HANDBOUND
AT THE
UNIVERSITY OF
TORONTO PRESS
{P^ X- 7?J''
ARCHIV
FÜR DAS
STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN
UND LITERATUREN
BEGRÜNDET VON LUDWIG HERRIG
HERAUSGEGEBEN
VON
ALOIS BRANDL UND HEINRICH MORF
LIX. JAHRGANG, CXIV. BAND
DER NEUEN SERIE XIV. BAND
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BRAÜNSCHWEIG
DRÜCK UND VERLAG VON GEORGE WESTERMANN
1905
9B
As
Inhalts-Verzeiclinis des CXIIL Bandes,
der neuen Serie XIII. Bandes.
Abhandlungen. g^.,^
Zur Entstehung des Märchens. Von Friedrich von der Leyen. 11. (Fort-
setzung) 1
Hrotsvita literarische Stellung. Von P. v. Winterfeld. 1 25
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. Von H. Tardel 273
Hrotsvits literarische Stellung. Von P. v. Winterfeld. IL (Schlufs, mit
Nachruf auf den Verfasser) 293
Der sekundäre Nasal in nighiingale, messenger und ähnlichen Fällen. Von
K. Luick 76
Noch einmal Bigorne und Chicheface. Von Johannes Bolte . . . . 80
Ein Beitrag zur Quellenuntersuchung von Daniel Defoes 'Journal of the
plague year'. Von F. Bergmeier 87
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185. Von Wilhelm Bolle ... 326
Zur englischen Syntax. Von Wilhelm Hörn 358
Studien zur fränkischen Sagengeschichte. Von Leo Jordan. 1 92
Cyrano de Bergerac (1619 bis 1655), sein Leben und seine Werke. Ein Ver-
such. Von H. Dübi. IL (Fortsetzung) 115
üngedruckte Meister-Foscolo-Briefe. 1815—1817. Von Paul Usteri . . 146
Cyrano de Bergerac (1619 — 1655), sein Leben und seine Werke. Ein Ver-
such. Von H. Dübi. III. (Fortsetzung) 371
Note Bulla fortuna del Boccaccio in Ispagna neU'Etä Media. Di Arturo
Farinelli. 1 397
Kleine Mitteilungen.
Rex non potest peccare. (Richard M. Meyer) 161
'Den Originalen.' (Richard M. Meyer) 162
Das Motiv von der untei^eschobenen Braut. (F. Holt hausen) . , , . 430
IT
Seite
Das angelsächsische Rätsel 56: 'Galgen' al» WaflFenständer. (F. Liebermann) 163
Ae. wej-lä, wej-lä-wej, me. wei-la-wei etc. (ErikBjörkman) . . . . 164
Zu Lajamon (Calig.) 13 857. (L. Kellner) 164
Zur Etymologie von schottisch orra. (OttoRitter) 165
Zachariae in England. (Georg Herzfeld) 166
Zu Archiv CXIII, 63 (Lewis' Monk). (Otto Ritter) 167
Zu M. Gr. Lewis' Tales of wonder. (Otto Ritter) 167
Ein englisches Urteil für Byron. (A. B.) 167
Ne. lioehng. (Wilhelm Hörn) 431
Ne. pane, panel; nfrz. panneau; nhd. paneel; lat. panis. (Heinrich
Schröder) 168
Die Quelle des Hervis von Metz. (LeoJordan) 432
Sitzungen der Berliner Gesellschaft filr das Studium der neueren Sprachen 170
Verzeichnis der Mitglieder der Berliner Gesellschaft flir das Studium der
neueren Sprachen. Januar 1905 182
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Wilh. Brückner, Der Helianddichter ein Laie. (Fr. Klaeber) .... 192
B. Eggert Der psychologische Zusammenhang in der Didaktik des neu-
sprachlichen Reformunterrichts. (H. M.) ........... 189
B. Litzmann, Goethes Faust. Eine Einführung. (Richard M. Meyer) . . 195
Karl Luick, Deutsche Lautlehre. (J. Schatz) 189
M. Schi an, Der deutsche Roman seit Goethe. (R. M. M.) 195
Woerner, Fausts Ende. Akademische Antrittsrede. 2. Auflage. (R. Petsch) 194
C. H. Firth, A plea for the historical training of history. (A. Brandl) . 200
L. Herrig: British classical authors with biographical notices. On the basis
of a selection by L. Herrig edited by Max Förster. 86*^ edition.
(W. Münch) 197
Songs from David Herd's manuscripts, edited with introduction and notes by
Hans Hecht. (A. Brandl) 209
Die altenglischen Säugetiemamen zusammengestellt und erläutert von Richard
Jordan. (Fr. Klaeber) 203
Englisches Unterrichtswerk für höhere Schulen. Unter Mitwirkung von
William Wright bearbeitet von Gustav Krueger. (Willi Splettstöfser) 210
Bernhard Neuendorff, Entstehungsgeschichte von Goldsmiths 'Vicar of
Wakefield'. (Georg Herzfeld) 206
W. E. Parser, Palmerin of England, some remarks on tliis romance and
on the controversy copcerning its authorship. (A. Brandl) . , . . 204
V
Seite
Alexander Schmidt, Shakespeare- Lexikon. 3^ ed. revised and enlarged by
Gregor Sarrazin. (Hermann Conrad) 441
E. Wölbe, Quellenstudien zu John Homes 'Douglas'. (Heinrich Spies) . . 206
Color-names and their congeners. A semasiological investigation by Francis
A. Wood. (Fr. Klaeber) 201
William Wright, s. G. Krueger.
F. Baldensperger, Goethe en France. (H. M.) 222
1) O. Born er und F. Schmitz, Oberstufe zum Lehrbuch der französischen '
Sprache, Ausg. D. — 2) O. Born er und Cl. Pilz, Lehrbuch der fran-
zösischen Sprache für Präparandenanstalten und Seminare. Ausg. F, H. —
3) O. Börner und F. Schmitz, La France. 2. Aufl. — 4) O. Börner,
Bemerkungen zur Methode des neusprachlichen Unterrichts. (George Carel) 227
David Engländer, La X^ satire de Boileau compar^e k la VI® de Juvenal.
(F. Bastier) > 454
Maurice Grammont, Le vers fran9ais, ses moyens d'expression, son armo-
nie. (Adolf Tobler) 231
Heinrich Grein, Studien über den Reim bei Theodore de Banville. (Karl
Vofsler) 468
Oscar Grojean, Antoine de la Säle. (Carl Haag) 453
Henri Hauvette, Luigi Alamanni (1495 — 1556), sa vie et son oeuvre.
(E. Bovet) 239
Hilfsbuch für den französischen Unterricht in Sexta, Quinta, Quarta im An-
schlufs an R. Kuhns Lehrbuch von den Fachlehrern der Liebig-Real-
schule zu Frankfurt a. M. (J. Block) 462
Edmond Huguet, Les m6taphores et les comparaisons dans l'oeuvre de Victor
Hugo. Le sens de la forme dans les m^taphores de Victor Hugo.
(Eugfene Bigal) 218
W. Jonas, 25 deutsche Dichtungen im Gewände franz. Prosa. (Emil Penner) 468
F. Koldewey, Französische Synonymik für Schulen. 4. Aufl. (G. Krueger) 467
Poema de Fernan Gon9alez, texto critico con introduccion, notas y glosario,
por C. Carroll Mar den. (R. Menendez Pidal) 243
Toreau de Marney, Grammaire fran9aise id^ographique. (Felix Kalepky) 230
Wilhelm Meyer-Lübke, Die lateinische Sprache in den romanischen Län-
dern. (Max Niedermann) 455
A. Morel-Fatio, Etudes sur l'Espagne. Troisifeme s^rie. (H. M.) . . . 257
Alfred Per not, Enseignement par l'Aspect. (Felix Kalepky) . . . . . 230
Cl. Pilz, B. O. Börner.
Hans Ränke, Über die Sprache des französischen Wallis in der Zeit vom
11. bis 14. Jahrhundert. (L. Gauchat) 224
Wilhelm Ricken, Französisches Gymnasialbuch für den Unterricht bis zum
Abschlufs der Untersekunda. (Vordieck) 465
VI
Seit«
Max Roediger, Die Bedeutung des Suffixes -ment. (K. Jaberg). . . . 458
H, von Samson-Himmelstjerna, Rhythmik-Studien. (Karl Vofsler) . 234
Franz Settegast, Quellenstudien zur galloromanischen Epilc. (Leo Jordan) 212
The chronicle of Morea, edited in two parallel texts from the mss. of Copen-
hagen and Paris, with introduetion, critical notes and indices, by John
Schmitt. (K. Dieterich) 216
F. Schmitz, s. O. Börner.
Zur «Herzogin von Parma' (Archiv CXIII, 433) 258
Verzeichnis der von Mitte Dezember 1904 bis Mitte März 1905 bei der Re-
daktion eingelaufenen Druckschriften 259
Verzeichnis der vom 13. März bis zum 12. Juni 1905 bei der Redaktion
eingelaufenen Druckschriften 471
Zur Entstehung des Märchens.
(Fortsetzung.)
Wir kehren nun noch einmal zur Zauberei zurück und stellen
noch einmal fest: der Zauberer unterscheidet sich von anderen
dadurch, dafs er Traumzustände, auf welche wir anderen warten
müssen, selbst herstellt. Bei uns trennt sich nur im Traum
die Seele vom Körper, und wir wissen nicht, wohin sie schwebt;
der Zauberer kann diese Seele selbst vom Körper trennen, er
kann sie aufserdem schicken, wohin er will, in die Luft und ins
Meer, in Pflanzen, in Tiere, in andere Menschen: der Zauberer
entfaltet also eine unbegrenzte VerwandlungsfähigkeitJ — Wir
sprechen im Traum mit den Geistern der Entschlafenen; der
Zauberer bannt und ruft diese Geister, er beherrscht sie und
zwingt sie zum Gehorsam. Ja — und das ist eine weitere merk-
würdige Konsequenz der primitiven Völker — er kann diese
Geister nicht nur rufen, er kann seinen Geist aus sich heraus-
und den eines anderen in sich hineinschicken, er ist von dem
Geiste eines anderen besessen, wenn er wie betäubt daliegt und
Wahrsagungen lallt. ^ Und dieser Geist des anderen, der in sol-
chen Zuständen aus dem Zauberer spricht, besitzt Kenntnisse
und Gaben, die sich weit über das irdische Mafs erheben, weil
sie einem Geist, einem von der Körperhaft befreiten Wesen, zu-
kommen. 3
Diesen Darlegungen entsprechend erzählen die Märchen, be-
sonders orientalische, gern, dafs die Zauberer ihren Geist in den
Verstorbener oder in Tierleichname schicken und diese neu be-
leben, dafs sie die Gestalt eines anderen annehmen, um die Men-
schen zu täuschen.* Sie erzählen weiter, dafs die Zauberer sich
* Vgl. Schoolcroft, Indian Tribes VI, 662, und von der Leyen, Qer-
inanist. Abhh. für Hermann Paul (1902) S. 154 f.
2 Vgl. Frazer2 I, 132; Tylor II, 131 f.; Schoolcraft VI, 649 f.; Andr^e,
Ethnogr. Parall. II, 1 f.
^ Vgl. Cranz, Historie v. Grönland^ I, 254 f.; Radioff, Aus Sibirien
II, 43 f. ; Aurel Krause, Die Tlinkit-Indianer 290 f.
'' Nur eine Erweiterung dieser Motive sind die Märchen von dem
Kaiser, der seine Seele in den Leichnam von Tieren schickte, dem Minister
diese Kunst verriet, worauf jener in den Körper des Kaisers fuhr, der
unterdes leblos dalag, und sich die Rechte des Kaisers anmafsen wollte.
Der Kaiser aber schickte seine Seele in den Körper eines Papageien, kam
Archiv f. u. Sprachen. CXIV. 1
2 Zur Entstehung des Märchens.
gern verwandeln : * und eines dieser Märchen zeigt wieder über-
raschende Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Ein Bericht
von den Zauberern der Naturvölker erzählt nämlich, wie ein
Zauberer, nachdem er sich in seinen Paroxysmus versetzte, aller-
hand Tiergestalten und Tiermasken annahm, wie er verfolgt
wurde, sich seinen Verfolgern durch lauter Verwandlungen ent-
zog, wie man ihn fesselte und er dann erst, gegen seinen Willen,
aussagte, was er wufste: das ist aber nichts anderes als das uns
aus der Odysse bekannte Märchen von Proteus, das wir auch
in orientalischen, in germanischen, in mittelalterlichen und in mo-
dernen volkstümlichen Überlieferungen antreffen — von Proteus,
der sich auch fortwährend verwandelt, gefesselt werden mufs
und höchst widerwillig aussagt, was er weifs. ^ — Und nicht allein
sich selbst, auch andere weifs der Zauberer zu verwandeln, und
diese Verwandlungskraft wird von den Menschen besonders ge-
fürchtet; wahrscheinlich schon vor den Zeiten der Kirke ebenso
lebhaft wie heute noch in unseren Volksmärchen. — Schliefslich
erzählen uns höchst interessante Berichte über Zauberei bei Natur-
völkern, dafs der Zauberer seinen Geist unter unsäglicher Mühe
und Gefahr in den Himmel oder in die Hölle schickt, dafs ihm
vorher eine Reihe von Fragen mitgegeben werden, die er den
Geistern, die er auf der Himmelsreise antrifft, vorlegt, und die
ihm diese beantworten. Nach langer Zeit kehrt er zurück und er-
zählt von seinen Abenteuern. ^ In diesen Berichten haben wir gewifs
den Ursprung der Märchen zu suchen, die von einer Reise zum
Teufel erzählen, bei der dem Reisenden eine Reihe von schweren
Fragen mitgegeben wird, auf die er die Antworten unterwegs
hört: es gehören diese Märchen ja auch zu den verbreitetsten, ^
und in anderem Zusammenhange werden wir sie noch einmal zu
betrachten haben. — Man sieht übrigens auch hier: die Himmel-
fahrts- und Höllenfahrtsmärchen entwickeln sich aus Erlebnissen
und Visionen in traumhaften Zuständen. Von persischen Zau-
durch seine Klugheit wieder in seinen Palast und auch mit Hilfe seiner
treuen Frau wieder in seinen Körper, den der falsche Minister verlassen,
um, mit seiner Kunst prahlend, in eine tote Henne zu fahren. — Eeiche
Nachweise bei Bolte, zu Reise der Söhne Giaffers, Stuttg. lit. Verein 208,
S. 208. Vgl, auch ßenfey, Pantschatantra I, Vit; Wilhelm Hertz, Wer-
wolf S. 24 f.
* Vgl. etwa — ich komme später darauf zurück — den Märchentypus
Grimm KHM 68 vom Zaubermeister und seinem Lehrling, die in Ver-
wandlungen wetteifern.
^ Aurel Krause, Tlinkit-Indianer 290, und von der Leyen, Germanist.
Abh. Paul S. 165 Anm. 1; Rohde, Oriech. Bomati^ 219 Anm. 3.
^ Von solchen ßeisen erzählen Schoolcraft, Cranz und besonders Rad-
ioff, Aus Sibirien II, 1 — 67. — Vgl. auch Bousset, Himmelsreise der Seele,
Archiv für Religionswissenschaft IV, 136 f. 229 f.
^ Z. B. KHM 29. Ich verweise nochmals auf Kuhn, Byx. Zs. IV, 241,
wo man die reichhaltigsten literarischen Nachweise findet.
Zur Entstehung des Märchens. S
berern etc. ist uns noch besonders bestätigt, dafs sie Narkotika
einnehmen und dann, im Zustande der Ekstase, die Seele in den
Himmel schicken. *
Den Paroxysmus und die Betäubung des Zauberers erklären
sich die primitiven Völker, um das zu wiederholen, vielfach so: der
eigene Geist, die eigene Seele hat den Körper verlassen, ein an-
derer ist in den Körper eingezogen; der Zauberer wird dann von
einem fremden Geist besessen. Ein Kranker nun, den hysterische
und epileptische Anfälle plagen, zeigt ein dem Zauberer durchaus
ähnliches Benehmen: man erklärt sich demgemäfs auch seinen
Zustand so, dals er besessen sei von irgendwelchen fremden
Geistern, und dafs diese Geister eben die Krankheiten wären. So
ergibt sich uns die wieder sehr alte und sehr verbreitete Vor-
stellung: die Krankheiten sind böse Geister, die durch die Luft
fliegen, unsichtbar, und die auf unerklärhche Weise in den Men-
schen eindringen. Da der Zauberer Herr über die Geister ist,
so ist er auch Herr über die Krankheiten; er ist Wahrsager
und Medizinmann, er beschwört, bannt und vertreibt die Krank-
heitsgeister. ^ Auf diesem Glauben beruht manches Märchen;
z. B. das spafshafte indische: ein Mann kann seine Frau nicht
ertragen, und der Geist, der in der Nähe des Hauses ist, auch
nicht: um den Mann zu entschädigen, fährt der Geist in eine
Prinzessin und macht sie krank; alle versuchen vergeblich die
Heilung, endlich kommt jener Mann, der Geist weicht sofort,
wie er es versprochen hatte, die Prinzessin wird gesund und der
Mann berühmt. ^ — Es gibt nun natürlich viele Mittel, die
Krankheiten zu vertreiben, die Geister zu beschwören: etwa dafs
man sie (d. h. den armen Kranken) prügelt, dafs man ihnen
fürchterliche oder komische Grimassen schneidet usw. — aus der
letztgenannten Beschwörung entsprang vielleicht das Märchen-
motiv, dafs eine von einer Krankheit unheilbare Prinzessin ge-
heilt wird, indem sie bei dem Anblick sehr possierlicher Gebärden
oder beim Anhören unsinniger Beschwörungen unbändig lacht. ^ —
Es geschieht auch häufig, dafs man die Krankheiten aus den
Kranken heraus auf andere Gegenstände oder auf andere Per-
sonen oder auf Tiere verwünscht, wie schon nach der Sage des
Evangeliums Christus die Teufel aus dem Besessenen trieb und
auf eine Herde Schweine wünschte. ^
' Vgl. Bousset, a. a. 0. 153. 160. 162—167.
2 Man vgl. Tylor II, 120 f. und Frazer2 I, 73: He (der Zauberer) com-
munes with spirits, takes aerial flights at pleasure, is invulnerable and
invisible at will and controls the elements.
^ ^ukasaptati, Textus simplicior \6. 47 (= Textus ornatior 56. 57). —
ßenfey, Pantschatantra I, 519 f.
^ Vgl. z. ß. gukasaptati, T. s. ^V (= T, o. 49); Benfey, a. a. O., und
im ganzen ij 212 zu Pantschatantra V, 12.
'" Tylor, Primitive Oulture II, 146 f. — Frazer-' III, 1 f.
1*
4 Zur Entstehung des Märchens.
Zum Schlufs dieser Zaubererörterungen verweile ich bei der
Frage; wer wird Zauberer? Besonders reizbare und sensitive
Menschen, der Anlage oder der Herkunft nach. Es wird nun
viel von Zeremonien gesprochen, durch die man seinen Beruf
zum Zauberer erweist, in geheimnisvollen, noch nicht ganz auf-
geklärten Berichten : ^ der Zauberer, heifst es, habe sich in öde
Einsamkeit zurückgezogen, sei getötet und wieder lebendig ge-
worden, habe seine Zauberseele empfangen, und diese wirke nun
in ihm. Diese Zeremonien werden gewöhnlich in die Zeit ver-
legt, in der der Zauberer aus dem Knaben sich in einen Mann
verwandelt, und aus dieser Zeit kann man sie wohl auch ver-
stehen. Viel abergläubischer Brauch und viele Festhchkeiten
gelten ihr: denn sie erscheint unheimlich, weil sich der Mensch
dann gar so sehr ändert, die alte Knabenseele scheint ihn zu
verlassen und die neue Männerseele in ihn einzuziehen. Bei den
Zauberern aber vollzieht sich diese Änderung besonders sichtbar
und heftig; sie zeigen in dieser Periode zum erstenmal die Kraft,
durch die sie später so berühmt werden: ihre eigene Seele aus
sich herauszuschicken und fremde in sich hineinzulocken. Ich
halte es für nicht unmöglich, dafs in dem alten sagenhaften Be-
richt über Odins Zauberei, dafs er tot am windigen Baum ge-
hangen, dafs er wieder zu neuem Leben erwacht, gediehen sei
und an Weisheit zugenommen habe, dafs in diesem Bericht alte
Erinnerungen an solche Zauber -Einweihungs- Zeremonien nach-
klingen. 2
GefährUcher noch als bei den Knaben ist die Zeit der Mann-
barkeit bei den Mädchen: denn Blut ist als böser, zauberischer
Saft bei allen Naturvölkern gefürchtet, und zur Zeit der Mann-
barkeit dringt dies Blut plötzlich, in unaufgeklärter Weise, aus
den Mädchen. — Die Mädchen werden darum, wenn die Menses
eintreten sollen, ängstlich abgesperrt gehalten, höchstens eine alte
Frau darf mit ihnen reden, oft verbirgt man sie in Gemächer
unter die Erde, und kein Sonnenstrahl dringt zu ihnen. Dieser
vielfältig bezeugte Brauch erklärt nun sehr einleuchtend das be-
kannte Märchenmotiv: Eltern wird geraten, sie sollten ihr Mäd-
chen sofort nach der Geburt in einen einsamen Turm bringen,
wo sie von Menschen nicht gesehen werde, und wo die Sonne
sie nicht bescheinen könne, dort solle das Mädchen bis zu sei-
nem fünfzehnten Jahre, d. h. bis zur Mannbarkeit, bleiben. ^ Es
* Besonders reiches Material bei Frazer^ III, 418 f. Auch Cranz
spricht a. a. O. darüber.
^ Danach wären meine Bemerkungen, Kleine Studien zur deutschen
Mythologie {Oermanist. Abhandlungen, Paul) S. 163, zu ergänzen und zu
berichtigen.
^ Namentlich wäre Frazer 2 III, 204 f. zu vergleichen.
Zur Entfitehung des Märchens. 5
genügt, hier die Danae und das Dornröschen^ als Beispiele sol-
cher abgesperrter Märchenmädchen zu nennen. ^
Die Seele des Menschen ist in Schlaf und Traum aufserhalb
des Menschen, d. h. aufserhalb seines Leibes, und der Zauberer
kann seine Seelen besonders weite Strecken und für besonders
lange Zeiten aus dem Leibe schicken. Auch dieser Glaube stei-
gert sich unmerklich, bis ein Märchen daraus wird. Dies Mär-
chen weifs von Zauberern und Riesen, die ihre Seele überhaupt
nie in sich, sondern die sie immer aufser sich haben, sei es in
einem Baum, sei es in einem Stein, sei es in einem Speer, sei
es in einem Ei usw. Schon in dem ältesten Märchen, das wir
besitzen, dem ägyptischen Brüdermärchen, hören wir von Men-
schen, die ihre Seele aufser sich haben und sie in Tiere und
Bäume hineinschickten, die. Märchen, die ähnliches fabeln, nament-
lich die Märchen vom Riesen ohne Seele '^ (wir müssen es später,
wenn unsere Erörterungen komplizierter werden, noch einmal be-
trachten) gehören noch heute zu den beliebtesten, abwechselungs-
reichsten und aufregendsten.
Wie sieht nun nach der Anschauung der primitiven Völker
die Seele aus, und wo im Leibe hat sie ihren Sitz? Auf diese
Fragen gibt es sehr verschiedene Antworten. Vielleicht die
älteste: die Seele ist ein Hauch und lebt im Atem, haben na-
mentlich, wenn ich von den griechischen, indischen, römischen
Berichten absehe, deutsche Sagen bewahrt, es heifst darin auch,
dafs die Seelen als Hauch oder Wölkchen aus dem Munde des
Schlafenden schweben, durch Türritzen in andere Gemächer
dringen und die darin Schlafenden wie ein Alp peinigen; oder
dafs sie in den Mund des Schlafenden zurückkehren, nach aller-
hand seltsamen Wanderungen und Erlebnissen ; diese Wanderungen
und Erlebnisse aber hat der schlafende Mensch gleichzeitig ge-
träumt.'• Diese Sagen, dem Wesen nach uralt, erklären uns, wie
wir schon erfuhren, anschaulicher und reiner als es jede gelehrte
Erklärung kann, die primitiven Vorstellungen von Schlaf und
Traum. — Eine andere Antwort ist: der Schatten enthält die
* Vgl. auch Hartland, Legend of Perseus I, 71 f.; Bohde, Qriech.
Roman 135.
^ Vielleicht hat sich auch das Motiv von der Hexe oder bösen Stief-
mutter, die das Mädchen absichtlich abgesperrt hält, es mifshandelt oder
verleumdet, aus diesem alten Aberglauben entwickelt. Ich komme auf
dies Motiv der bösen Stiefmutter noch zurück und will hier nur wiederum
vermuten, dafs der genannte Aberglaube eine seiner Wurzeln sei. — Dafs
das Blut bei der Defloration gleichfalls als gefährlich galt, und dafs sich
aus der Furcht vor diesem Blute die Sage von dem Mädchen herausbil-
dete, das äufserlich so schön war und dessen Umarmungen den plötz-
lichen Tod brachten, hat Wilhelm Hertz {Sage vom Giftmädchen, Oesam-
melte Abhandlungen, 1905, S. 156 f.) erwiesen.
3 Vgl. Reinhold Köhler, Kleinere Schriften I, 1581; Frazer-' III, 353 f.
■^ ' Vgl. Archiv Bd. CXIII, S. 252, Anm. 2.
6 Zur Entstehung des Märchens.
Seele. Und diese Antwort ist als Sagen- und Märchen motiv
gleichfalls lebendig, wie sie ja auch eine Fülle von Aberglauben
hervorrief — es heifst, die Kraft eines Helden wächst und
sinkt mit der Sonne, je nachdem sein Schatten länger oder kürzer,
d. h. seine Seele stärker oder schwächer ist;^ und wer seinen
Schatten verliert, hat damit gleichzeitig seine Seele verloren, wie
der unglückliche Peter Schlemihl. — Eine dritte Antwort be-
fremdet uns zuerst: die Seele ist eine Maus und läuft als Maus
aus dem Munde des Schlafenden. Sie erklärt sich aber leicht:
die Anschwellung am Arm, die die Muskeln verursachen, sieht,
wie ja auch der Name Muskel beweist, einer Maus ähnlich:
daraus entstand die Vorstellung, eine Maus ruhe dort, und sie
sei die Seele. Nun enthalten die Märchen von den Prinzessinnen,
die sich in Mäuse verwandeln, ^ einen neuen Sinn, und man darf
wohl auch mit Hilfe dieser Vorstellung die Sage vom Ratten-
fänger von Hameln deuten:^ ursprünglich lockte er, als rechter
Zauberer und Seelenfänger, die Seelen der Kinder als Ratten
heraus, und die Kinder mufsten ihren Seelen folgen: daraus wur-
den zwei Sagen, erst habe er die Ratten und dann die Kinder
gelockt; da man nun die erste Sage und somit auch den eigent-
lichen Zusammenhang zwischen der ersten und zweiten nicht
mehr verstand, erfand man eine neue Motivierung, um sie von
neuem organisch zu verbinden, man brachte das alte, bekannte
Motiv von einem überirdischen Wesen, das Menschen von einer
Plage befreit und nicht den ausbedungenen Lohn, sondern schnö-
den Undank erhält, in unsere Sage; so verlief sie denn wie noch
jetzt: die Einwohner von Hameln werden durch den Rattenfänger
von Mäusen befreit, sie lohnen ihm mit Undank, und er verlockt
dafür ihre Kinder, bis sie auf Nimmerwiedersehen in einem
Wasser oder in einem Berge verschwinden. — Eine vierte Ant-
wort: die Seele ist eine Schlange, begreift sich wohl daraus, dafs
Schlangen auf der Erde und aus der Erde kriechen, die Leiber
der Entschlafenen ruhen auch in der Erde. Eine Vereinigung
beider Tatsachen ergibt den Glauben, dafs die Seelen der Ver-
storbenen, in Schlangen verwandelt, aus der Erde hervorkriechen,
und dann weiter, dafs die Seele überhaupt als Schlange er-
scheint. ^ Manche Sagen und Märchen berichten, dafs ein Kind
* Besonders Frazer2 I, 285 f.; Spencer, Prinzipien S. 177; Negelein,
Bild, Spiegel und Schatten im Volksglauben {Ar eh. f. Religionswiss, V, 12 f.) ;
Pradel, Mitteilungen der schlesischen Oesellschaft für Volkskunde XII, 1 f.
^ Etwa Gawein, vgl. Gaston Paris, Eist. litt, de la France XXX, 35/6 ;
Pradel, a. a. O. S. 11.
^ Ich darf vielleicht an das reizendste Beispiel, an Sisi und Fifi in
Brentanos OocJcel, Hinkel, Oackeleia, erinnern.
'' Grimm, Deutsche Sagen, Nr. 245 mit Anm.
* Wie die Seele Verstorbener für empfangene Wohltaten, so ist auch
die Schlange dankbar. Vgl. Reinhold Köhler I, 366. 440.
Zur Entstehung des Märchens. 7
mit einer Schlange speiste und gedieh, dafs es sie dann erzürnte,
so dafs jene wich, und seit der Zeit nahm auch das Kind ab
und zehrte sich langsam auf — es hatte eben in der Schlange
seine Seele gekränkt, und als diese es verliefs, mufste es natür-
lich sterben. * Namentlich orientalische Märchen wissen von Mäd-
chen, die sich nächtens in Schlangen verwandeln, und die dann
ihre Schlangenhaut abstreifen, um Mädchen zu werden, oder aus
deren Munde eine Schlange hervorkriecht. ^ Man gab ja nun
dem Toten öfters Schätze in die Erde mit, die Schlangen lebten
in der Erde bei diesen Schätzen — daher vielleicht nennt das
Märchen so oft Schlangen als Schatzhüter, ^ und daher kommt
wohl auch das Motiv von Menschen, die sich nach ihrem Tode
in Schlangen oder Drachen verwandeln, um bei ihren Schätzen
zu wachen: ein Motiv, das uns allen aus der Nibelungensage
(Fafner) erinnerlich ist, und das ich auch in einem buddhistischen
Märchen bemerkte.* — Die Seele entfaltet ja, vom Leibe ge-
trennt, besondere Gaben: so auch die Schlange, ihr wird die
Heilkraft zugeschrieben, denn sie lebt in nächster Nähe der hei-
lenden Kräuter der Erde, und sie kennt auch das Kraut, das
gegen den Tod gewachsen ist. Eines der ältesten griechischen
Märchen (schon bei Pindar nachgewiesen) weifs davon: Glaukos
sitzt an der Leiche seines Freundes Polyidos, eine Schlange er-
scheint, er tötet sie; eine andere Schlange erscheint, sieht die
entseelte, verschwindet und kehrt mit einem Kraut zurück, durch
das sie die getötete belebt; die beiden Schlangen verschwinden,
und Glaukos belebt durch das zurückgelassene Kraut auch seinen
Freund. Dies Märchenmotiv können wir durch das Mittelalter —
es drang bis in die nordische Y^lsungasaga — verfolgen, und es
wurde auch einem seiner Herkunft nach orientalischen, später von
uns noch einmal zu betrachtenden, noch gegenwärtigen Märchen ein-
gefügt und gab ihm einen neuen, echt märchenhaften Reiz. ^ — Der
Schlange wird auch noch andere Weisheit nachgerühmt: dafs sie
und auch dafs jeder, der von ihr gegessen, die Sprache der Tiere
verstehe, und dafs sie diese Gabe als besondere Gunst mitteile. ® —
Eine fünfte Antwort: die Seele ist ein Vogel, versteht sich sehr
leicht, wenn wir nur daran denken, dafs die Seelen sich im Traum
^ KHM 105 und Anm.r Die Unke' ('Die Ringelnatter ist gemeint'). —
Tylor II, 240.
* Vgl. Benfey, Pantschatantra I, § 92 und bes. S. 265 ; v. Haxthausen,
Transkaukasia I, 318. 333.
^ Über den Glauben an Edelsteine, die Schlangen im Kopfe tragen,
Benfey, Pantschatantra I, 214 Anm.
* Jätaka, übers, von Cowell, etc., Nr. 137.
^ Wilhelm Hertz, Spielmannsbuch 2 408, 4. — Reinhold Köhler zu
'Die Lais der Marie de France', ed. Warnke, CIV f.
^ Grimm, KHM 16 mit Anm. — Reinhold Köhler, Kl. Schriften II,
610 u. Anm. 2; I, 336. 340. 342.
8 Zur Entstehung des Märchens.
so leicht und frei bewegen wie ein Vogel, und dafs die Stimme
eines Vogels ungefähr klingt, wie wir uns die der Seele denken :
der der Menschen ähnlich, nur leichter und feiner. Dem Märchen
vom Machandelboom gibt die Vorstellung von der Seele als
Vogel eine ganz seltsame und wehmütig rührende Kraft. Ver-
wandelte Menschen fliegen im Märchen oft als Vogel davon. * —
Als Erscheinungen der Seele haben auch die Vögel im Märchen
Kunde von verborgenen Dingen, warnen den Menschen vor Ge-
fahren, zeigen ihm Schätze (Siegfried, Nibelungensage) etc.; ihren
Lieblingen geben Sage und Märchen die Fähigkeit, dafs sie die
Sprache der Vögel verstehen können. 2 Wie alt diese Vorstel-
lung von der Seele als Vogel ist, hat uns zuletzt ja Weicker ge-
zeigt: Homers Sirenen zum Beispiel waren ursprünglich Vögel,
von der Göttin der Unterwelt entsandt, den Menschen durch
ihren Gesang in die Reiche des Hades zu locken. ^
In diesen Fällen — und noch in manchen anderen, die an-
zuführen ich mir aber erspare — hat die Seele eine bald weniger,
bald ganz deutlich bestimmte und sichtbare Gestalt. Unbestimmter
schon sind die Vorstellungen, dafs die Seele im Blut oder im
Speichel eines Menschen wohne, die uns ja auch durch eine Fülle
von abergläubischen Gebräuchen bezeugt wird und im Märchen
meist in der Form fortlebt, dafs Blut oder Speichel statt des
Menschen antworten, wenn er aus der Behausung einer Hexe
oder eines Zauberers floh und statt seiner Blutstropfen oder
Speichel zurückliefs. ^ Die Sage erzählt ferner, dafs aus Speichel
Menschen entstehen können — z. B. die nordische Sage von
Kvasir, und dieselbe Sage berichtet, was uns auch als Brauch
verschiedener primitiver Völker berichtet wird, dafs die Äsen
und Wanen zum Zeichen des Friedensschlusses alle in ein Gefäfs
spuckten. ^
Nach der Anschauung des primitiven Menschen lebt nun
die Seele oder etwas von der Seele auch in allem, was je mit
dem Menschen zusammenhing, und was mit ihm auch nur die
^ J. Grimm, Deutsche Mythologie 4 II, 690. — Ad. Kuhn, Mythol. Stu-
dien S. 96. — KHM 47 mit Anm. — Frazer 2 I, 253 f. 278. — Negelein,
Olohus 79 (1901), 357. 381. — Weicker, Der Seelenvogel, 1902, S. 1 f. 20
Anm. 4. — Schoolcraft, Indian tribes VI, 637: Seele in süfssingenden
Vogel verwandelt.
^ Vgl. oben S. 7 Anm. 6. — Man vergleiche auch das Märchen vom
treuen Johannes KHM 6 und ßeinhold Köhler, Aufsätxe über Märchen
und Volkslieder S. 24 f. — Die Erlernung der Sprache der Tiere ist in
den meisten Fällen die Erlernung der Sprache der Vögel: denn deren
' Stimme ist ja die menschenähnlichste.
^ Weicker a. a. O. S. 16 ff.
" Eeinhold Köhler, Kl. Schriften I. 163. 171. — Hartland, Legend of
Persern II, 60—62. 74—76. 261. — Frazer 2 I, 384. 390.
^ Hartland, Legend of Perseus II, 126 Anm. 5 ; II, 259. — Liebrecht,
Zu Gervasius von Tilbury, 72.
Zur EntstehuDg des Märchens. 9
leiseste, von uns kaum gefühlte Zusammengehörigkeit aufweist.^
Die Seele eines Menschen liegt z. B. nach alter, vielfältig be-
zeugter Anschauung, in seinen Haaren. ^ Daher verliert in der
biblischen, auch in Indien bezeugten Sage Simson mit seinen
Haaren seine Kraft, ^ daher erscheinen, namentlich in orientalischen
Märchen, Geister, sowie man ihre Haare verbrennt,'* darum soll
im deutschen Märchen der kühne Bursche dem Teufel drei gol-
dene Haare ausreifsen — d. h. er soll ihm seine Kraft rauben — ,'*
daher erzählen russische und altnordische Märchen, dafs ein Haar
stärker fessele als die stärkste Eisenschnur. ^ Eine ähnliche Kraft
wie die Haare besitzen die Nägel, die Feinde der Menschen zim-
mern aus ihnen Werkzeuge oder Schiffe, die höchst verderblich
werden;^ eine ähnliche Kraft haben auch die Knochen, die Seele
birgt sich darin : in dem Grimmschen gewaltigen Märchen vom
singenden Knochen, einem Märchen, das sich über weite Strecken
der Welt, bis in den hohen Norden und den fernen Osten ver-
breitete,** und in dem der Knochen eines Ermordeten, zur Flöte
eines Hirten geschnitzt, die Untaten selbst singt, die der Ermor-
dete erdulden mufste — in diesem Märchen ist der Knochen nur
die Seele des Erschlagenen. — Auch im Gewand ruht die Seele
und die eigentliche Kraft eines Menschen; wer sein Gewand be-
sitzt, der besitzt auch ihn selber; das ist wieder der Sinn des
alten, schon in der nordischen V^lundarkvida und auch im in-
dischen Somadeva bezeugten Motivs von den Schwanjungfrauen,
denen Sterbliche ihre Gewänder rauben, und die den Sterblichen
wieder entfliegen, sobald sie sich ihrer Schwanenge wänder wieder
bemächtigten.^ — Wenn ein altes ägyptisch-griechisches Märchen
berichtet, ein Adler (oder, wohl ursprünglicher, der Wind) ent-
führte einem Mädchen einen Schuh und warf ihn einem König
^ Vgl. Oldenberg, Religion des Veda, 480.
^ Frazer2 I, 368 f. — Hartland, Perseus III, 105—111. — Spencer,
Prinxipien 298. — Andrew Lang, Myth. Ritual and Religion I, 95. —
Andr^e, Ethnogr. Parall. II, 12 f.
3 Frazer^! III, 352 Anm. 1. 390.
* Viele Beispiele in 1001 Nacht
^ Frazer ^ III, 358 Anm. 5: Seele des Nisus in einem goldenen
Haar. — Grimm, KHM 29. — Saxo Orammaticus ed. Holder 292, 21 f.
•^ V. d. Leyen, Märchen in Edda 28/29. 30. — Reinhold Köhler, Kleinere
Schriften I, 303 — 5. — J. Hahn, Griechische und albanesische Märchen I, 52.
Leskien-Brugmann S. 399. 552/3.
■' Frazer^ I, 371 f. — Hartland, Legend of Perseus II, 138. — Melu-
sine I, 549. — Liebrecht, Ziir Volkskunde 319. 330. 367.
® KHM 28. — Schiefner, Orient und Occident (2). — Reinhold Köhler,
Kl. Sehr. I, 49. 54. Ders., Aufsätxe über Märchen und Volkslieder S. 90.
•■» Frazer-' I, 60. — Reinhold Köhler, Kl. Sehr. I, 444; II, 413 Anm. 1.
— Cosquin II, 16 f. — Somadeva, übers, von Tawney, II, 452 (XIV, 108)
und Buch XVIII, 121 (72 ff.). — Hertel, Bunte Geschichten S. 59 f. —
Liebrecht, a. a. O. 244.
10 Zur Entstehung des Märchens.
in den Schofs, dieser aber ruhte nicht, bis das Mädchen die Seine
wurde, so liegt vielleicht auch die Anschauung zugrunde, dafs
das Mädchen dem König nicht entrinnen konnte, weil er ihren
Schuh und damit einen Teil ihres Selbst besafs, und vielleicht
entsprang aus derselben alten Anschauung das Schuhmotiv im
Aschenbrödelmärchen. — Man gedenke auch an Tristan und
Isolde, dafs dem König Marke ein goldenes Haar auf einem
Strom entgegentreibt, oder dafs zwei Schwalben es vor ihm fallen
lassen, und dafs er nur die zur Gemahlin haben will, der solches
Haar gehört. *
Am zahlreichsten, fast aus dem Glauben aller Völker nach-
gewiesen und heute eigentlich mit derselben Kraft lebendig wie
vor Jahrtausenden, ist die Meinung, dafs die Seele eines Men-
schen in seinem Bilde wohne, dafs, wer das Bild eines Menschen
besitzt, zugleich über den Menschen Gewalt hat, und dafs alle
Qualen, die man dem Bild antue, der Mensch selbst empfinden
müsse — eine Meinung, die in alten und neuen Zeiten eine Fülle
unheimlichen Zaubers erzeugte. ^ Aus diesem Glauben an die
Macht des Bildes leite ich mir ein Motiv her, das besonders
orientalische Märchen bis zum Überdrufs wiederholen: ein Prinz
sieht das Bild einer Prinzessin, er zieht aus, die Prinzessin selbst
zu suchen, findet sie nach vielen Abenteuern und Gefahren, und
sie, die alle anderen Freier ausschlug, ergibt sich ihm gern, denn
sie sah sein leuchtendes Bild im Traum — d. h. ihre Seele sah
es — , und sie beide gehören nun zusammen. ^ — Eine Folge aus
dieser Anschauung, aus der wieder eine Fülle von Zaubergebräuchen
entspringt, ist es, wenn primitive Völker, um einen gewünschten
Vorgang herbeizuführen, diesen Vorgang zuerst im Bilde nach-
ahmen ; ^ wenn sie z. B., um schwarze Wolken anzulocken, schwarze
Böcke opfern, wenn sie, um ein Gewitter zu beschwören, mit
Hämmern auf Kesseln trommeln, Feuerbrände zusammenschlagen
und aus einem Bündel Zweige Wasser nach allen Richtungen
spritzen. Oder wenn sie einen Teich durch Steine, durch Schläge
mit Zweigen beunruhigen, damit ihn nachher Wind und Unge-
witter ebenso erregen. Mir ist die Ansicht recht wahrscheinlich,
dafs das namentlich aus Artussagen bekannte, in unseren Mär-
chen und Sagen auch vielfach auftretende Motiv: der Held
kommt an einen Teich, er wirft einen Stein hinein, da zieht ein
greuliches Unwetter auf — dafs dies Motiv eigentlich ein Wetter-
zauber ist. ^
Und wie das Bild der Spiegel: er besitzt zauberhafte Kraft,
* Reinhold Köhler, Kleinere Schriften II, 328 — 46.
2 Frazer -^ I, 10 f. 293 f. — J. Grimm 4 II, 913 f.
^ Benfey, Pantschatantra 1, 417 f. — Erwin Rohde, Oriech. Boman- 52 f.
^ Frazer 2 I 19 f.
' Frazer 2 I,' 106 f. — Liebrecht, a. a. O. 335.
Zur Entstehung des Märchens. 11
weil er das Bild, die Seele des Menschen, enthält und doch nicht
enthält, weil er flach ist und doch die ganze Welt aus ihm wieder-
scheint. Aus diesen Beobachtungen entwickelte sich sehr leicht
der Wahn, der Spiegel enthalte Verborgenes, was wir nicht
sehen — er zeige nicht nur den Menschen selbst, sondern aufser-
dem, was zu ihm gehört, den Geliebten, er zeige nicht allein die
Gegenwart, sondern aufser ihr noch die Zukunft. ^ So wurde
aus dem einfachen Spiegel der Zauberspiegel des Märchens. ^
Wie das Bild auch der Name: wer meinen Namen weifs,
der hat Gewalt über mich, und wenn ich meinen Namen aus-
spreche, so gebe ich etwas von meiner Seele her. So erklärt
sich die Scheu, den Namen auszusprechen, in Glauben und Sage. ^
Wieder die Helden des Artuskreises nennen ihren Namen un-
gern. Lohengrins, des himmlischen Helden, Namen darf Elsa
nicht erfahren, denn wäre sein Name einer irdischen Frau be-
kannt, so wäre Lohengrin selbst seiner himmlischen Kraft be-
raubt. — Ins Possenhafte gewendet ist die alte Vorstellung im
deutschen Märchen vom Rumpelstilzchen.* — Daher ist die
Kenntnis des Namens in Märchen und Sage auch oft ein Zauber-
wort, das verschlossene Türen sprengt und den Weg zu verbor-
genen Schätzen öffnet.
Wer diese Beispiele recht überdenkt, der wird sich auch
nicht mehr wundern, wenn etwa im böhmischen Märchen vom
Wassermann der Wassermann gewaltig und entsetzlich anschwilllt,
als ihn nur ein kleiner Wassertropfen berührte,'' wenn in einem
amerikanischen Märchen — und ganz ähnliches erzählt schon das
altindische Mahabharata — ein in eine Frau verwandelter Biber
wieder zu einem Biber werden mufs, sowie sie ein Tropfen ihres
früheren Elementes, des Wassers, erreichte,^ wenn Proserpina
der Unterwelt angehört, kaum dafs sie in der Unterwelt von
einem Apfel, d. h. von einer Frucht, die dort heimisch ist, ge-
nossen, wenn Orpheus sich nicht nach der Unterwelt (Lots Weib
sich nicht nach dem untergehenden Sodom) umsehen (der Opfernde
nur mit abgewandtem Gesicht opfern) darf: sowie Orpheus die
^ Negelein, Archiv für Rdigionsivissenschaft V (1902) S. 22 f.
^ Bolte zu Wetzel, Reise der Söhne Qiaffers S. 203 f. {LH. Ver. Stuttg.
208). — Hartland, Legend of Perseus II, 13 f.
^ Literatur bei Negelein, a. a. O. 35 Anm. : E. B. Tylor, Early History
of mankind 130 — 9<:i; Nyrop, Navnes mögt, Kopenhagen 1887, Opuscula
philologica 118 — 209; Kroll, Rhein. Museum 1898, 345. — Andr^e, Ethnogr.
Parallelen I, 165 f. — Zeitschrift für Ethnologie 27, 109—29. — Frazer 2
I, 404 f. — Singer, Schweizer Märchen, Bern 1903, S. 20 f.
^ KHM 55 mit Anm. — Reinhold Köhler, Kleinere Schriften I, 54. 76.
— Folklore Journal 7, 138—43.
^ Waldau, Böhmisches Märchenbuch (1866) S. 186. 194.
® Erwin Rohde, Kleine Schriften II, 212. — Liebrecht, Zur Volks-
kunde S. 58.
12 Zur Entstehung des Märchens.
Unterwelt sieht, tritt er in ihren Bannkreis, sie zieht ihn zu sich
und vernichtet ihnJ
Wenn die Seele des Entschlafenen sich vom Körper trennt,
so verlangt sie nach Ruhe und dem Grabe, "^ so sehr, dafs sie
dem Überlebenden im Traum erscheint und von ihm Bestattung
erbittet, wie schon Patroklos nach seinem Tode von Achilles.
Wieder wurde aus dieser Forderung nach der Ruhe des Grabes
ein Märchen, das schon die alten Griechen kannten, das im deut-
schen Mittelalter als selbständige Dichtung wiederkehrt und dann
in vielen neueren Märchensammlungen, abendländischen und
morgenländischen, begegnet: Ein Reisender findet einen bleichen
Mann oder einen Toten, um den sich Lebende streiten, er be-
zahlt dessen Schulden und sorgt für das Begräbnis, nachher er-
scheint ihm der Tote im Traum, warnt ihn vor mancherlei Ge-
fahren, unterstützt ihn und bringt ihn endlich zu grofsem Glück. "^
Wie sehr die Toten sich nach Ruhe sehnen, schildert auch keine
Kunst eindrucksvoller und zugleich rührender als die des Mär-
chens, wenn es, uraltem Volksglauben entsprechend, berichtet, die
Tränen der Überlebenden fielen wie salzige oder eisige Tropfen
auf die Leiche des Gestorbenen, der nun umsonst sich in den
ewigen Schlaf hinübersehne, und der nun selbst den klagenden
Hinterbliebenen erscheint mit der Bitte, sie möchten aufhören
mit Weinen.*
* Wen Geister anrufen, der ist ihrer Macht verfallen, Weicker, Seelen-
vogel S. 39. — Wer von der Speise der Unterirdischen ifst, kann der Unter-
welt nicht entrinnen, Wilhelm Hertz, Spielmannsbuch'- 360 (zu Herr Orfeo).
^ Es war ja ein weitverbreiteter, uralter, auch als Sage fortlebender
Brauch, dem Leichnam Verstorbener ein Schiff mitzugeben oder ihn auf
ein Schiff zu bringen und es den Wellen zu überantworten, die des Ge-
schiedenen Seele auf dem Schiffe in das Toten reich tragen sollten (Usener,
Sintflutsagen 214 f. bis 220, über das Alter des Brauches). Wie eine Art
Umkehrung oder, man möchte manchmal auch sagen : wie eine Art Fort-
setzung, mutet uns das Sagen- und Märchenmotiv an von Knäblein, die
von einem Strom oder dem Meere, in Schiffchen oder Kästchen liegend,
angespült werden und später zu Heroen emporwachsen (Usener S. 88 f.
und 108 f.) : die alte Anschauung war vielleicht, dafs sie aus dem Reiche
der Seelen kamen, und als man diese Anschauung nicht mehr verstand,
erfand man, ein böswilliger König habe sie, infolge von unheilkündenden
Prophezeiungen, ausgesetzt. Wenn diese Knäblein von manchen Völkern
als halbgöttliche Wesen gefeiert werden, darf man vielleicht mit Usener
an die alte Vorstellung denken, der Mond sei ein Nachen, auf dem der
Himmelsgott über das himmlische Meer fahre, vom Reich der Seelen zum
Reich der Menschen, diese Knäblein seien also eigentlich Himmelsgötter:
im Falle diese Annahme das Rechte träfe, so lebten in diesen Findlings-
sagen alte Himmelsgottsagen fort (Usener, a. a. O. 13o. 133. 242).
^ Vgl. Karl Simrock, Der gute Gerhard und die dankbaren Toten, und
Reinhold Köhler, Kleinere Schriften I, 5—38, bes. S. 38.
^ Grimm, KEM 109 und Anm. — Gering, Edda 181 Anm. 1. — Wacker-
nagel, Kleinere Schriften II, 399. — Reiche Literatur bei Hock, Vampyr-
sagen S. 8 Anm. 5. — Jellinek, Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde, 1904, S. 322.
Zur Entstehung des Märchens. 13
Aufser den Menschen haben nach der alten Anschauung alle
anderen Wesen eine Seele, namentlich die Tiere. Berühmte Helden
führen ihr Geschlecht mit Vorliebe auf Tiere zurück.* Dann wieder
hält der primitive Mensch das Tier für einen Menschen, der nur
zeitweise Tiergestalt annahm, und zu dieser Meinung führt ihn ja
auch die schon betrachtete Erscheinung, dafs Menschen sich zeit-
weise in Tiere verwandelt glauben oder die Seele in Tiergestalt, als
Schlange, Maus, Vogel, erscheint. Daher erscheinen im Märchen
vieler Völker so oft die Tiere, die nur verurteilt sind, des Tages
als Tiere umherzustreifen, die des Nachts aber ihre Tierhülle
ablegen und ihre wahre Menschengestalt annehmen. Dann wieder
erscheint dem Wilden das Tier als ein durch Sicherheit und
Stärke der Instinkte dem Menschen überlegenes, geheimnisvoll
sprachloses Geschöpf, das er gern als halbgöttliches Wesen ver-
ehrt, und das auch das Märchen gern als hilfreich, mächtig und
dankbar feiert, auch darum, weil der Mensch dem Tiere alles
verdankt, wovon er lebt, dessen Fleisch ihn nährt, dessen Fell
ihn kleidet, aus dessen Knochen er sich seine Geräte und Waffen
schnitzt."^ Viele Völker bitten wirklich die mächtigen Tiere, die
sie töten mufsten, hinterher demütig um Verzeihung, oder sie
töten die lebenden und verehren die getöteten Tiere. ^ Vielleicht
schneidet man aus dem erlegten Tiere auch die Zunge, damit
die Tierseele nicht weitersagen könne, dafs der Tierkörper ge-
tötet sei, und vielleicht führt auch auf diesen Brauch das Mär-
chenmotiv zurück, dafs das Zeichen, dafs ein Held ein Untier
getötet, immer die Zunge des Untieres sein mufs.* Möglicher-
weise ifst man auch bestimmte Knochen und Sehnen des Tieres
nicht, um die Tiere an ihrer Auferstehung nicht zu verhindern.
Das wäre wieder eine recht einfache Erklärung des Märchen-
motivs, dafs ein Tier gegessen werden darf, nur bestimmte seiner
Knochen nicht, wenn diese aber doch gegessen sind, so lahmt
das Tier, nachdem man es belebt hat.^
Wie die Tiere denkt sich die primitive Phantasie auch die
Bäume als beseelte Wesen ^ oder behauptet, dafs die Menschen
* Vgl. bes. Liebrecht, Zur Volkskunde S. 17 f.
^ V. d. Steinen, Unter den Naturvölkern Zentralbrasiliens (1894) 354. —
Rohde, KL Schriften II, 212. — Frazer 2 II, 485 f. — Tylor, Primitive
Oulture I, 4Ö7/8.
3 Tylor, a. a. O. 468. — Frazer 2 II, 373 f.
^ Frazer 2 II, 421. — Schon antik: Äpollodor 3, 313. — Erwin Eohde,
Oriech. Roman S. 47. — W. Hertz, Tristan und Isolde 529 (Anm. 8o). —
Reinhold Köhler, zu Gonzenbach, Sixilian. Märchen Nr. 40; Zeitschrift
des Vereins f. Volkskunde 6, 75; KL Schriften 304. 399. 430.
* Frazer 2 II, 417. — Reinhold Köhler, KL Schriften I, 259. 273. 586.
^ Andree, Etknogr. ParalL II, 21. Aus der Tatsache, dafs die Bäume
den Menschen schützen, dais ihre Frucht ihn nährt, dafs sein Schatten ihn
14 Zur Entstehung des Märchens.
aus Bäumen entsprungen seien. Diese Vorstellung hat manche
Ursachen: die primitiven Menschen wohnen vielfach in der Nähe
von Bäumen oder unter dem Schutz der Bäume oder in den
Höhlen der Bäume; daraus entwickelt sich dann der Glaube,
dafs die ersten Menschen aus Bäumen gekommen seien. Aus den
Bäumen lassen sich ferner Geräte, Tiere, Figuren usw. schnitzen,
und so ergibt sich dem Denken des Wilden als Folge, dals seine
Voreltern auch einmal von einem Gott ebenso aus Bäumen ge-
schnitzt seien, wie er jetzt noch seine Geräte aus dem Baume
schnitzt.* Genau dieser Vorstellung entsprechend erzählen alte
Sagen und Märchen von Menschen, die aus Holz oder Bäumen
geschnitzt und dann belebt wurden. ^
Weiter mufs man daran erinnern, dafs die Bäume und Pflan-
zen aus der Erde emporwachsen; anderseits aber ruhen in dieser
Erde die Seelen der Verstorbenen. Aus beiden Tatsachen zu-
sammen ergibt sich die Meinung, dafs die Seelen in der Erde
in die Bäume und Pflanzen eingehen und mit ihnen aus der Erde
emporspriefsen. Darum heifst es in Märchen und Sagen überaus
oft, dafs aus den Gräbern Verstorbener Blumen oder Bäume
emporwachsen, und dafs in diesen die Seelen der Verstorbenen
wohnten. Und diese Vorstellung haben gerade deutsche Sagen,
Lieder und Märchen rührend vertieft, wenn sie etwa erzählen,
dafs weifse Lilien aus dem Grabe unschuldig Verurteilter sprie-
fsen, duftende Veilchen aus dem Grabe von Jungfrauen, dafs
sich aus den Gräbern Liebender Blumensträuche winden, deren
Aste sich verflechten.^ Aus dem Grabe der Mutter wächst nach
dem deutschen Märchen ein Baum mit goldenen und silbernen
Früchten, und diese Früchte belohnen die gute, bestrafen die
erquickt, konnte sich auch leicht die Vorstellung von einem Lebensbaum
entwickeln — einem Baum, der Leben gibt, und dessen Früchte auch
Leben spenden oder gar Tote zum Leben zurückrufen. — Solche Lebens-
bäume mit belebenden Früchten kennt ja bereits die Sage des Alten Testa-
ments vom Paradies und die griechische der Hesperiden. — Vielleicht
hängt mit dieser Vorstellung auch der Glaube an die befruchtende,
schwängernde Kraft des Apfels zusammen. Literatur bei Gunkel, Genesis
298 f., bei Erwin Rohde, Qriech. Roman S. 46, bei Wilhelm Hertz, Sage
vom Oiftmädchen, Qes. Abk. S. 273 f., bei Hartland, Legend of Perseus I,
71 f., bes. 154 f.
^ Vgl. V. d. Steinen, a. a. 0. 363: die Männer seien aus Holzpfeilern,
die Frauen aus Maisstampfern geschnitzt. — Ähnliche Gründe (dafs man
aus Steinen Geräte und Figuren schafft) haben die Sagen, dafs Menschen
aus Steinen entstanden. Über diese Sagen vgl. Usener, Sintflutsagen (1899)
245. — Über die Vorstellung vgl. Erwin Rohde 2 169 (i 159).
2 Mannhardt, Wald- und Feldkulte I, 7 f. — v. d. Leyen, Indische Mär-
chen S. 145 f. Ders., Märchen in Edda S. 12.
^ Jacob Grimm in Deutsche Mythologie'^ IV, 689. — Wilhelm Hertz,
Tristan und Isolde^ 569.
Zur Entstehung des Märchens. 15
böse Tochter. ^ Ein anderer hübscher Glaube ist der, dafs die
Seele des Menschen in einer Blume wohnt, die gedeiht, wenn er
gedeiht, und welkt, wenn er in Gefahr kommt. ^ Märchenhelden
lassen solche Blumen ihren Eltern zurück, wenn sie selbst auf
ihre Taten ausziehen. ^
Wir sind nun unmerklich von den Menschen in die Natur
geführt worden. Es war eine Anschauung früherer Gelehrter,
dafs die Wilden als unverdorbene, reine Völker auch die Natur,
mit der sie in geheimem Zusammenhange lebten, rein erfafst
hätten, dafs diese Erfassung sich aber in alten und tiefen Mythen
spiegelte. Diese Anschauung war sehr verkehrt. Unbefangene
Beobachter der Wilden melden eher das Gegenteil. Sie waren
ganz erstaunt über die Gleichgültigkeit, die die Wilden allen
Naturphänomenen entgegenbrachten, die sie ja jeden Tag sahen,
und die darum nichts Besonderes für sie hatten. ^ Ist der Wilde
aber, indem sich seine Anschauungen von der Seele langsam,
langsam ausbilden, einmal dahin gelangt, die Natur als ein über-
all belebtes und beseeltes Wesen zu betrachten, so gewinnt sie
für ihn eine neue Bedeutung. Nun will er plötzlich über alles
Bescheid wissen, was in ihr vorgeht, er ist wie ein Kind, das,
wenn es einmal angefangen hat mit Fragen, einfach nach allem
fragt und auch so leicht nicht mit Fragen aufhört. Der Wilde
gibt sich auf seine Fragen die leichtesten und einfachsten Ant-
worten, denn er mag noch immer nicht viel nachdenken. Er ist
wieder genau wie die Kinder, die ja auch auf alle Fragen Ant-
wort fordern, aber ganz schnelle Antwort; denn das Interesse au
einem Dinge währt bei ihnen nie lange und springt sofort auf
ein anderes über. Solche Fragen an die Natur und solche Ant-
worten aus der Natur sind aber sehr viele alte Sagen und Mär-
chen, man nennt sie ätiologische, jedes Volk kennt sie, und sie
gehören zum ältesten dichterischen Besitz des Menschen.
Wenn etwa in irgendeiner Landschaft Felsen menschenähn-
lich aussahen, so erzählte die Sage, dafs diese Felsen ursprüng-
lich Menschen gewesen und dann zu Felsen versteinert wurden.
Die älteste uns bekannte Sage der Art ist die Sage von Lots
Weib, zu der ein Felsen in der Gegend des Toten Meeres An-
lafs gab, der wie eine versteinerte Frau aussieht.^ Die Sagen
vom Watzmann und die von Hans Heihng zeigen uns, dafs man
sich auch ganze Familien als versteinert dachte. Fanden sich
tiefe Eindrücke in einem Felsen, so erklärte man sie als die
' Vgl. Archiv Bd. CXIII, S. 256 Anm. 3.
^ Vgl. namentlich Hartland, Legend of Perseus II, 1 f.
3 Vgl. Reinhold Köhler, Kleinere Schriften I, 67. 179/80. 303 (mit Boltes
Nachträgen). — Brugman -Leskien Nr. 11—13, Cosquin Nr. 37.
* Vgl. z. B. Seeck, Neue Jahrbücher für das Mass. Altertum II, 225 f.
'" Gunkel, Genesis 193. — Andree, Ethnogr. Parallelen I, 97 f.
16 Zur Entstehung des Märchens.
Spuren, die ein Riese oder das Pferd eines Riesen oder der
Finger des Teufels oder der Fufs des Heilands zurückliefs. Man
erinnere sich beispielsweise an die Sagen von der Rofstrappe und
viele ähnliche. ^
Die Bäume und Berge, alle Tiere, bestimmte Eigenheiten
in ihrem Aussehen oder ihrem Benehmen, ihre Farbe, ihr Gang
gaben zu ähnlichen Sagen Anlafs, die erzählten, wie die Tiere
zu diesen Besonderheiten gekommen seien, warum der Rücken
der Schildkröte etwa geplatzt wäre, warum die Scholle ein schiefes
Maul, der Esel seine langen Ohren und der Bär seinen stumpfen
Schwanz habe usw. ^ Man darf hierher auch die Märchen rech-
nen, in denen die Sprache der Tiere gedeutet wird. Solche Mär-
chen erzählen die Märchensammlungen der Naturvölker fast aus-
schliefslich.
Es seien hier auch einige alte Kultursagen der Art erzählt.
Die alten Inder erklären, warum die Wolken immer bei den
Bergen weilten: früher, sagten sie, waren die Wolken Flügel der
Berge, und die Berge liefsen sich nieder, wo es ihnen gefiel. Da
geriet die ganze Erde in Aufruhr, und so trennte ein Gott die
Flügel von den Bergen und gebot diesen, zu bleiben, wo sie ein-
mal wären. Die Wolken aber haben nicht vergessen, was sie
früher den Bergen waren, und es zieht sie immer noch mit über-
mächtiger Sehnsucht zu ihnen hin.^ Man darf mit dieser Sage
die griechische, vom Plato im Gastmahl erzählte, vergleichen, dal's
es Manu und Frau so unwiderstehlich zueinanderzöge, weil sie
in früherer Zeit zusammengehört, einen hermaphroditischen Kör-
per gebildet hätten. Eine andere griechische Sage weifs, warum
der Rabe schwarz wurde: um seiner Schwatzhaftigkeit willen
verfluchte ihn Apollo zur Schwärze, früher trug er schneeweifses
Gefieder.^ Ähnliches behaupten die Hottentotten: dem Schakal
sei ein schwarzer Streifen auf dem Rücken eingebrannt, weil er
einmal die Sonne gestohlen und fortgetragen. Eine Fülle anderer
antiker Sagen derselben Art enthalten etwa die Metamorphosen
^ Vgl. Grimm, Deutsche Sagen 135. 136 (mit Anmerkung, die auf
orientalische Parallelen hinweist). 184. 185. 189 f. — Hartland, Persem
III, 132 f. — Andree, Ethnogr. Parallelen I, 94 f. — Liebrecht, Zur Volks-
kunde 96.
^ Beispiele in jeder Märchensammlung. Ich verweise etwa auf v. den
Steinen 357 f. — Tylor I, 410 f. — Andrew Lang, Myth. Ritual and
Religion I, 140 f. — Emmy Schreck, Finnische Märchen. — Wossidlo,
Mecklenburgische Volksüberlieferungen, passim, bes. die Anmerkungen zu
II, 1. — Gunkel, Genesis S. VIII ff. — Singer, Schweizer Märchen S. 40 f.
^ Pischel und Geldner, Vedische Studien I, 284. Und noch eine schöne
indische Sage derart möchte ich hier erzählen: Wenn es Tag geworden,
geht die Nacht in das Wasser, daher ist es so dunkel; wenn es Nacht
wird, taucht wieder der Tag in das Wasser, und daher leuchtet es auf. —
Vgl. Pischel, Oöttinger Qel. Anxeigen 1895, 449 f.
4 Ovid, Metam. II, 534.
Zur Entstellung des Märchens. 17
des Ovid; deutsche Beispiele zu uennen erspare ich mir, weil
jedem genug in Erinnerung sein werden. Ich will hier nur kurz
darauf verweisen, dafs aus diesen ältesten Sagen einerseits die
Vorstellungen von wunderbaren und geheimnisvollen Eigenschaften
der Tiere sich entwickelten, etwa die vom Schwanengesang, von
der Mutterliebe des Pelikans, von den Klagen der Turteltaube,
von der Keuschheit des Einhorns etc., und dals sie anderseits
die Grundlage für alle Tierfabeln wurden, die dann namentlich
Griechen, Juden und Inder weiterpflegten.
Der Blick der Naturvölker bleibt aber nicht an der Erde
haften, er kehrt sich aufwärts gen Himmel. Fast alle Natur-
völker haben eine Reihe von Sagen über Sonne und Mond, Tag
und Nacht etc. Sie fragten sich, warum Tag und Nacht wechsel-
ten, warum die Sonne nachts untergehe und nicht immer scheine,
warum sie gerade den Himmelsweg gewählt habe, auf dem sie
nun Tag für Tag wandle. Warum der Mond Flecken habe,
warum er bald kleiner, bald gröfser werde etc. Da hiefs es denn
etwa, die Sonne laufe so regelmäfsig, weil sie jemand gebändigt
habe, oder die Sonne habe ewig scheinen wollen, da habe man
die Nacht zu Hilfe rufen müssen oder sie mit der Nacht zu-
gedeckt. Der Mond erscheint, ich weifs nicht recht woher, als
das unsittlichste der Gestirne. Man sagt, er müsse immer nackt
umherlaufen, weil ihm infolge seines ewigen Ab- und Zunehmens
kein Kleid passe,* oder er führe einen unsittHchen Lebenswandel
und nehme deshalb immer ab, oder er verfolge die Sonne mit
zudringlicher Liebe, bis sie endlich sich seiner Zudringlichkeit
erwehrte und ihm das Gesicht mit Asche beschmierte; davon sei
er noch heute voll schwarzer Flecke. ^ Sternbilder, die durch
ihre Stellung oder ihre Form auffallen, haben auch besondere
Sagen hervorgerufen. Die Plejaden denken sich z. B. viele Völ-
ker als Henne mit sechs Küchlein. Wenn in manchen Märchen
ein treues Mädchen von den Gestirnen Geschenke erhält, mit
denen sie sich den Geliebten zurückerobern soll, der ihrer ver-
gafs, so ist das schönste Geschenk meist eine Henne mit sechs
goldenen Küchlein. "^ Eine sehr schöne Sage über Sonne, Mond
* Vgl. auch Cardauns, Die Märchen des Clemens Brentano {Schriften
der Oörres- Gesellschaft 1895) S. 76/7.
^ Vgl. Tylor I, 854/5; Andrew Lang, Myth. Ritual and Religion I,
122 f. 128 f. — V. den Steinen, a. a. O. 351—8.
3 Über Sternsagen (Milchstrafse etc.) auch Tylor I, 357—60 ; Andr^e,
Ethnogr. Parallelen I, 103 f. Ein sehr merkwürdiges Beispiel, wie solche
Motive immer lebendig bleiben und sich in später Zeit an Märchen fügen,
ist das Märchen von den vier (oder sechs) kunstreichen Brüdern. Wir
werden später erfahren, dafs es aus Indien stammt und sich über Europa
verbreitete; das Ende war, dafs ein König nicht weifs, wem von sechs
Brüdern er die Prinzessin geben soll. Da verfielen nun ein dänisches,
serbisches und slavisches (Kraus, Sagen und Märehen der Südslaven I, 120.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 2
18 Zur Entstehung des Märchens.
und Sterne wird fast gleichlautend, nur in kleinen Einzelheiten
verschieden, hier von den Malaien, dort in Kalifornien erzählt,
und man kann daraus ersehen, wieweit eine Übereinstimmung
zwischen zwei Sagen gehen kann, wenn sie aus den gleichen
Grundbedingungen sich entwickelten; denn irgendein Einflufs
der einen Sage auf die andere kann hier nicht angenommen
werden. Beide Sagen erzählen, dafs die Sonne alle Sterne fressen
wollte. Der Mond rettete sie, als seine Kinder, aber einige
Sterne verschluckte die Sonne doch. Wenn nun des Nachts die
Sonne schläft, führt der Mond seine Sterne alle heraus, aber er
kann den Verlust so vieler Kinder noch nicht verschmerzen, und
so verhüllt er denn oft sein Antlitz in Wolken und weint. ^ Auch
über die Gestalt der Gestirne fabelte man mancherlei. Die Sonne,
hiefs es, sei ein Rad, aber den dazugehörigen Wagen sehe man
nicht, und dieser werde von Sonnenpferden über den Himmel ge-
zogen. Der Mond erscheint oft als Nachen, der über das Meer des
Himmels fährt, ^ der Regenbogen als Bogen, aus dem ein Gott
seine Blitze als Pfeile schiefst. Beim Gewitter ist dieser Bogen
nicht sichtbar, aber sobald das Gewitter geendet hat, stellt ihn der
Gott an den Himmel zum Zeichen seiner Versöhnung. ^ Beispiele
für Vorstellungen dieser Art liefsen sich natürlich noch viele an-
führen.'* Wenn Mond und Sonne sich verfinstern, so meint man,
dafs Dämonen sie verschlingen. Sonne und Mond verfolgende
Untiere fürchten die Sagen sehr vieler Völker. >' Auch die Nacht
denkt man sich als Ungeheuer, das die Welt verschlingt. Die
Sonne versinkt abends tief in ihrem Schofs und ringt sich mor-
gens mühsam wieder empor. Und auch alle Menschen und Tiere
werden abends von der Nacht verschlungen und morgens wiederum
aus ihrem Bauche befreit, ohne dafs sie irgendwelchen Schaden
Reinhold Köhler, KL Schriften I, 439) auf den Ausweg, Gott habe, um
Zwietracht zu vermeiden, die sechs Brüder und die Prinzessin als Sieben-
gestirn an den Himmel versetzt. — Es sei hier auch kurz auf den auch
aufserhalb Deutschlands, in Märchen auftauchenden Glauben verwiesen,
der alte Mond werde zerbrochen und daraus die Sterne gemacht. Rein-
hold Köhler I, 485. 505.
' Andrew Lang I, 130 f. — Tylor I, 356.
2 Herman Usener, Sintflutsagen 130. 133. 242. — Böklen, Die Sint-
flutsage {Archiv für Religionswissenschaft VI, 1 f.). S. lo zitiert ferner:
Hillebrandt, Vedische Mythologie I, 357. Jensen, Assyrisch - babylonische
Mythen und Epen 534. Wiedemann, Religion der alten Ägypter 13 f.
^ Gunkel, Genesis 138. — Kurz erinnere ich an die Vorstellung des
Regenbogens als Götterbrücke und Himmelsleiter : Gunkel, Genesis 289 f. ;
Röscher, Ausf. Lexikon II, 3057. Vgl. ferner Tylor I, 294.
^ Man denke nur an die Sagen vom Mann im Mond etc. etc. Einiges
bei Köhler, Kl. Schriften I, 114.
^ Tylor I, 329 f. — Lasch, Finsternisse in der Mythologie und im
religiösen Brauch der Völker [Archiv für Religionsivissenschaft III, 152).
Ders. , Ursache und Bedeutung der Erdbeben in Volksglauben und Vol/cs-
brauch (ebd. V, 236 f.).
Zur Entstehung des Märchens. 19
genommen haben. Einen solchen Verschlingnngsmythns erzählen
sehr hübsch und anschaulich die Zulus als eine Art von Kinder-
märchen. ^ Und dieser Zulugeschichte ist das böhmische Mär-
chen von Bumbrlicek sehr ähnlich, mit dem man auch Kinder zu
schrecken pflegte.- Auf Verschlingungsmythen hat man weiter-
hin alle Märchen und Sagen zurückführen wollen, die berichten,
wie ein Ungeheuer einen Menschen verschluckt, nachher schlitzt
man den Bauch dieses Ungeheuers auf, und der Mensch findet
sich unversehrt darin. Also nicht nur die Geschichte von Jonas
und dem Walfisch, sondern auch Märchen von der Art des Rot-
käppchen, des Wolfs und der sieben Geislein, des Däumhngs
und ähnliche.^ Ich erwähne das hier nur als Vermutung und
weil ich keine bessere Erklärung für diese Märchen weifs.
Aufserdem fragt sich der Mensch, woher denn das gekommen
sei, wovon er lebt und sich nährt, seine Speisen, sein Schlaf, das
Feuer, das Wasser usw. Auf diese Fragen haben sich die Natur-
völker viele und verschiedene Antworten ersonnen. Eine Menge
von Tiermärchen erzählten, wie man die Tiere mit List über-
wältigt hätte, damit sie das hergäben, was der Mensch brauchte.
So habe man der Eidechse, die immer schlafe, den Schlaf ge-
stohlen usw. Von den Tieren, die im Wasser lebten, erzählte
man, dafs sie alles Wasser verschluckt hätten, und dafs es vieler
List bedurft hätte, bis sie es wieder von sich gaben; oder man
sagte auch, das Wasser sei in Töpfen verborgen gewesen oder
in Bergen versteckt, weil ja die Quellen den Bergen entspringen.
Ähnliches erzählte man vom Feuer, weil das Feuer durch Reiben
zweier Hölzer entsteht, hiefs es, das Feuer sei aus dem Holze
hervorgelockt worden. Andere behaupteten, ein Heros habe es
vom Himmel gestohlen und es mit dem BHtz auf die Erde ge-
bracht. Über diese Sagen und Märchen habe ich in anderem
Zusammenhange mich geäufsert und mufs sie hier später noch-
mals erwähnen.*
Man mufs sich nun nicht vorstellen, dafs alle Märchen und
Sagen aus den Vorstellungen von Schlaf, Traum und Tod, aus
dem Seelenglauben, aus dem Glauben an die Belebtheit der
Natur und aus der Beobachtung der Natur sich entwickelt hätten ;
das alltägliche Leben, so gleichmäfsig und abwechselungsarm es
» Tylor I, 335. 388.
^ Waldau, Böhmisches Märchenbuch S. 494.
^ Tylor I, 341. Andere Deutung der Däumlingsmärchen -(Däumling
sei ursprünglich der kleine Stern über grofsem Bären) Andree, a. a. 0.
I, 105; Globus XXVIII, 10; Gaston Paris, Le petit pouce et le grand
ourse, 1875.
'* Vgl. Andrew Lang, Myth. Ritual and Religion I, 39 ; v. den Steinen
354; Aurel Krause, Tlinkit- Indianer 259. '^61; von der Leyen, Kleine
Studien {Germanist. Abhh., Paul, S. 144 f.).
20 Zur Entstehung des Märchens.
auch war, die alltäglichen Menschen, so ähnlich einer dem an-
deren auch sah, hatten doch alle ihre Besonderheiten, und diese
Besonderheiten hielt die Überlieferung und Dichtung fest. Wenn
sich ein Mensch etwa durch ungewöhnliche Klugheit, durch feine
Sinne und scharfe Beobachtung oder durch ungewöhnliche Dumm-
heit und ungewöhnliches Mifsgeschick hervortat, so lebte die Er-
innerung daran bei den späteren fort, steigerte und vermehrte
sich: auf solchen Menschen wurde eine ganze Fülle solcher Ge-
schichten übertragen, gleichviel ob sie ursprünglich zu ihm ge-
hörten oder nicht. Ein sehr verbreitetes und immer von neuem
gern gehörtes Märchen von Scharfsinnsproben, das uns später
noch beschäftigen mufs, hat seinen Ursprung in der Gabe der
Naturvölker, auch die leisesten Spuren von Tieren und Menschen
zu erkennen und richtig zu bestimmen. Ein anderes, bald ins
Possierliche gewendetes, bald als Beispiel hervorragender Klugheit
erzähltes Märchen erklärt sich aus der bei Naturvölkern üblichen
Zeichen- und Geberdensprache. ^ Die Märchen vom klugen Hirten
und von der klugen Dirne preisen wieder die ungewöhnliche
Klugheit, im Orient wurden namentlich Kindern frühzeitiger
Scharfsinn und frühzeitige Klugheit nachgerühmt. Auf der an-
deren Seite begegnen Motive wie die aus Grimms Frieder und
Katerlieschen, aus seiner klugen Else, aus den Schwabenstreichen
und Schildbürgerbüchern schon bei den Negern und bei Völkern
Südamerikas. Ebenso hatten die Inder ihr Vergnügen daran,
solche Geschichten zu häufen, etwa von einem Jungen zu er-
zählen, der eine Kanne Ol tragen sollte, und zwar vorsichtig,
weil sie ein kleines Loch habe, und der, um das Loch zu finden,
die ganze gefüllte Kanne umdrehte, so dafs natürlich das ganze
Ol herausflofs. Oder von einem anderen, ebenso schlauen, der
sieben Kuchen als, erst beim siebenten satt wurde und sich dann
beschwerte, dafs er den siebenten nicht zuerst gegessen hätte;
dann wäre er doch sofort satt geworden. Oder die Geschichte
von dem Sohn, der mit einer Axt nach der Stirn seines Vaters
schlug, um eine Fliege auf der Stirn zu treffen, und dabei den
Vater tötete. Oder von Affen, die Bäume an der Wurzel be-
giefsen sollten, und die die Bäume ausrissen, um diese Wurzeln
zu finden. Oder von dem Burschen, der auf die Tür achtgeben
sollte und die ganze Tür aushing und damit herumlief. Natür-
lich erzeugt das Leben solche Geschichten fortwährend, und sie
finden auch immer von neuem in das Märchen und die Sage
Eingang. 2 — Ich will schliefslich nicht vergessen, dafs sich wohl
* Die ausführHchen Hinweise gebe ich später, sobald ich zu den Mär-
chen selbst komme.
^ Eine Fülle dieser Geschichten schon in den Jätaküs (übers, von Co well),
im Pantschatantra und im Kathasaritsügara des Somadeva. Eine Auswahl
jetzt bei Hertel, Bunte Geschichten S. 109 f. — Von afrikanischen Völ-
Zur Entstehung des Märchens. 21
schon die ältesteu Völker in ihren Märchen an den Wunschdingen
erlabten, die sie im Leben doch nie erreichten, an Tischen, die
sich immer von selbst deckten, Braten, der niemals aufgezehrt
worden, an Tieren, die immer Gold legten, und ähnlichen Kost-
barkeiten mehr.
Schon in früher Zeit hatten auch die verschiedenen Stände
und Berufe ihre Sagen und Märchen. Genauer wäre das in
einer Geschichte der Sage zu erörtern, was leider noch nicht ge-
schah. Wieviel Licht könnte doch solche Erörterung in die
dunkle Urgeschichte der Kultur bringen. Ich mufs mich hier
wieder mit ganz spärlichen Andeutungen zufrieden geben. Den
Jägern und Hirten galten viele alte Märchen, sie erscheinen darin
wie im Leben auch: im Umgang mit Tieren und im Kampfe
gegen Tiere. Man gedenke hier nochmals des Märchens vom
klugen Hirtenknaben. Die Schiffer, die über die Meere und in
fremde Länder sich wagten, denen sich bei langen, einförmigen
Seefahrten die verlockendsten Visionen wunderprangender Länder
vorspiegelten, behaupteten bei ihrer Rückkehr, ins Paradies ein-
gedrungen zu sein und haben auch schon vor Jahrtausenden an-
deres von ihren abenteuerlichen und unerhörten Erlebnissen ge-
fabelt. Solche Schiffermärchen lebten im Lauf der Zeiten immer
neu auf. Die Odyssee darf man ein grofses Schiffermärchen
nennen. Der alte griechische Roman setzt sich vielfach aus Reise-
und Schiffermärchen zusammen, die Araber hatten ihren Sindbad
und das Mittelalter seinen König Alexander und Herzog Ernst.
Diese Hinweise genügen vielleicht, man kann schon aus ihnen die
endlose Verbreitung und Bedeutung der Schiffermärchen ahnen. *
Da die Menschheit zu allem, was sie hatte oder dessen sie
bedurfte, durch Gewalt oder List oder Raub gekommen war,
konnte sie vor Räubern und Dieben nur Hochachtung empfinden.
kern gibt interessante Beispiele namentlich Reinisch, Bilinsprache, Wien,
Sitzungsber. 99 (1882), bes. 703 f.; Chamirsprache in Äbessinien, ebenda
106 (lb84), 317 f. (322 Taler säen, 326 Butter auf Boden streichen, Mehl
im Flufs wärmen, auf den Sonne scheint: beide, Mann und Frau, vom Flufs
verschlungen); Afarsprache I, ebenda 111 (1885), 5 f. 114, (1886) 160 f.;
Kumänasprache III, ebenda 119 (1889), Abhdlg. 5 (Nr. 8 Taler säen, Nr. 9
Butter auf Gras schmieren, Mehl im Teich wärmen, Nr. 13 sexuelle Un-
erfahrenheit verhöhnt). Reiche Zusammenstellungen auch bei Reinhold
Köhler, Kleinere Schriften I, 604 (s. v. Narrenstreiche), 605 (s. v. Schild-
bürgerstreiche), Liebrecht, Zur Volkskunde 117, und namentlich bei Bolte
in seinen Anmerkungen zu Valentin Schuman (Lit. Verein 197), Jacob
Frey (Nr. 209), und Montanus (217). Auch die Unerfahrenheit in ge-
schlechtlichen Dingen wird sehr gern, und auch schon seit recht alter
Zeit, verspottet. Bolte, zu Valentin Schumann Nr. 36. 37, S. 407. Auf
den Wettstreit der Faulen im Märchen, auf die Lügenwettkämpfe sei nur
hingedeutet.
* Vgl. Erwin Rohde, Der griechische Roman 173. 176 f. 179. 180—83
(Sindbad). 183 (Ägyptische Reisemärchen). 185 f. (Alexanderroman).
22 Zur Entstehung des Märchens.
und dementsprechend feierten Märchen und Sagen gern den küh-
nen und verschlagenen Dieb. Es wird hier jedem das langhin
fortlebende, schon von Herodot erzählte altägyptische Märchen
vom Meisterdiebe einfallen, und wohl auch viele ähnliche, die
sich das Volk noch heute mit gruselnder Bewunderung so gern
anhört. ' Die alten Inder haben gleichfalls in ihren Märchen die
Diebe gepriesen. Die vielen, von den Germanen vor allen oft
erzählten Sagen von Brautraub und Brautwerbung dürfen in die-
sem Zusammenhange wenigstens flüchtig berührt werden. Ein
rechter germanischer Held raubt seine Braut immer den Braut-
eltern, die sie ängstlich hüten, oder erkämpft sie sich durch
Heldentaten.-^ Und diese Helden kamen dann ja auch von der
Sage in das Märchen. Die Sagen aber erzählen auch hier wieder
nur, was wirklich Sitte war; bei vielen primitiven Völkern be-
stand die Satzung, dafs die Braut geraubt werden mufste.
Die Richter, die besonders kluge und scharfsinnige Entschei-
dungen gefällt, wurden durch Sage und Märchen ebenfalls un-
sterblich. Der erste dieser Richter, der uns bekannt ist, war
wohl Salomo. Andere höchst spitzfindige und ausgetiftelte richter-
liche Entscheidungen verbreitete das indische Märchen. ^
Wie die Diebe bewunderte und fürchtete man in alter Zeit
auch die Baumeister. Jakob Burckhardt bemerkt gelegentlich,^*
der Übergang von der ländlichen, nomadenhaften Lebensweise
der Hirten und Jäger zur städtischen und sefshaften der Bürger
wäre kaum im Frieden geschehen. Er sei den primitiven Men-
schen als etwas Widernatürliches erschienen und habe wohl man-
ches Blut und manche Freveltat gekostet. Erinnerungen daran
zittern in Sage und Märchen, auch in Brauch und Glauben, bald
leiser, bald stärker nach. Grofse Bauten gelten als Freveltaten,
^ Auch auf das Märchen vom Meisterdieb habe ich zurückzukommen.
Vorläufig genüge ein Hinweis auf Wiedemann, Das IL Buch des Herodot
S. 447 f., und auf Jätaka Nr. 305. Thuhydides I, 5: Im ältesten Hellas
waren fortwährend Raubzüge; der Erwerb durch Raub galt nicht als ehren-
rührig, im alten Epos fragte man unbedenklich den Fremden, ob er als
Räuber über das Meer gekommen. Schrader, Eeallexikon der indogerma-
nischen Altertumskunde I, xxviii.
^ Voretzsch, Epische Studien S. 190 f.
^ Vgl. zum salomonischen Urteil, das auch in Indien erzählt wird,
Oldenberg, Literatur des alten Indien 114; sonst etwa Erwin Rohde, Qriech.
Roman 870 Anm. 1 ; Benfey, Pantschatantra I, 395 f. ; Bolte, zu Wetzel,
Reise der Söhne Oiaffers 208 (auch Scheinbufsen : etwa Bratenduft mit
Geldklang bezahlt, süfse Musik mit süfser Hoffnung auf Bezahlung);
Hertel S. 3; Aristoteles, Ethica Nicom 9, 1; Plutarch ed. Reiske 6, 150.
7, 318 (Schattenbufse für geträumte Kränkung etc.).
^ Qriech. Kulturgesch. I, 72. Vgl. ferner Andräe, Ethnogr. Parallelen
und Vergleiche I, 18 f. (Einmauern unschuldiger Kinder in Fundamente
von Häusern). I, 24 f. (Hausbau) ; Liebrecht, Zur Volkskunde 284 f. (Men-
schen vergraben, um Einstürzen von Bauten zu verhindern); Pradel,
Schatten im Volksglauben S. 25 Anm. 2. 3.
Zur Entstellung des Märchens. 23
wie schon nach der jüdischen Sage der Turmbau zu Babel, nur
dämonische Geister, in deutschen Sagen der Teufel, können sie
vollbringen, Unrecht, Verrat und Betrug hängen schauerlich mit
ihrer Entstehung zusammen. Man erinnere sich etwa an die alte
griechische Sage von Laomedon und dem Bau Trojas oder an
die nordische vom Riesenbaumeister. ' Ein jeder Bau verlangt
Menschenopfer und droht Unglück oder Schrecken, wenn ihm
diese Opfer nicht gewährt werden. Auch die Seelen aller, die
in Häusern und in Schlössern jemals lebten und litten, Frevel-
taten verübten und Freveltaten erfuhren, hausen gespenstisch
dort weiter fort, zeigen sich klagend und warnend, wenn Unheil
bevorsteht, schrecken oder erwürgen jeden Unberufenen, der in
das Haus eintritt, machen den Aufenthalt dort zu einem Aufent-
halt des Grauens und sehnen sich und wimmern herzzerreifsend
nach Erlösung. Solcher Sagen und Märchen gibt es schon in
Deutschland unzählige: und da in solchen Bauten die Seeleu
Verurteilter, zu Erlösender ihr Wesen treiben, da ihre Schrecken
denen der Hölle gleichen, sind solche Sagen von verwunschenen
Schlössern und Häusern öfter mit Unterweltsagen zusammen-
gefallen. Wir können das schon in den nordischen, noch deutlicher
aber in den französischen Sagen des Artuskreises beobachten. 2
Diese Sagen von Bauten führen von selbst zu den Opfer-
sagen. Es war ein alter Brauch, dafs man erzürnte Geister, die
Seelen der Abgeschiedenen etwa oder andere Geister, denen man
besondere Macht zutraute, wie die Geister, die über Wetter und
Regen herrschten, durch Menschenopfer zu versöhnen suchte.
Auch die Flulsgottheiten, die im Frühjahr über die Ufer traten
und die Fluren verwüsteten, stellte man sich als empörte Gott-
heiten vor und suchte ihren Zorn durch Menschenopfer alljähr-
lich zu besänftigen. Aus diesem Brauch löste sich wohl die als
Märchen und Sage überall fortlebende altfe Erzählung von dem
Opfer, das einer Gottheit oder einem Ungeheuer oder einem
Drachen alljährlich gebracht wird, bis ein Held kommt, das Un-
tier überwindet, das letzte Opfer, oft die Tochter eines Königs,
befreit und dann heimführt. Es wurde das ein Märchenmotiv,
das in die vielfältigsten Sagen und Märchen Eingang fand, und
das unsere Aufmerksamkeit noch mehrfach beanspruchen mufs.
Ob das Opfer an den Drachen ursprünglich eine Jungfrau war,
wage ich noch nicht zu entscheiden, vielleicht kam diese Jung-
frau aus einem anderen Märchenkreis, der sich um das Motiv
des vom Ungeheuer bewachten Mädchens drehte.^
* Vgl. V. d. Leyen, Märchen in Edda 38 ; Bugge, Studien zur Entstehung
der nordischen Oötter- und Heldensage 270; J. Grimm, Mythologie^ I, 450.
'' Vgl. Archiv CXIII, 258 Anm. 3.
3 Vgl, namentlicli Hartland, Legend of Perseus III, 1 f. 38 f. 67 f.
(über Opfer).
24 Zur Entstehung des Märchens.
Diese Opfersagen gehören kaum noch in den Rahmen der
gegenwärtigen Erörterungen; denn diese wollten nur zeigen, wie-
viele unserer Märchenmotive — ich glaube fast alle wesent-
lichen — sich aus der Urzeit des Menschen ablösten, aus allem,
was ihm damals wirklich war, aus seinem Leben, aus der Natur,
wie er sie sah, und noch öfter aus seinem Wahn, seinem Aber-
glauben und seinen Träumen. Es klingt das gewifs überraschend,
dafs auch die Heimat des Märchens nur unsere Wirklichkeit und
deren wache und geträumte Erlebnisse sein sollen — die Heimat
desselben Märchens, das nun so wirklichkeitsfremd und phan-
tastisch geworden — , aber diese Erkenntnis ist so wahr, dafs
man sich mit Hilfe unserer Sagen und Märchen das Leben und
die Psyche des Urmenschen wieder vorstellen kann.
München. Friedrich von der Leyen.
(Fortsetzung folgt.)
Hrotsvits literarische Stellung.
I. Franendichtung im Mittelalter: 1. Des Mädchens Klage. 2. Nieder-
sächsische Heimatkunst im Mittelalter. 3. Eine Sequenz Hrotsvits? 4. Die
Legende der h. Agnes. 5. Das Mittelalter und die moderne Liebe. —
IL Der Mimus im Mittelalter: Einleitungswort. 1. Mimus und Siege.s-
ballade. 2. Mimus und Spottlied. 3. Mimus und geistliche Ballade. 4. Der
Mimus und die Karolingische Ekloge. 5. Notker und der Mimus. 6. Der
Mimus im Ruodlieb. 7. Hrotsvits Legenden. 8. Hrotsvits Dramen.
I. Frauendichtung im Mittelalter.
1. Des Mädchens Klage.
Als F. Löher 1858 seinen feinsinnigen Vortrag über Hrotsvit
hielt, gedachte er* auch der schönen Stelle aus der Marien-
legende, wie die h. Anna im Garten das Vogelnest sieht mit
den Alten, die ihre junge Brut atzen, und wie sie dabei das
bittere Gefühl ihrer eigenen Kinderlosigkeit überwältigt. Er
gibt die Stelle wieder und schliefst mit dem pathetischen Aus-
ruf, so empfinde, so dichte nur eine deutsche Frau. Das war
denn freilich am Ziele vorbeigeschossen. Hätte er sich um die
Quelle der Marienlegende gekümmert, die später, gleichzeitig
und einer vom anderen unabhängig, R. Koepke und 0. Schade
nachgewiesen haben,^ er würde gesehen haben, dafs die Szene
dort, in dem Kindheitsevangelium des sogenannten Ps.-Matthaeus,
schon ganz so vorgebildet ist, wie sie sich denn auch die anderen
mittelalterlichen Bearbeiter der Legende nicht haben entgehen
lassen. Aber es ist lohnend, das Motiv in seiner Loslösung von
der Legende zu verfolgen.^
Die Zeit des ausgehenden Altertums würde das Motiv, wenn
sie es für sich allein gestaltet hätte, m die Form des Epigramms
gekleidet haben, wo es denn, fein zugespitzt, seine Wirkung
nicht verfehlt haben würde. Aber es wäre das doch nur ein
Notbehelf gewesen. Voll und unmittelbar wäre es nur heraus-
gekommen, wenn es, etwa von Sappho, in ihrem Stil, in ihrem
Dialekt, behandelt worden wäre:
* Wissenschaftl. Vortr., geh. xu München im Winter 1858, S. 484.
" Darüber jetzt Strecker, Hrotsvits Maria und Ps.-Matthaetis, Dort-
mund 1902.
^ Ich knüpfe hier wieder dankbar au Wilamowitz an, Reden und Vor-
träge, S. 18 f.
26 Hrotsvits literarische Stellung.
/dl^vAi fiep d aekdvva
aal JJXijiaSegj /iieoui de
vvy.Teg, naQa d^tQ/er' OjQu,
iya) de fiova xa&tvdo).
Die Spätzeit half sich, indem sie das Motiv in die Legende,
d. h. die fromme Novelle, herüberrettete. Aber es kam die Zeit,
die es wieder zu eigenem Leben erweckte, und die es aus der
scheinbaren Objektivität erlöste; nun ist es nicht mehr die
h. Anna im Garten, sondern das Mädchen selber, das im Lenze
dem Kontrast zwischen seinem eigenen Schattenleben und dem
Liebesleben ringsher in der blühenden Natur mit bitterer Klage
Ausdruck leiht. Das Gedicht steht in den hochbelobten Cam-
bridger Liedern.^ Aber freilich, wer kennt es? denn während
die 'Denkmäler' so manchen Schwank bekannt erhalten, sind
sie an diesem intimen Kabinettstück vorübergegangen; und
Scherers Hinweis in der Geschichte der deutschen Dichtung im
11, und 12. Jahrhundert (S. 8) hat nichts gefruchtet. Oben-
drein ist die Hauptsache, dafs der Mai beim. Point d'honneur
gefafst wird, durch einen bösen Fehler der Überlieferung ent-
stellt.2 Ich teile es hier in berichtigtem Text mit, samt einer
Nachbildung, als Probe eines von mir seit längerer Zeit vor-
bereiteten mittellateinischen Dichterbuches, das dem Abschlufs
nahe ist.
Levis exsurgit zephyrus Quod oculis dum video
et sol procedit tepidus; et auribus dum audio,
iam terra sinus aperit, heü, pro tantis gaudiis
dulcore suo diffluit. tantis inflor suspiriis.
Ver purpuratum exiit, Cum mihi sola sedeo
ornatus suos induit; et haec revolvens palleo,
aspergit terram floribus, si forte caput suhle vo,
ligna silvarnm frondibus. nee audio nee video.
Struunt lustra quadrupedes Tu saltim, Veris gratia,
et dulces nidos volucres; exaudi et considera
inter ligna florentia frondes, flores et gramina;
sua decantant gaudia. — nam mea languet anima.
Mit lindem Hauch der Westwind weht,
die Sonne warm am Himmel steht,
und ob dem Acker füllt die Luft
der frischen Brache würz'ger Duft.
Es kam der Lenz in Herrlichkeit,
er trägt sein festhch buntes Kleid;
nun spriefsen neu das Laub im Wald,
der Wiese Blumen mannigfalt.
* Jaff^, Zs. f. dt. Altertum 14, 492; Piper in Kürschners Dt. Nat.-Lit.
162, 231.
^ tu saltim velis, gratia, exaudi 6, 1; auch 2, 1 hat die Hs. und
Jaffö exuit.
Hrotsvits literarische Stellung. 27
Das Wild in Kluft und Waldversteck,
die Vöglein bau'n in Busch und Heck';
und frohen Schalls ihr Hochzeitlied
weithin den grünen Wald durchzieht.
Wenn solches Bild mein Auge schaut,
mein Ohr vernimmt des Liedes Laut,
wie alles jauchzt in Freud' und Lust,
ach, dann schwellt Seufzen meine Brust.
Ich sitz' für mich in Einsamkeit
versonnen da mit meinem Leid,
und hebe ich das Haupt empor,
ist blind mein Auge, taub das Ohr.
Erhöret ihr das Flehen mein,
Herr Mai, in Gnaden seht darein;
die ganze Welt in Blüten steht, —
indes mein darbend Herz vergeht.
Das ist überraschend modern. Modern ist das Naturgefülil,
obwohl Ostern stets, auch für die Menschen des Mittelalters,
das Fest der auferstehenden Natur gewesen ist;^ modern vor
allem das Gefühl für den frischen Erdgeruch. Und modern ist
die Schilderung des Mädchens, die der Dichter so wahr und
abgelöst von seiner eigenen Persönlichkeit aus sich herausgestellt
hat. Aber ist denn wirklich ein fahrender Spielmann der
Dichter? ist es nicht vielleicht doch eine Dichterin, die hier,
um die Wende des ersten Jahrtausends, ausspricht, was ihr die
Brust schier zu zersprengen droht? ist es nicht am Ende wirk-
lich eine namenlose Vorgängerin Heloisens und der grofsen
Marie de France? Gleichviel — die Heimat des wundersamen
Gedichtes ist unzweifelhaft Frankreich, und hier haben wir ein
uraltes Kleinod der eben erwachenden modernen Lyrik.
Das Gedicht ist modern. Das läfst sich nicht besser klar-
machen, als wenn wir es mit einem Gedicht aus unseren Tagen
vergleichen. Man könnte es mit A. Silbersteins Gedicht im
Kloster garten zusammenhalten; aber dies ist wohl kaum ganz
unabhängig von dem alten Ps.-Matthaeus und nur ins Moderne
umgesetzt. Wer wirklich verstehen will, nehme ein schönes
Gedicht von Lulu v. Straufs und Torney dagegen, ^ der Heimat-
dichterin Niedersachsens, die die moderne Kritik mit Gewalt zur
Balladendichterin stempeln will, während ihre wahre Bedeutung
in ihrer Naturlyrik und zumal in den edlen Kesignationsgedichten
der Einsamkeiten beruht.
^ Darüber ein Wort in meiner Dichterschule St. Oallens, in llbergs
N. JahrL V, 855.
^ Balladen und Lieder, S. 113.
28 Hrotsvits literarische Stellung.
Hohe Zeit.
Aller Sehnsucht Qual verlor Sieh', die Linde hütend hängt
sich in seligem Gewähren — übers Nest die grünen Schleier —
sieh', von blühenden Altären hohe Zeit der Lebensfeier,
raucht der Blütenstaub empor! die zu sel'ger Fülle drängt!
Meine Sehnsucht braust und schwillt —
marternd mufs ich dich erfahren,
grofses Frühlingsoffenbaren,
das nur mir sich stumm verhüllt!
*Das nur mir sich stumm verhüllt' — si forte caput suhlevo,
nee audio nee video — .
Ich sprach vorhin die Vermutung aus, dafs wir in dem
alten Gedicht Frauenlyrik vor uns haben. Die Frage ist nicht
ganz zu trennen von der anderen, ob die *Frauenstrophen' der
mittelhochdeutschen Lyrik wirklich, wie W. Scherer gemeint hat,
von Frauen herrühren. Wilamowitz hat in seinem grundlegenden
Aufsatz über die antike Hilarodie oder Lysiodie, die er für
immer *des Mädchens Klage' getauft hat, gegen die Annahme
von Dichterinnen die Analogie der Griechen geltend gemacht.*
Es sei undenkbar, dafs Dichterinnen wie Korinna, so sehr ihr
Dichten den konkreten Aufgaben und dem Momente galt^ die
Hingabe ihres eigenen Herzens und Leibes an den geliebten
Mann zum Gegenstand ihrer Kunst gemacht hätten. Und voll-
ends Sappho, die die eigene Empfindung ausspricht, habe weder
im eigenen Namen noch in dem der Bräute, für die sie dichte,
Liebe zu einem Mann ausgesprochen: sie würde damit sogleich
ihre gesellschaftliche Stellung verloren haben. Ein Gedicht wie
das vorhin angeführte {diövxt /niy u oeXuyya), scheide aus: das
sei 'wirklich Verfasser los', *gar nicht individuell'.
Ich habe seine Begründung so genau angeführt, weil hier
jedes Wort wichtig ist. Scheinbar spricht ja die Analogie der
Griechen gegen die Annahme einer Dichterin, obwohl auch dann
auf der anderen Seite die Analogie Heloises übrigbliebe, von
der noch zu reden sein wird, während die Liebesbriefe der
Sulpicia (Tibull IV 8—12) nie für die Öffentlichkeit bestimmt
waren; 2 aber nur scheinbar. Denn in Wirklichkeit haben wir
hier ja gerade ein Analogon zu Sapphos dtdvxa /.dy « aeT^upya:
*gar nicht individuell' — aber allgemeingültig, ewig wahr.
» Oött. Nachr. 1896, S. 225, Anm. 2; vgl. Eeich, Mimus I 843.
* Ich glaube nun und nimmer, dafs man gegen die Überlieferung mit
IV 7 die Reihe der eigenen Gedichte Sulpicias eröffnen darf. Das ist kein
Anfang, sondern ein Abschlufs. Wer dies Gedichtchen tibullischer Kunst
unwürdig fände, müfste es au den Schlufs, nach IV 12, stellen, würde aber
damit immer noch die kunstvolle Komposition aufheben, in der IV 7
unter den Gedichten Tibulls dem Schluisgedicht Sulpicias (IV 12) ent-
spricht.
Hrotsvits literarische Stellung. 29
Und wenn die Analogie der Griechen gegen die mittelhoch-
deutschen Frauenstrophen spricht, so spricht sie ebenso laut
für weibliche Kunst im Frühlingsliede. Die Lysiodie aber wird
den vorhin angenommenen Stilmöglichkeiten beizuzählen sein,
als diejenige Kunstform, worin die Zeit des August us solche
Empfindung ausgesprochen haben würde, mag auch *des Mädchens
Klage' die Klage der Verlassenen sein und nicht die Klage der
Einsamen. -
2. Niedersächsische Heimatkunst im Mittelalter.
Die moderne deutsche Dichtung steht im Zeichen der
Heimatkunst; ihre besten Vertreter wurzeln fest im Heimat-
boden. Der mittelalterliche Mensch dagegen, sobald er der ge-
lehrten Bildung teilhaft geworden, gehört in erster Linie der
Kirche an, die die ecclesia catholica ist; danach seinem Kloster;
vom Stammescharakter ist meist wenig zu spüren. Aber es ist
doch bezeichnend, dafs gerade die gröfsten Talente des Mittel-
alters Menschen von stark ausgeprägter Stammeseigentümlichkeit
sind.^ Man denke an Notker und Hrotsvit. Notkers beste Kraft
liegt in seinem echt schwäbischen, an G. Keller gemahnenden
Humor, mit dem er alles zu vergolden weifs: die Fabel vom
kranken Löwen und das Lügenmärchen vom Wunschbock, das
noch heute an des Bodensees Ufern lebendig ist, wie die Anek-
doten vom Kaiser Karl, dessen überragende Gröfse sich im An-
denken der Nachwelt nicht schöner abbilden konnte, als es in
Notkers Geiste geschehen ist, alles umfassend, das Gröfste wie
das Kleinste. Der treue Lehrer seiner Schüler, an denen er
hängt, auch wenn sie es ihm nimmer danken, dessen Briefe an
Mörikes *Musterkärtchen' erinnern, und der geniale Schöpfer
der Sequenz, der die geistliche Lyrik auf Jahrhunderte in neue
Bahnen wies, dessen Gröfse es ist, dafs er im Göttlichen stets
das Reinmenschliche zu sehen weifs, dafs er das göttliche Ge-
heimnis dem Herzen nahe zu bringen versteht, er ist in seiner
liebevoll sinnigen Art Schwabe durch und durch. Ganz anders
die Nonne von Gandersheim. Herbe und verschlossen ist sie,
trotz Annette von Droste-Hülshoff, und verbirgt die tief inner-
liche Weichheit ihres Wesens, dafs sie nur hier und da, wo sie
von ihrem Heben Gandersheim redet oder liebevoll verweilt bei
der Charakteristik ihrer heiligen Jungfrauen, die ihr Schwester,
Kind und heiliges Vorbild zugleich sind, unerwartet und schier
elementar durchbricht. Ist Notkers Kennzeichen die Lust am
Fabulieren, die liebefvoll das Bild aus tausend kleinen feinen
* Ich verfolge hiermit Gedanken, die ich früher {Stilfragen S. 12) nur
andeuten konnte.
30 Hrotsvits literarisclie Stellung.
Einzelziigen zusammenstrichelt, die ihn in den Sequenzen be-
fähigt, das ganze Lied auf ein Bild zu stellen, daraus aber auch
alles hervorzuholen, was darin liegt, so liebt sie es, kurz und
knapp, mit wenigen Worten ihr Bild zu umreifsen, und führt
in ihren Dramen, worin ein geistvoller Erklärer^ Nordseelult zu
spüren gemeint hat, mit sicherer Hand die Fäden der Hand-
lung: man denkt unwillkürlich an Hebbel. Freilich mufs man
dabei nicht Mafsstäbe anlegen, die lür ihre Zeit und deren so
ganz eigen geartete Kunst nicht passen; doch darüber wird
später zu reden sein.
Heimatkunst im schönsten Sinne ist das letzte, reifste Werk
Hrotsvits, ihr Gedicht von den Anfängen des Klosters Ganders-
heim. Man sehe etwa die wundervolle Schilderung des Zeichens,
das den Ort der Klostergründung bestimmt. Ich gebe sie hier
deutsch, freihch in einer Übertragung, die ich nachher selber
kassieren mufs; aber ich glaube, trotz ihrer Unvollkommenheit
mehr damit zu erreichen, als wenn ich die Stelle lateinisch oder
nach einer der gedruckten Übersetzungen gäbe.
Wie alte Leute sagen, so die Wahrheit wissen,
war nah beim Kloster ein Wald in jenen Tagen,
geborgen im Bergesschatten gleich wie wir noch heute;
und war ein Hof gelegen dorten im Walde,
wo Herrn Ludolfs Hirten zu weiden pflegten
und in des Meiers Hütte bei nächthcher Weile
den müden Leib zur Ruhe aufs Lager streckten,
wenn sie zu hüten hatten seiner Schweine Herden.
Hier sahen einst die Hirten, zu zween Tagen
vor Aller Heiligen Festtag, in nächthcher Stunde
in des Waldes Dunkel gar viele Lichter schimmern.
Ob solches Gesichtes waren sie schier verwundert,
was des fremden Scheines Glanz bedeuten wolle,
der mit solcher Helle der Dämm'rung Nacht durchdringe.
Dem Meier des Hofes sagten sie's mit Beben.
Und wiesen ihm die Stelle, die das Licht beschienen.
Er wollte selber sehen, ob sie recht berichtet,
gesellte sich zu ihnen im Freien draufsen ;
und hüben an, zusammen die nächste Nacht zu wachen,
und senkte sich kein Schlummer auf ihre Lider,
bis sie zum andern dorten die Lichter leuchten sahen,
mehr denn beim ersten Male an jener Stelle,
doch war es auch diesmal wieder die selbe Stunde.
Solches glückhaften Zeichens frohes Ergehen
verbreitete sich am Morgen, da die Sonne _^auf ging
mit ihrem ersten Scheine, in raschem Gerüchte.
Nicht mocht' es vor dem Herzog verborgen bleiben;
auf der Stelle kam es gleich auch ihm zu Ohren,
und so beschlofs er, selber in der Nacht zum Feste
sorghch achtzugeben, ob etwa noch einmal
sich ein solches Zeichen vom Himmel zeigen würde,
und wachte mit vielen Leuten drauCsen dort im Walde.
Bendixen, Das älteste Drama in Deutschland II 23. 59.
Hrotsvits literarische Stellung. 31
Da nun in graue Nebel Nacht die Lande hüllte,
erschienen rings im Kreise in des Waldtals Gründen,
wo stolz erstehen sollte der Bau des Klosters,
gar viel der Lichter helle, verteilt aller Orten,
so des Waldes Schatten und das nächtige Dunkel
jäh mit lichten Scheines strahlendem Glanz durchbrachen.
Des priesen aus einem Munde sie den Herrn im Himmel,
sagten all einmütig, es sei der Ort zu weihen
dem zu Dienst und Ehren, der ihn erfüllt mit Klarheit.
Und dankerfüllten Herzens für Gottes Gnade
liefs mit seines Weibes Frau Oden Willen
Herzog Ludolf von Stund' an im Wald die Bäume schlagen,
die Dornen ausroden und rings den Talgrund reuten
und schuf des Waldes Wüstnis, da Schrat und Kobold hausten,
um zu reiner Stätte, da Gottes Lob erklänge.
Was nur dazu gehörte, schafft er all zur Stelle
und legte der Kirche Grundstein an selbigem Platze,
den das Licht bezeichnet mit hellem Scheine.
Mirakelgeschichten hat das Mittelalter wahrhaftig in Hülle
und Fülle hervorgebracht. Aber man wird vergebens suchen
nach einer solchen Innerlichkeit. Das macht nicht blofs Hrots-
vits überragende Begabung; es ist für sie nicht eine beliebige
Wundergeschichte, wie es ihrer zu hunderten gibt und gab; sie
schreibt mit der ganzen Liebe und Anhänglichkeit an ihr
Kloster, in dem stolzen und doch demütigen Gefühl, Gott an
einer Stätte zu dienen, die er selbst durch ein Wunder aus-
erwählt. Und wenn die Lichter aufglänzen in trüber, neblichter
Herbstnacht, so weifs sie das Märchenhafte dieses Bildes wohl-
abgemessen in dreifacher Steigerung darum so greifbar deutlich
zu malen, weil dieses Waldtal mit seinen Hügeln und Hängen
dasselbe ist, dessen Naturzauber sie selber oft genug erfahren
hat; wie es denn auch in dem schönen Bilde aus dem Briefe
vor den Gesta Oddonis hervorbricht, von dem im verschneiten
Walde verirrten Wanderer:
ein Wald,
geborgen im Bergesschatten gleich wie wir noch heute . . .
Diese wundervolle Dichtung liegt uns aber heute nur in
zwei gleich unbrauchbaren Übertragungen vor, die ihr den Weg
ins Publikum versperren. Hätten wir eine gute, kongeniale
Nachbildung, so könnte das Werk der alten Nonne von Ganders-
heim, das heute im Staube der Bibliotheken ein kümmerliches
Dasein fristet, noch einmal auferstehen und ihren niedersäch-
sischen Landsleuten ein Volksbuch werden wie nur irgendein
Werk moderner Heimatkunst. Aber freilich, dieses Ideal einer
Übertragung vermag ich nicht zu leisten, und nicht blofs, weil
jedes Ideal unerreichbar ist, oder weil meine Kraft und Kunst
zu gering ist. Ich mufs etwas ausholen, um klarzumachen,
was ich meine, und wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin.
32 Hrotsvits literarische Stellung.
Es war um Weihnachten 1902, als ich, bald nach Abschlufs
der *Stilfragen' daran ging, die Dichtung Hrotsvits zu über-
tragen, in den Stil, wovon die oben dargebotene Probe eine
gewisse Vorstellung gegeben haben wird. Ich hatte mir das
Versmafs selber geschaffen. Den Stabvers meines Waltharius
hatte ich aufgegeben; auch ohne Stabreim gibt der straffe Vers
der vier Hebungen die liebevoll redselige Weise Hrotsvits nicht
wieder. Er pafst für einen Stoff' voller Handlung, Vv'ie ihn die
deutsche Heldensage bietet; memetwegen auch für eine Parodie
des hohen Stiles wie im Wunschbock. Aber weder ein halb-
modernes Rittergedicht, wie der Ruodlieb, noch ein Buch der
pietätvollen Erinnerung, wie Hrotsvit es gibt, durfte so über-
tragen werden. Aber wie der knappe Vers des Hildebrandliedes
sich im Heliand, wo es gilt, den Heiland als sächsischen Herzog
zu schildern und den Sachsen so lieb zu machen, dehnt und
streckt, so setzte ich an die Stelle der 2 -f- 2 Hebungen eine
Form, die schon H. Grimm unbewufst in gewissen homerischen
Schilderungen verwandt hatte: 2 + 2, 2 + 3, 3 + 2, 3 + 3
liefs ich nebeneinander zu. Damit gewann ich ein Weiteres;
ich konnte nunmehr die Verse Hrotsvits, was bei ihr wichtiger
ist als im Waltharius, Vers um Vers wiedergeben. Und indem
ich sowohl im Versausgang wie in der Cäsur stumpfen Tonfall
durchführte, der doch, wegen der Mannigfaltigkeit der Hebungen,
nicht eintönig wirkt, gab ich der Eede die ruhige Klangfarbe,
deren sie hier bedarf. Ich glaube, damit allerdings dem Ziele
ein gut Stück näher gekommen zu sein; aber es fehlte noch
eines, das Beste.
Wenige Wochen vorher waren mir die Balladen und Lieder
von L. V. Straufs und Torney bekannt geworden. Von den
Balladen hatte mir namentlich die Hertje von Horsbüll starken
Eindruck gemacht, die die Prophezeiungen der alten Friesin
und das Motiv des eingemauerten Kindes glücklich verbindet.
Ich hebe ein paar Strophen heraus.
Es steht im Kooge zu Gröde der Weizen sommergrün,
es springt ein schwarzes Fohlen über die Weiden hin —
aber die Saaten sollen keine Sichel seh'n,
und es wird das schwarze Fohlen nicht unter dem Sattel geh'nl
Sie segnen in dreifsig Kirchen den heiligen Gottes wein —
zu Lindhölm stand die erste, die soll auch die letzte sein.
Es wird ein Tag des Todes über den Marschen grau'n,
dreimal wehe den Augen, die seine Schrecken schau'n.
Ich konnte das Gedicht auswendig; aber um seine Quelle hatte
ich mich noch nicht gekümmert, ein Bedenken wegen des Stiles
war mir nie gekommen, und auch die Balladen des Freiherrn
B. V. Münchhausen kannte ich damals noch nicht. Da gehe
Hrotsvits literarische Stellung. 33
ich, während ich noch an der Hrotsvit arbeite, eines Tages im
Gespräch über alltägliche Dinge; währenddessen aber höre ich
es in einem fort im Ohre klingen:
es steht im Kooge zu Gröde der Weizen sommergrün.
Immer wieder diese eine Zeile, wohl zehn Minuten lang, pei-
nigend. Da auf einmal, ohne dafs das Gespräch stockte, hör
ich es plattdeutsch:
it staht in'n Koog to Groeden de Witten summergroen.
Nun dachte ich nach, und ich glaube wirklich, L. v. Straufs
hat ihrem Gedicht geschadet, indem sie hochdeutsch schrieb:
seine volle Wirkung würde es erst plattdeutsch tun, wie denn
auch ihre Quelle, MüUenhoffs Sagen, Märchen und Lieder aus
Schleswig-Holstein,^ die Prophezeiung plattdeutsch bieten, was
ich damals nicht wufste. Aber plattdeutsch hätte es werden
müssen ganz und gar. Es ist heute in der Heimatkunst die
üble Unart eingerissen, die Erzählung hochdeutsch zu geben
und die Reden im Dialekt. In der Prosa ist das ganz allgemein
üblich; so machen es, um nur zwei der besten zu nennen, in
Niedersachsen H. Voigt-Diederichs und L. v. Straufs u. Torney
selber. In der Ballade hat B. v. Münchhausen wenigstens ein-
mal ('Der Letzte des Stammes') das gleiche getan.^ L. v. Straufs
dagegen hat in ihrer mecklenburgischen Ballade *Dat \Vater'3
durchweg mecklenburgischen Dialekt geschrieben oder doch
schreiben wollen; denn ich glaube nicht, dafs jemand, der platt-
deutsch denkt, *taum tweitenmal' sagen wird: er sagt 'taum
annernmal'. Und wenn man die Fassung der Novelle 'Bauern-
stolz' in der Buchausgabe und im ersten Druck* vergleicht, so
wird man doch zweifelhaft, ob dieses unaufhörliche Tasten und
Bessern auch im Grammatischen nicht eine bedenkliche Un-
sicherheit verrät. Ist doch auch das Berlinisch ihres Romans
aus Bauernstamm nur ein Bückeburgisch, das sich ein Ber-
hner Mäntelchen umgehängt hat; aber hier und da guckt doch
das Bückeburgische hervor: oder sagt der Berliner: 'Sie sollen
auch bedankt sein?'^
Also plattdeutsch von Anfang bis zu Ende. Die heut be-
liebte Mischung würde ein naives Publikum abstofsen, das wirk-
lich Stilgefühl im Leibe hätte, auch ohne je über die Frage
des Dialektes nachgedacht zu haben. Und F. Reuter und
* Die weise Frau Hertje, S. 248; Horsbüll, S. 129 (Stabreim); Das
vergrabene Kind, S. 242 : als Ballade ausgeschlachtet von G. Falke, Hohe
Sommertage, S. 105, wie denn alle sieben Balladen dieses Buches aus
Müllenhoff stammen.
^ Balladen, S. 65. ' Niedersachsen V 1.
* Niedersachsen Yj Nr. 14 — 24. ^ Alis Batcernstamm II 114.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 3
34 Hrotsvits literarische Stellung.
Kl. Groth haben auch niemals an eine solche Stilpantscherei
gedacht. Ein anderes ist es natürlich, wenn Personen ver-
schiedenen Stammes und Standes durch den Dialekt charakteri-
siert werden sollen, etwa wie Unkel Bräsig sein Missingsch und
die Fru Pastern ihr Hochdeutsch redet, oder wie L. v. Straufs
in ihrem Roman moderne Grofsstädter, Berliner Arbeiter und
Weserländer Bauern zusammenführt; das ist voll berechtigt.
Sonst dagegen habe ich bei diesem modernen Abklatsch der
Reden, als wären sie mit dem Phonographen aufgenommen,
immer ein unbehagliches Gefühl; genau so, als wenn ich vor
einem historischen Gemälde stünde, worin die Köpfe der han-
delnden Personen herausgeschnitten und durch meinethalben
noch so gute Photographien ersetzt wären. Und, um mit einem
Scherze zu schliefsen, womit mir auf eine Expektoration dieser
Art aus gleichen Gefühlen heraus Freund Strecker einmal ge-
antwortet hat, bei Hrotsvit würde die erste Person, die platt-
deutsch zu reden hätte, der Täufer Johannes sein . . .
Damit ist denn freilich auch gesagt, dafs ich selber als
Westpreufse, der obendrein nie Dialekt gesprochen hat, das Ge-
lobte Land nur von fern sehen, nicht es betreten darf. Wohl
aber habe ich nach vielen vergeblichen Versuchen, einen Be-
arbeiter zu gewinnen, selber einen kurzen Abschnitt, so gut
oder schlecht es gehen wollte, zu übertragen versucht, in ein
Deutsch, das zu dem seit F. Reuter uns allen geläufigen Platt
('ick bün,' nicht 'ick syn'j einige alte Elemente mischt, wie sie
der Reineke Vos und etwa die Chronik des Pfaffen Eberhard
von Gandersheim darbieten; ja, es wird gut sein, wenn sie sogar
überwiegen: nur müssen auch sie dem, der modernes Platt ver-
steht, ohne weiteres verständlich sein. Das ist für diesen Fall
erlaubt, ja geboten; der Theorie eines universellen Schriftplatt
für moderne Stoffe soll damit nicht das Wort geredet werden:
dergleichen ist freihch totgeboren. Ich glaubte mich zu einem
solchen Versuch, der nichts soll als zeigen, was ich ungefähr
meine, berechtigt durch lange liebevolle Lektüre; und ich habe
Herrn Dr. P. Corfsen, dem ausgezeichneten Bibelkritiker, von
Herzen zu danken, dafs er, ein geborener Oldenburger, mir
trotz prinzipieller Bedenken meine Probe durchgesehen und hier
und da nachgebessert hat.
Ener rede lustet mek to seggen
van aller demut in minen harten,
van det closters erbouwen to Gandesheme;
dat hebben bouwen van Sassen de hertogen,
her Ludolf voll chreften unde sin säen her Oddo,
de bracht et to ende, wat sin vader begunde.
Nu moet tovoerderst ek seggen, van anbeginne,
van uses closters bouwen in minem maere,
dat het her Ludolf, en hertog van Sassenlande,
Hrotsvits literarische Stellung. 35
voll vromicheit stiftet to Gandesheme.
He was boren ut edelem geslechte,
unde als es gezemde sinem huse,
was he van sitten edel unde biderbe van sinne:
des loweden si jn alle to Sassenlande.
Nimmer müde to strite, schoen van angesichte,
wise to rade, verstendig in allen dingen,
hoffen unde gezirde all sines geslechtes.
In'n herbann hern Ludewi^s, dat was en koning to Franken,
do het he sek sworen bi sinen jungen jaren ;
he was van jm hawen to hohen eren,
mit euer graveschefde belenet to Sassenlande.
unde enwerede nicht lange, do ward he tom annern
hawen to vursten eren, recht als de hertogen hebben.
Niemand kann das Unvollkommene eines solchen Versuches
lebhafter fühlen als ich; aber es kam mir ja auch nicht darauf
an, Vollkommenes zu geben, sondern eine Prinzipienfrage zu
erledigen — das ist hoffentlich gelungen — und anzudeuten,
wie das Endergebnis sich ungefähr praktisch ausnehmen wird.
3. Eine Sequenz Hrotsvits?
Bei Kehrein, Lat. Sequenzen des Ma. Nr. 480, ist eine
Sequenz, Gaude caelestis sponsa, gedruckt, die genauerer Be-
trachtung lohnt. Ihre Melodie hat Bartsch in seinem Buche
über die lateinischen Sequenzen nicht bestimmt: es ist Äd-
ducentur (regi virgines). Das Original dieser Melodie, die
einzige Sequenz, die Bartsch kannte, ist die Sequenz auf
Marien Geburt Stirjae Maria regia, die zwar nicht von Notker,
aber alt und weitverbreitet ist; ich verweise dafür auf das, was
ich soeben in der Zs. f. dt. Altertum 47, 383 ausgeführt habe.
Indessen ist die Melodie doch nicht so ganz selten; ich nenne die
Cäciliensequenz Virgo devota cunctis (Dreves- Blume, Anal,
hymn, 34, Nr. 214: beachtenswert, weil es eine Jungfrauen-
sequenz ist) und die Ägidiensequenz Confessor pius et sacer
Aeg. (Drevcs-Blume 10, Nr. 155) mit der Variante Stirpe regius
sacerdos Aeg., die die Stammsequenz verrät: bei der ersten ist
die Melodie angegeben, aber der Text der Analecta hat daraus
auch hier keinen Vorteil gezogen. Es wäre interessant, zu ver-
folgen, wie die Ägidiensequenz die kleinen Schnörkel der Ver-
schiedenheit von Versikel und Gegenversikel beseitigt und die
unwiederholte Schlufszeile verdoppelt; aber ich kann hier auf
diese Dinge nicht eingehen.
Dagegen gebe ich den Text der Sequenz Gaude caelestis
sponsa nach den von mir benutzten Handschriften.
1*. Gaude caelestis sponsa
summi regis iam templum ingressa,
1^. Ad regale quoque convivium ducta
3*
86 Hrotsvits literarische Stellung.
2*. Et mox intratura cubilis secreta,
semper virgo mansura:
2^. Filius regis amator castitatis
servat locum pudoris.
3*. Huic sponso venienti,
virgines omnes, obviate,
Ferte lampades iam ardentes,
in vasis oleum simul deferentes,
3^. Et regium festinanter
adornate thalamum
Et regi regum decantate
canticum solis virginibus cantandum,
4*. Janua patet, quae paratae sunt, intrent ;
i^. Cum sponsus venit, quis eum sequi possit,
omnis virgo memor sit.
5. Ad talia tu nos gaudia
perduc, Christe redemptor,
per te memor sponsae
iungens illi sperantes in te.
Die Sequenz ist, auch wenn man die Schwierigkeit der
Melodie noch so hoch anschlägt, von einer seltenen Unbehilf-
lichkeit. Wer sie geschaffen hat, der kann vom Wesen der
Sequenzendichtung nur eine sehr unklare Vorstellung gehabt
haben. Ich habe daher darauf verzichtet, die Abweichungen
von Versikel und Gegenversikel zu bezeichnen, die niemals recht
zur Stammsequenz stimmen wollen; ich habe darauf um so
mehr verzichtet, als die Überlieferung erst mit dem 12. Jahr-
hundert einsetzt.
Aber ist denn die Sequenz überhaupt älter? Fragen wir
ihr lieber das ab, was sie selber über ihre Bestimmung aus-
sagt. Es ist eine Sequenz de una virgine, eine Sequenz de
communij wie man das nennt, anwendbar auf jede beliebige
Heilige dieser Kategorie. Und zwar ist sie bestimmt, von Hause
aus, für einen Jungfrauenkonvent; sie enthält die Mahnung an
die Jungfrauen, zu wachen, dafs sie alle gleich den fünf klugen
Jungfrauen bereit seien, wenn der Bräutigam kommen werde:
das Bild schwebt schon bei dem convivium (1^) vor. Die Sequenz
ist für ein Nonnenkloster bestimmt; eine Nonne wird es auch
gewesen sein, die sie gedichtet hat.
Ich glaube aber, wir brauchen dabei nicht stehen zu blei-
ben; es läfst sich zwar nicht sicher beweisen — dazu reicht
das Material nicht aus — , aber doch wahrscheinlich machen,
dafs keine geringere als Hrotsvit die Dichterin ist. Dafs die
Sequenz nicht in der Regensburger Handschrift ihrer Werke
steht, darf uns nicht irren; die enthält ja auch das Gedicht auf
Gandersheim nicht. Dafs Hrotsvit die St. Gallischen Sequenzen
gekannt hat, habe ich in meiner Ausgabe zur Sapientia S. 188, 3
Hrotsvits literarische Stellung. 37
gezeigt (vgl. Stilfrageu S. 29): sie waren ihr wie anderes über
St. Emmeram zugekommen. Es kommt also nur darauf an, zu
zeigen, dafs der Gedankenkreis und die Sprache auf ihre Ur-
heberschaft weisen. Ich stelle die Belege zusammen.
l^ Agn. 207 caelestis sponsam regis; Christus als caelestis
sponsus Bas. 115. Agn. 5. 419. Abr. 2, 8. Sap. 4, 3. prim.
322. 359; Dulc. 14, 3 ego autem martyrii palmam virginita-
tisque receptura (man beachte das partic. fut. intratura)
coronam, intraho aethereum aeterni regis thalamum ; diese
Stelle entscheidet; alles andere ist verhältnismäfsig gleichgül-
tiges Beiwerk.
1^. Agn. 419 ducunt astrigeram sponsi caelestis in aulam
(die Engel die Seele der h. Agnes).
2*. Agn. 106 ast uhi forte sui merear complexibus uti,
eins et in thalamum sponsarum more coruscum duci, permaneo
virgo sine sorde pudica.
2*^. Die Epitheta Christi werden bei Hrotsvit stets im Zu-
sammenhang der Stelle gewählt, z. B. Abr. 2, 5 donec amplexaris
amplexihus filii virginis in lucifluo thalamo sui genitricis;
Gall. 5, 2 amator virginitatis et inspirator castitatis, Christe
(im Gelübde der Constantia); der Sinn ist: er wahrt sein Braut-
gemach als einen locus pudoris, vgl. Agn. 253 locus scelerum
domus efficitur precularum.
3^ Gest. 1 rex regum; Sap. 9, 4 quamvis non possum
canticum virginitatis dicere.
5. Gall. 13, 7 Simplex esse . . . perducat te ad gaudia
aeternitatis.
Ich safs zu Prag im Prämonstratenserstift Strahov über dem
riesigen unsignierten Sequentiar vom Jahre 1610 und den anderen,
bequemer für den Hausgebrauch hergerichteten, als mir plötz-
lich der Gedanke aufstieg, sollte diese Sequenz nicht von Hrotsvit
sein? Dafs sie zu ihrer Art wohl passen würde, war mir sofort
klar; aber wie stand es mit der Überlieferung? Handschriften
von Pommersfelden, Österreich (vor allen Wien, Nr. 13 314,
die Gottschalkhs. des 12. Jahrhunderts), und die Sammelhs.
J. Branders (St. Gallen, Nr. 546) — das sah wenig nach Hrots-
vit aus; aber ich wurde den Gedanken nicht los. Einen Monat
später benutzte ich in der Bossiana zu Lainz das Missale VIII 120
(13. — 14. Jahrhundert), woraus Dreves, Anal. hymn. 9, Nr. 393,
eine Sequenz gedruckt hat, die dort de s. Lihorio überschrieben
ist, die er aber, weil keine Beziehung auf den h. Liborius vor-
kommt, de uno confessore überschreibt. Die Sache hat ihre
Richtigkeit, beweist aber, was Dreves nicht sagt, da Liborius
der Patron der Paderborner Kirche ist, dafs die Handschrift
dorther stammt. Und in dieser Paderborner Hs. steht auch
die Sequenz Gaude caelestis sponsa. So scheint wenigstens
S8 Hrotsvits literarische Stellung.
eine niedersäclisische Hs. (und wie wenig ist von den liturgischen
Handschriften Sachsens erhalten I) noch heute für Hrotsvits
Autorschaft Zeugnis abzulegen.
4. Die Legende der h. Agnes.
Eine Betrachtung für sich fordert Hrotsvits Behandlung
geschlechtlicher Dinge. Gerade hier zeigt sich die Frau. Sie
bewegt sich oft, ja in der Hälfte ihrer Legenden und Dramen,
auf sehr bedenklichem Gebipt. Aber während ihr der Stoff von
der kirchhchen Tradition überliefert ward, an der sie, auch
wenn sie sie als apokryph erkannte, keine Kritik üben mochte,
zeigt sie sich in der Wortwahl überaus scheu. Um sich das
klarzumachen, nehme man die Legende der h. Agnes. Der
Sohn des Präfekten ist in sie verliebt; aber sie hat sich bereits
dem Herrn gelobt. So wird ihr die Wahl gelassen zwischen
dem Priestertum der Vesta und der Verstofsuog ins Bordell.
Sie verweigert das Opfer, wird abgeführt und nackt ausgezogen;
doch Wunder über Wunder schützen sie.
Die Quelle, die Darstellung des Ps.-Ambrosius, hat hier u. a.
die Worte impotens (impotent, Syn. vanus, mollis, miser), in-
shltare und insultatio (im wörtlichen Sinne), lihido und ludi-
hrinm, lupanar, meretrix, obscena opera, scortari und scortum.
Von dem allen hat Hrotsvit nur das eine schlechterdings un-
vermeidliche lupanar, daneben meretrix: beides auch sonst;
lihido kommt einmal in der Marienlegende vor. Aufserdem
umschreibt sie den Begriff des lupanar durch locus turpis (im
Dulcitius auch, wie hier Ps.-Ambr., turpitudinis locus), sordi-
dulum antrurriy latehrae turpis aedis, locus scelehrum, detesta-
hilis aedes (V. 222. 224. 245. 253. 259). Dergleichen war,
wenn sie überhaupt diese Legende bearbeiten wollte, nicht zu
vermeiden. Aber geradezu naiv ist die Definition V. 210 ff.:
inqtie lupanaris nigrum conclvdier antrum,
in quo laseivi iurenes rationis egeni
colloquio seelerosarum gaudent mulierum.
Wenn in den Dramen Abraham und Pafnutius das colloquium
im Vordergrunde steht, so ist das sehr begreiflich; aber diese
Stelle versteht man nur, wenn man weifs, dafs Hrotsvit das
Wort concubitus, das ja prosodisch gleichwertig ist, und seine
Synonyma streng meidet. Sie braucht dafür regelmäfsig am-
plexus oder complexus und die zugehörigen Verba, mehrmals
auch den beliebten Versschlufs complexihus uti. Dabei hat sie
gerade im Pelagius^ wo sich alles um die unter den Mauren
weit verbreitete Knabenliebe und die Begierde des Kalifen nach
dem gefangenen schönen Christenknaben dreht, augenscheinlich
Hrotsvits literarische Stellung. 39
von der Sache keinen rechten Begriff und braucht gerade hier
das Wort jedesmal im eigentlichen Sinn, V. 269 laeva com-
plectens colla sacrata (um ihn zu küssen, vgl. V. 237) und
V. 244 sohria barharico complexu suhdere colla.
Und nun vergegenwärtige man sich, was ein Mönch daraus
gemacht haben würde. Über Knabenliebe im Mittelalter genügt
es auf die von Traube* verzeichnete Literatur zu verweisen,
die an Verständnis für die Sache nichts zu wünschen übrig-
läfst. Und was die bei Hrotsvit in der Agneslegende offenbare
Vermeidung anstöfsiger Worte betrifft, so können wir sie hier
mit einer anderen metrischen Vita Agnetis vergleichen, aus einem
französischen Mönchskloster des 10. Jahrhunderts. Da malt
unreine Phantasie jede Andeutung der Prosa aus:
149. aut Vestam de more deam venerare pudicis
cum reliquis, aut moecka vehä stupranda traheris;
aber sie erwidert:
qtiod salver ah omni
impolltäa, feram, stupro nee liba metallis.
Der *Dichter' hat eine pathetische Anrede an den Präfekten:
1 78. fare, quid horrendum retegas mulielrre pudendum ?
reddo tibi, cum, mute, neges, responsa petenti:
noluit illa pati {miserum!) qtiod stupra furentis, ^
d. h., wenn wir den Überschwang in schlichtes Deutsch um-
setzen, weil sie den Verliebten nicht hat heiraten wollen — was
die überhitzte Phantasie des Verfassers als stwprum bezeichnet.
Im folgenden begegnen Stilblüten wie diese:
185. investis (d. h. impubes) iam veste carens, suleanda pudendis
prostibulo trahitur,
und V. 219 f.:
ac secum nocturna vocans ad bdla sodales
insuUare petit domino scortator amicae;
denn so ist die von Harster verdorbene Stelle abzuteilen. Aus
dem Lexikon des Verfassers nenne ich noch lustrum im Sinne
von lupanar (V. 213), was nicht auf ciceronischen Sprach-
gebrauch zurückzugehen braucht, den die Wörterbücher nach-
weisen, sondern Glossenweisheit sein wird, und die Neubildung
scortisequus (V. 211). Ich denke, das genügt, um zu zeigen,
wes Geistes Kind der Bearbeiter gewesen ist. Man wird viel-
leicht einwenden, das sei eine Ausnahme. Aber nun nehme
man einmal die beiden kurzen Darstellungen in Vers und Prosa,
* 0 Roma Nobilis, S. 308.
40 Hrotsvits literarische Stellung.
die Aldhelms grofses Werk de virginitate bietet. Die Verse
(V, 1925—1974, p. 188 f. Giles) sind ohne Anstofs, aufser etwa
V. 1952:
traditur ad tetrum scortorum casta lupanar.
Aber sie sind freilich auch so kurz, dafs Beschränkung auf das
Notwendige geboten war; und die Prosa (Cap. 45, p. 59 ff. G.)
macht das trotz gleicher Kürze reichlich wett. Man sehe zwei
Sätze an:
et licet huius rei gratia ad invisum prostihuli lupanar,
uhi scortorum detestanda ohscenitas bacchatur et frontosa
moecharum impudentia turpiter stupratur, ad infame dedecus
natalium propriis exuta vestihus traderetur;
und gleich danach:
7iam cum praefatus ohscenitatis amatar flammis carna-
lihus succensus lupanar cum sodalihus scelerum aggrederetur,
ut virgini sacratissimae spurca lenocinii ludihria lahris
procacibus irrogaret.
Das geht doch auch um ein beträchtliches üler das hinaus,
was Hrotsvit bietet; namentlich wird man guttun, die erste
Stelle mit Hrotsvits naiver Definition zu vergleichen. Und Ald-
helm war ein frommer Bischof, sein Werk eines der Lieblings-
bücher des ganzen Mittelalters und auch in Hrotsvits Händen.
Ich habe mit Absicht eine Legende gewählt, bei der wir
gutes Material zum Vergleich hatten. Dasselbe Ergebnis würde
sich überall herausstellen. Ich verzichte auf eine Darlegung
des Sprachgebrauchs im einzelnen; meine Register geben da-
durch, dafs die betreffenden Vokabeln fehlen, genügend Auskunft.
Hierher gehört auch ein Hinweis auf die naive Art, womit
Hrotsvit im Pelagius eine fromme Prudenzstelle verwendet.^ Quos
propriae iunxit amicitiae, sagt Prudentius, ntQi (yrecpauay 11, 16,
von Christo und seinen Heihgen; sie aber sagt, V. 204:
ipsum felicis certe summum caput urhis
corruptum vitiis cognoscebant Sodomitis
formosos facie iuvenes ardentex amare
hos et amicitiae propriae coniungere velle.
Sie braucht in aller Unschuld eine überlieferte Formel ihres
Lieblingsdichters, freilich in bedenklich abweichendem Sinne;
aber sie tut es eben, um nicht selber eine neue für die ihr
widrige Sache prägen zu müssen.
Einmal freilich hat sie trotz allem es ihrer Schreiberin
nicht recht machen können. Im Pelagius ist an einer schon
vorhin angeführten Stelle, V. 244 f.:
* Das Folgende andeutungsweise in meiner Auegabe, S. XI, Anm. 38.
Hrotsvits literarische Stellung. 41
non decet ergo, virum Christi haptismate lotum
sohria barharico complexu subdere colla,
der Raum für complexu s — erst ausgespart, und dann sind die
Worte mit roter Schrift nachgetragen worden. Dieser kleine
Zug bestätigt, was uns der Ductus der Schrift überhaupt zeigt,
dafs die alte Regensburger Hs. in München von einer Frauen-
hand geschrieben ist; d. h. es ist ein gleichzeitiges Dedikations-
exemplar für Regensburg, woher Hrotsvit durch die Vermitte-
lung ihrer Äbtissin Gerberge, der Tochter Heinrichs von Bayern,
ihre Klassikertexte bezogen haben wird.^ Ein eigener Fall, der
wieder einmal lehrt, dafs auch damals Reinheit nicht vor dem
Anstofs der Prüderie sichern konnte.
Es ist der alte Streit um den moralischen Charakter der
Dichterin.2 Ängstliche Seelen, die nicht gelernt haben, eine Er-
scheinung aus ihrer Zeit heraus zu beurteilen, haben von jeher
an dem bedenklichen Charakter ihrer Stoffe Anstofs genommen:
sei es, dafs sie darum meinten, Hrotsvit müsse doch erst nach
einer bewegten Vergangenheit ins Kloster getreten sein, oder
dafs sie, wie Aschbach, im Brustton der Überzeugung ausriefen,
dergleichen könne eine Frau nicht geschrieben haben. Der
Kampf wider die Echtheit ihrer Werke ist glücklica vorüber,
aber man soll heute gerecht sein und einsehen, was J. Grimm
schon vor zwei Menschenaltern, als es noch keine Roswithafrage
gab, eingesehen hat: dafs die Dichtung der Nonne gegenüber
der Mönchspoesie 'milde und scheu' ist. Freilich, aus ihrer
Haut konnte sie nicht heraus. J. Scherr, der übrigens selber
ein ErkleckUches in Verdächtigung ihres Charakters geleistet
hat, sagt dennoch sehr richtig: *Wir haben sie uns zur Zeit, als
sie die dramaturgische Feder ergriff (an der Stilblüte dürfen
wir bei Scherr keinen Anstofs nehmen), allerdings nicht mehr
als junges, heifsblütiges Mädchen zu denken, sondern vielmehr
als gesetzte Matrone mit einem säuerlich frommen Zug um den
Mund; dessenungeachtet aber hatte sie den Konflikt zwischen
antikem Sensuahsmus und christlichem Spiritualismus, welcher
in einer klassisch gebildeten Klosterschwester notwendig ent-
stehen mufste, noch nicht völlig überwunden.' Darin steckt viel
Wahres. Nur kommt der Konflikt nicht eigentlich durch die
klassische Bildung hinein; er liegt viel tiefer begründet im
Wesen des Nonnentums. Nonnen waren es, die dem h. Hiero-
nymus ängstliche Fragen vorlegten über die Jungfräulichkeit
Marias: wurde diese von einzelnen Irrlehrern bestritten, was
blieb Verdienstliches am Nonnenstande, an ihrem eigenen Kampfe
wider Fleisch und Blut? Nonnen waren es, die vier Jahrhun-
» Ebenda, S. XII, Anm. 39.
^ Die Literaturangaben S. XI, Anm. 38.
42 Hrotsvits literarische Stellung.
derte später, von ähnlichen Zweifeln gepeinigt, den Anstofs
gaben zu den dogmatischen Streitigkeiten über die Geburt aus
der Jungfrau. So ist auch lür Hrotsvit Maria und ihre Ver-
herrlichung der Ausgancjspunkt geworden für ihre ganze dich-
terische Entwickelung. Und neben der Jungfrau, der Patronin
des Nonnenstandes, stehen Menschen wie sie, aber zum Lohne
ihrer Standhaftigkeit in Versuchung und Martern gen Himmel
entrückt, Scharen heilige Jungfrauen, Frauen und Büfserinnen,
allen voran die h. Agnes, die von jeher in der Kirche beson-
derer Ehren genossen hat und den Reigen h. Frauen in der
Liturgie zu eröffnen pflegt. Die Vorstellungen der Nonne kon-
zentrieren sich mit aller Gewalt auf diese eine Haupt- und
Kernfrage ihres Lebens. Und wenn wir nichts von der Per-
sönlichkeit Hrotsvits wüfsten, wenn selbst ihr Name verweht
und vergessen wäre, ihre Werke würden Zeugnis ablegen: das
kann nur eine Frau geschrieben haben; die Stoffwahl und die
Behandlung des gewählten Stoffes, beides ist ganz und gar
weiblich.
5. Das Mittelalter und die moderne Liebe.
K. Breysig^ hat jüngst in einem schönen Aufsatz über die
Entstehung der modernen Liebe gesprochen, wie das geistig-
seelische Element zuerst bei den Franzosen des 12. Jahrhunderts
ins Spiel zu ' kommen scheine. Ich kann seine interessanten
Gedankengänge hier nicht im einzelnen wiedergeben; aber ich
habe zu Anfang des Mädchens Klage aus den Cambridger Lie-
dern behandelt, und darum mufs ich jenem Bilde verkrampfter
Resignation ein anderes entgegenhalten von leidenschaftlichem
Lebensdurst, der alle Schranken sprengt: beides zusammen erst
gibt uns die volle Anschauung. Und zwar wähle ich zwei Aus-
nahmefälle. Ich will hier ein Wort sagen von Heloise, der die
Gabe des Wortes verliehen war, und die jeder kennt, und von
einer Verschollenen, die gewifs niemals eine Zeile gedichtet hat,
aber ihr Leben, Lieben und Leiden war lautere Poesie: Irmgard
von Hammerstein.2
Feste hoher Leidenschaft sind selten gefeiert worden im
Mittelalter: bei diesem Satze Breysigs wird es schon sein Be-
wenden haben müssen. Aber wenn sie auch selten gewesen
sind, ganz fehlen sie nicht. C. F. Meyer hat so lange und so
heifs gerungen mit dem Charakter der 'Richterin', hat ihn erst
* Zukunft 1903, Nr. 27; der Aufsatz verwertet eingehend die Zeugnisse
des Kaplans Andreas {de amore lihri III, ed. Trojel), greift aber nach
Material und Bedeutung weit darüber hinaus.
2 Die Geschichte Irmgards mit den Belegen bei Bresslau, Jahrb. des
Deutschen Eeiches unter Heinrich IL, Bd. III, 72 f. 172 f. 258 f. 279 f.
Hrotsvits literarische Stellung. 43
in die Stauferzeit verlegen wollen und nach Korsika, ehe er
sich nach vielem Schwanken für Karls des Grofsen Tage und
Kurrätien entschied. Die erst unbewufste, dann mit furchtbarer
Gewalt emporlodernde Liebe Wulfs und seiner Schwester Palma
novella, die doch nicht seine Schwester ist, diese Liebe mit
ihren Seelenkämpfen und ihrem Schicksalstrotz, sie ist nicht
durch Dichterwillkür wider den Geist der Zeit in jene frühen
Tage verlegt worden. Wie Wulf und Palma novella, so haben
im Beginn des IL Jahrhunderts Otto und kmgard von Ham-
merstein bis zur Verzweiflung gekämpft lür ihre Liebe — und,
bezeichnend genug, Irmgard hat sich als die stärkere erwiesen,
als ihr Gemahl endlich zusammenbricht.
Ein Jahrzehnt hat der Kampf gedauert. Zuerst jahrelang
unangefochten, mit einem Sohn gesegnet, wird 1018 die Ehe
wegen zu naher Verwandtschaft getrennt. Aber die beiden
bieten dem Spruch der Kirche Hohn; auf ihrer festen Burg am
Rhein trotzen sie jeder Übermacht, ja Graf Otto wagt sogar
einen Anschlag auf den Erzbischof, der ihn scheiden will von
seinem Weibe. Da zieht sich das Gewitter über seinem Haupte
zusammen : Kaiser Heinrich H. selber belagert drei Monate lang
die Burg, bis Graf Otto in trauriger Weihnacht sich am 26. De-
zember 1020 ergeben mufs — hier hat eben die Geschichte im
ganzen und im einzelnen ein Drama geschaffen, wie es keines
Dichters Phantasie kühner träumen könnte. Nun ist das Wild
zum Tode wund: Graf Otto bricht zusammen; er läfst Weib
und Kind im Stiche und unterwirft sich. Anders Irmgard. Von
neuem ist ihre Ehe getrennt. Da fafst sie den unerhörten Ent-
schlufs, allein, verlassen von allen, selbst von ihrem Gemahl,
nach Rom zu ziehen und dort Hilfe zu suchen. Und sie er-
reicht so viel, dafs Rom die Kompetenzfrage aufwirft und der
Mainzer genug zu tun hat, sich seiner Haut zu wehren. Schliefs-
lich stirbt Kaiser Heinrich, und Konrad IL, dessen Ehe selber
der Kirche ähnlichen Anstofs gab, nimmt die Verfolgten in
seinen Schutz; ein Spätherbstglück. — Ein Historiker' spricht
von dem 'racheschnaubenden Weibe': aber man sollte eher die
gewaltige Willenskraft bewundern und sich in scheuer Ehrfurcht
beugen vor den ungeheuren Seelenleiden, die vorangegangen sein
müssen, ehe ein so gigantischer Plan reifen konnte. Kriemhilde — .
Noch wichtiger aber ist für uns Heloise. Sie ist so modern,
dafs ich geradezu sagen mufs, erst heute ist die Zeit gekommen,
die sie verstehen kann, während noch vor zwanzig Jahren
S. M. Deutsch in seinem Buche über Abaelard (S. 35) schreiben
konnte, die Offenheit, mit der manche unschöne Züge dargelegt
seien, befremde das moderne Gefühl. Seitdem ist die Zeit des
* Giesebrecht, Kaiserxeit W 195.
44 Hrotsvits literariBche Stellung.
Naturalismus an uns vorübergezogen, und Dichterinnen sind auf-
getreten von einer 'Offenheit', wovor einem allerdings schaudern
konnte. Aber wenn wir das mit Recht ablehnen, so hat uns
dennoch der Sturm und Drang der letzten Jahrzehnte neben
den Extremen auch so edle und vornehme und dabei dennoch
ganz 'moderne' Erscheinungen gebracht, wie Agnes Miegel und
Margarete Beutler, deren Auftreten doch früher nicht möglich
gewesen wäre; und neben den emanzipierten Vertreterinnen der
Frauenbewegung steht, um nur eine zu nennen, Ellen Key, die
geistige Erbin Malvidas v. Meysenbug. Es wird nicht unnütz
sein, eine Blutenlese von Stellen^ zu geben, die den Charakter
Heloises und ihrer Liebe offenbaren^ und daneben gelegentlich
einige moderne Parallelen zu setzen. Manches klingt, nament-
lich bei A. Miegel, geradezu wie entlehnt, obwohl auch sie
sicher den Briefwechsel des alten Liebespaares nicht gekannt
hat; nur einmal hat Lenaus Heloise die Brücke geschlagen.
Von vornherein springt in die Augen, wie ganz verschieden
Abaelard und Heloise die Sache ansehen. Bei ihm ist es ein
ganz und gar sinnliches Verlangen und der Wunsch, gerade sie
zu besitzen, weil sie überall wegen ihrer Schönheit und ihrer
Studien gefeiert wird. Als Lehrer schleicht er sich ein, sogleich
mit dem festen Vorsatz, das Vertrauen ihres Oheims zu mifs-
brauchen und seine Schülerin zu verführen; er wundert sich
noch nachträglich über die Einfalt, womit man den Bock zum
Gärtner gesetzt habe! Und nun läfst er seine Künste spielen,
wohl wissend, welchen Eindruck sein Name und seine Schönheit
ohnehin auf Frauen machte. Er beschreibt einem Freunde die
Lehrstunden, wie er die Schülerin weniger in die verschlungenen
Irrwege der Scholastik als in die süfsen Heimlichkeiten ver-
stohlener Liebe einführt: es ist fast, als läse man im Inferno
von Francesca da Rimini. Der Oheim kommt, natürhch viel zu
spät, als die Spatzen es längst von den Dächern pfeifen, da-
hinter und trennt sie. Jedes ist unglücklich um des anderen
willen. Bald danach fühlt Heloise sich schwanger und meldet
es 'jubelnd' dem Geliebten (summa cum exultatione^ man denke
etwa an M. Beutlers 'Sylvester'). Dabei hat sie niemals an
Ehe gedacht und will auch jetzt, als Abaelard ihren Oheim
dadurch zu versöhnen denkt, nichts davon wissen. Sie dürfe
ihn nicht hemmen in seiner glänzenden philosophisch -theolo-
gischen Laufbahn. Alles, was der gottselige Hieronymus gegen
die Ehe gesagt hat, kramt sie aus, wie schlecht die Ruhe des
Denkers bei Kindergeschrei bestehe, ob Windeln in seinem
Auditorium herumhängen sollten usw. Und es sei so viel
* Die Stellen aus dem Briefwechsel (d. h. epp. 1 — 5, die allein in Be-
tracht kommen) im wesentlichen in der Reihenfolge des Textes.
Hrotsvits literarische Stellung. 45
schöner, wenn keine Pflicht sie binde, wenn alles stets von
neuem ein freies Geschenk gegenseitiger Neigung sei — man
sieht, eine Idealistin der freien Liebe. Aber sie mufs endlich
nachgeben; die Ehe wird in aller Verborgenheit geschlossen.
Dennoch spricht es sich bald herum; dem Oheim liegt eben
daran, sie zu 'rehabilitieren' : sie aber schwört die heiligsten
Eide, es sei kein wahres Wort an der Sache! Der Oheim rast
vor Wut; um sie davor zu schützen, bringt Abaelard sie in ein
unfernes Nonnenkloster. Aber der Oheim sieht darin nur ein
Zeichen, er wolle sie loswerden; er läfst ihn überfallen und ent-
mannen.
Ich habe mich bisher absichtlich ganz an das Zeugnis
Abaelards gehalten. Um jedoch recht zu urteilen, um Heloise
ganz so zu sehen, wie sie ist, müssen wir ihre eigenen Briefe
reden lassen. Auch auf Abaelard wird, durch seine Antworten,
ein interessantes Schlaglicht fallen.
Wie bezeichnend sogleich die Anrede, scholastisch gekün-
stelt in ihren Distinktionen, aber jedes Wort von blutender
Liebe eingegeben:
Domino suo, immo patri,
coniugi suo, immo fratri,
ancilla stm, immo filia,
ipsius u/xor, immo soror,
Abaelardo Heloissa.
Sie hat ihn immer geliebt ohne Mafs und Ziel (immoderato
amore) und liebt ihn noch; nur er kann sie traurig oder froh
machen, nur er sie trösten. Was er begehrt, das tut sie ohne
Besinnen; auf sein Geheifs ist sie sofort nach der Trauung ins
Kloster gegangen, obwohl sie sich damit selbst jede Hoffnung
abschnitt, nur um ihn als Herrn ihrer Seele und ihres Leibes
zu bekennen. Gott ist ihr Zeuge, sie hat nur ihn gesucht, nicht
das Seine {te, non tua); nicht an die Ehe hat sie gedacht oder
an die geehrte Stellung neben dem berühmten Manne, nicht ihre
Lust hat sie gesucht, nur ihm in Demut etwas Liebes erzeigen,
ihm ein Opfer bringen wollen. Man denkt an A. Miegels 'Legende':
Was ich dir geben konnte, ist gegeben;
auf Knien dankend, dafs du es genommen,
küfs ich die Hände dir, mein süfses Leben,
denn meines Abschieds Stunde ist gekommen . . .
Heiliger vor der Kirche und stärker bindend mag der Name
des Eheweibes sein: süfser sei es ihr immer erschienen, seine
Geliebte (amica) zu heifsen; ja sich immer tiefer vor ihm zu
demütigen, will sie sogar seine Konkubine oder Hure heifsen
(scortum; auch sonst spricht sie von fornicatio): lieber seine
Dirne {meretrix, dem Reim zuliebe?) als des Kaisers Kaiserin
{augusti imperatrix)\ Es folgen wieder entlehnte Gründe. Ein
46 Hrotsvits literarische Stellung.
Weib, das den Reichen lieber heirate als den Armen, seines
Geldes wegen, verkaufe sich selbst und sei im Grunde nicht
besser als eine Dirne; was die rechte Ehe ausmache, sei die
Keuschheit, nicht so sehr des Leibes, als des Herzens — die
Liebe, die in dem Geliebten das Ideal sehe. Was ihn aus-
zeichne, sei die virtus: dafs er alle denkbaren Vorzüge in sich
vereine, den Ruhm des Theologen, Philosophen und Lehrers
und, was anderen Gelehrten abgehe, Dichtung und Gesang;
seine Lieder, in denen sie gepriesen werde, lebten in aller
Munde, und Königinnen und Fürstinnen beneideten sie darum.
— Und, so schuldig sie sich erscheint in ihrer Selbstquälerei,
eigentlich sei sie doch unschuldig: denn nicht auf das Was,
nur auf das Wie komme es an (nee, quae fiunt, sed quo animo
fiunt, aequitas pensat): ihr einziges Motiv aber sei schranken-
lose Liebe gewesen, während ihn nicht Liebe, sondern Begierde
getrieben habe und sie ihm jetzt, nachdem diese erloschen,
gleichgültig sei; das zeige sein Schweigen. Früher habe man
an ihren Motiven wohl gezweifelt; jetzt, wo sie alles dem Willen
des Geliebten geopfert habe, zeige der Ausgang, was sie von
jeher bestimmt habe. — Ihr ganzes Denken sei bei ihm: ego
autem (deus seit) ad Vulcania loca te properantem praecedere
vel sequi pro iussu tuo minime duhitarem. Da hören wir
wiederum wortwörtlich A. Miegel:
Wenn ich wüfste, dafs du warten würdest, —
wandern würde ich, wer weifs wie weit,
Haus und Heimat würde ich verlassen
und die Stätten meiner Kinderzeit.
Lachend würde ich, mit schnellen Schritten
durch das dunkle Tal des Todes geh'n,
wüfste ich es nur, ich würde drüben
dich und deine Augen wiederseh'n.
Abaelards Antwort lautet merkwürdig kühl. Salbungsvoll,
aber ohne allen Überschwang redet er sie an:
Eeloissae, dilectissimae sorori suae in Christo
Abaelardics frater eitis in ipso.
Als sie sich dann später wundert, warum er ihren Namen voran
setze (die Stelle, I 85 Cousin, ist für die Briefetikette wichtig),
folgt die aus Hieronymus entnommene Begründung, das ge-
schehe — weil er sie als die Braut Christi zu ehren habe. Ich
fürchte, Heloise ist trotz ihres geistlichen Kleides noch Welt-
kind genug gewesen, dafs diese korrekte Antwort ihr einen
Stich ins Herz gab . . . Sein langes Schweigen entschuldigt er —
mit dem Zutrauen zu ihrer Frömmigkeit und Klugheit, die
keiner Ermahnung und keiner Tröstung bedürfe. Sie soll für
Hrotsvits literarische Stellung. 47
ihn beten, und wenn er sterbe, fügt er huldvoll hinzu, so wolle
er in ihrem Kloster begraben sein.
Das ist alles; aber der Schlufs ist nur zu raffiniert auf
Heloises weiche Stimmung berechnet. Sie ist aufser sich bei
diesem Gedanken. Sterbe er, so solle man sie und ihre Nonnen
in dasselbe Grab legen wie ihn : ut potius et nos consepeliendae
simus, quam sepelire possimus — so ruft die Schmerzensmutter
in einem schönen, seiner Klangwirkung nach schier unübersetz-
baren Liede den Knechten zu, die den Heiland vom Kreuze
nehmen * :
Mihi meum carissimum
subtrahere nolite;
si sepeliri debeat,
me secum sepelite.
Sie ist von Sinnen und hadert mit Gott: das sei ja noch das
einzige, was ihr gebUeben, dafs er wenigstens lebe. So lange
ihr Bund verboten gewesen sei {fornicatio), habe Gott ihrer
verschont; nachdem ihn die Kirche eingesegnet, sei das Ver-
derben hereingebrochen, und nur über ihn, den minder Schul-
digen! Sie, sein Weib, sei an allem schuld! Bufse will sie
tun 'durch eines langen Lebens Golgatha' (A. Miegel, Karfreitag);
aber sie kann nicht vergessen. Immer wieder tritt ihr das Bild
der genossenen Liebesfreuden vor die Seele, greifbar deutlich
nach Ort und Zeit und bis in die kleinsten Einzelzüge. Selbst
bis in ihre Träume verfolgt es sie und bis in die Messe, wo sie
unfähii^ ist, ihre Gedanken davon abzulenken und, wie sie sollte,
auf die heilige Handlung zu richten, so dafs sie sich durch
Wort und Gebärde verrät. Diese verzweifelten Geständnisse
hat Lenaus Heloise {Gedichte II, Gestalten) übernommen und
an A. Miegels *Madeleine Bothwell' weitergegeben:
Und wenn ich das Verlor'ne und Versäumte,
als hätt' ich es, in süfsen Nächten träumte,
vergib, mein Gott, dafs ich in meinen Schrecken,
wenn kalt die Schwestern mich zur Hora wecken,
nach Truggestalten strecke meine Hände,
vergötternd mich zu meinen Träumen wende.
So Lenau. Das kehrt dann in einer ganz subjektiven Ballade,
die eng an den *Sterbesegen' knüpft {Deutsche Heimat 1903,
Nr. 1 = Gedichte^ S. 12), bei Madeleine Bothwell wieder:
Ich träume von Sünden. — 'Soeur Madeleine,
steh' auf, Zeit ist es, zur Messe zu geh'n.
Du Liebling der Jungfrau — siech vom Kastei'n,
bald gehst du zum Glänze der Heiügen ein . . .'
* Mone, Lat. Hymnen II 144.
48 Hrotsvits literarische Stellung.
Auch sonst hat dies Gedicht Lenaus die Dichterin beeinflufst;
doch hier ist nicht der Ort, dem nachzugehen. — Umsonst ist
all ihr Ringen: denn was sie tut, tut sie nicht aus Liebe zu
Gott, sondern einzig um Abaelards willen, um ihm gehorsam zu
sein; vor Gott sei ihre Frömmigkeit eitel Heuchelei.
Auf diese furchtbaren, erschütternden Selb st vorwürfe, die
eben nur eine so fein organisierte Natur spüren konnte, ant-
wortet, wohlgesetzt und sehr verständig, sogar logisch mit
erstens, zweitens, drittens, viertens disponiert, ein Schreiben
Abaelards. Bemerkenswert ist daraus nur, dafs er ihr mit
dürren Worten wiederholt, seine Liebe zu ihr sei niemals etwas
anderes als sinnliche Begierde gewesen, Begierde, wovon er nun
glücklicherweise, wenn auch nicht ganz ireiwillig, kuriert sei.
Gott aber sei gerecht: sie möge nur daran denken, wie er sie
einmal aus Sehnsucht im Kloster besucht habe, und was damals
an heiliger Stelle vorgefallen sei ... Ich glaube, es braucht
nicht mehr; wir können von dem Briefwechsel mit der Über-
zeugung scheiden, dafs Heloise nicht blofs *edler und liebens-
würdiger' erscheint, was Deutsch zugeben wollte, sondern dafs
sich hier, vor achthundert Jahren, ein Seelenkampf abgespielt
hat, den erst wir Menschen von heute wieder voll zu verstehen
und mitzuleben vermögen; dafs da, wenigstens auf Heloises Seite,
nichts von ^befremdender Offenheit' ist, sondern dafs die edel-
sten unserer modernen Dichterinnen alle Ursache haben, in
Heloise ihre Patronin, ihre Märtyrerin zu ehren.
IL Der Mimus im Mittelalter.
Durch die grundlegende Forschung H. Reichs und seinen
sicheren Blick für das Wahre und Notwendige in der Ent-
wickelung der Weltliteratur ist mit einem Schlage der Mimus
in seiner ganzen, ungeheuren Bedeutung für Altertum, Mittel-
alter und Neuzeit aufgedeckt worden. Im folgenden wird sich
ergeben, dafs auch die lateinische Kunstdichtung des Mittel-
alters, dafs gerade Genies wie Notker und Hrotsvit ihr Bestes
dem Mimus verdanken.
Freilich, kurz ehe ich diesen Aufsatz abschliefse, erscheint
eine Rezension des *Mimus', die ganz andere Töne anschlägt,
von Herrn Professor Dr. R. Herzog in der Berliner philo-
logischen Wochenschrift 1904, Nr. 34. Danach wäre es, trotz
vieles Guten im einzelnen, dennoch als Ganzes ein 'schlechtes
Buch'. Ich kann es, wenn es dessen ja bedürfen sollte, getrost
dem Verlasser des Mimus überlassen, seine Darstellung für die
Zeiten des Altertums gegen Herzogs Vorwürfe selber zu schützen.
Ich meinerseits habe den unmafsgeblichen Eindruck, Herr Herzog
würde, nach dem, was er vorbringt, zu urteilen, wenn er etwa
Hrotsvits literarische Stellung. 49
das Unglück hätte, Germanist zu sein und z. B. Goethes Briefe
an Frau von Stein zu rezensieren, nach berühmten Mustern
folgendes schreiben: 'Die Lektüre ist durchaus unerquicklich,
weil es dem Briefschreiber an Logik fehlt; auch wimmelt der
Text von Fehlern der Orthographie und Interpunktion.'
Aber ich will mich auf mein Spezialgebiet beschränken,
dessen Behandlung Herrn Herzogs schärfsten Tadel heraus-
gefordert hat. Es sei nicht bewiesen, dafs Shakespeare mit dem
Mimus zusammenhänge; denn — man höre und staune — die
mimi und ioculatores des *dunklen abendländischen Mittelalters'
hätten mit dem antiken Mimus nichts zu schaffen. Also —
Schuster gab es, blofs sie konnten keine Schuhe mehr machen?
Aber Herr Herzog spricht ja von dem 'dunklen abendländischen
Mittelalter'? Was kennt er denn von diesen 'dunklen' Zeiten?!
Ich habe lange genug im Mittelalter und seiner Dichtung ge-
arbeitet, um mitzureden: meine Hrotsvitsausgabe, erschienen im
Frühjahr 1902, ist die Frucht elfjähriger Arbeit; seit sechs
Jahren steht Notker im Mittelpunkt meiner Studien; ich glaubte
sie beide gut zu kennen, aber ich mufs gestehen, klar geworden
ist mir ihre literarische Stellung und damit die ganze Entwicke-
lung der mittellateiuischen Poesie erst durch Reich. Und, sollte
Herr Herzog Autoritäten verlangen, so wird ihm, denk ich, der
Name W. Scherers bekannt sein; der aber, in seiner Geschichte
der deutschen Dichtung im 11. und 12. Jahrhunderty schreibt
in einer ganz ausgezeichneten Auseinandersetzung über die
Mimen, die noch lange nicht den gebührenden Einflufs geübt
hat, obwohl sein Buch heute längst vergriffen ist (S. 12): 'Als
gegen das Ende der römischen Kaiserzeit Schauspiel und regel-
mäfsige Bühne ganz aufhörten, da blieb nur die Wirksamkeit
der Mimen unberührt von dem Verfalle des szenischen Appa-
rates, dessen sie nicht bedurften.' Ich kann Scherers Betrach-
tung hier nicht ausschreiben; sie sei jedem, dem das Buch zu-
gänglich ist, aufs dringendste empfohlen. Was ich hier gebe,
soll einmal die Forschung im einzelnen weiterführen, sodann
aber durch Proben das erläutern und anschaulich machen, was
von Mimenpoesie auf uns gekommen ist.
Aber zurück zu Herrn Herzog. Er meint, im dunklen
Mittelalter verlören wir, wenn wir Reich folgen, den Boden
unter den Füfsen, Nein, wir können gerade umgekehrt sagen,
erst durch den Mimus und seine Kontinuität verstehen wir die
Entwickelung der Jahrhunderte. So steht es im Mittelalter.
Und anderswo? Kaum haben sich die Gräber Ägyptens auf-
getan, und die Papyri haben dem Mimus zu glücklicher Stunde
Zeugnis gegeben: und schon tut Syrien desgleichen.* Für die
* Demnächst erscheint Horovitz, Spuren von Mimen im Orient.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 4
50 Hrotsvits literarische Stellung.
Beurteilung einer monumentalen Leistung, wie es der Mimus ist,
bleibt aber doch wohl stets das entscheidende Moment, ob ihr
Bau, wenn auch zyklopisch gefügt und meinetwegen nicht frei
von Schönheitsfehlern, der von allen Seiten andrängenden Flut
neuer Funde und Entdeckungen standhält, oder ob seine Pfeiler
vor einem Papyrusblatte zusammenknicken, wie es E. Rohdes
Entwickelungsgeschichte des griechischen Romans hat erleben
müssen.
1. Mimus und Siegesballade.
Widukind von Corvey berichtet in seiner Sachsengeschichte
(I 23), dafs im Jahre 915 Herzog Heinrich von Sachsen die
Franken unter Eberhard aufs Haupt geschlagen habe tanta caede,
ut a mimis declamaretur, uhi tantus ille infernus esset, qui
tantam multitudinem capere posset. Was Lachmann 1836 für
selbstverständlich hielt und gar nicht erst ausdrücklich aus-
sprach, dafs es ein deutsches Lied gewesen, dieser Gedanke
bestimmt noch 1897 R. Kögel,* eine tiefsinnige Betrachtung an-
zustellen über infernus = hella und den Stabreim wld - wal . . .
Die ganze Methode ist verfehlt, ebenso verfehlt wie die, im
Waltharius altdeutsche Stabverse zu rekonstruieren, ein Sport,
den Kögel gleichfalls mit Vorliebe gepflegt hat, der aber in-
zwischen durch W. Meyers glänzenden Aufsatz über den Dichter
des Waltharius leider als brotlose Kunst erwiesen worden ist.
Auch hier kann nichts verkehrter sein. Ich wüfste schlechter-
dings nicht zu sagen, was darin ^heidnischer' wäre als in dem
gewaltigen Liede auf die Schlacht von Fonteuoy am 25. Juni
843, im Bruderkriege der Söhne Ludwigs des Frommen,* das
dolium Saturni: das war kein Sabbat (die Schlacht fand an
einem Sonnabend statt), nicht der Tag, wo Gott einst ruhte
von seinen Werken, sondern ein dies Saturni^ des alten gries-
grämigen Heidengottes, der seine eigenen Kinder verschlang
und auch jetzt seine Opfer haben will, wie Hucbald von St. Amand
(t 930, achtzigjährig) mit einem Wortspiel von den dies aegyp-
tiaci, den Unglückstagen, sagt:^ ut inferat Orcus in orcam (in
den Lostopf?). Ja, ich glaube sogar, dafs der Dichter des
späteren Liedes diesem Vorbilde gefolgt ist, dafs wir das Lied
auf die Schlacht bei Fontenoy studieren müssen, um von dem
anderen auf die Schlacht der Franken und Sachsen einen Be-
griff zu kriegen. Freilich dürfen wir es nicht in der Nach-
bildung Meyers von Knonau nehmen, die dem kraftvoll einher-
* Gesch. der dt. Liter. I 2, 237.
^ Poetae lat. aevi Carol. II 138; vgl. Meyer von Knonau, Über Nit-
hards vier Bücher Geschichten, S. 188 f.
3 Poetae IV 272, v. 4.
Hrotsvits literarische Stellung. 51
schreitenden Original mit lahmen Lenden mühselig nachhinkt,
sondern im Original oder in einer Nachdichtung, die auch den
Geist, nicht blofs den Buchstaben, wiedergibt, mag sie dafür
auch auf das *Versmafs des Originals' in aller Seelenruhe ver-
zichten.
Aurora cum primo mane tetram noctem dividens
(sabbatum non illud fuit, sed Saturni dolium),
de fraterna rupta pace gaudet daemon impius.
Für die Übertragung wähle ich die Nibelungenstrophe, ^ und ich
betrachte es geradezu als einen Vorteil, dafs ihre vier Zeilen
statt der drei im Original mir die Möglichkeit bieten, schärfer
herauszuarbeiten, was der Dichter gesagt hat und zumal was
er hat sagen wollen, was aber nicht selten, sogar im lateinischen
Text und nun gar bei Meyer von Knonau, in keimhaften An-
sätzen stecken gebheben ist.
Des Frührots erster Strahl das Dunkel der Nacht zerrifs;
da wurde Macht gegeben dem Fürsten der Finsternis,
kein Sabbat war's, der graute: gebrochen der Brüder Bund,
mit wildem Hohngelächter frohlockte der Hölle Schlund.
Dröhnend aller Enden der Hall der Hörner gellt,
vom Schlachtgeschrei der Feinde schüttert und bebt das Feld;
zum Todeskampfe sind Brüder, sind Neffe und Ohm entbrannt^
wider den Vater frevelnd erhebt der Sohn die Hand.
Nie hob sich in heidnischer Vorzeit fürchterlicher Gefecht,
nicht galt, das sonst gegolten, der Christen Christenrecht;
eines Heilands Erlöste vergossen der Brüder Blut,
dals der Hölle Geister jauchzten in wilder Wut.
Herr Lothar, der Kaiser, der stand in des Höchsten Schutz,
er hat sich als Held gehalten und bot den Feinden Trutz;
hätte sein Heer gekämpft, wie er mit kühner Hand,
bald sollten Friedensglocken läuten übers Landl
Aber wie einst seinen Heiland Judas Ischariot,
verrieten sie dich und die Führer, mein König, in Schwertesnot.
So leicht der Wolf mit Listen das Lamm zu trügen weifs,
betrifft er's auf dem Wege: drum wahre dich mit Fleifs!
Fontenoy heifst vom Bache der Hof in Volkesmund,
allwo das Blut der Franken getrunken der Erde Grund;
in Schauern beben die Felder, in Schauern bebt der Wald,
schaurig der Sterbenden Ächzen in Sumpf und Moor verhallt.
Auf der verfluchten Stätte, da sprosse nie das Gras;
nimmer werd' ihr Boden von Tau und Regen nafs,
wo die Helden erlagen, wohlbewährt im Streit,
drum Eltern und Geschwister und Freunde tragen Leid.'
* Es wird nicht unnütz sein, die Ballade von Fontenoy mit der Hertje
von L. V. Straufs zu vergleichen.
^ Hier schwebt, was Dümmler nicht erkannt hat, Davids Klage um
Saul und Jonathan vor {Regum II 1, 21): monies Oilhoe, nee ros nee pluvia
veniant super vos! . . . quomodo fortes ceciderunt in prelio!
4*
52 Hrotsvits literarische Stellung.
Und der ich euch gemeldet, was Frevel dort gescheh'n,
bin Angilbert geheilsen und hab' es selbst geseh'n,
hab' selber mitgestritten wohl in der Freunde Reih'n —
und bin von der vordersten Reihe entronnen ich allein.
Ich liefs mein Auge schweifen und sah zum letztenmal
zur Bergeswand zurücke und abwärts tief ins Tal;
dort jagte Kaiser Lothar der Feinde Scharen nach
und trieb sie all zu Paaren weithin bis an den Bach.
Von Karls und Ludwigs Heere decken das Blachfeld weit
Mann bei Mann die Toten im weifsen Linnenkleid;
es sind so weifs die Felder, wie wenn zum Süden hin,
wann der Herbst gekommen, der Störche Scharen zieh'n.
Nie werde Lob gesungen je von dieser Schlacht;
aus Abend und aus Morgen, aus Mittag und Mitternacht*
sollen Klagelieder ertönen mit lautem Schall,
und sollen wehe rufen über der Helden Fall!
Verflucht für alle Zeiten sei der Tag der Schlacht!
er werde ausgestrichen und nimmer sein gedacht!
so lange die Erde steht, soll ihm nie ein Morgen grau'n,
so lange die Erde steht, soll er keine Sonne schau'n!
Weh' und dreimal wehe! nackt liegen sie im Staub,
sie werden der gierigen Wölfe, der Geier und Raben Raub;
nicht schliefst geweihte Erde ihre Leiber ein:
frei auf wüstem Felde vermodert ihr Gebein.
Indes genug der Klage, so weh' uns auch zu Mut,
wir müssen endlich dämmen unserer Tränen Flut
und wollen beten zum Herrn für der Gefall'nen Heil,
dafs seine Gnade leuchte über ihr himmlisch Teil.
Der das gesungen hat und stolz genug war, seinen Namen
einzuflechten und so der Nachwelt aufzubewahren, das war ein
Mime; ein Mime wie jene Sänger des 10. Jahrhunderts, wovon
uns Widukind meldet. Er klagt um die unselige Bruderschlacht,
die er selber mitgekämpft hat; er hat mitgestritten in vorderster
Reihe und ist nicht wie die anderen geflohen in bhnder Hast,
er hat Ruhe und Kaltblütigkeit genug bewahrt, um mitten auf
dem Schlachtfeld, vom Kampfgetümmel umbraust, stehen zu
bleiben und das schaurig -schöne Bild mit durstigen Dichter-
augen in sich hineinzutrinken. Und in demselben Stil und
Versmafs wie er hat, ein halbes Jahrhundert früher, ein Standes-
genosse von ihm nach Pippins Avarensieg, der ohne Blutver-
* Diese Stelle wirkt weiter auf die Totenklage Leos von Vercelli um
Otto ni. {Stilfragm S. 26):
Der Westen wein' um seinen Tod,
Klage heb' der Osten rot,
in Asche traure Nordens Reich
und der Mittag all' zugleich!
Hrotsvits literarische Stellung. 53
giefsen durch den blofsen Schrecken des fränkischen Namens
errungen war, das siegreiche Heer zurückbegleitet und ihm
seinen und des königlichen Führers Ruhm gesungen:*
Pippins Sieg über die Hunnen.
Cbriste, du Sohn Gottes, der du die Völker all
erschaffen und Land und Quellen, Bach und Berge zumal,
der du nach deinem Bilde den Menschen hast gemacht,
du hast in der letzten Frist auch die Hunnen heimgebracht.
Sie haben des Bösen viel getan seit alter Zeit:
sie machten gleich der Erden der Tempel Herrlichkeit,
zerstörten der Klöster Bau und führten ihr Gut davon,
die heiligen Geräte von Gold und Silber und Ton;
Des heiligen Altars Decken haben sie entweiht,
sie gaben mit frechem Spotte der Priester Linnenkleid,
sie gaben ihren Weibern der Nonnen Kutte hin:
also hat verleitet Satan ihren Sinn. —
Da sah der Herr darein vom hohen Himmelsthron:
es zog wohl wider die Hunnen Pippin der Königssohn;
und ward ihm zum Geleite Sankt Peter von Gott gef?andt,
dafs über ihm und den Seinen er hielte seine Hand.
Das war in der Kraft des Höchsten Pippin, der König, fromm;
er zog mit seinem Heere hin an den Donaustrom,
er schlug ein festes Lager und schlofs die Feinde ein:
aller Enden mochte kein Entrinnen sein.
Nun war im Hunnenvolke ein Mann Ingwiomar,
der stellte sonder Zagen sich vor dem Fürsten dar,
den hiefsen sie Caganum, und vor des Fürsten Weib,
die hiefsen sie Catunam: *Weh' über euren Leib,
Weh' über euer Reich! es mag nicht länger steh'n;
nicht möget ihr hinfüro der Herrschaft Tage seh'n:
es ward euer Reich seit langem gegeben den Christen hin;
nun bringt es an ein Ende, der fromme König Pippin.
Mit gewaltigem Heere naht Pippin zur Hand;
er wird in kurzer Frist einnehmen dein ganzes Land,
er wird das Volk der Hunnen verstören mit Heeresmacht,
es werden auf allen Höhen die Franken steh'n zur Wacht.
Eines kann dich retten: mach' auf dich allsogleich
und nimm mit dir zur Stelle Geschenke köstlich und reich;
biet' ihm Gold und Geschmeide und wirf dich in den Staub:
so läfst er dir das Leben; sonst bist du des Todes Raub.'
Wie das der Fürst vernahm, verzagte das Herz ihm schier:
mitsamt des Landes Grofsen bestieg er zur Stunde sein Tier
und warf sich in den Staub zu des Königs Füfsen hin
und bot ihm Gaben dar, zu versöhnen seinen Sinn.
' Poetae I 116.
54 Hrotsvits literarische Stellung.
Und sprach: 'Heil dir, Herr König; du sollst unser Herrschor sein:
ich gehe mein ganzes Reich dir in die Hände dein;
mit Blatt und Halm gehört es dein von dieser Frist,
Wald und Berg und Höhen und was darinnen ist.
Nimm unsre Kinder zu Geiseln: dein ist jeder Dienst;
nimm des Landes Erste: es ist uns reicher Gewinnst,
dafs du nur von dannen führest dein Heergesind;
dein sind wir mit Leib und Leben, mit Kind und Kindeskind.' —
So singen als fromme Christen wir Gotte Preis und Ehr,
der uns den Sieg verliehen über der Heiden Heer;
der Herr ^ab Macht und Ehr' in unsres Königs Hand,
dafs sich jetzo mufs beugen vor ihm der Hunnen Land.
Es lebe König Pippin in der Furcht des Herrn;
er komme hoch zu Jahren, ein König nah und fern,
sein Auge möge Kinder und Kindeskinder seh'n:
so wird das Reich der Franken je und je besteh'n.
Doch, des das Reich der Reiche und Macht ist aller Macht,
der das vollbringt, was nimmer Menschenkraft vollbracht,
das ist der Kaiser nicht, das ist nicht der Heiden Heer,
das ist nur Gott allein: ihm sei Lob, Preis und Ehr'.
Von diesem Liede aber spinnen wieder feine Fäden zurück
zu einem anderen, verlorenen Liede. Man denke an die Sage
vom eisernen Karl, die durch die Brüder Grimm aus Notkers
Gesta Karoli II 17 hervorgezogen und von Simrock, ich mufs
leider, und nicht blofs im harmlosen Sinne des Mimus, sagen,
gebänkelsängert worden ist.* Auch hier hat sich Kögel (II 2,
227), obwohl er das Richtige ahnte, in wunderliche Irrwege ver-
loren. Über dieser Märe soll 'der tiefe Glanz langobardischer
Dichtung liegen'. Also die Langoborden hätten in einer Art
von hypertrophischer Gerechtigkeit diese gewaltige Verherr-
lichung ihres Zernichters geschaffen?! Freilich, in einem hat
Kögel ganz recht: 'auf ein Lied als letzte (aber warum letzte?)
Quelle weist die Anlage des Ganzen und die poetische Färbung
der Reden hin.' Das ist unbedingt richtig; blofs es ist kein
*langobardisches' Lied gewesen, sondern der Dichter war ein
Franke und dichtete lateinisch, und sein Stil war derselbe, den
die Balladen von Fontenoy und von Pippins Avarensieg zeigen:
gerade die zweite ist in Anlage und Bau verblüffend ähnlich;
hätte man ihrer gedacht, so hätte man das Richtige längst
finden müssen. Notker hat die Verse des alten Mimen ganz
aufgelöst, dafs nirgend mehr deutliche Spuren erkennbar sind.
Dennoch wage ich es, versuchsweise eine Strophe zu rekon-
struieren: wenn Kögel es anderswo in unmethodischer Weise
getan hat, warum soll ich deshalb hier, wo wir endlich die
Deutsche Sagen^ Nr. 447; Simrock, Eerlingisches Heldenbuch^ S. 47.
Hrotsvits literarische Stellung. 55
grofsen Zusammenhänge aufdecken können, davon absehen?
Ich behaupte ja nicht, dafs die Worte im einzelnen so gelautet
haben müssen, und wer will, mag meine Rekonstruktion als
Träumerei beiseite lassen; aber das alte lateinische rhythmische
Lied, in diesem Balladenton, das wird er darum doch stehen
lassen müssen.
^Quando videris' inquiens ^segetem campis inhorrescere
ferream Fadiimque et Ticinum mnrinis fliictibus ferro ni-
grantihus muros civitatis inundantes, tunc est spes Karoli
nieventisJ
Die Konstruktion der Schlufsworte ist vom rhythmischen Kursus
beeinflufst, den Notkers Prosa liebt: -^ - -, « « -i «. Ich meine, die
alte Strophe könnte etwa so gelautet haben:
Quando segetem videhis campis inhorrescere
et Padum simul cum Ticino nigris muros fluctibus
civitatis inundantes, tunc veniet Karolus.
Einmal hat Notker, nicht zum Vorteil seines Werkes, seiner
gelehrten Bildung nachgegeben und das gewaltige Fortissimo
des Schlusses, *all Eisen, Eisen, Eisen' durch breite Ausmalung
der Einzelzüge und rhetorische Floskeln wie de ocreis quid
dicam? abgeschwächt: es ist ein hoher Ruhm für den Minus,
dafs selbst ein Genie wie Notker da, wo er ändert, nur ver-
derben kann.
Doch ich will endhch dem, der den Eindruck zu gewinnen
wünscht, meine Übertragung vorlegen. Sie ist gemacht, ehe
ich diese ganzen Betrachtungen über den Mimus anstellte: dafs
ich den Stil von Fontenoy wählte (Simrock hat einen lang-
weiligen Vers ohne jede VariabiUtät und Modulationsfähigkeit)
und nur die ersten Hälften der Langzeilen strenger gebaut
habe (dies sogar, ohne es zu wissen und zu wollen), war In-
stinkt. Aber in solchen Dingen pflegt eben der Instinkt das
Ergebnis gelehrter Forschung lange vorwegzunehmen.
Der eiserne Karl.
Im Langobardenlande das Orlogbanner weht;
der König zu Pavia auf steiler Warte steht
und schaut mit seinem Gaste hernieder ins lachende Land,
ein Graf aus Franken ist es, landflüchtig und gebannt.
Erst kam der Trofs gezogen schier endlos ohne Zahl;
auf Rofs und Reitern blitzte der Morgensonne Strahl.
Der Langobarde fragend zu seinem Gaste spricht:
'Ist Karl bei diesem Haufen?' Antwortet der: 'Noch nicht.'
Und weiter, neue Scharen und immer neue traun;
das ist der Franken Heerbann, der kommt aus allen Gau'n.
'So ist Herr Karl gewifslich bei diesen? gib Bericht.'
Graf Ottokar dawider: 'Noch nicht, noch immer nicht.'
56 Hrotsvits literarische Stellung.
Des Königs Herz entbrannte: 'Und werden es noch mehr,
wie soll es uns ergehen vor Karl und seinem Heer?'
'Ihr werdet ihn von selber erkennen, wenn er naht;
doch was mit uns ergehe, des weifs ich nimmer Rat.'
Nun kam das Ingesinde, und scholl der Pfaffen Sang,
vom Morgenwind getragen, das weite Feld entlang.
'So lafs uns niedersteigen tief in der Erde Schacht,
ob wir uns bergen mögen vor solches Feindes Macht.'
Graf Ottokar gedachte fernferner bess'rer Zeit:
'Seht Ihr in Eisen starren die Felder weit und breit,
und dringt zu Tor und Mauern Tessin und Po herein
mit eisenschwarzen Wellen, so mag er nahe sein.'
Und eh' das Wort verklungen, im Westen es wallt und webt
gleich dunkler Wetterwolke, dafs jedes Herz erbebt;
und Waffen über Waffen in eisengrauem Schein,
und dort der Held von Eisen, das mufs der Kaiser sein.
Von Eisen Helm und Brünne so Haupt wie Brust ihm deckt,
den Eisenspeer die Linke hoch auf zum Himmel reckt,
es zückt das Schwert von Eisen die Eechte grimmigwild,
von Eisen schier die Schienen, von Eisen schier der Schild.
In schwarzem Eisenpanzer sein feurig schnaubend Eofs
und eisern ihm zur Seite ringsher der Seinen Trofs;
all Eisen nur und Eisen! Dem Grafen das Herz verzagt:
'Hier habt ihr ihn vor Augen, nach dem Ihr so gefragt!'
Verweilen wir einen Augenblick bei dem Vergleich. Un-
zweifelhaft hat das alte Lied auf den Langobardensieg dem
Avarenliede noch viel näher gestanden als meine Rekonstruktion.
Notker hat sicher am Anfang und Schlufs gewaltig gekürzt.
Aber die Gleichheit der Anlage ist unverkennbar. Die Franken
tragen den Rachekrieg ins Langobarden-, ins Hunnenland. Der
König fühlt sich sicher, bis ihn ein Franke (denn auch in dem
Unguimeri des Avarenlides hat Seemüllers Scharfsinn^ einen
deutschen Ingwiomar erkannt) aufrüttelt, ihm die Furchtbarkeit
der Franken in eindringlicher Mahnung zu Gemüte führt und
ihn mit blasser Furcht und unmännlicher Verzagtheit erfüllt,
dafs er sich ohne Kampf unterwirft. Kein Zweifel, der Dichter
des Avarensieges hat das ältere Lied gekannt und nachgeahmt.
Und wir halten fest, Mimen sind es, die diese Lieder gedichtet
haben, Mimen, die die Heerzüge und Schlachten, wovon sie
singen, selber mitgemacht haben. Und was war jener norman-
nische Taillefer, der dem Eroberer und seinem Heere in die
Schlacht von Hastings voranritt? Guy von Amiens mag es uns
sagen, in einer Stelle, deren Kenntnis ich Reich verdanke:
histrio, cor audax nimium quem nobilitabat,
Incisor-ferri mimus cognomine dietits.
Festgabe für Heinxel, S. 325.
Hrotsvits literarische Stellung. 57
Das Versmafs aber, worin jene beiden Lieder gesungen sind,
das auf Fontenoy und das auf den Avarensieg, dies Versmafs
hat keiner der beiden erfunden; das war längst, seit der mero-
wingischen Zeit, üblich für alle möglichen Stoffe der geistlichen
und weltlichen Ballade.' Und die merowingische Zeit war besser
als heute ihr Ruf. Sie hat in den Dichtungen ihrer Munen
Werke aufzuweisen, die mehr poetische Kraft in sich haben, als
die ganze hochgelahrte Tafeh-unde Karls des Grofsen aufzu-
bringen vermochte. Freilich mufs man das Gold unter dem
Schutt zu finden wissen, und das ist, wie heute die Dinge liegen^
noch nicht leicht.
Der am meisten dafür getan hat, die Denkmale dieser
Gattung hervorzuziehen, E. Dümmler, hat ihnen stets den Namen
'karolingischer Rhythmen' gegeben. Das führt aber irre. Es
soll ganz und gar nicht geleugnet werden, dafs auch eine Reihe
von karolingischen Stücken dabei ist, wie denn eine echt mero-
wingische Sprachverwilderung auch noch in karolingischer Zeit
hier und da bis tief in die Mitte des 9. Jahrhunderts und
darüber hinaus anhält. Aber die Masse stammt sicher aus viel
früherer Zeit, ob auch unsere Überlieferung selten über das
Jahr 800 zurückreicht. Ebendiese Überlieferung aber ist es,
die es zu würdigen gilt. Was die Mimen sangen, das haben
sie mit mehr oder minder treuem Gedächtnis weitergegeben,
der Vater dem Sohne, der Meister dem Schüler. Aufgezeichnet
haben sie ihre Texte entweder überhaupt nicht, oder wenn sie
es etwa getan haben, so sind ihre Aufzeichnungen spurlos unter-
gegangen. Was wir heute davon haben, sind Niederschriften
aus dem Gedächtnis, ausgehend nicht von den Mimen selber,
sondern von ihrem geistlichen Publikum; oder es sind Abschritten
solcher gedächtnismäfsigen Niederschriften. Das zeigt der Cha-
rakter der Überbeferung: fast überall, wo wir mehr als eine
Handschrift zur Verfügung haben, weist der Apparat die heil-
loseste Verwirrung auf, endlose Varianten, Umstellungen, Aus-
lassungen und was es für Verderbnisse sonst gibt; besonders
oft fehlt der Schlufs, weil dem Aufzeichnenden, der das Gedicht
nie gelernt hatte, die Erinnerung versagte. Dergleichen ist
bei einer von Anfang an buchmäfsigen Verbreitung ausgeschlossen.
Und nun verstehen wir auch ein weiteres Hilfsmittel des Mimen,
das uns ohnedem eine Tollheit oder eine müsgige Spielerei
dünken müfste. Die Hälfte dieser Stücke etwa sind Abecedarien,
d. h. die erste Strophe beginnt mit A, die zweite mit B, die
dritte mit C usw. Das hat seinen guten Sinn, wenn der Vor-
tragende dies als Gedächtnishilfe benutzte, um die Stichworte
dar Strophenanfänge festzuhalten: bei schriftlicher Tradition ist
W. Meyer, Der ludus de Antichristo (Münchener S.-B. 1882), S. 79 f.
58 Hrotsvits literarische Stellung.
es sinnlos; Akrosticha wie die Commodians wird man nicht da-
wider ins P'eld führen wollen. Wo aber die Nachfahren der-
gleichen in literarisch überlieferter Poesie haben, da sind sie
sicher von dem Vorbilde der Mimen beeinflufst und wenden in
bhnder, dumpfer Nachahmung an, was für sie keine Erleichte-
rung, sondern blofs eine Erschwerung bedeutete.
Das Versmafs ist uralt: es ist ja schon eines der häufigsten
in der römischen Komödie und immer beliebt gewesen bei der
Masse des Volkes.* Als die römischen Soldaten den triumphieren-
den Cäsar verhöhnen, da singen sie, natürlich metrisch, die Verse:
Öallias Caesar subegit, Nicomedes Caesarem:
ecce Caesar nunc triumphat, qui subegit Oallia^,
Nicomedes non triumphat, qui subegit Caesarem,
oder:
urhani, servate tixores, moechum calvum adducimus;
aurum in Oallia effutuisti, hie sumpsisti rmäuum.
Hier hat denn auch A. Schoene die Anspielung auf den calvus
und adulter als typische Mimenfiguren erkannt. Auch die Verse
auf die gallischen Parvenüs scheinen hierher zu gehören.
2. Mimus und Spottlied.
Das ist ja überhaupt die andere Art des Mimenrhythmus,
das Spottlied. Ich lasse, was sonst von schönen und wirkungs-
vollen Balladen der Merowingerzeit erhalten ist, vorläufig bei-
seite und verweise dafür auf mein nahe bevorstehendes Dichter-
buch; aber von dem übermütigen Spott wollen wir uns ein paar
Prol)en vorführen. Da hat es, etwa zu Karls d. Gr. Zeit, in
Angers einen biederen Abt gegeben, der den schönen Namen
Adam führte und einen guten Trunk liebte. Sonst freilich
scheint an ihm nicht viel Löbliches gewesen zu sein, oder es
verschwand doch in den Augen des ihn liebevoll porträtierenden
Mimen neben jener einen Kardinaltugend. Der aber sang, frei-
lich kaum in Angers, obwohl die Schlufszeile an die cives be-
denklich genug klingt; und die würdigen Confratres des guten
Abtes rundumher werden wohlgefäUig dabei geschmunzelt haben: 2
Andecavis abas esse dicitur,
ille nomen primum tenet hominum;
hunc fatentur viiium vellet bibere
super omnes Andechavis homines.
Eia eia eia laudes,
eia laudes dicamus Libero.
1, 1 indeklinabler Stadtname. 1, 2 lies primi. 1, 3 velle Dümmler. .
* Reich, Der Mimus I 195, Anm. 1.
*^ Dümmler, Zs. f. dt. Altertum 23, 265; zur Kritik Ebert, Zarncke,
Seiler (Zs. 24, 147. 25, 25), doch ist das meiste nicht zu brauchen.
Hrotsvits literarische Stellung. 59
Iste malet viniim omni tempore;
quem nee dies nee nox ulla praeterit,
quod non vino saturatus titubet
velut arbor agitata flatibus. Eia . . .
Iste gerit corpus inputribile
vinum totum conditum ut aloe,
et ut mire corium conficitur,
cutis eins nunc con vino extinguitur. Eia . . .
Iste cupa non curat de calicem
vinum bonum bibere suaviter,
sed patellis atque magnis cacabis
et in eis ultra modum grandibus. Eia . . .
Hunc perperdet Andechavis civitas,
nuUum talem ultra sibi sociat,
qui sie semper vinum posset sorbere;
cuius facta, cives, vobis pingite. Eia . . .
2, 1 'hat gern'. 3, 2 vino Zarncke. 3, 3 mitre Ebert. 3, 4 tinguitur Ebert.
5, 1 si perdet Dümmler.
Das wäre doch, sollt' ich meinen, ein Ulk, der des Kommers-
buches nicht so ganz unwert wäre; wenn man ihn nur erst recht
versteht.
Zu Angers, hört' ich, soll ein Pf äff lein leben,
sein Name der des ersten Menschen ist;
der trinke, munkeln sie, vom Saft der Reben,
soviel wie niemals Jud' noch Christ.
Man sagt, dafs nimmer Tag und Stund' erscheine,
wo Pfaff und Fläschchen nicht zusammen sind,
wo er nicht trunken schwankt von süfsem Weine,
gleichwie das Bäumchen schwankt im Wind.
Nie wird in Ewigkeit sein Leib vergehen,
zu gut hat er ihn innen ausgepicht:
gleich einer Mumie ist er anzusehen —
80 konserviert kein Balsam nicht.
Ein WeinfaTs selber, legt er nicht mit Bechern
wie andre Menschenkinder schüchtern los;
er ist ein Zecher hoch ob allen Zechern
und schlürft aus Kannen extragrols.
Stirbt er, so werden viele Tränen fliefsen,
und nie verwindet Angers seinen Schmerz;
kein zweiter wird soviel hinuntergiefsen —
sein Ruhm leb' fort in Stein und Erz.
Hurra, hurra, hurra,
St. Bacchus hoch, hurra I
Das ist denn freilich noch verhältnismäfsig harmlos. Aber
es bleibt nicht dabei. Wir haben in ^ut merowingischer Reim-
prosa eine blutige Satire auf zwei urkundlich um 665 nachweis-
60 Hrotsvitß literarische Stellung.
bare Bischöfe, Importunus von Paris und Frodebert (d. h. Chrode-
bert) von Tours. Es mufs ein^ar nobile fratrum gewesen sein;
denn sicher ist die Sache richtig, das Bild getreu, nicht ge-
schmeichelt und nicht mehr entstellt, als es in jeder Satire ge-
schieht und geschehen mufs. Was wir hier über die Ursache
vom Sturz des mächtigen Hausmeiers Grimald erfahren, scheint
sonst nicht bezeugt zu sein; aber es hat alle innere Wahr-
scheinlichkeit. Ich meine, Grimald wird bei dem willens -
schwachen, den Pfaffen verfallenen Merowinger vergebens sein
Recht gesucht haben; und dies wird der Grund gewesen sein,
der ihn in Empörung und Untergang hineingehetzt hat: ganz
so, wie es später mit Herzog Erchanger und ßerthold gewesen
ist, wo auch die dem Abtbischof günstige St. Galler Tradition
Unrecht und Recht vertauscht hat.* Aber wie dort immerhin
so viel zu erkennen ist, dafs die Zeitgenossen in den Herzögen
die unschuldigen Opfer bischöflichen Ehrgeizes und königlichen
Treubruches gesehen haben, so tut sich uns hier durch die
Satire ein Blick auf in eine dunkle Zeit und in das erfolgreiche
Treiben zweier dunklen Ehrenmänner, die in ihrer Weise Ge-
schichte gemacht haben. 'Das ist das wahrste Denkmal der
ganzen Merowingerzeit,' hat mir einmal ihr bester Kenner,
B. Krusch, gesagt.
Ich verzichte darauf, den lateinischen Text zu drucken, der
von Zeumer gut herausgegeben ist;^ nur hätte er die Reimprosa
lieber nicht in Verse teilen sollen. Meine Nachbildung mufs
an einigen Stellen, wo das Pergament zerfressen ist, ein klein
wenig kürzen, wird aber wohl hinreichen, von dem Geiste des
Poeten, denn ein Poet war der Mime, der diese Satire konzipiert
hat, eine gewisse Vorstellung geben.
Auf einen Schelmen anderthalbe.
I.
Dem Herrn und Bruder Importun, | Dem der Heiligen Verdienst
helfen möge zur ew'gen Euh.
Geliebter Herr und Bruder wert!
Was ihr vernahmt, hat euch so beschwert,
Derweilen wir litten bittere Not
Und vor Hunger schier blieben tot,
Dafs ihr uns tatet ein Korn verehren —
Nicht für Geld, nicht geschenkt wir ein solches begehren.
Nahmen wir's und buken Brot daraus:
Helf uns der Himmel, war das ein Graus!
Aulsen die Kruste, verhutzelt zu schaun,
Innen die Krume, hübsch dunkelbraun;
Na, wer's beifsen will, mufs gute Zähne haben,
Doch dann darf er — am Stank auch die Nase laben . . .
* Darüber meine Dichterschule St. Gallens (Ilbergs N. Jahrb. V 358).
2 Formulae, S. 220.
Hrotsvits literarische Stellung. 61
Uraltes Korn und heuriges, in trauter Gemein ;
Das gab ein Nachtmahlsbrot — die Sorte war mehr als fein!
WoUen's euch dankbar allzeit gedenken,
Dafs ihr uns so freigebig mochtet beschenken;
Gönn' euch der Herrgott ein langes Leben,
Dafs ihr uns solch schönes Korn gegeben !
Freilich, ihr dürft ja zu Hause lungern ;
Ein andrer kann in der Klause hungern 1
Wahr und wahrhaftig, Mann, ich lafs euch grüfsen
Und bitt' schön, in euer Gebet uns einzuschliefsen I
Täten von dem Brot euch ein Kosthäppchen schicken;
Probiert, ob ihr's runterbringt, ohne zu sticken!
Nein, uns bewahre der hebe Gott,
So lang wir leben, vor solchem Brot!
Nonnen wie meine, müfst ihr wissen.
Danken ergebenst für solche Leckerbissen!
Wir schreiben, wie uns der Schnabel gewachsen.
Nehmt's nicht für ungut, ohne viel Faxen.
Mög' es euch immerdar wohl ergeh'n
Und der Lohn eurer Guttat euch nicht entstehnl
IL
Dem frommen Herrn und Bruder Chrodebert.
Herr Chrodebert, wir haben vernommen.
Unser Korn, ihr hiefset es übel willkommen.
Wollet lieber an die eigene Nase fassen
Und mit euresgleichen solche Scherze bleiben lassen.
Es sieht einem Bischof wenig gleich,
Was ihr getan in Herrn Sigeberts Reich
Mit dem Hausmeier Grimald,
dem habt ihr sein einzig Schaf, sein Weib, genommen,
Dafs er im Reiche hernach
nimmer mochte zu Ehren kommen.
Und als ein reisiges Heer sich zeigte zu Tours im Land
Da habt ihr sie flugs zu den Nonnen ins Kloster gesandt;
Habt dort nicht in der Bibel gelesen.
Triebt mit ihr euer sündlich Wesen.
Mögt es wenden, wie ihr wollt, und dreh'n —
Nicht vor Gott, nicht vor Menschen mögt ihr besteh'n.
Noch eines, Herr Bruder: zu gutem End'
Gabt ihr das Korn dem NonnenKonvent ;
So ist es doch hübsch in der Familie blieben.
Und ihr tatet euren Basen eine Liebe.
Seid ja selbst einer Nonne Sohn,
So 'was verdient schon seinen Lohn!
Gott befohlen, Herr Bruder, all miteinand'!
Importunus, Bischof im Pariser Land.
III.
Meinem Herrn Chrodebert,
der lebt ohne Gott in den Tag hinein.
Mag weder heilig, weder Bischof sein.
Noch ein rechter Pfaff im Pfaffenkleid,
Dafs er komme an den Ort,
da der Gottseibeiuns haust in Ewigkeit.
62 Hrotsvits literarische Stellung.
Braucht kein Mensch mir aufs Wort zu trau'n;
Kann ein jeder selbst eure Werke schau'n.
Eines geht euch ab; des habt ihr euch abgetan:
Ihr habt Gott nicht lieb und glaubt nicht an seinen Sohn.
Gegen den, der euch zuwider ist,
Gebraucht ihr euch ohne Scheu stets arger List.
Haltet euch für weise — doch uns dünkt das ein Lügengewebe;
Ihr fürchtet Christen nicht, noch mögt ihr seines Willens leben.
Den ihr liebhabt, das ist sein Widerpart;
D'rum tut ihr in euren Werken nach des Teufels Art.
Haben doch eure Eltern schon Christen veracht't.
Da sie im Kloster euch gemacht;
Kein heilig Ding ist's gewesen trau'n,
Was euer Vater trieb mit der Klosterfrau 'n.
Dann liefs euer Herr euch los, nahm sich euer in Treuen an, —
Hat ihm hernach leid genug getan!
Lebet nimmer nach Gottes Wort;
Böse sind eure Werke fort und fort.
Denkt, wie ihr Grimald vergolten mit üblem Dank,
Und wissen's Gott und Menschen,
er tat euch nur Gutes sein Leben lang.
Und was hat es ihm all für Lohn gebracht?
Zum Danke habt ihr euch an sein Weib gemacht.
Liebt weit und breit jedes hübsche Mägdelein,
Mag aber dabei wenig Heiligkeit sein;
Um euch es allezeit übel steht.
So lang ihr auf solch krummen Wegen geht!
Nein, so wahr ihr ein Bock seid, ihr treibt es zu toll!
Ist euer Mafs denn noch immer nicht voll?
Lafst euch ja rasch verschneiden, will ich euch raten,
Sonst müfst ihr einmal in der Hölle braten:
Denn euch geht's schlimm beim Jüngsten Gericht,
Sintemalen die Hurer sind verstofsen von Gottes Angesicht!
Könnte leichtlich noch weiterfahren;
Doch will ich mir etliche Pfeile versparen:
Kommt mir Antwort von euch in Hulden zu Händen,
Soll auch die Fortsetzung ausgeh'n in alle Lande.
Doch nun zum Schlüsse: seht ihr einen guten Freund,
Der euch solches kundmacht und es wohl mit euch meint.
So entfaltet den Brief und les't und lafst euch das Gewissen schärfen ;
Oder mögt ihn auch in den Papierkorb werfen . . .
3. Mimus und geistliche Ballade.
Die Kirche und ihre Lehrer hatten ohne Unterlafs geeifert
gegen den Mimus, aber sie hatten ihn nicht unterdrücken kön-
nen.' Da machte nicht die Kirche ihren Frieden mit dem Mimus,
sondern ein Teil der Mimen den seinen mit der Kirche. Das
Volk war christlich geworden; es war ein rauhes und rohes
Christentum, das Christentum eines Kriegsvolkes, das sich seinen
Himmel und die Belohnungen der Gläubigen etwa als eine
Veteranenkolonie denken mochte, die nun auf ihren Lorbeeren
ßeich, Der Mimus I 109 ff. 130 ff.
Hrotsvits literarische Stellung. 63
ausruht und in wohlverdienter Mufse ihr Altenteil geniefst —
wie es uns der von Gregor seiner Mordtaten und seiner poe-
tischen Sünden halber so hart gescholtene Chilperich in seinem
Medardusrhythmus ausmalt/ Aber auch dieses barbarische, von
vornherein auf buchmäfsige Verbreitung angelegte und mit lite-
rarischen Ansprüchen auftretende Gedicht wäre nicht denkbar
ohne den Mimus. Denn der Mimus hat schon in der Mero-
wingerzeit biblische und Legendenstoffe in seine Formen, in die
Formen des Rhythmus gekleidet. Und diese geistUchen Bal-
laden, deren Hauptinteresse in ihrem Stoffe lag, sind oft von
unverächtlicher Kunst. Jedoch zuerst vom Stoff. Da finden
wir Bibelthemata behandelt, wir liören von Jakob und Josef,
von Esther und Judith, vom reichen Mann und armen Lazarus,
von Jesu Leben und Sterben; und zumal ist es die Höllenfahrt
des Herrn, hinab zu den 'Geistern im Gefängnis', die die Men-
schen des ganzen früheren Mittelalters immer wieder gefesselt
hat mit dämonischer Gewalt.^ Und neben diesem Hineinragen
des Höllenreiches in die Geschichte Jesu finden wir, in einem
der gewaltigsten Lieder, das Reich des Antichristen geschildert,
das einer Zeit, die das Ende nahe erwartete, besonders zu denken
geben mufste: es ist kein Zufall, dafs die Schriften des Ps.-
Methodius und Adsos von Der so ungeheure Verbreitung und
so ungeheuren Einflufs gewonnen haben, gerade so wie später
zur Zeit der Mysterienspiele der ludus de Antichristo mit seinen
kirchenpolitischen Träumen die Geister bewegt hat. Ein solches
Lied vom Antichristen mit den Bildern des himmlischen Jeru-
salem und der Höllenpein, das mochte wohl tieferen Eindruck
auf die Zuhörer machen als manche Predigt.^
Wer waren nun aber diese Zuhörer? Wenigstens einmal
können wir uns diese Frage einigermafsen beantworten. Latein
werden sie einigermafsen verstanden haben; aber das sagt in
der Merowingerzeit und in romanischem Lande wenig. Der
Rhythmus von Christi Höllenfahrt, auch er wie so viele mit
audite omnes beginnend, spricht jedoch am Schlüsse vom Hof
des Königs, vor dem Geistliche, Äbte, Neugetaufte (es ist Ostern,
die alte Taufzeit) und potentes personae, weltliche Grofse, Hym-
nen singen: saeculares fahulas hat er verboten, und so singt
auch der Mime in diesem vornehmen und frommen Kreise von
Christi Sterben, Höllenfahrt und Auferstehung.
Auch andere geistliche Stoffe sind viel behandelt worden,
* Von mir aufgefunden und mit Kommentar herausgegeben, Zs. f. dt.
Altertum 47, 7B f.
2 Ebenda, S. 88 f.
^ Dreves, Anal. hymn. II, 91; N. Arch. f. alt. dt. Oeschicktskunde 25,
40G f.; den nach der Hs. berichtigten Text gebe ich demnächst dort im
30. Bande.
64 Hrotsvits literarische Stellung.
so die Zerstörung Jerusalems, nach Josephus ganz realistisch,
ja naturalistisch — es wird uns nichts geschenkt, nicht einmal
der Gestank der Leichenhaufen; und die Legende des h. Placidas
ist in einem langen Gedicht bearbeitet worden, das ich künst-
lerisch Herders 'wiedergefundenen Söhnen', die den gleichen
Stoff behandeln, weit vorziehe. Ich mufs dafür auf mein Dichter-
buch verweisen. Aber das Gedicht vom Antichristen teile ich
hier mit: es liegt darüber eine Stimmung, wie wenn es um
Mittag dunkle Nacht geworden wäre; so kommt es mir jedes-
mal wieder von neuem vor, vielleicht empfinden es auch andere.
Es ist ein wahrer Dichter, der hier zu uns spricht.
Von den letzten Dingen.
Ein Lied begehrt ihr Leute zu hören aus meinem Mund;
So lauschet meiner Eede: ich will euch machen kund
Ein Lied vom höchsten Gotte in seiner Herrlichkeit
Und des Widerchristen Zukunft in der allerletzten Zeit.
Der Widerchrist wird kommen, so läfst es der Herr geschehen;
Er kommt vom Judenvolke und wird das Licht erseh'n,
Vom Stamme Dan geboren, im Lande Babylon,
Empfangen von einem Weibe, Satans einiger Sohn.
Dreifsig Jahr erwächst er, ein Mensch, den andern gleich,
Verborgen und unerkannt, bis dafs da kommt sein Reich:
Dann wird ihm Macht gegeben auf Erden offenbar,
Und wird das Reich behalten bis halb ins vierte Jahr.
Höret wohl und merket, was der Apostel spricht;
Also gebeut Sankt Paulus: 'Lafst seinen Brief euch nicht
Verführen, den er sendet; glaubt nicht der Rede sein,
Seinem Ruhm und Zeichen: sie sind ein leerer Schein.'
Die Gott der Herr vor Zeiten lebend zu sich nahm,
Henoch mit Elia, dem Boten des Herrn, zusamm'
Sie werden wiederkommen zur Erden, den Tod zu seh'n;
Sie fällt der Widerchrist: so läfst es der Herr gescheh'n.
Und wenn bei dreien Tagen ihr Leib im Grabe lag,
So wird sie Gott der Herr erwecken am dritten Tag;
Und werden auferstehen, zu pred'gen in seiner Kraft,
Und werden zum rechten Glauben bekehren die Heidenschaft.
Danach zum andern fahren gen Himmel sie empor
Und bringen ihre Klage an Gottes Throne vor;
Ihr vergossen Blut von der Erden zu ihm um Rache schreit:
Des trifft den Höllengeist Vergeltung in kurzer Zeit.
Jesus Christus selber, unser Herr und Gott,
Der aller Welt zum Heil am Kreuze litt den Tod,
Er läfst ein scharfes Schwert ausgehn von seinem Mund,
Das fällt den Sohn der Sünde, den Widerchristen, zur Stund'.
Dann wird bei vierzig Tagen auf Erden nah und fern
Noch einmal Friede werden, bis zur Zukunft des Herrn.
Dann werden aller Augen ihn schau'n von Angesicht
Und aller Zungen Volk hintreten vor sein Gericht.
Hrotsvits literarische Stellung. 65
Dann wird ein Kreuz am Himmel leuchten mit hellem Schein,
Ein wunderbarlich Zeichen; des müssen verloren sein
Juden, Heiden und Ketzer all zur selben Frist,
Denen das Kreuz ein Ärgernis und eine Torheit ist.
Die Engel selber zittern, die steh'n an seinem Thron,
Wann er einem jeden wird geben seinen Lohn:
Die gerecht alleine mögen vor ihm besteh'n
Und ihrer Werke halben seine Klarheit seh'n.
Das ist die wundersame, die hochgebaute Stadt,
Die zwölf der güldnen Tore und zwölf der Pfeiler hat;
Sonne nicht und Mond noch Sterne scheinen dort —
Das ist des Höchsten Klarheit, die leuchtet immerfort.
Jerusalem die lichte, so paradiesesschön,
Die Gottesstadt, die sel'ge, gebaut in Himmelshöh'n,
Darinnen Christus waltet als König allezeit
Mit seiner Heil'gen Heere in ew'ger Seligkeit.
Die Mörder und Schelme kommen nimmer ins Paradies;
Sie sind verdammt zu wohnen in Nacht und Finsternis.
Ihr Mund gar kläglich immer das 'wehe, wehe' ruft;
Und ist dazwischen befestigt eine grofse Kluft.
Wenn ihr nun solches höret, verzage nimmermehr
Mutlos euer Herze; folgt nach der Heil'gen Heer:
Die dürfen nun im Himmel tragen des Lebens Krön';
Der Höllenpein enthoben umsteh'n sie Gottes Thron.
Ja furchtbar in der Hölle ist der Verworfnen Qual:
Wer den Tod alldorten geschmeckt zum andernmal.
Der findet in alle Ewigkeit nimmer keine Ruh;
Mit Satan mufs im Schwefelpfuhl er brennen immerzu.
Nun wollen zum Allmächt'gen wir beten insgemein
In demutvollem Herzen, dals vor der Höllenpein
Er uns bewahren wolle in Gnaden für und für
Und selber weit uns auftun zu seinem Reich die Tür;
Und Lob und Ehre singen dem Herrn im Himmelsthron,
Zusamt dem heil'gen Geiste dem Vater und dem Sohn,
Dem dreieinigen Gotte, der herrscht in Herrlichkeit,
Ein König aller Kön'ge, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
4 Der Mimus und die karolingische Ekloge.
Der Mimus blühte im Frankenreich auch in den dunkel-
sten Zeiten; aber nun kam die karolingische Renaissance. Sie
hat für die Erhaltung dessen, was von der römischen Lite-
ratur die Stürme der Völkerwanderung überdauert hatte und
irgendwo in Kirchen- oder Klosterbibliotheken ungelesen ver-
staubte und vermoderte, unendlich viel getan: die Zahl der
Texte, die nicht durch die sorgsamen Hände der karohngischen
Abschreiber und Philologen gegangen sind, ist verschwindend
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 5
66 Hrotsvits literarische Stellung.
gering. Aber alles hat seine zwei Seiten. Wie die klassizistische
Renaissance Karls des Grofsen die selbständige Entwickelung
der altdeutschen Heldenpoesie gebrochen und sie, was er selber
auch dagegen tun mochte, unrettbar dem Untergange geweiht
hat, so tritt nun auch der Mimus, soviel wir sehen können,
zurück hinter die anspruchsvolle Nachahmung der Antike. Oder
er sollte wenigstens zurückgedrängt werden. Was man an die
Stelle zu setzen hatte, das war freilich dürftig genug. Einen
wirklichen Dichtergenius hat die ganze Generation, die sich
um Karl geschart hat, nicht aufzuweisen. Und als dann end-
lich Walahfrid Strabo* erscheint, der Schüler und Abt von der
Reichenau, da haben ihm Pedanten und Philister daheim und
in der Fremde Steine genug in den Weg geworfen. Dennoch
hat er Grofses erreicht und keine Bitterkeit bewahrt, ein starkes
Talent und ein liebenswerter Mensch. Aber ich kann mich des
Eindruckes nicht erwehren, dafs er noch höher gekommen sein
würde, wenn er gewagt hätte, ganz er selbst zu sein. So ist
er, hoch über den anderen stehend, doch selber im letzten
Grunde nur der Johannes eines Gröfseren, Notkers des Stamm-
lers; von ihm wird im nächsten Abschnitt zu reden sein; erst
er hat die karolingische Kunstpoesie mit dem Mimus wahrhaft
versöhnt und jedem das Seine gegeben. Aber einen Ansatz hat
die Epoche Karls des Grofsen doch gemacht, den Mimus zu
sich herüberzuziehen. Das ist geschehen auf dem Gebiet der
Ekloge.
