs  das  nun  und  nimmer  ein  Drama  gibt,  überhaupt  einen  ge- 
läufigen Stil  —  denn  das  war  doch  die  Reimprosa  für  Hrotsvit 
— ,  das  hat  0.  Piltz  gar  nicht  gemerkt. 

Ein  anderer,  der  mit  drei  dicken  Büchern  die  mittelalter- 
liche Literatur  hat  popularisieren  wollen,  ohne  überhaupt  erst 
zu  wissen,  was  sie  Gutes  hat,  W.  Gundlach,  hat  den  Abraham 
in  unseren  modernen  Blankvers  übertragen.  An  sich  nicht  so 
übel.  Aber  es  ist  Schablone,  nicht  intimes  Verständnis.  Wie 
weit  er  davon  entfernt  ist,  zeigt  die  unglaublich  triviale  oder 
vielmehr  groteske  Übersetzung  des  Gongolf  und  der  Helden- 
taten Ottos. 

Schwanken  könnte  man  allenfalls  zwischen  zwei  Stilformen. 
Man  könnte  an  eine  völlig  unverkünstelte  Prosa  denken,  dafs 
die  Personen  redeten,  wie  ihnen  der  Schnabel  gewachsen  ist, 
und  sich  der  Ton  nur  ausnahmsweise  höbe,  wie  im  Gebete  der 
Konstantia.  Aber  diese  Prosa  würde  wieder  zu  realistisch  sein 
und  den  feinen  Duft  und  Blütenstaub  abstreifen,  der  für  uns 
über  diesen  Dichtungen  liegt,  wenn  wir  sie  im  Original  lesen. 
Und  auch  den  Zeitgenossen  der  Dichterin  war  diese  Dramen- 
dichtung, wenn  nicht  eben  ein  Wagnis,  so  doch  wenigstens  nichts 
Alltägliches. 

Nein.  Hrotsvit  steht  im  Banne  des  Mimus,  ihr  Drama  ist 
ein  Vorläufer  der  Mysterien,  des  Puppenspiels  und  der  Fast- 
nachtspiele des  Nürnberger  Schuhmachers  und  Poeten.  Der 
treuherzig  biedere  Stil  Hans  Sachsens,  sein  Knittelvers,  ist  uns 
ja  nicht  fremd,  und  wer  ihn  nicht  aus  seinen  eigenen  Werken 
kennt,  der  kennt  ihn  aus  Goethes  Gedicht  von  Hans  Sachsens 
poetischer  Sendung.  In  diesen  Stil  aber  hat  schon  vor  einem 
halben  Jahrhundert  ein  guter  Kenner  Hrotsvits  und  feinfühhger 
Übersetzer  ihre  Dramen  übertragen.  Was  wir  brauchen,  ist 
nicht  eine  neue  Übersetzung,  sondern  eine  Revision  der  vor- 
trefflichen, aber  heute  kaum  noch  zu  beschaffenden  Übersetzung 
von  J.  Bendixen. 

Schöneberg -Berlin.  P.  v.  Winterfeld.* 


*  Als  gerade  der  erste  Teil  der  vorliegenden  Abhandlung  erschien,  raffte 
ein  plötzlicher  Tod  den  Verfasser  dahin,  am  4.  April,  in  jungen  Jahren. 
Paul  von  .Winterfeld  war  geboren  1872  zu  Tynwalde  bei  Löbau  in  West- 


Hrotsvits  literarisclie  Stellung.  825 

preufsen,  studierte  in  Berlin,  besonders  unter  Vahlen  und  Kirchhof,  und 
promovierte  18^5  mit  der  Dissertation  De  Ruß  Festi  Avieni  Metaphrasi 
ad  Aratea  recensenda  et  ertiendanda.  Er  wurde  Mitarbeiter  an  den  Monu- 
menta  Oermaniae  historica  und  habilitierte  sich  einige  Jahre  später  in 
Berlin.  Im  Frühjahr  1904  wurde  er  Professor  extraordinarius  für  mittel- 
alterliches Latein.  Als  ausgezeichneten  Konjekturalkritiker  im  Geiste  der 
Lachmannschen  Schule  erwies  ihn  der  erste  Teil  des  vierten  Bandes  der 
Poetee  latini  cvri  Carolini  und  seine  grofse  Hrotsvith-Ausgabe.  Sehr  bedeut- 
sam waren  auch  seine  Arbeiten  über  den  Satzschlufs,  und  seine  Kenner- 
schaft der  mittelalterlichen  Handschriften  ist  nur  von  Ludwig  Traube 
übertroffen.  Mit  welcher  Liebe  und  lebendigen  Phantasie  er  das  Mittel- 
alter und  seine  grofsen  Dichter,  zumal  Notker  und  die  Dichterschule  von 
Sankt  Gallen,  umfafste,  zeigen  zahlreiche  Aufsätze  im  Neuen  Archiv  der 
Gesellschaft  für  alte  deutsche  Oeschichtsforschung,  im  Hermes,  im  Rh.  Mu- 
seum, in  den  'Neuen  Jahrbüchern',  in  der  Zeitschrift  für  deutsches  Altertum, 
die  soeben  von  ihm  eine  grolse  Abhandlung  über  Sequenzen  gebracht 
hat.  Es  stand  von  ihm  eine  Ausgabe  der  Sequenzen  Notkers  zu  er- 
warten, für  die  er  auf  einer  wissenschaftlichen  Forschungsreise  wichtige 
Kollationen  gemacht  hatte. ..  Seine  lebendige  poetische  Gestaltungskraft 
machte  ihn  zum  berufenen  Übersetzer,  davon  legen  seine  'Stilfragen  aus 
der  lateinischen  Dichtung  des  Mittelalters'  Zeugnis  ab.  Auch  gab  er  wenige 
Monate  vor  seinem  Hin8cheiden..eigene  'Gedichte'  heraus.  In  seinem  Nach- 
lasse befinden  sich  noch  mehr  Übersetzungen,  die  er  als  mittellateinisches 
'Dichterbuch*  zu  drucken  beabsichtigte.  Der  oben  veröffentlichte  Aufsatz 
gewinnt  an  Bedeutsamkeit,  wenn  man  ihn  im  Zusammenhange  mit  diesen 
gröfseren  Unternehmungen  würdigt.  Persönlich  war  er  ein  einsamer 
Mann.  Nur  einige  Mitarbeiter  auf  verwandtem  Gebiete  kamen  ihm  nahe. 
Der  Trieb  nach  schöner  Formgebung  machte  ihn  innerlich  vornehm.  Der 
Geist  der  Nonne  von  Gandersheim  war  ihm  die  liebste  Gesellschaft.  Was 
Deutsche  im  verachteten  Spätlatein  gedichtet  hatten,  wollte  er  im  mo- 
dernsten Poesiegewande  zu  besserem  Leben  erwecken.  (Nach  Mitteilungen 
von  Privatdozent  Dr.  H.  Reich.    A.  B.) 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 


Man  findet  es  häufig  als  eine  unbestreitbare  Tatsache  hin- 
gestellt, dafs  dem  englischen  Volke  im  Gegensatz  zu  dem  irischen 
und  schottischen  eine  musikalische  Begabung  vollständig  abgehe 
und  dieser  Mangel  nicht  nur  in  der  Kunst-,  sondern  besonders  in 
der  Volksmusik  und  Volkspoesie  sich  bemerkbar  mache.  So  grofse 
Berechtigung  ein  Blick  auf  die  letzten  Jahrzehnte  dieser  Behauptung 
auch  geben  mag,  der  Literarhistoriker  kann  ihr  keine  allgemein- 
gültige, sondern  nur  zeitweise  Richtigkeit  zuerkennen.  Je  mehr  sich 
die  Forschung  mit  der  Volkspoesie  des  15.,  16.  und  17.  Jahrhun- 
derts beschäftigt,  mit  um  so  gröfserem  Erstaunen  sieht  man,  was 
für  ein  sangesfreudiges  und  auch  sangesbegabtes  Volk  zu  jenen 
Zeiten  England  bewohnte,  wie  sehr,  vor  allem  in  der  Zeit  Elisa- 
beths, das  poetische  Vermögen  mit  dem  musikalischen  Hand  in 
Hand  ging.  Nicht  nur  die  gebildeten  Stände  pflegten  Gesang 
und  Musik,  auch  das  Volk  in  seinen  niederen  Schichten  nahm 
teil  an  diesem  Besitz  und  besafs  einen  unerschöpflichen  Schatz 
von  Liedern,  die  Gemeingut  der  gesamten  Nation  waren.  Sei  es 
in  den  madrigals,  hallads,  catches,  glees,  ditties  oder  auch,  allgemein 
genannt,  songs,  in  allen  stand  die  Poesie  in  engster  Verbindung 
mit  der  Musik  und  kam  für  die  damalige  Zeit  nur  mit  dieser  ver- 
eint in  Betracht.  Die  Dichter  volkstümlicher  Lieder  pafsten  ihre 
Texte  von  vornherein  alten  bekannten  Melodien  an  oder  erfanden 
gar  selbst  eigene  dazu;  hervorragende  Komponisten  hielten  es 
nicht  für  unter  ihrer  Würde,  ihre  musikalischen  Kräfte  in  den 
Dienst  der  Volkspoesie  zu  stellen  und  umgekehrt  auch  aus  ihrem 
Schatz  zu  schöpfen.  Erst  das  17.  Jahrhundert  mit  seinen  strengen 
puritanischen  Grundsätzen,  seinen  Bürgerkriegen  und  Verfassungs- 
streitigkeiten erstickte  allmählich  die  Freude  an  der  alten  welt- 
lichen Volkspoesie  und  machte  dem  'merry  old  England'  ein  Ende. 

Leider  ist  aber  noch  immer  unsere  Kenntnis  von  der  Ent- 
wickelung  und  dem  Umfang  der  Volkspoesie  in  allen  ihren 
Phasen  und  Gattungen  eine  lückenhafte  infolge  der  geringen 
Beachtung,  die  man  ihr  lange  Zeit  zuwandte.  Gerade  auf  dem 
Gebiete  der  Lieder,  die  bei  dem  gewöhnlichen  Volke  beliebt  und 
von  ihm  gesungen  wurden,  wäre  die  Kenntnis  des  gesamten  vor- 
handenen gedruckten  und  handschriftlichen  Materials  von  der 
gröfsten  Wichtigkeit,   da  sie  am  besten   und  unmittelbarsten   das 


t)as  Liederbucli  Ms.  Kawlinson  l*oet.  18^.  827 

Leben  und  den  Geist  des  damaligen  Volkes  widerspiegeln. 
Durch  die  Veröffentlichungen  der  Ballad  Society  ist  uns  schon 
ein  guter  Teil  Strafsenballaden  in  den  Bagford-  und  Roxburghe- 
Sammlungen  zugänglich  geworden;  aber  aufser  ihnen  und  der 
unveröffentlichten  Pepys-Sammlung  in  Cambridge  befindet  sich 
noch  viel  Material  in  den  Hss.-Sammlungen  von  Douce,  Wood 
und  Rawlinson  auf  der  Bodleiana.  Die  Volkspoesie  in  den  Raw- 
linson-Mss.  gehört  zum  gröfsten  Teil  dem  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts au;  eine  Sammlung  von  Balladen  aus  der  Zeit  Elisa- 
beths aber  enthält  die  Handschrift  Ms.  Rawl.  Poet.  185.  Die 
Kopie,  die  dem  folgenden  Abdruck  zugrunde  liegt,  ist  von 
Dr.  S.  Schayer  auf  Prof.  Brandls  Anregung  nach  dem  Original 
in  der  Bodleiana  angefertigt  worden. 

Beschreibung   der  Handschrift. 

Das  jetzt  in  schwarz  Leinen  mit  der  Goldaufschrift  ^ Poems' 
gebundene  Ms.  befindet  sich,  wie  schon  erwähnt,  in  der  Bodleiana 
und  ist  unter  der  Nummer  14677  katalogisiert.  Es  ist  nur  un- 
vollkommen erhalten;  so  fehlt  mindestens  ein  Blatt  nach  fol.  5, 
da  Blatt  6  mitten  in  einem  neuen  Gedicht  beginnt;  einige  Seiten 
sind  am  Rande  ziemlich  stark  beschädigt.  Die  Hs.  besteht  aus 
25  Blättern  mit  je  einem  Schutzblatt  vorn  und  hinten,  die  mit 
allerhand  Schnörkeleien  bedeckt  sind.  Die  Texte  reichen  bis 
fol.  23^;  23^  und  24,  das  ausgerissen  und  von  dem  nur  ein 
Streifen  vorhanden,  enthalten  kurze  englische  Sätze  mit  ihren 
lateinischen  Übersetzungen  in  gleichzeitiger  Handschrift.  Jede 
Seite  ist  in  zwei  Spalten  geteilt  und  demgemäfs  doppelt  beschrie- 
ben; nur  in  dem  Dialog  (Nr.  14)  ist  eine  Teilung  nicht  vorhan- 
den. Die  Handschrift  ist  durchweg  dieselbe;  nur  erscheint  in 
dem  letzten  Liede  die  Tinte  bedeutend  frischer  als  in  den  vor- 
hergehenden. 

Auf  fol.  25^  stehen  am  unteren  Rande  die  Namen  William 
Wagstaffe  und  Thomas  Wagstaffe.  Dies  waren  sicherlich  die 
Besitzer  der  Hs.;  einer  von  ihnen  auch  der  Urheber  der  Schnörke- 
leien. Auf  dem  Rande  von  fol.  9  finden  wir  den  ersteren  Namen 
noch  einmal;  hier  ist  deutlich  zu  erkennen,  dafs  er  von  einer  an- 
deren Hand  und  mit  anderer  Tinte  geschrieben  ist.  —  Auch  der 
Name  Dorothy  Haiford  auf  fol.  1  ^,  der  in  anderer,  späterer  Schrift 
als  der  Text  geschrieben  ist,  wird  der  einer  Besitzerin  des  Ms. 
gewesen  sein. 

Entstehungszeit  und    Art   der  Lieder. 

Über  die  Entstehungszeit  der  einzelnen  Lieder  kann  man 
mit  Sicherheit  annehmen,  dafs  sie  in  die  Jahre  vor  1590  anzu- 
setzen sind ;  in  F.  Madans  Summary  catalogue  of  western  mss.  in 


328  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet,  185. 

the  Bodleian  lihrary  III  324  werden  sie  in  die  Zeit  zwischen  1580 
und  1590  verlegt.  Das  Lied  von  Thos.  Preston  stammt  nach 
eigener  Angabe  der  Handschrift  aus  1589;  aus  derselben  Zeit 
werden  die  beiden  Preislieder  auf  Elisabeth  sein,  da  sie  unter 
dem  Eindruck  des  Unterganges  der  spanischen  Flotte  entstanden 
sein  mögen  und  auch  Anspielungen  auf  dieses  Ereignis  enthalten. 
Tarlton  starb  1588,  seine  Ballade,  Piggy  and  Willy,  mufs  somit 
noch  vor  dieser  Zeit  verfafst  sein.  Die  beiden  Lieder  The  car- 
mans  whistle  und  Mother  Watkins  ale  finden  wir  1592  bei  Chettle, 
Kind  hearts  dream,  erwähnt  (vgl.  Anmerkungen  zu  den  einzelnen 
Liedern). 

In  allen  Texten  haben  wir  es  mit  Erzeugnissen  derselben 
Art  zu  tun,  wie  sie  uns  in  den  Bagford-  und  Roxburghe-Samm- 
lungen  der  Ballad  Society  entgegentreten.  F.  Madan  bezeichnete 
sie  in  seinem  Katalog  als  'songs  and  hallads'.  Den  eigenen  Über- 
schriften zufolge  finden  wir  in  ihnen  die  Bezeichnungen  ballad, 
ditty,  song.  In  der  damaligen  Zeit  wurde  kein  strenger  Unter- 
schied zwischen  diesen  gemacht;  song  war  natürlich  der  weitere 
Begriff,  der  alles  in  sich  fafste;  aber  das  Volk  bezeichnete  auch 
manche  Dichtung  mit  ballad,  der  wir  heute  diesen  Namen 
nicht  mehr  geben  würden.  Auf  den  Inhalt  kam  es  kaum  an, 
denn  dieser  konnte  sowohl  weltlichen  als  auch  religiösen  Cha- 
rakters sein;  auch  wurden  die  vorhandenen  Melodien  ohne  Unter- 
schied auf  Lieder  jeden  Inhalts  angewandt.  In  erster  Linie  sprach 
hier  das  Interesse  der  'ballad  publishers',  die  natürlich  solche 
Dichtungen  drucken  und  verkaufen  liefsen,  von  denen  sie  glaub- 
ten, dal's  sie  dem  Volke  beim  Vortrag  gefallen  und  zum  Kauf 
für  einen  Penny  das  Stück  anreizen  würden.  Daher  ist  auch 
der  Inhalt  unserer  Liedersammlung  aufserord entlich  mannigfaltig. 
Bufs-  und  Moralpredigten  im  Stil  der  populären  Psalmenbearbei- 
tungen mit  starker  Benutzung  der  biblischen  Geschichten,  eltern- 
liche Ermahnungen  an  ihren  Sohn,  die  Freuden  des  Landlebens 
und  Schilderungen  des  Stadtlebens,  die  Liebe  in  allen  ihren 
Phasen  mit  besonderer  Neigung  zum  Erotischen  und  Zotenhaften, 
das  Ehe-  und  das  Junggesellenleben  und  daneben  begeisterte 
Preislieder  auf  die  Königin  bilden  den  Inhalt  der  Texte.  Be- 
merkenswert ist,  dafs  fast  allen  etwas  Lehrhaftes  und  Gelehrtes 
anhaftet;  so  überrascht  förmlich  die  aufserordentlich  genaue 
Kenntnis  der  antiken  Götter-  und  Heroensagen  und  ihre  häufige 
Heranziehung  zu  Vergleichen. 

Über  die  Verfasser. 

Wie  überhaupt  bei  dem  weitaus  gröfsten  Teile  der  Volks- 
poesie jener  Zeit  sind  uns  auch  hier  nur  vereinzelt  Verfasser- 
namen überliefert.    In  dem  dritten  Liede  stehen  hinter  dem  Titel 


Das  Liederbuch  Ms.  Eawlinson  Poet.  185.  829 

A  goodly  and  good  example  to  avoyde  all  inconveniences  as  hereafier 
followeth;  to  Wilsons  tune  die  Buchstaben  R.  H.  Vielleicht  be- 
ziehen sich  diese  Anfangsbuchstaben  des  Namens  des  Dichters 
auf  Richard  Hill,  von  dem  wir  drei  Lieder  im  Paradise  of  dainty 
devices  1576  vorfinden. 

Nr.  8,  A  ballad  from  tke  countrie  sent  to  showe  how  we  should 
fast  this  lent,  trägt  die  Unterschrift  quod  Thomas  Preston  1589. 
Thomas  Preston  (1537 — 1598)  lebte  in  Cambridge  und  wurde  be- 
sonders 1569  bekannt  durch  seine  Tragödie  Cajnbyses;  er  betätigte 
sich  aber  auch  als  Balladendichter.  Aufser  der  im  Rawl.-Ms. 
vorliegenden  ist  von  ihm  noch  eine  zweite  Ballade  erhalten: 
A  lamentation  from  Rome  how  the  Pope  doth  bewayle  the  rebelles  of 
England  cannot  prevayle  1570  [abgedruckt  bei  Collier,  Percy  So- 
ciety I  68],  und  der  Titel  einer  verlorenen  dritten,  A  geliflower  of 
swete  marygolde,  wherein  the  frutes  of  tyranny  you  may  beholde 
1569/70  [Collier,  Shakespeare  Society  1848  S.  222].  Der  Artikel 
im  Dict.  of  nat.  biogr.  über  ihn  führt  ihn  nur  als  den  Verfasser 
von  diesen  beiden  letztgenannten  Balladen  an. 

In  Nr.  10,  der  Ballade  von  Willie  and  Peggie,  stehen  am  Ende 
die  Worte:  quod  Richard  Tarlton;  da  es  auch  nach  'Tarltons  caroW 
gesungen  wurde,  werden  wir  in  ihm  sowohl  den  Dichter  als  auch 
den  Komponisten  der  Ballade  zu  sehen  haben.  Das  Preislied 
auf  Elisabeth  (Nr.  12)  geht  ebenfalls  nach  'Tarltons  caroW;  aus 
dem  durchaus  anders  gestalteten  strophischen  Bau  wird  aber  er- 
sichtlich, dafs  es  nicht  dieselbe  Melodie,  sondern  eine  andere 
Komposition  desselben  Mannes  ist.  Ein  T,  das  am  Schlufs  dieses 
zweiten  Liedes  steht,  könnte  vielleicht  darauf  schliefsen  lassen, 
dafs  auch  hier  in  der  Person  Tarltons  eine  Personalunion  von 
Komponist  und  Dichter  vorliegt.  Wenn  uns  dieser  auch  sonst 
als  Musiker^  und  Poet  überliefert  ist,  so  bleibt  dies  aber  immer- 
hin nur  eine  Vermutung.  —  Richard  Tarlton  gehörte  als  komischer 
Schauspieler  der  königlichen  Truppe  Elisabeths  an  und  bekleidete 
bei  ihr  auch  zugleich  das  Amt  eines  ^groom  of  her  Chamber'.  So- 
wohl bei  der  Königin  und  dem  Hofe  als  auch  beim  Volke  stand  er 
in  aufserordentlich  hoher  Gunst;  besonders  in  den  letzten  Jahren 
vor  seinem  1588  erfolgten  Tode  stieg  seine  Popularität  ins  Un- 
geheure, wie  die  häufigen  Anspielungen  und  Lobpreisungen  auf 
ihn  zeigen.  2  Einen  Sturm  von  Begeisterung  erregten  besonders 
seine  Improvisationen  auf  der  Bühne  über  irgendein  Thema,  das 
ihm  das  Publikum  vorschlug;  daneben  trat  er  als  Balladensänger 
zeitweilig  hervor.  1570  erfahren  wir  zuerst  von  ihm  aus  den 
Stationer  Registers  (Collier,  Shak.  Soe.  1849  S.  12),   in  denen  eine 

*  Kompositionen  von  ihm  sind  erhalten  in  Mss.  der  Cambridge  Uni- 
versity  library. 

'  Vgl.  Halliwell,  Vorrede  zum  Neudruck  von  Tarltons  Jests  in  der 
Shak.  Soc.  1844. 


330  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 

Ballade,  Ä  very  lamentable  and  wofull  discourse  of  ihe  fierce  flud 
which  lately  flowed  in  Bedfordshire,  in  Lincolnshire,  and  in  many 
other  places,  with  the  great  losses  of  sheep  and  other  cattel;  the  5.  Ok- 
tober 1570,  mit  seiner  Autorschaft  zum  Druck  angemeldet  wird 
(abgedruckt  von  Collier,  Percy  Soc.  V  64).  In  dem  Artikel  über 
ihn  im  Dict.  of  nat.  biogr.  wird  als  unwahrscheinlich  hingestellt, 
dafs  Tarlton  wirklich  der  Verfasser  war,  und  angenommen,  dafs 
sein  Name  vom  Drucker  nur  als  Lockmittel  benutzt  worden  sei. 
Dagegen  spricht  aber: 

1)  Zu  dieser  Zeit  wird  Tarlton  kaum  schon  so  populär  ge- 
wesen sein;  erst  13  Jahre  später  finden  wir  ihn  als  Mitglied  der 
königlichen  Truppe  genannt. 

2)  1578  ist  eine  zweite  Ballade  von  ihm  auf  ein  ähnliches 
Naturereignis,  einen  tagelang  andauernden  Schneefall,  von  dem- 
selben Drucker  angemeldet  worden,  Tarlton  advice  upon  this  un- 
locked  for  great  snow,  die  leider  nicht  erhalten. 

3)  Seine  Begabung  zum  Dichten  geht  aus  seiner  berühmten 
Improvisationskunst  hervor  und  ist  auch  durch  einzelne  noch 
vorhandene  Werke  sichergestellt;  auch  in  unserem  Rawl.-Ms.  ist 
seine  Verfasserschaft,  die  ja  besonders  angegeben,  nicht  zu  be- 
zweifeln. 

In  einem  Neudruck  von  Spensers  Teares  of  the  muses  1611 
wird  Tarlton  mit  dem  'pleasant  Willy^  identifiziert,  dessen  Tod 
Thalia  beklagt;'  im  Dict.  of  nat.  biogr.  wird  zur  Erklärung  dafür, 
dafs  Spenser  ihn  unter  diesem  Namen  einführt,  angegeben,  Willy 
sei  zu  jener  Zeit  als  familiäre  Bezeichnung  ohne  Rücksicht  auf 
den  wirklichen  Vornamen  gebraucht  wordön.  Diese  Annahme 
erscheint  mir  in  diesem  Falle  nicht  zutreffend.  In  der  uns  vor- 
liegenden Ballade  ist  der  Name  Willy  ebenfalls  gebraucht,  und 
zwar  figuriert  unter  ihm  Tarlton  selbst.  Dies  geht  unzweideutig 
aus  dem  Liede  hervor,  in  dem  er  seiner  ausgelassenen  Fröhlich- 
keit wegen  als  Schauspieler,  Sänger,  Liebling  der  Königin,  des 
Hofes  und  des  Volkes  gefeiert  wird;  es  wird  von  ihm  erzählt, 
dafs  er  von  auswärts  nach  London  kam,  was  bei  ihm  ja  der  Fall 
^var,  und  bei  der  Königin  ^groom  of  her  chamber'  wurde;  auf 
seine  Improvisation  auf  der  Bühne  wird  angespielt,  wenn  es 
heifst:  to  sing  them  (=:  dem  Publikum]  their  themes  he  never 
denied  (12,  3).  Aus  dem  ironischen  Ton,  der  an  manchen  Stellen 
unverkennbar  hervordringt,  auch  aus  dem  Schlufs,  in  dem  der 
Dichter  der  trauernden  Peggie  voraussagt,  dafs  sie  sich  mit  einem 

*  And  he,  the  man  whom  Nature  seife  had  made, 
To  mock  her  seife,  and  Truth  to  Imitate, 
With  kindly  counter  under  Mimick  shade, 
Our  pleasant  Willy,  ah!  is  dead  of  late: 
With  whom  all  ioy  and  iolly  meriment 
Is  also  deaded,  and  in  dolour  drent. 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185.  331 

anderen  trösten  werde,  und  aus  dem  Umstand,  dafs  Tarlton  am 
Schlufs  als  Verfasser  angegeben  ist,  wird  man  mit  einiger  Sicher- 
heit annehmen  können,  dafs  dieser  berühmte  Komiker  nach  echter 
Clown-Art  sich  selbst  durch  den  Mund  seiner  Geliebten  einen 
Nekrolog  setzte  und  ironisch  seine  eigenen  Verdienste  feierte. 
Dafs  Tarlton  selbst  diesen  Namen  verwandte,  geht  aus  einer 
Komposition  von  ihm  hervor,  die  in  Cambridge  sich  im  Manu- 
skript befindet,  und  die  die  Aufschrift  Tarltons  Willy  ^  trägt. 
Willy  war  für  ihn  wohl  eine  Art  Gattungsname  für  das  männ- 
liche Geschlecht,  den  er  auch  auf  sich  selbst  anwendete,  und  der 
nun  auch  beim  Volke  für  ihn  typisch  wurde.  Somit  konnte  ihn 
auch  Spenser  unter  diesem  Namen  in  seine  Dichtung  einführen 
und  sicher  sein,  dafs  er  von  jedem  seiner  Zeitgenossen  verstanden 
wurde. 

Texte.2 

[I.] 

A  sonnge  of  the  guise  of  London. 

Will  you  buy  any  broome,  birch  and  greene, 

The  finest  broome  that  ever  was  seene, 

broome  of  the  best,  you  knowe  what  I  meane? 

will  you  buy  any  Broome,  mistris?  4 

Will  you  buy  any  brushes  that  be  stronge, 

Brushes  short  and  Brushes  lonnge, 

Lylie  white  Brushes?  this  is  my  sonnge: 

Will  you  buy  any  Broome,  mistres?  8 

Will  you  buy  any  brushes  for  your  cotes 

To  brush  away  dust  and  allso  motes, 

Very  fine  Brushes  for  gownes  and  clokes? 

Will  you  buy  any  Broome,  mistres?  12 

Will  you  buy  any  Rods  or  holly  wands, 

Pyes  the  best  that  ever  came  in  your  hands? 

I  have  the  daintiest  puddings  in  all  these  lands. 

Will  you  buy  any  Broome,  mistres?  16 

What  lacke  you,  goodwife,  what  do  you  seeke, 

A  good  neates  foote  or  a  good  hogge  Cheeke? 

my  wäre  is  the  best  that  you  saw  this  weeke. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  20 

New  place,  new,  as  new  as  the  daye, 

new  whittings,  new  höre  have  you  may; 

Come  buy  all  my  fishe  and  send  me  away. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  24 


'  Ob  diese  Komposition  vielleicht  in  Zusammenhang  steht  mit  der 
Ballade  Willy  and  Peggy,  konnte  ich  leider  nicht  feststellen,  da  mir  die 
Melodie  nicht  zugänglich  war. 

*  Die  Orthographie  der  Hs.  ist  beibehalten  mit  Ausnahme  der  vor- 
kommenden Eigennamen,  die  ich  immer  mit  grofsem  Anfangsbuchstaben 
geschrieben  habe;  auch  habe  ich  Gleichmäfsigkeit  in  den  Überschriften  der 
einzelnen  Lieder  durchgeführt. 


332  Das  Liederbuch  Ms.  ßawlinson  Poet.  185. 

Mackrell,  new  choppers,  longe  and  greate, 

Walflett  Oysters,  they  be  very  good  meate; 

fishe  of  the  best  and  scant  to  gett. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  28 

Will  you  buy  any  flory  that  is  blacke, 

worke  for  a  tinker,  mistres,  what  do  you  lack? 

have  you  any  olde  Bellows  to  mend  that  be  in  wrack? 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  32 

Will  you  buy  any  mille  and  firmetie, 

A  good  sawsedge,  a  good?  comme,  buy  of  me 

fine  Orenges,  the  best  you  did  see. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  36 

Pippins  fine,  the  best  in  the  streat,  ^ 

Quinces  and  wardons,  the  best  you  can  meet, 

nutte  of  the  best,  both  smale  and  great. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  40 

Have  you  any  old  Ironfosell, 

Old  broken  silver?    I  pray  you,  teil; 

An  old  broken  goblett  would  do  very  well. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  44 

Old  pastes,  or  cunney  fures,  maides, 

good  shomakers  heres,  or  good  all  blades, 

In  Smithfield  is  to  seil  good  horses  and  jades. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  48 

Chimney  sweep,  maides,  chimney  sweepp, 

aqua  vite  of  the  best  to  spend  or  to  keepp, 

Callis  sand  of  the  best  between  London  and  Deepp, 

Will  you  buy  any  Broome,  mistris?  52 

Kitchen  stufe,  maids,  have  you  any  to  seil, 

Shirt  laces  and  bottons  that  bere  the  bell? 

I  have  other  thinges  that  will  like  you  well. 

will  you  buy  any  Broome,  mistres?  56 

Hard  yong  letuce,  faire  and  white, 
A  ripe  cowcumber  a  ripe, 
I  have  all  fine  herbes  that  you  can  resite. 
will  you  buy  any  Broome,  mistres?  60 

fi/nia, 

[IL] 

A  prety  songe  to  the  tune  of  Legoranto. 


These  passions  here  which  I  professe, 
ood  sir,  requires  great  cost; 
pray  you,  make  not  to  much  hast, 
lest  that  your  love  be  lost. 


f 


[L]  Z.  38  Der  Rand  ist  beschädigt;  von  meet  nur  m  noch  erhalten.  —  41  have 
zu  ergänzen;  nur  e  noch  vorhanden.  —  42  Von  old  nur  Id  vorhanden.  —  45  Das 
Wort  nach  cunney  ist  unlesbar,  nur  es  erkennbar]  fures  würde  dem  Sinne  nach 
passen  und  auch  den  undeutlichen  Zeichen  der  Hs.  entsprechen.  —  47  Smithfield  war 
ein  Platz  in  der  City  of  London,  auf  dem  früher  die  Hinrichtungen  vollzogen  wurden  j 
und  auf  dem  zu  jener  Zeit  die    Viehmärkte  stattfanden. 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185.  888 

When  Summer  is  goinge,  there  winter  is  comminge 
apace; 
I  you  advise,  if  you  be  wise, 

In  time  to  stay  your  chase.  8 

Lest  that  you  run  as  Phebus  did 
who  Daphne  did  persue 
with  flyinge  flyght,  yet  naught  avayld, 
although  bis  love  was  trew;  12 

for  she  desired  ratber  Peneius,  ber  father, 
agree 
To  turne  tbis  wencbe  Joves  love  to  quench 

Into  a  lawrell  tree.  16 

I  pray  you  tberefore,  stay  your  steppes, 
your  sute  is  very  cold; 
To  love  to  soone  witbout  advise 

I  dare  not  be  so  bolde.  20 

Tbe  tymes  tbey  do  varry,  and  I  cannot  tarry 
or  staye; 
Your  sute  or  prayer  I  will  not  here, 

for  needs  1  must  awaye.  31 

Dianaes  love  I  doe  embrace, 
from  wbicb  I  will  not  cbange; 
I  meane  as  vet  to  locke  my  love, 

least  forwardly  it  ränge.  28 

Tbe  tbinge  you  requested  to  grant  I  detested, 
for  wby? 
I  will  be  Said  to  live  a  maide, 

Till  Atropos  drawe  nye.  32 

Your  foresaid  love  and  sute  I  scorne, 
from  Cupid  I  am  free; 
In  Baies  I  boste  witb  Dapbne  faire, 
I  love  the  lawrell  tree.  36 

Tben  wbo  can  remove  me,  altboughe  ye  do  love  me 
so  deere? 
for  Cupids  lawe  I  passe  not  a  strawe, 

His  sbafte  I  little  feare.  40 

Wbat  cankered  care  and  Jelowsie 
tbe  maried  wives  sustaine, 
wbat  fancie  fond  the  busbands  bave  — 
to  sbow  it  were  in  vain.  44 

If  I  sbould  be  maried,  my  corpes  sbould  be  caried 
awaye ; 
for  stormes  of  strife  would  end  my  life,ll 

and  dose  me  fast  in  claye.|  48 

Bebolde  bow  Jove  most  cunningly 
did  take  the  sbape  of  Bull, 
Wbo,  tbougb  be  maried  Juno  faire, 
deceived  many  a  trull.  62 

Seetb  gods  bave  abused  the  tbing  that  well  used 
sbould  bee.;; 
111  not  be  made  but  very  glade 

to  love  tbe  Lawrell  tree.  56 

Tbe  silly  soule,  poore  Procbris  once, 
wbo  was  a  maried  wife, 


334  Das  Liederbuch  Ms.  Eawlinson  Poet.  185. 

the  crooked  earlle  Jelowsie 

did  cause  her  end  her  life;  60 

for  when  her  spouse  Cephall  in  huntyng  thus  calle 
for  ayre, 
With  leveled  darte  he  perced  her  harte, 

thinking  she  was  a  dere.  64 

A  virgin  hath  none  of  these  harmes 
her  daintie  minde  to  cloye; 
a  maiden  hath  noe  jelows  thoughts 

to  kill  her  with  annoye.  68 

A  maide  hath  no  moninge,  in  childbed  no  groninge; 
but  still 
she  lives  in  joy  far  from  anoye; 

she  houldes  her  ease  at  will.  72 

Yet  surely  I  am  sorye,  sir, 
because  such  paines  you  take 
In  lovinge  her  that  loves  not  you, 

who  doth  you  quite  forsake.  76 

yet  reson  pretendeth,  and  wisdome  intendeth 
to  use 
A  medicine  pure  your  wites  to  eure, 

The  whicn  you  do  refuse.  80 

Let  reason  rule  that  raginge  love 
of  Cupids  flaminge  fire; 
let  wisdome  have  the  uper  hande 

of  this  your  fond  desire;  84 

let  not  love  dismaye  you,  swete  freend,  I  pray  you: 
remaine 
In  wisdomes  power  and  reasons  bower; 

then  shall  you  be  whole  againe.  88 

finis. 

[III.] 

A  goodly  and   good  example  to  avoyde  all  inconveniences 

as  hereafter  foUoweth.    To  Wilsons  tune.    E.  H. 

Why  should  not  mortall  men  awake,  and  see  the  day  appere? 

why  should  we  not  shake  of  our  pride,  and  serve  the  lord  with  fere? 

men  are  so  drowned  in  peevishe  pride,  the  worser  part  they  take; 

But  what  attaines  to  perfect  good  they  whoUy  do  forsake. 

The  day  is  nye!  for  shame,  awake  with  humbly  hartes  therefore; 

approche  the  place  where  mercy  is,  and  lerne  to  sinne  no  more!  6 

How  lonnge  shall  we  forgett  our  god,  and  laye  his  lawe  aside? 
how  lonnge  shall  we  procure  his  wrath  by  this  excesse  of  pride? 
High  tyme  it  is  for  Englishe  harts  to  god  for  grace  to  call 
with  bendinge  knees  and  liftinge  hands  and  strikinge  voice  withall.    lO 
The  day  is  nye!     &c. 

The  axe  is  sett  unto  the  tree;  then,  if  we  be  not  rotten, 

let  US  shake  of  our  vanitie;  let  pride  be  quite  forgotten. 

for  god  hath  shewed  examples  störe  to  move  us  to  repente, 

But  we,  alasl  sinne  more  and  more,  we  are  so  lewdly  beute.  14 

The  day  is  nyel    &c. 

For  pride,  alas!  doth  bere  the  sway  in  outwarde  showe  and  harte; 
but  weeknes  of  the  minde  we  may  perceave  is  put  aparte. 


Das  Liederbuch  Ms.  KawliDson  Poet.  185.  835 

have  minde  therefore,  howe  angells  bright  Üiat  once  with  god  did  dwell, 
for  pride  whereiii  they  tooke  delight  were  headlonng  throwne  to  hell.  18 
The  day  is  nye!    &c. 

Proud  Jesabell  whose  sinne  so  great  did  move  the  lorde  to  Ire, 

was  headlonge  from  her  tower  so  neat  cast  in  the  filthy  myre. 

The  ravininge  dogges  in  open  streates  devored  her  wicked  corse, 

her  fleshe  and  bloode  with  horses  feett  was  trode  without  remorse.     22 

The  day  is  nye!     &c. 

Nabuchadnezar  so  greate,  of  Babylon  the  kinge, 

was  quite  excluded  from  his  seate,  which  playge  his  pride  did  bring; 

for  when  that  pride  in  him  encrest,  he  therin  did  abounde; 

But  for  his  pride  he  was  a  beast,  and  eat  the  grasse  on  grounde.         26 

The  day  is  nyel     &c. 

Antiocus  through  pride  thought  good  equall  to  be  with  god, 
whose  thoughts  most  vile  the  Lord  withstood  by  his  revenging  rod; 
he  made  this  wicked  king  accurst  who  showed  himselfe  so  stout, 
and  caused  his  bowells  so  to  burst  that  wormes  came  cralinge  out.     so 
The  day  is  nye!     &c. 

The  daughter  of  a  merchant  late  in  Italy  that  dwelt 
accepted  pride  to  be  her  mate,  which  caused  her  soule  to  swelt; 
whose  ruffes  to  sett  none  plesed  her  sight,  she  was  so  coye  a  dame, 
tyll  Sathan  had  her  for  his  right  unto  her  parentes  shame.  34 

The  day  is  nye!    &c. 

The  Gyantes  once,  to  have  the  seat  of  suprem-head,  presumed, 

the  which  was  very  hard  to  gett;  at  length  they  were  consumed. 

The  bewtye  of  Narcis  so  strainge,  which  did  his  witte  devoure, 

the  godes  decree  the  same  did  chainge  into  a  yellow  flower.  38 

The  day  is  nye!     &c. 

Loe,  daintye  dames  of  London  brave,  that  now  in  plesures  bärge, 

how  mighty  Kinges  and  ladies  have  from  vertue  runne  at  large 

By  hauty  hartes  before  the  lord  of  sinnes  which  is  the  worst, 

and  angells  bright  with  one  accord  how  pride  hath  made  accurst.       42 

The  day  is  nye!     &c. 

What  makes  the  rieh  without  all  feare  disdaine  the  lowly  minde? 
What  caused  the  sonne  his  father  dere  denye  against  all  kinde? 
What  causes  whordome  now  prevayle,  or  theft  so  muche  to  raigne? 
this  filthy  pride,  for  why,  some  steale  their  mynions  to  maintaine.      46 
The  day  is  nye!     &c. 

Leave  of  therffore  this  vaine  excesse,  whilst  mercye  may  be  had! 
abandon  all  presumptuousnes  which  makes  your  soules  füll  sadl 
For  god  lifted  up  the  humble  harte!  he  lawdes  the  lowly  minde, 
But  puffinge  pride  he  puttes  aparte,  as  chaffe  against  the  winde.        50 
The  day  is  nye!     &c. 

God  doth  compare  unto  a  childe  his  glorious  kingdome  wholly, 

and  to  the  little  dove  so  milde  that  sheweth  her  seife  so  lowly; 

The  first,  saith  Christ,  shalbe  the  last,  the  gretest  shalbe  lest, 

and  he  that  never  pride  did  tast  with  god  shall  live  in  rest.  54 

The  day  is  nye!     &c. 

Strive  not  for  welth,  let  vertue  bounde  with  lowly  minds  accord; 

for  when  god  doth  the  prowed  confound,  the  meeke  shall  see  the  lorde. 


336  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 

The  meeke  who  seekes  the  lord  to  plese  for  his  deserved  hire 

Shalle  were  a  crowne  of  BlisfuU  bayes;  what  more  can  he  desire?  58 

The  day  is  nye!     &c. 

What  can  avayle  your  velvet  gownes,  your  caules  of  glitteringe  golde, 
your  ruffes  so  deepe,  your  chaines  of  jette,  when  you  are  tournd  to  mould  ? 
your  painted  face,  your  frisled  heare,  your  cotes  of  scarlet  red, 
your  colloured  hose,  your  jewels  deare,  your  hoodes  upon  your  head?    62 
The  day  is  nye!     &c. 

Your  fingers  fine  bedect  with  rings,  your  countenance,  brave  and  bolde, 
your  tathnge  tongues,  and  other  thinges  most  sin  füll  to  beholde, 
your  trippinge  pace,  and  gaddinge  grace,  your  lives  to  Venus  beute, 
your  lofty  lookes  with  lustfuU  hookes  will  cause  your  soules  be  shente.   66 
The  day  is  nye!     &c. 

When  doomes  day  comes,  as  it  is  nye,  all  thinges  shall  loose  there  light, 
those  which  are  ioyned  with  meeknes  clere  shall  shine  in  glory  bright. 
for  shame  therfore  shake  of  your  pride,  put  vaine  delights  awaye, 
and  let  dame  vertue  be  your  guide,  your  State  shall  not  decaye.  70 

The  day  is  nye!    &c.  ^^^^ 


[IV.] 
A  pretie  dittie  and   a  pithie,  intituled:   0  mortall  man. 


O  mortall  man  behold  and  see: 
this  World  is  but  vanitie.  2 

Who  shall  profoundly  way  and  scan 
the  unassured  state  of  man, 
shall  well  perceve  by  reson  then, 
That  ther  is  no  stabilitie, 
all  is  subiect  to  vanety.  7 

If  thow  be  kinge,  or  emperoure, 
prince  ether  lord  of  might  or  poure, 
thy  poore  subiectes  do  not  devoure; 
Beware  of  pride  and  crueltye, 
Lose  not  tny  fame  for  vanetie,     12 
Lose  not  thy  fame  &c. 

If  thow  be  set  to  do  justice, 
reward  vertue,  and  punish  vice, 
oppresse  no  man  —  I  thee  advice; 
abuse  not  thine  autoritye 
to  vexe  poore  men  for  vanetye;    17 
to  vexe  poore  men  &c. 

If  thow  have  landes,  or  goodes  great 

Store, 
consider  then:  thy  charge  is  more, 
sith  that  thow  must  accompt  therfore. 
they  are  not  thine,  but  lent  to  thee, 
and  yet  they  are  but  vanetie;       22 
and  yet  they  are  &c. 

And  if  thow  forten  to  be  poore, 
so  that  thow  gow  frora  dore  to  dore, 
humblie  give  thankes  to  god  therfore, 


and  thinke  in  thine  adversitie: 
this  World  is  but  a  vanetie;  27 

this  World  is  but  &c. 

If  thou  of  youth  have  oversight, 
refraine  thy  will  with  all  thy  might ; 
for    wicked    will    doth    worke    his 

spight. 
Let  them  at  no  tyme  idle  bee, 
for  that  encreseth  vanetie;  32 

for  that  encreseth  &c. 

If  to  serve  others  thow  be  beut, 
serve  with  goodwill,  and  be  content 
to  do  thy  lordes  commandement ; 
serve  trew  and  eeke  painfully, 
do  not  delight  in  vanetie;  37 

do  not  delight  &c. 

But  if  thow  have  mens  soules  in  eure, 
thy  Charge  is  great,  I  thee  assure, 
in  wordes  and  deedes  thow  must  be 

pure; 
all  vertue  must  abound  in  thee; 
thou  must  eschew  all  vanetie;       42 
thou  must  eschew  &c. 

If  thou  be  stronge  and  faire  of  face, 
sikenes  or  age  doth  both  deface; 
then  be  not  prowed  in  any  case; 
for  how  can  ther  more  follye  be 
Then  to  be  prowed  in  vanetie,       47 
Then  to  be  prowed  &c.? 


[in]  57  plese]  pless  Hs. 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185.  337 

Now  finallv  be  not  infect  Now  let  us  pray  to  god  above 

with  worldly  care,  biit  have  respect  that  he  voutsaffe  our  harts  to  move 

how  god  rewardes  his  trew  elect  each  one  another  for  to  love, 

with  most  perfect  felicitie;  and  flye  from  all  inyquitie: 

voide  of  all  worldly  vanetie;         52  so  shall  we  voide  all  vanitie;        57 

voide  of  all  wordly  &c.  so  shall  we  voide  &c. 

finis. 

[V.] 
A  pretie  dittie  to  the  tune  off  Ladie  Jane. 

It  was  a  maide  of  Islington,  My  mistris  is  a  daintie  dame, 

and  her  wheell  ran  very  rounde;  and  bravely  she  can  iet  it, 

and  many  a  wanton  web  she  spun,  and  if  my  whele  runs  out  of  frame, 

and  it  cost  her  many  a  pound.       4  she  will  say  wanton  lette  it.  12 

Alas!  Said  she,  what  hap  had  1,  thus  many  a  check  and  taunt  have  T, 

run  round,  run  round,  my  whele!  run  round,  run  round,  my  whele! 

I  fere  a  mayden  I  shall  die,  I  fere  a  maiden  I  shall  die, 

before  my  web  I  rele.  8  before  my  web  I  reele.  16 

[VI.] 

[The  admonition  of  his  father  and  his  counsaile 

at  the  departing  of  the  son.] 


and  he  that  hath  the  hevenly  skill  of  lemings  lore  attaind, 

a  jewell  rare,  a  perle  of  price  that  happie  men  hath  gaind.  4  (?) 

Though  now  to  thee  the  frutes  therof  doth  not  so  fully  growe, 

the  profit  of  so  rare  a  tree  thow  shalt  hereafter  knowe; 

for  why,  by  learninge  first  the  trew  and  livinge  god  was  knowne, 

whose  perfect  truth  from  falshood  vile  therby  is  plainly  showne.  8 

The  vertue  ecke  of  Sunne  and  moone,  the  stares  and  plannetes  seven, 
and  each  thinge  eis  that  beareth  life  and  dwelleth  under  heaven, 
yea,  every  beast  and  fathered  foule,  the  fish  in  fominge  flood, 
each  plant  and  tree  in  Summer  tyme  that  on  the  earth  doth  bood.     12 

Then  sith  it  is  so  rare  a  thinge  with  leminge  to  abide, 

forsake  not  thou  that  gratious  guest  which  is  so  good  a  guide; 

and  last  of  all,  my  loving  sonne,  have  thou  in  heedfuU  mynde 

the  perfect  knowledge  of  the  trade  wherto  I  shall  thee  binde.  16 

That  thou  maist  be  in  tyme  to  come  a  worthy  workman  deemd, 

and  for  thy  skill  in  curious  arte  amonge  the  best  esteemd, 

Apelles  and  Pygmalion  both  examples  well  may  be, 

whose  fame  doth  live,  though  they  be  dead,  and  florish  still  we  see.  20 

Then  thinke  no  scorne,  my  lovinge  sonne,  a  handy  craft  to  learne, 

though  yet  the  profit  of  the  same  thy  wittes  do  not  discerne; 

no  one  thinge  in  the  world  so  sure  by  all  mens  iust  consent 

for  still  doth  stay,  when  goodes  be  gone  and  riches  all  be  spente.       24 

No  Tyrante  traine,  nor  furious  foe  can  reeve  thee  of  thy  skill, 
except  that  they  by  envie  seeke  the  guiltles  life  to  spill. 


ad  V:   Unvollständig;    vgl.  Bemerkungen   über    Text   und  Melodie    der    Lieder. 
wanton]  waton  Hs.  —  12  lettes  Hs. 

ad  VI:  Ebenfalls  unvollständig;  vgl  V  tmd  8.  327. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  22 


888  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 

Besides  it  is  no  triflinge  trade  that  I  would  have  thee  use, 

but  such  as  oue  as  worthie  weightes  to  do  did  not  refuse.  28 

An  arte  whose  end  was  never  knowne,  a  curious  arte  and  fine, 
even  such  as  Pallas  hevenly  dame  did  practis  many  a  time. 
Therfore  to  doe  thy  fathers  will  thy  paines  do  thou  imploye, 
so  shalt  thow  be  a  common  welth  a  member  of  great  ioy.  32 


[VII.] 
The  admonition  of  his  mother  and  her  consaile 
at  his  departing. 
My  Father  having  moved  his  minde  that  now  his  tale  was  done, 
with  watery  eyes  my  mother  dere  vnto  me  straight  doth  tourne, 
and  takinge  oft  my  band  in  holde,  when  teres  were  wipte  awaye, 
her  inward  thoughtes  she  vttered,  and  thus  she  gan  to  saye.  4 

Marke  well,  quoth  she,  the  sage  precepts  thy  father  lately  taught, 
and  set  not  thow  thy  motheres  wordes  and  counsell  cleane  at  naught ; 
But  ponder  well  within  thy  brest  the  thinges  I  shall  declare, 
and  evermore  in  redie  minde  thy  mothers  sainge  beare.  8 

Although  thie  Father  with  great  care  hath  well  instructed  thee, 
yet  eare  thow  parte,  my  lovinge  sonne,  somme  counsaile  take  of  me. 
when  to  thy  master  thow  arte  bound,  apply  thy  busie  paine 
In  each  respect  to  plese  him  well,  his  favour  to  obtaine.  12 

So  shalt  thou  be  in  happie  case,  and  live  in  quiet  rest; 

But  yet  to  be  in  ioyfull  State  plese  thou  thy  mistres  best; 

for  why  thy  meirth  is  very  smale  whereas  her  frendshipp  fayles, 

and  of  thy  fellowes  in  the  house  take  heede  thow  teil  no  tales.       16 

Thus  breefly  have  I  tould  the  summe  of  that  I  had  to  say, 

But  why  thou  shouldst  observe  the  same  I  will  somme  resons  laye. 

The  London  dames  be  hasty  shrowes,  and  therfore  it  is  best 

To  win  ther  favour  first  of  all;  soone  shalt  thow  have  the  rest.      20 

For  if  that  stubborne  thow  remaine  against  thy  mistres  mynde, 
thou  shalt  be  sure  of  all  the  rest  the  hardest  mache  to  finde. 
If  thow  shouldst  Chance  in  christmas  tyme  the  knave  of  clubes  to  playe, 
she  wilbe  sure  the  Queene  of  trumpes  vpon  that  trycke  to  laye.        24 

And  if  she  see  by  course  of  cards  her  porposse  do  not  frame, 
she  will  not  sticke  to  steale  a  carde,  but  she  will  win  the  game. 
But  if  thy  master  chance  to  chide,  and  she  remaine  thy  freend, 
the  wände  shall  not  come  nere  thy  backe  before  she  hould  the  end.  28 

And  if  intrance  may  prevayle  thy  suretyshipe  to  crave, 
then  maist  thou  make  thy  füll  accompt  thy  pardon  for  to  have. 
Thus  maist  thou  live  in  good  accompt,  if  thou  regarde  dost  take; 
these  resons  from  an  hundred  more  I  utter  for  thy  sake.  32 

Now  if  thow  hast  thy  maisters  love,  thy  mistres  eke  as  well, 
yet  if  thy  fellowes  bere  thee  spight,  thow  are  not  far  from  hell; 
and  therfore  seeke  with  willinge  mynde  to  plese  thy  fellowes  all; 
so  shalt  thou  be  esteemed  well,  and  loved  of  great  and  smale. 

And  thus  I  end  for  wante  (quoth  she)  of  longer  tyme  and  space; 
Beseeching  him  that  rules  the  heavens  to  sheeld  thee  with  his  grace. 
finis. 


[VII]  29  intretance  Hs. 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 


339 


[VIII.] 

A  bailad  from  tke  countrie  sent  to  showe  how  we  should 
fast  this  lent.    To  the  tune  of  the  crampe. 


Prepare  yowrselves  to  fast  this  lent, 

as  princesse  law  hath  willed; 

to  obay  the  same  be  you  content, 

and  let  it  be  fulfilled*. 

Submit  yowrselves  most  humbly 

to  the  hyare  powers  hartely, 

for  conscience  sake  doe  not  denie.  7 

And  seeth  a  fast  commanded  is, 

I  wish  you  to  obay  it, 

and  follow  ther  precepts  in  this; 

seeme  not  once  to  denay  yt; 

and   though    from    flesh   retrayned 

ye  be, 
observe  a  greater  fast  must  we, 
for  Christ  and  Pall  made  that  de- 


It  is  not  for  to  fast  from  meate, 

of  that  to  make  a  sparinge, 

but  fast  above  that  and  more  great, 

for  this  we  must  be  caringe: 

our  hande^    and   feete    and    mem- 

bers  all 
must  fast  this  fast  as  teil  I  shall, 
as  all  should  fast  in  generali.        21 

With  all  ou?'  power  to  fast   from 

sinn, 
and  keep  vs  vndefiled, 
this  lent  therfore  let  vs  begine, 
lest  that  we  be  begyled. 
let  vs  no  longer  glottons  rest, 
and  lyve  in  sm,  but  it  detest; 
to  learne  this  fast  I  thinke  it  best.  28 

From  thinking  evill  or  wishing  it 
our  myndes  must  fast  each  day  a; 
but  thinking  good  and  seeking  it, 
to  that  it  ought  to  stay  a; 
for  many  wayes  the  mynde  is  bent, 
to  many  eviles  yt  doth  consent, 
from   which   the  mynde   must   fast 
this  lent.     35 

The  head  must  fast  from  craftines, 

which  ever  is  devysing, 

to  splay  the  flage  of  wickednes 

by  sutteltye  dysguysinge; 

for  heades  in  these  dayes  sottle  be, 

for  to  devise  the  world  may  see 

to  finde  out  a  commoditye.  42 


In  singlenes  the  eye  must  fast, 
not  wish  to  see  thing  wicked; 
On  vanetie  the  sight  to  cast, 
which  is  not  to  be  lyked, 
as  eyes  should  fast  and  should  not 

see; 
some  eyes  at  those  dayes  blynded  be, 
to  Englandes  härme  the  more  pittie.  49 

The  tounge  must  fast  from  sclan- 
dering 

or  using  for  to  Ive  a; 

the  mouth  allso  from  evill  spekinge, 

where  no  treuth  one  can  flye  a. 

who  keeps  this  fast  I  do  not  knowe, 

some  tounges  to  swift  and  some  to 
slowe ; 

Both  good  and  bad  Esopp  doth 
showe.         56 

Our  eares  lykewise  from  hering  evyll 
shoud  fast  and  keepe  a  dyet; 
when  wordes   be  spoke   even  from 

the  devill, 
they  should  not  then  be  quiet. 
But  few  men  cares  this  fast  to  keepe, 
for  they  can  heare  and  seeme  to  sleep ; 
a  covetous  man  can  play  to  peep.  63 

From  hatred  should  our  hartes  all 

fast, 
and  ever  feed  on  pittie; 
and  shew  mercy,  while  life  doth  last, 
in  country  towne  and  cittie; 
but  many  hartes  be  frosen  harde, 
and  hartes  from  trewth  have  lately 

erd, 
from    falshed    hartes    have    no    re- 

garde.  70 

The  bodye  also  it  must  fast 
from  meates  and  drinkes  excessing; 
superfluytye  they  must  of  cast, 
lest  yt  suffer  oppressinge. 
continew  not  in  banquet  styll; 
set  not  delight  the  panch  to  fill; 
lerne  now  this  lent  to  fast  from  ill.  77 

The  hands  allso  must  fast  likewise 
from  brawling  and  from  fitynge, 
from  theft  or  murdor  or  yll  guysse, 
from  rounging  and  from  smittinge. 


7  fallow  Hs.  —  14  pall  =»  Paulus.  —  63  to]  bo  ^s.  —  78  allso  über  durch- 
strichenem  likewise  Hs.  —  79  fitynge]  fitetynge  Es.  —  81  and  über  durchsiriche- 
nem  or   Hs. 

22* 


340 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 


To  fast  from  bribes  hands  must  be- 

gine, 
and  banden  must  fast  from  games 

of  sinn, 
from  dice,  from  cardes,  and  polling 

in.  84 

But  let  our  handcs  wide  open  bee 

to  helpe  the  poore  afflicted; 

to  distribute  where  need  we  see, 

let  handes  be  so  adicted; 

and  let  our  bandes  no  whitt  be  slow 

our  charetie  for  to  bestow; 

we  fast  to  much  from  this,  I  know.  91 

And  feet  also  this  fast  must  keep; 
they  must  not  still  be  runnynge 
for  to  shed  blood,  and  make  some 

weepp ; 
from  that  they  must  be  turninge. 
and  feet  must  fast  for  making  nast 
to  hurt  our  neighbour,  him  to  wast ; 
but  of  this  fast  but  few  will  tast.  98 

For  feet  be  redy  at  this  day 
to  go  for  to  do  wrong  a, 
to  run  to  law  each  weeke  &  day 
feet  thinkes  no  iorney  long  a; 
and  feet  can  go  for  to  beguyle 
an  other  man  an  hundred  myle; 
eares,  mouth,  and  feet  worke  many 
a  wyle.      106 

For  eyes  can  see  lonng  tyme  before, 
what  afterward  will  hap  a; 

fims  guod  Tho. 


The  mouth  can  speake,  and  eares 
can  heare, 

and  handes  can  it  vp  snap  a; 

and  feet  can  run  before  it  fall, 

mouth,  handes  be  ope  to  swallow- 
all: 

this  fast  iskept  of  great  and  smale.  112 

From    whordome,    drunckewnes,    & 

such 
we  all  should  fast  and  leave  yt; 
and  covetousnes  is  vsed  much, 
each  one  doth  still  receave  yt. 
from  vsery  but  few  will  fast, 
in  pryson  still  the  poore  they  cast, 
oppression  settes  them  on  the  last.  119 

Thus  few  or  none  lemes  the  trew 

\  fast, 

and  few  therbe  will  vse  yt; 
away  from  vs  we  do  it  cast, 
and  styll  we  do  refuse  yt. 
yet  every  man  can  fast  amysse, 
and  every  man  can  hould  fast  this, 
and  ecke  that  keep  that  none  of  his.  126 

Each  man  fasts  from  restoring  that 
which  wrongfully  is  gotton; 
they  feed  still  of  I  wot  not  what, 
all  serves,  be  it  ripe  or  rotton. 
God  grant  vs  the  trew  fast  to  learne, 
to  drive  the  fox  out  of  the  fearne, 
the  wolves  from  lambes  for  to  des- 
cerne.         133 
preston  (1589). 


[IX.] 

A  verie  pretie  sonnge.    To  the  tune  of  Hobbinobl» 
and  John  a  Side. 


Assist  me  now,  you  dolefuU  dames, 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare ; 
sound  forth  jour  rewfull  morning 

plants, 
lament  my  sorofull  wayling  cheare ! 
lament  with  me,  for  I  am  he 
who  lives,  alas !  and  faine  would  die. 
oh  paine,  sorofull  paine,  paine  that 
nipes  me  sore !  7 

Great  cause  I  have,  alas  1  to  mome ; 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare ! 
woe   worth   the   tyme,    that    I   was 

bome 
to  tast  of  this  my  wayling  cheare; 


and  cursed  be  that  creweil  happ 
that  fostred  me  to  this  ill  happ. 
oh  paine,  sorofull  paine,  paine  that 
nipes  &c.    14 

Did   ever   weight    feell   hälfe    such 

woe? 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare  I 
o  fortune  fraile,  why  f  rownest  thow  so 
to  make  me  langwish  still  in  feare? 
relent,  you  stoney  hartes,  I  saye, 
my   heapes   of   greefes    for    to   be- 

raye! 
oh  paine,  sorofull  paine,  paine  that 
nipes  &c.    21 


[VIII]  128  wongfully  Hb. 


Das  Liederbucli  Ms.  ^awlinson  1?oel.  18^. 


341 


My  sighes  and  sobes  doth  testefie, 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare ! 
what   greefes    within    my    hart    do 

lye. 
lament  my  sorofuU  wailing  cheare! 
ihe  grones  that  comes  from  my  poore 

hart 
beres  witnes  of  my  wofull  smarte, 
oh  paine,  sorofull  &c.  28 

If  that  1  might  my  ladie  vewi 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare ! 
I  know  she  is  a  dame  so  trew, 
she    would    redresse     my    wayling 

cheare, 
and  shew  remorse  of  me,  poor  räche, 
which  h'veth  heare  comfortles. 
oh  paine,  sorofull  &c.  35 

What  dost  thow  meane,  thow  cre- 
weil spight, 

sing  hevely,  now  my  ioyes  do 
weare ! 

to  keep  me  from  my  ladies  sight, 

who  should  this  wailling  cheare? 

did  ever  I  deserve  of  thee 

that  thow  shouldest  worke  such  woe 
to  me? 

oh  paine,  sorofull  paine  &c.  42 

Füll  oft  I  tooke  my  penn  in  hand, 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare ! 


to  let  my  ladie  vnderstand 
of  this  sorofull  wailing  cheare; 
but  then  dispaire  aresteth  me, 
and  saith  in  vaine  thy  seuet  shalbe. 
oh  paine,  sorofull  &c.  49 

Then   hope   she   comes,   and   com- 

forts  me, 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare! 
and  bides  me  of  good  cheare  to  be, 
and  not  to  languish  still  in  feare, 
aud  biddes  me  write  vnto  my  love, 
that  she  my  sorroes  might  remove. 
oh  paine,  sorofull  &c.  66 

The  same  is  donne  in  continent, 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare  1 
and  to  my  ladie  it  is  sente, 
who    should    redresse    my    wailing 

cheare, 
to  see  if  she  will  pittie  me, 
and  show  some  love  of  ametie. 
oh  paine,  sorofull  &c.  63 

With  hope  and  despaire  am  I  fed, 
sing  hevely,  now  my  ioyes  do  weare ! 
with  trobles  tombling  in  my  bed, 
lament  my  sorofull  wailing  cheare ! 
tili  that  I  meete  with  Venus  mine, 
whose  grace  excells  the  muses  nine. 
oh  paine,  sorofull  paine,  paine  that 
nipes  me  sore.  70 


ßnis. 

[X.] 

A  pretie  new  ballad,  intituled:    Willie  and   Peggie. 
To  the  tune  of  Tarltons  carroll. 

Regard  my  sorroes,  you  lasses  that  love, 
for  now  I  have  cause  to  complaine: 
the  weight  whome  I  loved  in  harte  above  all 
is  now  away  from  me  tane. 

my  trewest  love  he  is  gone, 

my  nowne  sweet  Willie  is  laide  in  his  grave. 

ay  me!  what  comforte  may  Peggie  now  have? 

sweet  lasses,  then  ayde  me  to  waile  and  to  moone! 

I  morne  for  to  here,  how  in  bower  and  hall 
men  say  sweet  Willie  farewell. 
his  like  behinde  him  for  merth  is  not  left, 
all  other  he  did  excell. 

but  now  he  is  dead  and  gönne, 

my  nowne  sweet  Willie  is  laide  in  his  grave  &c. 

Commended  he  was  both  of  great  and  smale, 
where  soever  he  did  abide: 


12 


[IX]  50  hope]  home  Hs.  —  [X]  4  tane  =  ta'en. 


342  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 

in  courte  or  in  cittie,  in  countrie  or  towne, 
so  well  him  seife  he  could  guide.  16 

but  now  he  is  dead  and  gone  &c. 

His  lookes  and  his  gesture,  bis  tornes  and  his  grace, 
eacb  man  so  well  did  delight, 
that  none  would  be  wery  to  see  bim  one  stage, 
from  morning  vntill  it  were  night.  20 

but  now  he  is  dead  and  gönne  &c. 

Admetus  to  Alcest  was  never  more  trew, 
sweet  Willie,  then  thow  arte  to  me; 
and  as  Alcest  for  Admetus  ber  life  would  give, 
so  would  I  have  donne  for  thee.  24 

but  now  be  is  dead  and  gönne  &c. 

Rest  naught  for  Peggie  but  sorroe  and  care 
to  waile  the  losse  of  ber  frend; 
seetb,  death,  be  bath  taken  my  Willie  away, 
would  God,  my  life  it  would  end.  28 

but  now  be  is  dead  and  gönne  &c. 

Dead  is  my  Willie,  whome  one  Peggies  white  handes 
bestowed  perfumed  gloves, 
bis  silver  bimselfe,  and  bis  gaye  gouldring, 
as  token  of  our  trew  loves.  32 

but  now  be  is  dead  and  gönne,  etc. 

Tyme  caused  my  Willie  to  come  to  the  courte, 
and  in  favour  to  be  w*Yb  the  Queene; 
wber  oft  he  made  her  grace  for  to  smile, 
when  she  füll  sad  was  seene.  36 

but  now  he  is  dead  and  gone,  &c. 

A  groome  of  ber  Chamber  my  Willie  was  made 
to  waigbt  vpon  ber  grace, 
and  well  be  behaved  bim  seife  therin, 

when  be  bad  obtayned  the  place.  *  40 

but  now  be  is  dead  and  gönne,  &c. 

Regarded  be  was  of  gentelmen  all, 
that  in  the  corte  did  remaine; 
and  ladies  desired  his  companie  oft, 

because  of  bis  plesant  vaine.  44 

but  now  be  is  dead  and  gönne,  &c. 

Lyke  Argoes  my  Willie  bad  eyes  for  to  see, 
least  any  be  might  offend; 

and  tbougb  that  be  iested,  bis  iestes  tbey  weare  sucb, 
as  vnto  reason  did  tend.  48 

but  now  be  is  dead  and  gönne,  &c. 

To  rieh  and  to  poore  my  Willy  was  found 
so  meeke,  so  courteous,  and  kynde; 
to  singe  them  their  themes  be  never  denied, 
so  thai  it  might  plese  their  minde.  25 

but  now  be  is  dead  and  gönne,  &c. 

O  poetes,  now  aide  me  w«<b  jour  grave  style 
to  deck  bis  toome  witb  your  verse, 

Zunschen  Z.  17  und  18  sieht  ein  überflüssiger    Vers:   that  in  the  courte  did  re- 
maiue.  —  45  now]  no  Hs.  —  46  nach  me  durchstrichenes  and. 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 


SIS 


seeinge,  whilst  he  was  living,  on  themes  so  hard 
the  meaning  he  could  well  rehersse. 
but  now  he  is  dead  and  gönne,  &c. 

Now  farewell,  my  Willy,  my  ioy  and  delight, 
my  tortle  so  trew  of  love; 

though  dead  be  thy  bodie,  thy  sonle  yet  I  hope 
in  heaven  is  dwelling  above; 

and  seeth  thow  arte  dead  and  gönne, 

sweet  Willy,  now  farewell  and  adew. 

I  will  never  forgett  thee  for  no  new; 

but  like  the  tortle  still  will  I  moone. 

Thus  Peggy  bewailed  the  losse  of  her  freend, 
whom  fates  had  takeu  away, 
and  wished  her  bodie  intoombed  Ytith  bis 
in  grave,  wheras  he  lay. 

but  seeth  thy  Willy  is  gönne, 

what  needes  thow  for  to  waile  and  moone? 

be  merry,  I  say,  let  sorro  alone! 

some  other  will  love  thee,  as  he  hath  done. 
/5nw  juod  Riehard  TarlUm. 


56 


64 


[XL] 

A  hartie  thankes  givinge  to  God 

for  our  queenes  most  excellent  maiestie; 

and  is  to  be  sounge  to  the  tune  of  the  medley. 


Prepare  with  speed: 

Crist  commyng  is  at  band, 

as  by  straing  signes  and  tokens  both 

the  learned  sort  have  scand.  4 

Godes  workes  plainly  declares 

eaeh  day  vnto  vs  all, 

that  soddenly  an  end  shalbe 

of  thinges  ou  earth  mortall.  8 

fyre  fearce  abroad  shall  flye 

from  east  vnto  the  west, 

Consumyng  thinges  that  be  earthly, 

the  greatest  w*<h  the  least.  12 

no  succor  shalbe  found, 

for  favour,  gould,  nor  fee; 

but  even  as  all  the  world  was  drownd, 

so  boumt  shall  all  thinges  bee.     16 

wherfore  I  say:  make  no  delay, 

vnfold  and  hould 

on  Christ  our  only  stay; 

for  it  is  hee,  that  remedie  20 

must  be  we  see; 

or  eis  with  open  crye 

we  shall  to  hell  fire,  our  dedes  de- 

serve  no  les; 
meet  meed  for  our  hire,  our  lives  do 

so  expresse.  24 
then  vnto  our  Christ  inclyne  quickly, 
and  fly  from  foUies  desire, 


and  aske  of  him  mercie  for  remedie; 
he  will  not  be  any  denier.  28 

while  life  doth  last,  linger  not,  if 
yot*  may  have  it ; 
he  askes  but  a  penitent  harte; 
to  late  will  it  be,  when  tyme  is  gon, 

to  crave  it; 
make    speed  therfor,    ere    you    de- 
parte.  32 

Imbrace  gode  holy  worde 
for  fere  of  wrathfuU  sword; 
love  well  the  povertie, 
and  then  God  will  blesse  thee.  36 

What  Realme  on  earth 

may  be  compared  to  this 

that  hath  the  gospell  plainly  taught ! 

it  is  a  heavenly  blisse.  40 

allso  a  maiden  meeke 

amongst  vs  hee  hath  sent 

to  shew  his  glorios  wonderous  workes 

and  power  omnypotent;  44 

she  sittes  in  princly  throwne, 

and  ruies  the  E-elme  in  quiet; 

she  hath  allso  the  trew  touchstone, 

Gode5  Word,  her  only  dyet.  48 

though  foes  do  frett  and  fume, 

yet  God  will  blesse  her  still 


[X]  55  him  über  durchsirichenem  her. 


^44 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 


with  maiestie  and  eke  with  Crowne, 

as  is  bis  blessed  will.  52 

wherfore  to  pray  let  vs  not  stay; 

but  be  redie 

to  aske  of  Christ  alwaye, 

that  she  from  strife  may  lead  her 

life  56 

among  vs  longe. 
let  these  prayers  be  reefe 
amonge  all  good  Christians  both  day, 

night,  and  howre, 
that   god  will  indue   her   with  his 

mightie  powre;     60 
then  neede  we  not  feare  any  forren 

foes, 
Christ  wilbe  her  only  defence. 
our  queene,  she  hath  plentie  to  plucke 

downe  all  thoes 
that  seeketh  by  subtill  pretence;  64 
In  each  towne  and  cittie  her  grace 

doth  delight  it 
to  have  godes  word  preached  at  large ; 
all  things  done  amisse  to  have  them 

soone  wrighted, 
the  maiestrats  all  she  doth  charge.  68 
let  each  poore  have  his  wright, 
oppresse  no  man  with  might; 
then  god  that  sites  above 
will  knitt  vs  all  in  love.  72 

God  grant  to  vs, 

that  we  may  have  the  grace 

to  love   our  queene  with   faithfull 

harte, 
and  his  word  to  imbrace;  76 

that  at  the  latter  day 
with  him  we  may  assend 


to  heavenly  ioyes,  for  vs  prepard 

by  him  world  w*Vhout  end.  80 

God  save  England  so  smale 

and  nobles  of  the  same; 

god  grant  each  on  that  live  in  thrale 

may  assend  wz7h  Christen  name.    84 

our  commons  so  direct, 

0  lord,  we  thee  desire, 

that  none  of  them  may  be  infect 

to  taste  thy  wrathfuU  ire;  88 

and  then  I  know,  both  hye  and  lowe 

will  iudg  smale  grudg 

in  England  for  to  growe; 

that  vnitie  mongst  men  may  be,   92 

God  graunt  it  haunt 

and  vsen  in  each  degree. 

then   shall   we   be   glasse    to    each 
towne  and  cittie; 

wher  love  doth  last  lonngtyme,  spight 
hath  but  smale  pittie;  96 

as  tyme  is  the  tryall  for  truth  to  be 
tride, 

so  all  thinges  ther  beinge  shall  have, 

tili  death  doth  come,  that  will  have 
no  deniall, 

bring    kinde    out    of    mind    vnto 
grave;  loo 

then  riches,  nor  beauty,  nor  nothing 
will  save  vs, 

if  we  do  not  help  our  pore  brother ; 

and  if  we  live  well,  the  lord  God 
will  have  vs; 

we  are  his  owne  and  for  none  other :  104 

he  bought  vs  w«Yh  his  bloud. 
to  taste  the  heavenly  foode 
god  grant  vs  therfor,  aye, 
both  rieh  and  pore  to  staye.    lOB 


finis. 


[XII.] 

A  proper  new  ballade  wherin  is  plaine  to  be  seene, 

how   god    blesseth    England    for    love    of    our   Queene: 

Soung  to  the  tune   of  Tarletons  caroll. 

London,  London,  singe  and  praise  thy  lord, 
let  Englandcs  Joy  be  seene  I 
Trew  subiectes,  quickly  shew  vfith  one  accorde 
jour  love  vnto  your  queene, 

Elizabeth  so  brave, 
Whose  vertues  rare  beseeme  her  well; 
from  all  the  world  she  beares  the  bell; 
her  dew  deserts  no  tonng  can  teil. 

Her  seife  she  doth  behave, 
That  all  the  world  doth  marvell  much, 
how  nature  should  frame  anie  such: 
of  vice  none  lyving  can  her  tuch. 


12 


Das  Liederbucli  Ms.  Rawlinson  Poet.  185.  845 

For  iustice,  for  grace,  and  pittie  both 

no  Realme  hath  had  her  like; 

she  pardons  them  füll  oft  that  would  be  loth 

to  bold,  if  they  durst  strike. 

Elizabeth,  Lord,  save! 
she  is  the  iuell,  makes  vs  glade;  is 

a  ^eater  good  cannot  be  had; 
whilst  we  nave  her,  who  can  be  sad? 

Elizabeth  so  brave 
doth  never  tread  from  vertues  trace; 
her  hart  and  mind  are  füll  of  grace, 
from  pittie  she  tournes  not  her  face.  24 

Godes  Word  with  sword  and  eke  her  crowne 
from  foes  she  doth  defend; 
yet  pagon  pope,  the  filthy  höre  of  Roome, 
the  devill  doth  legat  send 

To  spoile  owr  iuell  brave. 
But  god  will  have  no  such  ill  don,  90 

he  teacheth  England  how  to  shonne; 
and  traitors  to  the  gallows  runne. 

Elizabeth,  Lord,  save, 
and  still  defend  her  with  thy  hand, 
her  happie  daies  to  passe  the  sand; 
so  shall  this  be  a  blessed  land.  86 

The  Spannish  spite,  which  made  the  papiste  boast, 
hath  done  them  little  good: 
God  dealt  with  them  as  viith  king  Pharoes  host, 
who  were  drowned  in  the  flood, 

Elizabeth  to  save. 
The  lord  him  seife  w^Yh  streached  arme  42 

did  quell  ther  rage,  that  sought  our  härme, 
ther  threatning  brages  the  lord  did  charme. 

Elizabeth  so   brave 
The  lord  did  quite  from  tirant  swaye, 
and  traitors  lost  ther  hoped  praye. 
grant  all  her  foes,  lord,  like  decaye.  48 

The  subtill  engines,  that  her  foes  prepard 

to  worke  our  fatall  fall, 

are  tourned  to  snares,  wherw^YÄ  them  selves  are  snard, 

and  brought  to  shame  w«Yhall. 

Elizaoeth  so  brave 
Did  not  in  strength  of  navie  trust,  54 

nor  yet  in  steell,  that  is  but  rust, 
but  in  her  lord  who  is  most  iust, 

vihich  Lord  and  God  doth  save 
Qfur  land  and  vs  from  wo  and  teene 
so  wondrously  as  never  was  seene, 
even  for  the  vertues  of  our  Queene.  60 

Thou  England,  thou  maist  say  thou  happie  art 
above  a  thousand  soyles; 


44  brages  durch   Verbesserungen  undeutlich.  —  47  praye  durchstrichen  und  day 
darüber. 


346  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 

thou  feeist  no  parte  of  other  countries  smarte, 
God  gives  thy  foes  the  foyles. 

Elizabeth  most  brave, 
for  her  it  is,  God  doth  vs  spare!  66 

one  her  he  hath  a  fervent  care. 
to  give  him  thankes  England  prepare: 

our  iuell  he  doth  save 
and  all  we  have  eis;  be  it  knowne 
his  mercies  great  Yfhich  he  hath  showne 
all  for  her  sake,  not  for  our  owne.  72 

God  for  her  cause  doth  cloath  the  ground  -^ith  störe 
of  plentie  and  encrease; 

our  barnes  are  füll,  our  backes  can  bere  no  more, 
and  blest  we  are  y^ith.  peace. 

Elizabeth  most  brave, 
for  thee  doth  England  feell  all  this;  78 

we  nothing  want  that  needfull  is, 
this  iuell  England  cannot  misse. 

Elizabeth,  lord,  save 
that  England  may  be  happie  still; 
confound  all  those  that  would  her  ill, 
so  lawd  thy  name  the  faithfuU  will.  84 

Though  God  do  this,  yet  London  learne  to  feare; 
all  England  do  the  like. 

away  vfith  prid,  shun  hores,  and  shame  to  swere, 
or  eis  the  lord  will  strike. 

Then  no  good  can  we  have, 
but  all  our  good  we  shall  forgoe,  90 

and  feele  his  plagues,  both  hye  and  lowe, 
our  vices  vile  do  greeve  him  so.  . 

and  still  our  queene  to  save 
the  lord  his  iustice  still  forberes, 
as  he  hath  done  these  manie  yeares. 
then  let  vs  morne  our  sines  with  teres.  96 

Do  this  and  live  in  ioye  and  happie  case, 
In  favour  of  the  lord; 

from  vices  past  ttm  lord  will  tourne  his  face, 
then  let  vs  all  accord 

to  praie  that  England  brave 
may  florish  everie  howre  and  day,  102 

fresh  and  greene  like  greene  baye, 
and  that  her  foes  come  to  decaye. 

Elizabeth,  lord,  save, 
That  England  may,  as  it  hath  beene, 
be  frutefuU,  and  peace  in  it  be  seene. 
lonng  live  and  ßaigne  our  gratious  Queene!  108 

finis. 

T. 

[XIIL] 
A  new  bailad  of  Mother  Watkins   ale. 

As  Watkine  walked  by  the  way,  faire  maide,quoth  he,  goyou  wi^Äme, 

he  met  a  las,  and  made  her  stay.         and  Watkins  ale  I  will  give  thee.  4 


[XII]  92  do]  doth  mit  durchstrichenem  th  Hs. 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 


S47 


She  did  not  him  denie, 

but  went  forth  merely, 

and  thanked  him  hartely 

for  bis  good  merry  tale.  8 

Watkin  perceaving  than 

that  she  did  love  a  man, 

with  pleasant  talke  began 

to  walke  alonng  the  dale.  12 

They  slipt  aside  cleane  out  of  sight ; 

what  they  did  more,let  Venus  wright; 

but  as  it  seemed  by  poettcs  tale, 

he  gave  her  weil  ot  Watkin  s  ale.  I6 

She  Said  to  Watkin  lovingly: 
what  ale  is  this  which  comes  soe 

free?  — 
tys  Watkings  ale,  doe  you  not  know, 
tys    now    abroach    and    layd    füll 
low.  —        2U 
yf  Watkings  ale  be  such, 
I  cannot  drinke  too  much, 
I  like  so  well  the  touch. 
It  is  worthy  of  good  sale:  24 

Suger  and  claret  wine, 
malmesey  and  musketdine, 
there  tast  is  not  so  fine 
as  my  sweet  Watkings  ale.         28 
Watking,  give  me  more  of  the  same, 
I  like  so  well  of  this  same  game: 
Ambroso  with  his  fine  flood, 
nor  Nextus  drinke  seeme  hälfe  so 
good.  32 

The  mylkemayde  went  home  merely, 
and  sunge  for  ioy  with  mirth  and  gle, 
that  she  had  sped  of  Watkings  ale; 
but  marke  the  sequall  of  my  tale:  36 
ere  fortye  weekes  was  past, 
this  maide  she  went  vnlaste; 
she  sweld  beneath  the  waste, 
her  kertill  grew  to  shorte.  40 

she  sighed  and  sayde:  alas! 
how  comes  this  geare  to  pas? 
I  am  not  as  I  was, 
all  spoyld  is  our  sporte.  44 

So  ionng  the  fishe  snaps  at  the  baite, 
she  taken  is  by  subtell  sleyght, 
Watkins  ale  and  pleasant  sporte, 
that  brought  one  in  fooles  paradice.48 

Where   got   you  this?   her   mother 

Saide.  — 
at  Watkings  ale,  whereas  I  stayde.  — 


Is  watkins  ale  of  such  force, 
my    daughter    must    goe    seeke    a 
nurce.  52 

Watkins  ale  was  so  stronng, 
I  thinke  it  went  not  wronnge; 
well  spiced  with  pech  lonnge, 
Beaten  in  morter  well,  56 

hys  ale  most  pleasant  is; 
with  many  a  loving  kisse, 
he  strikes  to  hit  or  misse, 
my  Watkings  did  excell.  60 

Of  Watking  ale  I  tooke  a  pull, 
that  I  have  druncke  my  belly  füll; 
the  proverbe  old,  as  1  do  thinke: 
such    ale    I    brew,    such    must    I 
drincke.       64 

Hath   Watkings    ale   thus   me    be- 

trayde, 
I  can  no  longer  be  a  maide; 
our  maides  and  younge  men  storm 

at  me, 
as  though  the  like  could  never  be.  68 
take  need,  you  silly  fooles, 
deale  not  in  Venus  scholes, 
nor  yet  with  Watkins  tooles; 
his  ale  füll  stronnge  will  rise.   72 
buy  not,  before  you  cheape; 
looke  in  tyme,  before  you  leape. 
Argoes  was  slayne  a  sleape 
with  all  his  hundred  eyes.  70 

My  frend  Watking  hath  such  a  Iure, 
he  will  your  hartes  to  love  procure, 
and  teil  you  many  a  faire  tale, 
tyll  he  hath  given  you  of  his  ale.  so 

Watking,  my  love,  from  me  is  gone; 

now  for  his  sake  I  will  trust  none. 

I  may  bewaile  my  great  mishapp, 

I  have  to  shew  within  my  läpp.  84 
when  my  sweete  babie  crye, 
I  may  singe  lullabye. 
she  therefor  hath  this;  why, 
you  lassis,  consider,  88 

make  you  no  scorne  at  me; 
you  doe  not  know,  perdie, 
what  chaunce  maye  fortune  thee, 
when  you  playe  to  gether.  92 

my  Watkinge  was  a  livelie  lade, 

I  was  my  owne  that  Watkinge  had ; 

thus  have  you  hard  my  merye  talle. 

I    thanke   Watkinge   for   his   good 
ale.  96 


8  his  doppelt  Us.  —  10  /n  seinem  Abdruck  der  ersten  Strophe  {Roxh.  Ballads 
VII,  XIV)  ersetzt  Ebsworth  wright  durch  right;  näher  läge  doch  wohl  write.  — 
45  Nach  loung  durchstrichenes  sunges  —  48  Wahrscheinlich  zu  lesen:  that  in  fooles 
paradice  oue  brought  wegen  des  sonst  fehlenden  Reimes.  —  85  swete  ]  sete  Hs, 


848  Das  Liederbuch  Ms.  Kawlinson  Poet.  185. 

[XIV.] 

A  proper  new  ballett,  intituled  Rowlands  god  sonne. 
To  the  tune  of  Loth  to  departe. 

Besse:  Teil  me,  Jhon,  why  art  thow  soe  sade? 

teil  me  Jhon,  teil  me  Jhon,  what  iste  will  make  thee  glade? 

thow  knowest  thy  misteries  loves  thee  well, 

soe  dearelye  as  I  shune  to  teil. 

Teil  me,  1  praye  thee,  lett  nothinge  dismaye  thee. 

but  lett  mee  inioye  thy  love,  thy  love.  6 

Jhon:    O  misteris  myne,  I  cannot  be  merrye." 

Bes:      Teil  mee,  Jhon,  teil  me,  Jhon,  why  lookes  thow  soe  heavylye? 

Jhon:    my  master  carries  a  jealous  eie, 

and  warnes  me  ffrom  your  companie. 
Beso:     heavens  forfend  itl  —  Jo:  you  maist  amende  it, 

or  ells  fare  well  to  our  love,  our  love.  12 

Be:       why,  Jhon,  thy  master  mistrustes  not  thee? 
Jo:        wo  is  me,  wo  is  me,  much  he  mistrustes  me, 

and  sayes  he  sawe  me  kisse  your  lippes, 

suspectinge  other  secrete  slippes. 
Be:       I  will  excuse  thee.  —  Jo:  I  will  refuse  thee, 

except  you  excuse  our  love.  I8 

Be:       why,  teil  me,  Jacke,  and  be  not  afrade; 

Teil  me,  Jacke;  teil  me,  Jacke,  haste  thow  not  hard  it  saied 

That  weomen  in  love  have  witt  at  will? 
Jo:        I  praye  you,  misteries,  shew  your  skill: 

heare  comes  your  husband.  —  Be:  Hid  thee,  my  leaman, 

and  I  will  goe  plead  ffor  our  love,  our  love.  24 

Hu:      How  now,  sweete  wiffe,  what  all  amorte? 

Be:       I,  my  deare,  I,  my  deare,  I  have  no  lust  to  sporte, 

although  I  was  tempted  very  late 

to  abuse  jour  bed  and  my  maringe  State; 

yet  in  my  tryall  I  made  a  denyall. 
Hu:      how  happie  am  I  in  my  love,  my  love.  30 

But  teil  me  Wyffe  who  temmpted  thee? 
Be:       John  your  man,  John  jour  man,  vrginge  me  shamfully; 

and  had  I  not  graunted  to  meete  him  at  length, 

he  would  have  forst  me  with  his  strength. 
Hu:      out,  one  him  villaine  1  —  Be:  not  for  a  millaine 

of  gould  would  I  loose  my  love,  my  love.  36 

Hu:      O  Besse,  the  knave  is  growne  to  proude, 

take  him  downe,  take  him  downe,  such  twiges  must  needes  be  bound. 
Be:       but  in  the  Orchade,  where  I  should  meete  him, 

there  in  my  apparell  yo2^rselfe  shall  greete  him; 

gett  thee  a  coudgell.  —  Ile  pay  the  young  losseil 
Hu:      for  offering  to  tempt  my  love,  my  love.  42 

Thou  didst  appoynte  to  meete  him  there? 
Be:       out  alasl  out  alas!     I  ded  it  all  for  feare. 
Hu:      how  didst  thou  say  thow  wouldst  come  attired? 
Be:       In  my  blacke  silke  gowne,  for  soe  he  desired. 
Hu:      that  will  I  put  on.  —  Be:  looke  to  thy  selffe,  John! 
Hu:      Ile  course  mm  for  tempting  my  love,  my  love.  48 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185.  849 

But  where  did  he  point  this  sDorte  should  bee? 

Be:       all  alone,  all  alone,  vnder  the  nolly  tree. 

Hu:       then  of  that  tree  Ile  get  a  wände. 

Be:        I  would  you  had  a  stronger  hande 

to  chastise  the  treacher.  —  Eu:  out  one  him,  leachar, 

that  would  have  defieled  my  love  &c.  54 

O  what  a  wiffe  have  I  of  thee. 
Be:       praise  thy  God,  praise  thy  God,  tis  he  hath  blessed  thee. 
Hus:     would  all  my  neighbors  were  so  sped 

with  such  a  trew  love  in  their  bed. 
Be:       good  wives  are  daintie!  —  Htis:  not  one  amongest  twentie 

so  constant  as  thow  in  thy  love  &c.  60 

Hus:     Vppon  what  howre  did  you  agree? 

Be:        By  and  by,  by  and  by  after  the  stroke  of  three. 

Hus:     then  it  is  tyme  that  I  were  gone? 

Be:       I,  if  you  meane  to  meete  with  John; 

lay  him  one  sowndlye.  —  Hus:  Ile  beat  him  profoundly 

for  offeringe  to  tempte  my  love  &c.  66 


Be:       But  hide  jour  bearde  in  any  case. 
hould  thy  peace,  hould  thy  peace: 
and  when  he  comes,  and  thmkes  t 
his  flowre  shall  prowfe  a  stinkinge  nettle. 


Hus:     hould  thy  peace,  hould  thy  peace:  a  moufler  shall  hide  my  face; 
and  when  he  comes,  and  thmkes  to  settle,* 


Jo 
Be 
Jo 
Be 
Jo 
Jo 

Be 


72 


Be:       Then  goe  and  make  you  readie  straight. 

Hus:     now  I  goe,  now  I  goe,  for  John  to  lie  in  waight: 

the  goosse  is  betraide  vnto  the  fox. 
Be:       the  asse  will  prowfe  himselfe  an  ox. 
Hm:     what  sayest  thow,  my  sweetin^e?  —  Be:  1  say  in  yowr  meetinge 

you  will  course  him  for  tempting  yo«*r  love.  —  78 

Thus  doe  the  weedes  overgroe  the  corne, 

al  unseene,  al  unseene,  with  laughing  and  great  scome. 

Ist  not  a  World  to  heare  vs  speeake, 

then  doe  jour  vessels  ssoonest  leake. 

men  are  importune,  then  blame  not  our  fortune: 

our  sexe  were  ordained  to  love,  to  love.  84 

Jo:        Say,  mistris,  which  waie  blowes  the  winde? 

Be:       towardes  the  cost,  towardes  the  coat,  which  we  too  strive  to  finde. 

Jo:        oh,  that  I  could  that  cost  descernel 

Be:       playe  thow  the  pylot  at  the  steame, 

and  feare  not  aryving,  no  winde  is  dryvinge 

to  hinder  vs  of  our  love,  our  love.  90 


What  sayes  my  master  to  this  geare? 

now  the  mouse,  now  the  mouse  sleepes  in  the  c&ites  eare. 

but  teil  me,  mistris,  what  doth  hee  say? 

that  he  will  wincke,  while  we  two  playe. ' 

Is  all  this  veritie?  —  Be:  I,  of  my  honestye. 

but  teil  me  how,  my  love,  my  love?  % 


O  John,  I  have  complayned  of  thee; 
Blamynge  thee,  blaminge  thee  all  for  thy  leachery. 
Jo:        out  alasl  why  did  you  soe? 


Nach  Z.  70  fehlen  zwei  Zeilen;  auch  im  Ms.  ein  entsprechender  Zwischenraum. 


350  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 

Be:        thow  knowest  not  how  the  winde  doth  blowe. 

It  was  my  pollicye.  —  Jo:  to  kyll  bis  Jelowsie? 
Be:       onely  for  that,  my  love,  my  love.  102 

Jo:        I  stände  accused  in  tbis  case. 

Be:       be  content,  be  content,  lle  keepe  thee  from  abuse: 

wtthin  the  orchard  looke  thow  staye, 

and  when  thy  master  comes  tbis  waye, 

In  my  apparell,  —  Jo:  will  he  not  quarreil 

wiVh  me  about  our  love,  our  love?  108 

Be:       Thow  must  sup^ose  him  to  be  me. 

raile  one  me,  raile  one  me,  blame  my  dysloyaltie; 
and  to  make  bis  love  to  roote  the  faster, 


and  in  jour  talkinge  let  blowes  be  walkinge, 

and  call  him  a  whore  in  bis  love,  bis  love.  114 

Jo:        The  finest  device  that  ever  I  barde, 

That  so  soone,  that  so  soone  my  love  bath  got  a  bearde; 

therefore,  mistris,  get  you  awaye. 
Be:       looke  in  the  orcharde,  see  you  staye. 
Jo:        I  do  conceyte  you.  —  Be:  I  will  awaight  you, 

and  see  how  you  handle  our  love,  our  love.  120 

Hus:     Now,  John,  we  will  pay  the  score. 

Jo:        fye  one  thee,  fye  one  thee,  thou  arte  an  arrant  whore I 

Ems:     John,  I  know  thou  doest  but  lest. 

Jo:        I  know  thou  art  a  filthie  beast 

to  fawne  one  a  leaman,  and  leave  thy  good  husbande. 
Hus:     0  John,  it  is  for  love,  for  love.  126 

Jo:        The  devill  in  hell  take  such  a  wiffe. 

hearest  thou  me,  hearest  thou  me,  tys  pittie  of  thy  hffel 
Hus:     why  wilt  thou  wound  and  give  no  plaster? 
Jo:        why  wilt  thou  have  me  wronng  my  master? 
Hus:     thou  saidst  thou  didst  love  me.  —  Jo:  1  did  it  to  prove  thee, 

and  therefore  take  tbis  for  thy  love,  thy  love.  132 

Be:       Be  advised  and  hould  thy  band; 

seest  thou  not,  seest  thou  not,  where  thy  vaaster  doth  stand? 
Jo:        what  makes  my  master  in  jour  weede? 
Be:       he  came  to  rate  thy  filthy  deed. 
Hus:     o  John,  I  love  thee,  for  now  I  have  proved  thee: 

thou  wilt  not  fleet  in  thy  love,  thy  love.  138 

Be:       O  busband,  you  will  not  take  it  soe. 

