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Full text of "Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen"

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.  3 


ARCHIV 


FÜR  DAS 


STUDIUM  DER  NEUEREN  SPRACHEN 
UND   LITTERATUREN. 


BEGRÜNDET  VON  LUDWIG  HERRIG. 

IIEKAÜSGEGEBEN 

VON 

STEPHAN  WAETZOLDT  und  JULIUS  ZUPITZA. 


XLIV.  JAHRGANG,   «4.  BAND. 


■^:*#4- 


BRAUNSCHWEIG. 

DRUCK    UNI)    VERF.  AG    VON    (IKOKüH    W  K  ST  H  R  M  A  X  X. 
1890. 


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Inhalts-Verzeichnis  des  LXXXIV.  Bandes. 


Abhandlungen. 

Seite 
I   Ein  weiteres  Briiclistück    der  Regularis  concordia   in    altenglischer   Sprache. 

Von  JuliusZupitza 1 

Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.     Von  Guido 

Wenzel 25 

Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corueilles.  Von  K.  Fahrenberg  (SchUifs)  71 
Steinhöwel  und  das  Dekameron.    Eine  syntaktische  Untersuchung.    (Sclilufs.) 

Von  H.  Wunderlich 241 

Zum  Haager  Bruchstück.     Von  G.  Gröber 291 

Beiträge    zur    Kenntnis    Georg    Forsters    aus    ungedruckten    Quellen.      Von 

Albert  Leitzmann.     1 369 

Chaucer   und  lunoceuz  des  Dritten  Traktat   De  Coutemptu  Mundi   sivc    De 

Miseria  Conditionis  Humanse.     Von  EmilKoeppel 4u5 

Manzonis   Graf  von  Carmagnola    und    seine   Kritiker.      Von    Otto   Speyer  419 

Kleine  Mitteilungen. 

Rede  bei  Enthüllung  des  Denkmals  Walthers  von  der  Vogelweide  zu  Bozon 

am   15.  September  1889  gehalten  von  Karl  Wciuhold  aus  Berlin      .     .  115 

Zur  Lehre  vom  englischen  Lifinitiv.     (Julius   Zupitza) 117 

Zur  Geschichte  von  ne.  perhaps.     (J.  Z.) 122 

Zur  Geschichte  von  ne.  trade.     (J.  Z.) 122 

Zur  Bedeutung  von  me.  schire  (:=:  ne.  shire).     (J.  Z.) 123 

/   Zu  Beowulf  850.     (J.  Z.) 124 

Ein  Unwort.     (J.   Z.) I'-Jj 

Zu  Anglia  XII,  16  ff.     (J.  Z.) 125 

Zu  Shakaperes  Julius  Ca-sar  I,  1,  24  ff.     (J.  Z.) 126 

-'Altenglische  Miscellen.     (A.  Napier) 323 

Eine  weitere  Aufzeichnung  der  Oratio  pro  pcccalis.     (J  ulius  Zu  pi  tza)    .  327 

Kardinalzahlen  als  Multiplicativa   im  Mittelenglisehen.     (Julius    Zupitza)  32'J 

Eine  angebliche  Grille.     (Juli  us  Zupitza) 329 


IV 

Seite 
Sitzutigcn  der  Hcrliiicr  GoficlIscliHft  liir  (lau  Studium  der  iifuocii  SpiacluMi  127 
Jahresbericht   der  Dresdner  Gesellscliafl  für  neuere   IMiilologic.    1889.  (Otto 

Boom  er) 331 

Mitglicder-Vcrzciclinis  der  Berliner  Gesellscliaft  f.  d.  Studium  d.  n.  Sprachen     139 

Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

lyyttkcns-Wulfi":   Compte-rendu  sommaire  d'une  transcription  plionetique  oiTcrt 

aux  membres  du  Vlllf  Congres  des  Orientalistes.  (G.  Michaelis)  .  145 
Otto  Jespersen:    The  Articulations    of  Speech  Sounds  represented  by  means 

of  Analphabetic  Symbols.     (G.  Michaelis) 147 

Über  die  Bildung  der  Begrifife,    ein  etymologisch-vergleichendes  Wörterbuch 

aus  allen  Sprachgebieten  von  Aug.  v.  Edlinger.  (Karl  Weinhold)  149 
G.  Wagner:  Streifzüge  in  das  Gebiet  der  deutschen  Sprache.  (M.  Roediger)  149 
Sparren,  Späne  und  Splitter    von  Sprache,  Sprüchen  und  Spielen    aufgelesen 

im  Ahrthal  von  Dr.  P.  Joerres.     (K.  Wd.) 15U 

Dr.  R.  Schachinger:  Die  Kongruenz  in  der  mhd.  Sprache.  (M.  Roediger)  150 
Zur  Kritik  des  Kürenbergers.  Von  J.  Hurch.  (Karl  Weinhold)  .  ,  .  152 
Zum  Rosengarten.  Untersuchung  des  Gedichtes  II  von  Dr.  G.  Holz.  (K.  Wd.)  153 
Friedrichs  d.  Gr.  Schrift  über  die  deutsche  Litteratur.    Von  Bernhard  Suphan. 

(Kölscher) 153 

Die  Erklärung  deutscher  Schriftwerke  in  den  oberen  Klassen  höherer  Lehr- 
anstalten. Von  Dr.  Paul  Goldscheider.  (Fr.  Bach  mann)  .  .  .  .  154 
Entwürfe   zu   deutschen  Aufsätzen   und   mündlichen    Besprechungen   für    die 

Sekunda  von  Dr.  R.  Paukstadt.     (Fr.  Bachmann) 158 

Grammatik  der  englischen  Sprache  für  obere  Klassen  höherer  Lehranstalten 

von  Immanuel  Schmidt.     (G.  Völckerling) 161 

Engl.  Lesebuch  für  höhere  Lehranstalten  von  Prof.  Dr.  O.  Ritter.  (R.  Palm)  162 
Shakspere  Primer,  in  gekürzter  Form  mit  Anmerkungen  herausgegeben  von 

Dr.  Broder  Carstens.     (G.  Völckerling) 163 

Jacob  Thomson,   ein  vergessener  Dichter  des  achtzehnten  Jahrhunderts  von 

Dr.  G.  Schmeding.     (J.  Zupitza) 164 

Original   English     as   written    by    our    Little    Ones   at   School.      By   Henry 

J.  Barker.     (J.  Zupitza) 165 

Robert   Elsmere.     By  Mrs.  Humphry  Ward.  —   John  Ward,  Preacher.     By 

Margaret  Deland.  —  We  Two.    A  Novel  by  Edna  Lyall.    (J.  Zupitza)     187 

The  County.     A  Novel.     (J.  Zupitza) 191 

The  Master  ofBallantrae.  A  Winter's  Tale.  By  R.  L.  Stevenson.  (J.  Zupitza)  192 
The  Day  will  come.  A  Novel  by  M.  E.  Braddon.  (J.  Zupitza)  .  .  .  194 
Young  Mr.  Ainslie's  Courtship.  By  F.  C.  Philips.  (J.  Zupitza).  .  .  .  195 
Prench  and  English.  A  Comparison  by  Philip  Gilbert  Hamerton.  (J.  Zupitza)  196 
For  One  and  the  World.  A  Novel.  By  M.  Betham-Edwards.  (J.  Zupitza)  196 
Praktischer  Lehrgang  zur  schnellen   und    leichten  Erlernung   der    dänischen 

Sprache.     Von  E.  Funk.     (Chr.  Rauch) 197 

Henrik  Ibsen  von  Henrik  Jäger,  deutsch  von  H.  Zschalig.  (R.  Mahrenholtz)     197 


V 

Seite 
Gruiidrifs    der    Gescliiclitc    der    französischen  Littcratur   von  ihren  Anfängen 

bis  zur  Gegenwart.  Von  Dr.  Heinrich  P.  Junker.  (S.  Waetzoldt)  198 
Geschichte  der  französischen  Nation allitteratur   von   ihren  Anfangen   bis  auf 

die  neueste  Zeit.     Von  Fr.  Kreyfsig.     (R.  Mahrenholtz) 200 

Franz.  Grammatik  für  den  Schulgebrauch  von  Dr.  G.  Lücking.  (F r.  B  a  c  li  m  a  n  n)  202 
Le  Fran9ais  Parle.     Morceaux   choisis   k   l'usage    des  etrangers  avec  la  pro- 

nonciation  figur6e  par  Paul  Passy.     (Fr.  Speyer) 205 

Neue  französische  Grammatik  für    den  Kaufmann   und  für  Gewerbtreibeudc. 

Von  M.  E.  Mey  und  Prof.  Dr.  Rud.  Thum.  (Otto  Kabisch)  .  .  .  207 
Die  Aussprache    des   französisclicn  unbetonten  e   im  Wortauslaut.     Von  Dr. 

Adolf  Mende.     (Fr.  Speyer) 209 

Französisches  Lesebuch  für  Real-  oder  Mittelschulen  und  ähnliche  Anstalten. 

Herausgegeben  von  H.  Breitinger  und  J.  Fuchs.  (Otto  Kabisch)  .  212 
Album  poetique,    dedie    ä   la  premiere  jeunesse   par  Marie  Meyer  (M.  Senz). 

(Fr.  Bachmann) 214 

A. Ehrhard:  Moliere  eu  AUemagne,  le  Theiitre  et  la  Critique.  (R. Mahrenholtz)  216 
Victor  Duruy:  Histoire  de  France  de  1789  ä  1795.  (Fr.  Bachmann)  .  217 
Studj  di  filologia  romanza  pubblicati  da  Ernesto  Monaci.  (C.  A  p  p  e  1)  .  .  218 
Francesco  Zambaldi:  Vocabolario  etimologico  italiano.  (A.  Tobler)  .  .  218 
Italienische  Bibliothek.    Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  J.  Ulrich.    (A.  Tobler)     220 

Eighth  Annual  Report  of  the  Dante  Society.     (A.  Tobler) 223 

La  storia   di  Apollonio    di   Tiro,    versione    tosco-veneziana    della    metä    del 

sec.  XIV  edita  da  Carlo  Salvioni.     (A.  Tobler) 224 

Die  Fi-au  als  Schlange.     Ein  tragikomisches  Märchen  in  drei  Aufzügen  von 

Carlo  Gozzi.     (A.  Tobler) 225 

Programmschau.     (LudwigHölscher) 226 

Geschichte  der  deutschen  Litteratur  von  Dr.  Ferd.  Schultz.  (C.  Th.  Michaelis)  339 
Nibelungen  und  Kudrun  in  Auswahl  und  mittelhochdeutsche  Grammatik  mit 

kurzem  Wörterbuch  von  Dr.  W.  Golther.  (0  tt  o  Wach  te  r)  .  .  .  341 
Die    deutsche    Bibelübersetzung    des    Mittelalters    dargestellt    von    Wilhelm 

Walther.  Erster  Teil.  Der  erste  Übersetzerkreis.  (K.  Weinh  ol  d)  .  341 
Dr.  E.  Wilke,  Einführung  in  die  englische  Sprache.  (R.  Palm)  .  .  .  .  343 
L.  Sevin,    Elementarbuch    der    englischen    Sprache    (nach    der    analytischen 

Methode  bearbeitet).     Teil  IL     (R.  Palm) 344 

The  English  Pronunciation  von  Dr.  M.  Maafs.     (R.  Palm) 346 

Wilh.  Swoboda,  Englische  Leselehre  nach  neuer  Methode.  (R.  Palm)  .  .  346 
English  Letters.  Collected  for  the  Use  of  Schools  hy  Dr.  Günther.    (Julius 

Zupitza) ^'48 

Wörterbuch    der   englischen   und    deutschen   Sprache.     Von  William    James. 

Vollständig  neu  bearbeitet  von  C.  Stoffel.  (Julius  Zupitza)  .  .  .  3.^1 
How   the   wyse   man    taught   hys    sone.     In  drei  Texten  herausgegeben  von 

Rudolf  Fischer.     (Julius  Zu  pitza) ^•'»3 

Trcutalle    Sancti    Gregorii,    eine    mittelenglische    Legende.      In    zwei    Texten 

herausgegeben  von  Albert  Kaufmann.  (Juli  us  Zup  i  tza)  .  .  .  .  354 
Über  das  Fehlen  des  Auftaktes  in  Chaucers  heroischem  Verse.    Von  Markus 

Freudenb erger.     (J  ul  i  us  Zupi  tza) »     .     .     •     • 


356 


Seite 
Die  Ili.stoiia  Septem  SHi)iuntum  nacli  der  lunsbruckcr  Handschrift  vom  Jahre 

1342.     Nebst  einer  Untersuchung  über  die  Quelle  der  Seuin  Seages  des 

Johne  Rolland  von  Dalkeith.    Von  Georg  Buchner.  (Julius  Zupitza)     356 

Marlovves  Werke.  Historisch  -  kritische  Ausgabe  von  Hermann  Breymann 
und  Albrecht  Wagner.  11.  Doctor  Paustus  herausgegeben  von  Her- 
mann Breymann.     (J  ul  ius  Z  upi  tza) 357 

Marlovves  Werke.  Historisch -kritische  Ausgabe  von  Hermann  Breymann 
und  Albrecht  Wagner.  HI.  The  lew  of  Malta  herausgegeben  von 
Albrecht  Wagner.     (JuliusZupitza) 358 

l'crcy's  Reliques  of  Ancient  English  Poetry  nach  der  ersten  Ausgabe  von 
1765  mit  den  Varianten  der  späteren  Originalausgaben  herausgegeben 
und  mit  Einleitung,  Anmerkungen  und  den  erhaltenen  Singweisen  ver- 
sehen von  M.  M.  A.  Schröer.     (J.  Z.) 359 

Programmschau.     (L.  H  Öls  eher) 360 

Englische  Parlamentsreden  zur  französischen  Revolution,  herausgegeben  und 

erklärt  von  Dr.  Perle.     (G.  Völckerling) 439 

Campbell,    Gertrude    of   Wyoming.     A    Pennsylvanian    Tale.     Edited    vvith 

Introduction  and  Notes  by  H.  Macaulay  Fitzgibbon.    (Julius  Zupitza)     440 

The  Sketchbook  von  Washington  Irving.    Erster  Band.    (G.  Völckerling)     441 

The  Bell  of  St.  Paul's  by  Walter  Besant.     (Julius  Zupitza)      ....     442 

Blind  Justice    and  "Who,    being  Dead,    yet  speaketh".     By    Helen   Mathers 

(Mrs.  Henry  Reeves).     (Julius  Zupitza) 444 

Mount  Eden:   A  Romance.     By  Florence  Marryat.     (Julius  Zupitza),     .     445 

Pio  Rajna,  Le  Corti  d'Amore.     (A.  T.) 446 

H.  A.    Schoetensack,    Französisch  -  etymologisches    Wörterbuch.      Erste    und 

zweite  Abteilung.     (A.  T.) ,     447 

Dr.  O.  Ulbrich:  1)  Elementarbuch  der  französischen  Sprache  für  höhere 
Lehranstalten.  2)  Schulgrammatik  der  französischen  Sprache  für  höhere 
Lehranstalten.  3)  Übungsbuch  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen 
in  das  Französische  für  die  mittleren  und  oberen  Klassen  höherer 
Lehranstalten.     (Fr.  Bachmann) 447 

Lehr-    und    Lesebuch    der    französischen    Sprache    von    Dr.    Eugen    Wolter 

(Fr.  Bach  mann) 449 

Französisches  Lesebuch.  Erster  Teil,  für  Quarta,  Unter-  und  Obertertia  der 
Gymnasien  u.  s.  w.  Mit  einem  Wörterbuch.  Von  Dr.  Karl  Meurer. 
(Fr.  Bachmann) 450 

Französisches  Lesebuch  für  die  unteren  und  mittleren  Klassen  der  Gym- 
nasien und  höheren  Bürgerschulen.  Mit  einem  ausführlichen  erklären- 
den Wörterbuche  von  Dr.  L.  Süpfle.     (Fr.  Bach  mann) 451 

R.  Wilckc,  Materialien  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Franzö- 
sische.    (Ad.  Müller) 451 

Französische  Briefe,  zum  Rückübersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Franzö- 
sische bearbeitet  von  H.  Breitinger.     (Fr.  Bachmann) 453 

Dr.  Emil  Seelmann,  Bibliographie  des  altfranzösischen  Rolandsliedes  mit  Be- 
rücksichtigung nahestehender  Sprach-  und  Litteraturdenkmale.  (Alfred 
Schulze) 453 


Vit 

Seite 
Aucassin    und    Nicolete.      Neu    nach    der   Handschrift   mit  Paradigmen    und 

Glossar  von  Hermann  Suchier.     (Alfr  ed  S  chulze) 4;')') 

A.  Tobler,    Predigten  des  h.  Bernhard  in  altfranzös.  Übertragung.     (Alfred 

Schulze) 45G 

Li  tornoiemenz  Antecrit  von  Huon  de  Mery  nach  den  Handschriften  zu  Paris, 
London  und  Oxford  neu  herausgegeben  von  Georg  Wimmer.  (Alfred 
Schulze) 4ÖC 

Arnold    Krause,    Bemerkungen    zu    den    Gedichten    des    Baudouin    und    des 

Jean  de  Conde.     (Adolf  Tobler) 458 

Les  Precieuses  ridicules  von  Moliere.      Für    den  Schulgebrauch    erklärt   von 

Dr.  P.  Goldschmidt.     (BV.  Bisch  off) 401 

Lame-Fleury,  Histoire  de  la  decouverte  de  l'Amerique,  im  Auszug  heraus- 
gegeben und   erklärt  von  Max  Schmidt.      (Joseph    Sarrazin)    .     .     .     402 

Charles  Marelle,    Affenschwanz  etc.     Variantes    orales   de    Contes  populaires 

fran9ais  et  etrangers.     (Joseph    Sarrazin) 403 

II.  Sabersky,  Zur  proyen9alischen  Lautlehre  (Parasitisches  i   und   die    damit 

zusammenhängenden  Erscheinungen).     (Oscar  Schultz) 404 

E.    Cnyrim,    Sprichwörter,    sprichwörtliche   Redensarten    und   Sentenzen    l)ei 

den  proven9alischen  Lyrikern.     (Oscar  Schultz) 464 

II.  Schindler,  Die  Kreuzzüge  in  der  altproven9alischen  und  mittelhochdeut- 
schen Lyrik.     (Oscar  Seh ul tz) 4C5 

L'Alighieri  Kivista  di  cose  dantesche  diretta  da  F.  Pasqualigo.  (H.  Buchholtz)     4CC 

Pierre  de  Nolhac,  Manuscrits  ä  miniatures  de  la  Bibliothfeque  de  Petrarque. 

(C.  Appel) 409 

Paul  Heyse:  Italienische  Dichter  seit  der  Mitte  des  18.  Jahrh.   (E.  Pariselle)     471 

Dr.  Adolf  Keller,  Altspanisches  Lesebuch  mit  Grammatik  und  Glossar.    (A.  T.)     471 

G.  C.  Kordgien,    Logares   selectos   dos    Classicos    Portuguezes    e    Brasileiros. 

Portugiesisches  Lesebuch  mit  Anmerkungen.     (A.  T.) 473 

H.  Klinghardt,  Ein  Jahr  Erfahrungen  mit  der  neuen  Methode.  Bericht 
über  den  Unterricht  mit  einer  englischen  Anfängerklasse  im  Schuljahre 
1887/88.  Zugleich  eine  Anleitung  für  jüngere  Fachgenossen.  (Ad.  Müller)     473 

Bemerkungen  über  das  Studium  der  deutschen  Philologie  und  die  Prüfungs- 
ordnung für  das  höliere  Lehramt.  Aus  einem  Vortrage  des  Dr.  phil. 
P.  Machule.     (S.  W.) 475 

Verzeichnis  der  vom   1.  Januar  bis  zum  13.  Februar  1890  bei  der  Kedaktion 

eingelaufenen  Bücher  und  Zeitschriften 238 

Verzeichnis  der  von  Mitte  Februar  bis  Ende  März  d.  J.    bei  der  Redaktion 

eingelaufenen  Bücher  und  Zeitschriften 305 

Verzeichnis  der  von  Anfang  April  bis  zum   19.  Mai  1890  bei   der  Redaktion 

eingelaufenen  Bücher  und  Zeitschriften •    ...     470 


Ein 

weiteres  Bruchstück  der  Regiüaris  concordia 

in   a  1 1 e n g  1  i s c h e r   Sprache. 


In  der  Handschrift  des  Corpus  Christi  College  zu  Cam- 
bridge^ welche  uns  n.  a.  einen  hetrnchtlicheii  Teil  der  alteng- 
lischen Bearbeitung  der  Historia  Apollonii  Tgrii  erhalten  hat 
(Nr.  201  nach  der  jetzigen  Bezeichnung,  S.  18  nach  der  frü- 
heren), steht  an  erster  Stelle  auf  S.  1 — 7  nach  der  Beschrei- 
bung Wanleys  p.  137  Pars  libri  cniusdam,  ut  videtur,  ritualis 
de  diversis  diebus  festis  in  iisum  cniusdam  monasterii.  Der  ur- 
sprüngliche Schreiber  liefs  fast  die  ganze  erste  Seite  leer,  indem  er 
nur  hinten  drei  Zeilen  daraufsetzte :  ebenso  ist  der  für  das  Bruch- 
stück nicht  gebrau^chte  Raum  der  S.  7  unbeschrieben  geblieben. 

Es  ist,  soviel  mir  bekannt  ist,  bisher  noch  Glicht  bemerkt 
vjorden,  dafs  toir  in  diesem  hier  zum  ersten  Male  gedruckten 
Denkmal  die  Übersetzung  eines  Abschnittes  der  Regularis  con- 
cordia haben,  die  früher  allgemein  Dunstan,  neuerdings  von 
Stubbs  (Memorials  of  St.  Dunstan  p.  CIX  f.)  dem.  Abte  ^FÄfric, 
mit  mehr  Recht  aber  von  Ebert  (Allgemeine  Geschichte  der 
Litter atur  des  Mittelalters  im  Abendlande  III,  506)  und 
Breck  (Fragment  of  yElfric's  Translation  of  ^Edehvold's  De 
Consuetudine  MonacJiorum  p.  8)  dem  Bischof  yE(telwold.  zu- 
geschrieben worden  ist.  Das  Original  findet  sich  handschrilt- 
lich  mit  einer  altenglischen  Interlinearversion  im  British  J\ru- 
seum  (Tib.  A  III,  fol.  3  if.)  und  gedruckt  in  Clem.  Regneri 
Apostolatus  Benedictinoi'um  in  Anglia  (Duaci  1626)  jk  77  ff. 
und  hieraus  in  den  netteren  Ausgaben  von  Dugdales  Monasti- 
con  anglicanum  (in  der  von  1846  edd.  Caleg,  Ellis  und  Ban- 
dinell    I,   p.    XXVII   ff.)    und    in    Mignes    Ratrologia    latina 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  1 


2  Ein  woitores  Rruchstiiok  der  Kegiilaris  conconlia 

(CXXXVIIy  x^.  475  ff.).  Eine  Ausgabe  mit  den  Olos.sen  ist 
von  W.  *S'.  Locjeman  zu  erwarten  (s.  H.  Logeman,  The  Rnle 
of  S.  Benet  p.  XXI):  Proben  der  Interlinearversion  geben 
J.  Seiden  in  den  Notce  et  Spicilegium  ad  Eadmerum,  j).  145  ff.^ 
Th.  Wriglit  in  der  BiograpMa  britannica  litteraria  I^  459  /'. 
und  E.  Breck  a.  a.  0.  p.  17  ff. 

Für  meinen  Abdruck  des  uns  hier  allein  angehenden  Ab- 
schnittes des  Originals  habe  ich  aufser  den  Texten  in  der 
letzten  Ausgabe  von  Dugdales  Werk  und  bei  Migne,  auf  welche 
durch  D  und  M  hingewiesen  wird,  noch  eine  Vergleichung  des 
Manuskriptes  benutzen  können,  welche  ich  der  Liebenswürdig- 
keit meines  Kollegen  Schipper  verdanke.  Bei  der  Übersetzung 
habe  ich  den  Gebrauch  grofser  und  kleiner  Buchstaben  und 
ebenso  die  Worttrennung  geregelt  und  Interpunktion  nach  den 
jetzt  üblichen  Grundsätzen  eingeführt ;  aufgelöste  Abkürzungen 
.sind  durch  andere  Typen  bezeichnet;  die  mitunter  über  latei- 
nische Citate  gesetzten  Neumen  habe  ich  loeggelassen:  über 
anderweitige  Abweichungen  von  der  Überlieferung  geben  die  An- 
merkungen Auskunft.  Die  senkrechten  Striche  bezeichnen  Schhi  fs 
der  handschriftlichen  Zeilen,  die  ich  fortlaufend  gezählt  habe. 


(^)N  |)one  palmsunnandseg,  for  fy  |)e  seo  processio  J)pes  |  dseges 
Isengre  is,  J)onnß  seo,  J)e  mon  on  claustre  !?elce  |  sunnaudtege  de(t, 
for  ])i  |)onnf,  Jia  hwile  {)e  mon  singd  J)a  •  |  (p.  2)  morgeiimsessan,  se 

5  msessepreost,  J)e  J)öes  altares  J)enunge  j  on  ])sere  wucan  healdan  sceal, 
begange  J)a  mynstres  hus  and  mid  |  haligwsetere  besprenge,  oefter 
geendunge  psere  msessan  |  sy  seo  mare  processio,  ^cet  is  |)sere  maran 

1  J)a  sehr  verblafst. 

(fol.  \hv,  p.'SJ^^Yl  D,  439  M)  Dominica  die  pabnarum,  qnia 
maior  restat  processio  agenda,  illa,  qufe  solet  in  claustro  agi,  intcrim, 
dum  matutinabs  missa  canitur,   agatur  a  sacerdote  tandnn  eousper- 

6  sionem  et  benedictionem  ageiite.    finita  illa  raissa  agatur  illa  ■'  maior 

'1  das  zweite  illa  fehlt  D. 


4.  morgenmsesse  frltU  hei  Bosirortli-TiiUrr  (107//. 


in  altenglischer  Sprache.  3 

halguiige  fordgang;   |   ]icet    is  |)onne  on  {)as  wisan:  gan   hy  serest  .. 
{)inga  swiglunga  mid  |  dihluw  sealmsange  bysige^  to  |)sere  cp'ican, 
J)e  J)a  palmtwiga  |  on   gegaderode  synd,  ^  and^   gif  beon  mjBg  and  lo 
gewydera  'pat  gepafiad,   |   gyn   hi  ealle  mid  alban*  gescrydde  mid 
on  ^am  gange,  ealswa  hit  |  on  selcum  gebyred,  healdan  heora  ende- 
byrdnesse.    |)onne  |  hi  |)ider  cuma|),  singan  heora  gebed  |)ses  halgan 
fultum  biddenkle,  f)e  seo  cyrice  forehalig  is,  {)e  hy  to  gad.    geen- 
dedu?/i  gebede  |  rsede^  se  diacon  J)is  godspel,  ^  Turba  multa,   o{)  hit  ir> 
cume  I  to  J)isse  endunge,  Ecce,  mundus  totus  post  eum  ahiit.    sefter  I 
J)issiww  syn  J)a  pahntwiga  gebletsode  and  sefter  psere  bletsunge  |  mid 
halgiir«  wffitere   besprengde'^    and  mid  recelse  besmocode.      iefter 

^  bysigige  Hs.  ^  syud  vcm  derselben  Haml  über  unterpunktiertem 
wseron.  "  1  in  alban  aus  b.  •'"  vor  raede  iner  BueJistaben  (bede?)  radiert. 
'■'  godspsel  tirsprünglich,  aber  ein  Punkt  unter  dem  ersten  Teil  von  ae. 
"  besprenge  Hs. 

processio,  in  qua,  sicut  in  priori  diximus  agendum,  ita  agatur;  id  est, 
ut  ad  illam  ecclesiam,   ubi  palma?  sunt,   sub  silentio   ordinatim  eant 
(lediti  psalmodise  omnes,  si  fieri  potest  et  aura  ^  permiserit,  albis  induti. 
Cjuo  eum  peruenerint,  agant  orationem  ipsius  sancti  implorantes  auxilii  12 
intercessionem,  cui  ecclesia  dedieata  est.     finita  oratione  a  diacono  11 
legatur  euangelivim     Turba   multa  usque  Mundus   totus  post  ipsum 
abiit.    quod  sequatur  benedictio  palmarum  ;  post  benedictionem  asper-  n; 
gantur  benedicta  aqua  et  thus  eremetur.    dehinc  pvieris  inchoantibus  i" 

•j  hora  M. 

8.  Die  vom  Übersetzer  tveggelassene  Bemerkung  Sicut  in  priori  dixi- 
mus agendum  bezieht  sich  auf  eine  Stelle  bei  Dngdale  p.  XXXV :  In 
purificatione  sancta?  Marise  sint  cerei  ordiuati  in  ecclesia,  ad  quam  fratres 
ire  debent,  ut  inde  petant  lumiuaria.  euntes  auteni  silenter  incedant 
psabnodi«  dediti  et  omnes  albis  induti,  si  fieri  potest  uel  aeris  permiserit 
teniperies  ii.  s.  w.  —  swiglunga  'sub  silentio',  ebeuKo  HO  ohne  ein  cid- 
spreehendes  Wort  int  Lateinischen,  ferner  105  swiglunge  uiul  8t'.  91.  99 
swilunge  'silenter':  fte*  Bosworth  87'2«  und  Ettniidler  763  fehlt  dieses  ein 
Verbum  *swiglian  und  ein  Adjektiv  *swig()l  voraussptxende  Wort.  —  9.  Ich 
habe  bysige  t^fatt  des  überlieferten  bysigige  geschrieben,  da  es  nicht  wahr- 
schcinlich  ist,  daß  man,  da  scho)i  bysig  als  Adjektiv  rorhanden  u-ar,  von 
dem  Sid)stantiv  bysigu  ein  loeiteres  Adjektiv  bysigig  abgeleitet  hat,  ivährend 
eine  Dittographic  des  Schreihers,  wie  ich  sie  hier  annehme,  Z.  15  vo)i  ihm 
.'selbst  gebessert  ist.  —  11.  alban;  vgl.  Z.  172.  Das  W^ort  fehlt  bei  Bosn-orth- 
Toller  3Qb;  vgl.  aber  Jüfrics  Glossar  314,  11  'alba'  albe.  —  II.  Bos/rorfh 
115  c  giebt  ohne  Beleg  fore-halig  ']\articnlarly  holy,  dedicated'  //.  .v.  /r.; 
Bosivorth-ToUer  3(HJ/>  fehlt  das  Wort,  alirr  :'>05r/  wird  unter  fore  (st.  fore) 
aus  den  (leset ',en  Th.  1,  178,:'»,  12  angeführt  On  j)one  drillten,  \)v  [)es  halig-, 
dorn  is  forehalig  (fore  halig //rW/y/r/v/^y.  —  15.  Tnrba  multa  ./o^.  12, 12. — 
U).  Ecce,  mundus  totus  n.  s.  ir.  Joh.  12,  19.  —  IS.  besniocian  fehlt  bei 
Bosivorth-Tollcr  92«  oder  I05r^ 

1* 


4  Ein  weiterps  Bruchstiiok  fler  Regularis  concordia 

20  {)ysum  J)am  **  cildon  ])\ane  antifen  beginnen  du //i,  Pueri  \  Hehreornm, 
syn  pa  palmtwiga  todielede,  and  swa  |)a  lengran  |  antifenas  sin- 
gende gan  to  })iTere  heafodcyrican  and  letforan  |  |)wre  dura  gean- 
bidigen,  ^  of)  ^ad  |)a  cild,  {)e  {)ider  ford  eodan,  singan  |  Gloria,  laus 
raid  {)am  fersuw  eallum,  {)e  {)ser  to  gebyriadi**:  aet  selces  |  ferses 
ende    eal    ^ret  wered    |)öer  ute,   ealswa  hit  |)eaw  is,    anrfswarigen  j 

25  Gloria,  laus.  |)aTO  geendedu?«  syn  J)sere  cyrican  dura  geopenade 
{)aw  "  I  sangere  {)isne  reps  beginnende '^   Ingrediente,  ^-  domino.    in 

*  J)a  ÄS'.      »  Z>f/-.s'  pr^/e  g  *e«^^  ausnahmsiveise  fränkische  GestalU      "•  ge- 
byred  TJ^!.       "  .so  Äs.       ''^  (/as  g  /?«/  fränkische  Gestalt: 

antiphonas  Pueri  Hebreorum  distribuantur  ipse  pabne,  et  sie  maiori- 
bus  antipho^/b/.  16?;jnis  initiatis  egrediantur:  uenientes  ante  jeccle- 
siam  subsistanf^,  donec  pueri,  qui  prtecesserunt,  decantent  Gloiia, 
laus  cum  uersibus  Omnibus,  sicut  mos  est,  Gloria,  laus  ^  respondentibus. 
25  quibus   finitis   incipiente  cantore   responsorium   Ingrediente  domino^ 

c  subsistant  DM,  subs^istat  Hs.      *'  Laus  et  gloria  DM.      ^  iugr.  dorn, 
resp.  Hs.,  verbessert  DM. 


19.  J)isne  antifen;  vgl.  21  und  127  autifenas  /md  Pogatscher,  Zur 
Lautlehre  der  Lehnicörter  im  Ae.  S.  157,  Antn.  2.  Auch  an  de7i  anderen 
Stellen,  an  welcken  das  Wort  in  misereni  Denkmal  rorkojnrnt  (43.  103), 
%eigt  es  in  der  xweiten  Silbe  i;  ebenso  Z.  38  antifenere:  ai(s  diesem  i  ist 
wohl  das  gewölmliche  e  erst  entstanden  and  dieses  daher  sclurerlich  mit 
Pogaf scher  als  lang  anz^a setzen.  —  Pueri  Hebreorum:  .s.  Liber  agendoi'um 
.secuiuhon  antiqimni  usum  metropolitano'  salisburgensis  ecchsicp,  pars  se- 
cunda  (DUingce,  e.rcudebat  Sebaldus  Mager,  1572)  127  f.:  Antiph.  Pueri 
Hebrfeorum  uestimenta  prosteruebaut  in  uia  et  clamabant  dicentes. 
Chorus.  Osanna  filio  Dauid:  benedictus,  qui  uenit  in  nomine  domini. 
Antiph.  Pueri  Hebrieorum  tollentes  ramos  oliuarum  obuiauerunt  domino 
clamantes  et  dicentes.  Chorus.  Osanna  in  excelsis.  Der  Übersetzer  hat 
mit  TJnrecld  |)isue  antifen  .'itatt  Jjas  antifenas  geset^d.  —  20.  J)ä  lengran 
antifenas  -  maioribus  antiphonis;  vgl.  Lib.  agend.  p.  sec.  llo  ff.  Pier 
steht  xnnächst  eine  lange  Antiplione:  Cum  appropinquaret  dominus  lero- 
solimam,  misit  duos  ex  discipulis  suis  dicens  a.  s.  u\  Ata  Schlafs  hei/st 
es:  Si  processio  longa  esset  ita,  quod  praesens  antiphona  nou  sufficeret, 
imponantur  et  continuentur  sequentes  antiphonie,  donec  perueuiatur  usque 
ad  supradictum  locum.  Ps  folge)/  dann  drei  Antiphonen  mit  den  An- 
fängen Cum  audisset  populus,  quia  lesus  uenit  lerosolimam  u.  s.  w., 
Cceperunt  omnes  turbse  descendentium  laudare  deum  n.  s.  u-.,  Turba  multa, 
quse  conuenerat  ad  diem  festum  ii.  s.  a:.  —  23.  Gloria,  laus:  .s.  Lib. 
agend.  p.  sec.  132  ff.  Gloria,  laus  et  honor  tibi  sit,  rex  Christe  redemptor ; 
cui  puerile  decus  prompsit  osanna  pium.  Ps  folgen  dann  noch  fünf 
weitere,  als  uersus  bexeichnete  Distichen,  liinter  deren  jedem  entacder  der 
Pentameter  oder  der  Hexameter  des  ersten  wiederholt  icird  (smcohl  der  Penta- 
meter als  auch  der  Hcvamefer  naeli  dem  letzten).  Aafserdem  heifst  es  aber 
Respondente  choro  Oloria,  laus,  et  ita  repetatur  a  principio  per  omnes 
uersus.  —  26.  Ingrediente  domino:  s.  Lib.  agend.  p.  sec.  136/'.  Ingrediente 
domino  in  sanctam  ciuitatem  Hebrseorum  pueri  resurrectionem  uitse  pro- 


in  altenglischer  Sprache.  5 

gangende  healdan  heora  palmtwiga  oii  handa,  eallswa  we  wid- 
foran  |  cwöedon  be  p&ni  caiidelan,  o|)  ])cEt  man  ?efter  {)am  godspelle 
{)one  ofFerendan  j  singe  and  veftev  ])xve  offrunge  ])a,)n  sacerde  {)a 
selfan  palmtwiga  |  ofFrige.  oii  J)a9M  selfan  (hege  to  äani  passionem,  ^n 
'pcet  is  vires  |  drihtnes  |)rowung,  sy  geevvedeii  Jhmhms  uoMscum  iva,m 
|)aw  diacone,  |  ac  ne  sy  {)eali  geandswarod  Gloria  '^  tibi,  domine. 
{)isuw  geliee  sy  |)is  |  gehealden  oii  J)a;y/  odru«?  dagwn,  buton  paras- 
ceue,  ])cet  is  gearjeunge  djege,  J)e  we  neninad  I)one  langan  frigedseg : 
on  ])am  ne  sceal  |  beon  gecweden  nador  ne  Dominus  uobificum  ne  35 
Olovia  tibi,  domine.  | 

v)N  cena  dommi,  ])cH  is  on  drihtenes  gereorde,  |)e  we  hatad  |  pone 
punresdseg  ^^  a;r  eastran,  sy  uhtsang  gesungen,  |  be  J)a/»  {)e  se  anti- 
fenere  tsece.  on  sumra  a^faestra  '•'  manna  |  cyrican  gTwislice  we  on- 
fundon  hwfethwara,  {)<«<  to  micelre   |   sauwla   anbryrdnesse  and    to  40 

'2   das   g   hat   fränkische    Gestalt.       "*    das    d    auf  Basur.       '■'   sumre 
sefeßsrtan  Hs. 

aperiantur  portpe.  ingressi  finito  responsorio  agant,  sicait  supra  dictum 
est,  et  teneant  palmas  in  manibus,  usque  dum  offertorium  canetur, 
et  eas  post  oblationem  ofFerant  sacerdoti.  ea  die  ad  passionem  dici-  ;^o 
tur  Dominus  uobi.scum,  sed  Gloria  tibi,  domine  non  respondetur. 
similiter  et  in  reliquis  (490  M)  passionibus  excepta  parasceuie  pas- 
sione,  ubi  neutnun  dicatur,  nee  Dominus  uobiscmn  nee  Gloria  tibi, 
domine. 

Quinta*  fevia,  quse  et  cena  domini  dicitur,  nocturnale  officium  36 
agatur,  secundum  quod  in  antiphonario  ^  habetm*.  comperimus  etiani  38 
in  quorundam  religiosorum  pecclesiis  quiddam  fieri,  quod   ad  anima- 

f  Quinta  DJ\[,  :uanta  (ein  Buchst,  ausradiert)  Hs.       k  autijihonio  M. 


nuntiantes  cum  ramis  palmarum  'Osanna'  olamabant  'in  excelsis'.  Ver- 
sus. Cumque  audissent,  quia  lesus  uenit  lerosolymam,  exierunt  obiiiam 
ei  cum  ramis.  —  27  f.  eallswä  we  widforau  cwffedüu  be  {lani  candelan  — 
sicut  supra  dictum  est.  Etwas  hinter  der  x-n  Z.  8  angeführteu  Stelle  wird 
für  die  Messe  am  Tage  Maria  Reinigmui  die  Vorschrift  i/egehoi :  Teneant 
luminaria  in  manibus,  donec  post  oblationem  ea  sacerdoti  ofterant.  — 
28.  offerenda  fehlt  bei  Bosworth-Tollcr  7;'.9/>,-  vgl.  aber  k.  B.  auch  Thorpc, 
Ancient  Laws  and  Institufes  II,  358  On  {jone  eastertbfen  ne  sy  gesungen 
set  J)jtre  msessan  ofl'ereuda.  —  ;>8.  be  |)tem  {je  se  antifeuere  tifece  =  se- 
cundum quod  in  antiphonario  habetur;  «//.  x.  B.  Aiitiphongrium  secuu- 
dum  breuiariuni  romauwu  (O-ratiauopoli,  1724)  p.  ti7  //'.  Übrigens  fehlt 
an tif euere  bei  Bosivorth -Toller  p.  ki«.  —  :'>!•.  hwiethwara  fehlt  bei  Bosworth- 
Toller  p.  571,  obwohl  im  alten  Bosworth  I!Hi«  unter  hwjet  (freilich  ohnd 
Beleg)  und  daher  auch  bei  Ettmüllcr  50Ü  hwaethwara  'somewhere'  (Ett- 
müller  'alicubi')  .^^feht.     Unsere  Stelle  ergiebt  ebenso  irir  die  ron  Schrüer  atis 


(j  Ein  wt'iti'rc'fi  Uniclistück  dor  Kegiilaris  cMiiicöriliii 

getaciiuiigc '♦'  gastliccs   |)inges  |  weorä  begunnen;   ])ad  is,  ])(el  ief\cr 
{)iere  geendunge  ealles  |  |)iss  saiiges,  ])e  iiion  to  {)sere  nihte  singli, 
and  xher  ge  endunge  J)jes  antifenes,  {)e  mon  on  ende  be  J)an  halgaii 
godspelle    i^ingJ) ,    äcwmiceniw« '  "^   eallu^>^   leohtu^?*   gan    twa   cild 

45  (p.  3)  welgestemnede  atid  to  {)aw  foresceawode  to  I)an  sudportice  uiid 
gedremuw   swege  singaii  hludre  stefne  Kijrielejson,   aud  gelice  |)a 
odre  twa  on  ])a)}i  nordportice  singen  |)us   a«(/swariende,   Christelej- 
son,  I  aj«/  on  ^imu  westheowage  syn  twegen  on  maran  ylde,  I)e  J)i.s 
singen,   |  Doimnc,   niiserere   nohis.     |)isuw<   geendedum  a'm^swarige  "* 

50  eal  cbor  |  CA/istu*-  dovcänViS  factus  est  obediens  usque  ad  mortem. 
edniwan  J)a  cild  on  |  {)a«^  sudportiee  ]^cet  seife,  ])cet  we  icr  cwiedon, 
gcedlcestan  am/  |  {ja  odre  ealle  eac  swa,  ealswä  hit  geeweden  is.  mid 
ret  J)a3re  {)riddan  |  geendunge  ealle  endemes  to  cneowgebedum  feallan 
and  mid  |  dihlmw  gebedm«  gewunelice  mid  micelre  anbiyrdnesse  him 

55  to  Criste  geserendian  aml  ealle  endemes  mid  tacne  |)res  |  ealdres  arisen. 

"'    ge  eacnunge    Hs.        ''  das   ernte  n    von   derselben    Hand    über   der 
Zeile.       "*  Alait  hinter  der  Äbkürxtmg  für  and. 

rum  compunctionem  spiritualis  rei  indicium'^  exorsum'  est,  uidelicet 
ut  peracto,  quicquid  ad  cantilenam  illius  noctis  pertinet,  euangelii- 
que  antiiiliona  finita  nihilque  iam  cereoruni  luminis  remanente  siiit 
duo  ad  hoc  idem  destinati  pueri  in  dextera  parte  chori,  qui  sonora 
l)sallant  uoce  Kyrie  eleyson,  duoque  in  sinisti'a  parte  similiter,  qui 
respondeant  Christe  eleyson,  nee  non  et  in  occidentali  parte  duo,  qui 

49  dicant  Domine,  miserere  nohis.  quibus  peractis  respondeat  simul  omnis 

50  chorus  Christus  dominus  factus  est  obediens  usque  ad  mortem,  demum 
pueri  dexterioris  chori  repetant,  quie  stipra,  eodem  modo,  quo  supra, 
usquequo  chorus  finiat,   quce   supra;  idemque  tertio  repetant  eodem 

62  ordine.     quibus  tertio   finiti^    agant  tacitas   genu   flexo  niore   solito 

ii  indicium  DM,  iudicium  Hs.       •  exortuui  M. 


der  ae.  Übersetxuny  der  Benediktinerregel  xtisammenge.^tcllfen  Belege  die 
Bedetänmj  'etwas'.  —  40.  Dafs  getacnunge  zii  lesen  ist,  lehrt  besonders 
Z.  133.  —  45.  welgestemued  '■mit  guter  Stimme'  fehlt  bei  Bosicorth  4486 
und  Ettmidler  728.  —  südportic  (vgl.  auch  Z.  51)  fehlt  bei  Bosworth  '■r.iShb 
und  Ettmidler  653,  doch  wird  es  in  dem  noch  ausstellenden  Hefte  von 
Bosworth-Toller  %u  finden  sein,  da  darauf  unter  portic  verwiesen  wird.  — 
48.  westheowag  'occidentalis  pars'  fehlt  in  den  Wörterbüchern:  man  denkt 
an  wäg  'Mauer',  aber  wan  ist  heo  oder  heo?  —  50.  Christus  u.  s.  u\; 
vgl.  Philipper  2,  8.  —  51.  geedUfestau  feldt  bei  Bosworth-Toller  388  a.  — 
53.  cneowgebed  bei  Bosworth-Toller  162 b  nachzutragen:  zwei  Belege 
giebt  Afsniann  im  Glossar  xu  den  von  ihm  herausgegebenen  HomiUen  und 
Heiligenleben. 


iu  alleuglischer  (Sprache.  7 

{leos  '^  eiidebyrdnes  sy  oii  äne  wisan  |  gehealden  o  -^  J)am  {)rim  swig- 
iihtaii.    pes  ge\vuna-i  Jiisse  cyriclicaii  aiibryrdnesse,  J)?es  |)e  ic  weiie, 
fram  rilitgelyfedu^/i  |  mamiu?;i  for  J)i  weard  ai'edod  and  to  gewunan 
gcset,  ])(ret  se  micla  |  hoga  J)ara  J)ystra,  J)e  J)isne  J)rydseledöii  roiddan-   60 
geard  lu'es  drihtnes  J)rowimge  mid  unge^vunelicuwi  ege  |  J)eaiie  swide 
bregde,  gewislice  getacnod  w£ere   and   eac  swylce  |   se  fi'ofer   ])sere 
a2)ostolican    bodunge,    |)e   geond   ealne   middangeard   bodude   ui'ne     " 
drihte«  for  ealles   niancyuues  hsele  |  bis  f?eder  b}TSu;une  od  deades  65 
J)i'o\vuiige;,  hluttoiiice  |  J)urh  f)as   tacnimge  wsere  önwrigen,    {)is  we 
Jionne  |  eornostlice  ou  Jiissa  boca  muuucj)eawe  to  J)y  gesetton:  |  gif 
hit  hwa»i  gelicad,  licet  he  mid  estfulnesse  |)isne  gewunan  |  to  au- 
bryrdnysse  healdan  wile,  hiebbe  gewiiten,  bu  be  |  hit  don  scyle  and  7a 
odi-e  gelieran,  J)e  on  |)ani  ne  synd  getogene;   |   se  J)e  bit  {)onnc  don 
nelc,  ne   sy  be  to  f)an  geneadod,  |  ^cet  be  bit  do,   biiton  bim  selfon 
J)e  bet  licie.  | 

'3  Jjeor  Hs.      ^  o  Ä>'.  für  älteren  on.       -'  {)i3es  gewunan  H>s. 

pi-eces.      qui    ordo    trium    noctium    uniformiter    teneatur     ab    illis.  56 
(fol.  1 G  v)  qui,  ut  reor,  ecclesiastiete  compunctionis  ^   usus  a  catbolicis  57 
ideo  repertus  est,  ut  tenebrarimi  terror,  qui  tripertitum"^  mmidum  do- 
minica  passione  timore  perculit "  insoKto,  ac  apostolicse  prredicationis 
eonsobitio,  quje  per  °  uniuersum  mundum  Christum  patri  p  usque  ad 
mortem  pro  generis  bumani  'i  salute  obedientem '  reuebiuerat,  mani- 
festissime  designetur.    bree    ergo  inserenda  censuimus,  ut,   si  quibus  66 
deuotionis  gratia  comphicuerint,  babeant  in  bis,  unde  huius  rei  igna- 
ros  instruant;   qui   autem  nolherint,   ad  hoc   agendum  minime  com- 
pelbmtur. 

'  compunctionibus  Hs.,  i:crh.  DM.  m  tripaitituiu  7)3/.  "  porcutit  .1/. 
"  per  fc//lt  der  Hs.;  DM  uuiverso  iiumdo.  v  pati  M.  n  huniana'  M. 
»'  obediente  Hs.,  verb.  DM. 


hl.  swiguhtan :  auch  dieses  Wort  fehlt  in  den  Wörterbüchern  (Bosworth 
372«  und  Eltiuidlcr  7Go).  Swigühtau  sind  die  ühtan  der  swigdagas,  d.  h. 
der  drei  letxtcn  Taue  in  der  Karnochc;  vyl.  unten  Z.  8(1  und  J'Jtfrics  Hu- 
milics  l,  218  Circlice  deawas  forbeodad  to  secgeuue  seuig  spei  ou  Inlni 
bryiu  swigdagum,  II,  2ii2  Ne  niöt  näu  man  secgau  spell  on  pani  drim 
swigdagum.  Von  den  Wörterbüchern  hat  nur  da^  Lcosche  S.  45*  diesen 
Ausdruck,  aber  ohne  Belef/.  —  (JO.  hoga  als  M.  wurde  bisher  nur  auf  Grund 
der  Benedildincrrejjel  (cd.  Schröcr  84,  o  und  85,  3)  aiujesetxt  Diera  ricera 
mauna  ege  and  hoga  =  diuitum  terror.  —  Jjrydieled  feldt  in  den  Wörter- 
büchern (Bosuorth  blSb.  öloc,  Ettmüller  Olö).  —  07.  muuucpeaw  ist  in  den 
Wörterbücliern  (Bosworth-Tolter  7()1  b)  nachzutragen. 


8  Eiu  weiteres  Bruchstück  der  Regiilaris  concordia 

(  )N  äa,m  lefterfylgenduyyi  dagu;«  J)issera  iiyhta  xi  nunwn  \  Lidpange 
75  ne  sy  gecweden  Dens,  in  adiutorium  incnm  intende,  \  ac  fordrihte  sy 
gesungen  canonica  tidsangas  todieledura  |  sealmum  left^r  heora  {)eawe 
and  tefter  ^i\m  fers  '^^  ciiul,   ]}at  {)ter  ieftcr  filiged.   |   on   J)une  fiftan 
d£eg  |)a  seif  an  angin  {)ara  todseledan  |  sealma^-^  syn  hludor  gesun- 
gene,  J)set  hi  fi"am  eallu?«  msegen   |   beon   gehyrede:    on   |)a  ylcan 
80  wisan   sy  gesungen   »gder  ge  sefen  |  ge  nihtsäng  and  na  swä  hlude 
on  dawi  o])r\xm  SAvigdagur»  .  and  on  fore  sanlon  nihton,  gif  uhtsang 
?er  diege  bid  gesungen,  |  J)a  gebrodra,  gif  hy  swa  willan,   hwecrfan 
to  heora  reste;   |    se  J)e  for  gastlicre  gymyne  f)«/!  don  nelle,   wacien 
hi  mid  godes  |  bletsmige  and  mid  healiere  g}Ti»yne  heora  swigenne^* 
85  heal  diende  ^cbI  began,  {)<®^  heora  sawlu?w  fremige.     gewordenu7>i 
(p.  4)  mergenne  in  cena  diomim  gesamnian  hy  to  heora  pri?Aisange 
and  sene  mid  gedremuiu  -'  swege  hlude  tef ter  canonica  ^^  {)eawe   ge- 

'^  ferse  Hs.  ^  {)as  t.  sealmas  Hs.  ^  swigeude  IIs.  ^'  gedremjen 
IIs.      '-^  canoca  Hs. 

73  In  quarum  noctium  sequentibus  diebus  ad  nullam  dicitur  horam 

Deus,  in  adiutoriuni  meum,  sed  in  directum  capitula  canonici  cursus 
dicantur,  dehiuc  uersus  et  sequentia.  in  quinta**  uero  feria  eadem 
capitula  altius  dicuntui",    ut  ab   omnibus   audiantur,   et  uesperre   et 

8't  completorium ;  cseteris  diebus  minime.  in  supradictis  noctibus,  si 
matutinte  ante  lucem  fuerint  (XXXA'^II  D)  finite,  fratres,  qui  uolue- 
rint,  ad  suam  redeant  requiem;  qui  autem  spirituali^  exercitio  nolue- 
rint,   cum   summo  uigilantes   silentio  agant, "  quod  eorum  animabus 

85  expediaf    mane  facto  in  csena  domini  conueniant  ad  primam,   qua 

«  quarta  M.  *  spiritualia  Hs.:  spiritualia  exercitia  maluerint  DM. 
w  agant  fehlt  Hs.  und  DM.      ^  expedit  DM. 

71.  Die  Haren  werden  meistens,  die  kleinen  inivicr  eröffnet  mii  dem 
...weiten  Verse  des  69.  Psalms:  Deus,  in  adiutorium  jneum  intende;  do- 
mine, ad  adiuuandum  me  festina  (s.  Boutenveks  Ccdmon  CLXXXII  f. 
CXCVI  ff.).  —  75.  sy  Singular  des  Verbs  bei  nachfol<jende>n  pluralisehem 
Subjekt  (vgl.  DietricJi  in  Haupts  Zeitschrift  X,  332  /'.  utwl  XI,  444  ff'.).  — 
canonica  ist  wohl  Gen.  PI.  des  Substantivs :  wenigstens  bieten  die  Lexika 
canonic  nur  als  Sub.st.;  vgl.  unten  87  und  1Ö7.  Bei  dieser  Annahme  erklärt 
sich  auch  heora  Z.  7tJ  am  einfaclisten.  —  80.  swigdagum:  *'.  ^iu  Z.  hl.  — 
83.  se  f)e  . . .,  ...  hi :  in  se  \)e  liegt  ein  pluralischer  Begriff,  daher  wird  es 
durch  hi  aufgenommen;  cgi.  Anxeiger  für  deutsches  Altertum  I,  111)  und^ 
unten  Z.  120  /'.  On  {fenigum  weofode,  öd  Jjset  hy  ä|3wegene  sS'n.  —  84.  Dafs 
der  Schreiber  swigende  schrieb,  daran  ist  wohl  das  folgende  Wort  schuld. 
Das  Fem.  swigen  fehlt  in  den  Wörterbüchern  (Bosworth  37 1  c,  Ettmüller  7(j3), 
vgl.  aber  JSlfrics  Homilies  II,  532  Dam  läreowe  sylfum  derad  hwilou  his 
swigen,  ac  heo  derad  symle  his  underdeoddum,  gif  him  bid  seo  heofenlice 
lär  oftogen. 


in  altenglischer  Sprache.  9 

giingen  |  ^ccf  mid  gewisse,  Dens,    in  nomine  tuo  atul  Beati  imnaculati 
o{)  I  Legem  pone,  aiui  swa  gecwedeuuy;/.  -"^  ferse  eneowien  ^^  and  swi- 
lunge  J)a  |  gebeda,  |)e  to  ^ani  tidsange  geb}a-iad,   geendian.  29    xiicr  9o 
^•^L1n  Pater  y^oste?'  |  swilunge  cwecten  Viuet  anima  mea  et  laudabit  te  od 
J)ses  I  sealmes  ende  and  ajfter  J)a«i  Credo  in  de\xm,  and  on  J)?em  preceni, 
{)oime  I  hy  cumen  to  efnes  |)an,  |)3er  hy  heora  andetiiysse  don  sculon, 
se  ealdor  mid  beacne  on  J)iere  formellan  J)ce^  getacnige,  and  swa  |  eefter  05 
gewunau  lieora  confessione>/<  dön,  ^cet  is  lieora  andet  nesse.   on  odi*u/?i 
tidsange  gelice  '^sam  {)a  lafe  ^o  ^ses  f oressedon    sealmes  iefter  {)yssum 
todale  singon:   to  undern  sänge  fraw^  Lcrjeni'^^  pone  od  Defecit  mid 
hludre  stefne  |  singen,  fers  and,  ]}o't  J)£er  ofer  is,  swilunge,  and  ^cet  swa 
mi  seghwylces  |  tidsanges  ende  healden ;  to  middsegsange  fraw  Defecit    loo 
od  Mirahilia ;  to  nonsange  ivAm  MirahiJia  to  ende  |)«s  |  sealmes.  {)8es 
a?fensanges  relc  sealm  sy  mid  gedreraedre  '^'^  \  stefne  and  mid  äntifene 
gesungen  and  ])cet  fers  eac  swa  and])cet  \  godspel,  ]}(et  is  Magnificat,  ^^ 
and  elles  seo  laf,  •'^  |)e  J)jer  ofer  |  is,  sw^iglunge.    nihtsang  sy  eac  mid  105 
gedremuw  swege  |  gesungen  and  eanonica  {)eawe   'xiter  J)a7?i  forman 
sealme  |  In  te,  rfo(491  Mjiwme,  speraui  .i.,  and  {)?er  hhn   to  gebyred 

'■''  gecwedeuu;«  Hs.  -**  von  derselben  Hand  aus  cweowieu.  -^  i  r«n 
derselben  Hand  über  der  Zeile.  ^  lufe  Hs.  ^'  g  fränkisch.  '^  i  ge- 
dremre?    ^  leaf  Hs. 

sonore  dicta  et  canonifo  niore,  scilicet  Dens,  in  nomine  tuo  et^  Beafi 
immaculati  usque  Legem  pone,  tunc  dicto  uersu  genu  fiexo  peragant 
cetera  silenter.    post  Pater  no.'^ter  dicitur  silenter  J'inet  anima  mea  et   '.»o 
laudabit   tr   usque  in   Hneni  psaluii,   sed   priore  perueniente   ad   con- 
fessionis  locum  facto  signo  agant  confessionem.    in  ca^teris  horis  sinii-   '.'•> 
liter  residua  capitula :   ad  tertiam  a  Legem  pone  usque  (fol.  1  Ir)  De- 
fecit^  alta  uoce  et  uersus  et  caetera  silenter;   ad   sextam   a  Defent-' 
usque  ad  Mirabilia :   ad  nonan  a  Mirahilia  uscjue  in  Hnem.    ucspera-  i"-: 
similiter  sonora  uoce  unusquisque  psalmus  cum  anti}>hona  et  uersus 
et  euangelium  et  caetera  silenter.     conipletorium  a-que  sonore  et  post  105 
primum  psaluuuu  canonico  more  In,  te,   domine,  speraui  i.^  et  euan- 

y  et  feMl  Hs.  nnd  DM.     '^  Deficit  D.     -^  Defecit  .1/.  DeHcit  ffy.  und  II 
i-  i.  fehlt  M. 


88.  Deus,  iu  nomiue  tuo  Ps.  53,0.  —  Beati  iMnuiculati  l's.  IIS,  1. — 
80.  Legem  pone  Ps.  HS,  ?<■?,.  —  91.  Viuet  anima  mea  u.  s.  iv.  Ps.  118, 
175.  —  94.  Das  schiracke  Feinininmn  formelle  (o'/er  sofite  man  im  Xom. 
noch  formella?)  fehlt  in  den  Wörterbikheni  Ißosirorth-Toller  'CAbaJ.  Es 
bedeutet  Hank' :  s.  formella  l)ei  Ducamjc.  —  98.  Defecit  Ps.  118,  81.  — 
IUI.  Mirabüia  Ps.  118,  129.  —  1"J1.  Maguificat  Lue.  1.  4ti.  —  107.  In  te, 
domiue  a.  s.  iv.   Ps.  .JO,  1:    das    i    ist  Zahlreichen    und  bedeutet,    dafs   ton 


10  I'iin   weiteres   I5ru('li.stiick  der  Refriihtiis  coiiconliu 

\)(/'l  godsjxil,  ])a;l.  is  ]  Nunc  dimütis ;  xiter  ])iim  I'nicr  v/oster^  7>i^>ace 
in  id  ipsu'in  \  dormiam  et  rc(\\nescam,   Credo  in  deum  and,  ])c(il  I)jer 

Uü  elles  gel)yreft,  |  swigliuiga,  ealswa  we  rer  cwöedon.  on  J)yHU7«  {)rini 
daginw  I  jeftcr  geeiidunge  |)ies  priwsanges  sy  saltere  gesungen  |  of 
anginnc  oj)  |)a?«  ende,  seiter  pses  salteres  geendunge  astrehte  |  singen 
lieora  letanias,   ealswa  hit  gewunelic   is,  and  sij)  {)an  heora  nedinge 

115  georne  rsedan  od  scocnylle,  ])am  ge  hyredmw  lii  gescogen  and  ge- 
liwylce-**  odre  J)ingc  jefterregules  |  f)eawe  gefyllen.  xiter  heora  capi- 
teles  geendunge  hy  on  scogen  and  to  cyrican  gän  and  jefter  |)a»?i 
{>eawe  '^'^  heora  hyrsuw«^  nesse  |)wean  hyora  cyrican  flor,  and  |)a  msesse- 
preostas  |  on  ])3äve  hwile  mid  haligwjetere  '^^  {)wean  |)a  weofoda.    on  ! 

120  |)aw  dsege  nah  mon  to  mressianne  on  tenigmn  Aveofode,  od  ])(Et  \  hy 
aj)wegene  syn.  &.ü,m  geendedwn  aJ)wegenu9/2  fotum  hy  eft  |  hy  ge- 
scogeii.  geendedww  niiddtege  sy  mresse  gesungen  |  |)earfenduwi  nian- 
nu^w^  |)e  on  xr  to  |)awi  gegaderade  syn  |  tefter  ])Sim  get«le,  ])e  J)am 

125  abbode  odde  abbodyssan  ge  {)uht  bid.  xfter  ])iini  gegsedereduw  J)ear- 
iuni  on  J)ivslicere  |  stowe  gan  Jja  gebrodra  o])])e  |)a  gewysterna  and 
heora  |  (jj.  5)   mandatu«^   gefremman,   J)?er  singende  antifeuas  J)a?;i 

^*  gehwylcwM  Hs.      ^5  Jjweale  Hs.      ^^  das  w  ans  |). 

110  geliuni  Nune  dimittis,  post  Pater  noster,  In  pace  in  id  ipstmi.  ]iis 
tribus  diebus  prima  peracta  psaUant  psalterium  ex  integro  unaniuiiter 

112  in  choro.  post  quod  letaiiiam  °  agant  prostrati,  deinde  lectioni  uacent, 
usque  facto  signo  eant  ad  calciandum   et  reliqua  more  regulari  coni- 

11(5  pleant.  facto  namque  capitulo  discalcient  se  fratres  et  intrantes 
ecclesiani  more  obedientia;  lauent  pauimenta  ecclesite  sacerdotibus 
interim  cum  ministris  altaris  benedicta  aqua  Sacra  altaria  hxuautibus. 

110  ea  enim  die  non  tit  celebratio  missiii  in  aliquo  altari,   donec  lauetur. 

122  quibus  peractis  lotis  pedibus  recalcient  se.  sexta  peracta  celebretur 
missa  pauperibus   ante   ad  hoc  collectis  secundum  nimierum,  quem'^ 

125  abbas  prauiidei-it.  dehinc  collectis  in  locum  congruum  eant  fratres 
ad  agendum  mandatum,   ubi  canentes  antiphonas  eidem'^  operi  con- 

(^  litaniam  D3L      ('  quem  DM,  quse  Hs.      <^  eidem  1)31,  eadem  Hs. 


den  zwei  Psalmen,  an  deren  Anfamje  In  te,  domine,  speraui  steht,  3ü 
tond,  70,  der  crstcre  gememt  i-^it  (vgl.  imten  S.  28).  —  108.  Nunc  dimittis 
Luc.  2,  29.  —  In  pace  ii.  s.  w.  Ps.  4,  9.  ■ —  110.  jfer  geht  doch  irold  auf 
99  /".  —  114.  scocnyll  fehlt  in  den  Wörterhüehern  (Bosworth  809  6.  818  6, 
EttmüUer  08G).  —  117.  An  dein  Schreibfehler  |)\veale  für  Jieawe  /*<  offen- 
bar das  folgeiuk  f)wean  schuld.  —  120  f.  on  äinigum  weofode,  od  Jjset  hf 
ä|)wegeue  syn;  ^gl.  xu  Z.  83. 


in  iilteiiglischer  Sprache.  11 

selfan  |  weorce  gedafene  J)\vean  and  wij)iaii  {)ara  Jiearfejia^'^  fei  mal 
eac  I  cyssen,  and  gesealduw  wjetere  to  lieora  liandiw?*  sy  Mim  bigleofa 
geseald  and  penega  gedal  ?efter  Jotes  abbodes  odde  |)ffire  |  abbodyssan  130 
dorne  aiul  dilite.  | 

^ijfter  |)a?w  on  |)?eslicere  tide  sy  non  gehringed.^s  J)a?n  ge  sungeniu« 
for  digelre  getacnunge  sumes  gerynes,  |  gif  bit  swa  gelicad,  gescryden 
by  |)a  •'^  gebrodi-a,  gif  bit  uiunecas  |  syiid,  and  gaii  to  J)a!re  cyrican  1^5 
dura  sceaft  mid  njedran  |  aulicnysse  mid  bi»?  berende,  and  |)?er  niwe 
fyr  of  füllte  sy  |  geslsegen.  ''^  on  J)an  fra?n  fiam  abbode  gebletsedum 
sy  seo  caiidel  on  teiid,  Jie  on  müde  J)?ere  n?edran  geftestnod  is,  and 
swa  gecyrren  |  to  beora  chore  {)a^w  cyricwearde  J)oiie  sceaft*'  mid 
{)aw<  leohte  berendum,  |  and  sy  lefte^'  J)a7w  an  tapor  ontend.  |  H" 

(  )N  |)üne  syxtan  dieg,  ^cd  is  on  |)one  friged^eg,  sy  dtüt  sylfe  |  gedon 
011  Jiiiere  ylcan  endebyrdnesse,  ^^  and  se  |  diaconus  J)oiie  sceaft  bere. ' 

v*N  sietersdreg  band  swa  gelice,  and  se  profost  J)one  |  sceaft  fra?>i*^  145 
cbore  eft  to  cbore  bere.    iefter  J)ysum  sy  |  mresse  gesungen :  let  |)a!re 
niiessan   iiate  J)tes  bwon  |  ne  sy  DominViS  itobiscian  gecweden,  buton 

•''■  Iiearfenda  Ha.       '-^^  h  aus  u  yebessert.       ^'-^  das   a  aus  ve.  (/ebessert. 
*°  das  1  aus  w?      ""  das  a   fiier  ^/cr  ZeeYe  nachgetrayeri.       ''-   das  xiceiie  e    ' 
über  der  Zeile  nachjctraijeii.      ''•''  f  auf  radiertem  J). 

gruentes  lauent  et  extergant  pedes  pauperum  atque  osculentur,  et 
data  aqua  manibus  eoruni  deiitur*'  eis  etiam  cibaria,  fiatcpie  secun- 
dum  abbatis  arbitrium  in  eis  distributio  nummoruni. 

Debinc  bora  congrua  agatur  noiia  .  qua  cantata   ob   arclianum  132 
cuiusdam  mysterii  indiciuni,   si  ita  placuerit,   induant  se  fratres  et 
pergant   ad   ostium  ecclesi*  ferentes   hastam   cum  imagine   ser-  (fol. 
n  v)  pentis,   ibique  ignis  de  silice  excutiatur.    illo  benedicto  ab  abbate  137 
candebi,  quai  in  ore^  serpentis  infixa  est,  ab  illo  accendatur,  sicque 
ivjdituo  bastam  deportante''  cuncti  fratres  cborum  ingrediantur, '  unus- 
que  debinc  cereus  ex  illo  illuminetur  igne.    sexta  feria  eodem  online  m 
agatur,   et^  a  decano  portetur;   sabbato  siniililer,   a  pra'positoipic  de- 
feratur.    et  post  basc  celebratio  missa^;   ad  quam  Dominus  uohiscu))!  n^^ 

1'  deuter  Hs.,  verbessert  DM.      s?  in  ore]  more  Hs.  und  DM.      '>  doi)or- 
tantei  Hs.,  verbessert  DM.       i  ingredivmtur  D.       '  et]  ac  I^M. 


1B8.  on  müde  setxt  in  ore  voraus,  das  sclion  lici  Marthie,  De  anti- 
quis  monachorum  ritibus  lil)ri  qtmique  (Lucjduni,  llino)  p.  ;'>85,  .'<tatf  des 
iUjerlicfertcn  luore  rcr mutet  irorrlen  ist.  —  MI.  liaiid  n.  Bosunrtli-Tullrr 
508/;,  l)esoiulcrs  die  dort  ans  Tluirprs  Analeda  auycfidirtc  Stelle  And  ilyde 
band  swa  gelice.    —    140.    uäte   [lais  hwöu  stcld  ohne  Beleg  bei  Boswortk 


12  Ein  woitcifs  B^ll(■ll^tii(■k  drr  RpgiilMii>  ccjncordia 

ivmii  ])ii7)i  biöcupc  anuni,  |  |)ior  hc  liis  criöjuaii  gclialgad.  (mm  p&m 
seif  an  biscope  sefter  |  J)ees  lialgaii  husles  andfenge^''  sy*-'"'  cos  geseald 

i^o  J)a?;/  miosscpreostu?;/  imvini  |iri\va  Agnus ''^  dci  gesiuigenum,  |  and 
I)iö  ne  sy  gedyrstlajht.  U-iitii  adliges  odres  liades  maunuyw.  |  on  J){ieR 
d?eges  miessan,  ealswä  liit  ou  odrum  daguw/  gebyred,  |  sy  husl  geseald 
a?gder  ge  |)aw«  gobrodru/;/  ge  geswystenium  |  ge  J)aw  getrywan  *'^  folces 

ii5  maiiiui»?,  and  of  \)'xm  husle  sy  geheal  den  to  {)a?;i  toweardan  dtpge 
{)jes  niergenes  swa  |  micel,  ^(d  hi  ealle  to  hiisle  gau  nifcgen.  | 

JjLiÄier  geendunge  J)iere  nuoi^san  gan  hi  ealle  endemes  |  to  sna^dinge, 
and  refter  |)sere  snaedinge  nime  se  abbor/  |  odde  seo  abbodis^e  J)a  ge- 

160  brodra  odde  |)a  geswysterna,  |  J)e  hi  wyllen,  and  gan  to  heora  syn- 
drian  niandatuw/  |  jiara  J)earfena,  '*^  Jie  hi  ^^  to  I)ani  gecoreiie  habbad. 
awf/  I  J)onne''0  refto-  {)a?«  sy  jefen  gehringed,  and  sefter  jefensange  j 
gan  {)a  gebrodra  odde  relce  geswyster  fet  J)wean  and  |  wipian  and 

'"'  busl  and  feug  Hs.  "**  \  wischen  sy  «fic?  cos  «'.sY  fra/;^  ha?/?  bisceope 
iriederhoH  in  der  Hs.  *'  g  früidcisch.  '*''  ry  auf  Rasur.  ^*  |)ara  J)eara 
Jjearfena  Hs.      ^'■*  h  rtv^s  anyefanyencm  J).       •'^'^  J)one  ßs. 

niinime  dicätur,  nisi  ab  episcopo  tantuinmodo,  ubi  chiüsma  conficitiir. 
148  a  quo  etiam   in  eucharistia^   acceptione'"  pacis   osculuni  prsesbyteris 

ter  Agnus  dei  decantato  solunimodo  detur,  ab  aliis  uero  minime  pra?- 
152  sumatur.   in  qua  missa,  sicut  et  insequentiuin "  dieruni,  comuiunicatio 

pra^betur  tarn  fratribus,  quam  cunctis  fidelibus,  reseruata '^'  nichilomi- 

nus  I'  ea'i  die  eucharistia,  qua3  sufficit  ad  communicandum  cunctis 
157  altera  die.    jieracta  missaj  celebratione   omnes   ad  mixtum  pergant ; 

post  mixtum,  (pios  uoluerit,  abbas  ex  fratribus  secum  adsumeiis  suum 

161  peragat  mandatum.  quo  peracto  uesperas  celebrent,  dehinc  refectio- 
nem  fratrum  agant;  post  quam  tempore  congruo  eorundem  agatur 
mandatum,   qui  tamen   frati'es  prius  pedes  suos  diligenter  emundent, 

'"  acceptatioue  DM.  "  iusequentium  %'u  insequendum  korrigiert. 
"  reseuata  Hs.,  verbessert  DM.  v  nichil  hominis  Hs.,  nihilominus  DM. 
<j  ea]  a  M. 


p.  249  a  s.  V.  nate,  fehlt  aber  in  der  neuen  Ausgabe  von  Toller  p.  709  ä. 
Vgl.  auch  Benediktinerregel  ed.  Schröer  08,  14  und  87,  1.  —  150.  Agnus 
dei  Joh.  1,  29.  —  15H.  Der  Dat.  PI.  geswysternum  komtid  aufserde?ti  Z.  188 
imd  205  vor,  und  ich  habe  ihn  Z.  168  ergmixi.  Der  Ace.  steht  Z.  159  ge- 
swysterna. Die  Lexica  (Bostvorth-Toller  450a  *-.  v.  geswystra)  haben  nur 
den  Gen.  geswystrena.  —  163.  Ich  kenne  keinen  Beleg  für  selc  im  Plural: 
auch  erwartet  man  hier  keinen  solchen  Zusat%  %um  Substantivum  im  Sinne 
von  'all';  ist  et'wa  selce  =  dem  freilicli  auch  nicht  sicheren  got.  aljaleiko 
(1.  Timoth.  VI,  3  in  B),  also  der  Positiv  %u  selcor,  elcor?  odde  selce  würde 
dann  etwa  tmserem   'oder  aber'   entsprechen.    —    geswyster:    s.   xu  Z.  153. 


in  altenglischer  Sprache.  13 

gecyssen,  ■"»'  and  hini  mid  sw^^ce  |)enas  gan,  |  swylce  hy  to  J)?eve  h}T-  ifi''- 
sumnesse  geceosad.  | 

X)am  geendedw»,  se  abbof/  oJ)|)e  seo  abbodisse  on  heora  setluw  ' 
Sitten,  and  pa  ealdras  \\\m  |)set  seife  gedon,  and  hi  nefter  |  /"j!?.  6)  dan 
arisen  awc?  eallum  gebrodi'uy/?  odde  geswysternum  •'»2  wreter  to  heora 
banduw  |  gesellen,  and  J)a  ealdras  hini  eft  ^(Bt  seife  don.  mid  mune- 
Qwm  I  ^onnc  ongemang  |)?es  abbodes  handpweale  gange  se  diacon,  170 
pe  I  J)jere  wucan  wiejoen  is,  and  hine  mid  dalmatican  gescryde  |  and 
|)a  odre  wicf)enas  mid  alban,  and  gecnylleduw  beacne  |  gan  hi  in, 
and  se  diacon  mid  dalmatican  gescryd  bere  |)a  |  Cristes  boc,  and  |)a 
J)eningmen  gesciydde  giin  widforan  |  mid  taperum  arid  mid  storcyllan,  175 
and  se  diacon  J)is  godspell  rsede,  |  Ante  diem  feshim.  mynecena 
^onne^  {)eah  him  swagerad  scrud  ne  gebyrige,  gan  hi  f)eah  for  ar- 
wyrdnesse  |)ses  |  mseran  d?eges  mid  taporum  and  mid  storcillan,  and 
swylc  {)incg  |  be  {Diere  halgan  rode  nede,  swylce  hhn  |)earflic  sy  to 
ge  hyrenne.  arul,  swa  seo  cimbalu«/  •'»•^  sy  geslsegen,  gäu  hi  ealle  |  to  iso 
beoderne,  {)eah  hwsedere  seo  rredestre  and  J)a  |)eningrae'/t  |  gan  on 
foreweardu^>i  mid  taporu7>^  and  mid  störe,   and  swa  |  in  cumen  lecge 

51  gecyssan?       •'■-  geswysteruum  frhli  in  der  Hs.       ''3  a  r/y^s  1. 

uenientesque   ad   mandatum   epdomadarii   ministri  secundum  morem 
suum  abbatem  anteeedentes  mandatum  agant,   quos   subsequitur'   in 
coucha  sua  singulorum  pedes  lauans  ministrantibus  sibi,   quos  uolu- 
erit  ad  hoc  obsequium ;   quos  extergat  et  osculetur.   quo  peraeto  resi-  \m 
deat   abbas   in   sede  sua,   ueniantque  priores  et  ei  eadem  exibeant, 
deinde  surgens   det   aquam    in  manibus   singulorum,    rursumque   ei 
eadem  seruitus**  exhibeatur.    inde  uero,  dum  manus  lauant,  /foL  1  S /-y  it;;i 
diaconus  epdomadarius*^  et  reliqui  ministri  eant  et  induant  so  signoque 
collationis  {i92  M)  moto  ingrediantur  diacono  dalmatica  iiiduto  cum 
textu  euuangelii  pr;i?cedentibus  cereis  et  turibulo,   legaturque  euuan- 
gelium  secundum  lohannem  Ante  diefn  festuni,  donec  tintinnabulum  iw 
}}ulsetur:  tunc  pnvcedente  processione  subsequatur  omnis  congregatio, 

'■  sequitur  DM.      «  seruetus  Us.,  rcrhrssorl  DM.      t,  epddiimdaiiis  //>•.. 
liebdomadarius  DM. 


171.  mid  dalmatican,  ebenso  Z.  17:5:  icie  ist  der  Nom.  dieses  in  den 
Würffrlniclierii  feldenden  ]Vortes  anx/isef7,en'f  ■ —  176.  Ante  dieni  t'estum 
Jo/t.  l',],  1.  —  179.  riede,  /reit  sicli  dein  Ul)erset\er  in  (le(laid,rii  statt  des 
Plurals  hi  als  Subjelä  seo  räidestre  (Z.  181)  untersel/iebt:  ryl.  18:5  lecge, 
ubgleicli  s&o  r^destre  and  })ä  {)eningmen  rorlivryelit. 


14  Ein  woitores  I'niclistiick  dvr  Reüulnris  coiiconli.'i 

J)a  hoc  u})  on   ilain   rsediiigscamole,  and  J)a  |  penas  on  twa  licalfa 

isr.  liyro  niid   taporuw?  standan  and  rnid  |  ftsere  storcyllaii  wififoran  mid 

(lam  halgan  recelse   |   smociende.     onmiuiü;  {jan   J)e   heo   standende 

roede,  scence  |  se  abbod  o{){)e  seo  abbodysse  a-ne  eedlwn  gebrodru?«  , 

o|)|)e  geswysternuw  heora  band   cyssende.  •"'*     ftan-e  |  |)enimge  geen- 

190  dedre  sitte  se  abbofZ  o3de  seo  abbodesse,  |  and  seo  nedingc  rnid  |)ysu?H 

worde  sy  geendod,  Tu  auteni,  \  dounne,  miserere  nostri.    arise  J)onne, 

se  |)e  on  {)am  gefere  |  yldest  bid,  and  scence  {)aw  abbode  o])])e  {)sere 

abbodessan  |  and  |)aw  odrum  penan,  |)e  {)fer  stodon.    geendedre  rae- 

195  dingp  I  and  geendeduni   scence  stnsppe  widforan   se  processio,  |  ])cBt 

hy  onscryden  hy,  gif  bit  munecas  synd,  ])fd  hy  gearwe  |  beon  ealle 

endemes  heora  nihtsang  set  ga^dere  singan. ^•''  | 

v)N  |)one  djeg,  pe  is  parasceue  gebaten,   ^cet  is  |  se  langa  frigedaeg 

200  a^r  eastron,  sy  uhtsang  |  gesungen  ^^  on  J)a  ylcan  wisan,  {)e  we  wid- 
foran cwfedon.  |  a^fter  dam  gan  to  heora  primsange  unscodum  |  iotuni 
and  swa  unscodan  wunigean,  op  seo  haiige  |  Cristes  rod  gebeden  sy. 
on  ])&')»  selfan  d«ge  |  to  rihtes  nones  gange   seo   abbodysse  to  cyri- 

205  cean  |  mid  hyre  geswysternvw»,^  and  ealle  endemes  ])ai  gewunejlice 
gebed  siiigen,  {)e  is  foreboda-^''  a^lces  tidsanjges.    gif  hit  J)onne  mune- 

■""'  cyssen  Hs.       ■'■>  singen  Hs.       ^r.  gefuugen  Hs.      •>'  forahoda  iJs. 

cunctisque  in  refectorio  residentibus  idem  diaconus  stans  prosequatur 
isf)  euangelii  sequentia  imposito  super  ambone  euangelio.    Interim  abbas 

propinando  circumeat"  fratres  cum  singulis  potibus  singulorum  oscu- 
188  lans  manus.    qua  peracta  ministratione  residente  abbate  dicatur  Tu 

autem,  donimc.    tunc  a  priore  propinetur  abbati  et  reliquis  niinistris, 
193  qui  assistebant;  euuangelioque  finito  potibusque  haustis  procedat. pro- 

cessio,  ut''  exuant  se  fratres  sintque  cum  reliquis  ad  complendnm. 
198  In  diey  parasceua?  agatur  nocturna  laus,  sicut  supra  dictvun  est. 

201  post  hrec  uenientes  ad  (p.  XXXVIII  D)   primam  discalciati   omnes 
203  iiicedant,  quousque  crux  adoretur.    eadeni  enini  die  hora  nona  abbas 

cum  fratribus  accedat  ad  ecclesiam ;   qui,  dum  peracta  oratione  cum 

tt  circueat  DM.       ^  ut  Hs.,  et  DM.       y  In  die]  Inde  Hs.  /iml  DM. 