Die Ekloge ist von Hause her ein Kind des Mimus. Mimisch
sind, nach Sophrons Vorgange, die Eklogen des Theokrit und
Herodas, die zur Kunstpoesie ausbildeten, was der Mimus längst
volksmäfsig gepflegt hatte. 'Theokrits ^ Adoniazusen und Simaetha
sind doch zunächst von ihm selbst vorgetragen; das ist keine
Buchpoesie: er hat ja gar kein Buch gemacht. Und so hat es
im Jambos ihm Herodas nachgetan.' Anders sodann Virgil,
dessen Ekloge gelehrte Nachahmung ist, ob er auch Verhält-
nisse seiner Zeit e'nmengt, Calpurnius und nun gar der Spät-
ling Nemesianus. Die Form bleibt, aber es ist kein Leben
mehr darin. Dann geht das Altertum zugrunde, und auf den
Trümmern des römischen Imperiums erheben sich die Germanen-
reiche, zuletzt das Kaisertum Karls des Grofsen. Die Ekloge
war tot, aber der Mimus lebte. Nicht von selber hat er den
Weg zur Ekloge neu gefunden. Die karolingische Renaissance,
soviel sie zu einem lilofsen Scheinleben geweckt hat, hier hat
sie dem Mimus, d. h. dem lebendigen Leben, in die Hände ge-
arbeitet. Das römische Altertum wurde neu entdeckt, und nun
schuf man Eklogen nach dem Vorbild Virgils; sogar Calpurnius
» Ilbergs N. Jb. V 342 ff. » Wilamowitz im Eermes 34, 207.
Hrotsvits literarische Stellung. 67
und Nemsianus feierten ihre Auferstehung. Man entnahm ihnen
poetische Beinamen, wie sie an dem Musenhofe 'Davids', wie
der Kaiser selber genannt ward, im Schwange gingen. Und es
war eine wirksame Empfehlung, den Kaiser in einer Ekloge als
modernen Augustus anzusingen, auch wenn man selber — kein
Virgil war und ebensowenig ein Ovid. So steht es mit den
beiden Eklogen des 'Naso', die für diese Sorte Epigonenpoesie
typisch sind. Aber dann steht, unter Alcvins Gedichten, ein
sonderbarer conflictus veris et hiemis,^ ein richtiges Streitgedicht
{certamen), allerdings rezitativ, nicht dramatisch, worin Winter
und Frühling vor einem Chore von Hirten einander schelten,
bis zum Schlüsse der Winter ausgetrieben wird und der Früh-
ling das Feld behauptet und seinen Freund, den Kuckuck, her-
beiruft. Das Gedicht geht, wie gesagt, unter Alcvins Namen,
und man hat über seine Bedeutung hart hin und her gestritten.
Ich fasse mich möglichst kurz. Das Gedicht hat, der von
Dümmler gesichteten Überlieferung nach, als namenlos zu gelten;
mit dem Pedanten Alcvin hat es um nichts mehr zu schaffen
als die drei hübschen Fabeln, die sich mir kürzUch als Eigen-
tum Notkers ausgewiesen haben. Es hängt aber allerdings mit
Alcvins Versen de cuculo zusammen, die an seinen Schüler
Dodo gerichtet sind, von dem wir nicht viel mehr wissen, als
dafs der Lehrer, streng und mürrisch, mit seinem Wandel wenig
zufrieden war. Da klagt Alcvin, dafs Dodo, sein Cuculus, trotz
des Lenzes nicht komme ; Bacchus halte ihn gefangen : das knüpft
offenbar an Verse des conflictus an. Wenn nun aber ein Teil
der Überlieferung das Streitgedicht den Versen de cuculo an-
schliefst, so folgt daraus nur, dafs man sich bei Alcvins Gedicht
des beliebten Streitgedichtes einmal erinnert hat, das er benutzt
hatte. Mehr nicht. Eberts Vermutung, dafs Dodo den Streit
von Winter und Frühling gedichtet und von dem sehnsüchtigen
Ruf nach dem Kuckuck seinen Beinamen erhalten habe, ist geist-
reich, aber sie schwebt völlig in der Luft. Ganz unmöglich
aber ist Dümmlers Gedanke, das Gedicht sei *an Dodo gerichtet'.
Es ist überhaupt an keine bestimmte Person 'gerichtet'. Ebert
war dem Richtigen ganz nahe und hat sich den Erfolg blofs
durch übertriebene Deutelsucht verdorben. Das Gedicht ist,
was es sein will, ein conflictus veris et hiemis^ weiter nichts.
Es gibt, leider in antikem Kostüm, die alte, echt germanische
Austreibung des Winters wieder. Leben doch solche mimischen
Darstellungen des Wettstreits von Sommer und Winter noch
heute allerorten; und der erste Kuckucksruf im Frühling gilt
heute noch, wenn man blofs den Augenblick nicht verpafst, als
* Poetae Carolini I 270; Ebert, Allgem. Oesch. d. Ldt. d. M.-A. im
Äbendlande II 68.
5*
68 Hrotsvits literarische Stellung.
heil- und segenbringend.* So haben wir hier, indem die Ekloge
sich auf sich selber besann und den Weg zum Mimus heimfand,
ein Stück altgermanischen Volksbrauches wiedergewonnen; es
ist dasselbe, wie wenn der altgriechische Mimus an die Feier
der Fruchtbarkeitsdämonen anknüpft.
Hier hatten wir das echte mimische Certamen in rezitativer
Verkleidung. Daneben fristete natürlich die reine Kunstekloge
ein blutloses Scheindasein weiter. Eine eigentümliche Mittel-
stellung nehmen zwei Dichtungen ein, deren Charakter L. Traube ^
bestimmt hat. Es sind zwei Totenklagen: Pascasius Radbertus
um seinen Abt Adelhard von Corbie und Agius_ von Corvey
um seine Schwester Hadumod, Gandersheims erste Äbtissin. Ich
kann sie hier übergehen, da sie nach Traubes scharfsinniger
Deutung in letzter Linie auf die Totenrollen zurückgehen, die
bei den verbrüderten Klöstern umlaufen, um zur Fürbitte für
die arme Seele aufzufordern: jedes Kloster fügt in Vers oder
Prosa sein teilnehmendes Trostwort hinzu. Daraus hat dann
Pascasius seine ecloga duarum sanctimonialium geschaffen, und
Agius ist, in der neuen Corbeia im fernen Sachsenlande, seinem
Beispiel gefolgt. Namenthch Agius hat, weil ihm die Klage
von Herzen kam, ein echtes, tief ergreifendes Gedicht geschaffen.
Aber hier, wo wir den Zusammenhängen von Mimus und Ekloge
nachgehen, müssen wir sein Werk beiseite lassen: es ist keine
Ekloge mehr, obwohl es die Form der Ekloge trägt.
Das Zeitalter der Ekloge ist eng begrenzt. Sie setzt mit
Karl dem Grofsen ein und hält sich ein knappes Jahrhundert.
Das bedarf freilich noch der Begründung. Den Streit von
Sommer und Winter hat man in die Zeit des Absterbens der
Antike versetzt, — in die ^lateinische Anthologie' hat sich ja
manch sonderbares Kräutlein verirrt; man hat an Beda gedacht,
der seinen Namen für soviel herrenloses Gut hat hergeben
müssen, an Alcvin und Dodo, ja selbst, trügerischem Scheine zu-
liebe, an Milo von St. Amand. Sicher ist nur eines, dafs das
Gedicht aus dem Kreise Karls des Grofsen kommt.
Es bleiben noch zwei Gedichte, der Streit zwischen Terenz
und einem delusor und die Ekloge des sogenannten Theodul.
Über beide mufs hier geredet werden.
In dem Streitgedicht ^ tritt der delusor auf und schilt den
Terenz als einen aus der Mode gekommenen, unflätigen Alten.
Seine Lustspiele seien voll gemeiner Witze; indes was er an-
führt (quae nil, credo, iuvantj federe ni doceant), stimmt ganz
und gar nicht zum Charakter des Terenz und seiner Komödie,
^ J. Grimm, Dt. Mythol} II 640 ff. 719 ff.; W. Mannhardt, Wald- und
Feldkulte I 245. 488 ff.
2 O Roma nobilis {Münchener Abhdlg. I. CL, XIX) S. 310 ff.
^ Hrotsvitausgabe, S. XX.
Hrotsvits literarische Stellung. 69
wohl aber ist es, man erinnere sich nur des Anfangs der
'PVösche', ein beliebter Bühnentrick gewesen, blofs nicht in der
vornehmen Komödie, für die schon Aristophanes dergleichen
Dinge ablehnt, die seinen Kollegen jederzeit recht waren, auch
wenn sie sie rein vom Zaune brachen. Die mittlere uud die
neuere Komödie, worauf Terenz fufst, ist ganz davon frei.
Anders aber ist es mit dem Mimus. Wenn hier Terenz be-
kämpft wird, so heifst das lediglich, den Sack schlagen und den
Esel meinen. Eigenthch soll der Mimus die Prügel kriegen,
der in den Oxyrrhynchospapyri die snncta noQÖij anruft. Aber
der Mimus ist unliterarisch geworden, und hier braucht es
eines literararischen Vertreters, so wird Terenz herangeholt
und auch ihm nebenher, weil man seine Metrik nicht verstand,
etwas am Zeuge geflickt (an sit prosaicum nescio an metricum,
nebst der Anmerkung). Der Mimus also ist es, der die Zech^
zahlt, und es wäre, wenn nicht die Absicht des Dichters, um
diesen Eindruck zu verstärken, so doch ein guter Witz des
Zufalls, dafs die Form der Dichtung die mimische ist und der
Mimus geschlagen wird mit seinen eigenen W^affen. Denn diese
Szene ist aufgeführt worden. Nachdem der delusor seine Schelt-
rede geendet, tritt Terenz auf (nunc Terentius exit foras, audiens
haec, et ait) und fordert den Schelter heraus, um ihn nach
Gebühr zu bezahlen. Der setzt sich in Positur (praesentatur,
tritt dicht vor ihn hin), und das Schimpfduett geht weiter, bis
Terenz vor dem bedenklich fuchtelnden delusor retiriert:
Ter. Cur, rogo, me sequeris? cur me ludendo lacessis?
Del. Sic fugit horrendum praecurrens dama leonem.
Terenz droht mit Ohrfeigen, mufs aber, da der andere auf seine
Jugendkraft pocht, als alter gebrechlicher Mann klein beigeben
und kann den delusor nur darauf verweisen, dafs auch seine
Zeit nicht ewig währen werde. Ein echter Mimus, mit dem
üblichen delusor und dem alaparum sonitus; natürlich haben
sich die Zuschauer gewälzt vor Lachen, wenn der trotz seines
grofsen Maules furchtsame Terenz von dem delusor auf der
Bühne im Kreise herumgejagt wird.
Ich komme zu der Ekloge Theoduls, die neuerdings H. Voll-
mer^ als ein 'verschollenes Buch' ausgegraben hat — zwei Jahre
nachdem uns J. Osternacher^ den ersten Teil seiner auf jahre-
lange Studien und reichstes kritisches Material gegründeten Aus-
gabe beschert hat. Es ist wieder ein Streitgedicht, in bucolischer
Verkleidung: der mit athenischer Weisheit getränkte Hirt Pseustis
und die christliche Hirtenjungfrau Alethia, Lüge und Wahrheit,
streiten beide für ihre Religion. Jeder heidnischen Sage setzt
* Mmatschr. f. d. kirchl Praxis 1904, S. 321 ff.
^ Programm von TJrfahr-Ldwx, 1902.
70 Hrotsvits literarische Stellung.
Alethia eine biblische Geschichte entgegen, von Saturns golde-
nem Alter und dem Paradiese an, bis sie sich schiefslich in allgp-
meine philosophisch-theologische Spekulationen verlieren. Oster-
nacher meint, hier müsse eine patristische Quelle zugrunde
liegen aus der Zeit, wo Athens Philosophenschulen noch be-
standen; nachweisen hat er sie aber, trotz alles Suchens, nicht
können. Ich glaube, er verkennt das Kunstprinzip. Wir müssen
das Gedicht eben einreihen in die Gruppe der Streitgedichte,
müssen ferner, um die vier Verse, die jede Geschichte enthält,
und die Disposition der Alethia zu begreifen, an Prudenz und
sein Dittochaeum denken (was denn freilich wieder über die
Ekloge hinausführt); so werden wir keine Quelle vermissen: die
Anlage des Ganzen gehört eben dem Dichter. Und dieser
Dichter hat in der Zeit gelebt, wo die Ekloge wieder im
Schwange war, d. h. im 9. Jahrhundert. Auch hier ist es
charakteristisch, wie die gelehrte Forschung hin und her getappt
hat, ehe sie das Richtige fand. Eine verbreitete Annahme setzte
Theodul um 980, liefs ihn aus Italien stammen und in Athen
studieren. Das zeigt im besten Falle, wann das Gedicht etwa
anfing bekannt und beliebt zu werden, und was man damals
aus der Einleitung herauslas. Daneben aber schwankten die
Ansätze um mehr denn ein halbes Jahrtausend. Osternachcr
und Vollmer haben beide das Richtige getroffen, und Vollmer
freut sich, mit seinem Ansatz, etwa um die Mitte des 9. Jahr-
hunderts, *der Üb erlief erunj]j näher zu kommen': schade blofs,
dafs hier von wirklicher * Überlieferung' keine Rede sein kann
und dafs 980 nicht '9. bis 10. Jahrhundert' ist ...
Beide haben mit Recht darauf hingewiesen, dafs ein so
frühes Vorkommen gereimter Hexameter nicht unerhört ist, dafs
die Verskunst der Ekloge viel Gemeinsames zeige mit der eines
Gedichtes an Erzbischof Ebo von Reims (abgesetzt 835). Das
ist richtig, aber es läfst sich von dort aus weiter kommen, als
sie gekommen sind. Jenes Gedicht an Ebo steht mit seiner
Technik nicht ganz vereinzelt da im 9. Jahrhundert. Aber alles,
was man Ahnliches hat, stammt aus der Diözese Reims i; vor
allem gehören hierhin die Gedichte des unglücklichen Haere-
tikers Gottschalk von Orbais. So werden wir nicht fehlgehen,
wenn wir auch den Dichter der Ekloge in jenem Kreise suchen.
Dort war die Ekloge eine beliebte Kunstform: ich erinnere an
Pascasius Radbertus von Corbie, und jetzt wird es auch wichtig,
dafs im Terenzdialog eine Verschreibung (armice er ehr o für
arma cerebro) auf eine Vorlage in frühkarolingischer Schrift
von Corbie zu führen scheint. Und nun betrachte man den
* Traube, Poetae Carolini III 711 (Anm. 2 zu S. 710), in seinen grund-
legenden Regesten zur Geschichte Gottschalks.
Hrotevits literarische Stellung. 71
Namen des Eklogendichters : Theodulus, d.i. der *Knecht Gottes',
oder, um es altertümlich zu sagen, *Gottes Schalk' — Gottschalk.
Ich meine in der Tat, Gottschalk von Orbais und kein anderer
ist 'Theodul'; und zwar ist die Ekloge später als seine von
Traube herausgegebenen Gedichte: ein Werk seiner letzten
Epoche, als man ihn in HautviUiers Bücher abschreiben liefs.^
Und er nannte sich Theodul, wie er schon früher mit seinem
Namen und dessen Bedeutung gespielt hatte, weil durch die
Härte seiner geistUchen Oberen der Name Gottschalk verfemt
worden war. In jungen Jahren hatte sein Freund Walahfrid
ihn Fulgentius genannt, allerdings wohl nach dem Schüler
Augustins; doch mochten ihm auch mythologische Studien nicht
fremd geblieben sein. So erklärt sich auch, was sonst auffallen
müfste, die Strenge, womit die Ekloge die Elision vermeidet —
darin verschieden von Gottschalks Gedicht an Walahfrid (848),
verschieden auch von den Versen an Ebo. Er hat eben im
Metrischen dieselbe Entwickelung durchgemacht wie wenige
Jahre später Agius von Corvey, den wir doch wohl mit H. Hüffer ^
im Poeta Saxo wiedererkennen müssen. Die Ekloge aber blieb
ein Jahrhundert und darüber verschollen. Und als man sie
^entdeckte' und ein beliebtes Schulbuch daraus machte, dachte
niemand, dafs ihr Dichter ein schlimmer Ketzer gewesen.
Es bleibt dabei: die Zeit der Ekloge ist mit dem 9. Jahrhun-
dert, ja wir dürfen sagen, mit der Regierung Karls des Kahlen
vorüber. —
5. Notker und der Mimus.
Ich habe schon zweimal auf Notkers allerliebstes Märchen
vom Wunschbock hingewiesen, zuletzt in den Stilfragen (S. 17),
wo ich auch eine Übersetzung versucht habe in einem absicht-
lich episch getragenen Versmafs, das mir für den Zweck der
Parodie zu passen schien. Ich setze den Wunsch des dritten Bru-
ders her:
O wollte der Herr einen Bock mir gewähren,
Des Hörner so weit voneinander stünden,
Dafs der Vogel Phönix, der rüstigen Fluges
Vom Libanon heimfliegt tief aus der Wüste,
Ermattet die Schwingen sinken liefse,
Eh* von einem Hörn er zum andern flöge.
Die Stelle ist stark beschädigt, liefs sich aber mit Wahrschein-
lichkeit, wenigstens in der Hauptsache, ergänzen. Eine Parallele
kannte ich nicht; da stiefs ich kürzlich auf das Märchen vom
'Ochsen am Bodensee' ^ und war nicht wenig erstaunt, dafs es
' Traube S. 714, Anm. 1.
' Korveier Studien I ; anerkannt in meinem Addendum zum Poeta Saxo;
' Sagen des Bodensees usw. S. 72.
72 Hrotsvits literarisclie Stellung.
sich als guter alter Bekannter entpuppte. Der Ochs hat in
seinem Durst bei einem Spaziergang durch den Bodensee so
nebenher den ganzen See ausgetrunken. Alsdann will er sich
doch auch die Schweiz beschauen. *Wie er nun einmal still-
stand und sich die fernen Berge ansah, kam ein mächtiger
Vogel und setzte sich auf das eine Hörn des Ochsen. Nach
einer Weile schüttelte der Ochs ganz ruhig nur ein wenig seinen
Kopf, worauf der Adler fortflog und sich auf das andere Hörn
setzen wollte. Bis er dies aber erreichte, brauchte er nicht
weniger als zwei volle Stunden. Da kann man sich wohl denken,
was das für ein grofser Ochse gewesen sein mufs.' Es versteht
sich von selber, dafs Notker sich den Vogel Phönix und seinen
weiten Wüstenflug aus dem Physiologus geholt hat; das ist un-
zeitige Gelehrsamkeit, ein 'Schulschmäcklein' ä la Mörike, das
wir abziehen müssen. Im übrigen aber folgt er, wie wir jetzt
handgreiflich sehen, und wie wir es auch ohnedies annehmen
müfsten, uralter Volküberlieferung, dem Märchen.
Daneben aber steht der Schwank. Nehmen wir die Ge-
schichte, wie Karl den Bischof, der nur für Allotria Sinn hatte,
durch einen weisen Juden ad absurdum führen läfst, der dem
Raritätensammler für eine einbalsamierte Maus, indem er sie
ihm als ein seltenes Tier aus dem Gelobten Lande aufschwatzt,
einen Scheffel Silbers abnimmt; auch dieses Stück steht einst-
weilen in meinen Stilfragen (S. 14) zu lesen. Wo hat Notker
den Stoff her? Kögel (I 2, 246 f.) ist hier rasch mit der Ant-
wort bei der Hand: *die Anknüpfung des Schwankes an Karl
und den Bischof ist natürlich sekundär (dies ist gewifs richtig);
denn auch hier wird Einwanderung aus dem Orient angenommen
werden müssen.' Schade, dafs Notker gut 200 Jahre vor den
Kreuzzügen geschrieben hat, die sonst immer herhalten müssen,
wenn es gilt, die als Axiom angenommene ^Einwanderung aus
dem Orient' zu erklären, und die man hier leider ebensowenig
wie beim Ruodlieb bemühen kann.
Mit ihr hat man auch der bei Notker begegnenden Anekdote
von dem umgewendeten Fisch beikommen wollen. Sie findet
sich* auch bei Alexander Neckam {de naturis rerum cap. 40),
in den Gesta Romanorum (Nr. 194 Oesterley), in Enenkels Welt-
chronik und sonst. Ich verzichte darauf, diese Geschichte hier
ausführlich zu besprechen; worauf ich vor allem Wert lege, ist,
dafs Notker der erste ist in der mittellateinischen Kunstliteratur,
der Stoffe dieser Gattung heranzieht, wie sie bis dahin nur der
Mimus verwertete. Und jetzt gewinnt eine alte Kombination
von mir überraschende Bestätigung. Ich habe nacheinander eine
ganze Reihe kleiner Dichtungen, die namenlos überliefert wurden.
» R. Köhler, Qesamm. Sehr. II 651.
Hrotsvits literarische Stellung. 73
Notker zugeschrieben. Da ist es nun von besonderem Interesse,
zu sehen, wie die sicher von Notker verfafsten Gesta Karoli
in weitestem Umfang mimische Schwanke aufnehmen, und wie
ein gleiches auch einzelne der von mir instinktiv auf Notkers
Namen geschriebenen Sachen aufweisen. Vom Wunschbock mit
seinem Märchencharakter war schon die Rede. Ferner habe ich
kürzhch* die Fabel vom Floh und Zipperlein, die seit Müllen-
hoff und Dümmler unter Faul Diaconus umlief, als Dichtung
Notkers erkannt und mit ihr zwei andere Fabeln. Die Fabel
aber ist von jeher, wie die Untersuchungen Reichs schon ge-
zeigt haben und weiter zeigen werden, Geschwisterkind mit dem
Mimus. Und speziell die Fabel vom ritten und der vlö steht
auch in der Scala caeli, wie die Forschung über ßoner, bei
dem sie als Fabel 48 wiederkehrt, längst ermittelt hat, auch
die metrische Fabel hat man dort verglichen, freihch ohne ihren
wahren Ursprung zu ahnen. Was aber die Hauptsache ist, und
was wir heute nach Reich mit Sicherheit erkennen können,
während die Bonerforschung es nicht erkannt hat, das ist, dafs
die ganzen Prediger und Beispielsammler Schüler des Mimus
sind, die das Wirksame im Mimus wohl erkannten und es sich,
weil sie ihm seinen Einfluß nun einmal nicht abgraben konnten,
wenigstens zunutze machten.
Es ist Notkers Größe, dafs er als der erste Kunstdichter
des Mittelalters in sicherem Takte den Mimus und die Kunst-
dichtung überall verschmolzen hat. Damit steht er, sonst der
Mittelpunkt regen geistigen Lebens in St. Gallen, dennoch ein-
sam in seiner Zeit. Aber auch unter den nächsten Generationen
innerhalb des ersten Jahrtausends wüfste ich nur eine Erschei-
nung, die, einsam und noch viel einsamer als er, aus sich her-
aus den gleichen Schritt getan hat: Hrotsvit von Gandersheim.
Aber während Notker nur die mimische Novelle übernimmt, tut
sie mit noch gröfserer Kühnheit und mit nachtwandlerisch
sicherem Instinkt das gleiche mit dem Drama. Davon wird
nachher zu handeln sein.
Dann kam die Zeit, wo der Mimus es Notker heimgezahlt
hat, dafs er ihn wieder literaturfähig gemacht hatte. W. Meyer
hat kürzlich in seiner Einleitung zur Ausgabe des Modus Liebinc ^
gesagt, die Sequenz habe sich der weltlichen Stoffe bemächtigt,
vom Schneekind, vom König, der alles glaubte, usw. Das ist
falsch, zum mindesten falsch ausgedrückt; und es ist kein blofser
Streit um Worte, sondern es iührt gründhch irre. Nicht die
Sequenz hat sich der weltlichen Stoffe bemächtigt, sondern um-
gekehrt; der Mimus hat sich, mit sicherem Gefühl für das, was
' Neues Archiv 20, 468 ff.
^ Fragmenta Burana, S. 171.
74 Hrotsvits literarische Stellung.
lebenskräftig war in der Kunstdichtung, der von ihr geschaffe-
nen Sequenzeiiform bemächtigt. So ist der Kreis geschlossen.
Mimen sind es gewesen, die das lustige Lied vom Schnee-
kind, dessen Stoff weit verbreitet ist, gedichtet, vorgetragen
und mit ihren Gestikulationen unterstützt haben; ein Mime ist
es, der die Lechfeldschlacht vor Otto III. gesungen und am
Schlufs mit dem obligaten Katzenbuckel um ein Trinkgeld ge-
beten hat.
Mimen überall. Es kommt ja im Grunde auf ein Zitat
mehr oder weniger blutwenig an. Aber eine Stelle des Sextus
Amarcius (I 403-443) wollen wir doch betrachten, weil sie so
einläfslich Zeugnis gibt von dem ganzen Gebaren und Reper-
toire eines Mimen, der hier ausdrücklich mimus (V. 404. 428)
und iocator (V. 428) heifst — also beides identisch — , der den
hohen Herren (dominis) die Zeit vertreibt und ihnen das Geld
aus der Tasche lockt. Der Herr will in der Herberge ein wenig
Rast machen (brevi's hic quia mansio nohis; der Ton liegt auf
mansio): da braucht es zweierlei, für den Gaumen ein leckeres
Mahl, fürs Ohr einschmeichelnde Weisen {aures mulcerent mo-
duli). Einen Spielmann will er haben (lyricus, citharista) und
zwar einen, der sein Handwerk versteht (gnarus): si non mul-
cebit lidius aures (wenn nämlich der Knecht keinen auftriebe)
— den Nachsatz zu diesem trostlosen Wenn verschluckt er
lieber. Bei lidius mögen wir etwa an Ekkeharts IV lidius
Charromannicus und an den modus qui et Carelmanninc der
Cambridger Lieder denken, beides sind geisthche Sequenzen;
ob man recht tut, nur immer an die lydische Tonart zu denken,
ist eine Sache für sich. — Wie sich anscheinend von selbst
versteht, ist ein iocator gleich zu haben, als schössen die Mimen
aus der Erde wie Pilze nach dem Regen. Er kommt, notabene
nachdem ihm sein Douceur garantiert ist (disposita mercede\
bringt seine Laute {chelys) im Lederfutteral (taurina theca)
mit, das Volk strömt aus den Dörfern der Umgegend und von
den Landstrafsen (omuibus ex vicis plateisque) zusammen und
schaut gespannt auf den Mimen, der nun mit den Fingern über
die Saiten fährt und ihnen bald helle bald tiefe Töne entlockt,
dafs man es kaum begreift, wie beide von demselben Instrument
kommen.^ Dann singt er vier Lieder, 1. von David und Goliath,
2. vom Schneekind, 3. von der Tonkunst des Pythagoras, 4. von
der Nachtigall. Das Schneekind hat M. Haupt, den Pythagoras
und die Nachtigall W. Scherer in den Cambridger Liedern
wiedererkannt, wo sie alle fast unmittelbar beieinander stehen;
den Goliath hat L. Traube, vielleicht mit Recht, mit dem Namen
der Goliarden in Verbindung gebracht, deren Patron er also
V. 481 — 437 ziehe ich zum Vorhergehenden.
Hrotsvits literarische Stellung. 75
schon damals gewesen wäreJ Also drei von vier Liedern des
Programms finden wir in der einen Cambridger Sammlung, ob-
wohl soviel Mimengut verloren ist. Aber wir müssen bedenken,
Amarcius schreibt um 1050 und wahrscheinlich in Speier, und
die Cambridger Hs. enthält so vieles vom Kaiserhof und den
geistlichen Fürsten vom Rheine.
Aber, und das ist wichtig, die Stelle des Amarcius beweist
nicht, wie Haupt es hinstellte, der mit diesem Trumpf seine
Abhandlung sclilofs, dafs wir mit Lacbmann von 'lateinischer
Hofpoesie' zu reden hätten. Sehr im Gegenteil. Versteht denn
der Ritter Latein? Und wenn auch, kann denn ein Mensch die
subtile Theorie des i'ythagoras, noch dazu gesungen und mit
der Laute begleitet, auffassen vom einmaligen Hören? Und nun
gar die nassauernden Dorfleute? denen ist es docli blofs um die
'Musik' zu tun; und auch den Herrn verlangt es nur nach den
moduli: was gesungen wird, ist egal. Wir haben eben hier, so
deutlich wie sonst nirgend, den Beweis, dafs die Mimen damals,
auch wenn sie lateinisch sangen, für das ganze Publikum, hoch
und niedrig, gebildet oder ungebildet, mit ihrer Musik das
boten, was heute, mehr oder weniger scharf geschieden, Kon-
zertsaal, Tingeltangel und Leierkasten darbieten. Wer das
Publikum ausmacht, ist nahezu gleichgültig. Es ist nicht 'Hof-
dichtung', sondern, wenn wir auf das Wesentliche gehen, haben
wir von Mimendichtung zu sprechen.
* Haupt, Berh Monatsher. 1854, S. 163 f.; Scherer, öesch. der deutschen
Dichtung im IL und 12. Jh., S. 16 (angeführt von Traube in seiner Amar-
cius-Rezension, Anx. f. dt. Altertum 15, 200, der nach V. 436 vielmehr
eine Lücke annimmt).
Schöneberg - Berlin. P. v. Winterfeld.
(Schlufs folgt.)
Der sekundäre Nasal in niffhtinffale,
messenffer und ähnlichen Fällen.
über diesen Gegenstand ist in jüngster Zeit mehrfach gehandelt
worden. Jespersen hat, Engl. Stud. XXXI, 239, Belege gesammelt
und eine phonetische Erklärung zu geben versucht. Bradley möchte,
Modern Philology I, 203, eher an Übertragung denken. Loge-
man. Engl. Stud. XXXIV, 249, vermehrt die bisher gesammelten
Fälle und fafst im Gegensatz zu Bradley den Vorgang wieder rein
lautlich. Ohne diesen Aufsatz zu kennen, hat soeben Ritter in
diesem Archiv CXIII, 31 neues Material beigebracht und eine Er-
klärung gegeben, die derjenigen, welche ich mir indessen gebildet
hatte, sehr nahe kommt. Da er aber doch nicht alle m. E. in Be-
tracht kommenden Umstände berücksichtigt und noch einiges un-
erklärt läfst, möchte ich mit meiner Auffassung nicht länger zurück-
halten.
Ritter hat bereits hervorgehoben, dafs der Nasaleinschub an
eine bestimmte Wortform gebunden ist: in Fällen wie message, pas-
sage taucht ein solches n nie auf, auch nachdem messenger, passenger
üblich geworden ist. Auszugehen ist nun von der Tatsache, dafs im
Englischen dreisilbige Wörter mit kurzer Mittelsilbe, die nur einen
Sprechtakt füllen, also aufser dem Hauptton auf der ersten Silbe
keinen deutlichen Nebenton haben, bei ungestörter volkstümlicher
Entwicklung Synkope der Mittelsilbe erleiden und dadurch zwei-
silbig werden, wie ich Ä7igl. XXII, 351 ff. dargelegt habe. Aus me.
courtesie, remenaunt, hodekin, capitain, die ihren ursprünglichen
Nebenton auf der Schlufssilbe bald verloren haben, wurde curtsy,
remnant, hodkin, captain, wie wir noch heute sprechen. Für me.
prisoner, rigorous, difference erscheint im 16. Jahrhundert prisner,
rygrous, diffrence (vgl. a. a. 0. und NED.), Formen, die heute noch
in der ungezwungenen Umgangssprache vorhanden, in der literari-
schen Sprache aber durch gelehrte Einflüsse wieder beseitigt sind.
Es handelt sich also nicht blofs um eine 'Neigung' zur Synkope, wie
Der sekundäre Nasal in nightingale, messenger u. ähnl. Fällen. 77
Ritter S. 34 meint, sondern um ein Lautgesetz, das nur durch andere
Einflüsse vielfach gestört wird.
Bei dreisilbigen Wörtern mit langer Mittelsilbe, d. h. solcher,
deren Vokal vor einer Konsonanten gruppe steht, tritt derselbe Vor-
gang ein, wenn er möglich ist: me. Oloucester erhält die Lautung
Gloster. In der Regel aber ist diese Verkürzung infolge der Natur
der Konsonanten ausgeschlossen, so namentlich bei Nasalgruppen, in
Fällen wie calendar, carpenter, luvender, die alle schon seit dem
13. Jahrhundert dem Englischen angehören und in volkstümlichem
Gebrauch sind. Wenn auch Synkope des e eintrat, so ergab sich
doch silbisches n, das Wort bleibt also jedenfalls dreisilbig. Die
Folge war, dafs die Schlufssilbe einen leichten Nebenton erhielt, des-
sen Bedeutung Ängl. XXII, 354 beleuchtet ist.
Die Worttypen x x und x — x sind somit das Endergebnis,
zu denen die unbeeinflufste Entwicklung der ursprünglich dreisilbi-
gen Wörter führt: Formen nach dem Typus x - x werden durch
Synkope dem ersten eingefügt.
Betrachten wir nun die in Rede stehenden Wörter, wie me.
nihiegale, messager usw.: es sind durchaus Fälle, deren letzte Silbe
mit Verschlufslaut beginnt. Auch in ihnen sollte Synkope eintreten,
aber dabei würden sich zumeist harte Konsonantengruppen ergeben,
die sonst im einfachen, d. h. unter einem Akzent zusammengefafs-
ten Wort nicht vorkommen: ytg {nihtgale), rdg (verdgale), Kons. -)- dz
(messger usw.). Dies ist m. E. die Ursache gewesen, warum die Syn-
kope nicht durchdrang. Wir haben uns wohl vorzustellen, dafs sie
zunächst im Satzinneren tatsächlich eintrat, während in pausa noch
die vollen Formen bestanden, und dann die Kurzformen, die aus
dem angegebenen Grunde dem Sprachgefühl widerstrebten, wieder
durch die vollen ersetzt wurden. Aber dabei vollzog sich eine Um-
bildung der Wortform, die sie, da der erste in solchen Fällen übliche
Typus, X X, nicht zu erreichen war, in den zweiten, x — x, über-
führte: es wurde ein Nasal eingeschoben.
In Fällen wie celandine aus me. celidoine oder dialektischem
skelinton, müintary aus skeleton, military hätte die Synkope aller-
dings keine ungewöhnliche Konsonantenverbindung ergeben. Wenn
sie trotzdem nicht eintritt, wird das wohl dem Bemühen zuzuschrei-
ben sein, sich von den vollen Formen in der Sprache der Gebildeten,
die unter gelehrtem Einflufs stehen, nicht zu weit zu entfernen: der
Rhythmus des Wortes und damit die Silbenzahl wurde festgehalten,
im übrigen aber vollzog sich dieselbe Überführung in einen geläu-
figen Worttypus wie früher.
Der Vorgang, der sich in beiden Fällen abspielt, läfst sich also
in Kürze folgendermafsen beschreiben. Kurze Mittelsilbe wurde bei
unbehinderter Entwicklung beseitigt, lange mufste sich erhalten.
Wenn ursprünglich kurze Mittelsilbe nicht gut zu beseitigen war,
wurde sie daher zu einer langen umgebildet. So erklärt sich das
78 Der sekundäre Nasal in nightingale, messenger u. ähnl. Fällen.
,reaktionäre Streben', das Ritter richtig herausgefühlt, aber unerklärt
gelassen hat, so auch, warum ein blofses e, i der Mittelsilbe *zu leicht*
war (S. 34).
Dafs nun gerade ein Nasal eingeschoben wurde, wird kaum
mit Logeman S. 252 ff. aus der Neigung zu lockerer Artikulation
in unbetonter Silbe zu erklären sein. Eine Folge derselben, meint
er, sei Neigung zur Nasalierung gewesen, und aus dem nasalierten
Vokal sei dann durch eine zeitliche Verschiebung der einzelnen Teil-
artikulationen die Folge Vokal -|- Nasal entstanden. Das ist un-
wahrscheinlich, weil wir sonst im Englischen nirgends Spuren einer
solchen Nasalierung in unbetonter Silbe finden. Wir werden viel-
mehr davon auszugehen haben, dafs sich in diesen Wörtern aus den
früher dargelegten Gründen ein Bedürfnis nach Steigerung der
Quantität der Mittelsilbe einstellte. Der erste Schritt war wohl die
Hereinziehung des Verschlusses in die Mittelsilbe, d. h, die Ver-
legung der Silbengrenze in die Verschlufspause, so dafs Geminaten
entstanden: ni/teg-gale, mesed-dzdfrj. Nun sind Geminaten im Eng-
lischen überhaupt früh verloren gegangen und jedenfalls in unbe-
tonter Silbe im Mittel- und Neuenglischen ungeläufig : daher wurde ihr
erster Teil durch den homorganen Nasal ersetzt. Dieser Vorgang ist
artikulatorisch leicht verständlich und bedeutet eine viel geringere
Veränderung, als es auf dem Papier scheint: es braucht an den
früheren Bewegungen der Mundorgane gar nichts verändert zu wer-
den, sondern blofs die Senkung des Gaumensegels hinzuzutreten.
Man spreche sich nur einmal mesed-dzd und mesen-did vor, und man
wird wahrnehmen, wie geringfügig, sowohl artikulatorisch wie akus-
tisch, der Unterschied zwischen diesen zwei Formen ist. Dazu kam
noch das Muster der schon vorliegenden Wörter der Gestalt x — x_,
wie carpenter usw., die vorwiegend die Lautfolge Nasal -j- Verschlufs-
laut aufweisen, endlich wohl auch der Umstand, dafs in unbetonter
Silbe überhaupt diese Folge häufig ist {-ing^ -ant, -ent, me. -ende,
-ande, -inde usw.).
Ritter hat wieder das m. E. Richtige geahnt; aber wenn er sagt,
dafs der Einschub des n sich 'aus physiologischen Gründen empfahl'
(S. 34), so ist das eine Ausdrucksweise, welche nach gemeinem Wort-
gebrauch doch zu sehr auf bewufste Tätigkeit hinweist und für solche
dem Sprechenden völlig unbewufste lautmechanische Vorgänge wenig
passen will.
Die Erklärung Logemans S. 252 f. mag für ähnliche Erschei-
nungen in anderen Sprachen zutreffen. Die englischen aber sind
deutlich an einen gewissen Formtypus gebunden, müssen daher ihre
Wurzeln in der Eigenart dieses Typus haben.
Wenn in me. herigaut und ne. pedigree, verdigris kein Nasal
auftritt, worauf Bradley (S. 203) verwiesen hat, so ist zu beachten,
dafs das erstere Wort, kaum im 13. Jahrhundert entlehnt, schon
im 14. wieder ausstirbt, das zweite nicht eigentlich volkstümlich ge-
Der sekundäre Nasal in nightingale, messenger u. ähnl. Fällen. 79
worden zu sein scheint und im übrigen bei diesem wie bei dem letz-
ten erst abzuwarten ist, ob in dem Material des NED. nicht auch
Formen mit Nasal auftauchen oder etwa die Gründe, warum es zu
keinem Nasaleinschub kam, deutlich werden. Das Fehlen eines
solchen in manager (Jespersen 241) wird daher rühren, dafs das
"Wort eine junge Bildung, also noch nicht lange in volkstümlichem
Gebrauch ist: es taucht erst zu Ende des 16. Jahrhunderts auf.
Sowohl von Logeman als Ritter sind auch altenglische Formen
mit eingeschobenem Nasal herangezogen worden. Zum Teil sind es
vereinzelte Schreibungen : polenden, halantunge, zum Teil spärlich be-
legte Wörter: cumendre (bei Sweet angeführt, aber wo belegt?), Sar-
mondisc (einmal belegt bei Bosworth-Toller), Sermende (wo belegt?).
Nun hatte ja das Altenglische ein ganz ähnliches Synkopierungs-
gesetz wie dasjenige, welches im späteren Mittelenglischen auftritt,
nur mit der Beschränkung, dafs es blofs nach langer Tonsilbe wirkt.
Es wäre also denkbar, dafs sich hier derselbe Vorgang ergab wie in
späterer Zeit, etwa in Sermende, Sarmondisc. Indessen ist bei diesen
wenigen Fällen doch wahrscheinlicher, dafs irgendwelche Form-
mischungen vorliegen. Vollends in polenden für poledon ist trotz
Logemans Einspruch die Annahme eines Schreibfehlers viel wahr-
scheinlicher. Solange nicht deutlicheres Material aufgefunden ist,
werden wir also wohl diese altenglischen Fälle beiseite lassen müssen.
Graz. K. Luick.
Noch einmal Bigorne und Chicheface,
In Band CVI, S. 1 habe ich ein deutsches Bildergedicht
aus dem Jahre 1586 mitgeteilt, das sich als die Übersetzung
zweier französischer Dichtungen von den Wundertieren Bigorne
und Chicheface erweisen liefs. Kürzlich erst stiefs mir bei einer
Durchsicht der auf der Wolfenbütteler Bibliothek aufbewahrten
Flugblättersammlung ein etwa gleichzeitiger Bilderbogen des
Lyoner Formschneiders Leonard Odet ^ auf, der die französischen
Originale enthält und einen Abdruck zu verdienen scheint, weil
er bisher noch nirgends erwähnt ist und den von A. de Mon-
taiglon^ aus älteren Drucken gegebenen Text um eine Strophe
bereichert. Dafs das Lyoner Blatt jedoch nicht etwa dem un-
bekannten Verdeutscher von 1586 vorlag, ergibt sich schon aus
einer Vergleichung der beiden Holzschnitte.
Histoire facecieuse de la Bigorne, qui ne vit que de bons Hommes. Et
la Chiche-Face qui ne vit que de bonnes Femmes. [Holzschnitt,
10 X 44,5 cm, aus zwei Platten zusammengesetzt; hier auf S. 81 in
starker Verkleinerung reproduziert.]
Bigorne.
Bigorne suis en Bigornois
Qui ne mange figues ne nois
Car ce n'est mye mon vsage,
Bons hommes qui fönt le commandement
5 De leurs femmes entierment,
Sont si bons pour moy que c'est rage:
Je les mange de grand courage
C'est vn beau meta pour abreger,
Bons hommes sont bons ä manger.
Le bon homme.
10 Tres-doux Seigneur, vostre mercy,
S§aches que venu suis icy,
Vous requerir misericorde,
* Von 1578 bis 1610 tätig. Vgl. N. Rondot, Graveurs sur hois ä Lyon
au 16. siecle (Paris 1897) S. 20. 118.
^ Recueil de poesies fran^oises des 15. et 16. siecles 2, 187 (Bigorne) und
11, 284 (Chicheface). Vgl. [E. Picot,] Gatalogue de la bibliotheque d^ James
de Rothschild 1, No. 527—528 (1884).
Noch einmal Bigorne und Chicheface.
81
Archiv f. n. Sprachen. CXIV.
82 Noch einmal Bigorne und Chicheface.
J'ay vne Diablesse de femme,
Qui me tance, bat, & diffame,
15 Et iamais ä moy ne s'accorde:
Mais comme li^ de sa corde,
Fais de moy tout ä son plaisir,
Bon homme vient ä grand desplaisir.
La Bigorne.
Attens vn peu beau Damoyseau,
20 Laisse m'aualler ce morceau,
Qui est tres-bon ie t'en asseure,
Et puis ä toy ie parleray,
Et volontiers t'escouteray,
Tu es venu ä la droicte heure,
26 Homme qui j^laint & si fort pleure
Comme tu fais, n'est pas ioyeux,
Trop pleurer fait grand mal aux yeux.
Le bon homme.
Bien dois gemir & souspirer,
Car ie ne syaurois empirer
30 De femme au demeurant du monde.
Si ie dy nuf eile dit naf,
Si ie dy buf eile dit baf,
Toute malice en eile abonde,
Elle est en tout mal si profonde,
35 Que nuict & iour ne fait que braire,
Bon homme n'a rien plus contraire.
La Bigorne.
Tu es vne sötte personne,
Je croy que ta femme soit bonne,
Toutes sont faictes d'vne masse:
40 Et pource qu'elles sont malles.
Plus jangleresses que figalles,
Font mourir de faim Chiche-face,
Leur volonte faut que ce face,
L'homme n'y peut contrarier,
45 Bon homme ne peut varier.
Le bon homme.
Bien y a pire, pour le vous dire
Mais quoy, on ne s'en doit pas rire:
Car le faict est trop malotru.
Elle a iur^ par sainct Martin,
50 Que deuant que soit le matin,
Elle me mangera tout cru;
En son jardin ne suis pas creu,
J'ayme mieux que vous me mangez,
A fin que d'elle me vangez.
La Bigorne.
56 Si je suis grasse, n'est pas merueilles,
Bons hommes m'essourdent les oreilles,
Pour estre deuorez de moy.
Ils viennent ä moy ä milllers,
Aussi grands comme des piliers
60 Parquoy ie n'en ay point d'esmoy,
Noch einmal Bigorne und Chicheface. 88
Que ie trouue sans toy,
Attens iusqu'ä vne autre fois,
C'est la grace que ie te fais.
Le bon homme.
Helas pour Dieu, n'attendez plus,
66 Par ma foy il en est conclus.
Mieux vaut mourir, que tant languir,
Depeschez-moy ie vous en prie,
Apres moy vient grand compagnie
De bons hommes, pour vous nourrir,
70 Vueillez-moy donc faire mourir:
Premier qu'ils soyent en presence
Bon homme prend tout en patience.
La Bigorne.
Puiß qu'es de si grand' volonte,
Et qu'ä moy t'es tant presentö;
76 Je te veux premier depescher.
[Mais, quant en ma gorge seras,]
D'vne chose te faut garder,
C'est de peter ne de vesser:
II ne te taut point dechausser,
80 Ne despouiller, c'est ma nature,
Bons hommes sont ma nourriture.
Cy fine le dict de Bigorne.
A l'ayde ä l'ayde bonnes genes.
Bigorne qui mange les gens,
Veut deuorer mon bon mary,
85 Mais si vne fois il est deffaict,
Tout sera destruict en effect,
Des bons sera le pays tary.
Je vous iure par sainct Marry,
Sa mort voulusse retarder.
90 Qui bon homme a, le doit garder.
Cy commence le dict de Ch ich e -face, horrible beste, laquelle ne vit
sinon des femmes qui fönt en tout temps le commendement de leurs marys.
Chi che -face suis appellee,
Maigre, seiche, & desolee,
Et bien y a droict & raison:
Car ie ne mange seulement
95 Que femmes qui fönt le commandement
De leurs marys en toute saison,
Et qui regissent la maison,
Sans faire leurs marys marry.
Bonne femme fait bon mary.
100 II y a des ans bien deux cens,
Que greuee de faim me sens,
Par lorce de grande famine,
Que i'en tiens vne entre mes dents,
Que ie n'ose aualler dedans,
105 Par grand peur de cheoir en ruine,
Et que par faim la mort me fine,
76 nach Montaiglou, Recueü 2, 190. — 82—90 fehlen bei Montaiglon 2, 191.
84 Noch einmal Bigorne und Chicheface.
Dont nul ne se peut recouurer.
Bonne femme ne puis trouuer.
Depuis le temps que ie vous compte,
110 Je la prins confuse ä grand'honte,
Et si ne le cuidoy pas faire,
Bien vint ä poinct, plus n'en pouuoye.
Deux mil' ans ay estö en la voye,
Dont i'en auoye bien af faire:
115 Depuis n'ay sceu par mon af faire,
De manger femme n'autre chose,
Femmes syauent texte & glose.
Si ie demeure encore autant,
Mon ventre n'en sera content.
120 Mais i'espere misericorde,
Que quelque femme obeyra
A son mary, & se duira
Selon son lien & sa corde
[Et aymera paix et concorde];
125 Toutesfois ie crains le contraire,
Femmes sont fortes ä retraire.
11 y a si long temps que ie chaase,
Et toutesfois en nulle place
Ne puis bonne femme trouuer.
180 Les vnes ont mauuaise teste,!
Les autres sont comme tempeste,
Les autres veulent mal ouurer.
Si i'en puis aucune trouuer,
Geste lä sera tost mangee:
185 Je suis de faim presque enragee.
Femmes, femmes, par amiti^
Vueillez auoir de moy piti^,
Ne me laissez de faim mourir,
Aymez vos marys, qu'on se coyse,
140 Et faictes qu'ä eux n'ayez noyse,
Vueillez leur vn petit obeyr:
Ne vous faictes battre ne ferir,
Sur vous en viendra le dommage,
Quand vous voulez vous faictes rage.
La bonne femme qui s'excuse, disant qu'elle ne cuidoit pas faire.
146 Pour faire le commandement
De son mary aucunement,
Et Sans que nul mal i'y pense,
Souffrir me conuient peine dure.
Et si faut que la mort i'en dure:
150 Gar prinse suis par Ghiche-face,
Par sa gorge faut que ie passe.
De rien ne sert ma repentance,
Femme doit vser de science.
Faux mary, pour faire ä ton ayse,
155 Si i'en meurs, tu en es bien ayse,
Et de ioye n'en fais que rire.
Mais si entre mil' en trouue vne,
Qui te donne plaisance aucune,
Gomme i'ay fait en grand martyre,
160 Quelque iour tu le S9aura8 dire,
124 nach Montaiglon, Recueil 11, 285.
Noch einmal Bigorne und Chicheface. 85
On en verra l'experience,
Femme veut viure ä sa plaisance.
A Dieu V0U8 dy, bonne commere,
Aduisez vous, filles & mere,
166 Gardez- vous de la malle- beste,
Gardez-vous, quov qu*on en die,
Et prenez exemple en ma vie,
Gouuernez-vous par vostre teste,
Et si vostre mary tempeste,
170 Laissez le crier ne vous chaille.
Femme qui craint, ne vaut pas maille.
Cy finissent les dicts de Chiche-face.
A LYON,
Par LEONARD ODET.
Dafs diese französische Satire auch in England und Italien
nachgeahmt wurde, ' sahen wir schon früher. Ein weiteres Zeug-
nis ihrer Verbreitung vermag ich aus den Niederlanden bei-
zubringen. 1621 erschienen bei P. van der Keere zu Amsterdam
zwei Flugblätter 'Bigorne en Scherminckel-aensicht^ - mit hollän-
dischen Versen. Leider sind diese von F. Müller^ nachgewiesenen
Stücke nach Amerika verkauft worden und vorläufig unerreich-
bar. Dafs sie nicht direkt dem Französischen, sondern einer
deutschen Übersetzung nachgebildet sind, könnte man aus Mullers
Bemerkung schliefsen, dafs das eine Bild auch mit deutschen Versen
auf einem Flugblatt von J. Klocker in Augsburg erscheine.
** Von dem Bd. CVI, S. 13 zitierten Kupferstiche des 17. Jahr-
hunderts: 'Der Junckfrawen Hundt' fand ich vor kurzem einen
späteren Druck auf, den ich hier wiedergebe:
Zur Zeitvertreibung, Kurtzweiliger Aderlal], Wie auch Eigentliche Abbil-
dung des dürren vud verhungerten Jungf rau-Hund , welcher kein an-
deres, als Jungfern -Fleisch verdauen kan, samt noch beygeaetzten, Lust-
machenden Aderlalj-Retzeln, 1666. [Kupferstich, 14,6 >< 24,3 cm : Ein
magerer Hund (C) sitzt zwischen einem Kavalier (A), der mit seinem Stock
auf ihn zeigt, und einer Dame {B). Darüber drei Medaillons (DEF) mit
Brustbildern von Damen, die sich im Spiegel betrachten.] Darunter folgt
das Gedicht. — (Wolfenbüttel.)
A. Sehet hier den Jungfer-Hund,
Der so dürr und ungesund.
Der so mager einhergehet,
Der so elend vor euch stehet.
Weil das Jungferfleisch ihm fehlt, 6
Das er, sonsten keins, erwehlt;
Er laufft alles auszugründen,
Kan kein Jungferfleisch mehr finden;
* Zu S. 8 3 verweise ich noch auf Gattinger, Die Lyrik L^dgates, 1896,
S. 55 f.
^ Scharminkel oder Scherminkel heifst eine Hopfenstange und ein
dürrer, langer Mensch; also eine passende Bezeichnung für Chicheface.
3 De ncderlandsche Oeschiedenis in Platen 4, 44 No. 118 Ae (188'2) nach
F. Muller, CatcUogus Atlas van Voorst S. 52.
!6 Noch einmal Bigorne und Chicheface.
Hurenfleisch hat er die Mäng,
Aber das ist ihm zu streng, 10
Das kan er in seinem Magen
Nicht verkochen und vertragen.
B. Pack dich, troll dich weg von mir,
Von mir, aller Jungfern Zier!
Wie, Schelm! wilt du mich wol beissen, 16
Dich mit meinem Fleisch zu speisen?
Nein! das gehet gar nicht an.
Komm nur nicht zu mir heran!
Ach, was würde mein Schatz sagen,
Wann du mich davon getragen 20
Und mich, seine Zeitvertreib,
Hättest in dem dürren Leib
So vergraben! Dein Verderben
War' dir nah', du müss[t]est sterben.
G. Fürchtest du dich auch vor mir? 25
Nein! mich hungert nit nach dir:
Ey, du darffst mir gar wol trauen.
Solche, wie du bist, Jungfrauen
Friß ich nicht; dein Fleisch ist hart.
Vor zwölff Jahren war es zart, 30
Da, da hätt' ich nicht vergessen,
Dich mit Haut und Haar zu fressen.
Bleibe, bleibe, kecklich hier,
Gehe näher her zu mir!
Du wirst in der Warheit spüren, 35
Daß ich dich nicht werd anrühren.
D. Ich laß mich zwar Jungfer heissen,
Aber nein, kein heisses Eisen
Trag ich in der Hand zur Prob;
Ich habs schon gemacht zu grob. 40
E. Es gefällt mir Übermassen,
Wenn ich gehe auf der Strassen,
Daß man mich noch Jungfer heisst:
Alles ist nicht Gold, das gleist.
F. Manchen hab ich schon bestricket 46
Und an meine Brüst gedrücket;
Dorten jener Jungferhund
Lässet mich wol unverwund.
Eine Anspielung auf dieses Flugblatt bietet Harsdörffer
{Schauplatz tust- und lehrreicher Geschichte, 1660, 1, 300): 'weil ...
der Hund, welcher Jungfrawen frisset, fast außdorret^ — über
den Narrenfresser (oben S. 14) vgl. noch Wickram, Werke 5,
LVII^ — Zu dem S. 18 angeführten Kinderfresser endlich
bitte ich einen bei Boesch, Kinderleben in der deutschen Vergangen-
heit, 1900, S. 87 reproduzierten Augsburger Bilderbogen des 17.
bis 18. Jahrhunderts zu vergleichen, auf dem der Wau Wau und
die Bercht als Hausgenossen des Kinderfressers genannt werden.
Bei Hans Sachs (Fabeln und Schwanke ed. Goetze 4, 77 No. 287)
entspricht dieser Figur der Pöpelmann.
Berlin. Johannes Bolte.
Ein Beitrag
zur
Quellenuntersuchung von Daniel Defoes
'Journal of the Plague Tear'.
SiebenundfGnfzig Jahre waren seit jenen Tagen des Schreckens
verflossen, in den die Pest des Jahres 1665 die Bevölkerung
Londons versetzt hatte. Die Generation, die dem Wüten der
Seuche getrotzt hatte, war dahingegangen. Zahllose Stätten —
einst die Schauplätze erschütternder Tragödien — waren der
Feuersbrunst im Jahre 1666 zum Opfer gefallen und den Men-
schen von 1722 nicht mehr bekannt. Da erschien Defoes Jour-
nal of the Plague Year. Das erneute Umsichgreifen der Pest auf
dem Kontinent, die Verheerung in Frankreich, die Furcht vor
der Übertragung hatten ihm die Feder in die Hand gedrückt.
Niemand zweifelte an der historischen Treue des Werkes. Die
Gunst der Verhältnisse, das glänzende Erzählertalent des Ver-
fassers, die überzeugende Treue seiner Detailmalerei liefsen kei-
nen Zweifel aufkommen. Das Buch galt als Geschichtsquelle.
Gelehrte, Männer der Wissenschaft wie Dr. Mead beriefen sich
auf den Traktat wie auf einen authentischen Bericht. Zwar
konnte dieser Irrtum einer späteren Kritik nicht standhalten, aber
noch heute wirkt der Zauber Defoescher Erzählungskunst fort,
noch die jüngsten Biographen des Schriftstellers vertreten die
Ansicht, dafs der Traktat zum Teil ^Geschichte' sei. ^ Wert oder
Unwert einer solchen Hypothese läfst sich leicht ermessen, wenn
man sich erinnert, dafs Defoe im Jahre 1665 vier Jahre alt war,
wenn man bedenkt, wie schwankend der Boden mündlicher Über-
lieferung ist (auf dem er vielleicht zum Teil gefufst), und wenn
man in Betracht zieht, dafs eine Untersuchung etwaiger schrift-
licher Quellen fehlt. Es liegt auf der Hand, dafs hier nur die
Lösung der Quellenfrage — soweit diese heute noch möglich
ist — Licht schaffen kann.
Der erste Schritt hierzu ist bereits getan. Jedenfalls fehlt
es nicht an gelegentlich ausgesprochenen Vermutungen. So fügt
A. H. Bullen bei der Erwähnung der Dekkerschen Pestbeschrei-
* The Life of Daniel Defoe by Th. Wright, London 1894, p. 294, desgl.
by W. Lee Bd. I, p. 359.
88 Ein Beitrag zur Quellenuntersuchung
bung aus dem Jahre 1603 ^ im Dictionary of National Biograijhy
die Bemerkung hinzu : 'douhtless well known to Defoe'. Und Jusse-
rand neigt der gleichen Ansicht zu^ wenn er meint, dafs Defoe
dem Wonderful Year ^einige Winke' entnommen habe. ^ Schwer-
lich sind beide Ansichten unabhängig voneinander entstanden.
Zwar fehlt es den genannten Werken nicht an Berührungspunkten,
und besonders den allgemein gehaltenen Betrachtungen des einen
lassen sich ohne Schwierigkeit einige Analogien aus dem Werke
des anderen gegenüberstellen. Beide erzählen z. B. von der Be-
seitigung der Hunde, sie berühren gemeinsam den Mangel an
Verkehrsmitteln, sie weisen auf die Quacksalberanschläge an den
Strafsenecken hin, klagen über die ünzuverlässigkeit der Wärte-
rinnen usw. Aber berechtigen derartige Angleichungen, die in
einem sonst fremden Milieu einander gegenüberstehen, zu der
Annahme, dafs Defoe mit Dekkers Traktat bekannt war? Gewifs
nicht. Man nehme eine beliebige Pestbeschreibung zur Hand,
z. B. die bekannte Erzählung in Manzonis 'Promessi Sposi', ver-
gleiche sie mit der Abhandlung Defoes, und man wird unschwer
eine gleiche Anzahl von Analogien zusammenstellen können. Doch
hat sich bislang niemand einfallen lassen, beide Werke mitein-
ander in Verbindung zu bringen. Auch die abgerundeten, kleinen
Erzählungen, die sich bei Dekker wie bei Defoe finden, haben
nichts miteinander zu tun. Zur Verteidigung von Bullens An-
sicht liefse sich allenfalls der Bericht von einem Betrunkenen
anführen, der in seinem bewufstlosen Zustande unter die Pest-
leichen gerät und hier seinen Rausch ausschläft, ohne sich den
geringsten Schaden zuzuziehen. Die hervorgehobenen Punkte
dieser Erzählung finden sich sowohl bei Dekker als bei Defoe.
Ein wesentlicher Unterschied beider Versionen ist jedoch der,
dafs bei Dekker der Bacchant in die Totengrube fällt, bei Defoe
in den Leichenkarren geworfen wird. Dafs auch hier die Analo-
gien durchaus zufällige sind, wird die Angabe der wirklichen
Quelle aufser Zweifel stellen.
* The Wonderfully Year (Non-dramatie Works of Th. Dekker ed. by
Dr. Grosart, London 1884, vol. I). — Swinburne äufserte im Januar 1887
in ^The 19"' Century', dafs Dekkers Wonderful Year Zöge enthielte, die
'wenn nicht an den Decameron, so doch an die Gent Nouvelles Nouvelles
erinnerten'. Es trifft dies wohl nur für eine Erzählung zu, nämlich für
den Bericht von einem Schuhflicker, der die Beichte über das bewegte
Leben seiner Frau hört, was an das bekannte altfranzösische Fabliau
erinnert, das sich sowohl im Decamerone (VII, 5) als in den Gent Nouv.
Nouv. (LXXVIII Le mari confesseur) findet und Dekker vielleicht zu
seiner Erzählung angeregt hat. Dafs Dekker gut mit den französischen
Fabliaux vertraut gewesen, beweist die Erzählung vom Frier Pedro, die
sich in einem Traktat aus dem Jahre 1609 (The Rauens Almanacke) findet,
und deren Schlufs offenbar den Cent Nouv. Nouv. (LXXXV Le curö clou^)
entnommen ist.
'■^ The Fmglish Novel in the time of Shakespeare, London 1890, p. 335.
von Daniel Defoes 'Journal of the Plague Year\ 89
Als solche ist aber offenbar eine kleine Abhandlung aus
dem Jahre 1604 anzusehen, deren einziges mir bekanntes Exem-
plar sich in der Bodleiana (Malone 635) befindet. Das Buch
führt den Titel 'The Meeting of Gallants at an Ordinarie: or the
Walkes in Powles. Londofi 1604'. Es ist erwähnt in Disraelis
^ Cxiriosities of Literatur e' Bd. II, p. 165, und scheint von Thornbury
{ Shakespeare' s England Bd. I, p. 165/66) benutzt zu sein. Der
Inhalt dreht sich wie bei Dekker um die Pest des Jahres 1603.
Ich übergehe den einleitenden Dialog zwischen Krieg, Hungers-
not und Pest, die sich gegenseitig den Vorrang streitig zu machen
suchen, sowie die Unterhaltung der Stutzer in der Paulskirche,
die die Pest, ihre Folgen, den traurigen Zustand der Kleidung
zum Gegenstande hat, um auf die Erzählungen des Wirtes zu
kommen, die den letzten Teil des Buches ausmachen, und die
hier allein besonderes Interesse verdienen. Wie bei Dekker, so
sind hier zwanglos kleine zusammenhangslose Erzählungen an-
einandergereiht, in denen Scherz und Humor einen Schleier über
den traurigen Hintergrund breiten, der nur hier und dort von
hellerem Streiflicht getroffen wird. Es fehlt diesen Erzählungen
indes die frische, flüssige Diktion, die dem Dekkerschen Werke
eigen ist. Auch ist die Wahl des Stoffes nicht so glücklich und
die Anzahl der Anekdoten eine zu beschränkte, als dafs das
Werk gleichen Rang mit dem Dekkers beanspruchen könnte.
Unter diesen Erzählungen nun befindet sich auch der oben er-
wähnte Bericht von dem Betrunkenen. Ich stelle unter a) das
Original der Defoeschen Fassung gegenüber und lasse unter b)
und c) je zwei weitere Abschnitte folgen, deren Vergleichungs-
punkte zwar nicht so zahlreich und überzeugend sind wie die
der ersten Erzählung, die aber immerhin die Ansicht, den Ox-
forder Traktat als eine Quelle der Defoeschen Pestbeschreibung
betrachten zu dürfen, unterstützen werden.
a) Ein Hausbesitzer trifft mit den ^Maisters of the Pestcart'
ein Abkommen, die Toten aus seinem Hause heimlich zu be-
seitigen :
To cleare his house of all suspition, the dead body should bee laide
upon a stall, some fiue or sixe houses of : wbere, there tbey should enter-
taine him and take him in amongst his dead companions: To conclude,
night drewe on-ward, and the servant concluded bis life, and according
to tbeir appointment was enstalde to be made Knigbt of the Pestcart.
But here comes in the excellent Jest, Gentlemen-Gallants of five and
twentie, about the darke and pittifuU season of the night: a shipwracke
drunkard, (or one drunke at the signe of the Ship,j new cast from the
shore of an Alehouse, and bis braines sore beaten with the cruell tem-
pests of Ale and Beere, feil flounce upon a lowe stall hard by the house,
there being little difference in the Carcasse, for the other was dead, and
he was dead drunke, (the worse death of the twaine) there taking up his
drunken Lod^ing, and the Pest-cart comming by, they made no more
adoe, but taking him for the dead Bodie, placed him amongst his com-
90 Ein Beitrag zur Quellen Untersuchung
panions, and away they hurred with him to the Pest-house: but tliere is
an oulde Proverbe, and now confirmed true, a Druncken man neuer takes
härme: to the Approbation of whieh, for all hin lying with infectious
Bedfellowes, the next morning a little before he should be buried, he
strecht and yawnde as wholesomely, as the best Tinker in all Banburie,
and returned to bis olde^Womlt againe, and was druncke in Shoreditch
before Euening.
Vgl. Bohns Standard Library, De Foe's works vol. V, p. 67/68:
It happened one night, that this poor fellow, whether somebody had
given him too much drink or no (John Hayward said he had not drink
m bis house, but that they had given him a little more victuals than
ordinary at a public-house in Coleman-street), and the poor fellow having
not usually had a bellyful, or, perhaps, not a good while, was laid all
along upon the top of a bulk or stall, and fast asleep at a door, in the
Street near London-wall, towards Cripplegate, and that, upon the same
bulk or stall, the people of some house, in the alley of which the house
was a corner, hearing a bell, which they always rung before the cart
came, had laid a body really dead of the plague just by him, thinking
too that this poor fellow had been a dead body as the other was, and
laid there by some of the neighbours. — Accordingly, when John Hay-
ward with bis bell and the cart came along, finding two dead bodies lie
upon the stall, they took them up with the Instrument they used, and
threw them into the cart; and all this while the piper slept soundly. —
From hence they passed along, and took in other dead bodies, tili, as
honest John Hayward told me, they almost buried him alive in the cart,
yet all this while he slept soundly; at length the cart came to the place
where the bodies were to be thrown into the ground, which, as I do re-
member, was at Mountmill; and, as the cart usually stopt some time be-
fore they were ready to shoot out the melancholy load tney had in it, as
soon as the cart stopped, he fellow awaked, and struggled a little to get
his head out from among the dead bodies, when, raismg himself up in
the cart, he called out, Hey, where am I?
b) Eid leichtsinniger Weinhändler stellt sich, als ob er an der
Pest erkrankt sei, und begibt sich in das Haus seines Freundes:
where being allighted, not long after, he rounded one in the eare in
priuate, and bad that the great Bell should be towlde for him, the great
Bei of all, and with all possible speede that might be . . . within fewe
dayes after, he was found to be the man indeed, whose part he did but
play before.
Vgl. De Foe's works vol. V, p. 63 f. Ein Bekannter von
Defoes Gewährsmann schickt seinen Lehrling fort, um Geld ein-
zufordern, dieser erhält folgende Antwort auf sein Gesuch:
Very well, child, returns the living ghost, call, as you go by, at
Cripplegate church, and bid them ring the bell; and, with these words,
shut the door again, and went up again and died the same day, nay, per-
haps the same hour.
c) Ein Betrunkener fällt vom Pferde und wird für einen
an der Pest gestorbenen Londoner gehalten, es werden Vorberei-
tungen zu seiner Beseitigung getroffen:
Euery Townseman at his wise Non-plus, nothing but looking and
wondering, yet some wiser then some, and those I thinke were Watch-
von Daniel Defoes 'Journal of the Plague Year'. 91
men, told them flatly and plainly, that the body must be remoued in
any case, and that Extempore : it would infect all the Ayre round about
eise. These horesons seemed to haue some wit yet, and their politick
counsell was tooke, and embracst amongst them, but all the cunning was
how to remoue him without taking the winde of him: whereuuon two or
three weather wise Stinkards pluckt up handfulls of Grasse, and tost them
into the Aire, and then whoopeing and hollowing, told them the winde
blewe sweetly for the purpose, for it stood füll on bis Back-part, then
all agreed to remoue him with certaine long Instruments, senaing home
for hookes and strong Ropes, as if they had bene pulling downe a house
of Fire.
Vgl. die allgemeine Betrachtung Defoes p. 73:
The number of these miserable objects were many; and 1 know so
mauy that perished thus, and so exactly where, that I belle ve 1 could go
to the very place and dig their bones up still; for the country peopie
would go and dig a hole at a distance froni them, and then, with long
poles and hooks at the end of them, drag the bodies into these pits, and
then throw the earth in form, as far as they could cast it, to cover them ;
taking notice how the wind blew, and so come on that side which the
eeamen call to windward, that the scent of the bodies might blow from them.
Greifswald. F. Bergmeier.
Studien zur fränkischen Sagengeschichte,
I. Die Folko-Aupais-Episode im Girart von Rossillon
und Alphaid, Mutter Karl Martells.^
Über die Enfances Karls des Grofsen, die Verdrängung
seiner Mutter durch die 'falsche Berta*, seine eigene Verdrängung
durch deren Bastarde, wie sie in den beiden Dichtungen Berthe as
grans pies und Mainet dargestellt werden, haben Gaston Paris
und nach ihm Pio Rajna in erschöpfender Weise gehandelt. Ihre
Untersuchungen (Histoire Poetique S. 438 ff., Origini S. 202 ff.)
zeigen die interessanteste Sagen verquickung und Übertragung, die
man sich denken kann: die Grundgedanken der Sagen — Konkur-
renz zweier Gattinnen hier, Konkurrenz der Söhne aus zwei Ehen
dort — gehören Karl Martell an und zwar geschichtlich. Er ist
es, der als Sohn Pipins und der Alphaid die Söhne Drogo und
Grimoald der rechtmäfsigen Ehe des Königs mit Plectrud, also seine
Stiefbrüder, verdrängte. Der historische Bestand ist von der Sage
umgedreht worden, der Bastard wurde zum rechtmäfsigen Sohne, die
legitimen Kinder zu untergeschobenen. Bewirkt wurde diese Umfor-
mung dadurch, dafs man einen internationalen Sagenstoff als Muster
der Erzählung genommen hat: Die Geschichte von der untergescho-
benen Braut, etwa des Inhalts: Eine Alte bringt ihre Tochter statt
ihrer Stieftochter durch List ins Ehebett, wohl auch statt einer
Fremden, die nun ausgesetzt wird und bis zur Wiederentdeckung in
niedriger Stellung bleibt. 2 So wird, nach der ältesten Darstellung
der Erzählung in der Chronique saintongeoise, Berta unmittelbar
nach ihrer Ankunft in Frankreich von einer Alten verdrängt, die ihre
eigene Tochter unterschiebt. Sie hält Pipin für die ungarische Prin-
zessin, die ihm bestimmt war, bis die Königin von Ungarn erscheint
und das Verbrechen entdeckt, das man an ihrer Tochter verübt {Hist.
Poet. S. 224). Zeigt die historische Sage über den Konflikt der Mütter
Kontamination mit einem internationalen Novellen stoff, so zeigt der
epische Konflikt zwischen den Söhnen einen solchen mit einem an-
deren episch - historischen Stoff: statt der historischen Namen der
Stiefbrüder Karl Martells Drogo und Grimoald finden wir im Mainet
* Vgl. meine Sage von den vier Haimonskindem, 1005, S. 144 — 150.
'^ Z. B. Grimms Märchen : 8. Marienkind; 11. Brüderchm und Schivester-
chen; 12. Eapunxel.
Studien zur fränkischen Sagen geschichte. 93
die epischen Namen Rainfroi und Heudri, d. i. Childerich IL
(Chilperich) und seinen Majordomus Raginfred, gegen die Karl
Martell im Felde gestanden hat, und deren Schicksal sich in süd-
französischer Sage in dem der Haimonskinder, wenn auch durch
mehrere Zwischenglieder, widerspiegelt.
So wie wir also die von Karl Martell auf Karl den Grofsen,
von Alphaid auf Berta übertragene Sage im 1 2. Jahrhundert wieder-
treffen, enthält sie sehr verschiedenartige Elemente. Und wenn sich
auch der historische Kern sauber abheben läfst, so ist es dennoch
unmöglich, die ältere Gestalt der Sage zu bestimmen, wie sie etwa
ursprünglich von Alphaid wirklich erzählt wurde.
Innerhalb des Oirart von Bossillon sondert sich die liebliche
Folko-Äupais-Episode scharf von den übrigen epischen Ereignissen ab,
und Stimming ist in seinem Werke ^Über den provenzalischen Oirart
von Rossillon' zu dem Resultat gekommen, dafs wir es hier mit einer
ziemlich späten Interpolation zu tun haben. ' Und das liegt, wenn
man Verbindung und Inhalt prüft, auf der Hand:
Als Girart in entscheidender, letzter Schlacht vom König ge-
schlagen worden war, hatte er Boso und Folcher, seine Getreuen,
verloren; Folko aber, sein Vetter, war nur gefangen worden. Die
Königlichen hatten ihn dem König selber ausgeliefert.
7141 Lai ocistrent Oilbert, prest[rjent Folcon.
Tuit le voudrent ocire fors dan Peinm,
Qui l'amenet au rei por garisun.
Nach diesen Worten verläfst die Dichtung Folko, um bei Girarts
Schicksalen zu bleiben, wir begleiten ihn, den eigentlichen Helden
der Dichtung, in die Verbannung, und erst als er zurückkehrt, vom
König in Gnaden wieder aufgenommen wird, hören wir abermals
von Folko: vergebens bittet Girart um seine Freiheit; Karl Martell
verweigert sie ihm. Da, in demselben Augenblick, stofsen Boten
zum Kaiser: der Fürst der Bretagne ist in sein Land eingefallen,
hat ihm Mont St. Michel weggenommen und will noch schlimmer
hausen, wenn der König ihm nicht zuvorkommt. Karls Leute be-
stürmen ihn: 8031 'Eure Nichte mit dem rotblonden Haar, au ranc
talon, die Tochter Dietrichs, des Reichen, hat euch wegen des Mordes
an ihrem Vater gebeten, ihr Folko auszuliefern. Denn seine Brüder
waren die verräterischen Mörder. Ihr habt ihrem Willen damals
Folge geleistet. Wir denken, sie nimmt Rache an ihm, da verliebt
sie sich in Leib und Antlitz und flieht mit ihm nach Auridon, im
* Kap. VIII, S. 132 ff. Hervorzuheben: Die Episode findet sich in
der Vita nicht. Weiterhin: 'Die Episode kennzeichnet sich schon äuTserlich
als einen Anhang, der ein Ganzes für sich bildet, dagegen mit dem eigent-
lichen Epos fast gar nicht oder doch nur ganz lose in Verbindung steht'.
94 Studien zur fränkischen Sagen geschichte.
gaut d'Ärdane. Silbern waren die Ketten, die sie ihm anlegte, statt
eisern. So war seine Gefangenschaft, dafs er es besser hatte wie ein
Fischlein im Wasser. [Einen Bastard zeugte sie mit ihm . . .] *
Und mehr liebte sie jenen Habenichts als den reichen Grafen im
Elsafs oder jenen Briten, dem Ihr sie durch uns zugesagt habt, und
der Euch nun um ihretwillen mit Krieg überzieht. [Ich rate Euch:]
Schickt zu ihr, dafs sie Euch Folko ausliefere, und wenn sie Nein
sagt . . .' Karl antwortete : 'Ich überlasse sie Euch.' — Mittlerweile ist
Girart in Rossillon wieder eingezogen und festlich von den Seinen,
die ihn für tot gehalten, empfangen worden. Aber bleiben wir bei
Karl: (8271) *Ich werde der Alpais Berart del Brun zusenden, dafs
sie mir Folko nach Aix oder Laon sende, und wenn sie es nicht tun
will, so sei ihr Schlofs vogelfrei, dann brecht mir ihr trotziges Ge-
mäuer.' Der Bote geht ab, aber zu gleicher Zeit mit Karls Forderung
an Alpais ein Brief Girarts, der ihr seine Hilfe zusichert. Karls Bote
war der schnellere: 'Karl, dein Onkel,' meldet er, 'teilt dir mit, dafs
er dir in Ais den Herzog im Elsafs oder den von der Bretagne geben
wird. Um deinetwillen hat dieser ihn mit Krieg überzogen, nur
daraufhin wird er Frieden machen. Du aber liefere ihm Folko aus,
halte ihn nicht länger, oder ... hüte dich! Denn der König wird
dich zu belagern kommen. Wenn sie dir dann Gärten und Hecken
zerstören, wird dir wohl die Lust vergehen, Folko zu küssen.'
Alpais wies den Boten von sich.
Da kommt Girarts Bote und hinter ihm eine Schar Bewaffneter.
Alpais sieht sie von der Höhe ihres Turmes, das Herz zittert ihr im
Leibe. Schon, glaubt sie, macht der König seine Drohung wahr:
'Folko, Geliebter,' fragt sie, 'was für Fahnen sind das, die die Hügel
besetzen?' — 'Ich weifs es nicht, nur dafs es sich zu verteidigen gilt!'
Und wirft die silbernen Ketten von sich und geht sich rüsten.
'Ach!' klagt Alpais, 'Zeit und Jugend habe ich an dich ver-
schwendet, um deinetwillen wurde mir meine Sippe gram, um deinet-
willen stehe ich nun allein, ohne Vasallen da!'
Da ruft Droon, Girarts Gesandter, an der Pforte, dafs man ihm
öffne, und kündet das Nahen seines Herrn. Freudig überrascht
bringt Alpais die Botschaft von der Wiederkehr des totgeglaubten
Girart ihrem Geliebten und von dem nahenden Entsatz. Aber vor
der Befreiung mufs ihr Folko geloben, sie nun auch zu ehelichen
(8385). 'Nun zieh ich zu meinem Manne,' sagt sie, 'arm wie eine
Kirchenmaus, nichts habe ich ...'. — '0 nein,' antwortet Bertrand,
'Schönheit und lieblichen Leib! Einen Schatz führt uns zu, der Euch
Folko schenkt.' So verläfst das Paar Auridon, und wie Folko aufs
Pferd steigt, ohne die Bügel zu brauchen, da rufen die Zuschauer:
'Der hat's im Gefängnis nach seinem Wunsche gehabt!' — Auf dem
0. 8043 E annia mais de lui une atwltron
L. 2ö98 E ama assex plus icel gloton . . .
Studien zur fränkischen Sagen geschieh te. 95
Zuge nach Roussillon bringen sie die Frankenschar, die bereits gegen
Auridon zog, zwischen zwei Fronten, schlagen sie und fangen ihre
Häupter ab. In Rossillon sodann fröhlicher Empfang (8590). Unter
den Gefangenen ist Oudin, Alpais' Vetter. 'Geh!' ruft die Königin
ihm, 'gib jenem Jüngling deine Base zur Frau.' Er aber weigert
sich: 'Lange schon hat sie ihres Schlosses Herrn aus ihm gemacht'
Da läfst Folko heilige Reliquien kommen und schwört, dafs er Alpais
nie berührt habe. So wurden sie dann zusammengegeben. Durch
die Gefangenen aber wird der Frieden vermittelt, der auf sieben Jahre
beschworen wird (8949). Vom Bretonenherzog hören wir nichts mehr.
IL
Es liegt über dieser Sage wie ein Schimmer von den silbernen
Ketten, die Folko trug, oder von dem rotgoldenen Mädchenhaar der
Aupais. Dafs der geistliche Bearbeiter, der sie hier mit Girards
Rückkunft und Wiederaufnahme zu Gnaden verwob, sie nicht er-
funden hat, brauche ich nicht besonders hervorzuheben. Ich glaube
nicht einmal, dafs er sie auf Tierri d'Ascanes Tochter und seinen Erb-
feind Folko übertragen hat. Dazu passen sich Personen und Um-
stände der Girartsage zu gut an. Ich glaube im Gegenteil, dafs
wir hier eine volkstümliche Fortsetzung des Oirart haben, die etwa
den Nostoi entspricht, wie sie die Ilias erzeugte. Der Vers 7141,
den wir anführten, hat die Erzählung eingegeben: 'Den gefangenen
Folko wollten die Königlichen umbringen, da rettete ihn Peires, indem
er ihn Karl auslieferte.' Nichts weiter von ihm im Epos, denn was
wir eben nacherzählt haben, ist ja eine späte Interpolation. Den Zu-
hörern aber war die liebenswürdige Gestalt des Folko, die durch das
ganze Gedicht hindurch verwoben ist, ans Herz gewachsen, und die
natürliche Begierde, zu erfahren, was denn der König mit seinem
Gefangenen gemacht hätte, erzeugte eine novellistische Sage über ihn,
eine Sage, die alle Anzeichen langen Lebens im Volke zeigt, die in
ihr Detail Märchenmotive aufgenommen hat, das rotgoldene Haar, die
silbernen Ketten. ' In ihrem Kern reproduziert sie eine internatio-
nale novellistische Sage: wenn wir nämlich die Verknüpfung zweier
feindlichen Familien durch die Neigung eines beiden entsprossenen
Paares 'die Romeo- und Julia- Gruppe' nennen, so gehört die Folko-
Aupais- Episode dem folgenden Typus dieser Gruppe an: Ein Mäd-
chen schenkt dem Mörder ihres Vaters ihre Liebe, statt an ihm Blut-
rache zu nehmen. Dieselbe Sage finden wir auf die Vorgeschichte
der Beziehungen zwischen Tristan und Isolde und zwischen Ro-
drigo und Ximena mit dem jeweiligen Kerne verflochten. Die
symbolische Umwandlung der Gefangenenketten in Liebesketten, die
gemeinsame Flucht in ein Ardennenschlofs, die Unternehmungen der
' Silberne Ketten, ein fränkisches Sagenmotiv 1 Vgl. die fränkische
Helisarsage Fredegars: II, G2.
96 Studien zur fränkischen Sagen geschichte.
Verwandten der Aupais und der zurückgewiesenen Freier gegen das
Paar stellen unsere Sage für sich. Wie diese Konflikte gelöst werden,
zeigt uns die Interpolation des Oirart leider nicht. Innerhalb des
Oirart wird vermittelt, damit sich die Sage dem Ganzen einfüge: das
Motiv der abgewiesenen Freier* gänzlich fallen gelassen, das ur-
sprünglich wohl an der Spitze stand. Eine Belagerung Auridons
durch diese wird wohl ehemals im Mittelpunkte gestanden haben.
Wir werden darauf zurückkommen.
III.
Wenn die Sage ihre Motive auch aus der zeitlosen internatio-
nalen Novelle nahm, die immer geneigt ist, sich zu verjüngen, und
selten einem ihrer Lieblinge gegenüber treu bleibt, so scheint sie hier
einen ganz seltsamen Verjüngungsprozefs durchgemacht und dennoch
eine Sagengestalt aus älterer Fassung beibehalten zu haben. Die
Sage von der falschen Berta, die ja, wie wir nach Paris und Rajna
dargestellt, eine Sage über Alphaid, Pipin des Mittleren Nebenfrau,
mit Sicherheit voraussetzt, nennt Berta nach einem physiognomischen
Charakteristikum: ß^^f^ ^ g^^^ ^^^
Diese grofsen Füfse sind nämlich das Zeichen, an dem später
die richtige von der falschen unterschieden wird. So ergreift noch in
der französischen Dichtung des Adenet die falsche Berta beim Nahen
der Königin von Ungarn, ihrer angeblichen Mutter, Todesangst:
1837 'Je /o 'pour le meüleur que nous noics enfuions;
Bien sai qice par mes pies conneties serons.'^
Und als die Königin ankommt, ihr das Zimmer ihrer Tochter ver-
wehrt wird und sie, einen Betrug argwöhnend, mit Gewalt bei ihr
eindringt^ ist das erste, dafs sie ihrer vermeintlichen Tochter die
Decke wegreifst, um die Füfse zu sehen:
2146 Blaneheflour vint au lit oü la serve choisi,
Toute la couverture ä ses deus mains saisi,
Si la saeha que toute la serve descouvri:
Blaneheflour voit les piex, tous li cuers li failli
La serve prent un drap, jus dou lit se sailli;
Blaneheflour par les treces ä terre Vabati.
Genau so in der älteren franko-italienischen Dichtung. Also auch
dies Motiv kann von ihrem Vorbild Alphaid stammen. Aupais
nennt aber unser Text: ^^ ^^^^ ^^^^^^
* Vgl. Mainet, Aie, Oarin (Blaneheflour), Hervis v. Metx, zahlreiche
Märchen.
2 Nach der Dichtung des Adenet le Roi ed. Scheler, Brüssel 187-i.
Vgl. das Märchen vom Asehenbrödel, wo am kleinen Fufs die Richtige
erkannt werden soll. Die Falschen schneiden sich Zehen und Ferse ab,
damit ihr Fufs in den Schuh passe. In anderen Versionen ist die falsche
Braut physiügnomisch gezeichnet: z. B. in ^Briiderc/ien wid Sehwesterehen'
ist sie einäugig.
Studien zur fränkischen Sagengeschichte. 97
Eine 'verwachsene Ferse' ist zwar kein Merkmal besonderer
Schönheit, aber ist desto charakteristischer, weit charakteristischer
etwa als die ganz relative Angabe, sie habe grofse Füfse gehabt.
Ja es ist nicht unmöglich, dafs as rans pies mifsverstanden und zu
OS grans pies geworden ist. Wenn man dann bedenkt, dafs Aupais
dem Vorbilde der Berta nicht nur durch dies physiognomische Merk-
mal gleicht, sondern auch gegen sie der (bei Alphaid historische) Vor-
wurf des aufserehelichen Beilagers erhoben wird, dafs schliefslich als
Krönung des Ganzen der historische Name Alphaid > Aupais
ihr geblieben ist, mufs man zu dem Resultat kommen, dafs eine
Hypothese sich recht empfiehlt: Die Sage hat nicht nur jene
Abart des Romeo- und Julia -Schema benutzt, sie hat
aufserdem die zu ihrer Zeit als Liebhaberin noch typi-
sche Aupais la rousse al ranc talon zur Heldin gewählt,
indem sie sie zur Tochter Tierris von Ascane machte,
den im Girart von Rossillon Folkos Brüder umgebracht
haben. Oder existierte gar eine ältere Sage, nach welcher Alphaid,
Karl Martells Mutter, die Tochter jenes Tierri in der Tat gewesen
wäre? Kennen wir den Helden doch nur als greise, typische Figur,
deren echte Sagen sich im Dunkel ältester kärlingscher Epik ver-
lieren. Wenn dem so wäre, wenn Tierri in der ursprünglichen Sage
Ahnherr Karls des Grofsen wäre, so könnten wir den eigenen Sach-
verhalt haben:
Vor Girart von Rossillon wird die Aupais-Episode von Aupais,
Tierris Tochter, und Pipin als Vorgeschichte der Enfances Karl Mar-
tells erzählt.
Da im Girart von Rossillon Aupais' Vater Dietrich wieder auf-
lebt, seine Tochter Aupais also nicht Mutter Karl Martells, Girarts
Gegner, sein kann, so wird die Sage mit der Leichtigkeit novellisti-
scher Verjüngung modernisiert, Pipin wird nun von Folko vertreten,
die Sage ist vom fränkischen Herrscherhaus abgelöst und auf einen
Liebling der Burgunder übertragen. Genau wie sie die Franken
von Alphaid -Pipin ablösten und auf Berta -Karl übertrugen, aber
dort mit gröfserer Treue der Gestalt von Aupais und ihrem Vater
Tierri gegenüber.
Um diese Hypothese genauer zu erörtern, bedarf es einer Unter-
suchung über jene Figur, an die wir sie organisch anzuknüpfen
suchten, über Tierri d 'Ascane.
Über Tierri d 'Ascane habe ich schon einmal mancherlei
Vermutungen geäufsert: in den Girartstudien I. machte ich darauf
aufmerksam, dafs der Girart ein älteres Epos voraussetze: Die Ver-
bannung Dietrichs (Tierri), und folgerte auf Grund von acht Wider-
sprüchen, die nur so ihre Erklärung fanden, dafs die Schlacht bei
Valbeton eine Verjüngung der Vorgeschichte der Verbannung Dietrichs
sei: Tierri mufs nach Valbeton abermals in die Verbannung, alles
Archiv f. n. Öpiachen. CXIV. 7
98 Studien zur fränkischen Sagengeschichte.
deutet darauf hin, dafs im Laufe der Erzählung Draugo, nicht Girart,
sein Gegner war, Girart aber und seine Vettern noch im ersten Jüng-
lingsalter standen, während sie in den übrigen Teilen des Epos in
reifen Mannesjahren sind.
Von der ursprünglichen Verbannung selbst hören wir nur durch
Anspielungen, allerdings sind solche sehr zahlreich : 1580 ff., 1715 ff.,
1800 ff., 2549 ff., 3127 ff., 3150 ff.
Danach ist Tierri d'Ascane zu Lothringen in Beziehungen
gesetzt. Das eine Mal ist er dort geboren:
1581 Na% est de Loheraine la tieriane.
Tier'iane hat bis jetzt der Erklärung widerstrebt. Aber es verbirgt
sich dahinter die Landschaft Ti brache, die bei Ersetzung der Asso-
nanz zu Tieriane (von Tierri) wurde. Wir werden auch später
sehen, dafs tatsächlich weniger Lothringen als die Tierache Anspruch
auf den Helden erheben kann.
Ein andermal wird er Herr eines Teiles von Lothringen ge-
nannt: 1714.
Beiden Angaben glaube ich mifstrauen zu müssen. Denn nie
sonst wird er Le Loherain oder de Loheraine genannt. Übrigens
stehen beide Anspielungen mit anderen Teilen des Gedichtes im
Widerspruch: nach ihnen hatte König Ludwig den Verbannten
zurückgeholt und ihm seine Tochter zur Frau gegeben (1585; 1715).
Aber einen Ludwig hat es ja vor Karl Martell gar nicht gegeben.
Und für Chlodwig gilt im Epos die Form Gl o Ovis, deren Identität
mit Ludwig kaum mehr geahnt werden kann.
Eine glaubwürdigere Anspielung läfst darum Karl Martell selber
den Alten aus der Verbannung holen und ihm seine Schwester zur
Frau geben: 1804. Und dementsprechend ist später Aupais
seine Tochter, die Nichte Karl Martells. — Über den Ort
der Verbannung gehen die Berichte ebenfalls recht auseinander. Die
eine von den unglaubwürdigen Anspielungen gibt an:
1583 dan^ bos sox come iane.
Die glaubwürdigere, die Karl als einen Retter und späteren Schwager
bezeichnet, sagt allgemein:
1802 ^Set ans ziestiu faidis en bos espes.'
Ebenso :
2550 'Set anx n'aistei faidix, en un buisson.'
Eine dritte, offenbar ganz unzuverlässige Anspielung läfst die Ver-
bannung jenseit des Meeres bei Moni Caucei^ vor sich gehen:
.S127 'De France fui ietat a grant beslei,
Passai un brax de mar a mon navei,
Set anx fui en eseil ä Mont Gaueei.'
* Von seiner zweiten Verbannung kehrt er 3364 von Mont Causil
zurück.
Studien zur fränkischen Sagengeschichte. 99
Wir wissen also nur, dafs Tierri seine Verbannung in dichtem
Walde durchmachte. Und dies ist der gewöhnliche Schauplatz, den
die ältere germanische Sage dem Banditen leben zuweist. Die nord-
französische Sage speziell hat ihre 'Outlawsagen' stets in die Ar-
dennen verlegt und liebt es, mit dem Titel Vardenois Persönlich-
keiten zu bezeichnen, die eine Periode der Friedlosigkeit in den Ar-
dennen überstanden haben. Darstellungen von 'Outlawsagen', die
in den Ardennen spielen, sind noch überaus häufig: die verlorene
Dichtung von Basin spielte; dort der Räuber Lambert d'Oridon im
Avheri le Bourguignon hat gleichen Schauplatz für seine Untaten
gewählt; auf die entsprechenden Teile der Haimonskinder brauche
ich gar nicht erst hinzuweisen. Das Stereotype der Ardennenverban-
nung führt auch im Qirart (7344) den Helden in seiner Verbannung
dorthin, wir finden den gleichen Verbannungsort in Ouy von War-
ivick und Doon von Mainz. Der Dieb Galopin (Elie) ist in den
Ardennen geboren. — Wie Gui, Doons Vater, von Mainz aus in
den Ardennen jagt, sucht Bovons von Hanstone Vater gleiche
Jagdgründe von demselben Mainz auf (franco-ital. Version), woran
sich Rajna mit Unrecht stöfst. ^ Karl Martell führt der Jagdzug,
der Girarte Feste überraschen soll, durch die Ardennen:
Oirart 651 E trespassent Ärdane e bois d' Argon,
E perhoc s(c)i ant pres prou vena^on !
Im Roland hat Karl einen vorbedeutenden Traum, der auf das
Gottesgericht am Schlufs zu beziehen ist:
728 De vers Ardene vit venir un leupart
(vgl. 2558). Andere Redaktionen haben Espaigne korrigiert. Das
ist nicht nötig, denn der Typus findet überall Platz.
Die Haimonskinder jagen sogar von Montauban und Bordeaux
aus in den Ardennen. Und wenn dies auch zu jüngeren Interpola-
tionen dieser Dichtung gehört, so zeigt es doch unzweifelhaft, welche
Rolle die Ardennen in Volksbewufstsein und Sage spielten. Auch
eine Tirade vom Anfang des Parthenopeus über sie zeigt uns, wie
sagenumwoben der Ort war: (Vers 499) 'Unermefslich waren die Ar-
dennen in der Vorzeit und nahmen ein riesiges Gebiet ein. Ja, die
Rodung nahm damals mehr Raum ohne das staunenswerte Ungerodete
als heute ganz Ardennenland. In den Tagen aber, von denen ich
euch erzähle, waren die Wälder so dicht, dafs die, welche von der
Meeresküste kamen, sich nicht zu landen getrauten wegen der schreck-
lichen, wilden Tiere und der anderen grofsen Wunder, von denen es
im AValde wimmelte. Schrecklich war's darin und des Zaubers voll:
der zehnte Teil war von Unholden besessen. Die Bauern errichteten
* Vgl. P. M e y e r , Daurel et Beton XXIX. Rajna schreibt : ^Per altro
codesta collocazione del castello a me non va: siamo troppo remoti da Ma-
gonxa' {Origini S. 382i). Er hat übersehen, dafs die Ardennen typisch
sind, also unabhängig von ihrer Lage.
7*
100 Studien zur fränkischen Sagen geschichte.
Grenzsteine, um das Ende der Rodung zu bezeichnen: keiner, der
diese Grenze überschritt, ist je wieder dahin zurückgekehrt, von wo
er gekommen. Da gab's keine Rodung, kein jagdbares Getier, nur
Unholde, die die Verirrten auffrafsen/ Die Ardennen waren eben
für die Franken 'der Wald', die Lieblingsjagdgründe. Kaum ein
Jahr, aus dem Einhards Ännalen nicht von Jagden in diesem Ge-
biete erzählen.
Und wie Venantius Fortunatus im 6. Jahrhundert schrieb:
VII, 4, 19 Ardenna an Vosagus cervi caprae helicis uri
Caede sagittifera silva fragore tonat?
so schrieb etwa im Jahre 1331 Francesco Petrarca von einer
seiner Reisen an den Kardinal Giovanni Colonna: 'Arduennam sil-
vam ... visu atram atque horrificam transivi solus.' Und in dem
Sonett Mille piagge in un giorno nennt er sie:
la famosa Ardenna.
Das moderne: Meyrac, Traditions etc. des Ardennes (Charleville
1890)^ ist mir leider unzugänglich.
Dies zeigt uns, dafs auch für Tierri der geeignete Ort einer Ver-
bannungssage die Ardennen waren. Und darauf könnte bereits un-
sere Vermutung deuten, dafs er einmal als aus der Ti brache gebürtig
bezeichnet wird. Die benachbarten: Ti^rache, Ardennen, Argonnen
werden aber im erweiterten Sinne stets füreinander gebraucht. Z. B.:
Haim.-K. 119 i Ens el cief de lerasse pristrent [lor] herhergage
wird von Montessor in den Ardennen gesagt.
Auf der anderen Seite bewahrt das nordfranzösische Epos die
Erinnerung an einen Helden, der Tierri d'Ardane oder je nach
Reimbedürfnis d'Argone (Roland) heifst. Er tritt fast in allen
Nachepen als typische Figur auf. Innerhalb der Ardennen spielt
er seine Rolle im nordischen Basin der Karlamagnus- Saga. Dort ist
Tierri d' Ardennes der Getreue, welcher Karl (das Urbild ist Karl
Martell!) bei sich aufnimmt. Aber eine Anspielung auf jene Vor-
gänge, die ihm den Beinamen d'Ardane eingetragen haben, hat
der Merabras bewahrt, auf eine Zeit der Friedlosigkeit, in der er
Tausende hingemordet habe:
3703 M Tieris VArdenois o le grenon melle,
.1. viellart, .1. cenu de moult grant cruaute,
Qui pltcs a de .M. hommes mordris et estranles
Ml la forest d'Ardane oü il a converse.
Das müfgte doch mit merkwürdigen Dingen zugehen, wenn wir
da nicht eine nordfranzösische Anspielung auf die Verbannung Diet-
richs gefunden hätten. Der Verbannte {hannitus) wird der Sage
naturgemäfs zum Banditen. Jeder Outlaw mordet und stiehlt.
' Vgl. Jahresbericht 1890, 655 n.
Studien zur fränkischen Bagengeschichte. 101
Den Haimonskijidern wird in den Ardennen noch viel Schlimmeres
vorgeworfen. '
Beide Tierri haben also eine Verbannung durchgemacht, der
eine in ungenannten Wäldern, der andere in den Ardennen. Den
einen nennt die Sage d'Ascane, den anderen d'Ardane. Paul
Meyer genügen diese Parallelen nicht zur Identifikation: in seinem
Girart de Rossillon (1884, S. 50, Anm.) macht er auf die Ähnlichkeit
der Namen zwar aufmerksam, aber ohne sich bestimmt auszusprechen.
Ascane kann er geographisch nicht erklären - kein Wunder. Denn
es ist doch wahrscheinlich nur eine Verstümmelung von Ardane. Die
Beziehungen unseres Tierri zu den Ardennen werden, wenn wir den
Girart allein für sich nehmen, durch seine Geburt in der Ti brache
doch schon sehr wahrscheinlich, und werden zu einer durchaus posi-
tiven Annahme dadurch, dafs ja seine Tochter nach seinem
Tode in einem Schlosse in den Ardennen, also doch wohl
dem väterlichen Schlosse, haust:
8037 Si s'en fuii ab el en Auridon ...
El gaut d'Ardane sest sobre Argan^on.
Das ist doch wohl kein Zufall! Die Tochter sucht denselben Zu-
fluchtsort auf wie der Vater. Des Vaters Beiname wurde von Vor-
tragenden mifsverstanden und geändert, und nur die volkstüm-
liche AwpaiS'Episode erhielt uns den Tatbestand in einem Echo.
V.
Auridon, Oridon, Ordon ist der Name eines Ardennen-
schlosses, das wir für eine typisch gewordene Rebellenburg halten.
Im Auberi le Bourguignon tritt ein Outlaw, ein reich gewordener
Räuber auf, der in Oridon in den Ardennen seinen uneinnehm-
baren Sitz hat. Alles spricht dafür, dafs dieser hübsche und volks-
tümliche Teil der Auberi-Sage ursprünglich nur ein kleines Theater
beanspruchte und, da Auberis Residenz in Dijon feststeht, die
Stammburg Lamberts um Dijon gesucht werden müsse. Diese An-
nahme scheint in einer Anspielung des Ogier ihre Bestätigung zu
finden: jqiq . _ <o sanles vos bricon!
Vtts resanles ä Malbert de Dignon
ün mal tirant qui tu[l]oit le molton,
QtLant fu petis, si cdi el carbon:
En vostre barbe n'a mie du grenon!'
Ein kleiner Hammeldieb Malbert aus der Nähe von Dijon.
Malbert kann sehr wohl eine volkstümliche Verstümmelung, ein Spitz-
name für Lambert im Stile von Mau gis, Malaquin, Malcud u.a.
sein. Die volkstümliche Sage hat sich seiner bemächtigt, das zeigt
die Bartlosigkeit, denn diese bildet das tertium comparationis mit
* Der Märchendieb Galopin (Elie) wird entsprechend zu Tierris
Sohn. Vgl. Anhang II.
102 Studien zur fränkischen Sagen geschichte.
dem im Kampf Getroffenen, dem diese Verse als Eeprovier, als Trutz-
wort, entgegengehalten werden. Der Grund der Bartlosigkeit: er sei
als Knabe ins Feuer gefallen.
Können wir mit diesem, den die Volkssage schon mit halb
Mythischem bekleidet hat, Lambert d'Oridon, den grofsen epischen
Dieb, der über unerschöpfliche Mittel verfügt, mit denen er den
naiven Auberi blendet, zusammennehmen ? Der ursprüngliche Schlofs-
besitzer des sagenumwobenen Oridon, das wir in viel älterer Zeit
im Besitze der Aupais, Tierris d'Ardane Tochter, fanden, ist Lam-
bert sicher nicht. Also steht doch wohl fest, dafs er nach berühmten
Mustern hineinversetzt worden ist und zwar aus Dijon oder dessen
Umgebung, wo der von ihm hintergangene Auberi sitzt.
Auch Dordon, das väterliche Ardennenschlofs der Haimons-
k in der, steht Oridon, Ordon zu nahe, um eine Konfrontation
nicht herauszufordern. Schon Tarb^ hat im Glossar seiner Auberi-
Ausgabe vermutet, dafs Oridon und Dordon identisch seien. Er
brachte einen Text bei, nach welchem Aimon noch Duc d'Ordon
betitelt war, und tatsächlich ist das Anwachsen von Artikel oder
Präposition an ein Hauptwort, das mit Vokal anlautet, ja reich
belegt.
'li Ich habe in meiner Gesamtbehandlung der Sage von den Hai-
monskindern meine Ansicht dahin ausgesprochen, dafs erst der Inter-
polator der Ardennensage innerhalb der südfranzösischen Montavhan-
sage den Namen Oridon zu Dordon machte [D'Oridon und de
Dordon sind gleichsilbig], um durch die Namenidentität mit der
Dordogn(e), die in der Montaubansage häufig vorkommt, eine Art
von formeller Einheitlichkeit herzustellen, wie auch er es ist, der die
Brüder von Montauban aus in den Ardennen jagen läfst. Das Volks-
bewufstsein hat diese Änderung öfters rückgängig gemacht, indem es
den Vater Aimon d'Ordon oder häufiger Aimon von Ar-
dennen nennt. Auch hierin ist eine Verstümmelung von Oridon,
Ordon zu sehen (vgl. S. 149 ff.).
Also Oridon ist Typus für eine Ardennenburg. Ein weiteres
Zeugnis für die Verbreitung der Sage von Tierri dem Ardenesen,
dessen Tochter als älteste Besitzerin des Schlosses im Girart gilt.
Aber! Wenn auch sicher ist, dafs Lambert, von einem anderen
Orte kommend, hierher versetzt wurde, wer kann denn entscheiden,
ob die Burg nicht durch die Sage von den Haimonskindern eher als
durch die von Tierri und Aupais bekannt wurde? Jene trägt alle An-
zeichen langen, volkstümlichen Lebens an der Stirn. Diese hat sich
im Laufe der Zeiten bis auf wenige Reste verloren. Jedoch — in den
Haimonskindern ist Dordon ja nur die Stammburg; die Rebellen-
burg in den Ardennen heifst Montessor. Dordon ist blofs ein ein-
ziges Mal Schauplatz der Handlung und auch da nur für kurze Zeit.
Also hieraus konnte Oridon nicht zum Typus der Rebellenburg
werden. Und da Tierri ohne Zweifel die älteste Figur ist, die wir
Studien zur fränkischen Sagen geschieh te. 103
als ihren Besitzer fanden, so müssen wir die Burg ihm und seiner
Erbin lassen, wobei nicht ausgeschlossen ist, dafs dieselbe auch schon
auf ihn als ein Typus übertragen wurde.
Für die Gestalt seiner Sage ist das letztere durchaus unwesent-
lich. Es erschliefst sich uns diese als eine Ardennen-Outlawsage, wie
wir so manche finden, und, da sie die älteste von allen ist, die wir
besitzen, als ein Vorbild der Sagen über feste, von Wasser und Fels
geschützte Burgen, wie Nantueil, Aigreraont, Gironville in
den Lothringern, die alle in gleicher Weise beschrieben werden —
und ihrer Belagerungen. Woraus man schliefsen könnte, dafs
Auridon noch unter der Herrschaft Tierris eine Belagerung durch-
zumachen hatte, und dafs der Liebesroman seiner Tochter mit dem
gefangenen Folko eine gleiche Handlung enthielt.
Und was ist nun das Resultat unserer bisherigen Mühen? Alle
Anzeichen sprechen dafür, dafs Tierri d'Ardane eine vielbesungene
Persönlichkeit war. Es unterliegt keinem Zweifel, dafs er und Tierri
d'Ascane des Oirart eine Person sind. Eine ihm dort gegebene
Tochter Aupais trägt Namen und Züge der historischen Alphaid,
Mutter Karl Martells, und besitzt Auridon, die spätere typische
Rebellenburg in den Ardennen. Ob die Beziehung zwischen Vater
und Tochter auf Zusammenwerfen zweier ursprünglich getrennter
Sagen beruht oder eine ihm von der Sage gegebene Tochter sekundär
Züge der Alphaid erhalten hat oder gar beider Sagen organisch zu-
einander gehören, ist noch nicht entschieden. Wichtig ist, dafs keine
der Anspielungen im Epos von einer Tochter weifs und auch der
I. Teil des Girart von Rossillon nur von zwei Söhnen berichtet, die
er von der Schwester des Königs habe (1717, 1807). Aber wir werden
sehen, dafs das Epos ältere Beziehungen nur vergessen hat.
VI.
Läfst uns nämlich das Epos im Stiche, so kommt uns der
halbgeschichtliche Bericht zu Hilfe; diesmal mit einer Anspie-
lung, die alle unsere Zweifel tilgt, alle unsere Vermutungen und halb-
bewiesenen Behauptungen zu voll Bewiesenem erhebt. Philippe
Mousket schreibt nämlich in seiner Chronique Rimee von der Ge-
burt Karl Martells:
1666 Carles Martiatcs fu apieles,
Pour <pu que de sotcgnant fu nes:
Uune seror Teri d'Ardane
Qu'ot en l'abeie d'Andane.
Philippe Mousket kann diese Mitteilung nicht mehr aus einer
Dichtung haben, nachdem in Nordfrankreich die Bertasage jene von
Alphaid überdeckt hatte. Ihrem ganzen Charakter nach ist die An-
spielung aus einem Chronikenbericht entnommen. Dafs Alphaid eine
Kebse (so9/gnant, soignant) war, hat die Sage natürlich vergessen.
Also hier finden wir offenbar ein historisches Element Die Er-
104 Studien zur fränkischen Bagengeschichte.
klärung des Namens Marti aus weiterhin, ein Beiname, den Karl
wegen seiner aufserehelichen Geburt erhalten habe, steht einzig da.
Wie allgemein bekannt die Deutung 'Hammer' ist und die Herleitung
von den gewaltigen Schlägen, die Karl gegen die Feinde der Kirche
geführt, möge Du Ganges Sammlung unter Martus zeigen und ist
ohnehin bekannt. Aber die Erklärung, die wir bei Mousket fin-
den, und die sicherlich älter ist denn Mousket, ist ebenso naiv wie
getreu, ist nicht dumm und braucht kein Beispiel scholastischer
Grübelei zu sein, sondern klingt recht volkstümlich. Es wird offen-
bar Martellus wie afrz. martel übertragen gefafst, also in der nach-
gewiesenen Bedeutung 'Sorge'. Ähnliche Märchennamen kennen
wir ja aus anderen verwandten Sagen: Herzeleide, Tristan.
Die Nachricht endlich, dafs Aupais zur Zeit ihres Romans in
einem Kloster gewesen sei, klingt wie eine Klostertradition. Dazu
kommt, dafs And an e wirklich in den Ardennen liegt, ein Frauen-
kloster ist und, was mir das Wichtigste scheint, von Begga, der
Frau jenes Anseis, gegründet worden war, von dem wir in einer wei-
teren Abhandlung zu reden haben. So berichtet die Vita S. Gere-
trudis (Pertz, Script. Rer. Mer. H, S. 469 i), so berichtet noch Al-
berich von Trois-Fontaines ad 686: Sigebertus: Begga re-
licta Änsigisi — monasterium Ändanense fundat. Begga ist aber
die Mutter Pipins, der mit Alphaid Karl Martell zeugte,
d. h. ihre Schwiegermutter. Erinnert soll noch daran werden,
dafs sich Alphaid an ihrem Lebensende in das von ihr gegründete
Kloster von Grp-li-Grand (Belgien) zurückgezogen haben soll.
Das einzige, was Mouskets Anpielung neben der Deutung
von Martel der Heldensage verdankt, ist die Nennung Tierris
d'Ardane als ihres Bruders. Auch Alberich von Trois-
Fontaines kennt im Gegensatz zu erhaltenen älteren Chroniken,
die niemand von Aupais' Sippe nennen, einen Bruder derselben:
Dodo. Ad 698: Sandus Lambertus Traiectensis episcopus Pipinum
principem increpare ausus, quod pelicem Alpaidem sue legitime uxori
Plictrudi superduxerit, a Dodone fratre ipsius Älpaidis ... martiri-
zatur. Er hat den Erzbischof Lambert von Lüttich, der es ge-
wagt hatte, seine Schwester Alphaid zu beleidigen, umgebracht. —
Das ist offenbar eine kirchliche Tradition, die ursprünglich dem
Martyrolog des Lambert angehörte. Und tatsächlich enthält dieser
den ausgeschmückten Bericht jenes Mordes, dessen Tradition bis in
das 9. Jahrhundert zurückgeht. Dewez hat in einem Memoire pour
servir ä Vhistoire d'Alpaide (Brüssel 1826) diese Heiligenlegende in
allen ihren Phasen studiert und, wenn wir auch nicht alles unter-
schreiben, was er über sie gesagt, dennoch ein Bild von der Ent-
wickelung derselben gegeben, auf das wir auch heute noch verweisen
können.
Bei Alberich wird von Dodo noch eine Tat erwähnt, die die
himmlische Strafe, die ihn nach der Legende traf (er sei von Wür-
Studien zur fränkischen Sasrengeschichte. 105
mern aufgezehrt worden, Dewez S. 332), durch eine realistischere
ersetzt: Im Jahre darauf tötet nach derselben Chronik ein Dodo
(sicherlich für die Sage derselbe, da er gleichen Interessen dient)
Plectruds ältesten Sohn Drogo und ebnet so Karl Martell den Weg
zum Throne: Dodo interfecior — ab alter o perimitur (699; historisch
wurde Grimoald 714 von einem Heiden Ran gar ermordet). — Inter-
essante Mitteilungen, über deren Authentizität wir nur mangelhaft
unterrichtet sind, die uns aber zeigen, dafs eine kirchliche Tradition
unabhängig von der volkstümlichen und ihr entgegengesetzt lebte, die
Alphaid als Kebse (pelicem, sougnant) und einen Bruder Dodo als
Bischofs- und Königsmörder darstellte, wobei letztere Tat als Über-
tragung gesichert ist, Dodo aber als eine im Mittelpunkte des Inter-
esses stehende Sagenfigur hervortritt.
VII.
Ob Geschwisterpaar, wie hier, ob Vater und Tochter, wie in der
Folko-Aupais-Episode: Tierri d'Ardane und Aupais die rot-
blonde haften nun fest und organisch aneinander. Zwei aus gänz-
lich verschiedenen Quellen stammende Darstellungen, beide durch
Mischung mit anderen Traditionen wesentlich entstellt, kennen ihre
Beziehungen noch, die dem Gedächtnis des nordfranzösischen Volkes
längst entschwunden sind. Die eine, nordfranzösische, beruht auf
einer Klostertradition, vielleicht eben jenes Klosters Andane an
der Maas, das als Gründung der Begga mit den Arnulfingen eng
verknüpft war, und in dem sie die Heldin weilen läfst. Wie aus
weiter Ferne blinkt durch die Mischung kirchlicher und geschicht-
licher Angaben eine längst versiegte sagenhafte Quelle, die den
berühmten Tierri d'Ardane als Anverwandten und Beschützer der
Alphaid nannte und eine ganz eigenartige, nie sonst angetroffene
Deutung des Namens Martel überlieferte. Die offenbar der Volkssage
entstammende Genealogie erhebt unsere Folko-Aupais-Episode im
Girart von Rossillon zu einem Schöfsling dieser Sage von Alphaid:
denn wie sie auf der einen Seite dem historischen Tatbestand
mit dem Namen Alphaid — Aupais und dem Vorwurf aufser-
ehelichen Verkehrs entspricht, so geben auf der anderen Seite auch
sagenhafte Züge ihr das Zeugnis der Authentizität: dem Urbild der
Sage von Berthe as grans pies, das stets in einer verlorenen, volks-
tümlichen Überlieferung über Alphaid vermutet wurde, entspricht
sie mit der eigenartigen Bezeichnung: au ranc talon. Die sagen-
hafte Genealogie der Chronique rimee ist ihr ebenfalls eigen, indem
sie Dietrich d'Ascane (dessen Identität mit Dietrich d'Ar-
dane nun vollends hervortritt) als ihren Vater nennt und ver-
wendet.
Ob dieser Verwandtschaftsgrad der ursprüngliche ist, oder ob
die Chronik recht behält, die ihn Bruder nennt, wird nicht endgültig
zu entscheiden sein. Vater und Bruder tauschen ihre Rollen oft
106 Studien zur fränkischen Sagen geschieh te.
genug in der Sage. In unserem Falle lassen sich für beides Gründe
anführen: im Girart von Rossillon ist Tierri Schwager des Königs,
dessen Schwester er zur Frau hat, im niederländischen Karl Meinet
erhält Elegast, wohl eine typische Outlawfigur des Rheins, ^ in
dessen Rolle sich in der nordischen Fassung Tierri d'Ardane
und Bas in teilen, Karls Schwester, die Witwe des Verräters, zur
Gattin. Da nun die Bezeichnung 'Schwager' zweideutig ist, so
könnte sie der Form nach aus der Aupaissage stammen, die Dietrich
als den Bruder der Königsbraut, Schwager des Königs genannt hätte.
Sie wäre dann weiterhin falsch interpretiert und er zum Gemahl von
des Königs Schwester gemacht worden.
Aber, wie gesagt, Familienbeziehungen fluktuieren wie Sand in
der Sage, wer sich auf sie verläfst, geht leicht fehl. Darum werden
wir guttun, folgende Auffassung voranzustellen: die Folko-Äupais-
Episode benutzt als Schema die Sage von der Tochter^ die den Mörder-
ihres Vaters liebt. Wenigstens ist in den Versionen der Sage, die
wir kennen, stets der Vater der Ermordete. Da nun die Episode
mit dem Kennzeichen ihrer Heldin: au ranc talon, sich als Vorbild
der Bertasage ausweist und es deshalb wahrscheinlich ist, dafs die
vorauszusetzende fränkische Fassung — das verlorene Urbild — in
gleicher Weise verlief, so ergibt sich, dafs diese Sage einen Vater
der Aupais und nicht einen Bruder brauchte: den Vater als Quelle
der Blutrache, während ein Bruder neben diesem den Verlauf der
Sage gestört haben würde, da ja sonst die Pflicht der Blutrache nicht
auf die Tochter, sondern auf ihn übergegangen wäre.
Nun hat uns aber Alberich von Trois-Fontaines aus dem
Beginn des 1 3. Jahrhunderts eine Tradition überliefert, nach welcher
Alphaid einen Bruder besessen habe, der die Interessen seiner
Schwester in der Art des Cesare Borgia vertrat und dabei schliefs-
lich selber ums Leben kam, gerade als er seinem Neffen durch Er-
mordung des Kronprinzen Platz gemacht. Er war von der kirchlichen
Tradition festgehalten worden, weil er dem Bischof Lambert von
Utrecht, der es gewagt hatte, seine Stimme gegen Alphaid zu er-
heben, zur Märtyrerkrone verholfen hatte. — Sollte sich hieraus nicht
ergeben können, dafs die Version der Chronique rimee eine Ver-
quickung kirchlicher (historischer?) und volkstümlicher
Tradition zeigt; dafs sie den sagenumwobenen Tierri d'Ar-
dane zwar nennt, aber ihn nach der kirchlichen Tradition zum
Bruder der Heldin macht?
Das scheint tatsächlich das Wahrscheinlichste zu sein. Man stelle
sich nur vor: in kirchlichen Traditionen ist nur von einem Bruder
die Rede, nach dem Epos weifs Mousket, als Epenkenner, von ihren
Beziehungen zu Tierri d'Ardane, die beiden Charaktere scheinen
ihm eine gewisse Ähnlichkeit zu haben, der ihm geläufige epische
' Gaston Paris, Eist. poet. p. 142.
Studien zur fräntischen Sa gen geschieh te. 107
Name ist nicht durch Dodo zu verdräogen, er macht ihn aber nach
seinen geschriebenen lateinischen Quellen zum Bruder.
Diese Identifikation, die der Chronist machte, ist auch für uns
ein Fingerzeig: denn warum sollte der Satellit der Alphaid, den ihr
kirchliche Tradition und volkstümliche Sage geben, nicht wirklich
ursprünglich eine Person sein? Finden wir nicht die spärlichen No-
tizen, die wir über den Bruder der Alphaid in der Chronik besitzen,
in der Sage über ihren Vater wieder? Ist die Stelle aus Fierahras
nicht eine sagenhafte Verallgemeinerung des Charakters eines Bischofs-
und Prinzenmörders: 'Tierri d'Ardane, der Graubart, der Alte, der
grausamen Sinnes mehr denn Tausend hingemordet hat in den Ar-
dennen, wo er hauste/ Dazu liegt der Schauplatz des Bischofsraor-
des an den Ardennen. — Und finden wir den gewaltsamen Tod
Dodos nicht auch in der Sage widergespiegelt, wenn Alphaid Blut-
rache seinetwegen übernehmen mufs? Zudem ist es nicht unmöglich,
dafs Dodo nur ein Kosename von Theoderich ist, der ihm in der
Sage, die ihn als Jüngling ausstellt, blieb, während er als greiser
Vater der Aupais Tierri genannt wurde.
VIII.
Bei dieser Parallele, die bei den gemeinsamen Beziehungen ihrer
Träger zu ein und derselben Person nicht zu kühn erscheinen möge,
ja die sich dem Sagenforscher aufdrängen mufs, der von dem realen
Quell seiner Sage überzeugt ist, würde eins entscheidend sein ; wenn
wir die kirchliche Tradition auf Historisches zurückführen könnten.
Der Versuch ist ja schon gemacht worden, wenn auch mit negativem
Resultat für die Verwandtschaft Dodos mit Alphaid, hat aber von
Seiten Dahns folgende scharfe Kritik erfahren {Geschichte der germ.
n. vom. Völker II, 3, S. 757): 'Namentlich ist es eitel Fabel, dafs sie
(Alphaid) durch ihren Bruder Dodo Bischof Lambert von Lüt-
tich habe ermorden lassen, weil dieser gegen ihre "Ehe", d.h. Buhl-
schaft mit Pipin geeifert habe.' . [In der Anmerkung 6 :] 'Jene späten
und böswillig tendenziösen Quellen wissen nicht einmal, dafs Pipin
nicht König war. Wertlos ist das Memoire von Dewez etc.' — Ja
welchen Grund haben denn 'jene späten Quellen', um 'böswillig ten-
denziös' zu sein? Im allgemeinen findet man doch die Tendenz, nach
irgendeiner Seite zu entstellen, nur bei Zeitgenossen, wenn es in einer
Frage noch Parteien gibt. Aus welcher Ursache hätten denn im 12.
und 13. Jahrhundert Stimmen gegen Karl Martells Mutter erstehen
können, gegen die Urahne Karls des Grofsen, des Heiligen der
Kirche, Stimmen, die ihr gar einen Bruder andichten und eine Reihe
von Schandtaten dazu? Dahns Urteil scheint uns weder logisch
noch kritisch. Das Gegenteil geradezu wäre verständlicher! 'Diese
Quellen zeigen eine Art der Tendenz, die auf hohes Alter schliefsen
läfst. Dafür spricht auch, dafs sie Pipin König nennen. Denn diese
Anschauung, die ja aus der Chronik leicht zu korrigieren gewesen
108 Studien zur fränkischen Sagengeschichte.
wäre und sich im 12. Jahrhundert nur noch in der Dichtung findet,
stammt aus der Volkssage und ist dort durch Vermischung Pipins
mit seinem Enkel, der wirklich König war, bewirkt worden.'
Und die Geschichte Alphaids wie ihres Sohnes zeigt ja günstig-
sten Boden für die Entstehung tendenziöser Legenden und Sagen:
Die Neustrier waren Gegner Plectruds und ihres Kegiments und
somit auf seiten Karl Martells. Umgekehrt sahen die Austrasier in
Karl Martell ihren Gegner. Die Kirche schliefslich war Pipin wie
Karl feindlich gesinnt. Nun besitzen wir ja zu dieser Sachlage zwei
Stimmen, eine günstige, verklärende und eine gehässige, die Kirch-
liches und Volkstümliches gemischt zeigt. Durch die Verschiedenheit
ihrer Stimmung aber gewinnen beide Sagen aufserordentlich an Wert,
denn sie können nicht voneinander abhängig sein. Und
wenn sie unabhängig sind, die eine von der anderen, so kann eine
Konkordanz zwischen ihnen nicht auf Zufall zurückgeführt werden,
sondern in dem beiden Gemeinsamen sehen wir einen Kern, der nicht
leichthin als blofse Fiktion angesehen werden kann: neben Alphaid
stand als der uns im historischen Berichte fehlende Spiritus Bector
eine Persönlichkeit, Vater oder Bruder, vielleicht auch nur ein Ge-
treuer, den eine wohlwollende Sage als mörderischen Outlaw in den
Ardennen, eine 'böswillig-tendenziöse' als politischen Mörder eben-
falls in der Ardennengegend darstellt, und der nach beiden Berichten
eines unnatürlichen Todes starb.
Mag die Ermordung Lamberts auf Dodo eine Übertragung
sein, wie es die Ermordung Grimoalds sicher ist, mag man die
Übertragung für tendenziös halten, was durchaus nicht gesagt ist,
oder in ihr die Tätigkeit der Kirche sehen, was sicherlich unrichtig —
auch eine Übertragung ging nicht von realen Figuren auf Erfin-
dungen der Phantasie über, sondern zeigt nur, dafs der Satellit der
Aupais, wenn auch nicht als Typus politischer Klugheit und Rück-
sichtslosigkeit, so doch als solcher Handlungsweise fähig gehalten
wurde.
Und hierin liegt, wenn man die von den unsrigen durchaus ab-
weichenden moralischen Vorstellungen in Betracht zieht, der fränkisch-
volkstümliche Charakter dieser Übertragung: beide Taten, die Be-
strafung eines Beleidigers seiner Schwester, selbst wenn dieser ein
frommer Mann war, die Beseitigung eines ihrem Sohn im Wege
stehenden Thronerben, sind nicht gerade geeignet, nach den damaligen
Anschauungen der Franken ihnen Abscheu vor der Persönlichkeit
des Dodo zu erregen. Die Konsequenz, die in der Handlung liegt,
so verwerflich diese auch sein mag, erschien dem fränkischen Volke,
das 200 Jahre früher Chlodwig wegen gleichen Vorgehens vergöt-
terte und 140 Jahre später Ludwig den Frommen wegen schwäch-
licher Vermeidung gewaltsamer Lösungen verachtete, als etwas Be-
wunderungswürdiges. So dachten sich die germanischen und kriege-
rischen Teile der Bevölkerung ihre Helden und die Gegner, vor
Studien zur fränkischen Sagengeschichte. 109
denen sie Respekt hatten. Erst in der Hand der Kirche bekam diese
urfränkische Art der Übertragung und Ausschmückung das 'Böswillig-
Tendenziöse', welches Dahn ausschliefslich in der Sage sehen will.
IX.
Kehren wir zur Folko-Äupais-Episode zurück, die, wenn uns
nicht alles täuscht, in ihrer Verwendung novellistischer Motive das
Erzeugnis stillsitzender, d. i. romanischer Bevölkerung ist. Sie liefert
uns zu der Sage über Alphai d eine dritte Version, die insofern sehr
getreu genannt werden kann, als der Name der Heldin, ein sagen-
haft-physiognomisches Merkmal an ihrem Körper und eine Neben-
figur, hier ihr Vater Tierri, sich erhalten haben.
Der Mord an Tierris wahrscheinlichem Urbilde, dem Bruder
der Alphaid, Dodo, geschah nun erst nach ihrem Roman mit Karl
Martell. Wenn also die burgundische Sage ihre Aupais au ranc
talon noch nach diesem Morde an Tierri einen Herzensroman er-
leben läfst, so zeigt das, dafs einerseits die Erinnerung an die Be-
ziehungen der Heldin zu Karl Martell geschwunden war, ander-
seits der Mord an dem an verwandten Satelliten Dodo • Theoderich -
Tierri und die Blutrache hierfür von der burgundischen Sage in
den Vordergrund gerückt worden war, in welcher Stellung wir ihn
ja auch im Girart von Rossillon finden.
Aus der vergessenen Sage von Alphaid und Karl Martell blieb
nur eine dunkle Erinnerung an einen weltvergessenen Liebesbund
der Heldin im väterlichen Ardennenschlofs, blieb nur als unverstan-
dener Rest der hieraus entstehenden Verwickelung das Merkzeichen
an ihrer Ferse, an dem sie der König oder Königssohn später er-
kennen sollte. So wurde das Motiv der Blutrache, das vielleicht
früher in unerbittlicher Form durchgeführt war — so vielleicht wie
von Ludie in den Lothringern — , gemildert, von der unkriege-
rischen, stillsitzenden Bevölkerung nach dem ihr geläufigen Märchen
von der Tochter, die den Mörder ihres Vaters lieht, umgestaltet, so dafs
Dodo -Tierri zum Vater wurde.
Von diesem hatten allerorts Sagen berichtet, wie er zu Pipins
Zeiten in den Ardennen eine wilde, friedlose Zeit durchgemacht, wie
er schliefslich, selbst ein Mörder, ermordet worden war.
Mit der Leichtigkeit der Sage hat die Schlacht hei Valheton inner-
halb des Girart von Rossillon ein Stück aus dieser Verbannung ver-
jüngt und unter Karl Martell vor sich gehen lassen, der II. Teil des-
selben Girart den Mord des Helden durch Boso wiederholt, als
Grundlage zu weiteren Kriegen zwischen Karl und Girart.
Auf demselben zweiten Tode Dietrichs fufst unsere Folko-
Äupais-Episode. Denn Boso, sein Mörder, ist ein Bruder Folkos, der
der trauernden Tochter ausgeliefert wird. 'Sie aber verliebte sich in
seinen Leib und sein Antlitz und hielt ihn in silbernen Ketten. Und
es geht das Gerücht, dafs sie ein Knäblein von ihm habe.' — So
110 Studien zur fränkischen Sagengeschichte.
trat Folko an die Stelle, an der ursprünglich Pipin gestanden hatte.
Karl Martell aber wurde zum Zeugen einer romantischen Sage, die
ursprünglich die Liebesgeschichte der eigenen Eltern und die eigene
Herkunft geschildert hatte.
Anhang I. Die Bertasage.
Die Bertasage ihrerseits ist dem Kern der alten Dichtung von
Aupais treu geblieben, wenn sie auch den Namen der Heldin auf-
gegeben hat und einen Satelliten nicht mehr kennt. Selbst in der
ursprünglichsten uns zugänglichen Version, dem franko - italischen
Gedichte Berta de li gran pie, das uns Mussafia in Eomania Bd. HI
und IV herausgegeben hat, ist keine Rede von einem Bruder, wildem
Waldleben, schrecklichem Tode desselben.
Die Sage hat hier, im Gegensatz zu der burgundischen Tra-
dition, das Derb- Volkstümliche, wenn ich so sagen darf, das Nicht-
Hoffähige an Herkunft und Familie ihrer Heldin aufgegeben und
sie zu einer ungarischen Königstochter gemacht, um die Pipin in aller
Form werben mufs, und die dann durch ihre eigene Schuld von einer
Doppelgängerin aus dem ehelichen Bette verdrängt wird. *
Immerhin verdient die Frage eine Prüfung, ob hierbei sich nicht
trotzdem Ursprüngliches erhalten hat, ob nicht echtes, altes Sagengut
aus den wilden, schaurigen Ardennen in das gesittete, romantische
LJngarland übertragen worden ist.
Da ist erstens einmal der Vater der Berta:
555 Li rois d' Ongarie, c'oit nome Alfaris.
Alf aris, mufs man bekennen, ist ein seltsamer Name für einen
Ungarkönig, aber auch ungewöhnlich für eine Erfindung des 12. Jahr-
hunderts, das Namen wie Floire (so bei Adenet), Felis für solch exo-
tische Fürsten vorzog. Alfaris aber ist ein gut germanischer Name,
wir kennen ihn in der Gestalt Alphari, Alpher u. a. m. - Der
erste Bestandteil des Namens ist aber derselbe wie im Namen von
Bertas Urbild Alphaid. Und da wir die Vorliebe germanischer
Völker für solche Namengebung kennen: Gernot und Ger linde,
Hildebrant und sein Sohn Hadubrant, so kann man sich der An-
sicht nicht verschliefsen, dafs Alfaris sagenecht ist und wir den
ursprünglichen Namen von Alphaids Vater in ihm zu sehen haben.
^ 797 Berta bittet eine ihr gleichende Gefährtin, die Brautnacht bei
Pipin statt ihrer zu verbringen, sie sei von der ßeise wie zerschlagen.
Auf ihre Bitten würde er sie verschonen. Die Gefährtin benutzt dies, um
sie zu verdrängen. Ursprünglich war vielleicht Pipin selber derjenige, der
Berta wegen ihrer grofsen Füfse verschmähte, worauf dann, um dies fallen
zu lassen, jene wenig wahrscheinliche Intrige erfunden wurde. (Vgl. Pio
Rajna, Ricerche intorno ai Reali di Francia S. 227.)
'^ Förstemann, Altdeutsches Name^ihuch: ALFI. 'Alfheri'.
Studien zur fränkischen Sagengeschichte. 111
Auch hierdurch ergibt sich, dafs Dodo-Tierri Bruder, wie in
der kirchlichen Tradition, und nicht Vater, wie in der burgundischen
Sage, gewesen ist. Nach der ersteren schien nun dieser Bruder die
Rolle eines in der Wahl seiner Mittel skrupellosen Helfers seiner
Schwester gehabt zu haben. Diese Rolle fällt aber in Berta de li
gran pie, wie es die gute Sitte vorziehen läfst, einer Frau, und
zwar der Mutter Bertas, zu. Diese Mutter heifst (694) Belisant,
ein häufiger Name in späterer Dichtung {Amis und Ämiles), und
wenn auch Adenet le Roi einen romantischeren Namen für sie vor-
zieht: Blancheflour, so ist auch an Belisant nichts auszusetzen.
Wohl aber an der Trägerin: dieselbe benimmt sich nämlich
weniger wie eine wohlerzogene Ungarkönigin als wie ein derber
und nicht sehr rücksichtsvoller Mann. Sehen wir uns ihre Rolle
näher an:
Schon hat die falsche Berta dem König drei Kinder geboren
(946), schon hat König Pipin mit der unbekannten, echten Königs-
tochter, die bei seinem voier, nach der Chronique Saintongeoise bei
seinem Hirten Aufnahme gefunden, ein romantisches Beilager ab-
gehalten ' (1130). Da schöpft Belisant Verdacht, dafs bei ihrer
Tochter etwas vorgekommen sein müsse, und beschliefst, nach Frank-
reich zu reisen. Ihr Gemahl schlägt ihr diesen Wunsch rund ab.
Sie aber herrscht ihn erzürnt an:
1228 'Cativo rois, tu no vale un'alie.
Se con^ no nie doni, por Deo le ß Marie
A tot to malgre me meterö en vie,
Sola li alird sen^a nul com'pagnie,
E tat colsa iarö, sempre sera' honie.'
Auf diesen Ton hin, der eher zu dem Gebaren trotziger Söhne als
einer Frau pafst, ist der König auf den Tod erschrocken und weifs
nicht, was er sagen soll. Dann gibt er ihr demütig die volle Er-
laubnis, entschuldigt seine vorherige Absage mit seiner zu grofsen
Liebe, bietet ihr Geld und Geleit an.
'Das hättet Ihr mir gleich sagen sollen!' schilt sie und weist
alle Unterstützung zurück:
1265 ^Non voio del vostro espenser un diner
Asa' 06 da Spender e da doner/
* Ein natürlicher Instinkt läfst in Pipin heftige Liebe zu der ver-
meintlichen Hirtentochter entstehen. Diese weifs, wer er ist, und versagt
sich ihm nicht. Der Hirte bereitet ihnen das symbolische Lager auf einem
Karren. 'Daher,' sagt die etymologische Fabel, 'der Name Karl'. Das
franko-italische Gedicht findet sich mit dem Karren folgendermafsen ab:
Karl sagt:
1180 ' Vu aves ben ovree.
Por li calor', — qe fu da meqa stee —
*£» Celle carte sor un caru roee
Falles qe un gran leito si li sia ben concee . . /
Elo-l düse por gabes, me'l /u ben averee.
112 Studien zur fränkischen Sagengeschichte.
Sie fafst offenbar das eheliche Verhältnis etwas frei auf. Auch zu-
letzt noch hätte sie der König gern zurückgehalten, aber er wagte es
nicht: jyQ3 ji/^^- i^fito la dotava, por q'ela era si ß.
No la olsava por le viso nul hon guarde,
Par Mo li regno se fasea si dote,
No la olsava nul hon de nient contraste.
Nicht viel zarter ist ihr Betragen am fränkischen Hofe. Steht
da der Helfershelfer der falschen Berta vor der Tür ihrer vermeint-
lichen Tochter und wehrt ihr den Eingang: sie nimmt ihn, stöfst ihn
beiseite und tritt trotz seiner ein.
Und wie sie in der Kammer Licht gemacht und die kleinen
Füfse der Patientin gesehen, also den Betrug entdeckt hat, reifst sie
die Pseudo-Berta an den Haaren zum Bett heraus und schleift sie
hinter sich heraus. Die anderen kommen gelaufen und wollen ihr
wehren. Vor allen anderen der König. Wie sie diesen sieht, läfst
sie ihr Opfer los und wirft sich auf ihn:
1476 ^Fel traito renoie,
o'est ma ßle?'
Und mitleidslos schlägt sie auf ihn ein mit Händen und Füfsen,
dafs wenig fehlte, dafs sie ihn niedergeschlagen hätte. Für Pipin,
den Löwenbezwinger, eine ziemlich beschämende Szene!
Aber sie bringt die Lösung herbei. Pipin ist durch die Prügel
auf die Spur gebracht worden. Er erinnert sich der Hirtentochter,
der einst auf einem Karren mit ihm das Brautbett bereitet worden
war, sie hatte jene grofsen Füfse, die Belisant an der falschen Berta
vermifst, und so findet man denn auf seinen Wink hin die richtige
(1554); die Betrügerin aber wird verbrannt (1629).
Wenn dies das beglaubigte Porträt von unserem Dodo-Tierri
wäre, so würden wir uns weiter nicht wundern. Denn so müfste wohl
das Bild jenes Mannes sein, jenes Unholdes aus den Ardennen. Denn
wenn auch in der Vorzeit die Frau, wo sie auftritt, zur Intrigantin
wird, so sind es ihre Ränke, ihre Listen, in denen sie Meisterschaft
zeigt. Es ist vergeblich, auf Walkürenfiguren wie Brunhild aufmerk-
sam zu machen. Denn auch ihre unbändige Kraft ist nur dazu da,
um die Gewalt des männlichen Recken, der sie sich zur Trauten
zähmt, doppelt hervortreten zu lassen. Kurz, ich halte es für aus-
gemacht, dafs das Urbild dieser Frau ein Mann ist. ^
Auch das Verhältnis zum Ungarkönig ist zweifellos kein ehe-
liches. Es ist eher das eines dienstbar gewordenen jungen Helden,
der sich, nachdem die Kräfte sich entfaltet, losmacht wie Siegfried
von dem Zwerge.
Da nun die Rolle, die dieses Mannweib Belisant hier spielt, in
älterer Version, der kirchlichen Tradition nach jenem Dodo zukam,
Auch Rajna fiel questa singolare pittura auf: Op. eil. S. 229, 230.
Studien zur fränkischen Sagengeschichte. 113
einem als Mordgesellen berüchtigten Outlaw, so halte ich es für eine
gewichtige Stütze unserer Annahme, dafs auch Belisant mit dem
Messer droht. Wie nämlich alles vorbei ist, gratuliert sie dem König,
dafs Berta wiedergefunden sei, denn sonst würde sie ihn mit einem
Messer erstochen haben:
158r? ^Deo vos oit secoru e la Maeste sant;
Car por cel Deo qtce naque en Oriant,
Se mia filla tornea nen aiimes al presant,
Morto v'averoie a un coltel tren^nt,
Ne da le mi man nen aüses guarcmt.'
Die Beriasage hat also einerseits den Kern der Dichtung, der
schon die Awpaissage ausmachte (Zeugnis : Äupais al ranc talon), wohl
bewahrt. In dem Vater der Berta, Alfari, ist ein sagenechter Name
wegen des Alphaid identischen ersten Bestandteils zu vermuten.
Zu einem Ungarkönig hat ihn wohl erst das 12. Jahrhundert ge-
macht ' Zugleich ist der alte Helfer der Heldin aus einem Bruder
zu deren Mutter gemacht worden, in deren Gebaren aber derartig
männlich-wilde Züge zu finden sind, dafs man sich der Annahme
nicht verschliefsen kann, dafs diese Umbildung des Dodo-Tierri in
eine Frau nur eine formelle ist und die trotzig-männliche Gestalt
des Ardenesen in ihrer ursprünglichen Wildheit und Grausamkeit
in Belisant noch fortlebt.
Anhang H. Der Ardenois Galopin.
Galopin ist ohne Zweifel eine Märchenfigur, wie überhaupt der
Elie de St-Gille ein zur 'Chanson de Geste' aufgeputztes Märchen zu
sein scheint, in dem alles Epische entlehnt ist. Dafs der Märchen-
zwerg zum Sohne Tierris gemacht worden ist, zeigt eben wieder das
Typische der Outlawgestalt des Ardenesen im 12. Jahrhundert.
Galopins Geschichte ist folgende:
1179 'Amis, com as tu non?' —
'Biaiis sire, Oalopin,
Et si sui nes d'Ardane, ßeus au conte Tieri.
{Berrars si fu mes freres, li preus et li gentis.)
A l'ore que fui nes ceste paine m'avint:
.Uli. fees i ot; quant vint al departir,
Li une me voloit a son etcs detenir;
Mais les autres nel vaurent endurer ne soufrir
Et prierent ä dieu qui onques ne menti,
Que ia mais ne creusse, tous iors fuisse petis,
Se n'eusse de lonc que .III. pies et demi,
Et s'alaisse plus tost que chevals ne ronehins.
Certes, et ie si fac, por voir le vous plevi.
^ Der Vater der Manekine ist Ungarkönig; in den Enfances Ogier eine
Tante Karls des Grofsen Ungarkönigin. Auch im Hervis de Mßtx erschei-
nen Ungarn.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 8
114 Studien zur fränkischen Sagen geschichte.
Lors fu morte ma mere et mes pere autressi,
Mi parent m'orent vil por chou qu'ere petis,
Si me vaurent noier en le mer, el grant ßl.
Ost laron m'aeaterent que troves aves cht,
Tant 7n,'ont de lor mestier ensegniet et apris,
Sotts siel nen a chastel, dongon ne roellis,
Ne sor pilers de marbre tant soit palais assis,
Que n'en traie l'avoir, tant parfont i soit mis.
Ör devenrai vostre kom, si vous vaurai servir.'
Die vier Feen, welche bei der Geburt Galopins Schicksal be-
stimmen, verknüpfen ihn mit der Märchenliteratur: warum sie erwirkt
haben, dafs er nicht gröfser würde wie SVg Fufs, ist unklar. Sicher
ist nur, dafs eine (böse) Fee Anspruch auf ihn hatte, wie ja so oft
in den Märchen, und dafs sie durch den Wunsch der drei anderen
darum gebracht wurde. Da nun in den Märchen die Ansprüche über-
natürlicher Wesen an ein Kind fast immer an eine bestimmte Alters-
grenze geknüpft sind, so erhellt, dafs das Kind der bösen Fee ver-
fallen war, wenn es gröfser wie S^/^ Fufs geworden wäre.
Mit dieser Gabe verbinden die gütigen Frauen: besondere
Schnelligkeit ^ (daher der Name) und wunderbare Diebeskunst. Aber
die Kleinheit bringt ihm die Verachtung der Seinigen ein. Sie setzen
ihn aus und verkaufen ihn dann, wie es seit Josef in Ägypten vielen
lästigen Brüdern ergangen ist.
Von nun an spielt Galopin seine Rolle als Helfer des Helden,
wobei wir öfters an entsprechende Grimmsche Märchen: an den
Meisterdieb, an Daumesdick und den Daumerling , erinnert werden.
Sehr nahe steht das Märchen, das im Dolopathos 7984 ff. erzählt
wird. Dort stehlen nämlich drei Brüder ein Pferd, indem sie den
jüngsten und kleinsten (es ist nicht gesagt, dafs er Zwerggestalt hat)
ihm ins Futter binden. — Auch Daumerling und Daumesdick werden
im Heu dem Vieh vorgeworfen und so gefressen.
Diese letzteren Eigenschaften, Schnelligkeit, Fertigkeit im Steh-
len, sind es gewesen, welche die Beziehungen Galopins zu Tierri
d'Ardane vermittelt haben, und es erhellt, wie dieser den Vermitt-
lern im Lichte eines halb mythischen Outlaw stand, dessen Bezie-
hungen zum Königshause bereits gänzlich verwischt waren.
* Von Panzer in Hilde- Gudrun besprochen.
München. Leo Jordan.
[Es mag zu S. 9ß f. und 110 f. darauf hingewiesen werden, dafs es
auch in den Berta- Überlieferungen nicht an Indizien dafür fehlt, dafs
Berta nicht sowohl 'grofse Füfse' als 'einen grofsen Fufs' {ranc talon,
grand pied), d. h. einen Klumpfufs, gehabt habe. Vgl. die Reali di Francia
VI, 2 : io vi avviso che Berta ha un pie maggiore delV altro, ed e il pie
deatro. H. M.]
Cyrano de Bergerac (1619—1655),
sein Leben und seine W^erke.
Ein Versuch.
(Fortsetzung)
Literarisches.
Nachdem wir im vorhergehenden versucht haben, aus dem
Leben Cyranos ein Bild seiner Persönlichkeit zu gewinnen, wen-
den wir uns der leichteren Aufgabe zu, zu dem nämlichen Zwecke
seine Schriften durchzugehen. Wir ordnen diese nach der Zeit
ihrer Entstehung, soweit dies möglich ist, denn die Briefe z. B.
gehen wohl über den gröl'sten Teil von Cyranos Mannesleben
hin und sind, wie Spuren zeigen, auch vereinzelt erschienen,
bevor sie, zu zwei verschiedenen Malen, gesammelt herausgegeben
wurden. Wir beginnen also mit dem Pedant joue und schlielsen
mit dem Roman, an dem Cyrano noch auf seinem Sterbebette
arbeitete.
1. Le Pedant joue.
Wir haben Bd. CXIII, S. 361 und 369 gezeigt, dafs diese
Komödie bald nach 1645 entstand, 1654 zum erstenmal aufgeführt
wurde und im gleichen Jahre als Buch erschien. Neben den ver-
schiedenen Ausgaben dieses Druckes existiert auch eine offenbar
gleichzeitige Handschrift, die Nr. 4557 der Biblioth^ue nationale,
Fonds fran9ais, nouvelles acquisitions, welche verdiente, heraus-
gegeben zu werden, denn sie enthält aufser einem unverkürzten
und ^ungereinigten' Text mehrere in den gedruckten Ausgaben
nicht zu findende Stellen und Szenen. Die schöne und gut les-
bare Handschrift, welche auch die Letires enthält, wurde von
M. de Monmerqu^ am 18. April 1833 in der Nähe von Saint-
Sulpice erworben, 1861 im März unter Nr. 4015 auf der Auktion
verkauft und war am 29. April 1890 im Besitz von M. DeuUin,
von Epernay, der sie unter diesem Datum der Bibliothek schenkte.
Bisher ist P. Brun der einzige gewesen, der, ziemlich schüchtern,
etwas daraus publiziert hat.
Dem gleichen entnehmen wir folgendes Szenarium;
Die Szene ist in Paris, teils im College de Dormans, teils
auf der davorliegenden Strafse, an welche auch das Haus des
Sieur de la Tremblaye stöfst.
8»
116 Cyrano de Bergerac.
I. Akt. Granger, der p^dant, Prinzipal des College, emp-
fängt mit seinem Küster und Spafsmacher Pasquier den Besuch
des ^Capitan' Chasteaufort, der ihn unter einer Flut bombastischer
Reden um die Hand seiner Tochter Manon bittet. Granger weist
ihn mit einer Menge von zum Teil höchst unanständigen Wort-
witzen ab, weil er seine Tochter einem reichen Bauern Gareau
zugedacht hat, dessen Pflug ihn blendet. Der Bramarbas gerät
in heftigen Zorn und bedroht Granger und seinen Rivalen. Der
Pedant, um ihn irre zu führen, spricht von einem dritten Prä-
tendenten. Chasteaufort geht ab unter riesigen Drohungen auch
gegen diesen. Grauger erklärt nun seinem Diener seine Kriegs-
üst, die beiden Renommisten und Hasenfülse Chasteaufort und
La Tremblaye aufeinander zu hetzen, um so das Feld für Gareau
frei zu bekommen. Aber er hat noch einen anderen Kummer.
Er selbst liebt Genevote, die Tochter von La Tramblaye, und
sein Sohn Charlot ist sein Nebenbuhler. Er will ihn deswegen
entfernen und läfst ihn durch Pasquier herbeirufen. In einem
Monolog legt sich Granger die bekannte Frage vor: heiraten oder
nicht heiraten ? mit dem ebenfalls bekannten Schlufs : beides ist
mifslich, und macht eine Vergleichung ä la Tabarin zwischen
den Frauen und den Bäumen. Pasquier bringt Charlot herbei,
aber weder seine Scherze noch die Insinuation des Vaters, dafs
er in Venedig bei einem kinderlosen Onkel sein Glück machen
werde, vermögen etwas über den Sohn, der es vorzieht, als Stab
des Alters für seinen Vater in Paris zu bleiben. Auch dem
direkt ausgesprochenen Befehle widersetzt er sich im Abgehen.
Seinem dazukommenden Cousin Fleury erklärt der Pedant, sein
Sohn sei plötzlich verrückt geworden, und läfst den Zurück-
gekommenen durch seine Klassenaufseher 'ex^cuteurs de justice
latine' fesseln, bis Charlot verspricht zu reisen. Sein spitzbübi-
scher Bedienter Corbinelli verspricht ihm zu helfen.
II. Akt. Chasteaufort bespricht mit sich selbst die Chancen
des imaginären Duells mit La Tremblaye. Er wird unterbrochen
durch die Ankunft des Bauern, welcher im Dialog die Spitz-
findigkeiten des Bramarbas durch seine Naivitäten übertrumpft
und eine Lebensgeschichte und Reisebeschreibung zum besten
gibt, die den Hörer ganz wirbelig macht. Seine Versuche, die
grammatischen Schnitzer des Bauern zu verbessern, verwickeln
ihn in einen Faustkampf, bei dem er als Edelmann grofsmütig
alle Schläge einsteckt. Den dazukommenden Granger, Manon
und Fleury setzt Gareau auf die Frage, ob seine Güter in Ren-
ten, Häusern oder Möbeln beständen, seine Ansprüche an eine
Erbschaft auseinander, die so verworren ist, dafs der Pedant
im Namen seiner Tochter auf den Kandidaten verzichtet. Er
tut dies mit einer unflätigen Anspielung, die der Bauer ent-
sprechend erwidert. Corbinelli kommt und erzählt, dafs Charlot,
Cyrano de Bergerac. 117
im Begriff, etwas Wohlfeiles als Geschenk für den Onkel in Ve-
nedig zu kaufen, in die Hände der Türken gefallen sei, die ihn
auf ihrer Galeere gefangen halten und ein Lösegeld von 100 Pi-
stolen verlangen. Granger holt unter schweren Seufzern über
die Galeere und die Türken das Geld, da er kein anderes Mittel
weifs. Corbinelli und Charlot bergen es im Koffer von M"*" Ge-
nevote, damit es für die Kosten der Hochzeit diene. Granger
und Pasquier treffen Mafsregeln, um Manon und den Rest des
Vermögens von Granger in Sicherheit zu bringen und die Heirat
von Granger mit Genevote zu beschleunigen. Pasquier verhandelt
mit dieser, aber sie wird durch die Ankunft von Chasteaufort
vertrieben, der auf der Suche nach seinem Wächter ist, den er
sich durch die Obrigkeit hat geben lassen, um das Duell mit La
Tremblaye zu verhindern. Er ist deswegen in tausend Ängsten,
die ihm Pasquier nicht auszureden vermag.
in. Akt. Pasquier gibt Granger Bericht von dem guten
Erfolg seiner Mission, und der Pedant hält Rundschau über seine
Garderobe und übt sich vor dem Spiegel in galanter Haltung
und Reden. Genevote kommt und entdeckt ihm, man weifs nicht
recht warum, den Betrug, dem er zum Opfer gefallen ist, und
er macht ihr pedantische Liebeserklärungen im Stil der Astr^e,
des Francion und der alten Ritterromane. Genevote macht dazu
feine Bemerkungen, deren Ironie er übersieht, und gibt ihm ein
Rendezvous für die kommende Nacht. Er soll auf einer Leiter
ihr Fenster ersteigen. Die Schlaue teilt aber das nämliche an
Charlot mit, mit der wörtlichen Mahnung 'ä bon entendeur saluf.
Corbinelli, La Tremblaye und Manon beraten ebenfalls, wie sie
die Situation für ihre eigenen Pläne ausnutzen wollen.
IV. Akt. Granger und Pasquier belagern das Haus Trem-
blayes. Corbinelli erschreckt sie im Dunkeln durch allerhand
Späfse, schleicht sich vermittels eines Passepartout ins Haus
und hält ihnen vom Fenster aus eine magische Beschwörung, die
wir in einem der Briefe Cyranos wiederfinden werden. La Trem-
blaye kommt hinzu und bedroht die beiden als Diebe mit Dau-
menschraube und Galgen. Der Pedant ruft Chasteaufort zu
Hilfe, der mit einem unwiderstehlichen coup de revers renommiert,
aber von La Tremblaye im Namen der ganzen Welt verhaftet
wird. Manon erscheint und bietet sich als Lösegeld für ihren
Vater an, und nach einigem W^iderstreben willigt Granger in den
Handel. Chasteaufort wird mit Schlägen fortgejagt und Pasquier
mit den Zurüstungen zur Hochzeit beauftragt. Vorher mufs
dieser sich noch von Corbinelli wegen eines in der Nacht vor-
gekommenen Diebstahls aufziehen lassen. Corbinelli erhält von
Granger Verzeihung unter der Bedingung, dafs er Charlot ent-
ferne. Corbinelli verabredet nun mit diesem, dafs er ihn als tot
ausgeben werde. Dem zurückkehrenden Pedanten wird berichtet,
118 Cyrano de Bergerac.
dafs sein Sohn in der Croix blanche mit zwei oder drei Zög-
lingen der Schule sich betrinke und vorderhand unschädlich sei.
La Tremblaye wird von seinem künftigen Schwiegervater auf
die Festlichkeiten aufmerksam gemacht, die bei der Hochzeit
vorkommen sollen. Er wünscht die Mitwirkung Corbinellis, der
als Italiener ein geborener Komödiant sei. Als Beweis dafür
folgt ein komisches Intermezzo zwischen Corbinelli, Pasquier und
Granger, das nur in der Handschrift steht (bei Brun p. 363 f.).
Der (scheinbar) betrunkene Charlot, spielt seine Rolle so gut, dafs
der geprügelte Pasquier sich vornimmt, alles zu verraten.
V. Akt. Pasquier teilt seinem Herrn mit, dafs die verstellte
Trunkenheit Charlots nur den Zweck gehabt habe, einen eben-
falls verstellten Tod desselben zu motivieren. Dann werde Ge-
nevote erklären, sie habe einen Eid geschworen, Charlot tot oder
lebendig anzugehören; sie werde verlangen, diesen Schwur durch
Kopulierung mit dem angeblichen Toten zu lösen, unter den
Augen und mit der Zustimmung des Vaters. Sobald dies ge-
schehen sei, werde der Tote wieder auferstehen und dem Vater
für seine Einwilligung danken. In der Tat kündigt nun Corbi-
nelli an, dafs Charlot in einem Wirtshausstreit erschlagen worden
sei. Granger stellt sich, als ob er es glaube, und rät der herbei-
gerufenen Genevote, den Leichnam zu heiraten, es sei denn, sie
bewirke ein Wunder und mache die Leute lebendig, die nicht
gestorben seien. Zugleich wirft er Corbinelli seine erneute Schel-
merei vor. Dieser entschuldigt sich mit Witz und Unverschämt-
heit und verspricht, zur Sühne das Fest mit einem 'divertissemenf
zu verschönern, in dem jeder eine Rolle spielen soll. Der ihn
wegen seiner mifsglückten List verspottenden Genevote erklärt
Corbinelli, dafs er einen anderen Ausweg bereit habe. Der Pe-
dant macht nun Corbinelli zum Arrangeur des Stückes, dessen
Plan ihm angegeben wird, und setzt Pasquier als Cerberus an
die Tür, damit kein Unberechtigter das Schauspiel mit geniefse.
Dieser weist unter lächerlichen Reden auch wirklich Chasteaufort
und Gareau ab, die vor dem Hause zusammentrefiPen, aber der
hinzukommende Pedant ladet sie zum Eintritt ein. In der Schlufs-
szene, der mit Ausnahme von Fleury sämtliche Personen bei-
wohnen, geht nun der Pedant in der plumpesten Art in die Falle,
indem er in der Meinung, es handle sich um eine Komödie, in
der er die Rolle des durch die Liebe des jungen Paares ver-
söhnten harten Vaters zu spielen habe, seinen Namen unter den
Ehekontrakt von Charlot und Genevote setzt, worauf ihm die
Sache erklärt wird. Er macht gute Miene zum bösen Spiel, da
ihn La Tremblaye mit seinem Zorn bedroht, und unter einigen
derben Späfsen schliefst die possenhafte Handlung.
Man sieht aus diesem Szenarium, dafs das Ganze sich nicht
über den Durchschnitt der aus der italienischen commedia dell'arte
Cyrano de Bergerac. 119
stammendoii französischen Posse erhebt, wie sie auch Moli^re in
seinen ersten Stücken noch pflegte. Auch die typischen Per-
sonen: der Doktor, der Eisenfresser, der Parasit, der Sohn als
Rivale des Vaters, der spitzbübische Bediente sind alte Bekannte
schon von Plautus und Terenz her. Auch die Intrige und die
Bühnenmittel sind meist die herkömmlichen, aber die Fuhrung
des Dialogs, der sprühende, allerdings oft unsaubere Witz und
die komische Kraft in der Ausgestaltung der Personen sind doch
unseres Autors persönliches Verdienst. Neuhinzugefügt hat er,
wie schon die fr^res Parfait' hervorgehoben haben, den Bauern,
zu dem er in der Farce vom avocat Pätelin Anregungen emp-
fangen haben mag. Der allerdings grob motivierte Intrigenzug
von der türkischen Galeere scheint seine Erfindung zu sein, viel-
leicht auch der komische Rechtsstreit zwischen Corbinelli und
Pasquier, der freilich nur eine Variante älterer Dilemmas ist.
Er lautet folgendermafsen : Pasquier hat Corbinelli versprochen,
ihm zehn Taler zu bezahlen, wenn dieser ihn so rechtskundig
mache, dafs er seinen ersten Prozefs gewinne. Corbinelli verlangt
nun, dafs Pasquier entweder plädiere oder zahle, und zitiert ihn
vor das Tribunal von Granger. Wenn Pasquier hier seine Sache
gewinnt, so mufs er versprochene zehn Taler zahlen; wenn er sie
verliert, so mufs er die eingeklagten zehn Taler bezahlen. Pas-
quier antwortet: entweder werde ich von der Zahlung frei-
gesprochen, dann habe ich nichts zu bezahlen, oder ich werde
dazu verurteilt, dann habe ich meinen ersten Prozefs verloren,
bin dir folglich nichts schuldig. Granger fällt den salomonischen
Spruch: Pasquier ist nicht gebunden, seine Schuld zu bezahlen,
weil ich befehle, dafs Corbinelli sich von ihm bezahlen lasse, und
weil Corbinelli von Pasquier nichts verlangen kann, da dieser
seinen Prozefs gegen Corbinelli verloren hat. P. Brun hat pp.
164 — 198 genau nachgewiesen, was etwa Cyrano von früheren,
wie namentlich von Sorel und Rabelais, haben kann, und was
andere, wie Moli^re, Lafontaine und Racine, von ihm entlehnt
zu haben scheinen. Die Entlehnungen Cyranos, Lafontaines und
Racines sind unbedeutend. Moli^re hat neben Kleinigkeiten zwei
Szenen des Pedant jou^ II, 4 und III, 2, in den Fourberies de
Scapin II, 7 und III, 8 direkt kopiert, aber freilich die rohe
Motivierung seines Vorbildes höchst geschickt verbessert. Eine
einfache Vergleichung beider Stücke wird dies dem Leser sofort
zeigen, weshalb wir hier darauf verzichten, nachdem wir die
Priorität Cyranos konstatiert haben. Die Szenen betreffen die
angebliche Gefangennahme Charlots durch die Türken und die
Anzeige dieser List durch Genevote an Granger. Racine hat
* Histoire du Theatre fran^ois, tonie VIII p. 0, wo es heilst, ein Jurist
habe die Erbschaftsausprüche Gareaus nachgeprüft und richtig befunden
120 Cyrano de Bergerac.
das sehr geschickt gemachte 'Stück im Stück^, durch welches
Graoger betrogen wird (Pedant jou^ V, 10), in seinen Plaideurs
A. III nachgeahmt, ohne es zu übertreffen. Dafs in Granger
eine nach dem Leben kopierte Figur stecke, haben wir schon
erwähnt. Auch die Namen Corbinelli, Chasteaufort und La Trem-
blaye kommen in der Zeitgeschichte vor, aber die historischen
Träger dieser Namen sind hochgeachtete, zum Teil mit Cyrano
befreundete Leute, so dafs es unwahrscheinlich ist, dafs unser
Autor eine Persiflage beabsichtigt hätte. Wahrscheinlich kam
ihm der blofse Wortklang passend für diese Rollen vor. Zum
Schlufs dieses Abschnittes wollen wir noch einige Stellen zitieren,
welche besonders charakteristisch für Cyrano und seine Komödie
sind. Witze des Bauern: '0 quian, sgachez que les naissances
ont de marveilleuses propretez; c^est un certain oignement dont les
ancians s'oignient quand ils estient morts, dont ils vivient si longue-
meni\ II, 2. 'Stawpandant moy qui ne veux pas qu'on me fasse des
Trogedies, si favoüas trouve queuque Eihaut liehe?' le Morviau ä ma
Femme, comme cet affront-lä frape Man au coßur, peut-estre que dans
le desespoir je m' empor teroüas ä jeter son clmpiau par les fenestres,
pis ce seret du scandale', II, 3. Sprichwörter und Redens-
arten des Bauern: 'Qui te7Te a, guarre a.' — 'C'est de la noblesse
ä Mathieu Furon: va te cou^her, tu souperas demain.' — 'Vous avez
mange de la soupe ä neuf heures.' — 'Monsieu de Marsilly m'appel-
let Man son hastar. Vieux-ga, ce me fit-il une fois, gros Fils de Pu-
tain, car j'etions tout comme deux frares\ II, 3.
Anrede an die Zuschauer: 'Et vous autres, messieurs qui
m'ecoutez, allez m^en querir tout ä Vheures des gardes\ II, 2.
Gasconnade von Chasteaufort: 'Si je recule c'est pour
mieux sauter', IV, 2.
Corbinelli und Pasquier: 'Nostre Domine, ne songe pas
que ces Turcs me devoreront.' — 'Vous estes ä Vdbry de ce coste-lä,
car les Mahometans ne mangent point de Pore,' II, 5.
Wert der Frauen: Genevote: 'Usez de moy aussi librement
que le ckat fait de la Souris. Rognez, tranchez, taillez, faites en comme
des Choux de Vostre Jardin.' Pasquier: 'Je trouve pour tant Men du
distinguo entre les Femmes et les Choux, car des Choux la teste en est
bonne et les Femmes c'est ce qui n'en vaut rien/
IL La Mort d'Agrippine.
Dafs diese Römertragödie vor 1650 entstanden sein mufs,
geht aus folgender Notiz des'Abb^ de Marolles hervor: 'Un jeune
homme de Paris, appele Cyrano . . . me donna son livre du Voyage
de la Lune qui est une piece ingenieuse et sa tragedie d' Agrippine' , zu-
sammengehalten mit der Bd. CXIII, S. 368 besprochenen Tatsache,
dafs Royer de la Prade die Existenz eines Manuskripts von
Cyrano de Bergerac. 121
Uautre Monde für 1650 bezeugt. Man darf aber nicht so weit
gehen wie P. Lacroix und andere, denen Rostand gefolgt ist, die
Entstehung der Tragödie zwischen 1638 und 1640 zu verlegen.
Für ein so reifes Werk war Cyrano damals entschieden zu jung,
und wie liefse sich die lange Zeit zwischen der Entstehung und
der ersten Aufführung (1653) und Drucklegung (1654) erklären?
Denn dafs dem Abb^ de Marolles nur ein Manuskript vorlag,
ist soviel wie sicher. Auch die Vorrede Cyranos in der ersten
Buchausgabe deutet keine so entlegene Entstehungszeit an, wäh-
rend er die fast gleichzeitig dem Duc d'Arpajon dedizierten
Lettres ausdrücklich ein 'ramas confus des premiers caprices, ou,
pour mieux dire, des premieres folies de sa jeunesse' nennt. Die
'dedicace' der Tragödie ist insofern interessant, als sie in der Art
der 'Examens' von Corneille und der 'Frefaces" von Racine über
den Gegenstand des Stückes sich verbreitet. Es wird hier von
Agrippina gesagt, dafs diese Dame aus fürstlichem Blut die un-
glücklichste aller Frauen gewesen sei, der alles zum Nachteil aus-
schlug, und welcher die Ruhe des Todes besser wäre als Nach-
leben in einer Tragödie, wenn diese nicht von einem Helden
protegiert wäre, gröfser als Germanicus. Man könnte dieser
/ Prinzessin vorwerfen, fährt der Autor fort, dafs sie gegen ihren
Souverän intrigiert habe. Aber sie verfolgt den Tod des Ti-
berius nur, um den des Germanicus zu rächen, und wird eine
ungetreue Untertanin, um eine treue Gattin zu bleiben. In dieser
Apologie steht also kein Wort von Sejanus, der es nötiger ge-
habt hätte, erklärt oder entschuldigt zu werden. Hat Cyrano
das für hoffnungslos gehalten, oder wollte er seine Herzens-
meinung lieber erraten lassen als aussprechen? Eine Analyse
des Stückes nach P. Brun, p. 211 — 215, und Zitate der inter-
essantesten Stellen sollen dem Leser ein Urteil erlauben.
I. Akt. Agrippina erinnert ihre Vertraute Cornelia an den
Tod des Germanicus und kündigt an, dafs sie die Mörder ihres
Gatten mit unversöhnlichem Hasse verfolgen werde. Zu diesem
Zwecke will sie sich mit dem allmächtigen Sejanus verbünden,
d. h. ihn für ihre Zwecke benutzen. Aber neben der ihrigen
spielt eine zweite Intrige. Livilla, die Schwiegertochter des Kai-
sers, liebt Sejanus und verlangt aus Eifersucht vom Kaiser den
Tod der Agrippina. Sejanus enthüllt seinem Vertrauten Teren-
tius, dafs er Livilla hasse und mit der Hand Agrippinas die
höchste Gewalt zu erringen hoffe.
n. Akt. Tiberius bespricht mit seinem Vertrauten Galba
die Sorgen und Gefahren der Herrschaft und fürchtet den toten
Germanicus, der ihn in seiner Frau bekämpft. Er will diese
mit List besiegen, da er nicht ihren Tod zu befehlen wagt. Er
bietet also Agrippina, die ihm die Hilfe ihrer persönlichen Freunde
gegen allfällige Volksaufläufe verspricht, die kaiserliche Gewalt
122 Cyrano de Bergerac.
an, welche sie kalt zurückweist. Sejanus tadelt sie darüber und
enthüllt vor Terentius seine gefährlichsten Geheimnisse. Die
Warnungen des Getreuen erwidert er mit kühnem Trotz gegen
Tod und Götter. Die ungünstigen Vorbedeutungen, von denen
Livilla spricht, rühren ihn ebensowenig. Die Verschwörung
wird ausgehen, wie das blinde Geschick sie sich zu verschwören
zwingt.
III. Akt. Von der Vision des blutigen Schattens des Ger-
manicus verfolgt, will Agrippina die Dinge beschleunigen. Sie
kündigt Cornelia an, dafs sie von Tränen zur Tat übergehen
werde und zwar schon in wenigen Tagen. Tiberius, der sie be-
lauscht hat, läfst sich anscheinend durch die Lüge täuschen,
Agrippina habe nur einen Traum erzählt. Sie denunziert hier-
auf Sejanus, den ein kindisches Wortspiel scheinbar rechtfertigt.
Ihren Mitschuldigen stellt sie ihrerseits durch eine ebensowenig
genügende Erklärung zufrieden und verabredet mit ihm, dafs sie,
um loszuschlagen, abwarten wollen, bis Tiberius sich nach Capri
zurückgezogen hat. Livilla bringt die Nachricht von einem Auf-
stande, der Agrippina den Thron eintragen soll. Diese erklärt
ihrer Rivalin, dafs sie den Tod des Tiberius wie den des Se-
janus wünsche. Ihr Schwur, dafs sie den Sejanus nicht liebe,
entwaffnet die Eifersucht der Livilla nicht, welche blutige Rache
verhelfst, wenn ihr Verdacht wahr sein sollte.
IV. Akt. Tiberius hat das empörte Rom niedergeschlagen
und teilt dem Sejanus seine Absicht mit, sich der verdächtigen
Agrippina zu entledigen. Zu diesem Zwecke läfst er sie kommen
und hält ihr ihren Undank gegenüber seinen Wohltaten vor. Die
Angeklagte verschmäht die Verteidigung, geht ihrerseits zu den
heftigsten Anklagen über und schleudert dem Tyrannen einen
Dolch, den sie gegen ihn gerüstet, zu Füfsen. Tiberius wagt
nicht, sie zu verurteilen, und will nur ihren Sohn Caligula als
Geisel mit nach Capri nehmen. Sejanus und Cornelia dringen
in Agrippina, die Verschwörung durch Aufstiftung der Soldaten
zum Ausbruch zu bringen. Sie zögert und will aus eigenen
Mitteln den Tyrannen stürzen. In zweideutigen Worten ver-
spricht sie Sejanus ihre Hand. Livilla, welche dessen Liebes-
schwüre belauscht hat, beschuldigt Sejanus der Verräterei. Er
verteidigt sich matt und verspricht den Tod der Agrippina und
des Tiberius.
V. Akt. Livilla entdeckt dem Kaiser die Verschwörung.
Dieser trifft seine Mafsregeln. Livilla verlangt und erhält die
Verurteilung der Agrippina. Nerva berichtet von der Verhaftung
des Sejanus. Livilla verlangt, dafs sie ihn noch einmal sehen
dürfe, und enthüllt dem Kaiser alle Verbrechen, die sie selbst
gegen ihn begangen hat, aus Hafs gegen sein Geschlecht und
aus Liebe zu Sejanus. Sie freut sich darauf, von den Händen
Cyrano de Bergerac. 123
eines Tyrannen zu sterben. Dem herbeigerufenen Sejanus kün-
digt sie an, dafs sie ihn besiegt habe, dafs er Agrippina nicht
heiraten werde, dafs beide sterben müssen und sie selbst sie bis
in die Hölle verfolgen werde. Sejanus bleibt kalt. Selbst als
nun Agrippina triumphierend seinen Tod mit allen schrecklichen
Einzelheiten ihm ausmalt und als ihr Werk erklärt, verliert er
seine geistige Überlegenheit nicht und ladet sie ein, seinen Tod
mit anzusehen, was auf Agrippina einen gewissen Eindruck zu
machen scheint. Sie provoziert den Tiberius, indem sie ihn mit
Schmähungen überhäuft, so dafs er sie und alle ihrigen, mit
Ausnahme von Caligula (zu seinem Verderben, wie Agrippina
höhnt), zum Tode verurteilt. Er verzeiht dem Terentius und
erfährt von Nerva, dafs alle Verurteilten mutig gestorben seien.
Man hat mit Recht hervorgehoben, dafs diese 'Römertragödie'
den Vergleich mit ähnlichen von Tristan, Rotrou und anderen
Zeitgenossen wohl aushalte und nur hinter den Meisterwerken
von Corneille zurückstehe, mit dem Cyrano Vorzüge und Fehler
dieser Gattung gemein hat. Aber auch hier wieder hat, wie
schon Bd. CXIII, S. 359 gesagt worden ist, Cyrano ein Original
auf die Bühne gebracht in dem 'soldat philosophe' und auch den
übrigen Hauptpersonen einen Hauch wirklichen Lebens gegeben,
den wir selbst bei Corneille nicht immer finden. In der Durch-
führung der Intrige und der Charaktere ist ein Fortschritt gegen-
über dem Pedant jou^ unverkennbar, und der Stil erhebt sich
oft zu klassischer Reinheit. Hierfür ein paar Beispiele, die auch
den Gedankenreichtum unseres Autors und sein 'prophetisches
Gemüt' illustrieren sollen:
S e j a n u s : Qii'il fut ne d'un grand Roy, moy d'un simple pasteur,
Son sang aupres du mien est-il d'autre couleur^
Terentius: Mais le crime est affreux de massacrer son maiire.
Sejanus: Mais on devient au moins un m^gnifique traistre etc.
Sejanus: Penses-tu qu'un vain nom de traistre, de voleur
Aux hommes demi-Dieux doive abattre le ccßur'f
Terentius: Respede et crains des Dieux Veffroyahle tonnerre.
Sejanus: II ne tomhe jamais en hyver sur la terre.
J'ai six mois pour le moins de me moqueur des Dieux,
En suite je feroy ma paix avec les Cieux etc. II, 4.
Sejanus: Madame, ce n'est pas connoistre mon genie
Car faurois fort bien sQeu mourir sans compagnie.
Sejanus: Tay beau plonger mon ame et mes regards funebres
Dans ce vaste neant, et ces longues tenebres,
J'y rencontre par tout un estat sans douleur
Qui n^eleve ä mon front ny trouble ny ierreur;
Car puisque Von ne reste apres ce grand passage
Que le songe leger d'une legere image
124 Cyrano de Bergerac.
Et que le coup fatal ne fait ny mal ny hien;
Vivant parce qu'on est ; mort parce qu'on est rien ;
Pourquoi perdre ä regret la Iv/miere receüe,
Qu'en ne peut regretter apres qu'elle est perdue/ V, 6.
Packend wie irgend etwas von Corneille sind die Repliken
im grofsen Dialog zwischen Tiberius und Agrippina und be-
sonders der Schlufs der Tragödie.
Nerva: Sejanus a d'un coßur qui ne s'est point soumis
Maintenu hautement ce quHl avoit promis,
Et Livilla, de mesme, eclatante de gloire
N'a pas d'un seul soüpir offense sa memoire,
Enfin plus les Bourreaux qui les ont menassez . . .
Tibfere: Sont-ils morts Vun et Vautre?
Nerva: 11 sont morts.
Tib^re: Cest assex.
Wir können also dem Urteil des Abb^ Gurret in dem Toten-
gericht über Cyrano beistimmen, wo es heifst, dafs die Agrippina
ohne 30-40 Verse, welche die guten Sitten verletzen, das Pu-
blikum lange ergötzt haben und noch ihren Platz auf dem Theater
behaupten würde. Wir müssen aber hinzufügen, dafs gerade
diese ^gottlosen' Verse es sind, welche uns das Stück interessant
und noch heute wertvoll machen. Es verschlägt nichts, dafs
diese atheistische Philosophie stoisch ist und sich im Tragiker
Seneca Belegstellen finden; denn Cyrano läfst uns fühlen, dafs
diese Ideen bei ihm und den Libertins eine Wiedergeburt er-
fahren haben, und dafs er sie mit kühner Absichtlichkeit aus-
spricht. ^ Die Wiederaufführung der Mort d'Agrippine im Th^ätre
de la Gait^, November 1872, hatte einen entschiedenen Erfolg,
obschon M'**^ Karoly, welche die Agrippina spielte, bei ihrer
grofsen Szene mit Tiberius den Dolch in der Requisitenkammer
vergessen hatte.
///. Les lettres.
Die Briefe Cyranos sind niemals alle publiziert worden, und
einige haben schon bei seinen Lebzeiten in Doppelformen kur-
siert. So existieren über den Aqueduc von Arcueil zwei Briefe,
denn der erste war verloren gegangen und durch eine Kopie
aus dem Gedächtnis ersetzt worden, dann aber selber wieder
^ Die von M. Baron, de Li^ge (Platow p. 16 macht daraus einen baron
de Imge!) im Athenaeum fran^is 1855, Juli 21, aufgebrachte und seitdem
zum Überdrufs wiederholte 'Legende', Cyrano habe die 'Agrippina' Shake-
speares, speziell Hamlet, Kaufmann von Venedig und Cymbeline, direkt oder
indirekt, benutzt, hat J. J. Jusserand in der Revue d'hisioire litteraire
1899 p. 343 hoffentlich definitiv begraben.
Cyrano de Bergerac. 125
zum Vorschein gekommen. Auch die Widersprüche in den Über-
schriften einzelner Briefe zwischen dem Ms. Nr. 4557 und den
verschiedenen Ausgaben seit 1654 scheinen darauf hinzudeuten.
Von dem Manuskript, welches aufser den Lettres den Pedant joue
enthält, habe ich oben S. 115 geredet. Die erste gedruckte
Ausgabe ist die in den 'Oeuvres diverses', Paris, Ch. de Sercy,
2 part. en un in-4*^, 1654, mit der Widmung an den Duc d'Ar-
pajon; die neueste ist immer noch die von P. L. Jacob (Biblio-
phile) in 'Oeuvres diverses et facetieuses de Cyrano de Bergerac',
Paris, Ad. Delahays, m-W, 1858. Nach P. Brun p. 82 hatte
Bergerac 53 publizierte Briefe hinterlassen, denen man nach
seinem Tode 7 in seinen Papieren gefundene hinzugefügt habe
(erstmals in den 'Nouvelles oeuvres de Cyrano Bergerac', Paris, Ch.
de Sercy, in-12*\ 1662), die man zum Teil als brouillons zu be-
trachten habe. Diese Angabe stimmt auch mit meinen Beob-
achtungen, obschon Brun ein Versehen mit unterlaufen ist, von
dem ich zu sprechen habe werde.
Das Manuskript enthält 41 Briefe. Ich habe sie in der
Beilage A mit den entsprechenden in der Amsterdamer Ausgabe
von 1710 zusammengestellt und füge hier nur folgende Notizen
zur Erklärung hinzu. Den nicht ohne weiteres zu identifizieren-
den 6 lettres d'amour des Manuskripts stehen 8 in vol. I und
3 in vol. II der genannten Ausgabe gegenüber. Im Manuskript
fehlen die 2^ lettre sur l'Aqueduc d'Arcueil, die lettres pour et
contre les sorciers, die lettres coiftre un ingrat, ä Monsieur le
Coq, contre les M^decins, contre un faux brave, le Songe, contre
les Frondeurs, Th^s^e ä Hercule, TEnigme, cinq lettres d^Amour,
sur le blocus d^une ville. Dagegen enthält es auiser den bis
1710 gedruckten: 1. Lettre contre un je. assassin et m^disant
(P. Brun p. 357); 2. A Mons"^ le chancelier Säguier sur les hommes
illustres de la Gallerie du Palais Cardinal gravez par M' Heince
(P. Brun p. 361).
Einen dritten, angeblich unedierten Brief ^Regret d'un ^loigne-
ment' (P. Brun p. 360) finde ich wörtlich gleich in der Amster-
damer Ausgabe von 1710, U p. 233.
Beilage A.
Vergleichende Übersicht der Briefe Cyranos.
Manuskript Nr. 4557. Amsterdamer Ausgabe von 1710.
1. L'Hyver. i g Contre l'Hyver
Lettre I vol. I p. 107.
Pour l'Et^
Lettre III vol. I p. 114.
Pour le Printemps
Lettre II vol. I p. 112.
Contre l'Automne
Lettre IV vol. I p. 118.
2. L'Ete. ^|:z:
3 « a>
0) O OQ
3. Le Printemps. a'^ §
4. L'Automne. ^ %
126
Cyrano de Bergerac.
5. Contre nn m^disant.
t). Lettre d'Amour ä Mademoiselle
de Saint D^nis.
7. Lettre d'amour.
8. Lettre d'amour. Sign^elePauvre
D. C.
9. Lettre d'amour.
10. A Monsieur Chapelle pour con-
solation sur l'eternite de son
beau-p^re.
11. Contre La Mothe, brigand de
Pensees. Sign^e De Bergerac.
12. Sur le möme sujet, contre Cha-
pelle.
13. Contre le gras Monfleury, mau-
vais auteur et Com^dien. Signee
Serviteur ä la Paillasse.
14. Apot^ose d'un ecclesiastique
boufon.
15. Sur le faux bruit qui courut de
la mort de Monsieur le Prince.
16. Contre un je. assassin et me-
disant.
17. Sur la gu^rison d'une maladie
mortelle.
18. Description de l'aqueduc ou la
fontaine d'Arcueil.
19. Regret d'un ^loignement, lettre
d'amour. Signöe De Bergerac.
NB. Bei P. Brun p. 857 als
Lettre in^dite.
20. Contre une femme inter^ssee.
21. Effet amoureux d'une absence
lettre d'amour. Signee De B.
22. Sur un hipocondre h^roique de
roman.
23. Eloge d'une rousse.
24. Satire contre Soucidas.
25. Satirique contre le sieur de
Tage.
2*3. Description d'une tempfete.
27. Le Campagnard.
28. Sur des brasselets de cheveux
lettre d'amour.
29. Des Miracles de rivifere. Signöe
De B.
Contre un M^disant
Lettre II vol. I p. 173 (satyriques).
? Lettre d'Amour. Signee vostre Ser-
viteur D. C. vol. II p. 237.
Consolation ä un ami sur l'^ternit^
de son beau-p^re
Lettre VII vol. I p. 185.
Contre un pilleur de Pens^es
Lettre VIII vol. I p. 187.
Autre contre un pilleur de Pensees
Lettre IX vol. I p. 189.
Contre un gros homme
Lettre X vol. I p. 193.
ä Messire Jean
Lettre XII vol. I p. 201.
ä Monsieur fff sur le faux bruit
qui courut de la mort d'un grand
guerrier vol. II p. 227.
[Lettre inedite. P. Brun p. 357.]
Sur un recouvrement de Sant^
Lettre XVI vol. I p. 165.
Description de l'aqueduc ou la fon-
taine d'Arcueil. Lettre V. ä mes
amis les buveurs d'eau
vol. I p. 122
Lettre VI Sur le möme sujet
vol. I p. 124.
Regret d'un eloignement, lettre d'a-
mour vol. II p. 233.
Contre une demoiselle avare
Lettre III vol. I p. 175.
Contre un liseur de roman
Lettre XVII vol. I p. 213.
Pour une dame rousse
Lettre X vol. I p. 135.
Contre Soucidas
Lettre V vol. I p. 178.
Contre Monsieur de V.
Lettre VI vol. I p. 181.
Description d'une tempeste
Lettre IX vol. I p. 133.
Le Campagnard
Lettre XI vol. I p. 140.
Lettre d'amour VI vol. I p. 264.
Sur l'ombre que faisoient des arbres
dans l'eau. Lettre VII vol. I p. 128.
Cyrano de Bergerac.
127
30. Pour Soucidas contre un parti-
gan qui avait refus^ de lui preter
de 1 argent. Sign^e votre M^-
decin.
31. ä Monsieur le Chancelier Seguier
sur les horames illustres de la
Gallerie du Palais Cardinal, gra-
vis de M. Heince.
32. Le Poltron.
33. A Monsieur Jerssan sur son tri-
omphe des femmes.
34. Lettre d'amour.
35. Contre Scarron, po^te burlesque.
36. Le duelist. Sign^e De Bergerac.
37. D'un comte de bas aloy.
38. Au r^gent de la r^torique des
Jes.
39. Contre le Caröme.
40. Reproche ä une Cruelle, lettre
d'amour.
41. Le Cipres.
Pour Soucidas, contre un Partisan
qui avoit refuse de luv prester
de l'argent vol. I
[Lettre in^dite. P. Brun p. 361.]
232.
Contre un Poltron. Lettre saty-
rique I vol. I p. 169.
A Monsieur Gerzan sur son triomphe
des Dames
Lettre XIV vol. I p. 160.
Contre Ronscar
Lettre XI vol. I p. 196.
Le dueliste Lettre XV vol. I p. 164.
jl un comte de bas-aloy
Lettre XVI vol. I p. 212.
Contre un p^dant
Lettre XIII vol. I p. 204.
üescription du Caresme
Lettre XIV vol. I p. 207.
Lettre d'amour, reproche a une
Cruelle vol. II p. 238.
Description d'un Cyprez
Lettre VIII vol. I p. 131.
Schon die ersten Ausgaben der Werke Cyranos haben die
Lettres nach Kategorien abgeteilt: Satyriques, d'Amour, diverses
oder sur divers sujets; 1658 kam in London eine englische Über-
setzung der Briefe heraus, betitelt: Satirical characters and hand-
some descriptions in letters, ivritten to Several persans of quality, hy
M, de Cyrano Bergerac, translated from the french hy a Person of
honour ;^ die neueren, wie P. Lacroix und M. Fournel, teilen sie
ein in lettres galantes, diverses oder descriptives und satiriques.
Aber diese Einteilungen haben viel willkürliches, und wir folgen
in unserer Analyse lieber P. Brun, der zwei Gruppen unter-
scheidet: die der konventionellen Briefe, die nur Witzspielereien
oder rhetorische Übungen darstellen, und die der persönlichen
Briefe, in denen ein Gegner angegriffen oder ein literarhistorisches,
politisches oder soziales Thema behandelt wird.
1. Im Charakter und teilweise in Nachahmung von Ron-
sard, Thdophile, Boisrobert, Scud^ry und Saint -Amant schrieb
* Einen interessanten Beitrag zur literarischen Persönlichkeit Cyranos
teilt Platow p. 16 aus der Vorrede zu dieser Übersetzung mit: 'You'l
confesse he may with some allowance passe for a French Cleveland, and in-
deed if our authur were not ignorant of this tongue 1 should think he en-
deavourd to imitate that great Satyrist.' Die in Le Songe (s. unten S. 130,
Anni. 1) vorkommende Anspielung auf den Tod des Herzogs von Cla-
rence im Malvasierfafs braucht Cyrano nicht aus Shakespeare zu haben,
beweist also auch nicht seine Kenntnis der englischen Sprache.
128 Cyrano de Bergerac.
CyraDO seine vier Briefe über die Jahreszeiten: L'Hyver,
PEst^, le Printemps, FAutomne, je zwei für und gegen
eine Jahreszeit. Sie sind entstellt durch die Sucht nach Anti-
thesen und Pointen, oft unnötig burlesk und zweideutig, aber
hier und da bricht ein Schönheitsgefühl und Naturempfiuden
durch, namenthch in dem Lobe des Frühüngs, wie wir es vorher
nur etwa bei Charles d'Orl^ans, nachher bei Lafontaine und J.
J. Rousseau finden. Individuelle Züge in diesem Naturbild: 'Le
lys ... glorieux de voir ses Images triompher au Louvre, s'eleve sur
ses compagnes — MaUhieu Gareau saute de tout son ccßur au broüet
de sa Tante — Le Vigneron appuye sur un echalas, rit dans sa barbe
ä mesure qu'il voit pleurer sa vignef An ein aktuelles Ereignis,
die Wiederherstellung des Arcus Juliani durch Marie de M^dicis
und Jean de ßrosse 1624, beziehen sich die zwei Briefe: De-
scription de FAqueduc ou la Fontaine d^Arcueil, welche
Cyrano dediziert ä mes amis les buveurs d'eau. Auch hier sind
Extravaganzen, aber zum Teil sehr witzige, wie der Vergleich
'un serpent liquide, un os dont la moelle chemine' oder 'Enfin il n'est
pas jusqu'ä ceux qui fönt semblant de la baiser, qui ne luy montrent
les dents. Pour moy je m'en lave les mains, car fay devant les yeux
trop d'eooeniples de la punition des yvrognes qui la mep'isent.' Kin-
disch, wenn man will, aber von einem wahren Glücksgefühl ein-
gegeben sind die Lettres: Des Miracles de rivi^re und Le
Cipr^s. Der erste, gezeichnet De B., enthält den Satz: 'Le venire
couche sur le gazon d'une Riviere et le dos etendu sous les branches
d'un Säule qui se mire dedans je voy renouveller aux arbres VHistoire
de Narcisse' und in der Beschreibung ein paar reizende Züge, die
an Statins erinnern. Der zweite beginnt mit 'J'avois envie de
vous envoyer la description d'un cyprez, mais je ne Vay qu'ebauchee,
ä cause qu'il est si pointu que Vesprit mesme ne scauroit s'y asseoir'
und fährt leider in diesem Stil fort, wofür uns die unverständ-
lichen Anspielungen auf 'les amours du jeune Cyparisse' (sie!)
nicht entschädigen. Noch geschmackloser sind in der Descrip-
tion d^une Tempeste Stellen wie: 'La mer vomit sur nous et
nous vomissons sur eile', aber daneben stofsen wir auf einen Zug
grandioser Phantasie : 'quand je preste un peu d'attention, je m'ima-
gine discerner {comnie s'ils partent de dessous VOcean) yarmy les
effroyables mugissemens de l'Onde, quelques versets de l'office des
Morts.' Ein hübsches Idyll, worin der Natursinn des Libertin
das Preziöse überwunden hat, ist Le Campagnard, der auch
für die Biographie des Autors Wert hat. Nur eine paradoxe
Stilübung' ist Eloge d^uneRousse. Es wird hier der Satz
verfochten, alle Dinge in der Natur seien mehr oder weniger
vornehm, je nachdem sie mehr oder weniger rot sind. Beispiele:
^ Dieses Thema war damals sehr beliebt. Vgl. P. Brun p. 91.
Cyrano de Bergerac. 129
das Feuer, das Gold, die Sonne, die Kometen usw^ Ein selt-
sames, wohl nur der Phantasie Cyranos entsprungenes Mytholo-
gem ist folgendes : ' Castor et Pollux ces petits feux qui fönt predire
aicoL' matelots la fin de la Tempeste peuveut-üs estre autre chose que les
ofieveux roux de Junon qu'elle envoye ä Neptune en signe d'amourf
Ein aktuelles Thema streift Cyrano wiederum mit seiner Lettre
ä Monsieur Jerssan (sie!) sur son triomphe des fem-
mes. Der Alchimist Fran9ois de Soucy, sieur de Gerzau hatte
in seinem Werke, 1643, auf die wachsende Vorliebe der Frauen
für die okkulten Wissenschaften aufmerksam gemacht, und die
Empfehlung dieses Werkes benutzt nun unser Autor, um einige
zweideutige Witze loszuwerden. Eine dieser Anspielungen auf
den P^re Bernard (genannt le pauvre pretre, gestorben 1641 im
Geruch der Heiligkeit) ist so zynisch und zugleich so gottlos
('cette precieuse momi^), dafs diese Stelle in allen Ausgaben seit
1654 nur verkürzt wiedergegeben ist. Historisch interessant ist
die unedierte Lettre ä Monsieur le chancelier Seguier (s.
oben S. 125). Es handelt sich um Bildnisse berühmter Zeit-
genossen, die in einer Galerie des Palais Cardinal aufgehängt
waren, welches der Kanzler der von Richelieu gestifteten Aka-
demie eingeräumt hatte. An sich ist diese Vorrede zu einer
Kupferstichsam ml uug ziemlich platt und der Ton der Verehrung
zu geschraubt, um für aufrichtig gelten zu können. Eine blofse
Modekomposition in der Art von Trissotin ist der Brief Sur
la Gu^rison d'une maladie m erteile. Die Scherze, die
über den Tod gemacht werden, sind entsetzlich grotesk, z. B.
vom Kirchhof: 'quoiqu'ä la Flamande on ait de la hiere jusque par-
dessus les yeux, on n'y holt que de VEau beniste.' Blol'se Spielereien
sind auch die Briefe: L^Enigme und Le Songe.^ Bei dem
ersteren wird das Auflösungswort, der Schlaf, vom Autor am
Schlüsse selbst mitgeteilt, wie wenn er daran zweifelte, dafs es
sein Korrespondent aus der Fülle von Antithesen und Anspie-
lungen herauslesen könnte; der zweite ist offenbar eine Nach-
ahmung Ovids und ein auch in dem Roman Cyranos wiederholtes
Thema. Die witzelnde Allegorie ist von ermüdender Länge, und
verhältnismäfsig selten treffen wir auf originelle Einfälle des
Dichters bei den grotesken Paarungen, die er in der Unterwelt
gesehen zu haben träumt. So wird Echo mit den modernen
Autoren zusammengetan, weil beide nur wiederholen, was andere
vorher gesagt haben; Orpheus mit den Chantres du Pont Neuf,
weil beide das Talent haben d'attirer les bestes. Nero gibt seiner
Mutter, die sich über eine Schrift Senecas beklagt, wonach sie
' P. Brun hat diesen Brief wegen der literarischen Kenntnisse, die er
verrät, unter die zweite Gruppe eingereiht; ich sehe die Notwendigkeit
dafür nicht ein.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 9
130 Oyrano de Bergerac.
seit ihrer Verheiratung vier uneheliche Kinder gehabt habe, den
seltsamen Trost, man dürfe einem Verleumder immer nur die
Hälfte dessen glauben, was er sage. Lucan wird mit einem
kleinen Kinde gepaart, das an den Würmern (vers) gestorben ist.
Das Ganze schlieCst mit einer sprachlich lustigen Wendung:
^ Apres ceite distribution par laquelle chacun fut mis dans sa chacu-
niere' etc.' Wie Rabelais und Beroalde de Verville greift Cyrano
in komischer Weise das Caresme au. Seine Scherze sind nicht
alle geschmackvoll, z. B. : 'je trouve que les Jours maigres ont tort
de tuer tant de Veaux en une saisofi, oü ils ne permettent pas qu'on
en mange.' Andere sind von gefährlicher Kühnheit für jene Zeit,
wie: 'si fetois asseure d'abjurer Uheresie tous les Samedys-Saints, je
me ferois Huguenot tous les mereredys de Gendres' u. ä. Kaum ernst-
haft gemeint ist die Mahnung 'ä Monsieur le Coq^, zu seiner
'CoqueUe\ die ihm ein Hühnchen ohne Schale geschenkt habe,
zurückzukehren. Auch die 'Lettres d'amour' scheinen nur Kom-
positionen, nicht wirkliche Herzensergüsse zu sein. Immerhin
verdienen einige Stellen aus denselben hervorgehoben zu werden,
schon damit wir Vergleichspunkte dafür gewinnen, was Kostand
aus dem Stoffe gemacht hat. Jedenfalls ist Cyrano auch hierin
ein gewandter Schriftsteller, der in der Wahl seiner Genre und
deren Mischung zu literarischen Effekten oft recht glücklich ist,
wenngleich das Burleske und das Preziöse leider überwiegen.
Einer Dame, die auf ihrem Schlots in der Provinz weilt, schreibt
er über seine stille Liebe: 'Je pense que vous me refuse% vostre
veue, pour ne pas communiquer plus d'urie fois un miracle avec un
profane; cependant vous s^avez que la conversion d'un incredule comme
moy {c'est une qualite que vous m'avez jadis reprochee), demanderoit
que je visse un tel miracle plus d'une fois/'^ Ein andermal schreibt
er seiner Korrespondentin, indem er ihre zufällige erste Begeg-
nung in Verbindung bringt mit der harmonischen Ordnung im
Weltall : 'ce fut ä la jJesche que je vous rencontray : les filets qus vous
depliastes en me 7'egardant, ne vous annoncaient-üs pas ma prise?
et quand j'eusse evite vos filets, pouvois-je nie sauver des liameQons
pendus aux lignes de cette belle lettre, que vous me fistes l'lionneur de
m'envoyer quelques jours apres. — Aussi je Vay receue avec des re-
speets, dont je ferois l'expression, en disant que je Vadore, si j'etois
^ Der Brief ist literarisch interessant, weil er Lesefrüchte aus Que-
vedo, der Odyssee, der Äu eis, der divina Commedia, Rabelais ( Gargamelle)
und Anspielungen auf Raimundus LuUus (l'or potable), Saionion de Caus
(Les raisons des Forces niouvantes), Montmoreucy-Boutevilie und die
griechischen Grammatiker (inventeurs du duel) enthält.
'^ In dem nämlichen Brief kommt die 'brenzlige' Phrase vor: 'Cette
chaleur Celeste par qui tant de fois Saint Xaoier pensa crever son pour-
point, n^etait pas plus pure que la mientie, puisque je vous ainie commj. il
ainiait DieuJ
Cyrano de Bergerac. 13l
capable d'adorer qyslque autre chose que vous. Je la haisay au moins
avec heaucou}) de tendresse, et je m'imaginois, en pt-essant mes levres
sur vostre chere lettre, baiser vosire hei Esprit dorit eile est Vouvrage.
— Vous ftissiex-vous imaginee, Madame, que d'une feuille de papier
j'eusse pu faire un si grand feu . . . , que si mon ame et mon amour
se partagent en deux soüpirs, quand je mourray, celui de mon amour
partira le deryiier' etc. Auch in den nachgelassenen Briefen Cy-
ranos finden sich hübsche Stellen: 'Imaginez-vous un feu compose
de glace embrasee qui brüJe ä force de trembler, que la douleur fait
tressaillir de joye et qui craint autant que la mort la Guerison de ses
blessures. Voilä ce que je suis lorsque je parle ä vous.' — 'Je ne te
vois qu'ä demy, parceque je t'aime trop ; et tu peux me voir trop, parce-
qu£ tu ne m'aime qu'ä demy. Viens chez moy tout ä Vheure si tu
vevjx convaincre de mensonge l'appreheyision que j'ay de ne te voir Ja-
mals' Der Brief, betitelt regret d'un eloignement, von dem schon
oben S. 125 die Rede gewesen ist, beginnt mit den Worten: 'Ma-
dame, dois-je pleurer, dois-je ecrire, dois-je mourir. II vaut vieux que
j'ecrive, mon cornet me p-etera plus d'encre, que mes yeux ne me four-
niront de larmes.'
2. Unter den Briefen, die ein wirkHches Interesse des Autors
an ihrem Thema beweisen, sind zunächst die vier auf Duell und
Ehrenfragen befindlichen hervorzuheben. Le Dueliste ist ein
merkwürdiges Dokument für Leben und Stil Cyranos, denn er
spricht offenbar von seiner eigenen Person, wenn er erzählt:
' Vrayment vous auriez grand iort de m'appeller maintefiatit le premier
des hommes, car je vous proteste qu'il y a plus d'un mois que je suis
le second de tout le monde.' Eine grausame Ironie ist die Lettre
contre un poltron, der zur Rechtfertigung seiner Duellscheu
nur zu sagen weils : 'quoyque je sois mary d'estre appelle sot, je serois
hien plus fasche qu'on me reprochast d'estre defunt.' Der Feigling
verabscheut den Tod, der nur ein Bankerott für seine Gläubiger
wäre, und hängt selbst an einem beschimpften Leben, denn 'der
kleinste lebendige Floh ist mehr wert als der grofse Alexander
tot.' Ähnlich denkt offenbar ein ^Comte de Bas aloy', der
zögert, seine Brust dem Degen oder seinen Rücken dem Stocke
darzubieten. Er würde den Brief Cyranos mit dem Rücken
lesen, wenn Stockschläge sich schriftlich geben Hefsen.' Noch
gröber sind die Beschimpfungen eines faux brave. Auch ihm
wird sein junger Adel vorgehalten und ihm empfohlen, und das
ist das einzige Witzige in diesem Schreiben, folgendes Wappen
anzunehmen: 'Vous porterez de gueules, ä deux fesses chargees de
cloux Sans nombre, ä la vilenie en coeur et un baston brise sur le ohef.'
Der in der Art der Herolden Ovids abgefafste Brief Th^s^e
' Diese Phrase, an der offenbar Cyrano Geschmack fand, kommt
noch in mehreren Briefen vor.
132 Cyrauo de Bergerac.
ä Hercule wird von P. Brun in der zweiten Gruppe be-
sprochen, weil der Bibliophile Jacob darin eine Anspielung auf
Mazarins Verbannung erblickte. Das ist sicherlich ganz ungerecht-
fertigt, und der Brief gehört als Stilübung zu der ersten Gruppe.
Er ist für uns fast ohne Interesse, wenn wir ihn nicht als Beleg
für Cyranos Kenntnis des Altertums deuten wollen, an der so
wie so nicht zu zweifeln ist. Getäuscht durch einen undeut-
lichen Titel in den Ausgaben, hat P. Lacroix auch den folgen-
den Brief rnifsverstanden : Sur le Faux Bruit qui courut de la Mort
de M. Le Prince. Er deutet den Grand Guerrier der Ausgaben
auf Turenne 1654, während der prince unstreitig Cond^ ist und
das Jahr, nach der mir einleuchtenden Deutung Bruns, 1649.
Die Darstellung ist grandios und erinnert an die Oraison fun^bre
Bossuets über den gleichen Mann, wobei zu beachten ist, dafs
der Libertin nie von Gott, sondern von der Schicksalsgöttin
spricht, welcher die Gewaltigen dieser Erde mehr als alle anderen
unterworfen sind. Aber dem Libertin gehört auch der unflätige
Witz über die Verwundung des Prinzen an: ^car qu'ü ait receu
une playe entre les deux aines, je ne puis croire que les Parqites, qui
sont filles vierges, ayent ose prendre un jeune komme aux parties hon-
teuses/ Und die Sucht nach der Pointe feiert Orgien in dem
Schlufs des Briefes, worin er droht, wenn die Nachricht nicht
sofort dementiert werde, 'je m'en vais pi'ophaner un Temple, trahii-
mon Amy, violer ma Soßur, etrangler mon Pere et mesme, ce qui ne
tombera jamais en aucune Pensee, je m'en vais n'estre plus, monsieur,
vostre affectionne Serviteur/ In noch bestimmterem Sinn ist ein
historisches Stück das Fragment sur le blocus d^une ville.
Es ist dies wohl eine Erinnerung Cyranos an die von ihm mit-
gemachte Einschlielsung in Mouzon 1639. Von einem wahren
Galgenhumor zeugt darin die Stelle : 'de peur que nous ne prenions
mesms quelque nourriture par les oreilles on nous defend jusqu'aux
paroles grosses. Les malavisez quHls sont ne prevoyant pas qu'en
nous demeurant dans le corps, elles nous pourroient faire vivre!
Wohl auch der Jugendzeit Cyranos gehört der Brief ä une De-
moiselle int^ress^e an. Die Vorwürfe über Habsucht, welche
er diesem käuflichen Liebchen macht, interessieren uns nur aus
dem Grunde, weil er am Schlüsse bekennt, dals er die Gunst-
bezeugungen der Dame mit seinem Gelde bezahlt hat. Auch
das Sprichwort ipoint d^argent point de Suisse finden wir hier und
zwar in der ursprünglichen Bedeutung, Suisse = Kirchendiener,
speziell Türöffner, gebraucht. Die Anspielungen auf kirchliche und
religiöse Dinge sind auch hier recht gewagt. Auf das Verhältnis
zuDassoucy beziehen sich zwei Briefe. Wir haben Bd. CXIII,
S. 362 3 und 366 7 von dieser Persönlichkeit, ihrer Freundschaft
und ihrem Zerwürfnis mit Cyrano gesprochen. In die erste Pe-
riode gehört die Lettre Pour Soucidas, contre un parti-
Cyrano de Bergerac. 133
san qui avoit refus^ de luy prester de Targent. Der
Betreffende, offenbar ein Finanzier und Steuerpächter, wird mit
den gröbsten Vorwürfen überschüttet, weil er diesen Dienst ver-
weigerte, nachdem der Schreibende sich soweit prostituirt hatte,
mit dem Finanzmann sich öffentlich sehen zu lassen und ihn
einen ehrlichen Mann zu nennen. Cyrano unterschreibt sich
^Vosire medecin', und die zum Teil höchst unanständigen Witze
sind der Arzneikunst entnommen. Die Anspielung auf die fievre de
SainUMathurin ist mir unverständlich geblieben. Desto klarer ist
folgendes : 'la Eepublique est trop interessee a vostre conservation, car
on ne sgauroit vous entamer sans repandre le sang du Peuple, dont
vous estes plein.' Der Konfliktszeit gehört die grimmige Satire
contre Soucidas an. Es werden nun dem undankbaren
Freund ' die schlimmsten Dinge vorgeworfen: Atheismus, schimpf-
liche Krankheit, Schulden, unnatürliche Liebschaften u. dgl. Er
heifst jetzt ^un clou au fesses de la nature', und er werde vergeblich
seinen jetzigen Feind durch die Dedikation einer langweiligen
Posse zu rühren versuchen. In dem wüsten Geschimpf, welches
die Grenzen der Satire entschieden überschreitet, sind zwei An-
deutungen literarisch und historisch wichtig. Es ist von der
Einschliefsung von St. M^n^hould die Rede mit der Wendung:
'Vautre jour au conseil de guerre on donna advis ä Monsieur de Tu-
renne' etc. Ferner eine Anspielung auf den schlechten Verkauf
des Jugement de Paris von Dassoucy, wobei Cyrano Gelegenheit
zu einem ziemlich guten Wortwitz findet. Ebenfalls sehr bissig
ist die Lettre Satirique contre le Sieur de Tage.
Diesen nicht weiter bekannten Namen eines adligen Gecks zeigt
die Handschrift. P. Lacroix hat den Titel der Ausgaben 'contre
Monsieur de V.' ergänzt mit Vauhert, was nun leider nicht mehr
angeht. Unter den schnöden Witzen über die Dummheit des
Menschen, mit welcher seine Körpergröfse konkurriert, ist nur
einer wirklich lustig: 'Vous avez la houche si large que je crains
quelque fois que vötre teste ne tomhe dedans.' Auf das Verhältnis
zu Chapelle beziehen sich drei Briefe, ein freundschaftlicher
und zwei feindliche. Der erste ä Monsieur Chapelle pour
consolation sur P^ternit^ de son beau-p^re ist ein
blofser und nicht einmal sehr geschmackvoller W^itz, denn Cha-
pelle war Junggeselle und hatte nur einmal die Absicht, eine
Demoiselle Chouars zu heiraten. Auch um einen zweiten Mann
seiner Mutter, Demoiselle Chanut, kann es sich nicht handeln.
Später macht Cyrano den nämlichen Chapelle zum Gegenstand
seiner Angriffe und mit ihm einen gewissen La Mothe, bri-
* Ist die trotz sehr kräftiger Schimpf reden ziemlich farblose Lettre
contre un ingrat, die im Manuskript fehlt, auch auf Dassoucy ge-
münzt? P. Brun spricht sich über sie nirgends aus.
lai Cyrano de Bergerac.
gand de pens^es. Dieser Brief ist signiert de Bergerac. Die
Vorwürfe des Plagiats werden nicht nur in Beziehung auf einen
Brief Cyranos erhoben, sondern ganz im allgemeinen wird ge-
sagt, dafs vor den beiden weder Alte noch Moderne, weder
Bücher noch Gespräche in Gesellschaft sicher seien. Wir wissen
nicht, wer dieser La Mothe ist. Es kann unmöglich der Philosoph
La Mothe le Vayer sein (s. Bd. CXIII, S. 368), der Vater eines
Freundes, mit dem sich Bergerac nie entzweite. Die in den
Ausgaben vorkommende Änderung des Namens in Beaulieu,
welcher noch P. Lacroix folgte, ist unhaltbar. An den Briefen
ist für uns nur der ausgesprochene Hafs unseres Dichters gegen
Plagiat und sein Kespekt vor geistigem Eigentum merkwürdig.
Aber ist er ganz frei von eigenem Fehl? Das werden wir später
zu untersuchen haben. Von sich sagt er freimütig: 'Vous sgavez
que fay un esprit vangeur de torts et fort enclin ä la justice distribu-
tive,' und angesichts dieser und der folgenden Briefe kann man
daran nicht zweifeln. Der Streit mit Antoine, alias Zacharie
Jacob de Montfleury, von dem Bd. CXIII, S. 367 die Rede
gewesen ist, hat ein ^Meisterwerk burlesken Humors^ gezeitigt,
in dem freilich gewisse Roheiten nur aus dem Charakter der
Zeit verzeihlich erscheinen. Auch gegen Montfleury wird der
Vorwurf des Plagiats erhoben. In bezug auf sein Amhigu co-
mique ou les amours de Didon et d'Enee wird ihm vorgeworfen,
dafs von Tasso bis auf Corneille alle Dichter mit seinem Kinde
niedergekommen seien. Noch strenger geht Cyrano ins Gericht
mit dem ^Homer der Fronde\ In seiner Lettre contre Scar-
ron, poete burlesque verurteilt Cyrano die ganze Dichtungs-
gattung,' welche Scarron mit dem Virgile travesti in Frankreich
eingeführt hatte. Er beschuldigt ihn, die heilige Kunst Apollos
profaniert zu haben. Niemals hat Cyrano Lächerliches ernst-
hafter und Ernsthaftes lächerlicher behandelt gesehen. Es komme
ihm vor, er höre einen erbosten Frosch am Fufse des Parnafs
quaken. Wenn in diesem Vorwurf etwas Wahres ist, so ist da-
gegen die Polemik gegen Scarron in anderen Punkten recht
schwach, so namentlich in bezug auf die Abneigung Scarrons
gegen die Pointe und auf den Stil des komischen Dichters.
Und wenn Cyrano meint, das Werk Scarrons werde nicht
länger leben als die 'Peaux d'Änes' und die 'Contes de ma
Mere l'oye% so ist das, nach unserer heutigen Erfahrung, eine
kleine Ewigkeit. Höchst ungerecht und roh ist Cyrano, wenn
er das Aufsere des Krüppels Scarron, dieser 'lebenden Mumie',
verspottet und in giftiger Weise als Folge des 'mal de Naples'
' Hatte Cyrano seine Meinung geändert? Noch 1619 gefiel ihm, wie
Ch. Peirault in seinen Memoiren erzählt, die Eneide burlesque der Brüder
Perrault und namentlich zwei burleske Verse darin ausnehmend wohl,
Siehe P. Brun, Eevue d'Histoire lüteraire 1901, p. 128.
Cyrano de Bergerac. 135
bezeichnet. Auf festerem Boden stellt Cyrano und ein ehrlicher
Fechter ist er, wenn er gegen die Mazarinade von Scarron los-
zieht. Über dieses Sujet werden wir später noch zu sprechen
haben. Dagegen können wir hier nicht unerwähnt lassen, dafs
die Kritik Cyranos einen pikanten Beigeschmack hat. Er er-
zählt: 'fay appris qiie quelqu'un luy (d. i. Scarron) depliani un Son-
net, qu'il disoit-esire de moy, il tourna sur luy des yeux qui Vohligerent
de le replier sans le lire' und erklärt dies so: 'c'auroit este un petit
miracle, si mon Sonnet, qui passe pour assez doux, n'avoit pas semhle
fade ä un komme poivre.' Hinc illae lacrimae! Wenn wir in
dieser Polemik einige Vorbehalte gegen Cyrano machen mufsten,
so hat er dagegen unsere volle Sympathie in seinem Kampfe
gegen die Jesuiten. Nicht weniger als vier Briefe handeln von
denselben, und sie sind alle voll Interesse. Der erste ist im Ms.
betitelt: 'Apot^ose d'un eccl^siastique boufon^ Es
werden hierin im heftigsten Tone dem Messire Jean (ein Name,
dem wir im Roman Cyranos wieder begegnen werden) die für
einen Priester ärgsten Dinge vorgeworfen. Scharlatanerie, un-
züchtige Reden auf der Kanzel, Unglaube, ausschweifendes Leben,
und es wird ihm empfohlen, seine Predigten auf einem Prellstein
an einem öffentlichen Platze fortzusetzen, wo sie besser ange-
bracht seien als in der Kirche. Aber ebensowenig wie als
Prediger taugen die Jesuiten als Lehrer. Ein Regent de la
Rh^torique des J^s... ist nicht nur ein Pedant wie Sidias,
ein unwissender Barbar, der noch lernen sollte, statt zu lehren,
ein Henker von hundert Schülern, eine Schande für die Univer-
sität, diese ^glorreiche Mutter der Wissenschaften^ Er ist auch
ein Verleumder und hat den Namen Bergerac in eine seiner
Perioden verflochten. Aber obwohl er das Recht hat, 'empereurs^
ein- und abzusetzen, so hat er doch selbst seinen Brutus ge-
funden. P. Brun hebt hervor 'gleich zwei^, denn auch Le Bret
habe in seinen Lettres diverses eine Lettre ä M. de B. qui traite ce
'maitre Picard d' Esteion et de Hippocampelephantocarnelos'. In dem
Briefe Cyranos ist eine hübsche Wendung. Er nennt den Pro-
fessor den Gröfsten in seinem Kollegium, wie St. Christof der
gröfste Heilige in der Kirche von Notre Dame ist.^ Wertvoll
ist uns auch die Notiz, dafs jeden Tag zwei Klassen von je
zwei Stunden gehalten werden mu/sten. Wenn Cyrano hier
heftig auftritt, so war er aber auch mit Feder und Dolch ange-
griffen worden. Er antwortet in zwei Briefen. Den 'M^di-
sant^, den wir uns als Professor der Philosophie in einer Je-
suitenschule zu denken haben, überschüttet er mit den boshaftesten
' Der nämliche Witz, sowie eine unflätige Anspielung auf die Ab-
kunft des Pfaffen findet sich auch in dem vierten (unedierten) Brief, der
überhaupt wie eine Dublette des zweiten aussieht, obschon die Namen
verschieden sind.
136 Cyrano de Bergerac.
Schul witzen {'sorii de Vhumanite, echoue au bancs de la Bhetorique,
porte en philosophie sans tele") und droht ihn zu züchtigen, kalt-
blutig und höflich, den Hut in der einen und den Stock in der
anderen Hand. Fulminant ist der unedierte Brief: Contre un
je. assasin et m^disant (s. P. Brun p. 357). Der Jesuit
sieht mich, sagt Cyrano, offenbar für einen König an, dafs er die
Chätel und die Ravaillac gegen mich zu erwecken sucht. Hätte
er den gedungenen Mörder besser bezahlt, so hätte unser Dichter
sicherlich das Pflaster mit seinem Blute gerötet. Und der An-
stifter gehört der Gesellschaft Jesu an! Eine saubere Gesell-
schaft, ähnlich der, welche Jesus am Kreuze hatte in den beiden
Schachern. Nein, Maitre Nicolas B . . . deckt nur seine Ver-
worfenheit mit dem Hute und dem Ansehen dieser h. Gesell-
schaft, welche Cyrano nicht dafür verantwortlich machen will,
'car on scait hien, que si de ce corps vous composez quelque chose,
vous en etes les parties honteuses.' Der Grund des Hasses bei dem
Priester ist Neid auf Cyranos geistige Überlegenheit, wie auch
dem Streit mit dem 'Pedanten^ literarische Fehde beigemischt
ist. Die nämliche Krankheit (quinte) habe auch Geist und Kör-
per des P. Garasse ins Spital geführt; eine äufserst kühne An-
spielung, wenn man den unheilvollen Einflufs bedenkt, den dieser
Fanatiker selbst nach seinem Tode noch ausübte. Den Vorwurf
des Atheismus, den M'^*' Nicolas B. vor seinen 800 von ihm ge-
knechteten Schülern gegen unseren Dichter erhoben hat, wird
von diesem energisch und in ausnahmsweise würdigen Worten
zurückgewiesen. ^Me croyez-vous si stupide de me figtirer que le
monde soit nay comme un Champignon, que les Ästres aient pris feu
et se soient arangez par hazard; qu'une Matiere morte, de teile ou teile
faQon disposee, ait pu faire raisonner un komme, sentir une beste,
vegeter un arbre.' Es folgt noch ein Schlufs aus dem Leben des
Bösewichts für die Langmut Gottes, den wir aber hier lieber
durch das ungleich flottere Argument aus dem Brief gegen den
Pedanten ersetzen wollen: 'sgachez que je connois une chose que
vous ne connoissez point, que cette chose est Dieu, et que Fun des plus
forts argumens, apres ceux de la Foy, qui m^ont convaincu de sa veri-
table existence c'est d'avoir considere que sans une premiere et souve-
raine bonte qui regne dans V Univers, foible et mechant comme vous
estes, vous n'auriez pas vescu si longtemps impuny.' Wenn wir in
diesen Briefen das Glaubensbekenntnis eines freisinnigen, aber
nicht ungläubigen Mannes lesen, so finden wir in dem Briefe
Sur un hipocoudre h^roique de romau eine interessante
ästhetische Theorie, eine Art Poetik vor Boileau. Energisch und
mit geistreicher Ironie spottet Bergerac über die faden Romane
wie Polexandre und Alcidiane, welche bei den Autoren wie beim
Pubhkum^ den guten Geschmack verderben und die Köpfe mit
Hirngespinsten füllen. Der Brief Schreiber nimmt sich vor, für
die Genesung des tollen Romanlesers Saint Mathurin eine Kerze
Cyrano de Bergerac. 187
zu weihen, eine Redewendung, deren Sinn mir unklar geblieben
ist. Von ebenso gesunden Lebensansichten zeugt die Lettre
contre les m^decins, welche die veralteten Moden und bar-
barischen Mittel der damaligen Arzneiwissenschaft in meister-
hafter Weise geifselt; ebenso wie die Unwissenheit, Habsucht
und das scharlataumäfsige Auftreten der Ärzte. Sehr lustig ist,
wie der persiflierte Arzt alle Krankheitssymptome, über welche
der Patient sich beklagt, mit einem ^fort hien, tant mieux' u. ä.