Hus:     yes  my  love,  yes  my  love,  and  ioy  in  every  blowe. 

Jo:        master,  my  mistris  is  very  light. 

Hus:     no,  John,  my  wiffe  is  pure  and  right. 

now  I  have  tryde  ye.  —  Be:  knave,  I  defie  thee 

for  callinge  me  light  in  my  love,  my  love.  144 

Htts:     O  John,  thow  art  my  servant  trew. 

and  my  love,  and  my  love,  lle  change  the  for  no  new. 
Jo:        a  servantes  dewtie  prict  me  one. 
Hus:     now  Jesus  blese  thee,  gentle  John. 

0  ioy  out  of  measure  to  have  such  a  treasure 

of  such  a  servant  and  love,  and  love!  150 


Nach  Z.  111  fthli  wieder  eint  Zeile.  —  132  love]  nnr  1  Hs.  —  144  love]  nur  lo  Hs. 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185.  351 

Goe,  wiffe,  goe  make  vs  merrie  cheare 

of  the  best,  of  the  best;  let  nothinge  be  to  dearel 

Be:        I  will,  seeth  you  will  have  it  soe. 

Jo:        about  your  busines  I  will  goe. 

Hus:     doe  soe,  good  John,  how  happie  I  am 

that  have  such  a  servant  and  love,  and  love.  166 

ßnis. 

[XV.] 

A  proper  new  ballad,  intituled 

The  mery  life  of  the  Countriman   &c. 

Wherin   is  shewed  his  contented  minde  and   laboursome 

toyle,  mixed  with  pleasure,  most  pleasaunte  and  delightfull 

to  be  songe. 
To  the  tune  of  Lacaranto. 

A  Prince  dothe  sit  a  slippery  seate, 

and  beares  a  carefull  minde; 
the  nobles,  yfhich  in  silkes  doe  iet, 

do  litle  pleasure  finde.  4 

Our  safegard  and  safetie  with  many  great  matters 

they  Scan; 
and  non  lives  merrier  in  my  mynde 

than  dothe  the  plaine  countryman.  8 

Although  w^Vh  patched  clothes  he  go 

and  storkinge  out  at  heele, 
he  litle  knowes  the  greife  and  wo 

that  mightie  men  do  feele.  12 

But  merrely  whistles,  and  plowes  vp  the  thistles 

a  pace; 
when  sunne  goes  downe  so  rounde  as  a  crowne, 

his  oxen  he  dothe  vnbrace.  16 

when  they  are  in  stall,  his  wife  he  dothe  call: 
come  hether,  my  owne  sweete  megge, 

and  peele  the  hempe  at  the  chimney  wall, 

while  I  mv  shewes  do  pegge.  20 

Then  by  gooa  fier  he  merrely  tels  her 
a  tale, 

and  then  with  delight  to  quicken  their  sprite 

they  drinke  of  their  apples  and  ale.  24 

when  springe  time  comes,  his  pleasure  he  turnes 

about  his  grownd  to  go, 
to  see  howe  trime  his  come  dothe  springe, 

which  he  did  lately  sowe.  28 

whick  when  he  perceiveth  bothe  forwarde  and  fruitfuU 

to  bee, 
vpon  his  toe  he  turnes  him  tho, 

so  pleasant  as  any  can  see.  32 

And  then  in  may,  by  breake  of  day, 

with  morrice  daunces  trime 
his  men,  and  he  dothe  quickly  agree 

to  fetch  their  may  powle  in,  86 


352  Das  Liederbuch  Mb.  Rawlinson  Poet.  185. 

with.  pipe  and  with  tabor,  in  very  good  order 

you  knowe: 
throughout  the  towne  bothe  vp  and  downe 

their  May  game  they  will  sho.  40 

And  though  they  do  great  toyle  abide, 

and  labour  all  the  weeke, 
of  a  Sommer  lorde  at  whitsontide 

thy  will  not  be  to  seeke;  44 

the  lorde  and  the  lady,  so  merry  as  may  bee, 

all  day 
like  kinge  and  queene  will  there  be  sene, 

all  in  their  best  array.  48 

At  sheeringe  of  sheeps,  which  they  do  keepe, 

good  lorde,  what  sporte  is  than! 
what  great  good  cheire,  what  ale  and  beare 

^  is  set  to  every  man  I  52 

w*Vh  beefe  and  w*Vh  baken  in  wadden  browne  platteres 

good  Store, 
they  fall  to  their  meate  and  merrily  eate; 

they  call  for  no  sawce  therfore.  56 

when  midsommer  comes,  with  banens  and  bromes 

they  do  bonefiers  make, 
and  swifly  then  the  nimble  yonge  men 

runnes  leapinge  over  the  same.  60 

The  women  and  maydens  together  do  couple 

their  handes, 
with  bagpipes  sounde  they  dannce  a  rounde; 

no  malice  amongest  them  Standes.  64 

when  sommers  day  hath  dryde  the  hay, 

that  growes  vppon  the  grownde, 
they  merrily  iet  their  sythes  to  whet, 

and  downe  they  cut  it  rounde.  68 

their  wives  and  daughters  w^^h  forkes  and  with.  rakers 

do  come 
in  petticotes  gay  to  spread  out  the  hay 

with  a  strawne  hat  for  the  sunne.  72 

when  corne  is  ripe,  w^'^h  tabor  and  pipe 

their  sickles  they  prepare, 
and  wagers  they  lay,  howe  muche  in  a  day 

they  meane  to  cut  downe  there.  76 

And  he  which  is  quiekest,  and  cuttcs  downe  cleanest 

the  corne, 
a  garlande  trime  they  make  for  him, 

and  bravely  they  bringe  him  home.  80 

And  when  in  the  barne  w*Yhout  any  härme 

they  have  laid  vp  their  corne, 
In  hart  they  singe  high  praises  to  him 

that  so  increast  their  gaine.  84 

And  vnto  the  person,  their  pastor,  and  teacher 

also, 
with  hartes  most  blyth  they  geve  their  tyth; 

their  duties  füll  well  they  knowe.  88 


77  cuttes]  cuttetes  Hs. 


Das  Liederbuch  Ms,  Rawliason  Poet.  185.  353 

But  when  they  ride  to  fetche  home  a  bride, 

the  bagpipes  not  forgot; 
Nor  bride  cakes  fine  to  beare  with.  them, 

whether  ciit  do  amble  or  trot.  92 

And  then  at  the  Quiwten  the  yongemen  prepare  them 

to  ride; 
and  manly  their  they  breake  a  speare 

in  honnowr  of  mistris  bride.  96 

when  Christmas  drawes  neare,  to  make  god  cheare 

they  nede  not  to  market  go; 
For  brawne  and  souse  they  have  in  the  house 

with  goose  and  capon  also.  loo 

for  brewer  and  Baker  they  care  not  a  couple 

of  flyes; 
yet  will  they  have  ale,  both  nappy  and  stale, 

yea  white  lones  and  christmas  pyes.  104 

And  thus  you  heare  throughout  the  yeare 

the  merrie  countrie  mans  life, 
how  pleasantly  they  do  spende  the  day 

Yftih  little  trouble  or  strife.  108 

for  backe  and  for  belly  if  that  they  have  redie 

in  störe, 
And  rent  to  pay  at  the  quarter  day, 

they  never  desier  more.  112 

But  vfith  a  quiet  contented  minde 

he  spende«  his  time  tili  deathe, 
yet  beares  away  as  muche  as  they 

that  lives  like  lordes  on  earthe.  116 

And  allwayes  continewes  to  God  and  his  princesse 

most  true, 
and  geveth  plaine  withont  disdaine 

to  every  man  his  due.  120 

Whose  harte  is  not  ambitiously  bent 

to  clinke  to  high  estate, 
but  all  his  life  is  well  content 

to  live  in  simple  rate.  124 

through  faith  in  Christ  Jesus  his  soule  is  saved 

from  thralle, 
and  plast  in  ioy,  where  Christ  we  pray 

bringe  vs  bothe  great  and  smale.  128 

ßnis. 

[XVI.] 

A  pleasante  new  sonnge,  called  the  carmans  whistle: 

to   the  tune  of  neighbor  Roberte. 

In  a  pleasant  morninge,  Comely  was  her  countenaunce, 

in  the  merrie  month  of  may,  and  lovely  was  her  lookes; 
Amounge  the  frutefull  meddowes,         seeminge  that  wanton  Venus 

a  youngman  tooke  his  way;  4      had  write  her  in  her  bookes;         12 

and  gazinge  rounde  aboute  him  many  a  smirkinge  smile  she  lente 

what  pleasures  he  could  see,  amidst  those  meddoes  greene ; 

he  spied  a  proper  maidden  the  which  he  well  perceaved, 

vnder  an  oken  tree.  8      yet  was  of  her  vnseene.  —            16 

[XV]  104  chistmas  Hs.  —    115  as]  at  Hs.  —    125  chist  Hs. 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  23 


854 


Das  Liederbuch  Ms.  Eawlinson  Poet.  185. 


At  length  she  changed  her  smilinge 
into  a  sighinge  sonnge, 
bewailing  her  bad  fortune, 
that  was  a  maide  so  lonnge;         20 
for  many  one  more  yonger, 
quoth  she,  hath  lonnge  bene  wedd; 
yet  do  I  feare  that  1  shall  die, 
and  keepe  my  maidenhed.  24 

My  fathers  rieh  and  welthie 

and  hath  no  child  but  I; 

yet  wante  I  still  a  husband 

to  keepe  me  companie.  28 

my  yeares  are  younge  and  tender; 

and  I  am  faire  withall ; 

yet  is  there  nere  a  youngma?* 

will  comforte  me  at  all.  32 

The  youngmaw  which  listned, 
and  markt  her  greevous  mone, 
was  sorrie  for  to  see  her 
sit  musin  g  all  alone.  36 

he  nimblie  lepte  vnto  her, 
which  made  the  maide  to  start; 
But  when  he  did  embrace  her, 
it  ioyed  her  wofuU  harte.  40 

Faire  maide,  quoth  he,  whie  morne 

you? 
what  meanes  jour  heavie  chere? 
be  ruld  by  me,  I  pray  you, 
and  to  my  wordes  give  care:         44 
a  pleasante  note  ile  teil  you 
your  sadnes  to  expell.  — 
good  sir,  how  do  you  call  it? 
the  truth  vnto  me  teil.  48 

Tis  calld  the  carmans  whisteil, 
a  note  so  sweete  and  good, 
It  will  turne  a  womans  sadnes 
into  a  merrie  moode.  —  52 

good  sir,  then  let  me  heare  it, 
if  so  it  be  no  härme.  — 
Doute  not,  quoth  he,  faire  maiden, 
ile  kepe  you  in  mine  arme.  56 

But  first  let  me  intreate  you 
with  patience  to  attende, 
tili  I  have  broute  my  musike 
vnto  a  parfet  end.  —  60 


If  I  may  heare  jou  whistle, 
quoth  she,  I  will  be  still, 
and  thinke,  so  I  molest  you, 
tis  sore  against  my  will.  —  64 

When  he  to  her  had  whistled 

a  merrie  note  or  two, 

she  was  so  blith  and  pleasant, 

she  knew  not  what  to  doe.  68 

Quoth  she:  of  all  the  musike 

that  I  did  ever  know, 

the  carmans  plesant  whistle 

shall  for  my  monie  goe.  72 

Good  sir,  quoth  she,  I  pray  you 
who  made  this  pleasante  game? 
Quoth  he,  a  gentle  carman 
did  make  it  for  his  dame.  76 

And  she  was  well  contented 
with  him  to  beare  a  parte.  — 
^odes  blessinge,  quoth  the  maiden, 
light  one  the  carmans  harte.  80 

For  never  was  I  pleased 

more  better  in  my  liffe 

then  with  the  carmans  whistle 

which  pleaseth  maide  and  wiffe.  84 

and,  sir,  I  do  beseech  you, 

however  I  do  speed, 

to  let  me  heare  you  whistle, 

when  I  do  stand  in  need.  88 

Quoth  he:  farewell,  faire  maiden, 
and  as  you  like  this  sporte, 
so  of  the  carmans  whistle 
I  pray  you  give  reporte.  —  92 

good  sir,  quoth  she,  I  thanke  yow 
for  this  your  taken  paine; 
but  when  shall  we,  I  pray  you, 
meete  in  this  place  againe?  96 

Quoth  he:  at  anie  season, 
by  day  or  eis  by  night, 
commend  the  carmans  whistle 
for  pleasure  and  delight;  loo 

and  counte  me  slacke  and  slouthfull, 
if  twice  you  send  for  me.  — 
I  faith  then,  quoth  the  maiden, 
ile  give  thee  kisses  three.  104 

finis. 


[XVII.] 

A  sonnge  in  praise  of  the  single  life. 
To  the  tune  of  the  gostes  hearse,  alius  the  voice  of  the  earth. 


Some  do  write  of  bloodie  warres; 
some  shewes  the  sundrie  carres 
twixt  men  through  envie  raised; 
Some  in  praise  of  princes  write; 


some  setts  their  whole  delight 
to  heare  faire  bewtie  blazed; 
Some  other  persons  are  mooved 
for  to  praise  wher  they  are  loved.  8 


Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  185. 


355 


And  let  lovers  still 
praise  bewtie  as  they  will ; 
otberwise  I  am  intended : 
trew  love  is  little  regarded,  12 

aüd  oftentimes  goes  viirewarded; 
then  to  avoide  all  striffe 
well  fare  a  single  liffe, 
wherby  the  hart  is  not  offended.  ig 

O,  what  sute  and  servis  too 
is  vsed  by  them  that  wooe, 
and  all  to  purchase  favourl 
Oh,  what  greefe  in  harte  and  minde,  20 
what  sorrow  do  they  finde 
throiigh  womens  fonde  behaviour! 
subiect  to  suffer  eac  to  lowre, 
and  speaches,  both  sharp  and  sowre,  24 
and  labour,  love,  and  cost: 
perchaunce  is  all  but  lost, 
and  no  way  they  be  amended; 
and  some  to  purchase  pleasure,     28 
and  after  repent  them  by  leasure. 
then  to  avoide  all  striffe  &c.     3ü 

To  a  man  in  wedded  State 
doth  happen  much  debate, 
except  gods  speciall  favour. 
if  his  wiffe  be  prowdlie  beut,        34 
or  secretly  consent 
to  any  leawde  behaviour, 
if  shee  be  sloughtfuU,  or  idle, 
or  such  as  her  tounge  cannot  bridle,  38 
O  then  will  weare  hee, 
if  death  his  baue  would  be. 
no  sorrow  ells  may  be  amended; 
for    looke,    how    lonn^    he    weare 
livinge,        42 
evermore  would  he  be  greevinge. 
then  to  avoide  all  striffe  &c.     44 

Married  folke  we  often  heare 
even  through  ther  children  deare 
have  manie  causes  of  sorrow, 
if  disobedient  they  be  founde,       48 


or  false  in  any  grownd 
by  ther  vnlawfuTl  borrowes; 
to  see  such  wretched  followes 
shamfully  corwme  to  the  gallowes,  62 
whom  parentes  with  great  care 
norished  with  daintie  fare, 
from  the  cradle  trewlie  tended; 
when  as  the  mother  before  them  56 
doth  curse  the  day  that  ever  she 
bore  them. 
then  to  avoide  all  striffe.  &c.    58 

Do  we  not  behould  and  see, 
wher  men  and  wives  agree, 
and  live  in  love  together, 
wher  the  lord  hath  sent  them  ecke  62 
faire  children  milde  and  meeke, 
like  flowers  in  sommers  weather, 
how  greatly  are  they  greeved, 
and  will  not  by  ioy  be  releeved,  66 
if  that  death  do  call 
ether  wiffe  or  chilldren  smale, 
whom  the  vertues  so  commended; 
ther  losses  whom  they  thus  loved  70 
from  ther  hartes  cannot  be  mooved. 
then  to  avoide  all  striffe  &c.     72 

Who,  being  in  happie  state, 

would  worke  himselffe  such  hate 

his  fancie  for  to  foUowe; 

Or  livinge  here  devoide  of  striffe,  76 

would  take  to  him  a  wiffe 

for  to  procure  his  sorrow; 

with  carpinge  and  with  caringe 

evermore  must  he  be  sparinge;      80 

were  not  he  worse  then  madd, 

being  merrie  would  be  sadd, 

were  he  to  be  commended, 

that  sure  would  take  pleasure,      84 

wher  greefe  is  all  his  treasure. 

then  to  avoide  all  striffe, 

well  fare  a  single  liffe, 

wher  by  the  harte  is  not  offended.  88 


finis. 


Bemerkungen  zu  den  einzelnen  Liedern. 

I.  In  diesem  Song  of  the  guise  of  Lo7idon  haben  wir  eine  Aufzählung 
alles  dessen,  was  in  den  Londoner  Strafsen  und  Märkten  zur  damaligen 
Zeit  feilgeboten  worden.  Das  Lied  ist  eine  Zusammensetzung  und  Be- 
arbeitung der  verschiedenen  Rufe,  mit  denen  die  Verkäufer  ihre  Waren 
feilzubieten  pflegten.  Eine  ähnliche  Ballade  findet  sich  auch  in  der  Bag- 
ford-Sammlung  von  Ebsworth  I  115.  Hier  lautet  der  Titel:  The  traders 
mecUey;  or  the  crys  of  London;  being  a  pleasant  copy  ofverses  on  the  daily 
cries  in  London  from  Billingsgate  to  Whitechapple  Mount,  and  from  thence 
to  Tuttle  street  in  Westminster,  relating  all  sofis  of  hawkers  and  petty 
chapmen.    Eine  dritte,  ähnliche  Ballade :  The  cries  of  London,  ist  abgedruckt 

23* 


356  Das  Liederbuch  Ms.  Rawlinson  Poet.  1^5. 

in  den  Boxburghe  hallads  (Ebsworth  VII  57),  stammt  aber  aus  späterer 
Zeit.  —  Die  Gestalt  des  Besenhändlers,  der  die  Strafsen,  laut  zum  Verkauf 
und  Tausch  auffordernd,  durchzieht,  und  die  Erwähnung  des  Besens  ist 
in  der  damaligen  Volkspoesie  eine  häufige  Erscheinung.  Schon  1562  63 
wurde  in  den  Stationers  registers  eine  Ballade  zum  Druck  angemeldet: 
A  description  of  the  nature  of  a  hrychen  hrome.  1563/64  folgte  eine  zweite: 
Buy  hroomes  buy  (Collier,  Shakespeare  Soe.  transcripts  S.  88).  Unter  den 
Songs  of  London  prentices  and  trades  (Collier,  Percy  Soc.  I  135)  befindet 
sich  ein  City  round,  dessen  erste  Strophe  an  unsere  Ballade  erinnert: 

Broomes  for  old  shooes!  pouchrings,  bootes,  and  buskings! 

Will  you  buy  any  new  broome? 

New  oysters!  new  oysters!  new,  new  cockels! 

Gockels  nye!  fresh  herrings!     Will  you  buy  any  straw? 

Hay  yee  any  kitchen  stuffe,  maides? 

Pippins  ripe,  cherrie  ripe,  ripe,  ripe! 

In  dem  Stück  Three  ladies  of  London,  1584,  betritt  Conscience  die  Bühne 
als  Besenverkäufer  mit  einem  Bündel  Besen  auf  dem  Rücken  und  singt 
ein  ähnliches  Lied  mit  dem  Refrain: 

New  broomes,  greene  broomes,  will  you  buy  any? 

Come  maidens,  come  quickly,  let  me  take  a  penny. 
Man  kann  wohl  annehmen,  dafs  hierin  die  Balladen  vorbildlich  gewirkt  haben. 

II.  Der  Tune  of  Legoranto  ist  natürlich  mit  dem  Lacaranto  (Nr.  XV) 
identisch,  wie  auch  der  gleiche  metrische  Bau  der  Strophen  besagt.  Über 
diese  Melodie  ist  weiter  nichts  bekannt. 

III.  Wilson,  nach  dem  die  Melodie  Wilsons  tune  benannt  wurde, 
scheint  ein  Sänger  und  Musiker  jener  Zeit  gewesen  zu  sein ;  von  ihm  ist 
noch  ein  Tanz,  Wilsons  Wild,  erhalten,  dessen  Noten  bei  Chappel,  Old 
populär  musick  I  267,  abgedruckt  sind. 

V.  Die  Melodie  des  Tune  Lady  Jane  ist  unbekannt.  Eine  Ballade 
Lady  Jane  finden  wir  in  den  Stationers  registers  1560/61  zum  Druck  an- 
gemeldet (Collier  72),  und  kurz  darauf  eine  zweite,  Lamentation  of  Queen 
Jane.  Die  Geschichte  der  Lady  Jane  Grey,  auf  die  sich  wahrscheinlich 
diese  Balladen  beziehen,  ist  noch  weiterhin  häufig  in  den  Balladen  ver- 
arbeitet worden.  —  Infolge  des  fehlenden  Blattes  sind  uns  nur  zwei  Stro- 
phen des  Textes  erhalten. 

VI — VII.  Der  Titel  und  Anfang  des  Liedes  VI  ist  aus  demselben 
Grunde  nicht  vorhanden.  Aus  dem  Sinn  geht  aber  klar  hervor,  dafs  es 
die  Lehren  eines  Vaters  an  seinen  Sohn  enthält,  der  von  ihm  Abschied 
nimmt,  um  zur  Erlernung  eines  Handwerks  nach  London  zu  ziehen.  Es 
steht  somit  in  direkter  Verbindung  mit  dem  folgenden  Liede,  in  dem  nach 
dem  Vater  die  Mutter  das  Wort  ergreift,  um  auch  ihrerseits  dem  Sohn 
Ratschläge  mit  auf  den  Weg  zu  geben.  Also  auch  hier  in  der  Volkspoesie 
finden  wir  diese  Dichtungsart  fortgesetzt,  die  schon  im  Alt-  und  Mittel- 
englischen häufig  Gegenstand  poetischer  Bearbeitung  geworden  war. 

VIII.  Diese  Bufs-  und  Fastenpredigt  sollte  nach  dem  Tune  of  the 
crampe  gesungen  werden.  Die  Noten  einer  so  benannten  Melodie  finden 
sich  in  der  Liedersammlung  Cammelia  von  1609  und  sind  bei  Chappel 
I  148  abgedruckt.  Eldertons  Ballade  Lenton  stuffe  ist  ebenfalls  nach  dem 
Tune  of  the  crampe  zu  singen;  es  müssen  aber  verschiedene  Melodien 
unter  diesem  Namen  existiert  haben,  da  alle  drei,  die  beiden  Dichtungen 
und  die  erhaltene  Musik,  untereinander  gänzlich  verschieden  sind. 

IX.  Die  Balladen  von  Hobby  Noble  und  John  a  Side,  von  der  die 
Melodie  entlehnt  ist,  sind  abgedruckt  bei  Childe,  English  and  Scottish 
populär  ballads  III  475. 


Das  Liederbucli  Ms.  Rawlinson  Poet.  185.  05"? 

XI.  Medleys  waren  eine  Art  von  Potpourris,  in  denen  allerhand  Bal- 
ladenanfänge, Refrains,  Sprichwörter,  volkstümliche  Redensarten  etc.  mit- 
einander zu  einem  Liede  verflochten  wurden.  Solche  medleys  finden  wir 
in  den  Roxburghe  ballads  I  52  ff. ;  III  240.  Ein  medley  von  Tarlton  wird 
ebenda  erwähnt  II  239. 

XII.  Vielleicht  bezieht  sich  hierauf  eine  Eintragung  in  den  Stat.  reg. 
(Arber  III  53)  vom  20.  November  1595:  Entered  ...  a  bailad  intitulated 
Englaiids  triumphe  conteyninge  diverse  of  those  aboundant  blessings  where- 
with  this  our  realme  hathe  been  blessed  by  our  most  gratiotts  queene  Elixa- 
bethes  reign. 

XIII.  Mother  Watkins  ale  und  The  earmans  whistle  gehörten  ihres  be- 
denklichen Inhalts  wegen  zu  den  berüchtigtsten  Strafsenballaden;  Chettle, 
Kind  hearts  dream,  1592  {Percy  Soc.  V  15),  nennt  sie  'lascivious  under- 
songs',  die  gesungen  werden  ^with  such  odious  and  detested  boldnes,  as  if 
there  be  any  one  line  in  those  lewel  songs  then  other  more  abhominable,  that 
with  a  double  repetition  is  lowdly  bellowed'.  In  dem  Briefe,  der  Mundys 
Übersetzung  des  Oerilion  of  England  voransteht,  heifst  es:  I  should  hardly 
be  perswad^  that  any  professor  of  so  excellent  a  science  {as  printing)  could 
be  so  impudent  to  print  such  odious  and  lascivious  ribauldrie  at  Watkins 
ale,  The  earmans  whistle,  and  sundrie  such  other.'  —  Die  Melodie  abge- 
druckt bei  Chappel  I  265. 

XIV.  In  meiner  Vorlage  befindet  sich  eine  Notiz,  in  der  bezweifelt 
wird,  ob  Titel  und  Lied  zusammengehören.  Balladen  in  Dialogform  finden 
sich  aber  sehr  häufig;  die  Melodie  wurde  eben  von  den  beiden  Personen 
abwechselnd  aufgenommen.  Auch  ist  ja  hier  eine  vollkommen  strophische 
Gliederung  vorhanden,  es  ist  keineswegs  ein  fortlaufend  dramatisiertes  Ge- 
dicht. Der  Stoff  entstammt  der  67.  Erzählung  aus  Boccaccios  Decame- 
rone.  —  Zwei  verschiedene  Melodien,  benannt  Loth  to  depart,  sind  bei 
Chappel  I  102  abgedruckt;  jedoch  pafst  keine  von  ihnen.  Der  Text  eines 
schottischen  Loath  to  depart  steht  in  den  Bagford  ballads  II  481. 

XVI.  The  earmans  whistle  scheint  eine  der  beliebtesten  Balladen  ge- 
wesen zu  sein.  Sie  ist  aufserdem  noch  erhalten  in  den  Sammlungen  von 
Pepys  III  291,  von  Roxburghe  II  67  und  von  Wood  E  25  (133).  Zugäng- 
lich war  mir  nur  die  der  Roxburghe-Sammlung  (III  564),  The  combers 
whistle  or  the  spart  of  the  spring.  Tune  of  earmans  whistle.  Diese  letztere 
scheint  eine  spätere  Bearbeitung  von  der  ursprünglicheren  Fassung  im 
Rawl.  Ms.  zu  sein,  wie  aus  dem  Text  hervorgeht  als  auch  daraus,  daTs 
die  Melodie,  The  earmans  whistle,  angegeben  ist.  Der  Text  lehnt  sich 
häufig  an  und  stimmt  wörtlich  überein,  ist  anderseits  aber  ganz  und  gar 
abweichend;  es  sind  Strophen  hinzugefügt,  umgestellt  und  weggelassen. 
Es  geschah  häufig,  dafs  ein  Balladendrucker  eine  Bearbeitung  oder  Nach- 
ahmung einer  beliebten  Ballade  anfertigen  liefs,  um  ebenfalls  durch  ihren 
Vertrieb  sich  sicheren  Gewinn  zu  verschaffen. 

Bei  Ouvry,  Catalogus  of  old  ballads  S.  17,  ist  dieselbe  Ballade  unter 
einem  dritten  Titel  eingetragen:  The  courtous  carman  and  the  amorous 
maid;  or  the  earmans  whistle.  To  the  tune  of  the  earmans  whistle,  or  Lord 
Willoughby's  March.  Diese  beiden  Melodien  sind  bei  Chappel  I  253  und 
I  152  abgedruckt.  Da  der  bei  Ouvry  erwähnte  Liederanfang,  As  labroade 
icas  walkinge,  nicht  mit  dem  unserigen  übereinstimmt,  mufste  hier  eine 
dritte  Version  zugrunde  gelegen  haben. 

Nach  der  in  unserer  Hs.  angegebenen  dritten  Melodie  0  neighbour 
Robert  geht  auch  eine  Ballade  The  wonderfull  example  of  Qod  shewed  upon 
Jasper  Conyiingham  {Roxb.  ballads  III  104);  nach  der  Melodie  The  earmans 
ivhistle  eine  Ballade  All  is  ours  and  our  htisbands  {Roxb.  ballads  III  380). 

BerliD.  Wilhelm  Bolle. 


Zur  englischen  Syntax. 


I.  Zur  Komparation. 

In  der  neuen  Bearbeitung  seiner  Aufsätze  über  das  Indefinitum 
sagt  Einenkel,  Anglia  XXVII,  80:  'Die  Herkunft  des  für  than 
gelegentlich  eintretenden  nor  ist  dunkel.'  Und  Stoffel,  der  E.  St. 
XXXI,  265  Belege  für  diese  Erscheinung  zusammenträgt,  spricht 
nicht  von  ihrer  Entstehung.  Das  veranlafst  mich  zu  den  folgenden 
Bemerkungen  über  die  Herkunft  der  mir  bekannten  englischen  Kom- 
parationspartikeln. 

Wenn  man  die  Entstehung  der  Konjunktionen  beim  Komparativ 
begreifen  will,  mufs  man  bedenken,  dafs  die  Hilfsmitttel  der  Über- 
und  Unterordnung  aus  Mitteln  der  Beiordnung  hervorgegangen  sind. 
Das  ist  von  vornherein  festzustellen. 

Ursprünglich  war  bekanntlich  für  unsere  Konjunktionen  kein 
Bedürfnis  vorhanden:  der  'zweitverglichene'  Gegenstand  stand  im 
Germanischen  (und  auch  noch  im  Ae.)  im  Dativ.'  Der  Dativ  als 
Komparationskasus  ist  längst  als  indogermanischer  Ablativ  erkannt, 
er  ist  nicht  ein  echter  alter  Dativ,  wie  neuerdings  Winkler  in  seiner 
Oermanischen  Kasussyntax  (S.  116  ff.)  behauptet  hat. 

1.  Die  gebräuchlichste  Komparationspartikel  ist  than,  ae. 
ßonne.^  Sie  ist  natürlich  ursprünglich  beiordnend  gewesen,  erst  aus 
der  Parataxe  hat  sich  die  Hypotaxe  entwickelt.  Nach  Ziemer  a.  a.  O. 
S.  2 1 0,  Tobler,  Vermischte  Beiträge  zur  französischen  Grammatik  III,  79, 
ist  er  ist  klüger  denn  du  entstanden  aus  er  ist  klüger,  denn  du  (d.  h. 
dann,  hernach,  erst  nach  ihm  du).  In  Wirklichkeit  ist  aber  wohl  die 
Grundbedeutung  des  ae.  ßonne,  ahd.  danne  eine  andere :  Behaghel  (in 
Kluges  Etymologischem  Wörterbuch*^  unter  dann  und  Gebrauch  der 
Zeitformen  im  konjunktivischen  Nebensatz  des  Deutschen  S.  176)  sieht 
darin  das  Adverb  (ahd.)  dana  (vgl.  got.  panamais !):  gröfser  denn  das 
=  gröfser  von  da  aus.    Denselben  Sinn  hatte  ja  ursprünglich  auch 


*  Über  den  Genitiv  als  Komparationskasus  in  germanischen  Dialekten 
vgl.  Grimm  IV,  754;  Wülfing,  Syntax  Alfreds  des  Qrofsen  §  10  a;  H.  Ziemer, 
l^rgleichende  Syntax  der  indogermanischen  Komparation,  Berlin  1884,  S.  78. 

^  Die  Ansicht  von  Koch,  Eist.  Grammatik  §  506,  über  die  Entstehung 
dieser  komparativen  Partikel  ist  unklar;  Zupitza  hat  ein  Fragezeichen 
hinzugesetzt. 


2Jur  englischen  Syntax.  8^9 

der  alte  Vergleichungskasus,  der  Ablativ.  Oaius  dodioi'  est  Lucio 
bedeutet:  O.  ist  gelehrter,  von  L.  aus  gerechnet. 

Einen  ähnlichen  Ersatz  hat  der  Komparationskasus  in  anderen 
Sprachen  gefunden:  vgl.  romanisches  de  (Meyer - Lübke,  Syntax 
S.  305  ff.),  griechisches  uno,  slawisches  ot  'von  —  an' (Ziemer,  S.  250). 
Ähnlich  wird  die  Vergleichung  im  Hebräischen  zum  Ausdruck  gebracht. 

Zu  beachten  ist,  dafs  die  Pause  vor  ponne  im  Laufe  der  Zeit 
geschwunden  ist.  Es  ist  eine  Verschiebung  in  der  Gliederung  ein- 
getreten, wie  so  oft  im  Satzbau.  Oröfser  —  denn  der  andere  war 
gleichbedeutend  mit  dem  älteren  gröfser  dem  anderen;  da  im  zweiten 
Falle  keine  Pause  hinter  dem  Komparativ  stattfindet,  wurde  sie  auch 
im  ersten  erspart.  Die  Verschiebung  in  der  Gliederung  würde  somit 
auf  einer  Analogiebildung  beruhen. 

2.  Wegen  der  Komparationspartikel  pe  vgl.  Delbrück,  Verglei- 
chende Syntax  der  idg.  Sprachen  III,  357. 

3.  Sehr  beachtenswert  ist  das  vergleichende  tili  nach  Komparativ 
in  heutigen  englischen  Mundarten :  bis  zu  an  Stelle  von  von  . . .  aus. 
He  is  taller  tili  you:  er  ist  gröfser  bis  zu  dir.    Man  vergleiche: 

Ä  is  taller  than  B 


A 

B 1 -> 

von  da  aus 
A  is  taller  tili  B 

A 

B 1^ 


bis  dahin 

Vgl.  im  Altslawischen  daze  'bis'  nach  drevlje  prius,  Ziemer,  S.  228. 
Dialektisch  werden  tin  und  tan  nach  Komparativ  gebraucht, 
vgl.  Th.  Darlington,  Falk- Speech  of  South  Gheshire  S.  60;  Wright, 
Dialekt  Dictionary  153;  Ellis,  Early  English  Pronunciation  V,  420. 
Das  sind  offenbar  Kontaminationen  der  beiden  gleichbedeutenden 
Wörter  tili  und  than:  tili  -\-  than  =  tin;  tili  -\-  than  :=  tan. 

4.  Dem  deutschen  als  entspricht  englisches  as  in  der  älteren 
Sprache  und  in  den  heutigen  Mundarten:  K  E.  D.  I,  478,  B  I,  4 
und  E.  D.  D.  I,  78.  In  der  heutigen  Schriftsprache  ist  as  nur  noch  bei 
Gleichstellung  gebräuchlich  (He  is  as  tall  as  I,  not  so  tall  as  I,  not 
as  tall  as  I).  More  as  that  für  more  than  that  wird  als  Scoticismus 
verzeichnet  von  James  Beattie,  Scoticisms,  Edinburg  1787,  1810,  S.  2. 
Er  ist  gröfser  als  ich  hiefs  anfänglich  er  ist  gröfser,  so  (also,  engl. 
as  <  eallswä)  ich,  so  grofs  bin  ich. 

5.  Nach  alledem  kann  älteres  na  (nicht)  als  Komparationspartikel 
keine  Schwierigkeit  mehr  machen.^    He  is  taller  na  his  brother  hiefs 

*  Dafs  dieses  na  aus  dem  Keltischen  entlehnt  sei,  wird  man  nicht  be- 
haupten wollen.  Das  Neiiirische,  Hochschottische  und  Welsche  verwenden 
nämlich  na  als  Komparationspartikel  (Ziemer,  S.  236). 


ä6Ö  2m  englischen  Syntax. 

ursprünglich  He  is  taller;  na  Ms  brother  =  er  ist  gröfser;  nicht  sein 
Bruder.  Vielleicht  ist  diese  Konstruktion  erst  das  Ergebnis  einer 
Vermischung  zweier  Sätze:  he  is  taller  than  his  brother  -f-  he  is  tall, 
na  his  brother.  —  Im  Slawischen  dient  die  Verneinung  zu  demselben 
Zweck,  wie  Delbrück,  Vergleichende  Syntax  IV,  519,  mitteilt:  Dem 
Lande  der  Sodomer  und  Gomorrer  wird  es  erträglicher  gehen  am 
Jüngsten  Gericht,  nicht  jener  Stadt.  H.  Ziemer,  Syntax  der  indogerm. 
Komparation  S.  11  f.,  145  ff.,  weist  in  verschiedenen  Sprachen  ähn- 
liche Verwendungen  der  Negation  bei  der  Vergleichung  nach.  Vgl. 
auch  noch  Diez,  Grammatik  der  rom.  Sprachen^ ^  1057  (III,  400),  der 
darauf  hinweist,  dafs  die  vergleichende  Partikel  wegfallen  kann  'vor 
einem  vollständigen  Satze,  sofern  ihm  die  Negation  nicht  fehlt',  z.  B. 
bon  essemple  valon  mais,  no  fay  sermos. 

6.  Belege  für  nor  beim  Komparativ  geben  aufser  Stoffel  und 
Einenkel  noch  Murray,  Scottish  Dialect  S.  169,  und  Mätzner,  Ae. 
Sprachproben  I,  1,  S.  362.  Aus  den  Cely  Paper s,  Selection  from  the 
Correspondence  and  Memoranda  of  the  Cely  Family,  Merchants  of  the 
Staple,  edited  for  the  Royal  Historical  Society  by  H.  E.  Maiden, 
London  1900,  füge  ich  folgende  Belege  an: 

S.  19  (1479):  ...  ye  schall  here  myche  more  in  thys  pertys  nor 

I  can  at  Brytys  ... 
S.  23  (1479):  I  have  lever  my  money  be  note  resayvyd  ...  radar 

nor  ye  schall  labor  yourselve. 
S.  30  (1480):  (it)  is  fayre  woll  (=  wool)  meche  finar  woll  nor  was 

the  yere  before. 
S.  32  (1480):  ye  mythe  (=  might)  write  myche  more  nor  ye  doe. 

In  den  heutigen  Mundarten  ist  nor  in  dieser  Verwendung  be- 
kanntlich sehr  geläufig. 

Wieder  haben  wir  von  ursprünglicher  Parataxe  auszugehen,  von 
einer  parataktischen  Verwendung,  die  nor  heute  noch  hat:  und  nicht. 
He  is  taller  nor  I  -—  he  is  taller,  nor  I,  d.  h.  er  ist  gröfser  und  nicht 
ich.  Auch  hier  kann  man  wieder  an  eine  Konstruktionsmischung 
denken.  Diese  Konstruktion  berührt  sich  nahe  mit  der  anderen  he 
is  taller  na  I.  Und  wieder  ist  die  ursprüngliche  Pause  hinter  dem 
Komparativ  weggefallen,  wieder  infolge  einer  Verschiebung  der  syn- 
taktischen Gliederung. 

Wie  nor  für  than  nach  Komp.  ist  im  Altschott,  umgekehrt  für 
nawther  —  nor  nawther  —  than  eingetreten  (s.  Mätzner  a.  a.  O.). 

Wie  übrigens  nother,  nor  zur  Bedeutung  und  nicht  gekommen 
ist,  erörtert  Einenkel,  Anglia  XXVII,  §  242. 

Im  älteren  Deutschen  und  in  heutigen  deutschen  Mundarten 
treffen  wir  weder  in  derselben  Verwendung  wie  engl,  nor;  Beitr.  V, 
379  f.;  Ziemer,  S.  185  f.;  O.  Schwab,  Hist.  Syntax  der  griechischen 
Komparation  I,  48^,  vgl.  auch  die  Angabe  des  Grammatikers  Johann 
Bödiker  1698  (Zeitschrift  des  Allgemeinen  Deutschen  Sprachvereins 
1901,  S.  40),  für  die  Mundarten  z.  B.  Ph.  Lenz,  Handschuhsheimer 


Zur  englisclieii  Syntax.  361 

Dialekt,  Progr.  1887  (I),  54,  G.  Binz,  Zur  Syntax  der  Ma.  von  Basel, 
Diss.  1888,  S.  67. 

Ähnliches  finden  wir  auch  im  Skandinavischen,  worauf  Storm, 
Englische  Philologie-  S.  811,  aufmerksam  macht. 

7.  or  'eher'  für  than  nach  Komparativ  in  der  älteren  Sprache 
und  in  heutigen  Mundarten  verzeichnen  N.  E.  D.  VII,  166,  C,  3  und 
E.  D.  D.  IV,  356, 5.  Vgl.  z.  B.  aus  Sir  Gawayne  and  the  green  Knight, 

V.  1543: 

Tg  yow  J)at,  1  wot  wel,  weldej  more  slyjt 

Of  bat  art,  bi  |)e  hälfe,  or  a  hundreth  of  seche 

As  I  am. 

Aus  Douglas  V,  VIII,  88:  ...  othir  strenth  or  mannis  force  has  delt 
with  the. 

Das  letzte  Beispiel  mag  die  Herausbildung  von  or  als  Kompara- 
tionspartikel veranschaulichen.  Es  hiefs  ursprünglich:  othir  (greter) 
strenth  has  delt  with  the  or  —  mannis  force  =  stärkere  Kraft  hat 
dich  eher,  vorher  besiegt,  dann  Mannes  Kraft,  nicht  Mannes  Kraft. ^ 

8.  Schliefslich  sei  noch  auf  but  nach  negativem  Satz  mit  Kom- 
parativ hingewiesen,  vgl.  N.  E.  D.  I,  1211  unter  hut,  C,  5,  und 
H.  Varnhagen,  An  inquiry  into  the  origin  and  different  meanings  of 
the  Engl,  particle  but,  Diss.  1876,  S.  54  ff.  Z.  B.:  I  have  no  more 
but  ten  Shillings  (c.  1500).  Natürlich  war  anfangs  vor  but  eine  Pause. 
Man  vergleiche  damit  mhd.  wan  nach  Komparativ  in  Verbindung 
mit  Negation,  Paul,  Mhd.   Grammatik,  §  319. 

Selten  finden  wir  Präpositionen  hinter  dem  Komparativ. ^ 

9.  Gelegentlich  steht  by  &n  Stelle  von  than.  Murray,  Scottish 
Dialect  S.  169,  zitiert  schottisch  hey's  yunger  be  onie  o  thaim.  Da- 
neben steht  he  is  young  by  you  (auch  südenglisch,  vgl.  Elworthy, 
Grammar  of  the  Dialect  of  West  Somerset  S.  24),  und  das  erklären 
Murray  und  Elworthy  richtig  als  jung  neben  dir  (im  Vergleich  mit 
dir).  Und  young  er  by  you  scheint  nichts  anderes  zu  sein  als  eine 
Kontamination  aus  younger  than  you  und  young  by  you.^ 

Ähnlich  leitet  O.  Schwab,  Griech.  Komp.  II,  152  griech.  na^d 
nach  komparativischen  Begriffen  aus  der  Grundbedeutung  der  Prä- 
position (nebenhin,  iuxta)  ab. 

10.  To  als  Komparationspartikel  finde  ich  in  dem  Satz  aus 
The  Fair  Maid  of  Bristow  (hsg.  nach  dem  Druck  von  1605  von 
A.  H.  Quinn,  Boston  1902),  V.  609:  Delay  is  worse  to  danger,  was 
L.  Tieck  übersetzt:  Aufschub  ist  schlimmer  als  Gefahr  {Shakespeare- 


*  In  englischen  Mundarten  vertritt  or  die  Stelle  von  bis,  vgl.  Wright 
unter  or,  6:  hide  or  you  see  =  warte,  bis  du  siehst.  Ursprünglich:  warte 
vorher;  du  siehst  (alsdann). 

^  Für  die  idg.  Sprachen  vgl.  die  Zusammenstellung  von  komparativen 
Präpositionen  bei  Ziemer  S.  94  ff.,  114  ff. 

2  Die  Angabe  des  N.  E.  D.  I,  1228  unter  by,  A,  II,  b,  in  We  came  back 
the  same  way  sei  by  'elliptically  omitted',  beruht  auf  falscher  Auffassung. 


862  Zur  englischen  Syntax. 

Jahrbuch  XXXI,  149).  Worse  to  ist  wohl  nach  Analogie  von  not 
like  to  gebildet. 

Änlich  werden  lat.  inferior^  dexterior  mit  dem  Dativ  verbunden 
nach  Analogie  von  impar,  vgl.  Wölfflin  im  Archiv  f.  lat.  Lexiko- 
graphie VI,  466  f.i 

Aus  dieser  Übersicht  geht  hervor,  dafs  die  ursprünglichen  Be- 
deutungen der  Komparationspartikel  recht  verschiedenartig  sind. 
Diese  Verschiedenartigkeit  ist  beachtenswert  auch  für  Untersuchungen 
auf  anderen  Sprachgebieten.  O.  Schwab  findet  die  Verwendung  der 
griechischen  Gleichheitspartikel  cog  neben,  wie  er  glaubt,  disjunktivem 
i'i  höchst  auffällig.  'Mit  der  Vorstellung  des  Sprachkörpers  als  eines 
organischen  Ganzen  verträgt  sich  wenigstens  die  gleichzeitige  Ver- 
wendung heterogener  Sprachmittel  zum  Ausdruck  einer  Denkform 
nicht.  Die  verschiedenen  Sprachen  haben  verschiedene  Wege  ein- 
geschlagen ;  aber  innerhalb  einer  Sprache  gerät  die  Entwickelung  wohl 
bisweilen  auf  Umwege  und  Abwege,  nie  jedoch  strebt  sie  von  Anfang 
an  demselben  Ziele  auf  zwei  entgegengesetzten  Wegen  zu'  (II,  155). 
Das  ist  eine  irrige  Anschauung.  Auch  im  sprachlichen  Leben  führen 
viele  Wege  nach  Kom.  Das  Englische  mit  seiner  durchsichtigeren 
Entwickelung  zeigt  uns  eine  noch  viel  gröfsere  Verschiedenartigkeit 
als  das  Griechische.  Übrigens  sind  die  Wege  durchaus  nicht  ent- 
gegengesetzt, wie  Schwab  meint.^ 


Wir  schliefsen  die  Erörterung  einiger  'Unregelmäfsigkeiten*  im 
Bau  von  Vergleichungssätzen  an. 

Da  fällt  zunächst  auf,  dafs  unsere  Komparationspartikel  gelegent- 
lich nach  einem  Positiv  statt  Komparativ  stehen.  Belege  bieten 
Grein,  Sprachschatz  II,  563  ff.,  Bugge,  Z.  f.  d.  Ph.  IV,  193,  Wülker, 
Änglia  I,  185   und  neuerdings  Koppel,  E.  St.  XXXI,  376  f.,  unter 


*  So  erklärt  sich  wohl  auch  der  Dativ  beim  Komparativ  in  einem 
Goetheschen  Satz.  Vgl.  Ziemer  S.  75:  'Als  ganz  ungewöhnlich  und  der 
heutigen  Zeit  fast  unverständlich  mufs  das  nhd.  Beispiel  des  komparativen 
Dativs  bezeichnet  werden,  welchen  Goethe  2,  328  zu  bilden  sich  erlaubt 
hat,  jedenfalls  aus  zufälliger  Laune  und  aus  jener  das  Seltsame  liebenden 
genialen  üngebundenheit  heraus,  welche  ihn  so  oft  auf  syntaktischem 
Gebiet  zu  Neuerungen  führt.  Denn  von  altdeutschem  Sprachgebrauch  war 
der  Dichter  wohl  unabhängig  oder  dachte  nicht  an  ihn,  wenn  er  schrieb: 

Jedem  Gift,  das  ich  erprobet, 
Schlimmer  ist  dein  eignes  noch. 

Ist  dieser  Dativ  eine  freie  Schöpfung  Goethes,  so  läfst  er  nicht  nur  das 
feine  Gefühl  des  Dichters  für  den  Geist  der  Muttersprache  bewundern, 
sondern  behält  auch  von  grammatischem  Gesichtspunkte  aus  unvergäng- 
lichen Wert.' 

^  Ich  sehe  hier  ganz  davon  ab,  dafs  Schwabs  Identifizierung  des  viel- 
erörterten komparativen  rj  mit  der  disjunktiven  Konjunktion  auf  berechtigten 
Widerspruch  gestofsen  ist;  vgl.  z.  B.  Brugmann,  Griech.  Orammatik^  S.  541  f. 


Zur  englischen  Syntax.  363 

dem  Titel  'Ellipse  des  Komparativs  von  than'.  Am  bekanntesten  ist 
die  Stelle  aus  dem  Beowulf,  V.  69  f.: 

Him  on  möd  bearn, 
{)8et  heal-reced  hätan  wolde, 
medo-sern  micel  men  gewyrcean, 
{)one  yldo  bearn  sefre  gefrünon. 

Also:  er  liefs  eine  grofse  Halle  bauen,  als  man  je  gesehen.  Grein, 
Spraehschatx  (danne  II),  bemerkt  dazu,  im  vorhergehenden  Satzglied 
sei  der  Begriff  des  Komparativs  hinzuzudenken;  vgl.  auch  die  An- 
merkung in  der  Ausgabe  von  Heyne-Socin.  Gewifs,  aber  das  erklärt 
die  Entstehung  dieses  'Anakoluth'  noch  nicht.  Unser  Satz  ist  das 
Ergebnis  der  Vermischung  von  zwei  Konstruktionen:  er  liefs  eine 
grofse  Halle  hauen;  so  eine  hatte  noch  niemand  gesehen  -\-  er  liefs 
eine  gröfsere  Halle  bauen,  als  man  je  gesehen. 

Ahnliche  Mischungen  kommen  auch  im  Deutschen  vor.  Heyne 
zitiert  in  seinem  Wthch.  III,  1342  zwei  Belege  aus  Grimmeishausen, 
darunter  Simpl.  3,  49:  Dieselbe  fand  ich  gar  arm,  weder  (=:  als)  ich 
sie  verlassen  =  dieselbe  fand  ich  gar  arm,  so  arm  hatte  ich  sie  nicht 
verlassen  -\-  dieselbe  fand  ich  ärmer,  als  ich  sie  verlassen. 

Ebenso  steht  es  mit  der  sog.  Ellipse  von  poiius  und  magis  im 
Lateinischen,  vgl.  Kühner,  Attsführliche  Grammatik  der  lat.  Sprache 
n,  972,  Anm.  6.  Z.  B.:  Oratio  fuit  precibus  qtiam  jwgio  similis. 
Schmalz  weist  im  Handbitch  der  klassischen  Altertumswissenschaften 
II 2,  503  die  Annahme  einer  Ellipse  zurück,  natürlich  mit  Recht;  und 
er  fügt  hinzu:  hier  liegt  im  Adjektiv  ...  ein  Komparativ  begriffen. 
In  Wirklichkeit  handelt  es  sich  um  eine  Konstruktionsmischung: 

Oratio  fuit  precibus,  non  jurgio  similis 

oratio  fuit  precibus  magis  quam  jurgio  similis 

oratio  fuit  precibus  quam  jurgio  similis. 

Ähnliches  findet  sich  im  Griechischen,  vgl.  Schwab  I,  52  Fufsnote. 

Auch  im  Neuenglischen  findet  man  gelegentlich  than  nach  dem 
Positiv.  So  nach  scarcely,  hardly.  I  had  scarcely  addressed  him  than 
he  knew  me.  Belege  findet  man  bei  W.  B.  Hodgson,  Error s  in  the 
Use  of  English,  Edinburgh^  1896,  S.  122  f.,  der  richtig  bemerkt: 
This  also  is  a  confusion  of  two  constructions  I  had  no  sooner  ad- 
dressed him  than  and  /  had  scarcely  addressed  him  when  he  knew 
me.  —  Aus  not  so  ...  as  und  more  . . .  than  ist  gelegentlich  not  so  ... 
than  geworden.  Belege  gibt  wieder  Hodgson  S.  124,  darunter  aus 
Bulwer:  ...  nothing  was  so  teasing  to  Lord  Erskine  than  being  ad- 
dressed by  his  second  title  of  Baron  Clackamannan. 

Im  Anschlufs  daran  sei  auf  different  than  hingewiesen,  das  im 
älteren  Neuenglischen  und  in  heutigen  Mundarten  nicht  selten  ist,  vgl. 
F.  Hall,  Modern  English  III,  341;  Hodgson,  S.  1 1 2  f f . ;  N.  E.  D.  III,  341; 
Storm,  S.  748;  Darlington,  Folk-Speech  of  South  Cheshire,  S.  60.  Hier 
haben  natürlich  other  than  und  andere  komparativische  Wendungen 


364  Zur  englischen  Syntax. 

eingewirkt.  Umgekehrt  ist  another  from  durch  Einflufs  von  diffe- 
rent  from  zustande  gekommen:  another  thing  from  your  ...  games, 
Storm2  769.  different  to  schliefslich  (z.  B.  bei  Thackeray)  ist  von 
unequal  to,  dissimilar  to  u.  dgl.  beeinflufst,  vgl.  Sattler,  Änglia  IV, 
172,  292,  und  Storm2  751. 

Auch  Sätze  wie  I prefer  Hearing  you  than  speaking  myself  kann 
man  gelegentlich  hören  und  lesen.  Dieser  Satz  ist  offenbar  gemischt 
aus  I prefer  Hearing  to  speaking  -|-  I  like  better  hearing  than  speaking. 
Belege  dieser  Art  aus  der  neueren  Literatur  sind  gesammelt  von 
Hodgson,  S.  125. 

Nach  (komparativischem)  other  erscheint  gelegentlich  except  statt 
than:  I  saw  no  other  disappointed  individual  ...  except  myself,  nach- 
gewiesen von  Hodgson,  S.  123,  der  dazu  bemerkt:  Read  either  than 
me  for  except  myself,  or  delete  other.  Der  Satz  ist  eben  gemischt  aus 
no  other  disappointed  individual  than  me  +  ^o  disappointed  indi- 
vidual except  me. 

Überhaupt  macht  man  die  Beobachtung,  dafs  bei  Verglei- 
chungen  sich  besonders  oft  Konstruktionsmischungen 
einstellen,  vgl.  Behaghel,  Heliandsyntax  S.  374  und  Lithl.  1904, 
Sp.  322. 

Dafür  noch  ein  paar  Beispiele.  Auf  einige  einschlägige  Fälle  im 
älteren  Neuenglisch  habe  ich  Änglia-Beihlatt  XVI,  135  f.  hingewiesen. 
Das  dort  erwähnte  His  ascent  is  not  hy  such  easy  degrees  as  those 
who  . . .,  Shakespeare,  Cor.  II,  2,  29  (Beispiele  bei  A.  Schmidt,  Coriolan- 
Ausgabe,  Anm.  zur  Stelle,  und  Franz,  Shakespeare- Grammatik  §  185), 
findet  sein  Seitenstück  in  der  modernen  Sprache.  W.  Hazlitt  schrieb 
1806:  The  courage  of  the  soldier  and  the  Citizen  are  essentially  diffe- 
rent, und  Hodgson,  S.  139,  gibt  die  Anweisung:  Insert  that  of  after 
soldier  and.  In  beiden  Fällen  ist  also  that  of  'ausgelassen'.  Beide 
Sätze  beruhen  auf  Konstruktionsmischung.  Das  zeigt  das  moderne 
Beispiel  sehr  deutlich  (are!): 

the  courage  of  the  soldier  and  that  of  the  Citizen  is  different 
the  soldier  and  the  eitixen  are  different 

the  courage  of  the  soldier  and  the  citixen  are  different. 

Man  vergleiche  damit  die  Comparatio  compendiaria  im  Lateini- 
schen und  Griechischen,  z.  B.:  Ingenia  nostrorum  hominum  ceteris 
hominihus  omnium  gentium praestiterunt  (Cicero).  Belege  gibt  Kühner, 
Ausführliche  Grammatik  der  lat.  Sprache  II,  §  241,  11  und  Aus  f. 
Gramm,  der  griech.  Sprache  II,  §  543,  3.  Diese  Konstruktion  ist 
wohl  ebenso  entstanden  wie  die  eben  erörterte  englische  Erscheinung. 

Nicht  selten  hört  man  Sätze  wie  St.  PauVs  is  the  greatest  of  all 
the  other  London  churches.  Es  ist  kein  Zweifel,  dafs  dieser  Satz 
gemischt  ist  aus  St.  PauVs  is  the  greatest  of  all  the  London  churches 
-j-  St.  Paul's  is  greater  than  all  the  other  London  churches.   Ähnliche 


Zur  englischen  Syntax.  365 

Sätze  mit  'pleonastischem  other'  hat  Hodgson,  S.  72,  aus  der  neueren 
Literatur  gesammelt.  Vgl.  griech.  ugtarog  ianu  tup  aXXiov  und  dazu 
Schwab  I,  30  ff.,  dem  ich  nicht  in  allem  beistimme.' 

II.  Zur  Tempiislehre. 

Wir  haben  in  den  Vergleichungssätzen  mehrfach  Vermischungen 
von  zwei  Konstruktionen  vorgefunden.  'Zwei  synonyme  oder  irgend- 
wie verwandte  Ausdrucksformen  drängen  sich  gleichzeitig  ins  Be- 
wufstsein,  so  dafs  keine  von  beiden  rein  zur  Geltung  kommt,  sondern 
eine  neue  Form  entsteht,  in  der  sich  Elemente  der  einen  mit  Elemen- 
ten der  anderen  mischen.'  Paul,  Principien'^  S.  145.  Die  Zahl  der 
Kontaminationen  in  der  lebenden  Sprache  ist  sehr  grofs.  In  der 
Unterhaltungssprache  hört  man  wohl  tagtäglich  Kontaminationen, 
und  in  der  Literatur  sind  sie  auch  nicht  selten. 

Verschiedenartige  Kontaminationen  und  andere  Analogiewirkun- 
gen in  verschiedenen  Sprachen  stellt  G.  Krüger  zusammen  in  einer 
kleinen  Abhandlung  über  die  Übertragung  im  sprachlichen  Lehen 
(Dresden  u.  Leipzig  1900).  Eine  systematische  Zusammenstellung 
der  Konstruktionsmischungen  in  einem  älteren  Sprachdenkmal  gibt 
Behaghel  in  seiner  Heliandsyntax  S.  368  ff.;  dieses  Beispiel  verdiente 
Nachahmung  für  andere  Denkmäler  und  andere  Sprachgebiete. 

Hier  möchte  ich  auf  eine  Gruppe  von  Mischungen  besonderer 
Art  aufmerksam  machen.    Ich  gehe  von  einem  Beispiel  aus. 

Hundert  Mark  hätte  ich  noch!  Wer  so  sagt,  hat  in  Wirklichkeit 
noch  hundert  Mark  —  aber  es  wäre  ihm  lieb,  wenn  er  noch  mehr 
hätte.  Dieser  Wunsch  mengt  sich  gleich  in  den  Ausdruck  der  Tat- 
sache, daher  der  Optativ.  Ähnlich  ist  die  Ausdrucksweise:  So  weit 
wären  wir!  zustande  gekommen.  Vgl.  dazu  Hildebrand,  Z.  f.  deut- 
schen Unterricht  IH,  545 ;  Th.  Matthias  IV,  433,  K.  Tomanetz  VH,  788, 
und  wieder  Hildebrand  VIII,  690  und  endlich  Behaghel,  Deutsche 
Sprache  i212,  2  327. 

Wenn  es  in  der  hessischen  Umgangssprache  heifst  Er  kommt 
bis  Sonntag,  so  hat  wohl  die  Vorstellung  hereingespielt:  wir  müssen 
warten  bis  Sonntag. 

Dem  Englischen  eigentümlich  ist  der  Gebrauch  des  Präsens  in 
I  forget,  wo  wir  sagen:  ich  habe  (es)  vergessen:  I  forget  what  I  was 
going  to  observe.  Dieser  Sprachgebrauch  ist  allgemein  bekannt,  und 
unsere  Grammatiken  haben  gelegentlich  Notiz  davon  genommen;  so 
Koch-Zupitza  §  42;  Immanuel  Schmidt,  Grammatik  der  engl.  Spr.^ 
§  31 5,  Anm.  3 ;  Gustav  Krüger,  Englische  Ergänzungsgrammatik  §  431 . 
Dieses  /  forget  erkläre  ich  mir  als  eine  Vermischung  von  zwei  Vor- 

'  Mehr  als  gewöhnliche  Gedankenlosigkeit  hat  zu  folgender  Konstruk- 
tionsmischung in  The  Examiner  1878,  S.  204  (vgl.  Hodgson,  S.  72)  geführt: 
Mr.  Stanley  was  the  only  one  of  his  predecessors  who  slaughtered  the 
natives  of  the  region  he  passed  through. 


366  Zur  englischen  Syntax. 

Stellungen:  ich  habe  es  vergessen  +  ich  weifs  es  jetzt  nicht.  Es 
handelt  sich  hier  nicht  um  eine  Kontamination  von  zwei  Aus- 
drucksformen: aus  I  forgot  (have  for gölten)  -\-  I  don't  know  hätte 
nie  /  forget  werden  können.  Es  ist  vielmehr  eine  Vermischung  von 
zwei  Vorstellungen,  die  noch  nicht  zur  Deutlichkeit  des  sprachlichen 
Ausdrucks  gediehen  sind.  Wie  in  unserem  ersten  deutschen  Satz  der 
M  0  d  u  s  gebrauch  durch  eine  Vermischung  zweier  Vorstellungen  sich 
erklärt,  so  erklärt  sich  in  I  forget  die  Wahl  des  Tempus  auf  die- 
selbe Weise. 

Ähnlich  ist  m.  E.  der  perfektische  Imperativ  entstanden:  Have 
done,  for  more  I  hardly  can  endure  (Shakespeare,  Henry  VI  B,  I,  4, 
31).  Weitere  Belege  aus  Shakespeare  bei  A.  Schmidt  unter  do,  8. 
Daraus  ist  dialektisch  a  done!  geworden.  Heute  noch  geläufig  ist 
he  gone!  Mätzner  sagt  von  dieser  Erscheinung  (^11,  138,  3,  -^11,  148): 
'Obwohl  nur  Zukünftiges  geboten  werden  kann,  so  wird  doch  bis- 
weilen die  Vorstellung  einer  vollzogenen  Handlung  vom  Affekte 
in  das  Gebot  aufgenommen.  Die  Forderung,  dafs  ein  Akt  voll- 
zogen sein  solle,  ist  eine  Mahnung  desjenigen,  welcher  die  Tätig- 
keit auf  das  eiligste  bewerkstelligt  oder  abgebrochen  sehen  will.' 
Vgl.  auch  Koch-Zupitza  §  51,  Schlufs,  Franz  §  492,  Anm.,  J.  Schmidt 
§  330,  Anm.  5.  Ähnlich  im  Frz.,  vgl.  Mätzner,  Frz.  Orammatik 
§  128,  1,  Lücking,  Frz.  Grammatik  §  339.  Der  Wunsch,  dafs  die 
Handlung  schon  vollzogen  sei,  tritt  ins  Bewufstsein,  während  eben 
erst  der  Befehl  ausgesprochen  werden  soll. 

So  erkläre  ich  mir  auch  die  Fälle,  wo  die  'durative  Form'  des 
engl.  Verbums  futurische  Bedeutung  hat.  Man  sagt  Are  you  Coming 
to-morrow?  oder  Where  are  you  going  for  your  holiday  this  autumn? 
oder  /  am  spending  my  Christmas  with  my  sister  at  Sireatham  this 
yearA  Mit  dem  Gedanken:  Wohin  werden  Sie  reisen?  (futurisch)  ver- 
mischt sich  der  andere:  Welche  Reise  planen  Sie  eben?  (durativ.) 


In  das  Kapitel  von  den  Vermischungen  zweier  Vorstellungen 
scheint  mir  auch  das  vielerörterte  und  vielgetadelte 

I  intended  to  have  written 
zu  gehören.  Beispiele  für  den  Infinitiv  des  Präteritums  nach  Verben 
des  Wün Sehens  u.  dgl.  aus  me.  und  ne.  Zeit  sind  bei  Mätzner, 
Engl.  Gh'ammatik^  III,  64  ff.,  zusammengestellt,  aufserdem  in  einem 
Aufsatz  von  C.  Stoffel,  Taalstudie  IX  (1888),  342—362.  Belege  aus 
Shakespeare  bei  A.  Schmidt  unter  have  1)  und  Franz,  Sh.- Grammatik 
§  500.  Kellner,  Syntax  §  375,  sagt:  This  use  was  continued  in  the 
sixteenth  Century.  Aber  er  findet  sich  heute  noch.  Belege  aus  der 
modernen  Sprache  findet  man  in  grofser  Anzahl  in  der  Literatur 


*  Vgl.  Sweet,  New  English  Orammar  II,  102,  §  2232;  Krüger,  JEJrgän- 
xungsgrammatik  §  438  und  Syntax  §  2542. 


Zur  englischen  Syntax.  367 

über  Sprachgebrauch  und  Sprachrichtigkeit,  in  den  englischen  Seiten- 
stücken zu  Wustmann.  Diese  Antibarbari  enthalten  die  wertvollsten 
Sammlungen  zur  Syntax  der  lebenden  Sprache,  vgl.  Behaghel,  Lithl. 
1904,  Sp.  2.  Die  Auffassung  dieser  Sprachmeister  ist  natürlich 
meistens  sehr  engherzig,  sie  suchen  der  Sprache  die  Gesetze  der  Logik 
aufzuzwängen.  Aber  wenn  auch  ihr  Standpunkt  falsch  ist,  so  sind 
doch  ihre  Sammlungen  und  Beobachtungen  von  bleibendem  Wert. 
Besonders  W.  B.  Hodgsons  mehrfach  zitiertes  Buch  Error s  in  the 
Use  of  English  (1.  Aufl.  1881,  7.  Aufl.  1896)  ist  eine  Fundgrube 
für  neuenglische  Syntax:  der  Verfasser  hat  eine  Fülle  von  'Sprach- 
dummheiten' aus  der  modernen  Literatur  mit  genauer  Quellen- 
angabe zusammengestellt.  Unsere  Erscheinung  wird  S.  98  ff.  reichlich 
belegt.  T.  Williams,  Grammaiical  Errors  of  the  Educated,  London 
1883,  S.  9  ff.,  findet  den  Sprachgebrauch  *even  in  educated  circles'; 
er  fügt  hinzu:  Members  of  Parliament  are  much  addicted  to  this 
mistake,  z.  B.:  I  expected,  when  the  Right  Hon.  gentleman  rose,  that 
he  would  have  stated  what  the  intentions  of  the  Government  are. 
Alfred  G.  Compton,  Some  common  Error s  of  Speech  (Neuyork  1902) 
S.  37,  meint:  This  construction,  which  is  not  often  met  with  in 
America,  is  rather  common  among  English  writers. 

Den  Belegen  aus  älterer  Zeit  seien  noch  einige  aus  den  Gely 
Paper s  (1475 — 1488)  hinzugefügt: 

S.  59  (1481):  I  had  forgettyn  to  have  spokyn  with  you  ...  for  to 

a  provyded  for  me  a  für  ... 
S.  141  (1483):  ...  on  Tewsday  the  XXV  day  of  Fevere  he  was 

with  a  thousand  horsys  at  Bruges  gattes  for  to  acomon  yn 

(=  for  to  have  come  in). 
S.  153  (1484):  ...  the  person  that  laboryd  for  to  abe  afore  yow. 
S.  160  (1487):  I  promysyd  hym  to  a  delyverd  hym  II  sarplers 

of  your  wull. 
S.  167  (1487):  ...  hys  mynd  was  for  to  aben  yn  Ynglond  long  or 

thys  but  the  Danys  ar  on  the  see. 

Zwischen  he  intended  to  write  und  he  intended  to  have  written 
besteht  gewöhnlich  ein  Unterschied  in  der  Bedeutung.  Die  zweite 
Ausdrucksweise  schliefst  den  Nebengedanken  der  NichtVerwirklichung 
der  Absicht  in  sich:  he  intended  to  have  written  =^  he  intended  to 
icrite,  but  he  did  not  vjrite. 

Man  hat  schon  verschiedentlich  versucht,  unsere  Erscheinung 
zu  erklären.  Es  sei  verwiesen  auf  Stoffels  oben  zitierten  Aufsatz 
in  der  Taalstndie,  auf  Einenkel  in  Pauls  Grundrifs  I^,  1080,  auf 
Franz,  Shakespeare -Grammatik  §  500. 

In  den  seither  vorgetragenen  Hypothesen  ist  nicht  beachtet,  dafs 
diese  Konstruktion  in  mehreren  anderen  Sprachen  zu  finden 
ist.    Stoffel  ist  im  Irrtum,  wenn  er  beiläufig  (S.  354)  behauptet,  die 


368  Zur  englischen  Syntax. 

englische  Konstruktion  habe  keine  Parallele  in  anderen  germanischen 
Sprachen.  Paul,  Mittelhochdeutsche  Grammatik  §  299,  stellt  fest: 
'Nach  den  Hilfsverben  wellen,  suln  etc.  steht  nicht  selten  der  Inf. 
Perf.,  wo  man  den  Inf.  Praes.  erwartet.'  Weiterhin  trifft  man  Inf. 
Perf.  statt  Inf.  Praes.  auf  romanischem  Sprachgebiet.  So  im  Altfrz. 
(vgl.  Th.  Engwer,  Über  die  Anwendung  der  Tempora  Perfectae  statt  der 
Tempora  Imperfectae  Äctionis  im  Altfrz.,  Diss.  Berlin  1884),  im  La- 
teinischen* (Belege  bei  Kühner,  Ausf.  Grammatik  S.  101,  10),  im  älte- 
ren Italienischen  (vgl.  Tobler,  Jahrbuch  für  rom.  u.  engl.  Lit.  XV,  249). 

Einenkel  zieht  eine  der  englischen  parallele  Konstruktion  in 
einer  fremden  Sprache  heran,  im  Altfranzösischen.  Aber  er  macht 
ohne  weiteres  die  frz.  Konstruktion  zur  Quelle  der  englischen. 
In  unserem  Fall  ist  frz.  Einflufs  unwahrscheinlich:  wenn  sich  im 
Deutschen  der  perfektische  Infinitiv  unabhängig  vom  Romanischen 
entwickeln  konnte,  so  konnte  doch  wohl  auch  das  Englische  diese 
Konstruktion  aus  eigener  Kraft  bilden.'^ 

Im  Satzbau  findet  man  ja  oft  Übereinstimmungen  in  verschie- 
denen Sprachen,  ohne  dafs  Entlehnung  vorläge.  /Die  Entwickelung 
des  Satzbaues  beruht  im  wesentlichen  auf  der  unbewufsten  Tätigkeit 
der  menschlichen  Seele,  und  diese  hat  zu  den  verschiedensten  Zeiten 
bei  den  verschiedensten  Völkern  gleiches  hervorgebracht'  (Behaghel, 
Entstehung  der  abhängigen  Rede  1877,  S.  14,  wiederholt  von  Ziemer, 
Jung  grammatische  Streifzüge^  S.  146).  Bei  Behandlung  syntaktischer 
Probleme  einer  einzelnen  Sprache  ist  es  deshalb  oft  von  grofsem 
Vorteil,  einen  Blick  zu  werfen  auf  andere,  vielleicht  entlegene  Spra- 
chen.   Das  hebt  Behaghel  in  seinen  Erörterungen  über  die  Aufgaben 


*  Auf  die  lat.  Konstruktion  bin  ich  zuerst  durch  Behaghel  aufmerksam 
gemacht  worden,  dann  durch  Kellner,  Syntax  §  375. 

=»  Derselbe  Einwand  ist  gegen  Stoffels  Hypothese,  K  St.  XXVII,  253, 
zu  machen;  nach  Abbots  Vorgang  vergleicht  er  oon  the  beste,  one  the  best 
mit  lat.  justissimus  unus  und  erklärt  ohne  Zögern  (I  feel  little  hesitation) 
die  englische  Konstruktion  für  einen  Latinismus.  Soll  auch  ein  der  beste 
im  Nibelungenlied  (Bartsch:  728,  3;  1217,  2;  1233,4)  auf  lat.  Einflufs 
beruhen  ?  Vgl.  zu  dieser  Erscheinung  L.  Tobler,  Beitr.  XV,  383.  [Zu  one  -|- 
Superlativ  vgl.  jetzt  auch  Holthausen,  E.  St.  XXXV,  186.  Korr.-Note.]  — 
Auch  die  weitere  a.  a.  O.  niedergelegte  Hypothese,  dafs  die  Konstruktion  one 
the  best  heute  noch  nachwirke,  will  ich  noch  ausdrücklich  zurückweisen, 
zumal  sie  schon  von  L.  Pound,  The  Comparison  of  Adjectives,  Heidelberg 
1901,  S.  70,  ohne  Widerspruch  zitiert  wird.  In  one  of  the  best  books  that 
has  been  written  soll  nämlich  das  ältere  one  the  best  book  noch  nachwirken. 
Stoffel  hat  eine  Anzahl  Beispiele  aus  der  neueren  Literatur  gesammelt. 
Das  wäre  nicht  nötig  gewesen:  die  Antibarbari  hatten  die  Arbeit  schon 
getan,  Hodgson  bietet  S.  144  ff.  eine  viel  gröfsere  Anzahl  von  Belegen, 
auch  Williams,  S.  10  ff.,  hat  solche  Sätze  gesammelt.  Survivals  aber 
werden  das  nicht  sein.  Es  würde  niemand  auf  den  Gedanken  kommen, 
in  dem  deutschen  Satz  Das  ist  eines  der  besten  Bücher,  das  ich  gelesen  habe 
eine  Nachwirkung  von  ein  das  beste  zu  suchen.  Es  handelt  sich  natürlich 
wieder  um  Konstruktionsmischungen :  one  of  the  best  books  that  have  been 
written  -f-  the  best  book  that  has  been  tvritten. 


Zur  englischen  Syntax.  869 

des  syntaktischen  Forschung  (Gehrauch  der  Zeitformen  S.  11)  nach- 
drücklich hervor;  Z.f.d.Ph.  XXXII,  69  nennt  er  die  Heranziehung 
fremder  Sprachen  'eines  der  wichtigsten  Hilfsmittel  der  syntaktischen 
Forschung.'  Ich  halte  diese  methodische  Anweisung  für  aufserordent- 
lich  förderlich.    Vgl.  auch  Änglia- Beiblatt  XVI,  143. 

Stoffel  stellt  für  die  englische  Konstruktion  eine  Erklärung 
auf,  die  für  die  gleichartige  deutsche,  frz.,  lat.  nicht  gelten  kann.  Er 
geht  davon  aus,  dafs  die  englische  Konstruktion  die  Nebenbedeutung 
der  NichtVerwirklichung  in  sich  schliefst.  Sonst  wird  die  Nichtver- 
wirklichung  durch  den  Konjunktiv  ausgedrückt:  er  hätte  geschrieben, 
he  hadde  iwriten.  Für  den  Konj.  trat  zunächst  eine  Umschreibung 
ein:  he  wolde  have  itvriten.  Hier  wurde  nun  he  tvolde  durch  he  in- 
tended  u.  dgl.  ersetzt,  und  he  intended  to  have  written  war  fertig. 

Diese  Erklärung  ist  schon  deshalb  abzuweisen,  weil  sie  für  die 
gleichartige  Erscheinung  in  anderen  Sprachen  nicht  in  Betracht  kom- 
men kann. 

Wir  kommen  zu  der  Erklärung  von  Franz,  der  auf  einem 
anderen  und  kürzeren  Wege  als  Stoffel  zu  der  Konstruktion  gelangt. 
Er  geht  aus  von  Sätzen,  in  denen  der  Konj.  Plusquamperf.  zum 
Ausdruck  bringt,  dafs  eine  Voraussetzung  irgendwelcher  Art  sich 
in  Wirklichkeit  als  nicht  zutreffend  erwiesen  hat:  /  thought  your 
Jwnour  had  already  been  at  Shrewsbury,  Shakesp.  (ich  glaubte,  Euer 
Gnaden  wären  schon  zu  Shrewsbury).  Wird  der  Nebensatz  durch 
den  Infinitiv  ersetzt,  so  ergibt  sich:  I  thought  your  honour  to  have 
been  at  Shrewsbury.  Aber  auf  diesem  Wege  kommen  wir  keinen 
Schritt  weiter:  die  Konstruktion,  von  der  F.  ausgeht,  ist  ebenso  er- 
klärungsbedürftig wie  die,  zu  der  er  gelangt. 

Den  bis  jetzt  besprochenen  Erklärungen  gegenüber  ist  m.  E.  der 
Hauptnachdruck  darauf  zu  legen,  dafs  unsere  Konstruktion  in  mehre- 
ren Sprachen  heimisch  ist.  Wir  werden  also  hoffen  können,  das 
Richtige  zu  treffen,  wenn  die  Erklärung  für  alle  in  Betracht  kom- 
menden Sprachen  gelten  kann.  Die  Erscheinung  gehört  offenbar  zu 
denen,  die  in  verschiedenen  Sprachen  aus  derselben  Quelle  hervor- 
gehen. 

Die  Erklärung  liegt  nahe,  wenn  wir  die  obenbehandelten  Fälle 
von  Tempusverschiebung  im  Auge  behalten:  es  handelt  sich  auch 
hier  um  Vermischung  zweier  Vorstellungen,  um  Angleichung  des 
Ausdrucks  einer  Vorstellung  an  den  Ausdruck  einer  anderen.  Diese 
naheliegende  Erklärung,  die  ich  mir  für  das  Englische  zurechtgelegt 
habe,  war  schon  lange  für  das  Lateinische  und  Französische  aus- 
gesprochen. H.  Ziemer  behandelt  in  seinen  anregenden  Junggram- 
matischen Streif  Zügen  auf  dem  Gebiet  der  Syntax  die  lat.  Konstruktion 
ausführlich  (S.  76  ff.),  und  ihm  folgt  Th.  Eng  wer  in  der  Auffassung 
der  afrz.  Konstruktion.  'Der  Wunsch  hat  zu  seinem  Objekt  an  und 
für  sich  nicht  blofs  die  Handlung,  die  zu  seiner  Befriedigung  führt, 
sondern  auch  den  aus  dieser  Handlung  sich  ergebenden  Zustand: 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  24 


370  Zur  englischen  Syntax. 

z.  B.  ich  will  trinken  enthält  nicht  blofs  a)  den  Wunsch,  den  Durst 
zu  löschen,  sondern  auch  b)  den,  frei  von  den  Qualen  des  Durstes 
zu  sein.  Je  nachdem  ich  nun  die  Auffassung  von  a)  oder  b)  in 
den  Vordergrund  treten  lasse,  sage  ich  bibere  volo  oder  bibisse  volo' 
(Engwer,  S.  9).  Wenn  wir  sagen  I  intended  to  have  written,  so  ist 
das  eine  Vermischung  von  /  intended  to  write  und  /  should  like  to 
have  written.  Die  Vermischung  tritt  besonders  dann  auf,  wenn  der 
Wunsch,  die  Absicht  nicht  verwirklicht  worden  ist:  dann 
tritt  eben  die  zweite  Vorstellung  I  should  like  to  have  written  in  den 
Vordergrund. 

Dem  Infinitiv  Perf.  entspricht  im  abhängigen  Satz  das  Perf., 
Plusquamperf.  an  Stelle  des  Präsens.  Im  Altfrz.  findet  sich  diese 
Tempusverschiebung  ebenso  Avie  der  Inf.  Perf.  nach  Verben  des 
Wünschens,  Fürchtens  u.  dgl.,  vgl.  Engwer,  S.  24  ff.  Ein  paralleles 
Beispiel  (mit  fear  im  Hauptsatz)  aus  dem  Englischen  wäre:  When  I 
inserted  the  stripes  and  the  curves,  her  delight  was  such  that  I  greatly 
feared  she  would  have  embraced  me.  Dilke,  Greater  Britain  I 
(1868),  S.  370.  Hodgson,  der  den  Satz  S.  98  zitiert,  verbessert: 
would  embrace. 

Ein  Beispiel  mit  expect  im  Hauptsatz  zitiert  Kellner,  Syntax 
S.  233:  I  expected  that  he  would  have  praised  me  for  my  prudence; 
but  on  the  contrary,  he  blamed  me.    Edgeworth,  Populär  Tales  II,  13. 

Das  Plusquamperfekt  im  abhängigen  Wunschsatz  erklärt  sich 
wie  der  Inf.  Perf.  nach  Verben  des  Wünschens:  der  Sprechende 
denkt,  während  er  den  Wunsch  ausspricht,  schon  an  den  Zustand 
nach  der  Ausführung  des  Wunsches. 

Giefsen.  Wilhelm  Hörn. 


Cyrano  de  Bergerac  (1619—1655), 
ein  Leben  und  seine  Werke, 

Ein  Versuch. 

(Fortsetzung.) 


V,    L'Autre   Monde. 

Der  komische  Roman,  der  am  meisten  dazu  beigetragen  hat, 
Cyranos  Namen  bekannt  zu  machen,  und  der  wohl  auch  in  Zu- 
kunft mehr  als  die  vorhergehenden  Schriften  diesen  Namen  er- 
halten wird,  zerfällt  in  zwei  Abschnitte,  die  gesondert  heraus- 
gekommen sind,  aber  wohl  schon  ursprüngHch  beide  beabsichtigt 
waren,  jedenfalls  schon  von  dem  Autor  selbst  durch  eine  Zwischen- 
erzählung zu  einem  einheitlichen  Werk  unter  obigem  Titel  ge- 
macht wurden.  Der  erste  Teil,  die  Reise  nach  dem  Mond,  wurde 
in  den  Jahren  1648  49  geschrieben  und  war  1650  mindestens 
im  Manuskript  bekannt;  denn  in  der  Vorrede  zu  den  CEuwes 
de  Le  Royer  de  Prade  (s.  Bd.  CXIII,  S.  368)  liest  man  ein  sonnet 
ä  Vauteur  du  voyage  dans  la  lune,  welches  mit  den  Versen  beginnt: 

To7i  esprit  qu'en  son  vol  nul  obstacle  n'arrete 
Decouvre  un  Autre  Monde  ä  nos  ambitieux. 

In  der  oben  S.  120  angeführten  Notiz  bezeugt  der  Abb^  de 
Marolles,  dafs  ihm  von  Cyrano  selbst  die  Reise  nach  dem  Mond 
zugleich  mit  der  Agrippina  übergeben  wurde;  es  heifst  aber  nicht, 
ob  in  einem  handschriftlichen  oder  einem  gedruckten  Exemplar. 
Nach  P.  Lacroix^  Notice  historique  p.  X  soll  eine  Ausgabe  des  Ro- 
mans 'Histoire  comique  ou  Voyage  dans  la  Lune,  sans  privilege,  sans 
nom  de  lieu,  sans  date,  vers  1650  dans-'une  ville  du  Midi,  soit  ä  Mon- 
tauhan  soit  ä  Toulouse'  herausgekommen  sein,  und  er  fügt  hinzu, 
dafs  diese  Ausgabe  nur  im  Caialogue  de  la  bibliotheque  du  JRoi  des 
abbe  Sallier  erwähnt  werde,*  was  durch  P.  Brun  bestätigt  wird. 
Aber  niemand  hat  je  diese  Ausgabe  gesehen,  ebensowenig  wie 
die  von  dem  P^re  Nic^ron  zitierte  Histoire  comique  des  Etats  et 
Empires  de  la  Lune,  Paris,  in  -12,  1656.  Die  älteste  erhaltene 
Ausgabe  ist  nach  P.  Brun  (p.  IV  und  250)  die  Histoire  comique 
contenant  les  Etats  et  Empires  de  la  Lune,  Charles  de  Sercy,  Paris, 
in  -12,  1659:  sie  hat  ein  privilege  vom  25  janvier  und  ein  acheve 

*  Anderseits  sagt  P.  L.  p.  4  n.  1  seiner  Ausgabe  des  Romans :  'Au  reste 
nous  sommes  a  peu  pres  sur  d'avoir  rencontre  le  Voyage  dans  la  Lune  dans 
un  recueil  de  pieces  imprime  vers  1654.' 

24* 


372  Cyrano  de  Bergerac. 

d'imprimer  vom  29  mars  1657.  Die  Auslassungen  und  Ände- 
rungen des  Textes  in  dieser  Ausgabe,  welche  auf  alle  folgenden 
übergegangen  sind,  sind  das  Werk  von  Lebret,  welcher  das 
Manuskript  und  den  Druckauftrag  von  Cyrano  selbst  hatte  und 
die  Vorrede  dazu  verfafst  hat.  Diese  zahlreichen  Lücken  sind 
sämtlich  ausgefüllt  in  dem  Ms.  No.  4558  F.  F.  der  Biblioth^ue 
Nationale  in  Paris,  sehr  schön  geschrieben  (von  der  Hand  Cy- 
ranos?).  Es  ist  betitelt  L'autre  Monde  ou  les  Estats  et  empires  de 
la  lune,  war  1858  in  den  Händen  von  M.  de  Monmerqu^,  der 
die  Publikation  oder  die  Mitteilung  an  P.  Lacroix  verweigerte 
(siehe  dessen  avertissement  de  Vedüeur  p.  YII).  1890  kam  das 
Manuskript  unter  den  gleichen  Bedingungen  wie  No.  4557  (siehe 
oben  S.  115  f.)  an  die  Biblioth^que  nationale.  Es  enthält  ein 
Epigramm  sign^  R.  de  P.  (Le  Royer  de  Prade),  das  mit  den 
Versen  schlielst: 

^Car  autant  qu'une  a/freuse  Mort 
Je  crains  les  vens  de  l'Autre  Monde,* 

was  uns,  zusammengehalten  mit  dem  oben  zitierten  Sonett,  auf 
das  Jahr  1650  führt.  Das  Manuskript  ist  auch  am  Schlufs  kom- 
plett, gibt  den  korrekten  Text,  enthält  aber  nur  die  Reise  in 
den  Mond. 

Den  zweiten  Teil,  die  Reise  in  die  Sonne,  hat  Cyrano  erst 
nach  dem  Bekanntwerden  des  ersten  Teils,  1650,  ausgearbeitet,' 
und  er  war  nicht  fertig  damit,  als  ihn  der  schwere  Unfall  traf, 
der  seine  Arbeiten  für  immer  unterbrach.  Während  seiner  Krank- 
heit wurden  ihm  Manuskripte  gestohlen,  wie  wir  Bd.  CXHI, 
S.  371  erzählt  haben.  Der  Raub  betraf,  wie  Le  Bret  in  der  pr^- 
face  (p.  17  der  Ausgabe  des  Bibhophile  Jacob)  erzählt,  die  Histoire 
de  VEtincelle  et  de  la  Republique  du  Soleil.  Das  Manuskript  wurde, 
man  weifs  nicht  von  wem  und  wo,  vor  1662  wiedergefunden  und 
in  diesem  Jahre  von  Charles  de  Sercy  unter  dem  Titel  Histoire 
comique  des  Estats  et  Empires  du  Soleil  in  den  (Euvres  diverses  de 
Cyrano  Bergerac  gedruckt  mit  einer  Dedikation  des  Buchhändlers 
an  Monsieur  de  Cyrano  de  Mauvi^res  und  einer  Vorrede,  die 
jedenfalls  von  einem  Schüler  Descartes^,  wahrscheinlich  von 
Jacques  Rohault,  herstammt,  der  auch  das  bei  der  gleichen  Ge- 
legenheit aufgefundene  Fragment  de  physique  eingeführt  hat. 
Das  Manuskript,  welches  der  Ausgabe  von  1662  zugrunde  lag, 
ist  verschwunden.  Wir  können  daher  nicht  sagen,  ob  die  histoire 
de  VEtincelle  einen  Teil  des  für  uns  Verlorenen  bildete  oder  ein 
besonderes  Werk  war;  doch  spricht  die  Ausdrucks  weise  Le  Brets 
eher  für  das  erstere.  Der  Voyage  au  Soleil  ist  unvollendet  und 
enthält  auch  im  Verlauf  des  Erhaltenen  Lücken,  die  aber  Aus- 


*    Descartes    wird    in    demselben     als    neulich   gestorben    bezeichnet, 
tu.  Februar  1650  in  Stockholm. 


Cyrano  de  Bergerac.  873 

lassuDgen  zu  sein  scheinen.  Ob  diese  das  Werk  des  Heraus- 
gebers oder  des  Zufalls  sind,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Die  beiden 
Teile  des  Romans  gehören  aber  zusammen,  und  eine  künftige 
Ausgabe  müfste  sie  unter  dem  Titel  L'Autre  Monde  als  Einheit 
geben,  wie  sie  Cyrano  erdacht  hat.  Die  Bezeichnung  der  Reisen 
als  histoires  comiques  ist  nur  ein  Buchhändlerkniff  und  entspricht 
dem  Inhalt  nicht. 

Was  nun  den  Stoff  des  Romans  und  gewisse  Einzelheiten 
der  in  demselben  erzählten  phantastischen  Reisen  betrifft,  so  hat 
man  mit  Recht  darauf  aufmerksam  gemacht,  dafs  Cyrano  hierin 
Vorgänger  hatte,  denen  er  sich  oft  ziemlich  genau  anschliefst, 
dal's  die  ganze  Frage  der  Bewohnbarkeit  der  Himmelskörper, 
speziell  des  Mondes,  in  seiner  Zeit  auch  wissenschaftlich  erörtert 
wurde  und  Flugmaschinen  bekannt  waren.  P.  Brun  hat  p.  281  f. 
eine  Reihe  von  Dichtern  und  Gelehrten  zusammengestellt,  die 
sich  mit  dem  Gegenstande  von  Cyranos  Roman  befafst  haben, 
und  nachgewiesen,  dals  derselbe  damals  zur  öffentlichen  Dis- 
kussion stand.  Unserem  Dichter  bekannt  konnten  sein  der  antike 
Reiseroman  des  Antoninus  Diogenes:  Von  den  Dingen,  die  man 
jenseit  Thule  sieht,  von  welchem  Photius'  Bibliotheca  Graeca 
eine  Übersicht  gibt,  und  des  Lucian  Wahrhaftige  Geschichte. 
Ariost  läfst  im  Rasenden  Roland  den  Astolph  im  Monde  reisen, 
Francis  Bacon  schrieb  die  Neue  Atlantis,  Thomas  Morus  die 
Reise  nach  der  Insel  Utopien,  Pierre  Leloyer  gab  in  seiner  Nd- 
ph^lococygie  eine  schwerfällige  Nachahmung  der  Vögel  des  Aristo- 
phanes,  Thomas  Artus,  sieur  d^Embry,  schrieb  LTle  des  Herma- 
phrodites,  eine  Satire  gegen  Henri  III.  und  seine  Mignons. 
Francis  Godwin^  schrieb  einen  Roman,  der  Cyrano  in  einer 
französischen  Übersetzung  zugänglich  war:  Uhomme  dans  la  lune 
ou  Relation  d'un  voyage  ä  cet  astre  par  Domingo  Gonzales,  traduit 
par  Jean  Baudouin  1648.  Von  Philosophen  und  Astronomen  kom- 
men in  Betracht:  Giordano  Bruno  in  verschiedenen  Schriften, 
Kepler  in  seiner  Astronomischen  Vision,  Quevedos  6^  vision  und 
beson ders  Pierre  Borel:  Discours  nouvel prouvant  la pluralite  des 
Mondes  (Manuskript  der  Biblioth^ue  de  Farsenal),  und  darin 
Kap.  10:  Des  choses  qui  sont  dans  la  lune,  und  Kap.  44,  wo  ärosta- 
tische  Maschinen  beschrieben  werden.  Nachweisbar  nachgeahmt 
hat  unser  Autor  aufser  Godwin  Campanella  (de  civitate  solis) 
und   Sorel  {Francion),    die   er   sogar   zitiert,   ferner  Rabelais    und 


'  Godwin,  Francis:  The  man  in  themoon;  or,  a  Discourse  of  a  voyage 
thit/ier  hy  Domingo  Qonxales,  ivritten  hetwcen  1599  and  1603.  Perth  1688. 
Umgekehrt  wurde  Cyranos  Roman  unter  dem  Titel:  SELENARCHIA  or  the 
government  of  the  world  in  the  moon  von  Tho.  S^  Serf  1659  ins  Englische 
übersetzt.  .Die  offenbar  sehr  seltene  und  in  der  Cyrano-Literatur  nirgends 
erwähnte  Übersetzung  habe  ich  im  Dezember  1904  in  der  Bodleiana  in 
Oxford  gefunden. 


374  Oyrano  de  Bergeräc. 


N 


Beroalde  de  Verville,  wie  wir  an  ihren  Orten  nachweisen  werden. 
Wir  werden  aber  auch  zeigen,  dal's  diese  Nachahmungen  der 
Originalität  der  Erzählung  keinen  Eintrag  tun.  Das  nämliche 
ist  der  Fall  mit  Bezug  auf  die  Luftschiffahrten  Cyranos.  Schon 
vor  ihm  machten  Simon  der  Magier,  William  of  Malmesbury, 
Roger  Bacon,  J.  B.  Dante  von  Perugia  Versuche  mit  künstlichen 
Flügeln,  Cyrano  selbst  zitiert  die  Taube  des  Archytas  und  die 
Flugmaschine  eines  polnischen  Ingenieurs.  1650  fabrizierte  der 
P.  Lanaterzi  mechanische  Vögel,  aber  erst  1670  schlug  der 
P.  Fran9ois  Lana  ernstlich  vor,  luftleere  Kupferhülsen  zum  Empor- 
heben eines  Luftschiffes  zu  benutzen,  was  nur  eine  der  vielen 
Methoden  in  unserem  Roman  ist. 

Dafs  dieser  viele  literarische  und  einige  mechanische  Nach- 
ahmer gefunden  hat,  ist  bekannt;  wir  brauchen  nur  die  Namen 
Swift  und  Voltaire  zu  nennen.  Worin  sich  unser  Autor  von 
diesen  zu  seinem  Vorteil  oder  Nachteil  unterscheidet,  wird  aus 
der  Analyse  des  Romans  ersichtlich  sein,  zu  der  wir  nun  über- 
gehen. Wir  werden  dabei  auch  Gelegenheit  haben,  auf  die  Lücken 
im  gedruckten  Text  aufmerksam  zu  machen  und  sie  auszufüllen. 

Inhalt   des  Romans. 