18o.  rtediugscamol  (vgl.  212  f.  J)one  r&dingcscamel)  feldf  in  den 
Wörterbüchern  (Bosworth- tolle r  78?)b/.  —  200.  {)e  we  widforan  ewsedon 
=  sicut  supra  dictum  est  r/rht  wohl  cmf  Z.  78.  —  202.  unscodan  n-ohl  = 
unscodum;  auf  das  SubJeJd  be-.of/en.  würde  das  Wort  (/r/ri/'s  nnscode 
hüten.  —  20(1.  Die  Leriea  (Bosworth-Tollcr  '60?>a)  fuhren  nur  forboda  an. 
aber   foraboda  .sr/r/  doeh  wohl  foreboda  rorans.    Im  übrigen  s.  ■xu  Z.  74. 


in  altenglischer  Sprache.  15 

cas'''*  syn,  oefter  J)an  gebede  scryde"'^  |  hine  se  abbod  and  |)a  |)eiias 
{)a3s6"  halgan  weofodes  tefter  |  (j-).  7)  gewunelicum  |)eawe,  mid  of  J)an 
sacrario  cumende,  '^cet  is,  of  |)am  dihlan  |  and  halgan  scrudelshuse  210 
cumende,  jetforan  |)a/?i  altare  hy  gebidden,  and  {)anan  se  abbod 
mid  swigean  to  his  agenan  |  setle  gecyrre,  and  se  subdiacon  gestige 
|)oiie  rtedingc  scamel  and  {)as  rjedinge  rfpde  Ose§  proph^te,  In  trihv- 
laUiO)ie  sua,  and  sefter  {)fere  {)es  reps  mid  his  feower  fersum,  |  Do-  21.'» 
mme,  audiui.  lefter  J)äm  sy  {)eos  collecto  frawi  |)awi  abbode  mid  cneo- 
wunge  I  gecweden,  D^ms,  a  quo  et  ludas,  and  |)a^r  asfter  oder  rseding, 

■'>*  c  MÄer  der  Zeile  naelnjrtragen.  ''^  c  über  der  Zeile  nachgelrmicn. 
^  s  atif  Rasur. 

ministris  altaris  more  solito  indutus  fuerit,   ueniens   de  sacrario  ante 
altaria  orationis  gratia  inde  cum  silentio  ad  sedem  accedat  propriam  '- : 
tunc  subdiaconus  ascendat  ad  legendum  lectionem  Ose»  prophetre  In  212 
Irihulatione  sua;  sequitur  responsorium  Domine,  audiui  cum  quatuor 
uersibus.     postea  dicitur  oratio  ^  ab  abbate  cum  genuflexione  Dens,  2i''> 

'-  proprium  M.       ^  dicitur  oratio  Dil/,  datur  oratione  Hs. 

210.  scrudelshüs  fehlt  in  den  Wörterbüchern  (Bosworth  816«,  Ett- 
nüdler  697),  die  auch  das  einfache  *scrüdels  nicht  haben,  irofiir  man 
idwigens  *scrydels  erwarten  sollte:  das  ü  ist  tvohl  aus  scrüd  ein/jedr//)/- 
gen.  ■ —  212.  subdiacon  (rgl.  Schröers  Olnssar  zur  Benedikt inernyel)  ist 
in  den  Wörterbüchern  (Bosworth  361  c)  nachzutragen  =  underdiacon  (Bos- 
ivorth  412  6/  —  213.  Osee  prophete  6,  1  (die  autorisierte  engl.  Bibelid>cr- 
setzung  zieht  aber  In  their  afflictiön  they  will  seek  me  early  zu  5,  15).  — 
215.  Domine,  audiui  auditum  tuuni  et  timui:  consideraui  opera  tua  et 
expaui.  Versus.  In  medio  duum  animalium  inuotesces:  dum  appro- 
pinquauerint  anni,  cognosceris;  dum  adueuerit  tempus,  ostenderis.  ]''er- 
sus.  In  eo,  dum  conturbata  fuerit  auima  mea  in  ira,  misericordiu' momor 
eris.  Versus.  Dens  a  Lybano  ueniet  et  sauctus  de  monte  umbro-so  et 
condenso.  Versus.  Operuit  cwlos  maiestas  eius,  et  laudis  eins  plona 
est  terra  Lihri  agendorutn  seeunduui  ant.  usuni  metropol.  salisl)urg.  rrrl. 
pars  sec.  p.  148  ff.  —  Ich  habe  die  lateinische  Form  collecta  ausge.sch rie- 
hen, da  ich  einen  Beleg  für  den  Notninativ  in  anglisierter  Ge.stalt  nicht 
Irenne.  Die  Wörterbücher  führen  das  Wort  gar  nicht  auf  (Bosu-orfh- 
Toller  \Qba).  Ich  kenne  collectan  als  Nom.  PI.  (Benediktinerregel  ed. 
Sehröer  37,  2;  vgl.  das  Glossar,  n-o  auch  collecta  als  Noni.  Sing,  ange- 
setzt ist),  als  Dat.  Sing,  oder  Plur.  collectan  (Breck,  Fragment  of  yElfrie's 
Translation  of  JEthelwold's  De  Consuetudine  Monachorum  p.  2Ü,  Z.  62 
nnd  68;  p.  22,  Z.  98)  und  als  Acc.  Sing,  ein  abgekürztes  coli,  (ebenda 
p.  26,  Z.  132).  —  216.  Dens,  a  quo  et  ludas  reatus  sui  pdpnam  et  cou- 
l'essionis  suse  latro  premium  sumpsit,  coucede  nobis  tua^  })ropitiationis 
eliectum,  ut,  sicut  in  passioue  sua  Ihesus  (■hristus,  dominus  nostcr, 
diuersa  utrisquc  intulit  stipcndia  nieritorum,  ita  nobis  ;il)lato  uetustatis 
errore  resurrectionis  suu^  gratiam  largiatur  .  qui  tecum  uinit  '/'//'•  Leofric 
Missal  ed.  ]Virren,  ()xf)rd  188.".,  p.  9;!A;  rgt.  auch  Codex  llturgl<-ii.<  ed. 
Daniel,  Lipsiw  1847,  I,   115. 


16  Ein  weiteres  Bruchstück  der  Regularis  concordia 

Dixit  dommws  ad  Moysen,   and  {);pr  a^fter  pes  tralit,    Eri2)e  me,  \  t/o- 
raine.    xher  I)a??i   sy  gerasd   ures  drihtnes  J)rowung:   let  {)a;re  |  J)ro- 

220  wunge  aiiginne  ne  secge  se  diacon  Dommus  uohiscum,  \  ac  fordrihte 
Passiü  domxni  no&tri  Jesu  C/wist/  secimdion  lohminem,  \  and  nan  ne 
ands warige  Glovia  tibi,  dom'me.  {)onne  mon  rjede  |  Partiti^^  sunt 
uesiimenta  mea,  {)a  twegen  diaconas,  |  f)e  standad  on  twa  healfe  ^xs 
altares,  toteon^-  ^cet  getreagode  |  hraegl,  |)e  üp  on  {)a?>?  altare*'^  ligd 

22fi  under  paei'e  Cristes  bee,  |  on  ])cet  gemet,  {)e  |)aes  haelendes  reaf  todaeled 
waes.  se  |  abbod  iefter  {)ysum  cwede  f)a  gewunelican  |  orationes,  {je 
sefter  fyligead,  and  cwede  ä  ])(et  forme  . . . 

"'  partite  H'*.     ''-  teteonÄs.     ''^  altare  sfeJ/f  in  der  Hs.  ers^i  liintrr  Jjsere. 

216  «  quo  et  ludas.    deinde  legitur  alia  lectio,  Dixit  dominus  ad  Moysen, 

218  sequitur  tractus  Eripe  me,  domine.    postea  legitur  passio  domini  nosti'i 

lesu  Christi  secundum  loanneni:   (fol.  \^v)  ad  illam  j^assionem   dia- 

conus  non  dieat  Dominus  uobiscum,  sed  Passio  domim  et  reliqua  nuUo 

221  respondente  Gloria  tibi,  domine.  et,  quando  legitur  in  euangelio  Par- 
titi  sunt  ue.<itimenta  mea  et  reliqua,  statim  duo  diaconi  uudent  altare 
sindone,  qu.v  prius  fuerat  sub  euangelio  jjosita,  in  moduiu  furantis. '' 

225  post  h;i^c  "^  celebrentur  orationes,  et  ueniens  abbas  ante  altare  incipiat 
orationes  solempnes,  qua-  sequuntur,  et  dieat  primam  sine  genuflexione 
quasi  legendo  Oremns,  dilectissimi  nobis  et  reliqusi. 

i*  furantium  DM.      c  hoc  DM. 


217.  Dixit  dominus  ad  Moysen  Exod.  12,  1;  s.  Daniel  a.  a.  0.  1,41'); 
vgl.  anch  Ldbri  agend.  par.s  sec.  p.  Iö4  nnd  Leofric'.i  Missol  p.  26\b.  —  {)es 
traht.  BoswartJi  398  a  hat  bei  diesem  Worte  kein  Geschlecht  angegeben,  Etf- 
midler  p.  .'342  mit  T^nrecht  n-eiblichcs:  rgl.  außer  unserer  Stelk  x.  B.^Elfrir's 
Homilies  1, 104  J)one  traht,  166  done  traht  imd  Bonediliinrrregel  ed.  Schröer 
30,  20  trahtas.  —  Eripe  me,  domine,  ab  homiue  malo,  a  uiro  iniquo 
libera  me  u.  s.  iv.  Libri  agend.  pars  sec.  p.  1-54  ff.,  Daniel  I,  415.  ■ — 
220.  secundum  lohanuem:  s\  doli.  18,  1  ff'.  —  222.  Partiti  n.  s.  n\  Joh. 
19,  24.  —  223.  Jjaet  getreagode  hraegl:  (ge)treagian  fehlt  in  den  TTlhipr- 
bücherfi;  vgl.  aber  die  Glosse  in  Haupts  Zeitschrift  IX,  412«  consiita  ge- 
treagede  und  am  Rande  getreagode. 


Die  Übersetzung  l<ann  im  allgemeinen  als  eine  treue  he- 
zeiclinet  werden.  Doch  hat,  ihr  Verfasser  gelegentlich  selbst  an 
solchen  Stellen,  au  denen  er  sich  nicht  aus  irgend  einem  Grunde 
seiner  Vorlage  gegenüber  freier  verhielt^  einzelne  Ausdrücke,  ja. 
Sätze  des  Originals  nicht  tciedergegeben.     So  hat  er  von  Kon- 


in  altenglischer  Sprache.  17 

junktionen  unberücksichtigt  gelassen  et  Z.  87.  145.  221,  uero 
77.  170,  autem  83,  namque  116,  enim  120.  Unübersetzte  Adver- 
bien sind  tantuDi  Z.  5,  et  32  (vgl.  36),  sirnul  49,  similiter  102, 
nichilomiuus  155,  statim  222  oder  223.  Unausgedrückt  sind 
auch  die  Pronomina  idem  45,  in  eis  130,  ab  illo  137,  secum  160. 
Keine  Wiedergabe  haben  ferner  gefunden  die  Ädjectiva  saera 
119,  omnes  201,  et  reKqua  222.  Von  Verben  sind  weggelassen 
uenientes  22,  ueniantque  167,  agant  27,  fieri  39,  censuimus  67, 
eant  115.  Älchts  Entsprechendes  haben  endlich  benedictioDem 
5,  intercessionein  13,  fratres  117,  pacis  149,  collationis  172;  finito 
responsorio  27,  unanimiter  in  choro  112,  cuiu  ministris  altaris  119, 
cuncti  fratres  139,  ex  illo  igne  140,  ea  die  155  (doch  vgl.  152 
on  pses  dseges  msessan  =  in  qua  missa);  sicut  in  priori  diximus 
agendiun  8,  idemque  tertio  repetaut  eodem  ordine  52.  Man  sieht, 
dafs  diese  Weglassungen  nicht  sehr  zahlreich  und  für  den 
Sinn  meist  belanglos  sind.  Ganz  vereinzelt  steht  Z.  163  ff.: 
las  hier  vielleicht  die  Handschrift.,  welche  der  Übersetzer  vor 
sich  hatte,  anders  als  Tib.  A  HI? 

Weit  beträchtlicher  sind  die  Zusätze  im  altenglischen  Text. 
Vor  allem  ist  hervorzuheben,  dafs  von  124  an  auch  auf  Frauen- 
klöster  Rücksicht  genommeti  ist:  so  ist  zugesetzt  oMe  abbodyssau 
124,  odde  {)aere  abbodyssan  130.  192,  odde  seo  abbodisse  159. 
166.  187.  189;  ge  ges^vysternuni  153,  odde  |)a  geswysterna  159, 
odde  selce  geswyster  163,  odde  geswysternum  168.  188.  Meh- 
rere Zeilen  sind  aus  diesem  Grunde  hinzugefügt  176 — 180  tind 
204 — 207.  Diese  Einschaltungen  haben  dann  awc/i  gif  hit  mune- 
cas  synd  134.  195,  gif  hit  {)onne  munecas  s}ti  207,  mid  muue- 
cum  169  nach  sich  gezogen  und  die  erweiternde  Wiedergabe  der 
Vorlage  Z.  180—186  veranlafst  (vgl.  seo  rsedestre  181  für  ideni 
diaconus,  hyre  184,  heo  186).  Von  sonstigen  Zusätzen,  die  mehr 
als  blofse  Erläuterungen  sind,  erwähne  ich  micelre  39,  welgestem- 
nede  45,  on  maran  ylde  48,  aene  87,  sefter  J)am  Credo  u.  s.  w.  92, 
and  J)ajt  swa  tet  8egh\v}dces  tidsanges  ende  healdeu  99  /.  Er- 
weiterungen aus  stilistischen  Gründen  oder  Erläuterungen  finden 
sich  z.  B.  aelce  sunnandage  2  f.,  |)e  |)«s  altares  penunge  on  piere 
wucan  healdan  sceal  2  /',,  Jüet  is  |)a3re  maran  halgunge  foi-dgang  7, 
lerest  pinga  8,  dililuni  9,  gegaderode  10,  |)e  hy  to  gad  14,  hit 
cume  to  pisse  endunge  15,  |)e  J)8er  to  gebyriad  23,  peere  cyrieau  25, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV. 


18  Ein  weiteres  Bruchstück  der  Regularis  concordia 

be  I)am  candelau  28,  aefter  {)am  godspelle  28,  J)a  selfan  palm- 
twiga  29,  selfan  30,  I)jet  is  ures  drihtnes  |)ro\vnng  30  f.,  I)8et  is 
gearcunge  dsege  33  f.,  peah  32,  |)e  we  batad  {)üne  punresdseg  a^r 
eastran  36  f.,  mid  gedremum  swege  45  /'.^  singen  |)us  47,  swig  ui 
swiguhtan  57  und  swigdagum  80,  micla  59,  ealles  64,  |)rowunge  65, 
hluttorlice  {)urh  J)as  tacnunge  wsere  onwrigen  65  /".  (vcjl.  62),  on 
pissa  boca  muniic|)eawe  67,  buton  him  selfon  |)e  bet  licie  72, 
maegen  78,  on  |)a  ylcan  wisan  sy  gesungen  79  u.  s.  iv. 

Es  sei  auch  auf  einige  Umschreibunge»  liingeiviesen :  ordi- 
natim  =  and  on  J)am  gange,  ealswa  hit  on  selcum  gebyred,  heal- 
dan  heora  endebyrdnesse  11  /'.;  euangelii  antiphona  =  pses  anti- 
fenes,  |)e  mon  on  ende  be  |)an  halgan  godspelle  singp  43  f.; 
repertus  =  aredod  and  to  gewunan  geset  59;  perculit  =  |)earle 
swide  bregde  62 ;  si  quibus  deuotionis  gratia  complacuerint  = 
gif  hit  hwam  gelicad,  |)8et  he  mid  estfulnesse  f)isne  gewunan  to 
anbryrdrnesse  healdan  wile  68  /'. ;  capitula  canonici  cui'sus  = 
canonica  tidsangas  todseledum  sealmum  75;  eadem  capitula  =r 
{)a  selfan  angin  {)8era  toda^leclan  sealma  (fJTi  /. ;  cetera  =  {)a 
gebeda,  {)e  to  {)am  tidsange  gebyriad  89  /'. ;  caetera  =  eUes  seo 
laf,  {)e  |)8er  ofer  is  104;  ex  integro  =  of  anginne  6p  {)am  ende 
112;  secundum  arbitrium  =  aefter  .  .  ,  dorne  and  dihte  131. 

Oft  ist  die  Übersetzung  frei:  maior  restat  processio  agenda 
=  seo  processio  paes  daeges  laengre  is  1  f.;  agatui*  a  sacerdote 
tantum  conspersionem  et  benedictionem  agente  =  se  maesse- 
preost  .  .  .  begange  |)a  mynstres  hus  and  mid  haligwaetere  be- 
sprenge 4  ff. ;  in  qua  ita  ...  agatur  =  J)8et  is  {)onne  on  |)as 
wisan  8;  quod  sequatur  benedictio  palmarum  =  aefter  |)issum 
syn  {)a  palmtwiga  gebletsode  16  /'. ;  thus  cremetm-  r=  (syn  |)a 
palmtwiga)  mid  recelse  besmocode  18;  egrediantur  =  gan  to 
paere  heafodcyrican  und  dann  aetforan  paere  dura  =  ante  aeccle- 
siam  21  /'. ;  oumibus  .  .  .  respondentibus  =  aet  aelces  ferses  ende  eal 
J)aet  wered  |)«r  ute  . . .  andswarigen  23  /'.;  quinta  feria,  qua?  et 
<:;ena  domini  dicitur  --  on  cena  domini,  paet  is  on  drihtenes  gereor- 
de  36;  peracto,  quicquid  ad  cantilenam  illius  noctis  pertinet  = 
aefter  |)aere  geendunge  ealles  paes  sanges,  J)e  mon  to  J)aere  nihte 
sing])  41  f.;  nihilque  iam  cereorum  luminis  remanente  ■=:  acwun- 
cenum  eallum  leohtiun  44;  demum  pueri  dexterioris  chori  repe- 
tant,  quae  supra,  eodem  modo,  quo  supra,  usquequo  chorus  finiat 


in  altenglischer  Sprache.  19 

quse  supra  =  edniwan  |)a  cild  on  pam  suctportice  ]}set  seife,  |)8et 
we  ser  cwiTedou,  geedlsestan  and  |)a  odre  ealle  eac  swa,  ealswa  hit 
gecweden  is  50  ff.;  agant  tacitas  genu  flexo  raore  solito  preces  = 
ealle  eudemes  to  cneowgebeduin  feallan  and  mid  dihlum  gebedum 
gewunelice  mid  micelre  anbryrdnesse  him  to  Criste  geserendian 
and  ealle  endemes  mid  tacne  J)ajs  ealdres  ariseu  53  ff. ;  habeant 
in  bis,  unde  huius  rei  ignaros  instruant  =  hsebbe  gewriten,  hu 
he  hit  don  scyle  and  odre  gelseran,  |)e  on  J)am  ne  synd  getogene 
69  /'. ;  cum  summo  uigilantes  silentio  agant  =  wacien  hi  mid 
godes  bletsunge  and  mid  healicre  gymyne  heora  swigenne  heal- 
dsende  {)8et  began  83  ff.;  u.  s.  w. 

Von  Ungenauigkeiten  seien  erirähnt:  Singular  statt  des  Plu- 
rals |)isne  antifen  =  antiphonas  19;  Plural  statt  des  Singulars 
letanias  =  letaniara  113;  Konjunktiv  statt  des  Indikativs  sy  ge- 
cweden =  dicitur  31.  74,  sy  geandswarod  =  respondetur  32, 
syn  gesungene  =  dicuntur  78,  cweden  ^=  dicitur  91,  sy  geseald 
=  prajbetur  153;  Präs.  des  Pass.  statt  Per  f.  des  Deponens  weord 
ongunnen  =  exorsum  est  41.  Vgl.  ferner  gif  h}'  swa  willan  = 
qui  uoluerint  82;  ne  =  rainime  151;  dagum  =  passionibus  33; 
urne  drihten  =  Christum  64;  rsedinge  ^=  euangelio  193;  odrum 
=  insequentium  152.  Z.  30  ist  offerant  in  der  Vorlage^  das 
dem  vorhergehenden  teneant  parallel  stellt^  statt  durch  offrigan 
durch  ofPrige  loieder gegeben  tvorden,  so  dafs  es  sich  an  o])  |)ait 
man  sefter  paere  offrunge  |)one  offerendan  singe  (=  usque  dum 
offertorium  canetur)  anschliefst.  Z.  2  ist  der  Nom.  illa  für  den 
vom  Komjjarativ  maior  abhängigen  Ablativ  genommen  und  so 
durch  |)onne  seo  übersetzt  worden.  Wenn  es  23  heifst  mid  {)am 
fersum  eallum,  so  hat  der  Übersetzer  offenbar  cum  uersibus  Om- 
nibus verbunden^  freilich  dann  omnibus,  das  zu  respondentibus 
gehört,  auch  noch  Z.  24  durch  eal  J)8et  wered  |){er  ute  ausge- 
drückt. 

Es  fragt  .nch  nun  zunächst,  ob  die  Übersetzung  vielleicht 
Benützung  der  Interlinearglossen  in  Tib.  A  ITI  verrät.  Chrono- 
logisch wäre  das  möglich,  da  die  Cambridger  Hs.  nach  Wanleg 
p.  137  circa  tempus  conquisitionis  Anglise  zu  setzen  ist,  dagegen 
die  Londoner  nach  demselben  Gewährsmann  p.  193  ante  cou- 
quisitionem  Angliie,  nach  Breck  a.  a.  0.  p.  8  sogar  noch  ins 
10.  Jahrhundert.    Schipper  hat  nun  auch  die  Güte  gehabt,  mir 

2* 


20  Ein  weiteres  Brucbstü(-k  der  Regularis  conconlia 

den  Anfang  der  Glossen  zu  dem,  uns  hier  beschäftigenden  Ah- 
schnitt  der  Regularis  concordia  (fol.  Ib  v.  Mitte  bis  Ende)  ab- 
zuschreiben^ und  ich  teile   ihn  hier  mit. 

On    drihtenlicum    daege    palmena    for{)i{)e    mare   wunaj)    embegang 
Dominica  die    pahiiarum,     qiiia     maior    restat     processio 

to  doune   seo    J)e   gewun  ys  on  claustre   beon  gedon    on  gemang   {jienne 
(({fenda,    illa,  qucB      solet        in    daustro  agi,  interim,         dum 

capitel-     msesse    byd  gesungen    si   gedou    fram    mfessepreoste    ^cft   an 
niatutinalis  missa  canitiir,  agatiir  a  sacerdote         tantum 

sprencginge  and  bletsunge  dondum  geenddudre  {isere  messau  si  gedou 
conspersionem  et   henedictimieni    agente     .    ßiiita  illa     missa     agatur 

seo  mare  embegang  on  {)sere  swa  on  serran  we  cwsedon  to  doune  swa 
illa  maior  processio,    in    qua,   sicut   in   priori      diximtis       ageiidum,    ita 

bit  si  gedon  \)a:t  ys  {)8et  to  {)8ere    cyrceau    J)ar  |)a  palman   synd    under 
agatur;        id    est,    ut    ad  illam  ecclesiam,,  ubi      palmce       sunt,     sub 

swigeau  be  endebyrduysse  gau  uuderdeodde  sealmsange  ealle  gif  Mt  beon 
silentio         ordinatim         eant        dediti  psalmodice  omnes,     si  fieri 

mseg  and  weder   ge{)afa{)  mid  albau  gesrydde  >  J)ydder  Jjsenue  in  becumaf) 
potest     et     aura  permiserit,     albis         iuduti    .     qiw       cum     peruenermt, 

dou  gebedd  J)£es  halgau  biddende  fultumes  {)iuguüge  j^am. 
agant  orationem  ipsius    sa/icti    i/tiplorantes      auxilii    intercessionem,  eui 

seo  cyrre  •  gehalgud  ys  geendedum  gebede  fraui  diacone  si  rsedd  J)«< 
ecclesia        dedicata    est.      finita        oratione      a       diacono    legatur  euan- 

godspell  J)«<     fylige 

gelium  Turba  multa  usque  Mundus  totus  post  ipsum  abiit.     qiiod  sequatur 

bletsung  pealmeua  aefter  bletsuuge  beon  gespringede  '  mid  geblesudum  ' 
benedictio  palniariim ;  post  henedictionem     aspergantur  benedicta 

waetere  and  stör  si  ba^rued  |)ar  sefter  cildum  oncyunedum '  autefnas 
aqua      et    thus  cremetur  .  dehinc     pueris    inchoantibus  atttiphonas  Fueri 

beou  gedselede  {)a  palmau  and  swa   maran     antefnuw^ 
Hebreorum    disfribuantur  ipse  palme,    et    sie  maioribus  atitiphonis  u.  s.  w . 

Hätte  der  Übersetzer  die  Glossen  vor  sich  gehabt,  so  hätte 
er  gewifs  das  lat.  processio  Z.  1  und  7  ebenfalls  durch  das 
ganz  passende  embegang  wiedergegeben,  hätte  Z.  2  illa  nicht 
für  den  Ablativ  genommen  und  würde  häufig  dem  Glossator 
gefolgt  sein,  ivo  seine  wörtliche  Übersetzung  nicht  dem  Geist 
der  englischen  Sprache  widerstreitet.  Nirgends  findet  sich 
eine  Übereinstimmung ,  die  nicht  auch  ohne  die  Annahme 
eines  Zusammenhangs  der  Übersetzung  und  der  Glossen  er- 
klärlich wäre. 


so  die  Handschrift. 


in  altenglischer  Sprache.  21 

Eine,  zweite  Frage  ist  sodann^  ob  das  hier  mitgeteilte  Bruch- 
stück, das  tvir  C  nennen  ivollen,  etwa  derselben  Übersetzung 
der  Regularis  concordia  angehört,  toie  das  von  Schröer  in 
den  Englischen  Studien  IX,  294  ff.  und  von  Breck  a.  a.  0. 
y.  16  ff.  aus  Tib.  A  m  fol.  174 r  ff.  veröffentlichte  (=  L). 
Die  Frage  iväre  zu  verneinen,  tvenn  Breck  seine  Behauptung 
(a.  a.  0.  p.  11  ff.),  dafs  L  alles  enthalte,  ivas  der  Verfasser 
von  dem  lateinischen  Original  überhaupt  übersetzt  habe,  wirk- 
lich betüiesen  hätte.  Allein  der  einzige  Grund,  den  er  dafür 
vorbringt,  ist  der  Umstand,  dafs,  während  die  ersten  fünf 
Seiten  von  L  vollgeschrieben  sind,  fast  die  ganze  untere  Hälfte 
der  sechsten  leer  gelassen  ist  und  die  Übersetzung  mitten  in 
einem  Satze  aufhört.  'From  this/  sagt  er  p.  12,  *I  conclude 
that  the  author,  who  had  abimdant  room  on  the  page  to  finish 
at  least  the  sentence  begun,  intentionaUy  left  the  Fragment  in- 
complete,  as  we  have  it.'  Breck  hat,  als  er  diesen  Schlufs 
machte,  nicht  daran  gedacht,  was  er  sonst  sehr  ivohl  weifs 
(vgl.  p.  13),  dafs  wir  in  L  keineswegs  das  Autograph  des 
Verfassers  haben.  Also  die  sechste  Seite  hat  nicht  der  Ver- 
fasser, sondern  ein  späterer  Kopist  zum  Teil  unbeschrieben 
gelassen:  der  Grund  kann  sehr  wohl  der  gewesen  sein,  dafs 
er  im  Augenblick  nicht  Zeit  oder  Lust  hatte,  mehr  abzuschrei- 
ben, und  später  nicht  mehr  dazu  gekommen  ist,  seine  Arbeit 
fortzusetzen.  (J  zeigt  nicht  blofs  am  Ende,  sondern  auch  am 
Anfange  leeres  Pergament  (s.  oben  S.l):  hier  hat  der  Schreiber 
aus  uns  freilich  unbekannten  Gründen  nur  einen  mittleren  Ab- 
schnitt aufgezeichnet,  hatte  aber  wohl,  nach  dem  unbeschrie- 
benen Räume  zu  schliefsen,  die  dann  allerdings  nicht  ausge- 
führte Absicht,  auch  den  Anfang  und  Schlufs  nachzutragen. 
Dafs  C  nicht  etwa  von  Anfang  an  Bruchstück  war,  scheint 
mir  namentlich  aus  dem  Verfahren  des  Übersetzers  Z.  27  zu 
folgern.  Das  Original  giebt  hier  eine  unbestimmte  Hinweisung 
auf  einen  früheren  Abschnitt  mit  den  Worten  sicut  supra  dic- 
tum est.  Hätte  nun  jemand  etioa  nur  die  Partie,  die  den 
Palmsonntag  und  einen  Teil  der  Karwoche  behandelt,  zur 
Übersetzung  her aris gegriffen,  so  hätte  er  den  eben  angeführten 
Satz  entioeder  in  ganz  mechanischer  Weise  wörtlich  übersetzt 
oder,   ivenn  er   mit  einigem  Nachdenken  verfuhr,    als   für    ihn 


22  Ein  weiteres  Bruchstück  der  Regularis  concordia 

bedenitingdo.s  ircjjf/elasseu:  icer  aber  schreibt  eallswa  we  wifl- 
foran  cwiedou  be  I)am  candelan,  imifs  auch  den  Abschnitt^  auf 
den  hier  an  (je.  spielt  icird  (vgl.  oben  die  Anmerkung  zu,  27  f.), 
übersetzt  haben. 

Also  von  vornherein  ist  die  Möglichkeit,  dafs  C  und  L 
Bruchstücke  derselben  Übersetzung  seien,  nicht  ausgeschlossen ; 
aber  zur  Entscheidung  der  Frage  reicht  das  Material,  scheint 
mir,  nicht  aus.  Für  die  Zusammengehörigkeit  lä/'st  sich  gel- 
tend machen,  dafs  im  grofsen  Ganzen  das  Verhältnis  des  eng- 
lischen Textes  zum  lateinischen  in  beiden  Stücken  dasselbe  ist. 
Auch  in  L  bleibt  manches  unübersetzt :  gratia  6.  43,  cum  benc- 
dictione  10  (an  dessen  Stelle  nur  {)us),  legitime  13,  uaturse  und, 
sie  31,  intrans  34,  conspectu  36,  uti  in  sequentibus  47,  et  70. 
130,  gradimm  oder  singillatim  81,  pulsatis  86,  uero  91,  et  con- 
uenit  99,  diei  104,  deiiote  134,  more  solito  137.  Auch  Zusätze 
erscheinen  häufig:  lialigaD  14.  74,  halgan  109,  Beuedictus  15,  for 
|)am  |)e  17,  selcum  17,  telcere  122,  eab-a  20,  eal  28.  33  (vgl,  63), 
brodru  35,  seofan  45.  134,  he  bidde  49,  Miserere  —  I)ingieude 
58 — 60,  and  for  eallum  uruni  Aveldondimi  61  /'._,  I)sere  65,  eallum 
&7,  gebrodrum  75  f.,  J)oune  78.  123.  129  u.  s.  u\  Freiere  Wieder- 
gabe zeigen  Stellen  loie  to  |)are  gewunelican  neode  :=  ad  necessi- 
tudinis  usimi  101;  ou  heora  gebedum  =^  orationibus  dediti  102; 
senne  :==  antiphonam  109  ({)one  antemp  geht  vorher);  be  I)ses 
halgan  arwurdnysse,  |)e  byd  gewm-dod  on  I)8ere  audweardan  cyr- 
cean  =  de  sancto,  cuius  ueneratio  in  prsesenti  coHtur  ecclesia  110  /".; 
be  I)8ere  cyrichalgmiga  =  de  ipsius  loci  consecratione  112;  softer 
De  Omnibus  sanctis  =  post  quas  laudes  117;  I)ser  betwynau  =^ 
psalmo  interposito  135.  Von  Ungenau igkeiten  seien  erwähnt: 
singon  =  intercanitur  140;  he  begyte  =  obtineat,  wobei  uox,  loie 
im  vorhergehenden  Satze,  Subjekt  ist^  42;  {)am  J)e  =  quod  19; 
odran  =  matutinales  114;  on  dsegderlicum  dagum  and  nihtum  = 
diuruis  sine  nocturnis  lioris  3  f.;  J)ass  pelmihtigau  scyppendes  = 
cuncta  (die  Hs.  cimcti)  creantis  19  /'.;  ealswa  hi  standad  81,  mag 
es  für  graduum  oder  singiUatim  stehen. 

Dafür,  dafs  die  Bruchstücke  aus  verschiedenen  Über- 
setzungen stammen,  könnte  geltend  gemacht  werden  einmal  der 
Umstand,  dafs  sich  C  loeniger  sklavisch  als  L  an  die  Worte 
u)ul   Konstruktionen   (vgl.  Breck  jj.  13)    des    Originals    bindet. 


iu  altenglischer  Sprache.  23 

sodann  aber  die  Thatsache^  dafs  L  viel  mehr  Mifsverständnisse 
des  lateinischen  Textes  zeigt  als  C.  Breck  p.  13  erwähnt  aller- 
dings nur  ein  einziges:  'A.  wrong;  translation  will  be  fouucl  in 
line  141  pas  ttcegen  sealmos,  where  the  Latiu  text  gives  but  one 
psalm  to  be  sung  twice/  Übrigens  hat  hier  Breck  selbst  das 
Lateinische  rai/'sver standen.  Das  Zeichen  II  hinter  In  te,  do- 
mine, speraui  besagt  nicht,  dafs  der  Psalm  ziceimal,  sondern 
dafs  von  den  beiden  Psalmen,  die  mit  In  te,  domine,  speraui 
anfangen,  30  und  70,  der  letztere  gesungen  iverden  soll.  Das 
hätte  Breck  aus  Z.  126  seines  Bruchstilckes  lernen  können, 
wo  die  Worte  des  Originals  Domine,  ne  in  furore  tuo  .II.  ivieder- 
gegeben  sind  durch  J)one  seftran  Domine,  ne  in  furore  tuo  (hier 
ist  also  37,  nicht  6  gemeint  j  vgl.  auch  Schröer,  Engl.  Studien 
IX,  295,  Anm.  9  und  oben  Anm.  zu  107).  Ferner  ist  dies,  nne 
schon  angedeutet,  keineswegs  das  einzige  gröbere  Versehen  in  L. 
Bald,  am  Anfange  ist  omnia,  welches  Subjekt  zri  inchoentiu'  ist, 
zu  deyn  vorhergehenden  gezogen  ivorden,  das  der  Übersetzer  in 
der  Gestalt  exordia  sumenda  vor  sich  gehabt  oder  sich  gedacht 
haben  mufs :  so  erklärt  sich  auch  Z.  5  synd  to  nimene  eaUe 
anginnu.  Bei  hie  igitur  maximi  muniminis  mos  ist  hie  Z.  11 
fälschlich,  wie  übrigens  auch  vom  Glossator  in  Tiberius  A  EQ, 
durch  her  statt  durch  J)es  übersetzt  ivorden,  dann  maximi  muni- 
minis durch  |)8es  halgan  regoles  (durch  msestre  wäre  vom  Glos- 
sator). Für  die  Worte  etiam,  si  singuli  quippiam  inchoaueriut 
leseii  u:ir  Z.  15  |)eah  |)e  aenlypige  senigne  oderne  agynne,  tvozu 
sich  der  Übersetzer  icohl  aus  dem  vorhergehenden  J)eaw  gedacht 
hat.  Gleich  dahinter  ist  intermittatur  unter  Verwechselung  mit 
permittatur  durch  sy  ge|)afod  wiedergegeben.  Z.  80  kann  frei- 
lich fiftynum  sealmum  ein  durch  die  vielen  Dative  auf  -um, 
die  vorangehen,  veranlafster  Schreibfehler  statt  fiftyne  sealmas 
sein.  Aber  ti.nzweifelhaft  liegt  ein  Versehen  des  Übersetzers 
vor,  wenn  es  Z.  115  f.  heifst  to  |)8es  halgan  reliquie  odde  to 
|)am  portice,  f)e  he  byj)  to  gehalgod.  Das  Original  hat  ad  uene- 
rationem  sancti,  oui  porticus,  ad  quam  itm*,  dedicata  est.  Z.  129 
ist  primimi  adverbiell  gefafst  und  daher  durch  serest  statt 
durch  {)one  forman  oder  serran  übersetzt  und  infolge  dessen 
dann  auch  das  mit  primum  parallel  stehende  sequentem  ganz 
weggelassen    ivorden.      Auch    der   letzte    vollständig    übersetzte 


24  Ein  weiteres  Bruchstück  der  Regularis  concorrlia. 

Satz  isl  mißraten.  His  uero  finitis  subsei^uatur  ketania,  quam 
uniuerso  (lies,  loie  bei  Duydah;,  universi)  more  solito  prostrati 
humiliter  uiillo  excepto  signo  pulsato  compleant  keifst  es  im 
Original.  Die  Ühersetzung  Z.  136  ff.  lautet  I)ysum  sodlice 
geendoduni  licgan  lii  ealle  eadmocllice  astrehte  setforau  {)am  weo- 
fode  buton  selcere  cuuciinge  odde  styrunge,  od  liit  beo  eal  ge- 
fylled.  Klar  ist,  dafs  der  Übersetzer  excepto  übersehen  U7id 
deshalb  nullo  signo  pulsato  zusammengenommen  hat:  aber,  ivas 
ihn  veranlafst  hat,  das  Übrige  so  wiederzugeben,  icie  er  ge- 
than,  ist  mir  unerfindlich. 

Aber  mit  Sicherheit  ist  auf  zwei  verschiedene  Übersetzer 
trotz  der  angeführten  Gründe  deshalb  nicht  zu  schliefsen,  weil 
es  denkbar  ist,  dafs  derselbe  Mann  bei  fortschreitender  Übung 
einmal  weniger  Fehler  machte,  andererseits  auch  den  Sinn  des 
Originals  mit  gröfserer  stilistischer  Freiheit  wiedergab. 

Dafs  uFlfric  der  Übersetzer  des  Bruchstückes  L  sein 
könnte,  wie  auch  noch  Breck  p.  9  f.  annimmt,  glaube  ich  ent- 
schieden bestreiten  zu  müssen.  Was  Breck  zur  Stütze  seiner 
Annahme  vorbringt,  betceist  gar  nichts.  Die  Ausdrücke  ende- 
byrdness,  mid  eadmodre  J)enmige,  eornostlice  für  eine  lat.  Kon- 
junktion, onbryrdnesse,  eac  swylce,  endebyrdlice  sind  durchaus 
nicht  JElfric  allein  eigen,  tvie  schon  ein  Blick  in  die  Lexica, 
zeigt.  Sie  fallen  nicht  im  mindesten  ins  Gewicht  gegenüber  den 
vielen  groben  Mifsverständnissen  des  Originals,  die  sich  der 
Verfasser  der  lateinischen  Grammatik  und  des  Colloquiiims 
gewifs  nicht  hätte  zu  schulden  kommen  lassen. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 


Kritisch  -  ästhetische  Studien 

über 

James  Thomsons  Tragödien. 


Es  ist  bekannt,  wie  gar  traurig  und  kläglich  es  um  das 
Drama  und  die  nationale  Kunstbühne  Englands  im  17.  Jahrhun- 
dert bestellt  war.  Seitdem  im  Jahre  1647  auf  Befehl  der  streng 
orthodoxen  Puritaner,  die  leichter  ihren  legitimen  Souverän  töten 
als  einen  lustigen  Scherz  vertragen  konnten  (vgl.  Drydens  Ab- 
handlung über  die  heroische  Tragödie),  sämtliche  Theater  Eng- 
lands geschlossen  worden  waren,  und  alles,  was  an  die  Bühne 
und  das  Bühuenwesen  erinnerte,  verpönt  worden  war,  kamen  nur 
ganz  vereinzelt  heimliche  Aufführungen  vor,  und  diese  wm-deu 
meist  aufgehoben  und  mit  grolser  Strenge  bestraft  (vgl.  Collier, 
ffist.  of  Dram.  Poetry  Bd.  2,  p.  104  ff.).  Der  Oberregisseur  der 
Bühne,  Sir  William  Davenant,  durfte,  wenn  die  Puritaner  wirk- 
lich wieder  einmal  gnädig  genug  waren,  die  Theater  nach  langen 
Pausen  öffnen  zu  lassen,  nur  Stücke  moralischer  Tendenzen  und 
Muster  moralischer  Tugendhelden  über  die  Bretter  gehen  lassen.  Mit 
der  Restauration  der  Stuarts,  der  Heimkehr  Karls  IL  nach  Eng- 
land, schien  es,  als  ob  sich  die  niedergedrückte  und  verkümmerte 
Bühne  A^neder  aufrichten  wollte,  und  neue  Hoflfhungeu  knüpften 
sich  an  die  glänzende  Wiedereröffnung  derselben.  Allein  diese 
Hoffnungen  soUten  sich  leider  nicht  verwirklichen.  Karl  H.  stand 
infolge  seines  jahrelangen  Aufenthalts  in  Frankreich  am  Hofe 
des  kunsthebendeu  Ludwigs  XLV.  ganz  unter  dem  Einflüsse  des 
französischen  Klassicismus  oder,  besser  gesagt,  Pseudoklassicismus 
und  wünschte  um-  solche  Stücke  in  England  aufgeführt  zu  sehen. 


26       Kritisch-ästhetische  Studien  ül)cr  Jauics  Thumsous  Tragödien. 

die  iiu  Sinne  und  Geiste  der  klassischen  Dichter  der  Franzosen 
abgefal'st  waren. 

Nun  waren  aber  in  den  ersten  Jalu'cn  der  Eestaurationszeit 
zum  Heil  und  Segen  für  England  sowohl  bei  den  Dichtern  als 
ganz  besonders  bei  den  Gebildeten  die  Erinnerungen  an  die 
klassische  Litteraturopoche  unter  der  Regierung  der  Königin 
Elisabeth  und  vor  allen  anderen  Dichtern  an  den  grofsen  Na- 
tionaldichter Shakspere,  dessen  Stücke  immer  noch  als  Muster 
der  tragischen  Dichtung  galten,  noch  nicht  erloschen,  und  es  ent- 
standen durch  eine  seltsame,  unnatürliche  Verquickung  nachwir- 
kender volkstümlich  altenglischer  Anschauungen  und  eindringen- 
der französischer  pseudoklassischer  Vorbilder  die  sogenannten 
'Heroic  Plays',  Stücke  tragischen  Inhalts,  die  aber  auf  den  Namen 
einer  kunstmäfsigen  Tragödie  Avenig  oder  vielmehr  gar  keinen 
Anspruch  erheben  können,  deren  Blüten  und  Früchte  ebenso 
schnell  wieder  abfielen  mid  vergingen,  als  sie  aufgebrochen  und 
gereift  waren. 

Dryden,  der  hervorragendste  Dramendichter  der  englischen 
Restaurationszeit,  wie  überhaupt  des  ganzen  17.  Jahrhunderts, 
wai'  mit  den  Stücken  nach  französischem  Zusclmitt,  so  nament- 
lich mit  der  Aufführung  des  'Siege  of  Rhodes'  von  Daveuant 
durchaus  nicht  zufrieden;  er  tadelte  au  den  aus  der  französischen 
Riclitung  hervorgegangenen  Dramen  die  langweilige  Einförmigkeit 
der  Handlung  und  der  Charakteristik  und  schrieb  selbst  eine 
Reihe  von  Heldentragödien,  lauter  Spektakelstücke,  in  denen  er 
durch  Geisterspuk  imd  Schlachte ulärm  an  Shakspere  erinnern 
und  durch  die  Wahl  heroischer  Stoifc  und  gereimter  Verse  die 
Franzosen,  namentlich  Corneille  befriedigen  wollte.  Wie  viel  oder 
wie  A\enig  von  all  diesen  in  schneller  Reihenfolge  verfal'sten 
Heldentragödien  (Heroic  Plays)  zu  halten  ist,  darüber  hat  sich 
Hettner  in  seiner  englischen  Litteraturgeschichte,  Braunschweig 
1872  (vgl.  den  Abschnitt  über  Dryden  S.  84  £F.),  hi  kompetenter 
und  streng  kritischer  Weise  ausführlich  geäufsert.  Trotzdem  er- 
reichte die  von  Dryden  geschaffene  Heldentragödie  eine  Zeit 
lang  die  unbedingteste  Anerkennung,  und  es  hatte  wirklich  den 
Anschein,  als  ob  sie  sich  dauernd  auf  der  englischen  Bühne 
halten  wollte.  Als  jedoch  Drydens  Heldentragödien  durch  'The 
Reheai'sal'    köstlich    parodiert    wurden,    da    war   es    mit    diesen 


Xritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       27 

Stücken  auf  iuuiier  vorbei,  imd  Diytlen  selbst  schlägt  einen  ganz 
neuen  Weg  ein.  Er  entfernt  sich  zwar  durch  das  Aufgeben  der 
gereimten  Verse  von  den  französischen  Vorbildern,  nähert  sich 
ihnen  aber  desto  mehr  im  Stil  und  in  der  Charakteristik,  so  dals 
seine  letzten  Stücke  entschieden  französischer  zu  nennen  sind 
als  seine  Erstlingswerke.  Für  die  damahge  Zeit  waren  übrigens 
trotz  alledem  die  Drydenschen  Dramen  der  zweiten  Periode 
nicht  ohne  Wert,  wenn  sie  auch  heutzutage  gänzlich  von  der 
Bühne  verschwunden  sind  imd  nur  noch  für  den  Litterarhistoriker 
und  Sprachforscher  von  Fach  Bedeutung  haben.  Während  nun 
die  Tragödie  so  seltsame  Blüten  trieb  und  so  verkümmerte 
Früchte  zeitigte,  war  die  Komödie  in  wirklich  ganz  grauenvoller 
Weise  entsittlicht.  Sie  war  die  getreue  Abspiegelung  des  I^ebens 
am  Hofe  der  Stuarts,  wo  mit  Karl  II.  ein  König  an  der  Spitze 
stand,  der  zusammen  mit  seinem  glänzenden  Hofstaate  durch 
eine  entsetzhche  Verwilderung  der  Sitten  für  Dichter  und  Volk 
ein  schlechtes  Beispiel  abgab.  Wie  sich  aber  die  Extreme  stets 
berühren,  so  blieb  auch  hier  eine  Reaktion  nicht  aus,  und  an 
die  Stelle  des  verwilderten  Lustspiels  trat  das  streng  moralisie- 
rende Drama  mit  seiner  in  auffälliger  Weise  am  Schlüsse  der 
Stücke  ausgesprochenen  Tugendmoral.  Diese  Tugendstücke  waren 
nun  freilich,  ebenso  wie  die  Romane  Richardsons,  inhaltlich  meist 
recht  wenig  moralisch,  wollten  aber  gerade  durch  die  Schluls- 
moral  dem  Zuschauer  ein  abschreckendes  Beispiel  geben  und  ihm 
warm  ans  Herz  legen,  es  nicht  so  zu  machen  wie  die  handelnden 
Personen  im  Drama.  Wie  gefährlicli  solche  negativ  ausgedrückte 
Moralregeln  werden  können  und  werden,  braucht  wohl  kaum  erst 
betont  zu  werden.  Um  die  Zeit  der  Herrschaft  des  moralisie- 
renden Dramas  schrieb  Thomson  seine  Tragödien. 

James  Thomson  (vgl.  zu  Thomsons  Leben  1.  llcttncr,  Ge- 
schichte der  englischen  Litteratur  von  1660 — 1770,  Braunschweig 
1872;  2.  Sara.  Johnson,  Lives  of  English  Poets  in  II,  305  der 
Tauchnitz-Ausgabe),  ein  Schotte,  wurde  zu  Ednam  in  der  Graf- 
schaft Roxbm'gh  am  11.  September  1700  geboren.  Sein  Vater, 
der  presbyterianischer  Geistlicher  war,  erfreute  sich  infolge  seiner 
echt  religiösen,  frommen  Gesinnung  und  der  treuen  Erfüllung 
seiner  Berufspflichten  der  allgemeinen  Liebe  und  Achtung  der 
in    der    Nachbarschaft    von    Roxburgh    Avolmeudeu  Geistlichkeit. 


28       Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien. 

Der  Juuge  'riiomsou  bezog  kurze  Zeit  vor  dem  Tode  seine.s  treu 
sorgenden  Vaters  die  Universität  Edinburgh.  Nach  dem  Tode 
des  Vaters  nahm  sich  Riccaltoun,  ein  GeistUcher  von  gediegener 
Bildung,  grolser  Gelehrsamkeit  und  feinem  ästhetischem  Ge- 
schmack, des  vaterlosen  Thomson  au,  sorgte  für  seine  weitere 
Ausbildung  und  entdeckte  die  in  seinem  jungen  Zöglinge  schlum- 
mernden Talente  für  die  Dichtkunst.  Thomson  ^v^dmete  sich 
gleich  wie  sein  Vater,  wohl  weniger  aus  Neigmig  als  vielmehr 
auf  Wunsch  seiner  Mutter  und  Freunde,  dem  Studium  der  Theo- 
logie imd  war  ein  eifriger  Zuhörer  des  gelehrten  Professors 
Hamilton  an  der  Universität  Edinburgh.  Hier  studierte  Thom- 
son nicht  blol's  die  lateinische  Sprache,  die  lateinischen  Klassiker 
und  die  in  lateinischer  Sprache  verfal'sten  englischen  Geistes- 
produkte, sondern  las  auch  gründlich  die  besten  englischen  Schrift- 
steller. Die  toten  lateinischen  Schriftsteller  befriedigten  sein  für 
die  Schönheiten  der  Natur  empfängliches  Gemüt  ganz  und  gar 
nicht,  und  er  bildete  seinen  Geschmack  an  Milton,  Addison  imd 
Pope.  Im  Jahre  1725  siedelte  er  nach  London  über,  nachdem 
er  vorher  eine  treflFliche  poetische  Exegese  über  einen  die  All- 
macht Gottes  und  die  Gröise  seiner  Werke  verherrlichenden 
Psalm  gegeben  hatte.  Diese  Exegese  fand  den  vollen  Beifall 
seines  Edinbiu-gher  Professors,  war  aber  nach  dessen  Aussage  viel 
zu  poetisch  und  schwungvoll  für  em  grofses  Publikimi  und  eine 
gewöhnliche  Zuliörerschaft.  Dieses  Urteil  besonders  veraulalste 
Thomson,  der  theologischen  Laufbahn  Lebewohl  zu  sagen  imd 
in  London,  wo  er  bald  iu  Forbes,  dem  Präsidenten  of  the  'Court 
of  Sessions',  einen  hohen  Gönner  und  Beschützer  fand,  seine 
ganze  Thätigkeit  auf  litterarische  Studien  zu  verwenden.  Er 
hatte  das  Manuskript  der  ersten  seiner  'Seasons',  des  'Winter^, 
mit  nach  London  gebracht  und  auf  den  Rat  seiner  Freunde,  be- 
sonders Mallets,  und  nach  nochmaliger  Überarbeitung  sein  Erst- 
hugswerk  der  Öffentlichkeit  übergeben,  im  März  des  Jalu'es  1726. 
Der  'Winter'  wm'de  vom  Publikum  mit  grofsem  BeifaU  aufge- 
nommen. Nur  die  Kritiker  von  Profession  hatten  allerhand  daran 
auszusetzen;  sie  tadelten  die  kühnen  Metaphern,  die  vielen  Neu- 
bildungen zusammengesetzter  Wörter,  Unebenheiten  des  Stils  etc. 
Es  folgten  sodann  in  ziemlich  kurzer  Zeit  die  übrigen  Jalu'es- 
zeiteu:    der    Sommer    im    Jahre    1727,    der   Früliling    1728    und 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsous  Tragödien.       29 

der  Herbst  in  der  Gesamt  -  Quartausgabe  im  Jahre  1730.  In 
der  Zwischenzeit  hatte  der  Dichter  auch  die  Tragödie  *Sopho- 
uisba'  geschrieben,  welche  im  Jahre  1729  mit  Beifall  über  die 
Bretter  ging.  Scherr  (vgl.  Joh.  Scherr,  Gesch.  d.  engl.  Litteratur, 
Leipzig  1874,  S.  150,  Anm.)  erzählt  allerdings  eine  Anekdote, 
wonach  durch  den  Ausruf  eines  Spafsvogels  im  Parterre:  'Oh, 
Jemmy  Thomson!  Jemmy  Thomson,  oh!'  das  Stück  so  gut  wie 
durchfiel.  —  1727  veröifentlichte  Thomson  sein  Gedicht  über 
Tsaac  Newton'  und  jiries  in  erhabener  Sprache  die  groisartigen 
Entdeckungen  dieses  genialen  Mannes.  Um  dieselbe  Zeit  er- 
schien auch  das  in  whiggistischer  Gesinnung  verfafste  Gedicht 
'Britannia',  worin  der  Dichter  die  Engländer  auffordert,  den  wider- 
rechtlichen Übergriffen  und  Anmalsungen  der  Spanier  in  Amerika 
rächend  ein  Ziel  zu  setzen.  Der  Erfolg  der  Jahreszeiten  war  so 
durchgreifend  und  glänzend,  dal's  sich  hochgestellte  Persönlich- 
keiten, darunter  auch  vornehme  Damen,  um  des  Dichters  Freund- 
schaft bewarben.  So  lernte  Thomson  den  Dr.  Ruudle,  Bischof 
von  Derry,  kennen,  der  ihn  so  warm  an  den  Lordkauzier  Talbot 
empfahl,  dafs  dieser  ihn  dazu  ausersah,  seineu  Sohn  Gharles 
auf  seinen  Reisen  auf  dem  europäischen  Kontinente,  besonders 
in  Frankreich  imd  Italien,  zu  begleiten.  Diese  Reise  w^ar  von 
hoher  Bedeutung  für  den  jungen  Dichter.  Es  eröffnete  sich 
ihm  eine  vollkommen  neue  Welt.  Er  lernte  neue  Länder,  neue 
Völker,  deren  Sitten  und  Gebräuche,  Künste  und  Wissenschaften, 
das  gewerbliche  und  merkantile  Leben,  fremde  Regieruugssysteme 
und  staatliche  Institutionen  kennen.  Nichts  von  Interesse  und 
Wichtigkeit  entzog  sich  dem  scharf  beobachtenden  Auge  Thom- 
sons. Die  Frucht  dieser  auf  seinen  Reisen  gemachten  Beobach- 
tungen war  das  bald  nac^h  seiner  Rückkehr  nach  England  ver- 
fafste Gedicht  'Upon  Liberty'.  Mitten  in  seinem  sorglosen  Schaffen 
und  Dichten  traf  ihn  ein  harter  Schlag,  den  er  lange  nicht 
verwinden  konnte.  Es  wurde  ihm  sein  treuer  Reisegenosse,  der 
junge  Talbot,  und  kurz  darauf  der  Lordkanzler  Talbot  selbst  durch 
den  Tod  entrissen.  Mit  dem  Tode  Talbots  verlor  er  auch  seineu 
Posten  als  'Secretary  of  Briefs'.  Der  Nachfolgei*  Talbots  liefs 
die  Stelle  zunächst  frei,  um  Thomson  Gelegenheit  zu  geben,  sich 
darum  zu  bewerben;  allein  der  Dichter  war  so  uiedergeschlageu 
und    so   gleichgültig  geworden,   dafs    es    ihm    uicht    in    den  Sinn 


80       KritiscJi-ästhetische  Studioii  iUxT  Jaiiies  Tlioinsons  Tra^rxlicn. 

kam,  auch  mir  den  geringsten  Schritt  in  dieser  Sache  zu  thuii. 
Mit  der  Zeit  Jedoch  trat  an  die  Stelle  seiner  niedergedrückten 
Gemütsstimmung  wieder  die  alte  heitere  Ungezwungenheit,  und 
er  wurde  wieder  schafFensfroh.  Im  Jahre  1788  wurde  seine  'JTa- 
gödie  'Agamemnon'  mit  Erfolg  auf  der  Bühne  aufgeführt,  und 
die  wiederholte  Aufführung  brachte  dem  Dichter  eine  beträcht- 
liche Summe  Geldes  ein.  Kurz  darauf  beginnt  für  den  Dichter 
eine  imgetrübte,  sorgenfreie  und  ehrenvolle  Lebenszeit.  Lord 
Lyttleton,  dem  Thomson  weder  persönlich  noch  durch  Empfeh- 
lungen guter  Freunde,  sondern  lediglich  durch  seine  Werke  be- 
kannt war,  führte  den  Dichter  am  Hofe  seiner  königlichen  Hoheit 
des  Prinzen  Friedrich  von  Wales  ein.  Dieser  setzte  Thomson 
ein  beträchtliches  Jahresgehalt  aus  und  -würdigte  ihn  seiner  be- 
sonderen Liebe  und  Freundschaft.  Im  Jahre  1739  erschien  die 
Tragödie  'Eduard  und  Eleouora'.  Die  Aufführung  dieses  au 
und  für  sich  durtthaus  harmlosen  Stückes  wurde  untersagt.  Die 
Ursache  dieses  Verbots  war  höchst  kleinlich  imd  lächerlich. 
Das  Ministerium  war,  so  erzählt  man  sich,  sehr  ärgerlich  über 
einige  theatralische  Aufführungen.  Es  fühlte  sich  verletzt  durch 
die  Tendenz  jener  Stücke  und  bewh'kte,  dafs  dm'ch  Bülmen- 
beschlufs  ilim  die  Revision  eines  jeden  neuen  Stückes  zuerkannt 
wm-de.  Der  Prinz  von  Wales,  aufgebracht  über  solche  wider- 
rechtliche Anmafsungen  und  seiner  Ansicht  nach  völlig  im- 
begründete Forderungen  seitens  des  Ministeriums,  erklärte  sich 
gegen  dasselbe.  Als  nun  Thomson,  der  im  Dienste  des  Prinzen 
stand,  seine  Tragödie  'Eduard  und  Eleonora'  zur  Aufführung 
gelangen  lassen  wollte,  mes  das  Ministerium  das  Stück  ab,  ohne 
es  überhaupt  zu  prüfen,  auf  den  blofsen  Umstand  hin,  dal's  ein 
vom  Prinzen  Abhängiger  es  geschrieben  habe.  Zu  bedauern  war 
es  übrigens  nicht,  dafs  die  Aufführung  unterblieb,  denn  Eduard 
und  Eleonora  zählt,  wie  später  gezeigt  werden  soU,  zu  den 
schwächsten  und  unbedeutendsten  Leistungen  Thomsons.  Im 
Jahre  1740  gab  der  Dichter  das  in  Gemeinschaft  mit  seinem 
Freunde  Mallet  verfafste  Maskenspiel  'Alfred'  (Masque  of  Alfred) 
heraus.  Das  Stück  war  im  Auftrage  des  Prinzen  von  Wales  für 
den  Hof  geschrieben  worden  und  wurde  am  Geburtstage  der  Prin- 
zessin Augusta  von  Wales  in  Clifden-House  gespielt.  1745  erschien 
'Tanered   und    Siffismunda'.     Diese   Trag-ödie   wurde   unter    rau- 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       31 

sehendem  Beifall  gespielt  und  hielt  sich  eine  geraume  Zeit  als 
Zugstück  auf  der  Bühne.  Im  Jahre  1748  publizierte  der  Dichter 
'The  Castle  of  Indolence\  Die  letzte  Tragödie,  'Coriolanus', 
wurde  erst  nach  dem  Tode  des  Dichters  auf  Veranlassimg 
Lord  Lyttletons  mit  Erfolg  Aviederholenthch  aufgeführt.  Die 
Aufführung  sowie  der  Verkauf  der  Manuskripte  und  Effekten 
des  Dichters  brachte  eine  Summe  ein,  welche  liinreichte,  seine 
Schulden  zu  bezahlen  und  seinen  Schwestern  noch  eine  Unter- 
stützung zu  gewähren. 

Thomsons  gewöhnlicher  Sommeraufenthalt  war  in  Richmond. 
Erlaubte  es  das  Wetter,  so  fuhr  er  auf  der  Themse  von  Ricli- 
mond  nach  London.  Eines  Abends  kam  er  erhitzt  in  Hammei'- 
smith  au,  nahm  ein  Boot  und  fulir  nach  Kew.  Er  erkältete  sich 
auf  dieser  Wasserfahrt  und  verfiel  in  heftiges  Fieber.  Dank 
seiner  kräftigen  Konstitution  und  der  schnellen  Hilfe  der  Ärzte 
erholte  er  sich  bald  wieder  luid  betrachtete  die  Gefahr  als  vor- 
über. Er  setzte  sich  jedoch  zu  früh  der  kühleu  Abendluft  aus, 
bekam  einen  Fieberrückfall,  starb  am  27.  August  1748  und 
wurde  in  der  Kirche  zu  Richmond  begraben.  Seine  sterblichen 
Überreste  deckte  ein  einfacher  Stein  ohne  Grabschrift.  Erst  im 
Jahre  1762  wurde  ihm  in  der  Westminsterabtei  ein  Denkmal  ge- 
setzt, welches  weder  der  Abtei  zur  Zierde  gereichen,  noch  des 
Dichters  w^ürdig  genannt  werden  kann. 

I.   Allgemeine  Retrachtuiigeii  über  Thomsons  Tragödien. 

So  iml)edingt  lobend  und  günstig  sich  Hettner  über  Thom- 
son als  Meister  der  beschreibenden  Dichtung  oder,  wenn  man 
will,  dichterischen  Beschreibung  ausspricht,  so  absolut  tadelnd, 
und  wir  müssen  sagen,  hart  und  unbegründet  lautet  sein  sonst 
so  gerechtes,  ästhetisch  scharfes  und  möglichst  objektiv  gehaltenes 
Urteil  über  Thomson  als  dramatischen  Dichter.  Es  heilst  bei 
Hettner:  'Wo  Thomson  über  das  Mals  seines  Talentes  iiinaus- 
geht  und  Menschen  und  menschhche  Handlungen  ausmalt,  da 
wird  er  völlig  unbedeutend  und  bis  zum  Unerträglichen  frostig. 
Es  ist  daher  leicht  zu  erraten,  wie  viel  oder  wie  wenig  von 
Thomson  als  Dramatiker  zu  halten  ist.'  An  einer  anderen  Stelle 
lesen  wir:    'Thomson    schrieb  in  dieser  Zeit   auch  einige  Trauer- 


32       Kritisch-ästhetische  Studien  über  .James  Thomsons  TragiMlicn. 

spiele,  die  aber  ohne  alle  Bedeutung  sind/  Vgl.  Hettner,  Engl. 
Litteraturges(;hichte  S.  540  und  535.  In  anderen  Litteratur- 
geschichtcn,  deutscheu  und  englischen,  werden  Thomsons  Tra- 
gödien auch  kaum  dem  Namen  nach  erwähnt  oder  höchstens  mit 
einigen  absprechenden  Worten  abgespeist  und  einfach  zum  alten 
Eisen  geworfen,  weil  sie  heutzutage  von  der  Bühne  verschwunden 
sind.  Der  jugendliche  Lessing  dagegen  fällt  über  Thomson  ein 
ungemein  günstiges  Urteil;  er  wiederum  erteilt  dem  dramatischen 
Dichter  ein  unbedingtes  Lob,  worauf  er  keinen  Anspruch  erheben 
kann.  Lessing  äufsert  sich  f olgendermaisen :  'Denn  wodurch  sind 
die  gröfsten  Geister,  was  sie  sind,  als  durch  die  Kenntnis  des 
menschhchen  Herzens  und  durch  die  magische  Kunst,  jede  Leiden- 
schaft vor  unseren  Augen  entstehen,  wachsen  und  ausbrechen  zu 
lassen?  Dies  ist  die  Kunst,  dieses  die  Kenntnis,  die  Thomson 
in  möglichster  Vollkommenheit  besitzt,  und  die  kein  Aristoteles, 
kein  Corneille  kennt,  ob  sie  gleich  dem  Corneille  selbst  nicht 
fehlte.  Die  Handlung  ist  heroisch,  sie  ist  einfach,  sie  ist  ganz, 
sie  streitet  weder  mit  der  Einheit  der  Zeit,  noch  mit  der  Ein- 
heit des  Ortes;  jede  der  Personen  hat  ihren  besonderen  Cha- 
rakter, jede  spricht  ihrem  besonderen  Charakter  geniäfs;  es  man- 
gelt weder  an  der  Nützliclikeit  der  Moral,  noch  an  dem  Wohl- 
klange des  Ausdrucks.^  Sodann  fügt  Lessing  noch  einige  lobende 
Bemerkungen,  und  merkwürdigerweise  gerade  zu  den  beiden 
nach  unserer  Ansicht  unbedeutendsten  Stücken  'Sophonisba'  und 
'Eduard  und  Eleonora'  hinzu.  Wir  werden  im  zweiten  Kapitel 
noch  auf  diese  Lessingschen  Notizen  zurückkommen  (vgl.  Lessiugs 
Vorrede  zu  der  im  Jahre  1756  zu  Leipzig  erscliienenen  Über- 
setzung der  Trauerspiele  Thomsons.  Auch  Lessings  Werke  in 
der  Ausgabe  von  Dr.  Boxberger,  Berlin  und  Stuttgart,  W.  Spe- 
mann,  Bd.  64,  Teil  7,  p.  75).  —  Das  Lessingsche  Lob  ist  ebenso 
überschweughch,  als  Hettners  Kritik  ungerecht  ist,  wie  au  den 
einzelnen  Stücken  später  gezeigt  werden  soll.  Die  Wahrheit  liegt 
auch  hier,  wie  so  oft  in  der  Welt  und  namentlich  bei  der  ästhe- 
tischen Beurteilung  eines  Dichters,  in  der  Mitte.  Thomsons  Tra- 
gödien sind  vom  rein  ästhetischen,  vom  streng  dramatischen 
Standpimkte  aus  betrachtet  sämtlich  nur  mittelmäfsige  dichterische 
Leistungen ;  sie  sind  an  künstlerischem  Werte  durchaus  ungleich, 
und   keine  einzige   genügt  in  jeder  Hinsicht  den  Anforderungen, 


Kritiscli-ästhetische  Studieu  über  James  ThomsoDS  Tragödien.       3?> 

welche  man  an  ein  gutes'^Drama  stellen  mufs.  Lichtseiten  in 
dem  einen  erscheinen  als  Schattenseiten  in  dem  anderen  und 
umgekehrt;  von  einem  absolut  besten  kann  ebenso  wenig  wie 
von  einem  absolut  schlechtesten  die  Rede  sein.  Es  lassen  sich 
die  Stücke  nur  als  relativ,  als  verhältnismäfsig  beste  und  schlech- 
teste bezeichnen.  Thomson  bildete  seinen  ästhetischen  Geschmack 
und  seinen  dramatischen  Kunstsinn  an  den  Alten,  die  er  bewun- 
derte und  hochschätzte.  Daneben  übten  auch  die  französischen 
Klassiker,  sowie  Shakspere  und  die  den  französischen  Klassi- 
cismus  nachahmenden  englischen  Dichter  des  17.  JaMiunderts 
einen  unverkennbaren  Einflufs  auf  ihn  aus.  Er  entlehnte  den 
Stoff  zu  seinen  Tragödien  entweder  der  griechischen  Sagenwelt 
oder  auch  der  römischen  und  zum  Teil  mittelalterhchen  Ge- 
schichte. Gleich  wde  die  Stücke  der  Alten  und  der  Franzosen 
im  16.  und  17.  Jahrhundert  sind  Thomsons  Tragödien  im  all- 
gemeinen höchst  einfach,  nicht  nur  in  Bezug  auf  die  Handlung, 
sondern  auch  rücksichtlich  der  Verwickelungen,  der  Intriguen, 
der  Zwischenfälle  und  der  Charaktere.  Die  einfache,  wenig  ver- 
wickelte Handlung,  der  Mangel  an  Mannigfaltigkeit  in  den 
Chai-akteren,  an  lebendigem,  frischem  dramatischem  Leben  Uels 
sich  aber  in  den  Tragödien  der  Alten  eher  ertragen,  einmal  weil 
die  Stücke  küi'zer  waren  und  weil  ferner  die  Zwischenakte  dui-ch 
die  Chöre,  die  einen  wesentlichen  organischen  Bestandteil  des 
Ganzen  bildeten,  ausgefüllt  wurden.  Diese  Chöre  behielten  die 
Dichter  der  vorklassischen  Epoche  in  Frankreich  noch  bei,  Thom- 
son hingegen  läfst  sie  als  nicht  mehr  zeitgemäis  aus  seinen 
Stücken  weg.  Um  nun  aber  doch  voUe  fünf  Akte  auszufüllen, 
zieht  er  die  gegebene  Handlung  sehr,  oft  allzusehr  in  die  I^änge 
und  Breite,  flicht  lauge,  mitunter  monotone  und  etwas  langweilige 
Dialoge  ein  und  \\iederholt  sich  in  der  lutrigue  und  der  Ver- 
wickelung. Die  dramatischen  Einheiten  hat  Thomson,  wie  Les- 
sing richtig  betont,  ziemlich  streng  beobachtet,  obwohl  sie  in 
England  nie  zu  so  unanfechtbarer  Geltung  und  so  unerschütter- 
tem Ansehen  wie  in  Frankreich  gelangt  sind.  Ausnehmen  mülstc 
man  höchstens  die  moralisierenden  Dramen  von  Southerne,  C(»n- 
greve,  Rowe  und  Addison  aus  der  zweiten  Hälfte  des  17,  und 
aus  dem  Anfange  des  18.  Jahrhunderts,  die  sich  an  das  \oii 
(Jtway   geschaffene    regelmäfsige  Drama   nach    dem    Muster  Cor- 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  •' 


M        Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  "IVagödien. 

neilles  und  Racines  auschlielsen.  Thouisou  wahrt  besonders  die 
Einheit  der  Handlung,  sie  gilt  ihm  als  Hauptsache,  als  unerläfs- 
lich  notwendig  für  eine  Tragödie.  Die  Handlung  ist  zwar  meist 
recht  dürftig,  aber  der  Held  steht  stets  im  Mittelpunkte  der- 
selben, alle  Dialoge,  auch  die  Monologe  drehen  sich  mehr  oder 
minder  immer  um  seine  Person,  und  alle  Intriguen  sind  gegen 
ihn  gerichtet,  wenn  er  auch  in  einigen  Stücken  zeitweise  uns 
weniger  interessiert  als  der  Gegner,  Der  Held  oder  die  Heldin 
fällt  in  drei  von  Thomsons  Tragödien  (von  Eduard  und  Eleonore 
kann  keine  Rede  sein)  vor  den  Augen  der  Zuschauer  auf  der 
Bühne,  und  der  Tod  wird  nicht  weitläufig  von  einem  Boten  be- 
richtet, wie  dies  in  den  Stücken  der  alten  Griechen  und  auch 
denen  der  Tragödiendichter  des  16.  Jahrhunderts  in  Frankreich 
der  Fall  war.  Nur  im  Agamemnon  sinkt  der  Held  hinter  der 
Büluie  unter  den  Streichen  des  Agisthos  zusammen,  und  man 
vernimmt  blols  den  Lärm  und  die  letzten  Schmerzenslaute  des 
seinen  Mörder  vei-fluchenden  sterbenden  Opfers.  Thomson  er- 
kannte mit  richtigem  dramatischem  Verständnis,  dal's  der  auf  der 
Bühne  eintretende  Tod  des  Helden  weit  wirkungsvoller  sein 
mufste  als  ein  blofser  Bericht  desselben.  Die  Einheit  des  Ortes 
war  durch  die  Emfachheit  des  vorliegenden  Gegenstandes  er- 
leichtert und  bedingt,  ebenso  die  der  Zeit,  welche  allerdings  meist 
einen  weiteren  Spielraum  als  24  Stunden  umfafst.  Neben  der 
Einheit  der  Handlung  mufs  man  als  besonders  gelungen  betonen 
die  Darstellung  vieler  effektvoller  Situationen  und  lebhafter  Dia- 
loge, die  durch  den  Gegensatz  in  den  Charakteren  und  die  teil- 
weise NvirkungsvoUe  Schilderung  von  Leidenschaften  gehoben 
werden.  Wenn  nun  Lessing  aber  besonders  hervorhebt,  mit 
welcher  Kunst  Thomson  die  Leidenschaften  entstehen,  wachsen 
und  ausbrechen  lasse,  so  kann  dieses  Urteil  höchstens  von  dem 
letzten  Stücke  Thomsons,  vom  Coriolan,  gelten.  Dort  findet  sich 
in  der  That,  wie  wii'  bald  sehen  werden,  eine  sich  allmählich 
bemerkbar  machende  Steigerung  des  Neides,  des  Ehrgeizes,  des 
Zornes  und  des  beleidigten  Stolzes  der  Hauptpersonen,  die  sich 
als  grimme  Feinde  gegenübertreten.  Auch  im  Tancred  und 
Sigismunda  sind  die  Leidenschaften  zwar  nicht  im  Entstehen, 
wohl  aber  in  ihrem  Hervorbrechen  vorzüglich  geschildert  wor- 
den.    Die  Handlungen  entsprechen  genau  den  betreffenden  Cha- 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       35 

rakteren,  und  die  Situationen  sind  jedesmalige  Folge  derselben. 
Die  Charaktere  sind  im  allgemeinen  scharf  und  gut  gezeichnet, 
wenn  auch  weniger  auf  regelmäfsige  und  folgerichtige  Entwicke- 
lung  Rücksicht  genommen  wurde.  —  Der  Einflufs  des  in  Eng- 
land in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  beliebten,  die 
Bühne  eine  Zeit  lang  beherrschenden,  morahsierenden,  bürgerlichen 
Dramas,  wie  es  im  17.  und  am  Anfang  des  18.  Jahrhunderts 
bereits  von  den  oben  erwähnten  Tragöden  Southerne,  Rowe  und 
Addison  und  dann  von  George  LiUo  vertreten  wurde,  macht  sich 
auch  in  den  Thomsonschen  Theaterstücken  bemerklich  und  tritt 
vorzüglich  stark  in  den  beiden  letzten,  in  'Tancred  und  Sigis- 
munda'  und  'Coriolanus',  hervor.  So  ist  ganz  besonders  Lillos 
morahsierende  Tendenztragödie,  der  seinerzeit  berühmte  und  oft 
gespielte  'George  Barnwell  oder  der  Londoner  Kaufmann'  aus 
dem  Jahre  1731  (gespielt  zum  erstenmal  im  Sommer  1731  im 
Drurylanetheater),  ein  Stück,  das  vom  künstlerischen  Gesichts- 
punkte aus  betrachtet  recht  unbedeutend  genannt  werden  mufs, 
da  absichtHches  Moralisieren  mit  echter  Dichtung  durchaus  un- 
verträglich ist,  nicht  ohne  Bedeutung  für  Thomson  geblieben. 
Es  haben  aber  die  Tragödien  unseres  Dichters  mit  jenen  ab- 
sichtlich morahsierenden  tendenziösen  Stücken  nichts  gemein, 
sondern  es  macht  sich  in  ihnen  nur  ein  gewisser  moralisierender 
Zug  (Sophonisba  ausgenommen)  in  zwar  nicht  geradezu  stören- 
der, aber  doch  imdramatischer  und  etwas  trockener  Sclilulsmoral 
geltend. 

SämtKchen  Tragödien  Thomsons  sind  Prologe  und  Epiloge 
beigegeben.  Sie  sind  zum  gröfsereu  Teile  von  ungenannten 
Freunden  des  Dichters  verfafst.  Nach  Lessing  rühren  die  Epi- 
loge vom  Dichter  selbst  her.  Dies  mag  bei  denjenigen,  die  kei- 
nen Namen  an  der  Spitze  haben,  der  Fall  sein;  zwei  jedoch,  der 
Epilog  zu  'Sophonisl)a'  und  'Eduard  und  Eleonora'  sind  \ou 
unbekannt  gebliebenen  Freunden  geschrieben  worden,  denn  sie 
tragen  die  Bezeichnung  'by  a  friend^  Dasselbe,  was  von  den 
Epilogen  gesagt,  gilt  im  allgemeinen  auch  von  den  Prologen. 
Der  zu  'Coriolanus'  hat  den  Lord  L)i:tleton  zum  Verfasser,  imd 
derjenige  zu  'Tancred  und  Sigismunda'  ist  unbezeichnet  und 
rührt  vielleicht  vom  Dichter  selbst  her,  der  aus  Bescheidenheit 
seinen  Namen  nicht  nennen  wollte.    Lessing  (vgl.  seine  Vorrede) 


'}6       Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien. 

bedauert  es,  dalis  die  Übersetzer  der  Thomsonschen  Tragödien 
die  Prologe  und  Epiloge  unbeachtet  liefsen.  Wir  vermögen  in 
der  Weglassung  keinen  gi'olsen  Verlust  zu  erblicken,  da  die 
Epiloge  und  Prologe  fast  alle  höchst  unbedeutend,  einförmig  und 
trocken  zu  nennen  sind.  Die  Epiloge  eifern  gegen  den  gewöhn- 
lichen burlesken  Ton  der  enghschen  Epiloge  bei  Trauerspielen, 
und  die  Prologe  deuten  in  etwas  unbestimmter  und  verschwom- 
mener Weise  auf  den  Inhalt  und  die  Tendenz  der  Stücke  hin. 
Nur  der  von  Lord  Lyttleton  zu  Coriolan  verfafste  Prolog  ver- 
dient Beachtung.  Er  enthält  einen  wirklich  schönen  und  schwung- 
vollen Nekrolog  des  Dichters,  schildert  iim  uns  als  Menschen  und 
entwirft  in  kurzen  Zügen  ein  Bild  von  seinem  Charakter,  seinem 
Denken  und  Handeln.  Ijessing  hat  diesen  Prolog  treiflich  und 
fast  wortgetreu  übersetzt.  Die  Hauptrollen  in  den  Stücken  \^Tir- 
deu  von  bekannten  Dichtem  damaliger  Zeit  gespielt.  So  werden 
unter  anderen  Garrick  und  Cibber  genannt.  Der  berühmte  INlime 
Quin  übernahm  Hauptrollen  und  spielte  z.  B.  den  Agamemnon, 
den  Coriolan  und  den  Eremiten  im  Maskenfestspiele  Alfred. 
Er  sprach  auch  die  Prologe  zum  Agamemnon  und  ziun  Coriolan. 
Auch  Cibber,  der  bekannte  Umformer  und  Modernisierer  Shak- 
sperescher  Stücke,  sprach  die  Prologe  zu  einigen  der  Thomson- 
schen Tragödien.  Thomsons  Theaterstücke  sind  alle  in  Blank- 
versen gescluieben,  imd  am  Schlüsse  der  Akte  finden  sich  mit 
Ausnahme  von  Agamemnon,  gleich  \vie  bei  Shakspere,  ein  oder 
mehrere  Reimpaare.  In  der  Sophonisba  finden  sich  die  meisten 
Reimpaare:  am  Ende  des  ersten  Aktes  vier,  des  zweiten  zwei, 
des  dritten  vier,  des  \äerten  vier  und  des  fünften  drei  Reim- 
paare. Diese  Reimpaare  sollen  dazu  beitragen,  die  dramatische 
Wirkung  zu  erhöhen  und  namentlich  die  Sclilul'sraoral  im  Tanc- 
red  und  Sigismunda  (sechs  Reimpaare  am  Ende  des  fünften 
Aktes)  und  im  Coriolan  dem  Gedächtnis  des  Hörers  möglichst 
einzuprägen.  —  Sämtliche  Tragödien  sind  fürsthclieu  Personen, 
meist  dem  Prinzen  Friedrich  und  der  Prinzessin  Augusta  von 
Wales,  zugeeignet.  —  Wir  wollen  mm  im  nachfolgenden  ver- 
suchen, die  Tragödien  des  Dichters  einzeln  kritisch  rein  sachlich 
zu  beurteilen.  Wir  führen  sie  nach  den  Jaliren  der  Abfassung 
resp.  Aufführung  an,  da  eine  Aufzälilung  dem  dramatischen 
Werte   nacli    bei    ihrer   grofsen  Ungleichheit,   bei   ihren  nur  rela- 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       37 

tiven  Vorzügen  von  vornherein  ausgeschlossen  werden  niuTs, 
wenn  auch  gesagt  werden  darf,  dafs  die  Dichtungen  der  späteren 
.Jahre  weit  besser  sind  als  die  Erstlingswerke  und  dafs  die  bei- 
den letzten  entschieden  die  vollendetsten  und  abgerundetsten  sind. 


IL  Thomsons  Tragödien  im  Besonderen. 
1,  Sophonisba. 