Ausdrücken begutachtet. Wir können auf den sehr langen Brief
nicht im einzelnen eintreten, aber neben den vielen Stellen bei
Moli^re, Scarron u. a. ist er ein wertvolles Dokument auch für
die Kulturgeschichte. Die Witze, die Cyrano über den ärztlichen
Stand macht, sind beifsend, manchmal auch recht unanständig
oder in anderer Weise riskiert. So die Zusammenstellung von
je drei Geifseln der Menschheit: Pest, Krieg und Hunger, Ader-
lafs, Medizin, Klistier etc. mit drei Henkern : der Advokat quält
den Geldbeutel, der Arzt den Körper und der Theologe die
Seele. Wir kommen nun zu zwei, respektive drei Briefen, die
alle Vorzüge des Menschen und Schriftstellers Cyrano enthalten
und nur einen Bruchteil seiner Fehler, Schriftstücke, die genügen
sollten, um seinen Namen in dieser Dichtungsgattung unsterblich
zu machen. Der erste dieser Briefe, die im Ms. fehlen, ist in
den Ausgaben betitelt: Contre les Frondeurs und adressiert
k Monsieur D. L. L. V. In einer Vorbemerkung, die sich wohl
auf die Ausgabe der Briefe von 1654 bezieht, wird das Publi-
kum davon verständigt, dafs dieser Brief zur Zeit der Belagerung
von Paris und des gröfsten Hasses der Bevölkerung gegen den
Kardinal geschrieben worden sei, und dafs sich Stimmung und
Zustände seitdem sehr geändert hätten. Das führt uns also auf
das Jahr 1649, in eine Zeit, wo es keinen geringen Mut brauchte,
um öffentlich zu erklären, wie es unser Autor gleich im Eingang
seines Briefes tut: Ja, ich bin ein 'Mazarin^ und zwar aus der
Überzeugung, dafs diese Sache die gerechte ist, weil ich nur
fine Sprache für mein Herz und meine Karriere habe, weil wir
unserem legitimen Souverän Gehorsam schulden und ich von
dem Toben des Pöbels und den verleumderischen Schriften der
Feinde des Kardinals mich nicht zu einem falschen Urteil be-
kehren lasse. Cyrano ist also Legitimist und Monarchist, ein
Aristokrat, aber kein Höfling und ein guter Patriot, der in seinem
originellen Fühlen ohne weiteres den rechten Weg und zur
Rechtfertigung seiner Grundsätze auch das rechte Wort findet.
Die Logik, mit welcher Punkt für Punkt die Vorwürfe der
Frondeurs gegen den Kardinal, besonders in der sogenannten
Mazarinade ou le Ministre d'Estat flamhe (von Scarron?), widerlegt
werden, ist von schneidender Schärfe und Konsequenz. Alles
macht so sehr den Eindruck der Aufrichtigkeit, dafs man nicht
begreift, wie P. Lacroix und noch Platow, trotzdem er Bruns
188 Cyrano de Bergerac.
Widerspruch zitiert, dazu kommen konnten, diesen Brief in die
zweite Fronde 1652 zu verlegen und als eine Art freiwillige
Bufse {amende honorable) Cyranos für die Mazarinade anzusehen,
welche er 1649 gegen den Kardinal geschrieben habeJ Das
ist nicht nur chronologisch (die Lettre contre les Frondeurs ist sicher
zu datieren), sondern vor allem psychologisch unmöglich bei
einem Manne wie Cyrano, der in Liebe und Hafs launisch, aber
nicht käuflich und kein Streber war. Der Stil des Briefes er-
hebt sich bisweilen zu pathetischem Schwung, und die Gedanken
sind, obschon manchmal einseitig, doch stets originell und ver-
raten bisweilen eine ihrer Zeit weit vorauseilende Geistesgröfse.
Ein paar Beispiele mögen dies zeigen, da eine Analyse des ziem-
lich langen Schriftstückes nicht angeht. Auf den Einwand der
Frondeurs gegen Mazarin, dafs er ein Fremdling sei, antwortet
Cyrano: ein Ehrenmann ist weder Franzose, noch Deutscher,
noch Spanier, er ist ein Bürger der Welt, und sein Vaterland ist
überall. Die Kritik, welche die Bürger von Paris an dem Fi-
nanzsystem des Kardinals üben, wird verspottet mit den Worten :
^Monsieur le drapier se figure qu'il en va du Gouvernement d'une
Monarchie, comme des gages d'une chamhriere, ou de la pension de son
fils Pierrot/ Überhaupt ist Cyrano kein Freund der Demokratie,
welche er rundweg für die schlimmste Geifsel erklärt, womit
Gott ein Volk für seine Sünden straft. Ein ganz moderner
Ausdruck begegnet uns in dem Satz, dafs der Bau des Palais
Mazarin in Rom das 'prestige' der französischen Nation erhöhe
und schon darum Beifall verdiene. Am Schlufs des Briefes er-
geht eine strenge Strafpredigt über die grofsen Herren, welche
gegen den von Gott selbst gesetzten König und seine Regierung
sich empören, und in der leidenschaftlichen Sprache eines alt-
testamentlichen Propheten wird an dem Beispiel des unseligen
Scarron gezeigt, wie der Himmel die züchtigt, welche sich gegen
ihn vergehen. 'Darum fallt ab von dieser ungerechten Sache,
damit das Strafgericht euch nicht wie ihn verschlinge.^ Wenn
wir um dieses Briefes willen Cyrano als Politiker achten können,
so müssen wir ihn als Denker und Menschenfreund lieben für
seine Lettres pour et contre les Sorciers. Die beiden
Briefe gehören zusammen, nicht so, wie in den rhetorischen
Schulen über das gleiche Thema für und wider disputiert wurde,
ohne Herzensanteil und blofs zur Übung, sondern so, dai's im
ersten Briefe in pikanter Weise der Stoff gesammelt und in
einer phantasie- und geisterfüllenden Weise zum Bewulstsein ge-
bracht wird, um dann im zweiten Briefe als Folie kritischer
Erörterung praktischer Fälle zu dienen. Der erste Brief ist
' Hätten die beiden die Stelle im Manuskript 1558 gekannt, wo sich
Cyrano schon vor 1650 als V^erehrer von 'Lotiis le jiiste' und damit auch
des Kardinals zu erkennen gibt, so hätten sie diese Behauptung gewifs
nicht aufrechterhalten.
Cyrano de Bergerac. 139
eine Gespenstergeschichte, wie sie grausiger auch E. T. A. Hoff-
mann oder Edgar Poe nicht fertig gebracht haben, und doch
spuren wir an geschickt gesäeten Einzelheiten, dafs der Erzähler
ein Schalk ist. Müde von der Lektüre eines Buches über Hexe-
rei ist unser Autor ausgegangen. Er gerät in einen Wald, wird
von einem Hexenbesen emporgehoben und durch die Luft ent-
führt. An einem geheimnisvollen und schaurigen Orte naht sich
ihm ein ehrwürdiger greiser Hexenmeister, der mit einer Zauber-
rute seine Kreise zieht, umgeben von seltsamen Tieren, und seine
Beschwörungen murmelt. Auch die Hexenküche fehlt nicht.
Ein helles Licht durchbricht den Zauberdunst, und ein junger
Mann erscheint, den rechten Fufs auf einem Adler, den linken
auf einem Luchs. Er tauscht mit dem Magier Fläschchen gegen
Haare aus. Dann verschwindet er. Die Sonne geht auf, aber
Cyrano wird von dem Zauberer in eine Ruine geschleppt, wo
die Jahrhunderte daran arbeiten, die Zimmer in die Keller zu
verlegen. Dort nennt sich der Führer. Es ist Agrippa von
Nettesheim, voreinst Zoroaster, der durch die Kraft des ^flüs-
sigen Goldes^ lebt. Der junge Mann ist der 'König der Feuer-
geister'. Nun erscheinen, wie in der (abgekürzten) Nomenklatur
des vierten Aktes des Pedant joue, alle Mysterien der Magie:
die Irrlichter, die Feen, die Larven, die Inkubus usw., das vier-
blätterige Kleeblatt, das Armensünderschmalz, die Mandragora
usw., der kettenschleppende Mönch, der Kobold, der Paladin
Hugo von Tours, der Teufel Vauvert, der Ewige Jude, der in
Frankreich zuletzt 1604 zu Beauvais gesehen worden war, der
wilde Jäger aus dem Wald von Fontainebleau, zuletzt unter
Henri IV. erschienen, u. ä. Nach dieser fürchterlichen Prozession
erwacht Cyrano in seinem Bette, in Schweifs gebadet und mit
Herzklopfen. Schon die Erwähnung des Cornelius Agrippa, der
in seinem Buche: De Incertitudine et Vanitate Scientiarum sich
über den Glauben an Magie lustig gemacht hatte, würde ge-
nügen, um zu beweisen, dafs auch unser Autor ein Spötter ist.
Aber die Maske der Ironie wirft er ab, und in bitterem Ernst
redet er im zweiten Briefe. Sein Verdienst hierin ist um so
gröfser, als er mit seiner Ansicht ziemlich vereinzelt dasteht und
die Magie zu jener Zeit offiziell anerkannt war. Selbst Gelehrte
wie La Mothe le Vayer und Guy Patin gaben die Existenz der
Magie ausdrücklich zu und empfahlen nur gewisse Vorsichten in
der Beurteilung der einzelnen vorkommenden Fälle. Man be-
trachte nun diesem gegenüber die stolze Art, mit der Cyrano
einer ganzen Zeitanschauung, die von Staat und Kirche gleich
geschützt war, im Namen der Vernunft den Fehdehandschuh
hinwirft. Nein, er glaubt nicht an Hexerei und fügt sich der
Autorität weder eines Philosophen, noch des Parlaments, wenn sie
nicht durch Vernunftgrüude gestützt ist oder von Gott kommt.
'La raison seule est ma Reine ä qui je donne volontiers les mains et
140 Cyrano de Bergerac.
puis je s(^ay par experience que les esprits les plus sublimes ont choppe
le plus lourdement ; comme ils tomhent de plus haut ils fönt de plus
grandes chutes.' Mit aufserordentlicher Geschicklichkeit und Schärfe
bespricht er verschiedene einzelne Fälle, nachdem er im allge-
meinen das Törichte des Glaubens an Geschichten gegeifselt hat,
die von unwissenden und halb verrückten Leuten niedersten
Standes oder gar von Unglücklichen auf der Tortur ausgehen.
Nicht minder treiFend ist seine Kritik der Argumente für die
Magie. ^Les sorciers (disent-ils) n'ont aucune puissance, des qu'ils
sont entre les mains de la justice. 0 par ma foy cela est bien trouve,
donc Maistre Jean Guillot, de qui le pere a vole les biens de son Pu-
pille, s'est acquis par le moyen de vingt mille ecus derobez que luy
cousta son office de Juge le pouvoir de Commander aux Diables, vray-
ment les Diables portent grand respect aux Larrons/ Einige Fälle,
die Cyrano bespricht, bieten auch kulturgeschichtliches Interesse.
Ein flirte soll am Hexensabbat teilgenommen haben. Das sind
durch die eigenen Mittel hervorgerufene Traum Vorstellungen, ant-
wortet Cyrano und scheint damit auf ein merkwürdiges Experi-
ment anzuspielen, das sein Lehrer Gassendi in einem Alpendorfe
angestellt hatte.^ Man sieht, dals diese beiden hervorragenden
Geister das Wesen der Autosuggestion und des Hypnotismus
erkannt hatten, wenn sie es auch noch nicht wissenschaftlich zu
begründen vermochten. Auch der Einflufs der Hysterie scheint
Cyrano nicht verborgen geblieben zu sein, wenn er zur Erklärung
der Tatsache, dafs es viel mehr angeblich besessene Frauen als
Männer giebt, sagt: ^une femme ä Vesprit plus leger qu'un komme
et plus hardy par consequent ä resoudre des Comedies de cette nature :
et enfin eile pense estre si forte de sa foiblesse, que Vimposture estant
decouverte, on attribuera ses extravagances ä quelques suffocations de
matrice ou q'au pis aller on pardonnera ä l'infirmite de son sexe.'
Dabei spricht unser Autor nicht aus Unglauben, oder weil er die
Religion verachtet; denn er anerkennt ausdrücklich die in der
Heiligen Schrift zitierten Fälle: Geist Samuels, der Dämon in
Saul und in den Schweinen der Gargasener, aber, sagt er, wir
müssen annehmen, dafs die Herrschaft des Teufels zu Ende
ging, als Gott leibhaftig zur Erde kam. Die gleiche Geschick-
lichkeit, einer mifsleiteten Theologie ihre Waffen zu entwinden,
beweist er in der Diskussion des Exorzismus, wenn er darauf
aufmerksam macht, dafs die Kreuzesform, vor welcher die Teufel
einen solchen Respekt haben sollen, ja überall in der Natur vor-
komme, wo eine Längslinie von einer kürzeren Querlinie senk-
recht geschnitten werde. Wenn die Kirche es ihm befiehlt, will
er an die grofsen Wirkungen der Magie glauben; bis dahin hält
er diese Erzählungen für die 'gazette des Sots' oder das Credo
* .Alfr.^Rainbaud, Histoire de la Civilisation fran^mse, tom. II p. 154,
und P. Brun p. 152 u. 2. j
Cyrano de Bergerac. 141
derer, welche zuviel Glauben habeu. Seiner Meinung nach sind
alle diese Besessenen, wie ^cette Penitente de Goffredy,^ eette religieuse
de Loudun,^ ceite fille d'Evreux','^ abgeschmackte Komödiantinnen,
und er empfiehlt sehr energische Mittel, um ihnen diese Possen
auszutreiben. Und er spricht als Kenner, denn er hat einer
solchen Verhandlung, in der Richter und Angeklagte eine gleich
unwürdige Rolle spielten, beigewohnt. Sicherlich ist Cyrano in
seinem Urteil den Zeitgenossen weit voraus, und wenn Charles
Nodier und P. Brun diesen Brief mit den Lettres provinciales
Pascals vergleichen, so erweisen sie ihm damit nur genau soviel
Ehre, als ihm zukommt.
Auf die Gefahr hin, den guten Eindruck, den die vorher-
gehenden Briefe auf den Leser gemacht haben mögen, wieder
zu verwischen, wollen wir aus chronologischen und sachlichen
Gründen hier die Entretiens pointus besprechen, deren Auf-
zeichnung und Herausgabe von V. Fournel und P. Lacroix un-
serem Cyrano zugeschrieben wird, und welche mit dem Stoff des
ersten Teils der Lettres eine gewisse Ähnlichkeit haben. An
sich tragen sie zum Ruhm unseres Schriftstellers nicht gerade
bei, und wir hätten an den Pointen, die er in seinen übrigen
Schriften verstreut hat, gerade genug für dies Genre. Nach den
genannten Kritikern soll Cyrano aus den Gesprächen mit seinen
witzigen und freigeistigen Freunden das Beste oder vielleicht
nur das Passabelste herausgesucht und mit einer Vorrede aus
seiner Feder bekannt gemacht haben. Ahnlich und mit ähn-
lichen Einschränkungen hatten dies vor ihm schon Beroalde de
Verville und Sorel getan. Die Vorrede enthält eine Verteidigung
der Pointe. Sie ist nicht in Übereinstimmung mit der Vernunft
und nur ein angenehmes Spiel des Geistes, wunderbar nur in
dem Sinne, dafs sie alles auf den Standpunkt des Vergnügens
bezieht ohne Rücksicht auf den Stoff. Wenn sie aus einer
schönen Sache eine häfsliche macht, so kann das ohne Bedenken
geschehen, denn man hat immer recht getan, wenn man gut ge-
redet hat. Man wägt die Dinge nicht, wenn sie nur glänzen.
Übrigens haben es die erleuchteten Geister, welche sich in solchen
Gesprächen ergingen, nur auf Unterhaltung abgesehen. Der
Leser soll ihnen also die offenbaren Widersprüche und Unrichtig-
keiten nicht anrechnen, mit denen sie sich untereinander und
über alle Welt lustig machen wollten. Auch hat der Heraus-
geber Sorge getragen, ihre Namen zu maskieren, damit sie sich
unerkannt unter die Menge mischen könnten und sicher wären
' Madeleine de Mandols, wegen welcher der Priester Gauff'redy 1611
lebendig verbrannt wurde.
^ Die Ursulinerinnen von Loudun, deren Verfolgungen 1G84 Urbain
Grandier auf den Scheiterhaufen brachten.
^ Vielleicht Madeleine Baveut, die mit zwei angeblichen Komplizen
1G47 ebenfalls durch Feuer hingerichtet wurde.
142 Cyrano de Bergerac
vor dem brutalen Zorn allfällig Angegriffener. Die ^Xenien^
dieser Tafelrunde, soweit sie publiziert wurden, sind nun herzlich
schwach, so dais es sich nicht der Mühe verlohnt, nachzuforschen,
wer unter den Namen Sokrates, Phocion, Timander, Plato, Si-
marander, Epaminondas, Philogias verborgen sein könnte. Platte
Wortwitze wechseln ab mit unsauberen Späfsen, und die paar
Spöttereien über kirchhche Dinge haben wenig Salz. Es ist an-
zunehmen, dalis das, was die Freunde von ihren Gesprächen zu
unterdrücken vorzogen, gescheiter war als diese 'hetises de gens
d'esprW, die ich aus den Werken Cyranos hinwegwünschte. Die
zwei Bonmots, welche die Menagiana II, p. 144, als vom Hofe
bewunderte Produkte von Cyranos Witz zitieren, sind um kein
Haar besser.
IV. Le Fragment de Phy sique ou la Science
des choses naturelles.
Die kleine Abhandlung, welche den Zweck hatte, die Physik,
oder was man zu jenen Zeiten unter diesem Namen verstand,
zu popularisieren, ist erst 1662 in den Nouvelles Oeuvres mit
einer Vorrede von Jacques Rohault herausgekommen, im An-
schlufs an die Histoire comique des Estats et Empires du Soleil,
um zu beweisen, dal's der Sieur de Bergerac ein Philosoph, d. h.
ein gelehrter Physiker, gewesen sei und nicht nur ein Poet und
ßomanschreiber. Wann die Abhandlung entstanden und warum
sie Fragment geblieben ist, ist nicht klar.^ Ich bin geneigt, sie
in das vorletzte Lebensjahr Cyranos zu verlegen, und denke,
dafs sie aus der gleichen Ursache ein Torso wurde wie der
Roman. Dals der Autor einen ausführlichen Traktat im Auge
hatte, beweist schon der Umstand, dafs demselben eine sehr aus-
führliche Übersicht über den zu behandelnden Stoff vorangeht,
betitelt: Id^e g^n^rale de la Physique, und eingeteilt in drei
Partien : eigentliche Physik, Kosmographie und Mineralien. Nur
die erste Partie ist zur Ausführung gelangt in folgenden Ka-
piteln: I. Von der Physik und ihrem Ursprung. II. Vom Fort-
schritt in der Physik und Anweisung für denjenigen, der sie
studieren will. III. Vom Prinzip der sinnlichen Wesenheiten {etres
sensibles) und der Materie. IV. Vom Fortschritt der Materie im
allgemeinen. V. Von der Bewegung und der Ruhe. VI. Von den
Ursachen der Bewegung und der Ruhe. VII. Von der Verlang-
samung der Bewegung. Das letzte Kapitel ist nicht vollständig.
Das ganze Unternehmen hatte zum Zweck, die Lehren von Des-
' P. Brun p. 32:5 bezieht die Phrase Rohaults in der Vorrede: Lec-
teur, comme en 4toit eiicore aprbs les Estats du Soleil' auf die Ent-
stehung des Fragments, das er demgemäls frühestens 1(J50 ansetzt; aber
diese Phrase selbst und die Angabe, dafs Rohault dies Fragment nicht
gekannt habe, als er seine Vorrede zum Voyaye au Soleil schrieb (1662),
zeigt, dafs dies unrichtig ist.
Cyrano de Bergerac. 148
cartes unter die Menge zu bringen und die wissenschaftlichen
Theorien zu erklären, die in den Diopt^rique und den M^t^ores
1638, den M^ditations 1641 und den Principes 1644 vorlagen.
Ebenso hatte unser Autor wohl die Physique du Prince von La
Mothe le Yayer gelesen, obschon sie erst 1657 von dessen Sohn
publiziert worden ist; denn in den acht ersten Kapiteln dieses
Buches finden sich viele Analogien mit den sieben des unserigen.
Umgekehrt hat Jacques Rohault für seinen traite de Physique,
1691, sich oft eng an Cyrauos Darstellung angeschlossen. Wir
wollen nun diese, soweit sie in Ausarbeitung erhalten ist, kurz
besprechen.
I. In der Frage der Vorurteile ergreift Cyrano Partei für
Descartes gegen Gassendi und widerholt die 'Eclaircissemenis' des
ersteren gegen die 'objections' des letzteren. Wir werden sehen,
dafs er in seinem Roman teilweise einen anderen Standpunkt
einnimmt. Als Beweis, dafs unsere Sinne uns täuschen, zitiert
Cyrano aulser der Nadel, die uns sticht, das heifse Feuer, das
schmackhafte Rebhuhn, den duftenden Moschus, die tönende
Trommel, entsprechend den Cartesianischen Stellen über den Tast-
sinn, den Geschmack, den Geruch und das Gehör. Cyrano unter-
scheidet und bespricht aparte das Gesicht, denn, sagt er. Hl n'en
est pas de meme de Vimpression des ohjets sur Voeuil et du sentiment
qui en resulte, lequel est ce qu'on nomme lumiere ou chaleur.' Er
zitiert für diese Lehre verschiedene Beispiele sowohl aus dem
wachenden Zustande als aus dem Traume. Eines dieser Experi-
mente scheint von ihm selbst hinzugefügt: 'Wenn wir einen
Feuerbrand im Kreise herumschwingen, so verlegen wir den
Feuerreif, den wir so hervorbringen, ebenso hartnäckig aufserhalb
unser selbst wie den Feuerbrand selbst.^ Auch aus den wech-
selnden Erscheinungen des gleichen Gegenstandes in Konvex-
und Konkavspiegeln zieht er Konsequenzen und kommt zu dem
Schlüsse: Wir erkennen ohne Räsonnement nur die blofseu
Sinneseindrücke und nicht, was sie erzeugt, woraus folgt, dafs
die Physik wenig zur absoluten Sicherheit (in der Erkenntnis
der Dinge) beiträgt, und dafs wir von den äufseren Dingen,
welche die Physik studiert, nur durch Konjektur und Räsonne-
ment etwas wissen.
II. Mit Berufung auf das so festgestellte Prinzip preist Cy-
rano die cartesianische Methode der Erfahrung, um die Ursachen
der uns bekannten Wirkungen zu erkennen, nämlich voraus-
gehende logische Ableitung (deduction), nachträglich kontrolliert
durch die Beobachtung, wie in der rationellen Mechanik, aber
immerhin mit der Vorsicht, welche einem nicht voreingenomme-
nen Geiste geziemt. Die Fehlerquellen der Beobachtung werden
beachtet und der Satz aufgestellt, dafs jede Theorie mit der Er-
fahrung stehe und falle, und daft wir keine als unumstöl'slich
annehmen dürfen, auch wenn noch kein Gegenbeweis vorliegt.
144 Cyrano de Bergerac.
Wie bei Descartes wird übrigens auch hier der Vorbehalt des
religiösen Glaubens gemacht. Anderseits ist Cjrano weit davon
entfernt, auf die Worte des Meisters zu schwören. Er stellt
zwei methodische Grundsätze auf: 1) es ist viel besser, zu sagen,
ich weifs es nicht, als in dunkle Erklärungen zu verfallen; 2)
die Erklärungen müssen in kurze und klare Sätze gefalst sein.
Das zweite Prinzip ist offenbar cartesianisch (Diseows de la Me-
thode), das erste aber gehört der Schule von Montaigne, Charron
und der Gassendisten an.
III. über das Wesen des Stoffes äufsert Cyrano hier die
gleichen Gedanken wie Descartes. Stoff ist Ausdehnung, 'corpus
est res extensa\ Auch die Beweise, mit denen er diesen Satz stützt,
sind die cartesianischen. Er betrachtet hier das Vakuum als
eine Schimäre, während er im Roman anderer Ansicht ist. Auch
in bezug auf die unendliche Teilbarkeit der Materie, die unbe-
schränkte Ausdehnung des Stoffes und der Welt ist Cyrano hier
Cartesianer. Für beide Philosophen ist also die Welt unbegrenzt,
es sei denn, dafs die göttliche Offenbarung uns belehre, dafs die
Welt begrenzt ist. Auch der Satz, dafs von zwei Körpern glei-
cher Ausdehnung der eine nicht mehr Stoff enthält als der an-
dere, auch bei ungleicher Schwere, ist cartesianisch.
IV. Zu den Eigenschaften des Stoffes : unendliche Teilbarkeit
und Beweglichkeit der Teile, rechnen Descartes und Cyrano noch
die Gestalt (figure). Die unendUche Teilbarkeit war von Gas-
sendi mit guten Gründen bekämpft worden, und wir werden
diese Einwände im Roman wiederfinden. Hier, wo Cyrano nicht
seine Überzeugung zu vertreten, sondern eine Schulmeinung zu
popularisieren hat, geht er nicht darauf ein.
V. Cyrano gibt für den Satz, dals ein Körper sich nicht
von einem anderen loslösen könne, ohne dafs dieser andere sich
gleichzeitig von ihm loslöst, folgenden Beweis : wenn ich mich
in einer Pirouette um meine Achse drehe, so kommt das für die
mich umgebenden Teile der Welt ganz aufs gleiche hinaus, als
wenn ich mich unbeweglich verhielte und die Welt sich um mich
drehte. Für die Reziprozität von Bewegung und Ruhe führt er
zwei Beispiele an. Der Schiffer, der in seinem Schiffe von
W^ind und Wellen entführt wird, ist unbeweglich, insofern er
sich nicht von den Teilen des ihn umgebenden Körpers, die mit
ihm gehen, ablöst, und beweglich, insofern er sich von einem
bestimmten Punkte des Ufers entfernt. Ferner: ein Schwimmer,
der in einem Flusse ebensoviel Kraft verwenden würde, um
gegen den Strom aufzukommen, wie der Strom verwendet, um
ihn abwärts zu treiben, würde unbeweglich sein in Beziehung
auf die beiden Uferpunkte, denen er immer parallel bliebe, und
beweglich in Beziehung auf die Wasserteilchen, von denen er
sich abwechselnd ablöst und mit ihnen verbindet. Dafs diese
Beispiele weniger stringent seien als das bekannte Cartesianische
Cyraiio de Bergerar. 145
von dem Mann auf dem Hinterteil eines Schiffes, der zu fahren
glaubt, wenn er nach dem Ufer zurückblickt, und zu ruhen, wenn
er nur auf sein Schiff sieht, kann ich P. Brun p. 238 nicht
glauben, der aul'serdem die zwei Beispiele Cyranos in leicht-
fertiger Weise kombiniert, indem er von einem 'nageur dans son
bateau' spricht.
VI. Unser Autor resümiert die Ursachen der Bewegung in
folgender Weise: Gott hat gewissen Teilen der Welt eine Be-
wegung verliehen, welche er anderen versagt hat. Diese partielle
Bewegung wird beständig unterhalten durch den nämlichen Gott,
dessen Wille die primäre Ursache von allem ist, was wir in dem
Mechanismus des Weltalls wahrnehmen. Aus diesem Prinzip
entspringen folgende Konsequenzen: 1) ebenso wie Gott ist die
Welt ewig; 2) da die Welt keinen Anfang gehabt hat, so ist
kein bestimmender Grund vorhanden, warum sie aufhören sollte;
3) die Unbeweglichkeit braucht nicht aufzuhören ; 4) das Quadrat
sich nicht in eine andere Form zu verwandeln; 5) die Dinge
müssen in dem Zustande verharren, in welchem sie sich be-
fanden, eben weil sie sich darin befanden. An der Bewegung ist
also nichts Erstaunliches. Die Nachforschung der Wissenschaft
mufs sich einzig auf den Punkt richten, warum hört die Bewegung
eines Körpers auf? In Descartes^ und Cyranos System ist ein
Grund für das Aufhören der Bewegung a priori nicht vorhanden.
VII. Immerhin verlangsamt sich diese Bewegung in Anbe-
tracht dessen, dafs verschiedene Grade der Geschwindigkeit denkbar
sind. Die durch Bewegung ausgelöste Kraft (effort) heifst Schwere,
wenn die Bewegung von oben nach unten geht. Man kann
dieses System auf jede Ortsveränderung anwenden. Der Ort ist
nämlich die Oberfläche des umgebenden Körpers. Der in Be-
wegung befindliche Körper teilt diese Bewegung einem anderen
Körper mit, aber mit gradueller Abnahme der eigenen Kraft bis
auf Null. Zum Beweise dieser graduellen Verlangsamung, welche
das System des vorhergehenden Kapitels umstöfst, will Cyrano
zwei Beispiele bringen und beginnt die Beschreibung eines (von
ihm erdachten?) besonders konstruierten Rades.
Hier bricht leider das Fragment ab. Es ist nicht genügend,
um uns von Cyranos wissenschaftlichen Kenntnissen ein fertiges
Bild zu geben. Von Rohault wurden diese sehr hoch eingeschätzt,
und wir glauben, dafs bei weiterer Fortsetzung unser Autor sich
noch mehr von Descartes Autorität freigemacht haben würde;
denn dafs er die Schwächen in dessen System in der Schule
Gassendis zu erkennen gelernt hatte, werden wir in dem Roman
sehen, zu dessen Besprechung wir nun übergehen.
Bern. H. Dübi.
(Portsetzung folgt.)
ArchiT t. n. Sprachen. CXIV. 10
Ungedruckte Meister - Foseolo - Briefe.
1815—1817.
Hugo Foseolo (1778—1827), der Verfasser des Ortis und
der Sepolcri, hatte sich, um dem vod ihm als Offizier von der
neuen österreichischen Regierung geforderten Eide zu entgehen,
Ende März 1815 aus Italien nach der Schweiz geflüchtet, wo er
im Mai unter dem Namen Lorenzo Alderani in Zürich eine Zu-
fluchtsstätte fand, die er im Sommer 1816 mit England ver-
tauschte. Obschon mit einem einzigen Empfehlungsschreiben an
das Bankierhaus Pestalozzi im Steinbock versehen, wufste er sich
doch mit Zürchern zu befreunden, besonders mit den Gelehrten
Joh. Heinrich Fül'sli und Jacob Heinrich Meister. Im geselligen
Hause des ersteren, wo Witz und Heiterkeit herrschten, spielte
er gern Whist. Mit letzterem, der von 1773 an während vierzig
Jahren die Grimmsche Correspondance litteraire fortführte, trat er
in regen Briefwechsel, ihn seinen Wohltäter, seinen guten Nestor,
seinen väterlichen Freund nennend.
Seine Briefe an denselben wurden von Adolf Tobler in der
Reinhartschen Sammlung in Winterthur aufgefunden und in Eberts
Jahrbuch für romanische und englische Lite^^atur 1871 veröffent-
licht.^ Derselbe Romanist hatte schon vorher in seinem Ugo Fos-
colos Aufenthalt in Zürich^ viel Interessantes über diesen berühm-
ten Dichter und Gelehrten mitgeteilt.
Obwohl mau Meisters Antworten an Foseolo in der Labro-
niea (Livorno) aufbewahrt wufste,^ blieben sie in Ermangelung
einer getreuen Abschrift ungedruekt; nachdem aber ihr Wortlaut
festgestellt worden ist, steht einer Veröffentlichung nichts mehr
im Wege.
Die in diesen Briefen oft genannte 'bella donna' ist Mathilde
Viscontini. Als Siebzehnjährige mit dem Napoleonischen General
Jean-Baptiste Dembowsky vermählt (1807), lebte sie mit ihrem
gewalttätigen und brutalen Manne in unglücklicher Ehe, die
schliefslich zur gerichtlichen Trennung führte. Während der
' Die Originale sind seitdem leider abhanden gekommen.
"^ Separatabdruck aus der Schweiz, Zeitschrift für Literatur und Kunst,
Bern 1862.
^ Epistola/rio dt Ugo Foseolo II, 326.
tJngedruckte Meister- Foscolo- Briefe. 147
Dauer des Prozesses hielt sie sich in Bern auf uud besuchte in
Zürich Foscolo, mit dem sie seit vielen Jahren befreundet war
(Epist II, 245).'
Stendhal, der sie in Mailand sah und für sie mit uner-
widerter Leidenschaft schwärmte, schreibt: 'Elle ressemble en bien
ä la charmante Herodiade de Leonard de Vinci' und anderswo: 'J'ai
decouvert chez eile un tact parfait pour les beaux-arts.' Sie scheint
sich gern mit ernsten Dingen beschäftigt zu haben. Meisters
Dialogues sur Vimmortalite und sein Livre de Frierest werden ihr,
schreibt Foscolo, willkommen sein, 'eile a assez d'eUvation d'esprit
pour apprecier ce genre d'ouvrages, et trop d'amertume pour ne pas en
seniir le besoin.'
Neben ihrer Anmut und Lieblichkeit besafs sie einen ener-
gischen Charakter; sie war eine jener italienischen PVaueu, die
im Kampf mit der österreichischen Regierung für ein unab-
hängiges Italien Gefahren und Opfer nicht scheuten. Sie starb
im Jahre 1825, 35 Jahre alt. S. Barbiera, Figur e e figurine del
Secolo che muore, Milano, Treves, 1899. Ihre (8) Briefe an Mei-
ster befinden sich in der Reinhartschen Sammlung.
Die soeben erwähnte Schrift über die Unsterblichkeit trägt
den Titel: Euthanasie ou mes derniers entretiens avec eile sur Vim-
mortalite de Väme, Paris, Renouard, 1809, und da sie in den
folgenden Briefen oft erwähnt, aber wohl unbekannt ist, so
dürfte darüber folgendes der Correspondance litteraire-^ entnommen
werden.
. . . Le cadre de ces entretiens est fort simple . . . L'ami d'une femme
interessante,' attaquee depuis longtemps d'une maladie de langueur, se
voit menac^ du malheur de la perdre, et sent plus vivement que jamais
le besoin de s'attacher aux seules esp^rances qui puissent adoucir nos plus
profondes douleurs. II trouve dans ces memes espörances le charme le
plus propre ä repandre quelque douceur sur les tristes moments qui doi-
vent pr^eöder une Separation si cruelle, et recueille tous les efforts de sa
pens^e pour faire partager ä son amie un espoir dont son esprit, pr^venu
malheureusement par d'autres systfemes, avait paru jusqu'alors peu sus-
ceptible.
Dans le premier eutretien, on prouve par differentes analogies qüe la
vie peut exister encore, m§me lorsque tous les phenom^nes qui Tannon-
eent, ont disparu. On montre la n^cessit^ de chercher dans un principe
invisible le premier moteur de nos sentiments et de nos id^es.
* S. Chiarini, QU amori di Ugo Foscolo, Bologna 1892.
^ Heures ou meditations religieuses ä l'usage cfe toutes les communions
de l'Eglise, Zürich, Orell, Füfsli & Comp., 3 parties 1816, 1817 u. 1819.
Sie sind dem Kaiser Alexander gewidmet, der dafür dem Verfasser durch
Capo d'Istria einen mit Diamanten besetzten Ring einhändigen liefs.
^ Aus einem in Winterthur befindlichen Manuskript.
" Madame Germaine de Vermenoux in Paris, deren Sohn von Meister
erzogen wurde. S. Henri Meister, Bevue des deux mondes, l*"" novembre
1902, und heitres inedites de M"" de Stael ä Henri Meister, par MM. Paul
Usteri et Eugene Ritter, Paris, Hachette, 1903.
10*
148 Ungedruckte Meister-Foscolo-Briefe.
Dans le second, on täche d'^tablir plus positivement l'existence de ce
principe, l'unit^ du pouvoir auquel sont subordonnöes les diff^rentes fa-
cultas de notre 6tre, quelque diff^rentes en effet, quelque oppos^es möme
que ces facultas semblent 6tre souvent Tune ä l'autre.
Dans le troisi^me entretien, apr^s un coup d'oeil rapide sur les bornes
de notre savoir, on d^couvre dans les esp^rances que Ton rencontre aux
demiferes limites de ce faible savoir, la preuve d'une facult^ bien sup^rieure
ä toutes Celles dont notre Organisation purement physique peut nous laisser
entrevoir le myst^re. On s'arrete ä la contemplation du contraste 6ton-
nant de nos voeux et de nos moyens, de la hardiesse de nos aper§us, de
nos int^röts et des pesantes chalnes de notre ignorance, du merveilleux
pouvoir de nos passions et des limites ^troites de notre activit^. On fait
sentir que tout ce qu'il y a de plus admirable dans les dispositions de
la nature de l'liomme, n'offrirait aucun resultat digne de la pens^e qui
les a congues, si la fin de cette vie devait 6tre le dernier terme de nos
destin^es.
Dans le quatri^me entretien, on präsente surtout la tendance morale
du Systeme de l'immortalite de l'äme comme une des plus fortes preuves
de la v^rit^ de ce syst^me.
Le cinqui^me expose d'une mani^re peut-^tre aussi sensible que nou-
velle l'heureuse conviction dont jouit le vrai chr^tien, en trouvant dans
le fait le plus remarquable de sa croyance le gage de cette r^v^lation si
vivement d^siröe par Socrate.
Le sixifeme d^veloppe les raisons par lesquelles la sagesse divine n'a
pas permis sans doute que nous pussions obtenir de plus vives lumi^res
sur la certitude d'une vie ä venir.
Le septifeme offre le tableau des impressions qu'^prouve une äme
remplie de ces sublimes esp^rances, ä la vue des ravissantes merveilles
d'une belle soiröe.
Le huitifeme präsente dans une espfece de vision quelques aper§us des
f^licit^s d'une autre vie.
Malgr^ tout ce que laisse ä d^sirer l'ex^cution d'un pareil plan, ou
plutöt le simple r^cit de ces diff^rents entretiens, j'aime ä croire que des
ämes sensibles y trouveront un int^röt assez doux, et les philosophes de
bonne foi l'indication du moins des preuves et des probabilit^s les plus
frappantes eu faveur de la plus sainte et de la plus consolante de nos
opinions religieuses.
Pour prouver que ces entretiens ne sont pas une simple fiction, peut-
ötre nous pardonnera-t-on de rapporter ici le t^moignage, quoique trop
flatteur sans doute, de deux araies qui connurent particuli^rement la per-
sonne d^sign^e sous le nom d^ Euthanasie :
Lettre de M»^e ^^ St[ael]-H[olstein].
'C'est avec un veritable entrainement que j'ai commencd et fini la
lecture le möme jour. II y a tant de puret^, de douceur et d'^l^gance
dans le style, qu'on se laisse s^duire par des pens^es justes et profondes,
comme par un roman. Je voyais aussi dans ces Entretiens l'image d'une
personne qui a prot^gö mon enfance . . . ' Vous portez une grande clart^
dans les abimes, et cela fait du bien, au moins pour un moment: car les
tön^bres y reviennent bien vite.'
Extrait d'une lettre de M"^« E[imet] H[uber].2
'La forme que vous avez donn^e ä l'ouvrage captive et soutient l'at-
tention tout k la fois; et cette Elle [M™® de vermenoux] que vous avez
* W^^ Germaine de Vermenoux war Patin der M"^^ de Stael.
* Jugendfreundin der Frau v. Stael. S. M"^« Necker de Saussure, Notice aur
le caractere et les ecrits de M"** de Stael.
Ungedruckte Meister-Foscolo-Briefe. 149
montr^e sous im jour si touchaot, et dans laquelle je me plais ä retrouver
tous les traits d'iine personne que j'ai regard^e dfes ma plus tendre jeu-
nesse comme le tvpe de la gräce et le veritable modele ä suivre pour une
femme, cette Elle, combien, combien vous faites envier son sort par
l'ami qui la conaole et la soutient.*
1. Meister an Foscolo.
Berne, 23 d6cembre 1815.
Monsieur,
C'est peu de joure apr^s mon arrivee ä Berne que je devais recevoir,
vous me l'avez fait esp^rer, Tint^ressante lettre dont j'ai vu le commence-
ment, il y a quelques mois, dans votre scartafaccio. Tr^s bötement
j'ai la faiblesse de l'attendre encore. Mais il y aurait plus que de la
b^tiee, il y aurait de l'ingratitude ä differer plus longtemps de vous re-
mercier de la lettre dont vous aviez eu la bont^ de me charger ä mon
Premier d^part de Z[urich] pour M'"»^ la gfen^rale] Dembowsky.* Je lui
dois Sans doute l'accueil favorable dont eile a daign^ m'honorer, et par
cons^quent les plus agr^ables soir^es que j'ai pass^es ici. J'ai vu v^ritable-
ment peu de personnes dou^es d'une äme plus forte, plus douce, plus
sensible. Aux charmes touchants de sa figure, de son esprit, de son ca-
ractfere, eile Joint encore un talent dont vous ne m'aviez point parl4, un
talent tr^s distingu^ pour la musique.
Tout ce qui m'entoure ici n'en est pas moins enchant^ que moi, sur-
tout ma belle-fille,^ sa bonne mfere [Frau Meister], et l'une de nos ni^ces,'
ä qui M™^ D. a ^t^ particuli^rement recommand^e par une maison de
Gen^ve. Ainsi j'ai le bonheur de me trouver dans la seule soci^t^ avec
qui les circonstances et son extreme reserve lui ont permis de se Her.
Ma vieillesse m'a fait obtenir la faveur de la voir m§me assez souvent
chez eile, et je ne jouis jamais d'un si doux privilfege de mon äge, sans
me consoler, encore un peu plus s^rieusement que dans mon cat^chisme
De senectute,"* de n'etre plus jeune. Nous nous entretenons souvent de
vous, de vos ouvrages, de vos projets, car eile aime mieux s'occuper des
autres que d'elle-möme. Que l'on serait heureux de meriter sa confiance !
et mille fois plus heureux encore de pouvoir contribuer ä lui faire oublier
ses peines, ä lui rendre ce bonheur, ce repos qu'il est si difficile de trouver
dans ce monde avec une sensibilit^ comme la siennel
Quelles sont en ce moment les dispositions de la vötre ? II est permis
ä l'int^ret le plus sinc^re de vous adresser cette question. Vos projets,
l'irr^sistible ascendant de votre g^nie et de vos destinees, ne vous entral-
neront-ils pas bientöt loin de nous? Aurai-je du moins le bonheur de
vous retrouver encore ä mon retour ä Zürich?
En attendant, j'ose vous f^liciter, je crois, de la nouvelle aurore d'in-
d^pendance qui vient de luire sur votre ancienne patrie. Ah! puisse-t-elle
^tre suivie d un jour plus long, plus tranquille qu'elle ne le fut au com-
mencement de ce si^cle!' Sera-t-on plus libre en effet sous la protection
* S. Foscolos Brief, datiert Baden, 22. Sept. 1815.
' Meisters Stieftochter Charlotte Bürkli. Sie war mit einem Sohne der durch
M'^ß de Staels Delphine bekannten Frau Zeerleder (M™® de Cerl^be) verheiratet.
^ Frau Beuther, Tochter des bekannten Historikers Gottlieb Emanuel Haller,
Sohnes des grofsen Haller and der Margaretha Schulthefs, der ältesten Schwester
der Frau Meister.
* Lettres sur la vieillesse par J. H. Meister. Paris, Renouard, 1810 und 1817.
^ Foscolo war von Zante, einer der ionischen Inseln, gebürtig. Nachdem die-
selben unter venezianischer Herrschaft gestanden, wurde 1800 der Freistaat der
150 Ungedruckte Meister-Foscolo-Briefe.
de la natioD la plus ^clair^e que sous celle du peuple le plus Ignorant et
le plus esclave? Le progr^s des lumi^res et de l'industrie, plus favoris«^
pour l'int<5ret meme des protecteurs, ne finira-t-il pas par etre une
meilleure garantie de votre independance que toute protection etrang^re,
meme la plus puissante de Tunivers? Je veux Tesperer, car enfin, ä force
de vouloir surveiller et prot^ger la libert^ dans toutes les quatre partics
du globe, no risque-t-on pas d'user enfin tous le« ressorts de sa propre
puissance, tous les bienfaits de sa propre libert^? Dii meliora.
Sur ce, permettez-moi, Monsieur, de vous renouveler ici tous les hom-
mages de ma plus tendre reconnaissance, de me plus vive admiration.
Yours for ever
J. H. M.
Maison de M. Zeerleder-Burkli.
2. Foscolo an Meister.
16 juin 1816.
A Monsieur Meister.^
Si vous avez l'occasion de parier ä M'"^ et ä M. Finsler, ayez la bont^
de les prier (sans trop d'empressement) qu'ils tächent ä Berne de d^couvrir,
s'il est possible, les raisons de ce M. Ettori. A present je suis sür qu'il
est en correspondance avec quelques ministres des cours etrang^res ä
Berne, et je ne puis plus presque douter qu'il ne soit envoy^ par les
Autrichiens, mais ä quel objet? et avec quelles intentions? J'aperyois
aussi qu'il commence ä m'assi^ger dans les formes. II n'a pas cepen-
dant la volonte de me faire du mal, mais peut-6tre il en aura l'int^ret.
Je ne crains rien au reste, mais je voudrais ^tre ä l'abri fin an che
dalle molestie . . .
Je recommande le paquet ä la protection de M"'^*^ Finsler.
Adieu. Hugues.
3. Meister an Foscolo.
A Monsieur Monsieur Ugo Foscolo.
Tout ce que j'ai pu apprendre de M. Ettori^ ne justifie que trop vos
appr^hensions. II a dit ici qu'il avait 6t6 charg^ de d^p^ches pour le
ministre de Prusse qui vient d'acheter une petite campagne aux environs
de Berne. D'aprfes Tid^e que vous m'avez donn^e vous-meme de l'homme,
et que d'autres rapports ont encore confirmee, je pense que vous n'avez
point ä le craindre, mais qu'il ne vous convient nuUement d'entretenir
aucune liaison avec un pareil ötre. Hie niger est, bunc tu fugito, Eomane.^
Addio.
4. Meister an Foscolo.
[Baden en Argovie], ce dimanche matin 30 juin 1816.
Caro car'"*', N'^tais-je pas assez disappointed d^jä de passer uniour
apr^s Pautre ici sans vous y voir arriver? Faut-il encore apprendre helas!
sieben vereinigten Inseln unter Hoheit der Pforte gegründet. 1807 kamen sie an
Frankreich und 1809 an England. Am 15. November 1815 wurden sie unter
englischem Protektorate unabhängig, 1863 aus demselben entlassen und mit Grie-
chenland vereinigt.
• Dieses der Reinhartschen Sammlung entnommene Billet Foscolos trägt auf
dom zerrissenen Siegel die fünf ersten Buchstaben seines Mottos: Accingar zona
forütudinis ('Mannhaftigkeit mein Gürtel').
* Sehr waürsoheinlich ein österreichischer Spion.
^ Hie niger est, hunc tu, Romane, caveto. (Horaz, Sat. I, 4, 85.)
Ungednukte Meister-Foscolo-Briefe. 151
?|ue ce sont de trop bonnes ou de trop fächeuses raisons qui vous ont
ait renoncer au projet dont je m'^tais promis tant d'agr^ables moments!
Si j'en avais eu la possibilit^, ce n'est pas par öcrit que je vous r(5pon-
drais; mais demain au soir je compte etre de retour d'assez bonne heure
pour aller m'assurer moi-meme que votre indisposition physique et morale
n'aura pas eu de suite, et que vous aurez pu vous dispenser m^me de
reeourir au temuto salasso. * En attendant, permettez-moi de vous le
dire, mon tr^s eher, il me semble que vous voyez et que vous prenez en
g^D^ral les choses de la vie beaucoup trop po^tiquement. N'oubliez-vous
pas trop souvent que les trois quarts et demi de notre existence actuelle
sont do la prose tr^s positive et trfes commune, qu'il faut malheureusement
la eonsid^rer et la traiter dans ce seus pour s'^pargner toute sorte de
contrari^t^s. J'espfere qu'il n'y a rien de personnel dans Tavis aussi mys-
terieux que d^sobligeant dont vous a gratifi^ votre albergatore.'-^ II ne
serait pas iiupossible ä la v^rit^ que notre baute police ait cru devoir
faire reserver les meilleurs appartements de toutes les grandes auberges
aux deput^s de la Difete et aux membres du corps diplomatique qu'on ne
sait oü loger. Mais il est trfes possible aussi que tout simplement le signor
albergatore ait ealcul^ qu'il pourrait les louer avec plus de profit ä l'un
de ces messieurs qu'il tout autre etranger, et surtout ä un po^te qui ne
boit point de vin.
Quoi qu'il en soit, je n'en suis pas moins d^sol^ de tous ces contre-
temps, et surtout de 1 odieuse Impression qu'ils paraissent vous avoir
donnee contre un pays oü j'aurais tant d^sir^ que vous eussiez pu trouver
un asile assez tranquille, assez confortable pour vous consoler de la
belle patrie dont les circonstances vous tiennent si peniblement ^loign^.
Addio, domani vi rivedrö, e poi domani ancora, lo spero almeno; mais
le silence della gentile e piü eara donna commence ä me donner quelque
inqui^tude. Xm^e et vale.
5. Meister an Foscolo.
Zürich, 9 aoüt 1816.
A Monsieur Monsieur Ugo Fo8colo.
Sig. mio, caro carissimo, Votre lettre^ et les nouvelles que vous me
donnez de l'amabile Beltä m'ont fait un extreme plaisir, mais comme
nought is pure in this bad world, j'ai eu beaucoup de chagrin de
l'impertinente tracasserie que vous venez d'^prouver ä B[erne]. Au reste,
j'en suis peu surpris. H41as ! ce qui doit garantir le plus essen tiellement
votre repos, vos talents, votre rdputation et le nom de l'illustre ami/ voilä
justement ce qui donne de l'ombrage ä certaines gens. Dans toute cette
ridicule affaire, l'effrontamente (sie) me console un peu.'^ Si ces mes-
sieurs ^taient plus accoutum^s au vilain mutier dont ils veulent bien se
charger, ils s'en acquitteraient avec moins de gaucherie.
* Temo,' schreibt Foscolo an Meit^ter am 28. Juni, 'che a levare i semi di
queste- noie ricorrenti [rheumatische Schmerzen] ci vorrä il temuto salasso.^
^ Nachdem Foscolo bis zum 19. Juni in Hottingen bei Zürich {Epist. II, p. 239)
zur Miete gewesen, war er in den Gasthof zum Raben, Zürich, Hechtplatz 1, gezogen.
* Datiert [Berna], martedi 6 agosto. Foscolo hatte Zürich im Juli verlassen,
und nach kurzer Kur in Baden weilte er in Bern vor seiner Abreise nach England.
^ Capo d'Istria, 1814 russischer Geschäftsträger bei der Eidgenossenschaft und
nachher russischer Minister des Auswärtigen. Er besuchte Foscolo in Zürich.
Epist. n, 162.
** Foscolo beklagte sich (6. Aug.), dafs seine Briefe von der Polizei 'sfrontata-
mente' mit Beschlug belegt worden seien.
152 IJogedruckte Meister-Foscolo-Briefe.
Au reste, soyons iustes, merae avec ceux qui le sont le moins. N'ou-
blions pas, mon excellent ami, que, si d'une part, dans prosqnc toutes les
classes, il y a non seulement plus de m^contentement r^el, mais encore
plus d'inquietude et d'int^ret et d'opinion qu'il n'y en a jamais eu, Ton
ne doit pas etre surpris que de l'autre il y ait aussi plus de soupyon,
plus de d^fiauce, et par cons^quent toutes les mesures illiberales qu'in-
spire un pareil ^tat de choses. J'en conclus qu'avec la conscience la plus
pure, la poesie la plus sublime dans Pesprit et dans le coeur, il faut bien
se r^signer au triste soin d'^viter jusqu'ä l'ombre des dispositions si re-
dout^es aujourd'hui des plus grandes comme des plus minces puissances
de la terre; elles n'en restent pas moins responsables au tribunal de la
post^rite, plus silrement encore ä celui de r^ternel arbitre. de l'univers.
Quelque effort qu'on fasse en ce moment pour etablir la sainte Alliance
et la paix universelle, eile est bien loin d'^re encore finie, la grande lutte
entre Jupiter stator et Zsvg ve^ekrjys^srijs.^
Vous voulez, sig. mio caro, que je vous dise sans menagement mon
jugement sur ce que vous appelez fort mal ä propos vos lunghissime
filastrocche.^
Eh bien! je vous dirai sans aucune esp^ce d'indulgence que je les ai
relues avec infiniment d'interöt et sans aucun egard ä la corde dont je
vous sais tant de gr^. ^ On cherchera toujours dans l'examen le plus s^v^re
et le plus impartial que puisse faire un auteur de son ouvrage quelque
finesse d'amour-propre cach^e, mais c'est une remarque si commune que
je rougis presque de l'avoir röp^tee ici. II n'en est pas moins sür qu'un
pareil examen, fait aussi consciencieusement que le votre, et compar^ encore
avec les opinions de tant de critiques etrangers, est peut-etre une des
choses les plus instructives et le plus moralement utiles qu'on puisse lire.
Je vous remercie beaucoup de l'indulgence que vous avez eue pour
mes Etudes.^ Plus j'en suis touch^, plus j'ai de regret de ne pouvoir
causer avec vous tr^s particuli^rement sur Celles de mes opinions qui dif-
f^rent le plus des votres. S'il est des sentiments auxquels je tiens avec
assez de constance, il n'est aucune de mes opinions que je n'abandonne
encore facilement, comme dans ma jeunesse, pour une autre, n'eüt eile
meme d'autre attrait pour moi que d'etre plus ancienne ou plus nouvelle.
A present, addio, caro carissimo._ L'excellent Acate,^ qui vous remettra
ces lignes, se Charge de vous porter mes voeux et ceux de ma jeune vieille
amie/
S'il ^tait encore permis de me livrer ä quelque esp^rance, comme
j'embrasserais vivement celle de vous revoir encore dans ce monde, et
plus volontiers encore qu'ailleurs dans ce pays, quelque sombre que soit
* Der Streit zwischen dem erhaltenden und dem wolkensammelnden Gotte,
den konservativen und den revolutionären Mächten.
^ Die lange Notizia hihliografica der 1816 in Zürich gedruckten, den Titel
Londra 1814 tragenden Ausgahe der Ultime lettere di Jacopo Ortis.
^ La corde sensible. Diese empfindsame Saite hatte Foscolo in folgender Stelle
seiner Notizia hihliografica des Orüs p. XCVIII angestimmt: 'Euthanasie, operetta sul-
rimmorfaHtä delV anima, e forse il piii beüo de molti lavori lettcrari del Sr. Meister. Uno
scrittore italiano la sta traducendo.' Nichts konnte Meister mehr freuen, als in Fos-
colo einen berühmten Übersetzer seiner Euthanasie zu finden. Auch war sie nicht,
wie die Mehrzahl seiner Schriften, in eine andere Sprache übertragen worden.]
* Etudes sur Vhomme dans le monde et dans la retraite, Paris, Renouard, 1804.
' So nennt Foscolo seinen Sekretär Andrea Calbo, mit dem er in England
bald leidige Erfahrungen machen sollte. Calbo war ftir den Druck des Ortis in
Zürich zurückgeblieben und traf nachher mit seinem Herrn in Basel zusammen.
* Im Alter von 62 Jahren hatte sich Meister mit der Witwe Ursula Bürkli,
einer Jugendliebe, verheiratet.
Ungedruckte Meister-Foscolo-Briefe. 153
l'horizon sous lequel vous ^tiez dispos^ h le voir en m'^crivant votre
de^ni^re lettre. Je suis d^soM qii'au moment de quitter ma patrie, eile
vous laisse une impression par trop sinistre. Croyez que nous ne sommes
pas auBsi m(^chaiits que nous sommes faibles et gauches, ' que ces formes
qui vous blessent cachent seulement un grand fond de prudence et de
bonhomie. Oubliez tout le reste et souvenez-vous seulement de nos beaux
Sites, de l'amabile donna, de quelques amis parmi lesquels je me flatte
d'^tre au moins le plus reconuaissant et le plus d^vou^. Xai^e xai cpiXei.
Yours for ever.
Je f^licite notre bonne nifece M'"'' ßeuther d'avoir eu le plaisir de
faire votre conuaissance. Tant mieux si eile ne vous a pas trouv^ trop
amabile. M. Addington' me Charge de vous faire ses remerciments les
plus empress^s. II n'a pas encore lu le nouveau volume [Ortis], mais il
a ^t^ transport^ des Sepolcri que je lui avais p^^t^8 il ^ a quelques
jours. Notre eher Andr^ [Calbo] doit 6tre charg6 des Souvenirs reconnais-
sants de W^^^^ Mousson'' et Finsler."
6. Meister an Foscolo.
Zürich, 16 novembre 1816.
Sig. ed amico caro carissimo,
Je vous aurais dejä remercie de l'int^ressante et douce lettre que vous
ni'avez ^erite de Francfort,'' si je n'avais pas cru devoir attendre celle
que vous mV promettiez d'abord apr^s votre arriv^e ä Londres. Je ne
l'ai point re9ue, mais je n'en ai pas eu moins de joie des bonnes nouvelles
que vous avez donnees ä la famille Füssli. Et je ne puis diff^rer plus
longtemps de vous 5ire combien, malgre tous les regrets que m'a laiss^s
votre d^part, je suis heureux de vous savoir dans un pays o^X votre g^nie
et vos talents peuvent se d^ployer en libert^, oü votre renomm^e et Tin-
t^ret des amis dont vous ötes entour^, vous assurent tout le repos et
toute Tindependance dont vous avez besoin, oü vous serez enfin plus ä
meme que partout ailleurs de rendre ä votre ancienne patrie les Services
les plus ^minents. J'aurais bien pr^fer^ sans doute que vous eussiez
trouv^ dans la mienne un asile digne de vous; mais on ne m^rite pas
d'avoir des amis, quand on ne sait les aimer que pour soi. II faut donc
se r^signer ä ne les aimer que de loin. Serait-il vrai que cette espfece de
d^sint^ressement doit paraitre un peu moins difficile ä mon äge qu'ä
tout autre?^ Mon coeur a plus d'une raison d'en douter.
Notre cara, Celeste e misera donna vient de repartir pour
Milan, mais avec des pressentiments bien penibles, bien sombres, quoique
accompagnee de tri^s puissantes et tr^s aimables recommandations. En
est-il, helasi ^ui puissent surmonter tous les obstacles, tous les interets
et toutes les inimities qui s'opposent au bonheur de cette äme si noble
et si sensible? Ah!j je suis bien sür que, si vos relations en Angleterre
vous pouvaient offrir quelque moyen aussi favorable qu'impr^vu jusqu'ici
* Die Plackereien der kantonalen Polizeibehörden hatten Foscolo erbittert.
' V*e pur della gran putredine polifica in questa arcimoralissima Svizzera,' schreibt er
am 6. August an Meister.
* Sekretär Canniugs, britischen Gesandten in der Schweiz.
* Gattin des Kanzlers der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
* Wahrscheinlich die schon genannte Frau General Finsler-Escher, der Meister
seine Promenade au-delä des Alpes widmete.
» Dat. 30. August 1816.
•I Meister war geboren am 6. August 1744, er starb am 10. November 1826.
154 Ungedructte Meister-FoBcolo-Briefe.
de la tirer de l'affreux labyrinthe oü le sort l'a jet^e, elle-m§me n'en serait
pas plus heureuse que son digne ami.
Le ciel du pays que vous habitez en ce moment, n'est pas ä mon
gr4 plus n^buleux, plus arvyva^cor^ que tout l'horizon politique de notre
pauvre vieille Europe. Je m'en afflige comme si j'avais eu l'espoir d'^tre
encore longtemps t^raoin des prosp^rit^s oü semblaient l'appeler et le
progr^s g^n^ral des lumiferes et l'exp^rience de ces derni^res annees, ou
plutöt de ces derniers si^cles de bouleversement et de malheur. J'ose re-
gretter quelquefois de n'avoir pas eu le courage ou l'indiscr^tion de vou>
remettre ä votre d^part le manuscrit de mes Esquisses europ^ennes,
commenc^es en 1798 et finies en 1815.^ Ce ne sont que des frag-
ments, mais je me persuade, ou je me flatte d'y avoir consigne quelques
v^rit^s utiles, avec une mani^re tr^s franche et tr^s independante de toute
autre opinion du moment que de la mienne. Quoique j'y dise assez de
mal de votre fifere Albion, ^ c'est toujours avec le sentiment du propre
respect que doivent inspirer et sa Constitution politique et l'esprit public
qu'a fait naitre cette admirable Constitution, et qui sans doute lui sur-
vivra longtemps, de quelques dangers que la menacent aujourd'hui les abus
et les illusions de la plus Enorme puissance et de la plus enorme richesse.
En attendant, grondez-moi, caro amico, grondez-moi comme je le
merite. Faible et vieux comme je le suis, ne devrais-je pas etre gu^ri de
la manie de barbouiller, et surtout d'importuner le public de mes jeunes
et vieilles reveries ... Eh! bien, je tächerai d'y renoncer ... La seule
jouissance de ce genre que vous me pardonnerez d'esperer avant de mourir,
c'est de voir encore mon Euthanasie ressuscit^e, embellie par vous, et
d'en faire l'hommage ä la donna gentile dont le seul int^ret a pu vous
engager ä l'honorer de taut de faveur. Si vous avez eu v^ritablement
Textr^me bont^ d'achever cette traduction, toute rßflexion faite, ne con-
viendrait-il pas mieux de la faire imprimer ä Londres, et n'en tirerait-on
lä plus de parti qu'en France ou bien ici? Je ne doute pas cependant
que mon ami, M. Eenouard, ne se chargeät tr^s volontiers d'en ötre l'^di-
teur, et vous savez qu'il imprime assez bien. II m'annonce une nouvelle
Edition de mes Lettres sur la vieillesse.
Addio, caro, carissimo amico, je vous embrasse de toute mon äme, et
je d^sire ardemment que tous les charmes de l'amiti^, des talents et des
arts, avec tous ceux de cette libertö si chfere au g^nie, se r^unissent sans
cesse autour de vous, et puissent vous consoler de tout ce que vous avez
quitt^, ä commencer par le beau soleil de votre patrie ... Le comte de
Capo d'Istria est-il encore ä Corfou?"* M'"*^ M[eister] vous dit toutes les
tendresses qu'il est permis de dire ä son äge. Ne me laissez point oublier
de votre bon et fid^le Acate.
Comment les grands yeux noirs trouvent-ils les beauties of England ?
Yours for ever.
» Trübe.
* Esquisses europeennes, commencees en 1798, et Jinies en 1815, pour servir de
suite ä la Correspondance du baron de Grimm et de Diderot. Paris et Genöve,
Paschoud, 1818.
^ '. . . Le beau sifecle de la gloire litt^raire de TAngleterre, celui qui avait
produit Shakespeare et Milton, Dryden et Pope, Bacon et Newton, Locke et Shaf-
teabury, n'a-t-il pas flni depuis l'6poque oü sa puissance commerciale et maritime
ont achev6 d'envahir, pour ainsi dire, toute l'activit6, toute I'ambition nationale? . . .
Au milieu de tous ses succfes, si l'Angleterre ne met aucune borne aux orgueilleux
projets de son ambition, ne doit-elle pas redouter enfin le jugement annonc6 dans
I'Apocalypse sur le sort de cette Babylone la grande, qui est assise sur les grosses
eaux, qui disait dans son coeur: je sifege comme une reine, rule on (he waves, je ne
suis point veuve et ne verrai point de deuil . . .' p. 251 ff.
* Korfu war die Heimat des Grafen.
Ungedruckte Meister- Foscolo-Briefe. 155
7. Foscolo an Orell, FüfsH & Cie.
London, 4 mars 1R17.
Foscolo an Mess'^^ Orell, Füssli & Comp., Zürich Suisse,
Mon eher ami,* Je viens de recevoir par M. Colnaghi une de vor
iettres; il m'a trouv^ malade et au lit, comme je le suis presque toujours
pour mon malheur; en perdant l'usage de mon corps, je sens que je per-
drai Tusage aussi de mon esprit, je n'ai que de Taraertume dedans moi,
et autour de moi des t^n^bres. Je souhaite de toute mon äme les tinfebres
de la nuit ^ternelle, car en \^nt6 je n'en puis plus; mon courage n'est
pas tout ä fait us^, mais mes forces le sont tout k fait.
M. Colnaghi m'a promis qu'il vous aurait ecrit au sujet de M. Le
Vasseur, car ni le portrait, ni les Didymes,'^ ni les Ortis^ ne sont point
arrives; m^me d'apr^s votre lettre, qui m'annonyait l'expddition depuis le
mois de novembre, je n'en ai jamais entendu de nouvelles.
Quant ä votre papier,"* je vous ai souvent öcrit, mais pour ^pargner
les Enormes frais de l'affranchissage, j'ai donne mes Iettres pour le con-
tinent ä une personne qui apparemment m'a desservi, ou elle-meme a ^t^
desservie, car ni vous ni M. Meister, ä qui j'ai r^pondu deux tr^s longues
Iettres, ni ma m^re, ni personne en Italic n'ont reyu ces malheureuses Iettres.
Ainsi soit-il. J'^crirai donc directement par la poste et je retrancherai
sur mon dlner; car je n'ai pas honte de vous l'avouer, ma maladie et la
d^tresse horrible du pays o\\ je me trouve m'ont oblig^ ä vivre ä mes
d^penses uniquement, et pour mal vivre il me faut une trentaine de livres
Sterling par mois, car je dois aussi payer les m^decins, et chaque lettre
que je dois mettre ä la poste ou recevoir, me coüte pr^cis^ment l'argent
ndcessaire ä mon diner de malade. Celle que vous avez envoy^e derni^re-
ment a Mons'' Colnaghi a coüt^ pr^s de six Schillings, ce qui fait ä peu
pr^s huit francs de France: ne m'envoyez plus, je vous en conjure, aucune
lettre sous enveloppe, ^crivez-moi dans une seule feuille de papier comme
celle-ci, et ramassez-y tout ce que vous voudrez, comme je ferai aujourd'hui.
D'abord ä M' Gianni, banquier de Turin, qui est parti de Londres
pour sa patrie, et qui dans le temps pass^ a demeur^ chez le D'^ Kömer,
l'ai consign^ une lettre pour vous, mon ami, et j'y ai Joint toutes les
pi^ces justificatives relativement ä l'achat, au payement et ä l'exp^dition
du papier. M. Gianni m'a promis sur son honneur que, aussitöt qu'il
aurait touchö Paris, il aurait affranchi la lettre pour Zürich; aussi
j'esp^re que vous l'aurez ä cette heure. Je vous r^pMe ma prifere de con-
* Dieser an Joh. Hagenbuch, Gerant et As8oci6 der Buchhandlung Orell, Füfsli,
gerichtete Brief, auf den Foscolo am 28. März 1817 verweist (Epist. II, 296), hat
sich, weil auch für Meister geschrieben, im Nachlafs des letzteren gefunden.
^ Didymi chrici propheiae minimi hypercalypseos über singularis, Pisis M.D.CCC.XV
('oder vielmehr Turici MDCCCXVI), eine von Foscolo gegen Monti und andere ita-
lienische Schriftsteller gerichtete Schmähschrift. Dazu erschien in zwölf Exem-
plaren ein Schlüssel. Das elfte ist der Stadtbibliothek Zürich gewidmet, das
siebente Joh. Heinrich Füfsli mit folgender Aufschrift:
Sitis Jeüces et tu simul et iua natu
Et domus ipsa, in qua lusimus, et domina.
^ Am 26. Mai 1818 schreibt Hagenbuch an Foscolo: '. . . Vedition dOrtis va
peu ä peu. Si Veniree en Italie n'etait pas inierdtte, eile serait dejä epuisie; par
contre In fres bonne traducHon de M. Orell ria pas encore de succes, quoiqu'elle sott
bien priferahle. ä celle de M. Luden. On a ajcnite, (nitre les notices litfSraires, votre
discours tenu ä Lyon . . .'
^ 'Papier velin anglak\ das Foscolo in London für Orell, Füfsli gekauft hatte.
156 ÜDgedruckte Meister-Foscolo-Briefe.
Server soigneusement les papiers justificatifs ; je vous ^crirai en temps et
Heu le moyen de me les renvoyer: de ces papiers seuls dopend la possi-
bilit^ de rattraper mon argent qui, d'apr^s votre commission, m'a ^U ex-
torqu^ par un escroc et par la faute du malheureux Calbo. Je tiens pour
certain que le papier ne vous a et^ Jamals envoy^ ; mais en tout cas vous
verrez par les pifeces que les prix de commission, emballage, &c. en sont
exorbitants, et comme le courtier s'^tait engag^ de vous faire arriver
le papier pour fevrier, vous avez le droit de le renvoyer; mais il me faut
une protestation en forme de votre part, qui declare que le papier n'^tant
arriv^ dans le temps promis faute de prompte expödition, vous r^clamez
votre argent, et vous avez laiss^ la marchandise ä la douane; vous verrez
(pie j'ai donn^ le 14 novembre une lettre de change ä trois mois sur moi-
m^me, et il m'a fallu payer les 64 livres Sterling, sans quoi j'aurais ^t^
rais en prison par le m^me escroc qui, selon toute apparence, n'a jamais
achet^ ni envoye le papier.* Au reste, ma lettre prec^dente vous aura
instruit plus en detail de cette triste affaire qui m'a trouble plus que vous
ne croyez, et plus que la chose meme ne m^rite pas; mais, mon eher ami,
je suis tr^s malade et tr^s pauvre, et dans mon etat l'imagination s'exalte
facilement.
A präsent, pour mon tr^s eher M. Meister: il m'est doux comme ami,
comme maitre et comme p^re. Souvent, en d^sirant la mort, je m'afflige
de ne pouvoir pas expirer dans ses bras; c'est ä lui seul que je vou-
drois confier mes demieres volont^s et mes manuscrits. J'avais l'intention
de lui faire une surprise en lui envoyant un bei exemplaire de son
Euthanasie que j'ai tournd de mon mieux en Italien. Au commence-
ment d'octobre j'en avais entrepris l'ödition en trfes joli caractere; j'avais
alors plus d'argent, plus de forces et surtout plus d'esperances ; mainte-
nant, ä chaque pas que je fais avec mon Imagination dans l'avenir de ma
vie, je n'y trouve que de l'obscurite et de la glace, ma lanterne magique
est d^sormais sans lumi^re et sans feu. J'ai chez moi la premi^re feuille
de la traduction de l'Euthanasie imprimee,'^ mais mon infirmit^, la
pauvret^ qui en est la suite, et l'abandon du malheureux Calbo m'a em-
p^ch^ de continuer l'^dition. Je vous ai ddjä ^crit avec quelle ingratitude
iroide Calbo m'a abandonne lorsque j'^tais presque ä l'extr^mite: Tant
que j'etais riebe et que je le traitais en padrone, il me craignait et il
craignait de me perdre; mais lorsque j'etais son ami et son fr^re, et qu'il
a eu peur que ma mort le laisserait sans appui, il a perdu tout 6gara, et
m^me toute compassion; il m'a oblig^ de lui dire de songer ä ses int^rets;
il m'a r^pondu qu'il y avait dejä song^, et qu'il avait cherche möme un
autre logis pour lui seul, plus ä port^e de donner des legons d'italien; il
m'a cependant assur^, comme d'une grande g^n^rosit^ de sa part, qu'il
m'aurait tenu compagnie jusqu'au moment que je me serais trouv^ mieux,
mais je n'ai point voulu attendre ce moment, je lui ai donn^ möme de
mon peu d'argent pour payement entier de ses gages, et malgr^. ma triste
Situation il a eu la bassesse de l'accepter. Je ne le vois plus, que le ciel
ne le punisse jamais! Mais c'est une des blessures les plus profondes
que la main d'un homme a ouverte dans mon coeur. Vous savez, mon
eher Monsieur Meister, que je m'abandonne facilement aux remords, mais,
quant k Calbo, je vous assure devant Dieu que je n'ai aucun remords.
Personne n'a re9u plus de bienfaits de moi que Calbo, et je n'ai t^moign^
plus d'egards ä personne, et je peux jurer que c'est le seul homme avec
* 'La caisse est arriv^e ; c'est une grande satisfaction pour moi . . .' schreibt
Hagenbuch an Foscolo am 26. Mai 1818.
^ Was der Dichter als Tatsache hinstellt, war vielleicht blofse Absicht. Ähn-
lich ftufsert er sich später über einen von ihm geplanten Roman, als ob derselbe
schon niedergeschrieben wäre. S. Chiarini, a. a. O. p. 525.
Ungedruckte Meister-Foscolo-Briefe. 157
lequel je ne me sois jamais miß en colfere. J'ai souffert tout de lui; je
croyais que sa froideur ötait l'effet de mauvaise honte ; je Tai mal connu,
et c'est ma faule. Que Dieu lui pardonne! et qu'il soit heureux: L'on
m'a dit qu'il fait trfes bien ses affaires en donnant des leyons.
En attendant, mon eher Monsieur Meister, faites-moi savoir si vous
avez reyu par le moyen de M. Canning, mes deux lettres, et quando no,
je vous enverrai un'altra lunghissima chiacchiera, tanto da spas-
sionarmi con lei, caro, carissimo, dolcissimo signor mio, et
aussitot que je serai en ^tat de sant^ et de bourse ä pouvoir continuer l'im-
pression della nostra Euthanasie, je vous enverrai la plus jolie petite
Edition italienne qui soit sortie des presses anglaises. Or fate ch'io sappia
aic'una novella sicura della bella donna; mi scrisse mentr'era in viaggio,
le öcrissi beuchfe malatissimo, e col cuore affannato. Mandai le mie
lettere per la via econoniica de'diplomatici, ma veggo pur troppo che non
c'^ da fidarsi. Fate anche la mia corte a mia intenzione ed a mio
merito ä Madame Meister, mais assez pour vous.
rJ Vous direz, mon eher H., au D^ EbeP qu'il est bien certain que tout
homme qui l'a connu autant que moi doit l'aimer et l'estimer autant que
moi; mais il est presque impossible qu'aucun autre au monde l'estime et
Taime davantage.
A. M. Füssli* vous r^pöterez que j'aurais d^sir^ de vi vre toujours
parmi ses concitoyens, si ses concitoyens ^taient moins Suisses,^ et plus
Suisses que lui." Priez-le de dire ä M"*' Susette^ que je lui ^crirai avec;
le courrier prochain.
Embrassez, mon eher H., vos petites-filles pour moi, pr^sentez mes
compliments ä votre ^pouse, et soyez sür que, quand meme je finirais mes
jours ici et dans cette ann^e meme, je prendrais soin pour que vous ne
soyez nullement endommage. Adieu. Hugues Foscolo.
8. Meister an Foscolo.
Zürich, 4 avril 1817.
To Hugh Foscolo Esq'^^, N 11, Soho Square, London.
Caro, carissimo sig. mio, la seule de vos lettres qui me soit parvenue,
Celle du 4 mars adressee ä M. Hagenbuch, m'a fait une peine inexpri-
mable: Je vous croyais plus tranquille et plus heureux que jamais, et je
vois que votre existence est tourmentee de nouvelles incertitudes et de
* Joh. Gottfr. Ebel (1764—1830) aus Zülichau (Schlesien), Übersetzer von
Sieyte, Verfasser des ersten schweizerischen Reisehandbuchs. Seit 1810 lebte er
in Zürich, wo ihm das Bürgerrecht geschenkt wurde. Sein Biograph, Prof. Hein-
rich Escher, nennt ihn eine edle, sittlich grofse Natur.
* Der Obmann (Verwalter von eingezogenen Kirchengütern) und gelehrte
Schriftsteller Joh. Heinrich Füfsli (1745—1832) wird im Anhang des Ortis p. XXXVI
erwähnt. Er war Teilhaber der Buchhandlung Orell, Füfsli & Comp. Seine
Historische Beschreibung der vom Maler Heinrich Füjsli illmirierten Merhwürdigen Ge-
genden der Schweiz wurde von Meister ins Französische übertragen.
' Foscolo warf den Schweizern, vielleicht weil er nicht immer mit denen, die
ihm in Hottingen Quartier gaben, zufrieden war, Kälte und Habsucht vor; ander-
seits, als politischer Flüchtling, fand er sie dem Ausland gegenüber willfährig und
schwach.
* Füfsli widmete sich in seinen späteren Jahren ausschliefslich kunstgeschicht-
lichen Studien. Dafa er früher seinen vaterländischen Sinn vielfach betätigt hatte,
wufdte der Dichter vielleicht nicht. S. Joh. Heinrich Füfsli, NeufahrsblaU der
Stadänbliothek in Zürich 1900.
^ S. die Meiawria am Schlufs dieser Briefe.
158 tJngedruckte Meister-Foscolo-Briefe.
trop sensibles chagrins. Je coinprends trop bien les penibles m^comptes
qu'ont öprouv^s vos plus doux projets, vos plus justes esp^rances par le
d^rangement de votre sant^. J'avais toujours un peu redout^ pour vous
rinfluence d'un climat et d'un regime qui ne me paraissent gufere con-
venir ä votre temp^rament. Mais permettez-moi de vous le dire, mon
excellent ami, je crains aussi que la trop grande susceptibilit^ de votre
imagination et la trop grande d^licatesse de votre caract^re n'ajoutent
beaucoup en ce moment aux embarras de votre Situation. Pourquoi ne
pas les confier ä des amis absents ou pr^sents qui sürement ne man-
quent ni de moyens ni de volonte de vous obliger, en attendant que vos
ressources personnelles puissent vous suffire, et vous mettre ä m^me
d'acquitter les Services qu'ils auront eu le bonheur de vous rendre.
Vous savez, caro amico, que mes facultas ne sont pas fort ^tendues
et mon öconomie assez s^v^re, mais faute de mieux, si vous en avez besoin,
tirez sur moi cinquante louis; c'est avec la plus sensible reconnaissance
que je recevrai cette marque de votre amiti^.
Le proc6d6 du sgr. Calbo, pour lequel je m'^tais pris d'un v^ritable
attachement, m'afflige de toute mani^re. Cependant, ne serait-il pas pos-
sible qu'il y eüt dans ce mauvais procede plus de gaucherie et de pusil-
lanimite que d'ingratitude et de noirceur? Peut-6tre, vous dirait Mr. Har-
mony,' peut-etre a-t-il cru qu'en s'occupant avec si peu de m^nagement
de ses propres inter^ts, il vous engagerait enfin ä songer plus sörieusement
aux vötres.
Quoi qu'il en soit, je me d^sole de vous voir priv^ d'un aide qui, sous
tant de rapports, semblait vous ^tre si commode et meme si näcessairc.
Et l'eüt-il 6t4: moins, il est toujours cruel de perdre une Illusion de plus
sur notre pauvre espfece humaine.
Votre sant^ retablie, caro carissimo, vous retrouverez bientöt dans
votre lanterne magique la lumi^re et le feu que votre noble insouciance
avait trop ueglig^s. Pour jouir de tout le peu de bien qu'elle peut nous
offrir dans ce monde, il faut encore se r^signer aux soins qu'exige im-
p^rieusement l'entretien habituel de cette luraifere et de ce feu. Mais ces
soins pris et supportös sans trop d'impatience, ovdev xwlvti,^ comme dit
Aristote, qu'avec un g^nie et des talents comme les vötres on ne puisse
encore se cr^er une plus grande, une plus belle lanterne magique pour se
consoler de ce qui manque ä l'autre. C'est ce que j'ai tent^ d'entreprendre
tant bien que mal, du moins ä mon usage, dans cette Euthanasie ä
qui votre amitiö destinait une si glorieuse resurrection. Comment prendre
mon parti de tout ce qui est venu troubler l'intention d'un si doux miraclel
J'ai diff^r^ quelques jours de vous röpondre dans l'espörance de
pouvoir vous donner d'heureuses nouvelles de la bella donna. Mais elles
tardent trop longtemps. Les derniferes m'annon9aient que son proc^s '^
devait etre jug6 par l'auditoriat militaire, et qu'elle avait pour
avocat uu ami digne de toute sa confiance. Ah! puisse-t-il justifier cette
confiance, et lui faire rendre plus de bonheur et de repos que je n'en ai
Jamals d^sir^ pour moi-meme. Quel est l'^tre au monde qui le m^rite
da van tage!
Addio, caro carissimo. Yours for ever. J. H. M.
Folgende Zeilen Joh. Heinrich Füfslis in Beantwortung eines
langersehnten Briefes Foscolos entnehmen wir der Bibliothek in
Livorno.
* Vielleicht ein allegorischer Peraouenname eines Komans.
' Nichts hindert.
^ Wegen gerichtlicher Trennung von ihrem Manne.
Ungedruckte Meister-Foecolo-Briefe. 159
26 mai 1818.
Je V0U8 embrasse de tout mon coeur, mon eher HuguesI Chr^tien,
et comme tel persuad^ de la r^surrection des morts, je ne doutais jamais
de la vötre. Mais ce qui est vraiment dröle, de ceux qui ne vous ont
jamais connu, les uns vous donnaient une chaire de professeur de litt^-
rature italienne ä Oxford, les autres vous transportaient dans les isles
Joniennes, tandis que vos vrais amis, il est vrai bien attrist^s de votre
silence permanent, recevaient de temps eii temps, par maints dötours, des
indices de votre existence ä Londres et dans ses environs, ils ne doutaient
ni de votre existence ni de vos Souvenirs, se plaisaient ä vous supposer
d&w* la solitude, möditant quelque grand ouvrage digne de vos talents, et
se flattent qu'un jour 11 pourrait vous prendre la fantaisie de venir jouir
d'une partie de vos travaux dans nos contr^es autrefois si ch^ries de vous.
Quant ä uous autres, nous nous portons tant bien que mal. Madame
Füssli souffre toujours de sa toux et de ses rhumatismes, la Susi de sa
migraine, moi de mes 78 ans; mais, en attendant, chacun de nous jouit
de la vie ä sa fa9on, Susi surtout en cultivant avec une ardeur presque
outr^e ses talents pour le dessin et son amour de T^tude de vos classiques.
Nous vous saluons bien cordialement. Vale e anüa.
J. H. Füssli.
Es kann den Lesern des Archivs nicht allgemein bekannt
sein, dals im Fanfulla della domenica (15. Mai 1892) Giuseppe
Taormina eine 'Memoria' von Susanna (Susi) Fül'sli über die Be-
ziehungen ihrer Familie mit dem italienischen Dichter veröffent-
licht hat. Aus dieser ^Memoria' ' teilen wir hier in Übersetzung
das Wichtigste mit.
*Es liegt Foscolos erster Besuch in unserem Hause meinem
Gedächtnis so fern, dafs ich nur oberflächlich davon sprechen
kann. Auch war ich damals in einem Alter,- wo seine tollen
Abenteuer viel tieferen Eindruck auf mich machten als seine
Gespräche über Politik und Literatur. Vous voyez devant vous
uu pauvre exil^ qui va demander l'aumone de porte en porte.
Das sind die ersten Worte, die ich von ihm hörte, und die nicht
verfehlten, mir inniges Mitleiden für diesen edlen, unterdrückten
Mann einzuflöfsen, obwohl ich nicht leugne, dals mich beim An-
blick seiner hageren Gestalt, seines finsteren, unruhigen Blicks,
seiner Menge wirrer Haare und seines Bartes ein gewissei*
Schauer überlief.
Bald wurde Foscolo heimisch in unserem Hause. Wenn
mein Vater nicht dawar, unterhielt er sich gerne mit uns Damen
über seine Erlebnisse, seine Jugend und seine Mutter. Diese sei
schön gewesen wie eine aus dem Geschlecht der Niobe, hoch-
herzigen und männlichen Sinnes; er selbst ein stolzer, wilder,
eigensinniger Junge, der sich beim geringsten Widerstand auf den
' Taormina hatte die 'Memoria' vom Florentiner Verleger P. Barbara
erhalten; die italienische Redaktion der wohl ursprünglich deutsch ge-
schriebenen Aufzeichnung mag von dem Foscolo - Herausgeber Enrico
Mayer herrühren.
* Geb. 27. Juni 1795, gest. 23. Oktober 1863.
160 Un gedruckte Meister- Foscolo-Briefe.
Boden warf, vor Wut mit den Zähnen knirschend, und den nie-
mand als die Stimme der trefflichen Mutter zur Vernunft bringen
konnte . . . Oft sagte er uns Verse von Petrarca her und Stucke
aus Dante und zwar mit einer Stimme, die mich eigentlich
schaudern machte . . . Nie war er so umgänglich, als wenn er
sich am Abend mit Mr. Finch * und meinem Vater, Männern, die
er liebte und schätzte, unterhielt und zwar ohne jede Künstelei.
Artig und liebenswürdig zeigte er sich auch beim Whist, das
am späteren Abend gespielt wurde; nie Ungeduld zeigend, ob-
wohl alle anderen schlechter spielten als er. Nur wenn etwa
junge Damen bei der Partie waren, schlug er bei der geringsten
Zerstreutheit, beim kleinsten Fehler mit der Faust auf den Tisch,
ein Verfahren, das ihm sehr behagte . . . Seine Sucht, Lärm zu
machen, nahm so überhand, dafs wir, ob wir auch seine glänzen-
den Eigenschaften liebten und schätzten, doch Freunde, mit denen
er in unserem Hause zusammenkam, gegen seine Unschicklich-
keiten schützen mufsten.
Ji jr Ihm fehlte jene edle Humanität, die die Bräuche und An-
sichten anderer ehrt und lieber das Schöne und Gute der nach
höherer Bildung Strebenden hervorhebt, als ihre Unwissenheit
und Schalheit aufzudecken.
Gewöhnhch schien er von bösen Geistern besessen, häufiger
noch konnte man glauben, dieses Dämonenheer sei in seiner
Gewalt.
Er liebte nicht immer die Wahrheit.
Die heilige Flamme der tiefen und wahren Gefühle, des
Schönen und Guten war fast ganz durch seine ungestümen Lei-
denschaften verzehrt.
So war Foscolo, für den wir trotz seiner Fehler grolse
Freundschaft hegten; seine Abreise war für uns ein wahrer Ver-
lust, und tief betrübte uns sein unglückliches Ende . . !
* Diesen Engländer erwähnt auch Hagenbuch am angeführten Orte:
^J'ai des nouvelles indireetes de notre honorable Chevalier Finch; ü est de
retour de la Grece en Italic, et je pense qu'il nous rend bientot visite.*
Zürich. Paul Usteri.
Kleine Mitteilungen.
Bex non potest peccare.
Faust n, V. 11 115 (Weim. Ausg. 15, 1, S. 293):
Kann der Kaiser sich versünd'gen,
Der das Ufer ihm verllehn?
Tat's ein Herold nicht verkünd'gen
Schmetternd im Vorüberzieh'n ?
Weder Loeper noch Düntzer, weder Calvin Thoraas
noch Otto Harnack finden an diesen Versen etwas zu erinnern.
Und mit Philemons sanft ergebener Art ist ja der politische Köhler-
glaube auch wohl in Einklang zu bringen, der meint: was der Kaiser
tut, müsse auch mit rechten Dingen zugegangen sein. Aber die For-
mulierung bleibt auffallend: dafs auch der Fürst sündigen kann,
weifs jeder fromme Christ, der zu dem alten Gott betet. Doch dem
Dichter klang vielleicht von fern ein berühmtes Wort ins Ohr: die
Formel des englischen Staatsrechts, auf der das Wesen des Kon-
stitutionalismus beruht. *Rex non potest peccare,' heifst es da; wozu
freilich ein juristischer Humorist in den witzigen 'Scintillae iuris'
(London 1877, S. 101) verständnisvoll blofs bemerkt: 'AhemT — Ge-
rade als Goethe den Faust vollendete, stand die Frage im Mittel-
punkt des öffentlichen Interesses, wie weit ein Herrscher selbst ver-
antwortlich sei. Thiers hatte im Februar 1830 die alte Formel der
französischen Doktrinäre in die neue Wendung gefafst: 'Le 7'oi regne,
et ne gouverne pas\ der König herrscht, regiert aber nicht (Büch-
mann, Geflügelte Worte, 21. Aufl., S. 544).
So drängten sich vielleicht die Worte der Formel in die Stelle
hinein. Philemon meint eigentlich nur: was der Kaiser öffentlich
als seinen Willen verkünden läfst, mufs doch in Ordnung sein —
aber von der juristischen Rechtskraft gleitet der Ausdruck zu der
moralischen Verantwortlichkeit über. Ob der Kaiser sich versündigt
hat oder nicht, das hat ja eigentlich mit der Frage gar nichts zu tun,
ob sein Lehnsmann Menschenopfer bluten lasse oder sonst schwarze
Magie treibe. Der Erzbischof mag in der Belehnung des sehr ver-
rufenen Mannes, in der Begnadigung des verfluchten Hauptes einen
schweren Fehl sehen — der arme Alte im Hüttchen weifs davon
nichts. Eine politische Reminiszenz aus den Tageskämpfen hat sich
in dem durchsichtigen Bernstein der Dichtung eingeschlossen erhalten,
wie bei dem Spruch von den 'Kreaturen, die uns machten' (vgl. Chro-
nik des Wiener Goethe -Vereins 15. Oktober 1902).
Berlin. Richard M. Meyer.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. H
162 Kleine Mitteilungen.
*Den Originalen.*
Ein Quidam sagt: 'Ich bin von keiner Schule I
Kein Meister lebt, mit dem ich buhle;
Auch bin ich weit davon entfernt,
Dafs ich von Toten was gelernt.'
Das heilst, wenn ich ihn recht verstand:
Ich bin ein Narr auf eigne Hand.
Merkwürdigerweise hat man den höchst persönlichen und ak-
tuellen Anlafs dieses Epigramms (Hempel 2, 259) meines Wissens
noch gar nicht beachtet. (Jetzt allerdings hat Steigs Buch gleich-
zeitig mit mir Morris zu diesem Fund geführt, wie ich aus persön-
licher Mitteilung weifs.) Denn es stimmt gewifs nicht zufällig mit
Achim V. Arnims Zueignung seiner vier Novellen an die Brüder
Grimm:
Ihr Freunde wifst, dafs ich von keiner Schule,
Dafs ich um keines Menschen Beifall buhle —
und da jede Wahrscheinlichkeit, Arnim habe mit diesen Versen
{Werke I, XVI) auf ein nicht veröffentlichtes Sprüchlein Goethes
anspielen wollen, fehlt, wird man umgekehrt eben annehmen müssen,
Goethe habe Arnim gemeint.
Dafür spricht denn auch alles. Um 1810, 1811 bis 1815 sind
die umgebenden Sprüche verfafst (vgl. Strehlke bei Hempel). Die
Verse der Zueignung treten (schon durch Arnims Unterstreichungen)
so stark hervor, dafs auch R. Steig (Arnim und die Brüder Grimm,
S. 187) sie heraushebt; und Goethe war damals gleichzeitig mit Arnim
in Teplitz, hielt sich aber geflissentlich von ihm fern (ebd. S. 212).
Einwenden könnte man nur: auf Achim v. Arnim passe wenig,
dafs er 'von Toten nichts gelernt habe.' Wohl ; aber auf die Zueignung
in Versen folgt eine 'Anrede an meine Zuhörer' in Prosa, die min-
destens recht leicht mifsverstanden werden konnte. 'Als ich heran-
wuchs an das Mafs, das uns Gott unwandelbar gestellt hat, da stand
ich früher auf, und skandierte Horaz, und sah mich weiter um.' Und
was sieht er? 'viele liebe und gute Leutchen mit Lorbeerkränzen ge-
schmückt', die sich Dichter nannten und den Pegasus, statt ihn zu
reiten, erst zureiten wollten ... Gewifs, Arnim meinte eine be-
stimmte Art von Poeten ; aber er stellt sich doch in recht gefährlicher
Weise zu den Dichtern überhaupt in Gegensatz und geht in die
Verse über:
Denn wifst, wo euch der Atem schon vergangen,
Da fühlte ich das Herz sich fort beflügeln.
Da hat es recht zu leben angefangen.
Spricht doch Arnim noch später (bei Steig S. 544) unbedenk-
lich von der 'falschen Richtung' Lessings, Herders, Goethes, Schil-
lers! Dürfen wir diesem selbstsicheren Ton gegenüber, der sicherlich
seinen mündlichen Äufserungen erst recht nicht fehlte, wirklich mit
Steig {Neue Heidelberger Jahrbücher X, S. 168, vgl. a. a. O. S. 478)
Kleine Mitteilungen. 163
aus der berüchtigten Briefstelle vom 5. August 1812 (Weim. Ausg.
23, 51) das Gegenteil ihres Tenors heraushören? 'Von Arnim nehme
ich nicht die mindeste Notiz; ich bin sehr froh, dafs ich die Toll-
häusler los bin.' Er vertrug eben damals, mehr als je auf dem festen
Boden der 'Überlieferung' ruhend, ein stürmisches Negieren und
Verkleinern der Meister, eine leidenschaftliche Originalitätssucht
schlechterdings nicht, am wenigsten bei Dichtern, die unter seinem
eigenen persönlichen Einflufs hätten stehen können, was Kleist oder
Hoffmann versagt blieb.
Ich glaube also, man mufs das Epigramm in die vielbewegte
Geschichte 'Goethe und die Romantik' als ein wichtiges Dokument
von Goethes Zorn über die romantische 'Rücktendenz' (vgl. Walzel,
Goetheschriften 14, S. 11) aufnehmen.
Berlin. Richard M. Meyer.
Das Angelsächsische Rät«el 56: *Galgen' als Waflfenständer.
'Ich sah in die Halle, wo Helden tranken, in die Hausflur,
viererlei tragen: wundersamen Waldbaum und gewunden Gold (kunst-
voll gebundenen Schatz) und eine Menge Silbers und [viertens]
Kreuzeszeichen ([Christi], dessen, der für uns zu den Himmeln
empor den Aufstieg errichtete, bevor er der Hölle Feste erbrach). Ich
vermag leicht vor den Menschen anzugeben jenes Baums Edelnatur
[= Bestandteile]: da war hlin (Ahorn?) und ac (Eiche) und der
harte iw (Eibenbaum) und der braungelbe holin (Stechpalme). Dem
Herrn sind alle zusammen nützlich [= ihrem Besitzer dient der vier-
gliedrige Begriff als Eine Sache]; Namen haben sie Einen: "Ver-
brecherbaum", welcher oft von seinem Mannenherrn in der Halle ab-
forderte (=1 erlangte, bekam) die Waffe, das Kleinod, das Schwert
mit goldnem Griff [=z Heft]. Dieses Rätselspruchs Antwort [= Lö-
sung] lege mir nun dar, wer sich unterfängt mit Worten zu sagen,
wie das Holz heifst.'
Gemeint ist ein hölzerner Gegenstand. Er ist tragbar. Er er-
scheint beim Bankett. Er dient dem reichen Krieger. Er empfängt
dessen Schwert. Er verbindet sich mit Edelmetallen. Er trägt die
Form des Kreuzes (im alten, weiteren Sinne, für den nur ein
senkrechter und ein wagerechter Schenkel nötig ist). Sein Name
dient zugleich für den Galgen. Das Wort besteht aus vier Buch-
staben, mit denen die Bezeichnungen von vier Baumarten beginnen:
(h)l, a, i, h.
Nun heifst das Ags. *ialhi (laut der Wörterbücher unter geagl)
zwar nur 'Schlund, Rachen, Gaumen'. Allein es ähnelte galga
* Dafs i für ge geschrieben werden konnte, s. Sweet, Eist, of Bngl.
Sounds 145, uml iac für geac {Oauch) bei Toller; hiniong[a]e in Bedas
Sterbegesang Z. 3 ed. Kluge (1897) S. 91.
11*
164 Kleine Mitteilungen.
'Galgen', dessen Kompositum gealgireow überliefert ist, so sehr, dafs
der Dichter die Wörter als Eines im Wortspiel behandeln mochte.
Eine Form des Wortes ohne das -a der Endung fehlt; und ob der
Dichter, vielleicht im Hinblick auf jenes Kompositum, nur die Wurzel
im Auge hatte, scheint zweifelhaft.
Dafs ein Schwertständer den Namen 'Galgen' geführt habe, ist
leicht denkbar. Denn dieser dient noch heute für vielerlei technische
Vorrichtungen und bezeichnete z. B. mhd. das Gestell über dem
Brunnen zum Heraufziehen des Eimers. Auch ist die Bedeutung
des Gestells zum Henken nur später verengt aus der ursprünglichen :
'Stange'.
Berlin. F. Lieb ermann.
Ae. wej'lä, wej-ta-wej, Me. wei-la-wei etc.
In meinen Scand. Loanwords, S. 51 habe ich bemerkt, dafs diese
Wörter zu früh belegt sind, als dafs man an nordische Entlehnung
denken dürfte. Ich vermutete, dafs der Diphthong mit der Funktion
der Wörter als Interjektion in Zusammenhang zu bringen sei. Diese
Vermutung hat sich jetzt bestätigt. In dem neuerdings von Boeder
veröffentlichten Regius-Psalter (Morsbach, Studien, XVIII, S. 126)
findet sich ein ej-lä-ej 'enge'. Das auch sonst belegte ej 'alas' ist
sicher nichts als eine 'natural ejaculation' (vgl. N. E. D.). wej ist
wohl eine Kontaminationsform aus wä und dem gleichbedeutenden
6j. So entstanden aus wä-lä-wä und ej als neuere Produkte ej-la-ej
und wej-lä-wej.
Lund. Erik Björkman.
Zu Lajamon (Calig.) 13 857.
vmbe fiftene jer
{)at folc is isomned,
al ure iledene folc,
and heore loten werped.
Was bedeutet iledene? Mätzner liest ledene, und Schipper scheint
die Änderung gutzuheifsen, denn im Glossar zum Alt- und me. Lese-
hu^h'^ wird nicht iledene, sondern ledene verzeichnet und dabei auf
leod verwiesen. Bradley scheint die Stelle nicht in sein Wörterbuch
aufgenommen zu haben.
Ist es sehr gewagt, ileuede (aus ae. jelyfed 'advanced in age') zu
lesen? Das Wort, das schon im Ae. nicht sehr geläufig war, wurde
wohl vom Schreiber nicht mehr verstanden; das erklärt auch die
Lücke in der Handschr. Otho.
Die entsprechenden Verse des französischen Brut sind wohl
geeignet, die Lesung ileuede zu stützen.
Quant nostre gent est tant cr^ue
Qua li t^re en est trop vestue,
Kleine Mitteilungen. 165
Li prince qui les t^res ont
Tos les jenes asambl^ fönt
Qui de quinze ans sunt et de plus;
Tot li millor et li pltis fort
SoDt mis fors del pais, par sort.
Le Roman de Brut 6907—6914.
Statt tot li millor liest eine Handschrift (MS. du Roi, 7515,
Colb.) tout li viellart.
Czernowitz. L. Kellner.
Zur Etymologie von schottisch orra.
Das schottische Adjektiv orra, das dem englischen odd in ver-
schiedenen seiner Bedeutungen entspricht, hat man früher als Ent-
lehnung aus dän. uvrig gedeutet (so Grieb-Schröer, Wörterbuch, und
Skeat, Notes on English etymology, 1901). Diese Erklärung ist un-
möglich, da das dän. K)vrig (vgl. schwed. öfrig) seinerseits aus dem
Deutschen entlehnt ist (Herrigs Archiv CIX, 167). Das New English
dictionary bemerkt zu orra kurz: *0f unascertained origin.'
Ich möchte in dem rätselhaften orra einfach eine Dublette zu
dem gleichbedeutenden odd sehen. Neben das (aus dem Nordischen
entlehnte) me. odde hat sich dialektisch eine zunächst wohl vulgäre
Nebenform orre gestellt; das -a von orra läfst verschiedene Deutun-
gen zu — vielleicht war später analogisch das Suffix -y angetreten,
das im Dialekt die Form -a annahm (vgl. vera, countra usw.).
Der hier für orra angenommene Übergang von d > r ist ja
auch sonst (namentlich in der Vulgärsprache und den Dialekten)
mehrfach zu belegen. Ich erinnere an Fälle wie: (pottage >) poddige
> porridge ; ' catechize, frz. catechese > schott. carritches (Zwischen-
stufe *cade-); vulgärengl. experetion < expedition, imperence < impu-
dence, moral < model (s. Flügel s. v.) ; dial. perricot < petticoat. ^ Nicht
ganz geklärt ist das Verhältnis von me. charlock, chadlock, kedlock
usw. zu ae. cerlic und cedelc.
"^^ Der umgekehrte Lautwandel von r > d liegt vor z. B. in ae.
pearruc > me. parrok > ne. paddock ('the railway-station now called
Paddock Wood is in the old manor of Parrocks', Skeat, Princ. Engl.
Etym. I, 376). Auch die Koseformen von Namen wie Dick (Richard),
Doh [Robert), Dodge (Roger) wären hier anzuführen. In der Sprache
ungebildeter Kinder tritt sogar r für ih ein: there (> *dere) > rere,
they > rey, this > ris (Beispiele hierfür bei Hesba Stretton, Älone
in London).
Halle a. S. Otto Ritter.
* 'just as the Southern E. errish is corrupted from eddish (A. S. edisc),
stubble' (Skeat, Gone. Etym. Dict.). Doch vgl. Pogatscher, Engl. Studien
27, 222.
^ Einige weitere Beispiele erinnere ich mich in Bardsleys Dictionary
of sumatnes getroffen zu haben.
166 Kleine Mitteilungen.
Zachariae in England.
Rudolf Erich Raspe (1787 — 1794) darf, wenn auch in zweiter
Reihe, als einer der ersten Vermittler der deutschen Literatur in
England gelten. ^ Er hatte wegen einer Veruntreuung im Jahre 1775
die Heimat verlassen und sich nach England geflüchtet, wo er durch
Schriftstellerei seinen Lebensunterhalt erwarb. Am bekanntesten ist
sein Münchhausen geworden, der nachher Bürger als Vorlage diente;
daneben kommt noch seine Übersetzung des Nathan (1781) in Be-
tracht. Im gleichen Jahre übertrug Raspe unter dem Titel Tahhy in
Elysium ein ^scherzhaftes Heldengedicht' von Zachariae: Murner in
der Hölle (zuerst Rostock 1757 erschienen). Dies Gedicht steht an
Bedeutung weit hinter dem Renommisten zurück: es ist 'eine Travestie
auf den Tod Elpenors im elften Buche der Odyssee, eine recht witz-
lose Geschichte vom Tode eines Katers, der im ganzen Hause spukt,
bis sein Kadaver feierlich bestattet wird' (Schüddekopf, Ä. D. B. 44,
638). Tahhy in Elysium (der Titel ist gewifs mit Rücksicht auf das
englische Publikum ungenau wiedergegeben) würde daher kaum mehr
als eine vorübergehende Erwähnung verdienen, wenn nicht ein Um-
stand formeller Natur in Betracht käme. Die Übersetzung ist näm-
lich wie die des Nathan in Prosa abgefafst, das Original dagegen in
Hexametern. Bei der Lektüre der Übersetzung fallen nun eine Reihe
von Stellen durch ihren hexametrischen Rhythmus auf, z. B.:
the lamentable fate
of an immortal Tabby: he passed the black banks of Cocytus (p. 1).
Now saucy he bids thee defiance
in his golden cage; whenever he pleases he calls thee,
names, nay often he dares to utter foul language and curses (p. 4),
When he had breathed and recovered his voice, he directed it thundering
to the lady in tears (p. 6).
As when winter comes on and Boreas wars through the forest (p. 11).
With grief and with sorrow
he remained on the banks and hoped for a passage in vain. He
ventured into the water and tried to cross it by swimming (p. 11).
when he heard the groans and the flogging, the jarring of iron
and the rattling of heavy chains, dragged along by those wretches (p. 18).
and which
pimish the ravenous beasts that are guilty of murder or prey on
animals harmless and useful! This judgment does not concem thee.
As the herd of the gossiping geese, pursued by a playful
Spaniel, wing their vociferous flght. — (p. 28.)
Where the elastic ball was driven into the air with
Shouting and jubilee. But the schoolmaster laid down his fasces (p. 23).
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dafs Raspe zunächst
versucht hat das Metrum des Originals im Englischen nachzubilden,
dafs er aber damit aus Mangel an Gewandtheit nicht zustande kam;
die Bruchstücke bat er dann, soweit sie ihm gelungen schienen, sei-
ner Arbeit einverleibt. Wir hätten hiermit aus neuerer Zeit den ersten
• Vgl. über ihn u. a. ArGhir LXXXIV, 380.
Kleine Mitteilungen. 167
Versuch, englische Hexameter zu bilden, anderthalb Jahrzehnte bevor
Coleridge und Southey einerseits und William Taylor anderseits
mit ähnlichen Versuchen hervortraten. So zeigt es sich wieder, wie
die Anwendung dieser Versform, die sich ja in der englischen Poesie
immer noch nicht recht eingebürgert hat, ausschliefslich auf deutschen
Einflufs zurückgeht.
Berlin. Georg Herzfeld.
Zu Archiv CXni, 63 (Lewis' Monk).
Infolge der Unzulänglichkeit der mir zu Gebote stehenden
bibliographischen Hilfsmittel habe ich die Erscheinungszeit des Ro-
mans Die blutende Gestalt mit Dolch und Lampe zu spät angesetzt. '
Wie ich aus einer Mitteilung von Dr. Egon von Komorzynski ersehe,
wird die Blutende Gestalt in der Wiener Zeitung vom 23. März 1799
als eben erschienen angekündigt.
An meiner Beweisführung a. a.O. ändert diese kleine Verschiebung
natürlich nichts; ich freue mich vielmehr, feststellen zu können, dafs
die Prioritätsfrage Monk'^- Blutende Gestalt durch diese Zeitungsnotiz
definitiv in meinem Sinne, d. h. zugunsten des Monk, entschieden wird.
Halle a. S. Otto Ritter.
Zu M. Gr. Lewis* Tales of wander.
Seine Ballade The gay gold ring in den Tales of wonder (ed.
Morley, p. 175 ff.) begleitet Lewis mit der folgenden Notiz: *I once
read in some Grecian author, whose name I have forgotten, the story
which suggested to me the outline of the foregoing ballad.' Da auch
der letzte Biograph von Lewis, M. Rentsch (M. Gr. Lewis, Lpz. Diss.
1902), nur von der 'Geschichte eines griechischen Schriftstellers', die
die Grundlage der Ballade gebildet habe, spricht (S. 62),-^ so möchte
ich kurz bemerken, dafs Lewis nur die Geschichte von Machates
und Philinnion aus dem Werke des Phlegon TIeQi ^^av^iaotwv (Kap. I)
gemeint haben kann, jene selbe Erzählung also, die als die Urquelle
der Goethischen Braut von Corinth nachgewiesen worden ist.
Halle a. S. Otto Ritter.
Ein englisches Urteil für Byron.
John Morley hielt am 17. Dezember 1904 bei der Eröffnung
einer neuen Volksbibliothek in Plumstead High-Street, Manchester,
eine Rede (gedr. im Manchester Guardian, 19. Dez.), worin er, aus-
gehend von der überwiegenden Nachfrage nach Romanen in den
englischen Volkslesehallen, z. B. in Woolwich, eine Lanze für Byron
brach. Er sagte: There was something to be said for fiction. Their
prosaic lives needed all the stir and Imagination that could be given
* Der Roman ist buchhändlerisch erst seit 1816 nachzuweisen.
2 Erschienen 1795.
^ Weder Dunlop noch St. Hock, Vampyrsagen, nehmen auf Lewis*
Ballade Bezug.
168 Kleine Mitteilungen.
them by Walter Scott, Dumas, Dickens, Thackeray, George Eliot,
Jane Austen, Mrs. Gaskell, and all the other admirable story-tellers.
Some of the characters of Scott and of the poets were as real to us
as any of the great actors in history. Of course comparisons be-
tween men of action and men of letters were idle. They were not
always very fair, and were rather meaningless. He was reading the
other day that the world of books was a world of shadows. In a
sense it was true. We were all shadows. But great ideas launched
into the world were not shadows — they were the substance. Would
any man say that Napoleon Bonaparte was a substance and Goethe
and Byron but transient shadows ? That Pitt and Fox and Canning
and Castlereagh were the substance and Scott and Shelley and
Wordsworth mere phantoms? — (Cheers.) It would be very wrong
if any man said any such thing. He who was not stimulated and
afreshed by poetry led but a rautilated existence. Shakspere was the
poet of poets, but in looking out for poets let the rule be for prefe-
rences, not exclusions. And here he would like to say something
which might bring a storm of criticism upon him. If he were libra-
rian at Plumstead or Woolwich and were asked what poet he would
recommend he thought he would say Byron. — (Hear, hear.) Byron
was not the greatest of poets, but he had got daring and energy and
historic sense and a loathing — which he hoped they all feit — for
cant in all its aspects. There were two cants — the cant of the
Upper ten thousand and the cant of the million, and Byron loathed
them both. Byron was at the beginning of last Century the great
central inspiriting force of democracy on the Continent of Europe,
and he thought that, when the democracy extended its reading and
applied itself for inspiration to poetry apart from the inspiration of
facts and the needs and demands of the time, Byron would once more
have his day. (Cheers.) A. B.
Ne. pane, panel; nfrz. panneau; nhd. paneel; lat. panis.
Ne. parte bedeutet nach Grieb-Schröer: '1. (veraltet) Tuchstück,
Tuchstreifen zum Einsetzen in ein Kleid; 2. (veraltet) Schlitz (an
Kleidern); 3. Fläche, Fach, Feld; Füllung (eines Tafel werks) ; 4. Scheibe
(von Glas usw.); kleines Viereck (viereckiges Stück)', vgl. window-
pane 'Fensterscheibe', pane vb. 'mit Scheiben, Feldern usw. versehen'.
In den beiden ersten Bedeutungen ist das Wort wohl unzweifelhaft
frz. pan, lat. pannus. Auch in den Bedeutungen 3, 4 ('Füllung,
Scheibe usw.') wird es von Schröer, sowie auch von Klatt (Muret-
Sanders, Hand- und Schulausgabe, Berlin 1901) und Skeat {A con-
cise etym. dicL, Oxford 1901) noch nicht von 1, 2 getrennt. Diese
Trennung scheint mir jedoch notwendig.
A. Ludwig hat bereits 1895 (Sitzungsber. der böhm. Gesellsch. d.
Wiss., Phil.-Hist. Kl., 1895, Stück XVIII, S. 4) darauf hingewiesen,
dafs lat. panis auch die in den Wörterbüchern nicht aufgeführte Be-
Kleine Mitteilungen. 169
deutung 'Türspiegel, Türfüllung' hat, wofür er zwei schlagende Belege
(Poenulus III, 4, 19 und Bacchides No. 1, 8) anführt. Er ist nun
der Ansicht, dafs lat. panis 'Brot' mit diesem panis 'Türfüllung, Tafel'
identisch ist. Dann würde also panis nicht von seinem Zweck, son-
dern von seiner Form den Namen haben, was sehr einleuchtet, da
für eine solche Bedeutungsentwickelung namentlich in Gebäcknamen
sich zahlreiche Beispiele anführen lassen. ^ Wir würden dann nicht
mehr (wie Vanicek 1, 449, Prellwitz 240, Persson, Wurzelerweiterung
33 u. a.) von einer Wurzel pä- 'zu sich nehmen, essen, nähren' in
gr. nareofiat, got. födjan usw. bei lat. panis ausgehen dürfen. Doch
das interessiert uns hier nicht; wir haben es nur mit der Frage zu
tun, die Ludwig a. a. O. zum Schlufs auf wirft: 'Wie verhält sich nun
zu diesem panis ("[Tür]füllung") engl, pane (glass-pane, door-pane)V
Ich glaube, wir dürfen die Vermutung, die in dieser Frage liegt,
für zutreffend halten. Die Bedeutung 'Tafel' zeigt das roman. Wort
noch heute: span. pan bedeutet aufser 'Brot, Laib' auch 'Tafel (Wachs,
Seife usw.)' sowie 'Gold-, Silber-, Metallblättchen', auch ital. pane
'Tafel (von Schokolade, Wachs, Metall usw.)'. Diese Bedeutungen
stimmen sehr gut zu panis 'Türfüllung', die ja auch ein dünneres, in
den stärkeren Rahmen eingefügtes Täfelchen ist; jedenfalls lassen
sie sich so besser erklären als aus der Bedeutung 'Brot, Laib'. Wir
dürfen daher wohl das aus dem Romanischen stammende Wort, ne.
me. pane, das auch im me. die Bedeutung pane of glass hat, in letzter
Linie auf lat. panis 'Füllung' zurückführen.
Für diese Etymologie spricht auch ne. panel '(in der Baukunst
usw.) Feld, Fach, Füllung, Tafel, Täfelung, Tafelwerk ; hölzerne Tafel
(für ein Gemälde); Verzeichnis der Geschworenen usw.' ==: me. panel,
panell auch in der Bedeutung *jury list', eig. '(umrahmte) Tafel (mit den
Namen der Geschworenen)'. Das me. Wort stammt entweder aus dem
afrz. panel oder wie dieses direkt aus mlat. panellus von panis 'Tafel,
Türfüllung', neben dem pannellus (afrz. pannel) aus pannus bestand,
das mit dem ersten vermengt wurde. Vgl. nfrz. panneau (afrz. panel)
'Füllung (Fläche innerhalb einer meist erhöhten Einfassung)', Aus
derselben Quelle ist auch nl. paneel 'Tafel werk, Getäfel' geflossen,
das durch Vermittelung des Nd. ins Hochd. eingedrungen ist.
Kiel. Heinrich Schröder.
' Auch Geräte usw. haben oft nicht von ihrer Bestimmung, sondern
von ihrer Gestalt den Namen erhalten. Diese Tatsache wird in der ety-
mologischen Forschung viel zu wenig beachtet. So hat man für die Sichel-
namen gr. a^jir], aksl. srüpü, russ. serpu usw. eine eigene Wurzel serp-
'schneiden' aufgestellt, neben der Wurzel serp- '(sich) krümmen, winden',
wozu u, a. lat. serpo, serpens, alban. garpsr 'Schlange', Und doch liegt
es näher, die Sichelnamen von serp- 'krümmen' als 'gekrümmtes Schneide-
werkzeug' zu erklären denn als 'Schneidewerkseug' schlechthin, so dafs
die Aufstellung einer indog, Wurzel serp- 'schneiden' vollkommen über-
flüssitr ist. Vgl. Verf. Indogerm. Forsch, nächstes Heft.
Sitzungen der Berliner Gresellschaft
für das Studium der neueren Sprachen.
Sitzung vom 8. Dezember 1903.
Herr Cornicelius sprach über Ein Pamphlet gegen den letzten duc
de Nivertmis. Die Persönlichkeit, Leben und Leistungen des letzten
Herzogs von Nevers hat Lucien Perey in den Büchern Un petit-neveu
de Maxarin und La fln du XVIII ^ siede sehr anziehend geschildert.
Nur gerade die Beziehungen zu seinem ducke-pairie sind dürftig behan-
delt. Diese Lücke wird indessen gutenteils ausgefüllt durch eine kleine
Schrift des Keohtsanwalts Paul Meunier in Nevers: Duc et duche de Ni-
verniis, Never>> 1891. Wir sehen hier an einem in mancher Besonderheit
einzig dastehenden Beispiel die letzten, vor der vorschreitenden Zentrali-
sation Frankreichs immer mehr zusammenschrumpfenden Reste der alten
Feudaladministration. — Als die Rivalität der beiden Verwaltungen, ver-
körpert einerseits in dem bailliage ducal in Nevers und anderseits in
in dem bailliage royal et siege presidial in Saint-Pierre-le-Moütier, bei Ge-
legenheit der Wahlen zu den Etats -gener aux 1789 besonders scharf zum
Ausdruck kam, verfafste ein Jurist Etienne-Guyot Sainte-H^lfene (in Ne-
vers 1740 geb. und in Paris als Richter am Tribunal de la Seine 1815 gest.)
ein überaus drastisch und lebendig gehaltenes Pamphlet gegen den Herzog
und seine gerade in dem damaligen Zwist von Paris her unterstützte Herr-
schaft. Veröffentlicht aber hat er seine Patatras! betitelte Streitschrift
nicht. Sie ist nach seinem Manuskript erst im Almanach de la Nievre
für 1845, leider nicht recht sorgfältig, gedruckt worden. Er fingiert in
dem Pamphlet eine Versammlung der armen Bewohner der Vorstadt
Mouesse-les-Nevers auf dem Saint-Lazare-Kirchhof am 3. Mai 1789 und
liest ihnen in der Maske eines Schweinezungenbeschauers Fleurimond
Bondon die lange, in 22 Paragraphen zusammengefafste Liste ihrer Be-
schwerden vor, so wie er sie dem König selber in ihrem Auftrage hätte
vorlegen möeen, die jetzt aber laut einstimmigem Beschlufs der Versamm-
lung gedrucKt zur Kenntnis der Generalstände kommen soll. — Der
Patatras ist ein Dokument des schon vor der Revolution im Nivernais
lebendigen demokratischen Geistes, literarisch und philologisch bemerkens-
wert durch seinen echten Pamphletstil, durch die mit Bildern, sprich-
wörtlich-volkstümlichen Wendungen fast zu sehr belebte Darstellung und
durch seine vielfach provinziell-altertümliche Sprache.
Herr Le Tournau spricht über Brizeux' Gedicht Les Bretons. Er
gibt eine eingehende Analyse des Werkes und liest einige besonders be-
merkenswerte Stücke daraus vor.
Herr Oberlehrer Felix Wilke wird in die Gesellschaft aufgenommen.
Sitzung vom 12. Januar 1904.
Herr Adolf Tobler macht einige Bemerkungen über die doppelte
Möglichkeit, einen Wunschsatz der dritten Person auszudrücken: Qu'il
s'en aiUe! Puisse-t-il vivre longtemps! Mit dem letzteren mufs man ur-
Sitzungen der Berliner Gesellschaft etc. 171
sprünglich gemeint haben: Er möge können, es sei ihm möglich, es sei
ihm vergönnt. Dann aber verschwand dieser Sinn und jmisse-t-il vivre
wurde gleich qu'il vivc gebraucht. In der Schweiz hat das Verbum 'mögen'
noch heute den Sinn von 'überwältigen, überwinden'; 'es mag ihn nie-
mand' heifst 'es kann ihn niemand überwinden'. — Nach kurzer Erörte-
rung berichtet Herr B ran dl über literarische Eindrücke von einer eng-
lischen Reise. Er bat die Heimatstätten mehrerer englischen Dichter
besucht: 1. Die Heimat Walter Scotts, Edinburgh, Melrose, Abbots-
ford, an dessen Ausbau der Dichter finanziell zugrunde 'gegangen ist;
2. Stratford-on-Avon, das im Geburtshause und Geburtszimmer
Shakespeares vieles Unechte und Moderne zeigt. Schön ist nur die alte
Trinity Church, scheulslich dagegen das Memorial Theatre und dürftig die
dazugehörige Bibliothek. B. Wordsworth's Wohnsitze in Cumberland,
Grasmere und Ridal Mount, wo man alle Erinnerungen an den Dichter
aufs sorgfältigste aufbewahrt und ihn 'unsern' Wordsworth nennt. Die
Überschätzung des Dichters, der man so vielfach in England begegnet,
erklärt sich daraus, dafs er dem religiös Sanften, Volkstümlichen, der
Sehnsucht nach dem Landleben, nach allem was man sweet nennt, ent-
gegengekommen ist. 4. Burns' Wohnstätten in Mauchlin und Dumfries,
wo man schlechte Denkmäler von ihm besitzt, wo aber der schlichte
Bauersmann Hunderte von seinen Versen herzusagen vermag. 5. New-
stead Abbey, das unter der Aufsicht von Mifs Webb steht, an deren
Vater einst der Byronsche Besitz verkauft wurde. Die alte Abtei wird
vor jedem Fremden sorgfältig gehütet, und nur dem Zusammentreffen
verschiedener glücklicher Umstände verdankte es der Vortragende, dai's er
eingelassen und in der Abtei und im Park herumgeführt wurde. Die
wundervolle Abtei mit ihren geheimen Treppen und geheimen Türen, die
nicht weit von Nottingham und seinen Robin -Hood- Erinnerungen liegt,
erklärt Byrons Neigung zur Romantik, das Hundedenkmal im Park genau
über dem ehemaligen Hochaltar der Kirche mit der bekannten verletzend
pessimistischen Inschrift erklärt Byrons Isoliertheit in England und die
Abneigung der Besitzerin gegen fremden Besuch. — Sodann berichtet der
Vortragende über die neueren literarischen Bestrebungen unter den jung-
irischen Dichtern. George Moore und Yeats kämpfen für Wiederbelebung
der irischen Poesie und Restauration der irischen Sprache. Der sehr
fruchtbare Yeats verlangt überdies Vorherrschaft der Phantasie in der
Dichtkunst und Entwickelung der musikalischen Wirkung in ihr. Von
seinen Gedichten 'Der junge Ossian' und 'The EarWs Breath' in der
Sammlung 'The Nuts of Knowledge' gibt der Vortragende Inhaltsangaben
und Proben.
Sitzung vom 26. Januar 1904.
Herr Mangold spricht über Voltaires Prozefs mit dem Juden Hir-
schel. Der Vortrag zusammen mit dem Aktenraaterial wird demnächst
als Sonderpublikation erscheinen {Voltaires Rechtsstreit etc., Berlin 1905).
Herr Le Tournau setzt seinen Vortrag über Brizeux, poete epique
und Les Bretons fort. Wieder gelangen einzelne besonders interessante
und schöne Stellen zum Vortrag, so besonders diejenigen, wo die Ge-
bräuche der Bretagne bei Leichenfeiern, am Allerheiligentag, bei Ver-
lobungen und Hochzeiten geschildert werden. Der Vortragende gibt so-
dann eine eingehende Analyse des Brizeuxschen Werkes, das ihm wegen
seiner Mängel in der Komposition und Form unter dem Gedicht 'Marie'
zu stehen scheint. Brizeux wird mit den Lakists verglichen, und es wird
auf Renans 'Essai sur la poesie des raees celtiqttes' hingewiesen, in welchem
Brizeux als keltischer Dichter gewürdigt wird.
Die Herren Oberlehrer Dr. Carl Philipp und Direktor Prof. Dr.
Wolter haben sich zur Aufnahme gemeldet.
172 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Sitxmtg vom 9. Februar 1904,
Der Vorsitzende Herr Adolf Tobler macht Mitteilung von dem
Tode des stellvertretenden Vorsitzenden Prof. Dr. Bieling, eines der
ältesten Mitglieder der Gesellschaft, und widmet ihm einen warmen Nach-
ruf. Die anwesenden Mitglieder ehren das Andenken des Verstorbenen
durch Erheben von den Sitzen.
Herr Mangold beendigt seinen Vortrag über Voltaires Prozefs mit
dem Juden Hirschel; der Vortrag wird, wie schon erwähnt, als Sonder-
publikation erscheinen.
Herr Adolf Tobler spricht über dje Bedeutung von par eocemple, das
in den Wörterbüchern mit verschiedener Übersetzung angeführt wird, wobei
aber nicht ersichtlich ist, wie die Entwickelung der Bedeutung vor sich ge-
gangen ist. Der Vortrag ist inzwischen in Archiv CXIII, 1.S6 ff. erschienen.
Die Herren Prof. Dr. Wolter, Direktor der 12. Realschule, und
Oberlehrer Dr. Philipp werden in die Gesellschaft aufgenommen. Die
Herren Oberlehrer Dr. Borbein, Hilfsarbeiter im Provinzial-SchulkoUe-
gium, und Oberlehrer Dr. Luft haben sich zur Aufnahme gemeldet.
Sitzung vom 23. Februar 1904.
Herr Herzf eld spricht über das Thema: Zur Geschichte der Faustsage
in Frankreich und in England. — Der Vortragende weist auf zwei Stellen
in Goethes 'Faust' hin, die eine im 1. Teil, wo Faust Helena im Zauber-
spiegel sieht, die andere im 2. Teil (Akt I), wo er ein Schattenbild ihrer
Gestalt erblickt. Die Quelle zu dieser zweiten Szene bietet eine Erzählung
des Hans Sachs; daneben kommt aber eine Novelle des Grafen Antoine
Hamilton {U enchanteur Faustus) in Betracht. Der Inhalt dieser Novelle
(Faust erscheint als Magier am Hofe der Elisabeth und führt hier ver-
schiedene Erscheinungen, unter anderen Helena, vor) wird mitgeteilt. Als
Anlafs, die Handlung in England vor sich gehen zu lassen, vermutet der
Vortragende das Verhältnis der Königin Elisabeth zu dem bekannten Alchi-
misten John Dee (1527 — 1608). Sein Lebensgang wird dann etwas ausführ-
licher besprochen. Er ist um deswillen besonders interessant, weil er mehr-
fach direkte Parallelen zu Fausts Schicksalen in Sage und Dichtung dar-
bietet, wodurch es sich zeigt, dafs am Ende des 16. Jahrhunderts in England
der Boden für die Rezeption der Faustsage besonders gut vorbereitet war.
Herr Ludwig spricht über Friedrich den Grofsen im spanischen
Drama. — Ausgehend von Stümckes Buch 'Hohenzollemfürsten im Drama'
bespricht der Vortragende mehrere Stümcke unbekannt gebliebene spanische
Dramen aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Nach einer Skizze der
literarischen Stellung ihres Verfassers, des 'spanischen Kotzebue' Cornelia,
behandelt er die Schauspiele nach Inhalt, Quellen, Technik und literarischem
Wert. Sodann gibt er zusammenfassend eine Charakteristik Friedrichs
nach den Comellaschen Dramen: der König ist in ihnen, seiner nationalen
Eigenschaften entkleidet, zum kosmopolitischen Ideal des aufgeklärten
Despoten geworden (seither gedruckt in Ztf. f. vgl. Litgesch. N. F. XV, 431).
Oberlehrer Dr. Borbein und Oberlehrer Dr. Luft werden in die
Gesellschaft aufgenommen.
Zum stellvertretenden Vorsitzenden an Stelle des verstorbenen Herrn
Bieling wird Herr Mangold gewählt.
Herr Dr. Otto So bring hat sich zur Aufnahme gemeldet.
Sitzung vom 8. März 1904.
Herr Willert sprach über den von der Acad^mie Goncourt preis-
gekrönten Roman Force ennemie von John- Antoine Nau. Nach einigen
Notizen über den Verfasser teilte er den Inhalt des Romans mit und gab
für das Studium der neueren Sprachen. 178
Proben der sich darin findenden verschiedenen Stilarten. Er war der An-
sicht, dafs dieses Werk trotz mancher Schwächen Beachtung verdiene und
nicht ohne Interesse sei, während Herr Mangold erklärte, nicht zu ver-
stehen, wie man ein solches Buch durch einen Preis habe auszeichnen können.
Herr Lamprecht besprach Hanotaux, Histoire de la France contem-
poraine. Band 1, 632 Seiten. Die Vorrede des Werkes ist Ende April
1903 geschrieben und in derselben Zeit der Druck vollendet worden. Es
umfalst in zehn Kapiteln : La guerre, L'assemblee nationale ä Bordeaux, La
commune, Premiere crise constitutionelle, Le traite de Francfort, Vers la lihe-
ration, Le travail parlementaire, L'apogee, La liberation du territoire, Le 24 mai
1873. Als Quellen führt H. etwa siebzig Werke an, davon verschiedene,
die noch nicht gedruckt sind. Was den Standpunkt und die Auffassung
des Verf. betrifft, so ist er, wie er in der Vorrede sagt, ausgesprochener
Republikaner, sucht aber doch und weifs dem Legitimisten, dem Orleanisten
und dem Bonapartisten in Gutem wie in Bösem gerecht zu werden. Treff-
liche Charakteristiken sind gegeben worden von Thiers an vier Stellen,
Gr^vy, Henri V., Dupanloup, Gontaud-Biron, Pius IX., Challemel-Lacour
und dem Herzog von Broglie, während man denen von Manteuffel, Graf
von Arnim und Bismarck weniger Vertrauen schenken wird. Die Darstel-
lung fliefst in schöner und edler Sprache über die inneren und äufseren
Angelegenheiten dahin. Der Verf., auf der Ecole des Chartes gebildet, war
allerdings in der in diesem ersten Bande behandelten Zeit noch ein Jüng-
ling, trat aber dann bald in die Republiqv£ fram^aise als Mitarbeiter, her-
nach in das Ministerium des Auswärtigen ein, dessen Leitung er mehrere
Jahre gehabt hat. Diese Laufbahn und die Kenntnis der handelnden
Personen befähigt ihn, von einem hohen und freien Gesichtspunkt zu
schreiben; er erinnert in dieser Beziehung an Thiers, Histoire du consulat
et de l'empire. Daher sind die Kapitel über finanzielle und Verwaltungs-
angelegenheiten sehr genau gearbeitet, ebenso die Neugestaltung des Heer-
wesens nach dem Kriege. Es muTs uns Achtung einflöfsen, zu sehen, wie
Thiers es verstanden hat, das Land aus der schweren Schuldenlast, in die
es der Krieg und der Aufstand der Kommune gestürzt hatten, heraus-
zuziehen und es aus der Zerrissenheit der drei genannten Parteien in die
republikanische Verfassung hinüberzuführen. Und wenn auch in der Be-
handlung der auswärtigen Angelegenheiten sich einige Irrtümer, Mängel
und allzu chauvinistische Stellen finden, so verdient das Werk doch die
wärmste Empfehlung, und wir dürfen mit Spannung dem zweiten Bande,
der im Mai dieses Jahres erscheinen soll, entgegensehen.
Herr Spies regt zu allgemeiner Mitarbeit an Mätzners Altenglischem
Wörterbuch an, dessen Weiterführung er, der Redner, nach Bielings Tode
übernommen habe, und beantragt eine pekuniäre laufende Unterstützung
von Seiten der Gesellschaft. — Herr B ran dl unterstützt diesen Antrag
aufs nachdrücklichste; schon wenn die Gesellschaft als Protektorin des
Unternehmens aufträte, würde das eine kräftige Unterstützung bedeuten.
— Der Antrag soll in der nächsten Sitzung verhandelt werden.
Herr Dr. So bring wird in die Gesellschaft aufgenommen.
Sitzung vom 22. Marx 1904,
Herr Spies sprach über Neus Shakespeare- Übersetxungen aus dem
Nachlafs Otto Oildemeisters. Es sind das die bisher noch unveröffent-
lichten Stücke Romeo und Julie, Othello, Lear, Macbeth, die im Mai in
einer vom Vortragenden besorgten Ausgabe bei Georg Reimer erscheinen
werden. Der Vortragende gibt zunächst im Anschlufs an. .seinen am 13. Ja-
nuar 1903 in der Gesellschaft gehaltenen Vortrag einen Überblick über die
Tätigkeit Gildemeisters als Übersetzer und bespricht dann die neuen Über-
tragungen. Nach einigen Mitteilungen über Zeit und Art der Entstehung
174 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
erläutert er die Übersetzungskunst öildemeisters im Vergleich zu den
früheren Übersetzern an der Hand zahlreicher Beispiele in bezug auf die
Wiedergabe der Reime, Wortspiele, Alliterationen usw. und teilt schliefslich
einige gröfsere Stellen im Zusammenhang mit. — Die Ausführungen
werden teils in der Ausgabe, teils an anderer Stelle veröffentlicht werden.
Herr Pariselle sprach, gestützt auf neuere Untersuchungen, beson-
ders auf das Werk von Paul Gautier, Madame de Stael et Napoleon (Paris,
Librairie Plön, 1903), über die Entstehung der Feindschaft zwischen Bona-
parte und Frau von Stael. Der Vortrag wird in der Sonntagsbeilage der
'Vossischen Zeitung' gedruckt erscheinen.
In bezug auf das Mätznersche Wörterbuch wurde folgender Be-
schlufs gefalst: 'Die Gesellschaft empfiehlt ihren Mitgliedern, sich an der
Vollendung des Mätznerschen Wörterbuches durch freiwillige Mitarbeit
mit allen Kräften zu beteiligen.' Von einer pekuniären Beihilfe wurde
Abstand genommen, da die Weidmannsche Buchhandlung sich bereit er-
klärt hat, alle Herstellungskosten selbst zu tragen.
SÜMmg vom 12. April 1904.
Herr Emil Penner sprach über Viereck, Geschichte des deutschen
Unterrichts in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Der Verfasser
bietet mit seinem vorzüglichen Buch eine Neubearbeitung eines umfäng-
lichen Berichts, der ihm vor einigen Jahren vom United States Bureau of
Education übertragen wurde. Der Verfasser steckt sein Ziel nicht niedrig ;
er will nicht nur vom rein technisch -pädagogischen Standpunkt aus die
Frage erörtern, sondern vor allem vom kulturellen Standpunkt. Der
deutsche Unterricht ist für die Amerikaner nicht nur das Mittel, mit der
deutschen Sprache bekannt zu werden, sondern er trägt auch dazu bei,
die Studenten in die deutsche Denkweise einzuführen und sie für die
deutschen Kulturideale zu gewinnen. Deutschland ist für die Amerikaner
ungefähr das, was das klassische Griechenland für die alten Kömer war,
und Berlin ist für sie der 'Weltmittelpunkt der humanen Bildung'. Des-
halb verdient die Entwickelung des deutschen Unterrichts, eingehendste
Beachtung. Zunächst gibt der Verfasser einen historischen Überblick über
die drei grofsen Perioden: 1) vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis 1825;
2) von 1825 bis I87ö; 3) von 187ö bis zur Jahrhundertwende. Darauf wird
der gegenwärtige Stand des deutschen Unterrichts eingehend besprochen,
und zwar so, wie er sich in den Elementarschulen, in den Secondary
Schools und endlich in den Colleges und Universities darstellt. Von be-
sonderer Wichtigkeit ist, dafs sich Bestrebungen mit grofser Wucht gel-
tend machen, welche auf gröfsere Einheitlichkeit im amerikanischen Schul-
wesen hinarbeiten. Es folgen Kapitel über das Teachers' College in Neu-
york, in dem ein deutscher Schulmann, Prof. Dr. Bahlsen- Berlin, prak-
tische und theoretische Vorlesungen über deutsche Pädagogik und deutsche
Schulmethoden gehalten hat, sowie Kapitel über die Zukunft des deut-
schen Unterrichts, über deutsche Gesellschaften zur Hebung des deutschen
Unterrichts, über Bibliotheken, über das Germanische Museum, sowie
reichhaltiges statistisches und biographisches Material, so dafs man sagen
kann, Viereck habe seinen Stoff erschöpfend behandelt.
Herr Schultz-Gora sprach über seine in Vorbereitung befindliche
Ausgabe des afr. Epos Folcon de Gandie. Die bisherige von Tarbe gelie-
ferte sei unvollständig und fehlerhaft ; der im Mittelalter überaus verbreitete
und oft zitierte Roman verdiene wohl eine sorgfältige Neubearbeitung.
Sitzung vom 26. April 1904.
Herr Förster sprach über Ernst Schäfer, Beiträge xur Geschichte
des spanischen Protestantismtis und der Inquisition im 16. Jahrhundert.
für das Studium der neueren Sprachen. 175
Das Buch soll keine absch liefsende Geschichte jener Zeit sein, sondern es
will nur den aktenmäfsigen Quelleiistolf als Bausteine für spätere Arbeiten
beibringen. Trotzdem die spanischen Archive echon lange den Forschern
freigegeben sind, hat hier doch der Kostocker Forscher zum ersten Male
Gebrauch von der Zulassung zu den Archiven gemacht und wichtige Ur-
kunden veröffentlicht. Die bisherigen Arbeiten über die Inquisition sind
durchweg von begeisterten Anhängern oder fanatischen Gegnern verfafst;
auf Grund gewissenhafter Quellenforschungen hat noch kein Historiker über
das seltsame Gericht geschrieben, so dais sich meist falsche und übertriebene
Vorstellungen in den Köpfen festgesetzt haben. Schäfers Buch, das diese
Übertreibungen beider Seiten auf das richtige Mals zurückführt, ist des-
halb mit Freude zu begrülsen. Insbesondere machen es die von Seh. ge-
öffneten Quellen möglich, zweierlei festzustellen: 1) Die Stellung der In-
quisition gegenüber den protestantischen Ketzern ; 2) Die Ausbreitung des
rrotestantismus in Spanien; 3) Einzelheiten aus her Geschichte der zwei
Gemeinden von Valladolid und Sevilla. Nicht zu vermischen sind die
alte Inquisition der Dominikaner und die neue, ein Bollwerk gegen geist-
liche und zugleich staatliche Häresie, das zeitweise ein Staat im Staate
zu werden drohte, sich dann aber auf sein Amt der 'Reinhaltung' des
Glaubens zurückziehen mufste. Der Redner schilderte endlich die Art
und Weise des Gerichtsverfahrens und der Folterung und den Hergang
bei den Autodafes, denen dann an einem anderen Orte die Verbrennung
der 'Relaxados' folgte.
Herr R. Tob 1er berichtet über Le Rcyniancero poptdaire de la France,
choix de chansons populaires fran^aises, textes critiques par George Don-
cietix. Ävec un avant-propos et un index musical par Julien Tiersot (Paris,
Bouillon, 1904). Das vortreffliche Buch ist leider nicht ganz vollendet,
da der Verfasser über der Arbeit gestorben ist. Statt der beabsichtigten
fünfzig sind nur vierundvierzig Lieder bearbeitet worden. Der Vortragende
rühmt die geschickte und gründliche Verwertung des gewaltigen Materials
und glaubt, dais der Versuch, den ursprünglichen Text, den Ort und die
Zeit der Entstehung der einzelnen Lieder zu bestimmen, als recht gelungen
bezeichnet werden darf. Er gibt kurz den Inhalt der Einleitung (Metrik
des Volksliedes, seine Stoffe, seine Sprache und Verbreitung) an und gibt
einige Proben aus der inhaltreichen Sammlung.
Herr Dr. Sachrow hat sich zur Aufnahme gemeldet.
Sitzung vom 10. Mai 1004.
Herr Pochhammmer spricht über Goethe als Dante- Erklärer.
Goethe hat sich für Dante nie erwärmt, hat ihn aber bewundert und auch
('Lethe' der Ariel-Szene) benutzt. Seine Aufseruugen über ihn sind lehrreich.
Ein wirklicher Dante-Erklärer aber ist Goethe durch sein dichterisches
Schaffen geworden, so fern von Dante dies auch sich vollzogen hat. Im
'Faust' hat Goethe an die Schöpfungen der Volksseele ebenso angeknüpft,
wie Dante in der Commedia getan, was diese uns wesentlich näherbringt.
Aufserdem hat Goethe mit der scharfen Unterscheidung zwischen alle-
gorischer und symbolischer Dichtung (Sprüche IV) ein Grundgesetz für die
Sinnbild Verwertung gefunden, was das Dante -Yerständnis sehr erleichtert.
Herr Mangold spricht über J. B^dier, JEtndes critiques (Paris 1903).
Er empfiehlt diese interessanten Studien, die sich durch Klarheit, Schärfe
und Feinsinnigkeit auszeichnen, als eine genulsreiche, anregende Lektüre.
B^diers Kritik ist immer schlagend und überzeugend, mag er beweisen,
dafs eine kritische Ausgabe der Tra^iques das Ms. Tronchin zugrunde legen
mufs oder dafs Naigeon nur der Kopist, nicht der Verfasser des Paradoxe
sur le comedien von Diderot (?) ist, mag er den authentischen Text des
Entretien de Pascal avec M. de Saci konstruieren oder das Niemcewicz
176 Sitzungen der Berliner GesellschaftJ
zugeschriebene Gedicht an Mifs Cosway seinem wahren Verfasser Andre
Öhenier wieder zurückgeben. Länger verweilt der Vortragende bei der
mehr als die Hälfte des Buches ausfüllenden Studie Chateaubriand en
Amerique, Verite et Fiction, in der B^dier schlagend nachweist, dafs der
gröfste Teil von dem, was Chateaubriand in verschiedenen Werken über
seine ^ieise in Amerika geschrieben hat, erdichtet ist, und auch die Quellen
aufdeckt, aus denen Chateaubriand geschöpft hat. La poetique legende du
voyage en Amerique offre en effet un exemple acheve d' auto-suggestion.
Herr Ad. Tobler spricht sich ebenfalls überaus anerkennend über das
B^diersche Buch aus. Es ist eine geradezu meisterhafte Arbeit, und sie
wirkt um so mehr, als Bedier sich jedes doch so naheliegenden Spottes
enthält und Chateaubriands Verfahren psychologisch zu erklären sich be-
gnügt. An einigen Stellen früherer Schriften hat Ch. seine Behauptungen
mit Beispielen zu belegen gesucht und dabei gewisse Reisebeschreibungen
benutzt. In den Memoires d' outre-tomhe hat er dann geglaubt sagen zu
müssen, dafs er die Kenntnis jener Tatsachen auf eigenen Reisen gewonnen
habe, und ist so von Schritt zu Schritt weitergetrieben worden mit seinen
Erfindungen und Flunkereien.
Herr R. Tobler berichtet im Anschlufs an seinen Vortrag über
Doncieux, Le Romancero populaire de la France über den dem Werke bei-
gefügten Index musical von Julien Tiersot. Der Herausgeber hat versucht,
bei jedem der vierund vi erzig Lieder des Romancero festzustellen, nach
welcher Melodie es ursprünglich gesungen worden ist. Er erreicht das,
indem er — immer unter Berücksichtigung des Ergebnisses der textkriti-
schen Untersuchung — aus den zahlreichen und oft stark abweichenden
Melodien, mit denen ein Lied an verschiedenen Stellen überliefert ist, das
allen oder den meisten gemeinsame typische Motiv heraussucht. Der Vor-
tragende gibt noch einige Proben aus Doncieux' Sammlung und zeigt an
Beispielen, wie der Herausgeber die Verbreitung des Stoffes der Lieder
untersucht hat. — Herr Splettstöfser, Herr Kuttner und Herr Adolf
Tobler erinnern daran, dafs eins dieser Beispiele, die Geschichte des heim-
kehrenden Verlobten, auch von Maupassant, Theuriet, Richepin und Hebel
behandelt worden sei.
Herr Dr. Sachrow ist in die Gesellschaft aufgenommen.
Sitzung vom 27. September 1904.
Der Vorsitzende macht Mitteilung von dem Ableben zweier Mitglieder,
des Oberlehrers Dr. Dressel und des Geheimerats Wätzoldt, und ge-
denkt ihrer in ehrenden Worten. Die Gesellschaft ehrt das Andenken der
Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen.
Herr Ad. Müller entwirft ein Charakterbild des Geheimerats Wätzoldt,
dessen Mitarbeiter er lange Jahre gewesen ist.
Herr Werner sprach über zwei Schriften von Franz Meder: Er-
läuterungen ^ur französischen Syntax und Wie kann der französische
Unterricht an den höheren Schulen eine Vertiefung erfahren? Durch beide
Schriften will der Verf. dazu beitragen, den franz. Unterricht auf eine
höhere Stufe als blofses Abrichten zu heben. Ausgerüstet mit gründ-
licher Kenntnis der historischen franz. Grammatik und feinem Sprach-
gefühl, erörtert er eine Reihe sprachlicher Erscheinungen, bei denen dem
Schüler nicht blofs das Was?, sondern auch das Warum? ohne Schwierig-
keit erklärt werden kann. Er bringt zwar nicht viel Neues, aber das gute
Alte in vortrefflicher Auswahl. Namentlich dem französischen Lehrer in
kleineren Orten, der in der Benutzung wissenschaftlicher Hilfsmittel be-
schränkt ist, werden beide Schriften treffliche Dienste leisten können. —
An zahlreichen Beispielen wurde dies im einzelnen dargelegt. — In der
sich anschliefsenden Erörterung traten die Herren Mangold, Engwer,
für das Studium der neueren Sprachen. 177
Penn er und Mackel mehr oder minder eingeschränkt der Ansicht des
Vortragenden bei, während Herr Selge glaubt, dafs bei all den philo-
logischen Erörterungen, die der Herr Vortragende schon von der Tertia
ab vornehmen will, keine guten praktischen Resultate erreicht werden
können. Die Grundlagen der Grammatik, Sicherheit in der Lektüre, ein
wenig Sprechen und Verstehen seien schon schwer genug zu erreichende
Ziele. Daran allerdings, dafs wir bei der so gering Gemessenen Zeit
unsere Schüler zu fliefsendem Sprechen führen können, glaube wohl
heute niemand mehr recht.
Herr Dr. Otto Driesen hat sich zur Aufnahme gemeldet.
Sitzung vom 11. Oktober 1904.
Herr Eng wer berichtete über den Neuphilologen tag in Köln. Nach
einem Überblick über die gehaltenen Vorträge verweilte er länger bei dem
Vortrage Morfs Die Tempcn-a historica im Fratixösiscketi und bei dem
Walters über den Gebrauch der Fremdsprache bei der Lektüre in den
Oberklassen. Herr Engwer bezweifelt, ob alles das, was Walter in der
Stunde mit den Schülern durcharbeiten zu müssen erklärte, unter nor-
malen Verhältnissen zu leisten sei; besonders für die Oberklassen mit
ihren abstrakten Lektu restoffen eigne sich der vorgeschlagene Weg nicht.
Ein Ausgleich zwischen Walter und dem Oberschulrat Waag - Karlsruhe,
der einen anderen Standpunkt in seinem Vortrage eingenommen habe, sei
leider nicht erfolgt. — In der Erörterung hebt Herr Selge hervor, dafs
ihm doch eine gewisse Versöhnlichkeit zwischen den entgegengesetzten
Standpunkten und die Neigung zu Zugeständnissen aufgefallen sei.
Herr Cornicelius gab Anmerkungen zu Goethes Symholum. Schon
das äufsere Verständnis des Gedichtes ist schwierig in der zweiten und der
dritten Strophe ; zudem weicht hier die Interpunktion der Ausgabe letzter
Hand stark ab von der des ersten Druckes 1816 in der Sammlung: 'Ge-
sänge für Freimaurer zum Gebrauche aller Teutschen Logen'. Anhang.
Der Vortragende spricht eregen andere Deutungsversuche für die Erklärung
V. Loepers (Goethes Gedichte. Mit Einleitung und Anmerkungen. 2 T.
Berlin 18:53). — Die fruchtbarste Wirkung hat Goethes Gedicht auf Car-
lyle gehabt, der es — wie auch Froude wiederholt ausdrücklich bezeugt —
zu seinem eigenen Glaubensbekenntnis gemacht hat. Am 17. Januar 1837
zitiert C. in diesem Sinne das ganze Gedicht deutsch in einem Brief an
John Sterling; die Rektoratsrede in Edinburg 1866 schlofs er mit denselben
(xoetheschen Versen in eigener Übersetzung; ganz erfüllt davon ist sein
Buch Post and Present, 1843. Aus dieser Zeit wohl stammt auch seine
Übertragung in englische Verse, deren Änderungen besonders in den beiden
letzten Strophen sehr charakteristisch für Carlyle sind. Der Einflufs des
Gedichtes auf die Ausführungen in P. and P., wo es wiederholt ganz oder
in einzelnen Strophen und Versen zitiert ist, zeigt sich an vielen Stellen;
am tiefsten in Carlyles eigenes Wesen aufgenommen im 12. Kapitel des
3. Buches. — Eine rein literarhistorisch vergleichende Umschau von Goe-
thes 'Symbolum' aus müfste vor allem Foscolos Gedicht Bei Sepolcri be-
trachten, dessen epochemachende Bedeutung für die moderne Gräberpoesie
Zumbini dargelegt hat in seiner Abhandlung La poesia sepolcrale straniera
e italiana e il carme del Foscolo (in Sttidi di letter. ital., Firenze 1894).
Herr Dr. Driesen wird in die Gesellschaft aufgenommen. H^rr Ober-
lehrer Seibt hat sich zur Aufnahme gemeldet.
Sitzung vom 25. Oktober 1904.
Herr Ludwig berichtet über neuere spanische Veröffentlichungen
zur Lebensgeschichte des Cervantes. Er gibt, besonders nach Pastor,
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 12
178 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Documentos cervantinos, eine Darstellung von dem Lebenslaufe des Dich-
ters, wie er sich in diesen Dokumenten widerspiegelt. Dabei fällt neues
Licht auf die Jugendgeschichte des Cervantes, seine Geschwister, die Ver-
hältnisse seiner Eltern während seiner Gefangenschaft, sowie auf die
näheren Umstände seines Loskaufes. Seine Teilname am Feldzug gegen
die Azoren erweist sich als sehr unwahrscheinlich, für die Zeit seiner amt-
lichen Tätigkeit ergeben sich eine Reihe charakteristischer Einzelheiten.
Charakter und Lebensschicksale seiner Frau und seiner Tochter sowie das
Ende seines Bruders können jetzt mit Hilfe ihrer Testamente und anderer
Urkunden in grofsen Zügen authentisch geschildert werden. Auch in Ute-
rarischer Hinsicht ergibt sich einiges Neue über die Beziehungen zu den
Verlegern seiner Bücher und ein ihm zugeschriebenes Erzeugnis höfischer
Gelegenheitspoesie (s. jetzt Zts. f. vgl. Ldteraturgesch. N. F. XVI, 1).
Herr Kabis ch leitet lexikalische Aphorismen, die er zu bringen be-
absichtigt, mit einer Darlegung von vier Punkten ein, in denen die in
Deutschland erschienenen Wörterbücher des Französischen der Verbesserung
bedürfen: 1. Die Beseitigung von Falschem, namentlich auf dem
Gebiete der sog. Realien ; '^;. Die Beseitigung von Überflüssigem,
wobei ganz auffallend ein Übermafs medizinischer Fachausdrücke hervor-
tritt; 3. Die Aufnahme von neuen Wörtern und namentlich von
Realien; hier hat die Sprache der Familie, aber auch die populäre
und fachliche, Berücksichtigung zu finden, da ein Wörterbuch 'für
Schule und Haus' dem Besitzer auch beim Lesen eines französischen
Journals behilflich sein soll; und da fehlt zur Zeit noch viel auf dem
Gebiete der Technik, des internationalen Verkehrs, des Sports,
ja sogar des Argot, Gebiete, aus denen Wörter auf jeder Seite der Jour-
nale wie in der modernen Literatur überhaupt vorkommen. Endlich
4. Die planmäfsige Anordnung. Die bis jetzt in allen (deutschen)
Wörterbüchern des Französischen befolgte Anordnung ist auf dem Boden
des Schulunterrichts entstanden und bringt daher nicht nur die-
jenigen Bedeutungen zuerst, die die häufigsten, gewöhnlichsten, geläufig- .
sten sind, sondern oft die, die im Schulunterricht zufällig zuerst zu be-^^
gegnen pflegten, so accent = 'das Akzentzeichen' (aigu, grave, circon-
fl^). Ersteres tun die in Frankreich erschienenen Dictionnairas auch,
vor allen die Academie; letzteres mufs beseitigt werden. Eine Anordnung,
die in etymologisch -historischer Folge das, was Littr^ V enchainement (ks
derivations und la filiation des sens nennt, gäbe und doch auch das heute
Gebräuchliche scharf und übersichtlich hervortreten liefse, wäre zweifellos
die beste, da sie wissenschaftliche Gründlichkeit, besonders des Schul-
unterrichts, wesentlich unterstützte, ohne darum einer kursorischen Be-
schäftigung mit der französischen Literatur unnötige Schwierigkeiten zu be-
reiten. Dafs das nicht so leicht ist, zeigt z. B. das Wort avaler, als dessen
Hauptbedeutung heute jeder Franzose 'hinunterschlucken' fühlt. Die
Etymologie, ä val, ad vallem, gibt nur 'hinunterbringen'; und Wen-
dungen und Worte der französischen Sprache weisen zahlreich auf diese
Etymologie zurück. Wenn nun die Grundbedeutung von avaler 'hinunter-
bringen' ist, und wenn dieselbe sich im heutigen Französisch in zahlreichen
Fällen noch findet, so läge es nahe, eine Reihe von Wendungen, alle mit
der Bedeutung 'sterben', darauf zurückzuführen, nämlich avaler sa cuil-
ler, ^ sa four dielte, ^ ses bagtietles, ^ sa gaffe (irrtümlich gibt Schuster-
R^gnier auch ^ le goujon, was nur bedeutet 'in die Falle gehen', da le
goujon, der Gründling, der Köderfisch am Angelhaken für Raubfische ist).
In allen diesen Wendungen könnte man avaler = 'senken', 'ablegen' er-
klären und die Bedeutung 'sterben' entstände auf die leichtest erklär-
liche Weise aus der Wendung 'seinen Löffel, seine Gabel, seine Trommel-
stöcke (vom Trommler), seinen Bootshaken (vom Schiffer) ablegen, weil
man sie nach dem Tode nicht mehr braucht. Diese so einleuchtend schei-
für das Studium der neueren Sprachen. 179
nende Erklärung gibt nun aber kein Franzose, sondern jeder versucht,
wenn man ihn fragt, irgendeine Erklärung mit 'verschlucken'. Und
freilich sind die Wendungen, die auf ad vallem hinweisen, fast alle nur
in Fach ausdrücken vorhanden (in denen sich bekanntlich etymolo-
gische Grundbedeutungen immer am längsten erhalten), oder sie sind
veraltet: selbst zu avaler son chaperon glaubt Littr^ ein erläuterndes
abaisser hinzusetzen zu müssen. Und so mag der deutsche Lexikograph,
wenn er sich nicht den Franzosen anschlielsen will, diese Wendungen
bringen, ohne sie einer der beiden Bedeutungen unterzuordnen. Jedenfalls
aber kann er die Grundbedeutung 'herunterbringen' als 'nur in Fach-
ausdrucken und veraltet' zur Belehrung und Freude der heutzutage
nicht seltenen Laien, die gern an die Etymologie der Wörter denken,
voranstellen.
Herr Oberlehrer Seibt ist in die Gesellschaft aufgenommen. Herr
Oberlehrer Dr. Böhm hat sich zur AufnjQime gemeldet.
Sitzung vom 8. November 1904.
Herr Krueger sprach über die in Stratford befindliche Büste Shake-
speares und vertrat ihre Glaubwürdigkeit einer Anfechtung durch Mrs.
Stopes in The Monthly Review (Nr. 48, April 1901) gegenüber.
Auf eine Frage des Herrn Förster gibt Herr B ran dl Auskunft
über die Shakespearestatue in Weimar. Der Bildhauer Lessing habe sich
von Herkomer sieben kleine Nachbildungen von den bekannten Shakespeare-
bildnissen kommen lassen; nachdem er schon hiernach einen Entwurf
gemacht habe, sei ihm noch die angebliche Totenmaske Shakespeares zur
Verfügung gestellt worden, die die Jahreszahl 1616 trage, noch Spuren
von Haut- und Wimperhaaren zeige und nach Haar- und Barttracht mit
dem Bilde von Droeshout übereinstimme. Diese Totenmaske sei gewifs die
eines Schauspielers, wie die Mundpartie zeige, habe aber eine etwas mehr
gebogene Nase als die sonstigen Shakespearebilder. Lessing habe danach
seine Büste geändert und ihr die jugendlichen Züge eines Schauspielers
aus den Königsdramen gegeben.
Herr Mackel bespricht Erscheinungen aus der französischen Stilistik.
Im Anschlufs an den Hauptsatz mit dreigliedrigem Prädikat (vgl. Archiv
CV, 48 ff.) erörtert er zunächst eine typische Satzform des Französischen
für den deutschen Nebensatz mit zweigliedrigem Prädikat. Sodann weist
der Vortragende mit Bezugnahme auf Archiv CV, 55 ff. nach, dafs tout
ce qui, tout ce que nicht nur 'alles, was', sondern auch 'was alles' bedeute.
Schliefslich erörtert er die Entsprechung 'tous las yeux' und 'aller Augen'
und mehrere andere Besonderheiten im Gebrauche von tous, toutes.
Der alte Vorstand wird für das Jahr 1905 wiedergewählt. — Herr
Dr. Joh. Böhm wird in die Gesellschaft aufgenommen.
Sitzung vom 22. November 1904.
Herr Comic elius bemerkt nachträglich zu dem Vortrage von Herrn
G. Krueger, dafs schon 1867 Herman Grimm die besprochene Totenmaske
für Shakespeare in Anspruch genommen habe, und zwar in dem Buche
Über Künstler und Kunstiverke.
Herr Kabisch spricht über einige französische Wörter, deren Be-
deutung durch bessere Kenntnis der Realien, unter strenger Berücksich-
tigung der Etymologie, in den Wörterbüchern richtig zu stellen ist:
J . accotcer kommt her von ad catedam, und es bezeichnet ^ des chevaux
'Pferde zum Transport (mit möglichst wenig Knechten) so aneinander be-
festigen, dafs das folgende immer mit seinem Halfterstrick am Schwänze
des vorhergehenden festgebunden ist'. ^ un cer/ heifst 'von hinten
12*
180 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
an den von den Hunden gedeckten Hirsch herantreten und ihn am
Weiterziehen verhindern, bis der zum Abfangen berechtigte Reiter heran
ist, also 'ausheben'.
2. amhle ist nichts Fehlerhaftes am Gange des Pferdes, sondern der
'Pafsgang', den man Damenreitpferden zu geben sich bemüht. Die
damit verwechselte fehlerhafte Gangart heifst traquenard oder anbm oder
trot deeousu oder amble rompu.
3. In venire de son kann sich das tadelnde 'Kleibauch' nicht auf
Puppenbälge beziehen, sondern auf schlechte Ernährung, wie bei
Pferden durch Kleie.
4. banvin braucht nicht zwei Bedeutungen zu haben (Verkündigung
1. des Verbots und 2. der Freigabe des freien Wein Verkaufs), sondern
heilst 'Wein bann', d.h. Bekanntmachung des Lehnsherrn, dafs von einem
bestimmten Tage an bis zu einem anderen niemand aufser ihm Wein ver-
kaufen darf.
5. Je suis venire par le manche heilst in Paris: 'Ich bin mit dem
vorletzten Wagen einer Omnibuslinie nach Hause gekommen'. Le
balai heifst nämlich der letzte Wagen (Lumpensammler), und danach
hat man den vorletzten den 'Stiel am Besen' genannt.
6. Ghef d'aitaque heilst der in jeder Stimme eines Sängerchors dazu
angestellte Sänger, die Einsätze seiner Stimme rechtzeitig und sicher
zu bringen {attaqtier les sons, les noies); daher ist die Beschränkung des
Gebrauches auf aitaqtier bien in den Lexiken falsch.
Herr Block berichtete über den vom 17. bis 29. Oktober 1904 zu
Frankfurt a. M. abgehaltenen englischen Fortbildungskursus.
Dieser zerfiel 1) in wissenschaftliche Vorträge über Phonetik und Gram-
matik in englischer Sprache, 2) in Vorträge über Literatur und in Rezi-
tationen, 3) in praktische Übungszirkel, 4) Hospitieren in höheren Schu-
len, 5) 'social meetings'. Der Kursus wurde geleitet von Prof. Dr. Curtis,
welchen Direktor Dörr und die Engländer Messrs. Chesterton, Gill und
Cliff unterstützten. In einer einleitenden Vorlesung sprach Prof. Curtis über
Standard English, als welches er für eine frühere Zeit das Westsächsische,
für die Gegenwart die Sprache des gebildeten Londoners oder des gebil-
deten Südengländers bezeichnete. Die Vorträge über Phonetik schlössen
sich in elementarer Weise an Victors Lauttafeln an. Die Bildung der
einzelnen Konsonanten und Vokale wurde der Reihe nach erklärt und
besonders vor dem bei Deutschen häufigen Fehler gewarnt, die stimm-
haften Konsonanten am Ende des Wortes mit allzu deutlicher Vibration
zu sprechen und den vokalischen Anlaut mit festem Einsatz {glottal catch)
zu artikulieren.
Der englischen Grammatik waren nur die letzten Tage gewidmet,
so dafs nur wenige Punkte berührt werden konnten, wie z. B. der Unter-
schied zwischen shall und will.
In ihren Rezitationen trugen Mr. Chesterton und Mr. Gill Stücke
aus Sweet und Lloyd vor und dann eine Reihe anderer Gedichte und Prosa-
stücke, bei deren Vortrag es interessant und lehrreich war, die dialek-
tischen Eigentümlichkeiten der beiden Vortragenden zu studieren, von
denen der erstere der Typus eines echten Londoners war, der letztere da-
gegen die Besonderheiten der nordenglischen Aussprache zur Geltung zu
bringen suchte.
Direktor Dörr zeigte, wie man Byrons Gedicht Oood night, good night,
my native shore (aus dem Childe Harold) in der Schule in englischer
Sprache durchnehmen kann.
Mr. Gill sprach über East London sowie über das Leben in einer
englischen public school, die er selbst besucht hatte. In dem ganzen Sy-
stem geifselte er scharf die so häufig mit dem Internatsleben verbundene
ünsittlichkeit der Schüler und die Roheit ihres Betragens, die doch keine
für das Studium der neueren Sprachen. 181
richtige mmüwess erzeuge. — Mr. Chesterton hielt eine Reihe von sehr
nn regenden und geistvollen Vorträgen über Englisk Poetry of To-day
(Tennyson, Browning, Swinburne und Kipling) sowie über Journalist Life
in Fleet Street, und an zwei Nachmittagen sprachen Prof. Curtis und
Direktor Dörr über English Literaiure in the SchooL An der Hand einer
fast unübersehbaren Fülle von deutschen, englischen und amerikani-
schen Büchern und Anschauungsbildern, welche die Verleger' in höchst
dankenswerter Weise für den Kursus zur Verfügung gestellt hatten,
wurden Proben dieser neuen Erscheinungen herumgezeigt und kurz cha-
rakterisiert.
In den vier Übungszirkeln, von denen jeder aus vier bis fünf Mit-
gliedern sich zusammensetzte und von je einem Engländer der Reihe nach
geleitet wurde, wurde Sweets Elementar buch des gesprochenen Englisch,
Lloyds Northern English, das Buch von Wells The Making of Mankind
uncf die wöchentliche Ausgabe der Times zugrunde gelegt.
Das gemeinsame Hospitieren beschränkte sich auf die Klinger-
Oberrealschule und auf die von Direktor Walter geleitete Musterschule.
Viele Kollegen hospitierten aber aufserdem noch in anderen Schulen, so
dafs sie dadurch ein anschauliches Bild des Frankfurter Reformsystems
sowie der von mehreren Neuphilologen gepflegten Refornimethode im
Unterricht der neueren Sprachen erhielten. Der Vortragende gab eine
Kritik der von ihm gehörten Unterrichtsstunden in der Klinger- Oberreal-
schule, der Musterschule, dem Wöhler- Realgymnasium und dem Goethe-
Gymnasium, wobei besonders die eigenartige Persönlichkeit und Methode
Walters die ihr gebührende Beachtung fand.
Nachdem der Vortragende noch kurz die an mehreren Abenden ab-
gehaltenen 'social meetings' erwähnt hatte, faiste er seine Wünsche für
einen späteren Kursus in folgenden Punkten zusammen: 1) Statt der
etwas elementaren phonetischen und grammatischen Vorträge wären mehr
Vorträge literarischen oder allgemeinen Inhalts vorzuziehen, wodurch die
stark besetzten Nachmittage entlastet würden und die Teilnehmer etwas
mehr freie Zeit gewönnen. 2) Für ebenso wichtig wie die englischen Vor-
träge hält der Vortragende gerade in Frankfurt das Hospitieren in den
höheren Lehranstalten, für das etwas mehr Zeit frei bleiben müfste. 3) An-
statt Sweet und Lloyd wäre vielleicht ein inhaltlich bedeutenderes Buch
als Grundlage der Lektüre zu wählen. 4) Jeder Teilnehmer müfste schon
vorher zu Hause imstande sein, sich auf diese Übungszirkel mehr vor-
zubereiten, damit es diesen nie an Stoff mangele und eine Zersplitterung
in Kleinigkeiten vermieden werde.
In der sich anschliefsenden Erörterung weist Herr Mangold auf
die Klagen hochstehender Engländer über die Mängel ihres Schulwesens
hin. Herr Spies vermifst bei dem Ferienkursus in Frankfurt a. M. die
historische' Grundlage und Vertiefung. Man müsse verlangen, dafs die
neuenglische Ausprachelehre , vor einer wissenschaftlich gebildeten Zu-
hörerschaft vorgetragen, in jedem schwierigen Falle geschichtlich begrün-
det werde. Die verschiedene Aussprache von either und die Doppelformen
fifth und fift z. B. könnten nur dann richtig gewürdigt werden. Auch
das Fehlen des sogenannten 'festen Einsatzes' dürfe nicht als eine blofse
Tatsache hingestellt werden, sondern verlange eine historische Würdigung,
und anderes mehr. Herr Sp. verweist zum Schlufs auf die jährlich von
Prof. Morsbach in Göttingen abgehaltenen Ferienkurse.
Herr Dr. Gustav Thurau, Privatdozent an der Universität Königs-
berg, hat sich zum Eintritt gemeldet.
Verzeichnis der Mitglieder
der
Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen.
Vorstand.
Vorsitzender: Herr A. Tob! er.
Stellvertretender Vorsitzender: „ W. Mangold.
Schriftführer: „ E. Penn er.
Stellvertretender Schriftführer: „ G. Krueger.
Erster Kassenführer: „ E. Pari seile.
Zweiter Kassenführer: „ G. Tanger.
Ä. Ehrenmitglieder.
Herr Dr. Furnivall, Frederick J., 3 St. George's Square, Prim-
rose Hill, London NW.
„ Dr. Gröber, Gustav, o. ö. Professor an der Universität.
Strafsburg, Universitätsplatz 8.
„ Dr. Mussafia, Adolf, Hof rat, o. ö. Professor an der Uni-
versität. Wien Xni, Trauttmannsdorfferstrafse 50.
Frau Vasconcellos, Carolina Michaelis de, Dr. phil. Porto,
Cedofeita.
B. Ordentliche Mitglieder.
Herr Dr. Bahlsen, Leo, Professor, Oberlehrer an der VL städti-
schen Kealschule. Friedenau, Wielandstrafse 38part.
„ Dr. Block, John, Oberlehrer am Reform -Realgymnasium.
Deutsch -Wilmersdorf, Preufsische Strafse 7.
„ Boek, Paul, Professor, Oberlehrer am Königstädtischen Real-
gymnasium. Grofs-Lichterfelde, Marthastrafse 2.
* „ Dr. Böhm, Joh. F., Oberlehrer an der Charlottenschule. Ber-
lin N. 4, Gartenstrafse 25.
„ Dr. Borbein, J., Professor, schultechnischer Mitarbeiter im
Kgl. Provinzial - Schulkollegium zu Berlin. Friedenau,
Beckerstrafse 311.
Mitglieder- Verzeichnis der Berliner Gesellschaft etc. 183
Herr Dr. Born, Max. Berlin NW. 52, Thomasiusstrafse 26.
„ Dr. Brandl, Alois, ord. Professor an der Universität, Mit-
glied der Akademie der Wissenschaften. Berlin W. 10,
Kaiserin- Augusta-Strafse 73IIL
„ Dr. Carel, George, Professor, Oberlehrer an der Sophien schule,
Charlottenburg, Schlofsstrafse 25.
„ Dr. Churchill, George B., Professor am Amherst College.
Amherst, Massachusetts, U. S. A.
„ Cohn, Alb., Buchhändler. Berlin W., Kurfürstendamm 259.
„ Dr. Cohn, Georg. Berlin W., Linkstrafse 29 III.
„ Dr. Conrad, Herm., Professor an der Haupt-Kadettenanstalt.
Gr.-Lichterfelde, Berliner Strafse 19.
„ Dr. Cornicelius, Max. Berlin W., Luitpoldstrafse 4.
„ Dr. Dibelius, W., Professor an der Kgl. Akademie. Posen,
Nollendorf strafse 23.
„ Dr. Dieter, Ferd., Oberlehrer an der IV. städtischen Real-
schule. Berlin O., Frankfurter Allee 80.
„ Dr. Dr lesen, Otto. Charlottenburg, Fried bergstrafse 28.
„ Dr. Ebeling, Georg, Privatdozent an der Universität. Char-
lottenburg, Leonhardstrafse 19.
„ Engel, Hermann, Oberlehrer. Charlottenburg, Leibniz-
strafse 79 a.
„ Dr. Engelmann, Hermann, Oberlehrer an der Friedrichs-
Werderschen Oberrealschule. Berlin C, Niederwall-
strafse 12.
„ Dr. Eng wer, Theodor, Oberlehrer an dem Kgl. Lehrerinnen-
seminar und der Augustaschule. Berlin SW. 47, Hageis-
berger Strafse 44.
„ Falck, Karl, Oberlehrer an der XI. städtischen Realschule.
Beriin SW., Solmsstrafse 7 III.
„ Dr. Förster, Paul, Professor, Oberlehrer am Kaiser- Wilhelm-
Realgymnasium. Berlin SW. 12, Kochstrafse 66.
„ Dr. Fuchs, Max, Oberlehrer an der VI. städtischen Real-
schule. Frieden au, Stubenrauchstrafse 6.
y, Dr. Gade, Heinrich, Oberlehrer am Andreas-Realgymnasium.
Berlin NO. 43, Am Friedrichshain 7nib.
„ Dr. Gold staub, Max. Berlin W. 30, Pallasstrafse 1.
„ Dr. Greif, Wilhelm, Oberlehrer am Andreas-Realgymnasium.
Berlin SO. 16, Köpenickerstrafse 162 IL
„ Dr. Gropp, Ernst, Professor, Direktor der städtischen Ober-
realschule. Charlottenburg, Schlofsstrafse 27.
„ Grosset, Ernest, Lehrer an der Kriegsakademie und am
Viktorialyzeum. Berlin SW. 48, Wilhelm strafse 146 IV.
„ H a a s , J., Oberleutnant a. D. Berlin C, An der Schleuse 5 a.
„ Dr. Hahn, O., Professor, Oberlehrer an der Viktoriaschule.
Berlin S. 59, Urbanstrafse 3111.
184 Mitglieder- Verzeichnis der Berliner Gesellschaft
Herr Harsley, Fred, M. A., Lektor der englischen Sprache an der
Universität. Berlin W. 30, Gleditßchstrafse 48.
„ Dr. Hausknecht, Emil, Professor, Direktor der Oberreal-
schule. Kiel, Jahnstrafse 11.
„ Dr. Heck er, Oscar, Professor, Lektor der italienischen
Sprache an der Universität. Berlin W. 30, Traunsteiner
Strafse 10.
„ Dp. Heinze, Alfred, Oberlehrer am Kaiser- Wilhelm-Realgym-
nasium. Berlin W. 35, Wichmann strafse 12 b.
„ Dr. Hellgrewe, Wilh., Oberlehrer an der städtischen Ober-
realschule. Charlottenburg, Berlin erstrafse 40.
„ Dr. Hendreich, Otto, Professor, Oberlehrer an der Luisen-
städtischen Oberrealschule. Berlin SO. 16, Köpenicker
Strafse 39.
„ Dr. Herrmann, Albert, Oberlehrer an der XH. städtischen
Realschule. Berlin NO. 18, Elbingerstrafse 98 L
„ Dr. H e r z f e 1 d , Georg. Berlin W. 1 0, Kaiserin- Augustastrafse
77 part.
„ Dr. Ho seh, Siegfried, Professor, Oberlehrer an der Luisen-
städtischen Oberrealschule. Berlin S., Oranienstr. 144n.
„ J a e g e 1 , Emil, Oberlehrer am Kgl. Prinz-Heinrich-Gymnasium.
Berlin W. 30, Gleditschstrafse 49.
„ Dr. Johannesson, Fritz, Oberlehrer am Andreas-Realgym-
nasium. Berlin SO., Köpenick erstrafse 133.
„ Kabisch, Otto, Professor, Oberlehrer am Luisenstädtischen
Gymnasium. Johannistal, Waldstrafse 6.
„ Dr. Käst an. Albert. Berlin W. 64, Behrenstrafse 9.
„ Dr. Keesebiter, Oscar, Oberlehrer an der IV. städtischen
Realschule. Grunewald, Gillstrafse 5.
„ Keil, Georg, Oberlehrer an der Elisabethschule. Berlin SW. 48,
Friedrichstrafse 3 2 HL
„ Dr. Keller, Wolf gang, aufserord. Professor an der Universi-
tät. Jena, Inselplatz 7.
„ Dr. K Olsen, Adolf, Dozent an der Kgl. Technischen Hoch-
schule. Aachen, Theresien strafse 14.
„ Dr. Krueger, Gustav, Oberlehrer am Kaiser-Wilhelm-Real-
gymnasium. Berlin W. 10, Bendlerstrafse 17.
„ Dr. Kuttner, Max, Oberlehrer an der Dorotheen schule. Ber-
lin W. 50, Neue Ansbacherstrafse 11 IV.
„ Lach, Handelsschuldirektor. Berlin SO. 16, Dresdner Strafse 901.
„ Dr. Lamprecht, F., Professor, Oberlehrer am Gymnasium
zum Grauen Kloster. Berlin C. 2, Klosterstrafse 73 IL
„ Langenscheidt, C, Verlagsbuchhändler. Berlin SW. 46,
Hallesche Strafse 1 7 part.
„ Dr. Lindner, Karl, Oberlehrer am Luisenstädtischen Real-
gymnasium. Berlin SO., Köpenicker Strafse 88.
für das Studium der neueren Sprachen. 185
Herr Dr. Löschhorn, Hans, Professor, Oberlehrer am Kgl. Lehre-
rinnenseminar und der Augustaschule. Berlin W. 35,
Genthin er Strafse 41 III.
„ Dr. Lücking, Gustav, Professor, Direktor der III. städtischen
Realschule. Berlin W., Steglitzer Strafse 8 a.
„ Dr. Ludwig, Albert, Oberlehrer an der Hohenzollernschule.
Schöneberg, Grunewaldstrafse 98 a.
„ Luft, F., Oberlehrer an der IX. städtischen Realschule. Ber-
lin N. 58, Gneiststrafse 19 IL
„ Dr. Lummert, August, ordentlicher Lehrer an der Viktoria-
schule. Berlin S. 59, Camphausenstrafse 3.
„ Dr. M a c k e 1 , Emil, Oberlehrer am Prinz-Heinrich-Gymnasium.
Friedenau, Dürerplatz 3.
„ Dr. Mangold, Wilhelm, Professor, Oberlehrer am Askanischen
Gymnasium. Berlin SW. 47, Grofsbeerenstrafse 71.
„ Dr. Mann, Paul, Oberlehrer am Luisenstädtischen Realgym-
nasium. Berlin SW., Neuenburgerstrafse 28.
„ V. Mannt z, A., Oberstleutnant a. D. Charlottenburg, Knese-
beckstrafse 2.
„ Dr. Mertens, Paul, wissenschaftlicher Hilfslehrer an der
Oberrealschule in Charlottenburg. Berlin W., Luther-
strafse 44.
„ Michael, Wilhelm, Oberlehrer an der Oberrealschule. Char-
lottenburg, Kaiser-Friedrich-Strafse 92.
„ Dr. M i c h a e 1 i s , C. Th., Stadt-Schulrat. Berlin W., Kurfürsten-
strafse 149.
„ Mugica, Pedro de, Lizentiat, Lehrer der spanischen Sprache
am Orientalischen Seminar. Berlin NW. 21, Wilsnacker
Strafse 3.
„ Dr. Müller, Adolf, Professor, Oberlehrer an der Elisabeth-
schule. Berlin W., Geisbergstrafse 1 5.
„ Dr. Müller, August, Oberlehrer an der Kgl. Elisabethschule.
Berlin SW., Grofsbeerenstrafse 55 part.
„ Dr. Münch, Wilhelm, Geh. Regierungsrat, ord. Honorar-Pro-
fessor an der Universität. Berlin W. 30, Luitpold-
strafse 22 IL
„ Dr. Münster, Karl, Oberlehrer an der VII. städtischen Real-
schule in Berlin. Köpenick, Kurfürsten allee 1.
„ Dr. Naetebus, Gotthold, Bibliothekar an der Universitäts-
Bibliothek. Grofs-Lichterfelde, Moltkestrafse 22A.
„ Dr. Noack, Fritz, Oberlehrer am Gymnasium. Grofs-Lichter-
felde, Lorenzstrafse 62.
„ Dr. Nobiling, Franz, Oberlehrer an der Realschule zu Pan-
kow. Berlin N. 54, Lothringerstrafse 82.
^ Dr. N u ck , Richard, Oberlehrer an der Luisenstädtischen Ober-
realschule. Berlin SW., Gneisenaustrafse 88.
186 Mitglieder -Verzeichnis der Berliner Gesellschaft
Herr 0 p i t z , G., Professor, Oberlehrer am Dorotheenstädtischen Real-
gymnasium. Charlottenburg, Goethestrafse 8 1 III.
„ Dr. Palm, Rudolf, Professor, Oberlehrer an der I. städti-
schen Realschule, Lehrer an der Kgl.*" Kriegsakademie.
Berlin SW., Yorkstrafse 7 6 II.
„ Dr. Pariselle, Eugene, Professor, Lektor der französischen
Sprache an der Universität, Lehrer an der Kgl. Kriegs-
akademie. Berlin W. 30, Landshuterstrafse 3 6 IL
„ Dr. Penn er, Emil, Professor, Direktor der XIII. städtischen
Realschule. Berlin NW. 23, Schleswiger Ufer 9.
„ Dr. Philipp, Carl, Oberlehrer am Askanischen Gymnasium.
Berlin ISTW. 23, Lessingstrafse 15, Gartenhaus.
„ Dr. Risop, Alfred, Professor, Oberlehrer an der IL städti-
schen Realschule. Berlin SW. 16, Grofsbeerenstrafse
61 m.
„ Dr. Ritter, O., Professor, Direktor der Luisenschule. Berlin
N.24, Ziegelstrafse 12.
„ Dr. Roediger, Max, aufserord. Professor an der Universität.
Berlin SW. 48, Wilhelmstrafse 140 IH.
„ Roettgers, Benno, Professor, Oberlehrer an der Dorotheen-
schule. Berlin W., Fasanen strafse 83.
„ Dr. Rosenberg, Oberlehrer am Köllnischen Gymnasium.
Charlottenburg, Knesebeck strafse 75.
„ Rossi, Giuseppe, Kgl. italienischer Vizekonsul. Berlin NW. 40,
In den Zelten 5 a.
„ Dr. Rust, Ernst, Oberlehrer an der VLEI. städtischen Real-
schule. Berlin N., Dunckerstrafse 5 I.
„ Dr. Sabersky, Heinrich. Berlin W. 3 5, Genthiner Strafse 281.
„ Dr. Sachrow, Karl, Kandidat des höheren Lehramtes. Ber-
lin SW. 61, Teltowerstrafse 16, 8. Aufg. II r.
„ Dr. S c h a y e r , Siegbert, Oberlehrer an der IV. städtischen Real-
schule. Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 1 1 II 1.
„ Dr. Schleich, Gustav, Professor, Direktor des Friedrich-
Realgymnasiums. Berlin NW., Albrechtstrafse 261.
„ Dr. Schienner, R., Oberlehrer an der Luisenstädtischen Ober-
realschule. Berlin S., Urbanstrafse 29.
„ Dr. Schmidt, August, Oberlehrer an der Realschule. Steglitz,
Düppelstrafse 22.
„ Dr. Schmidt, Karl, Oberlehrer am Kaiser- Wilhelm-Realgym-
nasium. Berlin SW., Yorkstrafse 68.
„ Dr. Schmidt, Max, Professor, Oberlehrer am Prinz-Heinrich-
Gymnasium. Berlin W., Rankestrafse 2 9 HI.
„ Schreiber, Wilhelm, Oberlehrer an der VI. städtischen Real-
schule. Tegel, Hauptstrafse 33 a.
„ Dr. Schulze, Georg, Direktor des Königlichen Französischen
Gymnasiums. Charlottenburg, MarchstraTse 11.
für das Studium der neueren Sprachen. 187
Herr Dr. Seh ulze-Veltrup, Wilhelm, Oberlehrer am Falk-Real-
gymnasium. Berlin NW. 23, Lessingstrafse 30.
^ Seibt, Robert, Oberlehrer an der VII. städtischen Realschule
zu Berlin. Schöneberg, Siegfriedstrafse 7.
^ Dr. Seifert, Adolf, Oberlehrer an der städtischen Oberreal-
schule. Charlottenburg, Strafse 12B, Nr. 31.
„ Sohier, Albert, Lehrer an der Vereinigten Artillerie- und
Ingenieur-Schule. Berlin W., Köthenerstrafse 41.
„ Dr. Söhring, Otto, Oberlehrer an der Hohenzollernschule in
Schöneberg. Berlin W. 30, Viktoria-Louisen platz 9.
„ Dr. Spatz, Willy, Oberlehrer an der Hohenzollernschule.
Schöneberg, Hauptstrafse 146.
„ Dr. Speranza, Giovanni. Berlin W. 62, Bayreutherstr. 17 IL
„ Dr. S p i e s , Heinrich, Privatdozent an der Universität. Berlin,
W. 57, Kurfürstenstrafse 164 II 1.
„ Dr. Splettstöfser, Willy, Oberlehrer an der XII. städtischen
Realschule. Berlin NW., Oldenburgerstrafse 5BIII.
„ Dr. Strohmeyer, Fritz, Oberlehrer am Dorotheenstädti-
schen Realgymnasium zu Berlin. Charlottenburg, Kant-
strafse 104 a.
„ Stumpff, Emil, Oberlehrer an der Hohenzollernschule zu
Schöneberg. Friedenau, Sponholzstrafse 26.
„ Dr. Tanger, Gustav, Professor, Direktor der IV. städtischen
Realschule. Berlin NO. 1 8, Distelmeyerstrafse
„ Dr. Thum, Otto, Lehrer an der Berliner Handelsschule. Char-
lottenburg, Rönnestrafse 2 5 IL
„ Dr. T h u r a u , Gustav, Privatdozent an der Universität Königs-
berg i. P., Königstrafse 5.
„ Dr. Tobler, Adolf, ord. Professor an der Universität, Mitglied
der Akademie der Wissenschaften. Berlin W. 1 5, Kur-
fürstendamm 25.
„ Dr. Tobler, Rudolf, Oberlehrer am Joachimsthalschen Gym-
nasium. Berlin W. 15, Kaiserallee 1.
„ Truelsen, Heinrich, Professor, Oberlehrer am Real-Progym-
nasium in Luckenwalde.
„ Dr. U 1 b r i c h , O., Professor, Direktor des Dorotheenstädtischen
Realgymnasiums. Berlin NW. 7, Georgenstrafse 30/31.
„ Dr. Vollmer, Erich, Oberlehrer am Bismarck-Gymnasium.
Deutsch- Wilmersdorf, Güntzelstrafse 28.
„ Weisstein, Gotthilf, Schriftsteller. Berlin W., Lenn^strafse 4.
„ Dr. Werner, R., Professor, Oberlehrer am Luisenstädtischen
Realgymnasium. Tempelhof, Albrechtstrafse 12.
„ Dr. Wespy, Oberlehrer an der Hohenzollernschule in Schöne-
berg. Berlin W. 30, Eisenacherstrafse 65.
„ Wilke, Felix, Oberlehrer am Reformgymnasium. Charlotten-
burg, Carmerstrafse 7.
188 Mitglieder -Verzeichnis der BerÜDer Gesellschaft etc.
Herr Dr. W i 1 1 e r t , H., Oberlehrer an der Margaretenschule. Ber-
lin W. 9, Köthenerstrarse 39 IL
„ Dr. Wolter, Eugen, Professor, Direktor der XII. städtischen
Realschule. Berlin O. 34, Rigaerstrafse 8.
„ Dr. Wychgram, Jakob, Professor, Direktor des Kgl. Lehre-
rinnenseminars und der Augustaschule. Berlin SW. 46,
Kleinbeerenstrafse 161.
„ Zack, Julius, Oberlehrer an der XIII. Realschule. Berlin
SW. 46, Luckenwalderstrafse 10.
C. Korrespondierende Mitglieder.'^
Herr Dr. Begemann, W., Direktor einer höheren Privat-Töchter-
schule. Charlottenburg, Wilmersdorf erstrafse 14.
Dr. Gl aufs, Professor. Stettin.
H u m b e r t , C, Oberlehrer. Bielefeld.
Dr. Jarnik, Joh. Urban, Professor an der tschechischen Uni-
versität. Prag.
Dr. Kelle, Professor an der deutschen Universität. Prag.
Dr. Krefsner, Adolf. Kassel.
Dr. Meifsner, Professor. Belfast (Irland).
Nagele, Anton, Professor. Marburg (Steiermark).
Dr. Neubauer, Professor. Halle a. S.
Dr. Sachs, C, Professor. Brandenburg.
Dr. Scheffler, W., Professor am Polytechnikum. Dresden.
Dr. Wilmanns, Professor an der Universität. Bonn.
Berichtigungen und Ergänzungen dieser Liste erbittet der Vorsitzende.
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Eggert, Oberl. Dr. B., Der psychologische Zusammenhang in der
Didaktik des neusprachlichen Reformunterrichts (Sammlung von
Abhandlungen a. d. Gebiete der pädag. Psychologie und Physiologie,
hg. V. Prof. Th. Ziegler und Prof. Th. Ziehen, VII, 4). Berlin, Reu-
ther & Reichard, lyü4. IV, 74 S. M. 1,80.
Schon oft ist wiederholt worden, dafs der methodologischen Worte
nun genug gewechselt seien. Man hat 'Schlul's!' gerufen, und eine er-
quickliche Wendung hatte ja die Debatte wirklich nicht genommen, so dafs
bei denen, die dem grofsen Streiten lernbegierig zuhörten, die Unlust-
gefühle längst überwogen.
Die vorliegende Schrift hat diese Stimmung indessen nicht zu fürch-
ten. Sie ist sachlich, wissenschaftlich und wahrlich nicht überflüssig. Sie
wiederholt und vermengt nicht; sie fördert und klärt. Auch wer sich in
Pauls Prinxipien und in Wundts Völkerpsychologie selbständig umgesehen
hat, wird durch Eggerts zusammenfassende und ergänzende Darstellung
der psychischen Grundlagen der Sprachvorstellung angezogen und belehrt
werden und sich in der Einsicht dessen, was im Sprachunterricht not tut,
gefördert sehen.
Die Schrift bietet nach einer trefflichen Einleitung zwei Teile: I. Ent-
wickelung der Spraehvorstellung, II. Analyse der Spraehvor Stellung. Jeder
Teil zerfällt wieder in A. Psychologische Erörterungen und B. Didaktische
Folgerungen.
Eggert legt dar, wie sich die Sprachvorstellung am Satze entwickelt;
wie der Satz die primäre und das Wort die sekundäre Vorstellung ist,
oder, mit Meumanns Ausdruck, wie die Wortfunktion des Wortes sich aus
seiner Satzfunktion entwickelt. Er insistirt namentlich auf den Gefühls-
elementen der Sprachvorstellung, insbesondere dem Gefühlswert der
Wortvorstellung. Das 'Denken in der Sprache' ist vielmehr ein 'Fühlen
in der Sprache'. Daran knüpft sich die didaktische Forderung, dals der
Sprachunterricht vom Satz auszugehen und dafs er Gefühlswerte mit-
zuteilen hat. Dabei, wird mit Umsicht und Lehrerfahrung erörtert, wel-
ches die Rolle des Übersetzens (als Kontrollmittel) sein mag, in welchem
Mafse die muttersprachlichen Vorstellungen ausgeschaltet werden, wie
grammatische Reihen induktiv gewonnen werden können etc.
Im zweiten Teile kommen die Sprachstörungen (die verschiedenen
Formen der Aphasie u. s. f.) auf Grund der Untersuchungen von Broca,
KuTsmaul, Lichtheim u. a. zur Erörterung, die Sprachvorstellungen werden
nach Wundt schematisch dargestellt, die Formen der Sprach tätigkeit
(Hören, Verstehen, Nachsprechen, willkürliches Sprechen, Lesen, Schrei-
ben) mit der vorherrschenden Bedeutung des Klangbildes analysiert
und damit die alte Forderung neu beleuchtet, dafs die gesprochene Sprache
Ausgang und Grundlage des Unterrichts bilden mufs. H. M.
Karl Luick, Deutsche Lautlehre. Mit besonderer Berücksichtigung
der Sprechweise Wiens und der österreichischen Alpenländer. Leipzig
und Wien, Franz Deuticke, 1904. XII, 103 S. 8. M. 2,50.
Diese deutsche Lautlehre befafst sich ausschliefslich mit den Lauten
des heute gesprochenen Deutsch unter Zugrundelegung jener Aussprache,
190 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
in welcher unsere Schrift- und gebildete Umgangssprache im südöstlichen
deutschen Sprachgebiet gesprochen wird. Der erste Teil handelt in 'ge-
drängter, aber klarer und glücklich auswählender Darstellung über die
Grundbegriffe, welche zur Erkenntnis der Lautbildungen wichtig sind,
über das Wesen der Einzellaute und deren Gruppierung nach phonetischen
Gesichtspunkten, über ihr Verhältnis bei Lautverbindungen, endlich über
die Silben und Sprechtakte sowie die Betonung. Im zweiten Teile werden
die Grundlagen der Umgangssprache in Deutsch-Österreich und ihr Ver-
hältnis zur Schriftsprache erörtert, wie sie sich zur Bühneusprache stellt,
inwieweit sie mit ihr in Einklang zu bringen ist oder aber ihre Besonder-
heiten beibehält. Auch hier zeigt sich wie im ersten Teile die sorgfältige,
klare Darstellung, wegen welcher das Buch zumal Lernenden die besten
Dienste leisten wird.
In den allgemeinen Erörterungen ist der Standpunkt vertreten, dafs
eine einheitliche Musteraussprache des Deutschen, die im gesamten deut-
schen Sprachgebiete Geltung hätte, in Wirklichkeit sich nicht erreichen
lasse. Die Bülmensprache, welche seit langem schon als Muster gilt und
auch den Gesangsvortrag beherrscht, wird immer nur auf einen kleinen Teil
der Gebildeten übergehen, weil die besonderen Artikulationsbedingungen,
welche man sich von jung auf in den einzelnen Teilen des deutschen Sprach-
gebietes verschieden angewöhnt hat, nicht mehr abgestreift werden kön-
nen, wenigstens vom grölsten Teile der Gebildeten nicht; auf solche, welche
zeitlebens sich in derselben Gegend aufhalten, wirkt die Mundart und die
Umgangssprache immer wieder ein, auch wenn sie sich, wie Redner und
Lehrer, eines guten Deutsch befleifsigen, und zwar so sehr, dafs die land-
schaftlichen Besonderheiten immer in der Übung bleiben und zum Vor-
schein kommen. Mit Recht wird daher in dem Buche betont, dafs die
Frage, wie wir sprechen sollen, nicht für das ganze deutsche Sprachgebiet
einheitlich, sondern nur für jede einzelne Sprachgegend auf Grund einer
genauen Einsicht in ihren Sprachzustand zu lösen sei.
Mit der Lösung dieses Problems, mit der Darstellung und Begrün-
dung, wie im bairisch- österreichischen Sprachgebiet das gute Schriftdeutsch
mit Rücksicht auf die Sprachgewohnheiten der Gebildeten lautet, kann
man sich durchaus einverstanden erklären ; das Buch ist eine entschiedene
Förderung dieser Bestrebungen und wird von allen, welche sich mit der-
artigen Fragen beschäftigen, mit Nutzen herangezogen werden. Im be-
sonderen aber werden gerade die österreichischen und bayrischen Lehrer-
kreise an Volks- und Mittelschulen die Darlegungen für sich und die
Schule anwenden können, denn die Schule ist ja für ihre meisten Be-
sucher die erste und wichtigste Stätte, an der sie das Schriftdeutsche nicht
nur hören, sondern auch sprechen müssen. Aber auch für solche, welche
die deutsche Sprache erst erlernen und sich zunächst im genannten Ge-
biete aufhalten wollen, dünkt mir dies Buch von grofsem Vorteil zu sein,
denn sie werden hier auf speziell süddeutsche Lautbildungen aufmerksam
gemacht, die unseren romanischen und slawischen Nachbarn fremd sind.
Sollte sich die Anregung des Verfassers, es möchte für jede deutsche
Landschaft mit sprachlicher Eigenart eine den besonderen Sprechgewohn-
heiten angepafste 'Deutsche Lautlehre' zusammengestellt werden, erfüllen,
so wären die Bestrebungen um die Vereinheitlichung der deutschen Schrif t-
sprache in bester Weise gefördert, es wäre vor allem Erreichbares in
Angriff genommen, von dem der deutschsprachliche Betrieb allseitigen
Vorteil hätte; die Vereinheitlichung der Aussprache des Schriftdeutschen
bleibt immer ein erstrebenswertes Ziel, das freilich nie vollkommen er-
reicht werden kann ; das Aufgeben dieses Strebens würde auch ihren Zer-
fall bedeuten.
Im einzelnen sei hervorgehoben, dafs für b, d, g, s stimmlose Lenis
gefordert wird; für Süddeutsche ist die stimmhafte Lenis des Bühnen-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 191
deutschen völlig ausgeschlossen. Auslautendes g wird im ganzen Süd-
bairischen bei schriftdeutschem Sprechen als Verschlufslaut festgehalten,
die Aussprache als Reibelaut -x hätte hier keine Aussicht durchzudringen.
Dafs h, d, g im Anlaut als Lenes gesprochen werden, wird sich in Gegenden,
welche die Anlautverstärkung kennen, nicht allgemeiner durchführen
lassen; in Nordtirol wird man auch bei sorgfältigster Aussprache d und t
in dieser tag als Satzbeginn nicht auseinanderhalten, sondern sprechen
tlsdr tag. Bei ck ist im Südbairischen die Vorstellung, es sei als Affrikata
oder Apirata zu sprechen, allgemein, gleichviel ob ck sprachgeschichtlich
einem kk oder gg entspricht; wir empfinden die vom Verfasser angeregte
Aussprache als nicht aspirierten Verschlufslaut als affektiert oder stark
mundartlich. Schwierigkeiten dürfte es in Nordtirol z. B. begegnen, im
Inlaut die Fortes ff nach Längen mit der Lenis f zusammenzuwerfen (vgl.
släffn 'schlafen' gegen häfn 'Hafen'), wie es Südtiroler und Kärntner tun,
denen anderseits die Scheidung zwischen ss und s in gleicher Stellung,
trotzdem sie durch die Orthographie sehr gefördert wird, nicht leicht wer-
den dürfte. Wegen der /-Artikulationen scheint mir die dem Mittelbairi-
schen eigene /-Bildung zu wenig hervorgehoben. Einfach zerebrale / mit
Aufstülpung der Zunge, die mit ihrer unteren Fläche an der inneren Seite
der Kante des Zahnfleisches den Mittelverschlufs bildet, und welche im
Buche (§ 41) als Eigenheiten des Mittelbairischen hervorgehoben werden,
können wir auch in Tirol nach Lippenlauten und o, u bilden und zwar
neben den dorsalen und koronalen Arten, ohne dafs die Verschiedenheit
des Gehörseindruckes zu merklich hervorträte; ich war immer der Mei-
nung, dafs die dem Mitteibair. eigene /-Bildung ähnlich dem slaw. / durch
Artikulation eines breiteren Teiles des Zungenrückens mit oder ohne
Mittelverschlufs hervorgerufen werde (über derartige Artikulationen z. B.
Sievers, Phonetik ^ < 315; Jespersen, Lehrbuch der Phonetik § 133. 13ü),
man vergleiche die Ausführungen von Nagl, ßoanad S. 19 § 29 f., und
Schwäbl, Die altbair. Mundart § 25. Daher stammen denn auch die
Übergänge des / in i oder u, welche Laute dann allem Anschein nach
enger und energischer gebildet werden als die i und u in diphthongischer
Verbindung, man beachte z. B. franz. kavaje = cavalier (Jespersen a. a. 0.
S. 13Ü) und armen, j'^ in pavjos für HavXos (Sievers a. a. 0. S. 124);
die damit auffällig verbundene Lippenartikulation ist ein Faktor für sich.
Mir erscheint es fruchtbar, wenn dem Lernenden bei den Sonorkonso-
nanten aufser den Nasalen, den r-Lauten neben den /-Lauten noch Sonor-
laute mit engster Ausflufsöffnung klargemacht werden, welche ohne Ge-
räuschbildung artikuliert werden und so eng, dafs wir sie von den Vo-
kalen entschieden trennen; ihnen fehlt der die /-Laute kennzeichnende
Mittelverschlufs. Derartige Laute sind die oben angeführten Vertreter
des /, ferner oft die Laute, welche für sonores j und w in Süddeutschland
gesprochen werden (nicht überall natürlich), ja das tv unserer Gegend,
das bilabial, ohne Geräusch und mit Mittelverschlufs der Lippen zustande
kommt, stellt sich zu den /-Lauten; der Klang ist freilich ein anderer.
Got. waürstw spreche ich mit diesem w, das hier an zweiter Stelle in
gleicher Art Silbenträger ist wie / im got. Akk. tweifl, in nhd. Zweifel.
Auch unsere ungeroUten Zungen- und Zäpfchen-r sind diesen Sonorlauten
mit engster Ausflufsöffnung anzureihen, wenn sie ohne Geräuschbildung
erzeugt werden. Der Stimmton kann bei einigen dieser Lautbildungen
fehlen. '
Die Aussprache der Vokale deckt sich in Tirol mit der vom Verfasser
ermittelten im wesentlichen, i und u sind wie o als Kürzen und Längen
* über derartige Bildungen im allgemeinen z, B. Sievera, Phonetik § 195 flf,
und 496 ff.
192 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
annähernd von gleicher Klangfarbe, ebenso die a, die hier unbefangen
mit der Klangfärbung des mundartlichen Umlauts-a gesprochen werden;
aber auch e und e unterscheiden sich in unserem Schriftdeutsch nicht
merklich, nur der Buchstabenzwang bringt öfters in Schulen für ä in
hätte, Käfer, Qläser einen sehr offenen e-Laut zutage. Der im Buche
festgelegte, in Niederösterreich vorhandene Unterschied zwischen offenem e,
das altes e, e vor /, r, h und e in Fremdwörtern vertritt, wird hier nicht
gemacht, trotzdem die Mundart es begünstigen würde, also gleiches e in
Reh, Mehl, säen, Bett, Parkett, Epos usw. Wir haben hier also die deut-
liche Tendenz, das Vokalsystem bei gut schriftdeutscher Aussprache zu
vereinheitlichen.
Der Verfasser hat mit dieser Arbeit einen neuen Weg betreten, um
unserer Schriftsprache als gesprochenes Gebilde zum Durchbruch zu ver-
helfen ; die Vereinheitlichung der donau- und alpenländischen Aussprache
des Deutschen wird sich im wesentlichen in den Bahnen bewegen, welche
im Buche nachgewiesen und angegeben sind. Es ist zu wünschen, dals
nicht nur andere Länder derartige Lautlehren erhalten, sondern dals auch
Luicks Buch in den Ländern, für welche es berechnet ist, von allen jenen
beachtet wird, welche sich mit dem Schriftdeutschen abzugeben haben;
es wird nicht in letzter Linie unseren Germanisten gute Dienste leisten.
Es wäre für den Verfasser ein schöner Lohn, wenn seine Aufstellungen
in der Weise illustriert würden, dafs für verschiedene Gebiete die übliche
Handhabung des Schriftdeutschen nachgewiesen würde.
Innsbruck. J. Schatz.
Wilh. Brückner, Der Helianddichter ein Laie. Wissenschaftliche
Beilage zum Bericht über das Gymnasium in Basel, Schuljahr 1903/04.
Basel, Friedrich Reinhardt (üniversitätsbuchdruckerei), 1904. 36 S. 4.
Wo und wie wir uns den Heiland entstanden zu denken haben, wer
der Verfasser gewesen, ob er als germanischer Volkssänger die Taten sei-
nes göttlichen Herrn besungen, ob er in der Mönchszelle mit Fleifs theo-
logische Autoren studiert, und welche besonderen Quellen er für seine
Dichtung ausgeschöpft habe — diese Fragen haben seit langer Zeit die
Gemüter beschäftigt und, trotz erfreulicher Klärung nach mancher Rich-
tung hin, noch immer keine definitiven, allgemein als richtig anerkannten
Beantwortungen gefunden. In dem vorliegenden wertvollen Beitrage zur
Quellenkunde des Heliand und zur Würdigung der Arbeitsweise des Dich-
ters knüpft Brückner an den bekannten Versuch Jostes' an, den Verfasser
des Heliand, im Widerspruch mit der vorherrschenden Ansicht, als Laien
zu erweisen {Z. f. d. Ä. 40, 341 ff.). An der Hand von sorgfältig gesam-
meltem Material beleuchtet er das Verhältnis der altsächsischen Dichtung
zu den Quellen und gelangt zu Resultaten, durch welche die Ansicht des
westfälischen Gelehrten gestützt, weitergeführt und teilweise modifi-
ziert wird.
Im ersten Teile seiner Arbeit behandelt Brückner die Stellung des
Dichters zur Hauptquelle, dem Tatian. Er deckt allerhand Mifsverständ-
uisse auf, Mangel an Übersicht über den Stoff, auffallende Abweichungen
von der Erzählung der Evangelien, Auslassungen, Zusätze, kurz derartige
absichtliche und unabsichtliche Veränderungen, die bei einem geistlichen
Verfasser undenkbar seien. Der Dichter habe offenbar nicht selbst den
Tatian in der Hand gehabt, sondern den ihm mündlich übermittelten hei-
ligen Stoff einfach aus dem Gedächtnis bearbeitet. Im zweiten Teile,
welcher des Plausibelu am meisten enthält, wird die Benutzung der Kom-
mentare erörtert. Windisch hatte in seiner trefflichen Schrift 'Der Heliand
und seifie Quellen' dargelegt, dafs neben dem Tatian auch Kommentare
Hrabans, ßedas und Alcuins herangezogen worden sind, während Grein
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 193
bald danach, die Benutzung Alcuins und Hrabans ablehnend, auf Beda
sowie auch Augustin, Hieronymus und Gregor hinwies. Andere entdeckten
andere Quellen zweiten Grades (z. B. Juvencus, Haimo von Halberstadt,
Paschasius Radbertus). Und wer weifs, was die Quellenjagd noch alles
zutage fördern wird. Mit Recht wendet sich nun Brückner gegen die
übliche Auffassung, speziell die Ansichten Schönbachs, Jellineks und Sie-
vers', betreffend den Einflufs der Kommentare und betont, dafs viele an-
geblich auf gelehrte Quellen zurückgehende Bemerkungen doch so einfach
und naheliegend seien, dafs der Dichter sehr wohl von selbst darauf ge-
kommen sein könne, während man in vielen Fällen über unsichere Ver-
mutungen nicht hinauskomme. Fast die Hälfte der in Sievers' Ausgabe
angeführten Verweise auf Hraban, Beda, Alcuin könnten gestrichen wer-
den. Allerdings sei nicht zu leugnen, dafs manche Ausführung (nament-
lich erläuternder Art) auf gelehrten Quellen fufse, jedoch sei mit den letz-
teren in der Regel in sehr freier Weise geschaltet worden, so dafs sich
nicht nur kleinere Abweichungen, sondern sogar öfter Widersprüche her-
ausstellten. Beiläufig äufsert Brückner Zweifel über die Benutzung Al-
cuins, hält aber den Einflufs Haimos in der 44. Fitte für sicher, in der 42.
für nicht unwahrscheinlich.
Als Resultat ergibt sich dem Verfasser, dafs der Dichter des Heliand
ein der lateinischen Sprache unkundiger Laie gewesen sei, dem ein tüch-
tiger Geistlicher als Berater zur Seite gestanden habe. Es sei anzuneh-
men, dafs 'eine eigentliche Unterweisung des Dichters in der biblischen
Geschichte durch einen Geistlichen stattgefunden hat; partienweise wird
dieser den Stoff vorgetragen haben, manche Erzählung mag er seinem
Zuhörer schon gekürzt, manches weniger Wichtige oder schwer Verständ-
liche überhaupt nicht mitgeteilt haben. In Rede und Gegenrede mochten
dabei diejenigen Stellen, die einer weiteren Erläuterung bedürftig erschie-
nen, erörtert werden' (S. 34 f.). Dafs dem freien künstlerischen Schaffen
des Laiendichters eine nicht unerhebliche Rolle zuzuerkennen und dem-
nach der Wert des Heliand als Quelle deutscher Altertumskunde höher
zu bemessen sei, als gegenwärtig im allgemeinen angenommen werde, ist
eine willkommene Schlufsfolgerung, über die sich Vilmar gefreut haben
würde.
Die Untersuchung ist mit lobenswerter Gründlichkeit geführt worden
und wirft interessantes Licht auf gar manche Stellen der Dichtung. Und
doch ist es dem Verfasser meines Erachteus nicht gelungen, seine These
zu beweisen. Die Schlüsse sind oft nicht zwingend, die Erklärungen nicht
über jeden Zweifel erhaben. Z. B. wenn im Heliand öfter Tatsachen, die
in den Evangelien getrennt sind, vereinigt und dadurch wenigstens in
mehreren Fällen wirkliche Verbesserungen geschaffen worden sind, warum
soll man dem Dichter nicht zutrauen, dafs dies mit bewufster Absicht
geschehen sei? (Genau dasselbe wird in der ae. Genesis beobachtet,
8. Heinzes Dissertation S. 11 ff.) Dies dürfte überhaupt von manchem
gelten, was von mangelndem Verständnis oder ungenauer Erinnerung
zeugen soll. Sicher lag ja dem Dichter weniger an theologisch-philologischer
Geoauigkeit als daran, von seinen Sachsen verstanden zu werden — Laien
sowohl wie Geistlichen, vgl. Kauffmann, Z. f. d, P. 32, 517 — , und dies
erreichte er in wirksamster Weise durch Anpassung an die Vorstellungs-
kreise seiner Landsleute. Wenn also an Stelle des Namens 'Pharisäer'
allgemein gehaltene Ausdrücke wie oära Jucleon, nithfole Jydemw gesetzt
werden, wenn die Rats Versammlung der Priester und Pharisäer in eine
grofse Volksversammlung, meginthiodo gimang, verwandelt wird, so läfst
sich dies als eiue wohlerwogene, im Interesse der Zuhörer vorgenommene
Vereinfachung erklären. Auch mag hier an die schon von Jostes ange-
zogene (wenn auch für seine eigene Theorie verwertete) Rede des Haupt-
manns von Kapernaum, V. 2104 ff., erinnert werden, deren vom Bibeltext
Archiv f. n. Sprachen, CXIV. 13
194 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
abweichender Gedankengang offenbar durch Rücksichtnahme auf die den
Geistlichen (nach Jostes auch den 'gescheiteren' Laien) vertrauten Worte
der Liturgie: Domine, non sum dignus, ut intres sub tectum meum, sed
tantum die verbo, et sanabitur anima mea veranlafst wurde. Und warum
sollten gelegentliche Abweichungen von der Evangelienharmonie bei einem
Geistlichen undenkbar sein? Dals der sogenannte geistliche Berater , viel-
leicht zu den Kommentaren 'kleine Zusätze machte oder sich kleine Ände-
rungen erlaubte, wenn er dadurch den biblischen Vorgang dem Laien
deutlicher zu machen glaubte;', wird ja von Brückner selbst zugestanden.
Und was unvollkommene Auffassung des Schrifttextes und regelrechte
Schnitzer betrifft, wer steht uns denn dafür, dafs ein geistlicher Autor
jener Tage darüber erhaben war? Gibt es doch wohl im 20. Jahrhundert
manche Geistliche, die nicht ganz taktfest im Kirchenlatein sind, vom
Griechischen und Hebräischen ganz zu schweigen.
Nichts ist ferner zugunsten der Laien theorie daraus zu folgern, dafs
der Dichter 'die Verstechnik und den Stil des altgermanischen Epos in
hohem Grade beherrscht'. Sollen wir etwa annehmen, dafs die altenghschen
geistlichen Dichtungen, die den alten epischen Ton und Stil zum Teil
ganz vortrefflich bewahrt haben, sämtlich von Laien, von 'Volkssängern'
herrühren? Es ist a priori ganz und gar unwahrscheinlich, dafs ein Laie
solch ein Evangeliengedicht verfafst hätte. Wie wäre er überhaupt darauf
gekommen ?
Freilich die Praefatio ! Nun wohl, die Praefatio ist nicht einfach aus
der Luft gegriffen, aber die (mündlicher Tradition entnommenen [Win-
disch]) Angaben derselben sind in der Tat zu unbestimmt und zu wenig
verläfslich, um in der Frage nach dem Stande des Verfassers erheblich ins
Gewicht zu fallen. Eine vorurteilslose Betrachtung des Gedichtes selbst
aber kann, wie mir scheint, zu keiner anderen Ansicht führen als der,
welche Sievers in seiner Ausgabe (S. XLIII) klar und präzis ausgesprochen
hat. Mit Kompromifsversuchen wie denen Jostes' und Brückners ist uns
nicht geholfen. Wozu, so fragt man sich vergeblich, diese Dualität von
Dichter und theologischem Beirat? Ein Geistlicher mit poetischem Talent,
der dem Laienvolke nicht entfremdet war und sich ein warmes mensch-
liches Herz 'unter der Kutte' bewahrte (vgl. z. B. V. 878 ff., 736 ff., 2183 ff.,
2205 ff.) — eine solche Persönlichkeit gehört doch nicht zu den Unmög-
lichkeiten. Und genau diese Vorstellung müssen wir uns von dem Dichter
des Heliand machen.
Am Schlufs der Abhandlung wird noch ein schüchterner Versuch ge-
macht, den sprachlichen Mischcharakter des Gedichtes wenigstens zum
Teil zu erklären. Wahrscheinlich würden die betreffenden Bemerkungen
etwas anders ausgefallen sein, wenn der Verfasser den Aufsatz von Collitz
'The Home of the Heliand' {Publ. Mod. Lang. Ässoc. IG, 128 ff.) beachtet
hätte.
University of Minnesota. Fr. Klaeber.
Woemer, Fausts Ende. Akademische Antrittsrede. 2. Auflage. Frei-
burg i. B., Troemers Universitätsbuchhdlg., 1904. 28 S. 8.
Woerners gedankenreiches Schriftchen ist in seiner ersten Auflage
(1901) an dieser Stelle nicht besprochen worden, und so sei jetzt darauf
hingewiesen. Wie in meiner ausführlicheren Besprechung {Literaturbl. /.
german. u. roman. Philol. 1902, Sp. 281 ff.) stehe ich zu Woemer in der
Bekämpfung jener 'neuen Fausterklärung' Türcks, wonach Faust, von der
Sorge geblendet, als Philister enden soll. Die Bedeutung von 'Furcht und
Hoffnung', insbesondere in der Elefantengruppe des II. Teils, hat mir,
wie ich hier (gegenüber Ldt. Zentralbl. 1904, 1789 f.) nur versichern kann,
von jeher festgestanden, doch danke ich Türck, wie ich ausdrücklich au-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 195
erkenne, die genauere Begründung dieser Deutung, insonderheit durch
den Hinweis auf Spinoza. Die Leser meiner 'Vorträge über Ooethes Faust'
(1903) ausdrücklich auf Türcks Schriften zu verweisen, hatte ich nach der
Anlage meines Buches (s. Vorwort) um so weniger zwingenden Anlafs, als
ich mich eben in der Hauptsache, in der Auslegung der die Entwicke-
lung krönenden Todesszene, nicht mit ihm einyerstanden fühle. Woemer
gegenüber muls ich daran festhalten, dafs ich in Fausts Verhalten gegen-
über Philemon und Baucis keine Heuchelei, sondern ein letztes Auf-
flackern egoistischer Leidenschaftlichkeit sehe, deren Folgen ihm, dem
Geblendeten, den inneren Blick für die Verkettung von Handlung und
Schicksal schärfen.
Heidelberg. Robert Petsch.
M. SchiaD, Der deutsche Roman seit Goethe. Skizzen und Streif-
lichter. Görlitz, R. Dülfer, 1904. 23G S. M. 4.
Zu Vorträgen für ein gemischtes Publikum sind diese ruhig gehaltenen
Skizzen wohl geeignet; eine Notwendigkeit, sie in Buchform herauszugeben,
lag nicht vor. Neues bieten sie nirgends; denn den Satz, dafs 'das Gesetz
iler Wirklichkeit überall im deutschen Roman des 19. Jahrhunderts re-
giert', wenn auch in vielen Formen (S. 280), wird der Verfasser selbst
kaum dafür halten. Will man das Buch, das sich übrigens von seinen
Autoritäten Koch und Bartels recht selbständig hält, nicht umsonst
gelesen haben, so mufs man ihm symptomatische Züge abzugewinnen
suchen. Dahin gehört denn, dafs der geistliche Autor sich ziemlich ent-
schieden von der Romantik abwendet; dafs ihm Gustav Freytag der eigent-
liche Heros des deutschen Romans und 'Ekkehard' ihm wertvoller ist al«
der 'Grüne Heinrich'; endlich allgemein: dafs auch heute noch der Satz
besonders verfochten werden mufs, nicht Wieland habe den deutschen
Roman geschaffen, sondern Goethe.
Berlin. R. M. M.
B. LitzmaDD; Goethes Faust. Eine Einführung. Berlin, FleischelÄ Co.,
1904. 400 S.
Nachdem Litzmann eine 'künstlerische Auslegung' von Goethes Lyrik
gegeben, meint er nun auch den 'Faust' dem deutschen Volke wieder
erobern zu sollen. Seit rund dreifsig Jahren (S. 1 f.) schwebte ihm als ein
Lieblingsgedanke ein grofses, tief angelegtes Werk über ihn vor. Doch
verstand er, der Versuchung Widerstand zu leisten. Keine Zeile hat in
diesem IVlenschenalter für Litzmanns Beschäftigung mit dem 'Faust' Zeug-
nis abgelegt; und was jetzt erscheint, läfst die Frage nur erneuern: warum
er denn eigentlich trotz jener frühen Liebe sich nur so obenhin mit dem
tiefsinnigsten unserer Meisterwerke befafsthabe? Weshalb hat er schliefs-
lich die Intimität dieser Gymnasiastenliebe der schnöden Welt geopfert?