Der  Autor,  dessen  Name  im  Manuskript  nicht  genannt  wird, 
kehrt  mit  vier  Freunden  abends  9  Uhr  bei  Vollmond  von  einem 
Landgut  in  der  Nähe  von  Paris  zurück.^  Der  Anblick  dieser 
^SafrankugeF  gibt  Anlafs  zu  heiteren  Gesprächen;  die  einen  er- 
blicken darin  eine  Dachluke  des  Himmels,  'durch  welche  hin- 
durch man  die  Glorie  der  Seligen  sehen  könne,'  die  anderen  das 
Plättbrett  (platine),  auf  welchem  Diana  die  Kragen  Apollos 
stärkt  usw.  Der  Autor,  der  von  sich  in  der  ersten  Person  redet, 
wirft  die  Behauptung  in  die  Diskussion:  Ich  glaube,  der  Mond 
ist  eine  Welt  wie  die  unsere,  welcher  die  unsere  als  Mond  dient; 
und  als  ihn  die  anderen  auslachen,  bemerkt  er:  Vielleicht  spottet 
man  jetzt   im  Monde   über  jemand,   der   behauptet,   dafs   unsere 


*  Die  Namen  Clamart  und  Monsieur  de  Cuigy  sind  im  Druck  von 
Le  Bret  hinzugefügt  worden,  der  wohl  einer  der  Teilnehmer  dieser  Land- 
partie war.  Damit  beginnen  seine  Änderungen  am  Cyranotext,  die,  ich 
mufs  es  sagen,  demselben  nirgend  zum  wahren  Vorteil  gereicht  haben.  Er 
läfst  nicht  nur  aus  und  zwar  einzelne  Worte  und  lange  Stellen,  er  korri- 
giert auch  den  Stil,  dem  er  seine  originelle  Frische  nimmt,  um  ihn  kor- 
rekter zu  machen.  Diese  Änderungen  sind  namentlich  fatal,  wo  es  sich 
um  die  technischen  Beschreibungen  handelt,  die  dadurch  in  den  Ausgaben 
oft  unsinnig  erscheinen.  Meine  Darstellung  folgt  ausschliefslich  dem  Manu- 
skript, über  das  ich  in  der  Beilage  B  weitere  Auskunft  geben  werde.  Klei- 
nere Auslassungen  oder  Änderungen  im  gedruckten  Text  sind  im  folgenden 
durch  * — '  bezeichnet,  gröl'sere  werden  besonders  hervorgehoben  werden, 
damit  man  sich  eine  Vorstellung  machen  kann,  wie  Le  Bret  seine  Auf- 
gabe aufgefafst  hat. 


Cyrano  de  Bergerac.  375 

Kugel  eine  aodere  Welt  sei,  und  beruft  sich  für  seine  Behaup- 
tung auf  'Pitagore  Epicure,  Democrite  et  de  nostre  äge  Copernic  et 
Keppler'.  Ein  Wunder  oder  ein  Ereignis,  dessen  sich  die  Vor- 
sehung oder  der  Zufall  {fortune)  bedienten,  kommt  ihm  zu  Hilfe. 
Beim  Betreten  seines  Studierzimmers  findet  er  das  Buch  des 
Hieron ymus  Cardanus,  De  suhtiliiate,  das  von  dem  Bücher- 
brett herabgeflogen  sein  mufs,  denn  er  hat  es  nicht  hingelegt, 
aufgeschlagen  auf  dem  Tische.  Eine  geheimnisvolle  Kraft  zwingt 
ihn,  die  betreffende  Stelle  zu  lesen,  welche  eine  auffallende  Ana- 
logie mit  seinem  Projekte  hat. 

Cardanus  erzählt,  dafs  eines  Abends,  als  er  bei  Kerzenschein 
studierte,  durch  die  verschlossenen  Türen  zwei  ehrwürdige  Greise 
ihm  erschienen  seien,  die  ihm  auf  Befragen  erklärt  hätten,  sie 
seien  Bewohner  des  Mondes,  und  darauf  wieder  verschwunden 
wären.  Cyrano  sinnt  auf  Mittel,  in  den  Mond  zu  gelangen.  Zu 
diesem  Zwecke  wendet  er  folgendes  an:  er  behängt  sich  ringsum 
mit  einer  Menge  von  Flaschen  voll  Tau,  und  ^die  Sonnenhitze, 
welche  sie  an  sich  zog,  hob  ihn  so  hoch,  dafs  er  sich  endlich 
über  den  höchsten  Wolken  befand'.  Aber  da  er  zu  bemerken 
glaubte,  dafs  die  Entfernung  vom  Monde  eher  zu-  als  abnehme, 
zerbrach  er  einige  Flaschen,  bis  seine  Schwere  die  Anziehung 
des  Mondes  überwand  und  er  wieder  zur  Erde  sank.  Nach  seiner 
Zeitberechnung  sollte  es  Mitternacht  sein,  aber  an  dem  Orte,  wo 
er  landete,  war  es  Mittag.  Mit  Mühe  gelingt  es  ihm,  einen  von 
den  nackten  Eingeborenen,  die  vor  dem  mit  Flaschen  bekleideten 
und  in  seltsamer  Weise  über  dem  Erdboden  dahinschwebenden 
Fremdling  fliehen,  einzuholen,  aber  er  kann  keine  Antwort  aus 
ihm  herauslocken.  Eine  Abteilung  Soldaten,  die  ihn  als  ver- 
dächtig verhaften,  belehrt  ihn,  dafs  er  in  der  Nouvelle  France,  d.  i. 
in  Kanada,  sei.  Der  ^Vizekönig  Monsieur  de  Montmagnie'  nimmt 
ihn  freundlich  auf,  akzeptiert  aus  Höflichkeit  seine  Erklärung, 
die  Erde  müsse  sich  während  seiner  Luftreise  unter  ihm  gedreht 
haben,  dafs  er,  in  gerader  Linie  zwei  Meilen  von  Paris  aufstei- 
gend, kurze  Zeit  darauf  in  Kanada  zur  Erde  gefallen  sei,  und 
schützt  ihn  gegen  die  Mönche  (nos  peres),  welche  ihn  für  einen 
Hexenmeister  oder  im  besten  Falle  für  einen  Betrüger  halten 
möchten.  Cyrano  hält  nun  mit  dem  Vizekönig  eine  interessante 
Besprechung,  in  welcher  dieser  eine  auf  das  ptolemäische  (geo- 
zentrische) System  gestützte  Erklärung  von  Cyranos  Reise  vor- 
bringt und  gegen  dessen  Behauptung,  die  Sonnen  wärme  lasse  die 
Erde  sich  drehen,  indem  ihre  Strahlen  sie  schräg  treffen,  wie  wir 
einen  Globus  mit  der  Hand  in  Bewegung  setzen,  mit  dem  oppo- 
niert, was  ihm  einer  der  ehrwürdigen  Väter  eines  Tages  gesagt 
habe.  Nach  dessen  Meinung  komme  die  Drehung  der  Erde  um 
ihre  Achse  davon,  dafs  das  höllische  Feuer  sich  im  Zentrum  der 
Erde   befinde,   und   dafs   die  Verdammten,   um   seiner   Hitze   zu 


376  Cyrano  de  Bergerac. 

entgehen,  an  der  Wölbung  der  Hölle  emporklettern  und  die  Erde 
so  ins  Drehen  bringen,  wie  ein  Hund  ein  Rad,  in  welchem  er 
eingesperrt  ist.  Der  Vizekönig  vertritt  die  hergebrachten  Gründe 
und  Vorurteile  des  Augenscheins,  aber  mit  Mäfsigung,  und  läfst 
seinen  Opponenten  auch  die  religiöse  Seite  der  Frage  ruhig  er- 
örtern. ^  Die  Belehrung,  welche  Cyrano  im  Sinne  seines  Lehrers 
Gassendi  dem  Vizekönig  über  das  Kopernikanische  System  spen- 
det, ist  eine  vorurteilslose  und  konsequent  durchgeführte  Ge- 
dankenreihe, in  einer  lebhaften,  aber  sachlichen  Sprache  vor- 
getragen und  von  warmer  Überzeugung  diktiert.  Nur  selten 
stofsen  wir  darin  auf  burleske  Wendungen,  wie:  il  seroit  aussi 
ridicule  de  croire  que  ce  grand  corps  lumineux  (die  Sonne)  tournät 
autour  d'un  point  dont  il  n'a  que  faire  (die  Erde)  que  de  s'imaginer 
quand  nous  voyons  une  alouette  rötie  qu'on  a  pour  la  cuire,  tourne 
la  cheminee  alentour,  oder:  de  sorte  que  tous  ces  autres  mondes  qu'on 
ne  voit  point  ou  qu'on  ne  voit  qu'imparfaitement,  ne  sont  rien  que 
Vecume  des  Soleils  qui  se  purgent  —  de  meme  que  notre  cceur  se 
degage,  par  le  vomissement,  des  humeurs  indigestes  qui  Vattaquent. 
Sonst  ist  die  Ausdrucksweise  immer  würdig  und  ernsthaft. 
Und  wie  schonungslos  deckt  Cyrano  die  Kleinheit  des  sich  so 
wichtig  dünkenden  Menschen  innerhalb  des  ewigen  und  un- 
begrenzten Universums  auf  mit  den  W^orten:  Wenn  die  Sonne 
dem  Menschen  leuchtet,  so  geschieht  das  zufällig,  wie  die 
Fackel  des  Königs  zufällig  dem  Lumpensammler,  der  auf  der 
Strafse  geht,  den  Weg  erhellt.  Cyrano  schreckt  vor  keiner 
Konsequenz  seines  Systems  zurück.  Die  Erde  bewegt  sich 
um  die  Sonne,  also  ist  sie  ein  Planet,  ein  Stern,  ein  Wort, 
das  die  congregation  de  VIndex  aus  den  Werken  von  Galilei  und 
Kopernikus  entfernt  hatte.  Die  Sonne  steht  im  Mittelpunkt  un- 
seres Universums,  dem  sie  Licht  und  Wärme  spendet.  Aber 
die  Fixsterne  sind  auch  Sonnen,  welche  Planeten  um  sich  haben, 
und  so  geht  es  weiter  und  immer  weiter  in  den  Weltenraum 
hinaus,  der  unbegrenzt  und  unendlich  ist.  Aber  auch  der  Stoff 
der  Himmelskörper  ist  unvergänglich  und  unverwüstlich,  indem 
die  Sonnen  sich  immer  wieder  ernähren  von  den  von  ihnen  aus- 
gestofsenen  und  wieder  in  sie  zurückfallenden  kleineren  Welt- 
körpem.  Mit  seinem  Spott  verschont  der  Sprecher  weder  die 
Schrulle  des  h.  Augustinus,  die  Erde  sei  platt  wie  ein  Ofen  (four) 


'  Le  Bret  hat  die  Argumentation  Cyranos,  'die  H.  Schrift  erwähne 
unsere  Welt  nur  darum  einzig,  weil  sie  die  einzige  sei,  welche  Gott  sich 
die  Mühe  genommen  habe  mit  eigener  Hand  zu  schaffen,  während  die 
vielen  aichtoaren  und  unsichtbaren  Welten,  die  im  Azur  des  Firmamentes 
aufgehängt  seien,  nur  Ausschwitzungen  der  Sonnen  seien',  ersetzt  durch 
ein  Zurückziehen  der  Diskussion  aus  Vernunftgründen,  sobald  der  Glaube 
aufs  Tapet  gebracht  werde,  von  dem  auch  Cyrano  denkt,  dafs  er  höher 
sei  denn  alle  Vernunft.   Schlimmer  konnte  man  einen  Text  nicht  entstellen. 


/ 


Cyrano  de  Bergerac.  877 

und  schwimme  auf  dem  Meere  wie  die  Hälfte  einer  durch- 
geschnittenen Orange,  noch  die  excentriques,  concentriques  und 
epicycles',  durch  welche  Descartes  das  alte  System  mit  den  Be- 
obachtungen der  neueren  Astronomen,  von  denen  ^Galilei,  Kepler 
und  Tycho  de  Brahe'  im  Manuskript  genannt  werden,  auszuglei- 
chen suchte.  Cyrano  ist  hier  ausgesprochener  Gassendist.  Inter- 
essant sind  auch  zwei  seiner  Aufserungen  in  diesem  Gespräch. 
Davon  ausgehend,  dafs  unsere  Vorgänger  den  Atlantischen  Ozean 
mehr  als  tausendmal  durchfahren  haben,  ohne  auf  Amerika  zu 
stol'sen,  schlielst  er,  dafs  dieses  Festland,  so  gut  wie  viele  Inseln, 
Halbinseln  und  Berge  sich  erst  seitdem  auf  unserer  Erdkugel 
erhoben  hätten,  als  Ausschwitzungen  abgenutzter  Sonnenteilcheu, 
welche  sich  verdichtet  und  erschwert  hätten,  bis  sie  von  dem 
Zentrum  unserer  Erde  angezogen  werden  konnten,  sei  es  all- 
mählich in  kleinen  Flocken  {pelotons\  sei  es  auf  einmal  in  einer 
Masse.  Er  verspricht  dem  Vizekönig,  wenn  dieser  einmal  nach 
Frankreich  komme,  in  einem  starken  Fernrohr  certaines  ohscurites 
qui  d'icy  paroissent  des  taches  (die  Sonnenflecken  oder  Sternnebel?) 
zu  zeigen,  welches  sich  eben  bildende  Welten  seien. 

Trotz  der  freundlichen  Aufnahme  und  dem  interessanten 
Gespräch  bei  dem  Vizekönig  sehnt  sich  unser  Abenteurer  da- 
nach, seine  Reise  fortzusetzen.  Er  versucht  es  diesmal  mit  einer 
Flugmaschine,  deren  Feder  grofse  Flügel  in  Bewegung  setzen  soll. 
Aber  das  Experiment  mifsglückt.  Er  stürzt  von  einem  Felsen 
ins  Tal  hinunter,  zieht  sich  in  sein  Zimmer  zurück  und  salbt  sich 
gegen  seine  Quetschungen  mit  Rindermark  am  ganzen  Leibe. 
Dann  sucht  er  seine  Maschine,  die  er  auf  dem  Hauptplatz  von 
Quebec  wiederfindet.  Die  Soldaten  haben  an  ihr  Raketen  an- 
gebracht, um  sie  am  Johannistag  {feie  de  St-Jean)  als  Feuerdrachen 
zu  brauchen.  Eben  haben  sie  die  Raketen  angezündet,  als  Cyrano 
sich  in  die  Maschine  stürzt,  um  zu  löschen.  Aber  in  diesem 
Moment  fängt  sie,  durch  die  Raketen  gehoben,  an  zu  steigen. 
Sobald  das  Feuerwerk  ausgebrannt  ist,  fällt  die  Maschine  zu 
Boden,  Cyrano  aber  fliegt  weiter,  weil  der  Mond  das  feuchte 
Rindermark  ansaugt.  In  dreiviertel  Höhe  ungefähr  der  Entfer- 
nung zwischen  Erde  und  Mond  fängt  er  an,  kopfüber  zu  fallen. 
Er  landet  im  ^Paradis  terrestre'  unter  dem  'Lebensbaum  {arhre  de 
vie)\  verwickelt  in  drei  oder  vier  ziemlich  dicke  Aste,  die  er 
durch  seinen  Fall  zerbrochen  hatte,  und  das  Gesicht  benetzt  von 
einem  Apfel,  der  auf  demselben  zerquetscht  worden  war.  Der 
Saft  dieser  Frucht  hat  offenbar  'die  noch  nicht  weit  entfernte 
Seele  in  den  noch  warmen  Körper  zurückgebracht'.  Er  empfindet 
weder  Schmerz  noch  Hunger  und  geniefst  entzückt  die  Schönheit 
der  Landschaft,  in  welcher  er  fortwandelt,  und  von  welcher  er 
eine  reizende  Beschreibung  entwirft,  die  nämliche  übrigens,  die 
wir  in   seinem   Briefe  Le  campagnard  (s.  oben  S.  128)   gefunden 


378  Cyraiio  de  Bergerac. 

haben.     Auch  hier  ist  der  Urtext  des  Manuskriptes  im  Stil  viel 
besser  als  der  gedruckte  der  Ausgaben. 

Für  die  Geschichte  der  Gartenkunst  mag  es  nicht  uninter- 
essant sein,  zu  erwähnen,  dal's  Cyrano  zum  Mittelpunkt  seines 
Edens  einen  Stern  von  fünf  Alleen  bis  zum  Himmel  reichender 
Baumhecken  hat,  dafs  an  diesen  Park  {hois)  sich  zwei  mit  wilden 
Blumen  besäten  Wiesen  anschliefsen,  deren  Grün  mit  dem  Hori- 
zonte verschwimmt,  und  in  deren  Mitte  eine  ländliche  Quelle 
{fontaine  rustique)  sich  in  Silberwellen  hinschlängelt.  In  diesem 
Paradies  verjüngt  sich  der  Erzähler  selbst.  Seine  alten  Haare 
fallen  ab  und  werden  durch  andere  'plus  deliez'  ersetzt,  sein  Ge- 
sicht wird  rosig  (vermeil),  seine  natürliche  Wärme  verbindet  sich 
sanft  mit  seiner  radikalen  Feuchtigkeit,  und  er  gewinnt  an  sei- 
nem Alter  etwa  vierzehn  Jahre  zurück.  Kaum  hat  er  in  so  an- 
genehmen Empfindungen  des  Auges,  des  Ohres  und  des  Geruches 
eine  halbe  Meile  durch  einen  Wald  von  Jasmin  und  Myrten  zu- 
rückgelegt, als  er  einen  Jüngling  erblickt,  dessen  überirdische 
Schönheit  ihn  zur  Anbetung  reizt,  welche  dieser  aber  verhindert, 
da  er  nicht  Gott  sei.  Dieser  Jüngling  gibt  nun  Cyrano  folgende 
Auskunft:  ^Diese  Erde  hier  ist  der  Mond,  den  ihr  von  eurer 
Kugel  aus  seht,  und  der  Ort,  wo  wir  wandeln,  ist  das  irdische 
Paradies,  das  bisher  nur  sechs  Personen  betreten  haben,  Adam, 
Eva,  Enoch,  ich  der  alte  Elias,  der  Evangelist  Johannes  und 
Cyrano.  Nach  dem  Sündenfall  und  der  Verbannung  aus  dem 
Paradiese  flüchtete  sich  Adam  vor  Gottes  Zorn  auf  die  Erde.' 
In  jener  Zeit  war  bei  dem  Menschen  die  Einbildungskraft  so 
lebendig,  da  sie  weder  durch  Ausschweifungen  noch  durch  die 
Roheit  der  Nahrung  noch  durch  Krankheit  verdorben  war,  dafs 
er  in  dem  lebhaften  Verlangen,  dieses  Asyl  zu  erreichen,  und 
weil  seine  Masse  durch  dieses  Feuer  des  Enthusiasmus  leichter 
geworden  war,  in  der  Weise  emporgehoben  wurde,  wie  einige 
Philosophen  in  der  Ekstase  durch  die  Luft  entführt  worden  sein 
sollen.  Der  *Eva'  (Name  steht  im  Manuskript)  hätte  die  Schwäche 
ihres  Geschlechtes  nicht  erlaubt,  durch  das  Feuer  ihres  Willens 
die  Schwere  des  Stoffes  aufzuheben,  aber  ^da  es  noch  nicht  lange 
her  war,  dais  sie  aus  dem  Körper  ihres  Mannes  genommen  war', 
so  trug  die  Sympathie,  durch  welche  diese  Hälfte  noch  mit  ihrem 
Ganzen  verbunden  war,  sie  zu  ihm,  und  er  hob,  im  Verhältnis 
wie  er  aufstieg,  *das  Werk  seiner  Rippe  mit  sich  empor/  wie  der 
Bernstein  von  dem  Stroh  gefolgt  wird,  und  wie  der  Magnet  sich 
dem  Norden  zukehrt,  dem  er  entrissen  worden  ist.  Auf  der  Erde 
angekommen,  Hefs  sich  das  erste  Paar  zwischen  Mesopotamien 
und  Arabien  in  einem  Lande  nieder,  welches  'den  Hebräern  unter 
dem  Namen  Adam,  ^   den  Götzendienern   unter  dem  Namen   des 


*  So  das  Manuskript.    Vielleicht  liegt  eine  Verschreibung  für  Eden  vor. 


Cyratio  de  Bergerac.  379 

Prometheus  (Promethee)  bekanot  war,  von  dem  ihre  Dichter  fabel- 
ten, dafs  er  das  Feuer  vom  Himmel  gestohlen  habe,  weil  er 
seine  Nachkommen  mit  einer  ebenso  vollkommenen  Seele  hinter- 
liefs  wie  die  war,  mit  der  *Gotf  ihn  erfüllt  hatte.  Der  ^erste 
Mensch'  liefs  also,  um  auf  der  Erde  zu  wohnen,  diese  Welt  (den 
Mond)  unbewohnt.  Aber  der  Allweise,  der  nicht  wollte,  dafs  ein 
solcher  Ort  unbewohnt  bleibe,  erlaubte  einige  Jahrhunderte  darauf 
^Enoch',  dem  Urenkel  dieses  Paares,  den  die  zunehmende  Ver- 
derbnis seiner  Mitmenschen  verdrofs,  die  Erde  gegen  das  Land 
der  Verheifsung  (terre  bienheureuse)  zu  vertauschen,  von  der  ihm 
sein  Urgrolsvater  ^Adam'  so  viel  erzählt  hatte.  'Niemand  kannte 
den  Weg,  und  die  Leiter  Jakobs  war  noch  nicht  erfunden.  Aber 
die  Gnade  des  Allerhöchsten  half  ihm,  denn  gemäfs  den  Worten 
der  Schrift:  der  Geruch  der  Opfer  des  Gerechten  ist  bis  zum 
Herrn  gestiegen,  füllte  er  eines  Tages  mit  dem  Rauche  des 
Opfers,  das  er  dem  Ewigen  darbrachte',  zwei  grofse  Gefäfse,  die 
er  hermetisch  zuschmolz,  und  befestigte  sie  unter  den  Armen. 
Der  Rauch,  'der  die  Tendenz  hatte,  sich  gerade  zu  Gott  zu  er- 
heben,' hob  die  Gefäl'se  und  mit  ihnen  den  'heiligen'  Mann  in 
die  Höhe.  Als  er  im  Monde  angekommen  war  und  'an  der 
Freude  seines  Herzens  erkannte,  dafs  dieser  schöne  Garten  das 
Paradies  sei,  wo  ehedem  sein  Urgrofsvater  gewohnt  hatte,'  ent- 
fernte er  die  Gefäfse  und  liefs  sie  fahren,  als  er  vier  Klafter 
über  der  Oberfläche  des  Mondes  war.  Sein  grofser  Mantel,  in 
dem  der  Wind  sich  fing,  'und  das  Feuer  seiner  Frömmigkeit' 
hielten  ihn  auch  auf,  so  dafs  er  sich  nicht  verletzte.  Die  Gefäfse 
flogen  weiter,  'bis  Gott  sie  am  Himmel  befestigte,  wo  sie  noch 
unter  dem  Namen  der  Wage  zu  sehen  sind  und  den  Geruch 
ihrer  Heiligkeit  noch  in  dem  günstigen  Einflufs  zeigen,  den  sie 
auf  das  Horoskop  Ludwigs  des  Gerechten  ausübten,  der  unter 
diesem  Zeichen  geboren  ist.  Enoch  war  damit  aber  noch  nicht 
ganz  im  Paradies,  er  gelangte  erst  später  dorthin  durch  folgendes 
Ereignis.  Als  zur  Zeit  der  Sündflut  die  Wogen  so  hoch  stiegen, 
dafs  die  Arche  in  den  Himmeln  nahe  dem  Monde  schwamm,  er- 
kannte Achab,  eine  Tochter  Noahs,  dafs  die  vor  ihnen  schwe- 
bende Kugel  der  Mond  und  nicht,  wie  die  anderen  glaubten,  ein 
nicht  überschwemmter  Teil  der  Erde  sei,  warf  sich  trotz  des  Ab- 
ratens  und  Spottes  der  Männer  in  einen  Kahn,  der  alsobald  durch 
eine  Woge  von  der  Arche  getrennt  wurde  und  dem  Monde  zu- 
trieb. Die  meisten  der  vierfüfsigen  Tiere  folgten  schwimmend 
ihrem  Beispiel,  bevor  die  Türen  der  Arche  geschlossen  werden 
konnten;  ebenso  die  Vögel.  Achab  landete  auf  der  Spitze  eines 
Hügels,  fand  später  Enoch  und  vermählte  sich  mit  ihm.  Die 
Gottlosigkeit  seiner  Kinder  und  der  Hochmut  seiner  Frau  zwangen 
diesen  später,  sich  in  die  Wälder  zurückzuziehen,  wo  er  kümmer- 
lich lebte  und  jeden  Tag  Gott  sein  Herz  zum  Opfer  darbrachte. 


380  Cyrano  de  Bergerac. 

Eines  Tages  fing  er  in  seinem  Fischernetze  einen  Apfel  vom 
Baume  der  Erkenntnis  auf,  der  auf  dem  Flusse  aus  dem  Para- 
diese herausgeschwemmt  worden  war.  Er  afs  ihn,  erfuhr  so,  wo 
das  irdische  Paradies  sei,  und  wählte  es  zu  seiner  Wohnung/ 
Elias  erzählt  dann  weiter  die  Art,  wie  er  in  das  Paradies  ge- 
langt sei.  Er  wohnte  einst  %it  einem  anderen  Hebräer  Elisa 
an  den  Ufern  des  Jordans'  und  führte  daselbst  ein  behagliches, 
den  Studien  gewidmetes  Leben,  aber  die  Sehnsucht  nach  voll- 
kommenem Wissen,  wie  es  der  berühmte  *Adam'  besessen  hatte, 
liefs  ihn  zu  keinem  dauernden  Genüsse  kommen.  Einst  *offen- 
barte  ihm  im  Schlafe  der  Engel  des  Herrn,  er  solle  in  den  Mond 
aufsteigen,  dort  ins  Paradies  gehen  und  von  der  Frucht  des 
Baumes  der  Erkenntnis  essen.  Auf  Anraten  des  Engels'  kon- 
struierte er  folgendes:  Aus  einem,  zwei  Quadratfufs  grofsen  Stück 
Magneteisen  schaffte  er  durch  Ausschmelzen,  Reinigen,  Precipi- 
tiereu  und  Lösen  ein  Attraktiv,  kalzinierte  dieses  Elixier'  und 
reduzierte  es  auf  die  Gröfse  einer  gewöhnlichen  Kugel.  Mit 
dieser  versehen,  bestieg  er  einen  aus  Eisen  konstruierten,  sehr 
leichten  Wagen,  warf,  darin  sitzend,  seinen  Ball  senkrecht  in  die 
Höhe,  wurde  ihm  mit  der  Maschine  nachgezogen  und  setzte  durch 
beständiges  Aufwerfen  und  Auffangen  des  Balles  die  Luftreise 
in  seinem  ^feurigen  Wagen'  fort.  Das  Experiment,  durch  blolses 
Emporhalten  des  Balles  aufzusteigen,  machte  er  nur  einmal,  weil 
die  Gewalt  des  aufschnellenden  Eisenbodens  seinen  Körper  in 
zwei  Teile  bog.  Auch  das  Umkippen  und  der  Fall  gegen  den 
Mond  im  letzten  Drittel  der  Fahrt  ging  ohne  Unfall  vor  sich, 
weil  er  durch  Rückwärts  werfen  des  Balles  die  Bewegung  nach 
Belieben  verzögern  konnte.  In  der  Nähe  des  Bodens  angekom- 
men, manövriert  er  mit  dem  Ball  so  geschickt,  dafs  er  landet, 
ohne  sich  Schaden  zu  tun.  (Die  technische  Beschreibung  ist 
wiederum  im  Manuskript  viel  verständlicher  als  in  den  Ausgaben.) 
Elias  schliefst  seinen  Bericht  mit  dem  Hinweis  darauf,^  *dafs  er 
am  nächsten  Tage  den  Lebensbaum  gefunden  habe,  mit  dessen 
Hilfe  er  nicht  altere.  Dieser  habe  die  Schlange  aufgezehrt  und 
in  Rauch  aufgehen  lassen.  Cyrano  fragt  den  Patriarchen,  was 
unter  dem  Aufzehren  der  Schlange  zu  verstehen  sei.  Dieser  er- 
zählt ihm  lächelnd,  dafs  Gott  nach  dem  Sündenfall  die  Schlange 
in  den  Bauch  des  Menschen  verwiesen  habe,  wo  sie  noch  jetzt 
in  der  Form  der  Eingeweide  ihr  Unwesen  treibe.  Cyrano  er- 
greift den  Anlafs,  um  eine  sehr  riskierte  Ergänzung  dieser  Ge- 
schichte zu  geben,  und  benutzt  eine  Schriftstelle  zu  einem  ob- 
scönen  Witze.     Elias  verweist  ihm  dies   unter  Hinweis   auf   die 

*  Hier  beginnt  die  zweite  grol'se  Lücke  in  allen  Ausgaben,  die  Brun 
p.  368—393  nur  teilweise  ausgefüllt  hat,  indem  er  die  Erzählung  von  der 
Schlange,  als  gegen  Moral  und  Orthodoxie  gleichmäfsig  verstofsend,  aus- 
gelassen hat. 


Cyrano  de  Bergerac.  381 

Heiligkeit  des  Ortes  und  fährt  in  seinen  Erinnerungen  an  das 
Paradies  fort.  Der  Geschmack  der  Frucht  des  Lebensbaumes, 
von  dem  Eh'as  nur  alle  hundert  Jahre  geniefst,  ähnelt  dem  Wein- 
geist. Adam  hat  wohl  von  diesem  Apfel  gegessen  und  darum 
lebten  seine  ersten  Nachkommen  so  lange.  Der  Baum  der  Er- 
kenntnis, welcher  dem  Lebensbaume  gegenübersteht,  hat  eine 
Frucht,  deren  Rinde  Unwissenheit  erzeugt.  Adam  hat,  weil  Gott 
ihm  das  Zahnfleisch  damit  einrieb,  alles  vergessen,  was  ihm  früher 
bekannt  war,  und  so  seine  Nachkommen  bis  auf  Moses.  Elias 
selbst  ist  zu  seinem  Glück  auf  einen  reifen  Apfel  ohne  Rinde 
gestofsen  und  hat  daher  seine  Philosophie  universelle,  die  ihm,  wie 
er  glaubt,  auch  erlaubte,  die  Wachsamkeit  des  Seraphim  (sie)  zu 
täuschen;  aber  die  Dankbarkeit  zwang  ihn,  diesen  Hüter  des 
Paradieses  aufzusuchen.  In  einer  Gegend,  wo  tausend  Blitze 
sich  kreuzten,  fand  er  den  Erzengel,  der  ihm  erklärte,  er  müsse 
dieses  Feuerwerk  mit  seinem  flammenden  Schwerte  jeden  Abend 
um  das  irdische  Paradies  herum  machen,  um  die  Hexenmeister 
abzuhalten.  Die  äufsere  Rinde  des  Apfels  vom  Baume  der  Er- 
kenntnis lasse  den  sie  Geuiefsenden  unter  den  Menschen  hinab- 
sinken, der  Inhalt  aber  erhebe  ihn  zu  den  Engeln.  Ein  kleiner 
Mann,  Enoch,  kommt  in  diesem  Augenblicke  zu  den  beiden  und 
präsentiert  ihnen  eine  Schale  voll  von  einer  Art  Granatäpfel, 
von  denen  Cyrano  auf  den  Rat  des  Elias  einige  in  die  Taschen 
steckt.  Sie  kommen  im  Gespräch  zu  einer  Einsiedelei,  die  aus 
Palmenzweigen,  verbunden  mit  Myrten  und  Orangenzweigen,  ge- 
flochten ist.  In  einem  Anbau  sieht  Cyrano  schneeweifsen  Flachs 
und  auch  die  dazugehörenden  Spinnrocken  liegen.  Von  seinem 
Begleiter  erhält  er  die  Auskunft,  dafs  Enoch,  in  den  Pausen 
seiner  Meditationen,  diesen  Flachs  zupfe  und  die  Leinwand  für 
die  Hemden  der  Elftausend  Jungfrauen  daraus  spinne.  Die 
Sommerfäden,  die  wir  auf  unserer  Erde  flattern  sehen  (Cyrano 
spricht  vom  Herbst,  environ  la  saison  des  Semailles),  und  welche 
die  Bauern  cotton  de  notre  Dame  nennen,  sind  nach  Elias  la  bourre 
dont  Enoc  purge  son  lin  quand  il  le  carde.  Enoch  zieht  sich  zu- 
rück, um  seinen  alle  sechs  Stunden  wiederkehrenden  geistlichen 
Übungen  obzuliegen.  Cyrano  bittet  Elias,  ihm  die  Geschichte 
von  der  Himmelfahrt  des  Evangelisten  Johannes  zu  Ende  zu  er- 
zählen. Aber  kaum  hat  Elias,  um  seine  unzeitige  Neugier  zu 
befriedigen,  angefangen  zu  erzählen  und  dabei  den  Namen  Gottes 
erwähnt,  als  der  Teufel  Cyrano  dazu  verleitet,  in  gottesläster- 
licher Weise  das  Ableben  des  h.  Johannes  zu  erwähnen.  Aber 
das  bekommt  ihm  schlecht.  Mit  flammenden  Augen  und  Worten 
verweist  der  Prophet  den  gottlosen  Spötter  aus  diesem  heiligen 
Orte :  Va  publier  dans  ce  petit  monde  et  dans  L'autre  car  tu  es  pre- 
destine  d'y  retourner  La  haine  irreconciliable  que  dieu  porte  aux  athees. 
Er   schleppt  ihn   zum  Ausgang,   in   dessen  Nähe   der  Baum  der 


882  Cyrano  de  Bergerac. 

Erkenntnis  (arbre  du  sQavoir)  seine  mit  Früchten  beladenen  Aste 
fast  bis  zur  Erde  senkt.  Cyrano,  den  der  Prophet  auf  den  Baum 
aufmerksam  macht,  gelingt  es,  bevor  er  hinausgeworfen  wird, 
einen  Apfel  zu  entwenden.  Von  Hunger  geplagt,  will  er  sich 
einen  Granatapfel  aus  der  Tasche  holen;  aber  er  irrt  sich  und 
schlägt  seine  Zähne  in  die  Rinde  des  gestohlenen  Apfels.' 

Kaum  hat  er  davon  gekostet,  als  sich  eine  dichte  Nacht 
auf  seine  Seele  legt,  er  sieht  Veder  Elias  noch  den  Apfel  noch 
eine  Spur  des  Paradieses  mehr,'  aber  er  erinnert  sich  an  alles, 
was  ihm  darin  begegnet  ist.  Er  ist  ganz  allein  in  der  Mitte 
eines  Landes,  das  er  nicht  kennt.  Er  beginnt  aufs  Geratewohl 
seine  Wanderung  und  begegnet  nach  einer  halben  Viertelmeile 
einer  Art  von  Menschen,  die  auf  vier  Füfsen  gehen  und  zwölf 
Ellen  lang  sind.  Er  wird  in  ihre  Stadt  gebracht  und  dort  von 
einem  'hasteleur  de  hetes  rares'  gehütet,  der  ihn  allerlei'  Künste 
lehrt  und  ihn  für  Geld  zeigt.  Einmal  redet  ihn  jemand  griechisch 
an  und  teilt  ihm  in  einer  langen  Unterredung  mit,  dafs  er  (der 
Sprechende)  aus  der  Sonne  stamme,  dann  als  Kolonist  mit  an- 
deren in  den  Mond  und  von  diesem  schon  zweimal  auf  die  Erde 
geschickt  worden  sei.  Das  erste  Mal  sei  er  dort  als  Dämon  des 
Sokrates,  des  Epaminondas,  des  Cato  minor  und  des  Brutus  ge- 
wesen und  zuletzt  dem  Drusus  in  Germanien  erschienen.  Das 
zweite  Mal  habe  er  Cardanus,  Agrippa  von  Nettesheim,  den 
Abt  Trith^me,  den  Dr.  Faust,  La  Brosse,  Caesar  Nostradamus 
und  die  Rosenkreuzer  besucht;  auch  Campanella,  dem  er  gewisse 
Ratschläge  gegen  die  Inquisition  erteilt  habe,  ferner  La  Mothe 
le  Vayer  und  Gassendi,  endlich  in  England  Tristan  FHermite, 
dem  er  vergeblich  Vhuile  de  Talk,  la  poudre  de  projedion  und  Vor 
potable  angeboten  habe.  Die  Sonnenbewohner  werden,  nach  seiner 
Angabe,  drei-  bis  viertausend  Jahre  alt  und  sind  nicht  so  zahl- 
reich wie  die  der  Erde.  In  sehr  geistreicher  Weise  setzt  der 
Dämon  des  Sokrates  auseinander,  warum  er  gewisse  Mysterien, 
z.  B.  Geburt  und  Tod  der  Sonnenbewohner,  Ebbe  und  Flut, 
Magnetnadel  etc.  dem  Menschen  Cyrano  nicht  erklären  könne. 
Es  sei  zu  wenig  Beziehung  zwischen  dessen  Sinnen  und  dem 
Sinn  dieser  Geheimnisse.  Im  Monde  ist  die  Sprache  der  Vor- 
nehmen eine  Art  Musik  (difference  de  tons  non  articules),  die  des 
Pöbels  ein  Gestikulieren.  Von  einem  Unbekannten  wird  dann 
Cyrano  aus  seiner  unwürdigen  Haft  befreit  und  auf  dem  Rücken 
in  eine  Herberge  (hotellerie)  getragen,  wo  ein  ganz  junger  Mensch, 
der  verwandelte  Dämon  des  Sokrates,  ihn  französisch  begrüfst 
und  seine  eigene  Verwandlung  erzählt.  Er  hat,  'nachdem  er 
vom  Hofe  die  Erlaubnis  erbeten,  Cyrano  dorthin  zu  bringen,  den 
Leib  eines  jungen  Menschen  angezogen,  der  eben  im  Spital  ge- 
storben war,  indem  er  seinen  Mund  auf  den  des  Gestorbenen 
drückte  und  wie  ein  Hauch  in  dessen  Leib  eindrang;  sein  eigener, 


Cyrano  de  Bergerac.  383 

abgenutzter  Leib  bleibt  liegeo,  und  die  Umstehenden  rufen  Wun- 
der/ In  dieser  Herberge  geschieht  das  Essen  im  Hemd  durch 
Einatmen  von  ernährenden  Gerüchen.  Geschlafen  wird  von  Cy- 
rano in  einem  Bette  von  Orangenblüten,  von  seinem  Begleiter  in 
einem  solchen  von  Nelken  und  Jasmin.  Die  Beleuchtung  bilden 
Glühwürmchen  in  einer  Kristallschale.  Drei  oder  vier  schöne 
junge  Knaben,  die  ihn  schon  für  die  Mahlzeit  entkleidet  haben, 
kitzeln  ihn  in  den  Schlaf,  der  sogleich  eintritt.  Am  nächsten 
Morgen  frühstückt  Cyrano  mit  Lerchen,  die  ein  Knabe  aus  der 
Luft  gebraten  herabschiefst,  und  sein  Begleiter  bezahlt  den  Wirt 
mit  Versen.  Diese  Verse  werden  von  einer  Behörde  auf  ihre 
Pointe  geprüft  und  dienen  als  Geld,  nachdem  ihnen  eine  Art 
Wertstempel  aufgedrückt  worden  ist.  Auch  in  der  Form  von 
Wechseln  können  sie  gebraucht  werden.  Die  Form  der  Sicht 
auf  die  andere  Welt,  die  Eintragung  in  das  Register  der  'comptes 
de  Dieu',  der  Vermerk:  item  la  valeur  de  iant  de  vers  delivrez  un 
tel  jour,  ä  un  iel,  que  'Dieu'  me  doit  remhourser  aussi-iost  Vacquit 
receu  du  p-emier  fonds  qui  se  trouvera  muten  uns  ganz  modern  an, 
bizarr  dagegen  ist  die  Notiz,  dafs  die  Wechselbesitzer  ihre  Re- 
gister vor  dem  Tode,  in  Stücke  gehackt,  aufessen,  um  sich  die 
Bezahlung  im  Jenseits  zu  sichern.  Cyrano  ^erinnert  sich  sogleich, 
dafs  das  die  Münze  sei,  deren  Sorel  sich  den  Hortensius  im 
Francion  bedienen  lasse.  ^  Unstreitig  habe  er  sie  aus  dem  Monde 
gestohlen,  aber  wie  habe  er  das  lernen  können?  Offenbar  von 
seiner  Mutter,  von  der  die  Leute  sagen,  sie  sei  mondsüchtig 
gewesen.'  Im  königlichen  Palaste  angekommen,  gilt  Cyrano  als 
das  Weibchen  du  petit  animal  de  la  Reyne.  Dieses  stellt  sich  heraus 
als  ein  Altkastilianer,  ^  der  Mittel  gefunden  hat,  mit  Hilfe  von 
automatischen  Vögeln  in  den  Mond  zu  gelangen,  und  der  dort 
für  einen  Affen  gehalten  worden  war,  weil  man  in  diesem  Lande 
die  Affen  spanisch  kleidet.  Es  entspinnt  sich  ein  ziemlich  spitziger 
Dialog  über  diese  Tracht  und  anderes  zwischen  Cyrano  und  dem 
Spanier.  Dieser  hatte  Vor  den  Verfolgungen  der  Inquisition' 
die   Erde    verlassen,    weil    er    dort   kein   Land    hatte    auffinden 


^  Le  Bret  hat  diese  Berufung  auf  Sorel,  die  für  Cyranos  literarische 
Grundsätze  charakteristisch  ist,  ersetzt  durch  das  aus  Marot  geschöpfte 
Bedauern,  dafs  diese  Bezahlung  von  Zechschulden  auf  Erden  nicht  ein- 
geführt sei,  wo  sie  manchem  ehrlichen  Hungerleider  von  Poeten  zugute 
käme.  Diese  Wendung  ist  also  nicht  von  Cyrano,  und  es  ist  zu  bedauern, 
dafs  Brun  p.  291  die  Sachlage  nicht  klarer  dargestellt  und  Cyrano  nicht 
von  dem  Vorwurf  eines  Plagiates  an  Sorel  befreit  hat.  Über  die  Entleh- 
nungen Cyranos  aus  Sorel  siehe  Em.  Roy:  La  vie  et  les  oßuvres  de 
Gh.  Sorel  (Paris,  Hachette,  1891)  p.  BS6— 87.  Dafs  übrigens  Sorel  diese 
'Anlehnungen'  nicht  übelgenommen  hat,  beweisen  die  von  P.  Brun  p.  367 
zitierten  Aufserungen  Sorels  über  Cyranos  Roman. 

^  Dies  scheint  eine  Anspielung  auf  Cyranos  englisch -französischen 
Vorgänger  und  dessen  spanischen  Helden  zu  sein.     Siehe  oben  S.  373. 


884  Cyrano  de  Bergerac. 

können,  in  welchem  auch  nur  die  Einbildungskraft  sich  hätte  frei 
ergehen  können.  Sein  philosophischer  Standpunkt  erinnert  an 
den  Abb^  Galliani  und  dessen  des  pipes:  Vous  trouuerez  que  la 
matiere  n'est  qu'une  qui  comme  excellente  comedienne  joüe  ici-bas 
toutes  sortes  de  personnages  sous  toutes  sortes  d'habit.  Sein  Haupt- 
satz ist,  que  tout  est  en  tout.  Diese  konsequente  Durchführung 
der  Lehren  Epikurs  wird  sonst  auch  bei  den  Gassendisten  viel 
verschleierter  vorgetragen.  Der  Spanier,  d.  h.  Cyrano,  bringt  für 
dieselben  einen  Beweis,  der  vor  Pasteur  kaum  erwartet  worden 
wäre.  Er  bietet  den  Scholastikern  folgende  Wette  an:  Oreuser 
un  fosse,  le  remplir  du  sirop  de  Vesguiere,  qu'ils  passeront  encore  s'ils 
veulent  ä  travers  un  hluteau  pour  eschapper  aux  objections  des  aveugles, 
et  je  veux  en  cas  qu'ils  n'y  trouvent  du  poisson  dans  quelque  temps, 
avaler  taute  Veau  qu'ils  y  auront  versee.  Der  nämliche  spricht  sich 
auch  für  das  Vorhandensein  des  leeren  Raumes  und  die  Einheit 
der  Materie  aus  mit  Gründen,  die  offenbar  Cyrano  nicht,  wie 
P.  Brun  meint,  verspotten  will;  sonst  würde  er  seine  Opposition 
besser  markiert  haben.  Er  schweigt  aber  zu  allem  und  spricht 
nicht  für  Descartes,  dessen  Lehre  von  der  Verdünnung  {rare- 
faction)  mit  dem  Argument  bekämpft  wird,  wie  denn  ein  Par- 
tikelchen der  Masse  sich  von  einem  anderen  entfernen  könne, 
ohne  in  der  Mitte  einen  leeren  Raum  zu  lassen.  Der  Spanier 
stellt  also  den  Satz  auf:  ohne  Leere  ist  keine  Bewegung  mög- 
lich, aber  dann  sind  die  Körper  nicht  undurchdringlich,  und  be- 
gründet ihn  mit  einem  Beweis  ä  la  Cyrano:  Es  wäre  lächerlich, 
anzunehmen,  dafs,  wenn  eine  Mücke  mit  ihrem  Flügel  ein  Luft- 
teilchen in  Bewegung  setzt,  dieses  ein  anderes  vor  sich  her  treibt 
und  so  immer  weiter,  bis  zuletzt  die  Bewegung  des  kleinen  Zehens 
eines  Flohs  einen  Buckel  {bosse)  hinter  der  Welt  hervorbringt. 
Nicht  so  originell  und  weniger  glücklich  ist  der  Spanier  in  seiner 
Kritik  der  Erscheinungen  der  Schwerkraft  und  der  Anziehung, 
deren  Zusammengehörigkeit  Cyrano  offenbar  nicht  erkannt  hat; 
dagegen  ist  seine  Schilderung  der  Rückverwandlung  eines  bren- 
nenden Holzscheites  in  die  Elemente,  aus  denen  es  zusammen- 
gesetzt ist,  ein  Meisterstück  poetisch  gefärbter  Naturphilosophie. 
Mit  solchen  Gesprächen  vertreiben  sich  die  beiden  Gefangenen 
die  Zeit.  Da  sie  aber,  entgegen  den  Erwartungen  des  Hofes, 
keine  Nachkommenschaft  haben,  werden  sie  für  zwei  Waldmenschen 
{hommes  sauvages)  gehalten,  die  wegen  mangelhafter  Nahrung  und 
Anlage  in  der  Entwickelung  zurückgeblieben  seien  und  deswegen 
auf  zwei  Füfsen  gehen.  Die  'Priester'  des  Landes  erklären  sich 
gegen  diese  gottlose  Ansicht.  Cyrano  wird  auf  Beschlufs  des 
Hohen  Rates  (conseil  d'enhaut)  dem  Vogelsteller  des  Königs  als 
eine  Art  ungefiederten  Papageis  übergeben.  Er  erlernt  die 
Sprache  des  Landes,  und  seine  philosophischen  Reden  erregen 
Ärgernis.     Die  *Priesterschaft  {cUrge)^   beschliefst  zuerst,   es   sei 


Cyrano  de  Bergerac.  385 

verboten,  dem  Fremden  etwas  zu  glauben  und  seine  Reden  an- 
ders denn  als  Ausflufs  des  Instinkts  anzusehen.  Schliefslich  wird 
eine  Standesversammlung  einberufen  und  Cyrano  vor  derselben 
examiniert.  Seine  Berufung  auf  die  Schulmeinung  und  Aristo- 
teles wird  als  unphilosophisch  verworfen.  Er  wird  als  eine  Art 
Straufs  erklärt  und  in  seinen  Käfig  zurückgebracht.  Dort  macht 
er  die  Bekanntschaft  einer  Hofdame  der  Königin  und  Flucht- 
pläne bei  Gelegenheit  des  bevorstehenden  Krieges  mit  dem  *Gro- 
fsen'  König  'La  Fa  La  La  Mi'  (Name  in  Notenschrift).  Sie  gibt 
ihm  Auskunft  über  die  schiedsgerichtliche  Kriegführung,  die  bei 
den  Mondbewohnern  Regel  ist.  Dem  Kampf  mit  den  Waffen, 
der  von  sorgfältig  ausgewählten  und  gleichgepaarten  Einzel- 
kämpfern geführt  wird,  folgt  noch  ein  Kampf  der  Gelehrsamkeit, 
der  erst  die  Entscheidung  gibt.  Es  folgt  eine  bittere,  aber  ge- 
rechte Kritik  der  auf  der  Erde  gebräuchlichen  Kriegführung. 

Es  ist  nicht  zu  verkennen,  dafs  in  diesem  Abschnitt  Rabelais 
benutzt  ist,  dessen  Ideen  über  die  Rolle  der  Fürsten  im  Krieg 
und  die  Vorzüge  des  Friedens  bekannt  sind.  ^ 

Das  Gespräch  der  Dame  mit  Cyrano  erregt  Aufsehen,  nicht 
wegen  Prüderie  der  Mondbewohner,  bei  denen  der  Geschlechts- 
verkehr absolut  frei  ist  und  eine  Frau  den  Mann,  der  ihr  Liebes- 
anerbieten zurückgewiesen  hat,  gerichtlich  belangen  kann,  aber 
weil  'die  Priester  bei  dem  letzten  Opfer  gepredigt  hatten,'  die 
Neugierde  der  Hofdamen  sei  unnatürliche  Lust,  sich  mit  diesen 
Tieren  zu  vergehen.  Cyrano  wird  zu  einer  zweiten  Disputation 
abgeholt,  und  da  er  sich  der  Meinung  eines  Redners,  welcher 
die  Ewigkeit  der  Welt  verficht,  widersetzt  und  sich  auf  'Moses' 
und  Aristoteles  beruft,  ^vird  er  ausgelacht.  Weil  er  'gottloser- 
weise' gesagt  hatte,  dafs  der  Mond,  von  dem  er  komme,  eine 
Welt  (monde)  sei  und  ihre  Welt  nur  ein  Mond,  wird  er  'auf  Be- 
treiben der  Priester'  zum  drittenmal  vor  Gericht  gestellt.  Der 
'Hohepriester  (grand  pontifey  hält  mit  Hilfe  einer  Trompete,  die 
den  Angeklagten  ebenso  betäubt,  wie  unsere  Soldaten  durch  Trom- 
meln und  Musik  über  ihre  Todesfurcht  hinweggetäuscht  werden, 
eine  heftige  Anklagerede.  Ein  Unbekannter  hält  zu  seinen  Gun- 
sten ein  Plaidoyer,  das  auf  folgendem  Dilemma  beruht:  Ent- 
weder ist  der  Angeklagte  vernünftig  und  denkt,  was  er  sagt; 
dann  darf  mau  diese,  wenn  auch  im  Irrtum  befangene  Vernunft 
nicht  vergewaltigen.  Oder  er  ist  unvernünftig  wie  ein  Tier  und 
spricht  aus  Instinkt;  dann  ist  er  nicht  schuldig.  Dies  bewirkt 
so  viel,  dafs  Cyrano  als  Mensch  erklärt  und  zu  der  schimpflichen 
Bufse  {amende  honteuse,   denn   im  Monde   gibt   es   keine   amende 

*  Eine  Stelle,  in  welcher  geradezu  der  Patriotismus  des  Soldaten  ver- 
höhnt  wird,  der  für  die  wichtige  Frage  stirbt,  ob  er  der  Vasall  eines 
Königs  mit  einem  Vorhemdchen  (rabat)  oder  eines  solchen  mit  einer  Hals- 
krause {fraise)  sein  werde,  ist  von  T^e  Bret  klüglich  ausgelassen   worden. 

Arcliiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  25 


386  Cyrano  de  Bergerac. 

honorable)  verurteilt  wird,   zu  widerrufen,   in  feierlichem  Aufzuge 
und  auf  fünf  Plätzen  der  Stadt.    Sein  Advokat,  der  Dämon  des 
Sokrates,   nimmt  ihn  dann  mit  nach  Hause.     Sie  halten  hier  ein 
Abendessen  mit  zwei  Professoren  der  Akademie  und  einem  jungen 
Libertin,   dem  Sohne  des  Hauswirtes,   dem  grofse  Ehre  erwiesen 
wird.    In  geistreicher  Weise  wird  dies  erklärt  durch  die  Vorzüge, 
welche  die  Jugend  vor  dem  Alter  besitzt,   alles  von  dem  Stand- 
punkte der  Natur  aus,   welcher  die  Erhaltung  der  Rasse  Haupt- 
zweck ist.    Darüber  sind  beide  Redner,  der  Dämon  des  Sokrates 
und  der  junge  Libertin,  vollkommen  einig,  und  ihre  Argumente  sind 
gleich  vorurteilslos,  wenn  auch  der  Dämon  des  Sokrates  es  geraten 
findet,   gegen  einige  Argumente  des  Libertin   über  die  vernunft- 
widrige Nutzlosigkeit  des  Zölibats  die  Absichten  vorzubringen,  die 
Gott  haben  konnte,  uns  in  der  Ausnutzung  des  Geschlechtstriebes 
einzuschränken.    Vielleicht  wollte  er  uns  durch  Bekämpfung  dieser 
Leidenschaft    für    die    himmlische    Glorie    vorbereiten,    vielleicht 
wollte  er  den  Trieb  durch  Verbot  reizen,   vielleicht  fürchtete  er, 
dafs  durch  Übermafs  die  Fortpflanzung  verloren  gehe,   vielleicht 
besorgte  er,  dafs  die  Erde  für  so  viele  Hungrige  nicht  Nahrung 
genug  hatte,   vielleicht  wollte  er   diejenigen  belohnen,   die   gegen 
allen  Anschein  der  Vernunft  sich  auf  sein  Wort  verliefsen.   Wenn 
schon    alle  diese  ^que  scaves  vous  si'  eine  sehr  laue  Verteidigung 
der    orthodoxen    Lehre    von    der    Heiligkeit    des   jungfräulichen 
Standes  sind,   so  werden   in  dieser  höchst  merkwürdigen  Disser- 
tation zwischen  dem  Dämon  und  dem  Libertin,   bei  welcher  Cy- 
rano den  stummen  Zuhörer  spielt,  eine  Reihe  von  Dogmen,  welche 
die  Menschen  aufgestellt  haben  und  Gott  sanktioniert  haben  soll, 
mit  rücksichtsloser  Logik  und  mit  den  derbsten  Worten  bekämpft, 
so  dafs  man  es  begreift,  wenn  in  den  Ausgaben  dieses  Gespräch 
auf  ein  Drittel  seiner  Länge  gekürzt  wurde.   In  den  unterdrückten 
Teilen  setzt  der  Dämon  des  Sokrates  auseinander,  ^es  wäre  lächer- 
lich, anzunehmen,  dafs  Herkules,  Achilles,  Epaminondas,  Alexander 
und  Cäsar,  welche  alle  vor  dem  vierzigsten  Jahre  (sie!)  gestorben 
seien,  deswegen  weniger  Ehre  verdienten  als  ein  kindischer  alter 
Stammler  {radoteux)^  dessen  Ernte  die  Sonne  neunzigmal  beschienen 
habe.    Wenn  alle  Gesetze   den  Respekt  vor  dem  Alter  predigen, 
so   haben   eben   alte  Leute   die   Gesetze   gemacht.    —    Aber   der 
Himmel  verspricht  dem  ein  langes  Leben,  der  Vater  und  Mutter 
ehrt.    —    Das  gilt  höchstens  für  einen  Vater,    der  seinem  Sohne 
nie  etwas  gegen  die  Eingebungen  des  Allerhöchsten  befiehlt,  an- 
deren   Eltern    mag   ein    Sohn    auf   dem    Bauche    herumtrampeln, 
denn  anzunehmen,   dals  Gehorsam   gegen  einen  lasterhaften   und 
tyrannischen  Vater  das  Leben  verlängere,   widerspricht   der    ein- 
fachen Tatsache,  dafs  durch  solche  Höllichkeiten  noch  keine  Ver- 
wundung oder  Krankheit  geheilt  worden  ist.    Das  Verdienst  des 
Vaters   bei  der  Zeugung   ist  null,   denn  er  gibt  nur  weiter,   was 


Cyraiio  de  Borgerac.  887 

er  von  seinen  Voreltern  empfangen  hat.  Aufserdem  denken  die 
Eltern  bei  diesem  Akte  nur  an  sich  und  ihre  Lüste,  sind  ja  doch 
Wollust  und  Habsucht  die  Triebfedern  der  Eheschliefsung.  Im 
besten  Falle  ist  der  Vater  der  sterbliche  Baumeister  nur  des 
Körpers  seines  Kindes.  Dessen  Seele  kommt  ihm  direkt  von 
Gott  zu,  der  sie  ebensogut  in  eine  andere  Scheide  {fourreau)  hätte 
stecken  können,  so  dafs,  der  jetzt  Vater  ist,  der  Sohn  geworden 
wäre  und  umgekehrt.'  Ja,  fährt  der  Dämon  fort  (diese  Partie 
ist  in  den  Ausgaben  nur  wenig  entstellt  wiedergegeben):  es  ist 
keineswegs  gesagt,  dal's  deine  Seele  bei  diesem  Tausche,  indem 
sie  auf  dem  Wege  zu  einem  vornehmeren  Körper  war,  durch 
dieses  Abirren  in  den  von  deinem  Vater  gezeugten  Embryo  nicht 
zu  kurz  gekommen  ist.  In  jedem  Falle  hat  man  dich,  den  die 
Sache  am  meisten  interessierte,  am  wenigsten  darüber  befragt, 
ob  es  dir  gefällig  sei,  in  dieses  Jahrhundert  einzutreten  oder  ein 
besseres  abzuwarten  oder  in  dem  Nichts  zu  verbleiben,  wo  es 
dir  schliefslich  auch  nicht  schlechter  geht  als  im  Leben. 

In  den  unterdrückten  Partien  nimmt  der  junge  Libertin  die 
These  in  verschärfter  Tonart  auf.    *Man  soll  mir  nicht  die  Lob- 
reden auf  die  Jungfräulichkeit  entgegenhalten,  das  ist  ein  Dunst 
(fumee)    und   ein    schreiender  Widerspruch    zu   dem    Gebot:    Du 
sollt  nicht  töten;   denn   Nichterzeugen    ist   schlimmer   als   Töten. 
Wenn  die  Enthaltung  besser  wäre  als  Fortpflanzung,  warum  kom- 
men wir  nicht   zur  Welt   wie   die  Pilze   oder  wenigstens  wie  die 
Krokodile  (sie!),    die    aus   dem   Nilschlamm    entstehen?     Warum 
schickt  Gott   keine  natürlichen  Eunuchen  zur  Welt,   warum  ent- 
reifst er  den  Mönchen,  Priestern  und  Kardinälen   die  Zeugungs- 
glieder nicht,   da  er  doch   der  Herr  der  Natur  ist?     Warum  be- 
fahl er  den  Juden  nicht,  sie  ebenso  abzuschneiden  wie  die  Vor- 
haut?    Warum   soll   dieser  Körperteil   unheiliger   und   seine  Be- 
rührung sündiger  sein  als  der  Rest?   Warum  diese  Lust  schlechter 
als   andere  Vergnügungen?     Selbst  die  Erhebung   der  Frommen 
zu  Gott   ist   mit   einem   Kitzel   der  Einbildungskraft   verbunden. 
Alle   diese  religiösen  Verbote   sind  wider  die  vernünftige  Natur, 
die  allen  grofsen  Männern,   wie  Simson,  David,  Herkules,  Cäsar, 
Hannibal,  Charles-magne,  ein  lebhaftes  Liebesbedürfnis  eingeflöfst 
hat  und  selbst  Diogenes  in  seiner  Tonne   für  Lais  seufzen  liefs. 
Also  war  dein  Vater   im  Gewissen  verpflichtet,   dich   zu   zeugen 
{lascher  ä  la  lumiere),   und  verdient  nicht  besondere  Anerkennung 
für  das,  was  ein  gewöhnlicher  Stier  seinen  Rindern  zehnmal  des 
Tages  zu  seinem  Vergnügen  macht.' 

Beim  Abendessen  speist  einer  der  Akademiker  in  einem  be- 
sonderen Zimmer,  weil  er  nicht  von  etwas  geniefsen  mag,  das 
durch  Gewalt  gestorben  ist,  was  selbst  auf  die  Pflanzen  aus- 
gedehnt wird.  Der  Dämon  gibt  Cyrano  hierzu  eine  geistreiche 
Belehrung  über  die  Seele  des  Kohls  und  seine  moralischen  Vor- 

25* 


388  Cyrano  de  Bergerac. 

züge  vor  dem  Menschen,  dem  Mörder  der  unschuldigen  Kreatur. 
In  den  Ausgaben  hat  diese  Apotheose  des  Kohls  nur  dort  Ver- 
kürzungen erfahren,  wo  Anspielungen  auf  die  Bibel  Bedenken 
erregten.  Originell  ist  im  Anfang  die  Wendung:  ^Haben  der 
Mensch  und  der  Kohl  nicht  gemeinsame  Eltern,  Gott  und  die 
Not  (prwaUon)f  Und  am  Schlufs:  Wenn  ihr  mich  fragt,  woher 
ich  wisse,  dafs  der  Kohl  so  schöne  Gedanken  habe,  so  frage  ich 
euch,  woher  ihr  wifst,  dafs  er  solche  nicht  habe,  und  dafs  zum 
Beispiel,  wie  ihr,  einer  des  Abends,  wenn  er  sich  einschliefst, 
sagt:  Je  suis,  Monsieur  le  Chou  frise  Vostre  tres  humble  serviteur, 
Chou  cdbus.  'Gott  hat  dem  Kohl  einen  höheren  Intellekt  ver- 
liehen als  selbst  dem  Menschen,  und  wenn  wir  diese  Wesen 
höherer  Art  nicht  verstehen,  so  kommt  dies  nur  von  unseren 
geringeren  Fähigkeiten.  Wie  hätten  sie  den  Menschen  belehren 
sollen,  und  was  haben  euch  denn  die  Engel  je  gelehrt?' 

Der  abgetretene  Philosoph  kehrt  zurück,  weil  er  gesättigt 
ist  und  der  phisionome  ihm  erlaubt  hat,  an  der  gemeinsamen 
Mahlzeit  teilzunehmen.  In  jedem  Hause  ist  ein  solcher  Arzt,  der 
aber  nur  die  Gesunden  leitet  und  ihre  Diät  usw.  regelt.  Dann 
hält  der  letztgekommene  Gelehrte  einen  Vortrag  darüber,  dafs 
es  unzählige  Welten  in  einem  unbegrenzten  Universum  gebe. 
Darin  kommt  die  merkwürdige  Stelle  vor:  Vielleicht  dafs  unser 
Fleisch,  unser  Blut,  unsere  Lebensgeister  nichts  anderes  sind  als 
ein  Gewebe  kleiner  Tierchen,  welche  alle  zusammen  die  Tätigkeit 
ausmachen,  die  wir  Leben  nennen.  Als  Beweis  für  diese  allge- 
meine Keimung  (cironalite  universelle)  werden  die  Vorgänge  beim 
Bluten  einer  Wunde  besprochen.  Das  Leben  verschwindet  erst, 
wenn  die  Bewegung  dieser  kleinsten  Körper  aufgehört  hat. 

Der  zweite  Philosoph  ist  an  seinem  Vortrag:  Erklärung  des 
ewigen  Ursprungs  der  Welt,  gehindert,  weil  er  die  Blasebälge 
für  den  Transport  seines  Hauses  in  Bewegung  setzen  mufs;  denn 
morgen  reist  die  Stadt  ab. 

Der  junge  Libertin  tadelt  seinen  Vater  mit  Schimpf worten 
'und  mifshandelt  ihn',  weil  er  ihn  auf  dieses  Ereignis  nicht  recht- 
zeitig aufmerksam  gemacht  habe.  Er  läfst  ihn  sein  Bild  (effigie) 
herbeiholen  und  prügelt  dieses  eine  Viertelstunde  lang.  Der 
Greis  wird  fortgejagt  und  ihm  befohlen,  zur  Bufse  einen  Tag 
lang  auf  zwei  Füfsen  zu  gehen.  'Der  Junge  beklagt  sich  bitter 
über  den  ungeratenen  Vater,  der  ihn  noch  unter  die  Erde  bringen 
werde,  und  den  er  schon  mehrmals  habe  verfluchen  wollen.' 

Auf  seine  Fragen  erhält  Cyrano  von  dem  jungen  Menschen 
Auskunft  über  die  wandelnden  Häuser  und  die  verstellbaren 
Türme.  Die  ersteren  sind  aus  ganz  leichtem  Holze  gebaut  und 
stehen  auf  vier  grofsen  Rädern;  in  der  Dicke  der  Mauer  be- 
finden sich  grofse,  starke  Blasebälge,  deren  Röhren  horizontal 
durch  das  letzte  Stockwerk  von  einem  Giebel  zum  anderen  gehen. 


Cyrano  de  Bergerac.  Ö8Ö 

Vor  die  Blasebälge  werden  auf  der  einen  Seite  des  Hauses  grofse 
Segel  aufgespannt  und  die  Mechanik  durch  eine  Feder  (ressort) 
zum  Spielen  gebracht,  worauf  die  Häuser  in  acht  Tagen  mehr 
als  hundert  Meilen  weit  reisen. '  Die  Türme  haben  eine  vom 
Keller  bis  zum  Dach  durchgehende  Schraube,  mittels  welcher  sie 
im  Winter  in  die  Erde  versenkt  werden  können. 

Der  nämliche  gibt  Cyrano  eine  ganz  atomistische  Erklärung 
des  Weltganzen  nach  den  Kategorien  der  Ewigkeit  der  Materie  und 
der  Bewegung.  Als  Supposition  wird  die  Bewegung  besprochen, 
welche  eine  Elfenbeinkugel  auf  einer  vollkommen  ebenen  Fläche 
bei  dem  geringsten  Anstofs  längere  Zeit  hindurch  ohne  Anhalt 
machen  würde.  Die  verschiedene  Art  der  Bewegung  hängt  ab 
von  der  verschiedenen  Form  der  Atome.  Grundprinzip  ist  das 
Feuer.  Die  verschiedene  Lagerung  der  Teilchen  bedingt  die  ver- 
schiedenen Gegenstände  der  Erscheinungswelt.  Interessant  ist 
der  Beweis  von  den  drei  Würfeln,  deren  Augen  die  verschieden- 
sten Kombinationen  ergeben,  ohne  dafs  wir  darin  ein  Wunder 
sehen  dürfen,  von  dem  Flusse  *Fa  Do  La  Fa^  der  eine  Mühle 
oder  eine  Wasseruhr  treibt,  und  dem  Bache  Fa  La  Do  Do,  dem 
nur  die  Gelegenheit  fehlt,  um  die  gleichen  Wundertaten  zu  ver- 
richten. Die  Sinneswahrnehmungen  Sehen,  Hören,  Fühlen,  Rie- 
chen und  Schmecken  werden  atomistisch  erklärt.  Interessant  ist 
die  Deutung  des  Spiegelbildes,  des  Lautenschlägers  u.  ä.  Einige 
Beispiele  aus  dem  Gebiete  des  Fühlens  sind  dem  Soldatenleben 
entnommen  und  erinnern  an  Cyranos  Verwundungen.  Schneidend 
ist  der  Hohn  über  diejenigen,  welche  eine  Schöpfung  annehmen; 
ähnlich  einem  Manne,  der  sich  in  einen  Flufs  stürzen  würde 
aus  Furcht  vor  dem  Regen,  retten  sie  sich  aus  Zwergenhänden 
in  das  Mitleid  eines  Riesen  und  verleihen  die  Ewigkeit,  welche 
sie  der  Welt  entziehen,  Gott,  wie  wenn  es  einfacher  wäre,  sich 
ihn  in  der  einen  als  in  der  anderen  vorzustellen.  Um  dem  un- 
entwirrbaren Labyrinth  zu  entgehen,  welches  der  Übergang  vom 
Nichts  zum  ersten  Atom  ist,  stellen  sie  Gott  neben  die  ewige 
Materie. 

Man  sieht,  dafs  Cyrano  die  Welträtsel,  die  uns  heute  noch 
plagen,  wohl  erkannt  hat,  und  dafs  er  im  innersten  Herzen  viel- 
leicht doch  nicht  der  Deist  war,  als  den  er  sich  geflissentlich  gibt. 
Da  es  während  der  Unterredung  finster  geworden  ist  und 
die  Leuchtwürmer,  mit  denen  der  Wirt  den  Saal  erhellen  will, 
zu  alt  sind,  holt  der  Dämon  aus  seinem  Zimmer  zwei  Feuer- 
kugeln, die  er  aus  Sonnenstrahlen,  denen  die  Wärme  entzogen 
ist,  destilliert  hat.  Den  Philosophen  wird  ^auf  Befehl  des  Sohnes' 
nach  Hause  geleuchtet  von  ^dem  Gastwirt',  der  ein  Dutzend  Glas- 
kugeln an  seinen  vier  Füfsen  hängen  hat. 

Am  folgenden  Tage  verkündet  der  Dämon  dem  Cyrano,  dafs 
die  Hofdame  La  Do  Fa  La  Mi   immer   bereit  sei,  ihm   auf   die 


390  Cyrano  de  Borgern c. 

Erde  zu  folgen  und  Christin  zu  werden.  Der  Dämon  will  zu 
diesem  Zweck  eine  Flugmaschine  erfinden,  die  mehrere  Personen 
tragen  kann.  Während  er  daran  arbeitet,  soll  Cyrano  das  von 
dem  Dämon  aus  seiner  Heimat  mitgebrachte  Buch:  'Les  Estats 
et  Empires  du  SoleiV^  lesen  und:  Le  Grand  CEuvre  des  Philosophes, 
welches  einen  gelehrten  Sonnenbewohner  zum  Verfasser  hat  und 
lauter  Paradoxa  enthält.  Sicherlich  ist  Campanella,  der  Verfasser 
der  Givitas  solis,  gemeint  und  wahrscheinlich  sein  Werk:  Univer- 
salis Philosophia  seu  Metaphysica  Herum  iuxta  propria  dogmata,  Paris 
1637.  Diese  Bücher  stecken  in  kostbaren  Gehäusen,  und  ihre 
Lektüre  geschieht  nicht  mit  den  Augen,  sondern  mit  den  Ohren. 
Wenn  jemand  zu  lesen  wünscht,  so  zieht  er  mit  einer  grofsen 
Zahl  kleiner  'Schlüssel  {clefsy  dieses  metallene  Uhrwerk  auf,  dreht 
dann  den  Zeiger  auf  das  Kapitel,  das  er  zu  lesen  wünscht,  und 
zu  gleicher  Zeit  ertönen,  wie  aus  dem  Munde  eines  Menschen 
oder  aus  einem  Musikinstrument,  die  Klanglaute,  deren  die  vor- 
nehmen Mondbewohner   sich   als  Sprache  bedienen. 

Dieser  vorbildliche  Phonograph  scheint  eine  Erfindung  Cy- 
ranos  zu  sein.  Was  ähnliches  von  ihm  selber  angedeutet  wird, 
wie  die  Schwämme,  in  die  man  hineinspricht,  und  die,  ausgedrückt, 
die  W^orte  wiedergeben  (cf.  Le  Courrier  veritahle,  N^  d^avril  1632, 
Zitat  bei  P.  Brun  p.  301,  Note  1),  ist  denn  doch  zu  rudimentär. 

Cyrano  fährt  dann  in  seiner  Erzählung  fort:  'Nachdem  ich 
mich  eine  Zeitlang  mit  diesen  Schachteln  und  mit  dem  Gedanken 
an  die  Vorzüge  der  Bildung  der  Mondbewohner  unterhalten  und 
sie  mir  als  Ohrgehänge  (pendants  d'or eitles)  angehängt  hatte,  ver- 
liefs  ich  das  Haus  zu  einem  Spaziergang,  aber  noch  hatte  ich  die 
Strafse  nicht  durchschritten,  welche  senkrecht  auf  unser  Haus 
mündet,  als  ich  am  anderen  Ende  einen  ziemlich  grofsen  Trauer- 
zug (trouppe  —  de  personnes  tristes)  antraf.^  Vier  unter  ihnen 
trugen  auf  ihren  Schultern  einen  schwarzen,  verhüllten  Sarg.  Cy- 
rano erhält  von  einem  Zuschauer  die  Auskunft,  der  gestern  Ver- 
storbene sei  der  schlechte  'Fa  La  Do  Fa',  vom  Volke  durch  einen 
Stüber  auf  das  rechte  Knie  bezeichnet,  welcher  des  Neides  und 
des  Undankes  überführt  worden  sei.  Dafür  sei  er  vom  Parlament 
schon  vor  mehr  als  zwanzig  Jahren  dazu  verurteilt  worden,  in 
seinem  Bett  eines  natürlichen  Todes  zu  sterben  und  nachher  be- 
graben und  von  seinen  Freunden  betrauert  zu  werden,  während 
die  Mondbewohner,  mit  Ausnahme  der  Verbrecher,  die  reinliche 
Feuerbestattung  ohne  Leidtragende  erfahren,  'die  ihnen  auch  eine 
Art  Fortdauer  nach  dem  Leben   sichert\     Ganz  seltsam   ist   der 


*  So  steht  ausdrücklich  und  in  Majuskeln  im  Manuskript.  Die  Les- 
art: Les  Estats  et  Empires  de  la  Lune  avec  une  addition  de  rHistoire  de 
V Estincelle,  welche  so  viel  Kopfzerbrechen  verursacht  hat,  stammt  also  von 
Le  Bret.  Warum  er  den  Text  geändert  hat,  werden  Avir  unten  zu  erklären 
suchen. 


Cyrano  de  Bergerac.  391 

Tod  und  das  Begräbnis  der  Weisen.  Wenn  diesen  im  hohen 
Alter  eine  Art  Ehrengericht  den  Selbstmord  erlaubt  hat  {luy  a  mis 
son  Souffle  entre  les  mains),  so  versammelt  der  Weise  seine  besten 
Freunde,  die  sich  durch  Purgieren  und  Fasten  dazu  vorbereiten, 
um  sein  Paradebett  und  stöfst  sich,  während  sein  bester  Freund 
seinen  Mund  küfst,  einen  Dolch  ins  Herz.  Die  Freunde  saugen 
der  Reihe  nach  sein  Herzblut  aus  der  Wunde.  Vier  bis  fünf 
Stunden  später  wird  jedem  der  Freunde  ein  Mädchen  von  sech- 
zehn oder  siebzehn  Jahren  zugeführt,  und  drei  bis  vier  Tage  lang 
ergeben  sie  sich  mit  diesen  den  Freuden  der  Liebe,  wobei  sie 
sich  von  dem  rohen  Fleische  des  Verstorbenen  ernähren.  In  den 
Früchten  dieser  Umarmungen  glauben  sie  ihren  wiedererstandenen 
Freund  zu  sehen. 

Cyrano  kehrt  von  dem  Spaziergang,  auf  welchem  er  so  un- 
gewöhnliche Gebräuche  hat  kennen  lernen,  verspätet  heim  und 
erfährt  die  Art,  wie  die  Mondbewohner  die  Zeit  bestimmen.  Sie 
öffnen  den  Mund,  schliefsen  die  Zähne  und  wenden  das  Gesicht 
seitwärts.  Der  Schatten,  welchen  ihre  groise  Nase  auf  die  Zähne 
wirft,  gibt,  wie  der  Zeiger  einer  Sonnenuhr,  die  Tagesstunde  an. 
Die  Selenier  haben  deswegen  alle  groCse  Nasen,  weil  die  männ- 
lichen Kinder  gleich  nach  der  Geburt  und  nach  Ablauf  eines 
Jahres  einer  Behörde  vorgestellt  werden.  Werden  ihre  Nasen  zu 
kurz  befunden,  so  werden  die  Knaben  kastriert;  denn  eine  drei- 
tausend Jahre  alte  Erfahrung  hat  gezeigt,  dal's  eine  groise  Nase 
das  Zeichen  einer  grofscn  Denkweise  und  Gesinnung  ist  und  eine 
kleine  das  Zeichen  des  Gegenteils. 

Nach  Beendigung  dieses  Gespräches  tritt  ein  nackter  Mann 
herein,  dem  Cyrano  seineu  Respekt  bezeugt,  indem  er  sich  setzt 
und  bedeckt,  was  die  Sitte  des  Landes  erheischt.  Der  Abge- 
sandte bringt  einen  Befehl  der  Behörden  des  Königreiches,  der 
Cyrano  eine  Mission  nach  der  Erde  aufträgt  und  sagt,  dals  ein 
Mathematiker  des  Mondes  einen  Plan  gemacht  habe,  wie  die 
beiden  Globus  vereinigt  werden  könnten.  Der  Abgesandte  trägt 
am  Gürtel  ein  männliches  Glied  in  Bronze.  Cyrano  hat  dies 
auch  früher  schon  bei  dem  Publikum,  das  sich  um  seinen  Käfig 
versammelt,  beobachtet  und  erfährt  nun  von  dem  Sohne  seines 
Wirtes,  dal's  der  Phallus  das  Abzeichen  des  Edelmannes  sei  und 
in  hoher  Achtung  stehe.  Weder  eine  Frau  noch  eine  Jungfrau 
sei  so  undankbar,  über  das  Ding  zu  erröten,  dem  sie  ihr  Leben 
verdanken,  und  das  einzig  den  Namen  der  Natur  trage.  Dafs 
bei  den  Menschen  der  Degen  den  Edelmann  ziere,  findet  der 
Selenier  absurd  und  bedauert  eine  Welt,  in  welcher  die  Merkmale 
der  Zeugung  schimpflich  und  die  der  Vernichtung  ehrbar  seien. 
Wie!  Ihr  nennt  dieses  Glied  Schamteile  {parties  honteuses),  wie 
wenn  es  etwas  Ruhmvolleres  gäbe  als  das  Leben  zu  geben  und 
etwas  Schimpflicheres  als  es  nehmen. 


392  Cyrano  de  Bergerac. 

Nach  diesem  Tischgespräch,  dessen  Ideen  Cyrano  offenbar 
aus  B^roalde  de  Verville,  Charron  und  Sorel  hat,  ergeht  sich  die 
Gesellschaft  im  Garten.  'Hier  versucht  nun  Cyrano,  der  für  den 
Sohn  seines  Wirtes  wegen  seiner  hohen  Geistesgaben  eine  grofse 
Zuneigung  gefafst  hat,  und  der  auf  den  Rat  des  Dämons  Dis- 
kussionen über  philosophische  und  religiöse  Fragen  mit  demselben 
nicht  aus  dem  Wege  geht,  damit  der  eitle  Libertin  aus  dem 
Schweigen  des  Gegners  nicht  den  Schlufs  ziehe,  er  habe  gewon- 
nen, ihn  von  seinen  Irrlehren  zu  bekehren.  Er  stöfst  aber  mit 
seinem  Hinweis  auf  die  Vorzüge,  welche  dem  Menschen  durch 
die  Unsterblichkeit  seiner  Seele  von  Gott  gewährt  sind,  bei 
seinem  jungen  Antagonisten  auf  einen  so  geschickt  mit  dem 
Argumente  der  Gerechtigkeit  Gottes  argumentierenden  Unglauben, 
dal's  er  das  Gespräch  abbricht  und  zu  seinem  Gouverneur  hin- 
aufsteigt, um  sich  von  ihm  die  Gegenbeweise  zu  erbitten.  Dieser 
behauptet  zwar,  die  bezüghchen  Argumente  seien  nur  scheinbar 
und  durch  die  Autorität  von  Kirchenvätern  und  Philosophen  zu 
widerlegen,  besser  aber  doch  durch  ein  von  ihm  enthülltes  Ge- 
heimnis.' Er  gibt  nun  seinem  Zuhörer  eine  Entwickelungstheorie 
zum  besten,  die  auf  Metempsychose  beruht,  und  zu  der  aulser 
den  Antiken  auch  Rabelais  beigesteuert  zu  haben  scheint.  Unter 
der  Voraussetzung,  dafs  alle  Natur  beseelt  ist,  auch  die  pflanz- 
liche, ist  dem  hier  vorgetragenen  Durchgang  von  der  Grasnarbe 
zum  Fruchtbaum,  vom  Fruchtbaum  zum  Schwein,  vom  Schwein 
zum  Menschen,  hervorgerufen  durch  das  angeborene  Streben 
nach  Vervollkommnung  und  begünstigt  durch  den  Stoffwechsel 
innerhalb  dieser  Stufen,  die  Konsequenz  nicht  abzusprechen.^ 
Wenn  einst  sämtliche  Materie  durch  den  Menschen  hindurch- 
gegangen sein  wird,  dann  wird  der  grofse  Tag  des  Gerichtes  an- 
brechen, an  welchem  die  Propheten  die  Geheimnisse  ihrer  Philo- 
sophie endigen  lassen.' 

Von  diesen  Argumenten  kann  Cyrano  momentan  nicht  Ge- 
brauch machen,  da  der  phisionom  sie  alle  zu  Bett  schickt.  Am 
folgenden  Morgen  sucht  er  seinen  Gegner  im  Schlafzimmer  auf 
und  geht  ihm  zunächst  mit  Erwähnung  einiger  Wuuderkuren 
zu  Leibe.  Aber  er  kommt  schlecht  an.  Der  ungläubige  Jüng- 
ling leugnet  rundweg  alles  Wunderbare,  Übernatürliche  und  er- 
klärt solche  Heilungen  sehr  verständig  als  Wirkungen  der  Ein- 
bildungskraft, welche  fähig  sei,  auch  den  Heilmitteln  eines  un- 
wissenden Arztes  Wirkung  zu  verleihen,  sofern  der  Patient  an 
die  Fähigkeit  des  Arztes,  ihn  zu  heilen,  glaubt.  Höchst  skep- 
tisch spricht  er  sich  auch  aus  über  den  Wert  von  Gelübden. 
Zugegeben  auch,  dafs  ein  Kranker  der  Gefahr  entronnen  sei, 
warum  über  Wunder  schreien,  da  wir  täglich  Personen,  welche 
Gelübde  getan  haben,  elendiglich  samt  ihren  Gelübden  zugrunde 
gehen  sehen. 


Cyrano  de  Bergerac.  898 

Ausgehend  von  einer  Anspielung  des  Jünglings  auf  das  in 
der  Natur  vorhandene  Heilmittel  {bäume),  dessen  sich  der  Mensch 
unwillkürlich  bedient,  sucht  nun  Cyrano  die  Vernünftigkeit  (rai- 
sonnabilite)  der  Menschenseele  und  damit  ihre  Unsterblichkeit 
zu  beweisen,  aber  der  Libertin  durchkreuzt  ihm  die  Beweisfüh- 
rung mit  dem  Argument,  Svarura  denn  die  Menschenseele,  wenn 
sie  wirklich  unkörperlich,  intellektuell  und  unsterblich  sei,  bei 
irgendeinem  Anlal's,  einer  Verwundung  z.  B.,  den  Leib  verlasse 
wie  die  eines  Ochsen  den  ihrigen,  auf  die  Gefahr  hin,  in  eine 
viel  schlechtere  Wohnung  (logis),  die  Hölle,  zu  kommen.  Wenn 
die  Seele  ebenso  intelligent  ist,  getrennt  von  dem  Körper  wie 
in  demselben,  warum  sehen  denn  die  Blinden,  warum  hören  die 
Tauben  nicht  mit  dieser  Seeleufähigkeit?  Man  wende  nicht  ein, 
die  Seele  bedürfe  der  Organe  wie  der  Maler  der  Pinsel.  Denn  der 
Maler  malt  doch  nicht  besser,  wenn  er  zu  den  Pinseln  auch  noch 
seine  übrigen  Utensilien  verliert;  wie  soll  denn  die  Seele,  die  durch 
das  f'ehlen  eines  Organs  im  Leben  sichtlich  gehindert  ist,  nach 
dem  Tode  ohne  alle  Organe  vollendeter  funktionieren?'  —  Aber, 
wendet  Cyrano  ein,  wenn  die  Seele  stirbt,  so  wäre  die  uns  ver- 
sprochene Auferstehung  eine  Schimäre.  —  Der  Libertin  verlacht 
diese  Hoffnung  als  Ammenmärchen  {peau  d'asne)  und  macht  sich 
anheischig,  von  dem,  was  Cyrano  eine  unbestreitbare  Wahrheit 
{verite  unduhitahle)  nennt,  das  Gegenteil  zu  beweisen. 

Er  tut  dies  in  sophistisch  durchtriebener  Weise,  indem  er 
sich  auf  das  eben  zugegebene  Axiom  von  der  Einheit  der  Materie 
in  ihrem  Durchgang  durch  die  verschiedenen  Stufen  der  Körper- 
welt stützt.  Der  Beweis  beruht  allerdings  auf  einer  burlesken 
Supposition,  dem  Aufessen  eines  Mohammedaners  durch  einen 
Christen  und  der  Erzeugung  eines  kleinen  Christen  durch  den 
Mann,  welcher  den  Mohammedaner  in  sich  aufgenommen  hat. 
Wie  wird  es  nun  bei  der  fleischlichen  Auferstehung  gehen?  Gibt 
Gott  den  Leib  dem  Mohammedaner,  dann  kommt  der  kleine  Christ 
um  den  seinen,  und  umgekehrt.  Würde  aber  Gott,  um  dieser 
Ungerechtigkeit  zu  entgehen,  Materie  nacherschaffeu,  um  den 
fehlenden  Leib  zu  ersetzen,  so  entstehen  andere  Schwierigkeiten. 
Da  Seele  und  Leib  untrennbar  zusammengehören,  um  ein  Indi- 
viduum zu  bilden,  so  steckt  entweder  eine  unschuldige  Seele  (des 
Christen)  in  einem  verdammten  Leibe  (des  Mohammedaners)  oder 
umgekehrt,  und  Gott  mag  es  anfangen  wie  er  will,  mit  Hölle 
oder  Paradies,  er  trifft  nie  das  richtige  und  mufs,  wenn  er  ge- 
recht (equitable)  sein  will,  das  nämliche  Individuum  ewig  verdam- 
men und  erlösen. 

Cyrano  wendet  gegen  diese  sophistischen  Argumente  das 
untrügliche  Wort  Gottes  ein,  worauf  der  Jüngling  höhnisch  re- 
pliziert: vorerst  mülste  das  Dasein  Gottes  bewiesen  sein.  In  der 
hitzigen  Diskussion  über  diese  neue  Streitfrage  wendet  der  Libertin 


394  Cyrano  de  Bergerac. 

gegen  das  utilitarische  Argument  Cyranos,  dafs  man  mit  der  An- 
nahme eines  Gottes  sich  jedenfalls  nicht  schlechter  stelle  als  ohne 
diese,  kecklich  ein:  Doch;  denn  wenn  es  keinen  Gott  gibt,  so 
stehen  du  und  ich  uns  allein  gegenüber;  wenn  es  aber  einen  gibt, 
so  kann  ich  ihn  durch  meinen  Unglauben  nicht  beleidigt  haben, 
sowenig  wie  ein  Weiser  sich  durch  den  unbeabsichtigten  An- 
stols  eines  betrunkenen  Lumpensammlers  (crocheteur)  gekränkt 
fühlen  wird.  Denn  Gott  selbst,  wenn  es  einen  gibt,  hat  uns  die 
sicheren  Mittel,  ihn  zu  erkennen,  verweigert.  Anzunehmen  aber, 
dafs  er  mit  uns  und  unserem  Glauben  nur  Verstecken  spielt 
{faire  toutoii  le  voila),  hieise  einen  Gott  sich  schaffen,  der  ent- 
weder dumm  oder  boshaft  wäre. 

Durch  diese  diabolischen  und  lächerlichen  Meinungen  wird 
Cyrano  veranlafst,  sich  seinen  Gegner  näher  anzusehen,  und  er 
entdeckt  zu  seinem  Entsetzen  in  ihm  die  Züge  eines  gefallenen 
Engels  {reprouue  de  cette  vie)  und  vielleicht  sogar  des  Antichrists. 
Dennoch  gibt  er  die  Bekehrung  nicht  auf,  sondern  sucht  den 
Unglücklichen,  der  ihm  immer  noch  sympathisch  ist,  durch 
Drohungen  und  Verwünschungen  einzuschüchtern.  Dieser  ist  im 
Begriff,  mit  einer  Blasphemie  zu  antworten,  als  an  die  Türe  ge- 
klopft wird  und  ein  grofser,  schwarzer,  haariger  Mann  ins  Zimmer 
tritt,  den  Frevler  um  den  Leib  fafst  und  ihn  durch  den  Kamin 
entführt.  Erschrocken  klammert  sich  Cyrano  an  den  Unglück- 
lichen an,  um  ihn  zu  retten,  beide  werden  so  von  dem  Schwarzen 
davongetragen,  viele  Tage  lang,  ohne  dals  Cyrano  weifs,  wohin 
die  Reise  geht.  Dann  erkennt  er,  dafs  er  sich  der  Erde  nähert. 
Schon  kann  er  die  Erdteile  unterscheiden,  bei  gröfserer  Nähe 
aber  wegen  der  Krümmung  der  Erde  nicht  mehr  als  Italien  über- 
sehen. Da  kommt  ihm  die  Furcht,  dafs  der  Teufel,  der  offen- 
bar ihr  Gefährt  {voiture)  ist,  den  Ungläubigen  durch  die  Erde 
zur  Hölle  führe.  Der  Anblick  eines  feuerspeienden  Berges,  den 
sie  beinahe  berühren,  läfst  ihn  Jesus  Maria!  rufen,  und  im  näch- 
sten Augenblick  befindet  er  sich  im  Heidekraut  auf  der  Spitze 
eines  kleinen  Hügels,  umgeben  von  Hirten,  welche  die  Litaneien 
rezitieren  und  italienisch  zu  ihm  sprechen.  Nachdem  er  sich  mit 
einiger  Mühe  überzeugt  hat,  dafs  er  wirklich  auf  der  Erde  ist, 
läfst  er  sich  von  den  Hirten  führen,  wohin  sie  wollen.  Als  er 
sich  den  Mauern  von  . . .  (hier  die  einzige  Lücke  im  Manuskript) 
nähert,  fallen  alle  Hunde  der  Stadt  über  ihn  her;  er  flüchtet  in 
ein  Haus,  wo  er  sich  verbarrikadiert,  aber  nach  einer  Viertel- 
stunde vernimmt  er  einen  wahren  Sabbat  aller  Hunde  des  König- 
reiches, die  vor  dem  Hause  entsetzlich  heulen,  wie  wenn  sie  den 
Jahrestag  (anniversaire)  ihres  ersten  Adam  feierten.  Da  die  Hunde 
offenbar  den  Mondgeruch  an  ihm  wittern,  so  reinigt  er  sich  durch 
ein  mehrstündiges  Sonnenbad  auf  der  Terrasse  des  Hauses,  worauf 
ihn  die  Hunde  beim  Heraustreten  in  Ruhe  lassen. 


Cyrano  de  Bergerac.  395 

Er  erkundigt  sich  im  Hafen,  wann  das  nächste  Schiff  nach 
Frankreich  abgehe,  und  als  er  sich  eingeschifft  hat,  denkt  er  auf 
der  Fahrt  an  nichts  als  die  seltsamen  Abenteuer  seiner  Reise. 
Er  bewundert  die  Vorsehung  Gottes,  welche  die  Gottesleugner 
im  Monde  an  einen  Ort  verwiesen  hat,  wo  sie  die  von  ihm  Aus- 
erwählten nicht  verführen  können,  und  wo  sie,  ihrer  eitlen  Selbst- 
überhebung preisgegeben,  ohne  Kenntnis  des  Evangeliums,  um 
so  sicherer  ihrer  Strafe  in  der  anderen  Welt  entgegensehen. 

Diesen  originalen  Schlul's  hat  nun  Le  Bret,  der  auch  die 
Schlufsgespräche  im  Monde  nur  verstümmelt  und  unverständlich 
wiedergibt,  zu  folgender  Erzählung  umgemodelt: 

Cyrano,  durch  die  Blasphemien  des  jungen  Mannes  erschreckt, 
bricht  das  gefährliche  Gespräch  ab.  Er  sehnt  sich  nach  der  Erde 
zurück,  erhält  auch  Urlaub  auf  den  Schwur  hin,  dort  seine  Er- 
lebnisse im  Monde  zu  erzählen.  Von  der  Hofdame  ist  nicht 
weiter  die  Rede.  Nachdem  Cyrano  dem  Dämon  als  Ziel  der 
Fahrt  Rom  angegeben  und  sie  beschlossen  haben,  nicht  auf  die 
Maschine  des  Mathematikers  zu  warten,  der  viel  verspricht  und 
nichts  hält,  wird  er  von  dem  Dämon  wie  ein  Wirbelwind  {tow- 
hillon)  in  anderthalb  Tagen  zur  Erde  getragen.  Von  den  Aus- 
dünstungen eines  Vulkans  halb  erstickt,  wird  er  von  einigen 
Hirten  gefunden  und  in  ein  Landhaus  gebracht,  wo  er  sich  durch 
ein  Sonnenbad  auf  einer  Terrasse  von  dem  Mondgeruch  reinigt, 
wegen  dessen  ihn  alle  Hunde  anbellen.  In  Rom  bleibt  er  vier- 
zehn Tage  bei  seinem  Vetter  Monsieur  de  Cyrano,  der  ihn  mit 
Geld  versieht,  und  begibt  sich  dann  nach  Civitavecchia.  Auf 
einer  Galeere  fährt  er  nach  Marseille.  Unterwegs  arbeitet  er  an 
seinen  Memoiren  und  hat  sie  seitdem  so  weit  in  Ordnung  ge- 
bracht, als  es  ihm  seine  Krankheit  erlaubt.  Aber  da  er  sein 
frühes  Ende  voraussieht,  so  hat  er  seinen  Freund  Le  Bret  ge- 
beten, die  dem  Rate  im  Monde  versprochene  Arbeit,  sowie  die 
Geschichte  der  Republik  der  Sonne,  die  des  Funkens  und  einige 
andere  Schriften  gleicher  Art  herauszugeben,  wenn  die,  welche 
sie  uns  gestohlen  haben,  sie  ihm  zurückgeben,  warum  er  sie  von 
Herzen  bittet. 