Der  Schauplatz  der  Handlung  ist  Cirta.  Das  Schicksal  der 
karthagischen  Königin  Sophonisbe  hat  seit  der  ersten  drama- 
tischen Behandlung  durch  den  Italiener  Giorgio  Trissino  im 
Jahre  1514  die  tragischen  Dichter  der  verschiedensten  Nationen 
zur  Darstellung  augeregt,  und  sie  alle  sind  nicht  im  stände  ge- 
wesen, den  spröden,  von  Haus  aus  wenig  dramatischen  Stoff, 
wie  ihn  Livius  überliefert  hat  (vgl.  Liv.  XXX,  12 — 15  und 
XXIX,  23),  so  zu  gestalten  und  zu  verwerten,  dafs  wir  eine 
Tragödie  im  wahren  Sinne  des  Wortes  vor  ims  haben,  dafs  wir 
durch  das  Schicksal  der  Heldin  gerülu't,  tragisch  gestimmt  und 
schliefslich  mit  ihr  und  ihrer  Schuld  ausgesöhnt  werden.  Die 
Franzosen  und  unter  ihnen  besonders  Antoine  de  Montchr^tien 
(vgl.  meine  Dissertation :  Ästh.  u.  sprachl.  Stud.  über  A.  de  Mont- 
chr^tien,  Weimar  1885),  Mairet  und  Corneille  haben  zuerst  dem 
Itahener  nachgeahmt.  Mairet  hat  den  Stoff  verhältnismäfsig  noch 
am  geschicktesten  behandelt  und  die  Schuld  der  Sophonisbe  in- 
sofern gemildert,  als  er  Syphax  im  Kampfe  fallen  läfst,  wodiu'ch 
sie  frei  wird  imd  so  den  Ehebund  mit  Masinissa,  ihrem  ehe- 
mahgen  Verlobten,  ohne  die  Moral  frech  zu  verletzen,  schhefsen 
kann.  Unter  den  Engländern,  die  bei  unserer  Kritik  hauptsäch- 
lich in  Betracht  kommen,  sind  Natlianiel  Lee  und  James  Thom- 
son zu  nennen.  Nathaniel  Lee  schrieb  eine  'Sophonisba  or 
Hannibal's  Overthrow'  im  letzten  Viertel  des  17.  Jahrhunderts 
(1676),  zur  Zeit  des  tiefsten  Verfalls  der  enghschen  nationalen 
Kunstbühne.  Es  darf  uns  daher  nicht  wunder  nehmen,  dafs  er 
den  an  und  für  sich  schon  widerlichen  Stoff  durch  allerlei  Liebes- 
episoden noch  widerlicher  gemacht  hat  und  ein  Stück  geschrieben, 
das  nur  dem  Namen  nach  eine  Tragödie  genannt  zu  werden 
verdient.     Bei  Lee    erscheinen    z.  B.  neben    dem    verliebten    und 


1^8       Kritisch-ästhetische  Studien  über  .lanu?^  '{'liomsons  Trng<)flien. 

schwachen  Syjihax  noch  ehi  liebeglühendci-  Ilaiiiiibal,  seine  (le- 
liebtc  Rüsalinde  und  ein  thörichter,  von  iliren  Reizen  bezauberter 
Prinz.  Es  laufen  im  Stiickc  zwei  Han<llinij;cn  nnbeneinander 
her,  die  nur  ganz  lose  durch  sich  kreuzende  Liebschaften  in 
Verbindung  stehen  (vgl.  hierzu  Dr.  Feit :  Sophonisbe,  Trag,  von 
G.  G.  Tnssino,  eingeleitet  und  übersetzt.  Progr.,  Lübeck  188H). 
James  Thomsons  Sophonisbe  teilt  im  allgemeinen  die  Schwächen 
der  frühereu  So})lionisben,  ist  äufserst  arm  an  dramatischer 
Handlung,  scliM-ach  in  der  Charakteristik  und  Motivierung  der 
Schuld  der  Heldin.  Die  Sophonisbe  der  Geschichte  ist  durch- 
aus keine  dramatische  Figur,  und  der  Gegenstand  ist  nicht  tra- 
gisch, denn  nur  diejenige  Begebenheit,  die  für  ihren  Träger  neben 
materiellem  I^eid  das  gröfste  Seelcnleid  herbeiführt,  ist  wirklich 
tragisch.  Das  kann  man  nun  und  nimmer  von  der  Sophonisbe 
behaupten,  und  kein  Dichter  der  älteren  und  neueren  Zeit  hat 
sie  so  idealisiert,  dafs  man  durch  ihr  Schicksal  erschüttert  und 
von  tragischer  Furcht  und  tragischem  Mitleid  ergriffen  würde. 
Thomson  hält  sich  ziemlich  genau  an  die  Trissinosche  Darstel- 
lung und  lälst  Masinissa  den  Syphax  gefangen  nach  Cirta  brin- 
gen. Er  hätte  Mairet  folgen  und  Syphax  in  der  Schlacht  fallen 
lassen  sollen.  So  ist  und  bleibt  auch  bei  Thomson  die  Doppel- 
ehe Sophonisbens,  welche  Beschöuigungsgründe  man  auch  immer- 
hin anführen  möchte,  ein  störendes  Moment,  und  man  mui's  die 
Handlung  der  Heldin  vom  morahschen  Standpunkte  aus  ent- 
schieden verwerfen.  Was  that  nun  Thomson,  um  die  Schuld 
der  Sophonisbe  zu  motivieren,  um  ihre  That  zu  rechtfertigen? 
Er  lehnte  sich  einmal  an  seine  Vorgänger  an  imd  betonte  ihre 
Vaterlandsliebe,  stellte  ilu-en  Patriotismus  als  leitendes  Motiv  hin, 
den  Ehebund  mit  Masinissa  zu  schliefsen,  um  Karthago  vor  der 
Rache  der  Römer  zu  schützen.  Stünde  dieser  Patriotismus  als 
alleinige  Triebfeder  zu  Sophonisbens  Handlung  im  Vordergrunde, 
so  würde  ihre  Schuld  zwar  nicht  verzeililich,  aber  doch  gemildert 
erscheinen.  Allein  man  mul's  diese  wiederholeutlich  betonte  Be- 
teuerung ihrer  Liebe  zum  Vaterlande,  ilu"er  angeblichen  Auf- 
opferung für  dasselbe  für  nichtige  Tugendschwätzerei  halten  und 
kann  sich  unmöglich  verhehlen,  dafs  nur  ilu'  Stok  sie  veranlafst, 
in  den  Ehebimd  zu  willigen,  um  so  der  Schmach  zu  entgehen,  in 
Rom  im  Triumphe  als  Gefangene  aufgeführt  zu  werden.    Thom- 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       39 

son  versuchte  es  aber  auch  noch  auf  andere  Weise,  die  Hand- 
lung Sophonisbens  zu  rechtfertigen,  und  flocht  eine  Scene  ein 
(IV,  2.  Dialog  zwischen  Syphax  und  Sophonisbe),  die  freihch 
nur  dazu  beiträgt,  Sophonisbe  noch  weit  niedriger  und  erbärm- 
licher in  den  Augen  des  Zuschauers  erscheinen  zu  lassen.  Sie 
betont,  sie  sei  jetzt  nicht  verpflichtet,  imi  S}^hax,  ihres  gefan- 
genen Gemahles  willen,  die  Schmach  der  Knechtschaft  ihres 
Vaterlandes  und  ihrer  selbst  zu  ertragen,  sie  habe  Syphax  einst 
nur  geheiratet,  weil  sie  ihn  für  einen  unversöhnlichen  Feind  der 
Römer  gehalten,  sei  aber  jetzt,  nachdem  er  gefangen  genommen, 
nach  karthagischem  und  römischem  Rechte  nicht  mehr  an  ihn 
gebunden.  So  sucht  die  Treulose  in  erbärmlicher  Weise  ihre 
mit  Masinissa  geschlossene  Ehe  zu  entschuldigen  und  zu  recht- 
fertigen. Man  höre  sie  selbst  reden.  An  einer  Stelle  (FV,  2) 
heilst  es: 

Fol'  thee ;  fhe  Romans  may  he  mild  to  tkee  ; 
But  I,  a  Carthaginian,  I  ivhose  blood 
Holds  unrelenting  enmity  to  theirs, 

What,  what  can  I 

Hope  from  their  vengeance  but  the  very  dregs 
Of  thf  irorst  fate,  the  bitterness  of  bondage  ? 
Yet  thou,  kind  man,  thou  in  tky  generous  love 
Wouldst  have  me  suffer  that;  be  bound  to  tJiee 
For  that  dire  end  ahne,  beyond  the  stretch 
Of  nature  and  of  law. 

Dann  weiter   imten   spricht  sie  von  ihrer  Ehe  mit  Sjphax: 

I  pray  thee  think,  when  unpropitious  Hym^n 
Out  hmids  tinited,  how  I  stood.  engag'd, 
Was  I  not  blooming  in  the  pride  of  youth 
And  youthful  hopes,  sunk  in  a  passion  too 
Which  fetv  resign  ?     Yet  then  I  married  thee 
Because  to  Carthage  deem'd  a  stronger  friend ; 
Fol'  that  ahne.     On  these  conditions,  sag 
Didst  thou  not  take  me,  court  me  to  thy  throne? 
Have  I  deceiv'd  thee  since  ?    Have  I  dissembled  ? 
To  gain  one  purpose,  e'er  pretended  what 
I  never  feit  ?     Tliou  canst  not  say  I  have. 
And  if  that  principle  rvhich  tlien  inspir'd 
My  marrying  thee  was  right,  it  cannot  nov^ 
Be  UTong :  nay,  since  my  native  city  ivants 
Assistance  mm-e,  and  sinking  calls  for  aid, 
'Tis  still  more  right. 


10       Kritisch -ästhetische  Stiiflien  iiljer  James    ThomsonH  Tragödien. 

Auf  solches  erbärmliches  Argumeutieren  hin  kann  der  be- 
dauernswerte Syphax  nur  mit  Recht  erwidern:  'This  reasoniiig 
is  insidt.'  Diese  Scene  findet  sich  auch  bei  Corneille,  und 
Lotheilsen  (Gesch.  der  franz.  Litt,  des  17.  Jahrh.  II,  310,  Wien 
1879)  nennt  sie  mit  Recht  widerlich.  Anch  bei  Corneille  über- 
häuft Sophonisbe  ihren  Gemahl  mit  den  grcibsten  Vorwürfen,  die 
sich  gar  nicht  mit  den  galanten  Lehren  vertragen,  die  sie  an 
anderen  Stellen  vorträgt.  —  Eine  andere  Scene,  welche  freilich 
nicht  minder  peinlich  berührt,  als  die  eben  angeführte,  und  nur 
dazu  beiträgt,  den  Masinissa  in  den  Augen  des  Zuschauers  noch 
mehr  herabzuwürdigen,  als  dies  an  und  für  sich  schon  der  Fall 
ist,  hat  Thomson  eigens  erfunden.  AVir  meinen  das  Gespräch 
zwischen  Masinissa  und  dem  gefangenen  Syphax,  den  er  ängst- 
lich zu  meiden  doch  mehr  als  hinreichenden  Grund  hal)cu  mufste 
(vgl.  I,  4).  Masinissa  verspricht  dem  gefangenen  S}i)hax  Scho- 
nung, die  er  jedoch  mit  Würde  und  Entrüstung  zurückweist, 
weil  er  seines  Gegners  schändliche  Absichten  nur  zu  gut  kennt 
und  durchschaut.     Mau  höre  nur  z,  B.  folgenden  Dialog: 

S  y  p  h.    Hear  me,  vain  youth  !  take  notice  —  /  abhm' 
Thy  mercy,  loath  it  —  Use  me  like  a  slave; 
Äs  I  v:ould  fhee  (delicious  thought !)  wert  thou 
Here  erouching  in  my  power. 

Mas.     Chitrageous  man.' 

Thou  canst  not  drive  me  by  the  hitterest  rage 
To  an  unmanly  deed:  not  all  thy  ivrongs 
Can  force  my  patient  sota  to  stain  its  virtue. 

Oder  auch: 

S  y  p  h.    But  why  this  talk  ?    In  mercy  send  nie  Jience, 

Yet  —  ere  I  go  —  Oh  save  me  from  distraction ! 
I  know,  hot  youth,  thou  burnest  for  my  queen ; 
But  by  the  majesty  of  riiin'd  kings, 
And  tJiat  eom^nmiding  glory  which  surrounds  her, 
I  Charge  thee  tou^h  her  not! 

Mas.    No,  Syphax,  no. 

Thou  7ieed'.st  not  charge  me.    TJiat  were  meau  indeed, 
A  triumph  tlmt  to  thee.    Thou,  ivhat  right  hast  thou, 
A  captive  to  Jier  bed?    Thy  bonds  divorce 
And  free  her  from  thy  power.    AU  laws  in  this, 
Roman  and  Cartlmginian,  all  agree     etc. 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  .lames  Thomsons  Tragödien.       41 

Solche  Dialoge  hätte  Thomson  lieber  nicht  einschieben  sol- 
len, denn  sie  tragen  wahrhaftig  eher  dazu  bei,  die  tragische  Wir- 
kung des  Ganzen  völlig  aufzuheben  als  zu  erhöhen.  Dramatisch 
schön  ist  eigenthch  nur  der  Tod  Sophonisbeus.  Tragisch  imd 
erschütternd  wirkt  er  auch  nicht,  weil  sie  ihn  nicht  freiwillig 
aus  reinem,  edlem  Patriotismus  sucht,  sondern  von  Egoismus 
und  Stolz  geleitet,  ihn  der  Erniedrigung  und  Knechtschaft  vor- 
zieht. So  ist  Sophonisbe  durchaus  keine  Heldeufigur,  die  unser 
Interesse  zu  wecken  und  zu  fesseln  im  stände  wäre.  Noch  viel 
weniger  lälst  sich  das  von  Masiuissa  behaupten.  Er  ist  eine  ent- 
schieden unsympathische  Figur  und  sinkt  von  seiner  anfänglichen 
Gröfse  als  tugendhafter  Sieger  und  Triumphator  zum  w^eichhchen 
durch  Sophonisbeus  Reize  verführten  Liebhaber  herab,  der  im- 
eingedenk  seines  Ruhmes  und  seiner  Pflicht  übereilt  und  un- 
besonnen Sophonisbe  den  Giftbecher  sendet,  obwohl  Scipio  Gnade 
für  Recht  ergehen  zu  lassen  verspricht,  und  schhefslich  nach 
Sophonisbes  Tode  doch  nicht  den  Mut  besitzt  zu  sterben,  wie 
dies  in  der  Mairetschen  Tragödie  der  Fall  ist.  Masinissas  un- 
männlicher, wankelmütiger  Charakter  zeigt  sich  so  recht  in  der 
Unterredung  mit  Scipio  (V,  2).  Scipio  allein  ist  eine  drama- 
tische Figur,  die  unsere  Sympathie  zu  erwecken  versteht.  Er 
denkt  imd  fühlt  als  Ehrenmann;  er  ist  streng  gerecht,  energisch 
und  doch  nicht  hart  und  grausam.  Diese  Eigenschaften  treten 
in  der  citierten  Scene  (V,  2),  da  sein  Widerredner  so  ganz 
willenlos  und  von  sinnlicher  Liebe  berückt  dargestclU  wird,  nur 
um  so  deutUcher  hervor.  — -  Ist  nun  auch  Thomsons  Tragödie 
als  Ganzes  betrachtet  äufserst  wenig  dramatisch,  weil  die  frische 
lebendige  Handlung,  sowie  auch  die  genügende,  stichhaltige  Mo- 
tivierung der  Schuld  fehlen  und  die  Charaktere  bis  auf  den 
Scipios  nur  schwach  gezeichnet,  eigentlich  nur  angedeutet  sind, 
so  finden  sich  doch  auch  einzelne  Scenen  vor,  die  infolge  des 
lebendigen  und  dabei  doch  klaren  und  emfachen  Dialoges  dra- 
matisch wirken  (vgl.  besonders  V,  2;  IV,  -4  und  den  Sclilufs). 
Lange  ermüdende  Reden  und  Berichte,  Monologe  und  Dialoge 
sind  vom  Dichter  vermieden  worden ;  Für-  und  Gegenrede  wech- 
seln in  ziemlich  raschem  Tempo  ab.  Trotz  dieser  zidetzt  er- 
Avähnten  kleinen  Vorzüge  kann  man  Lessings  Ansicht  nicht  tei- 
len, welcher  sich  (vgl.  seine  citierte  Vorrede)  folgendermaCsen  über 


42        Kritisch-ästhetische  Studien  über  .Tfinies  l'huinsons  Tragiidien. 

die  Sophonisbe  ausspricht:  'Hciue  Sophuuisbe  ist  von  einer  Sini- 
plicität,  mit  der  sich  selten  oder  nie  ein  französischer  Dichter 
begnügt  hat.  Man  sehe  die  Sophonisbe  des  Mairet,  des  grofsen 
Corneille!  Mit  welcher  Menge  von  Episoden,  deren  keine  in 
der  Geschichte  einigen  Grund  hat,  haben  sie  ilirc  Handlung 
überladen/  Dieses  Lessingsche  Urteil  enthält  genau  genonimen 
ein  niu'  mäfsiges  Lob  Für  Thomson,  denn  es  wird  nur  die  Sim- 
plicität  der  Handlung  Ijetont.  Einfach  ist  die  Handlung  aller- 
dings, leider  nur  zu  einfach,  einförmig  und,  wie  wir  hervor- 
gehoben haben,  undramatisch.  Lessing  versetzt  den  Franzosen 
einen  Seitenhieb  und  macht  ihnen  Uberladimg  der  Handlung 
zum  Vorwurf,  was  schlechterdings  bei  Mairet  nicht  berechtigt 
ist.  Mairets  Sophonisbe  steht,  vom  künstlerischen  Gesichtspimkte 
aus  betrachtet,  ganz  entschieden  höher  als  das  monotone,  streng 
im  Rahmen  der  Geschichte  gehaltene  Thomsonsche  Stück.  Mairet 
weicht  verschiedentlich,  aber  nur  zu  seinem  Vorteil,  im  Interesse 
der  dramatischen  Handlimg  imd  Wirkimg  von  der  geschicht- 
lichen Überliefermig  ab,  und  Thomson  hätte,  wie  schon  gesagt 
wurde,  ihm  folgen  sollen,  zumal  er  es  sonst  (vgl.  Tancred  und 
Sigismunda)  ja  doch  mit  der  Geschichte  so  genau  nicht  nimmt, 
wenn  ihm  eine  Abweichung  im  Interesse  des  dramatischen  Hel- 
den geboten  erscheint. 

2.  Agamemnon. 

Der  Ort  der  Handlung  ist  Agamemnons  Palast  in  Mykene. 
Es  liegt  dieser  Tragödie  der  bekannte  Sagenstoff  von  der  Heim- 
kehr und  dem  jähen  Tode  Agamemnons  zu  Grunde.  Der  Gegen- 
stand ist  echt  dramatisch  und  tragisch,  und  der  Dichter  hat  sich 
liier  seiner  Aufgabe  weit  besser,  mit  viel  mehr  Geschick  und 
Verständnis  für  die  tragische  Kunst  entledigt  als  in  der  Sopho- 
nisbe. Im  Agamemnon  hat  der  Dichter  eine  Begebenheit  ge- 
wählt, die  für  ihren  Träger  neben  materiellem  Leid  auch  noch 
das  gröfste  Seelenleid  herbeiführt.  Wir  nehmen  an  dem  Schmerze 
des  unschuldig  leidenden  Agamemnon  innigen  Anteil,  und  wir 
werden  durch  seinen  jähen,  unverdienten  Tod  mit  Furcht  und 
Mitleid  erfüllt.  Erschütternd  wirkt  der  Tod  des  Helden  aller- 
dings nicht,  weil  er  keine  tragische  Schuld,  weder  eine  subjektiv 
moralische,  noch  eine  aus  einem  Irrtum  entspringende  moralische 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsoas  Tragödien.       43 

Versclmkliing  auf  sich  lädt.  Er  fällt  deu  tückischeu,  teuflischen 
Anschlägen  des  Ägisthos  zum  Opfer.  Agamemnons  gerechte 
Drohung,  Strafe  ergehen  zu  lassen,  wenn  des  Ägisthos  Beschul- 
digungen sich  ids  lügenhaft  herausstellen,  wird  für  diesen  zum 
leitenden  Motiv,  den  Helden  zu  ermorden  und  sich  selbst  sicher- 
zustellen. —  Die  beiden  ersten  Akte  sind  entschieden  die  weit- 
aus besten  und  gelungensten  zu  nennen.  Die  Exposition  zu- 
nächst ist  kurz  und  trefflich  gegeben.  Klytämnestra,  von  bangen 
Ahnimgeu  erfüllt,  fürchtet,  dais  einst  Unheil  aus  dem  unmora- 
lischen Verhältnis,  Avelches  zwischen  ihr  und  Ägisthos  besteht, 
entspringen  wu'd.  Bald  wird  Agamemnons  Heimkehr  gemeldet 
und  mit  ihr  die  Katastrophe  vorbereitet.  Schon  jetzt  fafst  Ägi- 
sthos den  Entschhifs,  Agamemnon  aus  dem  Wege  zu  rätunen,  um 
selbst  das  Scepter  zu  ergreifen,  um  so  Klytämnestra  nicht  zu 
verheren  und  seine  Schandthaten  von  früherher  nicht  ans  Tages- 
licht kommen  zu  lassen. 

Besonders  schön  und  dramatisch  ist  der  zweite  Akt.  Ist 
auch  die  Handlung  nicht  lebendig  und  spannend,  so  ist  doch 
der  Dialog  interessant,  so  kommen  doch  die  Seelenstimmungen 
Agamemnons  und  Klytämnestrens  gar  herrhch  zum  Ausdruck. 
Wie  tragisch  wirkt  der  Gegensatz  der  Freude  des  heimkehren- 
den Agamemnon,  der  vor  Sehnsucht  brennt,  sein  liebes,  treues 
Weib  nach  langer  Trennung  wieder  in  die  Arme  zu  sehliefsen, 
und  auf  der  anderen  Seite  die  bange  Furcht  der  scluildbewurs- 
ten  Klytämnestra,  die  nicht  wagt,  ihrem  Gatten  imtcr  die  Augen 
zu  treten!  Wie  schwer  fällt  es  ihr,  den  heimkehrenden  glück- 
lichen Gemahl,  der  sie  mit  zärthcher  Liebe  überschüttet,  zu 
hintergehen,  ihm  mit  kühler  Zurückhaltung  und  mit  traurigem 
Antlitz  entgegenzutreten,  ja  ihn  mit  Vorwürfen  imd  Tadel  zu 
empfangen!  Nicht  traurig  infolge  der  langen  Abwesenheit  des 
Gatten  und  der  langen  Trennung  von  ihm,  wie  Agamemnon 
irrtümlicherweise  anfangs  glaubt,  sondern  vom  bösen  Gewissen 
beunruhigt  und  gequält,  steht  Klytänmestra,  das  Urbild  der  Ver- 
stellungskunst und  Heuchelei,  schuldbeladen  vor  ihrem  Ehe- 
gemahl. Agamenmon  kann  sich  diese  gänzliche  Umwandelung 
seines  einst  so  teuren  und  treu  ergebenen  Weibes  nicht  erklären, 
und  doch  steigen  Hvhon  jetzt  dunkele,  böse  Ahnungen  gleich 
unheilverkündenden  Schatten  in   seiner  Seele  auf.  —  AVie  wohl- 


i\        Kritisch-ästhetische  ^Studien  iibcr  .laines  Thomsons  Tragödien. 

thueiid  und  rührend  im  Gej^eusatz  zu  dicHer  külilen  und  peiu- 
licliou  Enii)faugsscene  der  Klytänmestra  wirkt  die  gleich  darauf 
folgende  erste  Begegnung  Agamemnous  mit  seinen  beiden  ge- 
liebten Kindern  Orestes  und  Elektra!  Wie  jubelt  ihm  das 
Vaterherz  vor  Wonne  und  Glück,  sie  froh  und  gesund  wieder- 
zusehen! Wie  rührend  sind  die  Liebesbeteueruugen  der  Elektra, 
die  oft  das  Bild  ihres  heldenmütigen  Vaters  im  Traume  gesehen 
und  sieh  des  imsterbUcheu  Ruhmes  ihrer  fürs  Vaterland  ge- 
opferten Schwester  Ipliigenie  erinnert !  Wie  brennt  der  jugend- 
liche Orestes  vor  Lust  und  stürmischem  Verlangen,  auch  einst 
solche  Thaten  zu  vollbringen  wie  sein  herrhcher  Vater!  Kein 
W^ort  des  Vorwurfs  wird  hier  laut ;  die  Kinder,  frei  von  drücken- 
der Schuld,  grollen  dem  Vater  nicht,  weil  er  so  lange  von  ihnen 
fern  blieb. 

Einige  Bruchstücke  der  betreffenden  höchst  dramatischen 
Scenen  mögen  hier  Platz  finden,  um  das  Gesagte  näher  zu  er- 
läutern imd  zu  bestätigen  (Akt  11,  Seene  2). 

Clyt.    Had  Agamemnon  lov'd  me,  would  he,  nay 
Gould  he  have  left  me  in  the  rage  of  grief, 
My  daughter  yet  fresh  hleeding  in  my  sight  ? 
Left  me  so  long?    Lore  siirely  musf  Imve  found. 
In  the  wide  round  of  ten  revolving  years, 
Some  ivay  to  see  me,  to  prevent  these  soitoics.  — 
Why  icas  I  thus  abandon'd,  Agamemnon  ? 

Agam.    Let  me  kiss  off  these  tears!     0  beauteons  tems ! 
If  shed  by  douhtbig  love,  if  shed  for  absence. 
Instead  of  these  reproaches,  ask  me  rather, 
Hoiv  I  that  absence  bore:  and  here  all  loards, 
All  eloquence  is  dumb,  to  sj)eak  the  pangs 
That  lurk'd  henrath  the  rugged  hrow  of  war. 
When  glaring  day  icas  clos'd  and  htish'd  the  rainp, 
Oh,  then,  amid  ten  thousand  other  rares, 
Tliose  stung  tlie  keenest  that  remember'd  thee, 
That  an  my  long-left  Clyteninesfra  thought, 
On  what  wild  seas  and  mountains  lay  hetween  us. 

Glyt.     Unliappy  man.' 

Dann  heifst  es  weiter  unten : 

Agam.     Oh,  niake  not  conquest  liateful! 

I  shall  abhor  it,  if  it  cost  me  thee, 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       45 

Cost  me  thy  love.    A  daughter  was  too  much 
And  ten  years  absenee  from  my  Clytemnestra. 
Add  not  to  these  a  loss  I  cannot  hear .' 
The  loss  of  thee,  thou  loveliest  of  the  sex ! 
And  once  the  landest! 

Clvt.    Alas !  untimely  fondness  —  Agamemnon! 
Too  generous  Agamemnon!  you  distress  me, 
Would  you  ivere  not  so  hind,  so  tender,  now !    ■ 
Or  ne'er  lind  been  so  criiel! 

Man  vergleiche  feraer  Akt  IT,  Soene  3,  das  Gespräch  zwi- 
schen Agamemnon  und  den  Kindern.  Hier  ist  die  Situation  so 
lebendig,  so  schön,  die  Sprache  so  innig  imd  warm,  dafs  jene 
Scene  dem  modernsten  Theaterdichter  durchaus  nicht  zur  Un- 
ehre gereichen  Avürde,  sondern  seinen  Ruhm  zu  erhöhen  im 
Stande  wäre.  Es  mögen  hier  der  Kürze  halber  nur  die  Be- 
grülsungsworte  Agamemnons  folgen : 

Agam.     Come  to  my  arms,  my  boy,  my  dear  Orestes! 
In  ivliom  I  live  aneiv,  my  younger  seif! 
And  thou  Electra ;  in  thy  opening  che£k 
I  mark  thy  mother's  bloom  ;  even  so  slte  look'd, 
Such  the  mild  light  ivith  ivhich  her  beauty  daivn'd. 
Oh,  thou  soft  imaye  of  my  Clytemnestra  ! 
My  other  Iphigenia! 

Doch  wie  bald  soll  diese  Freude,  dieser  Jubel  Agamemnons 
durch  traurige  Nachrichten  getrübt  werden!  Aus  Agisthos' 
Munde  mufs  er  hören,  wie  der  treue  Melisander,  der  als  Rat- 
geber und  Beschützer  Klytämnestras  zurückgelassen  worden  war, 
verbannt  worden  ist,  verbannt  durch  Agisthos  selbst,  der  jenen 
treuen  Mann  beschuldigt,  aufrührerische  Ideen  im  Kopfe  ge- 
tragen und  revolutionäre  Pläne  geschmiedet  zu  haben.  Vom 
Zorne  hingerissen,  fordert  Agamemnon  Beweise  von  Agisthos, 
um  dann  Gerechtigkeit  walten  zu  lassen.  Diese  geforderten  Be- 
weise kann  der  erbärmliche  Feigling  und  Intrigant  nicht  bringen, 
und  aus  Furcht  vor  Agamenmons  grausiger  Rache  bescliliefst  er 
dessen  Tod.  -  Der  dritte  und  vierte  Akt  sind  weit  geringei- 
an  dramatischem  Werte  als  die  beiden  ersten.  Die  Katastrophe 
muls  bald  eintreten,  da  der  Zuschauer  weifs,  dafs  des  Agisthos 
Worte    nicht    eitele  Drohungen    sind.     Nur   eine    schwaclie  Hoff- 


46       Kritisch -ästhetische  Studien   iihcr  Jarnos  Thomsons  Trafrödien. 

nung,  dafs  der  Held  dem  J'ode  durch  Meiicheliuörders  Hand 
entrinnen  kann,  knü})ft  sich  noch  an  das  gemeinsame  Vorgehen 
des  treuen  Arkas  und  des  aus  der  Verbannung  lieiingekehrtcn 
MeHsander,  die  beide  Agamemnon  warnen  und  mit  Hilfe  ihn^r 
Getreuen  den  ränkespinnenden  Agisthos  beim  Gastmahle  über- 
fallen und  gefangen  nehmen  wollen.  Dieser  jedoch  hcirt  recht- 
zeitig von  dem  Plane  und  ermordet,  nachdem  er  vergeblich  ver- 
sucht, die  vor  seinem  grauenhaften  Vorhaben  zurückschaudernde 
Klytämnestra  für  sich  zu  gewinnen,  den  unschuldigen,  gänzlich 
wehrlosen  Agamemnon  im  Bade.  Im  fünften  Akte  tritt  wieder- 
um eine  Steigerung  des  dramatischen  Interesses  ein,  gewinnt  die 
Sprache  wieder  ihre  zündende  und  hinreifsende  Kraft.  Wir  mei- 
nen besonders  die  Verfluchung  des  Agisthos  durch  die  unglück- 
liche und  scliAvergeprüfte  Königin.  Der  tragische  Gegensatz 
kommt  hier  höchst  glücklich  zur  Geltung.  Der  wahnwitzige 
schuftige  Agisthos,  der  soeben  seine  Hände  mit  dem  Blute  des 
unschuldigen  Opfers  befleckt,  wagt  es,  von  der  Leiche  ikres  Ge- 
mahls zur  Klytämnestra  zu  eilen  und  sie  frevelhaft  in  diesem 
furchtbaren  Augenblicke  mit  seiner  unreinen  Liebe  zu  bestürmen. 
A-^oll  tiefsten  Abscheues  und  mit  furchtbar  lastendem  Fluche 
wendet  sie  das  Auge  von  dem  Elenden,  dem  nichts  mehr  heihg 
ist  (vgl.  V,  8): 

Clyt.     Off,  give  me  tvay !  to  deserts  let  me  fly! 
The  wildest  savage  there/  — 
W]iy  pierce  me  thus  with  looks  ?    In  every  eye 
There  is  a  dagger ;  chief  in  thine  —  Ha,  inllain! 
I  know  tliee;  know  these  eyes,  where  smiling  love 
To  the  red  glaring  of  a  fury's  torch 
Is  now  transform'd.  —  Yes,  traitor,  turn  away ; 
But  ere  you  go,  give  me  m,y  'peace  again ; 
Oive  me  my  happy  family  around; 
Give  ine  my  virtue,  honour,  nay  my  glory 
Or  give  me  death,  tho'  death  cannot  relieve  me. 

Diese  imd  noch  einige  andere  Situationen  aufser  den  er- 
wähnten (vgl.  besonders  noch  V,  1)  sind  äul'serst  spannend  und 
dramatisch.  Sie  fesseln  dauernd  das  Interesse  des  Zuschauers 
imd  zeichnen  sich  durch  einen  lebhaften  Dialog  aus,  der  durch 
schwungvolle,  markige,  aber  nicht  bombastische  Diktion  noch  an 
dramatischem  Leben  srewinnt. 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       47 

Die  Charakterzeichnung  der  Hauptpersonen  ist  im  ganzen 
gut  und  deutlich.  Agamemnon  erscheint  als  tapferer,  uner- 
schrockener Kiiegsheld,  als  treuer  Gatte,  als  liebender  Vater 
und  als  eifrig  für  das  Wolil  seiner  ilim  ergebenen  ünterthanen 
sorgender  Fürst.  Schmerz  durchwühlt  daher  seine  Brust,  In- 
grimm und  Zorn  lodern  hoch  empor,  als  er  die  erbärmlichen 
Intriguen  und  niederträchtigen  Verleumdungen  des  Agisthos 
vernimmt.  Sein  gerader,  oifener  Sinn,  seine  Gerechtigkeitshebe 
empören  sich  wäder  allen  Lug  und  Trug,  und  so  schwört  er  sei- 
nem Feinde,  dem  Zerstörer  seines  Glücks  und  haushohen  Frie- 
dens, Rache  und  Verderben.  Den  schreiendsten  Gegensatz  zu 
Agamemnon  bildet  Agisthos.  Er  ist  ein  jämmerliches,  feiges 
und  ehrloses  Subjekt,  dem  Recht,  Zucht  und  menschhches  Glück 
nichts  gelten,  der  nm^  seiner  Habsucht  und  Wollust  frönt.  Er 
ist  treiflich  gezeichnet,  und  der  Zuschauer  wendet  das  Auge  mit 
Entsetzen  ab  von  dem  egoistischen  Schmarotzer,  dem  feigen, 
tückischen  Mörder.  Kl^-tämnestra  ist  kein  Charakter;  sie  ist  das 
blinde  imd  willenlose  Werkzeug  des  Agisthos,  der  ihre  morali- 
schen Bedenken,  ihre  schmerzhchen  Reuegefühle  immer  wieder 
sofort  durch  falsche  Vorspiegelungen,  durch  die  erbärmlichsten 
Verdächtigungen  ihres  Gatten  niederzuhalten  bestrebt  ist.  Kly- 
tämnestra  besitzt  nicht  Kraft  und  Energie  genug,  sich  aufzu- 
raffen, den  besseren  Regungen  ihres  Herzens,  den  Warnungen 
ihres  Gewissens  Gehör  zu  schenken,  dem  Verführer  standhaft 
entgegenzutreten.  Sie  fällt  immer  wieder  in  dessen  gefährliche 
Schlingen  zurück,  bis  sie  moralisch  ganz  sinkt  und,  dem  Wahn- 
sinn nahe,  ihren  gleisnerischen  Betrüger  und  den  Räuber  ihrer 
Ehre  mit  Abscheu  von  sich  stölst.  —  Man  kann  die  Klytämnestra 
wohl  bedauern,  aber  nicht  deshalb,  weil  sie  unglücklich  ist,  son- 
dern Aveil  sie  zu  wenig  moralische  Kraft  besitzt,  das  Unglück 
frühzeitig  genug  abzuwenden  und  eine  tugendliafte,  sittsame 
Frau  zu  bleiben.  Arkas  und  Melisander  zeigen  sich  als  ^vahre 
und  treue,  gehorsame  imd  aufopferungswillige  Ünterthanen  und 
Freunde  ihres  Königs.  Sie  haben  die  reinsten  und  besten  Ab- 
sichten, Agamemnon  vor  seinem  Feinde  zu  schützen,  vermögen 
aber  nichts  gegen  diesen  im  Verborgenen  lauernden,  tückischen 
Todfeind  Agamemnons  auszurichten. 


48       Kritisch-ästhetische  Studien  iilici  .Taiues  TlioiiiKons  Tragödien. 

3.   E  (1  \v  u  r  d   und  E 1  e  o  n  o  r  a. 

Dieses  Stück  luit  einen  zum  Teil  sagenhaften,  zum  Teil 
historischen  Hintergrund,  baut  sich  aber  der  Hauptsache  nach 
auf  dem  Mythus  auf.  Der  Sage  nach  wurde  Eduard  von  einem 
türkischen  Fanatiker  mit  einem  vergifteten  D(jlche  verwundet. 
Er  mufs  unrettbar  sterben,  wenn  sich  niemand  bereit  findet,  das 
Gift  aus  der  Wunde  auszusaugen.  Seine  Gemahlin  Eleouora  in 
ihrer  aufopfernden  Triebe  vollbringt  diese  Grofsthat,  während  ihi- 
Gemahl  schlummert,  und  wird  selbst  dem  Tode  nahe  durch  An- 
wendung eines  Gegengiftes  von  Selim  gerettet.  Eine  ähnUche 
Fabel  existiert  von  Robert,  dem  Sohne  Wilhelms  des  Eroberers. 
Hier  geht  Sibylle,  Roberts  Gemahlin,  freiwillig  in  den  Tod  für 
ihren  Gatten.  Diesen  mittelalterlichen  Sagen  liegt  vielleicht  der 
altgriechische  Mythus  von  Admetus  und  Alkeste  zu  Grimde. 
Alkeste  opfert  sich  selbst  fiu'  ihren  dem  Tode  vei-fallenen  jun- 
gen Gemalil  und  wird  später  von  Herkules  dem  Hades  ^\^eder 
abgerungen  und  mit  Admetus  von  neuem  vereinigt.  —  Eduard 
und  Eleonora  ist  die  zweite  Tragödie,  die  Lessing  für  wichtig 
genug  hält,  um  sie  einer  kurzen  Besprechung  zu  wiu-digen.  Wir 
haben  an  anderer  Stelle  schon  unser  Befremden  ausgedi-ückt, 
dafs  gerade  zwei  der  verhältnismäfsig  sc^hwächsten  Stücke  Thom- 
sons von  Lessing  besprochen  mid  günstig  beurteilt  wurden.  Es 
ist  schade,  dafs  sich  der  grol'se  Kritiker  und  Dramaturg  nicht 
auch  über  die  besseren  Tragödien  Thomsons  geäufsert  hat;  es 
wäre  jedenfaDs  sehr  interessant  gewesen,  über  diese  sein  ästhe- 
tisch scharfsinniges  Urteil  zu  V)esitzen.  Es  heilst  bei  Lessing 
(vgl.  seine  Vorrede):  'Was  soll  ich  von  seinem  Eduard  and 
Eleonora  sagen?  Dieses  ganze  Stück  ist  nichts  als  eine  Nach- 
ahmung der  "Alkeste"  des  Euripides,  aber  eme  Nachahmmig,  die 
mehr  als  das  schönste  ursprüngliche  Stück  irgend  eines  Ver- 
fassers bewundert  zu  werden  verdient.  Ich  kann  es  noch  nicht 
begreifen,  durch  welchen  glücklichen  Zufall  Thomson  in  der 
neueren  Geschichte  die  einzige  Begebenheit  finden  mul'ste,  die 
mit  jener  griechischen  Fabel  einer  ähnlichen  Bearbeitung  fähig 
war,  olme  das  Geringste  von  ilirer  Unglaublichkeit  zu  haben !' 
Wu*  unsei'erseits  vermögen  es  nicht,  der  Lessingschen  Ansicht 
beizustimmen.     Der  griechische  Sagenstoff,   das  ist  richtig,  leidet 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Trag-rxlien.       49 

an  Unnatürlichkeit  und  Uuwahrscheinlichkeit  und  würde  deshalb 
heutzutage  nie  der  Gegenstand  einer  guten  Tragödie  sein  können. 
Der  mittelalterhche  M>i;hus,  der  aus  dem  griechischen  hervor- 
gegangen (vgl.  hierzu  EUinger:  Alkeste  in  der  modernen  Litteratur, 
S.  24  ff.),  leidet  zwar  nicht  so  sehr  an  Unglaublichkeit  und  be- 
wegt sich  in  den  Grenzen  der  Möglichkeit,  wurde  aber  von 
Thomson  durchaus  ungeschickt  behandelt,  so  dafs  wir  wohl  der 
Anlage,  nicht  aber  der  Ausführung  und  dem  Ausgange  nach 
eine  echte  Tragödie  vor  uns  haben.  Wir  möchten  hier  im  Ver- 
ideich  zu  Agramemnon  eher  einen  dramatischen  Rückschritt  des 
Dichters  erkennen.  Das  Stück  enthält  zahlreiche  Eührscenen, 
welche  durch  die  Fabel  selbst  bedingt  sind,  und  erinnert  in 
mannigfacher  Beziehung  an  die  'trag^die  bourgeoise'  der  Fran- 
zosen um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts.  —  Den  Schauplatz 
der  Handlung  verlegt  der  Dichter  nach  Jafa  (Joppe)  an  der 
Küste  von  Palästina,  etwa  sieben  Meilen  von  Jerusalem  entfernt. 
Für  die  historische  Grundlage,  worauf  das  Stück  teilweise  auf- 
gebaut ist,  für  die  Zeit  der  Handkmg  haben  vdr  an  des  Dich- 
ters eigenen  Worten,  die  er  Eduard  in  den  Mund  legt,  einigen 
Anhalt  (cf.  I,  1): 

E  d  w.     Worthy  of  Enyland's  heir  and  of  the  name 
Of  Lion-hearted  Ricliard,  whose  renown 
After  almost  a  Century  elaps'd  etc. 

Erwägt  man,  dafs  der  dritte  Kreuzzug  unter  Friedrich 
Barbarossa,  Pliilipp  August  von  Fi-ankreich  und  Richard  Löwen- 
herz von  England  in  den  Jahren  von  1189—1192  stattfand  und 
rechnet  nach  Thomsons  Angabc  etwa  hundert  Jahre  weiter,  so 
kommt  man  auf  den  Kreuzzug,  an  welchem  Eduard  I.,  mit  dem 
Spitznamen  'Longshanks',  teilnahm.  Diesen  Eduard  I.  (1272  bis 
1307),  den  Sohn  Heinrichs  IH.,  meint  der  Dichter,  und  die 
Handlung  spielt  nach  seiner  Darstellung  vor  1272,  weil  Eduard 
als  Prinz  nach  Palästina  gezogen  war  und  ihm  während  der  Be- 
lagerung von  Joppe  die  Nachricht  vom  Ableben  seines  könig- 
lichen Vaters  überbracht  wird.  —  Von  der  Belagerung  von 
Jafa  oder  Joppe  wird  historisch  nicht  weiter  berichtet.  Wohl 
machte  Eduard  von  England  als  Prinz  einen  Kreuzzug  nach 
Palästina,  die  Todesnachricht  seines  Vaters  gelangte  aber  nicht 
zu  ihm,   während   er    noch    in  Joppe  war,   sondern    erreichte    ihn 

Archiv  f.  n.  Spraclieii.     LXXXIV.  1 


f)!)       Kritiscli-ästhetisclic  Studien  über  James  ThomsoriK  Tragörlien. 

auf  seiner  Rückkehi-  während  seines  Aufenthaltes  in  Sioihen 
(1272).  Er  wurde  zum  König  ernannt,  es  wurde  eine  Regent- 
schaft in  England  eingesetzt,  das  I^and  war  ruhig,  und  der  Graf 
von  Gloucester  leistete  bereitwillig  den  Lehnseid.  Es  ist  dem- 
nach die  Zeit  der  Handlung  kurz  vor  das  Jahr  1272  zu  setzen. 
Der  historische  Stoff  bot  dem  Dichter  wenig  oder  vielmehr  gar 
nichts,  um  eine  Tragödie  aufbauen  zu  können,  deshalb  hielt  er 
sich  an  die  Sage,  welche  aber,  wie  oben  erwähnt,  ebenfalls  durch- 
aus keinen  rechten  Stoff  zu  einer  Tragödie  liefern  kann  und 
konnte.  Mau  bewundert  wohl  die  bereitwillige,  rautige,  selbst- 
lose Aufopferimg  Eleonoreus,  es  rührt  uns  die  treue,  innige 
Liebe  zu  ihrem  ungiücklicheu,  dem  Tode  unrettbar  verfallenen 
Gatten,  die  reine,  ideale  Liebe,  welche  ihr  teurer  ist  als  ihr 
eigenes  Leben,  aber  eine  tragische  Heldin  ist  sie  deshalb  doch 
nicht.  Hierzu  müfste  sie  infolge  einer  entweder  durch  eigenen 
Fehltritt  oder  durch  die  Schlechtigkeit  anderer  herbeigefülu-teu 
Schuld  leiden  imd  dann  kämpfend  für  eine  höhere  Idee,  welche 
sie  aber  auf  Irrwege  geführt,  im  Kampfe  unterliegen.  Sie  stirbt 
ja  aber  nach  des  Dichters  Darstellung  nicht,  sondern  wird  ge- 
rettet, so  dafs  sie  nun  ebensowenig  wie  Eduard  tragische  Hel- 
denfigm*  wdrd.  Selbst  wenn  sie  den  Tod  erütteu,  würde  sie  noch 
keine  tragische  Heldin,  sondern  blofs  eine  aufopferungsvolle,  treue, 
heldenmütige  Frau  sein.  —  Im  ersten  Akte  A^nrd  die  Kata- 
strophe bereits  vorbereitet,  im  zweiten  nur  noch  hinausgescho- 
ben; jeder  weifs,  dafs  sie  mit  Bestimmtheit  eintreten  muls,  und 
doch  wird  der  ganze  dritte  Akt,  in  welchem  die  That  geschehen, 
noch  mit  langen,  rührenden  Abschiedsscenen  zwischen  Eduard 
und  Eleonore  hingezogen.  Die  Katastrophe  tritt  schliefslich  gai- 
nicht  ein,  imd  man  ist  in  der  That  gespannt  zu  erfahren,  Avel- 
chen  Fortgang  die  Handlung  in  den  beiden  letzten  Akten  noch 
nehmen  wii'd.  Da  tritt  mit  einem  Mal  eine  unvorhergesehene 
Peripetie  und  damit  zugleich  eine  Nebenhandlung  ein,  die  aller- 
dings mit  der  Haupthandlung  in  direkter  Verbindung  steht.  Der 
Sultan  Selim,  als  Derwisch  verkleidet,  erscheint  im  Lager  Eduards, 
um,  wenn  es  noch  Zeit  ist,  die  imglückliche  Eleonore  durch  An- 
wendung eines  Gegengiftes  zu  retten.  Er  vollführt  sein  edles 
Werk  der  Humanität  und  tritt,  ohne  dafs  Eduard  ihn  kennt 
und    ohne    dafs    er    um    die    Errettung    seiner    geliebten    Gattin 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       51 

weüs,  vor  ihn  liiu,  um  den  Sultan  von  dem  schmählichen  Ver- 
dachte hinterlistiger  planmälsiger  Mordgedanken  freizusprechen. 
Es  entspinnt  sich  (V,  3)  zwischen  Eduard  und  dem  Derwisch 
ein  äufserst  lebhaftes  und  interessantes  Zwiegespräch,  welches 
schliefslich  mehr  einem  heftigen  Wortwechsel  gleicht,  indem 
Eduard  sich  oft  von  Leidenschaft,  Zorn  und  Schmerz  über  den 
Verlust  seiner  treuen  Eleonora  zu  den  gröbhchsten  Beschul- 
digungen und  Schmähungen  des  Sultans  und  seiner  Rehgion  hin- 
reifsen  läfst.  Es  empört  ihn,  dafs  der  Derwisch  so  frei  und 
unumwunden  den  Sultan  verteidigt,  und  als  erst  gar  der  angeb- 
liche Mordversuch  als  die  Handlung  eines  Fanatikers,  der  einer 
besonderen  religiösen  Sekte  angehört,  der  ohne  des  Sultans 
Wissen  sich  in  des  Königs  Zelt  Unheil  planend  eingeschlichen, 
dai'gesteUt  wird,  da  bricht  der  ganze  Sturm  der  entfesselten 
Leidenschaft  Eduards  los,  und  er  scheut  sich  nicht,  den  Sultan 
und  seine  Religion  als  die  Ursache  des  Unglücks  imd  der 
Schmach  der  Christen  hinzustellen.  Jetzt  entdeckt  sich  der 
Derwisch  als  Selhn  selbst.  Aber  auch  nun  glaubt  Eduard  noch 
nicht  an  dessen  Worte  und  wird  erst  dann  versöhnt,  als  Eleonora, 
durch  Selim  errettet,  auf  der  Bühne  erscheint.  Im  zweiten  Teile 
der  Tragödie,  von  welchem  man  mit  vollem  Rechte  reden  darf, 
erscheint  Selim  als  der  Retter,  als  ein  Held,  der  sich  unsere 
volle  Sympathie  erwirbt.  Die  Einheit  der  Handlung  wird  da- 
dm"ch  zwar  nicht  völlig  aufgehoben,  aber  doch  zum  mindesten 
beeinträchtigt.  Eduard  und  Eleonora  stehen  noch  im  Mittel- 
punkte derselben,  aber  man  interessiert  sich  jetzt  fast  weniger 
für  sie  als  für  den  Sultan  Sehm.  Die  oben  erwähnte  Sceue 
zwischen  Eduard  und  dem  Sultan  gehört  zu  den  besten  und 
lebendigsten  im  ganzen  Stücke,  Es  finden  sich  in  diesem  Dia- 
loge Ideen  und  Tendenzen,  die  in  I^essings  Nathan  in  ganz  ähn- 
licher Weise  wiederkehren,  und  es  ist  deshalb  nicht  immöglich, 
dals  sich  aus  diesem  Umstände  Lessings  günstiges  Urteil  über 
Eduard  und  Eleonora  zum  Teü  erklärt.  Anderenteils  rührt  I^es- 
siugs  günstige  Ki'itik  wohl  auch  davon  her,  dafs  er  im  Jahro 
1756  sich  selbst  in  der  tragischen  Kunst  noch  nicht  versucht 
hatte  und  noch  nicht  so  hohe  Anforderungen  an  dieselbe  stellte 
wie  später.  Selim  erscheint  als  Träger  der  Humanität,  als  Ver- 
treter einer  in  der  Liebe  und  Toleranz  thätigeu  Vernunftreligion. 

4* 


52       Kritisch -ästhetische  Bturlieri  üV)er  James  Thomsons  Tragödien. 

lu  der  Liebe  und  Toleranz  können  alle  Religionen  ohne  Unter- 
schied gleich  und  wahr  sein.  Man  vergleiche  in  dieser  Hinsieht 
nur  folgende  Verse  (V,  3): 

Edw.     You  all  are  higots,  robbers,  ruffians  all! 
It  is  the  very  genius  of  your  nation. 
You  live  by  rapine,  thoice  your  empire  rose  ; 
And  your  religion  is  a  mere  pretence 
To  rob  and  mnrder  in  the  name  of  Heaven. 

Selim.   Be  patient,  Prince,  be  more  humane  and  just.' 
You  have  your  virtues  and  your  vices  too; 
And  we  have  ours.     The  liberal  hand  of  nature 
Has  not  created  us,  nor  any  nation 
Beneath  the  blessed  canopy  of  Heaven, 
Of  such  malignant  elay,  but  eacli  tnay  boast 
Their  native  virtues  and  their  Maker's  bounty. 

Und  weiter  unten  heilst  es: 

Yet  I  am  greater  than  the  hiyliest  nionareh, 

Who,  from  blind  fury,  grows  the  slave  of  passion. 

Besides,  I  come  to  justify  a  prince 

Howe'er  in  other  qualities  below  thee, 

In  love  of  goodness,  truth,  humanity 

And  honour,  Sir,  thy  equal;  —  yes,  thy  equal. 

Selim  ist  fast  der  einzige  scharf  und  konsequent  durch- 
geführte Charakter.  Er  ist  edel,  human,  tolerant  und  bescheiden. 
Er  erregt  als  Vermittler  und  Ritter,  getragen  von  hohen  und 
rein  menschlichen  Ideen,  das  ungeteilte  Interesse  des  Zu- 
schauers. —  Abgesehen  von  dem  dramatischen  Dialog  zwischen 
Eduard  und  Selim,  sowie  einigen,  wenn  auch  nicht  tragischen, 
so  doch  rülirenden  Situationen  und  innigen  Scenen  zwischen  dem 
Prinzen  und  seiner  ihn  zärtlich  und  unvergleichlich  liebenden 
Gattin,  ist  das  ganze  Stück  dürftig  und  wenig  dramatisch,  die 
Handlung  steril,  schleppend,  unnatürlich  und  unnötig  lang  hinaus- 
gedehnt. Nimmt  man  nun  noch  hinzu,  dafs  auch  die  Diktion 
im  ganzen  weniger  markig  und  präcise  ist,  so  mufs  man  die 
ganze  Tragödie  zu  des  Dichters  unbedeutendsten  Leistungen 
zählen. 

4.   Tanered   and   Sigismunda. 

'Tancred  und  Sigismunda^  nebst  dem  letzten  Stücke 
'Coriolanus'   gehören    unzweifelhaft    zu  des  Dichters    besten  Tra- 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       58 

gödien.  'Taucred  und  Sigismunda^  ist  allerdings  in  der  Kom- 
position auch  nur  schwach^  namentlich  leidet  die  Verwickelung 
und  die  Katastrophe  an  zu  grofser  Unwahrscheinlichkeit,  die 
Handlimg  dagegen  zeichnet  sich  durch  Frische  und  Lebendigkeit 
aus.  Im  bunten  Scenenwechsel  führt  der  Dichter  eine  Reihe 
dramatischer  Gemäkle,  die  unser  Interesse  fesseln  und  uns  mit 
den  handelnden  Personen  fühlen  lassen,  au  unserer  Seele  vor- 
über. —  Der  Dichter  sagt  selbst  in  seiner  Vorrede,  dafs  das 
Stück  bei  der  Bühuenauffülirimg  beträchthch  gekürzt  worden 
sei,  dafs  er  es  aber  dem  Leser  m  seiner  ursprünglichen  Form 
zeigen  woUe.  Der  Ort  der  Handlung  ist  Palermo.  Der  Stoff 
ist  der  mittelalterlichen  sicilianischen  Geschichte  entnommen;  der 
Dichter  versetzt  uns  in  die  Zeit  Tancreds,  des  letzten  Spröfs- 
lings  der  Normannen,  ziu-ück.  Es  mufs  von  vornherein  bemerkt 
werden,  dafs  sich  Thomson  mehrfach  auffäUige  Abweichungen 
von  der  geschichtlichen  Überlieferung  erlaubt  hat.  Die  mut- 
maßlichen Gründe,  welche  er  dabei  hatte,  sollen  bei  der  Kritik 
näher  erörtert  werden.  Es  möge  nun  zunächst  eine  etwas  aus- 
führlichere Analyse  des  Stückes  mit  Beibehaltung  der  liistorischen 
Unrichtigkeiten  folgen. 

Wilhelm  IT.  mit  dem  Beinamen  'der  Gütige'  liegt  auf  dem 
Sterbebette.  In  seiner  letzten  Willenserklärung,  die  ihm  Siffredi, 
der  Lordkanzler  Siciliens,  angeblich  im  Interesse  des  Staates,  der 
Ruhe  und  Wohlfahrt  des  Volkes,  so  zu  sagen  abgerungen  hat,  hat 
er  Tancred,  den  Enkel  Rogers  L,  des  ersten  Normannen  herzogs, 
verpflichtet,  seine  Taute  Constantia  zu  heiraten,  widi'igenfalls  er 
auf  die  Krone  Verzicht  leisten  imd  Constantia  mit  Heinrich  VI. 
vermählt  werden  soll.  Tancred,  welcher  bisher  als  Pflegebefohle- 
ner uud  Adoptivsohn  im  Hause  Sitfredis  gelebt  hat,  erfährt  von 
diesem  seine  Abstammung  und  dals  er  nach  des  Königs  Wunsch 
und  Willen  Herrscher  über  Sicihen  werden  soll.  Die  Bedingun- 
gen verschweigt  ihm  Siffredi.  Letzterer  weüs  um  seiner  Tochter 
Sigismunda  Liebe  zum  Prinzen  Tancred  und  will  auf  alle  Fälle 
eine  eheliche  Verbindimg  der  sich  innig  Liebenden  hintertreiben. 
Sigismunda  ist  oft  von  bösen  Ahnungen  erfüllt  und  kann  sich 
das  übergTolse  Glück  kaum  denken,  Tancred,  der  soeben  von 
den  sicilianischen  Grofsen  und  vom  Volke  feieriich  zum  König 
von  Sicihen   ausgerufen  worden    ist,   als  Ehegemahl    zu    besitzen. 


M        Kritiscli-ästhetischc  .Studien   iil)er  .laiiu-s  'riioinsons  Tragi'idicn. 

Tancred    überreicht    ihr   deshalb    beim  Ab.schied    eine    mit   .seiner 
Namensunterschrift  verscliene  Urkunde,  die  sie  ilirem  Vater  über- 
reichen soll,  damit  er  sein  väterliches  Jawort  darauf  schreibe  und 
tlie  Vermählung   sofort  vor   den  versammelten  Pairs  verkündige. 
Siffi-edi   jedoch    aus    staatsmännischen    Klugheitsrücksichten    ver- 
kündet vor  der  Versammlung  des  Königs  letzten  Willen  und  in 
Gegenwart  Tancreds  und  Sigismundens  die  Eheschliefsung  Tanc- 
reds    mit    der   Prinzessin    Constantia.      Tancred    in    seiner    über- 
grofsen  Bestürzung  und  Entrüstung,  zugleich  aber  auch  aus  zar- 
ter   Rücksicht    auf    seine    Geliebte    Sigisnmnda,    vermeidet    den 
öffentlichen  Skandal.    Er  fordert  Sitfredi  auf,  am  folgenden  Tage 
diese  Bekanntmachung   als   gemeine  Fälschung  zurückzunehmen, 
wogegen    sich    aber    Siffredi    mit    Entschiedenheit    sträubt.      Im 
Gegenteil   er  verspricht   die   Hand   seiner   Tochter    dem   Grafen 
Osmond,   der   um  dieselbe  angehalten  hat.     Sigismunda,   anfangs 
vor  Scham,  Schmerz  und  Trauer  imi  den  Verlust  Tancreds  dem 
Wahnsinn  nahe,  läi'st  sich  von  ihrem  Vater  und  ihrer  Vertrauten 
Laura,  welche  Tancred  als  einen  Feigling  und  Treulosen  hinstellt, 
überreden  und  reicht,  innerKch  empört  über  Tancreds  Benehmen, 
über  seinen  Betrug,  dem  ungeliebten  Osmond  die  Hand,  nur  um 
sich  so  an  Tancred  zu  rächen,   den    sie   wirklich  für  treulos  und 
unmännlich   hält.     Tancred    schreibt   an  Sigismunda   einen  Brief, 
worin  er  ihr  den  unseligen  Betrug  mitteüt.    Dieser  Brief  gelangt 
zu    spät   in  ihre  Hände.     Tancred    begiebt   sich    selbst   zu  Sigis- 
munda und  beschwört  sie,   die  Seine   zu  werden.     Er  ^vill  durch 
fürstlichen  ISIachtspruch    ihren    auf   betriigerische  Weise  mit  Os- 
mond geschlossenen  Ehebund  für  null  und  nichtig  erklären.    Bei 
dieser    Zusammenkunft    mit    Sigisnumda    wird    er    von    Osmond 
überrascht.     Es    kommt   zu   heftigen   Auseinandersetzungen   zwi- 
schen beiden  Rivalen,  und  Tancred  verbietet  Osmond  unter  An- 
droliung  der  Todesstrafe,   sich  Sigismunda  Je   wieder   zu  nähern. 
Dieser,   pochend   auf   seine   gerechten  Ansprüche  auf  seine  Ehe- 
gemahlin   und    unterstützt    von    seinem    Schwiegervater    Siffredi, 
bietet   dem  Könige   trotzig  die   Stirn.     Es    folgt   die   Gefangen- 
nahme Osmonds   durch  Rodolpho,    der   einen    schriftlichen  Haft- 
befehl seines  Freundes,  des  Königs,  vorzeigt.    Osmond  wird  auf 
ein  festes  Schlots   in  Palermo   gebracht.     Goffredo,   der  Befehls- 
haber dieses  Schlosses,  sein  Freund,  erlaubt  ihm,  auf  eiue  Nacht 


Kritisch-ästhetische  Studieu  über  .Tarne?  Thomsons  Tragödien.       5-5 

sich  zu  eutfernen.  Am  folgenden  Tage  sollte  er  überhaupt  nach 
des  Königs  Befehl  auf  freien  Fufs  gesetzt  werden.  Er  eilt  zu 
seinem  Weibe  und  trifft  dort  den  König,  der  Sigismunda  wieder- 
holenthch  vergeblich  bestürmt  hat,  ihm  die  Hand  zu  reichen  imd 
ihm  als  Ehegemahlin  in  sein  Schlofs  zu  folgen.  Es  entsteht  ein 
äufserst  erregter,  leidenschaftlicher  Wortwechsel  zwischen  Tanc- 
red  und  Osmond,  es  kommt  zum  Kampfe,  und  Osmond  fällt 
durch  Taucreds  Schwert.  Sterbend  ergreift  der  imglückhche 
Osmond  den  Dolch  imd  durchbohrt  unter  Flüchen  und  Ver- 
wünschungen sein  neben  ihm  knieendes  unschuldiges  Weib.  Der 
Verzweiflung  nahe,  entreilst  Tancred  dem  in  der  Nähe  stehenden 
Rodolpho  das  Schwert,  um  sich  zu  töten,  wird  al^er  von  diesem, 
der  ihn  au  Sigismundens  letzte  Bitte,  sein  eigenes  Leben  zu 
schonen,  erinnert,  vom  Selbstmord  abgehalten.  Von  Schmerz 
überwältigt,  an  der  Leiche  Sigismundens  niederknieend  imd  sie 
mit  Küssen  bedeckend,  findet  ihn  Siffredi,  der  jetzt  zu  spät  sein 
Unrecht  erkennt  und  am  Schlüsse  eine  kurze  Moral  ausspricht 
des  L]halts,  dafs  Eltern  ihre  Kinder  nicht  tyrannisch  zu  einer 
Heirat  zwingen,  sondern  ihnen  nach  ihres  Herzens  Drange  freie 
Wahl  lassen  sollen. 

Im  Interesse  des  Stückes  imd  des  Helden  selbst  hat  sich 
der  Dichter,  wie  im  Eingänge  bereits  bemerkt  \ntrde,  mehrfach 
Abweichungen  von  der  historischen  Überlieferung  gestattet.  Nach 
der  Geschichte  ist  Tancred  Enkel  Rogers  L,  unehelicher  Sohn 
Rogers  H.  und  Halbbruder  Wilhelms  I.,  des  Bösen.  Tliomson 
dagegen,  dem  eine  solche  Abkunft  füi'  seinen  Helden  als  un- 
passend und  undramatisch  erscheinen  mulste,  stellt  ihn  als  den 
rechten  Sohn  Manfreds  dar.  An  Manfred,  der  erst  später  im 
1.3.  Jahrhundert  als  Halbbruder  Kaiser  Konrads  IV.  eine  historische 
Rolle  gespielt  hat,  kann  natürhch  liier  nicht  gedacht  werden. 
Manfred  ist  einfach  bei  Thomson  eine  erfimdene  Persönhchkeit. 
Nach  Thomson  wird  Manfred  durch  Wilhelm  den  Bösen  ermordet, 
und  Wühelm  IL,  der  Gütige,  welcher  kinderlos  stii'bt,  bestimmt 
testamentarisch  seine  Schwester  Constantia  zm-  Gemahlin  Tauc- 
reds. Nun  ist  aber  nach  der  geschichthchen  Tradition  Constantia 
die  Schwester  Wilhelms  L,  mithin  Halbschwester  Tancreds  und 
Tante  Wilhelms  H.  Dieser  hatte  sie  mit  dem  Sohne  Fried- 
richs L  (Barbarossa),  mit  Heinrich  VI.,  vermählt  und  ihm,  da  er 


.')ri        Kritiscli-ästhetische  Studien  über  James  Thomsonis  Tragöriirn. 

selbst  kinderlos  war,  die  Herrschaft  über  Sicilien  zugesichert. 
Thomson  konnte  aus  dramatischen  Rücksichten  imd  (Gründen 
zur  Herbeiführung  des  Konfliktes  und  der  Katastrophe  der  ge- 
schichtlich feststehenden  Überlieferung  nicht  folgen  und  Con- 
stantia  als  Schwester  Wilhchns  I.  hinstellen,  weil  dadurch  die 
geplante  Heirat  zwischen  ihr  und  Tancred  gar  nicht  möghch  ge- 
wesen wäre  und  die  Verwickelung  und  Katastrophe  gar  nicht 
hätte  herbeigeführt  werden  können.  So  aber  ist  das  Verlangen, 
welches  man  au  Tancred  stellt,  die  Tochter  des  Mörders  seines 
Vaters  zu  ehelichen,  um  so  viel  schrecklicher  und  dient  nur 
dazu,  ihn  in  seiner  treuen  Ijiebe  zu  Sigismunda  zu  bestärken. 
Sigismuuda  gleichwie  die  übrigen  Personen  im  Stücke  sind  er- 
dichtet, und  es  fehlt  ihnen  jeglicher  geschichtliche  Hintergrund. 
Solche  Erfindungen,  solche  Abweichungen  erlauben  und  erlaubten 
sich  auch  audere  Dichter,  wenn  die  Regeln  der  dramatischen 
Kunst  es  erheischen.  Der  Wert  der  Thomsouschen  Tragödie 
wird  übrigens  durch  jene  historischen  Unrichtigkeiten  keineswegs 
l)eeinträchtigt,  sondern  viehnehr  erhöht.  Nicht  so  verhält  es  sich 
mit  den  mannigfachen  auf  fälligen  Un  Wahrscheinlichkeiten,  woran 
die  Darstellung  leidet.  Zunächst  ist  die  Herbeiführung  der  Ver- 
wickelung höchst  unnatürlich.  Kann  man  sich  wohl  vorstellen, 
dafs  Tancred,  nur  um  Aufsehen  zu  vermeiden  und  aus  zarter 
Rücksicht  auf  seine  Braut,  stillschweigend  seine  von  SifFredi  ver- 
kündigte Vermählung  mit  Constantia  als  wahrheitsgemäCs  hin- 
nimmt? Hatte  er  nicht  vielmehr  allen  Grund  dazu,  offen  imd 
energisch  vor  dem  versammelten  Volke  gegen  solch  eine  er- 
bärmliche und  unverschämt  freche  Entstellung  der  Wahrheit  zu 
j>rotestieren  und  seine  Liebe  zu  Sigismunda,  seiner  Braut,  laut 
zu  bekennen?  So  würde  er  doch  ganz  entschieden  Ndel  richtiger 
gehandelt  und  Sigismunda  Demütigung  und  Herzeleid  erspart 
haben.  Mit  Worten,  wie  sie  sich  V,  6  finden,  wird  die  Hand- 
lung Tancreds  um-  sehr  schlecht  und  wenig  stichhaltig  motiviert. 
Er  sagt  dort  in  dem  Dialoge  mit  Sigismunda: 

/  told  fliee  how  thy  fatJ/er's  artifice 

Fore'd  me  to  seem  perfidious  in  thine  eyes. 

Ah,  fatal  blindness!  not  to  Imve  observd 

The  mmgled  pangs  of  rage  and  love  that  shook  me : 

When,  by  my  cruel  piiblic  Situation 


Kritisch-ästhetische  »Studien  liber  Janies  Thomsons  Tragödien.       57 

Gompell'd,  I  only  feignd  consent,  to  gain 
A  little  time,  and  niore  seciire  tliee  tnine. 

Sollte  die  Verwiekelung  entstehen,  sollte  die  Katastrophe 
eingeleitet  und  herbeigeführt  werden,  und  das  niulste  ja  doch 
geschehen,  so  durfte  die  glückliche  Verbindung  Tancreds  und 
Sigismuudeus  auf  keinen  Fall  stattfinden.  Der  Dichter  hätte 
aber  eine  nicht  so  plumpe,  auf  Unwahrscheinlichkeit,  man  möchte 
fast  sagen  Unmöglichkeit,  beruhende,  sondern  planmälsig  an- 
gelegte und  wohl  ausgedachte  lutrigue  erfinden  sollen,  welcher» 
das  ahnungslose  Liebespaar  unrettbar  zum  Opfer  gefallen  wäre.  — 
Unnatürlich  ist  es  ferner,  dafs  Tancred  so  lange  säumt,  wenigstens 
den  Brief  an  Sigismunda  abzusenden,  worin  er  ihr  den  Betrug 
ihres  Vaters  mitteilt  und  sich  gegen  den  Verdacht  der  Treu- 
losigkeit verwahrt.  Gar  nicht  genügend  motiviert  wird  sodann 
der  schnelle  Entschlufs  Sigismundeus,  wider  Willen  und  ohne 
jegliche  Herzensneigung  ihre  Hand  dem  Grafen  Osmond  zu 
reichen.  Sie  darf  doch  eigentlich  nach  den  kurz  zuvor  erfolgten 
aufrichtigen  Beteuerungen  der  Liebe  und  Treue  ihres  Verlobten 
unmöglich  so  rasch  an  dessen  Sinnesänderung  glauben  und,  ohne 
mit  ihm  gesprochen  oder  auch  nur  von  ihm  gehört  zu  haben,  blofs 
weil  er  vor  der  versammelten  Menge  geschwiegen,  sie  somit  be- 
trogen, ihr  Herz  verleugnen  und  es  au  Osmond  verschenken.  In- 
folge solcher  Unwahrscheinlichkeiten  erregt  auch  das  Schicksal 
Tancreds  und  Sigisnumdens  weder  die  Furcht  noch  das  Mitleid 
des  Zuschauers.  Er  empfindet,  dafs  beide  zu  unbesonnen  handeln 
und  dafs  ihre  Handlungen  gar  nicht  motiviert  sind.  Dadurch 
dais  Osmond  mit  Siffredis  Einwilligung  Sigismunda  zur  Frau  be- 
kommt, rückt  er  zu  sehr  in  den  Vordergrund  dei*  dramatischen 
Handlung.  Man  interessiert  sich  wohl  noch  für  Tancred  und 
Sigismunda,  sowie  deren  Schicksal,  erkennt  aber  in  Tancred  nicht 
mehr  recht  den  Helden,  denn  dazu  ist  er  zu  wenig  entschlossen 
und  thatkräftig.  Osmond  hingegen  ers(!heint  als  Mann  starreu, 
unbeugsamen  Sinnes,  kühn  trotzend  den  Drohungen  des  Königs, 
der  in  seinen  Augen  kein  Recht  besitzt,  ebenso  wenig  wie  der 
geringste  Unterthan  des  Staates,  Gewaltthätigkeiten  zu  üben.  — 
Die  Gründe  endlich,  welche  den  Lordkanzlor  Sitfredi  bestinnnen,. 
das  Glück  zweier  sich  Liebenden  kalt  und  unbarmherzig  zu  zer- 
stören,   nämlich  des  Staates  und  des   Königs  eigenes  Wohl,    sind 


58       Kritiscli-astlietischc  Stiidieii  iilif  r  .l:ini('s  'l'liom.soiis  Tragödien. 

sehr  wenig  .stichhaltig,  so  dals  weder  der  Zuschauer  nf)eh  der 
Intrigant  selbst  von  der  Wahrheit  derselben  überzeugt  sein  kann. 
Man  vergleiche  liierzu  die  AVorte  Siffredis  (IJ,  1) : 

He  musi,  submit,  his  dream  of  love  must  vanish  — 
It  shall  be  done !  —  To  me,  I  knoiv,  'tis  rinn ; 
Biä  safety  to  the  public   —  to  the  King. 
I  will  not  reason  more,  I  will  not  listen 
Even  to  the  voicc  of  honour  —  No  —  'tis  fior.'d ! 
I  /  here  devote  me  for  my  prince  and  coimtry ; 

Lei  them  be  safe,  and  let  me  nobly  perish! 

Neben  diesen  hervurgehobeuen,  nicht  unbedeutenden  Schwä- 
chen hat  das  Stück  aber  auch  viele  Lichtseiten  und  Vorzüge  vor 
allen  anderen  Tragödien  Thomsons.  Hierzu  gehört  vor  allen 
Dingen  das  frische  dramatische  Leben,  bedingt  durch  einen  im 
raschen  Tempo  von  Für-  und  Widerrede  wechselnden  Dialog. 
Das  Interesse  des  Zuschauers  wird  beständig  angeregt,  und,  trotz- 
dem dals  die  Verwickelung  eingetreten  und  man  einen  schlimmen 
Ausgang  befürchten  mufs,  wird  die  Hoffnung  auf  glückliche  Lö- 
sung des  Konfliktes  durch  neue  Kombination  von  Plänen  und 
Entschlüssen  wieder  aufgefrischt  und  genährt.  Man  vergleiche 
in  dieser  Hinsicht  namentlich  Siffredis  Versuch  (V,  2),  seinen 
Schwiegersohn  zu  überreden,  Sigismunda  ins  Kloster  zu  schicken, 
damit  sie  unter  Gottes  heiligem  Schutze  keine  Gefahr  mehr  zu 
befürchten  habe.  Osmond  freilich,  der  jetzt  selbst  gegen  Siifredi 
railstrauisch  geworden  ist,  ihn  für  einen  geheimen  Verbündeten 
und  Freund  des  Königs  hält,  lehnt  solch  ein  Ansinnen  mit  Ent- 
rüstimg ab.  So  drängen  denn  die  Umstände,  nachdem  alle  Ver- 
söhnungspläne fehlgeschlagen,  zm-  blutigen  Katastrophe  hin.  Die 
letzte  Scene  ist,  abgesehen  von  der  etwas  aufdringlichen  Schlufs- 
moral,  hoch  dramatisch.  Wüd  stürmen  die  zügellosen  Leiden- 
schaften aufeinander.  Der  um  seine  Liebe  schändlich  betrogene, 
in  Verzweiflung  mafslos  aufgebrachte,  in  seinen  Rachegelüsten 
seiner  selbst  kaum  mächtige  Tancred  erhebt  die  Hand  gegen  den 
gereizten,  bis  zum  Wahnsinn  eifersüchtigen,  in  seiner  Ehre  und 
in  seinen  Rechten  gekränkten  Osmond.  Osmond  fällt  und  mit 
ihm  Sigismunda.  Sie  bül'st  ihre  Leichtgläubigkeit  und  ihren  dar- 
aus hervorgehenden  beleidigten  Stolz  und  ihren  Trotz  mit  dem 
Tode.    Erschütternd  wirkt  er  nicht,  \vohl  aber  x'ersöhneud.     Ihre 


Kritisch-ästhetische  Studien  ül)er  James  Thomsons  Tragödien.       59 

letzten  Worte  legen  beredtes  Zeugnis  ab  von  ihrer  reinen  Seele, 
ihrer  Liebe  zu  Tancred  und  der  kindlichen  Verehrung  ihres 
Vaters,  den  sie  dem  Schutze  und  der  Schonung  Tancreds  an- 
empfiehlt. Aber  nicht  nur  der  SchluCs,  sondern  auch  viele  andere 
Scenen  und  Situationen  im  Stücke  sind  echt  dramatisch  imd 
interessant.  Die  Charaktere  sind  trefflich  gezeichnet,  und  die 
Leidenschaften  der  handelnden  Personen  kommen  \virkungsvoll 
zur  Geltimg.  —  Für  kein  Stück  palst  das  oben  angeführte  Ur- 
teil Hettners,  dals  Thomson  unerträgHch  frostig  und  unbedeutend 
vnrd,  sobald  er  Menschen  imd  menschliche  Handlungen  ausmalt, 
so  wenig  als  gerade  für  Tancred  und  Sigismunda.  Jeder  un- 
befangene Leser  und  Beurteiler  Thomsons  wird  sich  von  der 
Wahrheit  unserer  letzten  Behauptung  überzeugen,  wenn  ei'  sich 
die  Mühe  nimmt,  folgende  Scenen  aus  Tancred  und  Sigismunda 
zu    vergleichen : 

1)  Die  reizende  Liebesscene  zwischen  Tancred  und  Sigis- 
munda (I,  6).  Wie  liebreizend  und  treu  und  doch  wie  bange 
besorgt  um  die  Zukimft  erscheint  da  Sigismunda,  und  Avie 
verrät  ein  jedes  Wort  Tancreds,  wie  unaussprechlich  glück- 
lich er  sich  fühlt  durch  Sigismundens  Besitz,  wie  er  sie 
treu  schützen  und  wie  stolz  er  auf  sie  als  seine  Königin 
schauen  will! 

2)  Die  für  Tancred  so  furchtbare  Enthüllungsscene  der  Ver- 
heiratung Sigismimdas  und  Osmouds  (IV,  2).^ 

3)  Die  leidenschaftliche  Auseinandersetzung  zwischen  Tanc- 
ried  und  Osmond,  der  sich  durch  kein  königliches  Machtwort 
noch  Drohung  schrecken  läfst  (IV,  3). 

4)  Die  Scene  zwischen  Tancred,  Siffredi  und  Osmond,  zwi- 
schen einem  leidenschaftlich  liebenden  König,  einem  gütlich  ver- 
mittelnden Staatsmann  und  einem  tief  gekränkten,  zornig  auf- 
brausenden Eheherrn  (IV,  4  u.  5). 

i>'  Nimmt  man  nun  noch  die  in  glatten  Versen  dahinHiel'sendo 
\tiarme,  innige  und  gefühlvolle,  bald  leidenschaftliche,  schwung- 
volle und  doch  nicht  bombastische  und  überladene  Sprache  hinzu, 
welche  in  den  meisten  Scenen  der  Tragödie  vorherrscht,  so  wird 
mau  dieselbe  trotz  der  nicht  unerheblichen  Mängel  luid  St^hwä- 
chen  als  ganz  schätzenswerte  dramatische  Leistung  des  Dichters 
hinstellen  düi'fen  und  anerkennen  müssen. 


60       Kritibch-ästhetiBche  iStiulieii  iiljci-  .(aine,«    Tliumsuns  Tragcidieu. 

5.   Coriolaniis. 

Die  zum  Teil  liistoriscli  feststehenden,  zum  Teil  von  der 
Sage  ausgeschmückten  Grolsthateu  Coriolans,  seine  Verbannung 
aus  seinem  Vaterlande,  seine  Flucht  ins  Lager  der  Volsker,  sein 
Verrat  am  Vaterlandc  aus  Rache,  sein  Zug  gegen  Rom  und  sein 
Tod  können  sehr  wohl  den  Gegenstand  zu  einer  Tragödie  bilden. 
Shakspere  hat  den  eklatantesten  Beweis  hierfür-  gehofert  und  der 
Nachwelt  ein  Werk  hinterlassen,  das  immer  und  ewig  seuien 
Wert  behalten  und  uns  durch  seine  dichterischen  Schönheiten 
erfreuen  und  begeistern  wird.  Die  Todesart  Coriolans,  welche 
für  die  tragischen  Dichter  von  besonderer  Bedeutsamkeit  sein 
mulste,  ist  historisch  nicht  festgestellt  worden ;  die  Sage  aber 
läfst  ihn  bald  sich  selbst  töten,  bald  von  den  Volskern  erschla- 
gen werden  oder  endlich  in  hohem  Alter  im  Lande  der  Feinde 
sterben.  Der  Tod  durch  der  Volsker  Hände  mufste  für  die 
Tragiker,  imd  so  auch  für  Thomson,  der  sich  an  Shakspere  an- 
lehnte, die  am  besten  zu  verwendende  Überlieferung  sein.  Durch 
David  Garricks  Darstellung  Shaksperescher  Figiu"eu  und  Helden 
erfolgte  die  sogentmnte  Wiedererweckung  des  grolseu  Meisters 
der  dramatischen  Kunst  in  England.  Mau  hatte  Shakspere  zwar 
immer  als  einen  Stolz  der  englischen  Litteratur  betrachtet,  aber 
doch  bis  tief  in  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  hinein  aus  dün- 
kelhafter Eitelkeit  gemeint,  ihm  überlegen  zu  sein.  Es  war  in 
den  vierziger  Jahren,  kurz  xov  dem  Erscheinen  von  Thomsons 
Coriolan,  dal's  Garrick  die  Heldenrollen  aus  einigen  der  grölsten 
Tragödien  Shaksperes  spielte.  So  King  Lear  und  King  John 
km-z  nach  1741,  Macbeth  1744,  Romeo  1748.  Die  Shakspereschen 
Stücke  wurden  ja  allerdings  von  den  Dichtern  damaliger  Zeit 
oft  gar  sehr  entstellt,  es  wm-de  an  ihnen  in  unverantwortlicher 
Weise  herumgeflickt  und  herumgeschneidert,  der  Geist  derselben 
blieb  jedoch,  die  grolsen  Gedanken  imd  tiefen  philosophischen 
Betrachtungen,  an  denen  die  Shakspereschen  Tragödien  so  reich 
sind,  wurden  meist  unverändert  als  heiUges,  unantastbai'es  Gut 
hingenommen.  —  Thomson  nahm  sich,  wie  ein  Vergleich  der 
beiden  Coriolane  lehrt,  Shaksperes  Stück  zum  Vorbilde,  besals 
aber  bei  weitem  nicht  das  feine  dramatische  Verständnis,  noch 
die  geniale  Schöpfungs-  imd  Dichtergabe,   welche  avu-  mit  Recht 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       61 

an  Shakspere,  dem  grolsen  jNIeister,  so  sehr  rühmen  und  bewun- 
dernd schätzen.  Nur  der  vierte  und  fünfte  Akt  diente  Thomson 
als  Vorlage.  Aus  diesen  beiden  Akten  machte  er  fünf  und  ver- 
fiel hier  bei  seinem  Bestreben,  seinen  Gegenstand  so  einfach  ^^^e 
möglich  zu  wählen,  in  den  Fehler,  ihn  bei  der  dramatischen  Dar- 
stellung desto  mehr  in  die  Länge  und  Breite  zu  ziehen,  wodurch 
Monotonie  und  Wiederholungen  notwendigerweise  oft  gar  nicht 
ausbleiben  können.  Es  ist  geradezu  unverständlich,  wie  Thomson 
dazu  kam,  den  so  herrlichen  dramatischen  Stoif  so  sehr  zu  kür- 
zen und  sich  nicht  enger  an  Shakspere  anzuschliel'sen.  Welche 
herrhcheu  dramatischen  Gemälde,  welche  Reihe  von  etJektvollen, 
lebendigen  und  äul'serst  interessanten  Scenen  bietet  uns  Shak- 
spere in  seinen  drei  ersten  Akten !  Wir  sehen  den  stolzen,  un- 
beugsamen, die  Tribunen  mit  Verachtung  behandelnden  Patricier 
Coriolan,  sehen  ihn  als  kühnen  Helden  im  Kampfe  gegen  die 
Volsker  vor  imd  in  Corioli,  dann  ^^■ieder  als  triumphierend  heim- 
kehi'enden,  mit  dem  Eichenlaubkranz  geschmückten  edlen  Sieger. 
Es  spielen  sich  in  bunter  Reihe  die  stürmischsten  Volksscenen 
vor  unseren  Augen  ab  und  schliefslich  wird  in  drastischer  Weise 
Coriolans  Bruch  mit  seinem  Volke  und  Vaterlande  unübertreif- 
lich  schön  in  lebhafter  Handlung  packend  und  hiureifsend  zm* 
Darstellung  gebracht.  Wir  erhalten  ein  ganz  genaues  und  treues, 
bis  ins  Detail  ausgeführtes  Bild  vom  Helden,  von  seinem  Cha- 
rakter und  seiner  Schuld,  die  mit  dem  Übergänge  zu  den  Fein- 
den beginnt.  Von  all  dem  findet  sich  bei  Thomson  nichts,  und 
seiu  Stück  beginnt  gleich  mit  der  Schuld  des  Helden;  seine  Vor- 
geschichte ^^ärd  blois  etwas  sch^verfällig  und  trocken  \-on  Titus 
erzählt  (H,  1).  Von  dem  Moment  an,  als  die  Geschichte  und 
die  Geschicke  Goriolans  im  Lager  der  Volsker  dargestellt  wer- 
den, ähneln  sich  Thomsons  und  Shaksperes  Stück.  Hätte  sich 
Thomson  etwas  genauer  an  die  Shaksperesche  Auffassung  des 
Gegenstandes  gehalten,  indem  er  auch  die  drei  ersten  Akte  berück- 
sichtigt hätte,  so  würde  seine  Tragödie  an  Wert  nur  haben  ge- 
winnen können.  Und  doch  enthält  sie  auch  so  noch  manche  dra- 
matische Vorzüge,  die  ihr  einen  würdigen  Platz  neben  Tancred  und 
Sigismunda  einräumen.  Namentlich  ist  das  Eintreten  der  Kata- 
strophe durch  die  Tntriguen  der  unermüdlichen  Gegner  des  Helden 
«geschickt  und  echt  dramatisch  motiviert  worden.    Die  Tntrioauten 


62       Kritisch-ästhetische  Studicii  über  James  Thomsons  Tragödien. 

bedienen  sich  zwai"  inuucr  wieder  von  neuem  denselben  Mittel, 
spitzen  aber  ihre  Waffen  immer  mehr  zu,  reizen  und  beleidigen 
den  Helden  von  Scene  zu  Scene,  so  dafs  er  ihren  Ansehlägen 
sclilie/slich  zum  Opfer  fallen  muls.  —  Die  Exposition  zunächst 
ist  allerdings  mangelhaft.  Die  ganze  Vorgeschichte  des  Coriolan 
wird,  wie  bereits  erwähnt  wurde,  von  Titus  nur  erzählt  (ü,  1), 
nachdem  Coriolan  bereits  vor  Attius  Tullus,  dem  Anführer  der 
Vülsker,  die  Römer  der  Treulosigkeit  und  Undankbarkeit  mit 
harten  Worten  beschuldigt  hat  (I,  4).  Der  Volskeranführer  führt 
bei  Thomson  seinen  historischen  Namen,  während  Shakspere  ihn 
im  Widerspruch  mit  der  Geschichte  Tullus  Aufidius  nennt.  — 
Die  Anklage  seitens  Coriolans  macht  einen  ungünstigen  Eindruck, 
indem  er  ziemlich  kleinmütig  und  kriechend  um  die  Gunst  des 
Tullus  bettelt  und  von  ihm,  wenn  es  ihm  nicht  vergönnt  sein 
sollte,  in  den  Reihen  der  tapferen  Volsker  gegen  Rom  zu  käm- 
pfen, den  wohlverdienten  Todesstreich  empfangen  will  (vgl.  hierzu 
Shaksperes  Cor.  IV,  4).  Sofort  ist  Tullus  bereit,  ihm  den  hal- 
ben Oberbefehl  über  das  Heer  zu  übertragen  und  ihn  als  besten 
Freund  zu  betrachten.  Der  Wechsel  in  der  Gesinnung  des  Tullus 
sowie  sein  unbedingtes  Vertrauen  zu  seinem  ehemaligen  Tod- 
feinde treten  zu  rasch  ein  und  sind  durch  Coriolans  Bitten  und 
Demütigung  nicht  hinreichend  motiviert.  Ebenso  unterbleibt  die 
dramatische  Motivierung  der  Schuld  des  Helden.  —  Der  Zu- 
schauer ist  nm*  noch  gespannt  zu  erfahren,  ob  mid  wie  lange 
Coriolan  in  seiner  Schuld  triumphieren,  oder  ob  er  durch  die- 
selbe zu  Gnmde  gehen  wird.  Der  Grund  zu  Coriolans  Treu- 
losigkeit und  Verrat  ist,  wae  man  freilich  erst  später  von  ihm 
selbst  erfährt,  sein  tief  beleidigter  Patricierstolz  luid  sein  ver- 
letztes Ehrgefühl.  Hitzig  und  wütend  weist  er  mit  Entrüstung 
das  Ansinnen  der  Volkstribunen  zurück,  vor  einem  Plebejer- 
gerichtshof zu  erscheinen,  um  sich  zu  verantworten  und  zu 
rechtfertigen.  Die  Worte  hingegen,  die  er  zu  Tullus  sagt,  klin- 
gen eines  unbeugsamen,  stolzen  Patriciers,  eines  unüberwindlichen, 
siegreichen  Coriolans  nicht  würdig. 