Er gesteht es: Jetzt ist die Gefahr vorhanden, der 'Faust' könne durch
die Gleichgültigkeit der Lebenden für die künftige Generation verloren
gehen (S. 4). Da springt Litzmann kühn in die Lücke, und er rettet den
'Faust' für die deutsche Nation. Nicht durch einen Kommentar 'nach be-
rüchtigten Mustern' (S. 2) ; er hat für die 'neuere Faustforschung' (S. 34)
und gar die 'Faustphilologie' (S. 07 Anm.) nur Hohn. Von der Unfähig-
keit der früheren Ausleger und Herausgeber fS. 202) spricht er mit dem-
selben Hochmut und fast mit denselben Worten (S. 304) wie in der 'Lyrik'.
Er gibt offenbar etwas durchaus anderes. Aber was? Eine exegetische
Paraphrase (S. '2). Nun, das hat auch v. Kupffer schon getan. Ja;
aber L. tut es mit seitenlangen Zitaten (S. 281. 294 f. 302. 307. 312. 315 f.
319 1 324 f. 374 f. usw.), die namentlich gegen Schlufs eigene Gedanken
13*
196 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
immer entbehrlicher erscheinen lassen. Femer druckt er Hauptstellen
(z. B. S. 130. 3ö3 f.) in Sperrdruck ab. Hierin mufs wohl das wirksame
Element gesucht werden. Denn im Inhalt steckt es nicht.
Kein tiefes Problem wird ernstlich angerührt; nur über die Erdgeist-
frage werden (S. 134. 149 f.) wenigstens Hypothesen mitgeteilt. Denn natür-
lich macht es hier L. gerade wie es H. Grimm, nur etwas geistvoller
in seinem 'Homer' machte: alle Philologie wehrt er ab, aber wo es be-
quem ist, arbeitet er selbst mit Interpolationen, Verschiebungen und Da-
tierungen (S. lt>9. 185. 200. '239. 248 f. 348 f.). Freilich schwimmen diese
Datierungsversuche (S. 213. 223) und Erörterungen der Paralipomena u. dgl.
recht seltsam in dem breiten Gewoge gefühlvoller Textumschreibungen.
Das Publikum, dem diese Mädchenschulvorträge Neues bieten, würde ver-
mutlich lieber etwas über das Spalten von weichem Holz (S. 115), eine
Auslegung der Hexenküche (S. 221 ; der Eaum fehlt, weil so viel sonst
nicht zu erlangende Verse aus dem 'Faust' abgedruckt werden mulsten) oder
über die Lautmalerei mitgeteilter Verse (S. 335) hören. Doch der ernstere
Leser, den es befremdet, was alles L. von der vielgescholtenen 'Faustphilo-
logie' nicht gelernt hat — er wiederholt sogar noch das alte Mifsver-
ständnis der Worte 'Geniefsen macht gemein' (§. 379) — , freut sich, einige
solche Ansätze zu eigener Gedankenarbeit zu bemerken. Er verzeichnet
sie sorgfältig: eine viel zu ausführliche, aber geschickte Charakteristik der
Faustbücher (S. 23 f.), Gedanken über die Anordnung in den Schriften
(S. lOö), eine gewandte Einführung des Teufels (S. 123 f.); schliefslich
zwei Punkte, auf die L. grolses Gewicht legt: mit der 'Helena' trete an
die Stelle des Einzelschicksals ein Menschheitserlebnis (S. 358. 3ö3. 398),
und Philemons Ende wirke umgekehrt auf Faust als ein 'einzelnes Men-
schenschicksal' (S. 391). Beides scheint mir grundfalsch, vor allem das
zweite ; aber es sind doch Anregungen. Sonst aber — welche Leere 1 wel-
ches Ausstopfen mit Deklamation!
Wenn Minor in seinem Kommentar fortwährend auf die Philologen
des 19. Jahrhunderts stichelte, hat das mit Recht geärgert; immerhin,
sagte man sich, er bringt doch allerlei, worauf er sich was zugute tun
mag. Hier mufs man, wieder wie bei der 'Lyrik', fragen : was hat L. ge-
leistet, um auf die 'berüchtigten Muster' so herabblicken zu dürfen? Aus
Loeper und Düntzer, aus Minor und Kuno Fischer, aus Bayard
Taylor und Calvin Thomas hat der Verfasser dieser Einführung noch
recht viel zu lernen. Für ihn aber existiert nur Erich Schmidt, den
er (S. 67. 78. 82. 87. 95 u. ö.) mit auffallender Absichtlichkeit nennt, wäh-
rend von neueren Faustforschern nur noch J. Colli n (S. 141. 145) und
G. Witkowski (S. 229) für ihn geschrieben haben. Und Erich
Schmidt sucht er nun (S. 67 Anm.) zu seinem Schutzpatron im Kampf
gegen die Vertiefung zu machen ! einen Forscher, dessen Faustkommentare
so viel neue Probleme aufgeschlossen und abgeschlossen haben! einen
Mann, dessen berechtigte Abwehr gewisser Übertreibungen der philo-
logischen Manier gerade deren Oberflächlichkeit blolslegten!
Hiergegen vor allem muls denn doch Protest eingelegt werden. Ist
der 'Faust' in Gefahr, verloren zu gehen, so gibt es zwei Wege, ihn zu
retten. Man schaffe ihn, von dem Fertigen ausgehend, künstlerisch nach,
auf der Bühne, im Bildwerk, in der literarhistorischen Darstellung; oder,
vom Keim ausgehend, wissenschaftlich, in philologischer Einzelforschung.
Beides ist längst im Werke und das zweite vor allem. Oberflächlich-
keit aber als Rettungsmittel zu preisen und die besten Namen zum Deck-
mittel solcher Art zu verwenden — dafür müssen wir danken; da ballen
wir zornig die 'Auslegerfäuste'. In Frankreich war früher solches Auf-
weichen ernster Probleme in gefühlvollen Phrasen beliebt; man hat es
dort verlernt — soll es jetzt uns als Heilmittel für die Jugend ge-
predigt werden? Mit seinem überheblichen Ton; mit der Darstellun^s-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 197
art, die Ältestes (wie etwa die Benutzung des Buches Hiob S. 121) so
hinstellt, dafs der Unkundige den Verfasser für den Entdecker halten
mufs; mit seinem Ausweichen vor jeder Schwierigkeit mufs dies Buch
geradezu verderblich wirken. Redeblüten vom vorigen fin de sifecle (S. 52)
und die Vorstellung, jahrhundertelang habe vor Rousseau die demokra-
tische Gleichmacherei und der Rationalismus regiert (S. 9), kommen da-
gegen gar nicht einmal in Betracht.
Wir glauben nicht an die Gefahr für den 'Faust'. Besteht sie aber,
so eigne ich wenigstens mir Thodes kräftiges Wort über die 'Wieder-
herstellung' der Heidelberger Schlofsruinen an : Wenn sie nur so zu retten
sind, sollen sie lieber untergehen.
Berlin. Richard M. Meyer.
li. Herrig: British classical authors with biographical notices. On
the basis of a selection by L. Herrig edited by Max Förster. 86*''
edition. Braunschweig, George Westermann, 1905. XX, 760 u. 48 S.
gr. 8.
Vierundfunfzig Jahre sich in der Gunst des Publikums zu erhalten,
ist viel für ein Buch, das zur Klasse der belehrenden gehört; und in die-
sen 51 Jahren 85 Auflagen zu erleben, das wiegt noch viel schwerer. Un-
berechenbar ist, wieviel der alte Herrig zur Einführung deutscher Leser
in englische Sprache und Literatur geleistet hat; keine Konkurrenz wurde
an ihn heranreichen. Übrigens hat er sich in dieser langen Zeit nicht
starr gezeigt, hat sich einigermalsen entwicklungsfähig erwiesen; es ist
nach und nach mancherlei daran gebessert oder geändert worden. Aber
nun wurde doch das Bedürfnis einer tiefergreifenden Veränderung gefühlt,
die Verlagshandlung hat sich nicht ablehnend verhalten, und sie hat das
Glück gehabt, Professor Max] Förster von der Würzburger Universität für
die Aufgabe dieser Erneuerung zu gewinnen. Vor allem bedurfte es einer
Weiterführung bis auf die Gegenwart, einer Vertretung der bedeutendsten
literarischen Namen aus den letzten fünfzig Jahren. Und dafe, um für
sie Raum zu gewinnen, eine Anzahl der früheren Stücke sich ausmustern
und ausscheiden liefse, war leicht anzunehmen; verhältnismäfsig Minder-
wertiges oder minder Wichtiges kann doch in einer solchen Sammlung
nicht fehlen. Eine besonders grolse Arbeit brauchte die ganze Neuge-
staltung nicht zu bedeuten. Aber M. Förster hat sich nicht mit dem in
diesem Sinne Nötigen begnügt. Wenn man näher zusieht, was mit der
neuen Bearbeitung wirklich 'gegeben wird, und berechnet, wieviel Mühe
dazu hat aufgewandt werden müssen, so kommt ein höchst respektables
Etwas heraus, ja ein schwerwiegendes Vielerlei. In Wahrheit ist schon,
was die Auswahl der Textstücke betrifft, geradezu; ein neues Buch ent-
standen. Nur ein kleiner Bruchteil der alten Stücke ist geblieben; gegen
ein halbes Hundert neuer Autornamen sind vertreten, und die verbliebene
Gruppe hat sich eine Art von Kleiderwechsel gefallen lassen müssen: es
sind auch für sie fast überall neue Textstücke gewählt worden. Fast ist
nur der Name Herrig geblieben, und auch dieser scheint im Titel nur
noch mit durch.
Man wird über die Notwendigkeit einer so weit gehenden Erneuerung,
eines so strengen Gerichts verschiedener Meinung sein; man könnte viel-
leicht wegen jeder einzelnen Aus- und Einschaltung mit dem Herausgeber
diskutieren, und oft wird man sich wohl alsbald überzeugen lassen, wahr-
scheinlich aber nicht ganz selten auch keineswegs. Doch viel Zweck hätte
das ja nicht, die neue Auswahl ist getroffen, und sie darf an sich, so wie
sie da ist, Wohlgefallen erwecken. Hat doch auch der Herausgeber seine
Grundsätze für Wahl, Abgrenzung und Zusammenstellung in der Vorrede
klar entwickelt. Bedeutende literarische Erzeugnisse sollten es sein, wert
198 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
in den Mittelpunkt des Sprachunterriclits gerückt zu werden, tauglich zur
Bildung von Geist und Gemüt; dabei sollten auch die erhöhten Anforde-
rungen der modernen Literaturbetrachtung nicht unerfüllt bleiben, und
es sollte die im Laufe der Zeit veränderte Bewertung mancher literarischen
Erscheinungen berücksichtigt werdeii. Zur Anschauung kommen sollten
die Hauptströmungen der englischen Literatur, in ihren charakteristischen
Vertretern und in ihren vollendetsten Schöpfungen. Auch zur Gesamt-
kultur des modernen England sollte Bezug genommen werden, und ebenso
sollten die Beziehungen zur heimischen Literatur mitsprechen. Dem
19. Jahrhundert mufste der breiteste Eaum (mehr als die Hälfte des Ge-
samtumfangs) zugestanden werden. Die biographischen Vorbemerkungen
zu den Textstücken der einzelnen Autoren wurden nicht etwa blofs er-
gänzt oder sonst im einzelnen abgeändert, sondern vollständig neu ent-
worfen und ausführlicher gestaltet als ehedem. Die von Herr ig in einigen
Fällen (bei Shakespeare, Sheridan, Marryat, Dickens) aufgenommenen
vollständigen Einzelwerke wurden ausgeschlossen, offenbar auch in dem
Gedanken, dafs Lektüre ganzer Werke ohnehin neben derjenigen der
Chrestomathie hergehen müsse. Vor schwierigen Texten ist nicht zurück-
geschreckt, weil energische geistige Bemühung nicht erspart werden soll,
namentlich nicht, wenn es sich um Schüler oberer Realklassen handelt,
denen die neusprachliche Lektüre Ersatz für altklassische und besonders
für griechische werden soll. Um das Buch recht brauchbar zu machen,
ist dann zunächst ein Glossar beigefügt: hier werden alle die in den
Texten vorkommenden Wörter erklärt, welche in den gebräuchlichsten
frofsen Wörterbüchern entweder überhaupt nicht verzeichnet sind oder
em Herausgeber doch nicht., genügend erklärt erschienen ; und es ist
deren, da Mundartliches und Älteres neben sonst Seltenem berücksichtigt
werden mufste, eine sehr erhebliche Zahl zusammengekommen; die Deu-
tungen sind kurz und treffend, Aussprachebezeichnung fehlt nicht. Sehr
willkommen mufs auch das ferner angefügte Pronouncing glossary of pro-
per names heifsen : bleibt man hier doch leicht an vielen Punkten in einer
unangenehmen Unsicherheit. Von kleineren weiteren Beigaben seien noch
die Karten von England, Schottland und Irland erwähnt, gewissermafsen
literarhistorische Karten. Dazu nun kommt eine vortreffliche Druckaus-
stattung, wie sie eben Vernunft und Hygiene erfordern und wie sie dem
alten Buche gänzlich fehlte. Ebenso wird das im ganzen freilich sehr
starke Buch handlich, da es ebensowohl wie in einem Gesamtband auch
in zwei Sonderbänden zu haben ist, und man mufs es dankbar anerkennen,
dafs alsdann die vorerwähnten Beigaben jedem der zwei Sonderbände mit-
gegeben werden. Der Preis ist entschieden nicht hoch zu nennen.
Somit sei das Werk beim Antritt dieser neuen Lebenswanderung auf-
richtig bewillkommt. Ist es in Wirklichkeit ganz und gar nicht mehr der
alte Herrig, wir sehen es doch ungefähr so an wie das Kind die restau-
rierte Puppe, an der nun Kopf, Bekleidung, Hände und Füfse neu sind,
die aber aoch den Namen der vertrauten alten Puppe weiterführt und
als die alte empfunden und behandelt wird. Ganz so neu, wae die Vorrede
ausführt, ist der jetzige Bestand aber doch nicht. Sir Philip Sidney z. B.
oder Thomas Chatterton, ebenso Thackeray, fehlten auch früher nicht,
wenigstens nicht in der mir vorliegenden Ausgabe (sie scheinen also erst
allmählich ausgemerzt worden zu sein). Manches neu Aufgenommene
mufs man besonders begrüfsen: so Ben Jonsons Gedicht auf Shakespeare,
von Shakespeare selbst die kleine Reihe von Sonetten und aus seinen
Dramen die planvoll gewählten Proben seiner verschiedenen Schaffensart,
von den alten Balladen die Ckevy Chase, die von Robin Hood, von den
schottischen die Ballade Edivard, Edward, ebenso Thomas Rymer, auch
die Faustballade. Von Milton ist nun auch Gomus und Lycidas vertreten
und das Sonett auf seine Blindheit; aus Paradise.Lost ist eigentümlicher-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 199
weise das zweifellos Grofsartigste, nämlich die Schilderung Satans und
der Holle in den ersten Gesängen, kaum herbeigezogen, und das unver-
gleichlich Liebliche, die Schilderung des paradiesischen Zusammenlebens
des Menschenpaares, noch weniger: statt dessen wesentlich nur der Ver-
lauf der Versuchung und Verführung in Buch IX, was poetisch durchaus
nicht zum Höchsten gehört. Neu sind Walton und Butler, ebenso Richard-
son mit einem Stuck aus Clarissa. Bei Thomson sind nun Proben aus
allen vier Jahreszeiten gegeben, bei Walter Scott auch Bruchstücke aus
seinen Eomanen; bei Byron sind auch Manfred und Don Juan herbei-
gezogen, und gewisse beliebte Bruchstücke aus Childe Harold haben leider
weichen müssen ; von seinen gröfseren erzählenden Gedichten findet sich
nichts mehr, aber auch von kleineren Sachen nicht das bekannte Fare
thee well, and if for eier etc. Shelley ist reichlicher vertreten als früher,
Keats in ansehnlicher Breite, Carlyle mit Stücken aus Sartor Fesarttis
und aus Frederick the Qreat und mit dem berühmten Brief über den
deutsch-französischen Krieg, Dickens mit Bruchstücken aus Pickwick und
David Copperfield, Thackeray mit solchen aus Vanity Fair und The New-
comes, Thomas Hoods Song of the shirt wird nicht länger vermifst und
ebensowenig E. A. Poes Raren; Tennyson erscheint nun mit Abschnitten
aus den Idylls und mit Gedichten aus In Memoriam. Ganz verändert ist
die Auswahl auch bei Macaulay, und seine virtuose Kunst der Schilde-
rung politischer Zustände ebenso wie diejenige eigentümlicher Persönlich-
keiten dürfte jetzt weniger zur Anschauung kommen als früher. Einer
strengen Kontrolle hat sich ferner Thomas Moore unterziehen müssen, und
die vertrauten evening bells erklingen nicht mehr.
Unter den zahlreichen ^anz ausgemusterten Autoren vermifst wahr-
scheinlich nicht jeder, aber doch wohl mancher oder manche (und m. E.
nicht mit Unrecnt) die zarte Dichterin Felicia Hemans. Aufserdem ge-
hören zu diesen refuses u. a. Sir Walter Raleigh, die Lady Montague,
.Tunius, Sheridan und Bulwer, und von den grofsen Rednern, die für den
Ruhm englischer Geisteskultur so viel bedeuten, ist eigentlich nichts ge-
blieben : die prachtvolle kurze Rede des älteren Pitt On American affairs
aus 1778 fehlt, und ebenso weiterhin der jüngere Pitt, Fox, Cannin^, Sir
Robert Peel! Hier scheint doch der spezifisch literarhistorische Gesichts-
punkt über den pädagogischen den Sieg davongetragen zu haben: denn
von 'pädagogisch' darf man doch wohl sprechen, da der Herausgeber sich
ausdrücklich Schüler höherer Schulen als die normalen Leser denkt.
Denen gegenüber ist nun die Vermittelung zwischen literarhistorischem,
kulturhistorischem und ethischem Gesichtspunkt gar nicht so einfach.
Zur Charakterbildung vermögen manche Geistesproaukte vorzügliche An-
regung zu geben, die unter dem rein literarischen Gesichtspunkt etwas
zurückstehen. Die besten Redner mit ihren besten Reden gehören sicher
hierher. Oder hätte man anzunehmen, dafs diese Reden eine besondere
Schullektüre aufserdem bildeten ? Das ist nicht ganz ausgeschlossen, aber
doch sehr schwer einzurichten : denn in ihrer Vollständigkeit sind sie
meist doch dem Schülergeist nicht recht zugänglich, da zu viel politische
Erläuterung nötig würde. Ich würde auch den schlichten, aber doch in
seiner Einfachheit grolsartigen Benjamin Franklin auszuschliefsen nicht
das Herz gehabt haben. Ganz erwünscht kann es wohl nicht heifsen, dafs
die vor kaum zwei Jahren erschienene Neubearbeitung des französischen
Herrig (eigentlich Herrig-Burguy, La France litterairi) durch Fr. Tende-
riug, also einen Schulmann, sich von dem Original gerade in entgegen-
gesetzter Linie entfernt wie die vorliegende englische: dort nämlich findet
man ausdrücklich mehrere vollständige Dichtungen eingefügt an Stelle
vieler kürzerer Proben, dazu ganz knappe biographische Notizen, und im
übrigen bei der Auswahl mehrfach unverkennbar pädagogische Rücksichten
— die nicht etwa gleichbedeutend sind mit pedantißch-moralischer Tendenz!
200 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
So dürfte denn immerhin der Leserkreis der beiden Sammlungen
einigermafsen auseinandergehen. Auf Schuler mufs derselbe ja überhaupt
keineswegs beschränkt sein. Viele Schulen bedienen sich überhaupt keiner
Chrestomathie, und die Gesichtspunkte für die Ablehnung sind bekannt.
Anderseits versäumen die Studenten der neueren Philologie viel zu sehr,
sich mit einem solchen Buche allmählich und in Nebenstunden des stren-
geren Studiums vertraut zu machen. In Wirklichkeit dürfte ein Buch
wie der neue Herrig -Förster auf dem Tische keines Studierenden dieses
Faches fehlen. Dadurch, dafs nun eine ganze Reihe von hochstehenden
oder wenigstens allbekannten Schriftstellern der Neuzeit und Gegenwart
hinzugekommen ist (es seien nur Ch. Kingsley und George Eliot, Eobert
und Elizabeth Browning, Matthew Arnold, John Stuart Mill und Darwin
und Huxley, Ruskin und Emerson, Rossetti, Morris, Swinburne, Meredith,
Stevenson genannt), ist die Chrestomathie für uns alle aufserordentlich
viel schätzbarer geworden, und den überschätzten Kipling wie den krassen
ßret Harte lassen wir uns durchaus mit gefallen, ebenso wie Mark Twain
und Walt Whitman mit zum Bilde gehören, um von anderen zu schweigen
— und um hiermit überhaupt endlich zu schweigen! Ist unsere Be-
sprechung schon zu gesprächig ausgefallen, so sei hiermit um Entschuldi-
gung gebeten. Jedenfalls sollte damit, wenn auch eine Anzahl Fragen
oder Zweifel auftauchten, im ganzen der höchst sorgfältigen und umfas-
senden Bemühung Försters Dank abgestattet werden, und bei diesem Danke
sei auch seiner stillen (übrigens in der Vorrede genannten) Helfer oder
Mitberater gedacht.
Berlin. W. Münch.
C. H. Firth, A plea for the historical traiaing of history. In-
augural lecture delivered on November 9, 1904. Oxford, Clarendon
Press, 1904. 30 p. l sh. net.
Was im historischen Studium zu Oxford vorgeht, wo die gröfsten
englischen Geschichtsforscher der letzten Generation gewirkt haben, ist
auch für den Anglisten von Interesse. Der Regius Professor of Modern
History entwirft hier ein kurzes, aber lebendiges Bild. Jeder Gedanke an
Lob oder Tadel einer Persönlichkeit ist ausgeschlossen ; nur die sachlichen
Richtungen werden geschildert. Wir sehen, welche Hoffnungen sich an die
Berufung eines Professors knüpfen, der neuenglische Literaturgeschichte
betreibt, und an Baits Angebot einer Professur für Kolonialgeschichtc.
Wir erfahren, dafs 450—500 Studierende der Geschichte dasind, aber vor
lauter Arbeit für die allgemeinen Prüfungen fast zu keiner wissenschaft-
lichen Forschung, speziell auf neuerem Gebiete, kommen. Ein degree of
Bachelor of Letters ist eingerichtet worden, dem Kandidaten wird a course
of special study in research geboten samt einem Diplom, wenn er solche
Spezialarbeit getan hat; die Masse der Studentenschaft jedoch bereitet
sich nach wie vor zu den Prüfungsessays vor, durch die zwar nützliche
Journalisten, Politiker und Beamte herangezogen werden, aber keine
Historiker. Indem Firth die Vorteile dieses Betriebes mit konservativem
Sinne vollauf würdigt, ist doch seine Rede ein starker Ruf nach wissen-
schaftlicher Spezialisierung, nach gründlicher Einzelforschung, nach Mono-
graphien über begrenzte Perioden und Begebenheiten. Das ist zu fordern
im Interesse der Wahrheit; 'the time has gone by when one man coiild sit
doivn in his study and undertake to write a continuous history of England
or France; we must ßrst make the foundations störe'; beim gegenwärtigen
System wächst uns allen das ungesichtete Material über den Kopf. In
England the publication of materials has outstepped the capacity of our
historical worlmen to utilixe them. Es ist aber auch zu fordern im Inter-
crse der höhcrstrebenden Studierenden. Das jetzige utilitarische System
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 201
does extremeJy Utile for the exceptional man tvho tvishes to study history for
its otcn sake. Firth beklagt es mit den Worten von Williarn Stubbs,
'Oxford, greatest historian', dafs the historical teaching of history has been
partially left out, in favour of the class-getting system of training (1883).
Um eine Wendung zum Besseren herbeizuführen, bietet er einer Auslese
seiner Hörer ein Seminar an oder, wie er es umschreibt, 'a small class
for the critical study of one particular authority'. Er hofft, dafs einige
der Seminaristen es zu einer 'dissertation for the degree of Bachelor of Lei-
ters' bringen werden. Er empfiehlt ihnen, solche Konzentrierung nicht
für Engherzigkeit zu halten : 'the unity of history is not only in its conti-
nuity, but in its integrity.' Endlich mahnt er sie, das Studium der Hilfs-
wissenschaften, der schönen Literatur, der Rechts- und Wirtschafts-
geschichte innerhalb der selbstgewählten Arbeitsperiode mit zu betreiben.
Nicht jeder könne zu solchem Zwecke nach Paris oder Deutschland gehen ;
Oxford müsse gleiches ermöglichen. — Wir wünschen diesen erleuchteten
Bemühungen des Prof. Firth kräftigen und dauernden Erfolg!
Berlin. A. B ran dl.
Color-names and their congeners. A semasiological investigation by
Francis A. Wood. Halle a. S., Max Niemeyer, 1902. Ul S.
Seit einer Reihe von Jahren hat sich Dr. Wood auf dem Gebiete der
indogermanischen, speziell der germanischen Wortforschung hervorgetan
und eine erstaunliche Fruchtbarkeit im Etymologisieren entfaltet. Zahl-
reiche Arbeiten, welche in amerikanischen und deutschen Zeitschriften
(Am. Jour. Phil., Mod. Lang. Notes, Publ. Mod. Lang. Ass., Jour. 0er. Phil.,
Am. Germ., P. B. Beitr., Indog. Forsch.) veröffentlicht wurden, haben sein
durch gediegene Kenntnisse unterstütztes Talent nach dieser Richtung
hin bewiesen. Insbesondere hat Wood mit Eifer und Geschick die sema-
siologische Seite der Untersuchung betont. Das Studium der lautlichen
Verhältnisse ist selbstverständlich die unerläfsliche Grundlage für die
Wortforschung. Aber eine ebenso unabweisliche Forderung ist die be-
deutungsgeschichtliche Behandlung. 'The fact is, it is the common idea
not the common form that is the important dement of a group of words.
For it is only where we can trace a group of words to their primary
meaning that we really know anything about those words. To study the
outward form, the phonetic changes, is necessary in all word-study. But
after all the main thing is to know the real life-history of the idea in
the Word' (S. 7 f ). Wie man also nach bekannter Methode die Urform
der Worte erschliefst, so soll man danach streben, durch vergleichende
Betrachtung der historisch erwiesenen Bedeutungen zu der Urbedeutung
vorzudringen. Und zwar wird sich dieselbe in der Regel als ein Begriff
der Bewegung herausstellen. Von diesem Gesichtspunkte aus untersuchte
Wood schon früher (die Arbeit Bechtels wieder aufnehmend) *The Sema-
siology of words for "smell" and "see"' (Publ. Mod. Lang. Ass. 14, 299 — 846),'
sowie *The Semasiology of understand, verstehen, iTciorauai ; guess, think,
mean' (Mod. Lang. Notes 14, 257 ff., 15, 27 ff.) und 'Some derived mean-
ings' (Mod. Lang. Notes 16, 16 ff., 19, 1 ff.). Ein etwas ausgedehnteres
Gebiet, das der Farbennameii, hat nunmehr eine eingehende Behandlung
in gleichem Sinne erfahren. Über die Bedeutungsentwickelung dieser Wort-
klasse im allgemeinen äufsert sich der Verfasser (S. 9) wie folgt: 'Now
in discussing color-names we must bear in mind that they are necessarily
secondary. For, being descriptive terms, there was a time when there
'' * In demselben Jahre erschien A. Rittershaus, Die Ausdrücke für Gesichts-
empßndungen in [den alt germanischen Dialekten. I. Teil. Dissertation, Ztirich 1899.
202 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
were no color-names as such. That is, there was a time, and that not
very remote, when the present color-names were terms that could be used
in describing quite different qualities. This earliest stage can be seen at
all periods, for color-words are continually arising. It is represented in
English by such terms as '*§ay, lively, smart, dashy, loud, gaudy; dull,
dead, dreary; tarnished, stained, spotted, dirty, smeared; faint, faded,
feeble", etc. From such and similar terms come color-names as such.
This happens because a Community describes a certain color by a certain
term and by association the term comes to denote that color. Different
communities, however, may use the same term differently. Thus by asso-
ciation "smeared" may mean to one "dirty, dark-colored", to another "oily,
shiny, bright".'
Eine ganze Reihe von Gruppen wird behandelt: Words for *burn,
blaze, glitter, shine'; *grow' : *glow' ('green' : 'bright'); 'separate, distinct' :
'clear, bright'; *dip' : 'dye'; 'covering' : 'color', 'covered' : 'dark'; 'marked' :
'colored' ('A large class of color-names is composed of words meaning
primarily "cut, scratched, marked, rubbed, smeared, dotted", and the like.
Here may be found a large variety of colors from "bright" to "dark".
For the same word may mean "white" or "black" according to the basis
of comparison') ; 'changing' : 'variegated'; 'dripping, misty' : 'dark'; 'dis-
appear' : 'clear up' : 'fade, get dark' ('The starting point of a large number
of color-words is "flow, flow out; vanish, disappear; fall away, dwindle"
and the like. This gives 1. "clear up" or 2. "fade". From 1. develops
"clear, serene, bright"; from 2. "pale, sallow, livid, dark-colored" ') ; 'move
rapidly' : 'rattle, resound', usw.
Die Zusammenstellungen sind natürlich äufserst interessant und bieten
sehr reiches semasiologisches Material. Vieles muls man freilich dahin-
gestellt sein lassen. Über manche der vielverzweigten Wurzeln (deren Er-
schliefsung nach den von Wood im Jour. 0er. Phil. 1, 280 ff., 142 ff. dar-
gelegten Prinzipien erfolgt ist) werden weniger kühn veranlagte Leser den
Kopf schütteln, ü. a. dürfte spontane Wortschöpfung ('root-creation')
doch wohl eine gröfsere Rolle spielen als ihr vom Verfasser zugewiesen
wird (vgl. Henry Bradleys treffliche Bemerkungen in ^The Making of Eng-
lish' S. 154 ff.). ' ^
Dafs ae. sengan (engl, singe) nicht als Faktitivum zu singan zu fassen
sei, sondern eine in anderer Richtung verlaufene Bedeutungsentwickelung
derselben Wurzel darstelle {sengan : 'strike, touch' > 'strike fire, kindle',
cf. gr. anrco) av&Qay.es f]u/i.eiot; singan: 'strike, touch' > 'ring, resound,
sing', cf. gr. o«(^yy) (S. 62) ist eine bestechende Vermutung, bedurfte aber
erst noch beweiskräftigerer Stützen. Die Berechtigung der gänzlichen
Trennung von ae. sprecan und specan (S. 17) ist immer noch anzuzwei-
feln. Zu ae. culfre (S. 87) ist anzumerken, dafs Pogatscher vor einigen
Jahren einen beachtenswerten Versuch gemacht hat, die alte Etymologie
{cul(u)fre von lat. columha) zu retten mit Rücksicht auf ähnliche Fälle
des Lautüberganges mr > Tir (wie camera > cafor[tun]), s. Anglia-Beihlatt
10, 144. Der Zurückführung von giddy, ae. gydig sowohl als girl auf eine
Wurzel gheuo- 'move rapidly, whirl, turn' (S. 52) mag semasiologisch nichts
im Wege stehen ; indessen was wäre gegen die Ableitung von ae. gidig,
'gydig von god ('possessed by a god', svd'8oe, Bradley) einzuwenden ?
S. NED. Ebenda äufsert sich Bradley auch sehr viel vorsichtiger über
girl. Ae. hrypig 'in ruins' (S. 59, 116) ist wahrscheinlich ein falsch er-
schlossener Ansatz; 1. vielmehr hryäig ^==^ hriäig 'snow-covered' (Strunk,
Mod. Lang. Notes 18, 72 f.). Statt ae. wlanea (S. 1*2) ist wlane zu lesen,
statt swmp (S. 32) swcBp, statt as. adro (S. 57) ädro, statt got. sunna
i S. 28, 30) sunnö. Vor rvnen 'whisper' (S. 48) fehlt : ahd. — düst (ae.) ist
besser als diist (S. 87).
Zu der Beobachtung, dafs die Bedeutungen 'Spitze, Tropfen, Teilchen
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 208
Stückchen' zu 'glänzender Punkt, Funke' spezialisiert weiden können, z. B.
skt. drapsd 'Tropfen : Funke, Mond'; lat. Spina, spica, gr. otiivos, ahd. spix,
ae. spi'iu 'Spiels', ahd. spixxi 'spitz' (Base spt-) : gr. onivd't]Q 'Funke'
könnte übrigens an den Gebrauch bewufster poetischer Metaphern erinnert
werden, wie z. B. in Lowell, Above and Beloic : "T is frora these heights
alone your eyes The advancing spears of day can see'; Longfellow, Hy-
perion, b. III, eh. 2: 'year by year the Sun strives in vain to lift it [the
gauntlet of ice] from the ground on the point of his glittering spear';
ae. Oenesis 2874 : od \>&t wuldortorht | daeges |)riddan up ofer deop waeter
ord arsemde; Felix Dahn, Die Baiaver S. 59: 'Jetzt schofs der erste Licht-
strahl, einem leuchtenden Speere vergleichbar, durch das duftige Gelb-
rot'; usw.
Für den Etymologen ist Woods Schrift natürlich von speziellem Inter-
esse. Durch umfängliche Indices ist dafür gesorgt, dafs dieselbe auch als
Nachschlagebuch in bequemer Weise benutzt werden kann.
University of Minnesota. Fr. Klaeber.
Die altenglischen Säugetiernamen zusammengestellt und erläutert von
Richard Jordan. (Anglistische Forschungen, herausgeg. von Dr. Jo-
hannes Hoops, Prof. an der Universität Heidelberg. Heft 12.) Heidel-
berg, Carl Winters Universitätsbuchhdlg., 1903. XII, 212 S.
Die systematische Erforschung des altwestgermanischen Wortschatzes,
die lange Zeit hindurch ungebührlich vernachlässigt worden war, macht
neuerdings erfreuliche Fortschritte. Den Arbeiten von Hoops, Whitman,
Palander, Björkman folgt die von Jordan auf dem Fufse, gewissermafsen
eine Übertragung der Paianderschen Studie auf das Altenglische. Der
Verfasser hat sein Material mit grofser Sorgfalt zusammengetragen und
gründlichst verarbeitet, er hat die einschlägige Fachliteratur mit Fleifs
und Sachkenntnis benutzt, ohne dabei auf ein eigenes Urteil zu verzichten,
und hat uns so eine wirklich erschöpfende, durchaus gediegene Behand-
lung seines bestimmt umgrenzten Themas geboten.
In der Einleitung werden die altenglischen Tiernamen in chronologisch
geordneten Gruppen aufgeführt, als indogermanisch, europäisch, nord-
europäisch, westgermanisch usw. ; daran schliefsen sich die Lehnwörter, zu-
meist aus dem Lateinischen stammend, doch einige auch aus dem Kelti-
schen (brocc, assa, wahrscheinlich apa, mearh, vielleicht das mask. catt),
dem Altnordischen {hrän und hoishwcel in Ohtheres Reisebericht), dem
Französischen (da und vermutlich das ursprünglich spanisch - arabische
calfara), und möglicherweise dem Deutschen (stän-bucea, vgl. ahd. stein-
hock). Sodann werden die Mittel der Geschlechtsunterscheidung und der
Bezeichnung von Tierjungen erörtert und einige Bemerkungen über Ver-
schiebung der Bedeutung vom Indogermanischen zum Germanischen und
über die ursprüngliche Bedeutung der Tiernamen gemacht.
Der Hauptteil der Arbeit, sozusagen ein philologisches Bestiary,
behandelt die in zoologische Klassen eingeteilten einzelnen Namen, welche
genau durchgenommen werden mit Rücksicht auf Form, Belege, Ablei-
tungen, Bedeutung, Etymologie. Namentlich die Bedeutung und Etymo-
logie geben öfter zu längeren Erörterungen Anlafs, wobei auch die spätere
Entwickelung im Englischen herangezogen wird. IT. a. stellt sich die
(auch auf anderen Gebieten beobachtete) interessante Erscheinung heraus,
dals verschiedene ae. Namen in der me. Periode durch die etymologisch
entsprechende französische Form ersetzt werden, wie ae. [lat.J leo, mfd,
me. [afr.] Hon, mute; ae. mearä, hearma, me. [afr. < deutsch] martre
(> martern > märten), ermine. So tritt auch an Stelle des alten lox im
Me. das stammverwandte lat. -gr. lynx. Von ähnlichen Vertauschungen
sei erwähnt, dafs da» anglisierte altnord. hru7i später in der echt nord.
204 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Form rein(deer) erscheint, und dafs schon im ae. Zeitraum des germ. [lat.]
esol allmählich vor dem kelt. [lat.] assa zurückweicht. Auch die Bedeu-
tungsabgrenzung von Synonymen, wie eoh, hors, steda, hengest, mearh,
wieg, hlanca, sceam; kund, dogga, ryääa, rcBCc kommt zur Sprache.
Zu den Pferdenamen könnte eafor hinzugefügt werden {äjerian 'Pferde-
spanndienst leisten'), dessen Vorkommen im Ae. Liebermann wahrschein-
lich gemacht hat {Archiv CIX, 73—82). Bei hivelp wäre auf *hioelpend
hinzuweisen auf Grund von Brights Konjektur hwelpendra (MS. helpendra)
päd Hhe path of sea-dogs, sea-monsters', Exod. 487 {Mod. Laiig. Notes 17,
426). Die mit Fragezeichen zu eoh gestellte Form orcneas, Beow. 112, ist
schwerlich mit Kluge aus orcen-eos {*eohas) zu erklären; plausibler ist
die Ableitung aus orcus und *neo (Grein; Bugge, Beiir. 12, 81 ; ten Brink,
Beowulf B. 10 Anm.). Zu dem Gebrauch von kwcel im Sinne von Walrofs,
Oros. 18, 3. 17, ist zu bemerken, dafs die Verwendung des gewissermalsen
als Kurzform anzusehenden Gattungsnamens in diesem Zusammenhange
nicht mifsverständlich war, geht doch die Bezeichnung horsfcjhwcel un-
mittelbar voraus; vgl. Hl. u. Eadr. Oes. 16: in Lundenwic . . . to tote,
s. Anglia 27, 261. Dals der Wolf mit dem Raben und Habicht auf der
Walstatt erscheint (S. 63), ist eine unrichtige Folgerung aus Brunnanb. 64 ;
mit dem gr&dig güähafoc ist der Adler {earn) gemeint.
'In den Komposita' (S. 139) ist wohl Druckfehler, ebenso 'Old Eng-
glish Litterature' (S. 136). Auf S. 133 steht Hahn für Hehn.
Vielleicht ist der Verfasser in seinem Streben nach Vollständigkeit
öfter etwas zu weit gegangen. Z. B. eine ganze Seite Belege für Formen
von hund und swm war nicht geradezu nötig. Auch hätte die Liste der
Abkürzungen für ae. Texte bedeutend gesichtet werden können. Und dais
die Grammatiken von Sievers, Bülbring, Morsbach oder die Wörterbücher
von Skeat, Murray, Kluge usw. benutzt worden sind, darüber brauchte
man doch eigentlich kein Wort zu verlieren. Indessen dies sind Äufser-
lichkeiten, die mit dem Wert der Arbeit nichts zu tun haben.
Es ist sehr zu wünschen, dafs die streng wissenschaftliche Wort-
forschung in der begonnenen Weise fröhlich weitergeführt werde. Für
Doktorarbeiten sind solche Themata vortrefflich geeignet.
University of Minnesota. Fr. Klaeber.
W. E. Purser, Palmerin of England, some remarks on this ro-
mance and on the controversy concerning its authorship.
Dublin, Browne and Nolan; London, D. Nutt, 1904. X, 466 p.
Im wesentlichen beschränkt sich Purser auf die Verfasserfrage. Er
stellt fest, wie aus dem ursprünglich j)ortugiesischen PE (1544?) durch
Übersetzung, den Ehrgeiz des toledanischen Verlegers Miguel Ferrer,
dessen Änderungen und Schwindelei ein spanischer PE entstand (1547 — 8),
und wie dieser Roman Fortsetzungen erhielt : zuerst eine italienische durch
Mambrino Rosco, gedruckt nicht vor 1558; danu eine portugiesische 1587,
die über P.s Sohn, Dom Duardos IL, handelt; eine von 1602 über dessen
Sohn Dom Clarisol de Bretanha u. a. Über die innere Entstehungs-
geschichte erhalten wir nur vereinzelte Andeutungen. Der ursprüngliche
portugiesische Verfasser zeigt sich mit einem Teile von Irland so vertraut,
dafs er wenigstens Seefahrer von dort in Lissabon gesehen haben mufs;
der spanische Bearbeiter Ferrer dagegen verwischt diese Lokalkenntnis
und macht z, B. aus dem echt irischen St. Brandun einen St. Cyprian.
Jener borgte ferner von älteren Ritterromanen, besonders Amadis de Oaul,
Las Sergas, Clarimundo, kannte den Arthurzyklus gut (S. 422) und rich-
tete sich vielfach nach den fünf Romanbüchern von Palmerin de Oliva,
dessen zwei Söhnen und zwei Enkeln, wovon sein Werk eigentlich nur eine
Fortsetzung ist. Dafs die ganze, weitverzweigte Geschichte des Konstant!-
BeurteiluDgen und kurze Anzeigen. 205
nopolitaner Kaisers Falmerin de Oliva und seines Geschlcclits dem 'grie-
chisch-asiatischen Roman' angehört, ist das einzige, was uns über die tie-
feren Wurzeln angedeutet wird (S. 4). Systematischer sind die Angaben
Fursers über die Aufnahme des PE in England, wo derlei Ritterromane
für die romantische Komödie, die 'Feenkönigin' und Sidneys Romanschule
wichtig wurden. Hierüber einiges Nähere.
Wartons Notiz über die Drucklizenz eines PE, erteilt an John Charle-
wood im Jahre 1580 — 1, bestätigt sich durch Arbers ^Transcript of the
registers'. Das Buch soll 1587 erschienen sein, wie Watts, Doii Quixote,
1895, I 81, bezeugt; aber das ist wohl eine Verwechselung mit Palmerin
d' Oliva, wovon J. F. Collier, Bibliogr. account of the rarest books in the
Engl, language, London 1805, I 55u, ^the earliest impression by Charle-
wood in 1588, 4'"' nennt. Das eigentliche Erscheinungsjahr war 1596, der
Übersetzer A. Munday, die Vorlage nicht etwa der portugiesische Text
oder die spanische Überarbeitung, sondern eine französische Übersetzung
von 1574 (ß. 25 f.). Was Underhill, Spanish literature in the England of
the Tudors, Neuyork 1899, S. *297 ff., darüber sagt, hätte zitiert werden
dürfen. Meres in 'Palladis tamia' 1598 hat andere Falmerinbücher, nicht
PE, als verderblich für die Jugend bezeichnet; merkwürdigerweise sind
ihm Oargantua, Owlglass und heimische Volksbücher wie Guy of Warivick
und Bewis of Hampton, an denen Capt. Cox und sein Kreis 1575 viel
Freude hatten, ebenso verbalst; sein Geschmack bedarf noch der Auf-
hellung. Im Jahre 1602 folgte Mundays Übertragung der italienischen
Fortsetzung, wieder unter französischer Vermittelung. Die Ausgabe dieses
'third part' ist von Collier (das. I 550 fl.) eingehend beschrieben, wobei
das Einleitungsgedicht von J. Webster (löBO? — 1Ü25?) Hervorhebung ver-
dient, weil es die eingehendste und freundlichste Kritik dieses Romans
aus romantischer Zeit enthält:
To my kinde friend Ma. An. Mundy.
TLe sigbes of Ladies, and the splcene of Knighta,
The force of Magicke, aud the map of Fate;
Strauge pigmey-siugleues in giant-fights,
Thy true translation sweetly doth relate.
Nor for the tiction is the worke lesse fiue:
Fables have pith and morall discipliue.
Now Palmenn in Ins own language singes,
That (tili thy Studie) raaskt in unknowne fashion,
Like a fantastick Brittaine, and hence Springs
'J'he mappe of his faire life to his own Nation.
Translation is a traffique of high price:
It brings all learning in one Paradise.^
Die weiteren Ausgaben des 17. Jahrhunderts verzeichnet Purser sum-
marisch auf S. 392; sie reichen bis 1691, also in die Jugendzeit des
Famela- Dichters. Dann taucht PE nur einmal noch in der englischen
Literatur auf: im Jahre 1807, als Southey die Übersetzung Mundays
— leider mit einer grofsen Lücke — neu druckte, angeblich corrected
from the original Porttigtiese, tatsächlich mit Benützung der spanischen
Fassung.
Purser hat das Verdienst, durch fleil'sige Vergleichung manches Detail
klargestellt zu haben. Allerdings mufs man auch immerfort verschiedene
Stellen seines Buches zusammensuchen und vergleichen, wenn man seine
Ergebnisse realisieren will; denn seine Kompositions weise ist nicht über-
sichtlich: 10 Kapitel und V6 Anhänge — da gibt es viele Hin- und Her-
beziehungen, bald halbe Andeutungen und bald Wiederholungen. Man
206 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
mufs beim Lesen scharf die Hauptfragen festhalten, um nicht ganz zer-
streut zu werden. Ein Register wäre unter solchen Umständen besonders
dankenswert gewesen.
Berlin. A. Brandl.
E. Wölbe, Quellenstudien zu John Homes 'Douglas^ Diss. Berlin,
Mayer u. Müller, 1901. 48 S.
Eine anspruchslose Schrift, die sich mit dem Douglasdrama des schot-
tischen Pfarrers John Home (1722—1808) befal'st, das, 1754 entstanden,
1756 in umgearbeiteter Fassung zum erstenmal mit grofsem Erfolge über
die Bretter des Edinburger Theaters ging. — Kapitel I (S. 1—11) gibt eine
Zusammenstellung der über die Entstehung und die Aufführungen be-
kannten Tatsachen. — Kapitel II (S. 11— ii8) handelt von den Quellen.
Den dort angeführten Parallelen vermag ich nicht sämtlich überzeugende
Beweiskraft für literarische Beziehungen, auf die sie deuten sollen, beizu-
messen, wenn es sich nur um entfernte Anklänge oder um allgemeine
menschliche Gedanken handelt, denen eine charakteristische Besonderheit
nicht innewohnt. Gedanken wie 'He seldom errs, Who thinks the worst he
can of womankind' und 'Who trusts his heart with woman's surely lost',
die miteinander in Parallele gestellt werden, werden sich überall als selb-
ständig entstanden nachweisen lassen. Solche Gedanken liegen in der
Luft. — Kapitel III (S. 88—45) erörtert Komposition und Stil, und der
Schlufs (S. 45 — 48) ♦enthält eine zusammenfassende Übersicht.
Berlin. Heinrich Spies.
Dr. Bernhard Neuendorff, Entstehungsgeschichte von Goldsmiths
'Vicar of Wakefield'. Berlin 1903. IV, 107 S.
Wer die vorliegende Arbeit zu beurteilen unternimmt, kann nicht
umhin, eine zweite über denselben Gegenstand mit heranzuziehen: den
Aufsatz von W. Fischer in der Anglia, Bd. 25, p. 129 ff., der ein Jahr
früher erschienen ist. Dazu kommt von dem gleichen Verfasser ein in
den letzten Wochen gedruckter weiterer Aufsatz {Anglia 27, 516), der sich
mit Neuendorffs Arbeit kritisch beschäftigt und die eigenen Aufstellungen
teils rechtfertigt, teils modifiziert. Beide Arbeiten unterscheiden sich in
ihrer Schreibweise wie auch im Ziel und Umfang der Untersuchung. F.
schreibt frisch und energisch, so dals seine Ausführungen viel Bestechendes
haben, N. etwas ruhiger und farbloser. F. richtet sein Augenmerk fast
ausschlielslich auf die literarischen Quellen, aus denen Goldsmith geschöpft
hat; N. zieht auch manches andere in Betracht, das auf den Gegenstand
neues Licht wirft.
Fischer hat in ganz überraschender Weise einmal Goldsmiths weit-
gehende Abhängigkeit von seinen Vorbildern, zweitens aber die geradezu
haarsträubenden Widersprüche und Unwahrscheinlichkeit in der Erzählung
aufgedeckt. Ganz unbekannt waren diese Dinge ja nicht. Schon Laun
hatte in seiner Biographie des Dichters (1876, p. 150) davon gesprochen,
und auch Austin Dobson waren die 'structural inconsistencies and its
naive neglect of probability' nicht entgangen (vgl. die Vorrede zu seiner
Ausgabe des F. of W.). Aber so ausführlich und überzeugend war dies
noch nicht dargelegt worden, wie es jetzt von Fischer geschehen ist.
Nach F. sind vor allem Fielding und Richardson als Vorbilder für
die Charaktere, für das Miheu sowie für allerhand Kleinigkeiten benutzt.
So ist der Vikar im wesentlichen gleich dem Pfarrer Adams (p. 130), De-
borah gleich Mrs. Adams, Moses eine Verjüngung von Adams (was nicht
ganz richtig ist); Sophia ist Mifs Byron (aus dem Orandismi); Georg —
Tom Jones usw.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 207
Für die eigentliche Handlung im Vicar of Wakefleld ist jetzt eine
Entlehnung aus drei verschiedenen Komanen nachgewiesen. Es sind dies:
a) die Handlung zwischen Lovelace und Klarissa, b) die zwischen Gran-
dison und Mifs Byron, c) die zwischen Tom Jones und Sophia Western.
Dadurch wurde wieder die Verschmelzung mehrerer Charaktere bedingt:
so ist Thornhill ein Gemisch aus Lovelace und Blifil, Burchell eine Ver-
schmelzung von Grandison und Allworthy. Hierbei ging indessen nicht
alles glatt ab, sondern es entstanden eine Reihe von Widersprüchen und
Unebenheiten. Ein solcher Widerspruch der schlimmsten Art, um nur
ein Beispiel zu nennen, ist der, dai's Burchell und Thornhill, also Onkel
und Neffe, obwohl sie in derselben Gegend wohnen und in derselben Fa-
milie aus- und eingehen, sich niemals treffen, ja nicht einmal voneinander
wissen dürfen. Deshalb ist der Dichter darauf gekommen, Burchell ver-
kleidet auftreten zu lassen. Aber trotz dieser Verkleidung weifs Thorn-
hill, dafs sein Onkel in der Nähe ist, denn auf dessen anonymen Brief
hin unterläfst er es, Olivia und Sophia nach London zu bringen ; ander-
seits weifs Burchell, wie verworfen Thornhill ist, denn er warnt ja Olivia
vor ihm (c. 21). Trotzdem weifs Burchell nun wieder am Schlufs des
Romans nichts von den Schandtaten seines Neffen und mufs erst durch
die Pfarrersfamilie über diesen aufgeklärt werden. Man sieht also, wie
Fischer recht hat, wenn er (1. p. 177) sagt: die gesamte Handlung des
V. of W. ist auf etwas Unmöglichem aufgebaut. Der Dichter ist aber
ebenso ungeschickt als unklar; wenn er Motive entlehnt und sie seiner
Erzählung einverleiben will, entsteht fast immer eine heillose Verwirrung.
Das kommt daher: die Erfindungsgabe ist bei ihm nur schwach ent-
wickelt. Als er einige Jahre nach dem grofsen Erfolge des F. of W. sei-
nem Verleger eine neue Erzählung lieferte, kam sie als unbrauchbar
zurück : er hatte nämlich einfach sein Lustspiel The good-natured man in
Prosa aufgelöst! Wie ist nun nach alledem der Erfolg des Werkes zu
erklären? Fischer weist mit Recht darauf hin: es lag daran, dafs Gold-
smith keinerlei Tendenz hatte, dafs er allen gerecht wurde, während Ri-
chardson moralisierte und Fielding wie Smollett scharfe Satiren schrieben.
Dazu kam noch eins : gerade dadurch, dafs Goldsmith seine Vorgänger so
ausgiebig benutzt hatte, war in seinem Roman das Gesamtergebnis einer
ganzen Epoche vereinigt. Nimmt man dazu noch den glänzenden Stil,
die liebenswürdige Grazie der Darstellung, so versteht man, wie der V. of W.
bis auf den heutigen Tag einen so hohen Rang behauptet hat. Für
Deutschland speziell ist bekanntlich das Urteil Goethes in Wahrheit u?id
Dichtung (Buch II, Kap. 10) mafsgebend gewesen.
Sind wir so weit den Ausführungen Fischers mit Anerkennung gefolgt,
so dürfen wir uns doch nicht verhehlen, dafs er in einigen Punkten in
seinem Eifer über das Ziel hinausgeschossen ist, folglich der Ergänzung
und Berichtigung bedarf. Hier setzt nun Neuendorff ein, wenigstens mit
dem Hauptabschnitt seiner Arbeit, den er 'innere Entstehungsgeschichte'
nennt. Sechs verschiedene Unglücksfälle sind es, die den wackeren Pfarrer
Primrose treffen, sie bilden das eigentliche Gerüst der Handlung im
Roman. Dann kommen zwei angebliche Hauptquellen des V. of W. zur
Sprache: 1. The history of Miss Stanton (im British magaxine Juli 1760
erschienen), 2. The Journal of a Wiltshire curate (ebd. Dezember 1766).
Die letztere kann schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil sie später
als Goldsmiths Roman erschienen ist, aber auch die erstere möchte ich
weder als Quelle noch, wie N. will, als von unserem Dichter geschrieben
gelten lassen. Die Schilderung des guten Pfarrers findet sich, wie N.
selbst zugibt, ganz ähnlich schon in Fieldings Joseph Andrews, die stilisti-
schen Kriterien sind trügerisch, und w^enn die Erzählung der Zelis in
Goldsmiths Oitixen of de world (etwa einen Monat nach The history of
Miss Stanton gedruckt) auffallende Ähnlichkeit mit dieser Geschichte auf-
208 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
weist, so scheint mir im Gegensatz zu N. dies gegen Goldsmiths Verfasser-
schaft zu sprechen, denn in so kurzer Zeit würde auch er sich selbst
schwerlich wiederholt oder kopiert haben. Ob die Erzählung ihm aber
als Quelle gedient hat, kann man, da ihr Inhalt nicht mitgeteilt wird,
hier nicht entscheiden. In etwas losem Zusammenhang mit dem Thema,
wenn es uns auch über des Dichters ethische und politisch soziale An-
sichten gut unterrichtet, steht das dritte Kapitel. Um so wichtiger ist
das vierte, das die Vorbilder füs die einzelnen Gestalten des Romans be-
handelt; zugleich berührt es sich aufs engste mit der Arbeit von Fischer.
Ich kann hier nur auf einzelne Punkte eingehen. Was den Pfarrer be-
trifft, so hat N. gewils recht, wenn er (p. b\) zwar zugibt, dafs Primrose
und Adams im Kerne ihres Wesens gleich sind, wenn er aber anderseits
betont, wie Primrose durch seine AVeisheit und seine Weltanschauung,
die ihn alle ünglücksschläge mit Fassung ertragen läfst, über sein Vor-
bild (trotz F.s Widerspruch: Anglia 21, 520) sich erhebt. Ebenso steht
es mit der Pfarrerin, die der Mrs. Adams gegenüber auf einen etwas
höheren Standpunkt gehoben ist (p. 53). Wenn dann N. (p. 5ö) die Kon-
trastierung der Charaktere der beiden Schwestern aus einem Essay im
Tatler herleiten will, so kann man das nur billigen. (Für weitere Ein-
flüsse des Tatler und Spectator vgl. p. 37: Richtung aufs Lehrhafte: Be-
kämpfung des Duells.) Sicher richtig ist es auch bei N., dals Moses als
Abbild von Goldsmiths eigener Person als Knabe — allerdings auch mit
Zügen von Adams — anzusehen ist (p. 58). Was Burchell betrifft (p. 62),
so scheint mir die Einmischung Goldsmiths eigener Gestalt hier nicht be-
wiesen: annehmbar dagegen, dafs aufser Grandison die Charakterzüge in
Betracht kommen, die dieser von seinem Vater berichtet (so F. in seinem
zweiten Aufsatz). Entschieden falsch ist es, wenn N. (p. 67) behauptet,
Jenkinson sei eine nebensächliche Figur. Das ist er ganz und gar nicht;
spielt er doch am Schlüsse die Hauptrolle bei der Entlarvung Thornhills.
Im fünften Kapitel von N.s Arbeit werden einzelne Episoden auf ihre
Vorbilder untersucht. Es wird gezeigt, dals z. B. der Pferdekauf im
zwölften Kapitel des Romans auf eine Szene im Oü Blas zurückweist,
wie es auch früher (p. 41) wahrscheinlich gemacht wird, dafs bei der
Schilderung des Landlebens Lesages Roman von Einfluls gewesen ist.
Freilich spielen hier auch wie sonst häufig Goldsmiths Jugenderinnerungen
mit. Fischer erwähnt dies alles nicht, und so rächt es sich, dafs er in
seiner Arbeit wesentlich auf die traditionellen Züge sich beschränkt, die
Individualität des Dichters und dessen Erlebnisse ab^r beiseite gelassen hat.
Zum sechsten Kapitel (die Umgebung) möchte ich meinen Zweifel
darüber äulsern, ob Goldsmith wirklich bei dem Titel seines Romans an
Wakefield in Yorkshire gedacht hat. Ist es nicht wahrscheinlicher, dafs
auch hier ihm wieder die Eindrücke aus seiner irischen Heimat vor-
schweben? Übrigens ist ja das Landschaftliche bei ihm ziemlich neben-
sächlich behandelt, so dals man gültige Schlüsse hier kaum ziehen kann.
Dankenswert ist die eingehende Untersuchung der Ballade Edwin and
Angelina, die den gröfsten Teil des siebenten Abschnitts ausfüllt. Wenn
auch zum Teil an eine Volksballade angelehnt, ist das Gedicht doch die
durchaus kunstmäfsige Nachahmung einer solchen. Wichtig ist es aber
als ein Glied in der Entwickelungsreihe, die im 15. Jahrhundert anhebt
und bis ins 19. Jahrhundert verläuft. Als der Gipfelpunkt dieser Ent-
wickelung würden wohl die noch nicht genügend gewürdigten Balladen
von Southey und die von Coleridge anzusehen sein. Der Gegenstand
verdient jedenfalls noch eine ausführüchere Behandlung, als sie in diesem
Zusammenhange gegeben werden konnte.
Nach alledem ist anzuerkennen, dafs auch N. eine tüchtige, unsere
Kenntnisse wesentlich fördernde Arbeit geliefert hat.
Berlin. Georg Herzfeld.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 209
Songs from David Herd's manuscripts, edited with introduction and
noteß by Hans Hecht. Edinburgh, W. Hay, 1904. XV, 438 p.
12 s. net.
Für die Geschichte der Volicsballade hat Child vorgesorgt; für die
der Volkslyrik ist auf angloschottischem Boden — in England herrscht
hierin Arraut — noch furchtbar viel zu tun, bis das Material gesammelt
und gesichtet sein wird. Dafs eine Menge bisher unbeachteter Lieder-
bücher, gedruckte und handschriftliche, aus der Zeit vor Bums vorhanden
ist, wurde 1896 durch Henleys und Hendersons centenary edition von
Burns offenkundige. Ein reicnliches Verzeichnis erhielten wir kürzlich
durch J. C. Dick, The songs of R. Bums now ßrst printed, with the melodies
for which they were icrittm, London, Frowde, 1903, S. XXVIII— XLIII,
und Hecht zeigt uns jetzt, dafs diese Liste noch mehrfach zu ergänzen
ist. Als nächste und dringendste Arbeit ergibt sich danach die Ver-
öffentlichung eines Liederbuches nach dem anderen, jedes vollständig re-
produziert und als Individuum behandelt, damit man sieht, wie es zu-
stande kam, ob durch Aufzeichnung nach mündlichem Vortrag oder durch
Auslese aus älteren, mehr oder minder kunstmäfsigen Publikationen. Es
ist verdienstlich von Hecht, mit solch methodischer Ausbeutung zu be-
ginnen und uns zunächst den handschriftlichen Nachlafs von Herd zu
bieten, der nicht blofs ein früher und glücklicher Finder, sondern auch
ein sehr treuer Aufzeichner von Volkslyrik war. Das wertvolle Gut, das
Herd selbst .1769 und 177G in seinen 'Collections of songs and hallads'
drucken liefs (nachgedruckt Glasgow 18t)9 und Edinburgh 1870), erfährt
dadurch eine Ergänzung, und zugleich bestätigt sich das gunstige Urteil,
das sich bereits über Herds Verläfslichkeit gebildet hatte.
Hecht hat seine Ausgabe so eingerichtet, dafs er ein Lebensbild von
Herd und dessen Freund Paton vorausschickt, aus dessen Korrespondenz
mit Percy — hier zum erstenmal vollständig mitgeteilt — das Verhältnis
von Herds Sammlung zu den 'Reliques of ancient English poetry' genau
erhellt. Percy ging auf Romantik aus, Herd lediglich auf Volkspoesie;
Percy verwechselte und vermischte immerfort die mittelalterliche und
Volksdichtung, Herd ist für Stileinheit; Percy will die Texte verschönern
und ergänzen, Herd nicht; Percy kommt darüber zu dem lange geplanten
vierten Bande der 'Reliques' niemals, Herd druckt eine Auswahl und läfst
viele kleinere Fragmente liegen. Die Ausgabe der letzteren schliefst sich
bei Hecht daran. Mit wenigen mythologisierenden Ausnahmen sind es
Perlen der Volkslyrik, in denen sich alles wiederfindet, was von der
Eigenart dieser Gattung anderweitig bekannt ist: dipodische Rhythmik
mit losem Bau der Senkungen, syntaktische Geschlossenheit der Zeile,
einfachste Strophenformen zwei- oder dreiteiliger Art, Abwesenheit von
Tropen und gelehrten Wörtern, Vorliebe für Wiederholung von Sinn, Satz
und Wort, Zersungenheit. Mehrfach begegnen Doppelfassungen, wie sie
bei mündlicher Überlieferung gern entstehen; besonders ist dies der Fall
bei der dialogischen Ekloge 'Pate's and Maggie' s courtship' (S. 224 ff.). Die
meiste Gelehrsamkeit entfaltet Hecht in den Anmerkungen am Schlufs
(S. 279—385): da geht er den Parallelen in anderen Liederbüchern nach,
was eine grofse Vertrautheit mit der einschlägigen, meist nur auf schot-
tischen Bibliotheken vorhandenen Literatur voraussetzt; er verfolgt die
Einwirkungen auf Burns, wobei er Henley mehrmals zu ergänzen vermag,
und er beleuchtet das Verfahren von Walter Scott, dessen 'Minstrelsy'
zwar den Höhepunkt des Sammeins bezeichnet, aber durchaus nicht den
der ungeschminkten Wiedergabe.
Nachdem ich den sachlichen und den Arbeitswert von Hechts Buch
hervorgehoben, mufs ich auch eine Ausstellung machen, die freilich mehr
die äufsere und geschäftliche Seite berührt. Die Ausstattung ist fast
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 14
210 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
luxuriös, und ihr entspricht der Preis; wäre es bei einfacherer Ausstattung
nicht möglich gewesen, uns um ungefähr denselben Preis den ganzen
Herd, Neudruck seiner 'Collection' und Erstausgabe des Nachlasses, zu-
sammen zu bieten ? Ich glaube für viele zu sprechen, wenn ich die Selten-
heit seiner ^Collection' und ihrer Neudrucke als ein grofses Hindernis für
den Fortschritt der Forschung auf diesem Gebiete bezeichne; ein Hinder-
nis, das für uns Deutsche noch empfindlicher ist als für Engländer und
Schotten. Selbst der Vertrieb der Ausgabe wird darunter leiden; denn
wer das Hauptwerk nicht erlangen kann, kauft nicht gern die Ergänzung.
Was wir brauchen, ist ein umfassendes Corpus der Volkslyiik, ähnlicn
wie es Child für die Volksballaden geliefert hat. Inzwischen sind wir
schon dankbar für jede Einzelausgabe der noch ungedruckten Sammlungen,
wenn sie mit solcher Verarbeitung gemacht ist, wie sie hier vorliegt.
Berlin. A. Brand 1.
Englisches Unterrichtswerk für höhere Schulen. Unter Mitwirkung
von Mr. William Wright bearbeitet von Dr. Gustav Krueger,
Oberlehrer am Kaiser -Wilhelms -Realgymnasium und Lektor an der
Technischen Hochschule in Berlin. I. Teil. Elementarbuch. Leipzig,
G. Freytag, 1905. Geb. M. 1,6U.
Diese neue englische Schulgrammatik ist hervorgegangen aus der Be-
obachtung, dafs die Schüler im Anfangsunterricht nach einiger Zeit eine
gewisse Unsicherheit der Aussprache zeigen, die darauf zurückgeht, dafs
sie die Aussprache der in der Schule geübten Musterwörter vergessen, zu
Hause das Lehrbuch um Rat gefragt und sich eine falsche Aussprache
eingeprägt haben. Diesem Übelstand will das neue Lehrbuch in der
Weise begegnen, dafs es jedes englische Wort und Lesestück nicht nur
in seiner gewöhnlichen Orthographie, sondern — auf einer späteren Reihe
von Seiten — auch in phonetischer Umschrift wiedergibt, damit der
Schüler ein Bild erhalte von der Aussprache des Wortes für sich allein
und im Zusammenhange mit anderen Wörtern. Die Absicht ist dankens-
wert. Aber sie stützt sich auf einen Fehlschlufs und verliert darum an
Bedeutung. Der Schüler soll darum falsch oder unsicher lesen, weil in
seinem Lehrbuch die Wörter nur für sich transskribiert sind. In Wirk-
lichkeit erklärt sich jene Erscheinung so. Der Schüler hat nach einiger
Zeit eine Fülle von Kenntnissen in seinem Kopf angesammelt, die sich
noch nicht geklärt haben. Dabei geht eins durch das andere, und das
Elementarste verzerrt und verflüchtigt sich zuerst. Das Elementarste ist
die Aussprache der Musterbeispiele, an denen der Schüler den Klang der
einzelnen Laute kennen lernen und üben soll; doppelt leicht vergifst er
sie in einer Sprache wie das Englische, wo ihre Aussprache ungemein
kompliziert ist. Ihr gedächtnismäfsiges Behalten ist aber die Vorbedingung
zu jeder Weiterbildung durch eigene Kraft. So mufs der Schüler auch
alle die Zeichen kennen, die Herr Krueger angewandt hat, und die Laute,
die sie vertreten, sonst steht er seiner Transskription so hilflos gegen-
über wie jeder anderen. Und eben weil seine Schüler jene Stütze in ihrem
Gedächtnis verloren hatten, darum wurden ihnen die phonetischen Zeichen
ihres Lehrbuches zu böhmischen Dörfern, deren Sprache sie nicht ver-
standen. Man überschätze in der Schule doch ja nicht den praktischen
Wert der Phonetik, besonders nicht für eine Sprache wie das Englische.
Seine Aussprache sich ohne tüchtigen Lehrer anzueignen, ist meiner Mei-
nung nach ein Ding der Unmöglichkeit. Das hat man früher gewufst
und danach gehandelt. Der Lehrer, wenn er verständig war, hat Wörter
und Sätze unermüdlich vorgesprochen und seine Schüler wiederholen
lassen. So hat es mein Lenrer im englischen Anfangsunterricht, Herr
Prof. Tanger, gehalten ; und, wenn meine Aussprache leidlich ist, so dank'
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 211
ich es ihm und dieser unersetzlichen Methode. Sie ist 'natürlich' in gutem
Sinne, darum spricht sie den Schüler am freundlichsten an; und für den
Lehrer hat sie den Vorzug, dafs sie ihm Gelegenheit gibt, sich in Geduld
zu Oben; und die braucht er bekanntlich allerwegen. Der Erfolg aber,
der früher möglich war, mufs auch heute zu erreichen sein, wo, dank der
'Neuen Methode', viel gröfsere Anforderung als damals an die Sprech-
fähigkeit des Lehrers gestellt wird. Das ist ihr Verdienst, und das soll
man ihr danken. Aber es mufs auch gesagt werden, dafs ihre Betonung
der Phonetik für den Schulunterricht vom Übel ist. Die bleibe dem
Privatstudium des Lehrers überlassen und mag der Schule auf indirektem
Wege zugute kommen. Und wenn es wahr ist, wie ich gehört habe, dafs
den Schillern sogar phonetische Extemporalien gegeben werden, so würde
ich das für einen Unfug halten, gegen den die vorgesetzte Behörde ihr
strengstes Veto einzulegen hätte. Der Schüler müht sich genug mit der
englischen .Orthographie. Der Lehrer suche ihm das Ohr zu üben und
lasse das Überflüssige; denn er hat keine Zeit dazu. Herr Krueger als
bekehrter Gegner der Phonetik — welcher Kenegat stürbe nicht zwiefach
für seinen neuen Glauben 1 — meint mit Hilfe der Phonetik schneller
und gedeihlicher vorwärts zu kommen und spricht die tönenden Worte:
'Wer das nicht selbst ausprobiert hat, hat kein Urteil darüber' (Vorrede
S. 5). Das ist so bequem gedacht, wie es nichtssagend ist.
Die Beobachtungen über englische Aussprache sind aufserordentlich
fleilsig und das Beste des ganzen Buches. Nur sind sie häufig für den
Schüler sicherlich von übertriebener Genauigkeit. Was fängt dieser z. B.
mit dem Hinweis an, er müsse 'die Zungenwurzel so weit als möglich
nach rückwärts unten, gegen den Schlund zu, sinken' lassen (S. 8), oder
er müsse den w-Laut durch 'Verschlufs zwischen Hinterzunge und weichem
Gaumen' hervorbringen (S. 13). Was nützt selbst vielen Lehrern die An-
gabe (S. 11), eine gewisse Nuance des englischen a entspreche dem han-
noverischen a in dem Satze: 'Mein Vater ist Theatermaler'. Ist es nicht
übertrieben, den Schüler von vornherein eine doppelte Aussprache für
shcdl und was zu lehren, je nachdem diese Wörter betont sind oder nicht?
Er lerne und übe ihren vollen Klang; mit der wachsenden Fähigkeit des
geläufigen Lesens wird er ihn von selbst abschwächen. — Übertrieben
genau ist auch die Akzentangabe in den Ordnungszahlen (S. 26). Hier
wird sogar der Nebenakzent* bezeichnet: ßikß'-tTn|)', (]e'-wn-tin|)' etc., ein
Verfahren, das den sich zu Hause selbst überlassenen Schüler, der oben-
drein vom Französischen herkommt, geradeswegs zur Einprägung des fal-
schen Akzentes führen kann, zumal bei der Besprechung des Akzentes
(S. 15) der Hinweis vergessen ist, dafs im Englischen wie im Deutschen
der Hauptakzent die erste Silbe des Wortes zu treffen pflegt. Es will
mir ein geringeres Übel scheinen, wenn der Schüler arckbishopiß. 15) nach
deutscher Art wie 'Erzbischof' betont, als wenn er, durch den Doppel-
akzent (ätsch'-bi'-schap) irregeleitet, den Hauptton auf die zweite Silbe legt.
Eine gute Absicht liegt zweifellos dem Gedanken zugrunde, den Schüler
aus ad hoc gebildeten Sätzen grammatische Regeln allein finden zu lassen.
Herr Krueger hat daher im Auschhifs an jene Sätze Fragen gestellt, die
ihm den Weg weisen sollen. Sie sind nicht immer geschickt. Als ganz
müfsig ist mir die P>. Frage im 17. Abschnitt (S. 37) aufgefallen. Es sind
die Substantiva mit unregelmäfsigem Plural aufgeführt worden. Dann
heifst es: 'Wie viele davon bezeichnen lebende Wesen? Wie viele Tiere?'
Bemängeln mufs ich die Form der 5. Frage im 31. Abschnitt (S. 53), wo
von der to cfe-Umsehreibung in Fragesätzen die Rede ist: 'In welchen be-
jahenden, kein 'not' enthaltenden Fragesätzen wird also to do nicht an-
gewendet?' Ein bejahender Fragesatz könnte eine sogenannte 'Rhetorische
* Es sind, wenn das Wort frei steht, zwei gleiche Akaente. D. R.
14*
212 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Frage* bedeuten; Mer handelt es sich um 'positive' Fragesätze. Schief
und ungeschickt ist der Wortlaut der -1. Frage in Abschnitt 6, II (S. 21).
Es handelt sich um den Plural. Frage 3: 'Mit welchem Buchstaben wird
er bezeichnet?' Dann 4: 'Ist die Bildung der Mehrzahl der auf stimm-
haften Konsonanten endigenden Wörter lautlich dieselbe wie derer, welche
mit stimmlosem schliefsen?' Warum nicht einfach: Hat dieser Buchstabe
nach stimmhaften Konsonanten denselben Laut wie nach stimmlosen?
Auch die Fassung der Regeln läfst bisweilen die zum Verständnis
notwendige Sauberkeit vermissen, so dafs ein Schüler schwerlich mit ihnen
zu Bande kommen wird. Die Erklärung des Modalzeitwortes (Abschnitt
34, 1; S. 54), dafs es ein Verhältnis des Subjekts zum eigenen oder zu
einem fremden Willen ausdrücke, kann nicht befriedigen. — Seltsam ist
es, wenn Herr Krueger in dem Satze: 'Können Sie Deutsch?' das Verbum
'können' für ein Modalverb hält. — Abschnitt 24, 3 (S. 45) heifst es un-
verständlich: 'Vom Begriffszeitwort (?) gibt es als äufserlich erkennbare
Form eines Konjunktivs nur die 3te Person der Einzahl der Gegenwart,
z. B. Ood save the King T Ein Mann, der selbst das Wesen der Regeln
so wenig zu fassen und zu formulieren weifs, wie Herr Krueger, sollte
diese Aufgabe nicht einem Schüler zumuten. Den 30. Abschnitt (S. 50)
hätte ich nicht überschrieben: 'Verschiedene Fürwörter', sondern 'Unbe-
stimmte Fürwörter', wenn nicht 'Indefinitpronomen'. Herr Krueger hat
eine gewisse Abneigung gegen Fremdwörter. Ich lobe sie, aber ich hätte
doch nicht geschrieben : 'Wie zählt man zu, ab; wie.. nimmt man Mal; wie
teilt man?' (10. Abschnitt, 1; S. 27). — Auch die Überschrift der 'Deut-
schen Übungen' (S. 81): 'Stelle die englischen Wörter nach den vor
den deutschen befindlichen Ziffern' ist nicht glücklich. Der Verfasser
will sagen: Die Ziffer bezeichnet die Stelle des englischen Wortes im
Satze. — S. 27, 10. Abschnitt ist mir ein Druckfehler aufgefallen : '8 into
80 goes 6 times'.
Wenn mir die deutschen Partien des Buches wenig gefallen haben
— man vergleiche unter den häufig sehr trivialen deutschen Übersetzungs-
beispielen das folgende (S. 85, Nr. 32): 'Gestern waren alle (die) Bäume
noch unbeschädigt, und heute sind sie jämmerlich abgeschnitten ; wer mag
diesen Unfug begahgen haben?' — , so habe ich um so gröfsere Freude
an den englischen Sätzen gehabt. Ihre Zusammenstellung im Hinblick
auf die Aussprache ist recht geschickt (vgl. z. B. S. 22 Leseübung); das
Englische ist entschieden eleganter als das Deutsche. Und doch ist auch
das eine gute Forderung der Neuzeit, dafs neben ..der fremden die Mutter-
sprache nicht zu kurz kommen soll, auch beim Übersetzen nicht.
Hoffentlich ist der Gesamtgehalt der folgenden Teile dieser Gram-
matik wertvoller als der des ersten. Von diesem mufs ich sagen, dafs
nach dem vortrefflichen 'Elementarbueh der engl. Sprache von Dubislav-
Boek' für sein Erscheinen keine Notwendigkeit bestand.
Berlin. Willi Splettstöfser.
Franz Settegast, Quellenstudien zur galloromanischen Epik. Leip-
zig, Harrassowitz, 1904.
Unter diesem Titel veröffentlicht Settegast vier Aufsätze nebst einer
Reihe von Nachträgen, die ein gemeinsames historisches Band verknüpft:
Dichtungen des Mittelalters werden mit historischen Vorgängen aus der
Zeit der Völkerwanderung in Beziehung gebracht.
Als Hauptkriterien erscheinen hierbei neben den stofflichen Parallelen :
Eigennamen und geographische Bezeichnungen der besprochenen Dich-
tungen. Um diese auf historische Namen zurückzuführen, hält sich der
Verfasser nicht in den Grenzen einer lautlichen Entwickelung, mit dem
Argument, dafs selten solche Namen sich regelrecht verschieben, und ge-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 213
winnt dadurcli eine Bewegungefreiheit im Aufsuchen etymologischer Be-
ziehungen, bei denen es nicht möglich ist, mit ihm zu gehen.
Denn wenn es auch unbestreitbar ist, dafs oftmals von fremden Völ-
kern übernommene Namen seltsame Verstümmelungen zeigen, so kann diese
Beobachtung auf keinen Fall zum Gesetze erhoben werden, und wenn
sie dies könnte, so wären wir eben einmal wieder an den Grenzen unseres
Könnens angelangt und müTsten ein Weiterschrciten aus Methode ablehnen.
Anderseits ist in volkstümlicher Dichtung nichts so sehr der Verände-
rung ausgesetzt, als gerade die Namen : Modernisierung dieser, Anpassung
der geographischen Verhältnisse, das sind Mauserungen, die die Sage stets
durchzumachen hat, so lange sie vorliterarisch ist. Was dabei aus älteren
und ältesten Schichten gerettet wird, ist durchaus in der Minderzahl.
Im Gegensatz zu dieser Erfahrung sucht der Verfasser in dem Roman
von Elechis und Serena sämtliche Namen und Bezeichnungen mit solchen
des 4. und 5. Jahrhunderts in Beziehung zu bringen. Nehmen wir vorab
die stofflichen Parallelen, welche die ziemlich blassen Vorgänge dieses
Spätlings mit der Geschichte der Völkerwanderung verbinden sollen :
Wie Eledus und der Intrigant Maugrer um Serena streiten, so stritten
einst Athaulf, der Schwager und Nachfolger Alarichs des Westgoten, und
Konstantins, des Honorius Feldherr, um rlacidia, des Kaisers Schwester.
Wie Maugrer Serena aus Tubie stiehlt, so entführte Alarich bei Einnahme
Roms die Placidia. Wie der Fall Roms durch den Tod der Lieblings-
henne des Kaisers vorausgesagt wurde, so entführt im Eledus ein Falke
eine Henne, was auch im Gedicht als Prophezeiung der Eroberung von
Tubie aufgefafst wird. Die Hochzeit der entsprechenden Paare fand
beiderseits im Januar statt.
Die Namen : Serena = Serena (Schwester der Placidia durch Adop-
tion); Eledus = Attalus (ein Freund des Athaulf über Alatus unter dem
Einflufs eines Alatheus); Sapin (ein Knappe) = Saphrax (ein bei Am-
mian dem Alatheus beigesellter Gote); Potantas ^- Potentius (römischer
Offizier, der nach Ammian bei Adrianopel fiel); Ouixel = Lupicinus
(Ammian, Jordanes: Nach Xixos: *Lucicmus > *Cuzilinus); vermischt mit
S tili CO (Vandale: *Costilo (?) > Cossilo); Manimus = Volk der Ma-
nimi (Tacitus); Äla7i = Volk der Alanen usw.
Die Ortsnamen: Tubie = Theben in Griechenland, und zwar unter
Einwirkung von Boiotia (*Butia > Tubia): Bonneilh = Peloponnes;
Valmoray " Morea (vgl. S. 114); Qelcridar = Gibraltar; Boreil ■=
Baliares; Tours - Turris (Sardinien) usw.
Es wäre nun des Verfassers Aufgabe gewesen, uns zu sagen, wie es
möglich war, dafs die Sage Namen und Geschehnisse aus allen Winkeln
des 4. und 5. Jahrhunderts hat sammeln können, um dann, ein Jahrtau-
send gleichsam kristallisiert, nach lebhaftestem Wachstum erstarrt, sich
unverändert zu erhalten.
Die eigene Methode verlassend, erhebt der Verfasser (S. 24 ff.), gegen
Voretzschs einsichtige und weitsichtige Behandlung der Endpartien des
Ogier, die Frage, ob wir es hier wirklich auch mit einem Sachsen einf all
zu tun hätten. Weil nämlich Brehier neben Saisne auch König von Babi-
loine und Aufrike genannt würde. — Der Verfasser tut dies, um bei seiner
späteren Deutung (die ja der meinigen entspricht, dafs nämlich an dieser
Stelle die Belisarsage eingemischt worden sei) für Brehier als Etymon den
Hunnen Zabergafi beibringen zu können (S. 228). Nun finden sich an
dieser Stelle augenscheinlich Motive der byzantinischen Sage, und die Art,
wie die einfallenden Sachsen beschrieben werden, hat ohne Zweifel etwas
von einem mongolischen Reitervolke. Alles aber, was mit der Brehier-
tötung zusammenhängt, gehört or gemi seh zur Sacksensage, der National-
sage der Merowingerzeit, wie aus zwei Anspielungen des Sachsenliedes zu
ersehen ist, in welchen die B r eh i ertötung auf den Arnulf ing Anseis in
214 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
volkstümlicher Weise übertragen erscheint und von byzantinischen Mo-
tiven absolut frei ist.
Auf die Gefahr hin pedantisch zu erscheinen, mufs ich weiterhin die
häufige Verwendung offenbarer Gemeinplätze in der Diskussion erwähnen.
Schon bei den Namen wird ohne Unterschied auch Typisches zur
Deutung herangezogen. Zwei Beispiele: Auf S. 18 erscheint ein Heide,
ein Vandale aus den Lothringern, namens Golias, König der bekannten
Pinconnie. Ebenso heifst ein gegnerischer König im Trubert und im Än-
seis de C. (2485 etc.), vgl. ähnliche Namen, wie das häufige Macabre,
Lucifer {Für. 68). Der Verfasser aber deutet Golias auf Goar. einen
Alanen, den Gregor von Tours nennt.
Der Intrigant ^es, Eledtis heifst Maugrer, offenbar nach matigre ge-
bildet, wie Malcuidant, Malcut und ahnliche. Der Name wird (S. 123)
auf den Vandalen Gelimer zurückgeführt (*Galimer > *Maligerj.
Ebenso bei der sachlichen Vergleichung: Hier wird beispielsweise beim
Eledus eine Spur der Herdkiessage wiedergefunden, weil beide Eber und
Hirsch jagen, einen Löwen töten, Kentauren besiegen und mit Amazonen
zu tun haben. Bei der Jagd erscheint dem Verfasser die Erlegung eines
Löwen als das Bemerkenswerteste, 'weil sonst durchgängig der Löwe, wo
er in der mittelalterlichen Epik auftritt, als das edle, dem Helden be-
freundete Tier dargestellt wird'. Löwenkämpfe sind aber zahlreich: Auf
den Löwenkampf Pipins, Pepin qui ocist le Hon, wird ja oft genug ange-
spielt; in Berthe as grans pies (43 ff.) wird er erzählt. Ein anderer, den
der Verfasser als 'Ausnahme' (172 2) nennt, findet sich im Boeve de H. 1700;
weitere ausführlich beschriebene im Aiol 1301; Parxival 9228 (GavainI)
und aus diesem abgeschrieben Cristal 4177. Nicht anders die Eber- und
Hirschja^d, für die man mir Beispiele beizubringen ersparen wird. Auch
der Sagittaire kommt oft genug vor: Im Oristal, jenem geschickten
Flickwerk aus klassischen Zitaten und Gemeinplätzen, erlegt der Held
ein solches Wesen. Vgl. weiterhin Ro. XXXII, 380 und eine mittelalter-
liche Abbildung: Oaxette des beaux arts, 1900. XXIV, S. 107. Auch die
Amazonen gehören doch wohl zu den Fabelwesen, die gemeinhin bekannt
waren. Ihre Heimat Femenie wird überall genannt.' Kein Wunder, da
doch beide Figuren dem so allgemein bekannten Trojaroman angehörten.
Der Verfasser sieht nun besonders darin eine Bestätigung seiner An-
sicht, dafs diese Motive in beiden Werken gepaart erschemen (doch auch
im Roman de Troie!). Als Argument mag das gelten. Um aber auf
einem solchen die Verwandtschaft zweier, Jahrtausende auseinanderlie-
genden Dichtungen aufzubauen, dazu taugt es doch nicht.
Noch ein letzter, die Methode betreffender Punkt. Man sollte nie ein
volkstümliches Gedicht auf seine Quellen hin untersuchen, ohne vorher
mittels philologisch-logischer Analyse versucht zu haben, seine Komposi-
tion zu erkennen. Wie bei einer archäologischen Ausgrabung die Schich-
ten auseinandergehalten werden müssen, so auch in der Dichtung, wenn
wir nicht Heterogenes vermischen wollen. Soweit ich sehe, hat der Ver-
fasser keine einzige der Dichtungen einer solchen Analyse unterzogen.
Beim Bueve de Hanst., den er S. 338 ff. bespricht, ist eine solche un-
erläfslich: Von den zwei Verbannungen des Bueve kann nur eine ur-
sprünglich sein ; sie sind beide kunstlos aneinandergereiht. Welche ist die
alte, welche die Wiederholung? Die zweite ist auf einer fränkisch-
historischen Novelle aufgebaut, die in Regmonis Chron. (ad. 870) erzählt
wird: Ein Prinz versucht einem Vasallen das Pferd abzunehmen und
kommt dabei um, der Vasall geht in die Verbannung (vgl. GrÖbers Grdr.
II, 1, S. 451). Beide Verbannungen aber entlehnen ihre Motive inter-
* FefMnie als Frauenland s. AJort Aymeri Index. Grodefroi hat vier weitere
Beispiele.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 215
nationalen Sagen und Märchen typen, die sich in Mainet, Kaiser Oktavian,
Appoloniiis von Tyrus, Flore und Blanchefleur zum Teil wiederfinden. Und
hier haben des Verfassers Nachweise, soweit sie nicht historische Remini-
szenzen betreffen (er sucht solche in Armenien und Persien), ihren Wert
als Zuflüsse zum Detail. Dafs aber Buevc ein armenischer Prinz Bab sei,
das ist ausgeschlossen. Da der Bruder des fränkischen Helden in der
Pferdediebstahlsepisode Bivinus heifst, so könnte man nach des Verfassers
eigener Methode den Namen hierher ableiten.
Dem Charakter des Buches entsprechend wie dem Gewicht, das der
Verfasser selber auf die Methode legt (S. 1, 5), hat die Besprechung sich
vorwiegend mit Fragen allgemeiner Natur beschäftigen müssen. Eine kurze
Übersicht des Inhalts möge dafür entschädigen:
Sehr wertvoll ist im ersten Aufsatz Oarin le Loherain, Rolandslied
und Hervararsaga, die Parallele zwischen letzterer nebst der Örvar-Oddsaga
einerseits und Roland-Oirart v. Vienne anderseits. Örvar-Odd (Pfeilspitze)
und Hjalmar sind nach einem Zweikampf Waffenbrüder geworden, Hjal-
mar mit seines früheren Gegners Schwester Ingeborg verlobt. In einem
Kampfe, den die beiden neuen Freunde gegen überlegenen Gegner kämpfen,
einem Kampfe, der mehr wie eine" Analogie mit Roncesrals zeigt, fällt
Hjalmar. Örvar-Odd kehrt zurück und meldet seinen Tod. Ingeborg
stirbt daraufhin.
Diese schöne Sage ist mit jener im Roland und Oirart v. Vienne
untergegangenen sicherlich identisch, und diese Identität wird durch die
Namengleichheit des Bruders der Heldin Örvar(-Odd) = Olivier (volks-
etymologisch aus *Orvrier *01vier) bestätigt. Die nordische Sage soll
auf Traditionen des !^ Jahrhunderts zurückgehen,' so dafs also die ver-
wandten Dichtungen auf gemeinsame Quellen zurückzuführen wären und
es ausgeschlossen scheint, dafs wir es lediglich mit einer Nachahmung
des Rolandsliedes und seiner Voraussetzung zu tun haben.
Ob man nun mit dem Verfasser den Namen Alda auf eine aus einer
anderen nordischen Sage geholte Alfhildr zurückführt oder mit mir an
Hilde denkt, gleichviel: wir haben es in Besprochenem mit einem Nach-
weis von aufserordentlicher Wichtigkeit zu tun, der alles, was bisher über
Roland-Olivier-Alda gesagt worden ist, modifiziert.
Annehmbarer als der byzantinisch-historische Ursprung des Eledus-
romans ist der Nachweis antiker Elemente in ihm (S. 135). Der Raub
der Serena scheint unter dem Einflufs des Raubes der Helena zu stehen.
Wie Paris durch Venus hierzu verlockt wird, so hier Maugrer durch eine
dragonesse, eine natürliche Vertretung der Liebesgöttin nach mittelalter-
licher Anschauung. Diese Verwendung von Motiven, die natürlich nicht
auf sagenhafter Überlieferung beruhen, sondern literarischen Quellen ent-
stammt, stimmen zu den Amazonen und Zentauren {Sagittaire) des Troja-
romans in auffallender Weise. Die Ähnlichkeit der Namen: Gemenas =
Agamemnon ; Manimus — Menelaos möge erwähnt werden.
Ingeniös, wenn auch weniger geeignet als festes Resultat der Lite-
raturgeschichte einverleibt zu werden, ist der Versuch der Quellenbestim-
mung des Aigar und Maurin: Die Weifsen und Roten, die auf beiden
Seiten kämpfen, werden auf Parteien der byzantinischen Rennbahn, die
ganze Erzählung auf den Konflikt zwischen Belisar und Justinian zurück-
geführt, den ja der Verfasser gleich mir auch in einer Stelle des Ogier
wiedersieht. Wenn auch aus Gregor von Tours hervorgeht; dafs die
Franken im 6. und 7. Jahrhundert die Bedeutung des byzantinischen
Zirkus kannten (vgl. dort V, 30. VI, 30), so scheint mir ein Zirkusstreit
* S. 67* nach Boer, Altnord. Saga-Btbl. IL, Halle 1892, S. XV. Mogk in
Pauls Grtiftdiifs 11., S. 836 — 837.
216 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
wenig geeignet, episch umgeformt werden zu können. Dazu: Finden sich
zu den Weifsen und Roten in der Kreuzzugsdichtung nicht Analoga? —
Der Verfasser erwähnt nicht, dafs im Gedicht typische Figuren der
Girartdichtung vorkommen, dafs die angebliche Bastardschaft des Königs-
sohnes ein sehr charakteristisches Motiv ist, das in altem romanischen
Sagengut immerhin eher zum Kärlingerepos, als zu fremder Sage gehört.
Einzelne Szenen sind echt fränkisch, und ich werde noch Gelegenheit
haben, solches hier darzulegen, wenn auch auf diesem Wege über den
Ursprung der Sage über Vermutungen nicht hinauszukommen ist.
Im vierten Aufsatz, Öenerides, werden zu diesem mittelenglischen
Roman Beziehungen zur Geschichte Kaiser Zenos', zu indischer und per-
sischer Sage besprochen. Wenn wir von den historischen Parallelen ab-
sehen, so handelt es sich hier um sichere und interessante Nachweise:
Dem Öenerides entspricht einerseits die indische Sahmtalasage, anderseits
zwei offenbar sagenhafte Erzählungen aus Firdusis Königsbuch.
Bemerkt mufs freilich werden, dafs man sich hier vor dem Fehler zu
hüten hat, den wir alle schon gemacht haben, solche Verwandtschaft mit
der Methode historisch-epischer Forschung zu treiben. Eine Prüfung kann
hier nur 'folkloristisch' sein und wird über eine Sammlung der verwandten
Märchentypen nicht hinausgehen. Die gegebene Sammlung aber liefse
sich, besonders eine solche zum Sakuntalatkema ' aus fränkischer Sage, aus
UOl Nacht und sicher auch aus anderen Märchen- und Novellensamm-
lungen leicht vermehren. Bei dem Verhältnis der Stiefmutter zum Helden
durfte ein Hinweis auf Syntipas und besonders Dolopathos nicht
fehlen.
Aus den Nachträgen schliefslich seien hervorgehoben : IV. Über einige
altfranzösische Schwertnamen; VII. Zur Olafsage (Volkslied vom König
Eenaud.)', XI. Die Majoriansage, wo in interessanter Weise darauf auf-
merksam gemacht wird, dafs dieselbe Verkleidung, die Pseudoturpin u. a. m.
von Karl dem Grofsen erzählen, in Prokops Vandalenkrieg von Majorianus
berichtet wird; XIV. Über den episch - französischen Namen Naime.
S. 379 Ganseron (aus Anseis de Cart.) = Genserich.
Eine erschöpfende Behandlung aller bemerkenswerten Erörterungen
und Fragen, die der starke Band aufwirft, ist natürlich unmöglich.
München. Leo Jordan.
The chronicle of Morea, edited in two parallel texts from the Mss.
of Copenhagen and Paris, with introduction, critical notes and indices,
by John Schmitt, Ph. D. (Byzantine Texts, ed. by J. B. Bury). Lon-
don, Methuen & Co., 1904. XCII, 640 S.
Eine Verschronik aus dem griechischen Mittelalter, die in einer Samm-
lung byzantinischer Texte erschienen ist, hat auf den ersten Bhck kaum
auf die Teilnahme des auf die Erforschung westeuropäischer Kultur ge-
richteten Neuphilologen zu rechnen. Das wäre vollständig richtig, wenn
der Begriff 'mittelgriechisch' oder 'byzantinisch' wirklich etwas so Exklu-
sives, von Westeuropa scharf Getrenntes wäre. Leider ist man sich selbst
in Fachkreisen über die Dauer der echt byzantinischen Welt noch nicht
einig: die landläufige Abgrenzung durch das Jahr 1453 kann nur für die
politische Geschichtsforschung, nicht aber für die kulturelle und literarische
Itig sein. Das byzantiniscne Reich bestand wohl noch bis zur tür-
ächen Eroberung, die spezifisch byzantinische Kultur aber hatte schon
* Ein König findet bei einer Jagd eine Jungfrau, die er durch Versprechun-
gen u. a. verfuhrt. Später zieht ihm dann ein Sohn aus diesem freien Bunde zu,
den er anerkennen mufs.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 217
1204, mit der Eroberung Konstantinopels durch die Lateiner, also 250 Jahre
früher, ihr Ende gefunden: mit dem Eindringen okzidentalischen Geistes
in das orientalisch - byzantinische Wesen ist es mit der geistigen Herr-
schaft des Byzantinertums vorbei. Mit dieser Tatsache hat z. B. Krum-
bacher, der beherrschende Darsteller der byzantinischen Literatur, nicht
genügend gerechnet, wenn er in seinem Werk auf Grund eines rein äufser-
lichen, sprachlichen Unterschiedes einen eigenen Teil als Vulgärliteratur
gesondert behandelt hat, der innerlich ganz heterogene Elemente umfafst;
denn nur etwa die Hälfte der dort charakterisierten Produkte sind auf
rein byzantinischem Boden gewachsen, die übrigen sind erst unter dem
befruchtenden Einflufs romanischer Phantasie zustande gekommen und
gehören daher gar nicht mehr zur byzantinischen, sondern zur neugriechi-
schen Literatur, jedenfalls zu dem Übergang zwischen beiden. Referent
hat diese Auffassung in seiner Darstellung der neugriechischen Literatur
(P. Archiv Bd. 0X1, S. 247) zur Geltung zu bringen versucht.
Zu dieser Gruppe von Erzeugnissen einer ausgesprochenen Misch-
kultur gehört auch die sogenannte Chronik von Morea, und darum recht-
fertigt sich auch ein Eingehen auf sie an dieser Stelle.
Über den Inhalt der Chronik s. die Charakteristik von Krumbacher,
Gesch. der hyxant. Lit.'^ ^ 8tj(), und die eingehende Analyse in der vorlie-
genden Ausgabe S. LXVII ff. Zur Orientierung hier nur so viel: der
Chronist schildert aufser der Eroberung Konstantinopels die fränkische
Herrschaft im Peloponnes vom Jahre 1201 — 1202, besonders die Ereignisse
unter Wilhelm IL Ville-Hardouiu, mit besonderer Hervorhebung der
Feudalsitten, der Beratungen des 'Oberhofes', überhaupt der diplomatischen
und juristischen Einzelheiten, während die kriegerischen Ereignisse auf-
fallend zurücktreten. Vgl. S. XL f. der Einleitung.
Die vorliegende Ausgabe ist nicht die erste des Werkes überhaupt,
wohl aber die erste von rein philologischem und literarischem Standpunkt
befriedigende. Schon vor 80 Jahren (1825) hat der Franzose J. A. Buchon
die Chronik zuerst herausgegeben und mit einer französischen Übersetzung
begleitet unter dem Titel: Chronigtie de la conquete de Constantinople et
de V etahlissement des Fran^ais efti Moree, ecrite en vers politiques par un
auieur anonyme etc. d'apres le manuscrü grec, Paris 1825.
Diese Ausgabe hatte aber den Mangel, dafs sie zunächst nicht auf
der besten Handschrift beruhte und sodann, dafs sie die Chronik zu ein-
seitig als historische Quelle behandelte. Schmitt hat nun in der Einlei-
tung seiner neuen Ausgabe, die u. a. die textkritischen Ergebnisse einer
früheren, als Dissertation erschienenen Untersuchung zusammen fafst, das
Denkmal vornehmlich betrachtet ^as the chief literary monument of the
Frankish period . . .'. Denn als Geschichtswerk ist es durch des Italieners
S a n u d 0 'Istorm del Begno di Romania' (bei Hopf, Chroniques greco-romanesj
Berlin 1873) längst als unglaubwürdig erwiesen (s. Schmitt S. XL VIII f.).
Buchon war auch der Ansicht, dafs die griechische Chronik nur eine Bearbei-
tung des französischen 'liire de la conqueste' sei, eine Ansicht, die Schmitt
S. XXX ff. mit guten Gründen zurückweist zugunsten einer Priorität
der griechischen Fassung. Übrigens ist diese Frage ohne jede Bedeutung
für nationale Tendenzen, denn auch aus der griechischen Form spricht
durchaus französische Gesinnung und heftiger Griechenhafs, so dafs man
es im Grunde mit einem französischen Erzeugnis zu tun hat, jedenfalls
mit einem solchen, das durchaus okzidentalisch-mittelalterlichen Charakter
trägt. Es ist Schmitts Verdienst, diese Zugehörigkeit der Chronik zu un-
serer westlichen, nicht zur byzantinischen Kulturspäre zuerst klar erkannt
und deutlich ausgesprochen zu haben: 'Looked at in this light (der An-
w^endung der Volkssprache), our Chronicle is closely connected ivith the lite-
rature of the West, especially that of France, and it can favourably compete
iciih many of the old chansons de geste, in which hisiory, legeyid and
218 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
poetical Imagination are closely united. It is Oreek only in language, hut
thoroughly French in its literary form and in its spirit. (S. XLIII.) Vgl.
auch S. XLVI über den wahrscheinlichen Einflufs altfranzösischer Ro-
manzen und S. LVI über die Wiederbelebung der neugriechischen Volkp-
poesie durch den romanischen Geist überhaupt, worin er sich mit der Auf-
fassung des Referenten berührt. Interessant ist auch der Hinweis auf das
verschiedene Schicksal der französischen Eroberer in England und Griechen-
land S. LI. LVII.
Noch interessanter wäre ein anderer Nachweis, den Schmitt S. LVIII ff.
zu führen versucht, wenn er ihm gelungen wäre, nämlich der, dafs Goethe
die Chronik von Morea als Quelle zur Helena-Episode in Faust II be-
nutzt habe. Obwohl der Herausgeber seine Gedanken hierüber in einem
eigenen Vortrag ausführlich dargelegt hat (Hochschul -Vorträge für jeder-
mann, Heft 34/35), so mufs Referent leider bekennen, dafs er der Begrün-
dung dieser Gedanken nicht beizustimmen vermag, dafs ihm vielmehr
diese Begründung einen sehr gezwungenen Eindruck macht. Gewifs wäre
zu wünschen, dals der Verfasser recht hätte, denn dann wäre unsere
Chronik mit einem Schlage aus der Verachtung in den Uterarischen Adels-
stand erhoben, so aber gesellt sich sein Versuch zu den vielen, die die
Goethe-Philologie auf dem Gewissen hat, und es wäre besser gewesen,
er wäre ganz unterblieben, denn Positives bietet er gar nicht, er bewegt
sich vielmehr in reinen Hypothesen und in äufserst gewagten Deutungen,
wie z. B. dafs Goethes Kenntnis der Chronik einen Wendepunkt bilde in
der Entstehungsgeschichte der 'Helena'. Das heilst doch philologisches
Quellenstudium und dichterisclie Inspiration arg miteinander verwechseln.
Im übrigen verdient die neue Ausgabe der Chronik schon darum
hohes Lob, weil es die erste mit allen Mitteln textkritischer Forschung
hergestellte Ausgabe eines vulgärgriechischen Werkes ist. Mögen ihr bald
ebenbürtige folgen aus der Gruppe der auch für den Romanisten wich-
tigen griechisch-romanischen Volksliteratur des 11. — 17. Jahrhunderts.
" ■ ■ " K. Dieterich.
Edmond Hugnet, Les m^taphores et les comparaisons dans Foeuvre
de Victor Hugo. Le sens de la forme dans les ra^taphores
de Victor Hugo. Paris, Hachette, 1904, in-S« de VIII— 392 p.
En 1888, M. Georges Duval a publik un Dictionnaire des metaphores
de Victor Hugo, pr^c^d^ d'une pr^face de M. Fran§ois Coppee. La preface
n'avait pas grande port^e, et le dictionnaire ^tait m^diocre. Aussi n'est
il pas etonnant qu'un philologue de grand merite, M. Edmond Huguet,
professeur ä la Faculte des Lettres de l'Universit^ de Caen, ait entrepris de
remplacer par un recueil complet et möthodique le recueil, d'ailleurs ^puis^
en librairie, de M. Duval.
Son dictionnaire termine, M. Huguet a sans doute songe ä le faire
Srecöder d'une introduction, qui obvierait aux inconv^nients inevitables
'un r^pertoire par ordre alphab^tique, en rapprochant ce qui peut 6tre
rapproche, en classant les divers proc^d^s plus ou moins consciemment
mis en oeuvre par l'imagination du po^te, en d^terminant la nature et les
lois de cette imagination prodigieuse. Täche d^licate, et surtout täche
agr^able! L'auteur s'y est si bien complu, qu'il a cit^ et comment^ des
milliers de metaphores et que l'introduction est devenue un ouvrage en
plusieurs volumes. C'est le premier de ces volumea qui seul nous est
donn^ aujourd'hui : il a pour sujet le sens de la forme dans les metaphores
de Victor Hugo.
\ ;En un premier chapitre, M. Huguet Studie la nature de la vision
du po^te: il montre que jses Images visuelles, d'abord nettes et exactes,
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 219
sont ensuite agrandies et transform^es — ou d^form^es — par le travail
de son esprit, jusqu'ä produire parfois de pures illusions (en certains cas
volontaires), des fantömes et des cauchemars.
Apr^s cette explication toute generale, il est temps de passer en revue
les grandee categories de formes oü Victor Hugo puise ses comparaisons
et ses metaphores. Les huit chapitres qui suivent sont consacres ä cette
revue.
Chapitre II: les formes geometriques. Une ligne droite, comme le sil-
lage d'un navire, rappelle au po^te un sapin ou le sillon trac^ par une
charrue ; une ligne briste, celle que forment les toits d'une ville, par
exemple, fait songer a une scie; une spirale, c'est l'enroulement d un
perpent; un cercle, c'est un carcan ou une couronne, un palet ou une
roue etc.
Chapitre III: les animatix. Victor Hugo a toujours vu entre les
regiies de la nature de frappantes correspondances. 'Tonte chose, disait-il,
se refl^te, en haut dans une plus parfaite, en bas dans une plus grossi^re,
aui lui ressemblent.' Et, par suite, d'innombrables metaphores devaient,
dans ses ecrits, rapprocher un rocher perce de trous et un zoophyte, une
racine d'arbre et un reptile, les flots de la mer et un troupeau, la flamme
d'un incendie et un cneval sans frein, voire un navire qui fait clapoter
l'eau et un chien qui nage, l'ile de la Cit^ de Paris sous Louis XI et une
tortue.
Le chapitre IV ne s'occupe plus des comparaisons d'ensemble avec
les animaux, mais des comparaisons avec teile ou teile partie du corps de
l'homme et de l'animal: une montagne a des vertfebres, un rocher a un
front et verse des larmes, la vague dresse la tete et hurle, la pioche est
un bec qui fouille, la lave est une chevelure qui se rdpand sur les ^paules
du volcan . . .
Un arbre n'a pas seulement des bras ou un torse, il peut sur son
ecorce avoir des excroissances qui rappellent des verrues; la montagne
f)eut paraitre une bosse, aussi bien qu'un corps de g^ant; la lave, au
ieu d une chevelure glissant sur des ^paules, peutetre le pus qui s'^coule
d'un abcfes. Autrenient dit, apr^s le corps de rhomme et de l'animal, il
convient, dans les chapitre V, d'^tudier les difjformites et les maladies.
Et, de m^me, le chapitre VI ötudiera le vetement, l'arfnure et laparure:
le turban d'Ali pacha, qu'on croit voir repr^sente par les murs de sa
citadelle; le panache que le feuillage d'un arbre met sur une vieille tour;
le volle d'or que la flamme met au front d'une foröt ineendiee . . .
Tout ce aui se rapporte ä l'homme et aux animaux ayant ^tö ainsi
examine, les cnapitres VJI, VIII et IX abordent d'autres sources d'images,
et ils etudient: Tun la Vegetation; l'autre la mer, le cours d'eau, la mon-
tagne, le troisi^me V architecture, ä laquelle l'auteur de Notre-Dame de
Paris a toujours accorde une attention si passionn^e. Et, cette fois, ce
serait tout, si les metaphores de Victor Hugo ^taient purement descrij)-
tives; mais souvent elles sont appelees par la sym^trie ou par une anti-
th^se; souvent elles contiennent un symbole, comme lorsque la tombe
est comparee ä un creuset, ou les nuages de la libre Suisse ä un drapeau.
II ne s'agit plus ici d'un champ nouveau oil le 'sens de la forme' qu'on
a reconnu au pofete se serait exerc^ ; et, d^s lors, M. Huguet a du hesiter
ä comprendre une teile ^tude dans son livre. Mais, si le goßt des anti-
th^ses et des symboles a donne au 'sens de la forme' chez Victor Hugo
de puissantes raisons de s'exercer, convient-il de les passer sous silence?
et, si un chapitre sur les antitheses et les symboles risque de revenir sur
ce qui a et^ dit anterieurement, est-ce lä un obstacle insurmontable?
'Les symboles et les antitheses, dit M. Huguet p. 329, abondent dans les
citations que j'ai faites jusqu'ici. Aussi est-ce un peu arbitrairement que
je groupe dans ce chapitre quelques exemples nouveaux. La plupart du
220 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
temps, une m^taphore de Victor Hugo est interessante de plus d'une
fa^on, et, parmi les citations qui vont suivre, beaucoup auraient pu
trouver place dans les chapitres qui pr^c^dent.' Cette f ran che confession
suffit Sans doute ä faire tomber les objections qu'on aurait pu Clever
contre le chapitre X.
La conclusion, qui vient ensuite, insiste sur ce qu'ont de naturel et
de spontane les mötaphores de Victor Hugo. Un index bien congu ter-
mine le volume.
On voit quel est l'int^ret du travail de M. Huguet. Les citations de
V. Hugo y sont classees en bon ordre et comment^es avec une finesse
discr^te. Si 'ce livre n'est pas autre chose qu'un mus^e', il est juste de
dire que les oeuvres exposees y sont plac^es sous le jour le plus favorable
et que le catalogue en a et^ r^dige avec beaucoup de goüt. A tout in-
stant, la difficulte etait grande de ne dire que ce qui se rapportait au
'sens de la forme'; ou, pour mieux dire, il etait souvent impossible de
faire un d^part rigoureux entre ce qui devait trouver place ici et ce qui
devait l^gitimement figurer ailleurs. Avec beaucoup de bonne gräce,
M. Huguet, en pareil cas, a signal^ lui-meme ce que les metaphores
eitles devaient au sens du mouvement, au sens de la couleur, ä Tid^e
morale, et, quand il se sentait decid^ment glisser hors du sujet, il s'ar-
r^tait.
Seulenient, je lui ferai ici un premier reproche: pourquoi ne nous
a-t-il pas dit dans son avant-propos comment il entendait diviser l'ensemble
de ses etudes sur les comparaisons et les m^taphores du po^te? S'il
l'avait fait, teile ou teile objeetion que suscite la lecture de l'ouvrage
n'aurait peut-etre pas eu lieu de naitre. Ainsi, le livre de M. Huguet
nous präsente pele-mMe des ra^taphores empruntees ä tous les moments
de la carrifere de son auteur, il ne nous donne que tr^s exceptionnellement
des indications sur l'evolution de ces Images, et nous sommes tent^s de
le regretter. Mais la lacune que nous croyons voir etait-elle inevitable?
ou sera-t-elle comblee dans un prochain volume? — M. Huguet reconnait
en maints eudroits que certaines Images de Hugo reprennent des m^ta-
phores inconscientes du langage courant; il remarque que le pofete *joue
sur les deux sens du mot lame' ou du mot fleche (p. 280, p. 46); et ce-
pendant il parait croire qu'en pareil cas ses Images sont le plus souvent
'naturelles et spontanees' et ont une origine visuelle. II se peut; mais
un ecrivain qui adorait les alliterations et qui prenait pour titres: vis et
vir ou huvard bavard peut etre parti, pour tormer des m^taphores sur les
l^vres d'une plaie, les dents d'une montagne, ou une foret de cheveux,
des emplois que la langue donne aux mots levre, dent et foret. M. Huguet
nous parlera-t-il ailleurs du sens du langage ou de la mythologie du Jan-
gage dans les m^taphores de Victor Hugo?
Exprimons un autre re^ret. M. Huguet a not^ avec soin l'origine
de toutes ses citations; mais il a renvoy^, pour chaque ouvrage, aux
volumes et aux pages de l'edition dite ne varietur, du format in-8". Or
les editions de Victor Hugo sont trfes nombreuses, celle dont M. Huguet
s'est servi n'est meme pas la plus repandue, et les verifications deviennent
ainsi bien difficiles. N'eüt-il pas ^te bon d'ajouter aux indications adop-
tees les divisions r^glees par l'auteur: acte et scfene pour le theätre; partie,
livre et chapitre pour les romans; lettre pour le Rhin; livre et num^ro
pour les po^sies, etc. ...?
Sur le detail j'aurai peu de remarques ä faire. Voici d^abord un
exemple (^ui ne me parait pas tr^s bien choisi.
On lit p. 21 et 22: 'Bien moins souvent que la r^duction du grand
au petit, on trouve chez Victor Hugo le grossissement. C'est d'ailleurs
une manifestation de la m^me habitude de comparaison, de la tendance k
suivre une forme ä travers les changements de directions ...:
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 221
^ Une cloehette bleue trembiait au veiit et toute uiie natioii de puceroiis s'etait
abritee sous cette enorme tente. \Le Rhin, II, 235.
L'iusecte est au bout du brin d'herbe
Comme un matelot au grand mät.
Les chonsons des rues et des bois^ 204.*
Au preraier coup d'ceil, ces deux citations paraissent offrir des ni^taphores
tout ä fait analogues; mais, ä vrai dire, il u'en est rien. C'est le pofete
qui (jrossit l'insecte et le brin d'herbe jusqu'ä voir eii eux un matelot et
un grand mät; mais ce sont les pucerons qui, tout naturellement, voieut
dans la cloehette bleue oü ils s'abritent une Enorme teute. IIa fönt
comme la fourmi de La Fontaine, perdue dans l'ocean d'un clair ruisseau
(Fables, II, 12), et le pofete, en ce cas, n'a rien ä grossir.
i^L'exemple suivant demanderait ä 6tre compl^t^.
On lit, p. r>7 et 38, que le pofete change en spectre la comfete, cette
effrayante apparition :
£t soudain, comme un spectre entre en une maison,
Apparut, par-dessus le farouche h(»rizon,
Une flamme emplissant des millions de Heues,
Monstrueuse lueur des immensites bleues ...
£t l'astre etfrayant dit aux hommes: Me voici!
La Legende des siecles, IV, 18.
A lire ces vers, on peut croire que le po^te compare, non pas pr^cis^-
ment la comfete ä un spectre, mais l'entr^e niyst^rieuse de la comfete ä
Celle d'un spectre. II eilt fallu les faire prdcöder d'autres vers de la
möme pifece (XLVI, la Comete), de ceux-ci, par exemple:
Ne questionnez point sur son itin6raire
Ce fantöme, de nuit et de clarte vdtu. Vers 36—37.
P. 35, une citation est peu compröhensible, parce qu'uu mot pr^c^-
demment exprim^ dans le contexte n'a pas 6t^ rappelt:
Dans les bois, mes royaumes,
Si le soir l'air bruit,
Qu'il semble, a voir leurs dömes,
Des tStes de fantömes
Se heurtant dans la nuit.
Ödes et Ballade/t, 428—429.
Au Heu de que, entendez : pourvu que (Ödes, V, 25).
M. Huguet, qui prend d'ordinaire grand soin de donuer les explica-
tiouö n^cessaires pour que les metaphores soient intelligibles, aurait pu
prendre une pr^caution semblable pour les suivantes:
P. 1.58. Les sorbiers, les lilas ...
Semblaient se divertir ä, faire les coulixses,
Et pour nous voir, ouvrant leurs fleurs comme des yeux,
Joignaient aux vioions leur murmure joyeux.
Lts ContemplatlonSf 91.
(Le mot coidisses est obscur, si l'on ne fait pas pr^c^der la citation de
cet autre vers, livre I, pifece 22, v. 17:
A midi le spectacle avec la m61odie.)
P. 181. Les grands arbres profonds qui vivent dans les bois,
Tous ces vieillards, les ifs, les tilieuls, les 6rable3,
Les saules tout rid6s, les ebenes vendrabies,
'222 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
L'orme au branchage noir, de mousse appesanti,
Comme les ul6mas quand parait le muphti,
Lui fönt de grands saluts et courbent jusqu'ä terre
Leurs t^tes de feuillee et leurs barbes de lierre.
ie* Contemplafions, I, 15 — 16.
{Lui, c'est le pofete; et la pi^ce commence par:
Le pofete s'en va dans les champs. Livre I, pi6ce 2.)
P. 191. Vous pouvez, gräce au chiffre escorte de z6ros,
Prendre aux cheveux l'etoile ä travers les barreaux!
La Legende des siecles, IV, 13.
( Vous, ce sont les savants ; et il eüt ^t^ bon de citer quelques vers encore,
avant et apr^s ceux que M. Huguet a choisis:
Vous avez dans la cage horrible vos entrees! ...
Vous connaissez les moeurs des fauves m^t^ores ...
Vous allez et venez dans la fasse aux soleils!
XLVI, La Comete, v. 124—130.)
A le page 354, ä propos d'une th^orie sur l'alphabet exposöe dans
une lettre du 26 septembre 1839, M. Huguet met en note: 'Nous voyons
d^jä l'y servir de point de comparaison dans le Rhin (I, 423)'. II y avait
lieu aussi de renvoyer ä un passage du Rhin, II, 25 — 26, cit^ page 252.
Et voici enfin quelques fautes d 'Impression. P. 103, au lieu de: 'la
pompe ... crache avec fureur un jet d'acier sur l'^pou van table chimere
a mille tetes (la flamme)', il faut lire: un jet d'acier liquide (Le Rhin,
I, 270—271, lettre 19: la citation est faite exactement p. 138;. — P.,^187,
une virgule est necessaire ä la fin du premier vers de La Legende des siecles,
III, 272 (XLI, V. 111):
Je (l'Oc^an) suis TOnde en sa tauiäre
Que prennent ä la criniöre
Les quatre vents.
P. 285, il faut lire: de toutes parts.
Montpellier. Eugene Rigal.
Baldensperger, F., Goethe en France. Etüde de litt^rature compar^e.
Paris, Hachette, 1904. 392 S.
Goethe hat Frankreich aus eigener Anschauung nicht gekannt. Sein
Strafsburg kann nicht als französische Stadt gelten und seine 'Kampagne
in Frankreich' nicht als französische Reise. Der Einladung Napoleons,
nach Paris zu kommen, ist er nicht gefolgt. Aber mit der Literatur dieses
ungekannten Landes war er wie kein zweiter vertraut. Er hat tiefe und
vielgestaltige Anregung aus ihr empfangen, und wenn er in jüngeren
Jahren mit Ungeduld die Blätter der Grimmschen Correspondance litte-
raire erwartete, so las er im Alter eifrig den Olobe. Er hat Frankreich
auch viel gegeben. Welches das Schicksal seiner Werke in Frankreich
gewesen ist, seit Werther 1776 drüben bekanntgeworden; wie seine Kunst
und Weltanschauung gewirkt, wie das Urteil über den Dichter, den For-
scher und den Menschen im Laufe der Zeit sich gestaltet hat, das will
Baldensperger zeigen.*
* Der Name Goethe hat den Franzosen jederzeit Schwierigkeiten bereitet.
Wir finden Monsieur Scheet 1801 (Rev. d'histoire Hit. de la France II, 200). Napo-
leon, der den Klang des Namens durch das Ohr au%enommen, pflegte zu fragen:
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 223
Sein Buch beruht auf der umfassendsten Information ; * es ist ein
Werk unverdrossener Forschung, solidester Fundamentierung; ein kom-
paktes Gefüge von zahllosen Bausteinen. Aber keine rudis raoles, sondern
ein schöner, heller, vierteiliger Bau: aus der Vorhalle, die nach Werther
benannt wird, treten wir in den dämmerigen Kaum, wo Faust und die
Gestalten der Balladen uns empfangen ; daran schliefst sich der hohe Saal,
den Goethes griechische Schöpfungen, seine Philosophie und Wissenschaft
erfüllen, und endlich das Sanktuarium : La persomialite de Goethe.
B.s Darstellung ist künstlerisch auch im Stil ; er schreibt formvollendet.
Er schreibt auch in dem unparteiischen, freien Geiste, den die verglei-
chende Literaturforschung verlangt, zu deren hervorragendsten Vertretern
er gehört (cf. hier CXIII, 48b). Ihm verdankt Frankreich das erste Buch
über Gottfried Keller. Ein Oessner en France ist 1903 in der Remte d'hist.
litt, de la France (X, 473) erschienen.
Goethe ist in Frankreich nicht wirklich populär geworden trotz des
breiten und tiefen Stromes seines Einflusses. Mancher Franzose, der die-
sen Einflufs in seinen Schöpfungen deutlich verrät, hat ihn nicht direkt
aus Goethe, sondern auf dem Umweg über allerlei Interpreten, Vermittler
und Nachahmer erfahren. Es ist der Einflufs eines Vertreters der künst-
lerischen und philosophischen Freiheit, und er ist auf allen Gebieten mit
Ausnahme des Naturalismus zu erkennen.
Zunächst ist Goethe fünfzig Jahre lang für die Franzosen l'auteur de
Werther geblieben, obwohl M'"'' de Stael schon seit 1813 Goethes Theater
analysiert, von seinen Balladen übersetzt und von seinen Romanen ge-
sprochen hatte. Dann wird er seit der Nervalschen Faustübersetzung (1828)
lauteur de Faust, d. h. nicht sowohl der Gestalter des Faustdramas als
der Bildner des Mephisto und Gretchens. Von seiner Lyrik sprechen die
Romantiker nur die Balladen an. Weder Wilhelm Meister noch die Wahl-
verwandtschaften noch das Theater Goethes oder Hermann und Dorothea
vermochten die Franzosen zu fesseln. Einzelne Verehrer oder Verehrer-
gruppen fanden sich freilich auch für diese Werke und führten daraus
manches dem Strom des literarischen Lebens zu, so z. B. die Parnassiens. ^
Geoffroy St-Hilaire huldigt dem Naturforscher Goethe, Renan und Taine
huldigen dem Philosophen und verkünden, wie sein Weltbild auf sie ge-
wirkt.
Fausts zweiter Teil und Goethes Lieder sind, seit die Romantiker sie
ablehnten, auch zu Ehren gekommen.
Gewifs gibt ein Buch, das es mit so feinen und so reichen geistigen
Beziehungen zu tun hat, jedem Leser zu Vorbehalten Anlafs und zu Nach-
trägen Gelegenheit. Geht nicht B. in der Vermutung Goetheschen Ein-
flusses in Einzelheiten etwa zu weit, während er anderes übersehen hat?
Goethe selbst hat z. B. auf das Plagiat aufmerksam gemacht, das Stendhal
Qtt'cn petve M. Götf Und so sprechen die Gebildeten den Namen denn auch heute
allgemein, und Montesquieu reimt Goethe mit bleute^ Baldensperger mit meute. Vgl.
dazu des letzteren Mitteilung im Euphorion IX (1902), 423 — 26. Die Romantiker
lautierten ihn nach dem Schriftbild und reimten Goethe (= goete) mit poete.
* Die Bibliographie zu Goethe en France wird B. als besondere Publikation
erscheinen lassen.
* Dabei ist interessant zu sehen, wie die Auffassung eines Kunstwerkes mit
den Zeiten wechselt. M™^ de Stael schon bewundert die Braut von Konnth (De
rAllemagne II cap. 13), doch lehnt sie die heidnische Tendenz ab. Auch die Ro-
mantiker halten sich ausschliefslich an das Schaurige der Vampirsage. Die Par-
nassiens aber fesselt gerade der Gegensatz zwischen christlichem Asketismus und
heidnischer LebensfüUe, und sie machen aus dem Thema ein Bekenntnis ihres
Heidentums (cf. Baldensperger p. 246).
224 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
in Rome, Naples et Florence an seiner italienischen Reise begangen hat;
B., der Stendhal häufig zu Wort kommen iäfst, erwähnt diese Entlehnung
nicht. Im übrigen möchte ich nur auf einen Punkt hinweisen, der wichtig
genug scheint, einem so lehrreichen Buche gegenüber moniert zu werden:
Chateaubriands Verhältnis zu Goethe.
Chateaubriand hat mit Rene gewifs keinen Änti-Werther schreiben wollen
(S. 39). Ren6 ist ein zweiter Werther, ein Werther, der, von seinem Selbst-
mordversuch genesen, sich hoffnungsvoll in die Revolution gestürzt hat
und auch diesen Traum hat verfliegen sehen: er ist der postrevolutionäre
Werter, der Mann universeller Enttäuschung. In dessen prahlerischer
Ausmalung in den Natehex tut sich Chateaubriand ein Genüge: je m'y
delectais, sagt er. Er führt ihn an die Grenzen der Blutschande und des
Lustmordes und macht sozusagen einen Werther rosse aus ihm. Wenn
er vom poison des Goetheschen Werther spricht, so ist von seinem Rene
zu sagen, dafs er das Werthergift noch mehr vergiftet hat. Als er ein
Stück dieses Rene dann in sein Oenie du christianisme aufnehmen w^oUte,
hing er ihm nachträglich ein christliches Mäntelchen um. Aber damit hat
er den Geist des Rene nicht zu einem christlichen, anti-wertherischen ge-
macht, sondern er hat blofs einen unversöhnlichen Widerspruch geschaffen.
Dans Rene, Chateaubriand a cache le poison sous l'idee religieuse; c'est em-
poisonner dans une hostie, sagte Chönedoll^ (cf. Ste-Beuve, Ghai,. et son
groupe litt. I, 379), und so ist es. —
1873 schrieb Dumas fils als unrühmliche literarische. Rache für
1870/71 seine berüchtigte Vorrede zu Bacharachs neuer Faws^Übersetzung,
die damit schliefst, dafs Goethe wohl ein grand ecrivain, grand poete,
grand artiste gewesen sei, dafs aber die Nachwelt ihm das Prädikat grand
homme versagen werde: Orand homme? Non! — Heute, dreifsig Jahre
später, bringt eine Pariser Zeitschrift der Jungen, U Erinitage, revue men-
suelle de litterature (1905), eine Artikelserie von M. Arnauld über La sagesse
de Ooethe, in der Goethe vorzüglich als Lebenslehrer, als gröfster Erzieher
gepriesen wird. Sic transit — infamia mundi.
Baldensperger hat ein schönes Buch des Friedens und der gegenseitigen
Anerkennung geschrieben, das diesseit und jenseit des Rheins mit dem glei-
chen Nutzen und der gleichen Freude gelesen werden mag. H. M.
Hans Ränke, Über die Sprache des französischen Wallis in der
Zeit vom 11. bis 14. Jahrhundert. Dargestellt nach romanischem
Sprachgut in lateinischen Urkunden. Doktordissertation von Halle,
1903. 69 S.
Die fünf Bände lateinischer Urkunden aus dem W^allis, welche Gre-
maud von 1875 an in den Memoires et documents publies par la Societe
d'histoire de la Suisse romande veröffentlichte, warteten längst auf einen
Forscher, der die darin enthaltenen romanischen Bestandteile untersuchte.
Nachdem man durch verschiedene Publikationen, besonders durch die-
jenigen Gilli^rons (dessen Atlas phonetiqu£. du Valais roman man unter
den von Ränke benutzten Werken vermifst) und Zimmerli, einen Begriff
der sprachlichen Tatsachen erhalten hat, wäre es nun wünschenswert, das
Verhältnis der Sprachgesetze unter sich und besonders ihr verschiedenes
Alter zu kennen. Dazu bieten die von Ränke studierten Urkunden
Material. Ich greife zwei Beispiele heraus, ein morphologisches und ein
lautliches. Man kann sich fragen, ob der Unterschied, den einige Walliser-
mundarten sowie einige angrenzende Waadtländer und die Genfer Patois
zwischen des kommes und de les femmes machen, alt oder relativ modern
ist. Die von Ränke zitierten Formen, z. B. Hec est conditio des lax vendes
apud Sedunenses (p. 69), beweisen, dafs die Konstruktion alt ist und direkt
auf den lateinischen Unterschied zwischen de illos und de illas zurück-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 226
geht. Zweitens: Für o/'*^'"^- sowie für al, die in der französischen Schweiz
gewöhnlich zusammengehen (aufser in Genf, vermutlich), hat das heutige
XVallis zwei Vertreter: a und o. Man kann sich fragen, ob die heutigen
Formen Sa {sale), tsovä (caballu) etc. von Lens z. B. eine Rückkehr von
altem o zu a darstellen und, da die Mundarten derselben Gegend auch
pra {pratu) gegenüber pro des unteren Wallis aufweisen, ob dasselbe
Lautgesetz in beiden Serien von Wörtern wirksam gewesen ist. Die For-
men der Dokumente haben für lat. a fast ausnahmslos a, für al: a und
au, und zwar, soweit ich sie nachgeprüft habe, mit derselben Verteilung
wie heutzutage. Die Formen Jomaux, Deschaux, Uassaul, Vaux, Seschaux,
Communaux stammen aus Sitten, Ayent (heute Sprachinsel mit g im
a-Gebiet!), Bex im Waadtland, Val d'Entremont, während Chesalx, Our-
tinaly Vassah etc. dem östlichen Gebiet angehören. Sitten gehört aller-
dings heute zum Osten. Der alte Sprachzustand deckte sich also vielleicht
ungefähr mit dem neuen. Da für -aiu unsere Dokumente nur ein ein-
ziges Mal au zeigen, wird man annehmen dürfen, dafs die Entwickelung
von al sui generis ist, dafs somit das a im östlichen pra das lateinische
ist, in tsovä eher eine Weiterbildung eines alten über das 12. Jahrhundert
zurückliegenden au. Ränke hat übersehen, dafs al heute zwei Resultate
hat, wie er denn überhaupt gar kein Gewicht auf die räumliche Ver-
teilung der Spracherscheinungen und die Herkunft der Dokumente legt.
Was die Entwickelung von -atu etc. anbelangt, so meint Ränke
durch die interessante Form praux ryont (= pratu rotundu) nachge-
wiesen zu haben, dafs auch a vor freiem t etc. über au zu p wurde.. Ich
glaube, dafs er zu wenig mit der Ungenauigkeit rechnet, mit welcher mit-
telalterliche Schreiber die heimatlichen Laute wiedergeben; mit der Mög-
lichkeit umgekehrter Schreibungen usw. Praux beweist nicht unmittelbar,
dafs einmal in diesem Wort ein Diphthong gesprochen wurde. Wo sollte
auch das u herkommen? Von der Endsiloe pratu sicherlich nicht, da
die Auslautgesetze so ziemlich dieselben sind wie im Altfranzösischen (an-
ders im Rätischen) und da auch die Wörter auf -täte, nave, clave etc.
den Wandel a — p mitmachen. Ich würde in au eine ungefähre Wieder-
gabe des Lautes ä sehen, eines a, das anfing sich nach p zu bewegen. Ich
meine also, dafs man die alten Graphien mit gröfserer Vorsicht deuten
sollte, als es Ränke tut. Er schaut die mittelalterlichen Buchstaben mit
allzu ^ofsem Vertrauen als Laute an. Er sagt in bezug auf Casal, Cablo
etc., hier sei die Palatalisierung unterblieben (p. 58), während es
sich doch nur um eine lat.-rom. Bastard Orthographie handelt. Was soll
z.B. der Satz heifsen : ü ist erhalten: muax ^= mutatus etc. Erhalten
ist doch nur der Buchstabe, aber der Laut?
Leider läfst sich an Hand der Dokumente nicht ausmachen, ob im
12. bis 13. Jahrhundert für lat. tl die Aussprache u oder ü bestand; die
Wörter rouua = ruga und Doux = dux (?) sind zweifelhaft, alle übrigen
mit dem herkömmlichen u geschrieben.
Lassen uns auch die Dokumente oft im Stich, wegen der Seltenheit
der romanischen Sachbezeichnungen (fast das ganze zu benutzende Ma-
terial besteht aus Personen- und Ortsnamen, mit oder ohne Latinisierungs-
versuche) und wegen der Schwierigkeit der lautlichen Interpretation, so
bringt doch die Arbeit Rankes eine ganze Reihe von nützlichen Aus-
künften. Wir erfahren z. B., dafs -ata = -a (noch 1588 plantaa), -atas
■=■ -aes wird, woraus durch Einschub von y -ayes entstand: plantayes 1318,
prayes 1375. Unter den modernen Patois der Westschweiz hat nur das-
jenige des Val-de-Travers dieses Verhältnis heute ganz rein erhalten, cfr.
in C6te-aux-föes: la matnä ^ fr^da, l^ matney' so fr^d' etc. So auch
das Partizip: fem. sing, tsätä, fem. plur. tsätey*. Im Wallis sind heute die
Partizipien analogisch umgeformt, während Substantive die alte Flexion
bewahren: rosata = roxg, plur. roxi (V^troz). Die Singularformen
ArchiT f. n. Sprachen. CXIV. 15
226 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
unserer Mundarten maimäyd (Freiburg, Waadt etc.) sind also aus dem
Plural entstanden. Schon im 13. Jahrhundert bestand die Aussprache pya
oder jda für pede: pia de fer 1214, cfr. lua = locu 1299. Leider ent-
halten die Dokumente keinen einzigen casus obliquus von i'^^-a<w; man
kann also nicht ersehen, ob damals schon medxia oder medxya für mandu-
catu gesagt wurde. Für -arm zeigen die Texte zwei Resultate wie unsere
Patois. Doch ist die Scheidung der Texte weniger rein als diejenige der
Sprechsprache. Vielleicht herrscht schon zur Zeit der Texte schriftfran-
zösischer Einflufs zugunsten der nach Palatal entwickelten Form -ier.
Ränke irrt sich, wenn er vier Resultate für -ariu annimmt. Die Schrei-
bungen er und eir, eyr beruhen auf derselben Aussprache (cfr. e und ey
z= -etu etc.), und die Wörter auf ar stellen -aris oder, was der Verfasser
nicht beachtet hat, -ator dar, z. B. quartars = quartätor. Interessant
ist das Schwanken zwischen e und a in -ittu, z. B. Rosset neben Rossat
{Leonat 1214). Die heutige Sprache hat vom alten a nur das proklitische
Septem = saftj und rdsa = receptu bewahrt, aufser Verben auf -ittare
wie koraiä und den Fällen bala = bella,^ apalä ■= adpellare. Die Dimi-
nutiva auf -ittu, -itta sind alle wieder zu ^ zurückgekehrt. Die Schrei-
bung moleing = molinu 1286 lehrt, dais es schon nicht mehr i war. Für
Q _|_ Nasal und ü -\- Nasal treffen wir promiscue on und un : olun, olons
etc. ; Aussprache wohl on oder etwas ähnliches. Die heutigen Verhältnisse
der unbetonten Vokale sind in den alten Formen fontana, ßlly, aiuui
(aqua), plantaes, rives, sore, carro, ehablo, rodiomont, earros deutlich er-
kennbar. Unter den Konsonanten erregen unsere Aufmerksamkeit z. B.
das germ. w, das meist schon g geschrieben wird, gegen einmaliges warda
1299. Man hat vielleicht unrecht, anzunehmen, dafs sich im SOdostfran-
zösischen das w gehalten habe, es war möglicherweise auch hier ursprüng-
lich = gw, cfr. lingua z=. le^wa. Die Gruppe st wird vom 14. Jahr-
hundert weff t geschrieben, aber wohl schon & gesprochen : Chattillon 1303.
Der Laut, der aus c vor a entstand (heute durchwegs ts), wird in den Ur-
kunden ch notiert: chavana, chastel, chinal etc. Diese Schreibung spricht
eher für t§ als ts. Wäre es schon letzteres gewesen, so wäre das Zeichen x
nahe gelegen. Es ist also auch hier anzunehmen, dafs cä über kyä—tyä—
t^ä — tsä ging. Übrigens darf man sich darüber verwundern, dafs auch
das Wallis den neuen I^aut durch ein diakritisches h auszudrücken ver-
suchte. Es drängt sich die Vermutung auf, dafs schon damals (chasta-
gnyers aus dem Jahre 1200!) irgendeine offizielle französische Recht-
schreibung einen Einflufs ausübte. Es ist doch wirklich auffallend, dafs
unsere UÄunden die Palatallaute der Wörter Qerman, jaiies (= galbi-
nas), jurax, Johanx, Juglars, joiios, gierles, chesalx, charita, cendaL cita
(= civitate), engagiex etc. alle wie im Französischen schreiben. Das
lat. Vorbild reicht zur Erklärung nicht aus.^ Französisch sieht auch aus
die Verdrängung des Suffixes -arius — -eyr durch -ier nach Nicht-
Palatalen, Formen wie garda, garentir, guerra, guerrier, die Orthographie
-ain für -anu {Pitevilain 1233) neben dem gewöhnlichen an, das durch
das durchgängige ä der Patois gestützt ist.
Aus diesen Bemerkungen mag ersehen werden, wie nützlich Unter-
suchungen wie diejenige Rankes für die historische Betrachtung des
Frankoprovenzalischen wären. Das Material ist gut gesichtet^ und iiber-
sichtlicn zusammengestellt, aber die Resultate hätten durch sorgfältigere
Methode und intimere Kenntnis der modernen Dialekte gewonnen. Die
* balafontana 1204.
* Für den Laut dz — dz wäre das Analogon eines selbstgefundenen ch ein yh
gewesen, das nirgends vorkommt.
* Immerhin mit Ausnahmen: meitein = medium tempus p. 30 ist nicht
e -f- n in oflfener Silbe!
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 227
vor^esclilagenen Etymologien finden nicht immer unsere Billigung, so geht
colhour (p. 39) nicht auf collutn, sondern auf colatorium zurück, cullir
ist nicht = colligere, poya ist nicht podiu, sondern podiata, wie der
Autor selber vermutet, granea ^= orange mufs in Hinsicht auf die deutsche
Form Orenchen des Ortsnamens Oranges überhaupt fallen gelassen und
durch granica ersetzt werden, alpieios^ ^ al]ois -\- aticu ist unstatt-
haft, escheyta ist = excadecta, nicht excadtta* etc. Aber im allge-
meinen sind die Etymologien zuverlässig und die aufgestellten Gesetze
richtig.
Vollständig ausgeschöpft hat der Verfasser sein Material nicht, aber
das war auch nicht zu erwarten. Wer das Wallis mit seinen Gewohn-
heiten und seinem Wortschatz kennt, dem sagen die Urkunden von Gre-
maud noch vieles, das Ränke unberücksichtigt lassen mufste; in der Ur-
kunde, welche die Form praux ryont enthält, vom Jahre 1228, finde ich
z. B. fr est am de Prato rotundo, per saxum de lenuers de la dent, ad
summ um de Bauons, quadam agyecP (vielleicht agyeti zu lesen = agiettes,
gites = Maiensäfse) usw.; häufig trifft man das Wort racardus für die
bekannten Heuschuppen etc. Ausgiebiger als die Dokumente des 11. bis
14. Jahrhunderts sind diejenigen des 15. bis 17. Jahrhunderts, die von
Patois wimmeln. Wenn sich nur jemand fände, der zu Gremauds Werk
eine Fortsetzung publizierte! Damit würde dem Studium des Franko-
provenzalischen ein sehr wichtiger Dienst geleistet werden.
Bern. L. Gauchat.
Von den Archiv Bd. CI, S. 238 bereits angezeigten Bänden des Unter-
richtswerkes von Börner liegen vor:
1) O. Börner und F. Schmitz, Oberstufe zum Ijehrbuch der Fran-
zösischen Sprache, Ausgabe D.
2) O. Börner und Cl. Pilz, Lehrbucli der Französischen Sprache
für Präparandenanstalten und Seminare. Ausgabe F, II.
3) O. Börner und F. Schmitz, La France. Mati^res pour conversa-
tion et lecture. 2. Auflage.
4) O. Börner, Bemerkungen zur Methode des neusprachlichen
Unterrichts nebst Lehrplänen für das Französische.
Sämtlich im Verlage von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1903.
In den 'Bemerkungen zur Methode des nspr. U.' fällt es angenehm
auf, dafs der Verfasser nicht abstrakte Ideale aufstellt, mit deren Ent-
wickelung mancher Reformer sein Bestes erreicht zu haben meint; viel-
mehr verfolgt er durchaus praktische Zwecke: er gibt bis ins einzelne
ausgearbeitete Pläne der Verwendung seiner Materialien für bestimmte
Bildungsziele, die nach den von den Regierungen gegebenen Lehrplänen
aufgestellt sind. Daher eine ganze Reihe von Lehrbüchern, und nicht
eine 'französische Grammatik', sondern ein 'Unterrichts werk', das mit
seinem verschiedenartig zusammengestellten Lehrstoff' für viele Arten von
Lehranstalten Verwendung finden will, auch die Mitarbeit erfahrener
' Der heutige mundartliche Ausdruck ist arpyedzo, die Urkunden haben dafür
alpeagium (cfr. campeagium, busceagium etc.), dessen Bildung mir nicht
klar ist.
^ -itu wechselt überhaupt mit -ectu, so erklärt sich wohl auch Chamoney
für Ckamonix, aus campus munitus; Känke verwirft mit Recht das von Kühler
vorgeschlagene campus molinarius, wofür alte Formen mit r erscheinen müfsten.
^ [Wohl das aus Urkunden Frankreichs bekannte aiace > aise, cf. Rom. XXI,
507. — H. M.J
15*
228 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Praktiker auf den einzelnen Gebieten zu diesem Zweck in Anspruch nahm,
ohne der einheitlichen Durchführung des Ganzen Abbruch zu tun.
Börner und seine Mitarbeiter sind gemäfsigte Reformer. Was in den
'Bemerkungen zur Methode des nspr. U.' als billige Forderung für die
Anfänge der Aussprache, die daran anschliefsenden Sprechübungen, die
Gewinnung des Wort- und Phrasenschatzes, endlich für die AVahl der
Lesestoffe aufgestellt wird, ist auf dem Boden praktischer Erfahrung, un-
befangener Beobachtung und besonnener Erwägung gewonnen worden: es
ist überall etwas Richtiges, nicht das einzig Richtige, auch nicht er-
schöpfend und haarscharf Abgegrenztes, aber von allen Methodikern als
zweckmäfsig Gebilligtes, und darum das Richtige. Das gilt vielleicht in
noch weit höherem Mafse von Börners Art der grammatischen Verarbei-
tung der Pensen, Durchdringung des Übungsstoffes und richtigem Wechsel
mündlicher und schriftlicher Übungen. Nirgends tritt eine Übertreibung zu-
tage, aber ein Streben nach richtiger Erkenntnis und Erfüllung des Zu-
nächstliegenden, ohne zubienden, ohne Paradeeffekte, denen häufig genug
die mühsame Erarbeitung eines bescheidenen Erfolges zum Opfer fällt.
Über die Art der grammatischen Bewältigung des Arbeitsstoffes, viel-
leicht die schwerste von allen Aufgaben des nspr. Lehrers, gehen die An-
sichten der Methodiker sehr auseinander. Börner überläfst jedem Leh-
renden seine eigene Art, mit dem Stoffe fertig zu werden; aber er ver-
langt, bei aller zulässigen Verschiedenheit der Bildungsziele, das unver-
rückbar allen gemeinsame Ziel der Aneignung einer korrekten Sprache im
mündlichen und schriftlichen Ausdruck. Die Vorbereitungen, besonders
für den letzteren, zeigen, mit welchem Fleifs der oder die Verfasser die
Materie, die sie zur Verarbeitung auftischen, erst selbst geprüft und durch-
gearbeitet haben. 'Grammaire, Exercice, Thfeme, Composition' oder 'Dict^e,
Com]>',)sition, R^troversion, Th^me' liegen in solchen Formen und Ge-
stalt^:, vor, dafs jeder Lehrende, gleichgültig welcher methodischen An-
sicht, ihre Erfüllung als eine gute und zweckmäfsige Leistung erkennen
und anerkennen wird oder als für seine Methode verwendbar zuge-
stehen kann.
Auch was der Verfasser schliefslich über Französisch als Unterrichts-
sprache und über die schwierige Frage der Konzentration im Unterricht
sagt, wird schwerlich Widerspruch erfahren: denn auch hier meidet er
einseitige Beschränkung und behält immer die Augen offen für unbefan-
gene Betrachtung eines wirklichen Bedürfnisses. Endlich im Anhang zu
seiner Methodik, S. 52 — 50, zählt der Verfasser die Arten der Verwen-
dung seiner Lehrbücher auf für die verschiedenen, von ihm berücksich-
tigten Lehrpläne und Lehranstalten, unter Fixierung der bei gegebener
Stundenzahl mit den gegebenen Materialien zu erreichenden Ziele.
Zu Ausgabe D. Oberstufe bemerke ich:
Bei steter Weiterarbeit nach den in den 'Bemerkungen zur Methodik'
entwicE:elten Erfahrungsgrundsätzen gelangten Verfasser und Mitarbeiter
dahin, den Lehrstoff immer zweckmäfsiger zu gestalten. Bei verschiedener
Anordnung desselben formalen Lehr- und Lesestoffes wurde nach gröfserer
Knappheit gestrebt und, wie das vorliegende Bändchen erweist, solche
auch errreicht, ohne den gegebenen Lehrstoff zu alterieren: der von der
Kritik anfänglich nicht mit Unrecht als zu reichlich bezeichnete Stoff
konnte, ohne wesentliche Einbufse an Gründlichkeit, gekürzt werden. Was
sonach an Breite verloren geht, wird dafür an Gründlichkeit der gram-
matischen Beschäftigung zugute kommen können. 'Und selbst ein viel-
artiges und aus recht verschiedenen Methodikern bestehendes Kollegium
wird mit diesen Materialien einheitlich und erfolgreich arbeiten können'
(Vorwort, S. TU).
Anordnung und Aufbau des grammatischen und sprachlichen Stoffes
können 'recht gut' genannt werden. Die 15 Abschnitte der Grammatik,
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 229
die nur Wesentliches und keine Wiederholungen bieten, sind als Pensen
von ü III, O II und U II höherer Lehranstalten gedacht und bilden in
je fünf Abschnitten das Jahrespensum einer Klasse. Diese scheinbar ge-
ringe Quantität mufs aber in sehr vielfacher Weise verarbeitet werden.
Die die Grammatik begleitenden Prosaabschnitte bieten eine gute Ein-
führung in die Realien: Volkskunde, Geschichte, Geographie, Literatur
in zusammenhängenden, passend ausgewählten und trefflich geschriebenen
Aufsätzen. Wie gründlich die Verfasser bei der grammatischen Verarbei-
tung vorgehen, zeigen die deutschen Stücke mit Übersetzungsschwierig-
keiten in zusammenhängenden Texten und schliefslich Einzelsätzen zur
Übun^ in bestimmten Erscheinungen.
Nicht minder gut gewählt und reichhaltig entwickelt ist der im An-
hang A eingeführte poetische Teil, der eine besondere Anthologie entbehr-
lich macht. Einige der erfahrungsmäfsig am meisten gelernten Gedichte
sind aufser im Lesetext an besonderer Stelle auch noch in Passys pho-
netischer Umschrift gegeben und bieten die sicherste Stütze für Bewah-
rung und Weiterbildung einer guten Aussprache. — Ferner liegen zwei
Hölzelbilder, nämlich 'Wohnung' und 'Grofsstadt', in mustergültiger Be-
arbeitung vor, endlich die auch durch acht leidliche Abbildungen wirksam
unterstützten Realien von Paris.
Ein nützlicher Zusatz zu Anhang A sind die biographischen Notizen
über die Dichter, enthaltend nur Wesentliches in löblicher Kürze. Ferner
erscheinen in den Abschnitten bis Anhang F: deutsche und französische
Geschäftsbriefe, Muster für Quittungen, Wechsel, Schuldscheine, Post-
anweisungen, Zolldeklarationen, Frachtbriefe; schliefslich der Ministerial-
erlafs vom 26. Februar IPOl, betreffend Vereinfachung der Orthographie.
Für die in allen Abschnitten des Buches vorkommenden Vokabeln ist
ein vollständiges deutsch-französisches und französisch-deutsches Verzeich-
nis in Mappe beigegeben.
Es ist bei dem Streben der Verfasser nach zweckmäfsiger Kürze
eigentlich selbstverständlich, dafs die in manchen Beziehungen grammati-
scher Arbeit gegebenen Anfänge, und zwar namentlich der Ausgabe D,
die sich an die obersten Klassen höherer Lehranstalten wendet, demnach
an das beste Schulermaterial, der Weiterbildung und des Ausbaues fähig
sind, und dals daher die im Lehrbuch gegebenen Proben zu Unterhaltungs-
und Gesprächsstoffen dem Bedürfnis nicht genügen. Passend haben daher
die Verfasser Gegenstände der Konversation besonders zusammengestellt
unter dem Titel: La France. Matieres pour Conversation et Lecture. 88 S. 8".
Sie behandeln nur praktische Zwecke: die Reise nach Frankreich; Paris;
Geographisches und Chronologisches; Stand und Art der Staatsverwaltung;
staatliche Einrichtungen; etwas Literaturgeschichte, wie der Besuch der
Stadt Paris sie erfordert; endlich Münzen, Mafse, Gewichte; Berechnun-
gen. Der trefflichen Auswahl sind drei Tafeln beigegeben, nämlich eine
Karte von Frankreich, ein Plan von Paris, eine Münztafel mit Abbildun-
gen des französischen Geldes.
Zu Ausgabe F, Lehrbuch für PräparandenanstcUten und Seminare von
0. Börner und Gl. Pilz, bemerke ich:
Anlage und Aufbau der nach den Bestimmungen vom 1. Juli 1901
gegebenen zwei Teile des Lehrbuches sind ähnlich denen der Ausgabe D.
Abweichungen sind bedingt durch die Verschiedenheit der vorgesteckten
Ziele. Der zur Beurteilung vorliegende IL Teil beschäftigt sich vornehm-
lich mit Einübung der Syntax, von der in fünfzehn Abschnitten alles
Wesentliche abgehandelt wird. Im ganzen sind die Anforderungen etwas
fringer bemessen, was sich in der Art der grammatischen Arbeit und der
ahl der Lesestoffe zeigt. Den Stoff zur grammatischen Behandlung
bieten naturgeschichtliche Gegenstände, Welt- und Literaturgeschichte,
endlich Realien aus dem Kulturleben, namentlich von Paris. Die Ver-
230 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
arbeitung erfolgt in vierfacher Form: Grammaire, Th^me, Conversation,
Composition. Der in Ansehung der Ziele gewählte Lese- und Lernstoff
zeigt gegen Ausgabe D einfachere und leichtere Aufsätze, und in der Be-
handlung der Hölzelbilder verminderte Anforderung: nur das wichtigste
Bild wird behandelt, nämlich die 'Grofsstadt'. Eine ähnliche Beschrän-
kung zeigt sich in der taktvollen Auswahl der Gedichte im Anhang A
und der geographischen und geschichtlichen Abschnitte im Anhang B,
die allgemeine und grundlegende Kenntnis von Frankreich in leichtem und
gefälligem Vortrag vermitteln. Da auch hier die Bekanntschaft mit Paris
das Ziel ist, sind die Anschauungsbilder dieselben wie in Ausgabe D.
Selbstverständlich ist auch hier wie in Ausgabe D eine selbständige Weiter-
arbeit, z. B. auf dem Gebiete der Konversation, der Hölzelbilder usw., mög-
lich und durchführbar.
Auch diesen Band begleitet in angefügter Tasche ein vollständiges
Wörterbuch.
Charlottenburg. George Carel.
Alfred Pernot, Enseignement par l'Aspect. Methode Pernot. Legons
de Choses et Grammaire. Esslingen- Allemagne [o. J.]. II, 146 S.
Nach dem Vorwort ist das Buch für französische Elementarschüler
sowie für Französisch lernende Ausländer bestimmt. Es soll den Unter-
richt in der Grammatik einfacher und interessanter gestalten. Jeder der
vierzig Lektionen liegt ein Bild zugrunde. In einfachen Sätzen werden
die Gegenstände benannt, öfters auch in Dialogform besprochen. Ein
grammatisches Pensum, Fragen und Aufgaben schliefsen sich an. Weiter-
in werden auch Fabeln und Anekdoten eingestreut. Die Bilder ent-
sprechen grofsenteils den farbigen Wandbildern des Schreiberschen Ver-
lages in Efslingen; sie sind leider sehr entstellt durch die eingedruckten
grofsen Ziffern, aber auch davon abgesehen hart in Zeichnung und Be-
leuchtung. Die Benutzung des Buches setzt beim Schüler schon Sprach-
kenntnisse voraus ; schon auf der zweiten Seite finden sich unregelmäfsige
Verbformen. Der Zusammenhang zwischen den grammatischen Übungen
und dem übrigen Sprachstoff ist sehr lose, wie das meist bei Lehrbüchern
dieser Art der Fall ist. Lehrer, die nach der sogenannten direkten Me-
thode unterrichten, dürften in dem Buche manches Anregende und Ver-
wendbare finden. Für den Klassen Unterricht in deutschen Schulen kann
es schwerlich in Betracht kommen.
Kiel. Felix Kalepky.
Toreau de Mamey, Grammaire fran9aise id^ographique. Franzö-
sische Grammatik mit suggerierenden (ideographischen) Zeichen. Leipzig
1903. VII, 136 S.
'Die Psychologie, die Lehre vom Ich, befindet sich leider noch in der
Kindheit,* sagt der Verfasser im Vorwort seines merkwürdigen Buches.
'Immer noch beginnt man mit der Regel und geht dann erst zu den Aus-
nahmen über und wird sich nicht bewufst, dais man, um ein vollständiges
Ganzes zu erhalten, umgekehrt beim Schlüsseziehen von den Ausnahmen
zur Regel gehen sollte.' Denn 'alles, was nicht zu den Ausnahmen ge-
hört, ist eine Regel. Diese scheinbar so einfache Lösung war bisher doch
unerreichbar für diejenigen, die auf wissenschaftlichem Wege zu ihr ge-
langen wollten; denn niemandem war es bisher gelungen, von selbst (spon-
tan) alle Ausnahmen der französischen Grammatik zu kennen und dem-
nach von den Ausnahmen zur Regel fortzuschreiten. Aufserdem ermög-
licht es die Ideographie, vom Einfachen zum Zusammengesetzten zu ge-
langen, eine Methode, die noch kein Grammatiker einschlug.' Diese Sätze
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 231
mögen als Proben für die wissenschaftliche Befähigung des Verfassers
genügen. Aus der Grammatik selbst einige Proben. S. 11: Die Kon-
jugation eines Zeitworts richtet sich nach der Verschiedenheit des Ortes,
der Zeit, der Zahl und der Person. S. 12: Das französische Zeitwort hat
wie das lateinische vier Arten der Aussage (Modi) und zwar: den Indika-
tiv, den Imperativ, den Konjunktiv, den Infinitiv und aufserdem einen
fünften: den Konditionalis. S. 15: Der offene Laut ais (Imperfekt, Kon-
ditional) und ai (Perfectum historicum und Futur) wird wie ä aus-
gesprochen, während in der dritten Person der Einzahl das a zu beachten
ist. S. 98: Im P^anzösischen wird der Konjunktiv angewendet: A) nach
vier Formen: 1. fragend 2. verneinend 8. Konjunktiv 4. Superlativ. ...
S. 100: Der Superlativ wird ausgedrückt durch: 1. le premier l.le
peu der wenigste 8. le moins der wenigste 9. le mieux der beste. In den
Beispielsätzen feiert Ollendorf seine Auferstehung: Voulais-tu qu'elle put
m'expliquer ce qtie je pourrai faire? Vois que tu bats toujours mon chien.
Faut-il que je rie toutes les fois qu'elle rompt le silence? Durch das ganze
Buch sind die wunderlichsten Diagramme verstreut, eine Art mnemotech-
nischer Stützen teils zur Einübung der Verbformen, teils zur Einprägung
aller nur möglichen Wortreihen, welche auswendig zu lernen kein ver-
nünftiger Mensch einem Schüler zumuten wird. Das ganze Buch ist ein
Kuriosum und sei Sammlern von dergleichen empfohlen.
Kiel. Felix Kalepky.
Maurice Grammont, Le Vers fran9ais, ses moyens d'expression,
son armonie. Paris, Alphonse Picard et fils, MCMIV. (Publications
de la Sociöt^ des Langues romanes, tome XVII.) 454 S. 8.
Das so betitelte Buch, dessen Verfasser man nicht mit dem eines
1876 unter ähnlichem Titel erschienenen, mit dem Dichter F. de Gramont,
verwechseln darf, ist nicht so sehr eine Zusammenstellung der Regeln,
die bis vor ziemlich kurzer Zeit für Versbau und Reimkunst bei den neu-
französischen Dichtern gegolten haben, oder eine Darstellung des ge-
schichtlichen Verlaufes, der zu der Gültigkeit solcher Regeln geführt hat,
wie eine Belehrung darüber, dafs und mit welchen Mitteln innerhalb der
bestehenden Vorschriften die Kunst in besonderer Weise auf das Ohr des
Geniefsenden einzuwirken, wie sie der dichterischen Rede durch Vertei-
lung der Akzente und Wahl der Laute erhöhte Ausdrucksfähigkeit zu ver-
leihen vermocht habe und noch vermöge. Die Kritik des bisher Üblichen
und das Urteil über Versuche, sich von dessen Herrschaft zu befreien,
kommen hie und da ebenfalls zu Gehör. So ist denn aus dem Werke
ohne Zweifel für Dichter, dann für solche, die bei der Dichtung Genufs
suchen, auch für Ausländer, die sich über die Art der Wirkung franzö-
sischer Verse auf französisches Ohr unterrichten wollen, mancherlei zu
lernen, und man würde nicht wohl daran tun, an ihm darum vorbei-
zugeheuj weil es stellenweise gar zu reichlich mit Beispielen überschüttet
oder weil es vielleicht nicht überall im Recht ist, oder weil es bisweilen
mehr als das angemessene Wohlgefallen an sich selbst bekundet (S. 76,
292) oder vollends um gewisser orthographischer Neuerungen willen, in
denen der Verfasser, wenn er einmal vom Üblichen abweichen wollte,
unbedenklich hätte viel weiter gehen dürfen.
In dem Abschnitte, der dem Rhythmus gewidmet ist und sich, wie
bei einem heutigen Franzosen fast selbstverständlich, beinahe ausschliefs-
lich mit dem Alexandriner beschäftigt, findet man mit grofser Sorgfalt
die ganze Fülle der Gestalten zur Anschauung gebracht, die dieser Vers
annwimen kann, und die Wirkung dargelegt, die ihrer jede naturgemäfs
auf das Empfinden eines Hörers üben mufs oder doch bei gutem Vortrag
üben kann. Dankbar wird man dies anerkennen, auch wenn man manche
232 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Aufstellung des Verfassers bestreiten, seine Terminologie vielfach irre-
führend finden mag. Es ist z. B. kaum zu begreifen, wie der Verfasser,
der doch Legionen von Alexandrinern der verschiedensten Bewegung vor-
führt und rhythmisch kennzeichnet, davon reden m.ag, vier (rhythmische)
Anapäste seien der 'Typus' dieser Versart, was doch sicher gleich wenig
erweislich ist wie die ebensooft gehörte Behauptung eines 'Typus' von
sechs (rhythmischen) lamben. Es ist schwer zu rechtfertigen, dafs er von
'Tetrametern' spricht, wenn das, was nach ihm ein 'Metron' (mesure)
wäre, doch hier aus einer, dort aus fünf Silben bestehen darf, auch die
Zeitdauer, die es beansprucht, keinesfalls immer die gleiche bleibt (wie
S. 13 aller Erfahrung entgegen behauptet ist). Der Verfasser sieht sich
(S. 72) genötigt, ein Gedicht V. Hugos, in dem gelegentlich Alexandriner
mit sechs gleich schwer betonten Silben vorkommen, als vers libres zu be-
zeichnen, also auch diesem Terminus einen Sinn beizulegen, den er bisher
nie gehabt hat. Begnügte er sich, zu fordern, dafs die sechste und die
zwölfte Silbe betont seien, und für die anderen Stellen Betonung oder
Tonlosigkeit zuzulassen, so bliebe alles, was er über die Wirkung gehäufter
oder spärlicher, regelmäfsig oder wechselnd verteilter, dicht nebeneinander
ferückter oder durch viele leichte Silben getrennter Tonstellen mit feinem
Irteil äul'sert, unanfechtbar bestehen, seine Darstellung würde aber an
Einfachheit gewinnen , ohne an Richtigkeit irgend einzubüfsen — im
Gegenteil; er würde sich auch weniger leicht zu so unnatürlichen Vers-
zerlegungen versucht finden wie Si je vous \ le disais . . . (66), sur tous
leurs compagnons (69), faisait des enjambees (20), je vais quitter la terre (21).
Auch der Vers mit ganz schwacher oder gar keiner Cäsur nach der sechsten
Silbe, den Herr Grammont, wie viele andere getan haben, irreführend den
der Romantiker nennt, als ob nicht auch bei diesen die Cäsur in der
Mitte überwöge, erscheint nicht im richtigen Lichte, wenn man ihn Tri-
meter nennt. Einmal ist wieder von Metron nicht zu reden, wo irgendein
bestimmtes Mafs nicht eingehalten wird; und hätte denn V. Hugo, der
sich so gern als Titanen aufspielte, so ängstlich die sechste Silbe jederzeit
die letzte eines Wortes sein lassen und zwar nicht eine völlig tonlose,
wenn er nicht hätte an die alte, eigentlich immer noch zu respektierende
Pause erinnern wollen, über deren Fortbestehen er sich nur hin und wieder
mit bestimmter Absicht hinwegsetzt? Worauf die Wirkung des rhyth-
mischen Wechsels in den vers libres beruhe, ist eine Frage, die man ver-
schieden beantworten kann. Dafs kürzere Verse zwischen längeren immer
den Eindruck gesteigerter Schnelligkeit hervorbringen, ist mir nicht ganz
sicher. Könnte man nicht auch sagen, das häufigere Eintreten der Pausen,
die durch das Auftreten der Reimwörter veranlaßt werden, bewirke gerade
eine Verlangsamung des Vortrages, und diese lasse auch den Inhalt
der Rede als etwas sich langsamer Vollziehendes erscheinen? Jedenfalls
wird ein Wechsel im Mafse der durch Reim erkennbar gemachten Rede-
glieder mit häufigem Wechsel in der Art des Erzählten, mit wieder-
oltem Überspringen von Dingen zu anderen Dingen passend Hand in
Hand gehen und wird leicht den Eindruck sorglosen, auch mutwilligen
Sichgehenlassens hervorbringen können. Auch wird hier die Kunst des
Vortrages weiteren Spielraum und besonders gute Gelegenheit zu über-
raschenden Wirkungen finden. Auf die Gefahr hin, abgekanzelt zu wer-
den, wie S. 76 anderen geschehen ist, möchte ich auszusprechen wagen,
das berühmte Le berger in der ersten Fabel von La Fontaines siebentem
Buche werde am besten nach einer gewissen Pause und nur im Flüster-
tone gesprochen werden, wie ein zögernd und verschämt abgelegtes Ge-
ständnis (anders S. 93^. Ist sodann die Wirkung gewisser Wechsel der
Versart eine so unausoleibliche, wie der Verfasser annimmt, so erwächst
daraus eine nicht geringe Schwierigkeit für den Dichter, der kongruente
Strophen aus Versen ungleicher Längen zu bauen unternimmt. Dem
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 283
Übergang von einem Versmafs zum anderen mülste in jeder Strophe an
entsprechender Stelle ein Wechsel in der Gedankenart und -folge recht-
fertigend sich zugrunde legen, und dies dürfte in vielen Fällen schwer
zu erreichen sein. Man verlange nicht das Unmögliche und dabei Un-
nötige (wertlos scheint mir auch, dafs im Sonette die einander der Stelle
nach entsprechenden Verse gleichliegende Pausen haben, wie S. 35 ge-
fordert wird).
Mit Interesse wird man dem Verfasser auch im zweiten Teile folgen,
wo er darlegt, welche Ausdrucksfähigkeit dem Verse durch die Wahl der
ihn bildenden Laute verliehen werden könne. Dafs eine gewisse Symbol-
kraft gewissen Lauten eigen sei, gehäufte Verschlufslaute z. B. anders
wirken als sich wiederholende Spiranten oder Zischlaute, helle Vokale
anders als dunkle, wird man nicht bestreiten können und wird an wohl-
gewählten Beispielen dargetan. Immerhin gesteht der Verfasser selbst
wiederholt zu, aafs die durch gewisse Lautanordnungen mögliche Wirkung
auch ausbleiben könne (S. 189, 250, 268), und mancher mag denken, der
Verfasser sei wohl gar zu feinhörig, er erwarte zu leicht von der Wieder-
holung gleicher Laute einen Eindruck auch dann, wenn diese Wieder-
holung in ganz gewichtlosen, unbetonten Wörtern, Präpositionen, Kon-
junktionen statthat, in tu, toi, te, ton, ta, tes, wofern es sich um Anrede
im Singular handelt, u. dgl. Immerhin wird der Leser durch die vielen
Beispiele wirklich oder vermeintlich durch Lautsymbolik sich auszeich-
nender Verse des musikalischen Reichtums dichterischer Rede klarer be-
wufst und wird nicht in Abrede stellen, dafs manche Stellen einem ge-
schickten Rezitator Gelegenheit bieten, zu der Wirksamkeit des Wort-
sinnes etwas hinzuzutuu, jndem er auch glücklich angebrachte Laute zur
Geltung kommen läfst. Übertriebene Aufmerksamkeit eines Zuhörers auf
dergleichen könnte freilich auch durch Zerstreuung schaden. Wenn er
hört Ils gardaient saus souci ces troupcaux, so könnte er in störender
Weise an das Zischen der Schlangen erinnert werden, das man ihn in der
Schule aus Racines Verse Pour qui sont ces serpents qui siffent sur vos
tetes herausvernehmen lieis.
In bezug auf den Hiatus lälst der Verfasser eine weitgehende Dul-
dung walten, indem er nur diejenigen Hiate untersagt (oder sie blofs zum
Zwecke besonderer Wirkung zuläfst), die sich ergeben, wenn auf einen
Vokal der nämliche Vokal unmittelbar folgt; und dabei gilt ihm gleich,
ob dergleichen zwischen Auslaut und Anlaut oder im Innern eines Wortes
sich einstellt, ob die Schrift zwischen die zwei Vokalzeichen einen Buch-
staben setzt oder nicht, dem kein Laut entspricht (verboten sind also
toiicha ä, creer. tu hurlais, la harangue; denn das sogenannte aspirierte h
ist für den Verfasser gleich Null). Wenn mit dieser Lehre die Praxis
der Dichter sich in Übereinstimmung setzte, würde das gewifs kein Un-
glück sein. Ob gleichwohl in der Theorie das aspirierte h ganz aufzugeben
ratsam ist, und ob ferner Vokale, die ein stummes e am Wortende hinter
sich haben, ganz gleich lauten und gleich viel gelten sollten wie die
nämlichen Vokale ohne solches e, ob die Verbindung epee et ganz gleich-
artig ist mit frappe et, scheint mir weiterer Erwägung wert.
Auch da, wo Herr Grammont vom Reime handelt, erscheint er mehr-
fach als Neuerer, allerdings fast noch mehr in der Terminologie als in
der Sache. Wo zu dem gleichen Tonvokal gepaarter Wörter nicht auch
noch davor oder dahinter ein gleichlautender (aber wirklich lautender)
Konsonant kommt, erkennt er blols Assonanz an ; temps : enfants ist für
ihn kein Reim, und derartige Paarungen läfst er blofs in paarweise ge-
reimten Versen zu, indem er offenbar fürchtet, der gewollte Gleichklang
könnte unbemerkt bleiben, wenn noch ein Versausgang zwischen zwei
Wörter von so beschränkter Ähnlichkeit träte. Auch die Ausdrücke
'männlich' und 'weiblich' verwendet er anders als andere Leute : männlich
234 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
ist ihm ein Ausgang auf Vokal, auch dann, wenn hinter diesem noch ein
Konsonant geschrieben steht, der nicht hörbar wird, oder ein stummes e,
von dem nach Vokalen ja dasselbe gilt {nation, vous, aber auch voie sind
männliche Ausgänge); weiblich sind die mit Konsonanten schliefsenden,
auch wenn sie hinter diesen kein dumpfes e aufweisen {Michel : Nivelle;
ohscure : mur sind weibliche Reime; table, fenetre endigen auf Konso-
nanten). Bei der Abwechselung von männlichen und weiblichen Aus-
gängen soll es bleiben, wofern man darunter das versteht, was Herr
Grammont will. Ob die von ihm gewünschten, teilweise auch schon vor
ihm versuchten Abweichungen bei den Franzosen Anklang finden, können
wir Deutschen mit Ruhe abwarten; zu bedauern scheint mir die ganz un-
nötige Änderung in der Terminologie, die nur Verwirrung schaffen kann.
Die Auseinandersetzungen des Verfassers über die Anordnung korre-
spondierender Silben gruppen eines Verses und der in jenen auftretenden
Vokale, wovon die Harmonie des Verses abhängen soll, entziehen sich
meinem Verständnis, und ich bin unbescheiden genug, zu glauben, dafs
die Schuld davon mindestens so sehr an der Darstellung des Verfassers
als an meiner Unzulänglichkeit liegt. Einen gewissen Trost mag, wer
nicht zu folgen imstande ist, darin finden, dafs nach Herrn Grammont,
auch den besten Dichtern die wünschenswerte Harmonie sehr oft nur in
der einen Hälfte je eines Verses zu erreichen gelungen und dafs auch da,
wo sie wirklich besteht, sie sehr häufig difßcüe ä saisir ist.
Mag man bedauern, dafs der Verfasser sich fast nur mit dem Alexan-
driner beschäftigt, den kürzeren Versen nur wenige Seiten gönnt, so wird
man sich anderseits des frischen Mutes nur freuen können, mit dem er
von manchem sich lossagt, was mit dem heutigen Sprachstande im Wider-
spruche steht, namentlich von der ängstlichen Rücksicht auf Buchstaben,
denen keine Laute mehr entsprechen, und von dem Festhalten an gewissen
Diäresen, die die lebendige Sprache längst aufgegeben hat. Er ist auch
geneigt, Verse gleicher oder ungleicher Länge zuzulassen, die blofs den
Rhythmus zur Grundlage haben, sich nicht an bestimmte Silbenzahlen
halten, verlangt aber, dafs sie gereimt werden. Dafs in dieser Weise schon
jetzt Befriedigendes zutage getreten sei, bestreitet er allerdings.
Von dem anregenden Buche, der Frucht unverkennbaren Fleifses und
unabhängigen Urteils, kann ich nicht scheiden, ohne auch der sehr aus-
führlichen Indices zu gedenken, von denen namentlich derjenige der un-
gemein zahlreichen zur Sprache gebrachten Dichterstellen gute Dienste
auch im Auslande tun wird.
, Berlin. Adolf Tobler. ^
H. von Samson-Himmelstjerna, Rhythmik-Studien. Riga, N. Kymmel,
1904. 136 S. quer 4.
Der Verfasser gibt sich als Laie und tut sich auf seine 'laienhafte'
Unbefangenheit etwas zugute. Seine Vorurteile aber hat er mit den über-
zeugungstreuesten Männern der Zunft gemeinsam, und zwar — um das
Schlimmste gleich zu Anfang zu sagen — : das ganze Buch der Rhythmik-
Studien mit seinen Zwecken und seinen Wegen ist ein solches grofses
zünftiges Vorurteil.
^Ähnlich wie Saran, sucht auch Samson-Himmelstjerna nach einem
rhythmischen Gesetz, das 'unabänderlich' über dem Schaffen des Dichters
waltet. Vergebens hat er sich bei der modernen Philologie über die 'kon-
stitutiven charakteristischen Grundgesetze des romanischen Verses' erkun-
digt. Man vermochte ihm die augenfälligsten äufserlichen Eigenschaften
der romanischen Verse nur ungefähr und oberflächlich zu beschreiben,
nicht die geheime Zauberkraft ihrer Rhythmen mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit zu erklären. So macht er sich denn selbst ans Werk, greift
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 285
nach einem besonders wohlgebildeten spanischen Gedicht: dem zweiten
Gesang von Don Jos^ de Espronceda's Diablo mundo, zählt in den 352
Elfsilblern sämtliche Hebungen (ohne Rücksicht auf ihre relative Stärke)
und verzeichnet in statistischen Tabellen, wie oft der Ton auf die ein-
zelnen Silben der Verse zu stehen kommt. Es ergibt sich, dafs aufser
der Zahl der Silben auch die der Hebungen eine fest normierte ist. 'Der
normale Vers hat in seiner ersten Gruppe regelmäfsig 6 Silben und
3 Hebungen, in seiner zweiten Gruppe aber 5 Silben und 2 Hebungen,
wobei aber ... die Stellen der freien Hebungen, d. h. derjenigen, welche
nicht auf die 6. und 10. Silbe entfallen, innerhalb ihrer Gruppe eine sehr
verschiedene sein kann.' Sieht man von 'Akzenthäufungen innerhalb der
Gruppen' ab, so ergeben sich für das gewöhnliche System des Elfsilblers :
xxxxxx||xxxxx
sechs Typen, in denen sich die ganze Möglichkeit rhythmischer Kombi-
nationen erschöpft: nämlich Hebung auf der
2. 4. 6. I 8. 10. 11 2. 4. 6. I 7. 10.
1. 3. 6. ! 8. 10. I 1. 3. 6. 7. 10.
1. 4. 6. 8. 10. 1. 4. 6. 7. 10.
Etwas abweichende Verhältnisse zeigt eine statistische Untersuchung des
volksmäfsigen spanischen Romanzenverses. In den Halbversen bleibt nur
die Silbenzahl (8) konstant, während die Zahl der Hebungen zwischen 3
und 4 schwanken kann. Haupttypen mit Hebung auf der
1. 3. 5. 7.
2. 4. 7.
2. 5. 7.
1. 4. 7.
Das Schwanken der Hebungszahl soll für den volkstümlichen Vers cha-
rakteristisch sein. Selbst der altspanische Kunstvers, wie er uns in
dem Lihro del Palacio des Pero Lope de Ayala entgegentritt (Alexandriner
mit 1— C-silbiger Cäsur), bewahrt hinsichtlich der Hebungen strenge Regel-
mäfsigkeit; betont also die
2. 4. 6. — 1. 3. 6. — 1. 4. 6.
Ahnlich sind die französischen Verse gestaltet, wie der Verfasser am
Aveugle des Andr^ Ch^nier, an einem Stück aus Racine, einem Gedicht
von Rabelais und an einigen französischen Volksliedern nachzuweisen
sucht. Auch hier wieder haben wir in den volkstümlichen Gesängen ein
leichtes Schwanken der Hebungszahlen, das der Kunstpoesie fremd sein soll.
'" Ein Vergleich sämtlicher geprüfter Verse ergibt, nach Ausschaltung
des Ungleichartigen, die gemeinromanischen rhythmischen Grund-
prinzipien, von denen man a priori annehmen darf, dafs sie auch für
das Italienische und Portugiesische gelten. Sie lassen sich etwa folgender-
mafsen formulieren:
1) Es können nie mehr als zwei Senkungen aufeinander folgen.
'Treffen drei an sich tonlose Silben zusammen, so gewinnt die mittlere
derselben einen, wenn auch schwachen, so doch merklichen und rhyth-
misch gültigen Ton, sei es durch Betonung eines indifferenten einsilbigen
Wortes, sei es durch Hervorziehung des Nebentones eines mehrsilbigen
Wortes' etc. (S. 107).
2) Am Versanfang und am Versschlusse, ebenso in der Cäsur, können
Doppelhebungen nicht vorkommen.
^ Diese Betonungsregeln erscheinen 'alle als logische Konsequen-
zen der Tendenz: Abwechselung zwischen Hebung und
Senkung eintreten zu lassen' (S. 106).
Der Verfasser nähert sich damit stark der kürzlich von uns bc-
236 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
sprochenen alternierenden Theorie, die er übrigens nicht kennt.' Über-
haupt sind ihm die rhythmischen Untersuchungen etwa der letzten zwanzig
Jahre offenbar fremd geblieben. Um so merkwürdiger ist es, zu sehen,
wie er spontan und auf eigenen Pfaden in die Richtung der alternierenden
Lehre gerät und sich in bewufsten Gegensatz zu den 'Akzentuierenden',
besonders zu Quicherat und Lubarsch stellt. Der 'alternierende' Irrtum
liegt eben in der Luft, und er wird sich wohl immerzu reproduzieren, so
oft man auf dem Wege positivistischer Analyse und Statistik nach einem
'objektiven rhythmischen Gesetze' forscht. Ein Körnchen von Wahrheit
steckt ja auch in diesem Irrtum, nämlich die Binsenwahrheit, dafs unser
organisches Gefühl an regelmäfsiges Auf und Ab von Tönen (Hebung und
Senkung) sich rasch und gern gewöhnt und mit einer Art passiven Be-
harrungsvermögens die gleichartige Fortsetzung des angeschlagenen rhyth-
mischen Wechsels erwartet. Diese organische Gefühlsveranlagung, die wir
mit den höher entwickelten Tieren gemein haben, kann vom Dichter, je
nachdem es seinen Absichten entspricht, sekundiert oder brüskiert
werden: sie ist die organische Vorbedingung, aber doch nicht das
geistige Regulativ für rhythmische Kunstformen.
Der 'alternierende' Irrtum entsteht dadurch, dafs man vom Inhalt der
Dichtung absieht, nur auf das Klappern der Akzente hört, es mifst und
'Rhythmus' nennt. Dabei wird vorausgesetzt, dafs die regelmäfsige Wieder-
kehr von relativ bestimmten Hochtönen oder Schlägen in relativ be-
stimmten Zeiträumen 'Rhythmus' mache: das Ticktack einer Uhr, das
Stofsen eines rollenden Eisenbahnwagens wären rhythmisch. Rhythmus
wäre ein physikalischer, kommensurabler, durch Zahlen (Brüche) oder
Kurven darstellbarer Vorgang und nichts anderes. Rhythmik wäre —
arithmetische Akustik. Tatsächlich aber ist Rhythmus ein psychophysischer
Vorgang und enthält ein wichtiges inkommensurables Element, nämlich
eben das psychische, und Rhythmik ist ein Zweig der Ästhetik. So-
wenig man mit den von Helmholtz entdeckten Gesetzen der Akustik
die psychische Wirkung eines Musikstückes oder gar musikalische
Gesetze statuieren kann, gerade so wenig läfst sich der psychische Wert
(Eindruck) des rascheren oder langsameren Tickens einer Uhr nach irgend-
welcher Regel feststellen. Das Ticktack hat gar keinen psychischen Wert,
aber es kann sich mit jedem beliebigen geistigen Eindruck und Ausdruck
aufs innigste verbinden. Ein Reisender in der Eisenbahn kann das Stofsen
der Räder zu den rosigsten Phantasien rhythmisch verarbeiten, während
i&ein Nebensitzer sich auf dasselbe Tempo ein Grablied singt.
Goethe sagte lächelnd in straffen Trochäen:
Fand mein Holdchen
Nicht daheim,
Mufa das Goldchen'
Draufsen sein.
Sein Freund Schiller träumte nach dem gleichen Ticktack:
Von dem Dome
Schwer und bang
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Beide aber haben den richtigen Rhythmus für ihre Stimmung getroffen. —
Daraus folgt nun doch wohl, dafs der Rhythmus als kommensurable
' Saran in seiner Kritik des Buches (Deutsche Literaturzeitung 1904) läfst den
Verfasser mit Recht nicht als einen reinen Vertreter der alternierenden Theorie
gelten, denn dazu fehlt ihm das spezifische Charakteristikum, nämlich die Lehre
von der 'schwebenden Betonung'. Geradesowenig aber darf Samson-Himmelstjerna
ohne weiteres zu den 'Akzentuierenden' gerechnet werden.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 237
GrÖfse, als Schema, Kurve, statistisches Objekt keinerlei psychischen Werl
hat; er kann einen solchen nur haben insofern, als er etwas Inkom-
mensurables, ein geistiger Vorgang ist. Für die Philologie, d. h. für die
Wissenschaft vom geistigen Ausdruck (Sprache^, ist darum das Messen
und Zählen der Verse, Silben, Hebungen usw. absolut nutzlos.
Aber nicht blofs nutzlos, sondern auch unmöglich: theoretisch un-
möglich. Will man es trotzdem praktisch versuchen, so wird das Re-
sultat immer unzulänglich ausfallen, und das ist für einen exakten
Menschen dasselbe wie falsch. Ich behaupte, dafs ich imstande bin,
von sämtlichen rhythmischen Normen, Regeln, 'unabänderlichen Gesetzen',
die auf statistischem Wege gewonnen wurden, zu beweisen, dafs sie
falsch sind.
Falsch ist es, dafs im spanischen und französischen Verse nie mehr
als zwei Senkungen aufeinander folgen. Ich schlage aufs Geratewohl die
Komödien des Lope de Vega auf und finde einen Elfsilbler:
Padre, ninguno en Ndpoles me culpa
{La obediencia lanreada II, 10).
Falsch ist es, dafs im Spanischen keine Doppelsenkungen zu Anfang des
Verses stehen. Wieder hilft mir Lope:
Quieo la tieue,
Tiene pölvo, hümo, iiäda, vi6nto y sombra
(La discreta vengama II, 19).
Falsch, dals kein romanischer Vers mit Doppelhebung beginnen dürfe.
Ein rhythmisch berühmter Dantescher Vers lautet:
Lk öve terminava quella valle (Inferno I, 14)
usw. usw. Eines mufs in diesen Fällen immer vergewaltigt werden : ent-
weder das Kunstwerk oder die Regel. In solcher Alternative aber ist mir
jenes unendlich viel heiliger als diese.
Je weiter man das statistische Beobachtungsmaterial ausdehnen wird,
und je mehr man in Aer Methode nach Exaktheit streben lernt, desto
rascher ist zu hoffen, dafs die Unzulänglichkeit und Nutzlosigkeit des Be-
mühens einleuchtet. Ein Anhänger der experimentellen Psychologie in
Würzburg hat sich bereits ans Werk gemacht und zählt mit treuem Eifer
die rhythmischen Akzente in der deutschen und französischen Prosa I'
Das Verhängnis der Philologie scheint zu wollen, dafs sie den Kelch
dieses Irrtums bis zur Neige trinke. Meinerseits kann ich ihr zu diesem
trüben und faden Gebräu nur ein ironisches Prosit! wünschen. Das Re-
sultat ist leicht vorauszusehen: anstatt gründlicher ästhetischer (rhyth-
misch-stilistischer) Analysen, aus denen der organische Zusammenhang
resp. die Diskrepanz von Inhalt und Form in den einzelnen Kunstwerken
ersichtlich wird, bekommen wir einen Haufen von unsicheren Zahlen oder
Kurven, ein verschwommenes statistisches Bild von Schwankungen, deren
Grund uns verborgen bleibt. Nirgends wird das mephistophelische Wort
besser passen:
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band. —
Neben zahllosen Ausnahmefälleh, die unser rhythmischer Gesetzgeber
nicht sieht oder nicht sehen darf, gibt es nun aber eine Gruppe von Er-
K. Marbe, Über den Rhythmus der Prosa, Vortrag. Giefsen 1904.
238 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
scheinungen, die seinen Aiternationsformeln so überlaut ins Gesicht schla-
gen, dafs er sich mit ihnen auseinandersetzen mufste. Es sind die so-
genannten Akzenthäufungen oder starken Cäsuren. Fälle wie:
Y no te escuchö Diös, y blasfemaste
oder : Soleil, qui vois, entends, connais tout, et toi mer. . . .
Diese Akzenthäufungen bezeichnet der Verfasser als 'poetische Li-
zenzen', von denen zugegeben werden müsse, 'dafs sie nicht als Fehler
zu gelten haben und nicht durchaus vermieden werden müssen, dafs sie
vielmehr höchst wahrscheinlich zum Hervorbringen besonders starker
Effekte hin und wieder statthaft sind' (S. 15), und dafs sie 'überall zu
vermeiden bezw. nicht willkürlich hervorzurufen' sind, 'wo nicht besondere
Effekte augenscheinlich beabsichtigt waren oder vorausgesetzt werden
durften. — Kaum weiter ist Willkür zuzulassen.' — Sonderbare Logik!
Wenn der Dichter mit bestimmter und guter Absicht vom Schema ab-
weicht, so ist es Willkür, aber erlaubte Willkür, denn sie hat ihren
Grund — also keine Willkür? Bei uns in Deutschland nennt man das
Freiheit, nicht Willkür.
So hätten wir also zwei Prinzipien, die über den Rhythmen walten:
1) das der objektiven Regel, das die 'Natur des Verses' ausmachen soll,
'2) das der subjektiven Freiheit ('poetische Lizenz'). — Dafs die 'objektive
Regel' kein 'Gesetz' ist, haben wir gesehen und ergibt sich aus der Exi-
stenz des zweiten Prinzips: der Lizenz. Was ist sie denn, diese Regel?
Nennen wir das Kind beim Namen: es ist Sitte, Konvention, Tradition,
technische Gewohnheit und hat mit der 'Natur des Verses' gar nichts zu
tun: denn die wahre Natur der poetischen Formen ist Freiheit:
Autonomie. Sitte und Konventionen aber beruhen auf Nachahmung
und entstehen durch Mangel an geistiger Aktivität und Originalität. Sie
sind das Passive und Defiziente in unserem Geistesleben, kein positives
Prinzip, mit dem die Wissenschaft arbeiten könnte. — Wir haben ein
Analogon in der Ethik: da die Menschen leider nicht immer nach eigenem
ethischen Willen handeln, so entstand das Handeln nach Gewohnheiten
und Trieben, das moralisch oder unmoralisch sein kann, und es ent-
stand zugleich in unphilosophischen Köpfen die Illusion, dafs es in der
Ethik zwei Prinzipien gebe: das des vernunftgemäfsen ethischen Willens,
d. h. das Prinzip des Guten und der Freiheit, und das der Konvention,
der objektiven Menschennatur, des Nichtwillens oder das Prinzip des
Bösen und der Gebundenheit. An objektive Regeln in der Dichtkunst
glauben ist dasselbe wie an den Teufel in der Ethik glauben. Gäbe es
nur gute und durch und durch originelle Dichter, so wäre dieser ästhetische
Teufelsglaube, den man die mechanische Verslehre nennt, schwerlich ent-
standen. Die Silbenzähler und Silbenmesser, kurz: die Pedanten wüfsteu
sich dann in all der herrlichen und souveränen Freiheit einer vollkom-
menen Dichtkunst gar nicht mehr zu helfen. — So aber scheint es, dafs
das Häfsliche in der Kunst und die Pedanterie in der Verslehre füreinander
geschaffen sind. Mag man doch immer die Verse der Stümper zerpflücken
und messen! Aber wer Goethes 'Über allen Wipfeln ist Ruh^ in ein
Schema prefst, der vergreift sich!
Man wird uns einwenden, dafs auch vollendete Meister sich gern in
hergebrachten Formen bewegen, wie Sonett, Alexandriner, Ballata u. dgl.
(jrewifs, aber sie durchgeistigen diese Formen so sehr, dafs die Vierteilungen
in ihren Sonetten, die Cäsur in ihren Alexandrinern, der Refrain in ihren
Ballaten sich als innere, autonome und organische Notwendigkeiten er-
geben, nicht mehr als Konventionen. In der Lösung dieser Aufgabe
liegt gerade der Reiz, den hergebrachte Formen auf grofse Meister aus-
üben. — Auch eine gute Tat verliert oder gewinnt an ethischem Werte
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 239
nicht das geringste dadurch, dals sie den gesellschafthchen Gebräuchen
entspricht oder zuwiderläuft. — Und ich möchte fast behaupten, dafs ein
recht schönes Sonett auch eine Handvoll Silben zuviel oder zuwenig
haben darf.
Mit all dem soll nicht gesagt sein, dafs die Untersuchung und Kennt-
nis der rhythmischen und metrischen Konventionen wertlos sei. Dem
Dichter freilich kann sie gerade so viel schaden als nützen, dem Literar-
historiker und dem Sprachhistoriker aber ist sie unentbehrlich. Nur darf
man von dieser empirischen und meinethalben auch dogmatischen Hilfs-
wissenschaft nicht mehr erwarten, als sie geben kann: eine ungefähre,
mehr oder weniger oberflächliche Beschreibung und Klassifizierung rhyth-
mischer und metrischer Gebilde ohne Einsicht in deren Lebensbedingungen.
Treten wir mit diesen stark reduzierten Erwartungen an die Rhythmik-
studien des Verfassers heran, so werden wir auch manches Wertvolle
darin finden. Besonders den kritischen Auseinandersetzungen mit Quicherat,
Lubarsch, Lachmann und A. Amelung wird man unbedingt zustimmen.
Es bewahrheitet sich hier, was wir schon angedeutet haben : nämlich dafs
die qualitative und quantitative Steigerung der positivistisch-statistischen
Methode zur allmählichen Selbstauflösung derselben führt. Für sach-
kundige Philologen freilich standen wohl alle Türen, die der Verfasser
einzurennen glaubt, schon lange offen. Auch die 'neuen' Probleme, die er
der Forschung stellt, sind teils gelöst, teils unlösbar. So z. B. die Frage
nach dem historischen Zusammenhang der achthebigen Hymnenlangzeile
mit dem Saturnier.
Am schwächsten ist der dritte Teil der Arbeit. Dort bemüht sich der
Verfasser, die aus der spanischen und französischen Dichtkunst abstrahierten
Regeln in deutschen Versen nachzuweisen. Nur, meint er, seien bei uns
die ursprünglichen (gemein-indogermanischen !) Verhältnisse durch natur-
widrige gelenrte Bestrebungen entstellt und müfsten erst in ihrer alten
Reinheit wieder herausgearbeitet werden. Zu diesem Zweck empfiehlt er
uns möglichst treue Nachbildung der romanischen Rhythmen und gibt
dazu eine Reihe von selbstgedichteten Proben, die eher abschreckend
wirken dürften. Von der grundverschiedenen Natur des germanischen
Akzentes, von der aufserordentlichen Variationsfähigkeit unserer jambischen
und trochäischen Rhythmen, die sich freilich nicht im Schema, sondern
erst in der Diktion offenbart, scheint er keine Ahnung zu haben. Über-
haupt kann ich, angesichts seiner nicht ungewandten, aber häufig inkor-
rekten Ausdrucksweise, mich eines leisen Zweifels an der Sicherheit seines
deutschen Sprachgefühls nicht erwehren.
Grauenvoll aber ist die Zahl der Druckfehler. Am Schlul's des Heftes
steht ein Verzeichnis von 199 'Drjickfehlern die vor dem Lesen des Textes
zu berichtigen sind'. Der Leser mag sich die Mühe sparen, denn ich kann
ihn versichern, dafs w^enigstens noch zweimal so viele nicht verzeichnete
sich im Text und besonders in den spanischen und französischen Zitaten
verbergen. Auf S. 44 habe ich deren etwa zwanzig gezählt. Eine ge-
nauere Statistik halte ich auch hier für unerspriefslich.
Heidelberg. Karl Vofsler.
Henri Hauvette, Luigi Alamanni (1495 — 1556), sa vie et son
cjeuvre. Paris, Hachette, 19^3. Un vol. in-8, de XIX et 583 pages.
Ce n'est pas sans quelque inquietude que j'ai ouvert le gros volume
?ue M'' Hauvette consacre a un po^te de deuxi^me ordre du XVI^ si^cle.
^ranchement, je redoutais d'avance une de ces ^tudes, d'une Erudition fati-
gante et parfois inutile, par lesquelles la science contemporaine täche de
racheter son peu d'originalit^. Cette crainte s'est heureusement dissipee;
d^s les premieres pages, on sent que les documents des archives, consultös
240 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
d'ailleurs avec fruit, ne tont oublier ä M' Hauvette ni les ceuvres littöraires,
ni les inoeurs et les passions des hommes, ni l'art de la dispositiou. SauB
exag^rer une seule fois les m^rites d'Alamauni, il a su le ressusciter, le
rendre sympathique ; par une juste appr^ciation de l'^poque et du milieu
oü le po^te a vecu, ce livre apporte une contribution tr^s remarquable
ä rhistoire litt^raire de Tltalie et de la France.
L'influence de l'Italie sur la Pleiade, affirm^e nagu^re d'une fayon
tr^s g^n^rale, a 4it6 l'objet, depuis quelques annees, de plusieurs ötudes
speciales. Tout le monde connait les beaux travaux de MM. Vianey, Fla-
mini, Pi^ri, Chamard; il reste encore beaucoup ä faire, particuliferement
sur Tepoque qui präc^da et pröpara la Pleiade. Une th^se de Zürich (de
M"" A. Baur) paraitra prochaiuement sur Maurice Sc^ve et la ville de Lyon,
qui fut la porte par oü l'italianisme entra en France. Le livre de M'' Hau-
vette concerne ^galement, en deruier ressort, cette genese de la Renaissance
franyaise, puisque Alamanni v^cut en France les plus belles annöes de
son activit^ litt^raire.
N4 ä Florence le 3 Octobre 1495, il Studie au Studio et fr^quente les
Orti Oricellari, oü Giovanni et Cosimo Eucellai, Zanobi Buondelmonti,
Francesco Guidetti et d'autres encore, group^s autour de Machiavel et du
Trissin, parlent de philosophie, de politique et surtout de litt^rature. D^s
1515 il fait des sonnets amoureux; il lit beaucoup les classiques grecs et
latins. La plupart de ces jeunes gens sont fortement influenc^s par les
id^es politiques de Machiavel; ils fönt contre les M^dicis (mai et juin 1522)
une conspiration qui aboutit ä une debandade g^n^rale. Alamanni s'en-
fuit ä Venise, de lä ä Lyon; en 1524 il est ä Aix, oü il se lie d'une
amiti^ durable avec une noble femme, Batina Larcara Spinola, qui figu-
rera dans ses vers sous le nom de Ligura Planta, ' et lui vaudra jplus tard
la protection de Frangois I'^' ; mais pour le moment il ne re9oit du roi
aucune faveur particuli^re ; en mai 1527, il rentre ä Florence (qui avait
chass^ les M^dicis) et met au service de la patrie en danger un sens poli-
tique.tr^s avis^. Soins inutiles d'ailleurs: gräce ä la rivalitö des villes, ä
l'ambition du pape et aux armees etrang^res, l'Italie etait condamn^e ä la
d^ch^ance politique et morale; lorsque Florence capitula (12 aoüt 1530),
Alamanni s'^tait d^jä r^fugi^ en France; il ne revit pas sa viile natale.
Une vie toute nouvelle commence pour lui: le citoyen d'une ville libre
devient, sur la terre d'exil, po^te courtisan.
II faut s'entendre pourtant: la terre d'exil fut pour le pofete une se-
conde patrie, et il sut m^riter l'estime de Franyois I par des Services
exempts de toute bassesse; 11 demeura jusqu'ä la fin un homme de ccBur
et de probit^. Ses Opere toscane, publikes de 1532 ä 1533, ^taient d^di^es
au roi, qui lui accorda dfes lors de nomt)reuses largesses, sans lui imposer
des charges pr^cises. II est probable qu'Alamanni plaida plus d'une fois
pour sa patrie asservie; sans r^sultat; il revit du moins l'Italie ä plusieurs
reprises, soit comme secr^taire du cardinal Hippolyte d'Este, soit comme
ambassadeur. Au cours de ses sejours ä Padoue, Ferrare, Rome, Naples
et Venise, il connut Benedetto Varchi, Bembo, Annibal Caro, Barbaro,
Operone, 1' Ärztin, Beatrice Pia, Vittoria Colon na, et se maintint ainsi en
contact constant avec la litt^rature italienne; le fait n'est pas ä n^gliger.
En 1544, Alamanni est nomm^ maitre d'hötel de la Dauphine, Catne-
rine de M^dicis; il avait ^pous^ en secondes noces une de ses dames
d'honneur; il m^ne une vie ais^e, paisible et 6cnt ses grands ouvrages : la
Goltivaxione, Qyrone il öortese, Flora. Catherine devenue reine lui con-
serva toute sa faveur; il est ambassadeur ä Genes en 1551. II meurt ä
Amboise le 18 avril 1556, sans avoir pu publier VAvarehide, achev^e d^s 1554.
Les 6ditions modernes portent ügure; Alamanni a ecrit ligura. De m§me
l'editeur Kaffaelli ecrit k tort Badsta au lieu de Baiina.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 241
M' Hauvettc consacre 147 pages a la biographie d'Alamanni; c'est
peut-etre beaucoup pour une vie qui fut somme toute assez tarne; mais
c'est qu'Alamanni a 6t6 möl^, sans y prendre une part pr^pond^rante, ä
une quantit^ d'ev^nements, grands ou petits, politiques ou litt^raires. II
y a de ces hommes utiles et modestes d!ont rhistorien rencontre le nom ä
chaque pas, sans avoir une idee bien nette de leur personnalit^ ; ils ap-
paraissent un instant, puis s'effacent pour reparaitre encore; on devine
leur influence, sans r^ussir A, la pr^ciser. Cellini nous raconte: *Mr. Luigi
Alamanni . . . con grandissima piacevolezza in mio favore aggiunse molte
virtuose parole; e allui s' avvenivano, perch^ gli era bello d'aspetto e di
Proportion di corps, e con suave voce.' Ces hommes furent ^cout^s et
respect^s; leur voix est steinte pour nous. Ils sont non pas la fleur ä
laquelle on s'arrete, mais l'insaisissable papillon qui vole d'une fleur ä l'autre
en transportant sans le savoir un pollen f^condateur. Pour bien com-
prendre l'histoire, il faut rendre ä ses ombres le geste et la voix; il faut
reconstruire patiemment le milieu dans lequel et par lequel ils v^curent;
M» Hauvette y a parfaitement r^ussi pour Lui^i Alamanni, qui nous apparalt
desormais dans ses traits essentiels et d^finitifs: non point un capitaine,
mais un chef de file; non point un cr^ateur, mais un heureux m^diateur.
De lt\ r^sulte pour nous la valeur de son oeuvre litteraire, que M"" Hau-
vette Studie en la s^parant nettement de la biographie; c'est la m^thode
la plus simple; on en abuse souvent; ici eile se legitime en ce qu'Ala-
manni n'est pas de ces hommes chez lesquels l'art est un facteur essentiel
de la vie, inseparable de la biographie; les rapprochements sont d'ailleurs
indiqu^s en leur lieu.
C'est ä Lyon, la ville italianisante, chez S^bastien Gryphe, que paru-
rent de 1532 a 1533 les deux volumes intitul^s: Opere toscane di Luigi
Alamanni al Ghristianissimo Re Francesco Primo. Le contenu en est
trfes variä de forme et de fond, et se lit aujourd'hui encore avec plaisir
et profit. Les Opere toscane sont d'un accent nettement personnel et trai-
tent tantöt d'amour, tantot de politique, de morale ou de religion. M»" Hau-
vette consacre quelques pages charmantes aux femmes qu'Alamanni a
aimees, de facon diverse, et chant^es : c'est d'abord Flora, la belle infidfele
qu'il identifie peu ä peu avec Florence; puis une Parisienne, Vermiglia
rosa, dont la iaveur dura ce que durent les roses; Cynthia, qui ne fut
gu^re qu'un amour litteraire; la Ligura Planta, pure amie et tid^le pro-
tectrice; Beatrice Pia, la belle Ferraraise, qu'Alamanni c^lfebre en une
vingtaine de sonnets d'une galanterie aussi conventionnelle que respectueuse ;
enfin, Elena Bonaiuti, la seconde femme du po^te; les vers qu'il fit cer-
tainement pour eile sont perdus.
Les po^sies politiques sont plus Vivantes encore, animöes par un amour
ardent de Florence. II y a lä de beaux accents de col^re, de d^sespoir ou
de m^lancolie. Le civisme a inspire Alamanni beaucoup mieux que la pure
morale ou que la religion; sa 'conversion' qui daterait d'octobre 1525 fut
^videmment peu profonde. Sa muse ne s'est jamais abandonn^e aux vo-
lupt^s des po^tes latins ou Italiens; eile est chaste, mais eile a ignor^
aussi la pensee originale et profonde.
Pour la forme, ä cot^ de l'imitation directe de P^trarque (sonnet, can-
zone, bailade, madrigal), il y a chez Alamanni quelques nouvaut^s parti-
culi^rement importantes pour la litt^rature frangaise: c'est Töl^gieamou-
reuse (forme nouvelle du capitolo) oü la terza rima r^pond au distique
de TibuUe et Properce; dans cette voie, Alamanni avait ^t^ prec^d^ par
l'Arioste, mais sans en avoir connaissance ä ce qu'il semble; l'id^e ätait
dans l'air et fut r^alisee ä la möme ^poque par differents po^tes; c'est
ensuite la satire, d^riv^e egalement du capitolo en terza rima; ici la
priorit^ de l'Arioste est aussi indiscutable que sa sup4riorit6; c'est encore
le vers blanc (verso sciolto) employ^ d^jä par le Trissin et par Giovanni
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 16
242 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Rucellai dans la po^sie dramatique et didactique, introduit par Alamanni
dans la po^sie narrative et descriptive (les ^glogues, les Selve et plus tard
la Coltivazione) ; et enf in c'est 1 ' n y m n e qui est au fond Tode pindarique.
Toutes ces formes vont devenir classiques en France comme en Italie, et
d'autres pofetes feront oublier la part qu'Alamanni a prise ä leur diffusion;
M*" Hauvette a ce m^rite de r^tablir un fait historique en montrant com-
ment Alamanni, par son long söjour en France, a puissamment contribue
ä J'av^nement du classicisme dans sa forme et dans son esprit.
Les traductions et imitations de po^mes antiques ne nous ar-
reteront pas longtemps, bien qu'il soit instructif de voir les nuances qu'y
apporte le goüt 'classique'. Ainsi dans VAntigone (traduite entre 1520 et
1527), la traduction quoique fid^le a une tendance ä la paraphrase; au
detail realiste, pittoresque, Alamanni pr^f^re les expressions les plus g4-
n^rales, les plus nobles; il efface certains coutrastes oü le comique sert
de repoussoir au tragique; sa psychologie est plus uniformement h^roique,
eile a quelque chose de th^ätral. Dans la Favola di Narcisso (Ovide,
Metam. III, 344 — 510) le merveilleux est exclu autant que possible; la
vraisemblance et la raison triomphent de Timagination.
Les Oeuvres les plus considörables d'Alamanni, Celles qui firent sa c^-
l^brit^, sont pour nous moins Vivantes que les Opere toscane; elles gardent
leur valeur relative ou historique. La Coltivazione (6 livres, en vers blancs)
fut inspir^e par les Göorgiques, comme le Äpi de Rucellai. L'observation
y a pour point de d^part le travail du paysan fran§ais, mais g^n^ralisö
et avec de fröquents emprunts ä l'agriculture en Toscane. La conception
philosophique et po^tique de la nature y manque totalement; quelques
bonnes descriptions y sont noy^es dans des digressions deplacöes. Le
style est 'noble', il evite avec soin toutes les expressions paysannes. On
s'explique que ce mödicore po^me ait ^t^ surtout c^lfebre au XVIII^ sifecle;
par une de ces ironies dont Thistoire litt^raire abonde, il a sauv^ le po^te
de l'oubli, en attendant que la critique remit les choses au point.
De Qyrone il Gortese il suffira de dire qu'il compte 28720 vers (en
octaves) Berits en vingt mois! Publik en 1548, c'est une traduction de
Qyron le Courtois, avec coupures et additions ; vers la fin, il y a aussi des
emprunts ä Meliadus et ä Tristan.
La com^die intitul^e -Mora (terminde en 1549, jou^e devant la cour en
1555, imprim^e ä Florence en l55Öj nous Interesse surtout par sa versi-
fication. Suivant l'exemple de Claudio Tolomei, Alamanni pr^tend sou-
mettre le vers Italien aux regles de Ja m^trique latine et grecque, non pas
en attribuant aux syllabes une quantite conventionnelle, mais par l'alter-
nance des syllabes atones et toniques. Son s6naire iambique pourrait
donc se repr^senter: -- ^- -- «- -^ --, avec Substitution possible du
iambe par l'anapeste. — Le sujet lui-meme est mediocre; c'est une mo-
saique d'emprunts ä Piaute, T^rence et Boccace; compar^e aux comädies
r^alistes de TArioste, de Machiavel, de l'Aretin, celle d'Alamanni marque
un recul, par exag^ration de classicisme. Le style pourtant est vivant et
ne manque pas d'une saveur toute florentine.
La derni^re oeuvre, VAvarehide, me parait la plus interessante au
point de vue historique. Cette öpop^e, congue dfes 1548, achev^e dans
sa premifere r^daction en 1554, ne fut publice qu'en 1570, par le fils du
po^te; eile raconte le si^ge d'Avaricum (Bourges) vers l'an 500, par une
arm^e chr^tienne, dont les chefs s'appellent Arthur, Lancelot, Tristan.
Avarco, c'est la Troie de Vlliade. C est dire qu'Alamanni a essay^ de
fondre le roman chevaleresque de l'Arioste avec l'^pop^e classique d'Ho-
mfere et de Virgile. Son oeuvre est en quelque sorte une r^ponse ä V Or-
lando Furioso, dont Alamanni devait blämer l'intrigue enchevetr^e et la
merveilleux. Entre VItalia Über ata du Trissin et VAmadigi de ßernardo
Tasso, VAvarehide repr^sente une Solution intermediaire, celle-lä möme qui
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 243
sera realis^e par le g^nie de Torquato Tasso. Chez Alamanni, ce n'est
qu'un essai; le souffle lui manquait; il emprunte ä l'^popee romanesque
les noms, les moeurs, quelques aventures; ä Vlliade tout le reste; sans
r^ussir ä fondre les deux ^l^ments. II supprime d'ailleurs le merveilleux
pai'en aussi bien que le merveilleux chr^tien.
Pour la prose, il faut citer surtout les lettres. D'une vaste correspon-
dance qui va de 1519 ä 1555, nous ne poss^dons que 65 lettres, dont 25
n'ont i)a8 ^t^ r^dig^es par Alamanni; elles sont d'un style sans apparat,
et contiennent peu de d^tails personnels.
Aprfes une discussion des oeuvres apocryphes, et un chapitre de con-
clusion tout ä fait remarquable, M*" Hauvette public, en quatre appen-
dices, quelques poesies inedites, une bibliograpnie des lettres et douze
lettres inedites, des documents relatifs ä la biographie, une bibliographie des
ceuvres. Enfin un index trfes complet des noms propres augmente encore la
valeur du volume comme source de renseignements sur toute cette ^poque.
La conclusion, dont on ne saurait trop louer la perspicacit^ et la mo-
d^ration, couronne dignement une ^tude qui en d'autres mains n'eüt ^t^
p)eut-6tre qu'uue accumulation de petits faits. M'" Hauvette y montre
combien grande a ^t^ Tinfluence d'Alamanni sur le programme ;fcrac^ par
Du ßellay dans sa Deffence. Dans les genres c^ue recommande Du Bellay,
dans ses exclusions et jusque dans ses contradictions, M^ Hauvette rel^ve
des coincidences frappantes avec l'oeuvre d'Alamanni; il me paralt avoir
prouvö que Ronsard et Du Bellay ont connu la r^volution litt^raire ac-
complie en Italic surtout par Alamanni, beaucoup plus que par le Trissin
ou rArioste. '. . . ä l'heure oü, tout jeunes encore et reduits ä tätonner,
ils ne savaient clairement qu'une chose, c'est qu'ils voulaient rompre avec
les traditions alors en honneur dans la po^sie frangaise, Alamanni leur
apprit par son exemple oü ^taient les modales ä imiter et comment on
pouvait implanter la po^sie classique dans une litt^rature moderne. Son
(Buvre suppl^a donc dans une certaine mesure ä l'inexp^rience de ces
jeunes r^formateurs ; eile leur fournit le point d'appui n^cessaire, le terrain
solide dont ne peut se passer aucun construeteur de Systeme; eile les aida
grandement, dans la häte avec laquelle ils formulferent leur programme, ä
pr^ciser quelques id^es essentielles. Ces id^es constituent toute une po^-
tique, qui se d^gage spontan^ment et avec une remarquable nettet^ de
chacune des oeuvres d'Alamanni.'
En somme, je le r^pfete, M'" Hauvette a su nous donner un Alamanni
vivant et sympathique, un vrai galantuomo. Comme pofete, il manque
d'imagination, de profondeur; il a du moins le souci de la forme (ce
qui est tr^s important ä ce moment lä) et la curiosite des formes nouvelles.
Quant ä l'esprit classique, il se manifeste chez lui plutöt comme un
appauvrissement, mais d'autres en tireront un meilleur parti et r^aliseront
ce que le po^te florentin n'a su qu'ebaucher. Lui-meme se consolait en
disant, non sans raison, et avec une modestie touchante:
E se ben mancheran l'ingegno e l'arte,
So che il semplice dir, la voglia pia
Talor piu val che un onorato canto.
Zürich. E. Bovet.
Poema de Fernan Gon9alez, texto critico con introdacciön, notas
y glosario, por C. Carroll Marden, profesor adjunto de filologia
espanola en la Universidad de Johns Hopkins. Baltimore: The Johns
Hopkins Press. Madrid: Libreria de M. Murillo. 1904. LVIII -j- 225
päg% 23 X 16 Cent».
El poema de clerecia mäs estropeado y mäs dificil de publicar, es el
que primero logra una ediciön critica. El autor de ella, el profesor de
10*
244 BeurteiluDgen und kurze Anzeigen.
Baltimore C. C. Marden, nos hace esperar desde luego un resultado satis-
factorio, dado su conocimiento de los antiguos textos espafioles, ä los
cuales 61 ha consagrado, preferentemente sus estudios y publicaciones,
cuando aun en los Estados Unidos la atencion se iba en general hacia
las ^pocas cläsica y moderna de la literatura espanola.
Las dificultades que ofrece el Poema de Fernän Gonzalez son de las
mayores; los recursos con que cuenta la critica para su estudio son: un
solo manuscrito muy malo y muy tardio; una prosificaciön completa,
posterior en 40 anos ä la fecha del Poema; algunos otros reflejos prosaicos
en obras mäs modernas, y unas pocas coplas conservadas segün otro ma-
nuscrito. Marden aprovechö estos escasos recursos con maduro esmero,
con erudiciön y talento, empenando su atencion en dominar el texto, en
el continuo cotejo del mismo con las crönicas que le prosifican, en hallar
oportunas comparaciones, en restaurar la ortografla del siglo XIII, en
sacar ä salvo la m^trica, implacablemente atropellada por el copista del
siglo XV.
Es particularmente instructivo seguir ä Marden en su compleja labor;
tanto ensena cuando atrae al asentimiento como cuando sugiere contra-
dicciön. Apuntar^ aqui las observaciones que se me ocurren al revisar
el libro, sin desechar muchas bien menudas sobre todo en el examen del
texto restaurado por Marden.
He aqui el contenido de la Introducciön de Marden:
I. Noticia de las obras po^ticas que inspirö Fernän Gonzalez ä la
literatura antigua, hasta el siglo XVI. Limitändonos al Poema, basta
recordar, para comprender su importancia, que influyö en los cuentos de
don Juan Manuel, en la leyenda del Abad don Juan de Montemayor, en
el poema francds de Hernaut de Beaulande, y sobre todo en la Crönica
General, y por ella en los romances y el teatro de la 6poca cläsica y ro-
mäntica de la literatura espanola.
II. Los manuscritos. El ünico extenso, aunque no completo, el del
Escorial B-IV-12, es obra de dos manos de fines del siglo XV; el examen
de las filigranas lleva ä creer que el papel se fabricö hacia 1465 — 1479.
Este era un periodo de transiciön en el idioma, sumamente perjudicial
para la fidelidad de la trasmisi^n de la obra literaria ; asl piden continua
atencion las formas gramaticales que los dos copistas emplean en lugar
de las viejas del siglo XIII, como por ejemplo las 2^^^ personas de plural
aveys 534b deves 421d; estorba tambi^n la extravagante ortografia del
siglo XV, tan caprichosa en el uso de la rr, la y, la u, la s. Ademäs uno
de los copistas ofrece resabios galaico - portugueses en la m y ^ finales
{afam 513d etc., lorigadox 381, 383, 384, 399), y en alguna forma grama-
tical (rescebe 546c etc.). Anädase que ninguno de los dos amanuenses tiene
la menor idea del metro ni el menor instinto de fidelidad, y se compren-
derä el sinnümero de dificultades con que continuamente ha tenido que
bregar el moderno editor.
Marden caracteriza perfectamente ambos copistas: su ignorancia, su
infidelidad, su color regional. Solo insistir^ algo en los resabios habituales
que suelen viciar el metro de la copia; ya estän senalados por Marden,
como el poner nosotros por nos (p. XVI), ansyna por assi, de voluntad
por volunter, Jesu Oristo por Gristo (coplas 8c, 15b, 201c, 410d) ö por don
Gristo^ (p« 171 abajo), menester por mester, etc.; pero creo se deben suponer
en mäs ocasiones que las admitidas en la ediciön.
El copista rachaza la enclisis del pronombre personal, que Marden
restablece en multitud de casos; ademäs ques 131c, temom 158b, nol 207c,
muertel 209d, nuncal 215c (segün T), nol 241b, yl vio el su f. 248c, quel
copo 278c, quet 286d, 7iol 307c, qttet 344a, poral 404d, otorgat y tul 405a, d,
qu£.l 449d, ques 473a, rrexios 516a, nol 676a, alongar nol q. 745a.
El copista desconocia la palabra deserrado o desarrado y escribia de-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 245
seredado (aegiin feliz correcciön de Marden ä 3c, 530c) 6 ponla desonrrado
379b, 380a. — El adverbio y era para el un arcaismo, y ponia ay (segim
advierte Marden, 466a, b, c, 460b, d, 508c, 516d, 517c, 563b); 6 ally (Mar-
den en 464d) 424a (Marden mide puerio^alli), 562c; 6 aqui 639a, 653a. —
Pone ninguno en vez del arcäico nul nuUa (Marden 344c, 369d, 441 d,
453c, 537b, 598d, 720a, 723b) acaso en 301c; y seeuramente en 668d, donde
el qua inicial debe suprimirse por ser propio del verso 6: non reyen nul
logar; y en 381c {por) nulla guisa contados (comp, el adverbio otra guisa
que citamos abajo, al verso 154a), y en 43d: nos' podrya nulla guisa. —
Creo que rechaza el adverbio abes, para poner apenas en 504 b; v^ase
adelante. — Desconoce el sustantico euer (en 302c pone aver/) y lo susti-
tuye por cora^on: los eueres demudados 6 el so euer demudado 8b, tenia
cada vno en su euer grran manxilla 600d. — Sustituye el relativo qui por
el que 6 quien (Marden 444c); l^ase pues qui fuyer de nos, yapa 44 5d, quil
pudies meiorar 515b, qui a Gustios Oon^ulex 536a, quil avia conoscido
606d; V. adelante 614c. — Adelante hablo de caballero puesto en vez de
cavero. — Pudiera suponerse el arcaismo pues que con el sentido de luego
que en 43d. — Las mismas modernizaciones en el verbo. Sustituye tomar
a prender (442b), contecer a cuntir (576d) v. adelante 6I4d. — En lugar
de salir puede suponerse de exir de las cavanas 180a. — Pone quitar en
vez de toller: a quien toldras la vida 237b; tollo dice la Crönica en 477c,
y tuelle en 618c. — Kechaza las formas fuertes del verbo faxer; alguna
vez deja pasar fer (288a), pero hay que restaurar esta forma en otros
muchos casos (Marden 70c, Ulb, 150b, 234d, etc.): fer les e todas armas
45c; V. adelante 165c; o por fer rromeria 230d. Y ademäs del infinitivo:
sy otrra cosa femos 205d, y probablemente e fet grandes fogu£ras 63d,
[fetj rejas e a^adas 64 b. — Sustituye las formas arcäicas del verbo seer
por otras del verbo estar; l^ase a quien seyen llamando 11 4 d, en valde
non sovieron 492c, 529b, en valde non seyan 500a (sin que haya que
seguir la fräse de Alexandre "yazer en valde"); todos seyen en canpo
i't09b (para todos comp. 82b); y acaso do seye soterrado 423b, contra la
mejor lecciön de la Crönica que dice yaxie, pues si el copista hubiera
visto en su original yaxie no es probable que lo sustituyese; el que con
el soviesse 535c (6 qui con el se cryaset); com sy sovies con el 541 d;
s(yvo byen medio dia 688b (bien estä en la Crönica y no debe suprimirse).