Aus  dem  Vorhergehenden  lassen  sich  meines  Erachtens  zwei 
evidente  Schlüsse  ziehen: 

Erstens:  Im  Jahre  1650,  als  M.  Le  Royer  de  Prade  (siehe 
Bd.  CXm,  S.  ^68  und  oben  S.  371)  und  der  Abb6  de  Marolles 
(s.  oben  S.  120  und  371)  die  Reise  nach  dem  Mond  im  Manu- 
skript sahen,  war  ihre  Form  die  im  Ms.  No.  4588  uns  heute 
noch  vorliegende.  Als  Fortsetzung,  ohne  eigentliche  Unterbrechung, 
war  die  Reise  nach  der  Sonne  gedacht  und  bereits  begonnen  in 
einem  Manuskript,  das  während  Cyranos  Krankheit  gestohlen 
wurde  und  erst  1662  wieder  zum  Vorschein  kam,  worauf  es  zur 
Herstellung  der  ersten  Ausgabe   der  Reise  nach  der  Sonne   be- 


896  Cyrano  de  Bergerac. 

nützt  wurde,  mit  geringen  Änderungen,  wie  es  scheint,  und  ohne 
den  Schlufs,  der  wohl  überhaupt  nicht  vorlag,  sowenig  wie  der 
gröfste  Teil  des  traite  de  physique. 

Zweitens:  Die  Änderungen  in  der  von  Le  Bret  1659  heraus- 
gegebenen und  mit  einer  Vorrede  an  den  Leser  eingeleiteten 
ersten  Ausgabe  der  Reise  nach  dem  Monde  sind  alle,  mit  Aus- 
nahme der  durch  Druckfehler  und  Versehen  später  hinzugekom- 
menen Verderbnisse,  das  Werk  Le  Brets,  welcher  das  Manuskript 
für  den  Druck  revidierte.  Ob  diese  Revision  noch  zu  Cyranos 
Lebzeiten  und  mit  seinem  Einverständnis  für  jede  Einzelheit  ge- 
schah, wissen  wir  nicht,  und  ich  möchte  es  bezweifeln.  Die  Ände- 
rungen betreffen  sowohl  die  Form  als  auch  den  Inhalt.  In 
ersterer  Beziehung  wurden  die  Eigentümlichkeiten  von  Cyranos 
Grammatik  und  Stil  den  neuen  Regeln  der  Akademie  etwas  an- 
geglichen, zum  Glück  nicht  so,  dals  alle  Sprachkühnheiten,  die 
an  Rabelais'  und  Montaignes  Meisterschaft  erinnern,  und  die  wohl 
eine  besondere  Behandlung  verdienten,  verschwanden.  In  sach- 
licher Beziehung  wurde  massenhaft  weggeschnitten,  was  bei  den 
Frommen  oder  den  Prüden  Ärgernis  erregt  hatte  und  den  schlim- 
men Ruf  Cyranos  als  Freigeist  und  Wüstling  zu  rechtfertigen 
schien.  Dafs  Cyrano  bei  Lebzeiten  üblen  Nachreden,  selbst  Ver- 
folgungen wegen  Häresie  und  Unmoral  ausgesetzt  war,  geht  aus 
Stellen  in  seinen  Werken,  in  Le  Brets  Vorrede  und  Briefen  und 
aus  der  Vorrede  zur  Reise  in  die  Sonne  hervor.  Ja,  er  selbst 
hatte  in  seinem  Manuskript,  namentlich  in  dem  Schlufs,  wo  der 
Teufel  den  Atheisten  des  Mondes  holt  usw.,  darauf  Bedacht  ge- 
nommen, sich  in  dieser  Beziehung  zu  diskulpieren.  Aber  dem 
Chanoine  du  Ghapitre  Cathedrale  de  Montauban  schien  das  —  viel- 
leicht nicht  ohne  Grund  —  nicht  hinlänglich,  und  so  ging  er  in 
der  Reinigung  des  Textes  weiter.  Auch  die  Namen  der  ersten 
Beamten  in  Kanada  hat  er  aus  Vorsicht  weggelassen,  dagegen 
in  Eingang  und  Schlufs  Kameraden  und  Verwandte  seines  Freun- 
des, die  sich  um  denselben  verdient  gemacht  hatten,  ehrenhalber 
erwähnt.  Der  Zusatz  wegen  der  Manuskripte  am  Schlufs  und 
die  entsprechende  Änderung  im  Text  (s.  oben  S.  390)  verfolgen 
den  Zweck,  das  Gestohlene  wiederzugewinnen.  Die  Beweggründe 
Le  Brets  sind  durchaus  ehrenwert,  können  uns  aber  heutzutage 
nicht  abhalten,  Cyrano  wiederzugeben,  was  Cyranos  ist. 

Bern.  H.  Dübi. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Note  sulla  fortuna 

del 

Boccaccio  in  Ispagna  nelPEtä  Media.  ^ 


. . .  tous  ses  livres  sont  de  vertu  droit  ymaige, 
A  vertu  fönt  chemin,  de  mal  fönt  devoyer; 
Tel  auteur  adonc  doit  avoir  ou  ciel  partage. 

( Vers  faiz  a  la  louenge  de  Jehan  Bocace  par 
Laurens  de  Premierfait.  Vedi  Hauvette,  De 
Laurentio  de  Primo/ato,   Paris  1903,  p.  26.) 

No  trae  sentencia,  de  donde  no  mana 
Loable  a  su  auctor  y  eterna  memoria 
AI  quäl  Jesucristo  resciba  en  su  gloria 
Per  su  passion  santa,  que  ä  todos  nos  sana. 
(Celestina,  El  Autor.) 

A  giudizio  del  Gallardo,  lettor  prodigioso,  attento  e  sagace, 
il  verbo  'novelar'  appare  usato  la  prima  volta  in  Ispagna  nella 
versione  quattrocentista  del  Centonovelle.^  Tardi  appresero  gli 
Spagnuoli  a  novellare  boccaccescamente;  tardi  videro  nell'opera 
maggiore  del  Certaldese  la  rivelazione  piü  spontanea  e  naturale 
del  suo  genio,  e  riconobbero  l'originalitä  sua  vera,  il  suo  mondo 
di  idee  e  di  sentimenti;  un  mondo  fragile,  festoso,  gioviale,  dis- 
posto    al   gaudio   piü   che   alla  riflessione   incresciosa,    con   piü 


*  Piü  utili  e  inen  frammentarie  sarebbero  riuscite  queste  mie  note,  se, 
ad  Innsbruck,  dove  le  scrissi,  in  tempi  procellosi,  e  in  mezzo  a  incivilissimi 
conflitti,  meno  s^omentevole  fosse  la  penuria  di  libri,  piü  agevole  la  co- 
municazione  cogli  amici  e  colleghi  lontani.  Un  capitolo:  Äppunti  sulla 
fortuna  del  Corbaccio  in  Ispagna  nelV  Etä  Media  apparve  nel  volume  di 
onoranze  ad  Adolfo  Mussaf ia ;  qui  accennava  ad  uno  studio  ampio  e  d'im- 
minente  pubblicazione  sul  Boccaccio  in  Ispagna  di  Miss  Carolina  Bour- 
land  (allieva  dell'egregio  De  Haan,  come  a  me  fu  detto),  la  quäle,  piü  di  me 
fortunata,  potfe  soggiornare  gran  tempo  in  Ispagna,  a  Madrid,  a  Barcellona 
ed  altrove,  vide,  lasse  e  trasci^isse  manoscritti  e  stampe,  irreperibili,  inabor- 
dabili  a  me,  perduto  nelle  tenebre  di  lontanissima  terra.  E  dalle  bibliotecbe 
di  Monaco  e  di  Vienna  ch'io  potei  ottenere  qualche  notizia  di  pregio  ed 
agli  amici  e  dotti  uomini  che  lassü  mi  sovvennero,  mando  io  qui  l'espressione 
della  mia  viva  gratitudine. 

^  'conto  Boccacio',  scrive  Gomez  Manrique  nel  Planto  de  las  Virtudes 
e  Poesia,  accennando  alle  famosissime  Caydas  (CanQ.  de  0.  M.  II  57).  'Co- 
mengö  ä  narrar\  'Fahlavan  novellas\  cosi  il  Marchese  di  Santillana  nella 
Comedieta  de  Pon^a  {Ohras,  p.  105.  115). 


398      Note  suUa  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

radici  nella  madre  terra  che  in  cielo,  piü  preoccupato  della 
carne  maledetta  che  dello  spirito  acceso  in  l3io,  piü  inchne  ai 
diletti  fugaci,  che  alle  cose  eterne.  Celle  chiavi  che  agli  uomini 
contemplativi  dell'Etä  Media  aprivano  le  porte  del  tempio  della 
Divinitä,  difficilmente  assai  riuscivasi  a  penetrare  nel  tempio 
della  terrena  beatitudine,  eretto  dal  Boccaccio  nel  Decameron. 
Ne  rimaser  fuori,  per  gran  tempo,  le  genti  Ispane,  e  preferirono 
foggiarsi,  a  somiglianza  de'  fratelli  di  Francia,  un  Boccaccio,  sa- 
piente  come  Salomone,  austero  come  Catone,  eloquente  come 
Cicerone,  quäle  poteva  apparire  dalla  superficie  de'  suoi  trattati 
morali;  preferirono  incamniinarsi  con  cotal  guida  al  consegui- 
inento  del  sommo  bene,  drizzarsi  agli  eterni  lumi,  piuttosto  che 
rovinare  al  basso  nella  selva  del  peccato  o  del  vizio,  con  un 
Boccaccio,  derisore  de'  dogmi  santissimi,  delle  santissime  reliquie 
e  de'  miracoli,  che,  sulla  via  di  Paradiso,  poneva  mille  demoni 
e  folletti  tentatori.  Per  la  salute  dell'  anima  de'  dotti  e  candi- 
dati  del  cielo  fu  questo  un  bene  incontestabile;  fu  un  male  per 
l'arte,  stentata,  fredda  e  anemica,  quando  vive  di  soli  succhi 
morali  e  di  pure  astrazioni,  ignara  degli  Inferni  e  degli  Elisei 
Campi,  a  cui  l'anima  s'avvia. 

Gli  Spagnuoli  ebbero  troppo  impacciata  l'arte,  correndo 
dietro,  con  ostinazione  vera,  alle  visioni,  a' sogni,  alle  allegorie; 
ingombrando  e  mortificando  il  fantasma  Creatore  con  scolastiche 
Pedanterie  ed  astruserie.  Per  guadagnare  prestamente  il  cielo, 
vagaron  prr  le  nuvole,  perdettero  alquanto  del  loro  buon  naturale, 
ci  diedero  a  sazieta  trionfi  e  tempi  e  nobih  castelli  e  palagi  e 
limbi  e  giardini  d'onore  e  d'amore,  e  avrebber  potuto  darci,  assai 
presto,  con  sincerita  d'ispirazione,  qualcosa  come  il  dramma  umano 
della  Celestina.  Ostinatamente  doveva  apparire  il  Boccaccio  agli 
Spagnuoli,  tacciati  un  tempo  dal  Certaldese  come  'semibarbari 
et  efferati'  ^  nell'  abito  di  erudito  e  di  gran  dottore,  indossato, 
anche  per  coprire  quel  tanto  di  leggero  e  di  profane  ch'era  in 
lui  e  fugare  il  ricordo  de'  falli  funesti  di  gioventü.  La  sostanza 
era  tutta  nell'  apparenza.  Eppure,  fuor  de'  viluppi  della  sua 
toga  veneranda,  il  Boccaccio,  efficacissimo  pittore  della  societa 
in  cui  viveva,  motteggiatore  faceto  e  arguto,  prontissimo  nella 
percezione  del  comico,  era  piü  che  altri  mai  atto  a  rivelare  agli 
Spagnuoh,  ciechi  per  volontä  propria,  le  qualitä  loro  artistiche 
predominanti,  che  non  consistono  giä,  come  alcuni  ancor  vor- 
rebbero,  negli  icari  voli  alle  altissime  sfere  d'uii  ideale  irraggiungi- 
bile,  nella  visione  estatica,  e  neppure  nella  rappresentazione  delle 

^  Come  l'ingiuria,  lanciata  nella  lettera  a  Mainardo,  fosse  dagli  Spagnuoli 
parafrasata  nella  tradiizione,  puö  vedersi  nel  bell'  Operone  dell'  Hortis,  Studi 
sulle  opere  latine  del  Boccaccio,  Trieste  1879,  p.  846:  'en  algun  tiempo  los 
de  ciertas  comarcas  del  mundo  fueron  tenidos  poco  menos  que  bestias:  y 
Uamados  barbaros'. 


Note  siiUa  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      399 

lotte  tragiche,  violenti  e  crude  nel  ciior  delF  uomo,  ma,  se  io 
veramente  non  m'inganno,  nella  destra  e  penetrante  e  lumi- 
nosa  visioiie  del  reale  e  del  naturale,  nel  niotteggiare  e  novel- 
lare  pronto  ed  arguto,  con  abbondanza  di  vena  comica,  con 
sapor  di  terra,  piü  che  di  cielo,  col  buon  senso  divino  di  Sancho. 

*  * 

* 

Non  appare  adunque  il  Boccaccio  fra  il  tripudio  e  le  risa 
bonarie  de'  personaggi  della  sua  gran  Commedia,  raa  in  tutta 
la  gravitä  ostentata  degli  scritti  di  scienza  e  di  morale,  mesco- 
lato  al  corteo  solenne  de'  saggi,  de'  filosofi,  a'  quali  non  fuggon 
di  bocca  che  parole  d'oro^  sentenze  memorande.  A  raccoglier 
queste  parole  e  sentenze,  ed  a  far  ghirlande  di  fiori  di  virtü, 
molti  attendono,  nel  basso  '300  e  nel  '400;  molti  sentono  il' 
prurito,  la  febbre  dell'  erudizione.  Un  nome  solo  de'  grandi  an- 
tichi  che  si  veggon  risorgere,  quante  meniorie  destava,  quäl  fiam- 
ma  d'entusiasmo  accendeva  ne'petti!  II  Boccaccio,  di  tali  nomi 
n'avea  pur  iiifilzati  a  dovizia  nell'opere  sue,  sfrondando  le  storie; 
aveva  prodigati  gli  esempi,  tratti  dalla  vita,  dai  r^asi  degli  illustri 
di  Ellade  e  di  Roma.  Come  a'  graiidi  antichi,  anche  a  lui  gli 
SpagMuoli  s'inchinano;  lo  reputano  un' arca  di  scienza;  trovano 
in  lui,  quello  che  il  Boccaccio  trovava  in  Solone  (Vita  di  Dante 
ed.  Rostagno,  Bologna  1899,  p.  3)  *il  cui  petto  uno  uniano  tempio 
di  divina  sapienza  fu  reputato';  traduce  il  Boccaccio,  chi  da 
Seneca  e  da  Cicerone  traduce;  si  con  sola  col  Boccaccio  e  le  sue 
esortatorie,  chi  dall'  aureo  libro  di  Boezio  trae  consigho  e  con- 
forto  agli  affanni  in  vita. 

Vero  e  che  il  Boccaccio,  oltre  ogni  sua  speranza,  era  ac- 
clamato  poeta';  *poeta  excellente  e  orador  insine',  lo  chiama  il 
Marchese  di  Santillana,  nel  Proemio  al  'condestavel'  Don  Pedro 
de  Portugal;  superiore  a  qualsiasi  poeta,  e  detto  da  Eleonora 
nella  Comedieta  de  Ponga  (*yo  non  entiendo  |  que  otro  poeta 
ä  ti  se  igual6')2;  quäl  *soberan  poeta  laureat'  l'esalta  Narcis  Franch, 
traducendo  il  Corhaccio;  'poeta  laureado'  lo  titola,  pur  gratuita- 
mente,  il  traduttore  del  De  los  montes  e  rios  e  selvas;  di  *verde 
lauro'  coronavalo  il  Santillana,  d'altronde,  nella  Comedieta,  con- 
fondendolo   col  Petrarca,    cinto  d'alloro  in  Campidoglio,   o,   piü 

'  'yo  no  soy  poeta  |  ni  tanta  locura  en  mi  esta  |  que  yo  no  tengo  que 
lo  soy  I  mas  desso  yo  querria  lo  ser  y  es  verdad  que  lo  desseo  |  y  todo  mi 
estudio  y  trabajo  es  de  lo  alcan5ar',  cosi  nella  versione  castigliana  del  De 
Casibus,  Lib.  III,  cap.  XIV,  f.  LI  dell'ediz.  di  Toledo  1511,  ch'io  potei  cousul- 
tare  (Cowo  el  autor  se  escusa  y  loa  la  poesia  y  la  rethorica  manera  del  hahlar). 

^  'poeta  moderno,'  'poeta  florentin',  nelle  chiose  ai  Proverbios  (Obras, 
p.  69.  78);  'poeta'  chiama  pure  il  Boccaccio  Mossen  Diego  de  Valera  nel 
Tratado  en  deffension  de  las  mugeres;  'trobador'  lo  titola  Francesch  Farrer 
nel  Conort.  —  Qual  'poet  excellent'  appariva  il  Boccaccio  al  traduttore 
seozzese  del  T)e  Casibtis,  Jobn  Lydgate;  'tres  faconde  poete'  h  detto  nella 
traduzione  francese  delle  questioni  d'amore  del  Filocolo. 


400      Note  suUa  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  neU'Etä  Media. 

probabilmente  assai,  seguendo  una  leggenda,  accolta  e  divulgata 
anche  in  Francia.*  AI  'grant  poeta  de  Florencia'  s'inchina  il 
traduttore  anonimo  del  Decameron ;  ma,  poesia  era  allora  scienza, 
esposta  con  belle  ed  utili  fizioni;  scienza  *gaya',  leggiadramente 
avvolta  nel  velo  dell'  allegoria,  erano  l'opere  adorne  di  *fermosas 
e  pelegrinas  estorias'.  Come  autore  di  prose  *de  grand  eloqüen- 
cia,  a  la  manera  del  Boegio  consolatorio'  {Proemio  del  Santil- 
lana),  il  Boccaccio  godeva  stima  universale  nel  inondo  de'  sa- 
pienti.  II  De  Casibus,  il  De  mulierihus  claris  erano,  come  i 
trattati  di  Seneca,  di  Boezio^,  di  Valerio,  nelle  mani  di  tutti  i 
compilatori  e  trascrittori,  e  fornivano,  in  gran  copia,  il  materiale 
caotico,  scientifico,  dottrinario,  de'  libri  e  compendi  di  storia, 
di  filosofia  e  di  morale;  precetti  di  saggezza,  le  'rahons  totes 
philosophicals',  vantate  da  un  traduttore  catalano  del  De  Con- 
solatio  Boeziano;^  nutrivano  le  Enciclopedie,  i  Fiori  di  sentenze, 
che  dilagarono  fino  a  Rinascimento  inoltrato.  Dov'  era  maggior 
sfoggio  di  erudizione,  maggior  aifastellamento  di  nomi  e  di  titoli, 
dove  piü  fiorito  e  pomposo  appariva  il  discorso,  piü  alacre  face- 
vasi  il  lavorio  del  trascrittore ;  piü  profondi  eran  gli  inchini  al 
grande  maestro, 

Non  era  scienza  che  non  cbiarisse  il  Boccaccio  co'  suoi  lumi 
e  la  dottrina.  I  suoi  trattati  abbracciavano  l'umano  scibile;  in- 
segnavano,  oltre  la  morale,  la  storia  e  la  retorica,  anche  la 
mitologia  e  la  geografia.  Di  lui,  piü  d'uno  avrä  pensato,  quanto 
Fernän  Perez  de  Guzmän  scrisse  del  suo  Seneca,  il  vescovo  de 
Burgos,  Don  Alonso  de  Cartagena,  ammiratore  e  traduttore  del 


*  Quam  meruit  vivens  laurum  post  fata  recepit, 

Si  qua  deis  pietas  et  merces  aequa  labori. 
Cosi  un  carme  latino  del  Premierfait  al  Boccaccio,  ricordato  da  H.  Hau- 
vette,  De  Laurentio  de  Primofato,  qui  primus  Joannis  Boccacii  opera  quae- 
dam  gallice  transtulit  ineunte  seculo  XV,  Paris  1903,  p.  23.  Coronavalo 
giä  il  Petrarca  nella  lettera  all'amico  diletto  {Epist.  fam.  XVII)  'An 
forte  quia  nondum  Poenia  fronde  redimitus  sis,  poeta  esse  non  potes? 
An  si  laurus  uUa  usquam  esset  Musae  omnes  conticescerent?  'Laureato 
cittadino  Fiorentino'  e  detto  il  Boccaccio,  in  fine  del  codice  del  Filostrato, 
posseduto  dal  Santillana,  amantissimo  delle  'estorias'  de'  'laiireados  ^  sacros 
poetas'  {Obras  139).  Anche  a  Dante,  gli  Spagnuoli,  generosi,  accordarono 
la  poetica  laurea:  'sagrado  poeta  myrifico  laureado  Dante  florentin,  de 
memoria  esclarecidamente  perpetua',  ^^  detto  il  sacro  vate  nelle  chiose  al 
Purgatorio  di  Martin  Gonzalez  de  Lucena. 

^  II  'condestavel'  Don  Pedro  de  Portugal  santificava  Boe9io  nella  Tra- 
gedia de  la  ynsigne  Reyna  Dona  Isabel  ('el  sancto  Boe§io';  Homeiiaje  ä 
Menendez  y  Pelayo  I  703).  Su  Seneca,  grandissimo  dispensatore  di  pre- 
cetti in  tutta  l'Etä  Media,  i  Portoghesi  si  foggiarono,  sembra,  la  |3arola 
sengo,  senego.  Vedi  C.  Michaelis  de  Vasconcellos,  Port.  Etymol.  in  Zeitsehr. 
f.  rorn.  Phil.  VII  102  sgg.  Duarte  Nunes  de  Leao  indicava,  giä  nel  '500, 
quest'  etimologia;  pur  non  sarebbe  da  escludersi  un  senicus  da  senis. 

^  Vedi  la  dedica  del  Libre  de  Consolacio  de  Philosophia  'transladat  en 
romanj  catalanesch',  stampato  dall'Aguilö  nella  Bibl.  catal.,  Barcelona  1877. 


Note  sulla  fortiina  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      401 

Boccaccio,  uscirgli  cioe  di  bocca,  come  da  fönte  perenne:  *la 
moral  sabiduria,  |  las  leyes  y  los  decretos,  |  los  naturales  secre- 
tos  I  del  alta  pbilosophia,  |  la  sacra  theologia,  |  la  dulce  arte 
oratoria,  |  toda  verissima  bistoria,  |  toda  sotil  poesia'.  Verl 
detrattori  il  Boccaccio  non  ne  ebbe,  e  quei  pochissimi  che  gli 
mosser  rampogna  erano  difeusori  a  tutt'  oltranza  delF  onor  fem- 
minile;  paladini  di  tutte  le  Dulcinee,  vedevano  a  malincuore 
macchiate  tante  belle  e  sagge  scritture,  guasta  la  'fama  loable', 
coi  vituperi  follemente  lanciati  nel  Corhaccio.  Non  fu  torto  mai 
al  Boccaccio  un  capello  per  la  sua  leggerezza  e  spensieratezza; 
non  si  dubitö  mai  della  sinceritä  e  profonditä  della  fede  nel  cuor 
deir  uomo,  che  tanti  morali  e  cristiani  insegnamenti  impartiva, 
svegliava  le  genti  dal  mortal  sonno  e  mostrava  instancabile  la 
fallacia  e  inanitä  delle  mondäne  cose,  il  mutar  perenne  di  for- 
tuna.  Chiedevasi  il  Boccaccio  nel  proemio  del  De  Casihus: 
*Qual  cosa  piü  piena  di  carita  puö  essere  al  ben  vivere  de'  mor- 
tali  e  all'  eterna  salvazione  piü  utile,  che  ridurre,  potendo,  a 
dritto  cammino  quelli  che  fallano?'*  La  rehgione  a  fior  di  pelle 
non  poteva  esser  giudicata  allora  superstizione,  bisogno  di  tran- 
quilHzzar  la  coscienza,  mettendola  d'accordo  con  Dio,  e  facendosi 
un'agevol  scala  fra  terra  e  cielo.  Se  giä  quel  cattivo  di  Ser 
Ciappelletto  era  santificato,  figuratevi  quäle  onore,  quäl  beati- 
ficazione  dovessero  le  devote  genti  serbare  al  Boccaccio! 

Tra  i  piii  intinti  di  scienza  boccaccesca  e  piü  zelanti  nel 
tradurre,  nell'imitare,  nell' assimilare  le  opere  latine  del  Boccaccio, 
troviamo  nella  Spagna  medievale:  frati,  monsignori,  teologi, 
canonici,  arcipreti,  vescovi,  ai  quali  non  passava  neppur  per  la 
mente  che  il  Boccaccio  potesse  essere  di  pregiudizio  alla  Chiesa, 
e  facesse  serpeggiare  nell'  animo  de'  fedeli  il  veleno  della  incre- 
dulitä  e  deir  indifferenza.  Tutto  era  scritto,  per  diletto  ed  am- 
maestramento,  a  fin  di  bene,  per  stimolare  alla  virtü  e  bandire 
il  vizio.  Nel  Corhaccio  medesimo,  vedevasi  un  trattato  di  morale, 
in  cui  echeggiava  solenne  il  gran  memento  ai  perduti  dietro 
le  femmine  rie,  una  satira  salutare,  che.  non  disdiceva  punto 
dalle  massime  sante  del  Catechismo  e  potevasi  leggere  con 
profitto,  come  leggevansi  gh  scritti  del  Cavalca,  del  Passavanti, 
di  Jacopone  da  Todi,  di  Santa  Caterina.  Quel  lusso  di  eru- 
dizione,  la  pompa,  lo  sfarzo  delle  frasi,  ch'  eran  nell'  opere  del 
Boccaccio,  seduceva,  abbagliava  gli  uomini  di  chiesa,  creduti  pur 
sempre  i  piü  colti  ed  intelligenti.    L'umanesimo  in  Ispagna  non 

*  E  il  traduttore  castigliano  {Gay das,  ed.  Toledo  1511,  cap.  I,  lib.  II): 
'Empero  que  cosa  piiede  ser  mas  santa  ni  mas  leal  que  poner  hombre  todas 
las  fueryas  si  pudiere  alcan§ar  a  ser  emendada  por  et  alguna  soltura  de 
la  vida  desordenada  |  y  los  que  yerrau  puedan  ser  traydos  a  mejor  carrera : 
y  los  sonolientos  y  adormidos  en  yerros  y  en  pecados  pue(n)dan  ser  cor- 
regidos  y  tornados  virtuosos.' 

Arthiv  f.  u.  Sprachen.     CXIV.  26 


402      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

era  in  lotta  alcuna  con  Dio  e  co'Santi;  si  rappattumava  cou 
essi,  senza  fatica,  senz'  astio  e  cruccio.  L'Olimpo  de'  Pagani  viveva 
allegramente  e  pacificamente  accanto  al  Paradiso  de'  Cristiani. 
II  pensiero  antico  e  tratto  a  reggere  ed  a  fortificare  il  pensiero 
raoderno.  I  miraggi  del  mondo,  le  scale  di  contemplazione  e  di 
Paradiso,  gli  Espejos  del  alma,  gli  orti  e  giardini  di  consolacion 
de  las  almas  rigurgitano  di  saggi  precetti  per  rettamente  vivere, 
tolti  a'  magnifici  e  gloriosi  dottori  antichi.^  Che  il  Boccaccio 
andasse  ad  attingere  dal  gran  fondo  del  sapere  antico  tanta 
roba  erudita,  tante  norme  di  saggezza  e  virtü,  e  profondesse, 
negli  scritti,  gli  esempi  di  vita  di  tempi  gloriosi  e  illustri,  a  bene- 
ficio  d'ognuno,  era  inestimabil  fortuna  pei  dotti,  che  vedevan 
risparmiata  ad  essi  tanta  fatica  di  compilare  e  di  estrarre.  *Quae 
quis  quaeso  pro  munere,  seu  saltem  parum  fructuoso  labore, 
veht  exquirere,  et  tot  volumina  volvere,  legere  et  hinc  inde  ex- 
cerpere  perpauca?'  cosi  il  Boccaccio,  nella  lettera  proemiale  al 
De  Genealogiis  Deorum  gentilium,  ben  prevedendo  la  pratica 
utilitä  deir  opere  sue. 

Giä  sul  finire  del  '300,  i  trattati  del  Boccaccio,  cosi  provvi- 
denziali  ai  cervelli  enciclopedici  di  un'  etä  ancor  caotica,  trovauo 
facile  cammino  in  Ispagna,  dove  coi  militi,  i  mercanti,  il  corteo 
de'  principi,  che  nel  bei  paese  s'eran  fatta  un'  appendice  di  regno, 
fönte  di  guai,  passano  i  frutti  della  coltura  d'Italia,  passano  i 
codici,  passano  i  poemi  e  le  storie,  passa  la  scienza  vecchia  e 
nuova,  immagazzinata  ne'  libri.^  Non  sappiamo  bene  se  gli  Spa- 
gnuoli  conoscessero  prima  le  opere  moralizzanti  del  Petrarca,  o 
quelle  del  Boccaccio,  ma  e  lecito  supporre  che,  il  De  Remediis, 
assai  presto  divulgato  e  diffuso  nel  Settentrione  e  nel  Mezzodi 
della  penisola,  porgesse,  a'  dotti  e  a'  saggi,  utili  ammaestramenti, 
in  ogni  vicissitudine,  nell'  avversa  e  nella  buona  fortuna,  ad  un 
tempo  stesso,  del  De  Casihus.  Per  il  Boccaccio  s'era  tuttavia 
un  po'  piü  teneri  che  per  il  Petrarca.  La  scienza  del  Boccaccio 
era  di  piü  facile  accesso,  piü  gradita  della  dottrina  petrarchesca, 
e   gli  eruditi,   gli  umanisti  attingevano  ad  essa  instancabili.^    II 

*  'Et  ajuntö  rrasones  et  abtoridades  de  sanctos  et  de  sabios',  cosi  Pero 
Gomez  Barroso  nel  Libro  de  los  Consejos  et  Consejeros  (A.  de  los  Rios, 
Eist.  IV  9/.  —  Jeban  le  F^vre  ammoniva  nelle  Lamentations  de  Matheo- 
lus  II  V.  2678  sg.):  'Pour  ce,  qui  veult  a  droit  plaidier,  |  d'exemples  se 
convient  aidier.' 

^  'Las  obras  de  Petrarca  y  Boccaccio  . . .  empiezan  a  correr  de  mano 
en  mano  entre  principes,  obispos,  maestros  y  pröceres  yä  en  copias  del 
texto  original,  hermosas  muestras  de  la  caligrafia  4  iluminacion  del  primer 
Renacimiento/  cosi  il  Men^ndez  y  Pelayo  in  un  suo  'prologo'  della  Anto- 
logia  de  poetas  liricos  castellanos.    Vol.  IV,  p.  VI. 

^  Gli  elogi  che  il  Boccaccio  non  lesinava  mai  al  suo  grandissimo  amico, 
la  menzione  di  molte  opere  petrarchesche  nell' opere  sue  (il  De  Oenecd. 
rammenta  p.  es.  Vlnvectiva  in  medicum)  contribuivan  pure,  in  parte,  ad  ac- 
crescere  in  Ispagna  il  favore  accordato  ai  trattati  morali  del  Petrarca. 


Note  sulla  fortima  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      403 

Marchese  di  Santillana,  mecenate  intelligentissimo,  'perfetto  ama- 
dor  del  dulge  saber'  (Juan  de  Mena,  in  Ohras  de  Don  Inigo 
Lopez  de  Mendoza,  p.  317)  che,  finch'ebbe  vita,  raccolse  codici, 
li  fe  trascrivere  e  tradurre,  possedeva  una  coliezione  vistosa  di 
opere  boccaccesche ;  aveva,  tra'suoi  libri,  oltre  VAmorosa  Visione, 
VÄnieto,  il  Ninfale,  ia  Fiammetta,  il  FilostratOy  anche  la  Vita 
di  Dante,  allor  conosciuta  e  letta  da  pochissimi,  fuor  d'Italia.* 
In  molti  inventari  de'  libri,  posseduti  da  prenci  e  gran  signori 
e  dottori  e  poeti,  trovi  registrate  una  o  piü  opere  del  Boccaccio, 
tradotte,  o  nella  lingua  originale.  Figura  il  Boccaccio  tra  i  libri 
e  le  reliquie  del  Villena,^  del  'condestavel'  Don  Pedro  di  Porto- 
gallo  (No.  92:  ^Boccaccio  en  vulgär  castella  o  portugues'),  di 
Alvar  Garcia  de  Santa  Maria,  di  Gomez  Manrique,  del  conde 
de  Haro,  della  regina  cattolica  Dona  Isabel,  ^  del  duca  di  Cala- 
bria.*  Lo  zio  di  Alonso  de  Cartagena,  Alvar  Garcia  de  Santa 
Maria,  lagnavasi  di  un  Boccaccio  *que  tenia  en  latin  e  rroman- 
ceado  todo  de  pergamino*,  probabilmente  il  De  Casihus,  prestato 
in  buona  fede  ad  una  sua  parente,  e  non  piü  riavuto:  *prestelo 

*  Alla  cortesia  di  Mario  Schiff,  che,  da  piü  tempo,  e  con  grau  corredo 
di  dottrina,  attende  all' illustrazione  della  biolioteca  del  Santillana,  debbo 
una  conoscenza  dell'  opere  boccaccesche,  possedute  dal  Marchese,  piü  sicura 
di  quella  che  dalla  nota  biografia  di  A.  de  los  Rios  avrei  potuto  desumere. 

^  Ne'  precedenti  appunti  miei  sulla  fortuna  di  Dante  e  del  Petrarca  in 
Ispagna  dava  l'indicazione  dei  cataloghi  e  degli  inventari  del' 400,  omessa 
qui,  perch^  i  lettori  piü  non  ne  siano  infastiditi.  E  singolarissimo,  dicevo, 
cne  la  ricca  bibHoteca  di  re  Martin  (l'inventario  h  recentemente  pubblicato 
con  cura  e  integro  da  Massö  y  Torrents  nell'  Aven^)  nessuna  copia  registri 
deir  opere  dei  massimi  trecentisti  d'Italia.  Nessuna,  medesimamente,  figura 
nell'  Inventari  dels  libres  de  la  Senyora  Donna  Maria,  stampato  per  cura  di 
Velasco  j  Vignau  nella  Rev.  de  Arch.,  Bihl.  y  Mtis.  ant.  ser.  1872,  II  11  sg.  e, 
a  parte,  nella  Colecc.  de  docum.  histör.  No.  I.  Madrid  1872.  —  II  maestro 
de  Calatrava,  D.  Luis  Nunez  de  Guzman  avrä  posseduto,  pur  lui,  sicura- 
mente,  un  Boccaccio,  o  latino,  o  volgare. 

^  Particolarmente  ricca  di  opere  boccaccesche.  Vedi  VInventario  de  los 
libros  proprios  de  la  reina  Dona  Isabel,  pubblicato  dal  Clemencin  nel  noto 
Elogio  (Memor.  d.  la  R.  Acad.  de  la  Eist.  Vol.  VI.  Madrid  1821,  p.  461  sgg.), 
'Ubro  de  pliego  entero  de  niano  e  en  romance  en  papel,  que  se  dice  Juan 
Bocacio'  (Uon  questo  titolo,  che  pur  si  ripeteva  in  Francia :  'ung  livre  ap- 
pell^  Bocasse,'  intendevasi  generalmente  il  De  Casibtis,  l'opera  del  Boc- 
caccio piü  diffusa,  ma  il  Clemencin  avverte  in  nota:  'pudo  ser  la  obra 
De  claris  mtäieribus').  —  No.  149 :  'Otro  libro  . . .  que  se  llama  de  Juan 
Bocacio  de  la  Caida  de  los  Principes.^  —  No.  150:  *Otro  libro  en  romance 
de  mano  que  son  las  novelas  de  Juan  Bocacio,  con  unas  tablas  de  papel 
forradas  en  cuero  colorado.'  —  No.  151 :  'Otro  libro  de  pliego  entero  de 
pergamino  en  papel  de  romance  italiano  de  mano  que  se  aice  Frometa.^ 

'*  Vedi  l'inventario  dei  libri  che,  nel  1550,  il  duca  de  Calabria  legava  al 
monastero  di  San  Miguel  de  los  Heyes  di  Valencia,  in  Revista  de  Arch., 
Bibl.  y  Mus.  ant.  ser.  IV  7  sg.  Istruttivo  assai  h  l'atto  di  donazione  dei 
manoscritti  di  Filippo  II  all'  Escorial,  che  R.  Beer  pubblica,  con  illustrazioni 
scarse,  ma  opportune,  nello  Jahrb.  der  kunsthist.  Sammlungen  des  allerh. 
Kaiserh.  1903,  vedi  pp.  CVII.  CXIII  sg.  Vi  figuran,  fra  altre  opere 
boccaccesche,  cinque  esemplari  delle  Caydas. 

26* 


404      Note  siilla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

d  dona  Juana  de  Cartagena  mi  sobrina  e  non  lo  pude  cobrar 
della';^  segno  evidente  che  libri  siffatti  e  cosi  glorificati  non 
poltrivano  negli  scaffali. 

Tranne  forse  il  Commento  alla  Commedia  e  le  Egloglie, 
men  note,  fuor  d'Italia,  delle  Egloghe  Petrarchesche,  tutte  l'opere 
del  Boccaccio  eran  conosciute  in  Ispagna  nell'Etä  Media,  l'opere 
latine  maggiori,  piü  delle  volgari,  ben  s'intende,  quelle  di  edifica- 
zione  spirituale,  piü  delle  poetiche  e  ricreative.  I  letterati  bada- 
van  poco  a  spassarsela,  a  perder  tenipo  con  trastulli  di  fantasia; 
anche  i  piü  tediosi  e  prolissi  correvano,  o  s'immaginavan  correre, 
all'  acquisto  delle  cose  gravi,  utili  ed  eterne.  11  latino,  biasci- 
cato  da  tutti  gli  uomini  di  chiesa,  tipo  perfettissimo  di  favella, 
la  lingua  dei  dotti  per  eccellenza,  era  assai  piü  comunicabile 
e  inteso  del  volgare  italico  (per  un'  eccezion  rara  il  Santillana 
sapeva  poco  di  latino  e  molto  d'italiano).  Quando  venne  in 
uso  il  tradurre,  Faccomodare  il  latino  alla  'romancial  texedura', 
e  nella  veste  latina,  tagliata  dal  Petrarca  sul  corpo  formoso  del 
volgare  del  Boccaccio,  che  gli  Spagnuoli  conobbero,  come  i 
dotti  di  Francia,  d'Inghilterra,  di  Germania  e  d'Olanda,  la  pie- 
tosa  novella  di  Griselda  del  Decameron.  Un  abito  castigliano, 
piü  0  meno  acconcio,  s'ebbero  poi  tutti  i  trattati  boccacceschi, 
*por  avisar  e  ennoblecer  la  gente  e  nacion  de  Castilla',  come 
avrebbe  detto  Taustero  cancelliere  Pero  Lopez  de  Ayala. 

La  Propaganda  erudita  veniva  dalF  alto,  dalle  corti  illumi- 
nate,  e  non  poteva  mancare  d'effetto.  Un  monarca  saggio  si 
circonda  di  sudditi  sapienti;  spande  pel  regno  il  seme  delle 
dottrine  acquisite;  impone  il  suo  esempio,  i  suoi  gusti.  Fu  viva 
la  tradizione  de'  'buon  re  di  Castella',  sbattuti  qua  e  lä  dal- 
l'onde  infide  e  torbide  de'  negozi  di  stato,  forti  d'intelletto,  ma 
fiacchi  d'animo;  sventuratissimi  in  guerra,  ma  fortunati  ed  ac- 
clamati  negli  studi.  Don  Juan  II,  piü  fulgente  *que  el  cielo 
estrellado',  *rey  magno  bienaventurado',  come  lo  chiama,  con 
dolce  illusione,  Juan  de  Mena  nel  Lahyrintho,  leggeva  gli  uma- 
nisti,  il  Petrarca,  il  Boccaccio,  Leonardo  Bruni  d'Arezzo,  il 
Decembrio,  il  Bessarione,  leggeva  ancbe  Dante.  Portava  sul  suo 
capo  una  Corona  di  spine,  pur,  mentre  le  faccende  del  suo  stato 
miseramente  rovinavano,  le  lettere  fiorivano  e  gli  eruditi  si  molti- 
plicavano.  Sotto  il  suo  regno  il  Boccaccio  ha  il  culto  maggiore. 
Tutte  le  traduzioni,  cominciate  giä  sullo  scorcio  del  '300,  si 
continuano,  non  piü  interrotte;  le  promuovono,  dietro  Fesempio 
di  Castiglia,   i  monarchi  stessi  del  Portogallo;   cosi,  a  beneficio 


^  M.  Martinez  Anibarro,  Intento  de  un  diccion.  biogr.  y  bibliogr.  de 
autor.  de  laprov.  de  Burgos,  Madrid  1889,  p.  245  e  R.  Beer,  Handschriftenseh. 
80.  No.  31.  —  II  'bohacio  en  rromanpe  ...  con  la  glosa',  No.  12,  %  evi- 
dentemente  errore  di  stampa  per  bohecio.'' 


Note  sulla  fortuDa  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Eta  Media.      40^ 

deir  erede  del  trono  portoghese,  Alonso  de  Cartagena  voltava, 
nel  1422,  a  compimento  dell'  opera  del  D'Ayala,  gli  ultimi  capi- 
toli  del  De  Casihus,^ 


Libro  d'oro  ü  De  Casihus  pei  letterati  e  moralisti  di  Spagna, 
ripieno  di  *muchos  buenos  enxemplos  et  de  buenas  doctrinas 
para  bien  vivir  espiritualmente  et  moral  et  onestamente',  non 
meno  delle  consultatissime  e  venerandissirae  *Memorabilie'  di 
Valerio  Massimo,^  e  lu,  con  tutta  probabilitä,  la  prima  opera 
del  Boccaccio  che  gli  Spagnuoli  ebber  tra  mani.  Con  quella 
sua  tendenza  al  gi-ave  e  all'  eroico,  inteso  sempre  a  trarre  norme 
sagge  di  vita  dalle  esperienze  e  vicissitudini  proprie  e  altrui,  dal 
continuo  studio  delle  cose  di  stato  e  dal  governo  de'  popoli, 
dalle  *historias  de  cosas  grandes  et  nobles',  che  giä  vedeva  rac- 
colte  dal  padre  Fernan  Perez,  si  puö  capire,  quäle  scossa  pro- 
vasse  il  cancelliere  di  Castiglia,  Pero  Lopez  de  Ayala,  leggendo 
nel  volume  del  Boccaccio  i  casi  degli  illustri  infelici,  saliti  a 
grande  altezza,  'fasta  los  cielos  y  las  estrellas',  e  poi  caduti  in 
misero  stato,  *fasta  los  abismos'.   Er  an  mozze  tragedie  della  vita,^ 

*  'Fablando  con  vos  . . .  en  materia  de  sciencla  en  que  vos  sabedes 
fablar',  cosi  il  Cartagena,  rivolgendosi  al  dotto  principe,  nel  prologo  della 
Reiorica  di  Cicerone,  da  lui  volgarizzata  *ä  ynstancia  del  muy  esclarecido 
Principe  Don  Eduarte  Rey  de  Portugal'.  Gallardo,  Ensayo  II  260,  No.  1638. 

^  'como  nos  estudiando  algunas  vegadas  en  el  valerio  mäximo  viösemos 
que  las  notables  estorias  e  muy  eseelentes  abtoridades  que  en  41  son  puestas 
. . .  son  muy  provecbosas  al  anima  e  al  cuerpo  e  al  regimiento  de  la  cosa 
publica  e  familiär  . . .',  leggesi  in  testa  alla  versione  di  Valerio  Massimo, 
eseguita,  intorno  al  1395,  per  incarico  del  Cardinal  Jaime  de  Aragon,  figlio 
del  Conte  di  Pradös.  Rev.  de  Arch.,  Bibl  y  Mus.  VI  (1002)  p.  203.  —  Piü 
versioni  castigliane,  catalane  e  valenziane  s'ebbero  dell' opera  di  Valerio, 
prodigiosamente  divulgata  in  tutta  l'Etä  Media;  nfe  erano  igiiorati  in 
Ispagna  i  commenti  di  Dionigio  da  Borgo  S.  Sepolcro  e  Benvenuto  da 
Imola,  e  ritradotta  fu  persino  la  versione  francese  di  Symon  de  Hesdin. 
—  Dava  giä  ai  nervi  al  Petrarca  il  culto,  crescente  ognora,  per  Valerio  ed 
in  una  memoranda  epistola  usciva  a  dire  {Famil.  IV  15):  'At,  quod  se- 
quitur,  te  inter  morales  Valerium  praeferre,  quis  non  stupeat?  Si  tamen 
serio  perseveranterque  dictum  est  et  non  iocandi  tentandique  animo.  Si 
enim  Valerius  primus  est,  quotus,  quaeso,  Plato  est?  quotus  Aristoteles, 
quotus  Cicero,  quotus  Annaeus  Seneca,  quem  in  hac  re  magni  quidam 
aestimatores  omnibus  praetulerunt?' 

3  Voleva  il  Marchese  di  Santillana,  scrivendo  il  prologo  a  Donna  Vio- 
lante  de  Prades,  un  esempio  di  stile  da  tragedia,  che  'contiene  en  si  cay- 
das  de  grandes  reyes  4  prin9ipes,  asy  como  de  H^rcoles,  Priamo,  6  Aga- 
menon,  %  otros  atales,  cuyos  nas9imientos  4  vidas  alegremente  se  comenyaron, 
4  grand  tiempo  se  continuaron,  4  despues  tristemente  cayeron'  {Obras,  p.  94), 
da  contrapporsi  allo  stile  da  commedia,  rappresentato  dal  poema  di  Dante, 
e  gli  soccorre  alla  mente  il  De  Casihus  del  Boccaccio.  —  Giä  il  Chaucer 
doveva  considerare  quäl  collana  di  tragedie  il  De  Casibus,  da  lui  imitato 
ne'  Monkes  Tales,  e  tragedie  portano  in  fronte  scritto  le  stampe  della  libera 
versione  inglese  del  De  Casihus,  compiuta  dal  Lydgate:  The  Tragedies  gathered 
by  Jhon  Bochas  of  all  such  Princes  as  feil  from  theyr  Estates  through  the 


406      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  neirEtä  Media. 

semplici  ed  elementari  abbozzi  di  drammi  che  movevan  lo  spirito, 
giä  per  natura  incline  alla  tristezza  e  malinconia,  avvezzo  a 
considerare  l'instabilitä  di  fortuna,  il  rapido  vanire  e  precipitare 
di  ogni  umana  grandezza.  Come  aveva  tradotto  dagli  antichi, 
per  illuminare  i  contemporanei,  il  D'Ayala  tradusse,^  non  sap- 
piam  quando,  probabilmente  nel  crepuscolo  della  vita,  i  primi 
8  libri  del  trattato  del  Boccaccio  ^  (de'  9  libri  delF  originale  se 
n'eran  fatti  10  in  Castiglia).  Aveva  assistito  alla  caduta  di  piü 
prenci  nella  sua  Castiglia.  Le  lotte,  i  tumulti  continui,  Fazione 
e  la  riflessione  acuivano  il  suo  intendimento.  Sentiva  anche  lui 
prepotente  il  bisogno  di  sermoneggiare  con  austeritä  catonica, 
di  erigere  ben  alto  il  suo  faro  a  guida  delle  perdute  genti, 
brancolanti  per  le  tenebre.     De' fatti,   delle  avventure,  dell'am- 

mutdbility  of  Fortune  since  the  creation  of  Adam  until  his  Urne  (1527);  A 
Treatise  excellent  and  compendious,  shewing  and  declaring,  in  manner  of 
tragedye,  the  falls  of  sondry  most  notable  Princes  and  Princesses  ecc.  (1554). 
Vedi  E.  Koeppel,  Laurents  de  Premierfait  und  John  Lydgates  Bearbeitungen 
von  Boccaccios  De  Casibus  Virorum  Illu^trium.    München  1885. 

^  O  ordinö  piuttosto,  sorveglio,  guido  il  lavoro  del  traduttore?  Le 
parole  del  nipote  Fernän  P4rez  de  Guzmän,  ch'io  ricorderö  ancora  piü 
innanzi :  'por  causa  del  son  conocidos  algunos  libros  . . .  las  Gaidas  de  los 
Principes\  danno  a  pensare. 

^  Come  e  su  quäl  testo  e  con  quanta  fedeltä  ed  esattezza  sia  condotta 
la  versione  del  D'Ayala  non  posso  io  dire  per  sventura,  n^  ho  ora  modo 
di  fare  alcun  confronto  fra  le  stampe,  (che  abbracciano,  s'intende,  anche  il 
seguito  della  versione,  compiuta  da  Alonso  de  Cartagena)  e  i  codici  mano- 
scritti.  Inclinerei  tuttavia  a  supporre  mero  arbitrio  degli  stampatori  le 
lacune  frequenti  che  offrono  le  Caydas  e  mutilano  il  testo  boccaccesco  del  De 
Casibus.  Non  poteva  anche  il  dottissimo  Hortis  {Studi  sulle  opere  latine  del 
Boccaccio,  Trieste  1879,  pp.  607  sgg.)  approfondire  il  suo  giudizio  sulla 
versione  castigliana  del  De  Casibus,  che  supj)one  fedele  all' originale  tra- 
scelto;  meravigliavasi  come  nella  stampa,  da  lui  esaminata  (1525),  vi  fossero 
tralasciati  'molti  capitoH,  non  giä  di  quelli  che  portano  censure  o  rifles- 
sioni  morali,  ma  nomi  di  re  disgraziati  e  fatti  storici';  p.  608,  *se  talvolta 
il  senso  non  h  da  lui  (il  d'Ayala)  esattamente  recato  dalla  lingua  straniera 
nella  sua,  non  "h  per  reticenza,  ma  per  aver  franteso  qualche  vocabolo  o 
la  costruzione  latma,  o  per  difficoltä  incontrata  nel  voltarli  in  Hngua 
spagnuola;  siecht  per  levarsi  d'impiccio  ricorse  a  mal  rieselte  perifrasi'. 
Sulle  interpolazioni  nel  testo  latino,  trascelto  dal  D'Ayala,  e  seguito  dal 
traduttore  inglese,  che  pur  dipendeva  dal  Premierfait,  vedi  l'opuscolo  del 
Koeppel  citato  p.  45.  Pare  doversi  escludere  che  il  Lydgate  nei  Falls  of 
Princes  avesse  pure  presente  un  esemplare  delle  Caydas  castigliane.  Vero 
h  che  il  gran  cancelliere,  se  pure  non  fu  in  Inghilterra,  era  agli  Inglesi 
ben  noto  per  le  trattative  intavolate  e  condotte  a  buon  porto  fra  la  casa 
di  Lancaster  e  re  Don  Pedro,  e  qualcosa  doveva  pur  pispligliarsi  lassü 
nell'isole  dell'opera  sua  letteraria,  pregevole  quanto  il  diplomatico  ma- 
neggio;  n^  giurerei  che  il  duca  Humphrey  di  Gloucester,  mecenate  ed 
umanista  suUo  stampo  del  Santillana,  ghiottissimo  di  codici  in  ogni  lingua, 
non  possedesse,  oltre  la  versione  del  Premierfait,  una  trascrizione  delle 
Caydas  castigliane.  —  Uno  studioso  che  in  uno  o  piü  viaggi  in  Ispagna 
prendesse  in  serio  esame  i  manoscritti  sparsi,  mutili  in  parte,  delle  ver- 
sioni  dell' opere  latine  del  Boccaccio  e  del  Petrarca,  farebbe  opera  grata 
ed  utile  sicuramente. 


Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      407 

basciate,  dell'  opere  e  degli  studi  del  Boccaccio,  certamente  qual- 
cosa  avrä  udito,  peregrinando  su  e  giü  pel  mondo,  o  soggiornando 
in  Francia  per  sbrigarvi  i  negozi  politici  intricati;  ne  e  probabile 
ch'egli  del  Boccaccio  unicamente  abbia  conosciuto  il  trattato 
sulle  yicende  disastrose  degli  illustri.  Accarezzava  nella  mente 
la  figura  di  un  principe  ideale,  forte  della  sua  scienza  di  stato, 
agguerrito  contro  gli  strali  di  fortuna.  Un  suo  zio,  il  cardinale 
Gomez  Barroso  (f  1345)  s'era  fabbricato,  aiutandosi  anche  un 
po'  col  De  regimine  di  Egidio  Colonna  (*ome  de  grant  saber' 
Rim.  d.  Pal.),  un  suo  specchio  de' principi,  il  Libro  de  los 
consejos  y  consejeros  del  Principe;  ai  prenci  e  a  chi  nelle 
grandezze  fallaci  e  nel  potere  conüdava,  il  D'Ayala,  giä  brusco 
e  franco  riprenditore  dei  vizi  e  degli  abusi  dei  ministri  degeneri 
della  chiesa  e  dello  stato,  nel  Rimado  de  Palacio,  acceso  a 
volte  d'ira  e  di  sdegno  dantesco,  dava  ora  solenne  ammoni- 
mento  colle  boccaccesche  Caydas,  *extrannas  caydas',  cosi 
nomavale  ancora,  nel  primo  '400,  il  giudice  Gonzalo  Martinez  de 
Medina\  e  il  trattato  sulle  precipitose  cadute,  ancor  monco  della 


'  II  titolo  della  versione  ha  anch'  esso  la  sua  fortuna.  In  Francia  era 
corrente,  ne'  codici  manoseritti  e  nelle  stampe,  il  titolo :  Des  cos  des  nobles 
hommes,  Du  decktet  d.  n.  h.,  De  la  ruyne  (Hauvette,  Premierfait  p.  39 ;  Fac- 
similes  of  designs  from  engraved  copperplates  illustrating  Le  Livre  de  la 
Ruyne  des  nobles  Hommes  et  Femmes,  par  J.  B.  Bruges  1878,  dalla  preziosa 
stampa  del  1476).  Quäle  'r^citeur  des  fortunes  du  monde  et  des  tristes 
inalheureuses  matiferes  collecteur  v^ritable',  apostrofa  il  Boccaccio,  Georges 
Chastellain  nel  Temple  de  Boccace  (CEuvres  ed.  K.  v.  Lettenhove  VII  97), 
che  pur  chiania  il  grand'uomo  'original  traitteur  des  malheureux'  {CEuvres 
VII  14i);  neir allegorico  poema  La  Ghasse  et  le  Depart  d'amours  (Goujet, 
Bibl.  franp.  X  241)  Octavien  de  Saint-Gelais  fa  dire  a  Franchise: 

Si  Bocace,  l'elegant  Escrivain 

Qui  mist  les  cos  des  chetifs  en  son  livre, 

Qui  pas  ne  fut  en  tous  ses  escripts  vains, 

Et  bien  valloit  de  plus  longuement  vivre, 

Put  or  icy,  bientost  seroie  delivre, 

Et  laisseroit  tout  autre  affaire  ä  part; 

Car  le  grant  heur  dont  je  suis  d^boutee 

M'eut  en  eflfect  en  ses  escripts  boutee.  » 

E  nel  Sejour  d'honneur,  accennando  ai  rovesci  di  fortuna  degli  illustri: 

Bocace  fist  ample  escriture 
De  leur  cheute  tres-miaSrable. 
Et  racompte  leur  adventure 
Par  eloquente  dictature 
Qui  est  aux  lisans  agreable. 

In  Ispagna  alludevasi  quasi  generalmente  al  De  Casibus  col  titolo  caydas 
('Proverbio  es  antiguo,  que  de  muy  alto  grandes  caydas  sedan'  —  Gelesiina); 
'caydas  de  los  claros  varones'  chiamava  l'opera  Alonso  de  Cartagena,  com- 
mentando  Seneca;  'caymientos',  per  'caydas',  trovi  in  rima  in  un  componi- 
mento  anonimo  del  Cancionero  di  Herberay  des  Essarts  (Gallardo,  Ens. 
I  566),  in  cui  ^  un' allusione  palese  al  trattato  del  Boccaccio;  'aparejas  la 


408      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

fine,  che  in  cento  foggie,  con  sovrabbondanza  di  esempi,  esage- 
rando  le  sciagure,  i  pianti,  i  gemiti  de'  travolti  e  caduti,  ripeteva 
la  morale  de'trionfi  petrarcheschi  e  la  santissima  morale  biblica: 
*umiliatevi  e  sarete  sollevati',  trovo  rapida  diöusione. 

*De  las  mudangas  arrebatadas  de  la  fortuna  muchas  escrip- 
turas  hablan  ...  E  que  otra  cosa  contiene  en  si  el  libro  de 
las  caydas  de  los  claros  varones  syno  mostrar  por  enxemplos 
de  los  antiguos  quan  flacos  y  mudables  son  estos  bienes  que 
se  llaman  de  la  fortuna?'  cosi  il  dotto  Alonso  Garcia  (de  Carta- 

cayda',  'sus  desastres,  sus  caydas',  'ä  Theseo  |  ordenaste  la  cayda',  trovi 
nel^ms  contra  fortuna  del  Santillana  (Obras  171.  173.  180);  'triste  e  grave 
cayda',  /diversas  caydas  e  muertes',  'mi  total  cayda',  'las  caydas  antiguas', 
'caydas  de  prinyipes  e  cavalleros',  nella  Tragedia  del  'condestavel'  D.  Pedro 
de  Portugal  {Homen.  ä  Menendex  I  694  sg.  729  sgg.).  Non  sdegnavasi 
tuttavia  qualche  volta  il  titolo  casos,  che  pur  compare  nella  traduzione 
castigliana  del  trattato  boccaccesco  (cap.  I,  p.  II)  'obra  Uamada  los  casos 
y  caydas  y  acaescimientos  muy  contrarios  que  ovieron  mucbos  nobles  y 
grandes  principes  y  senores';  '0yd  la  mi  bos  todos  los  potentes,  |  A  quien 
aministra  sus  casos  fortuna'  (Gonzalo  Martinez  de  Medina) ;  'los  casoa  de 
ad  versa  fortuna'  —  'los  äsperos  ^  duros  casos  generalmente  acaecidos  ä 
muchos  grandes  en  el  mundo'  —  'los  peligrosos  casos  de  la  fortuna'  {Cron. 
de  Juan  IL);  'casos  lagrimosos'  (Santill.,  Bias  contra  fortuna,  p.  184); 
'fuerte  caso'( Comec?.  de  Pon^a,  p.  105);  'caaos  tristes,  llorosos'  (Coplas  di 
Jorge  Manrique);  'casos  infortunados'  {Canc.  d'Herb.  d.  Essarts.  Gallardo, 
Ens.  1  565;  qui  pur  t'imbatti  in  un  'derrocamiento'j ;  'caso  desastrado' 
(P.  de  Escavias,  Coplas  que  ßxo  d  Perex  de  Ouxman  in  Canc.  de  Castarieda 
pubbl.  d.  F.  de  Uhagon,  Rev.  d.  Arch.,  Bibl.  y  Mus.  1900,  IV  518;  'casos 
sinestres  de  fortuna'  nel  Tirant  lo  Blanch,  cap.  294,  nel  cap.  128  si  favella 
de'  'cayments'  di  fortuna).  Dubito  che  rammentasse  il  De  Casibus  il 
Lucena  quando,  nel  dialogo  Vida  Beata  (Opusc.  liter.  de  los  sigl.  XIV  ä 
XVI,  Madrid  1892,  p.  130)  derivato  dal  Faccio,  fa  dire  ad  Alonso  de 
Cartagena:  'Son  algunos  destos  privados  que  sy  con  poca  razon  son  alti- 
fechos,  governados  con  menos,  baxitornan  muy  presto.'  Unicamente  il 
Marchese  di  Santillana,  nella  Comedieta  de  Pon^a,  chiama  le  caydas  'los 
casos  perversos  del  siglo  mundano'  e  su  questi  casi  perversi,  cio^  sciagu- 
rati,  nefasti,  ricama  poi,  nella  cantilena  del  'taratäntara',  alcuni  suoi  scia- 
gurati  versi  nella  favella  italiana,  a  lui  famigliare:  'Ve[d]iamo  li  casi  e 
ciö  che  (e)narrate,  |  e  vostri  infortuni  contate  perversi'  (A  torto  A.  de 
los  Rios,  che  nelle  Obras  de  liiigo  Lopex  de  Mendoxa,  p.  101,  stampa  giusta- 
mente  'los  casos  perversos',  corregge  nella  Eist.  VI  120  'los  casos  adversos'). 
NMla  Comedieta  medesima  le  'caydas'  son  dette:  'los  infortunios  de  los 
humanales'  Cdubdo  si  Ecuba  sintiö  mäs  graveya  en  sus  infortunios  qu6 
Homero  ha  contados',  Defunssion  de  Don  Enrique  de  Villena,  p.  244).  'Per- 
verso'  nel  senso  di  'nefasto'  poteva  trovare  il  Santillana  nel  verso  di  Fran- 
cesca:  'poich^  hai  pietä  del  nostro  mal  perverso'.  'Perverser'  equivaleva 
nel  franc.  ant.  a  'bouleverser',  'perversit^  a  'renversement'.  Rammento  i 
versi  di  Christine  de  Pisan  nel  Livre  du  Chemin  de  long  estude  (ed.  Püschel, 
p.  3).  'Comme  fortune  perverse  |  M'ait  est^  long  temps  adverse';  G.  Chastel- 
lain  nel  Temple  de  Boecace  {CEuv.  VII  75)  ci  presenta  la  regina  d'Inghil- 
terra  'soy  complaignant  ä  moy  de  fortune,  dure  et  parverse'.  II  Lydgate 
nei  Falls  of  Prznees  (Koeppel,  op.  c.  p.  80)  chiamava  il  De  Remediis  utrius- 
qu£  fortunae:  trattato  'of  two  fortunes  weleful  and  perverse'.  Stainhövel 
dava  alla  versione  sua  del  De  Casibus  il  titolo:  'Historien  ...  von  wider- 
wärtigem Glück.' 


Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      409 

gena),  chiosando  il  De  Providentia  di  Seneca,  da  lui  tradotto, 
con  scarsissime  reminiscence  del  Boccaccio  e  copiosi  raffronti 
con  Valerio,  Macrobio,  Ovidio,  Boezio,  San  Tommaso  ed  altri 
saggi.*  Priineggiava  il  Cartagena  tra  i  sapienti  del  suo  tempo, 
accarezzato,  ossequiato  anche  dai  piü  dotti  d'Italia,  acclamato 
quäl  Salomone  e  Seneca  novello  dal  monarca  stesso.  La  sua 
pieta  profonda,  che  gli  fruttava  il  vescovato  di  Burgos,  non  gli 
impediva  di  trar  consiglio  dagli  scritti  morali  del  gaudente  Cer- 
taldese  che  si  bene  e  con  cristiana,  cristianissima  unzione  co- 
priva  le  brame  d'Epicuro  in  lui  serpeggianti.  Ancor  non  molto 
lungi  nella  dignita  della  prelatura,  *decano'  di  Santiago  e  di 
Segovia,  ambasciatore  alla  corte  di  Portogallo,  e  sollecitato,  in- 
torno  al  1422,  da  Juan  Alfonso  de  Zamora,  secretario  del  re 
di  Castiglia,  perche  desse  compimento  all'  opera,  lasciata  inter- 
rotta  dal  D'Ayala  e  voltasse,  *romanzasse'  gli  ultimi  due  libri 
delle  Caydas.  Meravigliavasi  lo  Zamora  che  la  traduzione  di 
opera  si  bella,  di  gran  'dulzor',  di  'inuy  hermoso  tratar'  fosse 
rimasta  un  torso;  'creo',  diceva  del  gran  cancelliere,  *que  lo 
embargo  ö  muerte  suya  ä  lo  iacer,  ö  ser  el  libro  menguado 
por  do  lo  romanzö,  ö  otro  algun  impedimento/  e,  amantissimo 
delle  *obras  notables  de  los  antiguos',  nelle  quali  *oviesse  articulos 
de  sciencia  engastonados  en  el  casco  de  eloquencia  (versione  del 
De  Officiis)\  davasi  gran  briga  per  pescar  l'originale,  irreperi- 
bile  in  Castiglia;  la  copia  scoverta  a  Barcellona  eragli  lassü  di 
poco  frutto  'porque  quien  me  lo  tornase  en  nuestra  lengua 
alli  hallar  no  pude.  E  despues  aca  en  Castilla,  assaz  de  letra- 
dos  dello  requiriendo,  no  nie  daban  a  ello  remedio,  diciendo 
que  la  retorica  del  era  muy  escura  para  romanzar'.  Dio  raiseri- 
cordioso,  provvido  sempre  d'aiuto  a  coloro  che  s'adoperano  'en 
algunas  buenas  obras',  die  allora  opportuno  suggerimento  e  rivelö 
la  perizia  del  dottor  Alonso  Garcia:  'romanzö  el  dicho  Dean' 
i  libri  mancanti,  dalla  metä  del  capitolo  *que  habla  del  rey 
Artus  de  Inglaterra  ...  y  de  Morderete  su  hijo^,  innanzi,  *el 
diciendo  e  yo  escribiendo.  Los  cuales  lo  hicieron  muy  bien,  guar- 
dando  su  retorica,  segun  que  por  el  paresce'.^   Con  quest' arringa 


*  Ho  citato  questo  passo  dalla  rarissima  stampa  Cinco  libros  de  Seneca, 
Sevilla  1491  (non  pagin.)  nelle  note  sul  Corbaccio  in  Ispagna. 

^  Come  al  Boccaccio  stesse  a  cuore  questa  benedetta  'retorica',  il  pom- 
poso  modo  di  esporre  le  sue  gravi  sentenze  h  saputo.  Vedi  nella  traduzione 
castigliana  del  Be  Casibus  il  cap.  XIV  del  Lib.  III  (loa  la  poesia  y  la 
retorica  manera  del  hablar')  ed  il  XIII  del  Lib.  VI  ('habla  contra  algunos 
que  dizen  mal  de  la  Rhetorica').  Alonso  de  Cartagena  traduceva  con 
libertä  e  scioltezza  maggiore  del  D'Ayala  ed  avvertiva  nell'introduzione 
alla  Retorica  di  Cicerone,  da  lui  tradotta  (Men^ndez  y  Pelayo,  Bibl.  hisp. 
tat.  p.  574):  'ca  como  cada  lengua  tenga  su  manera  de  fablar,  si  el  inter- 
pretador  sigue  del  todo  la  letra,  nescesario  es  que  la  escriptura  sea  obscura 
et  pierda  gran  parte  del  dulzor'. 


410      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  lapagna  nelFEtä  Media. 

proemiale  *  offrivasi  al  pubblico  l'intera  Cayda  de  principes,  e  la 
versione,  cosi  allestita,  senza  le  parafrasi,  profondamente  tediose, 
aggiunte  alla  versione  inglese  del  Lydgate,  frutto  d'una  triade  di 
ingegni,  scritta,  come  il  frontespizio  avvertiva,  'a  loor  y  alabanga 
de  dios  todo  poderoso:  y  de  la  inmaculata  soberana  reyna  del 
cielo  virgen  sancta  Maria  madre  suya,  y  en  enxemplo  y  castigo  de 
todos  los  grandes  Emperadores  Reyes  Seiiores  y  Senoras  que  sobre 
la  haz  de  la  tierra  en  este  circular  orbe  dominan:  e  cuyos  senorios 
no  pueden  exceder  de  passar  por  tal  via  como  los  tales  sean  sojuz- 
gados  a  la  mayor  parte  so  el  desordenado  poder  de  la  fortuna  y 
SU  Rueda',  davasi  una  prima  volta  alle  stampe,  nel  1495,  quando 
giä  nel  regno  eccelso  delle  Spagne  gli  spiriti  cominciavano  a 
disinteressarsi  all'opera  boccaccesca,  cosi  dotta  e  cosi  morale.^ 

Qualche  efficacia  sicuramente  dove  esercitare  il  De  Casibus 
sui  suoi  traduttori,  e,  se  al  critico  piü  attento  e  meticoloso  non 
verrebbe  fatto  riscontrare  l'influsso  del  Certaldese  nelle  *Cronache' 
famose  del  grave  Cancelliere,  qualcosa  delle  invettive  acerbe 
del  De  Casibus  a'  potenti,  sommessi  a'  vani  e  caduchi  piaceri 
di  fortuna,  puö  pur  scorgersi  nel  Rimado  de  Falacio,  che  fla- 
gella  le  magagne,  le  insidie,  le  corruzioni  e  dissipazioni  della 
Corte.     Meno   agevole   e   seguire  le  traccie  del  De  Casibus  nel- 

*  Da  me  giü  in  parte  ricordata  nelle  note  su  Dante  in  Ispagna.  Vedi 
R.  de  Floranes,  Vida  liier,  d.  canc.  D.  P.  Lopez  de  Ayala  in  Colecc.  d. 
doGum.  ined.  para  la  hist.  de  Esp.  XIX  457;  A.  de  los  Rios,  Hist.  V  118 
che  pur  rileva  il  pregio  del  codice  escurialense  della  versione.  E  singolare 
come  non  figuri  la  traduzione  del  De  Casibus  nelF  inventario  della  biblio- 
teca  del  Re  Dom  Duarte,  riprodotto  in  Braga,  Hist.  d.  litter.  portug.  In- 
troducQ.,  Porto  1870,  pp.  218  sgg.  Un  manoscritto,  proveniente  dalla  biblio- 
teca  Olivariense,  Caida  de  Principes  de  Joan  Bocaeio  con  muchos  ejemplos 
h  citato  nelVBnsayo  (IV  1486)  del  Gallardo. 

2  Fu  poi  edita  piü  volte.  A  Monaco  potei  consultare  l'edizione  di 
Toledo  1511:  'Äqui  comien^a  un  libro:  que  presento  un  doctor  famoso  de 
la  cibdad  de  Florencia:  llamado  Juan  Bocaeio  de  cercaldo  a  un  cavallero 
SU  amigo:  que  avia  nombre  Maginardo  mariscal  de  la  Reyna  de  Sicilia: 
en  el  quäl  se  cusntan  la^  caydas  y  los  abaxamientos  que  ovieron  de  sus 
estados  en  este  mundo  muchos  nobles  y  grandes  cavalleros,  por  que  los  hom- 
bres  no  se  ensobervecccan  con  los  abondamientos  de  la  fortuna.'  II  fronti- 
spizio  deiredizione  princeps  deli' Ungut  di  Sevilla,  1495,  h  dato  dall'Hortis, 
Op.  lat.  p.  848.  Un  facsimile  figura  nella  raccolta  di  K.  Haebler,  Tipo- 
grafia  iberica  del  siglo  XV.  La  Ha^a,  Leipzig  1902.  LIII.  Un'edizione 
del  1552:  Libro  llamado  Cayda  de  Principes  compmsto  por  el  famoso  varon 
Jican  Bocaeio  de  Certaldo,  florentino  h  alla  Palatina  di  Vienna.  Alle  stampe 
posteriori  alludono  gli  scellerati  versi  della  litania,  posta  in  fronte  al  Pefe- 

Sino  eurioso  y  grandexas  de  Espana  del  Villalba  {Socied.  d.  bibl.  espan. 
adrid  1886,  p.  QQ): 

No  trato  por  no  dar  en  la  fortuna 

de  Caida  de  principes  famosos; 

ä  Bocaeio  entre  faltas  ponen  una, 

que  bien  muestra  scr  tacha  de  tramposos, 

que  pues  ellos  topetan  como  bueyes, 

no  aprovechö  avisar  61  ä  Reyes. 


Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nelFEtä  Media.      411 

l'opere  latine,  negli  scritti  storici,  filosofici,  religiosi  e  moralizzanti 
del  Cartagena,  ignoti,  o  sepolti  ancora  piü  che  per  metä,  e  dal- 
r  inesorabil  tempo  e  dall'  incuria  degli  uomini  in  parte  distrutti.  E 
vaghissimo  il  ricordo  delle  Caydas  nelF  Änacephaleosis  (Schott, 
Hisp.  illust.  I,  246  sgg.),  dove  pure,  a  specchio  salutare  della 
vita,  a  infondere  abborrimento  delle  larve  terrene  e  amore  alla 
virtü,  s'infilzano,  racimolati  dalle  storie  di  monarchi  e  di  prenci, 
esempi  di  casi  umani  sciagurati  e  prosperi.  Le  ammonizioni  gravi 
del  novelliere  moralista  echeggian  forse  in  quel  Tratado  de  la 
Virtud  che,    occulto  a  tutti,   riposa  tra  le  rovine  dell'Escorial.* 

Le  compilazioni  storiche  del  Boccaccio,  *doctor  famoso'  e 
venerato  (*el  maestro'  lo  chiama  piü  volle  il  D'Ayala  nella  nota 
versione),  servivano,  nel  '400,  anche  fuori  d'Italia,  quanto  le 
enciclopedie,  i  dizionari,  i  manuali  d'oggidi;  vi  si  pescavano, 
come  nel  Valerio,  nomi  di  chiari  uomini  e  di  chiare  donne, 
definizioni,  fatti  storici,  esempi  mitologici.  ßenche  voluminöse, 
erano  un  comodo  'vademecum'  agli  studiosi.  Con  poca  fatica 
s'aveva  modo  di  figurare  tra  i  dotti,  perduti  e  immersi  nel 
mondo  antico,  l'Eldorado  de'saggi;  si  allineavano  con  esse,  pron- 
tamente,  nelle  prose  e  ne'  versi,  schiere  di  nomi  illustri.  Tra  i 
primi  ad  attingere  al  De  Casibus  figura  il  Villena,  traduttore 
di  Virgilio  e  di  Dante,  che  non  si  perita  di  citare  il  Boccaccio 
colla  Bibbia  ed  i  Santi  Padri.^  A  lenire  il  dolore  e  gli  affanni 
deir  amico  Juan  Fernandez  de  Valera,  a  conforto  degli  uomini 
tutti,  ne'  triboli  della  vita,  scrive,  con  dottrina  affastellata  e  remi- 
niscenze  soverchie  del  trattato  di  Arrigo  di  Settimello,  goffamente 
calcato  sul  De  Consolatione  di  Boezio,  una  sua  Consolatoria  o 
Tratado  de  la  Consolacion;  dai  casi  degli  illustri,  oppressi  dalla 
sventura,  voleva  s'apprendesse  a  tollerare  le  sciagure  ed  a  far 
fronte  ad  ogni  rovescio  di  fortuna. 

Drizzate  all'  alto  gli  occhi  che  vagan  quaggiü  fra  le  tenebre 
e  le  follie  del  mondo;  le  pompe  precipitano;  i  regni  si  disfano, 
ne  piü  che  sogno  od  ombra  e  la  vita;  tutto  posa  in  grembo  a 
Dio.    La  morale  de'  Trionfi  petrarcheschi,  diffusi  giä  in  Ispagna, 


*  S'fe  fantasticato  parecchio  di  un  Libro  de  las  ilustres  mugeres,  scritto 
dair  illustre  vescovo  dietro  resempio  del  Boccaccio.  Ho  espresso  altrove  i 
miei  dubbi  sull' opportunitä  di  questa  attribuzione,  ma  vorrei  pure  che 
uno  Studioso  di  lena  raccogliesse  gli  scritti  sparsi,  i  trattati,  le  epistole  del 
Cartagena,  e  si  sobbarcasse  ad  ardue  ricerche  d'archivi,  per  tessere  una 
monografia  sul  grand'uomo,  caro  ai'  dotti  d'Italia  e  guida  sicura  ed  esperta 
agli  umanisti  della  Spagna  rinascente. 

*  A  volte  anche  il  Petrarca  h  citato.  Vedi  E.  Cotarelo,  Don  Enrique 
de  Villena,  Madrid  189i;,  p.  69,  e  le  mie  note  sul  Petrarca  in  Ispagna  p.  9 
dell'  estratto.  Se  meno  f rettolosamente  e  superficialraente  avessi  letto,  anni 
or  sono,  i  trattati  del  Villena,  inaccessibili  ormai,  in  parte,  nelle  mie  solitudini, 
con  maggior  sicurezza,  con  confronti  veri  e  non  vaghi,  con  utilitä  ma^giore 
pei  nostri  poveri  studi,  avrei  potuto  studiarvi  l'inilusso  del  Boccaccio. 


412      Note  suUa  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nelPEtä  Media. 

neir  ultimo  scorcio  del  '300,  appare  raftbrzata  dalla  morale  del 
De  Casihus.  Le  esortazioni  a  mutar  vita  e  costumi,  a  lasciar 
la  terra  per  il  cielo,  piovono  nelle  terre  di  Castiglia,  anche  un 
po'  dietro  le  esortazioni  ed  il  gran  memento  gridati  dal  Petrarca 
e  dal  Boccaccio.  Con  un  'Deum  summa  veneratione  colite,  et 
integro  corde  diligite,  sequimini  sapientiam,  et  virtutes  apprehen- 
dite',  ponevasi  l'ultima  volta  al  tempio  delle  sciagure  degli  il- 
lustri.^  Medesimamente  Gonzalo  Martinez  de  Medina  chiüdeva 
un  suo  *degir'  sohre  la  justicia  et  jpleitos  de  la  grand  vanidad 
de  este  mundo,  anteriore  di  qualche  anno  alla  versione  del  De 
Casihus^  compiuta  dal  Cartagena,  coi  versi:  'Catad,  que  ante 
Dios  non  ay  poderoso,  |  Que  todo  se  juzga  por  alta  potencia.  \ 
Abrid  bien  las  puertas  de  vuestra  conciencia,  j  Amat  la  justicia, 
verdad  et  derecho  . . .  |  Desde  Lucifer  fasta  el  papa  Juan  |  Po- 
dedes  leer  extrannas  caydas,  |  Segund  las  estorias  vos  lo  con- 
taran  |  Et  por  Juan  Boccacio  vos  son  repetidas  |  ...  Por  ende 
emendad  en  las  vuestras  vidas.'^  E  il  'degir',  che  dal  poema 
petrarchesco  dell'  etä  cadente  qualche  ispirazione  deve  pure  aver 
tratto,  procede  accogliendo  bibliche  e  boccaccesche  sentenze; 
ricorda  il  salmo  de  David;  ammonisce  fuggir  le  glorie  mondäne, 
durevoli  'asy  commo  viento'.^  Nulla  e  stabile  nella  vita  'esquiva, 
enganosa';  nessun  piacere  ha  compimento.  Si  vider  giammai  nel 
mondo  *omnes  abondantes  |  De  onrras  e  vicios  e  muy  alto  estado  | 


*  Rammento  qui  la  chiusa  castigliana  delle  Caydas  (ediz.  di  Toledo 
1511,  p.  CXXVII):  'Por  ende  tomando  exemplo  en  las  caydas  agenas: 
mirad  y  ved  en  quanto  peligro  estades  puestos;  y  aprended  a  poner  ter- 
mino  a  las  cosas,  dexando  avaricia  y  luxuria  y  saiia  y  vana  gloria  y  am- 
bicion :  y  menbrando  vos  en  tanto  que  tenedes  ensanchadas  las  voluntades 
con  alegria.  . . .  E  por  alguna  manera  deste  juego  por  instabilidad  y  mo- 
bilidad  de  la  fortuna  no  seades  engaüados:  esto  lincad  en  vuestros  cora- 
gones:  que  quantas  vezes  paresce  estar  seguro  el  estado  de  los  hombres 
tantas  vezes  a  los  mezquinos  de  los  hombres  que  lo  creen  son  paradas 
asechangas.  E  quanto  mas  vos  paresciere  que  sodes  traspasados  en  las 
estrellas  y  dignidades  altas:  tanto  en  mayor  cuydado  finque  vuestro  desseo 
en  humilde  lugar:  porque  en  vuestro  ensalgamiento  ayades  con  que  vos 
alegredes:  y  en  la  cayda  no  ayades  cosa  porque  vos  contristar.  E  adorad 
a  Dios  en  soberana  honrra  y  amalde  con  entera  aficion  y  seguid  la  sabi- 
duria  1  y  tened  en  acatamiento  las  virtudes.  Honrrad  a  los  dignos,  guar- 
dad  los  amigos  con  soberana  fe.  ...  E  si  acaesciere  que  fueredes  derriba- 
dos:  parezca  que  no  es  fecho  por  vuestra  maldad  |  mas  por  la  sobervia 
de  la  fortuna  que  todas  las  cosas  trastorna  y  rebuelve.' 

^  ElCancionero  de  Juan  Alfonso  de  Baena,  Madrid  1851,  p.  380.  Dagli 
accenni  ad  avvenimenti  contemporanei  nel  'deyir',  A.  de  los  ßios,  Hist 
V  317  conchiudeva,  ragionevolmente,  che  'Gonzalo  de  Medina  se  referia  aqui 
al  original  latino  de  Boccaccio'.  Dovevagli  esser  nota  tuttavia  la  fram- 
mentaria  versione  del  d'Ayala,  alla  quäle  indubbiaraente  ci  riconduce  il 
nome  'caydas'.  'Aun  que  yo  me  calle  de  dezir  de  aquella  yrreparable  cayda  de 
aquel  Luzifer  . . .  el  primero  soberbio'  {Cayda  de  Princ.    Lib.  I,  cap.  V,  f.  V). 

^  'E  assi  como  fumo  e  sombra  las  nobles  costumbres  e  floresciente  juven- 
tud  . . .  pasara'  {Tragedia  di  D.  Pedro  de  Portugal,  Homen.  Menendex  1  731). 


Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  uell'Etä  Media.      413 

...  en  un  ser  estantes,  |  Nin  aver  un  solo  plaser  acabado  ?' 
Considerate  come  ogni  potenza  e  grandezza  *en  polvo  e  cenisa 
del  todo'  si  dissolve,  come  passano  i  beni  di  fortuna  e  sen  va 
la  *rugiada'  della  vana  gloria  'asi  commo  sueno  e  cosa  muy 
vana.  |  ...  E  de  todo  ello  nou  finca  memoria.' 

Segue  un  arido  elenco  di  nomi  d'illustri  (tolto  solo  in  parte 
al  De  Casihus)  *todos  los  ...  que  en  los  libros  leo',  corteggio 
lugubre  di  tramontati  e  precipitati,  spogli  di  potere,  di  fama  e 
d'impero.  Cosi,  a  tutti  i  potenti,  fortuna  'aministra  sus  casos'. 
'Catad  las  sobervias  atan  ensal^adas  |  Quel  universo  conquerir 
quisyeron  |  E  cuan  de  ligero  por  sy  se  cayeron.'  E  il  memento 
a'  piaceri  fallaci  si  ripete  in  altro  anologo  'degir'  (scritto  'cuando 
estava  en  privanga  de  Juan  Furtado  de  Mendoza')  pur  grave, 
pur  ispirato  al  Boccaccio.^  Gira  e  rigira  instancabile  la  ruota 
di  fortuna;  si  veggon  trascinare  miseramente  al  basso  magna- 
nimi  e  prodi,  salire  all'  alto  i  malvagi,  prima  che  la  divina 
giustizia  si  compia.  *Estranas',  capricciose  son  l'opere  della 
volubil  Dea;  *en  pocas  jornadas  |  Muda,  trasmuda  todo  lo  umano'. 
Ce  lo  mostran  luminosamente  le  *istorias,  antiguas  fasanas  |  De 
los  que  pasaron'.  Tra  siifatte  storie,  un  posto  cospicuo  doveva 
tenere  nel  concetto  di  Gonzalo  de  Medina  il  De  Casihus,  peroc- 
che  da  esso  e  tratta  la  sfilata  degli  illustri  infelici  che  da  Adamo 
e  Nembrotte  ci  conduce  al  *gran  Papa  Juan'.  Dai  trionfi  e  le 
conquiste  si  passa  alla  sciagurata  morte  di  Annibale,  di  Scipione, 
Cesare,  Pompeo.^  E  gli  uomini  non  par  s'avvedano  della  miseria 
loro,  della  corruttibilitä  e  inanitä  di  ogni  cosa,  del  frangersi 
inesorabile  d'ogni  grandezza.  *E  la  perfecgion  de  Dios  se  le 
olvida.'  II  pensiero  ascetico  traeva  alimento  dall'  esperienza 
antica,  da'  fatti  memorandi,  registrati  nelle  morali  e  storiche 
compilazioni.^ 

Un  legger  ricordo  alle  Caydas  e  pure  nell'  opere  di  Fernen 
Perez  de  Guzmän,  nipote  del  D'Ayala  e  zio  del  Santillana, 
esperto  e  meditabondo  scrutatore  degli  umani  destini,  *cavallero 
doto   en  toda  buena  dotrina',   che  delle  massime  sagge  del  suo 

*  Carte,  de  Baena,  pp.  387  sgg. 

^  Scrive  il  Boccaccio  p.  es.  ai  Pompeo  (Lib.  VI,  cap.  9):  'Laceratum 
corpus,  et  truncus  nudarum  factus  ludibrium,  noctu,  ignique  modico  ab 
homine  unico  semiustus,  et  harenis  contectus',  e  Gongalo  Martinez  de  Me- 
dina (Canc.  de  Baena,  p.  389):  *Fue  de  Julio  Cesar  en  campo  vencido  |  E 
SU  noble  cuerpo  en  la  mar  fundido  |  E  la  su  cabe§a  cortö  una  vil  gente*. 

^  Per  gran  tempo  la  Francia  pascevasi  pure  degli  insegnamenti  morali 
e  ascetici  del  Boccaccio.  Ancora  nei  primi  anni  del  '500  Jean  d'Auton 
segnalava  nelle  sue  'Cronache'  la  conquista  di  Milano  con  un  ricordo  al 
Boccaccio,  e,  sul  ritornello:  'Gloire  mondaine  est  fragille  et  caducque',  rica- 
mava  questi  poveri  versi:  'Sy  mon  dire  nul  en  doubte  revocque  |  Bocace 
et  autres  en  ont  bien  trect^,  jucque  |  A  suffyre,  en  prose  et  equivocque.' 
Chroniques  de  Louis  XII  par  Jean  d^Auton  p.  R.  d.  Maulde  La  Clavifere, 
Paris  1889,  I  283. 


414      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  neH'Etä  Media. 

saviissimo  parente  faceva  tesoro  e  pensava  doverglisi  tributar 
gratitudine  anche  perche  *por  causa  del  son  conocidos  algunos 
libros  que  antes  no  lo  eran,  ans!  como  el  Tito  Livio,  las  Caidas 
de  los  Principes'  {Generaciones  y  Semhlanzas,  cap.  VII).  Nel 
memento  in  rima:  *Tu  hombre  que  estas  leyendo'*  grida  il  suo; 
'Perirete,  tornerete  cenere  e  polvere,'  commosso  nel  cuore.  Le 
letture  e  lo  studio  delle  'escrituras  provadas',  degli  zibaldoni  di 
Valerio  e  del  Boccaccio,  massimamente,  gli  riempivan  il  capo  di 
gran  nomi  dell'  auree  etä  tramontate,  che  si  seguono  ed  in- 
seguono  nel  suo  'sinple  deytado',  a  significare  il  gran  Vanitas 
vanitatum',  lo  sfacelo  a  cui  tutti  soggiacciono:  Pompeo,  Ales- 
sandro,  Ettore,  Achille,  Ulisse,  Annibale,  Scipione,  gentiluomini 
e  gentildonne,  *onbres  nobles,  esforgados',  *duenas  de  linda 
apostura',  donne  che  *tan  amorosas  fueron,  |  Todas  tristes  pade- 
gieron  |  Esta  espantosa  pena'.  NuUa  e  stabile  che  non  riposi 
in  Dio. 

11  trattato  morale  del  Boccaccio  mostrava  con  particolare 
compiacimento,  fondendo  e  rifondendo  concetti  tolti  da  Boezio, 
come  Fortuna  reggesse  capricciosa  e  insensata  i  beni  mondani, 
prendendosi  giuoco  degli  uomini  che  stolti  l'invocavano,  maggior 
fiducia  riponendo  nel  poter  suo  bizzarro  e  fallace,  che  nel  poter 
di  Dio,  piü  devoti  al  fato,  che  alla  Provvidenza.  II  dibattito  fra 
la  Fortuna  e  la  Povertä  dava  vita  e  figura  alle  idee  astratte,  e 
s'imprimeva  nella  mente,  ancor  piü  delle  tirate  gonfie  di  storica 
dottrina,  e  de'  gravi  sermoni.  Ricorreva  ad  esso  Alfonso  Martinez 
de  Toledo  per  solennemente  coronare  Fopera  sua,  nota  a'posteri 
col  titolo  Reprohacion  del  amor  mundano  (con  minor  proprietä 
ancora  chiamata  Corvacho),  mostrando  la  follia  degli  uomini,  che  il 
libero  arbitrio,  la  ragione,  l'anima  sommettono  ai  pianeti  c  al  fato.^ 

*  Canc.  de  Baena,  p.  632. 

^  Sorprende  in  venia  come  nessuno  ancora  abbia  badato  a  questo  in- 
gente  prestito  fatto  al  De  Gasibus  nell'opera  dell'arciprete  di  Talavera, 
compiuta  nel  1438  (or  riprodotta  nella  nitida  ristampa  della  Soeied.  de 
Bibl.  Espan.,  Madrid  1901,  per  cura  dell' amico  mio  Perez  Pastor),  novella 
prova  della  superficialitä  estrema  colla  quäle  si  suol  discorrere  e  scrivere 
degli  influssi  stranieri  sulla  letteratura  di  Castiglia  antica  e  moderaa.  N^ 
rarciprete  pretendeva  in  modo  alcuno  occultare  la  sua  fönte,  come  prima 
di  lui  soleva  fare  il  Metge  in  Catalogna.  (Lib.  III,  cap.  II,  p.  284:)  'Otra 
razon  te  dir^,  la  quäl  Juan  Boca9io  prosygne,  de  la  aual  pone  un  enxemplo 
tal.  Dize  que  el,  estando  en  Napoles  oyendo  un  aia  liyion  de  un  grand 
natural  filosofo  maestro  que  ally  tenia  escuela  de  estrologia,  el  quäl  avia 
nombre  Andalo  de  Nigro,  de  Genova  gibdadano,  leyendo  la  materia  que 
los  fielos  en  sus  movimientos  fazen  e  de  los  cursos  de  las  planetas  e  sus 
ynfluen§ias,  dixo  esta  razon :  non  deve  poner  culpa  a  las  estrellas,  sygnos 
e  planetas,  quando  el  causador  busca  su  desaventura  e  es  causador  de  su 
mal  ('Non  deven  poner  culpa  a  las  estrellas:  quando  el  cuydado  procuro 
y  busco  su  desaventura'  Caydas  Lib.  III,  cap.  IT,  f.  XXXIII.  De  la  dis- 
putaeion  y  contienda  que  ovieron  la  fortuna  y  la  pobrexa  segund  eljmasstro 
da  testimonio  de  lo  que  vio),  e  pone  un  enxemplo  para  provan9a  desta 


Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      415 


Non  solo  l'arciprete  trasfonde  nell'  opera  sua  il  Certamen  boc- 
caccesco,  *el  quäl  queriendolo  entender  alegoricamente  tiene  en 
sy  mucha  moraldad,  quien  en  el  byen  pensare,  aunque  a  prima 


razon  ec.'  Sembra  che  avesse  innanzi  l'originale  latino 
la  versione  castigliana  (Anche  il  Petrarca  era  citato  a 
latino).  Or  veggasi,  dall'esordio  del  Certamen,  come 
testo  del  Boccaccio,  ampliandolo,  trasformandolo. 