Death  from  thy  hand 

I  sure  have  well  deserv'd  —  Nor  shall  I  blush 

To  take  or  life  or  death  from.  Attius  Tullus  (I,  4). 

Gekränkter  Ehrgeiz,  Egoismus  und  Rachegedanken  lassen  Co- 


Kritisch-ästhetische  Studieu  über  James  Thomsons  Tragödien.       63 

riülau  nicht  nüiig  iu  die  Verbannung  ziehen,  sondern  führen  ihn  ins 
feindliche  Lager,  um  dort  seinen  brennenden  Rachedurst  zu  stülen. 

Coriol.     I  icould  at  once  cut  shoii  my  useless  days, 
EatJier  than  he  that  despicable  icretch, 
Who  neitJier  can  take  vengeance  an  his  foes 
Xor  serve  his  fründs  (II,  6). 

Es  scheint,  als  soUe  Coriolan  triumphieren;  er  besiegt  die 
Kömer  und  zieht  vor  Rom,  um  die  Stadt  zu  zerstören.  Diu-ch 
solche  herrliche  Kampfes-  und  Siegesthaten  erwirbt  er  sich  die 
Sympathien  und  die  Herzen  sämtlicher  Volsker,  so\\ne  auch  die 
Bewimderung  und  Freundschaft  des  Attius  TuUus.  Jedoch  im 
Verborgenen  lauert  bereits  der  böse  Feind,  General  Volusiuö, 
von  dessen  tückischen,  hinterlistigen  Gedanken  und  Plänen  Co- 
riolan keine  Ahmmg  hat.  Es  ziehen  sich  über  seinem  Haupte 
schwarze,  imheilverkündende  Wetterwolken  zusammen,  und  es  be- 
darf nur  eines  günstigen  Anlasses,  um  ihnen  den  Blitzstrahl  zu 
entlocken  und  ihn  zerschmetternd  auf  das  Haupt  des  sorglosen 
Helden  herabfahren  zu  lassen.  Die  Katastrophe  wird  vorbereitet, 
und  zwar  geht  der  Intrigant  Volusius  mit  so  gut  gewählten,  das 
Ziel  sicher  tretfenden  AV äffen  vor,  bedient  sich  so  spitzfindiger, 
höhnischer  A'^erdächtigungeu  und  Verleumdungen  des  Helden,  dals 
der  Zuschauer  einen  raschen  Umschwung,  einen  schlimmen  Aus- 
gang befürchten  mufs.  Volusius  hafst  Coriolan,  imd  es  ist  ihm 
schon  lange  ein  Greuel,  zu  sehen,  ^x\e  dieser  noch  in  fi-euud- 
schaftHchen  Beziehimgen  zu  Tullus  steht. 

Diese  Beziehungen  aufzuheben,  dem  Coriolan  allen  Kredit 
zu  rauben,  ihn  als  verkappten  Feind  imd  frechen  Eindringling 
hinzustellen,  ist  sein  alleiniges  Bestreben.  Volusius  ist  der  Me- 
phisto im  Stücke,  er  scheut  keine  IVIittel  und  wendet  immer  die 
erfolgreichsten  an,  lun  Tullus  auf  seine  Seite  zu  ziehen  und  Um 
gegen  Coriolan  aufzureizen.  Wie  geschickt  versteht  es  der  un- 
emiüdhche  Intrigant,  den  Stolz  und  namentlich  die  Eifersucht 
des  Tullus  waclizurufen  dadurcii,  dafs  er  Coriolan  als  eitlen, 
hoclmiütigeu  Streber  hinstellt,  der  in  der  That  allein  das  Kom- 
mando im  Volskerlager  führt,  dem  es  nach  Uber\A4nduug  der 
Römer  üljer  kurz  oder  laug  gehngen  wird,  sich  als  Herren  über 
beide  Völker  aufzuspielen.  Tullus,  dem  fi-üher  wohl  gelegentüch 
auch    ähnliche   Gedanken    flüchtig   das    Hirn    durchkreuzt    haben, 


(il         Kritiscli-fistlu'lisclK'  Stiirlicii   i'ihcr  .Taiiifs  Thomsons  'I'r;isrö(licii. 

freut  sicli  inuerlittli,  dieselben  Jdeen  in  viel  präciserer  uud  sclmei- 
digerer  Form  einen  anderen  entwickeln  zu  hören,  und  ist  gar  i)a]d 
von  der  Richtigkeit  der  Argumentationen  des  Volusius  überzeugt. 
Es  reift  in  Tulkis  der  P^ntsehluüs,  da(s  einer  weichen  muCs,  und 
Coriolan  raufs  fallen,  sobald  er  sich  eine  Blöise  giebt.  Diese 
ganze  Scene  (III,  2),  der  Dialog  zwischen  Volusius  und  TuUus, 
gehört  zu  den  besten  im  ganzen  Stücke.  Die  Thomsonsche  Dar- 
stellung ist  echt  dramatisch  und  spannend,  die  Shaksperesche 
(Cor.  IV,  7)  ist  weit  einfacher,  aber  auch  weniger  wirkungsvoll. 
Der  Dialog  bei  Thomson  ist  h()chst  interessant,  und  mit  Bangen 
erwartet  der  Zuschauer  den  Fortgang  und  die  Entwickeluug  der 
Handlung.  Schon  jetzt  ergreift  ihn  Furcht,  und  seine  Brust  wird 
mit  Besorgnis  um  derT  Helden  erfüllt.  Da  tritt  plötzlich  eine 
anscheinende  Peripetie  ein.  Stolz  uud  unbeugsam  zeigt  sich 
Cbriolan  der  Friedensdeputation  der  Römer  gegenüber.  Er  will 
nicht  vom  Sturme  auf  Rom  Abstand  nehmen;  mit  Energie  ver- 
tritt und  verficht  er  die  Sache  der  Volsker,  und  seine  im  Inter- 
esse der  Volsker  gestellten  Friedensbedingungen  sind  hart: 

Restore  the  conquer'd  lands  yovr  fwtner  wars 

Have  ravish'd  from  them :  from  their  towns  and  cities 

Won  by  your  arms  withdraw  your  colonies, 

And  to  the  füll  immunities  of  Rome 

Frankly  admit  tltem,  as  you  have  the  Latines  (vgl.  \l\,  3). 

So  ruft  er  ihnen  zu. 

Solche  unumwunden  deutlich  ausgesprochene  Berücksich- 
tigung uud  Wahrnehmung  der  Interessen  der  Volsker  entwaffnet 
plötzlich  den  die  Friedensbedingungen  mit  anhörenden  Tullus. 
Wie  kann  er  einem  solchen  tapferen  Verfechter  der  Rechte  der 
Volsker,  einem  solchen  treuen  Führer  derselben  noch  nach  dem 
Leben  trachten?  Des  Zuschauers  Hoffnung,  dafs  der  Held  ge- 
rettet wü'd,  steigt;  diese  schnell  eintretende  Peripetie  zum  Guten 
kommt  trefflich  zur  Geltung.  Doch  ebenso  schnell,  Ane  die 
Hoffnung  gestiegen,  sinkt  sie  auch  wieder.  Des  Volusius  böse 
Einflüsterungen,  seine  höhnischen  Worte,  die  den  Ehrgeiz  und 
die  Eifersucht  des  Tullus  zu  einer  vorher  nie  gekannten  Höhe 
hinaufgeschraubt  haben,  \'erfehlen  ihre  Wirkung  nicht.  Eine  ge- 
ringe Veranlassung  rückt  die  Katastrophe  um  ein  gutes  Stück 
näher,  ja  läi'st  sie  als  sicher  eintretend  erscheinen. 


Kritisch-ästhetische  Studien  über  James  Thomsons  Tragödien.       Go 

Tullus  soll  das  Kommando  über  eine  Abteilung  des  Volsker- 
heeres  übernehmen  und  es  gegen  die  heranrückenden  Latiner, 
welche  Rom  entsetzen  wollen,  führen.  Dieser  an  und  für  sich 
ganz  harmlose  Auftrag  wird  zum  Gegenstände  des  Streites  und 
Hasses  der  beiden  gleichstehenden  Führer  Tullus  imd  Coriolan. 
Tullus,  von  Zorn  und  quälender  Eifersucht  hingerissen,  macht 
Coriolan  die  bittersten,  ungerechtesten  Vorwürfe,  nennt  ihn  einen 
frechen  Eindi-ingling  und  Usurpator  and  verlangt  schliefslich  den 
Oberbefelil  über  die  gegen  Rom  marschierenden  Truppen.  Mit 
voller  Selbstüberwindung  und  Niederkämpfung  seines  bis  aufs 
tiefste  verletzten  Stolzes  gewährt  Coriolan  aus  staatsmännischer 
Klugheit,  um  einen  offenen  Bruch  zu  vermeiden,  selbst  diese 
Forderung,  kann  aber  nicht  umhin,  seine  Verdienste  und  die 
Bedeutung  seines  persönlichen  Einflusses  mit  folgenden  Worten 
zu  betonen: 

Oh,  it  Imports  not  which  of  us  eommand ! 

Oive  me  the  lowest  rank  among  your  troops; 

All  Italy  will  know  the  voice  of  fame, 

Will  teil  all  future  times,  that  I  was  present ; 

That  Coriolanus  in  the  Volscian  army 

Assisted  when  imperial  Ronie  was  sack'd; 

That  city  which,  white  he  maintain'd  her  cause, 

Invincihle  her  seif,  made  Antium  tremble. 

Da  schleudert  ihm  Tullus  die  Worte:  '^What  insolent  'pre- 
sumpfion  ins  Gesicht,  imd  der  offene  Bruch  zwischen  beiden 
Führern  ist  besiegelt  (IV,  3).  Tullus,  von  neuem  von  Volusius 
aufgereizt,  beschhefst  Coriolans  Tod.  Und  doch  ein  letzter 
Hoffnungsstrahl  für  seine  Rettung  taucht  noch  auf.  Er  hat  den 
Bitten  und  Vorstellungen  seiner  Mutter  und  seiner  Gemahlin, 
die  Belagerung  Roms  aufzugeben,  nicht  widerstehen  können,  hat 
aber  den  Römern  einen  für  die  Volsker  ehrenhaften  Waffenstill- 
stand von  einem  Jahre  unter  den  Bedingungen  gewährt : 

Tlbat  Rome,  meantime,  shall  to  a  peace  agree 
Fair,  equal,  just  and  such  as  may  seeure 
The  safety,  rights,  and  honour  of  the  Volsci. 

Diese  edle,  rein  menschliche  und  doch  auch  wiederum  ge- 
rechte That  läfst  Tullus  in  seinem  Vorhaben  noch  einmal  schwan- 
ken und  stutzig  werden.  Zufrieden  ist  er  nicht,  dals  (^oriolau 
sich  erweichen  Hels   und   seine   ehemaligen,   strengereu  Friedeus- 

Archiv  f.  n.  Spraelieii.    LXXXIV.  5 


ÜU       Kritisch-ästhetiHchc  Stiulicu  iilxr  Juincs  Tlioiiisons  Tragödien. 

hedingungen  gemildert  hat;  es  erscheint  ihm  andererseits  aber 
auch  grausam  und  erbärmhch,  den  stolzen  Sieger  über  die  Römer 
jetzt  durch  den  Mordstahl  fallen  zu  lassen.  Er  schlägt  Coriolan 
deshalb  vor,  seiner  eigenen  Sicherheit  halber  Antium  zu  ver- 
lassen und  zu  den  Römern,  die  seine  Hilfe  wohl  noch  brauchen 
können,  zurückzukehren.  Er  weiTs  freilich  \-on  \(^rnherein,  wie 
wenig  wahrscheinlich  es  ist,  dals  Coriolan  auf  solche  mit  Hohn 
und  beilsendem  Spott  vorgetragenen  Vorschläge  eingehen  wird, 
glaubt  aber,  seine  Seele  durch  den  letzten  Versuch,  die  Kata- 
strophe zu  verhüten,  von  Schuld   befreit  zu  haben. 

Darf  man  sich  aber  wundern ,  wenn  auf  solche  AV^orte 
(V,  2)  wie: 

Return,  return :  thy  dtity  calls  upon  tliee 

Still  to  protect  the  city  thou  hast  saved. 

It  still  may  he  in  danger  of  our  arms; 

und  weiter  imten: 

Whilst  thou  from  me 

Hast  nothing  to  expect  hut  sure  destruction. 
Quit  then  this  hostile  camp.    Once  7nore  I  teil  thee, 
Ttiou  art  not  here  one  single  hour  in  safety 

Coriolans  männlicher  Stolz  aufs  allerempfindlichste  verletzt  ward 
und  sein  wirklich  mit  bewunderungswürdiger  Selbstbeherrschung 
niedergekämpfter  Zorn  hervorbricht  und  in  heller  Lohe  auf- 
flammt? Das  haben  die  Intriganten  durch  ihr  tückisches  teuf- 
lisches Spiel  blofs  zu  erreichen  gesucht.  Coriolan  fällt  auf  ein 
gegebenes,  vorher  verabredetes  Zeichen  durch  die  mörderische 
Hand  des  im  Hintergründe  lauernden  Volusius.  —  Die  am 
Schlüsse  von  Galesus  ausgesprochene,  etwas  aufdringliche  Moral: 

Then  he  this  truth  the  star  hy  ivhich  ive  steer, 
Ahove  ourselves  our  country  shoidd  he  dear 

ist  zwar  übei'flüssig  und  undramatisch,  vermag  aber  doch  nicht, 
die  Wirkung  des  tragischen  Ausgangs  aufzuheben  oder  auch  nur 
abzuschwächen. 

In  den  drei  letzten  Akten  wird  der  Dichter  fast  in  jeder 
Hinsicht  den  Anforderungen  an  ein  gutes,  selbst  modernes  Drama 
gerecht.  Die  Katastrophe  ist  hinreichend  vorbereitet;  sie  wird 
immer  wieder  durch  wirkungsvoll  eintretende  Peripetien  auf- 
geschoben, nuiCs  aber  schlielslich,  durch  die  Charaktere  der  intri- 


Kritisch-ästhetische  Studieu  über  James  Thomsons  Tragödien.       67 

giiierenden  Personen,  sowie  des  Helden  selbst  bedingt,  mit  Not- 
wendigkeit eintreten,  Coriolan  ist  ein  Held,  der  zwar  eine 
Schuld,  aber  eine  wohl  motivierte,  vielleicht  verzeihliche  anf  sieh 
lädt.  Beleidigter  Stolz  ist  die  Triebfeder  seiner  Handlungen. 
Aus  Ehrgeiz  und  Eitelkeit  wird  er  schuldig;  infolge  seines  be- 
leidigten Ehrgefülils,  seiner  gekränkten  Feldherrnehre  und  seines 
verletzten  Anführerstolzes  fällt  er  den  Eifersüchteleien  eines 
ränkespinnenden  Yolusius  und  eines  gereizten  neidischen  Tullus 
zum  Opfer.  Sein  Tod  erregt  Mitleid  imd  Fiu-cht:  Mitleid  inso- 
fern, als  er  tapfer,  wenn  auch  nicht  selbstlos,  für  die  gute  Sache 
der  Volsker  mit  Leib  und  Seele  kämpfend,  den  hinterlistigen 
Anschlägen  der  Feinde  imverschuldeterweise  erliegen  mul's; 
Furcht  insofern,  als  er  zum  äufsersten  getrieben,  eine  allgemeine 
menschliche  Schwäche,  persönlichen  Stolz,  der  aber  frech  be- 
leidigt wird,  auf  die  Dauer  niclit  mehr  verleugnen  kann.  Der 
Zuschauer  fühlt  es  und  sagt  sich  mit  Besorgnis,  dafs  ein  jeder 
Ehrenmann,  aber  ganz  besonders  ein  Soldat,  im  gegebenen  Falle 
gerade  so  wie  der  Held  gehandelt  haben  würde. 

Die  Charaktere  der  Hauptpersonen,  vornehmlich  der  Corio- 
lans,  sind,  me  aus  den  angestellten  Beobachtungen  zu  ersehen 
ist,  trefflich  skizziert.  Von  den  Frauen  ist  Veturia,  Coriolaus 
Mutter,  am  besten  gezeichnet.  In  ilu'en  Adern  rollt  echtes 
Römerblut;  stok  schaut  sie  auf  ihren  herrlichen  Sohn,  den  sie 
innig  liebt  und  verehrt.  Über  alles  jedoch  geht  ihr  das  Vater- 
land, dessen  Ehre  und  Freiheit.  Lieber  will  sie  sich  selbst  den 
Tod  geben,  als  sehen,  wie  das  Vaterland  von  ilirem  eigenen 
Sohne  Schmach  erfährt  und  in  Sklavenketten  schmachtet.  Die 
Handlungen  sind  immer  die  Folgen  des  Charakters.  Ein  schla- 
gender Beweis  hierfür  ist  die  Situation  (V,  1),  als  Veturia  den 
Dolch  vorzeigt,  um  ihrem  Leben  im  Notfalle  ein  Ziel  zu 
setzen.    Patriotisch  gesinnt,  als  stolze  edle  Römerin,  ruft  sie  ans: 

I  came  not  hither 

To  he  sent  hack,  rejecfed,  haffled,  shamed, 
Hateful  io  Rome,  heeause  I  am  tJnj  mother  : 
Ä  Roman  matron  knows  in  such  extremes, 
What  pari  to  take  —  And  thus  I  came  prorided. 

(Drawing  froni  uuder  her  robe  a  dagger.j 
Go !  barharous  son!  go !  double  parricide! 
Rush  o'er  my  corse  to  thy  beloc'd  revenge! 


68       Kritisch -ästhetische  Studien  über  James  Thoinsous  Tragödien. 

Tread  on  the  bleeding  breast  of  her  to  vAom 
Thou  oiv'st  thy  life  —  Lo !  ihy  ßrst  rictim! 

Solche  Situationen  und  ähnliche  lebhafte  Darstellungen,  ge- 
hoheii  durch  einen  interessanten,  S))ann('nden  Dialog  und  eine 
echt  dramatische  Sprache,  finden  sich  mehrfach  im  Coriolan,  und 
sie  alle  liefern  uns  den  Beweis,  dal's  Thomson  doch  nicht  so 
wenig  dramatisches  Talent  ])esars,  als  man  gemeinhin  annimmt 
und  glaubt. 

fi.  Alfred  (A  Masque). 

Unmittelbar  an  die  Tragödien  möge  sich  noch  das  Masken- 
spiel  „Alfred"  anreihen  (vgl.  Biographie  des  Dichters,  S.  30). 

Dieses  in  zwei  Akte  und  Scenen  eingeteilte  dramatische  Ge- 
dicht hat  die  sagenhafte  Erzählung  von  dem  als  Bauern  verklei- 
deten und  bei  einem  Schäfer  Corin  und  dessen  Frau  sich  auf- 
haltenden König  Alfred  (871  —  901)  zum  Gegenstande.  Alfred, 
mutig  imd  entschlossen,  war  im  Kampfe  gegen  die  Normannen, 
die  von  den  Engländern  Dänen  genannt  werden,  erlegen;  sein 
Heer  wai*  zerstreut  worden,  und  er  selbst  hatte  sich  nach  Athel- 
ney  (Somersetshire)  geflüclitet.  Dort  triiFt  ihn  der  Graf  Devon, 
und  beide  beraten  miteinander,  was  zu  thun  sei,  um  England 
vom  Drucke  der  grausam  und  gewaltthätig  herrschenden  Dänen 
zu  befreien.  Auch  Eltruda,  Alfreds  Gemahlin,  die  nebst  ihren 
Kindern  vom  sorgenden  Gatten  in  einem  Kloster  verborgen  ge- 
halten wird,  verläfst  in  ihrer  Angst  ihre  Zufluchtsstätte  und  triift 
mit  ihrem  Gemahl  in  der  Schäferhütte  zusammen.  Beide  sind 
in  ihrem  Kummer  und  Schmerz  über  ihres  Vaterlandes  Not  und 
Elend  der  Verzweiflung  nahe,  als  ein  in  der  Nähe  wohnender 
Eremit  sie  in  ihrem  Glauben  und  ihrer  Hoffnung  wieder  bestärkt. 
Plötzlich  erklingen  himmlische  Stimmen  m  der  Luft,  und,  durch 
ihren  Zaubergesang  herbeigelockt,  erscheinen  verldeidet  zukünftige 
Heldengestalten  und  Stützen  des  englischen  Königi'eichs,  unter 
ihnen  Eduard  HI.,  der  Sieger  in  der  Schlacht  bei  Grecy,  sein 
Sohn,  der  Prinz  von  Wales,  der  'Schwarze  Prinz',  sodann  die 
Königin  Elisabeth  und  Wühelm  IH.  Der  Eremit  zeigt  Alfred, 
wie  grofs  durch  sie  England  einst  werden  wird,  und  giebt  ihm 
den  Rat,  jene  sich  zum  Muster  zu  nehmen.  An  ihnen  richtet 
sich  Alfred    auf   und   gewinnt    wieder   Mut,    und    durch    sie,   ge- 


Kritisch-ästhetische  Studieu  über  Janie?  Thomsons  Tragödien.       69 

wissermaisen  wie  diu'ch  überirdische  Kraft,  hat  Devon  über  die 
Feinde  gesiegt  imd  kommt  mit  der  freudigen  Siegesbotschaft  zn 
Alfred  ztu'ück,  —  Das  Ganze  hat  eigenthch  nur  insofern  Ähn- 
lichkeit mit  einem  Drama,  als  es  in  Akte  und  Scenen  eingeteilt 
ist.  Es  ist  eine  schlichte,  etwas  mysteriöse,  mit  Liedern  über- 
irdischer Gestalten  durchflochtene  Darstellung  der  sagenhaften 
Erlebnisse  Alfreds.  Von  Charakteristik,  von  dramatischem  Leben 
und  dramatischer  Handlung  kann  keine  Rede  sein.  Eine  gewisse 
dramatische  Wirkung  bringt  eigentlich  nur  das  zarte,  liebevolle 
Verhältnis  zwischen  Alfred  und  Eltrude  hervor.  Das  Masken- 
spiel ist  vielleicht  noch  insofern  bedeutsam,  als  es  das  hübsche 
berühmte  Lied  mit  dem  Kehrreim : 

Buk,  Brilon  nia,  ride  the  waves, 
Britons  ne'er  shall  he  slaves 

enthält,  welches  die  Machtstellung,  den  Stolz  und  die  Freiheit 
des  unbeugsamen  Englands  verherrlicht.  Die  laugen  Reden  und 
Auseinandersetzimgen,  Ermahnungen  imd  frommen  Lehren  des 
Eremiten  sind  sehr  frostig  und  wirken  auf  den  Leser  mehr  als 
ermüdend. 

Fassen  wir  zum  Schlafs  nun  unser  LTrteil  über  Thomson  als 
Tragödiendichter  noch  einmal  kurz  zusammen,  so  läfst  sich  etwa 
folgendes  sagen :  Thomson  ist  als  Tragöde  bei  weitem  nicht  so 
unbedeutend  und  talentlos,  als  er  von  den  Litterarhistorikern 
hingestellt  zu  werden  pflegt.  Oberflächliche  und  um-  teilweise 
Lektüre  der  Thomsonschen  Tragödien,  vielleicht  auch  Vorurteil, 
juögen  die  absprechende,  ungerechte  und  unbegründete  Kritik  der 
meisten  Litteraturforscher  veranlafst  haben. 

Thomson  war  in  der  Stoffwahl  zu  seinen  Stücken  meist, 
glücklich  und  auch  die  Ausführung  darf  im  grofsen  und  ganzen 
als  gelungen  bezeichnet  werden.  Einen  Helden,  welcher  für  eine 
höhere  sittliche  Idee  kämpft,  durch  das  frevelhafte  Beginnen  und 
die  Niederträchtigkeit  anderer  eine  Schuld  auf  sich  lädt  und  im 
Kampfe  unterliegt,  einen  Helden,  durch  dessen  Schicksal  und 
Tod  wir  erhoben  und  erschüttert  werden,  hat  Thomson  allerdings 
in  keiner  seiner  Tragödien  zur  Darstellung  gebracht.  Wohl  aber 
hat  er  unter  Beobachtung  der  dramatischen  Eüiheiten,  vorzüglich 
der  Handlung,   es    ganz  trefflich  verstanden,    in    seineu    besseren 


7(1       Kriliscli-ä^;tlieti.sc'hL'  Slmlicii  ül)L'r  JiiiiR's  'J'li(>iu^(jii.s  TnigiKlii'n. 

'ria^iklicii   weuigstcus,  wie  wir  geselicu  liaben,   da.s  Interesse  ile.s 
Zuschauer.s   vom  Aufaug   bis    zum  Ende    Für   den  Helden    wach- 
zuhalten, uns  mit  ihm  denken,  fühlen  und  leiden  zu  lassen.    Die 
Handlung   ist   mu-   sehr   einfach,    aber   auch    sehr   steril    und   zu 
lang   gezogen.      Eine    notwendige   Folge    der    in    die    Länge   ge- 
zogenen einfachen  Handlung  sind  INIonotonie  und  AViederliohmgeu 
in  den  Motiven   und   der  Intrigue.     Diese  Mängel    werden   aber 
in  fast  jedem  Stück  Thomsons   zum  Teil   durch   einige   lebhafte, 
echt  dramatische  Scenen  und  Situationen  abgeschwächt  und  ver- 
deckt.  —   Auch   entstehende   und    sich   im   Verlaufe    steigernde 
Leidenschaften    versteht   der  Dichter  zu   schildern.     Den    besten 
Beweis    hierfür    hefern    ^Tancred    und    Sigismunda'   und   'Corio- 
lanus'.     Die   Schilderung   von   Leidenschaften    wird    durch    eine 
bald    warme    und   gefülilvoUe,    bald    mächtig   ertönende,    kräftige 
und    schwungvolle,   jedoch    nicht   überladene    Diktion   in    glatten 
luid  meist  wohlklingenden  Versen  erhöht.    An  rührenden  Scenen 
und  stinmiungsvollen  Gemälden  fehlt  es  bei  Thomson  niclit.    Es 
nnils  jedoch   zu   seinem   Lobe   bemerkt  werden,    dal's   er    solche 
Rührscenen    nicht   absichtlich    herbeiführt,    nur   um    den    Gefühl- 
volleren   und    Weichherzigeren    im    Publikmn    Thränen    zu    ent- 
locken (vgl.  bes.  Agam.,  Tancr.  u.  Sigism.,   Eduai'd  u.  Eleonore). 
Derartige   Scenen   legen  Zeugnis   ab   von   des  Dichters    tieferem 
Gemüt,  und,  wenn  man  ihm  Kälte  und  frostige  Darstellungsweise 
zum  Vorwurf  macht,   so   beurteilt   man   ihn   einfach  falsch   und 
thut  ihm    imrecht.     Manche  Charaktere,   namenthch   in   den  bei- 
den  letzten  Tragödien,   sind   vortrefflich  gezeiclmet   und   zeigen, 
dafs   der  Dichter  Welt   und   Menschen   kannte   und  beide   wohl 
studiert  hatte.     Er   entwirft    und   entrollt  vor  unseren  Augen  ab 
und  zu  dramatische  Gemälde,  die  an  Würde  und  AValu'heit  denen 
eines  modernen  Dichters  nicht  eben  um  vieles  nachstehen  dürften. 
So  läfst   sich   denn  mit  Fug  und  Recht   behaupten,   dals  Thom- 
sons Tragödien,  obwohl  nur  mittelmäfsige  Leistungen,  vom  künst- 
lerisch-ästhetischen Gesichtspunkte  aus  betrachtet,   doch   im  gan- 
zen besser   sind   als   viele   der   sehr   schwachen  Stücke  aus  dem 
17.  Jahrhundert   und   in   mehr   als   einer  Hinsicht  den  Anforde- 
rungen  genügen,    die    man    an   ein    gutes,    modernes   Drama    zu 
stellen  berechtigt  ist. 

Vegesack  bei  Bremen.  Guido  Wenzel. 


Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneiiies. 


Zweiter    Teil.' 

A.    Wortschatz. 
/.    Substantiv. 

aecident  =  „accidens"  als  Terminus  technicus  der  Philosophie 
tilgte  Corneille  sicher  seines  lehrhaften,  pedantischen  Gepräges  wegen: 
III,  526  var.  4:    Substance  qui  jamais  ne  re§oit  d' aecident. 

affronteur  =:^  „trompeur",  heute  selten  (Sachs),  war  damals 
in  der  familiären  Rede  sehr  beliebt  (vgl.  M-Iv.  unter  affronteur).  Cor- 
neille hat  es  nur  zweimal,  I,  276  vers  20  und  I,  168  var.  2,  wo  er 
es  später  strich. 

aise  ^:-  Freude,  Zufriedenheit,  fällt  an  einer  Reihe  von  Stellen, 
und  zwar  fast  immer  die  Verbindungen  mon  aise,  l'aise  (Nom.  oder 
Accus.).  Meistens  treten  joie,  repos  an  die  Stelle.  Vgl.:  I,  455  var.  1, 
462  var.  6,  485  var.  2,  493  var.  3,  494  var.  4 ;  II,  111  var.  3,  129 
var.  7,  157  var.  5,  166  var.  1,  234  var.  2,  260  var.  3;  III,  187 
var.  3.  Dagegen  der  Genitiv  d'aise  bleibt  meistens  stehen,  vgl.  z.  B. 
II,  173  vers  885.  Wahrscheinlich  schränkte  der  Gebrauch  des 
Wortes  sich  im  17.  Jahrh.  ein,  heute  gebrauchen  wir  ja  meist  nur 
noch  einige  stehende  Verbindungen  wie  ä  son  aise,  ä  l'aise  u.  ä. 

alfange  tritt  III,  173  var.  4  im  Cid  statt  epees  (der  Mauren) 
ein.  Corneille  liebt  es,  das  Technische  in  seinen  Stücken  korrekt 
zu  geben,  daher  wählt  er  diesen  spanischen  Ausdruck  (span.  „alfanje 
=  especie  de  espada  ancha  y  corva"  etc.,  vgl.  Beschreibung  im  Dikt. 
d.  span.  Akademie,  1726,  Bd.  I,  S.  196,  die  ganz  auf  die  maurischen 
Säbel  pafst).  —  Nicot,  Cotgrave,  Furetiöre  und  Richelet  kennen  al- 
fange nicht.    Vgl.  noch  Aretz  10 — 11. 


1  Erster  Teil  s.  Archiv  Bd.  LXXXIII,  S.  129  fl'.  und  273  ff. 


72  Entwickcluiigsgänpjf  in  der  Sju'uclif  rornoillcs. 

ame.  Chere  dmc  als  ZärtlichkeitsauHdruck  tiiuleii  wir  ein  paar 
Mal  in  den  ältesten  Werken  Coriieilles  (I,  -407  vers  153,  230  vers 
1567);  doch  TU,  305  var.  1,  306  var.  6,  wo  das  Weib  dem  Manne 
gegenüber  so  spricht,  fiel  es  als  zu  familiär  und  süfslich.  Voltaire 
1,  159:  ,, Chere  äme  ne  revoltait  point  en  1639." 

benefloe  — :  „bienfait"  stand  bis  1660  III,  333  var.  1: 

Et  (le  Roi)  remet  ä  demain  le  pompeux  sacrifice 
Que  nous  devoDS  aux  Dieux  pour  un  tel  bc^^nefice. 

Das  1 6.  Jahrh.  kennt  es  in   dieser  Bedeutung  (vgl.  Littre),   ebenso 

noch   Cotgrave   1611;  jedoch  nicht  mehr  Ac.  1694,  Fureti^re  und 

Richelet.    Heute  nur  noch  attendrc  tout  du  bcnefice  du  tenips  in  dieser 

Bedeutung  (Sachs). 

boulevard  nennt  der  Menteur  IV,  176  var.  2  die  Barrikade, 
die  er  vor  der  Thür  aufgebaut  haben  will,  in  der  bekannten  erlogenen 
Erzählung  von  seiner  Heirat.  Später  setzt  Corneille  rernpart  dafür 
ein,  weil  boulevard  im  ursprünglichen  Sinne  von  „Bollwerk"  während 
des  17.  Jahrb.  veraltete,  wie  Furetiere  und  Richelet  ausdrücklich  be- 
zeugen. Wäre  Voltaire  die  alte  Bedeutung  noch  geläufig  gewesen, 
so  würde  er  kaum  die  Etymologie  „boulevert,  vert  ä  jouer  ä  la  boule, 
qu'on  prononce  aujourd'hui  boiüevart"  aufgestellt  haben.  (Vgl.  Vol- 
taire I,  461.) 

braise  =:  „feux,  flamme,  amour",  das  sich  z.  B.  auch  bei  Rotrou 
findet  (vgl.  Sölter  16),  wurde  getilgt  I,  368  var.,  468  var.  3,  497 
var.  2;  II,  153  var.  3,  159  var.  4,  193  var.  1,  und  zwar  meist  schon 
um  1640.  Es  ist  stehen  geblieben  nur  X,  56  vers  25  in  einem  Ge- 
dicht von  1632,  das  nur  einmal  gedruckt  ist.  Obgleich  braise  in 
tlieser  überti'agenen  Bedeutung  bei  den  älteren  Dichtern  mehrfach 
vorkommt,  galt  es  doch  zu  Corneilles  Zeit  schon  als  trivial,  „braise 
se  dit  trop  souvent  ä  la  cuisine  poui*  qu'il  soit  supporte  au  salon" 
(M-L.  XI,  134).  Ac.  1694  hat  es  nur  als:  „charbons  allumez", 
ebenso  Furetiere  und  Richelet. 

brasier  =  „amour"  war  nach  Furetiere  und  Richelet  und  ist 
noch  heute  nach  Sachs  und  M-L.  vollkommen  zulässig.  Dennoch 
hat  Corneille  es  zweimal  von  vier  Stellen  geändert.  In  der  Tragödie 
gebraucht  er  es  nie.    Vgl.  I,  159  var.  4: 

Nos  b rasier s  tous  pareils  oat  memes  etinceUes. 
1,170 var. 3:   Tout  ce  que  je  puis  faire  ä  sou  brasier  uaissant. 

Es  blieb  I,  433  vers  669;  II,  34  vers  307. 


EnLwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corueilies.  73 

bravaehe  I,  252  var.  Es  kommt  iitu"  hier  vor  und  ist  mit  der 
ganzen  Stelle  gefallen.  Fiu'etiere:  „Ce  mot  est  un  peu  vieux  et  ne 
peut  eutrer  que  dans  le  discours  comique  et  burlesque."  Richelet: 
„mot  vieux/'     Heute  ist  es  familiär  (Sachs). 

camp  statt  „champ  =  lice"  stand  III,  180  var.  1  u.  2  in  der 
Beschreibung  von  Rodrigos  Zweikampf: 

Laissez  un  camp  ouvert,  o\\  n'entrera  persoune, 
und:  Faites  ouvrir  le  camp,  voiis  voyez  rassaillant. 
1660  wurde  cJminp  eingesetzt.  Es  ist  das  wohl  ein  Rest  der  italiani- 
sierenden  Richtung  des  Französischen  im  16.  Jahrh.  Cotgi'ave  1611 
läfst  noch  die  Wahl  zwischen  cmnp  ouvert  und  champ  oiivert,  Richelet 
1709  dagegen  kennt  nur  chamj)  in  dieser  Bedeutung.  Vgl.  noch 
M-L.  unter  champ. 

ea valier  erscheint  nach  M-L.  zuerst  1611  bei  Cotgrave,  doch 
wird  es  sicher  schon  längere  Zeit  vorher  in  Gebrauch  gewesen  und 
wie  die  meisten  italienischen  Lehnwörter  während  des  1 6.  Jahrh.  auf- 
genommen sein.  Wie  sehi*  aber  cavalier  als  ModcAvort  auf  Kosten 
des  franz.  Chevalier  an  Ausbreitung  gewann,  beweist  uns  Corneille. 
1637  in  der  Oktavausgabe  des  Cid  setzte  er  überall  cavalier  statt 
des  früheren  chevalier  ein,  neben  dem  er  das  erstere  schon  von  An- 
fang an  vielfach  verwendet  hatte.  Vgl.  III,  110  var.  6,  130  var.  1, 
149  var.  3,  178  var.  2,  179  var.  4;  ja,  III,  476  finden  wir  sogar 
folgende  Stelle :  ,,PnUjeucte  et  Nearque  etaient  deux  cavalier s  etroite- 
ment  lies  ensemble  (Vamitie."  Vgl.  auch  Aretz  12.  —  Dafs  aber  in 
der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrh.  der  Gebrauch  von  cavalier  wieder 
zurückgeht,  zeigt  uns  die  Ausgabe  von  1692,  wo  Thomas  Corneille 
im  Personenverzeichnis  des  Don  Sanche:  „Carlos,  chevalier  in- 
connu"  für  „Carlos,  cavalier  inconnu"  einsetzt.  Corneille  selbst 
scheint  in  seinen  späteren  Werken  den  heutigen  Unterschied  zwischen 
cavalier  und  chevalier  zu  machen,  vgl.  VII,  132  vers  582,  XI,  156. 
Vgl.  Menage  343. 

charogne,  ein  vulgärer  Ausdruck,  findet  sich  nur  in  einer 
Variante:  I,  337  var.  1  (bis  1644). 

ehef  '-^  „tete  d'une  personne'',  das  jetzt  ganz  ungebräuchlich 
geworden,  veraltete  damals  schon.  Scudery  tadelt  es  schon  direkt, 
wähi'end  die  Akademie  es  noch  nicht  ganz  aufser  Cours  setzen  will. 
Corneille  ändert  an  etwa  der  Hälfte  der  betreffenden  Stellen,  näm- 
lich:  I,  231  var.  1,    297  var.  2,    337  var.  1;    III,  119  var.  1,    386 


71  Eutwickelungsgäüge  in  iler  .Sprache  Curueilleh. 

var.  5;  IV,  d54  var.  3;  vgl.  M-L.  unter  chef.  Nicot  1606  und  Cot^ 
grave  1611  geben  diese  Bedeutung  noch  als  eine  gewöhnliche,  doch 
Fureti^re  1701  sagt:  „Vieux  raot  qui  signifioit  autrefois  la  tete  de 
riionnne."  Ähnlich  Richelel  1709.  Nach  Aretz  13  kommt  es  bei 
Racine  nicht  vor,  doch  belegt  Littre  es  noch  bis  Voltaire  (vgl.  Damm- 
holz, Nfrz.  Zs.  IX,  267).  Jetzt  noch  scherzhaft  coutTC-cJief  ~-  chapeau. 

closage  =  „enclos".  Einzige  Stelle  I,  309  var.  3.  Es  findet 
sich  in  den  Wörterbüchern  des  17.  Jahrh.  nicht.  Lacurne  belegt  es 
altfranz.  als  closage,  clausatge.  Nach  Littre  im  Supplement  ißt  es  in 
der  Nonnandic  gebräuchlich,  es  wird  also  wohl  ein  Provinzialismus 
bei  (V)rneille  gewesen  sein.    Vgl.  auch  Godefroy  I,  122. 

coeur.  Die  Verbindung  ,,ccßur  de  femme"  nur  einmal  belegt 
VI,  79  var.  1  (bis  16G0).  Nach  M-L.  haben  die  Romantiker  den 
Ausdruck  wieder  häufig  verwendet. 

Mon  ccPAir  als  Zärtlichkeitsausdruck  fiel  I,  319  var.  1.  Seit  dem 
Auftreten  Corneilles  begannen  derartige  Ausdrücke  (vgl.  oben  mon 
dme)  auch  in  der  Komödie  als  unzulässig  zu  gelten. 

contre  -  echange,  ein  Kompositum,  welches  eigentlich  einen 
Pleonasmus  enthält,  wurde  I,  432  var.  1  zuerst  in  contre-change  unil 
1660  in  einfaches  chmtgc  geändert  in  der  Verbindung  ^^ar  un  coiitre- 
echxmge  -^  „indem  man  Gleiches  mit  Gleichem  vergilt".  Ac.  1694: 
„Signifie  la  m^me  chose  qu'Eschange."  Littre  belegt  es  zweimal  aus 
dem  16.  Jahrh.  bei  Lanoue  und  einmal  aus  Lafontaine.  Es  scheint 
zu  allen  Zeiten  selten  gewesen  zu  sein,  jedenfalls  ist  es  heute  ganz 
ungebräuchlich  (Sachs). 

creve-ccBur  I,  296  var.  2,  497  var.  2  =  „deplaisir"  war  ein 
Italianismus  =  crepacuore  (vgl.  M-L.  unter  d.  W.).  Bekannt  sind 
die  Versuche  im  16.  Jahrh.,  derartige  Komposita  in  gröfserer  Zahl 
in  die  französische  Sprache  einzuführen,  Versuche,  die  jedoch  nicht 
durchdrangen.  (Vgl.  D-H.  189.)  Richeletl709  glossiert  es  als  „cor- 
dolium,  dolor",  heute  ist  es  nur  noch  familiär  (Sachs). 

dam.    I,  230  var.  2: 

Adieu,  soüle  ä  ton  dam  ton  curieux  desir. 
Obgleich  die  Ac.  1694  es  noch  als  gebräuchlich  angiebt  in  Wen- 
dungen wie  ä  ton  dam,  a  vostre  dam,,  war  es  damals  schon  veraltet 
oder  veraltend.  Zeugnisse  dafür  sind  diese  Änderung  bei  Corneille 
und  eine  Anmerkung  Menages,  welcher  es  bei  Malherbe  tadelt  (vgl. 
M-L.  XI,  250  und  Holfeld  21).    Richelet  1709  erlaubt  es  nur  noch 


Eütwickeluugsgänge  iu  der  Sprache  Corneilles.  75 

im  burlesken  oder  satirischen  Stil.    Littre  belegt  es  noch  einmal  aus 
P.  L.  Courier.    Heute  ist  es  selten  (Sachs). 

detraction  =  „medisance"  I,  202  var.  1.  Littre  belegt  es  seit 
dem  13.  Jahrh.  und  seit  dem  IG.  Jahrh.  nur  aus  der  kirchlichen 
Sprache  (mit  Ausnahme  obiger  Stelle  aus  Corneille,  die  er  auch  an- 
führt, wo  Corneille  selbst  ja  geändert  hat).  Ebenso  sind  die  Beispiele 
iler  Ac.  1694  aus  der  kirchlichen  Sprache  entnommen. 

de  vis  =:  „discoiu's"  I,  324  var.  1,  veraltete  während  des 
17.  Jahrh.;  es  scheint  erst  seit  dem  15.  Jahrh.  in  dieser  Bedeutung 
gebraucht  worden  zu  sein  (vgl.  Littre).  Cotgrave  führt  es  1611  noch 
als  gebräuchlich  auf,  Ac.  1694  aber  bezeichnet  es  schon  als  ver- 
altend, und  Furetiere  1701  und  Richelet  1709  geben  es  als  „bas  et 
vieux".    Heute  ist  es  ganz  aufser  Gebrauch  (Sachs,  Akademie  1878). 

devotions  auf  heidnische  Religionsübungen  angewendet  H,  349 
var.  1  wurde  1660  geändert. 

dextre  =  „la  main  droite''  II,  384  var.  2: 

Fuis-les,  je  u'arme  pas  ta  dextre  sanguiuaire. 
Nach  den  Beispielen  der  Ac.  1694  zu  urteilen,  gehörte  das  Wort  wie 
heute  (vgl.  Ac.  1878)  schon  damals  nur  der  Bibelsprache  an.  Fure- 
tiere 1701 :  „dextre,  terme  de  Theologie'',  Richelet  1709  :  „ce  mot 
ne  se  dit  qu'en  termes  de  piete.''  Doch  findet  es  sich  aul'serhalb 
dieser  Sphäre  in  Corneilles  Dramen  noch  einmal  I,  441  vers  .S35 
und  einmal  in  den  kleineren  Dichtungen  X,  211  vers  265  (diese 
Stelle  ist  später  nicht  revidiert  worden),  während  es  in  der  gewöhn- 
lichen Verwendung  in  den  religiösen  Dichtungen  sich  öfter  findet. 

discours  =  „Gedankengang,  Schlufsfolge"  stand  bis  1660 
III,  350  var.  2: 

Et  s'ose  imaginer,  par  un  uiauvais  discours, 
Que  qui  fait  iin  miracle  en  doit  faire  toujours. 

Jedenfalls  war  diese  Bedeutung  ungewöhnlich. 

eeolier  war  V,  538  var.  1  als  „Anhänger,  Jünger"  gebraucht, 
wurde  aber  sp>äter  durch  disciple  ersetzt.  Wo  Corneille  sonst  eeolier 
gebraucht,  handelt  es  sich  immer  um  ein  In-die-Schule-gehen  oder 
wenigstens  Unterrichtet-werden.  Auch  Richelet  bezeugt,  dafs  eeolier 
damals  wie  heute  schon  „Schulkind"  bedeutet  habe  (vgl.  M-L.  unter 
eeolier).    Ganz  so  eng  fafst  Corneille  den  Begriff  nicht. 

entregent  I,  149  var.  3  war  im  Anfang  des  17.  Jahrh.  noch 
gebräuchlich  (vgl.  Nicot,  Cotgrave),  veraltete  dann  aber  schnell,  wes- 


7^!  K?)t\vickehuig,sgängc  in  ilfr  .Sprache  Curueilles. 

Iialh  Corneille  ess  später  strich.  Richclet  17U9:  „Mot  (jui  a  vieilli." 
Näheres  siehe  M-L.  XI,  ;)76. 

equipago  soll  nach  Scudery  (M-L.  XII,  4tJU)  und  der  Akademie 
(M-L.  XII,  196)  nur  in  Verbindung  mit  Reisen  gebraucht  werden 
können.  Diesem  Ausspruche  gehorsam  tilgte  Corneille  es  III,  172 
var.  2  im  Cid,  wo  es  sich  auf  eine  Kriegsfahrt  bezog.  Vgl.  auch 
Aretz  14, 

fait  =^  „conduite''  tilgt  Corneille  III,  548  var.   l : 
S^vfere?  est-ce  le  fait  d'un  hemme  genereux; 
ferner  III,  555  var.  1;   dagegen   in   der  Bedeutung  „affaire"   kommt 
es  öfter  vor  (z.  B.  II,  24  vers  118;  IV,  216  vers  1402;  X,  40  vers  64). 
M-L.  hätte  diese  beiden   Bedeutungen   im  Lexikon   trennen  sollen ; 
beide  sind  allerdings  heute  noch  gebräuchlich  (Sachs). 

femme  im  Vokativ  =  „epouse"  findet  sich  nur  III,  310  var.  1 
u.  2.  Voltaire  I,  163  bemerkt  zu  dieser  Stelle:  „La  naivet^,  qui 
i'egnait  encore  en  ce  temps-lä  dans  les  ecrits,  permettait  ce  mot.  La 
rudesse  romaine  y  parait  meme  tout  enti^re." 

funerailles    hatte  Corneille    in    kühner   Übertragung    =    „des 

morts''  verwendet  III,  120  var.  1: 

Je  Tai  vu  tout  sanglant,  au  milieu  des  batailles 
Se  faire  un  beau  rempart  de  mille  funerailles. 

Die  Akademie  tadelte  diesen  Ausdruck,  daher  C-orneille  ändert.  Der- 
selbe findet  sich  auch  einmal  bei  Rotrou,  vgl.  Sölter  21.  Vgl.  auch 
Aretz  1 5. 

gausseur  I,  162  var.  1  war  zu  vulgär,  darum  merzt  Corneille 
es  aus.    Ac.  1694:  „II  est  bas.'' 

hantise  ^^  „commerce  familier''  findet  sich  nur  in  den  vor 
1642  verfafsten  Stücken,  und  I,  145  var.  3  wurde  es  sogar  getilgt. 
Es  veraltete  und  verschlechterte  seine  Bedeutung  zugleich  im  Laufe 
des  17.  Jahrb.  Furetifere  1701:  „Ce  mot  est  un  peu  vieux.''  Richelet 
1709:  „Ce  mot  est  un  peu  vieux,  et  d'ordinaire  il  se  prend  en  mau- 
vais  sens." 

heur.  In  der  Verbindung  mon  heur !  als  Ausdruck  der  Zärt- 
lichkeit tilgte  Corneille  es  dreimal  von  fünf  Stellen  (vgl.  dme,  cceur 
und  unten  souci) :  I,  235  var.  2;  II,  210  var.  3,  505  var.  1  ;  in  an- 
derer Verbindung  findet  es  sich  öfter.  Nach  Holfeld  22  ist  Moli^re 
der  letzte,  welcher  dieses  Wort  verwendet;  Racine  hat  es  nicht 
(Aretz  16).     Richelet  1709:    „II  est  bas   et  peu  usite.'^     Auch  Vol- 


Entwickeluugsgänge  iu  der  Sprache  Corneilles.  77 

taire  bezeichnet  es   einmal   als  ungebräuchlich.    Heute  wird  es   nur 
noch  in  einzelnen  stehenden  Redensarten  verwendet  (Sachs). 

infelieite  ist  bei  Littre  im  Supplement  zuerst  bei  A.  Chartier 
belegt,  es  findet  sich  auch  bei  Garnier  und  Jodelle  und  kommt  im 
17.  Jahrb.  wieder  aufser  Gebrauch  (vgl.  M-L.  unter  d.  W.).  Gewifs 
darum  hat  es  Corneille  an  der  einzigen  Stelle  in  seinen  Dramen  ge- 
strichen, III,  551  var.  1.  Die  Wörterbücher  des  17.  Jahrh.  kennen 
es  nicht,  auch  weder  die  erste  noch  die  letzte  Ausgabe  des  Dict.  de 
l'Academie. 

lourdaud  erschien  wohl  damals  schon  als  zu  familiär  für  die 
Würde  des  Dramas,  daher  fiel  es  I,  477  var.  2,  446  var.  3.  Vgl.  Sachs. 

loyer  im  übertragenen  Sinne  =  „prix,  recompense"  wird  von 
Corneille  überall  schon  lange  vor  der  Revision  von  1660  gesti'icheu, 
vgl.  I,  333  var.,  429  var.  3  ;  II,  403  var.  1.  Es  veraltete  im  17.  Jahrh. 
Cotgrave  1611  ist  es  noch  geläufig,  aber  Furetiöre  bezeichnet  es  als 
„un  peu  vieux''.  Littre  belegt  es  noch  einmal  aus  Voltaire.  Heute 
ist  es  nicht  mehr  gebräuchlich  (Sachs). 

magistrat  statt  „magisti'ature"  fiel  III,  407  var.  3 : 

Les  magistrats  donnes  aux  plus  söditieux. 
16G0:     L'autorite  livr^e  aux  plus  seditieux. 
Diese  an  lat.  mayistratus  erinnernde  Bedeutung  finde   ich  sonst  nur 
noch  bei  Nicot  1606  in  „exercer  un  magistrat  =  gerere  potestatem''. 

raouvements  ^=  „sentiments"  ward  an  zwei  von  drei  Stellen 
durch  letzteres  ersetzt.    III,  510  var.  2 : 

Ma  raison,  il  est  vrai,  dompte  mes  mouvenieuts. 
Ebenso  III,  426  var.  2.    Es  blieb  II,  49  vers  576. 

oeil  =  „des  regards,  des  coups  d'oeil"  III,  433  var.  6 : 
Que  de  tous  les  cutes  lanjant  un  cell  farouche 
mochte  dem  Dichter  bei  der  Re\asiou  als  eine  etwas  zu  kühne  Wen- 
dung erscheinen. 

penser  =::  „pensee"  wird  von  Corneille  anfangs  ohne  Einschrän- 
kung gebraucht,  1660  jedoch  tilgt  er  fast  alle  Fälle,  wo  es  im  Sing, 
stand;  vgl.  I,  155  var.  2,  218  var.  2,  336  var.  5,  367  var.,  497 
var.  3;  II,  180  var.  2,  201  var.  4,  502  var.  3;  III,  284  var.  3,  420 
var.  1;  nur  III,  521  var.  1  fiel  der  Plural,  jedoch  wird  auch  dieser 
in  den  späteren  Werken  seltener.  Nur  selten  bleibt  der  Singular 
stehen,  so  noch  einmal  VII,  256  vers  1539.  —  Der  Gebrauch  von 
penser  schränkte  sich  im  17.  Jahrh.  ein.    Fureti^re  1701  citieil   aus 


7H  EntwickelungKgänge  in  der  Sprache  Corneilles. 

LaBruy^re:  „L'usage  a  prctere  ponsee  a  ponser."'  Richelet  1778  im 
Dict.  des  rimes  S.  LVII  sagt:  „peiiser.  subst.  de  terrne  commence 
ä  vieillir,  surtout  au  pliiriel;"  Ac.  1694  und  1H7'S  erlauben  es 
noch  in  der  Poesie,  keins  ihrer  Beispiele  ist  aber  im  Singular. 
Vgl.  noch  M-L.  unter  penser. 

piperie  =  „tromperie''  fiel  I,  lii7  var.  Es  ist  heute  aufser 
Gebrauch  (Sachs)  und  verschwand  schon  im  17.  Jahrb.,  denn  Richelet 
1701^  erlaubt  es  nur  ]ioch  im  niedrigsten  Stil.  Malherbe  kennt  es 
noch,  vgl.  Holfeld  23.    Vgl.  unten  piper  beim  Verbum. 

plege  (und  pleger)  =  „gage  (und  gager)"  kommen  nur  in  den 
ältesten  Stücken  Corneilles  noch  einigemal  vor.  Nach  Furetiere  1701 
gehören  sie  der  Gerichtssprache  an.  Heute  sind  beide  aufser  Ge- 
brauch (Sachs). 

poil  =  „cheveux"  fiel  I,  334  var.  3.  Hierzu  bemerkt  Godefi'oy 
II,  151:  „Poil  comme  perruque  a  ete  longtemps  un  terme  noble  en 
parlant  de  la  chevelui-e;  mais  ä  l'epoque  de  Clitandre,  il  devenait 
deja  trivial  dans  cette  signification."  Einmal  jedoch  hat  Corneille  es 
stehen  lassen,  in  der  Melite  M-L.  I,  233  vers  1516. 

rais  ^  „rayons"  soll  nach  Vaugelas  I,  324  nur  von  den  Strahlen 
des  Mondes  gebraucht  werden.  Trotzdem  hat  Corneille  I,  277  vers  39 
(vor  Vaugelas  geschi'ieben),  wo  es  sich  um  die  Sonne  handelt,  nicht 
geändert.  Dagegen  IX,  183  vers  24  (nach  Vaugelas  geschrieben) 
trifiPt  die  Regel  zu.  Rotrou  kennt  diese  Beschränkung  nicht,  wohl 
aber  ScaiTon  uud  Lafontaine  (vgl.  Sölter  25).  Die  Wörterbücher 
widersprechen  einander.  Cotgrave  1611:  „rais,  the  s  u  n  n  e  -beames" ; 
Furetiere  1701  erklärt  es  für  veraltet,  es  sei  nur  vom  Monde  ge- 
l)räuchlich,  nur  im  Verse  und  auch  da  nur,  wenn  unvermeidlich. 
Heute  ist  es  veraltet  (Sachs). 

seing  hatte  Corneille  zweimal  in  etwas  weiterem  als  dem  ge- 
wöhnlichen Sinne  gebraucht,  nämlich  I,  283  var.  3,  IV,  288  var.  1, 
wo  es  dem  Zusammenhange  nach  nur  „Handschrift,  das  Geschrie- 
bene" bedeuten  konnte.  Ac.  1694  hat  es  nur  =  „Unterschrift'',  wie 
heute  (Sachs). 

souci.  In  mo7i  sonci!  als  Ausdruck  der  Zärtlichkeit  hat  Cor- 
neille es  immer  getilgt,  wenn  es  sich  auf  einen  Mann  bezog,  vgl. 
I,  319  var.  4,  320  var.  1,  433  var.  4;  II,  100  var.  2,  267  var.  3, 
524  var.;  zweimal  auch,  wo  es  sich  auf  Frauen  bezog,  II,  295  var.  1, 
481  var.  3,  sonst  kommt  es  auf  diese  letztere  Weise  öfter  vor,  aller- 


EntwickeluDgsgänge  iu  der  Sprache  Corneilles.  79 

dings  nur  in  der  Komödie.  Bis  kurz  vor  Corneille  hatte  man  es  un- 
beanstandet auch  in  der  Tragödie  verwendet,  so  z.  B.  Garnier. 
Später  duldete  man  solche  Ausdrücke  als  trivial  nicht  mehr.   Vgl,  oben. 

soulas  ersetzt  Corneille  überall  durch  soidagement  oder  conso- 
lation  (1660).  Vgl.  I,  198  var.  9,  461  var.  1;  II,  410  var.  2.  Nicot 
1606  und  Cotgrave  1611  kennen  es  noch  als  gebräuchlich,  dagegen 
Ac.  1694,  Fureti^re  1701  und  Richelet  1709  bezeichnen  es  als  ver- 
altet. Heute  ist  es,  aufser  im  Volksliede  (soulas  et  plaisir),  gänzlich 
aufser  Gebrauch  (Sachs). 

suasion  stand  I,  194  var.  2  und  I,  136  im  Argument  de  Me- 
lite,  welches  nur  in  den  Ausgaben  vor  1660  enthalten  ist.  Nicot 
und  Cotgrave  kennen  das  Wort  noch ;  Ac.  1 694 :  „terme  de  pratique"  ; 
dann  verschwindet  es  aus  den  Wörterbüchern  fast  ganz.  Sachs  no- 
tiert es  als  veraltet. 

trame  =  „vie"  kommt  bei  Corneille  allerdings  öfter  vor,   aber 

dann    iu    der  Verbindung   mit   couper,    wodurch    eine    geschlossene 

Metapher  entsteht ;  ausgenommen  IV,  83  var.  1 : 

Quoi  que  la  perfidie  alt  ose  sur  sa  trame 
II  vit  encore  en  vous,  11  agit  dans  votre  äme, 

wo  trame  1660  gefallen  ist,  und  VI,  163  vers  ^fi^: 

Les  exemples  abjets  de  ces  petites  ämes 
Regleut-ils  de  leurs  reis  les  glorleuses  trames? 

Vgl.  Aretz  21. 

//.    Adjektiv. 

aposte   =r    „untergeschoben"    auf  Sachen  bezogen   findet  sich 

nur  ],  235  var.  1  in  der  ersten  Ausgabe  von  1633: 

Je  ne  veux  polnt  d'un  coeur  qu'un  blllet  aposte 
Peut  resoudre  aussitot  ä  la  deloyaute. 

Ac.  1694,  Furetiere  1701  und  Richelet  1709  beziehen  es  nur  auf 
Personen,  und  Littre  im  Supplement  mei'kt  obigen  Vers  als  vom  ge- 
wöhnlichen Sprachgebrauche  abweichend  an. 

bastant  de  ■=  „süffisant  pour"  tilgte  Corneille  überall  wieder, 
teilweise  schon  vor  1660;  vgl.:  I,  181  var.  1  ;  II,  S2  var.  1,  367 
var.  5,  462  var.  1.  Es  ist  ein  italienisches  Lehnwort  und  wird  als 
solches  von  H.  Estienne  in  den  Deux  dialogues  du  nouveu  langage 
francois  italianize  (Paris  1885,  Bd.  I,  S.  4)  charakterisiert.  Es  drang, 
wie  die  meisten  italienischen  Lehnwörter,  im  1(!.  Jahrhundert  in  die 
französische  Sprache  ein  (vgl.  Littre).  Es  blieb  nicht  lange  schrifl- 
«■ültig.    Ac.  1694  führt  es  zwar  ohne  Anmorkuno-  auf,  aber  Furetiere 


80  Entwickelungsgänge  in  der  Spraclie  Corneilles. 

1701  bemerkt:    „Cela  Jie  se  dit  gueres  que  dann  le  Stile  comique  et 

familier." 

An  Dl.  M-L.  meint,  bastant  komme  bei  Corneille  nur  dreimal  vor, 
eine  Stelle  ist  ihm  entgangen.  Unser  erstes  Beispiel  wird  von  Godefroy 
I,  S.  XV  fälschlicli   als  Melite  J,  G  citiert,  es   mufs  beilseu  Melite  II,  t"i. 

benit  statt  beni  stand  in  der  ersten  Ausgabe  der  Imitation  von 
1654  viermal:  VIII,  348  var.  2  (zweimal),  349  var.  1  u.  2.  „Sois 
benit  .  .  ."  heilst  es  an  allen  vier  Stellen.  Schon  Vaugelas  I,  3« 7 
stellt  den  heutigen  Unterschied  auf,  und  auch  Ac.  IG 94,  Furetiäre 
1701  und  Richeletl709  erklären  henit  als  „kircU ich  geweiht''.  Cor- 
neille setzt  heni  an  die  Stelle. 

impiteux  II,  410  var.  1  (bis  1660).  Wenn  Littre  unter  impi- 
toyable  bemerkt,  dafs  man  bis  ins  IG.  Jalu-h.  impiteux  im  gleichen 
Sinne  gebraucht  habe,  so  können  wir  ihm  gegenüber  ein  Vorkommen 
bis  1660  feststellen.  Nicot  1606  und  Cotgrave  1611  kennen  es,  und 
erst  Furetifere  1701  und  Richelet  1709  verbannen  es  in  den  nie- 
deren, burlesken  Stil. 

impourvu  statt  imprevti  findet  sich  nur  in  den  bis  1644  ver- 
fafsten  Stücken,  und  zwar  fünfmal  (M-L.  belegt  es  nur  zweimal). 
An  vier  Stellen  hat  Corneille  schon  vor  1640  geändert  in  iniprevu: 
I,  183  var.  3,  318  var.  2,  460  var.  2;  11,  521  var.  1.  Dagegen  II,  314 
vers  105  ist  es  ihm  entgangen.  Es  fing  wohl  schon  vor  der  Mitte 
des  Jahrhunderts  an  zu  veralten.  Vaugelas  I,  323  hält  die  adverbiale 
Redensart  ä  l'impourvu  zwar  noch  für  koiTekt,  ä  Vimpvoviste  aber 
für  eleganter;  die  Akademie  (ebenda)  fügt  jedoch  hinzu:  „On  a  con- 
damne  a  l'impourveu  tout  d'une  voix,''  und  nimmt  impourvu  1694 
auch  nicht  in  ihr  Dict.  auf.  Die  Wörterbücher  haben  es  allerdings 
sonst  meistens.    Littre:  vieilli. 

integral  statt  iutegrant  in  Verbindung  mit  parlie  I,  22  var.  4 

(bis  1664): 

„Les    aiitres    se   peuvent   nommer   les   parties   integrales," 
später:  ^iutegrantes''. 

Im  16.  Jahrh.  war  integral  als  Lehnwort  =  ital.  integTale  aufge- 
kommen und  wurde  auch  in  der  Bedeutung  „integrierend"  gebraucht, 
während  es  jetzt  nur  „total"  (in  gewissen  Redensarten)  oder  „integi'al" 
als  Ausdruck  der  Mathematik  bedeutet  und  in  Verbindung  mit  partie 
integrant  gebraucht  wird  (vgl.  Ac.  1878).  Keins  der  Wörterbücher 
kennt  integral,  bis  Richelet  1709,  wo  schon  der  heutige  Unterschied 
gemacht  wird.    Parties  integrales  kommt  noch   einmal  bei  Corneille 


Ent'vv'ickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  81 

vor,  in  einem  Briefe  von  16()U  (M-L.  X,  486).    Littre  im  Supplement 
merkt  diesen  Gebrauch  als  eine  Eigentümlichkeit  Corneilles  an. 

etre  libre  ä  qn.,  ■=  ,,  licet  alicui",  finde  ich  bei  Corneille  nur  in 
zwei  Varianten,  sonst  nicht.    I,  367  var. : 

Hors  ce  point,  tout  est  libre  ä  rardeiir  qiii  nou.s  presse. 
I,  335  var.  1 : 

II  t'etait  libre  encore  de  m'etre  plus  funeste. 
Trotzdem  Corneille  diese  Wendung  augenscheinlich  später  vermeiden 
will,  ist  sie  Ac.  1694  aufgeführt  und  noch  heute  gebräuchlich. 

marri  ^=  „fache"  kommt  bei  Corneille  nur  etwa  fünfmal  vor 
und  nur  in  seinen  ersten  Stücken,  doch  in  der  Tragödie  sowohl  wie 
in  der  Komödie,  z.  B.  in  der  Medee  M-L.  II,  348  vers  159,  350 
vers  199.  Kur  einmal  (11,  204  var.  1)  tilgt  er  es.  Der  Umstand, 
dafs  Corneille  es  später  veimeidet,  läfst  uns  vermuten,  dafs  es  nach 
den  ersten  Jahrzehnten  des  Jahrhunderts  zu  veralten  anfing,  obgleich 
die  Wörterbücher  es  noch  aufnehmen  und  Voltaire  noch  einen  Beleg 
liefert  (vgl.  Littre).  Heute  ist  es,  aufser  im  Volksliede  (triste  et  mam), 
gänzlich  veraltet  (Aretz  23,  Sachs). 

mensonger  auf  Personen  bezogen  stand  II,  110  var.  1.  Alt- 
französisch kam  es  so  häufiger  vor.  Nach  Littre  ist  es  selten,  er  be- 
legt es  aus  J.  B.  Rousseau  und  fährt  dann  fort:  „La  Bruy^re  met 
mensonger  au  nombre  des  mots  qu'il  regrette,  c'est  une  preuve  cjue 
de  son  temps  il  etait  \aeux.    II  a  repris  faveur." 

nompareil  ersetzte  Corneille  durch  sans  pareil  I,  456  var.  1 
(1644);  II,  159  var.  2  (1663);  er  liefs  es  stehen  I,  249  vers  1814 
und  X,  82  in  einem  Gedichte  von  1641,  das  ja  späteren  Revisionen 
nicht  unterworfen  wurde.  Es  ist  erst  seit  dem  15.  Jahrh.  bei  Littre 
belegt.  Auch  hier  liegt  die  Vermutung  nahe,  dafs  es  im  17.  Jahrh, 
anfing  zu  veralten,  obgleich  Cotgrave,  Ac.  1694  und  Richelet  es  noch 
aufführen;  Heute  ist  die  Form  nompareil  veraltet,  und  auch  non- 
pareil  ist  selten  (Sachs).    Vgl.  noch  Dammholz,  Nfrz.  Zs.  IX,  271. 

plausible  fvihrt  Corneille  I,  179  var.  7  ein: 
Avise  toutefois,  le  pretexte  est  liounete. 
1660:  Avise  toutefois,  le  pretexte  est  plausible. 
Es  kommt  aufserdem  vor  VI,  34  vers  363   im  Pertharite  (1653  ver- 
fafst).    M-L.  findet  es  zuerst  bei  Fureti^re  1690,   und  er  scheint  an- 
zunehmen,   es   sei   erst  kurze   Zeit  voi'her  in   Gebrauch   gekommen. 
Das  wäre  ein  Irrtum,  es  tritt  schon   im  1 6.  Jahrh.  auf,   ist  aber  im 

Archiv  f.  11.  Sprachen.     LXXXIV.  0 


82  Kiitwirkflungsgänge  in  der  Spraclie  ("(jim-illcs. 

ganzen  17.  Jahrh.  nocli  selten.  Zuerst  belegt  es  Littre  zweimal  aus 
Montaigne.  Bei  Malherbe  scheint  es  nicht  vorzukommen,  wenigstens 
findet  es  sich  nicht  im  Dict.  de  Malherbe  (Grands  Ecriv.  de  la  Fr., 
^[alherbe  Bd.  V).  Bei  Rochefoucauld  finde  ich  es  einmal  in  den 
zwischen  1654  und  1659  verfafsten  Memoiren  zum  Jahre  1649.  (Vgl. 
Grands  Ecriv.  de  la  Fr.,  La  Rochefoucauld  II,  S.  VIII  und  161.) 
Das  Dict.  de  Labruyöre  (ebenda)  belegt  es  auch  einmal.  Ac.  1694 
nahm  es  in  ihr  Dict.  auf. 

refraetaire  II,  207  var.  2  (nur  1637): 

Vous  vous  autorisez  de  m'etre  refraetaire. 
Ac.  1694  kennt  es  nur  in  der  Phrase  refraetaire  aux  (yrdres  de  qn. 
Doch  zeigen  Littres  Belege  (seit  16.  Jahrh.)  eine  ausgedehntere  Ver- 
wendung.   Warum  Corneille  es  also  tilgte,  weifs  ich  nicht  anzugeben. 

sortable  a  =   „couvenable   ä"    findet   sich  nur   in   Corneilles 
Jugenddramen,  vgl.  M-L.  unter  sortable. 

tramblotant  im  figürlichen  Sinne  =    „en  balance".    Das  ein- 
zige Beispiel  fiel  1660  III,  287  var.  1: 

Lorsque  vous  conserviez  un  esprit  tout  romain, 
Le  sien  irresolu,  tremblotant,  incertain 
De  la  moindre  mel^e  appreheudoit  l'orage. 

Voltaire  I,  142   bemerkt  hierzu:   „Ce  tremblotant  n'est  pas  du  style 

noble'' ;  natürlich  meint  er,  im  figürlichen  Sinne,  denn  im  eigentlichen 

ist  es  bei  den  Dichtern  ja  häufig  genug  (vgl.  Godefroy  II,  377). 

UI.    Verbnm. 

aflfoler   r=    „devenir  fou"   wurde  im  17.  Jahrh.   in   seiner  Ver- 
wendung eingeschränkt.    Daher  ändert  Corneille  II,  203  var.  2: 

Eux  ou  moi,  nous  avons  la  cervelle  troubl^e 
Si  ce  n'est  qu'ii  desseiu  ils  veulent  tout  meler. 
Et  soient  d'iutelligeuce  a  me  faire  affoler. 

Während  Cotgrave  1611  affoler  noch  als  vollständiges  Verbum  kennt, 

erlauben  die  Ac.  1694  und  Fureti^re  1701  es  nur  noch  im  Farticipe 

passe  und  nur  im  familiären  Stil.    Auch  Richelet  1709  weist  es  dem 

niederen  Stil  zu. 

ballier  =    „donner".     Malherbe  gebraucht  es  noch  mehrfach 

(vgl.  Holfeld  20),    und  ebenso  Corneille   in   seinen  ersten  Werken. 

Doch  nachdem  Vaugelas  II,  29  es  für  veraltet  erklärt  hatte,  tilgt  er 

es  überall  wieder.    Vgl.  I,  173  var.  2,    175  var.  4,    285  var.  4,   286 

var.  3,  247  var.  4,  360  var.  1,  408  var.  1.  —  Cotgrave  1611  kennt 


Entwickeliingsg<äuge  in  der  Sprache  Coriieilles.  8?> 

es  noch.  Ac.  1694:  „bailler  vieillit"  (Dammholz'  Angabe,  Nfrz.  Zs. 
[X,  287,  ist  zu  berichtigen);  Fureti^re  1701:  „on  ne  le  dit  gueres 
hors  de  la  conversation" ;  Richelet  1709  gestattet  es  auch  hier 
nicht  mehr. 

brasser  qcli.  :=  „pratiquer,  tramer  qch."  (figürlich).  Ebenso 
wie  wir  es  schon  beim  Substantivum  sahen,  verbannt  der  neu  auf- 
kommende Kanon  der  Reinheit  des  Stiles  auch  hier  beim  Verbum 
nach  und  nach  eine  Reihe  von  Ausdrücken  des  älteren  Dramas,  weil 
sie  als  zu  familiär  oder  zu  trivial  erschienen  für  die  Würde  der  Dich- 
tung. Die  übrigen  nach  meinem  Dafürhalten  von  Corneille  aus  die- 
sem Grunde  beseitigten  Wörter  werde  ich  im  Folgenden  einfach  mit 
:lem  Vermerk  „familiär"  bezeichnen.  Brasser  findet  sich  nur  I,  406 
var.  2  (nur  1634): 

Que  son  frfere,  ^bloui  par  cette  accorte  feinte, 

De  ce  que  nous  brassen s  n'ait  ni  soupyon  ni  crainte; 

r,  431  var.  4: 

Alcidon,  averti  de  ce  que  vous  brassez, 

Va  rendre  en  un  moment  vos  desseins  renvers^s. 

Fureti^re  1701:  „Cette  expression  est  un  peu  basse." 

se  colerer  contre  =.  „se  mettre  en  colere  contre''  ist  heute  ver- 
altet (Sachs).  Schon  bei  Corneille  ist  es  nur  in  einer  Variante  be- 
legt, I,  222  var.  1 : 

Ne  te  colere  point  contre  mou  iusolence, 
160(1:     N'entre  point  en  coiirroux  coutre  mou  iusolence. 
Die  Wörterbücher  kennen  es  überhaupt  nicht. 

consommer  ist  im  16.  Jahrh.  die  gewöhnliche  Form  für  heu- 
tiges consumer  und  consommer  zusammen.  Ebenso  bei  Corneille  In 
ilen  bis  1641  verfafsten  Stücken.  —  1647  aber  stellt  Vaugelas  I,  40.S 
folgenden  Unterschied  zwischen  consimier  und  consommer  auf:  das 
erstere,  sagt  er,  sei  gleich  consuraere,  das  zweite  gleich  consunnnare, 
in  beiden  liege  der  Begi'iff"  „achever",  aber  ,,consumer  acheue  en 
destruisant  et  aneantissant  le  sujet,  et  consommer,  acheue  en  le  met- 
tant  dans  sa  derniere  perfection,  et  son  accomplissement  entier". 
Schon  vor  ihm  tadelt  Malherbe  (S.  252,  267  u.  ö.)  consommer  statt 
•ionsuiner  bei  Desportes.  Ähnlich  wie  Vaugelas  sprechen  sich  später 
auch  Menage  277  und  Furetiere  aus.  —  Vaugelas'  Regel  befolgt 
nun  Corneille  in  seinen  späteren  Werken  und  ändert  in  seinen  frü- 
heren derselben  gemäfs.    Vgl.  I,  176  var.  1 : 

Uu  feu  qui  la  consomme  et  qu'olle  tieiit  si  eher; 


84  EntwickeluufisgäDge  in  der  Sprache  Corueilles. 

I,  337  var.  1,  341  var.  5,  358  var.  4,  400  var.  2,  432  var.  4;  II,  49 

var.  2,  353  var.  2,  385  var.  3,  409  var.  1  ;  III,  133  var.  1,  160 

var.  3,  189  var.  3,  292  var.  2,  302  var.  2,  304  var.  1. 

contrefaire.    Scudery  (M-L.  XII,  400)  und  <lie  Akademie  (M-L. 

XII,  497)  hatteu  III,  157  var.  3: 

Contrefaites  le  triste  =  „stellt  Euch  traurig" 

als  „expression  trop  basse"  getadelt.    Corneille,  gehorsam  dem  Tadel, 

tilgte  es.    Ähnlich  stand  III,  322  var.  4  anfangs: 

Mais  quand  on  peut  sans  honte  etre  sans  fermetö, 
La  vouloir  contrefaire  est  une  lachet^. 

Contrefaire  hatte  nämlich  seit  dem  14.  Jahrh.  allmählich  vorwiegend 
die  Bedeutung  von  ,,nachmachen"  im  schlimmen  Sinne  angenommen, 
wähi'end  es  altfranz.  auch  ,, nachahmen"  ohne  schlechten,  tadelnden 
Nebensinn  bedeutete. 

eourre.  Schon  Vaugelas  bemerkt  I,  400,  dafs  courre  statt 
courir,  ähnlich  wie  heute  (vgl.  Ac.  1878),  aufser  in  gewissen  Redens- 
arten ungebräuchlich  sei.  Aus  diesem  Grunde  änderte  Corneille  wohl 
seinen  einzigen  Beleg  für  courre  II,  469  var.  2: 

Et  les  droits  les  plus  saints  deviennent  impuissants 
A  l'empecher  de  courre  aprfes  son  propre  sens. 

Menage  286   schliefst  sich  Vaugelas   an.     Fureti^re  1701:   „II  y  a 

pourtant  cette  difference  entre,  courir  et  courre,  que  ce  dernier  n'est 

que  pour  de  certaines  fa9ons  de  parier  que  l'usage  a  autorisees." 

erever  (familiär)    -   „mouru-"  I,  198  var.  7  (nur  1633): 

Qui,  j'enrage,  je  cr&ve  et  tous  mes  sens  troubl^s 
D'un  excfes  de  douleur  succombent  accabl^s. 

Se  arever  =  platzen  I,  297  var.  I,  327  var.  6.    Richelet  1709  weist 

es  dem  niedrigsten  Stile  zu. 

s'ecouler  --   „s'en  aller  tout  doucement"  hatte  Corneille  von 
zwei  Personen  gesagt,  während  man  es  sonst,   seiner  ursprünglichen 
Bedeutung  gemäfs,  nur  von  einer  gröfseren  Anzahl  gebrauchte,  IV,  346 
var.  1:         Melisse,  Lyse,  qui  s'öcoulent  incontinent 
in  einer  Bühnenweisung. 

endosser.    Zu  III,  188  var.  3: 

Que  ce  jeune  seigneur  endosse  le  harnois, 
bemerkt  Scudery  (M-L.  XII,  460):  „Ce  jeune  seigneui-  qui  endosse 
le  harnois  est  du  temps  de  moult,  de  pie9a  et  d'aincois."  Dieses 
Tadels  wegen  wird  Corneille  geändert  haben.  Die  Akademie  sucht 
(M-L.  XII,  498)  endosser  zu  verteidigen  und  nimmt  es  1694  in  ihr 
Dict.  auf,   hinzufügend,   nur  „endosser  le  harnois"   sei  gebräuchlich. 


Entwickelungsgänge  in  der  .Sprache  Comeille.s.  85 

Cotgrave  1611  verzeichnet  dieselbe  Wendung.  Fureti^re  1701:  „il 
ne  se  dit  que  dans  le  stile  burlesque  ou  dans  la  conversation." 
Richelet  1709:  ,,ce  mot  poui*  dire,  mettre  sur  son  dos,  et  burlesque." 
ennoblir  ist  Corneilles  regelmäfsige  Form  sowohl  für  das  heu- 
tige cotoblir  „in  den  Adelsstand  erheben"  als  auch  für  ennohlir  „ver- 
edeln, adeln"  im  figürlichen  Sinne;  und  die  einzige  Stelle,  wo  zuerst 
annoblir  =:  „veredeln"  stand,  ist  sogar  getilgt  worden,   vgl.  V,  317 

var.  1  :         Non;  mais  je  le  reserve  ä  ces  bienheureux  jours 
Qu'annoblira  sa  premifere  victoire. 

Der  heutige  Unterschied  von  anohlir  und  ennohlir  erscheint  nach  M-L. 

ziun  erstenmal  bei  Furetiere  1690,  und  dann  ebenfalls  in  Ac.  1694. 

Vgl.  M-L.  unter  ennohlir.    Richelet  giebt  anohlir  und  ennohlir  1709 

noch  als  gleichbedeutend. 

eplucher  =  „examiner''  (familiär)  I,  321  var.  2: 

. . .  Bien  que  ma  pensee 
Epiuche  ä  la  rigueur  ma  conduite  passee. 

Heute  ißt  es  familiär  (Sachs). 

feindre    =    „craindre"    ersetzte  Corneille    durch   das   letztere: 
II,  98  var.  2 : 

Ne  feignez  point  pour  moi  d'entrer  chez  Hippolyte. 
Dieselbe   Verwendung   von   feindre  finden  wir  z.  B.   bei  Vaugelas 
I,  436,  ebenso  öfter  bei  Moliere  (vgl.  Genin:   Lex.  de  Moliere  182). 

faillir.    I,  298  var.  2  (nur  1632): 

Et  ce  fer,  qui  tantot,  inutile  eu  mon  poing, 
Ainsi  que  ma  valeiir  me  faillant  au  besoin, 
Sut  si  mal  attaquer  etc. 

Nach  M-L.  war  das  Partie,  present  faillant   schon  damals  nur  noch 
wenig  gebräuchhch. 

il  fut  =  „il  alla",  IV,  39  var.  1 : 

II  fut  jusques  ä  Rome  implorer  le  senat. 

Voltaire  I,  362  tadelt  diese  Wendung  als  falsch,   während  Godefroy 

I,  329  dieselbe  in  einem  längeren  Artikel  zu  verteidigen  sucht;  jedoch 

fügt  er  hinzu:  „il  n'est  guere  admis  dans  le  style  releve."  —  Ils  furent 

=  „ils  all^rent"  blieb  unangetastet  VI,  577  vers  51: 

Les  memes  assassins  furent  encor  percer 
Varron,  Turpilian,  Capiton  et  Macer. 

Nach  Tallemant  120   fand   die  Akademie   das  Passe  defini   von  etre 

in  dieser  Verwendimg  „unnötig".  —   In  ähnlicher  Weise  sind  noch 

heute    Verbindungen    wie  j\n    ete    le    voir    gebräuchlich.     (Vgl.    il 

s'en  fut.) 