Pone tambien estar mudando el uso sintäctico: com eran mal. 418a, vyo
los ser cansados 690b. En fin, aunque sea indiferente para el metro debe
suponerse que el original del Poema decia prisieron 372b, como la Crö-
nica escurialense, en vez de prendieron; y que en vez de qu£dar decia
fincasse 205b (segün Arredondo), finco 216c (segün la Crönica).
La libertad del copista es tal que cambia ä veces sin razön de ar-
caismo. Conoce y admite los verbos guarnir, demandar y fallir, y sin
saberse por quo, los sustituye en ciertos lugares por aperpibir 509b, pedir
508b, y fallescer 494c, 692d ; conoce la fräse otro dia maiiana 82a, 250a, y
luego la estropea en otro dia por la manana 447a, 457c, 509a, 510b. —
Sin mäs que una simple preferencia por nunca, lo pone en vez de non,
como nota Marden en 24d, 30d, 198d, 347c (löase nol), 442d, 443b, 614b ;
y lo mismo debe ser en 151d en el mundo non viemos, 182d non ovo mayor
goxo, 435d jamas non los veremos, y en 534d donde nunca es algo impropio.
Con mäs razön pudiöramos suponer que este preferido nunca naya venido
a suplantar ä un arcaismo: alguandre non fu£, omne 605d, comp, "al-
quantre non aplekan" ■= numquam accedant, Glos. Silenses 111. — En
36a puso partyda en vez de parte. — En 61d y 65c se advierte que el
copista por simple preferencia ponia vesquir donde el original tenIa vivir,
y puede asegurarse que el tema visq- es intruso en 39a, d, 96d, 349c,
debiendo solo admitirse en el perfecto fuerte (v. glos. de Marden), leyendo
vysco en 33 b, 122d en vez de visquiö.
246 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
El copista repite frecuentemente una preposiciön: co7i...c'on 540,
de. . .de 76b, 281a, 487b, etc. ; Mase : todos irres de grrand guisa e (de)
grrandes cora^ones 166b.
Marden observa y explota con habilidad la equivocaciön del copista
en repetir palabras 6 rimas de otro verso proximo, por ej. mando 66a, b,
ptteblos 69a, b, ^ra 147b, 148a, espantado 241b, d, de voluntad 567b, c.
Creo en igual caso synon 44d, v. adelante, cesura. Ademäs en 613c se
repitiö coyta; la Cronica: "cuedando muchas guisas" nos da el hemlsti-
quio: muchas guysas cuedando; luego un copista modernizö m. guysas
pensando, j otro puso m. coytas pasando.
Claro es que, como en esta ultima suposiciön, los yerros no proceden
todos de los dos desdicbados copistas del ms. escurialense. Algunos son
ya comunes ä ^ste y al ms. que ä fines del siglo XIII sirviö para la
Crönica General. El ms. que ä principio del XVI tenia Arredondo, Abad
de Arlanza, y que Marden (p. XX) afirma, con razon, que era di verso
del escurialense, ofrece grandes yerros comunes con ^ste; asi la copla 254
tenia cinco versos en el ms. de Arredondo (p. XX) como en el escuria-
lense; y la 196d (p. 114) coincidia en arabos en el disparatado nümero
cinco mtl.
III. Ediciones. Las dos ünicas completas, de Gallardo y de Janer,
son muy imperfectas ; la mala letra del ms. escurialense es causa de abun-
dantes yerros. Marden juzga quizä menos mala la de Gallardo.
IV. El autor y la fecha. Es uno de los capitulos que mayor nove-
dad 6 inter^s encierra. Marden asiente ä la opinion, general desde Rios
acä, de que el autor del Fernän Gonzalez era un monje de Arlanza. Pero
la fecha, que se colocaba entre los siglos XII y XIV, y que es de im-
portancia, no s61o en si misma, sino por relacionarse con la del Alexan-
dro, Uega ä fijarla Marden con precisiön, gracias ä un episodio sagazmente
restaurado en el que figura un Conde de Piteos y Tolosa; como este doble
titulo solo existiö en dos fechas 1098—1100 y 1250—1271, concluye Mar-
den que solo entre estos dos afios Ultimos pudo escribirse el Poema. Como
ademäs se llama habitualmente ä los soldados cristianos cruxados (470d,
471c, 507a, y päg. 182 nota ä 445a) y en 640d se usa la fräse plogol mas
que sy ganas a Acre e Damiata, y Damieta s61o estuvo en poder de los
cristianos en 1249 — 12 ')0, se ve en el Fernan Gonzalez un fresco recuerdo
de la primera cruzada de San Luis, debiendo haber sido escrito "en el
ano 1250 6 muy poco despu^s".
V. Las fuentes. Se precisa y amplia lo que el Poema imitö de
Berceo y del Alexandro, lo que tomö del Epitoma Imperatorum 6 Pa-
cense, del Turpin y del Tudense. Me parece indudable la sospecha que
apunta Marden (p. XXXVI n. 4, y p. 172) de que el FnGz alude ä los
primeros versos del Cantar de Roldän, versos famosos en Espana, ä los
que tambiön alude el Arzobispo don Rodrigo de Toledo: "nonnulli histrio-
num fabulis inhaerentes, ferunt Carolum civitates plurimas, castra et
oppida in Hispaniis acquisisse . . ." (IV, !")•
Yo habia creido que ei Tudense era la ünica fuente del FnGz en el
Loor de Espaiia. El Tudense se refleja en la menciön de los caballos y
del Apostol y en otros pormenores del Loor en Fn Gz ; pero Marden tiene
razön (p. XXXV) al decir que la alabanza del clima de Espana y la men-
J ciön de la grana parecen provenir del Laude Hispaniae que figura en la
Historia Gothorum de San Isidoro. Ademäs ^de dönde tomö FnGz el
mentar la sal, el lino, la lana, la cera?; acaso son anadiduras sin fuente
precisa, pues la enumeraciön convidaba ä ser ensancbada; asi la Primera
Crönica General, traduciendo al Toledano, interpola la menciön de la sal
y la cera (v. mi pröxima ediciön p. 311b, 20 y 25).
Las relaciones del FnGz con el Alexandro son particularmente curiosas
y abundantes. No s61o la copla 351 de FnGz estä inspirada en la 2124
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 247
del Alex, sino todo el episodio FnGz 3S7 — 355 (Nufio Laynez y los cas-
tellanos tratan de calmar el afan guerrero del Conde; respuesta de ^ste)
esta imitado de Alex 2107—2131 (los vasallos de Alejandro tratan de
apartarle de nuevas aventuras; respuesta del rey); compärense especial-
mente FnGz :^.39c v Alex 2110a; FnGz 340a y Alex 2112c; ademas FnGz
350a y Alex 722a; FnGz 353d y Alex 74d, 721d. — Tambi^n el episodio
de FnGz 104—480 es recuerdo de Alex 1151—1183 (una senal del cielo
asusta al ej^rcito la noche antes delabatalla; explicaciön tranquilizadora
de la senal). La prisiön del Conde en Ciruena se parece de lejos ä la
prisi^n de Dario, Alex 1540; comp, especialmente FnGz 586a, 592c y
Alex 1505a, c. — Las descripciones del ejörcito bärbaro de Almanzor en
FnGz se procuraron un color, que quizä quisiera ser oriental, tomando
rasgos de las descripciones del ej^rcito de Dario en Alex; la diversidad
de paises 6 idiomas que concurren en el ejörcito (FnGz 385b, Alex 760c,
761b, 807b), la muchedumbre que cubre oteros y llanos (FnGz 251c, 383d,
384d, Alex 761, 827, 1146b) que vienen como en romeria 6 dperdön (FnGz
382d, Alex 203d, 761d), haciendo tal alegria y ruido que los montes y los
valles parecen conmoverse (FnGz 252, 509, 82, Alex 803), el contar por
legiones estas multitudes (FnGz 196d, Alex 807c), la menciön de las
hallestas ^rheras (FnGz 383c, Alex 17(i5b). — Tambi^n son curiosas las
analoglas sueltas. Marden indica imitaciones del Alex en las notas ä las
eoplas 248, 305, 811, 511. A la analogla de FnGz 240, Alex 55 puede
anadirse la de FnGz 222, Alex 56. Pueden compararse las cartas por a.
h. c. FnGz 573, Alex 1375.
VI. El Poema y las Crönicas. Las varias crönicas que prosificaron
el FnGz son una ayuda critica preciosa, que Marden aprovechö con for-
tuna, sacando de ellas felices correcciones. Marden ademas aporta al
conocimiento de las crönicas una novedad importante: la prueba de que
la Crönica de 1344, aun en los capitulos en que copia la narraciön de la
Primera Crönica General, utiliza directamente, para algunas frases 6
pärrafos sueltos, el mismo Poema, del cual refleja bastantes versos que no
ostan 6 estän imperfectamente reflejados en la Primera Crönica; v^anse
como ejemplo de buenas correcciones apoyadas en la Crönica de 1344 los
V. 528c, 572d, etc. En consecuencia, adiciones episödicas que antes podlan
parecer propias del cronista de 1341, deben ahora mirarse como derivadas
de fuente escrita, con mayor razön que palabras ö frases sueltas que
Marden ba probado derivarse del Poema. Por ejemplo, v^ase la adiciön
a las eoplas 588 — 589: los escuderos se retiran al Camino franc^s; el
escudero del conde cambia sus vestidos con los de un romero y vuelve
ä la ermita como ä orar, llevando asi ocultamente sus espadas al Conde
y ä los Caballeros que estaban encerrados en la ermita. Pero queda por
resolver un problema : ^stas, y otras adiciones por el estilo, i derivan de
un Poema igual al escurialense aunque ampliado, ö de una Gesta populär
que contaba los sucesos con mäs despacio y claridad, y cuyo asunto
resumiö, ä veces demasiado secamente, el monje de Arlanza que trovö
„por la cuaderna via" la vida de Fernän Gonzalez? Mäs es de creer lo
segundo; esto es, que la Crönica de 1344 tuvo presentes el Poema hoy
conocido y una Gesta populär perdida; el tono de östa se descubre clara-
mente en ciertos trozos de la Crönica.
En cuanto al valor del ms. escusialense de la Primera Crönica (Mar-
den lo llama X), he podido precisarlo recientemente con motivo de la
fdiciön de ella que estoy haciendo. Representa X la Variante de la Pri-
mera Crönica mäs literaria, correcta y de lenguaje mäs arcäico, pero el
ms. de Menöndez Pelayo (Marden lo llama P) representa una rama mäs
fiel en giros y vocablos ä las fuentes de la Crönica, mientras X aparece
si mejor estilizado, pero mäs verboso. Hermana inferior de P es la ediciön
de la Crönica publicada por Ocampo (Marden la llama 0), de la cual
248 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
habia notado ya Milä {De la Poes, her.-pop. pag. 414 — 416) que on algunas
cosas era mäs fiel al FnGz que el ms. X Por lo tanto, para la critica
del FnGz es preferible el texto de P, sobre todo ayudado del de otros
mss. hermanos, especialmente de otro del Escorial Y-ij-11.
VII. Lenguaje. Marden trata de restaurar la buena ortografia del
siglo XIII en cuanto ä la ^ x, ss s, x j, ^pero por quo no en cuanto ä la
b vt Es bien cbocante ballar en un texto del siglo XIII lovos 222d, 450d,
descave^aron 12d, rovar 281d, vuen 49a, 60a, caballo 497a, rogaba 730b,
732. Tampoco debe admitirse la f de fa^ 453a, faxes 309b, 483c, que es
antietimolögica y estorba para el metro en 485c, comp. 457a. Las grafias
Ueno 504a y aliegan 475b son aisladas y sugeridas por lieva.
Apöcope. Dan correcciones mäs sencillas franc 30b, muert 307d,
xdmet 374b ; y arreglan versos que Marden deja como incorregibles omenax
591c, linax 15c (acentuando Magog), \llc, comp, barnax por bamage en
el Poema del Cid. El nombre propio ante el apcllido podia apocoparse,
como Vernald del Garpio, y debe leerse fino Dia Gonzalez 168a, comp. P.
Cid 3662.
Articulo. Se omite ante todos 63a, 62c, e todos (los) pytavynos 433a.
Se suprime tambi^n ante el titulo de rey, y como 431c, debe leerse rreyno
(el) rrey don Rodrygo 35a, ovo (el) rrey 77a, 78a, 128a, 313c.*
Pronombre. Sospecho que pudiera conservarse nosotros vosotros en
algiin caso en que es enfätico por estar opuesto ä otro pronombre per-
sonal: a mi e a vosotros 299d, por quanto ellos son mayor cavallerya, no-
sotros non (a)mostremos y nulla cocardia 301c, si ella non fuyre nosotros
non (nunca) fuyamos 657b, y aun por oposiciön al pronombre yo callado:
quiero que esto sea, si a vosotros (vos) plax 65d.
Imperfecto indicativo. Entre los casos de -ie disilabo debe dejarse
muryen en 94 c.
Imperfecto subjuntivo. La förmula si tuviera daria se impone ne-
cesariamente por la rima en si non fuera . . . non podriemos 678d (comp,
päg. 188 de Marden), y acaso debiera admitirse en si quisieras te temta
597, dado que la Crönica dice quisieras, si bien mudando el tiempo corre-
lativo que es ouiera yo.
Participio. Nötese venuda 400, de un verbo -ir, que es insustituible
por otro verbo -er, dado que tambi^n las Cröiiicas ponen venida. El
participio puede no concordar con el objeto del verbo (198a, 272c, 278a,
666a, 717a), y no es forzosa la correcciön en 360a, 724c. En cambio 724b
exige correcciön.
VIII. Metrica. Creo acertado el criterio mötrico que Marden fija.
Nötese que rechaza la parägoge, erradamente escrita en la ediciön de Janer;
y que admite una sinalefa ä trav^s de la cesura, por ejemplo : que dies la
delantera\\a los pueblos eastellanos 14 Ic.^
Tambiön debe admitirse una cesura forzada 6 contra la fräse, sepa-
rando voces que sintacticamente forman un grupo mäs 6 menos estable,
por ejemplo: mefor tierra es de las \\ que quantas nunca viemos 151c, non
la podrrya por guisa || ningima defender 401b; Marden (p. LH) da estos
dos versos como defectuosos, pero Alex 2061b, d, en que apoya äl mismo
(p. 181) la correcciön del segundo de ellos, ofrece igual cesura forzada,
que Berceo tambi^n conocia: "non podria en cosa |1 meior lo emplear"
* Marden seflala (päg. XLIIl) ä unos valor distributive en el v. 362c dun
logar eran todos e dunos coraqones, pero no indica sino la identidad, comp. 302c;
y coraqon ■=■ voluntad ö intenciön 296d, 627d. El de trygo 234c, citado en la
päg. XLIV, linea 9, indica la materia, como de ordio, y no es de partitivo.
^ En este ejemplo y en 558a pudiera suprimirsc los, pero v. ademas 43c,
281a, 341d, 164b, d, etc.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 249
SDom 363c, "commo avio los oios 11 feos la boca tuorta" SDom 294c,
"entendien quo el padre !| sancto lo bastecio" 371c. Asi debe admitirse
en otros versos de Fn Gz, de los cuales unos da Marden por incorregibles,
y otros corrige creo innecesariamente : (sy no7i repetido dol vcrso anterior)
de mi non fyes mas \\ que sy fuese (yo) vn can 44d, mucho ovo e mucha
p/ata a llena medida 60c, (asy) sodes mejores qua?itos \\ en Espanna morades
155b, avya el mo^o quando \\lo oya muy gran plaxer 177d, estan oy dia en
(el) SU altar aseniadas 275 d, podrya (y) todo el grrand \\ prex por y astra-
gar 340d, ya yva Ja lid (de) fyera\\guisa escalentando 363b (comp, los ad-
verbios nulla guisa, otra guisa de que ya se ha hablado), non pudo de lo
que II quiso (el rey) acahar nada 590c, partiose el altar de || somo fasta fon-
don 392d (fasta estä tambi4n en la Cr6nica), sera toda [aqujesta \\ culpa a
iy eckada 619d, sy yo (aqui) finar(e) vos non \\ querryedes ser nas^idos 691c,
rr^gna de Leo7i de \\ Navarra natui'al 726a (el de ätono, como el las del
primer ejemplo citado 151c).
La m^trica no8 asegura que el autor del FnGz usaba regularmente
la voz cavero donde el copista pone caballero. Marden no quiso sacar esta
conclußiön (p. LH y 175 — 176), sin duda por ser poco usada la voz cavero.
Sin embargo, en el mismo FnGz, el copista la dejö pasar cuatro veces, y
si una vez pone caveros castellanos 266b, y otra caballeros castellanos 665a,
6 cab. tolosanos 372a, por qud no hemos de corregir estos dos hemistiquios
defectuosos, eu vista del primero? Las otras tres veces que el copista deja
cavero son 457a, 513d, 582c. Dada la tenacidad con que el copista pone
siempre menester en vez de mester, ninguno en vez de nul etc., no nos
debe chocar que tengamos que corregir una multitud de versos leyendo
cavero en vez de caballero; asi c. et peones I96c, 204b, 263a, 355a, 446c;
peones e c. 52a (invertidas las palabras por el copista, segün la förmula
anterior que le zumbaba al oido), 62c, 195c, 304a; sus c. {a)yuntar 45b,
non as a los c. 54a, c. muy lo^ano 168a (segün lecci6n de Arredondo,
p. 114, ünica aprovechable), mas ralen cient c. 302c, nunca de dos c. 315c,
de todos sus c. 317d, c. lorigados 381b, c. de p^-estar 451b, 715a, c. byen
ligeros 455b, entraryan los c. 458d, dexie feryt c. 534b, de c. con el 551c,
con solos dos c. 611c, de c. amor 621b, damos a vn c. 660a, c. esfor^ados
751a; en 254d acaso (e) somiose el cavero, lo cual quitaria una rima repe-
tida.' — La voz cavero se halla en un diploma de Fernando III, escrito
en 1251 por J. Perez de Berlanga: ''ante mi madre et ante mios ricos
omnes et antel aryobispo et ante los obispos et ante caueros de Castilla
et de Estremkdura et ante toda mi corte ; ... oue mio conseio con . . .
otros rycos omnes et con causros et omnes buenos de Castilla et de Leon ;
. . . que ninguno, tambien jurado como alcalde como otro cauallero ninguno
podereso; ... quando quisieredes uos a mi enbiar uucstros omnes buenos
de pro, de uuestro conceio, que uos catedes eu uuestro conceio caueros
atales quales touieredes por guisados de enbiar a mi; et aquellos caueros
que en esta guisa tomaredes pora enbiar a mi que les dedes despesa de
conceio;" (documento en el Archive Municipal de Guadalajara). He aqui
otros ejemplos; "tod poblador que venga poblar a Briuega, aea cauero o
ifanzon, biua a fuero de los otros omnes de Briuega" (F. Brihuega, publ.
por J. Catalina Garcia, p. 160) ; "priso el rey don Sancho de Castieylla a
Kodic Diaz et criolo et fizolo cavero; . . . no ovo migor cavero de Rodic
Diaz; . . . qui era muyt buen cavero" (F. Navarra publ. por P. Ilarregui
* La forma cauallero era tambien usada por el autor del Fn Gz, aunque menos,
61a, 173b, 254a = 526c, 262d (en que la supresiön de con me parece justificada),
450b, 528c; v. adelante 3ü4d. El derivado caballena es el ünico usado: 30]|.b,
351b, 387d, 399c, 607c (corregido gran, segim la Cronica), 267b Tel copista eüi-
pezö ä querer poner e todos sus cabaüeros).
250 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
y S. Lapuerta, p. 144a); "nos don Jaymes ... prometemos ... a voß don
Remir Rodriguez que vos tingamos quitos vint caveros, en los quales de-
vedes aver quinze con cavallos armados, et los cingo con cavallos et armas ;
... et entre escuderos et otros horanes devedes seer entre todos cient
homnes ; et daremos cascun an por vestir a cada uno de los eaveros CC sol
... et a XL de los escuderos, a cada uno L sol." etc. (carta del rey de
Aragon, 1255, Memorial Hist. espanol, tomo T, p. 76). Como se ve, la voz
cavero se usaba en el siglo XIII en Castilla, Aragon y Navarra ; probable-
mente la voz venia del provenzal, donde era muy usada; por ej. en los
Fors de B^arn, art. 10 y 11 del For g^n^ral se usan caver y cavaler uno
por otro (Lespy et Raymond, Dict. B^arnais, 1887).
En cuanto al silabeo (p. LIII) nötese regi-on no solo en 34b, sino en
122c, donde no hay que anadir en; d'ori-ente 15a, 413a, SMillan 90; Gtuidi-
ana 78d (sobra el es anadido) aun en los romances del siglo XVI: "por
eima de Guadi-ana," "por partes de G." Primavera y Flor nos 19 y 25.
La terminaciön -ia es monosilaba no solo en el imperfecto sino en el
sustantivo: es erejya llamada 22c, valia d'vna meaja 29 Id, y en los verbos
en -iar tambidn es monosilaba no solo en enhyar formando futuros y con-
dicionales (Marden, p. LIII), sino en algiin otro caso como {qvs) Oristo
los quiso guiar 19d, er an pora lidiar 79b, y mandate desafyar 290d, 292b,
294d, 299d si no se admite con Marden la forma desßar que me parece
era mäs rara.
Por la idea que acabo de dar de la Introducciön del libro de Marden,
se podrä comprender que el editor nada descuidö de cuanto podia con-
tribuir ä la crltica del estropeado texto; por todas partes se hallarän en
la restauraciön del mismo acertadas correcciones, muchas dificiles y felices;
por todas partes la familiaridad con la lengua v la literatura casteUana
del siglo XIII.
El trabajo de esta restauraciön es penosisimo. Muy raro es el verso
que no pide algün retoque, y el convencimiento solo puede imponerse
mediante la conformidad con el estilo del mismo Poema y de las obras
coetaneas, 6 mediante la prosificaciön de las Crönicas. Asi, aunque Marden
hace en esto una labor muy meditada, queda necesariamente en su restaura-
ciön mucho de pura apreciaciön personal, que por su vaguedad propia no
debiera discutirse; no obstante, incluyo en mi revisiön bastantes correc-
ciones de este gönero, anotando, aun ä riesgo de ser pesado, conjeturas
quizä no justificadas, si bien en general tiendo ä mantener las lecciones
del ms escurialense. La importancia del texto y de la nueva ediciön me
disculparän de esta pesadez.
Hago ademäs alusiön d las correcciones ya propuestas arriba, para
ofrecer asi la serie completa por orden num^rico.
2, el sentido exige que el verso c pase ä ser b, j el b pase ä c. —
3a, \en] commo la perdieron. — 4d, no creo llcito reproducir aqui un verso
de SDomingo 54, y debe leerse sufr\i]en frio e fambre e muchos amargores,
Sa, predicado{s) ; b, v. arriba ctier. — lid, qtie godos los llamamos. — 15a,
d'oryente v. m^trica, silabeo; c, Hnax v. apöcope. — 19b, nos (les) ptido
anparar, como en 43d nos podrie . . . defender. — 30b, franc, v. apöcope.
— 32c, [este) rrey Vanva aponQonnado. — 36a, parte; d, commos perdyo la
tierra. — 37d, el consonante debe ser enten^ia, que era la voz usual, Alex
195, 321 (dice entien^a contra la rima), 448, 1543, SLaur 15, Milg 208,
573 ; el copista de Fn Gz puso contienda como el de la Variante del Fuero
de Leon n^ XXII "dienlo a so senior sen entencia ninguna", Variante
"sen contienda" (Muiioz, Colecc. p. 81). El eontien^ia de SDom. 334 es
yerro por eontenencia que piden el sentido y el metro; el eontienssa de
Alex 599, debe ser contiessa por el consonante. — 40a, todu en tal estado.
41c, {en)volvyo. — 43a, dejese tray<}ion (a) volver, la fräse volver traiciön
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 251
como "volver pelea, v. guerra^\ etc.; la construcciön con a no creo pueda
mantenerse ä pesar de "fagovos a saber" en YÜ9uf p. 51 ; d, nos podrya
ntdla guisa Espanna defender, v. resabios del copista. — 44d, v. cesura. —
45b, cavero; c, fer v. resabios. — 48a, quäl ora (ms. era) fue passado,
comp, "con quäl abito pudo" SMill 77, "de quäl part uos semeiar"
Cid 2364 ; d, pcyr qtie as enbyado. — 52a, 54a, caveros. — 53d, synon con
las que aren. — 60c, v. cesura. — 62c, cuveros. — 63d, 64b, fet, v. resa-
bios. — 65d, uosotros, v. pronombre. — 67c, sea [a]jtisti^iado. — TOa^ fer
j que [e]l, sin suprimir rey que aclara el sentido; c, en estos{e) travajava.
— 77a, 78a, v. rey sin artlculo. — 78a, syenpre la delantera es impropio
antes de empezar la batalla, y mäs antes de ponerse en marcha el ejercito ;
d, Ouadi-ana, y. silabeo. — 80c, [non] serya tornada seria inexacto en
el siglo XIII en que la reconquista estaba casi terminada; lease [les] serya
tomaäa, es paleogräficamente läcil la confusiön de los dos verbos, y mäs,
ompezando con tomar el verso siguiente. — 83b, comen^aron el [fecho]. —
84a, {des)pues; b, totalmente estropeado: yaxia v sepulcro son contamina-
ciones de los versos pröximos; acaso: do auie en pitafio escrita la mestura ;
el Tudense: "sepultura in qua epitaphium est superscriptum;" mestura es
la voz propia para significar inscripciön sepulcral, Alex :'.()6, comp. YÜ5uf
p. 56. — 94b, debe quedar el imperf. muryen. — 97b, v\e]yen se de n. en
la t. toruados, de nuevo "ahora", opuesto a otro tiempo y toruado opuesto ä
segurado del verso anterior. — lOOd, \tod] el vyen de los godos "por los
peccados del rey Vitiza et de todas sus yentes quiso Dios crebantar la
gloria et el poder de los godos" Prini. Cr. Gral 306a, 88, y Rod. Toi. III,
17, inic. — 105d, deniro (en) la mar, como en 294c. — lila, tu que asy
podiste a la^ yervas toller {su poder), debe admitirsc un sentido de toller
"privar de su fuerza, inutilizar", comp, el mod. tullirse inutilizarse; el
copista lo desconocia y anadiö las ültimas palabras. — 114a, dur. en [tal]
vyda; d, seyen v. resabios del copista. — 122c, v. silabeo regi-on. — 124b,
Braga es un portuguesismo que creo desconocido en Castilla en el siglo
XIII, siendo corriente Brägana. — 126b, entiendase "e/ Casto^' que dixeron,
syervo del Oryador. — 130d, parece que el copista desconocia la construc-
ciön venir en, y aqui la tomö por plural del verbo; en 127d y en 137a
la estropeö de otras maneras. — 133d, al rey Carlos ribar, SDom 435,
SMill 752. — 139d, grandes virtos{'!) juntados. — 149d, (e) otrras muchas
mineras de que faxen la sal, "de sales de mar et de salinas de tierra, et
de sal en pennas et dotros mineros muchos : azul, almagra, greda, alumbre ..."
Prim. Cr. Gral 311a, 19, variantes "mineras, ueneras". — 150, no veo
razön para mudar el orden de los versos, y el consonante estropeado cal,
contaminado de la copla anterior, indica que ese verso estaba el primero
en la copla cuando se cometiö la falta; ademäs las venas mejores (de oro)
deben nombrarse despiiös de las de hierro y plata; a, a y muchas venera^
de fierro e [de plata] ; b, a y cenas de oro (que) son de mejor varata; c, a
[en] syerras e valles (e) mucha ... — 151c, v. cesura ; d, non, v. resabios
de copia. — 153c d, Marden, p. 173, recuerda la opiniön de san Felipe
enterrado en Francia, pero el autor del Fn Gz creerla que habia sido enter-
rado en Hieröpolis de Asia, siguiendo la opiniön del Tudense, Hisp.
Illustr. IV 84, 26. — 154a, sobra [d\, el adverbio otra guisa vese en
Milg 205, Alex 703, 913, 939. — 155b, v. cesura. — 161d, dejese intacto:
posyeron qui podiessen los canes referir, establecieron pastor que rechazase
f^ste es el sentido corriente de referir, comp. 165d) ä los canes que querian
hacer dafio en la grey. — 162a, en uno s' acordaron; d, grran[de] tienpo
duraron dado que tampoco Arredondo pone muy; lo mismo habrä quo
hacer en 176d, 340c etc. — 165c, nada hay que mudar: fixo quanto f{ax)er
pudo, H leyö fer por fer y puso el impropio hapodido; en abd restäurense
los participios -udo. — 166b, e (de) gr.; c (e). — 168a, v. apöcope. —
173a, \esse\ conde prymero, interpreta mal Milä, De la poes. her. pop.
252 Boiirtcilungen inul kiirzo Anzoigen.
päg 183 n. 2, ä quien segiii on La Leyenda del Abad Juan, Dresden 1903,
päg XXV n. 4; el ms. de Arredondo da la buena lecciön, pues no se
trata de diversos nombres del h^roe, sino del prinier conde que tuvo
Castilla despu^s que dej6 de ser alcaldia, como se dice en la copla 172.
— 177c, linax, v. apöeope; d, v. cesura. — 182d, non, v. resabios de copia.
— 187a, caye{re)mos, como X. — 192c, [e quadriellos] 6 [e daxconas], aten-
diendo a la buena observaeiön de Janer. — 194d, en mal ora fuy nas^ido
estä igual en H j en X j solo puede corregirse (en), 6 en mala f. n., lo
mismo que 286b; comp, "ca en buena napieron" SMill 481. — 195c y 196c,
caveros. — 196d, de siete legiones, segün la Crönica ; para legi-on v. Alex 807 ;
ä pesar de la coincidencia del ms. de Arredondo y del Escorial, es dis-
paratado el numero cinco mill. — 199b, que fuessen en Muno, ä pesar de
que H dice tambi^n en vno, comp. 224 c. — 204a, mucho son syn\es\ guisa,
comp. 609c; b, caveros. — 205c, (este) es el mejor consejo que pod[ri\emos
aver. — 212d, quanto sabor ovieron por y lo acabdaron, la Cr6nica : "acab-
daron quanto quisieron"; saher no bace sentido. — 217c, pocos omnes,
^'eran pocos et en poca tierra" dice P. — 218a, (e) m. c. sofryeron; b,
[dotros] syenpre ganaron, de lo so noti perdieron, desconozco ejemplos de
al = "cosas agenas"; d, por adversarios la Crönica da la Variante enemigos.
— 223c, ä pesar de la coincidencia de la Cr6nica con el ms. de FnGz
creo no hay otro remedio que leer faredes me el mejor. — 224c, la forma
verdadera del nombre propio es Munnö, y asi escribe el ms. P, y no
Munön como dice la ediciön del mismo; Muno, antes ciudad importante
y silla episcopal, boy no existe; pero la recuerdan mucbos pueblos que
se titulan de Muno,^ principalmente en la parte sur del valle del Arlanzön
desde Burgos hasta el linde con Palencia: Pedrosa de Munö, Quintanilla
de Somun6, Olmillos de M. Barrio de M. etc.; la antigua jurisdicciön de
Munö debia abarcar todo el S. de la provincia de Burgos, (poco mäs 6
menos lo que el partido de Candemunö en el mapa de don Tomas Lopez)
desde el E. donde estä Piedrahita de Munö (nombrada en FnGz) entre
Barbadillo del Pez y Barbadillo del Mercado, basta el O. donde estä
Abellanosa de M. al S. de Lerma. — 230d, fer v. resabios de copia. —
231b, q. t. me seguda, el ms. seguia; no estä el conde en el caso de la-
mentarse de que los moros se mantengan erguidos ante öl. — 232d, sal-
vol, comp. Fita 1479 ed. Ducamin. — 234b, como ruego cortös seria pre-
ferible {que) ospedasses conmigo, "fuessedes my buesped" Cid 2046. —
235d, uiu^o se deja en 233d. — 237b, toldräs, v. resabios de copia. —
241d, consörvese metyendo apellido, fräse muy usual "meter vozes, gritos"
etc. Siete Infantes 410, 11. — 247d, (e que) f. su mandamiento, como dice
tambiön el ms. Arredondo (päg. XXXIX); el conuento de la Crönica no
se refiere ä este verso sino al c. — 254c d, la Crönica y D (päg. XX)
coinciden en los verbos cavalgar dar y abrir contra el ms. escurial. de
FnGz: caualgo su cauallo; diole de las espuelas; Marden acepta ahrios. —
263a, caveros. — 264b, yvas ... acostando; acostarse ordinariamente re-
flexive. — 266b, y me parece mäs necesario para la claridad que hyen;
el copista en vez del arcaismo veniurado sustituyö el compuesto byenaven-
turado. — 268b, v. 194d. — 273b, qy£^ eran dvn fino oro, hay mucbos
ejemplos del articulo indefinido con los nombres de materia, "bicete cuerpo
de plata, pies y manos de un marfil" Primav. y Flor, n"^^ 183. — 275d,
V. cesura. — 276b, mas quedo (mejor ßnco) de dos partes. — 282, pro-
bablemente 283 debe ir antes de 282, pues su sentido une bien con 281;
^ La acentuaciön correcta aparece en el Diccioii. geografico postal, publ. p.
la Direccion de Correos, Madrid 1880, ö en el Mapa de Biirgos por Coello etc.
El Dice. geogr. de Madoz no escribe acento. Me he asegurado de burgaleses
acerca de la acentuaciön Candemuno etc. necesaria para el metro de FnGz.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 253
de todoß modos, antes de 282 faita una copla en que se diga que "enuio
el conde F. G. sus cartas por toda Castiella que fuessen todos con ^1,
caualleros e peones, fasta diez dia.s" segün expresa la Crönica, y comp,
adelante 686. — 294:C, v. 105d. — 297c, cons^rvese el orden del ms.
amigos a{vemos) me{ne)ster, la forma continuamente usada por el poeta es
mester 54 d, 177a, 305a etc.; d, recabdar no hace sentido, y paleogräfica-
mente mäs cerca de recurrir estä rencurar que signitica "demandar un
agravio" Alex 1480. — 299d, vosotros, v. pronombre. — 301a, el pronombre
da claridad: en nos los cometer; c, v. pronombre. — 302b, \campales'\\
c, caeero. — 304a, caveros; d, de buenos [escuderos]. — 306b, sere en p.
— 307b, euedo le demandar, la Crönica cuedol acalonar. — 314c, ^erteros
los f.? la Crönica "connoscieronse en las armas". — 317c, ningun fv£. y
viado, comp. 329a; suponiendo que el copista por riado puso vasallo; d,
caveros. — 325b, m. fuert c, el copista se confundiö con c y d. — 326d,
a Nagera L, lecciön de X, que debe prevalecer, aunque P dice tambiön
Nauarra, por ser la batalla dentro de Navarra; es muy comün la con-
fusiön de los dos nombres en las variantes de los ms. de las Crönicas. —
329c, el orden de las palabras debe ser cuydo lo bien v. ö b. lo c. v. —
331a, la rima es confuerto SDom 225, 404, Duelo 46, SOr 22. — 334b,
d. non es tal v. sy non p. (los) p., 6 sy (nmi) p. los p., comp, "no quiero
otro ejercicio si alabarte cada dia" L. Kouanet, Colecc. de autos, IV p. 12,
verso 333. — 335c, me parece improbable la forma estmitigua, teniendo
en cuenta friiente 600b y Burueva 739a donde ue se conserva; si bien est-
puede mirarse ya como inicial ätona, debe tenerse en cuenta que el tardio
copista del FnGz usaba aun, como ßerceo, la forma con ue, y que la
Crönica, posterior al FnGz, usa tambiön hueste antigua; l^ase (a) los de
la uest antygua, objeto anticipado en nominativo. — 339c, la Crönica dice
tambi^n nos, pero vos Alex 2110a. — 340d, v. cesura. — 342c, ca avn. —
347c, not. — 348d, deste tal viuer su fecho, la Crönica tiene tambi^n tal,
y aunque pone fechos puede ser plural debido ä la prosificaciöii. — 350c,
de no poder conservar la igualdad de tiempos de la Crönica comieron qui-
sieron, ni la del ms. comen quieren, debe ponerse comien querien, y acaso
en d auien. — 352d, Sal. (e) el otro, segiin Milä, De la poes. päg. 329,
n. 10; el Turpln: "Salomon socius Estulti." — 355a, caveros.
V. cesura; c [essa] glera p., la Crönica pone campo porque antes olvidö el
hablar de glera, contra el Poema 359c. — 364b, porque non los ven^ia, ä
pesar de la Crönica. — 365b, aleando mas pintoresco que al^ndo ; c, assy
y. (gr.) v. d. — 367b, fyncaron con el c. muy poca \de\ conp. — 368d, scU.
l. [apartado] ? la Crönica "apartosse de sa companna". — 370b, de lan^ada
mortal, el f^rida es conlusiön con el v. siguiente y lanQ. estä en la Crönica ;
c {muy). — 372a, caveros. — 379b, 380a, deserrado, v. resabios de copia.
— 381b, {que tr.) p. e tr. m. caveros l.; c, nulla, v. resabios de copia; d,
Munno, v. 224c. — 383a, [los] t. [e] aldrabes. — 384a, no conozco el signi-
ficado "almogavar" de almofares, y creo que almohades de la Crönica es
preferible, lo mismo que los benimerinos que sugiere Gallardo. — 386a,
[e] p. la m., ö p. [aquend] m. — 395b, non of m. de m. nin quis a. [pecado],
pecado con sentido de "delito", y no con el de "diablo" como creyö el
copista. — 396a, Munno, v. 224c. — 403d, v{e)yera y lo mismo en 408,
comp. 93a, r20a, junto ä veyeron 395c. — 404b, o velas me parece una
impertinencia del copista, y falta en la Crönica; la cesura estä despuös de
commo. — 406c, c. l. p. paganos lidi{ar)as por {el) su a. — 410c, echar en
yaque error, yaque Fita 1319 ed. Ducamin; es sin duda un caso de susti-
tuciön de arcaismo, y pudiera tambiön suponerse qualque usado en los
siglos XllI y XIV. — 411c, lieua dend us tu via, tambien dende en 415a
y 426b; d, esperat Ä. — 412b, no es preciso cambiar nada del ms.; d, [a]
todo el tu p., ö t. esse tu p. — 413a, de partes dor. v. silabeo, el arcaismo
de partes se ve en P y en 15a, y debe subsistir tambiön en 414a. — 415a,
254 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
(joor ende) l. dend; el verso suplido debe ir el cuarto, segün la Crönica. —
417b, segün la Crönica fallo a sus v., confusion grälica de fablar y fallar.
— 418a, Go7n eran (v. resabios) mal. todos con gr. d.; c, f. d. (al) c. —
420b, buena la correcciön de Marden en las Notas; d, non ovo en mundo
mos II leales nin mejores, pues no se trata de senores sino de vasallos ;
hales estä tambi^n en la Crönica. — 422b, por (qtce) yo et el en vno atnos
(a dos) aver pL; d, di{x)erom por n. q. e. — 423b, seye, v. resabios de copia.
— 424d, dix, [qtie). — 426b, lieva dend ve, v. 415a. — 430d, [d]e por, la
construcciön es : aguardar de non caer. — 433a, {los), v. articulo. — 435d,
non, V. resabios de copia. — 445d, qui, v. resabios. — 451b, caveros. —
454b, (v. la interpretaciön de Marden p. 183), el poeta del siglo XIII
hablando de don Lope el Vizcaino, gasta la misma burla que en el
siglo XVII usa Tirso de Molina en la P escena de La Prüden cia en la
Mujer, hablando de otro senor de Vizcaya, don Diego de Haro:
V08, Caballero pobre, cuyo estado
cuatro silvestres son, toscos y rudos,
montes de hierro para el vil arado,
Mdalgos como Adan, como el desnudos;
adonde en vez de Baco sazonado,
manzanos üenos de groseros nudos,
dan mosto insulso; siendo silla rica,
en vez de trono, el arbol de Garnica.
Sabida es la escasez de trigo del pais vascongado, que tiene que impor-
tarlo de Navarra, de Soria 6 del extranjero, habi^ndose Uegado en tiempo
de guerra con Francia ä permitir como excepciön la entrada de este cereal
en Guipuzcoa y Vizcaya'; el poco vino (6 chacoli como lo liaman en esa
Costa) que en el pais se coje, no da siquiera para el consumo de las loca-
lidades que lo cultivan, que son bien pocas; en cambio la manzana se
cultivö y se cultiva en abundancia, aunque hoy no est^ floreciente la
fabricaciön de la sidra 6 mosto insulso ä que alude Tirso; como prueba
de la importancia historica del cultivo de la manzana en el suelo vascon-
gado estin los muchos apellidos ^uscaros compuestos con '^sagar" manzana,
'•sagasti" manzanal: Sagasti, Sagastizabal, Sagastibelza, Sagastume, Sa-
gasta, Oruesagasti, Anasagas ti, Guilisagas ti, Sagardia, Sagarna, Sagarzazu,
Sagarmlnaga. — 454c, en essa ax fite contado. — 455a, la forma antigua
ha de ser huroveses, comp. 335c; b, caveros. — 459d, por todos cinqtmenta,
non mos fueron contados; pero en 540a parece se impone quarenta y no
quaraenta, como no se quiera suponer que bien se introdujo independiente-
mente en la Crönica y en el ms. de FnGz. — 462c, mäs propio, segün la
Crönica, ques tirassen af. — 469 d, marauüla la tierra non la enp., en
lugar de era marauüla; hälianse varios ejemplos de esa elipsis: "e era
tan fermoso que marauilla" Prim. Crön. Gral 38b, 31. — 474b, läase como
la Crönica espiramientos, spiramentum, "conjuro", segün la Prim.
Crön. 2ü5b, 30: "Mahomat; quando aquello uio, comenpo de coytarla
* Vease permiso de 1468, y otros, en la Noticia de las cosas memorables de
Guipuzcoa por D. Pablo de Gorosäbel, t. III, Tolosa 1900, p. 312—317. Debo
esta cita a la erudicion de D. Carmelo de Echegaray, quien ademäs me indica
la existencia del folleto titulado Les traites de bonne correspondance entre le
Labourd la Biscaye et Guipuscoa, par F. Habasque, Paris, Impr. nat. 1895, y me
copia el texto de 11 viaggio fatto in Spagna dal magn. M. Andrea Navagiero,
Vinegia 1563, fol. 44: "vino non nasce in questo paese, e poco fromento ... Tutto
il paese in loco de vite pianta pomari ... dei pomi di questi fanno vino che
chiamano Sedra, il quäl . . . a chi non h usato a beverlo k duro da digerire e
oflFende il storaaco."
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 255
mucho et de costrennirla por sus coniuracioues et sus espiramientos que
se el sabie". — 476d, cuydando nos toruar, el plnral cuydaron es error, y
toruar se confunde graficamente con tornar. — 477b', que el non hapoder,
se refiere al diablo segün la Crönica; c, ca tollo le don Gristo, segün la
Crönica, v. resabios de copia. — 480c, la Crönica da la Variante grand
manana seamos. — 491b, {en)antes, y ddjese el subjuntivo necesario y
todo; el entro de la Crönica forma otra fräse. — 492c, sovieron, v. resa-
bios de copia. — 495a, {m)derredor su mesnada. — 498a, m. de otros reyes,
consonante natural, v. Alex 1008. — 500a, seyan. — 504b, que non podia
fablar es impropio, pues inmediataniente se pone ä hablar, supongamos el
arcaismo de apenas : abes p. f. — 509b, seyen, v. resabios ; c, la Crönica
pone alaridos. — 510c, en canpo, la Crönica pone al, pero con el verbo
salir. — 515b, quel pud. mei.? comp. 451d que con el pronombre del ms.
serä nol podryan me/orar. — 518b, m. a prima n., en 0: "a la prima n.";
essa mesnada responde al estilo ^pico usando el demostrativo esse en vez
del articulo. — 527a, {el) eap. e {el) almofar, el acento de almofar estä en
la 0 como lo prueba la Variante almofre que en Alex 401 rima con pobre.
— 529a, {de) er. o. m.; b, sovieron. — 534b, caveros; d, non, v. resabios
de copia. — 535c, soviesse. — 536a, qui, v. resabios. — 539c, X j 0 dan
la Variante mäs racional cient en vez de mill. — 540b, puede mantenerse
vdxio con mucha siella, teniendo con el valor conjuntivo de e; "tres sieUas
yran väzias" Cid 997, asonante a-a. — 541b, yba, si sei fyxiesse, su muerte
aguisando, esto es: iba buscando su muerte si pudiese hallarla, pues el
conde quiere morir, segün la copia 542d; la fräse si sel{e) fyxiesse = "si
pudiese, si se le arreglase, si se le deparase" se repite en 727b, y debe
encerrarse entre comas; es rara, y la Crönica no la entendiö ya: "se le
yua guisando la muerte, si Dios non acorriesse"; d, sovies. — 542b, quier
que escap[ar pudiesse], la Crönica "aunque pudiesse". — 545a, {padr)e vero
Jesu Crisie. — 551c, caveros. — 554d, e au[r]a con sus g. el a nos {a)co-
meter, la forma tönica a nos aclara el sentido. — 556a acrespioles esf. —
558a, Almenar dice la Crönica, y claro es que se trata del pueblo de la
provincia de Boria donde ocurriö la muerte de los infantes de Salas;
Almeria es demasiado. — 573b, paramentos, lo que se "para" ö conviene
ö pacta. — 576c, la misma oportuna comparaciön que hace Marden con
Alex 1245 asegura prometyol al b. c. — 577, me parece necesaria la In-
version de los versos b c; c, al c. la r. con igual equivocaciön de sujeto y
dativo que en 598a, 696a. — 581d, el diablo pexiento. — 584b, solos cinco
viaron, comp. 329a, SDom 506d, 507d ; c, [aqu]el phyto f., pues pleyto estä
tambiön en la Crönica; d, la Crönica pone bien cinco en vez de seys. —
585 segün la Crönica el verso creyndo etc. debe ir en esta copia, y no en
la 586, y el v. suplido Santa Maria val debe ser el c de 585. — 590c, v.
cesura. — 591c, omenax. — 592d, v. cesura. — 600d, euer, y 605d, al-
guandre{'i) v. resabios de copia. — 611a, y 614c, demando {por) losporteros,
demando {por) la donxella, vese demandar con acusativo en la Biblia Es-
curialense I-i-6, fol 17b "demandit en mio lecho el que ama la mi alma,
demandit le e nol fall6 . . . demandarö el que ama la mi alma" (v. en
Cornu, Das Hohelied, p. 122), la construcciön con por se halla en FnGz
üOSb. — 614c, dem. la donx. por qui f. cuntido; d, commo el conde ouiera
a ser della marido, la Crönica "ouiera a ser marido" y el copista leyö fer
por ser y escribiö faxer. — 628b, döjese intacta la lecciön del ms., es
corriente la construcciön /we . . . sobyda. — 639a, {aqu)i. — 645c, amos
e{n) el condado, segün el sentido que da la Crönica; d, ayunar tres un
pecado, segün la Crönica: repartirlo entre los tres; se reparte la penitencia
del pecado que se cree disculpable ö beneficioso, como mäs claramente se
dice en Siete Infantes 299, 14 : "ca vos tomariedes penitengia e yo tomaria
la uieetad; e tales pecados como este toviesedes vos oy fechos siete o mas!"
— 649c, tomol (o major trauol) a la boruca, es la buena lecciön, segün
256 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
la Crönica, otros ms. de la cual tambi^n cstropearf)ii cl texto leyendo
a la barva (v. var. de mi pröxima edic. p. 414 a 39). — 652b, la Twc/ie
huuiada ? — 653a, {aqu)i. — 657, la Crönica apoya el orden de los versos
del ms.; b, v. pronombre. — 660a, 665a, caveros. — 665d, el ms. P (contra
SU ediciön) dice quando, v. Prim. Crön. p. 415 a 15, Variante. — 677d,
[de] todos por s. — 684, creo debe invertirse el orden de los versos ajb.
— 686, antes de esta copla falta una que dijese como el Conde "enuio
sus cartas por toda Castiella que fuessen luego con eil caualleros et peones",
comp, lo dicho de '282. — 687a, las axes f. puestas, movidas tan pr.; b,
aquel su mesier era. — 688b, sovo byen; d, tomaran. — 689, el verso b
debe ser el primero de la copla, pues el pronombre de levaronlos se refiere
ä los castellanos. — 690b, v. los ser c. — 691b, la fräse serä de grado o
amidos; c, v. cesura. — 700c, si se acepta al conde habrä que leer saqtie-
uos, pero como esta idea se expresa en 701a, debe darse por buena la
correcciön del copista al rey. — 702 — 712, la extensiön de la laguna del
ms., calculada ingeniosamente por Marden como de 12 coplas (p, 118), nos
hace suponer que ocupaba una lioja entera perdida del original del ms.
escurialense; ese original, por la dislocaciön de las coplas 80 — Bö, sabemos
que tenia 7 coplas en cada pägina (p. 168), por donde debemos elevar a
14 el nümero de coplas que aqui faltan. — 715a, caveros. — 721b, q. mos
f. p. la Crönica: "a foyr quanto mas podien". — 721d, firio en vez de
fallo. — 724b, q. o. la ganancia, la confusiön de los antiguos sinönimos
robo j ganancia se da tambiön en el Poema del Cid. — 726a, v. cesura.
— 727, puede suplirse como segundo verso [abiuö leoneses por con ellos
lidiar]. — 729d, llegados parece preferible, comp. Marden p. 153, linea 4
de abajo. — 730b, rogaua puede quedar en singular. — 733c, otro tanio
es inexacto, l^ase atanto. — 735d, en Estellal dexamos, alude el poeta ä
que la ultima vez que hablö de los navarros (acaso en el primer hemisti-
quio de c se nombraba al rey Garcia) los dejö reunidos en cortes en
Estella, pasaje perdido en el ms. pero que se ve en la Crönica, Marden
päg. 149 linea 26; esto recuerda ahora el Poema (y la Crönica, Marden
p. 151 inic); la misma errata Gastilla por Estella del ms. de FnGz, se da
en algunos mss. de la Crönica (mi edic. p. 417 a 5 y 6). — 741a, corrido
no puede suprimirse porque esta en la Crönica, lo mismo que robado;
acaso el verso ultimo de 740 nombraba al rey Oarcia y podra suprimirse
aqui ese nombre. — 744d, la Crönica da la Variante mäs clara de lo quel
desfiaua. — 745b, q. {mas) ayna p. — 748c, el [conde] nin el rey non
podrien mos faxer, esto es, "fazian tod su poder", como se dice luego. —
751a, caveros.
Como ap^ndices del libro de Marden se hallan las coplas del FnGz
citadas segiin otro ms. en el siglo XVI por Arredondo; el texto entero
de la Primera Crönica General de Espana, recurso critico que ayuda ä
cada paso en el estudio del Poema, y que Marden publica segiin el mejor
cödice escurialense hasta ahora inödito; notas gramaticales, histöricas y
literarias en que el editor apoya sus correcciones ö que sirven de comentario
al Poema; gloaario ö indice de nombres proprios. Arriba se han hecho
algunas alusiones ä estos apöndices ; aqui solo dirö del indice de nombres
que para ser completo falta en öl el nombre de Satan 334d, 385c; y que
Valpirre es la Uanura que hoy se Uama de Valpierre, entre Briones y
Nägera de N. a S. y entre San Asensio y Ciruefla de E. ä O. ^ Eespecto al
nombre, me comunican de San Asensio que es un llano muy pedregoso
' Valpierre no figura en los Diccionarios Geogräficos generales, pero si en el
de la Rioja de Angel Casimiro de Govantes, 1846, donde pueden verse mäs
noticias de el.
BeurteiluDgen und kurze Anzeigen. 257
abundante en cautos rodados y muy ärido, aunque destinado hoy ä vinas y
cereales; el P. Anguiano, Compe7idio hist. de la Rioja, üb. 3, cap. 19, dice
que en Valpiedra 6 Valpierre "hay una piedra que hasta hov llaman del
conde". En Valpierre, me dicen, existe, en la carretera de Nagera ä Santo
Domingo, un termino que llaman La Degollada; es "la era Degollada" de
que hablan las Crönicas, y que Mariana y otros historiadores llaman
Gollanda. La De»ollada es nombre topogräfico que se encuentra en varias
provincias de la Penlnsula espanola y en las islas Canarias.
La Cuaderna via va teniendo sus textos bien publicados. Precediö
ä todas la ediciön del poema de YÜ9uf, la obra mäs importante de la lite-
ratura aljaraiada, hecha por H. Morf; el texto de mäs valor artistico, el
Arcipreste de Fita, cuenta con la excelente ediciön paleografica de Duca-
min; el que mäs obras literarias ha inspirado, el Femän Gonzalez, sigue
ahora con la ediciön critica que acabamos de resenar; acaba de salir ä
luz la Vida de Santo Domingo editada por el profesor de la Universidad
de Columbia, Fitz-Gerald; ya se ha publicado una interesante muestra
del Catön que darä ä luz el profesor de Chicago, Pietsch; anos hace que
el profesor de Indiana, Kuersteiner, prepara la ediciön del Rimado de Pa-
lacio; en fin, el Apolonio lo debe publicar el mismo Marden, y ojalä
veamos pronto texto Unguis ticamente tan curioso ilustrado por la pericia
y concienzudo trabajo del editor del Poema de Fernän Gonzalez.
Madrid, Julio 1901. R. Men^ndez Pidal.
A. Morel-Fatio, Etudes sur FEspagne. Troisifeme s^rie. Paris, Bouillon,
1904. 438 S. G frs.
Drei dieser wertvollen Bände, die aus der Fülle der Kenntnis Spaniens
und seiner Literatur heraus geschrieben sind, liegen nun vor. Der erste
ist 1888 (in zweiter Auflage 1895), der zweite 1890 erschienen. Dieser
zweite Band schilderte in zusammenhängender Darstellung das Leben
der vornehmen spanischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts nach den Briefen, die der Graf Fernan Nunez seit 1768 an seinen
Freund, den deutscheu Prinzen Emanuel von Salm-Salm, schrieb. Der
erste Band setzte sich aus fünf Monographien — Reden und Studien —
zusammen, die sehr bekannt geworden sind : 1) L'Espagne en France stellt
dar, wie Frankreich im Laufe der Jahrhunderte Spanien studiert und auf-
gefalst hat; 2) die Recherches sur le Laxarillo de Tormes sind die erste
wissenschaftliche Untersuchung über die Bibliograj)hie dieser novela pica-
resca und über ihren unbekannten Autor; 3) L'histoire dans 'Ruy Blas'
zeigt, wie der Dramatiker Hugo in Geschichtsklitterung macht; 1) Espagnols
et Flamands sind ein kulturgeschichtliches Bild dieser Völkerbeziehungen ;
der letzte Abschnitt behandelt den Don Quijote als Abbild der spanischen
Gesellschaft von 1600 — alle fünf Arbeiten gleich reizvoll durch die
Sicherheit und den Umfang des Wissens wie durch die Klarheit und Ele-
ganz der Form.
Der dritte Band enthält, wie dieser erste, eine Sammlung von — dies-
mal elf — Aufsätzen über verschiedene Themata aus der Literatur- und
Kulturgeschichte Spaniens: Poeten, Granden und Soldaten, Kirchenfürsten
und Universitätsleute ziehen an uns vorüber — und nicht nur spanische,
sondern z. B. auch Alessandro Manzoni, der dem Grofskanzler Ferrar im
13. Kapitel seiner Promessi Sposi kastilische Worte in den Mund legt,
die er, wie M.-F. scharfsinnig zeigt, seiner spanischen Lektüre und nicht
der gesprochenen Rede verdankt.
Die Themata der elf Aufsätze verteilen sich über mehrere Jahrhun-
derte, vom Mittelalter bis zur jüngsten Vergangenheit. Am weitesten
zurück führt der Brief Sanchos IV. (1295) an Alonso P^rez de Guzman,
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 17
258 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
den tapferen Verteidiger von Tarifa, der als unecht erwiesen wird: ein
Chronist des herzoghchen Hauses Medina Sidonia hat ihn nach zeit-
genössischen Dokumenten redigiert. Fast in der Gegenwart stehen wir
mit Fernän Caballero (f 1877), der merkwürdigen und trefflichen
Frau, deren anziehendes Bild der Verfasser nach ihren Briefen an A. de
Latour im neunten Beitrag zeichnet.
Dazwischen : Dona Marina de Aragon (1523 — 1549), eine reizvolle Skizze
des von den spanischen Poeten und besonders von Diego de Mendoza ge-
feierten Mädchens; Une Comedie de College ^'Arr, relegata et Minerva resti-
tuta' führt in die Universitätskämpfe des 16. Jahrhunderts; die Histoire
de deux sojinets verfolgt die Themata zweier französischer Gedichte (Scar-
rons Sonett: Süperbes monuments und Voitures Rondeau: Ma foi, c'est
fait de moi) durch die spanische und italienische Literatur; Soldats espa-
gnols du XVII' siecle, nach drei interessanten Autobiographien ungleichen
literarischen Wertes ; ün Orand d'Espagne, agent politique de Louis XIV
(1688 — 1700): ein geldbedürftiger Herzog, der sich in den Jahren, die dem
spanischen Erbfolgekrieg vorangehen, m den Geheimdienst des franzö-
sischen Königs stellt; La golilla et l'habit müitaire, eine Kostümstudie,
die zu einer fesselnden Charakteristik des spanischen Geistes im 18. Jahr-
hundert sich erweitert, ein Muster feiner, belebender Interpretation schein-
bar unbedeutender Details.
In gewissem Sinne das Hauptstück des Bandes bildet die vorbildliche
Untersuchung über Tirsos Drama La prudencia en la muger (1634), dessen
historische Quellen nachgewiesen werden. M.-F. zeigt uns den grofsen
Dramatiker an der Arbeit und gibt so ein typisches Bild jener naiven
Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart, welche zum Wesen
des spanischen Nationaltheaters gehört, das sich in unvergleichlicher Macht
auf Chronik und Romancero aufbaut. Wer die gehaltreichen Anmer-
kungen zum Texte des Tirsoschen Stückes kennen lernen will, der mufs
zum Bulletin hispanique, 1900, greifen : M.-F. hat sie leider im vorliegen-
den Bande nicht mit abgedruckt.
Den Schlufs bilden die Melanges de philologie, fünf kurze linguistische
Aufsätze über ipse als katalanische Artikelform; duelos y quebrantos, die
Samstagsmahlzeit des Don Quijote ; ä roso y velloso ; armado de punta en
blanco; rmcion = Fremder. —
Die Arbeiten dieses Bandes sind alle bereits früher gedruckt worden ;
die älteste (über ipse) ist schon 1886 erschienen; die meisten stammen aus
dem jungen Bulletin hispanique. Wir dürfen dem Verfasser sehr dankbar
sein, daß er sie wieder vorgenommen und vereinigt hat. Es hat einen
grofsen Reiz, mit diesem kundigen Führer durch Spaniens Schrifttum
und Sprache zu wandern. H. M.
Zur 'Herzogin von Parma' (Archiv CXIII, 433). O. Wilde hat den
Titel 'Herzogin von Padua' vorgezogen, und so mufs es auch in obzitierter
Anzeige des Buches heifsen.
Verzeichnis
der voD Mitte Dezember 1904 bis zum 12. März 1905 bei der
Redaktion eingelaufenen Druckschriften.
American Journal of philology XXV, 3, whole no. 99 [Report: Engl.
Studien.]
Festschrift aus Anlafs des zehnjährigen Bestandes des Vereins für
österreichische Volkskunde (189^—1904), hg. von Dr. M. Haberlandt.
(Zs. f. österr. Volksk., Jahrg. X, Heft 5.) 177—224 S. mit 5 Tafeln und
20 Textabbildungen. Wien, Gerold, 1904. [M. Haberlandt, Der Verein f.
österr. Volkskunde 1894—1904. — R. Meringer, Die Glocke des Bauern-
hauses. — V. Hintner, Egerländisch lein. — J. Blau, Die Spitzenklöppelei
in Neuern, Böhmerwald. — E. Domluvil, Die Kerbstöcke der Schafhirten
in der mährischen Walachei. — A. Petak, Über die Herdform in der
Friaul. — Kleine Mitteilungen.] — Heft. 6 [M. Haberlandt, Votive und
Weihegeschenke. — Besprechungen und Übersichten].
Weber, L. F., Märchen und Schwank, eine stilkritische Studie zur
Volksdichtung. Kieler Diss. Leipzig, Fock, 1904. 84 S. M. 1,50.
Wohlthat, Arthur, Dr., Die klassischen Schuldramen nach Inhalt und
Aufbau. 2. verb. Aufl. Leipzig, G. Freytag, Wien, F. Tempsky, 1905.
VI. 192 S. Geb. M. 2 - K. 2,40...
Sophokles, Antigone, in der Übersetzung von J. J. C. Donner, in
neuer Bearb. hg. und mit Einl. u. Anm. versehen von F. Mertens. 1. Aufl.
(Freytags Schiuausgaben u. Hilfsbücher für d. deutschen Unterricht.) Leip-
zig, G. Freytagj^ Wien, F. Tempsky, 1905. 92 S. Geb. M. 0,60 = K. 0,70.
Vol'sler, K., Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft.
Eine sprachphilosophische Untersuchung. Heidelberg, Winter, 1904. VI,
98 S. M. 2,80.
Walter, M., Der Gebrauch der Fremdsprache bei der Lektüre in den
Oberklassen. Vortrag, gehalten auf dem XL deutschen Neuphilologentag
in Köln. Mit Ergänzungen und Anmerkungen. Marburg, El wert, 1905.
32 S. M. 0,70.
Kaluza, M., und Thurau, G., Ed. Koschwitz, ein Lebensbild. Ber-
lin, Weidmann, 1904. 50 S. M. 1.
Glauser, Dr. Gh., Die Weiterbildung in den modernen Sprachen nach
Absolvierung einer Realschule und einer höheren Handelslehranstalt. Vor-
trag, gehalten auf dem XL Neuphilologentag in Köln. Braunschweig,
Limbach, 1904. 16 S.
Belli, Dr. A., Der Lehrer der neueren Sprachen, Randbemerkungen
zur Frage der Lehrmethode im neusprachl. Unterricht. Venezia 1904. 60 S.
Literaturblatt für germ. u. rom. Philologie. XXVI, 1. (Jan, 1905.)
Modern language notes. XIX, 0 [H. Schilling, Two reminiscences of
children's rhymes in Goethe's Faust I. — N. Sivert Hagen, Classical names
and stories in the Beowulf. — Jessie Raven, The source of Schlegel's comedy
Die stumme Schönheit. — C. G. Child, The rise of the heroic play. — Lucy
Gay, Oi in Eust. Deschamps. — Phil. S. Allen, Turteltaube. — A. M.
Frieden berg: Samsone Pine. — Gertrud C. Schmidt, Die Quelle des Ratten-
17*
260 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
fängerliedes in Des Knaben Wunderhorn. — Reviews. — Correspondence].
7 [J. P. Wickersham Crawford, On the relations of Congreve's Mourning
hride to Racine's Bajaxet. — O. Patzer, The wealth of the clergy in the
fabliaux. — Eleanor P. Hammond, Ms. Pepy's 2006 — a Chaucerian
codex. — P.-J. Frein, The Reims ms. of the fables of Walter of England.^
— Charles C. Clarke, Two investigations in French phonetics (Referat über
Poirot's Deux questions de phon. franyaise in den Helsingforser Me-
moires III). — P. ReifF, Views of tragedy among the early German roman-
ticists I. — Reviews — Correspondence]. 8 [Cord. Hall Gerould, Moll of
the Prima pastorum. — P. Keiff, Views of tragedy among the early
German romanticists. — G. Ph. Krapp, I. Anglo-Saxon chronicle 897;
II. Smrheard, Beowulf 1033, Andreas 1133; III. Chaucer's Troilm and
Oriseyde 813—814. — R. Holbrook, Exorcisme with a stole. — P. M. Bück,
New facts concerning the life of Edm. Spenser. — Phil. Barry, The ballad
of the demon lover. — John L. Lowes, 'The tempest at hir hoom-cominge.'
— D. Klein, English loan-words in Yiddish. — Reviews. — Correspon-
dence.]. XX, 1 [Hope Traver, The relation of musical terms in the
Woodkirk Shepherds plays to the date of their composition. — R. Hol-
brook, The Harvard ms. of the farce of M. Pierre Pathelin and Pathelin's
Jargons. — Fr. Klaeber, Hrothulf. — W. Nicholson, Did Thackeray write
Elixabeth Brownrigge? — Cl. W. Eastman, Goethe's Hermann und Doro-
thea and Voss' Iliade. — C. L. Nicolay, Balth. Gracian and the chains of
Hercules. — H. Z. Kip, Noch ein Wort über germ. f, p, h, s> h, ä, j, x.
— Reviews. — Correspondence. — Brief mention.]. V [G. P. Krapp,
The parenthetic exclamation in 0. E. poetry. — M. A. Buchanan, Notes
in the Spanish drama : Lope Mira de Amescua and Moreto. — P. A. Wood,
Etymological notes. — 0. Patzer, The 'Miracles de Nostre Dame' and the
fourteenth Century. — J. A. Walz, The phrase 'Sturm and Drang'. —
J. E. Routh jr., R. Kyd's rime schemes and the authorship of 'Soliman
and Perseda' and of The first part of Jeronimo'. — Reviews etc.].
Neuphilologische Mitteilungen, hg. v. Neuphilol. Verein in Helsing-
fors. 1904. Nr. 7 — 8 [W. Söderhjelm, Eine Bemerkung zur romanischen
Syntax. — Die erste Einführung in das historische Sprachstudium, be-
sonders des Deutschen. — H. Pipping, Germanische Miszellen. — Be-
sprechungen. — Protokolle des Neuphil. Vereins. — Verzeichnis der Mit-
glieder. — Mitteilungen].
Die neueren Sprachen ... h^. v. W. Vietor. XII, 7 [M. Löwisch,
Die litt, polit. und wirthschaftl. Kultur der Franzosen in der Lektüre und
im freien Fachunterricht. — R. J. Lloyd, Glides between consonants in
English, IL — Besprechungen. — Vermischtes]. 8 [K. Breul, Das Deutsche
im Munde der Deutschen im Auslande. — Hörnig, Über den Stand des
französ. Unterrichts an den sächsischen Gymnasien, Realgymnasien und
Realschulen. — Besprechungen. — Vermischtes].
Publications of the Modern Language Association of America, XX, 1
[W. H. Chenery, Object-pronouns in dependent clauses. — P. L. Revenel,
Tydorel and Sir Gowther. — G. L. Hamilton, Gower's use of the enlarged
Roman de Troie.].
Schweizerisches Archiv f. Volkskunde, hg. v. E. Hof f mann -Krayer
und J. Jeanjaquet. VIII, 4 [V. Pellandini, Usi e costumi di Bedano
(Ticino). — G. Züricher und M, Reinhard, AJlerhand Aberglauben aus
dem Kanton Bern. — A. Rossat, Les Paniers (suite). — J. Ochsner,
Volkstümliches aus Einsiedeln und Umgebung. — Mölanges. — Bücher-
anzeigen. — Kleine Chronik].
The modern language quarterly, VII, 3 [K. Breul, Schiller as an
historian. — C. B. Low, Wieland and Richardson. — W. W. Grey, A
dramatic fragment. — V. Payen-Payne, Jersey French. — Observations,
reviews, modern language teaching].
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 261
Modern language teachiug, edited by W. Rippmann, vol. I, no. 1
[Report of the annual meeting of the Modern Language Association. —
M. K. Pope, The place of philology in the study of modern languages. —
C. Brereton, Organizing the second stage in modern language teachmg. —
Correspondence, notes and queries, from here and there.]. London, E. &
Ch. Black, March 1905. 32 p. Price: sixpence.
Schweizerisches Idiotikon . . . LI. Heft, Band V, Bogen 72 — 81, ent-
haltend die Stämme pf-nd bis qu-d. Bearbeitet von A. Bach mann und
H. Bruppacher, E. Schwyzer. Frauenfeld, Huber u. Co., 1904.
Breymann, H., Das neue bayerische Lehrprogramm für den Unter-
richt in den neueren Sprachen. München, Oldenoourg, 1905. 16 S. M. 0,50.
Das Nibelungenlied. (Übersetzung nach der Handschrift A.) Aus-
wahl. Für den Schulgebrauch hg. von Prof. Dr. Oskar Henke. 8., neu
durchgesehene Aufl. (Freyta^ Schulausgaben u. Hilfsbücher für d. deut-
schen Unterricht.) Leipzig, G. Freytag, Wien, F. Tempsky, 1905. 182 S.
Geb. 1 M. -= K. 1,20.
Das Gudrunlied in Auswahl und Übertragung. Für den Schulgebrauch
hg. von Walter Hübbe. (Frey tags Schulausgaben u. Hilfsbücher für d.
deutschen Unterricht.) Leipzig, G. Freytag, Wien, F. Tempsky, 1905.
112 S. Geb. M. 0,60 = K. 0,72.
Arndt, Wilh., Die Personennamen der deutschen Schauspiele des
Mittelalters. (Germanistische Abhandlungen, begr. von Karl Weinhold,
hg. von Friedrich Vogt, 23. Heft.) Breslau, M. u. H. Marcus, 1904. X,
118 S. Brosch. M. 3,60.
Briefe von und an Gotthold Ephraim Lessing, in fünf Bänden, hg.
von Franz Muncker. Leipzig, Göschen, 1904. I. Band: Briefe von Les-
ßing aus den Jahren 1743—1771. X, 429 S. III. Band: Briefe an Les-
sing aus den Jahren 1746—1770. V, 431 S. Brosch. ä 5 M., geb. ä M. 6,50.
Kettner, Gustav, Lessings Dramen im Lichte ihrer und unserer Zeit.
Berlin, Weidmann, 1904. VII, 511 J?.
Wolfgang von Goethe, Götz v. Berlichingen mit d. eisernen Hand.
Ein Schauspiel. Für den Schulgebrauch hg. von Dr. August Sauer. 2.
verb. Aufl., mit einem Kärtchen. (Freytags Schulausgaben u. Hilfsbücher
für d. deutschen Unterricht.) Wien, F. Tempsky, Leipzig, G. Freytag,
1905. 172 S. Geb. K. 0,90 = M. 0,75.
Goethe, Iphigenie auf Tauris, ein Schauspiel, ed. by Karl Breul.
Cambridge, University Press, 1904. XXXIV, 254 S.
Schillers sämtliche Werke, Säkularausgabe. XIV, XV: Historische
Schriften, 2. u. 3. Teil. 434 u. 462 S. XI: Philosophische Schriften,
1. Teil. LXXXIV, 337 S. Stuttgart, Cotta, 1905. ä M. 1,20.
Schiller, Friedrich, Geschichte des Dreilsigj ährigen Krieges (Buch III)
ed. by Karl Breul. Cambridge, At the University Press, 1904. XXXII,
194 S. 1 Karte.
Deibel, P., Dorothea Schlegel als Schriftstellerin im Zusammenhang
mit der romantischen Schule. (Palaestra XL.) Berlin, Mayr u. Müller,
1905. 188 S. 5 M.
Fränkel, Jonas, Dr. phil., Zacharias Werngrs Weihe der Kraft. Eine
Studie zur Technik den Dramas. (Beiträge zur Ästhetik, hg. von Theodor
Lipps u. Rieh. Maria Werner, IX.) Hamburg und Leipzig, Leopold Vofs,
1904. X, 141 S. 4 M.
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München und Leipzig, R. Piper u. Co., 1905. VIII, 175 S. Brosch. 4 M.
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Heines. (Berliner' Beiträge zur germ. u. rom. Philologie, XXVIII.) Ber-
lin, Ebering, 1905. 150 S.
262 Verzeichnis der ciDgelaufenen Druckschriften.
Deetjen, Dr. Werner, Immermanns Jugenddramen. (Mit einem
Porträt Immermanns.) Leipzig, Dieterich, 1904. 200 S. Brosch. 5 M.,
geb. 6 M.
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Librairie et d'Edition, 1905. XVII, 463 p.
Alt-Innsbrucker Hanswurstspiele. Nachträge zum 'Höttinger Peterl-
spieP, hg. von A. K. Jennewein. Innsbruck, Wagner, 1905. 199 S. 2 M.
Schumann, C, Lübecker Spiel- und Rätselbuch. Neue Beiträge zur
Volkskunde. Lübeck, Borchers, 1905. XXII, 208 S. M. 1,50.
Becher, A. L., Deutsch für Ausländer. Das Notwendigste aus der
deutschen Sprachlehre mit praktischen Beispielen, Lese- und Gesprächs-
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ners kleine Sprachbücher: V. Deutsch.) Leipzig, B. G. Teubner, 1904.
132 S. Geb. M. 2,40.
Methode Toussaint - Langenscheid t. Brieflicher Sprach- und Sprech-
unterricht f. d. Selbststudium der schwedischen Sprache von E. Jonas,
J. West erblad, C. G. Mor^n. Berlin, Langenscheidt. Brief 13—19
zu M. 1.
Anglia. XXVIII, 1 [E. P. Hammond, Two British Museum mss.,
Harley 2251 and Adds. 34 300 ; a contribution to the bibliography of John
Lydgate. — J. E. Wülfing, Das Bild und die bildliche Verneinung im
Laud-Troy-book (Fortsetzung u. Schlufs). — A. Lange, Lyndesay's Men-
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Beiblatt zur Anglia. XVI, 1 (Januar 1905).
Scottish historical review. II, 6 [A. Lang, Knox as an historian. —
D. H. Fleming, The influence of Knox. — G. A. Sinclair, Periodical lite-
fature of the eighteenth Century. — D. M. Rose, Mary Queen of Scots
and her brother. — S. Terry, The siege of Edinburgh Castle 1689. —
G. S. C. Sainton, Six early charters. — Notes and comments, queries,
replies, reviews].
The battle of Maldon and short poems from the Saxon Chronicle,
ed. with introduction, notes and glossary by Walter John Sedgefield
(The belles-lettres series, section I : Engl. lit.). Boston and London, D. C.
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Süfsbier, Karl, Sprache der Cely-papers, einer Sammlung von engl.
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dessen Sprachgebrauch ist.']
Eicnhoff, Th., Die beiden ältesten Ausgaben von Romeo and Juliet
(Unser Shakespeare IV). Halle, Niemeyer, 1904. XII, 278 S. M. 1.
Collection of British authors. Tauchnitz edition. ä M. 1,60.
Vol. 3775—6: H. Rider Haggar d, The brethren.
^ 3777—8: A. E. Mason, The truants.
„ 3779—80: A. Marion Crawford, Whoever shall offend ...
„ 3781—2: R. Hieben s, The garden of Allah.
„ 3783: P. White, A passionate pilgrim.
„ 3784—5: M. Pemberton, Beatrice of Venice.
„ 3786: W. W. Jacobs, Dialstone Lane.
„ 3787—8: E. Thorneycroft Fowler (Mrs. A. L. Felkin) and A. L.
Felkin, Kate of Kate Hall.
„ 3789—90: Hall Caine, The prodigal son.
y, 3791: A. Morrison, The green eye of Gooan.
„ 3792: B. M. Croker, The happy Valley.
Verzeichnis der eiugelaufeDtn Druckschriften. 268
Vol. 879.": Franceß M. Peard, The ring from Jaipur.
y, 3794: S. Levett-Yeats, Orrain.
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Sattler, W., Verzeichnis der englischen Wörter zum deutsch-eng-
lischen Sachwörterbuch. 12. (Schlurs-)Lieferung. Leipzig, Eenger, 1905.
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Beckmann, Prof. Dr. E., Hilfswörterbuch zum englischen Ausdruck.
Leipzig, Benger, 1905. 144 S. Brosch. M. 1,60, geb. M. 2.
PTcetz, Gustav, English vocabulary. Methodische Anleitung zum
Englisch-Sprechen mit durchgehender Bezeichnung der Aussprache, b. verm.
u. verb. Ausg. Berlin, Herbig, 1904. VIII, 816 S. Ungeb. M. 2,60.
Hausknecht, Emil, The English Student, Lehrbuch zur Einführung
in die englische Sprache und Landeskunde. 8. Aufl. Berlin, Wiegandt
u. Grieben, 1905. 366 S., Wörterbuch 144 S. Maps of England and Lon-
don. Geb. M. 3,50.
Conrad, Her., Syntax der englischen Sprache für Schulen. Berlin,
Mittler, 1904. XVI, 176 S.
Deutschbein, K., Methodisches Irving-Macaulay-Lesebuch mit Vor-
stufen, Anmerkungen, Karten und Anhang. 5. verb. u. verm. Auflage.
Köthen, 0. Schulze, 1905. 231 S. Ausg. A mit Vorstufen ungeb. M. 2,50,
Ausg. B ohne Vorstufen ungeb. M. 2.
Shakespeare, W., Macbeth. Für den Schulgebrauch hg. von Dr. Ernst
Regel. 1. Aufl. (Freytags Schulausgaben u. Hilfsbücher für den deut-
schen Unterricht.) Leipzig, G. Freytag; Wien, F. Tempsky, 1905. 92 S.
Geb. M. 0,60 = Kr. 0,70.
Romania, p. p. P. Meyer et A. Thomas. XXXIII, No. 132 (Oc-
tobre 1904) [A.-G. van Hamel, Cligh et Tristan. — L. Constans, Le songe
vert. — A. Thomas, Notes et documents in^dits pour servir ä la biographie
de Pierre de Nesson. — A. DelbouUe, Mots obscurs et rares de l'ancienne
langue fran9aise (suite). — M^langes: A. Jeanroy, Any. fran9. frenpiev,
aengier, onger, fr. mod. : enger. — A. Thomas, Anc. fr. ehalemine, it. gtcdla-
mina. — La date de la mort de Thomas de St-Pierre. — Comptes-rendus.
— P^riodiques. — Chronique].
Revue des lan^ues romanes. XLVII, 5 [H. Guy, La chronique fran-
gaise de maitre Guill. Cr^tin. — L. Lambert, Chansons de printemps. —
G. Bertoni, Sülle redazioni provenzale e francese della 'Practica oculorum'
di Benvenuto. — L.-G. P^lissier, Documents sur les relations de Tempe-
reur Maximilien et de Lud. Sforza en l'ann^e 1499. — Bibliographie. —
Chronique]. — 6 [B. Sarrieu, Le parier de Bagn^res-de-Luchon et de sa
vall^e (suite). — A. Vidal, Les d^liberations du conseil communal d'Albi
de 1372 ä 1388 (suite). — Bibliographie].
B^dier, J., et Roques, M., Bibliographie des travaux de Gaston
Paris (Soci^t^ amicale Gaston Paris). Paris 1904. VI, 201 S.
Grundrifs der romanischen Philologie, hg. von G. Gröber. I. Band,
8. Lieferung (Bogen 33—48). Zweite verb. u. verm. Auflage. Stralsburg,
K.J. Trübner, 1904. [Diese Lieferung bringt zunächst 'Die vorromanischen
Volkssprachen der roman. Länder' zum Abschlufs, wobei Kr. Sandfeld
Jensen jetzt die nichtlatein. Elemente des Rumänischen behandelt (524—34),
und be^nnt die Darstellung der roman. Idiome. Tiktin braucht für das
Rumänische fast doppelt so viel Raum wie früher; Meyer hat die Über-
arbeitung des Italienischen übernommen. Französisch und Provenzalisch
sind in der Suchierschen Darstellung vereinigt geblieben : diese Vereinigung
hat ihren besonderen Reiz und ihren besonderen Lehrwert.]
Richter, Dr. Elise, Ab im Romanischen. Halle, Niemeyer, 1904.
VIII, 120 S. M. 3.
264 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Herzog, E., Streitfragen der romanischen Philologie. Erstes Bänd-
chen: Die Lautgesetzfrage. Zur franz. Lautgeschichte. Halle, Niemeyer,
1904. 122 S. M. 3,60.
Mölanges de philologie offerts ä Ferdinand Brunot ä Foccasion
de sa 20^' ann^e de professorat dans l'enseignement superieur par ses
öl^ves frangais et ^trangers. Paris 1904. 452 S. [Von den mehr als hun-
dert Schülern und Freunden F. Brunots, die ihm aus Anlafs des zwanzig-
sten Jahres seiner Lehrtätigkeit ihre Glückwünsche darbrachten, haben
einige dreifsig diese Wünsche mit wissenschaftlichen Arbeiten begleitet.
Dieser stattliche Band vereinigt sie. Sie erstrecken sich über Französisch,
Provenzalisch, Spanisch, Italienisch, sowie Griechisch und Latein, über
Linguistik, Metrik und Literaturgeschichte und bieten viel Schönes und
Interessantes, nämlich: Ch. Beaulieux, Liste des dictionnaires, lexiques et
vocabulaires franyais anterieurs au 'Thr^sor' de Nicot (1606) — 0. Bloch,
Etüde sur le dictionnaire de J. Nicot (1606) — H. Bornecque, La prosodie
et l'art m^trique d'Horace dans Fart poetique — E. Brandon, Date de la
naissance de Kobert Estienne — M. Brunet, Quelques notes sur un chapitre
de Michelet, 'La Tempete d'octobre 1859' — J. Buche, Pernette du Guillet
et la 'D^lie' de Maurice Sc^ve — J. Charles, Etymologie» for^ziennes —
H. Chatelain, Le vers libre de Molifere dans 'Amphitryon' — G. Cirot, 'Ser' et
'Estar' avec un participe pass^ — A. Cuny, A propos des adjectifs en 'Mus' —
L. Delaruelle, Un professeur italien d'autrefois. Etüde sur le sdjour ä Milan
d'Aulo Giano Parrasio — J. D^sormaux, Contribution ä la morphologie
des parlers savoyards. Les noms de nombre cardinaux — Fauste-Laclotte,
Note sur l'epenth^se en frangais — P. Fouquet, J.-J. Rousseau et la gram-
maire philosophique — A. Fran9ois, Note sur le 'Quinte-Curce' de Vaugelas
— E. Frey, La langue de J.-K. Huysmans — F. Gaffiot, "Cest que' —
F. Gaiffe, Un drama sur les 'Remplagantes' en 1771. La 'Vraie M^re' de
Moissy — F. Gohin, La question du fran§ais dans les inscriptions du
XVIII'' si^cle — P. Horluc, L non mouille -|- Y peut-il se reduire ä Y?
— C. Kattein, Histoire du mot Idylle' — C. Latreille et L. Vignon, Les
grammairiens lyonnais et le franyais parl^ ä Lyon ä la fin du XVIII^
sifecle — J. Luchaire, Quelques formes du dialecte siennois — J.-M. Meu-
nier, Les d^riv^s nivernais de 'mauere' et Etymologie du nom de lieu
'Maumigny' — M. Roques, Notes sur Fran§ois de Calliferes et ses oeuvres
grammaticales (1645—1717) — Th. Rosset, E feminin au XVII^ si^cle —
M"^ E. Samfiresco, Essai sur V. Conrart, grammairien — J. Saroihandy,
Origine frangaise du vers des romances espagnoles — J. Trenel, Le
psaume CX chez Marot et d'Aubigne — J. Vendry^s, Un petit problfeme
d'accentuation hom^rique — A. Weil, Sur une herborisation de J.-J.
Rousseau — H. Yvon, Y a-t-il un präsent passif en franyais ? — A. Zünd-
Bourguet, Recherches expErimentales sur le timbre des voyelles nasales
frangaises.]
Revue de philologie frangaise ... p. p. L. ClEdat. XVIII, 3 et 4
"" " B au XVI " " * "'
[L.-E. Kastner, L'infinitif historique au XVl® sifecle. — R. Harmand, Ob-
servations critiques sur le Tournoi de Chauvency. — J. DEsormaux, ME-
langes savoisiens, IV. — Gasse et Chaminade, Vieilles chansons patoises
du PErigord (suite). — L. Vignon, Patois de la rEgion lyonnaise : pronom
de la3*^pers., rEg. direct fem. plur. — L. Cledat, Essai de sEmantique III:
la famille du verbe 'dire'. — MElanges: L. C. Äspect et egard; Ne pas
laisser que de, — Comptes rendus. — Livres et articles signalEs. — Chro-
niquej.
Zeitschrift für französ. Sprache und Literatur, hg. von D. Behrens.
XXVII, 6 u. 8: der Referate und Rezensionen drittes und viertes Heft.
Revue des Etudes Rabelaisiennes. II, 4 [J. Boulenger, Rabelais et
V. Hugo. — Melanies. — Comptes-rendus. — PEriodiques. — Chronique.
— Supplement: REimpression de VIsle sonante, f« 1 et 2. — Die Revim
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 265
A. Lefrancs hat damit ihren zweiten Jahrgang abgeschlossen. Redaktor
und Mitarbeiter können mit berechtigter Genugtuung auf diesen wohl-
gelungenen Versuch, der Rabelais - Forschung ein Zentrum zu schaffen
und ihr zugleich einen neuen Aufschwung zu geben, zurückblicken. Bio-
graphie und Bibliographie, Lexikologie und Topographie, die Interpretation
einzelner Stellen wie die Kenntnis ganzer grofser Teile von Rabelais' Werk
sind erheblich gefördert worden. Pantagruel II ist nach der Lyoner Aus-
gabe von 153S (Kgl. Bibliothek zu Dresden) wiedergegeben (VIII u. 112 S.);
der Neudruck der Isle sonante (1562) ist begonnen. Interessante Faksimile
sind reproduziert oder zum erstenmal vorgelegt. Die Frage des apokry-
phen fünften Buches von 1549 sowie der im wesentlichen echten Briefe
aus Rom (1535 — 36) und der SuppUcatio pro apostasia ist ausgiebig und
überzeugend behandelt. Bisher unbekannte Zeugnisse über die Persön-
lichkeit R.s (z. B. über seinen frühen Ruf als Philosophen, I, 202) sind
mitgeteilt. Das Grabgedicht, das Ronsard dem Freunde gewidmet, und
das dessen Ruf so verhängnisvoll geworden ist, ist als ein Scherz im
Stile der Anakreonteia erwiesen (I, 215). In einem vortrefflichen Artikel
zeigt Lefranc, wie R. dazu kam, in dem dritten Buch, das er 1546 nach
so langem Schweigen folgen liefs. seinen Beitrag zur Behandlung der
'Frauen frage* zu liefern, die damals im Gefolge der Parfaite amie und der
Amie de cour eine -Tagesfrage geworden war. Die gelehrten Werke R.s
finden ihre Würdigung (II, p. 67, cf. p. 289). Einzelne dieser Arbeiten
stammen aus Lefrancs Seminar an der Ecole des Hautes Etudes. Auch
die Mitteilungen über die Verhandlungen der Societe bringen manches,
auf dessen nähere Ausführung man gespannt ist, z. B. II, 291 über den
Anteil, den Rabelais' Jugenderinnerungen an der Topographie und den
Erfindungen des ersten Buches haben. Sein Vater war übrigens Jurist
und Beamter. — Auch auf Lefrancs fesselnden Nachweis, dafs Pantagruels
Reise (Buch IV und V) trotz ihrer Phantastik auf ernsten geographischen
Studien Rabelais' beruht und eine literarische Verherrlichung der Nord-
west-Passage (Saint -Malo — Neufundland — Ostasien) darstellt, sei hier
nachdrücklich hingewiesen (Bevue de Paris, Februar 1904)].
Bulletin du Glossaire des patois de la Suisse romande. III, 4 [E. Tap-
polet, Les quatre Saisons dans les patois romands. — Textes].
Rey, Prof. A., La France industrieuse et litt^raire. Lectures choisies
pour les ^l^ves des dcoles superieurs de commerce. Vienne et Leipsic,
Fr. Deuticke, 1905. VIII, 606 S. Geb. M. 6.
Sammlung französ. u. englischer Schulausgaben. Prosateurs fran5ai8,
No. 152 — 55; Th^ätre frangais, No. 70. Jedes Bändchen geb., mit einem
Heft deutscher Anmerkungen zu No. 152 — 54 und 70 und franz. Anmer-
kungen zu No. 155. Bielefeld u. Leipzig, Velhagen & Klasing, 1904.
I. Prosateurs:
152. Zwei Erzählungen aus Servitude et grandeur militaires p. A. de
Vigny, hg. von Berta Breest. VIII, 82 S. M. 0,80.
153. Maroussia p. P. J. Stahl, hg. von Dr. L^on Wespy. IV, 140 S.
M. 1,10.
154. La Belgique p. E. Reclus, hg. von Dr. E. Vogel. VIII, 124 S. M. 1,40.
155. A travers les journaux fran^ais, hg. von M'"^ H. Fr an 50 is. VII,
161 S. M. 1,40.
IL Th^ätre:
70. Le monde oü l'on s'ennuie p. E. Pailleron, hg. von Prof. Dr.
R. Werner. VIII, 140 S. M. 1,60.
Velhagen u. Klasings Sammlung franz. u. engl. Schulausgaben. Re-
form-Ausgaben mit fremdsprachl. Anmerkungen. Bielefeld 1904:
Nr. 1. M^moires d'un coU^gien p. A. Laurie; texte abr^g^ et annot^
ä l'usage des ^coles p. E. Wolter. VI, 130 S. und Commentaire
82 S. Geb. M. 1,40.
266 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Frey tags Sammlung franz. u. engl. Schriftsteller [mit Anmerkungen].
Leipzig 1905:
J. Sandeau, M*"^^^" de la Seigli^re (roman), hg. von ü. F. .Schmidt.
123 S. Geb. M. 1,20 und Wörterbuch M. 0,50.
A. Daudet, Ausgew. Erzählungen, hg. von Prof. Dr. Schindler. 103 S.
Geb. M. 1,20 und Wörterbuch M. 0,50.
Les Paniers. Po^me en patois bisontin, traduit en patois jurassien
p. F. Raspieler, cur^ de Courroux. Etüde critique des diverses versions
p. A. Rossat (S.-A. aus d. Schiveix. Archiv f. Volkskunde, VIII). Zürich
1904. 38 S. [Der erste Teil einer eingehenden Untersuchung über das
satirische Gedicht 'Die Reifröcke', das im Berner Jura sehr bekannt ist,
und dessen Original Rossat in Besan5on aufzufinden so glücklich war
{Uarriree dans Vautre monde d'ime dame habillee en panier, Besangen 1735).
Hier wird nun zunächst dieser bisontinische Text mit interessanten lexiko-
iogischen Noten und einer Übersetzung gegeben.]
Flamini, Fr., Robert Gaguin e l'umanesimo italiano. Nota letta al
R. Istituto Veneto, 19 giu^no 1904. Venezia, Ferrari 1904. 12 S. [Auf
Grund der von Thuasne in der Bibliotheque litteraire de la Renaissance
gelieferten trefflichen Ausgabe der Briefe und Reden R. Gaguins stellt
Flamini hier die Beziehungen Gaguins zu Italien und speziell zu Männern
wie Andreiini, Ficino, Beroaldo dar, als Beleg für den Einflufs des ita-
lienischen Geistes auf Frankreich des 15. Jahrhunderts.]
Stiefel, A. L., Die Nachahmung italienischer Dramen bei einigen
Vorläufern Moli^res. I. D'Ouville. Berlin, Gronau, 1904 [S.-A. aus Beh-
rens' Zeitschrift, XXVII. Verf. weist mit der ihn auszeichnenden Sach-
kenntnis nach, dafs der Bruder des Boisrobert in seinen beiden Lustspielen
Aimer sans savoir qui und Les morts vivants nicht zwei Comedias des
Lope de Vega, sondern italienische Renaissancestücke, den Hortensio der
Intronati (1570) und die Morti vivi des Oddi (1576), benutzt hat].
Schneegans, H., Moli^res Subjektivismus (S.-A. aus der Zeitschr.
f. vergleichende Literaturgeschichte, hg. von Wetz und Collin, XV, 407 — 22).
Berlin 1904 [ct. hier CXIII, 459].
Mangold, Prof. Dr. W., Voltaires Rechtsstreit mit dem kgl. Schutz-
juden Hirschel 1751. Prozelsakten des kgl. preufs. Hausarchivs, mitgeteilt
von. . . . Mit einem Anhang ungedr. Voltaire-Briefe aus der Bibl. des Ver-
legers und mit drei Faksimiles. Berlin, Frensdorff, 1905. XXXVII, 138 S.
Sakmann, Prof. Dr. P., Voltaire als Politiker. 55 S. (S.-A. aus d.
Zeitschr. f. d. gesamte Staatswissenschaft, Tübingen, Laupp, 1904).
Sakmann, Prof. Dr. P., Voltaire als Philosoph, I. Teil (S.-A. aus
d. Archiv f. Geschichte der Philosophie, hg. von L. Stein, XVIII, 166—215;
Berlin, Reimer, 1005).
Cartier, Julia, Un interm^diaise entre la France et l'AUemagne:
G^rard de Nerval. Etüde de litt^rature compar^e. Gen^ve 1904. 130 S.
[Diese Pariser Dissertation, die B. Bouvier in Genf jiewidmet und wohl
in Genf entstanden ist, macht der Schule, aus der sie hervorgegangen ist,
alle Ehre. Sie ist eine vortrefflich und sicher dokumentierte Schilderung
des Vermittelungswerkes G^rards und schliefst mit einer Bibliographie,
zu der Spoelberch de Lovenjoul das wertvollste Material geliefert hat. Zu
den Arbeiten über G^rard ist der Aufsatz von Betz: Ooethe und Oerard
im Ooethe-Jahrbuch 1897 nachzutragen.]
Jade, Oberl. Dr» E., Henry Becque (S.-A. aus der Festschrift %um
Kölner Neuphilologentag). Köln, Neubner, 1904. 44 S. [Der Verfasser der
Corbeaux (1882) und der Parisienne (1885) hat hier eine sehr lebendige
Darstellung gefunden. Seine Stücke heben sich vom Hintergrunde der
leidenschaftlichen Diskussionen, die sie riefen, eindrucksvoll ab, und seine
Kunstanschauungen kommen auf Grund seiner 'Erinnerungen' und seiner
'Literarischen Händel' zum Wort. Jädes Urteil über Becque ist mafsvoll;
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 267
er berichtigt mit guten Gründen manches, was über Becque und die Schule
der comedie rosse gesagt und geglaubt wird. Der Aufsatz über die conie-
die rosse, der hier CV, 343 ff. erschienen ist, scheint ihm entgangen
zu sein.]
Menger, Dr. L. E., The anglo-nornian dialect. A manual of its
phonology and morphology, with illustrative specimens of the literature.
New York, London, Macmillan & Co., 1904. XX, 167 S. Geb. 7/6 Sh.
[L. E. Menger vom Bryn Mawr College ist vor zwei Jahren, 32 Jahre
alt, im Lago Maggiore beim Baden ertrunken, betrauert nicht nur von
seinen Freunden (cf. Mod. Lang. Notes 1903, S. 225), sondern von allen,
deren Interesse seine vielversprechende Tätigkeit erregt hatte. Er plante
eine Serie von Handbüchern zur Kenntnis der altfranz. Dialekte (cf. ib.
S. 106 ff.). Über der Korrektur der Druckbogen dieses ersten Bandes
seiner Sammlung ist er gestorben. Freundesdienst hat den Druck zu Ende
geführt. — Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste gibt eine Biblio-
graphie von etwa drei Dutzend representafive iexis der anglonorm. Lite-
ratur von Philipp de Thaün bis Bozon (6 — 36). Dann folgt eine Laut-
und Formenlehre (37 — 129), und daran schliefsen sich auf weiteren 40 Seiten
15 Textproben. Das ist alles mit guter Überlegung und mit sicherer
Kenntnis ausgewählt und zusammengestellt, und nicht nur der Student,
an welchen das Manual sich zunächst wendet, wird hier treffliche Füh-
rung finden, sondern auch dem Forscher wird damit ein bequemes Nach-
schlagebuch und viele Anregung geboten. — Die literaturgeschichtliche
Bedeutung des Anglonormannischen, dem wir die Erhaltung so manches
alten und wichtigen Werkes verdanken, das in Frankreich selbst verloren
ging oder nur in jüngerer Gestalt sich erhielt, rechtfertigt es reichlich,
dafs M. gerade diesen Dialekt für sein erstes Manual gewählt hat. Die
Trefflichkeit des ganzen Planes dieser Manuals of Old French Dialects,
powie der Ausführung dieses Spezimens läfst es als höchst beklagenswert
erscheinen, dafs das vom Autor hinterlassene Material für die weiteren
Bände nicht druckfertig ist.]
Rydberg, G., Zur Geschichte des französischen a. II, 3: Monosyl-
laba im Französischen : Artikelformen und Objektspronomina. Upsala
1904. S. 400 — 618. [Die im Jahre 1896 begonnenen interessanten und
fördernden Publikationen Rydbergs über franz. a ruhten seit 1898; vgl.
Rotnan. Jahresbericht VI, i, 228. Diese Fortsetzung behandelt resümierend
den Artikel und eingehend das Objektspronoraen und konstituiert einen
wichtigen Beitrag zur franz. Sprachgeschichte und zwar nicht nur pho-
netisch, sondern auch morphologisch und syntaktisch.]
Ritter, Prof. E., Les quatre dictionnaires frangais (Extrait du Bulletin
de l'Institut genevois, tome 36). Geneve, Kündig, 1905. 243 S. [Der Titel
dieser sehr gehaltreichen Schrift orientiert nicht hinreichend über ihren
Inhalt, der im wesentlichen (S. 47 — 243) durch mehrere hundert alpha-
betisch geordneter Nachträge zu dem Wörterbuch Littr^s und dem Diction-
naire general Hatzfeld-Darmesteter-Thomas gebildet wird. Diese Nach-
träge bestehen zumeist aus neuen Belegen für den von den genannten
Wörterbüchern geführten Wortschatz — Belegen, die entweder eine be-
sondere Bedeutungsnuance vertreten oder geradezu die Definitionen eines
Wortes modifizieren oder dessen Auftreten neu umgrenzen. Daneben
fallen sehr viele ergänzende oder berichtigende Bemerkungen ab: Zitate
werden richtiggestellt, Stellen neu interpretiert, grammatische Ausfüh-
rungen gegeben. Gelegentlich vermifst man hier etwas (wie z. B. zu qui
den Hinweis auf Toblers Vermischte Beiträge I, 126 oder zum Konjunktiv
nach oublier, p. 101, die Anführung von Haases Franz. Syntax des 17. Jahr-
hunderts), während anderseits das Stichwort bisweilen zur Veranlassung
wird, auch weiter abliegende Dinge zu erörtern (z. B. bei davantage que). —
Die Einleitung gibt hauptsächlich eine geschichtliche Skizze der lexiko-
268 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
graphischen Arbeit der Academie Fran^ise mit feinen kritischen Bemer-
kungen und unter Benutzung entlegener Literatur. Es fällt auf, dafs R.
(S. 4) die Tatsache nicht erwähnt, dafs Chapelain schon bei der Grün-
dung der Akademie vorschlug, das Wörterbuch mit Belegen aus den guten
Schriftstellern der letzten hundert Jahre zu versehen, während die\Gom-
pagnie dann beschlofs, die erläuternden Beispiele selbst zu erfinden, und
so dem sprachmeisterlichen Treiben freie Bahn schuf. — Geschichtliche
und kritische Ausführungen über die Arbeit Littr^s und Godefroys schlie-
Isen die Vorrede. — Das Buch E. Ritters ist eine auf umfangreicher Be-
lesenheit beruhende, mit Scharfsinn und philologischer Akribie ausgeführte
Ergänzung und Berichtigung der grolsen Wörterbücher Frankreichs.]
Eberle, E., Amüsements dans l'^tude du'franyais. Hors d'oeuvre de
la grammaire fran^aise. Freienwalde und Leipzig, Rüger, 1904. 125 S.
M. 2. [Ein Buch in der Art von Dr. A. Schenks Vive le rire, das zur
Erheiterung des Unterrichts bestimmt und dafür auch wohl geeignet ist.]
Klöpper, Cl., und Schmidt, H., Französische Stilistik für Deutsche.
Dresden und Leipzig, Koch, 1905. VIII, 382 S. M. 8.
Heine, K., Einführung in die franz. Konversation auf Grund der
Anschauung. Mit einer kurzgefafsten Grammatik als Anhang. Ausgabe B.
Nach den Bildertafeln von Ed. Hölzel. Für die Hand der Schüler be-
arbeitet. 4. Aufl. Hannover, C. Meyer, 1904. VIII, 111 S. Geb. M. 1,30
(cf. hier CV, 210).
G^nin, L., et Schamanek, J., Description des tableaux d'enseigne-
ment d'Ed. Hoelzel ä Tusage des ecoles. 2^"'^ ed. revue et augment^e.
Vienne, Hoelzel, o. D... 92 S. Geb. M. 1,20.
Ploetz, Dr. G., Übungsbuch (Ploetz - Kares, Kurzer Lehrgang der
franz. Sprache). Ausgabe E. Neue Ausgabe für Gymnasien, bearbeitet
nach den Lehrplänen von 1901. Berlin, Herbig, 1905. XIT, 298 S. Geb.
M. 2,75.
Knörk, Dr. 0., et Puy-Furcat, G., Le frangais pratique pour la
jeunesse commergante et industrielle (Sammlung von Lehrmitteln f. Fach-
u. Fortbildungsschulen). 1^^*^ partie. Berlin, Mittler, 1905. IX, 128 S.
und Vocabulaire 23 S. Geb. M '.»,80.
Schiewelbein, K., Die für die Schule wichtigen franz. Synonyma.
2. Auflage. Leipzig, Velhagen & Klasing, 1904. IV, 49 S. Kart. M. 0,60.
Lacombld, E.-E.-B., Complement de l'Histoire de la litt, frangaise
(morceaux choisis, po^sies, analyses). 2® ed. revue avec soin et consid^-
rablement augment^e. Groningue, Noordhoff, 1904. XII, 232 S. Kart,
fl. 1,40.
Armana prouvengau p^r lou bfel an de Difeu 1905 adouba e publica
de la man di Felibre. Avignoun, Roumanille. 112 S.
Giornale storico della lett. italiana, 'dir. e red. da F. Novati e
R. Renier. Fase. 182 [A. Farinelli, Note sulla fortuna del Petrarca in
Ispagna nel Quattrocento. — Varietä: A. Foresta, Per la storia di una
lauda. — A. F. Mass^ra, Un contrasto amoroso di messer Ubertino di
Giovanni Del Bianco d'Arezzo. — A. Belloni, L'usuriere Vitaliano, illustr.
storica di un verso di Dante. — Rassegna bibliografica — Bollettino
bibliografico — Annunzi anaÜtici — Pubblicazioni nuziali — Cronaca].
Supplemento N^' 7: A. Galletti, L'opera di V. Hugo nella letteratura
italiana.
Bulletin Italien. IV, 4, oct. — d^c. 1904 [P. Toldo, Quelques notes
pour servir ä l'histoire de l'influence du 'Furioso' dans la litt^rature fran-
gaise (4® article). \ — E. Picot, Les Italiens en France au XVI*^^ si^cle
(9*= article). — M^langes et documents: L. Auvray, Inyentaire de la Col-
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 269
lection Custodi (4® article). — Questions d'euseignement. — Bibliographie
— Chronique].
Vitagliano, Adele, Storia della poesia estemporanea nella lettera-
tura italiana dalle origini ai nostri giomi. Eoma, Loescher, 1905. XVII,
268 S. M. 4.j
Farinelii, A., Sulla fortuna del Petrarca in Ispagna nel Quattro-
cento. Torino, Loescher, 1904. 54 S. [S.-A. aus Oiornale storico della
lett. italiana, XLIV. Der gelehrte Verfasser geht hier auf Grund seiner
ausgedehnten Lektüre den Spuren Petrarcas in der kastilischen und kata-
lanischen Literatur des ausgehenden Mittelalters nach, die von Sanvisenti
in seinen Primi influssi di Dante, del Petrarca e del Boccaccio sulla lett.
spagnuola nur ungenügend erkannt worden sind, und die auch Baist im
Qnmdrifs II '^ p. 4*28 unterschätzt. F. führt aus den entlegensten Winkeln
der Literatur des spanischen Quattrocento die Urteile über Petrarca und
seine Werke, die Zitate, die Nachahmungen an, welche die Verbreitung
seines Ruhmes und die Kenntnis seiner Schriften bezeugen, und insbeson-
dere zeigt F., in welchem Umfange der Marques de Santillana der Herold
seines miyer Francisco Petrarcha gewesen ist, des Moralisten, der De Re-
mediis geschrieben, wie des Dichters der Sonette, Kanzonen und Trionfi,
und wie Santillanas Verse von Reminiszenzen aus Petrarca erfüllt sind.]
Dai tempi antichi ai tempi moderni. Da Dante al Leopardi. Rac-
colta di studi critici di ricerche storiche filologiche e letterarie. Con facsi-
raili e tavole. Per le nozze di Michele Scherillo con Teresa Negri. Mi-
lano, Hoepli [1905]. XIV, 782 S. 4. 35 Lire. [Die siebzig Autoren, die
dem Hochzeitspaar Scherillo - Negri ihre literarischen Gaben darbringen
wollten, haben sich unter der Redaktion G. Lisios zu einer gemeinsamen
Publikation geeinigt und haben in U. Hoepli einen verständnisvollen
Herausgeber gefunden. Es ist dies im höchsten Grade erfreulich. Denn,
was sich auch grundsätzlich gegen solche Sammelbände als Festgaben ein-
wenden läfst, so mufs dankbar anerkannt werden, dafs der Forschungs-
arbeit ein Dienst geschieht, wenn ein buchhändlerisch zugänglicher Band all
die Blätter vereinigt, die sonst, in einzelnen Per-Nozze-Heftchen zerstreut,
der Mehrzahl der Fachgenossen unzugänglich, ja unbekannt geblieben wären.
Folgendes ist der reiche, wissenschaftliche Inhalt des vornehm ausgestat-
teten Buches: U. Pestalozza, OlKl.^ JinTPPM — G. Vitelli, Scheda per
il censimento dell' a. 248/4 di Cr. — F. Cimmino, Un poeta lirico persiano
— A. Sepulcri, Antiche tracce d'un verbo volgare — C. Merlo, Etimologie
— A. Mussafia, Lat. ille nel 'Gelindo' — V. Crescini, Postilla a 'Aucassin
et Nicolette' — N. Zingarelli, Le donne nel 'Girart de Roussillon' —
M. Barbi, Un trattato morale sconosciuto di Bono Giamboni — Paget
Toynbee, 'Tisrin primo' (Vita Nuova, § 30) — W. Warren Vernon, Con-
trasts in Dante — F. D'Ovidio, II pi^ fermo — E. G. Parodi, Perchfe
Dante lo condanna? — M. Porena, Postille dantesche — L. Rocca, La
processione simbolica del canto XXIX del 'Purgatorio' — E. Sannia, Le
'confessioni' di Dante — G. Zuccante, La vita attiva e la vita contemplativa
in S. Tomaso e in Dante — P. Papa, Di un Casella fiorentino — P. Rajna,
Qual fede meriti la lettera di frate Ilario — S. Ambrosoli, Medaglie del
Petrarca nel R. Gabinetto numismatico di Brera in Milano, mit 2 Tafeln
G. A. Cesareo, La *Carta d'Italia' del Petrarca — I. Del Lungo, II papa
Soldano (Petrarca, Son. CXXXVII) — E. Zincone, 'Spirto gentil . . .' —
G. Ricchieri, Le geografie metriche italiane del Trecento e del Quattro-
cento — V. Cian, Una silloge ignota di laudi sacre — R. Sabbadini, Ugo-
lino Pisani — G. Mazzoni, Su Giovanni Antonio Romanello — A. Medin,
II canzoniere di Antonio Grifo — A. Serena, Attorno a Giovanni Aurelio
Augurello — F. Romani, Noterella sull'uso della camicia nel Medioevo —
G. ß. Marchesi, Mode e costumanze femminili del Quattrocento. Da un
serventese inedito — G. L. Passerini, Da una raccoltina di segreti ms. del
270 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
sec. XVI — F. Brandileone, Per la storia dei riti iiuziali in Italia —
Ch. Dejob, I^es peintres dans la litt^rature italienne d 'Imagination, durant
la Periode classique — G. Lisio, Karitä ariostesche — G. Lisio, Autografi
arioBteschi, mit vier Tafeln — F. Pintor, Una commedia politica per la
restaurazione medicea del 1512 — F. Flamini, Di un'ignota imitazione
cinquecentistica della 'Commedia' di Dante — V. Rossi, Notereile d'eru-
dizione spicciola — F. Foffano, Un secentista plagiario dell'Aretino —
E. Pistelii, Uno scolopio galileiano — L. ßiadene, L'Ercolana — A. De-
Marchi, La 'Storia Romana' in una 'Storia d'Italia' inedita di Alessandro
Verri — L. G. P^lissier, La tendre Maltzam — N. Scarano, II 'Saul' e la
sua fönte biblica — 8. Ricci, II Parini e le belle arti — E. Bertana, Un
altro arcade younghista — E. Filippini, 'II primo amore' ferroniano se-
condo l'autografo conservato a Brera — A. Butti, Una lettera di Vincenzo
Cuoco al vicerfe Eugenio — F. Pellegrini, L'Ode di Vincenzo Monti 'Per
uozze illustri veronesi' — A. D'Ancona, Gino Capponi e Pietro Giordani
— F. Tocco, II carattere della filosofia leopardiana — M. Schipa, Una
lettera della Guacci — S. Friedmann, La fönte di una Urica di Heine —
F. Novati, Freschi storici del Trecento. U cappellone degli Spagnuoli in
S. Maria Novella, mit zwei Tafeln — G. Oberziner, Antichi rapporti fra
la chiesa di Trento e le chiese di Milano e Aquileia — G. Capasso,
Turchi? — G. Bognetti, Nascite sovrane in Milano (1773—1830) — G. A.
Venturi, Una lettera di Alberto Cavalletto, mit dem Bildnis Cavallettos —
V. Simoncelli, Un episodio dei brigantaggio nel Mezzogiorno — G. Jan-
delli, Dell'Emozione estetica — F. Masci, Religione e matrimonio nello
Stato socialista — G. Della Valle, La dualitä fondamentale — O. Bacci,
Dei generi e specialmente dei letterari. Postille ad alcuni luoghi deWEstetica
di B. Croce — G. Francesco Gobbi, 11 credo ultimo di uno degli ultimi ro-
mantici — E. Landry, 'Endecasillabo' et Alexandrin — G. Grasso, Leggenda
australiana suU'origine delle Plejadi — A. Pichon, L'abbaye de Saint
Gu^nol^. Lägende bretonne — M. Vanni, Un Bruscello nella Maremma
toscana — V. Inama, I vecchi ritratti di famiglia.]
Cesano, Amalia. Hans Sachs ed i suoi rapporti con la letteratura
italiana. Roma, Off. poligrafica italiana, 1904. 103 S. M. 3,20.
Opere di Alessandro Manzoni, edizione Hoepli, Milano 1905.
I. I Promessi Sposi, illustrati con 40 tavole tratte da disegni originali di
G. Previati e ipreceduti da uno studio su gli anni di noviziato poetico
del Manzoni di M. Scherillo. LIV, 574 S. 5 Lire, geb. 6,50. IL Brani
inediti dei Promessi Sposi per cura di G. Sforza. LXVIII, 624 S. 5 Lire,
geb. 6,50. [Von der auf acht Bände berechneten neuen, schönen Manzoni-
Ausgabe des Verlages U. Hoepli, die Scherillo und Sforza besorgen, sind
vorläufig diese beiden erschienen. Der erste enthält den unvergänglichen
Roman mit feinen Nachbildungen jener Illustrationen, die Gaetano Pre-
viati für die Prachtausgabe von 1896 geliefert hat, und mit einer hübscheu
Skizze der poetischen Jugendarbeit Manzonis (bis zu seiner Verheiratung).
— Seit R. Bonghi davon Kenntnis gegeben hatte (vgl. Morandis Äntologia
della critica lett. italiana p. 636 f.), dafs die erste handschriftliche Fassung
der Prom. Sposi (v. 1823) erheblich vom Drucke (1827) verschieden sei
und er sowie Sforza dies durch einzelne Veröffentlichungen belegt hatten,
war man begierig, den ganzen Umfang dieser Abweichungen zu kenneu.
Der zweite dieser Bände erfüllt diesen Wunsch. Er bringt viele Über-
raschungen und verbreitet nicht nur neues Licht über Manzonis Arbeits-
weise und seine Kunstanschauung, sondern z. B. auch über die viel-
besprochene Frage der Topographie des Romans. Sforza schickt eine sehr
trefflich dokumentierte Einleitung über die ersten romanxi storici und die
Handschriften der Promessi Sposi voraus.]
Heyse, P., Italienische Dichter seit der Mitte des 18. Jahrhunderts.
Band V: Lyriker und Volksgesang. Deutsch von P. H. Neue Folge.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 271
Stuttgart, Cotta, 1905. XVIU, 471 S. M. 6. [Dieser fünfte Band der
'Ital. Dichter' P. Heyses geht unter dem nämlichen Sondertitel wie der
vierte: er bringt neben den Kunstdichtungen auch Volkslieder (431 — 71).
Die Meisterschaft dieser Übertragungen bedarf keines neuen Lobes. Heyses
ernstes und tiefes Verständnis für italienisches Idiom und Volkstum ver-
bunden mit seiner Kunst deutscher Sprachbeherrschung machen seine 'Ital.
Dichter' auch dem willkommen und lieb, der Belli, Giusti, Carducci im
Original zu lesen und zu geniefsen versteht. Dankbar dürfen wir uns
jeder dieser Gaben freuen, insbesondere aber froh sein, dafs Heyse auf
Belli zurückgekommen ist (mit 63 Sonetten), dafs er Bellis originellen
Nachfolger Pascarella, dafs er Vittoria Aganoor - Pompili, Adda Negri,
Annie Vivanti reichlich hat zu Wort kommen lassen. Auch jene fesseln-
den Studien, die H. zu einzelnen dieser Poeten früher z. B. in der Deut-
schen Rundschau veröffentlicht hat, sind hier wieder abgedruckt. Möchten
viele deutsche Leser sich aus dieser fünfbändigen Anthologie, um die uns
andere Völker beneiden dürfen, überzeugen, dafs Italien eine eigenartige,
kraftvolle und reiche moderne Lyrik besitzt und es sich lohnt, von Dante
und Petrarca den Blick auch gelegentlich zu diesen Modernen zu wenden.]
Malagöli, Gius., Ortoepia e Ortografia italiana moderna (xManuali
Hoenli). Milano, Hoepli, 1905. XVI, 193 S.
Methode Toussaint-Langenscheidt. Brieflicher Sprach- und Sprech-
unterricht für das Selbststudium der italienischen Sprache von Dr. H.
Sabersky, unter Mitwirkung von Prof. G. Sacerdote. Berlin, Langen-
scheidt. Brief 13—19 zu M. 1.
Levi, Dr. ügo, I monumenti del dialetto di Lio Mazor. Venezia
1904. 80 S. [Die von Ascoli, Saggi ladini p. 465 ff., verwerteten alt-
venezianischen Atti dei Podestä di Lido Maggiore (1312 — 19) werden hier
vollständig ediert (was sie auch kulturgeschichtlich wohl verdienen) und
vom Herausgeber linguistisch sorgfältig erläutert.]
Salvioni, C, Appunti sul dialetto di Val Soana (Estratto dai 'Rendi-
conti' del R. Istituto Lombardo, Ser. II, Vol. 37, p. 1043—56) 1904. [Sehr
willkommene Ergänzungen und Berichtigungen zu C. Nigras 'Fonetica del
dialetto di Val Soano' im Archivio glotiologteo HL]
Revue hispanique. Recueil consacr^ ä l'^tude des langues, des litt^-
ratures et de l'histoire des pays castillans, catalans et portugais p. p.
R. Foulch^-Delbosc. Taole des dix premi^res annäes 1894 — 1903.
Paris, Picard [S.-A. aus dem 11. Jahrgang der Revue, S. 643—707. Die
sehr inhaltreiche Zeitschrift kostet jährlich 20 frs.].
Bulletin hispanique. VI, 4 (oct. — d^c. 1904) [J. Jungfer, Noms de
lieux hispaniques d'origine romaine. — A. Morel-Fatio, Vida de Don Luis
de Requesens y Züniga (suite). — G. Cirot, La famille de Juan Mariana.
— C. PitoUet, A propos d'un 'romance' de Quevedo. — Vari^t^s. — Biblio-
graphie — Chronique],
Barthe, H., Morceaux choisis des principaux ^crivains espagnols
classös d'aprfes les genres litt^raires et pr^c^d^s d'une introduction par
G. Desdevizes du Dezert. Premiere partie: Prose III, 276 S.; deuxi^me
partie: Poesie III, 327 S. Paris, Gamber. Albi, Fahre, 1903. Jeder Teil
3 fr. 50. [Diese Chrestomathie ist für die höheren Schulen Frankreichs
bestimmt. Aufgabe und Grenze dieses Schulunterrichts bedingen die Aus-
wahl des Stoffes. Er ist recht reich ; über hundertfünfzig Autoren sind in
etwa 400 Stücken vertreten. Unser Universitätsunter rieht oder das Selbst-
studium des Erwachsenen würde z. B. eine reichlichere Vertretung der so
eigenartigen satirischen Literatur wünschen. Auch in der Einteilung zeigt
sich der Charakter des Schulbuches; doch stört das weniger als der
Mangel jeder Angabe über die Ausgaben, denen die Texte entnommen
272 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
sind, und die ungenügende sprachliche und metrische Kommentierung,
deren Gebrechen besonders deshalb auffallen, weil der Verf. in den An-
merkungen mit literarischen Parallelen so verschwenderisch ist. Trotzdem
wird das Buch, das einzig in seiner Art ist, auch bei uns gute Dienste
leisten können und manchem Benutzer der schönen Beckerschen Geschichte
der spart. Literatur ein willkommenes Lesebuch sein.]
Fitzmaurice-Kelly, J., Litt^rature espagnole. Traduction de H.-D.
Davray. Paris, CoHn, 1904. XV, 499 S. 5 fr. [Das ist in gewissem Sinne
eine dritte Auflage des bedeutenden Buches, das vor sechs Jahren in eng-
lischer Sprache erschienen und vor drei Jahren ins Spanische übersetzt
worden ist (mit einem Vorwort von E. Men^ndez y Pelayp). Und zwar
eine verbesserte Auflage: nicht nur gibt der französische Übersetzer den
persönlichen Stil des Verfassers besser wieder als der spanische, sondern
Text und Noten haben eine durchgehende] Überarbeitung erfahren. Wäh-
rend Ph.-A. Becker in seiner so lebendig geschriebenen, geschmackvollen
Geschichte der spanischen Literatur (Strafsburg, Trübner, 1904) sich be-
sonders an ein weiteres gebildetes Publikum wendet, setzt Fitzmaurice-
Kelly oft genug fachmännische Interessen beim Leser voraus, wie schon
aus der 50 Seiten starken, übrigens vorzüglichen Bibliographie hervorgeht.
Auch gestattet ihm der Raum — sein Buch hat den dreifachen Umfang
des Beckerschen — , nachdrücklicher von den Beziehungen des kastilischen
Schrifttums zu den übrigen Literaturen zu sprechen und so dem verglei-
chenden Literarhistoriker vieles zu bieten. — In der Überarbeitung, die
dieser französischen Übersetzung zugrunde liegt, sind z. B. zehn Seiten
(115 ff.) über die Romanzen hinzugekommen: in seiner knappen, sicheren
Form gibt dieses Resümee des heutigen Standes der Romanzenforschung
ein Bild des ganzen Buches: gründliche Sachkenntnis, Genauigkeit im
Detail, Klarheit der Disposition.]
Saroihandy, J., Remarques sur le Po^me de YÜ9uf (S.-A. aus dem
Bull, hispaniqtce VI, 182 — 194). 1904. [S. versucht den Nachweis ^ und,
wie mir scheint, mit Glück — , dafs das Poema de Jose in der Aljamia-
Niederschrift des Ms. der Biblioteca Nacional aus dem hocharagonesischen
Pyrenäental des Cinca (Gegend von Ainsa) stammt. Das Ms. selbst habe
ich seinerzeit in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts gesetzt. S. ist
geneigt, es für noch etwas jünger zu halten und es eher dem Anfang des
17. Jahrhunderts zuzuweisen. Zur sprachgeschichtlichen Deutung des
Textes bringt er willkommene Beiträge.]
Saroihandy, J., Du vers des romances espagnoles. 14 S. (S.-A. aus
den Melanges de philologie offerts ä M. F. Brunot). Paris 1904. [S. nimmt
die schon von Damas-Hinard geäufserte und dann auch von Restori ver-
tretene Meinung wieder auf, dafs der kastilische epische Vers aus dem
Französischen stamme, und begründet sie neu mit dem Hinweis auf die
Vorsetzsilbe des Verso de arte niayor. Ich kann ihm nicht folgen und
glaube nicht, dals es seiner sinnreichen Hypothese gelungen ist, die Uu-
regelmäfsigkeit des Versbaus des Poema del Cid zu erklären. Des Rätsels
Lösung liegt vielleicht in der Auffassung Men^ndez Pidais, dafs der uns
überlieferte Text des Poema eine Prosaauflösung des 14. Jahrhunderts sei.]
Vasile Alexandris Pastelle, aus dem Rumänischen übertragen von
Konrad Richter. Berlin, Meyer & Müller, 1904. 38 S. M. 1.
Golschmann, L., Nouveau dictionnaire de poche franpais et russe,
contenant tous les mots indispensables ä la conversation familiäre ainsi
qu'aux voyageurs et hommes d' affaires. Vol. I: franyais-russe. Leipzig,
Teubner, 1904. 516 S.
Quellenstudien zu Ghamissos Gedichten.
1. Roland ein Rofskamm.
Das aus Ariost entlehnte Gedicht mit dem alliterierenden
Titel 'Roland ein Rofskamm' (1832) enthält ebenso wie das Don
Quichote-Gedicht eine selbständige Schlufspointe. Eine Episode
aus dem 30. Gesang des ^Orlando Furioso' erzählt, wie der Held
eine von ihm in seiner Raserei totgerittene Stute an einen
Hirten für einen lebenden Gaul einhandeln will und, als dieser
auf den ungleichen Handel nicht eingeht, ihm ohne viel Um-
stände das Haupt abschlägt. Diese rohe, ungefüge Szene reizte
den Dichter nicht, sondern die drastische, hochkomische Art, wie
der rasende Ritter in seiner Herrenmoral noch den Wert seiner
elenden Stute herausstreichen will:
Jenseits des Flusses liegt sie tot im Feld.
Du kannst hernach gesund sie wieder pflegen.
Sonst hat sie keinen Fehl, der mir mifsfällt.
Chamisso gibt das erweiternd wieder:
Sieh her, die vortreffliche Stute,
Du kaufst sie, das sag' ich dir!
Mein Ohm, der mächtige Kaiser,
Besitzt kein schöneres Tier.
Betrachte den Hals und die Hüften,
Den zierlichen Gliederbau;
Kein Fehler an ihr zu rügen.
Und forschtest du noch so genau.
Ist leider sie tot, was verschlägt das?
Ein Unglück ist es doch nur.
Kein Fehler; es lieget das Totsein
In solcher Stuten Natur.
Dann vergleicht der Dichter mit einer kühnen Wendung ins
Literarische die schön gewachsene, aber tote Stute mit Dichtungen,
die zwar eine schöne Form, aber nicht die innere Lebenskraft
des Erfolges besitzen:
Ist musterhaft auch geschrieben
Und regelrecht das Gedicht,
Wir kaufen die tote Stute,
Wir lesen die Verse doch nicht.
Archiv f. u. Sprachen. CXIV. 18
274 Quellenstudien zu Chamissos Gedichten.
Ein jetzt unbekannter Berliner Schriftsteller jener Zeit, Adolf
Scholl, hat in einem 'Spruch Chamissos^ {Gedichte aus den Jahren
1823—39, Leipzig 1879, S. 219) denselben Gedanken wiederholt:
Die schöne Form hat ihren Wert —
Wer möchte das bestreiten?
Indessen läfst das schönste Pferd,
Wenn's tot ist, sich nicht reiten.
Chamisso selbst hat in einer Stelle seines 'Tagebuchs' unter Bezug-
nahme auf sein Gedicht ein Beispiel dazu gegeben. Die schönen
und glatten Verse des 'Älarcos' von Friedrich Schlegel und des
'Jon' von seinem Bruder August Wilhelm sind unbekannt ge-
blieben, aber Kotzebues weit weniger schönes, aber dem Zeit-
geschmack angepafstes Drama 'Menschenhafs und Reue' hat einen
Weltruhm davongetragen. Kotzebue, meint der Dichter, besafs
eben ein Erfordernis, das manchem Vornehmen abgeht {Werke
ins, 27/28).
2. Der vortreffliche Mantel.
Zwei Gedichte Chamissos, ^Der vortreffliche Mantel' und
'San Vito', lassen sich auf bekannte Facetiensammlungen aus der
Zeit des Humanismus zurückführen. Der Stoff des 'Vortreff-
lichen Mantels' findet sich aufser in mehreren lateinischen Fas-
sungen in Paulis Schimpf und Ernst, Burkhard Waldis' Esop, im
'Wohlgemuth' und im 'Scherz mit der Wahrhey f. Hans Sachs hat
den Schwank wohl nach Pauli mit einer kleinen Änderung (Ring
für den Mantel) versifiziert. ^ Als anscheinend erster in der
neueren Lyrik hat Hagedorn, dem auch eine französische Fassung
in Garons Chasse-ennui und eine italienische in Guiccardinis Höre
di recreatione bekannt war, den Schwank in dem zweistrophigen
Gedicht 'Reue über eine nicht begangene Bosheit' {Poetische Werke,
1800, n, 119) behandelt. Er hat vor allem nur die Pointe der
Erzählung herausgehoben und sie in ein Zwiegespräch zwischen
der frivolen Frau und ihrer Nachbarin gefafst. Die Frau, die
antikisierend die 'theure Nymphe' und die 'Lais ihrer Zeit' ge-
nannt wird, fafst ihre Trauer über den Verlust ihrers Verehrers
in die erbaulichen Worte zusammen:
Doch darum kann ich mich nicht fassen,
Dafs ich ihm, als er Abschied nahm,
Da er durch mich um alles kam,
Den schönen Mantel noch gelassen.
' Vgl. die stofflichen Nachweise von Österley in Paulis Schimpf und
Ernst, Stuttgart 1866, S. 474, aufserdem Hans Sachs, Sämmtliehe Fabeln
und Schwanke ed. Goetze-Drescher (1890) III, 804, und Jaques de Vitrya
Exempla ed. Th. Fr. Crane (1890) Nr. 200; zu der Sammlung 'Schere mit
der Wahrheyt' vgl. Stiefel, Arch. f d. Stud. d. n. Spr. XCV, 70.
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. 275
Auch Charaisso, dem vielleicht nur die Fassung bei Pauli (Nr. 10)
oder eine daraus abgeleitete vorgelegen hat, hat die Tendenz, die
ursprünglich derbere Form der Erzählung etwas abzuschwächen.
Denn was der alte Facetist von einem leichtsinnigen, adligen Stu-
denten, einer 'Metze' und deren Mutter erzählt, erfahren wir bei
Chamisso aus dem Zwiegespräch von Mutter und Tochter über
den Jüngling, der, nachdem er alles mit dem Mädchen vertan hat,
bis auf den Mantel gerupft werden soll. Während die Mutter
die verbuhlte Tochter über den Verlust des Geliebten mit dem
Hinweis auf andere Jünglinge zu trösten sucht, erwidert diese
bei Pauli zynisch: ^O liebe muter, ich wein nit das er hinweg
ist, ich klag den guten mantel mit den silberin stefften, den er
antregt, das ich in auch nit verzert hab.' Chamisso läfst sie
ziemlich ähnlich sagen:
Liebe Mutter, es fällt mir nicht ein, Ach, der gute Mantel, beschwert
Um ihn zu klagen; Mit silbernen Ketten!
Um den Mantel klag' ich allein. Den behielt er noch unversehrt,
Ich wiU's dir sagen. Wenn den wir hätten!
3. San Vito.
Das Gedicht 'San Vito' gehört stofflich in den Kreis der
Heimkehrsagen, und insofern der zu seinem untreuen Weibe heim-
kehrende Gatte ein Seemann ist, erinnert es uns an die gegen-
wärtig bedeutendste Bearbeitung dieses der Weltliteratur ange-
hörenden Vorwurfs, an Tennysons 'Enoch Arden', In seinem
volkstümlichen, knappen, aber inhaltsreichen Stil gemahnt es an
die zahlreichen deutschen und französischen Volkslieder, in denen
ein Soldat oder Matrose unerwartet zu seinem inzwischen wieder-
verheirateten Weibe zurückkehrt. ^ Die genaue Vorlage Chamissos
ist nicht bekannt, aber nach der mehr humoristisch -satirischen
Darstellungsart pafst es am besten zu der Schwankform des
Stoffes. In der ersten Facetie ('Fahula cujusdam Caietani pauperis
naucleri') seiner berühmten Sammlung erzählt Poggio, wie ein
armer Schiffspatron aus Cajeta des Gewinnstes wegen übers
Meer zieht und sein junges Weib hilflos zurückläfst, die, nach
längerer Zeit an der Wiederkehr ihres Gatten verzweifelnd, mit
einem anderen Mann Umgang pflegt. Nach fünf Jahren erscheint
der Gatte wieder, betritt verwundert sein verändertes Haus und
fragt die erstaunte Frau, weshalb das Haus neu ausgestattet, Zim-
mer, Bett und Hausrat so schön geschmückt seien, worauf sie
sich jedesmal auf die 'dei gratiam' (indulgentiam) beruft. Als er
dann nach der Herkunft des kleinen, dreijährigen Knaben fragt
» Vgl. darüber R. Köhler, Kl. Schriften III, 229 (auch 1, 117, 584), und
Ulrich, Franxösische Volkslieder, Leipzig 18i>9, zu Nr. 37 und 71.
18*
276 Quellenstudien zu Chamissos Gedichten.
und dieselbe Antwort erhält, gerät er über die vermeintliche Güte
Gottes in hellen Zorn. Diese Fabel des Poggio erfreute sich
bis ins 18. Jahrhundert hinein zahlreicher, oft kürzender Nach-
ahmungen.^ In der neueren Dichtung scheint Lessing den Stoff
zuerst, und zwar direkt nach Poggio, aufgegriffen zu haben. Als
Taustin^ erscheint er unter den 'Fabeln und Erzählungen' (lY Nr. 8,
zuerst in den Schriften 1753), von einer geplanten Behandlung
* Der Fabel des Poggio steht die Darstellung des Phil. Hermotimus
sehr nahe, die unter dem Titel 'De benedictione dei' Frischlins 'Facetiae
selectiores' (1660) angehängt ist, die Erzählung aber nur von einem 'vir
quidem' berichtet. Die Fassung Poggios wird im Anhang von Stein-
höwels Esop, jedoch nicht ganz wörtlich, ins Deutsche übersetzt. Die
Cajetaner werden als 'burger von der gemaind ze Venedig (sie!), die iere
nerung mit der schiffung und merfarten gewonnen' bezeichnet.
Das Schema der Poggioschen Erzählung (Schiffer, Gottes Segen) findet
sich in mehreren deutschen Schwankbüchern des 17. und 18. Jahrhun-
derts. In der 'Ergötzlichen burger-lusf (1659, I Nr. 97, in einer Ausgabe
der Bremer Stadtbibliothek, s. a. I Nr. 70) fragt der schon nach drei
Jahren heimkehrende Mann nach dem schönen Hause, den Hühnern in
der Küche, dem schönen Bett und dem Kind in der Wiege, worauf die
Frau jedesmal 'Das Glück hat es beschert' antwortet. Neu ist die rheto-
rische Schlufs wen düng. Als der Mann sich beklagt, dafs ihm trotz Mühe
und Arbeit vom Glück nichts beschert sei, entgegnet die Frau: 'darum
heifst es nicht unrecht das andächtige Weibes -Volk, daher werden wir
mehr erhört als ihr Männer und bringen Frucht wie die Ölzweig.' Joh.
Peter von Memels 'Lustige Oesellschaft' (1659, Nr. 659) ist nur ein Auszug
aus der vorigen Sammlung. Sehr ähnlich und fast wörtlich übereinstim-
mend ist auch die Fassung der Sammlung 'Mala gallina, malum ovum.
Zkoeites centifolium hundert ausbündiger Närrinnen' (c. 1709, S. 23). Das
gleiche gilt von dem 'Kurtxweiligen Polyhistor' (1719). Wieder mehr in
der Fassung Poggios steht die Geschichte, die hier in einer 'gewissen See-
stadt' spielt, in dem 'Vademeoum für lustige Leute' (1768).
In der Schwankliteratur des 16. Jahrhunderts begegnet noch eine
verwandte Fassung. Bebel erzählt in seinen Facetien (I, &i de quodam
lanceario) von einem Landsknecht, der nach über drei Jahren aus Mailand
zurückkehrt und zwei Kinder vorfindet. Die Frau begründet unter Be-
rufung auf den Kaplan den Familienzuwachs damit, dafs bei ihr schon
der Traum zur Empfängnis genüge, welcher Ausrede der törichte Mann
auch Glauben schenkt. Die Version Bebeis wird in Jacob Freys Oarten-
gesellschaft (1556) ins Deutsche übertragen und in Bretten lokalisiert.
Freys Erzählung wird von Dietrich Mahrold (1608) in Eeime gebracht,
von Hulsbusch (1568) ins Lateinische übersetzt und von Benedikt von
Watt (1609) zu einem Meisterlied verarbeitet.
Das hier verwertete Material verdanke ich der Anmerkung Boltes in
seiner Ausgabe von Freys Oartengesellschaft Nr. 112 (Bibl. d. Lit. Ver. in
Stuttgart, 1896, Nr. 209), wo auch die näheren Zitate stehen. Nicht zu-
gänglich waren mir die beiden französischen Sammlungen Dictionnaire
d'anecdotes, 1781 (1, 192), und Nouveau dictionnaire d'anecdotes, 1789 (II, 262).
Verwandt, aber mit anderer Lösung, ist die Erzählung vom Bootsknecht
in Dublin in dem 'Vademecum für lustige Leute' II, 206 Nr. 291. Im wei-
teren Sinne verwandt ist auch der weitverbreitete Schwank vom Schnee-
kind (darüber R. Köhler, Kl. Schriften II, 564). Beide Gruppen sind in
Splettstöfsers Arbeit über den 'Heimkehrenden Gatten und sein Weib in
der Weltliteratur' (Berlin 1899) nachzutragen.
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. 277
als Hanswurstiade ist das dramatische Fragment 'Das Kobold-
chen' erhalten. Der nach fünfzehn Jahren heimkehrende Schiffer
heifst Faustin in Anlehnung an die mittelalterlichen Schiffbruch-
legenden von Faustin, Faustinian oder wahrscheinlicher nach der
damals überhaupt beliebten antiken Namengebung. Eigentümlich
ist Lessing ein larmoyantes Gebet, in dem Faustin beim Anbhck
seiner Vaterstadt Gott bittet, seine früheren Sünden nicht an
ihm zu entgelten. 'Und Gott erhört den Sünder,' sagt Lessing
ironisch, um dann die Pointe scharf in zwei Schlufsversen aus-
zusprechen :
Er fand sein Weib und seine beiden Kinder
Und — Segen Gottes! — zwei dazu.
Lessings Darstellung hält sich im wesentlichen noch in den
Grenzen der Geliert -Hagedornschen Stilart. Seine lakonische
Kürze hat Langbein in dem strophisch gegliederten Gedicht 'Die
Gaben des Herrn' (Gedichte, 1800, II, 68) durch übertriebene Weit-
schweifigkeit in das Gegenteil verkehrt. Den Namen Faustin
hat er aus Lessing beibehalten, sonst mag ihm eine der in der
Anmerkung genannten Prosadarstellungen des Schwanks aus dem
18. Jahrhundert vorgelegen haben. Faustin, ein 'müfsiger Schla-
raffe', und seine Frau, die putzsüchtige 'Mimi', überbieten ein-
ander an Verschwendungssucht, bis er in Not gerät und seine
Frau nach 'langem Kufsgeschnäbel' verlassen mufs. Sie will sich
zuerst in ihrem Gram ertränken, stürzt sich aber statt dessen in
die Arme eines jungen Herrn der Nachbarschaft, dessen Reich-
tum schnell aus der 'öden Scheuer' einen Palast macht. Als der
Mann nach zwei Jahren zurückkehrt, hüllt sich die Frau in den
Mantel christlicher Tugend und Unschuld und antwortet auf die
bekannten Fragen stets 'Der Herr hat es gegeben.' Bei dem
letzten, höchsten Gnadengeschenk Gottes bricht der Mann in die
komischen Worte aus:
Ich wünschte wenigstens, er hätte huldreich sich
Mit seinem Kindgeschenk neun Monden noch geduldet.
Trotz ihrer Breite mag uns Langbeins Erzählung den Übergang
darstellen zu der von Bürger geschaffenen Erzähluugsform der
humoristischen Romanze, die hauptsächlich durch eine Angleichung
der alten, einfachen Verserzählung an die belebtere, strophisch
gegliederte Balladenform charakterisiert wird. Ohne Bürger als
Bindeglied ist die Kluft zwischen Langbein und Chamisso in
der Behandlungsart unseres Schwankes nicht zu überbrücken.
Unabhängig von Lessing und Langbein stellt Chamisso in 'San
Vito' ohne die Abschweifungen des einen und ohne die epigram-
matische Kürze des anderen den eigentlichen Inhalt der Fassung
Poggios wieder her und befleifsigt sich einer gleichmäfsig fort-
schreitenden, strophisch geschickt verteilten und durch die An-
278 Quellenstudien zu Cliamissos Gedicliten.
Wendung des Refrains sehr wirkungsvollen Darstellungsart. Die
erste, erzählende Strophe führt den nach sechs Jahren zurück-
kehrenden Mann, dem in der Fremde nichts hat gelingen wollen,
in der Ich-Form ein. Dann entwickelt sich ein lebhaftes Zwie-
gespräch zwischen dem verwundert fragenden Mann und der
Frau, die stets die stereotype Antwort gibt:
's ist Gottes Segen, mein lieber Mann,
Wozu mir half San Vito.
Die Nennung dieses Heiligen kommt in den bis jetzt bekannten
Quellen nicht vor. Zuletzt verflucht der zum Hahnrei gemachte
Mann in einer sarkastischen Schlufsstrophe den unbequemen Hei-
ligen mit einem kräftigen 'Hole der Hund San Vito!'
4. Die Quelle.
Im Jahre 1827 entstanden nach Hitzigs chronologischem
Verzeichnis (Werke^ VI, 341) u. a. die Gedichte 'Verratene Liebe',
'Georgis' und die 'Quelle', von denen die beiden erstgenannten
nachweislich neugriechischen Volksliedern in der Sammlung ^Chanis
populaires de la Grece moderne\ (1824:/ 26) von Fauriel oder wahr-
scheinlicher in der deutschen Übersetzung derselben von Wilhelm
Müller (1825) nachgebildet sind. ^ Schon in der ersten Samm-
lung der Gedichte (1831) folgte der 'Verratenen Liebe' das er-
wähnte kleine Gedicht 'Die Quelle', und da der Dichter geistig
Zusammengehöriges oft auch durch die Anordnung auszudrücken
pflegte, so liefse sich vermuten, dafs auch die 'Quelle' dem Boden
der neugriechischen Volkslyrik entsprossen sei, um so mehr, als
inhaltlich und stilistisch ungefähr der gleiche Ton obwaltet. Nun
findet sich bei Fauriel II, 412 (bei Müller II, 85) ein stofflich
verwandtes Lied *7» oTaf.ivl joayuGfitvov' {La cruche cassee). Es
enthält die Verabredung eines Jünglings und eines Mädchens,
sich am Brunnen zu treffen, und darauf das Zwiegespräch des
heimkehrenden Mädchens und seiner Mutter; obwohl sich die
Tochter wegen des zerbrochenen Kruges zu entschuldigen ver-
sucht, durchschaut die Mutter den wahren Zusammenhang. Sollte
sich Chamisso an diesem Liede mit demselben Gedankengang
und einer ähnlichen, nur drastischeren Motivierung am Schlufs
inspiriert haben? Ist dies der Fall, was natürlich nur als Ver-
* Vgl, Tardel, Stvdien xur Lyrik Chamissos, Progr. Bremen 1902,
S. 20, 29. Über den Stoffkreis der 'Verratenen Liebe' handelt Arnold in
der Ztschr. f. Volkskunde XII (1902), 155 f. und 291 f.; den dort angeführten
Übersetzungen des Chamissoschen Gedichtes kann eine holländische in der
Sammlung 'Lied£ren, naar het hoogduitsch', Zwolle 1861, S. 17: Verraden min
(nach der Vorrede von T. H. Buser), und eine niederdeutsche in mecklen-
burgischem Dialekt in der Sammlung Ln körten Tilg' von Fr. Cammin
(1903) hinzugefügt werden.
Quellenstudien zu Clianiissos Gedicliten. 27Ö
mutung gelten kann, so hätte er den obscönen Doppelsinn des
^Krugbrechens' durch die Wendung vom leichten und schweren
Gang zum und vom Brunnen und durch das Singen der Vögel
an der Quelle ersetzt. Dies letztere Motiv erinnert an die Gruppe
der ^NachtigalF- Dichtungen, von denen Boccaccios Novelle (De-
camerone Y, 4) und Vergiers ^RossignoF in Lafontaines Conies die
bekanntesten sind, wo es aber in obscöner Fassung erscheint.^
Man vergleiche:
Fauriel: Müller:
'Ch^re Marion, quand tu vas ä l'eau, 'Maria, wenn du Wasser holst,
dis-moi ä quelle heure. So sage mir, zu welcher Zeit,
Je serai sur pied, je t'attendrai; Damit ich geh' und warte dein,
et te casserai ta cruche. Dann brech ich dir den Krug entzwei,
afin que tu t'en retournes vide ä ta Und leer kömmst du zur Mutter
m^re.' — heim.' —
*Ma fille, oü est ta cruche?' — 'Mein Töchterchen, wo ist der
'Ma m^re, j'ai fait un faux pas, Krug?' —
je suis tomb^e et Tai cassde.' — 'Ich stolperte, mein Mütterchen,
'Ahl il n'y a point lä de faux pas, Und fiel und brach den Krug ent-
mais bien plutot quelque ^troite em- zwei.' —
brassade!' 'Dich hat ein Mann zu eng umarmt.'
Charaisso:
Unsre Quelle kommt im Schatten Mögen wohl geplaudert haben,
Duft'ger Linden an das Licht, Kam das Mädchen spät nach Haus:
Und wie dort die Vögel singen, Gute Mutter, sollst nicht schelten,
Nein, das weifs doch jeder nicht! Sandtest selbst ja mich hinaus.
Und das Mädchen kam zur Quelle, Geht man leicht zur Quelle, trägt man
Einen Krug in jeder Hand, Doch zu Haus ein schwer Gewicht,
Wollte schnell die Krüge füllen. Und wie dort die Vögel singen —
Als ein Jüngling vor ihr stand. Mutter, nein, das weifst du nicht!
Die möglicherweise vom Dichter vorgenommenen Änderungen
wären als wertvolle, künstlerisch gelungene zu bezeichnen, doch
kann das Gedicht in einen ganz anderen literarischen Zusammen-
hang gehören.
5. Herzog Huldreich und Beatrix.
Die diesem Gedichte zugrunde liegende, wohl als geschicht-
lich zu betrachtende Tatsache, die Heirat eines Herzogs und
' Darüber vgl. H. May, Die Behandlungen der Sage von Eginhard und
Emma, Berlin 1900 (Munckers Forschungen Nr. 16), S. 18. Ein franzö-
sisches Volkslied bei Weckerlin {L'ancienne Chanson populaire en France,
1887, S. 280) aus einer Sammlung von 1633, wo das Mädchen auch zum
Wasserholen fortgegangen ist, gibt eine sehr derbe Ausmalung des Vogel-
gesanges. In einem polnischen Volksliede ( Fo/Ä;5/«ec?er der Polen, von W. P.
übersetzt, Berlin 1833: 'Die Zigeunerin') findet das Mädchen nach der
Voraussage der Zigeunerin an der Quelle den erträumten Geliebten. Vgl.
auch das zweite der von Lessing im 33. Literaturbrief mitgeteilten
litauischen Volkslieder. Weiterab liegt Antreaus 'La cruche' in Lafon-
taines Contes mit anderer frivoler Schlufswendung.
280 Quellenstudien zu Chamissos Gedicliteu.
einer Bauernmagd, bezieht sich auf Herzog Ulrich XVIII. von
Böhmen und seine Gattin Bozena, alias Beatrix. Die Geschichte
wird, soweit mir böhmische Geschichtsquellen zugänglich sind,
in Dalimils, dem 14. Jahrhundert angehörender tschechischer Vers-
chronik und danach in der mittelhochdeutschen Bearbeitung {Bihl.
d. Lit Vereins in Stuttgart Bd. 48 [1859] S. 96) kurz erzählt. Sie
steht femer in der tschechisch geschriebenen, um 1540 entstan-
denen Böhmischen Chronik von Wenzeslaus Hagek und in der
deutschen Übersetzung von Johann Sandel (1596, Blatt 129 f.)
in gröfserer Ausführlichkeit. Wiederum kurz wird sie in späteren
lateinischen Chroniken berichtet, so in der Historia Bohemica des
Dubravius (Hanoviae 1602, S. 47), in der Chronica Bohemorum
von Cosma (Hanoviae 1607, S. 131) und in des Bartholdus Pon-
tanus' Bohemia Pia (Francofurti 1608, S. 16). Eine kurze Erwäh-
nung findet sich in A. W. Griesels Mährchen- und Sagenbuch der
Böhmen (Prag 1820) I, 139. Von diesen Darstellungen böhmischer
Geschichte ist die Chronik des Hagek -Sandel in der neueren
deutschen Literatur am bekanntesten geworden, denn sie enthält
die Hauptquelle der Libussa-Dichtungen, deren es vor und nach
Brentanos dramatischer Gestaltung viele gegeben hat. Sie erzählt
aus dem Jahre 1007, wie Herzog Udalricus bei der Rückkehr
von der Jagd im Dorfe Opuczena ein schönes Mädchen am
Brunnen waschend trifft. Er läfst sie durch seine Diener nach
ihrem Namen fragen, sie antwortet Bozena (auf der nächsten
Seite wird sie Beatrix genannt; Cosma erklärt: Bozenam, quod
Beatricem interpretatur). Sogleich ruft der Herzog aus: ^Glaubet
mir gewisslichen, das diese mein Weib und Gemahl werden mus.'
Am anderen Morgen tun die Diener des Herzogs den Eltern
des Mädchens den Willen des Herrschers kund, das Mädchen
wird auf ein Rofs gesetzt, an das Hoflager gebracht, in schöne
Gewänder gesteckt und von einem Priester mit dem Herzog ge-
traut. Die Adligen des Hofes, empört, eine Bäuerin als Fürstin
zu erhalten, werden durch einen Abgesandten bei dem Herzog
vorstellig, aber bestimmt abgewiesen. Die Bauernmagd, später
die Mutter des Brzetislaw, gewinnt bald durch ihre Herzensgüte
die Achtung aller Untertanen. Man könnte sich zwar denken,
dafs die behagliche, gemütvolle, wenn auch sehr breite Darstel-
lungsart des alten Chronisten Chamisso zur Behandlung angeregt
hätte; wahrscheinlich hat ihm aber eine andere, aus der Chronik
abgeleitete neuere Fassung vorgelegen, um so mehr, als im Ge-
dicht einige abweichende Züge vorkommen, so die Auslegung
der Namen (Ulrich = der Huldreiche, Beatrix = Heilesbringerin).
Das Ideelle des Stoffes, die Ausgleichung des Standesunterschiedes
zwischen hoch und niedrig, zog ihn gewifs an, ebenso das see-
lische Liebesmotiv: er männlich-entschlossen, sie bescheiden und
voller Liebreiz, so dafs die erste Begegnung über die Liebes-
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. 281
gemeinschaft entscheidet. Die dichterische Ausführung idealisiert
bedeutend. Der geschichtliche Ulrich war nichts weniger als ein
sentimentaler Liebesheld, denn bevor er die Bauerndirne heiratete,
verstiefs er seine Frau wegen ihrer Unfruchtbarkeit, und auch
die Heirat und Standeserhebung der Bozena ist im Grunde nur
ein Akt fürstlicher Selbstherrlichkeit. Chamisso tat daher von
seinem psychologischen Gesichtspunkt aus ganz recht, wenn er das
Geschichtliche fast ganz in den Hintergrund treten lieis. Er ge-
staltet ein lyrisches Duett, das zum gröfsten Teil aus einem fort-
laufenden Zwiegespräch der beiden Liebenden besteht, in Form
und Ton den Stimmungsbildern sehr ähnlich, die er ein Jahr
später in dem Zyklus ^ Frauenliebe und Leben' (1830) dichtete, so
dafs unsere Romanze als eine Art Vorstufe zu jener gröfseren
Dichtung angesehen werden kann. ' Die Worte der Beatrix:
Gott segne dich und die dereinst
Wird deines Himmels Stern I
kehren in 'Frauenliebe und Leben' wieder:
Nur die Würdigste von allen
Soll beglücken deine Wahl,
Und ich will die Hohe segnen,
Segnen viele tausend Mal.
Die vorstehenden Zeilen waren bereits geschrieben, als ich durch
eine Notiz im Euphorion (X, 677) auf die tschechisch geschriebene
Arbeit von Ernst Kraus: 'Böhmens alte Geschichte in der deutschen
Literatur' (Prag 1902) aufmerksam wurde. Hier wird (S. 266),
wie der Verfasser mir freundlichst mitteilt, neben mehreren an-
deren epischen und dramatischen Bearbeitungen des Stoffes in
betreff Chamissos auf Georg Neumarks ' Verhochteutschte Fryne
Bozens' (1651) und desselben 'Historischen Lustgarten' (1666) ver-
wiesen, doch bezweifelt Kraus, dafs dies die schwer zu fassende
Quelle des Gedichtes sei.
6. Don Raphaels letztes Gebet.
Als politischer Dichter hat Chamisso die grofsen Ereignisse
der Zeit, den Sturz Napoleons, die philhellenische Bewegung und
besonders die Entwickelung des Liberalismus in Frankreich und
den Ausbruch der Julirevolution mit ihren Anzeichen und Folgen
auf der Leier begleitet. Ja, er ist dem russischen Revolutionär
Bestujeff bis in die Schneefelder Sibiriens gefolgt, nachdem er
zuvor die Verbannung eines Anhängers Mazeppas, des Woina-
* Vgl. Tardel, Die Frau in der Lyrik Chamissos, im 'Janus, Blätter
für Literaturfreunde' Heft II (1904), S. 491 f.
282 Quellenstudien zu Chamissos Gedichten.
rowski, besungen hatte. Auch den spanischen Empörer Raphael
Riego y Nunez, den Helden der auch ins Deutsche übersetzten
Riegohymne (so von O. L. B. Wolff, Halle der Völker, Frankfurt
1837, II, 29), hat Chamisso im Liede gefeiert. In der Verherr-
lichung dieses Helden war ihm Wilhelm Müller vorangegangen,
mit dem er in der Verehrung Byrons, in der Neigung für Volks-
poesie und in der Begeisterung für die Freiheitskämpfe unter-
drückter Völker übereinstimmte. Riego wurde, nachdem er sich
durch Entfachung eines Aufstandes bis zum JFeldmarschall und
Präsidenten der Cortes emporgeschwungen hatte, im Kampf gegen
die Franzosen besiegt, gefangen genommen, der spanischen Re-
gierung ausgeliefert und am 7. November 1823 durch den Strang
hingerichtet. Die freien Rhythmen, die der Sänger der Griechen-
lieder in der ^Hymne auf den Tod Raphael Riegos' {Gedichte,
Leipzig 1868, II, 131) unter dem Eindruck des Ereignisses dem
Helden gewidmet hat, schildern in kühnem Bilde den Märtyrer
der Freiheit am Galgen, fordern in wilder Begeisterung Rache
und Gerechtigkeit und verkünden den Ausbruch des Freiheits-
kampfes — ^der Pöbel wird ein Volk\ Der Dichter trübt aber
den Eindruck durch eine Betrachtung über den Wankelmut des
Volkes, das an demselben Tage seinen Helden dem Galgen über-
liefert und seinem heimgekehrten König eine Ehrenpforte er-
richtet. Weit ruhiger und abgeklärter sind Charaissos, vier Jahre
später entstandene Riego-Terzinen, die in die Form eines Ge-
betes, das der Held vor dem Besteigen des Blutgerüstes an Gott
richtet, gekleidet sind. Da ist keine Aufforderung zur Rache,
nur Vergebung hat Riego für seine Gegner, die ihn aufs Scha-
fott gebracht haben, aber eine frohe Hoffnung auf das nahe
Morgenrot der Freiheit erfüllt ihn, denn sein Opferblut wird die
Herzen aller Spanier entflammen und zu endlichem Siege führen.
Die Form des Gebetes kehrt noch in der ^Stillen Gemeinde'
wieder, dort handelt es sich um die Freiheit der Religion, hier
um die politische Freiheit. Man wird sonst nicht häufig in der
deutschen Dichtung auf den spanischen Revolutionär stofsen,
Karl Nissel hat ihn zum Helden einer egmontähnlichen Tra-
gödie (1871) gemacht.
7. Die stille Gemeinde.
In Ergänzung meiner früheren Ausführungen über die drei
Gedichte von Prutz, Eichendorff und Chamisso über den Meeres-
kult der Bretagner hat K. Reuschel die gemeinsame Quelle dieser
Gedichte in einer Stelle von Souvestres 'Derniers Bretons' (1836)
nachgewiesen {Z. f. d. dtsch. Unt, 1900, S. 266). Dazu sei be-
merkt, dafs der fragliche Abschnitt aus Souvestre sich schon in
einem Aufsatz ^Les poesies populaires de la Basse-Bretagne^ in der
Quellenstudien zu Cliamissos Gedichten. 283
Revue des deux mondes 1834 (3^ sdrie, t. IV, p. 528) vorfindet,
also schon in dieser Form den Dichtern vorgelegen haben kann.
Das Gedicht von Prutz 'Bretagne' (1836) und Eichendorf fs 'Stille
Gemeine' hat Chamisso als Redakteur in den Musenalmanach von
1837 (S. 227 und 243) aufgenommen. Er kannte also bei der
Abfassung seines 1838 entstandenen und ein Jahr später im
Musenalmanach gedruckten Gedichtes, das die Titelgleichheit mit
Eichendorff teilt, aul'ser der Urquelle die Behandlungen seiner
beiden Vorgänger, und seine eigene Darstellung bewegt sich im
Gegensatz zu ihnen. In anschauhcher, poesievoller Art berichtet
Souvestre, wie sich in Crozon, einem kleinen Küstenort südlich
von Brest, dessen Häuser und Kirchen von den Revolutions-
heeren zerstört sind, nachts die Fischerbevölkerung in Booten
auf dem Meere versammelt und ein Priester angesichts der
Meereswogen feierlichen Gottesdienst abhält. Prutz schildert in
ernsten Trochäen, im einzelnen mit manchen neuen malenden
Zügen, diese ergreifende Handlung und fügt einen erschüt-
ternden Schhifs hinzu. Schon Souvestre hatte am Schlufs von
den 'grandes menaces de la mer', die der stillen Gemeinde drohen,
gesprochen und darauf ein wahres Ereignis aus Morlaix erzählt,
wo eine nächtliche Prozession von den Revolutionstruppen in
einem Hohlweg niedergemetzelt worden sei. Bei Prutz erhebt
sich plötzlich ein Unwetter, und die Ufer erglänzen von den
Wachtfeuern der kriegerischen Horden, im Wogengebrause und
Kugelregen geht die Gemeinde mitsamt ihrem Priester zugrunde.
Eichendorff erweitert in seinen balladenartigen Liedstrophen den
Vorwurf Souvestres novellenartig, vielleicht nach anderweitiger
Anregung, und stellt in Vater und Sohn den Royalisten und
den Jakobiner scharf umrissen nebeneinander. Im Gegensatz zu
Prutz und Eichendorff vermeidet Chamisso durch engeren An-
schlufs an Souvestre alles, was die Einfachheit der Szenerie, die
Feierlichkeit der Gottesverehrung und den Glauben an die Macht
dieses Gottes irgendwie beeinträchtigen könnte. Wir sollen der
Muse seiner Terzinen nach der Bretagne folgen, nicht um Bilder
des Blutes, an denen es bei Prutz und Eichendorff nicht fehlt,
sondern um Bilder des Friedens zu enthüllen; die Eigenart des
Kultus soll für sich allein wirken. Das Zwiegespräch zwischen
einem 'Mann des Schreckens^, der den Bauern wegen ihres Fest-
haltens am alten Glauben die Kirchen anzustecken droht, und
einem Greis, der stolz antwortet, dafs man ihnen nie die Sterne
und damit den Glauben an Gott rauben könne, entspricht dem
Gespräch eines Jakobiners und eines Gemeindevorstehers bei
Souvestre. Einige Einzelheiten weisen, wie Reuschel angeführt
hat, auf Eichendorff. Am Ende der ungestörten, heiligen Hand-
lung spricht der Priester ein längeres Gebet, das das Vaterunser
und biblische Wendungen paraphrasiert.
284 Quellenstudien zu Cliamissos Gedicliten.
8. Das Lied von der Weibertreue.
Der Stoff dieses Gedichtes führt vom Altertum über Lafon-
taine zu Chamisso. Petronius, der Günsthng Neros, hat dieser
Erzählung von vermutlich hohem Alter zuerst literarische Gestalt
gegeben. Lessing, der sich mit der Dramatisierung des Stoffes
beschäftigte, hat sie mit Recht die bitterste Satire genannt, die
jemals gegen den weiblichen Leichtsinn geschrieben sei. Eine
Matrone in Ephesus will, untröstlich über den Verlust ihres
Gatten, in einem Grabgewölbe des Hungertodes sterben. Ein
Soldat, der in der Nähe einen toten, am Galgen hängenden Räuber
bewacht und eines Nachts Licht in der Grabkammer bemerkt, eilt
hinzu, reicht mitleidig zuerst der Magd, dann der klagenden Frau
Speise und Trank und gewinnt schliefslich ihre Liebe. Als der
Soldat entdeckt, dafs der Leichnam inzwischen gestohlen ist, will
er sich selbst töten, da er nach dem Gesetz dem Tode verfallen
ist. Aber die Witwe rettet ihren lebenden Gatten, indem sie
den Körper des toten an den Galgen hängen läfst. Dieser Er-
zählung verdankt Lafontaine den Stoff seiner Conte 'La Matrone
d'^phese', in der das antike Kolorit nach Möglichkeit gewahrt
bleibt. Der gewandte Dichter lehrreicher Fabeln und frivoler
Contes erzählt die Geschichte in f liefsenden, prickelnden Vers
libres, anfangs ziemlich ausführhch, dann schnell zu dem effekt-
vollen Schlufs eilend; ironische Bemerkungen über die Untreue
und den Wankelmut der Frauen durchziehen das Ganze. Der
Dichter will das Vergehen dadurch mildern, dafs die Sklavin den
sittenlosen Vorschlag macht und die Herrin nur einwilligt. Damit
stimmt denn auch die moralische Auffassung, die der Dichter
des Zeitalters Ludwigs XIV. ungeschminkt genug am Ende verrät,
und die auf eine Rechtfertigung des Verhaltens der Witwe hinaus-
läuft — mieux vaut goujat debout qu'empereur enterre. Lessing und
Heinse, der Übersetzer Petrous, haben darüber nicht viel anders
geurteilt. Es scheint, dafs Chamisso diese Ansicht ebenfalls ge-
teilt hat, wenn auch nur vom Standpunkt des objektiven Denkers
aus. Denn er hat seinem Gedicht die Anfangs verse von Lafon-
taines Gedicht als Motto vorangestellt, in denen die Erzählung
als 'un conte use, commun et rebattu' bezeichnet wird. Das rein
Stoffliche mag Chamisso ebenfalls aus dem französischen Fabu-
listen geschöpft haben, doch läfst die grofse Verschiedenheit der
Bearbeitung sowie einige neue Nebenmotive auf Benutzung einer
anderen Quelle schUefsen. Er hat zwar den Inhalt beibehalten,
aber die Personen sind von Ort uad Zeit losgelöst und sehr
modernisiert — es gibt da nur die Frau und deren Amme, der
erste Mann der Frau ist ein Hauptmann, der Soldat ein Lands-
knecht. Wie bei Lafontaine ist es die Amme, die den Ratschlag
des Leichentausches gibt, doch will diese Milderung gegen andere
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. 285
rohe Züge nicht viel bedeuten. Einige Verse, wie 54 f., 61 f.
und 83, könnten noch einen wörtlichen Anklang an die Conte
enthalten. In zwei sekundären Motiven ist Chamisso über Petron-
Lafontaine hinausgegangen und nähert sich in dem einen den
mittelalterlichen Darstellungen des Stoffes. Ein Zug, der die
Liederlichkeit der Witwe bis zur Gemeinheit steigert, findet sich
schon in der Darstellung des Romans von den Sieben weisen Mei-
stern. In der französischen und deutschen Fassung desselben
hat der die Wache haltende Ritter (Landsknecht) bemerkt, dafs
dem Räuber zwei Zähne fehlen, worauf die Frau der Leiche ihres
Gatten zwei Zähne mit einem Stein ausschlägt, um den Betrug
zu verdecken. Ahnliches berichten auch die ^Cento Novelle An-
tiche' (No. 59), die Chamisso für den 'Vertriebenen König' be-
nutzte. Aufserdem treffen wir ein bisher nicht belegtes Motiv
im Gedicht an: der Hauptmann hat den am Galgen hängenden
Räuber verfolgt und ist im Kampfe gefallen, der Landsknecht
erkennt in ihm am Schlufs seinen früheren Führer.
In der künstlerischen Behandlung entfernt sich Chamisso
ebenfalls um ein bedeutendes von Lafontaine. Er übernimmt
nichts von der Eleganz und Grazie, nichts von den Reflexionen,
nichts von der verschleierten Frivolität des Franzosen. Rabelais
oder Juvenal hätten eher bei dem Gedicht Pate stehen können
als Lafontaine. Chamisso wendet den rücksichtslosesten Realis-
mus an, der die menschliche Natur als rohe Begierde enthüllt.
Gleichsam als sezierender Naturforscher, als empirischer Philosoph
führt er die Novelle auf die zwei ürtriebe der menschlichen
Natur, auf Hunger und Liebe, zurück. Die dafür gewählte Form
ist ein Mittelding zwischen der grotesken Schauerballade und
der komisch-satirischen Verserzählung, alles ist halb barock und
abgerissen, halb grausig -furchtbar, mit Sarkasmus untermischt,
hingeworfen. Die strophische Einteilung begleitet der Refrain,
ähnlich wie im 'San Vito'. Die einleitenden Strophen führen
uns unmittelbar in die Situation ein, hier der am Galgen Posten
stehende Soldat, dort die im Grabgewölbe neben ihrem toten
Mann trauernde Frau. Der erste Teil des Gedichtes baut sich
ganz auf dem Thema vom Hunger auf. Dazu pafst der dreizehn-
mal, sei es von der Amme, sei es von der Frau, wiederholte Re-
frain 'Es plagt mich sehr der Hunger', in den auch der Soldat
miteinstimmt. Mit besonderem Gefallen führt der Dichter aus,
wie der derb-gesunde Landsknecht sein einfaches Mahl hervor-
zieht, mit Behagen ifst und trinkt und den hungernden Frauen
davon etwas anbietet, wie die Amme zuerst etwas nimmt und
ihrer Herrin zuredet. Sobald der Hunger gestillt ist, geht die
Schilderung auf das Liebesthema über, wobei der passende Re-
frain 'Du lieber, lieber Landsknecht' zehnmal von den Lippen
der Frauen wiederholt wird. Der Soldat ist ein stürmischer Ver-
28(3 Quellenstudien zu Chamissos Gedichten.
führer und gewinnt das Weib bald, doch deutet Chamisso nur
an, was Lafontaine unzweideutig sagt: Elle ecoute un amant, eile
en fait un mari. Diese tierisch sinnliche Liebe kennt keine
Schranken, und der Leichentausch erfolgt ohne viel Über-
redungskunst. Dann schliefst der Dichter mit den höhnischen
Worten *
Und streift nun der Wind die Heide entlang,
So geben die Knochen gar guten Klang
Zum Lied von der Weibertreue.
Der Dichter ist zu sehr Künstler, er gibt weder eine moralische
Rechtfertigung noch eine Verurteilung. Das Gedicht ist meines
Erachtens nicht so schlecht, wie der Dichter selbst nach einer
Brief stelle vom 10. April 1830 annahm, wenn er schreibt: ^Weiber-
treue' und ^Frühlingslied' sind nur mitgegangen (nämlich in den
Berliner Musenalmanach von 1830), um Zeugnis abzulegen, dafs
das Beste schon bei den Akten lag {Deutsche Dichtung IV, 303). *
9. Don Juanito Marques Verdugo de los Leganes,
spanischer Grande.
Diese umfangreiche Terzinendichtung, die schon durch ihre
prunkvolle Überschrift auf den spanischen Adelsstolz hinweist,
von dem sie handelt, ist unzweifelhaft nach der Novelle 'El ver-
dugo' von Balzac geschaffen worden, wie bereits Xavier Brun in
seiner Chamisso - Biographie angemerkt hat.^ Die Novelle ist
nach Charles de Lovenjoul (Histoire des oeuvres de H. de Balzac,
Paris 1879, S. 183) im Oktober 1829, nicht 1820, wie die defini-
tive Ausgabe fälschlich angibt, entstanden und zuerst unter dem
Titel 'Souvenirs soldatesques. El Verdugo; guerre d'Espagne (1809/
in der Zeitschrift 'La Mode' (29. Januar 1830) erschienen. Die
hier gegebene Bemerkung: Le respect du ä des infortunes contem-
poraines oblige le narrateur ä changer le nom de la ville et de la fa-
mille dont il s'agit würde auf die geschichtliche Wahrheit der Er-
zählung, wenigstens ihrem Kern nach, schliefsen lassen. Die
Novelle ging 1831 in die Sammlung der 'Romans et Corites philo-
sophiques' über, woraus sie Chamisso vermutlich kennen lernte,
der sie im Mai 1832 bearbeitete und sie im folgenden Jahre im
Musenalmanach veröffentlichte, jedoch ohne Quellenangabe. Im
Jahre 1846 nahm Balzac die Novelle in die erste Ausgabe seiner
*' Über die Stoff geschichte der Matrone von Ephesus vgl. Benfey,
Pantschatantra I, 460, und Ed. Grisebach, Die Wanderung der Novelle von
der treulosen Witwe durch die Weltliteratur, Berlin 1886, besonders S. 79, 91,
104 und 127; Er. Schmidt, Lessing IT, 81 f.; ferner R. Köhler, Kl. Schriften
ed. Bolte II, 564 und 583.
^ Eine unbedeutende Nachahmung in Prosa gab ohne Quellenangabe
vor etwa zwei Jahren S. Dommershausen im Bremer Courir unter dem
Titel ^Der Stammhalter'.
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. 287
grofsangelegten 'Comedie humaine' und zwar in den zweiten Teil,
den 'Etudes phüosophiques' , auf {(Euvres completes Band XYI,
S. 214 f.). Man mufs den philosophischen Grundgedanken der
Dichtung, der indes nicht aufdringlich hervortritt, das starre Fest-
halten des Menschen an der Erhaltung seiner Rasse und seiner
Familie, im Auge behalten, um an der grausigen Dichtung, der
grausigsten, die Chamisso behandelt hat, Interesse gewinnen zu
können. Nur damit ein einziger das Geschlecht fortpflanzen
kann, wird eine ganze spanische Grandenfamilie hingeschlachtet;
es ist vielleicht die stärkste Geschichte, die je von dem sprich-
wörtlichen spanischen Adelsstolz erzählt worden ist. Zugleich
ist sie ein entehrendes Beispiel französischer Grausamkeit, ein
Punkt, den Balzac freilich nicht betont, denn im Grunde zwingt
doch der französische Machthaber den Spanier zum Vater- und
Familienmord.
Chamisso beginnt abweichend von Balzac mit dem für
deutsche Leser nötigerem Hinweis auf die Erhebung der Spanier,
als Napoleon I. den usurpierten Thron Spaniens seinem Bruder
Joseph gegeben hatte. Balzac fängt seinerseits sogleich mit einer
Schilderung des Schlosses Menda, dem Schauplatz der Begeben-
heit, an; es liegt auf einem Felsen, zu Füfsen die kleine Stadt,
in der Nähe das Meer, dessen leises Rauschen man vernimmt,
darüber ein schöner, klarer Abendhimmel. Dann erzählt er: Hei-
tere Tanzweisen ertönen aus dem Schlosse des altadligen Marquis
de L^gan^s, ein französischer Offizier steht allein, in Gedanken
versunken, auf der Terrasse, es ist Victor Marchand. Da der
kommandierende General G..t..r eine geheime Empörung der
Spanier befürchtet und eine gleichzeitige Landung der mit Spanien
verbündeten Engländer an der Küste möglich ist, so hat er ein
Bataillon Besatzungstruppen unter Leitung Victor Marchands
nach Menda gelegt. Obwohl dem Marquis nicht ganz zu trauen
war, hat Victor die freundliche Einladung auf das Schlofs ange-
nommen. Während der Festlichkeit haben ihn die traurigen,
mitleidsvollen Blicke Claras, der ältesten Tochter des Marquis,
nachdenklich gestimmt; als Sohn eines Pariser Epiciers kann er
sich auf die Hand der adelsstolzen Marquistochter kaum Hoff-
nung machen. Denselben Inhalt bringt Chamisso (V. 7 — 24),
wobei der eine Gedanke mehr, der andere weniger hervortritt,
nicht immer so präzise und nicht in derselben Reihenfolge wie
in der Novelle. Der französische Offizier heifst nur Victor, seine
bürgerliche Abkunft wird nicht erwähnt, der Name des Generals
wird begreiflicherweise ausgelassen. Chamisso nimmt abweichend
von Balzac von vornherein eine innige Liebesneigung Victors zu
Clara an und setzt dies Motiv durch die ganze Dichtung fort.
Plötzlich sieht Victor, fährt Balzac fort, überall Lichter auf-
blitzen, obwohl er dies trotz der ^ßte de Saint Jacques' verboten
288 Quellenstudien zu Chamissos Gedichten.
hatte, und ein ihn begleitender Soldat teilt ihm seine Vermutung
über einen bevorstehenden Aufstand mit. Chamisso bringt diese
Beobachtungen zusammen in der Anrede des Soldaten an den
Offizier, die Feuer brennen ^wider Ordnung^ zur Feier der 'Jo-
hannisnacht' (V. 29). Den Ausbruch der Empörung, die Tötung
des Soldaten neben Victor, die drohende Landung der Engländer
schildert Chamisso ein wenig ausgeführter als die Vorlage. Clara
mahnt den fast umzingelten französischen Offizier zu schleuniger
Flucht auf dem unten am Felsen bereitstehenden Andalusier
ihres Bruders Juanito (= Cham. V. 46 f.). Der Schauplatz der
Handlung wird für kurze Zeit in das Hauptquartier des Generals
G..t..r verlegt, wohin sich Victor hat retten können. Den knappen
Bericht seiner Niederlage 'Je vous apporte ma tete' gibt Chamisso
gut wieder:
*Ich bringe dir mein Haupt, mein Haupt allein,
Sonst keines, was du mir vertrauet hast.'
Der General verzeiht, indem er dem Kaiser das Urteil über den
Offizier überläfst, rückt schnell zum Entsatz heran, und da die
Engländer die erwarteten Truppen nicht landen, wird Menda
schnell gewonnen. Da die Spanier den Krieg 'ä la fagon des
sauvages' führen, beschliefst der General, eine beispiellose Rache
zu nehmen: zweihundert Soldaten werden sofort erschossen, die
Stadt wird nur durch die Übergabe des Schlosses und seiner
Bewohner vor der Plünderung bewahrt. Von diesen militärischen
Mafsregeln teilt Chamisso nur die wichtigsten Züge mit. Die
Hauptrache ist für die Familie der L^gan^s aufgespart, alle Mit-
glieder werden geknebelt in den Tanzsaal geführt, und der General
befiehlt einem Henker, so viele Galgen zu errichten, als das
Schlofs Insassen hat. Chamisso betont mehr als Balzac das Mit-
leid, das dies harte Schicksal der Familie verdient, selbst der
Henker rüstet sich mit Widerstreben zu einem so ruchlosen Ver-
brechen. Dann naht sich Victor dem General mit einem Gnaden-
gesuch, dieses Zwiegespräch zwischen dem gerührt bittenden,
jungen Offizier und dem grausamen, sarkastischen General ist
bei Balzac von einer schlagenden Kürze, die Chamisso in gleich
treffender Weise zum Ausdruck bringt (V. 106 — 128). Die Bitte,
wenigstens einem einzigen Spröfsling als Träger des Familien-
namens das Leben zu schenken, wird unter der furchtbaren Be-
dingung gewährt, dafs derselbe das Amt des Henkers an den
anderen übernehme. Victor teilt zunächst Clara die unmensch-
liche Forderung mit. Zwischen der Erteilung des grausamen Be-
fehls und seiner Ausführung schiebt Balzac geschickt als retar-
dierendes Moment eine kurze Charakteristik der einzelnen Fa-
milienmitglieder ein, die Chamisso fortläfst. Clara ist in Gestalt,
Teint, Haar und Auge ganz Spanierin, der älteste Sohn Juanito
hat die Züge der altspanischen Grandezza, Philippe ähnelt Clara,
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. 289
der achtjährige Raphael mit einem gewissen Ausdruck römischer
Stand haftigkeit erinnert Balzac an die Kinderbilder Davids, und
der alte weifshaarige Marquis gemalmt ihn au die Porträts spa-
nischer Granden von Murillo. Clara gewinnt zuerst die Fassung
wieder, stürzt zu den Fülsen ihres Vaters und bittet ihn, Juanito
zu befehlen, das Schreckliche auszuführen, der aber abweisend
mit dem Kopfe schüttelt. Erst als Clara ihn anfleht, sie nicht
den Franzosen auszuliefern, was Chamisso im Hinblick auf Victor
weiter ausführt, erst als ihm die ganze Familie zu Füfsen liegt
und der Vater das entsetzliche ^Ich befehle es dir' ausstöfst, gibt
er der Mutter durch ein Zucken der Augenbrauen seine Ein-
willigung kund. Der Schlufs der Novelle bei Balzac sei wört-
lich mit einigen Varianten mitgeteilt:
Clara 8'^lan9a la premi^re vers son frfere. 'Juanito, lui dit-elle, aie
pitie de mon peu de courage! commence par moü' En ce moment, lea
pas pröcipit^s d'un homme retentirent. Victor arriva sur le lieu de cette
sc^ne. Clara ^tait agenouill^e, d^jä son cou blanc appelait le cimetierre.
L'officier pälit, mais il trouva la force d'accourir. Le g^n^ral t'accorde
la vie si tu veux m'^pouser, lui dit-il [ä voix bassel. L° Espagnole lan§a
sur l'officier un regard de m^pris et de fiert^. — Allons, Juanito! dit-elle
d'un son de voix profond. Sa t^te roula aux pieds de Victor. La mar-
quise de L^gan^s laissa ^chapper un mouvement convulsif en entendant
le son lourd du cimetierre [le oruit] ; ce fut la seule marque de sa dou-
leur. — Suis-je bien comrae 9a, mon bon Juanito? fut la demande que
fit le petit Raphael [Manuel] ä son frfere. — Ah! tu pleures, Mariquita!
dit Juanito ä sa soeur {vgl. Cham. V. 211). — Oh! oui, r^pliqua la jeune
fille. Je pense ä toi, mon pau vre Juanito ; tu seras bien malheureux sans
nousl Bientöt la grande figure du marquis apparut. II regarda le sang
de ses enfants, se tourna vers les spectateurs muets et immobiles, ^tendit
les mains vers Juanito, et dit d'une voix forte: Espagnols, je donne ä
mon fils ma b^n^diction paternelle! — Maintenant, marquis, ... frappe
sans peur, tu es sans reproche. Mais, quand Juanito vit approcher sa
m^re, soutenue par le confesseur: Elle m'a nourri! s'^cria-t-il. Sa voix
arracha un cri d'horreur ä l'assembl^e. Le bruit du festin et les rires
joyeux des officiers s'apais^rent ä cette terrible clameur. La marquise,
comprenant aue le courage de Juanito ^tait ^puis^, s'^langa d'un Ibond
pardessus la balustrade et alla se fendre la t§te sur les rochers. Un cri
d'admiration s'^leva. Juanito ^tait tomb^ övanoui.
Hier zeigt sich Balzac als der gröfsere Künstler, indem er
bei den einzelnen Hinrichtungen nur ganz kurz verweilt und
durch eine Reihe rührender und heldenhafter Züge — die stolze
Ablehnung der Bewerbung Victors durch Clara, die naiven Aufse-
rungen der jüngeren Geschwister Juanitos, die Erteilung des
väterlichen Segens an diesen und seine Ernennung zum Marquis,
seine Mutlosigkeit beim Anblick der Mutter und deren Selbst-
mord — das Grausige der Szene mildert. Chamisso ergeht sich
leider in einer zu breiten Ausmalung der einzelnen Vorgänge
(V. 193 — 268); von Mitgefühl überwältigt, sieht er bei jeder Hin-
richtung das Beil auf den Block fallen und dichtet eine Terzine
darüber. Als Ganzes betrachtet, würde Chamissos Nachahmung,
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 19
290 Quellen Studien zu Chamissos Gedichten.
so gut auch einzelne Abschnitte gelungen sind, durch straf-
feres Zusammenziehen der einzelnen Handlungen sehr gewonnen
haben.
10. Idylle (aus der Tongasprache).
Herder glaubte zwar in seiner Volksliedersammlung wirklich
echte 'Lieder der Wilden^ geben zu können, aber seine aus dem
Französischen des Parny übertragenen madagassischen Lieder
sind wahrscheinlich eine Fälschung ä la Macpherson. Goethe
übersetzte aus Montaignes Essais und zwar aus dem über die
Kannibalen handelnden Kapitel zwei aus Brasilien stammende
wirkliche Volkslieder dieser Art ('Todeslied eines Gefangenen'
und das 'Liebeslied eines amerikanischen Wilden'). Doch erst
Chamisso konnte auf diesem so schwer zugänglichen Gebiete
wirklich an der Quelle schöpfen. Er hat uns aus den von ihm
besuchten Gegenden des Stillen Ozeans, wenn wir von den win-
zigen Liedchen aus Radack absehen, drei Volkslieder aus dem
Malaiischen und ein mehr episches Gedicht aus der Tongasprache
vermittelt. Den malaiischen Nachbildungen (1822) setzte er eine
kurze Vorbemerkung voraus, in denen er die Pantuns, so werden
die Volkslieder dieses Volksstammes genannt, mit deutschen
Volksliedern, namentlich dem Schnadahüpfl-Typus, verglich und
auf das Gemeinsame des Inhalts und der Form hinwies, doch
reichte für eine eingehende Vergleichung das vorhandene Material
nicht aus. Er benutzte dazu hauptsächlich William Marsdens
Orammar of the Malayan language (London 1812), besonders den
Abschnitt über die Metrik der Pantuns. Hier findet sich auch
der Urtext und eine englische Übersetzung des in der Einlei-
tung mitgeteilten Liedchens 'Kdlau tüan\ Letztere lautet; 'If
you precede me in Walking, seek for me a leaf of the kamböja-flower
{plumeria ohtusa, planted about graves); if you should die hefore me,
await my Coming at the gaie of heaven' (S. 132). Es zeigt den
Dichter, wenn er für die genannte Pflanze in der Übertragung
'Rosmarin' einführt. Später gab Chamisso in den 'Bemerkungen
und Ansichten' zur Weltreise eine allgemeine Charakteristik von
Land und Leuten des malaiischen Sprachgebietes. Die dort ge-
nannten Schriften (Werke'^ IV, 49), namentlich die Äsiatic Be-
searches und das Äsiatic Journal, dürften für die Feststellung der
Originale der drei übersetzten Lieder ('Genug gewandert'; 'Die
Korbflechterin'; 'Totenklage') durchzumustern sein.
Auch über die gleichfalls zum malaiischen Sprachsystem ge-
hörende Tongasprache hat der Dichter in den 'Bemerkungen und
Ansichten' in Kürze gehandelt {Werke ^ IV, 57 f.). Das grund-
legende Werk über diese Sprache ist Mariners Account of the
natives of the Tonga Islands, herausgegeben von John Martin (Lon-
don, 2. Aufl., 1818), das in seinem ersten Teile die Erlebnisse
Quellenstudien zu Chamissos Gedichten. 291
und BeobachtuDgen des Kapitäns Mariner enthält und eine Quelle
für Byrons ^InseF ist, in seinem zweiten eine ausführliche Gram-
matik und ein Lexikon der Sprache der Eingeborenen bietet.
Hier nun findet sich eine freiere englische Übersetzung (I, 293 f.,
Kap. 9) und der Originaltext nebst wörtlicher englischer Wieder-
gabe (Bd. II, 377 f.) der von Chamisso gelieferten Nachbildung.
Mariners Buch ist auszugsweise in der 'Neuen Bibliothek der wich-
tigsten Beisebeschreibungen zur Erweiterung der Erd- und Völkerkunde',
herausgegeben von F. J. Bertuch, ins Deutsche übersetzt erschienen
(Weimar 1819). Hier werden (S. .269 f.) Zweifel geäufsert, ob
etwa Mariner bei dem Tpngalied Änderungen vorgenommen hat.
Die wörtliche englische Übersetzung lautet:
We remained about Vavaoo Tooa Licoo, when said to us the women.
Let US go (a) walk to Licoo, * that (we may) behold the going down
(of j the sun : we (will) listen to the singing (of) the birds, and the lamen-
tations (of) the wood-pigeon.
We (will) gather flowers near the precipice at Matawto.
We (will) remain, and we (will) share out the provisions brought us
from Licoo One.
We will bathe in the sea, and (will) rinse in the Vaoo Aca, and we
(will) anoint (with) oil sweet-scented : we (will) string flowers, and we
(will) plait the chi^ (which) we (have) plucked from Matawto.
Whilst (are) standing we upon the precipice at Ana Manoo, we (will)
look down without breath, in the distance (upon) the sea below.
As our minds (are) reflecting, the great wind whistles towards us
from the great (lofty) Toatrees^ in the Inland upon the plains.
Is (to) me (the) mind large, beholding the surf below, endeavouring
in vain to tear away the rocks firm.
Our State, when thus employed, will be indeed happy in comparison
with the State of those engaged in the common affairs of life [at the
the Mooa].'*
(It) 18 evening, (let) us go to (the) Mooa: harkl there sounds to me
the band of singers: are they practising a bo-oola^ to perform to night
at the Maläi 'at Tanea?
Let US go there.
Not shall we think (by periph. we shall deeply think) to our former
State (of affairs) whilst not yet (had) torn the war our land.
Alas! (it) is a thing terrible, the war; behold is bushy (over-grown
with weeds and bushes) the land, and are dead sadly many men.
Are remaining unsettled there our chiefs ; not shall they much wander
singly (by) the moonlight to their mistresses.
Desist US reflecting: how can it be helped, is (at) war our land!
The land (of) Fiji has brought the war to our land (of) Tonga, and
(as) it is, let us act accordingly like them (i. e. like the Fiji people).
Desist US (being) melancholy (i. e. let us be merry), we (shall be)
dead perhaps to-morrow.
Let US dress (with) the chicoola, let us bind our waists with tapa
(of) gnatoo:® we (will) put on the head-dress (made of) strung jiale-
* Bei Chamisso in der Anmerkung erklärt. ^ chi, Name einer Pflanze. ' Eine
Äa«»naW (casuarina). * Hauptstadt -=2 nth^'^ vgl. Chamissos Anmerkung] der Absatz ist
nur in der etwas freieren Übersetzung wiedergegeben. ' Eine Art Fackeltanz. * sub-
stance uaed for closing, prepared from the back of the chiuese paper mulberry
tree, and imprinted.
19*
292 Quellenstudien zu Chamissos Gedichten.
flowers; and (put on) our neck-laces (of) the hooni-flower to shew off
our sun-coloured skins.
Listen to the applauses (of) the multitude (i. e. mark how they
praise us).
Now is ended the oola; and (they) are distributiug the materials (of)
our feast: let us go to-morrow to the Mooa.
Not (are) eager towards us (meaning, are very eager) the (young)
men begging our wreaths (of) flowers, and thus their flattery towards us.
They (are) not beautiful, our (young) women (coming) from Licoo,
not good their skins sun-coloured (by periph. our young women are ex-
ceedingly beautiful, the complexion of their skins is very good . . .) ; is to
be compared their fragrance, with the precipice at Mataloco, and Vy-booa :
1 am anxious to go Licoo: let us go (we) ourselves to-morrow.
Chamisso erkannte in der Widmung an Ottilie von Goethe,
in deren Zeitschrift 'Chaos' das Gedicht zuerst erschien, ausdrück-
lich die Schwierigkeit an, in einer Kultursprache die ^kinder-
gleichen Laute der Natur' nachzuahmen. Den Inhalt und das
eigenartige Gepräge des Liedes hat er in seinen reimlosen, fünf-
füfsigen Trochäen getreu wiedergegeben, im Ausdruck und Satz-
bau mufste er sich erklärlicherweise gröl'sere Freiheiten gestatten,
und die inhaltsreiche, sprachliche Kürze des Originals konnte
nicht erreicht werden. Wenn er eine Stelle in Anlehnung an
das Horazische 'Carpe dient' mit 'Lasset uns des flüchtigen Tags
geniefsen' (V. 44) übersetzt, so ist das eine etwas zu weit gehende
Freiheit. Das Gedicht selbst ist treffend als 'Idyll' bezeichnet.
Es ist ein Stilleben aus Polynesien mit allem Spezifischen dessen,
was die Natur des Bodens und die einfache Kulturstufe seiner
Bewohner bieten kann, und man versteht es, wie sich Chamisso
der mit Unrecht sogenannten 'Wilden' vorurteilsfrei annehmen
konnte.
Bremen. H. Tardel.
Hrotsvits literarische Stellung.
(Schlufs.)
6. Der Mimus im Ruodlieb.
Hier wäre die Stelle gekommen, wo wir uns der Zeitfolge
nach endlich zu Hrotsvit wenden könnten. Wir wollen jedoch
lieber fürs erste an ihr vorübergehen, um eine spätere Dichtung
zu betrachten, die ganz und gar vom Mimus durchtränkt ist.
Ich meine den Ruodlieb. Es kann hier nicht meine Aufgabe
sein, den alten Streit für oder wider Froumund aufzunehmen,
obwohl auch diese Sache vielleicht durch das Ergebnis, das wir
erzielen werden, gefördert werden könnte. Uns interessiert hier
nicht die Frage: wer war der Dichter? sondern die andere: wie
hat er gearbeitet? Und selbst da werden wir uns auf die eine
Hälfte beschränken und die andere auf später versparen müssen.
Hier soll nur kurz das Resultat der Analyse hingestellt werden.
Die Formel lautet: die Szenen der Rahmenerzählung sind mög-
lichst nach dem Vorbilde des Waltharius komponiert — das
hat Kögel wenigstens hier und da geahnt; die Lehren des
Königs dagegen und die Binnen erzählung stammen vom Mimus
— das hat Seiler gesehen, aber nicht genügend ausgenutzt.
Zuvor aber ein Wort über Seilers Ausgabe. Sie ist bei
ihrem Erscheinen nicht sehr freundlich behandelt worden, und
es ist ja wahr, dafs Laistner mit seiner Anordnung der Bruch-
stücke gegen Seiler im wesentlichen recht behalten hat Aber
in der Sauberkeit des Textes, in der liebevollen Erforschung
und Feststellung von tausend kleinen Einzelheiten, an denen
denn doch schliefslich wieder das Ganze hängt, ist sie geradezu
mustergültig, zumal wenn man die Verhältnisse in Anschlag
bringt, unter denen sie entstanden ist, und worüber die Vorrede
bewegliche Auskunft gibt. Auch was die Weise betrifft, wie all
die novellistischen Stoffe, die der Dichter teils bearbeitet hat,
teils bearbeiten wollte, ihm zugekommen sind, zeigt Seiler durch-
aus richtigen Instinkt. Zuerst führt ihn freilich (S. 73) die
nahe Verwandtschaft des irisch - cornischen Märchens mit der
Erzählung vom Rotkopf auf den mehr als abenteuerlichen Ge-
danken, die Verbindung der oberdeutschen Klöster mit Irland
sei schuld; er läfst ihn aber sogleich wieder fallen, um auf
mimi und ioculatores als Vermittler zu raten — von denen er
nur nicht genug weifs.
294 Hrotsvits literarisclie Stellung.
Charakteristisch ist zumal die Geschichte mit dem Rotkopf,
Sie umfafst die drei ersten Weisheitslehren:
1. trau keinem rothaarigen Mann;
2. reite nie durchs Kornfeld, auch wenn die Strafse
schmutzig ist;
3. kehre da ein, wo der Mann jung, die Frau alt ist, nicht
umgekehrt.
Als Ruodlieb nicht mehr weit von Hause ist, drängt sich
ein Rotkopl ihm als Begleiter auf und benutzt die erste Ge-
legenheit, die sich bietet, dem Ritter seinen Mantel zu stehlen.
Als sie beide zugleich ins Dorf einreiten, hält Ruodlieb sich
auf der Landstrafse; dem Roten ist der Weg zu schlecht, er
reitet durch die Saat, kriegt Prügel und schimpft hinterdrein.
Als sie Herberge suchen, kehrt Ruodlieb bei einem jungen
Knecht ein, der nach des alten geizigen Bauern Tode die Witwe
geheiratet hat; der Rote fragt, ob es nicht einen alten Kerl
im Dorfe gebe, der eine hübsche junge Frau habe — und auch
er findet, was er sucht. Das Folgende wird von dem Gegen-
satz in den beiden Bauernhäusern beherrscht; wir brauchen
hier nur die Herberge des Roten. Der poltert, verlangt als-
bald in frechem Ton zu seiner *Base' {neptis^ 'Niftel', im weiteren
Sinne als unser * Nichte'), der er Botschaft von den Eltern
bringe. Der Bauer glaubt erst, mit einem Verrückten zu tun
zu haben, gibt aber schliefslich der Gewalt nach und ruft seine
Frau heraus. Die ist sofort mit dem Roten im Einverständnis,
und er verabredet mit ihr, er wisse ihr einen frischen jungen
Burschen, der sie 'erlösen' wolle. Sie solle sich bereit halten
und in der Frühe auf ein gegebenes Zeichen heraustreten; dann
werde der sie entführen. Zum Lohn für seine Vermittelung
solle sie sich vorher, gleich diese Nacht, ihm selber hingeben.
Sie schlägt mit Freuden ein und übertrumpft seine Worte noch.
Im Hause kümmert sie sich nicht ums Abendbrot, sondern hat
nur Sinn für ihre verliebten Schäkereien. Der Mann verbietet
ihr solche Frechheit; aber es ist umsonst. Er tut, als gehe er
auf den Abtritt; in Wirklichkeit beobachtet er die beiden durchs
Astloch, während sie, nach ihrer Meinung unbeobachtet, ihr
Spiel noch ärger treiben. Der Mann kommt wieder herein und
fährt mit einem Donnerwetter dazwischen; auch jetzt zeigt das
Pärchen nicht die leiseste Spur von Scham. — Das Folgende
ist verloren: wir sehen, der Alte hat das Paar in der Nacht in
flagranti ertappt und ist dabei von dem Roten auf den Tod ver-
wundet worden. Er läfst den Priester rufen, beichtet, verzeiht
seinen Mördern und stirbt. Bei der Verhandlung unter der Dorf-
linde, wobei auch Ruodlieb erscheinen und Zeugnis geben mufs,
wird der Frau, die in Tränen zerfliefst und sich selber anklagt,
das Leben geschenkt; das Schicksal des Roten scheint besiegelt,
Hrotsvits literarisclie Stellung. 295
doch hält Kögel (I 380) es *bei der grofsen Humanität und
Mildherzigkeit des Dichters nicht für unmöglich, dafs Ruod-
liebs Zeugnis für ihn mildernde Umstände erwirkt habe', zumal
dadurch die Anklage auf Blutschande widerlegt worden sei.
Soweit der Inhalt in grofsen Zügen. Hier haben wir den
alten Ehebruch smimus. Gleich die erste Szene, das Bramarba-
sieren des Roten vor der verschlossenen Tür, die Drohung, die
Tür aufzubrechen, das kennen wir alles aus Plautus (den natür-
lich der Ruodliebdichter nicht gekannt hat), auch aus Terenz'
Eunuchen mit den Szenen des Thraso, nur dafs es sich dort
immer um Hetären handelt, weil die griechische Komödie, der
die Sujets entlehnt sind, die Unantastbarkeit der Ehefrau respek-
tiert. Der Mimus dagegen, in dessen Stil Plautus, wie Reich
noch ausführen wird, die Komödienstoffe umsetzt, der spielt in
ganz anderen Kreisen: da ist es die Ehefrau, an die sich der
geschniegelte Liebhaber (cultus adulter) heranmacht. Diesen
aber schildert hier der Rote der jungen Bäuerin in lebendigem
Bilde:
Ich weifs dir einen jungen Knaben,
Er mag die rechte Gröise haben,
Mit gelben Locken, rank und schlank,
Die Wangen rot, das Auge blank.
Dafs der so beschriebene Liebhaber hier nur in der Phantasie
existiert, ändert nichts daran, dafs wir in diesen Worten sein
typisches Konterfei erhalten; wie denn ja auch die Figur der
kuppelnden Zofe {cata carissa) hier, bei der Vereinfachung des
Vorgangs, eingeht: hier ist der Rotkopf eben beides zugleich,
Liebhaber und (dem Scheine nach) Gelegenheitsmacher in einer
Person. Die sehr handgreillichen Scherze des Pärchens sind
auch echt mimisch: dergleichen hat ja eben den ganzen Mimus
in Bausch und Bogen in Verruf gebracht. Und nun gar das
Astloch, wodurch der Alte sie beobachtet; das ist der alte Trick
mit der durchbrochenen Wand.
Und noch eines, was in diesem Zusammenhang Beachtung
verdient. Die *cornische', mit dem Ruodlieb so eng verwandte
Fassung oder eine der anderen zunächst stehenden kehrt wieder
in der Legende des h. Nikolaus von Patara, der 1087 nach
Bari übertragen wird und nun im Fluge eine ungeheure Popu-
larität gewinnt über das ganze Abendland hin. Ich meine die
Szene von den drei in böser Herberge ermordeten Kaufleuten:
sie ist immer und immer wieder lateinisch, deutsch, französisch
als Mysterium bearbeitet worden, schon im 11. Jahrhundert in
Hildesheim. Hier haben wir wieder den grofsen Kreislauf^ wo
alles ineinander greift, Mimus, Märchen und Legende, der Ruod-
lieb und das Mysterienspiel.
Zum Schlufs die Gerichtsszene. Auch die ist ja altes Mimen-
Ö96 Hrotsvits literarisclie Stellung.
inventar. Im Ehebruchsmimus schleppt der betrogene Mann
den Liebhaber vor Gericht und gibt sich mit der zuerkannten
Bufse zufrieden, damit alles fröhlich ausgehe, wie ein echter
Mimus soll. Im Giftmischermimus tritt einer der Richter her-
vor und gibt sich als den Arzt zu erkennen, der den Schlaf-
trunk hergegeben hat: damit wird der Knoten entwirrt, der
Stiefsohn zugleich von der Anklage auf Blutschande entlastet.
Im Ruodheb hat sich der Rote durch sein frivoles Geschwätz
selber in den Verdacht gebracht, dafs die Bäuerin seine Base
und mit ihm in verbotenem Grade verwandt sei. So hat sicher
Ruodliebs Zeugnis, was Kögel gesehen hat, ohne es verwerten
zu können, den Verdacht der Blutschande von ihm genommen.
Und wenn Kögel daran die Vermutung knüpft, auch dem Roten
sei es zuletzt nicht an den Kragen gegangen, so will ich das
weder annehmen, noch bestreiten; es würde aber ganz zu der
Natur des Mimus und seines mehr oder weniger heiteren
Schlusses stimmen.
Ich verzichte darauf, die anderen nur angedeuteten Novellen-
themata ebenso zu untersuchen, und gehe lieber auf ein paar
bisher ganz mifsverstandene Stellen der Dichtung ein, um ihnen
abzufragen, was sie uns über Mimen und Mimenkünste, über
Gaukler und Jongleure zu sagen haben.
Ich habe schon vorhin Gelegenheit gehabt, altes lateinisches
Mimengut gegen Kögel zu schützen, der es ins Altdeutsche
'zurückübersetzen' wollte. So will ich denn abermals einer
Stelle, der Kögel ganz ähnlich mitgespielt hat, zu ihrem Rechte
verhelfen. Es handelt sich um das verliebte Würfelspiel des
Junkers mit dem Fräulein (fragm. 10, 23 ff.):
Hunc ea ter vicit, haue is totiens superavit,
Älterutrim vidi gavdentes omine pacti,
Virginia is qtiod erat, iuvenis quod virgo manebat,
Non se vicisse, sed victos succubuisse.
Haec suus, ille sua voeitabantur vice versa,
Mutato sexu soloecismi scemate facto.
Also, wer im Spiel verliert, soll dem anderen gehören — wobei
nun jeder lieber verlieren als gewinnen will, und wobei es oben-
drein gleichgültig ist, wer gewinnt: zusammen gehören sie auf alle
Fälle, ob er gewinnt oder sie, wie das praktisch veranlagte Fräu-
lein bei der Vermählung die Sache einfacher umschreibt (15,
52 ff.; weder Seiler noch Kögel verweist auf diese Parallelstelle).
Das Folgende ist schwierig. Kögel (S. 387) erklärt so:
*[Jm den Ausdruck der Zugehörigkeit auf das höchste Mafs zu
steigern, gebraucht das Fräulein beim Possessiv dtn von sich
das Maskulinum und er das Femininum; das eine geht gewisser-
mafsen völlig in der Person des anderen auf. Sie sagt also:
ih bin dlner, und er ih bin diniu. Wie es scheint, setzt die
Hrotsvits literarisclie Stellung. 297
Stelle das Liedchen du bist mm, ih hin dtrij des solt du gewis
sin bereits voraus; ein Tegernseer Schriftsteller war es bekannt-
lich, der es zuerst aufgezeichnet hat,' usw. Ich glaube nicht,
dafs es gut möglich ist, den Sinn des reizenden Scherzes ärger
mifszuvorstehen. Da müfste der weltkundige Dichter des Ruod-
lieb mit einem Male zum tüftelnden Grammaticus geworden sein.
Nein, Kögel hat eines vergessen, was den Schlüssel zu allem
bietet; er hat *daz sluzzelin verloren' ... Der Dichter hat, wie
andere auch (man denke an Goethe), seine Personen ohne Namen
gelassen und blofs als Typen hingestellt: der Junker, das Fräu-
lein, die Mutter, der König usw.; selbst Ruodlieb heifst im ersten
Teil blofs der 'Ritter'. Diese Namenlosigkeit der beiden zwingt
ihn, hier zu solch verzweifelten Umschreibungen zu greifen; der
soloecismus soll die Leute nur auf den rechten Weg weisen,
dafs sie ihn bei diesem grammatischen Quodlibet nicht für ver-
rückt halten. Wie die Stelle ungefähr aussehen würde, wenn
das Mädrhen und der Junker Namen trügen, mag uns Gott-
fried von Strafsburg zeigen (Tristan V. 1356 tf. B.):
stis wds er st una st tvas er,
er tcas ir, und st was sin;
da Blansoheflür, da Riwaltn,
da Riwaltn, da Blancheflür:
da beide, da leal amür.
Man sieht aus dem französischen leal ämur, dafs Gottfried hier
genau seiner Quelle folgt, selbst im Reim. Wir haben damit
also geradezu den vollen Namenstausch bei Liebesleuten für
Deutschland und auch für Frankreich erwiesen.
Aber wir finden ihn noch bei einem dritten, bei Shake-
speare; ja, ich bin fest überzeugt, dafs man, einmal aufmerk-
sam geworden, noch gar mancherlei hinzufinden wird, wie denn
mir, der ich weder Germanist noch Anglist bin, beide Parallelen
bald nacheinander rein zufällig ins Garn gelaufen sind. Die
Stelle steht im Cymbeline, d. h. in einem alten Mimus — und
dies ist wichtig. Posthumus sagt beim Ringtausch (auch der
kommt ganz ebenso in unserer Ruodliebszene vor: 9, 62 ff.),
Absch ed nehmend, zu Imogen (I 2):
und, Süfse, Holde,
wie ich mein armes Selbst für dich vertauschte,
zu deinem schlimmsten Nachteil, so gewinn' ich
sogar bei diesem Tand.
Hier steckt nicht irgendwelche allgemeine Liebesphrase, sondern
ein ganz fest bestimmter Vorgang, den der Dichter seinem
Pul)likum sogar blofs anzudeuten braucht: Posthumus und
Imogen haben den Namen (und damit die Person) ausgetauscht,
so dafs Imogen dadurch zu Posthumus geworden ist — ein
schlechter Tausch für sie, meint er galant.
298 Hrotsvits literarische Stellung.
Sollte ein solcher Namenstausch allerorten im wirklichen
Leben des Mittelalters und noch soviel später zu den land-
läufigen Tändeleien verliebter Leutchen gehört haben? Ich kann's
nicht glauben. Dergleichen liegt doch eigentlich weit vom Wege
ab, und z. B. Weinhold in den deutschen Frauen im Mittelalter
scheint davon nichts zu wissen. Wohl aber mufs es, wie die
Beschaffenheit der drei Quellen zeigt, im Mimus gang und gäbe
gewesen sein. Cymbeline ist, wie Reich noch im einzelnen be-
weisen wird, der alte Giltmischermimus. Der Ruodlieb lebt
geradezu vom Mimus und bietet ganz dieselbe Szene wie Shake-
speare! Die altfranzösischen Tristandichtungen endlich sind von
den mimischen Fabliaux nicht zu trennen und haben sogar ein-
mal, wie W. Golther^ scharfsinnig bemerkt hat, im Reinigungs-
eide Tristans ein altes Mimenmotiv übernommen, das sich sonst
nur noch in dem Roman des Achilles Tatius findet. Und
wenn uns das alte du bist min, ich hin diu noch heute so ver-
traut anheimelt und weit verbreitet ist im deutschen Mittel-
alter und darüber hinaus, wie es denn auch Gottfried mit dem
Namenstausch verbindet, so darf uns das nicht irre machen.
Das eine lag dem natürhchen Gefühl nahe und stammt über-
dies vielleicht aus einer volkstümhchen Rechtsformel ; ^ das andere
ist ein Bühnentrick, das zarte Gegenstück zu dem anderen,
derbkomischen Motiv der Menaechmen und des Amphitruo, dafs
einem sein eigenes Ich vor der Nase wegdisputiert wird. Der-
gleichen gehörte eben mit dem unvermeidlichen Versprechen
und Verwechseln zum Mimus, wie das Süfsholzgeraspel Ver-
liebter zum eisernen Bestände der Posse gehört.
Noch eine andere Stelle bedarf der Untersuchung; auch
sie wird sich für diese ganze Betrachtung wichtig erweisen.
Die Edeldame geht mit ihrer Tochter und den Gästen auf die
Strafse, wo gerade Harfner Qiarpatores) spielen. Allein selbst
ihr Meister spielt so schlecht, dafs Ruodlieb die Edelfrau um
eine Harfe bittet und nun drei nagelneue Tanzmelodien spielt:
die Harfner stehen beschämt dabei und sperren Nase und Mund
auf. Zum Schlüsse wollen das Fräulein und der Junker tanzen,
und nun gibt Ruodlieb noch ein viertes Stück zu (fragm. 9, 46 f.).
Quartum poscit hera faceret, petit et sua nata,
eitcs contribulis qtiem saltaret vel herilis.
qtiem per systema sive diastema dando responsa
dum mirdbiliter operareturve deeenter,
surrexit iuvenis, quo contra surgit herilis.
nie velut faleho se gyrat, et haec ut hirundo;
ast ubi conveniunt, citius se praeteriebant :
is se movisse, sed cernitur illa natasse,
* Die Sage von Iristan und Isolde, S. 14.
2 J. Bolte, Zs. f. dt Altertum 31, 161 (Nachtrag im Anz. 17, 343).
Hrotsvits literarische Stellung. 299
neuirum saltasse, neumas manihus variasse
nemo corrigere quo posset, si voluisset.
tunc Signum dederant, ihi multi quod dolueruni,
deponendo manus, ßnittcs sit quia rhythmvs.
Die Stelle ist von Seiler in der Einleitung S, 103 besprochen
worden, aber die Hauptsache hat er nicht begriffen. Es soll
ein Fortschritt der ritterlichen Kultur sein, dafs der Ritter die
Spielleute *durch Lieblichkeit des Spiels, durch kunstreiche
variamina und vor allem durch die Neuigkeit seiner Rhythmen'
aussticht; der Tanz soll ein Typus des Einzeltanzes in der vor-
nehmen Welt sein. — Bei dieser Auffassung geht alles verloren.
Wir dürfen diese ganze Szene nicht lür sich allein betrachten,
wir müssen sie einreihen unter die grofse Zahl der mimischen
Tiertänze.
Erst aber möchte ich die ganze Stelle deutsch so wieder-
geben, wie sie hoffenthch bald in meinem Dichterbuch zu lesen
stehen wird, worein ich auch den ganzen Ruodlieb aufnehme.
Wir haben hier ein mittelalterliches Gegenstück zu der grofsen
Szene in Lenaus Faustdichtung, wo Mephisto in Jägerkleidung
bei der Bauernhochzeit zum Tanz aufspielt. Lenau war ja selber
ein Meister des Geigenspiels: um so höher ist es anzuschlagen,
dafs der Dichter des Ruodlieb neben ihm bestehen kann. Die
Worte per systema sive diastema dando responsa sind schwierig;
sie müssen wohl ungefähr das bedeuten, was Heyne gibt: *ein
kunstvoll Vorspiel voller schwerer Läufe'; nur liegt noch mehr
darin. Durch den Charakter des Vorspiels mit seinem systema
und diastema bezeichnet er den beiden das Thema und ihre
Rollen, die sie auch sofort begreifen und verständnisvoll aus-
iühren; das Haschen und Fliehen mufs in dem Ausdruck sym-
bolisch angedeutet sein. Ich habe das mehr in die Schilderung
des Tanzes hineingearbeitet ('bald laut, bald leise'), diesen über-
haupt ganz frei übersetzt und meine, dafs hier noch viel weniger
als sonst auf die Worte ankommt, dafs unsere Aufgabe ohne
Rest gelöst ist, wenn das Bild greifbar vor uns steht und der
Eindruck erzeugt wird, den der Dichter erzeugen wollte.
Der Ritter und der Neffe sein
geh'n mit den Damen auf die Gassen,
wo Harfner grad' sich hören lassen.
Ihr Meister spielt; allein, o je,
dem Ritter tun die Ohren weh
von seinem Kratzen, und er spricht
zur Edelfrau: 'Habt ihr hier nicht
selbst eine Harfe?' 'Freilich, ja,'
erwidert sie; *'8 ist eine da,
die gibt gar wundervollen Klang.
Mein Mann darauf zu spielen pflag;
dann ward ums Herz mir froh und bang —
jetzt schweigt sie über Jahr und Tag,
300 Hrotsvits literarische Stellung.
seit meines lieben Mannes Tode:
die steht euch, wollt ihr's, zu Gebote.'
Rasch bringt man sie zur Stelle,
er nimmt und stimmt sie schnelle,
greift in die Saiten hin und wider
und spielt die allerschönsten Lieder.
Er hält den Takt so akkurat,
wer niemals je den Reihen trat,
begreift es dennoch gleich im Nu;
die Harfner hören staunend zu,
die erst so unverfroren waren.
Er spielt geschickt und wohlerfahren
drei nagelneue Melodien.
Allein die Damen bitten ihn
zum vierten noch um einen Reihen:
es möchten tanzen gern zu zweien
das Fräulein und der junge Mann;
er tut's und fängt von neuem an.
Da hebt sich der Junker, es hebt sich die Magd,
ein Suchen und Flieh'n, bald laut, bald leise,
ein Heben und Schweben in weitem Kreise,
wie wenn der Falke die Schwalbe jagt.
Jetzt holt er sie ein: es ist zu Ende,
er fafst sie — doch nein: sie entflattert behende.
Schon wieder, schon wieder, er stöfst aufs neue
aus der Höhe nieder: bang fitticht die scheue.
Fürwahr, im Tanzen ihre Kunst
erwürbe jedes Richters Gunst.
Nun hat der Tanz ein Ende;
da senken sie die Hände —
das war wohl manchem schier zu Leide.
Ich kann es mir nicht versagen, Lenau daneben zu stellen.
Ganz die gleiche Situation: wie die Harfner gegen Ruodlieb, so
sind die Spielleute" in der Dorfschenke arme Stümper gegen
Mephistopheles. Ich glaube kaum, dafs an Lenaus Ausmalen
des musikalischen Eindrucks, soviel man suchen mag, ein an-
derer näher heranreicht als der alte Ruodliebdichter, wenn es
auch bei ihm erst knospenhafte Ansätze sind.
'Ihr lieben Leutchen, euer Bogen
ist viel zu schläfrig noch gezogen I
Nach eurem Walzer mag sich drehen
die sieche Lust auf lahmen Zehen,
doch Jugend nicht, voll Blut und Brand.
Reicht eine Geige mir zur Hand,
's wird geben gleich ein andres Klingen
und in der Schenk' ein andres Springen!'
Der Spielmann dem Jäger die Fiedel reicht,
der Jäger die Fiedel gewaltig streicht.
Bald wogen und schwinden die scherzenden Töne
wie selig hinsterbendes Lustgestöhne,
wie süfses Geplauder, so heimlich und sicher,
in schwülen Nächten verliebtes Gekicher.
Bald wieder ein Steigen und Fallen und Schwellen;
so schmiegen sich lüsterne Badeswellen
Hrotsvits literarische Stellung. 801
um blühende, nackte Mädchengestalt.
Jetzt gellend ein Schrei ins Gemurmel schallt:
das Mädchen erschrickt, sie ruft nach Hilfe,
der Bursche, der feurige, springt aus dem Schilfe.
Da hassen sich, fassen sich mächtig die Klänge
und kämpfen verschlungen im wirren Gedränge.
Die badende Jungfrau, die lange gerungen,
wird endlich vom Mann zur Umarmung gezwungen.
Dort fleht ein Buhle, das Weib hat Erbarmen,
man hört sie von seinen Küssen erwarmen.
Jetzt klingen im Dreigriff die lustigen Saiten,
wie wenn um ein Mädel zwei Buben sich streiten;
der eine, besiegte, verstummt allmählich,
die liebenden beiden umklammern sich selig,
im Doppelgetön die verschmolzenen Stimmen
aufrasend die Leiter der Lust erklimmen.
Und feuriger, brausender, stürmischer immer,
wie Männergejauchze, Jungferngewimmer,
erschallen der Geige verführende Weisen,
und alle verschlingt ein bacchantisches Kreisen.
Wie närrisch die Geiger des Dorfs sich gebärden!
sie werfen ja sämtlich die Fiedel zur Erden!
Der zauberergriffene Wirbel bewegt,
was irgend die Schenke Lebendiges hegt.*
Mit bleichem Neide die dröhnenden Mauern,
dafs sie nicht mittanzen können, bedauern.
Vor allem aber der selige Faust
mit seiner Brünette den Tanz hinbraust;
er drückt ihr die Händchen, er stammelt Schwüre
und tanzt sie hinaus durch die offene Türe.
Sie tanzen durch Flur und Gartengänge,
und hinterher jagen die Geigenklänge;
sie tanzen taumelnd hinaus zum Wald,
und leiser und leiser die Geige verhallt.
Die schwindenden Töne durchsäuseln die Bäume
wie lüstern schmeichelnde Liebesträume.
Da hebt den flötenden Wonneschall
aus duftigen Büschen die Nachtigall,
die heifser die Lust der Trunkenen schwellt,
als wäre der Sänger vom Teufel bestellt.*
Da zieht sich ni^er die Sehnsucht schwer.
Und brausend verschlingt sie das Wonnemeer.
Wir kehren zum Ruodlieb zurück und fragen nunmehr:
ist die Szene so, wie der Dichter sie mit hoher Kunst ge-
schaffen, wirklich ein getreues Bild jener Tage? und, wenn
nicht, welches ist der Punkt, von dem wir ausgehen müssen,
um zur Klarheit durchzudringen? Die Szene ist ein mimischer
Tiertanz. Ich verweise für den Tiertanz im allgemeinen auf
* Beiläufig, dieses Motiv in Lenaus Faust (erschienen 1836) ist an-
Siregt durch Heines Salon II (erschienen 1834; bei Elster 4, 172, der
eines Quelle nachweist). Die älteste Quelle scheint Grofs, Basler Chronik,
die ich dafür zufällig in Joh. v. Müllers Qes. Sehr. 21, 24 (Nr. 222) an-
geführt finde.
302 Hrotsvits literarische Stellung.
die gelehrten und scharfsinnigen Auseinandersetzungen Reichs
(I 476 ff.)- Er geht, zur Erklärung der aristophanischen Chor-
tänze, von den primitiven Völkern aus. So ahmen die Australier
in ihren Tänzen Schmetterlinge, Frösche, Känguruhs, die Damara
in Südafrika das Nilpferd, die Herero den Pavian in Bewegungen
und Stimme naturgetreu nach. Vogeltänze sind bei den Eskimos
übhch, in Japan ein Rebhuhntanz der Frauen, dort auch Löwen-
und Fuchstänze: und zwar sind es Solotänze der Gaukler, keine
Chortänze des Pubhkums. Anderswo maskieren sich die Tänzer
geradezu als Löwen, Bären oder Büffel. Reste dieser Tänze finden
sich nun auch im griechisch-römischen Altertum und im abendlän-
dischen Mittelalter, wie Reich selber (S. 491, Anm. 1) erwähnt.