Ärciprete,  p.  285:  Boccaccio,  De  Casi- 

Dize   que   la   Pobreza    un    dia       6«^,ed.AugU8tal544, 


estava  muy  triste  e  como  traba- 
jada,  pensativa  e  muy  dolorida 
e  muy  flaca,  en  solo  los  huesos 
e  la  pelleja,  negra,  fea,  magra  e 
llena  toda  de  sarna,  los  ojos  so- 
midos,  los  dientes  reganando,  su 
sania  rascando,  la  pelleja  cortida 
e  arrugada,  muy  espantable  e 
fiera.  E  estava  echada  al  sol 
en  encuentro  de  tres  caminos, 
faziendo  al  rascar  jestos  estranos 
e  feas  continen9ia8,  sus  cejas 
abaxadas  como  de  persona  que 
estä  comidiendo  en  algund  grand 
pensamiento.  E  la  Pobreza  asy 
estando,  he  vos  aqui  donde  viene 
por  el  Camino  adelante  la  For- 
tuna, muy  poderosa,  de  edad 
de  treynta  anos,  muy  lo(jana  e 
valiente,  riendo  e  cantando  con 
mucha  alegria,  en  somo  de  un 
caballo  muy  grueso  e  fermoso,  vna 
guinialda  de  ilores  en  la  cabe^a, 
muy  cenida  por  el  cuerpo  e  fres- 
camente  arreada  segund  la  gala 
del  mundo.  E  como  llegase  a  la 
vista  de  la  Pobreza,  su  cavallo 
comenijo  de  tornar  atras  e  co- 
men9Ö  a  dar  muy  fuertes  ron- 
quidos  por  quanto  vido  la  Pobreza 
yazer  muy  fea  e  desfigurada,  que 
pare89ia  a  la  muerte  propia  que 
enton^e  del  sepulcro  salia.  E  des- 
que  la  Fortuna  la  vido,  diö  de 
las  espuelas  al  cavallo  e  como  a 
forQado  fizole  a  ella  Uegar,  e  la 
Fortuna  comenco  a  sonreyrse  a 
manera  de  escarnio.  Pero  la  Po- 
breza, quando  la  vido,  con  grand 
aeso  e  mansedumbre  al^o  sus  ojos 
en  alte  e  comen<jo  de  mirar  la 
pompa  e  lo^ania  e  locura  e  vana- 
gloria,  la  jactancia  e  orgullo  que 
la  Fortuna  consygo  tenia,  .e  en 
manera  muy  suave,  a  guisa  de 
persona   entendida  e  an9iana,    la 


p.  61. 
Sedebat  forsan  in  tri- 
vio  Paupertas  amicta 
centaculo,  et  obducto 
supercilio,  et  secum(ut 
moris  est)  revolvebat 
plurima.  Eo  ferente 
casu,  Fortuna  superbo 
fasto,  et  numine  pleno 
transiens,  oculos  iniecit 
in  eam.  Ad  versus  quam 
ridentem,  atque  prae- 
tereuntem  Paupertas, 
nullis  ferfe  onusta  laci- 
nijs  surrexit,  et  acri 
vultu  inquit.  Quid 
Stolida  rides?  cui  for- 
tuna, miror  te  ipsam 
macie  obsitam,  strabo- 
sam,  8cabiosam,pallen- 
tem,  palliastro  tenui, 
semesisque  vestibus  se- 
mitectam,  amicitias  fu- 
gantem,  ac  canes  quo- 
cüque  iuerls  excitan- 
tem,  et  nö  urgente 
extremitatis  tuae  vere- 
cundia,  in  solitudine 
residentem.  His  irri- 
tata  Paupertas ,  vix 
manus  continuit,  dixit- 
que:  Ecce,  si  insipida 
arbitraris,  quasi  dea 
sis,  ut  stolidi  credidere, 
te  quide  agente,  sie 
ferme.  Non  equidem, 
quinimo  me  volente 
sinamus  haec:  cum  tibi 
Sit  plena,  moUisque 
cutis,  roseus  color,  ac 
purpurea  vestis,  et  an- 
elllarum  longior  ordo. 
Vis  ne  mecum  in  pa- 
lestra  certare  viribus? 


del  De  Casibtis,  non 
preferenza  nel  testo 
l'arciprete  svolge  il 

Caydas,  Lib.  III, 
cap.  II,  f.  XXXIII. 
Assi  fue :  que  la  po- 
breza estava  assentada 
en  un  lugar  donde  se 
ayuntavan  tres  cami- 
nos, vestida  de  una  piel 
de  oveja  y  abaxada  la 
sobreceja:  segund  que 
los  ombres:  lo  acos- 
tumbran  quando  pien- 
san  en  algunas  cosas 
senaladamente  graves. 
E  assi  acaescio  que  en 
aquel  passo  que  la  po- 
breza assi  estava:  ptfe- 
sava  la  fortuna  con 
gesto  muy  sobervio 
toda  llena  de  orgullo 
y  la  pobreza  desnuda 
sin  carga  de  ropa  con 
gesto  triste  y  amargo  . 
y  la  fortuna  comen^ose 
de  reyr  .  y  la  pobreza 
le  dixo  .  o  loca  sin 
seso  querria  yo  saber 
de  ti:  de  que  te  ries. 
entonces  respondio  la 
fortuna .  digote  pobre- 
za: que  esto  pensando 
y  considerando  como 
estas  magra  y  sarnosa 
y  amarilla,  cubie[r]ta 
de  viles  ropas  todas 
rasgadas:  y  assi  apar- 
tada  de  toda  buena 
amistad  :  y  veote  la- 
drada  de  todos  los 
canes  :  que  contigo  en- 
cuentran  y  agora  estas : 
perdida  toda  verguen- 
9a  .  y  creo  que  en  ti 
no  la  ha  .  Por  ende 
yo  te  pregunto  que  me 
digas  la  cabsa  porque 
estas  assi  sola  y  raez- 
quina  con  tu  pobreza 
que  sufifres  .  y  la  po- 


416      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  neU'Etä  Media. 


vista  paresca  patrana  de  vieja',  ma  lo  dilata  e  allunga  con  in- 
venzioni  e  ragionamenti  propri,  v'aggiunge  nuovi  detti  mordaci, 
nuove  sentenze  e  provverbi  (*las  paredes  ä  las  oras  oyen  e  orejas 
tienenV  ecc.)  frizzi  contro  le  donne  e  i  preti.^  Di  un  cenno  si 
foggia  intere  scene,  sempre  con  inesauribil  vena.  Ne  la  loquacita 
sovrabbondevole  delle  due  contendenti,  che  s'ingiuriano  e  si  bat- 
tono,  riesce  a  stancarci  e  ad  infastidire,  tanto  e  vivace,  brioso, 


breza  con  estas  pala- 
bras  que  la  fortuna  le 
dixo  fue  muy  sanuda 
en  tanto  grado  que 
apenas  pudo  tener  las 
manos  quedas  .  y  tor- 
nando  a  su  humildad  y 
paciencia  respondiole: 
diciendole  assi .  O  loca 
como  hablas  tu  pre- 
suntuosamente  pensan- 
do  que  tu  seas  una 
grand  diosa  :  y  las  co- 
sas  presumes  que  tu  las 
ordenas  :  segund  que 
algunos  locos  lo  creen 
y  tienen  .  y  sey  bien 
cierta  que  esto  non  es 
ni  viene  porque  tu  as 
poder  de  lo  fazer,  mas 
es  por  culpa  del  que 
padece  asi  como  yo  . 
Mas  dexemos  agora  de 
fablar  en  estas  cosas  . 
y  pues  tu  estas  rica  y 
bien  andante  teniendo 
tu  rostro  hermoso  de 
color  de  rosas  .  y  tus 
vestiduras  de  purpuras 
de  oro,  muy  aeompana- 
da  de  donzellas  que  te 
sirven:  y  otras  com- 
paiias  asaz  .  Mas  si  a 
ti  pluyesse  entrar  co- 
migo  en  un  campo  cer- 
rado  y  provar  tus  fuer- 
^as  con  las  mias  :  yo 
te  aria  conoscer  la 
virtud  de  mi  cödicion. 

Anche  le  lodi  impartite  alla  povertä,  in  altra  parte  del  trattato  (Lib.  I, 
-cap.  XVI,  f.  XVII  della  trad.  cast.),  sono  messe  a  profitto  dall' arciprete. 

*  E  pure  fra  i  Proverhios  del  Santillana:  'que  en  tal  caso  las  paredes 
han  oydo'  [Obras,  38)  e  nel  Tirant  lo  Blanch  (cap.  CXLVII  ed.  Bib.  catal): 
'no  saben  que  moltes  voltes  les  parets  tenen  Grelles'. 

*  Giä  discretamente  frustati  nel  Lib.  I,  cap.  XXIX:  'Pues  sy  fabla- 
mos  de  frayres  e  abades,  en  este  caso  non  digo  nada,  que  animales  son 
de  rapina,  que  quando  non  tienen  de  suyo  acorrense  de  su  vezino.' 


Pobreza  dixo  asy :  amiga  ^  de  que' 
te  ries?  que  plazer  veas  de  ty! 
^rieste  de  mi,  en  que  me  vees 
fea  e  desdonada,  sola  e  apartada 
de  los  plazeres  del  mundo,  echada 
entre  estos  tres  caminos  ?  Kespon- 
dio  la  Fortuna:  Pobreza,  mucho 
me  maravillo  de  ti,  ^e  non  me 
devo  reyr  consyderando  tu  jesto 
e  presen9ia,  fea,  negra,  mal  vestida, 
cubierta  de  mucha  sarna,  huesos 
toda  e  pellejo,  apartada  de  todo 
byen,  alexada  de  plazeres,  acom- 
panada  de  tristeza,  complida  de 
yensamientos,  llena  toda  de  do- 
lores? Dizes  que  non  me  ria: 
sy  reyre  por  buena  fe:  ^quien 
sera,  el  que  non  riese  sy  tu  do- 
nayre  viese?  Mirate  k  un  espejo 
antes  que  respondas,  e  veräs 
quien,  como  e  quäl  estas.  En- 
tonce  la  Pobreza,  non  moviendo 
su  cora^on  a  yra,  dixo:  dime, 
amiga,  ^ quien  eres  tu?  Dixo  la 
Fortuna:  yo  so  la  alta  Fortuna, 
que  fago  e  desfago,  mando  e 
viedo;  todas  las  cosas  a  mi  regi- 
miento  son. 


Note  sulla  fortiina  del  Boccaccio  in  Ispagna  neli'Etä  Media.      417 

salato  lo  Stile  dell'  argutissimo  autore.  Prima  di  azzuffarsi,  For- 
tuna e  Povertä  vuotano  un  gran  sacco  di  contumelie,  e,  laddove  il 
Boccaccio  asciuttamente  descrive  la  rissa  e  ci  prcsenta  in  seguito 
Madonna  Povertä  vittoriosa  e  trionfante  su  Madonna  Fortuna, 
il  Talavera  ci  da  un  torneo  in  piena  regola,  con  finte  e  assalti 
parecchi  e  grandi  colpi  e  grandi  scosse.  La  Povertä,  che  ha 
air  uopo  sante  parole  in  bocca,  e  cita  Valerio  e  Catone  e  Salo- 
mone  e  i  Salmi  di  David  ^  ha  ancor  modo  di  addentare  la  rivale, 
simulatrice,  *dona  falsa,  mala',  di  malizia  gravida  e  coperta: 
'non  te  pienses  espantarme  con  tus  gestos  bravos  de  leon  a 
manera  de  ytahanos,  genoveses  o  lombardos'.  La  vittoria  e  poi 
altamente  gridata,  e  la  Fortuna  pesta,  umiliata,  contrita  e  messa 
in  ceppi;  la  Povertä  pellegrina  oltre  a  Bologna. 

II  Certamen  non  e  solo  ad  agire  suU'  immaginazione  del 
salace,  vivacissirao  scrittore.  La  dottrina  morale  del  De  Casi- 
bus  e  specchiata  qua  e  la  nel  trattato,  che  riprova  e  sferza 
l'amor  mondano,  il  'loco  y  vano  amor',2  la  *mala  e  desordenada 
cobdigia'  (p.  59)  ;3  e  quegli  illustri,  *los  mäs  fuertes  del  mundo, 
gigantes  e  poderosos,  papas,  emperadores  e  reyes',  che  la  For- 
tuna si  vanta  di  aver  abbattuti  (p.  298):  *David  e  Dario  el  fa- 
moso,'  *Alexandre,  que  del  universo  mundo  fue  senor,'  *Sanson 
e  Golias,'  *el  grand  emperador  virtuoso  Pompeyo,'  'Julio  Cesar, 
el  syngular  conquistador  e  emperador,'  il  'grand  Membroc, 
gigante  que  fizo  la  torre  de  Babilonia',  *Teseo,  rey  de  Atenas,' 
il  *gran  Priamo,  rey  de  los  troyanos',  il  *grande  Roboan,  rey 
de  los  judios',  'la  grande  reyna  Dido,  reyna  de  Cartago',  il 
'fuerte  Sedechias,  rey  de  Iherusalem',  il  *sobervio  Tarquino, 
fijo  del  Tarquino  emperador  romano',  *Antioco,  rey  de  Per- 
sia  e  de  Asia',  il  *famoso  Anibal,  senor  de  Cartago',  il  'grande 
Marco  Tulio  Qigero',  il  *grande  Herodes,  rey  de  los  judios',  il 
'grande  emperador  Nero',  il  'varonil  emperador  Qesar  Augusto', 
'Valerio,  de  Roma  emperador,'  il  'grande  Dioclegiano,  empera- 
dor', 'Maximiano,'  'Juliano  Apöstata,'  'Galero,  emperadores  de 
Roma,'  T'emperador  Constantyno  romano',  'Andronico,  empera- 
dor de  Constantinopla;  Diogenis  emperador  romano,'  'Radugayso 
rey  de  los  godos'  ('Rodaygasso'  nella  versione  del  De  Casibus, 
Lib.  VIII,  cap.  XI,  f.  CVII)  avevan  tutti  la  loro  storia  di 
sciagure,   di   grandezze  e  miserie  nella  storica  compilazione  del 

*  In  una  lunga  enumerazione  di  dottori  e  poeti  e  maestri,  uscita  di 
bocca  alla  Fortuna  (p.  299),  il  Boccaccio  ('Bocazyo')  appare  tra  Seneca  e 
Ovidio;  in  altre  stampe,  tra  Livio  e  Orazio  (p.  'M)0). 

'^  Contrapposto  sempre  dagli  scrittori  del  Medio  Evo  di  Spagna  al 
*buen  amor'.  Santillana,  Proverb.  {Obras,  42)  'E  ressiste  en  mogedat  |  AI 
loco  amor*. 

'  'O  ciega  codicia  y  desordenada  de  aquellos  a  los  quales:  por  el  don 
de  dios  era  dado  senorio  {Caydas,  Lib.  I,  cap.  II,  f.  III).  Vedi  inoltre 
il  cap.  XXIII  del  Lib.  I  que  habla  de  la  desordenada  cobdicia. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  27 


418      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

Boccaccio.  Di  suo  l'arciprete  non  aggiungeva  che;  "los  doze 
pares  de  Frangia,  'el  animoso  Godofre  de  Bullon',  'Tristan  de 
Leonis  e  Langarote  del  Lago',  e  L'ingalego  (?)  rey  de  Napoles", 
se  pur  quest'  ultimo  non  e  da  identificarsi,  com'  io  suppongo,  con 
Ladislao,  re  d'Ungheria.^ 

Sul  *non  incusanda  sydera  sunt,  cum  sibi  infortunium  quae 
sierit  oppressus',  il  Talavera  ricama  parecchie  morali  considera- 
zioni;  inneggia  al  libero  arbitrio,  con  piii  calore  e  convincimento 
assai  che  non  faccia  il  Boccaccio,  e  forse  l'arciprete  di  Spagna 
ignorava  come  il  suo  dottor  fiorentino  un  po'  di  fede  prestasse 
alle  chimere  astrologiche  e  si  professasse  grato  al  'generoso  e 
venerabil  vegliardo'  genovese,  autore  dell'  Introductio  ad  judicia 
astrologica,  per  le  nozioni  avute  sul  moto  e  la  virtü  delle  stelle.^ 
Quando  mai  ebber  potere  sulle  vicende  umane:  *fortuna,  fado 
nin  Ventura,  que  una  cosa  son',  e  questo,  o  quest' altro  pianeta, 
non  fila  ogouno  il  suo  proprio  destino?  Non  si  faccia  ingiuria 
al  franco  e  libero  arbitrio,  all'  umana  libertä,  plaudendo  all'  il- 
lusoria  e  derisoria  scienza  degli  astri  (p.  319):  'ei  que  dexa  a  Dios 
e  SU  Santo  nombre  e  poderio,  e  se  somete  a  fados  e  planetas, 
que  sy  fadas  malas  le  vinieren  por  su  culpa  obrando,  se  les  tenga'.^ 

*  Le  stampe  danno  (p.  299)  'Lanfalao'.  Anche  re  'Cesar  de  Bretana' 
(p.  298)  m'fe  sospetto;  evidentemente  volevasi  alludere  a  re  Arturo. 

^  *Arte  da  solennissimi  ingegni'  chiama  il  Boccaccio  l'astrologia  nella 
Fiammetta  (cap.  III).  S'ebbe  poi  il  lieto  e  faceto  novellatore,  col  volger 
del  tempo,  quella  fama  di  mago  che  ad  altri  molti  giudiziosissimi  scrittori 
non  fu  risparmiata  dal  volgo  immaginoso.  Vedi  un  opuscoletto  nnziale 
di  0.  Bacci,  Burle  e  arti  7nagiche  di  Oiovanni  Boccaccio.  Castelfiorentino 
1904.  Sulle  credenze  astrologiche  del  Boccaccio  ^  notevole  sempre  quanto 
osserva  il  Graf,  Fu  superstixioso  il  Boccaccio?  in  Miti,  legg.  e  superst.  d. 
Med.  Ero  II,  173  sg. 

^  L'arciprete  parrebbe  nutrito  della  Somma  di  San  Tommaso,  che  non 
cita.  La  vivace  difesa  del  libero  volere,  di  fronte  al  vantato  poter  delle 
stelle,  ci  rammen ta  il  sermone'di  Marco  Lombardo  nel  Purgatorio  dantesco 
(canto  XVI),  sul  quäle,  vedi  C.  Galanti,  11  libero  arbitrio  secondo  la  mente 
del  divino  poeta  in  Alighieri  II,  362  sgg.  e  G.  Zoppi,  //  determinismo  e  il 
libero  arbitrio  in  Dante.  Verona  1902.  —  Curiosa  assai  ^  la  tirata  sul 
libero  arbitrio,  o  franco  volere,  capace  di  combattere  l'influsso  delle  costel- 
lazioni  sul  destino  degli  uomini,  nel  frammento  La  Fiction  du  Hon  di 
Eustache  Deschamps,  anteriore  di  mezzo  secolo  al  libro  del  Talavera 
{Oeuvres  de  E.  D.  publ.  p.  G.  Raynaud  in  Soc.  de  anc.  textes,  Paris  1903, 
XI  159  sgg.)  Ricordo  un  capitolo  De  predestinacio  e  de  franch  arbitre  del 
Ldbre  de  les  Maravelles  del  Mon  \LN1YL)  di  Ramon  Lull  ed  un  curioso  dis- 
corso  che  Tirant  fa  a  Plaerdemavida  nel  Tirant  lo  Blanch  (cap.  CCCLXI. 
vol.  IV,  p.  121  dell'ediz.  nella  Bibl.  eatal.):  'Mas  lo  franch  arbitre,  regit  e 
reglat  ab  saviesa  per  les  potencies  intellectuals,  com  no  sia  sotmes  a  les 
costillacions  dels  cossos  celestials,  refrena  les  vanes  e  foUes  cogitacions  e 
fantasies  de  les  nostres  penses,  e  ab  prudencia  senyoreja  les  adversitats  de 
la  trista  fortuna.'  —  Ho  cercato  invano,  con  altri  trattati  del  primo  Quat- 
trocento, il  Tratado  del  caso  y  fortuna,  compilato  per  desiderio  espresso  del 
re  D.  Juan  II,  dalla  sua  'humilde  fechura'  il  domenicano  Lope  de  Bar- 
rientos  (Nie.  Ant.  Bib,   Vet.  II  295),  professore  un   tempo  di  teologia  a 


Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      419 

II  De  Casibus  offriva,  inoltre,  all'  arciprete  di  Talavera  il 
capitoletto  In  mulieres  (Lib.  I,  cap.  18),  un  Corbaccio  in  minia- 
tura,  dove,  a  beneficio  degli  uomini,  incamminati  all'  eterna  salute, 
ed  a  frenare  i  disonesti  appetiti,  si  discorre  delle  malizie  e  degli 
inganni  perfidi  delle  nemicbe  di  Dio.  E  innegabile  che  a  Eutrire 
le  diatribe  contro  le  donne  nella  Reprobaciön  del  mondano 
amore  contribuirono,  oltre  le  accuse  lanciate  in  lingua  volgare 
nel  libello  famoso,  quelle,  pur  pungenti,  all'  *animal  amarissimum' 
del  trattato  latino.  II  cenno  a  Sansone  'deceptus,  tonsus,  orba- 
tus,  atque  detensus  in  gremio  adamatae  puellae,  eiusque  fraude 
ab  hostibus  suis  captus  ...  et  puerorum  etiam  factus  ludibrium' 
puö  aver  suggerito  il  racconto  della  frode  di  Dalila  (Lib^  II, 
cap.  VI,  p.  149),  e  qualcosa  de'trovati  femminili  per  correggere 
la  natura:  il  rendersi  con  acque  i  capelli  piü  lucenti  che  il  sole, 
il  farsi  la  ironte  ampia  e  spaziosa,  levandone  e  cavandone  i  peli, 
il  togliersi  i  peli  col  vetro,  non  petendo  altrimenti,  l'acconciar 
coUe  forbici  le  ciglia  raggiunte  e  folte,  riducendole  in  sottilis- 
simi  archi,  il  render  bianchi  con  le  polveri  i  denti  neri,  e  i 
caduti  riprodurre  coli'  avoiio,  passö,  coli'  arti  svelate  nel  Cor- 
baccio, nella  satira,  or  gioviale,  or  mordace  dell'arciprete.^ 


Salamanca,  vescovo  di  Segovia,  poi  di  Avila  e  di  Cuenca,  nfe  posso  dire  se 
offra  derivazioni  dal  De  Casibtis,  o  sia  ispirato  dal  De  fato  et  fortuna  di 
Coluccio  Salutati.  II  Baist,  Orundrifs  II/II,  413  vagamente  lo  chiama: 
'Untersuchungen  über  höhere  Probleme,  als  sie  sonst  in  der  Vulgär- 
sprache behandelt  werden.'  —  Un  capitolo  di  certo  florilegio  di  sentenze 
morali,  estratto  da  vari  autori :  Setenario  6  tratado  de  las  siete  partidas 
morales,  pure  del  '4('0,  manoscritto  tuttavia,  ch'io  veggo  citato  dal  Gal- 
lardo,  Ens.  I  11-^3,  'traeta  e  dize  que  cosa  es  fortuna  e  que  coaa  es  caso 
e  de  otras  buenas  costumbres  de  que  los  omnes  deven  usar  assi  commo 
de  vertud'.    Recherä  traccie  del  De  Casibus? 

'  A  compimento  di  quanto,  altrove,  osservai  suU'influsso  del  Corbaccio 
neir  opera  dell'  arciprete  di  Talavera,  a  proposito  delle  'aguas  para  afeytar', 
'para  estirar  el  cuero'  ecc.  ed  il  modo  ai  foggiarsi  (p.  185)  'las  yejas  byen 
peladas,  altas,  puestas  en  arco,  los  ojos  alcoholados,  la  freute  toda  pelada 
y  aun  toda  la  cara,  grandes  e  chicos  pelos,  con  pelada  de  pez  ...  los 
dientes  anozegados  o  fregados  con  mambre'  ecc,  tengasi  ancor  presente 
l'esordio  del  capitolo  boccaccesco :  qu^  habla  como  las  müderes  se  apostavan 
en  aquel  tiempo  nelle  Caydas  (Lib.  I,  cap.  XVIII,  f.  8).  'Y  las  que  veen 
que  tienen  los  cabellos  negros  luego  los  tornan  ruvios  con  aguas  que  sahen 
hazer:  y  aun  quando  quieren  con  otros  artificios  que  sahen  los  hazen 
Crespos  y  ensortijados.  Y  si  la  freute  es  pequena  tirandole  los  cabellos  se 
alargan.  Y  si  las  sobre  cejas  son  juntas  con  unas  tenazuelas  tirando  ca- 
bellos los  parten  y  tornan  en  la  delgadeza  que  quieren,  y  si  ruvias  |  o 
negras  las  quieren  tales  las  hazen  |  y  si  en  los  dientes  tienen  mengua  al- 
guna  de  marfil  los  anaden:  y  si  son  araarillos  o  negros  con  unas  gomas: 
o  especias  los  tornan  blancos  .  y  a  mayor  abondamiento  con  vedrio  sotil 
los  cabellos  del  rostro  tiran  que  no  se  atreven  con  navaja  por  no  acres- 
centar  otro  dano  peor  .  E  la  grosura  del  rostro  ellas  las  sahen  bien  adel- 
gazar  rayendola.  Y  otrosi  si  tienen  rostro  amarillo  |  o  descolorado  con 
sus  artes  que  azen  |  luego  le  dan  color  y  destas  tales  maneras  se  com- 
ponen  y  afeytan  |  y  aquellas  que  tu  primero  diras  que  eran  feas  juzgaras 

27* 


420      Note  ßuUa  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

Piacque  ad  altri  monsignori  e  teologi,  vissuti  sotto  il  lungo 
regno  di  D.  Juan  II,  il  Certamen  del  De  Casibus.  Fra  Martin 
de  Cordova,  'en  theologia  maestro',  servo  devoto  di  Don  Alvaro 
de  Luna,  uscito  appena  da  'una  grave  enfermedad',  piocacciatasi 
*cuando  venia  de  Francia',  mette  insieme  un  suo  Compendio 
de  la  Fortuna,  o  trattato  De  prospera  y  adversa  fortuna:^ 
*asi  natural  como  practico  e  moral';  cava  sentenze  da  Aristotile, 
Boezio,  Seneca,  Livio,  e  dedica  un  capitolo  dell'  operetta  sua, 
dimenticata  ormai,  e  inedita,  ch'io  sappia,  (Lib.  II,  cap.  III)  alla 
descrizione  o  pittura  della  'Fortuna^  e  della  'Pobreza^  *segund 
Francisco  Petrarca  e  Juan  Bocatio'.^ 

E  notissima  l'ammirazione  del  Marchese  di  Santillana  per 
le  stelle  maggiori  fiorentine  che,  a  tratti,  qualche  bagliore  di 
luce  mandavano  sulle  contristate  e  travagliate  terre  di  Castiglia; 
nota  e  la  glorificazione  del  Boccaccio  nella  Comedieta  de  Ponga, 
dove  il  grand'uomo,  raccoglitore  ed  epositore  dei  casi  e  delle 
sciagure  umane,  appare  in  persona,  di  verde  alloro  coronato, 
mosso  dai  lamenti,  dalla  *fabla  llorosa',  a  consolare  e  fortificare 
le  afflitte,  illustri  regine,  Donna  Leonora  in  particolar  modo,  la 
quäle,  alle  Caydas  memorande,  aggiunge  il  racconto  del  proprio 
lacrimevol  infortunio,^del  capitombolar  suo,  dallo  stato  felice  alla 
miseria  profonda.^  E  per  original  Capriccio,  o  dietro  suggeri- 
mento  della  Cow-edieta  del  Marchese,  la  cui  *volante  fama^  al 
dire  di  Juan  de  Mena  {Prohemio  alla  Corona cion),  *con  alas  de 
ligereza,  que  son  glorias  de  buenas  nuevas,  encabalgö  los  gal- 
licos  Alpes,  e  discurrio  hasta  la  frigiana  tierra^  che  Georges 
Chastellain   desta   dal  sonno   d'oltretomba   e  fa  risorgere  in  un 


que  Venus  no  pudo  ser  mas  hermosa.  Pues  si  yo  quiero  anadir  por 
quantas  maneras  los  cabellos  rubios  componen  mucho  me  deternia.' 

*  Con  questo  secondo  titolo,  che  rammenta  il  De  Remediis  utriusqtie 
fortunae  del  Petrarca,  lo  cita  Nicol.  Ant.  Bibl.  Vet.  II  306. 

^Di  questo  Compendio  de  la  Fortuna  che  evidentemente  riproduce  il 
Certamen  Fortunae  et  Paupertaiis  del  Boccaccio,  offre  una  sommaria  de- 
scrizione il  Gallardo,  Ens.  II  569.  —  Fa  specie  che  alla  dottrina  racimolata 
da'Santi  Padri  e  da'  dottissimi  uomini  d'ogni  nazione,  nelle  Senteneias  mo- 
rales  (pur  vi  figura  Brunetto  Latini),  assai  lette  e  diffuse  nella  Catalogna 
del  '400  {Colecc.  de  docum.  inedit.  del  Arch.  gener.  de  la  Cor.  de  Arag. 
t.  XIII),  non  s'aggiunga  verun  ricordo  ai  trattati  del  Petrarca  e  del  Boc- 
caccio, gustati  assai  al  Settentrione  della  Penisola.  AI  Metge,  che  allegra- 
mente  furava  dal  Corbaccio,  era  pur  noto  il  De  Casibus,  ed  ^  della  famiglia 
degli  illustri  infelici,  evocati  dal  Boccaccio,  lo  spirito  del  monarca  apparso 
nel  Somnif  in  quella  camera  'la  quäl  es  testimoni  de  les  mies  cogitations' 
('clamoribus  cubiculum  meum  omne  compleverant',  De  Cas.).  Nella  Catalogna 
tuttavia,  fertile  assai  di  traduzioni  di  opere  latine  e  volgari,  non  trovo 
traccie  di  una  traduzione  del  De  Casibus. 

^  Neil'  eloquio  italiano  del  Boccaccio,  barbaramente  riprodotto  in  ogni 
stampa,  h  palese  il  ricordo  al  principio  della  Fiorita  di  Armannino :  'lo  son 
Fiorita  di  molti  colori,  |  Mostrarmi  vegno  per  darmi  diletto,  |  Poi  che 
volete  vedere  il  mio  aspetto.' 


Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Eta  Media.      421 

suo  *Tempio'  il  Certaldese,  grande  e  nobile  'reciteur  des  fortunes 
du  monde  et  des  tristes  malheureuses  matieres  collecteur  veri- 
table^  'docteur  de  patience  en  adversite/  perche  ad  una  deso- 
lata  regina,  cui  pugna  in  cuore  il  travaglio  di  'fortune  dure  et 
parverse',  porga  alleviamento,  e  vegga,  in  misteriosa  visione,  come 
un  seguito  de^suoi  casi  degli  illustri,  nuovi  esempi  del  capo- 
volgersi  precipitoso  d'ogni  gloria  mondana?'  Non  oserei  pro- 
nunciare  un  giudizio  reciso.  Fu  grande  in  ogni  tempo  nel 
Chastellain  l'amore  per  il  Boccaccio,  il  cui  *glorieux  parier  . . . 
apres  Petrarque  son  maistre,  depuis  les  Romains  n'a  eu  gaires 
de  pareiF;  della  morale  solenne  del  De  Casihus  ritrae  il  Miroer 
des  nobles  hommes  de  France^;  alle  cose  del  mondo,  anche  al 
di  lä  de'  limiti  della  sua  dolce  Francia,  porgeva  attento  orecchio; 

*  Le  Temple  de  Bocace,  Remonstrance,  par  maniere  de  consolation  ä  ttne 
desolee  reyne  d' Ängleterre  {Oeuvres  de  Chastellain,  pubbl.  da  K.  de  Letten- 
hove,  Bruxelles  1865,  VII,  pp.  75  sgg.).  Quando  precisamente  l'operetta 
del  Santillana  riuscisse  a  varcare  la  frontiera  di  Spagna,  non  so  dire.  Un 
manosc.  della  Nazionale  di  Parigi  (Morel-Fatio,  Catal.  No.  586,  anc.  f.  No. 
7,819)  contiene,  con  altre  poesie  castigliane,  anche  la  Comedieia  de  Pon^. 
^  Ricorderebbe  in  parte  il  De  Gasibus  anche  la  Gomplainte  de  fortune,  ma 
non  pare  opera  del  Chastellain.  Vedi  Gröber  in  Orundrifs  II  1182.  Sicura- 
mente  l'autor  suo,  che  versificava  nella  seconda  metä  del  '400,  dopo  il  Santil- 
lana, imita,  nell'  esordio,  le  riflessioni  morali,  gli  accorati  lamenti  sui  perire 
delle  cittä,  de'  regni,  degli  imperi  e  delle  glorie  tutte  in  terra  che  il  marchese 
poneva  nel  Didlogo  de  Bias  contra  Fortuna  {Ohras,  155  sgg.)  Chiedevasi  Blas: 

Que  es  lo  que  pienssas,  Fortuna?  Que  non  parescje  ninguna? 

Tu  me  pienssas  molestar,  <^ues  de  Tyro  e  de  Sydon 

O  me  pienssas  espantar  E  Babiloniat 

—  —     —     —     —     —     —     —  Qu6  fu6  de  Lagedemonia  ■ . . 

—  —     —     —     —     —     —      —  Casi  fueron,  ya  non  son! 

Essas  ediffica9iones,  Dlme,  ;.quäl  paraste  4  Roma, 

Ricos  templos,  torres,  muros,  A  Corintho  e  ä  Carthago  f 

Serän  6  fueron  seguros  O  golpho  cruel  e  lago! 

De  las  tu8  persecu^iones  ?  —     —     —     —     —     —     —     — 

—  —     —     —     —     —     —     —  Son  imperios  6  regiones, 

—  —     —     —     —     —     —     —  O  ^ibdades, 

Qu^s  de  Ninive,  Fortuna?  Coronas,  nin  dinidades 

Qu^s  de  Thebas  ?  ques  de  Athenas  f  Que  non  fieras,  6  baldones. 

De  aus  murallas  e  almenas,  —     —     —     —     —     —     —     — 

E  l'autore  della  Gomplainte  de  Fortune  {Oeuvres  de  Chastellain,  VIII  323  sgg.) : 

Long  temps  y  a  que  je  me  plains  Fortune  tomber  et  cheoir! 

De  fortune  et  de  ma  doleur  Oü  est  le  tresor  et  Tavoir 

—  —     —     —     —     —     —     —  Des  plus  riches  qui  oncques  furent? 

—  —     —  quant  je  regarde  Poureuxtoutmeurt,quantilsmoururent. 
Du  monde  l'instabilite  —     —     —     —     —     —     —     — 

Et  que  fortune  point  ne  tarde  —     —     —     —     —     —     —     — 

Mais  tousjours  fait  nouvelete  Oü  est-ce  que  Nynive  fu; 

—  —     —     —     —     —     —     —  En  laquelle  y  avoit  maint  fu? 

—  —     —     —     —     —     —      —  Trois  journees  avoit  de  tour 

Quantes  cites  sont  ä  ruine,  Or  n'y  a  mais  ne  mur,  ne  tour. 

Qui  ont  este  de  grant  pouvoir!  Qu'est  de  venu  Babylosne, 

Quans  roys  a  fait  par  sa  bruine,  De  mati^re  artificieuse 


422      Note  ßulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

fama  del  Santillana  giungeva  a  lui  pure  sicuramente.  Discorre  il 
Chastellain  piü  volle,  con  senno  e  facondia,  delle  cose  di  Castiglia; 
nel  Temple  e  lamentata  la  sorte  iniqua  di  re  Alfonso  d'Ara- 
gona;  Don  Alvaro  de  Luna  (VII  289),  vi  muove  la  sua  'com- 
plainte':  *vint  droit-cy  se  remonstrer  atout  son  hourt,  son  corps 
en  quatre  pieces  dessus  et  la  teste  tollue,  et  voulant  preadviser 
les  hauts  montes  en  la  roue  de  futur  peril,  et  leur  estre  figure 
et  miroir  de  felicite  mal  usee.' 

Certo,  di  tutti  gli  illustri  saliti  in  gran  potere  e  travolti 
poi  miseramente  al  basso,  nessuno  dava,  nel  secolo  e  nella  patria 
del  Santillana,  piü  solenne  e  terribile  spettacolo  del  favorito  del 
re  e  grandissimo  e  superbissimo  'factotum'  Don  Alvaro  de  Luna. 
L'esempio  suo  ben  valeva  gli  esempi  addotti  dal  Boccaccio  nel 
De  CasihuSj  e  forse,  al  tramonto  estremo  della  sua  gloria  funesta, 
venendo  a  morte,  il  De  Luna  medesimo  penso  alle  Caydas  boc- 
caccesche.  Quando  il  capo  dell' infelice,  che  s'ergeva  orgoglioso 
SU  tutti,  fu  mozzo,  ed  i  potenti  tremarono,  molti  certo  ebbero 
un  pensiero  allo  storico  e  moralizzatore  delle  vicende  de'  prenci. 
E  mentre  il  Santillana  in  un  suo  Doctrinal  de  Privados  ac- 
cusa,  ingeneroso  stavolta,  il  nemico  caduto,  e  ripete  la  morale 
de'  Trionfi  e  del  De  Casihus,^   ammonisce  chi  foUemente  aspira 


La  non  pareille  dessous  le  throsne  D'elle  n'y  a  riens  demore 

Falte  par  gent  ingdnieuse.?  Pour  bien  jugler  que  9'a  este. 


—     —     —     —     —     —     —     —  Lacedemone,  dont  les  lois 

öü  est  Troye  la  renomm^e,  Vinrent  en  maintes  nations, 

Et   Ylion,  chasteau  saus  per?  A  toutes  gens,  mesmes  aux  rois. 


Et  Thebes  que  jadis  fouda  Äthanes,  fleur  de  sapience 

Cadanno,  fils  de  Agenor  —     —     —     —     —     — 


—     —     —     —     —     —     —     —  Cartage    —     —     —     —     —     — 

11  Dialogo  e  la  Gomplainte  rammen  tan  poi  le  glorie  ed  i  trionfi  tramontati  di 
prenci  e  sovrani.  Di  altre  derivazioni  dalle  strofe  del  marchese  di  Santillana 
feci  parola  nelle  Note  sulla  fortuna  del  Petrarca  in  Ispagna,  p.  81,  dell'estr. 
*  Pur  ripetuta  nella  Pregunta  de  nobles  ä  Don  Enrique  Senor  de  Villena, 
stampata  tra  le  Rimas  ined.  dell'Oclioa  pp.  241  sgg.,  poi  in  Obras,  217  sgg.: 


Pregunto  ^,que  fue  d'aquellos  que  fueron       —     —     —     —     —     —     —     - 

Sqjudgadores  del  siglo  mundano,  ^A  do  es  Semirämis  e  Pantasilea, 


E  las  Amazonas 


^A  do  se  sumieron  Davit  e  Absalon,  Pregunto  ^,que  fue  del  magno  Pompeo 

El  grand  Josu6,  Saul,  Tholomeo,  De  Cessar  Augusto  e  Oetaviano? 

—  —     —     —     —     —     —     —  Otrossi  pregunto  por  el  grand  Trajano, 

Pregunto  ^que  fue  del  fljo  d' Aurora  —     —     —     —     —     —     —     — 

Achilles,  Ulixes,  Ayax,  Thalamon,  ;0  muy  trans^edentes  poetas  limados, 

Pirro,  Diom6des  6  Agamenon?  Intrinsicos  sabios,  diseretos  letrados, 

—  —     —     —     —     —     —     —  De<,'it  ^quien  los  roba,  Fortuna  ö  sus  flfados? 


Note  suUa  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  neH'Etä  Media.      423 

air  *estrenia  soberauia'  di  raccogliere  a  tempo  il  volo  *  e  la  fine 
deir  onnipossente  ministro  ricorda  in  un  freddo  bisticcio:  *teme- 
des  I  tan  gran  eclipse  de  luna',  l'autore  delle  Generaciones  y 
semhlanzas,  giudice  equo  ed  austero  de'  suoi  tempi,  rimaneg- 
giando  la  Cronica  del  rey  Juan  II,  cominciata  dal  *muy  bueno 
e  discreto'  Alvar  Gargia  de  Santa  Maria,  riferita  la  fine  lugubre 
di  Alvaro  de  Luna,  cosi  apostrofa  Tautore  delle  Cayrf as  (cap.  IV): 
*iO  Juan  Bocacio!  si  oy  lueses  vivo,  no  creo  que  tu  pluma  olvi- 
dase  poner  en  escripto  la  caida  deste  tan  estremo  y  esforzado 
varon,  entre  aquellas  que  de  muy  grandes  principes  mencionö. 
iQual  exemplo  mayor  a  todo  estado  puede  ser?  iqual  mayor 
castigo?  (jQual  mayor  doctrina  para  conocer  la  variedad  e  [los] 
movimientos  de  la  enganosa  e  incierta  fortuna?^  jO  ceguedad 
de  todo  el  linage  humaiiol  jO  acaecimiento  sin  sospecha  de 
las  cosas  de  este  mundo  . . .  pues  miren  aquellos  que  sola  su 
esperanza,  pensamiento  e  trabajo  ponen  en  las  cosas  vanas, 
caducas,  e  ciegas  deste  mundo,  e  con  änimo  atento  acaten  y 
vean  que  fin  ovieron  todas  las  honras,  todo  el  resplandor,  todo 
el  senorio,  todo  el  tesoro,  todo  el  mando  de  aqueste  tan  pode- 
roso,  tan  rico,  tau  teraido  senor.'^ 

Scrissero  i  saggi  antichi,  avvertiva  giä  il  D'Ayala  nel  proemio 

*  Proverh.  LXXVII  {Obras,  59):  'Quiere  aguello  que  pudieres  |  E  non 
mas,  I  Ca  vemos  de  oy  ä  cras,  |  Si  lo  atendieres,  |  Grandes  triunphos  6 
poderes  |  Derribados.' 

^  L'apostrofe  curiosa  mi  riconduce  alla  mente  l'esordio  della  novella 
Le  galant  morfondu  di  Antoine  de  La  Säle  {Les  Gent  Nouvelles  Nouvelles 
ed.  Londra  1744.  I  169).  *Se  au  temps  du  tr^s  renomm^  et  eloquent  Bo- 
cace,  Tadvanture  dont  je  vueil  fournir  ma  nouvelle  fut  advenüe  a  son 
audience,  et  congnoissance  parvenüe,  je  ne  doubte  point  qu'il  ne  l'eust 
adjoutöe  et  mise  ou  renc  des  nobles  hommes  mal  fortunez  . . .  et  se  mal 
fortune  n'est  digne  d'etre  ou  dit  livre  de  Bocace  ce  j'en  fais  juge  tous 
ceux  qui  l'orront  racompter.' 

^  Distinguere  nella  Cronica  famosa  (male  stampata  nella  collezione 
Cronicas  de  los  rey  es  de  Castilla  di  Cayetano  Rossell,  Madrid  1871,  t.  II), 
ben  nettamente,  il  lavoro  dell'  uno  e  dell'  altro  compilatore,  rimaneggiatore 
e  rifacitore  ^  cosa  ardua  assai,  sovente  impossibile,  ma  ben  parmi  veder 
qui  uno  sfogo  dell'animo  di  Fernän  P^rez  de  Guzmän,  che  nelle  Oenera- 
ciones,  caratterizzando  lo  zio  D'Ayala,  pur  ricorda  le  Gaydas.  Pur  da  lui 
proverrä  l'accenno  al  Boccaccio  nel  'Prölogo'  alla  Grönica  (p.  277).  II  com- 
pilatore del  De  Gasihus  figura  con  altri  illustri  e  saggi  antichi  che  scris- 
sero: 'las  hazanosas  ^  notables  cosas  hechas  por  los  ilustres  Principes',  e 
detter  esempio  'ä  todos  los  que  despues  vinieron  para  virtuosamente  vivir 
e  saberse  guardar  de  los  peligrosos  casos  de  la  fortuna.'  —  'Tomad  ex- 
emplo, privados,  |  En  don  Alvaro  de  Luna,  |  Condestable:  |  Vivid  siempre 
moderados :  |  Que  esta  loca  de  fortuna  |  Es  variable,'  cosi  esortava  ancora, 
in  versi  sciatti,  Francisco  de  Guzman  in  una  sua  Olosa  sobre  la  obra  que 
hixo  D.  George  Manrique  ä  la  muerte  del  Maestre  de  Santiago  (Menöndez 
y  Pelayo,  Antol.  vol.  VI,  p.  CXLVI).  —  Rileggo  la  Grönica  de  D.  Ai- 
raro de  Luna  e  stupisco  che  in  tanto  dilagare  di  sentenze  e  di  virtuosis- 
simi  precetti,  non  vi  sia  un  cenno  al  De  Gasibus.  La  dottrina  piü  eletta 
h  qui  attinta  da  Seneca. 


424      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagiia  ncirEta  Media. 

alle  'Cronache'  (t.  I,  p.  XXIX  ed.  Madrid  1799),  per  *tomar 
dende  buenos  exemplos  para  facer  bien,  e  se  guardar  de  mal', 
e  in  un  discorso,  teste  esumato,  il  Dottor  Gonzalo  Garcia  de 
Santa  Maria,  che  certamente  deve  aver  tratio  profitto  dai  casi 
memorandi  degli  illustri  e  dagli  storici  zibaldoni  boccacceschi, 
da  maggiore  importanza  agli  *exeniplos  de  la  vida  de  los  hom- 
l)res'  che  a'  precetti  santi  e  alle  dottrine  della  filosofia.  Senz'  essi, 
la  vita  nostra  altro  non  sarebbe  che  *navio  syn  velas  y  gover- 
nario  en  el  mar  tempestuoso'  —  imperiture  appaiono  le  opere 
eccelse  degli  storici.*  Della  poca  scrupolositä  usata  dal  novella- 
tore  nel  registrare  fatti  e  memorie,  intento  sempre  ad  inculcar 
massime  sagge,  alterando  all'  uopo,  a'  suoi  fini,  la  verita  storica, 
non  davansi  pensiero  le  dotte  genti  ispane.  Boccaccio  e  grande 
autoritä  anche  per  il  Dottor  Pero  Diaz  de  Toledo  che,  tra  chiose 
e  commenti,  volle  pur  stemperare  la  sapienza  dei  Froverbios  del 
suo  ammiratissimo  Marchese  di  Santillana. 

Gli  esempi  e  la  moral  scienza  del  De  Casihus  soccorrono 
Mossen  Diego  de  Valera  nella  composizione  delF  Espejo  de  ver- 
dadera  nohleza,  messo  insieme,  furacchiando,  per  invalsa  abitu- 
dine,  altri  trattati  d'altri  grand' uomini:  queUi,  preziosi  e  van- 
tati  assai,  di  Bartolo  da  Sassoferrato,  in  particolar  modo,  pur 
giovandosi  del  Policraticus  di  Giovanni  di  Salisbury  e  di  un 
ignoto  Tratado  de  las  sesyones  del  *muy  reverendo  doctor  Don 
Alfonso  de  Cartagena,  Obispo  de  Burgos'.^  Ripetute  volte  si 
citano  qui  le  Caydas  (pur  ricordate  nel  Tratado  en  deffension 
de  virtuosas  mugeres%  si  discutono  le  opinioni  del  Boccaccio 
sulla  nobiltä  vera,  riposta  tutta,  come  Dante  voleva,  nella  virtü 
e  nel  virtuoso  operare.  'Juan  Vocacio  en  el  capitulo  ciento  e 
quatro  del  su  libro  de  las  Caydas  aquesta  opinion  paresce  seguir, 
. . .  tal  definicion  iaze  de  la  nobleza:  nobleza  es  un  resplandes- 
cimiento  de  honrra  delante  los  ojos  de  los  onbres  con  aposta- 
miento  de  buenas  costumbres,  menospreciando  las  cosas  en  que 
ay  tacha.'^  Valerio  Massimo  ed  il  Boccaccio  somministrano  in 
copia  'antiguas  y  modernas  ystorias',  atte  piü  che  mai  a  dimo- 
strare  come,  'bien  asy  commo  por  virtudes  de  baxo  linaje  muchos 
fueron  levantados,  ennoblescidos  y  ensalgados,  asy  otros,  viciosa- 
mente  biviendo,  perdieron  la  nobleza  e  dignidades  que  sus  pro- 

»  Rev.  de  Arch.,  Bibl  y  Mus.    Madrid  1903,  j).  462. 

*  E  pur  rammen tato  nel  Gerimonial  de  principes,  ch'io  legge  in  calce 
ad  una  rara  stampa  del  Tratado  de  los  Rieptos  y  Desaßos  (s.  1.  n.  a). 

^  VEspe/o  h  aggiunto  alle  Epistolas  nell'ediz.  de'Bibliöf.  Espan.  Madrid 
1878.  Vedi  cap.  I,  p.  173;  cap.  V,  p.  185;  cap.  VI,  p.  191;  cap.  VII, 
p.  195.  Decisamente  il  Valera  si  serviva  della  traduzione  del  De  Gasibtts, 
non  deir  originale.  Della  nobiltä  h  detto  nelle  Caydas  (Lib.  VI,  cap.  III, 
f.  LXXXI) :  'no  es  al  |  salvo  un  resplandescimiento  y  honrra  delante  los 
ojos  de  los  que  la  veen :  lo  quäl  es  apostamiento  de  buenas  costumbres 
hablando  muy  dulce  y  arentado.' 


Note  Bulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      425 

genitores  con  grandes  trabajos  ganaron'  e  si  rammentano  i  casi 
di  *Menbroth',  jSardanapolo',  *Aiidronico',  *Alexo',  *Qipion  Afri- 
cano',  'Fabio',  'Calfurnio',  'Piso',  'Quinto  Fabio',  'Lucio',  'Lentulo'.^ 
Sülle  Caydas,  tessendo  e  ritessendo  le  medesime  sciagurate 
storie  degli  illustri,  esposte  dal  Boccaccio,  il  *bachiller'  Alfonso 
de  Toledo  si  foggia  un  suo  Espejo  de  las  historias  che  tratta 
*de  todos  los  varones  ilustres  e  famosos  assi  en  santidad  como 
en  potencia  e  fortaleza  e  en  sciencia  que  desde  Adam  . . .  fasta 
Juan  XXII  fueron  en  el  mundo',^  e  quanti  altri  mai  speccbi,  o 
gallerie,  o  riverberi  di  vite  di  uomini  illustri  si  fecero  in  quel- 
l'etä,  si  lertile  di  compilazioni,  tutti,  quäl  piü,  quäl  meno,  rile- 
vano  dal  luminoso  specchio  del  Boccaccio.  Vedi  il  Boccaccio 
sulle  alture,  dispensatore  di  saggi  precetti,  con  Boezio,  il  gran 
consolatore  delle  afflitte  genti,  al  lato,  e  i  dotti,  i  poeti,  i  faci- 
tori  di  trattati  e  di  rime  s'inerpicano  ansanti  per  quelle  cime. 
II  Boccaccio,  Boezio,  il  libro  di  Giobbe,  Seneca  suggeriscono  in 
gran  parte  al  'condestavel'  Don  Pedro  de  Portugal  il  lamento 
grave  sulle  miserie  e  gli  affanni  in  vita,  le  considerazioni  malin- 
coniche  della  Tragedia  de  la  insigne  Heyna  Dona  Isabel.  E 
se  anche  l'esplicto  accenno  al  Boccaccio,  nel  prologo,  non  facesse 
fede  della  stima  in  cui  Don  Pedro,  lettore  assiduo  dell'  opere 
dei  *grandes  e  scientificos  ombres',  vissuto  a  lungo  alla  corte  di 
Castiglia,  pratico  assai  di  sventure,  di  tragedie,  di  *caydas' 
teneva  il  De  Casihus  del  Boccaccio,  ben  rivelano  le  prose  e  i 
versi    di   questa   giaculatoria   ed   effusione  sua,    gli  accenni  alle 

*  Non  potei  leggere  il  Doctrinal  de  principes  di  Diego  de  Valera,  ine- 
dito  tuttora;  suppongo  che  tra  i  Santi  Padri  ed  i  dottori  antichi  v'abbia 
pure  onorevoi  posto  il  Boccaccio.  —  Non  attinge  alla  scienza  del  Boccaccio 
il  Verjel  de  principes  di  Ruy  Sänchez  de  Ar^valo  (stampato  dall'Uliagon 
a  Madrid  nel  1900),  tutto  imbevuto  delle  dottrine  di  Aristotile,  Vegezio, 
Cicerone,  Seneca,  Svetonio,  Valerio,  Sant' Isidoro.  (Una  sua  Suma  cfe  Po- 
litica,  a  me  ignota,  ^  in  corso  di  stampa.)  —  Vuol  difendere  Pero  Nunez 
Delgado  la  castitä  di  Didone  *ä  la  quäl  muchos  quisieron  infamar,  prin- 
cipalmente  el  Virgilio  por  alabar  ä  Eneas',  e  si  fa  forte  delFautoritä  di 
Giustino  e  del  Boccaccio,  rivelata  quest'  ultima  'en  la  Cayda  de  Principes'. 
Crönica  y  Destruicion  Troyana  comptiesta  e  copüada  por  el  famoso  Poeta  e 
Historiador  Ouido  de  Goluna  e  agora  nuevamente  enmendada  por  N.  N, 
Delgado,  clerigo,  Sevilla  1509  (nell'ediz.  di  Medina  del  Oampo  1587,  fol.  136). 

^  Cosi  il  Prohemio  di  un'  altr'  opera  di  Alonso  de  Toledo  (manoscritta 
all'Escorial,  a  Madrid,  a  Parigi;  Morel-Fatio  Catal.  No.  81,  p.  29.  Un 
manosc.  incompleto  ^  descritto#dal  Villanueva  nel  Viaje  a  Monserrat  — 
Viaje  liier,  ä  las  iglesias  de  Espana  VII  146  ff.),  dedicata  all' arcivescovo 
Alfonso  Carrillo :  Tratado  llamado  Invin^ionario,  citata  da  A.  de  los  Rios, 
Eist.  VI  202.  Invano  feci  ricerca,  in  Ispagna,  ed  altrove,  dell'  Espejo  e  del 
Tratado.  —  Altra  cosa,  e  indipendente  dal  Boccaccio,  h  V Espejo  de  ilustres  per- 
sona di  fray  Alonso  de  Madrid,  diviso  in  16  c^ipit.  e  stampato  a  Burgos  1524. 
II  Gallardo,  Ens.  II  549  registrava  l'esemplare  acquistato  da  Fernan  Colon  a 
Medina  del  Campo.  No.  4101.  La  versione  italiana  che  fece  di  questo  Spec- 
chio il  vescovo  novarese  Carlo  Buscap^  h  da  me  rammentata  in  appendice 
all'opuscolo  di  B.  Croce,  Lingua  spagnuola  in  Balia,  Roma  1895,  p.  76. 


426      Note  sulla  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

vicissitudini  de'  principi,  ai  'tempestuosos  rebuelcos  de  la  tortuna', 
ai  capricci  della  *giega  duena',  quäl  profitto  traesse  il  discepolo, 
Tamico  del  Santillana,  dalle  'utiles  doctrinas  de  sapiengia'  del 
divulgatissimo  e  veneratissimo  trattato  boccaccesco.* 

In  certa  parte  della  Iragedia,  lä  dove  e  deplorata  la  sorte 
funesta  del  progeiütore,  hai  un  compendio  delle  miserie  degli 
illustri,  narrate  nel  De  Casibus,  che  un  messo  della  Providenza, 
'con  acatadura  turbada,  ojos  espantados  e  las  manos  una  con 
la  otra  apretadas',  ammanisce  a  conforto  dell'  animo  angoscioso 
del  prence.  Ai  passati  dolori  altri  s'aggiungeranno.  Pero  non 
darti  sgomento,  e  riduci  alla  memoria  'las  diversas  caydas  e 
muertes  que  esta  ciega  duena  desde  el  comiengo  del  mundo  ha 
fecho  con  los  mortales,  comengando  en  el  primero  padre  derri- 
bandolo  del  parayso  de  la  vida  a  la  tierra  de  la  miseria,  e  des- 
pues  en  Nenbrot,  e  Cadmo  rey  de  Thebas  faziendo  lo  viejo 
morir  en  destierro,  e  al  viejo  Tiestes  con  nueva  manera  de  tor- 
mento  fizo  comer  sus  proprios  fijos,  sostenidas  luengas  penas  e 
destierro,  e  a  Jocasta  e  Edipo  su  fijo  rey  de  Theba  grandes  e 
duros  pesares  padesger,  e  a  Theseo  rey  de  Athenas  despues  de 
fecha  injusta  venganga  del  fijo  Ypolito  e  veer  la  cruel  espada 
morir  su  muger  Fedra  en  destierro  amargoso  fenesger,  e  aquel 
grande  Atrides  Agamenon  emperador  de  los  Griegos  rey  de 
Migenas,  passados  largos  afi"anes,  en  conquista  troyana  por  des- 
canso  dellos  a  mano  de  Egisto  ser  muerto;  e  a  Salamon  de  la 
cumbre  de  la  sabiduria  en  locura  e  ydolatria  trasformar;  e  a 
la  casta  Dido  reyna  e  edificadora  de  Cartago  con  su  mano 
matarse;  e  al  noble  virtuoso  rey  Creso  mirar  al  sayon  que  lo 
avia  de  degollar,  e  al  fuego  donde  lo  avian  de  quemar;  e  Xerses 
e  Algibiades,  Amilcar  e  Anibal  e  Pompeo  e  Gayo  Qesar  graves 
angustias  e  muertes  sofrir,  e  Artur  rey  de  los  Ingleses,  e  Alfonso 
el  sabio  rey  de  Castilla  de  grandes  senorias  e  potengias  abaxar; 
e  a  otros  syn  cuento  principes  muy  valerosos  del  todo  aterrar 
e  los  que  mas  es  las  sus  ciaras  lamas  quasi  de  todo  punto  de- 
stroyr  con  la  grande  altesa  e  tenido  nombre  de  otros,  assy  de 
los  que  he  recontado,  como  de  algunos  que  de  muy  baxos  esta- 
dos  a  grandes  honores  e  dignidades  los  ensalgo,  de  los  quales 
Marco  Varro  carnigero  e  despues  ditador,  e  Gayo  Mario,  de 
muy  baxo  linaje  fecho  claro  emperador,  bien  son  dignos  de 
rememorar,  e  mucho  mas  Otavian«  que  de  pobre  ombre  a  ser 
emperador  del  mundo  muchos  anos  lue  levantado.' 

Piü  innanzi  si  esorta  l'afflitto  a  volger  l'occhio  all'  eta  pre- 
sente,  che,  piü  dell'antica,  abbonda  di  casi  meraorandi  e  salutari: 


*  Vedi  Carolina  Michaelis  de  Vasconcellos,  Uma  ohra  inedita  do  Con- 
destavel  D.  Pedro  de  Portugal  neW  Homenaje  ä  Menendex  y  Pelayo,  Madrid 
1899,  I  695.  729.  731. 


Note  suUa  fortuna  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      427 

*Todas  las  caydas  aiitiguas,  assi  de  Qiro  como  de  Alexandre  e 
de  Salomon  que  fueron  avidos  por  monarchas,  e  las  de  Aman  e 
de  Joab  que  con  los  reyes  Assuero  e  David  privaron,  no  son 
tanto  de  rememorar.  No  digo  por  la  grandeza  d'estas,  mas  por 
la  antiguidad  de  aquellas,  ni  fablo  por  no  ser  dignas  de  mayor 
maravilla  las  uuas,  mas  por  la  gertinidad  e  presencia  de  las  otras. 
Ann  que  assi  sea  gegado  ya  el  humano  linaje,  e  assi  los  animos 
de  los  hombres  endurescidos,  que  tan  poco  lernen  los  males  pre- 
sentes  como  los  passados,  e  tan  poco  retienen  en  la  memoria 
las  contemporaneas  caydas,  como  las  antiguas,  e  tan  poco  dan 
por  las  unas  como  por  las  otras,  pensando  aun  lo  que  veen  todo 
ser  novelas  e  fablillas  de  viejas  . . .  Parto  me  do  los  exemplos, 
de  los  quales  quasi  infinitos  podria  recontar,  ca  no  son  llenos 
lo»  libros  e  coronicas  salvo  de  muertes  e  de  caydas  de  principes 
e  cavalleros'. 

Rivelano  similmente  un'  attenta  lettura  del  Boccaccio  le 
stanze  in  lingua  di  Castiglia  sul  menosprecio  e  contempto  de  las 
cosas  fermosas  del  mundo  . . .  demonstrando  la  sua  vana  e 
fehle  heldad,'^  scritte  intorno  al  1455;  Variante  del  solenne  e 
poetico  memento  'Recuerde  el  alma  dormida';  giaculatorie  suUa 
caducitä  de'beni  ingannevoli  del  mondo,  sulla  vanitä  delle  dovizie, 
della  bellezza,  degli  onori,  delle  glorie  e  pompe  e  grandezze; 
esortazioni  perche  sieno  fuggite  in  terra  le  sirene  allettatrici,  e 
l'uom  peccatore  tenda  a  Dio  misericordioso  le  braccia,  e  pietä 
riceva,  e  muti  in  luce  le  tenebre  del  viver  suo:  *Miremos  al  ex- 
gelso  y  muy  grande  Dios  |  Dexemos  las  cosas  caducas  y  vanas'. 
Sfilano  innanzi  al  poeta,  gemente  suUe  larve  di  quaggiü,  e  F'en- 
ganosa  fama',  schiere  di  illustri  che  Fortuna  innalzö,  per  poi  tra- 
volgere  al  basso;  tornano  ad  ammaestrare  le  Caydas;  le  Caydas 
suggeriscono  gli  esempi  di  Crasso,  di  Dario,  Policrato,  Alcibiade, 
Mida,  Scipione,  Pompeo,  Agamennone,  Nerone,  Alessandro,  Sar- 
danapalo  *rey  muy  vicioso',  che  *con  fama  muy  fea  murio  des- 
honrrado'.2 

*  Lessi  le  125  ottave  del  De  contemptu  mundi  {Coplas  do  Menosprexo 
do  Mundo)  nel  Cancion.  gerat  de  Resende  ed.  Kausler,  Stuttgart  1848,  II 
73  8gg.,  falsamente  attribuite  qui  airinfante  D.  Pedro  de  Portugal.  Sui 
manoscritti  e  le  stampe  del  De  Gont.  vedi  Carolina  Michaelis  de  Vascon- 
celios  in  Orundr.  II/II,  262  sg.  —  Ricordano  in  parte  i  lamenti  del  De 
Contemptu  mundi  di  papa  Innocenzo  III,  assai  diffuso  nelle  regioni  romanze, 
in  tutta  l'Etä  Media,  tradotto  in  prosa  francese  giä  sulla  fine  del  secolo  XIII '^, 
compendiato  in  versi,  nel  1383,  da  Eustache  Deschamps  {Oeuvres  XI  39) 
nel  Lai  de  fragüite  humaine  (vedi  anche  Le  Passe  temps  de  tout  komme  et 
de  toute  femme  in  Oeuvres  de  0.  Alexis.  Soc.  d.  anc.  textes  II  74),  voltato 
in  italiano  da  Bono  Giamboni  (vedi  F.  L.  Mannucci  in  Stud.  d.  filol.  rom. 
1903,  pp.  676  sgg.). 

*  AI  trattatb  del  Boccaccio,  tradotto  dal  D'Ayala  e  dal  Cartagena,  ci 
rimanda  l'uso  ripetuto  della  parola  'cayda':  p.  75:  'traxo  aus  caydas  en- 
ganosamente  |  E  traxo  a  Dario  a  morir  vilmente';  p.  76:  'son  de  caydas 


428      Note  suUa  fortima  del  Boccaccio  in  Ispagna  nelFEtä  Media. 

Tutta  l'Etä  Media  e  piena  di  voci  imprecanti  alla  terra  ed 
anelanti  al  cielo;  ne  era  niestieri  che  sempre  si  consultassero  i 
trattati  del  Boccaccio  e  s'udissero  i  flebili  e  dolci  lamenti  de' 
Trionfi  Petrarchesclii,  perche  si  ingombrassero  versi  e  prose  di 
luoghi  comuni  sul  dileguar  di  tutto  nella  fuga  degli  anni,  e  sul- 
l'inesorabil  disfazione  delle  schiatte  e  degli  imperi,  che  gia  la 
Bibbia  con  accenti  gravi  aimunciava.  Pure,  e  con  ostinazion 
Vera  che  i  letterati  di  Spagna,  gemendo  e  sospirando  suUe  miserie 
in  terra,  s'aggrappano  alla  morale  bandita  dai  grandi  uomini 
d'Italia.  Quando  Gomez  Manrique  manda  in  rima  i  suoi  con- 
sigli  a  Diego  Arias  de  Avila:  'Pues  sy  pasas  las  ystorias  |  De 
los  varones  romanos,  |  De  los  griegos  y  troyanos,  |  De  los  godos 
y  persianos,  |  Dinos  de  grandes  memorias,  !  No  fallaras  al  pre- 
sente  |  Syno  flama  transitoria  |  De  aguardiente,'  egli  meditava  i 
casi  degli  illustri,  compendiati  dal  Boccaccio.  Esplicitamente, 
'por  no  ser  prolixo',  rimanda  all'  'eloquente  Vocagio  que  las 
Caydas  de  los  principes  escrivio',  porgendo,  in  una  Consolatoria 
sua  alla  Contessa  de  Castro,  quel  conforto  che  suol  generare 
il  racconto  dellc  aiflizioni  altrui,  additando,  col  poter  di  fortuna 
*e  quäl  es  su  gloria  |  e  quan  poco  dura  e  como  es  mudable', 
l'onnipossenza  divina:  'los  casos  que  vienen  estan  destinados, 
por  el  fazedor  de  cielos  e  tierras',  riepilogando  alcuni  di  questi 
casi,  le  'gran  caydas':  di  Pompeo,  di  Cesare,  di  Scipione,  di 
Aimibale  e  d'altri  molti,  vissuti  dopo  il  Boccaccio,  Don  Fernando, 
il  miserissimo  'Gran  Condestable'.'^  —  Nelle  stesse  'coplas'  immor- 
tali  di  Jorge  Manrique,  dove  e  traccia  de'  Trionfi  Petrarcheschi, 
e  si  ricorda  la  tragica  fine  di  Don  Alvaro  de  Luna,  e  un  legger 
ricordo  delle  famosissime  'caydas'.  Torna  ad  ammaestrare  il  Boc- 
caccio, con  altre  'escripturas',  come  morte  pareggi  le  sorti  degli 
uomini,  come  proceda  lugubre  il  corteggio  de'  potent^  disfatti  e 
caduti:  'Estos  reyes  poderosos  |  que  vemos  por  escripturas  |  ya 
passadas,  |  con  casos  tristes ,  Uorosos^  \  fueron  sus  buenas  ven- 
turas  I  trastornadas;  |  Assi  que  no  ay  cosa  fuerte'.^ 

Ammiratori  e  seguaci  de'  due  Manrique  consultano  ancora, 
in   quel  volger  di  secolo,   il  dotto  libro  de'grandi  precipitati  e, 


grandes  causadoras  |  ni  nuestro  tiempo  caresceran  d'ellas' ;  p.  8 1 :  *tus  pro- 
pios  danos  no  miras  ni  veyes,  |  si  no  si  delante  veys  tu  cayda'. 

*  Cancionero  de  Qomex  Manriqtce  pubbl.  da  A.  Paz  y  Melia,  Madrid 
1885,  I  232.  Pure  altrove,  II  57,  fe  memoria  delle  'caydas'  che  'conto 
Vocacio'. 

^  Nelle  Caydas  Lib.  VI  trovi  un  capit.  (VIII)  qtie  habla  de  algunos 
que  fueron  tristes  y  Horosos. 

^  Cancion.  gener.  de  Casfillo.  Ed.  Soc.  de  Bibl.  II  3öl.  —  'Dese^  leer 
historias  |  por  saber  hablar  sin  mengua:  |  las  mas  antiguas  memorias,  |  sus 
caidas,  sus  victorias,'  cosi  ancora,  rammentando  un  po'  anche  il  Boccaccio, 
Alvar  Gato,  ne'  versi  diretti  a  Hern  an  Mexia.  Vedi  E.  Cotarelo  in  Rev. 
espan.  1901,  p.  240. 


Note  Riilla  fortuiia  del  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.      429 

prima  che  lo  divulghino  le  stanipe,  v'attingono  massime  sagge 
sull'instabilitä  di  Fortuna  e  gli  editti  misteriosi  della  Provvidenza, 
reggitrice  de'  popoli.  La  morale  delle  Caydas  s'impone  a  Pero 
Giiillen  de  Segovia  in  un  suo  Dezir  sobre  la  muerte  de  D.  Älvaro 
de  Luna^  e  nelle  riflessioni  in  rima  sulle  umane  follie  e  gran- 
dezze  con  cui  esordisce  una  sua  fantastica  visione:  Contienda 
entre  la  Filosofia  y  el  Autor.  Ricordi  alle  Caydas  ed  alla 
Consolatoria  di  Gomez  Manrique  trovi  in  una  composizione 
anonima,  della  seconda  metä  del  '400,  accolta  nel  Cancionero 
di  Herberay  des  Essarts,^  pur  imprecante  alla  'fortuna  reboltosa', 
che  muove  la  ruota  funesta.  Tra  i  'casos  infortunados',  i  *der- 
rocamientos',  figura  la  miseranda  fine  di  Alvaro  de  Luna  e  quella 
del  duca  William  Poll  di  Soffolk,  decapitato  nel  1451.3  Comme- 
morare  vorrebbe  l'autore  di  queste  povere  rime,  *si  fuesse  ne- 
cessidat',  i  fatti  e  le  imprese  di  altri  potenti  e  monarchi  e  trion- 
fatori  e  corjquistatori,  'relatando  sus  caydas^  |  Mas  entiendo  que 
seria  |  Extrema  prolixidat  |  Para  quien  las  ha  oydas'.  Bastino 
adunque,  conchiude  il  versificatore,  *para  exemplo  tomar  |  Los 
caymientos  presentes';  rivolga  l'uom  frale  le  sue  preci  a  Dio  ed 
alla  Vergine;  implori  dall'  alto  ausilio,  'que  esta  es  la  via  recta'.* 

'  Rimando  al  giudizio  assennato  dell'opera  poetica  di  Pero  Guillen 
de  Segovia  che  s'asconde  nel  libro  di  Vera  e  Isla,  Traduccion  en  verso  del 
salmo  L  de  David  *  Miserere  Mei  Deus\  Madrid  1879,  pp.  115  egg.  Si  ricor- 
dano  a  p.  122  i  versi:  'De  cayda  non  escapa  |  nyn  a  buen  entendimiento  | 
quyen  a  la  parte  del  mento  |  no  sabe  volver  la  capa.' 

^  Giä  da  me  citata.  Vedi  Gallardo,  JEns.  I  362  sgg.  II  Canzoniere  fe 
al  British  Museum.    Vedi  Rom.  Forsch.  X  158  sgg. 

^  Nel  1527  Clement  Marot,  pure  ispirato  al  De  Casibus  boccaccesco, 
piangeva  in  un'elegia  (XXII)  la  tragica  fine  di  un  potente,  favorito  del  re 
Carlo  VIII,  Jacques  de  Beaune,  seigneur  de  Semblanyay.  Vedi  A.  Roedel, 
Studien  xu  den  Elegien  Clement  Marots,  Meiningen  1898,  p.  45.  ■ 

*  Sempronio  dice  nel  I  atto  della  Celestina:  'Lee  los  historiales,  estudia 
los  philosophos,  mira  los  poetas,  Uenos  estän  los  libros  de  sus  viles  y 
malos  exemplos  e  de  las  caydas  que  levaron  los  que  en  algo,  como  tu,  la 
reputaron.  Oye  ä  Balomon  ecc'  E  veramente  l'autore  del  dramma  che 
precorre,  per  la  veracitä  sua,  alle  tragedie  dello  Shakespeare,  leggeva,  stu- 
diava,  con  assiduitä  soverchia,  e  storici  e  poeti  e  filosofi,  ed  ingombrava 
talora  i  discorsi  de'  suoi  personaggi  di  assurdi  citati,  di  gran  nomi,  di 
'consolatorias  palabras,  colligidas  e  sacadas  de  antiguos  libros',  di  massime 
e  sentenze,  suggerite  dal  'gran  poeta  Ovidio',  da  Seneca,  Aristotile,  Cicerone, 
Valerio,  Petrarca,  Boccaccio,  da  altri  molti.  La  povera  Melibea  partecipa 
dell'erudizione  sua,  superflua,  e,  negli  estremi  frangenti,  apre  il  libro  delle 
Caydas  per  leggervi  i  fatti  di  Nembrot,  del  'magno  Alexandre',  di  Pasifae, 
di  Minerva,  di  Mirra,  di  Semiramide  e  d'altri  illustri. 

Gmunden,  Arturo  Farinelli. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Kleine  Mitteilungen. 


Das  Motiv  von  der  untergeschobenen  Braut. 

Unter  diesem  Titel  hat  P.  Arfert  eine  Rostocker  Dissertation 
(gedr.  Schwerin  1897)  verfafst,  worin  ein  in  der  internationalen  Er- 
zählungsliteratur sehr  beliebter  Stoff  mit  grofser  Belesenheit  durch 
alle  Zeiten  und  bei  vielen  Völkern  verfolgt  wird.  *  S.  48  ff.  bespricht 
der  Verfasser  'das  Unterschiebungsmotiv  in  den  niederen  Gattungen 
der  Volksdichtung,  Fabliaux  und  Schwänken  etc.'  und  erwähnt  dabei 
(S.  50  Anm.)  auch  ein  Bild  von  Hogarth:  The  Discovery,  auf  dem 
dargestellt  ist,  wie  der  geprellte  Liebhaber  eine  Negerin  statt  der 
Frau  seines  Freundes  im  Bette  findet  —  angeblich  eine  wahre  Ge- 
schichte. Eine  ganz  ähnliche  Situation  kenne  ich  zufällig  aus  einem 
bei  Arfert  nicht  erwähnten  französischen  Abenteuerroman:  La  vie 
et  avantures  du  seigneur  Rozelli,  Tome  premier,  troisi^me  Edition, 
Paris,  M.DCC.IX,  wo  S.  90  ff.  folgendermafsen  erzählt  wird: 2 

*Comme  j'6tois  connu  pour  le  favori  de  Madame,  un  jour  qu'elle 
etoit  all^e  ä  la  campagne  oü  eile  devoit  coucher,  je  feignis  d'^tre  in- 
dispos^  &  je  priai  ma  Maitresse  de  ne  me  mettre  pas  de  cette  partie, 
eile  y  consentit;  car  eile  avoit  de  la  tendresse  pour  moi,  &  je  la 
divertissois  agr^ablement  par  mes  contes  &  par  mille  petits  soins  que 
j'afectois  de  lui  rendre,  car  c'est  la  pierre  d'aimant  d'une  vieille;  eile 
consentit  que  je  restasse  &  voulut  que  B^atrice  ne  me  quittät  point, 
de  peur  que  je  ne  fusse  courir.  Je  trouvai  pourtant  le  moien  de 
faire  tenir  un  billet  ä  l'Officier  de  la  part  de  Madame,  par  lequel 
eile  le  prioit  de  venir  le  plus  tard  qu'il  pourroit  ä  l'apartement,  ne 
pouvant  lui  parier  qu'apr^s  le  souper,  &  ä  son  retour  de  chez  la 
jeune  Marquise  sa  bru:  mais  qu'il  n'avoit  qu'ä  suivre  son  train  ordi- 
naire,  et  qu'il  l'attendit  dans  le  cabinet. 

Le  bon  homme  suivit  les  ordres  qu'on  lui  donna,  &  sur  les  dix 
heures  du  soir  on  fut  lui  dire  de  se  mettre  au  lit,  oü  il  ne  füt  pas 
plütöt  qu'une  vieille  Negresse  Esclave  que  j'avois  preparee  ä,  cette 
sc^ne,  &  ä  peu  pr^s  de  l'äge  de  la  Marquise,  fut  se  mettre  ä  son 
c6t6  avec  deffense  de  parier  de  toute  la  nuit.  Cependant  j'avois  en- 
lev6  une  planche  du  cabinet  qui  repondoit  dans  ma  chambre,  &  par 
ce  moien  je  m'^tois  saisi  des  habillemens  de  l'Officier  jusqu'ä  sa 


^  Vgl.  SchuUerus,  Siebenbürg.  Korrespondenxbl.  21,  20  f.;  Bolte,  Zeit- 
schrift f.  Volksk.  7,  215  f.;  Kampers,  Histor.  Jahrb.  18,  731,  und  G.  Paris, 
Romania  26,  575  f. 

^  Der  Band  befindet  sich  in  der  Bibliothek  des  hiesigen  romanisch- 
englischen  Seminars. 


Kleine  Mitteilungen.  431 

chemise,  j'avois  racommod^  cette  plan  che  avec  beaucoup  d'adresse  & 
Sans  qu'on  s'en  aper9Üt.  Le  lendemain  sur  les  huit  heures  du  matin, 
le  jour  qui  entra  par  une  fen^tre  faisant  apercevoir  l'Officier  de  son 
erreur,  il  crut  6tre  couch^  pr^s  du  diable,  en  voiant  le  visage  noir 
&  afreux  de  la  vieille  Af ricaine,  il  invoqua  tous  les  Saints  &  Saintes, 
&  les  pria  de  venir  ä  son  secours;  &  plus  PEsclave  lui  disoit  de  se 
taire  de  craindre  d'^tre  entendu,  plus  il  crioit.  Tout  6pouvant6  il 
sortit  hors  du  lit,  cherchant  les  habits  pour  gagner  la  porte;  son  6froi 
redoubla  lors  qu'il  ne  les  trouva  plus;  il  s'envelopa  d'un  linceul  pour 
ne  paroitre  pas  expos^  ä  la  raillerie  des  personnes  qui  ^toient  acou- 
rues  au  bruit  qu'il  avoit  fait.  La  N%resse  de  l'autre  cöte  s'6toit 
saisie  de  l'autre  drap  du  lit  pour  n'ötre  pas  connue:  on  auroit  crö 
voir  deux  figures,  dont  on  orne  certaines  pi^ces  d'architecture,  qui 
gardant  la  porte  de  la  chambre,  ne  repondoient  rien,  &  sembloient 
petrifi^es  de  honte  &  de  confusion.  Le  bruit  que  ce  desordre  causa 
dans  le  Palais,  fit  acourir  le  jeune  Marquis  T . . .,  qui  ne  sachant  pas 
Tintrigue  de  sa  M6re,  &  ne  connoissant  pas  le  personnage,  voulut 
qu'il  füt  expose  ä  la  rue  dans  cet  Equipage.  Ses  Domestiques  l'acom- 
pagn^rent  avec  de  grandes  hu6es,  jusques  ä  la  pr^mi^re  Eglise,  oü 
il  entra  pour  se  d^rober  h  la  foule  du  peuple.  Je  ne  sai  comment  il 
fit  pour  retourner  k  son  quartier;  ce  qui  arriva  de  cette  af  faire,  c'est 
que  l'Officier  disparut  &  ne  fut  plus  vü  dans  Naples,  &  que  la  Mar- 
quise  ä  son  retour  ne  savoit  comment  prendre  la  chose  pour  con- 
server  sa  r^putation;  l'Esclave  fut  mise  dans  un  cachot  &  press6e 
par  des  menaces  terribles,  de  dire  qui  l'avoit  introduite  dans  la 
chambre  de  Madame;  cette  malheureuse  me  nomma,  &  depuis  ce 
tems-lä  on  n'en  entendit  plus  parier.' 

Gegenüber  S.  92  befindet  sich  ein  Stich,  der  den  Offizier  und 
die  Negerin,  beide  in  Laken  gehüllt,  vor  dem  Bette  stehend  darstellt, 
während  der  junge  Marquis  mit  zwei  Dienern  eben  ins  Zimmer  tritt. 
So  ist  das  Bild  allerdings  von  dem  Hogarthschen  ziemlich  verschie- 
den: hier  liegt  nämlich  die  Negerin  im  Bette  und  streichelt  einem 
der  vier  davorstehenden  Herren  das  Kinn,  wobei  ein  anderer  ein 
Licht  hält 

Kiel.  '  F.  Holthausen. 

Ne.  livelong, 

livelong  (the  livelong  day)  geht  zurück  auf  me.  leve  longe  {ihe 
leve  longe  day  =  den  lieben  langen  Tag),  live  ist  somit  die  flektierte 
Form  von  lief.  *  Aus  me.  leve  longe  erwarten  wir  die  ne.  Aussprache 
livlo7j  oder  mit  nachträglicher  Kürzung  livlorf.  Letzteres  ist  bis  in 
die  neueste  Zeit  die  übliche  Aussprache  gewesen;  heute  ist  dagegen, 

•  Dialektisch  kommt  live  auch  sonst  för  lief  vor.  Vgl.  Wright,  Dia- 
lect  THctionary  III,  590.  Ein  in  London  1817  anonym  erschienenes  Heft 
{Errors  in  Pronunciation  and  Improper  Expressions,  used  freqitently,  and 
chiefly  by  the  inhahitants  of  London)  tadelt  live,  for  lief  willingly;  man 
solle  nicht  sagen :  I  had  as  live  walk  as  ride,   sondern  I  would  as  lief 


432  Kleine  Mitteilungen. 

wenigstens  bei  der  jüngeren  Generation,  laivloij  die  geläufige  Aus- 
sprache. Ellis,  On  Early  English  Pronunciation  IV,  1042  (1875), 
hat  livelong  ^sometimes  i  long'  (d.  h.  ai).  Die  Wörterbücher  lehren 
auch  heute  noch  durchaus  t,  darunter  das  Oxforder  Wörterbuch  und 
die  neue  Bearbeitung  von  Griebs  Wörterbuch  durch  Schröer.  Aus- 
sprachebücher verzeichnen  die  Aussprache  laivloy,  aber  nur,  um  davor 
zu  warnen:  W.  H.  Phyfe  stellt  7000  Words  often  mispronounced  zu- 
sammen (1889)  und  darunter  Uvlon,  not  laivloij  (S.  301).  —  W.  Ram- 
say-Crawford  hat  unter  seinen  Common  Words  commonly  mispro- 
nounced S.  89  Uvlong,  not  live,  d.  h.  laiv.  —  The  Handy  Guide  to 
Correct  Pronouncing  and  Spelling,  L.  o.  J.,  lehrt  S.  47  Uvlong,  not 
Uvlong  (d.  h.  ai).  Es  geht  uns  mit  unseren  modernen  Sprachbüchern 
wie  mit  denen  früherer  Jahrhunderte:  die  Sprachlehrer  sind  kon- 
servativer als  die  Sprache. 

Diese  Aussprache  laivlofj  ist  allem  Anschein  nach  nur  schrift- 
sprachlich, nicht  mundartlich.  Es  scheint  eine  neue  SpeUing-pro- 
nunciation  zu  sein,  die  sich  gerade  jetzt  durchsetzt.  Unser  Wort  wäre 
demnach  der  grofsen  Zahl  der  von  E.  Koeppel  gesammelten  eng- 
lischen Schriftaussprachen  zuzufügen  {Spelling -pronunciations :  Be- 
merku7igen  über  den  Einflufs  des  Schriftbildes  auf  den  Laut  im  Eng- 
lischen, Strafsburg  1901.   QF  89). 

Giefsen.  Wilhelm  Hörn. 

Die  Quelle  des  Hervis  von  Metz. 

Der  Hervis  von  Metz  liegt  uns  nun  in  Stengels  prächtiger 
Ausgabe  für  die  Bibliothek  der  Romanischen  Gesellschaft  vor,  und  wir 
sind  endlich  imstande  zu  beurteilen,  wie  wenig  dieser  'Vorabend'  mit 
der  gewaltigen  Lothringertrilogie  zu  tun  hat.  Ein  Dichter  vom  Aus- 
gange des  1 2.  Jahrhunderts  hat  Hervis,  den  Vater  Garins,  zum  Hel- 
den einer  Art  Abenteuerroman  gemacht.  Die  Quellen  dieses  Dich- 
ters waren  keinesfalls  epische.  Welcher  Natur  dieselben  waren,  soll 
eine  Zergliederung  lehren,  der  wir  eine  kurze  Inhaltsangabe  voraus- 
schicken müssen: 

Hervis  von  Metz. 

Hervis  ist  Sohn  des  reichen  Prevost  von  Metz  und  seiner  Gat- 
tin, der  Tochter  des  Lothringer  Herzogs,  der  sein  Geld  auf  Kreuz- 
und  Tournierfahrten  verschleudert  hat.  Adlige  Instinkte  verleiten  den 
Jüngling,  Pferde  und  Sperber  zu  kaufen,  statt  Geschäfte  zu  machen. 
So  kauft  er  auf  dem  Markte  zu  Lagny  eine  schöne  Orientalin  Namens 
Beatrix  (1304),  die  ihren  Eltern  geraubt  worden  war,  um  eine  Riesen- 
summe. Sein  Vater  jagt  ihn  deshalb  fort  und  enterbt  ihn  (1946), 
und  er  lebt  nun  mit  Beatrix,  die  er  heiratet,  auf  Kosten  eines  Schwa- 
gers (1976).  Als  auch  dessen  Einkünfte  verzehrt  sind  (2875),  fertigt 
Beatrix  eine  Stickerei  und  schickt  Hervis  damit  nach  ihrer  Vater- 
stadt Tyrus.  Dort  erkennen  ihre  königlichen  Anverwandten  ihre 
Arbeit  und  zahlen  einen  ungeheuren  Preis  dafür  (3764). 


Kleine  Mitteilungen.  433 

Hervis  ist  daher  aus  aller  Not,  versöhnt  sich  mit  seinem  Vater 
(5023)  und  wird  Herzog.  Er  erhält  Brabant  zum  Lehen,  mufs  es 
aber  gegen  Anseis  von  Köln  verteidigen,  der  Ansprüche  darauf  er- 
hebt (5675  ff.). 

Von  Tyrus  aus  haben  seinerzeit  Spione  Hervis  verfolgt  und  er- 
mittelt, wo  ihre  Königstochter  Beatrix  weilt.  Zurückgekehrt  (5886), 
melden  sie  ihren  Erfolg.  Dort  hat  der  König  von  Spanien  um 
Beatrix'  Hand  angehalten  (? !).  Floire,  ihr  Bruder,  zieht  deshalb  aus, 
um  sie  zurückzuholen,  denn  der  König  von  Spanien  hat  mit  Krieg 
gedroht,  falls  sie  ihm  verweigert  würde  (!). 

Während  Hervis  sich  in  Brabant  mit  Anseis  herumschlägt  und 
ihn  besiegt  (6810),  zieht  Floire  nach  Metz  (6963)  und  entführt  seine 
Schwester  wider  ihren  Willen  (7353)  nach  Tyrus. 

Dorthin  schickt  auch  der  König  von  Spanien,  um  die  vermeint- 
lich jungfräuliche  Braut  zu  holen  (7799).  Zu  gleicher  Zeit  kommt 
aber  auch  Hervis  heimlich  nach  Tyrus  und  nimmt  Beatrix  den  Spa- 
niern unterwegs  ab  (8553),  wobei  seine  Leute  durch  Abbruch  einer 
Brücke  sich  den  Rückzug  sichern  (8811). 

Nun  verbinden  sich  Tyrus  und  Spanien  gegen  Metz  (8959). 
Zurückgekehrt,  mufs  Hervis  abermals  gegen  Anseis  kämpfen,  der 
einen  Riesen  von  15  Fufs  im  Gefolge  hat  (9150).  Er  besiegt  diesen 
im  Zweikampf  (9780),  der  Analogien  zum  entsprechenden  in  Girart 
von  Vienne  und  Merabras  zeigt. 

Während  der  Zeit  ist  Metz  von  Spaniern  und  Tyrern  belagert, 
wobei  sich  bereits  Hervis'  Söhne  Garin  und  Bego  auszeichnen.  Her- 
vis macht  deshalb  mit  Anseis  Frieden  (10339).  Aber  er  findet  den 
Streit  schon  beigelegt:  Bego  ist  gefangen  worden,  der  Spanier  hat 
ihn  töten  wollen,  aber  die  Tyrer  haben  ihm  geholfen,  als  sie  hörten, 
dafs  er  Beatrix'  Sohn  ist  ('die  Stimme  des  Blutes')  (10489).  Darum 
fliehen  die  Spanier  vor  Hervis'  Ankunft,  der  sich  dann  mit  der  Sippe 
seiner  Frau  versöhnt    Ende  gut,  alles  gut 

Es  wäre  nun  an  sich  naheliegend,  anzunehmen,  dafs  die  aben- 
teuerlichen Vorgänge,  die  wir  eben  dargestellt,  von  ihrem  Verfasser 
erfunden  worden  sind,  als  eine  Vorgeschichte  zu  den  Lothringern. 
Gegen  eine  solche  Ansicht  gibt  es  nun  gleichwohl  Bedenken.  Denn 
wenn  ein  französischer  Dichter  erfindet,  so  ist  es  a  priori  anzuneh- 
men, dafs  er  die  Vorgänge,  die  er  in  der  Heimat  lokalisiert,  kulturell 
dieser  anpafst 

Nun  scheint  das  nicht  der  Fall  zu  sein,  wenn  er  auf  dem  Markte 
zu  Lagny  ein  Mädchen  wie  eine  Sklavin  zum  Kaufe  anbieten  läfst 
Der  Verkauf  als  Sklavin  oder  Sklave  auf  dem  Markte  ist  ein  aus 
dem  Orient  stammendes  Motiv,  welches  dem  Abenteuerroman  sich 
leicht  einpafst,  und  das  der  Dichter  aus  der  Bibel  (Josef  in  Ägypten), 
dem  ApoUoniusroman  und  verwandten  Stoffen  wohl  kennen  konnte. 
Immerhin  bleibt  es  an  dieser  Stelle  auffallend. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  28 


434  Kleine  Mitteilungen. 

Auffallend  ist  auch  die  Art,  wie  sich  Beatrix  durch  eine  Stickerei 
ihren  Angehörigen  in  Tyrus  zu  erkennen  gibt:  indem  sie  in  Gold- 
brokat ihr  und  ihrer  Anverwandten  Bild  verfertigt.  Es  gehört  dies 
zu  den  von  der  Folklore  in  unzähligen  Variationen  nachgewiesenen 
Mitteln  um  jemand  wiederzuerkennen.'^  Und  gerade  dieses  Mittel, 
durch  eine  Stickerei  sich  den  Angehörigen  kenntlich  zu  machen, 
treffen  wir  in  orientalischen  Erzählungen  mehrmals:  So  wird  in  den 
Versionen,  die  Victor  Chauvin  von  der  Erzählung  von  Mahmud'^ 
nachgewiesen  hat,  der  eingekerkerte  Prinz,  der  einstmals  Sticken  ge- 
lernt, stets  an  einem  Gewebe  erkannt:  Das  eine  Mal  hat  er  in  Blu- 
mensprache sein  Los  eingestickt,  das  andere  in  moderner  Version  den 
Palast  seines  Vaters  darauf  abgebildet.  Und  noch  einige  andere  Fälle, 
in  denen  das  gleiche  Mittel  gebraucht  wird,  um  eine  Wiedererkennung 
herbeizuführen,  lassen  sich  aus  Tausendundeine  Nacht  beibringen. 

Im  Hervis  von  Metz  aber  erscheint  das  Motiv  nicht  so  einfach: 
Beatrix  beabsichtigt  nicht  sowohl  eine  Wiederkennung,  als  dafs  ihre 
Verwandten  nach  der  Wiederkennung  das  Gewebe  weit  über  den 
Preis  bezahlen:  Es  handelt  sich  um  die  Gewinnung  einer  besonders 
hohen  Summe.  Dies  ist  bereits  hervorgehoben  worden,  ohne  dafs 
allerdings  die  Verwendung  dieses  Motivs  für  die  französische  Kultur- 
geschichte des  Mittelalters,  wie  das  versucht  wird,^  berechtigt  wäre. 
Denn  auch  diese  Komplizierung  des  Erkennungsthemas  findet  sich  in 
Tausendundeine  Nacht,  und  zwar  in  einer  Form,  die  nicht  daran 
zweifeln  läfst,  dafs  es  sich  um  eine  dem  Hervis  von  Metz  verwandte 
Erzählung  handelt.    Ich  meine  die  Erzählung  von 

Nur  al  dm  und  Miryam,  der  Gürtelmacherin.^ 
Nur  al  din  ist  der  Sohn   eines  reichen  Kaufmanns  in  Kairo. 
Eines  Tages  läfst  er  sich  zum  Trunk  verleiten,  schlägt  seinen  Vater 
und   flüchtet   vor   dessen   Drohungen   nach  Alexandrien    zu   einem 
Freunde  seines  Vaters  mit  nur  1000  Dinars. 

Diese  1000  Dinars  gibt  er  auch  noch  hin,  um  eine  schöne  Sklavin 
Namens  Miryam  zu  kaufen,  die  das  Recht  hatte,  nur  dann  in  andere 
Hände  überzugehen,  wenn  ihr  der  Käufer  gefiel.  Die  Liebenden 
leben  nun  vorerst  von  dem  von  ihrem  Freunde  geborgten  Gelde. 

Als  diese  Quelle  versagt,  verfertigt  Miryam  Stickereien,  vorab 
Gürtel,  die  ihr  Liebhaber  verkauft,  und  von  deren  Erlös  sie  leben. 
Gewarnt  aber  hat  sie  ihn  davor,  einem  buckligen  Einäugigen  etwas 
abzugeben.  Wie  sich  dieser  einstellt  und  immer  mehr  und  mehr 
bietet,  läfst  sich  Nur  al  din  verleiten,  ihm  ein  prachtvolles  gesticktes 
Tuch  von  ihrer  Hand  abzulassen.  Von  dem  Käufer  betrunken  ge- 
macht, verkauft  er  ihm  Miryam  um  1000  Dinars.    Der  Käufer  aber 


*  Chauvin,  Bibliographie  Ärabe  Bd.  V,  90'.        ^  Wallonia  VIII,  5. 
3  Vgl.  Jahresbericht  1899—1901.    II,  S.  61  oben. 

^  Chauvin,  Bibliographie  Ärabe  Bd.  V,  S.  52.     Hennings  Ausgabe 
in  Eeclams  Univers.-Bibl.  15,  5. 


Kleine  Mitteilungen.  435 

war  der  Wesir  des  Christenkönigs,  dessen  Tochter  Miryam  war  und 
dem  sie  Piraten  entführt  hatten. 

Ernüchtert  setzt  Nur  al  din  dem  Wesir  nach  und  kommt  gleich- 
zeitig mit  ihm  in  Konstantinopel  an.  —  Fassen  wir  uns  von  hier  ab 
kurz:  Es  gelingt  ihm,  mit  Miryam  zu  fliehen,  sie  wird  ihm  aber 
wieder  abgenommen  und  mit  dem  Wesir  verheiratet. 

Auch  Nur  al  din  wird  gefangen  und  dem  Wesir  ausgeliefert, 
und  da  dieser,  um  sein  eheliches  Heim  einzuweihen,  den  Gefangenen 
mit  zwei  anderen  Muselmännern  töten  will,  so  sperrt  er  ihn  im  Pferde- 
stall ein.  Dort  heilt  er  durch  Gottes  Willen  ein  krankes  Pferd,  wird 
begnadigt  und  auf  die  Heilung  hin  Stallmeister. 

In  dieser  Stellung  flieht  er  abermals  mit  Miryam.  Die  nach- 
setzenden Brüder  bekämpft  das  Mädchen  selber  erfolgreich  und  tötet 
sie.  Bei  Harfin  angelangt  finden  die  Liebenden  in  ihm  einen  Be- 
schützer gegen  die  diplomatischen  Versuche,  Miryam  zurückzuerhalten. 
So  findet  ihre  Hochzeit  und  die  Wiederversöhnung  mit  Nur  al  dins 
Eltern  statt.  — 

Die  orientalische  Sammlung  bietet  zu  der  Vorgeschichte  bis 
zur  Entführung  der  Heldin  durch  den  Wesir  noch  eine  Variante  in 
der  Erzählung  von  ''Ali  Sär  ^ :  Dort  wird  der  Jüngling  als  Verschwen- 
der dargestellt,  die  Heldin  verfertigt  prächtige  Schleier,  sie  wird  ihm 
während  des  Schlafes  geraubt. 

Die  ganze  Erzählung  von  Nur  al  din,  wie  wir  sie  hier  skizziert 
haben,  ist  als  ein  Derivat  der  Sage  von  Emma  und  Egginhard  an- 
gesehen worden.  Und  zwar  von  Buch  er  (in  Ztschr.  d.  deutsch,  mor- 
genl.  Gesellsch.  1880,  XXXIV,  S.  610)  und  nach  ihm  von  Varn- 
hagen  (Archiv  f.  Litgesch.  XV,  S.  6).  Meiner  Ansicht  nach  mit  Un- 
recht. Denn  während  es  sich  in  der  deutschen  Sage  um  eine  Königs- 
tochter handelt,  deren  Verhältnis  zum  Minister  schliefslich  sanktioniert 
wird,2  so  bildet  in  der  Erzählung  von  Nur  al  dm  die  Verehelichung 
Miryams  mit  dem  Wesir  nur  eine  durchaus  nebensächliche  Episode. 
Hier  ist  der  Kern:  Die  Ehe  eines  Muselmannes,  der  mittellos  ist,  weil 
er  sich  mit  seinem  Vater  entzweit  —  mit  einer  Sklavin  christlicher 
Abkunft,  die  er  um  sein  letztes  Geld  kauft.  Um  leben  zu  können, 
verfertigt  diese  Handarbeiten,  an  denen  sie  von  ihren  königlichen 
Eltern  erkannt  wird.  Sie  wird  durch  List  ihrem  Gemahl  entführt, 
der  sie  nach  einem  verunglückten  Versuch  zurückholt,  nachdem  sie 
unterwegs  ein  glückliches  Gefecht  bestanden.  Mutatis  mutandis  ist 
dies  auch  der  Inhalt  des  Hervis  von  Metz.  Die  geraubte  Christin,  die 
sich  zu  Mohammed  bekehrt,  wird  zur  geborenen  Orientalin.  Der 
arabische  Kaufmannssohn  wird  zum  Sohne  des  reichen  Prevost  von 


*  Chauvin,  Op.  cit.  V,  S.  89.     Henning  7,  49. 