86  Kiitvvickclung8gäiige  in  der  Spiiiclic  Corneillep. 

galantiser  :=  „courliser''  war  im  ersten  Drittel  de.s  JahrliuiulerlR 
ein  .selir  gebräuchlichee  Wort.  Seine  Bedeutung  verschlechtert  sich 
dann  aber  sehr  schnell  (vgl.  M-L.  XII,  457).  Daher  wird  es  Cor- 
neille beseitigt  haben  I,  148  var.  1 : 

S'il  advient  qu'ä  ses  yeux  quelqu'un  hi  galantise; 
II,  36  var.  1: 

Pour  nie  galantiser,  il  ue  taut  qu'iin  niiroir. 
Furetifere  1701:  „il  est  un  peu  vieux" ;  Richelet  1709:  „ne  peut  en- 
trer  que  dans  le  stile  le  plus  bas."    Heute  ist  es  familiär  (Sachs). 

gourmander  =  „zügeln,  ausschelten".  Von  vier  Beispielen 
tilgt  Corneille  drei;  I,  190  var.  2: 

J'en  ai  vu  qui  sembloient  n'etre  que  des  gla^ons 
Dont  le  feu,  gourmande  par  uue  adroite  feinte,  ...; 

ebenso  I,  401  var.  3;  V,  570  var.  1.  Es  steht  im  definitiven  Text 
I,  427  vers  548.  Jedenfalls  hatte  Corneille  späterhin  eine  Abneigung 
gegen  dieses  Wort,  wenn  auch  die  übrigen  Schriftsteller  des  1 7.  Jahr- 
hunderts es  vielfach  gebrauchen  (vgl.  Littre).  Auch  die  Wörterbücher 
haben  es  ohne  Anmerkung.  Heute  ist  gourmander  in  den  meisten 
Bedeutungen  selten  und  familiär  (Sachs). 

piper  =  „tromper,  duper''  (familiär).    Es  fiel  I,  191  var.  3: 

. . .  Ces  choses  ridicules 
Ne  servent  qu'ä  piper  des  ämes  trop  credules. 
1660:    Ne  servent  qu'ä  duper  des  ämes  trop  credules. 

Ebenso  I,  144  var.  1.  Es  blieb  I,  406  vers  133;  IV,  190  vers  931. 
Richelet  1709  weist  es  dem  niederen  Stil  zu.  Es  ist  heute  noch  ge- 
bräuchlich in  des  pipes.  Ursprünglich  ist  es  ein  Vogelfänger- 
ausdruck. 

se  ressouvenir  hatte  sich  zur  Zeit  Vavigelas'  in  seiner  Bedeu- 
tung nicht  nur  zu  einfachem  „sich  erinnern"  abgeschwächt,  sondern 
man  gebrauchte  es  sogar  =-   „songer,   considerer".     Es   erhob   sich 
nun   ein  Streit  über  die  Zulässigkeit  von  se  ressouvenir  in  letzterer 
Bedeutung.    Vaugelas  bejaht  die  Frage  I,  201,  Corneille  scheint  an- 
derer Meinung  gewesen  zu  sein,  vgl.  III,  303  var.  2 : 
Je  vais  revoir  la  vötre,  et  rösoudre  son  äme 
A  se  ressouvenir  qu'elle  est  toujours  ma  femrae; 
nach  1660:  A  se  bieu  souvenir  qu'elle  est  toujours  ma  femme. 

III,  189  var.  2: 

A  quoi  me  resoudrai-je,  amante  infortunee?  — 
Ä  vous  ressouvenir  de  qui  vous  etes  nee. 
16Ü0 :     A  vous  mieux  souvenir  de  qui  vous  etes  uee. 


Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  87 

songer  ;::=  „penser"  geriet  im  17.  Jahrb.,  obgleich  es  in  allge- 
meinem Gebrauch  war,  bei  einer  Reihe  von  Leuten  in  Mifskredit,  so 
(lafs  A^augelas  I,  165  sich  veranlafst  sah,  es  in  Schutz  zu  nehmen. 
Ihm  stimmte  die  Akademie  bei  (ebenda).  AVenn  nun  Corneille  zwar 
nicht  überall,  so  doch  vielfach  dieses  songer  tilgt,  so  geht  daraus 
hervor,  dafs  er  wenigstens  einen  häufigen  Gebrauch  desselben  ver- 
meiden wollte.    Er  änderte  in  2)enser  II,  64  var.  2 : 

Et  dans  leur  souvenir  rien  ne  me  semble  doux 
Puisque,  le  conservant,  je  songerois  ä  vous; 

ebenso  II,  482  var.  3;  III,  170  var.  1;  IV,  442  var.  1  ;  VIII,  169 
var.  1 ;  und  ersetzte  es  sonstwie  III,  196  var.  2,  319  var.  2.  —  Vol- 
taire I,  321  will  es  aus  dem  Tragödienstil  verbannen,  er  scheint  es 
für  familiär  zu  halten  (vgl.  Voltaire  I,  277). 

soüler  (bei  Corneille  saoulerj  =  „contenter".  Es  war,  in  dieser 
Bedeutung  wenigstens,  veraltet  (vgl.  Vaugelas,  Ausgabe  von  1647, 
S.  241).    Corneille  tilgt  es  fast  überall  (vgl.  M-L.  unter  d.  W.);  I,  497 

var.  2  :     Perfide,  ä  mes  depens  tu  s  o  ü  1  e  s  donc  ta  braise  ? 

IdtJO:     Perfide!  ä  mes  depens  tu  veux  donc  des  maitresses? 
Ferner  I,  230  var.  2;    II,  375  var.  2;    III,  153  var.  1,    413  var.  3; 
VIII,   161   var.   1.     Richelet   1709    kennt   es    in    dieser   Bedeutiuig 
nicht  mehr. 

trancher  stand  ganz  vereinzelt  __  „combattre"  I,  147  var.  2 
(vgl.  M-L.  XII,  398): 

Toujours  pour  les  duels  on  m'a  vu  sans  etfroi, 
Mais  je  n'ai  point  de  lame  ä  trancher  contre  toi 

(nur  1634).     Trancher  scheint  sonst  nicht  so  vorzukommen. 

Wie  schon  im  16.  Jahrh.  (vgl.  Godefroy  I,  31;  II,  408)  und 
auch  bei  Moliere  (vgl.  Berg  1 5),  können  wir  auch  bei  Corneille  mehr- 
fach ein  Schwanken  zwischen  dem  einfachen  Verbum 
und  dem  Kompositum  mit  re-  nachweisen,  dessen  Präfix 
seine  Kraft  fast  ganz  eingebüfst  hatte.  —  So  ersetzt  Corneille 
eonnaitre  durch  reconnaitre  IV,  308  var.  1: 

Je  vous  tiens  pour  brave  homme,  et  vous  conuais  fort  bien. 
166(1:     Je  vous  tiens  pour  brave  homme  et  vous  recounais  bien; 
das  Umgekehrte  fand  statt  I,  153  var.  3,  396  var.  1. 
epandre  durch  repandre  II,  236  var.  4: 

Et  lors,  que  de  soupirs  et  de  pleurs  epaudus; 
später:  Et  lors,  que  de  soupirs  et  de  pleurs  r epaudus; 
ebenso  III,  178  var.  1  ;  VIII,  514  var.  1.    Sonst  kommt  epatulrc  aber 


88  Entwickehingfigäuge  in  der  Sprache  CorneilleR. 

iiooli  oft  bei  Corneille  vor  (vgl.  M-L.  XI,  881),  z.  B.  IV,  ö()2  vers 
171'i.  Voltaire  I,  599  bemerkt:  „l^andre  etait  un  terme  heureux, 
(ju'oii  einployait  au  besoiii  au  lieu  de  repandrp,;  ce  mot  a  vieilli." 

rabaisser   durch  abaisser  IV,  345  var.  2: 

Elles  rabaissent  toutes  deux  leur  coiffe. 
fuir  durch  refuir  I,  148  var.  6: 

C'est  en  vain  que  l'on  f  u  i  t ,  tot  ou  tard  od  s' v  briile ; 
UitlO:    C'est  en  vain  qu'on  refuit,  tot  ou  tard  on  s'y  brftle. 


B,    Orthographie  und   Aussprache. 

advenir,  welches  Corneille  in  seinen  älteren  Werken  der  Form 
nrenir  vorzieht,   ändert  er  166o   in  avenir,   vielleicht  durch  Einflufs 
der  Precieusen,  welche  z.  B.  avocat  statt  advoeat,  avis  statt  advis  ein- 
geführt haben  (vgl.  Didot  229).    Die  Stellen  sind  I,  231   var.  3: 
Le  d^plorable  coup  du  malheur  ad  venu; 
später:  Le  d^plorable  coup  du  malheur  avenu. 
Ebenso  I,  312  var.  1,  472  var.  1 ;  II,  239  var.  2;  \,  61  var.  1,  586 
var.  2.     Vgl.  M-L.  XI,   S.  LXXXV.    Ganz    aufser  Gebrauch   kam 
advenir  erst  gegen  das  Ende  des  Jahrhunderts  (vgl.  M-L.  XI,  103), 
Ac.  1694  kennt  es  nicht  mehr.   Doch  steht  es  bei  Sachs  neben  avenir 
aufgeführt. 

ambrosie  ist  die  Schreibweise  des  16.  Jahrh.  Doch  schon 
in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrh.  kam  das  heute  gewöhnlichere 
ambroisie  auf.  Corneille  hatte  II,  497  var.  1,  II,  498  vers  1177  in 
der  Ausgabe  von  1639  zuerst  ambroisie  geschrieben,  entscheidet  sich 
später  aber  für  die  ältere  Schreibung;  und  M-L.  vermutet  wohl  mit 
Recht,  aus  dem  Grunde,  dafs  die  Schreibung  ambroisie  noch  zu  neu 
war.  Nicot  1606:  ambrosie;  Cotgrave  1611:  ambroisie  und  amh'O- 
sie,  Ac.  1694  am,broisie,  Furetiöre  1701  und  Richelet  1709:  ambrosie. 

arrouser  statt  arroser,  welches  z.  B.  noch  bei  Malherbe  das  ge- 
wöhnliche ist  (vgl.  Holfeld  20),  ersetzt  Corneille  durch  das  letztere 
III,  294  var.  2,  IV,  493  var.  2;  nur  II,  410  vers  1415  haben  die 
meisten  Ausgaben  arrouser.  Abgesehen  von  diesen  Fällen  schreibt 
Corneille  immer  arroser  (vgl.  M-L.  XI,  75).  Der  Grund  zu  der 
Schreibung  mit  ou  liegt  in  der  noch  im  17.  Jahrh.  vorhandenen  Nei- 
gung, das  0  in  offener  Silbe  einem  ort  sehr  nahe  auszusprechen,  z.  B. 
ckousc  statt  chose  u.  ä. ;  und  man  pflegte  dann  auch  ou  zu  schreiben, 


Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  89 

wie  die  Wörterbücher  zeigen.    Noch  Richelet  1709  kennt  beide  Schrei- 
bungen von  arroser.  —  Vgl.  Holfeld  20,  Menage  132  fF. 

bigearre  veraltete  früh  im  17.  Jahrh.  Vaugelas  II,  5  zieht 
bizarre  vor,  und  Thomas  Corneille  und  die  Akademie  (ebenda)  ver- 
urteilen bigearre  schon  fast  ganz.  1660  ändert  Corneille  bigearre 
in  bizarre  II,  62  var.  2,  90  var.  2,  512  var.  2.  Bigearre  blieb  nur 
X,  75  vers  8  in  einem  später  nicht  wieder  überarbeiteten  Jugend- 
gedicht. Vgl.  Estienne:  Deux  dialogues  du  nouveau  langage  fran- 
(;ois  italianize  I,  173,  Bouvier  124.  Furetiere  1701:  „il  y  a  encore 
quelques  gens  qui  disent  bigearre,  mais  mal."  Richelet  1709:  „II  y 
en  a  qui  ecrivent  et  prononcent  bijarre,  mais  ce  ne  sont  que  des  bar- 
bouilleurs." 

exclurroit  statt  excluroit  V,  5 1 9  var.  1 : 

Mais  dont  vous  exclurroit  enfin  votre  origine, 
in  den  Ausgaben  von  1651  —  56   erklärt  sich  aus  der  z.  B.  noch  bei 
Richelet  verzeichneten  Schreibung  des  Infinitivs  mit  rr. 

fantasie  statt  fantaisie  ist  heute  veraltet.  Es  kommt  bei  Cor- 
neille in  frühen  Varianten  einigemal  vor.    So  II,  493  var.  3: 

Que  j'ai  bien  reconnu  qu'un  peu  de  Jalousie 
Touchant  votre  Clindor  brouilloit  sa  fantasie; 
nach  16:39:  Touchant  votre  Clindor  brouilloit  sa  fantaisie. 
Ebenso  II,  220  var.  2,  508  var.  4.     Es  ist  wohl  ein  Rest  der  italia- 
nisierenden  Richtung  des  1 6.  Jahrb.,  vgl.  ital.  f  antasia.    Später  schreibt 
Corneille  durchgängig  fantaisie  (vgl.  M-L.  XI,  423).    Nicot  und  Cot- 
grave:  fantasie;  Furetiere  und  Richelet:  fantaisie. 

gaigner   =:=  gagner   erscheint   bei   Malherbe   noch    öfter    auch 
aufserhalb  des  Reimes  (vgl.  Holfeld  22).   Bei  Corneille  nur  einigemal 
in  Varianten  der  ältesten  Ausgaben,  so  II,  41  var.  4: 
Par  oü  tout  de  nouveau  je  me  laisse  gaigner, 
Et  consens,  peu  s'en  faut,  ä  m'en  voir  dedaigner; 
nach  1637:  Par  oü  tout  de  nouveau  je  me  laisse  gagner. 
Ferner  H,  190  var.  1,   465  var.  1;  V,  358  var.  1.     Cotgrave  1611  : 
gaigner:  Fiu-eti^re  und  Richelet:  gagner. 

intrique.  Im  17.  Jahrh.  schwankte  man  zwischen  intrique  und 
intrigue.  Vaugelas  (Ausgabe  von  1647,  S.  126)  verteidigt  intrigue 
mit  Recht,  denn  es  wurde  erst  im  1  6.  Jahrh.  dem  ital.  intrigo  nach- 
gebildet. Corneille  jedoch  entscheidet  sich  für  intrique  (vgl.  M-L. 
XII,  28),  ohne  jedoch  intrigue  ganz  auszuschliefsen,  vgl.  II,  220  var,  1 : 
Cette  possession  de  vous-m6me  que  vous  conservez  si  parfaite- 
ment  parmi  taut  d'intriques  (1660:  iutrigues). 


9U  iMitwicktiluiigsgängc  in  der  Spniche  C'urueillcb. 

Vgl.  Godcfruy  I,  S.  XIX,   TI,  130 ;   M-L.  XI,  S.  LXXXVIII.    Cot- 
grave  IGll:   rniriquc,  Furetiöre  1701:    intrüjue,  Richelet  1709:    „oii 
dit  inlriguc  et  noii  intrlque."'    IntriqvAi  ist  heute  veraltet  (Sache), 
monoloque  üiulert  Corneille  in  monolotjuc  I,  273  var.  2: 

Les   monoloques  sont  trop  longs   et  trup  frequeuts  en   cette 
pi^'ce  (bis  ItitM). 

Die  W^örterbücher  kennen  monoloqus  nicht.    Es  war  wohl  Analogie 

zu  soliloque,  wo  qu  berechtigt  ist. 

punctuellement  war  im  1 7.  Jahrh,  neben  ponctuellement  im 
Gebrauch  (vgl.  M-L.  XII,  19.s).  Bei  Corneille  I,  12  haben  alle  Aus- 
gaben bis  1682  punctuellement,  die  von  1682  ponctuellement.  Vgl. 
M-L.  XI,  S.  LXXXIV.  Die  Wörterbücher  haben  alle  das  letztere, 
Nicot  und  Cotgrave  schreiben  aber  fiunctiiation  etc. 

soubmettre  finde  ich  nur  V,  47  var.  1  in  der  ersten  Ausgabe: 
Au  lieu  d'y  resister,  vous  vous  y  soubmettez; 
später:  Au  lieu  d'y  resister,  vous  vous  y  soumettez. 
Das  etymologisierende  b  der  Vorsilbe  subtus-  erhielt  sich   bei  man- 
chen Wörtern  bis  in  das  17.  Jahrh.  (vgl.  Didot  112  b),   so  noch   bei 
Cotgrave. 

treuver  statt  trouvcr  ist  ein  Archaismus,  der  bei  Malherbe  noch 
ganz  gewöhnlich  ist  (vgl.  Holfeld  24)  und  auch  bei  Balzac  vorkommt 
(vgl.  Bouvier  129).    Corneille  hat  ihn  niu"  in  seinen  älteren  Dramen, 
beseitigt  ihn  aber  meistens  schon  lange  vor  IGGO;  I,  276  var.  1: 
Mais  qu'elle  est  paresseuse  ä  me  venir  treuver! 
nach  1G:^)2:  Mais  qu'elle  est  paresseuse  ä  me  venir  treuver! 
Ebenso  I,  280  var.  3,   285  var.  2,   293  var.  4,   299  var.  4;  II,  127 
var.  1,  133  var.  1,  134  var.  9,  139  var.  3,  153  var.  2,   156  var.  4, 
186  var.  1,  199  var.  1;   und  ganz  vereinzelt  noch  einmal  IV,  440 
var.  2.  —  Littre  unter  trouver  Rem.  2  belegt  nur  das  stammbetonte 
il  treuve,  es  finden  sich  aber  auch  endungsbetonte  Formen,   bei  Cor- 
neille z.  B.  treuver,   treuvois,  ireuvera  u.  s.  w.    Vaugelas  und  ebenso 
Menage  249   ziehen  trouver  bei  weitem  vor,   ohne  treuve?-  den  Dich- 
tern ganz   zu  verbieten;    Richelet   1709:    „il  n'y   a  guh"e   que   les 
Poetes  qui  disent  treuver/' 

C.    Anhang. 

Hier  am  Schlüsse  dieses  Teils  unserer  Untersuchung  möge  noch 
eine  Auswahl  von  Einzelheiten  folgen,  die,  ohne  eine  besondere  gram- 
matische Erscheinung  zu  illustrieren,  uns  wieder  zeigen,  wie  Corneille 


Entwirkeluugsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  Ol 

teils  von  anderer  Seite  angeregt,  teils  aus  eigenem  Antriebe  seinen 
Stil  mehr  und  mehr  ausfeilt,  mehr  und  mehr  familiäre,  nicht  ganz 
korrekte  oder  reichlich  kühne  Wendungen  auszumerzen  bestrebt  ist. 

III,  174  var.  3  stand  bis  1656  in  der  Beschreibung  der  Flucht 
der  Mauren  vor  dem  Cid: 

(Les  Mores)  Nous  laissent  pour  adieux  des  cris  epouvantables; 
wozu  die  Akademie  (M-L.  XII,  496)  bemerkte:  „on  ne  dit  point 
,laisser  des  adieux',  ni  ,laisser  des  cris',  mais  bien  ,dire  adieu'  et  ,jeter 
des  cris',  outre  que  les  vaincus  ne  disent  jamais  adieu  aux  vain- 
queurs.''    Corneille  änderte  daher: 

Pousseut  jusques  aux  cieux  des  cris  epouvantables. 
III,  132  var.  3  (bis  1656): 

Les  affronts  ä  l'honneur  ne  se  reparent  point; 
später:  De  si  mortels  affronts  ne  se  reparent  point. 
Die  Akademie  (M-L.  XII,  489)  hatte   den  Vers  getadelt:    „On    dit 
bieji  ,faire  atfront  ä  quehiu'un',  mais  non  pas  ,faire  afiront  ä  l'hon- 
neur de  quelqu'un'.  "• 
I,  174  var.  2: 

On  prend  au  premier  bond  les  hommes  de  la  sorte. 
Die  Redensart  ist  dem  Ballspiel  entnommen,  vgl.  ähnliche  bei  Sachs. 
Es  erschien  wahrscheinlich  als  familiär. 

I,  228  var.  5: 

Autrement  je  saurois  te  rendre  ton  paquet.  — 
—  Et  moi  pareillemeut  rabattre  ton  caquet. 

Diese  Wendungen   klangen  sicher  zu  familiär  im  Munde   der  Lisis 

und  der  Chloris  in  der  Melite;  vgl.  M-L.  XI,  151. 

IV,  191  var.  1: 

II  continue  encore  ä  te  conter  sa  chance. 
Conter  sa  chance    wird  von   Oudin   als    „vulgaire"   bezeichnet  (vgl. 
M-L.  XI,  166). 

II,  270  var.  3: 

Attends  lä  de  pied  coi  que  je  t'en  avertisse, 
166IJ :     Attends,  sans  faire  bruit,  que  je  t'en  avertisse. 

De  pied  coi   ist  heute   selten  (Sachs);   bei  Corneille  tinde  ich   nur 

dieses  Beispiel. 

IV,  48  var.  2: 

II  se  Ifeve;  et  soudain,  par  derriere,  Achillas 
Comme  pour  commencer  tirant  son  coutelas, 
Septime  et  trois  des  siens,  läehes  enfants  de  Bome, 
Perceut  ä  coups  presses  les  flaues  de  ce  graud  hemme. 

Voltaire  I,  374:    „Par-derrierc   etait   d'une   prose    trop    hasse/' 


02  Untwirkolminsgänjrf  iti  (\or  S|iraclir  ( ''»mcillos. 

III,  Ö4I   var.  2: 

Qu'un  rival  plus  ptiissant  lui  (loiiiic  daiis  los  yeux; 
IHdO:  Qii'iin  rival  plus  puissant  ^blouisse  ses  yeux. 
J)onner  dans  les  yeux,  donner  dans  la  wie  findet  sich,  abgesehpri 
von  dieser  Stelle  im  Polyeucte,  fast  nur  in  der  Komödie  Corneilles. 
M-L.  XI,  319:  „Cette  locution  commen^-ait  sans  deute  ä  ne  plus 
s'employer  dans  le  haut  style."  Heute  sagt  man  sehr  familiär  noch 
donner  dans  l'oßil. 

VIII,  83  var.  5: 

On  en  sort  aisement  vainqueur, 

Quand  dfes  l'entree  ou  lui  fall  tete; 
nach  1056:  Quand  dfes  l'abord  on  lui  fait  tete. 
Des   l'entree   ==    „des  le  commencement"  fiel  ebenso  VIII,  84  var.  2, 
es  blieb  VIII,  74  vers  744.    Heute  ist  es  veraltet  (Sachs).  "^ 

IV,  204  var.  2: 

Qu'en  moins  de  fermer  l'reil  on  ne  s'en  souvient  pas; 
l(iß4:     Qu'en  moins  d'un  tournemain  on  ne  s'en  souvient  pas. 
Th.  Corneille  1692: 

Qu'en  moins  d'ime  heure  ou  deux  on  ne  s'en  souvient  pas. 
Voltaire  I,  457:  „En  moins  de  fermer  Tceil,  pour  en  moins  d'viii  clin 
d'ceil,  n'est  pas  franyals." 
II,  170  var.  1: 

II  ne  veut  cependant  que  surprendre  uue  fleur, 
d.  h.  „ravir  la  virginite  a  qne."  Die  Stelle  steht  nur  1  637  in  der  ersten 
Ausgabe  der  Suivante.  Corneille  beseitigte  sie  aus  Rücksichten  der 
Decenz  (vgl.  Einleitung).  Vgl.  analog  Trist,  p.  318,  4:  „Und  ir  den 
bluomen  abe  genam"  (cit.  von  Schulz:  Höfisches  Leben  I,  496,  Anm.  3). 
I,  470  var.  4 : 

Cela  se  juge  ä  l'ceil,  rieu  ne  le  satisfait. 
A  Vceil    =:    „a  vue   d'oeil,    ä  l'ceil  nu"   fiel  ebenso  I,    207    var.    l. 
Wahrscheinlich  war  es  veraltet  (vgl.  M-L.  XII,  125). 
I,  146  var.  4: 

C'est  lä  qu'un  jeune  oiseau  doit  s'apprendre  ä  parier; 
später:  C'est  la  qu'un  apprentif  doit  s'apprendre  ä  parier. 
Heute  ist  oiseau  auf  Personen  angewendet  sehr  familiär,  und   war 
es  wohl  schon  damals.    Vgl.  „loser  Vogel". 
I,  219  var.  2: 

Ce  pair  d'amants  sans  pair  est  sous  la  s^pulture; 
1660 :     Ces  malheureux  amants  trouvent  la  sepulture. 
Sans  pair  =    „ohne  gleichen"   kam   damals  aufser  Gebrauch  (vgl. 
Godefroy  II,  446). 


Entwickelungsgäuge  in  der  Sprache  Corneilles.  93 

IV,  76  var.  4  hatte  Corneille  prendre  de  bat  nach  Analogie 
von  „prendre  querelle"  gebildet: 

II  a  voulu  lui-meme  apaiser  les   debats 
Qu'avec  nos  citoyens  ont  pris  quelques  soldats; 
16Ü0:     Qu'avec  nos  citoyens  ont  eus  quelques  soldats. 
Voltaire  I,  402:   „Cela  n'est  pas  fran9ais,   on  dit  prendre  querelle, 
et  non  prendre  debat." 
IV,  368  var.  2: 

Comme  ä  Lyon  le  peuple  aime  fort  les  laquais 
Et  leur  donne  souvent  de  dangereux  paquets, 
Deux  coquins,  me  trouvant  tanti'it  en  sentinelle 
Out  laisse  choir  sur  moi  leur  haiue  naturelle; 
Et  me  prenant  pour  l'etre  a  l'habit  rouge  et  vert  ... 
1660 :     Et  sitöt  qu'ils  ont  vu  mon  liabit  rouge  et  vert  . . . 
Die  erste  Fassung  dürfte  zum  wenigsten   eine  ungewöhnliche  Kon- 
struktion sein. 

II,  513  var.  5 : 

Mais  eu  vaiu  c  o  u  t  r  e  1  u  i  ou  täche  ä  r  ^  s  i  s  t  e  r ; 
1600:     Mais  en  vain  mon  devoir  täche  ä  lui  r^sister. 
Ebenso  trat  resister  d  für  resister  eontre  ein  III,  138  var.  7. 

III,  173  var.  2: 

La  honte  de  mourir  sans  avoir  combattu 
Retablit  leur  desordre  et  leur  rend  leur  vertu; 
1660 :     Arrete  leur  desordre  et  leur  rend  leur  vertu. 
Akademie  (M-L.  XII,  496)  hatte  bemerkt,  es  gebe  nur  retablir  Vordre. 
M-L.  XII,  302  citiert  retablir  le  desordre  aus  Voltaire. 
III,  158  var.  2: 

Malgre  des  feux  si  beaux,  qui  rompent  ma  col&re; 
1660:     Malgre  des  feux  si  beaux,  qui  troublent  ma  colfere. 
Die  Akademie   hatte    den  rhetorischen    Fehler   des   Übergangs    aus 
einer  Metapher   in  die   andere  an   dieser  Stelle  getadelt  (vgl.  M-L. 
XII,  494). 

Dritter  Teil. 

Versbau. 

A.     S  i  1  b  e  n  z  ä  h  1  u  n  g. 

Was  Silbenzählung  und  Hiatus  anlangt,  so  geht  Ricken:  „Über 
die  metrische  Technik  ('Orneilles",  auch  auf  die  Varianten  ein;  wir 
schliefsen  uns  ihm  also  gröfstenteils  an,  soweit  seine  Abhandlung 
reicht,  und  werden  seine  Ausführungen  auf  Grund  unserer  eigenen 
Untersuchungen  nachprüfen  können.     Vgl.  Ricken  9  ft". 


!M  Kiitwickoliing.sgäuge  iu  der  Sprache  ('(^rueilles. 

/.     p  feminin  liiyitcr  hefontem  einfadwiii    J'olrnl. 

Wälirt'iid  das  e  feminin  nach  unbetontem  lautem  Vokal  l)ci 
Corneille  wie  heute  (vgl.  Tobler:  Versbau  38)  nie  mehr  eine  Silbe 
l)il<let,  erhält  es  nach  betontem  einfachem  Vokal  seinen  Hilbenwert 
etwas  länger.  Zur  Zeit  C'orneilles  war  es  in  der  Konversation  ent- 
schieden schon  stumm,  wenn  es  auch  in  der  Deklamation  und  im 
Gesang,  besonders  am  Versende  noch  hörbar  blieb.  Während  nun 
bis  in  den  Anfang  des  17.  Jahrh.  dieses  e  noch  oft  als  »Silbe  zählt 
(vgl.  Tobler:  Versbau  40 — 41),  finden  wir  bei  Corneille  nur  noch 
fünf  solcher  Fälle,  die  wir  als  eine  poetische  Licenz  betrachten 
müssen.  Dafs  aber  um  16G0  das  Gefühl  durchgedrungeji  war,  ein 
solches  e  sei  im  Vei'sinneren  nicht  mehr  statthaft,  beweist  der  Um- 
stand, dafs  Corneille  alle  Fälle  mit  Ausnahme  nur  eines  gebessert 
hat.    Vgl.  II,  346  var.  1: 

L'epouvante  las  preud,  et  Mede  e  s'eufuit; 
1(360:     L'epouvante  les  prend,  Med^e^en  raille,  et  fuit. 

II,  266  var.  2: 

Aceorde  ä  ma  pudeur,  que  deux  mots  de  ta  maiu 
Justifijeut  aux  miens  ma  fuite  et  den  dessein. 
166U :     Puissent  justifier  ma  fuite  et  ton  dessein. 

IV,  28  var.  2: 

Justifije  Cesar  et  condamue  Pompee : 
16G0:     Justifiant  Cesar  a  coudamne  Pompee. 
Vgl.  Voltaire  I,  347.     Derselbe  bemerkt,   dieses   sei   der  einzige  (?) 
Fehler  Corneilles  gegen  die  Metrik  (vgl.  etwas  weiter  unten). 

V,  347  var.  1 : 

Si  vous  etes  amant,  Phine  e,  je  suis  pere. 
iGfJO:     Vous  u'etes  qu'amoureux,  Phinee,  et  je  suis  pfere. 

Ungeändert  blieb  nur  II,  344  vers  73: 

Les  sceurs  cri,eut  miracle,  et  chacuue  ravie 
Concoit  pour  son  vieux  pfere  une  pareille  envie. 

Vgl.  Voltaire  I,  71 ;  er  behauptet,  Corneille  habe  diesen  Fehler  oft 
begangen,  und  durch  ihn  veranlafst,  komme  derselbe  zu  seiner  (Vol- 
taires) Zeit  immer  wieder  vor. 

2.    e  feminin  hinter  hetnntem  Diphtk/mg. 

Dasselbe  behält  etwas  länger  als  e  feminin  hinter  betontem  ein- 
fachem Vokal  seinen  Silbenwert.  Heute  gilt  in  beiden  Fällen  die 
Regel,  dafs  es  im  Versinneren  nur  dann  vorkommen  kann,  wenn 
Elision   vor   einem   folgenden   vokalisch  anlautenden  Worte  möglich 


Entwickeluugsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  95 

ist.  Bei  Corneille  finden  sich  noch  neun  Fälle,  wo  e  feminin  hinter 
betontem  Diphthong  im  Inneren  des  Verses  als  Silbe  zählt;  1660 
aber  sind  fünf  derselben  dem  heutigen  Gebrauche  gemäfs  gebessert. 
Vgl.  II,  278  vers  1053: 

Que  tes  gens  cette  nuit  m'ai  eut  vue  ou  saisie. 
V,  460  vers  1022: 

Les  comtes  ä  ce  prix  fuy  ent  le  diadfeme. 
IV,  159  vers  342: 

On  leur  fait  admirer  les  bay  es  qu'on  leur  donue. 
IV,  342  vers  1014: 

Comme  toutes  les  deux  jou  ent  leurs  persounages. 

I,  494  var.  1  : 

Pourvu  qu'eu  mes  defauts  j'ay  e  tant  de  bonheur. 
I(i60:     Heureuse  mille  fois  si  le  peu  que  je  vaux. 

II,  138  var.  1: 

Voyez  comme  tous  deux  fuy  ent  notre  rencoutre. 
1060:     Voyez  comme  tous  deux  ont  fui  notre  rencontre. 

IV,  181  var.  o: 

Vous  le  savez  assez.  —  Quoi  que  j'ayje  pu  faire. 
1660:     Vous  le  savez  assez.  —  Plus  je  me  cousidere. 

V,  87  var.  2: 

Qu'elle  eu  p  a  y  e  Placide  et  täche  u  couserver. 
ItiGO:     Qu'elle  paye  ä  Piaeide  et  täche  ä  conserver. 
V,  544  var.  2: 

Quoi  que  j'ay  e  sur  eile  uue  puissance  entiere. 
16(J0:     J'ai  sur  eUe  apres  tout  uue  puissance  entiere. 

Wir  sehen  also  paye  einmal  zweisilbig  gebraucht,  es  wird  aber 
1660  vor  Vokal  gebracht.  Von  den  zwei  Fällen  von  zweisilbigem 
fuy  ent  wird  der  eine  gebessert.  Äye  zweisilbig  blieb  in  keinem 
Falle.  Jou' ent  und  bay  es  blieben.  Ueber  ai  ent  vgl.  unten. 
(Nebenbei  sei  hier  bemerkt,  dafs  auch  die  dritte  Pers.  Sing.  Präs.  Konj. 
bei  Corneille  meistens  aye  lautet,  selten  aü.    Vgl.  M-L.  XI,  107.) 

Aus  obigen  Versen  entnehmen  wir  nun,  dafs  Corneille  eine  Zeit 
lang  noch  solche  Formen  zweisilbig  im  Versinneren  für  statthaft 
hielt,  später  sie  aber  nicht  mehr  dulden  wollte;  dafs  er  aber  nur  an 
etwas  mehr  als  der  Hälfte  der  Beispiele  besserte,  beweist  zugleich, 
dafs  e  feminin  hinter  betontem  Diphthong  etwas  länger  Silbenwert 
behalten  habe  als  hinter  betontem  einfachem  Vokal.  Gestützt  Avird 
diese  Behauptung  durch  Folgendes.  Bei  Desportes  erseheinen  Formen 
Avie  aye,  paye   vor  Konsonanten,    s'egayent   und   royent   sind  ihm   im 


96  Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles. 

Versinneren  erlaubt;  auch  Maynard  (Corneilles  Vorgänger  in  der 
Akademie)  gebraucht  fuyent,  croyent,  bruyent,  voyent,  essayent  im 
Versinneren.  Endlich  hat  auch  Moliöre  noch  sieben  Beispiele  von 
zweisilbigem  {-Jaye  und  -oyent  (s.  Ricken). 

Wie  wir  sehen,  handelt  es  sich  um  Diphthonge,  deren  zweites 
Element  y  ist:  ay,  oy,  uy.  Auf  den  Grund  der  Erhaltung  des  e  fe- 
minin nach  diesen  Diphthongen  in  der  Aussprache  leitet  uns  hin 
Thurot:  Prononciation  fran9aise  depuis  le  XVP  sifecle,  Paris  1881, 
cap.  1,  3,  4,  Buch  IIT  (nach  Ricken).  Nach  ihm  wurde  im  16.  Jahrh. 
gemäfs  Aussprüchen  der  Grammatiker  ein  „i  consonne"  (d.  h.  ?-f-J) 
gesprochen  in  den  Verbindungen  -aye-,  -oye-,  -uye-,  welches  in  seiner 
Eigenschaft  als  Konsonant  das  e  natürlich  zum  Tragen  einer  Silbe 
fähig  machte.  Seit  Ende  des  16.  Jahrh.  sei  die  Aussprache  e  (^), 
bezw.  0^  oder  od  und  ui  aufgekommen,  infolge  wovon  das  e  in  der 
Aussprache  fällt.  Thurot  gegenüber  dürfen  wir  nun  nach  Maynards 
und  Corneilles  Praxis  annehmen,  dafs  auch  in  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrh.  die  konsonantische  Kraft  des  y  in  den  genannten  Di- 
phthongen noch  fühlbar  war,  Avenn  auch  Corneille  sich  später  dem 
theoretischen  Urteil  der  Grammatiker  anschlofs. 

Im  Anschlufs  hieran  wäre  ich  geneigt,  eine  ähnliche  Erklärung 
für  die  unter  1 .  behandelten  justifi  e ,  jiistifient,  c r i  e n t 
anzunehmen,  um  so  mehr  als  gerade  eri'ent  ungeändert  geblieben 
ist.  Nämlich  so.  Auch  zwischen  einfachem  i  und  folgendem  Vokal 
stellt  sich  bei  fehlendem  Kehlkopf\^erschlufs  leicht  ein  leises  j  (oder 
„i  consonne")  ein,  welches  in  obigen  Fällen,  wenn  auch  dem  Dichter 
unbewufst,  schützend  auf  den  Silben  wert  des  e  eingewirkt  haben 
könnte.  Vgl.  z.  B.  im  Englischen  the  other  =  dij  add  in  Sweets 
Umschrift;  femer  den  Umstand,  dafs  manche  Engländer  nicht  „the 
ear"  von  ,,the  year"  in  der  Aussprache  unterscheiden  können,  sie 
sprechen  dann  beides  z=  ,,di  jid"  etwa. 

Eine  Sonderstellung  nehmen  neufranzösisch  die  Endungen  der 
Imperfekta  und  Conditionnels  auf  -aient,  ferner  ^oient  und 
aient  ein.  Bei  denselben  gilt  schon  lange  vor  Corneille  das  e  als 
nicht  vorhanden  (vgl.  Tobler:  Versbau  37,  40),  und  sie  konnten  un- 
beanstandet an  allen  Stellen  des  Verses  gebraucht  w'erden.  Bei 
Malherbe  kommt  soient  noch  einmal  zweisilbig  vor,  der  Dichter  ändert 
aber  später  (vgl.  Tobler  a.  a.  O.).   —   Bei  Corneille  sind   -aient  und 


Eutwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  97 

soient  immer  einsilbig,  doch  sahen  wir  oben  II,  27S  vers  1053  noch 
ein  Beispiel  von  zweisilbigem  aient.  —  Dieses  ist  überhaupt  das  ein- 
zige Mal,  wo  aient  im  Versinneren  bei  unserem  Dichter  vorkommt. 
Während  er  nämlich  aient  anfangs  wie  schon  Dichter  lange 
vor  ihm,  wie  Molifere,  und  wie  es  heute  noch  Gebrauch  ist,  einsilbig 
und  dann  natürlich  auch  im  Versinneren  verwendete,  duldete  er  es 
dort  später  nicht  mehr.  Er  folgte  darin  der  Praxis  Malherbes  und 
dessen  Schüler,  wie  Maynards.    Demnach  änderte  er  1660:  11,  391 

var.  3 :     Ce  genereux  vieillard,  indigue  que  ses  feux 

Prfes  de  votre  rivale  aient  perdu  tant  de  veux; 
KiÜU:     Ce  genereux  vieillard,  ne  pouvant  supporter 

Qu'on  lui  vole  ä  ses  yeux  ce  qu'il  croit  möriter. 

II,  453  var.  4: 

Et  les  Premiers  regards  dont  m 'aient  frappe  vos  yeux. 
I(j<i0:     Et  quand  je  me  rendis  ä  des  regards  si  doux. 
II,  456  var.  3: 

Qu'elles  n' aient  pu  blesser  un  eceur  dont  je  dispose! 
1660:     Que  vous  leur  refusiez  uu  cceur  dont  je  dispose! 
in,  347  var.  3 : 

Peu  de  nous  ont  joui  d'un  succfes  si  prospfere, 
Qu'ils  n 'aient  perdu  dans  Albe  nn  cousin,  uu  beau-fr^re. 
1660:     II  est  peu  de  Romains  que  le  parti  contraire 

N'intöresse  en  la  mort  d'un  gendre  ou  d'un  beau-frfere. 

in,  532  var.  1: 

Et  j'ai  pour  l'accepter  eteint  les  plus  beaux  feux 
Qui  d'une  äme  bien  nee  aieut  merite  les  voeux. 
lü6o :     Et  j'ai  pour  l'aceepter  eteint  le  plus  beau  feu 
Qui  d'une  äme  bien  nee  ait  merite  l'aveu. 

IV,  96  var.  1: 

II  vous  proclame  reine,  et  quoique  ses  Romains 

Au  sang  que  vous  pleurez,  n' aient   point  treuipe  leurs  maius. 

1660:     n  vous  proclame  reine;  et  bien  qu'aucun  Romain 
Du  sang  que  vous  pleurez,  n'ait  vu  rougir  sa  main. 

IV,  162  var.  3: 

Quoique  en  ce  choix  les  yeux  aient  la  premifere  part. 
1660:     Les  yeux  en  ce  grand  choix  ont  la  premifere  part. 

V,  587  var.  3: 

Et  ue  craignez-vous  point  que  nies  sourdes  pratiques 
Ne  vous  aient  euleve  jusqu'ä  vos  domestiques? 
1660:     N'appr^liendez-vous  point  que  tous  vos  domestiques 
Ne  soient  dejä  gagnes  par  mes  sourdes  pratiques?* 


*  Ferner  II,  P>67  var.  6,  vgl.  S.  11  o. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV. 


08  Rnt\vickrliinp;.späiig('  in  der  Sprache  Corncillo.a. 

Diese  letzte  Stelle  ist  aus  dem  NieomMe,  1651  verfafst,  später 
findet  sich  aieMt  überhaupt  nicht  mehr  im  Versinneren.  —  Es  läfst 
sich  nun  nicht  leugnen,  dafs  die  Regel,  e  feminin  nach  betontem 
Diphthong  aufser  im  Falle  der  Elision  im  Versinneren  zu  meiden, 
den  Dichtern  eine  unbequeme  Beschi-änkung  auferlegt;  und  so  er- 
scheint es  erklärlich,  wenn  in  neuerer  Zeit  Dichter  in  Mifsachtung 
der  Regel  Formen  wie  croient,  voient,  fuient,  (tu)  aips  gerade  wie 
soient  behandelt  haben  (vgl.  Tobler:  Versbau  37). 

3.    h  aspiree. 

Erst  allmählich  hat  sich  die  Sprache  bei  einer  Reihe  von  Wör- 
tern für  h  aspiree  bezw.  h  muette  entschieden.  So  wurden  harangiie, 
Hollande,  hors,  hideux,  liäir,  hardi  (vgl.  mittelalterliches  ardi)  im 
17.  Jahrh.  noch  oft  mit  h  muette  gebraucht;  Ludwig  XIV.  hat  sogar 
selbst  einmal  „n'asardes  plus"  geschrieben  (vgl.  Genin  Recreations 
I,  127  ff.).  Nur  Caprice  des  Gebrauchs,  auch  Gründe  des  Wohl- 
klangs haben  bei  diesen  Wörtern  für  das  eine  oder  das  andere  ent- 
schieden. —  Bei  Corneille  haben  wir  Beispiele  für  diese  Entwicke- 
lung.    Vgl. : 

heroique  ist  bei  ihm  vor  1660  mit  aspiriertem,  nach  1660  mit 
stummem  h  gebraucht.    IV,  130: 

Quand  je  me  suis  r^solu  de  repasser  du  |  heroique  au  uaif  (1642). 
V,  410:  J'ajoute  ä  celle-ci  l'epithfete  de  |  heroique  (1650). 
Beide  Stellen  finden  sich  in  Prosastücken,  die  nach  1660  nicht  mehr 
abgedruckt  wurden.  In  der  Dichtung  kommt  heroiqiie  nur  nach 
1660  vor,  und  da  immer  mit  stummem  h  (vgl.  Ricken  17).  Vgl.  VII, 
131  vers  561 : 

J'ai  vu  tous  les  plaisirs  de  sou  äme^heroique; 
ferner  VII,  426  vers  1110,  509  vers  1097  u.  ö.  Corneille  folgt 
Vaugelas,  welcher  I,  51  heroiqiie  mit  h  muette  gebraucht  wissen  will 
nach  der  Regel:  Alle  aus  dem  Lateinischen  kommenden  und  dort 
schon  mit  h  anlautenden  Wörter  haben  ein  stummes  h ;  ausgenommen 
nur  heros,  welches  im  Anfange  des  17.  Jahrh.  in  Analogie  zu  herauf 
ein  aspiriertes  h  erhalten  habe.  Corneille  dehnte  dieses  also  anfangs 
auf  das  davon  abgeleitete  heroique  aus. 

hösiter.    Vgl.  IV,  190  var.  1: 

Ne  I  hesiter  Jamals,  et  rougir  encor  moins; 
IQW:    Ne  se  brouiller  Jamals,  et  rougir  encor  moins. 


Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  99 

II,  272  var.  1 : 

16ß0:     Quoi!  je  |  hesite  encor,  je  balance,  je  doute! 
1663:     Quoi!  je  balance  encor,  je  m'arrete,  je  doute! 
I,  354  var.  1 : 

Espfere  mais  hesite;  hösite,  mais  aspire  (1660 — 63). 
1664:     Doute  dans  ton  espoir;  hesite,  mais  aspire. 
später :  Tremble  sans  craindre  trop ;  hesite  mais  aspire. 
Vn,  127  vers  459: 

Et  bien  que  sur  le  choix  il  semble  |  h^siter; 
Voltaire  1764: 

Et  bien  que  sur  le  choix  il  me  semble_h^siter. 
Vgl.  M-L.  XI,  480;  Ricken  18.  Menage  bezeugt  uns  (vgl.  M-L. 
a.  a.  O.),  dafs  Corneille  ,,san  hesüer"  gesprochen  habe.  Fast  will  es 
scheinen,  als  ob  er  später  hesiter  mit  h  aspiree  habe  vermeiden  wollen, 
wenn  auch  nicht  durchaus;  jedenfalls  schwankt  er  in  Bezug  auf  den 
Anlaut.  Furetiere  1701  läfst  noch  die  Wahl  zwischen  h  muette  und 
h  aspiree;  Richelet  1709  zieht  das  erstere  vor.  Voltaire  I,  453:  ,,Ne 
he(siter)  est  dur  ä,  l'oreille.  On  ne  fait  plus  de  difficulte  de  dire 
aujourd'hui  f  hesite,  je  n'fiesite  pas.'^ 

4.    oui. 
Ebenso  wie  on%e,  onzieme  gebraucht  Corneille  dem  älteren  Fran- 
zösisch gemäl's  auch  oui  als  vokalisch  anlautend,  entgegen  den  Vor- 
schriften Vaugelas'  (I,  382),  welche  von  Th.  Corneille  und  der  Aka- 
demie bestätigt  werden.     Dal's    darum  die  Verdoppelung   von 
oui   im  Verse  nicht   vorkomme,    wie  Ricken    meint,    ist   unrichtig, 
wenigstens   insofern    als  Corneille  dieselbe  zweimal  anwendet,   folge- 
richtig dann  aber  wieder  beseitigt  hat.    Vgl.  III,  110  vai'.  7 : 
Oui,  oui,  je  m'en  souviens,  et  j'epandrai  le  sang; 
1660:     II  m'en  souvient  si  bien  que  j'epandrai  mou  sang. 
IV,  73  var.  2: 

Oui,  oui,  ton  sentiment  enfin  est  veritable ; 
1 660 :     Oui,  par  lä  seulement  ma  perte  est  evitable. 

Verdoppelung  des  oui  citiert  Mesnard  zweimal  aus  Racine,  sie 
findet  sich  bei  Moli^re  und  auch  sonst  (vgl.  Tobler:  Versbau  107). 
Nach  Littre  hat  oui  jetzt  „une  demi-aspiration,  ce  oui,  des  oui  = 
d^  oui  etc." 

5.   Äpokope  in  Adverbien  und  Präpositionen. 

Ricken  S.  20  fl^.  sagt  darüber  etwa  folgendes,  und  wir  worden 
seine  Angaben  prüfen :  „Es  sind  sieben  Adverbien  und  Präpositionen, 

7* 


100  Kntwickoliinfj.spiiipc  in  der  Spraclu-  Corneilles. 

die  bei  Corneille  in  einer  längeren  und  einer  kürzeren  Form  im  Verpe 
gebraucht  werden,  nämlich 

avec  —  avecque  (nicht  avecques) 

donc  —  doncques  (doncque) 

jusque  —  jusques 

presque  —  presques 

mßrae  —  raemes 

guöre  —  guöres 

encor  —  encore. 
Diese  Formen  gehören,  soweit  sie  ein  .s-  am  Ende  haben,  zu  einer 
zahlreichen  Gruppe  von  Partikeln,  die  zum  Teil  schon  seit  dem 
1 0.  Jahrh.  ein  paragogisches  s  zeigen.  Nicht  blofs  im  Französischen, 
sondern  auch  auf  dem  gesamten  i'omanischen  Gebiet  des  Westens, 
im  Proven9alischen,  Spanischen,  Catalanischen,  Portugiesischen,  läfst 
sich  die  Neigung  wahrnehmen,  den  Partikeln,  überlieferten  sowohl 
wie  neugeschaffenen,  dieses  formelle  Kennzeichen  beizufügen''  (Diez 
III  *,  456).  Neben  diesen  Formen  bestanden  meistens  die  gleich- 
lautenden ohne  i\  —  Im  16.  Jahrh.  veralten  mehrere  dieser  volleren 
Formen,  was  seinen  Grund  in  dem  Verstummen  des  Schlufs-s  haben 
wird.  Malherbe  wendet  die  Formen  avecques,  oncques,  ores,  encores, 
deren  sich  Desportes  unbedenklich  bedient,  nicht  mehr  an.  Selbst 
doncques  kommt  bei  ihm  nicht  vor.  —  Corneille  kennt  doncques, 
jusques,  memes,  presques,  gueres.  nicht  aber  avecques  und  eneores. 
Or',  ores,  onc,  onq',  oncques  finden  sich  auch  bei  Corneille  nicht. 

Neben  den  Formen  mit  weiblicher  Endung  finden  sich  bei  Cor- 
neille noch  einige  mit  männlichem  Ausgang,  nämlich  avec,  donc, 
encor.  Da  neben  avec  nur  avecque,  neben  donc  nur  doncques,  neben 
encor  nur  encore  bei  ihm  gebräuchlich  sind,  so  haben  wir  in  jedem 
Falle  nur  mit  zwei  Formen  derselben  Partikel  zu  thun,  während 
früher  vielfach  drei  derselben  nebeneinander  auftreten.  Diese  Be- 
hauptung leidet  nur  durch  ein  einziges  Beispiel  des  Vorkommens  von 
doncque  eine  Beschränkung,  eine  Form,  welche  sich  in  ein  Madrigal, 
das  sich  als  Jugendgedicht  kennzeichnet,  eingeschlichen  hat  (vgl. 
M-L.  X,  35). 

Es  läfst  sich  bei  Vergleichung  der  verschiedenen  Ausgaben 
seiner  Werke,  welche  Corneille  selbst  veranstaltet  hat,  das  interessante 
Faktum  beobachten,  dafs  er  im  Laufe  der  Zeit  gegen  alle  Formen 
mit  paragogischem   .§   und   gegen   a/vecqtie  eine   Abneigung  gewann. 


Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  101 

Besonders  bezeichnete  die  Ausgabe  von  1660  auch  hier  einen  Wende- 
punkt, der  in  ganz  eminentem  Mafse  bei  der  Verfolgung  der  Form 
avecque  auffällt,  aber  auch  für  doncques,  memes,  jiisques  —  pi'esques 
kommt  wenig  vor  —  klar  zu  erkennen  ist.  —  Avecque  also,  das  bis 
Mitte  des  17.  Jahrh.  sekr  häufig  auftritt,  in  den  späteren  Stücken 
aber  nur  selten  sich  findet,  ist  in  der  Ausgabe  von  1660  mit  grofser 
Sorgfalt  aus  den  meisten  Versen,  in  denen  es  ursprünglich  stand, 
herausgebessert,  so  dafs  hier  (wie  in  den  Beispielen  doncques  etc.) 
über  den  Grund  der  Umgestaltung  kein  Zweifel  möglich  sein  kann.''  — 
Was  zunächst  die  Formen  mit  paragogischem  s  anbetrifft,  so  kommt 
doncques  überhaupt  nur  in  den  Jugendwerken  Corneilles  vor, 
und   auch   da   ist  es   an  allen  Stellen  beseitigt  worden.    Vgl.  I,  190 

var.  6:     Doncques  si  ta  raison  ne  se  trouve  degue; 
1H<iO:     Donc  si  ton  esperance  ä  la  ön  n'est  dejue. 

Ferner  I,  214  var.  2,  214  var.  3,  220  var.  1,  320  var.  4;  II,  43 
var.  3,  152  var.  2.  —  Schärfer  noch  als  Ricken  es  thut,  müssen  wir 
also  Corneilles  spätere  Abneigung  gegen  die  längere  Form  doncques 
betonen.  —  Wie  erwähnt,  findet  sich  noch  einmal  doncque  bei 
Corneille.  Vaugelas  (Ausgabe  1647,  S.  392)  verbietet  dasselbe  durch- 
aus; dagegen  doncques  ist  ihm  vollständig  erlaubt,  und  auch  Ac.  1694 
bietet  es  noch  neben  donc;  ebenso  Fureti^.re  1701.  Vgl.  M-L.  XI, 
315.  Menage  61  erlaubt  1672  noch  do7ic  und  doncque,  nicht  aber 
doncques.    Moliere  hat  doncques  nur  einmal  nach  Ricken. 

jusques.  Hier  verhält  sich  die  Sache  speciell  so.  Es  ist  rich- 
tig, dafs  es  in  Corneilles  Jugendwerken  häufiger  vorkommt  als  in 
den  späteren,  aber  es  ist  hier  auch  häufig  genug,  und,  soviel  ich 
sehen  kann,  an  keiner  Stelle  in  den  dichterischen  Werken  beseitigt 
worden.  Durchaus  aber  verbannt  der  Dichter  später  jusques  aus 
seiner  Prosa,  während  er  es  anfangs  öfter  verwendet  hatte.  Er 
besserte  so  I,  16  var.  2  : 

II  faut  ...  les  amener  jusques  ä  nous, 
uach  1664:  II  faut  ...  les  amener  jusqu'ä  nous. 
Ebenso  I,  24  var.  3,  53  var.  1,  53  var.  4,  97  var.  1,  97  var.  3,  138 
var.  2;  V,  361  var.  1,  409  var.  3.  Es  blieb  nur  V,  412  Z.  3  v.  u.; 
denn  I,  378,  eine  Stelle,  die  M-L.  anzieht,  kann  nicht  in  Betracht 
kommen,  da  das  betreffende  Prosastück  in  den  späteren  Ausgaben 
sich  nicht  mehr  findet. 

Vaugelas  I,  77    will  Jusque  vor  vokalischem  Anlaut  mit  oder 


102  Entwickelungsgäuge  iii  der  Sprache  Corneilles. 

ohne  s,  vor  kojisuiiantischem  Anlaut  aber  iiniucr  rüit  .s  f^chreiben, 
also  jusqucs  ä  und  jusqu'a,  aber  immer  jusques  lä,  und  zwar  macht 
er  die  Wahl  zwischen  jusqu'a  und  jusques  ä  u.  ä.  vom  Wohlklange 
abhängig.  —  Thomas  Corneille,  welcher  sich  auf  Menage  (vgl.  Me- 
nage 58)  stützt,  und  die  Akademie  (zuVaug.  I,  77)  evlauhen  jusques 
luid  jusque  überall,  wie  es  gerade  der  Wohlklang  der  Periode  (also 
erlauben  sie  jusques  auch  in  der  Prosa!)  oder  im  Verse  die  Silben- 
zahl erfordere.  —  Patru  (zu  Vaug.  1,  7iS)  will  jusques  so  oft  wie 
möglich  gebrauchen,  es  sei  „plus  doux".  Corneille  scheint  jusques 
für  eine  poetische  Form  gehalten  zu  haben. 

memes.  Auch  im  Pronomen  erscheint  es  im  Singidar  öfter  mit 
6'  versehen.  Litt.  s.  Haase:  Nfi-z.  Zs.  IV,  180,  Anm.  8.  Ich  finde 
neun  Fälle,  wo  Corneille  memes  gebraucht  hatte;  davon  sind  sechs 
gebessert  worden.    Vgl.  III,  545  vai*.  1 : 

Tu  me  quittes,  ingrat,  et  m§mes  avec  joie. 
lößO:     Tu  me  quittes,  ingrat,  et  le  fais  avec  joie. 
Ferner  III,  518  var.  2,  565  var.  3,  512  var.  2;  IV,  220  var.  1,  235 
var.  3.    Es  blieb  I,  312  vers  639;  III,  526  vers  838,  437  vers  1185 
(an  dieser  Stelle  hätte  der  Herausgeber  mhnes   sollen   stehen  lassen, 
da   alle  Ausgaben   zu  Lebzeiten  Corneilles  es  haben).  —   Vaugelas 

I,  •'^O  bemerkt  über  „mesme  et  mesmes  adverbe" :  „tous  les  deux 
sont  bons"  ;  Thomas  Corneille  und  die  Akademie  dagegen  (ebenda) 
verwerfen  '}nesmes,  w^ährend  Patru  (zu  Vaug.  I,  84)  und  Menage  61 
wieder  beides  zulassen.  Fureti^re  1701  zieht  meme  vor.  Voiture 
hatte  memes  noch  oft  gebraucht  (vgl.  Frz.  Stud.  I,  28). 

presques  findet  sich  zweimal  in  älteren  Werken.    I,  165  var.  1 : 

Une  reflexiou  vers  le  traitre  qu'elle  ainie 
Presques  ä  tous  moments  le  ramene  en  lui-meme. 
1682:     Presque  ]  ä  tous  moments  le  ramene  en  lui-meme. 

II,  369  vers  588: 

J'en  eus  presques  envie  aussitöt  que  de  vous. 
In  dem  ersteren  Falle  hätte  der  Herausgeber  nicht  ändern  sollen, 
denn  i)resques  steht  in  allen  von  Corneille  besorgten  Ausgaben. 
(Presque  in  der  Ausgabe  1682  ist  Druckfehler,  da  es  den  Vers  un- 
richtig macht,  und  erst  1692  wird  von  Th.  Corneille  deshalb  les  nach 
tous  eingefügt.  Vgl.  M-L.  XII,  219.)  Nach  Qviicherat  \i?i\^Q  p-esque 
schon  im  16.  Jahrh.  nur  selten  ein  s;  es  scheint  presques  z.  B.  bei 
Jodelle  nicht  vorzukommen  (vgl.  Hertiug  9).  Menage  1672,  S.  62: 
„On  ne  dit  plus  que  presque." 


Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Comeilles.  103 

aveeque.  Corneilles  Praxis  in  Bezug  auf  die  Doppelformen 
mit  und  ohne  e  entspricht  keineswegs  der  Vorschrift  Vaugelas'  (vgl. 
Vaugelas  I,  424 — 429);  ebensowenig  der  Regel  des  Menage  (vgl. 
Thurot  184 — 185  [von  Ricken  citiert]).  —  Während  Malherbe  aveeque 
fast  durchweg  vor  folgendem  Konsonanten  oder  aspiriertem  h,  avec 
dagegen  fast  nur  vor  Vokalen  oder  stummem  h  gebraucht,  bedient 
sich  Corneille,  wie  die  meisten  seiner  Zeitgenossen,  der  Form  avec 
sowohl  vor  Konsonanten  wie  vor  Vokalen,  während  aveeque  nur  vor 
konsonantischem  Anlaute  steht ;  d.  h.  avec  ist  das  gewöhnliche  Wort, 
und  um-  wenn  die  Silbenzahl  des  Verses  es  verlangte,  gebrauchte 
man  aveeque;  vor  vokalischem  Anlaut  aber  hätte  aveeque  auch  nur 
zwei  Silben  ergeben. 

Auf  diesem  Standpunkte  blieb  Corneille  nicht  stehen.  Er  suchte 
aveeque  später  möglichst  zu  beseitigen.     Vgl.  I,  190  var.  4. 

Mais  j'en  ai  vu  fort  peu  de  qui  les  passions 

Fussent  d'intelligence  aveeque  le  visage. 
Nach  1660:  Fusseut  d'intelligence  avec  tout  le  visage. 
Ebenso  I,  202  var.  1,  211  var.  .3,  223  var.  5,  284  var.  1,  277  var.  4,  287 
var.  5,  324  var.  5,  357  var.  3,  404  var.  2,  427  var.  8;  II,  43  var.  4,  44 
var.  1,  84  var.  2,  85  var.  4,  101  var.  8,  172  var.  1,  175  var.  2,  178  var.  1, 
187  var.  4,  258  var.  2,  360  var.  2,  364  var.  1,  440  var.  2,  441  var.  2,  451 
var.  2,  453  var.  3,  463  var.  8,  467  var.  1;  III,  Hl  var.  3,  135  var.  1,  145 
var.  1,  169  var.  1,  307  var.  2,  386  var.  1,  398  var.  3,  396  var.  2,  407  var.  1, 
407  var.  2,  420  var.  2,  530  A^ar.  3;  IV,  151  var.  1,  152  var.  l,  153  var.  1, 
165  var.  1,  167  var.  1,  177  var.  2,  186  var.  2,  234  var.  2,  :;21  var.  2,  330 
var.  1,  340  var.  3,  358  var.  3,  361  var.  1,  378  var.  5,  380  var.  2  (zweimal), 
438  var.  2,  447  var.  1,  508  var.  3;  V,  68  var.  3,  73  var.  2,  93  var.  1,  195 
var.  2,  887  var.  3  (zweimal),  548  var.  2. 

Aveeque  ist  im  zweiten  Bande  etwa  neunmal  von  etwa  27  Fällen, 
im  fünften  etwa  zehnmal  von  nur  noch  etwa  17  Fällen  stehen  ge- 
blieben, und  vom  sechsten  ab  (d.  h.  in  den  nach  1652  verfal'sten 
Stücken)  wird  es  überhaupt  selten,  ohne  dafs  es  jedoch  später  be- 
seitigt wird,  es  war  eben  zu  bequem,  bei  einer  fehlenden  Silbe  den 
Vers  zu  füllen.  —  Selbst  in  den  spätesten  Werken  Corneilles  kommt 
es  vereinzelt  noch  vor;  denn  mit  Recht  macht  Ricken  darauf  auf- 
merksam, dafs  das  nach  Marty  -  Laveaux'  Meinung  (vgl.  XI,  101) 
späteste  Beispiel  V,  356  vers  868  (von  1650)  nicht  das  letzte  ist. 
Aveeque  findet  sich  z.  B.  noch  VIII,  157  vers  2337  (von  1652)  und 
IX,  28  vers  379  (von  1665). 

Racine  hat  in  der  definitiven  Ausgabe  seiner  Werke  aveeque 
nur  einmal  (im  Alexandre,  vgl.  Mesnard  im  Lex.  unter  avec),  wäh- 
rend es  in  früheren  Ausgaben  im  ganzen  fünfmal  vorkam.    Richelet: 


104  Entwickelungsgänge  iu  der  Sprache  (Jorneilles. 

Diel,  des  rimes  S.  LVI,  giebt  an,  es  komme  bei  Boileau  einmal  vor. 

Fureti&re  1701    und   Richelet  1709   erlauben   aveciiiic  den  Dichtern. 

Anm.  Jrecqttes,  im  Kl.  .Tahrh.  noch  gebräuchlich  (vgl.  Herting  1'), 
findet  sich  bei  Corneille  nicht  mehr,  ^A'ohl  aber  noch  bei  seinem  Zeit- 
genossen Villiers,  z.  B.  im  Festin  de  Pierre,  herausgegeben  von  Knörich, 
Vers  8,  IM   u.  ö. 

B.    Hiatus   und  Elision. 

1 .  Auch  in  der  Schrift  auslautender  Vokal,  wel- 
cher den  Ton  trägt,  vor  vokalischem  Anlaut,  eine  seit 
Malherbe  verbotene  Art  des  Hiatus  (vgl.  Tobler:  Versbau  105), 
kommt  bei  Corneille  sechsmal  vor,  davon  drei  Stellen  gebessert  und 
die  übrigen  leicht  zu  erklären  sind  (vgl.  Ricken  32);  vgl.  H,  480 
var.  3 :     Mais  pour  vous  je  me  plais  ä  |  etre  mal  traitee. 

Nach  \ii'^0:  Mais  pour  vous  je  me  plais  a,  me  voir  maltraitee. 
IV,  316  var.  1  (nur  1645): 

C'est  le  plus  gen^reux  qui  |  ait  jamais  vecu. 
Später:  C'est  le  plus  genereux  qui  jamais  ait  v^cu. 
n,  188  var.  2: 

Ton  sang,  ou  repandu,  |  ou  hasarde  pour  eile. 
ItJöO:     Ton  sang  mis  an  hasard  ou  repandu  pour  eile. 
Hier  stand  der  Hiatus  in   der  Cäsur,   das   mag  der  Grund  gewesen 
sein,  warum  er  so  lange  unbemerkt  blieb. 
IV,  171  var.  4: 

Dedans  le  Pre  -aux-Clercs  tu  verras  memes  choses. 
1060:     Dans  tout  le  Pre| -aux-Clercs  tu  verras  memes  choses. 
Fassen  wir  Pre-aux-Clercs  als  ein  Wort,  so  fällt  jeder  Einwand  gegen 
diesen  Vers  weg. 
X,  81  vers  8: 

Mais  c'en  est  un  beau  |  aujourd'hui. 
Dieser  Hiatus  findet  sich   in   einem  improvisierten  Gedicht,   dessen 
Herausgabe  Corneille  nicht  überwacht  hat.    Vielleicht  war  auch  die 
Niederschrift  nicht  korrekt. 
X,  131  vers  9: 

Oü  I  il  ^toit  grave  d'un  burin  tout  de  flamme. 
Auch    das   Gedicht,    in    welchem    dieser   Hiatus   vorkonnnt,    ist    im 
Druck  nicht  von  Corneille  überwacht  worden. 

2.  Elision.  —  Nur  in  Bezug  auf  die  Graphic  sei  eine  kleine 
Einzelheit  erwähnt.    V,  162  var.  1  : 

Et  puisque  avecque  moi  tu  le  veux  couronuer; 


Ent wickelungsgärige  in  der  Sprache  Corneilles.  105 

also  mit  faktisch  ausgeführter  Elision,   1660  wird  dieselbe  auch  in 
der  Schrift  ausgedrückt: 

Et  puisqu'avecque  inoi  tu  veux  le  couronner. 

C.     C  ä  s  u  r. 

1 .  Die    Sinnespause    beim    Einschnitte   der   Cäsur    soll    nicht 

ptärker  sein  als  am  Versende,    Eine  Illustration   dieser  Regel  liefert 

Corneille  II,  511  var.  6  (bis  1657): 

Retourne  eu  ton  pays  i|  avecque  tous  tes  biens 
Chercher  un  rang  pareil  ä  celui  qtie  tu  tiens, 

=  kehre  zAirück  in  dein  Land,  um  dort  vermittelst  deines  Gutes  (das 

du  nämlich  dort  vorfindest)  einen  Rang   zu  suchen,   welcher  deinem 

gegenwärtigen  entspricht."    Dafs  avecque  tous  tes  biens  von  chercher 

abhängig  ist,   beweist  kurz  vorher  Vers  1416:    „...tes  biens  qui  ne 

t€  suivoient  pas^' ;  Isabelle,  um  die  es  sieh  handelt,  hat  also  ihi*  Gut 

in  ihrem  Lande  zurückgelassen,  als  sie  entfloh.    Somit  ist  die  Sinnesr 

pause  in  der  Cäsur  des   ersten   Verses   bedeutend    stärker    als    am 

Ende  desselbeii.    Daher  ändert  Corneille  1660: 

Retourne  en  ton  pays  chercher  avec  tes  biens 

L'honneur  d'un  rang  pareil  ä  celui  que  tu  tiens.  : 

2.  Cäsur  zwischen  Substantiv  und  seinem  nach- 
folgenden Adjektiv  fand  sich  einigeraal  in  kaum  zulässiger 
Weise  in  Corneilles  älteren  Werken.    Er  besserte  jedoch  später. 

I,  278  var.  4: 

Cette  inclination  ||  secrfete  qui  vous  m^ne; 
1660:     Cette  inclination,  qui  jusqu'ici  vous  mfene. 

I,  408  var.  3: 

Soit  que  quelque  raison  ||  secrete  le  retint; 
fii6tt;     Soit  que  quelque  raison  en  secret  le  retint. 

I,  422  var.  2: 

Je  ne  sais  quelle  humeur  ü  curieuse  m'emporte; 
1682:     Une  humeur  curieuse  avec  chaleur  m'emporte. 

I,  456  var.  2 : 

Depuis  que  niou  amour  ||  declare  ni'en  assure; 
IH<)(»:     Depuis  qu'en  libertö  mon  amour  m'en  assure. 

II,  44  var,  2: 

Par  des  commandements  ||  supposes  d'une  niöre? 
]t>6o:     Me  supposer  uiusi  des  ordres  d'une  mere? 


106  Eutwickelungsgäuge  in  der  .Sprache  Corueilleb. 

3.  Die  Cäsur  soll  nicht  zwischeji  das  regierende  Verbum 
und  sein  Objekt  fallen,  aufser  wenn  das  letztere  die  ganze 
zweite  Vershälfte  füllt  und  an  keiner  »Stelle  desselben  eine  Unter- 
brechung der  Rede  stattfinden  kann  (vgl.  Tobler:  Versbau  07).  Ver- 
stöfse  gegen  diese  Regel  tilgte  Corneille  II,  -421  var.  2: 

La  cause?  —  En  deraander  ||  la  cause!  |  lie,  parjurel 
l<>ij(j:     Quel  en  est  le  sujet?  ||  —  Le  sujet?  11s  parjure! 
VIII,  34  var.  3  (nur  1651): 

Mais  quelque  doux  qu'il  soit  !    ä  tous  |  tant  que  nous  sommes; 
später:  Mais,  6  Dieu,  dont  la  main  nous  fait  ce  que  nous  sommes. 
I,  198  var.  5: 

Et  ces  traits  de  sa  plume  ici  me  sont  restes 
Qui  d^peignant  au  vif  son  perfide  courage 
Remplissent  de  bonheur  ||  Philandre  |  et  moi  de  rage. 
166*':    Et  ces  traits  de  sa  plume,  osant  encor  parier, 
Laissent  entre  mes  mains  une  honteuse  Image, 
Oü  son  cceur  peiut  au  vif  remplit  le  mien  fle  rage. 

Über  Malherbes  Vorschriften  in  Bezug  auf  diesen  Punkt  vgl. 
Holfeld  75. 

4.  Eine  in  die  Mitte  zusammengesetzter  Präpositio- 
nen b  e  z  w.  Adverbien  fallende  Cäsur  wurde  später  getilgt 
III,  185  var.  1: 

Pr^f^rant,  en  depit  ]{  de  son  äme  ravie. 
1HH9:     Pr^förant,  quelque  espoir  qu'eüt  son  äme  asservie. 

III,  321  var.  1: 

Une  mauvaise  humeur,  un  peu  de  Jalousie 
Le  peuvent  mettre  hors  |1  de  votre  fantaisie. 
ItibU:     En  fait  assez  souvent  passer  la  fantaisie. 

IV,  540  var.  3: 

Vous  m'oflensez.  —  Autaut  ||  que  Eome  vous  honore. 
löou:     Vous  m'oflfensez  moi-meme  en  parlant  de  la  sorte. 

5.  Ein  auf  den  zweiten  Halbvers  bezügliches  Adverb  oder  eine 
Präposition  am  Ende  des  ersten  Halbverses  ist  nur  selten  zulässig. 
Daher  folgende  Änderungen:  IV,  183  var.  1: 

Sans  commencer  par  oü  ||  vous  devez  achever. 
1660:     Et  ne  comniencez  plus  par  oii  l'on  doit  finir. 
Voltaire  I,  450  bemerkt  hierzu,  nur  im  komischen  Stile  sei  eine  solche 
Cäsur  sehr  selten  erlaubt,  wo  eine  Konjunktion  oder  ein  einsilbiges 
Adverb  am  Ende  des  ersten  Halbverses  steht.    II,  139  var.  5: 
Mais  j'en  juge  suivant  ||  ce  que  j'en  vois  paroitre. 
Nach  loO-l :    Je  juge  et  parle  ainsi  sur  ce  qu'on  voit  paroitre. 


Entwickelungsgänge  iu  der  Sprache  Corneilles.  107 

D.    R  e  i  m. 
1.    Reicher  Reim. 

a)  e(6),  er(s),  ier(s)  müssen  seit  der  klassischen  Zeit  reich  reimen, 
da  bei  dem  grofsen  Reichtum  der  französischen  Sprache  an  solchen 
Endungen  sich  diese  Reime  allzu  leicht  ergeben  würden.  Vgl.  Tobler: 
Versbau  121.  Dieselbe  Regel  befolgt  Corneille,  und  etwaige  Ab- 
weichungen tilgt  er  bei  späteren  Revisionen,  so  III,  310  var.  3 : 

Du  moins  contente-toi  de  l'avoir  offensee 
Et  me  laisse  achever  cette  grande  journee. 
Nach  1641:   Du  moins  contente-toi  de  l'avoir  etonnee. 
III,  450  var.  3: 

(La  porte)  Assuree  au  besoin  du  secours  des  preraiers, 
Te  dirai-je  les  noms  de  tous  ces  meurtriers? 

1660  wird  der  Passus  gänzlich  geändert. 

Was  den  Reim  von  -fjner  zu  -ner  anbetrifft,  so  mufs  ich  für 
unseren  Dichter  durchaus  Tobler  beistimmen,  wenn  derselbe  (Vers- 
bau 121,  Anm.  3)  die  Unzulässigkeit  desselben  gegenüber  Quicherat 
8.  28  behauptet;  es  ist  bei  Corneille  Regel,  nur  -gner  zu  -gner 
zu  reimen,  wie  epargner  :  gagner.  indigne  :  epargne  u.  s.  w.  — 
in,  114  var.  7: 

Instruisez-le  d'exemple,  et  vous  ressouvenez 
Qu'il  faut  faire  ä  se^  yeux  ce  que  vous  enseignez 

war  von  der  Akademie  (M-L.  XII,  485)  als  schlechter  Reim  getadelt 

worden,  daher  Corneille  1660  an  die  Stelle  setzt: 

lustruisez-le  d'exemple,  et  rendez-le  parfait 
Expliquant  ä  ses  yeux  vos  legons  par  l'effet. 

Anm.  Eichelets  Dict.  des  rimes  scheidet  allerdings  -gner  und 
-ne>-  nicht. 

b)  -ir  reimt  heute  meist  reich  (vgl.  Tobler:  Versbau  122),   bei 

Corneille  immer,   wenigstens  finde  ich   in   den  1645 — 51    verfafsten 

fünf  Stücken  nur  eine  Ausnahme,  nämlich  V,  84  vers  1529 — 30: 

Marcelle  u'attend  plus  que  son  dernier  soupir: 
Jugez  ä  quelle  rage  ira  sou  deplaisir. 

Daher   wird  Corneille  des   Reimes   wegen    geändert   haben  V,    531 

var.   1  :     Si  je  ue  le  dois  craindre  au  moins  j'en  dois  rougir; 
Et  la  conf usiou  doiit  je  me  sens  couv  r  i  r 
Me  ramfene  aussitot  cette  vue  importuoe. 

Itiiiii:     Je  rougis  dans  mon  äme;  et  ma  confusiou 
Qui  renouvelle  et  croit  ä  chaque  occasiou 
Sans  cesse  offre  ä  uies  yeux  cette  vue  impurtuue. 


108  Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles. 

Ausgenommen  von  der  Forderung  des  reichen  Reimes  ist  der 
Fall,  wo  eins  der  Reimwörter  einsilbig  ist,  oder  wo  der  Endung  -ir 
ein  Vokal  vorhergeht. 

2.    Reime  von   Wörtern  gleichen  Stammes. 

Wörter,  von  denen  eins  als  Kompositum  einen  Stamm  enthält, 
welcher  auch  in  dem  anderen,  sei  es  mit  oder  ohjie  Präfix,  erscheint, 
im  Reime  miteinander  zu  paaren,  ist  nur  dann  gestattet,  wenn  die 
Bedeutungen  beider  Wörter  sich  so  zueinander  verhalten,  dafs  ihre 
^"erschiedenheit  sich  nicht  allein  aus  der  Verschiedenheit  noch  leben- 
der Suffixe  erklärt  (vgl.  Tobler:  Versbau  132). 

a)  Reim  von  Simplex  und  Kompositum. 
Malherbe  verurteilt  den  Reim  „des  simples  et  des  composes" 
durchaus,  s.  die  grofse  Anzahl  von  Anmerkungen  im  Commentaire 
zu  Des  Portes  (z.  B.  S.  2(35,  266,  321,  332,  347  u.  s.  w.).  Nach 
Corneilles  Varianten  zu  urteilen,  scheint  derselbe  in  seiner  späteren 
Zeit  diese  Beschränkung  sehr  weit  ausgedehnt  zu  haben,  weiter,  als 
er  anfangs  gethan  hatte.    Vgl. 

(1)  n,  75  var.  1 : 

Si  donc  il  ne  les  f aut  gu'empecher  de  se  v  o  i  r 
Je  te  laisse  ä  juger  si  j'y  saurai  pourvoir. 
IHiiO:     Ainsi  tout  est  ä  nous,  s'il  ne  faut  qu'empecher 
Qu'un  si  fidele  amant  n'eu  puisse  rapprocher. 

(2)  II,  145  var.  1: 

Sans  vos  Instructions,  je  sais  troj)  comme  11  faut 
Couler  tout  doucemeut  sur  ce  qui  vous  defaut. 
Nach   liidO:    Sans  vos  Instructions  je  sais  bleu  mon  metier 
Et  je  n'en  lalsseral  pas  un  tralt  ä  quartier. 

(3)  II,  197  var.  1: 

Si  ce  change  d'humeur  un  peu  plus  tot  l'eilt  pris 
Nous  aurions  vu  l'effet  du  dessein  entreprls. 
166U:     Que  ton  humeur  n'a-t-elle  un  peu  plus  tot  change? 
Nous  aurions  vu  l'effet  oü  tu  m'as  engage. 

(4)  n,  231  var.  2: 

Nou  pas  tous:  j'eu  retiens  pour  moi  quelque  partie. 
—  II  etoit  grand  besoin  de  cette  repartie. 

Nach  1637  wiu-den  diese  Verse  ausgelassen. 

(5)  II,  280  var.  2: 

Doraste,  ou  par  malheur  quelque  pire  surjjrise 
De  ces  coureurs  de  nuit  me  feroit  lächer  prise. 
1H60:     Doraste,  ou  par  malheur  quelque  reucontre  pire, 
Me  pourroit  arracher  ce  tresor  oü  j'aspire. 


Entwickelungsgänge  in  der  Sprache  Corneilles.  109 

(6)  II,  453  var.  6: 

Puisque  ainsi  vous  jugez  que  ma  peine  est  si  dure, 
Prenez  quelque  pitie  des  tourments  que  j'endure. 
1(360:     La  grandeur  de  mes  maiix  vous  etant  si  connue, 
Me  refuserez-vous  la  pitie  qui  m'est  due? 

(7)  III,  119  var.  1: 

Si  Rodrigue  est  mon  fils,  il  faut  que  Famour  cfede, 
Et  qu'une  ardeur  plus  haute  ä  ses  flammes  succfede. 
1660  wurden  diese  Verse  gestrichen. 

(8)  III,  119  var.  1: 

Mon  honneur  est  le  sien,  et  le  mortel  af front 
Qui  tombe  sur  mon  chef  rejaillit  sur  sou  front. 

1660  wurden  diese  Verse  gestrichen. 

(9)  III,  156  var.  1  : 

Mais  il  me  faut  te  perdre  apres  l'avoir  per  du, 
Et  pour  mieux  tourmeuter  mon  esprit  e  per  du. 
1660:     Cet  effort  sur  ma  flamme  ä  mon  honneur  est  du. 
Vgl.  hierzu  M-L.  XII,  494  und  Tobler:  Versbau  133. 

(10)  IV,  443  var.  2: 

II  falloit  un  pr^texte  ä  s'en  pouvoir  d6dire, 
La  paix  le  vient  de  faire,  et  s'il  vous  faut  tout  dire. 
166(1:     II  falloit  un  pretexte  ä  vaincre  sa  colere, 

II  y  falloit  du  temps ;  et  pour  ue  vous  rien  taire. 

(11)  IV,  483  var.  1: 

Le  sceptre,  dont  ma  main  vous  doit  recompeuser, 
Ne  vaut  pas  a  vos  yeux  la  peine  d'y  penser. 
106U:     N'a  point  de  quoi  vous  faire  un  moment  balancer. 

Auch  Reime  gleichklingender  ^Vörter  verschiedenen  Stammes 
fielen.    Vgl.:  (12)  II,  468  var.  1: 

De  certains  mouvements  que  le  ciel  nous  inspire 
Nous  fönt  aux  yeux  d'autrui  souvent  choisir  le  pire. 
1060:     Souvent  je  ne  sais  quoi  que  le  ciel  nous  inspire 
Souleve  tout  le  coeur  contre  ce  qu'ou  desire. 

(13)  II,  493  var.  2: 

Perles,  bagues,  habits.  —  J'ai  bien  fait  encor  pire: 
J'ai  dit  que  c'est  pour  vous  que  ce  captif  sou  pire. 
1660:     Perles,  bagues,  habits.  —  J'ai  bleu  fait  davantage 
J'ai  dit  qu'ä  vos  beautes  ce  captif  rend  hommage. 

Von  diesen  13  Fällen  würden  nach  der  oben  gegebenen  Regel 
wohl  erlaubt  sein  4,  6,  s,  11,  12,  13. 

b)  Auch  Reime  von  K  o  m  p  o  s  i  t  i  s  desselben  Stammes 
tilgt  Corneille  öfter.    So  I,  156  var.  3: 

Qu'ainsi  tes  sens  tromp^s  te  forcent  d^sormais 
A  chörir  ta  Cloris  et  ne  changer  jamais. 
1660:      Qu'ainsi  tes  sens  tromp^s  te  puissent  obliger 
A  cht^rir  ta  Cloris  et  jamais  ue  changer. 


I  H'  Eiit\vick('liui<^sgäiif:('  in  der  S])niclic  (■\»rnfillfs. 

II,  108  var.  3: 

Florame  est  mon  ami,  d'oü  tu  peux  inf<5rer 
Qu'ä  tout  autre  qu'ä  moi  je  le  dois  pi«^f<^rpr. 
Itldu:     Mou  amiti^  pour  lui,  qui  ne  peut  expirer 
Ä  tout  autre  qu'a  nun  ino  lo  fait  pref^'rer. 

II,  367  var.  G : 

Mais  on  ne  traite  point  les  rois  avec  mepris; 
On  leur  doit  du  respect,  quoi  qu'ils  aient  entrepris: 
Kemets,  si  tu  le  veux,  sur  moi  toute  l'af faire; 
Quelques  raisons  d'Etat  le  pourrout  satisfaire. 
l(i«;0:     Mais  le  tröne  soutient  la  majest(?  des  rois 

Au-dessus  du  mt?pris,  comme  au-dessus  des  lois. 
On  doit  toujours  respect  au  seeptre,  ä  la  couronne. 
Reuiets  tout,  si  tu  veux,  aux  ordres  que  je  donne. 

III,  114  var.  4: 

Rodrigue  aime  Cbimfene,  et  ce  digne  sujet 
De  ses  affections  est  le  plus  eher  objet. 
16()0:     Vous  n'avez  qu'une  fille,  et  moi  je  n'ai  qu'un  fils; 

Leur  hymen  nous  peut  rendre  ä  jamais  plus  qu'amis. 

Hier  bedeutete  sujet  genau  dasselbe  wie  objet.  Wenn  die  Bedeu- 
tungen verschieden  sind,  stehen  sie  oft  im  Reime  zueinander,  z.  B. 
III,  287  vers  117—118,  V,  463  vers  1087—88  u.  o. 