Damit ist sodann auch klar, dafs dieser Tiertanz eigentlich
kein Tanz der vornehmen Gesellschaft sein kann. Und es ist
kein Zufall, dafs wir in derselben Szene die Mimen oder Harfner
haben: diese fahrenden Leute als Zuschauer der sich in Spiel
und Tanz produzierenden Ritterbürtigon! Das ist keine hoch-
entwickelte Kunstübung im Ritterstande, sondern bare Umkeh-
rung der Verhältnisse des wirklichen Lebens. Diese hat frei-
lich ihren guten Grund. Eigentlich sollten, wie bei Amarcius,
die Mimen als Harfaer und Tänzer die Edelleute unterhalten;
aber es sind hier so jämmerliche Repräsentanten ihres Standes,
dafs es eine Qual ist, ihnen zuzuhören. So zeigt ihnen Ruod-
lieb, der natürlich wie ein richtiger Romanheld von heutzutage
alles kann, wie sie es machen sollen. Und wenn Ruodlieb über
alle Fähigkeiten verfügt, so geht es dem Junker und dem Edel-
fräulein natürlich ebenso. Dafs dabei eigentlich ein unmögliches
Bild herauskommt, hat der Dichter freilich im Eifer des Ge-
fechtes übersehen. Aber — Hand aufs Herz — ist das moder-
nen Romandichtern nicht viel öfter und viel schlimmer passiert?
Auch sonst macht dem Dichter alles Mimen- und Gaukel-
wesen, alles was Tiere und ihre Kunststücke angeht, von Herzen
Spafs. Ihn freuen die jungen Stare und das dozierende Staren-
fräulein, das dem jungen Gesindel das Vaterunser beibringt
(*bis: der du bist im Himmel — Himmel — Himmel' . . .), die
Dohlen mit ihrer gelösten Zunge, die alles aufschnappen und
auf der Stelle nachplappern; vor allem aber haben es ihm die
Bären mit ihren Tanzkünsten angetan, und hier haben wir aufs
schönste wieder einmal, durch ausdrückliches Zeugnis, die Spiel-
leute, die mimi. Unter den Geschenken, die der besiegte König
dem Sieger anbietet, ist (5, 81 ff.):
Von Bären auch ein Zwillingspaar,
Die Pranken schwarz, sonst weifs wie Schnee.
Sie heben Eimer in die Höh',
Und auf zwei Beinen geh'n sie schier
Daher wie Menschen mit Manier.
Hrotsvits literarische Stellung. 803
Und greift der Spielmann in die Saiten,
Gelehrig nach dem Takt sie schreiten;
Sie hopsen, überschlagen sich
Dazwischen wohl und tragen sich,
Wie's trifft, auch huckepack einand'.
Sie balgen sich, bis in aen Sand
Der eine stürzt. Und wenn die Geigen
Aufspielen einen lust'gen Reigen
Und jodelnd sich die Weiber dreh'n,
Da mögen sie nicht stille steh'n;
Sie treten ein an ihrem Platze,
Flink fassen Pätschchen sich und Tatze,
Sie stapfen mit ohn' Unterlafs
Und brummen in vergnügtem Bafs.
Man staunt und lacht, ob auch die Tatzen
Mal hin und wieder unsanft kratzen . . .
Nach Seiler (S. 105) soll diese Schilderung freilich *ins Fabel-
hafte' übergehen. 'Fabelhaft' heifst dann auch Ruodliebs Hund
(13, 60 ff.), der jeden Dieb erkennt und nur das nimmt, was
sein Herr ihm reicht;
fällt was daneben,
Kommt's ihm nicht bei, das aufzuheben.
Sagt man: 'Ein Schelm hat dies Gericht
Gekocht', so nimmt der Hund es nicht;
Und wenn er's schon im Maule hält,
Gewifs es gleich zur Erde fällt.
Nun gingen heut verloren
Dem Ritter ein Paar Sporen —
Die hat der Truchsefs ihm gestohlen.
Wie der jetzt kommt, die Teller holen,
Sieht ihn der Hund erst grimmig an,
Dann fährt er los mit scharfem Zahn
Und hätt' ihn bös' ins Bein gebissen,
Wenn man ihn nicht zurückgerissen.
Der Ritter lacht. Den andern all
Scheint dies ein rätselhafter Fall.
Die Frau sagt: 'Ich begreife nicht,
Was will das Tier?' Der Ritter spricht:
'Hier euer Truchsefs ist der Dieb;
Das weifs der Hund. Wohlan denn, gib
Nur wieder, Freund, was du genommen;
Sonst könnt' es leicht dir schlecht bekommen.'
Der Truchsefs drückt sich schnelle
Und schafft sie her zur Stelle:
'Die nahm ich euch vom Sattel fort;
Es war kein Menschenkind am Ort
Zugegen — weifs es euer Hund,
So tat es ihm der Teufel kund!'
'Lafs seh'n, wem er sie bringen wird!'
Der wirft sie hin; er apportiert
Die Sporen ihrem Herrn behende.
Noch ist das Kunststück nicht zu Ende:
'Nimm sie und bringe sie dem Hans.'
Er tut's und wedelt mit dem Schwanz.
'Mach vor dem Dieb nun Reu' und Leid,
Bitt' ab, damit er dir verzeiht.'
304 Hrotsvits literarische Stellung.
Er streckt sich hin, wie' ihm geboten,
Die Schnauze legt er auf die Pfoten
Und heult und winselt jämmerlich,
Zum Steinerweichen. *So, jetzt sprich,
Ihr wollet gut sein wie zuvor.'
Laut bellend springt der Hund empor.
Bedankt sich schön im ganzen Saai.
Der Eitter drauf: 'Jetzt nehmt einmal
Den Dieb, zum Scheine blofs, beim Kragen
Und tut, als wolltet ihr ihn schlagen.'
Sie tun es: *Ei, du schlimmer Wicht!'
Allein der Hund, der leidet's nicht.
Springt wütend auf die beiden ein.
Den Dieb von ihnen zu befrei'n,
Dieweilen der sein Freund nun heilst;
Macht ihn von ihnen los und beifst
Sie in die Waden. Alles staunt,
Manch einer lacht auch gut gelaunt.
Das also nennt Seiler '^fabelhaft', und Kögel bemüht, nicht ohne
Kopfischütteln, Fausts Hund Praestigiar. Beide haben leider die
ganze Schilderung lediglich durch die gelehrte Brille gesehen:
nicht *fabelhaft' ist es, sondern es sind Zirkustricks — was heute
bei uns der Zirkus ist, das sind eben für das Mittelalter die Mimen,
die Gaukler, Jongleure und Tierbändiger. Der Trick mit dem
Hunde, der den Dieb erkennt, soll 'fabelhaft' sein; dann ist,
von dem Hunde im Giftmischermimus ^ und dem, vor dem Goethe
weichen mufste, und von dem 'klugen Hans' zu schweigen, wohl
auch das fabelhaft, was E. Förster - Nietzsche so hübsch in der
Biographie ihres Bruders erzählt (I 49)? Zuletzt machte der
Zirkusdirektor ein Späfschen: er meinte, Orest und Pylades
wären so kluge Pferdchen, sie könnten jedem in die Seele sehen,
so sollten sie jetzt zeigen, wer der faulste und durchtriebenste,
und dann, wer der fleifsigste und klügste Junge sei. Darauf
ging Orest zu einem kleinen Burschen, der allseitig als ein
notorischer Strick bekannt war, und scharrte vor seinem Platz
etwas verächtlich; aber Pylades stand vor unserem Fritz still
und verneigte sich ehrfurchtsvoll dreimal. Ein Jauchzen er-
füllte den engen Raum, all die kleinen Mitschüler meines Bru-
ders verkündeten jubelnd: *Das ist wahr!' und unsere Dienerin,
die gute Mine, ergriffen von der Gröfse des Augenblicks, rief
schluchzend ein über das andere Mal: *Er ist der beste Junge
von der Welt!' — Also auch das 'fabelhaft' — ? Nein, der
Fehler des Dichters ist wieder blofs, dafs er, der ein höfisches
Rittergedicht schreibt, all diese Dinge, die er aus dem Leben
des Volkes und seiner guten Freunde, der fahrenden Leute und
Gaukler, nimmt, in höfische Kreise verpflanzt. Mit dem Prae-
* Reich, Der Mimus, S. 587.
Hrotsvits literarische Stellung. 305
stigiar aber hat Ruodliebs Hund allerdings eine gewisse Ver-
wandtschaft. Denn Faust selber ist als Zauberer und Hexen-
meister der richtige alte S-av/naroTioiogy wie er leibt und lebt,
und es war nicht mehr als billig, dafs er selbst eine Mimen-
figur, dafs er zum Helden des Puppenspiels wurde. So kommt
denn auch sein Praestigiar zu Ehren: er ist der dressierte Hund
des Zauberkünstlers, und wenn man dies alles zusammennimmt,
wird man sich über die Ähnhchkeiten nicht grofs verwundern.
7. Hrotsvits Legenden.
Nun endlich können wir uns wieder zu Hrotsvit wenden.
Ihre Dichtungen zerfallen schon handschriftlich in drei grofse
Gruppen: Legenden, Dramen, historische Gedichte. So hat schon
sie selber abgeteilt. Aber wer tiefer sieht und ihr ganzes
Lebenswerk überschaut, wird anders urteilen als sie damals,
sicher noch vor den Primordia, vielleicht sogar vor den Gesta
Oddonisj getan hat. Er wird in ihrer Arbeit zwei Epochen
scheiden, und wieder innerhalb jeder eine Zeit des Suchens
und Tastens und eine der Vollendung und Erfüllung. Sie wählt
zuerst Stoffe der Legende, dann Stoffe der Geschichte; und dieser
zunächst rein äufserliche Gesichtspunkt hat hier viel zu be-
deuten.
Wer Legenden dichterisch bearbeitete, der war durch die
altchristliche Dichtung, durch Prudenz vor allen, auch durch
Fortunat, Paulin und ihre karolingischen Nachfahren, an epische
Behandlung gewiesen. Und so hat denn auch Hrotsvit schlecht
und recht begonnen mit versifizierten Legenden. Wie sie zuerst
gearbeitet hat, kann die sorgsame Analyse ihrer Mariendichtung
zeigen, die K. Strecker gegeben hat. Sie ist aber sehr bald
fortgeschritten. Nach den ersten, streng anschliefsenden Ver-
suchen in Maria und Himmelfahrt bewegt sie sich schon im
Gongolf und Pelagius freier. Hier wandert sie nicht mehr auf
staubiger Strafse mit gebundener Marschroute, sondern erlaubt
sich allerlei Allotria. Im Gongolf schreibt sie carmine compto,
d. h. in Distichen; sie will eben zeigen, was sie gelernt hat:
ich kann auch auf Stelzen gehen wie ihr, wenn ich einmal
will . . . Diese Künstelei bei unflügger Technik verleidet einem
heute die Lektüre des Gongolf. Aber sie hat durch den Zwang,
Gedanken und Versmafs halbwegs in Einklang zu setzen, die
Dichterin von der einschnürenden Fessel der Vorlage freigemacht
und ihr den Weg zu sich selber gewiesen.
Der Gongolf ist die erste Dichtung, worin Hrotsvit zeigt,
dafs sie Humor besitzt. Da ist die prächtige Schilderung des
dreihärigen Kerls, der seinen Herrn vor allem Gesinde als
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 20
806 Hrotsvits literarische Stellung.
Dummkopf blamieren will und schliefsiich, nachdem er selbst
im Sande herumgeleckt hat, um eine Spur der verschwundenen
Quelle zu entdecken, trotz all seines guten Willens selber der
blamierte ist. Diese Schilderung gehört ganz und gar der Dich-
terin ; die Legende berichtet die nackte Tatsache ohne jede Spur
von Humor. Schon ehe Reichs Buch erschien, hatte ich dieses
hübsche Stück übertragen und zwar, rein instinktiv, einem dunk-
len Gefühl folgend, in der Weise, dafs ich es in den Ton der
Spielmannsmäre umsetzte, d. h. noch etwas weiterging auf der
von Hrotsvit betretenen Bahn. Ich habe dabei nirgend aus
eigenem zugesetzt, wohl aber hier und da abgekürzt, wenn ich
den Eindruck hatte, dafs Hrotsvit sich nur in den Maschen
ihres selbstgestrickten Netzes wider Wunsch und Willen ver-
heddert habe. Blofs die Schlufspointe, vor der sich die fromme
Nonne trotz aller Schalkhaftigkeit wahrscheinlich bekreuzt und
gesegnet haben würde, mufste ich hinzutun:
Was alles nicht ein heil'ger Mann
In seine Tasche stecken kann . . .
Ich glaube, es war mein gutes Recht, so zu verfahren: der
Knecht ist der echte Typus des mimischen stupidus, und die
Legende von der Quelle lebt noch heute, schwerlich ohne Zutun
der Mimen, im Hessenlande fort, wo sie an eine Belagerung des
Milsburger Riesen angeknüpft und mit einem Zuge aus der
Alexandersage verbrämt worden ist.^
Geradezu genialen Blick für das Dramatische, dem sie nur
selber noch nicht zu vertrauen wagt, bewährt die Dichterin mit
der Wahl ihres nächsten Stoffes, des Theophilus. Hier haben
wir, episch noch und im Puppenzustand, die Faustdichtung.
Und als wäre sie sich bewufst, wie ihr eigenstes Talent sich
gerade an diesem Stoffe bewähren könnte, und doch wieder in
der alten Form, folgt ein zweiter Teufelsbund, die Legende des
h. Basilius, der den Knecht des Proterius aus den Klauen des
Teufels rettet. Sie mag es empfunden haben, dafs mit dem
Theophilus eigenthch nur die eine Seite des Themas erledigt
war: der Teufelsbund aus Begierde nach Macht und weltlicher
Ehre. Hier tritt, in der Basiliuslegende, das andere Motiv her-
vor, die Liebe, die den Knecht zu der Tochter seines Herrn
ergreift, die vom Vater fürs Kloster bestimmt ist. Das dritte
Motiv aber, das erst hinzutreten mufste, um uns den Faust zu
geben, der unstillbare Wissensdurst, konnte bei ihr noch keinen
Ausdruck finden; haben doch erst viel spätere Zeiten die Per-
sönlichkeit Gerberts so aufgefafst.
* J. W. Wolf, Hessische Sagen, Nr. 208; Deutsche Sagen und Sitten,
in hessischen Gauen gesammelt von K. Lyncker, Nr. 121.
Hrotsvits literarische Stellung. 307
Es ist interessant, zu sehen, dafs sich bei dieser Legende
das gleiche Schauspiel wiederholt wie beim Gongolf. Sie lebt
in den Niederlanden fort,* nicht als Basiliuslegende, sondern es
ist ein Knecht aus Nederbrakel, der von seinem Pfarrer ge-
rettet wird ; aber die Übereinstimmung des Schlusses ist so frap-
pant, dafs kein Zweifel bestehen bleiben kann. Und dort am
Niederrhein hat es wirklich einst einen mimischen Spielmanns-
leich über dieses Thema gegeben. Und wenn wir fragen, woher
das alles kommt, so ergiebt sich uns mit einem Schlage die
Lösung.
Im Basihus hat Hrotsvit zum erstenmal ihren Stoff aus
einem Buche geschöpft, das vor allen anderen novellistischen
Stoff enthielt und weitergegeben hat: aus den Vitae patrum.
Wir werden ihnen in den Dramen noch wieder begegnen und
dort die Natur der betreffenden Stoffe zu prüfen haben. Die
Viiae patrum haben aber auch den Mimen und Erzählern von
jeher viele Stoffe gegeben; ich erinnere nur an die Geschichte
von dem wunderlichen Heihgen und durchgefallenen Engels-
kandidaten Johannes, die in den Cambridger Liedern steht, und
die ich in den Stilfragen bearbeitet und übersetzt habe.^ Eigen
blofs, dafs dem Leich und der Dichtung Hrotsvits beiden das
gleiche Proömium vorausgeht, niemand dürfe an Gottes Gnade
verzweifeln, so grofs seine Sünde auch sei. Dieser Gedanke lag
nahe, und auch der Dichter des Rhythmus vom Antichristen
hat ihm nebenbei Ausdruck gegeben. Aber hier ist das doch
sehr auffällig. Ich habe früher,^ als ich den Zusammenhang
Hrotsvits mit den Vitae patrum noch nicht richtig beurteilte
und Benutzung von Einzelüberlieferungen annahm, vermutet, es
müsse eben die Bekehrungsgeschichte aus der Vita s. Basilii
losgelöst, und mit einem solchen Proönium ausgestattet, die
gemeinsame Quelle gewesen sein. Das war ein Irrtum. Hrotsvit
hat die Vitae patrum als Ganzes gekannt, nicht eine Einzel-
überheferung der Vita s. Basilii (Amphilochius oder Ursus), wie
W. Meyer früher annahm, noch weniger eine absolut nicht nach-
weisbare Einzelanekdote mit Proömium. Anderseits stimmt der
Leich mit der Prosavita in dem seltenen Ausdruck peribolus
überein — der Kreuzgang, wo Basilius den Sünder Bufse tun
läfst — , den Hrotsvit nicht kennt. Danach werden wir zu über-
legen haben, ob nicht vielleicht der Dichter des Leichs, ein
Mime, die Vitae patrum mit Hrotsvit kontaminiert hat; genau
so wie Shakespeare im Sommernachtstraum den Eselraimus mit
dem daraus geflossenen Roman des Apuleius kontaminiert.
* J. W. Wolf, Niederländ. Sagen, Nr. 454.
2 Hrotsvitausgahe S. VIII, Anm. 17 und S. XVI.
' Hrotsvitaiisgabe S. VIII, Anm. 17.
20-
308 Hrotsvits literarische Stellung.
Die Legenden des Areopagiten Dionysius und der h. Agnes
ergeben für diese unsere Betrachtung nichts; ich lasse sie hier
beiseite.
Ehe ich nun aber zum Drama übergehe, will ich an einem
mir kürzlich aufgestofsenen Fall zeigen, wie sonderbar die Mimen-
motive in die Legende hineinschillern, und wie uns die Le-
gende plötzlich zum Zeugen für den Mimus werden kann. Es
handelt sich um die Legende des Bischofs Germanus von Paris
(t 28. Mai 576), aufgezeichnet von seinem jüngeren Zeitgenossen
Venantius Fortunatus. Der Heilige besucht als Knabe zusam-
men mit seinem Vetter Stratidius die Schule. Die Mutter des
Stratidius, nach seinem Erbe lüstern, will ihn vergiften und
weist die Magd an, den beiden Knaben, wenn sie durstig aus
der Schule kommen, zu trinken zu geben, jedem aus besonde-
rer Flasche. Indes die Magd verwechselt die Flaschen und gibt
das Gilt dem Stratidius, der tot niederfällt. Als man sich sehr
um ihn bemüht (sollicite inpenso studio), erwacht er wieder
zum Leben, bleibt aber in der Leibes färbe gezeichnet für
Lebenszeit.
Damit vergleiche man nun eine Novellette des Apuleius
(Metam. X zu Anfang). Da ist ein Oberst in zweiter Ehe mit
einer schönen, aber sittenlosen Dame verheiratet. Diese ver-
liebt sich in ihren Stiefsohn, aber er weist sie ab und verwan-
delt dadurch ihre Liebe in Hafs. Sie verschafft sich mit Hilfe
eines Sklaven ein schnell wirkendes Gift und giefst es in einen
Becher Weins, um es dem spröden Jüngling beizubringen.
Darüber kommt der rechte Sohn der Dame aus der Schule
durstig nach Hause, trinkt und fällt tot hin. Nun beschuldigt
sie den Stiefsohn der Giftmischerei und des Versuchs der Blut-
schande; es folgen grofse Szenen, bis schliefslich einer der Richter
sich als der Arzt erweist, der dem Sklaven das vermeintliche
Gift gegeben: es ist kein Gift, sondern ein starker Schlaftrunk;
man geht zum Grabmal und weckt den Knaben wieder auf. —
In dieser Erzählung des Apuleius hat Reich einen alten Gift-
mischermimus erkannt, der auch sonst seine Spuren hinterlassen
hat, bei Plutarch und bei Shakespeare. Es kann wohl keinem
Zweifel unterliegen, dafs wir in der Germanuslegende eine neue
Abzweigung zu sehen haben. Es trifft alles bis ins einzelne zu;
besonders beweiskräftig, ja geradezu durchschlagend ist der Um-
stand, dafs es sich beidemal um durstig heimkehrende Schul-
buben handelt: das kann schlechterdings kein Zufall sein. Eines
nur ist verändert, das mehr tragische Motiv der verbrecherischen
Liebe der Stiefmutter zum Stiefsohn ist ersetzt durch das alte,
echt mimische Erbschleichermotiv. So beweist nicht blofs die
Gleichheit, sondern gerade auch die Verschiedenheit durchaus für
den Mimus.
Hrotsvits literarische Stellung. 809
8. Hrotsvits Drameo.
Die Kritiker, die Hrotsvit mit Shakespeare verglichen haben,
gehen zumeist aus von einer gewissen Ähnlichkeit zwischen dem
Callimachus und Romeo und Julie. So zuerst Ch. Magnin; da-
nach, seine Andeutung ausführend, J. ßendixen. Es handelt
sich um Eingang und Schlufs beider Stücke.
Callimachus hat seine Freunde beiseite genommen und ge-
steht ihnen, nicht geradezu, sondern auf Umwegen, dafs er
Drusiana liebe, die Frau des Fürsten Andronikus.^ Er liebe.
Was? Der Gegenstand sei schön. Eine schlechte Definition:
die passe auf mehrere verschiedene Dinge. Weib ist sein Name
{mulierem). Das Wort umfasse das ganze Geschlecht. Nein,
eine einzelne sei es. Und wer? Drusiana. — Dies alles in
einer spitzfindigen Terminologie, nach einem philosophischen
Werke, das unter Augustins Namen umlief. Das sollte nun
mystisch zusammenhängen mit dem Gespräch zwischen Romeo
und Benvolio. Aber die Ähnlichkeit beschränkt sich zunächst
doch auf den einen gewifs bei Verliebten nicht eben merkwür-
digen oder seltenen Punkt, dafs beide, statt sogleich den Namen
der Gehebten herauszusagen (Romeo tut es überhaupt nicht),
erst Winkelzüge machen; das einzige, was man mit Grund ver-
gleichen könnte, ist die Aussage, sie hebten — ein Weib. Gewifs
wenig beweiskräftig.
Aul ein anderes ist etwas mehr zu geben: dafs dann so-
gleich, von Drusiana wie von Julien, gesagt wird, sie hätten,
die eine sogar trotz der Ehe, *der Enthaltsamkeit Gesetze be-
schworen'. Aber dieses Motiv, für Hrotsvit übrigens durch die
Legende gegeben und sogar leicht gemildert, dient beidemal
dazu, die unübersteigbaren Hemmnisse zu malen, die sich dem
Liebhaber in den Weg stellen.
Ebensowenig kann im Grunde die ÄhnKchkeit des Schlusses
beweisen, die Szene im Grabgewölbe, mit der Auferweckung
Drusianas und dem Schlaftrunk bei Shakespeare. Hier sind
keine wirklichen Zusammenhänge; hier haben wir ein seltsames
Spiel des Zufalls, mehr nicht. Ich gebe J. L. Klein,^ so wider-
wärtig sein bald witzelndes, bald pathetisches Räsonnement durch-
weg berührt, darin durchaus recht. Aber wir werden uns aller-
dings freuen dürfen, in solchen Dingen die angeborene Sicherheit
der Dichterin zu erkennen, die aus den gegebenen Motiven *etwas
zu machen' wufste. Nur für den Mimus ist hier nichts zu holen.
* Andronici huius principis conitigem (der Kürze halber hie princeps
= huius patriae princeps, was der Gebrauch Hrotsvits eigentlich fordern
de; nur war es zu scJ
* Oeseh. des Dramas
würde; nur war es zu schwerfällig).
o« III 710 ff.
BIO Hrotsvits Üterarisclie Stellung.
Ganz anders aber steht es mit den anderen Dramen. Um
von dem Gallicanus einmal abzusehen, der in zwei Teilen
etwas unbehilflich dramatisiert ist mit allzu reichlichem Szenen-
wechsel, so ordnet sich der Rest paarweise, zwei Märtyrer-
dramen und zwei Bufsdramen. Wir werden guttun, zusammen
zu behandeln, was dem Stoff nach zusammengehört.
Zwei der Dramen sind, wie gesagt, Märtyrerdramen, Dul-
oitius und Sapientia; wenn man will, mag man auch den Gal-
licanus, seines zweiten Teiles wegen, zu dieser Gruppe rechnen.
Jedenfalls empfiehlt es sich nicht, mit ihm zu beginnen. Man
gibt für gewöhnlich die Sapientia als eine Kopie des Dulcitius
aus, nicht ganz mit Unrecht, aber doch ohne die Sache damit
zu erschöpfen. Ich beginne mit dem Dulcitius. Er folgt getreu
der Legende; aber das Wichtige ist eben, dafs Hrotsvit sich
gerade diese Leger de ausgesucht hat.
Kaiser Diokletian hält Gericht. Drei Schwestern aus vor-
nehmem Geschlecht werden vorgeführt und aufgefordert, den
Göttern zu opfern ; dann sollen sie mit Würdenträgern des kaiser-
lichen Palastes vermählt werden. Sie aber weigern sich; sie
wollen ihrem Glauben treu bleiben und ihre Jungfräulichkeit
bewahren. Dem Kaiser erscheint dies als Halsstarrigkeit und
Torheit; sonst würden sie einsehen, dafs die alte Religion die
wahre sei. Daraus entspinnt sich dann ein Religionsgespräch,
in dessen Verlauf erst Agape, dann Chionia als toll abgeführt
werden; aber Irene, die jüngste, nimmt erst recht kein Blatt
vor den Mund, so dafs der Kaiser sie ebensowenig zur Räson
bringen kann und die Sache an den Statthalter (praeses) Dul-
citius verweist.
Der entbrennt sofort in Begierde, und weil ihm die Kriegs-
knechte vorhersagen, es werde schwer halten, die Mädchen mit
Güte oder mit Drohungen gefügig zu machen, läfst er sie im
Amtshause unterbringen, um sie nach Gefallen ^besuchen' zu
können. Hier hat Hrotsvit halb durch Mifsverständnis, halb
durch die Unmöglichkeit, eine Bühnenanweisung, wie wir sagen
würden, einzuschalten, eine sonderbare Verwirrung angerichtet.
Die Quelle spricht von der Bewachung durch einen Beamten
(officiaUs)f der mit Dulcitius unter einer Decke steckt, und fügt
hinzu, in demselben Räume, wo sie eingesperrt waren, sei allerlei
Küchengerät verwahrt worden. Das wird nachher szenisch
wichtig; aber es war doch wahrhaftig nicht des Statthalters
Absicht, sie in die Küche zu sperren. Hrotsvit hätte sich helfen
und in der nächsten Szene, ehe Dulcitius auftritt, die Mädchen
das Lokal beschreiben lassen können. Sie tut es nicht, sondern
Dulcitius befiehlt ganz naiv, die Gefangenen in dem Räume
hinter der Rüstkammer zu verwahren (in interiorem officinae
aedem, in cuius proaulio ministrorurti servantur vasa).
Hrotsvits literarisclie Stellung. SU
Nacht. Dulcitius tritt mit den Knechten auf und befiehlt
ihnen, mit den Fackeln draufsen zu warten, während er hinein-
geht, seine Lust zu büfsen. Aber er verirrt sich, und, mit Ver-
wirrung geschlagen, umarmt er statt der Mädchen die russigen
Töpfe und Pfannen, bis er schwarz aussieht wie ein leibhaftiger
Mohr. Diese ganze Szene, von Hrotsvit kurz, aber wirksam mit
burlesker Komik durchgeführt, geschildert im Gespräch der
durch eine Spalte beobachtenden Mädchen, die trotz der Gefahr
das Lachen nicht halten können, erinnert seltsam an Shake-
speares Sommernachtstraum, wo die Elfenkönigin, mit gleicher
Blindheit geschlagen, den eselköpfigen Weber Zettel als den
schönsten der Sterblichen begrüfst und liebkost, ohne seiner
Ungestalt gewahr zu werden; die Rolle der Trabanten spielen
gleichsam die Elfen Bohnenblüte und Senfsamen. Wir wissen
durch Reich, dafs Shakespeare auf den Eselroman des Apuleius
zurückojeht und daneben der alte, nie untergegangene Eselmimus
selber hineinspielt. Aber, worauf es mir ankommt, das ist, dafs
Dulcitius und Titania nicht wissen, was sie tun, während bei
Apuleius die Matrone in ihrem perversen Begehren sehr natura-
listisch von dem Esel, dessen Menschennatur sie nicht kennt,
erwartet, was des Esels ist: was denn doch, trotz der Täuschung,
etwas ganz anderes ist. . . . Vielleicht stand der alte Eselmimus
hier den Dramen Hrotsvits und Shakespeares näher als dem
Eselroman des Apuleius.
Den Heraustretenden empfangen die Knechte entsetzt, als
sähen sie ein Gespenst. Ein wirres Durcheinander entsteht.
MiLiTES. Quts hie egrediturf — Daemoniacus. — Vel magis
ipse diabolus. — Fugiamus. So habe ich schon in der Aus-
gabe abgeteilt, denn es kann kein Zweifel sein, dafs Hrotsvit
hier das Stimmengewirr von Frage und Antwort hat charakte-
risieren wollen. Zur Darstellung bedürfte es, genau genommen,
nur zweier Kriegsknechte: sie werfen sich Frage und Antwort
zu, ziehen zuletzt mit dem gemeinsamen Ausruf 'Fort!' das
Fazit und suchen das Weite. Vergebens heifst Dulcitius sie
stehen bleiben. Wieder Frage und Antwort: Milites. Vox
senior is nostri, sed imago diaholi. — Non subsistamus, sed
fugam maturemus ; phantasma vult nos pessundare. Also eine
Szene, gerade wie wenn der Kasperle des Puppentheaters vor
dem Gottseibeiuns Reifsaus nimmt. — So geht der Gekränkte
zum Palast, um sich zu beschweren, aber die Pförtner werfen
ihn kurzerhand die Treppe ' hinunter {de gradu praecipitemus).
Hier könnte man wieder verschiedene Stimmen sondern und wird
es vielleicht der Analogie wegen, nur läfst es sich diesmal nicht
strikt erweisen. Die Rolle aber, die Dulcitius bei den Pförtnern
spielt, ist die des geprellten und gepritschten Narren, der des
betrogenen Teufels verwandt. — Nun will er nach Hause. Also
Bl2 Hrotsvits literarische Stellung.
müfsten Amtshaus, Palast und Wohnung des Dulcitius zugleich
auf der Bühne angedeutet gewesen sein; das würde auch noch
für Shakespeare nichts Auffälliges haben. Seine Frau kommt
ihm entgegen mit allen Zeichen der Trauer, und nun endlich
erwacht auch er aus seiner Verblendung: nun müssen die Mädchen
Hexen sein und ihn verzaubert haben. Aber jetzt soll es ihnen
schlecht gehen; jetzt will er ihnen seine Künste weisen {quo
versa vice, quid nostra possint ludihria, experiantur): er ge-
bietet, sie vorzuführen und vor seinen Augen nackt auszuziehen.
Aber die Kleider sitzen fest wie angewachsen, und er selbst
schnarcht in tiefem Schlaf. Es ist das Motiv von der h. Agnes,
die auf andere, aber ähnliche Weise wunderbar beschützt wird.
Bezeichnend auch, dafs die Szene mit der h. Agnes einer er-
zählenden Legende, diese hier einem Drama angehört. Die eine
war eben dramatisch nicht darzustellen, während hier einer Dar-
stellung prinzipiell nichts im Wege gestanden hätte.
Die Soldaten beschlief sen, den Fall dem Kaiser vorzutragen
und seine Entscheidung einzuholen. — Der tritt denn auch in
der nächsten Szene auf und ernennt den Grafen {comes) Sisin-
nius, die Strafe zu vollziehen. Der läfst zuerst die beiden
ältesten vorführen, die er für inkurabel hält, um so wenigstens
Irene zu retten. Natürlich verweigern sie das Opfer; sie werden
ins Feuer geworfen, aber sie bitten Gott um einen schnellen
Tod und sterben, ohne dafs ihr Leib vom Feuer versehrt wird.
Irene wird nun vorgeführt; sie bleibt standhaft, auch als
ihr mit der Verurteilung zum Bordell gedroht wird: lieber das
als abzufallen vom Glauben ; aber es werde nicht dahin kommen,
Gott werde sie erretten. Und so geschieht es; die Knechte, die
sie abführen, werden durch eine Erscheinung von Engeln ge-
täuscht, die Irene in ihre Obhut nehmen und auf einen hohen
Berg führen. Sisinnius will ihr nach, aber er kann, am Fufse des
Berges angekommen, nicht vom Fleck und läfst sie erschiefsen;
sie stirbt triumphierend, das Lob Gottes auf den Lippen.
Nachdem ich dieses Stück eingehend wiedergegeben habe,
kann ich mich bei der Sapientia um so kürzer fassen. — Hadrian
wird von seinem Ohrenbläser Antiochus gegen die h. Sapientia
und ihre drei Töchter Fides, Spes und Karitas aufgehetzt. Sie
werden vorgeführt, es beginnt das Verhör. Sapientia antwortet
ruhig, aber fest und ohne jede Devotion. Das Alter ihrer Töchter
gibt sie in einer Art von Zahlenrätsel oder Rechenexempel an
und erläutert dies dann in langer theoretischer Auseinander-
setzung: Sie sind 12, 10 und 8 Jahre alt. Hadrian hat sie
ausreden lassen, selbst hin und wieder daz wischengefragt, um
sie besser zu verstehen, aber nun kommt er aut seine alte
Forderung zurück, den Glauben abzuschwören. Sie verweigert
es und wird ins Gefängnis zurückgeführt, wo sie ihre Kinder
Hrotsvits literarische Stellung. 313
ermahnt, standhaft auszuharren. Es folgt die neue Verhandlung.
Eine nach der anderen verhöhnt den Kaiser und wird zu Tode
gemartert. Auf der Bühne (ich sage damit noch gar nichts
darüber aus, ob das Stück wirklich aufgeführt worden ist) wird
Fides erst ausgepeitscht, dann werden ihr die Brüste (gemellae
pectoris particulae) abgeschnitten — aber es fliefst Milch statt
Blutes, und schliefslich wird sie zum Feuertode verurteilt; aber
der Kessel mit glühendem Pech kann ihr nichts anhaben, so
mufs die ultima ratio, das Schwert helfen. Ganz ähnlich geht es
mit Spes: sie wird gepeitscht, dafs das l^leisch in Fetzen herab-
hängt; der Kessel wallt über und verbrennt die Knechte statt
ihrer — endlich wird auch sie enthauptet. Zuletzt Karitas: bei ihr
wird gleich mit dem drei Tage und drei Nächte zu heizenden
Kessel angefangen (während der Heizung bleibt alles auf der
Bühne!); er verbrennt 5000 Menschen, und Karitas mufs mit dem
Schwert gerichtet werden. Sapientia begräbt die Leichen ihrer Kin-
der und stirbt an ihrem Grabe unter dem Gebet frommer Frauen.
Hier geht alles drunter und drüber. Das war denn freilich
unaufführbar auch zu Hrotsvits Zeit, unaufführbar mit seinen
Folterszenen, obwohl z. B. die englische Bühne vor Shakespeare
und auch er im Titus Andronicus ein Erkleckliches darin zu-
wege gebracht hat; unaufführbar auch in seinen zahlentheore-
tischen Erörterungen, über die noch zu reden sein wird. Ganz
anderen Charakter aber trägt der Dulcitius.
Im Dulcitius haben wir die typische Märtyrerkomödie. Es
zeugt für Hrotsvits unvergleichliche dramatische Begabung, dafs
sie gleich in den Anfängen ihres Dramas diesen Stoff aufgegriffen
hat, der durch die Mischung des Tragischen mit einer so star-
ken Dosis des Burlesken es ihr ermöglichte, ihr Talent nach
allen Seiten zu entfalten. Hierfür verschlägt es nicht, ob Hrots-
vit zu ihrer Zeit ein auf der Bühne lebendes Drama gekannt
hat, das ihr allerhand Anregungen bot, oder ob sie blofs auf
die Lektüre des Terenz angewiesen war. Ihr Stil, kleine Einzel-
heiten der Sprache und Technik, das Formelhafte des Dialogs,
das alles ist ja dem Terenz nachgebildet; und es beweist die
aufserordentliche Stilsicherheit, das angeborene Stilgefühl der
Dichterin, dafs sie so selbstverständlich epischen und drama-
tischen Stil auseinanderhält und wieder in ihren prosaischen
Vorreden sich sowohl der epischen wie der dramatischen Flos-
keln so gut wie ganz enthält. Eine scheinbare Ausnahme wird
nachher zu erwähnen sein, aber vollkommen aufgeklärt werden.
Hatte Hrotsvit für ihre Märtyrerkomödien wirklich keine
Vorbilder? Sie nennt nur Terenz; aber dafs sie nichts anderes
nennt, beweist wenig. Hier klafft einstweilen eine Lücke; aber
ich kann sie zum Glück durch ein Beispiel ausfüllen, worauf
Reich mich einmal nebenher hinwies. In seinem Mimus (I 82 ^,
&14 Hrotsvits literarische Stellung.
566 f.) hatte er ausführlich von den christologischen Mimen
gesprochen, die den Glauben und die Caerimonien der Christen
und ihr Martyrium der Spottlust der Heiden preisgaben. Das
typische Beispiel ist der Mimus des Genesius. Der hatte, als
Heide, alle christlichen Gebräuche erkundet, um sie mit seiner
Bande realistisch darzustellen, zum Gaudium des Kaisers Dio-
kletian. Der Inhalt des Mimus war dieser: Genesius brach in
der ersten Szene auf offener Strafse zusammen und verlangte,
als Schwerkranker, die Taufe. Wir müssen uns gegenwärtig
halten, dafs viele, wie auch Konstantin der Grofse, die Taufe
eben verschoben, bis sie das Ende nahe fühlten; einen solchen
Halbchristen also gab Genesius wieder. Nächste Szene: Genesius
liegt zu Bett; seine Freunde sind um ihn. Er fühle sich schwer
und wolle leicht werden. Antwort der Umgebung: 'Wir sind
doch keine Tischler, dich auf die Hobelbank zu legen und dir
ein Stück abzuhobeln' — richtige grobkörnige Mimenwitze. Er
macht ihnen klar, er wolle Christ werden. Lauter Beifall des
Kaisers über diesen kostbaren Spafs. Man ruft den Priester
und Küster; sie kommen, fragen nach seinem Begehren, und es
folgt (wohl gleich an Ort und Stelle) die Taufhandlung mit
allem Zeremoniell. Aber schon erscheinen die Kriegsknechte,
um ihn vor den Kaiser zu führen. Er bekennt sich als Christen
— und nun sollte natürlich im Mimus Verurteilung und Hinrich-
tung folgen. Da tritt ein unerwarteter Zwischenfall ein. Den
Mimen, der eben noch als Spötter das Christentum verhöhnt
hat, fafst plötzlich der Geist: er bekennt sich im Ernst zu dem,
was er eben in seiner Rolle deklamiert hat, und fordert in begei-
sterter Rede den Kaiser und das Publikum auf, sich zu bekeh-
ren. So wird aus dem Spiele blutiger Ernst; man ergreift ihn,
er wird verurteilt und hingerichtet. So wird der Mime zum Hei-
ligen; und dieser Fall soll sogar mehreremal vorgekommen sein.
Das war der heidnische Märtyrermimus. Aber die Mimen
haben nicht abgelassen, ihren Patron, den Heiligen aus ihrem
von der Kirche immer wieder verlästerten Stande, zu feiern. An
die Stelle des heidnischen Märtyrermimus tritt der christliche;
und Genesius, der Darsteller des heidnischen Mimus, wird der
Held des christlichen. Ist das wirklich Zufall? es ist, mag der
Hergang gewesen sein wie er will, ein Abbild des weltgeschicht-
lichen Umschwunges im kleinen. Aber ich meine, es wird den
christlich gewordenen Mimen schon früh nahegelegen haben, den
Spiefs umzukehren. Und wenn wir heute den christlichen Gene-
siusmimus erst als französisches Mystere des 15. Jahrhunderts
nachweisen können,^ so beweist das nicht, dafs erst damals
* Herausgeg. von W. Mostert und E. Stengel; B. v. d. Lage, Studien
7(Air Oenesiibslegende, Berlin 1898 f.
Hrotsvits literarische Stellung. 815
jemand auf den Gedanken gekommen ist, die Legende des
heilig gesprochenen Mimen wieder in einen Mimus zurückzubil-
den: solche Stoffe wandeln die J'orm mit jedem Tage: zeigt ja
die einzige zufällig auf uns gekommene Hs. ein gutes Dutzend
hin und her korrigierender und umarbeitender Hände und ein
Bruchstück einer zweiten verschiedenen Fassung. Es verschlägt
nicht viel; aber ich glaube allerdings, dafs wir eine lateinische
Vorstufe des französischen Mysteriums zu erschliefsen haben,
im wohlbekannten Stil der lateinischen Mysterien, und dafs auch
diese lateinische Fassung nur die Fixierung eines mündlich über-
lieferten, uralten und immer neugeborenen und bei jeder Auf-
führung neugestalteten Mimus ist. Und solch einen Mimus,
meine ich, könnte Hrotsvit wohl gekannt haben, wenn nicht
diesen Genesiusmimus, dann einen anderen. Sollte sie aber ohne
ein solches Vorbild, dessen Existenz wir nur vermuten können,
zu ihrem Märtyrerdrama gekommen sein, so erscheint ihr dra-
matisches Genie nur um so gröfser. Besteht kein äufserer,
direkter Zusammenhang mit dem Märtyrermimus, so hat sie
aus sich heraus genau das geschaffen, was vor ihr und nach
ihr der Mimus geschaffen hat. Die Frage liegt ja so, dafs sie
am Einzelfalle nicht entschieden werden kann. Jeder einzelne
Fall, für sich allein betrachtet, bringt es blofs zu einem gröfseren
oder geringeren Grade von Wahrscheinlichkeit. Wenn aber in
mehreren Punkten, jeden für sich untersucht, das an sich noch
hypothetische Ergebnis nach der gleichen Richtung weist, dann
wird die Wahrscheinlichkeit zur Gewifsheit.
Es wären jetzt noch ein paar Worte zu sagen über die
Sapientia. Diese aber versparen wir uns besser bis dahin, wo
wir auch die Bekehrungsdramen behandelt haben. Denn der
Paphnutius zeigt zum Teil dieselben Eigentümlichkeiten, die man
erst dann versteht, wenn man beide Dramen zusammennimmt. —
Neben den Martyrien stehen, ebenso gepaart, die Bufsdramen.
Der Einsiedler Abraham nimmt seine siebenjährige verwaiste
Nichte Maria zu sich und erzieht sie in strenger Kasteiung und
Gebet in einem kleinen Anbau seiner Klause. So lebt sie
zwanzig Jahre lang. Da gelingt es einem falschen Mönch, der
sie unter frommen Vorwänden oft besucht hat, das unbehütete
Mädchen zu verführen; und als ihr ihre Schuld zum Bewufst-
sein kommt, entweicht sie und führt in weltlicher Lust ihr
Leben als Dirne. Abraham aber sucht sie, als Ritter verkleidet,
auf, gibt sich ihr, als sie beide allein sind, zu erkennen und
holt sie zurück. Dies in grofsen Zügen die Handlung des ersten
Bufsdramas. Ich gehe hier auf das Technische nicht ein; aber
ich will doch so viel sagen, dafs man stets mit Recht des höch-
sten Lobes voll gewesen ist. Da ist kein Zug zuwenig, keiner
zuviel. Dafs Maria uns erst als Kind gezeigt wird, während
Sl6 Hrotsvits literarische Stellung.
sie nachher als reifes, heifsblütiges Weib auftritt, ist gut und
recht: diese Szenen gehören zum Ganzen, nur so wird uns der
Charakter verständlich gemacht, die Erinnerung an diese ihre
unschuldige Jugendzeit überkommt sie mitten im Strudel ihres
Weltlebens, als Abraham unerkannt ihr gegenübertritt.
Der Stoff ist aus den Vitae patrum entlehnt, von denen
schon früher die Rede war. Dort' findet sich auch die Schil-
derung des Verführers genau, wie Hrotsvit sie gibt; erat aiitem
quidam professione tantummodo monachus, qui suh obtentu
aedificationis ad eiim (d. h. zu Abraham) saepius pergere sole-
bat, sed et illam beatam (Marien) j)er fenestram iiihilominus
contemplando cum ea colloqui cupiebat: amor (wohl eher
ardor?) namque libidinis cor eins quasi ignis succenderat,
Insidiabatur ei quoque multo temporis spatio, ita ut unius
anni circulus volveretur, donec cogitationem eins verborum
suorum mollitie enervaret. Denique aperiens cellae suae fene-
stram egreditur ad eum; qui eam protinus scelere iniquitatis
atque libidinis contaminavit ac polluit. Gewifs, eine Szene
aus dem Leben. Aber — der das Leben treu in seinem Spiegel
auffafst und wiedergibt, das ist der biologische Mimus. Und
gerade hier tritt uns ein klassischer Zeuge zur Seite. Man denke
an den h. Hieronymus, an die Schilderung, die er in dem Brief
an Eustochium von den frommtuenden Galanen entwirft, und
zumal an seinen Brief an den Diakonen Sabellian.2 Der hat in
Rom einen Ehebruch begangen, ist mit Mühe und Not dem
betrogenen Gatten entgangen und mit einem Empfehlungsbrief
seines Bischofs zu Hieronymus nach Bethlehem gekommen.
Hieronymus nimmt ihn freundlich auf, aber ehe er sich's ver-
sieht, hat Sabellian wieder eine Nonne verführt und auch gleich
einen verschmitzten Entführungsplan ausgeheckt. Das ist das
Leben; und nun sagt Hieronymus: repertum est facinus, quod
nee mimus fingere, nee scurra ludere, nee Atellanus possit
effari. Dergleichen überbiete die Frechheit der Erfindungen
des Mimus. Er mufste es wohl wissen. Und wenn die alte
Legende die Geschichte genau so ausmalt wie Hieronymus, so
haben wir hier blofs wiederum den alten Kreislauf Das Inter-
essante aber ist, dafs Hrotsvit aus der unendlichen Fülle von
Legenden gerade die dramatischen auswählt, die, in denen wirk-
lich mimischer, biologischer Gehalt steckt. Denn die Vitae
patrum mit ihren Berichten aus der ägyptischen Wüste, sie
entstammen ja wieder einem Lande, das wie nur irgendeines
dem Mimus gefrönt hat.
Aus dem Paphnutius greife ich nur die eine Szene heraus,
* Kölner Ausgabe von 1548, Alphabet 17, letztes Blatt.
2 Eeich, Mimus I 751. 763.
Hrotsvits literarische Stellung. 317
wie der Heilige mit Entrüstung die wüsten Szenen vor dem
Hause der Thais beschreibt, wo sieb die Liebhaber die Köpfe
blutig schlagen. Alles nach der Legende, gewifs; daneben kamen
für Hrotsvit etwa die Rivalitätsszenen aus Terenz' Eunuchen in
Betracht. Aber es sind wieder die Vitae patrum, der Schau-
platz wieder Ägypten.
Und hier dürfen wir an ein anderes erinnern. Diese Legende
von dem frommen Einsiedel Paphnutius und der Thais, die hat
kein geringerer als G. Keller bearbeitet, in seiner Legende vom
*schlimmheiligen Vitalis': das hat J. Baechthold nachgewiesen;^
freilich hat Keller den Stoff nicht aus alten Pergamenten oder
Inkunabeln genommen, sondern aus Kosegartens Legenden. Dem
^Shakespeare der Novelle', wie P. Heyse ihn einmal genannt
hat, dem grofsen Lebensschilderer der Leute von Seldwyla, er-
schien es eben, als ob sich auch in dieser Legende *nicht blofs
die kirchliche Fabulierkunst geltend mache, sondern wohl auch
die Spuren einer ehemaligen mehr profanen Erzählungslust oder
Novellistik zu bemerken seien.' Was wollen wir eigentlich mehr?
Da hat G. Keller mit dem genialen Instinkt des Dichters ja
alles vorweggenommen, was wir uns erst im Schweifs unseres An-
gesichtes erarbeiten müssen. Es steckt ein gut Stück weltlicher
Fabulierkunst, ein gut Stück — wie wir jetzt sagen dürfen;
Mimus in dieser Legende — mögen wir dabei mehr an den
dramatischen oder an den rezitativen Mimus, die Novelle, denken.
Nein, es kann nicht anders sein. Grofs und bewunderns-
wert für alle Zeiten bleibt Hrotsvits Genie; und wenn G. Frey-
tag im Alter seine Jugendliebe verleugnet und in seiner Selbst-
biographie einmal gesagt hat, die Dramen Hrotsvits bewiesen
nur, dafs damals kein Drama möglich war, so ist das lediglich
die Einseitigkeit, die alles an seiner alleinseligmachenden Technik
des Dramas mifst.
Aber freilich, man mufs sich an die rechten Gegenbilder
halten. Historisch zu begreifen ist die Nonne von Gandersheim
nur vom Mimus und Mysterium her, die dann wieder zu Shake-
speare führen. Näher aber als Shakespeare steht ihr im Tech-
nischen ein anderer Grofser, Goethe, in seinem Jugendwerk, dem
grandios hingeworfenen, auch so recht, recht *undramatischen'
Götz von Berlichingen in seiner ersten Fassung; die heifst: *Ge-
schichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand,
dramatisiert.' Er schrieb nicht für die Bühne; ^ aber er hatte
das Vorbild der mit geringem Bühnenapparat arbeitenden
Volkskomödie, des Puppenspiels, instinktiv begriffen; jeder Ver-
such, den Götz umzuarbeiten für die moderne Bühne, mufste
* O. Kellers Leben III 23 ff.
* A. Bielschowsky, Goethe V 172.
'318 Hrotsvits literarische Stellung.
der Lebendigkeit Abbruch tun. Das ist das Rechte; wenn wir
wissen wollen, was Hrotsvit gemacht hat, sie sagt es uns selbst.
Denn jetzt erst werden wir auch die -Inhaltsangaben' ver-
stehen. Wir sind gewohnt, die Dramen kurzweg nach einer
Hauptperson als Gallicanus, Dulcitius usw. zu bezeichnen. Das
ist auch praktisch fürs Zitieren; nur müssen wir wissen, was
Hrotsvit gewollt hat. Ich habe in meiner Ausgabe zuerst er-
kannt, dafs diese 'Inhaltsangaben' mit ihren ellenlangen Sätzen
in Wirklichkeit die Titel der Dramen sind. Damit war immer-
hin etwas gewonnen, aber lange nicht genug. Wie kam Hrotsvit
auf diesen Einfall? Ihr nächstes Vorbild waren die Komödien
des Terenz, und die haben doch in der Überlieferung ihre kurzen,
bündigen Titel, Andria, Eunuchus usw. Auch in ihren eigenen
Legenden hatte sie ein vernünftiges Mafs innegehalten, wenn sie
etwa schrieb:
Historia nativitatis laudahilisqtie conversationis
intactae dei genitricis,
quam scriptam repperi
suh nomine sancti lacohi fratris domini.
Aber nun geht es endlos, von einem Satz in den anderen, und
doch soll alles Titel sein; aber wenn der erste Satz zu Ende ist,
haben wir längst vergessen, wie es angefangen hat, so dafs man
die Ungeheuerlichkeit kaum bemerkt. Ein Beispiel wird genügen:
Conversio Gallicani principis militiae; qui, iturus ad
bellum contra Scythas, sacratissimam virginem Constantiam,
Constantini imperatoris filiam, desponsavit, \ sed in conflictu
praelii nimium coartatus, per loJiannem et Paulum, primi-
cerios Constantiae, conversus, \ ad baptisma convolavit \ caeli-
bemque vitam elegit, \ postea autem iuhente luliano apostata
in exilium missus, | martyrio est coronatus. \ Sed et lohannes
et Paulus eodem iubente dam occisi \ et in domo occidte sunt
sepulti. I Nee mora, percussoris filius, \ a daemonio arreptus, \
patris commissum | et martyrum confitendo meritum, \ iuxta
eorum sepulchra salvatus, | una cum patre est baptizatus. \
Dieses ganze sonderbare Verfahren läfst nur eine Erklärung
zu. Die lateinische Komödie des Terenz und ebenso der Mimus
(z. B. des Laberius) waren mit Prologen ausgestattet, worin der
Dichter über sich und das Sujet des Dramas referierte, ohne
doch eine Inhaltsangabe zu bieten. Später, als man diese
Dramen nur noch als Buchdramen las, kamen dann die periochae
des C. Sulpicius Apollinaris hinzu. Diese waren in dem Haupt-
versmafs der terenzianischen Komödie gehalten, im jambischen
Senar: reine Inhaltsangaben, weiter nichts, in abgemessenem
Umfang. Auch der Mimus wird, zumal in der Zeit, wo er das
dramatische Element überhaupt einschränkte, den eigentlichen
Hrotsvitß literarische Stellung. 819
Prolog, den ein Schauspiel zu agieren hatte (die pronuntiatio
fabulae), auf eine prosaische, die Zuhörer schlicht instruierende
Inhaltsangabe reduziert haben, die etwa den ältesten Theater-
zetteln entspricht, welche sich auch nicht auf den blofsen Titel
beschränken, sondern angeben, was in der Komödie 'vorgestellt'
wird. Die langen Titel Hrotsvits aber sind ein Ersatz für die
Periochen der terenzianischen Komödie und zwar in einer dem
Mimus, wie sie ihn kannte, angepafsten Form, in derselben
kunstvollen Reimprosa wie das Drama selbst und der Titel der
Marienlegende. Freilich, woher wissen wir, dafs der dramatische
Mimus ihrer Zeit noch einen solchen Prolog hatte? Nun, dieser
Prolog ist das naturgemäfse Gegenstück zu dem, nicht obliga-
torischen, aber weitverbreiteten Rhythmenprolog des erzählen-
den Mimus. Wie z. ß. der Rhythmus vom Antichristen beginnt:
Quiconque cupitis audire ex meo ore carmina,
de summo deo nunc audite gloriosa famina
et de adventum antichristi in extremo tempore,
wie so viele Rhythmen ihr Thema mit audite omnes ankün-
digen, so bedurfte das Drama, bedurfte der Mimus in einer Zeit,
die noch keine gedruckten Theaterzettel kannte, unbedingt einer
voraufgehenden Orientierung der Zuhörer. Eine einzige Aus-
nahme ist hier vorzubehalten. Bei den Weihnachts-, Dreikönigs-,
Passions- und Osterspielen (und das ist ja die Mehrzahl der
Mysterien) wufste das Publikum von vornherein, was ihm ge-
boten werden sollte; da war keine Belehrung nötig. Trug ein
Mysterium anderen Charakter, so wurde eine Einleitung vorauf-
geschickt; datür ist lehrreich das niederdeutsche Theophilus-
spiel, das Hoffmann von Fallersleben 1853 herausgegeben hat, wo
sogar ein zwiefacher Prolog voraufgeht, weil man damit rechnet,
dafs der kürzere erste bei der Zuhörerschaft im allgemeinen
Lärm verloren gehen würde: er ist gewissermafsen das Zeichen
mit der Theaterkhngel. Dem lateinischen ludus de Antichristo
geht in der Hs. von Tegernsee keine solche Orientierung voran.
Da hat eben bei der Aufzeichnung die Analogie der kirchlichen
Festfeiern eingewirkt; aber als das Stück gegeben wurde, hat
sicher eine solche kurze Belehrung stattfinden müssen.
Daneben wird man guttun, an das englische Theater vor
Shakespeare und an das zu denken, was Shakespeare selber bei
seinen Schauspielen im Schauspiel, im Hamlet als das Übliche
voraussetzt und, im Sommernachtstraum, verspottet. Im Som-
mernachtstraum die Orientierung über die Geschichte von Pyra-
mus und Thisbe und die allerdings sehr eigentümlichen Ver-
hältnisse der Darstellung. Im Hamlet geht eine kurze Pan tomine
vorauf. Ophelia vermutet sofort, dafs 'diese Vorstellung den
Inhalt des Stückes anzeige', und erwartet dann von dem auf-
320 Hrotsvits literarische Stellung.
tretenden Prolog, der allerdings nachher blofs um geneigtes
Gehör bittet (das 'nu hört, nu hört unde swyget stille' des
Theophilus), dafs er sagen werde, 'was diese Vorstellung be-
deute': alles vor dem Beginn des eigentlichen Schauspiels.
Hrotsvits Dramen aber mit ihrer Inhaltsangabe im Titel
sind vollgültige Zeugen der Mimenpraxis ihrer Zeit: '(wir werden
agieren) die wunderbare Historie von dem Herzog Gallican; dem
hat Kaiser Konstantin seine Tochter versprochen,' usw.
Aufserdem, sollte man denken, käme noch das Personen-
verzeichnis in Betracht. Dieses lehrt uns aber nichts. Die Per-
sonen werden bei Hrotsvit ganz wie bei Terenz in der Reihen-
folge aufgeführt, wie sie auftreten; nur werden Nebenpersonen
(z. B. die Frau des Dulcitius, der Wirt im Abraham) übergangen,
Gruppen von Personen, wie die principes im Gallican, die milites
im Dulcitius, ans Ende gestellt: dafs im Callimachus die amici
gleich an zweiter Stelle stehen, erklärt sich aus der Rück-
beziehung auf die Hauptperson — hiefsen sie etwa cives, so
würden sie auch an letzter Stelle stehen. Aus dieser Anlehnung
an Terenz ist gar nichts zu schliefsen. Wichtig für uns ist
nicht, was Hrotsvit mit Terenz gemein hat, sondern das, worin
sie von ihm abweicht.
Gedacht, meine ich, hat Hrotsvit zuerst an Darstellung,
ohne viel szenischen Apparat, nach dem Vorbilde der Mimen.
Aber wirklich aufgeführt sind ihre Dramen damals nicht wor-
den, weder im Kloster noch, was Scherer für denkbar hielt,^
von den Mimen. Wohl aber hat die Stauferzeit die Dramen
Hrotsvits als Geist von ihrem Geist erkannt. Damals wurde der
Gallican aus der Regensburger Hs. in das grofse österreichische
Passionale übernommen. Und der Anfang desselben Dramas
trägt, in staufischer Schrift, eine Reihe von Beischriften zu den
Personennamen, wie C. d. (= Constantinus dicit), G. r. (== Gal-
licanus respondet), Beischriften, wie sie in den lateinischen Dra-
men der Stauferzeit, den Mysterienspielen, üblich sind.
Wenn übrigens hier das Passionale die Wortstellung ver-
einfacht und dadurch die Reimprosa zerstört, so sollte uns das
eine Lehre sein, frei von Buchstabenfurcht und Verehrung wür-
digen Pergamentes auch über die Regensburger Hs. hinaus der
echten Wortstellung, d. h. der Reimprosa Hrotsvits nachzuspüren.
Ich bin darin, als ich meine Ausgabe druckte, noch viel zu
ängstlich gewesen; Strecker ist der Sache, wie schon seine Re-
zension zeigte, mit glücklichstem Erfolge weiter nachgegangen,
und wir dürfen noch viel Aufklärung darüber von ihm erwarten.
Wer hätte so leicht gedacht, dafs im Callimachus 9, 13 zu lesen
sei: ex cuius flammea facie \ candentes in bustum transiliehant
* Qesch. d. dt. Dichttmg im IL und 12. Jh., S. 17.
Hrotsvits literarische Stellung. 321
scintillae; \ quarum una mihi in faciem ferebatur resiliens, \
simidque vox facta est dicens: \ Calimache, movere, ut vivas.
Zwei kühne Umstellungen, die Strecker vornimmt; aber sie sind
schlechterdings zwingend. Hätte Hrotsvit geschrieben, was die
Hs. gibt, scintillae transiliebant und q. u. res. m. in f, fere-
batur, sie wäre der von ihr so heifs geliebten Reimprosa geflis-
sentlich aus dem Wege gegangen. Und so noch vieles.
Es ist nicht Zufall, dafs, gerade ebenso wie Dulcitius und
Sapientia nebeneinanderstehen, zum Abraham der Paphnutius
tritt. Dagegen möchte ich den dritten analogen Fall absondern,
die doppelte Behandlung des Teufelsbundes in den Legenden:
ich wies schon früher darauf hin, dafs es sich dort um ver-
schiedene Motive, um Ehrgeiz und Liebe, handelt. Hier aber
ist zwar auch ein Gegensatz vorhanden: Maria, die Nichte
Abrahams, nach langer, strenger Askese verführt und zur Dirne
herabgesunken, während wir über das Vorleben der Thais gar
nichts erfahren; aber es ist doch mehr als fraglich, ob Hrotsvit
sich dieses Gegensatzes genügend bewufst geworden ist, um den
Paphnutius deswegen als selbständig und nicht als Dublette zu
empfinden. Mir scheint der Umstaad, dafs Paphnutius und
Sapientia die beiden letzten Dramen sind, eine andere Auffassung
zu empfehlen.
Nicht als ob die dramatische Kraft der Dichterin erlahmt
wäre, dafs sie plötzlich sich selbst hätte ausschreiben müssen.
Wer so kühn und sicher seinen Weg genommen und nach dem
etwas ungeschickten (ich möchte lieber sagen : noch nicht bühnen-
sicheren) Gallican die meisterhafte Burleske des Dulcitius, da-
nach den wenigstens in seiner ersten Hälfte straff komponierten
Callimachus gedichtet hat, dann den ohne jede Einschränkung
vollendeten Abraham: der ist auf dem Gipfel und nicht mit
einem Male am Ende seines Könnens; ganz abgesehen davon, dafs
Hrotsvit ja noch, nach der vorhin vorgetragenen Einteilung der
Werke, in ihrer ersten Periode steht und ein Meisterwerk wie
das Gedicht über ihr Kloster erst vor sich hat. Wenn die beiden
letzten Dramen so ganz abfallen oder wenigstens etwas so ganz
anderes sind, dann mufs dies seine besondere Ursache haben.
Hier kann freilich von strengem Beweis keine Rede sein. Hier
braucht es des psychologischen Verständnisses, eines Hinein-
lebens in die ganze Art der Dichterin; wir müssen versuchen,
die äufseren und inneren Bedingungen zu erfassen, worunter
sie ihre Dichtungen geschaffen hat — vielleicht dafs wir dann
eher die Ursache des Umschwunges erraten. Ich meine, wie
gesagt, Hrotsvit hat, als sie ihr erstes Drama begann, allerdings
mimische Aufführungen gekannt und hat bei ihren vier ersten
Dramen eine Aufführung ins Auge gefafst, wenn auch nur im
stillen; wir wissen, es war nicht ihre Art, in den Anfängen viel
Archiv t. n. Sprachen. CXIV. 21
322 Hrotsvits literarische Stellung.
iiber Werdendes zu reden. Von ihren Legenden hat sie ihrer
Äbtissin, ihrer Lehrerin und vertrauten Freundin Gerberge, erst
gesagt, als der Theophilus, die fünfte Legende, fertig war: die
vielen Einzelausgaben, die ich auf Grund der angehängten Ge-
bete konstruiert habe (Maria; Maria + Himmelfahrt; Gongolf;
Pelagius; Maria 4 Himmelfahrt -f Gongolf -f- Pelagius -\- Theo-
philus), sind nichts als Privatreiu Schriften der Dichterin, die
dabei wohl hier und da nachgebessert haben wird, auch mögen
ihr selber allerhand Versehen und Schreibfehler untergelaufen
sein, wovon zumal die Maria geradezu wimmelt. Gerade so
schüchtern und zaghaft wird sie zuerst ihre Dramen gehegt und
geheimgehalten, ganz und gar nicht sogleich von einer Auf-
führung als dem Ziel ihrer Wünsche gesprochen haben. Was
da vorgegangen ist, läfst uns die epistola ad quosdam sapientes
liuius Hhri (der Dramen) fautores erraten. Sie hat bisher nur
ganz wenigen nahe Vertrauten (wir verstehen Gerberge und
Klosterschwestern) gezeigt, was sie geschrieben; aber Ermunte-
rung oder Belehrung sei ihr so gut wie gar nicht zuteil gewor-
den. Jetzt aber, wo sich drei Stimmen zu ihren Gunsten er-
hoben (quia trium testimonium constat esse verum, nach 5. Mos.
19, 15), ist ihre Zuversicht und ihr Selbstvertrauen gewachsen;
sie wolle mit ihrem Pfunde wuchern, und so habe sie einige
Fetzen vom Kleide der Frau Weltweisheit (nach Boethius) in
ihr Werk verwoben. Wer waren nun jene sapientes? so fragen
wir. Und was kannten sie von Hrotsvit? Ich habe schon
früher^ vermutet, dafs es Gelehrte aus St. Emmeram waren.
Und die Werke Hrotsvits? Das könnten allenfalls die Legenden
sein. Aber wahrscheinlicher ist es doch, dafs es sich um eine
Probe der Dramen, und zwar die ersten vier, handelt, d. h. dafs
das neue, mehr als verwegene Unterfangen Hrotsvits ilu-er Äbtis-
sin, als diese davon erfuhr, gar zu bedenklich vorgekommen ist:
Gerberge wird Bedenken getragen und erst ein Obergutachten
eingeholt haben bei ihren eigenen Lehrern; wir müssen beden-
ken, dafs St. Emmeram in Regensburg das berühmteste Kloster
Bayerns und Herzog Heinrich von Bayern der Vater Gerberges
war. Das Gutachten fiel zu Gunsten der Dichterin aus; aber
aus der erhofften Darstellung wurde nichts. Dafür wurde ge-
hörig Wasser in den Wein gegossen: etwas gelehrtes Beiwerk
als Markknochenzugabe, das werde gut sein — utile cum dnlci.
Nun, Hrotsvit hatte von Anfang an ihre dramatische Diktion
an den Komödien des Terenz gebildet; er war das Vorbild, das
sie wegen seiner Kunst bewundern und wegen seiner Heiden-
haftigkeit und Ungebundenheit als Nonne hassen mufste. Ich
verstehe nicht, wie Ebert es hat bestreiten können, dafs sie ihn
Hrosvitatcsgabe S. XII, Anm. 39.
Hrotsvits literarische Stellung. 823
verdrängen will. So fügte sie, obwohl ilire Hoffnungen zerstört
waren, um doch die Sechszahl der Komödien des Terenz zu er-
reichen, jene zwei Dubletten hinzu. Aber sie bekamen eine
Mitgift, die sie von ihren Geschwistern merklich unterschied.
Mit der Aufführung war es nichts; dalür wollte man etwas Ge-
lehrsamkeit. Nun, gelehrte Kenntnis in Frage und Antwort zu
vermitteln, das war längst üblich und ist es ja noch heute.
Wir nennen das Katechismus. Das Mittelalter hatte dergleichen
auch: besonders charakteristisch ist die disputatio de rhetorica
et de virtntibus sapientissimi regis Karli et Albini (d. h. Alcvins)
magistri. Auch sie mochte der Dichterin von St. Emmeram
aus zugekommen sein, woher eine Haupths. des 10. Jahrhunderts
stammt. Das, was uns zunächst ins Auge fällt, worin sich diese
mittelalterlichen Katechismen von vornherein von unseren mo-
dernen unterscheiden, ist dies: nicht der Lehrer 'überhört' und
der Schüler gibt nun in vorgeschriebener Form seine Antworten,
sondern der wissenschaftlich interessierte, wifsbegierige Schüler
fragt und der Lehrer antwortet, wobei sich seine Antworten
natürlich gleich sehr ausführlich nach allen Seiten hin verbreiten
können, so dafs der triviale, elementare Charakter unserer mo-
dernen Katechismen gar nicht aufkommen kann. Wie diese
Form des Dialogs allmählich entstanden ist, gehört nicht
hierher: genug, dafs Hrotsvit sie fertig vorfand. Ihrer hat sie
sich dann in den beiden letzten Dramen bedient, um *einige
Fetzen vom Kleide der Frau Weltw^eisheit' hineinzuweben, d. h.
die Erörterungen über Musik und Zahlentheorie, die zu den
sieben freien Künsten gehören. Sie mochte sich dazu um so
eher entschliefsen, als sie schon im Callimachus mit den scho-
lastischen Terminis gespielt hatte. FreiHch war es dort ein
anderes gewesen, viel kürzer und keine Belehrung Unwissender
durch einen Eingeweihten, sondern es sind lauter Adepten, die
unter sich ihren Schuljargon sprechen. Aber allerdings wird
die Szene im Callimachus die wohlmeinenden Ratgeber auf ihren
weisen Rat gebracht haben.
Noch eines. Die Sapientia ist verhältnismäfsig frei be-
arbeitet. Darüber wollte, als ich im Herbst 1900 die Ausgabe
druckte, ein Schüler H. Useners und L. Traubes handeln, der
über diese Legende arbeitete; ich weifs jedoch nicht, was daraus
geworden ist oder noch werden will. Aber K. Strecker hat fein
beobachtet, dafs Hrotsvit sich überall, wo sie ihrer Quelle frei
gegenübertritt (Gongolf, Sapientia) oder überhaupt keine schrift-
liche Quelle hat (Pelagius), desto enger an die Sprache und
die Bilder des Prudenz hält: hier hat sie, wie ich früher ge-
sehen hatte und Strecker in den Nachträgen weiter ausführt,
gar ganze Szenen nach seiner Romanuslegende gestaltet.
Wenn wir so begriffen haben, was Hrotsvits Dramen eigent-
21*
324 Hrotsvits literarische Stellung.
lieh sind, so werden wir gewifs nicht lange im Zweifel sein,
wie wir sie zu übersetzen haben. Sie sind geschrieben in Reim-
prosa; und es hat sich wirklich ein Übersetzer gefunden, der
das schöne Prinzip vom Versmafs des Originals auch hier — ich
mufs, um ihm gerecht zu werden, auch von der Prosa den papier-
nen Ausdruck brauchen — zur Geltung gebracht hat. Dafs Reim-
prosa, wie Hrotsvit sie schreibt, für uns etwas ganz anderes ist,
dafs ihr Stil für uns durch Rückerts Makamen festgelegt ist,
dafs das nun und nimmer ein Drama gibt, überhaupt einen ge-
läufigen Stil — denn das war doch die Reimprosa für Hrotsvit
— , das hat 0. Piltz gar nicht gemerkt.
Ein anderer, der mit drei dicken Büchern die mittelalter-
liche Literatur hat popularisieren wollen, ohne überhaupt erst
zu wissen, was sie Gutes hat, W. Gundlach, hat den Abraham
in unseren modernen Blankvers übertragen. An sich nicht so
übel. Aber es ist Schablone, nicht intimes Verständnis. Wie
weit er davon entfernt ist, zeigt die unglaublich triviale oder
vielmehr groteske Übersetzung des Gongolf und der Helden-
taten Ottos.
Schwanken könnte man allenfalls zwischen zwei Stilformen.
Man könnte an eine völlig unverkünstelte Prosa denken, dafs
die Personen redeten, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist,
und sich der Ton nur ausnahmsweise höbe, wie im Gebete der
Konstantia. Aber diese Prosa würde wieder zu realistisch sein
und den feinen Duft und Blütenstaub abstreifen, der für uns
über diesen Dichtungen liegt, wenn wir sie im Original lesen.
Und auch den Zeitgenossen der Dichterin war diese Dramen-
dichtung, wenn nicht eben ein Wagnis, so doch wenigstens nichts
Alltägliches.
Nein. Hrotsvit steht im Banne des Mimus, ihr Drama ist
ein Vorläufer der Mysterien, des Puppenspiels und der Fast-
nachtspiele des Nürnberger Schuhmachers und Poeten. Der
treuherzig biedere Stil Hans Sachsens, sein Knittelvers, ist uns
ja nicht fremd, und wer ihn nicht aus seinen eigenen Werken
kennt, der kennt ihn aus Goethes Gedicht von Hans Sachsens
poetischer Sendung. In diesen Stil aber hat schon vor einem
halben Jahrhundert ein guter Kenner Hrotsvits und feinfühhger
Übersetzer ihre Dramen übertragen. Was wir brauchen, ist
nicht eine neue Übersetzung, sondern eine Revision der vor-
trefflichen, aber heute kaum noch zu beschaffenden Übersetzung
von J. Bendixen.
Schöneberg -Berlin. P. v. Winterfeld.*
* Als gerade der erste Teil der vorliegenden Abhandlung erschien, raffte
ein plötzlicher Tod den Verfasser dahin, am 4. April, in jungen Jahren.
Paul von .Winterfeld war geboren 1872 zu Tynwalde bei Löbau in West-
Hrotsvits literarisclie Stellung. 825
preufsen, studierte in Berlin, besonders unter Vahlen und Kirchhof, und
promovierte 18^5 mit der Dissertation De Ruß Festi Avieni Metaphrasi
ad Aratea recensenda et ertiendanda. Er wurde Mitarbeiter an den Monu-
menta Oermaniae historica und habilitierte sich einige Jahre später in
Berlin. Im Frühjahr 1904 wurde er Professor extraordinarius für mittel-
alterliches Latein. Als ausgezeichneten Konjekturalkritiker im Geiste der
Lachmannschen Schule erwies ihn der erste Teil des vierten Bandes der
Poetee latini cvri Carolini und seine grofse Hrotsvith-Ausgabe. Sehr bedeut-
sam waren auch seine Arbeiten über den Satzschlufs, und seine Kenner-
schaft der mittelalterlichen Handschriften ist nur von Ludwig Traube
übertroffen. Mit welcher Liebe und lebendigen Phantasie er das Mittel-
alter und seine grofsen Dichter, zumal Notker und die Dichterschule von
Sankt Gallen, umfafste, zeigen zahlreiche Aufsätze im Neuen Archiv der
Gesellschaft für alte deutsche Oeschichtsforschung, im Hermes, im Rh. Mu-
seum, in den 'Neuen Jahrbüchern', in der Zeitschrift für deutsches Altertum,
die soeben von ihm eine grolse Abhandlung über Sequenzen gebracht
hat. Es stand von ihm eine Ausgabe der Sequenzen Notkers zu er-
warten, für die er auf einer wissenschaftlichen Forschungsreise wichtige
Kollationen gemacht hatte. .. Seine lebendige poetische Gestaltungskraft
machte ihn zum berufenen Übersetzer, davon legen seine 'Stilfragen aus
der lateinischen Dichtung des Mittelalters' Zeugnis ab. Auch gab er wenige
Monate vor seinem Hin8cheiden..eigene 'Gedichte' heraus. In seinem Nach-
lasse befinden sich noch mehr Übersetzungen, die er als mittellateinisches
'Dichterbuch* zu drucken beabsichtigte. Der oben veröffentlichte Aufsatz
gewinnt an Bedeutsamkeit, wenn man ihn im Zusammenhange mit diesen
gröfseren Unternehmungen würdigt. Persönlich war er ein einsamer
Mann. Nur einige Mitarbeiter auf verwandtem Gebiete kamen ihm nahe.
Der Trieb nach schöner Formgebung machte ihn innerlich vornehm. Der
Geist der Nonne von Gandersheim war ihm die liebste Gesellschaft. Was
Deutsche im verachteten Spätlatein gedichtet hatten, wollte er im mo-
dernsten Poesiegewande zu besserem Leben erwecken. (Nach Mitteilungen
von Privatdozent Dr. H. Reich. A. B.)
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
Man findet es häufig als eine unbestreitbare Tatsache hin-
gestellt, dafs dem englischen Volke im Gegensatz zu dem irischen
und schottischen eine musikalische Begabung vollständig abgehe
und dieser Mangel nicht nur in der Kunst-, sondern besonders in
der Volksmusik und Volkspoesie sich bemerkbar mache. So grofse
Berechtigung ein Blick auf die letzten Jahrzehnte dieser Behauptung
auch geben mag, der Literarhistoriker kann ihr keine allgemein-
gültige, sondern nur zeitweise Richtigkeit zuerkennen. Je mehr sich
die Forschung mit der Volkspoesie des 15., 16. und 17. Jahrhun-
derts beschäftigt, mit um so gröfserem Erstaunen sieht man, was
für ein sangesfreudiges und auch sangesbegabtes Volk zu jenen
Zeiten England bewohnte, wie sehr, vor allem in der Zeit Elisa-
beths, das poetische Vermögen mit dem musikalischen Hand in
Hand ging. Nicht nur die gebildeten Stände pflegten Gesang
und Musik, auch das Volk in seinen niederen Schichten nahm
teil an diesem Besitz und besafs einen unerschöpflichen Schatz
von Liedern, die Gemeingut der gesamten Nation waren. Sei es
in den madrigals, hallads, catches, glees, ditties oder auch, allgemein
genannt, songs, in allen stand die Poesie in engster Verbindung
mit der Musik und kam für die damalige Zeit nur mit dieser ver-
eint in Betracht. Die Dichter volkstümlicher Lieder pafsten ihre
Texte von vornherein alten bekannten Melodien an oder erfanden
gar selbst eigene dazu; hervorragende Komponisten hielten es
nicht für unter ihrer Würde, ihre musikalischen Kräfte in den
Dienst der Volkspoesie zu stellen und umgekehrt auch aus ihrem
Schatz zu schöpfen. Erst das 17. Jahrhundert mit seinen strengen
puritanischen Grundsätzen, seinen Bürgerkriegen und Verfassungs-
streitigkeiten erstickte allmählich die Freude an der alten welt-
lichen Volkspoesie und machte dem 'merry old England' ein Ende.
Leider ist aber noch immer unsere Kenntnis von der Ent-
wickelung und dem Umfang der Volkspoesie in allen ihren
Phasen und Gattungen eine lückenhafte infolge der geringen
Beachtung, die man ihr lange Zeit zuwandte. Gerade auf dem
Gebiete der Lieder, die bei dem gewöhnlichen Volke beliebt und
von ihm gesungen wurden, wäre die Kenntnis des gesamten vor-
handenen gedruckten und handschriftlichen Materials von der
gröfsten Wichtigkeit, da sie am besten und unmittelbarsten das
t)as Liederbucli Ms. Kawlinson l*oet. 18^. 827
Leben und den Geist des damaligen Volkes widerspiegeln.
Durch die Veröffentlichungen der Ballad Society ist uns schon
ein guter Teil Strafsenballaden in den Bagford- und Roxburghe-
Sammlungen zugänglich geworden; aber aufser ihnen und der
unveröffentlichten Pepys-Sammlung in Cambridge befindet sich
noch viel Material in den Hss.-Sammlungen von Douce, Wood
und Rawlinson auf der Bodleiana. Die Volkspoesie in den Raw-
linson-Mss. gehört zum gröfsten Teil dem Anfang des 17. Jahr-
hunderts au; eine Sammlung von Balladen aus der Zeit Elisa-
beths aber enthält die Handschrift Ms. Rawl. Poet. 185. Die
Kopie, die dem folgenden Abdruck zugrunde liegt, ist von
Dr. S. Schayer auf Prof. Brandls Anregung nach dem Original
in der Bodleiana angefertigt worden.
Beschreibung der Handschrift.
Das jetzt in schwarz Leinen mit der Goldaufschrift ^ Poems'
gebundene Ms. befindet sich, wie schon erwähnt, in der Bodleiana
und ist unter der Nummer 14677 katalogisiert. Es ist nur un-
vollkommen erhalten; so fehlt mindestens ein Blatt nach fol. 5,
da Blatt 6 mitten in einem neuen Gedicht beginnt; einige Seiten
sind am Rande ziemlich stark beschädigt. Die Hs. besteht aus
25 Blättern mit je einem Schutzblatt vorn und hinten, die mit
allerhand Schnörkeleien bedeckt sind. Die Texte reichen bis
fol. 23^; 23^ und 24, das ausgerissen und von dem nur ein
Streifen vorhanden, enthalten kurze englische Sätze mit ihren
lateinischen Übersetzungen in gleichzeitiger Handschrift. Jede
Seite ist in zwei Spalten geteilt und demgemäfs doppelt beschrie-
ben; nur in dem Dialog (Nr. 14) ist eine Teilung nicht vorhan-
den. Die Handschrift ist durchweg dieselbe; nur erscheint in
dem letzten Liede die Tinte bedeutend frischer als in den vor-
hergehenden.
Auf fol. 25^ stehen am unteren Rande die Namen William
Wagstaffe und Thomas Wagstaffe. Dies waren sicherlich die
Besitzer der Hs.; einer von ihnen auch der Urheber der Schnörke-
leien. Auf dem Rande von fol. 9 finden wir den ersteren Namen
noch einmal; hier ist deutlich zu erkennen, dafs er von einer an-
deren Hand und mit anderer Tinte geschrieben ist. — Auch der
Name Dorothy Haiford auf fol. 1 ^, der in anderer, späterer Schrift
als der Text geschrieben ist, wird der einer Besitzerin des Ms.
gewesen sein.
Entstehungszeit und Art der Lieder.
Über die Entstehungszeit der einzelnen Lieder kann man
mit Sicherheit annehmen, dafs sie in die Jahre vor 1590 anzu-
setzen sind ; in F. Madans Summary catalogue of western mss. in
328 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet, 185.
the Bodleian lihrary III 324 werden sie in die Zeit zwischen 1580
und 1590 verlegt. Das Lied von Thos. Preston stammt nach
eigener Angabe der Handschrift aus 1589; aus derselben Zeit
werden die beiden Preislieder auf Elisabeth sein, da sie unter
dem Eindruck des Unterganges der spanischen Flotte entstanden
sein mögen und auch Anspielungen auf dieses Ereignis enthalten.
Tarlton starb 1588, seine Ballade, Piggy and Willy, mufs somit
noch vor dieser Zeit verfafst sein. Die beiden Lieder The car-
mans whistle und Mother Watkins ale finden wir 1592 bei Chettle,
Kind hearts dream, erwähnt (vgl. Anmerkungen zu den einzelnen
Liedern).
In allen Texten haben wir es mit Erzeugnissen derselben
Art zu tun, wie sie uns in den Bagford- und Roxburghe-Samm-
lungen der Ballad Society entgegentreten. F. Madan bezeichnete
sie in seinem Katalog als 'songs and hallads'. Den eigenen Über-
schriften zufolge finden wir in ihnen die Bezeichnungen ballad,
ditty, song. In der damaligen Zeit wurde kein strenger Unter-
schied zwischen diesen gemacht; song war natürlich der weitere
Begriff, der alles in sich fafste; aber das Volk bezeichnete auch
manche Dichtung mit ballad, der wir heute diesen Namen
nicht mehr geben würden. Auf den Inhalt kam es kaum an,
denn dieser konnte sowohl weltlichen als auch religiösen Cha-
rakters sein; auch wurden die vorhandenen Melodien ohne Unter-
schied auf Lieder jeden Inhalts angewandt. In erster Linie sprach
hier das Interesse der 'ballad publishers', die natürlich solche
Dichtungen drucken und verkaufen liefsen, von denen sie glaub-
ten, dal's sie dem Volke beim Vortrag gefallen und zum Kauf
für einen Penny das Stück anreizen würden. Daher ist auch
der Inhalt unserer Liedersammlung aufserord entlich mannigfaltig.
Bufs- und Moralpredigten im Stil der populären Psalmenbearbei-
tungen mit starker Benutzung der biblischen Geschichten, eltern-
liche Ermahnungen an ihren Sohn, die Freuden des Landlebens
und Schilderungen des Stadtlebens, die Liebe in allen ihren
Phasen mit besonderer Neigung zum Erotischen und Zotenhaften,
das Ehe- und das Junggesellenleben und daneben begeisterte
Preislieder auf die Königin bilden den Inhalt der Texte. Be-
merkenswert ist, dafs fast allen etwas Lehrhaftes und Gelehrtes
anhaftet; so überrascht förmlich die aufserordentlich genaue
Kenntnis der antiken Götter- und Heroensagen und ihre häufige
Heranziehung zu Vergleichen.
Über die Verfasser.
Wie überhaupt bei dem weitaus gröfsten Teile der Volks-
poesie jener Zeit sind uns auch hier nur vereinzelt Verfasser-
namen überliefert. In dem dritten Liede stehen hinter dem Titel
Das Liederbuch Ms. Eawlinson Poet. 185. 829
A goodly and good example to avoyde all inconveniences as hereafier
followeth; to Wilsons tune die Buchstaben R. H. Vielleicht be-
ziehen sich diese Anfangsbuchstaben des Namens des Dichters
auf Richard Hill, von dem wir drei Lieder im Paradise of dainty
devices 1576 vorfinden.
Nr. 8, A ballad from tke countrie sent to showe how we should
fast this lent, trägt die Unterschrift quod Thomas Preston 1589.
Thomas Preston (1537 — 1598) lebte in Cambridge und wurde be-
sonders 1569 bekannt durch seine Tragödie Cajnbyses; er betätigte
sich aber auch als Balladendichter. Aufser der im Rawl.-Ms.
vorliegenden ist von ihm noch eine zweite Ballade erhalten:
A lamentation from Rome how the Pope doth bewayle the rebelles of
England cannot prevayle 1570 [abgedruckt bei Collier, Percy So-
ciety I 68], und der Titel einer verlorenen dritten, A geliflower of
swete marygolde, wherein the frutes of tyranny you may beholde
1569/70 [Collier, Shakespeare Society 1848 S. 222]. Der Artikel
im Dict. of nat. biogr. über ihn führt ihn nur als den Verfasser
von diesen beiden letztgenannten Balladen an.
In Nr. 10, der Ballade von Willie and Peggie, stehen am Ende
die Worte: quod Richard Tarlton; da es auch nach 'Tarltons caroW
gesungen wurde, werden wir in ihm sowohl den Dichter als auch
den Komponisten der Ballade zu sehen haben. Das Preislied
auf Elisabeth (Nr. 12) geht ebenfalls nach 'Tarltons caroW; aus
dem durchaus anders gestalteten strophischen Bau wird aber er-
sichtlich, dafs es nicht dieselbe Melodie, sondern eine andere
Komposition desselben Mannes ist. Ein T, das am Schlufs dieses
zweiten Liedes steht, könnte vielleicht darauf schliefsen lassen,
dafs auch hier in der Person Tarltons eine Personalunion von
Komponist und Dichter vorliegt. Wenn uns dieser auch sonst
als Musiker^ und Poet überliefert ist, so bleibt dies aber immer-
hin nur eine Vermutung. — Richard Tarlton gehörte als komischer
Schauspieler der königlichen Truppe Elisabeths an und bekleidete
bei ihr auch zugleich das Amt eines ^groom of her Chamber'. So-
wohl bei der Königin und dem Hofe als auch beim Volke stand er
in aufserordentlich hoher Gunst; besonders in den letzten Jahren
vor seinem 1588 erfolgten Tode stieg seine Popularität ins Un-
geheure, wie die häufigen Anspielungen und Lobpreisungen auf
ihn zeigen. 2 Einen Sturm von Begeisterung erregten besonders
seine Improvisationen auf der Bühne über irgendein Thema, das
ihm das Publikum vorschlug; daneben trat er als Balladensänger
zeitweilig hervor. 1570 erfahren wir zuerst von ihm aus den
Stationer Registers (Collier, Shak. Soe. 1849 S. 12), in denen eine
* Kompositionen von ihm sind erhalten in Mss. der Cambridge Uni-
versity library.
' Vgl. Halliwell, Vorrede zum Neudruck von Tarltons Jests in der
Shak. Soc. 1844.
330 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
Ballade, Ä very lamentable and wofull discourse of ihe fierce flud
which lately flowed in Bedfordshire, in Lincolnshire, and in many
other places, with the great losses of sheep and other cattel; the 5. Ok-
tober 1570, mit seiner Autorschaft zum Druck angemeldet wird
(abgedruckt von Collier, Percy Soc. V 64). In dem Artikel über
ihn im Dict. of nat. biogr. wird als unwahrscheinlich hingestellt,
dafs Tarlton wirklich der Verfasser war, und angenommen, dafs
sein Name vom Drucker nur als Lockmittel benutzt worden sei.
Dagegen spricht aber:
1) Zu dieser Zeit wird Tarlton kaum schon so populär ge-
wesen sein; erst 13 Jahre später finden wir ihn als Mitglied der
königlichen Truppe genannt.
2) 1578 ist eine zweite Ballade von ihm auf ein ähnliches
Naturereignis, einen tagelang andauernden Schneefall, von dem-
selben Drucker angemeldet worden, Tarlton advice upon this un-
locked for great snow, die leider nicht erhalten.
3) Seine Begabung zum Dichten geht aus seiner berühmten
Improvisationskunst hervor und ist auch durch einzelne noch
vorhandene Werke sichergestellt; auch in unserem Rawl.-Ms. ist
seine Verfasserschaft, die ja besonders angegeben, nicht zu be-
zweifeln.
In einem Neudruck von Spensers Teares of the muses 1611
wird Tarlton mit dem 'pleasant Willy^ identifiziert, dessen Tod
Thalia beklagt;' im Dict. of nat. biogr. wird zur Erklärung dafür,
dafs Spenser ihn unter diesem Namen einführt, angegeben, Willy
sei zu jener Zeit als familiäre Bezeichnung ohne Rücksicht auf
den wirklichen Vornamen gebraucht wordön. Diese Annahme
erscheint mir in diesem Falle nicht zutreffend. In der uns vor-
liegenden Ballade ist der Name Willy ebenfalls gebraucht, und
zwar figuriert unter ihm Tarlton selbst. Dies geht unzweideutig
aus dem Liede hervor, in dem er seiner ausgelassenen Fröhlich-
keit wegen als Schauspieler, Sänger, Liebling der Königin, des
Hofes und des Volkes gefeiert wird; es wird von ihm erzählt,
dafs er von auswärts nach London kam, was bei ihm ja der Fall
^var, und bei der Königin ^groom of her chamber' wurde; auf
seine Improvisation auf der Bühne wird angespielt, wenn es
heifst: to sing them (=: dem Publikum] their themes he never
denied (12, 3). Aus dem ironischen Ton, der an manchen Stellen
unverkennbar hervordringt, auch aus dem Schlufs, in dem der
Dichter der trauernden Peggie voraussagt, dafs sie sich mit einem
* And he, the man whom Nature seife had made,
To mock her seife, and Truth to Imitate,
With kindly counter under Mimick shade,
Our pleasant Willy, ah! is dead of late:
With whom all ioy and iolly meriment
Is also deaded, and in dolour drent.
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185. 331
anderen trösten werde, und aus dem Umstand, dafs Tarlton am
Schlufs als Verfasser angegeben ist, wird man mit einiger Sicher-
heit annehmen können, dafs dieser berühmte Komiker nach echter
Clown-Art sich selbst durch den Mund seiner Geliebten einen
Nekrolog setzte und ironisch seine eigenen Verdienste feierte.
Dafs Tarlton selbst diesen Namen verwandte, geht aus einer
Komposition von ihm hervor, die in Cambridge sich im Manu-
skript befindet, und die die Aufschrift Tarltons Willy ^ trägt.
Willy war für ihn wohl eine Art Gattungsname für das männ-
liche Geschlecht, den er auch auf sich selbst anwendete, und der
nun auch beim Volke für ihn typisch wurde. Somit konnte ihn
auch Spenser unter diesem Namen in seine Dichtung einführen
und sicher sein, dafs er von jedem seiner Zeitgenossen verstanden
wurde.
Texte.2
[I.]
A sonnge of the guise of London.
Will you buy any broome, birch and greene,
The finest broome that ever was seene,
broome of the best, you knowe what I meane?
will you buy any Broome, mistris? 4
Will you buy any brushes that be stronge,
Brushes short and Brushes lonnge,
Lylie white Brushes? this is my sonnge:
Will you buy any Broome, mistres? 8
Will you buy any brushes for your cotes
To brush away dust and allso motes,
Very fine Brushes for gownes and clokes?
Will you buy any Broome, mistres? 12
Will you buy any Rods or holly wands,
Pyes the best that ever came in your hands?
I have the daintiest puddings in all these lands.
Will you buy any Broome, mistres? 16
What lacke you, goodwife, what do you seeke,
A good neates foote or a good hogge Cheeke?
my wäre is the best that you saw this weeke.
will you buy any Broome, mistres? 20
New place, new, as new as the daye,
new whittings, new höre have you may;
Come buy all my fishe and send me away.
will you buy any Broome, mistres? 24
' Ob diese Komposition vielleicht in Zusammenhang steht mit der
Ballade Willy and Peggy, konnte ich leider nicht feststellen, da mir die
Melodie nicht zugänglich war.
* Die Orthographie der Hs. ist beibehalten mit Ausnahme der vor-
kommenden Eigennamen, die ich immer mit grofsem Anfangsbuchstaben
geschrieben habe; auch habe ich Gleichmäfsigkeit in den Überschriften der
einzelnen Lieder durchgeführt.
332 Das Liederbuch Ms. ßawlinson Poet. 185.
Mackrell, new choppers, longe and greate,
Walflett Oysters, they be very good meate;
fishe of the best and scant to gett.
will you buy any Broome, mistres? 28
Will you buy any flory that is blacke,
worke for a tinker, mistres, what do you lack?
have you any olde Bellows to mend that be in wrack?
will you buy any Broome, mistres? 32
Will you buy any mille and firmetie,
A good sawsedge, a good? comme, buy of me
fine Orenges, the best you did see.
will you buy any Broome, mistres? 36
Pippins fine, the best in the streat, ^
Quinces and wardons, the best you can meet,
nutte of the best, both smale and great.
will you buy any Broome, mistres? 40
Have you any old Ironfosell,
Old broken silver? I pray you, teil;
An old broken goblett would do very well.
will you buy any Broome, mistres? 44
Old pastes, or cunney fures, maides,
good shomakers heres, or good all blades,
In Smithfield is to seil good horses and jades.
will you buy any Broome, mistres? 48
Chimney sweep, maides, chimney sweepp,
aqua vite of the best to spend or to keepp,
Callis sand of the best between London and Deepp,
Will you buy any Broome, mistris? 52
Kitchen stufe, maids, have you any to seil,
Shirt laces and bottons that bere the bell?
I have other thinges that will like you well.
will you buy any Broome, mistres? 56
Hard yong letuce, faire and white,
A ripe cowcumber a ripe,
I have all fine herbes that you can resite.
will you buy any Broome, mistres? 60
fi/nia,
[IL]
A prety songe to the tune of Legoranto.
These passions here which I professe,
ood sir, requires great cost;
pray you, make not to much hast,
lest that your love be lost.
f
[L] Z. 38 Der Rand ist beschädigt; von meet nur m noch erhalten. — 41 have
zu ergänzen; nur e noch vorhanden. — 42 Von old nur Id vorhanden. — 45 Das
Wort nach cunney ist unlesbar, nur es erkennbar] fures würde dem Sinne nach
passen und auch den undeutlichen Zeichen der Hs. entsprechen. — 47 Smithfield war
ein Platz in der City of London, auf dem früher die Hinrichtungen vollzogen wurden j
und auf dem zu jener Zeit die Viehmärkte stattfanden.
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185. 888
When Summer is goinge, there winter is comminge
apace;
I you advise, if you be wise,
In time to stay your chase. 8
Lest that you run as Phebus did
who Daphne did persue
with flyinge flyght, yet naught avayld,
although bis love was trew; 12
for she desired ratber Peneius, ber father,
agree
To turne tbis wencbe Joves love to quench
Into a lawrell tree. 16
I pray you tberefore, stay your steppes,
your sute is very cold;
To love to soone witbout advise
I dare not be so bolde. 20
Tbe tymes tbey do varry, and I cannot tarry
or staye;
Your sute or prayer I will not here,
for needs 1 must awaye. 31
Dianaes love I doe embrace,
from wbicb I will not cbange;
I meane as vet to locke my love,
least forwardly it ränge. 28
Tbe tbinge you requested to grant I detested,
for wby?
I will be Said to live a maide,
Till Atropos drawe nye. 32
Your foresaid love and sute I scorne,
from Cupid I am free;
In Baies I boste witb Dapbne faire,
I love the lawrell tree. 36
Tben wbo can remove me, altboughe ye do love me
so deere?
for Cupids lawe I passe not a strawe,
His sbafte I little feare. 40
Wbat cankered care and Jelowsie
tbe maried wives sustaine,
wbat fancie fond the busbands bave —
to sbow it were in vain. 44
If I sbould be maried, my corpes sbould be caried
awaye ;
for stormes of strife would end my life,ll
and dose me fast in claye.| 48
Bebolde bow Jove most cunningly
did take the sbape of Bull,
Wbo, tbougb be maried Juno faire,
deceived many a trull. 62
Seetb gods bave abused the tbing that well used
sbould bee.;;
111 not be made but very glade
to love tbe Lawrell tree. 56
Tbe silly soule, poore Procbris once,
wbo was a maried wife,
334 Das Liederbuch Ms. Eawlinson Poet. 185.
the crooked earlle Jelowsie
did cause her end her life; 60
for when her spouse Cephall in huntyng thus calle
for ayre,
With leveled darte he perced her harte,
thinking she was a dere. 64
A virgin hath none of these harmes
her daintie minde to cloye;
a maiden hath noe jelows thoughts
to kill her with annoye. 68
A maide hath no moninge, in childbed no groninge;
but still
she lives in joy far from anoye;
she houldes her ease at will. 72
Yet surely I am sorye, sir,
because such paines you take
In lovinge her that loves not you,
who doth you quite forsake. 76
yet reson pretendeth, and wisdome intendeth
to use
A medicine pure your wites to eure,
The whicn you do refuse. 80
Let reason rule that raginge love
of Cupids flaminge fire;
let wisdome have the uper hande
of this your fond desire; 84
let not love dismaye you, swete freend, I pray you:
remaine
In wisdomes power and reasons bower;
then shall you be whole againe. 88
finis.
[III.]
A goodly and good example to avoyde all inconveniences
as hereafter foUoweth. To Wilsons tune. E. H.
Why should not mortall men awake, and see the day appere?
why should we not shake of our pride, and serve the lord with fere?
men are so drowned in peevishe pride, the worser part they take;
But what attaines to perfect good they whoUy do forsake.
The day is nye! for shame, awake with humbly hartes therefore;
approche the place where mercy is, and lerne to sinne no more! 6
How lonnge shall we forgett our god, and laye his lawe aside?
how lonnge shall we procure his wrath by this excesse of pride?
High tyme it is for Englishe harts to god for grace to call
with bendinge knees and liftinge hands and strikinge voice withall. lO
The day is nye! &c.
The axe is sett unto the tree; then, if we be not rotten,
let US shake of our vanitie; let pride be quite forgotten.
for god hath shewed examples störe to move us to repente,
But we, alasl sinne more and more, we are so lewdly beute. 14
The day is nyel &c.
For pride, alas! doth bere the sway in outwarde showe and harte;
but weeknes of the minde we may perceave is put aparte.
Das Liederbuch Ms. KawliDson Poet. 185. 835
have minde therefore, howe angells bright Üiat once with god did dwell,
for pride whereiii they tooke delight were headlonng throwne to hell. 18
The day is nye! &c.
Proud Jesabell whose sinne so great did move the lorde to Ire,
was headlonge from her tower so neat cast in the filthy myre.
The ravininge dogges in open streates devored her wicked corse,
her fleshe and bloode with horses feett was trode without remorse. 22
The day is nye! &c.
Nabuchadnezar so greate, of Babylon the kinge,
was quite excluded from his seate, which playge his pride did bring;
for when that pride in him encrest, he therin did abounde;
But for his pride he was a beast, and eat the grasse on grounde. 26
The day is nyel &c.
Antiocus through pride thought good equall to be with god,
whose thoughts most vile the Lord withstood by his revenging rod;
he made this wicked king accurst who showed himselfe so stout,
and caused his bowells so to burst that wormes came cralinge out. so
The day is nye! &c.
The daughter of a merchant late in Italy that dwelt
accepted pride to be her mate, which caused her soule to swelt;
whose ruffes to sett none plesed her sight, she was so coye a dame,
tyll Sathan had her for his right unto her parentes shame. 34
The day is nye! &c.
The Gyantes once, to have the seat of suprem-head, presumed,
the which was very hard to gett; at length they were consumed.
The bewtye of Narcis so strainge, which did his witte devoure,
the godes decree the same did chainge into a yellow flower. 38
The day is nye! &c.
Loe, daintye dames of London brave, that now in plesures bärge,
how mighty Kinges and ladies have from vertue runne at large
By hauty hartes before the lord of sinnes which is the worst,
and angells bright with one accord how pride hath made accurst. 42
The day is nye! &c.
What makes the rieh without all feare disdaine the lowly minde?
What caused the sonne his father dere denye against all kinde?
What causes whordome now prevayle, or theft so muche to raigne?
this filthy pride, for why, some steale their mynions to maintaine. 46
The day is nye! &c.
Leave of therffore this vaine excesse, whilst mercye may be had!
abandon all presumptuousnes which makes your soules füll sadl
For god lifted up the humble harte! he lawdes the lowly minde,
But puffinge pride he puttes aparte, as chaffe against the winde. 50
The day is nye! &c.
God doth compare unto a childe his glorious kingdome wholly,
and to the little dove so milde that sheweth her seife so lowly;
The first, saith Christ, shalbe the last, the gretest shalbe lest,
and he that never pride did tast with god shall live in rest. 54
The day is nye! &c.
Strive not for welth, let vertue bounde with lowly minds accord;
for when god doth the prowed confound, the meeke shall see the lorde.
336 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
The meeke who seekes the lord to plese for his deserved hire
Shalle were a crowne of BlisfuU bayes; what more can he desire? 58
The day is nye! &c.
What can avayle your velvet gownes, your caules of glitteringe golde,
your ruffes so deepe, your chaines of jette, when you are tournd to mould ?
your painted face, your frisled heare, your cotes of scarlet red,
your colloured hose, your jewels deare, your hoodes upon your head? 62
The day is nye! &c.
Your fingers fine bedect with rings, your countenance, brave and bolde,
your tathnge tongues, and other thinges most sin füll to beholde,
your trippinge pace, and gaddinge grace, your lives to Venus beute,
your lofty lookes with lustfuU hookes will cause your soules be shente. 66
The day is nye! &c.
When doomes day comes, as it is nye, all thinges shall loose there light,
those which are ioyned with meeknes clere shall shine in glory bright.
for shame therfore shake of your pride, put vaine delights awaye,
and let dame vertue be your guide, your State shall not decaye. 70
The day is nye! &c. ^^^^
[IV.]
A pretie dittie and a pithie, intituled: 0 mortall man.
O mortall man behold and see:
this World is but vanitie. 2
Who shall profoundly way and scan
the unassured state of man,
shall well perceve by reson then,
That ther is no stabilitie,
all is subiect to vanety. 7
If thow be kinge, or emperoure,
prince ether lord of might or poure,
thy poore subiectes do not devoure;
Beware of pride and crueltye,
Lose not tny fame for vanetie, 12
Lose not thy fame &c.
If thow be set to do justice,
reward vertue, and punish vice,
oppresse no man — I thee advice;
abuse not thine autoritye
to vexe poore men for vanetye; 17
to vexe poore men &c.
If thow have landes, or goodes great
Store,
consider then: thy charge is more,
sith that thow must accompt therfore.
they are not thine, but lent to thee,
and yet they are but vanetie; 22
and yet they are &c.
And if thow forten to be poore,
so that thow gow frora dore to dore,
humblie give thankes to god therfore,
and thinke in thine adversitie:
this World is but a vanetie; 27
this World is but &c.
If thou of youth have oversight,
refraine thy will with all thy might ;
for wicked will doth worke his
spight.
Let them at no tyme idle bee,
for that encreseth vanetie; 32
for that encreseth &c.
If to serve others thow be beut,
serve with goodwill, and be content
to do thy lordes commandement ;
serve trew and eeke painfully,
do not delight in vanetie; 37
do not delight &c.
But if thow have mens soules in eure,
thy Charge is great, I thee assure,
in wordes and deedes thow must be
pure;
all vertue must abound in thee;
thou must eschew all vanetie; 42
thou must eschew &c.
If thou be stronge and faire of face,
sikenes or age doth both deface;
then be not prowed in any case;
for how can ther more follye be
Then to be prowed in vanetie, 47
Then to be prowed &c.?
[in] 57 plese] pless Hs.
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185. 337
Now finallv be not infect Now let us pray to god above
with worldly care, biit have respect that he voutsaffe our harts to move
how god rewardes his trew elect each one another for to love,
with most perfect felicitie; and flye from all inyquitie:
voide of all worldly vanetie; 52 so shall we voide all vanitie; 57
voide of all wordly &c. so shall we voide &c.
finis.
[V.]
A pretie dittie to the tune off Ladie Jane.
It was a maide of Islington, My mistris is a daintie dame,
and her wheell ran very rounde; and bravely she can iet it,
and many a wanton web she spun, and if my whele runs out of frame,
and it cost her many a pound. 4 she will say wanton lette it. 12
Alas! Said she, what hap had 1, thus many a check and taunt have T,
run round, run round, my whele! run round, run round, my whele!
I fere a mayden I shall die, I fere a maiden I shall die,
before my web I rele. 8 before my web I reele. 16
[VI.]
[The admonition of his father and his counsaile
at the departing of the son.]
and he that hath the hevenly skill of lemings lore attaind,
a jewell rare, a perle of price that happie men hath gaind. 4 (?)
Though now to thee the frutes therof doth not so fully growe,
the profit of so rare a tree thow shalt hereafter knowe;
for why, by learninge first the trew and livinge god was knowne,
whose perfect truth from falshood vile therby is plainly showne. 8
The vertue ecke of Sunne and moone, the stares and plannetes seven,
and each thinge eis that beareth life and dwelleth under heaven,
yea, every beast and fathered foule, the fish in fominge flood,
each plant and tree in Summer tyme that on the earth doth bood. 12
Then sith it is so rare a thinge with leminge to abide,
forsake not thou that gratious guest which is so good a guide;
and last of all, my loving sonne, have thou in heedfuU mynde
the perfect knowledge of the trade wherto I shall thee binde. 16
That thou maist be in tyme to come a worthy workman deemd,
and for thy skill in curious arte amonge the best esteemd,
Apelles and Pygmalion both examples well may be,
whose fame doth live, though they be dead, and florish still we see. 20
Then thinke no scorne, my lovinge sonne, a handy craft to learne,
though yet the profit of the same thy wittes do not discerne;
no one thinge in the world so sure by all mens iust consent
for still doth stay, when goodes be gone and riches all be spente. 24
No Tyrante traine, nor furious foe can reeve thee of thy skill,
except that they by envie seeke the guiltles life to spill.
ad V: Unvollständig; vgl. Bemerkungen über Text und Melodie der Lieder.
wanton] waton Hs. — 12 lettes Hs.
ad VI: Ebenfalls unvollständig; vgl V tmd 8. 327.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 22
888 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
Besides it is no triflinge trade that I would have thee use,
but such as oue as worthie weightes to do did not refuse. 28
An arte whose end was never knowne, a curious arte and fine,
even such as Pallas hevenly dame did practis many a time.
Therfore to doe thy fathers will thy paines do thou imploye,
so shalt thow be a common welth a member of great ioy. 32
[VII.]
The admonition of his mother and her consaile
at his departing.
My Father having moved his minde that now his tale was done,
with watery eyes my mother dere vnto me straight doth tourne,
and takinge oft my band in holde, when teres were wipte awaye,
her inward thoughtes she vttered, and thus she gan to saye. 4
Marke well, quoth she, the sage precepts thy father lately taught,
and set not thow thy motheres wordes and counsell cleane at naught ;
But ponder well within thy brest the thinges I shall declare,
and evermore in redie minde thy mothers sainge beare. 8
Although thie Father with great care hath well instructed thee,
yet eare thow parte, my lovinge sonne, somme counsaile take of me.
when to thy master thow arte bound, apply thy busie paine
In each respect to plese him well, his favour to obtaine. 12
So shalt thou be in happie case, and live in quiet rest;
But yet to be in ioyfull State plese thou thy mistres best;
for why thy meirth is very smale whereas her frendshipp fayles,
and of thy fellowes in the house take heede thow teil no tales. 16
Thus breefly have I tould the summe of that I had to say,
But why thou shouldst observe the same I will somme resons laye.
The London dames be hasty shrowes, and therfore it is best
To win ther favour first of all; soone shalt thow have the rest. 20
For if that stubborne thow remaine against thy mistres mynde,
thou shalt be sure of all the rest the hardest mache to finde.
If thow shouldst Chance in christmas tyme the knave of clubes to playe,
she wilbe sure the Queene of trumpes vpon that trycke to laye. 24
And if she see by course of cards her porposse do not frame,
she will not sticke to steale a carde, but she will win the game.
But if thy master chance to chide, and she remaine thy freend,
the wände shall not come nere thy backe before she hould the end. 28
And if intrance may prevayle thy suretyshipe to crave,
then maist thou make thy füll accompt thy pardon for to have.
Thus maist thou live in good accompt, if thou regarde dost take;
these resons from an hundred more I utter for thy sake. 32
Now if thow hast thy maisters love, thy mistres eke as well,
yet if thy fellowes bere thee spight, thow are not far from hell;
and therfore seeke with willinge mynde to plese thy fellowes all;
so shalt thou be esteemed well, and loved of great and smale.
And thus I end for wante (quoth she) of longer tyme and space;
Beseeching him that rules the heavens to sheeld thee with his grace.
finis.
[VII] 29 intretance Hs.
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
339
[VIII.]
A bailad from tke countrie sent to showe how we should
fast this lent. To the tune of the crampe.
Prepare yowrselves to fast this lent,
as princesse law hath willed;
to obay the same be you content,
and let it be fulfilled*.
Submit yowrselves most humbly
to the hyare powers hartely,
for conscience sake doe not denie. 7
And seeth a fast commanded is,
I wish you to obay it,
and follow ther precepts in this;
seeme not once to denay yt;
and though from flesh retrayned
ye be,
observe a greater fast must we,
for Christ and Pall made that de-
It is not for to fast from meate,
of that to make a sparinge,
but fast above that and more great,
for this we must be caringe:
our hande^ and feete and mem-
bers all
must fast this fast as teil I shall,
as all should fast in generali. 21
With all ou?' power to fast from
sinn,
and keep vs vndefiled,
this lent therfore let vs begine,
lest that we be begyled.
let vs no longer glottons rest,
and lyve in sm, but it detest;
to learne this fast I thinke it best. 28
From thinking evill or wishing it
our myndes must fast each day a;
but thinking good and seeking it,
to that it ought to stay a;
for many wayes the mynde is bent,
to many eviles yt doth consent,
from which the mynde must fast
this lent. 35
The head must fast from craftines,
which ever is devysing,
to splay the flage of wickednes
by sutteltye dysguysinge;
for heades in these dayes sottle be,
for to devise the world may see
to finde out a commoditye. 42
In singlenes the eye must fast,
not wish to see thing wicked;
On vanetie the sight to cast,
which is not to be lyked,
as eyes should fast and should not
see;
some eyes at those dayes blynded be,
to Englandes härme the more pittie. 49
The tounge must fast from sclan-
dering
or using for to Ive a;
the mouth allso from evill spekinge,
where no treuth one can flye a.
who keeps this fast I do not knowe,
some tounges to swift and some to
slowe ;
Both good and bad Esopp doth
showe. 56
Our eares lykewise from hering evyll
shoud fast and keepe a dyet;
when wordes be spoke even from
the devill,
they should not then be quiet.
But few men cares this fast to keepe,
for they can heare and seeme to sleep ;
a covetous man can play to peep. 63
From hatred should our hartes all
fast,
and ever feed on pittie;
and shew mercy, while life doth last,
in country towne and cittie;
but many hartes be frosen harde,
and hartes from trewth have lately
erd,
from falshed hartes have no re-
garde. 70
The bodye also it must fast
from meates and drinkes excessing;
superfluytye they must of cast,
lest yt suffer oppressinge.
continew not in banquet styll;
set not delight the panch to fill;
lerne now this lent to fast from ill. 77
The hands allso must fast likewise
from brawling and from fitynge,
from theft or murdor or yll guysse,
from rounging and from smittinge.
7 fallow Hs. — 14 pall =» Paulus. — 63 to] bo ^s. — 78 allso über durch-
strichenem likewise Hs. — 79 fitynge] fitetynge Es. — 81 and über durchsiriche-
nem or Hs.
22*
340
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
To fast from bribes hands must be-
gine,
and banden must fast from games
of sinn,
from dice, from cardes, and polling
in. 84
But let our handcs wide open bee
to helpe the poore afflicted;
to distribute where need we see,
let handes be so adicted;
and let our bandes no whitt be slow
our charetie for to bestow;
we fast to much from this, I know. 91
And feet also this fast must keep;
they must not still be runnynge
for to shed blood, and make some
weepp ;
from that they must be turninge.
and feet must fast for making nast
to hurt our neighbour, him to wast ;
but of this fast but few will tast. 98
For feet be redy at this day
to go for to do wrong a,
to run to law each weeke & day
feet thinkes no iorney long a;
and feet can go for to beguyle
an other man an hundred myle;
eares, mouth, and feet worke many
a wyle. 106
For eyes can see lonng tyme before,
what afterward will hap a;
fims guod Tho.
The mouth can speake, and eares
can heare,
and handes can it vp snap a;
and feet can run before it fall,
mouth, handes be ope to swallow-
all:
this fast iskept of great and smale. 112
From whordome, drunckewnes, &
such
we all should fast and leave yt;
and covetousnes is vsed much,
each one doth still receave yt.
from vsery but few will fast,
in pryson still the poore they cast,
oppression settes them on the last. 119
Thus few or none lemes the trew
\ fast,
and few therbe will vse yt;
away from vs we do it cast,
and styll we do refuse yt.
yet every man can fast amysse,
and every man can hould fast this,
and ecke that keep that none of his. 126
Each man fasts from restoring that
which wrongfully is gotton;
they feed still of I wot not what,
all serves, be it ripe or rotton.
God grant vs the trew fast to learne,
to drive the fox out of the fearne,
the wolves from lambes for to des-
cerne. 133
preston (1589).
[IX.]
A verie pretie sonnge. To the tune of Hobbinobl»
and John a Side.
Assist me now, you dolefuU dames,
sing hevely, now my ioyes do weare ;
sound forth jour rewfull morning
plants,
lament my sorofull wayling cheare !
lament with me, for I am he
who lives, alas ! and faine would die.
oh paine, sorofull paine, paine that
nipes me sore ! 7
Great cause I have, alas 1 to mome ;
sing hevely, now my ioyes do weare !
woe worth the tyme, that I was
bome
to tast of this my wayling cheare;
and cursed be that creweil happ
that fostred me to this ill happ.
oh paine, sorofull paine, paine that
nipes &c. 14
Did ever weight feell hälfe such
woe?
sing hevely, now my ioyes do weare I
o fortune fraile, why f rownest thow so
to make me langwish still in feare?
relent, you stoney hartes, I saye,
my heapes of greefes for to be-
raye!
oh paine, sorofull paine, paine that
nipes &c. 21
[VIII] 128 wongfully Hb.
Das Liederbucli Ms. ^awlinson 1?oel. 18^.
341
My sighes and sobes doth testefie,
sing hevely, now my ioyes do weare !
what greefes within my hart do
lye.
lament my sorofuU wailing cheare!
ihe grones that comes from my poore
hart
beres witnes of my wofull smarte,
oh paine, sorofull &c. 28
If that 1 might my ladie vewi
sing hevely, now my ioyes do weare !
I know she is a dame so trew,
she would redresse my wayling
cheare,
and shew remorse of me, poor räche,
which h'veth heare comfortles.
oh paine, sorofull &c. 35
What dost thow meane, thow cre-
weil spight,
sing hevely, now my ioyes do
weare !
to keep me from my ladies sight,
who should this wailling cheare?
did ever I deserve of thee
that thow shouldest worke such woe
to me?
oh paine, sorofull paine &c. 42
Füll oft I tooke my penn in hand,
sing hevely, now my ioyes do weare !
to let my ladie vnderstand
of this sorofull wailing cheare;
but then dispaire aresteth me,
and saith in vaine thy seuet shalbe.
oh paine, sorofull &c. 49
Then hope she comes, and com-
forts me,
sing hevely, now my ioyes do weare!
and bides me of good cheare to be,
and not to languish still in feare,
aud biddes me write vnto my love,
that she my sorroes might remove.
oh paine, sorofull &c. 66
The same is donne in continent,
sing hevely, now my ioyes do weare 1
and to my ladie it is sente,
who should redresse my wailing
cheare,
to see if she will pittie me,
and show some love of ametie.
oh paine, sorofull &c. 63
With hope and despaire am I fed,
sing hevely, now my ioyes do weare !
with trobles tombling in my bed,
lament my sorofull wailing cheare !
tili that I meete with Venus mine,
whose grace excells the muses nine.
oh paine, sorofull paine, paine that
nipes me sore. 70
ßnis.
[X.]
A pretie new ballad, intituled: Willie and Peggie.
To the tune of Tarltons carroll.
Regard my sorroes, you lasses that love,
for now I have cause to complaine:
the weight whome I loved in harte above all
is now away from me tane.
my trewest love he is gone,
my nowne sweet Willie is laide in his grave.
ay me! what comforte may Peggie now have?
sweet lasses, then ayde me to waile and to moone!
I morne for to here, how in bower and hall
men say sweet Willie farewell.
his like behinde him for merth is not left,
all other he did excell.
but now he is dead and gönne,
my nowne sweet Willie is laide in his grave &c.
Commended he was both of great and smale,
where soever he did abide:
12
[IX] 50 hope] home Hs. — [X] 4 tane = ta'en.
342 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
in courte or in cittie, in countrie or towne,
so well him seife he could guide. 16
but now he is dead and gone &c.
His lookes and his gesture, bis tornes and his grace,
eacb man so well did delight,
that none would be wery to see bim one stage,
from morning vntill it were night. 20
but now he is dead and gönne &c.
Admetus to Alcest was never more trew,
sweet Willie, then thow arte to me;
and as Alcest for Admetus ber life would give,
so would I have donne for thee. 24
but now be is dead and gönne &c.
Rest naught for Peggie but sorroe and care
to waile the losse of ber frend;
seetb, death, be bath taken my Willie away,
would God, my life it would end. 28
but now be is dead and gönne &c.
Dead is my Willie, whome one Peggies white handes
bestowed perfumed gloves,
bis silver bimselfe, and bis gaye gouldring,
as token of our trew loves. 32
but now be is dead and gönne, etc.
Tyme caused my Willie to come to the courte,
and in favour to be w*Yb the Queene;
wber oft he made her grace for to smile,
when she füll sad was seene. 36
but now he is dead and gone, &c.
A groome of ber Chamber my Willie was made
to waigbt vpon ber grace,
and well be behaved bim seife therin,
when be bad obtayned the place. * 40
but now be is dead and gönne, &c.
Regarded be was of gentelmen all,
that in the corte did remaine;
and ladies desired his companie oft,
because of bis plesant vaine. 44
but now be is dead and gönne, &c.
Lyke Argoes my Willie bad eyes for to see,
least any be might offend;
and tbougb that be iested, bis iestes tbey weare sucb,
as vnto reason did tend. 48
but now be is dead and gönne, &c.
To rieh and to poore my Willy was found
so meeke, so courteous, and kynde;
to singe them their themes be never denied,
so thai it might plese their minde. 25
but now be is dead and gönne, &c.
O poetes, now aide me w«<b jour grave style
to deck bis toome witb your verse,
Zunschen Z. 17 und 18 sieht ein überflüssiger Vers: that in the courte did re-
maiue. — 45 now] no Hs. — 46 nach me durchstrichenes and.
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
SIS
seeinge, whilst he was living, on themes so hard
the meaning he could well rehersse.
but now he is dead and gönne, &c.
Now farewell, my Willy, my ioy and delight,
my tortle so trew of love;
though dead be thy bodie, thy sonle yet I hope
in heaven is dwelling above;
and seeth thow arte dead and gönne,
sweet Willy, now farewell and adew.
I will never forgett thee for no new;
but like the tortle still will I moone.
Thus Peggy bewailed the losse of her freend,
whom fates had takeu away,
and wished her bodie intoombed Ytith bis
in grave, wheras he lay.
but seeth thy Willy is gönne,
what needes thow for to waile and moone?
be merry, I say, let sorro alone!
some other will love thee, as he hath done.
/5nw juod Riehard TarlUm.
56
64
[XL]
A hartie thankes givinge to God
for our queenes most excellent maiestie;
and is to be sounge to the tune of the medley.
Prepare with speed:
Crist commyng is at band,
as by straing signes and tokens both
the learned sort have scand. 4
Godes workes plainly declares
eaeh day vnto vs all,
that soddenly an end shalbe
of thinges ou earth mortall. 8
fyre fearce abroad shall flye
from east vnto the west,
Consumyng thinges that be earthly,
the greatest w*<h the least. 12
no succor shalbe found,
for favour, gould, nor fee;
but even as all the world was drownd,
so boumt shall all thinges bee. 16
wherfore I say: make no delay,
vnfold and hould
on Christ our only stay;
for it is hee, that remedie 20
must be we see;
or eis with open crye
we shall to hell fire, our dedes de-
serve no les;
meet meed for our hire, our lives do
so expresse. 24
then vnto our Christ inclyne quickly,
and fly from foUies desire,
and aske of him mercie for remedie;
he will not be any denier. 28
while life doth last, linger not, if
yot* may have it ;
he askes but a penitent harte;
to late will it be, when tyme is gon,
to crave it;
make speed therfor, ere you de-
parte. 32
Imbrace gode holy worde
for fere of wrathfuU sword;
love well the povertie,
and then God will blesse thee. 36
What Realme on earth
may be compared to this
that hath the gospell plainly taught !
it is a heavenly blisse. 40
allso a maiden meeke
amongst vs hee hath sent
to shew his glorios wonderous workes
and power omnypotent; 44
she sittes in princly throwne,
and ruies the E-elme in quiet;
she hath allso the trew touchstone,
Gode5 Word, her only dyet. 48
though foes do frett and fume,
yet God will blesse her still
[X] 55 him über durchsirichenem her.
^44
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
with maiestie and eke with Crowne,
as is bis blessed will. 52
wherfore to pray let vs not stay;
but be redie
to aske of Christ alwaye,
that she from strife may lead her
life 56
among vs longe.
let these prayers be reefe
amonge all good Christians both day,
night, and howre,
that god will indue her with his
mightie powre; 60
then neede we not feare any forren
foes,
Christ wilbe her only defence.
our queene, she hath plentie to plucke
downe all thoes
that seeketh by subtill pretence; 64
In each towne and cittie her grace
doth delight it
to have godes word preached at large ;
all things done amisse to have them
soone wrighted,
the maiestrats all she doth charge. 68
let each poore have his wright,
oppresse no man with might;
then god that sites above
will knitt vs all in love. 72
God grant to vs,
that we may have the grace
to love our queene with faithfull
harte,
and his word to imbrace; 76
that at the latter day
with him we may assend
to heavenly ioyes, for vs prepard
by him world w*Vhout end. 80
God save England so smale
and nobles of the same;
god grant each on that live in thrale
may assend wz7h Christen name. 84
our commons so direct,
0 lord, we thee desire,
that none of them may be infect
to taste thy wrathfuU ire; 88
and then I know, both hye and lowe
will iudg smale grudg
in England for to growe;
that vnitie mongst men may be, 92
God graunt it haunt
and vsen in each degree.
then shall we be glasse to each
towne and cittie;
wher love doth last lonngtyme, spight
hath but smale pittie; 96
as tyme is the tryall for truth to be
tride,
so all thinges ther beinge shall have,
tili death doth come, that will have
no deniall,
bring kinde out of mind vnto
grave; loo
then riches, nor beauty, nor nothing
will save vs,
if we do not help our pore brother ;
and if we live well, the lord God
will have vs;
we are his owne and for none other : 104
he bought vs w«Yh his bloud.
to taste the heavenly foode
god grant vs therfor, aye,
both rieh and pore to staye. lOB
finis.
[XII.]
A proper new ballade wherin is plaine to be seene,
how god blesseth England for love of our Queene:
Soung to the tune of Tarletons caroll.
London, London, singe and praise thy lord,
let Englandcs Joy be seene I
Trew subiectes, quickly shew vfith one accorde
jour love vnto your queene,
Elizabeth so brave,
Whose vertues rare beseeme her well;
from all the world she beares the bell;
her dew deserts no tonng can teil.
Her seife she doth behave,
That all the world doth marvell much,
how nature should frame anie such:
of vice none lyving can her tuch.
12
Das Liederbucli Ms. Rawlinson Poet. 185. 845
For iustice, for grace, and pittie both
no Realme hath had her like;
she pardons them füll oft that would be loth
to bold, if they durst strike.
Elizabeth, Lord, save!
she is the iuell, makes vs glade; is
a ^eater good cannot be had;
whilst we nave her, who can be sad?
Elizabeth so brave
doth never tread from vertues trace;
her hart and mind are füll of grace,
from pittie she tournes not her face. 24
Godes Word with sword and eke her crowne
from foes she doth defend;
yet pagon pope, the filthy höre of Roome,
the devill doth legat send
To spoile owr iuell brave.
But god will have no such ill don, 90
he teacheth England how to shonne;
and traitors to the gallows runne.
Elizabeth, Lord, save,
and still defend her with thy hand,
her happie daies to passe the sand;
so shall this be a blessed land. 86
The Spannish spite, which made the papiste boast,
hath done them little good:
God dealt with them as viith king Pharoes host,
who were drowned in the flood,
Elizabeth to save.
The lord him seife w^Yh streached arme 42
did quell ther rage, that sought our härme,
ther threatning brages the lord did charme.
Elizabeth so brave
The lord did quite from tirant swaye,
and traitors lost ther hoped praye.
grant all her foes, lord, like decaye. 48
The subtill engines, that her foes prepard
to worke our fatall fall,
are tourned to snares, wherw^YÄ them selves are snard,
and brought to shame w«Yhall.
Elizaoeth so brave
Did not in strength of navie trust, 54
nor yet in steell, that is but rust,
but in her lord who is most iust,
vihich Lord and God doth save
Qfur land and vs from wo and teene
so wondrously as never was seene,
even for the vertues of our Queene. 60
Thou England, thou maist say thou happie art
above a thousand soyles;
44 brages durch Verbesserungen undeutlich. — 47 praye durchstrichen und day
darüber.
346 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
thou feeist no parte of other countries smarte,
God gives thy foes the foyles.
Elizabeth most brave,
for her it is, God doth vs spare! 66
one her he hath a fervent care.
to give him thankes England prepare:
our iuell he doth save
and all we have eis; be it knowne
his mercies great Yfhich he hath showne
all for her sake, not for our owne. 72
God for her cause doth cloath the ground -^ith störe
of plentie and encrease;
our barnes are füll, our backes can bere no more,
and blest we are y^ith. peace.
Elizabeth most brave,
for thee doth England feell all this; 78
we nothing want that needfull is,
this iuell England cannot misse.
Elizabeth, lord, save
that England may be happie still;
confound all those that would her ill,
so lawd thy name the faithfuU will. 84
Though God do this, yet London learne to feare;
all England do the like.
away vfith prid, shun hores, and shame to swere,
or eis the lord will strike.
Then no good can we have,
but all our good we shall forgoe, 90
and feele his plagues, both hye and lowe,
our vices vile do greeve him so. .
and still our queene to save
the lord his iustice still forberes,
as he hath done these manie yeares.
then let vs morne our sines with teres. 96
Do this and live in ioye and happie case,
In favour of the lord;
from vices past ttm lord will tourne his face,
then let vs all accord
to praie that England brave
may florish everie howre and day, 102
fresh and greene like greene baye,
and that her foes come to decaye.
Elizabeth, lord, save,
That England may, as it hath beene,
be frutefuU, and peace in it be seene.
lonng live and ßaigne our gratious Queene! 108
finis.
T.
[XIIL]
A new bailad of Mother Watkins ale.
As Watkine walked by the way, faire maide,quoth he, goyou wi^Äme,
he met a las, and made her stay. and Watkins ale I will give thee. 4
[XII] 92 do] doth mit durchstrichenem th Hs.
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
S47
She did not him denie,
but went forth merely,
and thanked him hartely
for bis good merry tale. 8
Watkin perceaving than
that she did love a man,
with pleasant talke began
to walke alonng the dale. 12
They slipt aside cleane out of sight ;
what they did more,let Venus wright;
but as it seemed by poettcs tale,
he gave her weil ot Watkin s ale. I6
She Said to Watkin lovingly:
what ale is this which comes soe
free? —
tys Watkings ale, doe you not know,
tys now abroach and layd füll
low. — 2U
yf Watkings ale be such,
I cannot drinke too much,
I like so well the touch.
It is worthy of good sale: 24
Suger and claret wine,
malmesey and musketdine,
there tast is not so fine
as my sweet Watkings ale. 28
Watking, give me more of the same,
I like so well of this same game:
Ambroso with his fine flood,
nor Nextus drinke seeme hälfe so
good. 32
The mylkemayde went home merely,
and sunge for ioy with mirth and gle,
that she had sped of Watkings ale;
but marke the sequall of my tale: 36
ere fortye weekes was past,
this maide she went vnlaste;
she sweld beneath the waste,
her kertill grew to shorte. 40
she sighed and sayde: alas!
how comes this geare to pas?
I am not as I was,
all spoyld is our sporte. 44
So ionng the fishe snaps at the baite,
she taken is by subtell sleyght,
Watkins ale and pleasant sporte,
that brought one in fooles paradice.48
Where got you this? her mother
Saide. —
at Watkings ale, whereas I stayde. —
Is watkins ale of such force,
my daughter must goe seeke a
nurce. 52
Watkins ale was so stronng,
I thinke it went not wronnge;
well spiced with pech lonnge,
Beaten in morter well, 56
hys ale most pleasant is;
with many a loving kisse,
he strikes to hit or misse,
my Watkings did excell. 60
Of Watking ale I tooke a pull,
that I have druncke my belly füll;
the proverbe old, as 1 do thinke:
such ale I brew, such must I
drincke. 64
Hath Watkings ale thus me be-
trayde,
I can no longer be a maide;
our maides and younge men storm
at me,
as though the like could never be. 68
take need, you silly fooles,
deale not in Venus scholes,
nor yet with Watkins tooles;
his ale füll stronnge will rise. 72
buy not, before you cheape;
looke in tyme, before you leape.
Argoes was slayne a sleape
with all his hundred eyes. 70
My frend Watking hath such a Iure,
he will your hartes to love procure,
and teil you many a faire tale,
tyll he hath given you of his ale. so
Watking, my love, from me is gone;
now for his sake I will trust none.
I may bewaile my great mishapp,
I have to shew within my läpp. 84
when my sweete babie crye,
I may singe lullabye.
she therefor hath this; why,
you lassis, consider, 88
make you no scorne at me;
you doe not know, perdie,
what chaunce maye fortune thee,
when you playe to gether. 92
my Watkinge was a livelie lade,
I was my owne that Watkinge had ;
thus have you hard my merye talle.
I thanke Watkinge for his good
ale. 96
8 his doppelt Us. — 10 /n seinem Abdruck der ersten Strophe {Roxh. Ballads
VII, XIV) ersetzt Ebsworth wright durch right; näher läge doch wohl write. —
45 Nach loung durchstrichenes sunges — 48 Wahrscheinlich zu lesen: that in fooles
paradice oue brought wegen des sonst fehlenden Reimes. — 85 swete ] sete Hs,
848 Das Liederbuch Ms. Kawlinson Poet. 185.
[XIV.]
A proper new ballett, intituled Rowlands god sonne.
To the tune of Loth to departe.
Besse: Teil me, Jhon, why art thow soe sade?
teil me Jhon, teil me Jhon, what iste will make thee glade?
thow knowest thy misteries loves thee well,
soe dearelye as I shune to teil.
Teil me, 1 praye thee, lett nothinge dismaye thee.
but lett mee inioye thy love, thy love. 6
Jhon: O misteris myne, I cannot be merrye."
Bes: Teil mee, Jhon, teil me, Jhon, why lookes thow soe heavylye?
Jhon: my master carries a jealous eie,
and warnes me ffrom your companie.
Beso: heavens forfend itl — Jo: you maist amende it,
or ells fare well to our love, our love. 12
Be: why, Jhon, thy master mistrustes not thee?
Jo: wo is me, wo is me, much he mistrustes me,
and sayes he sawe me kisse your lippes,
suspectinge other secrete slippes.
Be: I will excuse thee. — Jo: I will refuse thee,
except you excuse our love. I8
Be: why, teil me, Jacke, and be not afrade;
Teil me, Jacke; teil me, Jacke, haste thow not hard it saied
That weomen in love have witt at will?
Jo: I praye you, misteries, shew your skill:
heare comes your husband. — Be: Hid thee, my leaman,
and I will goe plead ffor our love, our love. 24
Hu: How now, sweete wiffe, what all amorte?
Be: I, my deare, I, my deare, I have no lust to sporte,
although I was tempted very late
to abuse jour bed and my maringe State;
yet in my tryall I made a denyall.
Hu: how happie am I in my love, my love. 30
But teil me Wyffe who temmpted thee?
Be: John your man, John jour man, vrginge me shamfully;
and had I not graunted to meete him at length,
he would have forst me with his strength.
Hu: out, one him villaine 1 — Be: not for a millaine
of gould would I loose my love, my love. 36
Hu: O Besse, the knave is growne to proude,
take him downe, take him downe, such twiges must needes be bound.
Be: but in the Orchade, where I should meete him,
there in my apparell yo2^rselfe shall greete him;
gett thee a coudgell. — Ile pay the young losseil
Hu: for offering to tempt my love, my love. 42
Thou didst appoynte to meete him there?
Be: out alasl out alas! I ded it all for feare.
Hu: how didst thou say thow wouldst come attired?
Be: In my blacke silke gowne, for soe he desired.
Hu: that will I put on. — Be: looke to thy selffe, John!
Hu: Ile course mm for tempting my love, my love. 48
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185. 849
But where did he point this sDorte should bee?
Be: all alone, all alone, vnder the nolly tree.
Hu: then of that tree Ile get a wände.
Be: I would you had a stronger hande
to chastise the treacher. — Eu: out one him, leachar,
that would have defieled my love &c. 54
O what a wiffe have I of thee.
Be: praise thy God, praise thy God, tis he hath blessed thee.
Hus: would all my neighbors were so sped
with such a trew love in their bed.
Be: good wives are daintie! — Htis: not one amongest twentie
so constant as thow in thy love &c. 60
Hus: Vppon what howre did you agree?
Be: By and by, by and by after the stroke of three.
Hus: then it is tyme that I were gone?
Be: I, if you meane to meete with John;
lay him one sowndlye. — Hus: Ile beat him profoundly
for offeringe to tempte my love &c. 66
Be: But hide jour bearde in any case.
hould thy peace, hould thy peace:
and when he comes, and thmkes t
his flowre shall prowfe a stinkinge nettle.
Hus: hould thy peace, hould thy peace: a moufler shall hide my face;
and when he comes, and thmkes to settle,*
Jo
Be
Jo
Be
Jo
Jo
Be
72
Be: Then goe and make you readie straight.
Hus: now I goe, now I goe, for John to lie in waight:
the goosse is betraide vnto the fox.
Be: the asse will prowfe himselfe an ox.
Hm: what sayest thow, my sweetin^e? — Be: 1 say in yowr meetinge
you will course him for tempting yo«*r love. — 78
Thus doe the weedes overgroe the corne,
al unseene, al unseene, with laughing and great scome.
Ist not a World to heare vs speeake,
then doe jour vessels ssoonest leake.
men are importune, then blame not our fortune:
our sexe were ordained to love, to love. 84
Jo: Say, mistris, which waie blowes the winde?
Be: towardes the cost, towardes the coat, which we too strive to finde.
Jo: oh, that I could that cost descernel
Be: playe thow the pylot at the steame,
and feare not aryving, no winde is dryvinge
to hinder vs of our love, our love. 90
What sayes my master to this geare?
now the mouse, now the mouse sleepes in the c&ites eare.
but teil me, mistris, what doth hee say?
that he will wincke, while we two playe. '
Is all this veritie? — Be: I, of my honestye.
but teil me how, my love, my love? %
O John, I have complayned of thee;
Blamynge thee, blaminge thee all for thy leachery.
Jo: out alasl why did you soe?
Nach Z. 70 fehlen zwei Zeilen; auch im Ms. ein entsprechender Zwischenraum.
350 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
Be: thow knowest not how the winde doth blowe.
It was my pollicye. — Jo: to kyll bis Jelowsie?
Be: onely for that, my love, my love. 102
Jo: I stände accused in tbis case.
Be: be content, be content, lle keepe thee from abuse:
wtthin the orchard looke thow staye,
and when thy master comes tbis waye,
In my apparell, — Jo: will he not quarreil
wiVh me about our love, our love? 108
Be: Thow must sup^ose him to be me.
raile one me, raile one me, blame my dysloyaltie;
and to make bis love to roote the faster,
and in jour talkinge let blowes be walkinge,
and call him a whore in bis love, bis love. 114
Jo: The finest device that ever I barde,
That so soone, that so soone my love bath got a bearde;
therefore, mistris, get you awaye.
Be: looke in the orcharde, see you staye.
Jo: I do conceyte you. — Be: I will awaight you,
and see how you handle our love, our love. 120
Hus: Now, John, we will pay the score.
Jo: fye one thee, fye one thee, thou arte an arrant whore I
Ems: John, I know thou doest but lest.
Jo: I know thou art a filthie beast
to fawne one a leaman, and leave thy good husbande.
Hus: 0 John, it is for love, for love. 126
Jo: The devill in hell take such a wiffe.
hearest thou me, hearest thou me, tys pittie of thy hffel
Hus: why wilt thou wound and give no plaster?
Jo: why wilt thou have me wronng my master?
Hus: thou saidst thou didst love me. — Jo: 1 did it to prove thee,
and therefore take tbis for thy love, thy love. 132
Be: Be advised and hould thy band;
seest thou not, seest thou not, where thy vaaster doth stand?
Jo: what makes my master in jour weede?
Be: he came to rate thy filthy deed.
Hus: o John, I love thee, for now I have proved thee:
thou wilt not fleet in thy love, thy love. 138
Be: O busband, you will not take it soe.
Hus: yes my love, yes my love, and ioy in every blowe.
Jo: master, my mistris is very light.
Hus: no, John, my wiffe is pure and right.
now I have tryde ye. — Be: knave, I defie thee
for callinge me light in my love, my love. 144
Htts: O John, thow art my servant trew.
and my love, and my love, lle change the for no new.
Jo: a servantes dewtie prict me one.
Hus: now Jesus blese thee, gentle John.
0 ioy out of measure to have such a treasure
of such a servant and love, and love! 150
Nach Z. 111 fthli wieder eint Zeile. — 132 love] nnr 1 Hs. — 144 love] nur lo Hs.
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185. 351
Goe, wiffe, goe make vs merrie cheare
of the best, of the best; let nothinge be to dearel
Be: I will, seeth you will have it soe.
Jo: about your busines I will goe.
Hus: doe soe, good John, how happie I am
that have such a servant and love, and love. 166
ßnis.
[XV.]
A proper new ballad, intituled
The mery life of the Countriman &c.
Wherin is shewed his contented minde and laboursome
toyle, mixed with pleasure, most pleasaunte and delightfull
to be songe.
To the tune of Lacaranto.
A Prince dothe sit a slippery seate,
and beares a carefull minde;
the nobles, yfhich in silkes doe iet,
do litle pleasure finde. 4
Our safegard and safetie with many great matters
they Scan;
and non lives merrier in my mynde
than dothe the plaine countryman. 8
Although w^Vh patched clothes he go
and storkinge out at heele,
he litle knowes the greife and wo
that mightie men do feele. 12
But merrely whistles, and plowes vp the thistles
a pace;
when sunne goes downe so rounde as a crowne,
his oxen he dothe vnbrace. 16
when they are in stall, his wife he dothe call:
come hether, my owne sweete megge,
and peele the hempe at the chimney wall,
while I mv shewes do pegge. 20
Then by gooa fier he merrely tels her
a tale,
and then with delight to quicken their sprite
they drinke of their apples and ale. 24
when springe time comes, his pleasure he turnes
about his grownd to go,
to see howe trime his come dothe springe,
which he did lately sowe. 28
whick when he perceiveth bothe forwarde and fruitfuU
to bee,
vpon his toe he turnes him tho,
so pleasant as any can see. 32
And then in may, by breake of day,
with morrice daunces trime
his men, and he dothe quickly agree
to fetch their may powle in, 86
352 Das Liederbuch Mb. Rawlinson Poet. 185.
with. pipe and with tabor, in very good order
you knowe:
throughout the towne bothe vp and downe
their May game they will sho. 40
And though they do great toyle abide,
and labour all the weeke,
of a Sommer lorde at whitsontide
thy will not be to seeke; 44
the lorde and the lady, so merry as may bee,
all day
like kinge and queene will there be sene,
all in their best array. 48
At sheeringe of sheeps, which they do keepe,
good lorde, what sporte is than!
what great good cheire, what ale and beare
^ is set to every man I 52
w*Vh beefe and w*Vh baken in wadden browne platteres
good Store,
they fall to their meate and merrily eate;
they call for no sawce therfore. 56
when midsommer comes, with banens and bromes
they do bonefiers make,
and swifly then the nimble yonge men
runnes leapinge over the same. 60
The women and maydens together do couple
their handes,
with bagpipes sounde they dannce a rounde;
no malice amongest them Standes. 64
when sommers day hath dryde the hay,
that growes vppon the grownde,
they merrily iet their sythes to whet,
and downe they cut it rounde. 68
their wives and daughters w^^h forkes and with. rakers
do come
in petticotes gay to spread out the hay
with a strawne hat for the sunne. 72
when corne is ripe, w^'^h tabor and pipe
their sickles they prepare,
and wagers they lay, howe muche in a day
they meane to cut downe there. 76
And he which is quiekest, and cuttcs downe cleanest
the corne,
a garlande trime they make for him,
and bravely they bringe him home. 80
And when in the barne w*Yhout any härme
they have laid vp their corne,
In hart they singe high praises to him
that so increast their gaine. 84
And vnto the person, their pastor, and teacher
also,
with hartes most blyth they geve their tyth;
their duties füll well they knowe. 88
77 cuttes] cuttetes Hs.
Das Liederbuch Ms, Rawliason Poet. 185. 353
But when they ride to fetche home a bride,
the bagpipes not forgot;
Nor bride cakes fine to beare with. them,
whether ciit do amble or trot. 92
And then at the Quiwten the yongemen prepare them
to ride;
and manly their they breake a speare
in honnowr of mistris bride. 96
when Christmas drawes neare, to make god cheare
they nede not to market go;
For brawne and souse they have in the house
with goose and capon also. loo
for brewer and Baker they care not a couple
of flyes;
yet will they have ale, both nappy and stale,
yea white lones and christmas pyes. 104
And thus you heare throughout the yeare
the merrie countrie mans life,
how pleasantly they do spende the day
Yftih little trouble or strife. 108
for backe and for belly if that they have redie
in störe,
And rent to pay at the quarter day,
they never desier more. 112
But vfith a quiet contented minde
he spende« his time tili deathe,
yet beares away as muche as they
that lives like lordes on earthe. 116
And allwayes continewes to God and his princesse
most true,
and geveth plaine withont disdaine
to every man his due. 120
Whose harte is not ambitiously bent
to clinke to high estate,
but all his life is well content
to live in simple rate. 124
through faith in Christ Jesus his soule is saved
from thralle,
and plast in ioy, where Christ we pray
bringe vs bothe great and smale. 128
ßnis.
[XVI.]
A pleasante new sonnge, called the carmans whistle:
to the tune of neighbor Roberte.
In a pleasant morninge, Comely was her countenaunce,
in the merrie month of may, and lovely was her lookes;
Amounge the frutefull meddowes, seeminge that wanton Venus
a youngman tooke his way; 4 had write her in her bookes; 12
and gazinge rounde aboute him many a smirkinge smile she lente
what pleasures he could see, amidst those meddoes greene ;
he spied a proper maidden the which he well perceaved,
vnder an oken tree. 8 yet was of her vnseene. — 16
[XV] 104 chistmas Hs. — 115 as] at Hs. — 125 chist Hs.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 23
854
Das Liederbuch Ms. Eawlinson Poet. 185.
At length she changed her smilinge
into a sighinge sonnge,
bewailing her bad fortune,
that was a maide so lonnge; 20
for many one more yonger,
quoth she, hath lonnge bene wedd;
yet do I feare that 1 shall die,
and keepe my maidenhed. 24
My fathers rieh and welthie
and hath no child but I;
yet wante I still a husband
to keepe me companie. 28
my yeares are younge and tender;
and I am faire withall ;
yet is there nere a youngma?*
will comforte me at all. 32
The youngmaw which listned,
and markt her greevous mone,
was sorrie for to see her
sit musin g all alone. 36
he nimblie lepte vnto her,
which made the maide to start;
But when he did embrace her,
it ioyed her wofuU harte. 40
Faire maide, quoth he, whie morne
you?
what meanes jour heavie chere?
be ruld by me, I pray you,
and to my wordes give care: 44
a pleasante note ile teil you
your sadnes to expell. —
good sir, how do you call it?
the truth vnto me teil. 48
Tis calld the carmans whisteil,
a note so sweete and good,
It will turne a womans sadnes
into a merrie moode. — 52
good sir, then let me heare it,
if so it be no härme. —
Doute not, quoth he, faire maiden,
ile kepe you in mine arme. 56
But first let me intreate you
with patience to attende,
tili I have broute my musike
vnto a parfet end. — 60
If I may heare jou whistle,
quoth she, I will be still,
and thinke, so I molest you,
tis sore against my will. — 64
When he to her had whistled
a merrie note or two,
she was so blith and pleasant,
she knew not what to doe. 68
Quoth she: of all the musike
that I did ever know,
the carmans plesant whistle
shall for my monie goe. 72
Good sir, quoth she, I pray you
who made this pleasante game?
Quoth he, a gentle carman
did make it for his dame. 76
And she was well contented
with him to beare a parte. —
^odes blessinge, quoth the maiden,
light one the carmans harte. 80
For never was I pleased
more better in my liffe
then with the carmans whistle
which pleaseth maide and wiffe. 84
and, sir, I do beseech you,
however I do speed,
to let me heare you whistle,
when I do stand in need. 88
Quoth he: farewell, faire maiden,
and as you like this sporte,
so of the carmans whistle
I pray you give reporte. — 92
good sir, quoth she, I thanke yow
for this your taken paine;
but when shall we, I pray you,
meete in this place againe? 96
Quoth he: at anie season,
by day or eis by night,
commend the carmans whistle
for pleasure and delight; loo
and counte me slacke and slouthfull,
if twice you send for me. —
I faith then, quoth the maiden,
ile give thee kisses three. 104
finis.
[XVII.]
A sonnge in praise of the single life.
To the tune of the gostes hearse, alius the voice of the earth.
Some do write of bloodie warres;
some shewes the sundrie carres
twixt men through envie raised;
Some in praise of princes write;
some setts their whole delight
to heare faire bewtie blazed;
Some other persons are mooved
for to praise wher they are loved. 8
Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 185.
355
And let lovers still
praise bewtie as they will ;
otberwise I am intended :
trew love is little regarded, 12
aüd oftentimes goes viirewarded;
then to avoide all striffe
well fare a single liffe,
wherby the hart is not offended. ig
O, what sute and servis too
is vsed by them that wooe,
and all to purchase favourl
Oh, what greefe in harte and minde, 20
what sorrow do they finde
throiigh womens fonde behaviour!
subiect to suffer eac to lowre,
and speaches, both sharp and sowre, 24
and labour, love, and cost:
perchaunce is all but lost,
and no way they be amended;
and some to purchase pleasure, 28
and after repent them by leasure.
then to avoide all striffe &c. 3ü
To a man in wedded State
doth happen much debate,
except gods speciall favour.
if his wiffe be prowdlie beut, 34
or secretly consent
to any leawde behaviour,
if shee be sloughtfuU, or idle,
or such as her tounge cannot bridle, 38
O then will weare hee,
if death his baue would be.
no sorrow ells may be amended;
for looke, how lonn^ he weare
livinge, 42
evermore would he be greevinge.
then to avoide all striffe &c. 44
Married folke we often heare
even through ther children deare
have manie causes of sorrow,
if disobedient they be founde, 48
or false in any grownd
by ther vnlawfuTl borrowes;
to see such wretched followes
shamfully corwme to the gallowes, 62
whom parentes with great care
norished with daintie fare,
from the cradle trewlie tended;
when as the mother before them 56
doth curse the day that ever she
bore them.
then to avoide all striffe. &c. 58
Do we not behould and see,
wher men and wives agree,
and live in love together,
wher the lord hath sent them ecke 62
faire children milde and meeke,
like flowers in sommers weather,
how greatly are they greeved,
and will not by ioy be releeved, 66
if that death do call
ether wiffe or chilldren smale,
whom the vertues so commended;
ther losses whom they thus loved 70
from ther hartes cannot be mooved.
then to avoide all striffe &c. 72
Who, being in happie state,
would worke himselffe such hate
his fancie for to foUowe;
Or livinge here devoide of striffe, 76
would take to him a wiffe
for to procure his sorrow;
with carpinge and with caringe
evermore must he be sparinge; 80
were not he worse then madd,
being merrie would be sadd,
were he to be commended,
that sure would take pleasure, 84
wher greefe is all his treasure.
then to avoide all striffe,
well fare a single liffe,
wher by the harte is not offended. 88
finis.
Bemerkungen zu den einzelnen Liedern.
I. In diesem Song of the guise of Lo7idon haben wir eine Aufzählung
alles dessen, was in den Londoner Strafsen und Märkten zur damaligen
Zeit feilgeboten worden. Das Lied ist eine Zusammensetzung und Be-
arbeitung der verschiedenen Rufe, mit denen die Verkäufer ihre Waren
feilzubieten pflegten. Eine ähnliche Ballade findet sich auch in der Bag-
ford-Sammlung von Ebsworth I 115. Hier lautet der Titel: The traders
mecUey; or the crys of London; being a pleasant copy ofverses on the daily
cries in London from Billingsgate to Whitechapple Mount, and from thence
to Tuttle street in Westminster, relating all sofis of hawkers and petty
chapmen. Eine dritte, ähnliche Ballade : The cries of London, ist abgedruckt
23*
356 Das Liederbuch Ms. Rawlinson Poet. 1^5.
in den Boxburghe hallads (Ebsworth VII 57), stammt aber aus späterer
Zeit. — Die Gestalt des Besenhändlers, der die Strafsen, laut zum Verkauf
und Tausch auffordernd, durchzieht, und die Erwähnung des Besens ist
in der damaligen Volkspoesie eine häufige Erscheinung. Schon 1562 63
wurde in den Stationers registers eine Ballade zum Druck angemeldet:
A description of the nature of a hrychen hrome. 1563/64 folgte eine zweite:
Buy hroomes buy (Collier, Shakespeare Soe. transcripts S. 88). Unter den
Songs of London prentices and trades (Collier, Percy Soc. I 135) befindet
sich ein City round, dessen erste Strophe an unsere Ballade erinnert:
Broomes for old shooes! pouchrings, bootes, and buskings!
Will you buy any new broome?
New oysters! new oysters! new, new cockels!
Gockels nye! fresh herrings! Will you buy any straw?
Hay yee any kitchen stuffe, maides?
Pippins ripe, cherrie ripe, ripe, ripe!
In dem Stück Three ladies of London, 1584, betritt Conscience die Bühne
als Besenverkäufer mit einem Bündel Besen auf dem Rücken und singt
ein ähnliches Lied mit dem Refrain:
New broomes, greene broomes, will you buy any?
Come maidens, come quickly, let me take a penny.
Man kann wohl annehmen, dafs hierin die Balladen vorbildlich gewirkt haben.
II. Der Tune of Legoranto ist natürlich mit dem Lacaranto (Nr. XV)
identisch, wie auch der gleiche metrische Bau der Strophen besagt. Über
diese Melodie ist weiter nichts bekannt.
III. Wilson, nach dem die Melodie Wilsons tune benannt wurde,
scheint ein Sänger und Musiker jener Zeit gewesen zu sein ; von ihm ist
noch ein Tanz, Wilsons Wild, erhalten, dessen Noten bei Chappel, Old
populär musick I 267, abgedruckt sind.
V. Die Melodie des Tune Lady Jane ist unbekannt. Eine Ballade
Lady Jane finden wir in den Stationers registers 1560/61 zum Druck an-
gemeldet (Collier 72), und kurz darauf eine zweite, Lamentation of Queen
Jane. Die Geschichte der Lady Jane Grey, auf die sich wahrscheinlich
diese Balladen beziehen, ist noch weiterhin häufig in den Balladen ver-
arbeitet worden. — Infolge des fehlenden Blattes sind uns nur zwei Stro-
phen des Textes erhalten.
VI — VII. Der Titel und Anfang des Liedes VI ist aus demselben
Grunde nicht vorhanden. Aus dem Sinn geht aber klar hervor, dafs es
die Lehren eines Vaters an seinen Sohn enthält, der von ihm Abschied
nimmt, um zur Erlernung eines Handwerks nach London zu ziehen. Es
steht somit in direkter Verbindung mit dem folgenden Liede, in dem nach
dem Vater die Mutter das Wort ergreift, um auch ihrerseits dem Sohn
Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Also auch hier in der Volkspoesie
finden wir diese Dichtungsart fortgesetzt, die schon im Alt- und Mittel-
englischen häufig Gegenstand poetischer Bearbeitung geworden war.
VIII. Diese Bufs- und Fastenpredigt sollte nach dem Tune of the
crampe gesungen werden. Die Noten einer so benannten Melodie finden
sich in der Liedersammlung Cammelia von 1609 und sind bei Chappel
I 148 abgedruckt. Eldertons Ballade Lenton stuffe ist ebenfalls nach dem
Tune of the crampe zu singen; es müssen aber verschiedene Melodien
unter diesem Namen existiert haben, da alle drei, die beiden Dichtungen
und die erhaltene Musik, untereinander gänzlich verschieden sind.
IX. Die Balladen von Hobby Noble und John a Side, von der die
Melodie entlehnt ist, sind abgedruckt bei Childe, English and Scottish
populär ballads III 475.
Das Liederbucli Ms. Rawlinson Poet. 185. 05"?
XI. Medleys waren eine Art von Potpourris, in denen allerhand Bal-
ladenanfänge, Refrains, Sprichwörter, volkstümliche Redensarten etc. mit-
einander zu einem Liede verflochten wurden. Solche medleys finden wir
in den Roxburghe ballads I 52 ff. ; III 240. Ein medley von Tarlton wird
ebenda erwähnt II 239.
XII. Vielleicht bezieht sich hierauf eine Eintragung in den Stat. reg.
(Arber III 53) vom 20. November 1595: Entered ... a bailad intitulated
Englaiids triumphe conteyninge diverse of those aboundant blessings where-
with this our realme hathe been blessed by our most gratiotts queene Elixa-
bethes reign.
XIII. Mother Watkins ale und The earmans whistle gehörten ihres be-
denklichen Inhalts wegen zu den berüchtigtsten Strafsenballaden; Chettle,
Kind hearts dream, 1592 {Percy Soc. V 15), nennt sie 'lascivious under-
songs', die gesungen werden ^with such odious and detested boldnes, as if
there be any one line in those lewel songs then other more abhominable, that
with a double repetition is lowdly bellowed'. In dem Briefe, der Mundys
Übersetzung des Oerilion of England voransteht, heifst es: I should hardly
be perswad^ that any professor of so excellent a science {as printing) could
be so impudent to print such odious and lascivious ribauldrie at Watkins
ale, The earmans whistle, and sundrie such other.' — Die Melodie abge-
druckt bei Chappel I 265.
XIV. In meiner Vorlage befindet sich eine Notiz, in der bezweifelt
wird, ob Titel und Lied zusammengehören. Balladen in Dialogform finden
sich aber sehr häufig; die Melodie wurde eben von den beiden Personen
abwechselnd aufgenommen. Auch ist ja hier eine vollkommen strophische
Gliederung vorhanden, es ist keineswegs ein fortlaufend dramatisiertes Ge-
dicht. Der Stoff entstammt der 67. Erzählung aus Boccaccios Decame-
rone. — Zwei verschiedene Melodien, benannt Loth to depart, sind bei
Chappel I 102 abgedruckt; jedoch pafst keine von ihnen. Der Text eines
schottischen Loath to depart steht in den Bagford ballads II 481.
XVI. The earmans whistle scheint eine der beliebtesten Balladen ge-
wesen zu sein. Sie ist aufserdem noch erhalten in den Sammlungen von
Pepys III 291, von Roxburghe II 67 und von Wood E 25 (133). Zugäng-
lich war mir nur die der Roxburghe-Sammlung (III 564), The combers
whistle or the spart of the spring. Tune of earmans whistle. Diese letztere
scheint eine spätere Bearbeitung von der ursprünglicheren Fassung im
Rawl. Ms. zu sein, wie aus dem Text hervorgeht als auch daraus, daTs
die Melodie, The earmans whistle, angegeben ist. Der Text lehnt sich
häufig an und stimmt wörtlich überein, ist anderseits aber ganz und gar
abweichend; es sind Strophen hinzugefügt, umgestellt und weggelassen.
Es geschah häufig, dafs ein Balladendrucker eine Bearbeitung oder Nach-
ahmung einer beliebten Ballade anfertigen liefs, um ebenfalls durch ihren
Vertrieb sich sicheren Gewinn zu verschaffen.
Bei Ouvry, Catalogus of old ballads S. 17, ist dieselbe Ballade unter
einem dritten Titel eingetragen: The courtous carman and the amorous
maid; or the earmans whistle. To the tune of the earmans whistle, or Lord
Willoughby's March. Diese beiden Melodien sind bei Chappel I 253 und
I 152 abgedruckt. Da der bei Ouvry erwähnte Liederanfang, As labroade
icas walkinge, nicht mit dem unserigen übereinstimmt, mufste hier eine
dritte Version zugrunde gelegen haben.
Nach der in unserer Hs. angegebenen dritten Melodie 0 neighbour
Robert geht auch eine Ballade The wonderfull example of Qod shewed upon
Jasper Conyiingham {Roxb. ballads III 104); nach der Melodie The earmans
ivhistle eine Ballade All is ours and our htisbands {Roxb. ballads III 380).
BerliD. Wilhelm Bolle.
Zur englischen Syntax.
I. Zur Komparation.
In der neuen Bearbeitung seiner Aufsätze über das Indefinitum
sagt Einenkel, Anglia XXVII, 80: 'Die Herkunft des für than
gelegentlich eintretenden nor ist dunkel.' Und Stoffel, der E. St.
XXXI, 265 Belege für diese Erscheinung zusammenträgt, spricht
nicht von ihrer Entstehung. Das veranlafst mich zu den folgenden
Bemerkungen über die Herkunft der mir bekannten englischen Kom-
parationspartikeln.
Wenn man die Entstehung der Konjunktionen beim Komparativ
begreifen will, mufs man bedenken, dafs die Hilfsmitttel der Über-
und Unterordnung aus Mitteln der Beiordnung hervorgegangen sind.
Das ist von vornherein festzustellen.
Ursprünglich war bekanntlich für unsere Konjunktionen kein
Bedürfnis vorhanden: der 'zweitverglichene' Gegenstand stand im
Germanischen (und auch noch im Ae.) im Dativ.' Der Dativ als
Komparationskasus ist längst als indogermanischer Ablativ erkannt,
er ist nicht ein echter alter Dativ, wie neuerdings Winkler in seiner
Oermanischen Kasussyntax (S. 116 ff.) behauptet hat.
1. Die gebräuchlichste Komparationspartikel ist than, ae.
ßonne.^ Sie ist natürlich ursprünglich beiordnend gewesen, erst aus
der Parataxe hat sich die Hypotaxe entwickelt. Nach Ziemer a. a. O.
S. 2 1 0, Tobler, Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik III, 79,
ist er ist klüger denn du entstanden aus er ist klüger, denn du (d. h.
dann, hernach, erst nach ihm du). In Wirklichkeit ist aber wohl die
Grundbedeutung des ae. ßonne, ahd. danne eine andere : Behaghel (in
Kluges Etymologischem Wörterbuch*^ unter dann und Gebrauch der
Zeitformen im konjunktivischen Nebensatz des Deutschen S. 176) sieht
darin das Adverb (ahd.) dana (vgl. got. panamais !): gröfser denn das
= gröfser von da aus. Denselben Sinn hatte ja ursprünglich auch
* Über den Genitiv als Komparationskasus in germanischen Dialekten
vgl. Grimm IV, 754; Wülfing, Syntax Alfreds des Qrofsen § 10 a; H. Ziemer,
l^rgleichende Syntax der indogermanischen Komparation, Berlin 1884, S. 78.
^ Die Ansicht von Koch, Eist. Grammatik § 506, über die Entstehung
dieser komparativen Partikel ist unklar; Zupitza hat ein Fragezeichen
hinzugesetzt.
2Jur englischen Syntax. 8^9
der alte Vergleichungskasus, der Ablativ. Oaius dodioi' est Lucio
bedeutet: O. ist gelehrter, von L. aus gerechnet.
Einen ähnlichen Ersatz hat der Komparationskasus in anderen
Sprachen gefunden: vgl. romanisches de (Meyer - Lübke, Syntax
S. 305 ff.), griechisches uno, slawisches ot 'von — an' (Ziemer, S. 250).
Ähnlich wird die Vergleichung im Hebräischen zum Ausdruck gebracht.
Zu beachten ist, dafs die Pause vor ponne im Laufe der Zeit
geschwunden ist. Es ist eine Verschiebung in der Gliederung ein-
getreten, wie so oft im Satzbau. Oröfser — denn der andere war
gleichbedeutend mit dem älteren gröfser dem anderen; da im zweiten
Falle keine Pause hinter dem Komparativ stattfindet, wurde sie auch
im ersten erspart. Die Verschiebung in der Gliederung würde somit
auf einer Analogiebildung beruhen.
2. Wegen der Komparationspartikel pe vgl. Delbrück, Verglei-
chende Syntax der idg. Sprachen III, 357.
3. Sehr beachtenswert ist das vergleichende tili nach Komparativ
in heutigen englischen Mundarten : bis zu an Stelle von von . . . aus.
He is taller tili you: er ist gröfser bis zu dir. Man vergleiche:
Ä is taller than B
A
B 1 ->
von da aus
A is taller tili B
A
B 1^
bis dahin
Vgl. im Altslawischen daze 'bis' nach drevlje prius, Ziemer, S. 228.
Dialektisch werden tin und tan nach Komparativ gebraucht,
vgl. Th. Darlington, Falk- Speech of South Gheshire S. 60; Wright,
Dialekt Dictionary 153; Ellis, Early English Pronunciation V, 420.
Das sind offenbar Kontaminationen der beiden gleichbedeutenden
Wörter tili und than: tili -\- than = tin; tili -\- than := tan.
4. Dem deutschen als entspricht englisches as in der älteren
Sprache und in den heutigen Mundarten: K E. D. I, 478, B I, 4
und E. D. D. I, 78. In der heutigen Schriftsprache ist as nur noch bei
Gleichstellung gebräuchlich (He is as tall as I, not so tall as I, not
as tall as I). More as that für more than that wird als Scoticismus
verzeichnet von James Beattie, Scoticisms, Edinburg 1787, 1810, S. 2.
Er ist gröfser als ich hiefs anfänglich er ist gröfser, so (also, engl.
as < eallswä) ich, so grofs bin ich.
5. Nach alledem kann älteres na (nicht) als Komparationspartikel
keine Schwierigkeit mehr machen.^ He is taller na his brother hiefs
* Dafs dieses na aus dem Keltischen entlehnt sei, wird man nicht be-
haupten wollen. Das Neiiirische, Hochschottische und Welsche verwenden
nämlich na als Komparationspartikel (Ziemer, S. 236).
ä6Ö 2m englischen Syntax.
ursprünglich He is taller; na Ms brother = er ist gröfser; nicht sein
Bruder. Vielleicht ist diese Konstruktion erst das Ergebnis einer
Vermischung zweier Sätze: he is taller than his brother -f- he is tall,
na his brother. — Im Slawischen dient die Verneinung zu demselben
Zweck, wie Delbrück, Vergleichende Syntax IV, 519, mitteilt: Dem
Lande der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher gehen am
Jüngsten Gericht, nicht jener Stadt. H. Ziemer, Syntax der indogerm.
Komparation S. 11 f., 145 ff., weist in verschiedenen Sprachen ähn-
liche Verwendungen der Negation bei der Vergleichung nach. Vgl.
auch noch Diez, Grammatik der rom. Sprachen^ ^ 1057 (III, 400), der
darauf hinweist, dafs die vergleichende Partikel wegfallen kann 'vor
einem vollständigen Satze, sofern ihm die Negation nicht fehlt', z. B.
bon essemple valon mais, no fay sermos.
6. Belege für nor beim Komparativ geben aufser Stoffel und
Einenkel noch Murray, Scottish Dialect S. 169, und Mätzner, Ae.
Sprachproben I, 1, S. 362. Aus den Cely Paper s, Selection from the
Correspondence and Memoranda of the Cely Family, Merchants of the
Staple, edited for the Royal Historical Society by H. E. Maiden,
London 1900, füge ich folgende Belege an:
S. 19 (1479): ... ye schall here myche more in thys pertys nor
I can at Brytys ...
S. 23 (1479): I have lever my money be note resayvyd ... radar
nor ye schall labor yourselve.
S. 30 (1480): (it) is fayre woll (= wool) meche finar woll nor was
the yere before.
S. 32 (1480): ye mythe (= might) write myche more nor ye doe.
In den heutigen Mundarten ist nor in dieser Verwendung be-
kanntlich sehr geläufig.
Wieder haben wir von ursprünglicher Parataxe auszugehen, von
einer parataktischen Verwendung, die nor heute noch hat: und nicht.
He is taller nor I -— he is taller, nor I, d. h. er ist gröfser und nicht
ich. Auch hier kann man wieder an eine Konstruktionsmischung
denken. Diese Konstruktion berührt sich nahe mit der anderen he
is taller na I. Und wieder ist die ursprüngliche Pause hinter dem
Komparativ weggefallen, wieder infolge einer Verschiebung der syn-
taktischen Gliederung.
Wie nor für than nach Komp. ist im Altschott, umgekehrt für
nawther — nor nawther — than eingetreten (s. Mätzner a. a. O.).
Wie übrigens nother, nor zur Bedeutung und nicht gekommen
ist, erörtert Einenkel, Anglia XXVII, § 242.
Im älteren Deutschen und in heutigen deutschen Mundarten
treffen wir weder in derselben Verwendung wie engl, nor; Beitr. V,
379 f.; Ziemer, S. 185 f.; O. Schwab, Hist. Syntax der griechischen
Komparation I, 48^, vgl. auch die Angabe des Grammatikers Johann
Bödiker 1698 (Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins
1901, S. 40), für die Mundarten z. B. Ph. Lenz, Handschuhsheimer
Zur englisclieii Syntax. 361
Dialekt, Progr. 1887 (I), 54, G. Binz, Zur Syntax der Ma. von Basel,
Diss. 1888, S. 67.
Ähnliches finden wir auch im Skandinavischen, worauf Storm,
Englische Philologie- S. 811, aufmerksam macht.
7. or 'eher' für than nach Komparativ in der älteren Sprache
und in heutigen Mundarten verzeichnen N. E. D. VII, 166, C, 3 und
E. D. D. IV, 356, 5. Vgl. z. B. aus Sir Gawayne and the green Knight,
V. 1543:
Tg yow J)at, 1 wot wel, weldej more slyjt
Of bat art, bi |)e hälfe, or a hundreth of seche
As I am.
Aus Douglas V, VIII, 88: ... othir strenth or mannis force has delt
with the.
Das letzte Beispiel mag die Herausbildung von or als Kompara-
tionspartikel veranschaulichen. Es hiefs ursprünglich: othir (greter)
strenth has delt with the or — mannis force = stärkere Kraft hat
dich eher, vorher besiegt, dann Mannes Kraft, nicht Mannes Kraft. ^
8. Schliefslich sei noch auf but nach negativem Satz mit Kom-
parativ hingewiesen, vgl. N. E. D. I, 1211 unter hut, C, 5, und
H. Varnhagen, An inquiry into the origin and different meanings of
the Engl, particle but, Diss. 1876, S. 54 ff. Z. B.: I have no more
but ten Shillings (c. 1500). Natürlich war anfangs vor but eine Pause.
Man vergleiche damit mhd. wan nach Komparativ in Verbindung
mit Negation, Paul, Mhd. Grammatik, § 319.
Selten finden wir Präpositionen hinter dem Komparativ. ^
9. Gelegentlich steht by &n Stelle von than. Murray, Scottish
Dialect S. 169, zitiert schottisch hey's yunger be onie o thaim. Da-
neben steht he is young by you (auch südenglisch, vgl. Elworthy,
Grammar of the Dialect of West Somerset S. 24), und das erklären
Murray und Elworthy richtig als jung neben dir (im Vergleich mit
dir). Und young er by you scheint nichts anderes zu sein als eine
Kontamination aus younger than you und young by you.^
Ähnlich leitet O. Schwab, Griech. Komp. II, 152 griech. na^d
nach komparativischen Begriffen aus der Grundbedeutung der Prä-
position (nebenhin, iuxta) ab.
10. To als Komparationspartikel finde ich in dem Satz aus
The Fair Maid of Bristow (hsg. nach dem Druck von 1605 von
A. H. Quinn, Boston 1902), V. 609: Delay is worse to danger, was
L. Tieck übersetzt: Aufschub ist schlimmer als Gefahr {Shakespeare-
* In englischen Mundarten vertritt or die Stelle von bis, vgl. Wright
unter or, 6: hide or you see = warte, bis du siehst. Ursprünglich: warte
vorher; du siehst (alsdann).
^ Für die idg. Sprachen vgl. die Zusammenstellung von komparativen
Präpositionen bei Ziemer S. 94 ff., 114 ff.
2 Die Angabe des N. E. D. I, 1228 unter by, A, II, b, in We came back
the same way sei by 'elliptically omitted', beruht auf falscher Auffassung.
862 Zur englischen Syntax.
Jahrbuch XXXI, 149). Worse to ist wohl nach Analogie von not
like to gebildet.
Änlich werden lat. inferior^ dexterior mit dem Dativ verbunden
nach Analogie von impar, vgl. Wölfflin im Archiv f. lat. Lexiko-
graphie VI, 466 f.i
Aus dieser Übersicht geht hervor, dafs die ursprünglichen Be-
deutungen der Komparationspartikel recht verschiedenartig sind.
Diese Verschiedenartigkeit ist beachtenswert auch für Untersuchungen
auf anderen Sprachgebieten. O. Schwab findet die Verwendung der
griechischen Gleichheitspartikel cog neben, wie er glaubt, disjunktivem
i'i höchst auffällig. 'Mit der Vorstellung des Sprachkörpers als eines
organischen Ganzen verträgt sich wenigstens die gleichzeitige Ver-
wendung heterogener Sprachmittel zum Ausdruck einer Denkform
nicht. Die verschiedenen Sprachen haben verschiedene Wege ein-
geschlagen ; aber innerhalb einer Sprache gerät die Entwickelung wohl
bisweilen auf Umwege und Abwege, nie jedoch strebt sie von Anfang
an demselben Ziele auf zwei entgegengesetzten Wegen zu' (II, 155).
Das ist eine irrige Anschauung. Auch im sprachlichen Leben führen
viele Wege nach Kom. Das Englische mit seiner durchsichtigeren
Entwickelung zeigt uns eine noch viel gröfsere Verschiedenartigkeit
als das Griechische. Übrigens sind die Wege durchaus nicht ent-
gegengesetzt, wie Schwab meint.^
Wir schliefsen die Erörterung einiger 'Unregelmäfsigkeiten* im
Bau von Vergleichungssätzen an.
Da fällt zunächst auf, dafs unsere Komparationspartikel gelegent-
lich nach einem Positiv statt Komparativ stehen. Belege bieten
Grein, Sprachschatz II, 563 ff., Bugge, Z. f. d. Ph. IV, 193, Wülker,
Änglia I, 185 und neuerdings Koppel, E. St. XXXI, 376 f., unter
* So erklärt sich wohl auch der Dativ beim Komparativ in einem
Goetheschen Satz. Vgl. Ziemer S. 75: 'Als ganz ungewöhnlich und der
heutigen Zeit fast unverständlich mufs das nhd. Beispiel des komparativen
Dativs bezeichnet werden, welchen Goethe 2, 328 zu bilden sich erlaubt
hat, jedenfalls aus zufälliger Laune und aus jener das Seltsame liebenden
genialen üngebundenheit heraus, welche ihn so oft auf syntaktischem
Gebiet zu Neuerungen führt. Denn von altdeutschem Sprachgebrauch war
der Dichter wohl unabhängig oder dachte nicht an ihn, wenn er schrieb:
Jedem Gift, das ich erprobet,
Schlimmer ist dein eignes noch.
Ist dieser Dativ eine freie Schöpfung Goethes, so läfst er nicht nur das
feine Gefühl des Dichters für den Geist der Muttersprache bewundern,
sondern behält auch von grammatischem Gesichtspunkte aus unvergäng-
lichen Wert.'
^ Ich sehe hier ganz davon ab, dafs Schwabs Identifizierung des viel-
erörterten komparativen rj mit der disjunktiven Konjunktion auf berechtigten
Widerspruch gestofsen ist; vgl. z. B. Brugmann, Griech. Orammatik^ S. 541 f.
Zur englischen Syntax. 363
dem Titel 'Ellipse des Komparativs von than'. Am bekanntesten ist
die Stelle aus dem Beowulf, V. 69 f.:
Him on möd bearn,
{)8et heal-reced hätan wolde,
medo-sern micel men gewyrcean,
{)one yldo bearn sefre gefrünon.
Also: er liefs eine grofse Halle bauen, als man je gesehen. Grein,
Spraehschatx (danne II), bemerkt dazu, im vorhergehenden Satzglied
sei der Begriff des Komparativs hinzuzudenken; vgl. auch die An-
merkung in der Ausgabe von Heyne-Socin. Gewifs, aber das erklärt
die Entstehung dieses 'Anakoluth' noch nicht. Unser Satz ist das
Ergebnis der Vermischung von zwei Konstruktionen: er liefs eine
grofse Halle hauen; so eine hatte noch niemand gesehen -\- er liefs
eine gröfsere Halle bauen, als man je gesehen.
Ahnliche Mischungen kommen auch im Deutschen vor. Heyne
zitiert in seinem Wthch. III, 1342 zwei Belege aus Grimmeishausen,
darunter Simpl. 3, 49: Dieselbe fand ich gar arm, weder (=: als) ich
sie verlassen = dieselbe fand ich gar arm, so arm hatte ich sie nicht
verlassen -\- dieselbe fand ich ärmer, als ich sie verlassen.
Ebenso steht es mit der sog. Ellipse von poiius und magis im
Lateinischen, vgl. Kühner, Attsführliche Grammatik der lat. Sprache
n, 972, Anm. 6. Z. B.: Oratio fuit precibus qtiam jwgio similis.
Schmalz weist im Handbitch der klassischen Altertumswissenschaften
II 2, 503 die Annahme einer Ellipse zurück, natürlich mit Recht; und
er fügt hinzu: hier liegt im Adjektiv ... ein Komparativ begriffen.
In Wirklichkeit handelt es sich um eine Konstruktionsmischung:
Oratio fuit precibus, non jurgio similis
oratio fuit precibus magis quam jurgio similis
oratio fuit precibus quam jurgio similis.
Ähnliches findet sich im Griechischen, vgl. Schwab I, 52 Fufsnote.
Auch im Neuenglischen findet man gelegentlich than nach dem
Positiv. So nach scarcely, hardly. I had scarcely addressed him than
he knew me. Belege findet man bei W. B. Hodgson, Error s in the
Use of English, Edinburgh^ 1896, S. 122 f., der richtig bemerkt:
This also is a confusion of two constructions I had no sooner ad-
dressed him than and / had scarcely addressed him when he knew
me. — Aus not so ... as und more . . . than ist gelegentlich not so ...
than geworden. Belege gibt wieder Hodgson S. 124, darunter aus
Bulwer: ... nothing was so teasing to Lord Erskine than being ad-
dressed by his second title of Baron Clackamannan.
Im Anschlufs daran sei auf different than hingewiesen, das im
älteren Neuenglischen und in heutigen Mundarten nicht selten ist, vgl.
F. Hall, Modern English III, 341; Hodgson, S. 1 1 2 f f . ; N. E. D. III, 341;
Storm, S. 748; Darlington, Folk-Speech of South Cheshire, S. 60. Hier
haben natürlich other than und andere komparativische Wendungen
364 Zur englischen Syntax.
eingewirkt. Umgekehrt ist another from durch Einflufs von diffe-
rent from zustande gekommen: another thing from your ... games,
Storm2 769. different to schliefslich (z. B. bei Thackeray) ist von
unequal to, dissimilar to u. dgl. beeinflufst, vgl. Sattler, Änglia IV,
172, 292, und Storm2 751.
Auch Sätze wie I prefer Hearing you than speaking myself kann
man gelegentlich hören und lesen. Dieser Satz ist offenbar gemischt
aus I prefer Hearing to speaking -|- I like better hearing than speaking.
Belege dieser Art aus der neueren Literatur sind gesammelt von
Hodgson, S. 125.
Nach (komparativischem) other erscheint gelegentlich except statt
than: I saw no other disappointed individual ... except myself, nach-
gewiesen von Hodgson, S. 123, der dazu bemerkt: Read either than
me for except myself, or delete other. Der Satz ist eben gemischt aus
no other disappointed individual than me + ^o disappointed indi-
vidual except me.
Überhaupt macht man die Beobachtung, dafs bei Verglei-
chungen sich besonders oft Konstruktionsmischungen
einstellen, vgl. Behaghel, Heliandsyntax S. 374 und Lithl. 1904,
Sp. 322.
Dafür noch ein paar Beispiele. Auf einige einschlägige Fälle im
älteren Neuenglisch habe ich Änglia-Beihlatt XVI, 135 f. hingewiesen.
Das dort erwähnte His ascent is not hy such easy degrees as those
who . . ., Shakespeare, Cor. II, 2, 29 (Beispiele bei A. Schmidt, Coriolan-
Ausgabe, Anm. zur Stelle, und Franz, Shakespeare- Grammatik § 185),
findet sein Seitenstück in der modernen Sprache. W. Hazlitt schrieb
1806: The courage of the soldier and the Citizen are essentially diffe-
rent, und Hodgson, S. 139, gibt die Anweisung: Insert that of after
soldier and. In beiden Fällen ist also that of 'ausgelassen'. Beide
Sätze beruhen auf Konstruktionsmischung. Das zeigt das moderne
Beispiel sehr deutlich (are!):
the courage of the soldier and that of the Citizen is different
the soldier and the eitixen are different
the courage of the soldier and the citixen are different.
Man vergleiche damit die Comparatio compendiaria im Lateini-
schen und Griechischen, z. B.: Ingenia nostrorum hominum ceteris
hominihus omnium gentium praestiterunt (Cicero). Belege gibt Kühner,
Ausführliche Grammatik der lat. Sprache II, § 241, 11 und Aus f.
Gramm, der griech. Sprache II, § 543, 3. Diese Konstruktion ist
wohl ebenso entstanden wie die eben erörterte englische Erscheinung.
Nicht selten hört man Sätze wie St. PauVs is the greatest of all
the other London churches. Es ist kein Zweifel, dafs dieser Satz
gemischt ist aus St. PauVs is the greatest of all the London churches
-j- St. Paul's is greater than all the other London churches. Ähnliche
Zur englischen Syntax. 365
Sätze mit 'pleonastischem other' hat Hodgson, S. 72, aus der neueren
Literatur gesammelt. Vgl. griech. ugtarog ianu tup aXXiov und dazu
Schwab I, 30 ff., dem ich nicht in allem beistimme.'
II. Zur Tempiislehre.
Wir haben in den Vergleichungssätzen mehrfach Vermischungen
von zwei Konstruktionen vorgefunden. 'Zwei synonyme oder irgend-
wie verwandte Ausdrucksformen drängen sich gleichzeitig ins Be-
wufstsein, so dafs keine von beiden rein zur Geltung kommt, sondern
eine neue Form entsteht, in der sich Elemente der einen mit Elemen-
ten der anderen mischen.' Paul, Principien'^ S. 145. Die Zahl der
Kontaminationen in der lebenden Sprache ist sehr grofs. In der
Unterhaltungssprache hört man wohl tagtäglich Kontaminationen,
und in der Literatur sind sie auch nicht selten.
Verschiedenartige Kontaminationen und andere Analogiewirkun-
gen in verschiedenen Sprachen stellt G. Krüger zusammen in einer
kleinen Abhandlung über die Übertragung im sprachlichen Lehen
(Dresden u. Leipzig 1900). Eine systematische Zusammenstellung
der Konstruktionsmischungen in einem älteren Sprachdenkmal gibt
Behaghel in seiner Heliandsyntax S. 368 ff.; dieses Beispiel verdiente
Nachahmung für andere Denkmäler und andere Sprachgebiete.
Hier möchte ich auf eine Gruppe von Mischungen besonderer
Art aufmerksam machen. Ich gehe von einem Beispiel aus.
Hundert Mark hätte ich noch! Wer so sagt, hat in Wirklichkeit
noch hundert Mark — aber es wäre ihm lieb, wenn er noch mehr
hätte. Dieser Wunsch mengt sich gleich in den Ausdruck der Tat-
sache, daher der Optativ. Ähnlich ist die Ausdrucksweise: So weit
wären wir! zustande gekommen. Vgl. dazu Hildebrand, Z. f. deut-
schen Unterricht IH, 545 ; Th. Matthias IV, 433, K. Tomanetz VH, 788,
und wieder Hildebrand VIII, 690 und endlich Behaghel, Deutsche
Sprache i212, 2 327.
Wenn es in der hessischen Umgangssprache heifst Er kommt
bis Sonntag, so hat wohl die Vorstellung hereingespielt: wir müssen
warten bis Sonntag.
Dem Englischen eigentümlich ist der Gebrauch des Präsens in
I forget, wo wir sagen: ich habe (es) vergessen: I forget what I was
going to observe. Dieser Sprachgebrauch ist allgemein bekannt, und
unsere Grammatiken haben gelegentlich Notiz davon genommen; so
Koch-Zupitza § 42; Immanuel Schmidt, Grammatik der engl. Spr.^
§ 31 5, Anm. 3 ; Gustav Krüger, Englische Ergänzungsgrammatik § 431 .
Dieses / forget erkläre ich mir als eine Vermischung von zwei Vor-
' Mehr als gewöhnliche Gedankenlosigkeit hat zu folgender Konstruk-
tionsmischung in The Examiner 1878, S. 204 (vgl. Hodgson, S. 72) geführt:
Mr. Stanley was the only one of his predecessors who slaughtered the
natives of the region he passed through.
366 Zur englischen Syntax.
Stellungen: ich habe es vergessen + ich weifs es jetzt nicht. Es
handelt sich hier nicht um eine Kontamination von zwei Aus-
drucksformen: aus I forgot (have for gölten) -\- I don't know hätte
nie / forget werden können. Es ist vielmehr eine Vermischung von
zwei Vorstellungen, die noch nicht zur Deutlichkeit des sprachlichen
Ausdrucks gediehen sind. Wie in unserem ersten deutschen Satz der
M 0 d u s gebrauch durch eine Vermischung zweier Vorstellungen sich
erklärt, so erklärt sich in I forget die Wahl des Tempus auf die-
selbe Weise.
Ähnlich ist m. E. der perfektische Imperativ entstanden: Have
done, for more I hardly can endure (Shakespeare, Henry VI B, I, 4,
31). Weitere Belege aus Shakespeare bei A. Schmidt unter do, 8.
Daraus ist dialektisch a done! geworden. Heute noch geläufig ist
he gone! Mätzner sagt von dieser Erscheinung (^11, 138, 3, -^11, 148):
'Obwohl nur Zukünftiges geboten werden kann, so wird doch bis-
weilen die Vorstellung einer vollzogenen Handlung vom Affekte
in das Gebot aufgenommen. Die Forderung, dafs ein Akt voll-
zogen sein solle, ist eine Mahnung desjenigen, welcher die Tätig-
keit auf das eiligste bewerkstelligt oder abgebrochen sehen will.'
Vgl. auch Koch-Zupitza § 51, Schlufs, Franz § 492, Anm., J. Schmidt
§ 330, Anm. 5. Ähnlich im Frz., vgl. Mätzner, Frz. Orammatik
§ 128, 1, Lücking, Frz. Grammatik § 339. Der Wunsch, dafs die
Handlung schon vollzogen sei, tritt ins Bewufstsein, während eben
erst der Befehl ausgesprochen werden soll.
So erkläre ich mir auch die Fälle, wo die 'durative Form' des
engl. Verbums futurische Bedeutung hat. Man sagt Are you Coming
to-morrow? oder Where are you going for your holiday this autumn?
oder / am spending my Christmas with my sister at Sireatham this
yearA Mit dem Gedanken: Wohin werden Sie reisen? (futurisch) ver-
mischt sich der andere: Welche Reise planen Sie eben? (durativ.)
In das Kapitel von den Vermischungen zweier Vorstellungen
scheint mir auch das vielerörterte und vielgetadelte
I intended to have written
zu gehören. Beispiele für den Infinitiv des Präteritums nach Verben
des Wün Sehens u. dgl. aus me. und ne. Zeit sind bei Mätzner,
Engl. Gh'ammatik^ III, 64 ff., zusammengestellt, aufserdem in einem
Aufsatz von C. Stoffel, Taalstudie IX (1888), 342—362. Belege aus
Shakespeare bei A. Schmidt unter have 1) und Franz, Sh.- Grammatik
§ 500. Kellner, Syntax § 375, sagt: This use was continued in the
sixteenth Century. Aber er findet sich heute noch. Belege aus der
modernen Sprache findet man in grofser Anzahl in der Literatur
* Vgl. Sweet, New English Orammar II, 102, § 2232; Krüger, JEJrgän-
xungsgrammatik § 438 und Syntax § 2542.
Zur englischen Syntax. 367
über Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit, in den englischen Seiten-
stücken zu Wustmann. Diese Antibarbari enthalten die wertvollsten
Sammlungen zur Syntax der lebenden Sprache, vgl. Behaghel, Lithl.
1904, Sp. 2. Die Auffassung dieser Sprachmeister ist natürlich
meistens sehr engherzig, sie suchen der Sprache die Gesetze der Logik
aufzuzwängen. Aber wenn auch ihr Standpunkt falsch ist, so sind
doch ihre Sammlungen und Beobachtungen von bleibendem Wert.
Besonders W. B. Hodgsons mehrfach zitiertes Buch Error s in the
Use of English (1. Aufl. 1881, 7. Aufl. 1896) ist eine Fundgrube
für neuenglische Syntax: der Verfasser hat eine Fülle von 'Sprach-
dummheiten' aus der modernen Literatur mit genauer Quellen-
angabe zusammengestellt. Unsere Erscheinung wird S. 98 ff. reichlich
belegt. T. Williams, Grammaiical Errors of the Educated, London
1883, S. 9 ff., findet den Sprachgebrauch *even in educated circles';
er fügt hinzu: Members of Parliament are much addicted to this
mistake, z. B.: I expected, when the Right Hon. gentleman rose, that
he would have stated what the intentions of the Government are.
Alfred G. Compton, Some common Error s of Speech (Neuyork 1902)
S. 37, meint: This construction, which is not often met with in
America, is rather common among English writers.
Den Belegen aus älterer Zeit seien noch einige aus den Gely
Paper s (1475 — 1488) hinzugefügt:
S. 59 (1481): I had forgettyn to have spokyn with you ... for to
a provyded for me a für ...
S. 141 (1483): ... on Tewsday the XXV day of Fevere he was
with a thousand horsys at Bruges gattes for to acomon yn
(= for to have come in).
S. 153 (1484): ... the person that laboryd for to abe afore yow.
S. 160 (1487): I promysyd hym to a delyverd hym II sarplers
of your wull.
S. 167 (1487): ... hys mynd was for to aben yn Ynglond long or
thys but the Danys ar on the see.
Zwischen he intended to write und he intended to have written
besteht gewöhnlich ein Unterschied in der Bedeutung. Die zweite
Ausdrucksweise schliefst den Nebengedanken der NichtVerwirklichung
der Absicht in sich: he intended to have written =^ he intended to
icrite, but he did not vjrite.
Man hat schon verschiedentlich versucht, unsere Erscheinung
zu erklären. Es sei verwiesen auf Stoffels oben zitierten Aufsatz
in der Taalstndie, auf Einenkel in Pauls Grundrifs I^, 1080, auf
Franz, Shakespeare -Grammatik § 500.
In den seither vorgetragenen Hypothesen ist nicht beachtet, dafs
diese Konstruktion in mehreren anderen Sprachen zu finden
ist. Stoffel ist im Irrtum, wenn er beiläufig (S. 354) behauptet, die
368 Zur englischen Syntax.
englische Konstruktion habe keine Parallele in anderen germanischen
Sprachen. Paul, Mittelhochdeutsche Grammatik § 299, stellt fest:
'Nach den Hilfsverben wellen, suln etc. steht nicht selten der Inf.
Perf., wo man den Inf. Praes. erwartet.' Weiterhin trifft man Inf.
Perf. statt Inf. Praes. auf romanischem Sprachgebiet. So im Altfrz.
(vgl. Th. Engwer, Über die Anwendung der Tempora Perfectae statt der
Tempora Imperfectae Äctionis im Altfrz., Diss. Berlin 1884), im La-
teinischen* (Belege bei Kühner, Ausf. Grammatik S. 101, 10), im älte-
ren Italienischen (vgl. Tobler, Jahrbuch für rom. u. engl. Lit. XV, 249).
Einenkel zieht eine der englischen parallele Konstruktion in
einer fremden Sprache heran, im Altfranzösischen. Aber er macht
ohne weiteres die frz. Konstruktion zur Quelle der englischen.
In unserem Fall ist frz. Einflufs unwahrscheinlich: wenn sich im
Deutschen der perfektische Infinitiv unabhängig vom Romanischen
entwickeln konnte, so konnte doch wohl auch das Englische diese
Konstruktion aus eigener Kraft bilden.'^
Im Satzbau findet man ja oft Übereinstimmungen in verschie-
denen Sprachen, ohne dafs Entlehnung vorläge. /Die Entwickelung
des Satzbaues beruht im wesentlichen auf der unbewufsten Tätigkeit
der menschlichen Seele, und diese hat zu den verschiedensten Zeiten
bei den verschiedensten Völkern gleiches hervorgebracht' (Behaghel,
Entstehung der abhängigen Rede 1877, S. 14, wiederholt von Ziemer,
Jung grammatische Streifzüge^ S. 146). Bei Behandlung syntaktischer
Probleme einer einzelnen Sprache ist es deshalb oft von grofsem
Vorteil, einen Blick zu werfen auf andere, vielleicht entlegene Spra-
chen. Das hebt Behaghel in seinen Erörterungen über die Aufgaben
* Auf die lat. Konstruktion bin ich zuerst durch Behaghel aufmerksam
gemacht worden, dann durch Kellner, Syntax § 375.
=» Derselbe Einwand ist gegen Stoffels Hypothese, K St. XXVII, 253,
zu machen; nach Abbots Vorgang vergleicht er oon the beste, one the best
mit lat. justissimus unus und erklärt ohne Zögern (I feel little hesitation)
die englische Konstruktion für einen Latinismus. Soll auch ein der beste
im Nibelungenlied (Bartsch: 728, 3; 1217, 2; 1233,4) auf lat. Einflufs
beruhen ? Vgl. zu dieser Erscheinung L. Tobler, Beitr. XV, 383. [Zu one -|-
Superlativ vgl. jetzt auch Holthausen, E. St. XXXV, 186. Korr.-Note.] —
Auch die weitere a. a. O. niedergelegte Hypothese, dafs die Konstruktion one
the best heute noch nachwirke, will ich noch ausdrücklich zurückweisen,
zumal sie schon von L. Pound, The Comparison of Adjectives, Heidelberg
1901, S. 70, ohne Widerspruch zitiert wird. In one of the best books that
has been written soll nämlich das ältere one the best book noch nachwirken.
Stoffel hat eine Anzahl Beispiele aus der neueren Literatur gesammelt.
Das wäre nicht nötig gewesen: die Antibarbari hatten die Arbeit schon
getan, Hodgson bietet S. 144 ff. eine viel gröfsere Anzahl von Belegen,
auch Williams, S. 10 ff., hat solche Sätze gesammelt. Survivals aber
werden das nicht sein. Es würde niemand auf den Gedanken kommen,
in dem deutschen Satz Das ist eines der besten Bücher, das ich gelesen habe
eine Nachwirkung von ein das beste zu suchen. Es handelt sich natürlich
wieder um Konstruktionsmischungen : one of the best books that have been
written -f- the best book that has been tvritten.
Zur englischen Syntax. 869
des syntaktischen Forschung (Gehrauch der Zeitformen S. 11) nach-
drücklich hervor; Z.f.d.Ph. XXXII, 69 nennt er die Heranziehung
fremder Sprachen 'eines der wichtigsten Hilfsmittel der syntaktischen
Forschung.' Ich halte diese methodische Anweisung für aufserordent-
lich förderlich. Vgl. auch Änglia- Beiblatt XVI, 143.
Stoffel stellt für die englische Konstruktion eine Erklärung
auf, die für die gleichartige deutsche, frz., lat. nicht gelten kann. Er
geht davon aus, dafs die englische Konstruktion die Nebenbedeutung
der NichtVerwirklichung in sich schliefst. Sonst wird die Nichtver-
wirklichung durch den Konjunktiv ausgedrückt: er hätte geschrieben,
he hadde iwriten. Für den Konj. trat zunächst eine Umschreibung
ein: he wolde have itvriten. Hier wurde nun he tvolde durch he in-
tended u. dgl. ersetzt, und he intended to have written war fertig.
Diese Erklärung ist schon deshalb abzuweisen, weil sie für die
gleichartige Erscheinung in anderen Sprachen nicht in Betracht kom-
men kann.
Wir kommen zu der Erklärung von Franz, der auf einem
anderen und kürzeren Wege als Stoffel zu der Konstruktion gelangt.
Er geht aus von Sätzen, in denen der Konj. Plusquamperf. zum
Ausdruck bringt, dafs eine Voraussetzung irgendwelcher Art sich
in Wirklichkeit als nicht zutreffend erwiesen hat: / thought your
Jwnour had already been at Shrewsbury, Shakesp. (ich glaubte, Euer
Gnaden wären schon zu Shrewsbury). Wird der Nebensatz durch
den Infinitiv ersetzt, so ergibt sich: I thought your honour to have
been at Shrewsbury. Aber auf diesem Wege kommen wir keinen
Schritt weiter: die Konstruktion, von der F. ausgeht, ist ebenso er-
klärungsbedürftig wie die, zu der er gelangt.
Den bis jetzt besprochenen Erklärungen gegenüber ist m. E. der
Hauptnachdruck darauf zu legen, dafs unsere Konstruktion in mehre-
ren Sprachen heimisch ist. Wir werden also hoffen können, das
Richtige zu treffen, wenn die Erklärung für alle in Betracht kom-
menden Sprachen gelten kann. Die Erscheinung gehört offenbar zu
denen, die in verschiedenen Sprachen aus derselben Quelle hervor-
gehen.
Die Erklärung liegt nahe, wenn wir die obenbehandelten Fälle
von Tempusverschiebung im Auge behalten: es handelt sich auch
hier um Vermischung zweier Vorstellungen, um Angleichung des
Ausdrucks einer Vorstellung an den Ausdruck einer anderen. Diese
naheliegende Erklärung, die ich mir für das Englische zurechtgelegt
habe, war schon lange für das Lateinische und Französische aus-
gesprochen. H. Ziemer behandelt in seinen anregenden Junggram-
matischen Streif Zügen auf dem Gebiet der Syntax die lat. Konstruktion
ausführlich (S. 76 ff.), und ihm folgt Th. Eng wer in der Auffassung
der afrz. Konstruktion. 'Der Wunsch hat zu seinem Objekt an und
für sich nicht blofs die Handlung, die zu seiner Befriedigung führt,
sondern auch den aus dieser Handlung sich ergebenden Zustand:
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 24
370 Zur englischen Syntax.
z. B. ich will trinken enthält nicht blofs a) den Wunsch, den Durst
zu löschen, sondern auch b) den, frei von den Qualen des Durstes
zu sein. Je nachdem ich nun die Auffassung von a) oder b) in
den Vordergrund treten lasse, sage ich bibere volo oder bibisse volo'
(Engwer, S. 9). Wenn wir sagen I intended to have written, so ist
das eine Vermischung von / intended to write und / should like to
have written. Die Vermischung tritt besonders dann auf, wenn der
Wunsch, die Absicht nicht verwirklicht worden ist: dann
tritt eben die zweite Vorstellung I should like to have written in den
Vordergrund.
Dem Infinitiv Perf. entspricht im abhängigen Satz das Perf.,
Plusquamperf. an Stelle des Präsens. Im Altfrz. findet sich diese
Tempusverschiebung ebenso Avie der Inf. Perf. nach Verben des
Wünschens, Fürchtens u. dgl., vgl. Engwer, S. 24 ff. Ein paralleles
Beispiel (mit fear im Hauptsatz) aus dem Englischen wäre: When I
inserted the stripes and the curves, her delight was such that I greatly
feared she would have embraced me. Dilke, Greater Britain I
(1868), S. 370. Hodgson, der den Satz S. 98 zitiert, verbessert:
would embrace.
Ein Beispiel mit expect im Hauptsatz zitiert Kellner, Syntax
S. 233: I expected that he would have praised me for my prudence;
but on the contrary, he blamed me. Edgeworth, Populär Tales II, 13.
Das Plusquamperfekt im abhängigen Wunschsatz erklärt sich
wie der Inf. Perf. nach Verben des Wünschens: der Sprechende
denkt, während er den Wunsch ausspricht, schon an den Zustand
nach der Ausführung des Wunsches.
Giefsen. Wilhelm Hörn.
Cyrano de Bergerac (1619—1655),
ein Leben und seine Werke,
Ein Versuch.
(Fortsetzung.)
V, L'Autre Monde.
Der komische Roman, der am meisten dazu beigetragen hat,
Cyranos Namen bekannt zu machen, und der wohl auch in Zu-
kunft mehr als die vorhergehenden Schriften diesen Namen er-
halten wird, zerfällt in zwei Abschnitte, die gesondert heraus-
gekommen sind, aber wohl schon ursprüngHch beide beabsichtigt
waren, jedenfalls schon von dem Autor selbst durch eine Zwischen-
erzählung zu einem einheitlichen Werk unter obigem Titel ge-
macht wurden. Der erste Teil, die Reise nach dem Mond, wurde
in den Jahren 1648 49 geschrieben und war 1650 mindestens
im Manuskript bekannt; denn in der Vorrede zu den CEuwes
de Le Royer de Prade (s. Bd. CXIII, S. 368) liest man ein sonnet
ä Vauteur du voyage dans la lune, welches mit den Versen beginnt:
To7i esprit qu'en son vol nul obstacle n'arrete
Decouvre un Autre Monde ä nos ambitieux.
In der oben S. 120 angeführten Notiz bezeugt der Abb^ de
Marolles, dafs ihm von Cyrano selbst die Reise nach dem Mond
zugleich mit der Agrippina übergeben wurde; es heifst aber nicht,
ob in einem handschriftlichen oder einem gedruckten Exemplar.
Nach P. Lacroix^ Notice historique p. X soll eine Ausgabe des Ro-
mans 'Histoire comique ou Voyage dans la Lune, sans privilege, sans
nom de lieu, sans date, vers 1650 dans-'une ville du Midi, soit ä Mon-
tauhan soit ä Toulouse' herausgekommen sein, und er fügt hinzu,
dafs diese Ausgabe nur im Caialogue de la bibliotheque du JRoi des
abbe Sallier erwähnt werde,* was durch P. Brun bestätigt wird.
Aber niemand hat je diese Ausgabe gesehen, ebensowenig wie
die von dem P^re Nic^ron zitierte Histoire comique des Etats et
Empires de la Lune, Paris, in -12, 1656. Die älteste erhaltene
Ausgabe ist nach P. Brun (p. IV und 250) die Histoire comique
contenant les Etats et Empires de la Lune, Charles de Sercy, Paris,
in -12, 1659: sie hat ein privilege vom 25 janvier und ein acheve
* Anderseits sagt P. L. p. 4 n. 1 seiner Ausgabe des Romans : 'Au reste
nous sommes a peu pres sur d'avoir rencontre le Voyage dans la Lune dans
un recueil de pieces imprime vers 1654.'
24*
372 Cyrano de Bergerac.
d'imprimer vom 29 mars 1657. Die Auslassungen und Ände-
rungen des Textes in dieser Ausgabe, welche auf alle folgenden
übergegangen sind, sind das Werk von Lebret, welcher das
Manuskript und den Druckauftrag von Cyrano selbst hatte und
die Vorrede dazu verfafst hat. Diese zahlreichen Lücken sind
sämtlich ausgefüllt in dem Ms. No. 4558 F. F. der Biblioth^ue
Nationale in Paris, sehr schön geschrieben (von der Hand Cy-
ranos?). Es ist betitelt L'autre Monde ou les Estats et empires de
la lune, war 1858 in den Händen von M. de Monmerqu^, der
die Publikation oder die Mitteilung an P. Lacroix verweigerte
(siehe dessen avertissement de Vedüeur p. YII). 1890 kam das
Manuskript unter den gleichen Bedingungen wie No. 4557 (siehe
oben S. 115 f.) an die Biblioth^que nationale. Es enthält ein
Epigramm sign^ R. de P. (Le Royer de Prade), das mit den
Versen schlielst:
^Car autant qu'une a/freuse Mort
Je crains les vens de l'Autre Monde,*
was uns, zusammengehalten mit dem oben zitierten Sonett, auf
das Jahr 1650 führt. Das Manuskript ist auch am Schlufs kom-
plett, gibt den korrekten Text, enthält aber nur die Reise in
den Mond.
Den zweiten Teil, die Reise in die Sonne, hat Cyrano erst
nach dem Bekanntwerden des ersten Teils, 1650, ausgearbeitet,'
und er war nicht fertig damit, als ihn der schwere Unfall traf,
der seine Arbeiten für immer unterbrach. Während seiner Krank-
heit wurden ihm Manuskripte gestohlen, wie wir Bd. CXHI,
S. 371 erzählt haben. Der Raub betraf, wie Le Bret in der pr^-
face (p. 17 der Ausgabe des Bibhophile Jacob) erzählt, die Histoire
de VEtincelle et de la Republique du Soleil. Das Manuskript wurde,
man weifs nicht von wem und wo, vor 1662 wiedergefunden und
in diesem Jahre von Charles de Sercy unter dem Titel Histoire
comique des Estats et Empires du Soleil in den (Euvres diverses de
Cyrano Bergerac gedruckt mit einer Dedikation des Buchhändlers
an Monsieur de Cyrano de Mauvi^res und einer Vorrede, die
jedenfalls von einem Schüler Descartes^, wahrscheinlich von
Jacques Rohault, herstammt, der auch das bei der gleichen Ge-
legenheit aufgefundene Fragment de physique eingeführt hat.
Das Manuskript, welches der Ausgabe von 1662 zugrunde lag,
ist verschwunden. Wir können daher nicht sagen, ob die histoire
de VEtincelle einen Teil des für uns Verlorenen bildete oder ein
besonderes Werk war; doch spricht die Ausdrucks weise Le Brets
eher für das erstere. Der Voyage au Soleil ist unvollendet und
enthält auch im Verlauf des Erhaltenen Lücken, die aber Aus-
* Descartes wird in demselben als neulich gestorben bezeichnet,
tu. Februar 1650 in Stockholm.
Cyrano de Bergerac. 873
lassuDgen zu sein scheinen. Ob diese das Werk des Heraus-
gebers oder des Zufalls sind, ist nicht zu entscheiden. Die beiden
Teile des Romans gehören aber zusammen, und eine künftige
Ausgabe müfste sie unter dem Titel L'Autre Monde als Einheit
geben, wie sie Cyrano erdacht hat. Die Bezeichnung der Reisen
als histoires comiques ist nur ein Buchhändlerkniff und entspricht
dem Inhalt nicht.
Was nun den Stoff des Romans und gewisse Einzelheiten
der in demselben erzählten phantastischen Reisen betrifft, so hat
man mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dafs Cyrano hierin
Vorgänger hatte, denen er sich oft ziemlich genau anschliefst,
dal's die ganze Frage der Bewohnbarkeit der Himmelskörper,
speziell des Mondes, in seiner Zeit auch wissenschaftlich erörtert
wurde und Flugmaschinen bekannt waren. P. Brun hat p. 281 f.
eine Reihe von Dichtern und Gelehrten zusammengestellt, die
sich mit dem Gegenstande von Cyranos Roman befafst haben,
und nachgewiesen, dals derselbe damals zur öffentlichen Dis-
kussion stand. Unserem Dichter bekannt konnten sein der antike
Reiseroman des Antoninus Diogenes: Von den Dingen, die man
jenseit Thule sieht, von welchem Photius' Bibliotheca Graeca
eine Übersicht gibt, und des Lucian Wahrhaftige Geschichte.
Ariost läfst im Rasenden Roland den Astolph im Monde reisen,
Francis Bacon schrieb die Neue Atlantis, Thomas Morus die
Reise nach der Insel Utopien, Pierre Leloyer gab in seiner Nd-
ph^lococygie eine schwerfällige Nachahmung der Vögel des Aristo-
phanes, Thomas Artus, sieur d^Embry, schrieb LTle des Herma-
phrodites, eine Satire gegen Henri III. und seine Mignons.
Francis Godwin^ schrieb einen Roman, der Cyrano in einer
französischen Übersetzung zugänglich war: Uhomme dans la lune
ou Relation d'un voyage ä cet astre par Domingo Gonzales, traduit
par Jean Baudouin 1648. Von Philosophen und Astronomen kom-
men in Betracht: Giordano Bruno in verschiedenen Schriften,
Kepler in seiner Astronomischen Vision, Quevedos 6^ vision und
beson ders Pierre Borel: Discours nouvel prouvant la pluralite des
Mondes (Manuskript der Biblioth^ue de Farsenal), und darin
Kap. 10: Des choses qui sont dans la lune, und Kap. 44, wo ärosta-
tische Maschinen beschrieben werden. Nachweisbar nachgeahmt
hat unser Autor aufser Godwin Campanella (de civitate solis)
und Sorel {Francion), die er sogar zitiert, ferner Rabelais und
' Godwin, Francis: The man in themoon; or, a Discourse of a voyage
thit/ier hy Domingo Qonxales, ivritten hetwcen 1599 and 1603. Perth 1688.
Umgekehrt wurde Cyranos Roman unter dem Titel: SELENARCHIA or the
government of the world in the moon von Tho. S^ Serf 1659 ins Englische
übersetzt. .Die offenbar sehr seltene und in der Cyrano-Literatur nirgends
erwähnte Übersetzung habe ich im Dezember 1904 in der Bodleiana in
Oxford gefunden.
374 Oyrano de Bergeräc.
N
Beroalde de Verville, wie wir an ihren Orten nachweisen werden.
Wir werden aber auch zeigen, dal's diese Nachahmungen der
Originalität der Erzählung keinen Eintrag tun. Das nämliche
ist der Fall mit Bezug auf die Luftschiffahrten Cyranos. Schon
vor ihm machten Simon der Magier, William of Malmesbury,
Roger Bacon, J. B. Dante von Perugia Versuche mit künstlichen
Flügeln, Cyrano selbst zitiert die Taube des Archytas und die
Flugmaschine eines polnischen Ingenieurs. 1650 fabrizierte der
P. Lanaterzi mechanische Vögel, aber erst 1670 schlug der
P. Fran9ois Lana ernstlich vor, luftleere Kupferhülsen zum Empor-
heben eines Luftschiffes zu benutzen, was nur eine der vielen
Methoden in unserem Roman ist.
Dafs dieser viele literarische und einige mechanische Nach-
ahmer gefunden hat, ist bekannt; wir brauchen nur die Namen
Swift und Voltaire zu nennen. Worin sich unser Autor von
diesen zu seinem Vorteil oder Nachteil unterscheidet, wird aus
der Analyse des Romans ersichtlich sein, zu der wir nun über-
gehen. Wir werden dabei auch Gelegenheit haben, auf die Lücken
im gedruckten Text aufmerksam zu machen und sie auszufüllen.
Inhalt des Romans.
Der Autor, dessen Name im Manuskript nicht genannt wird,
kehrt mit vier Freunden abends 9 Uhr bei Vollmond von einem
Landgut in der Nähe von Paris zurück.^ Der Anblick dieser
^SafrankugeF gibt Anlafs zu heiteren Gesprächen; die einen er-
blicken darin eine Dachluke des Himmels, 'durch welche hin-
durch man die Glorie der Seligen sehen könne,' die anderen das
Plättbrett (platine), auf welchem Diana die Kragen Apollos
stärkt usw. Der Autor, der von sich in der ersten Person redet,
wirft die Behauptung in die Diskussion: Ich glaube, der Mond
ist eine Welt wie die unsere, welcher die unsere als Mond dient;
und als ihn die anderen auslachen, bemerkt er: Vielleicht spottet
man jetzt im Monde über jemand, der behauptet, dafs unsere
* Die Namen Clamart und Monsieur de Cuigy sind im Druck von
Le Bret hinzugefügt worden, der wohl einer der Teilnehmer dieser Land-
partie war. Damit beginnen seine Änderungen am Cyranotext, die, ich
mufs es sagen, demselben nirgend zum wahren Vorteil gereicht haben. Er
läfst nicht nur aus und zwar einzelne Worte und lange Stellen, er korri-
giert auch den Stil, dem er seine originelle Frische nimmt, um ihn kor-
rekter zu machen. Diese Änderungen sind namentlich fatal, wo es sich
um die technischen Beschreibungen handelt, die dadurch in den Ausgaben
oft unsinnig erscheinen. Meine Darstellung folgt ausschliefslich dem Manu-
skript, über das ich in der Beilage B weitere Auskunft geben werde. Klei-
nere Auslassungen oder Änderungen im gedruckten Text sind im folgenden
durch * — ' bezeichnet, gröl'sere werden besonders hervorgehoben werden,
damit man sich eine Vorstellung machen kann, wie Le Bret seine Auf-
gabe aufgefafst hat.
Cyrano de Bergerac. 375
Kugel eine aodere Welt sei, und beruft sich für seine Behaup-
tung auf 'Pitagore Epicure, Democrite et de nostre äge Copernic et
Keppler'. Ein Wunder oder ein Ereignis, dessen sich die Vor-
sehung oder der Zufall {fortune) bedienten, kommt ihm zu Hilfe.
Beim Betreten seines Studierzimmers findet er das Buch des
Hieron ymus Cardanus, De suhtiliiate, das von dem Bücher-
brett herabgeflogen sein mufs, denn er hat es nicht hingelegt,
aufgeschlagen auf dem Tische. Eine geheimnisvolle Kraft zwingt
ihn, die betreffende Stelle zu lesen, welche eine auffallende Ana-
logie mit seinem Projekte hat.
Cardanus erzählt, dafs eines Abends, als er bei Kerzenschein
studierte, durch die verschlossenen Türen zwei ehrwürdige Greise
ihm erschienen seien, die ihm auf Befragen erklärt hätten, sie
seien Bewohner des Mondes, und darauf wieder verschwunden
wären. Cyrano sinnt auf Mittel, in den Mond zu gelangen. Zu
diesem Zwecke wendet er folgendes an: er behängt sich ringsum
mit einer Menge von Flaschen voll Tau, und ^die Sonnenhitze,
welche sie an sich zog, hob ihn so hoch, dafs er sich endlich
über den höchsten Wolken befand'. Aber da er zu bemerken
glaubte, dafs die Entfernung vom Monde eher zu- als abnehme,
zerbrach er einige Flaschen, bis seine Schwere die Anziehung
des Mondes überwand und er wieder zur Erde sank. Nach seiner
Zeitberechnung sollte es Mitternacht sein, aber an dem Orte, wo
er landete, war es Mittag. Mit Mühe gelingt es ihm, einen von
den nackten Eingeborenen, die vor dem mit Flaschen bekleideten
und in seltsamer Weise über dem Erdboden dahinschwebenden
Fremdling fliehen, einzuholen, aber er kann keine Antwort aus
ihm herauslocken. Eine Abteilung Soldaten, die ihn als ver-
dächtig verhaften, belehrt ihn, dafs er in der Nouvelle France, d. i.
in Kanada, sei. Der ^Vizekönig Monsieur de Montmagnie' nimmt
ihn freundlich auf, akzeptiert aus Höflichkeit seine Erklärung,
die Erde müsse sich während seiner Luftreise unter ihm gedreht
haben, dafs er, in gerader Linie zwei Meilen von Paris aufstei-
gend, kurze Zeit darauf in Kanada zur Erde gefallen sei, und
schützt ihn gegen die Mönche (nos peres), welche ihn für einen
Hexenmeister oder im besten Falle für einen Betrüger halten
möchten. Cyrano hält nun mit dem Vizekönig eine interessante
Besprechung, in welcher dieser eine auf das ptolemäische (geo-
zentrische) System gestützte Erklärung von Cyranos Reise vor-
bringt und gegen dessen Behauptung, die Sonnen wärme lasse die
Erde sich drehen, indem ihre Strahlen sie schräg treffen, wie wir
einen Globus mit der Hand in Bewegung setzen, mit dem oppo-
niert, was ihm einer der ehrwürdigen Väter eines Tages gesagt
habe. Nach dessen Meinung komme die Drehung der Erde um
ihre Achse davon, dafs das höllische Feuer sich im Zentrum der
Erde befinde, und dafs die Verdammten, um seiner Hitze zu
376 Cyrano de Bergerac.
entgehen, an der Wölbung der Hölle emporklettern und die Erde
so ins Drehen bringen, wie ein Hund ein Rad, in welchem er
eingesperrt ist. Der Vizekönig vertritt die hergebrachten Gründe
und Vorurteile des Augenscheins, aber mit Mäfsigung, und läfst
seinen Opponenten auch die religiöse Seite der Frage ruhig er-
örtern. ^ Die Belehrung, welche Cyrano im Sinne seines Lehrers
Gassendi dem Vizekönig über das Kopernikanische System spen-
det, ist eine vorurteilslose und konsequent durchgeführte Ge-
dankenreihe, in einer lebhaften, aber sachlichen Sprache vor-
getragen und von warmer Überzeugung diktiert. Nur selten
stofsen wir darin auf burleske Wendungen, wie: il seroit aussi
ridicule de croire que ce grand corps lumineux (die Sonne) tournät
autour d'un point dont il n'a que faire (die Erde) que de s'imaginer
quand nous voyons une alouette rötie qu'on a pour la cuire, tourne
la cheminee alentour, oder: de sorte que tous ces autres mondes qu'on
ne voit point ou qu'on ne voit qu'imparfaitement, ne sont rien que
Vecume des Soleils qui se purgent — de meme que notre cceur se
degage, par le vomissement, des humeurs indigestes qui Vattaquent.