^  Zudem  ist  dies  durchaus  charakteristische  Motiv  in  getreuer  Form 
ebenfalls  im  Orient  anzutreffen:  Dort  ist  es  Giafar,  der  sagenberühmte 
Minister,  der  Haruns  Schwester  liebt,  ein  Verhältnis,  das  zu  tragischem 
Ausgang  führt  (vgl.  Chauvins  Bibliographie  V,  S.  168). 

28* 


436  Kleine  Mitteilungen. 

Metz.  Damit  er  aber  zum  Stammvater  der  Lothringer  tauge,  wird 
seine  Mutter  von  fürstlicher  Herkunft  abgeleitet,  und  es  sind  adelige 
Instinkte,  nicht  eine  blofse  Beleidigung,  die  ihn  vom  Vater  trennen 
und  dessen  Hilfsquellen  berauben.  Dieses  Hervorbrechen  adeliger 
Instinkte  bei  einem  angeblichen  Kaufmannssohne  ist  aber  ein  Motiv 
aus  einem  der  beliebtesten  Volksbücher  des  Mittelalters,  dem  Kaiser 
Octavian,  und  mag  von  diesem  oder  seiner  Vorlage  entstammen. 
Denn  dort  ergibt  es  sich  folgerichtig,  weil  der  Bürgersmann  nur 
Pflegevater  des  königlichen  Jünglings  ist,  während  er  im  Hervis  als 
dessen  wirklicher  Vater  gilt.  In  der  altfranzösischen  Literatur  findet 
sich  das  Motiv  noch  einmal  in  den  Enfances  Vivien.  Stengels  An- 
sicht ist,  dafs  dies  Gedicht  direkt  aus  dem  Hervis  geschöpft  hat.  Da 
QY  {Jahresbericht  1899 — 1901,  S.  II  71)  verspricht,  'die  nicht  nur  auf 
die  Marktszene  beschränkte  Abhängigkeit  der  Enf.  Viv.  vom  Hervi 
V.  M.'  im  zweiten  Band  seiner  Ausgabe  darzulegen,  kann  ich  hierauf 
verweisen  und  zu  den  Quellen  des  Hervis  zurückkehren. 

Im  Erfolg  ist  die  orientalische  Erzählung  mit  dem  Hervis  über- 
einstimmend. Der  Held  ist  mittellos,  weil  ihn  sein  Vater,  ein  reicher 
Kaufmann,  verstofsen  hat.  Während  aber  Hervis  vor  der  Verstofsung 
die  schöne  Beatrix  kauft,  geschieht  dieser  Kauf  von  selten  Nur  al 
dins  nach  dieser  mit  dem  letzten  Gelde.  Technisch  bietet  hier  die 
französische  Version  gröfsere  Geschlossenheit  als  die  orientalische, 
indem  die  Grundlage  des  Romans  gleichzeitig  als  Mittel  verwendet 
erscheint,  den  Konflikt  mit  Hervis'  Vater  herbeizuführen.  Für  uns 
liegt  in  dieser  Verschiebung  keine  Schwierigkeit.  Bei  diesem  Kaufe 
der  schönen  Sklavin  hat  sich  zudem  in  der  französischen  Version  ein 
ganz  charakteristisches  Motiv  erhalten:  Hervis  fragt  nämlich  die 
Verkäufer  der  Beatrix,  ob  das  Mädchen  eine  Jungfrau  sei.  Diese 
antworten,  er  solle  sie  selber  danach  fragen: 

1282    'Ales  avant,  si  redemandes  lif 

Und  er  tut  das  mit  folgender  sonderbarer  Bitte,  ob  sie  erlaube,  dafs 
er  sie  kaufe: 

1298   *. . .  Dame,  a  moi  en  entendes  ? 

Vous  plairoit  il,  pour  diu  nel  me  celes, 
Que  vous  accate  et  d'argent  et  d'or  der?' 

Und  wiederholt  diese  Frage,  als  er  erfahren,  dafs  sie  noch  Jungfrau 
sei,  noch  einmal  in  demselben  Wortlaut  (1347),  worauf  sie  ihm  zusagt. 
Man  könnte  denken,  der  Dichter  habe  dies  so  geschrieben,  um 
die  Ritterlichkeit  Hervis'  in  das  rechte  Licht  zu  stellen,  aber  auch 
die  Verkäufer  scheinen  Beatrix  eine  gewisse  Bestimmung  über  sich 
selbst  zuzugeben,  indem  sie  Hervis  an  sie  weisen.  In  der  arabischen 
Erzählung  hat  aber  Miryam  diese  Bestimmung  übersieh  selbst,  und 
kraft  dieser  weist  sie  vor  dem  Ankauf  durch  Nur  al  diu  mehrere 
Käufer  zurück  und  nimmt  den  an,  der  ihr  gefällt.  Ein  Zug,  den 
Chauvin   auch  sonst  in  Tausendundeine  Nacht  nachweist.    Dies  wäre 


Kleine  Mitteilungen.  437 

also  im  Hervis  von  Metz  ohne  Zweifel  ein  Überrest  eines  nicht  in 
seinem  ganzen  Umfange  verstandenen  fremden  Motivs.  — 

Nachdem  der  Ankauf  der  Heldin  das  letzte  Geld  verschlungen, 
lebt  das  Liebespaar  auf  Kosten  eines  Mannes,  der  hier  der  Gemahl 
von  Hervis'  Halbschwester,  dort  ein  Freund  des  Vaters  ist  Beide 
Helden  wissen  nicht,  wer  ihre  Gattin  ist.  Wie  auch  diese  Hilfsquelle 
versagt,  verfallen  beide  Heldinnen  auf  den  Gedanken,  ihre  weibliche 
Handfertigkeit  zum  gemeinsamen  Unterhalte  auszubeuten.  Miryam 
stickt  Gürtel  und  Tücher,  aber  der  Wesir  des  Christenkönigs,  ihres 
Vaters,  entdeckt  sie  hierdurch  und  führt  sie  zurück. 

Anders  im  französischen  Gedicht:  Beatrix  schickt  Hervis  mit 
ihrer  Stickerei  nach  Tyrus,  damit  er  dort  von  ihren  Anverwandten 
einen  besonders  hohen  Preis  erziele  und  sich  von  seinen  Schulden  be- 
freien könne.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dafs  dies  ungereimt  ist:  Beatrix' 
Eltern  sind  zur  Untätigkeit  verdammt,  die  Heldin  und  der  Held  aber 
tragen  die  direkte  Schuld,  dafs  die  Tyrer  die  Spur  der  Königstochter 
erhalten.  Dafs  diese  nicht  gleich  den  Verkäufer  der  Stickerei  an- 
halten, sondern  ihn  durch  Spione  verfolgen  lassen,  ist,  trotz  der  Ver- 
sicherung, dafs  in  Tyrus  jeder  sein  Recht  erhält  (3744  fF.),  ungeschickt. 

Es  ist  möglich,  dafs  der  französische  Dichter  den  Verkauf  von 
Stickereien  in  der  Heimat  durch  seinen  Helden  für  zu  unritterlich 
gehalten  hat  und  deswegen  änderte.  Dafs  er  änderte,  möge  folgende 
Erwägung  zeigen:  Hervis  verlangt  in  Tyrus  8000  Mark  Goldes  für 
die  Stickerei  (3707),  der  König  bittet  ihn,  herunterzugehen.  Statt 
dessen  verdoppelt  er  den  Preis. 

3711  'Sire,  quant  refuse  l'aves 

Pour.VIILM.  mars,  .XVI. M.  en  donres.^ 

Und  als  diese  Summe  abermals  zurückgewiesen  wird,  verdoppelt 
er  sie  abermals,  mit  der  Bemerkung,  so  sei  sein  Auftrag: 

3752  'Li  miens,  maistres,  quant  vint  au  departir, 

Me  ßst,  bons  roys,  et  jurer  et  plttevir 
Que  douhleroie  mon  drap  dusqu'en  la  finl' 

Man  mufs  gestehen,  dafs  dies  eine  seltsame  Art  zu  handeln  ist. 
Wenn  aber,  wie  in  der  arabischen  Erzählung,  die  Ursache  zu  der 
Preissteigerung  die  ist,  dafs  der  Held  an  einen  gewissen  Verkäufer 
nicht  verkaufen  darf,  so  dafs  dieser  den  Preis  so  lange  steigert,  bis 
der  Verkäufer  verblendet  ist  und  sich  verleiten  läfst,  ihm  den  Willen 
zu  tun  —  dann  ist  der  Handel  verständlich. 

Aber  noch  einen  Zweck  kennt  die  volkstümliche  Darstellung, 
zu  dem  sie  leine  solche  Preissteigerung  verwendet:  Wenn  ein  Gegen- 
stand in  bestimmte  Hände  gelangen  soll,  so  wird  er  allen  Käufern 
für  eine  Unsumme  angeboten,  bis  der  richtige  kommt.  Und  wir  glau- 
ben daher  in  der  Darstellung  des  Hervis  von  Metz  eine  verständnis- 
lose Vermischung  dieser  beiden  Motive  zu  erblicken:  Der  Dichter 
hatte  in  seiner  Vorlage  die  erste  Form:  Beatrix,   oder  ihr  Urbild, 


438  Kleine  Mitteilungen. 

scheute  sich,  sich  ihren  Verwandten  zu  erkennen  zu  geben,  und  ver- 
bot, wie  Miryam,  an  eine  gewisse  Persönlichkeit  zu  verkaufen.  Sollte 
diese  kommen,  so  müfste  dieselbe  durch  einen  ungewöhnlichen  Preis  ab- 
geschreckt werden.  Denn  dafs  sie,  wie  Miryam,  von  ihren  Verwandten 
nicht  erkannt  werden  wollte,  darauf  deutet  doch  hin,  dafs  sie  um 
keinen  Preis  Hervis  sagen  will,  wer  sie  ist  (1293,  1315,  2919). 

Den  Verkauf  im  heimatlichen  Kramladen  mufste  nun  der  Dich- 
ter des  Hervis  seinem  Helden  aus  naheliegenden  Gründen  ersparen, 
drehte  deshalb  um  und  wählte  offenbar  die  zweite  Form  der  eben 
aufgeführten,  in  welcher,  wie  in  Mahmud,  durch  eine  Stickerei  der 
Aufenthalt  der  Vermifsten  absichtlich  angegeben  werden  soll.  Da 
dies  aber  Beatrix'  Absicht  nicht  sein  konnte,  entstand  ein  Wider- 
spruch. Denn  nach  der  Forderung  der  zweiten  Form  erhält  ja  der 
Käufer  den  Gegenstand  um  eine  angemessene  Summe,  und  nur  die, 
in  deren  Hände  der  Gegenstand  nicht  gelangen  soll,  werden  durch 
einen  besonders  hohen  Preis  abgeschreckt. 

Der  Dichter  des  Hervis  von  Metz  zeigt  sich  also  als  Kenner 
solcher  Märchenmotive.  In  ihrer  Verwendung  freilich  zeigt  er  eine 
belustigende  Unfähigkeit:  Er  vermischt  zwei  ähnliche  Formen,  über- 
sieht, dafs  beide  ganz  verschiedenen  Zwecken  dienen,  und  erhält  ein 
Unmögliches:  Er  hat  Hervis  selbst  ausziehen  lassen  müssen,  um  mit 
Beatrix'  Verwandten  in  Kontakt  zu  kommen,  so  dafs  nicht  diese  die 
Geraubte  suchen  und  wiederfinden,  sondern  Beatrix  die  Verwandten 
auf  die  eigene  Spur  lenkt  und  selber  dadurch  an  ihrem  Unheil  schuld 
wird.  Und  wenn  auch  schliefslich  der  Verkauf  des  Schleiers  Hervis' 
kaufmännische  Unfähigkeit  auf  das  grellste  hervortreten  läfst,  so  ist 
ihm  damit  auch  alle  Glaubwürdigkeit  genommen. 

Die  ganze  Intrige,  die  in  der  orientalischen  Version  mit  einer 
einzigen  Fahrt  erledigt  wird,  der  Reise  des  Wesirs,  der  nach  Miryam 
forscht,  sie  findet  und  sogleich  mitnimmt  —  zerfällt  hier  in  drei 
Reisen  und  verlängert  das  Gedicht  um  mehrere  tausend  Verse:  Her- 
vis fährt  nach  Tyrus;  bei  seiner  Rückkehr  gehen  zwei  Späher  hinter 
ihm  her,  um  seine  Herkunft  zu  ermitteln,  kehren  nach  Tyrus  zurück; 
dann  erst  bricht  Beatrix'  Bruder  zu  ihrer  Entführung  auf. 

Abgesehen  von  diesen  Verschiedenheiten  im  Detail  ist  die  Intrige 
im  Kern  dieselbe:  In  der  Erzählung  wie  im  Gedichte  wird  die  Spur 
der  Geraubten  durch  eine  Handarbeit  wieder  ermittelt  und  die- 
selbe gegen  ihren  Willen  zu  ihren  Anverwandten  zurückgebracht. 

Von  hieraus  weichen  beide  Erzählungen  wesentlich  voneinander 
ab :  Der  Dichter  des  Hervis  hat  in  Nachahmung  epischer  Lieder  und 
in  Vorbereitung  der  Lothringer  Hervis  krönen  lassen  und  ihm  einen 
gewaltigen  Gegner  in  Anseis  von  Köln  gegeben.  Während  der 
Kämpfe  mit  diesem  wird  Beatrix  von  ihrem  Bruder  Floire  geraubt. 

Er  hat  noch  dazu  die  Expedition  dieses  Bruders  vor  sich  gehen 
lassen,  um  die  Schwester  einem  heidnischen  König  von  Spanien  zu 
verschaffen,  der  mit  Krieg  gedroht  hat,  falls  sie  ihm  nicht  gewährt 


Kleine  Mitteilungen.  439 

würde.  Ein  häufiges  Motiv  in  der  romantischen  Literatur.  Aber 
hier  pafst  es  nicht,  denn  der  Heide  begehrt  ein  Mädchen,  das  als 
verschollen  galt  und  nach  wiederaufgefundener  Spur  noch  nicht 
wieder  in  der  Gewalt  ihrer  Sippe  war.  Und  da  die  Reise  des  Bru- 
ders nach  Metz,  um  seine  Schwester  zurückzuholen,  durch  die  ver- 
wandtschaftlichen Bande  genügend  motiviert  erscheint,  so  ergibt  sich 
des  Dichters  Absicht,  um  jeden  Preis  zu  verlängern,  um  aus  dem 
etwas  kargen  Stoff  die  üblichen  10  000  Verse  zu  machen.  Aufser- 
dem  bringt  er  seinen  Helden  auf  diese  Weise  mit  Sachsen  und  Sara- 
zenen zusammen,  was  ihn  in  den  Augen  der  Zuhörer  seiner  Nach- 
folger würdig  erscheinen  läfst. 

Aber  auch  Mirjam  hat  ja  neben  Nur  al  din  einen  zweiten 
Freier.  Denn  wenn  es  auch  nicht  ausdrücklich  gesagt  ist,  dafs  der 
bucklige  Wesir  von  vornherein  die  Heldin  zur  Frau  begehrt,  so  wird 
sie  ihm  doch,  als  er  sie  wiedergefunden  hat,  zum  Lohne  anvermählt. 
Wenn  dem  Dichter  des  Hervis  ein  gleiches  vorlag,  so  ist  es  denkbar, 
dafs  er  aus  ihm  seinen  Freier,  den  Spanierkönig,  entwickelt  hat.  Und 
das  erhellt  auch  daraus:  Wenn  der  Wesir  die  verschollene  Mirjam 
zur  Frau  begehrt,  sie  deshalb  sucht  und  entführt,  so  ist  das  weder 
unglaublich  noch  ohne  Parallelen  in  der  verwandten  Literatur.  Wenn 
aber  der  ganz  unbeteiligte  König  von  Spanien  die  verschollene  Tyre- 
rin  Beatrix  unter  Drohungen  zur  Frau  begehrt  und  ihr  Bruder 
Floire  sich  für  ihn  aufmacht,  so  ist  das  ungereimt.  Auch  hier  scheint 
also  der  Dichter  des  Hervis  bei  der  Komplizierung  seiner  einfachen 
Vorlage  ('Spaltung'  des  die  Geliebte  suchenden  Freiers  in  einen 
Freier  und  einen  Suchenden)  wenig  Glück  und  noch  weniger  Geschick 
gehabt  zu  haben. 

Dagegen  ist  die  Wiedererlösung  der  Beatrix  durch  Hervis  ohne 
alle  Analogien  mit  der  arabischen  Erzählung.  Sie  findet  während 
des  Brautzugs  statt,  der  Beatrix  zum  König  von  Spanien  bringen 
soll,  und  wenn  hierbei,  wie  in  der  arabischen  Erzählung,  ein  glück- 
liches Gefecht  des  wiedervereinigten  Paares  gegen  die  Verfolger  statt- 
findet, so  ist  dies  als  ein  Gemeinplatz  an  dieser  Stelle  zu  selbstver- 
ständlich, als  dafs  es  als  Parallele  hervorgehoben  zu  werden  brauchte. 

Wohl  aber  findet  sich  Identität  im  Ausgang,  insoweit  als  die  Heldin 
unbehelligt  bei  ihrem  Gatten  bleibt  und  —  was  im  Hervis  antizipiert 
ist  —  auch  eine  volle  Versöhnung  mit  dem  reichen  Vater  eintritt. 

Die  Verschiedenheit  in  diesen  abschliefsenden  Abenteuern  ist 
durchaus  erklärlich,  wenn  man  die  Rolle  bedenkt,  die  Hervis  zu 
spielen  bestimmt  war:  Der  Dichter  mufste  durch  Einführung  kriege- 
rischer Ereignisse  den  Zusammenhang  mit  der  Lothringer-Geste  her- 
zustellen suchen.  Hierzu  kommt  die  dem  Thema  —  Trennung  durch 
Entführung  und  Wiedervereinigung  —  eigene  Dehnbarkeit. 

So  bringt  die  Erzählung  von  ^Äli  Sar  nach  einer  der  unsrigen 
durchaus  verwandten  Vorgeschichte,   nach  der  Wiederkennung  an 


440  Kleine  Mitteilungen. 

der  Stickerei  und  der  Entführung  der  Heldin,  eine  ganz  anders  ge- 
artete Folge  von  Abenteuer.  Dort  gelangt  die  Heldin  nach  mancherlei 
Erlebnissen  in  ein  Königreich,  wo  gerade  kein  Herrscher  war,  und 
wird  zur  Königin  ausersehen.  In  dieser  Stellung  gelingt  es  ihr,  ihren 
ehemaligen  Liebhaber,  der  sie  einst  auf  dem  Markte  mit  ihrer  Zu- 
stimmung als  Sklavin  gekauft,  heranzuziehen,  durch  ein  ingeniöses 
Mittel  zu  erkennen  und  sich  wieder  mit  ihm  zu  vereinigen. 

An  der  Verwandtschaft  des  Hervis  von  Metz  mit  der  orienta- 
lischen Erzählung  von  Nur  al  din  ist  nach  diesen  Erwägungen,  trotz 
der  verschiedenen  Entwickelung,  nicht  gut  zu  zweifeln.  Die  in  der 
Intrige  übereinstimmend  verwendeten  Motive  sind  sehr  charakteristisch 
und  können  durchaus  nicht  als  Gemeinplätze  angesehen  werden.  In 
der  französischen  Literatur  finden  sie  sich,  meines  Wissens,  nur  an 
der  besprochenen  Stelle. 

Wird  es  schon  hierdurch  wahrscheinlich,  dafs  wir  es  mit  einer 
ursprünglich  orientalischen  Erzählung  zu  tun  haben,  so  gibt  es  hier- 
für noch  andere  Argumente:  Wir  gingen  ja  davon  aus,  dafs  der  Ver- 
kauf einer  Sklavin  im  Herzen  von  Frankreich  immerhin  etwas  Auf- 
fallendes hat.  Nicht  aber  im  Orient.  Dort  ist  er  kulturell  am  Platz 
und  in  der  Literatur  ein  häufig  zu  treffendes  Motiv.  Der  Verkauf 
der  Beatrix  ging  unter  Bedingungen  vor  sich,  die  ebenfalls  im  Orient 
als  kulturell  zulässig  erscheinen,  da  sie  öfters  in  der  Literatur  zu 
finden  sind.  Nehmen  wir  hinzu,  dafs  gerade  im  13.  Jahrhundert,  der 
Entstehungszeit  des  Hervis,  eine  grofse  Zahl  von  orientalischen  Stof- 
fen in  Frankreich  bekannt  war  und  in  selbständiger  Weise  verwertet 
wurde,  so  scheint  es  begründet,  auch  für  diesen  Fall  das  arabische 
Märchen  aus  Tausendundeine  Nacht  als  das  ursprüngliche  anzusehen, 
das  in  einer  wenig  verschiedenen  Version  nach  Frankreich  gekom- 
men ist.  Dort  hat  der  Dichter  des  Hervis  von  Metz  es  kennen  ge- 
lernt und  unter  Einführung  einer  besonderen  Idee  und  ritterlich- 
epischer Gemeinplätze  ein  Mittelding  von  Roman  und  Nachepos  aus 
ihm  gemacht,  in  welcher  Gestalt  das  Gedicht  auf  uns  gekommen  ist. 

München.  Leo  Jordan. 

Nachschrift.  Seit  diese  Zeilen  geschrieben  wurden,  ist  der  achte 
Band  von  Chauvins  Bibliographie  des  Ouvrages  Arahes  erschienen  (1904), 
der  die  Syntipas-Y er^ionen  zergliedert.  Hier  findet  sich  eine  weitere 
Variante  zu  unserer  Erzählung  in  der  Nummer  Gl : 

Der  Sohn  des  Hurdsäniten  und  sein  Erxieher. 

Der  Sohn  eines  Huräsäniten  liebt  ein  freies  Leben  und  wird  deshalb 
von  seinem  Vater  einem  Erzieher  unterstellt.  Er  kauft  eine  schöne  Sklavin, 
kann  aber  nur  die  Hälfte  des  Preises  erlegen.  Da  bringt  die  Sklavin  ein 
Armband  vor,  das  für  den  Best  der  Summe  genügt.  Der  König  kauft  das 
Armband,  begehrt  die  Besitzerin  zu  sehen  (?)  und  läfst  sie  durcli  eine  List 
sich  zuführen.  Der  junge  Mann  aber  ermittelt  in  schlauer  Weise  ihren 
Aufenthalt  und  holt  sie  zurück.  Der  Erzieher  macht  den  Angeber,  stirbt 
aber  an  dem  Gifte,  das  er  seinem  Zögling  hatte  geben  wollen.       L.  J. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 


Shakespeare -lexicon.  A  complete  dictionary  of  all  the  English  words, 
phrases  and  constructions  in  the  works  of  the  poet.  By  Alexander 
Schmidt,  LL.  D.  3^^  ed.,  revised  and  enlarged  by  Gregor  Sarra- 
zin.   2  Vols.    Berlin,  G.  Reimer,  1902. 

Es  ist  eine  der  tragischen  Bürden  unseres  kurzen  Erdendaseins,  dafs 
wir  nur  selten  im  Schatten  der  Bäume  ruhen,  die  wir  gepflanzt  haben, 
selten  ihre  Früchte  geniefsen  —  und  traurig:  je  edler  die  Bäume  sind,  je 
kösthchere  Labung  sie  kommenden  Geschlechtern  gewähren,  desto  sel- 
tener. —  Auch  der  grofse  Schöpfer  des  Shakspere-Lexikons 
hat  diese  Tragik  an  sich  erfahren. 

Die  allgemeine  Anerkennung  seiner  Arbeit  als  das,  was  sie  ist,  hat 
Schmidt  nicht  erlebt,  diese  verdiente  Frucht  seines  unerhört  mühseligen 
Schaffens  nicht  gekostet  —  schon  deshalb  nicht,  weil  der  beste  Rezensent 
eines  grofsen  Geisteswerkes,  die  Zeit,  eben  lange  Zeit  braucht,  um  mit 
seinem  Urteil  fertig  zu  werden.  Das  war  in  diesem  Falle  schwieriger  als 
sonst,  da  das  Werk  für  zwei  verschiedene  Nationen  berechnet  und  in  eng- 
lischer Sprache  geschrieben  war;  und  bei  der  besonderen  Art  des  eng- 
lischen Selbstgefühls  war  es  vorauszusehen,  dafs  ein  deutsches  Shak- 
8 pere- Lexikon  nicht  auf  ungemischtes  Lob  zu  rechnen  haben  werde, 
zumal  ja  selbstverständlich  Artikel  und  Artikelteile  sich  entdecken  liefsen, 
die  ein  englischer  Philologe  verbessern  konnte.  Ganz  verstummt  sind  die 
gegnerischen  Stimmen  auch  heute  noch  nicht:  vor  kurzem  noch  hat  ein 
amerikanischer  Herostrat  sich  den  bedauernswerten  Ruhm  einer  anmafsen- 
den  Verunglimpfung  des  Werkes  erworben.  Im  ganzen  freilich  haben 
sich  jetzt  die  Englisch  sprechenden  Kenner  des  Dichters  in  die  Tatsache 
gefunden,  dafs  der  gröfste  aller  Shakspere-Philologen  ein  Deutscher  ist, 
und  die  englische  Shakspere-Exegese  basiert  ebenso  anstandslos  wie  die 
deutsche  auf  diesem  grundlegenden  Werke.  Ich  selbst,  nachdem  ich  es 
ein  Vierteljahrhundert  fast  fortgesetzt  benutzt,  nachdem  ich  alle  hervor- 
ragenden englischen  Hilfsmittel  zum  Studium  Shaksperes  gründlich  kennen 
gelernt  habe,  halte  mich  zu  dem  Urteil  berechtigt,  dafs  es  kein  Werk  in 
der  Welt  gibt  —  den  groisen  Furness  nicht  ausgenommen  — ,  das  so  viel 
wie  dieses  für  das  eindringende  Verständnis  des  Dichters  getan  hat. 

Die  allgemeine  und  unbedingte  Anerkennung  dieser  Grofstat  des  deut- 
schen Idealismus  hat  Schmidt  nicht  genossen.  Die  anderthalb  Jahre  vor 
seinem  Tode  (1887)  geschriebene  Vorrede  zur  zweiten  Ausgabe  spricht  sich 
über  die  eigene  Leistung  mit  einer  Bescheidenheit  aus,  welche  uns  Nach- 
lebende, die  wir  immerfort  aus  diesem  unversieglichen  Born  des  edelsten, 
des  Shakspere -Wissens  trinken,  rührt  und  beschämt;  ihr  älteren  Kritiker 
habt  doch  wohl  zu  einseitig  eures  Amtes  gewaltet,  die  unvermeidlichen 
Schattenseiten  zu  schwarz  gefärbt  gegenüber  dem  blendenden  Glänze  des 
Ganzen,  wenn  der  grofse  Gelehrte  als  'wünschenswert'  bezeichnen  konnte 
'die  gänzliche  Umarbeitung  eines  Werkes,  dessen  Mängel  ihm  zu  schmerz- 
lichem Bewufstsein  gekommen  wären',  und  sein  Bedauern  darüber  aus- 
sprechen, dafs  er  selbst  aufserstande  sei,  diese  Arbeit  zu  übernehmen. 

Von  einer  gänzlichen  Umarbeitung  kann  überhaupt  nicht 
die  Rede  sein,  sondern  nur  von  Besserungen,  resp.  Zusätzen 


442  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

im  einzelnen,  die  freilich,  wenn  sie  durch  das  ganze  Werk  durch- 
geführt werden,  wohl  einen  Neudruck  erfordern  dürften.  Vorderhand 
freilich  ist  an  einen  solchen  nicht  zu  denken  schon  aus  rein  materiellen  Er- 
wägungen, welche  neben  den  idealen  hienieden  immer  ihr  Eecht  fordern. 
Es  ist  undenkbar,  dafs  ein  Verlag,  stehe  er  noch  so  hoch,  nachdem  er 
durch  enorme  Opfer  eine  wissenschaftliche  Tat  ersten  Ranges  ermöglicht 
hat,  sich  in  neue  grofse  Opfer  stürze,  ehe  die  alten  einigermafsen  aus- 
geglichen sind:  obgleich  ich  in  diese  Seite  der  Publikation  gar  keinen 
Einblick  habe,  glaube  ich  doch  in  der  Annahme  nicht  fehlzugehen,  dafs 
noch  einige  Ausgaben  des  Shakspere-Lexikons  in  der  ursprünglichen  Ge- 
stalt nötig  sein  werden,  um  dieses  Ziel  annähernd  zu  erreichen. 

So  hat  denn  Sarrazin,  der  Herausgeber  der  dritten  Auflage  (1902), 
eiaerseits  dem  ausdrücklich  geäufserten  Wunsche  Schmidts  entsprechend 
gehandelt,  anderseits  unter  den  vorliegenden  Umständen  die  einzig  mög- 
liche Änderung  der  zweiten  vorgenommen,  indem  er  ein  recht  umfang- 
reiches Supplement  hinzufügte.  Damit  ist  zunächst  allen  billigen  An- 
sprüchen genügt. 

Auch  Sarrazins  Arbeit  ist  eine  opfervolle:  er  hat  den  Ertrag  mehr- 
jähriger Studien  auf  30  Lexibonseiten  zusammengedrängt  und  nach  meiner 
Schätzung  etwa  von  000  Stellen  die  Erklärungen  neuester  Interpreten  ge- 
geben. Dazu  war  die  Verwendung  der  neuesten  und  hervorragendsten 
Ausgaben  und  der  in  anderen  Veröffentlichungen  verstreuten  Auslegungen 
nötig.  Die  vorwiegend  benutzten  Ausgaben  sind  die  der.  Clarendon  Press 
(von  Wright  und  Clark  &  Wright),  des  Warwiek  Shalespeare  (von  Cham- 
bers herausgegeben  in  Gemeinschaft  mit  Boas,  Macdonald,  J.  C.  Smith, 
Moore  Smith,  Withers  und  Wyatt),  des  Eversley  Shakespeare  (von  Her- 
ford), des  Temple  Shakespeare  (von  Gollancz).  Ich  vermisse  nur  den  schon 
etwas  älteren  Irving  Shakespeare  (1888 — 90),  der  eine  Reihe  originaler 
Interpretationen  auf  Grund  umfangreichen  philologischen  Wissens  enthält. 
Der  sehr  wertvolle  Pitt  Press  Shakespeare  von  Verity,  der  dem  der  Cla- 
rendon Press  den  Rang  ablaufen  zu  wollen  scheint,  konnte  für  diese  Ar- 
beit kaum  mehr  verwandt  werden,  da  er  erst  seit  1899  und  sehr  langsam, 
Stück  für  Stück,  erscheint;  für  das  nächste  Supplement  aber  wird  er 
gutes  Material  bieten.  Auch  auf  die  älteren  Ausgaben  von  Rolfe,  ^  Hud- 
son und  Furness  wird  öfters  zurückgegangen. 

Für  die  Gedichte  sind  Wyndham  und  für  die  Sonette  speziell  aufser- 
dem  die  Ausgaben  von  Dowden^  und  Tyler  durchgearbeitet.  Auch  Dow- 
dens  ausgezeichnete  Hamlet-Ausgabe  ist  vielfach  benutzt. 

Von  sonstigen  Erläuterungsschriften  finde  ich  verwandt:  Vaughan 
(New  readings  c&c),  Mackay  {Obscure  words  Sc),  Madden  {A  study  of 
Sh.  and  of  Elixahethan  sport^),  Grindon  {Sh.'s  flora),  Fairholt  (Costume 
In  England),  Sidney  Lees  Biographie,  Walter  {Sh.'s  true  life),  Einzel- 
erklärungen aus  dem  Sh.-Jahrbuch,  den  'Englischen  Studien',  dem  AtJie- 
nceum  und  Notes  and  queries.  Besonders  gründlich  sind  Koppels  (bisher 
sich  nur  auf  Lear  und  Macbeth  erstreckende)  ausgezeichnete  'Sh.-Studien' 
verwertet.  Aufserdem  sind  Franz'  Sh.- Grammatik  und  die  Wörterbücher 
von  Skeat  und  Murray  herangezogen. 

Sarrazin  hat  die  Ansichten  der  verschiedenen  Interpreten  in  englischer 
Sprache  und,  wie  es  für  ein  Lexikon-Supplement  erforderlich  war,  mit 
äufserster  Knappheit  zusammengestellt.    Ich  habe  das   Supplement  zwei 


*  Besonders  die  Erklärungen  der  zuletzt  erschienenen  Dramen  sind  sehr  brauch- 
bar, aber  wenig  original. 

2  Eine  vorzügliche  Sonett-Ausgabe. 

3  Der  Haupttitel  lautet:    l%e  Diary  of  Master  William  Silence.    London  1897  — 
ein  für  jede  neuere  Interpretation  unerläfsliches  Hilfsmittel. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  443 

Jahre  benutzt  und  kann  bezeugen,  dafs  es  mir  vortreffliche  Dienste  ge- 
leistet hat.  Wortbedeutungen,  die  mir  —  besonders  auf  Grund  von  Mur- 
ray —  als  fehlend  aufgefallen  sind,  sowie  einzelne  Ausstellungen  an  den 
von  Sarrazin  gebrachten  Interpretationen  werde  ich  am  Schlufs  der  Be- 
sprechung zusammenstellen. 

Bei  dieser  Gelegenheit  kann  ich  nicht  umhin,  den  Verlag  zu  der 
Wahl  des  Fortsetzers  dieses  grofsen  Werkes  zu  beglückwünschen ;  er  hätte 
in  Deutschland  keinen  für  die  feine  und  mühevolle  Aufgabe  geeigneteren 
Gelehrten  fiuden  können.  Sarrazin  ist  uuter  den  jüngeren  originalen 
Shakspere-Forschern  ohne  Zweifel  der  bedeutendste,  welcher  diesen  Wissens- 
zweig in  anerkennenswertester  Weise  gefördert  hat.  Er  ist  einer  der  vor- 
derhand noch  äufserst  wenigen  Shakspere-Gelehrten,  die  ein  gebührendes 
Gewicht  auf  Stilstudien  legen,  wie  sein  Buch  'Sh.s  Lehrjahre'  und  eine 
Anzahl  von  Aufsätzen  zeigen.  Und  wie  ich  mit  ihm  der  Ansicht  bin,  dafs 
die  seit  Jahrhunderten  sich  immer  im  Kreise  drehende,  gänzlich  versumpfte 
Chronologie  der  Shakspereschen  Dramen  —  das  heifst:  die  Geschichte  der 
dichterischen  Entwickelung  Shaksperes  —  nur  gesunden  kann,  indem  man 
sie  in  den  neuen  Boden  stilistischer  (auch  v er s stilistischer)  Studien  pflanzt, 
so  hoffe  ich  bei  ihm  die  Anerkennung  der  Berechtigung  des  Wunsches 
zu  finden,  dafs  auch  das  Sh.-Lexikon  der  Zukunft,  soweit  das  möglich 
ist,  diese  Studien  unterstützen  sollte.  Schliefslich  repräsentiert  Sarrazin 
eine  jugendliche  Kraft,  welche  über  die  erforderliche  Frische  und  Aus- 
dauer verfügt,  um  dieses  grofsartige  Werk  in  jahrelanger  Arbeit  der  Voll- 
kommenheit näher  zu  führen. 

Im  folgenden  möchte  ich  die  Wünsche  zusammenstellen,  die  ich  für 
einen  —  sagen  wir:  zur  fünfzigjährigen  Jubelfeier  erfolgenden  —  Neu- 
druck des  Shakspere-Lexikons  auf  dem  Herzen  habe.  Vielleicht  sind  sie 
zu  grofs,  vielleicht  stöfst  ihre  Verwirklichung  zum  Teil  auf  unüberwind- 
liche praktische  resp.  materielle  Hindernisse:  jedenfalls  möchte  ich  mir 
nicht  versagen,  sie  zur  Diskussion  zu  stellen. 

1)  Der  Druck. 

Bevor  ich  meine  Wünsche  über  diesen  Punkt  ausspreche,  möchte  ich 
ein  charakteristisches  Kuriosum  berichten.  Ein  paar  Jahre  vor  dem  Er- 
scheinen der  zweiten  Auflage  fragte  Schmidt  bei  mir  an,  ob  ich  Druck- 
fehler entdeckt  hätte.  Ich  hatte  drei  oder  vier  falsche  Ziffern  gefunden, 
deren  Berichtigung  ich  ihm  mitteilte.  Aber  da  ich  nur  wenige  Jahre  erst 
damit  gearbeitet  hatte,  so  setzte  ich  voraus,  dafs  unter  den  vielen  Millionen 
von  Ziffern  eine  stattliche  Anzahl  falsche  sein  würden  —  wie  konnte  es 
anders  sein  ?  —  Ich  machte  ihm  daher  den  Vorschlag,  im  Shakspere-Jahr- 
buch  und  in  Herrigs  Archiv  in  dieser  Frage  einen  Aufruf  zu  erlassen. 
Schmidt  erklärte  sich  anfangs  dazu  bereit.  Ich  selbst  schrieb  an  mehrere 
mir  bekannte  Fachgenossen,  erhielt  aber  von  allen  die  Antwort,  dafs  sie 
keine  Druckfehler  gefunden  hätten.  Ebenso  mufste  es  Schmidt  selbst  er- 
gangen sein:  nach  einiger  Zeit  schrieb  er  mir,  er  wollte  auf  den  Rat  von 
Freunden  von  einem  Aufruf  absehen;  der  Druckfehler  seien  so  aufser- 
ordentlich  wenige,  dafs  sie  überhaupt  nicht  in  Betracht  kämen.  Und  so 
ist  es.  Ich  habe  im  Laufe  von  27  Jahren  9  gefunden.  Das  Shakspere- 
Lexikon  ist  also  unerhört  gut  gedruckt. 

Trotzdem  möchte  ich  für  das  neue  den  fetten  Druck  der  die  Unter- 
abteilungen der  Artikel  bezeichnenden  Buchstaben  und  Ziffern  für 
unerläfslich  halten.  Es  kostet  sehr  oft  einen  überflüssigen  Zeitaufwand, 
die  neue  Bedeutung  eines  Wortes  zu  finden. 

Ein  recht  grofser  Übelstand  ist  es,  dafs  die  Vers  an  fange  der  Folio 
nicht  durch  grofse  Buchstaben  in  den  Zitaten  kenntlich  gemacht  sind. 
Die  Abhilfe  würde  indessen  eine  Riesenarbeit  und  gewaltige  Kosten  ver- 
ursachen, und  darum  ist  sie  unmöglich. 


444  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

2)   Ordnung  der  Artikel. 

Schmidt  hat  etwa  die  Hälfte  der  mit  over  zusammengesetzten  Wörter 
in  zwei  verschiedenen  statt  in  einem  Artikel  behandelt,  wenn  im  Text 
neben  dem  vollständigen  over-  die  durch  den  Vers  erforderte  Kürzung 
o'er-  vorkam.  Wenn  wir  uns  also  über  die  Bedeutung  von  overbear  infor- 
mieren wollen,  müssen  wir  overbear  und  o'erbear  nachschlagen.  Das  Un- 
glück will  es,  dafs  zu  diesen  Kompositen  eine  Keihe  häufig  vorkommender 
Wörter  gehören.  Es  ist  keine  Frage,  dafs  wir  im  neuen  Sh.-Lex.  dieser 
zeitraubenden  Belästigung  überhoben  werden  müssen. 

So  finden  wir  auch  zwei  verschiedene  Artikel  von  compt  und  count. 
Solche  Zufälligkeiten  in  der  Schreibung  der  Wörter  dürften  keine  Ver- 
anlassung sein,  ein  und  dasselbe  Wort  an  zwei  Stellen  zu  behandeln. 

8)  Innere  Anlage  der  Artikel. 

Die  Komposita  der  einfachen  Verba  werden  von  Schmidt  ver- 
schieden behandelt.  So  werden  die  Komposita  von  turn  —  turn  away, 
in,  offj  out  etc.  —  unter  die  verschiedenen  Bedeutungen  des  Simplex  turn 
verteilt.  Infolgedessen  habe  ich  z.  B.  nach  turn  up  the  tables  (Ro.  I,  5,  29) 
lange  suchen  müssen.  Dasselbe  geschieht  bei  throw,  wogegen  bei  set  und 
bei  lay  besondere  Abschnitte  für  die  Komposita  von  set  und  lay  vor- 
handen sind. 

Auch  in  dieser  Beziehung  scheint  mir  eine  Änderung  unerläfslich,  um 
unnötiges  Suchen  auszuschliefsen.  Dagegen  wage  ich  nicht,  eine  andere, 
ebenfalls  sehr  nützliche  Forderung  auszusprechen:  die  Haupteinteilung 
aller  Verbalartikel  in  Transitiva  und  Intransitiva.  Denn  dadurch  würde 
die  vollständige  Umarbeitung  der  meisten  von  ihnen  nötig  werden. 

4)  Einzelne  Artikel. 

Einzelne  Artikel  —  besonders  schwierige  und  umfangreiche  —  sind 
nicht  genügend  durchgearbeitet  und  müfsten  deshalb  umgearbeitet 
werden.  Als  Beispiel  wähle  ich  den  Artikel  soul',  er  erschien  Sarrazin  so 
unbefriedigend,  dafs  er  in  seinem  Supplement  für  soul  auf  die  Behandlung 
dieses  Wortes  von  Singer  {Sh -Jahrb.  36)  verwies.  In  der  Tat,  wenn  man 
diesen  Aufsatz  mit  dem  vergleicht,  was  das  Sh.-Lex.  bietet,  so  sieht  man, 
wie  wenig  erschöpfend  das  letztere  ist.  Leider  ist  es  jedoch  unmöglich, 
wenn  man  nach  einer  Bedeutung  von  soul  sucht,  den  viele  Seiten  langen 
Aufsatz  durchzulesen;  er  müfste  zu  einem  Lexikon -Artikel  erst  verkürzt 
werden.  Aber  was  von  soul  gilt,  gilt  auch  von  niind,  spirit,  brain,  wäh- 
rend der  Artikel  über  ghost  gut  ist. 

Ebenso  bedürfen  der  Umarbeitung  die  Artikel  über  die  Hilfsverba. 
So  könnte  —  nebenbei  —  eine  hübsche  Grundlage  geschaffen  werden  für 
den  Modalgebrauch  der  Hilfsverba  in  heutiger  Zeit,  ein  Gebiet  der  eng- 
lischen Sprachwissenschaft,  das  noch  ganz  im  argen  liegt.  Freilich  ge- 
hört dazu  das  Zusammenwirken  mehrerer,  für  einen  würde  die  Arbeit  er- 
tötend sein.  Vielleicht  liefse  sich  eine  solide  Grundlage  für  Shaksperes 
Gebrauch  von  shall,  should  —  will,  imuld  —  may,  cait  etc.  schaffen  auf 
dem  Wege  von  Preisaufgaben. 

Eine  kleine  Anzahl  von  Artikeln  müfste  hinzugefügt  werden, 
welche  Auskunft  über  die  Wörter  der  Bühnenanweisungen  der  Folio 
geben,  die  Schmidt  nicht  berücksichtigt  hat,  obgleich  sie  in  allen  späteren 
Ausgaben  —  mitunter  in  erweiterter  Gestalt  —  wiederkehren.  Es  ist  doch 
wohl  nötig,  zu  erfahren,  was  die  sattd-bags  für  eine  Bedeutung  haben,  mit 
denen  die  Paukanten  Horner  und  Peter  in  2  H.  VI  auftreten;  und  dafs 
man  die  Bedeutung  des  immerfort  wiederkehrenden  Wortes  sennet  im 
Sh.-Lex.  nicht  finden  kann,  ist  seltsam. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  445 

5)   Textkritik. 

Dals  die  Textkritik  im  Kahmen  eines  Lexikons  nur  einen  minimalen 
Raum  haben  kann,  ist  selbstverständlich.  Aber  auch  Schmidt,  ein  so  ein- 
seitiges Gewicht  er  auf  den  Text  der  1.  Folio  legte,  ist  ganz  ohne  sie 
nicht  ausgekommen.  Oft  genug  liest  man,  was  die  Modern  Editors  an 
Stelle  einer  unmöglichen  Folio-Lesart  setzen.  Aber  in  vielen  Fällen  hält 
Schmidt  an  einer  offenbar  verderbten  Textstelle  ohne  Wanken  fest  und 
gibt  ihr  eine  Erklärung,  die  unbefangenen  Kennern  der  Sprache  Shak- 
speres  unmöglich  erscheint.  Es  ist  ganz  undenkbar  z.  B.,  dafs  Shakspere 
das  Verbum  expiate,  das  sonst  in  aller  Welt  'sühnen'  u.  ä.  heifst,  allein  von 
aller  Welt  an  zwei  Stellen  in  der  Bedeutung  'beendigen'  gebraucht  haben 
soll,  wenn  es  ein  altes  expirate  gibt,  das  auch  andere  seiner  Zeitgenossen 
für  expire  verwenden.  Es  ist  doch  unmöglich  anzunehmen,  dafs  es  um 
1000  drei  Verba  dieser  Bedeutung  gegeben  haben  soll:  expire,  expirate 
und  —  expiate,  das  aber  nur  an  zwei  Stellen  diese  Bedeutung,  sonst  immer, 
wie  heute,  die  Bedeutung  'sühnen,  büfsen'  etc.  hat.  (S.  das  Wort  in  den 
nachfolgenden  Zusätzen  und  Verbesserungen.) 

Es  ist  allerdings  notwendig,  dafs  man  solche  offenbare  Text  Verderbnis, 
wie  das  Wort  expiate,  in  das  Lexikon  aufnimmt;  aber  dann  mülste  man 
es  mit  einem  Zeichen  versehen,  das  es  als  fehlerhaft  charakterisiert,  und 
auf  expirate  verweisen.  Und  diesem  Beispiel  entsprechend  müfsten  eine 
grofse  Reihe  von  Wörtern  und  Wendungen  behandelt  werden.  Die  Folio 
ist,  wenn  wir  von  einzelnen  besser  gedruckten  Quartos  absehen,  der  re- 
lativ beste  Druck;  aber  niemand  wird  so  verwegen  sein,  sie  gut  gedruckt 
zu  nennen.  Sie  enthält  eine  solche  Menge  von  Schreib-  und  Gehörfehlern, 
dafs  das,  was  wir  heute  eine  Korrektur  nennen,  kaum  stattgefunden  haben 
kann.  Jedenfalls  wäre  ein  so  nachlässiger  Druck,  wie  der  der  Folio,  heute 
nicht  mehr  möglich. 

Wir  werden  also  von  dem  neuen  Sh.-Lex.  eine  gröfsere  Unbefangen- 
heit und  eine  dreistere  Kritik  gegenüber  dem  Folio-Texte  zu  wünschen 
haben. 

6)   Wortbedeutungen. 

Das  Supplement  von  Sarrazin  bringt  neben  bekannten  Wortbedeu- 
tungen, welche  eben  nur  von  den  im  Sh.-Lex.  für  bestimmte  Stellen  ge- 
gebenen Bedeutungen  abweichen  —  also  neben  abweichenden  Auffassungen 
modernster  Interpreten  — ,  auch  eine  Anzahl  von  neuen,  bisher  unbe- 
kannten, welche  von  den  neuesten  Herausgebern  entdeckt  sind.  Darin 
liegt  die  Tatsache  ausgesprochen,  dafs  die  Kenntnis  der  Sprache  des 
16.  Jahrhunderts,  welche  die  älteren  englischen  Herausgeber  zu  der  Er- 
klärung Shaksperes  verwertet  haben,  eine  lückenhafte  gewesen  ist.  Es  ist 
aber  selbstverständlich  die  Aufgabe  des  Erklärers,  das  für  ihn  in  Frage 
kommende  Sprachmaterial  bis  ins  kleinste  vollkommen  zu  beherrschen. 
Bisher  gab  es  keine  Möglichkeit  dazu,  jetzt  ist  eine  gegeben  in  dem  ge- 
waltigen Murrayschen  Lexikon,  das  als  lexikographische  Leistung 
einzig  in  der  Weltliteratur  dasteht.  Hier  ist  jedes  Wort,  das  für  Shak- 
spere in  Frage  kommt,  mit  der  ganzen  Verzweigung  seiner  Bedeutungen 
—  von  der  Wurzel  bis  zur  Krone  —  verzeichnet.  Aber  diese  Möglichkeit 
schliefst  doch  wieder  eine  scheinbare  Unmöglichkeit  in  sich. 

Wie  gelangt  man  in  dem  Riesenwerke  zu  den  Hundert- 
tausenden von  Erklärungen,  die  es  zu  Shaksperes  Dich- 
tungen gibt?  und  die  doch  unvergleichlich  wertvoller  sind  als  alle  bis- 
herigen, da  sie  auf  einem  nahezu  vollständigen  Sprachmaterial  beruhen. 
Bei  meiner  Revision  des  Schlegel-Tieckschen  Shakspere-Textes  habe  ich 
den  Murray  jetzt  drei  Jahre  lang  immerfort  gebraucht,  er  hat  mir  in 
bezug  auf  Wort-  und  Sacherklärung  unschätzbare  Dienste  geleistet:  was 
von  neuen  Erklärungen  in  den  vorletzten  beiden  Bänden  des  Sh.-Jahr- 
buches,  in  dieser  Besprechung  und  in  einem  in  diesem  Jahre  erscheinen- 


446  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

den  Buche  von  mir  enthalten  ist,  beruht  fast  nur  auf  ihm.  Nun  habe  ich 
nicht  einmal  die  Zeit  gehabt,  auch  nur  die  markantesten  Abweichungen 
von  den  bisherigen  Erklärungen  zusammenzustellen ;  es  sind  an  den  ge- 
nannten Stellen  eine  Reihe  von  bisher  ungenügend  erklärten  Stellen  neu 
erklärt,  aber  lange  nicht  alle.  Selbstverständlich  habe  ich  Murray  nur  um 
Rat  gefragt  bei  Stellen,  deren  frühere  Deutungen  Zweifel  in  mir  erregten. 
Und  es  kann  doch  bei  der  Originalität  dieses  allumfassenden  Werkes 
nicht  fraglich  sein,  dafs  es  bei  der  Höhe  seines  philologischen  Stand- 
punktes in  zahlreichen  Fällen  zu  anderen,  gegründeteren  Erklärungen  von 
Wörtern  kommt,  deren  Deutung  bisher  unbeanstandet  war.  Es  ist  daher 
meine  feste  Überzeugung,  dafs  die  modernste  und  gewissenhafteste  Aus- 
gabe Shaksperes  mit  Hilfe  des  Murray  nicht  entfernt  soviel  zur  Erklärung 
des  Dichters  leisten  kann  als  der  Murray  in  seiner  Gesamtheit  selbst. 

Es  ist  nicht  meine  Sache,  die  Frage  zu  beantworten,  auf  welchem 
Wege  man  zu  der  gründlichen  Ausschöpfung  dieser  reichen  Quelle  des 
Sprachwissens  gelangt.  Gewifs  ist,  dafs  eine  solche  gründliche 
Ausschöpfung     bei    Neuausgabe     des     Shakspere-Lexikons 

stattfinden  mufs.  ^ 

Stilistik. 

Ich  gebe  zu,  dafs  ein  Lexikon  —  im  beschränktesten  Sinne  aufge- 
fafst  —  nur  Worterklärungen  zu  geben  braucht  und  auch  bestenfalls  nur 
wenig  für  die  Fesstellung  des  Stiles  tun  kann.  Ein  gutes  Lexikon  aber 
wird  sich  nicht  darauf  beschränken,  die  kahle  Wortbedeutung  festzustellen, 
sondern  es  wird  Aufklärung  geben  müssen  über  den  Wortgebrauch. 
Dafs  dieser  Anspruch  besonders  einem  Speziallexikon  gegenüber  berech- 
tigt ist,  hat  Schmidt  anerkannt,  indem  er  in  unzähligen  Fallen  den  Kon- 
text, in  welchem  das  betreffende  Wort  bei  Shakspere  erscheint,  zusammen 
mit  dem  Worte  gegeben  hat.  Er  hat  so  Aufserordentliches  für  Shaksperes 
Stilistik  geleistet. 

Nun  aber  beruht  der  poetische  Stil  nicht  blofs  auf  der  sprachschöpfe- 
rischen Tätigkeit,  der  eigenartigen,  individuellen  Verwendung  der  Worte, 
sondern  auch  auf  dem  Gebrauch  der  poetischen  Mittel:  auf  der  Art  der 
Metaphern,  Bilder,  Personifikationen  usw.  und  für  jene  Zeit  speziell  der 
Wortspiele  und  Konzepte.  Nach  dieser  Seite  hin  hat  das  alte  Sh.-Lex.  viel, 
aber  nicht  genug  getan.  Die  Worte  'quihblmg'  und  'figuralively'  wiederholen 
sich,  wie  jeder  Kenner  des  Werkes  weifs,  sehr  oft,  aber  nicht  oft  genug. 

Wenn  wir  blofs  den  metaphorischen  Gebrauch  der  Worte  ins  Auge 
fassen,  so  können  wir  den  Jugendstil,  der  in  Ro.,  Gentl,  LL.  und  ebenso 
in  Ven.,  Lu.  und  den  Jugendsonetten  blüht,  in  As,  Ado  und  den  Viola- 
Szenen  von  Tw.  (1594.  1595)  zu  schwinden  beginnt  und  im  Merch.  (1595/6), 
abgesehen  von  einzelnen  Nachklängen,  schon  überwunden  ist,  von  dem 
späteren  Stil  unterscheiden.  Dieser  im  wesentlichen  Petrarcas  Sonetten 
entwachsene  und  von  späteren  italienischen  Dichtern  weiterkultivierte  Stil 
beherrscht  die  ganze  englische  Renaissancelyrik  und  ist  so  konventionell, 
so  uniform,  dafs  wir  geradezu  erklären  können:  diese  und  jene  Metapher 
kann  Shakspere  nur  in  seiner  jugendlichen  Periode  gebraucht  haben.  Man 
vergleiche  z.  B.  die  Liebesgespräche  zwischen  Falstaff  und  den  lustigen 
Weibern  mit  denen  der  jugendlichen  Dramen:  es  wäre  hochkomisch  ge- 
wesen, wenn  der  Materialist  im  ätherisch  verhimmelnden  Stile  des  Romeo, 
des  Proteus  und  der  liebeschwärmenden  Ritter  in  LL.  zu  seinen  Weibern 
gesprochen  hätte.  Aber  gegen  das  Ende  des  Jahrhunderts  ist  Shakspere  die 
Torheit  dieses  Stiles  so  zuwider  geworden,  dafs  er  ihn  selbst  zu  satirischen 
Zwecken  nicht  mehr  verwenden  mag.  Und  halten  wir  gegen  jene  Dramen 
gar  die  wunderbar  schönen,  rein  shakspereschen  Liebesgespräche  in  Wint., 
so  können  wir  erkennen,  welch  herrlichen  Aufschwung  Shaksperes  poeti- 
scher Stil  seit  der  jugendlich  befangenen  Musterhaftigkeit  genommen  hat. 
Auf  diesem  Gebiete  hätte  daher  das   Shakspere-Lexikon   der  Erkenntnis 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  447 

der  dichterischen  Entwickelung  vortreffliche  Dienste  leisten  können,  wenn 
es  prinzipiell  den  metaphorischen  Gebrauch  der  Worte  vermerkt  hätte. 

Aber  es  verfährt  ungleichmäfsig.  So  ist  die  metaphorische  Verwen- 
dung von  ^wind'  gut  angegeben:  ^Emblem  of  swiftness,  liberty,  wantonness, 
incojistancy  and  faheness,  uhiquity.'  Aber  in  der  überwiegenden  Zahl  der 
Fälle  fehlt  solche  Angabe.  Bei  poniard  z.  B.  finden  wir  das  Ziffern - 
Zitat  'Ado,  II,  1,  255  (cf.  Haml.  III,  2,  414).'  Was  heifst  das?  An  der 
ersten  Stelle  steht :  'she  speaks  poniards',  an  der  anderen :  'speak  daggers'. 
Es  handelt  sich  also  um  den  metaphorischen  Gebrauch  von  'poniard'  und 
'dagger',  welcher  mit  Wortzitaten  belegt  werden  mufste.  —  Unter  'Quench' 
finden  wir  nur  die  allgemeine  Bedeutung;  'qttench  the  fire  of  rage*  (Ro.  I, 
1,  91)  wird  nicht  zitiert;  ebensowenig  finden  wir  unter  'coaV  das  Zitat 
'hot  coals  of^  vengeance'  (2  H.  VI,  V,  2,  36).  Bei  'Prison'  ist  in  Ziffern- 
zitaten verzeichnet,  wo  es  ohne  Artikel  gebraucht  wird,  wo  (put)  in  prison, 
to  prison,  out  of  prison  vorkommt;  nicht  gesagt  ist,  wo  prison  für  Kör- 
per (Gefängnis  der  Seele)  gebraucht  wird.  Die  'infants  of  the  spring' 
(LL.  I,  1,  101)  kennt  der  Artikel  'InfanV  nicht.  'Glass  2)  a)  a  mirror', 
es  folgen  alle  Stellen  dafür  in  Ziffernzitaten,  darunter  —  unerkennbar  — 
auch  die,  wo  es  von  Personen  gebraucht  wird. 

Was  von  den  Metaphern  gesagt  ist,  gilt  auch  von  den  Beiwörtern,  ob 
schmückend  oder  anschaulich.  Unter  'Pale'  ist  angegeben,  wenn  es  nicht 
von  der  Haut,  sondern  von  anderen  Gegenständen  gebraucht  wird :  'ashes, 
moon,  moonlight,  eyes,  lead,  silver\  Dafs  aber  die  'buds'  'chaste'  genannt 
werden:  chaste  as  is  the  hud  ere  it  he  hlown  (Ado  IV,   1,  59) 

finden  wir  weder  unter  'Charte'  noch  unter  'Bud'. 

Ich  glaube  in  der  Tat,  dafs  ein  die  poetischen  Mittel  prinzipiell  be- 
rücksichtigendes Shakspere-Lexikon  die  nunmehr  unerläfslichen  Stilstudien 
aufs  nachdrücklichste  unterstützen  könnte.  —  Wie  wäre  dieses  Ziel  zu  er- 
reichen? —  Ich  sehe  keinen  anderen  Weg  als  erschöpfende  Spezialfor- 
schungen  über  Shaksperes  Gebrauch  der  verschiedenen  poetischen  Mittel. 

Noch  eine  hierher  gehörige  wertvolle  Kleinigkeit!  Die  Wortzusam- 
menziehungen der  Folio  {y'are  =  you  are  etc.)  finde  ich  in  dem  Sh.- 
Lex.  nicht;  das  wäre  aber  für  die  Chronologie  der  Dramen  wichtig;  denn 
obgleich  ich  keine  Sammlung  darüber  angelegt  habe,  glaube  ich  in  der 
Annahme  nicht  zu  irren,  dafs  Zusammenziehungen,  wie  in's  {in  Ms), 
froni's  {from  his)  etc.,  inH  {in  it)  u.  ä.,  nur  in  späteren  Dramen  vorkommen. 

Gern  hätte  ich  noch  etwas  gesagt  über  die  Behandlung  der  Paral- 
lelismen des  Ausdrucks  und  des  Gedankens.  Aber  ich  verzichte  darauf; 
ich  fürchte,  die  hier  für  eine  spätere  Neuausgabe  des  Sh.-Lex.  geäufserten 
Wünsche  sind  schon  zu  umfangreich  und  dürften  sich  praktisch  nur  mit 
grofsem  Aufwand  an  Arbeitskraft  und  Kosten  verwirklichen  lassen.  Darum 
will  ich  zum  Schlufs  nicht  versäumen,  nochmals  zu  betonen:  dafs  das 
Sh.-Lex.  auch  so,  wie  es  jetzt  ist,  als  Hilfsmittel  für  das  Verständnis 
Shaksperes  von  keinem  anderen  übertroffen  wird. 

Ich  wollte  nun  noch  einige  Beiträge  zu  einem  späteren  Supplement  des 
Sh.-Lex.  zusammenstellen  neben  denen,  welche  ich  im  38.  und  39.  Bande 
Sh.-Jahrbuches  gegeben  habe  und  im  Laufe  dieses  Jahres  geben  werde  in 
meinem  Buche:  'Schwierigkeiten  der  Shakspere- Übersetzung'.^ 

*  Ich  möchte  hier  bemerken,  dafs  dieses  Buch  schon  seit  zwei  Jahren  ge- 
druckt vorliegt  und  ursprünglich  am  Anfang  von  1903  erscheinen  sollte,  weshalb 
ich  schon  im  39.  Bande  des  Sh.-Jahrbuches  (1903)  leider  verfrüht  mich  darauf 
bezogen  habe.  Auf  Wunsch  der  Deutschen  Verlagsanstalt  in  Stuttgart,  bei  der 
die  Revision  des  Schlegel-Tieckschen  Textes  erscheint,  wird  die  Ausgabe  desselben 
aber  erst  nach  dem  Erscheinen  der  letzteren  erfolgen. 


448  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

aecent. 
(Sh.-Lex.)  *6)  Speech,  language\  —  Diese  Bedeutung  kommt  überhaupt 
nicht  vor.    In  den  vier  angeführten  Beispielen  hat  aecent  immer  einen  an- 
deren Sinn: 

1)  Betonung  in  der  Rede:  throttle  their  practised  aecent  in  their 
fears  Mids.  V,  1,  97  (sie  sind  so  schüchtern  in  der  Rede,  dafs  sie  die  vor- 
her eingeübte  Betonung  erwürgen,  d.  h.  hastig  drauflossprechen).  —  be- 
guiled  you  in  a  piain  aecent  Lear  II,  2,  117  (er  sprach  zu  dir  in  dem 
Tone  eines  einfältigen,  ehrlichen  Mannes  und  betrog  dich  so).  —  Die  bei- 
den Stellen  gehören  also  unter  '3)  modißcation  ofthe  voice  expressive  of 
sentiments'. 

2)  Stimme:  midst  tJie  sentence  so  her  aecent  breaks  Lu.  566. 

3)  Laute  (einer  Sprache):  Shall  this  our  lofty  scene  be  acted  over  In 
States  unborn  and  accents  yet  unknown  Caes.  III,  1,  113. 

action. 
Die   bekannte   Bedeutung   Wirkung,   wirksame   Kraft    fehlt   im 
Sh.-Lex.  ganz,  z.  B. :  /  cannot  give  dtie  action  to  my  words  2  H.  VI,  V,  1 ,  8. 

alehouse  sign 
fehlt  bei  alehouse  und  ist  doch  ein  einheitlicher  Begriff. 

amaxed. 
Die  veraltete  Bedeutung  betäubt  [Murray -|-  1)  =  stunned]  fehlt,  z.  B. 
Shrew  II,  1,  156,   als  Katharina   Hortensios  Kopf   durch  die  Laute  ge- 
schlagen hat:  Arid  I  stood  amaxed  for  a  white.    [Das  Sh.-Lex.  gibt  2)  piU 
in  confusion by  fear;  das  trifft  den  Nagel  nicht  auf  den  Kopf.] 


Für  die  Stelle  Tit.  I,  1,  312,  wo  der  durch  die  Entführung  der  Lavinia 
erzürnte  Kaiser  Saturninus  mit  Bezug  auf  den  Entführer,  seinen  Bruder 
Bassianus,  zu  ihrem  Vater  Titus  die  Worte  spricht: 

A  valiant  son-in-law  thou  shalt  enjoy  (Bassianus): 
One  fit  to  handy  with  thy  lawhss  sons, 
To  rüffle  in  Ihe  Commonwealth  of  Rome. 

gibt  das  Sh.-Lex.  'contend,  strire  {in  emulation)',  also  'wetteifern'.   Gerade 
diese  Nuance  hat  es  nach  Murray  nicht;   es  heilst  hier  einfach  raufen. 

bexonian. 
Hier  scheint  das  Sh.-Lex.  mit  seinem  'base  fellow^  gegen  Sarrazin 
recht  zu  haben,  der  nach  einer  Stelle  in  Markhams  English  Htisbatidman 
die  Bedeutung  'Bauer'  an  die  Hand  gibt.  Murray  hat  für  alle  drei  For- 
men des  Wortes  —  bexonian,  besonic,  besogne  —  nur  die  zwei  Bedeutungen : 
1)  junger  Rekrut;  2)  Hungerleider,  Lump. 

brain. 
Der  Artikel  verdient  eine  Umarbeitung  im  Sh.-Lex.,  welches  genau 
angibt,  wie  oft  das  Wort  im  Singular  und  im  Plural  vorkommt,  aber  nur 
die  Bedeutungen  'Gehirn'  und  'Denkorgan'  kennt.    Es  heifst  selbstver- 
ständlich auch  bei  Sh.  oft  Geist,  Verstand;   auch  Gedächtnis  (Ro. 

I,  3,  29).  , 

brawn. 

Sarrazin  gibt  nach  Wright  die  dialektische  Bedeutung  boar  mit  Bezug 
auf  Falstaff  (l  H.  IV,  II,  4,  123  —  nicht  124  —  und  2  H.  IV,  I,  1,  19). 
Wenn  denn  die  Bedeutung  des  Sh.-Lex.  'fleshy  mass  (Fleischklofs)'.  hier 
nicht  gelten  soll,  dann  dürfen  wir  sie  doch  wohl  einbeziehen  in  der  Über- 
setzung Mastschwein. 


Beurteflungen  und  kurze  Anzeigen.  44Ö 


Das  Sh.-Lex.  gibt  nur  für  eine  Stelle  —  though  my  case  he  a  pitiful 
one,  I  hope  I shall  not  he  flayed  out  of  it,  Wint.  IV,  4,  844  —  'Perhaps  = 
the  skin'.  'Vielleicht'?  Es  kann  an  dieser  Stelle  gar  nichts  anderes 
heifsen  als  Haut.  Ebenso  in:  what  wilt  tkou  he  when  time  hath  sowed 
a  grixxle  on  thy  case,  Tw.  V,  1,  168. 

Vgl.  /  like  my  silver-haired  conies  at  kome :  the  cases  are  far  heiter 
than  the  bodies  (Gary,  Pres.  State  of  England  1626,  bei  Malone)  und  the 
asse,  stalking  in  the  lion's  case  (Bussy  d'Ambois,  bei  Halliwell).  Murray 
gibt  mehr  Beispiele  für  diese  veraltete  Bedeutung.  (Sarrazin  verzeichnet 
sie  auch  auf  Grund  einer  Bemerkung  Maddens.) 

cleanly. 
Für  die  Stelle  Tit.  II,  1,  94: 

What,  hast  not  ihou  füll  often  Struck  a  doe^ 
And  borne  her  cleanly  hy  the  heeper's  nose? 
gibt  das  Sh.-Lex.  'quite,  entirely'  und  im  Supplement  für  diese  Stelle  'in 
the  very  face  of  th£.  keeper',  obgleich  nicht  einzusehen  ist,  wie  dieser  letz- 
tere Sinn  aus  quite  und  entirely  folgen  soll. 

Murray  gibt  'adroitly':  geschickt  (ohne  dafs  der  Wildhüter  es  merkte). 

complexion. 
Bei  Murray  findet  sich  die  im  Sh.-Lex.  fehlende  Bedeutung  'physical 
Constitution  or  nature';  diese  ist  ohne  Zweifel  gemeint  in  Isabels  Worten 
(Meas.  II,  4,  129): 

For  we  are  soft  (weich  im  Gemüt)  as  our  complexions  (Körper)  are. 
Ferner  heifst  es  nicht  blofs  'extemal  appearance'  (Sh.-Lex.),  sondern 
Wesen  im  Sinne  von  Haltung,  soweit  es  die  innere  Stimmung  darstellt, 
und  Stimmung  selbst  (s.  Murray).     So  in  den  Worten  des   Polixen  es 
(Wint.  I,  1,  381): 

Your  chang'd  complexions  (des  Leontes  und  Camillo)  are  to  me  a  mirror 
Which  shows  me  mine  chang'd  too. 

conscience 
Vernunft  (nach  Murray): 

Canst  thou  the  conscience  lack  to  think  . . .     (Tim.  II,  2,   184.) 

counterfeit 
Heuchler  (nach  Murray): 

Thurio.         Seem  you  that  you  are  not? 
Valentine,  ffaply  I  do. 

Thurio.         So  do  counterfeits.  (Gentl.  II,  4,   12.) 

Von  'falschen  Münzen'  (Sh.-Lex.)  kann  hier  nicht  die  Rede  sein. 

depart 
scheiden  {=:  pari,  Murray  5));   das  Sh.-Lex.  kennt  nur  die  Bedeutung 
go  away.    Vgl.  Ro.  III,  1,  56,  wo  es  'auseinandergehen',  nicht  'fortgehen*, 
heifst. 


Pflichtgefühl  fehlt  im  Sh.-Lex.    Vgl.  Lear  I,  1,  149: 

Think'st  thou  that  duty  shall  haue  dread  to  speak, 
When  power  io  flattery  hows  ? 
und  sonst  oft. 

emtnence. 

Murray:  acknowledgment  of  super  iority,  homage  (Huldigung).    Das 
—  und  nicht  distinction  (Sh.-Lex.)   —   mufs  es  heifsen  an  der  Stelle,  wo 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  29 


450  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen, 

Macbeth  seiner  Gemahlin  mit  Bezug  auf  Banquo  anempfiehlt:  present  htm 
eminence  With  eye  and  tongue  (Mach.  III,  2,  30). 

entertainment 
—  of  death  (Meas.  III,  2,  225)  heifst:   ruhige   Hinnahme   des  Todes 
(Murray  12)),  nicht  conception,  expectation  of  death  (Sh.-Lex.). 

entrails. 
Falstaff  wird  (Wiv.  V,  5,  162)  charakterisiert  als : 

Old,  cold,  wiihered,   and  of  inlolerable  entrails. 
Sh.-Lex.  und  die  Übersetzer  sagen  'Eingeweide',  einer  sogar  'Schmerbauch'. 
Diese  Bedeutung  ist  ziemlich  weit  entfernt  von   der  wirklichen,  die  das 
Wort  an  dieser  Stelle  nach  Murray  hat:   Seele. 


Sarrazin  gibt  nach  Madden  die  Bedeutung  Habicht,  und  die  würde 
in  der  Tat  sehr  passend  sein  für  die  Stelle  Ant.  III,  13,  197:  In  that  mood 
ifury)  TJie  dove  will  peek  the  estridge  —  würde  aber  gar  nicht  an  der  Steile 
sein,  wo  die  Ritter  geschildert  werden  als  all  plum'd  like  estridges. 

Murray  kennt  das  Wort  nur  als  eine  Variation  von  ostrich.  Und  so 
wird  es  wohl  auch  in  der  ersten  Stelle  Straufs  heifsen  müssen. 

expiate 
soll  an  zwei  Stellen  im  Sh.  die  Bedeutung  beendigen  haben:  death  my 
days  should  expiate,  Son.  22,  4,  und  Make  haste:  the  hour  of  death  is  ex- 
piate, R.  III,  III,  3,  23.  An  beiden  Stellen  wird  diese  Bedeutung  aller- 
dings postuliert.  Merkwürdig  ist  freilich,  dafs  nur  die  1.  F'olio  expiate 
liest;  die  Herausgeber  resp.  Drucker  der  drei  späteren  Folios  haben  das 
Wort  ausgemerzt  und  dafür  now  expired  eingesetzt,  ihnen  war  das  Wort 
—  sonst  bekannt  in  der  Bedeutung  'sühnen'  —  offenbar  in  dieser  Bedeu- 
tung ungeläufig. 

Noch  merkwürdiger  ist,  dais  auch  Murray  nur  diese  beiden  Stellen  für 
die  Bedeutung 'beendigen'  bringt.  In  den  drei  anderen  bei  ihm  heifst  expiate 
einmal  offenkundig  'sühnen'  (Objekt:  grief),  zweimal  'büfsen'  (rage,  fury) 
im  Sinne  von  'befriedigen'  (seine  Lust  büfsen) ;  die  von  ihm  gegebene  erste 
Bedeutung  pafst  durchaus  nicht.  —  Sollte  Sh.  sich  an  dieser  Stelle  in 
dem  Fremdwort  versehen  haben  —  es  wäre  nicht  die  einzige  — ?  oder  der 
dictando  Setzende  durch  einen  seiner  zahlreichen  Gehörfehler  der  1.  Folio 
den  Text  verderbt  haben? 

Ich  sehe  keine  andere  Lösung  des  Rätsels  als  an  beiden  Stellen  das 
veraltete  expirate  {■=.  expire)  einzusetzen. 

favours. 
Das  Sh.-Lex.  führt  zwei  Stellen  an^  in  denen  der  Plural  ^favcmrs' 
Gesichtszüge  heifsen  soll;  eine  davon  heifst:  stain  my  favours  in  a 
bloody  mask  (l  H.  IV,  III,  2,  136).  So  erklären  auch  Warburton  und 
Johnson,  und  es  ist  keine  Frage,  dafs  die  Bedeutung  für  die  Stelle  sehr 
passend  ist.  Ich  kann  daher  Sarrazin  nicht  beistimmen,  wenn  er  Wright 
{Clarendon  Press)  folgt,  welcher  behauptet,  dafs  der  Plural  ^favours'  von 
einer  einzelnen  Person  nicht  gebraucht  wird.  Er  meint  also,  dafs  ^favour'' 
das  'Aussehen',  aber  nicht  einen  einzelnen  Gesichtszug  bezeichnet.  Dem 
widerspricht  Murray,  der  '■favour^  in  der  besonderen  Bedeutung  von  'a  fea- 
ture'  bringt  und  zwei  Beispiele  anführt,  wo  es  ohne  Zweifel  diese  Bedeu- 
tung haben  mufs.  Damit  ist  Schmidts  Ansicht,  dafs  'favours'  mehrere 
Gesichtszüge  oder  auch  die  Gesamtheit  der  Gesichtszüge  bezeichnen  kann, 
bestätigt.  —  'favours'  an  den  beiden  Stellen  als  'Liebeszeichen'  (Schärpen, 
Handschuhe)  zu  fassen,  scheint  mir  unmöglich. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  4SI 

fortune 
heifst  nach  Murray  auch  guter  Stand,  gute  Familie. 

the  face  and  thy  hehaviour, 
Which,  if  my  augury  deceive  me  not, 
Witness  good  bringing-up ,  fortune,  and  truth.  (Gentl.  IV,  4,  74.) 

Mit  dem  'prosperity'  des  Sh.-Lex.  ist  hier  nichts  anzufangen. 

ginger 
blofs  'a  spiee'  ?  —  Es  war  u.  a.  ein  den  Geschlechtstrieb  erregendes  Mittel, 
das  canded,  greene,  or  condited'  gegessen  wurde.    (S.  Furness  zu  Tw.  II, 
3,  126.) 

hang 
soll  nach  Herford  (Supplement)  für  'execute'  (er  meint  'hehead')  gebraucht 
werden  in  der  Stelle:  ^you  mtist  rise  and  be  hanged'  (Meas.  IV,  3,  24). 
Das  glaube  ich  nicht;  Murray  gibt  keine  Beispiele  für  eine  derartige  Be- 
deutung. Auch  ist  sie  an  dieser  Stelle  gar  nicht  erforderlich:  Der  zum 
Henkersknecht  beförderte  Kuppler  Pompejus,  der  diese  Worte  dem  Barnar- 
diue  zuruft,  weifs  eben  noch  nicht,  dafs  dieser  geköpft  und  nicht  gehängt 
werden  soll. 

headstrong. 
Die  Bedeutung  ungestüm  fehlt  für  die  Stelle  2  H.  VI,  III,  1,  356. 


=  'condemn  by  hissing'  (Sh.-Lex.)  für  die  Stelle 

The  wind  hiss'd  him  in  scorn.  (Rom.  I,   1,  119.) 

Die  Bedeutung  'auszischen'  scheint  mir  wenig  passend;  vielmehr:  'Der 
Wind  zischte  ihn  höhnisch  an'. 

horns 
=  deer  —  nur  an  einer  Stelle:  LL.  IV,  1,  113.    Diese  Bedeutung  gibt  es 
nicht. 

hue. 
Sarrazin  gibt  für  htie  in  Sonn.  20,  7   nach  Dowden   und  Wyndham 
die  richtige  Bedeutung  =  *shape,  embodiment'.    Es  fehlt  hier  noch  die 
Stelle  Tit.  I,  1,  261,  wo  Saturnin  von  Tamora  sagt: 
A  goodly  lady,  trust  me,  of  the  hue 
Thai  I  would  choose,  were  I  to  choose  anew. 

Jade. 
In  der  Stelle  (2  H.  VI,  IV,  1,  3): 

The  jades  ihat  draw  the  melancholy  night 

soll  nach  Herford  (Supplement)  jade  =  dragon  sein.  Er  denkt  natürlich 
an  'night' s  swift  dragons'  (Mids,  III,  2,  379)  und  'Swift,  swift,  you  dragons 
of  the  night'  (Cymb.  II,  2,48).  Hier  aber  ziehen  die  'melancholy  night' 
eben  nicht  'swift  dragons',  sondern  jades :  Schindmähren. 

kidney 
=  'Nieren'  (Sh.-Lex.)  in  Wiv.  III,  5,  116,  wo  es  von  Falstaff  heifst:  'a  man 
of  my    kidney'.     Es    ist    nach   Murray    hier    =    'Constitution',    Leibes- 
beschaf  fenheit. 

lamp 
(Sh.-Lex.)  '1)  Used  as  the  emblem  of  life\    Hierher  gehört  auch  die  Stelle 
Err.  V,  1,  315,  welche  dafür  unter  v)  wegfallen  muls. 


452  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

lay 
(Sh.-Lex.)  'Joined  with  adverbs  and  adjectives :  to  lay  down'.    Hier  fehlt 
die  obscöne  Bedeutung  für  die  Stelle  lay  down  ladies  (H.  VIII,  I,  8,  40) : 
in  liegende  Stellung  bringen  d.h.  zu  Müttern  machen  (Murray). 

lewdness 
(Sh.-Lex.)  '1)  naughtiness,  indecency'  für  die  eine  Stelle,   wo   Sir  Thomas 
Lovell  eine  Philippika  hält  gegen   die  albernen  Manieren   und  Trachten, 
welche  die  jungen  Leute  aus  Frankreich  mitbringen,  und  ihnen  rät,  wieder 
verständige  Engländer  zu  werden: 

Or  pack  to  their  old  playfeUows:  there,  I  iake  it, 

They  may,  '■cum  privilegio\  wear  away 

The  lag  end  of  their  lewdness  and  be  laugh'd  at.  (H.  VIII,  I,  3,  35.) 

Beide  Bedeutungen  sind  hier  unmöglich;  'lewdness'  heifst  hier  Torheit 
(Murray). 

mask 

(Sh.-Lex.)  '2)  a  diver sion  or  procession  in  which  the  Company  wear  masks, 
masquerade\  Hier  fehlt  merkwürdigerweise  die  Gattung  theatralischer 
Darstellungen,  welche  man  mit  'mask'  bezeichnet,  und  doch  kommt  diese 
Bedeutung  des  Wortes  gleich  in  den  ersten  von  Schmidt  angeführten 
Beispielen  vor:  'revels,  dances,  masks',  LL.  IV,  8,  879;   'what  masks,  what 

dances?'  (Mids.  V,  1,  82.) 

muddy 

in  muddy  knave  (1  H.  IV,  II,  1,  106)  soll  nach  Wright  (Supplement)  =r 
'thick-witted'  sein.  Das  würde  aber  auf  den  hellen  Chamberlain,  den 
Gadshill  so  nennt,  wenig  passen.  Auch  Falstaff  wird  von  Doli  als  'muddy 
rascaV  bezeichnet  (2  H.  IV,  II,  4,  43)  und  gleich  darauf  als  'rrniddy  conger^ 
(Schweinigel).  Es  hatte  jedenfalls  eine  allgemeinere  Bedeutung  und  war 
nicht  ein  ernstgemeintes  Schimpfwort,  sondern  der  Ausdruck  eines  rohen 

Wohlwollens. 

Ornament 

bezeichnet  das  Sh.-Lex.  ganz  allgemein  als  'Schmuck'.  Aber  Eo.  I,  1, 100 
und  l  H.  VI,  V,  1,  54  sind  Kleider  unter  'ornaments^  verstanden. 

pageant 

(Sh.-Lex.)   *=  theatrical  exhibition' .     Diese  Bedeutung  pafst  nicht  auf  die 

stattlichen  Kauffahrer  im  Merch.  I,  1,  11,  sondern  Schaugerüst,  P  rächt - 

gerügt. 

rare. 

Bei  diesem  Worte  fehlt  die  auch  heute  noch  übliche  ironische  Bedeu- 
tung, deutsch  am  besten  mit  kostbar  ausgedrückt,  z.  B. 

Contemplation  makes  a  rare   Turkey-cock  of  kirn  (Malvolio). 

(Tw.  II,  5,  35.) 
renowned. 

Das  einst  sehr  häufige  Wort  steht  im  Sh.-Lex.  nur  in  der  Bedeutung 
'famous,  ülustrious'  verzeichnet;  es  gibt  nur  Ziffern-Zitate,  ohne  auch  nur 
auf  die  verschiedenartige  Verwendung  durch  Beispiele  hinzuweisen.  'Re- 
nowned be  thy  grave'  (Totenklage  auf  Imogen)  heifst:    geehrt  sei  dein 

Grab,  nicht  'berühmt'. 

set. 

Das  Sh.-Lex.  kennt  kein  Adjektiv  set ;  nur  an  wenigen  Stellen  ist  sei 

als  Partizip  verzeichnet. 

smft 

Frauenhemd  fehlt. 

spite. 
Die  häufige  Bedeutung  Gram,  Schmerz  fehlt. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  453 

where 
'sometimes  almost  =  when'  —  rein,  geradezu  wenn.  Diese  Bedeutung 
wird  postuliert  durch  den  Gebrauch  von  where  =  whereas,  der  natürlich 
mit  vielen  Beispielen  belegt  ist.  Wenn  where  nicht  den  rein  temporalen 
Gebrauch  von  when  hatte,  konnte  es  auch  zu  dem  gegensätzlichen  Ge- 
brauch von  tchen  (während,  wogegen)  nicht  kommen. 

Gr.-Lichterfelde.  Hermann  Conrad. 

Antoine  de   la  Säle   par  Oscar  Grojean.     Extrait  de  la  Revue  de 
Tinstruction  publique  en  Belgique,  tome  XLVII,  3  livraison  1904. 

Grojean  bespricht  hier  auf  35  Oktavseiten  sämtliche  auf  La  Säle  be- 
züglichen Arbeiten  aus  den  letzten  vier  Jahren :  Gossart,  N^ve,  Raynaud, 
Förster,  zwei  Neudrucke  und  zwei  Ausgaben  von  Handschriften  der 
Quinxe  Joyes.  Als  'Attache  ä  la  Biblioth^que  royale'  zu  Brüssel  sitzt  er 
an  der  Quelle  für  Forschungen  auf  diesem  Gebiet;  er  ist  wohlausgerüstet 
für  Bibliographie  und  Textkritik.  Das  gibt  er  namentlich  den  vier  Her- 
ausgebern der  Quinxe  Joyes  zu  fühlen,  die  sich  mit  dem  treuen  Abdruck 
ihrer  Vorlagen  begnügen  (Heukenkamp,  Söller,  Drefsler,  Fleig)  und  oft  nur 
allzu  geringe  Sachkenntnis  verraten;  verlorene  Zeit  und  Mühe;  eine  ver- 
gleichende Arbeit  brauchen  wir,  und  sie  ist  leicht  ausführbar.  Den  Vor- 
wurf mangelnder  Befähigung  hat  er  aber  vor  allem  Nfeve  zu  machen,  der 
in  seinen  Abdrucken  von  Stellen  aus  der  Salade,  der  Salle  und  dem  Res^ 
confort  sehr  willkürlich  und  sorglos  verfährt,  die  guten  Lesungen  des 
Manuskripts  verderbt,  schlecht  abschreibt,  von  zwei  Handschriften  die  ge- 
ringere wählt,  kurzum  die  Forderungen  der  Wissenschaft  nicht  erfüllt. 
Eine  Reihe  von  Irrtümern  in  mangelhaften  Altdrucken  und  Manuskripten 
hat  Förster  verbessert;  Grojean  bringt  aus  besseren  Manuskripten,  die 
ihm  zugänglich  sind,  die  Bestätigung  für  die  Richtigkeit  seiner  Vorschläge. 
Textvergleichungen  und  Verbesserungsvorschläge  stellen  den  Hauptwert 
seiner  Arbeit  dar.  —  Und  doch  verfolgt  diese  in  erster  Linie  ein  literar- 
historisches Ziel;  die  Beweisführung  für  La  Sales  Urheberschaft  der  Quinxe 
Juyes  und  der  Cent  Nouvelles.  Viel  Neues  an  Beweisgründen  wird  nicht 
ins  Feld  geführt;  es  ist  im  ganzen  eine  Abwägung  der  alten.  Die 
Schenkungsurkunde,  aus  der  Nfeve  La  Sales  Ehe  ableitet,  verbürgt  sie 
nicht;  der  Brief  an  den  neuen  Mönch,  der  La  Sales  Ehe  bewiese,  wird 
von  N^ve  ohne  jede  Angabe  über  Herkunft  und  Zuverlässigkeit  mitgeteilt, 
wenn  er  auch  echt  anmutet;  La  Säle  kann  die  Quinxe  Joyes  aber  auch 
vor  seiner  Ehe  geschrieben  haben.  Anderseits  braucht  der  Verfasser  der 
Quinxe  Joyes  kein  Geistlicher  zu  sein,  wenn  er  von  unlösbaren  Fesseln 
spricht ;  Liebesfesseln  tun's  auch.  Diese  biographischen  Gründe  gegen  die 
Quinxe  Joyes  sind  also  nach  Grojean  nicht  stichhaltig.  Bei  den  Cent  Nou- 
velles betont  er  La  Sales  Bekanntschaft  mit  Italien,  die  Möglichkeit  seiner 
Bekanntschaft  mit  Poggius,  die  Poggius- Novellen,  die  vorwiegend  des 
Akteurs  Anteil  sind;  die  Floridamnovelle,  das  Lob  der  Grafschaft  St-Pol. 
Die  sprachlichen  und  stilistischen  Dinge  sind  kaum  gestreift;  nur  eine 
Beobachtung  ist  neu:  'il  convienf,  der  Wahlspruch  des  La  Säle,  ist 
stehende  Formel  in  den  Quinxe  Joyes.  Bezüglicn  der  seelischen  Art  des 
Verfassers  wird  der  homo  duplex  im  Übergangszeitalter  betont,  das  Urteil 
des  Sainte-Beuve  und  Gaston  Paris  angerufen.  —  Raynauds  Versuch,  auf 
Grund  einiger  buchstäblichen  Übereinstimmungen  zwischen  dem  Saintre 
und  dem  Lirre  des  faits  de  Jacques  de  Lalaing  auch  letzteres  La  Säle  zu- 
zuschreiben, werden  biographische  Bedenken  entgegengehalten,  ohne  ihn 
völlig  abzuweisen.  Hier  fühlt  er  die  Unsicherheit  unserer  Literaturkennt- 
nisse und  empfiehlt,  aufklärende  Funde  abzuwarten.  —  Dieselbe  Empfeh- 
lung gilt  für  die  Hauptfrage.  Einstweilen  kann  es  jeder  damit  halten, 
wie  er  will.    Die  besonderen  biographischen  und  literarischen  Tatsachen, 


454  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

in  Verbindung  mit  den  allgemeinen  kulturgeschichtlichen,  lassen  immer 
noch  einen  weiten  Spielraum  offen  für  ihre  Lösung;  innerhalb  dieses  Spiel- 
raumes wird  sie  eben  nach  den  ästhetischen  und  logischen  Bedürfnissen 
und  Wünschen  des  einzelnen  entschieden. 

Stuttgart.  Carl  Haag. 

Dr.  David  Engländer,  La  X^  satire  de  Boileau  compar^e  ä  la 
VI^  de  Juv^nal.  Wissenschaftliche  Beilage  zum  Jahresbericht  der 
10.  Realschule  zu  Berlin.     Ostern  1901.     20  S. 

Cette  brbve  ^tude  confronte  d'abord  au  point  de  vue  de  la  forme,  les 
satires  romaine  et  fran§aise  avant  d'en  appr^cier  la  portee  morale.  Dans 
cette  comparaison  tr^s  minutieuse  l'auteur  analyse  avec  exactitude  les 
proc^d^s  de  composition  des  deux  po^tes.  Les  conclusions  de  la  seconde 
partie,  tr^s  favorables  ä  Juv^nal  et  admissibles  dans  leur  ensemble  ne  pre- 
tendent  ni  ä  l'originalit^,  ni  ä  une  absolue  justesse:  C'est  une  Variation 
quelque  peu  banale  sur  le  c^l^bre  th^me:  facit  indignatio  versum.  On 
eüt  pu  faire  de  Juv^nal  une  apologie  plus  caract^ristique,  et  si  le  realisme, 
voire  la  cruditä  de  l'expression  et  du  trait  lui  donne  surtout  l'avantage 
sur  Boileau,  p.  11,  il  faudra,  au  nom  de  cette  möme  esth^tique,  que 
Piaute  Temporte  sur  Moli^re.  Bien  des  d^tails  sont  contestables ;  le 
jugement  suivant,  par  exemple,  n'est-il  pas  un  peu  s^v^re;  p.  IP:  «Boileau 
Signale  la  sup^riont^  des  femmes  en  affaires  judiciaires:  Et  sur  Tart  de 
former  un  nouvel  embarras,  |  Devant  eile  Eolet  mettrait  pavillon  bas. 
V.  781  ...  La  möme  idee  chez  Juv^nal:  Componunt  ipsae  per  se  for- 
mantque  libellos,  |  principium  atque  locos  Celso  dictare  paratae.  v.  244. 
Chez  Tun,  termes  de  prose,  manque  de  vigueur;  chez  l'autre,  une  pein- 
ture  ä  grands  traits.»  —  Juv^nal  est-il  plus  franc  que  Boileau,  parce  qu'il 
parle  sans  se  gener  de  lapM^rastie?  Ou  Boileau  n'en  parle- t-ii  pas  plu- 
töt,  parce  que  ce  vice  officieusement  toler^  dans  l'antiquit^,  n'avait  d^ci- 
d^ment  pas  cours  au  XVII®  sifecle  et  en  France? 

De  trop  nombreuses  fautes  d'impression  d^parent  le  texte  et  faussent  les 
citations.  p.  14  <^Rabutire»:  Rabutin;  «sous  ce  beau  nom  d'^pouse  ew^ra-t-elle 
chez  toi»:  entrera-t-elle.  p.  19  «envie  au  blanchisseur» :  envoie  . .  etc.  —  Le 
style,  qui  ne  vise  pas  ä  1  älegance,  manque  le  plus  souvent  de  correction. 
II  s'y  trouve  trop  de  barbarismes:  p.  8:  avantureux;  p.  9:  partition,  pour: 
r^partition;  p.  11:  judicie,  pour:  prejudici^;  p.  12:  civilisantes,  pour:  civili- 
satrices  . . .  p,  8:  Lucile,  pour:  Luciiius;  les  noms  propres  latins  n'ont  ^i€ 
francis^s  que  lorsqu'on  les  employait  fr^quemment.  Tite,  au  XVII*^  si^cle, 
redevenu  Titus  au  XIX®,  peut  servir  d'illustration  ä  cette  r^gle  tacite. 
p.  17:  preliminaires  tisuelles.  L'auteur  maltraite  parfois  la  syntaxe;  p.  13: 
«il  ne  s'apercevait  pas  qu'une  honnetete  trop  casamere  entravät  l'elan  de  l'ima- 
gination»  pour:  entravait.  p.  15:  «ce  qui  Boileau  prononce»  pour:  ce  que. 
p.  16:  «l'auteur  fait  semblant  de  persuader  Postume  qu'il  est  mieux  . . .»  pour: 
ä  Postume.  —  Les  mots  ou  expressions  impropres  foisonnent:  p.  3:  «En- 
core  moins  des  ^crivains  grecs  et  romains  ^pargnaient-ils  les  femmes  quand 
il  y  en  avait  Heu  dans  leurs  Berits»  pour:  quand  ils  trouvaient  l'occasion 
d'en  parier;  «leurs  ohjets  les  plus  essentiels»  pour:  sujets;  p.  4:  «precedes  par 
Juvenal»  pour:  surpass^s;  «ä'en^re  les  satiriques»  pour:  parmi.  p.  5 :  €faire 
le  sommaire»:  donner  le  sommaire;  «se  marier  dans  peu»:  sous  peu;  «il 
ferait  divorce» :  il  divorcerait.  p.  G :  «le  po^te  revient  ä  ce  dont  il  est  parti» : 
au  point  d'oü  il  . . .  p.  7 :  «sous  le  point  de  vue  d'economie  po^tique» :  au 
point  de  vue  de  l'^conomie  poetique;  «il  met  soin  ä  ce  que  la  satire 
garde  . . .» :  il  a  soin  que  la ;  «la  f orce  logique  parait  consumee» :  consom- 
m^e,  öpuis^e;  «se  ravisant  que» :  s'avisant  que;  «il  formerait  unedemande*: 
il  ferait;  «il  croit  s'^tre  defait  d'une  discussion»:  d^barrass^;  «Boileau  a 
emprunt^  l'idee  d'encadrement  de  son  modele»:  a  empruntö  le  cadre  ä  son 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  455 

modfeie.  p.  8:  «une  chose  toute  perdue  de  vue»:  tout  ä  fait  perdue  ...; 
«mis  d  la  Ute  du  pofeme»:  en  tete;  «le  reste  s'explique  arec  peu  de  mots»: 
en  peu  de  mots.  p.  10:  «des  oeuvres  qui  marquent  une  empreinte»:  qui 
portent  ...;  mon  excepte»:  y  compris.  p.  12:  «l'amour  de  cette  nature  se 
repose  sur  une  manifere  realiste» :  repose.  p.  17:  «le  style  de  Boileau  s'^lfeve 
un  peu  sitr  le  niveau  du  langage  commun»:  au  dessus  du  niveau.  p.  20: 
«avec  les  moye^is  d'un  style  serr6>:  au  moyen ;  «ce  qui  manque  ä  Tun,  c'est 
meine  'propre  et  essentiel  ä  l'auire»:  est  precis^ment  la  qualit^  essentielle 
et  caract^ristique  de  l'autre.  —  La  construction  de  la  phrase,  de  möme 
que  l'ordre  des  mots,  manque  trop  souvent  d'equilibre:  p.  11:  «Or,  Juv^- 
nal,  en  d^couvrant,  avec  uu  coeur  chagrin^,  devant  nous  les  gouffres  d'une 
culture  en  d^cadence,  ä  Fair  de  rendre,  sans  rougir,  sien  ce  qu'il  y  a  de 
plus  bas  dans  les  vues  morales  de  son  temps»:  «devant  nous»  doit  prö- 
ceder  «avec  un  coeur  chagrine»  «sien»  doit  prec^der  «sans  rougir»;  «sa  vigou- 
reuse  et  sensible  ame»:  son  äme  vigoureuse  et  sensible.  L'on  ne  peut 
comprendre  certains  passages,  certains  mots,  qu'en  les  traduisant  en  alle- 
mand,  p.  10:  <Juvönal  ne  sait  que  de  mauvaises  femmes»:  weifs  nur  von. 
p.  12:  «un  observateur  susceptible» :  lisez  non  pas:  empfindlich,  mais 
empfänglich.  Quelques  phrases  enfin,  möme  en  cherchant  la  pensee  alle- 
mande  derrifere  les  mots  fran§ais,  demeurent  incompr^hensioles,  p.  6: 
«Toutes  les  fois  que  l'opposition  d'Alcippe  entrave  l'dpanchement  satirique 
de  l'auteur,  le  dialogue  entre  dans  une  nouvelle  section  d'id^es  homogenes.» 
Posen.  P.  Bastier. 