III,  139  var.  4: 

Sur  un  avis  reyu  je  crains  une  surprise. 

—  Les  Mores  contre  uous  font-ils  quelque  eutreprise? 

1660  fielen  diese  Verse. 

IV,  478  var.  1 : 

Elle  s'explique  assez  a,  ce  coeur  qui  l'entend. 

Et  vous  lui  rendrez  i:)lus  que  son  ombre  u'atteud. 

1660  wurde  der  Passus  ganz  verändert. 

Anzusehliefsen  sind  noch  zwei  Stellen,  wo  Corneille  die  abso- 
luten Possessivpronomina  im  Reime  zueinander  gebraucht  hatte, 
während  sonst  solche  Reime  bei  ihm  nicht  vorkommen.  (Vgl.  Mal- 
herbes Vorschrift  bei  Holfeld  74.)    III,  297  var.  1: 

Et  ne  nous  opposant  d'autres  bras  que  les  vötres, 
D'une  seule  maisou  brave  toutes  les  nötres. 
1660:     Et  son  illustre  ardeur  d'oser  plus  que  les  autres, 
D'une  seule  maison  brave  toutes  les  notres. 

IV,  504  var.  2 : 

Cette  coupe  est  suspecte,  eile  vient  de  la  sienue; 
Ne  prenez  rien,  Seigneur,  d'elle,  ni  de  la  mieune. 
lüüO:     Cette  coupe  est  suspecte,  eile  vient  de  la  Reine; 
Craignez  de  toutes  deux  quelque  secrfete  haine. 

Anm.  Körting,  Encyklop.  III,  294  c:  „Ebenso  dürfen  u.  s.  w."  will 
wohl  das  Gegenteil  von  dem  sagen,  was  er  wirklich  sagt;  es  ist  „nichf- 
vor  „miteinander  reimen"  ausgefallen. 


Entwickelungsgänge  iu  der  Sprache  Corneüles.  111 

5.    Rimes  equivoques 
(vgl.  Tobler:  Versbau  133).     Sie  sind  bei  Corneille  selten,  und  wo 
ihm  ein  solcher  Eeim  entschlüpft  war,   tilgt  er  ihn   in   späteren  Aus- 
gaben.   Vgl.  I,  246  var.  1  : 

Et  de  ce  que  l'excfes  de  ma  douleur  araere 
A  mis  tant  de  douleur  dans  le  eceur  de  ma  m^re. 
i»:it!(i:     Et  de  ce  que  l'excfes  de  ma  douleur  sincfere. 
VIII,  120  var.  2,  3: 

Le  vrai  religieux  . . . 

N'aime  point  qu'on  le  voie  et  moins  encore  ä  voir, 

Et  croit  que  celui-lä  se  tue 

Qui  cherche  ä  se  blesser  la  vue 
De  ce  que,  saus  se  perdre,  11  ne  sauroit  avoir. 
Nach  lii-51:  Ne  veut  point  etre  vu,  ne  veut  point  regarder, 

Et  croit  que  celui-lä  se  tue 

Qui  cherche  ä  se  blesser  la  vue 
De  ce  que,  sans  se  perdre,  il  ne  peut  possMer. 

III,  331  var.  1: 

Trop  faible  pour  eux  tous,  trop  fort  pour  chacun  (l'eux 
II  sait  bien  se  tirer  d'im  pas  si  hasardeux. 
1664:  II  sait  bien  se  tirer  d'un  pas  si  dangereux. 
Derselbe  Reim  wurde  getilgt  III,  556  var.  2,  blieb  aber  stehen  IV,  34 
vers  187—188. 

4.    Doppelreim 
(vgl.  Tobler:  Versbau  135).    Corneille  meidet  ihn   und  bessert  daher 
ni,  305  var.  3: 

Autre  n'a  mieux  que  toi  soutenu  cette  guerre, 
Autre  de  plus  de  morts  n'a  couvert  cette  terre. 
1660:     Autre  de  plus  de  morts  n'a  couvert  notre  terre. 

IV,  437  var.  2 : 

Nous  avons  meme  droit  sur  un  tröne  douteux; 
Pour  la  meme  beaute  nous  soupirons  tous  deux. 
1660:     Un  meme  espoir  du  sceptre  est  permis  ä  tous  deux; 
Pour  la  meme  beaute  nous  faisons  meme  voeux. 

VIII,  134  var.  1: 

Cependant  cette  vie,  en  soi  si  miserable, 
Conserve  im  tel  charme  secret 
Que  le  plus  malheureux  et  le  plus  möprisable 
Ne  l'abandonne  qu'ä  regret? 
Nach  16ri2:  Faut-il  que  cette  vie,  en  soi  si  miserable 
Ait  toutefois  un  tel  attrait  etc. 

Derselbe  Reim  fiel  auch  II,  271  var.  2. 
VIII,  147  var.  1: 

Et  si  toi-m§me  en  ton  besoiu 
Negliges  d'agir  pour  toi-mgme 
Pen  d'autres  en  prendront  le  soin. 


112  Entwickelungsgänge  in  dor  Spraclie  Cnmeillef». 

Nach  l(;(i2:  Et  si  tu  veux  bien  nögliger 
Toi-m6me  le  soin  de  toi-mt^me 
Peu  d'autres  s'en  voudront  charger. 

Malherbe  287  tadelt  den  Reim  mon  lien  :  inon  hieii   bei  Des  Portes. 


5.    Brnnemreim, 

(vgl.  Tobler:  Versbau  ]  38).  Heute  ist  diese  im  alten  Französisch 
beliebte  Spielerei,  das  in  der  Cäsur  stehende  Wort  mit  dem  Versende, 
oder  je  zwei  in  der  Cäsur  stehende  Wörter  miteinander  zu  binden, 
nicht  mehr  üblich,  sondern  man  läfst  jeden  Reim  auch  Versschlufs 
sein.  Schon  Malherbe  macht  wieder  und  wieder  bei  Des  Portes  auf 
den  Binnenreim  als  einen  Fehler  aufmerksam  (z.  B.  S.  25.S,  263,  275, 
280,  293,  309  u.  o.).  (yorneille  nun  beseitigte  sogar  die  Fälle,  die 
einem  Binnenreime  auch  nur  nahe  kamen.    I,  496  var.  2: 

Le  d^sordre  qu'on  11 1  dans  mon  äme  ^tourdie 
Vient  moins  de  votre  aspect  que  de  sa  perfidie. 
1<I6(I:     Le  desordre  eclatant  qu'on  voit  sur  mon  visage 

N'est  que  l'effet  trop  prompt  d'une  soudaine  rage. 

II,  483  var.  3: 

Demande-moi  pardon  et  quitte  cet  objet 
Dont  les  perfections  m'ont  rendu  son  sujet. 
1660:     Demaude-moi  pardon,  et  cesse  par  tes  feux 
De  profaner  l'objet  digne  seul  de  nies  voäux. 

.  IV,  84  var.  3 : 

Et  (la  haine)  me  laisse  encor  voir  qu'il  y  va  de  ma  gloire 
De  pimir  son  audace  avant  que  ta  vietoire. 
1660:     Et  ne  croit  avoir  droit  de  punir  ta  vietoire 
Qu'apres  le  chätiment  d'une  actiou  si  uoire. 

IV,  474  var.  1: 

Je  leur  ote  le  droit  de  vous  faire  la  loi. 
166U  wurde  der  Passus  ganz  verändert. 

6.    Wiederholung  ähnlich  klingender  Reime. 

Dieselbe  hat  Corneille  mehrfach  gebessert,  besonders  wenn  auf 
einen  männlichen  Reim  der  entsprechende  weibliche  folgte  oder  um- 
gekehrt.   Vgl.  Herting  25 — 26.    I,  430  var.  3: 

Tu  veux  qu'encore  uu  coup  je  devienne  effrontee, 
Pour  te  dire  Ti  quel  point  mon  ardeur  est  montt^e: 
Tu  la  vois  cependant  en  son  extremit^ 
Et  tu  doutes  encor  de  cette  verit^? 
1660:     Tu  veux  qu'encore  un  coup  je  me  donne  la  honte 

De  te  dire  ä  quel  point  l'amour  pour  toi  me  dompte: 
Tu  le  vois  cependant  avec  pleine  clartö, 
Et  veux  douter  encor  de  cette  verit^? 


Entwiekelungsgäuge  in  der  Sprache  Corneilles.  118 

Ähnlich  IV,  443  var.  2:  dedire  :  dire,  oheir  :  trahir.  IV,  485  var.  1: 
misere  :  mere,  der  nächste  weibliche  Reim  ist  mere  :  taire.  Eine 
solche  Wiederholung  ist  nicht  erlaubt,  vgl.  Herting  a.  a.  O.  IV,  4^9 
var.  2;  Vers  1631 — 45  waren  die  drei  weiblichen  Reime  mere  :  ait- 
Ure.^  kmiiere.  :  fräre,  chere  :  frrre.    Der  mittlere  fiel. 

Malhevbe  280  u.  ö.  tadelt  ähnliche  Verstöfse  bei  Des  Portes. 

7.    Bimes  de  Chartres 
(vgl.  Bellanger  286  ff'.;   Tobler:  Versbau  145).     Ich   finde   dieselben 
nur  in  den  älteren  Werken  Corneilles  einigemal. 

I,  19u  vers     797 :  seur  {=.  sür)  :  sceur. 
II,  102     y,      1587:  meur  (=  mür)  :  humeur. 
II,  261     „        703:  seur  (=  siir)  :  possesseur. 
Vielleicht  dürfen  wii-  annehmen,   dafs  zur  Zeit  der  Aufführung 
von  C^orneilles  älteren  Dramen  die  Aussprache  von  eu  —  ä,   welche 
von  Grammatikern  des  16.  Jahrb.  bezeugt  wird,  in  der  Dichtersprache 
noch  nicht  ganz   ausgestorben   war.    Allerdings   tadelte  schon  Mal- 
herbe 419  u.  ö.  solche  Reime  bei  Des  Portes,  aber  noch  zur  Zeit  des 
Manage  sprach  man  in  der  Provinz  z.  B.  Tmr  statt  henr,  mcdlntr  statt 
rnaUienr  u.  s.  w.  (vgl.  Menage  1672,  S.  247  u.  279). 


E.    K  a  k  0  p  h  o  n  i  e. 

Recht  häufig  sind  Fälle,  wo  Corneille  Verse  wegen  wiederholter 
Wiederkehr  desselben  Konsonanten  oder  derselben  Lautkomplexe 
innerhalb  des  Verses  getilgt  zu  haben  scheint.  Besonders  in  Betracht 
kommt  also  die  Allitteration,  ein  Fehler,  auf  welchen  Malherbe  be- 
sonders aufmerksam  macht  (vgl.  Holfeld  76,  ferner  Malherl^e  251 
253,  255,  414  u.  o,).  Als  solche  Verse  möchte  ich  ansehen: 
III,  108  var.  2:  Vous  verrez  votre  craiute  heureusement  degue. 

1660 :  Vous  verrez  cette  crainte  heureusement  d(5yue. 
III,  155  var.  2:  Si  je  n'eusse  oppos^  contre  tous  tes  appas. 

lt;6(>:  A  moius  quo  d'opposer  a  tos  plus  forts  appas. 
III,  186  var.  3:  Mais  ma  heute  m'abuse,  et  raa  raison  sY>touue. 

1663:  Mais  c'est  trop  de  scrupule,  et  ma  raison  sY'tonne. 
III,  305  var.  2:  Elle  so  prend  aux  Dieux,  qu'elle  ose  quereller. 

1660  :  Kilo  sc  prond  an  oiol,  et  l'oso  quoroUoi'. 
III,  399  var.  1:  Vos  dcssoins  no  sont  sns  d'auciui  des  coujun^s. 

16ti(i:  ...  aucun  de  nos  amis 

Ne  siiit  ni  vos  desseius,  ni  c(^  cpio  m'est  proniis. 

Archiv  f.  n.  Sprac-heii.    LXXXIV.  '^ 


IM  Kntvickiliirifrsjdiiiiirf  in  ilcr  Sprarhe  Coriieilles. 

Malhcrho  414  beniorkt  zu  dem  Verf^c  Den  Porte?': 
M<^dor  qui  tonoit  seul  sn  j>e»8<''C  asservie, 
„Öigmatisiims". 

in,  458  var.  1:  Mais  enfin  !<■  cid  m'iiime,  et  parmi  taut  de  maux 
II  m'a  lendu  Maxime,  et  l'a  sauv<;  des  eaux. 
ItitiO:  Mais  eiifiu  le  eiel  m'aime,  et  ses  bieufaits  nouveaux 
Ont  enleve  Maxime  a  la  fureur  des  eaux. 

TU,  ;^)8()  var.  4:  Te  demander  son  sang,  cVst  exposer  le  tieu. 
lOOö:  Te  demander  du  sang,  c'cst  exposer  le  tien. 

III,  442  var,  1:  Une  vaine  frayeur  m'a  jm  tautAt  trnubler. 

l<i()(i:  Une  vaine  frayeur  tantot  m'a  pu  troubler. 
I\',  '.Mi  var.  o:     .Te  n'y  puis  plus  rien  voir  qu'un  funeste  rivage. 

IGiiii:  Je  n'y  saurois  plus  voir  qu'un  funeste  rivage. 
Im  erstoi  Halbverse  folgten   hier  vier  schAvere  Silben   aufeinander, 
von  denen  drei  einen  Diphthongen  enthielten. 

IV,  'Ml   var.  4:  Et  je  peuse,  .s'il  faut  ne  vous  dej^uiscr  rien, 

Que  s)  j'etois  son  fait,  il  seroit  bien  le  raien. 
IG'iO :  Je  vous  le  dis  eneor,  je  m'y  passerois  bien ; 
Et  si  j'^tois  son  fait,  il  seroit  fort  le  mien. 

IV,  500  var.  3 :  (Ton  recit)  Contient,  Seigneur,  sans  plus,  ce  que  le  Prince 
IfiO'i :  Contient,  sans  rien  de  plus,  ce  que  le  Prince  a  dit.        [^  ^'*- 
I,  33t*>  var.  5:      Quelque  part  ou  la  peur  porte  ses  pas  errants. 
ItJGO:  Quelques  lieux  oil  l'efFroi  porte  ses  pas  errante. 
VIII,  112  var.  3:  L'un  est  bou  a  la  fete,  et  l'autre  aux  antres  jours. 

liUiO:  L'un  est  bon  a  la  fete,  et  l'autre  aux  simples  jours. 
Vni,  148  var.  2:  Reglaut  sous  toi  tous  tes  desirs. 

Nach  1G62:  Servant  de  r^gle  a  tes  desii\s. 
VlII,  360var.  1 :  Tiens  douc  la  tienne  toujours  prete. 
1665:  Tiens  douc  ton  Ame  toujours  pr^te. 
Über  ZAvei  von  Corneille  nicht  getilgte  Kakophonien  vgl.  Voltaire 
l,  536   (zu  ]M-L.  IV,  448  vers  433)   und   I,  594   (zu   M-L.  IV,  494 
vers  1546). 

Aum.    Reim  iu  der  Prosa  bat  Corneille  au  einer  t^telle  getilgt: 
VIII,  12  var. -1  :      Ce  ciu'on  u  publii'  fies  deux   cotös  sur  ce  snjet : 

nach   1662:     Ce  qu'on   a  public  de  pait  et  d'autre  siir  ce  sujet. 
Vaugelas  I,  371    warnt   ausdrücklieb    vor   solchen   Reimen    in   der  Prosa, 
ebenso  ]\I(''nage  l:'.7. 


Zum  Schlüsse  bemerke  ich,  dafs  bei  M-L. 

II,  192  var.  2:         -{"(li-je  dif:"  zu  lesen  ist  .statt  "(^"ai-Je,  dif:", 

III,  -153  vers  1545  "ocenpee''    .  „       ^        „       ,      "occ^tpe". 

XI,  1:^,5  Z.  3  v.  u.  "II  :;84  MM.  888"    ,       „       „       „      "V  384  MM.  888'', 

Göttingen, K.  Fahren  her  g. 


Kleine   Mitteilungen. 


Rede  bei  Enthüllung  des  Denkmals  Walthers  von  der 
Vogelweide  zu  Bozen  am  15.  September  1889  gehalten  von 
Karl  Weinhold  aus  Berlin. 

Festgenossen  I 

Ein  wunderbares  einziges  Fest  begehen  wir  am  heutigen  Tage. 
Einem  Dichter  deutscher  Lieder  wird  mehr  als  siebenhundert  Jahre 
nach  seiner  Geburt  in  dieser  Südtiroler  Stadt  Bozen  ein  Standbild 
errichtet  durch  ein  ganzes  Land.  Keinem  anderen  Dichter  unseres 
Mittelalters  ist  solche  Ehre  geschehen.  Denn  das  Bild  Wolframs 
von  Eschenbach  im  fränkischen  Markte  gleichen  Namens  widmete 
dem  Dichter  des  Parzival  ein  einzelner  königlicher  Verehrer.  Hier 
aber  ist  heute  ganz  Tirol  zusanmiengeströmt,  und  von  Aveit  her  sind 
sie  gekommeji  aus  den  anderen  österreichischen  Landen,  aus  dem 
deutschen  Reich  und  selbst  aus  der  Schweiz,  um  Herrn  Walther  von 
der  Vogel  weide  in  dem  Marmor,  den  sie  ges]iendet,  zu  gnUsen  und 
ihm  jubebul  zuzurufen:  'Du  bist  unserl' 

Worin  ist  das  gegründet? 

Darin  ist  der  heutige  Tag  gegründet,  dais  in  Walther  von  der 
Vogelweide  das  ewig  Menschliehe  und  das  eigentlich  Deutsche  un- 
serer Poesie  leiblich  vor  uns  tritt;  der  Poesie  aus  der  Zeit  unserer 
alten  Kaiser  von  dem  staufischen  Geschlecht,  die  wir  ujis  vorstellen 
als  herrliche  königliche  Helden  mit  grofsem  Geiste  und  mächtigem 
SchAverte,  als  Kaiser  des  Abendlandes,  über  das  sie  von  Dänemark  bis 
Sicilien,   von  TTngerland  bis  nach  Frankreich  hinein  geboten  haben. 

Dieser  staufische  Glanz  undeuchtet  auch  die  Stirn  Walthers,  der 
im  Dienste  jener  grofsen  Kaiser  stund  mit  dem  Pfunde,  das  Gott 
ihm  verliehen  hatte  durch  Gedanken  und  Worte  in  Lied  und  Spruch. 
Er  steht  vor  uns  als  der  streitbare  Geistesritter  jener  alten  Kaiser- 
zeit, der  für  die  Krone  und  das  Volk  in  Treue  wachte  und  wirkte, 
stritt  und  litt. 

Herr  Walther  war  e  i  n  frommer  Mann,  der  seinen  Morgen- 
segen nicht  vergaCs,  der  einen  Kranz  duftiger  Blüten  zu  den  Füfsen 

8* 


116  Kli'iiic  ^[ittrMlmiirfM. 

rlev  lioili^oii  Juii<:fr;ui  iiicdcrlcgfe,  dfi-  die  ({ottesfahrt  in  das  heilige 
Land  und  den  Kanifjf  um  das  heilige  Grab  als  höchstes  (llück  des 
sündigen  ^rensehen  pries  und  die  Kreuzfahrt  wolil  auch  selbst  ge- 
than  hat. 

Herr  Walther  war  ein  deutscher  Mann,  der  am  N'ater- 
lande  mit  glühender  T^ielx«  hing,  der  die  deutsehen  Männer  als  die 
besten,  die  deutschen  Frauen  als  die  sittigsten  und  schönsten  der 
Erde  ])ries,  - —  ein  deutscher  Mann,  der  sich  nicht  im  Winkel  barg, 
wenn  der  Euf  erschallte:  'Hie  Weif,  hie  Waibling!'  —  ein  Mann, 
der  im  Kampfe  des  Tages  eine  grofse  geistige  Macht  geworden  war, 
denn  seine  Lieder  griffen  an  Herz  und  Niereu  und  teilten  mit 
scharfem  Lichte  den  politischen  Nebel. 

Herr  Walther  war  ein  Dichter  auch  und  Sänger  der 
schönsten  Lieder.  Das  Mädchen,  das  er  mit  dem  Feldrosenkranz 
schmückte,  die  hohe  Frau,  der  er  die  Kleinode  seiner  Kunst  dar- 
brachte, sind  unsterblich  geworden.  Seine  Liebeslieder  sind  suis 
und  sanft.  Aber  er  Avar  auch  ein  Dichter  der  Männer:  ein  strafen- 
der nnd  zürnender,  ein  rügender  und  lehrender  Dichter,  der  hoch 
und  Jiiedrig  ohne  Furcht  und  Tadel  das  Gute  und  Rechte  Avies,  und 
Zucht  und  Sitte,  Ehre  und  Tugend  vom  Könige  forderte  wie  vom 
schlichten  Manne. 

Nachdem  Walther  von  der  Vogelweide  aus  der  heiteren  öster- 
reichischen Jugendzeit  in  das  bewegte  ernste  Leben  hinausgetreten 
war,  ist  er  ein  Kämpfer  und  Ringer  gewesen  um  Gilt  und  Ehre. 
Dieser  Kampf  hat  ihn  durch  die  Lande  getrieben  mit  seltener  Rast, 
mit  geringem  Gut,  gefeiert  und  geliebt,  aber  auch  gehafst  und  ge- 
täuscht, wie  das  Menschenlos  fällt.  Er  safs  in  den  Höfen  der  Könige 
und  auf  den  Burgen  der  Reichsfürsten,  aber  er  blieb  ein  Gast,  und 
wäre  so  gern  ein  Wirt  gewesen  am  eigenen  kleinen,  aber  freien 
Herde. 

Heimatlos  zog  er  lange,  lange  Jahre  zwischen  Mur  und  Seine, 
Po  und  Trave  hin  und  her,  l)is  sein  Verlangen  nach  dem  eigenen 
Hause,  als  er  ein  grauer  Mann  geworden,  von  Kaiser  Friedrich  II. 
erfüllt  ward. 

In  Würzburg  am  Main  im  Kreuzgange  des  Neumünsters  sind 
nach  der  Chronik  seine  Gebeine  zu  Staub  und  Erde  geworden.  Aber 
sein  Geist  ist  unsterblich,  und  er  ruht  auf  dem  A'olke,  das  er  liebte, 
und  auf  dem  Reiche,  für  das  er  gestritten  hat. 

Seine  Heimat  aber  hat  er  vom  heutigen  Tage  in 
dieser  schönen  Stadt  Bozen. 

Kein  Pergament  bezeugt  urkundlich,  dais  ^^'^alther  von  der  Vogel- 
weido  als  Kind  dieses  herrlichen  Landes  geboren  ist.  Nur  die  Sage 
hat  sich  lun  den  Vogelweidhof  am  Layener  Ried  als  seine  Geburts- 
stätte gewoben. 

Aber  die  Männer  vom  Eisak  und  von  der  Etsch  haben  ihn  seit 


Kleine  ^Mitteilungen.  117 

Jahren  als  iliren  Laudsmauu  gefordert  und  ihm  das  Heimatrecbt 
aus  freiem  Willen  erteilt.  Das  schöne  Marmorbild,  das  über  uns 
leuchtet,  das  ein  reiclibegnadeter  Tiroler  Künstler,  Heinrich  Natt^^r, 
erdacht  und  geformt  hat,  ist  der  Heimatschein  für  Walther  von  der 
Yogehveide  als  Sohn  von  Tirol,  als  Landsmann  der  tapferen  Männer, 
der  warmherzigen  Frauen  und  der  holden  Mägdlein  dieser  Grafschaft. 

Ihr  Männer  von  Tirol  habt  Walthers  Eild  hier  in  Bozen  auf- 
gestellt, ^\o  deutsclies  und  Avelsches  Wesen  nahe  aneinander  grenzen. 

Ihr  habt  gewui'st,  Avas  ihr  gethan. 

Der  deutsche  jNIann,  der  Ritter  vom  Geist  und  vom  Schwert, 
Walther  von  der  Vogelweide,  soll  ein  Markwart  sein  deutscher 
Sprache,  deutscher  Sitte,  deutscher  Ehre! 

Wir  begehren  nicht  des  fremden  Hauses  und  Gutes,  aber  wir 
wollen  den  eigenen  Herd,  auf  dem  die  Flanmie  deutschen  Geistes 
lodert,  hüten,  dafs  er  nicht  verrückt  und  zerschlagen  werde. 

AVir  sinnen  nicht  auf  Raub  und  Einbruch.  Aber,  was  unser  ist 
von  den  Vätern  her,  wollen  wir  verteidigen  bis  auf  den  letzten  Bluts- 
tropfen. 

Ihr  Männer  von  Tirol  gelobet  heute  am  Standbild  Walthers 
von  der  Vogelweide,  dals  diese  Berge  und  diese  Thäler  deutsch 
bleiben  sollen,  und  ihr  Frauen  stimmt  mit  ein,  denn  ihr  seid  die 
Hüterinnen  des  deutschen  Hauses. 

So  empfang,  Herr  W a  1 1 lie r  \' o  n  d e r  V o g e  1  w c i  d e , 
dieses  Gelöbnis! 

Empfang  aucli,  du  Bild  von  Marmelstein,  die  gei- 
stige Weihe! 

Sei   ein   AA'  a  h  r  z  e  i  c  h  e  n   diese  r   Stadt! 

Der  reichste  S  e g e n  strahle  von  dir  in  d  i  e s  e  L  a  n  d e ! 

Wasser  des  Lebens   rausche   aus   diesem  Brunnen! 

Friede  und  Reichtum,  Tugend  und  Ehre,  Sitte 
und  Glaube  1)1  üben   allezeit   in  Tirol! 

Des   walte   Gott! 

Zur  Lehre  vom  englischen  Infinitiv.  In  der  'Deutschen 
Rundschau'  für  Okt()l)er  18S.'>  (Bd.  XLV,  S.  lOo)  liest  man  in  einem 
Aufsatz  des  Sir  Roland  Blennerhassett  über  'die  politischen  Parteien 
in  England'  den  folgenden  Satz :  'So  befremdend  es  daher  aucli  klingen 
mag,  ist  es  doch  wahr,  ;  k  sagen,  dafs  diese  luiiherziehenden  Scharen 
.  . .  bereits  ^'^orboten  einer  besseren  Zukunft  waren.'  Der  von  mir 
durch  den  Druck  hervorgehobene  Infinitiv  ist  für  das  deutsche  Sprach- 
gefühl vollständig  überflüssig,  er  ist  ein  Anglicisnuis.  Dieser  cj^exe- 
getische  Gebrauch  des  englischen  Infinitivs,  dem,  soviel  ich  weif's. 
von  den  Gramnuitikern  noch  keine  Beaclitung  zu  teil  geworden  ist. 
soll  im  folgenden  aus  Schriftwerken  der  Gegenwart  belegt  werden. 
Ich  fange  mit  Fällen  an,  die  dem  angeführten  deutschen  (oder  viel- 
mehr  undeutschen)   ähidich   sind,    und    schliefse   daran    andere,    bei 


118  Klciue  ■Mitteiluiifrcii. 

flciit'n  ebenfalls  <lc'r  riiliniliv  cine^  Iniii^itivcii  Vcrl)unis  mit  einer 
Ergänzun;;  .<lelit.  Dann  kommen  Belej^o  für  den  epexegotiRchen  Ge- 
brauch eines  transitiven  Infinitivs  oline  Zusatz;  eiuUieh  solche,  wo 
wir  es  mit  dem  Infinitiv  des  Verbi  substaiitivi  zu  tliun  liaben. 

1. 

A.  Der  InHiiitiv  ist  Subjekt.  It  is  ouly  tfw  Irutli  to  say  Ihal 
I  am  inferested  in  Miss  Cnrmitia's  welfare  W.  ('ollins,  Heart  and 
Science  (Tauchn.)  II,  ()9.  It  is  a  truism  to  say  tJiat  fherc  arr 
ivoj'se  rogucs  af  larqe  thcoi  any  shut  up  in  prison  Holme  I^ee  (Mies 
Parr),  Mrs.  Denys  of  C'ote  (Tauchn.)  II,  2 GG.  After  r,yron's  fall,  it 
iras  ihc  cant  of  'good  society'  to  say  ihat  lie  had  tri/led  cruelly  ivitli 
jjo&r  Lady  Garoline's  feelings  J.  C.  JeafFresou,  The  Real  Lord  Byron 
(Tauchn.)  II,  39.  It  sounds  a  hard  tliiny  to  say;  hui  I  can't  heiß 
ayreeing  with  hitn  that  it  ivould  he  best  if  gou  could  look  iq)On  him 
as  dead  (W.  E.  Norris)  Cornhill  Magazine  1883,  Juni  739  (das  Bei- 
spiel gehört  hierher,  da  that  it  ivould  he  u.  s.  w.  auch  von  to  say  ab- 
liäiigt).  It  is  an  odd  and  not  a  very  gratifying  sign  of  the  weakness 
of  tJie  human  hertrt  to  think  that  Marian  had  frequently  taJcen  credit 
to  herseif  for  the  sense  of  ivifely  duty  . .  .  E.  Yates,  Wrecked  iu  Port 
(Tauchn.)  II,  234.  This  was  a  bitter  hlow ;  hat  it  ums  even  u-mse  to 
fhink  that  this  introduction  had  heen  ohtained  for  the  girls  through  the 
medium  of  Walter  Joyce  ebenda  II,  210.  It  tvas  not  pleasant  to  him 
to  know  that  the  attendanee  (ärztliche  Behandlung)  which  broughf 
much  that  ivas  agreeable  ivith  it,  in  addition  to  liberal  and  regularly- 
paid  fees,  tvas  at  an  end  E.  Yates,  The  Rock  Ahead  (Tauchn.)  I,  97. 
For  a  long  ivhile  it  jmzzled  me  to  know  (zerbrach  ich  mir  den  Kopf 
darüber)  wliat  could  have  been  done  ivitli  the  enormous  quantities  of 
rock  that  nmst  Jtave  been  dug  out  of  these  rast  caves  H.  Rider  Haggard, 
She  (Tauchn.)  II,  82.  //  puxzled  many  to  guess  what  could  make 
Mr.  Pottingcr  so  bitter  ahout  the  raccs  E.  C.  Greuville:  Murray,  That 
Artful  Yicar  (Tauchn.)  I,  12G.  It  pwx.xled  him  to  reflect  that  he  noiv 
stood  on  a  footing  of  equality  ivith.  persons  at  wlwm  he  had  always 
been  wont  to  look  up  ebenda  I,  45.  It  did  not  evcn  oeciir  to  them  to 
think  that  anyhody  on  carth  could  haue  a  doubt  on  the  subjcct 
J.  McCarthy,  A  History  of  our  own  Times  (Tauchn.)  III,  58.  Für 
alle  angeführten  Beispiele  scheint  es  mir  bei  der  Übertragung  ins 
Deutsche  das  Natürlichste,  den  englischen  Infinitiv  unübersetzt  zu 
lassen;  aber  freilich  kann  man  z.  B.  in  den  ersten  beiden  Sätzen  to 
say  durch  'wenn  ich  sage'  und  'wenn  man  sagt'  wiedergeben,  den 
Anfang  des  letzten  durch  'sie  kamen  nicht  einmal  auf  den  Ge- 
danken' u.  s.  w. 

B.  Der  Infinitiv  steht  prädikativ  oder  attributiv.  Thr  result  of 
their  inquiry  was  to  sliow  that  the  supplementary  jyatent,  rightly  eon- 
sfrued,  was  a  mere  indication   of  the  pleasure  of  the  Crown  that  the 


Kleiue  Mitteilungen.  119 

ordinär!/  exf  reise  of  thc  particular  poicers  tkcrehy  reserved  shoidd  apper- 
fain  to  fh^  Comniander-in-Chi'Cf,  suhjevt  to  fite  sicpervision  of  a  respon- 
ö-ible  minister  H.  D.  Traill,  Central  Government  (London  1>S81)  lOU. 
Thi^  yrmt  and  manifest  interest  ivas  the  only  sign  to  s>liow  fltat  Phillips 
iva.s  not  accitstomcd  to  dinners  in  soaieti/  W.  Besant  and  J.  Rice,  The 
Golden  Butterfly  (Tauchn.)  I,  107.  Startliny  ecidsnce  was  on  its  wny 
(o  show  that  the  irrepressihle  Foreign  Seeretarg  had  tjeen  niaking  a 
stroke  off  his  oa-n  hat  again  Mc  Cartliy  a.  a.  O.  II,  1 1  ü.  Site  got 
a.  tclegram  this  morning  to  say  t/iat  her  onlg  sister,  who  lives  near 
Leicester,  has  not  mang  dccys  to  live  J.  Fothergill,  Peril  (Tauchn.) 
I,  193.  Sfte  received  a  niessage  to  say  tliat  an  nnfortunafe  child  whom 
shc  ha^^  beeil  doctoring  out  of  that  dreadfuJ  medicine  oheM  of  hers,  is 
nwch  n/orse  F.  E.  Smedley,  Lewis  Arundel  404.  Just  iahen  tJ/eir 
dclibcrations  had  rea-ched  this  point,  Laura  received  a  samnions  from 
her  husband  to  say  that  h£  desired  to  speak  a-ith  her  ebenda  üO«. 

C.  Der  Infinitiv  steht  als  Ergänzung  des  Prädikats.  /  rejoiced 
to  think  tfuit  his  nerres  . . .  had  heen  spared  the  closing  scencs  of  this 
dreadful  dag  Haggard,  She  II,  122.  /  am  delighted  to  say  that  l 
ncver  had  a  daagliter  Yates,  Nobody's  Fortune  (Tauchiv.)  II,  64  (man 
kann  hier  freilich  auch  übersetzen  'sagen  zu  können' ;  ebenso  bei 
dem  nächsten  Beispiel).  /  am  glad  to  say  timt  slie  luid  the  good  taste 
not  to  refer  to  the  sabjcct  Cornhill  Magazine  1882,  April  S.  406. 
/  am  glad  to  hear  goa  say  so  Thomasina  (Asher)  149.  The  tvorld 
n:a^  quitc  concerned  and  edified  to  see  how  much  hs  had  faken  Lady 
Lucy's  defection  to  heart  Yates,  Rock  I,  153.  Drunimond,  ivJio  liad 
beeil  content  to  think  that  there  was  a  portion  saving  iip  for  Norah  . . . 
Mrs.  Oliphant,  At  his  Gates  (Asher)  I,  9.  She  was  verg  mach  relieved 
to  hear  that  it  was  all  over  Guy  Livingstone  (Tauchn.)  234.  'I  am 
sorry  to  say  (kann  auch  durch  'sagen  zu  müssen'  übersetzt  werden ; 
vgl.  das  nächste  Beispiel)  that  I  hxtre  an  attachment  for  yon.'  'I  am 
h/tppg  to  say,  sir,  that  it  isn't  matuaV  London  Jest  Book  ed.  Haz- 
litt  463.  /  am  sorrg  to  say  you  ivill  not  get  to-dag  such  a  d inner  as 
our  friend  Tom  Moore  gare  us  ebenda  68.  /  am  sorrg  to  find  lliat 
finc  of  the  plates  is  missing  from  mg  copy  G.  Mac  Donald,  Annais 
of  a  Quiet  Neighbourhood  (Tauchn.)  I,  154.  We  droce  aivay  from 
Ute  door,  grieving  to  think  (auch  'denken  zu  müssen',  ähnlich  ini  fol- 
genden) tliat  ill-health,  or  any  tjtitcr  misfortune,  had  befallen  good  old 
James  W.  M.  Thackeray,  The  Newcomes  (Tauchn.)  III,  224.  /  gricre 
to  say  that  a  saspicion.  arises  that  one  of  the  dear  tnissionaries  ha.s 
beeil  cuten  Shirley  Brooks,  Sooner  or  Later  (Tauchn.)  I,  131.  Tour 
son  has  great  natural  capacitg,  cuid  excellent  abilities;  bat  I  rcgret  to 
say  tlmt,  instead  of  applging  himself  as  he  might  do,  he  misnses  //.w 
advantages,  and  sueeeeds  in  setiing  a  mischievous  examplc  to  —  if  not 
acfually  misleading  —  Ids  companiotis  F.  Anstey,  Vice  Versa  (Asher)  1 1. 
We  regret  to  say  fJiat  u-c  hti-k  the  space  to  discitss  these  iirwest  criticat 


720  Kleine  .'Milteiliiii.L'eii. 

i'iinons  A(;iMl('iny  IHfS.'),  I,  (Kj  a.  On  lli^  'ivholc,  itoivever,  I  rerjret  to 
say  thal  tJie  rx&eufion  of  thc  work  is  veri)  fnr  from  heing  in  accord- 
ance  vnth  itfi  proßssed  (hshjn  el)eii(la  188ij,  I,  70a.  I  hlush,  Sir,  to 
think  that  my  hrother's  child  nhould  harp  hrowjld  such  a  dain  upon 
öur  namc  Tliack.,  Ne\woines  IV,  123.  So  I  waJIccd  Jtome,  Ji/jjnng  in 
iny  Saviour,  and  iromhrimj  to  tlüuk  how  jdeasani  I  fuid  found  it  to 
he  His  poor  scrraiil  to  fhis  people  Mac  Donald,  Aniials  I,  219.  Feel- 
inrj  timl  ilicM  vohoncft  on  Aastralm  loere  didl  and  long,  I  tvas  sur- 
prised  to  find  //////  theij  Imd  an  extensive  mie  Anthony  Trollope,  An 
Aiitohiography  (Tauch n.)  oll.  Mr.  Ijarkspar  was  .s-urprlsed  to  find 
fhat  a  lady  who  could  aff'ord  lo  o/f'er  htm  more  than  a  thousand  a  year, 
loas  nevertheless  contenfed  to  llre  in  such  a  tniddle-class  Situation  as 
Percy  Street  M.  E.  Braddon,  Run  to  Earth  (Täuchn.)  I,  311.  She 
stooped  to  piok  it  ap  for  him;  a.nd  loas  surpri.^cd,  as  .sJie  did  so,  to 
fiee  tha,t  it  exactly  rese>nljled  in  colour  the  lock  of  /ji<-l:'f<  hmr  wliich 
■■^hs  had  taken  from  the  old  newspaprr  AV.  C'olliu?;,  Hide  and  Seek 
(London,  Chatto  &  Windus)  327.  I  'wa.s  pwcxled  to  make  out  v)hy 
you  were  so  eagcr  at  flrst  and  then  so  suddenly  stopped  Ch.  Gibbon, 
The  Golden  Shaft  (Asher)  II,  92.  When  I  Jiear  you  talking  in  fhis 
fashion  I  am  jnizxled  to  uiake  out  whether  you  are  deceiriny  yourself 
or  only  tryiny  to  decetve  ine  ebenda  I,  72.  3£r.  Toshinyton  nris  as 
mach  perplexed  to  knoAV  which  colour  tu  sport  as  a  London  cahmon 
on  the  morning  of  the  Unirer.nty  l/oat-race  Yates,  Eock  II,  233. 
Plater  Dobhs  regarded  fhis  nev  pha.se  in  t/i-s  pupil's  eharacfer  with 
unsp)ea.kable  horror,  a/id  n-as  at  //is  a-ifs'  eiul  to  know  how  to  put 
a  stop  to  it  ebenda  I,  171.  For  some  fime  Mrs.  Proudie  was  muck 
at  a  loss  to  know  hy  vhat  .sort  of  party  or  eiifertaininent  she  wouhl 
make  Itersclf  famous  Anth.  Trollope,  Franiley  Parsonage  (Tauchn.) 
I,  250.  Her  ladysliip  also  -was  a  litfle  at  a  loss  to  know  how  she  was 
to  carry  throngJt  lier  present  plan  of  Operations  ebenda  II,  321.  We'rc 
quite  af  a  loss  to  know  hon-  to  amnse  the  child ren  Cornhill  Mag. 
1884,  Febr.  179.  I  am  at  a  loss  to  imagine  rchat  he  can  want  wifh 
me  Fothergill,  Peril  I,  194,  I  have  n-riffen  to  Sheila  to  say  I  shoidd 
Start  fo-rnorroiv  Black,  A  Princess  of  Thule  138.  He  n-rofe  to  Caro- 
line to  say  fhaf  he  would  go  down  to  Hadley  on  Safarday  afternoon 
Anth.  Trollope,  Tlie  Bertranif^  (Tauchn.)  II,  83.  He  J/ad  writfen  to 
say  thaf  he  sltonld  l>e  fhere  ebenda  33G.  Jlany  days  hefore  he  had 
ä  Chance  of  doing  it  he  tvrofe  to  a  friend  to  say  thaf  if  he  got  into 
thc  ])cilace  of  Delhi,  'the  Hause  of  Timour  will  not  he  ivorth  five  mi- 
nutes'  purchase,  I  ween'  McCarthy,  Hif>tory  III,  92.  Tliat  lady  had 
writfen  to  say  thaf  she  should  do  herseif  the  pleaswre  of  n:aiting  per- 
sonally  on  Miss  Carew  to  arrange  for  a  seftlemcnt  of  her  accounf  Gren- 
ville:  Murray,  Artful  Yicar  I,  18G.  Telegraph  hack,  I  entreaf  you, 
to  say  thaf  gou  are  safc  W.  Collins,  Miss  or  Mrs.?  222  f.  The  duke 
had  sent   a   special  nie-ssage   to  say  hon-  pecnliarly  glad  he,    the  duke. 


Kleine  Mitteiluug-en.  121 

tvoiiM  he  io  make  ae(juüintancc  irifh  him.  fhe  parson  Trollope,  Framl. 
Pars.  I,  47.  He  nodded  to  say  yes  Oliphant,  At  his  Gates  II,  96. 
He  roared  out  fo  Mr.  HohneU's  i/aping  compaiüons,  to  know  if  any 
of  the  hlackguards  would  conie  on  W.  M.  Thackeray,  The  Histoiy  of 
Pendennis  (London  1877)  136.  A  Cure  had  a  dispute  ivith  his  pa- 
rishioners,  to  knoAv  af  whose  expen><e  fhe  chiirch  icas  to  he  po^ved 
Loiid.  Jest  Book  92s.  TJtere  was  muclt  sj)eculation  in  the  leitchen  for 
the  rest  of  the  evening,  to  know  'u-hat  coidd  have  happened  het>veen 
missus  and  her  laivger  M.  Lenion,  Golden  Fetters  (Tanchn.)  II,  20. 
He  looked  round  to  :<ee  if  any  were  rash  enough  to  disagree  vjith  him 
Besant  and  Rice,  The  Seamy  Side  134.  Hoiv  many  a  time  Juid  he 
looked  into  the  dicti-onary  at  White's,  to  see  ivhetlier  eternal  was  speit 
u'ith  an  e,  and  adore  with  one  a  or  two  Thackeray,  NeAvc.  II,  199. 
I  ivas  looking  to  see  //  the  carriage  had  come  for  nie  ebenda  III,  210. 
Miles  looked  l/ard  at  his  frimd  to  see  irheiher  there  u-ere  any  latent 
meaning  in  fhe  question  Yates,  Rock  II,  61.  He  looked  to  see  whether 
there  tcas  any  trace  of  disfurhance  Yates,  Nobody's  Fort.  I,  218. 
/  look  to  see  (=  erwarte,  daCs)  Sir  Barnes  JVeu-come  prosper  more  and 
;?iare  Thack.,  Newc.  III,  321.  Lloyd  looked  to  see  a  responsive  tioinklc 
in  his  jj?//>i7'.s  eye  Yates,  Rock  II,  212.  She  watched  with  heating 
hearf  at  first  to  see  u-hefJ/er  Carew's  addresses  were  sineere  Grenv. : 
MiuTay,  Artf.  Yic.  I,  218.  He  v:ould  discharge  at  her  a  complimenf, 
and  incontinently  take  to  flight.  ^rithouf  waiting  to  see  the  effect  of 
the  shot  Guy  Liviiigstone  44.  She  took  very  little  notice  of  his-  Sug- 
gestion, and  waited  to  see  ivhether  it  woidd  he  repeated  Brooks,  »Sooner 
orLater  II,  301.  He  got  to  a  white  heat,  which  may  cool,  hat  which, 
if  it  doesn'f,  may  he  daugerous.  Hou-ecer,  we  waif  to  hear  (dieses 
Beispiel  gehört  hierher,  weil  zu  to  hear  aus  dem  Vorheroehenden  zu 
ergänzen  ist  u-J/ethrr  H  does)  ebenda  II,  329.  She  stayrd  yrf  a  little 
u'hile  longer,  u-aiting  to  hear  trhefher  or  no  he  )rould  uusu-rr  her 
Trollope,  Berü-.  II,  213. 

IL 
That  docuuwnt  is  not  )niur  to  seil  ('dals  ich  es  verkaufen  könnte', 
wenn  man  to  seil  nicht  luiübcrsetzt  lassen  Avill)  Lemon,  Gold.  Fcttcrs 
II,  156.  This  /ras  not  my  sperrt  to  teil  Grenv.:  Murray,  Rix  ^lonths 
in  the  Ranks  (Tauchn.)  2^2.  There  u-as  uo  hell  to  ring  Collins,  Hide 
and  >Seek  168.  Jf  ragucly  dau-ned  upon  her  that  her  fathcr  might  he 
right  aper  all.  and  that  Walter  Dene  might  not  he  the  right  man  for 
her  to  marry,  in  sjiife  of  her  cherished  little  dehision  Cornh.  Magaz. 
1884,  September  251.  When  one  of  us  stayed  af  home  indisposed. 
we  fonnd^that  by  9.  30  .1.  .1/.  she  tcas  n-hat  irr  ralled  in  our  slang 
'dish-shorelled' :  not  a  curl  in  plaee,  a  smirch  across  her  cltrek,  and 
her  neaf  merino  goirn  replaced  hg  a  ragged  dress  not  fit  f<u-  a  ladg  (<> 
wear  ebenda  1884,  Nov.  450.  It  u-as  mthrr  a  siflg  sprrrli  to  make 
Norris,  My  Friend  Jim  (Tauchn.)  55. 


122  KUiiK'  .Mittoiliiiifi^cn. 

III. 

Fn.iilfij  Ol'  fauUlrss.  Iir  (jinr  to  bc  \hc  ont  thmi,(jht  of  Bmiricf's 
Imirl  Mrs,  Norton,  Lost  and  Saved  (Tauchn.)  II,  238.  You'rc  growing 
fo  be  an  tmcominonlij  liawlsome  tvoman  D.  C  Murray,  RainbowGold 
(Tauchn.)  I,  1  ')6.  Shc  grcir  to  bc  (iidit  itUercAl  Collin.«,  Hide  and 
Seek  224.  In  irards,  rü  Irasl ,  Ihc  aije  ha.s  (jrtunt  (o  be  ironderfulln 
moraL  und  refiisrs  fo  liear  r/iscotir.sn.s  ufion  snrli  svhjfT.ts  Thackcray, 
A  Shabby  Geuteel  Story  (London  1<S77)40.  If  .-ih-e  livrjl  to  bc  aliua- 
drefl  she  muld  never  oiMim  this  day  Fothcrgill,  Pcril  11,  223.  'You 
half  heeii  fh'rUng  irith  her  — '  —  ^I  hate  that  ivord;  ii  alwaijs  soatids 
/<•>  mc  to  bc  vidyar  Trollope,  Fr.  Par.s.  II,  142.  Thjugh  Ite  looked 
to  bc  old,  niVA-Ji  older  fJum.  he  ivas,  still  thrre  was  a  glmm  of  ßrc  in 
hin  ei/es  derselbe,  John  Caldigatc  III,  253.  IJr  lool.xd  iioir  to  be 
niorc  th/xn  hin  age  Thackeray,  Newc.  IV,  2. "iL 

Berlin.  Julivi.s   Ziipitza. 

Zur  Geschichte  von  ne.  perhaps.  Nach  den  etymologischen 
Wörterbüchern  zu  schlielsen,  wäre  perhaps  erst  ne. ;  denn  Skeat  weist 
blofs  auf  Shakspere  hin,  und  E.  Müller  bemerkt  nur,  dafs  'Levin.s 
|1570]  noch  perliappe  habe.  Auch  die  me.  Wörterbücher  von  Strat- 
mann  und  Mätzner  enthalten  das  AVort  nicht:  das  letztere  AVerk  ist 
/war  noch  nicht  bei  p  angelangt,  aber  der  Verfasser  hätte  doch  wohl 
ihm  etwa  bekannte  me.  Belege  unter  hap  angeführt.  Es  ist  aber 
schon  längst  ein  nie.  perhappoiis  verzeichnet  in  Halliwells  Dictionarv 
of  Archaic  and  Provincial  English  unter  Berufung  auf  'Lydgate 
p.  35'.  Gemeint  ist  Halliwells  eigene  Ausgabe  von  Lydgates  Minor 
Poems,  wo  S.  35  der  Vers  vorkommt:  Prrliappous  onc  is  lored,  that 
ivol  not  fade.  In  demselben  Werke  fiiiden  wir  aber  einen  zweiten 
Beleg  auf  der  unmittelbar  vorhergehenden  Seite:  She  ivol  pcrhappoiiJi 
makcH.  hir  avoivc.  J.  Z. 

Zur  Geschichte  von  ne.  trade.  Soviel  mir  bekannt  ist,  sind 
bisher  für  ne.  trade  vier  verschiedene  Etymologien  aufgestellt  worden. 
F.  Junius  hat  es  von  ae.  tredan,  ne.  tread  hergeleitet;  Minsheu,  wie 
Skinner  erwähnt,  von  lat.  tradere ;  Skinner  selbst  von  it.  tratta,  lat. 
tractare  oder  dem  deutschen  getrekle.  Später  ist  dann  auch  an  das 
mit  tratta  zusammenhängende  span.  trato  luid  besonders  an  frz.  traite 
gedacht  worden.  E.  Müller,  der  in  der  ersten  Auflage  seines  Etymo- 
logischen Wörterbuches  die  Ableitung  von  traite  für  Avahrscheinlich, 
in  der  zweiten  wenigstens  noch  für  möglich  erklärt,  weist  auf  Mätz- 
ners Grammatik  1,2  142  ('  130)  hin,  wo  Belege  für  den  Übergang 
eines  frz.  t  in  englisches  d  gegeben  werden.  Aber  er  hat  übersehen, 
dafs  der  Vokal  von  trade  die  Herleitung  von  frz.  traite  unmöglich 
macht.  Ähnliche  Schwierigkeiten  stehen  der  Annahme,  dafs  das 
Wort  von  tratta  oder  trato  komme,  entgegen.  Minsheus  Etymologie 
und  noch  mehr  die  zweite  von  Skinner  sind  Einfälle,  für  welche 
nichts  spricht,  und  die  geradezu  durch  die  ältere  Bedeutung  des  eng- 


Kleine  Mitteiluugeu.  l'io 

lischeil  Worte«  widerlegt  -werden,  während  die-se  zu  der  Juniusechen 
Ableitung  vortrefflich  pafst.  Die  älteste  Stelle,  aus  der  es  Skeat  in 
seinem  Etyniological  Dictionary  und  sein  Gewährsmann  Trench  in 
seinem  Select  Glossary  kennen,  findet  sich  in  Lord  Surreys  Über- 
setzung des  zweiten  Buches  von  Virgils  iEueis :  A  posterii  with  a 
blinde  tviekef  there  was,  Ä  eonmion  trade  to  passe  through  Prlam's 
house.  Und  an  diese  Stelle,  avo  trade  mit  'Weg',  'Gang'  übersetzt 
werden  mufs,  klingt  Shaksperes  Eichard  II.  III,  o,  155  ff,  an:  Or 
Ile  he  huried  in  the  Kings  hie  way,  Sonie  iray  of  common  trade, 
regiere  suhieds  feete  May  houreli/  trample  on  their  soueraignes  head. 
Es  sei  auch  noch  auf  eine  von  Trench  nicht  angeführte  Stelle  in 
Spensers  Faery  Queen  aufmerksam  gemacht,  II,  G,  39  Äs  shepheards 
curre,  tJiat  in  darke  euenings  sha.de  Hath  tracted  forth  some  saluage 
heastes  trade.  Hier  ist  der  Sinn  des  Wortes  offenbar  'Spur',  und  in 
dieser  Bedeutung  kann  ich  das  Wort  auch  zweimal  schon  aus  dem 
fünfzehnten  Jahrhundert  belegen.  In  der  Fassung  des  Romans  von 
Guy  of  Wai'wick,  die  uns  eine  Handschrift  von  Caius  College  in 
Cambridge  erhalten  hat,  lesen  wir  p.  121  ==  V.  4731  meiner  Aus- 
gabe: The  trade  of  liorsc  he  tliere  sighe.  Die  ältere  Auchinleck-Hs. 
hat  dafür  Of  hors  traces  he  per  seije.  Einen  zweiten  Beleg  bietet  die 
Londoner  Hs.  des  Sir  Gowther  (ed.  Breul  V.  570):  He  folotved  euer 
the  tradde.  Die  zweite  Handschrift  hat:  And  foloiul  on  hör  trowd. 
Die  ursprüngliche  Lesart  ist  wohl  frod  gewesen.  Me,  trod  ist  =  ae. 
trod,  woneben  auch  troda  vorkam.  Ahnlich  setzt  me.  tradde  ein 
ae.  *trisd,  voraus,  von  dem  auch  me.  ne.  trade  hergeleitet  werden 
kann,  ohne  dafs  aber  die  Möglichkeit  ausgeschlossen  wäre,  dafs  dieses 
ein  ae.  *  fradu  zur  Grundlage  hat.  '•'  trced,  '^  tradu  standen  natürlich 
im  Ablaut  zu  trod,  trodn  und  können  nur  von  ae.  tredan,  ne.  tread 
abgeleitet  W'Crden.  J.  Z. 

Zur  Bedeutung  von  me.  schire  (=  ne.  shire).  Im  Jahrbuch 
der  deutschen  Shakespeare-Gesellschaft  XXI,  145  f.  liabe  ich  geltend 
gemacht,  dafs  in  der  Erzählung  von  Gamelyn  714  f.  ('I  ivol  hen  atte 
nexte  schire,  haue  god  my  lyf  Gamelyn  came  ivel  redy  to  the  nexte 
schire)  das  Wort  i^eJ/ire  nicht,  wde  Skeat  in  seiner  Ausgabe  (Oxford 
1884)  angenommen,  die  gewöhnliche  Bedeutung  'Grafschaft'  haben 
könne  ('I  icill  soon  come  to  the  adjoining  coanty'  umschreibt  er  den 
ersten  Halbvers),  sondern  =:=  ae.  scirgemot,  me.  schire  moot  '(iraf- 
schaftsversammlung'  sein  müsse.  Ich  konnte  mich  damals  aufser 
auf  den  Zusammenhang,  der  mir  keine  andere  Auffassung  zu  ge- 
statten schien,  nur  noch  darauf  berufen,  dafs  das  lat.  comitatas  auf 
englischem  Boden  ebenfalls  die  von  mir  für  scJiirc  behauptete  Be- 
deutungsentwickelung zeigt.  Inzwischen  habe  icli  aber  bei  Lvdgatc 
vier  Stellen  gefunden,  an  welchen  das  englische  Wort  in  demselben 
Sinne  gebraucht  wird,  wie  in  den  l)eiden  angeführten  \'^ersen  des 
Gamelyn.    In  Lydgates  Isopus  Anglia  IX,  14,  V.  218  f.   lesen  wir; 


121  Kleine   .Mil(cilmi-eri. 

Ldir  nl  falsr  iiirrfuns  hurr  Ihis  In  ihiiikIp,  l'onicinUrr  nl  slivres  nad 
dl  ocssirms.  Dasselbe  Werk  bietet  noch  einen  zweiten  Bclcpr,  freilich 
ist  dieser  in  Sauersteins  eben  anuczofrener  Aus^fabe  nielit  zu  finden, 
da  die  von  ihm  allein  benutzte  Londoner  Handschrift  hier  eine  Liieke 
hat  (Anglia  IX,  .S).  In  der  Cambridger  Handschrift  (vgl.  Deutsche 
rvitterat.iu-zeitung  IS.SC,  Sp.  849)  lautet  die  in  Betracht  kommende 
Stelle:  For  por  he  iroJfcs  many  mo,  J)rn  oon.  Thni  rhjit  lamborn  at 
sr.ssions  and  at  shyres  Bare  to  pe  how.  uikI  ijel  Jjet/  haue  no  sheres. 
Ferner  Albon  und  Anipliab(>l  (cd.  Horstmann  in  der  Festschrift  zu 
dem  fünfzigjäln-igcn  Jubiläum  der  Königstädtischeu  Realschule  zu 
Berlin,  1882,  S.  101  fJ'.)  Buch  f,  V.  hAi)  fi". :  .1  tkyng  ferre  of  fro 
kniyhfbj  desirea,  ^trauuye  and  forein  to  tlwyr  professlons  Für  to  ap- 
jiere  at  cessions  or  at  shires  By  tnaintenaance  of  fals  extoreions.  End- 
lich  Daunce  of  Machabree  (von  R.  Tottel  155  4  gedruckt  als  Anhang 
zu  The  Falles  of  sondrv  most  Notable  Prinees  and  Priucesses)  fol. 
224  r.  a.  unten:  Maister  lurrour,  mhich  pat  at  assises  And  at  slieres 
ipicstes  dydst  emhrace.  In  dem  letzten  Beispiel  ist  die  Schreibung 
shercs  interessant:  sie  beweist,  dafs  das  ae.  und  me.  lange  /  in  dem 
Worte  die  Diphthongisierung  nicht  mitgemacht  hat,  wie  ja  denn  nach 
EUis  On  Early  English  Pronunciation  1080  sich  die  diphthongische 
Ausspi'ache  des  /  in  sj/lrr  erst  bei  Sheridan  (1780)  augegebeji  findet. 

J.  Z. 
Zu  Beowulf  850.  Um  die  Erklärung  oder  Verbesserung  der 
überlieferten  Worte  dead  fcege  deog  habeji  sich  schon  viele  Gelehrte 
bemüht,  ohne  dal's  bisher,  wie  mir  scheint,  etwas  völlig  Befriedigendes 
gefunden  worden  ist.  Wer  die  Stelle  für  unverderbt  hält,  muls  ein 
ana^  Xtyofieyoi'  annehmen,  deoy  als  Präteritum  eines  sonst  nicht  vor- 
kounnenden  starken  Verbums  dcayait,  für  welches  Thorpe  die  Be- 
deutung 'färben',  Leo  aber  die  'sich  verbergen'  geraten  hat.  Allein 
'färben'  heilst  sonst  denyian  drayode.  und  auch  '•'deayan  deoy  'sich 
verbergen'  wird  durch  das  ahd.  Xi\].  touyan,  dem  nicht  einmal  ein 
ae.  *deayen  gegenübersteht,  nicht  wahrscheinlich  gemacht.  Kemble 
vermutete  in  der  Anmerkung  unter  dem  Text  deag  für  deoy  und 
üljersetzte  demgemäfs  im  zweiten  Bande  tJie  dye  diseoloured  with  death: 
im  Glossar  aber  verzeichnete  er  ohne  weiteres  deoy.  f.  tinctura.  Gegen 
seine  Auffassung,  bei  der  man  jedenfalls  für  das  Westsächsische 
drag  zu  schreiben  hätte,  spricht  einmal  der  Umstand,  dafs  in  dem 
Zusammenhange  'Farbe'  kein  passender  Ausdruck  wäre,  kein  Syno- 
nym von  brim  und  yda  yeswiny.  Aufserdem  aber  müfste  discrAourcd 
ndtli  death  im  Ae.  d^adfdh,  nicht  aber  deaäfceye  lauten.  Das  mag 
Kemble  später  selbst  gesehen  haben;  denn  II,  Anm.  zu  1093  schlägt 
er,  was  Wülker  in  seiner  Neuausgabe  von  Greins  Bibliothek  I,  179 
nicht  verzeichnet,  vor  dhiddeoye  fah  'stained  irtth  deadlg  dye'.  Aber 
'Todesfarbe'  könnte  doch  wohl  nur  'Blässe',  nicht  'Blut'  bedeuten,  Avas 
nach  Kem])le  deaddeog  (auch  hier  Aväre  wests.  deaddrag  zu  schreiben) 


Kleine  iMitteihuigen.  125 

bedeuten  soll.  Et.tnuillev  übersetzt  'die  todfarbne  Tiefe'  luit  der  An- 
merkung 'todfarb,  weil  blutig'.  Er  hat  so  Sievers'  Konjektur  vor- 
weggenommen, der  Beiträge  von  Paul  und  Braune  IX,  138  dt-aäfcege 
deop  zu  lesen  vorgeschlagen  hat.  Gegen  eine  solche  Änderung  ist, 
wie  gegen  die  erste  Auffassung  Kembles,  einzuwenden,  dafs  das  Adj. 
deaäfäh  lauten  müfste:  demtfa-gp  kann  nur  ein  verdeutlichtes  f(Bge 
sein  (death-doom'd  Thorpe).  ^'^gl.  Bugge,  Beiträge  XII,  'SO,  der  seiner- 
seits vermutet  dradfa'ges  di'0]>,  wobei  dradfa-ges  von  heorodreore  in 
der  vorhergehenden  Zeile  abhäjigen  soll.  Aber  der  Dichter  wäre 
dann  recht  ungeschickt  gewesen,  indem  er  den  Genitiv  nachhinken 
liefs  und  so  dazu  verführte,  ihn  von  deop  abhängig  zu  denken.  Nach 
meiner  Ansicht  fehlt  an  der  Stelle  die  Erwähnung,  dafs  Grendel  in 
das  Wasser  luitergetaucht  ist,  wobei  er  es  eben,  blutüberströmt,  wie 
er  war,  blutig  färbte.  Ich  setze  daher  nach  V.  849,  wie  diejenigen, 
die  dfog  als  Prät.  von  deaga/H  nehmen,  eine  stärkere  Interpunktion, 
am  besten  Avohl  einen  Doppelpunkt,  und  schreibe  dann  dcadfcege 
dcaf,  also  mit  Änderung  von  og  zu  af:  deaf  ist  natürlich  Präteritum 
im  Sinne  des  Plusquamperfekts  von  düfan  'untertauchen'.  Also  'der 
dem  Tode  Verfallene  war  untergetaucht'.  Hinter  dcaf  setze  ich  dann 
ein  Konnna,  sidämi  ist  demonstrativ.  J.  Z. 

Ein  Unwort.  Beim  DurchseheJi  des  Glossars  zu  Afsmanns 
Homilien  und  Heiligenleben  (Bibliothek  der  ags.  Prosa  III)  fiel  mir 
besonders  der  Ansatz  auf  'rirrn  Adj.  Künstler?  XV,  5'.  Die  ange- 
führte Stelle  lautet  in  seinem  Text  S.  170:  And  pa  ricenc,  pe  on  pav 
dagutn  icccron,  hmfdon  hcoui  geworht  godes  of  goldc  and  of  seolfre. 
Aber  die  Handschrift  hat  gar  nicht  rkene,  sondern  ricem.  Dies  ist 
Avohl  ein  Schreib-  oder  Lesefehler  für  ricemi,  d.  h.  ricemot,  wie  im 
^[e.  häufig  zusannnengeschrieben  wird  statt  rief  meu  (vgl.  Übungsbucli 
*  XVIII,  13  riceman,  42  rieemen,  34.  37.  41  nreccemen,  44  liefhcii- 
7ne.n).    Die  ae.  Grundlage  wird  natürlich  rican  men  gehabt  haben. 

J.  Z. 

Zu  Anglia  XII,  16  £F.  An  der  bezeichneten  Stelle  hat  E.  Flügel 
aus  der  Hs.  Nr.  354  von  Balliol  College  in  Oxford  'eine  metrische 
Fassung'  der  Geschichte  von  Pyramus  und  Thisbe  veröäeutlicht, 
welcher  er  'als  Dichtung  . . .  freilich  keinen  Wert'  zuzuerkennen  ver- 
mag. Er  erinnert  dabei  au  Chaucers  Beliaudlung  des  Stort'es:  dafs 
aber  auch  GoAver  die  Sage  in  seine  ( 'Oufessio  amantis  aufgenommen 
hat  (vgl.  Anglia  V,  -UD),  scheint  ihm  unbekannt  geblieben  zu  sein. 
Was  er  nämlicli  als  eine  selbständige  bisher  nach  seiner  Ansicht  un- 
veröffentlichte Bearbeitung  hat  drucken  hissen,  ist  aus  Gowers  Werk 
ausgezogen.  Der  Anfang  des  entsprechenden  Abschnittes  in  Paulis 
Ausgabe  I,  324  unterscheidet  sich  nur  graphisch:  /  rede  a  tale,  and 
telleth  Ulis:  The  eitec,  ivhirh  Semiraniis  Encloscd  l/ath  ivith  walle 
about  Of  worthy  folk  ivith  many  a  rout  Was  inhabited  here  and  tJiere. 
Es   entsprechen    sich    dann    auch   Aveiter  Vers   fiir  Vers,   wenn    auch 


12f;  Kl.-iiH'  .Nriftciluuiicti. 

mit  niancherloi  Viiriaiiten  (z.  B.  für  das  von  Flügel  mit  einem  Frage- 
zeicheji  versehene  the  ereage  S.  17  unten  steht  bei  Pauli  S.  326  ther- 
hage),  bis  zur  dritten  Zeile  von  oben  auf  S.  20,  die  von  dem  vor- 
letzten Verse  auf  Paulis  S.  320  nur  graphisch  abweicht.  Während 
aber  liei  Paidi  der  nächste  Vers  hei/'st  Er  this,  IrJI  ort  and  hide  i1 
noughl,  finden  Avir  bei  Flügel  Amoid  it,  or  rlJof  dos-fe  tlicytr  iiov;ghf. 
Offenbar  ist  dies  eine  absichtliche  Änderung.  Es  sind  dann  übei" 
fünf  Reiten  der  Paulischen  Ausgabe  iibersprungen  Avorden,  und  auch 
nach  dieser  Lücke  ist  geändert  worden.  Während  es  bei  Pauli  S.  334 
letzte  Zeile  v.u.  ft".  heilst:  7b  hasien  is  nought  icorfh  a  hrrse  Thinge, 
/hat  a  mati  /nag  iioght  aehevr :  That  mag  nought  rvel  br  done  at  eve, 
It  mot  ahidc  tili  Ihr  inorar.  Xf  hasir  noaghl  thine  oirnc  sorice,  Mg 
sone,  and  take  11/ is  in  thg  a-ilfc:  Ilr  halh  nought  lost,  that  /cd  ahitte, 
lesen  Avir  bei  Flügel  Jiach  derLiicke:  Xor  hast  not  thg/r  orrn  sormve: 
Rather  ahidc  tgll  io  moron-c.  Mg  son  [bei  dieser  Anrede  hätte  doch 
Flügel  eigentlich  GoAA'er  einfallen  sollen!],  take  this  in  thg  recison: 
He  hat}/  not  teste,  ßat  hgdeth  a  good  scason.  Dann  folgen  bei  Pauli 
und  Flügel  1 4  in  allem  AVesentlichcn  üliereinstimmende  Vei'se  (im 
13.  steht  z.  B.  fol'ishei/esse  })ei  Flügel  fi\r  a  rees).  darauf  fehlen  bei 
Flügel  sieben  Verse.  An  den  beiden  Texten  gemeinsamen  Vers 
Fool  haste  doth  none  avavnlagr  schliefst  sich  bei  Flügel  dann  nur 
noch  ein  einziger:  But  catvsith  a  n/an  to  fall  in  rage,  Avährend  GoAA'er 
mit  den  Versen  But  ofte  it  set  a  man  hehinde  In  cause  of  love,  and 
f  fli/dr  Bg  olde  ensan/ple,  as  tJion  slialt  liere  To/ichrnd  of  love  in  this 
mate/-e  zur  Sage  von  Phöbus  und  Daphne  übergeht.  J.  Z. 

Zu  Shaksperes  Julius  Csesar  I,  1,  24  flf.  Zu  dieser  Stelle, 
die  in  der  mafsgebenden  ersten  Folioausgabe  lautet :  Tndg,  sir,  all 
that  I  liue  hg,  is  with  the  aide :  I  meddle  with  no  tradesmans  matters, 
nor  iromens  matters,  hnt  with  al,  hat  Steevens  längst  angemerkt,  dafs 
ein  Wortspiel  zAvischen  all  und  atvl,  die  damals,  Avie  jetzt,  in  der 
Aussprache  zusammenfielen,  auch  in  der  Ballade  The  Three  Merrg 
Cobblers  vorkommt,  avo  es  heifst :  We  hare  aale  at  our  co/zimand.  And 
still  ve  are  an  the  mending  hand.  Es  ist  aber  auch  auf  die  vorletzte 
Frage  und  AntAVort  in  den  De/naa/iclcs  Jogoas  hinzuAA'eisen,  die  1511 
von  Wynkyn  de  AVorde  gedruckt  und  u.  a.  (vgl.  LoAvndes-Bohn,  The 
Bibliographer's  Manual,  1871,  S.  62.5)  in  den  Eeliquifc  antiqua'  edd. 
Wright  und  Halliwell  II,  72  ff.  und  in  Kembles  Sal.  u.  Sat.  285  ff. 
veröffentlicht  sind.  Es  heifst  hier:  Deman/ide.  What  is  he  thcit  made 
all  and  sohl  all,  a/id  he  that  bought  all  and  loste  all?  B.  Ä  srngth 
made   an   all  and  sohle   it,  and  the  sho/naker  that  hone/ht   it  lost  it. 

J.  Z. 


Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 


Sitzung  am  24.  September  1889. 

Herr  Hahn  verhest  Burus'  Tarn  o"  Shanfer  in  schottischer  Aus- 
sprache, wie  er  dieselbe  während  seines  jüngsten  Aufenthaltes  im 
'Land  of  Burns'  festgestellt  hat,  und  bespricht  im  Anschlufs  daran 
die  wichtigsten  lautlichen  Abweichungen  vom  Neuenglischen.  Be- 
sonders charakteristisch  sind  die  Vokale  der  Tonsilben.  Langes  e 
erscheint  in  offener  Silbe  besonders  bei  einsilbigen  Wörtern,  z.  B. 
he,  key  u.  s.  w,  und  vor  -r(e),  -ve,  -xc,  z.  B.  ere  (hefore),  ne'er  fneverj, 
mare  (harse),  leave,  hleezin ;  verkürzt  in  geschlossener  Silbe,  z.  B. 
keep,  greet  ftceej)).  a  ist  nicht  diphthongisch  wie  im  Englischen,  son- 
dern entspricht  dem  deutschen  eh,  ee,  französ.  e,  z.  B,  <]aij,  hae  (liace), 
rain,  drave  (droi^e),  auch  vor  -r(e),  z.  B.  Aip\  eare ;  verkürzt  in  gafe. 
lote  u.  s.  w.  Dem  englischen  p  kommt  nahe  der  durch  /  dargestellte 
Laut  in  thinl,-,  hegln,  it  is  etc.  Den  kurzen  Laut  des  französischen  e 
hat  z.  B.  kirk  (cJmrchJ,  kent  (knoini)  und  die  Tonsilben  in  genÜe, 
heiter,  aßcr  u.  s.  w.  Ein  zwischen  ci  und  a  liegender  Laut  erscheint 
lang  in  ofTenen  Silben,  auch  vor  flexivischem  -s,  -d,  wie  in  a'  (all), 
wo'  (wall),  ras  (ealls),  ea'd  (called),  \'or  -Id  in  auld  (old),  cauld  (cold), 
vor  -nd  in  band,  land;  kurz  in  gat,  slaps,  Tarn  und  im  Präteritum 
starker  Verba,  wie  fand,  grand,  iratid.  u  kommt  vor  in  stillrn.  bat, 
drucken,  aber  auch  in  irivd  (Subst.),  witch  etc.  Das  geschlossene  /; 
ist  lang,  jedoch  nicht  diphthongisch,  in  roariii,  soher,  rose  (Prät.j; 
kurz  in  Scots,  honest,  on,  storm  etc.  Der  I^aut  des  o  findet  sich  in 
howsin,  hour,  power,  shoirers,  hroirs,  fhoii :  kin-z  (also  :^  ?))  in  honse, 
took,  droirned  (Prät.),  /nfliout.  Der  dem  deutsehen  ii,  franz.  u  öfters 
gleichgesetzte  Laut  in  poor,  hied  (lovcdj  und  in  den  Tonsilben  von 
musie,  furions-  u.  s.  w.  wird  in  offenen  Silben  und  vor  -r{e),  -rc  wie 
langes  e',  in  geschlossenen  Silben  wie  kurzes  /•  ausgesprochen,  z.  B. 
stood,  Doon,  aboon  (above).  Der  Diphthong  ei  (=  e  -\-  kurzes  «')  er- 
scheint in  life,  mile,  pipe,  sowie  in  poinf  etc.,  ai  (a  -\-  kurzes  e)  in 
hg.  nigh,  mire,  fi.re. 


128  Sitzungeil  «Icr  BoiliiUT  (tcscllschaft 

Beim  Konr?on:uitismur'  ist  hesijiulcrf-  die  gutturale  Aussprache 
des  gJi  {'■}/)  hervorzuheben,  1  hrmiglit,  light,  right.  Die  palatale  Aus- 
sprache ist  nicht  eingetreten  bei  hrig  (l/fidgrj,  rlg  (ridgcj  etc.,  auch 
nicht  bei  ilka  (eacli,  everi/j,  )nurlde  (meikk.  mickle).  -ng-  hat  die 
deutsche  Aussprache,  ßngcr,  inglc.  Das  g  der  Endung  -ing  ist 
stumm,  -d  verstummt  nach  /  und  ii,  auld  (old),  Itauld  (hold);  and. 
irind,  find,  hundred,  ironder ;  es  lautet  wie  i  in  hchind,  hcgond.  fiend 
und  in  den  Suffixen  -rt  f-if)  der  schwachen  Präterita  und  Farticipia, 
wenn  sie  eine  Silbe  bilden,  wie  J^ejicf,  hoirket,  rccskl,  hohhei,-}>ragget, 
n-eel-hoordri.  i  ist  stumni  in  ghäisia,  1)caf<is.  th  fällt  ab  in  mouth, 
uncouth.  V  schwindet  oft  zwischen  Vokalen,  z.  B.  fun  {evening),  hae 
{have),  lea'e  {leave),  gre  {gicc),  lo'e  {fovc).  nh  ist  stark  guttural.  /•  ist 
stets  das  Zungen-r.  Die  Verbindungen  -r/,  -nn.,  -rn  und  auch  -Im 
werden  oft  mit  einem  aus  dem  zweiten  Konsonanten  entwickelten 
Vokal  gesprochen,  so  ifarl  (trorld),  dirl,  girl ;  irarni :  com;  liehn 
(ae.  hehna),  auch  hcUini  geschrieben.  Metathese  des  /•  ist  nicht  selten, 
gini  und  grhi.  s  entspricht  dem  neuenglischen  Laute,  nur  irise  wiid 
mit  stimmlosem,  once,  twice,  thricc  mit  stimmhaftem  s  gesprochen. 
Für  shr-  tritt  behufs  Vermeidung  eines  schwa-ähnlichen  Lautes  zwi- 
schen sh  und  r  öfters  sk  ein,  z.  B.  skriech  =  shriek. 

Herr  Z  u  p  i  t  z  a  bespricht  den  epexegetischen  Gebrauch  des 
englischen  Infinitivs,  der  dem  Sprachgefühl  des  Deutschen  pleo- 
nastisch  erscheint.  Er  tritt  als  transitives  Verb  mit  Zusatz,  dann 
ohne  einen  solchen  und  endlich  als  Infinitiv  des  Verbum  Subet.  auf. 

Derselbe  bringt  für  ne.  perhaps  aus  Lydgate  jiltere  Beispiele 
bei,  als  sie  sich  bei  Skeat  finden.  Auch  für  trade  sind  ältere  Belege 
vorhanden,  als  Skeat  anführt.  Redner  giebt  zwei  Beispiele  aus  dem 
15.  Jahrhundert  mit  der  Bedeutiuig  'Spur',  so  dafs  die  Etymologie 
des  Junius,  der  das  Wort  von  fredan  ableitet,  unzweifelhaft  erscheint. 
Herr  Hahai  bemerkt  dazu,  dafs  das  Wort  neuschottisch  kurzen 
Vokal  hat,  was  auf  ältere  Kürze  deutet. 

HeiT  Mangold  ist  wieder  in  die  Gesellschaft  eingetreten. 

Zur  Aufnahme  in  dieselbe  hat  sich  Herr  Krem  er  gemeldet 

Der  Vorsitzende  giebt  kund,  dafs  er  mit  Herrn  Waetz old t 
die  Redaktion  des  Archivs  zu  Neujahr  übernehmeii  Merde,  und  hofi't 
auf  fleifsige  L^nterstützung  seitens  der  Mitglieder  der  Gesellschaft, 
})esonders  durch  Recensionen. 

Die  nächste  Sitzung  wird  auf  den  15.  Oktober  festgesetzt. 


Sitzung  am  15.  Oktober  1889. 

Herr  Waetzoldt  spricht  über  Jean  Richepins  La  Mer.  Der 
1849  geborene  Dichter  hat  sich  zuerst  durch  seine  Chansons  des 
Qiieux  bekannt  gemacht.    Schon  in  seinem  Roman  La  b'lu   giebt  er 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  129 

meisterhafte  Schilderungen  von  Küstenlandschaften.  Nach  Vers- 
technik, Sprache  und  Inhalt  ist  das  1887  erschienene  La  Mer  be- 
merkenswert. In  einer  Fülle  von  Formen  und  Farben  schildert 
Richepin  die  See,  ihr  Leben  und  das  Leben  der  Schiffer,  Schauplatz 
ist  das  Mündungsgebiet  der  Loire.  Dadurch,  dafs  der  Dichter  mit 
und  unter  den  Matrosen  zur  See  gelebt  hat,  ist  er  in  deren  Anschau- 
luigen,  Überlieferungen,  Sagen  und  Lieder  eingedrungen.  Redner 
analysiert  die  Abschnitte  des  Buches  im  einzebien  nach  Inhalt  und 
Form ;  er  weist  namentlich  auf  die  zahlreichen  Beziehungen  zu  Victor 
Hugos  Sprache,  zum  Volksliede  und  zur  modernen  Natur\\assenschaft 
lün  und  schliefst  mit  einer  Sammlung  sprachlich  bemerkenswerter 
dialektischer  Worte  und  Wendungen. 

Herr  Tob  1er  berichtet  über  eine  durch  Salvioni  1889  nach 
einer  Tiu'iner  Handschrift  veranstaltete  Ausgabe  der  alts'enezianischen 
Übersetzung  der  Geschichte  des  Apollonius  voii  Tvrus.  Der  Text 
der  einzigen  bekannten  Handschrift  aus  dem  14.  Jahrhundert  hat 
die  mundartliche  Besonderheit  seines  Ursprungslandes  schon  von 
Anfang  an  nicht  ungetrübt  ziu'  Erscheinung  gebracht,  sonderii  mehr- 
fach durch  Annäherung  an  toscanische  Sprachform  beeinträchtigt; 
und  eine  Überarbeitung  der  Handschrift,  die  kurz  nach  der  Nieder- 
schrift stattgefunden  hat,  ist  hinzugekommen,  um  in  gleicher  Rich- 
tung weiter  zu  wirken.  Zum  Glück  ist  die  Arbeit  dieser  zweiten 
Hand  leicht  erkennbar:  man  sieht,  wo  die  ursprünglichen  Buchstaben 
umgeformt  worden  sind,  wo  über  Ausgekratztes  und  Verwischtes  an- 
deres gesetzt  worden  ist,  und  der  Herausgeber  hat  mit  viel  Sicher- 
heit das  Werk  der  ersten  Hand  herstellen  können,  was  er  nicht  thut, 
ohne  über  das  Mafs  seines  Eingreifens  Rechenschaft  zu  geben.  Ein 
vorzüglicher  lexikalischer  Anhang  stellt  nicht  allein  alle  bemerkens- 
weilen  Wörter  zusammen,  sondern  verweist  auch  fortwährend  auf 
alle  die  Stellen,  wo  von  Mussafia,  Flechia,  Ascoli,  Seifert,  Raphael 
die  nämlichen  Wörter  behandelt  sind.  Auch  an  einem  knappen  Ab- 
rifs  der  Grammatik  des  Denkmals  fehlt  es  nicht.  Die  litterarische 
Stellung  desselben  zu  erörtern  hat  Salvioni  einer  später  zu  veröffent- 
lichenden Abhandlung  vorbehalten  [vgl.  unten  S.  224]. 

Herr  Hahn  spricht  über  das  Verhältnis  von  R.  B  u  r  n  s  zu 
älteren  Dichtern, 

Herr  Kremer  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 


Sitzung  am  29.  Oktober  1889. 

HeiT  Immanuel  Schmidt  bespricht  mehrere  Stellen  aus  Shak- 
speree  Julius  Csesar.  I,  1,  24  f.  würde,  wie  er  glaubt,  nach  den 
Worten  /  meddle  ivith  no  tradesman's  matiers  der  Zusatz  nar  women's 
matters  ganz  schal  sein,  wenn  nicht  ein  Doppelsinn  vorhanden  wäre. 

Arcliiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  «' 


130  Sitzungoii  der  IJcrlinor  ClfKellKchaft 

Er  vergleicht  fiir  /o  mprlrlle  ihr.  IV,  .'.,  no   iiiifl   führt  an,  dal's   sicli 
bei  Halliwel]  findet  in  mrfjfllr,  ofmsioHaUy  iispd  for  fvtuo,  sowie  ma- 
lere,  ihr   mafri.r  or  ivomb.    Herr  Zupitza   spricht  sich  gegen  die 
Vermutung  aus,    dafp   auch   awl  gehraucht  sei    wie  jetzt  prir,k.  — 
I,  2,   155    steht  in  der  Folio:    When  eovld  theij  say  tili  now,    that 
talk'd  of  Barne,    Thnt  her  tm'rje   frnlkef;  emo^npafised  hut  nne  man? 
Der  Voi*tragende   ist   nicht  einverstanden   mit  Alexander  Schmidts 
Verteidigung  des  Ausdrucks   iralkft   und   schliefst  sich   der  Ansicht 
der  meisten  Herausgeber  an,  encompassed  fordere  die  von  Rowe  her- 
rührende Änderujig  von  walk.<  in  valls.   —   II,  1,  83,   Frrr  if  thou 
path,  fhy  native  ftemblanee  on,  ist  nichts  zu  ändern.   Sollte  man  daran 
Anstofs  nehmen,  dafs   lo  palh   bis  jetzt  als  Intransitivuni  noch  nicht 
nachgewiesen    ist,   so  Avürde   am   nächsten   liegen,  pucp  fiir  pai}i   zu 
setzen.     Der   von    C'olei'idge    gemachte    Verbesserungs Vorschlag  put 
wird  zurückgewiesen,  da  sich  nicht  sagen  lasse,  dafs  das  angeborene 
Wesen  angelegt  werde.  —  II,  1,  2o0  lautet  der  Text,  den  die  meisten 
Herausgeber    auch  beibehalten  haben,    Enjoy   the   honey-heavy  den- 
of  slumher.    Die  Konjektur  the  heavy  honey-dew  of  slumher  wird  als 
unnötig  bezeichnet  und   Gewicht   auf  das  Adjektiv   in   honey-heavy 
gelegt,  wodurch  die  vom  Schlununer  bewirkte  Schwere  der  Glieder, 
insbesondere  der  Augenlider  angedeutet  Averden  soll,   während  durch 
ho^iey  die  Süfsigkeit,  durch  de/r  die  Erquickung  hervoi'gehoben  wird. — 
III,  1,  23  steht  in  der  Folio  das  sinnlose  the  lane  of  rhildren.    HeiT 
Schmidt  ist  mit  Johnsons  Änderung  von  lam  in  law  (nach  Wrights 
Erklärung   irhich  can  he   changed  in  obedience  to  any  caprice)   nicht 
einverstanden   und  schlägt  rjame  vor,   indem   er  auf  die  Ähnlichkeit 
eines  grofsen  G  und  L  aufmerksam  macht.  —  IV,  1,  37   wird  fest- 
gehalten an   der  Lesart  der  Folio  On  Objects,  Avis,  and  Imitations 
und  die  Konjektur  Theobalds  on  ahject  orts  oder  deren  Modifikation 
On  ahjects,   arts,  atul  imitations  bestritten.   —  IV,  1,  44  bietet  die 
Folio   TJierefoi-e  let  our  Älliance  he  eombin'd,    Our  best  Friends  made. 
oiir  meanes  streicht .     Hier  ist  der  Vortragende  einverstanden   mit 
AI.  Schmidt,   insofern  derselbe  verbindet  our  best  friends  made  mir 
means,  erklärt  aber  dessen  Ergänzung  to  streich  if  out  (oder  to  streich 
ii  far)  für  matt.    Da  von  den   Herausgebern   allgemein   anerkannt 
Avird,  dafs  Worte  ausgefallen  sein  müssen,  so  schlägt  er  vor:    Our 
best  friewls  made  onr  means  of  utmost  streich.    Dafs  streich  sich  bei 
Shakspere   als  Substantiv  nicht  findet,  ist  zufällig.     Das  im  Text 
der  Folio  stehende  streicht  konnte  leicht  in  streiche  übergehen.  — 
V,  1,  73,   his   life    iras  yenile,    AA'ird  Schlegels  Übersetzung:    'sanft 
Avar   sein   Leben'    als    unrichtig   bezeichnet;   genile    hat   die  Bedeu- 
tung 'edel'. 

Herr  Zupitza  sj^richt  über  die  bisher  ungedruckte  'Fabula 
duorum  mercatorum'  im  Codex  Harl,  2251,  die  er  nächstens  heraus- 
zugeben  beabsichtigt.     Sie  gehört   in    den   reichen   Sagenkreis,   über 


für  das  Stndiuiu  der  ueuereu  Sprachen.  131 

den  am  eingehendsten  Wilhelm  Grimm  in  Haupts  Zeitschrift  XII, 
185  fF,  unter  dem  Titel  'Die  Sage  von  Athis  und  Prophilias'  gehan- 
delt hat  (der  Aufsatz  ist  wieder  abgedruckt  in  dessen  Kleinen  Schriften 
IV,  346  ff.).  Der  Schreiber,  dem  wir  die  einzige  Aufzeichnung  des 
englischen  in  siebenzeiligen  Stropheji  abgefafsten  Gedichtes  ver- 
danken, hat  am  Schlufs  die  Bemerkung  hinzugefügt:  Explicü  fahnla 
duonau  mercatonim  de  et  super  gestis  Bomanxynmi.  Das  weist  auf 
die  Gesta  Romanorum  als  QueUe  hin,  in  welchen  sich  ja  eine  Be- 
handlung des  StofFes  als  Nr.  171  findet,  und  in  der  That  hat  Sir 
F.  Madden  in  den  Anmerkungen  zu  den  mittelenglischen  Bearbei- 
tungen der  Gesta  (vgl.  The  Early  English  Versions  of  the  Gesta 
Romanorum  ed.  Herrtage  p.  -482)  die  Ansicht  ausgesprochen,  dafs 
das  englische  Gedicht  'in  all  probahiUtif  auf  der  sogenannten  anglo- 
lateinischen  Version  der  Gesta  beruhe.  Indessen  ein  Vergleich  des 
Gedichtes  mit  den  Gesta  zeigt,  dafs  jenes  nicht  aus  diesen  geflossen 
sein  kann,  und  zwar  weder  aus  dem  Vulgärtexte  der  Gesta  bei 
Oesterley  p.  5 CO  fT.  noch  aus  der  angiolateinischen  Version,  von  der 
Avir  uns  eine  hinlängliche  Vorstellung  aus  den  beiden  mittelenglisehen 
Übersetzungen  liei  Herrtage  p.  19G  ff',  machen  können.  In  den 
Gesta  sind  z.  B.  die  beiden  Freunde  Ritter,  nicht  Kaufleute,  wie  im 
Gedichte ;  dafs  der  Wirt  überall  Ärzte  suchen  läfst,  die  den  Kranken 
heilen  sollen,  wird  in  ihnen  nicht  erzählt;  auch  wissen  sie  nichts  von 
einem  König,  der  die  schliefsliche  Entscheidung  wiegen  des  Mordes 
trifft ;  endlich  bildet  in  ihnen  die  Entlassung  der  drei  Männer,  die 
sich  dieses  Mordes  anklagen,  den  Schlufs,  so  dafs  also  von  der  Tei- 
lung des  Vermögens  zwischen  den  beiden  Freunden  nicht  die  Rede 
ist.  In  allen  diesen  und  in  anderen  Punkten  stimmt  das  englische 
Gedicht  zu  der  Quelle  der  Gesta,  der  Disciplina  clericalis  des  Peti'us 
Alfonsi  (ed.  Labouderie  I,  p.  16  ff.,  Val.  Schmidt  p.  36  ff.).  Es  ist 
wohl  aus  dieser  direkt  geflossen  imd  nicht  etwa  aus  einer  der  bisher 
bekannten  drei  altfranzösischen  Übersetzungen  bei  Barbazan-Meon 
Fabliaux  p.  52  ff.,  Labouderie  II,  p.  15  ff',  und  I,  p.  17  ft'.  Das 
englische  Gedicht  folgt  der  Quelle  genau,  nur  ist  seine  Darstellung 
eine  viel  breitere.  Schon  Warton  in  der  Abhandlung  über  die  Gesta 
Romanorum  (History  of  English  Poetry  ed.  Hazlitt  I,  285)  hat  das 
Gedicht,  das  namenlos  überliefert  ist,  Lydgato  zugeschrieben.  Dafs 
das  richtig  ist,  kann  keinem  Zweifel  unterliegen.  Lydgates  Stil  ist 
unverkennbar.  Auch  lassen  sich  fast  alle  ungewöhnlicheren  AVörter 
und  Redensarten  des  Gedichtes  in  den  bezeugton  Werken  Lydgates 
nachweisen.  Ja  ganze  Sätze  und  Satzgefüge  des  Gedichtes  kommen 
in  diesen  vor.  So  Avird  391  f.  die  Schilderung  des  Mädchens,  das 
an  der  Krankheit  des  ßaldaker  Freundes  schuld  ist,  mit  den  Worten 
zusammengef afst :  That,  if  I  shal  hir  sliorti//  eumjjrcherHle,  In  Jdr  was 
nothyny,  that  natnre  mijght  amcnde.  Dazu  halte  man  eine  Stelle  im 
Edmund  I,  408  f.:  And,  yf  he  shal  hr  shortly  cmn-pfehendid ,   In  hini 

9* 


132  Sit/iin.ücti   .1<T   ncrliiHT  ( icscllsclinfl 

ivas  nofki/H(/  for  lo  hr  niiirndid,  uiul  ciiic  aiulfTC  im  Alboii  1,  28G  f.: 
That,  if  Ü  shall  shorthj  he  c^omprehended,  In  fhem  ivas  nothynge  for 
to  he  amenfJrd.  Oder  mit  V.  108  ff'.:  y\Ilns,  Megcra,  I  mvfil  nrnv  mäo 
the  Of  hert  calle  lo  he/p  mr  lo  rotn-jdejinr  And  fo  thi  suftfer  ehe,  Tyso- 
phone,  Tliat  afier  ioye  gofhjpssis  lim  nf  peyne.  O  irppyny  Myrre,  nov: 
lafe  thy  terys  rryue  fn/n  nt.yn  lynke,  vei'gleioho  man  besonders  in  dem 
Temple  of  (xlass  (der  Voiti'airende  eitiert  nach  dem  nächstens  für  die 
EETS.  erscheinenden  Texte  seines  früheren  Zuhörers  Schick)  958  ff".: 
/  ean  no  further,  hut  to  Tisip)hone  And  to  Mr  snstren  fm-  to  helpen 
me,  That  hen  yoddessef^  nf  tormettt  and  of  peyne.  Noir  Jef  yonr  terif; 
into  myn  inke  reyne. 

HeiT  G.  Michaelis  hält  einen  Vortrag  über  das  phonetische 
Transskri])tionssysteni  von  Lyttkens  und  Wulfl".  Der  vorgerückten 
Zeit  wegen  kann  er  nur  die  Einleitung  geben,  in  der  die  früheren 
Transskriptionssysteme  nach  ihren  verschiedenen  Arten  besprochen 
werden. 

Herr  Relirmann  hat  sich  zur  Aufnahme  in  die  Gesellschaft 
gemeldet. 

Sitzung  am  12.  November  1SS9. 

HeiT  G.  Michaelis  berichtet  über  Lyttkens  und  Wulff,  Compte- 
rendu  sommaire  d'une  transcriptwn  phonetique  offert  mix  memhresi 
du  VIII'  nongres  de.<^  Onentalistes,  Stockholm  1889.  Herr  Mugica 
knüpfte  an  den  Vortrag  seine  Beobachtungen  über  die  Aussprache 
von  V  und  h  in  Spanien  und  bemerkte  namentlich  über  das  mouil- 
lierte l,  dafs  das  catal.  Wort  Bell-lloch  ausgesprochen  werde  wie 
Bdll-Uok.  mit  der  Aussprache  des  11,  welche  die  Akademie  empfiehlt 
und  im  Französischen  Littre,  -wenn  auch  mit  Unrecht.  In  Madnd 
und  in  Andalusien  spreche  man  crd)edln  (cJiefal)  Avie  in  Paris  fra- 
vaille. 

Herr  Krüger  spricht  über  die  Quellen  des  Emile  von  J.  J. 
Rousseau.  Zusammenhängende  Forschungen  nach  den  Quellen  sämt- 
licher Werke  Jean  Jacques  Rousseaus  sind  nicht  vorhanden,  und 
doch  sind  sie  bei  der  über  das  litterarische  Gebiet  weit  hinaus- 
reichenden Bedeutung  derselben  und  bei  seinem  Anspruch,  etwas 
gänzlich  Neues,  Eigenes  gebracht  zu  haben,  doppelt  nötig,  zumal  sie 
auf  seine  viel  erörterte  Wahrhaftigkeit  neues  Licht  zu  werfen  ge- 
eignet sind.  Seine  Zeitgenossen  haben  ihn  öfters  beargwöhnt,  dafs 
er  sich  mit  fremden  Federn  geschmückt  habe ;  für  den  Emile  ist  eiji 
solcher  Nachweis  mit  furchtbarer  Gründlichkeit  von  einem  gelehrten 
Benediktiner  geliefert  worden.  Das  seltene  Buch  desselben  heilst: 
Les  Plagiats  de  M.  J.  J.  Rousseau  de  Genevc  sur  Veducation.  Par  D.  J. 
C.  B.  A  la,  Haye  et  se  tro-itve  ä  Paris  chez  Durand  librairie  rue 
S.  Jacques  ä  la  Sagesse.     176(i.    Obige  Buchstaben   sind  zu   vervoll- 


für  da.s  .Stiuliimi  der  neueren  Sprachen.  183 

ständigen  zu  Do)>(  Jo-seiili  L'ajot  Benedictin.  Der  Vorti'ageude  giebt 
aus  ihm  eine  Anzahl  von  Stellen,  die  erweisen,  dafs  sich  bei  Rousseau 
zum  Teil  wörtliche  Entlehiuuigen  aus  Plato,  Seneca,  Montaignes 
Essai'i,  Lockes  Sotne  Tltoughts  concerning  Ediwation,  F^uelon,  dem 
Abbe  de  Fleurv,  aus  dem  .1/;//  des  homnies  des  älteren  Mirabeau, 
la  Bruyere,  dem  Kanzler  Baco,  Hobbes,  Bonnet,  Voltaire  und  einer 
Menge  weniger  bekannter  Schriftsteller  finden.  Selbst  wenn  man 
den  |)ersünlichen  Hafs,  den  C'ajot  gegen  Rousseau  aus  religiösen 
(Tründeu  hegt,  in  Anschlag  bringt,  ist  doch  der  Vorwurf  des  litte- 
rarischeu  Diebstahls  nach  der  Meiiumg  des  Vortragenden  begründet : 
für  die  Erstlingsschrift  Rousseaus  glaubt  er  das  Gleiche  beweisen 
zu  können. 

HeiT  K  a  b  i  s  c  h  spricht  über  das  Lied  Heinrichs  von  Morungen, 
MF.  141,  37 — 142,  18.  Dasselbe  ist  nur  in  einer  Handschrift  (C) 
überliefert  und  hat  in  derselbeii  vor  und  hinter  sich  Raum  für  eine 
Strophe.  In  der  überlieferten  Form  zeigt  es  so  erhebliche  Verstölso 
gegen  die  strojjhische  Korresponsion,  so  unnatürliche  Betonungen 
und  häfsliche  Rhythmen,  dafs  es  so  von  Morungen,  der  in  diesen 
Punkten  ganz  regelmäfsig  ist,  nicht  gedichtet  sein  kann.  Es  besteht 
aus  Daktylen,  mit  Trochäen  uiul  lamben  gemischt;  hierbei  haben 
die  Schreiber  oft  die  Daktylen  verkannt  und  dann  willkürlich  ge- 
ändert. Dies  konnte  bei  Morungen  lun  so  leichter  geschehen,  als 
bei  ihm  die  Schi'eiber  zugleich  die  Herstellung  einer  rein  oberdeut- 
schen Form  aus  niederdeutscher,  mitteldeutscher  oder  aus  einer  aus 
allen  gemischten  Form  vorzunehmen  hatten,  in  welcher  die  Lieder 
zur  Zeit  der  Abfassung  der  grofsen  Liederhandschriften  in  ober- 
deutschen Gegenden  umliefen.  Die  Herausgeber  des  MF.  haben  nur 
zwei  augenfällige  Versehen  geändert,  nändich  141,  3-S  min  in  nilnr 
verwandelt  und  142,  IG  vor  yesioule  ein  icol  gestrichen.  Herr 
Kabisch  schlägt  vor,  jedesmal  die  erste  und  zweite,  sowie  die  vierte 
und  fünfte  Zeile  der  Strophe  in  eine  zusannnenzuschreiben  ;  es  ent- 
steht dann  der  viennal  gehobene  daktylische  Vers  mit  Inreim,  den 
^lorungen  seinen  provencalischen  Mustern  oder  Lehrern  entlehnt  hat. 
Dabei  wäre  dann  in  Vers  142,  10,  der  ohne  Zweifel  verderbt  ist, 
msrcariren  in  röfenic  zu  ändern  (ein  Vorschlag,  den  Wilmanns  dem 
Vortragenden  gemacht  hat);  MF.  130,  30  steht  ir  ruaeixinccr  röter 
rnunt.  Es  müssen  dann  in  142,  3  und  142,  13  die  beiden  ersten 
Silben  gegen  die  in  MF.  bezeichnete  Betonung  als  zwei  Kürzen  ge- 
lesen werden.  Im  Abgesange  sind  die  Verse  14  2,  t)  und  142,  16 
nicht  korrespondierend;  es  empfiehlt  sich,  in  142,  1  (!  (wo  schon  MF. 
gegen  die  Überlieferung  geändert  hat)  auch  noch  das  von  den  Schrei- 
bern häufig  hinzugesetzte  ril  zu  streichen.  Im  dritten  Verse  will 
Herr  Kabisch  wegen  der  sehr  unnatürlichen  Betonung  in  der  liclle 
grümle  (die  MF.  bezeichnet)  //;///  daz  er  mir  steh  und  in  der  helle 
gründe  trochäisch  betonen,  und  schliefslich  den  letzten  in  der  Über- 


134  Sitzungen  der  Berliuer  Gesellschaft 

lieferung  sechsmal  gehobenen  Vers  nach  dem  dritten  Trochäus  ab- 
brechen und  eine  Waise  herstellen.  Die  so  entstandene  Form  hat 
einen  fliefsenden  daktylischen  Kliyflunus,  mit  trochäischen  und 
iambischen  Zeilen  gemischt,  voUkonnucii  stroj)liische  Korresponsion 
und  natürliche  Beton ungcn  und  stellt  sich  ebenbürtig  neben  die 
schönsten  Lieder  Morungens,  von  dem  Wilmanne  mit  Recht  sagt, 
dafs  er  im  eigentlichen  Minneliede  vielleicht  sogar  vor  Walther  den 
Preis  verdient. 

Herr  Zupitza  weist  im  Anschlufs  an  eine  frühere  Mitteilung 
am  30.  Oktober  188S  (vgl.  Archiv  LXXXII,  201)  auf  eine  Stelle 
hin  in  dem  Roman  Robert  Elsmere  by  Mrs.  Hum])hry  Ward  (ed. 
Tauchnitz)  I,  lö.j.  Rose  Leybourn  möchte  gern  wissen,  ob  ihre 
Schwester  Catherine  den  Helden  heiraten  werde.  Sprinyiny  ivp  sJie 
dragged  in,  tfte  cat,  and  snatehing  a  scarlet  anemoue  from  a  bunch  on 
tJie  tahh,  stood  opposite  ChafMe  (der  Katze),  irho  stuod  sloidy  wavmg 
her  viagnifheitt  fall  from  side  to  side,  and  gktring  an  though  it  ivcre 
not  at  all  to  lier  taste  to  he  hustled  and  hustled  in  this  loay.  —  'Now, 
Chattie,  listen !  Will  she  ?'  —  A  leaf  of  tite  floiver  dropped  an  Cftaftie's 

nose.  —   'Won't  sJie?    Will  she?    Won't  she?    Will Tiresome 

floiver,  why  did  Nature  yive  it  siieh  a  heygarly  few  petah  ?  If  Fd 
had  a  daisy  it  ivoidd  havc  all  coine  riyhf.'  Prof.  Napier  in  Oxford 
verdankt  der  Vortragende  ferner  die  Mitteilung  über  eine  Verbin- 
dung der  beiden  Arten,  die  Zukunft  zu  erforschen,  an  welche  Herr 
Hirsch  und  Herr  Tanger  damals  erinnert  haben.  Wenn  es  Plum- 
oder  Cherry-tart  oder  sonst  etwas  mit  Steinfrüchten  gegeben,  pflegen 
die  Kinder  die  Kerne  zu  zählen  mit  den  Worten :  This  ycar,  next 
year,  sometimes  (oder  feie  years),  iievcr.  Ein  Mädchen  fragt  dann, 
falls  nicht  etwa  necer  und  der  letzte  Kern  zusammengetrofTen,  nach 
dem  Stande  des  dereinstigen  Mannes  mit  Saldier,  sailor,  tinker, 
tailor,  rieh  man,  poor  man,  hcggaruian ,  thief.  Mit  denselben  Worten 
sucht  auch  ein  Knabe  Auskunft  über  seinen  künftigen  Beruf. 

Herr  R  ehr  mann  Avird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen,  der 
alte  Vorstand  durch  Acclamation  wiedergewählt. 

Die  Herren  Dr.  Sohrauer  und  Dr.  Fuchs  haben  sich  zum 
Eintritt  in  die  Gesellschaft  gemeldet. 


Sitzung  am  29.  November  1889. 

Herr  Koch  spricht  über  einige  Punkte  der  englischen  Gram- 
matik. Der  Vortragende  erörtert  zunächst  im  Anschlufs  an  Traut- 
mann  (Anglia  IH,  208  AT.),  Storni  und  andere  Phonetiker  die  Aus- 
sprache des  englischen  r.  Hierauf  giebt  der  Vortragende  einige 
Proben  der  Cockney-Aussprache  aus  dem  bei  Tuer  1885  in  London 
erschienenen  Büchlein    Old  Lond/m    Cries;   unter   anderem  geht  in 


für  das  Stiuliuiii  der  neueren  Sprachen.  13ö 

derselben  der  Laut  ei  (a  iu  fate)  geradezu  hi  ai;  der  des  ou  (oa  in 
road)  in  cm,  der  des  o  vor  .s-  und  /'  in  ä  über  (vgl.  Vietor  S.  49). 
Schliefslich  machte  der  Vortragende  darauf  aufmerksam,  dafs  /  used 
=  ich  pflegte  (sjjr.  jü.st  zum  Unterschied  von  jüxd  =  gebrauchte)  in 
der  Umgangsj-prache  zu  einem  iSIotUdverh  geworden  sei  und  bei  Ver- 
neinung und  Frage  nicht  die  Umschreibung  mit  lo  do  verlange; 
z.B.  Used  he  not  to  he  ra  liier  a  fricitd  of  yours?  (Norris,  A  Bachelm-'s 
Blunder,  Kap.  19).  Stellen  wie  Feople  dkl  not  use  to  eat  so  nmeh 
meat  as  they  do  noir  (Sweet,  Elementarbuch  S.  77);  Folks  don't  use 
to  meet  for  amusenient  with  fire-anns  (Sheridan,  Rivals  V,  1)  geben 
nicht  den  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  wieder.  —  Andererseits  sei 
das  alte  /  am  ivoiä.  das  z.  B.  Shakspere  öfters  braucht,  wieder  mo- 
dern geworden ;  z.  B.  Having  talked  a  great  deal  more  than  he  was 
tvont  to  do  in  one  evening,  (he)  relapsed  into  silence  (Norris,  1.  c. 
Kap.  8).    They  ivere  ivont  to  sit  (Athenieum  3228,  S.  311). 

Herr  Carel  spricht  über  die  Bedeutung  von  Alexis  Piroii  für 
die  Voltaire-Kritik.  Keiner  von  den  Gegnern  des  Encyklopädisten, 
der  auf  allen  möglichen  Gebieten  nur  das  ^A  peii  pres'  erreicht,  kein 
grofses  AVerk  genialer  Originalität  aufweist,  ist  berechtigter,  über 
Voltaire  zu  richten,  als  Piron.  Denn  eine  Begabung  besitzt  dieser: 
den  Mann  und  seine  Werke  im  Augenblick  richtig  zu  beurteileji,  im 
Epigramm  etwas  Richtiges  zu  sagen;  zur  Durchführung  eines  sieg- 
reichen Kampfes  aber  fehlt  ihm  1)  im  allgemeinen  die  gröl'sere  Be- 
gabung. Denn  aul'ser  dem  Epigramm  hat  Piroji  nichts  Bedeutendes 
aufzuweisen;  die  'Metronucnie'  ist  eine  Ausnahme  seiner  ganzen  son- 
stigen Dichterarbeit.  2)  Die  Harmonie  der  wissenschaftlichen  Durch- 
bildung. Seine  römisch-griechische  Ausbildung  und  sein  derber  alt- 
gallischer Witz,  der  an  Rabelais  und  Gringoire  erinnert,  stehen  sich 
in  Pirons  Geiste  unvermittelt  gegenüber.  Die  Lektüre  der  Alten 
zeitigt  bei  ihm  schülerhafte  Auswüchse  einer  grobsinnlichen  Natur, 
die  von  Juvenal  und  Martial  nur  die  Entartungen  lernt.  Die  'Ode 
Priapee',  das  zügelloseste  Stück  dieser  Art,  wurde  verhängnisvoll  für 
sein  Leben  und  seinen  Beruf.  Das  'ore  rotundo  loqui  hat  er  nie  ge- 
lernt; er  hat  keinen  Geschmack.  Goethes  Urteil  'Anmerkungen  zu 
Rameaus  Neffen',  bei  Hempel  XXXI,  p.  132,  bleibt  daher  richtig, 
Sainte-Beuve  N.  L.  VII,  p.  44-1  ergänzt  glücklich  den  Goetheschen 
Gedanken  des  Urteils  über  Piron:  er  ist  der  Voltaire  des  Augen- 
blicks im  Kampf  mit  dem  Voltaire  des  Jahrhunderts.  In  diesem 
Satze  ist  die  Stärke  und  die  Schwäche  von  Pirons  Voltaire-Kritik 
enthalten.  —  In  Diderots  Roman  'Rameaus  Neffe'  wird  Piron 
neben  Voltaire  besprochen ;  die  gute  Gesellschaft,  Leut«  von  Ge- 
schmack, redeten  von  ihnen,  verglichen  sie.  Doch  wird  man  schwer- 
lich gröfsere  Gegensätze  des  Geistes,  des  Körpers,  der  Lebens- 
schicksale finden  können  als  zwischen  Voltaire  und  Piron.  Gegen- 
über der  zwar  stattlichen,  aber  hageren   Figur  Voltaires   steht  der 


136  t^ilzuiigC'ii  ilcr  J5crliiicr  ( Ii-scll.'^cliiift 

gi'öfsere,  weiiitiinkcndc  Piion.  N'oJluircK  grofHC  Augen  beobachten 
fortwährend  .seine  Umgebung;  in  Höflichkeiten,  Aufmerksamkeiten 
ist  er  ein  unübertroffener  Meister;  Pirons  behäbige  Hün(!ngestalt  er- 
scheint durch  seine  Kurzsichtigkeit  tä])j)isch  und  ungeschickt.  Kein 
hastiges,  ehrgeiziges  Jagen  wie  bei  Voltaire;  er  ist  sich  vielmehr 
seines  Wertes  oder  seiner  Waffen  sehr  bewufst.  Er  arbeitet  nach 
dem  Grundsatze  des  Genies,  'nur  das  zu  treiben,  was  ihn  anspricht, 
nur  zu  dichten,  wenii  es  ihm  natm'liche  Notwendigkeit  ist.'  In  der 
That  dichtet  er  seine  Epigramme  Jiicht,  er  niest  sie  ('(Hernuer' 
sagt  Piron  selbst  von  sich  in  dieser  Hinsicht),  wie  einer  thut,  der 
niesen  mufs.  Dieses  Epigramm  mit  seinem  altfranzösischen  bei- 
fsenden  Gehalt  kann  nur  Piron  dichten ;  aber  gerade  diese  Über- 
legenheit wurde  sein  Verhängnis.  Er  fühlte  sich  im  Epigramm  zu 
mächtig,  darum  verfulu-  er  in  anderen  Dingen  nachlässig.  Vor- 
nehm liel's  er  die  Welt  an  sich  herankommen,  während  Voltaire 
keinen  Insinuationsbesuch  versäumt.  Gerade  übei-  die  ruhelos  for- 
cierte Arbeit  Voltaires,  über  seine  Vielseitigkeit  geht  Piron  ins  Ge- 
richt. Äufserst  treffend  ist  Bd.  VI,  p.  527,  ed.  Rigoley  des  Juvigny, 
Paris  1776,  das  Spottepigramm  'auf  die  ungründliche  Mittelmäfsig- 
keit  des  Mannes,  der  alles  dichtet  und  schreibt,  auch  sich  an 
Gegenstände  macht,  die  wahrhaft  groise  Geister  vor  ihm  nicht  be- 
wältigt haben'.  Dieser  Vorwurf  bleibt  richtig;  allein  Piron  verliert 
durch  sein  eigenes  Leben  das  Recht,  ihn  Voltaire  zu  machen.  Piron 
ist  sehr  überschätzt  worden;  gerade  weil  er  im  Augenblicksurteil 
über  Voltaire  recht  hat,  ist  man  geneigt,  über  deji  Mangel  an  Ge- 
schmack, über  die  holprige  Rauheit  vieler  seiner  Verse  hinweg  zu 
sehen.  Das  darf  aber  nicht  geschehen.  Er  zeigt  sich  bis  auf  das 
Epigramm,  in  dem  er  neben  Voltaire  zu  stehen  verdient,  in  jeder 
Hinsicht  geringer  als  der  Dichter  der  'Zaire'.  Auch  ist  die  Be- 
deutung der  'Metromanie'  für  Voltaire  und  die  Zeitgenossen  sehr 
überschätzt  worden,  wieder,  weil  man  Pirons  Gegnerschaft  zu  hoch 
anschlug.  Trotzdem  verdient  die  1738  erschienene  Komödie  neben 
'Turcaref  luid  'Mechani',  den  besten  Lustspielen  des  18.  Jahrhun- 
derts, ihren  Platz.  Wenn  aber  (Südwestdeutsche  Schulblätter  Nr.  9 
von  1889.  Besprechung  von  des  Redners  Programm  'Voltaire  und 
Goethe  als  Dramatiker')  der  Voltaire-Kritik  ein  Vorwurf  daraus  ge- 
macht wird,  dafs  sie  mit  Stillschweigen  die  'Metromarm'  übergeht, 
so  ist  zu  entgegnen,  dafs  diese  Dichtung  nicht  als  Geschofs  gegen 
Voltaire  seine  Haujotbedeutung  hat  (dieser  wird  sehr  glimpflich 
darin  behandelt),  vielmehr  mufs  der  Umstand  gewürdigt  werden, 
dafs  Piron  durch  dieses  Stück  sich  einen  Platz  bei  den  besten  Lust- 
spieldichtern seiner  Zeit  erobert,  ob  er  ihn  gleich  nicht  behauptet. 
In  keiner  Geschichte  der  Komödie  des  18.  Jahrhunderts  wird  die 
'Metromanie'  fehlen  dürfen;  sie  hat  ihren  Wert  nicht  als  Satire 
gegen  Voltaire,  sondern  als  eigenstes  Bekenntnis  des  Dichters  Piron, 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  1?»7 

der  sich  im  Damis  selbst  gezeichnet  hat.  Und,  weil  diese  Zeichnung 
nach  der  Natur  gemacht  wurde,  nach  einem  lebenden  Individuum, 
das  er  unmittelbar  mit  seinem  Denken  und  Fühlen  wiedergeben 
konnte,  wurde  sie  ein  vollendetes  Meisterstück,  das  Piron  als  Dichter 
weit  über  die  engen  Grenzen  })arteiischer  Polemik  gegen  Voltaire 
hinausschauen  läfst.  Der  Träge  hat  sich  einmal  aufgerafft  und  den 
Versuch  gemacht,  den  Besten  ebenbürtig  zu  erscheinen.  Das  ist  die 
eigentliche  und  einzige  Bedeutung,  die  die  'Metromanie'  hat.  Die 
äufseren  Umstände,  die  das  Stück  begleiten,  werden  nie  die  Bedeu- 
tung der  Dichtung  verdunkeln.  Darum  gehört  sie  auch  nicht  in  die 
Voltaire-Kritik,  neben  die  giftigen  Epigramme  des  Dichters  von 
Dijon.  Der  Vortragende  giebt  nun  eine  Analyse  und  erzählt  die 
Vorgeschichte  der  'Metromanie'. 

Die   Herren   Dr.  Sohrauer  und  Dr.  Fuchs   werden   in   die 
Gesellschaft  aufgenommen. 


Sitzung  am  10.  Dezember  1889. 

Herr  Zupitza  sprach  über  Barkers  Orif/incu  English  [vgl. 
die  Besprechung  unten  S.  165]. 

Herr  Tob  1er  gab  eine  etymologische  Erörterung  dreier  fran- 
zösischen Wörter.  Nachdem  er  dargelegt  hatte,  was  die  von  Scheler 
und  die  von  Littre  gegebenen  Erklärungen  von  riechet  unannehmbar 
mache,  begründete  er  seine  eigene  Auffassung,  nach  der  das  nfrz. 
AVort  in  sich  altfrz.  decJ/iet  und  dc.cJdc  vereinigt,  jenes  die  zum  Sub- 
stantiv gewordene  3.  Sing,  des  Präsens  von  decJieoir,  dieses  das  aus 
dem  blofsen  Stamm  des  nämlichen  Wortes  gewonnene  Verbalsub- 
stantiv. —  Für  souqaenille  ist  von  Bedeutung,  dafs  es  bis  ins  16., 
ja  ins  17.  Jahrhundert  herab  nur  mit  dem  Ausgang  -nie  sich  findet. 
Für  die  altfrz.  und  für  die  aus  Fi-ankreich  stammende  mhd.  Form 
suggente  ist  durch  Weiidiold,  was  von  den  raeistoi  Romanisten  über- 
sehen worden,  in  einem  durch  viele  slavische  Sprachen  verbreiteten 
Worte,  poln.  .sulmia  u.  s.  w.,  das  P^tymon  gefuiuleii.  Der  Vortragende 
erörterte  verschiedene  Fälle,  wo,  wie  in  dem  vorliegenden,  /  zwisehen 
Vokalen  zu  mouilliertem  /  geworden  ist,  und  erwog  die  Möglichkeil, 
dafs  gucnilk  aus  souquenille  gewonnen  sei,  dessen  erste  Silbe  schon 
in  altfrz.  Zeit  als  Präfix  irrtümlich  empfunden  worden  ist.  —  accoii- 
trer,  das  keineswegs  von  Anfang  an  'ausstaffieren',  sondern  zunächst 
'bereiten,  fertig  machen'  bedeutet,  in  welchem  auch  das  bisweilen  vor 
dem  t  auftretende  s  als  ursprünglich  zu  gelten  keinen  Ans])ruch  lial, 
wurde  als  Ableitung  von  coutre  'Pflugniesser'  gedeutet.  Das  zunächst 
wahrscheinlich  nur  mit  dem  Pfluge  als  Objekt  gebrauchte  Verbuni 
wäre  nachmals  auf  jede  andere  Art  des  Ausstattens  zur  Thätigkeit, 
zum  Dienste  übertragen  worden.    Es  ist  nicht  unmöülich,  dafs  es  im 


l.'>8  Sitzuugen  der  Berliner  (JcHellschaft  etc. 

Altfrz.  ein  zweites  acoiitrrr,  eine  Ncbenforni  v<^n  acouter  (von  coute 
■=z  cuhitus)  gegeben  hat;  und  altirz.  decoutrrr  scheint  von  rovtrr  in 
seiner  heute  noch  bestehenden  Bedeutung  'Spaltbeil'  abgeleitet.  Was 
den  Herleitungen  des  nfrz.  nc-coufrer  von  aouturc  'Naht'  oder  von 
altfrz.  couiure  (=  culfura)  oder  von  altfrz.  covtrc  {=.  culmtra)  ent- 
gegenstehe, wurde  gleichfalls  auseinandergesetzt  [vgl.  Sitzungsberichte 
der  Akad.  der  Wissenschaften  zu  Berlin,  philos.-hist.  Klasse,  12.  De- 
zember 1889]. 


Mitglieder  -Verzeichnis 

der 

Berliner  Gesellschaft  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 

Januar   ISSO. 

Vorstand. 

Vorsitzender:  Herr  Zupitza. 
Stellvertretender  Vorsitzender:       „      Waetzoldt. 
Schriftführer;  ,,      Wetzel  (Luisenschule). 

Stellvertretender  Schriftführer :       ,,      A.  S  c  h  u  1  z  e. 
Erster  Kassen führer :  ,,      Vatke. 

Zweiter  Kassenführer :  ,.      Gerhardt. 

A.    Ehrenmitglieder. 

Herr  Dr.  Furnivall,  Frederick  J.    .j  St  George's  Square,  Prim- 
rose Hill,  London  NW. 
,.     Dr.  Mätzner,  Professor,  Direktor  a.  D.    Steglitz. 

Frau  Vasconcellos,  Carolina  Michaelis  de.    Porto,  C'edofeita. 

Herr  Dr.  Wiese,  LudAvig,  Wirklicher  Geheimer  Oher-Regierungsrat. 
Potsdam, 


B.    Ordentliche  Mitglieder. 

Herr  Dr.  Arn  heim,  J.,  Realschul  -  Direktor   a.  D.     Berlin  W.  35, 
Genthinerstrafse  40  IL 

„•    Baacke,  F.,  Gemeinde-Lehrer.    Berlin  NW.  6,  Marienstrafse 
18  aU. 

■^;     Dr.  Bach,  H.,  Ordentlicher  Lehrer  am  Luisenstädtischen  Real- 
gymnasium.   Friedenau,  Schmargendorferstrafse  20. 
~  „     Dr.  Bahlsen,  Leopold,  Ordentlicher  Lehrer  an  der  IL  höheren 
Bürgerschule.    Berlin  N.  4,  Tieckstrafse  11. 

„     Dr.  Benecke,  A.,  Direktor  der  Sophienschule.    Berlin  C.  22, 
Weinmeisterstrafse  1 5. 


I"  .Mit^Hi<'(lcr-\'('iz('irliiii>  der   l5ciliiicT  ( IcMdlscliHtt 

krr  Dr.  P>i(liiig,  H.,  Professor,  Oberlehrer  am  Sophien-Realgym- 
nasium.   Berlin  N.  ;57,  Schwedterstrafse  2^)711. 
„     Dr.  Blitz,  C.    Berlin  8W.  11,  Dessauer.strafse  1  5  11. 
„     Dr.  Bischoff,    Fr.,    Friedrichs -Gymnasium.      Berlin    N.  o9, 

Reinickcndorfevstrafse  2 III. 
„     Dl'.  B  ollmann,  K.,  Professor  am  Grauen  Kloster.    Berlin  C.  2, 

Klosterstrai'se  74 II. 
„     Brendel,  A.,  Ban<|uier.    Berlin  C.  2,  Köuigstrafse  91. 
„     Dr.  Buchholtz,  H.,  Oberlehrer  a.  D.    Friedenau. 
„     Dr.  Burtin,  E.    Berlin  SW.  G8,  Markgrafen  .<traf5e  10 II. 
„     Dr.  Carel,  G.,  Oberlehrer  an  der  Sophienschule.    Berlin  N.  37, 

Weifsenbm-gerstrafse  74 II. 
„     Choch,    G.,    Graf  v.,   Kollegienrat.     Berlin   SW.  12,     Koch- 

stral'se  G  III. 
„     Cohn,  Alb.,  Buchhändler.    Berlin  W.  8,  Mohrenstrafse  531. 
„     Dr.  Conrad,  Herrn.,  Oberlehrer  an  der  Haupt-Kadettenanstalt. 

Gr. -Lichterfelde. 
„     Dr.  Daffis.    Berlin  W.  35,  Lützowstrafse  411. 

Dr.  Dammholz,  R.,  Oberlehrer  an  der  Augustaschule.  Berlin 

SW.  11,  Schönebergerstrafse  26. 
„     Demme,  G.,  Oberlehrer  an  der  Handelsschule.    Berlin  NW.  21, 

Flensbnrgerstrafse  1 6 II. 
„     Dr.  Deter,  J.,  Direktor.  Gr.-Lichterfelde,  Wilhelmsti'afse  oG. 
„     Dr.  Draeger,   W.,   Yiktoriaschule.     Berlin   S.  14,   Sebastian- 

sti-afse  12  III. 
Dr.  D  unk  er,  C,  Lehrer  am  Friedrichs-Realgymnasium.  Berlin 

AV.  35,  Potsdamerstrafse  106  a  III. 
„     Dr.  Engel  m  a  n  n ,  H.,  Lehrer  an  der  Friedrichs-Werderschen 

Oberrealschule.    Berlin  NAV.  6,  Albrechtstrafse  13. 
Friedrich,  F.,  Sophiensc^|ule.  Berlin  W.  62,  Kurfürstendamm  7. 
,,     Dr.  Fuchs,  Lehrer  am  Französischen  Gymnasium.  Berlin  N.  58, 

Alte  Schönhauserstrafse  60. 
„     Gerhardt,  R.,  Kaufmann.  Berlin  S.  59,  Dieflenbachstrafse  74. 
.,     Dr.  G  i  0  V  a  n  o  1  y ,  A.    Berlin  AV.  41,  Leipzigerstrafse  22. 
..     Dr.  Gropp,  E.,  Rektor.    Charlottenburg,  Bismarcksti'afse  56  I. 
„     Grosset,    Ernest,    Lehrer   an    der   Kriegsakademie.     Berlin 

SAV.48,  Wilhelmstrafse  28  III. 
,.     Dr.  Grube,    E.,    Oberlehrer    an    der   Sophienschule.     Berlin 

NAA^21,  Klopstockstrafse  34. 
..      Haas,   J.,   Premier-Lieutenant  a.  D.     Berlin  AA\  8,    Tauben- 

strafse  1 7  HI. 
„     Dr.  Hahn,  O.,  Oberlehrer  an  der  Viktoriaschule.    Berlin  S.  59, 

DiefFenbachstrafse  621. 
.,     Dr.  H  e  1 1  g  r  e  w  e ,    Wilh.,    Gymnasiallehrer.     Charlottenburg, 

Spreesti'afse  261. 


für  (las  Studiuiu  der  ncuerfu  Sprachen.  141 

HeiT  Dr.  Henze,    Ordentlicher    Lehrer    am    Dorotheenstädtischen 
Realgymnasium.    Berlin  AV.  8,  Taubenstrafse  2 III. 

„     Dr.  Hirsch,    Richard,    Oberlehrer    am    Dorotheenstädtischen 
Realgymnasium.    Berlin  N.  37,  Lottumsti-afse  8. 
Hold  er -Egg  er,  M.,    Geheimer  Rechnungsrat  a.  D.     Char- 
lottenburg, Fasanenstrafse  14. 

„  Dr.  Hoppe,  A.,  Professor  am  Grauen  Kloster.  Berlin  ('.2, 
Neue  Friedrichstrafse  8411. 

„  Dr.  Hosch,  8.,  Ordentlicher  Lehrer  an  der  Liiisenstädtischen 
Oberrealschide.    Berlin  S.  1 4,  Annenstrafse  1 2 11. 

„  Dr.  H  u  o  t,  P.,  Direktor  der  Viktoriaschule.  Berlin  S.  1 4,  Prinzen- 
strafse  5 1  H. 

„  Dr.  K  a  b  i  s  c  h ,  Otto,  Ordentlicher  Lehrer  am  Luisenstädtischen 
Gymnasium.    Berlin  SO. 26,  Kottbuserstrafse  17. 

„     Dr.  Kastan,  A.    Berlin  W.  64,  Behrenstrafse  57. 

„     Dr.  Koch,  John.    Berlin  NW. 21,  Brücken-Allee  35. 

„  Koumanine,  A.  v.,  Kaiserl.  Russ.  Staatsrat  und  Kammer- 
herr, Kollegienrat.   Berlin  NW.  6,  SchifFbauerdamm  30 II. 

„  Dr.  Krem  er,  Lehrer  an  der  Haupt-Kadettenanstalt.  Steglitz, 
Albrechtstrafse  1 04. 

„  Krueger,  G.,  Ordentlicher  Lehrer  am  Königlichen  Realgym- 
nasium.   Berlin  W.  57,  Kurfürstenstrafse  3. 

„     Dr.  Lachmann,   J.,    Oberlehrer    am   Falk -Realgymnasium. 
Berlin  W.  35,  Lützowstrafse  84  c. 
Dr.  L  a  m  p  r  e  c  h  t ,  F.,  Professor,  Oberlehrer  am  Grauen  Kloster. 
Berlin  C.  2,  Neue  Friedrichstrafse  84. 

..  Langenscheidt,  G.,  Professor,  Verlagsbuchhändler.  Berlin 
S W.  1 1 ,  Halleschestrafse  1 7  part. 

„  Dr.  Langenscheidt,  P.,  Verlagsbuchhändler.  Berlin  S W.  1 1 , 
Möckernstrafse  133  IL 

^,  Dr.  Leo,  F.  A.,  Professor.  'Berlin  W.  10,  :\ratthäikirch- 
strafse  31. 

„  Dr.  Lösch  hörn,  H.,  Erster  Lehrer  am  Königl.  Lehrerinnen- 
Seminar  und  der  Augustaschule.  Berlin  W.  35,  Geu- 
thinerstrafse  4 1  III. 

„  Dr.  Mangold,  W.,  Oberlehrer  am  Askanischen  Gymnasium. 
Berlin  W.  57,  Frobenstrafse  17. 

„     Mar  eile,  Charles.    Berlin  W.9,  Schellingstrafse  6111. 

,,  Dr.  Michaelis,  G.,  Professor,  Vorsteher  des  stenographischen 
Bureaus  des  Herrenhauses  a.  D.,  Lektor  an  der  Uni- 
versität.   Berlin  NW.  6,  Luisenstralse  24  al. 

„  Dr.  Michaelis,  C,  Oberlehrer  an  der  Charlottenschule.  Berlin 
W.,  Mauerstrafse  27. 

,,  Dr.  Müller,  Ad.,  Oberlehrer  an  der  Elisabethschule.  Beilin 
SW.29,  Hornstralse  12. 


MÜ  Mitglieder- Vorzricliiiis  der  berliner  GeKollschaft 

HuiT  M  aller,  F.,  Regieruiigsbauführer.  Berlin  NW. 40,  Lüueburger- 
sü'afee  GlVr. 

„  Mugica,  Pedro  de,  Liceiitiat  der  Wissenschaften  der  Uni- 
versität zu  Madrid,  Lehrer  der  spanischen  Sprache.  Berlin, 
Alt-Moabit  114. 

„  Dr.  Opitz,  G.,  Luisenstädtische  Oben-ealschule.  Berlin  S.  öO, 
Hasenhaide  54  IL 

„  Dr.  Otto,  Ferd.,  Lehrer  an  der  Charlott^nschule.  Berlin  W.  02, 
Wichniannstralse  3. 

„  Dr.  Palm,  IL,  Oberlehrer  an  der  Margaretenschule.  Berlin 
SO.  1 G,  Franzstrafse  7 III. 

„  Dr.  Pari  seile,  Eug.,  Oberlehrer  am  Königlichen  Lehrerinnen- 
Seminar  und  der  Augustaschule.  Berlin  "NV.  30,  Blumes- 
hof 8 IIL 

„  Dr.  Paul,  \y,,  Professor  am  Friedrichs -AVerderschen  Gym- 
nasium.   Berlin  NW.  6,  Luisenstrafse  45 III. 

„  P  e  n  n  e  r ,  Emil,  Ordentlicher  Lehrer  an  der  IV.  höheren  Bürger- 
schule.   Berlin  0.34,  Posenersti-afse  19. 

„  Dr.  Rehrmann,  Professor  an  der  Haupt -Kadettenanstalt. 
Gr.-Lichterfelde. 

„     Dr.  Risop,  A.,  Oberrealschide.    Potsdam,  Französischestr.  24. 

„  Dr.  Ritter,  O.,  Professor,  Direktor  der  Luisenschule.  Berlin 
N.  24,  Ziegelstrafse  12. 

„  Dr.  Roediger,  M.,  Professor  an  der  Universität.  Berlin 
SW.48,  Wilhelmstrafse  140  III. 

„  Rossi,  Lektor  an  der  Universität.  Berlin  N.  24,  Monbijou- 
platz  10. 

„  Sauvage,  Jean,  Humboldt-Gymnasium.  Berlin  S W.  1 3,  Neuen- 
burgerstrafse  3. 

„  Dr.  Schleich,  G.,  Ordentlicher  Lehrer  am  Andreas-Realgym- 
nasium.   Berlin  SO.  IG,  Adalbertstrafse  24 II. 

„  Dr.  Schien  ner,  R.,  Ordentlicher  Lehrer  an  der  Luiseustädti- 
schen  Oberrealschule.    Charlottenburg,  Bismarckstr.  22  b. 

„  Dr.  Schmidt,  L,  Professor.  Haupt-Kadettenanstalt,  Gr.-Lich- 
terfelde. 

„  Dr.  Schmidt,  Max,  Ordentlicher  Lehrer  am  Askanischen 
Gymnasium.    Berlin  SW.  61,  Grofsbeerenstrafse  82. 

„  Dr.  Schön  fei  d,  F.,  Schulvorsteher,  Berlin  W.  57,  Bülow- 
strafse  4. 

„     Dr.  Scholle,   F.,   Professor,    Oberlehrer   am   Falk  -  Realgym- 
nasium.   Berlin  W.  G2,  Schillsti'afse  51. 
.„     Dr.  Schulze,   Alfred,   Assistent   an  der  Königl.   Bibliothek. 
Berlin  NW.  6,  Albrechtstrafse  12 IV. 

„  Dr.  Schulze,  Georg,  Direktor  des  Königlichen  Französischen 
Gymnasiums.    Berlin  SW.  11,  Hallesches  Ufer  9 III. 


für  das  Stnrlinni  der  neueren  Sprachen.  143 

Herr  Dr.  Schwan,  Eduard,  Privatdozent  an  der  Universität.    Berlin 
C.  45,  Hausvogteiplatz  5. 

„     Dr.  Sohrauer.   Berlin  N.  24,  Elsassersti'afse  41 III. 

Dr.  Tano^er,  G.,  Ordentlicher  Lehrer  an  der  Luisenstädtischen 
Oben'ealschide.  Berlin  80.16,  Kaiser-Franz-Grenadier- 
Platz  811. 

„     Dr.  Tob  1er,   A.,   Professor   an   der  Univer.sität,   Mitglied  der 
Akad.  der  Wissenschaften.    Berlin  W.  62,  Schillstr.  1 1 II. 

„     Dr.  Ulbrich,   O.,  Rektor  der  II.  städtischen  höheren  Bürger- 
schule.   Berlin  N.  37,  Prenzlauer  Allee  .')  part. 

„     Dr.  Vatke,  Th.    Gr. -Lichterfelde.  Augustaplatz. 

„     Völckerling,    Oberlehrer   an   der  Charlottenschule.    Berlin 
W.35,  Steglitzerstrafse  29. 
Dr.  W a  e  t z  o  1  d  t,  St.,  Direktor  der  Königl.  Elisabethschule,  Pro- 
fessor an  der  Universität.  Berlin  SW.  12,  Kochstrafse  65 1. 

„     Dr.  W  e  i  d  1  i  n  g.    Berlin  SW.  1 1 ,  Dessauerstrafse  1 4. 

„     Dr.  AVer n er,  R.,   Ordentlicher  Lehrer  am   Luisenstädtischen 
Realgymnasium.    Berlin  SW.  11,  Hallesches  L^fer  26. 

„      Wetzel,   E.,   Oberlehrer   an   der  Luisenschule.     Berlin  N.  4, 
Chausseestrafse  2fIII. 

,,     Wetzel,  E.,    Ordentlicher    Lehrer    am    Dorotheenstädtischen 
Realgymnasium.    Berlin  SW.  48,  Puttkamei'strafse  10 II. 

„     Wetzel,   K.,    Ordentlicher   Lehrer    an    der   Charlottenschule. 
Berlin  W.35,  Potsdamerstrafse  83 III. 

„     Dr.  Wüllenweber,  Walther.    Berlin  C.  22,  Liuienstrafse  88. 
Dr.  Zupitza,  J.,  Professor  an  der  Universität.  Berlin  SW.  11, 
Kleinbeerensti'afse  7 III. 

C.    Korresjjondierende  Mitf/lieder. 

Herr  Dr.  Andresen,  H.  G.,  Professor  an  der  Universität.    Bonn. 
„     Dr.  Bauart,  P.,  Lissabon. 
„     Dr.  Beegemann,  Direktor.    Rostock. 

,,     Boyle,  G.,  Professor  an  der  Vereinigten  Ingenieur-  und  Ar- 
tillerieschule a.  D.    Oranienburg. 
„     Dr.  Brenn  ecke,  Professor.    Realgymnasium.    Elberfeld. 
„     Dr.  Claufs,  Professor.    Stettin. 
„     Dr.  Düntzer,  H.,  Professor,  Bibliothekar.    Köln. 
^     Dr.  F  ö  r  s  t  e  m  a  n  n ,  Direktor  der  Königl.  Bibliothek.    Dresden. 
„     Dr.  Fricke,  W.,  Rektor  a.  D.    AViesbaden. 
„     Dr.  Pritsche,  H.,  Realschuldirektor.    Stettin. 
„     Dr.  Gaertner,  Oberlehrer.    Bremen. 
,,     Dr.  Ganter,  Professor.    Stuttgart. 
,,     Gerhard,  Legationsrat.    Leipzig. 
Dr.  Gutbi  er,  Professor.    München. 


111  Mitf^li<'(ler-V(M-/,ci('|iiiis  der   PxTliricr  fiospllscliaft  etc. 

Herr  J)r.  II  a  r1  u  n  i^,  Oberlehrer.    Wittstock. 

„     Dr.  II  a  u  s  k  11  e  c h  t ,  Professor.    Tokio,  Japan. 

„      Dr.  Hol  seh  er,  Professor  a.  D.     Herfoirl. 

„     Dr.  Holzamer,  Jose])li,  l*rofessor  an  der  l'iiivcrsiiäf.    Prag. 

„     Dr.  Holzapfel,  Direktor.    Magdeburg. 

,,     Dr.  Hüser,  Direktor  a.  D.    Asohersleben. 

„      H  u  111 1)  (3  r  t ,  ( ■.,  ( )berlehrer.    Bielefeld. 

Dr.  Ihne,  Willi.,  Professor  an  der  I^niversität.    Heidelberg. 

Dr.  Kelle,  l^rofessor  an  der  Universität.     Prag. 

Dr.  Kufal,  W.,  Professor.     Antwerpen. 
„     Dr.  L  a  c  r  0  i  X ,  Leon.    Ägypten. 
„     M  a  d  d  e  11 ,  Edw.  Cuniniiiig.    London. 
,,     Dr.  M  0  ni  m  s  e  ii ,  Tyclio,  Professor,  Direktor  a.  D. 
,,     Dr.  Muquard,  J.,  Professor  am  College.     Boulogne-sur-mer. 
,.     Dr.  Nähert,  Professor.    Frankfurt  a.  M. 

Nagele,  Anton,  Professor.    Marburg  (Steiermark). 
„     Dr.  Neubauer,  Professor.    Halle  a.  S. 
„     Dr.  Ritz,  Oberlehrer.    Bremen. 
„     Dr.  Sachs,  C,  Professor.    Brandenburg. 
„     Dr.  Sanders,  D.,  Professor.    Alt-Strelitz. 
,,     S  a  V  i  n  i ,  Emilio,  Prof essor.    Turin. 

Dr.  Scheffler,  W.,  Professor  am  Pol}i.echnikuni.    Dresden. 
.,     Schulz,  A.  (San-Marte),  Geh.  Regierungsrat.    Magdeburg. 

Schwob.- Dolle,  Professor.    Gotha. 
„     Dr.  Sievers,  F.,  Professor  am  Gymnasium.    Gotha. 
^     Dr.  Sommermeyer,  Aug.,  Braunschweig. 
,,     Dr.  Soiinenburg,   R.,  Direktor  des  Realgymnasiums.    Lud- 
wigslust. 
„     Dr.  Steudener,  Professor.    Rofsleben. 
„     Dr.  Sy,  L.-Ph.,    Professor    am    Polytechnikum,    Geh.    Hofrat. 

Braunschweig. 
,,     Dr.  Wag  1er,  Oberlehrer  am  Gymnasium.    Landsberg  a.  W. 
,,     Dr.  Wiedmeyer,  Professor.    Stuttgart. 
„     Dr.  Wilmanns,  Professor  an  der  Universität.    Bonn. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

J.  A.  I^yttkens  et  F.  A.  Wiilif:  Compte-rendu  sommaire  d'une 
traoscription  phon^tique  oifert  an:i^  membres  du  VITI'"  Con- 
gi-es  des  Orientalistes,  Stockholm,  Sept.  1889.  Stockholm, 
Impr.  centrale  1889.     12  S. 

Da  das  überlieferte  lateinische  Alphabet  nicht  ausreicht,  die  verschie- 
denen Sprachen  lautgetreu  darzustellen,  so  hat  man  seit  der  Zeit  von 
Ludolf,  J.  Wilkins,  Meninski,  Leibniz  Versuche  gemacht  zu  einer  Er- 
gänzung desselben  teils  durch  Bildung  neuer  Buchstaben,  teils  durch 
Einführung  von  Digraphen,  teils  durch  Anwendung  von  diakritischen 
Nebenzeichen,  unter  welchen  in  neuester  Zeit  namentlich  ein  Vor-  und 
Rückschiebungszeichen  hervorzuheben  ist.  Auf  dem  ■'>.  Orientalisten-Kon- 
gresse zu  Berlin  1881  hatte  der  Oxforder  Professor  des  Sanskrit  Monier 
Williams  die  allgemeine  Annahme  eines  Systemes  diakritischer  Zeichen 
empfohlen.  —  Die  Herren  Lyttkeus  in  Norrköping  und  Wulff  in  Lund, 
welche  durch  ihr  1885  erschienenes  Werk  Sreuska  spmkets  LJiid/äm  und 
andere  sich  daran  anschliefsende  Schriften  als  gründliche  Forscher  auf 
dem  Gebiete  der  Lautlehre  rühmlich  bekannt  sind,  empfehlen,  sich  im 
ganzen  an  die  von  H.  Sweet  eingeschlagene  Richtung  anschliefsend, 
eine  Ergänzung  des  lateinischen  Kursivalphabets  durch  Antiqua-  und 
durch  griechische  Buchstaben,  ferner  dadurch,  dafs  sie  die  Buchstaben 
teils  mager,  teils  fett,  teils  aufrecht,  teils  umgekehrt  gestellt  anwenden. 
Ihre  Tabelle  zeigt  so  108  alphabetische  Zeichen,  1:^.7  Konsonantenzeichen 
und  Gl  Vokalzeichen,  ohne  //  und  die  nasalen  Vokale  zu  rechnen.  Jedes 
dieser  Zeichen  hat  eine  feste,  auf  einer  genauen  Analyse  der  Artikulation 
gegründete  Bedeutung.  Wie  genau  die  Verfasser  in  dieser  Beziehung 
verfahren,  wird  aus  der  folgenden  Aufzählung  der  Artikulationen  der 
Konsonanten  hervorgehen.  Sie  unterscheiden  nach  dem  aktiven  und  pas- 
siven Organ:  I.  Labiales:  extralahiafes,  bilahialrs,  denfilabiaks.  11.  Äpi- 
falea:  pnrdentales,  postdcnfalc><,  suprudcniaks,  mcKniltutJcü.  III.  Prtf- 
dorsales:  ex/raalceolares,  pirealveolare^,  mcdioalreularcx,  postahrolares, 
cerebrales.  IV.  Mediodorsales:  prcrpalatules,  viediopalatales.  V.  Posf- 
dorsales:  postpalafaks,  vclares.     VI.  Radleales:  gafturales,  faucales. 

Neu  ist  dabei  die  Abteilung  der  ea-trolabt'ales.  bei  welchen  die  l'iiter- 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  lÜ 


14G  l>('iirtciliiii<iiii   un<l   kiir/.c  AM/.(.;ijr<'ii. 

lippe  ül)cr  die  OluTlij)]«'  in  die  Jlidic  goscliolxii  ist:  t-ine  Artikulation, 
weicht'  WuUr  iu  Spanien  viel  fach  bcobaclitct  hat.  In  betreff'  der  den- 
talen Frikativlaute  dürfte  für  uns  Deutsehe  folgendes  von  Interesse  sein. 
Die  im  gröfsereu  Teile  Deutschlands  übliche  Bildung  des  Vorlautes  im 
Anlaut  von  Wörtern  wie  dark,  spät  ist  von  den  Verfassern  als  prcedorsal- 
mcdioalreolar  bestimmt  und  durch  umgekehrtes  grieeh.  ^  bezeichnet,  unter- 
schieden einerseits  von  .s-  und  andererseits  von  unserem  gewöhnlichen  «. 
Dieselbe  Artikulation  findet  Wulfl'  in  seiner  Schrift  T^)i  rhajiitrc  pho- 
uetiqiie  aiKlcdfnisr  im  l'ortugiesischen  ihnafos,  nrredorcs).  Den  entsprechen- 
den stimmhaften  Laut  erkennt  Wulff'  im  portug.  desdr. 

Nach  der  Biegung  der  Zunge  unterscheiden  die  Verfasser  l.oiirexe 
und  konkave  Frikativlaute;  es  fragt  sich  aber,  ob  hier  nicht  noch  eine 
Zwischenstufe  mit  flacher  gerade  vorgestreckter  Zunge  anzusetzen  ist,.wit; 
solche  beim  engl,  fh  und  beim  deutschen  //  (Grimms  ahd.  mhd.  ge- 
schwänztes r.    des  Referenten  marginale  Artikulation)  vorkommt. 

Für  die  mouillierten  /  unterscheiden  die  Verfasser  ital.  yli  von  franz. 
/  mouälc  durch  mehr  nach  vorn  liegendes  aktives  und  passives  Organ; 
zwischen  beiden  soll  nach  Wulff  das  catal.  //  liegen.  Ahnlich  folgen 
sich  nach  Wulff  die  mouillierten   n :   ital.  bafjno,   port.   urhtho.  frz.  sifirip. 

Für  die  Vokale  berücksichtigen  die  Verfasser  die  Bewegungen  der 
Zunge  und  der  Lippen ;  sie  bieten  darin  manches  Neue  und  Eigentüm- 
liche. Zu  bemerken  ist  dazu,  dafs  die  Bewegungen  der  Lippen  keines- 
wegs als  vollständig  unabhängig  von  den  Bewegungen  der  Zunge  anzu- 
sehen sind,  doch  ist  der  dabei  waltende  organische  Eiuflufs  des  einen  auf 
das  andere  bisher  noch  nicht  genügend  festgestellt.  Zur  Unterscheidung 
der  steigenden  und  fallenden  Diphthonge  wenden  die  Verfasser  eine 
dahinter-  oder  davorgestellte  halbe  Parenthese  au. 

Die  /i-Laute  werden  als  eine  besondere  dritte,  weder  zu  den  Vokalen 
noch  zu  den  Konsonanten  gehörige  Lautklasse  hingestellt,  für  welche  das 
Zeichen  h  unverändert  beibehalten  ist.  Zu  dem  Alphabete  kommen  noch 
Nebenzeichen  für  die  musikalische  und  dynamische  Accentuation  und 
für  die  Quantität:  ein  Gebiet,  auf  welchem  die  Schweden  besonders  rege 
gearbeitet  und  auf  dem  die  Verfasser  eine  besondere  Meisterschaft  erlangt 
haben.  Die  dafür  gewählten  Zeichen  sind  umgekehrte  Interpunktions- 
zeichen. 

Die  Verfasser  meinen,  dai's  ihr  System  leicht  zu  erlernen,  leicht  zu 
lesen,  leicht  zu  schreiben  und  leicht  zu  setzen  sei.  Für  den  Satz  wird 
allerdings  dadurch  wesentlich  gewonnen,  dafs  mit  Ausnahme  etwa  von 
p,  d,  f»  nur  in  allen  Druckereien  vorhandene  Zeichen  angewandt  sind; 
im  übrigen  wird  dieses  Trausskriptioussystem,  wie  jedes  andere,  seine 
eigentümlichen  Schwierigkeiten  bieten,  und  es  fragt  sich,  ob  nicht  ein 
zweckmäfsig  ausgewähltes  System  diakritischer  Zeichen  doch  schliefslich 
die  Oberhand  behalten  werde.  Jedenfalls  sind  wir  den  Verfassern  für 
den  neuen  Beitrag  zur  Lösung  der  schwierigen  Aufgabe  zu  grofsem 
Danke  verpflichtet. 

Berlin.  G.  Michaelis. 


Beurteiluugt'u  und  kurze  Auzeigen.  147 

Otto  'Jespersen :  The  Articulations  of  Speech  Sounds  representecl 
bv  meaiis  of  Analphabetic  Symbols.  Marburg,  Ehvert,  1889i 
94  S. 

Die  bisher  aus  Licht  getretenen  Versuche,  auf  der  Physiologie  der 
Laute  beruhende  sogenannte  organische  oder  genetische  Schriftsystenie 
aufzustellen,  wie  solche  von  Brücke,  Merkel,  M.  Bell,  Eunipelt,  Tech- 
mer  gemacht  sind,  zeigten  dem  Verfasser  alle  verschiedene  Mängel,  und 
es  schien  ihm  keines  derselben  zu  einer  allgemeinen  Einführung  ge- 
eignet; er  hat  deshall)  versucht,  einen  neuen  Weg  einzuschlagen.  Der 
allgemeine  Gang  der  Schriftentwickeluug  ist  von  dem  Bilde  aus  zum 
Wortzeichen,  vom  Worte  zur  Silbe,  von  der  Silbe  zum  Laute  vorge- 
schritten. Die  Transskriptionssysteme  sind  im  allgemeinen  bei  der  Zerr 
legung  der  W^orte  in  die  einzelneu  Sprachlaute  stehen  geblieben.  Der 
einzelne  Sprachlaut  aber  ist,  vom  genetischen  Standpunkte  aus  betrachtetj 
noch  ein  kompliziertes  Produkt  verschiedener  Faktoren,  indem  eine  ßeihe 
von  Organen  zu  seiner  Erzeugung  zusammenwirkt.  Wir  haben  daher  als 
letzte  Elemente  der  Sprachanalyse  nicht  die  einzelnen  Laute  zu  betrach- 
ten, sondern  die  einzelnen  Faktoren,  durch  .welche  sie  gebildet  werden. 
'Elemmit  is  ttsed  in  tfm  paper  in  tlie  sense  of  the  aetion  of  one  .of.  th« 
Organs  that  coopercdc  to  produce  a  sonnd'  (§  17  ').  Während  die  verschie- 
denen stenographischen  Systeme,  um  für  ihre  Zwecke  die  nötige  Kürze 
zu  erreichen,  von  der  aliihabetischen  Buchstabenschrift  im  allgemeinen 
wieder  zu  syllabischeu  Bildungen  geschritten  sind,  indem  sie  den  Vokal 
mit  dem  Konsonanten  in  einem  Zeichen  darstellen,  ist  von  Jespersen 
der  Versuch  gemacht,  die  Lautanalyse  bis  an  ihre  letzten  Grenzen  zu 
verfolgen  und  vor  Augen  zu  führen.  Wie  der  Chemiker,  um  die  Zu- 
sammensetzung der  Stoffe  aus  ihren  Elementen  zu  bezeichnen,  aus  Buch- 
staben und  Ziffern  besteheude  Monogramme  verwendet,  so  sucht  Jespersen 
die  Sprachlaute  durch  Formeln  darzustellen,  welche  auf  die  letzten  Ele- 
mente ihrer  Bildung  zurückgehen.  'Wc  »i,nsf  in  fad  sipnbolixe  not  soiaids, 
imt  Clements  of  sounds'  {%  10).  Zu  diesem  Ende  weist  er  jedem  bei  der 
Artikulation  beteiligten  Organe  eine  bestimmte,  durch  einen  griechischen 
Buchstaben  bezeichnete  Linie  an.  So  bezeichnet  a  die  Lippen,  ß  die 
Zungenspitze,  ;/  den  Zungenrückeii,  S  den  weichen  Gaumen  mit  dem 
Zäpfchen,  e  den  Kehlkopf  mit  den  Stimmbändern,  c;  die  Atmungsorgane. 
Der  Zungenrückeu  hätte  doch  wohl  vielleicht  einer  weitereu  Einteilung 
bedurft.  Unterabteilungen  unter  den  drei  ersten  Linien  («,  ß,  ;.)  ent- 
stehen durch  die  verschiedenen  Artikulationsstellen,  welche  durch  kleine 
lateinische  Buchstaben  als  Exponenten  angegeben  worden,  der  Reihe  nach : 
labial  a,  b,  c:  a  ■=  the  outer  lip-jiosifion  (Ups  ponted),  b  =  fhr  ntiddlc  lip- 
position  (Ups  iteutralj,  c  -  tlic  inner  lip-i>ositinit  (li/)S  retracfcdj.  --  d:  inter- 
dental: —  r:  dental  or  postdental,  pIc.  —  Den  Abstand  des  aktiven  artiku- 
lierenden Organs  von  dem  passiven  zeigen  Ziflern  an,  die  arabischen  für 
die  Mitte  des  Muudes  (central  artictilation)  von  (i  an  für  die  VerschUii's- 
laute,  1,  2  . . .  für  die  verschiedenen  Grade  der  Entfernung;  die  römischen 

10* 


148  B('urt<'ihiii;r<'ii  iiiid  kiir/e  Aiizeigfn. 

zu  beiden  Seiten  (hiferol,  uliriiM'  nrthnUüion).  Wo  es  beiiueni  ist,  werden 
die  verschiedenen  IClemente  nicht  untereinander,  sondern  nebeneinander 
gesetzt.  So  erhalten  z.  B.  engl.  /,  il,  n  die  Formol:  .^H'  (§  G7);  frz.  s  (<;) 
in  solle,  chfcnre:  [lief  i%  f)ö);  engl.  *•  in  shillluy:  ßif'j  (§  90),  deutsch  « 
in  Schiller :  «.'>'"'  ßf  y>ffi  or  somcihinfß  likcthat ;  ^rncke%  s:  fli  ;'2</C§97). 
Der  Verfasser  führt  uns  dabei  gelegentlich  einen  neuen  eigentümlichen 
Zischlaut  vor:  'The  most  adrauced  s-smind  in  3ii>:  fhis  isthe'agTaa'  nhich 
('hareiicey  hos  found  in  sonie  Avmrlcan  hngxage  and  uhich  'tie  pranonce 
la  langne  entre  fes  dents  et  tmichaid  de  sa  prmifc  In  lerre  siiperienre' ' 
(§  98).  —  Die  Vokale  sind  eingeteilt  in  higli  roucls,  mid  rmmls  und  Ion- 
eoivels.  Der  Vokal  i  (frz.  fmij  z.  B.  hat  die  Formel  « I '•  ße  /3?/  oder 
3/?  (§  116).  Dazu  kommt  für  alle  oralen  Vokale  A'O  ti.  Das  nasale 
frz.  d  =r  an  ist:  «8'"^  ßg  y>'''ij  ^'^  «'  (§  109).  Das  glottidale  Element 
des  k  ist  e2  (§  110).  Auf  die  vielfachen  Detailbestimmungen  über  die 
Konstruktion  der  Formeln  kann  ich  indes  hier  nicht  eingehen.  Das  ganze 
System  der  neuen  Bezeichnung  hat,  wie  schon  aus  den  angeführten  Bei- 
spielen hervorgehen  wird,  offenbar  nicht  den  Zweck  einer  praktischen 
Transskriptionsmethode,  sondern  den  eines  Hilfsmittels  zur  Veranschau- 
lichung und  zu  einer  theoretischen  Verständigung  über  das  Zusammen- 
Avirken  der  verschiedenen  Faktoren  zur  Erzeugung  der  einzelnen  Laute 
(vgl.  §  12).  Zu  diesem  Zwecke  mufste  aber  das  ganze  System  der  Sprach- 
laute einer  sorgfältigen  Analyse  unterworfen  werden.  Die  Sprachforscher 
werden  zwar  ihre  bisherigen  Sv'steme  der  Transskription  ruhig  weiter  ver- 
folgen, sie  werden  aber  aus  der  genauen  Auseinanderleguug  der  einzelnen 
Lautfaktoren,  wie  sie  Jespersen  vorführt,  manche  nützliche  Anregung 
gewinnen.  Die  Bedeutung  des  Werkes  beschränkt  sich  so  keineswegs  auf 
das  neue  Bezeichnungssystem,  sondern  geht  wesentlich  weiter.  Der  Ver- 
fasser geht  auf  viele  für  die  Lautbildung  in  Betracht  kommende  Fragen 
ausführlich  ein,  unterwirft  die  Ansichten  seiner  Vorgänger  einer  sorg- 
fältigen und  genauen  Kritik  und  nimmt  zu  denselben  Stellung.  Beson- 
ders hervorzuheben  ist  seine  Auseinandersetzung  über  die  Vokalsysteme 
von  Bell -Sweet,  Ellis,  Techmer  u.  a.  Es  werden  liier  vielfach  neue 
Gesichtspunkte  geltend  gemacht;  so  ist  z.  B.  mit  Kecht  darauf  hinge- 
wiesen, dafs  wegen  der  eigentümlich  gekrümmten  Form  des  Gaumen- 
daches der  höchste  Punkt  der  Zunge  nicht  immer  identisch  ist  mit  dem 
dem  Gaumen  nächsten.  Sehr  gründlich  ist  die  tenuis-media-Frage  be- 
sprochen. Der  Verfasser  zeigt  sich  überall  als  ein  feiner  Beobachter,  und 
wir  können  nur  wünschen,  dafs  seine  scharfsinnigen  Ausführungen,  deren 
nähere  Auseinandersetzung  wir  indes  den  speciellen  Fachblätt^m  über- 
lassen müssen,  aufmerksame  Leser  finden  und  dazu  mitwirken  mögen, 
dals  die  Gegensätze,  welche  noch  in  der  Auffassung  des  Lautsystems 
vorhanden  sind,  sich  immer  mehr  ausgleichen. 

Dankenswert  und  willkommen  ist  auch  der  Anhang,  welcher  eine 
Zusammenstellung  der  Terminologien  der  verschiedenen  neueren  Pho- 
netiker giebt.  Dafs  ein  Bedürfnis  vorliegt,  hier  auf  eine  Einigung  hin- 
zuarbeiten, wird  wohl  allgemein  zugestanden  werden;   vor  allem  ist,  wie 


Beurteiluugen  und  kurze  Anzeigen.  149 

auch  der  Verfasser  bemerkt,  zu  wünschen,  dafs  der  Mifsbrauch,  welcher 
mit  dem  Worte  gitttural  noch  immer  getrieben  w-ird,  recht  bald  beseitigt 
werde. 

Berlin.  G.  Michaelis. 

Über  die  Bildung  der  Begriffe,  eiu  etvinologi.sch  -  vergleichendes 
Wörterbuch  aus  allen  Sprachgebieten  von  Aug.  v.  Edlinger. 
1.  Lieferung  (A).  Mit  einem  Anhang:  1)  Beiträge  zur  deut- 
schen Etymologie.  2)  Zur  Frage  über  den  Ursprung  der 
Sprache.     München,  L.  Finsterlin,  1889.     72  S.  8. 

Herr  Aug.  v.  Edlinger  hat  188(J  eiu  Büchlein  herausgegeben,  Erklä- 
rung der  Tiernamen  aus  allen  Sprachgebieten,  ein  vergleichendes  Tier- 
wörterbuch, wie  es  genannt  wurde,  das  sich  guter  Aufnahme  erfreut  und 
den  Verfasser  'ermutigt'  hat,  weiter  auszuschreiten  und  'eine  allgemeine 
sprachgeschichtliche  Darstellung  sämtlicher  in  die  Urzeit  des  Menschen- 
geschlechts reichender  Begriffe,  insbesondere  der  Tier-,  Pflanzen-  und 
Mineralbezeichnungen  und  ähnlicher  Kulturbegriffe'  in  Wörterbuchform 
zu  geben.  Wir  erhalten  in  dem  ersten  Hefte  eine  Sammlung  mit  a  an- 
lautender Worte,  die  grölstenteils  der  Tier-  und  Pflanzenwelt  angehören. 
Dazwischen  kommen  Worte  wie  ahnen,  Hknlkh,  ändern,  anfmujen,  ange- 
nehm, antworten,  auf,  aus,  Aussat:,  vor,  von  denen  man  zweifeln  darf, 
dafs  sie  sämtlich  Urbegriffe  der  Menschheit  ausdrücken.  Auch  die  auf- 
genommeneu Tiernamen  (z.  B.  Arniadülj  bezeichnen  nicht  durchaus  die 
ältesten  Wesen  ihrer  Wesenreihe.  Unter  den  einzelnen  'Begriffen'  nun 
werden  aus  den  Sprachen,  die  dem  Verfasser  erreichbar  waren,  die  ver- 
wandten Worte  aufgeführt.  Mit  Vorliebe  sammelt  er  tinuisch-türkische, 
indem  er  die  türkischen  Sprachen  für  Verwandte  der  indogermanischen 
hält.  Er  behauptet  damit  etwas,  das  erst  erwiesen  werden  müfste;  vor- 
läufig mag  er  einfache  Verwerfung  seiner  Behauptung  hinnehmen.  Seine 
Etymologien  sind  bei  der  Buntheit  seines  ^Materials  oft  selber  recht  bimt. 
Man  sehe  sich  nur  den  Artikel  Halm,  Henne,  Huhn  (S.  45)  an,  oder  den 
Artikel  Elf  (^.  41)1  Ich  glaube  auch,  dafs  jedem,  der  den  Anhang  11 
zu  lesen  versucht,  es  wie  dem  Referenten  ergehen  wird,  dem  Mühlräder 
durch  seinen  Kopf  zu  gehen  begannen. 

Berlin.  Karl  Weinhold. 

Georg  Wagner:  Streifzüge  in  das  Gebiet  der  deutsclien  Spraclic. 
Eine  Zusammenstellung  deutscher  Wortfamilien.  Hamburg, 
Meilsner,  1889.     IV  u.  844  S.  8. 

Das  vorliegende  Buch  wendet  sich  an  Uugelehrte.  Sein  Verfasser 
schreibt  griechische  Wörter  mit  lateinischen  Buchstaben  und  erklärt  mit 
Vorliebe  Fremdwörter,  welche  den  Stempel  ihrer  Herkunft  aus  dem 
Griechischen  und  Lateinischen  an  der  Stirue  tragen.  Er  gesteht  auch 
selbst,   keine  gelehrten  Forschungen   angestellt,  sondern   nur  die  Funde 


l.'iO  BoiivtoiIuiij.''''H  und  kurze  An/oijrf-n, 

henifciior  Forscher  vereinijrt  zu  liii])on.  Er  ordnet  eine  Anzahl  Sippen 
deutscher  imd  entlehnter  W<')rter  alphabetisch  und  erläutert  sie  nach  Ab- 
stammung, Verwandtschaft  und  Bedeutung.  Vorausgeschickt  sind  Be- 
merkuügen  über  den  Bau  und  die  Entwickelung  der  Sprachen  im  allge- 
meinen und  der  germanischen  und  hochdeutschen  im  besonderen,  sowie 
über  Fremd-  und  Lehnwörter.  Der  Verfasser  steht  hier  zum  Teil  atif 
veraltetem  Standpunkt,  der  sich  auch  darin  zeigt,  dafs  er  die  Verbal- 
formen noch  für  die  Quellen  der  Noniinalbildungen  hält,  und  auch  sei- 
nen Etymologien  ist  nicht  überall  zu  trauen.  Landläufige  Bücher  wie 
Pauls  Principien  der  Sprachgeschichte,  Behaghels  Deutsche  Sprache,  ja 
selbst  Kluges  Etymologisches  Wörterbuch  scheinen  ihm  unbekannt  ge- 
blieben zu  sein,  denn  sonst  würde  er  wohl  nicht  das  Orimmsche  und 
Weigandsche  Wörterbuch  gerade  als  etymologische  Hilfsmittel  nennen: 
nach  dieser  Richtung  genügt  weder  Weigand  mehr,  noch  die  älteren 
Bände  des  grofsen  Deutschen  Wörterbuches.  Immerhin  hat  der  Verfasser 
mit  Fleifs  und  Neigung  für  seine  Muttersprache  gearbeitet  und  deshalb 
soll  ihm  der  Dank,  der  allen  denen  gebührt,  Avelche  die  Liebe  zu  ihr 
und  ihr  Verständnis  zu  fördern  bestrebt  sind,  nicht  vorenthalten  werdefi. 
Berlin.  Max  Roediger. 

Sparren,  Späne  und  Splitter  von  Sprache,  Sprüchen  luid  Spielen 
aufgelesen  im  Ahrthal  von  Dr.  P.  Joerres^.    Ahrweiler,  Bonn, 

1889.     42  S.  8. 

Reste  des  einst  grünenden  Baumes  des  rheinischen  Volkslebens  in 
Sprache,  Sprüchen  und  Kinderspielen  versteht  der  Verfasser  des  Büch- 
leins unter  den  Sparren,  Spänen  und  Splittern.  Er  ist  kein  Sprach- 
gelehrter, und  seine  sprachlichen  Anmerkungen  sind  ganz  dilettantisch. 
Dankbarer  kann  man  für  das  im  zweiten  und  dritten  Abschnitt  Gesam- 
melte sein.  K.  Wd. 

Dr.  Rudolf  Schachinger:  Die  Kongruenz  in  der  niittelhöchdeüt- 
sehen  Sprache.  Wien,  A.  Holder  in  Komm.,  1889.  YIII  u. 
114  S.  gr.  8.     M.  3,60. 