Sonst ist die Ausdrucksweise immer würdig und ernsthaft.
Und wie schonungslos deckt Cyrano die Kleinheit des sich so
wichtig dünkenden Menschen innerhalb des ewigen und un-
begrenzten Universums auf mit den W^orten: Wenn die Sonne
dem Menschen leuchtet, so geschieht das zufällig, wie die
Fackel des Königs zufällig dem Lumpensammler, der auf der
Strafse geht, den Weg erhellt. Cyrano schreckt vor keiner
Konsequenz seines Systems zurück. Die Erde bewegt sich
um die Sonne, also ist sie ein Planet, ein Stern, ein Wort,
das die congregation de VIndex aus den Werken von Galilei und
Kopernikus entfernt hatte. Die Sonne steht im Mittelpunkt un-
seres Universums, dem sie Licht und Wärme spendet. Aber
die Fixsterne sind auch Sonnen, welche Planeten um sich haben,
und so geht es weiter und immer weiter in den Weltenraum
hinaus, der unbegrenzt und unendlich ist. Aber auch der Stoff
der Himmelskörper ist unvergänglich und unverwüstlich, indem
die Sonnen sich immer wieder ernähren von den von ihnen aus-
gestofsenen und wieder in sie zurückfallenden kleineren Welt-
körpem. Mit seinem Spott verschont der Sprecher weder die
Schrulle des h. Augustinus, die Erde sei platt wie ein Ofen (four)
' Le Bret hat die Argumentation Cyranos, 'die H. Schrift erwähne
unsere Welt nur darum einzig, weil sie die einzige sei, welche Gott sich
die Mühe genommen habe mit eigener Hand zu schaffen, während die
vielen aichtoaren und unsichtbaren Welten, die im Azur des Firmamentes
aufgehängt seien, nur Ausschwitzungen der Sonnen seien', ersetzt durch
ein Zurückziehen der Diskussion aus Vernunftgründen, sobald der Glaube
aufs Tapet gebracht werde, von dem auch Cyrano denkt, dafs er höher
sei denn alle Vernunft. Schlimmer konnte man einen Text nicht entstellen.
/
Cyrano de Bergerac. 877
und schwimme auf dem Meere wie die Hälfte einer durch-
geschnittenen Orange, noch die excentriques, concentriques und
epicycles', durch welche Descartes das alte System mit den Be-
obachtungen der neueren Astronomen, von denen ^Galilei, Kepler
und Tycho de Brahe' im Manuskript genannt werden, auszuglei-
chen suchte. Cyrano ist hier ausgesprochener Gassendist. Inter-
essant sind auch zwei seiner Aufserungen in diesem Gespräch.
Davon ausgehend, dafs unsere Vorgänger den Atlantischen Ozean
mehr als tausendmal durchfahren haben, ohne auf Amerika zu
stol'sen, schlielst er, dafs dieses Festland, so gut wie viele Inseln,
Halbinseln und Berge sich erst seitdem auf unserer Erdkugel
erhoben hätten, als Ausschwitzungen abgenutzter Sonnenteilcheu,
welche sich verdichtet und erschwert hätten, bis sie von dem
Zentrum unserer Erde angezogen werden konnten, sei es all-
mählich in kleinen Flocken {pelotons\ sei es auf einmal in einer
Masse. Er verspricht dem Vizekönig, wenn dieser einmal nach
Frankreich komme, in einem starken Fernrohr certaines ohscurites
qui d'icy paroissent des taches (die Sonnenflecken oder Sternnebel?)
zu zeigen, welches sich eben bildende Welten seien.
Trotz der freundlichen Aufnahme und dem interessanten
Gespräch bei dem Vizekönig sehnt sich unser Abenteurer da-
nach, seine Reise fortzusetzen. Er versucht es diesmal mit einer
Flugmaschine, deren Feder grofse Flügel in Bewegung setzen soll.
Aber das Experiment mifsglückt. Er stürzt von einem Felsen
ins Tal hinunter, zieht sich in sein Zimmer zurück und salbt sich
gegen seine Quetschungen mit Rindermark am ganzen Leibe.
Dann sucht er seine Maschine, die er auf dem Hauptplatz von
Quebec wiederfindet. Die Soldaten haben an ihr Raketen an-
gebracht, um sie am Johannistag {feie de St-Jean) als Feuerdrachen
zu brauchen. Eben haben sie die Raketen angezündet, als Cyrano
sich in die Maschine stürzt, um zu löschen. Aber in diesem
Moment fängt sie, durch die Raketen gehoben, an zu steigen.
Sobald das Feuerwerk ausgebrannt ist, fällt die Maschine zu
Boden, Cyrano aber fliegt weiter, weil der Mond das feuchte
Rindermark ansaugt. In dreiviertel Höhe ungefähr der Entfer-
nung zwischen Erde und Mond fängt er an, kopfüber zu fallen.
Er landet im ^Paradis terrestre' unter dem 'Lebensbaum {arhre de
vie)\ verwickelt in drei oder vier ziemlich dicke Aste, die er
durch seinen Fall zerbrochen hatte, und das Gesicht benetzt von
einem Apfel, der auf demselben zerquetscht worden war. Der
Saft dieser Frucht hat offenbar 'die noch nicht weit entfernte
Seele in den noch warmen Körper zurückgebracht'. Er empfindet
weder Schmerz noch Hunger und geniefst entzückt die Schönheit
der Landschaft, in welcher er fortwandelt, und von welcher er
eine reizende Beschreibung entwirft, die nämliche übrigens, die
wir in seinem Briefe Le campagnard (s. oben S. 128) gefunden
378 Cyraiio de Bergerac.
haben. Auch hier ist der Urtext des Manuskriptes im Stil viel
besser als der gedruckte der Ausgaben.
Für die Geschichte der Gartenkunst mag es nicht uninter-
essant sein, zu erwähnen, dal's Cyrano zum Mittelpunkt seines
Edens einen Stern von fünf Alleen bis zum Himmel reichender
Baumhecken hat, dafs an diesen Park {hois) sich zwei mit wilden
Blumen besäten Wiesen anschliefsen, deren Grün mit dem Hori-
zonte verschwimmt, und in deren Mitte eine ländliche Quelle
{fontaine rustique) sich in Silberwellen hinschlängelt. In diesem
Paradies verjüngt sich der Erzähler selbst. Seine alten Haare
fallen ab und werden durch andere 'plus deliez' ersetzt, sein Ge-
sicht wird rosig (vermeil), seine natürliche Wärme verbindet sich
sanft mit seiner radikalen Feuchtigkeit, und er gewinnt an sei-
nem Alter etwa vierzehn Jahre zurück. Kaum hat er in so an-
genehmen Empfindungen des Auges, des Ohres und des Geruches
eine halbe Meile durch einen Wald von Jasmin und Myrten zu-
rückgelegt, als er einen Jüngling erblickt, dessen überirdische
Schönheit ihn zur Anbetung reizt, welche dieser aber verhindert,
da er nicht Gott sei. Dieser Jüngling gibt nun Cyrano folgende
Auskunft: ^Diese Erde hier ist der Mond, den ihr von eurer
Kugel aus seht, und der Ort, wo wir wandeln, ist das irdische
Paradies, das bisher nur sechs Personen betreten haben, Adam,
Eva, Enoch, ich der alte Elias, der Evangelist Johannes und
Cyrano. Nach dem Sündenfall und der Verbannung aus dem
Paradiese flüchtete sich Adam vor Gottes Zorn auf die Erde.'
In jener Zeit war bei dem Menschen die Einbildungskraft so
lebendig, da sie weder durch Ausschweifungen noch durch die
Roheit der Nahrung noch durch Krankheit verdorben war, dafs
er in dem lebhaften Verlangen, dieses Asyl zu erreichen, und
weil seine Masse durch dieses Feuer des Enthusiasmus leichter
geworden war, in der Weise emporgehoben wurde, wie einige
Philosophen in der Ekstase durch die Luft entführt worden sein
sollen. Der *Eva' (Name steht im Manuskript) hätte die Schwäche
ihres Geschlechtes nicht erlaubt, durch das Feuer ihres Willens
die Schwere des Stoffes aufzuheben, aber ^da es noch nicht lange
her war, dais sie aus dem Körper ihres Mannes genommen war',
so trug die Sympathie, durch welche diese Hälfte noch mit ihrem
Ganzen verbunden war, sie zu ihm, und er hob, im Verhältnis
wie er aufstieg, *das Werk seiner Rippe mit sich empor/ wie der
Bernstein von dem Stroh gefolgt wird, und wie der Magnet sich
dem Norden zukehrt, dem er entrissen worden ist. Auf der Erde
angekommen, Hefs sich das erste Paar zwischen Mesopotamien
und Arabien in einem Lande nieder, welches 'den Hebräern unter
dem Namen Adam, ^ den Götzendienern unter dem Namen des
* So das Manuskript. Vielleicht liegt eine Verschreibung für Eden vor.
Cyratio de Bergerac. 379
Prometheus (Promethee) bekanot war, von dem ihre Dichter fabel-
ten, dafs er das Feuer vom Himmel gestohlen habe, weil er
seine Nachkommen mit einer ebenso vollkommenen Seele hinter-
liefs wie die war, mit der *Gotf ihn erfüllt hatte. Der ^erste
Mensch' liefs also, um auf der Erde zu wohnen, diese Welt (den
Mond) unbewohnt. Aber der Allweise, der nicht wollte, dafs ein
solcher Ort unbewohnt bleibe, erlaubte einige Jahrhunderte darauf
^Enoch', dem Urenkel dieses Paares, den die zunehmende Ver-
derbnis seiner Mitmenschen verdrofs, die Erde gegen das Land
der Verheifsung (terre bienheureuse) zu vertauschen, von der ihm
sein Urgrolsvater ^Adam' so viel erzählt hatte. 'Niemand kannte
den Weg, und die Leiter Jakobs war noch nicht erfunden. Aber
die Gnade des Allerhöchsten half ihm, denn gemäfs den Worten
der Schrift: der Geruch der Opfer des Gerechten ist bis zum
Herrn gestiegen, füllte er eines Tages mit dem Rauche des
Opfers, das er dem Ewigen darbrachte', zwei grofse Gefäfse, die
er hermetisch zuschmolz, und befestigte sie unter den Armen.
Der Rauch, 'der die Tendenz hatte, sich gerade zu Gott zu er-
heben,' hob die Gefäl'se und mit ihnen den 'heiligen' Mann in
die Höhe. Als er im Monde angekommen war und 'an der
Freude seines Herzens erkannte, dafs dieser schöne Garten das
Paradies sei, wo ehedem sein Urgrofsvater gewohnt hatte,' ent-
fernte er die Gefäfse und liefs sie fahren, als er vier Klafter
über der Oberfläche des Mondes war. Sein grofser Mantel, in
dem der Wind sich fing, 'und das Feuer seiner Frömmigkeit'
hielten ihn auch auf, so dafs er sich nicht verletzte. Die Gefäfse
flogen weiter, 'bis Gott sie am Himmel befestigte, wo sie noch
unter dem Namen der Wage zu sehen sind und den Geruch
ihrer Heiligkeit noch in dem günstigen Einflufs zeigen, den sie
auf das Horoskop Ludwigs des Gerechten ausübten, der unter
diesem Zeichen geboren ist. Enoch war damit aber noch nicht
ganz im Paradies, er gelangte erst später dorthin durch folgendes
Ereignis. Als zur Zeit der Sündflut die Wogen so hoch stiegen,
dafs die Arche in den Himmeln nahe dem Monde schwamm, er-
kannte Achab, eine Tochter Noahs, dafs die vor ihnen schwe-
bende Kugel der Mond und nicht, wie die anderen glaubten, ein
nicht überschwemmter Teil der Erde sei, warf sich trotz des Ab-
ratens und Spottes der Männer in einen Kahn, der alsobald durch
eine Woge von der Arche getrennt wurde und dem Monde zu-
trieb. Die meisten der vierfüfsigen Tiere folgten schwimmend
ihrem Beispiel, bevor die Türen der Arche geschlossen werden
konnten; ebenso die Vögel. Achab landete auf der Spitze eines
Hügels, fand später Enoch und vermählte sich mit ihm. Die
Gottlosigkeit seiner Kinder und der Hochmut seiner Frau zwangen
diesen später, sich in die Wälder zurückzuziehen, wo er kümmer-
lich lebte und jeden Tag Gott sein Herz zum Opfer darbrachte.
380 Cyrano de Bergerac.
Eines Tages fing er in seinem Fischernetze einen Apfel vom
Baume der Erkenntnis auf, der auf dem Flusse aus dem Para-
diese herausgeschwemmt worden war. Er afs ihn, erfuhr so, wo
das irdische Paradies sei, und wählte es zu seiner Wohnung/
Elias erzählt dann weiter die Art, wie er in das Paradies ge-
langt sei. Er wohnte einst %it einem anderen Hebräer Elisa
an den Ufern des Jordans' und führte daselbst ein behagliches,
den Studien gewidmetes Leben, aber die Sehnsucht nach voll-
kommenem Wissen, wie es der berühmte *Adam' besessen hatte,
liefs ihn zu keinem dauernden Genüsse kommen. Einst *offen-
barte ihm im Schlafe der Engel des Herrn, er solle in den Mond
aufsteigen, dort ins Paradies gehen und von der Frucht des
Baumes der Erkenntnis essen. Auf Anraten des Engels' kon-
struierte er folgendes: Aus einem, zwei Quadratfufs grofsen Stück
Magneteisen schaffte er durch Ausschmelzen, Reinigen, Precipi-
tiereu und Lösen ein Attraktiv, kalzinierte dieses Elixier' und
reduzierte es auf die Gröfse einer gewöhnlichen Kugel. Mit
dieser versehen, bestieg er einen aus Eisen konstruierten, sehr
leichten Wagen, warf, darin sitzend, seinen Ball senkrecht in die
Höhe, wurde ihm mit der Maschine nachgezogen und setzte durch
beständiges Aufwerfen und Auffangen des Balles die Luftreise
in seinem ^feurigen Wagen' fort. Das Experiment, durch blolses
Emporhalten des Balles aufzusteigen, machte er nur einmal, weil
die Gewalt des aufschnellenden Eisenbodens seinen Körper in
zwei Teile bog. Auch das Umkippen und der Fall gegen den
Mond im letzten Drittel der Fahrt ging ohne Unfall vor sich,
weil er durch Rückwärts werfen des Balles die Bewegung nach
Belieben verzögern konnte. In der Nähe des Bodens angekom-
men, manövriert er mit dem Ball so geschickt, dafs er landet,
ohne sich Schaden zu tun. (Die technische Beschreibung ist
wiederum im Manuskript viel verständlicher als in den Ausgaben.)
Elias schliefst seinen Bericht mit dem Hinweis darauf,^ *dafs er
am nächsten Tage den Lebensbaum gefunden habe, mit dessen
Hilfe er nicht altere. Dieser habe die Schlange aufgezehrt und
in Rauch aufgehen lassen. Cyrano fragt den Patriarchen, was
unter dem Aufzehren der Schlange zu verstehen sei. Dieser er-
zählt ihm lächelnd, dafs Gott nach dem Sündenfall die Schlange
in den Bauch des Menschen verwiesen habe, wo sie noch jetzt
in der Form der Eingeweide ihr Unwesen treibe. Cyrano er-
greift den Anlafs, um eine sehr riskierte Ergänzung dieser Ge-
schichte zu geben, und benutzt eine Schriftstelle zu einem ob-
scönen Witze. Elias verweist ihm dies unter Hinweis auf die
* Hier beginnt die zweite grol'se Lücke in allen Ausgaben, die Brun
p. 368—393 nur teilweise ausgefüllt hat, indem er die Erzählung von der
Schlange, als gegen Moral und Orthodoxie gleichmäfsig verstofsend, aus-
gelassen hat.
Cyrano de Bergerac. 381
Heiligkeit des Ortes und fährt in seinen Erinnerungen an das
Paradies fort. Der Geschmack der Frucht des Lebensbaumes,
von dem Eh'as nur alle hundert Jahre geniefst, ähnelt dem Wein-
geist. Adam hat wohl von diesem Apfel gegessen und darum
lebten seine ersten Nachkommen so lange. Der Baum der Er-
kenntnis, welcher dem Lebensbaume gegenübersteht, hat eine
Frucht, deren Rinde Unwissenheit erzeugt. Adam hat, weil Gott
ihm das Zahnfleisch damit einrieb, alles vergessen, was ihm früher
bekannt war, und so seine Nachkommen bis auf Moses. Elias
selbst ist zu seinem Glück auf einen reifen Apfel ohne Rinde
gestofsen und hat daher seine Philosophie universelle, die ihm, wie
er glaubt, auch erlaubte, die Wachsamkeit des Seraphim (sie) zu
täuschen; aber die Dankbarkeit zwang ihn, diesen Hüter des
Paradieses aufzusuchen. In einer Gegend, wo tausend Blitze
sich kreuzten, fand er den Erzengel, der ihm erklärte, er müsse
dieses Feuerwerk mit seinem flammenden Schwerte jeden Abend
um das irdische Paradies herum machen, um die Hexenmeister
abzuhalten. Die äufsere Rinde des Apfels vom Baume der Er-
kenntnis lasse den sie Geuiefsenden unter den Menschen hinab-
sinken, der Inhalt aber erhebe ihn zu den Engeln. Ein kleiner
Mann, Enoch, kommt in diesem Augenblicke zu den beiden und
präsentiert ihnen eine Schale voll von einer Art Granatäpfel,
von denen Cyrano auf den Rat des Elias einige in die Taschen
steckt. Sie kommen im Gespräch zu einer Einsiedelei, die aus
Palmenzweigen, verbunden mit Myrten und Orangenzweigen, ge-
flochten ist. In einem Anbau sieht Cyrano schneeweifsen Flachs
und auch die dazugehörenden Spinnrocken liegen. Von seinem
Begleiter erhält er die Auskunft, dafs Enoch, in den Pausen
seiner Meditationen, diesen Flachs zupfe und die Leinwand für
die Hemden der Elftausend Jungfrauen daraus spinne. Die
Sommerfäden, die wir auf unserer Erde flattern sehen (Cyrano
spricht vom Herbst, environ la saison des Semailles), und welche
die Bauern cotton de notre Dame nennen, sind nach Elias la bourre
dont Enoc purge son lin quand il le carde. Enoch zieht sich zu-
rück, um seinen alle sechs Stunden wiederkehrenden geistlichen
Übungen obzuliegen. Cyrano bittet Elias, ihm die Geschichte
von der Himmelfahrt des Evangelisten Johannes zu Ende zu er-
zählen. Aber kaum hat Elias, um seine unzeitige Neugier zu
befriedigen, angefangen zu erzählen und dabei den Namen Gottes
erwähnt, als der Teufel Cyrano dazu verleitet, in gottesläster-
licher Weise das Ableben des h. Johannes zu erwähnen. Aber
das bekommt ihm schlecht. Mit flammenden Augen und Worten
verweist der Prophet den gottlosen Spötter aus diesem heiligen
Orte : Va publier dans ce petit monde et dans L'autre car tu es pre-
destine d'y retourner La haine irreconciliable que dieu porte aux athees.
Er schleppt ihn zum Ausgang, in dessen Nähe der Baum der
882 Cyrano de Bergerac.
Erkenntnis (arbre du sQavoir) seine mit Früchten beladenen Aste
fast bis zur Erde senkt. Cyrano, den der Prophet auf den Baum
aufmerksam macht, gelingt es, bevor er hinausgeworfen wird,
einen Apfel zu entwenden. Von Hunger geplagt, will er sich
einen Granatapfel aus der Tasche holen; aber er irrt sich und
schlägt seine Zähne in die Rinde des gestohlenen Apfels.'
Kaum hat er davon gekostet, als sich eine dichte Nacht
auf seine Seele legt, er sieht Veder Elias noch den Apfel noch
eine Spur des Paradieses mehr,' aber er erinnert sich an alles,
was ihm darin begegnet ist. Er ist ganz allein in der Mitte
eines Landes, das er nicht kennt. Er beginnt aufs Geratewohl
seine Wanderung und begegnet nach einer halben Viertelmeile
einer Art von Menschen, die auf vier Füfsen gehen und zwölf
Ellen lang sind. Er wird in ihre Stadt gebracht und dort von
einem 'hasteleur de hetes rares' gehütet, der ihn allerlei' Künste
lehrt und ihn für Geld zeigt. Einmal redet ihn jemand griechisch
an und teilt ihm in einer langen Unterredung mit, dafs er (der
Sprechende) aus der Sonne stamme, dann als Kolonist mit an-
deren in den Mond und von diesem schon zweimal auf die Erde
geschickt worden sei. Das erste Mal sei er dort als Dämon des
Sokrates, des Epaminondas, des Cato minor und des Brutus ge-
wesen und zuletzt dem Drusus in Germanien erschienen. Das
zweite Mal habe er Cardanus, Agrippa von Nettesheim, den
Abt Trith^me, den Dr. Faust, La Brosse, Caesar Nostradamus
und die Rosenkreuzer besucht; auch Campanella, dem er gewisse
Ratschläge gegen die Inquisition erteilt habe, ferner La Mothe
le Vayer und Gassendi, endlich in England Tristan FHermite,
dem er vergeblich Vhuile de Talk, la poudre de projedion und Vor
potable angeboten habe. Die Sonnenbewohner werden, nach seiner
Angabe, drei- bis viertausend Jahre alt und sind nicht so zahl-
reich wie die der Erde. In sehr geistreicher Weise setzt der
Dämon des Sokrates auseinander, warum er gewisse Mysterien,
z. B. Geburt und Tod der Sonnenbewohner, Ebbe und Flut,
Magnetnadel etc. dem Menschen Cyrano nicht erklären könne.
Es sei zu wenig Beziehung zwischen dessen Sinnen und dem
Sinn dieser Geheimnisse. Im Monde ist die Sprache der Vor-
nehmen eine Art Musik (difference de tons non articules), die des
Pöbels ein Gestikulieren. Von einem Unbekannten wird dann
Cyrano aus seiner unwürdigen Haft befreit und auf dem Rücken
in eine Herberge (hotellerie) getragen, wo ein ganz junger Mensch,
der verwandelte Dämon des Sokrates, ihn französisch begrüfst
und seine eigene Verwandlung erzählt. Er hat, 'nachdem er
vom Hofe die Erlaubnis erbeten, Cyrano dorthin zu bringen, den
Leib eines jungen Menschen angezogen, der eben im Spital ge-
storben war, indem er seinen Mund auf den des Gestorbenen
drückte und wie ein Hauch in dessen Leib eindrang; sein eigener,
Cyrano de Bergerac. 383
abgenutzter Leib bleibt liegeo, und die Umstehenden rufen Wun-
der/ In dieser Herberge geschieht das Essen im Hemd durch
Einatmen von ernährenden Gerüchen. Geschlafen wird von Cy-
rano in einem Bette von Orangenblüten, von seinem Begleiter in
einem solchen von Nelken und Jasmin. Die Beleuchtung bilden
Glühwürmchen in einer Kristallschale. Drei oder vier schöne
junge Knaben, die ihn schon für die Mahlzeit entkleidet haben,
kitzeln ihn in den Schlaf, der sogleich eintritt. Am nächsten
Morgen frühstückt Cyrano mit Lerchen, die ein Knabe aus der
Luft gebraten herabschiefst, und sein Begleiter bezahlt den Wirt
mit Versen. Diese Verse werden von einer Behörde auf ihre
Pointe geprüft und dienen als Geld, nachdem ihnen eine Art
Wertstempel aufgedrückt worden ist. Auch in der Form von
Wechseln können sie gebraucht werden. Die Form der Sicht
auf die andere Welt, die Eintragung in das Register der 'comptes
de Dieu', der Vermerk: item la valeur de iant de vers delivrez un
tel jour, ä un iel, que 'Dieu' me doit remhourser aussi-iost Vacquit
receu du p-emier fonds qui se trouvera muten uns ganz modern an,
bizarr dagegen ist die Notiz, dafs die Wechselbesitzer ihre Re-
gister vor dem Tode, in Stücke gehackt, aufessen, um sich die
Bezahlung im Jenseits zu sichern. Cyrano ^erinnert sich sogleich,
dafs das die Münze sei, deren Sorel sich den Hortensius im
Francion bedienen lasse. ^ Unstreitig habe er sie aus dem Monde
gestohlen, aber wie habe er das lernen können? Offenbar von
seiner Mutter, von der die Leute sagen, sie sei mondsüchtig
gewesen.' Im königlichen Palaste angekommen, gilt Cyrano als
das Weibchen du petit animal de la Reyne. Dieses stellt sich heraus
als ein Altkastilianer, ^ der Mittel gefunden hat, mit Hilfe von
automatischen Vögeln in den Mond zu gelangen, und der dort
für einen Affen gehalten worden war, weil man in diesem Lande
die Affen spanisch kleidet. Es entspinnt sich ein ziemlich spitziger
Dialog über diese Tracht und anderes zwischen Cyrano und dem
Spanier. Dieser hatte Vor den Verfolgungen der Inquisition'
die Erde verlassen, weil er dort kein Land hatte auffinden
^ Le Bret hat diese Berufung auf Sorel, die für Cyranos literarische
Grundsätze charakteristisch ist, ersetzt durch das aus Marot geschöpfte
Bedauern, dafs diese Bezahlung von Zechschulden auf Erden nicht ein-
geführt sei, wo sie manchem ehrlichen Hungerleider von Poeten zugute
käme. Diese Wendung ist also nicht von Cyrano, und es ist zu bedauern,
dafs Brun p. 291 die Sachlage nicht klarer dargestellt und Cyrano nicht
von dem Vorwurf eines Plagiates an Sorel befreit hat. Über die Entleh-
nungen Cyranos aus Sorel siehe Em. Roy: La vie et les oßuvres de
Gh. Sorel (Paris, Hachette, 1891) p. BS6— 87. Dafs übrigens Sorel diese
'Anlehnungen' nicht übelgenommen hat, beweisen die von P. Brun p. 367
zitierten Aufserungen Sorels über Cyranos Roman.
^ Dies scheint eine Anspielung auf Cyranos englisch -französischen
Vorgänger und dessen spanischen Helden zu sein. Siehe oben S. 373.
884 Cyrano de Bergerac.
können, in welchem auch nur die Einbildungskraft sich hätte frei
ergehen können. Sein philosophischer Standpunkt erinnert an
den Abb^ Galliani und dessen des pipes: Vous trouuerez que la
matiere n'est qu'une qui comme excellente comedienne joüe ici-bas
toutes sortes de personnages sous toutes sortes d'habit. Sein Haupt-
satz ist, que tout est en tout. Diese konsequente Durchführung
der Lehren Epikurs wird sonst auch bei den Gassendisten viel
verschleierter vorgetragen. Der Spanier, d. h. Cyrano, bringt für
dieselben einen Beweis, der vor Pasteur kaum erwartet worden
wäre. Er bietet den Scholastikern folgende Wette an: Oreuser
un fosse, le remplir du sirop de Vesguiere, qu'ils passeront encore s'ils
veulent ä travers un hluteau pour eschapper aux objections des aveugles,
et je veux en cas qu'ils n'y trouvent du poisson dans quelque temps,
avaler taute Veau qu'ils y auront versee. Der nämliche spricht sich
auch für das Vorhandensein des leeren Raumes und die Einheit
der Materie aus mit Gründen, die offenbar Cyrano nicht, wie
P. Brun meint, verspotten will; sonst würde er seine Opposition
besser markiert haben. Er schweigt aber zu allem und spricht
nicht für Descartes, dessen Lehre von der Verdünnung {rare-
faction) mit dem Argument bekämpft wird, wie denn ein Par-
tikelchen der Masse sich von einem anderen entfernen könne,
ohne in der Mitte einen leeren Raum zu lassen. Der Spanier
stellt also den Satz auf: ohne Leere ist keine Bewegung mög-
lich, aber dann sind die Körper nicht undurchdringlich, und be-
gründet ihn mit einem Beweis ä la Cyrano: Es wäre lächerlich,
anzunehmen, dafs, wenn eine Mücke mit ihrem Flügel ein Luft-
teilchen in Bewegung setzt, dieses ein anderes vor sich her treibt
und so immer weiter, bis zuletzt die Bewegung des kleinen Zehens
eines Flohs einen Buckel {bosse) hinter der Welt hervorbringt.
Nicht so originell und weniger glücklich ist der Spanier in seiner
Kritik der Erscheinungen der Schwerkraft und der Anziehung,
deren Zusammengehörigkeit Cyrano offenbar nicht erkannt hat;
dagegen ist seine Schilderung der Rückverwandlung eines bren-
nenden Holzscheites in die Elemente, aus denen es zusammen-
gesetzt ist, ein Meisterstück poetisch gefärbter Naturphilosophie.
Mit solchen Gesprächen vertreiben sich die beiden Gefangenen
die Zeit. Da sie aber, entgegen den Erwartungen des Hofes,
keine Nachkommenschaft haben, werden sie für zwei Waldmenschen
{hommes sauvages) gehalten, die wegen mangelhafter Nahrung und
Anlage in der Entwickelung zurückgeblieben seien und deswegen
auf zwei Füfsen gehen. Die 'Priester' des Landes erklären sich
gegen diese gottlose Ansicht. Cyrano wird auf Beschlufs des
Hohen Rates (conseil d'enhaut) dem Vogelsteller des Königs als
eine Art ungefiederten Papageis übergeben. Er erlernt die
Sprache des Landes, und seine philosophischen Reden erregen
Ärgernis. Die *Priesterschaft {cUrge)^ beschliefst zuerst, es sei
Cyrano de Bergerac. 385
verboten, dem Fremden etwas zu glauben und seine Reden an-
ders denn als Ausflufs des Instinkts anzusehen. Schliefslich wird
eine Standesversammlung einberufen und Cyrano vor derselben
examiniert. Seine Berufung auf die Schulmeinung und Aristo-
teles wird als unphilosophisch verworfen. Er wird als eine Art
Straufs erklärt und in seinen Käfig zurückgebracht. Dort macht
er die Bekanntschaft einer Hofdame der Königin und Flucht-
pläne bei Gelegenheit des bevorstehenden Krieges mit dem *Gro-
fsen' König 'La Fa La La Mi' (Name in Notenschrift). Sie gibt
ihm Auskunft über die schiedsgerichtliche Kriegführung, die bei
den Mondbewohnern Regel ist. Dem Kampf mit den Waffen,
der von sorgfältig ausgewählten und gleichgepaarten Einzel-
kämpfern geführt wird, folgt noch ein Kampf der Gelehrsamkeit,
der erst die Entscheidung gibt. Es folgt eine bittere, aber ge-
rechte Kritik der auf der Erde gebräuchlichen Kriegführung.
Es ist nicht zu verkennen, dafs in diesem Abschnitt Rabelais
benutzt ist, dessen Ideen über die Rolle der Fürsten im Krieg
und die Vorzüge des Friedens bekannt sind. ^
Das Gespräch der Dame mit Cyrano erregt Aufsehen, nicht
wegen Prüderie der Mondbewohner, bei denen der Geschlechts-
verkehr absolut frei ist und eine Frau den Mann, der ihr Liebes-
anerbieten zurückgewiesen hat, gerichtlich belangen kann, aber
weil 'die Priester bei dem letzten Opfer gepredigt hatten,' die
Neugierde der Hofdamen sei unnatürliche Lust, sich mit diesen
Tieren zu vergehen. Cyrano wird zu einer zweiten Disputation
abgeholt, und da er sich der Meinung eines Redners, welcher
die Ewigkeit der Welt verficht, widersetzt und sich auf 'Moses'
und Aristoteles beruft, ^vird er ausgelacht. Weil er 'gottloser-
weise' gesagt hatte, dafs der Mond, von dem er komme, eine
Welt (monde) sei und ihre Welt nur ein Mond, wird er 'auf Be-
treiben der Priester' zum drittenmal vor Gericht gestellt. Der
'Hohepriester (grand pontifey hält mit Hilfe einer Trompete, die
den Angeklagten ebenso betäubt, wie unsere Soldaten durch Trom-
meln und Musik über ihre Todesfurcht hinweggetäuscht werden,
eine heftige Anklagerede. Ein Unbekannter hält zu seinen Gun-
sten ein Plaidoyer, das auf folgendem Dilemma beruht: Ent-
weder ist der Angeklagte vernünftig und denkt, was er sagt;
dann darf mau diese, wenn auch im Irrtum befangene Vernunft
nicht vergewaltigen. Oder er ist unvernünftig wie ein Tier und
spricht aus Instinkt; dann ist er nicht schuldig. Dies bewirkt
so viel, dafs Cyrano als Mensch erklärt und zu der schimpflichen
Bufse {amende honteuse, denn im Monde gibt es keine amende
* Eine Stelle, in welcher geradezu der Patriotismus des Soldaten ver-
höhnt wird, der für die wichtige Frage stirbt, ob er der Vasall eines
Königs mit einem Vorhemdchen (rabat) oder eines solchen mit einer Hals-
krause {fraise) sein werde, ist von T^e Bret klüglich ausgelassen worden.
Arcliiv f. n. Sprachen. CXIV. 25
386 Cyrano de Bergerac.
honorable) verurteilt wird, zu widerrufen, in feierlichem Aufzuge
und auf fünf Plätzen der Stadt. Sein Advokat, der Dämon des
Sokrates, nimmt ihn dann mit nach Hause. Sie halten hier ein
Abendessen mit zwei Professoren der Akademie und einem jungen
Libertin, dem Sohne des Hauswirtes, dem grofse Ehre erwiesen
wird. In geistreicher Weise wird dies erklärt durch die Vorzüge,
welche die Jugend vor dem Alter besitzt, alles von dem Stand-
punkte der Natur aus, welcher die Erhaltung der Rasse Haupt-
zweck ist. Darüber sind beide Redner, der Dämon des Sokrates
und der junge Libertin, vollkommen einig, und ihre Argumente sind
gleich vorurteilslos, wenn auch der Dämon des Sokrates es geraten
findet, gegen einige Argumente des Libertin über die vernunft-
widrige Nutzlosigkeit des Zölibats die Absichten vorzubringen, die
Gott haben konnte, uns in der Ausnutzung des Geschlechtstriebes
einzuschränken. Vielleicht wollte er uns durch Bekämpfung dieser
Leidenschaft für die himmlische Glorie vorbereiten, vielleicht
wollte er den Trieb durch Verbot reizen, vielleicht fürchtete er,
dafs durch Übermafs die Fortpflanzung verloren gehe, vielleicht
besorgte er, dafs die Erde für so viele Hungrige nicht Nahrung
genug hatte, vielleicht wollte er diejenigen belohnen, die gegen
allen Anschein der Vernunft sich auf sein Wort verliefsen. Wenn
schon alle diese ^que scaves vous si' eine sehr laue Verteidigung
der orthodoxen Lehre von der Heiligkeit des jungfräulichen
Standes sind, so werden in dieser höchst merkwürdigen Disser-
tation zwischen dem Dämon und dem Libertin, bei welcher Cy-
rano den stummen Zuhörer spielt, eine Reihe von Dogmen, welche
die Menschen aufgestellt haben und Gott sanktioniert haben soll,
mit rücksichtsloser Logik und mit den derbsten Worten bekämpft,
so dafs man es begreift, wenn in den Ausgaben dieses Gespräch
auf ein Drittel seiner Länge gekürzt wurde. In den unterdrückten
Teilen setzt der Dämon des Sokrates auseinander, ^es wäre lächer-
lich, anzunehmen, dafs Herkules, Achilles, Epaminondas, Alexander
und Cäsar, welche alle vor dem vierzigsten Jahre (sie!) gestorben
seien, deswegen weniger Ehre verdienten als ein kindischer alter
Stammler {radoteux)^ dessen Ernte die Sonne neunzigmal beschienen
habe. Wenn alle Gesetze den Respekt vor dem Alter predigen,
so haben eben alte Leute die Gesetze gemacht. — Aber der
Himmel verspricht dem ein langes Leben, der Vater und Mutter
ehrt. — Das gilt höchstens für einen Vater, der seinem Sohne
nie etwas gegen die Eingebungen des Allerhöchsten befiehlt, an-
deren Eltern mag ein Sohn auf dem Bauche herumtrampeln,
denn anzunehmen, dals Gehorsam gegen einen lasterhaften und
tyrannischen Vater das Leben verlängere, widerspricht der ein-
fachen Tatsache, dafs durch solche Höllichkeiten noch keine Ver-
wundung oder Krankheit geheilt worden ist. Das Verdienst des
Vaters bei der Zeugung ist null, denn er gibt nur weiter, was
Cyraiio de Borgerac. 887
er von seinen Voreltern empfangen hat. Aufserdem denken die
Eltern bei diesem Akte nur an sich und ihre Lüste, sind ja doch
Wollust und Habsucht die Triebfedern der Eheschliefsung. Im
besten Falle ist der Vater der sterbliche Baumeister nur des
Körpers seines Kindes. Dessen Seele kommt ihm direkt von
Gott zu, der sie ebensogut in eine andere Scheide {fourreau) hätte
stecken können, so dafs, der jetzt Vater ist, der Sohn geworden
wäre und umgekehrt.' Ja, fährt der Dämon fort (diese Partie
ist in den Ausgaben nur wenig entstellt wiedergegeben): es ist
keineswegs gesagt, dal's deine Seele bei diesem Tausche, indem
sie auf dem Wege zu einem vornehmeren Körper war, durch
dieses Abirren in den von deinem Vater gezeugten Embryo nicht
zu kurz gekommen ist. In jedem Falle hat man dich, den die
Sache am meisten interessierte, am wenigsten darüber befragt,
ob es dir gefällig sei, in dieses Jahrhundert einzutreten oder ein
besseres abzuwarten oder in dem Nichts zu verbleiben, wo es
dir schliefslich auch nicht schlechter geht als im Leben.
In den unterdrückten Partien nimmt der junge Libertin die
These in verschärfter Tonart auf. *Man soll mir nicht die Lob-
reden auf die Jungfräulichkeit entgegenhalten, das ist ein Dunst
(fumee) und ein schreiender Widerspruch zu dem Gebot: Du
sollt nicht töten; denn Nichterzeugen ist schlimmer als Töten.
Wenn die Enthaltung besser wäre als Fortpflanzung, warum kom-
men wir nicht zur Welt wie die Pilze oder wenigstens wie die
Krokodile (sie!), die aus dem Nilschlamm entstehen? Warum
schickt Gott keine natürlichen Eunuchen zur Welt, warum ent-
reifst er den Mönchen, Priestern und Kardinälen die Zeugungs-
glieder nicht, da er doch der Herr der Natur ist? Warum be-
fahl er den Juden nicht, sie ebenso abzuschneiden wie die Vor-
haut? Warum soll dieser Körperteil unheiliger und seine Be-
rührung sündiger sein als der Rest? Warum diese Lust schlechter
als andere Vergnügungen? Selbst die Erhebung der Frommen
zu Gott ist mit einem Kitzel der Einbildungskraft verbunden.
Alle diese religiösen Verbote sind wider die vernünftige Natur,
die allen grofsen Männern, wie Simson, David, Herkules, Cäsar,
Hannibal, Charles-magne, ein lebhaftes Liebesbedürfnis eingeflöfst
hat und selbst Diogenes in seiner Tonne für Lais seufzen liefs.
Also war dein Vater im Gewissen verpflichtet, dich zu zeugen
{lascher ä la lumiere), und verdient nicht besondere Anerkennung
für das, was ein gewöhnlicher Stier seinen Rindern zehnmal des
Tages zu seinem Vergnügen macht.'
Beim Abendessen speist einer der Akademiker in einem be-
sonderen Zimmer, weil er nicht von etwas geniefsen mag, das
durch Gewalt gestorben ist, was selbst auf die Pflanzen aus-
gedehnt wird. Der Dämon gibt Cyrano hierzu eine geistreiche
Belehrung über die Seele des Kohls und seine moralischen Vor-
25*
388 Cyrano de Bergerac.
züge vor dem Menschen, dem Mörder der unschuldigen Kreatur.
In den Ausgaben hat diese Apotheose des Kohls nur dort Ver-
kürzungen erfahren, wo Anspielungen auf die Bibel Bedenken
erregten. Originell ist im Anfang die Wendung: ^Haben der
Mensch und der Kohl nicht gemeinsame Eltern, Gott und die
Not (prwaUon)f Und am Schlufs: Wenn ihr mich fragt, woher
ich wisse, dafs der Kohl so schöne Gedanken habe, so frage ich
euch, woher ihr wifst, dafs er solche nicht habe, und dafs zum
Beispiel, wie ihr, einer des Abends, wenn er sich einschliefst,
sagt: Je suis, Monsieur le Chou frise Vostre tres humble serviteur,
Chou cdbus. 'Gott hat dem Kohl einen höheren Intellekt ver-
liehen als selbst dem Menschen, und wenn wir diese Wesen
höherer Art nicht verstehen, so kommt dies nur von unseren
geringeren Fähigkeiten. Wie hätten sie den Menschen belehren
sollen, und was haben euch denn die Engel je gelehrt?'
Der abgetretene Philosoph kehrt zurück, weil er gesättigt
ist und der phisionome ihm erlaubt hat, an der gemeinsamen
Mahlzeit teilzunehmen. In jedem Hause ist ein solcher Arzt, der
aber nur die Gesunden leitet und ihre Diät usw. regelt. Dann
hält der letztgekommene Gelehrte einen Vortrag darüber, dafs
es unzählige Welten in einem unbegrenzten Universum gebe.
Darin kommt die merkwürdige Stelle vor: Vielleicht dafs unser
Fleisch, unser Blut, unsere Lebensgeister nichts anderes sind als
ein Gewebe kleiner Tierchen, welche alle zusammen die Tätigkeit
ausmachen, die wir Leben nennen. Als Beweis für diese allge-
meine Keimung (cironalite universelle) werden die Vorgänge beim
Bluten einer Wunde besprochen. Das Leben verschwindet erst,
wenn die Bewegung dieser kleinsten Körper aufgehört hat.
Der zweite Philosoph ist an seinem Vortrag: Erklärung des
ewigen Ursprungs der Welt, gehindert, weil er die Blasebälge
für den Transport seines Hauses in Bewegung setzen mufs; denn
morgen reist die Stadt ab.
Der junge Libertin tadelt seinen Vater mit Schimpf worten
'und mifshandelt ihn', weil er ihn auf dieses Ereignis nicht recht-
zeitig aufmerksam gemacht habe. Er läfst ihn sein Bild (effigie)
herbeiholen und prügelt dieses eine Viertelstunde lang. Der
Greis wird fortgejagt und ihm befohlen, zur Bufse einen Tag
lang auf zwei Füfsen zu gehen. 'Der Junge beklagt sich bitter
über den ungeratenen Vater, der ihn noch unter die Erde bringen
werde, und den er schon mehrmals habe verfluchen wollen.'
Auf seine Fragen erhält Cyrano von dem jungen Menschen
Auskunft über die wandelnden Häuser und die verstellbaren
Türme. Die ersteren sind aus ganz leichtem Holze gebaut und
stehen auf vier grofsen Rädern; in der Dicke der Mauer be-
finden sich grofse, starke Blasebälge, deren Röhren horizontal
durch das letzte Stockwerk von einem Giebel zum anderen gehen.
Cyrano de Bergerac. Ö8Ö
Vor die Blasebälge werden auf der einen Seite des Hauses grofse
Segel aufgespannt und die Mechanik durch eine Feder (ressort)
zum Spielen gebracht, worauf die Häuser in acht Tagen mehr
als hundert Meilen weit reisen. ' Die Türme haben eine vom
Keller bis zum Dach durchgehende Schraube, mittels welcher sie
im Winter in die Erde versenkt werden können.
Der nämliche gibt Cyrano eine ganz atomistische Erklärung
des Weltganzen nach den Kategorien der Ewigkeit der Materie und
der Bewegung. Als Supposition wird die Bewegung besprochen,
welche eine Elfenbeinkugel auf einer vollkommen ebenen Fläche
bei dem geringsten Anstofs längere Zeit hindurch ohne Anhalt
machen würde. Die verschiedene Art der Bewegung hängt ab
von der verschiedenen Form der Atome. Grundprinzip ist das
Feuer. Die verschiedene Lagerung der Teilchen bedingt die ver-
schiedenen Gegenstände der Erscheinungswelt. Interessant ist
der Beweis von den drei Würfeln, deren Augen die verschieden-
sten Kombinationen ergeben, ohne dafs wir darin ein Wunder
sehen dürfen, von dem Flusse *Fa Do La Fa^ der eine Mühle
oder eine Wasseruhr treibt, und dem Bache Fa La Do Do, dem
nur die Gelegenheit fehlt, um die gleichen Wundertaten zu ver-
richten. Die Sinneswahrnehmungen Sehen, Hören, Fühlen, Rie-
chen und Schmecken werden atomistisch erklärt. Interessant ist
die Deutung des Spiegelbildes, des Lautenschlägers u. ä. Einige
Beispiele aus dem Gebiete des Fühlens sind dem Soldatenleben
entnommen und erinnern an Cyranos Verwundungen. Schneidend
ist der Hohn über diejenigen, welche eine Schöpfung annehmen;
ähnlich einem Manne, der sich in einen Flufs stürzen würde
aus Furcht vor dem Regen, retten sie sich aus Zwergenhänden
in das Mitleid eines Riesen und verleihen die Ewigkeit, welche
sie der Welt entziehen, Gott, wie wenn es einfacher wäre, sich
ihn in der einen als in der anderen vorzustellen. Um dem un-
entwirrbaren Labyrinth zu entgehen, welches der Übergang vom
Nichts zum ersten Atom ist, stellen sie Gott neben die ewige
Materie.
Man sieht, dafs Cyrano die Welträtsel, die uns heute noch
plagen, wohl erkannt hat, und dafs er im innersten Herzen viel-
leicht doch nicht der Deist war, als den er sich geflissentlich gibt.
Da es während der Unterredung finster geworden ist und
die Leuchtwürmer, mit denen der Wirt den Saal erhellen will,
zu alt sind, holt der Dämon aus seinem Zimmer zwei Feuer-
kugeln, die er aus Sonnenstrahlen, denen die Wärme entzogen
ist, destilliert hat. Den Philosophen wird ^auf Befehl des Sohnes'
nach Hause geleuchtet von ^dem Gastwirt', der ein Dutzend Glas-
kugeln an seinen vier Füfsen hängen hat.
Am folgenden Tage verkündet der Dämon dem Cyrano, dafs
die Hofdame La Do Fa La Mi immer bereit sei, ihm auf die
390 Cyrano de Borgern c.
Erde zu folgen und Christin zu werden. Der Dämon will zu
diesem Zweck eine Flugmaschine erfinden, die mehrere Personen
tragen kann. Während er daran arbeitet, soll Cyrano das von
dem Dämon aus seiner Heimat mitgebrachte Buch: 'Les Estats
et Empires du SoleiV^ lesen und: Le Grand CEuvre des Philosophes,
welches einen gelehrten Sonnenbewohner zum Verfasser hat und
lauter Paradoxa enthält. Sicherlich ist Campanella, der Verfasser
der Givitas solis, gemeint und wahrscheinlich sein Werk: Univer-
salis Philosophia seu Metaphysica Herum iuxta propria dogmata, Paris
1637. Diese Bücher stecken in kostbaren Gehäusen, und ihre
Lektüre geschieht nicht mit den Augen, sondern mit den Ohren.
Wenn jemand zu lesen wünscht, so zieht er mit einer grofsen
Zahl kleiner 'Schlüssel {clefsy dieses metallene Uhrwerk auf, dreht
dann den Zeiger auf das Kapitel, das er zu lesen wünscht, und
zu gleicher Zeit ertönen, wie aus dem Munde eines Menschen
oder aus einem Musikinstrument, die Klanglaute, deren die vor-
nehmen Mondbewohner sich als Sprache bedienen.
Dieser vorbildliche Phonograph scheint eine Erfindung Cy-
ranos zu sein. Was ähnliches von ihm selber angedeutet wird,
wie die Schwämme, in die man hineinspricht, und die, ausgedrückt,
die W^orte wiedergeben (cf. Le Courrier veritahle, N^ d^avril 1632,
Zitat bei P. Brun p. 301, Note 1), ist denn doch zu rudimentär.
Cyrano fährt dann in seiner Erzählung fort: 'Nachdem ich
mich eine Zeitlang mit diesen Schachteln und mit dem Gedanken
an die Vorzüge der Bildung der Mondbewohner unterhalten und
sie mir als Ohrgehänge (pendants d'or eitles) angehängt hatte, ver-
liefs ich das Haus zu einem Spaziergang, aber noch hatte ich die
Strafse nicht durchschritten, welche senkrecht auf unser Haus
mündet, als ich am anderen Ende einen ziemlich grofsen Trauer-
zug (trouppe — de personnes tristes) antraf.^ Vier unter ihnen
trugen auf ihren Schultern einen schwarzen, verhüllten Sarg. Cy-
rano erhält von einem Zuschauer die Auskunft, der gestern Ver-
storbene sei der schlechte 'Fa La Do Fa', vom Volke durch einen
Stüber auf das rechte Knie bezeichnet, welcher des Neides und
des Undankes überführt worden sei. Dafür sei er vom Parlament
schon vor mehr als zwanzig Jahren dazu verurteilt worden, in
seinem Bett eines natürlichen Todes zu sterben und nachher be-
graben und von seinen Freunden betrauert zu werden, während
die Mondbewohner, mit Ausnahme der Verbrecher, die reinliche
Feuerbestattung ohne Leidtragende erfahren, 'die ihnen auch eine
Art Fortdauer nach dem Leben sichert\ Ganz seltsam ist der
* So steht ausdrücklich und in Majuskeln im Manuskript. Die Les-
art: Les Estats et Empires de la Lune avec une addition de rHistoire de
V Estincelle, welche so viel Kopfzerbrechen verursacht hat, stammt also von
Le Bret. Warum er den Text geändert hat, werden Avir unten zu erklären
suchen.
Cyrano de Bergerac. 391
Tod und das Begräbnis der Weisen. Wenn diesen im hohen
Alter eine Art Ehrengericht den Selbstmord erlaubt hat {luy a mis
son Souffle entre les mains), so versammelt der Weise seine besten
Freunde, die sich durch Purgieren und Fasten dazu vorbereiten,
um sein Paradebett und stöfst sich, während sein bester Freund
seinen Mund küfst, einen Dolch ins Herz. Die Freunde saugen
der Reihe nach sein Herzblut aus der Wunde. Vier bis fünf
Stunden später wird jedem der Freunde ein Mädchen von sech-
zehn oder siebzehn Jahren zugeführt, und drei bis vier Tage lang
ergeben sie sich mit diesen den Freuden der Liebe, wobei sie
sich von dem rohen Fleische des Verstorbenen ernähren. In den
Früchten dieser Umarmungen glauben sie ihren wiedererstandenen
Freund zu sehen.
Cyrano kehrt von dem Spaziergang, auf welchem er so un-
gewöhnliche Gebräuche hat kennen lernen, verspätet heim und
erfährt die Art, wie die Mondbewohner die Zeit bestimmen. Sie
öffnen den Mund, schliefsen die Zähne und wenden das Gesicht
seitwärts. Der Schatten, welchen ihre groise Nase auf die Zähne
wirft, gibt, wie der Zeiger einer Sonnenuhr, die Tagesstunde an.
Die Selenier haben deswegen alle groCse Nasen, weil die männ-
lichen Kinder gleich nach der Geburt und nach Ablauf eines
Jahres einer Behörde vorgestellt werden. Werden ihre Nasen zu
kurz befunden, so werden die Knaben kastriert; denn eine drei-
tausend Jahre alte Erfahrung hat gezeigt, dal's eine groise Nase
das Zeichen einer grofscn Denkweise und Gesinnung ist und eine
kleine das Zeichen des Gegenteils.
Nach Beendigung dieses Gespräches tritt ein nackter Mann
herein, dem Cyrano seineu Respekt bezeugt, indem er sich setzt
und bedeckt, was die Sitte des Landes erheischt. Der Abge-
sandte bringt einen Befehl der Behörden des Königreiches, der
Cyrano eine Mission nach der Erde aufträgt und sagt, dals ein
Mathematiker des Mondes einen Plan gemacht habe, wie die
beiden Globus vereinigt werden könnten. Der Abgesandte trägt
am Gürtel ein männliches Glied in Bronze. Cyrano hat dies
auch früher schon bei dem Publikum, das sich um seinen Käfig
versammelt, beobachtet und erfährt nun von dem Sohne seines
Wirtes, dal's der Phallus das Abzeichen des Edelmannes sei und
in hoher Achtung stehe. Weder eine Frau noch eine Jungfrau
sei so undankbar, über das Ding zu erröten, dem sie ihr Leben
verdanken, und das einzig den Namen der Natur trage. Dafs
bei den Menschen der Degen den Edelmann ziere, findet der
Selenier absurd und bedauert eine Welt, in welcher die Merkmale
der Zeugung schimpflich und die der Vernichtung ehrbar seien.
Wie! Ihr nennt dieses Glied Schamteile {parties honteuses), wie
wenn es etwas Ruhmvolleres gäbe als das Leben zu geben und
etwas Schimpflicheres als es nehmen.
392 Cyrano de Bergerac.
Nach diesem Tischgespräch, dessen Ideen Cyrano offenbar
aus B^roalde de Verville, Charron und Sorel hat, ergeht sich die
Gesellschaft im Garten. 'Hier versucht nun Cyrano, der für den
Sohn seines Wirtes wegen seiner hohen Geistesgaben eine grofse
Zuneigung gefafst hat, und der auf den Rat des Dämons Dis-
kussionen über philosophische und religiöse Fragen mit demselben
nicht aus dem Wege geht, damit der eitle Libertin aus dem
Schweigen des Gegners nicht den Schlufs ziehe, er habe gewon-
nen, ihn von seinen Irrlehren zu bekehren. Er stöfst aber mit
seinem Hinweis auf die Vorzüge, welche dem Menschen durch
die Unsterblichkeit seiner Seele von Gott gewährt sind, bei
seinem jungen Antagonisten auf einen so geschickt mit dem
Argumente der Gerechtigkeit Gottes argumentierenden Unglauben,
dal's er das Gespräch abbricht und zu seinem Gouverneur hin-
aufsteigt, um sich von ihm die Gegenbeweise zu erbitten. Dieser
behauptet zwar, die bezüghchen Argumente seien nur scheinbar
und durch die Autorität von Kirchenvätern und Philosophen zu
widerlegen, besser aber doch durch ein von ihm enthülltes Ge-
heimnis.' Er gibt nun seinem Zuhörer eine Entwickelungstheorie
zum besten, die auf Metempsychose beruht, und zu der aulser
den Antiken auch Rabelais beigesteuert zu haben scheint. Unter
der Voraussetzung, dafs alle Natur beseelt ist, auch die pflanz-
liche, ist dem hier vorgetragenen Durchgang von der Grasnarbe
zum Fruchtbaum, vom Fruchtbaum zum Schwein, vom Schwein
zum Menschen, hervorgerufen durch das angeborene Streben
nach Vervollkommnung und begünstigt durch den Stoffwechsel
innerhalb dieser Stufen, die Konsequenz nicht abzusprechen.^
Wenn einst sämtliche Materie durch den Menschen hindurch-
gegangen sein wird, dann wird der grofse Tag des Gerichtes an-
brechen, an welchem die Propheten die Geheimnisse ihrer Philo-
sophie endigen lassen.'
Von diesen Argumenten kann Cyrano momentan nicht Ge-
brauch machen, da der phisionom sie alle zu Bett schickt. Am
folgenden Morgen sucht er seinen Gegner im Schlafzimmer auf
und geht ihm zunächst mit Erwähnung einiger Wuuderkuren
zu Leibe. Aber er kommt schlecht an. Der ungläubige Jüng-
ling leugnet rundweg alles Wunderbare, Übernatürliche und er-
klärt solche Heilungen sehr verständig als Wirkungen der Ein-
bildungskraft, welche fähig sei, auch den Heilmitteln eines un-
wissenden Arztes Wirkung zu verleihen, sofern der Patient an
die Fähigkeit des Arztes, ihn zu heilen, glaubt. Höchst skep-
tisch spricht er sich auch aus über den Wert von Gelübden.
Zugegeben auch, dafs ein Kranker der Gefahr entronnen sei,
warum über Wunder schreien, da wir täglich Personen, welche
Gelübde getan haben, elendiglich samt ihren Gelübden zugrunde
gehen sehen.
Cyrano de Bergerac. 898
Ausgehend von einer Anspielung des Jünglings auf das in
der Natur vorhandene Heilmittel {bäume), dessen sich der Mensch
unwillkürlich bedient, sucht nun Cyrano die Vernünftigkeit (rai-
sonnabilite) der Menschenseele und damit ihre Unsterblichkeit
zu beweisen, aber der Libertin durchkreuzt ihm die Beweisfüh-
rung mit dem Argument, Svarura denn die Menschenseele, wenn
sie wirklich unkörperlich, intellektuell und unsterblich sei, bei
irgendeinem Anlal's, einer Verwundung z. B., den Leib verlasse
wie die eines Ochsen den ihrigen, auf die Gefahr hin, in eine
viel schlechtere Wohnung (logis), die Hölle, zu kommen. Wenn
die Seele ebenso intelligent ist, getrennt von dem Körper wie
in demselben, warum sehen denn die Blinden, warum hören die
Tauben nicht mit dieser Seeleufähigkeit? Man wende nicht ein,
die Seele bedürfe der Organe wie der Maler der Pinsel. Denn der
Maler malt doch nicht besser, wenn er zu den Pinseln auch noch
seine übrigen Utensilien verliert; wie soll denn die Seele, die durch
das f'ehlen eines Organs im Leben sichtlich gehindert ist, nach
dem Tode ohne alle Organe vollendeter funktionieren?' — Aber,
wendet Cyrano ein, wenn die Seele stirbt, so wäre die uns ver-
sprochene Auferstehung eine Schimäre. — Der Libertin verlacht
diese Hoffnung als Ammenmärchen {peau d'asne) und macht sich
anheischig, von dem, was Cyrano eine unbestreitbare Wahrheit
{verite unduhitahle) nennt, das Gegenteil zu beweisen.
Er tut dies in sophistisch durchtriebener Weise, indem er
sich auf das eben zugegebene Axiom von der Einheit der Materie
in ihrem Durchgang durch die verschiedenen Stufen der Körper-
welt stützt. Der Beweis beruht allerdings auf einer burlesken
Supposition, dem Aufessen eines Mohammedaners durch einen
Christen und der Erzeugung eines kleinen Christen durch den
Mann, welcher den Mohammedaner in sich aufgenommen hat.
Wie wird es nun bei der fleischlichen Auferstehung gehen? Gibt
Gott den Leib dem Mohammedaner, dann kommt der kleine Christ
um den seinen, und umgekehrt. Würde aber Gott, um dieser
Ungerechtigkeit zu entgehen, Materie nacherschaffeu, um den
fehlenden Leib zu ersetzen, so entstehen andere Schwierigkeiten.
Da Seele und Leib untrennbar zusammengehören, um ein Indi-
viduum zu bilden, so steckt entweder eine unschuldige Seele (des
Christen) in einem verdammten Leibe (des Mohammedaners) oder
umgekehrt, und Gott mag es anfangen wie er will, mit Hölle
oder Paradies, er trifft nie das richtige und mufs, wenn er ge-
recht (equitable) sein will, das nämliche Individuum ewig verdam-
men und erlösen.
Cyrano wendet gegen diese sophistischen Argumente das
untrügliche Wort Gottes ein, worauf der Jüngling höhnisch re-
pliziert: vorerst mülste das Dasein Gottes bewiesen sein. In der
hitzigen Diskussion über diese neue Streitfrage wendet der Libertin
394 Cyrano de Bergerac.
gegen das utilitarische Argument Cyranos, dafs man mit der An-
nahme eines Gottes sich jedenfalls nicht schlechter stelle als ohne
diese, kecklich ein: Doch; denn wenn es keinen Gott gibt, so
stehen du und ich uns allein gegenüber; wenn es aber einen gibt,
so kann ich ihn durch meinen Unglauben nicht beleidigt haben,
sowenig wie ein Weiser sich durch den unbeabsichtigten An-
stols eines betrunkenen Lumpensammlers (crocheteur) gekränkt
fühlen wird. Denn Gott selbst, wenn es einen gibt, hat uns die
sicheren Mittel, ihn zu erkennen, verweigert. Anzunehmen aber,
dafs er mit uns und unserem Glauben nur Verstecken spielt
{faire toutoii le voila), hieise einen Gott sich schaffen, der ent-
weder dumm oder boshaft wäre.
Durch diese diabolischen und lächerlichen Meinungen wird
Cyrano veranlafst, sich seinen Gegner näher anzusehen, und er
entdeckt zu seinem Entsetzen in ihm die Züge eines gefallenen
Engels {reprouue de cette vie) und vielleicht sogar des Antichrists.
Dennoch gibt er die Bekehrung nicht auf, sondern sucht den
Unglücklichen, der ihm immer noch sympathisch ist, durch
Drohungen und Verwünschungen einzuschüchtern. Dieser ist im
Begriff, mit einer Blasphemie zu antworten, als an die Türe ge-
klopft wird und ein grofser, schwarzer, haariger Mann ins Zimmer
tritt, den Frevler um den Leib fafst und ihn durch den Kamin
entführt. Erschrocken klammert sich Cyrano an den Unglück-
lichen an, um ihn zu retten, beide werden so von dem Schwarzen
davongetragen, viele Tage lang, ohne dals Cyrano weifs, wohin
die Reise geht. Dann erkennt er, dafs er sich der Erde nähert.
Schon kann er die Erdteile unterscheiden, bei gröfserer Nähe
aber wegen der Krümmung der Erde nicht mehr als Italien über-
sehen. Da kommt ihm die Furcht, dafs der Teufel, der offen-
bar ihr Gefährt {voiture) ist, den Ungläubigen durch die Erde
zur Hölle führe. Der Anblick eines feuerspeienden Berges, den
sie beinahe berühren, läfst ihn Jesus Maria! rufen, und im näch-
sten Augenblick befindet er sich im Heidekraut auf der Spitze
eines kleinen Hügels, umgeben von Hirten, welche die Litaneien
rezitieren und italienisch zu ihm sprechen. Nachdem er sich mit
einiger Mühe überzeugt hat, dafs er wirklich auf der Erde ist,
läfst er sich von den Hirten führen, wohin sie wollen. Als er
sich den Mauern von . . . (hier die einzige Lücke im Manuskript)
nähert, fallen alle Hunde der Stadt über ihn her; er flüchtet in
ein Haus, wo er sich verbarrikadiert, aber nach einer Viertel-
stunde vernimmt er einen wahren Sabbat aller Hunde des König-
reiches, die vor dem Hause entsetzlich heulen, wie wenn sie den
Jahrestag (anniversaire) ihres ersten Adam feierten. Da die Hunde
offenbar den Mondgeruch an ihm wittern, so reinigt er sich durch
ein mehrstündiges Sonnenbad auf der Terrasse des Hauses, worauf
ihn die Hunde beim Heraustreten in Ruhe lassen.
Cyrano de Bergerac. 395
Er erkundigt sich im Hafen, wann das nächste Schiff nach
Frankreich abgehe, und als er sich eingeschifft hat, denkt er auf
der Fahrt an nichts als die seltsamen Abenteuer seiner Reise.
Er bewundert die Vorsehung Gottes, welche die Gottesleugner
im Monde an einen Ort verwiesen hat, wo sie die von ihm Aus-
erwählten nicht verführen können, und wo sie, ihrer eitlen Selbst-
überhebung preisgegeben, ohne Kenntnis des Evangeliums, um
so sicherer ihrer Strafe in der anderen Welt entgegensehen.
Diesen originalen Schlul's hat nun Le Bret, der auch die
Schlufsgespräche im Monde nur verstümmelt und unverständlich
wiedergibt, zu folgender Erzählung umgemodelt:
Cyrano, durch die Blasphemien des jungen Mannes erschreckt,
bricht das gefährliche Gespräch ab. Er sehnt sich nach der Erde
zurück, erhält auch Urlaub auf den Schwur hin, dort seine Er-
lebnisse im Monde zu erzählen. Von der Hofdame ist nicht
weiter die Rede. Nachdem Cyrano dem Dämon als Ziel der
Fahrt Rom angegeben und sie beschlossen haben, nicht auf die
Maschine des Mathematikers zu warten, der viel verspricht und
nichts hält, wird er von dem Dämon wie ein Wirbelwind {tow-
hillon) in anderthalb Tagen zur Erde getragen. Von den Aus-
dünstungen eines Vulkans halb erstickt, wird er von einigen
Hirten gefunden und in ein Landhaus gebracht, wo er sich durch
ein Sonnenbad auf einer Terrasse von dem Mondgeruch reinigt,
wegen dessen ihn alle Hunde anbellen. In Rom bleibt er vier-
zehn Tage bei seinem Vetter Monsieur de Cyrano, der ihn mit
Geld versieht, und begibt sich dann nach Civitavecchia. Auf
einer Galeere fährt er nach Marseille. Unterwegs arbeitet er an
seinen Memoiren und hat sie seitdem so weit in Ordnung ge-
bracht, als es ihm seine Krankheit erlaubt. Aber da er sein
frühes Ende voraussieht, so hat er seinen Freund Le Bret ge-
beten, die dem Rate im Monde versprochene Arbeit, sowie die
Geschichte der Republik der Sonne, die des Funkens und einige
andere Schriften gleicher Art herauszugeben, wenn die, welche
sie uns gestohlen haben, sie ihm zurückgeben, warum er sie von
Herzen bittet.
Aus dem Vorhergehenden lassen sich meines Erachtens zwei
evidente Schlüsse ziehen:
Erstens: Im Jahre 1650, als M. Le Royer de Prade (siehe
Bd. CXm, S. ^68 und oben S. 371) und der Abb6 de Marolles
(s. oben S. 120 und 371) die Reise nach dem Mond im Manu-
skript sahen, war ihre Form die im Ms. No. 4588 uns heute
noch vorliegende. Als Fortsetzung, ohne eigentliche Unterbrechung,
war die Reise nach der Sonne gedacht und bereits begonnen in
einem Manuskript, das während Cyranos Krankheit gestohlen
wurde und erst 1662 wieder zum Vorschein kam, worauf es zur
Herstellung der ersten Ausgabe der Reise nach der Sonne be-
896 Cyrano de Bergerac.
nützt wurde, mit geringen Änderungen, wie es scheint, und ohne
den Schlufs, der wohl überhaupt nicht vorlag, sowenig wie der
gröfste Teil des traite de physique.
Zweitens: Die Änderungen in der von Le Bret 1659 heraus-
gegebenen und mit einer Vorrede an den Leser eingeleiteten
ersten Ausgabe der Reise nach dem Monde sind alle, mit Aus-
nahme der durch Druckfehler und Versehen später hinzugekom-
menen Verderbnisse, das Werk Le Brets, welcher das Manuskript
für den Druck revidierte. Ob diese Revision noch zu Cyranos
Lebzeiten und mit seinem Einverständnis für jede Einzelheit ge-
schah, wissen wir nicht, und ich möchte es bezweifeln. Die Ände-
rungen betreffen sowohl die Form als auch den Inhalt. In
ersterer Beziehung wurden die Eigentümlichkeiten von Cyranos
Grammatik und Stil den neuen Regeln der Akademie etwas an-
geglichen, zum Glück nicht so, dals alle Sprachkühnheiten, die
an Rabelais' und Montaignes Meisterschaft erinnern, und die wohl
eine besondere Behandlung verdienten, verschwanden. In sach-
licher Beziehung wurde massenhaft weggeschnitten, was bei den
Frommen oder den Prüden Ärgernis erregt hatte und den schlim-
men Ruf Cyranos als Freigeist und Wüstling zu rechtfertigen
schien. Dafs Cyrano bei Lebzeiten üblen Nachreden, selbst Ver-
folgungen wegen Häresie und Unmoral ausgesetzt war, geht aus
Stellen in seinen Werken, in Le Brets Vorrede und Briefen und
aus der Vorrede zur Reise in die Sonne hervor. Ja, er selbst
hatte in seinem Manuskript, namentlich in dem Schlufs, wo der
Teufel den Atheisten des Mondes holt usw., darauf Bedacht ge-
nommen, sich in dieser Beziehung zu diskulpieren. Aber dem
Chanoine du Ghapitre Cathedrale de Montauban schien das — viel-
leicht nicht ohne Grund — nicht hinlänglich, und so ging er in
der Reinigung des Textes weiter. Auch die Namen der ersten
Beamten in Kanada hat er aus Vorsicht weggelassen, dagegen
in Eingang und Schlufs Kameraden und Verwandte seines Freun-
des, die sich um denselben verdient gemacht hatten, ehrenhalber
erwähnt. Der Zusatz wegen der Manuskripte am Schlufs und
die entsprechende Änderung im Text (s. oben S. 390) verfolgen
den Zweck, das Gestohlene wiederzugewinnen. Die Beweggründe
Le Brets sind durchaus ehrenwert, können uns aber heutzutage
nicht abhalten, Cyrano wiederzugeben, was Cyranos ist.
Bern. H. Dübi.
(Fortsetzung folgt.)
Note sulla fortuna
del
Boccaccio in Ispagna nelPEtä Media. ^
. . . tous ses livres sont de vertu droit ymaige,
A vertu fönt chemin, de mal fönt devoyer;
Tel auteur adonc doit avoir ou ciel partage.
( Vers faiz a la louenge de Jehan Bocace par
Laurens de Premierfait. Vedi Hauvette, De
Laurentio de Primo/ato, Paris 1903, p. 26.)
No trae sentencia, de donde no mana
Loable a su auctor y eterna memoria
AI quäl Jesucristo resciba en su gloria
Per su passion santa, que ä todos nos sana.
(Celestina, El Autor.)
A giudizio del Gallardo, lettor prodigioso, attento e sagace,
il verbo 'novelar' appare usato la prima volta in Ispagna nella
versione quattrocentista del Centonovelle.^ Tardi appresero gli
Spagnuoli a novellare boccaccescamente; tardi videro nell'opera
maggiore del Certaldese la rivelazione piü spontanea e naturale
del suo genio, e riconobbero l'originalitä sua vera, il suo mondo
di idee e di sentimenti; un mondo fragile, festoso, gioviale, dis-
posto al gaudio piü che alla riflessione incresciosa, con piü
* Piü utili e inen frammentarie sarebbero riuscite queste mie note, se,
ad Innsbruck, dove le scrissi, in tempi procellosi, e in mezzo a incivilissimi
conflitti, meno s^omentevole fosse la penuria di libri, piü agevole la co-
municazione cogli amici e colleghi lontani. Un capitolo: Äppunti sulla
fortuna del Corbaccio in Ispagna nelV Etä Media apparve nel volume di
onoranze ad Adolfo Mussaf ia ; qui accennava ad uno studio ampio e d'im-
minente pubblicazione sul Boccaccio in Ispagna di Miss Carolina Bour-
land (allieva dell'egregio De Haan, come a me fu detto), la quäle, piü di me
fortunata, potfe soggiornare gran tempo in Ispagna, a Madrid, a Barcellona
ed altrove, vide, lasse e trasci^isse manoscritti e stampe, irreperibili, inabor-
dabili a me, perduto nelle tenebre di lontanissima terra. E dalle bibliotecbe
di Monaco e di Vienna ch'io potei ottenere qualche notizia di pregio ed
agli amici e dotti uomini che lassü mi sovvennero, mando io qui l'espressione
della mia viva gratitudine.
^ 'conto Boccacio', scrive Gomez Manrique nel Planto de las Virtudes
e Poesia, accennando alle famosissime Caydas (CanQ. de 0. M. II 57). 'Co-
mengö ä narrar\ 'Fahlavan novellas\ cosi il Marchese di Santillana nella
Comedieta de Pon^a {Ohras, p. 105. 115).
398 Note suUa fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
radici nella madre terra che in cielo, piü preoccupato della
carne maledetta che dello spirito acceso in l3io, piü inchne ai
diletti fugaci, che alle cose eterne. Celle chiavi che agli uomini
contemplativi dell'Etä Media aprivano le porte del tempio della
Divinitä, difficilmente assai riuscivasi a penetrare nel tempio
della terrena beatitudine, eretto dal Boccaccio nel Decameron.
Ne rimaser fuori, per gran tempo, le genti Ispane, e preferirono
foggiarsi, a somiglianza de' fratelli di Francia, un Boccaccio, sa-
piente come Salomone, austero come Catone, eloquente come
Cicerone, quäle poteva apparire dalla superficie de' suoi trattati
morali; preferirono incamniinarsi con cotal guida al consegui-
inento del sommo bene, drizzarsi agli eterni lumi, piuttosto che
rovinare al basso nella selva del peccato o del vizio, con un
Boccaccio, derisore de' dogmi santissimi, delle santissime reliquie
e de' miracoli, che, sulla via di Paradiso, poneva mille demoni
e folletti tentatori. Per la salute dell' anima de' dotti e candi-
dati del cielo fu questo un bene incontestabile; fu un male per
l'arte, stentata, fredda e anemica, quando vive di soli succhi
morali e di pure astrazioni, ignara degli Inferni e degli Elisei
Campi, a cui l'anima s'avvia.
Gli Spagnuoli ebbero troppo impacciata l'arte, correndo
dietro, con ostinazione vera, alle visioni, a' sogni, alle allegorie;
ingombrando e mortificando il fantasma Creatore con scolastiche
Pedanterie ed astruserie. Per guadagnare prestamente il cielo,
vagaron prr le nuvole, perdettero alquanto del loro buon naturale,
ci diedero a sazieta trionfi e tempi e nobih castelli e palagi e
limbi e giardini d'onore e d'amore, e avrebber potuto darci, assai
presto, con sincerita d'ispirazione, qualcosa come il dramma umano
della Celestina. Ostinatamente doveva apparire il Boccaccio agli
Spagnuoli, tacciati un tempo dal Certaldese come 'semibarbari
et efferati' ^ nell' abito di erudito e di gran dottore, indossato,
anche per coprire quel tanto di leggero e di profane ch'era in
lui e fugare il ricordo de' falli funesti di gioventü. La sostanza
era tutta nell' apparenza. Eppure, fuor de' viluppi della sua
toga veneranda, il Boccaccio, efficacissimo pittore della societa
in cui viveva, motteggiatore faceto e arguto, prontissimo nella
percezione del comico, era piü che altri mai atto a rivelare agli
Spagnuoh, ciechi per volontä propria, le qualitä loro artistiche
predominanti, che non consistono giä, come alcuni ancor vor-
rebbero, negli icari voli alle altissime sfere d'uii ideale irraggiungi-
bile, nella visione estatica, e neppure nella rappresentazione delle
^ Come l'ingiuria, lanciata nella lettera a Mainardo, fosse dagli Spagnuoli
parafrasata nella tradiizione, puö vedersi nel bell' Operone dell' Hortis, Studi
sulle opere latine del Boccaccio, Trieste 1879, p. 846: 'en algun tiempo los
de ciertas comarcas del mundo fueron tenidos poco menos que bestias: y
Uamados barbaros'.
Note siiUa fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 399
lotte tragiche, violenti e crude nel ciior delF uomo, ma, se io
veramente non m'inganno, nella destra e penetrante e lumi-
nosa visioiie del reale e del naturale, nel niotteggiare e novel-
lare pronto ed arguto, con abbondanza di vena comica, con
sapor di terra, piü che di cielo, col buon senso divino di Sancho.
* *
*
Non appare adunque il Boccaccio fra il tripudio e le risa
bonarie de' personaggi della sua gran Commedia, raa in tutta
la gravitä ostentata degli scritti di scienza e di morale, mesco-
lato al corteo solenne de' saggi, de' filosofi, a' quali non fuggon
di bocca che parole d'oro^ sentenze memorande. A raccoglier
queste parole e sentenze, ed a far ghirlande di fiori di virtü,
molti attendono, nel basso '300 e nel '400; molti sentono il'
prurito, la febbre dell' erudizione. Un nome solo de' grandi an-
tichi che si veggon risorgere, quante meniorie destava, quäl fiam-
ma d'entusiasmo accendeva ne'petti! II Boccaccio, di tali nomi
n'avea pur iiifilzati a dovizia nell'opere sue, sfrondando le storie;
aveva prodigati gli esempi, tratti dalla vita, dai r^asi degli illustri
di Ellade e di Roma. Come a' graiidi antichi, anche a lui gli
SpagMuoli s'inchinano; lo reputano un' arca di scienza; trovano
in lui, quello che il Boccaccio trovava in Solone (Vita di Dante
ed. Rostagno, Bologna 1899, p. 3) *il cui petto uno uniano tempio
di divina sapienza fu reputato'; traduce il Boccaccio, chi da
Seneca e da Cicerone traduce; si con sola col Boccaccio e le sue
esortatorie, chi dall' aureo libro di Boezio trae consigho e con-
forto agli affanni in vita.
Vero e che il Boccaccio, oltre ogni sua speranza, era ac-
clamato poeta'; *poeta excellente e orador insine', lo chiama il
Marchese di Santillana, nel Proemio al 'condestavel' Don Pedro
de Portugal; superiore a qualsiasi poeta, e detto da Eleonora
nella Comedieta de Ponga (*yo non entiendo | que otro poeta
ä ti se igual6')2; quäl *soberan poeta laureat' l'esalta Narcis Franch,
traducendo il Corhaccio; 'poeta laureado' lo titola, pur gratuita-
mente, il traduttore del De los montes e rios e selvas; di *verde
lauro' coronavalo il Santillana, d'altronde, nella Comedieta, con-
fondendolo col Petrarca, cinto d'alloro in Campidoglio, o, piü
' 'yo no soy poeta | ni tanta locura en mi esta | que yo no tengo que
lo soy I mas desso yo querria lo ser y es verdad que lo desseo | y todo mi
estudio y trabajo es de lo alcan5ar', cosi nella versione castigliana del De
Casibus, Lib. III, cap. XIV, f. LI dell'ediz. di Toledo 1511, ch'io potei cousul-
tare (Cowo el autor se escusa y loa la poesia y la rethorica manera del hahlar).
^ 'poeta moderno,' 'poeta florentin', nelle chiose ai Proverbios (Obras,
p. 69. 78); 'poeta' chiama pure il Boccaccio Mossen Diego de Valera nel
Tratado en deffension de las mugeres; 'trobador' lo titola Francesch Farrer
nel Conort. — Qual 'poet excellent' appariva il Boccaccio al traduttore
seozzese del T)e Casibtis, Jobn Lydgate; 'tres faconde poete' h detto nella
traduzione francese delle questioni d'amore del Filocolo.
400 Note suUa fortuna del Boccaccio in Ispagna neU'Etä Media.
probabilmente assai, seguendo una leggenda, accolta e divulgata
anche in Francia.* AI 'grant poeta de Florencia' s'inchina il
traduttore anonimo del Decameron ; ma, poesia era allora scienza,
esposta con belle ed utili fizioni; scienza *gaya', leggiadramente
avvolta nel velo dell' allegoria, erano l'opere adorne di *fermosas
e pelegrinas estorias'. Come autore di prose *de grand eloqüen-
cia, a la manera del Boegio consolatorio' {Proemio del Santil-
lana), il Boccaccio godeva stima universale nel inondo de' sa-
pienti. II De Casibus, il De mulierihus claris erano, come i
trattati di Seneca, di Boezio^, di Valerio, nelle mani di tutti i
compilatori e trascrittori, e fornivano, in gran copia, il materiale
caotico, scientifico, dottrinario, de' libri e compendi di storia,
di filosofia e di morale; precetti di saggezza, le 'rahons totes
philosophicals', vantate da un traduttore catalano del De Con-
solatio Boeziano;^ nutrivano le Enciclopedie, i Fiori di sentenze,
che dilagarono fino a Rinascimento inoltrato. Dov' era maggior
sfoggio di erudizione, maggior aifastellamento di nomi e di titoli,
dove piü fiorito e pomposo appariva il discorso, piü alacre face-
vasi il lavorio del trascrittore ; piü profondi eran gli inchini al
grande maestro,
Non era scienza che non cbiarisse il Boccaccio co' suoi lumi
e la dottrina. I suoi trattati abbracciavano l'umano scibile; in-
segnavano, oltre la morale, la storia e la retorica, anche la
mitologia e la geografia. Di lui, piü d'uno avrä pensato, quanto
Fernän Perez de Guzmän scrisse del suo Seneca, il vescovo de
Burgos, Don Alonso de Cartagena, ammiratore e traduttore del
* Quam meruit vivens laurum post fata recepit,
Si qua deis pietas et merces aequa labori.
Cosi un carme latino del Premierfait al Boccaccio, ricordato da H. Hau-
vette, De Laurentio de Primofato, qui primus Joannis Boccacii opera quae-
dam gallice transtulit ineunte seculo XV, Paris 1903, p. 23. Coronavalo
giä il Petrarca nella lettera all'amico diletto {Epist. fam. XVII) 'An
forte quia nondum Poenia fronde redimitus sis, poeta esse non potes?
An si laurus uUa usquam esset Musae omnes conticescerent? 'Laureato
cittadino Fiorentino' e detto il Boccaccio, in fine del codice del Filostrato,
posseduto dal Santillana, amantissimo delle 'estorias' de' 'laiireados ^ sacros
poetas' {Obras 139). Anche a Dante, gli Spagnuoli, generosi, accordarono
la poetica laurea: 'sagrado poeta myrifico laureado Dante florentin, de
memoria esclarecidamente perpetua', ^^ detto il sacro vate nelle chiose al
Purgatorio di Martin Gonzalez de Lucena.
^ II 'condestavel' Don Pedro de Portugal santificava Boe9io nella Tra-
gedia de la ynsigne Reyna Dona Isabel ('el sancto Boe§io'; Homeiiaje ä
Menendez y Pelayo I 703). Su Seneca, grandissimo dispensatore di pre-
cetti in tutta l'Etä Media, i Portoghesi si foggiarono, sembra, la |3arola
sengo, senego. Vedi C. Michaelis de Vasconcellos, Port. Etymol. in Zeitsehr.
f. rorn. Phil. VII 102 sgg. Duarte Nunes de Leao indicava, giä nel '500,
quest' etimologia; pur non sarebbe da escludersi un senicus da senis.
^ Vedi la dedica del Libre de Consolacio de Philosophia 'transladat en
romanj catalanesch', stampato dall'Aguilö nella Bibl. catal., Barcelona 1877.
Note sulla fortiina del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 401
Boccaccio, uscirgli cioe di bocca, come da fönte perenne: *la
moral sabiduria, | las leyes y los decretos, | los naturales secre-
tos I del alta pbilosophia, | la sacra theologia, | la dulce arte
oratoria, | toda verissima bistoria, | toda sotil poesia'. Verl
detrattori il Boccaccio non ne ebbe, e quei pochissimi che gli
mosser rampogna erano difeusori a tutt' oltranza delF onor fem-
minile; paladini di tutte le Dulcinee, vedevano a malincuore
macchiate tante belle e sagge scritture, guasta la 'fama loable',
coi vituperi follemente lanciati nel Corhaccio. Non fu torto mai
al Boccaccio un capello per la sua leggerezza e spensieratezza;
non si dubitö mai della sinceritä e profonditä della fede nel cuor
deir uomo, che tanti morali e cristiani insegnamenti impartiva,
svegliava le genti dal mortal sonno e mostrava instancabile la
fallacia e inanitä delle mondäne cose, il mutar perenne di for-
tuna. Chiedevasi il Boccaccio nel proemio del De Casihus:
*Qual cosa piü piena di carita puö essere al ben vivere de' mor-
tali e all' eterna salvazione piü utile, che ridurre, potendo, a
dritto cammino quelli che fallano?'* La rehgione a fior di pelle
non poteva esser giudicata allora superstizione, bisogno di tran-
quilHzzar la coscienza, mettendola d'accordo con Dio, e facendosi
un'agevol scala fra terra e cielo. Se giä quel cattivo di Ser
Ciappelletto era santificato, figuratevi quäle onore, quäl beati-
ficazione dovessero le devote genti serbare al Boccaccio!
Tra i piii intinti di scienza boccaccesca e piü zelanti nel
tradurre, nell'imitare, nell' assimilare le opere latine del Boccaccio,
troviamo nella Spagna medievale: frati, monsignori, teologi,
canonici, arcipreti, vescovi, ai quali non passava neppur per la
mente che il Boccaccio potesse essere di pregiudizio alla Chiesa,
e facesse serpeggiare nell' animo de' fedeli il veleno della incre-
dulitä e deir indifferenza. Tutto era scritto, per diletto ed am-
maestramento, a fin di bene, per stimolare alla virtü e bandire
il vizio. Nel Corhaccio medesimo, vedevasi un trattato di morale,
in cui echeggiava solenne il gran memento ai perduti dietro
le femmine rie, una satira salutare, che. non disdiceva punto
dalle massime sante del Catechismo e potevasi leggere con
profitto, come leggevansi gh scritti del Cavalca, del Passavanti,
di Jacopone da Todi, di Santa Caterina. Quel lusso di eru-
dizione, la pompa, lo sfarzo delle frasi, ch' eran nell' opere del
Boccaccio, seduceva, abbagliava gli uomini di chiesa, creduti pur
sempre i piü colti ed intelligenti. L'umanesimo in Ispagna non
* E il traduttore castigliano {Gay das, ed. Toledo 1511, cap. I, lib. II):
'Empero que cosa piiede ser mas santa ni mas leal que poner hombre todas
las fueryas si pudiere alcan§ar a ser emendada por et alguna soltura de
la vida desordenada | y los que yerrau puedan ser traydos a mejor carrera :
y los sonolientos y adormidos en yerros y en pecados pue(n)dan ser cor-
regidos y tornados virtuosos.'
Arthiv f. u. Sprachen. CXIV. 26
402 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
era in lotta alcuna con Dio e co'Santi; si rappattumava cou
essi, senza fatica, senz' astio e cruccio. L'Olimpo de' Pagani viveva
allegramente e pacificamente accanto al Paradiso de' Cristiani.
II pensiero antico e tratto a reggere ed a fortificare il pensiero
raoderno. I miraggi del mondo, le scale di contemplazione e di
Paradiso, gli Espejos del alma, gli orti e giardini di consolacion
de las almas rigurgitano di saggi precetti per rettamente vivere,
tolti a' magnifici e gloriosi dottori antichi.^ Che il Boccaccio
andasse ad attingere dal gran fondo del sapere antico tanta
roba erudita, tante norme di saggezza e virtü, e profondesse,
negli scritti, gli esempi di vita di tempi gloriosi e illustri, a bene-
ficio d'ognuno, era inestimabil fortuna pei dotti, che vedevan
risparmiata ad essi tanta fatica di compilare e di estrarre. *Quae
quis quaeso pro munere, seu saltem parum fructuoso labore,
veht exquirere, et tot volumina volvere, legere et hinc inde ex-
cerpere perpauca?' cosi il Boccaccio, nella lettera proemiale al
De Genealogiis Deorum gentilium, ben prevedendo la pratica
utilitä deir opere sue.
Giä sul finire del '300, i trattati del Boccaccio, cosi provvi-
denziali ai cervelli enciclopedici di un' etä ancor caotica, trovauo
facile cammino in Ispagna, dove coi militi, i mercanti, il corteo
de' principi, che nel bei paese s'eran fatta un' appendice di regno,
fönte di guai, passano i frutti della coltura d'Italia, passano i
codici, passano i poemi e le storie, passa la scienza vecchia e
nuova, immagazzinata ne' libri.^ Non sappiamo bene se gli Spa-
gnuoli conoscessero prima le opere moralizzanti del Petrarca, o
quelle del Boccaccio, ma e lecito supporre che, il De Remediis,
assai presto divulgato e diffuso nel Settentrione e nel Mezzodi
della penisola, porgesse, a' dotti e a' saggi, utili ammaestramenti,
in ogni vicissitudine, nell' avversa e nella buona fortuna, ad un
tempo stesso, del De Casihus. Per il Boccaccio s'era tuttavia
un po' piü teneri che per il Petrarca. La scienza del Boccaccio
era di piü facile accesso, piü gradita della dottrina petrarchesca,
e gli eruditi, gli umanisti attingevano ad essa instancabili.^ II
* 'Et ajuntö rrasones et abtoridades de sanctos et de sabios', cosi Pero
Gomez Barroso nel Libro de los Consejos et Consejeros (A. de los Rios,
Eist. IV 9/. — Jeban le F^vre ammoniva nelle Lamentations de Matheo-
lus II V. 2678 sg.): 'Pour ce, qui veult a droit plaidier, | d'exemples se
convient aidier.'
^ 'Las obras de Petrarca y Boccaccio . . . empiezan a correr de mano
en mano entre principes, obispos, maestros y pröceres yä en copias del
texto original, hermosas muestras de la caligrafia 4 iluminacion del primer
Renacimiento/ cosi il Men^ndez y Pelayo in un suo 'prologo' della Anto-
logia de poetas liricos castellanos. Vol. IV, p. VI.
^ Gli elogi che il Boccaccio non lesinava mai al suo grandissimo amico,
la menzione di molte opere petrarchesche nell' opere sue (il De Oenecd.
rammenta p. es. Vlnvectiva in medicum) contribuivan pure, in parte, ad ac-
crescere in Ispagna il favore accordato ai trattati morali del Petrarca.
Note sulla fortima del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 403
Marchese di Santillana, mecenate intelligentissimo, 'perfetto ama-
dor del dulge saber' (Juan de Mena, in Ohras de Don Inigo
Lopez de Mendoza, p. 317) che, finch'ebbe vita, raccolse codici,
li fe trascrivere e tradurre, possedeva una coliezione vistosa di
opere boccaccesche ; aveva, tra'suoi libri, oltre VAmorosa Visione,
VÄnieto, il Ninfale, ia Fiammetta, il FilostratOy anche la Vita
di Dante, allor conosciuta e letta da pochissimi, fuor d'Italia.*
In molti inventari de' libri, posseduti da prenci e gran signori
e dottori e poeti, trovi registrate una o piü opere del Boccaccio,
tradotte, o nella lingua originale. Figura il Boccaccio tra i libri
e le reliquie del Villena,^ del 'condestavel' Don Pedro di Porto-
gallo (No. 92: ^Boccaccio en vulgär castella o portugues'), di
Alvar Garcia de Santa Maria, di Gomez Manrique, del conde
de Haro, della regina cattolica Dona Isabel, ^ del duca di Cala-
bria.* Lo zio di Alonso de Cartagena, Alvar Garcia de Santa
Maria, lagnavasi di un Boccaccio *que tenia en latin e rroman-
ceado todo de pergamino*, probabilmente il De Casihus, prestato
in buona fede ad una sua parente, e non piü riavuto: *prestelo
* Alla cortesia di Mario Schiff, che, da piü tempo, e con grau corredo
di dottrina, attende all' illustrazione della biolioteca del Santillana, debbo
una conoscenza dell' opere boccaccesche, possedute dal Marchese, piü sicura
di quella che dalla nota biografia di A. de los Rios avrei potuto desumere.
^ Ne' precedenti appunti miei sulla fortuna di Dante e del Petrarca in
Ispagna dava l'indicazione dei cataloghi e degli inventari del' 400, omessa
qui, perch^ i lettori piü non ne siano infastiditi. E singolarissimo, dicevo,
cne la ricca bibHoteca di re Martin (l'inventario h recentemente pubblicato
con cura e integro da Massö y Torrents nell' Aven^) nessuna copia registri
deir opere dei massimi trecentisti d'Italia. Nessuna, medesimamente, figura
nell' Inventari dels libres de la Senyora Donna Maria, stampato per cura di
Velasco j Vignau nella Rev. de Arch., Bihl. y Mtis. ant. ser. 1872, II 11 sg. e,
a parte, nella Colecc. de docum. histör. No. I. Madrid 1872. — II maestro
de Calatrava, D. Luis Nunez de Guzman avrä posseduto, pur lui, sicura-
mente, un Boccaccio, o latino, o volgare.
^ Particolarmente ricca di opere boccaccesche. Vedi VInventario de los
libros proprios de la reina Dona Isabel, pubblicato dal Clemencin nel noto
Elogio (Memor. d. la R. Acad. de la Eist. Vol. VI. Madrid 1821, p. 461 sgg.),
'Ubro de pliego entero de niano e en romance en papel, que se dice Juan
Bocacio' (Uon questo titolo, che pur si ripeteva in Francia : 'ung livre ap-
pell^ Bocasse,' intendevasi generalmente il De Casibtis, l'opera del Boc-
caccio piü diffusa, ma il Clemencin avverte in nota: 'pudo ser la obra
De claris mtäieribus'). — No. 149 : 'Otro libro . . . que se llama de Juan
Bocacio de la Caida de los Principes.^ — No. 150: *Otro libro en romance
de mano que son las novelas de Juan Bocacio, con unas tablas de papel
forradas en cuero colorado.' — No. 151 : 'Otro libro de pliego entero de
pergamino en papel de romance italiano de mano que se aice Frometa.^
'* Vedi l'inventario dei libri che, nel 1550, il duca de Calabria legava al
monastero di San Miguel de los Heyes di Valencia, in Revista de Arch.,
Bibl. y Mus. ant. ser. IV 7 sg. Istruttivo assai h l'atto di donazione dei
manoscritti di Filippo II all' Escorial, che R. Beer pubblica, con illustrazioni
scarse, ma opportune, nello Jahrb. der kunsthist. Sammlungen des allerh.
Kaiserh. 1903, vedi pp. CVII. CXIII sg. Vi figuran, fra altre opere
boccaccesche, cinque esemplari delle Caydas.
26*
404 Note siilla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
d dona Juana de Cartagena mi sobrina e non lo pude cobrar
della';^ segno evidente che libri siffatti e cosi glorificati non
poltrivano negli scaffali.
Tranne forse il Commento alla Commedia e le Egloglie,
men note, fuor d'Italia, delle Egloghe Petrarchesche, tutte l'opere
del Boccaccio eran conosciute in Ispagna nell'Etä Media, l'opere
latine maggiori, piü delle volgari, ben s'intende, quelle di edifica-
zione spirituale, piü delle poetiche e ricreative. I letterati bada-
van poco a spassarsela, a perder tenipo con trastulli di fantasia;
anche i piü tediosi e prolissi correvano, o s'immaginavan correre,
all' acquisto delle cose gravi, utili ed eterne. 11 latino, biasci-
cato da tutti gli uomini di chiesa, tipo perfettissimo di favella,
la lingua dei dotti per eccellenza, era assai piü comunicabile
e inteso del volgare italico (per un' eccezion rara il Santillana
sapeva poco di latino e molto d'italiano). Quando venne in
uso il tradurre, Faccomodare il latino alla 'romancial texedura',
e nella veste latina, tagliata dal Petrarca sul corpo formoso del
volgare del Boccaccio, che gli Spagnuoli conobbero, come i
dotti di Francia, d'Inghilterra, di Germania e d'Olanda, la pie-
tosa novella di Griselda del Decameron. Un abito castigliano,
piü 0 meno acconcio, s'ebbero poi tutti i trattati boccacceschi,
*por avisar e ennoblecer la gente e nacion de Castilla', come
avrebbe detto Taustero cancelliere Pero Lopez de Ayala.
La Propaganda erudita veniva dalF alto, dalle corti illumi-
nate, e non poteva mancare d'effetto. Un monarca saggio si
circonda di sudditi sapienti; spande pel regno il seme delle
dottrine acquisite; impone il suo esempio, i suoi gusti. Fu viva
la tradizione de' 'buon re di Castella', sbattuti qua e lä dal-
l'onde infide e torbide de' negozi di stato, forti d'intelletto, ma
fiacchi d'animo; sventuratissimi in guerra, ma fortunati ed ac-
clamati negli studi. Don Juan II, piü fulgente *que el cielo
estrellado', *rey magno bienaventurado', come lo chiama, con
dolce illusione, Juan de Mena nel Lahyrintho, leggeva gli uma-
nisti, il Petrarca, il Boccaccio, Leonardo Bruni d'Arezzo, il
Decembrio, il Bessarione, leggeva ancbe Dante. Portava sul suo
capo una Corona di spine, pur, mentre le faccende del suo stato
miseramente rovinavano, le lettere fiorivano e gli eruditi si molti-
plicavano. Sotto il suo regno il Boccaccio ha il culto maggiore.
Tutte le traduzioni, cominciate giä sullo scorcio del '300, si
continuano, non piü interrotte; le promuovono, dietro Fesempio
di Castiglia, i monarchi stessi del Portogallo; cosi, a beneficio
^ M. Martinez Anibarro, Intento de un diccion. biogr. y bibliogr. de
autor. de laprov. de Burgos, Madrid 1889, p. 245 e R. Beer, Handschriftenseh.
80. No. 31. — II 'bohacio en rromanpe ... con la glosa', No. 12, % evi-
dentemente errore di stampa per bohecio.''
Note sulla fortuDa del Boccaccio in Ispagna nell'Eta Media. 40^
deir erede del trono portoghese, Alonso de Cartagena voltava,
nel 1422, a compimento dell' opera del D'Ayala, gli ultimi capi-
toli del De Casihus,^
Libro d'oro ü De Casihus pei letterati e moralisti di Spagna,
ripieno di *muchos buenos enxemplos et de buenas doctrinas
para bien vivir espiritualmente et moral et onestamente', non
meno delle consultatissime e venerandissirae *Memorabilie' di
Valerio Massimo,^ e lu, con tutta probabilitä, la prima opera
del Boccaccio che gli Spagnuoli ebber tra mani. Con quella
sua tendenza al gi-ave e all' eroico, inteso sempre a trarre norme
sagge di vita dalle esperienze e vicissitudini proprie e altrui, dal
continuo studio delle cose di stato e dal governo de' popoli,
dalle *historias de cosas grandes et nobles', che giä vedeva rac-
colte dal padre Fernan Perez, si puö capire, quäle scossa pro-
vasse il cancelliere di Castiglia, Pero Lopez de Ayala, leggendo
nel volume del Boccaccio i casi degli illustri infelici, saliti a
grande altezza, 'fasta los cielos y las estrellas', e poi caduti in
misero stato, *fasta los abismos'. Er an mozze tragedie della vita,^
* 'Fablando con vos . . . en materia de sciencla en que vos sabedes
fablar', cosi il Cartagena, rivolgendosi al dotto principe, nel prologo della
Reiorica di Cicerone, da lui volgarizzata *ä ynstancia del muy esclarecido
Principe Don Eduarte Rey de Portugal'. Gallardo, Ensayo II 260, No. 1638.
^ 'como nos estudiando algunas vegadas en el valerio mäximo viösemos
que las notables estorias e muy eseelentes abtoridades que en 41 son puestas
. . . son muy provecbosas al anima e al cuerpo e al regimiento de la cosa
publica e familiär . . .', leggesi in testa alla versione di Valerio Massimo,
eseguita, intorno al 1395, per incarico del Cardinal Jaime de Aragon, figlio
del Conte di Pradös. Rev. de Arch., Bibl y Mus. VI (1002) p. 203. — Piü
versioni castigliane, catalane e valenziane s'ebbero dell' opera di Valerio,
prodigiosamente divulgata in tutta l'Etä Media; nfe erano igiiorati in
Ispagna i commenti di Dionigio da Borgo S. Sepolcro e Benvenuto da
Imola, e ritradotta fu persino la versione francese di Symon de Hesdin.
— Dava giä ai nervi al Petrarca il culto, crescente ognora, per Valerio ed
in una memoranda epistola usciva a dire {Famil. IV 15): 'At, quod se-
quitur, te inter morales Valerium praeferre, quis non stupeat? Si tamen
serio perseveranterque dictum est et non iocandi tentandique animo. Si
enim Valerius primus est, quotus, quaeso, Plato est? quotus Aristoteles,
quotus Cicero, quotus Annaeus Seneca, quem in hac re magni quidam
aestimatores omnibus praetulerunt?'
3 Voleva il Marchese di Santillana, scrivendo il prologo a Donna Vio-
lante de Prades, un esempio di stile da tragedia, che 'contiene en si cay-
das de grandes reyes 4 prin9ipes, asy como de H^rcoles, Priamo, 6 Aga-
menon, % otros atales, cuyos nas9imientos 4 vidas alegremente se comenyaron,
4 grand tiempo se continuaron, 4 despues tristemente cayeron' {Obras, p. 94),
da contrapporsi allo stile da commedia, rappresentato dal poema di Dante,
e gli soccorre alla mente il De Casihus del Boccaccio. — Giä il Chaucer
doveva considerare quäl collana di tragedie il De Casibus, da lui imitato
ne' Monkes Tales, e tragedie portano in fronte scritto le stampe della libera
versione inglese del De Casihus, compiuta dal Lydgate: The Tragedies gathered
by Jhon Bochas of all such Princes as feil from theyr Estates through the
406 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna neirEtä Media.
semplici ed elementari abbozzi di drammi che movevan lo spirito,
giä per natura incline alla tristezza e malinconia, avvezzo a
considerare l'instabilitä di fortuna, il rapido vanire e precipitare
di ogni umana grandezza. Come aveva tradotto dagli antichi,
per illuminare i contemporanei, il D'Ayala tradusse,^ non sap-
piam quando, probabilmente nel crepuscolo della vita, i primi
8 libri del trattato del Boccaccio ^ (de' 9 libri delF originale se
n'eran fatti 10 in Castiglia). Aveva assistito alla caduta di piü
prenci nella sua Castiglia. Le lotte, i tumulti continui, Fazione
e la riflessione acuivano il suo intendimento. Sentiva anche lui
prepotente il bisogno di sermoneggiare con austeritä catonica,
di erigere ben alto il suo faro a guida delle perdute genti,
brancolanti per le tenebre. De' fatti, delle avventure, dell'am-
mutdbility of Fortune since the creation of Adam until his Urne (1527); A
Treatise excellent and compendious, shewing and declaring, in manner of
tragedye, the falls of sondry most notable Princes and Princesses ecc. (1554).
Vedi E. Koeppel, Laurents de Premierfait und John Lydgates Bearbeitungen
von Boccaccios De Casibus Virorum Illu^trium. München 1885.
^ O ordinö piuttosto, sorveglio, guido il lavoro del traduttore? Le
parole del nipote Fernän P4rez de Guzmän, ch'io ricorderö ancora piü
innanzi : 'por causa del son conocidos algunos libros . . . las Gaidas de los
Principes\ danno a pensare.
^ Come e su quäl testo e con quanta fedeltä ed esattezza sia condotta
la versione del D'Ayala non posso io dire per sventura, n^ ho ora modo
di fare alcun confronto fra le stampe, (che abbracciano, s'intende, anche il
seguito della versione, compiuta da Alonso de Cartagena) e i codici mano-
scritti. Inclinerei tuttavia a supporre mero arbitrio degli stampatori le
lacune frequenti che offrono le Caydas e mutilano il testo boccaccesco del De
Casibus. Non poteva anche il dottissimo Hortis {Studi sulle opere latine del
Boccaccio, Trieste 1879, pp. 607 sgg.) approfondire il suo giudizio sulla
versione castigliana del De Casibus, che supj)one fedele all' originale tra-
scelto; meravigliavasi come nella stampa, da lui esaminata (1525), vi fossero
tralasciati 'molti capitoH, non giä di quelli che portano censure o rifles-
sioni morali, ma nomi di re disgraziati e fatti storici'; p. 608, *se talvolta
il senso non h da lui (il d'Ayala) esattamente recato dalla lingua straniera
nella sua, non "h per reticenza, ma per aver franteso qualche vocabolo o
la costruzione latma, o per difficoltä incontrata nel voltarli in Hngua
spagnuola; siecht per levarsi d'impiccio ricorse a mal rieselte perifrasi'.
Sulle interpolazioni nel testo latino, trascelto dal D'Ayala, e seguito dal
traduttore inglese, che pur dipendeva dal Premierfait, vedi l'opuscolo del
Koeppel citato p. 45. Pare doversi escludere che il Lydgate nei Falls of
Princes avesse pure presente un esemplare delle Caydas castigliane. Vero
h che il gran cancelliere, se pure non fu in Inghilterra, era agli Inglesi
ben noto per le trattative intavolate e condotte a buon porto fra la casa
di Lancaster e re Don Pedro, e qualcosa doveva pur pispligliarsi lassü
nell'isole dell'opera sua letteraria, pregevole quanto il diplomatico ma-
neggio; n^ giurerei che il duca Humphrey di Gloucester, mecenate ed
umanista suUo stampo del Santillana, ghiottissimo di codici in ogni lingua,
non possedesse, oltre la versione del Premierfait, una trascrizione delle
Caydas castigliane. — Uno studioso che in uno o piü viaggi in Ispagna
prendesse in serio esame i manoscritti sparsi, mutili in parte, delle ver-
sioni dell' opere latine del Boccaccio e del Petrarca, farebbe opera grata
ed utile sicuramente.
Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 407
basciate, dell' opere e degli studi del Boccaccio, certamente qual-
cosa avrä udito, peregrinando su e giü pel mondo, o soggiornando
in Francia per sbrigarvi i negozi politici intricati; ne e probabile
ch'egli del Boccaccio unicamente abbia conosciuto il trattato
sulle yicende disastrose degli illustri. Accarezzava nella mente
la figura di un principe ideale, forte della sua scienza di stato,
agguerrito contro gli strali di fortuna. Un suo zio, il cardinale
Gomez Barroso (f 1345) s'era fabbricato, aiutandosi anche un
po' col De regimine di Egidio Colonna (*ome de grant saber'
Rim. d. Pal.), un suo specchio de' principi, il Libro de los
consejos y consejeros del Principe; ai prenci e a chi nelle
grandezze fallaci e nel potere conüdava, il D'Ayala, giä brusco
e franco riprenditore dei vizi e degli abusi dei ministri degeneri
della chiesa e dello stato, nel Rimado de Palacio, acceso a
volte d'ira e di sdegno dantesco, dava ora solenne ammoni-
mento colle boccaccesche Caydas, *extrannas caydas', cosi
nomavale ancora, nel primo '400, il giudice Gonzalo Martinez de
Medina\ e il trattato sulle precipitose cadute, ancor monco della
' II titolo della versione ha anch' esso la sua fortuna. In Francia era
corrente, ne' codici manoseritti e nelle stampe, il titolo : Des cos des nobles
hommes, Du decktet d. n. h., De la ruyne (Hauvette, Premierfait p. 39 ; Fac-
similes of designs from engraved copperplates illustrating Le Livre de la
Ruyne des nobles Hommes et Femmes, par J. B. Bruges 1878, dalla preziosa
stampa del 1476). Quäle 'r^citeur des fortunes du monde et des tristes
inalheureuses matiferes collecteur v^ritable', apostrofa il Boccaccio, Georges
Chastellain nel Temple de Boccace (CEuvres ed. K. v. Lettenhove VII 97),
che pur chiania il grand'uomo 'original traitteur des malheureux' {CEuvres
VII 14i); neir allegorico poema La Ghasse et le Depart d'amours (Goujet,
Bibl. franp. X 241) Octavien de Saint-Gelais fa dire a Franchise:
Si Bocace, l'elegant Escrivain
Qui mist les cos des chetifs en son livre,
Qui pas ne fut en tous ses escripts vains,
Et bien valloit de plus longuement vivre,
Put or icy, bientost seroie delivre,
Et laisseroit tout autre affaire ä part;
Car le grant heur dont je suis d^boutee
M'eut en eflfect en ses escripts boutee. »
E nel Sejour d'honneur, accennando ai rovesci di fortuna degli illustri:
Bocace fist ample escriture
De leur cheute tres-miaSrable.
Et racompte leur adventure
Par eloquente dictature
Qui est aux lisans agreable.
In Ispagna alludevasi quasi generalmente al De Casibus col titolo caydas
('Proverbio es antiguo, que de muy alto grandes caydas sedan' — Gelesiina);
'caydas de los claros varones' chiamava l'opera Alonso de Cartagena, com-
mentando Seneca; 'caymientos', per 'caydas', trovi in rima in un componi-
mento anonimo del Cancionero di Herberay des Essarts (Gallardo, Ens.
I 566), in cui ^ un' allusione palese al trattato del Boccaccio; 'aparejas la
408 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
fine, che in cento foggie, con sovrabbondanza di esempi, esage-
rando le sciagure, i pianti, i gemiti de' travolti e caduti, ripeteva
la morale de'trionfi petrarcheschi e la santissima morale biblica:
*umiliatevi e sarete sollevati', trovo rapida diöusione.
*De las mudangas arrebatadas de la fortuna muchas escrip-
turas hablan ... E que otra cosa contiene en si el libro de
las caydas de los claros varones syno mostrar por enxemplos
de los antiguos quan flacos y mudables son estos bienes que
se llaman de la fortuna?' cosi il dotto Alonso Garcia (de Carta-
cayda', 'sus desastres, sus caydas', 'ä Theseo | ordenaste la cayda', trovi
nel^ms contra fortuna del Santillana (Obras 171. 173. 180); 'triste e grave
cayda', /diversas caydas e muertes', 'mi total cayda', 'las caydas antiguas',
'caydas de prinyipes e cavalleros', nella Tragedia del 'condestavel' D. Pedro
de Portugal {Homen. ä Menendex I 694 sg. 729 sgg.). Non sdegnavasi
tuttavia qualche volta il titolo casos, che pur compare nella traduzione
castigliana del trattato boccaccesco (cap. I, p. II) 'obra Uamada los casos
y caydas y acaescimientos muy contrarios que ovieron mucbos nobles y
grandes principes y senores'; '0yd la mi bos todos los potentes, | A quien
aministra sus casos fortuna' (Gonzalo Martinez de Medina) ; 'los casoa de
ad versa fortuna' — 'los äsperos ^ duros casos generalmente acaecidos ä
muchos grandes en el mundo' — 'los peligrosos casos de la fortuna' {Cron.
de Juan IL); 'casos lagrimosos' (Santill., Bias contra fortuna, p. 184);
'fuerte caso'( Comec?. de Pon^a, p. 105); 'caaos tristes, llorosos' (Coplas di
Jorge Manrique); 'casos infortunados' {Canc. d'Herb. d. Essarts. Gallardo,
Ens. 1 565; qui pur t'imbatti in un 'derrocamiento'j ; 'caso desastrado'
(P. de Escavias, Coplas que ßxo d Perex de Ouxman in Canc. de Castarieda
pubbl. d. F. de Uhagon, Rev. d. Arch., Bibl. y Mus. 1900, IV 518; 'casos
sinestres de fortuna' nel Tirant lo Blanch, cap. 294, nel cap. 128 si favella
de' 'cayments' di fortuna). Dubito che rammentasse il De Casibus il
Lucena quando, nel dialogo Vida Beata (Opusc. liter. de los sigl. XIV ä
XVI, Madrid 1892, p. 130) derivato dal Faccio, fa dire ad Alonso de
Cartagena: 'Son algunos destos privados que sy con poca razon son alti-
fechos, governados con menos, baxitornan muy presto.' Unicamente il
Marchese di Santillana, nella Comedieta de Pon^a, chiama le caydas 'los
casos perversos del siglo mundano' e su questi casi perversi, cio^ sciagu-
rati, nefasti, ricama poi, nella cantilena del 'taratäntara', alcuni suoi scia-
gurati versi nella favella italiana, a lui famigliare: 'Ve[d]iamo li casi e
ciö che (e)narrate, | e vostri infortuni contate perversi' (A torto A. de
los Rios, che nelle Obras de liiigo Lopex de Mendoxa, p. 101, stampa giusta-
mente 'los casos perversos', corregge nella Eist. VI 120 'los casos adversos').
NMla Comedieta medesima le 'caydas' son dette: 'los infortunios de los
humanales' Cdubdo si Ecuba sintiö mäs graveya en sus infortunios qu6
Homero ha contados', Defunssion de Don Enrique de Villena, p. 244). 'Per-
verso' nel senso di 'nefasto' poteva trovare il Santillana nel verso di Fran-
cesca: 'poich^ hai pietä del nostro mal perverso'. 'Perverser' equivaleva
nel franc. ant. a 'bouleverser', 'perversit^ a 'renversement'. Rammento i
versi di Christine de Pisan nel Livre du Chemin de long estude (ed. Püschel,
p. 3). 'Comme fortune perverse | M'ait est^ long temps adverse'; G. Chastel-
lain nel Temple de Boecace {CEuv. VII 75) ci presenta la regina d'Inghil-
terra 'soy complaignant ä moy de fortune, dure et parverse'. II Lydgate
nei Falls of Prznees (Koeppel, op. c. p. 80) chiamava il De Remediis utrius-
qu£ fortunae: trattato 'of two fortunes weleful and perverse'. Stainhövel
dava alla versione sua del De Casibus il titolo: 'Historien ... von wider-
wärtigem Glück.'
Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 409
gena), chiosando il De Providentia di Seneca, da lui tradotto,
con scarsissime reminiscence del Boccaccio e copiosi raffronti
con Valerio, Macrobio, Ovidio, Boezio, San Tommaso ed altri
saggi.* Priineggiava il Cartagena tra i sapienti del suo tempo,
accarezzato, ossequiato anche dai piü dotti d'Italia, acclamato
quäl Salomone e Seneca novello dal monarca stesso. La sua
pieta profonda, che gli fruttava il vescovato di Burgos, non gli
impediva di trar consiglio dagli scritti morali del gaudente Cer-
taldese che si bene e con cristiana, cristianissima unzione co-
priva le brame d'Epicuro in lui serpeggianti. Ancor non molto
lungi nella dignita della prelatura, *decano' di Santiago e di
Segovia, ambasciatore alla corte di Portogallo, e sollecitato, in-
torno al 1422, da Juan Alfonso de Zamora, secretario del re
di Castiglia, perche desse compimento all' opera, lasciata inter-
rotta dal D'Ayala e voltasse, *romanzasse' gli ultimi due libri
delle Caydas. Meravigliavasi lo Zamora che la traduzione di
opera si bella, di gran 'dulzor', di 'inuy hermoso tratar' fosse
rimasta un torso; 'creo', diceva del gran cancelliere, *que lo
embargo ö muerte suya ä lo iacer, ö ser el libro menguado
por do lo romanzö, ö otro algun impedimento/ e, amantissimo
delle *obras notables de los antiguos', nelle quali *oviesse articulos
de sciencia engastonados en el casco de eloquencia (versione del
De Officiis)\ davasi gran briga per pescar l'originale, irreperi-
bile in Castiglia; la copia scoverta a Barcellona eragli lassü di
poco frutto 'porque quien me lo tornase en nuestra lengua
alli hallar no pude. E despues aca en Castilla, assaz de letra-
dos dello requiriendo, no nie daban a ello remedio, diciendo
que la retorica del era muy escura para romanzar'. Dio raiseri-
cordioso, provvido sempre d'aiuto a coloro che s'adoperano 'en
algunas buenas obras', die allora opportuno suggerimento e rivelö
la perizia del dottor Alonso Garcia: 'romanzö el dicho Dean'
i libri mancanti, dalla metä del capitolo *que habla del rey
Artus de Inglaterra ... y de Morderete su hijo^, innanzi, *el
diciendo e yo escribiendo. Los cuales lo hicieron muy bien, guar-
dando su retorica, segun que por el paresce'.^ Con quest' arringa
* Ho citato questo passo dalla rarissima stampa Cinco libros de Seneca,
Sevilla 1491 (non pagin.) nelle note sul Corbaccio in Ispagna.
^ Come al Boccaccio stesse a cuore questa benedetta 'retorica', il pom-
poso modo di esporre le sue gravi sentenze h saputo. Vedi nella traduzione
castigliana del Be Casibus il cap. XIV del Lib. III (loa la poesia y la
retorica manera del hablar') ed il XIII del Lib. VI ('habla contra algunos
que dizen mal de la Rhetorica'). Alonso de Cartagena traduceva con
libertä e scioltezza maggiore del D'Ayala ed avvertiva nell'introduzione
alla Retorica di Cicerone, da lui tradotta (Men^ndez y Pelayo, Bibl. hisp.
tat. p. 574): 'ca como cada lengua tenga su manera de fablar, si el inter-
pretador sigue del todo la letra, nescesario es que la escriptura sea obscura
et pierda gran parte del dulzor'.
410 Note sulla fortuna del Boccaccio in lapagna nelFEtä Media.
proemiale * offrivasi al pubblico l'intera Cayda de principes, e la
versione, cosi allestita, senza le parafrasi, profondamente tediose,
aggiunte alla versione inglese del Lydgate, frutto d'una triade di
ingegni, scritta, come il frontespizio avvertiva, 'a loor y alabanga
de dios todo poderoso: y de la inmaculata soberana reyna del
cielo virgen sancta Maria madre suya, y en enxemplo y castigo de
todos los grandes Emperadores Reyes Seiiores y Senoras que sobre
la haz de la tierra en este circular orbe dominan: e cuyos senorios
no pueden exceder de passar por tal via como los tales sean sojuz-
gados a la mayor parte so el desordenado poder de la fortuna y
SU Rueda', davasi una prima volta alle stampe, nel 1495, quando
giä nel regno eccelso delle Spagne gli spiriti cominciavano a
disinteressarsi all'opera boccaccesca, cosi dotta e cosi morale.^
Qualche efficacia sicuramente dove esercitare il De Casibus
sui suoi traduttori, e, se al critico piü attento e meticoloso non
verrebbe fatto riscontrare l'influsso del Certaldese nelle *Cronache'
famose del grave Cancelliere, qualcosa delle invettive acerbe
del De Casibus a' potenti, sommessi a' vani e caduchi piaceri
di fortuna, puö pur scorgersi nel Rimado de Falacio, che fla-
gella le magagne, le insidie, le corruzioni e dissipazioni della
Corte. Meno agevole e seguire le traccie del De Casibus nel-
* Da me giü in parte ricordata nelle note su Dante in Ispagna. Vedi
R. de Floranes, Vida liier, d. canc. D. P. Lopez de Ayala in Colecc. d.
doGum. ined. para la hist. de Esp. XIX 457; A. de los Rios, Hist. V 118
che pur rileva il pregio del codice escurialense della versione. E singolare
come non figuri la traduzione del De Casibus nelF inventario della biblio-
teca del Re Dom Duarte, riprodotto in Braga, Hist. d. litter. portug. In-
troducQ., Porto 1870, pp. 218 sgg. Un manoscritto, proveniente dalla biblio-
teca Olivariense, Caida de Principes de Joan Bocaeio con muchos ejemplos
h citato nelVBnsayo (IV 1486) del Gallardo.
2 Fu poi edita piü volte. A Monaco potei consultare l'edizione di
Toledo 1511: 'Äqui comien^a un libro: que presento un doctor famoso de
la cibdad de Florencia: llamado Juan Bocaeio de cercaldo a un cavallero
SU amigo: que avia nombre Maginardo mariscal de la Reyna de Sicilia:
en el quäl se cusntan la^ caydas y los abaxamientos que ovieron de sus
estados en este mundo muchos nobles y grandes cavalleros, por que los hom-
bres no se ensobervecccan con los abondamientos de la fortuna.' II fronti-
spizio deiredizione princeps deli' Ungut di Sevilla, 1495, h dato dall'Hortis,
Op. lat. p. 848. Un facsimile figura nella raccolta di K. Haebler, Tipo-
grafia iberica del siglo XV. La Ha^a, Leipzig 1902. LIII. Un'edizione
del 1552: Libro llamado Cayda de Principes compmsto por el famoso varon
Jican Bocaeio de Certaldo, florentino h alla Palatina di Vienna. Alle stampe
posteriori alludono gli scellerati versi della litania, posta in fronte al Pefe-
Sino eurioso y grandexas de Espana del Villalba {Socied. d. bibl. espan.
adrid 1886, p. QQ):
No trato por no dar en la fortuna
de Caida de principes famosos;
ä Bocaeio entre faltas ponen una,
que bien muestra scr tacha de tramposos,
que pues ellos topetan como bueyes,
no aprovechö avisar 61 ä Reyes.
Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nelFEtä Media. 411
l'opere latine, negli scritti storici, filosofici, religiosi e moralizzanti
del Cartagena, ignoti, o sepolti ancora piü che per metä, e dal-
r inesorabil tempo e dall' incuria degli uomini in parte distrutti. E
vaghissimo il ricordo delle Caydas nelF Änacephaleosis (Schott,
Hisp. illust. I, 246 sgg.), dove pure, a specchio salutare della
vita, a infondere abborrimento delle larve terrene e amore alla
virtü, s'infilzano, racimolati dalle storie di monarchi e di prenci,
esempi di casi umani sciagurati e prosperi. Le ammonizioni gravi
del novelliere moralista echeggian forse in quel Tratado de la
Virtud che, occulto a tutti, riposa tra le rovine dell'Escorial.*
Le compilazioni storiche del Boccaccio, *doctor famoso' e
venerato (*el maestro' lo chiama piü volle il D'Ayala nella nota
versione), servivano, nel '400, anche fuori d'Italia, quanto le
enciclopedie, i dizionari, i manuali d'oggidi; vi si pescavano,
come nel Valerio, nomi di chiari uomini e di chiare donne,
definizioni, fatti storici, esempi mitologici. ßenche voluminöse,
erano un comodo 'vademecum' agli studiosi. Con poca fatica
s'aveva modo di figurare tra i dotti, perduti e immersi nel
mondo antico, l'Eldorado de'saggi; si allineavano con esse, pron-
tamente, nelle prose e ne' versi, schiere di nomi illustri. Tra i
primi ad attingere al De Casibus figura il Villena, traduttore
di Virgilio e di Dante, che non si perita di citare il Boccaccio
colla Bibbia ed i Santi Padri.^ A lenire il dolore e gli affanni
deir amico Juan Fernandez de Valera, a conforto degli uomini
tutti, ne' triboli della vita, scrive, con dottrina affastellata e remi-
niscenze soverchie del trattato di Arrigo di Settimello, goffamente
calcato sul De Consolatione di Boezio, una sua Consolatoria o
Tratado de la Consolacion; dai casi degli illustri, oppressi dalla
sventura, voleva s'apprendesse a tollerare le sciagure ed a far
fronte ad ogni rovescio di fortuna.
Drizzate all' alto gli occhi che vagan quaggiü fra le tenebre
e le follie del mondo; le pompe precipitano; i regni si disfano,
ne piü che sogno od ombra e la vita; tutto posa in grembo a
Dio. La morale de' Trionfi petrarcheschi, diffusi giä in Ispagna,
* S'fe fantasticato parecchio di un Libro de las ilustres mugeres, scritto
dair illustre vescovo dietro resempio del Boccaccio. Ho espresso altrove i
miei dubbi sull' opportunitä di questa attribuzione, ma vorrei pure che
uno Studioso di lena raccogliesse gli scritti sparsi, i trattati, le epistole del
Cartagena, e si sobbarcasse ad ardue ricerche d'archivi, per tessere una
monografia sul grand'uomo, caro ai' dotti d'Italia e guida sicura ed esperta
agli umanisti della Spagna rinascente.
* A volte anche il Petrarca h citato. Vedi E. Cotarelo, Don Enrique
de Villena, Madrid 189i;, p. 69, e le mie note sul Petrarca in Ispagna p. 9
dell' estratto. Se meno f rettolosamente e superficialraente avessi letto, anni
or sono, i trattati del Villena, inaccessibili ormai, in parte, nelle mie solitudini,
con maggior sicurezza, con confronti veri e non vaghi, con utilitä ma^giore
pei nostri poveri studi, avrei potuto studiarvi l'inilusso del Boccaccio.
412 Note suUa fortuna del Boccaccio in Ispagna nelPEtä Media.
neir ultimo scorcio del '300, appare raftbrzata dalla morale del
De Casihus. Le esortazioni a mutar vita e costumi, a lasciar
la terra per il cielo, piovono nelle terre di Castiglia, anche un
po' dietro le esortazioni ed il gran memento gridati dal Petrarca
e dal Boccaccio. Con un 'Deum summa veneratione colite, et
integro corde diligite, sequimini sapientiam, et virtutes apprehen-
dite', ponevasi l'ultima volta al tempio delle sciagure degli il-
lustri.^ Medesimamente Gonzalo Martinez de Medina chiüdeva
un suo *degir' sohre la justicia et jpleitos de la grand vanidad
de este mundo, anteriore di qualche anno alla versione del De
Casihus^ compiuta dal Cartagena, coi versi: 'Catad, que ante
Dios non ay poderoso, | Que todo se juzga por alta potencia. \
Abrid bien las puertas de vuestra conciencia, j Amat la justicia,
verdad et derecho . . . | Desde Lucifer fasta el papa Juan | Po-
dedes leer extrannas caydas, | Segund las estorias vos lo con-
taran | Et por Juan Boccacio vos son repetidas | ... Por ende
emendad en las vuestras vidas.'^ E il 'degir', che dal poema
petrarchesco dell' etä cadente qualche ispirazione deve pure aver
tratto, procede accogliendo bibliche e boccaccesche sentenze;
ricorda il salmo de David; ammonisce fuggir le glorie mondäne,
durevoli 'asy commo viento'.^ Nulla e stabile nella vita 'esquiva,
enganosa'; nessun piacere ha compimento. Si vider giammai nel
mondo *omnes abondantes | De onrras e vicios e muy alto estado |
* Rammento qui la chiusa castigliana delle Caydas (ediz. di Toledo
1511, p. CXXVII): 'Por ende tomando exemplo en las caydas agenas:
mirad y ved en quanto peligro estades puestos; y aprended a poner ter-
mino a las cosas, dexando avaricia y luxuria y saiia y vana gloria y am-
bicion : y menbrando vos en tanto que tenedes ensanchadas las voluntades
con alegria. . . . E por alguna manera deste juego por instabilidad y mo-
bilidad de la fortuna no seades engaüados: esto lincad en vuestros cora-
gones: que quantas vezes paresce estar seguro el estado de los hombres
tantas vezes a los mezquinos de los hombres que lo creen son paradas
asechangas. E quanto mas vos paresciere que sodes traspasados en las
estrellas y dignidades altas: tanto en mayor cuydado finque vuestro desseo
en humilde lugar: porque en vuestro ensalgamiento ayades con que vos
alegredes: y en la cayda no ayades cosa porque vos contristar. E adorad
a Dios en soberana honrra y amalde con entera aficion y seguid la sabi-
duria 1 y tened en acatamiento las virtudes. Honrrad a los dignos, guar-
dad los amigos con soberana fe. ... E si acaesciere que fueredes derriba-
dos: parezca que no es fecho por vuestra maldad | mas por la sobervia
de la fortuna que todas las cosas trastorna y rebuelve.'
^ ElCancionero de Juan Alfonso de Baena, Madrid 1851, p. 380. Dagli
accenni ad avvenimenti contemporanei nel 'deyir', A. de los ßios, Hist
V 317 conchiudeva, ragionevolmente, che 'Gonzalo de Medina se referia aqui
al original latino de Boccaccio'. Dovevagli esser nota tuttavia la fram-
mentaria versione del d'Ayala, alla quäle indubbiaraente ci riconduce il
nome 'caydas'. 'Aun que yo me calle de dezir de aquella yrreparable cayda de
aquel Luzifer . . . el primero soberbio' {Cayda de Princ. Lib. I, cap. V, f. V).
^ 'E assi como fumo e sombra las nobles costumbres e floresciente juven-
tud . . . pasara' {Tragedia di D. Pedro de Portugal, Homen. Menendex 1 731).
Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna uell'Etä Media. 413
... en un ser estantes, | Nin aver un solo plaser acabado ?'
Considerate come ogni potenza e grandezza *en polvo e cenisa
del todo' si dissolve, come passano i beni di fortuna e sen va
la *rugiada' della vana gloria 'asi commo sueno e cosa muy
vana. | ... E de todo ello nou finca memoria.'
Segue un arido elenco di nomi d'illustri (tolto solo in parte
al De Casihus) *todos los ... que en los libros leo', corteggio
lugubre di tramontati e precipitati, spogli di potere, di fama e
d'impero. Cosi, a tutti i potenti, fortuna 'aministra sus casos'.
'Catad las sobervias atan ensal^adas | Quel universo conquerir
quisyeron | E cuan de ligero por sy se cayeron.' E il memento
a' piaceri fallaci si ripete in altro anologo 'degir' (scritto 'cuando
estava en privanga de Juan Furtado de Mendoza') pur grave,
pur ispirato al Boccaccio.^ Gira e rigira instancabile la ruota
di fortuna; si veggon trascinare miseramente al basso magna-
nimi e prodi, salire all' alto i malvagi, prima che la divina
giustizia si compia. *Estranas', capricciose son l'opere della
volubil Dea; *en pocas jornadas | Muda, trasmuda todo lo umano'.
Ce lo mostran luminosamente le *istorias, antiguas fasanas | De
los que pasaron'. Tra siifatte storie, un posto cospicuo doveva
tenere nel concetto di Gonzalo de Medina il De Casihus, peroc-
che da esso e tratta la sfilata degli illustri infelici che da Adamo
e Nembrotte ci conduce al *gran Papa Juan'. Dai trionfi e le
conquiste si passa alla sciagurata morte di Annibale, di Scipione,
Cesare, Pompeo.^ E gli uomini non par s'avvedano della miseria
loro, della corruttibilitä e inanitä di ogni cosa, del frangersi
inesorabile d'ogni grandezza. *E la perfecgion de Dios se le
olvida.' II pensiero ascetico traeva alimento dall' esperienza
antica, da' fatti memorandi, registrati nelle morali e storiche
compilazioni.^
Un legger ricordo alle Caydas e pure nell' opere di Fernen
Perez de Guzmän, nipote del D'Ayala e zio del Santillana,
esperto e meditabondo scrutatore degli umani destini, *cavallero
doto en toda buena dotrina', che delle massime sagge del suo
* Carte, de Baena, pp. 387 sgg.
^ Scrive il Boccaccio p. es. ai Pompeo (Lib. VI, cap. 9): 'Laceratum
corpus, et truncus nudarum factus ludibrium, noctu, ignique modico ab
homine unico semiustus, et harenis contectus', e Gongalo Martinez de Me-
dina (Canc. de Baena, p. 389): *Fue de Julio Cesar en campo vencido | E
SU noble cuerpo en la mar fundido | E la su cabe§a cortö una vil gente*.
^ Per gran tempo la Francia pascevasi pure degli insegnamenti morali
e ascetici del Boccaccio. Ancora nei primi anni del '500 Jean d'Auton
segnalava nelle sue 'Cronache' la conquista di Milano con un ricordo al
Boccaccio, e, sul ritornello: 'Gloire mondaine est fragille et caducque', rica-
mava questi poveri versi: 'Sy mon dire nul en doubte revocque | Bocace
et autres en ont bien trect^, jucque | A suffyre, en prose et equivocque.'
Chroniques de Louis XII par Jean d^Auton p. R. d. Maulde La Clavifere,
Paris 1889, I 283.
414 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna neH'Etä Media.
saviissimo parente faceva tesoro e pensava doverglisi tributar
gratitudine anche perche *por causa del son conocidos algunos
libros que antes no lo eran, ans! como el Tito Livio, las Caidas
de los Principes' {Generaciones y Semhlanzas, cap. VII). Nel
memento in rima: *Tu hombre que estas leyendo'* grida il suo;
'Perirete, tornerete cenere e polvere,' commosso nel cuore. Le
letture e lo studio delle 'escrituras provadas', degli zibaldoni di
Valerio e del Boccaccio, massimamente, gli riempivan il capo di
gran nomi dell' auree etä tramontate, che si seguono ed in-
seguono nel suo 'sinple deytado', a significare il gran Vanitas
vanitatum', lo sfacelo a cui tutti soggiacciono: Pompeo, Ales-
sandro, Ettore, Achille, Ulisse, Annibale, Scipione, gentiluomini
e gentildonne, *onbres nobles, esforgados', *duenas de linda
apostura', donne che *tan amorosas fueron, | Todas tristes pade-
gieron | Esta espantosa pena'. NuUa e stabile che non riposi
in Dio.
11 trattato morale del Boccaccio mostrava con particolare
compiacimento, fondendo e rifondendo concetti tolti da Boezio,
come Fortuna reggesse capricciosa e insensata i beni mondani,
prendendosi giuoco degli uomini che stolti l'invocavano, maggior
fiducia riponendo nel poter suo bizzarro e fallace, che nel poter
di Dio, piü devoti al fato, che alla Provvidenza. II dibattito fra
la Fortuna e la Povertä dava vita e figura alle idee astratte, e
s'imprimeva nella mente, ancor piü delle tirate gonfie di storica
dottrina, e de' gravi sermoni. Ricorreva ad esso Alfonso Martinez
de Toledo per solennemente coronare Fopera sua, nota a'posteri
col titolo Reprohacion del amor mundano (con minor proprietä
ancora chiamata Corvacho), mostrando la follia degli uomini, che il
libero arbitrio, la ragione, l'anima sommettono ai pianeti c al fato.^
* Canc. de Baena, p. 632.
^ Sorprende in venia come nessuno ancora abbia badato a questo in-
gente prestito fatto al De Gasibus nell'opera dell'arciprete di Talavera,
compiuta nel 1438 (or riprodotta nella nitida ristampa della Soeied. de
Bibl. Espan., Madrid 1901, per cura dell' amico mio Perez Pastor), novella
prova della superficialitä estrema colla quäle si suol discorrere e scrivere
degli influssi stranieri sulla letteratura di Castiglia antica e moderaa. N^
rarciprete pretendeva in modo alcuno occultare la sua fönte, come prima
di lui soleva fare il Metge in Catalogna. (Lib. III, cap. II, p. 284:) 'Otra
razon te dir^, la quäl Juan Boca9io prosygne, de la aual pone un enxemplo
tal. Dize que el, estando en Napoles oyendo un aia liyion de un grand
natural filosofo maestro que ally tenia escuela de estrologia, el quäl avia
nombre Andalo de Nigro, de Genova gibdadano, leyendo la materia que
los fielos en sus movimientos fazen e de los cursos de las planetas e sus
ynfluen§ias, dixo esta razon : non deve poner culpa a las estrellas, sygnos
e planetas, quando el causador busca su desaventura e es causador de su
mal ('Non deven poner culpa a las estrellas: quando el cuydado procuro
y busco su desaventura' Caydas Lib. III, cap. IT, f. XXXIII. De la dis-
putaeion y contienda que ovieron la fortuna y la pobrexa segund eljmasstro
da testimonio de lo que vio), e pone un enxemplo para provan9a desta
Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 415
Non solo l'arciprete trasfonde nell' opera sua il Certamen boc-
caccesco, *el quäl queriendolo entender alegoricamente tiene en
sy mucha moraldad, quien en el byen pensare, aunque a prima
razon ec.' Sembra che avesse innanzi l'originale latino
la versione castigliana (Anche il Petrarca era citato a
latino). Or veggasi, dall'esordio del Certamen, come
testo del Boccaccio, ampliandolo, trasformandolo.
Ärciprete, p. 285: Boccaccio, De Casi-
Dize que la Pobreza un dia 6«^,ed.AugU8tal544,
estava muy triste e como traba-
jada, pensativa e muy dolorida
e muy flaca, en solo los huesos
e la pelleja, negra, fea, magra e
llena toda de sarna, los ojos so-
midos, los dientes reganando, su
sania rascando, la pelleja cortida
e arrugada, muy espantable e
fiera. E estava echada al sol
en encuentro de tres caminos,
faziendo al rascar jestos estranos
e feas continen9ia8, sus cejas
abaxadas como de persona que
estä comidiendo en algund grand
pensamiento. E la Pobreza asy
estando, he vos aqui donde viene
por el Camino adelante la For-
tuna, muy poderosa, de edad
de treynta anos, muy lo(jana e
valiente, riendo e cantando con
mucha alegria, en somo de un
caballo muy grueso e fermoso, vna
guinialda de ilores en la cabe^a,
muy cenida por el cuerpo e fres-
camente arreada segund la gala
del mundo. E como llegase a la
vista de la Pobreza, su cavallo
comenijo de tornar atras e co-
men9Ö a dar muy fuertes ron-
quidos por quanto vido la Pobreza
yazer muy fea e desfigurada, que
pare89ia a la muerte propia que
enton^e del sepulcro salia. E des-
que la Fortuna la vido, diö de
las espuelas al cavallo e como a
forQado fizole a ella Uegar, e la
Fortuna comenco a sonreyrse a
manera de escarnio. Pero la Po-
breza, quando la vido, con grand
aeso e mansedumbre al^o sus ojos
en alte e comen<jo de mirar la
pompa e lo^ania e locura e vana-
gloria, la jactancia e orgullo que
la Fortuna consygo tenia, .e en
manera muy suave, a guisa de
persona entendida e an9iana, la
p. 61.
Sedebat forsan in tri-
vio Paupertas amicta
centaculo, et obducto
supercilio, et secum(ut
moris est) revolvebat
plurima. Eo ferente
casu, Fortuna superbo
fasto, et numine pleno
transiens, oculos iniecit
in eam. Ad versus quam
ridentem, atque prae-
tereuntem Paupertas,
nullis ferfe onusta laci-
nijs surrexit, et acri
vultu inquit. Quid
Stolida rides? cui for-
tuna, miror te ipsam
macie obsitam, strabo-
sam, 8cabiosam,pallen-
tem, palliastro tenui,
semesisque vestibus se-
mitectam, amicitias fu-
gantem, ac canes quo-
cüque iuerls excitan-
tem, et nö urgente
extremitatis tuae vere-
cundia, in solitudine
residentem. His irri-
tata Paupertas , vix
manus continuit, dixit-
que: Ecce, si insipida
arbitraris, quasi dea
sis, ut stolidi credidere,
te quide agente, sie
ferme. Non equidem,
quinimo me volente
sinamus haec: cum tibi
Sit plena, moUisque
cutis, roseus color, ac
purpurea vestis, et an-
elllarum longior ordo.
Vis ne mecum in pa-
lestra certare viribus?
del De Casibtis, non
preferenza nel testo
l'arciprete svolge il
Caydas, Lib. III,
cap. II, f. XXXIII.
Assi fue : que la po-
breza estava assentada
en un lugar donde se
ayuntavan tres cami-
nos, vestida de una piel
de oveja y abaxada la
sobreceja: segund que
los ombres: lo acos-
tumbran quando pien-
san en algunas cosas
senaladamente graves.
E assi acaescio que en
aquel passo que la po-
breza assi estava: ptfe-
sava la fortuna con
gesto muy sobervio
toda llena de orgullo
y la pobreza desnuda
sin carga de ropa con
gesto triste y amargo .
y la fortuna comen^ose
de reyr . y la pobreza
le dixo . o loca sin
seso querria yo saber
de ti: de que te ries.
entonces respondio la
fortuna . digote pobre-
za: que esto pensando
y considerando como
estas magra y sarnosa
y amarilla, cubie[r]ta
de viles ropas todas
rasgadas: y assi apar-
tada de toda buena
amistad : y veote la-
drada de todos los
canes : que contigo en-
cuentran y agora estas :
perdida toda verguen-
9a . y creo que en ti
no la ha . Por ende
yo te pregunto que me
digas la cabsa porque
estas assi sola y raez-
quina con tu pobreza
que sufifres . y la po-
416 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna neU'Etä Media.
vista paresca patrana de vieja', ma lo dilata e allunga con in-
venzioni e ragionamenti propri, v'aggiunge nuovi detti mordaci,
nuove sentenze e provverbi (*las paredes ä las oras oyen e orejas
tienenV ecc.) frizzi contro le donne e i preti.^ Di un cenno si
foggia intere scene, sempre con inesauribil vena. Ne la loquacita
sovrabbondevole delle due contendenti, che s'ingiuriano e si bat-
tono, riesce a stancarci e ad infastidire, tanto e vivace, brioso,
breza con estas pala-
bras que la fortuna le
dixo fue muy sanuda
en tanto grado que
apenas pudo tener las
manos quedas . y tor-
nando a su humildad y
paciencia respondiole:
diciendole assi . O loca
como hablas tu pre-
suntuosamente pensan-
do que tu seas una
grand diosa : y las co-
sas presumes que tu las
ordenas : segund que
algunos locos lo creen
y tienen . y sey bien
cierta que esto non es
ni viene porque tu as
poder de lo fazer, mas
es por culpa del que
padece asi como yo .
Mas dexemos agora de
fablar en estas cosas .
y pues tu estas rica y
bien andante teniendo
tu rostro hermoso de
color de rosas . y tus
vestiduras de purpuras
de oro, muy aeompana-
da de donzellas que te
sirven: y otras com-
paiias asaz . Mas si a
ti pluyesse entrar co-
migo en un campo cer-
rado y provar tus fuer-
^as con las mias : yo
te aria conoscer la
virtud de mi cödicion.
Anche le lodi impartite alla povertä, in altra parte del trattato (Lib. I,
-cap. XVI, f. XVII della trad. cast.), sono messe a profitto dall' arciprete.
* E pure fra i Proverhios del Santillana: 'que en tal caso las paredes
han oydo' [Obras, 38) e nel Tirant lo Blanch (cap. CXLVII ed. Bib. catal):
'no saben que moltes voltes les parets tenen Grelles'.
* Giä discretamente frustati nel Lib. I, cap. XXIX: 'Pues sy fabla-
mos de frayres e abades, en este caso non digo nada, que animales son
de rapina, que quando non tienen de suyo acorrense de su vezino.'
Pobreza dixo asy : amiga ^ de que'
te ries? que plazer veas de ty!
^rieste de mi, en que me vees
fea e desdonada, sola e apartada
de los plazeres del mundo, echada
entre estos tres caminos ? Kespon-
dio la Fortuna: Pobreza, mucho
me maravillo de ti, ^e non me
devo reyr consyderando tu jesto
e presen9ia, fea, negra, mal vestida,
cubierta de mucha sarna, huesos
toda e pellejo, apartada de todo
byen, alexada de plazeres, acom-
panada de tristeza, complida de
yensamientos, llena toda de do-
lores? Dizes que non me ria:
sy reyre por buena fe: ^quien
sera, el que non riese sy tu do-
nayre viese? Mirate k un espejo
antes que respondas, e veräs
quien, como e quäl estas. En-
tonce la Pobreza, non moviendo
su cora^on a yra, dixo: dime,
amiga, ^ quien eres tu? Dixo la
Fortuna: yo so la alta Fortuna,
que fago e desfago, mando e
viedo; todas las cosas a mi regi-
miento son.
Note sulla fortiina del Boccaccio in Ispagna neli'Etä Media. 417
salato lo Stile dell' argutissimo autore. Prima di azzuffarsi, For-
tuna e Povertä vuotano un gran sacco di contumelie, e, laddove il
Boccaccio asciuttamente descrive la rissa e ci prcsenta in seguito
Madonna Povertä vittoriosa e trionfante su Madonna Fortuna,
il Talavera ci da un torneo in piena regola, con finte e assalti
parecchi e grandi colpi e grandi scosse. La Povertä, che ha
air uopo sante parole in bocca, e cita Valerio e Catone e Salo-
mone e i Salmi di David ^ ha ancor modo di addentare la rivale,
simulatrice, *dona falsa, mala', di malizia gravida e coperta:
'non te pienses espantarme con tus gestos bravos de leon a
manera de ytahanos, genoveses o lombardos'. La vittoria e poi
altamente gridata, e la Fortuna pesta, umiliata, contrita e messa
in ceppi; la Povertä pellegrina oltre a Bologna.
II Certamen non e solo ad agire suU' immaginazione del
salace, vivacissirao scrittore. La dottrina morale del De Casi-
bus e specchiata qua e la nel trattato, che riprova e sferza
l'amor mondano, il 'loco y vano amor',2 la *mala e desordenada
cobdigia' (p. 59) ;3 e quegli illustri, *los mäs fuertes del mundo,
gigantes e poderosos, papas, emperadores e reyes', che la For-
tuna si vanta di aver abbattuti (p. 298): *David e Dario el fa-
moso,' *Alexandre, que del universo mundo fue senor,' *Sanson
e Golias,' *el grand emperador virtuoso Pompeyo,' 'Julio Cesar,
el syngular conquistador e emperador,' il 'grand Membroc,
gigante que fizo la torre de Babilonia', *Teseo, rey de Atenas,'
il *gran Priamo, rey de los troyanos', il *grande Roboan, rey
de los judios', 'la grande reyna Dido, reyna de Cartago', il
'fuerte Sedechias, rey de Iherusalem', il *sobervio Tarquino,
fijo del Tarquino emperador romano', *Antioco, rey de Per-
sia e de Asia', il *famoso Anibal, senor de Cartago', il 'grande
Marco Tulio Qigero', il *grande Herodes, rey de los judios', il
'grande emperador Nero', il 'varonil emperador Qesar Augusto',
'Valerio, de Roma emperador,' il 'grande Dioclegiano, empera-
dor', 'Maximiano,' 'Juliano Apöstata,' 'Galero, emperadores de
Roma,' T'emperador Constantyno romano', 'Andronico, empera-
dor de Constantinopla; Diogenis emperador romano,' 'Radugayso
rey de los godos' ('Rodaygasso' nella versione del De Casibus,
Lib. VIII, cap. XI, f. CVII) avevan tutti la loro storia di
sciagure, di grandezze e miserie nella storica compilazione del
* In una lunga enumerazione di dottori e poeti e maestri, uscita di
bocca alla Fortuna (p. 299), il Boccaccio ('Bocazyo') appare tra Seneca e
Ovidio; in altre stampe, tra Livio e Orazio (p. 'M)0).
'^ Contrapposto sempre dagli scrittori del Medio Evo di Spagna al
*buen amor'. Santillana, Proverb. {Obras, 42) 'E ressiste en mogedat | AI
loco amor*.
' 'O ciega codicia y desordenada de aquellos a los quales: por el don
de dios era dado senorio {Caydas, Lib. I, cap. II, f. III). Vedi inoltre
il cap. XXIII del Lib. I que habla de la desordenada cobdicia.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 27
418 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
Boccaccio. Di suo l'arciprete non aggiungeva che; "los doze
pares de Frangia, 'el animoso Godofre de Bullon', 'Tristan de
Leonis e Langarote del Lago', e L'ingalego (?) rey de Napoles",
se pur quest' ultimo non e da identificarsi, com' io suppongo, con
Ladislao, re d'Ungheria.^
Sul *non incusanda sydera sunt, cum sibi infortunium quae
sierit oppressus', il Talavera ricama parecchie morali considera-
zioni; inneggia al libero arbitrio, con piii calore e convincimento
assai che non faccia il Boccaccio, e forse l'arciprete di Spagna
ignorava come il suo dottor fiorentino un po' di fede prestasse
alle chimere astrologiche e si professasse grato al 'generoso e
venerabil vegliardo' genovese, autore dell' Introductio ad judicia
astrologica, per le nozioni avute sul moto e la virtü delle stelle.^
Quando mai ebber potere sulle vicende umane: *fortuna, fado
nin Ventura, que una cosa son', e questo, o quest' altro pianeta,
non fila ogouno il suo proprio destino? Non si faccia ingiuria
al franco e libero arbitrio, all' umana libertä, plaudendo all' il-
lusoria e derisoria scienza degli astri (p. 319): 'ei que dexa a Dios
e SU Santo nombre e poderio, e se somete a fados e planetas,
que sy fadas malas le vinieren por su culpa obrando, se les tenga'.^
* Le stampe danno (p. 299) 'Lanfalao'. Anche re 'Cesar de Bretana'
(p. 298) m'fe sospetto; evidentemente volevasi alludere a re Arturo.
^ *Arte da solennissimi ingegni' chiama il Boccaccio l'astrologia nella
Fiammetta (cap. III). S'ebbe poi il lieto e faceto novellatore, col volger
del tempo, quella fama di mago che ad altri molti giudiziosissimi scrittori
non fu risparmiata dal volgo immaginoso. Vedi un opuscoletto nnziale
di 0. Bacci, Burle e arti 7nagiche di Oiovanni Boccaccio. Castelfiorentino
1904. Sulle credenze astrologiche del Boccaccio ^ notevole sempre quanto
osserva il Graf, Fu superstixioso il Boccaccio? in Miti, legg. e superst. d.
Med. Ero II, 173 sg.
^ L'arciprete parrebbe nutrito della Somma di San Tommaso, che non
cita. La vivace difesa del libero volere, di fronte al vantato poter delle
stelle, ci rammen ta il sermone'di Marco Lombardo nel Purgatorio dantesco
(canto XVI), sul quäle, vedi C. Galanti, 11 libero arbitrio secondo la mente
del divino poeta in Alighieri II, 362 sgg. e G. Zoppi, // determinismo e il
libero arbitrio in Dante. Verona 1902. — Curiosa assai ^ la tirata sul
libero arbitrio, o franco volere, capace di combattere l'influsso delle costel-
lazioni sul destino degli uomini, nel frammento La Fiction du Hon di
Eustache Deschamps, anteriore di mezzo secolo al libro del Talavera
{Oeuvres de E. D. publ. p. G. Raynaud in Soc. de anc. textes, Paris 1903,
XI 159 sgg.) Ricordo un capitolo De predestinacio e de franch arbitre del
Ldbre de les Maravelles del Mon \LN1YL) di Ramon Lull ed un curioso dis-
corso che Tirant fa a Plaerdemavida nel Tirant lo Blanch (cap. CCCLXI.
vol. IV, p. 121 dell'ediz. nella Bibl. eatal.): 'Mas lo franch arbitre, regit e
reglat ab saviesa per les potencies intellectuals, com no sia sotmes a les
costillacions dels cossos celestials, refrena les vanes e foUes cogitacions e
fantasies de les nostres penses, e ab prudencia senyoreja les adversitats de
la trista fortuna.' — Ho cercato invano, con altri trattati del primo Quat-
trocento, il Tratado del caso y fortuna, compilato per desiderio espresso del
re D. Juan II, dalla sua 'humilde fechura' il domenicano Lope de Bar-
rientos (Nie. Ant. Bib, Vet. II 295), professore un tempo di teologia a
Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 419
II De Casibus offriva, inoltre, all' arciprete di Talavera il
capitoletto In mulieres (Lib. I, cap. 18), un Corbaccio in minia-
tura, dove, a beneficio degli uomini, incamminati all' eterna salute,
ed a frenare i disonesti appetiti, si discorre delle malizie e degli
inganni perfidi delle nemicbe di Dio. E innegabile che a Eutrire
le diatribe contro le donne nella Reprobaciön del mondano
amore contribuirono, oltre le accuse lanciate in lingua volgare
nel libello famoso, quelle, pur pungenti, all' *animal amarissimum'
del trattato latino. II cenno a Sansone 'deceptus, tonsus, orba-
tus, atque detensus in gremio adamatae puellae, eiusque fraude
ab hostibus suis captus ... et puerorum etiam factus ludibrium'
puö aver suggerito il racconto della frode di Dalila (Lib^ II,
cap. VI, p. 149), e qualcosa de'trovati femminili per correggere
la natura: il rendersi con acque i capelli piü lucenti che il sole,
il farsi la ironte ampia e spaziosa, levandone e cavandone i peli,
il togliersi i peli col vetro, non petendo altrimenti, l'acconciar
coUe forbici le ciglia raggiunte e folte, riducendole in sottilis-
simi archi, il render bianchi con le polveri i denti neri, e i
caduti riprodurre coli' avoiio, passö, coli' arti svelate nel Cor-
baccio, nella satira, or gioviale, or mordace dell'arciprete.^
Salamanca, vescovo di Segovia, poi di Avila e di Cuenca, nfe posso dire se
offra derivazioni dal De Casibtis, o sia ispirato dal De fato et fortuna di
Coluccio Salutati. II Baist, Orundrifs II/II, 413 vagamente lo chiama:
'Untersuchungen über höhere Probleme, als sie sonst in der Vulgär-
sprache behandelt werden.' — Un capitolo di certo florilegio di sentenze
morali, estratto da vari autori : Setenario 6 tratado de las siete partidas
morales, pure del '4('0, manoscritto tuttavia, ch'io veggo citato dal Gal-
lardo, Ens. I 11-^3, 'traeta e dize que cosa es fortuna e que coaa es caso
e de otras buenas costumbres de que los omnes deven usar assi commo
de vertud'. Recherä traccie del De Casibus?
' A compimento di quanto, altrove, osservai suU'influsso del Corbaccio
neir opera dell' arciprete di Talavera, a proposito delle 'aguas para afeytar',
'para estirar el cuero' ecc. ed il modo ai foggiarsi (p. 185) 'las yejas byen
peladas, altas, puestas en arco, los ojos alcoholados, la freute toda pelada
y aun toda la cara, grandes e chicos pelos, con pelada de pez ... los
dientes anozegados o fregados con mambre' ecc, tengasi ancor presente
l'esordio del capitolo boccaccesco : qu^ habla como las müderes se apostavan
en aquel tiempo nelle Caydas (Lib. I, cap. XVIII, f. 8). 'Y las que veen
que tienen los cabellos negros luego los tornan ruvios con aguas que sahen
hazer: y aun quando quieren con otros artificios que sahen los hazen
Crespos y ensortijados. Y si la freute es pequena tirandole los cabellos se
alargan. Y si las sobre cejas son juntas con unas tenazuelas tirando ca-
bellos los parten y tornan en la delgadeza que quieren, y si ruvias | o
negras las quieren tales las hazen | y si en los dientes tienen mengua al-
guna de marfil los anaden: y si son araarillos o negros con unas gomas:
o especias los tornan blancos . y a mayor abondamiento con vedrio sotil
los cabellos del rostro tiran que no se atreven con navaja por no acres-
centar otro dano peor . E la grosura del rostro ellas las sahen bien adel-
gazar rayendola. Y otrosi si tienen rostro amarillo | o descolorado con
sus artes que azen | luego le dan color y destas tales maneras se com-
ponen y afeytan | y aquellas que tu primero diras que eran feas juzgaras
27*
420 Note ßuUa fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
Piacque ad altri monsignori e teologi, vissuti sotto il lungo
regno di D. Juan II, il Certamen del De Casibus. Fra Martin
de Cordova, 'en theologia maestro', servo devoto di Don Alvaro
de Luna, uscito appena da 'una grave enfermedad', piocacciatasi
*cuando venia de Francia', mette insieme un suo Compendio
de la Fortuna, o trattato De prospera y adversa fortuna:^
*asi natural como practico e moral'; cava sentenze da Aristotile,
Boezio, Seneca, Livio, e dedica un capitolo dell' operetta sua,
dimenticata ormai, e inedita, ch'io sappia, (Lib. II, cap. III) alla
descrizione o pittura della 'Fortuna^ e della 'Pobreza^ *segund
Francisco Petrarca e Juan Bocatio'.^
E notissima l'ammirazione del Marchese di Santillana per
le stelle maggiori fiorentine che, a tratti, qualche bagliore di
luce mandavano sulle contristate e travagliate terre di Castiglia;
nota e la glorificazione del Boccaccio nella Comedieta de Ponga,
dove il grand'uomo, raccoglitore ed epositore dei casi e delle
sciagure umane, appare in persona, di verde alloro coronato,
mosso dai lamenti, dalla *fabla llorosa', a consolare e fortificare
le afflitte, illustri regine, Donna Leonora in particolar modo, la
quäle, alle Caydas memorande, aggiunge il racconto del proprio
lacrimevol infortunio,^del capitombolar suo, dallo stato felice alla
miseria profonda.^ E per original Capriccio, o dietro suggeri-
mento della Cow-edieta del Marchese, la cui *volante fama^ al
dire di Juan de Mena {Prohemio alla Corona cion), *con alas de
ligereza, que son glorias de buenas nuevas, encabalgö los gal-
licos Alpes, e discurrio hasta la frigiana tierra^ che Georges
Chastellain desta dal sonno d'oltretomba e fa risorgere in un
que Venus no pudo ser mas hermosa. Pues si yo quiero anadir por
quantas maneras los cabellos rubios componen mucho me deternia.'
* Con questo secondo titolo, che rammenta il De Remediis utriusqtie
fortunae del Petrarca, lo cita Nicol. Ant. Bibl. Vet. II 306.
^Di questo Compendio de la Fortuna che evidentemente riproduce il
Certamen Fortunae et Paupertaiis del Boccaccio, offre una sommaria de-
scrizione il Gallardo, Ens. II 569. — Fa specie che alla dottrina racimolata
da'Santi Padri e da' dottissimi uomini d'ogni nazione, nelle Senteneias mo-
rales (pur vi figura Brunetto Latini), assai lette e diffuse nella Catalogna
del '400 {Colecc. de docum. inedit. del Arch. gener. de la Cor. de Arag.
t. XIII), non s'aggiunga verun ricordo ai trattati del Petrarca e del Boc-
caccio, gustati assai al Settentrione della Penisola. AI Metge, che allegra-
mente furava dal Corbaccio, era pur noto il De Casibus, ed ^ della famiglia
degli illustri infelici, evocati dal Boccaccio, lo spirito del monarca apparso
nel Somnif in quella camera 'la quäl es testimoni de les mies cogitations'
('clamoribus cubiculum meum omne compleverant', De Cas.). Nella Catalogna
tuttavia, fertile assai di traduzioni di opere latine e volgari, non trovo
traccie di una traduzione del De Casibus.
^ Neil' eloquio italiano del Boccaccio, barbaramente riprodotto in ogni
stampa, h palese il ricordo al principio della Fiorita di Armannino : 'lo son
Fiorita di molti colori, | Mostrarmi vegno per darmi diletto, | Poi che
volete vedere il mio aspetto.'
Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Eta Media. 421
suo *Tempio' il Certaldese, grande e nobile 'reciteur des fortunes
du monde et des tristes malheureuses matieres collecteur veri-
table^ 'docteur de patience en adversite/ perche ad una deso-
lata regina, cui pugna in cuore il travaglio di 'fortune dure et
parverse', porga alleviamento, e vegga, in misteriosa visione, come
un seguito de^suoi casi degli illustri, nuovi esempi del capo-
volgersi precipitoso d'ogni gloria mondana?' Non oserei pro-
nunciare un giudizio reciso. Fu grande in ogni tempo nel
Chastellain l'amore per il Boccaccio, il cui *glorieux parier . . .
apres Petrarque son maistre, depuis les Romains n'a eu gaires
de pareiF; della morale solenne del De Casihus ritrae il Miroer
des nobles hommes de France^; alle cose del mondo, anche al
di lä de' limiti della sua dolce Francia, porgeva attento orecchio;
* Le Temple de Bocace, Remonstrance, par maniere de consolation ä ttne
desolee reyne d' Ängleterre {Oeuvres de Chastellain, pubbl. da K. de Letten-
hove, Bruxelles 1865, VII, pp. 75 sgg.). Quando precisamente l'operetta
del Santillana riuscisse a varcare la frontiera di Spagna, non so dire. Un
manosc. della Nazionale di Parigi (Morel-Fatio, Catal. No. 586, anc. f. No.
7,819) contiene, con altre poesie castigliane, anche la Comedieia de Pon^.
^ Ricorderebbe in parte il De Gasibus anche la Gomplainte de fortune, ma
non pare opera del Chastellain. Vedi Gröber in Orundrifs II 1182. Sicura-
mente l'autor suo, che versificava nella seconda metä del '400, dopo il Santil-
lana, imita, nell' esordio, le riflessioni morali, gli accorati lamenti sui perire
delle cittä, de' regni, degli imperi e delle glorie tutte in terra che il marchese
poneva nel Didlogo de Bias contra Fortuna {Ohras, 155 sgg.) Chiedevasi Blas:
Que es lo que pienssas, Fortuna? Que non parescje ninguna?
Tu me pienssas molestar, <^ues de Tyro e de Sydon
O me pienssas espantar E Babiloniat
— — — — — — — — Qu6 fu6 de Lagedemonia ■ . .
— — — — — — — — Casi fueron, ya non son!
Essas ediffica9iones, Dlme, ;.quäl paraste 4 Roma,
Ricos templos, torres, muros, A Corintho e ä Carthago f
Serän 6 fueron seguros O golpho cruel e lago!
De las tu8 persecu^iones ? — — — — — — — —
— — — — — — — — Son imperios 6 regiones,
— — — — — — — — O ^ibdades,
Qu^s de Ninive, Fortuna? Coronas, nin dinidades
Qu^s de Thebas ? ques de Athenas f Que non fieras, 6 baldones.
De aus murallas e almenas, — — — — — — — —
E l'autore della Gomplainte de Fortune {Oeuvres de Chastellain, VIII 323 sgg.) :
Long temps y a que je me plains Fortune tomber et cheoir!
De fortune et de ma doleur Oü est le tresor et Tavoir
— — — — — — — — Des plus riches qui oncques furent?
— — — quant je regarde Poureuxtoutmeurt,quantilsmoururent.
Du monde l'instabilite — — — — — — — —
Et que fortune point ne tarde — — — — — — — —
Mais tousjours fait nouvelete Oü est-ce que Nynive fu;
— — — — — — — — En laquelle y avoit maint fu?
— — — — — — — — Trois journees avoit de tour
Quantes cites sont ä ruine, Or n'y a mais ne mur, ne tour.
Qui ont este de grant pouvoir! Qu'est de venu Babylosne,
Quans roys a fait par sa bruine, De mati^re artificieuse
422 Note ßulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
fama del Santillana giungeva a lui pure sicuramente. Discorre il
Chastellain piü volle, con senno e facondia, delle cose di Castiglia;
nel Temple e lamentata la sorte iniqua di re Alfonso d'Ara-
gona; Don Alvaro de Luna (VII 289), vi muove la sua 'com-
plainte': *vint droit-cy se remonstrer atout son hourt, son corps
en quatre pieces dessus et la teste tollue, et voulant preadviser
les hauts montes en la roue de futur peril, et leur estre figure
et miroir de felicite mal usee.'
Certo, di tutti gli illustri saliti in gran potere e travolti
poi miseramente al basso, nessuno dava, nel secolo e nella patria
del Santillana, piü solenne e terribile spettacolo del favorito del
re e grandissimo e superbissimo 'factotum' Don Alvaro de Luna.
L'esempio suo ben valeva gli esempi addotti dal Boccaccio nel
De CasihuSj e forse, al tramonto estremo della sua gloria funesta,
venendo a morte, il De Luna medesimo penso alle Caydas boc-
caccesche. Quando il capo dell' infelice, che s'ergeva orgoglioso
SU tutti, fu mozzo, ed i potenti tremarono, molti certo ebbero
un pensiero allo storico e moralizzatore delle vicende de' prenci.
E mentre il Santillana in un suo Doctrinal de Privados ac-
cusa, ingeneroso stavolta, il nemico caduto, e ripete la morale
de' Trionfi e del De Casihus,^ ammonisce chi foUemente aspira
La non pareille dessous le throsne D'elle n'y a riens demore
Falte par gent ingdnieuse.? Pour bien jugler que 9'a este.
— — — — — — — — Lacedemone, dont les lois
öü est Troye la renomm^e, Vinrent en maintes nations,
Et Ylion, chasteau saus per? A toutes gens, mesmes aux rois.
Et Thebes que jadis fouda Äthanes, fleur de sapience
Cadanno, fils de Agenor — — — — — —
— — — — — — — — Cartage — — — — — —
11 Dialogo e la Gomplainte rammen tan poi le glorie ed i trionfi tramontati di
prenci e sovrani. Di altre derivazioni dalle strofe del marchese di Santillana
feci parola nelle Note sulla fortuna del Petrarca in Ispagna, p. 81, dell'estr.
* Pur ripetuta nella Pregunta de nobles ä Don Enrique Senor de Villena,
stampata tra le Rimas ined. dell'Oclioa pp. 241 sgg., poi in Obras, 217 sgg.:
Pregunto ^,que fue d'aquellos que fueron — — — — — — — -
Sqjudgadores del siglo mundano, ^A do es Semirämis e Pantasilea,
E las Amazonas
^A do se sumieron Davit e Absalon, Pregunto ^,que fue del magno Pompeo
El grand Josu6, Saul, Tholomeo, De Cessar Augusto e Oetaviano?
— — — — — — — — Otrossi pregunto por el grand Trajano,
Pregunto ^que fue del fljo d' Aurora — — — — — — — —
Achilles, Ulixes, Ayax, Thalamon, ;0 muy trans^edentes poetas limados,
Pirro, Diom6des 6 Agamenon? Intrinsicos sabios, diseretos letrados,
— — — — — — — — De<,'it ^quien los roba, Fortuna ö sus flfados?
Note suUa fortuna del Boccaccio in Ispagna neH'Etä Media. 423
air *estrenia soberauia' di raccogliere a tempo il volo * e la fine
deir onnipossente ministro ricorda in un freddo bisticcio: *teme-
des I tan gran eclipse de luna', l'autore delle Generaciones y
semhlanzas, giudice equo ed austero de' suoi tempi, rimaneg-
giando la Cronica del rey Juan II, cominciata dal *muy bueno
e discreto' Alvar Gargia de Santa Maria, riferita la fine lugubre
di Alvaro de Luna, cosi apostrofa Tautore delle Cayrf as (cap. IV):
*iO Juan Bocacio! si oy lueses vivo, no creo que tu pluma olvi-
dase poner en escripto la caida deste tan estremo y esforzado
varon, entre aquellas que de muy grandes principes mencionö.
iQual exemplo mayor a todo estado puede ser? iqual mayor
castigo? (jQual mayor doctrina para conocer la variedad e [los]
movimientos de la enganosa e incierta fortuna?^ jO ceguedad
de todo el linage humaiiol jO acaecimiento sin sospecha de
las cosas de este mundo . . . pues miren aquellos que sola su
esperanza, pensamiento e trabajo ponen en las cosas vanas,
caducas, e ciegas deste mundo, e con änimo atento acaten y
vean que fin ovieron todas las honras, todo el resplandor, todo
el senorio, todo el tesoro, todo el mando de aqueste tan pode-
roso, tan rico, tau teraido senor.'^
Scrissero i saggi antichi, avvertiva giä il D'Ayala nel proemio
* Proverh. LXXVII {Obras, 59): 'Quiere aguello que pudieres | E non
mas, I Ca vemos de oy ä cras, | Si lo atendieres, | Grandes triunphos 6
poderes | Derribados.'
^ L'apostrofe curiosa mi riconduce alla mente l'esordio della novella
Le galant morfondu di Antoine de La Säle {Les Gent Nouvelles Nouvelles
ed. Londra 1744. I 169). *Se au temps du tr^s renomm^ et eloquent Bo-
cace, Tadvanture dont je vueil fournir ma nouvelle fut advenüe a son
audience, et congnoissance parvenüe, je ne doubte point qu'il ne l'eust
adjoutöe et mise ou renc des nobles hommes mal fortunez . . . et se mal
fortune n'est digne d'etre ou dit livre de Bocace ce j'en fais juge tous
ceux qui l'orront racompter.'
^ Distinguere nella Cronica famosa (male stampata nella collezione
Cronicas de los rey es de Castilla di Cayetano Rossell, Madrid 1871, t. II),
ben nettamente, il lavoro dell' uno e dell' altro compilatore, rimaneggiatore
e rifacitore ^ cosa ardua assai, sovente impossibile, ma ben parmi veder
qui uno sfogo dell'animo di Fernän P^rez de Guzmän, che nelle Oenera-
ciones, caratterizzando lo zio D'Ayala, pur ricorda le Gaydas. Pur da lui
proverrä l'accenno al Boccaccio nel 'Prölogo' alla Grönica (p. 277). II com-
pilatore del De Gasihus figura con altri illustri e saggi antichi che scris-
sero: 'las hazanosas ^ notables cosas hechas por los ilustres Principes', e
detter esempio 'ä todos los que despues vinieron para virtuosamente vivir
e saberse guardar de los peligrosos casos de la fortuna.' — 'Tomad ex-
emplo, privados, | En don Alvaro de Luna, | Condestable: | Vivid siempre
moderados : | Que esta loca de fortuna | Es variable,' cosi esortava ancora,
in versi sciatti, Francisco de Guzman in una sua Olosa sobre la obra que
hixo D. George Manrique ä la muerte del Maestre de Santiago (Menöndez
y Pelayo, Antol. vol. VI, p. CXLVI). — Rileggo la Grönica de D. Ai-
raro de Luna e stupisco che in tanto dilagare di sentenze e di virtuosis-
simi precetti, non vi sia un cenno al De Gasibus. La dottrina piü eletta
h qui attinta da Seneca.
424 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagiia ncirEta Media.
alle 'Cronache' (t. I, p. XXIX ed. Madrid 1799), per *tomar
dende buenos exemplos para facer bien, e se guardar de mal',
e in un discorso, teste esumato, il Dottor Gonzalo Garcia de
Santa Maria, che certamente deve aver tratio profitto dai casi
memorandi degli illustri e dagli storici zibaldoni boccacceschi,
da maggiore importanza agli *exeniplos de la vida de los hom-
l)res' che a' precetti santi e alle dottrine della filosofia. Senz' essi,
la vita nostra altro non sarebbe che *navio syn velas y gover-
nario en el mar tempestuoso' — imperiture appaiono le opere
eccelse degli storici.* Della poca scrupolositä usata dal novella-
tore nel registrare fatti e memorie, intento sempre ad inculcar
massime sagge, alterando all' uopo, a' suoi fini, la verita storica,
non davansi pensiero le dotte genti ispane. Boccaccio e grande
autoritä anche per il Dottor Pero Diaz de Toledo che, tra chiose
e commenti, volle pur stemperare la sapienza dei Froverbios del
suo ammiratissimo Marchese di Santillana.
Gli esempi e la moral scienza del De Casihus soccorrono
Mossen Diego de Valera nella composizione delF Espejo de ver-
dadera nohleza, messo insieme, furacchiando, per invalsa abitu-
dine, altri trattati d'altri grand' uomini: queUi, preziosi e van-
tati assai, di Bartolo da Sassoferrato, in particolar modo, pur
giovandosi del Policraticus di Giovanni di Salisbury e di un
ignoto Tratado de las sesyones del *muy reverendo doctor Don
Alfonso de Cartagena, Obispo de Burgos'.^ Ripetute volte si
citano qui le Caydas (pur ricordate nel Tratado en deffension
de virtuosas mugeres% si discutono le opinioni del Boccaccio
sulla nobiltä vera, riposta tutta, come Dante voleva, nella virtü
e nel virtuoso operare. 'Juan Vocacio en el capitulo ciento e
quatro del su libro de las Caydas aquesta opinion paresce seguir,
. . . tal definicion iaze de la nobleza: nobleza es un resplandes-
cimiento de honrra delante los ojos de los onbres con aposta-
miento de buenas costumbres, menospreciando las cosas en que
ay tacha.'^ Valerio Massimo ed il Boccaccio somministrano in
copia 'antiguas y modernas ystorias', atte piü che mai a dimo-
strare come, 'bien asy commo por virtudes de baxo linaje muchos
fueron levantados, ennoblescidos y ensalgados, asy otros, viciosa-
mente biviendo, perdieron la nobleza e dignidades que sus pro-
» Rev. de Arch., Bibl y Mus. Madrid 1903, j). 462.
* E pur rammen tato nel Gerimonial de principes, ch'io legge in calce
ad una rara stampa del Tratado de los Rieptos y Desaßos (s. 1. n. a).
^ VEspe/o h aggiunto alle Epistolas nell'ediz. de'Bibliöf. Espan. Madrid
1878. Vedi cap. I, p. 173; cap. V, p. 185; cap. VI, p. 191; cap. VII,
p. 195. Decisamente il Valera si serviva della traduzione del De Gasibtts,
non deir originale. Della nobiltä h detto nelle Caydas (Lib. VI, cap. III,
f. LXXXI) : 'no es al | salvo un resplandescimiento y honrra delante los
ojos de los que la veen : lo quäl es apostamiento de buenas costumbres
hablando muy dulce y arentado.'
Note Bulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 425
genitores con grandes trabajos ganaron' e si rammentano i casi
di *Menbroth', jSardanapolo', *Aiidronico', *Alexo', *Qipion Afri-
cano', 'Fabio', 'Calfurnio', 'Piso', 'Quinto Fabio', 'Lucio', 'Lentulo'.^
Sülle Caydas, tessendo e ritessendo le medesime sciagurate
storie degli illustri, esposte dal Boccaccio, il *bachiller' Alfonso
de Toledo si foggia un suo Espejo de las historias che tratta
*de todos los varones ilustres e famosos assi en santidad como
en potencia e fortaleza e en sciencia que desde Adam . . . fasta
Juan XXII fueron en el mundo',^ e quanti altri mai speccbi, o
gallerie, o riverberi di vite di uomini illustri si fecero in quel-
l'etä, si lertile di compilazioni, tutti, quäl piü, quäl meno, rile-
vano dal luminoso specchio del Boccaccio. Vedi il Boccaccio
sulle alture, dispensatore di saggi precetti, con Boezio, il gran
consolatore delle afflitte genti, al lato, e i dotti, i poeti, i faci-
tori di trattati e di rime s'inerpicano ansanti per quelle cime.
II Boccaccio, Boezio, il libro di Giobbe, Seneca suggeriscono in
gran parte al 'condestavel' Don Pedro de Portugal il lamento
grave sulle miserie e gli affanni in vita, le considerazioni malin-
coniche della Tragedia de la insigne Heyna Dona Isabel. E
se anche l'esplicto accenno al Boccaccio, nel prologo, non facesse
fede della stima in cui Don Pedro, lettore assiduo dell' opere
dei *grandes e scientificos ombres', vissuto a lungo alla corte di
Castiglia, pratico assai di sventure, di tragedie, di *caydas'
teneva il De Casihus del Boccaccio, ben rivelano le prose e i
versi di questa giaculatoria ed effusione sua, gli accenni alle
* Non potei leggere il Doctrinal de principes di Diego de Valera, ine-
dito tuttora; suppongo che tra i Santi Padri ed i dottori antichi v'abbia
pure onorevoi posto il Boccaccio. — Non attinge alla scienza del Boccaccio
il Verjel de principes di Ruy Sänchez de Ar^valo (stampato dall'Uliagon
a Madrid nel 1900), tutto imbevuto delle dottrine di Aristotile, Vegezio,
Cicerone, Seneca, Svetonio, Valerio, Sant' Isidoro. (Una sua Suma cfe Po-
litica, a me ignota, ^ in corso di stampa.) — Vuol difendere Pero Nunez
Delgado la castitä di Didone *ä la quäl muchos quisieron infamar, prin-
cipalmente el Virgilio por alabar ä Eneas', e si fa forte delFautoritä di
Giustino e del Boccaccio, rivelata quest' ultima 'en la Cayda de Principes'.
Crönica y Destruicion Troyana comptiesta e copüada por el famoso Poeta e
Historiador Ouido de Goluna e agora nuevamente enmendada por N. N,
Delgado, clerigo, Sevilla 1509 (nell'ediz. di Medina del Oampo 1587, fol. 136).
^ Cosi il Prohemio di un' altr' opera di Alonso de Toledo (manoscritta
all'Escorial, a Madrid, a Parigi; Morel-Fatio Catal. No. 81, p. 29. Un
manosc. incompleto ^ descritto#dal Villanueva nel Viaje a Monserrat —
Viaje liier, ä las iglesias de Espana VII 146 ff.), dedicata all' arcivescovo
Alfonso Carrillo : Tratado llamado Invin^ionario, citata da A. de los Rios,
Eist. VI 202. Invano feci ricerca, in Ispagna, ed altrove, dell' Espejo e del
Tratado. — Altra cosa, e indipendente dal Boccaccio, h V Espejo de ilustres per-
sona di fray Alonso de Madrid, diviso in 16 c^ipit. e stampato a Burgos 1524.
II Gallardo, Ens. II 549 registrava l'esemplare acquistato da Fernan Colon a
Medina del Campo. No. 4101. La versione italiana che fece di questo Spec-
chio il vescovo novarese Carlo Buscap^ h da me rammentata in appendice
all'opuscolo di B. Croce, Lingua spagnuola in Balia, Roma 1895, p. 76.
426 Note sulla fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
vicissitudini de' principi, ai 'tempestuosos rebuelcos de la tortuna',
ai capricci della *giega duena', quäl profitto traesse il discepolo,
Tamico del Santillana, dalle 'utiles doctrinas de sapiengia' del
divulgatissimo e veneratissimo trattato boccaccesco.*
In certa parte della Iragedia, lä dove e deplorata la sorte
funesta del progeiütore, hai un compendio delle miserie degli
illustri, narrate nel De Casibus, che un messo della Providenza,
'con acatadura turbada, ojos espantados e las manos una con
la otra apretadas', ammanisce a conforto dell' animo angoscioso
del prence. Ai passati dolori altri s'aggiungeranno. Pero non
darti sgomento, e riduci alla memoria 'las diversas caydas e
muertes que esta ciega duena desde el comiengo del mundo ha
fecho con los mortales, comengando en el primero padre derri-
bandolo del parayso de la vida a la tierra de la miseria, e des-
pues en Nenbrot, e Cadmo rey de Thebas faziendo lo viejo
morir en destierro, e al viejo Tiestes con nueva manera de tor-
mento fizo comer sus proprios fijos, sostenidas luengas penas e
destierro, e a Jocasta e Edipo su fijo rey de Theba grandes e
duros pesares padesger, e a Theseo rey de Athenas despues de
fecha injusta venganga del fijo Ypolito e veer la cruel espada
morir su muger Fedra en destierro amargoso fenesger, e aquel
grande Atrides Agamenon emperador de los Griegos rey de
Migenas, passados largos afi"anes, en conquista troyana por des-
canso dellos a mano de Egisto ser muerto; e a Salamon de la
cumbre de la sabiduria en locura e ydolatria trasformar; e a
la casta Dido reyna e edificadora de Cartago con su mano
matarse; e al noble virtuoso rey Creso mirar al sayon que lo
avia de degollar, e al fuego donde lo avian de quemar; e Xerses
e Algibiades, Amilcar e Anibal e Pompeo e Gayo Qesar graves
angustias e muertes sofrir, e Artur rey de los Ingleses, e Alfonso
el sabio rey de Castilla de grandes senorias e potengias abaxar;
e a otros syn cuento principes muy valerosos del todo aterrar
e los que mas es las sus ciaras lamas quasi de todo punto de-
stroyr con la grande altesa e tenido nombre de otros, assy de
los que he recontado, como de algunos que de muy baxos esta-
dos a grandes honores e dignidades los ensalgo, de los quales
Marco Varro carnigero e despues ditador, e Gayo Mario, de
muy baxo linaje fecho claro emperador, bien son dignos de
rememorar, e mucho mas Otavian« que de pobre ombre a ser
emperador del mundo muchos anos lue levantado.'
Piü innanzi si esorta l'afflitto a volger l'occhio all' eta pre-
sente, che, piü dell'antica, abbonda di casi meraorandi e salutari:
* Vedi Carolina Michaelis de Vasconcellos, Uma ohra inedita do Con-
destavel D. Pedro de Portugal neW Homenaje ä Menendex y Pelayo, Madrid
1899, I 695. 729. 731.
Note suUa fortuna del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 427
*Todas las caydas aiitiguas, assi de Qiro como de Alexandre e
de Salomon que fueron avidos por monarchas, e las de Aman e
de Joab que con los reyes Assuero e David privaron, no son
tanto de rememorar. No digo por la grandeza d'estas, mas por
la antiguidad de aquellas, ni fablo por no ser dignas de mayor
maravilla las uuas, mas por la gertinidad e presencia de las otras.
Ann que assi sea gegado ya el humano linaje, e assi los animos
de los hombres endurescidos, que tan poco lernen los males pre-
sentes como los passados, e tan poco retienen en la memoria
las contemporaneas caydas, como las antiguas, e tan poco dan
por las unas como por las otras, pensando aun lo que veen todo
ser novelas e fablillas de viejas . . . Parto me do los exemplos,
de los quales quasi infinitos podria recontar, ca no son llenos
lo» libros e coronicas salvo de muertes e de caydas de principes
e cavalleros'.
Rivelano similmente un' attenta lettura del Boccaccio le
stanze in lingua di Castiglia sul menosprecio e contempto de las
cosas fermosas del mundo . . . demonstrando la sua vana e
fehle heldad,'^ scritte intorno al 1455; Variante del solenne e
poetico memento 'Recuerde el alma dormida'; giaculatorie suUa
caducitä de'beni ingannevoli del mondo, sulla vanitä delle dovizie,
della bellezza, degli onori, delle glorie e pompe e grandezze;
esortazioni perche sieno fuggite in terra le sirene allettatrici, e
l'uom peccatore tenda a Dio misericordioso le braccia, e pietä
riceva, e muti in luce le tenebre del viver suo: *Miremos al ex-
gelso y muy grande Dios | Dexemos las cosas caducas y vanas'.
Sfilano innanzi al poeta, gemente suUe larve di quaggiü, e F'en-
ganosa fama', schiere di illustri che Fortuna innalzö, per poi tra-
volgere al basso; tornano ad ammaestrare le Caydas; le Caydas
suggeriscono gli esempi di Crasso, di Dario, Policrato, Alcibiade,
Mida, Scipione, Pompeo, Agamennone, Nerone, Alessandro, Sar-
danapalo *rey muy vicioso', che *con fama muy fea murio des-
honrrado'.2
* Lessi le 125 ottave del De contemptu mundi {Coplas do Menosprexo
do Mundo) nel Cancion. gerat de Resende ed. Kausler, Stuttgart 1848, II
73 8gg., falsamente attribuite qui airinfante D. Pedro de Portugal. Sui
manoscritti e le stampe del De Gont. vedi Carolina Michaelis de Vascon-
celios in Orundr. II/II, 262 sg. — Ricordano in parte i lamenti del De
Contemptu mundi di papa Innocenzo III, assai diffuso nelle regioni romanze,
in tutta l'Etä Media, tradotto in prosa francese giä sulla fine del secolo XIII '^,
compendiato in versi, nel 1383, da Eustache Deschamps {Oeuvres XI 39)
nel Lai de fragüite humaine (vedi anche Le Passe temps de tout komme et
de toute femme in Oeuvres de 0. Alexis. Soc. d. anc. textes II 74), voltato
in italiano da Bono Giamboni (vedi F. L. Mannucci in Stud. d. filol. rom.
1903, pp. 676 sgg.).
* AI trattatb del Boccaccio, tradotto dal D'Ayala e dal Cartagena, ci
rimanda l'uso ripetuto della parola 'cayda': p. 75: 'traxo aus caydas en-
ganosamente | E traxo a Dario a morir vilmente'; p. 76: 'son de caydas
428 Note suUa fortima del Boccaccio in Ispagna nelFEtä Media.
Tutta l'Etä Media e piena di voci imprecanti alla terra ed
anelanti al cielo; ne era niestieri che sempre si consultassero i
trattati del Boccaccio e s'udissero i flebili e dolci lamenti de'
Trionfi Petrarchesclii, perche si ingombrassero versi e prose di
luoghi comuni sul dileguar di tutto nella fuga degli anni, e sul-
l'inesorabil disfazione delle schiatte e degli imperi, che gia la
Bibbia con accenti gravi aimunciava. Pure, e con ostinazion
Vera che i letterati di Spagna, gemendo e sospirando suUe miserie
in terra, s'aggrappano alla morale bandita dai grandi uomini
d'Italia. Quando Gomez Manrique manda in rima i suoi con-
sigli a Diego Arias de Avila: 'Pues sy pasas las ystorias | De
los varones romanos, | De los griegos y troyanos, | De los godos
y persianos, | Dinos de grandes memorias, ! No fallaras al pre-
sente | Syno flama transitoria | De aguardiente,' egli meditava i
casi degli illustri, compendiati dal Boccaccio. Esplicitamente,
'por no ser prolixo', rimanda all' 'eloquente Vocagio que las
Caydas de los principes escrivio', porgendo, in una Consolatoria
sua alla Contessa de Castro, quel conforto che suol generare
il racconto dellc aiflizioni altrui, additando, col poter di fortuna
*e quäl es su gloria | e quan poco dura e como es mudable',
l'onnipossenza divina: 'los casos que vienen estan destinados,
por el fazedor de cielos e tierras', riepilogando alcuni di questi
casi, le 'gran caydas': di Pompeo, di Cesare, di Scipione, di
Aimibale e d'altri molti, vissuti dopo il Boccaccio, Don Fernando,
il miserissimo 'Gran Condestable'.'^ — Nelle stesse 'coplas' immor-
tali di Jorge Manrique, dove e traccia de' Trionfi Petrarcheschi,
e si ricorda la tragica fine di Don Alvaro de Luna, e un legger
ricordo delle famosissime 'caydas'. Torna ad ammaestrare il Boc-
caccio, con altre 'escripturas', come morte pareggi le sorti degli
uomini, come proceda lugubre il corteggio de' potent^ disfatti e
caduti: 'Estos reyes poderosos | que vemos por escripturas | ya
passadas, | con casos tristes , Uorosos^ \ fueron sus buenas ven-
turas I trastornadas; | Assi que no ay cosa fuerte'.^
Ammiratori e seguaci de' due Manrique consultano ancora,
in quel volger di secolo, il dotto libro de'grandi precipitati e,
grandes causadoras | ni nuestro tiempo caresceran d'ellas' ; p. 8 1 : *tus pro-
pios danos no miras ni veyes, | si no si delante veys tu cayda'.
* Cancionero de Qomex Manriqtce pubbl. da A. Paz y Melia, Madrid
1885, I 232. Pure altrove, II 57, fe memoria delle 'caydas' che 'conto
Vocacio'.
^ Nelle Caydas Lib. VI trovi un capit. (VIII) qtie habla de algunos
que fueron tristes y Horosos.
^ Cancion. gener. de Casfillo. Ed. Soc. de Bibl. II 3öl. — 'Dese^ leer
historias | por saber hablar sin mengua: | las mas antiguas memorias, | sus
caidas, sus victorias,' cosi ancora, rammentando un po' anche il Boccaccio,
Alvar Gato, ne' versi diretti a Hern an Mexia. Vedi E. Cotarelo in Rev.
espan. 1901, p. 240.
Note Riilla fortuiia del Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 429
prima che lo divulghino le stanipe, v'attingono massime sagge
sull'instabilitä di Fortuna e gli editti misteriosi della Provvidenza,
reggitrice de' popoli. La morale delle Caydas s'impone a Pero
Giiillen de Segovia in un suo Dezir sobre la muerte de D. Älvaro
de Luna^ e nelle riflessioni in rima sulle umane follie e gran-
dezze con cui esordisce una sua fantastica visione: Contienda
entre la Filosofia y el Autor. Ricordi alle Caydas ed alla
Consolatoria di Gomez Manrique trovi in una composizione
anonima, della seconda metä del '400, accolta nel Cancionero
di Herberay des Essarts,^ pur imprecante alla 'fortuna reboltosa',
che muove la ruota funesta. Tra i 'casos infortunados', i *der-
rocamientos', figura la miseranda fine di Alvaro de Luna e quella
del duca William Poll di Soffolk, decapitato nel 1451.3 Comme-
morare vorrebbe l'autore di queste povere rime, *si fuesse ne-
cessidat', i fatti e le imprese di altri potenti e monarchi e trion-
fatori e corjquistatori, 'relatando sus caydas^ | Mas entiendo que
seria | Extrema prolixidat | Para quien las ha oydas'. Bastino
adunque, conchiude il versificatore, *para exemplo tomar | Los
caymientos presentes'; rivolga l'uom frale le sue preci a Dio ed
alla Vergine; implori dall' alto ausilio, 'que esta es la via recta'.*
' Rimando al giudizio assennato dell'opera poetica di Pero Guillen
de Segovia che s'asconde nel libro di Vera e Isla, Traduccion en verso del
salmo L de David * Miserere Mei Deus\ Madrid 1879, pp. 115 egg. Si ricor-
dano a p. 122 i versi: 'De cayda non escapa | nyn a buen entendimiento |
quyen a la parte del mento | no sabe volver la capa.'
^ Giä da me citata. Vedi Gallardo, JEns. I 362 sgg. II Canzoniere fe
al British Museum. Vedi Rom. Forsch. X 158 sgg.
^ Nel 1527 Clement Marot, pure ispirato al De Casibus boccaccesco,
piangeva in un'elegia (XXII) la tragica fine di un potente, favorito del re
Carlo VIII, Jacques de Beaune, seigneur de Semblanyay. Vedi A. Roedel,
Studien xu den Elegien Clement Marots, Meiningen 1898, p. 45. ■
* Sempronio dice nel I atto della Celestina: 'Lee los historiales, estudia
los philosophos, mira los poetas, Uenos estän los libros de sus viles y
malos exemplos e de las caydas que levaron los que en algo, como tu, la
reputaron. Oye ä Balomon ecc' E veramente l'autore del dramma che
precorre, per la veracitä sua, alle tragedie dello Shakespeare, leggeva, stu-
diava, con assiduitä soverchia, e storici e poeti e filosofi, ed ingombrava
talora i discorsi de' suoi personaggi di assurdi citati, di gran nomi, di
'consolatorias palabras, colligidas e sacadas de antiguos libros', di massime
e sentenze, suggerite dal 'gran poeta Ovidio', da Seneca, Aristotile, Cicerone,
Valerio, Petrarca, Boccaccio, da altri molti. La povera Melibea partecipa
dell'erudizione sua, superflua, e, negli estremi frangenti, apre il libro delle
Caydas per leggervi i fatti di Nembrot, del 'magno Alexandre', di Pasifae,
di Minerva, di Mirra, di Semiramide e d'altri illustri.
Gmunden, Arturo Farinelli.
(Fortsetzung folgt.)
Kleine Mitteilungen.
Das Motiv von der untergeschobenen Braut.
Unter diesem Titel hat P. Arfert eine Rostocker Dissertation
(gedr. Schwerin 1897) verfafst, worin ein in der internationalen Er-
zählungsliteratur sehr beliebter Stoff mit grofser Belesenheit durch
alle Zeiten und bei vielen Völkern verfolgt wird. * S. 48 ff. bespricht
der Verfasser 'das Unterschiebungsmotiv in den niederen Gattungen
der Volksdichtung, Fabliaux und Schwänken etc.' und erwähnt dabei
(S. 50 Anm.) auch ein Bild von Hogarth: The Discovery, auf dem
dargestellt ist, wie der geprellte Liebhaber eine Negerin statt der
Frau seines Freundes im Bette findet — angeblich eine wahre Ge-
schichte. Eine ganz ähnliche Situation kenne ich zufällig aus einem
bei Arfert nicht erwähnten französischen Abenteuerroman: La vie
et avantures du seigneur Rozelli, Tome premier, troisi^me Edition,
Paris, M.DCC.IX, wo S. 90 ff. folgendermafsen erzählt wird: 2
*Comme j'6tois connu pour le favori de Madame, un jour qu'elle
etoit all^e ä la campagne oü eile devoit coucher, je feignis d'^tre in-
dispos^ & je priai ma Maitresse de ne me mettre pas de cette partie,
eile y consentit; car eile avoit de la tendresse pour moi, & je la
divertissois agr^ablement par mes contes & par mille petits soins que
j'afectois de lui rendre, car c'est la pierre d'aimant d'une vieille; eile
consentit que je restasse & voulut que B^atrice ne me quittät point,
de peur que je ne fusse courir. Je trouvai pourtant le moien de
faire tenir un billet ä l'Officier de la part de Madame, par lequel
eile le prioit de venir le plus tard qu'il pourroit ä l'apartement, ne
pouvant lui parier qu'apr^s le souper, & ä son retour de chez la
jeune Marquise sa bru: mais qu'il n'avoit qu'ä suivre son train ordi-
naire, et qu'il l'attendit dans le cabinet.
Le bon homme suivit les ordres qu'on lui donna, & sur les dix
heures du soir on fut lui dire de se mettre au lit, oü il ne füt pas
plütöt qu'une vieille Negresse Esclave que j'avois preparee ä, cette
sc^ne, & ä peu pr^s de l'äge de la Marquise, fut se mettre ä son
c6t6 avec deffense de parier de toute la nuit. Cependant j'avois en-
lev6 une planche du cabinet qui repondoit dans ma chambre, & par
ce moien je m'^tois saisi des habillemens de l'Officier jusqu'ä sa
^ Vgl. SchuUerus, Siebenbürg. Korrespondenxbl. 21, 20 f.; Bolte, Zeit-
schrift f. Volksk. 7, 215 f.; Kampers, Histor. Jahrb. 18, 731, und G. Paris,
Romania 26, 575 f.
^ Der Band befindet sich in der Bibliothek des hiesigen romanisch-
englischen Seminars.
Kleine Mitteilungen. 431
chemise, j'avois racommod^ cette plan che avec beaucoup d'adresse &
Sans qu'on s'en aper9Üt. Le lendemain sur les huit heures du matin,
le jour qui entra par une fen^tre faisant apercevoir l'Officier de son
erreur, il crut 6tre couch^ pr^s du diable, en voiant le visage noir
& afreux de la vieille Af ricaine, il invoqua tous les Saints & Saintes,
& les pria de venir ä son secours; & plus PEsclave lui disoit de se
taire de craindre d'^tre entendu, plus il crioit. Tout 6pouvant6 il
sortit hors du lit, cherchant les habits pour gagner la porte; son 6froi
redoubla lors qu'il ne les trouva plus; il s'envelopa d'un linceul pour
ne paroitre pas expos^ ä la raillerie des personnes qui ^toient acou-
rues au bruit qu'il avoit fait. La N%resse de l'autre cöte s'6toit
saisie de l'autre drap du lit pour n'ötre pas connue: on auroit crö
voir deux figures, dont on orne certaines pi^ces d'architecture, qui
gardant la porte de la chambre, ne repondoient rien, & sembloient
petrifi^es de honte & de confusion. Le bruit que ce desordre causa
dans le Palais, fit acourir le jeune Marquis T . . ., qui ne sachant pas
Tintrigue de sa M6re, & ne connoissant pas le personnage, voulut
qu'il füt expose ä la rue dans cet Equipage. Ses Domestiques l'acom-
pagn^rent avec de grandes hu6es, jusques ä la pr^mi^re Eglise, oü
il entra pour se d^rober h la foule du peuple. Je ne sai comment il
fit pour retourner k son quartier; ce qui arriva de cette af faire, c'est
que l'Officier disparut & ne fut plus vü dans Naples, & que la Mar-
quise ä son retour ne savoit comment prendre la chose pour con-
server sa r^putation; l'Esclave fut mise dans un cachot & press6e
par des menaces terribles, de dire qui l'avoit introduite dans la
chambre de Madame; cette malheureuse me nomma, & depuis ce
tems-lä on n'en entendit plus parier.'
Gegenüber S. 92 befindet sich ein Stich, der den Offizier und
die Negerin, beide in Laken gehüllt, vor dem Bette stehend darstellt,
während der junge Marquis mit zwei Dienern eben ins Zimmer tritt.
So ist das Bild allerdings von dem Hogarthschen ziemlich verschie-
den: hier liegt nämlich die Negerin im Bette und streichelt einem
der vier davorstehenden Herren das Kinn, wobei ein anderer ein
Licht hält
Kiel. ' F. Holthausen.
Ne. livelong,
livelong (the livelong day) geht zurück auf me. leve longe {ihe
leve longe day = den lieben langen Tag), live ist somit die flektierte
Form von lief. * Aus me. leve longe erwarten wir die ne. Aussprache
livlo7j oder mit nachträglicher Kürzung livlorf. Letzteres ist bis in
die neueste Zeit die übliche Aussprache gewesen; heute ist dagegen,
• Dialektisch kommt live auch sonst för lief vor. Vgl. Wright, Dia-
lect THctionary III, 590. Ein in London 1817 anonym erschienenes Heft
{Errors in Pronunciation and Improper Expressions, used freqitently, and
chiefly by the inhahitants of London) tadelt live, for lief willingly; man
solle nicht sagen : I had as live walk as ride, sondern I would as lief
432 Kleine Mitteilungen.
wenigstens bei der jüngeren Generation, laivloij die geläufige Aus-
sprache. Ellis, On Early English Pronunciation IV, 1042 (1875),
hat livelong ^sometimes i long' (d. h. ai). Die Wörterbücher lehren
auch heute noch durchaus t, darunter das Oxforder Wörterbuch und
die neue Bearbeitung von Griebs Wörterbuch durch Schröer. Aus-
sprachebücher verzeichnen die Aussprache laivloy, aber nur, um davor
zu warnen: W. H. Phyfe stellt 7000 Words often mispronounced zu-
sammen (1889) und darunter Uvlon, not laivloij (S. 301). — W. Ram-
say-Crawford hat unter seinen Common Words commonly mispro-
nounced S. 89 Uvlong, not live, d. h. laiv. — The Handy Guide to
Correct Pronouncing and Spelling, L. o. J., lehrt S. 47 Uvlong, not
Uvlong (d. h. ai). Es geht uns mit unseren modernen Sprachbüchern
wie mit denen früherer Jahrhunderte: die Sprachlehrer sind kon-
servativer als die Sprache.
Diese Aussprache laivlofj ist allem Anschein nach nur schrift-
sprachlich, nicht mundartlich. Es scheint eine neue SpeUing-pro-
nunciation zu sein, die sich gerade jetzt durchsetzt. Unser Wort wäre
demnach der grofsen Zahl der von E. Koeppel gesammelten eng-
lischen Schriftaussprachen zuzufügen {Spelling -pronunciations : Be-
merku7igen über den Einflufs des Schriftbildes auf den Laut im Eng-
lischen, Strafsburg 1901. QF 89).
Giefsen. Wilhelm Hörn.
Die Quelle des Hervis von Metz.
Der Hervis von Metz liegt uns nun in Stengels prächtiger
Ausgabe für die Bibliothek der Romanischen Gesellschaft vor, und wir
sind endlich imstande zu beurteilen, wie wenig dieser 'Vorabend' mit
der gewaltigen Lothringertrilogie zu tun hat. Ein Dichter vom Aus-
gange des 1 2. Jahrhunderts hat Hervis, den Vater Garins, zum Hel-
den einer Art Abenteuerroman gemacht. Die Quellen dieses Dich-
ters waren keinesfalls epische. Welcher Natur dieselben waren, soll
eine Zergliederung lehren, der wir eine kurze Inhaltsangabe voraus-
schicken müssen:
Hervis von Metz.
Hervis ist Sohn des reichen Prevost von Metz und seiner Gat-
tin, der Tochter des Lothringer Herzogs, der sein Geld auf Kreuz-
und Tournierfahrten verschleudert hat. Adlige Instinkte verleiten den
Jüngling, Pferde und Sperber zu kaufen, statt Geschäfte zu machen.
So kauft er auf dem Markte zu Lagny eine schöne Orientalin Namens
Beatrix (1304), die ihren Eltern geraubt worden war, um eine Riesen-
summe. Sein Vater jagt ihn deshalb fort und enterbt ihn (1946),
und er lebt nun mit Beatrix, die er heiratet, auf Kosten eines Schwa-
gers (1976). Als auch dessen Einkünfte verzehrt sind (2875), fertigt
Beatrix eine Stickerei und schickt Hervis damit nach ihrer Vater-
stadt Tyrus. Dort erkennen ihre königlichen Anverwandten ihre
Arbeit und zahlen einen ungeheuren Preis dafür (3764).
Kleine Mitteilungen. 433
Hervis ist daher aus aller Not, versöhnt sich mit seinem Vater
(5023) und wird Herzog. Er erhält Brabant zum Lehen, mufs es
aber gegen Anseis von Köln verteidigen, der Ansprüche darauf er-
hebt (5675 ff.).
Von Tyrus aus haben seinerzeit Spione Hervis verfolgt und er-
mittelt, wo ihre Königstochter Beatrix weilt. Zurückgekehrt (5886),
melden sie ihren Erfolg. Dort hat der König von Spanien um
Beatrix' Hand angehalten (? !). Floire, ihr Bruder, zieht deshalb aus,
um sie zurückzuholen, denn der König von Spanien hat mit Krieg
gedroht, falls sie ihm verweigert würde (!).
Während Hervis sich in Brabant mit Anseis herumschlägt und
ihn besiegt (6810), zieht Floire nach Metz (6963) und entführt seine
Schwester wider ihren Willen (7353) nach Tyrus.
Dorthin schickt auch der König von Spanien, um die vermeint-
lich jungfräuliche Braut zu holen (7799). Zu gleicher Zeit kommt
aber auch Hervis heimlich nach Tyrus und nimmt Beatrix den Spa-
niern unterwegs ab (8553), wobei seine Leute durch Abbruch einer
Brücke sich den Rückzug sichern (8811).
Nun verbinden sich Tyrus und Spanien gegen Metz (8959).
Zurückgekehrt, mufs Hervis abermals gegen Anseis kämpfen, der
einen Riesen von 15 Fufs im Gefolge hat (9150). Er besiegt diesen
im Zweikampf (9780), der Analogien zum entsprechenden in Girart
von Vienne und Merabras zeigt.
Während der Zeit ist Metz von Spaniern und Tyrern belagert,
wobei sich bereits Hervis' Söhne Garin und Bego auszeichnen. Her-
vis macht deshalb mit Anseis Frieden (10339). Aber er findet den
Streit schon beigelegt: Bego ist gefangen worden, der Spanier hat
ihn töten wollen, aber die Tyrer haben ihm geholfen, als sie hörten,
dafs er Beatrix' Sohn ist ('die Stimme des Blutes') (10489). Darum
fliehen die Spanier vor Hervis' Ankunft, der sich dann mit der Sippe
seiner Frau versöhnt Ende gut, alles gut
Es wäre nun an sich naheliegend, anzunehmen, dafs die aben-
teuerlichen Vorgänge, die wir eben dargestellt, von ihrem Verfasser
erfunden worden sind, als eine Vorgeschichte zu den Lothringern.
Gegen eine solche Ansicht gibt es nun gleichwohl Bedenken. Denn
wenn ein französischer Dichter erfindet, so ist es a priori anzuneh-
men, dafs er die Vorgänge, die er in der Heimat lokalisiert, kulturell
dieser anpafst
Nun scheint das nicht der Fall zu sein, wenn er auf dem Markte
zu Lagny ein Mädchen wie eine Sklavin zum Kaufe anbieten läfst
Der Verkauf als Sklavin oder Sklave auf dem Markte ist ein aus
dem Orient stammendes Motiv, welches dem Abenteuerroman sich
leicht einpafst, und das der Dichter aus der Bibel (Josef in Ägypten),
dem ApoUoniusroman und verwandten Stoffen wohl kennen konnte.
Immerhin bleibt es an dieser Stelle auffallend.
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 28
434 Kleine Mitteilungen.
Auffallend ist auch die Art, wie sich Beatrix durch eine Stickerei
ihren Angehörigen in Tyrus zu erkennen gibt: indem sie in Gold-
brokat ihr und ihrer Anverwandten Bild verfertigt. Es gehört dies
zu den von der Folklore in unzähligen Variationen nachgewiesenen
Mitteln um jemand wiederzuerkennen.'^ Und gerade dieses Mittel,
durch eine Stickerei sich den Angehörigen kenntlich zu machen,
treffen wir in orientalischen Erzählungen mehrmals: So wird in den
Versionen, die Victor Chauvin von der Erzählung von Mahmud'^
nachgewiesen hat, der eingekerkerte Prinz, der einstmals Sticken ge-
lernt, stets an einem Gewebe erkannt: Das eine Mal hat er in Blu-
mensprache sein Los eingestickt, das andere in moderner Version den
Palast seines Vaters darauf abgebildet. Und noch einige andere Fälle,
in denen das gleiche Mittel gebraucht wird, um eine Wiedererkennung
herbeizuführen, lassen sich aus Tausendundeine Nacht beibringen.
Im Hervis von Metz aber erscheint das Motiv nicht so einfach:
Beatrix beabsichtigt nicht sowohl eine Wiederkennung, als dafs ihre
Verwandten nach der Wiederkennung das Gewebe weit über den
Preis bezahlen: Es handelt sich um die Gewinnung einer besonders
hohen Summe. Dies ist bereits hervorgehoben worden, ohne dafs
allerdings die Verwendung dieses Motivs für die französische Kultur-
geschichte des Mittelalters, wie das versucht wird,^ berechtigt wäre.
Denn auch diese Komplizierung des Erkennungsthemas findet sich in
Tausendundeine Nacht, und zwar in einer Form, die nicht daran
zweifeln läfst, dafs es sich um eine dem Hervis von Metz verwandte
Erzählung handelt. Ich meine die Erzählung von
Nur al dm und Miryam, der Gürtelmacherin.^
Nur al din ist der Sohn eines reichen Kaufmanns in Kairo.
Eines Tages läfst er sich zum Trunk verleiten, schlägt seinen Vater
und flüchtet vor dessen Drohungen nach Alexandrien zu einem
Freunde seines Vaters mit nur 1000 Dinars.
Diese 1000 Dinars gibt er auch noch hin, um eine schöne Sklavin
Namens Miryam zu kaufen, die das Recht hatte, nur dann in andere
Hände überzugehen, wenn ihr der Käufer gefiel. Die Liebenden
leben nun vorerst von dem von ihrem Freunde geborgten Gelde.
Als diese Quelle versagt, verfertigt Miryam Stickereien, vorab
Gürtel, die ihr Liebhaber verkauft, und von deren Erlös sie leben.
Gewarnt aber hat sie ihn davor, einem buckligen Einäugigen etwas
abzugeben. Wie sich dieser einstellt und immer mehr und mehr
bietet, läfst sich Nur al din verleiten, ihm ein prachtvolles gesticktes
Tuch von ihrer Hand abzulassen. Von dem Käufer betrunken ge-
macht, verkauft er ihm Miryam um 1000 Dinars. Der Käufer aber
* Chauvin, Bibliographie Ärabe Bd. V, 90'. ^ Wallonia VIII, 5.
3 Vgl. Jahresbericht 1899—1901. II, S. 61 oben.
^ Chauvin, Bibliographie Ärabe Bd. V, S. 52. Hennings Ausgabe
in Eeclams Univers.-Bibl. 15, 5.
Kleine Mitteilungen. 435
war der Wesir des Christenkönigs, dessen Tochter Miryam war und
dem sie Piraten entführt hatten.
Ernüchtert setzt Nur al din dem Wesir nach und kommt gleich-
zeitig mit ihm in Konstantinopel an. — Fassen wir uns von hier ab
kurz: Es gelingt ihm, mit Miryam zu fliehen, sie wird ihm aber
wieder abgenommen und mit dem Wesir verheiratet.
Auch Nur al din wird gefangen und dem Wesir ausgeliefert,
und da dieser, um sein eheliches Heim einzuweihen, den Gefangenen
mit zwei anderen Muselmännern töten will, so sperrt er ihn im Pferde-
stall ein. Dort heilt er durch Gottes Willen ein krankes Pferd, wird
begnadigt und auf die Heilung hin Stallmeister.
In dieser Stellung flieht er abermals mit Miryam. Die nach-
setzenden Brüder bekämpft das Mädchen selber erfolgreich und tötet
sie. Bei Harfin angelangt finden die Liebenden in ihm einen Be-
schützer gegen die diplomatischen Versuche, Miryam zurückzuerhalten.
So findet ihre Hochzeit und die Wiederversöhnung mit Nur al dins
Eltern statt. —
Die orientalische Sammlung bietet zu der Vorgeschichte bis
zur Entführung der Heldin durch den Wesir noch eine Variante in
der Erzählung von ''Ali Sär ^ : Dort wird der Jüngling als Verschwen-
der dargestellt, die Heldin verfertigt prächtige Schleier, sie wird ihm
während des Schlafes geraubt.
Die ganze Erzählung von Nur al din, wie wir sie hier skizziert
haben, ist als ein Derivat der Sage von Emma und Egginhard an-
gesehen worden. Und zwar von Buch er (in Ztschr. d. deutsch, mor-
genl. Gesellsch. 1880, XXXIV, S. 610) und nach ihm von Varn-
hagen (Archiv f. Litgesch. XV, S. 6). Meiner Ansicht nach mit Un-
recht. Denn während es sich in der deutschen Sage um eine Königs-
tochter handelt, deren Verhältnis zum Minister schliefslich sanktioniert
wird,2 so bildet in der Erzählung von Nur al dm die Verehelichung
Miryams mit dem Wesir nur eine durchaus nebensächliche Episode.
Hier ist der Kern: Die Ehe eines Muselmannes, der mittellos ist, weil
er sich mit seinem Vater entzweit — mit einer Sklavin christlicher
Abkunft, die er um sein letztes Geld kauft. Um leben zu können,
verfertigt diese Handarbeiten, an denen sie von ihren königlichen
Eltern erkannt wird. Sie wird durch List ihrem Gemahl entführt,
der sie nach einem verunglückten Versuch zurückholt, nachdem sie
unterwegs ein glückliches Gefecht bestanden. Mutatis mutandis ist
dies auch der Inhalt des Hervis von Metz. Die geraubte Christin, die
sich zu Mohammed bekehrt, wird zur geborenen Orientalin. Der
arabische Kaufmannssohn wird zum Sohne des reichen Prevost von
* Chauvin, Op. cit. V, S. 89. Henning 7, 49.
^ Zudem ist dies durchaus charakteristische Motiv in getreuer Form
ebenfalls im Orient anzutreffen: Dort ist es Giafar, der sagenberühmte
Minister, der Haruns Schwester liebt, ein Verhältnis, das zu tragischem
Ausgang führt (vgl. Chauvins Bibliographie V, S. 168).
28*
436 Kleine Mitteilungen.
Metz. Damit er aber zum Stammvater der Lothringer tauge, wird
seine Mutter von fürstlicher Herkunft abgeleitet, und es sind adelige
Instinkte, nicht eine blofse Beleidigung, die ihn vom Vater trennen
und dessen Hilfsquellen berauben. Dieses Hervorbrechen adeliger
Instinkte bei einem angeblichen Kaufmannssohne ist aber ein Motiv
aus einem der beliebtesten Volksbücher des Mittelalters, dem Kaiser
Octavian, und mag von diesem oder seiner Vorlage entstammen.
Denn dort ergibt es sich folgerichtig, weil der Bürgersmann nur
Pflegevater des königlichen Jünglings ist, während er im Hervis als
dessen wirklicher Vater gilt. In der altfranzösischen Literatur findet
sich das Motiv noch einmal in den Enfances Vivien. Stengels An-
sicht ist, dafs dies Gedicht direkt aus dem Hervis geschöpft hat. Da
QY {Jahresbericht 1899 — 1901, S. II 71) verspricht, 'die nicht nur auf
die Marktszene beschränkte Abhängigkeit der Enf. Viv. vom Hervi
V. M.' im zweiten Band seiner Ausgabe darzulegen, kann ich hierauf
verweisen und zu den Quellen des Hervis zurückkehren.
Im Erfolg ist die orientalische Erzählung mit dem Hervis über-
einstimmend. Der Held ist mittellos, weil ihn sein Vater, ein reicher
Kaufmann, verstofsen hat. Während aber Hervis vor der Verstofsung
die schöne Beatrix kauft, geschieht dieser Kauf von selten Nur al
dins nach dieser mit dem letzten Gelde. Technisch bietet hier die
französische Version gröfsere Geschlossenheit als die orientalische,
indem die Grundlage des Romans gleichzeitig als Mittel verwendet
erscheint, den Konflikt mit Hervis' Vater herbeizuführen. Für uns
liegt in dieser Verschiebung keine Schwierigkeit. Bei diesem Kaufe
der schönen Sklavin hat sich zudem in der französischen Version ein
ganz charakteristisches Motiv erhalten: Hervis fragt nämlich die
Verkäufer der Beatrix, ob das Mädchen eine Jungfrau sei. Diese
antworten, er solle sie selber danach fragen:
1282 'Ales avant, si redemandes lif
Und er tut das mit folgender sonderbarer Bitte, ob sie erlaube, dafs
er sie kaufe:
1298 *. . . Dame, a moi en entendes ?
Vous plairoit il, pour diu nel me celes,
Que vous accate et d'argent et d'or der?'
Und wiederholt diese Frage, als er erfahren, dafs sie noch Jungfrau
sei, noch einmal in demselben Wortlaut (1347), worauf sie ihm zusagt.
Man könnte denken, der Dichter habe dies so geschrieben, um
die Ritterlichkeit Hervis' in das rechte Licht zu stellen, aber auch
die Verkäufer scheinen Beatrix eine gewisse Bestimmung über sich
selbst zuzugeben, indem sie Hervis an sie weisen. In der arabischen
Erzählung hat aber Miryam diese Bestimmung übersieh selbst, und
kraft dieser weist sie vor dem Ankauf durch Nur al diu mehrere
Käufer zurück und nimmt den an, der ihr gefällt. Ein Zug, den
Chauvin auch sonst in Tausendundeine Nacht nachweist. Dies wäre
Kleine Mitteilungen. 437
also im Hervis von Metz ohne Zweifel ein Überrest eines nicht in
seinem ganzen Umfange verstandenen fremden Motivs. —
Nachdem der Ankauf der Heldin das letzte Geld verschlungen,
lebt das Liebespaar auf Kosten eines Mannes, der hier der Gemahl
von Hervis' Halbschwester, dort ein Freund des Vaters ist Beide
Helden wissen nicht, wer ihre Gattin ist. Wie auch diese Hilfsquelle
versagt, verfallen beide Heldinnen auf den Gedanken, ihre weibliche
Handfertigkeit zum gemeinsamen Unterhalte auszubeuten. Miryam
stickt Gürtel und Tücher, aber der Wesir des Christenkönigs, ihres
Vaters, entdeckt sie hierdurch und führt sie zurück.
Anders im französischen Gedicht: Beatrix schickt Hervis mit
ihrer Stickerei nach Tyrus, damit er dort von ihren Anverwandten
einen besonders hohen Preis erziele und sich von seinen Schulden be-
freien könne. Es liegt auf der Hand, dafs dies ungereimt ist: Beatrix'
Eltern sind zur Untätigkeit verdammt, die Heldin und der Held aber
tragen die direkte Schuld, dafs die Tyrer die Spur der Königstochter
erhalten. Dafs diese nicht gleich den Verkäufer der Stickerei an-
halten, sondern ihn durch Spione verfolgen lassen, ist, trotz der Ver-
sicherung, dafs in Tyrus jeder sein Recht erhält (3744 fF.), ungeschickt.
Es ist möglich, dafs der französische Dichter den Verkauf von
Stickereien in der Heimat durch seinen Helden für zu unritterlich
gehalten hat und deswegen änderte. Dafs er änderte, möge folgende
Erwägung zeigen: Hervis verlangt in Tyrus 8000 Mark Goldes für
die Stickerei (3707), der König bittet ihn, herunterzugehen. Statt
dessen verdoppelt er den Preis.
3711 'Sire, quant refuse l'aves
Pour.VIILM. mars, .XVI. M. en donres.^
Und als diese Summe abermals zurückgewiesen wird, verdoppelt
er sie abermals, mit der Bemerkung, so sei sein Auftrag:
3752 'Li miens, maistres, quant vint au departir,
Me ßst, bons roys, et jurer et plttevir
Que douhleroie mon drap dusqu'en la finl'
Man mufs gestehen, dafs dies eine seltsame Art zu handeln ist.