Wilhelm  Meyer-Lübke,  Die  lateinische  Sprache  in  den  roma- 
nischen Ländern.  Sonderabdruck  aus  Gröbers  Grundrifs  der  roma- 
nischen Philologie,  Band  I,  zweite  Auflage,  S.  451—497.  Strafsburg, 
Karl  J.  Trübner,  1904. 

In  der  ersten  Auflage  des  ersten  Bandes  von  Gröbers  Grundrifs  vom 
Jahre  1888  umfafst  der  Abschnitt  über  die  lateinische  Sprache  in  den 
romanischen  Ländern  32  Seiten,  in  der  soeben  erschienenen  zweiten  47  Sei- 
ten; die  Lautlehre  im  besonderen  ist  doit  mit  ü,  hier  mit  14  Seiten  ver- 
treten. Diese  Zahlen  legen  ein  beredtes  Zeugnis  ab  nicht  allein  für  die 
rührige  Forschertätigkeit  auf  dem  Gebiete  des  Vulgärlateins  während  der 
letzten  zwei  Dezennien,  sondern  auch  für  die  Sorgfalt,  mit  der  der  Ver- 
fasser sämtliche  neuen  Erscheinungen  zu  verfolgen  bemüht  gewesen  ist. 
Wenn  trotzdem  seine  Darstellung  immer  noch  an  einer  stellenweise  allzu 
grofsen  Knappheit  leidet,  so  trifft  die  Schuld  hieran  vermutlich  die  An- 
lage des  Grundrisses,  die  eine  gröfsere  Bogenzahl  wohl  nicht  erlaubt  hätte. 
Neben  der  mit  ausgezeichneter  Sachkenntnis  durchgeführten  Verarbeitung 
eines  imposanten  neuen  Materials  wollen  wir  nicht  ermangeln,  auch  die 
kritische  Sichtung  des  alten  hervorzuheben,  die  zur  Ausmerzung  einer 
Reihe  mit  dem  heutigen  Stand  unseres  Wissens  nicht  mehr  vereinbarer 
Angaben  geführt  hat.  So  war  beispielsweise  auf  S.  864  der  ersten  Auf- 
lage eine  mschriftliche  Form  Crescentsianus  Gruter  p.  127  (—  CIL  XIV, 
246)  zitiert,  die  noch  bis  in  die  neueste  sprachwissenschaftliche  Literatur 
hinein  gespukt  hat,  und  auf  Grund  deren  der  Anfang  der  Assibilation 
des  t  vor  i  ins  zweite  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  verlegt  zu  werden 
pflegte.  Die  Neubearbeitung  erwähnt  sie  nicht  mehr,  da  tatsächlich  das 
bestbeglaubigte  Apographum  der  verlorenen  Inschrift  Crescentianus  bietet. 
In  einigen  Fällen  freilich  scheint  uns  ohne  Not  geändert  worden  zu  sein. 
S.  371  z.  B.  steht  in  der  ersten  Auflage:  Wie  schriftlat.  fulix  und  fulica,  so 
vul^ärlat.  *radica,  *natica,  *  cutica.  Der  entsprechende  Passus  lautet  in  der 
zweiten  Auflage  S.  483:  Zu  fulix  und  fulica  gesellen  sich  ^radlca,  *juriica, 
*ulica,  *pulica,  salica,  vitica  u.  a.  Warum  ist  das  uns  in  den  Glossen  mehr- 
fach bezeugte  natica  (z.  B.  CGL  II,  425,63;  576,3;  584,40)  weggelassen? 


456  Beurteiluiigen  und  kurze  Anzeigen. 

Auszusetzen  finden  wir  an  der  Arbeit  Meyer-Lubkes  zweierlei.  Ein- 
mal scheinen  uns  die  Regeln  nicht  immer  hinreichend  scharf  und  unmifs- 
verständlich  formuliert  zu  sein.  So  steht  eine  ganz  unglückliche  Fassung 
z.  B.  auf  S.  472:  Endhch  von  drei  Konsonanten  fällt  der  mitt- 
lere: tortus  zu  torqueo,  mulsus  zu  mulceo,  sortus,  tenius  aus  temptus,  ferner 
sesttis  für  sextus  etc.  Sodann  läfst  die  Korrektheit  des  Druckes  verschie- 
dentlich zu  wünschen  übrig;  Druckversehen  und  insbesondere  störende 
Zitatenfehler  begegnen  verhältnismäfsig  häufig.  Wir  erwähnen  beispiels- 
halber S.  4Ö4,  Z.  21  V.  o.:  duelo  statt  duolo;  S.  487,  Z.  9  v.  o. :  sonsacrare 
statt  consacrare  (ebendaselbst  ist  die  Eeihenfolge  von  consecrare  und  con- 
sacrare  umzustellen) ;  S.  464,  Z.  12  v.  u. :  tlex  und  elex  Gr.  Lat.  V  ?.29,  1 1 
statt  VI  18,  6;  S.  469,  Z.  6  v.  o. :  nora  CIL  IX  2431  (die  betr.  Inschrift  ent- 
hält, soviel  wir  sehen,  kein  nora;  gemeint  ist  vielleicht  norus  CIL  IX  2450, 
eine  Form,  die,  wie  hier  beiläufig  bemerkt  sein  mag,  von  Rönsch  auch 
aus  dem  codex  evangeliorum  Cantabrigiensis  an  der  Stelle  Luc.  12,  54  nach- 
gewiesen worden  ist);  S.484,  Z.  12  v.  o. :  trienta  CIL  XII  3:^99  statt  5399. 

Dagegen  bitten  wir,  die  nachstehenden  kritischen  Bemerkungen  nicht 
in  tadelndem  Sinne  auslegen  zu  wollen,  sondern  darin  vielmehr  einen  Be- 
weis zu  sehen  für  die  Anregung,  die  der  Referent  beim  Studium  dieses 
Abrisses  empfangen  hat,  und  für  die  er  dem  Verfasser  aufrichtigen  Dank 
schuldet. 

S.  464.  Seit  Schuchardt,  Der  Vokalismus  des  Vulgärlateins  II,  77,  ope- 
rieren die  Romanisten  fortwährend  mit  einem  altlateinischen  eilex,  das 
sich  in  ein  hochlateinisches  tlex  und  ein  rustikes  elex  gespalten  hätte, 
welch  letzteres  den  romanischen  Fortsetzern  toskan.  elce,  logudov.  clighe, 
prov.  euse  etc.  zugrunde  läge.  Sie  stützen  sich  dabei  auf  die  Glosse  elicis 
id  est  arbor  CGL  III  590,  31;  611,  16;  623,  67,  auf  die  Variante  clignis 
der  palatinischen  Virgilhandschrift  an  der  Stelle  Georgica  III  330,  auf 
einen  Passus  des  Gregor  von  Tours,  Hist.  Franc,  p.  118,  13,  den  wir  hier 
leider  nicht  nachschlagen  können,  und  auf  eine  Konjektur  Schneiders  zu 
Marius  Victorinus  GL  VI  18,  4  ff.  K,  von  der  sogleich  die  Rede  sein  soll. 

Was  die  Glosse  anlangt,  so  ist  damit  schlechterdings  nichts  anzu- 
fangen; denn  es  ist  durchaus  unsicher,  was  für  ein  Baumnamen  sich  im 
Lemma  versteckt.  Goetz  im  Thesaurus  gloss.  emend.  I,  380  denkt  z.  B. 
an  tliKr].  Das  clignis  des  ebengenannten  Virgilkodex  und  ohne  Zweifel 
auch  die  Stelle  des  Gregor  von  Tours  sind  an  und  für  sich  belanglose 
orthographische  Schwankungen,  die  nur  dann  eine  gewisse  Bedeutung  ge- 
winnen, wenn  ihnen  ein  ausdrückliches  Grammatikerzeugnis  zur  Seite 
steht.  Dieses  letztere  glaubt  man  nun,  wie  gesagt,  bei  Marius  Victorinus 
GL  VI  18,  4  ff.  K  gefunden  zu  haben.  Setzen  wir  einmal  die  handschrift- 
liche Überlieferung  in  extenso  her.  Sie  lautet  wie  folgt :  pilum  aiunt  mili- 
tare  et  vineam,  si  sit  subter  quam  milites  aggerem  instituunt,  et  sicam 
et  silieem  quae  secet  per  e  et  i  scribenda;  at  si  j)ilum  sit  quo  pinsitores 
utuntur,  et  vinea  quae  ruri  colitur  et  fistula  per  i.  Dafs  hier  eine  Text- 
verderbnis vorliegt,  ist  klar;  silieem,  das  ein  t  in  der  Stammsilbe  hat, 
kann  unmöglich  in  diesem  Zusammenhange  figurieren.  In  richtiger  Er- 
kenntnis dessen  hat  Konr.  Leop.  Schneider  in  seiner  Ausführl.  Grammatik 
der  lat.  Sprache  I  (Berlin  1819),  S.  69**  vorgeschlagen  zu  schreiben:  et 
sicam  quae  secat  et  ilicem  per  e  et  i  scribenda,  und  Schuchardt  wundert 
sich  noch  ganz  kürzlich  in  der  Zeitschr.  f.  roman.  Philol.  XXVII  (1903), 
S.  106  darüber,  dafs  Keil  diese  sehr  glückliche  Besserung  nicht  in  den 
Text  gesetzt  habe.  Wir  bedauern,  seinen  Optimismus  nicht  teilen  zu 
können.  Der  die  ganze  Stelle  durchziehende  Rarallelismus  tut  unseres 
Erachtens  unab weislich  dar,  dafs  von  ilicem  überhaupt  keine  Rede  sein 
kann,  sondern  dafs  entweder  mit  Wilmanns,  De  Varron.  Uhr.  gramm. 
p.  175,  et  silieem.  zu  tilgen  oder  aber  silieem  durch  ein  Synonym  von 
sicam  zu  ersetzen  ist,  wie  Keil  gewollt  hat,  wenn  er  a.  a.  O.  die  Möglich- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  457 

keit  andeutet,  es  könnte  dafür  ursprünglich  siculam  gestanden  haben. 
Freilich  stehen  anderseits  diesen  beiden  letzteren  Besserungsvorschlägen 
vom  Standpunkte  der  paläographischen  Wahrscheinlichkeit  aus  gegründete 
Bedenken  gegenüber.  Die  Heilung  der  Korruptel  dürfte  in  Wirklichkeit 
sehr  viel  näher  liegen,  als  bisher  angenommen  worden  ist.  Man  schreibe 
einfach  sicilem  statt  silicem,  und  alles  ist  in  schönster  Ordnung. 

Ein  altlat.  eilex,  aus  dem  vulgärlat.  elex  geflossen  sein  könnte,  ist 
demnach  ohne  Gewähr.  Nehmen  wir  nun  noch  hinzu  die  Hesychglosse 
ü.a^'f]  TT^Ti'og,  (OS  'PiofiaXoi  xal  Mny.sSores,  und  bedenken  wir  endlich,  dafs 
ein  altlat.  eilex  eine  Wurzelform  eil  voraussetzte,  die  es  nie  gegeben  haben 
kauD,  so  müssen  wir  wohl  bis  auf  weiteres  mit  Ulrich,  Zeitschr.  f.  roman. 
Philol.  XIX,  57(3,  neben  dem  klassischen  tlex  als  Grundform  der  roma- 
nischen Fortsetzer  ein  illex  statuieren,  das  sich  zu  jenem  verhielte  etwa 
wie  *fidligo  (Gröber,  Ärch.  f.  lat.  Lexikogr.  II,  429  und  VI,  1^)90)  zu  füligo. 

S.  465.  Dafs  dehörire  bei  Cato  gegenüber  dem  Simplex  haurire  den 
ursprünglichen  Vokalismus  darstelle,  ist  im  Prinzip  wonl  denkbar.  Da 
uns  indessen  etymologischer  Zusammenhang  dieses  Verbums  mit  gr.  avio 
(z.  B.  in  y.araioni-  y.arnvTXr,aai  bei  Hesych;  cf.  Fick,  BB.  II,  187)  immer- 
hin sehr  wahrscheinlich  dünkt,  so  sind  wir  geneigt,  der  gegenteiligen  An- 
nahme den  Vorzug  zuzuerkennen. 

S.  468.  Unter  Nr.  17  hätten  vielleicht  auch  Formen  wie  quaglator  = 
coagulator  CIL  XIV,  25  (aue  Ostia),  quagulum  (ital.  quagliö)  --  coagulum 
CGL  III,  315,  14,  die  mit  parctes,  quctus  für  parietes,  quietus  eine  gewisse 
Analogie  aufweisen,  genannt  werden  dürfen. 

S.  iG'iK  Nach  Sommer,  Handb.  der  lat.  Laut-  u.  Formenl.  S.  84,  hätte 
nöra  lautgesetzlichen  Vokalismus  und  bedürfte  es  also  der  Annahme  einer 
analogischen  Beeinflussung  durch  socra  nicht. 

S.  47?.  Woher  weifs  der  Verfasser,  dafs  in  Wörtern  wie  defuntus  aus 
defunctus  das  n  guttural  war?  Aus  umgekehrten  Schreibungen,  wie 
regnancte  statt  regnante,  darf  das  doch  sicher  nicht  geschlossen  werden,  und 
vom  lautphysiologischen  Standpunkt  aus  ist  es  a  priori  unwahrscheinlich. 

S.  483.  Dafs  das  Paar  fidix  :  fulica  den  Ausgangspunkt  für  die  Bil- 
dungen vom  Typus  *radtca,  *junlca,  *ulica,  *pulica,  salica,  vitiea  statt 
radix,  junix  u.  s.  f.  gebildet  haben  sollte,  scheint  uns  unglaublich,  um 
nicht  zu  sagen  undenkbar.  Dazu  waren  fulix  :  fulica  zu  selten;  auch 
können  wir  den  uns  unerläfslich  scheinenden  begrifflichen  Zusammenhang 
mit  den  durch  sie  beeinfiufst  sein  sollenden  Derivaten  nicht  finden.  Das 
Produktivwerden  des  Suffixes  -ica  im  Vulgärlatein  dürfte  dem  Zusammen- 
wirken mehrerer  Faktoren  zuzuschreiben  sein.  Wir  legen  uns  die  Sache 
ungefähr  folgendermafsen  zurecht:  salica,  wie  auch  die  vom  Verfasser  an 
dieser  Stelle  nicht  genannten,  in  die  gleiche  Kategorie  gehörigen  avtca, 
auca  und  naiica  fassen  wir  als  Rückbildungen  aus  salicula,  avicula,  nati- 
cula.  Derartige  'Neoprimitiva',  wenn  wir  uns  so  ausdrücken  dürfen,  sind 
eine  nicht  eben  seltene  Erscheinung,  auf  die  wir  bereits  JF.  XV,  105  und 
Berl.  philol.  Wochenschr.  1903,  Sp.  1305  hingedeutet  haben,  salica  hätte 
dann  weiterhin  das  Vorbild  für  mtica  abgegeben,  junwa  dürfte  seine  Ent- 
stehung dem  Bestreben  verdanken,  das  natürliche  Geschlecht  des  durch 
das  Wort  bezeichneten  Tieres  auch  grammatisch  deutlich  zum  Ausdruck 
zu  bringen.  Es  verhielte  sich  also  zu  jumx  genau  so  wie  ahd.  kalba  zu 
älterem  kalb  (über  welches  Paar  H.  Palander,  Die  althochdeutschen  Tiernamen 
I  [Darmstadt  1899],  S.  7  und  147,  zu  vergleichen  ist),  ultca  halten  wir  für 
durch  erica  (vulgärlat.  statt  hochlat.  ertce)  nachgezogen,  eine  Möglichkeit, 
die  der  Verfasser  übrigens  selbst  schon  Gramm,  der  roman.  Sprachen  II, 
§  410  als  möglich  hingestellt  hat.  In  dem  etwas  weiter  hinten  genannten 
erpica  CGL  V  359,  47  endlich  liegt  jedenfalls  ein  Postverbale  zu  *herpi- 
care  vor.  In  bezug  auf  radtca  und  pulica  möchten  wir  einstweilen  mit 
unserem  Urteil  zurückhalten.   Es  ist  hier  selbstverständlich  nicht  der  Ort, 


458  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

die  eben  vorgetragenen  Hypothesen  des  näheren  zu  begründen ;  wir  hoffen 
darauf  in  kurzem  anderen  Ortes  zurückzukommen. 

Ibidem,  nepta  'Nichte'  braucht  nicht  mit  dem  Asteriskus  versehen 
zu  werden.  Dasselbe  ist  überliefert  CIL  XII,  8032  (La  Rouvi^re-en-Mal- 
goirfes)  und  XII,  3856  (Nimes).  Daneben  treffen  wir  noch  das  vom  Ver- 
fasser nicht  erwähnte,  z.  B.  dem  piemontes.  nvoda  zugrunde  liegende  nepota 
CIL  III,  3173.    Neben  sacerda  ist  auch  sacerdota  bezeugt  (CIL  III,  14900). 

S.  485  f.  In  der  Wortbildungslehre  hätte  vielleicht  auch  die  häufig 
auftretende  Ersetzung  der  Suffixe  -tum,  -ta  durch  -irum,  -tra  Erwähnung 
finden  dürfen.  Wir  denken  an  Beispiele  wie  frustrum  statt  friisturn  (aufser- 
ordentlich  häufig;  cf.  Funck,  Arch.  f.  lat.  Lexikogr.Yll,  b{)0;  Geyer,  ibid. 
VIII,  480;  Heraeus,  ibid.  XI,  320),  hallistra  statt  ballista  (vgl.  ital.  balestra 
'Armbrust';  ballistra  ist  durch  zahlreiche  Glossen  bezeugt,  z.  B.  CGL  11,28, 12 ; 
28,  16;  492,  41;  vgl.  auch  noch  ßnXXiorQäQios  CIG  8621  [aus  dem  Jahre 
47(5  n.  Chr.]  und  Rönsch,  Coli,  philol.  S.  245  und  261),  lanistra  statt  lanista, 
z.  B.  CGL  II,  120,  53;  V,  111,  14;  602,  65;  lepistra  siSos  xvr^pas  CGL  II, 
122, 24  gegenüber  lepista  genus  vasis  CGL  V,  635, 40.  Die  nämliche  Erschei- 
nung kehrt  bekanntlich  in  den  romanischen  Sprachen  wieder;  vgl.  beispiels- 
weise ital.  glastro  neben  glasto,  ginestra  =  lat.  genista,  frz.  epeautre  =  lat. 
spelta  u.  a.  (cf.  Grammont,  La  dissimilation  consonantique  S.  130  f.). 

Nur  ungern  vermifst  man  ein  den  lexikographischen  Verhältnissen 
des  Vulgärlateins  gewidmetes  Kapitel,  das  sicherlich  nicht  das  am  wenig- 
sten interessante  geworden  wäre.  Doch  wollen  wir  darüber  mit  dem  Ver- 
fasser nicht  weiter  rechten,  sondern  lieber  zum  Schluls  nochmals  unserem 
aufrichtigen  Dank  für  das  Gebotene  Ausdruck  verleihen.  Die  Darstellung 
Meyer-Lübkes  ist  bestimmt,  auf  lange  hinaus  aller  weiteren  Forschung 
zum  Ausgangspunkt  zu  dienen.  Wir  glauben  nicht,  dafs  man  ihr  ein 
schöneres  Lob  zollen  könnte. 

La  Chaux-de-Fonds.  Max  Niedermann. 

Max  Roediger,   Die   Bedeutung  des   Suffixes   -ment.     Inaugural- 
dissertation.   Berlin  1904. 

Wie  der  Verfasser  einleitend  bemerkt,  hat  man  sich  bis  jetzt  vorwie- 
gend mit  der  lautlichen  Entwickelung  der  Suffixe  beschäftigt,  die  das 
Französische  vom  Lateinischen  übernommen  hat;  ihre  bedeutungsgeschicht- 
liche Seite  dagegen  ist  selten  näher  untersucht  worden.  Es  ist  deshalb 
ein  verdienstliches  Unternehmen,  die  semasiologische  Entwickelung  eines 
einzelnen  Suffixes  eingehend  darzustellen.  Diese  Aufgabe  zu  lösen,  gibt 
Roediger  zunächst  eine  Übersicht  über  die  Bedeutungen  des  lateinischen 
-mentum,  zählt  dann  die  Bedeutungen  des  französischen  -ment,  resp.  -ement 
auf  und  vergleicht  nun  die  letzteren  mit  den  ersteren.  Gestützt  auf  ein 
reiches  Material,*  gelangt  er  zu  dem  Resultate,  dafs  zwar  im  grofsen  und 
ganzen  die  Bedeutungen  des  französischen  -ment  schon  dem  lateinischen 
-mentum  anhaften,  dafs  sich  aber  das  Verhältnis  zwischen  den  einzelnen 

*  Es  dürfte  dem  Verfasser  kaum  eine  Bedeutung  des  franz.  Suffixes  entgangen 
sein.  Dagegen  liefsen  sich  wohl  im  Lateinischen  die  Anfange  von  gewissen  Be- 
deutungen konstatieren,  die  erst  im  Französischen  eine  gröfsere  Verbreitung  er- 
reicht haben.  Vgl.  z.  B.  zu  S.  49  Thes.  Gloss.  emend.  VI,  95:  armamentum  = 
locus  ubi  arma  ponuntur.  Überhaupt  ist  dem  Vulgärlatein  und  Spätlatein  zu  wenig 
Beachtung  geschenkt  worden.  So  hätten  vor  allem  F.  F.  Cooper,  Word  For- 
mation in  the  Roman  Sermo  Plebeius,  Diss.  Boston  und  London  1895  (ebenda  wei- 
tere Literaturangaben),  und  Oleott  G.  V.,  :Siudies  in  the  word  formadon  of  the 
Latin  inscriptions,  Rom  1898,  benutzt  werden  sollen.  Ein  Nachprüfen  auf  Voll- 
ständigkeit wird  sehr  erschwert  durch  das  Fehlen  eines  Wortregisters,  das  auch 
aus  anderen  Gründen  sehr  wünschenswert  gewesen  wäre. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  459 

Bedeutungen  stark  verschoben  hat.  Das  lateinische  -mentum  bezeichnet 
nämlich  in  erster  Linie  das  Mittel  oder  das  Ergebnis  einer  Hand- 
lung (und  zwar  häufiger  in  Wörtern  konkreten  als  in  Wörtern  abstrakten 
Inhalts);  das  Französische  dagegen  hat  den  Tätigkeitsbegriff  (der 
schon  im  Lateinischen,  besonders  in  der  nachklassischen  Zeit,  vorgezeichnet 
war)  zur  Hauptbedeutung  von  -ment  erhoben,  wobei  die  übrigen  abstrakten 
und  konkreten  Bedeutungen  blofs  als  Modifikationen  der  Aktionsbedeu- 
tung erscheinen.* 

Dieses  Hauptergebnis  der  Arbeit  von  Roediger  ist  zweifellos  richtig. 
Zur  Erklärung  der  Bedeutungsübergänge  allerdings  ist  wenig  geschehen ; 
das  drückt  sich  schon  in  der  rejn  logischen  Anordnung  des  Materials  aus. 
Wenn  der  Verfasser  diese  der  Übersichtlichkeit  wegen  beibehalten  wollte, 
so  war  ein  ausführliches  Schlufskapitel  nicht  zu  umgehen.  Dieses  Schlufs- 
kapitel  hätte  einerseits  das  Machtverhältnis  der  verschiedenen  Bedeutungen 
von  -ment  chronologisch  verfolgen,  anderseits  untersuchen  müssen,  in 
welcher  Weise  sich  eine  Bedeutung  aus  der  anderen  entwickelt.  Einige 
von  den  Gesichtspunkten,  die  dabei  in  Betracht  gekommen  wären,  seien 
im  folgenden  kurz  erörtert. 

Zunächst  müssen  wir  uns  darüber  klar  werden,  wie  überhaupt  die 
Bedeutungsänderung  eines  Suffixes  zustande  kommt.  Was  wir  'Bedeu- 
tung eines  Suffixes  nennen,  ist  nicht  ein  selbständiger  Begriff;  es  ist 
blofs  die  konstante  Modifikation  verschiedener  Grundbegriffe.  Für  das 
Sprachbewufstsein  bilden  Stamm  und  Suffix  einen  einzigen  Begriff.  Das 
Suffix  als  solches  kann  somit  seine  Bedeutung  nicht  verändern,  es  ver- 
ändert sie  nur  in  Verbindung  mit  dem  Stamm.  Sobald  nun  aber  eine 
Anzahl  von  Wörtern,  die  mit  demselben  Suffix  gebildet  sind,  ihre  Bedeu- 
tung nach  derselben  Richtung  hin  verändern,  so  verändert  sich  auch  die 
Funktion  des  Suffixes;  wir  sagen:  es  hat  eine  neue  'Bedeutung'  erhalten. 
Dies  äufsert  sich  darin,  dafs  mit  dem  Suffix  in  neuer  Bedeutung  neue 
Ableitungen  gebildet  werden.^  Es  ergeben  sich  aus  dem  Vorhergehenden 
folgende  methodische  Forderungen: 

1)  Die  Bedeutungsänderung  eines  Suffixes  ist  aus  dem 
Bedeutungsübergang  einzelner  Wörter  zu  erklären. 

2)  Es  ist  ein  prinzipieller  Unterschied  zu  machen  zwi- 
schen Bedeutungsübergängen  einzelner  Wörter  und  Neu- 
bildungen  auf  Grund  einer  neuen  Bedeutung  des  Suffixes.^ 

So  besteht  z.  B.  ein  bedeutender  Unterschied  zwischen  den  Wörtern 
auf  -ement,  die  eine  Gesamtheit  von  Gegenständen  (Roed.  S.  111),  und 
denienigen,  die  eine  Gesamtheit  von  Personen  bezeichnen  (Roed.  S.  100  f.). 
In  letzterem  Falle  (conseillement,  parlement,  campement,  equipement,  gou- 
verfiement)  haben  wir  es  nämlich  nur  mit  Bedeutungsübergängen,  nicht 
mit  Neubildungen  zu  tun ;  solange  wir  aber  -ement  zur  Bezeichnung  einer 
Gesamtheit  von  Personen  nicht  in  Wörtern  finden,  die  nie  eine  andere 
Bedeutung  besessen  haben,  dürfen  wir  nicht  behaupten,  dafs  -ement  die 
Fähigkeit  besitze,  eine  Gesamtheit  von  Personen  zu  bezeichnen.'' 

*  Vgl.  aufser  der  Zusammenfassung  am  Schlüsse  der  Arbeit  besonders  die 
interessanten  Ausführungen  auf  S.  60  und  73. 

'  So  kann  in  einer  Anzahl  von  Wörtern,  die  das  Mittel  oder  das  Resultat 
einer  Handlung  bezeichnen,  die  Kollektivbedeutung  in  den  Vordergrund  treten; 
sind  nun  diese  Wörter  mit  demselben  Suffix  gebildet,  so  wird  das  Sprachbewufst- 
sein das,  was  sie  an  ihrer  Bedeutung  Gemeinsames  haben,  auf  Kosten  des  Suffixes 
schreiben,  dieses  wird  also  Kollektivbedeutung  erhalten,  und  wir  finden  nun  Neu- 
bildungen mit  Kollektivbedeutung,  wie  sie  Roediger  S.  111  angibt. 

^  Dafs  letzteres    praktisch    oft  schwierig  sein  wird,   verkenne  ich  keineswegs. 

■*  S.  52  ff.  macht  Roediger,  indem  er  zunächst  die  Substantiva  auf  -ement  an- 
fuhrt,   iu  denen  Handlung  und  Zustand    vereinigt    sind,    dann    diejenigen,    die   den 


460  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Ich  forderte  oben  die  Erklärung  der  Bedeutungsänderung  eines  Suf- 
fixes aus  dem  Bedeutungsübergang  einzelner  Wörter..  Im  vorliegenden 
Falle  handelte  es  sich  besonders  darum,  an  typischen  Übergangsbeispielen 
zu  zeigen,  dafs  sich  die  Bedeutungsverschiebung  der  Wörter  auf  -ment 
im  Satze  aufserordentlich  leicht  vollzieht.  ^  Man  vergleiche  z.  B.  zu  croise- 
ment  (S.  51)  einen  Satz  wie :  'Le  croisement  de  deux  routes  est  marqtie  par 
un  tas  de  pierres',  wo  croisement  sehr  wohl  noch  Aktionsbedeutung  haben, 
wo  es  aber  auch  im  örtlichen  Sinne  verstanden  werden  kann.  Von  da 
zu  dem  Satze  'ü  y  a  un  tas  de  pierres  au  croisement  de  deux  routes'  war 
kein  weiter  Schritt.^  Dabei  wäre  darauf  hinzuweisen,  dafs  ein  Bedeu- 
tungsübergang dadurch,  dafs  er  sich  schon  bei  einigen  Wörtern  vollzogen 
hat,  bei  verwandten  Wörtern  (die  Verwandtschaft  wird  bei  den  Wörtern 
auf  -mentum  eben  durch  das  Suffix  ausgedrückt)  nach  und  nach  so  er- 
leichtert wird,  dafs  wir  oft  erst  durch  logische  Analyse  auf  eine  Doppel- 
deutigkeit aufmerksam  werden,  deren  wir  uns  vorher  gar  nicht  bewufst 
waren.  So  ist  es  keineswegs  so  selbstverständlich,  wie  Eoediger  anzu- 
nehmen scheint,  dafs  Handlung  und  abstraktes  Ergebnis  der  Handlung 
durch  dasselbe  Wort  ausgedrückt  werden.  Das  geht  schon  aus  der  ge- 
ringen Anzahl  derartiger  Beispiele  im  Lateinischen  hervor  (vgl.  Roed.  S.  20). 
Auch  hier  müssen  wir  vom  Satzzusammenhang  ausgehen.  Wenn  appau- 
vrissement  'Arm werden'  und  'Verarmtsein'  heifst,  so  ist  das  zu  erklären 
durch  Satzbeispiele  wie  'Je  ne  connois  pas  les  causes  de  son  appauvrisse- 
ment;  comment  remedier  ä  V appauvrissement  de  cet  Etat?  etc.,  wo  appau- 
vrissement  doppelt  aufgefafst  werden  kann.  —  Zu  gouvernement  (S.  101) 
'das  Regieren' > 'die  Regierenden'  vergleiche  man  Sätze  wie:  Le  gouverne- 
ment de  ce  pays  est  admirable;  grdce  ä  notre  excellent  gouvernement  on  a 
introduit  des  reformes  considerables  . ..;  dann:  Notre  gouvernement  a  ititro- 

duit  Vgl.   Dict.  gm.  aus  La  Bruy^re :    TJne   diligente   attention   aux 

moindres  besoins  de  la  republique  est  une  partie  essentielle  au  bon  gou- 
vernement. 

Die  Liste  der  Beispiele  liefse  sich  leicht  vermehren.  So  erklärt  sich 
S.  39  die  Verwendung  von  -ment  im  Sinne  des  Inf.  Praes.  Pass.  und 
Activi  dadurch,  dafs  im  Satze  das  Substantiv  oft  aktive  und  passive  Auf- 
fassung zuläfst.  Auch  ob  in  einem  gegebenen  Zusammenhange  passive 
Bedeutung  vorliegt,  oder  ob  der  Sprechende  an  das  Resultat  denkt,  ist 
häufig  nicht  zu  unterscheiden. 

Ich  gelange  zu  einem  dritten  Punkte  von  allgemeiner  Bedeutung: 
eine  eingehende  Untersuchung  der  Bedeutungsentwicke- 
lung eines  Suffixes  darf  die  Erscheinung  der  Wortkonkur- 
renz, die  gerade  hier  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  nicht 
vollständig  ignorieren.  Es  ist  doch  gewifs  nicht  gleichgültig,  dafs 
(um  nur  einige  Beispiele  herauszugreifen)  citement,  exterminement,  veriße- 
ment,  sophistiquement  (Roed.  S.  32  f.)  den  gelehrten  Bildungen  citatioti,  ex- 
termination,  verißcation,  sophistication  Platz  gemacht  haben  —  dafs  poliment 
(S.  123)  und  polissage  'Polieren'  heifsen,  dafs  aber  ersteres  veraltet,  nach- 

Zustand  allein  ausdrücken,  einen  Ansatz  zu  der  Scheidung  von  Bedeutungsüber- 
gängen und  Neubildungen,  ohne  aber  auf  die  Bedeutung  dieses  Unterschiedes  hin- 
zuweisen, darauf  nämlich,  dafs  die  Existenz  von  Wörtern  auf  -rment  ohne  Aktions- 
bedeutung beweist,  dafs  die  Verschiebung  von  -ement  von  der  Aktions-  zur  Zu- 
standsbedeutung  vollendet  ist. 

*  Nur  vereinzelt  findet  sich  bei  Roediger  ein  Hinweis  hierauf,  so  auf  S.  48 
und  besonders  auf  S.  CO.  Die  Ausführungen  auf  S.  60  erhalten  gerade  dadurch 
ein  besonderes  Interesse. 

^  Vgl.  fr.  pas  de  la  porte  =  Schwelle  aus  Verbindungen  wie  'Je  Vai  rencontre 
au  pas  de  la  porte'  oder  predzo  (Dialekt  von  Leysin  s/Aigle)  =  Kirche,  aus  älä  ü 
predzo. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  461 

dem  es  selbst  das  alte  polissement  verdrängt  hat,  und  dafs  polissure  allein 
die  Bedeutung  'Glanz'  behält,  die  einst  auch  poliment  besessen  hatte,  — 
dafs  afr.  herit&tnent  vor  heritage  verschwindet,  dafs  arrivement  neben  arrivee 
veraltet  u.  s.  f. 

Eine  systematische  Vergleichung  des  Suffixes  -ment  mit  den  Suffixen 
anderer  Verbal abstrakta, *  insbesondere  mit  -age,^  dessen  Funktionen  zum 
Teil  mit  denen  von  -ment  übereinstimmen,  hätte  sehr  interessante  Schlüsse 
besonders  in  bezug  auf  die  Lebensfähigkeit  der  verschiedenen  Suffixe  ge- 
stattet. So  hätte  sich  z.  B.  gezeigt,  dafs  die  Zahl  der  Neubildungen  auf 
-ment  heute  geringer  ist  als  diejenige  der  Neubildungen  auf  -age,  dafs  es 
hier  und  da  vorkommt,  dafs  ein  Wort  auf  -age  ein  Wort  auf  -ment  ver- 
drängt^ oder  in  seiner  Bedeutung  einschränkt,  während  das  Gegenteil 
selten  ist,  dafs  vor  allem  die  Aktionsbedeutung  von  -age  derjenigen  von 
-m^nt  eine  scharfe  Konkurrenz  macht. '' 

Nach  diesen  Erörterungen  methodischer  Natur  seien  mir  noch  einige 
Detailbemerkungen  gestattet. 

S.  4  erklärt  der  Verfasser  die  Bildung  von  Verbalsubstantiven  auf 
-mentum  durch  das  Bestreben,  ein  'Seiendes'  zu  einer  ihm  angemessenen 
Tätigkeit  in  Beziehung  zu  setzen.  Nun  ist  aber  eine  Tätigkeit  nicht  nur 
charakteristisch  für  ein  einziges  Seiendes  (frumentu?n,  Getreide  [von  frui], 
ist  nicht  der  einzige  Gegenstand,  der  als  Genufsmittel  dient),  sondern  für 
verschiedenartige  Seiende  (so  können  die  verschiedensten  Dinge  als  Genufs- 
mittel dienen).  Somit  (dies  der  Schlufs  von  Koediger)  kann  der  mit  -men- 
tum gebildete  Ausdruck  nur  allgemeine  Bedeutung  haben.  Dafs  dieser 
Schlufs  falsch  ist,  beweisen  die  Tatsachen:  die  grofse  Mehrzahl  der  latei- 
nischen Verbalsubstantiva  auf  -mentum  hatte  eine  spezielle  Bedeutung; 
die  allgemeine  Bedeutung,  die  Roediger  hinzusetzt,  ist  meistens  nur  suppo- 
niert.  So  hat  frumentum  im  Lateinischen  nie  die  Bedeutung  'Genufsmittel' 
gehabt,  es  hat  immer  blofs  'Getreide'  oder  spezieller  'Weizen'  geheifsen; 
ämentum  hat  nie  abstrakt  'Bewegungs-,  Treibmittel',  sondern  stets  'Wurf- 
riemen' (übertr.  Schuhriemen)  oder  'Zünglein  an  der  Wage',  armentum  nie 
'Ackermittel',*  sondern  stets  'Herde,  Grofsvieh'  geheifsen  u.  s.  f.  Es  ist 
dies  auch  begreiflich;  derjenige,  der  das  Wort  frumentum  bildete,  dachte 
eben  nur  an  einen  ganz  bestimmten  Gegenstand,  an  dem  sich  die  Hand- 
lung des  Geniefsens  vollzieht,  nämlich  an  das  Getreide;  es  mag  ja  sein, 
dafs  das  Wort  auch  für  andere  Genufsmittel  gebraucht  wurde,  immer 
aber  war  die  Vorstellung  eines  ganz  bestimmten  Gegenstandes  gegenwärtig, 
und  wie  der  Erfolg  zeigt,  siegte  die  Vorstellung  des  Getreides.  Damit 
wjll  ich  nun  nicht  behaupten,  dafs  nicht  auch  der  umgekehrte  Vorgang 
(Übergang  vom  Abstraktum  zum  Konkretum,  vgl.  Roed.  S.  5  oben)  mög- 
lich sei;  er  ist  aber  eine  sekundäre,  einer  vorgerückteren  Sprachepoche 
angehörige  Erscheinung. 

*  Vgl.  M.-L.,  Gr.  II,  S.  564  f.  Über  das  Verhältnis  des  lat.  -mentum  zu 
-tio  vgl.  Cooper,   1.  c.  S.   85  f.     Ebendort  Einleitung  passim. 

*  Nebenbei  sei  bemerkt,  dafs  eine  Untersuchung  der  Bedeutungsentwickelung 
von  -age  eine  dankbare  Aufgabe  wäre. 

'  Vgl,  affermage  und  afr,  nffermement,  qffütage  und  afr.  affustement,  amenage 
und  afr.  amenement,  atielage  und  afr.  atelement  etc. 

*  Vgl,  accommodage  und  accommodemenf,  accrochage  und  aca-ochement,  Neubil- 
dungen wie  greage  neben  grement,  agnelage  neben  agnelement  etc. ;  von  früheren : 
accouplage  (XVI.  J.)  neben  accoujilement  (XIII),  affaitage  (XVII)  neben  affaitement 
(XII),  aiguisage  (XIX)  neben  aiguisement  (XII),  das  veraltet,  arrosage  (XVII)  neben 
arrosemenl  (XII),  assemblage  (XVI)  neben  assemhlem^nt  (XI)  etc.  (s,  Dictionnaire  general). 

^  Übrigens  ist  die  Ableitung  von  arare  nach  Br6al,  Diel.  etym.  latin  (Paris 
1898),  sub  armentum  und  artus  zu  berichtigen.  Br^al  leitet  das  Wort  von  einer 
Wurzel  -ar  =  adapter,  joindre  ab.     Es  ist  also  gleich  gebildet  wie  jumentum. 


462  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Zu  Ö.  13 :  Die  als  Wörter  abstrakten  Inhalts  zusammengestellten  Bei- 
spiele bezeichnen  zumeist  nicht  das  Resultat,  sondern  das  Objekt  der 
Handlung.  Ebenso  sind  übrigens  schon  einzelne  Beispiele  in  den  voraus- 
gehenden Abschnitten  aufzufassen,  z.  B.  jumentum  (S.  5),  doch  nicht  'Mittel 
zum  Jochen',  sondern  'das,  woran  sich  die  Handlung  des  Jochens  voll- 
zieht', ähnlich  libamentum  (S.  7),  assumentum  (S.  12),  aspernamentum 
(S.  12),  abominamentum  (S.  13). 

Zu  S.  15 :  Die  Mehrzahl  der  denominalen  Ableitungen  lassen  sich  nur 
gezwungen  als  Ergebnis  einer  Handlung  deuten. 

Zu  S.  36:  desinvesHssement  heifst  Aufhebung  einer  Belagerung. 

Zu  S.  38:  Mmagement  ist  nicht  vom  reflexiven,  sondern  vom  transi- 
tiven Verbum  menager  qqn  =  'jem.  schonen'  abzuleiten.  Es  ist  besser 
durch  'Schonung'  wiederzugeben  als  durch  'Behutsamkeit'.  (Vgl.  icser  de 
menagements  envers  qqn.) 

Zu  S.  71:  Argotausdrücke  wie  enterrement  ■=  'Stück  Fleisch  in  einer 
Portion  Brot'  dürfen  doch  wohl  nicht  auf  eine  Linie  mit  regulären  Be- 
deutungsverschiebungen gestellt  werden. 

Zu  S.  102 :  Die  Annahme,  dafs  commandement  in  seiner  Entwickelung 
zu  der  Bedeutung  'der  Bevollmächtigte'  durch  truchement  beeinflufst  wor- 
den sei,  ist  höchst  unwahrscheinlich.  Wir  haben  es  hier  wohl  mit  einer 
Übertragung  der  Bezeichnung  für  die  Funktion  auf  denjenigen,  der  die 
Funktion  ausübt,  zu  tun,  was  auf  dem  Streben  nach  einem  unpersönlichen 
Ausdruck  beruht.  Vgl.  etwa  'le  commandement  de  la  II®  division'  statt 
le  commandant,  das  Kommando  statt  der  Kommandant,  die  ^Platxauf sieht' 
statt  der  ^Platxaufseher' ,  das  'Verhältnis'  für  'die  Oeliebte'  etc. 

Zu  S.  109:  Ganz  unglücklich  ist  die  phonetische  Erklärung  von  em- 
basement.  Man  denke  sich  ein  embassement,  das  zu  embasement  wird,  weil 
der  Akzent  etwas  auf  die  Vorsilbe  rückt,  wobei  das  base,  nachlässiger  ge- 
sprochen, einen  schärferen  Laut  annimmt! 

Die  Beispiele  von  Bildungen  auf  -ement  ohne  ein  Verb  als  Grundlage 
(S.  104 — 111)  hätten  noch  etwas  genauer  geprüft  werden  dürfen.  Bei  ein- 
zelnen geht  aus  dem  Vorhandensein  anderer  Ableitungen  hervor,  dafs  ein 
entsprechendes  Verbum  existiert  hat,  wenn  es  auch  nicht  belegt  ist;  bei 
anderen  haben  verbale  Ableitungen  mit  verwandter  Bedeutung  die  de- 
nominale Bildung  begünstigt. 

Zu  S.  124:  Zum  Verständnis  des  Ursprunges  von  boniment  wird  die 
Vermutung  von  Roediger  kaum  viel  beitragen. 

Was  Auffassung  und  Einordnung  der  Beispiele  betrifft,  kann  man  hier 
und  da  anderer  Ansicht  sein  als  der  Verfasser;  es  ist  jedoch  anzuerkennen, 
dafs  gerade  auf  die  Klassifizierung  viel  Sorgfalt  verwendet  worden  ist. 

Aarau  (Schweiz).  K.  J  ab  erg. 

Hilfsbuch  für  den  französischen  Unterricht  in  Sexta,  Quinta, 
Quarta  im  Anschlufs  an  R.  Kuhns  Lehrbuch  von  den  Fachlehrern 
der  Liebig-Realschule  zu  Frankfurt  a.  M.   Marburg,  El  wert,  1904. 

Die  französischen  Unterrichtsbücher  von  Kühn,  die,  wirklich  neu  und 
originell,  frei  von  jeder  Schablone,  bei  ihrem  Erscheinen  berechtigtes  Auf- 
sehen in  der  Lehrerwelt  erregten  und  sich  in  der  langen  Reihe  von  Jahren 
schon  so  viele  Freunde  erworben  haben,  litten  an  einem  empfindlichen 
Mangel,  der  ihrer  Verbreitung  und  Benutzung  in  den  höheren  Schulen 
vielfach  schadete:  es  fehlte  ihnen  der  notwendige  Zusammenhang  zwischen 
Lesebuch  und  Grammatik  und  der  methodische  Lehrgang,  welchen  der 
Lehrer,  der  diese  Bücher  benutzte,  erst  selbst  aus  dem  Unterrichte  heraus 
schaffen  mufste.  Das  ist  für  den  einzelnen  eine  grofse  Belastung  und 
schadet  auch  der  Harmonie  des  Unterrichts,  da  doch  meistens  das  Fran- 
zösische in  mehreren  Händen  liegt.    Wenn  die  Kollegen  derselben  Anstalt 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  463 

nicht  zufällig  in  ihren  Ansichten  und  ihrem  Geschmack  übereinstimmten, 
so  trat  leicht  eine  grofse  Unsicherheit  und  Planlosigkeit  in  dem  Betriebe 
des  französischen  Unterrichts  ein.  Diesem  Mangel  abzuhelfen,  ist  schon 
mehrmals  versucht  worden,  so  in  dem  Jahresbericht  der  Realschule  xu 
Bitterfeld  (1898),  in  den  Büchern  von  Diehl  und  von  Mackenroth  und  in 
einem  Jahresbericht  der  Liebig-Realschule  zu  Frankfurt  a.  M.  Diese  letz- 
tere Arbeit  ist  seitdem  von  den  Fachlehrern  der  genannten  Anstalt  er- 
weitert und  ergänzt  worden  und  als  besonderes  Hilfsbuch  für  die  Klassen 
Sexta,  Quinta  und  Quarta  erschienen.  Das  Buch  enthält  einen  metho- 
dischen Lehrgang  im  Anschlufs  an  Kuhns  Lehrbücher,  ohne  dem  Lehrer 
einengende  Fesseln  anzulegen,  sondern  diese  Art  des  Unterrichts  gewährt 
ihm  im  Gegenteil  den  Vorteil  einer  ziemlich  grofsen  Bewegungsfreiheit. 

Der  erste  Teil  enthält  den  methodischen  Lehrgang,  der  zweite  Über- 
setzungsstücke zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen,  der  dritte  ein  Wörter- 
verzeichnis. 

Der  Lehrgang  zerfällt  in  vier  Rubriken :  in  der  ersten  stehen  die  Titel 
der  Texte  aus  Kuhns  Lesebüchern  (für  Anfänger  und  Unterstufe),  in  der 
zweiten  die  Stoffe  der  Grammatik,  die  am  besten  auf  induktivem  Wege 
aus  jenen  Lesestücken  sich  ableiten  lassen,  die  dritte  enthält  den  Wort- 
schatz, nach  Kategorien  geordnet,  die  vierte  verwandte  deutsche  Stoffe, 
Gouinsche  Reihen  oder  singbare  Texte. 

Der  Anfangsunterricht  in  Sexta  ist  zunächst  rein  lautlich,  mit  Be- 
nutzung der  Vietorschen  Lauttafeln,  und  erst  nach  etwa  drei  Monaten 
erfolgt  der  Übergang  zur  Schrift.  Ob  dieser  Zeitraum  richtig  oder  zu  lang 
ist,  ist  immer  noch  eine  unentschiedene  Frage.  Er  ist  entschieden  zu  lang, 
wenn  man  ein  Lehrbuch  ohne  Texte  in  Lautschrift  benutzen  mufs;  in 
diesem  Falle  empfiehlt  sich  nach  meiner  Erfahrung  nach  kurzer  pho- 
netischer Einleitung  ein  möglichst  baldiger  Übergang  zur  französischen, 
Schrift.  Anders  ist  es  bei  den  Kühnschen  Lehrbüchern,  welche  eine  Reihe* 
von  Texten  in  Lautschrift  enthalten  und  es  so  dem  Schüler  ermöglichen, 
die  gehörten  Laute  und  Worte  auch  im  Gedächtnis  festzuhalten ;  aber  auch 
hier  scheinen  mir  einige  Wochen  für  die  rein  lautliche  Behandlung  zu  ge- 
nügen. Von  den  in  Sexta  zu  lesenden  Stücken  werden  vielen  Fachlehrern 
einzelne  Lesestücke  zu  kindlich  und  inhaltsleer  erscheinen,  anderen  wird 
wiederum  die  Zahl  der  singbaren  Texte  zu  grofs  sein.  Das  ist  Sache  des 
persönlichen  Geschmackes,  und  es  ist  leicht,  aus  dem  Lesebuch  andere 
Stücke  auszuwählen.  Jedenfalls  ist  der  grammatische  Gewinn  ein  recht 
bedeutender  und  ergibt  sich  in  ganz  natürlicher  Weise  aus  den  Lese- 
stücken, wenn  dieselben  in  der  im  Hilfsbuch  angedeuteten  Weise  durch- 
genommen werden.  Nach  je  zehn  Stücken  tritt  eine  systematische  Zu- 
sammenfassung der  gewonnenen  grammatischen  Erscheinungen  ein,  die 
dann  am  Schlufs,  nach  der  Durchnahme  des  30.  Stückes,  noch  einmal  in 
ihrer  Gesamtheit  systematisch  vorgeführt  werden.  Der  Sextaner  beherrscht 
dann  am  Schlüsse  des  Schuljahres  das  Geschlechtswort,  die  Mehrzahl, 
den  Ersatz  der  Deklination,  den  Teilungsartikel,  das  Eigenschaftswort, 
das  Umstandswort,  das  Zahlwort  von  1 — 1000,  die  meisten  Fürwörter,  vom 
Zeitwort  avoir,  etre  und  das  Aktiv  der  ersten  sowie  einige  Formen  der 
zweiten  und  dritten  Konjugation,  natürlich  alles  in  den  einfachsten  Er- 
scheinungen, nur  in  den  Hauptsachen.  Der  Wortschatz  umfal'st  Aus- 
drücke aus  der  Umgebung  des  Schülers,  vor  allem  Schule,  Schulzimmer, 
Familie,  Haus,  Stadt  und  Wald,  Körperteile,  Kleidung,  Zeiteinteilung, 
Tageszeiten,  Namen  der  Monate  und  Tage,  Gewerbe  und  von  den  Jahres- 
zeiten den  Winter.  Besonders  wichtig  erscheint  mir  auch,  dafs  schon 
die  wichtigsten  unregelmäfsigen  Verben  in  ihren  gebräuchlichsten  Formen 
auf  dieser  Stufe  gelernt  werden;  sie  kommen  zu  häufig  in  der  lebenden 
Sprache  vor,  als  dafs  ihre  Kenntnis  bis  Quarta  aufgeschoben  werden  könnte. 

Für  Quinta  sind  als  Lesestoff  hauptsächlich  die  Hölzelschen  Jahres- 


464  Beurteilnngen  und  kurze  Anzeiget. 

Zeiten  und  einige  Märchen  gewählt  worden,  aus  welchen  in  derselben  Weise 
wie  in  Sexta  neue  grammatische  Erscheinungen  gewonnen  und  die  schon 
bekannten  vertieft  werden.  Es  kommt  hier  das  Geschlecht  der  Haupt- 
wörter hinzu,  ferner  die  unregelmäfsigen  Plurale,  Bildung  der  weiblichen 
Form  der  Eigenschaftswörter,  Steigerung,  die  fragenden  und  unbestimmten 
Fürwörter,  die  vollständige  regelmäfsige  Konjugation  sowie  eine  Vermeh- 
rung der  unregelmäfsigen  Verben,  von  denen  einzelne  bereits  im  Aktiv 
vollständig  konjugiert  werden.  Aufser  der  Formenlehre  wird  hier  auch 
schon  die  Satzlehre  in  ihren  Grundzügen  gelehrt,  nämlich  der  Gebrauch 
von  aroir  und  etre  bei  dem  Zeitwort,  der  Gebrauch  der  Zeiten,  die  Stel- 
lung des  Subjekts,  die  Stellung  des  attributiven  Eigenschaftswortes  und 
das  persönliche  Fürwort.  Der  Wortschatz  umfafst  jetzt  die  Jahreszeiten, 
Weihnachten,  Essen,  Trinken,  Schlafen,  Wohnen,  Stadt  und  Land,  häus- 
liche, ländliche  und  städtische  Einrichtungen,  Verrichtungen  und  Erlebnisse. 

In  Quarta  werden  andere  Hölzelsche  Bilder  besprochen  und  Märchen 
gelesen,  aus  welchen  sich  als  grammatischer  Gewinn,  aufser  einer  Wieder- 
holung des  schon  früher  Gelernten,  die  Kenntnis  des  Konjunktivs  sowie 
der  wichtigsten  unregelmäfsigen  Verben  ergibt.  Die  Satzlehre  besteht 
gröfstenteils  in  einer  Wiederholung  und  Befestigung  des  schon  in  Quinta 
gewonnenen  Stoffes.  Der  Wortschatz  erweitert  sich  zum  Leben  der  Natur 
und  des  Menschen  in  den  vier  Jahreszeiten  in  vertiefter  Betrachtung,  Stadt 
und  Land,  Einrichtungen,  ßerufsarten  und  Tätigkeiten,  Ferien,  Wandern, 
Eeisen,  Freundschaft,  Tugend,  Glück,  Klugheit,  Unrecht,  Mifsgeschick, 
Strafe. 

Der  zweite  Teil  des  Hilfshuches  enthält  zwölf  Ubungsstoffe  zum  Über- 
setzen aus  dem  Deutschen,  welche  nach  jeder  grammatischen  Zusammen- 
fassung vorgenommen  werden.  Stofflich  schliefsen  sich  diese  deutschen 
Stücke  an  die  gelesenen  französischen  an,  jedoch  haben  die  Verfasser 
Sorge  getragen,  dafs  die  Sprache  durchaus  reines  Deutsch  ist.  Die  Sätze 
sind  einfach  gebaut,  der  Umfang  ist  mäfsig.  Die  Zahl  von  zwölf  Stücken 
für  den  Zeitraum  von  drei  Jahren  wird  vielen  zu  gering  erscheinen;  doch 
hat  das  bekanntlich  seinen  Grund  in  der  Eigenart  dieser  Methode,  welche 
das  Hin  übersetzen  auf  das  geringste  Mals  beschränkt  und  nicht  als 
Zielleistung  fordert. 

Eine  mühsame  Arbeit  verrät  der  dritte  Teil,  in  welchem,  zur  zusam- 
menfassenden Wiederholung  des  gesamten  erlernten  Wortschatzes  dienend, 
alle  Wörter  in  bestimmten  Gruppen  mit  einer  Belegstelle  aus  dem  Lese- 
buch aufgeführt  sind.  Die  vom  Konkreten  zum  Abstrakten  aufsteigenden 
Hauptgruppen  sind  die  folgenden:  Les  ckoses  et  leur  nature.  L'espace. 
Temps.  Nature.  La  ville  et  la  campagne.  Uhomme.  La  famille.  L'äge. 
L'ecole.  La  Societe,  L'Etat.  L'eglise.  Metiers  et  professions.  Les  princi- 
pales  manifestations  de  la  vie.  L'dme.  Experiences  de  la  vie.  —  So  be- 
festigen die  Schüler  die  Vokabeln  auf  doppelte  Weise:  einmal  prägen  die- 
selben sich  ihrem  Gedächtnis  fest  ein  in  dem  Zusammenhange,  in  welchem 
sie  in  den  Lesestücken  gelernt  worden  sind,  und  dann  bei  dieser  Wieder- 
holung durch  die  Gruppierung  nach  begrifflichen  Kategorien.  Durch  die 
beigefügten  Belegstellen  werden  beide  Arten  der  Erlernung  miteinander  ver- 
knüpft, und  die  Wörter  haften  so  durch  doppelte  Assoziation  im  Gedächtnis. 

Das  am  Schlüsse  des  Buches  befindliche  Eegister  ermöglicht  das  schnelle 
Auffinden  jeder  beliebigen  vorgekommenenen  grammatischen  Erscheinung. 

Leider  ist  das  Verzeichnis  der  Druckfehler  bei  dem  schwierigen  Druck 
noch  ein  ziemlich  umfangreiches.  Übersehen  ist  darin  S.  121,  Z.  14  v.  o.: 
statt  quisque  lies  puisque. 

Das  besprochene  Hilfsbuch  hat  den  grofsen  Vorzug  für  sich,  dafs  es 
nicht  nur  auf  Grund  theoretischer  Erwägungen  verfafst,  sondern  aus  einer 
jahrelangen  Lehrpraxis  allmählich  erwachsen  ist.  Der  Erfolg  bürgt  also 
für  seine  Brauchbarkeit,  und  das  Buch  wird  allen  Lehrern,  welche  den 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  465 

französischen  Unterricht  nach  Kuhns  Lehrbüchern  erteilen,  eine  bedeu- 
tende Erleichterung  und  eine  sichere  Grundlage  für  ihren  Unterricht  bie- 
ten, ohne  dafs  es  jedoch  dem  Geschmack  und  der  Neigung  des  einzelnen 
lästige  Fesseln  auferlegt ;  es  gewährt  vielmehr  jedem  einen  gewissen  Spiel- 
raum in  der  Handhabung  seiner  Methode.  Wir  können  nur  wünschen, 
dafs  eine  Fortsetzung  für  Untertertia  bis  Untersekunda  im  Anschlufs  an 
Kuhns  Unterstufe  und  das  Lesebuch  'La  France  et  les  Francis'  bald  er- 
scheinen möge. 

Wilmersdorf-Berlin.  J.  Block. 

Dr.  Wilhelm  Ricken,  Französisches  Gymnasialbuch  für  den  Unter- 
richt bis  zum  Abschlufs  der  Untersekunda.  Auf  Grund  der 
preufsischen  Lehrpläne  von  1901  für  gymnasiale  Anstalten  mit  deut- 
scher Unterrichtssprache  bearbeitet.    Berlin,  Gronau,  1903. 

Hauptsache  war  für  den  Verfasser,  ein  Buch  zu  schaffen,  das  durch 
Knappheit  des  dargebotenen  Stoffes  die  Erledigung  der  durch  die  Lehr- 
pläne dem  französischen  Unterricht  an  Gymnasien  gestellten  Aufgaben 
ermögliche.  Für  das  Quartapensum  sind  die  ersten  26  bis  30  französischen 
Stücke  nebst  entsprechenden  deutschen  Übungsstücken  bestimmt.  Am 
besten  macht  man  wohl  den  Abschlufs  nach  dem  27.  Stück  auf  Seite  26. 
Die  Anordnung  ist  so  getroffen,  dafs  erst  nach  Durchnahme  mehrerer 
französischer  Stücke  eine  Übersetzung  in  das  Französische  eintritt,  so  die 
erste  nach  Stück  15  (Vokabeln  1 — 6),  dann. .nach  Stück  20  (Vokabeln  7), 
nach  Stück  26  (Vokabeln  7 — 18).  Dieser  Übersetzungsstoff  umfafst  bis 
Stück  27  vier  Seiten.  Der  nach  Stück  27  zu  behandelnde  deutsche  Text 
nimmt  zehn  Seiten  ein.  Wenn  nun  auch  diese  dem  Quartapensum  zu- 
gewiesen würden,  so  wäre  die  Aufgabe  dieser  Klasse  zu  umfangreich. 
Man  kann  indessen  dank  der  Einrichtung  des  Buches  hier  beliebig  Halt 
machen,  vielleicht  so,  dafs  man  noch  möglichst  vier  Seiten  (Vokabeln  von 
1 — 19)  hinzunimmt  und  die  dann  noch  übrigen  sechs  Seiten  der  Unter- 
tertia zuweist.  Ich  würde  die  Bemessung  des  Stoffes  für  Quarta  auf 
27  Stücke  der  von  dem  Verfasser  im  Vorwort  vorgeschlagenen  auf  30  vor- 
ziehen, weil  der  Gang  des  Unterrichts  in  dieser  Klasse  möglichst  langsam 
sein  mufs,  und  weil  der  französische  Lesestoff  für  die  Untertertia  mit  den 
Stücken  80 — 34  im  ganzen  nur  etwa  sechs  Seiten  betragen  würde,  wäh- 
rend nach  dem  hier  gemachten  „Vorschlage  doch  wenigstens  noch  eine 
Seite  hinzukäme.  Der  deutsche  Übersetzungsstoff  für  Untertertia  nimmt 
dann  freilich  dreizehnein  halb  Seiten  ein,  von  denen  die  oben  erwähnten 
ersten  sechs  Seiten  aber  einen  dem  Schüler  bereits  bekannten  Vokabel- 
schatz verarbeiten,  und  deren  grammatischer  Stoff  ihm  ebenfalls  aus  den 
französischen  Stücken  des  Quartapensums  geläufig  ist.  Die  französischen 
Stücke  bestehen  anfangs  nur  aus  wenigen  Zeilen;  darunter  fehlt  auch 
nicht  eine  Anzahl  amusettes  (Nr.  7)  neben  'Erzählungen,  Gesprächen  und 
Beschreibungen  aus  dem  Geschichts-  und  Interessenkreise  der  Schüler, 
aus  Natur,  Schule,  Haus  und  Hof  etc.  Besonders  erwähnt  seien  Le 
tahleau  de  V hiver  (20)  und  Le  tableau  du  printemps  (27)  in  dem  Pensum 
für  Quarta  und  Le  tableau  de  l'ete  und  Le  tableau  de  Vautomne  in  dem 
für  Untertertia  (im  ganzen  Wiedergabe  der  Beschreibung  der  Hölzelschen 
Jahreszeitenbilder  in  französischer  Sprache  von  demselben  Verfasser). 

Das  Pensum  für  Obertertia  umfafst  die  französischen  Stücke  34 — 39 
(zehn  Seiten  Text).  Es  entspricht  nicht  den  Lehrplänen,  dafs  der  Ge- 
brauch der  Hilfsverben  avoir  Und  etre  zur  Bildung  der  umschriebenen 
Zeiten  hier  fehlt  und  dem  Pensum  der  Untersekunda  zugewiesen  ist.  Zehn 
Seiten  deutschen  Textes,  in  37  Nummern  gruppiert,  dienen  zur  Einübung 
der  unregelmäfsigen  Zeitwörter.  Im  Vorwort  hebt  der  Verfasser  hervor, 
'dafs  der  in  den  Stücken  35 — 38  gebotene  französische  Anschauungsstoff 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  3Q 


466  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

zugleich  —  wo  es  geboten  erscheint  —  als  Stoff  für  die  Lektüre  leichter 
geschichtlicher  oder  erzählender  Prosa  benutzt  werden  kann.'  Es  sind 
acht  Seiten  Text  über  Les  Oaulois  et  les  Romains,  Glovis,  le  fondateur  d'un 
empire  franc,  Les  successeurs  de  Glovis  et  les  maires  du  palais  und  Gharle- 
magne.  Wenn  unbedingt  die  Kenntnis  der  unregelmäfsigen  Zeitwörter  auf 
induktivem  Wege  aus  zu  diesem  Zwecke  zurechtgemachten  Stücken  ge- 
wonnen werden  soll,  so  bleibt  allerdings  in  Obertertia  für  die  Schrift- 
stellerlektüre keine  Zeit  übrig,  und  es  ist  nur  zu  rechtfertigen,  dafs  durch 
das  Verfahren  des  Verfassers  ein  gewisser  Ersatz  gesucht  wird.  Mir 
scheint  es  aber  unmöglich,  dafs  das  Ziel  auch  nur  annähernd  erreicht 
werden  könnte.  Der  Schüler  wird  nie  über  die  Anschauung  hinausgehoben 
werden,  dafs  das  Stück  eben  der  Grammatik  wegen  dasteht,  um  so  mehr, 
wenn  ihm  aus  jeder  zweiten  Zeile  eine  fettgedruckte  Form  eines  Zeit- 
wortes aufdringlich  entgegenstarrt. ' 

Der  syntaktische  Anschauungsstoff  für  Untersekunda  ist  nur  in  den 
den  Regeln  vorgedruckten  Beispielen  gegeben,  weil  die  Durchnahme  zu- 
sammenhängender Stücke  zuviel  Zeit  für  die  Grammatik  in  Anspruch 
nehmen  würde.  Zur  Einübung  der  syntaktischen  Regeln  bietet  das  Buch 
dreizehn  Seiten  deutschen  Textes.  Was  diesen  und  den  für  die  früheren 
Stufen  betrifft,  so  ist  darüber  zu  sagen,  dafs  sie  meist  zusammenhanglos 
sind.  Doch  sind  die  Sätze  im  allgemeinen  nicht  bunt  durcheinander- 
gewürfelt, sondern  jede  grammatische  Einzelheit  wird  durch  eine  Gruppe 
von  Beispielen  veranschaulicht  und  möglichst  so,  dafs  sie  je  einem  Vor- 
stellungskreise entnommen  sind,  der  durch  den  französischen  Sprachstoff 
zur  Darstellung  gekommen  ist.  Die  Sätze  sind  durchweg  kurz,  was  zum 
besten  der  Förderung  der  Sprechfertigkeit  zu  dienen  im  höchsten  Mafse 
geeignet  ist.  Öfters  kam  mir  der  Gedanke,  ob  dem  Verfasser  nicht  die 
von  Häufser  in  seiner  Schrift  Lebendige  Grammatik  empfohlene  Methode 
vorgeschwebt  habe. 

Die  Grammatik  gibt  auf  zwei  Seiten  das  Vokaldreieck  und  das  Schema 
der  Konsonanten  nebst  knappen  allgemeinen  Bemerkungen  über  die  fran- 
zösische Aussprache.  Auf  weiteren  drei  Seiten  folgt  die  Darstellung  der 
Laute  durch  die  Schrift.  Die  Formenlehre  aufser  den  unregelmäfsigen 
Zeitwörtern  kommt  auf  dreizehn  Seiten  zur  Darstellung  und  fafst  über- 
sichtlich zusammen,  was,  zwischen  den  französischen  Stücken  zerstreut, 
meist  schon  zur  Anschauung  gebracht  worden  ist.  Die  Stellung  der  per- 
sönlichen Fürwörter  ist  hier  behandelt, .wie  denn  auch  zwischen  dem  fran- 
zösischen Text  für  Quarta  besondere  Übungen  zur  Beherrschung  des  Ge- 
brauches eingefügt  sind.  In  der  Syntax  (S.  UO)  folgt  dann  noch  einmal 
'Wiederholung  der  wichtigsten  Gesetze  über  die  Stellung  der  persönlichen 
Fürwörter  nebst  en  und  y  und  der  Negation  im  Satze'.  Die  Lehrpläne 
sprechen  bei  den  Lehraufgaben  für  Quarta  nur  von  'Erlernung  der  Für- 
wörter". Soll  darunter  auch  die  Einübung  der  Stellung  mehrerer  persön- 
licher Fürwörter  beim  Zeitwort  verstanden  werden,  oder  ist  diese  der  für 
Untertertia  vorgeschriebenen  Erweiterung  der  Lehraufgabe  der  Quarta  zu- 
gewiesen? Ich  glaube,  dafs  das  letztere  der  Fall  ist,  und  halte  das  auch 
für  besser,  weil  gerade  dieses  Kapitel  für  die  Schüler  doch  schon  schwie- 

*  Es  wäre  zu  bedauern,  wenn  in  Obertertia  auf  eine  reichlichere  Lektüre  end- 
gültig verzichtet  werden  müfste.  Sollte  es  nicht  empfehlenswert  sein,  von  den  in 
der  Lektäre  und  in  Übungsstücken  vorkommenden  Formen  unregelmäfsiger  Zeit- 
wörter auszugehen,  sie  mit  den  Schülern  zu  gruppieren  und  Fehlendes  zu  ergänzen? 
Auch  in  den  Übungsstücken  können  doch  nicht  alle  Formen  zur  Anschauung  kom- 
men. Eine  übersichtliche  Darstellung  in  der  Formenlehre  der  Grammatik,  sowie 
Satzkonjugationen,  Niederschrift  in  das  Heft  und  Anschreiben  an  die  Tafel  nach 
bestimmten  Gesichtspunkten,  Übersetzung  kurzer  deutscher  Sätze  mit  bekanntem 
Vokabelschatz  würden  zur  Einübung  dienen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  467 

riger  ist.  —  Die  unregelmälsigen  Zeitwörter  sind  in  einer  klaren  Über- 
sicht und  Gruppierung  an  das  Ende  der  Formenlehre  gestellt. 

Die  Syntax  umfafst  zweiundzwanzig  Seiten  einschliefslich  der  zahl- 
reichen Mustersätze.  Ungenau  ist  auf  S.  135  die  Eegel:  Das  Partizip  der 
mit  avoir  konjugierten  und  der  reflexiven  Verben  kongruiert  mit  seinem 
Objektsakkusativ  (zu  dem  es  nach  französischer  Auffassung  in  adjektivi- 
schem Verhältnis  steht).  S.  131  'si  vous  croyex  que  je  puis  vous  etre  utile, 
neben  si  vous  croyex  que  je  puisse  vous  etre  utile  (mit  etwas  anderer  Nuance)' 
gibt  keine  Aufklärung.  Daselbst  die  Anmerkung  1  über  Einteilung  der 
Substantivsätze  in  Subjekts-  und  Objektssätze  ist  zu  entbehren;  statt 
dessen  hätte  in  der  Eegel  für  'Substantivsätze'  Subjekts-  und  Objekts- 
sätze gesagt  werden  können.  Ferner  sollte  es  auf  derselben  Seite  in  dem 
Satze  'Der  Subjonctif  steht  in  solchen  Adjektivsätzen  (Kelativsätzen),  die 
ein  gefordertes  Merkmal  angeben'  heifsen:  in  attributiven  Relativsätzen, 
denn  die  betreffenden  Relativsätze  brauchen  nicht  immer  Adjektive  zu 
ersetzen.  Es  kommt  nicht  auf  die  Wortart  an,  sondern  auf  die  Funktion 
des  Wortes  im  Satze.  Der  Ausdruck  'im  j^owr^wo*- Satze'  wäre  wohl  besser 
zu  vermeiden  (S.  142),  ebenso  S.  106  'die  wo^i-Reihe,  die  ^on-Reihe'  etc. 

Zwischen  den  Stücken  des  französischen  Textes  steht  eine  grofse  An- 
zahl von  Übersichten  sowie  Aufgaben  zu  Übungen.  Hinter  den  Wörter- 
verzeichnissen zu  den  französischen  Stücken  (nach  Nummern)  und  den 
deutschen  Übungen  (nach  dem  Alphabet)  folgt  noch  ein  sechzehn  Seiten 
mit  je  zwei  Reihen  umfassendes  etymologisch  gruppiertes  alphabetisches 
Wörterverzeichnis,  'das  zu  denkender  Befestigung  und  Ergänzung  des 
Wortschatzes  und  zur  Einführung  in  die  Wortkunde  und  Wortbildungs- 
lehre dienen  kann'.  Der  Zusatz  ist  gewifs  richtig,  doch  würde  er  sich 
besser  in  dem  Vorwort  ausnehmen. 

Oppeln.  Vor  die ck. 

F.  Koldewey,  Schulrat  Prof.  D.  Dr.,  Französische  Synonymik  für 
Schulen.    Vierte  Auflage.    Wolfenbüttel,  Zwifsler,  1902.    220  S.  4. 

Die  gegebenen  Begriffsbestimmungen  sind  knapp,  klar  und  meist 
richtig.  Unter  abroger  ist  ein  Beispiel  mit  oter  gegeben.  Unter  presager 
fehlt  die  Bedeutung  'vorbedeuten'. 

repliquer  'erwidern  wenn  bereits  eine  Antwort  erfolgt  ist'.  Das  is- 
ungenau.  On  peut  aussi  repliquer  ä  un  ordre;  es  entspricht  unserem  'ert 
widern,  entgegnen'. 

Die  Unterscheidung  zwischen  envier  und  porter  envie  ist  willkürlich. 

calmer  wird  ebensogut  von  Personen  gebraucht  wie  apaiser. 

civil  'bürgerlich,  im  Gegensatz  zum  Militär'.    Nicht  blofs. 

adopter  wird  nur  ganz  beiläufig  erwähnt  und  nur  mit  q.,  jmd.  an 
Kindesstatt  annehmen;  es  müfste  aber  gleichwertig  mit  recevoir,  accepter, 
agreeTj  wegen  seiner  bildlichen  Bedeutung  von  'etwas  zu  dem  seinigen 
machen',  behandelt  werden.  Vergleiche:  Cette  proposition  fut  adoptee. 
L'Angleterre  se  vit  contrainte  d'adopter  ces  mesures  en  grande  partie  cinq 
ans  plus  tard. 

Wattendex  pas  ä  Vextremite  ist  kein  Französisch.  Kann  man  une  taille 
bien  formee  statt  bien  prise  sagen? 

In  der  Vorrede  zu  meiner  Englischen  Synonymik  glaubte  ich  bewiesen 
zu  haben,  dafs  für  diese  Wissenschaft  die  Etymologie  meist  alles  andere 
als  von  Nutzen  ist.  Das  mindeste  aber  ist  doch,  dafs  nur  wissenschaft- 
lich haltbare  Ableitungen  gegeben  werden.  Was  sollen  Angaben  wie 
abolir,  lat.  abolere,  supprimer,  lat.  supprimere;  deposer  aus  dem  Präfix  de, 
lat.  dis,  ingenu,  lat.  ingenuumi 

Der  Verfasser  erklärt  in  der  Vorrede,  es  seien  bei  der  Abfassung  die 
Werke  von  Guizot  und  Lafaye,  die  Wörterbücher  von  Littr^,  Sachs  und 

30* 


468  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

der  Acad^mie  und  —  last,  not  least  —  die  französische  Synonymik  von 
Bernhard  Schmitz  benutzt  worden.  'Neue  Ergebnisse  der  Wissenschaft 
bietet  das  Werkchen  nicht.'  Leider  ist  mit  Schmitz'  Tode  sein  treff- 
liches Buch  in  Vergessenheit  geraten  —  auch  an  ihm  hat  sich  das  Wort 
bewahrheitet:  'Und  ihre  Werke  folgen  ihnen  nach.'  Der  Verleger  sollte 
es  durch  eine  Neubearbeitung  wieder  zum  Leben  erwecken. 

Für  die  Schulen  ist  die  vorliegende  Zusammenstellung  ein  brauch- 
bares und  mit  seinen  564  Nummern  reichhaltiges  Hilfsmittel. 

Berlin.  G.  Krueger. 

W.  Jonas,  25  deutsche  Dichtungen  im  Gewände  französischer 
Prosa.  Hilfsbuch  für  den  französischen  Unterricht  in  mittleren  und 
höheren  Schulen.    Leipzig,  E.  Haberland,  1904.    43  S.  gr.  8. 

Die  Verfasserin  bietet  in  dem  vorliegenden  Büchlein  Umformungen 
und  Bearbeitungen  deutscher  epischer  Poesie  in  französischer  Sprache. 
Staubs  Der  Bettler  und  sein  Hund,  Rückerts  Barbarossa  und  Des  fremden 
Kindes  heiliger  Christ,  Mosens  Ursprung  des  Kreuzschnabels,  Kopischs 
Gründung  Frankfurts,  Vogls  Erkennen,  Bürgers  Lied  vom  braven  Mann, 
Uhlands  Blinder  König  und  Des  Sängers  Fluch,  Siegfried  und  Der  weifse 
Hirsch,  Schwabs  Gewitter,  Chamissos  Schlofs  Boncourt,  Reinicks  Sonntags 
am  Rhein,  Schillers  Handschuh,  Graf  von  Habsburg,  Mädchen  aus  der  Fremde 
und  Der  Taucher,  Goethes  Gefunden,  Johanna  Sebus,  Erlkönig,  Der  getreue 
Eckart,  Der  Schatzgräber,  Lenaus  Postillon  und  Freiligraths  Der  Blumen 
Rache  bilden  die  Grundlage  der  kleinen  Erzählungen,  die  in  einwandfreiem 
Französisch  geschrieben  sind.  Aber  die  Geschichtchen  sind  so  freie  Um- 
arbeitungen und  entfernen  sich  stellenweise  so  weit  von  der  Einfachheit 
des  deutschen  Textes,  dafs  man  nicht  recht  weifs,  wie  das  Heftchen  als 
Schulbuch  benutzt  werden  soll.  Ich  will  der  Verfasserin  gern  glauben, 
wenn  sie  in  der  Vorrede  sagt,  das  Buch  sei  zum  grofsen  Teil  in  der 
Klasse  entstanden,  'selbstverständlich  in  einfacher  Fassung'.  Aber  wie  es 
zu  gehen  pflegt:  zur  Drucklegung  erschienen  ihr  die  Übersetzungen  und 
die  daran  sich  knüpfenden  Erweiterungen  des  Stoffes  offenbar  zu  kind- 
lich, zu  wenig  pompös,  und  so  ist  denn  unter  der  feilenden  und  aus- 
schmückenden Hand  der  Lehrerin  etwas  ganz  anderes  daraus  geworden, 
als  was  es  ursprünglich  war.  Es  stellt  sich  tatsächlich  als  eine  Samm- 
lung von  25  französischen  Lesestücken  dar.  Ob  man  aber  nicht  für  die 
Lektüre  lieber  französische  Originalarbeiten  nehmen  würde,  wage  ich  zu 
bezweifeln.  Doch  dem  sei  wie  ihm  wolle;  die  Absicht  der  Verfasserin, 
auch  die  Meisterwerke  deutscher  Dichtung  dem  fremdsprachlichen  Unter- 
richt nutzbar  zu  machen,  ist  jedenfalls  zu  loben.  Gelegentlich  wird  man 
das  Büchlein  gern  zu  Vorträgen  und  Diktaten  verwenden;  und  arbeitet 
man  selber  mit  den  Schülern  der  Mittelklassen  eins  der  deutschen  Ge- 
dichte um,  dann  hat  man  es  ja  in  der  Hand,  zu  gröfserer  Schlichtheit 
des  Ausdrucks  zurückzukehren. 

Berlin.  Emil  Penner. 

Dr.  Heinrich  Grein,  Studien  über  den  Eeim  bei  Theodore  de 
Banville,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  französischen  Verstechnik. 
(Heft  2  der  Kieler  Studien  zur  franz.  Verslehre.)  Kiel  19u3.  72  S.  gr.  8. 

Ein  Hauptziel  dieser  Arbeit  ist  die  Beantwortung  der  'interessanten 
Doppelfrage':  'Wie  verhalten  sich  die  Reim  theo  rien  Banvilles  zu  der 
von  dem  Dichter  Banville  geübten  Praxis  und  ferner  zu  den  Regeln, 
welche  die  klassischen  Theoretiker  des  französischen  Verses  für  den  Reim 
aufgestellt  haben?' 

Dem  ersten  Teil  der  Frage  vermögen  wir  nur  ein  sehr  geringes  Inter- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  469 

esse  abzugewinnen,  denn  es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  der  Künstler 
Banville  mit  dem  Theoretiker  Banville  im  Widerspruch  stehen  mufs.  Es 
ist  unseres  Wissens  noch  niemals  vorgekommen,  dafs  die  Werke  eines 
Künstlers,  sofern  er  etwas  mehr  als  reiner  Nachahmer  war,  mit  den  Dog- 
men eines  Theoretikers  in  Einklang  standen  —  selbst  nicht,  wenn  Theo- 
retiker und  Dichter  eine  und  dieselbe  Person  waren. 

'Un  grand  po^te,  un  po^te  quelconque  möme,  fait  ce  qu'il  veut  et  ce 
que  son  Inspiration  lui  dicte.'    Das  sind  Banvilles  eigene  Worte. 

Auf  die  Frage:  in  welchem  Verhältnis  steht  der  Dichter  zum  Theo- 
retiker? kann  es  im  Grunde  nur  die  eine  Antwort  geben:  in  gar  keinem 
Verhältnis;  denn  sobald  der  Dichter  von  der  Regel  des  Theoretikers  an- 
statt von  der  eigenen  Inspiration  getrieben  wird,  ist  er  kein  Dichter  mehr ; 
und  sobald  die  Regel  Inspiration  wird,  ist  sie  keine  Regel  mehr.  Poet 
und  Poetiker  gehen  einander  gerade  so  wenig  an  wie  der  Ochse,  der  sein 
höchst  eigenes  Fell  auf  dem  Leibe  trägt,  und  der  Sattler,  der,  wenn  die 
Ochsen  tot  sind,  ihr  Fell  in  Riemen  schneidet,  um  andere  Leute  damit 
zu  bekleiden. 

Wenn  es  zwischen  diesen  beiden  je  eine  vernünftige  Fragestellung 
geben  kann,  so  darf  sie  natürlich  nicht  lauten :  Wie  verhält  sich  der  Ochse 
zum  Sattler,  sondern  umgekehrt:  wie  der  Sattler  zum  Ochsen?  oder: 
der  Theoretiker  zum  Dichter?  die  Regel  zur  Kunst?  Was  ist  dem  Theo- 
retiker an  den  Kunstwerken,  die  er  vor  sich  hatte,  aufgefallen?  Was  hat 
ihm  wert  geschienen,  kodifiziert  und  in  Riemen  geschnitten  zu  werden? 
Nicht  ob  die  Kunstschöpfung  von  der  Regel  abweicht  —  denn  das 
tut  sie  immerund  überall  — ,  sondern  ob  die  Regel  den  Kunst  geh  rauch 
richtig,  oder  wenigstens  annähernd,  konstatiert  hat,  wollen  wir  wissen. 

Grein  hat  diese  beiden  Fragestellungen,  von  denen  nur  die  zweite 
einen  Sinn  hat,  nicht  immer  streng  auseinander  gehalten.  Für  den  prak- 
tischen Verlauf  seiner  Arbeit  ist  die  Scheidung  auch  ziemlich  belanglos. 
Um  so  mehr,  als  bei  Banville  die  Dinge  sehr  einfach  liegen.  Sein  petit 
traite  de  poesie  fran^aise  ist,  wie  man  ohne  weiteres  sieht,  eine  Sammlung 
von  Postulaten,  aber  nicht  von  Theoremen;  er  ist  ein  Programm,  kein 
Referat,  ein  Dogma,  keine  Kritik.  Er  verhält  sich  zu  der  wirklichen 
Poesie  wie  der  platonische  Staat  zum  wirklichen  Staat. 

Interessanter  und  weniger  einfach  ist  die  zweite  Frage:  Wie  stellt 
sich  Banville  zu  den  Forderungen  der  klassischen  Poetik  in  bezug  auf 
den  Reim?  Es  wäre  wünschenswert  gewesen,  dafs  der  Verfasser  die  wich- 
tigsten technischen  Neuerungen  Banvilles  in  einem  Resümee  am  Schlufs 
zusammengestellt  hätte.  Man  mufs  sich  die  zerstreuten  Bemerkungen  und 
Verweise  auf  die  klassische  Tradition  mühsam  heraussuchen;  denn  den 
eigentUchen  Kernpunkt  des  Büchleins  bilden  nicht  die  Theorien  des 
Banville  oder  deren  Verhältnis  zu  anderen  Theoretikern;  die  wahre  Ab- 
sicht ist  vielmehr  eine  beschreibende  und  statistische  Darstel- 
lung der  raffinierten  und  überreichen  Reimtechnik  des  Dichters. 

Zu  diesem  Zwecke  hält  es  der  Verfasser  für  nötig,  eine  'Wertskala' 
des  Reimes  aufzustellen.  Er  fixiert  eine  Reihe  von  Reimtypen  und  ordnet 
sie  in  aufsteigender  Linie  nach  ihrer  'Klangfülle'.  Der  Mafsstab  ist,  wie 
bei  Lubarsch  und  Freymond,  die  Quantität  des  Reimes.  Der  Reim 
wird  der  Länge  nach  gemessen:  je  mehr  Buchstaben  resp.  Laute  mit- 
reimen, desto  kräftiger  und  wirkungsvoller  soll  er  sein. 

Das  ist  eine  höchst  naive  Vermutung,  sei  es  dals  man  sie  vom  rein 
phonetischen  oder  vom  ästhetischen  Standpunkt  aus  beurteile. 

Der  ästhetische  Wert  eines  Reimes  läfst  sich  natürlich  nur  von 
innen  heraus  und  durch  stilistische  Betrachtung  des  poetischen  Zusammen- 
hanges bestimmen  und  ist  seinem  Wesen  nach  inkommensurabel. 

Der  phonetische  Wert  aber  wird  durch  die  Quantität  der  reimen- 
den Laute  nur  höchst  unvollkommen  und  einseitig  bestimmt.    Mehr  als 


470  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

die  Zahl  macht  es  das  Gewicht  und  die  Beschaffenheit  der  Laute:  vor 
allem  der  Akzent,  unter  dem  sie  stehen.  Dieser  aber  wechselt  je  nach 
Sinn  und  Zusammenhang  —  und.,  so  sehen  wir  uns  von  neuem  in  das 
inkommensurable  Gebiet  der  Ästhetik  zurückgeschleudert. 

Eine  objektive,  akustisch  kommensurable  Skala  der  Klangfülle  ist 
nur  für  einzelne  mechanisch  erzeugte  und  erzeugbare  Laute  möglich.  So 
hat  man  gefunden,  dafs  bei  gleicher  Qualität,  Dauer  und  Intensität  der 
Aussprache  ein  offenes  a  schallkräftiger  ist  als  ein  offenes  o,  e  oder  i. 
Solche  Eesultate  aber  lassen  sich  nicht  beliebig  addieren  und  auf  die 
individuellen  Lautgruppen  der  gesprochenen  Rede  übertragen. 

Wenn  a  einen  Schallwert  von  500  Einheiten,  i  einen  solchen  von  300 
hat,  so  folgt  daraus  noch  lange  nicht,  dafs  der  Diphthong  ai  oder  ia  nun 
800  stark  sein  müsse.  Denn  indem  wir  sprechen,  setzen  wir  die  Laute 
nicht  wie  Gewichtsteine  aufeinander  hinauf,  sondern  wir  verschmelzen  sie 
in  mannigfaltigster  Mischung.  Auch  braucht  ein  dreisilbiger  Reim  durch- 
aus nicht  schallkräftiger  zu  sein  als  ein  einsilbiger,  sowenig  als  eine 
lange  Schnur  stärker  zu  sein  braucht  als  eine  kurze  oder  drei  Schläge 
stärker  als  ein  Schlag. 

Trotzdem  glaubt  Grein,  die  gereimten  Diphthonge  ohne  weiteres  als 
die  schallkräftigeren  Elemente  über  die  gereimten  Vokale  und  die  nasalen 
Vokale  höher  als  die  oralen,  die  einsilbigen  Reime  höher  als  die  mehr- 
silbigen setzen  zu  müssen.  Mit  welchem  Recht  und  nach  welchem  wissen- 
schaftlichen Kriterium,  ist  nicht  abzusehen. 

Besonders  schwierig  wird  dem  Verfasser  die  Ordnung  seiner  Stufen- 
leiter in  Fällen,  wo  Zahl  und  Masse  der  Laute  resp.  Buchstaben  gleich, 
Anordnung  und  Qualität  aber  verschieden  sind.  Es  entsteht  z.  B.  die 
ebenso  peinliche  als  müfsige  Frage:  'ob  der  Reim  Konsonant  -|-  Vokal 
theoretisch  klangreicher  sei  als  der  Reim  Vokal  -|-  Konsonant?'  Schon 
Schenk  hatte  entschieden,  dafs  der  Typus  col  :  envol  besser  sei  als  der 
Typus  lot :  fallot,  weil  dort  mehr  accent  d'intensite  zur  Verwendung  komme 
als  hier.  —  Aber  was  ist  subjektiver  und  individueller  als  der  Akzent  I  Es 
gibt  keinen  objektiven  Akzent,  es  gibt  keine  objektiven  phonetischen  Werte. 

Daran  hat  man  im  Altertum,  im  Mittelalter  und  in  der  Renaissance 
noch  geglaubt.  So  hat  z.  B.  Dante  die  einzelnen  Worte  und  Lautgruppen 
seiner  Sprache  nach  ihrem  Klang  in  weiche,  rauhe,  klare,  dunkle,  leichte, 
schwere,  männliche,  weibliche,  erhabene  und  niedrige  usw.  einzuteilen  ver- 
sucht. Mit  dem  gleichen  Rechte  hat  man  sich  früher  auch  gefragt,  was 
geometrisch  wertvoller  oder  schöner  sei :  ein  rechtwinkliges  oder  ein  schief- 
winkliges oder  ein  gleichwinkliges  usw.  Dreieck?  eine  Kugel  oder  ein 
ZyUnder? 

Heute  glaubt  an  solche  Werte  nur  noch  das  Laienpublikum.  —  Die 
ganze  phonetische  Wert-  oder  Klang-  oder  Kraft-Skala  der  Reime  und 
damit  auch  der  gröfste  Teil  der  Greinschen  Arbeit  ist  unwissenschaftlich 
—  nicht  viel  mehr  als  eine  Spielerei;  —  das  Gespenst,  nach  dem  er  jagt: 
eine  selbständige  Lehre  vom  Reim  —  ein  Hirngespinst. 

Dafs  er  aufserdem  auch  gegen  das  herkömmliche  technische  Eintei- 
lungssystem und  gegen  die  Terminologie  der  französischen  Poetik  mehr- 
fach verstöfst,  daS  er  assonance,  rime  sufßsante  und  rime  riclie  durch- 
einander wirft  und  z.  B.  soleil  :  pareü  als  Assonanz,  fleurs  :  cou-leurs  aber 
als  reichen  Reim  bezeichnet,  während  beide  rimes  süffisantes  sind,  u.  dgl. 
mehr,  ist  schon  von  Maurice  Grammont  in  der  Eevioe  des  langues  romanes 
XL VII,  S.  184  ff.  gerügt  worden. 

Immerhin  ist  die  Aufzählung  und  Beschreibung  der  technischen  Kunst- 
griffe, Neuerungen  und  Gepflogenheiten  eines  Dichters  wie  Banville  eine 
dankenswerte  Leistung. 

Heidelberg.  Karl  Vofsler. 


Verzeichnis 

der  vom  13.  März  bis  zum  12.  Juni  1905  bei  der  Redaktion 
eingelaufenen  Druckschriften. 


Library  of  Congress  catalog:  8000  vols.  for  a  populär  library,  with 
notes.  I:  classed,  11:  dictionary.  Washington,  Government  Printing  Of- 
fice.    1904.    485  S. 

American  Journal  of  philolo^y.  XXV,  4  [Murray,  Bradley,  and  Craigie's 
A  new  English  dictionary  on  historical  principles]. 

Zeitschrift  für  österreichische  Volkskunde.  XI,  1,2  [F.  Lentner,  Über 
Volkstracht  im  Gebirge.  —  J.  Franke,  Eine  ethnologische  Expedition  in 
das  Bojkenland.  —  Kleine  Mitteilungen  etc.]. 

Heinemann,  Dr.  J.,  Zeittafeln  zur  Kulturgeschichte.  Leipzig,  Kessel- 
ring (E.  V.  Mayer)  [1905].  IV,  48  S.  M.  0,60.  [Von  dem  Gedanken  ge- 
leitet, dafs  im  Schulunterricht  die  Mitteilung  der  Tatsachen  der  Kultur- 
geschichte sich  auf  die  verschiedensten  Schulfächer  verteilt,  und  dafs  es 
so  dem  Schüler  schwer  wird,  sich  ein  kulturgeschichtliches  Gesamtbild  zu 
machen  und  einen  Überblick  über  den  inneren  Zusammenhang  der  Er- 
eignisse eines  einzelnen  Zeitabschnittes  oder  gar  mehrerer  Epochen  zu  ge- 
winnen, sind  in  diesen  Zeittafeln  die  wichtigsten  kulturgeschichtlichen 
Fakta  chronologisch  zusammengestellt.  Die  Darstellung  beginnt  mit  den 
Nationalkulturen  des  alten  Orients;  auf  das  19.  Jahrhundert  entfällt  un- 
gefähr ein  Drittel  des  ßaumes.  Die  typographische  Anordnung  ist  ebenso 
übersichtlich  wie  die  innere  Gliederung.  Das  treffliche  Heft  wird  auch 
beim  Unterricht  in  der  Literaturgeschichte  sehr  gute  Dienste  leisten  können 
und  verdient  nachdrückliche  Empfehlung.] 


Literaturblatt  für  germ.  u.  rom.  Philol.   XXVI,  2—5  (Februar  — Mai). 

Modern  language  notes.  XX,  3  [H.  Collitz,  Das  Analogiegesetz  der 
westgerm.  Auslautreihen.  —  A.  S.  Cook,  Simile  of  Guido  Guinicelli's 
Henry  IV.  B  IV,  5,  238— 211.  —  K  Holbrook,  A  fifteenth  Century  dia- 
logue  dealing  with  fools  called  coquars.  —  E.  P.  Hammond,  Ms.  Longleat 
238  —  a  Chaucerian  codex.  —  G.  L.  Hamilton,  Supercilia  junitaj.  — 
4  [E.  P.  Morton,  The  English  sonnet  1658—1750.  —  T.  A.  Jenkins,  Ou 
the  pronominal  object  with  parier.  —  F.  A.  Wood,  Dürfen  and  its  cognates. 
—  H.  Collitz,  On  Prof.  Wood's  article.  —  L.  Cooper,  An  aquate  in  the 
rime  of  the  ancient  mariner.  —  L.  Foulet,  Engl,  words  in  the  lais  of  Marie 
de  France.  —  R.  Holbrook  Exorcisms  with  a  stole.  —  W.  W.  Comfort, 
The  motif  of  Young  Waters.  —  M.  Buchanan,  A  neglected  version  of 
Quevedo's  'Romance  of  Orpheus.  —  A.  S.  Cook,  A  fourth- Century  poem 
entitled  The  pearl.  Dante,  Inf.  3,  40—41].  —  5  [H.  Collitz,  Zum  vokal. 
Auslautgesetz  der  germ.  Sprachen.  —  V.  Johnston,  Use  of  the  French 
equivalents  of  Latin  em,  en  and  ecce.  —  C.  Collester,  Narcissus  plays 
distinguished.  —  A.  Schinz,  Is  French  literature  going  back  to  natura- 
lism  ?  —  E.  Thompson,  Dante  and  Landor.  —  R.  Sehwill,  An  Impression 
of  the  condition  of  the  Spanish  American  libraries.  —  M.  Buchanan,  Pan 
y  toros:  bread  and  buUs]. 


472  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Bevue  germanique.  I,  2  [G.  Monod,  Michelet  et  l'AUemagne.  — 
H.  Lichtenberger,  Les  derni^res  annees  de  Nietzsche.  —  G.  Varenne, 
Adolphe  Menzel.  —  Notes  et  documents,  comptes  rendus,  critiques,  biblio- 
graphie  et  revue  des  revues].  —  3  [Dr.  Kaethe  Schirmacher,  Le  feminisn 
allemand.  —  E.  Lauvrifere,  L'id^alism  americain  d'aprfes  le  professeur 
Barrett  Wendeil.  —  J.  Lescoffier,  Une  ceuvre  in^dite  d'Ibsen:  'La  nuit  de 
Saint-Jean'.  —  Notes  etc.]. 

Modern  philology.  II,  4  [J.  E.  Spingarn,  The  sources  of  Jonson's 
*Descoveries'.  —  K.  Francke,  The  'blessed  boys'  in  Faust  and  Klopstock. 

—  H.  B.  Lathrop,  The  sonnetforms  of  Wyatt  and  Surrey.  —  F.  A.  Wood, 
Germanic  etymologies.  —  H.  S.  Canby,  Some  comments  on  the  sources 
of  Chaucer's  Tardoner's  tale'.  —  R.  Garnett,  Ben  Jonson's  probable  author- 
ship  of  scene  2  act  IV  of  Fletcher's  'Bloody  brother'.  —  F.  L.  Criehlow, 
On  the  forms  of  betrothal  and  wedding  ceremonies  in  the  Old  French 
romans  d'aventure.  —  J.  T.  Murray,  Engl,  companies  in  the  towns  outside 
London  1550 — 1600.  —  F.  Tupper,  jr.,  ßiddles  of  the  Bede  tradition.  — 
H.  M.  Beiden,  The  study  of  the  folk-song  in  America.  —  G.  F.  Reynolds, 
Some  principles  of  Elizabethan  Staging]. 

Spielmannsbuch,  Novellen  in  Versen  aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert, 
übertragen  von  W.  Hertz.  3.  Aufl.  Stuttgart,  Cotta,  1905.  VI,  472  S. 
M.  6,50. 

Neuphilologen  -Vademecum,  I.  Band :  1905.  Halle  a.  S.,  Hellmers 
Verlag,  Sep.-Cto.  1905.  Kl.  8».  208  S.  Geb.  M.  8.  [Ein  elendes  Mach- 
werk, ohne  wirkliche  Sachkenntnis  unternommen,  grofssprecherisch  in 
Szene  gesetzt  und  liederlich  ausgeführt.] 

Nyfilologiska  Sällskapet  i  Stockholm.  Studier  i  modern  Spräkveten- 
skap.  III.  Upsala,  Almqvist  &  Wiksells,  1905.  IX,  269  S.  Kr.  5  [C.  Wah- 
lund,  Un  acte  in^dit  d'un  op(§ra  de  Voltaire  (Samson).  —  Fr.  WuUf,  Pon 
freno  al  gran  dolor  che  ti  trasporta;  une  Strophe  travaill^e  de  P^trarque 
dans  le  ms.  vat.  3196.  —  A.  Malmstedt,  Des  locutions  emphatiques.  — 
J.  O.  G.  Kjederqvist,  Sydvästengelskt  och  västsachsiskt  r.  —  R.  G.  Berg, 
Nägra  anteckningar  om  nägra  fall  af  attraktion  i  nägra  svenska  arbeten. 

—  O.  Rohnström,  Öfversikt  öfver  tyska  spräkläror  utgifna  i  sverige  mellan 
ären  1669  och  1874.  —  F.  Grip,  Über  sonantische  Nasale  in  der  deut- 
schen Umgangssprache.  —  P.  A.  Geijer,  Gaston  Paris.  —  Aper§u  biblio- 
graphique  des  ouvrages  de  philologie  lomane  et  germanique  publi^s  par 
des  Su^dois  depuis  1902  jusqu'ä  1905]. 

Neuphilologische  Mitteilungen,  hg.  v.  Neuphilol.  Verein  in  Helsing- 
fors.  1905.  Nr.  1 — 2  [Augusta  Lindfors,  Sur  la  m4thode  de  l'enseigne- 
ment  des  langues  modernes.  —  M.  Wasenius,  Die  Übersetzung  aus  der 
Muttersprache.  —  Anna  Bohnhof,  Byron  Literature.  —  Besprechungen.  — 
Protokolle  und  Berichte.  —  Eingesandte  Literatur.  — -  Mitteilungen]. 

Die  neueren  Sprachen  ...  hg.  v.  W.  Victor.  XII,  9  [K.  Wimmer, 
Das  französische  Diktat,  insbesondere  an  den  bayerischen  Realschulen.  — 
C.  Pitollet,  Moderne  Strömungen  im  französischen  Roman  und  Drama.  — 
Berichte.  —  Besprechungen.  —  Vermischtes]...  XII,  10  [R.  J.  Lloyd,  Glides 
between  consonants  in  English.  —  Hörnig,  Über  den  Stand  des  englischen 
Unterrichts  an  den  sächsischen  Gymnasien,  Realgymnasien  und  Realschu- 
len. —  Berichte.  —  Besprechungen.  —  Vermischtes].  XIII,  1  [A.  Schröer, 
Fr.  J.  Furnivall.  —  W.  Grote,  Realienkunde  und  Realienkenntnis.  —  Be- 
richte. —  Besprechungen.  —  Vermischtes].  XIII,  2  [K.  Meyer,  Über  Shake- 
speares Macbeth  (I).  —  R.  J.  Lloyd,  Glides  between  consonants  in  Eng- 
lish (IV).  —  Berichte.  —  Besprechungen.  —  Vermischtes]. 


Heus  1er,  A.,  Lied  und  Epos  in  germanischer  Sagendichtung.    Dort- 
mund, Kuhfus,  1905.    52  S.    M.  1. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  473 

Skandinavisk  mänadsrevy  för  undervisning  i  de  Ire  hufoudspräken 
(Tyska,  Engelska,  Franska)  redigerod  af  IJniversitetslektorerna  vid  Lunds 
Universitet  H.  Hungerland,  C.  S.  Fearenside,  C.  Polack.  Lund,  Gleerupska 
Univ.  bokhandeln,  Maj  1905.  32  S.  4»  1  Kr.  [Dichtung  und  Erziehung. 
—  Die  Sommerkurse  in  Lund,  1906,  und  die  fremden  Sprachen.  —  Aka- 
demisk  Foreningsblad.  —  Bücherschau.  —  From  an  English  ingle-nook.  — 
Method  in  English.  —  English  books  for  schools.  —  A  mes  lecteurs.  — 
Compte  rendu.  —  Jules  Verne,  1828 — 1905.  —  Quelques  livres  de  pre- 
mi^re  utilit^.  —  Skrifter  insända  tili  Redaktionen.  —  Studentstilar  med 
öfversättning  tili  Tyska,  Engelska  och  Franska.  —  Svenska  texter  fÖr 
öfversättning.  —  Prize  competitions]. 

Östergren,  Olof,  Stilistiska  studier  i  Torneros'  snräk  (Upsala  uni- 
versitets  ärsskrift  1905,  Filosofi,  spräkvetenskap  och  historiska  vetens- 
kaper,  1).    Upsala,  Akademiska  bokhandeln.    IX,  150  S. 

Koch,  E.  A.,  Die  niederdeutschen  Relativpronomen  (Lunds  Univer- 
sitets  ärsskrift,  XXXIX,  1,  8).    Lund,  1904.    69  S.  Fol. 

Weinhold,  H.,  Kleine  mhd.  Grammatik,  3.  Aufl.,  neu  bearb.  von 
G.  Ehrismann.     Wien,  Braumüller,  1905.    208  S.    M.  2. 

Franz,  E.,  Beiträge  zur  TitureLforschung.    Göttinger  Diss.,  Leipzig, 

1904.  52  S. 

Niemann,  G.,  Die  Dialogliteratur  der  Reformationszeit  nach  ihrer 
Entstehung   und   Entwickelung   (Probefahrten  Vj.     Leipzig,   Voigtländer, 

1905.  92  S.    M.  3.60. 

Sammlung  Göschen:  Deutsche  Literatur-Denkmäler  des  16.  Jahrhun- 
derts. II:  Hans  Sachs,  ausgew.  u.  erläut.  von  Prof.  Dr.  J.  Sahr.  2.  ver- 
mehrte u.  verb.  Aufl.    Leipzig,  Göschen,  1905.     144  S.    Geb.  M.  0,80. 

Davis,  E.  Z.,  Translation»  of  German  poetry  in  American  magazines 
1741 — 1810,  together  with  translations  of  other  Teutonic  poetry  and  original 
poems  referring  to  the  German  countries.  Philadelphia,  Americana  Ger- 
manica Press,  1905  (issued  as  a  separate  vol.  of  the  Americana  Germanica). 
VIII,  229  p.  $  1,65  net.  [Ein  wichtiger  Beitrag  zur  Geschichte  deutsch- 
englischer Literatur einflüsse.  Das  älteste  amerik.  Blatt,  das  Übersetzungen 
brachte,  war  'The  general  magazine  and  historical  chronicle',  Philadelphia 
1741.  Als  ältestes  deutsches  Gedicht  wurde  übertragen  Hallers  'Morgen' 
(1795).  Auf  Haller  folgten  sofort  Gesner,  Geliert,  Bürger  ('Leonore',  1798), 
Lessing,  Goethe  ('Erlkönig',  nach  Lewis'  'Tales  of  Wonder',  1801),  Klop- 
stock  (erst.  1804),  viele  anonyme  Dichter.  Die  Register  geben  eine  vor- 
treffliche Übersicht  der  amerikanischen  belletristischen  Zeitschriften  aus 
der  Zeit  bis  1810.  Das  Buch  ist  deutschen  und  engüschen  Philologen  zu 
empfehlen.] 

Panthenius,  W.,  Das  Mittelalter  in  Leonhard  Wächters  (Veit  We- 
bers) Romanen,  ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  beginnenden  Wiederbelebung 
des  deutschen  Mittelalters  in  der  Literatur  des  18.  Jahrhunderts  (Probe- 
fahrten IV).    Leipzig,  Voigtländer,  1904.     130  S. 

Schillers  sämtliche  Werke.  Säkular- Ausgabe  in  16  Bänden.  II:  Ge- 
dichte, 2.  Teil:  Erzählungen.  126  S.  VIII :  Dramatische  Novellen.  364  S. 
XIII:  Historische  Schriften,  1.  Teil.    324  S.    ä  M.  1,20. 

Ziegler,  Theobald,  Schiller  (Aus  Natur  und  Geisteswelt,  74.  Bänd- 
chen).   Leipzig,  Teubner,  1905.    VI,  117  S. 

Pries,  A.,  Beobachtungen  zu  Schillers  Stil  und  Metrik  (S.-A.  aus 
A.  Kochs  Studien  zur  engl.  Literaturgesch.,  V.).  Berlin,  Duncker,  1905.  28  S. 

Bellermann,  L.,  Schillers  Dramen.  Beiträge  zu  ihrem  Verständnis. 
3  Bde.    3.  Aufl.    Berlin,  Weidmann,  1905. 

Festschrift  zur  Schiller -Gedenkfeier  in  Budweis  im  deutschen  Ver- 
einshause. 

Phelps,  Prof.  W.  L.,  Commemoration  address  on  Schiller,  delivered 
at  Yale  University.    Yale  annual  weekly,  May  24,  1905. 


474  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Stern  fei  d ,  Eichard,  Schiller  und  Wagner.  Berlin,  Thelen,  1905.  27  S. 

Becker,  Marietta  K.,  Kleist  und  Hebbel,  a  comparative  study.  Chi- 
cago, Scott,  1904.    71  S. 

Prem,  S.  M.,  Adolf  Pichlers  Leben  und  Schaffen  (Grüne  Blätter  für 
Kunst  und  Volkstum,  Heft  12).    München,  G.  Müller,  1905.    42  S.   M.  0,15. 

Trost,  Laura,  Aus  unseren  vier  Wänden,  ein  Buch  für  Männer. 
Berlin,  Schwetschke,  1904.     196  S.    M.  2,80. 

Sulger-Gebing,  Hugo  von  Hofmannsthal,  eine  literarische  Studie 
(Breslauer  Beiträge  zur  Literaturgeschichte,  III).  Leipzig,  Hesse,  1905. 
93  S. 

Ausfeld,  D.  Eichard,  Deutsche  Aufsätze  für  die  höhere  Mädchen- 
schule.   Leipzig,  Teubner,  1905.    88  S. 

Weise,  Prof.  Dr.  O.,  Musterstücke  deutscher  Prosa  zur  Stilbildung 
und  zur  Belehrung.    2.  verm.  Aufl.    Leipzig,  Teubner,  1905.    VI,  166  S. 

Blatz,  Geheimrat  F.,  Neuhochdeutsche  Schulgrammatik  für  höhere 
Lehranstalten.  7.  Aufl.  Bearbeitet  von  Prof.  Dr.  E.  Stulz.  Karlsruhe, 
Lang,  1905.    VIII,  274  S.     Geb.  M.  2,50. 

Curme,  G.  O.,  Prof.  of  Germanic  philology,  A  grammar  of  the  Ger- 
man  language  designed  for  a  thorough  and  poetical  study  of  the  lan- 
guage  as  spoken  and  written  to-day.  New  York,  Macmillan,  1905.  XIX, 
661  S.     $  8,50  net.  

Methode  Toussaint-Langenscheidt.  Brieflicher  Sprach-  und  Sprech- 
unterricht f.  d.  Selbststudium  der  schwedischen  Sprache  von  E.  Jonas, 
J.  Westerblad,  C.  G.  Morön.  Berlin,  Langenscheidt.  Brief  20 — 26 
zu  M.  1. 

Englische  Studien.  XXXV,  1  [O.  Jespersen,  The  history  of  the  Eng- 
lish  language  considered  in  its  relation  to  other  subjects.  —  G.  Sarrazin, 
Neue  Beowulf- Studien.  —  K.  D.  Bülbring,  Das  'Lay-folk's  mass-book'  in 
der  Hs.  der  Advocates  Library  in  Edinburgh.  —  W.  Franz,  Die  Wort- 
bildung bei  Shakespeare]. 

Beiblatt  zur  Anglia.    XVI,  2,  3  (Februar,  März  1905). 

Beowulf  nebst  dem  Finnsburg -Bruchstück,  mit  Einleitung,  Glossar 
und  Anmerkungen  hg.  von  F.  Holthausen.  I.  Teil:  Texte  und  Namen- 
verzeichnis (Ae.  und  me.  Texte,  hg.  von  Morsbach  und  Holthausen,  III). 
Heidelberg,  Winter,  1905.    112  S,    M.  2,40,  geb.  M.  2,80. 

Bibliothek  der  ags.  Prosa,  begr.  von  Ch.  Grein,  fortges.  von  E.  P. 
Wülker.  VI.  Band:  Kleinere  ags.  Denkmäler,  I  [1)  Das  Lseceboc.  2)  Die 
Lacnunga  mit  grammat.  Einleitung.  3)  Der  Lorica-Hymnus  mit  der  ags. 
Glossierung.  4)  Das  Lorica-Gebet  und  dieLorica-Namen],  hg.  von  G.  Leon- 
hardi.     Hamburg,  Grand,  1905.     24-  S. 

Miller,  George  Morey,  The  dramatic  dement  in  the  populär  ballads 
(University  studies  of  the  University  of  Cincinnati,  1, 1).  Issued  bi-monthly. 
Cincinnati,  University  Press,  1905.    60  S. 

Specimens  of  the  Elizabethan  drama  from  Lyly  to  Shirley  a.  d. 
1580 — 1642,  with  introductions  and  notes  by  W.  H.  Williams.  Oxford, 
Clarendon  Press,  1905.     VIII,  576  S.     7/6. 

Koeppel,  E.,  Studien  über  Shakespeares  Wirkung  auf  zeitgenössische 
Dramatiker  (Bangs  Materialien  zur  Kunde  des  älteren  engl.  Dramas,  IX). 
Louvain,  Uystpruyst,  1905.    XI,  103  S. 

St  oll,  E.  E.,  John  Webster,  The  periods  of  his  work,  determined 
by  his  relations  to  the  drama  of  his  day.  Cambridge,  Harvard,  Coopera- 
tive  Society,  1905.    216  S. 

Minor  poets  of  the  Caroline  period  ed.  by  G.  Saintsbury.  Vol.  I, 
containing:  Chamberlain's  Pharonnida  and  England's  jubilee,  Benlowe'a 


Verzeichuis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  475 

Theophila,   and   the   poems   of   Katherine  Philips  and   Patrick  Hannay. 
XVIII,  726  S.    10/6  net. 

Tenny8on,A.,  Maud.  With  explan atory  notes  by  J.  Stibbe.  Gro- 
ningen, Noordhoff,  1905.    98  S. 

Collection  of  British  authors.    Tauchnitz  edition.    ä  M.  1,60. 
Vol.  3796—7:   A.  Conan  Doyle,  The  return  of  Sherlock  Holmes. 

„      3798:   G.  H.  Lorimer,  Old  Gordon  Graham. 

„      3799—3800:  'ßita',  The  masqueraders. 

„      3801:  G.  Atherton,  The  bell  in  the  fog  and  other  stories. 

„      3802:  E.  F.  Benson,  An  act  in  the  back  water. 

^      3803 — 4:  Mrs.  Humphry  Ward,  The  marriage  of  William  Ashe. 

„      3805:  Elinor  Glyn,  The  vicissitudes  of  Evangeline. 

„      3806—7:  Percy  White,  The  system. 

„      3808:   Kate  Douglas  Wiggin  etc.,  The  affair  at  the  inn. 

„      3809:  D.  Gerard,  The  three  essentials. 

„      3810:   W.  E.  Norrie,  Barham  of  Beltana. 

„      3811:   E.  Phillpotts,  The  farm  of  the  dagger. 

„      3812:   George  Moore,  Confessions  of  a  young  man. 

„      3813:  Maurice  Hewlett,  Fond  adventures. 
Zimmermann,  C,    Hoofdzaken   der   uitspraak   van   het  Engelsch. 
Groningen,  Wolters,  1905.    80  S. 

Kruisinga,  A  grammar  of  the  dialect  of  West  Somerset,  descriptive 
and  historical  (Bonner  Beiträge,  XVIII).  Bonn,  Hanstein,  1905.  VI, 
182  S.    M.  6. 

Dickhuth,  Oberlehrer  Dr.  W.,  Übungsstoff  und  Grammatik  für  den 
englischen  Anfangsunterricht.  I:  Formenlehre.  3.  verb.  Aufl.  Magde- 
burg, Lichtenberg,  1905.    VI,  144  S. 

Plate,  H.,  Lehrgang  der  englischen  Sprache.  IL  Mittelstufe.  Me- 
thodisches Lese-  u.  Übungsbuch  mit  beigefügter,  auf  das  Lesebuch  Bezug 
nehmender  Sprachlehre.  61.  Auflage,  der  Neubearbeitung  8.  Auflage, 
durchgesehen  von  K.  Münster.  Dresden,  Ehlermann,  1905.  VIII,  368  S. 
Geb.  M.  2,90. 

Röttgers,  Prof.  Benno,  Englische  Schulgrammatik.  Bielefeld,  Vel- 
hagen,  1905.    XII,  280  S.    Geb. 

Swoboda,  Prof.  W.,  Lehrbuch  der  englischen  Sprache  für  höhere 
Handelsschulen.  I.  Teil:  'Junior  book',  für  den  1.  Jahrgang  des  engl. 
Unterrichts  (mit  einem  Wörterbuch).  Wien,  Deuticke,  1905.  VI,  174  S. 
Geb.  M.  2,40. 

Teichmann,  B.  (Dolmetscher),  Einige  Mitteilungen  über  den  Wert 
und  die  Erfolge  in  Teichmanns  prakt.  Methode.  Engl.,  franz.,  ital.  und 
span.  Sprechen  und  Denken.  Erfurt,  Selbstverlag  des  Verfassers,  1903. 
196  S. 

Zimmermann,  C.  (Leeraar  bij  het  middelbaar  onderwijs  te's-Graves- 
hage),  Twelve  English  lessous.  Groningen,  Wolters,  1905.  112  S.  [Ganz 
von  Anschauung  ausgehend  und  ohne  unenglisches  Wort  in  die  Gram- 
matik einführend,  mit  Bildern  zur  Illustrierung  der  Wortlisten,  durchaus 
ein  sehr  geschicktes  Elementarbuch  nach  der  Reformmethode.] 

Uebe,  Prof.  Fr.,  Müller,  Prof.  Dr.  M.,  und  Hunger,  Oberlehrer 
Dr.  E.,  Lehrbuch  der  engl.  Sprache  für  Handels-  und  Gewerbeschulen. 
Leipzig,  Teubner,  1905.    VIII,  232  S. 

Wilke,  Prof.  Dr.  Edmund,  Einführung  in  die  englische  Sprache.  Ein 
Elementarbuch  für  höhere  Schulen.  5.  verb.  Aufl.  der  Stoffe  zu  Gehör- 
und  Sprechübungen.    Leipzig,  Gerhard,  1905.    X,  254  S. 

Heim,  R.,  Einführung  in  die  englische  Konversation  auf  Grund  der 
Anschauung  nach  den  Bildertafeln  von  Ed.  Hölzel.  Mit  einer  kurzgefafsten 
Grammatik  als  Anhang.  3.  Aufl.  Hannover,  Carl  Meyer,  l9o5.  VIII, 
150  S.    Geb.  M.  1,80. 


476  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Englische  Übungsbibliothek  21:  L.  Fulda,  Unter  vier  Augen,  Lust- 
spiel in  einem  Aufzug,  zum  Übersetzen  ins  Englische  bearbeitet  von  Prof. 
Dr.  Ph.  Hangen.    Dresden,  Ehlermann,  1905.     VIII,  83  S. 

Whitfield,  E.,  Oberlehrer  in  King's  Lynn,  Englische  Handelskorre- 
spondenz (Sammlung  Goeschen).  Leipzig,  Goeschen,  1904.  VIII,  107  S. 
Geb.  M.  0,80. 

English  reader  I:  A  seaside  story  by  Eleanor  M.  Warren,  nursery 
rhymes  and  poetry.  Mit  Anmerkungen  für  den  Schulgebrauch  hg.  von 
Ed.  Armack.     Flensburg,  A.  Westphalen,  1905.     66  S.     M.  0,50. 

Französische  u.  englische  Schulbibliothek,  hg.  von  Dickmann.   Leipzig, 
Renger,  1905: 
Bd.  145:   Six  tales  by  modern  Engl,  authors  with  a  preface  and  notes 
cd.  by   Fr.  Lotsch   (R.  Barr,   R.  H.  Barbour,   A.  Conan   Doyle, 
Ouida,  M.  E.  Braddon,  Mrs.  Craik).     VIII,  94  S. 
Bd.  148:  E.  A.  Freeman,  A  short  history  of  the  Norman  conquest  of 
England,  bearbeitet  von  Fritz  Meyer.    X,  114  S. 
Freytags  Sammlung  französischer  und  englischer  Schriftsteller:"' 
Ch.  Dickens,  A  Christmas  carol  in  prose,  hg.  von  Prof.  Dr.  H.  Heim. 
XXXII,  197  S.,  28  Abbild,  und  1  Notenbeilage  ('God  rest  you  merry, 
gentlemen').     Geb.  M.  1,80.     Dazu  ein  Wörterbuch,  82  S.,  M.  0,80. 
J.  A.  Froude,  Oceana,  hg.  von  Oberlehrer  Dr.  E.  Köcher.    148  S.   Geb. 

M.  1,50. 
W.  Howitt,  Visits  to  remarkable  places,  hg.  von  Oberl.  Dr.  H.  Hoff- 
mann.     156  S.,  8  Abbild,  und  2  Karten.    Geb.  M.  1,50. 
Round  about  England,  Scotland  and  Ireland,  ausgewählt  und  erklärt 
von  Prof.  Dr.  J.  Klapperich  (Engl.  u.  französ.  Schriftsteller,  XXXI). 
Glogau,  Flemming,  1904.     124  S.,   18  Abbild.,   11  Karten.    Geb.  M.  1,60. 
Seeley,  Sir  J.  R.,  The  growth  of  Great  Britain,   being  a  selection 
from  the  author's  'Expansion  of  England'  and  'Growth  of  British  policy', 
für  den  Schulgebrauch  hg.  und  erklärt  von  Dr.  K.  Fahrenberg  (Schul- 
bibliothek franz.   u.  engl.  Prosaschriften,  hg.  von  Bahlsen  und  Henges- 
bach,  43).    Berlin,  Weidmann,  1905.     156  S.    Geb.  M.  1,50. 

Stevenson,  R.  L.,  The  bottle  imp.  H.  B.  Baildon,  R.  L.  Stevenson's 
Life  and  work.  Mit  Wort-  und  Sacherklärungen  sowie  einer  Kartenskizze 
hg.  von  Dr.  A.  Kroder  (Kochs  neusprachliche  Schullektüre,  2).  Nürn- 
berg, Koch,  1905.    VI,  76  S. 


Romania,  p.  p.  P.  Meyer  et  A.  Thomas.  N^  133  (janvier  1905) 
[G.  Huet,  La  version  n^erlandaise  des  Lorrains.  Nouvelles  ^tudes.  — 
P.  Meyer,  Notice  du  ms.  9225  de  la  Bibl.  royale  de  Belgique  (l^gendier 
fran^ais).  —  V.  de  Bartholomaeis,  De  Ramhaut  et  de  Goine  (Ramb.  de 
Vaqueiras  et  Conon  de  Böthune).  —  A.  Thomas,  Le  roman  de  Goufier  de 
Lastour.  —  J.-T.  Clark,  L'influence  de  l'accent  sur  les  consonnes  mediales 
en  Italien.  —  M^langes:  P.  Meyer,  De  quelques  mss.  fran9ais  conserv^s 
dans  les  biblioth^ques  des  Etats-Unis.  —  La  chanson  des  clowechons  (die 
Nägel  des  heiligen  Kreuzes).  —  L'inscription  en  vers  de  l'^pöe  de  Gau- 
vain.  —  J.-L.  Weston,  Wauchier  de  Denain  and  Bleheris.  —  A.  Thomas, 
Pour  un  'dicti^'  de  la  Vierge  Marie.  —  Anc.  frang.  loirre,  loitre;  rous- 
seruel,  roseruel;  rovent.  —  J.  Desormaux,  Savoyard  viorba,  viorhes.  — 
Gomptes  rendus.  —  P^riodiques.  —  Chronique]. 

Revue  des  langues  romanes.  XLVIII,  1  [K.  Sneyders  de  Vogel,  La 
suite  du  Parthenopeu  de  Blois  et  la  version  hollandaise.  —  L.-E.  Kastner, 
D^bat  du  Corps  et  de  PAme  en  proven§al.  —  G.  Th^rond,  Contes  lenga- 
doucians  (suite).  —  J.  Ulrich,  L'Apocalypse  en  haut-engadinois.  —  Biblio- 
graphie]. 2  [G.  Clavelier,  Etüde  sur  la  langue  de  Four^s.  An  der  Sprache 
dieses  Felibre  aus  Castelnaudary  zeigt  C,  zu  welch  künstlichen,  an  die 


Verzeichnis  der  eiugelaufenen  Druckschriften.  477 

Plejade  eriunernden  Mitteln  die  eüdfranzösische  Literatursprache  greift, 
wenn  sie  sich  Ziele  steckt,  die  jenseit  schlichter  Heimatkunst  liegen.  — 
J.  Coulet,  Le  d^bat  provengal  du  Corps  et  de  TAme.  —  L.-G.  P^lissier, 
Documents  sur  les  relations  de  rempereur  Maximilian  et  de  Lud.  Sforza 
en  1499  (suite).  —  H.  Guy,  La  chronique  fran§aise  de  Maitre  Quill.  Cr^tin 
(suite).  —  Bibliographie]. 

Geijer,  P.  A.,  Gaston  Paris,  nägra  minnesblad  (S.-A.  aus  Nyfilo- 
logiska  8ällskapet8  i  Stockholm  Publikation  III,  207—56).  Upsala,  Alm- 
qvist  &  Wiksells,  1905. 

Cornu,  J.,  Zu  Commodian  (S.-A.  aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia). 
Halle,  Niemeyer,  1905.    20  S. 

Baist,  G.,  Mutulus.  Butina  (S.-A.  aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia). 
Halle,  Niemeyer,  1905.    6  S. 

Meyer-Lübke,  W.,  Zur  Geschichte  des  C  vor  hellen  Vokalen  (S.-A. 
aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia).     Halle,  Niemeyer,  1905.    8  S. 

Walde,  Prof.  Dr.  A.,  Lateinisches  etymologisches  Wörterbuch.  Liefe- 
rung I,  80  S.  Heidelberg,  Winter,  1905  (Sammlung  indogerm.  Lehrbücher, 
hg.  von  Prof.  Dr.  H.  Hirt -Leipzig.  II.  Reihe;  1.  Band;  vollständig  in 
10  Lieferungen  zu  M.  1,50). 

Oleott,  G.  N.,  A  Dictionary  of  the  latin  inscriptions.  Vol.  I.  Rome, 
Loescher  &  Co.,  1904.    24  S. 

Hugo  Schuchardt  an  Adolf  Mussafia,  Graz,  im  Frühjahr  1905. 
41  S.  gr.-fol.  [Eine  prachtvoll  ausgestattete  Gratulationsschrift,  die  mit 
Worten  der  Huldigung  an  den  siebzigjährigen  Forscher,  den  einst  Boccaccio 
und  Dante  vom  Studium  der  Medizin  weggelockt  haben,  einsetzt  und 
schliefst.  Seh.  geht  stofflich  von  Mussafias  wortgeschichtlichen  Anmer- 
kungen im  'Beitrag  zur  Kunde  der  nordital.  Mundarten'  (1873)  aus,  um 
selbst  die  'geschichtliche  Synonymik'  zu  fördern  und  auf  die  Frage  zu 
antworten,  wie  heifsen  Haspel  und  Garnwinde  romanisch?  Daran 
schliefst  sich  eine  etymologische  Untersuchung,  bei  welcher  nicht  mehr 
der  Gegenstand  (das  Setzhamen  genannte  Netz  des  Kleinfischers),  son- 
dern die  Wortform  (ital.  negossa)  im  Vordergrunde  steht,  die  überzeugend 
auf  \2it.negotia  zurückgeführt  wird.  Wie  zur  Hamenfischerei  das  Pulsen 
gehört^  so  fügt  sich  diese  Untersuchung  zu  Sch.s  jüngsten  Erörterungen 
über  turhare  =  pulsen  {Z.  f.  r.  Ph.  XXVI,  407).  Die  ganze  Schrift  ist 
eine  neue  glänzende  Illustration  zu  Sch.s  eindringlicher  Lehre,  dafs  dem 
Etymologen  nicht  nur  Kenntnis  der  Wortformen,  sondern  auch  Kennt- 
nis des  Dinges,  also  Anschauung,  vonnöten  ist:  mehr  als  ein  halbes 
Hundert  Abbildungen  illustrieren  denn  auch  Feuerbock  (iranz.  landter), 
Hand-  und  Drehhaspel,  Garnwinde  und  Hamen.  Dafs  z.  B.  franz. 
echeveau,  ecagne  (die  Strähne)  ursprünglich  nicht  die  Strähne,  sondern  das 
Gerät  bezeichnen,  das  der  Strähnenbildung  dient  (den  Haspel),  wird  ohne 
weiteres  einleuchtend  durch  das  Bild  des  primitiven  Haspels,  dessen  Form 
an  den  Durchschnitt  einer  Bank  {scabellum,  scamnum)  erinnert.  In  Wort 
und  Bild  schweift  die  Abhandlung  über  das  romanische  Gebiet  hinaus. 
Auch  ist  das  reiche  Mahl  mit  mancherlei  reizvollen  hors-d'oeuvre  ange- 
richtet. Wiederholt  wird  gezeigt,  wie  etymologische  Beute,  die  von  'laut- 
gesetzlichen Schergen'  eingebracht  ist,  vor  der  Prüfung  am  Ding  nicht 
bestehen  kann.  Ein  besonders  lehrreiches  Beispiel,  wie  im  Italienischen 
der  Mangel  an  Anschauung  und  Sachkenntnis  dazu  geführt  hat,  dafs  aus 
einem  sogen,  testo  di  lingua  eigentliche  UnwÖrter  in  die  Lexika  und  von 
hier  in  die  Literatur  eingedrungen  sind,  liefern  Seh.  die  Veterinärwörter, 
besonders  die  Terminologie  der  Pferdekrankheiten.  Hier  würde  wohl  die 
Ausgabe  der  Mulomedicina  Chironis  durch  E.  Oder  noch  einige  Auf- 
klärung zu  bieten  vermögen.  —  Neben  der  Fülle  des  Details,  die  Bewunde- 
rung erregt,  finden  sich,  wie  immer  bei  Seh.,  prinzipienwissenschaftliche 
Erörterungen.   Auch  hier  führt  er  aus  der  bunten  Kleinwelt  des  Spinnens 


478  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

und  Fischens  auf  freie  Höhen,  von  denen  aus  man  die  breiten  Wege 
der  Forschung  übersieht  und  ihre  weiten  Horizonte  schaut.] 

Eevue  de  philologie  frangaise  . . .  p.  p.  L.  Cl^dat.  XIX,  1  [P.  Meyer, 
La  simplification  orthcgraphique.  —  H.  Yvon,  L'idäe  de  l'usage  en  ma- 
ti^re  de  langue  et  d'orthographe.  —  E.  Casse  et  E.  Chaminade,  Vieilles 
Chansons  patoises  du  P^rigord  (suite).  —  E.  Baldensperger,  Notes  lexico- 
logiques.  —  M^langes.  —  PubHcations  adressöes  ä  la  revue.  —  Chronique]. 

Zeitschrift  für  französ.  Sprache  und  Literatur,  hg.  von  D.  Behrens. 
XXVIII,  1  u.  3 :  der  Abhandlungen  erstes  und  zweites  Heft  [E.  Brugger, 
Beiträge  zur  Erklärung  der  arthurischen  Geographie.  II:  Oorre.  — 
E.  Stengel,  Die  Refrains  der  Oxforder  Ballettes.  —  G.  Baist,  Cerneau.  — 
D.  Behrens:  afrz.  crinque-,  wall,  ringuele.  —  W.  Martini,  V.  Hugos  dra- 
matische Technik,  IL  Teil]. 

Revue  des  Etudes  Rabelaisiennes.  III,  1  [A.  Lefranc,  Les  dates  du 
sejour  de  R.  ä  Metz  (1546—7).  —  De  Santi,  R.  et  J.-C.  ScaUger.  —  M^- 
langes  —  Comptes  rendus  —  Chronique  —  Supplement:  Reimpression 
de  L'Isle  sonnante  (fin)]. 

Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  romande.  Sixi^me  rapport  annuel 
de  la  r^daction,  1904.    Neuchätel,  Attinger  1905.     19  S. 

Revue  actuelle  et  instructive:  Le  Commentaire.  Französische  Zeitung 
für  deutsche  Leser.  Düsseldorf -Magdeburg.  Erscheint  jeden  Samstag. 
Preis  vierteljährlich  M.  1,20.    Fünfter  Jahrgang  1905. 

Lefranc,  A.,  La  langue  et  la  litt^rature  fran9aise  au  College  de 
France.  Le9on  d'ouverture  du  7  d^c.  1904.  Editions  de  la  Revue  bleue, 
Paris  [1905].    41  S. 

Wiese,  Dr.  Leo,  Die  Lieder  des  Blondel  de  Nesle,  kritische  Ausgabe 
nach  alten  Handschriften.  Halle  a.  S.,  Niemeyer,  1904.  XLIX,  210  S. 
(Gesellsch.  f.  roman.  Literatur,  Band  5). 

Boselli,  A.,  Le  jardin  de  paradis.  Tratatello  mistico  in  antico  fran- 
cese  [Per  Nozze  Bocchialini-Panini].    Parma,  Zerbini,  1905.  35  S. 

Stengel,  E.,  Die  Turiner  Rigomer-Episode.  Zur  Feier  des  25jähr. 
Bestehens  dem  Verein  für  neuere  Sprache  zu  Hannover  und  dem  Akad. 
Neuphilol.  Verein  zu  Marburg  als  Zeichen  treuer  Anhänglichkeit  dar- 
gebracht von  ihrem  Greifs  walder  Freunde.  Greifswald,  Bamberg,  1905. 
20  S.  gr.  4.  [Nach  fol.  52—59  der  franz.  Hs.  L.  IV.  33  n«  23  der  Turiner 
Univers.-Bibliothek ;  1337  Verse.  Die  Hs.  ist  beim  Brande  der  Bibliothek 
schwer  zu  Schaden  gekommen.] 

van  Hamel,  A.-G.,  Les  lamentations  de  Matheolus  et  le  livre  de 
Leesce  de  Jehan  le  Ffevre,  de  Ressons  (po^mes  fran9ais  du  XIV^  si^cle). 
Edition  critique,  accompagnöe  de  l'original  latin  des  Lamentations,  d'aprfes 
l'unique  manuscrit  d'Utrecht,  d'une  introduction,  de  notes  et  de  deux 
glossaires.  Tome  IL  Paris,  Librairie  Bouillon,  1905.  CCXXVI,  264  S. 
[Nachdem  der  erste  Band  dieser  mühevollen,  vortrefflichen,  Adolf  Tobler 
gewidmeten  Publikation  im  Jahre  1892  den  lateinischen  und  französischen 
kritischen  Text  der  Lamentationen  Jean  Leffevres  gebracht,  bietet  dieser 
zweite  Band  die  4000  Verse  seiner  Palinodie,  des  Livre  de  leesse  (1373)  mit 
einer  reichen  Introduction,  die  sich  auf  beide  Gedichte  und  auf  beide 
Dichter,  Matheolus  und  Jean,  erstreckt,  und  umfangreichen  sprach-  und 
Btoffgeschichtlichen  Anmerkungen.  Die  beiden  Bände  bilden  N^  95  u.  96 
der  Bibliotheque  de  l'Ecole  des  Hautes  Etudes.] 

Faust,  trag^die  de  Goethe;  traduction  nouvelle  compl^te  strictement 
conforme  au  texte  original  p.  R.  R.  Schropp.  Paris,  Perrin  &  C'%  1905. 
XXII,  535  S.    frs.  7,50. 

Fetter,  J.,  und  Ullrich,  Dr.  K.,  Französisches  Lesebuch  für  die 
oberen  Klassen  der  Realschulen,  Gymnasien  und  Mädchenlyzeen.  Wien, 
A.  Pichlers  Witwe  &  Sohn,  1905.  VIII,  479  S.  und  Kommentar  86  S. 
Geb.  M.  5,60. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  479 

KÜDcksieck,  Fr.,  Chrestomathie  der  französischen  Literatur  des 
19.  Jahrhunderts  (mit  Anschlufs  der  dramatischen).  Leipzig,  Renger, 
1905.  X,  404  S.  Geb.  M.  3,50.  [Das  Buch  verbindet  pädagogische  und 
literarische  Zwecke :  es  igt  für  Studierende  und  Freunde  der  französischen 
Literatur  und,  in  zweiter  Linie,  auch  für  die  oberste  Schulstufe  bestimmt. 
Die  Auswahl  umfafst  einige  vierzig  Autoren  von  Chateaubriand  bis  auf 
Sully-Prudhomme,  Faguet,  Brunetilre  und  Lemaitre.  Kurze  biographische 
Notizen  sind  am  Schlufs  zusammengestellt;  der  übrige  Raum  ist  ganz 
dem  eigentlichen  Lesestoff  vorbehalten.  —  Das  Fragmentarische,  das  eben 
im  Wesen  einer  solchen  Zusammenstellung  liegt,  darf  dem  Verf.  nicht 
zum  Vorwurf  gemacht  werden,  so  sehr  es  auch  da  und  dort  (z.  B.  beim 
Simple  discours  P.-L.  Couriers)  Bedauern  weckt.  K.  hat  seine  Auswahl 
mit  Geschmack  und  guter  Überlegung  getroffen  und  uns  ein  nützliches 
und  anregendes  Buch  gegeben.] 

Ricken,  W.,  Einige  Perlen  französischer  Poesie  von  Corneille  bis 
Copp^e.  Mit  einigen  Zutaten  für  Unterrichtszwecke  herausgegeben.  Hagen 
i.  W.,  Quitmann,  1905.  55  S.  (Beilage  zum  Programm  der  Oberrealschule 
zu  Hagen). 

Eng  wer,  Th.,  Choix  de  po^sies  fran9aises.  Sammlung  französischer 
Gedichte.  Mit  17  Porträts.  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1905  (Samm- 
lung franz.  u.  engl.  Schulausgaben,  Pontes  frangais,  6.  Lieferung).  Geb. 
M.  2.  [Die  alte  Beneckesche  Anthologie  ist  in  den  aufeinander  folgenden 
Bearbeitungen  durch  E.  allmählich  so  umgestaltet  worden,  dals  sie  als 
ein  ganz  neues  Buch  erscheint,  und  mit  Recht  trägt  dieses  nun  mit  dem 
neuen  Titel  Choix  de  p.  fr.  auch  nur  noch  den  Namen  Engwers,  dessen 
Eigentum  es  gänzlich  geworden  ist.  Die  Auswahl  der  Gedichte  ist  neu 
aufgearbeitet:  von  den  ersten  Blättern  an,  wo  nun  auch  der  Lyrik  des 
15.  und  16.  Jahrhunderts  bescheidener,  aber  angemessener  Zutritt  gewährt 
ist,  bis  zu  den  Schlufsseiten,  welche  dem  Volkslied  gewidmet  sind  —  überall 
neue  Gruppierung,  neue  Auswahl  und  neue  Poeten,  wie  z.  B.  Samain, 
Verlaine.  Wenn  E.  es  mit  Recht  bedauert,  dafs  die  deutsche  Tradition 
verlange,  dafs  B^ranger  und  gar  Copp^e  so  viel  Platz  eingeräumt  werde, 
80  hat  er  wenigstens  auch  hier  einige  Variation  gebracht.  Aber  16  Seiten 
für  Copp^e  sind  immer  noch  viel  zu  viel,  und  'Le  regiment  qui  passe'  ist 
gereimte  Zeitungsprosa.  Copp^e  ist  ein  sehr  mälsiger  Dichter,  der  zwi- 
schen Sentimentalität  und  blutdürstigem  Nationalismus  hin  und  her 
schwankt;  er  hat  weder  als  Künstler  noch  als  Mensch  Anspruch  darauf, 
dafs  die  deutsche  Schule  ihm  besondere  Reverenz  erweise.  Doch  das  nur 
nebenbei.  —  Engwers  Chrestomathie  ist  ein  schönes  Buch,  das  auch  der 
gern  zur  Hand  nimmt,  der  sich  selbständig  in  der  französischen  Lyrik 
umgesehen  hat.  Man  fühlt  ihm  die  liebevolle  Sorgfalt  an,  mit  der  es 
durch  Jahre  gepflegt  worden  ist,  und  dem  Unterricht  wird  es  ein  ebenso 
geschmackvoller  wie  sicherer  Führer  sein.] 

Fuchs,  M.,  Anthologie  des  Prosateurs  fran9ais.  Handbuch  der  fran- 
zösischen Prosa  vom  17.  Jahrhundert  bis  auf  die  Gegenwart.  Mit  12  Por- 
traits.  Bielefeld  u.  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1905.  X,  384  S.  (Samm- 
lung franz.  u.  engl.  Schulausgaben,  Pros.  fran§..  Lief.  158).  Geb.  M.  2,50. 
[Dieses  Buch  ist  ein  sehr  erfreuliches  Zeichen  für  das  Bestreben,  den 
Lesestoff  des  neu  sprachlichen  Unterrichts  den  Bedürfnissen  wirklicher 
Geistesbildung  anzupassen  und  ihn  zugleich  von  den  rhetorischen  Rück- 
sichten, die  in  französischen  Schulen  dominieren,  zu  befreien.] 

Bornecque,  H.,  Moli^re,  L'Avare,  com^die  publice  et  annot^e  en 
coUaboration  avec  H.  P.  Junker.  Leipzig  u.  Berlin,  Teubner  1904.  Text 
IV,  89  S.  Notes  52  S.  (CoUection  Teubner,  par  F.  Doerr,  H.  P.  Junker, 
M.  Walter.   N^  1). 

Gerhards  französische  Schulausgaben.    Leipzig,  Gerhard,  1905: 
N°  5.   Gr^ville  Henry,  Perdue;  in  Deutschland  allein  berechtigte  Schul- 


480  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

ausgäbe  von  M.  von  Metzsch.     Fünfte  Stereotyp- Auflage,  durch- 
gesehen von  Dr.  E.  Wasser  zieh  er.     I.  Teil:   Vorwort,  Einleitung 
und  Text,   167  S.    II.  Teil:   Anmerkungen  und  Wörterbuch,  45  S. 
M.  1,75. 
N°  18.   Olivier,  Urbain,  L'Ouvrier;  für  das  ganze  deutsche  Sprachgebiet 
allein  berechtigte  Schulausgabe  von  Clara  Rot  he.    I.  Teil:  Text, 
158  S.    II.  Teil:  Anmerkungen,  Einleitung  und  Wörterbuch,  54  S. 
M.  1,90. 
Französische    und    englische    Schulbibliothek.     Leipzig,    Rengersche 
Buchhandlung,  1905: 
Band  147.   Porchat,  Jean-Jacques,  Les  deux  Auberges.    Für  den  Schul- 
gebrauch erklärt  von  F.  Strohmeyer.    VIII,  90  S. 
Band  145.    De  Musset,  A.,  Auswahl.   Für  den  Schulgebrauch  bearbeitet 

von  E.  Dannheifser.    VII,  96  S. 
Reihe  C,  Band  42.    Bertin,  M.,  Les  deux  cöt^s  du  mur.    Für  den  Schul- 
gebrauch bearbeitet  von  E.  Märten s.    Mit  Wörterbuch  108  S. 
Contes  Choisis.    Pr^c^d^s  d'une  notice  littöraire  et  de  notes  explica- 
tives  par  E.-E.-B.  Lacombl^.    Jules  Claretie,  Arfene,  Toepffer,  Sardou, 
Hervieu.    2^"^^  Edition.   Groningue,  P.  Noordhoff,  1905.   VI,  151  S.   Geb. 
fl.  0,75.   (Conteurs..  modernes  6.) 

Französische  Übungs-Bibliothek : 
N°  18.    Fulda,  Ludwig,  Unter  vier  Augen,  Lustspiel  in  einem  Aufzug. 
Zum  Übersetzen  aus  dem   Deutschen  ins  Französische   bearbeitet 
von   Prof.   Dr.   J.   Sahr.     Paris,   Boyveau  &  Chevillet;    Dresden, 
L.  Ehlermann,  1904.     IX,  66  S. 
Schulbibliothek  französischer  u.  englischer  Prosaschriftsteller  aus  der 
neueren   Zeit.     Mit   besonderer   Berücksichtigung    der   Forderungen    der 
neuen  Lehrpläne,  hg.  von  L.  Bahlsen  und  J.  Hengesbach.    Berlin,  Weid- 
mannsche  Buchhdlg.,  1905: 
Abteilung  I:   Französische  Schriften,  53.  Bändchen:  Tulou,  Franyois, 
Enfants  c^l^bres.    Mit  Anmerkungen   zum   Schulgebrauch  hg.  von 
Prof.  Dr.  E.  Dannheifser.     115  S.    Geb.  M.  1,20. 
Taine,  Hippol.,  Napoleon  Bonaparte,  ausgewählt  und  für  den  Schul- 
gebrauch erklärt  von  Dr.  A.  Schmitz.     146  S.    Geb.  M.  1,40. 

Tavernier,  Dr.  W.,  Zur  Vorgeschichte  des  altfranzösischen  Rolands- 
liedes.   (Über  R  im  Rolandslied.)    Berlin,  F.  Ebering,  1903.    230  S. 

Brockstedt,  G.,  Floovent-Studien.  Sagen-  und  literargeschichtliche 
Untersuchungen.    Erster  Teil.    Kiel,  R.  Cordes,  1904.     71  S. 

Cloetta,  W.,  Grandor  von  Brie  und  Guillaume  von  Bapaume  (S.-A. 

aus  der  Festgabe  für  Ad.  Mussafia,   S.  255—75).    Halle,  Niemeyer,  1905. 

Becker,  H.,  Die  Auffassung  der  Jungfrau  Maria  in  der  altfranzös. 

Literatur  (Göttinger  Dissertation).    Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht, 

1905.    91  S.    M.  2,40. 

Rousselot,  l'abb^,  La  Vierge  Maria  dans  la  po^sie  franyaise  (in 
L'immaculee  conception  ä  VInstitut  catholique  ä  Paris,  8  d^c.  1904,  p.  66 — 98). 
Paris,  Poussielgue  [1905]. 

Leib  ecke,  O.,  Der  verabredete  Zweikampf  in  der  altfranz.  Literatur 
(Göttinger  Dissertation).  Göttingen,  Dietrichsche  Univ. -Buchdruckerei, 
1905.    88  S. 

Lefranc,  A.,  et  Boulenger,  J.,  Comptes  de  Louise  de  Savoie 
(1515,  1525)  et  de  Marguerite  d'Angouleme  (1512,  17,  24,  29,  39).  Paris, 
Champion,  1905.  VIII,  122  S.  [Eine  aufserordentlich  dankenswerte  Publi- 
kation, die  fortgesetzt  werden  soll  und  demjenigen  unentbehrlich  sein  wird, 
der  sich  mit  dem  16.  Jahrhundert  näher  beschäftigt.  Diese  fürstlichen 
Rechnungen  bilden  nämlich  zu  gleicher  Zeit  ein  Verzeichnis  aller  der 
Personen,  die  vom  Hofe  besoldet  worden  sind,  geben  ihre  Namen,  Titel, 
Stellungen,  Bezüge  und  gelegentlich  auch  andere  Auskünfte.    Auch  die 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Dructschriften.  481 

literarische  und  künstlerische  Welt  des  Hofes  Franz'  I.  figuriert  darin. 
Das  unentbehrliche  sorgfältige  Register,  das  J.  Boulenger  angelegt  hat, 
ermöglicht  eine  rasche  und  sichere  Befragung  dieser  Comptes  durch  den 
Literarhistoriker,  der  im  Wirrwarr  der  Namen  des  16.  Jahrhunderts  eine 
Auskunft  sucht] 

Sakmann,  Prof.  Dr.  P.,  Voltaire  als  Kirchenpolitiker  (S.-A.  aus  der 
Dtsch.  Zeitschrift  für  Kirchenrecht).   Tübingen  u.  Leipzig,  Mohr,  1905.    65  S. 

Sakmann,  Prof.  Dr.  P.,  Voltaire  als  Philosoph  (S.-A.  aus  dem  ^rcÄi«? 
für  Geschichte  der  Philosophie  hg.  von  L.  Stein,  XVIII,  322—68).  Berlin, 
Reimer,  1905.  [Dieser  Aufsatz  bildet  den  Schlufs  einer  der  beiden  oben, 
S.  260,  bereits  verzeichneten  Arbeiten.  Diese  drei  Studien  Sakmanns  über 
Voltaire  als  Philosophen,  als  Politiker  und  als  Kirchenpolitiker  sind  von 
echt  historischem  Geiste  erfüllt,  und  da  sie  auch  auf  einer  sehr  eingehen- 
den Kenntnis  der  Voltaireschen  Gedankenwelt  und  ihrer  Entwickelung 
beruhen,  so  geben  sie  nach  Vollständigkeit  und  Objektivität  die  beste 
Darstellung  seiner  Weltanschauung.] 

Benrubi,  Isaak,  J.-J.  Rousseaus  ethisches  Ideal  (Jenenser  Disser- 
tation).   Langensalza,  Beyer  u.  Söhne,  1904.     141  S. 

Pellissier,  Georges,  Etudes  de  litt^rature  et  de  morale  contempo- 
raines.  Paris,  Cornely  &  C^« ,  1905.  324  S.  frs.  3,50.  [Zweiundzwanzig 
Aufsätze  ungleichen  Umfanges  und  auch  ungleicher  Bedeutung,  von  der 
blofsen  und  auch  vergänglichen  Bücherbesprechung  bis  zur  gründlichen 
Studie,  die  eine  ganze  Epoche  oder  eine  Geistesströmung  charakterisiert. 
Das  ist  alles,  ob  es  von  Zola  oder  M.  Barrys,  Ferd.  Fahre  oder  Brunetifere, 
H.  de  Regnier,  den  Goncourt  oder  G.  Sand  handelt,  elegant  geschrieben, 
klar  und  Kenntnisreich  dargestellt,  wie  man  es  von  dem  Autor  gewohnt 
ist,  der  vor  bald  zwanzig  jäiren  mit  seinem  trefflichen  Buche  vom  Mouve- 
ment  litteraire  au  19'  siecle  aufgetreten  ist.  Einzelne  Stücke  —  der  Autor 
hat  auch  diese  leider  nicht  datiert  —  sind  akademische  Reden  aus  Genf. 
Manche  sind  wahre  Discours  de  combat  gegen  Klerikalismus  und  Natio- 
nalismus. So  stehen  diese  Essays  mitten  im  bewegten  Leben  des  gegen- 
wärtigen Frankreich  und  spiegeln  es  lebendig  wider.] 

Brunot,  F.,  Histoire  de  la  langue  fran9ai8e  des  origines  ä  1900. 
Tomel:  De  l'^poque  latine  ä  la  renaissance.  Paris,  Colin,  1905.  XXXVIII, 
547  S.  15  frs.,  geb.  20  frs.  [In  Petit  de  Jullevilles  achtbändiger  Histoire 
de  la  langue  et  de  la  litterature  franguise  hat  Brunot  eine  geschichtliche 
Darstellung  der  französischen  Sprache  zu  den  einzelnen  literarischen 
Epochen  geliefert,  die  sich  durch  sechs  Bände  hinzieht  und  da  jeweilen 
den  Schlufs  bildet.  Das  grofse  Sammelwerk  war  noch  nicht  zu  Ende  ge- 
führt, als  bereits  von  verschiedenen  Seiten  der  Wunsch  laut  wurde,  diese 
auseinandergerissenen  Teile  der  Brunotschen  Arbeit,  die  den  ersten  Versuch 
einer  umfassenden  Geschichte  der  französischen  Sprache  darstellte,  möchten 
zu  einem  selbständigen  Werke  vereinigt  werden.  Diesen  Wunsch  soll  das 
Werk  erfüllen,  dessen  erster  Band  hier  vorliegt.  In  welchem  Mafse  diese 
neue  Ausgabe  zugleich  eine  völlige  Neubearbeitung  ist,  das  zeigt  schon 
die  Vergleichung  des  Umfanges.  Die  Darstellung  der  Periode  vor  der 
Renaissance  umfaiste  1896  rund  hundert  Seiten;  heute  füllt  sie  diesen 
ganzen  Band  von  sechsthalbhundert  Seiten  eines  viel  kompresseren  Druckes 
—  un  travail  vraiment  nouveau,  wie  die  Vorrede  mit  Recht  sagt.  Die 
ganze  Darstellung  ist  auf  eigene  Füfse  gestellt.  Sie  ist  nicht  mehr  blofs 
für  ein  gebildetes  Publikum  geschrieben,  sondern  für  solche,  die  philo- 
logische Arbeit  verrichten  wollen.  Sie  ist  eingehend  und  reich  dokumen- 
tiert. Den  beiden  Abschnitten:  L'ancien  fran^is  (135 — 399)  und  Le  moyen 
fran^is  (401—534)  ist  ein  ganz  neuer  Teil:  Latin  et  roman,  d.  h.  eine 
Ent Wickelungsgeschichte  des  'Vulgärlateins',  vorausgeschickt.  —  In  der 
langen  Liste  der  hauptsächlichsten  Quellenwerke,  die  Brunot  anführt,  fehlt 
das  Archiv,  das  docn  so  manche  sprachgeschichtlich  bedeutsame  Arbeit 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    CXIV.  31 


482  Verzeichnis  der  eingelaufeneu  Druckschriften. 

enthält,  und  das  bedauert  man  z.  B.  in  der  Behandlung  der  Frage  der 
Dialektgrenzen,  wo  also  (S.  302)  die  grundlegende  Untersuchung  Gauchats 
von  1908  {Archiv  CXI,  365  ff.)  übersehen  ist.  —  Wir  werden  auf  das  be- 
deutsame Werk  Brunots  noch  näher  zurückzukommen  Gelegenheit  haben. 
Dieser  erste  Band  inventarisiert  unsere  heutige,  auf  zahllosen  Einzelunter- 
suchungen beruhende  Kenntnis  der  Entwickelungstatsachen  des  älteren 
Französisch  und  sei  eingehendem  Studium  und  fleifsigem  Nachschlagen 
empfohlen.  Es  wird  besonders  für  diejenigen  Lehrer  des  Französischen, 
die  der  sprachgeschichtlichen  Tagesliteratur  nicht  zu  folgen  in  der  Lage 
sind,  ein  wertvolles  Repertorium  und  ein  sehr  nützlicher  Wegweiser  sein.] 
Tobler,  A.,  Vermischte  Beiträge  zur  französischen  Grammatik.  Ber- 
lin, 1905.  13  8.  [Sitzungsberichte  der  kgl.  preuls.  Akad.  d.  Wissenschaften, 
philos.-hist.  Klasse  XV,  346 — 58.  ümfafst  drei  neue  (5 — 7)  Beiträge  (No.  4 
ist  1902  erschienen):  5)  N'y  ayant  rien  de  plus  naturel  que  ceci,  wo  auch 
diese  wirklich  subjektlose  Verwendung  des  Gerundiums  im  modernen 
Sprachgebrauch  nachgewiesen  wird  für  il  y  a;  il  en  est  {vd).  Das  Ita- 
lienische hat  sich,  wie  T.  zeigt,  diese  subjektlose  Gerundialkonstruktion 
noch  in  weiterem  Umfang  erhalten,  offenbar  weil  es  eine  charakteristischere 
Gerundialform  {-ando  etc.)  besitzt  als  das  Französische  (-a/i^),  so  dafs  ge- 
sagt werden  kann :  essendo  il  freddo  grande  e  nevicando  tuttavia,  wo  franz. 
neigeant  nicht  ausreichen  würde.  —  6)  Äussi  bien,  wo  ein  blofses  aiLSsi 
('auch  wirklich',  Menn  auch')  genügen  könnte,  ist  von  De  seh  an  el  (vgl. 
hier  CI,  222)  als  'Sprachdummheit'  erklärt  worden.  T.  erörtert  mit  der 
Geschichte  dieser  Ausdrucksform  ihr  gutes  Recht  und  widmet  auch  der 
Verbindung  puisque  aussi  bien  Worte  historischer  und  psychologischer 
Erklärung.  —  7)  Eien  que  d'ordinaire  (statt  rien  que  de  l'ordinaire,  was 
fast  gänzlich  ungebräuchlich)  ist  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Wortes 
rien  wie  zur  Geschichte  des  'Teilungsartikels'.  Die  Konstruktion  ist  vor 
dem  17.  Jahrhundert  nicht  nachzuweisen.  S.  355  klingt  wie  eine  Ver- 
heifsung,  dafs  wir  von  T.  eine  Darstellung  der  'ganzen  Lehre  vom  parti- 
tiven  de  mit  oder  ohne  Artikel'  erwarten  dürfen ;  keine  seiner  syntaktischen 
Gaben  könnte  willkommener  sein.] 

Jordan,  Leo,  Materialien  zur  Geschichte  der  arabischen  Zahlzeichen 
in  Frankreich.  [S.-A.  aus  Archiv  für  Kulturgeschichte  hg.  von  G.  Stein- 
hausen. Berlin,  Duncker,  1905.  III,  S.  155 — 195.  Die  Abhandlung  gibt 
aus  Pariser  Handschriften  interessante  Beiträge  zu  der  wechselvollen  Ein- 
führung und  Benennung  der  sogen,  arabischen  Ziffern  im  Abendlande, 
besonders  in  Frankreich,  und  damit  zur  Bedeutungsentwickelung  von 
arab.  cifr  (leer)  >  französisch  la  ciffre,  pikardisch  le  chiffre  =  (1.  die  Null;) 
2.  die  Ziffer  (seit  dem  13./14.  Jahrb.);  3.  (im  Plur.)  die  Geheimschrift 
(15.  Jahrb.).  Die  erste  Bedeutung  (Null)  schwand  dann  vor  der  zweiten, 
erweiterten  und  wurde  durch  das  aus  dem  italienischen  Handelsverkehr 
stammende  cifr  >  xephirum  (Leonardus  Pisanus,  1202)  >  nordital.,  venez. 
xero  ersetzt  (15.  Jahrh.).] 

von  den  Driesch,  J.,  Die  Stellung  des  attributiven  Adjektivs  im 
Altfranzösischen  (Strafsburger  Dissertation).  Erlangen,  Junge,  1903.  124  S. 
[S.-A.  aus  den  Born.  Studien  XIX,  wo  die  ganze  Arbeit  erscheint.] 

Humpf,  G.,  Beiträge  zur  Geschichte  des  bestimmten  Artikels  im 
Französischen  (Marburger  Dissertation).  Marburg,  Friedrichs  Universitäts- 
Druckerei,  1904.    VI,  64  S. 

Wafsmuth,  Th.,  Untersuchungen  der  Reime  des  altfranzösischen 
Artusromans  Li  Atre  perillos  (Bonner  Dissertation).  Bonn,  Georgi,  1905. 
63  S.  [Die  6700  Verse  des  Romans  'vom  gefahrvollen  Kirchhof  sind  bis 
jetzt  nur  nach  der  einen  der  drei  bekannten  Handschriften  und  zwar  hier 
XLII  (1868),  p.  148—211  veröffentlicht  worden.  Die  Untersuchung  W.s 
beschränkt  sich  auf  diesen  Abdruck  einer  Handschrift  und  ist  innerhalb 
dieser  Beschränkung  mit  Umsicht  und  Sorgfalt  geführt.     Sie  zeigt,  dafs 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  483 

die  letzten  1000  Verse  des  Romans  von  einem  zweiten  Eeimer  herrühren, 
für  den  en  mit  an  zusammenfiel  und  aus  lat.  e,  t  sich  oi  ergab.  Dieser 
Fortsetzer  verrät  also  Einflufs  des  Französischen,  während  der  ursprüng- 
liche Verfasser  durch  die  pikardische  Niederschrift  hindurch  sprachlich 
als  ein  Normande  etwa  aus  der  Gegend  von  Bernay  (Eure)  erkannt  wer- 
den kann.  —  Die  Entwickelung  des  Suffixes  -aticu,  die  S.  47  gestreift 
wird,  würde  eine  ausführliche  Untersuchung  auf  gemeinromanischer  Basis 
sehr  lohnen.  Mit  Ascolis  Erklärung  {Archivio  glottol  I,  §  168)  ist  indessen 
nicht  auszukommen;  cf.  dazu  Oöttingische  gelehrte  Anzeigen  vom  15.  Okt. 
1885,  S.  856.] 

Malmstedt,  A.,  Des  locutions  emphatiques  (S.-A.  aus  Nyfilologiska 
Sällskapets  i  Stockholm  Publikation,  S.  73—107).     1905. 

Herzog,  E.,  Etymologisches  (S.-A.  aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia). 
Halle,  Niemeyer,  1905.  22  S.  [Irz.  -eir,  prov.  -(e)xir.  —  frz.  prov.  ßn\ 
ital.  fine,  ßno.  —  frz.  galoper  etc.  —  frz.  pale.  —  frz.  torche  etc.  —  afrz. 
prov.  verai\. 

Appel,  C,  Vermischtes  (S.-A.  aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia). 
Halle,  Niemeyer,  1905.     11  S.    [1.  Port  -.  Pafs.  —  2.  Huelh  de  veire]. 

Rydberg,G.,  Über  die  Entwickelung  von  illui,  illei  auf  französischem 
Boden  und  das  Eindringen  der  Form  lui  als  schwachtoniger  Dativ  (S.-A. 
aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia).    Halle,  Karras,  1905.     19  S. 

Luick,  K.,  Zur  Aussprache  des  Französischen  im  17.  Jahrhundert 
(S.-A.  aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia).    Halle,  Niemeyer,  1905.     10  S. 

Kling,  J.  O.,  Nichtakademische  Syntax  bei  Voltaire  (Marburger 
Doktordissertation).  Marburg,  Bauer,  1905.  79  S.  [Diese  fleifsige  Arbeit 
leidet  zunächst  am  Mangel  scharfer  Formulierung  des  Problems.  Was  ist 
'akademische  Syntax'  zur  Zeit  Voltaires,  d.  h.,  wie  Verf.  will,  in  den 
Jahren  1750 — 80  (die  Zeit  des  alten  Voltaire)?  Die  Einleitung  gibt  auf 
diese  Frage  eine  ganz  vage  Antwort  und  bezeichnet  die  'sekundären  Quellen*, 
aus  denen  sich  die  Kenntnis  jener  akad.  Syntax  gewinnen  lasse,  nicht  aus- 
drücklich. Dieser  Mangel  einer  sicheren  Grundlage  gibt  dem  Mafs,  mit 
dem  K.  mifst,  etwas  Willkürliches,  so,  um  nur  ein  Beispiel  zu  wählen,  im 
§  VIII  (Wortstellung),  wo  die  Stellung  des  Personalpronomens  le  in  11  le 
faut  respecier  als  nichtakademisch  bezeichnet  wird !  —  Die  älteren  Sprach- 
perioden hat  der  Verf.  mit  Hilfe  der  Arbeiten  Toblers,  Ebelings  u.  a. 
fleifsig  zu  Rate  gezogen  und  so  Voltaires  Syntax  historisch  fundamentiert; 
dagegen  ist  er  mit  der  nachvoltaireschen  Entwickelung,  besonders  mit  der 
modernen  Sprache,  zu  wenig  vertraut.  Sein  Sprachgefühl  ist  zu  wenig 
lebendig,  und  er  hat  Arbeiten,  welche  die  heutige  nichtakademische  Syntax 
untersuchen  (wie  H.  Schmidt,  Schtdgrammatik  und  Schriftsteller,  Dresden 
1901 ;  R.  Diehl,  Franxös.  Schulgrammatik  und  modemer  Sprachgebrauch, 
Wiesbaden  1895,  u.  ä.),  nicht  konsultiert.  Er  ist  deshalb  zu  sehr  geneigt, 
Voltaire  nur  an  unserer  Schulgrammatik  zu  messen  und  von  Erschei- 
nungen seiner  Syntax  Aufhebens  zu  machen,  die  solcher  Registrierung 
wirklich  nicht  bedurften.] 

Albalat,  Antoine,  Le  travail  du  style  enseign^  par  les  corrections 
manuscrites  des  grands  ecrivains.  Paris,  Libraire  Colin,  1904.  312  S. 
Fr.  3,50.  [Es  ist  interessant  und  lehrreich,  Schriftsteller  wie  Bossuet, 
Chateaubriand,  Pascal,  Rousseau,  F^nelon  an  der  Arbeit  zu  sehen,  und 
willkommen  darf  ein  Buch  sein,  das  Proben  ihres  Entwerfens  und  Feilens 
zusammenstellt,  die  man  sonst  in  zerstreuten  und  umfänglichen  Publi- 
kationen suchen  müfste.  Noch  willkommener  aber  würde  dieses  Buch 
sein,  wenn  der  Autor  —  Verfasser  von  Lehrbüchern  der  Stilistik  —  es 
mit  diesen  Proben  der  Stilarbeit  hervorragender  Schriftsteller  nicht  auf 
eine  zum  Teil  sehr  anfechtbare  rhetorische  Unterweisung  in  usum  delphini 
abgesehen  hätte.  Er  hätte  uns  noch  mehr  von  jenen  Proben  und  weniger 
von  seinen  eigenen  Belehrungen  geben  sollen.  —  Der  Entwurf  eines  langen 

31* 


484  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

französischen  Briefes  Heines  an  Dumas  (p.  95—102)  zeigt,  wie  Heine  sich 
quälen  mufs,  um  für  seinen  Witz  ein  leidliches  gallisches  Kleid  zu  finden ; 
cf.  Betz,  Heine  in  Frankreich,  1896,  p.  176  ff.] 

Grojean,  Oscar,  Notes  sur  quelc^ues  jurons  fran§ais  (Extrait  de  la 
Revue  de  l'Universit^  de  Bruxelles,  f^vrier  —  mars  1905,  S.  401 — 11).  Libge, 
Imprimerie  La  Meuse,  1905.  [Anknüpfend  an  Schultz-Goras  Aufsatz  über 
Boieldieu  in  Behrens'  Zeitschrift  XXV  127  gibt  Grojean  weitere  Belege 
für  die  Sitte,  Individuen  nach  einer  Redensart  zu  benennen,  die  ihnen  ge- 
läufig ist,  zählt  dann  die  Flüche  auf,  die  sich  auf  die  Passion  oder  den 
Leib  des  Gekreuzigten  beziehen  (vorzüglich  nach  den  Fabliaux),  handelt 
von  ihren  euphemistischen  Umgestaltungen  und  ihrem  Zusammenhange 
mit  der  Form  des  Eides.] 

Meyer,  P.,  Pour  la  simplification  de  notre  orthographe.  Memoire 
suivi  du  rapport  sur  les  travaux  de  la  commission  charg^e  de  pr^parer 
la  simplification  de  Torthographe  franyaise.  Paris,  Delagrave,  1905.  51  S. 
[Die  Broschüre  enthält  p.  25 — 51  den  Bericht,  den  die  vom  Unterrichts- 
minister im  Februar  1903  bestellte,  von  P.  Meyer  präsidierte  Kommission 
im  Juli  1904  erstattet  hat.  Vorausgeschickt  ist  p.  8 — 24  eine  von  P.  M. 
verfafste  kurze  Geschichte  und  Rechtfertigung  der  Reformbestrebungen 
und  eine  Widerlegung  der  Einwände,  die  mit  den  Worten  schliefst:  J'ai 
montre  que  les  objections  qu'on  nous  fait  sont  sans  portee  aucune.  L'ohstacle 
qui  nous  est  oppose  n'a  qu'un  nom:  routine.  Notis  le  hriserons.  Dieses 
Hindernis  wird  von  dem  nämlichen  Streiter  in  der  Romania  (XXXII,  629) 
Akademie  genannt:  Le  grand  obstacle  ä  toute  reforme,  c'est  VAcademie 
fran^aise.  Wie  sehr  er  recht  hat,  zeigt  die  Stellung,  welche  die  Akademie 
seither  zu  den  Vorschlägen  der  Kommission  eingenommen  hat,  und  Meyer 
hofft  demgemäfs  (i?07w.  XXXIV,  162):  Vautorite  de  VAcademie  en  matiere 
de  langue  etant  purement  conventionelle,  nous  esperons  qu'il  n'en  sera  pas 
tenu  plus  de  compte  que  de  raison.  —  Mit  besonderer  Aufmerksamkeit  wird 
das  Schicksal  der  Kommissionsvorschläge  von  Cl^dats  Revue  de  philol. 
fran^.  et  prov.  XVIII  u.  XIX  verfolgt.] 

Ciairin,  P.,  Exercices  frangais  enti^rement  nouveaux  extraits  du 
Dictionnaire  de  VAcademie.  Paris,  H.  Paulin  &  0^%  1905.  36  S.  Fr.  0,60. 
[Der  Verfasser  war  der  Berichterstatter  jener  Kommission,  die  1900—01 
über  die  Vereinfachungen  des  syntaktischen  Unterrichts  zu  beraten  hatte 
und  dabei  auf  das  Hindernis  der  Academie  fran^aise  stiefs.  Er  ist  auch 
der  Sekretär  der  neuen  Kommission  für  die  von  der  Akademie  neuerdings 
gefährdete  Orthographierefoim.  Da  ist  er  darangegangen,  die  grammatische 
Zuständigkeit  dieser  Akademie  auf  Grund  ihres  Dictionnaire  (Band  I)  und 
des  Hanotauxschen  Rapport  v.  1900  zu  prüfen.  In  dieser  amüsanten  Bro- 
schüre legt  er  eine  Anthologie  von  'Sprachdummheiten'  der  Körperschaft 
vor.  Die  monierten  Schnitzer  sind  von  ungleichem  Gewicht.  Neben  dem 
blofsen  Druckfehler  (z.  B.  cette  homme)  finden  sich  arge  Verstöfse  gegen 
die  akademische  Grammatik  (z.  B.  eile  s^est  demandee),  Widersprüche  aller 
Art,  unzureichende  und  geradezu  ungereimte  Definitionen.  Bisweilen  ist 
Verf.  wohl  etwas  zu  minuziös;  doch  hat  gerade  er  wirklich  keine  Ver- 
anlassung, der  Akademie  etwas  zu  schenken.  Im  Kampf,  den  die  Reform- 
partei gegen  akademische  Vorurteile  führt,  wird  diese  Broschüre  Ciairin s 
gute  Dienste  tun.    Sie  verdient  auch  bei  uns  gelesen  zu  werden.] 

Hug,  J.,  Französische  Laut-  und  Leseschule.  Zürich,  Art.  Institut 
Orell  Füfsli.  IX,  52  S.  Geb.  M.  1,30.  [Dem  Unterricht  in  französischer 
Aussprache  zu  dienen,  ist  dieses  Büchlein  wohl  geeignet  durch  die  knappe, 
klare  Darstellung  des  Wesentlichen,  durch  die  praktische  Anordnung  von 
Regel  und  Beispiel,  durch  die  übersichtliche  Gruppierung  des  ganzen 
Stoffes  (1.  der  Laut  in  der  Isolierung,  2.  im  Wort,  3.  im  Satz).  DaTs  ein 
im  übrigen  so  wohl  unterrichteter  Autor  mouilliertes  n  (und  /)  als  'zu- 
sammengesetzten' Konsonanten  auffaTst  und  beschreibt,  ist  verwunderlich 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  485 

und  zu  bedauern.  Diese  palatalen  Laute  sind  ebensogut  'einfache'  Konso- 
nanten wie  dentales  n  oder  alveolares  l.  Denn  das  franz.  l  ist  alveolar, 
was  zu  Hugs  Beschreibung  §  35  zu  bemerken  ist,  wie  er  denn  überhaupt 
die  Lautbeschreibung  noch  etwas  revidieren  mag  vom  'hellen  a*  (§  1)  an, 
das  keineswegs  eine  velare,  sondern  eine  leichte  palatale  Zungenhebung 
zeigt.  Kousselots  Precis  de  prononeiation  fran^aise  mag  ihn  dabei  leiten 
und  zur  bibliographischen  Liste  von  S.  V  gefugt  werden.] 

Knörk,  Dr.  O.,  et  Puy-Furcat,  G.,  Le  fran§ais  pratique.  IL  L'in- 
dustrie  et  le  commerce  de  la  France  (Sammlung  von  Lehrmitteln  f.  Fach- 
u.  Fortbildungsschulen).  I«  partie.  Berlin,  Mittler,  1905.  VI,  204  S.  Geb. 
JVf.  2,80. 

Baumgartner,  Andreas,  Lese-  und  Übungsbuch  für  die  Mittelstufe 
des  französischen  Unterrichtes.  Zürich,  Art.  Institut  Orell  Fülsli.  VII, 
182  S.    Kart.  M.  1,60. 

Peters,  J.  B.,  und  Gottschalk,  A.,  Kurzer  Lehrgang  der  franzö- 
sischen Sprache  für  kaufmännische  Schulen  und  ähnliche  Anstalten  mit 
beschränkter  Kursusdauer.  Leipzig,  August  Neumanns  Verlag  (Fr.  Lucas), 
1005.    XI,  221  S.    Geb.  M.  2,80. 

Wilke  -  D^nervaud,  Anschauungs  -  Unterricht  im  Französischen. 
I.  Le  printemps.  IIL  L'^t^.  V.  L'automne.  VII.  L'hiver.  Dritte,  resp. 
vierte  verb.  Auflage.  Leipzig,  Raimund  Gerhard,  1P04.  Je  IG  S.  Heft- 
Ausgabe  ohne  Bilder  zu  M.  0,80. 

Dinkler,  R.,  und  Mueller-Bonjour,  E.,  Lehrbuch  der  franzö- 
sischen Sprache  für  Handelsschulen.  I.  Leipzig  u.  Berlin,  Teubner,  1905. 
IV,  188  S. 

Robert,  C.-M.,  Phraseologie  franyaise.  Repertoire  systematique  de 
proverbes,  dictons  et  locutions  idiomatiques  comment^s  et  expliqu^s.  Gro- 
ningue,  Wolters,  1905.    XII,  540  S.     Geb.  M.  8,90. 

Langenscheidts  Sachwörterbücher:  Land  und  Leute  in  Frankreich. 
Zusammengestellt  von  Prof.  Dr.  C.  Villa tte;  völlig  neubearbeitet  von 
Prof,  Dr.  R.  Scherffig.  Dritte  Bearbeitung.  Berlin,  Langenscheidt,  1904. 
XX,  498,  98  S.  Geb.  M.  8.  [Vor  zwanzig  Jahren  ist  das  'Notwörterbuch', 
dessen  dritter  Teil  hier  in  neuer  Auflage  vorliegt,  zum  erstenmal  erschie- 
nen. Es  hat  damals  gleich  eine  sehr  günstige  Aufnahme  gefunden,  vgl. 
hier  LXXII,  222.  Diese  dritte  Bearbeitung  ist  sehr  vermehrt  und  zum 
Teil  ganz  neu  redigiert  und  mit  sehr  guter  Kenntnis  von  Land  und  Leuten 
auf  den  heutigen  IStand  französischen  Lebens  gebracht.  Es  wird  ein  treff- 
licher Reisebegleiter  sein  und  als  Reallexikon  im  kleinen  auch  bei  der 
Lektüre  gute  Dienste  leisten. 

Anglade,  J.,  Deux  troubadours  narbonnais.  Guillem  Fahre,  Bemard 
Alanhan.    Narbonne,  F.  Caillard,  1905.    38  S. 

Grandgent,  C.  H.,  An  Outline  of  the  Phonology  and  Morphology 
of  old  provengal.  Boston,  Heath  &  Co.,  1905.  V,  159  S.  [Dieses  Hand- 
buch der  altprovenzalischen  Laut-  und  Formenlehre  (unter  Ausschlufs  der 
Wortbildungslehre)  ist  mit  grofser  Sorgfalt  und  Sachkenntnis  gearbeitet. 
Seine  konzise  Darstellung  des  Wissenswertesten  beruht  auf  einem  durch 
lange  Jahre  geführten  eingehenden  Studium  der  Fachliteratur,  zu  deren 
Resultaten  der  Verfasser  das  Ergebnis  eigener  Forschungen  fügt.  Die  klare 
Disposition  und  die  Übersichtlichkeit  des  Stoffes  wird  durch  die  treffliche 
ypographische  Ausstattung  des  Bändchens  vorzüglich  ins  Licht  gesetzt.] 


Giomale   storico   della  lett.  italiana,    dir.   e  red.   da   F.  Novati   e 
R.  Renier,    Fase,  133   [L.  Frati,  J.  Bentivoglio  nella  poesia  contempo- 


486  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

ranea.  —  Varietä:  G.  Bertoni,  I  codici  di  rime  italiane  di  Giov.  Maria 
Barbieri.  —  A.  Pompeati,  Per  la  biografia  di  Paolo  Paruta.  —  A.  Ferra- 
joli,  Due  Jettere  inedite  di  Francesco  Berni.  —  Rassegna  bibliografica.  — 
Bolletino  bibliografico.  —  Annunzi  analitici.  —  Pubblicazioni  nuziali.  — 
Communicazioni  e  appunti.  —  Cronaca]. 

Bulletin  Italien.  V,  1  [P.  Duhem,  Albert  de  Saxe  et  Leonard  da 
Vinci  (I®^  article).  —  E.  Rodocanachi,  Les  nonnes  en  Italic  du  11^  au 
18^  si^cle.  —  A.  Hauvette,  Le  chevalier  Marin  et  la  pr^ciosit^,  ä  propos 
d'un  livre  r^cent.  —  M^langes  et  documents:  Notes  sur  les  chroniqueuis 
Gino  e  Neri  Capponi.  —  L.  Auvray,  Inventaire  de  la  collection  Custodi 
(5^  art.).  —  Questions  d'enseignement.  —  Bibliographie.  —  Chronique]. 

Biblioteca  storica  della  letteratura  italiana  d.  d.  Fr.  Novati.  Ber- 
gamo, Istituto  ital.  d'aite  grafiche,  l'^OS.    N»  VII  e  VIII: 

Parducci,  A.,  I  ßimatori  Lucchesi  del  secolo  XIII.   CI,  141  S.   Lire  '^. 

Savj -Lopez,  Paolo,  Storie  Tebane  in  Italia.  XLIII,  124  S.  Lire  ö. 
Negri,  Gaetano,  Opere  I:  Nel  Presente  e  nel  Passato,  profili  e  boz- 
zetti  storici.  Seconda  edizione,  postuma,  largamente  accresciuta.  Milane, 
Hoepli,  190  k  428  S.  Liie  4,5U.  [Für  diese  neue  Ausgabe  der  Werke 
des  italienischen  Patrioten  und  Denkers  sind  zunächst  weiter  in  Aussicht 
genommen  die  Meditaxioni  vagabonde  und  die  Bumori  mondani.  Der  vor- 
liegende erste  Band,  zu  dem  Negri  1803  Titel  und  Vorrede  schrieb,  er- 
scheint hier  mit  einem  Vorwort  des  Verlegers  und  Freundes  und  ist  ein- 
geleitet durch  einen  Negri  alla  caccia  dei  briganti  überschriebenen  Auf- 
satz, in  welchem  der  Schwiegersohn  M.  Scherillo  nach  Negris  Briefen  einen 
fesselnden  Ausschnitt  aus  dessen  Jugendlebtn  gibt  (1861 — 52).  Auch  im 
übrigen  ist  der  Band  reicher,  als  er  1893  war.    Er  enthält:   G.  Garibaldi 

—  Vitt.  Emmanuele  a  Magenta  —  Le  cinque  giornate  —  Agli  elettori 
del  IL  collegio  di  Milano  —  Discorso  tenuto  al  banchetto  del  circolo  'La 
riforma'  —  Le  memorie  di  G.  Giusti  —  Napoleone  III  e  l'Italia  —  Quin- 
tino  Sella  —  II  principe  di  Bismarck  —  Un  eroe  delle  guerre  Napoleoniche 

—  La  battaglia  di  Abba  Garima.] 

Pochhammer,  Paul,  Die  Wiedergewinnung  Dantes  für  die  deutsche 
Bildung.  14  S.  (S.-A.  aus  der  Humboldt- Akademie.  Dem  Generalsekretär 
Dr.  M.  Hirsch  zu  seinem  70.  Geburtstage  gewidmet  von  der  Dozenten- 
schaft). 

Bertani,  Carlo,  II  maggior  poeta  sardo  Carlo  Buragna  e  il  petrar- 
chismo  del  seicento.    Milano,  Hoepli,  1905.     178  S.    Lire  4. 

Novati,  Fr.,  Attraverso  il  Medio  Evo.  Studi  e  Ricerche.  Bari,  La- 
terza  e  Figli,  1905.  415  S.  Lire  4.  [Es  ist  der  13.  Band  einer  Biblioteca 
di  Gultura  moderna  sich  betitelnden  Sammlung,  in  welcher  z.  B.  King  e 
Okey,  L'Italia  d'oggi,  Ciccotti,  Psicologica  del  movimento  socialista  und 
Übersetzungen  wie  Spingarns  Critica  letteraria  nel  Rinascimento,  Carlyles 
Sartor  Resartus  erschienen  sind.  Novati  vereinigt  in  dem  Buche  acht 
Abhandlungen,  von  denen  einige  in  den  beiden  letzten  Jahrzehnten  in 
Zeitschriften  wie  Oiornale  storico  di  lett.  italiana,  Romania,  Archivio  per 
lo  studio  delle  tradiz.  popolari  gedruckt  und  bekannt  geworden  sind,  wäh- 
rend andere  in  weniger  zugänglichen  italienischen  Revuen  erschienen  und 
im  Auslande  fast  unbekannt  geblieben  sind.  Zwei  scheinen  überhaupt 
hier  zum  erstenmal  gedruckt  zu  sein,  nämlich :  II  passato  di  Meßstofele 
(die  Koboldfigur  wird,  samt  ihrem  Namen,  unter  Zustimmung  zu  Roschers 
Lösung,  bis  in  die  antike  Mythologie  zurückverfolgt)  und  /  detti  d'amore 
d'una  contessa  pisana  (über  eine  Stelle  des  Kommentars  der  Documenti 
d'amore  des  Fr.  da  Barberino  [Strophe  XI],  worin  vielleicht  auch  eine  Re- 
miniszenz an  Alienor  von  Poitiers  zu  erkennen  ist ;  ein  Beitrag  zur  Kennt- 
nis der  alten  Minnedebatten).  Der  Band  wird  eröffnet  durcfi  einen  Auf- 
satz über  das  Änticerberus  überschrieben e  lateinische  Gedicht  (1400  Verse) 
eines  Franziskaners  Fra  Bongiovanni  des  13.  Jahrhunderts  (S.  9— 115).   Es 


Verzcichuis  der  eingelaufenen  DruckscTiriften.  487 

folgen :  //  lomhardo  e  la  lumaca,  die  bekannte  ethologische  Studie  (vgl. 
Z.  /.  r.  Ph.  III,  98;,  mit  einigen  Nachträgen ;  II  frammmto  Papafava  (zur 
Interpretation  der  früher  Lamento  della  sposa  padovana  [1277]  genannten 
Strophen,  die  zu  der  allegorischen  Minnepoesie  gehören,  welche  der  Kosen- 
roman  dominiert  [vgl.  Romania  XIX,  I5ö]);  /  codici  francesi  dei  Oonxaga, 
wo,  einleitend,  Novati  zu  P.  Meyers  Vortrag  über  die  Verbreitung  des 
Französischen  in  Italien  (vgl.  hier  CXIIl,  478)  einige  Ergänzungen  gibt; 
Le  poesie  sulla  natura  delle  frutta  e  i  eanterini  di  Firenxe  und  Una  vecchia 
canxone  a  ballo  {Madonna  Pollaiola),  eine  Studie  zu  dem  Kinderreigen,  den 
D'Ancona  in  La  poesia  popolare  italiana  S.  40  erwähnt.  Wie  alle  Ar- 
beiten F.  Novatis,  so  bieten  auch  die  hier  vereinigten  Genufs  und  Beleh- 
rung. In  lebendiger,  fesselnder  Form  verbinden  sie  Scharfsinn,  Ideen- 
reichtum und  umfassende  Information.  Die  Kultur  des  mittelalterlichen 
Italiens  ist  ihm  wie  kaum  einem  zweiten  vertraut.] 

Heim,  Sophie,  Kleines  Lehrbuch  der  italienischen  Sprache.  4.  um- 
gearbeitete u.  vermehrte  Auflage.  Zürich,  Schulthefs,  1905.  VIII,  185  S. 
Geb.  frs.  2. 

Methode  Toussaint-Lan^enscheidt.  Brieflicher  Sprach-  und  Sprech- 
unterricht für  das  Selbststudium  der  italienischen  Sprache  von  Dr.  H. 
Sabersky,  unter  Mitwirkung  von  Prof.  G.  Sacerdote.  Berlin,  Langen- 
scheidt.    Brief  20 — 26  zu  M.  1.    Dazu  I.  Beilage:  II  Ripetitore. 

de  Beaux,  Prof.  A.,  Italienische  Handelskorrespondenz  für  Anfänger. 
Leipzig,  G.  J.  Göschensche  Verlagsbuchhandlung,  19i)5.  VII,  85  S.  Kart. 
M.  1,30. 

Heck  er,  Prof.  Dr.  O.,  Neues  deutsch  -  italienisches  Wörterbuch  aus 
der  lebenden  Sprache  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  täglichen  Ver- 
kehrs zusammengestellt  und  mit  Aussprachehilfen  versehen.  Teil  I:  Ita- 
lienisch-Deutsch, zweite  Auflage  mit  beträchtlich  vermehrter  Namenliste, 
X,  455  S. ;  Teil  II:  Deutsch-Italienisch,  X,  644  S.  Braunschweig,  Wester- 
mann, 1905.  [Der  erste  Teil  dieses  Wörterbuches  ist  in  erster  Auflage 
1900  erschienen  und  hier  CV,  216  ff.  besprochen.  Der  Verfasser,  der  uns 
auch  mit  so  vortrefflichen  Lehrbüchern  des  lebenden  Hochitalienisch  be- 
schenkt hat  {Die  italienische  Umgangssprache,  Braunschweig  1897;  II  pic- 
colo  italiano,  Karlsruhe  1900),  gibt  in  diesem  mit  dem  zweiten  Bande  nun 
abgeschlossenen  Wörterbuch  ein  Werk,  das,  wie  kein  zweites,  selbständig 
nach  den  lebendigen  Sprachquellen  gearbeitet  ist,  Kürze  und  Vollständig- 
keit, wissenschaftliche  Genauigkeit  mit  praktischer  Brauchbarkeit  vereinigt. 
Er  ist  darin  vom  Verlag  durch  hervorragende  typographische  Ausstattung 
unterstützt  worden.]  

Bulletin  hispanique.  VII,  1  [M.  R.  de  Berlanga,  Estudios  numismä- 
ticos.  —  H.  de  la  Ville  de  Mirmont,  Cic^ron  et  les  Espagnols.  —  J.  Cal- 
mette,  Une  ambassade  espagnole  ä  la  cour  de  Bourgogne  en  1477.  — 
A.  Morel-Fatio,  Les  origines  de  Lope  de  Vega.  —  Vari^t^s:  *E1  MIstico' 
de  Santiago  Rusinol  (E.  M^rim^e).  —  Questions  d'enseignement.  —  Biblio- 
graphie. —  Sommaire  des  revues  consacr^es  aux  pays  de  langue  castillane, 
catalane  ou  portugaise.  —  Chronique]. 

Farinelli,  A.,  Note  sulla  fortuna  del  'Corbaccio'  nella  Spagna  medie- 
vale  (S.-A.  aus  d.  Festgabe  f.  A.  Mussafia).    Halle,  Niemeyer,  1905.   60  S. 


Lang,  H.  R.,   Old   portuguese   songs    (S.-A.   aus   der   Festgabe   für 
A.  Mussafia).    Halle,  Niemeyer,  1905.    19  S. 


Brandstetter,  R.,  Rätoromanische  Forschungen:  I.  Das  schweizer- 
deutsche Lehngut  im  Romontschen.    Luzern,  J.  Eisenring.   1905.    82  S. 


488  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

[Der  gelehrte  Verf.  geht  von  der  Erkenntnis  aus,  dafs  man  bisher  in  der 
Untersuchung  der  deutschen  Bestandteile  der  rätischen  Wort-  und  Satz- 
bildun^  viel  zu  sehr  von  der  neuhochd.  Schriftsprache  ausgegangen  sei 
und  die  viel  näher  liegenden  schweizerischen  Mundarten  zu  sehr  aulser 
acht  gesetzt  habe.  Er  weist  die  wesentlich  schweizerdeutsche  Basis  des 
rätischen  Lehngutes  übeizeugeud  nach  und  eröffnet  weitere  interessante 
Ausblicke  auf  die  Wechselbeziehungen  dieses  romanisch-deutschen  Grenz- 
gebietes. In  den  lautlichen  Darlegungen  vermifst  man  gelegentlich  die 
Terminologie  der  modernen  Phonetik  (z.  B.  'weiche  Vokale'  p.  5)  und  in 
der  Anführung  der  Literatur  bestimmte  Angaben  über  Druckort  und  Datum.] 

Meyer-Lübke,  W.,  Altgermanische  Elemente  im  Eumänischen  (S.-A. 
aus  der  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachforschung  auf  d.  Gebiete  der  indogerm. 
Sprachen,  hg.  von  Kuhn  und  Schulze,  Bd.  XXXIX,  S.  93—99).  Güters- 
lon,  Bertelsmann,  1903.  [M.  lehnt  Lowes  in  der  nämlichen  Zs.  S.  297  ff. 
gemachten  Versuch,  im  Rumänischen  germanische  Lehnwörter  nachzu- 
weisen, ab.] 

Friedwagner,  M.,  Rumänische  VolksHeder  aus  der  Bukowina  (S.-A. 
aus  der  Festgabe  für  A.  Mussafia).    Halle,  Niemeyer,  1905.    34  S. 


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