Wenn aber, wie in der arabischen Erzählung, die Ursache zu der
Preissteigerung die ist, dafs der Held an einen gewissen Verkäufer
nicht verkaufen darf, so dafs dieser den Preis so lange steigert, bis
der Verkäufer verblendet ist und sich verleiten läfst, ihm den Willen
zu tun — dann ist der Handel verständlich.
Aber noch einen Zweck kennt die volkstümliche Darstellung,
zu dem sie leine solche Preissteigerung verwendet: Wenn ein Gegen-
stand in bestimmte Hände gelangen soll, so wird er allen Käufern
für eine Unsumme angeboten, bis der richtige kommt. Und wir glau-
ben daher in der Darstellung des Hervis von Metz eine verständnis-
lose Vermischung dieser beiden Motive zu erblicken: Der Dichter
hatte in seiner Vorlage die erste Form: Beatrix, oder ihr Urbild,
438 Kleine Mitteilungen.
scheute sich, sich ihren Verwandten zu erkennen zu geben, und ver-
bot, wie Miryam, an eine gewisse Persönlichkeit zu verkaufen. Sollte
diese kommen, so müfste dieselbe durch einen ungewöhnlichen Preis ab-
geschreckt werden. Denn dafs sie, wie Miryam, von ihren Verwandten
nicht erkannt werden wollte, darauf deutet doch hin, dafs sie um
keinen Preis Hervis sagen will, wer sie ist (1293, 1315, 2919).
Den Verkauf im heimatlichen Kramladen mufste nun der Dich-
ter des Hervis seinem Helden aus naheliegenden Gründen ersparen,
drehte deshalb um und wählte offenbar die zweite Form der eben
aufgeführten, in welcher, wie in Mahmud, durch eine Stickerei der
Aufenthalt der Vermifsten absichtlich angegeben werden soll. Da
dies aber Beatrix' Absicht nicht sein konnte, entstand ein Wider-
spruch. Denn nach der Forderung der zweiten Form erhält ja der
Käufer den Gegenstand um eine angemessene Summe, und nur die,
in deren Hände der Gegenstand nicht gelangen soll, werden durch
einen besonders hohen Preis abgeschreckt.
Der Dichter des Hervis von Metz zeigt sich also als Kenner
solcher Märchenmotive. In ihrer Verwendung freilich zeigt er eine
belustigende Unfähigkeit: Er vermischt zwei ähnliche Formen, über-
sieht, dafs beide ganz verschiedenen Zwecken dienen, und erhält ein
Unmögliches: Er hat Hervis selbst ausziehen lassen müssen, um mit
Beatrix' Verwandten in Kontakt zu kommen, so dafs nicht diese die
Geraubte suchen und wiederfinden, sondern Beatrix die Verwandten
auf die eigene Spur lenkt und selber dadurch an ihrem Unheil schuld
wird. Und wenn auch schliefslich der Verkauf des Schleiers Hervis'
kaufmännische Unfähigkeit auf das grellste hervortreten läfst, so ist
ihm damit auch alle Glaubwürdigkeit genommen.
Die ganze Intrige, die in der orientalischen Version mit einer
einzigen Fahrt erledigt wird, der Reise des Wesirs, der nach Miryam
forscht, sie findet und sogleich mitnimmt — zerfällt hier in drei
Reisen und verlängert das Gedicht um mehrere tausend Verse: Her-
vis fährt nach Tyrus; bei seiner Rückkehr gehen zwei Späher hinter
ihm her, um seine Herkunft zu ermitteln, kehren nach Tyrus zurück;
dann erst bricht Beatrix' Bruder zu ihrer Entführung auf.
Abgesehen von diesen Verschiedenheiten im Detail ist die Intrige
im Kern dieselbe: In der Erzählung wie im Gedichte wird die Spur
der Geraubten durch eine Handarbeit wieder ermittelt und die-
selbe gegen ihren Willen zu ihren Anverwandten zurückgebracht.
Von hieraus weichen beide Erzählungen wesentlich voneinander
ab : Der Dichter des Hervis hat in Nachahmung epischer Lieder und
in Vorbereitung der Lothringer Hervis krönen lassen und ihm einen
gewaltigen Gegner in Anseis von Köln gegeben. Während der
Kämpfe mit diesem wird Beatrix von ihrem Bruder Floire geraubt.
Er hat noch dazu die Expedition dieses Bruders vor sich gehen
lassen, um die Schwester einem heidnischen König von Spanien zu
verschaffen, der mit Krieg gedroht hat, falls sie ihm nicht gewährt
Kleine Mitteilungen. 439
würde. Ein häufiges Motiv in der romantischen Literatur. Aber
hier pafst es nicht, denn der Heide begehrt ein Mädchen, das als
verschollen galt und nach wiederaufgefundener Spur noch nicht
wieder in der Gewalt ihrer Sippe war. Und da die Reise des Bru-
ders nach Metz, um seine Schwester zurückzuholen, durch die ver-
wandtschaftlichen Bande genügend motiviert erscheint, so ergibt sich
des Dichters Absicht, um jeden Preis zu verlängern, um aus dem
etwas kargen Stoff die üblichen 10 000 Verse zu machen. Aufser-
dem bringt er seinen Helden auf diese Weise mit Sachsen und Sara-
zenen zusammen, was ihn in den Augen der Zuhörer seiner Nach-
folger würdig erscheinen läfst.
Aber auch Mirjam hat ja neben Nur al din einen zweiten
Freier. Denn wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt ist, dafs der
bucklige Wesir von vornherein die Heldin zur Frau begehrt, so wird
sie ihm doch, als er sie wiedergefunden hat, zum Lohne anvermählt.
Wenn dem Dichter des Hervis ein gleiches vorlag, so ist es denkbar,
dafs er aus ihm seinen Freier, den Spanierkönig, entwickelt hat. Und
das erhellt auch daraus: Wenn der Wesir die verschollene Mirjam
zur Frau begehrt, sie deshalb sucht und entführt, so ist das weder
unglaublich noch ohne Parallelen in der verwandten Literatur. Wenn
aber der ganz unbeteiligte König von Spanien die verschollene Tyre-
rin Beatrix unter Drohungen zur Frau begehrt und ihr Bruder
Floire sich für ihn aufmacht, so ist das ungereimt. Auch hier scheint
also der Dichter des Hervis bei der Komplizierung seiner einfachen
Vorlage ('Spaltung' des die Geliebte suchenden Freiers in einen
Freier und einen Suchenden) wenig Glück und noch weniger Geschick
gehabt zu haben.
Dagegen ist die Wiedererlösung der Beatrix durch Hervis ohne
alle Analogien mit der arabischen Erzählung. Sie findet während
des Brautzugs statt, der Beatrix zum König von Spanien bringen
soll, und wenn hierbei, wie in der arabischen Erzählung, ein glück-
liches Gefecht des wiedervereinigten Paares gegen die Verfolger statt-
findet, so ist dies als ein Gemeinplatz an dieser Stelle zu selbstver-
ständlich, als dafs es als Parallele hervorgehoben zu werden brauchte.
Wohl aber findet sich Identität im Ausgang, insoweit als die Heldin
unbehelligt bei ihrem Gatten bleibt und — was im Hervis antizipiert
ist — auch eine volle Versöhnung mit dem reichen Vater eintritt.
Die Verschiedenheit in diesen abschliefsenden Abenteuern ist
durchaus erklärlich, wenn man die Rolle bedenkt, die Hervis zu
spielen bestimmt war: Der Dichter mufste durch Einführung kriege-
rischer Ereignisse den Zusammenhang mit der Lothringer-Geste her-
zustellen suchen. Hierzu kommt die dem Thema — Trennung durch
Entführung und Wiedervereinigung — eigene Dehnbarkeit.
So bringt die Erzählung von ^Äli Sar nach einer der unsrigen
durchaus verwandten Vorgeschichte, nach der Wiederkennung an
440 Kleine Mitteilungen.
der Stickerei und der Entführung der Heldin, eine ganz anders ge-
artete Folge von Abenteuer. Dort gelangt die Heldin nach mancherlei
Erlebnissen in ein Königreich, wo gerade kein Herrscher war, und
wird zur Königin ausersehen. In dieser Stellung gelingt es ihr, ihren
ehemaligen Liebhaber, der sie einst auf dem Markte mit ihrer Zu-
stimmung als Sklavin gekauft, heranzuziehen, durch ein ingeniöses
Mittel zu erkennen und sich wieder mit ihm zu vereinigen.
An der Verwandtschaft des Hervis von Metz mit der orienta-
lischen Erzählung von Nur al din ist nach diesen Erwägungen, trotz
der verschiedenen Entwickelung, nicht gut zu zweifeln. Die in der
Intrige übereinstimmend verwendeten Motive sind sehr charakteristisch
und können durchaus nicht als Gemeinplätze angesehen werden. In
der französischen Literatur finden sie sich, meines Wissens, nur an
der besprochenen Stelle.
Wird es schon hierdurch wahrscheinlich, dafs wir es mit einer
ursprünglich orientalischen Erzählung zu tun haben, so gibt es hier-
für noch andere Argumente: Wir gingen ja davon aus, dafs der Ver-
kauf einer Sklavin im Herzen von Frankreich immerhin etwas Auf-
fallendes hat. Nicht aber im Orient. Dort ist er kulturell am Platz
und in der Literatur ein häufig zu treffendes Motiv. Der Verkauf
der Beatrix ging unter Bedingungen vor sich, die ebenfalls im Orient
als kulturell zulässig erscheinen, da sie öfters in der Literatur zu
finden sind. Nehmen wir hinzu, dafs gerade im 13. Jahrhundert, der
Entstehungszeit des Hervis, eine grofse Zahl von orientalischen Stof-
fen in Frankreich bekannt war und in selbständiger Weise verwertet
wurde, so scheint es begründet, auch für diesen Fall das arabische
Märchen aus Tausendundeine Nacht als das ursprüngliche anzusehen,
das in einer wenig verschiedenen Version nach Frankreich gekom-
men ist. Dort hat der Dichter des Hervis von Metz es kennen ge-
lernt und unter Einführung einer besonderen Idee und ritterlich-
epischer Gemeinplätze ein Mittelding von Roman und Nachepos aus
ihm gemacht, in welcher Gestalt das Gedicht auf uns gekommen ist.
München. Leo Jordan.
Nachschrift. Seit diese Zeilen geschrieben wurden, ist der achte
Band von Chauvins Bibliographie des Ouvrages Arahes erschienen (1904),
der die Syntipas-Y er^ionen zergliedert. Hier findet sich eine weitere
Variante zu unserer Erzählung in der Nummer Gl :
Der Sohn des Hurdsäniten und sein Erxieher.
Der Sohn eines Huräsäniten liebt ein freies Leben und wird deshalb
von seinem Vater einem Erzieher unterstellt. Er kauft eine schöne Sklavin,
kann aber nur die Hälfte des Preises erlegen. Da bringt die Sklavin ein
Armband vor, das für den Best der Summe genügt. Der König kauft das
Armband, begehrt die Besitzerin zu sehen (?) und läfst sie durcli eine List
sich zuführen. Der junge Mann aber ermittelt in schlauer Weise ihren
Aufenthalt und holt sie zurück. Der Erzieher macht den Angeber, stirbt
aber an dem Gifte, das er seinem Zögling hatte geben wollen. L. J.
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Shakespeare -lexicon. A complete dictionary of all the English words,
phrases and constructions in the works of the poet. By Alexander
Schmidt, LL. D. 3^^ ed., revised and enlarged by Gregor Sarra-
zin. 2 Vols. Berlin, G. Reimer, 1902.
Es ist eine der tragischen Bürden unseres kurzen Erdendaseins, dafs
wir nur selten im Schatten der Bäume ruhen, die wir gepflanzt haben,
selten ihre Früchte geniefsen — und traurig: je edler die Bäume sind, je
kösthchere Labung sie kommenden Geschlechtern gewähren, desto sel-
tener. — Auch der grofse Schöpfer des Shakspere-Lexikons
hat diese Tragik an sich erfahren.
Die allgemeine Anerkennung seiner Arbeit als das, was sie ist, hat
Schmidt nicht erlebt, diese verdiente Frucht seines unerhört mühseligen
Schaffens nicht gekostet — schon deshalb nicht, weil der beste Rezensent
eines grofsen Geisteswerkes, die Zeit, eben lange Zeit braucht, um mit
seinem Urteil fertig zu werden. Das war in diesem Falle schwieriger als
sonst, da das Werk für zwei verschiedene Nationen berechnet und in eng-
lischer Sprache geschrieben war; und bei der besonderen Art des eng-
lischen Selbstgefühls war es vorauszusehen, dafs ein deutsches Shak-
8 pere- Lexikon nicht auf ungemischtes Lob zu rechnen haben werde,
zumal ja selbstverständlich Artikel und Artikelteile sich entdecken liefsen,
die ein englischer Philologe verbessern konnte. Ganz verstummt sind die
gegnerischen Stimmen auch heute noch nicht: vor kurzem noch hat ein
amerikanischer Herostrat sich den bedauernswerten Ruhm einer anmafsen-
den Verunglimpfung des Werkes erworben. Im ganzen freilich haben
sich jetzt die Englisch sprechenden Kenner des Dichters in die Tatsache
gefunden, dafs der gröfste aller Shakspere-Philologen ein Deutscher ist,
und die englische Shakspere-Exegese basiert ebenso anstandslos wie die
deutsche auf diesem grundlegenden Werke. Ich selbst, nachdem ich es
ein Vierteljahrhundert fast fortgesetzt benutzt, nachdem ich alle hervor-
ragenden englischen Hilfsmittel zum Studium Shaksperes gründlich kennen
gelernt habe, halte mich zu dem Urteil berechtigt, dafs es kein Werk in
der Welt gibt — den groisen Furness nicht ausgenommen — , das so viel
wie dieses für das eindringende Verständnis des Dichters getan hat.
Die allgemeine und unbedingte Anerkennung dieser Grofstat des deut-
schen Idealismus hat Schmidt nicht genossen. Die anderthalb Jahre vor
seinem Tode (1887) geschriebene Vorrede zur zweiten Ausgabe spricht sich
über die eigene Leistung mit einer Bescheidenheit aus, welche uns Nach-
lebende, die wir immerfort aus diesem unversieglichen Born des edelsten,
des Shakspere -Wissens trinken, rührt und beschämt; ihr älteren Kritiker
habt doch wohl zu einseitig eures Amtes gewaltet, die unvermeidlichen
Schattenseiten zu schwarz gefärbt gegenüber dem blendenden Glänze des
Ganzen, wenn der grofse Gelehrte als 'wünschenswert' bezeichnen konnte
'die gänzliche Umarbeitung eines Werkes, dessen Mängel ihm zu schmerz-
lichem Bewufstsein gekommen wären', und sein Bedauern darüber aus-
sprechen, dafs er selbst aufserstande sei, diese Arbeit zu übernehmen.
Von einer gänzlichen Umarbeitung kann überhaupt nicht
die Rede sein, sondern nur von Besserungen, resp. Zusätzen
442 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
im einzelnen, die freilich, wenn sie durch das ganze Werk durch-
geführt werden, wohl einen Neudruck erfordern dürften. Vorderhand
freilich ist an einen solchen nicht zu denken schon aus rein materiellen Er-
wägungen, welche neben den idealen hienieden immer ihr Eecht fordern.
Es ist undenkbar, dafs ein Verlag, stehe er noch so hoch, nachdem er
durch enorme Opfer eine wissenschaftliche Tat ersten Ranges ermöglicht
hat, sich in neue grofse Opfer stürze, ehe die alten einigermafsen aus-
geglichen sind: obgleich ich in diese Seite der Publikation gar keinen
Einblick habe, glaube ich doch in der Annahme nicht fehlzugehen, dafs
noch einige Ausgaben des Shakspere-Lexikons in der ursprünglichen Ge-
stalt nötig sein werden, um dieses Ziel annähernd zu erreichen.
So hat denn Sarrazin, der Herausgeber der dritten Auflage (1902),
eiaerseits dem ausdrücklich geäufserten Wunsche Schmidts entsprechend
gehandelt, anderseits unter den vorliegenden Umständen die einzig mög-
liche Änderung der zweiten vorgenommen, indem er ein recht umfang-
reiches Supplement hinzufügte. Damit ist zunächst allen billigen An-
sprüchen genügt.
Auch Sarrazins Arbeit ist eine opfervolle: er hat den Ertrag mehr-
jähriger Studien auf 30 Lexibonseiten zusammengedrängt und nach meiner
Schätzung etwa von 000 Stellen die Erklärungen neuester Interpreten ge-
geben. Dazu war die Verwendung der neuesten und hervorragendsten
Ausgaben und der in anderen Veröffentlichungen verstreuten Auslegungen
nötig. Die vorwiegend benutzten Ausgaben sind die der. Clarendon Press
(von Wright und Clark & Wright), des Warwiek Shalespeare (von Cham-
bers herausgegeben in Gemeinschaft mit Boas, Macdonald, J. C. Smith,
Moore Smith, Withers und Wyatt), des Eversley Shakespeare (von Her-
ford), des Temple Shakespeare (von Gollancz). Ich vermisse nur den schon
etwas älteren Irving Shakespeare (1888 — 90), der eine Reihe originaler
Interpretationen auf Grund umfangreichen philologischen Wissens enthält.
Der sehr wertvolle Pitt Press Shakespeare von Verity, der dem der Cla-
rendon Press den Rang ablaufen zu wollen scheint, konnte für diese Ar-
beit kaum mehr verwandt werden, da er erst seit 1899 und sehr langsam,
Stück für Stück, erscheint; für das nächste Supplement aber wird er
gutes Material bieten. Auch auf die älteren Ausgaben von Rolfe, ^ Hud-
son und Furness wird öfters zurückgegangen.
Für die Gedichte sind Wyndham und für die Sonette speziell aufser-
dem die Ausgaben von Dowden^ und Tyler durchgearbeitet. Auch Dow-
dens ausgezeichnete Hamlet-Ausgabe ist vielfach benutzt.
Von sonstigen Erläuterungsschriften finde ich verwandt: Vaughan
(New readings c&c), Mackay {Obscure words Sc), Madden {A study of
Sh. and of Elixahethan sport^), Grindon {Sh.'s flora), Fairholt (Costume
In England), Sidney Lees Biographie, Walter {Sh.'s true life), Einzel-
erklärungen aus dem Sh.-Jahrbuch, den 'Englischen Studien', dem AtJie-
nceum und Notes and queries. Besonders gründlich sind Koppels (bisher
sich nur auf Lear und Macbeth erstreckende) ausgezeichnete 'Sh.-Studien'
verwertet. Aufserdem sind Franz' Sh.- Grammatik und die Wörterbücher
von Skeat und Murray herangezogen.
Sarrazin hat die Ansichten der verschiedenen Interpreten in englischer
Sprache und, wie es für ein Lexikon-Supplement erforderlich war, mit
äufserster Knappheit zusammengestellt. Ich habe das Supplement zwei
* Besonders die Erklärungen der zuletzt erschienenen Dramen sind sehr brauch-
bar, aber wenig original.
2 Eine vorzügliche Sonett-Ausgabe.
3 Der Haupttitel lautet: l%e Diary of Master William Silence. London 1897 —
ein für jede neuere Interpretation unerläfsliches Hilfsmittel.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 443
Jahre benutzt und kann bezeugen, dafs es mir vortreffliche Dienste ge-
leistet hat. Wortbedeutungen, die mir — besonders auf Grund von Mur-
ray — als fehlend aufgefallen sind, sowie einzelne Ausstellungen an den
von Sarrazin gebrachten Interpretationen werde ich am Schlufs der Be-
sprechung zusammenstellen.
Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, den Verlag zu der
Wahl des Fortsetzers dieses grofsen Werkes zu beglückwünschen ; er hätte
in Deutschland keinen für die feine und mühevolle Aufgabe geeigneteren
Gelehrten fiuden können. Sarrazin ist uuter den jüngeren originalen
Shakspere-Forschern ohne Zweifel der bedeutendste, welcher diesen Wissens-
zweig in anerkennenswertester Weise gefördert hat. Er ist einer der vor-
derhand noch äufserst wenigen Shakspere-Gelehrten, die ein gebührendes
Gewicht auf Stilstudien legen, wie sein Buch 'Sh.s Lehrjahre' und eine
Anzahl von Aufsätzen zeigen. Und wie ich mit ihm der Ansicht bin, dafs
die seit Jahrhunderten sich immer im Kreise drehende, gänzlich versumpfte
Chronologie der Shakspereschen Dramen — das heifst: die Geschichte der
dichterischen Entwickelung Shaksperes — nur gesunden kann, indem man
sie in den neuen Boden stilistischer (auch v er s stilistischer) Studien pflanzt,
so hoffe ich bei ihm die Anerkennung der Berechtigung des Wunsches
zu finden, dafs auch das Sh.-Lexikon der Zukunft, soweit das möglich
ist, diese Studien unterstützen sollte. Schliefslich repräsentiert Sarrazin
eine jugendliche Kraft, welche über die erforderliche Frische und Aus-
dauer verfügt, um dieses grofsartige Werk in jahrelanger Arbeit der Voll-
kommenheit näher zu führen.
Im folgenden möchte ich die Wünsche zusammenstellen, die ich für
einen — sagen wir: zur fünfzigjährigen Jubelfeier erfolgenden — Neu-
druck des Shakspere-Lexikons auf dem Herzen habe. Vielleicht sind sie
zu grofs, vielleicht stöfst ihre Verwirklichung zum Teil auf unüberwind-
liche praktische resp. materielle Hindernisse: jedenfalls möchte ich mir
nicht versagen, sie zur Diskussion zu stellen.
1) Der Druck.
Bevor ich meine Wünsche über diesen Punkt ausspreche, möchte ich
ein charakteristisches Kuriosum berichten. Ein paar Jahre vor dem Er-
scheinen der zweiten Auflage fragte Schmidt bei mir an, ob ich Druck-
fehler entdeckt hätte. Ich hatte drei oder vier falsche Ziffern gefunden,
deren Berichtigung ich ihm mitteilte. Aber da ich nur wenige Jahre erst
damit gearbeitet hatte, so setzte ich voraus, dafs unter den vielen Millionen
von Ziffern eine stattliche Anzahl falsche sein würden — wie konnte es
anders sein ? — Ich machte ihm daher den Vorschlag, im Shakspere-Jahr-
buch und in Herrigs Archiv in dieser Frage einen Aufruf zu erlassen.
Schmidt erklärte sich anfangs dazu bereit. Ich selbst schrieb an mehrere
mir bekannte Fachgenossen, erhielt aber von allen die Antwort, dafs sie
keine Druckfehler gefunden hätten. Ebenso mufste es Schmidt selbst er-
gangen sein: nach einiger Zeit schrieb er mir, er wollte auf den Rat von
Freunden von einem Aufruf absehen; der Druckfehler seien so aufser-
ordentlich wenige, dafs sie überhaupt nicht in Betracht kämen. Und so
ist es. Ich habe im Laufe von 27 Jahren 9 gefunden. Das Shakspere-
Lexikon ist also unerhört gut gedruckt.
Trotzdem möchte ich für das neue den fetten Druck der die Unter-
abteilungen der Artikel bezeichnenden Buchstaben und Ziffern für
unerläfslich halten. Es kostet sehr oft einen überflüssigen Zeitaufwand,
die neue Bedeutung eines Wortes zu finden.
Ein recht grofser Übelstand ist es, dafs die Vers an fange der Folio
nicht durch grofse Buchstaben in den Zitaten kenntlich gemacht sind.
Die Abhilfe würde indessen eine Riesenarbeit und gewaltige Kosten ver-
ursachen, und darum ist sie unmöglich.
444 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
2) Ordnung der Artikel.
Schmidt hat etwa die Hälfte der mit over zusammengesetzten Wörter
in zwei verschiedenen statt in einem Artikel behandelt, wenn im Text
neben dem vollständigen over- die durch den Vers erforderte Kürzung
o'er- vorkam. Wenn wir uns also über die Bedeutung von overbear infor-
mieren wollen, müssen wir overbear und o'erbear nachschlagen. Das Un-
glück will es, dafs zu diesen Kompositen eine Keihe häufig vorkommender
Wörter gehören. Es ist keine Frage, dafs wir im neuen Sh.-Lex. dieser
zeitraubenden Belästigung überhoben werden müssen.
So finden wir auch zwei verschiedene Artikel von compt und count.
Solche Zufälligkeiten in der Schreibung der Wörter dürften keine Ver-
anlassung sein, ein und dasselbe Wort an zwei Stellen zu behandeln.
8) Innere Anlage der Artikel.
Die Komposita der einfachen Verba werden von Schmidt ver-
schieden behandelt. So werden die Komposita von turn — turn away,
in, offj out etc. — unter die verschiedenen Bedeutungen des Simplex turn
verteilt. Infolgedessen habe ich z. B. nach turn up the tables (Ro. I, 5, 29)
lange suchen müssen. Dasselbe geschieht bei throw, wogegen bei set und
bei lay besondere Abschnitte für die Komposita von set und lay vor-
handen sind.
Auch in dieser Beziehung scheint mir eine Änderung unerläfslich, um
unnötiges Suchen auszuschliefsen. Dagegen wage ich nicht, eine andere,
ebenfalls sehr nützliche Forderung auszusprechen: die Haupteinteilung
aller Verbalartikel in Transitiva und Intransitiva. Denn dadurch würde
die vollständige Umarbeitung der meisten von ihnen nötig werden.
4) Einzelne Artikel.
Einzelne Artikel — besonders schwierige und umfangreiche — sind
nicht genügend durchgearbeitet und müfsten deshalb umgearbeitet
werden. Als Beispiel wähle ich den Artikel soul', er erschien Sarrazin so
unbefriedigend, dafs er in seinem Supplement für soul auf die Behandlung
dieses Wortes von Singer {Sh -Jahrb. 36) verwies. In der Tat, wenn man
diesen Aufsatz mit dem vergleicht, was das Sh.-Lex. bietet, so sieht man,
wie wenig erschöpfend das letztere ist. Leider ist es jedoch unmöglich,
wenn man nach einer Bedeutung von soul sucht, den viele Seiten langen
Aufsatz durchzulesen; er müfste zu einem Lexikon -Artikel erst verkürzt
werden. Aber was von soul gilt, gilt auch von niind, spirit, brain, wäh-
rend der Artikel über ghost gut ist.
Ebenso bedürfen der Umarbeitung die Artikel über die Hilfsverba.
So könnte — nebenbei — eine hübsche Grundlage geschaffen werden für
den Modalgebrauch der Hilfsverba in heutiger Zeit, ein Gebiet der eng-
lischen Sprachwissenschaft, das noch ganz im argen liegt. Freilich ge-
hört dazu das Zusammenwirken mehrerer, für einen würde die Arbeit er-
tötend sein. Vielleicht liefse sich eine solide Grundlage für Shaksperes
Gebrauch von shall, should — will, imuld — may, cait etc. schaffen auf
dem Wege von Preisaufgaben.
Eine kleine Anzahl von Artikeln müfste hinzugefügt werden,
welche Auskunft über die Wörter der Bühnenanweisungen der Folio
geben, die Schmidt nicht berücksichtigt hat, obgleich sie in allen späteren
Ausgaben — mitunter in erweiterter Gestalt — wiederkehren. Es ist doch
wohl nötig, zu erfahren, was die sattd-bags für eine Bedeutung haben, mit
denen die Paukanten Horner und Peter in 2 H. VI auftreten; und dafs
man die Bedeutung des immerfort wiederkehrenden Wortes sennet im
Sh.-Lex. nicht finden kann, ist seltsam.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 445
5) Textkritik.
Dals die Textkritik im Kahmen eines Lexikons nur einen minimalen
Raum haben kann, ist selbstverständlich. Aber auch Schmidt, ein so ein-
seitiges Gewicht er auf den Text der 1. Folio legte, ist ganz ohne sie
nicht ausgekommen. Oft genug liest man, was die Modern Editors an
Stelle einer unmöglichen Folio-Lesart setzen. Aber in vielen Fällen hält
Schmidt an einer offenbar verderbten Textstelle ohne Wanken fest und
gibt ihr eine Erklärung, die unbefangenen Kennern der Sprache Shak-
speres unmöglich erscheint. Es ist ganz undenkbar z. B., dafs Shakspere
das Verbum expiate, das sonst in aller Welt 'sühnen' u. ä. heifst, allein von
aller Welt an zwei Stellen in der Bedeutung 'beendigen' gebraucht haben
soll, wenn es ein altes expirate gibt, das auch andere seiner Zeitgenossen
für expire verwenden. Es ist doch unmöglich anzunehmen, dafs es um
1000 drei Verba dieser Bedeutung gegeben haben soll: expire, expirate
und — expiate, das aber nur an zwei Stellen diese Bedeutung, sonst immer,
wie heute, die Bedeutung 'sühnen, büfsen' etc. hat. (S. das Wort in den
nachfolgenden Zusätzen und Verbesserungen.)
Es ist allerdings notwendig, dafs man solche offenbare Text Verderbnis,
wie das Wort expiate, in das Lexikon aufnimmt; aber dann mülste man
es mit einem Zeichen versehen, das es als fehlerhaft charakterisiert, und
auf expirate verweisen. Und diesem Beispiel entsprechend müfsten eine
grofse Reihe von Wörtern und Wendungen behandelt werden. Die Folio
ist, wenn wir von einzelnen besser gedruckten Quartos absehen, der re-
lativ beste Druck; aber niemand wird so verwegen sein, sie gut gedruckt
zu nennen. Sie enthält eine solche Menge von Schreib- und Gehörfehlern,
dafs das, was wir heute eine Korrektur nennen, kaum stattgefunden haben
kann. Jedenfalls wäre ein so nachlässiger Druck, wie der der Folio, heute
nicht mehr möglich.
Wir werden also von dem neuen Sh.-Lex. eine gröfsere Unbefangen-
heit und eine dreistere Kritik gegenüber dem Folio-Texte zu wünschen
haben.
6) Wortbedeutungen.
Das Supplement von Sarrazin bringt neben bekannten Wortbedeu-
tungen, welche eben nur von den im Sh.-Lex. für bestimmte Stellen ge-
gebenen Bedeutungen abweichen — also neben abweichenden Auffassungen
modernster Interpreten — , auch eine Anzahl von neuen, bisher unbe-
kannten, welche von den neuesten Herausgebern entdeckt sind. Darin
liegt die Tatsache ausgesprochen, dafs die Kenntnis der Sprache des
16. Jahrhunderts, welche die älteren englischen Herausgeber zu der Er-
klärung Shaksperes verwertet haben, eine lückenhafte gewesen ist. Es ist
aber selbstverständlich die Aufgabe des Erklärers, das für ihn in Frage
kommende Sprachmaterial bis ins kleinste vollkommen zu beherrschen.
Bisher gab es keine Möglichkeit dazu, jetzt ist eine gegeben in dem ge-
waltigen Murrayschen Lexikon, das als lexikographische Leistung
einzig in der Weltliteratur dasteht. Hier ist jedes Wort, das für Shak-
spere in Frage kommt, mit der ganzen Verzweigung seiner Bedeutungen
— von der Wurzel bis zur Krone — verzeichnet. Aber diese Möglichkeit
schliefst doch wieder eine scheinbare Unmöglichkeit in sich.
Wie gelangt man in dem Riesenwerke zu den Hundert-
tausenden von Erklärungen, die es zu Shaksperes Dich-
tungen gibt? und die doch unvergleichlich wertvoller sind als alle bis-
herigen, da sie auf einem nahezu vollständigen Sprachmaterial beruhen.
Bei meiner Revision des Schlegel-Tieckschen Shakspere-Textes habe ich
den Murray jetzt drei Jahre lang immerfort gebraucht, er hat mir in
bezug auf Wort- und Sacherklärung unschätzbare Dienste geleistet: was
von neuen Erklärungen in den vorletzten beiden Bänden des Sh.-Jahr-
buches, in dieser Besprechung und in einem in diesem Jahre erscheinen-
446 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
den Buche von mir enthalten ist, beruht fast nur auf ihm. Nun habe ich
nicht einmal die Zeit gehabt, auch nur die markantesten Abweichungen
von den bisherigen Erklärungen zusammenzustellen ; es sind an den ge-
nannten Stellen eine Reihe von bisher ungenügend erklärten Stellen neu
erklärt, aber lange nicht alle. Selbstverständlich habe ich Murray nur um
Rat gefragt bei Stellen, deren frühere Deutungen Zweifel in mir erregten.
Und es kann doch bei der Originalität dieses allumfassenden Werkes
nicht fraglich sein, dafs es bei der Höhe seines philologischen Stand-
punktes in zahlreichen Fällen zu anderen, gegründeteren Erklärungen von
Wörtern kommt, deren Deutung bisher unbeanstandet war. Es ist daher
meine feste Überzeugung, dafs die modernste und gewissenhafteste Aus-
gabe Shaksperes mit Hilfe des Murray nicht entfernt soviel zur Erklärung
des Dichters leisten kann als der Murray in seiner Gesamtheit selbst.
Es ist nicht meine Sache, die Frage zu beantworten, auf welchem
Wege man zu der gründlichen Ausschöpfung dieser reichen Quelle des
Sprachwissens gelangt. Gewifs ist, dafs eine solche gründliche
Ausschöpfung bei Neuausgabe des Shakspere-Lexikons
stattfinden mufs. ^
Stilistik.
Ich gebe zu, dafs ein Lexikon — im beschränktesten Sinne aufge-
fafst — nur Worterklärungen zu geben braucht und auch bestenfalls nur
wenig für die Fesstellung des Stiles tun kann. Ein gutes Lexikon aber
wird sich nicht darauf beschränken, die kahle Wortbedeutung festzustellen,
sondern es wird Aufklärung geben müssen über den Wortgebrauch.
Dafs dieser Anspruch besonders einem Speziallexikon gegenüber berech-
tigt ist, hat Schmidt anerkannt, indem er in unzähligen Fallen den Kon-
text, in welchem das betreffende Wort bei Shakspere erscheint, zusammen
mit dem Worte gegeben hat. Er hat so Aufserordentliches für Shaksperes
Stilistik geleistet.
Nun aber beruht der poetische Stil nicht blofs auf der sprachschöpfe-
rischen Tätigkeit, der eigenartigen, individuellen Verwendung der Worte,
sondern auch auf dem Gebrauch der poetischen Mittel: auf der Art der
Metaphern, Bilder, Personifikationen usw. und für jene Zeit speziell der
Wortspiele und Konzepte. Nach dieser Seite hin hat das alte Sh.-Lex. viel,
aber nicht genug getan. Die Worte 'quihblmg' und 'figuralively' wiederholen
sich, wie jeder Kenner des Werkes weifs, sehr oft, aber nicht oft genug.
Wenn wir blofs den metaphorischen Gebrauch der Worte ins Auge
fassen, so können wir den Jugendstil, der in Ro., Gentl, LL. und ebenso
in Ven., Lu. und den Jugendsonetten blüht, in As, Ado und den Viola-
Szenen von Tw. (1594. 1595) zu schwinden beginnt und im Merch. (1595/6),
abgesehen von einzelnen Nachklängen, schon überwunden ist, von dem
späteren Stil unterscheiden. Dieser im wesentlichen Petrarcas Sonetten
entwachsene und von späteren italienischen Dichtern weiterkultivierte Stil
beherrscht die ganze englische Renaissancelyrik und ist so konventionell,
so uniform, dafs wir geradezu erklären können: diese und jene Metapher
kann Shakspere nur in seiner jugendlichen Periode gebraucht haben. Man
vergleiche z. B. die Liebesgespräche zwischen Falstaff und den lustigen
Weibern mit denen der jugendlichen Dramen: es wäre hochkomisch ge-
wesen, wenn der Materialist im ätherisch verhimmelnden Stile des Romeo,
des Proteus und der liebeschwärmenden Ritter in LL. zu seinen Weibern
gesprochen hätte. Aber gegen das Ende des Jahrhunderts ist Shakspere die
Torheit dieses Stiles so zuwider geworden, dafs er ihn selbst zu satirischen
Zwecken nicht mehr verwenden mag. Und halten wir gegen jene Dramen
gar die wunderbar schönen, rein shakspereschen Liebesgespräche in Wint.,
so können wir erkennen, welch herrlichen Aufschwung Shaksperes poeti-
scher Stil seit der jugendlich befangenen Musterhaftigkeit genommen hat.
Auf diesem Gebiete hätte daher das Shakspere-Lexikon der Erkenntnis
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 447
der dichterischen Entwickelung vortreffliche Dienste leisten können, wenn
es prinzipiell den metaphorischen Gebrauch der Worte vermerkt hätte.
Aber es verfährt ungleichmäfsig. So ist die metaphorische Verwen-
dung von ^wind' gut angegeben: ^Emblem of swiftness, liberty, wantonness,
incojistancy and faheness, uhiquity.' Aber in der überwiegenden Zahl der
Fälle fehlt solche Angabe. Bei poniard z. B. finden wir das Ziffern -
Zitat 'Ado, II, 1, 255 (cf. Haml. III, 2, 414).' Was heifst das? An der
ersten Stelle steht : 'she speaks poniards', an der anderen : 'speak daggers'.
Es handelt sich also um den metaphorischen Gebrauch von 'poniard' und
'dagger', welcher mit Wortzitaten belegt werden mufste. — Unter 'Quench'
finden wir nur die allgemeine Bedeutung; 'qttench the fire of rage* (Ro. I,
1, 91) wird nicht zitiert; ebensowenig finden wir unter 'coaV das Zitat
'hot coals of^ vengeance' (2 H. VI, V, 2, 36). Bei 'Prison' ist in Ziffern-
zitaten verzeichnet, wo es ohne Artikel gebraucht wird, wo (put) in prison,
to prison, out of prison vorkommt; nicht gesagt ist, wo prison für Kör-
per (Gefängnis der Seele) gebraucht wird. Die 'infants of the spring'
(LL. I, 1, 101) kennt der Artikel 'InfanV nicht. 'Glass 2) a) a mirror',
es folgen alle Stellen dafür in Ziffernzitaten, darunter — unerkennbar —
auch die, wo es von Personen gebraucht wird.
Was von den Metaphern gesagt ist, gilt auch von den Beiwörtern, ob
schmückend oder anschaulich. Unter 'Pale' ist angegeben, wenn es nicht
von der Haut, sondern von anderen Gegenständen gebraucht wird : 'ashes,
moon, moonlight, eyes, lead, silver\ Dafs aber die 'buds' 'chaste' genannt
werden: chaste as is the hud ere it he hlown (Ado IV, 1, 59)
finden wir weder unter 'Charte' noch unter 'Bud'.
Ich glaube in der Tat, dafs ein die poetischen Mittel prinzipiell be-
rücksichtigendes Shakspere-Lexikon die nunmehr unerläfslichen Stilstudien
aufs nachdrücklichste unterstützen könnte. — Wie wäre dieses Ziel zu er-
reichen? — Ich sehe keinen anderen Weg als erschöpfende Spezialfor-
schungen über Shaksperes Gebrauch der verschiedenen poetischen Mittel.
Noch eine hierher gehörige wertvolle Kleinigkeit! Die Wortzusam-
menziehungen der Folio {y'are = you are etc.) finde ich in dem Sh.-
Lex. nicht; das wäre aber für die Chronologie der Dramen wichtig; denn
obgleich ich keine Sammlung darüber angelegt habe, glaube ich in der
Annahme nicht zu irren, dafs Zusammenziehungen, wie in's {in Ms),
froni's {from his) etc., inH {in it) u. ä., nur in späteren Dramen vorkommen.
Gern hätte ich noch etwas gesagt über die Behandlung der Paral-
lelismen des Ausdrucks und des Gedankens. Aber ich verzichte darauf;
ich fürchte, die hier für eine spätere Neuausgabe des Sh.-Lex. geäufserten
Wünsche sind schon zu umfangreich und dürften sich praktisch nur mit
grofsem Aufwand an Arbeitskraft und Kosten verwirklichen lassen. Darum
will ich zum Schlufs nicht versäumen, nochmals zu betonen: dafs das
Sh.-Lex. auch so, wie es jetzt ist, als Hilfsmittel für das Verständnis
Shaksperes von keinem anderen übertroffen wird.
Ich wollte nun noch einige Beiträge zu einem späteren Supplement des
Sh.-Lex. zusammenstellen neben denen, welche ich im 38. und 39. Bande
Sh.-Jahrbuches gegeben habe und im Laufe dieses Jahres geben werde in
meinem Buche: 'Schwierigkeiten der Shakspere- Übersetzung'.^
* Ich möchte hier bemerken, dafs dieses Buch schon seit zwei Jahren ge-
druckt vorliegt und ursprünglich am Anfang von 1903 erscheinen sollte, weshalb
ich schon im 39. Bande des Sh.-Jahrbuches (1903) leider verfrüht mich darauf
bezogen habe. Auf Wunsch der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart, bei der
die Revision des Schlegel-Tieckschen Textes erscheint, wird die Ausgabe desselben
aber erst nach dem Erscheinen der letzteren erfolgen.
448 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
aecent.
(Sh.-Lex.) *6) Speech, language\ — Diese Bedeutung kommt überhaupt
nicht vor. In den vier angeführten Beispielen hat aecent immer einen an-
deren Sinn:
1) Betonung in der Rede: throttle their practised aecent in their
fears Mids. V, 1, 97 (sie sind so schüchtern in der Rede, dafs sie die vor-
her eingeübte Betonung erwürgen, d. h. hastig drauflossprechen). — be-
guiled you in a piain aecent Lear II, 2, 117 (er sprach zu dir in dem
Tone eines einfältigen, ehrlichen Mannes und betrog dich so). — Die bei-
den Stellen gehören also unter '3) modißcation ofthe voice expressive of
sentiments'.
2) Stimme: midst tJie sentence so her aecent breaks Lu. 566.
3) Laute (einer Sprache): Shall this our lofty scene be acted over In
States unborn and accents yet unknown Caes. III, 1, 113.
action.
Die bekannte Bedeutung Wirkung, wirksame Kraft fehlt im
Sh.-Lex. ganz, z. B. : / cannot give dtie action to my words 2 H. VI, V, 1 , 8.
alehouse sign
fehlt bei alehouse und ist doch ein einheitlicher Begriff.
amaxed.
Die veraltete Bedeutung betäubt [Murray -|- 1) = stunned] fehlt, z. B.
Shrew II, 1, 156, als Katharina Hortensios Kopf durch die Laute ge-
schlagen hat: Arid I stood amaxed for a white. [Das Sh.-Lex. gibt 2) piU
in confusion by fear; das trifft den Nagel nicht auf den Kopf.]
Für die Stelle Tit. I, 1, 312, wo der durch die Entführung der Lavinia
erzürnte Kaiser Saturninus mit Bezug auf den Entführer, seinen Bruder
Bassianus, zu ihrem Vater Titus die Worte spricht:
A valiant son-in-law thou shalt enjoy (Bassianus):
One fit to handy with thy lawhss sons,
To rüffle in Ihe Commonwealth of Rome.
gibt das Sh.-Lex. 'contend, strire {in emulation)', also 'wetteifern'. Gerade
diese Nuance hat es nach Murray nicht; es heilst hier einfach raufen.
bexonian.
Hier scheint das Sh.-Lex. mit seinem 'base fellow^ gegen Sarrazin
recht zu haben, der nach einer Stelle in Markhams English Htisbatidman
die Bedeutung 'Bauer' an die Hand gibt. Murray hat für alle drei For-
men des Wortes — bexonian, besonic, besogne — nur die zwei Bedeutungen :
1) junger Rekrut; 2) Hungerleider, Lump.
brain.
Der Artikel verdient eine Umarbeitung im Sh.-Lex., welches genau
angibt, wie oft das Wort im Singular und im Plural vorkommt, aber nur
die Bedeutungen 'Gehirn' und 'Denkorgan' kennt. Es heifst selbstver-
ständlich auch bei Sh. oft Geist, Verstand; auch Gedächtnis (Ro.
I, 3, 29). ,
brawn.
Sarrazin gibt nach Wright die dialektische Bedeutung boar mit Bezug
auf Falstaff (l H. IV, II, 4, 123 — nicht 124 — und 2 H. IV, I, 1, 19).
Wenn denn die Bedeutung des Sh.-Lex. 'fleshy mass (Fleischklofs)'. hier
nicht gelten soll, dann dürfen wir sie doch wohl einbeziehen in der Über-
setzung Mastschwein.
Beurteflungen und kurze Anzeigen. 44Ö
Das Sh.-Lex. gibt nur für eine Stelle — though my case he a pitiful
one, I hope I shall not he flayed out of it, Wint. IV, 4, 844 — 'Perhaps =
the skin'. 'Vielleicht'? Es kann an dieser Stelle gar nichts anderes
heifsen als Haut. Ebenso in: what wilt tkou he when time hath sowed
a grixxle on thy case, Tw. V, 1, 168.
Vgl. / like my silver-haired conies at kome : the cases are far heiter
than the bodies (Gary, Pres. State of England 1626, bei Malone) und the
asse, stalking in the lion's case (Bussy d'Ambois, bei Halliwell). Murray
gibt mehr Beispiele für diese veraltete Bedeutung. (Sarrazin verzeichnet
sie auch auf Grund einer Bemerkung Maddens.)
cleanly.
Für die Stelle Tit. II, 1, 94:
What, hast not ihou füll often Struck a doe^
And borne her cleanly hy the heeper's nose?
gibt das Sh.-Lex. 'quite, entirely' und im Supplement für diese Stelle 'in
the very face of th£. keeper', obgleich nicht einzusehen ist, wie dieser letz-
tere Sinn aus quite und entirely folgen soll.
Murray gibt 'adroitly': geschickt (ohne dafs der Wildhüter es merkte).
complexion.
Bei Murray findet sich die im Sh.-Lex. fehlende Bedeutung 'physical
Constitution or nature'; diese ist ohne Zweifel gemeint in Isabels Worten
(Meas. II, 4, 129):
For we are soft (weich im Gemüt) as our complexions (Körper) are.
Ferner heifst es nicht blofs 'extemal appearance' (Sh.-Lex.), sondern
Wesen im Sinne von Haltung, soweit es die innere Stimmung darstellt,
und Stimmung selbst (s. Murray). So in den Worten des Polixen es
(Wint. I, 1, 381):
Your chang'd complexions (des Leontes und Camillo) are to me a mirror
Which shows me mine chang'd too.
conscience
Vernunft (nach Murray):
Canst thou the conscience lack to think . . . (Tim. II, 2, 184.)
counterfeit
Heuchler (nach Murray):
Thurio. Seem you that you are not?
Valentine, ffaply I do.
Thurio. So do counterfeits. (Gentl. II, 4, 12.)
Von 'falschen Münzen' (Sh.-Lex.) kann hier nicht die Rede sein.
depart
scheiden {=: pari, Murray 5)); das Sh.-Lex. kennt nur die Bedeutung
go away. Vgl. Ro. III, 1, 56, wo es 'auseinandergehen', nicht 'fortgehen*,
heifst.
Pflichtgefühl fehlt im Sh.-Lex. Vgl. Lear I, 1, 149:
Think'st thou that duty shall haue dread to speak,
When power io flattery hows ?
und sonst oft.
emtnence.
Murray: acknowledgment of super iority, homage (Huldigung). Das
— und nicht distinction (Sh.-Lex.) — mufs es heifsen an der Stelle, wo
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 29
450 Beurteilungen und kurze Anzeigen,
Macbeth seiner Gemahlin mit Bezug auf Banquo anempfiehlt: present htm
eminence With eye and tongue (Mach. III, 2, 30).
entertainment
— of death (Meas. III, 2, 225) heifst: ruhige Hinnahme des Todes
(Murray 12)), nicht conception, expectation of death (Sh.-Lex.).
entrails.
Falstaff wird (Wiv. V, 5, 162) charakterisiert als :
Old, cold, wiihered, and of inlolerable entrails.
Sh.-Lex. und die Übersetzer sagen 'Eingeweide', einer sogar 'Schmerbauch'.
Diese Bedeutung ist ziemlich weit entfernt von der wirklichen, die das
Wort an dieser Stelle nach Murray hat: Seele.
Sarrazin gibt nach Madden die Bedeutung Habicht, und die würde
in der Tat sehr passend sein für die Stelle Ant. III, 13, 197: In that mood
ifury) TJie dove will peek the estridge — würde aber gar nicht an der Steile
sein, wo die Ritter geschildert werden als all plum'd like estridges.
Murray kennt das Wort nur als eine Variation von ostrich. Und so
wird es wohl auch in der ersten Stelle Straufs heifsen müssen.
expiate
soll an zwei Stellen im Sh. die Bedeutung beendigen haben: death my
days should expiate, Son. 22, 4, und Make haste: the hour of death is ex-
piate, R. III, III, 3, 23. An beiden Stellen wird diese Bedeutung aller-
dings postuliert. Merkwürdig ist freilich, dafs nur die 1. F'olio expiate
liest; die Herausgeber resp. Drucker der drei späteren Folios haben das
Wort ausgemerzt und dafür now expired eingesetzt, ihnen war das Wort
— sonst bekannt in der Bedeutung 'sühnen' — offenbar in dieser Bedeu-
tung ungeläufig.
Noch merkwürdiger ist, dais auch Murray nur diese beiden Stellen für
die Bedeutung 'beendigen' bringt. In den drei anderen bei ihm heifst expiate
einmal offenkundig 'sühnen' (Objekt: grief), zweimal 'büfsen' (rage, fury)
im Sinne von 'befriedigen' (seine Lust büfsen) ; die von ihm gegebene erste
Bedeutung pafst durchaus nicht. — Sollte Sh. sich an dieser Stelle in
dem Fremdwort versehen haben — es wäre nicht die einzige — ? oder der
dictando Setzende durch einen seiner zahlreichen Gehörfehler der 1. Folio
den Text verderbt haben?
Ich sehe keine andere Lösung des Rätsels als an beiden Stellen das
veraltete expirate {■=. expire) einzusetzen.
favours.
Das Sh.-Lex. führt zwei Stellen an^ in denen der Plural ^favcmrs'
Gesichtszüge heifsen soll; eine davon heifst: stain my favours in a
bloody mask (l H. IV, III, 2, 136). So erklären auch Warburton und
Johnson, und es ist keine Frage, dafs die Bedeutung für die Stelle sehr
passend ist. Ich kann daher Sarrazin nicht beistimmen, wenn er Wright
{Clarendon Press) folgt, welcher behauptet, dafs der Plural ^favours' von
einer einzelnen Person nicht gebraucht wird. Er meint also, dafs ^favour''
das 'Aussehen', aber nicht einen einzelnen Gesichtszug bezeichnet. Dem
widerspricht Murray, der '■favour^ in der besonderen Bedeutung von 'a fea-
ture' bringt und zwei Beispiele anführt, wo es ohne Zweifel diese Bedeu-
tung haben mufs. Damit ist Schmidts Ansicht, dafs 'favours' mehrere
Gesichtszüge oder auch die Gesamtheit der Gesichtszüge bezeichnen kann,
bestätigt. — 'favours' an den beiden Stellen als 'Liebeszeichen' (Schärpen,
Handschuhe) zu fassen, scheint mir unmöglich.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 4SI
fortune
heifst nach Murray auch guter Stand, gute Familie.
the face and thy hehaviour,
Which, if my augury deceive me not,
Witness good bringing-up , fortune, and truth. (Gentl. IV, 4, 74.)
Mit dem 'prosperity' des Sh.-Lex. ist hier nichts anzufangen.
ginger
blofs 'a spiee' ? — Es war u. a. ein den Geschlechtstrieb erregendes Mittel,
das canded, greene, or condited' gegessen wurde. (S. Furness zu Tw. II,
3, 126.)
hang
soll nach Herford (Supplement) für 'execute' (er meint 'hehead') gebraucht
werden in der Stelle: ^you mtist rise and be hanged' (Meas. IV, 3, 24).
Das glaube ich nicht; Murray gibt keine Beispiele für eine derartige Be-
deutung. Auch ist sie an dieser Stelle gar nicht erforderlich: Der zum
Henkersknecht beförderte Kuppler Pompejus, der diese Worte dem Barnar-
diue zuruft, weifs eben noch nicht, dafs dieser geköpft und nicht gehängt
werden soll.
headstrong.
Die Bedeutung ungestüm fehlt für die Stelle 2 H. VI, III, 1, 356.
= 'condemn by hissing' (Sh.-Lex.) für die Stelle
The wind hiss'd him in scorn. (Rom. I, 1, 119.)
Die Bedeutung 'auszischen' scheint mir wenig passend; vielmehr: 'Der
Wind zischte ihn höhnisch an'.
horns
= deer — nur an einer Stelle: LL. IV, 1, 113. Diese Bedeutung gibt es
nicht.
hue.
Sarrazin gibt für htie in Sonn. 20, 7 nach Dowden und Wyndham
die richtige Bedeutung = *shape, embodiment'. Es fehlt hier noch die
Stelle Tit. I, 1, 261, wo Saturnin von Tamora sagt:
A goodly lady, trust me, of the hue
Thai I would choose, were I to choose anew.
Jade.
In der Stelle (2 H. VI, IV, 1, 3):
The jades ihat draw the melancholy night
soll nach Herford (Supplement) jade = dragon sein. Er denkt natürlich
an 'night' s swift dragons' (Mids, III, 2, 379) und 'Swift, swift, you dragons
of the night' (Cymb. II, 2,48). Hier aber ziehen die 'melancholy night'
eben nicht 'swift dragons', sondern jades : Schindmähren.
kidney
= 'Nieren' (Sh.-Lex.) in Wiv. III, 5, 116, wo es von Falstaff heifst: 'a man
of my kidney'. Es ist nach Murray hier = 'Constitution', Leibes-
beschaf fenheit.
lamp
(Sh.-Lex.) '1) Used as the emblem of life\ Hierher gehört auch die Stelle
Err. V, 1, 315, welche dafür unter v) wegfallen muls.
452 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
lay
(Sh.-Lex.) 'Joined with adverbs and adjectives : to lay down'. Hier fehlt
die obscöne Bedeutung für die Stelle lay down ladies (H. VIII, I, 8, 40) :
in liegende Stellung bringen d.h. zu Müttern machen (Murray).
lewdness
(Sh.-Lex.) '1) naughtiness, indecency' für die eine Stelle, wo Sir Thomas
Lovell eine Philippika hält gegen die albernen Manieren und Trachten,
welche die jungen Leute aus Frankreich mitbringen, und ihnen rät, wieder
verständige Engländer zu werden:
Or pack to their old playfeUows: there, I iake it,
They may, '■cum privilegio\ wear away
The lag end of their lewdness and be laugh'd at. (H. VIII, I, 3, 35.)
Beide Bedeutungen sind hier unmöglich; 'lewdness' heifst hier Torheit
(Murray).
mask
(Sh.-Lex.) '2) a diver sion or procession in which the Company wear masks,
masquerade\ Hier fehlt merkwürdigerweise die Gattung theatralischer
Darstellungen, welche man mit 'mask' bezeichnet, und doch kommt diese
Bedeutung des Wortes gleich in den ersten von Schmidt angeführten
Beispielen vor: 'revels, dances, masks', LL. IV, 8, 879; 'what masks, what
dances?' (Mids. V, 1, 82.)
muddy
in muddy knave (1 H. IV, II, 1, 106) soll nach Wright (Supplement) =r
'thick-witted' sein. Das würde aber auf den hellen Chamberlain, den
Gadshill so nennt, wenig passen. Auch Falstaff wird von Doli als 'muddy
rascaV bezeichnet (2 H. IV, II, 4, 43) und gleich darauf als 'rrniddy conger^
(Schweinigel). Es hatte jedenfalls eine allgemeinere Bedeutung und war
nicht ein ernstgemeintes Schimpfwort, sondern der Ausdruck eines rohen
Wohlwollens.
Ornament
bezeichnet das Sh.-Lex. ganz allgemein als 'Schmuck'. Aber Eo. I, 1, 100
und l H. VI, V, 1, 54 sind Kleider unter 'ornaments^ verstanden.
pageant
(Sh.-Lex.) *= theatrical exhibition' . Diese Bedeutung pafst nicht auf die
stattlichen Kauffahrer im Merch. I, 1, 11, sondern Schaugerüst, P rächt -
gerügt.
rare.
Bei diesem Worte fehlt die auch heute noch übliche ironische Bedeu-
tung, deutsch am besten mit kostbar ausgedrückt, z. B.
Contemplation makes a rare Turkey-cock of kirn (Malvolio).
(Tw. II, 5, 35.)
renowned.
Das einst sehr häufige Wort steht im Sh.-Lex. nur in der Bedeutung
'famous, ülustrious' verzeichnet; es gibt nur Ziffern-Zitate, ohne auch nur
auf die verschiedenartige Verwendung durch Beispiele hinzuweisen. 'Re-
nowned be thy grave' (Totenklage auf Imogen) heifst: geehrt sei dein
Grab, nicht 'berühmt'.
set.
Das Sh.-Lex. kennt kein Adjektiv set ; nur an wenigen Stellen ist sei
als Partizip verzeichnet.
smft
Frauenhemd fehlt.
spite.
Die häufige Bedeutung Gram, Schmerz fehlt.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 453
where
'sometimes almost = when' — rein, geradezu wenn. Diese Bedeutung
wird postuliert durch den Gebrauch von where = whereas, der natürlich
mit vielen Beispielen belegt ist. Wenn where nicht den rein temporalen
Gebrauch von when hatte, konnte es auch zu dem gegensätzlichen Ge-
brauch von tchen (während, wogegen) nicht kommen.
Gr.-Lichterfelde. Hermann Conrad.
Antoine de la Säle par Oscar Grojean. Extrait de la Revue de
Tinstruction publique en Belgique, tome XLVII, 3 livraison 1904.
Grojean bespricht hier auf 35 Oktavseiten sämtliche auf La Säle be-
züglichen Arbeiten aus den letzten vier Jahren : Gossart, N^ve, Raynaud,
Förster, zwei Neudrucke und zwei Ausgaben von Handschriften der
Quinxe Joyes. Als 'Attache ä la Biblioth^que royale' zu Brüssel sitzt er
an der Quelle für Forschungen auf diesem Gebiet; er ist wohlausgerüstet
für Bibliographie und Textkritik. Das gibt er namentlich den vier Her-
ausgebern der Quinxe Joyes zu fühlen, die sich mit dem treuen Abdruck
ihrer Vorlagen begnügen (Heukenkamp, Söller, Drefsler, Fleig) und oft nur
allzu geringe Sachkenntnis verraten; verlorene Zeit und Mühe; eine ver-
gleichende Arbeit brauchen wir, und sie ist leicht ausführbar. Den Vor-
wurf mangelnder Befähigung hat er aber vor allem Nfeve zu machen, der
in seinen Abdrucken von Stellen aus der Salade, der Salle und dem Res^
confort sehr willkürlich und sorglos verfährt, die guten Lesungen des
Manuskripts verderbt, schlecht abschreibt, von zwei Handschriften die ge-
ringere wählt, kurzum die Forderungen der Wissenschaft nicht erfüllt.
Eine Reihe von Irrtümern in mangelhaften Altdrucken und Manuskripten
hat Förster verbessert; Grojean bringt aus besseren Manuskripten, die
ihm zugänglich sind, die Bestätigung für die Richtigkeit seiner Vorschläge.
Textvergleichungen und Verbesserungsvorschläge stellen den Hauptwert
seiner Arbeit dar. — Und doch verfolgt diese in erster Linie ein literar-
historisches Ziel; die Beweisführung für La Sales Urheberschaft der Quinxe
Juyes und der Cent Nouvelles. Viel Neues an Beweisgründen wird nicht
ins Feld geführt; es ist im ganzen eine Abwägung der alten. Die
Schenkungsurkunde, aus der Nfeve La Sales Ehe ableitet, verbürgt sie
nicht; der Brief an den neuen Mönch, der La Sales Ehe bewiese, wird
von N^ve ohne jede Angabe über Herkunft und Zuverlässigkeit mitgeteilt,
wenn er auch echt anmutet; La Säle kann die Quinxe Joyes aber auch
vor seiner Ehe geschrieben haben. Anderseits braucht der Verfasser der
Quinxe Joyes kein Geistlicher zu sein, wenn er von unlösbaren Fesseln
spricht ; Liebesfesseln tun's auch. Diese biographischen Gründe gegen die
Quinxe Joyes sind also nach Grojean nicht stichhaltig. Bei den Cent Nou-
velles betont er La Sales Bekanntschaft mit Italien, die Möglichkeit seiner
Bekanntschaft mit Poggius, die Poggius- Novellen, die vorwiegend des
Akteurs Anteil sind; die Floridamnovelle, das Lob der Grafschaft St-Pol.
Die sprachlichen und stilistischen Dinge sind kaum gestreift; nur eine
Beobachtung ist neu: 'il convienf, der Wahlspruch des La Säle, ist
stehende Formel in den Quinxe Joyes. Bezüglicn der seelischen Art des
Verfassers wird der homo duplex im Übergangszeitalter betont, das Urteil
des Sainte-Beuve und Gaston Paris angerufen. — Raynauds Versuch, auf
Grund einiger buchstäblichen Übereinstimmungen zwischen dem Saintre
und dem Lirre des faits de Jacques de Lalaing auch letzteres La Säle zu-
zuschreiben, werden biographische Bedenken entgegengehalten, ohne ihn
völlig abzuweisen. Hier fühlt er die Unsicherheit unserer Literaturkennt-
nisse und empfiehlt, aufklärende Funde abzuwarten. — Dieselbe Empfeh-
lung gilt für die Hauptfrage. Einstweilen kann es jeder damit halten,
wie er will. Die besonderen biographischen und literarischen Tatsachen,
454 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
in Verbindung mit den allgemeinen kulturgeschichtlichen, lassen immer
noch einen weiten Spielraum offen für ihre Lösung; innerhalb dieses Spiel-
raumes wird sie eben nach den ästhetischen und logischen Bedürfnissen
und Wünschen des einzelnen entschieden.
Stuttgart. Carl Haag.
Dr. David Engländer, La X^ satire de Boileau compar^e ä la
VI^ de Juv^nal. Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht der
10. Realschule zu Berlin. Ostern 1901. 20 S.
Cette brbve ^tude confronte d'abord au point de vue de la forme, les
satires romaine et fran§aise avant d'en appr^cier la portee morale. Dans
cette comparaison tr^s minutieuse l'auteur analyse avec exactitude les
proc^d^s de composition des deux po^tes. Les conclusions de la seconde
partie, tr^s favorables ä Juv^nal et admissibles dans leur ensemble ne pre-
tendent ni ä l'originalit^, ni ä une absolue justesse: C'est une Variation
quelque peu banale sur le c^l^bre th^me: facit indignatio versum. On
eüt pu faire de Juv^nal une apologie plus caract^ristique, et si le realisme,
voire la cruditä de l'expression et du trait lui donne surtout l'avantage
sur Boileau, p. 11, il faudra, au nom de cette möme esth^tique, que
Piaute Temporte sur Moli^re. Bien des d^tails sont contestables ; le
jugement suivant, par exemple, n'est-il pas un peu s^v^re; p. IP: «Boileau
Signale la sup^riont^ des femmes en affaires judiciaires: Et sur Tart de
former un nouvel embarras, | Devant eile Eolet mettrait pavillon bas.
V. 781 ... La möme idee chez Juv^nal: Componunt ipsae per se for-
mantque libellos, | principium atque locos Celso dictare paratae. v. 244.
Chez Tun, termes de prose, manque de vigueur; chez l'autre, une pein-
ture ä grands traits.» — Juv^nal est-il plus franc que Boileau, parce qu'il
parle sans se gener de lapM^rastie? Ou Boileau n'en parle- t-ii pas plu-
töt, parce que ce vice officieusement toler^ dans l'antiquit^, n'avait d^ci-
d^ment pas cours au XVII® sifecle et en France?
De trop nombreuses fautes d'impression d^parent le texte et faussent les
citations. p. 14 <^Rabutire»: Rabutin; «sous ce beau nom d'^pouse ew^ra-t-elle
chez toi»: entrera-t-elle. p. 19 «envie au blanchisseur» : envoie . . etc. — Le
style, qui ne vise pas ä 1 älegance, manque le plus souvent de correction.
II s'y trouve trop de barbarismes: p. 8: avantureux; p. 9: partition, pour:
r^partition; p. 11: judicie, pour: prejudici^; p. 12: civilisantes, pour: civili-
satrices . . . p, 8: Lucile, pour: Luciiius; les noms propres latins n'ont ^i€
francis^s que lorsqu'on les employait fr^quemment. Tite, au XVII*^ si^cle,
redevenu Titus au XIX®, peut servir d'illustration ä cette r^gle tacite.
p. 17: preliminaires tisuelles. L'auteur maltraite parfois la syntaxe; p. 13:
«il ne s'apercevait pas qu'une honnetete trop casamere entravät l'elan de l'ima-
gination» pour: entravait. p. 15: «ce qui Boileau prononce» pour: ce que.
p. 16: «l'auteur fait semblant de persuader Postume qu'il est mieux . . .» pour:
ä Postume. — Les mots ou expressions impropres foisonnent: p. 3: «En-
core moins des ^crivains grecs et romains ^pargnaient-ils les femmes quand
il y en avait Heu dans leurs Berits» pour: quand ils trouvaient l'occasion
d'en parier; «leurs ohjets les plus essentiels» pour: sujets; p. 4: «precedes par
Juvenal» pour: surpass^s; «ä'en^re les satiriques» pour: parmi. p. 5 : €faire
le sommaire»: donner le sommaire; «se marier dans peu»: sous peu; «il
ferait divorce» : il divorcerait. p. G : «le po^te revient ä ce dont il est parti» :
au point d'oü il . . . p. 7 : «sous le point de vue d'economie po^tique» : au
point de vue de l'^conomie poetique; «il met soin ä ce que la satire
garde . . .» : il a soin que la ; «la f orce logique parait consumee» : consom-
m^e, öpuis^e; «se ravisant que» : s'avisant que; «il formerait unedemande*:
il ferait; «il croit s'^tre defait d'une discussion»: d^barrass^; «Boileau a
emprunt^ l'idee d'encadrement de son modele»: a empruntö le cadre ä son
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 455
modfeie. p. 8: «une chose toute perdue de vue»: tout ä fait perdue ...;
«mis d la Ute du pofeme»: en tete; «le reste s'explique arec peu de mots»:
en peu de mots. p. 10: «des oeuvres qui marquent une empreinte»: qui
portent ...; mon excepte»: y compris. p. 12: «l'amour de cette nature se
repose sur une manifere realiste» : repose. p. 17: «le style de Boileau s'^lfeve
un peu sitr le niveau du langage commun»: au dessus du niveau. p. 20:
«avec les moye^is d'un style serr6>: au moyen ; «ce qui manque ä Tun, c'est
meine 'propre et essentiel ä l'auire»: est precis^ment la qualit^ essentielle
et caract^ristique de l'autre. — La construction de la phrase, de möme
que l'ordre des mots, manque trop souvent d'equilibre: p. 11: «Or, Juv^-
nal, en d^couvrant, avec uu coeur chagrin^, devant nous les gouffres d'une
culture en d^cadence, ä Fair de rendre, sans rougir, sien ce qu'il y a de
plus bas dans les vues morales de son temps»: «devant nous» doit prö-
ceder «avec un coeur chagrine» «sien» doit prec^der «sans rougir»; «sa vigou-
reuse et sensible ame»: son äme vigoureuse et sensible. L'on ne peut
comprendre certains passages, certains mots, qu'en les traduisant en alle-
mand, p. 10: <Juvönal ne sait que de mauvaises femmes»: weifs nur von.
p. 12: «un observateur susceptible» : lisez non pas: empfindlich, mais
empfänglich. Quelques phrases enfin, möme en cherchant la pensee alle-
mande derrifere les mots fran§ais, demeurent incompr^hensioles, p. 6:
«Toutes les fois que l'opposition d'Alcippe entrave l'dpanchement satirique
de l'auteur, le dialogue entre dans une nouvelle section d'id^es homogenes.»
Posen. P. Bastier.
Wilhelm Meyer-Lübke, Die lateinische Sprache in den roma-
nischen Ländern. Sonderabdruck aus Gröbers Grundrifs der roma-
nischen Philologie, Band I, zweite Auflage, S. 451—497. Strafsburg,
Karl J. Trübner, 1904.
In der ersten Auflage des ersten Bandes von Gröbers Grundrifs vom
Jahre 1888 umfafst der Abschnitt über die lateinische Sprache in den
romanischen Ländern 32 Seiten, in der soeben erschienenen zweiten 47 Sei-
ten; die Lautlehre im besonderen ist doit mit ü, hier mit 14 Seiten ver-
treten. Diese Zahlen legen ein beredtes Zeugnis ab nicht allein für die
rührige Forschertätigkeit auf dem Gebiete des Vulgärlateins während der
letzten zwei Dezennien, sondern auch für die Sorgfalt, mit der der Ver-
fasser sämtliche neuen Erscheinungen zu verfolgen bemüht gewesen ist.
Wenn trotzdem seine Darstellung immer noch an einer stellenweise allzu
grofsen Knappheit leidet, so trifft die Schuld hieran vermutlich die An-
lage des Grundrisses, die eine gröfsere Bogenzahl wohl nicht erlaubt hätte.
Neben der mit ausgezeichneter Sachkenntnis durchgeführten Verarbeitung
eines imposanten neuen Materials wollen wir nicht ermangeln, auch die
kritische Sichtung des alten hervorzuheben, die zur Ausmerzung einer
Reihe mit dem heutigen Stand unseres Wissens nicht mehr vereinbarer
Angaben geführt hat. So war beispielsweise auf S. 864 der ersten Auf-
lage eine mschriftliche Form Crescentsianus Gruter p. 127 (— CIL XIV,
246) zitiert, die noch bis in die neueste sprachwissenschaftliche Literatur
hinein gespukt hat, und auf Grund deren der Anfang der Assibilation
des t vor i ins zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung verlegt zu werden
pflegte. Die Neubearbeitung erwähnt sie nicht mehr, da tatsächlich das
bestbeglaubigte Apographum der verlorenen Inschrift Crescentianus bietet.
In einigen Fällen freilich scheint uns ohne Not geändert worden zu sein.
S. 371 z. B. steht in der ersten Auflage: Wie schriftlat. fulix und fulica, so
vul^ärlat. *radica, *natica, * cutica. Der entsprechende Passus lautet in der
zweiten Auflage S. 483: Zu fulix und fulica gesellen sich ^radlca, *juriica,
*ulica, *pulica, salica, vitica u. a. Warum ist das uns in den Glossen mehr-
fach bezeugte natica (z. B. CGL II, 425,63; 576,3; 584,40) weggelassen?
456 Beurteiluiigen und kurze Anzeigen.
Auszusetzen finden wir an der Arbeit Meyer-Lubkes zweierlei. Ein-
mal scheinen uns die Regeln nicht immer hinreichend scharf und unmifs-
verständlich formuliert zu sein. So steht eine ganz unglückliche Fassung
z. B. auf S. 472: Endhch von drei Konsonanten fällt der mitt-
lere: tortus zu torqueo, mulsus zu mulceo, sortus, tenius aus temptus, ferner
sesttis für sextus etc. Sodann läfst die Korrektheit des Druckes verschie-
dentlich zu wünschen übrig; Druckversehen und insbesondere störende
Zitatenfehler begegnen verhältnismäfsig häufig. Wir erwähnen beispiels-
halber S. 4Ö4, Z. 21 V. o.: duelo statt duolo; S. 487, Z. 9 v. o. : sonsacrare
statt consacrare (ebendaselbst ist die Eeihenfolge von consecrare und con-
sacrare umzustellen) ; S. 464, Z. 12 v. u. : tlex und elex Gr. Lat. V ?.29, 1 1
statt VI 18, 6; S. 469, Z. 6 v. o. : nora CIL IX 2431 (die betr. Inschrift ent-
hält, soviel wir sehen, kein nora; gemeint ist vielleicht norus CIL IX 2450,
eine Form, die, wie hier beiläufig bemerkt sein mag, von Rönsch auch
aus dem codex evangeliorum Cantabrigiensis an der Stelle Luc. 12, 54 nach-
gewiesen worden ist); S.484, Z. 12 v. o. : trienta CIL XII 3:^99 statt 5399.
Dagegen bitten wir, die nachstehenden kritischen Bemerkungen nicht
in tadelndem Sinne auslegen zu wollen, sondern darin vielmehr einen Be-
weis zu sehen für die Anregung, die der Referent beim Studium dieses
Abrisses empfangen hat, und für die er dem Verfasser aufrichtigen Dank
schuldet.
S. 464. Seit Schuchardt, Der Vokalismus des Vulgärlateins II, 77, ope-
rieren die Romanisten fortwährend mit einem altlateinischen eilex, das
sich in ein hochlateinisches tlex und ein rustikes elex gespalten hätte,
welch letzteres den romanischen Fortsetzern toskan. elce, logudov. clighe,
prov. euse etc. zugrunde läge. Sie stützen sich dabei auf die Glosse elicis
id est arbor CGL III 590, 31; 611, 16; 623, 67, auf die Variante clignis
der palatinischen Virgilhandschrift an der Stelle Georgica III 330, auf
einen Passus des Gregor von Tours, Hist. Franc, p. 118, 13, den wir hier
leider nicht nachschlagen können, und auf eine Konjektur Schneiders zu
Marius Victorinus GL VI 18, 4 ff. K, von der sogleich die Rede sein soll.
Was die Glosse anlangt, so ist damit schlechterdings nichts anzu-
fangen; denn es ist durchaus unsicher, was für ein Baumnamen sich im
Lemma versteckt. Goetz im Thesaurus gloss. emend. I, 380 denkt z. B.
an tliKr]. Das clignis des ebengenannten Virgilkodex und ohne Zweifel
auch die Stelle des Gregor von Tours sind an und für sich belanglose
orthographische Schwankungen, die nur dann eine gewisse Bedeutung ge-
winnen, wenn ihnen ein ausdrückliches Grammatikerzeugnis zur Seite
steht. Dieses letztere glaubt man nun, wie gesagt, bei Marius Victorinus
GL VI 18, 4 ff. K gefunden zu haben. Setzen wir einmal die handschrift-
liche Überlieferung in extenso her. Sie lautet wie folgt : pilum aiunt mili-
tare et vineam, si sit subter quam milites aggerem instituunt, et sicam
et silieem quae secet per e et i scribenda; at si j)ilum sit quo pinsitores
utuntur, et vinea quae ruri colitur et fistula per i. Dafs hier eine Text-
verderbnis vorliegt, ist klar; silieem, das ein t in der Stammsilbe hat,
kann unmöglich in diesem Zusammenhange figurieren. In richtiger Er-
kenntnis dessen hat Konr. Leop. Schneider in seiner Ausführl. Grammatik
der lat. Sprache I (Berlin 1819), S. 69** vorgeschlagen zu schreiben: et
sicam quae secat et ilicem per e et i scribenda, und Schuchardt wundert
sich noch ganz kürzlich in der Zeitschr. f. roman. Philol. XXVII (1903),
S. 106 darüber, dafs Keil diese sehr glückliche Besserung nicht in den
Text gesetzt habe. Wir bedauern, seinen Optimismus nicht teilen zu
können. Der die ganze Stelle durchziehende Rarallelismus tut unseres
Erachtens unab weislich dar, dafs von ilicem überhaupt keine Rede sein
kann, sondern dafs entweder mit Wilmanns, De Varron. Uhr. gramm.
p. 175, et silieem. zu tilgen oder aber silieem durch ein Synonym von
sicam zu ersetzen ist, wie Keil gewollt hat, wenn er a. a. O. die Möglich-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 457
keit andeutet, es könnte dafür ursprünglich siculam gestanden haben.
Freilich stehen anderseits diesen beiden letzteren Besserungsvorschlägen
vom Standpunkte der paläographischen Wahrscheinlichkeit aus gegründete
Bedenken gegenüber. Die Heilung der Korruptel dürfte in Wirklichkeit
sehr viel näher liegen, als bisher angenommen worden ist. Man schreibe
einfach sicilem statt silicem, und alles ist in schönster Ordnung.
Ein altlat. eilex, aus dem vulgärlat. elex geflossen sein könnte, ist
demnach ohne Gewähr. Nehmen wir nun noch hinzu die Hesychglosse
ü.a^'f] TT^Ti'og, (OS 'PiofiaXoi xal Mny.sSores, und bedenken wir endlich, dafs
ein altlat. eilex eine Wurzelform eil voraussetzte, die es nie gegeben haben
kauD, so müssen wir wohl bis auf weiteres mit Ulrich, Zeitschr. f. roman.
Philol. XIX, 57(3, neben dem klassischen tlex als Grundform der roma-
nischen Fortsetzer ein illex statuieren, das sich zu jenem verhielte etwa
wie *fidligo (Gröber, Ärch. f. lat. Lexikogr. II, 429 und VI, 1^)90) zu füligo.
S. 465. Dafs dehörire bei Cato gegenüber dem Simplex haurire den
ursprünglichen Vokalismus darstelle, ist im Prinzip wonl denkbar. Da
uns indessen etymologischer Zusammenhang dieses Verbums mit gr. avio
(z. B. in y.araioni- y.arnvTXr,aai bei Hesych; cf. Fick, BB. II, 187) immer-
hin sehr wahrscheinlich dünkt, so sind wir geneigt, der gegenteiligen An-
nahme den Vorzug zuzuerkennen.
S. 468. Unter Nr. 17 hätten vielleicht auch Formen wie quaglator =
coagulator CIL XIV, 25 (aue Ostia), quagulum (ital. quagliö) -- coagulum
CGL III, 315, 14, die mit parctes, quctus für parietes, quietus eine gewisse
Analogie aufweisen, genannt werden dürfen.
S. iG'iK Nach Sommer, Handb. der lat. Laut- u. Formenl. S. 84, hätte
nöra lautgesetzlichen Vokalismus und bedürfte es also der Annahme einer
analogischen Beeinflussung durch socra nicht.
S. 47?. Woher weifs der Verfasser, dafs in Wörtern wie defuntus aus
defunctus das n guttural war? Aus umgekehrten Schreibungen, wie
regnancte statt regnante, darf das doch sicher nicht geschlossen werden, und
vom lautphysiologischen Standpunkt aus ist es a priori unwahrscheinlich.
S. 483. Dafs das Paar fidix : fulica den Ausgangspunkt für die Bil-
dungen vom Typus *radtca, *junlca, *ulica, *pulica, salica, vitiea statt
radix, junix u. s. f. gebildet haben sollte, scheint uns unglaublich, um
nicht zu sagen undenkbar. Dazu waren fulix : fulica zu selten; auch
können wir den uns unerläfslich scheinenden begrifflichen Zusammenhang
mit den durch sie beeinfiufst sein sollenden Derivaten nicht finden. Das
Produktivwerden des Suffixes -ica im Vulgärlatein dürfte dem Zusammen-
wirken mehrerer Faktoren zuzuschreiben sein. Wir legen uns die Sache
ungefähr folgendermafsen zurecht: salica, wie auch die vom Verfasser an
dieser Stelle nicht genannten, in die gleiche Kategorie gehörigen avtca,
auca und naiica fassen wir als Rückbildungen aus salicula, avicula, nati-
cula. Derartige 'Neoprimitiva', wenn wir uns so ausdrücken dürfen, sind
eine nicht eben seltene Erscheinung, auf die wir bereits JF. XV, 105 und
Berl. philol. Wochenschr. 1903, Sp. 1305 hingedeutet haben, salica hätte
dann weiterhin das Vorbild für mtica abgegeben, junwa dürfte seine Ent-
stehung dem Bestreben verdanken, das natürliche Geschlecht des durch
das Wort bezeichneten Tieres auch grammatisch deutlich zum Ausdruck
zu bringen. Es verhielte sich also zu jumx genau so wie ahd. kalba zu
älterem kalb (über welches Paar H. Palander, Die althochdeutschen Tiernamen
I [Darmstadt 1899], S. 7 und 147, zu vergleichen ist), ultca halten wir für
durch erica (vulgärlat. statt hochlat. ertce) nachgezogen, eine Möglichkeit,
die der Verfasser übrigens selbst schon Gramm, der roman. Sprachen II,
§ 410 als möglich hingestellt hat. In dem etwas weiter hinten genannten
erpica CGL V 359, 47 endlich liegt jedenfalls ein Postverbale zu *herpi-
care vor. In bezug auf radtca und pulica möchten wir einstweilen mit
unserem Urteil zurückhalten. Es ist hier selbstverständlich nicht der Ort,
458 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
die eben vorgetragenen Hypothesen des näheren zu begründen ; wir hoffen
darauf in kurzem anderen Ortes zurückzukommen.
Ibidem, nepta 'Nichte' braucht nicht mit dem Asteriskus versehen
zu werden. Dasselbe ist überliefert CIL XII, 8032 (La Rouvi^re-en-Mal-
goirfes) und XII, 3856 (Nimes). Daneben treffen wir noch das vom Ver-
fasser nicht erwähnte, z. B. dem piemontes. nvoda zugrunde liegende nepota
CIL III, 3173. Neben sacerda ist auch sacerdota bezeugt (CIL III, 14900).
S. 485 f. In der Wortbildungslehre hätte vielleicht auch die häufig
auftretende Ersetzung der Suffixe -tum, -ta durch -irum, -tra Erwähnung
finden dürfen. Wir denken an Beispiele wie frustrum statt friisturn (aufser-
ordentlich häufig; cf. Funck, Arch. f. lat. Lexikogr.Yll, b{)0; Geyer, ibid.
VIII, 480; Heraeus, ibid. XI, 320), hallistra statt ballista (vgl. ital. balestra
'Armbrust'; ballistra ist durch zahlreiche Glossen bezeugt, z. B. CGL 11,28, 12 ;
28, 16; 492, 41; vgl. auch noch ßnXXiorQäQios CIG 8621 [aus dem Jahre
47(5 n. Chr.] und Rönsch, Coli, philol. S. 245 und 261), lanistra statt lanista,
z. B. CGL II, 120, 53; V, 111, 14; 602, 65; lepistra siSos xvr^pas CGL II,
122, 24 gegenüber lepista genus vasis CGL V, 635, 40. Die nämliche Erschei-
nung kehrt bekanntlich in den romanischen Sprachen wieder; vgl. beispiels-
weise ital. glastro neben glasto, ginestra = lat. genista, frz. epeautre = lat.
spelta u. a. (cf. Grammont, La dissimilation consonantique S. 130 f.).
Nur ungern vermifst man ein den lexikographischen Verhältnissen
des Vulgärlateins gewidmetes Kapitel, das sicherlich nicht das am wenig-
sten interessante geworden wäre. Doch wollen wir darüber mit dem Ver-
fasser nicht weiter rechten, sondern lieber zum Schluls nochmals unserem
aufrichtigen Dank für das Gebotene Ausdruck verleihen. Die Darstellung
Meyer-Lübkes ist bestimmt, auf lange hinaus aller weiteren Forschung
zum Ausgangspunkt zu dienen. Wir glauben nicht, dafs man ihr ein
schöneres Lob zollen könnte.
La Chaux-de-Fonds. Max Niedermann.
Max Roediger, Die Bedeutung des Suffixes -ment. Inaugural-
dissertation. Berlin 1904.
Wie der Verfasser einleitend bemerkt, hat man sich bis jetzt vorwie-
gend mit der lautlichen Entwickelung der Suffixe beschäftigt, die das
Französische vom Lateinischen übernommen hat; ihre bedeutungsgeschicht-
liche Seite dagegen ist selten näher untersucht worden. Es ist deshalb
ein verdienstliches Unternehmen, die semasiologische Entwickelung eines
einzelnen Suffixes eingehend darzustellen. Diese Aufgabe zu lösen, gibt
Roediger zunächst eine Übersicht über die Bedeutungen des lateinischen
-mentum, zählt dann die Bedeutungen des französischen -ment, resp. -ement
auf und vergleicht nun die letzteren mit den ersteren. Gestützt auf ein
reiches Material,* gelangt er zu dem Resultate, dafs zwar im grofsen und
ganzen die Bedeutungen des französischen -ment schon dem lateinischen
-mentum anhaften, dafs sich aber das Verhältnis zwischen den einzelnen
* Es dürfte dem Verfasser kaum eine Bedeutung des franz. Suffixes entgangen
sein. Dagegen liefsen sich wohl im Lateinischen die Anfange von gewissen Be-
deutungen konstatieren, die erst im Französischen eine gröfsere Verbreitung er-
reicht haben. Vgl. z. B. zu S. 49 Thes. Gloss. emend. VI, 95: armamentum =
locus ubi arma ponuntur. Überhaupt ist dem Vulgärlatein und Spätlatein zu wenig
Beachtung geschenkt worden. So hätten vor allem F. F. Cooper, Word For-
mation in the Roman Sermo Plebeius, Diss. Boston und London 1895 (ebenda wei-
tere Literaturangaben), und Oleott G. V., :Siudies in the word formadon of the
Latin inscriptions, Rom 1898, benutzt werden sollen. Ein Nachprüfen auf Voll-
ständigkeit wird sehr erschwert durch das Fehlen eines Wortregisters, das auch
aus anderen Gründen sehr wünschenswert gewesen wäre.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 459
Bedeutungen stark verschoben hat. Das lateinische -mentum bezeichnet
nämlich in erster Linie das Mittel oder das Ergebnis einer Hand-
lung (und zwar häufiger in Wörtern konkreten als in Wörtern abstrakten
Inhalts); das Französische dagegen hat den Tätigkeitsbegriff (der
schon im Lateinischen, besonders in der nachklassischen Zeit, vorgezeichnet
war) zur Hauptbedeutung von -ment erhoben, wobei die übrigen abstrakten
und konkreten Bedeutungen blofs als Modifikationen der Aktionsbedeu-
tung erscheinen.*
Dieses Hauptergebnis der Arbeit von Roediger ist zweifellos richtig.
Zur Erklärung der Bedeutungsübergänge allerdings ist wenig geschehen ;
das drückt sich schon in der rejn logischen Anordnung des Materials aus.
Wenn der Verfasser diese der Übersichtlichkeit wegen beibehalten wollte,
so war ein ausführliches Schlufskapitel nicht zu umgehen. Dieses Schlufs-
kapitel hätte einerseits das Machtverhältnis der verschiedenen Bedeutungen
von -ment chronologisch verfolgen, anderseits untersuchen müssen, in
welcher Weise sich eine Bedeutung aus der anderen entwickelt. Einige
von den Gesichtspunkten, die dabei in Betracht gekommen wären, seien
im folgenden kurz erörtert.
Zunächst müssen wir uns darüber klar werden, wie überhaupt die
Bedeutungsänderung eines Suffixes zustande kommt. Was wir 'Bedeu-
tung eines Suffixes nennen, ist nicht ein selbständiger Begriff; es ist
blofs die konstante Modifikation verschiedener Grundbegriffe. Für das
Sprachbewufstsein bilden Stamm und Suffix einen einzigen Begriff. Das
Suffix als solches kann somit seine Bedeutung nicht verändern, es ver-
ändert sie nur in Verbindung mit dem Stamm. Sobald nun aber eine
Anzahl von Wörtern, die mit demselben Suffix gebildet sind, ihre Bedeu-
tung nach derselben Richtung hin verändern, so verändert sich auch die
Funktion des Suffixes; wir sagen: es hat eine neue 'Bedeutung' erhalten.
Dies äufsert sich darin, dafs mit dem Suffix in neuer Bedeutung neue
Ableitungen gebildet werden.^ Es ergeben sich aus dem Vorhergehenden
folgende methodische Forderungen:
1) Die Bedeutungsänderung eines Suffixes ist aus dem
Bedeutungsübergang einzelner Wörter zu erklären.
2) Es ist ein prinzipieller Unterschied zu machen zwi-
schen Bedeutungsübergängen einzelner Wörter und Neu-
bildungen auf Grund einer neuen Bedeutung des Suffixes.^
So besteht z. B. ein bedeutender Unterschied zwischen den Wörtern
auf -ement, die eine Gesamtheit von Gegenständen (Roed. S. 111), und
denienigen, die eine Gesamtheit von Personen bezeichnen (Roed. S. 100 f.).
In letzterem Falle (conseillement, parlement, campement, equipement, gou-
verfiement) haben wir es nämlich nur mit Bedeutungsübergängen, nicht
mit Neubildungen zu tun ; solange wir aber -ement zur Bezeichnung einer
Gesamtheit von Personen nicht in Wörtern finden, die nie eine andere
Bedeutung besessen haben, dürfen wir nicht behaupten, dafs -ement die
Fähigkeit besitze, eine Gesamtheit von Personen zu bezeichnen.''
* Vgl. aufser der Zusammenfassung am Schlüsse der Arbeit besonders die
interessanten Ausführungen auf S. 60 und 73.
' So kann in einer Anzahl von Wörtern, die das Mittel oder das Resultat
einer Handlung bezeichnen, die Kollektivbedeutung in den Vordergrund treten;
sind nun diese Wörter mit demselben Suffix gebildet, so wird das Sprachbewufst-
sein das, was sie an ihrer Bedeutung Gemeinsames haben, auf Kosten des Suffixes
schreiben, dieses wird also Kollektivbedeutung erhalten, und wir finden nun Neu-
bildungen mit Kollektivbedeutung, wie sie Roediger S. 111 angibt.
^ Dafs letzteres praktisch oft schwierig sein wird, verkenne ich keineswegs.
■* S. 52 ff. macht Roediger, indem er zunächst die Substantiva auf -ement an-
fuhrt, iu denen Handlung und Zustand vereinigt sind, dann diejenigen, die den
460 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Ich forderte oben die Erklärung der Bedeutungsänderung eines Suf-
fixes aus dem Bedeutungsübergang einzelner Wörter.. Im vorliegenden
Falle handelte es sich besonders darum, an typischen Übergangsbeispielen
zu zeigen, dafs sich die Bedeutungsverschiebung der Wörter auf -ment
im Satze aufserordentlich leicht vollzieht. ^ Man vergleiche z. B. zu croise-
ment (S. 51) einen Satz wie : 'Le croisement de deux routes est marqtie par
un tas de pierres', wo croisement sehr wohl noch Aktionsbedeutung haben,
wo es aber auch im örtlichen Sinne verstanden werden kann. Von da
zu dem Satze 'ü y a un tas de pierres au croisement de deux routes' war
kein weiter Schritt.^ Dabei wäre darauf hinzuweisen, dafs ein Bedeu-
tungsübergang dadurch, dafs er sich schon bei einigen Wörtern vollzogen
hat, bei verwandten Wörtern (die Verwandtschaft wird bei den Wörtern
auf -mentum eben durch das Suffix ausgedrückt) nach und nach so er-
leichtert wird, dafs wir oft erst durch logische Analyse auf eine Doppel-
deutigkeit aufmerksam werden, deren wir uns vorher gar nicht bewufst
waren. So ist es keineswegs so selbstverständlich, wie Eoediger anzu-
nehmen scheint, dafs Handlung und abstraktes Ergebnis der Handlung
durch dasselbe Wort ausgedrückt werden. Das geht schon aus der ge-
ringen Anzahl derartiger Beispiele im Lateinischen hervor (vgl. Roed. S. 20).
Auch hier müssen wir vom Satzzusammenhang ausgehen. Wenn appau-
vrissement 'Arm werden' und 'Verarmtsein' heifst, so ist das zu erklären
durch Satzbeispiele wie 'Je ne connois pas les causes de son appauvrisse-
ment; comment remedier ä V appauvrissement de cet Etat? etc., wo appau-
vrissement doppelt aufgefafst werden kann. — Zu gouvernement (S. 101)
'das Regieren' > 'die Regierenden' vergleiche man Sätze wie: Le gouverne-
ment de ce pays est admirable; grdce ä notre excellent gouvernement on a
introduit des reformes considerables . ..; dann: Notre gouvernement a ititro-
duit Vgl. Dict. gm. aus La Bruy^re : TJne diligente attention aux
moindres besoins de la republique est une partie essentielle au bon gou-
vernement.
Die Liste der Beispiele liefse sich leicht vermehren. So erklärt sich
S. 39 die Verwendung von -ment im Sinne des Inf. Praes. Pass. und
Activi dadurch, dafs im Satze das Substantiv oft aktive und passive Auf-
fassung zuläfst. Auch ob in einem gegebenen Zusammenhange passive
Bedeutung vorliegt, oder ob der Sprechende an das Resultat denkt, ist
häufig nicht zu unterscheiden.
Ich gelange zu einem dritten Punkte von allgemeiner Bedeutung:
eine eingehende Untersuchung der Bedeutungsentwicke-
lung eines Suffixes darf die Erscheinung der Wortkonkur-
renz, die gerade hier von besonderer Wichtigkeit ist, nicht
vollständig ignorieren. Es ist doch gewifs nicht gleichgültig, dafs
(um nur einige Beispiele herauszugreifen) citement, exterminement, veriße-
ment, sophistiquement (Roed. S. 32 f.) den gelehrten Bildungen citatioti, ex-
termination, verißcation, sophistication Platz gemacht haben — dafs poliment
(S. 123) und polissage 'Polieren' heifsen, dafs aber ersteres veraltet, nach-
Zustand allein ausdrücken, einen Ansatz zu der Scheidung von Bedeutungsüber-
gängen und Neubildungen, ohne aber auf die Bedeutung dieses Unterschiedes hin-
zuweisen, darauf nämlich, dafs die Existenz von Wörtern auf -rment ohne Aktions-
bedeutung beweist, dafs die Verschiebung von -ement von der Aktions- zur Zu-
standsbedeutung vollendet ist.
* Nur vereinzelt findet sich bei Roediger ein Hinweis hierauf, so auf S. 48
und besonders auf S. CO. Die Ausführungen auf S. 60 erhalten gerade dadurch
ein besonderes Interesse.
^ Vgl. fr. pas de la porte = Schwelle aus Verbindungen wie 'Je Vai rencontre
au pas de la porte' oder predzo (Dialekt von Leysin s/Aigle) = Kirche, aus älä ü
predzo.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 461
dem es selbst das alte polissement verdrängt hat, und dafs polissure allein
die Bedeutung 'Glanz' behält, die einst auch poliment besessen hatte, —
dafs afr. herit&tnent vor heritage verschwindet, dafs arrivement neben arrivee
veraltet u. s. f.
Eine systematische Vergleichung des Suffixes -ment mit den Suffixen
anderer Verbal abstrakta, * insbesondere mit -age,^ dessen Funktionen zum
Teil mit denen von -ment übereinstimmen, hätte sehr interessante Schlüsse
besonders in bezug auf die Lebensfähigkeit der verschiedenen Suffixe ge-
stattet. So hätte sich z. B. gezeigt, dafs die Zahl der Neubildungen auf
-ment heute geringer ist als diejenige der Neubildungen auf -age, dafs es
hier und da vorkommt, dafs ein Wort auf -age ein Wort auf -ment ver-
drängt^ oder in seiner Bedeutung einschränkt, während das Gegenteil
selten ist, dafs vor allem die Aktionsbedeutung von -age derjenigen von
-m^nt eine scharfe Konkurrenz macht. ''
Nach diesen Erörterungen methodischer Natur seien mir noch einige
Detailbemerkungen gestattet.
S. 4 erklärt der Verfasser die Bildung von Verbalsubstantiven auf
-mentum durch das Bestreben, ein 'Seiendes' zu einer ihm angemessenen
Tätigkeit in Beziehung zu setzen. Nun ist aber eine Tätigkeit nicht nur
charakteristisch für ein einziges Seiendes (frumentu?n, Getreide [von frui],
ist nicht der einzige Gegenstand, der als Genufsmittel dient), sondern für
verschiedenartige Seiende (so können die verschiedensten Dinge als Genufs-
mittel dienen). Somit (dies der Schlufs von Koediger) kann der mit -men-
tum gebildete Ausdruck nur allgemeine Bedeutung haben. Dafs dieser
Schlufs falsch ist, beweisen die Tatsachen: die grofse Mehrzahl der latei-
nischen Verbalsubstantiva auf -mentum hatte eine spezielle Bedeutung;
die allgemeine Bedeutung, die Roediger hinzusetzt, ist meistens nur suppo-
niert. So hat frumentum im Lateinischen nie die Bedeutung 'Genufsmittel'
gehabt, es hat immer blofs 'Getreide' oder spezieller 'Weizen' geheifsen;
ämentum hat nie abstrakt 'Bewegungs-, Treibmittel', sondern stets 'Wurf-
riemen' (übertr. Schuhriemen) oder 'Zünglein an der Wage', armentum nie
'Ackermittel',* sondern stets 'Herde, Grofsvieh' geheifsen u. s. f. Es ist
dies auch begreiflich; derjenige, der das Wort frumentum bildete, dachte
eben nur an einen ganz bestimmten Gegenstand, an dem sich die Hand-
lung des Geniefsens vollzieht, nämlich an das Getreide; es mag ja sein,
dafs das Wort auch für andere Genufsmittel gebraucht wurde, immer
aber war die Vorstellung eines ganz bestimmten Gegenstandes gegenwärtig,
und wie der Erfolg zeigt, siegte die Vorstellung des Getreides. Damit
wjll ich nun nicht behaupten, dafs nicht auch der umgekehrte Vorgang
(Übergang vom Abstraktum zum Konkretum, vgl. Roed. S. 5 oben) mög-
lich sei; er ist aber eine sekundäre, einer vorgerückteren Sprachepoche
angehörige Erscheinung.
* Vgl. M.-L., Gr. II, S. 564 f. Über das Verhältnis des lat. -mentum zu
-tio vgl. Cooper, 1. c. S. 85 f. Ebendort Einleitung passim.
* Nebenbei sei bemerkt, dafs eine Untersuchung der Bedeutungsentwickelung
von -age eine dankbare Aufgabe wäre.
' Vgl, affermage und afr, nffermement, qffütage und afr. affustement, amenage
und afr. amenement, atielage und afr. atelement etc.
* Vgl, accommodage und accommodemenf, accrochage und aca-ochement, Neubil-
dungen wie greage neben grement, agnelage neben agnelement etc. ; von früheren :
accouplage (XVI. J.) neben accoujilement (XIII), affaitage (XVII) neben affaitement
(XII), aiguisage (XIX) neben aiguisement (XII), das veraltet, arrosage (XVII) neben
arrosemenl (XII), assemblage (XVI) neben assemhlem^nt (XI) etc. (s, Dictionnaire general).
^ Übrigens ist die Ableitung von arare nach Br6al, Diel. etym. latin (Paris
1898), sub armentum und artus zu berichtigen. Br^al leitet das Wort von einer
Wurzel -ar = adapter, joindre ab. Es ist also gleich gebildet wie jumentum.
462 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Zu Ö. 13 : Die als Wörter abstrakten Inhalts zusammengestellten Bei-
spiele bezeichnen zumeist nicht das Resultat, sondern das Objekt der
Handlung. Ebenso sind übrigens schon einzelne Beispiele in den voraus-
gehenden Abschnitten aufzufassen, z. B. jumentum (S. 5), doch nicht 'Mittel
zum Jochen', sondern 'das, woran sich die Handlung des Jochens voll-
zieht', ähnlich libamentum (S. 7), assumentum (S. 12), aspernamentum
(S. 12), abominamentum (S. 13).
Zu S. 15 : Die Mehrzahl der denominalen Ableitungen lassen sich nur
gezwungen als Ergebnis einer Handlung deuten.
Zu S. 36: desinvesHssement heifst Aufhebung einer Belagerung.
Zu S. 38: Mmagement ist nicht vom reflexiven, sondern vom transi-
tiven Verbum menager qqn = 'jem. schonen' abzuleiten. Es ist besser
durch 'Schonung' wiederzugeben als durch 'Behutsamkeit'. (Vgl. icser de
menagements envers qqn.)
Zu S. 71: Argotausdrücke wie enterrement ■= 'Stück Fleisch in einer
Portion Brot' dürfen doch wohl nicht auf eine Linie mit regulären Be-
deutungsverschiebungen gestellt werden.
Zu S. 102 : Die Annahme, dafs commandement in seiner Entwickelung
zu der Bedeutung 'der Bevollmächtigte' durch truchement beeinflufst wor-
den sei, ist höchst unwahrscheinlich. Wir haben es hier wohl mit einer
Übertragung der Bezeichnung für die Funktion auf denjenigen, der die
Funktion ausübt, zu tun, was auf dem Streben nach einem unpersönlichen
Ausdruck beruht. Vgl. etwa 'le commandement de la II® division' statt
le commandant, das Kommando statt der Kommandant, die ^Platxauf sieht'
statt der ^Platxaufseher' , das 'Verhältnis' für 'die Oeliebte' etc.
Zu S. 109: Ganz unglücklich ist die phonetische Erklärung von em-
basement. Man denke sich ein embassement, das zu embasement wird, weil
der Akzent etwas auf die Vorsilbe rückt, wobei das base, nachlässiger ge-
sprochen, einen schärferen Laut annimmt!
Die Beispiele von Bildungen auf -ement ohne ein Verb als Grundlage
(S. 104 — 111) hätten noch etwas genauer geprüft werden dürfen. Bei ein-
zelnen geht aus dem Vorhandensein anderer Ableitungen hervor, dafs ein
entsprechendes Verbum existiert hat, wenn es auch nicht belegt ist; bei
anderen haben verbale Ableitungen mit verwandter Bedeutung die de-
nominale Bildung begünstigt.
Zu S. 124: Zum Verständnis des Ursprunges von boniment wird die
Vermutung von Roediger kaum viel beitragen.
Was Auffassung und Einordnung der Beispiele betrifft, kann man hier
und da anderer Ansicht sein als der Verfasser; es ist jedoch anzuerkennen,
dafs gerade auf die Klassifizierung viel Sorgfalt verwendet worden ist.
Aarau (Schweiz). K. J ab erg.
Hilfsbuch für den französischen Unterricht in Sexta, Quinta,
Quarta im Anschlufs an R. Kuhns Lehrbuch von den Fachlehrern
der Liebig-Realschule zu Frankfurt a. M. Marburg, El wert, 1904.
Die französischen Unterrichtsbücher von Kühn, die, wirklich neu und
originell, frei von jeder Schablone, bei ihrem Erscheinen berechtigtes Auf-
sehen in der Lehrerwelt erregten und sich in der langen Reihe von Jahren
schon so viele Freunde erworben haben, litten an einem empfindlichen
Mangel, der ihrer Verbreitung und Benutzung in den höheren Schulen
vielfach schadete: es fehlte ihnen der notwendige Zusammenhang zwischen
Lesebuch und Grammatik und der methodische Lehrgang, welchen der
Lehrer, der diese Bücher benutzte, erst selbst aus dem Unterrichte heraus
schaffen mufste. Das ist für den einzelnen eine grofse Belastung und
schadet auch der Harmonie des Unterrichts, da doch meistens das Fran-
zösische in mehreren Händen liegt. Wenn die Kollegen derselben Anstalt
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 463
nicht zufällig in ihren Ansichten und ihrem Geschmack übereinstimmten,
so trat leicht eine grofse Unsicherheit und Planlosigkeit in dem Betriebe
des französischen Unterrichts ein. Diesem Mangel abzuhelfen, ist schon
mehrmals versucht worden, so in dem Jahresbericht der Realschule xu
Bitterfeld (1898), in den Büchern von Diehl und von Mackenroth und in
einem Jahresbericht der Liebig-Realschule zu Frankfurt a. M. Diese letz-
tere Arbeit ist seitdem von den Fachlehrern der genannten Anstalt er-
weitert und ergänzt worden und als besonderes Hilfsbuch für die Klassen
Sexta, Quinta und Quarta erschienen. Das Buch enthält einen metho-
dischen Lehrgang im Anschlufs an Kuhns Lehrbücher, ohne dem Lehrer
einengende Fesseln anzulegen, sondern diese Art des Unterrichts gewährt
ihm im Gegenteil den Vorteil einer ziemlich grofsen Bewegungsfreiheit.
Der erste Teil enthält den methodischen Lehrgang, der zweite Über-
setzungsstücke zum Übersetzen aus dem Deutschen, der dritte ein Wörter-
verzeichnis.
Der Lehrgang zerfällt in vier Rubriken : in der ersten stehen die Titel
der Texte aus Kuhns Lesebüchern (für Anfänger und Unterstufe), in der
zweiten die Stoffe der Grammatik, die am besten auf induktivem Wege
aus jenen Lesestücken sich ableiten lassen, die dritte enthält den Wort-
schatz, nach Kategorien geordnet, die vierte verwandte deutsche Stoffe,
Gouinsche Reihen oder singbare Texte.
Der Anfangsunterricht in Sexta ist zunächst rein lautlich, mit Be-
nutzung der Vietorschen Lauttafeln, und erst nach etwa drei Monaten
erfolgt der Übergang zur Schrift. Ob dieser Zeitraum richtig oder zu lang
ist, ist immer noch eine unentschiedene Frage. Er ist entschieden zu lang,
wenn man ein Lehrbuch ohne Texte in Lautschrift benutzen mufs; in
diesem Falle empfiehlt sich nach meiner Erfahrung nach kurzer pho-
netischer Einleitung ein möglichst baldiger Übergang zur französischen,
Schrift. Anders ist es bei den Kühnschen Lehrbüchern, welche eine Reihe*
von Texten in Lautschrift enthalten und es so dem Schüler ermöglichen,
die gehörten Laute und Worte auch im Gedächtnis festzuhalten ; aber auch
hier scheinen mir einige Wochen für die rein lautliche Behandlung zu ge-
nügen. Von den in Sexta zu lesenden Stücken werden vielen Fachlehrern
einzelne Lesestücke zu kindlich und inhaltsleer erscheinen, anderen wird
wiederum die Zahl der singbaren Texte zu grofs sein. Das ist Sache des
persönlichen Geschmackes, und es ist leicht, aus dem Lesebuch andere
Stücke auszuwählen. Jedenfalls ist der grammatische Gewinn ein recht
bedeutender und ergibt sich in ganz natürlicher Weise aus den Lese-
stücken, wenn dieselben in der im Hilfsbuch angedeuteten Weise durch-
genommen werden. Nach je zehn Stücken tritt eine systematische Zu-
sammenfassung der gewonnenen grammatischen Erscheinungen ein, die
dann am Schlufs, nach der Durchnahme des 30. Stückes, noch einmal in
ihrer Gesamtheit systematisch vorgeführt werden. Der Sextaner beherrscht
dann am Schlüsse des Schuljahres das Geschlechtswort, die Mehrzahl,
den Ersatz der Deklination, den Teilungsartikel, das Eigenschaftswort,
das Umstandswort, das Zahlwort von 1 — 1000, die meisten Fürwörter, vom
Zeitwort avoir, etre und das Aktiv der ersten sowie einige Formen der
zweiten und dritten Konjugation, natürlich alles in den einfachsten Er-
scheinungen, nur in den Hauptsachen. Der Wortschatz umfal'st Aus-
drücke aus der Umgebung des Schülers, vor allem Schule, Schulzimmer,
Familie, Haus, Stadt und Wald, Körperteile, Kleidung, Zeiteinteilung,
Tageszeiten, Namen der Monate und Tage, Gewerbe und von den Jahres-
zeiten den Winter. Besonders wichtig erscheint mir auch, dafs schon
die wichtigsten unregelmäfsigen Verben in ihren gebräuchlichsten Formen
auf dieser Stufe gelernt werden; sie kommen zu häufig in der lebenden
Sprache vor, als dafs ihre Kenntnis bis Quarta aufgeschoben werden könnte.
Für Quinta sind als Lesestoff hauptsächlich die Hölzelschen Jahres-
464 Beurteilnngen und kurze Anzeiget.
Zeiten und einige Märchen gewählt worden, aus welchen in derselben Weise
wie in Sexta neue grammatische Erscheinungen gewonnen und die schon
bekannten vertieft werden. Es kommt hier das Geschlecht der Haupt-
wörter hinzu, ferner die unregelmäfsigen Plurale, Bildung der weiblichen
Form der Eigenschaftswörter, Steigerung, die fragenden und unbestimmten
Fürwörter, die vollständige regelmäfsige Konjugation sowie eine Vermeh-
rung der unregelmäfsigen Verben, von denen einzelne bereits im Aktiv
vollständig konjugiert werden. Aufser der Formenlehre wird hier auch
schon die Satzlehre in ihren Grundzügen gelehrt, nämlich der Gebrauch
von aroir und etre bei dem Zeitwort, der Gebrauch der Zeiten, die Stel-
lung des Subjekts, die Stellung des attributiven Eigenschaftswortes und
das persönliche Fürwort. Der Wortschatz umfafst jetzt die Jahreszeiten,
Weihnachten, Essen, Trinken, Schlafen, Wohnen, Stadt und Land, häus-
liche, ländliche und städtische Einrichtungen, Verrichtungen und Erlebnisse.
In Quarta werden andere Hölzelsche Bilder besprochen und Märchen
gelesen, aus welchen sich als grammatischer Gewinn, aufser einer Wieder-
holung des schon früher Gelernten, die Kenntnis des Konjunktivs sowie
der wichtigsten unregelmäfsigen Verben ergibt. Die Satzlehre besteht
gröfstenteils in einer Wiederholung und Befestigung des schon in Quinta
gewonnenen Stoffes. Der Wortschatz erweitert sich zum Leben der Natur
und des Menschen in den vier Jahreszeiten in vertiefter Betrachtung, Stadt
und Land, Einrichtungen, ßerufsarten und Tätigkeiten, Ferien, Wandern,
Eeisen, Freundschaft, Tugend, Glück, Klugheit, Unrecht, Mifsgeschick,
Strafe.
Der zweite Teil des Hilfshuches enthält zwölf Ubungsstoffe zum Über-
setzen aus dem Deutschen, welche nach jeder grammatischen Zusammen-
fassung vorgenommen werden. Stofflich schliefsen sich diese deutschen
Stücke an die gelesenen französischen an, jedoch haben die Verfasser
Sorge getragen, dafs die Sprache durchaus reines Deutsch ist. Die Sätze
sind einfach gebaut, der Umfang ist mäfsig. Die Zahl von zwölf Stücken
für den Zeitraum von drei Jahren wird vielen zu gering erscheinen; doch
hat das bekanntlich seinen Grund in der Eigenart dieser Methode, welche
das Hin übersetzen auf das geringste Mals beschränkt und nicht als
Zielleistung fordert.
Eine mühsame Arbeit verrät der dritte Teil, in welchem, zur zusam-
menfassenden Wiederholung des gesamten erlernten Wortschatzes dienend,
alle Wörter in bestimmten Gruppen mit einer Belegstelle aus dem Lese-
buch aufgeführt sind. Die vom Konkreten zum Abstrakten aufsteigenden
Hauptgruppen sind die folgenden: Les ckoses et leur nature. L'espace.
Temps. Nature. La ville et la campagne. Uhomme. La famille. L'äge.
L'ecole. La Societe, L'Etat. L'eglise. Metiers et professions. Les princi-
pales manifestations de la vie. L'dme. Experiences de la vie. — So be-
festigen die Schüler die Vokabeln auf doppelte Weise: einmal prägen die-
selben sich ihrem Gedächtnis fest ein in dem Zusammenhange, in welchem
sie in den Lesestücken gelernt worden sind, und dann bei dieser Wieder-
holung durch die Gruppierung nach begrifflichen Kategorien. Durch die
beigefügten Belegstellen werden beide Arten der Erlernung miteinander ver-
knüpft, und die Wörter haften so durch doppelte Assoziation im Gedächtnis.
Das am Schlüsse des Buches befindliche Eegister ermöglicht das schnelle
Auffinden jeder beliebigen vorgekommenenen grammatischen Erscheinung.
Leider ist das Verzeichnis der Druckfehler bei dem schwierigen Druck
noch ein ziemlich umfangreiches. Übersehen ist darin S. 121, Z. 14 v. o.:
statt quisque lies puisque.
Das besprochene Hilfsbuch hat den grofsen Vorzug für sich, dafs es
nicht nur auf Grund theoretischer Erwägungen verfafst, sondern aus einer
jahrelangen Lehrpraxis allmählich erwachsen ist. Der Erfolg bürgt also
für seine Brauchbarkeit, und das Buch wird allen Lehrern, welche den
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 465
französischen Unterricht nach Kuhns Lehrbüchern erteilen, eine bedeu-
tende Erleichterung und eine sichere Grundlage für ihren Unterricht bie-
ten, ohne dafs es jedoch dem Geschmack und der Neigung des einzelnen
lästige Fesseln auferlegt ; es gewährt vielmehr jedem einen gewissen Spiel-
raum in der Handhabung seiner Methode. Wir können nur wünschen,
dafs eine Fortsetzung für Untertertia bis Untersekunda im Anschlufs an
Kuhns Unterstufe und das Lesebuch 'La France et les Francis' bald er-
scheinen möge.
Wilmersdorf-Berlin. J. Block.
Dr. Wilhelm Ricken, Französisches Gymnasialbuch für den Unter-
richt bis zum Abschlufs der Untersekunda. Auf Grund der
preufsischen Lehrpläne von 1901 für gymnasiale Anstalten mit deut-
scher Unterrichtssprache bearbeitet. Berlin, Gronau, 1903.
Hauptsache war für den Verfasser, ein Buch zu schaffen, das durch
Knappheit des dargebotenen Stoffes die Erledigung der durch die Lehr-
pläne dem französischen Unterricht an Gymnasien gestellten Aufgaben
ermögliche. Für das Quartapensum sind die ersten 26 bis 30 französischen
Stücke nebst entsprechenden deutschen Übungsstücken bestimmt. Am
besten macht man wohl den Abschlufs nach dem 27. Stück auf Seite 26.
Die Anordnung ist so getroffen, dafs erst nach Durchnahme mehrerer
französischer Stücke eine Übersetzung in das Französische eintritt, so die
erste nach Stück 15 (Vokabeln 1 — 6), dann. .nach Stück 20 (Vokabeln 7),
nach Stück 26 (Vokabeln 7 — 18). Dieser Übersetzungsstoff umfafst bis
Stück 27 vier Seiten. Der nach Stück 27 zu behandelnde deutsche Text
nimmt zehn Seiten ein. Wenn nun auch diese dem Quartapensum zu-
gewiesen würden, so wäre die Aufgabe dieser Klasse zu umfangreich.
Man kann indessen dank der Einrichtung des Buches hier beliebig Halt
machen, vielleicht so, dafs man noch möglichst vier Seiten (Vokabeln von
1 — 19) hinzunimmt und die dann noch übrigen sechs Seiten der Unter-
tertia zuweist. Ich würde die Bemessung des Stoffes für Quarta auf
27 Stücke der von dem Verfasser im Vorwort vorgeschlagenen auf 30 vor-
ziehen, weil der Gang des Unterrichts in dieser Klasse möglichst langsam
sein mufs, und weil der französische Lesestoff für die Untertertia mit den
Stücken 80 — 34 im ganzen nur etwa sechs Seiten betragen würde, wäh-
rend nach dem hier gemachten „Vorschlage doch wenigstens noch eine
Seite hinzukäme. Der deutsche Übersetzungsstoff für Untertertia nimmt
dann freilich dreizehnein halb Seiten ein, von denen die oben erwähnten
ersten sechs Seiten aber einen dem Schüler bereits bekannten Vokabel-
schatz verarbeiten, und deren grammatischer Stoff ihm ebenfalls aus den
französischen Stücken des Quartapensums geläufig ist. Die französischen
Stücke bestehen anfangs nur aus wenigen Zeilen; darunter fehlt auch
nicht eine Anzahl amusettes (Nr. 7) neben 'Erzählungen, Gesprächen und
Beschreibungen aus dem Geschichts- und Interessenkreise der Schüler,
aus Natur, Schule, Haus und Hof etc. Besonders erwähnt seien Le
tahleau de V hiver (20) und Le tableau du printemps (27) in dem Pensum
für Quarta und Le tableau de l'ete und Le tableau de Vautomne in dem
für Untertertia (im ganzen Wiedergabe der Beschreibung der Hölzelschen
Jahreszeitenbilder in französischer Sprache von demselben Verfasser).
Das Pensum für Obertertia umfafst die französischen Stücke 34 — 39
(zehn Seiten Text). Es entspricht nicht den Lehrplänen, dafs der Ge-
brauch der Hilfsverben avoir Und etre zur Bildung der umschriebenen
Zeiten hier fehlt und dem Pensum der Untersekunda zugewiesen ist. Zehn
Seiten deutschen Textes, in 37 Nummern gruppiert, dienen zur Einübung
der unregelmäfsigen Zeitwörter. Im Vorwort hebt der Verfasser hervor,
'dafs der in den Stücken 35 — 38 gebotene französische Anschauungsstoff
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 3Q
466 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
zugleich — wo es geboten erscheint — als Stoff für die Lektüre leichter
geschichtlicher oder erzählender Prosa benutzt werden kann.' Es sind
acht Seiten Text über Les Oaulois et les Romains, Glovis, le fondateur d'un
empire franc, Les successeurs de Glovis et les maires du palais und Gharle-
magne. Wenn unbedingt die Kenntnis der unregelmäfsigen Zeitwörter auf
induktivem Wege aus zu diesem Zwecke zurechtgemachten Stücken ge-
wonnen werden soll, so bleibt allerdings in Obertertia für die Schrift-
stellerlektüre keine Zeit übrig, und es ist nur zu rechtfertigen, dafs durch
das Verfahren des Verfassers ein gewisser Ersatz gesucht wird. Mir
scheint es aber unmöglich, dafs das Ziel auch nur annähernd erreicht
werden könnte. Der Schüler wird nie über die Anschauung hinausgehoben
werden, dafs das Stück eben der Grammatik wegen dasteht, um so mehr,
wenn ihm aus jeder zweiten Zeile eine fettgedruckte Form eines Zeit-
wortes aufdringlich entgegenstarrt. '
Der syntaktische Anschauungsstoff für Untersekunda ist nur in den
den Regeln vorgedruckten Beispielen gegeben, weil die Durchnahme zu-
sammenhängender Stücke zuviel Zeit für die Grammatik in Anspruch
nehmen würde. Zur Einübung der syntaktischen Regeln bietet das Buch
dreizehn Seiten deutschen Textes. Was diesen und den für die früheren
Stufen betrifft, so ist darüber zu sagen, dafs sie meist zusammenhanglos
sind. Doch sind die Sätze im allgemeinen nicht bunt durcheinander-
gewürfelt, sondern jede grammatische Einzelheit wird durch eine Gruppe
von Beispielen veranschaulicht und möglichst so, dafs sie je einem Vor-
stellungskreise entnommen sind, der durch den französischen Sprachstoff
zur Darstellung gekommen ist. Die Sätze sind durchweg kurz, was zum
besten der Förderung der Sprechfertigkeit zu dienen im höchsten Mafse
geeignet ist. Öfters kam mir der Gedanke, ob dem Verfasser nicht die
von Häufser in seiner Schrift Lebendige Grammatik empfohlene Methode
vorgeschwebt habe.
Die Grammatik gibt auf zwei Seiten das Vokaldreieck und das Schema
der Konsonanten nebst knappen allgemeinen Bemerkungen über die fran-
zösische Aussprache. Auf weiteren drei Seiten folgt die Darstellung der
Laute durch die Schrift. Die Formenlehre aufser den unregelmäfsigen
Zeitwörtern kommt auf dreizehn Seiten zur Darstellung und fafst über-
sichtlich zusammen, was, zwischen den französischen Stücken zerstreut,
meist schon zur Anschauung gebracht worden ist. Die Stellung der per-
sönlichen Fürwörter ist hier behandelt, .wie denn auch zwischen dem fran-
zösischen Text für Quarta besondere Übungen zur Beherrschung des Ge-
brauches eingefügt sind. In der Syntax (S. UO) folgt dann noch einmal
'Wiederholung der wichtigsten Gesetze über die Stellung der persönlichen
Fürwörter nebst en und y und der Negation im Satze'. Die Lehrpläne
sprechen bei den Lehraufgaben für Quarta nur von 'Erlernung der Für-
wörter". Soll darunter auch die Einübung der Stellung mehrerer persön-
licher Fürwörter beim Zeitwort verstanden werden, oder ist diese der für
Untertertia vorgeschriebenen Erweiterung der Lehraufgabe der Quarta zu-
gewiesen? Ich glaube, dafs das letztere der Fall ist, und halte das auch
für besser, weil gerade dieses Kapitel für die Schüler doch schon schwie-
* Es wäre zu bedauern, wenn in Obertertia auf eine reichlichere Lektüre end-
gültig verzichtet werden müfste. Sollte es nicht empfehlenswert sein, von den in
der Lektäre und in Übungsstücken vorkommenden Formen unregelmäfsiger Zeit-
wörter auszugehen, sie mit den Schülern zu gruppieren und Fehlendes zu ergänzen?
Auch in den Übungsstücken können doch nicht alle Formen zur Anschauung kom-
men. Eine übersichtliche Darstellung in der Formenlehre der Grammatik, sowie
Satzkonjugationen, Niederschrift in das Heft und Anschreiben an die Tafel nach
bestimmten Gesichtspunkten, Übersetzung kurzer deutscher Sätze mit bekanntem
Vokabelschatz würden zur Einübung dienen.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 467
riger ist. — Die unregelmälsigen Zeitwörter sind in einer klaren Über-
sicht und Gruppierung an das Ende der Formenlehre gestellt.
Die Syntax umfafst zweiundzwanzig Seiten einschliefslich der zahl-
reichen Mustersätze. Ungenau ist auf S. 135 die Eegel: Das Partizip der
mit avoir konjugierten und der reflexiven Verben kongruiert mit seinem
Objektsakkusativ (zu dem es nach französischer Auffassung in adjektivi-
schem Verhältnis steht). S. 131 'si vous croyex que je puis vous etre utile,
neben si vous croyex que je puisse vous etre utile (mit etwas anderer Nuance)'
gibt keine Aufklärung. Daselbst die Anmerkung 1 über Einteilung der
Substantivsätze in Subjekts- und Objektssätze ist zu entbehren; statt
dessen hätte in der Eegel für 'Substantivsätze' Subjekts- und Objekts-
sätze gesagt werden können. Ferner sollte es auf derselben Seite in dem
Satze 'Der Subjonctif steht in solchen Adjektivsätzen (Kelativsätzen), die
ein gefordertes Merkmal angeben' heifsen: in attributiven Relativsätzen,
denn die betreffenden Relativsätze brauchen nicht immer Adjektive zu
ersetzen. Es kommt nicht auf die Wortart an, sondern auf die Funktion
des Wortes im Satze. Der Ausdruck 'im j^owr^wo*- Satze' wäre wohl besser
zu vermeiden (S. 142), ebenso S. 106 'die wo^i-Reihe, die ^on-Reihe' etc.
Zwischen den Stücken des französischen Textes steht eine grofse An-
zahl von Übersichten sowie Aufgaben zu Übungen. Hinter den Wörter-
verzeichnissen zu den französischen Stücken (nach Nummern) und den
deutschen Übungen (nach dem Alphabet) folgt noch ein sechzehn Seiten
mit je zwei Reihen umfassendes etymologisch gruppiertes alphabetisches
Wörterverzeichnis, 'das zu denkender Befestigung und Ergänzung des
Wortschatzes und zur Einführung in die Wortkunde und Wortbildungs-
lehre dienen kann'. Der Zusatz ist gewifs richtig, doch würde er sich
besser in dem Vorwort ausnehmen.
Oppeln. Vor die ck.
F. Koldewey, Schulrat Prof. D. Dr., Französische Synonymik für
Schulen. Vierte Auflage. Wolfenbüttel, Zwifsler, 1902. 220 S. 4.
Die gegebenen Begriffsbestimmungen sind knapp, klar und meist
richtig. Unter abroger ist ein Beispiel mit oter gegeben. Unter presager
fehlt die Bedeutung 'vorbedeuten'.
repliquer 'erwidern wenn bereits eine Antwort erfolgt ist'. Das is-
ungenau. On peut aussi repliquer ä un ordre; es entspricht unserem 'ert
widern, entgegnen'.
Die Unterscheidung zwischen envier und porter envie ist willkürlich.
calmer wird ebensogut von Personen gebraucht wie apaiser.
civil 'bürgerlich, im Gegensatz zum Militär'. Nicht blofs.
adopter wird nur ganz beiläufig erwähnt und nur mit q., jmd. an
Kindesstatt annehmen; es müfste aber gleichwertig mit recevoir, accepter,
agreeTj wegen seiner bildlichen Bedeutung von 'etwas zu dem seinigen
machen', behandelt werden. Vergleiche: Cette proposition fut adoptee.
L'Angleterre se vit contrainte d'adopter ces mesures en grande partie cinq
ans plus tard.
Wattendex pas ä Vextremite ist kein Französisch. Kann man une taille
bien formee statt bien prise sagen?
In der Vorrede zu meiner Englischen Synonymik glaubte ich bewiesen
zu haben, dafs für diese Wissenschaft die Etymologie meist alles andere
als von Nutzen ist. Das mindeste aber ist doch, dafs nur wissenschaft-
lich haltbare Ableitungen gegeben werden. Was sollen Angaben wie
abolir, lat. abolere, supprimer, lat. supprimere; deposer aus dem Präfix de,
lat. dis, ingenu, lat. ingenuumi
Der Verfasser erklärt in der Vorrede, es seien bei der Abfassung die
Werke von Guizot und Lafaye, die Wörterbücher von Littr^, Sachs und
30*
468 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
der Acad^mie und — last, not least — die französische Synonymik von
Bernhard Schmitz benutzt worden. 'Neue Ergebnisse der Wissenschaft
bietet das Werkchen nicht.' Leider ist mit Schmitz' Tode sein treff-
liches Buch in Vergessenheit geraten — auch an ihm hat sich das Wort
bewahrheitet: 'Und ihre Werke folgen ihnen nach.' Der Verleger sollte
es durch eine Neubearbeitung wieder zum Leben erwecken.
Für die Schulen ist die vorliegende Zusammenstellung ein brauch-
bares und mit seinen 564 Nummern reichhaltiges Hilfsmittel.
Berlin. G. Krueger.
W. Jonas, 25 deutsche Dichtungen im Gewände französischer
Prosa. Hilfsbuch für den französischen Unterricht in mittleren und
höheren Schulen. Leipzig, E. Haberland, 1904. 43 S. gr. 8.
Die Verfasserin bietet in dem vorliegenden Büchlein Umformungen
und Bearbeitungen deutscher epischer Poesie in französischer Sprache.
Staubs Der Bettler und sein Hund, Rückerts Barbarossa und Des fremden
Kindes heiliger Christ, Mosens Ursprung des Kreuzschnabels, Kopischs
Gründung Frankfurts, Vogls Erkennen, Bürgers Lied vom braven Mann,
Uhlands Blinder König und Des Sängers Fluch, Siegfried und Der weifse
Hirsch, Schwabs Gewitter, Chamissos Schlofs Boncourt, Reinicks Sonntags
am Rhein, Schillers Handschuh, Graf von Habsburg, Mädchen aus der Fremde
und Der Taucher, Goethes Gefunden, Johanna Sebus, Erlkönig, Der getreue
Eckart, Der Schatzgräber, Lenaus Postillon und Freiligraths Der Blumen
Rache bilden die Grundlage der kleinen Erzählungen, die in einwandfreiem
Französisch geschrieben sind. Aber die Geschichtchen sind so freie Um-
arbeitungen und entfernen sich stellenweise so weit von der Einfachheit
des deutschen Textes, dafs man nicht recht weifs, wie das Heftchen als
Schulbuch benutzt werden soll. Ich will der Verfasserin gern glauben,
wenn sie in der Vorrede sagt, das Buch sei zum grofsen Teil in der
Klasse entstanden, 'selbstverständlich in einfacher Fassung'. Aber wie es
zu gehen pflegt: zur Drucklegung erschienen ihr die Übersetzungen und
die daran sich knüpfenden Erweiterungen des Stoffes offenbar zu kind-
lich, zu wenig pompös, und so ist denn unter der feilenden und aus-
schmückenden Hand der Lehrerin etwas ganz anderes daraus geworden,
als was es ursprünglich war. Es stellt sich tatsächlich als eine Samm-
lung von 25 französischen Lesestücken dar. Ob man aber nicht für die
Lektüre lieber französische Originalarbeiten nehmen würde, wage ich zu
bezweifeln. Doch dem sei wie ihm wolle; die Absicht der Verfasserin,
auch die Meisterwerke deutscher Dichtung dem fremdsprachlichen Unter-
richt nutzbar zu machen, ist jedenfalls zu loben. Gelegentlich wird man
das Büchlein gern zu Vorträgen und Diktaten verwenden; und arbeitet
man selber mit den Schülern der Mittelklassen eins der deutschen Ge-
dichte um, dann hat man es ja in der Hand, zu gröfserer Schlichtheit
des Ausdrucks zurückzukehren.
Berlin. Emil Penner.
Dr. Heinrich Grein, Studien über den Eeim bei Theodore de
Banville, ein Beitrag zur Geschichte der französischen Verstechnik.
(Heft 2 der Kieler Studien zur franz. Verslehre.) Kiel 19u3. 72 S. gr. 8.
Ein Hauptziel dieser Arbeit ist die Beantwortung der 'interessanten
Doppelfrage': 'Wie verhalten sich die Reim theo rien Banvilles zu der
von dem Dichter Banville geübten Praxis und ferner zu den Regeln,
welche die klassischen Theoretiker des französischen Verses für den Reim
aufgestellt haben?'
Dem ersten Teil der Frage vermögen wir nur ein sehr geringes Inter-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 469
esse abzugewinnen, denn es versteht sich von selbst, dafs der Künstler
Banville mit dem Theoretiker Banville im Widerspruch stehen mufs. Es
ist unseres Wissens noch niemals vorgekommen, dafs die Werke eines
Künstlers, sofern er etwas mehr als reiner Nachahmer war, mit den Dog-
men eines Theoretikers in Einklang standen — selbst nicht, wenn Theo-
retiker und Dichter eine und dieselbe Person waren.
'Un grand po^te, un po^te quelconque möme, fait ce qu'il veut et ce
que son Inspiration lui dicte.' Das sind Banvilles eigene Worte.
Auf die Frage: in welchem Verhältnis steht der Dichter zum Theo-
retiker? kann es im Grunde nur die eine Antwort geben: in gar keinem
Verhältnis; denn sobald der Dichter von der Regel des Theoretikers an-
statt von der eigenen Inspiration getrieben wird, ist er kein Dichter mehr ;
und sobald die Regel Inspiration wird, ist sie keine Regel mehr. Poet
und Poetiker gehen einander gerade so wenig an wie der Ochse, der sein
höchst eigenes Fell auf dem Leibe trägt, und der Sattler, der, wenn die
Ochsen tot sind, ihr Fell in Riemen schneidet, um andere Leute damit
zu bekleiden.
Wenn es zwischen diesen beiden je eine vernünftige Fragestellung
geben kann, so darf sie natürlich nicht lauten : Wie verhält sich der Ochse
zum Sattler, sondern umgekehrt: wie der Sattler zum Ochsen? oder:
der Theoretiker zum Dichter? die Regel zur Kunst? Was ist dem Theo-
retiker an den Kunstwerken, die er vor sich hatte, aufgefallen? Was hat
ihm wert geschienen, kodifiziert und in Riemen geschnitten zu werden?
Nicht ob die Kunstschöpfung von der Regel abweicht — denn das
tut sie immerund überall — , sondern ob die Regel den Kunst geh rauch
richtig, oder wenigstens annähernd, konstatiert hat, wollen wir wissen.
Grein hat diese beiden Fragestellungen, von denen nur die zweite
einen Sinn hat, nicht immer streng auseinander gehalten. Für den prak-
tischen Verlauf seiner Arbeit ist die Scheidung auch ziemlich belanglos.
Um so mehr, als bei Banville die Dinge sehr einfach liegen. Sein petit
traite de poesie fran^aise ist, wie man ohne weiteres sieht, eine Sammlung
von Postulaten, aber nicht von Theoremen; er ist ein Programm, kein
Referat, ein Dogma, keine Kritik. Er verhält sich zu der wirklichen
Poesie wie der platonische Staat zum wirklichen Staat.
Interessanter und weniger einfach ist die zweite Frage: Wie stellt
sich Banville zu den Forderungen der klassischen Poetik in bezug auf
den Reim? Es wäre wünschenswert gewesen, dafs der Verfasser die wich-
tigsten technischen Neuerungen Banvilles in einem Resümee am Schlufs
zusammengestellt hätte. Man mufs sich die zerstreuten Bemerkungen und
Verweise auf die klassische Tradition mühsam heraussuchen; denn den
eigentUchen Kernpunkt des Büchleins bilden nicht die Theorien des
Banville oder deren Verhältnis zu anderen Theoretikern; die wahre Ab-
sicht ist vielmehr eine beschreibende und statistische Darstel-
lung der raffinierten und überreichen Reimtechnik des Dichters.
Zu diesem Zwecke hält es der Verfasser für nötig, eine 'Wertskala'
des Reimes aufzustellen. Er fixiert eine Reihe von Reimtypen und ordnet
sie in aufsteigender Linie nach ihrer 'Klangfülle'. Der Mafsstab ist, wie
bei Lubarsch und Freymond, die Quantität des Reimes. Der Reim
wird der Länge nach gemessen: je mehr Buchstaben resp. Laute mit-
reimen, desto kräftiger und wirkungsvoller soll er sein.
Das ist eine höchst naive Vermutung, sei es dals man sie vom rein
phonetischen oder vom ästhetischen Standpunkt aus beurteile.
Der ästhetische Wert eines Reimes läfst sich natürlich nur von
innen heraus und durch stilistische Betrachtung des poetischen Zusammen-
hanges bestimmen und ist seinem Wesen nach inkommensurabel.
Der phonetische Wert aber wird durch die Quantität der reimen-
den Laute nur höchst unvollkommen und einseitig bestimmt. Mehr als
470 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
die Zahl macht es das Gewicht und die Beschaffenheit der Laute: vor
allem der Akzent, unter dem sie stehen. Dieser aber wechselt je nach
Sinn und Zusammenhang — und., so sehen wir uns von neuem in das
inkommensurable Gebiet der Ästhetik zurückgeschleudert.
Eine objektive, akustisch kommensurable Skala der Klangfülle ist
nur für einzelne mechanisch erzeugte und erzeugbare Laute möglich. So
hat man gefunden, dafs bei gleicher Qualität, Dauer und Intensität der
Aussprache ein offenes a schallkräftiger ist als ein offenes o, e oder i.
Solche Eesultate aber lassen sich nicht beliebig addieren und auf die
individuellen Lautgruppen der gesprochenen Rede übertragen.
Wenn a einen Schallwert von 500 Einheiten, i einen solchen von 300
hat, so folgt daraus noch lange nicht, dafs der Diphthong ai oder ia nun
800 stark sein müsse. Denn indem wir sprechen, setzen wir die Laute
nicht wie Gewichtsteine aufeinander hinauf, sondern wir verschmelzen sie
in mannigfaltigster Mischung. Auch braucht ein dreisilbiger Reim durch-
aus nicht schallkräftiger zu sein als ein einsilbiger, sowenig als eine
lange Schnur stärker zu sein braucht als eine kurze oder drei Schläge
stärker als ein Schlag.
Trotzdem glaubt Grein, die gereimten Diphthonge ohne weiteres als
die schallkräftigeren Elemente über die gereimten Vokale und die nasalen
Vokale höher als die oralen, die einsilbigen Reime höher als die mehr-
silbigen setzen zu müssen. Mit welchem Recht und nach welchem wissen-
schaftlichen Kriterium, ist nicht abzusehen.
Besonders schwierig wird dem Verfasser die Ordnung seiner Stufen-
leiter in Fällen, wo Zahl und Masse der Laute resp. Buchstaben gleich,
Anordnung und Qualität aber verschieden sind. Es entsteht z. B. die
ebenso peinliche als müfsige Frage: 'ob der Reim Konsonant -|- Vokal
theoretisch klangreicher sei als der Reim Vokal -|- Konsonant?' Schon
Schenk hatte entschieden, dafs der Typus col : envol besser sei als der
Typus lot : fallot, weil dort mehr accent d'intensite zur Verwendung komme
als hier. — Aber was ist subjektiver und individueller als der Akzent I Es
gibt keinen objektiven Akzent, es gibt keine objektiven phonetischen Werte.
Daran hat man im Altertum, im Mittelalter und in der Renaissance
noch geglaubt. So hat z. B. Dante die einzelnen Worte und Lautgruppen
seiner Sprache nach ihrem Klang in weiche, rauhe, klare, dunkle, leichte,
schwere, männliche, weibliche, erhabene und niedrige usw. einzuteilen ver-
sucht. Mit dem gleichen Rechte hat man sich früher auch gefragt, was
geometrisch wertvoller oder schöner sei : ein rechtwinkliges oder ein schief-
winkliges oder ein gleichwinkliges usw. Dreieck? eine Kugel oder ein
ZyUnder?
Heute glaubt an solche Werte nur noch das Laienpublikum. — Die
ganze phonetische Wert- oder Klang- oder Kraft-Skala der Reime und
damit auch der gröfste Teil der Greinschen Arbeit ist unwissenschaftlich
— nicht viel mehr als eine Spielerei; — das Gespenst, nach dem er jagt:
eine selbständige Lehre vom Reim — ein Hirngespinst.
Dafs er aufserdem auch gegen das herkömmliche technische Eintei-
lungssystem und gegen die Terminologie der französischen Poetik mehr-
fach verstöfst, daS er assonance, rime sufßsante und rime riclie durch-
einander wirft und z. B. soleil : pareü als Assonanz, fleurs : cou-leurs aber
als reichen Reim bezeichnet, während beide rimes süffisantes sind, u. dgl.
mehr, ist schon von Maurice Grammont in der Eevioe des langues romanes
XL VII, S. 184 ff. gerügt worden.
Immerhin ist die Aufzählung und Beschreibung der technischen Kunst-
griffe, Neuerungen und Gepflogenheiten eines Dichters wie Banville eine
dankenswerte Leistung.
Heidelberg. Karl Vofsler.
Verzeichnis
der vom 13. März bis zum 12. Juni 1905 bei der Redaktion
eingelaufenen Druckschriften.
Library of Congress catalog: 8000 vols. for a populär library, with
notes. I: classed, 11: dictionary. Washington, Government Printing Of-
fice. 1904. 485 S.
American Journal of philolo^y. XXV, 4 [Murray, Bradley, and Craigie's
A new English dictionary on historical principles].
Zeitschrift für österreichische Volkskunde. XI, 1,2 [F. Lentner, Über
Volkstracht im Gebirge. — J. Franke, Eine ethnologische Expedition in
das Bojkenland. — Kleine Mitteilungen etc.].
Heinemann, Dr. J., Zeittafeln zur Kulturgeschichte. Leipzig, Kessel-
ring (E. V. Mayer) [1905]. IV, 48 S. M. 0,60. [Von dem Gedanken ge-
leitet, dafs im Schulunterricht die Mitteilung der Tatsachen der Kultur-
geschichte sich auf die verschiedensten Schulfächer verteilt, und dafs es
so dem Schüler schwer wird, sich ein kulturgeschichtliches Gesamtbild zu
machen und einen Überblick über den inneren Zusammenhang der Er-
eignisse eines einzelnen Zeitabschnittes oder gar mehrerer Epochen zu ge-
winnen, sind in diesen Zeittafeln die wichtigsten kulturgeschichtlichen
Fakta chronologisch zusammengestellt. Die Darstellung beginnt mit den
Nationalkulturen des alten Orients; auf das 19. Jahrhundert entfällt un-
gefähr ein Drittel des ßaumes. Die typographische Anordnung ist ebenso
übersichtlich wie die innere Gliederung. Das treffliche Heft wird auch
beim Unterricht in der Literaturgeschichte sehr gute Dienste leisten können
und verdient nachdrückliche Empfehlung.]
Literaturblatt für germ. u. rom. Philol. XXVI, 2—5 (Februar — Mai).
Modern language notes. XX, 3 [H. Collitz, Das Analogiegesetz der
westgerm. Auslautreihen. — A. S. Cook, Simile of Guido Guinicelli's
Henry IV. B IV, 5, 238— 211. — K Holbrook, A fifteenth Century dia-
logue dealing with fools called coquars. — E. P. Hammond, Ms. Longleat
238 — a Chaucerian codex. — G. L. Hamilton, Supercilia junitaj. —
4 [E. P. Morton, The English sonnet 1658—1750. — T. A. Jenkins, Ou
the pronominal object with parier. — F. A. Wood, Dürfen and its cognates.
— H. Collitz, On Prof. Wood's article. — L. Cooper, An aquate in the
rime of the ancient mariner. — L. Foulet, Engl, words in the lais of Marie
de France. — R. Holbrook Exorcisms with a stole. — W. W. Comfort,
The motif of Young Waters. — M. Buchanan, A neglected version of
Quevedo's 'Romance of Orpheus. — A. S. Cook, A fourth- Century poem
entitled The pearl. Dante, Inf. 3, 40—41]. — 5 [H. Collitz, Zum vokal.
Auslautgesetz der germ. Sprachen. — V. Johnston, Use of the French
equivalents of Latin em, en and ecce. — C. Collester, Narcissus plays
distinguished. — A. Schinz, Is French literature going back to natura-
lism ? — E. Thompson, Dante and Landor. — R. Sehwill, An Impression
of the condition of the Spanish American libraries. — M. Buchanan, Pan
y toros: bread and buUs].
472 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Bevue germanique. I, 2 [G. Monod, Michelet et l'AUemagne. —
H. Lichtenberger, Les derni^res annees de Nietzsche. — G. Varenne,
Adolphe Menzel. — Notes et documents, comptes rendus, critiques, biblio-
graphie et revue des revues]. — 3 [Dr. Kaethe Schirmacher, Le feminisn
allemand. — E. Lauvrifere, L'id^alism americain d'aprfes le professeur
Barrett Wendeil. — J. Lescoffier, Une ceuvre in^dite d'Ibsen: 'La nuit de
Saint-Jean'. — Notes etc.].
Modern philology. II, 4 [J. E. Spingarn, The sources of Jonson's
*Descoveries'. — K. Francke, The 'blessed boys' in Faust and Klopstock.
— H. B. Lathrop, The sonnetforms of Wyatt and Surrey. — F. A. Wood,
Germanic etymologies. — H. S. Canby, Some comments on the sources
of Chaucer's Tardoner's tale'. — R. Garnett, Ben Jonson's probable author-
ship of scene 2 act IV of Fletcher's 'Bloody brother'. — F. L. Criehlow,
On the forms of betrothal and wedding ceremonies in the Old French
romans d'aventure. — J. T. Murray, Engl, companies in the towns outside
London 1550 — 1600. — F. Tupper, jr., ßiddles of the Bede tradition. —
H. M. Beiden, The study of the folk-song in America. — G. F. Reynolds,
Some principles of Elizabethan Staging].
Spielmannsbuch, Novellen in Versen aus dem 12. und 13. Jahrhundert,
übertragen von W. Hertz. 3. Aufl. Stuttgart, Cotta, 1905. VI, 472 S.
M. 6,50.
Neuphilologen -Vademecum, I. Band : 1905. Halle a. S., Hellmers
Verlag, Sep.-Cto. 1905. Kl. 8». 208 S. Geb. M. 8. [Ein elendes Mach-
werk, ohne wirkliche Sachkenntnis unternommen, grofssprecherisch in
Szene gesetzt und liederlich ausgeführt.]
Nyfilologiska Sällskapet i Stockholm. Studier i modern Spräkveten-
skap. III. Upsala, Almqvist & Wiksells, 1905. IX, 269 S. Kr. 5 [C. Wah-
lund, Un acte in^dit d'un op(§ra de Voltaire (Samson). — Fr. WuUf, Pon
freno al gran dolor che ti trasporta; une Strophe travaill^e de P^trarque
dans le ms. vat. 3196. — A. Malmstedt, Des locutions emphatiques. —
J. O. G. Kjederqvist, Sydvästengelskt och västsachsiskt r. — R. G. Berg,
Nägra anteckningar om nägra fall af attraktion i nägra svenska arbeten.
— O. Rohnström, Öfversikt öfver tyska spräkläror utgifna i sverige mellan
ären 1669 och 1874. — F. Grip, Über sonantische Nasale in der deut-
schen Umgangssprache. — P. A. Geijer, Gaston Paris. — Aper§u biblio-
graphique des ouvrages de philologie lomane et germanique publi^s par
des Su^dois depuis 1902 jusqu'ä 1905].
Neuphilologische Mitteilungen, hg. v. Neuphilol. Verein in Helsing-
fors. 1905. Nr. 1 — 2 [Augusta Lindfors, Sur la m4thode de l'enseigne-
ment des langues modernes. — M. Wasenius, Die Übersetzung aus der
Muttersprache. — Anna Bohnhof, Byron Literature. — Besprechungen. —
Protokolle und Berichte. — Eingesandte Literatur. — - Mitteilungen].
Die neueren Sprachen ... hg. v. W. Victor. XII, 9 [K. Wimmer,
Das französische Diktat, insbesondere an den bayerischen Realschulen. —
C. Pitollet, Moderne Strömungen im französischen Roman und Drama. —
Berichte. — Besprechungen. — Vermischtes]... XII, 10 [R. J. Lloyd, Glides
between consonants in English. — Hörnig, Über den Stand des englischen
Unterrichts an den sächsischen Gymnasien, Realgymnasien und Realschu-
len. — Berichte. — Besprechungen. — Vermischtes]. XIII, 1 [A. Schröer,
Fr. J. Furnivall. — W. Grote, Realienkunde und Realienkenntnis. — Be-
richte. — Besprechungen. — Vermischtes]. XIII, 2 [K. Meyer, Über Shake-
speares Macbeth (I). — R. J. Lloyd, Glides between consonants in Eng-
lish (IV). — Berichte. — Besprechungen. — Vermischtes].
Heus 1er, A., Lied und Epos in germanischer Sagendichtung. Dort-
mund, Kuhfus, 1905. 52 S. M. 1.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 473
Skandinavisk mänadsrevy för undervisning i de Ire hufoudspräken
(Tyska, Engelska, Franska) redigerod af IJniversitetslektorerna vid Lunds
Universitet H. Hungerland, C. S. Fearenside, C. Polack. Lund, Gleerupska
Univ. bokhandeln, Maj 1905. 32 S. 4» 1 Kr. [Dichtung und Erziehung.
— Die Sommerkurse in Lund, 1906, und die fremden Sprachen. — Aka-
demisk Foreningsblad. — Bücherschau. — From an English ingle-nook. —
Method in English. — English books for schools. — A mes lecteurs. —
Compte rendu. — Jules Verne, 1828 — 1905. — Quelques livres de pre-
mi^re utilit^. — Skrifter insända tili Redaktionen. — Studentstilar med
öfversättning tili Tyska, Engelska och Franska. — Svenska texter fÖr
öfversättning. — Prize competitions].
Östergren, Olof, Stilistiska studier i Torneros' snräk (Upsala uni-
versitets ärsskrift 1905, Filosofi, spräkvetenskap och historiska vetens-
kaper, 1). Upsala, Akademiska bokhandeln. IX, 150 S.
Koch, E. A., Die niederdeutschen Relativpronomen (Lunds Univer-
sitets ärsskrift, XXXIX, 1, 8). Lund, 1904. 69 S. Fol.
Weinhold, H., Kleine mhd. Grammatik, 3. Aufl., neu bearb. von
G. Ehrismann. Wien, Braumüller, 1905. 208 S. M. 2.
Franz, E., Beiträge zur TitureLforschung. Göttinger Diss., Leipzig,
1904. 52 S.
Niemann, G., Die Dialogliteratur der Reformationszeit nach ihrer
Entstehung und Entwickelung (Probefahrten Vj. Leipzig, Voigtländer,
1905. 92 S. M. 3.60.
Sammlung Göschen: Deutsche Literatur-Denkmäler des 16. Jahrhun-
derts. II: Hans Sachs, ausgew. u. erläut. von Prof. Dr. J. Sahr. 2. ver-
mehrte u. verb. Aufl. Leipzig, Göschen, 1905. 144 S. Geb. M. 0,80.
Davis, E. Z., Translation» of German poetry in American magazines
1741 — 1810, together with translations of other Teutonic poetry and original
poems referring to the German countries. Philadelphia, Americana Ger-
manica Press, 1905 (issued as a separate vol. of the Americana Germanica).
VIII, 229 p. $ 1,65 net. [Ein wichtiger Beitrag zur Geschichte deutsch-
englischer Literatur einflüsse. Das älteste amerik. Blatt, das Übersetzungen
brachte, war 'The general magazine and historical chronicle', Philadelphia
1741. Als ältestes deutsches Gedicht wurde übertragen Hallers 'Morgen'
(1795). Auf Haller folgten sofort Gesner, Geliert, Bürger ('Leonore', 1798),
Lessing, Goethe ('Erlkönig', nach Lewis' 'Tales of Wonder', 1801), Klop-
stock (erst. 1804), viele anonyme Dichter. Die Register geben eine vor-
treffliche Übersicht der amerikanischen belletristischen Zeitschriften aus
der Zeit bis 1810. Das Buch ist deutschen und engüschen Philologen zu
empfehlen.]
Panthenius, W., Das Mittelalter in Leonhard Wächters (Veit We-
bers) Romanen, ein Beitrag zur Kenntnis der beginnenden Wiederbelebung
des deutschen Mittelalters in der Literatur des 18. Jahrhunderts (Probe-
fahrten IV). Leipzig, Voigtländer, 1904. 130 S.
Schillers sämtliche Werke. Säkular- Ausgabe in 16 Bänden. II: Ge-
dichte, 2. Teil: Erzählungen. 126 S. VIII : Dramatische Novellen. 364 S.
XIII: Historische Schriften, 1. Teil. 324 S. ä M. 1,20.
Ziegler, Theobald, Schiller (Aus Natur und Geisteswelt, 74. Bänd-
chen). Leipzig, Teubner, 1905. VI, 117 S.
Pries, A., Beobachtungen zu Schillers Stil und Metrik (S.-A. aus
A. Kochs Studien zur engl. Literaturgesch., V.). Berlin, Duncker, 1905. 28 S.
Bellermann, L., Schillers Dramen. Beiträge zu ihrem Verständnis.
3 Bde. 3. Aufl. Berlin, Weidmann, 1905.
Festschrift zur Schiller -Gedenkfeier in Budweis im deutschen Ver-
einshause.
Phelps, Prof. W. L., Commemoration address on Schiller, delivered
at Yale University. Yale annual weekly, May 24, 1905.
474 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Stern fei d , Eichard, Schiller und Wagner. Berlin, Thelen, 1905. 27 S.
Becker, Marietta K., Kleist und Hebbel, a comparative study. Chi-
cago, Scott, 1904. 71 S.
Prem, S. M., Adolf Pichlers Leben und Schaffen (Grüne Blätter für
Kunst und Volkstum, Heft 12). München, G. Müller, 1905. 42 S. M. 0,15.
Trost, Laura, Aus unseren vier Wänden, ein Buch für Männer.
Berlin, Schwetschke, 1904. 196 S. M. 2,80.
Sulger-Gebing, Hugo von Hofmannsthal, eine literarische Studie
(Breslauer Beiträge zur Literaturgeschichte, III). Leipzig, Hesse, 1905.
93 S.
Ausfeld, D. Eichard, Deutsche Aufsätze für die höhere Mädchen-
schule. Leipzig, Teubner, 1905. 88 S.
Weise, Prof. Dr. O., Musterstücke deutscher Prosa zur Stilbildung
und zur Belehrung. 2. verm. Aufl. Leipzig, Teubner, 1905. VI, 166 S.
Blatz, Geheimrat F., Neuhochdeutsche Schulgrammatik für höhere
Lehranstalten. 7. Aufl. Bearbeitet von Prof. Dr. E. Stulz. Karlsruhe,
Lang, 1905. VIII, 274 S. Geb. M. 2,50.
Curme, G. O., Prof. of Germanic philology, A grammar of the Ger-
man language designed for a thorough and poetical study of the lan-
guage as spoken and written to-day. New York, Macmillan, 1905. XIX,
661 S. $ 8,50 net.
Methode Toussaint-Langenscheidt. Brieflicher Sprach- und Sprech-
unterricht f. d. Selbststudium der schwedischen Sprache von E. Jonas,
J. Westerblad, C. G. Morön. Berlin, Langenscheidt. Brief 20 — 26
zu M. 1.
Englische Studien. XXXV, 1 [O. Jespersen, The history of the Eng-
lish language considered in its relation to other subjects. — G. Sarrazin,
Neue Beowulf- Studien. — K. D. Bülbring, Das 'Lay-folk's mass-book' in
der Hs. der Advocates Library in Edinburgh. — W. Franz, Die Wort-
bildung bei Shakespeare].
Beiblatt zur Anglia. XVI, 2, 3 (Februar, März 1905).
Beowulf nebst dem Finnsburg -Bruchstück, mit Einleitung, Glossar
und Anmerkungen hg. von F. Holthausen. I. Teil: Texte und Namen-
verzeichnis (Ae. und me. Texte, hg. von Morsbach und Holthausen, III).
Heidelberg, Winter, 1905. 112 S, M. 2,40, geb. M. 2,80.
Bibliothek der ags. Prosa, begr. von Ch. Grein, fortges. von E. P.
Wülker. VI. Band: Kleinere ags. Denkmäler, I [1) Das Lseceboc. 2) Die
Lacnunga mit grammat. Einleitung. 3) Der Lorica-Hymnus mit der ags.
Glossierung. 4) Das Lorica-Gebet und dieLorica-Namen], hg. von G. Leon-
hardi. Hamburg, Grand, 1905. 24- S.
Miller, George Morey, The dramatic dement in the populär ballads
(University studies of the University of Cincinnati, 1, 1). Issued bi-monthly.
Cincinnati, University Press, 1905. 60 S.
Specimens of the Elizabethan drama from Lyly to Shirley a. d.
1580 — 1642, with introductions and notes by W. H. Williams. Oxford,
Clarendon Press, 1905. VIII, 576 S. 7/6.
Koeppel, E., Studien über Shakespeares Wirkung auf zeitgenössische
Dramatiker (Bangs Materialien zur Kunde des älteren engl. Dramas, IX).
Louvain, Uystpruyst, 1905. XI, 103 S.
St oll, E. E., John Webster, The periods of his work, determined
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tive Society, 1905. 216 S.
Minor poets of the Caroline period ed. by G. Saintsbury. Vol. I,
containing: Chamberlain's Pharonnida and England's jubilee, Benlowe'a
Verzeichuis der eingelaufenen Druckschriften. 475
Theophila, and the poems of Katherine Philips and Patrick Hannay.
XVIII, 726 S. 10/6 net.
Tenny8on,A., Maud. With explan atory notes by J. Stibbe. Gro-
ningen, Noordhoff, 1905. 98 S.
Collection of British authors. Tauchnitz edition. ä M. 1,60.
Vol. 3796—7: A. Conan Doyle, The return of Sherlock Holmes.
„ 3798: G. H. Lorimer, Old Gordon Graham.
„ 3799—3800: 'ßita', The masqueraders.
„ 3801: G. Atherton, The bell in the fog and other stories.
„ 3802: E. F. Benson, An act in the back water.
^ 3803 — 4: Mrs. Humphry Ward, The marriage of William Ashe.
„ 3805: Elinor Glyn, The vicissitudes of Evangeline.
„ 3806—7: Percy White, The system.
„ 3808: Kate Douglas Wiggin etc., The affair at the inn.
„ 3809: D. Gerard, The three essentials.
„ 3810: W. E. Norrie, Barham of Beltana.
„ 3811: E. Phillpotts, The farm of the dagger.
„ 3812: George Moore, Confessions of a young man.
„ 3813: Maurice Hewlett, Fond adventures.
Zimmermann, C, Hoofdzaken der uitspraak van het Engelsch.
Groningen, Wolters, 1905. 80 S.
Kruisinga, A grammar of the dialect of West Somerset, descriptive
and historical (Bonner Beiträge, XVIII). Bonn, Hanstein, 1905. VI,
182 S. M. 6.
Dickhuth, Oberlehrer Dr. W., Übungsstoff und Grammatik für den
englischen Anfangsunterricht. I: Formenlehre. 3. verb. Aufl. Magde-
burg, Lichtenberg, 1905. VI, 144 S.
Plate, H., Lehrgang der englischen Sprache. IL Mittelstufe. Me-
thodisches Lese- u. Übungsbuch mit beigefügter, auf das Lesebuch Bezug
nehmender Sprachlehre. 61. Auflage, der Neubearbeitung 8. Auflage,
durchgesehen von K. Münster. Dresden, Ehlermann, 1905. VIII, 368 S.
Geb. M. 2,90.
Röttgers, Prof. Benno, Englische Schulgrammatik. Bielefeld, Vel-
hagen, 1905. XII, 280 S. Geb.
Swoboda, Prof. W., Lehrbuch der englischen Sprache für höhere
Handelsschulen. I. Teil: 'Junior book', für den 1. Jahrgang des engl.
Unterrichts (mit einem Wörterbuch). Wien, Deuticke, 1905. VI, 174 S.
Geb. M. 2,40.
Teichmann, B. (Dolmetscher), Einige Mitteilungen über den Wert
und die Erfolge in Teichmanns prakt. Methode. Engl., franz., ital. und
span. Sprechen und Denken. Erfurt, Selbstverlag des Verfassers, 1903.
196 S.
Zimmermann, C. (Leeraar bij het middelbaar onderwijs te's-Graves-
hage), Twelve English lessous. Groningen, Wolters, 1905. 112 S. [Ganz
von Anschauung ausgehend und ohne unenglisches Wort in die Gram-
matik einführend, mit Bildern zur Illustrierung der Wortlisten, durchaus
ein sehr geschicktes Elementarbuch nach der Reformmethode.]
Uebe, Prof. Fr., Müller, Prof. Dr. M., und Hunger, Oberlehrer
Dr. E., Lehrbuch der engl. Sprache für Handels- und Gewerbeschulen.
Leipzig, Teubner, 1905. VIII, 232 S.
Wilke, Prof. Dr. Edmund, Einführung in die englische Sprache. Ein
Elementarbuch für höhere Schulen. 5. verb. Aufl. der Stoffe zu Gehör-
und Sprechübungen. Leipzig, Gerhard, 1905. X, 254 S.
Heim, R., Einführung in die englische Konversation auf Grund der
Anschauung nach den Bildertafeln von Ed. Hölzel. Mit einer kurzgefafsten
Grammatik als Anhang. 3. Aufl. Hannover, Carl Meyer, l9o5. VIII,
150 S. Geb. M. 1,80.
476 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Englische Übungsbibliothek 21: L. Fulda, Unter vier Augen, Lust-
spiel in einem Aufzug, zum Übersetzen ins Englische bearbeitet von Prof.
Dr. Ph. Hangen. Dresden, Ehlermann, 1905. VIII, 83 S.
Whitfield, E., Oberlehrer in King's Lynn, Englische Handelskorre-
spondenz (Sammlung Goeschen). Leipzig, Goeschen, 1904. VIII, 107 S.
Geb. M. 0,80.
English reader I: A seaside story by Eleanor M. Warren, nursery
rhymes and poetry. Mit Anmerkungen für den Schulgebrauch hg. von
Ed. Armack. Flensburg, A. Westphalen, 1905. 66 S. M. 0,50.
Französische u. englische Schulbibliothek, hg. von Dickmann. Leipzig,
Renger, 1905:
Bd. 145: Six tales by modern Engl, authors with a preface and notes
cd. by Fr. Lotsch (R. Barr, R. H. Barbour, A. Conan Doyle,
Ouida, M. E. Braddon, Mrs. Craik). VIII, 94 S.
Bd. 148: E. A. Freeman, A short history of the Norman conquest of
England, bearbeitet von Fritz Meyer. X, 114 S.
Freytags Sammlung französischer und englischer Schriftsteller:"'
Ch. Dickens, A Christmas carol in prose, hg. von Prof. Dr. H. Heim.
XXXII, 197 S., 28 Abbild, und 1 Notenbeilage ('God rest you merry,
gentlemen'). Geb. M. 1,80. Dazu ein Wörterbuch, 82 S., M. 0,80.
J. A. Froude, Oceana, hg. von Oberlehrer Dr. E. Köcher. 148 S. Geb.
M. 1,50.
W. Howitt, Visits to remarkable places, hg. von Oberl. Dr. H. Hoff-
mann. 156 S., 8 Abbild, und 2 Karten. Geb. M. 1,50.
Round about England, Scotland and Ireland, ausgewählt und erklärt
von Prof. Dr. J. Klapperich (Engl. u. französ. Schriftsteller, XXXI).
Glogau, Flemming, 1904. 124 S., 18 Abbild., 11 Karten. Geb. M. 1,60.
Seeley, Sir J. R., The growth of Great Britain, being a selection
from the author's 'Expansion of England' and 'Growth of British policy',
für den Schulgebrauch hg. und erklärt von Dr. K. Fahrenberg (Schul-
bibliothek franz. u. engl. Prosaschriften, hg. von Bahlsen und Henges-
bach, 43). Berlin, Weidmann, 1905. 156 S. Geb. M. 1,50.
Stevenson, R. L., The bottle imp. H. B. Baildon, R. L. Stevenson's
Life and work. Mit Wort- und Sacherklärungen sowie einer Kartenskizze
hg. von Dr. A. Kroder (Kochs neusprachliche Schullektüre, 2). Nürn-
berg, Koch, 1905. VI, 76 S.
Romania, p. p. P. Meyer et A. Thomas. N^ 133 (janvier 1905)
[G. Huet, La version n^erlandaise des Lorrains. Nouvelles ^tudes. —
P. Meyer, Notice du ms. 9225 de la Bibl. royale de Belgique (l^gendier
fran^ais). — V. de Bartholomaeis, De Ramhaut et de Goine (Ramb. de
Vaqueiras et Conon de Böthune). — A. Thomas, Le roman de Goufier de
Lastour. — J.-T. Clark, L'influence de l'accent sur les consonnes mediales
en Italien. — M^langes: P. Meyer, De quelques mss. fran9ais conserv^s
dans les biblioth^ques des Etats-Unis. — La chanson des clowechons (die
Nägel des heiligen Kreuzes). — L'inscription en vers de l'^pöe de Gau-
vain. — J.-L. Weston, Wauchier de Denain and Bleheris. — A. Thomas,
Pour un 'dicti^' de la Vierge Marie. — Anc. frang. loirre, loitre; rous-
seruel, roseruel; rovent. — J. Desormaux, Savoyard viorba, viorhes. —
Gomptes rendus. — P^riodiques. — Chronique].
Revue des langues romanes. XLVIII, 1 [K. Sneyders de Vogel, La
suite du Parthenopeu de Blois et la version hollandaise. — L.-E. Kastner,
D^bat du Corps et de PAme en proven§al. — G. Th^rond, Contes lenga-
doucians (suite). — J. Ulrich, L'Apocalypse en haut-engadinois. — Biblio-
graphie]. 2 [G. Clavelier, Etüde sur la langue de Four^s. An der Sprache
dieses Felibre aus Castelnaudary zeigt C, zu welch künstlichen, an die
Verzeichnis der eiugelaufenen Druckschriften. 477
Plejade eriunernden Mitteln die eüdfranzösische Literatursprache greift,
wenn sie sich Ziele steckt, die jenseit schlichter Heimatkunst liegen. —
J. Coulet, Le d^bat provengal du Corps et de TAme. — L.-G. P^lissier,
Documents sur les relations de rempereur Maximilian et de Lud. Sforza
en 1499 (suite). — H. Guy, La chronique fran§aise de Maitre Quill. Cr^tin
(suite). — Bibliographie].
Geijer, P. A., Gaston Paris, nägra minnesblad (S.-A. aus Nyfilo-
logiska 8ällskapet8 i Stockholm Publikation III, 207—56). Upsala, Alm-
qvist & Wiksells, 1905.
Cornu, J., Zu Commodian (S.-A. aus der Festgabe für A. Mussafia).
Halle, Niemeyer, 1905. 20 S.
Baist, G., Mutulus. Butina (S.-A. aus der Festgabe für A. Mussafia).
Halle, Niemeyer, 1905. 6 S.
Meyer-Lübke, W., Zur Geschichte des C vor hellen Vokalen (S.-A.
aus der Festgabe für A. Mussafia). Halle, Niemeyer, 1905. 8 S.
Walde, Prof. Dr. A., Lateinisches etymologisches Wörterbuch. Liefe-
rung I, 80 S. Heidelberg, Winter, 1905 (Sammlung indogerm. Lehrbücher,
hg. von Prof. Dr. H. Hirt -Leipzig. II. Reihe; 1. Band; vollständig in
10 Lieferungen zu M. 1,50).
Oleott, G. N., A Dictionary of the latin inscriptions. Vol. I. Rome,
Loescher & Co., 1904. 24 S.
Hugo Schuchardt an Adolf Mussafia, Graz, im Frühjahr 1905.
41 S. gr.-fol. [Eine prachtvoll ausgestattete Gratulationsschrift, die mit
Worten der Huldigung an den siebzigjährigen Forscher, den einst Boccaccio
und Dante vom Studium der Medizin weggelockt haben, einsetzt und
schliefst. Seh. geht stofflich von Mussafias wortgeschichtlichen Anmer-
kungen im 'Beitrag zur Kunde der nordital. Mundarten' (1873) aus, um
selbst die 'geschichtliche Synonymik' zu fördern und auf die Frage zu
antworten, wie heifsen Haspel und Garnwinde romanisch? Daran
schliefst sich eine etymologische Untersuchung, bei welcher nicht mehr
der Gegenstand (das Setzhamen genannte Netz des Kleinfischers), son-
dern die Wortform (ital. negossa) im Vordergrunde steht, die überzeugend
auf \2it.negotia zurückgeführt wird. Wie zur Hamenfischerei das Pulsen
gehört^ so fügt sich diese Untersuchung zu Sch.s jüngsten Erörterungen
über turhare = pulsen {Z. f. r. Ph. XXVI, 407). Die ganze Schrift ist
eine neue glänzende Illustration zu Sch.s eindringlicher Lehre, dafs dem
Etymologen nicht nur Kenntnis der Wortformen, sondern auch Kennt-
nis des Dinges, also Anschauung, vonnöten ist: mehr als ein halbes
Hundert Abbildungen illustrieren denn auch Feuerbock (iranz. landter),
Hand- und Drehhaspel, Garnwinde und Hamen. Dafs z. B. franz.
echeveau, ecagne (die Strähne) ursprünglich nicht die Strähne, sondern das
Gerät bezeichnen, das der Strähnenbildung dient (den Haspel), wird ohne
weiteres einleuchtend durch das Bild des primitiven Haspels, dessen Form
an den Durchschnitt einer Bank {scabellum, scamnum) erinnert. In Wort
und Bild schweift die Abhandlung über das romanische Gebiet hinaus.
Auch ist das reiche Mahl mit mancherlei reizvollen hors-d'oeuvre ange-
richtet. Wiederholt wird gezeigt, wie etymologische Beute, die von 'laut-
gesetzlichen Schergen' eingebracht ist, vor der Prüfung am Ding nicht
bestehen kann. Ein besonders lehrreiches Beispiel, wie im Italienischen
der Mangel an Anschauung und Sachkenntnis dazu geführt hat, dafs aus
einem sogen, testo di lingua eigentliche UnwÖrter in die Lexika und von
hier in die Literatur eingedrungen sind, liefern Seh. die Veterinärwörter,
besonders die Terminologie der Pferdekrankheiten. Hier würde wohl die
Ausgabe der Mulomedicina Chironis durch E. Oder noch einige Auf-
klärung zu bieten vermögen. — Neben der Fülle des Details, die Bewunde-
rung erregt, finden sich, wie immer bei Seh., prinzipienwissenschaftliche
Erörterungen. Auch hier führt er aus der bunten Kleinwelt des Spinnens
478 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
und Fischens auf freie Höhen, von denen aus man die breiten Wege
der Forschung übersieht und ihre weiten Horizonte schaut.]
Eevue de philologie frangaise . . . p. p. L. Cl^dat. XIX, 1 [P. Meyer,
La simplification orthcgraphique. — H. Yvon, L'idäe de l'usage en ma-
ti^re de langue et d'orthographe. — E. Casse et E. Chaminade, Vieilles
Chansons patoises du P^rigord (suite). — E. Baldensperger, Notes lexico-
logiques. — M^langes. — PubHcations adressöes ä la revue. — Chronique].
Zeitschrift für französ. Sprache und Literatur, hg. von D. Behrens.
XXVIII, 1 u. 3 : der Abhandlungen erstes und zweites Heft [E. Brugger,
Beiträge zur Erklärung der arthurischen Geographie. II: Oorre. —
E. Stengel, Die Refrains der Oxforder Ballettes. — G. Baist, Cerneau. —
D. Behrens: afrz. crinque-, wall, ringuele. — W. Martini, V. Hugos dra-
matische Technik, IL Teil].
Revue des Etudes Rabelaisiennes. III, 1 [A. Lefranc, Les dates du
sejour de R. ä Metz (1546—7). — De Santi, R. et J.-C. ScaUger. — M^-
langes — Comptes rendus — Chronique — Supplement: Reimpression
de L'Isle sonnante (fin)].
Glossaire des patois de la Suisse romande. Sixi^me rapport annuel
de la r^daction, 1904. Neuchätel, Attinger 1905. 19 S.
Revue actuelle et instructive: Le Commentaire. Französische Zeitung
für deutsche Leser. Düsseldorf -Magdeburg. Erscheint jeden Samstag.
Preis vierteljährlich M. 1,20. Fünfter Jahrgang 1905.
Lefranc, A., La langue et la litt^rature fran9aise au College de
France. Le9on d'ouverture du 7 d^c. 1904. Editions de la Revue bleue,
Paris [1905]. 41 S.
Wiese, Dr. Leo, Die Lieder des Blondel de Nesle, kritische Ausgabe
nach alten Handschriften. Halle a. S., Niemeyer, 1904. XLIX, 210 S.
(Gesellsch. f. roman. Literatur, Band 5).
Boselli, A., Le jardin de paradis. Tratatello mistico in antico fran-
cese [Per Nozze Bocchialini-Panini]. Parma, Zerbini, 1905. 35 S.
Stengel, E., Die Turiner Rigomer-Episode. Zur Feier des 25jähr.
Bestehens dem Verein für neuere Sprache zu Hannover und dem Akad.
Neuphilol. Verein zu Marburg als Zeichen treuer Anhänglichkeit dar-
gebracht von ihrem Greifs walder Freunde. Greifswald, Bamberg, 1905.
20 S. gr. 4. [Nach fol. 52—59 der franz. Hs. L. IV. 33 n« 23 der Turiner
Univers.-Bibliothek ; 1337 Verse. Die Hs. ist beim Brande der Bibliothek
schwer zu Schaden gekommen.]
van Hamel, A.-G., Les lamentations de Matheolus et le livre de
Leesce de Jehan le Ffevre, de Ressons (po^mes fran9ais du XIV^ si^cle).
Edition critique, accompagnöe de l'original latin des Lamentations, d'aprfes
l'unique manuscrit d'Utrecht, d'une introduction, de notes et de deux
glossaires. Tome IL Paris, Librairie Bouillon, 1905. CCXXVI, 264 S.
[Nachdem der erste Band dieser mühevollen, vortrefflichen, Adolf Tobler
gewidmeten Publikation im Jahre 1892 den lateinischen und französischen
kritischen Text der Lamentationen Jean Leffevres gebracht, bietet dieser
zweite Band die 4000 Verse seiner Palinodie, des Livre de leesse (1373) mit
einer reichen Introduction, die sich auf beide Gedichte und auf beide
Dichter, Matheolus und Jean, erstreckt, und umfangreichen sprach- und
Btoffgeschichtlichen Anmerkungen. Die beiden Bände bilden N^ 95 u. 96
der Bibliotheque de l'Ecole des Hautes Etudes.]
Faust, trag^die de Goethe; traduction nouvelle compl^te strictement
conforme au texte original p. R. R. Schropp. Paris, Perrin & C'% 1905.
XXII, 535 S. frs. 7,50.
Fetter, J., und Ullrich, Dr. K., Französisches Lesebuch für die
oberen Klassen der Realschulen, Gymnasien und Mädchenlyzeen. Wien,
A. Pichlers Witwe & Sohn, 1905. VIII, 479 S. und Kommentar 86 S.
Geb. M. 5,60.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 479
KÜDcksieck, Fr., Chrestomathie der französischen Literatur des
19. Jahrhunderts (mit Anschlufs der dramatischen). Leipzig, Renger,
1905. X, 404 S. Geb. M. 3,50. [Das Buch verbindet pädagogische und
literarische Zwecke : es igt für Studierende und Freunde der französischen
Literatur und, in zweiter Linie, auch für die oberste Schulstufe bestimmt.
Die Auswahl umfafst einige vierzig Autoren von Chateaubriand bis auf
Sully-Prudhomme, Faguet, Brunetilre und Lemaitre. Kurze biographische
Notizen sind am Schlufs zusammengestellt; der übrige Raum ist ganz
dem eigentlichen Lesestoff vorbehalten. — Das Fragmentarische, das eben
im Wesen einer solchen Zusammenstellung liegt, darf dem Verf. nicht
zum Vorwurf gemacht werden, so sehr es auch da und dort (z. B. beim
Simple discours P.-L. Couriers) Bedauern weckt. K. hat seine Auswahl
mit Geschmack und guter Überlegung getroffen und uns ein nützliches
und anregendes Buch gegeben.]
Ricken, W., Einige Perlen französischer Poesie von Corneille bis
Copp^e. Mit einigen Zutaten für Unterrichtszwecke herausgegeben. Hagen
i. W., Quitmann, 1905. 55 S. (Beilage zum Programm der Oberrealschule
zu Hagen).
Eng wer, Th., Choix de po^sies fran9aises. Sammlung französischer
Gedichte. Mit 17 Porträts. Leipzig, Velhagen & Klasing, 1905 (Samm-
lung franz. u. engl. Schulausgaben, Pontes frangais, 6. Lieferung). Geb.
M. 2. [Die alte Beneckesche Anthologie ist in den aufeinander folgenden
Bearbeitungen durch E. allmählich so umgestaltet worden, dals sie als
ein ganz neues Buch erscheint, und mit Recht trägt dieses nun mit dem
neuen Titel Choix de p. fr. auch nur noch den Namen Engwers, dessen
Eigentum es gänzlich geworden ist. Die Auswahl der Gedichte ist neu
aufgearbeitet: von den ersten Blättern an, wo nun auch der Lyrik des
15. und 16. Jahrhunderts bescheidener, aber angemessener Zutritt gewährt
ist, bis zu den Schlufsseiten, welche dem Volkslied gewidmet sind — überall
neue Gruppierung, neue Auswahl und neue Poeten, wie z. B. Samain,
Verlaine. Wenn E. es mit Recht bedauert, dafs die deutsche Tradition
verlange, dafs B^ranger und gar Copp^e so viel Platz eingeräumt werde,
80 hat er wenigstens auch hier einige Variation gebracht. Aber 16 Seiten
für Copp^e sind immer noch viel zu viel, und 'Le regiment qui passe' ist
gereimte Zeitungsprosa. Copp^e ist ein sehr mälsiger Dichter, der zwi-
schen Sentimentalität und blutdürstigem Nationalismus hin und her
schwankt; er hat weder als Künstler noch als Mensch Anspruch darauf,
dafs die deutsche Schule ihm besondere Reverenz erweise. Doch das nur
nebenbei. — Engwers Chrestomathie ist ein schönes Buch, das auch der
gern zur Hand nimmt, der sich selbständig in der französischen Lyrik
umgesehen hat. Man fühlt ihm die liebevolle Sorgfalt an, mit der es
durch Jahre gepflegt worden ist, und dem Unterricht wird es ein ebenso
geschmackvoller wie sicherer Führer sein.]
Fuchs, M., Anthologie des Prosateurs fran9ais. Handbuch der fran-
zösischen Prosa vom 17. Jahrhundert bis auf die Gegenwart. Mit 12 Por-
traits. Bielefeld u. Leipzig, Velhagen & Klasing, 1905. X, 384 S. (Samm-
lung franz. u. engl. Schulausgaben, Pros. fran§.. Lief. 158). Geb. M. 2,50.
[Dieses Buch ist ein sehr erfreuliches Zeichen für das Bestreben, den
Lesestoff des neu sprachlichen Unterrichts den Bedürfnissen wirklicher
Geistesbildung anzupassen und ihn zugleich von den rhetorischen Rück-
sichten, die in französischen Schulen dominieren, zu befreien.]
Bornecque, H., Moli^re, L'Avare, com^die publice et annot^e en
coUaboration avec H. P. Junker. Leipzig u. Berlin, Teubner 1904. Text
IV, 89 S. Notes 52 S. (CoUection Teubner, par F. Doerr, H. P. Junker,
M. Walter. N^ 1).
Gerhards französische Schulausgaben. Leipzig, Gerhard, 1905:
N° 5. Gr^ville Henry, Perdue; in Deutschland allein berechtigte Schul-
480 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften,
ausgäbe von M. von Metzsch. Fünfte Stereotyp- Auflage, durch-
gesehen von Dr. E. Wasser zieh er. I. Teil: Vorwort, Einleitung
und Text, 167 S. II. Teil: Anmerkungen und Wörterbuch, 45 S.
M. 1,75.
N° 18. Olivier, Urbain, L'Ouvrier; für das ganze deutsche Sprachgebiet
allein berechtigte Schulausgabe von Clara Rot he. I. Teil: Text,
158 S. II. Teil: Anmerkungen, Einleitung und Wörterbuch, 54 S.
M. 1,90.
Französische und englische Schulbibliothek. Leipzig, Rengersche
Buchhandlung, 1905:
Band 147. Porchat, Jean-Jacques, Les deux Auberges. Für den Schul-
gebrauch erklärt von F. Strohmeyer. VIII, 90 S.
Band 145. De Musset, A., Auswahl. Für den Schulgebrauch bearbeitet
von E. Dannheifser. VII, 96 S.
Reihe C, Band 42. Bertin, M., Les deux cöt^s du mur. Für den Schul-
gebrauch bearbeitet von E. Märten s. Mit Wörterbuch 108 S.
Contes Choisis. Pr^c^d^s d'une notice littöraire et de notes explica-
tives par E.-E.-B. Lacombl^. Jules Claretie, Arfene, Toepffer, Sardou,
Hervieu. 2^"^^ Edition. Groningue, P. Noordhoff, 1905. VI, 151 S. Geb.
fl. 0,75. (Conteurs.. modernes 6.)
Französische Übungs-Bibliothek :
N° 18. Fulda, Ludwig, Unter vier Augen, Lustspiel in einem Aufzug.
Zum Übersetzen aus dem Deutschen ins Französische bearbeitet
von Prof. Dr. J. Sahr. Paris, Boyveau & Chevillet; Dresden,
L. Ehlermann, 1904. IX, 66 S.
Schulbibliothek französischer u. englischer Prosaschriftsteller aus der
neueren Zeit. Mit besonderer Berücksichtigung der Forderungen der
neuen Lehrpläne, hg. von L. Bahlsen und J. Hengesbach. Berlin, Weid-
mannsche Buchhdlg., 1905:
Abteilung I: Französische Schriften, 53. Bändchen: Tulou, Franyois,
Enfants c^l^bres. Mit Anmerkungen zum Schulgebrauch hg. von
Prof. Dr. E. Dannheifser. 115 S. Geb. M. 1,20.
Taine, Hippol., Napoleon Bonaparte, ausgewählt und für den Schul-
gebrauch erklärt von Dr. A. Schmitz. 146 S. Geb. M. 1,40.
Tavernier, Dr. W., Zur Vorgeschichte des altfranzösischen Rolands-
liedes. (Über R im Rolandslied.) Berlin, F. Ebering, 1903. 230 S.
Brockstedt, G., Floovent-Studien. Sagen- und literargeschichtliche
Untersuchungen. Erster Teil. Kiel, R. Cordes, 1904. 71 S.
Cloetta, W., Grandor von Brie und Guillaume von Bapaume (S.-A.
aus der Festgabe für Ad. Mussafia, S. 255—75). Halle, Niemeyer, 1905.
Becker, H., Die Auffassung der Jungfrau Maria in der altfranzös.
Literatur (Göttinger Dissertation). Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht,
1905. 91 S. M. 2,40.
Rousselot, l'abb^, La Vierge Maria dans la po^sie franyaise (in
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Leib ecke, O., Der verabredete Zweikampf in der altfranz. Literatur
(Göttinger Dissertation). Göttingen, Dietrichsche Univ. -Buchdruckerei,
1905. 88 S.
Lefranc, A., et Boulenger, J., Comptes de Louise de Savoie
(1515, 1525) et de Marguerite d'Angouleme (1512, 17, 24, 29, 39). Paris,
Champion, 1905. VIII, 122 S. [Eine aufserordentlich dankenswerte Publi-
kation, die fortgesetzt werden soll und demjenigen unentbehrlich sein wird,
der sich mit dem 16. Jahrhundert näher beschäftigt. Diese fürstlichen
Rechnungen bilden nämlich zu gleicher Zeit ein Verzeichnis aller der
Personen, die vom Hofe besoldet worden sind, geben ihre Namen, Titel,
Stellungen, Bezüge und gelegentlich auch andere Auskünfte. Auch die
Verzeichnis der eingelaufenen Dructschriften. 481
literarische und künstlerische Welt des Hofes Franz' I. figuriert darin.
Das unentbehrliche sorgfältige Register, das J. Boulenger angelegt hat,
ermöglicht eine rasche und sichere Befragung dieser Comptes durch den
Literarhistoriker, der im Wirrwarr der Namen des 16. Jahrhunderts eine
Auskunft sucht]
Sakmann, Prof. Dr. P., Voltaire als Kirchenpolitiker (S.-A. aus der
Dtsch. Zeitschrift für Kirchenrecht). Tübingen u. Leipzig, Mohr, 1905. 65 S.
Sakmann, Prof. Dr. P., Voltaire als Philosoph (S.-A. aus dem ^rcÄi«?
für Geschichte der Philosophie hg. von L. Stein, XVIII, 322—68). Berlin,
Reimer, 1905. [Dieser Aufsatz bildet den Schlufs einer der beiden oben,
S. 260, bereits verzeichneten Arbeiten. Diese drei Studien Sakmanns über
Voltaire als Philosophen, als Politiker und als Kirchenpolitiker sind von
echt historischem Geiste erfüllt, und da sie auch auf einer sehr eingehen-
den Kenntnis der Voltaireschen Gedankenwelt und ihrer Entwickelung
beruhen, so geben sie nach Vollständigkeit und Objektivität die beste
Darstellung seiner Weltanschauung.]
Benrubi, Isaak, J.-J. Rousseaus ethisches Ideal (Jenenser Disser-
tation). Langensalza, Beyer u. Söhne, 1904. 141 S.
Pellissier, Georges, Etudes de litt^rature et de morale contempo-
raines. Paris, Cornely & C^« , 1905. 324 S. frs. 3,50. [Zweiundzwanzig
Aufsätze ungleichen Umfanges und auch ungleicher Bedeutung, von der
blofsen und auch vergänglichen Bücherbesprechung bis zur gründlichen
Studie, die eine ganze Epoche oder eine Geistesströmung charakterisiert.
Das ist alles, ob es von Zola oder M. Barrys, Ferd. Fahre oder Brunetifere,
H. de Regnier, den Goncourt oder G. Sand handelt, elegant geschrieben,
klar und Kenntnisreich dargestellt, wie man es von dem Autor gewohnt
ist, der vor bald zwanzig jäiren mit seinem trefflichen Buche vom Mouve-
ment litteraire au 19' siecle aufgetreten ist. Einzelne Stücke — der Autor
hat auch diese leider nicht datiert — sind akademische Reden aus Genf.
Manche sind wahre Discours de combat gegen Klerikalismus und Natio-
nalismus. So stehen diese Essays mitten im bewegten Leben des gegen-
wärtigen Frankreich und spiegeln es lebendig wider.]
Brunot, F., Histoire de la langue fran9ai8e des origines ä 1900.
Tomel: De l'^poque latine ä la renaissance. Paris, Colin, 1905. XXXVIII,
547 S. 15 frs., geb. 20 frs. [In Petit de Jullevilles achtbändiger Histoire
de la langue et de la litterature franguise hat Brunot eine geschichtliche
Darstellung der französischen Sprache zu den einzelnen literarischen
Epochen geliefert, die sich durch sechs Bände hinzieht und da jeweilen
den Schlufs bildet. Das grofse Sammelwerk war noch nicht zu Ende ge-
führt, als bereits von verschiedenen Seiten der Wunsch laut wurde, diese
auseinandergerissenen Teile der Brunotschen Arbeit, die den ersten Versuch
einer umfassenden Geschichte der französischen Sprache darstellte, möchten
zu einem selbständigen Werke vereinigt werden. Diesen Wunsch soll das
Werk erfüllen, dessen erster Band hier vorliegt. In welchem Mafse diese
neue Ausgabe zugleich eine völlige Neubearbeitung ist, das zeigt schon
die Vergleichung des Umfanges. Die Darstellung der Periode vor der
Renaissance umfaiste 1896 rund hundert Seiten; heute füllt sie diesen
ganzen Band von sechsthalbhundert Seiten eines viel kompresseren Druckes
— un travail vraiment nouveau, wie die Vorrede mit Recht sagt. Die
ganze Darstellung ist auf eigene Füfse gestellt. Sie ist nicht mehr blofs
für ein gebildetes Publikum geschrieben, sondern für solche, die philo-
logische Arbeit verrichten wollen. Sie ist eingehend und reich dokumen-
tiert. Den beiden Abschnitten: L'ancien fran^is (135 — 399) und Le moyen
fran^is (401—534) ist ein ganz neuer Teil: Latin et roman, d. h. eine
Ent Wickelungsgeschichte des 'Vulgärlateins', vorausgeschickt. — In der
langen Liste der hauptsächlichsten Quellenwerke, die Brunot anführt, fehlt
das Archiv, das docn so manche sprachgeschichtlich bedeutsame Arbeit
Archiv f. n. Sprachen. CXIV. 31
482 Verzeichnis der eingelaufeneu Druckschriften.
enthält, und das bedauert man z. B. in der Behandlung der Frage der
Dialektgrenzen, wo also (S. 302) die grundlegende Untersuchung Gauchats
von 1908 {Archiv CXI, 365 ff.) übersehen ist. — Wir werden auf das be-
deutsame Werk Brunots noch näher zurückzukommen Gelegenheit haben.
Dieser erste Band inventarisiert unsere heutige, auf zahllosen Einzelunter-
suchungen beruhende Kenntnis der Entwickelungstatsachen des älteren
Französisch und sei eingehendem Studium und fleifsigem Nachschlagen
empfohlen. Es wird besonders für diejenigen Lehrer des Französischen,
die der sprachgeschichtlichen Tagesliteratur nicht zu folgen in der Lage
sind, ein wertvolles Repertorium und ein sehr nützlicher Wegweiser sein.]
Tobler, A., Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. Ber-
lin, 1905. 13 8. [Sitzungsberichte der kgl. preuls. Akad. d. Wissenschaften,
philos.-hist. Klasse XV, 346 — 58. ümfafst drei neue (5 — 7) Beiträge (No. 4
ist 1902 erschienen): 5) N'y ayant rien de plus naturel que ceci, wo auch
diese wirklich subjektlose Verwendung des Gerundiums im modernen
Sprachgebrauch nachgewiesen wird für il y a; il en est {vd). Das Ita-
lienische hat sich, wie T. zeigt, diese subjektlose Gerundialkonstruktion
noch in weiterem Umfang erhalten, offenbar weil es eine charakteristischere
Gerundialform {-ando etc.) besitzt als das Französische (-a/i^), so dafs ge-
sagt werden kann : essendo il freddo grande e nevicando tuttavia, wo franz.
neigeant nicht ausreichen würde. — 6) Äussi bien, wo ein blofses aiLSsi
('auch wirklich', Menn auch') genügen könnte, ist von De seh an el (vgl.
hier CI, 222) als 'Sprachdummheit' erklärt worden. T. erörtert mit der
Geschichte dieser Ausdrucksform ihr gutes Recht und widmet auch der
Verbindung puisque aussi bien Worte historischer und psychologischer
Erklärung. — 7) Eien que d'ordinaire (statt rien que de l'ordinaire, was
fast gänzlich ungebräuchlich) ist ein Beitrag zur Geschichte des Wortes
rien wie zur Geschichte des 'Teilungsartikels'. Die Konstruktion ist vor
dem 17. Jahrhundert nicht nachzuweisen. S. 355 klingt wie eine Ver-
heifsung, dafs wir von T. eine Darstellung der 'ganzen Lehre vom parti-
tiven de mit oder ohne Artikel' erwarten dürfen ; keine seiner syntaktischen
Gaben könnte willkommener sein.]
Jordan, Leo, Materialien zur Geschichte der arabischen Zahlzeichen
in Frankreich. [S.-A. aus Archiv für Kulturgeschichte hg. von G. Stein-
hausen. Berlin, Duncker, 1905. III, S. 155 — 195. Die Abhandlung gibt
aus Pariser Handschriften interessante Beiträge zu der wechselvollen Ein-
führung und Benennung der sogen, arabischen Ziffern im Abendlande,
besonders in Frankreich, und damit zur Bedeutungsentwickelung von
arab. cifr (leer) > französisch la ciffre, pikardisch le chiffre = (1. die Null;)
2. die Ziffer (seit dem 13./14. Jahrb.); 3. (im Plur.) die Geheimschrift
(15. Jahrb.). Die erste Bedeutung (Null) schwand dann vor der zweiten,
erweiterten und wurde durch das aus dem italienischen Handelsverkehr
stammende cifr > xephirum (Leonardus Pisanus, 1202) > nordital., venez.
xero ersetzt (15. Jahrh.).]
von den Driesch, J., Die Stellung des attributiven Adjektivs im
Altfranzösischen (Strafsburger Dissertation). Erlangen, Junge, 1903. 124 S.
[S.-A. aus den Born. Studien XIX, wo die ganze Arbeit erscheint.]
Humpf, G., Beiträge zur Geschichte des bestimmten Artikels im
Französischen (Marburger Dissertation). Marburg, Friedrichs Universitäts-
Druckerei, 1904. VI, 64 S.
Wafsmuth, Th., Untersuchungen der Reime des altfranzösischen
Artusromans Li Atre perillos (Bonner Dissertation). Bonn, Georgi, 1905.
63 S. [Die 6700 Verse des Romans 'vom gefahrvollen Kirchhof sind bis
jetzt nur nach der einen der drei bekannten Handschriften und zwar hier
XLII (1868), p. 148—211 veröffentlicht worden. Die Untersuchung W.s
beschränkt sich auf diesen Abdruck einer Handschrift und ist innerhalb
dieser Beschränkung mit Umsicht und Sorgfalt geführt. Sie zeigt, dafs
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 483
die letzten 1000 Verse des Romans von einem zweiten Eeimer herrühren,
für den en mit an zusammenfiel und aus lat. e, t sich oi ergab. Dieser
Fortsetzer verrät also Einflufs des Französischen, während der ursprüng-
liche Verfasser durch die pikardische Niederschrift hindurch sprachlich
als ein Normande etwa aus der Gegend von Bernay (Eure) erkannt wer-
den kann. — Die Entwickelung des Suffixes -aticu, die S. 47 gestreift
wird, würde eine ausführliche Untersuchung auf gemeinromanischer Basis
sehr lohnen. Mit Ascolis Erklärung {Archivio glottol I, § 168) ist indessen
nicht auszukommen; cf. dazu Oöttingische gelehrte Anzeigen vom 15. Okt.
1885, S. 856.]
Malmstedt, A., Des locutions emphatiques (S.-A. aus Nyfilologiska
Sällskapets i Stockholm Publikation, S. 73—107). 1905.
Herzog, E., Etymologisches (S.-A. aus der Festgabe für A. Mussafia).
Halle, Niemeyer, 1905. 22 S. [Irz. -eir, prov. -(e)xir. — frz. prov. ßn\
ital. fine, ßno. — frz. galoper etc. — frz. pale. — frz. torche etc. — afrz.
prov. verai\.
Appel, C, Vermischtes (S.-A. aus der Festgabe für A. Mussafia).
Halle, Niemeyer, 1905. 11 S. [1. Port -. Pafs. — 2. Huelh de veire].
Rydberg,G., Über die Entwickelung von illui, illei auf französischem
Boden und das Eindringen der Form lui als schwachtoniger Dativ (S.-A.
aus der Festgabe für A. Mussafia). Halle, Karras, 1905. 19 S.
Luick, K., Zur Aussprache des Französischen im 17. Jahrhundert
(S.-A. aus der Festgabe für A. Mussafia). Halle, Niemeyer, 1905. 10 S.
Kling, J. O., Nichtakademische Syntax bei Voltaire (Marburger
Doktordissertation). Marburg, Bauer, 1905. 79 S. [Diese fleifsige Arbeit
leidet zunächst am Mangel scharfer Formulierung des Problems. Was ist
'akademische Syntax' zur Zeit Voltaires, d. h., wie Verf. will, in den
Jahren 1750 — 80 (die Zeit des alten Voltaire)? Die Einleitung gibt auf
diese Frage eine ganz vage Antwort und bezeichnet die 'sekundären Quellen*,
aus denen sich die Kenntnis jener akad. Syntax gewinnen lasse, nicht aus-
drücklich. Dieser Mangel einer sicheren Grundlage gibt dem Mafs, mit
dem K. mifst, etwas Willkürliches, so, um nur ein Beispiel zu wählen, im
§ VIII (Wortstellung), wo die Stellung des Personalpronomens le in 11 le
faut respecier als nichtakademisch bezeichnet wird ! — Die älteren Sprach-
perioden hat der Verf. mit Hilfe der Arbeiten Toblers, Ebelings u. a.
fleifsig zu Rate gezogen und so Voltaires Syntax historisch fundamentiert;
dagegen ist er mit der nachvoltaireschen Entwickelung, besonders mit der
modernen Sprache, zu wenig vertraut. Sein Sprachgefühl ist zu wenig
lebendig, und er hat Arbeiten, welche die heutige nichtakademische Syntax
untersuchen (wie H. Schmidt, Schtdgrammatik und Schriftsteller, Dresden
1901 ; R. Diehl, Franxös. Schulgrammatik und modemer Sprachgebrauch,
Wiesbaden 1895, u. ä.), nicht konsultiert. Er ist deshalb zu sehr geneigt,
Voltaire nur an unserer Schulgrammatik zu messen und von Erschei-
nungen seiner Syntax Aufhebens zu machen, die solcher Registrierung
wirklich nicht bedurften.]
Albalat, Antoine, Le travail du style enseign^ par les corrections
manuscrites des grands ecrivains. Paris, Libraire Colin, 1904. 312 S.
Fr. 3,50. [Es ist interessant und lehrreich, Schriftsteller wie Bossuet,
Chateaubriand, Pascal, Rousseau, F^nelon an der Arbeit zu sehen, und
willkommen darf ein Buch sein, das Proben ihres Entwerfens und Feilens
zusammenstellt, die man sonst in zerstreuten und umfänglichen Publi-
kationen suchen müfste. Noch willkommener aber würde dieses Buch
sein, wenn der Autor — Verfasser von Lehrbüchern der Stilistik — es
mit diesen Proben der Stilarbeit hervorragender Schriftsteller nicht auf
eine zum Teil sehr anfechtbare rhetorische Unterweisung in usum delphini
abgesehen hätte. Er hätte uns noch mehr von jenen Proben und weniger
von seinen eigenen Belehrungen geben sollen. — Der Entwurf eines langen
31*
484 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
französischen Briefes Heines an Dumas (p. 95—102) zeigt, wie Heine sich
quälen mufs, um für seinen Witz ein leidliches gallisches Kleid zu finden ;
cf. Betz, Heine in Frankreich, 1896, p. 176 ff.]
Grojean, Oscar, Notes sur quelc^ues jurons fran§ais (Extrait de la
Revue de l'Universit^ de Bruxelles, f^vrier — mars 1905, S. 401 — 11). Libge,
Imprimerie La Meuse, 1905. [Anknüpfend an Schultz-Goras Aufsatz über
Boieldieu in Behrens' Zeitschrift XXV 127 gibt Grojean weitere Belege
für die Sitte, Individuen nach einer Redensart zu benennen, die ihnen ge-
läufig ist, zählt dann die Flüche auf, die sich auf die Passion oder den
Leib des Gekreuzigten beziehen (vorzüglich nach den Fabliaux), handelt
von ihren euphemistischen Umgestaltungen und ihrem Zusammenhange
mit der Form des Eides.]
Meyer, P., Pour la simplification de notre orthographe. Memoire
suivi du rapport sur les travaux de la commission charg^e de pr^parer
la simplification de Torthographe franyaise. Paris, Delagrave, 1905. 51 S.
[Die Broschüre enthält p. 25 — 51 den Bericht, den die vom Unterrichts-
minister im Februar 1903 bestellte, von P. Meyer präsidierte Kommission
im Juli 1904 erstattet hat. Vorausgeschickt ist p. 8 — 24 eine von P. M.
verfafste kurze Geschichte und Rechtfertigung der Reformbestrebungen
und eine Widerlegung der Einwände, die mit den Worten schliefst: J'ai
montre que les objections qu'on nous fait sont sans portee aucune. L'ohstacle
qui nous est oppose n'a qu'un nom: routine. Notis le hriserons. Dieses
Hindernis wird von dem nämlichen Streiter in der Romania (XXXII, 629)
Akademie genannt: Le grand obstacle ä toute reforme, c'est VAcademie
fran^aise. Wie sehr er recht hat, zeigt die Stellung, welche die Akademie
seither zu den Vorschlägen der Kommission eingenommen hat, und Meyer
hofft demgemäfs (i?07w. XXXIV, 162): Vautorite de VAcademie en matiere
de langue etant purement conventionelle, nous esperons qu'il n'en sera pas
tenu plus de compte que de raison. — Mit besonderer Aufmerksamkeit wird
das Schicksal der Kommissionsvorschläge von Cl^dats Revue de philol.
fran^. et prov. XVIII u. XIX verfolgt.]
Ciairin, P., Exercices frangais enti^rement nouveaux extraits du
Dictionnaire de VAcademie. Paris, H. Paulin & 0^% 1905. 36 S. Fr. 0,60.
[Der Verfasser war der Berichterstatter jener Kommission, die 1900—01
über die Vereinfachungen des syntaktischen Unterrichts zu beraten hatte
und dabei auf das Hindernis der Academie fran^aise stiefs. Er ist auch
der Sekretär der neuen Kommission für die von der Akademie neuerdings
gefährdete Orthographierefoim. Da ist er darangegangen, die grammatische
Zuständigkeit dieser Akademie auf Grund ihres Dictionnaire (Band I) und
des Hanotauxschen Rapport v. 1900 zu prüfen. In dieser amüsanten Bro-
schüre legt er eine Anthologie von 'Sprachdummheiten' der Körperschaft
vor. Die monierten Schnitzer sind von ungleichem Gewicht. Neben dem
blofsen Druckfehler (z. B. cette homme) finden sich arge Verstöfse gegen
die akademische Grammatik (z. B. eile s^est demandee), Widersprüche aller
Art, unzureichende und geradezu ungereimte Definitionen. Bisweilen ist
Verf. wohl etwas zu minuziös; doch hat gerade er wirklich keine Ver-
anlassung, der Akademie etwas zu schenken. Im Kampf, den die Reform-
partei gegen akademische Vorurteile führt, wird diese Broschüre Ciairin s
gute Dienste tun. Sie verdient auch bei uns gelesen zu werden.]
Hug, J., Französische Laut- und Leseschule. Zürich, Art. Institut
Orell Füfsli. IX, 52 S. Geb. M. 1,30. [Dem Unterricht in französischer
Aussprache zu dienen, ist dieses Büchlein wohl geeignet durch die knappe,
klare Darstellung des Wesentlichen, durch die praktische Anordnung von
Regel und Beispiel, durch die übersichtliche Gruppierung des ganzen
Stoffes (1. der Laut in der Isolierung, 2. im Wort, 3. im Satz). DaTs ein
im übrigen so wohl unterrichteter Autor mouilliertes n (und /) als 'zu-
sammengesetzten' Konsonanten auffaTst und beschreibt, ist verwunderlich
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 485
und zu bedauern. Diese palatalen Laute sind ebensogut 'einfache' Konso-
nanten wie dentales n oder alveolares l. Denn das franz. l ist alveolar,
was zu Hugs Beschreibung § 35 zu bemerken ist, wie er denn überhaupt
die Lautbeschreibung noch etwas revidieren mag vom 'hellen a* (§ 1) an,
das keineswegs eine velare, sondern eine leichte palatale Zungenhebung
zeigt. Kousselots Precis de prononeiation fran^aise mag ihn dabei leiten
und zur bibliographischen Liste von S. V gefugt werden.]
Knörk, Dr. O., et Puy-Furcat, G., Le fran§ais pratique. IL L'in-
dustrie et le commerce de la France (Sammlung von Lehrmitteln f. Fach-
u. Fortbildungsschulen). I« partie. Berlin, Mittler, 1905. VI, 204 S. Geb.
JVf. 2,80.
Baumgartner, Andreas, Lese- und Übungsbuch für die Mittelstufe
des französischen Unterrichtes. Zürich, Art. Institut Orell Fülsli. VII,
182 S. Kart. M. 1,60.
Peters, J. B., und Gottschalk, A., Kurzer Lehrgang der franzö-
sischen Sprache für kaufmännische Schulen und ähnliche Anstalten mit
beschränkter Kursusdauer. Leipzig, August Neumanns Verlag (Fr. Lucas),
1005. XI, 221 S. Geb. M. 2,80.
Wilke - D^nervaud, Anschauungs - Unterricht im Französischen.
I. Le printemps. IIL L'^t^. V. L'automne. VII. L'hiver. Dritte, resp.
vierte verb. Auflage. Leipzig, Raimund Gerhard, 1P04. Je IG S. Heft-
Ausgabe ohne Bilder zu M. 0,80.
Dinkler, R., und Mueller-Bonjour, E., Lehrbuch der franzö-
sischen Sprache für Handelsschulen. I. Leipzig u. Berlin, Teubner, 1905.
IV, 188 S.
Robert, C.-M., Phraseologie franyaise. Repertoire systematique de
proverbes, dictons et locutions idiomatiques comment^s et expliqu^s. Gro-
ningue, Wolters, 1905. XII, 540 S. Geb. M. 8,90.
Langenscheidts Sachwörterbücher: Land und Leute in Frankreich.
Zusammengestellt von Prof. Dr. C. Villa tte; völlig neubearbeitet von
Prof, Dr. R. Scherffig. Dritte Bearbeitung. Berlin, Langenscheidt, 1904.
XX, 498, 98 S. Geb. M. 8. [Vor zwanzig Jahren ist das 'Notwörterbuch',
dessen dritter Teil hier in neuer Auflage vorliegt, zum erstenmal erschie-
nen. Es hat damals gleich eine sehr günstige Aufnahme gefunden, vgl.
hier LXXII, 222. Diese dritte Bearbeitung ist sehr vermehrt und zum
Teil ganz neu redigiert und mit sehr guter Kenntnis von Land und Leuten
auf den heutigen IStand französischen Lebens gebracht. Es wird ein treff-
licher Reisebegleiter sein und als Reallexikon im kleinen auch bei der
Lektüre gute Dienste leisten.
Anglade, J., Deux troubadours narbonnais. Guillem Fahre, Bemard
Alanhan. Narbonne, F. Caillard, 1905. 38 S.
Grandgent, C. H., An Outline of the Phonology and Morphology
of old provengal. Boston, Heath & Co., 1905. V, 159 S. [Dieses Hand-
buch der altprovenzalischen Laut- und Formenlehre (unter Ausschlufs der
Wortbildungslehre) ist mit grofser Sorgfalt und Sachkenntnis gearbeitet.
Seine konzise Darstellung des Wissenswertesten beruht auf einem durch
lange Jahre geführten eingehenden Studium der Fachliteratur, zu deren
Resultaten der Verfasser das Ergebnis eigener Forschungen fügt. Die klare
Disposition und die Übersichtlichkeit des Stoffes wird durch die treffliche
ypographische Ausstattung des Bändchens vorzüglich ins Licht gesetzt.]
Giomale storico della lett. italiana, dir. e red. da F. Novati e
R. Renier, Fase, 133 [L. Frati, J. Bentivoglio nella poesia contempo-
486 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
ranea. — Varietä: G. Bertoni, I codici di rime italiane di Giov. Maria
Barbieri. — A. Pompeati, Per la biografia di Paolo Paruta. — A. Ferra-
joli, Due Jettere inedite di Francesco Berni. — Rassegna bibliografica. —
Bolletino bibliografico. — Annunzi analitici. — Pubblicazioni nuziali. —
Communicazioni e appunti. — Cronaca].
Bulletin Italien. V, 1 [P. Duhem, Albert de Saxe et Leonard da
Vinci (I®^ article). — E. Rodocanachi, Les nonnes en Italic du 11^ au
18^ si^cle. — A. Hauvette, Le chevalier Marin et la pr^ciosit^, ä propos
d'un livre r^cent. — M^langes et documents: Notes sur les chroniqueuis
Gino e Neri Capponi. — L. Auvray, Inventaire de la collection Custodi
(5^ art.). — Questions d'enseignement. — Bibliographie. — Chronique].
Biblioteca storica della letteratura italiana d. d. Fr. Novati. Ber-
gamo, Istituto ital. d'aite grafiche, l'^OS. N» VII e VIII:
Parducci, A., I ßimatori Lucchesi del secolo XIII. CI, 141 S. Lire '^.
Savj -Lopez, Paolo, Storie Tebane in Italia. XLIII, 124 S. Lire ö.
Negri, Gaetano, Opere I: Nel Presente e nel Passato, profili e boz-
zetti storici. Seconda edizione, postuma, largamente accresciuta. Milane,
Hoepli, 190 k 428 S. Liie 4,5U. [Für diese neue Ausgabe der Werke
des italienischen Patrioten und Denkers sind zunächst weiter in Aussicht
genommen die Meditaxioni vagabonde und die Bumori mondani. Der vor-
liegende erste Band, zu dem Negri 1803 Titel und Vorrede schrieb, er-
scheint hier mit einem Vorwort des Verlegers und Freundes und ist ein-
geleitet durch einen Negri alla caccia dei briganti überschriebenen Auf-
satz, in welchem der Schwiegersohn M. Scherillo nach Negris Briefen einen
fesselnden Ausschnitt aus dessen Jugendlebtn gibt (1861 — 52). Auch im
übrigen ist der Band reicher, als er 1893 war. Er enthält: G. Garibaldi
— Vitt. Emmanuele a Magenta — Le cinque giornate — Agli elettori
del IL collegio di Milano — Discorso tenuto al banchetto del circolo 'La
riforma' — Le memorie di G. Giusti — Napoleone III e l'Italia — Quin-
tino Sella — II principe di Bismarck — Un eroe delle guerre Napoleoniche
— La battaglia di Abba Garima.]
Pochhammer, Paul, Die Wiedergewinnung Dantes für die deutsche
Bildung. 14 S. (S.-A. aus der Humboldt- Akademie. Dem Generalsekretär
Dr. M. Hirsch zu seinem 70. Geburtstage gewidmet von der Dozenten-
schaft).
Bertani, Carlo, II maggior poeta sardo Carlo Buragna e il petrar-
chismo del seicento. Milano, Hoepli, 1905. 178 S. Lire 4.
Novati, Fr., Attraverso il Medio Evo. Studi e Ricerche. Bari, La-
terza e Figli, 1905. 415 S. Lire 4. [Es ist der 13. Band einer Biblioteca
di Gultura moderna sich betitelnden Sammlung, in welcher z. B. King e
Okey, L'Italia d'oggi, Ciccotti, Psicologica del movimento socialista und
Übersetzungen wie Spingarns Critica letteraria nel Rinascimento, Carlyles
Sartor Resartus erschienen sind. Novati vereinigt in dem Buche acht
Abhandlungen, von denen einige in den beiden letzten Jahrzehnten in
Zeitschriften wie Oiornale storico di lett. italiana, Romania, Archivio per
lo studio delle tradiz. popolari gedruckt und bekannt geworden sind, wäh-
rend andere in weniger zugänglichen italienischen Revuen erschienen und
im Auslande fast unbekannt geblieben sind. Zwei scheinen überhaupt
hier zum erstenmal gedruckt zu sein, nämlich : II passato di Meßstofele
(die Koboldfigur wird, samt ihrem Namen, unter Zustimmung zu Roschers
Lösung, bis in die antike Mythologie zurückverfolgt) und / detti d'amore
d'una contessa pisana (über eine Stelle des Kommentars der Documenti
d'amore des Fr. da Barberino [Strophe XI], worin vielleicht auch eine Re-
miniszenz an Alienor von Poitiers zu erkennen ist ; ein Beitrag zur Kennt-
nis der alten Minnedebatten). Der Band wird eröffnet durcfi einen Auf-
satz über das Änticerberus überschrieben e lateinische Gedicht (1400 Verse)
eines Franziskaners Fra Bongiovanni des 13. Jahrhunderts (S. 9— 115). Es
Verzcichuis der eingelaufenen DruckscTiriften. 487
folgen : // lomhardo e la lumaca, die bekannte ethologische Studie (vgl.
Z. /. r. Ph. III, 98;, mit einigen Nachträgen ; II frammmto Papafava (zur
Interpretation der früher Lamento della sposa padovana [1277] genannten
Strophen, die zu der allegorischen Minnepoesie gehören, welche der Kosen-
roman dominiert [vgl. Romania XIX, I5ö]); / codici francesi dei Oonxaga,
wo, einleitend, Novati zu P. Meyers Vortrag über die Verbreitung des
Französischen in Italien (vgl. hier CXIIl, 478) einige Ergänzungen gibt;
Le poesie sulla natura delle frutta e i eanterini di Firenxe und Una vecchia
canxone a ballo {Madonna Pollaiola), eine Studie zu dem Kinderreigen, den
D'Ancona in La poesia popolare italiana S. 40 erwähnt. Wie alle Ar-
beiten F. Novatis, so bieten auch die hier vereinigten Genufs und Beleh-
rung. In lebendiger, fesselnder Form verbinden sie Scharfsinn, Ideen-
reichtum und umfassende Information. Die Kultur des mittelalterlichen
Italiens ist ihm wie kaum einem zweiten vertraut.]
Heim, Sophie, Kleines Lehrbuch der italienischen Sprache. 4. um-
gearbeitete u. vermehrte Auflage. Zürich, Schulthefs, 1905. VIII, 185 S.
Geb. frs. 2.
Methode Toussaint-Lan^enscheidt. Brieflicher Sprach- und Sprech-
unterricht für das Selbststudium der italienischen Sprache von Dr. H.
Sabersky, unter Mitwirkung von Prof. G. Sacerdote. Berlin, Langen-
scheidt. Brief 20 — 26 zu M. 1. Dazu I. Beilage: II Ripetitore.
de Beaux, Prof. A., Italienische Handelskorrespondenz für Anfänger.
Leipzig, G. J. Göschensche Verlagsbuchhandlung, 19i)5. VII, 85 S. Kart.
M. 1,30.
Heck er, Prof. Dr. O., Neues deutsch - italienisches Wörterbuch aus
der lebenden Sprache mit besonderer Berücksichtigung des täglichen Ver-
kehrs zusammengestellt und mit Aussprachehilfen versehen. Teil I: Ita-
lienisch-Deutsch, zweite Auflage mit beträchtlich vermehrter Namenliste,
X, 455 S. ; Teil II: Deutsch-Italienisch, X, 644 S. Braunschweig, Wester-
mann, 1905. [Der erste Teil dieses Wörterbuches ist in erster Auflage
1900 erschienen und hier CV, 216 ff. besprochen. Der Verfasser, der uns
auch mit so vortrefflichen Lehrbüchern des lebenden Hochitalienisch be-
schenkt hat {Die italienische Umgangssprache, Braunschweig 1897; II pic-
colo italiano, Karlsruhe 1900), gibt in diesem mit dem zweiten Bande nun
abgeschlossenen Wörterbuch ein Werk, das, wie kein zweites, selbständig
nach den lebendigen Sprachquellen gearbeitet ist, Kürze und Vollständig-
keit, wissenschaftliche Genauigkeit mit praktischer Brauchbarkeit vereinigt.
Er ist darin vom Verlag durch hervorragende typographische Ausstattung
unterstützt worden.]
Bulletin hispanique. VII, 1 [M. R. de Berlanga, Estudios numismä-
ticos. — H. de la Ville de Mirmont, Cic^ron et les Espagnols. — J. Cal-
mette, Une ambassade espagnole ä la cour de Bourgogne en 1477. —
A. Morel-Fatio, Les origines de Lope de Vega. — Vari^t^s: *E1 MIstico'
de Santiago Rusinol (E. M^rim^e). — Questions d'enseignement. — Biblio-
graphie. — Sommaire des revues consacr^es aux pays de langue castillane,
catalane ou portugaise. — Chronique].
Farinelli, A., Note sulla fortuna del 'Corbaccio' nella Spagna medie-
vale (S.-A. aus d. Festgabe f. A. Mussafia). Halle, Niemeyer, 1905. 60 S.
Lang, H. R., Old portuguese songs (S.-A. aus der Festgabe für
A. Mussafia). Halle, Niemeyer, 1905. 19 S.
Brandstetter, R., Rätoromanische Forschungen: I. Das schweizer-
deutsche Lehngut im Romontschen. Luzern, J. Eisenring. 1905. 82 S.
488 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
[Der gelehrte Verf. geht von der Erkenntnis aus, dafs man bisher in der
Untersuchung der deutschen Bestandteile der rätischen Wort- und Satz-
bildun^ viel zu sehr von der neuhochd. Schriftsprache ausgegangen sei
und die viel näher liegenden schweizerischen Mundarten zu sehr aulser
acht gesetzt habe. Er weist die wesentlich schweizerdeutsche Basis des
rätischen Lehngutes übeizeugeud nach und eröffnet weitere interessante
Ausblicke auf die Wechselbeziehungen dieses romanisch-deutschen Grenz-
gebietes. In den lautlichen Darlegungen vermifst man gelegentlich die
Terminologie der modernen Phonetik (z. B. 'weiche Vokale' p. 5) und in
der Anführung der Literatur bestimmte Angaben über Druckort und Datum.]
Meyer-Lübke, W., Altgermanische Elemente im Eumänischen (S.-A.
aus der Zeitschr. f. vergl. Sprachforschung auf d. Gebiete der indogerm.
Sprachen, hg. von Kuhn und Schulze, Bd. XXXIX, S. 93—99). Güters-
lon, Bertelsmann, 1903. [M. lehnt Lowes in der nämlichen Zs. S. 297 ff.
gemachten Versuch, im Rumänischen germanische Lehnwörter nachzu-
weisen, ab.]
Friedwagner, M., Rumänische VolksHeder aus der Bukowina (S.-A.
aus der Festgabe für A. Mussafia). Halle, Niemeyer, 1905. 34 S.
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PB
3
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Bd.lU
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der neueren sprachen
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