Zum  Gedenktage  des  achthundertjährigen  Bestehens  der  ehrwürdigen 
und  berühmten  Benediktinerabtei  Melk  in  Niederösterreich  hat  der  Herr 
Verfasser  der  oben  genannten  Schrift  ihrem  Abt  sein  .splendid  gedrucktes 
Heft  dargebracht.  Der  Titel  wrd  erst  aus  den  Überschriften  der  Abschnitte 
deutlich,  welche  die  Kongruenz  des  Genus,  des  Numerus,  des  Kasus  be- 
handeln. Darin  hat  der  Herr  Verfasser  zu  Regeln,  die  bereits  von  Jakob 
Grimm  und  Paul  aufgestellt  und  mit  Beispielen  belegt  waren,  eine  wei- 
tere grofse  Zahl  von  Belegen  zusammengetragen,  meist  ZutrefTendes,  wenn 
auch  nicht  immer.  So  konnte  z.  B.  in  dem  S.  17  angeführten  Satz  aus 
dem  Gregorius  ev  ivas  ein  sim,  (kix  si  gebar  sich  das  Pronomen  ver- 
nünftigerweise gar  nicht  nach  sun  richten.    Gebar  «ie  einen  der,   so  war 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  151 

er  selbstverständlich  ein  Soliu,  und  nur  wenn  der  Dichter  allgemein  von 
'einem  Wesen'  (dax)  sprach,  durfte  und  mufste  er  eine  Erläuterung  geben. 
Ebensowenig  liegt  'eine  Vernachlässigung  der  Kongruenz  im  Genus'  vor 
(ebenda)  in  Sätzen  wie  dax  /ras  von  Troneje  Hatjcnc.  da;,  waren  xtcenc 
künege :  der  Hinweis  ist  mit  Absicht  unbestimmt  gehalten  und  soll  im 
Folgenden  erst  präcisiert  werden,  oder  die  Beschreibung  ging  schon  voran 
und  da%  fafst  nur  zusammen  und  nimmt  von  neuem  auf,  wie  z.  B.  in 
der  nerde  dax  sl  Daxcwart  oder  der  iu  nicere  lyritiget,  dax  bin  ich  (S.  19), 
wo  au  französischen  Einflufs  mit  Wilmanus  nicht  zu  denken  ist;  man 
erinnere  sich  nur  des  analog  gebrauchten  .so.  S.  20  spricht  der  Herr 
Verfasser  ganz  richtig  vom  'unbestimmt  gesetzten  Neutrum  des  Demon- 
strativs', welches  aber  nicht  nur  'bei  Aufzählung  von  Eittern',  sondern 
von  Menschen  überhaupt  angewandt  werden  kann.  Bei  den  Beispielen 
dex  sehste  was  Kdlogreaut  u.  s.  w.  hätte  er  des  süddeutschen  eins  statt 
eine»'  und  solcher  Fälle  gedenken  sollen,  wie  er  sie  S.  45  f.  giebt.  In  den 
Versen  ex  leit  Jäh  (nicht  lob)  .  . .  den  sicehtnom  imd  die  smaeJieit,  die  er 
von  der  werlte  leit  kann  der  Relativsatz  lediglich  zu  smdcheit  gehören 
(8.  ol).  Kudrun  701,  4  dö  siijen  allenthalben  HerwUjes  helfe  xna  mufs  ich 
helfe  für  einen  Singular  halten  (S.  59).  Ein  sehr  merkwürdiges  Beispiel 
aus  dem  Parzival  hat  sich  der  Herr  Verfasser  da,  wo  er  von  singularischen 
Zahlsubstantiven  mit  dem  Gen.  Plur.  und  Verbum  im  Plural  redet 
(S.  76  fF.),  entgehen  lassen,  nämlich  18,  20  xa-elf  wol  (/ehorner  Idnde  riten. 
wo  xwelf  substantivisch  gebraucht  ist,  gewissermafsen  als  'Dodekade'. 
Gr.  4,  198  ist  der  eigentümliche  Fall  nicht  richtig  erkannt  und  unter- 
gebracht. Iw.  o090  auch  näht  im  bcese  nuere  soll  im  Anschluls  an  Gr.  4, 
197  nach  S.  82  bei  einem  Subst.  iui  Plur.  ein  Verbum  im  Sing,  stehen. 
boese  ist  aber  die  unflektierte  Form  des  Singulai's.  B.  102  dem,  sol  ex  allex 
dienen,  die  Hufe  und  onch  diu  lant  soll  einen  'gewagten'  Singular  ent- 
halten. Nur  einen  vorläuligeu,  der  nachher  erst  seinen  Inhalt  bekommt! 
Die  Panische  'Eegel  S.  107,  Nr.  ">  hätte  der  Herr  Verfasser  nach  den 
angeführten  Beispielen  dahin  präeisiereu  können,  dals  das  Subjekt  im 
Singular,  welches  eine  pluralische  Kopula  in  Anlehnung  an  ein  plura- 
lisches Prädikat  erträgt,  ein  neutrales  Pronomen  sein  muls  (z.  B.  dax  du 
die  tumben  waren,  die  sint  ...).  Findet  er  derartiges  'noch  bei  Lessing', 
sieht  also  die  Worte  E'^  /raren  wohl  alles  ihre  y/iten  Fron/de'^  für  eine 
Altertümlichkeit  au,  so  möchte  ich  wissen,  wie  er  sich  auch  heute  noch 
anders  ausdrücken  will?  S.  108:  Walther  51,  :!1  im  Streite  der  Blumen 
imd  des  Klees  d/j  bist  kurxer,  ich  bi/i  Im/ijer  halte  ich  Komparative  der 
Situation  nach  für  ungleich  wahrscheinlicher  als  flektierte  Positive.  Da- 
gegen braucht  mau  Walther  15,  82  sleld  ////d  ebe//er  daitne  ein  xein  so 
wenig  die  Komparativendung  bei  sieht  für  erspart  anzusehen  als  im  Parz. 
57,  18  7/'/:;  '/ind  s/rarxrr  /'anve  er  sche/'n  die  Flexion  bei  w/x  (S.  114). 
Bekannt  sind  thatsächliclie  Ersparuugeu  der  Art  besonders  aus  Goethe-s 
Lyrik. 

Eine  Bereicherung   luiseres  Wissens    verdanken    wir  dem   Herrn  Ver- 
fasser nur  bezüglich  des  verbalen  Numerus   bei  mehreren  Subjekten  von 


152  ßeiirteilungcn  uml  kiirzo  Anzeigen. 

gleichem  oder  gemischtem  XuiTieius  (vS.  8()— 102),  wo  er  über  Gr.  1,  l!>8  ff. 
liinausgekommen  ist.  Bei  mehreren  Subjekten  im  Singular  steht  gewöhn- 
lich auch  das  Verbum  im  Singular,  im  Plural  meist  nur,  wenn  die  Aus- 
sage den  Su})jekten  nachfolgt  (S.  90).  Bei  zwei  Subjekten,  wovon  eins 
Singular,  das  andere  Plural,  braucht  man  den  Singular  des  Verburas 
namentlich  da,  wo  das  Verbum  dem  singnlarischen  Subjekt  zunächst 
steht  (S.  102).  Für  die  ausgedehnte  Lektüre  des  Herrn  Verfassers,  der 
nur  die  mhd.  Prosa  mehr  hätte  berücksichtigen  sollen,  ist  dies  Ergebnis 
winzig,  und  ich  bedaure,  dafs  er  seinen  Fleifs  nicht  an  ein  lohnenderes 
Problem  der  Syntax  gesetzt  hat. 

Berlin.  Max  Roediger. 


Zur    Kritik    des    Küreuberger.s.      Von    J.    Hiu'ch.      Liuz    1889. 
4.3  S.  8. 

Im  Frühjahr  1S89  veröflentlichte  ein  bekannter  Forscher  in  oberöster- 
reichischer Geschichte,  Herr  J.  Strnadt,  eine  Schrift:  'Der  Kirnberg  bei 
Linz  und  der  Kürenberg-Mythus.  Ein  kritischer  Beitrag  zu  Minnesangs- 
Frühling  (Linz  1889).'  Mit  reichlichem  Pathos  und  Herbeiziehung  von 
urkundlichem  Material  suchte  der  Verfasser  zu  erweisen,  dafs  die  ritter- 
lichen Kürnberger,  die  im  12.  .Jahrhundert  genannt  werden,  entweder 
nach  Altötting  am  Inu  oder  nach  Kürnberg  an  der  Mank  in  Niederöst^r- 
reich  gehören;  dals  es  in  Oberösterreich  ein  ritterliches  Geschlecht 
von  Kürnberg  nie  gegeben  habe  und  dafs  das  Schlofs  Kürnberg  bei  Linz 
von  einem  Herrn  von  Traun  erst  am  Anfang  des  lo.  Jahrhunderts  erbaut 
worden  sei.  Der  Liederdichter  von  Kürenberg  sei  fortan  nicht  mehr  in 
Oberösterreich  zu  suchen ;  wahrscheinlich  gehöre  er,  wie  schon  v.  d.  Hagen 
angenommen,  der  Breisgauer  edlen  Familie  au.  Es  war  begreiflich,  dafs 
die  Oberösterreicher  sich  diese  Beraubung  nicht  ohne  Widerspruch  bieten 
lassen  würden,  zumal  nicht  allein  der  alte  Liedersänger,  sondern  zugleich 
der  Dichter  des  Nibelungenliedes  nach  mancher  Meinung  aus  der  Reilie 
ihrer  Landsleute  damit  gestrichen  wurde.  Diesen  Widerspruch  erhebt 
nun  in  der  vorliegenden  Schrift  ein  junger  studiosus  philologiae,  eigentlich 
wohl  histori»,  da  er  selbst  einräumt,  auf  dem  Gebiete  der  germanischen 
Philologie  nicht  recht  zu  Hause  zu  sein,  was  wir  ihm  gern  glauben. 
Herr  Hurch  zeiht  nun  Herrn  Strnadt  ungründlicher  Benutzung  der  L^r- 
kunden  und  höchst  gewagter  Denkoperationen  und  führt  aus,  dafs  weder 
in  dem  Kirnberg  bei  Altötting  noch  in  dem  an  der  Mank  jemals  ritter- 
liche Leute  gesessen  haben,  dafs  es  dagegen  im  12.  Jahrhundert  ein  ade- 
liges Geschlecht  in  Oberösterreich  gab,  die  Herren  von  Traun,  die  sich 
auch  nach  dem  Kürenberg  bei  Linz  nannten,  auf  dem  sie  seit  alter  Zeit 
eine  Burg  besafsen.  1206  ist  dieselbe  urkundlich  bezeugt.  Da  aber  die 
Anlegung  neuer  Burgen  weder  im  Anfang  des  1?>.  noch  in  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  nach  den  Landesgesetzen  unter  den  Bedin- 
gungen gestattet  war,  die  sich  für  die  Burg  Kürnberg  ergeben,  so  mufs 
dieselbe  schon  weit  früher  bestanden  haben. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  153 

Wir  werden  Herrn  Hurch  in  seiner  historischen  Polemilc  gegen  Herrn 
Strnadt  beipflichten  dürfen.  Seine  Ausflüge  auf  das  litterarhistorische 
Feld  wären  besser  unterblieben. 

Berlin.  Karl  Weinhold. 

Zum  Rosengarten.    Untersuchung  des  Gedichtes  11  von  Dr.  Georg 
Holz.     Leipzig,  Fock,  1889.     151  S.  8. 

Eine  gründliche  und  sorgfältige  Untersuchung  des  handschriftlichen 
Materials  der  Klasse  II  (W.  Grimm  D)  des  Gedichts  vom  Rosengarten 
zu  dem  Zweck  geführt,  durch  die  textkritische  Prüfung  der  Überlieferung 
eine  sichere  Grundlage  für  die  Ausgabe  dieses  Textes  zu  geben.  Zu  diesem 
Zweck  wird  das  Material  vorgelegt,  in  Klassen  geordnet,  das  Verhältnis 
derselben  zueinander  geprüft  und  alsdann  jede  Redaktion  im  einzelnen 
genau  durchgegangen.  Es  ergiebt  sich,  dai's  IIa,  die  ausführlichere 
Recension,  auf  Grundlage  der  Handschrift  b  (Grimm  Dd)  unter  Herbei- 
ziehung von  s  (Grimm  Db)  und  h  (Grimm  Da)  in  der  Ausgabe  wieder- 
zugeben ist.  K.  Wd. 

Friedrichs  des  Grofsen  Schrift  über  die  deutsche  Litteratur.  Von 
Beruhard  Suphau.     Beriin,  W.  Hertz,  1888. 

Man  möchte  erst  vermuten,  wieder  erhielten  wir  eine  heftige  Gegen- 
schrift gegen  die  Schrift  des  grofsen  Königs  oder  eine  Untersuchung  nach 
dem  Woher?  und  Inwiefern?  Wie  angenehm  täuscht  der  Titel!  Weit, 
weit  mehr  bietet  uns  aus  dem  reichen  Schatze  seines  durch  bisher  unbe- 
kannten Stoff  vermehrten  Wissens  mit  fesselnder  Kombination  der  Ver- 
fasser; aus  dem  engen  Berliner  Kreise  treten  wir  heraus,  halten  Rund- 
schau im  ganzen  Deutschland,  vom  höchsten  Punkte  aus  übersehen  wir 
die  ganze  Bewegung,  die  die  Schrift  des  Königs  hervorgerufen  hat,  aber 
immer  Avieder  haftet  der  Blick  auf  dem  geistigen  Mittelpunkte  Deutsch- 
lands, auf  Weimar,  auf  der  Person  Goethes.  Das  nicht  umfangreiche 
Buch  bedarf  nicht  der  Empfehlung;  sowie  man  zu  lesen  angefangen  hat, 
bleibt  man  von  Anfang  bis  zu  Ende  gefesselt,  kann  sich  nicht  losreifsen 
und  sagt  am  Schlüsse  für  die  Fülle  der  Belehrung  dem  Verfasser  Dank. 

Möge  die  Hoffnung  desselben,  dals  Goethes  auf  die  Schrift  des 
Königs  sich  beziehende  Schrift  noch  irgendwo  aufgefunden  werde,  in  Er- 
füllung gehen!  Wo  ihrer  Erwähnung  geschieht,  verfolgt  der  Verfasser 
sorgfältig.  Von  Anfang  1781  an  unmittelbar  nach  Erscheinen  des  fran- 
zösischen Buches  lesen  wir  von  ihr,  zuerst  in  Goethes  Tagebuch ;  die  Ge- 
sprächsform hatte  der  Dichter  gewählt.  Noch  jetzt  ist  die  Schrift  des 
Königs  beherzigenswert,  sie  war  es  um  so  mehr  damals ;  Friedrich  ist 
keineswegs  nur  ein  kleinlicher  Tadler,  er  weissagt  der  Sprache  und  Litte- 
ratur seines  Volkes  eine  grofse  Zukunft,  Beachtung  von  dem  Auslande: 
seine  Prophezeiung  h.it  sich  glänzend  erfüllt.    Mit  vielen  Gedanken  seiner 


IT)!  I')CUii('iIiinL''cii    lind   kurze  Aiizrigcn. 

Kegieruiig  aiit  die  Wisseuschfiften  und  der  Wissenschaftien  auf  flic  Kcgie- 
rung,  schon  176(5  seine  Sclirift  über  die  neuere  deutsche  Litteratur;  nun 
war  auch  Wielauds  Ohcron  erschienen.  Goethe,  Herder,  Wielaud  waren 
vom  Könige  nicht  beachtet,  sie  waren  verstimmt.  Der  Hof  in  Weimar 
war  fritziscli  gesinnt,  wie  <]er  von  Brauiiscliweig;  auf  liestelhing  schrieb 
hier  Jerusalem  seine  Verteidigungsschrift  'Über  die  teutsche  Sprache  und 
Litteratur'  17(il,  höflich,  aber  matt;  Goethe  und  Herder  spielen  bei  ihm 
keine  Rolle.  Goethe  hatte  sein  Gespräch  handschriftlich  auch  nach  Gotha 
an  den  Hof  geschickt;  Prinz  August  von  Gotha  hat  Ende  1780,  wie  wir 
hier  erfahren  aus  einem  der  vielen  noch  ungedruckten  Briefe  an  Herder, 
obschon  er  es  noch  nicht  gelesen,  die  VeröfTentlichung  für  unzweckmäfsig 
gehalten;  Goethe  ist  dem  Rate  gefolgt;  er  ist  zurückhaltender  geworden 
tind  hat  den  König  nicht  verkannt. 

Die  Handschrift  aber  war  in  vielen  Händen  gewesen,  bei  Frau  von 
Stein,  der  Herzogin,  Knebel,  Herder,  aus  dessen  ungedruckten  Briefen 
es  dem  Verfasser  gelingt,  manches  von  der  Schrift  zu  rekonstruieren, 
dafs  sie  nämlich  ein  heiteres  Gespräch  in  einem  Frankfurter  Gasthofe 
war;  den  ursprünglichen  Plan,  ein  zweites  Stück  folgen  zu  lassen,  gab 
Goethe  auf. 

Wie  aber  weiterhin  das  Buch  des  Königs  wirkte,  darüber  macht  der 
Verfasser  meist  aus  ungedruckteu  Briefen  die  interessantesten  Mittei- 
lungen :  Hamann,  Karl  Friedrich  von  Moser  sind  erbittert,  Herder  wurde 
zur  Fortsetzung  seiner  Fragmente  angeregt,  Klopstock  ergrimmte,  Gleim 
trauerte,  in  Weimar  schwieg  man  vornehm,  Goethe  legte  sein  Endurteil 
über  den  König  in  seiner  Biographie  nieder.  Manche  hatten  an  Joseph  H. 
als  Mäcenas  der  deutscheu  Litteratur  damals  gedacht,  Klopstock,  auch 
einmal  Herder,  aber  nur  für  einen  Augenblick,  dann  war  er  wieder  preu- 
fsisch  gesinnt;  aber  Karl  Friedrich  von  Baden  trat  ihm  näher,  für  ihn 
ist  der  Plan  einer  deutschen  Akademie  ausgearbeitet  mit  ähnlichen  Ge- 
danken, wie  sie  in  Friedrichs  IL  Schrift  angedeutet  sind.  Nach  allen 
Seiten  hin  hat  also  das  böse  Buch  des  Königs  anregend  und  befruchtend 
gewirkt. 

Herford.  Ludwig  Hölscher. 

Die  Erklärung  deutscher  Schriftwerke  in  den  oberen  Klassen 
höherer  Ijchranstalten.  Grundlinien  zu  einer  Systematik. 
Von  Dr.  Paul  Goldscheider,  ord,  Lehrer  am  Realgymnasium 
zu  Mülheim  a.  Rh.     Berlin,  R.  Gaertner,  1889. 

Die  vorliegende  Arbeit  bezweckt,  alle  auf  die  Erklärung  deutscher 
Schriftwerke  bezüglichen  Fragen  einheitlich  zu  entwickeln,  und  zwar  von 
einem  Gesichtspunkte  aus,  der  in  dieser  Schärfe  und  Durchführung  bis- 
her kaum  angewendet  worden  sein  dürfte.  Der  leitende  Grundsatz  ist 
der  ästhetische;  das  betreffende  Werk  ist  jedesmal  in  derjenigen  Folge 
zu  entfalten,  wie  sich  dem  schaffenden  Künstler  selbst  die  Merkmale 
seiner  Schöpfuug  erschliel'seu  muf'steu. 


Beurteilunjren  und  kurze  Anzeigen.  155 

■'  In  neun  Kapiteln  behandelt  der  Verfasser  dieses  Thema.  Nachdem 
er  in  dem  ersten  'Die  rhetorisch-sophistische  Behandlung'  den  verderb- 
lichen Einflufs  der  lateinischen  Rhetorik  auf  den  deutschen  Unterricht 
bezeichnet  und  namentlich  ein  durchaus  zutreffendes  Bild  des  'deutschen 
Aufsatzes'  an  der  Hand  der  geistlosen  Chrie  und  der  üblichen  Topen  der 
Einleitung  und  des  Schlusses  entworfen  hat,  kommt  er  zu  der  bestimmten 
Forderung,  dafs  der  Aufsatz  im  Gegensatz  zu  blol's  formaler  Schulübung 
in  die  engste  Verbindung  mit  den  nach  Inhalt  und  Form  zugänglichen 
deutschen  Schriftwerken  zu  treten  habe.  Somit  erweitert  sich  das  Thema, 
indem  die  Abschnitte  II  bis  VJII  der  Behandlung  der  Schriftwerke  ge- 
widmet sind  und  Kapitel  IX  zum  Aufsatz  zurückkehrt,  der  als  'ein 
Spiegelbild,  ein  AViederschein'  des  geleseneu  Werkes  erscheint. 

Die  Erklärung  deutscher  Schriftwerke  steht  im  Mittelpunkte  des 
deutschen  Unterrichts.  Voraussetzung  für  dieselbe  ist  eine  vorläufige 
Aneignung  des  Ganzen.  Indem  nunmehr  das  Einzelne  im  Verhältnis 
zum  Ganzen  erscheint,  wird  der  Begriflf  der  Entfaltung  eines  kunstvoll 
gestalteten  Organismus  gewonnen,  der  gerade  die  Eigenart  des  deutschen 
Unterrichts  ausmacht,  während  sich  seiner  Erwerbung  in  den  fremden, 
namentlich  alten  Sprachen  teilweise  unübersteigliche  Hindernisse  in  den 
Weg  stellen. 

Das  wertvollste  Material  für  diese  Behandlungsweise  bietet  das  Drama. 
Wie  die  Haupthandlung  als  JMittelpunkt  des  Ganzen  zunächst  heraus- 
zuschälen sei,  wie  die  Nebenhandlungen  sich  dazu  verhalten,  wird  an 
vielen  Beispielen  in  II  durchgeführt.  Während  die  Feststellung  der 
Haupthandlung  das  Verständnis  von  vornherein  auf  den  rechten  Weg 
leitet  und  verhängnisvolle  Irrtümer  (Teil  I)  ausschliefst,  so  dienen  die 
Nebenhandlungen  dazu,  die  Fülle  des  StofTes  zum  Ausdruck  zu  bringen, 
(1.  h.  den  Kulturhintergrund  in  seinen  vielseitigen  Beziehungen  zu  zeich- 
nen, von  welchem  die  Begebenheit  sich  abhebt,  und  durch  welchen  das 
moderne  Drama  sich  von  dem  antiken  wesentlich  unterscheidet  (Ab- 
schnitt III).  Aber  nicht  der  Stoff'  hat  das  Drama  erzeugt,  .«oudern  be- 
stimmte Handlungen,  die  zur  dramatischen  Wiederbelebung  herausfor- 
derten (die  Thaten  des  Dionysos,  die  Leiden  Christi).  Das  Drama  aus- 
schliefslich  zur  Verherrlichung  berühmter  Personen,  zur  Erweckung  der 
Väterlandsliebe  benutzen  zu  wollen,  hiefse  dem  Stofi'  zum  Siege  über  die 
Handlung  verhelfen.  In  diesem  Sinne  könnte  man  Maria  Stuart  für  ein 
katholisches  Tendenzdrama,  Iphigenie  für  einen  Versuch  zur  Zurückfüh- 
rung  der  griechischen  Götterverehrung  ansehen.  Manches  Beherzigens- 
werte sagt  der  Verfasser  hier  über  die  scenische  Ausstattung  unserer 
Dramen,  die  den  Hintergrund  fast  allzusehr  zu  betonen  geneigt  ist,  sowie 
besonders  über  die  verhängnisvolle  Anschauung  neuerer  Dramendichter, 
als  decke  sich  die  Tragödie  des  Lebens  mit  der  Tragödie  der  Poesie,  und 
gewisse  bedenkliche  Gegenstände,  in  denen  etwa,  wie  in  Ibsens  Ge- 
spensteni,  das  unabänderliche  Naturgesetz  (Erblichkeit)  an  die  Stelle  de« 
antiken  Fatums  tritt,  finden  ihre  wohlverdiente  Abfertigung.  Creriet 
schon  bei  den  Alten  tlie  Verworrenheit   und  der  Dunst  des  Alltagslebens 


In6  IJcurtciliiii.ircii  und  kiir/.f  Aii/.cijr'Mi. 

im  Drama  in  Vergessenheit,  so  verlangt  in  noi^ii  weit  höherem  Malse  das 
moderne  Drama  eine  über  das  Gewöhnliche  und  Gemeine  erhebende  Poesie. 

Wurzelt  die  Handlung  auch  in  den  Kulturverhältnissen  einer  be- 
stimmten Zeit,  so  sucht  die  dramatische  Wirkung  gleichwohl  die  letztere 
der  ersteren  dienstbar  zu  macheu.  So  wird  <ler  Stoff  gleichsam  in  Hand- 
lung umgesetzt,  wie  dies  au  Iphigenie  und  Maria  Stuart  ausgeführt  wird. 

Hat  die  neuere  Ti-agödie  für  die  religiös -gnostischeu  Bestandteile 
keine  besondere  Stellen  mehr,  wie  die  autike  in  ihren  Chören,  so  liegt 
doch  gerade  in  deinen  engerer  Verbindung  mit  der  Handlung  ein  grofser 
Vorzug.  Gefährlich  aber  erscheint  es,  die  'Sentenzen'  aus  ihrem  Zusam- 
menhange zu  reifsen,  in  dem  allein  sie  ihren  Wert  haben. 

Durch  die  Handlung  empfängt  auch  der  (,'harakter  seine  Zeichnung 
flV).  Aus  ihr  erwächst  nach  dem  alten  Gesetz  vom  Spieler  und  Gegen- 
spieler die  Gruppierung  sämtlicher  Charaktere,  ilire  Schattierung.  Aus 
der  Handlung  erklären  sich  die  Charaktere  leicht  und  zwanglos.  Ihre 
Betrachtung  hat  daher  nicht  nach  wissenschaftlicher  Art  von  dem  Kern 
der  Persönlichkeit  aus  die  einzelnen  Bezüge  zu  entwickeln,  sondern  mufs, 
wie  der  Künstler  selbst,  die  ganze  Person  im  Auge  haben  und  ihre  ver- 
schiedenartige Aufserung  unter  der  Gewalt  fremder  Einflüsse  beobachten. 

Ebenso  natürlich  gestaltet  sich  die  Vorstellung  von  der  Gliederung 
des  Kunstwerkes  (V).  Nicht  veraltete  Formeln  und  Regeln,  ein  Not- 
behelf derer,  denen  es  unbequem  ist,  sich  in  die  Sache  zu  vertiefen;  son- 
dern ruhige  Entfaltung,  auf  die  natürliche  Empfindung  des  Gesetzmäfsigen 
gegründet:  das  ist  das  Hilfsmittel  einer  wirklich  fruchtbaren  Belehrung. 
So  wenig  freilich  der  Dramatiker  der  Rücksicht  auf  die  wirkliche  Bühne 
entraten  kann,  so  wenig  darf  der  Erklärer  die  Bedürfnisse  derselben  ganz 
vernachlässigen.  Der  kunstvolle  Aufbau  soll  nicht  nur  logisch,  sondern 
im  Lichte  lebendiger  Verwirklichung  empfunden  werden.  Die  Frage  nach 
Zalil  und  Bedeutung  der  einzelnen  Akte  erscheint  müfsig;  Klarheit  und 
Übersichtlichkeit  sind  allein  malsgebend. 

Vortrefflich  ist,  was  der  Verfasser  in  Kapitel  VI  über  die  ästhetische 
Schrifterklärung  nach  der  Seite  der  Sprache  und  über  die  Sprache  des 
Dramas  im  besonderen  sagt.  Erst  nachdem  Handlung,  Charaktere  und 
alle  Bezüge  feststehen,  prägt  der  Dramatiker  Gedanken  und  Empfindun- 
gen in  der  Sprache  aus,  und  seine  Arbeit  zeigt  sich  uun  als  Sprach- 
schöpfung. Im  Kleinen  hat  selbst  der  Schüler  diese  Thätigkeit  nachzu- 
ahmen. Die  Bedeutung  des  Dramas  für  ihn  geht  daraus  hervor,  dafs  die 
dramatische  Sprache  der  wirklichen  Sprache  des  Lebens  näher  steht  als 
die  Sprache  der  anderen  Dichtgattungen,  ohne  deshalb  im  Alltäglichen 
aufzugehen  und  das  Ideale  darüber  einzubüfsen.  Durch  den  ästhetischeu 
Gesichtspunkt  gelangt  auch  das  laute  Lesen  zu  seiner  Bedeutung.  Wenn 
das  Wohlgefallen  an  lautlich  reiner  Form,  die  Empfindung  für  den  sprach- 
lichen Rhythmus  geweckt  wird,  so  ist  damit  mehr  gewonnen  als  durch 
Erlernung  metrischer  Regeln  und  strophischer  Schemata. 

In  Kapitel  VII  ('Der  Gesichtskreis')  wendet  sich  der  Verfasser  zu 
der  Frage,  wie  es   der  Lehrer  mit  dem  Urteil  seiner  Schüler  zu   halten 


Beiirteihvngen  und  kurze  Anzeigen.  157 

habe.  Sowohl  die  völlige  Ablehnung  desselben,  wie  die  Überlieferung  des 
fertigen  Urteils  wird  verworfen,  nicht  minder  die  vermittelnde  'Litteratur- 
geschichte',  wogegen  einer  Art  von  Propädeutik  das  Wort  geredet  wird, 
welche  das  Einzelne  in  immer  bedeutenderen  Zusammenhang  zu  rücken 
weifs.  Vor  encyklopädischer  Vielheit  warnend,  will  der  Verfasser  gleich- 
wohl zum  Verständnis  des  Werkes  den  Welt-  und  Wissensumfang  her- 
beiziehen, den  die  Studien  der  höheren  Lehranstalten  aufbauen.  Die  Ge- 
schichte ist  unentbehrlich;  die  Begriffe  von  Staat,  Sittlichkeit,  Religion 
n.  s.  w.  finden  die  gebührende  Berücksichtigung. 

So  sind  für  die  nunmehr  zu  besprechende  Auswahl  (VIII)  die  wich- 
tigsten Bestimmungen  bereits  getroffen.  Hier  nun  findet  der  Verfasser 
Gelegenheit,  seine  Forderungen  für  den  deutschen  Unterricht  bestimmter 
zu  formulieren.  Da  die  grofsen  sprachlichen  Schwierigkeiten  eine  kultur- 
geschichtlich-litterarische Vertiefung  in  die  Antike  unmöglich  machen, 
wünscht  er  im  Anschlufs  an  den  deutschen  Unterricht  eine  besondere 
Stunde,  in  der  die  fremden  Werke  in  guten  Übersetzungen  inhaltlich 
gewürdigt  werden  können.  Da  ferner  die  philosophischen  Vorstudien 
aus  einer  blofsen  Lektüre  Piatos  und  Ciceros  wenig  Nutzen  ziehen  können, 
so  verlangt  er  eine  weitere  wöchentliche  Stunde  für  die  Lektüre  eines 
philosophischen  Lesebuches.  Jedes  darin  zu  bietende  Stück  bildet  ein 
Ganzes,  welches,  ohne  eine  eingehende  Kenntnis  des  Systems  voraus- 
zusetzen, einen  Blick  in  die  Hauptrichtung  des  Pliilosophen  thun  läfst. 
Xenophanes,  Horaz,  Rousseau,  Spinoza  (Ethik),  Kant  werden  aufgeführt, 
woraus  sich  der  historische  Gesichtspunkt  ergiebt.  Das  Ziel  des  Ganzen 
darf  weder  die  Verherrlichung  eines  bestimmten  Systems  sein,  noch  darf 
es  auf  ein  negatives  Ergebnis  hinauslaufen,  sondern  die  menschliche  Seele 
in  ihren  wunderbaren  Kräften,  aus  der  Wirklichkeit  Nahrung  ziehend, 
aber  nach  dem  Ewigen  ringend,  mufs  daraus  hervorleuchten. 

Den  Hauptgegenstand  des  deutscheu  Unterrichts  bildet  selbstver- 
ständlich unser  ästhetisches  Zeitalter,  dessen  Bedeutung  für  die  Gegen- 
wart der  Verfasser  scharf  und  klar  ausspricht.  Da  aber  ein  gedanken- 
loser Kultus  der  grofsen  Namen  auch  heut  nicht  selten  ist,  so  erscheint 
die  Frage:  'Was  hat  unvergänglichen  Wert,  und  was  können  wir  fallen 
lassen?'  noch  immer  nicht  überflüssig  uud  findet  eine  eingehendere  Be- 
antwortung, wobei  manche  Gegenstände  unserer  Primancrlektüre  gebüh- 
rende Beschränkung  finden.  Auch  die  Lesebuchfrage  kommt  zur  Erwäh- 
nung. Wir  pflichten  dem  Bedauern  des  Verfassers  bei,  dals  es  zur  Zeit 
noch  an  theoretischen  Vorarbeiten  für  ein  wirklich  brauchbares  Lesebuch 
fehlt.  Denn  ein  solches  würde  für  die  sprachliche  (tewandtheit  von 
grofsem  Gewinn  sein.  Es  niülstc  freilich  den  litterarischen  Doiikmälern  bis 
in  die  Gegenwart  gerecht  werden.  Der  ästhetischen  I>itteratur  der  soge- 
nannten Epigonen  will  der  Verfasser  sogar  noch  eine  bosoiulere  Lehr- 
stunde gewidmet  wissen,  wodurch  ein  wohlthätiger  ^Vechsel  als  Gegen- 
gewicht gegen  die  schulmäl'sige  Starrheit  geschaffen  wäre.  Der  deutsche 
Unterricht  würde  dann  freilich  sechs  wöchentliche  Stunden  umfassen,  ein 
Ideal,  an  dessen  baldiger  Erreichung  der  Verfasser  sell>st  mit  Grund  zweifelt. 


1")S  Rcurtciliiiijicii   ihkI   kurze  Aiizcii^en. 

Zum  (k'ut.sclieii  Aufsjil/  wendet  sicli  endlicli  Kajjitel  iX.  Die  •ver- 
schiedenen Stoffgebiete,  die  demselben  naeli  und  naoli  zugewiesen  worden 
sind,  werden  besjjrochen.  P^twiis  abweisend  verhält  sich  der  \'erfasser 
gegenüber  den  Naturwissenschaften,  von  denen  er  eine  Benachtt'iligung 
des  Ästhetischen  befürchtet.  In  keinem  Falle  hat  sich  der  deutsche 
Lehrer  auf  die  Thätigkeit  eines  Kollegen  zu  stützen ;  sein  •  Stoff"  muf« 
selbst  erworben  sein.  Nach  Form  und  Inhalt  Niederschlag  der  Lektüre 
zu  sein,  das  bleibt,  wie  eingangs  erwähnt,  der  Hauptzweck  des  Aufsatzes. 
Die  Forderung  der  persönlichen  Anteilnahme  für  jede  Aufgabe  wird  so 
am  leichtesten  erreicht.  Verlaugt  die  Btisprechung  eines  Wei'kes  zunächst 
die  Ermittelung  des  innersten  Kerns,  so  fordert  der  Aufsatz  zuerst  Ver- 
tiefung in  den  Sinn  des  Themas.  Die  Darstellung  ergiebt  sich  nach  dem 
Gesichtspunkt  der  Stetigkeit.  Ihre  Form  hat,  ohne  die  Anmut  verbannen 
zu  wollen,  das  Notwendige  über  das  Schöne  zu  setzen ;  .sie  knüpft  nicht 
sowohl  an  die  prunkvolle  Rede,  als  vielmehr  an  die  wissenschaftliche  Ab- 
handlung an.  Die  Einleitung  hat  nach  dem  Vorbilde  der  dramatischen 
Exposition  in  das  Wesen  des  Themas  eiuzuführeu,  der  Schhifs  anstatt 
der  im  Munde  des  Schülers  geradezu  widerwärtigen  Paränese  den  sinu^ 
vollen  Blick  in  die  Ferne  im  Chor  der  alten  Tragödie  zum  Vorbilde.  Im 
Schlufs  ist  dem  Schüler  Gelegenheit  geboten,  seiner  eigenen  Teilnahme 
Ausdruck  zu  verleihen.  .  > 

So  berührt  der  Verfasser  in  der  That  alle  Fragen,  die  bei  der  Erklä- 
rung deutscher  Schriftwerke  und  für  den  deutscheu  Aufsatz  in  Betracht 
kommen  können,  und  behandelt  sie  mit  einer  Gründlichkeit  und  Einheit» 
lichkeit,  mit  einer  Klarheit  in  der  Erfassung  der  Zwecke .  unserer  höheren 
Lehranstalten,  die  seiner  Arbeit  einen  hohen  Wert  verleihen,  der  dadurch 
vermehrt  wird,  dal's  er  mit  dem  verrotteten  Alten  rücksichtslos  bricht 
und  überall  den  hauptsächlich  von  Hildebrand  verfochteueu  geläutertoii 
Ansichten  über  den  I'nterricht  in  der  Muttersprache  Rechuuug  trägt. 

Berlin.  Fi-.  Bachmann. 

Entwürfe  zu  deutschen  Aufsätzen  und  mündlichen  Besprechungen 
für  die  Sekunda  von  Dr.  R.  Paukstadt.  Dessau,  Paul  Baü- 
mann,  1889. 

Unter  diesem  Titel  bietet  der  Verfasser  die  Früchte  eigener  laug- 
jähriger Erfahrungen  in  Form  eines  wertvollen  Hilfsbuches  für  den  Unter- 
richt dar,  welches  dem  Mangel  au  guten  Büchern  für  die  'Sekunda'  ab- 
helfen soll.  DemgemäCs  sind  die  Stoffe,  welche,  mit  Ausnahme  der 
Odyssee,  der  Edda  und  der  Frithjofsage,  der  deutschen  Litteratur  -ent- 
stammen, zum  gröl'sten  Teil  aus  dem  Gebiete  des  Epos  entnommen.  Von 
der  Lyrik  kommen  hauptsächlich  Volkslied,  Ballade,  Fabel,  Legende  zur 
Verwendung,  während  die  engere  Gefühlslyrik,  wenn  man  nicht  Goethe» 
'Nektartropfen'  und  Schillers  'Eleusisches  Fest'  hierher  rechneu  will,  sich 
auf  Körners  'Leier  und  Schwert'  beschränkt.  Auch  das  Drama  tritt,  weil 
mehr   der   Prima   zugehörig,   in    den  Hintergrund.     Nur  'Maria    Stuart' 


BeurteiUiiiiioii  uud  kurze  Anzeigen.  159 

rtudet  in  vier,  'Die  Hermanusschlacht'  H.  v.  Kleists  in  einem  Entwürfe 
Berücksichtigung.  Dagegen  suciit  der  Verfasser  der  bisher  ziemlich  A'er- 
nachlässigteu  Prosalitteratur  einigermafsen  gerecht  zu  werden,  denn  'auf 
diesem  Gebiete  liegen  noch  zahllose  uugehobeue  Schätze.  Sie  sind  um  so 
empfehlenswerter,  als  die  vorbildliche  Form,  die  der  Schüler  in  bedeu- 
tenden Prosaikern  rindet,  auf  seine  Darstellung  einwirken  mufs'.  So 
linden  wir  denn  den  Sänger  Volkmar  (Ingo)  mit  Demodokos  verglichen 
(Stück  :^.7),  ebenso  Wolf  (Verbrecher  aus  verlorner  Ehre)  und  Kohlhaa*; 
(Stück  5ö),  Chamisso  und  seinen  Peter  Schlemihl  (Stück  Ö<i).  Stück  52 
giebt  den  Gedankengang  des  Schillerschen  Aufsatzes  'Über  Völkerwande- 
rung, Kreuzzüge  und  Mittelalter',  Stück  5?>  behandelt  Kaiser  Lothar  nach 
Schiller,  und  Stück  57  disponiert  Herders  Eede  über  die  Geographie. 

Endlich  kommen  auch  Xatur,  Moral  und  Logik  selbständiger  in  den 
letzten  neun  Stücken  (58  bis  "iO)  zur  Geltung.  Eiuflufs  von  Wald  und 
Klima  auf  Natur  und  Kultur,  drei  Aussprüche,  worunter  zwei  Sprich- 
wörter ('Not  bricht  Eisen'  und  'Wie  man  in  den  Wald  ruft'  u.  s.  w.), 
'Entdecken  und  Erfinden',  'Was  ist  Begeisterung?',  das  sind  die  Themata 
dieser  Abschnitte,  denen  sich  ein  Kapitel  über  Herodot,  zur  Erkenntnis 
der  Unterschiede  zwischen  'Übersetzung'  und  'Verdeutschung'  der  Fremd- 
sprache, in  Stück  Gl  wirksam  auschliefst. 

Der  Charakter  des  Volksliedes  wird  in  Stück  :3S  au  der  ersten  Ab- 
teilung der  'Stimmen  der  Völker'  entwickelt.  In  Stück  39  wird  'Erlkönigs 
Tochter'  mit  'Erlkönig'  verglichen,  eine  sicherlich  dankenswerte  Aufgabe. 
An  Lessiugs  Fabeln  schliefsen  sich  die  Stücke  41  und  42  an,  ersteres  die 
Lessingsche  Definition  an  dem  'Besitzer  des  Bogens'  prüfend,  letzteres  die 
Moral  von  'Zeus  und  das  Pferd'  entwickelnd.  Stück  28  untersucht  die 
Erzählung  'Der  Bauer  und  die  Schlange'  aus  Reineke  Fuchs  uud  kommt 
zu  dem  Schlüsse,  dafs  .sie  trotz  gew-isser  an  die  Fabel  streifenden  Teile 
als  Fabel  im  ganzen  nicht  zu  bezeichnen  sei.  Gellerts  und  Lessings 
Fabeln  werden  in  Stück  43  verglichen.  Mehr  litteraturgeschichtlich  sind 
die  Absclinitte  1 :  'Die  Entwickelung  der  ältesten  Poesie  bei  den  Griechen 
und  Deutschen',  und  44:  'Die  Legende'. 

Dem  Epos  sind  nicht  weniger  als  35  Stücke  gewidiuet,  und  zwar  5 
der  Odyssee,  3  der  Pxlda  ('Weltmythus  in  der  Völuspa',  'Schirners  Fahrt', 
die  'Heimkehr  des  Hammers'),  je  eines  dem  Hildebrands-  und  Waltari- 
liede,  10  dem  Nibelungenliede,  4  der  Gudrun,  ■>  dem  ßeiueke  Fuchs,  je 
eines  dem  Paraival,  dem  'Armen  Heinrich',  dem  Annoliede,  Herders  Cid, 
der  Frithjofssage,  Vossens  'Luise'  und  Goethes  'Hermann  uud  Dorothea'.' 
Vergleichuugen  bieten  sich  besonders  in  Stück  14  tKrionilüld  und  die 
Gudruna  der  Eddaj,  Stück  2:')  (Wate,  Fnite  und  Horaud),  Stück  25  (Gu- 
drun uud  Nausikaaj  und  Stück  34  (Dorothea  und  Luise). 

Man  sieht  aus  dieser  Inhaltsübersicht,  dafs  die  Stotfc  meist  in  glück- 
licher Weise  mit  dem  Interessen  kreise  uud  der  Anschauung  eines  Sekun- 
daners in  Einklang  stehen.  Überdies  zeigt  jeder  einzelne  Abschnitt, 
wie  ernst  uud  gründlich  der  Verfasser  .seine  Aufgabe  genommen  hat, 
als    deren    Gesichtspunkte    er    selbst    'Gedankengang    und    Kompositiou; 


160  lieurteiluut(en  und  kurze  Anzeigen. 

dichterische  Motive  und  Zwecke,  Darstellung,  vergleichende  CharaktenKtik' 
hinstellt. 

Was  die  Länge  mancher  Stucke  betrifft,  die  weit  über  das  Mafs  des 
'Aufsatzes'  hinausreicht,  so  giebt  er  zu  bedenken,  dafs  dieselben  'nach 
der  Lektüre  des  Werkes  als  zusammenfassendes  Resultat  der  mündlichen 
Besprechung  zu  Grunde  gelegt  werden'  sollen. 

80  liefert  denn  das  Buch  eine  reiche  Fülle  wertvollsten  Materials 
und  ist  aul'serordentlich  geeignet,  dem  Lehrer  das  Studium  der  betreffen- 
den Werke  wie  ihre  Behandlung  beim  Unterricht  zu  erleichtern,  und 
damit  wäre  alles  in  Odnung,  falls  der  Verfasser  eine  'Auswahl'  der  Stoffe 
gestattete.  Das  thut  er  aber  nicht,  denn  er  versichert  in  der  Einleitung, 
alles  das  berücksichtigt  zu  haben,  'was  der  Schüler  der  Sekunda  im  Laufe 
von  zwei  Jahren  zu  seinem  Eigentum  machen  soll'. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  gewinnt  die  Sache  eine  recht  bedenk- 
liche Gestalt.  Wie  der  Sekundaner  in  zwei  Jahren  alle  jene  Werke 
gründlich  genug  kennen  lernen  soll,  um  solche  Aufsatzdispositionen 
einigermafsen  selbständig  zu  gewinnen  und  zu  verarbeiten,  solche  geist- 
vollen Zusammenfassungen  wirklich  mit  Genufs  und  Frucht  in  sich  auf- 
zunehmen, das  ist  uns  unerfindlich. 

Man  betrachte  in  diesem  Sinne  die  einleitenden  Gedanken  der  meisten 
Stücke.  Wer  kann  die  Einleitung  zu  den  'Liedern  aus  dem  hohen  Nord' 
ohne  eingehende  Litteratur-  und  Zeitkenntnis  schreiben?  Setzt  nicht  die 
Bemerkung  über  die  Echtheit  der  Odyssee  in  Stück  5  Bekanntschaft  mit 
der  homerischen  Forschung  voraus?  Oder  was  weifs  der  Sekundaner 
von  Schillers  Interesse  für  die  'Kulturgeschichte'  ?  Wie  würden  sich  aus 
der  Feder  des  Sekundaners  (selbst  des  Primaners)  Wendungen  ausnehmen 
wie  folgende:  'Es  giebt  Persönlichkeiten,  welche  die  eigentümlichen  Eigen- 
schaften ihres  Volkes  hervorragend  in  sich  vereinigen'  (St.  :32),  oder  'Das 
Intere-sse  an  Hartmauns  Erzählung  ist  wesentlich  ein  psychologisches' 
(St.  30),  oder  'Das  grolse  Thema  von  Schuld  und  Sühne,  das  die  Mythen- 
welt der  Germauen  beherrscht'  u.  s.  w. ! 

Die  sogenannten  'allgemeinen  Gedanken'  der  üblichen  Aufsatz-Ein- 
leitungen zeigen  sich  hier  wieder  einmal  recht  deutlich  in  ihrer  ganzen 
Nichtigkeit  und  Gefährlichkeit  für  den  Schüler,  dem  die  Übersicht  der 
'Gattung'  fehlt  und  fehlen  muls.  Was  für  den  Lehrer  die  reife  Frucht 
»einer  Studien  ist,  der  'allgemein  gültige  Satz',  kann  dem  Schüler  nur 
Gelegenheit  zum  Nachschwatzen  werden  und  ihn  zu  der  Gepflogenheit 
erziehen,  sich  mit  fremdem  Eigentum  zu  brüsten.  Was  er  nicht  aus  sich 
selbst  und  aus  seiner  Welt  zu  schöpfen  vermag,  das  ist  für  ihn  vom 
Übel.  Die  Jugend  ist  einseitig  in  ihrer  Auffassung  und  in  ihrem  Urteil 
und  neigt  zu  Übertreibung  und  Mafslosigkeit.  Mit  unverstandenen  all- 
gemeinen Sätzen  wird  dieser  jugendliche  jNLangel  au  Schärfe  gewinnen 
und  sich  schliefslich  zum  Charakterfehler  ausbilden  müssen. 

Das  Buch  zeigt  übrigens  die  gleiche  Eigentüudichkeit  in  den  Schlüssen; 
man  vergleiche  etwa  die  Stücke  6,  8,  10,  11,  die  Bemerkung  über  'das 
Halbdunkel'  in  13  u.  s.  w.     Welche  Summe  von  vielleicht  wenig  frucht- 


Beurteilungeu  und  kurze  Anzeigen.  161 

barer  Anstrengung  von  selten  des  Lehrers  nüifste  dazu  gehören,  derartig-e 
Sätze  und  Begrifle  wirklich  in  Fleisch  und  Blut  des  Schülers  übergehen 
zn  lassen !  Der  Verfasser  hat  sich,  wie  es  scheint,  von  dem  einigermafsen 
überwundenen  Standpunkt  der  durch  kunstvolle  Einleitungen  vorberei- 
teten Spannung  und  des  wirksamen,  womöglich  paränetischen  Schlusses 
noch  nicht  ganz  zu  befreien  vermocht. 

Sonst  ist  gegen  die  eigentlichen  disponierenden  Gesichtspunkte  in 
den  meisten  Stücken  nichts  einzuwenden,  da  sie,  besonders  in  den  epi- 
schen Stoffen,  sich  meist  zwanglos  aus  der  Sache  ergeben  und  daher  'von 
dem  Schüler  selbst'  gefunden  werden  können.  Ob  Stofle  wie  in  Stück  7: 
'Der  Weltmythus  in  der  Völuspa',  St.  18 :  'Die  Charaktere  im  Nibelungen- 
lied und  ihre  Gruppierung',  St.  20:  'Parcivals  Jugend  als  Exposition  des 
Epos',  St.  00:  'Der  arme  Heinrich  ein  Spiegelbild  von  der  Anschauungs- 
weise seiner  Zeit',  besonders  St.  ol :  'Komposition  des  Annoliedes"  und 
einige  andere  im  Bereiche  einer  Sekunda  liegen,  dürfte  zweifelhaft  er- 
scheinen. Annolied  und  Parcival  können  hier  doch  höchstens  ihrem  In- 
halte nach  berührt  werden  und  sind  daher  kein  Stoft"  für  so  eingehende 
Besprechungen. 

Wenn  wir  von  den  genannten  zu  weit  gehenden  Ansichten  und  An- 
sprüchen des  Verfassers  absehen,  sind  seine  Entwürfe  in  der  Hand  des 
'vorsichtigen'  Lehrers  als  ein  ausgezeichnetes  Hilfsmittel  des  deutschen 
Unterrichtes  in  der  Sekunda  zu  bezeichnen. 

Berlin.  Fr.  Bach  manu. 

Grammatik  der  englischen  Sprache  für  obere  Klassen  höherer 
Lehranstalten  von  Immanuel  Schmidt.  Vierte  vielfach  be- 
richtigte Auflage  (Lehrbuch  der  engl.  Sprache  II).  Berlin, 
Weidling,  1889.    Xn,  608  S.  8.     Geb.  4  M. 

Die  allgemeine  Anerkennung,  welche  die  Schmidtsche  Grammatik  bei 
Fachmännern  gefunden  hat,  erspart  mir  die  sonst  so  dankbare  Mühe, 
ihre  Vorzüge  vor  anderen  Grammatiken  hervorzuheben.  Als  die  erste 
Auflage  erschien,  wurde  sie  von  allen  Lehrern  mit  Freude  begrülst,  weil 
sie  den  praktischen  Bedüi-fnissen  entsprach  und  erkennen  liefs,  dafs  der 
Verfasser  die  Ergebnisse  der  Forschungen  auf  dem  wissenschaftlichen 
Gebiete  der  Grammatik,  soweit  sie  von  den  Pädagogen  als  unanfechtbar 
und  zu  Schulzwecken  dienlich  erachtet  wurden,  verwertet  hatte.  Die  ge- 
ringfügigen Ausstellungen,  welche  gegen  die  Auffassung  im  ganzen  und 
gegen  einzelne  Teile  gerichtet  wurden,  sind  durch  Verbesserungen  berück- 
sichtigt., kleine  I'nrichtigkeiten  sind  in  der  zweiten  Auflage,  welche  völlig 
umgearbeitet  ist,  beseitigt.  Die  dritte  Auflage  unterscheidet  sich  von  der 
zweiten  nur  wenig.  Einzelne  Kapitel  sind  verbessert,  dem  Ganzen  ist  im 
Anhange  ein  Verzeichnis  der  Verben  und  Adjektive  in  Verbindung  mit 
Präpositionen  hinzugefügt.  Die  Verändei-ungen  in  der  vierten  Auflage 
sind  fast  ausschlierslich  auf  die  Lautlehre  beschränkt.  In  der  Syntax 
sind   nur  einzelne  Berichtigungen   nachgetragen.     Wichtig  ist,    dals   der 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  U 


162  Hcmt«'iliiiiu;t'ii  im<l   kurze  Aiiz<'ijr<'n. 

Verfasser  dit-.  Auss[»rachd)ezdclimjii<;<'ii  den  luMitigen  BedörfniKseii  ent- 
sprechend flureh  das  «ranze  Bncii  lc<)nso<inent  naeli  einem  8ehema  mit 
fiirolker  l'räci.sion  nnd  Klarlicit  «luroligefülirt  hat.  \n  der  Vorrefle  gieV)t 
er  eine  Tabelle,  welclie  sein  System  mit  Leiclitigkeit  deutlich  macht. 

Als  besondere  Abweichungen  in  der  Anssi)raclielehre  dieser  Auflage 
sind  zu  merken,  dals  Ininiannol  Schmidt  den  ursprünglichen  Unterschied 
von  to  und  irl/  zu  Anfang  eines  Wortes  aufgiebt  und  dals  er  die  Aus- 
sprache von  '■;  vor  /•  in  ciffonl.  j)orfioH,  form  für  veraltet  erklärt,  so  dafs 
man  jetzt  häutiger  affoifl,  pnrft'nn,  -forr-e  anstatt  affiM-d  etc.  hört,  ebenso 
wie  zwischen  »lownin/j  xmd  morniny  kein  Unterschied  mehr  be«t«ht. 

Wir  wünschen  dem  Buche,  das  sich  selbst  Bahn  gebrochen  hat, 
immer  weitere  Verl)reitung.  ' 

Berlin.  (1.  Völckerling. 

Englisches  Lesebuch  für  höhere  Lehraustalteii  von  Prof.  Dr.  Otto 
Ritter,  Direktor  der  Luisenschiile  zu  Berlin.  5.  Auflage. 
Berlin,  Haude  &  Speuer,  1889.     880  S.     Geh.  2  M. 

Die  neue  Auflage  des  Ritterschen  Lesebuches,  welche  die  vorher- 
gehenden durch  bessere  Ausstattung,  besonders  grölseren  Druck,  über- 
triflTt,  hat  inhaltlich  eingTeifende  Veränderungen  nicht  erfahren,  aber  es  ist 
der  Forderung  der  Zeit  nach  Erleichterung  der  Schüler  dadurch  Genüge 
geschehen,  daTs  ein  Wörterverzeichnis  beigefügt  worden  ist.  Der  Lese- 
stoff, dem  man  die  Anerkenniuig  gewähren  mufs,  geschickt  und  ijassend 
ausgewählt  zu  sein,  gliedert . sich  jetzt  in  fünf  Abteilungeii :  \)  Aneedotes. 
Tales  and  Stories,  2)  Hisfary,  '^)  Litcroturr,  1)  D/alor/aes,  ö)  Poetry.  Der 
Herausgeber  vermeidet  die  Einseitigkeit,  sich  in  seinem  Buche  allein  oder 
vorzugsweise  mit  England  und  den  Engländern  zu  beschäftigen.  Zwar 
behandeln  der  zweite  und  dritte  Abschnitt  ausschliefslich  englische  Ge- 
schichte und  Litteratur,  aber  diese  Teile  stehen  an  Umfang  dem  ersten 
nach,  welcher  in  seinen  Anekdoten  und  Erzählungen  nicht  das  Nationale, 
sondern  das  Allgemein -Menschliche  und  Ethische  betont  und  l^ei  der 
Jugend  sicherlich  auf  Beifall  zählen  darf.  Der  Vorliebe  der  Schüler  für 
den  dramatischen  Dialog  ist  durch  Hinzufüguug  einiger  aus  sich  ver- 
ständlicher, lebendiger  Sceneu  ßechuuug  getragen.  Der  Abschnitt  Podrij 
hat  (vermutlich  wegen  IJaummangels)  Verkürzungen  erfahren,  durch 
welche  die  Zahl  kleiner  zum  Memorieren  geeigneter  Gedichte  leider  l>e- 
schränkt  ist. 

Was  das  Wörterverzeichnis  angeht,  so  ist  die  sehr  wünschenswerte 
durchgängige  Angabe  der  Aussprache  für  eine  spätere  Auflage  in  Aus- 
sicht gestellt.  Vorläufig  bat  sich  der  Bearbeiter,  Herr  Klatt,  auf  das 
Notwendige  beschränkt.  Die  gewählte  Aussprachebezeichnung  empfiehlt 
sich  durch  grofse  Einfachheit,  doch  sind  die  aufgestellten  Grundsätze 
nicht  ganz  streng  durchgeführt.  Praktischer  dürfte  es  sein,  sich  in  dieser 
Beziehung  an  eine  gangbare  Grammatik  oder  au  ein  verbreitetes  Wörter- 
buch anzulehnen,  damit  wenigstens  teilweise  den  Schülern  die  Verwirrung 


Hourtoiliiiiüeii  iiiul  kurze  Auzeigeii.  163 

erspart  bleibt,  welche  zwei  oder  drei  verschiedene  Aussprachebezeiohuuugen 
in  ilirem  Kopfe  anrichten  müssen.    .      ' 

Im  ganzen  stellt  sich  die  5.  Auflage  als  ein  mit  Besonnenheit  und 
pädagogischem  Cieschick  gearbeitete*  Buch  dar,  dem  man  eine  recht  weit- 
gehende Verbreitung  aufrichtig  wünschen  nuüs.  *  ;  . 

Berlin.  R.  Palm.;,. 

.■;'uil    "■.!• 

Shak.spere  Primer,  in  gekürzter  Form  mit  Anmerkungen  Heraus- 
gegeben von  Dr.  Broder  Carstens,  ord.  Lehrer  an  den  Tnter- 
riehtsanstalten  des  Klosters  St.  Johannis  in  Hamburg.  Ham- 
burg, Meilsner,  1889.     XIV,  156  S.  8. 

Man  hat  in  Fachkreisen  oft  Einwendungen  gegen  die  Lektüre  ein- 
zelner Teile  von  ausgewählten  Werken  in  den  oberen  Klassen  der  höheren 
Schulen  erhoben.  Gerade  bei  Shakspere,  welcher  mehr  des  Inhaltes  als 
der  Form  Avegen  gelesen  wird,  ist  darauf  aufmerksam  gemacht  worden, 
dals  die  Lektüre  des  ganzen  Dramas  abgerundeten  Stücken  vorzuziehen 
sei.  Dem  ist  aber  entgegenzuhalten,  dals  es  für  eiuen  Schüler,  selbst  bei 
Mitwirkung  des  Lehrers,  schwer  ist,  sich  sofort  iu  das  Verständnis  Shak- 
speres  hineinzufinden ;  er  bedarf  einer  Einführung  in  dasselbe,  und  diese 
soll  ihm  durch  das  vorliegende  Buch  geboten  werden.  In  Berlin  wurde 
bisher  mit  Nutzen  das  Buch  von  Bandow  Beadvnrjs  frnm  Shal,-üf)ere  ^- 
braucht. 

Bei  der  Auswahl  hat  sich  der  Verfasser  des  Primer  auf  die  Stücke 
beschränkt,  welche  bislier  am  meisten  in  der  Schule  gelesen  werden  und 
welche  zum  Auswendiglernen  geeignete  Stellen  enthalten.  Den  Reigen 
eröffnet  natürlich  ./?///«<.«  Ceesar,  der  in  keiner  Sammlung  ausgewählte 
Werke  fehlen  darf.  Verfasser  giebt  den  dritten  Akt,  der  sehr  woM  als 
ein  zusammenhängendes,  für  sich  allein  bestehendes  Ganze  gelesen  werden 
kann.  Es  folgen :  T/ie  Mercl/axf  of  Venicr,  Riehard  IL  Macbeth  und  Hantlet. 
Verfasser  sagt  in  seiner  Vorrede,  dals  l^ei  der  Abkürzung  die  gelegent- 
lichen Obscönitäten  weggefallen  wären;  warum  hat  er  denn  eine  höclist 
bedenkliche  Stelle  in  der  Unterredung  zwischen  Polonius  und  Hamlet 
nicht  fortgelassen? 

.,  Der  Te^t.  ist  fast  wörtlich  nach  der  TMichnit;^  Edition  hergestellt 
mit  ganz  geringer  Änderung  aus  der  Globe  JEditiop.  Um  die  Verbindung 
zwischen  den  einzelnen  Teilen  herzustellen,  hat  Verfasser  eine  Inhalts- 
augabe hinzugefügt,  von  der  einiges,  wie  im  Mßtyhaiit  of  l'exice,  wenn 
auch  mit  L'mstellungcn  und  Umäiulerungeu,  aus  Lambs  Tales  froni  Shak- 

1  *  [Für  die  Zukunft  erlaulii'  ich  mir,  oiiic  Diuehsiciit  der  litterarhistorischvn 
Abschnitte  mit  Kück.sicht  auf  den  Iiilialt  zu  eiupfclilen,  damit  StelliMi,  die  mit  dem 
jetzigen  Wissen  nicht  mehr  im  Kinklang  stehen,  hcrichtigt  werden.  Da  ich  das 
Uucli,  ehe  es  iu  die  HSnde  des  Herrn  Berichterstatters  ging,  flüchtig  durchhlät^ 
terte,  fiel  mein  IJlick  auf  die  •litterarhistorisclien  Oespenster'  Alf'r/c,  Arrhhi.thap.  vf 
Canterljurij  S.    168   und   Robert   Lanyland  S.   17U.  J-   Z.)        . 

11* 


164  l'>('nrt<'ihin;.'<ii   inid   kurze    Anz<'i;.'<'M. 

spere  stuiniut.  Vonuisgeschickt  ist  doni  Ganzen  eine  den  besten  (Quellen 
(Elze,  Dowden,  Koch)  entlehnte  Biographie  Shaksperes.  Dafs  Shakspere 
am  2r>.  April  getauft  wnrde,  ist  ein  Irrtum;  nach  dem  Taufregister  ist 
es  der  2H.  April,  nn<l  der  2'^  wird  als  der  Geburtstag  angenommen.  Auf 
die  ganz  unbeglnubigton  Erzählungen  von  den  Gewerben,  die  Shakspere 
betrieben  haben  soll,  legt  Verfasser  zu  viel  Gewicht.  Die  Beschreibung 
des  Theaters  ist  nicht  so  fafslieh  wie  bei  Randow,  auch  die  Skizze  einer 
(»ßentlichen  Bühne  zur  Zeit  Shaksperes  nicht  anschaulich.  Die  Angaben 
über  die  Abfassung  und  Entstehungszeit  sowie  über  die  Quellen  der  fünf 
Shakspereschen  Dramen  sind  zu  knapp  und  undeutlich.  lauter  anderem 
heifst  es  da:  'Die  TJaubausgaben  der  Verleger  erschienen  in  Quartoformat 
und  führten  den  Namen  Quarto.'  Danach  wird  man  verleitet  zu  glauben, 
dals  alle  Quartausgaben  Eaubaiisgaben  sind,  was  Verfasser  doch  schwer- 
lich gemeint  haben  kann. 

Den  Schluis  des  Buches  bilden  die  Anmerkungen  nach  Art  eines 
Glossars,  dem  Shakspere-Lexikou  von  Alex,  Schmidt,  den  Ausgaben  von 
Clark  und  Wright  und  den  Weidmannschen  Ausgaben  entnommen. 

Verfasser  wendet  sich  in  seiner  Vorrede  ausdrücklich  gegen  die  seiner 
Meinung  nach  allzu  ausgedehnten  P>kläruugeu  der  sonst. trefflichen  Aus- 
gaben von  Schmidt,  Fritsche  und  anderen  und  hält  namentlich  die  sach- 
lichen Anmerkungen,  die  sie  bieten,  für  zeitraubend  und  den  Schüler 
verwirrend.  Ob  er  aber  mit  seinem  Systeni  den  beabsichtigten  Zweck 
erreicht,  ist  zweifelhaft.  Allerdings  ist  es  nötig,  auf  die  von  den  heute 
üblichen  so  vielfach  abweichenden,  sei  es  lexikalischen,  sei  es  gram- 
matischen Eigenheiten  des  Shakspereschen  Sprachgebrauches  hinzuweisen, 
aber  diese  Hinweisungeu  müssen  auf  das  richtige  Mafs  beschränkt  sein. 
Wenn  der  Verfasser,  wie  es  vorkommt,  für  jedes  Wort  des  älteren  Idioms, 
das  seine  Bedeutung  geändert  hat,  ein  anderes  substituiert,  so  verfällt  er 
nach  der  anderen  Kichtuug  hin  in  denselben  Fehler,  den  er  den  von  ihm 
genannten  Herausgebern  zum  Vorwurf  macht. 

Trotz  der  Ausstellungen  hält  Eeferent  das  Buch  als  Einleitung  in 
die  licktüre  Shaksperes  für  brauchbar. 

Berlin.  G.  Völckerling. 

Jacob  Thoiusou,  eiu  vergessener  Dichter  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts von  Dr.  G.  Schmeding,  Oberlehrer  am  Ivehrerinnen- 
Seminar  zu  Wolfenbüttel.  Braunschweig,  Schwetschke  und 
Sohn,  1889.     VII  und  94  S.  8,     M.  1,80. 

Schon  der  Ausdruck  'vergessen'  in  dem  Titel  verrät  die  populäre 
Tendenz  des  Schriftchens.  'Vergessen'  ist  James  Thomson  nicht  von  der 
Litteratxirgeschichte,  sondern  nur  von  dem  grofsen  Lesepublikum,  und 
dieses  will  der  Verfasser  auf  ihn  aufmerksam  machen.  'Was  wir  zu  geben 
versuchten,'  sagt  er  S.  V,  'war  in  erster  Linie  eine  Würdigung  seiner  Werke 
von  ihrer  ästhetischen  und  moralischen  Seite  im  Anschlufs  an  Analysen, 
die  den  Gedanken  des  englischen  Originals  möglichst  wiedergeben  sollten. 


Beurteiluugeii  und  kurze  Auzeigen.  163 

Das  Lebensbild,  das  wir  geben  konnten,  mufste  notwendig  leiden  unter 
der  Beschränktheit  der  litterarischen  Hilfsmittel,  die  dem  Deutschen  er- 
reichbar sind.'  Er  behandelt  besonders  ausführlich  The  Seasons,  To  the 
Memory  of  Sir  Isaac  Newton,  Liberty,  The  Castle  of  Indolente,  über  die 
Dramen  geht  er  rascher  hinweg,  so  dafs  nach  dieser  Richtung  hin  sein 
Buch  durch  den  oben  S.  25  ff',  abgedruckten  Aufsatz  von  G.  Wenzel  eine 
Ergänzung  tindet.  Die  Schrift  kann  jedem,  der  sich  schnell  über  Thomson 
orientieren  will,  empfohlen  werden.  Es  wäre  freilich  zu  wünschen  ge- 
wesen, dal's  der  Verfasser  seinen  Helden  etwas  mehr  im  Zusammenhange 
mit  seiner  Zeit,  in  seiner  Abhängigkeit  von  seinen  Vorgängern  und  in 
seiner  Wirkung  auf  spätere  Dichter  aufgefafst  hätte.  Ob  die  Beschäfti- 
gung mit  seinen  Werken  in  der  That,  wie  der  Verfasser  hofft,  ein  wirk- 
same« Mittel  sein  kann,  'die  innere  Zersetzung  und  Selbstvernichtung' 
aufzuhalten,  'der  die  Gesellschaft  unserer  Tage  entgegenzugehen  droht' 
(S.  IV),  möchte  ich  bezweifeln. 

Berlin.  Julius   Zupitza. 

OrigiDal  Eüglish  as  writteu  by  oui'  Little  Oues  at  School.  By 
Heniy  J.  Barker,  B.  A.,  F.  E.  S.  L.  Repriated  from  'Long- 
maii's  Magazine',  with  Additiou,s  not  before  publi.shed.  Ix)n- 
don,  Jarrold  &  Sons,  1889.    161  S.  kl.  8.    Sh.  1. 

Ich  verdanke  die  Kenntnis  dieses  Buches  der  immer  aufs  neue  be- 
währten Liebenswürdigkeit  meines  Freundes  V.  J.  Furuivall,  der  es  mir 
unter  dem  20.  März  1889  zugeschickt  hat.  Es  hat  mir  den  gröfsten  Ge- 
nufs  verschafl't,  und  ich  horte,  die  Leser  des  Archivs  werden,  falls  sie  es 
nicht  etwa  schon  kennen,  nach  den  Proben,  die  ich  geben  will,  nicht 
zögern,  sich  in  den  Besitz  des  ganzen  Werkchens  zu  setzen. 

Die  Hauptmasse  desselben  besteht  aus  Aufsätzen,  welche  l^oudouer 
Kinder  aus  den  untersten  Volksschichten  geschrieben  haben.  Gelegent- 
lich sind  aber  auch  anderweitige  Aulserungen  von  Kindern  verzeichnet. 
So  erhielt  der  Verfasser  nach  S.  11  einmal  auf  die  Frage:  'Whof  is  the 
feminine  of  tiero'f'  die  Antwort:  -Shero.  sir.'  Einem  Lehrer  auf  dem  Lande 
nannte  ein  Knirps  als  Masculinum  zu  MeaUnn  nach  S.  2:5  Adatn.  Ein 
Schulinspektor  fragte  nach  S.  S-"),  nachdem  vorher  richtig  Uon  —  Uoness. 
Mareiuis  —  Marchioness  augegeben  worden  war:  'Atn/  irhat  tioir  /.s  the 
feminine  of  DnteJimnn'^' ,  und  fast  die  ganze  Klasse  rief:  •Ihnhe.ss.  sir.' 
Harry  Sharman  antwortete  auf  die  Frage  nach  dem  Superlativ  von  nice 
mit  Jan/  pnxhkti  S.  24.  Kaum  glaublich  ist  die  AntAvort,  welche  ein 
sechzehnjähriges  Mädchen,  das  noch  dazu  ein  jjupil-teaiher  war,  auf  die 
Frage  gab  'Whrit  is  a  Civil  War?'.  Sie  lautete  (S.  72):  'Ä  Civil  War,  if 
I  recolleet  riyhtJy,  is  one  in  which  the  military  are  imnecessarily  and  jrnne- 
tilim/sly  civil  or  polite,  often  rai^iny  their  hehnets  to  eaeli  other  Iwfore  en- 
yaging  i)>  deadly  combat.' 

Die  mitgeteilten  Aufsätze  versichert  der  Verfasser  des  Buches  wiederholt 
genau  nach  den  Originalen  zu  geben,  nur  dafs  er  gelegentlich  einiges  weg- 


\M  lUurtoiluii^ron   und  kiiizc  An/,ci<fcii. 

gela.sstti  iirnl  in  vrrcinzcllt'ii  Fällt  ii  einen  vorkommenden  Namen  oder  die 
Intorpiiiiktion  geändert  Imt.  Als  erste  Probe  stehe  hier  von  S.  17  der  An- 
fang einer  IJearbeitung  des  Themas  'Gh'p  on  Oiitlint;  of  Ihc  Liff.  of  Saineon  . 
Ttfp  lifr  nf  Sm)>.mn,  irliich  I  7/fl!«  fo  give.  Sanimit  /ins  Ihn  vnnilerfnUo'sl 
man  ymi  cior  fined.  He  ivok  m  migldy  ütroiui  that  Itc  fhoityhl  no  inorr  of 
lAonn  and  Brarf!,  than  hoys  da  of  r«/.s  and  1lH'iiy.-<.  If  you  think  hr  nos 
a  (fiaid,  fh/ifs  Just  trheir  yer  nruuy,  co;:,  lic  tcu-nnt  o  hit  biyyer  than  yonr 
falher  is.  Biif  mind  yer,  he  h^d  vej-y  lony  hadr,  and  that's  just  where  it 
iras.  It  n-cnt  right  dornt  h/'s  ne.ek,  and  kmder  hin  co<d,  and  then  all  fhe  nay 
doun.  That's  hotr  if  iras.  —  Samson  became  very  smfuU.  for  he  yof  a  eovrtin 
a  ymmy  /iomai/  irho  iraa  a.  relation  of  the  rärherd  P/i/lltsfins.  Mcn  slioidd 
neuer  eourf  yonny  women  frrnn  other  cmh}trie.'<,  excepf  tliey  are  yood.  Kercr 
»nind  ahart  the.m  being  nicet  looking,  if  they  are  not  yood.  Why.  this  youny 
iroman  actshtdly  v:wshij}j)ed  thcm  ngly  little  imiges  uot  yee  seed  Misshi- 
narics  bring  in  bags,  and  put  in  a  row  on  tlm  table. 

Es  folge  der  Anfang  eines  Aufsatzes  über  'The  iJoctor'  von  S.  2h. 
Being  a  docfor  is  a  rery  yood  trade.  Boetars  harc  most  ahnays  niced 
blaek  wiskers  at  fhe  sidfi,  and  are  tall  wen.  They  art  also  very  firrcc- 
looking,  but  they  are  very  nseful._  Dpctors  are  men  who  /nerer  walk,  e.rfrpt 
from  ,a  carria/jc  to  a  house  door.  Doctofs  .are  skinny  metfr,  uitii  block 
eyes  änd  eoats.  Boctors  hrxt^y  babies  to  yood  little  boys''  homes.  I  wa.s 
very  good,  and  he  hrmight  tny  moiher  ours.  It  is  a  little  girl,  Und  it  is 
caUed  Agnes. 

Zu  den  Glanzstücken  gehört  'The  Turkey'  S.  o5  ff.  Es  mögen  hier 
zunächst  ein  paar  Sätze  aus  dem  ersten  Teil  S.  ?>t3  stehen.  The  Turkey 
is  Icing  of  the  goose  and  most  other  birds,  lud  the  eagle  can  ßght  it.  It  is 
like  a  i-e)^  big  cock  if  it  uasnt  for  the  tail.  It  is  not  eruel  to  killa  Turkey, 
if  only  you  take  it  into  fhe  back  yard,  and  use  a  sharp  knife,  and  the  Tur- 
key is  yours.  Der  Schlufs  S.  -57  lautet:  Boj/s  like  the  Turkey  to  rim  öfter 
theni.  becaiisc  they  get  honte  quicker  icithout  feeliu  tired,  and  the  turkey  has 
to  go  all  the  trag  back,  attd  yiru  genellg  see  a  Turkey  alotig  trith  some  ditcks. 
But  the  Titrkeg  is  kind  to  fhe  Utile  dueks.  trhich  is  a  lesson  you  leetrn  to 
be  kind  to  your  little  hrothers  and  sisters.  JS'erer  tiiake  yotir  little  brother 
cry  by  hidiny  behitid  a  ivall  or  free,  and  perlend img  to  lose  him,  for  Tur- 
keys  nerer  pick  ti/>r  trorrys  neifiter  ducks  nor  hens.  Turkeys  lag  very  dear 
eggs  trhaf  you  eanf  afford,  lud  they  do  not  give  butter  or  milk  beeause  they 
cant  do  it  not  if  they  tried  three  tiiites. 

Über  das  Thema  -Ottr  Street'  heilst  es  u.  a.  (8.  AI):  Liza  Ann.  the 
little  girl  irof  litrs  ap  fite  itext  passige  bat  conies  to  our  passige  to  join  in, 
she  says  she  llkes  drunken  tuen  better  than  drunken  women.  She  says  that. 
eoz  drunken  ntcit  are  ■sontetimes  rery  kind  and  turn  their  trousers  jiockefs 
inside  md  so  as  all  their  momy  can  fall  out  antongst  Ute  children.  Btd 
drunken  ■umnen  allns  look  savage  and  want  to  Scratch  the  big  poleecenmn 
as  pusltes  thein  on.  and  Uten  flieg  irattf  to  ftghf  fhe  wotnett  as  is  stannitv 
oi  the  do&rs  justalooking  on.  Der  Schlufs  (S.  i-'>)  erklärt,  warum  die 
Häaser  in  'our  ■'^freet'  so  schwarz  sind.     The  reasoti  trhi/  fhe  hotises  in  our 


Bemteihiugen  iiimI  kurze  Anzeigeo.  T67 

sfreet  ü  so  block  both  insnle  and  out,  is  eox  fhe  smoke  front  ihe  chimbly 
(foesnt  yo  right  up  otdside  and  then  info  fhe  donds  same  as  in  niced  streeis. 
but  ff  cunis  douH  fhe  chimbly  oyen  and  pnffs  into  fhe  room  and  gets  anuy 
mif  of  fhe  ninder.     This  is  oll  I  knote  for  once  ubonf  mir  sfreef. 

Noch  köstlicher  ist  der  Aufsjitz  desselben  Schülers  S.  44  ff'.  'Ä  Visit 
to  the  Zooloyical  Gardens'.  Of  ali  the  animals  in  this  w&rld,  the  Zooloyieal 
Gardens  is  tJte  most.  ...  The  limi,  irhich  is  the  kiny  of  all  the  nwimah  wot 
ecer  lived,  was  so  litth  thcd  I  shoiddn't  have  noen  it  uas  Mm,  only  I  hax^ 
seen  pieters,  and  my  mother  said  '■Look,  Tom,  now  you  can  say  as  yan'ee 
seen  a  Hon'.  Why  he  isnt  qimrter  as  big  as  o  eliphent,  and  he  hasn't  yot 
no  trunk.  I  think  the  eliphent  cotüd  master  htm  if  he  liked;  but  the  big 
silly  u-on'f  try,  co;^  he's  so  kind,  and  doesn't  want  to  be  kiny.  . . .  I  said  to 
my  Hiother  'I  should  like  to  Item'  the  lion  aroarimj'.  When  she  said  'uhy 
that  was  aroaring  just  now  when  the  Ixeper  looked  in  at  him' .  Then  I  neorly 
cried,  I  n-os  .so  wild;  >rhy,  if  wasn.t  like  thunder  and  lightnin  at  all.  It 
just  opened  ifs  mouth  wide,  like  as  yee  j^eed  men  sitfin  at  their  doors  and 
a  yaping  on  Sunday  ofternoons,  and  it  yoped  no  louder  than  a  apple  cart 
man  does.  . . .  The  hippopotamus  is  like  a  liftle  jnashed  elij)hent  with  its 
frunk  sawed  off.  Its  skia  is  so  fhick  thai  it  ean  stay  in  its  pond  all  day 
without  the  water  soaJcin  through.  . . .  The  fax,  wot  I  thought  was  as  big  as 
carees,  isnt  worth  a  lookin  at  eox-  of  its  s ixe.  It's  not  a  bit  of  yood  it  bein 
.^ly  where  it  is  now,  eox  there's  no  farmers  nor  huntin  men  allowed  in  the 
kogcs.  It  looks  os  if  it  wanfed  to  he  sly  but  can't.  When  I  said  to  my 
mother  'hou-  it  smell',  she  said  'Come  atong  to  the  other  animals:  that's  ifs 
slyness'.  —  /  like  the  elephent  rnore  than  all  the  uthers,  and  my  mother  let 
m£  Jmve  a  ride.  . . .  The  eliphent  wot  1  rode  on  is  called  jumbo,  and  it  is 
the  nicetist  qiiadrerped  as  ever  was  seed.  It  looks  as  if  it  cotddn't  all  of  it 
die,  it  is  so  big.  I  hehl  a  bit  of  breud  out  to  if,  but  it  wouldn't  foke  it,  eo\ 
there  was  a  lody  with  a  ßne  dres.'<ed  Httle  yirl  who  was  o  yivin  it  snyar 
huns.  I  kem  atray  iryin,  r-ox  I  should  hure  liked  fo  höre  fold  the  boys  as 
I  had  fed  jumbo.     But  I  didn't,  so  I  can't  say  it. 

Nun  Proben  aus  einem  Aufsatze  'Inseets'  S.  51  ff.  Insects  are  very 
Httle  things  that  fly  or  scrawl  about.  Yoti  mnstnt  call  things  i-nsects  that's 
as  big  as  a  mouse,  beeause  you  would  he  telliny  a  ftdseJtood  you  would.  All 
inseefs  are  not  to  be  killed.  crcept  the  heetle,  the  Spider,  and  fhe  insects  in 
ilirfy  boys'  hoir.  You  should  loce  all  other  insects.  ...  /  hure  seed  boys 
catch  block  beefles  and  moke  theut  rare,  and  then  they  kill  fhe  one  as  loses. 
This  is  very  cruel  sport,  masf  as  bod  as  rot  catch  in.  Ihw  would  you  like 
fo  be  killed  beeou.se  you  eant  iiin'!' 

Den  Aufsatz  'The  Cow'  S.  «iO  ff.  fällt  e?;  luir  schwer  nicht  ganz  abzu- 
drucken. 77/1"  Cow  is  u  noble  quodrerped.  fhough  not  .so  noble  as  fhe  horse, 
much  less  the  ronriny  Llou.  .  .  .  Its  fail  is  more  noble  tliou  the  donkey's. 
but  nofhin  to  cum  up  fo  fhai  of  the  race  horse.  —  The  cow  gires  us  miJk,  and 
nieed  beef,  and  shoolefher.  How  fhankful  should  childern  Ite  to  this  tonte 
qumirerped.  The  reasoii  trhy  beef  is  so  ileor.  i.s  fhof  eous  cost  so  twuch,  and 
the  earth  is  gettin  fnll  of  {teople.    I  alliioi/s  harr  beef  fo  mg  dinncr  on  Sun- 


168  Ueürteilimgcji  und  k\iizc,  Anzeigen. 

'hiffs:  IUI  ntlicr  (hijfK  hrcail  miil  ilr'/)jii)i  or  lirrnd  iiitil  hinl,  sometinics  treetclc,  ... 
Ho)i;  tlinnkful  oxyhf  we  to  Ite  lo  ihf.  mw  for  nicn  }iot  bee.f.  Pertaters  yrows: 
fhcAj  arc  not.  oii  the  coiv.  —  Th/i  fonr  thimfH  ivhrU  ynv  sw.s  undcr  ihe  coir'x 
helly  nrr  irliaf  f]m  niük  cotDe.s  fJfroiu/h.  Ho/r  thntihfid  shonld  m-c  hr.  The 
eow  mnkfK  inHI:  frotn  yra-sx.  God  tp(icli(;)i  ihe  r-oir  hoir  iu  (h  it.  .  .  .  Litllf 
f-mvs  are  ealled  carves.  Carees  are  the  tiUtjjhiis/  nf  nU  tarne  (fiutdrerpeds. 
exeept  piys  and  (htdeys.  . . .  Mcu  are  crewcl  f<>  curren  i.oz  tiiey  cant  dra«c 
milk  frnm  th^ni.  ..  .  Bidls  are  oery  mtich  lilcecoim,  hut  a/re  fieree  quadrer- 
peds.  YoH  can  aUivays  feil  hulh  fror»  cu'rs,  cor  huUii  are  hlwk.  and  not 
qio'fe  so  fat.  Bulh  arc  not  tamfi  (luadrcrpeds.  aiul  they  look  nf<  !,f  they  f.mdd 
r/m.  ...  Coivs  are  paiufrd  different  (-olmirs :  icliitf;  and  red.  and  yelhn-. 
When  they  are  hlack  o)id  ivhitc,  fhey  are  yenly  half  hallf,  so  you  mitsf  not 
yo  new  theni.  —  There  Is  what  is-  mlled  ereatn,  ivhich  rieh  peoph  eats;  it  is 
yot  frotn  cows  nliich  are  all  white.  How  thankful  shmM  rieh  peoph  be  for 
yettiny  what  they  call  cretmi  from  the  cow.  You  ean  harn  lessons  frotn 
fhis  poor  qn^tdrerped :  not  to  kiek,  not  to  trespass.  ntid  not  to  perseeute 
peoplr. 

Sehr  belustigend  ist  auch  'T/ie  Cat'  S.  70  tf.  Tlie  hottJie  eat  is  a  four- 
leyge/J  qi/rtdrapcd.  the  leys  as  nsuerl  beiiuj  at  the  corners.  It  is  tvh/M  is 
sotnetimes  ealled  a  tarn''  aniinal,  thouyh  it  feeds  on  mice  and,  bitxls  of  prey. 
Its  colours  are  striped.  tortiisshell,  block,  (dso  blaek  and  ibhi^ts,  and  lähers. 
Wheti  it  is  happy  it  does  not  bark,  bat  breathes  throngh  üs  nose,  instead 
of  its  inoidh,  biU  I  can't  remetnber  the  natne  they  call  the  noise.  It  is  a 
Utile  trord.  bid  I  can't  thitik  of  It,  and  it  is  ivrotiy  to  copy.  Oats  also  moii; 
ichich  tjou  have  all  heat'd.  When  you  stroke  this  tattie  qwulruped  by  dran- 
iny  yer  hand  alony  its  back,  it  cochs  np  its  tail  likc  a  rider,  so  as  yon 
cwt't  grt  no  furthcr.  Necer  stroke  the  h/iirs  acrost,  as  it  nudces  (dl  eals 
scrat  like  ntad.  Its  tail  i-s  ahoiä  too  foot  lony.  and  its  leys  abont  one  e<u-h. 
Never  stroke  a  cat  ander  the  belly,  as  it  is  very  imhelthy.  —  Doti't  teese  cats, 
for.  ßrstly  it  is  lorotiy  so  to  do,  atid  2nd,  cats  luire  clatrses  iihieh  is  langer 
thcii  people  thinl:  Gats  have  9  Ureses,  Ind  which  is  srldoin  requircd  in  this 
coimiry  cox  of  Christian ity.  Men  cats  are  alias  ealled  Totn.  and  yirl  cats. 
Pttss  or  Tiss;  bat,  qtieer  as  you  tnay  ihiidü  all  liftle  cats  are  ealled  kittens. 
tehieh  is  a  urrony  tiame  wiiieh  oityhter  be  chanyed.  .  . .  Cats  are  very  ttsefid. 
I  can't  retnetnber  one  of  the  noises  they  m-aJce,  thouyh  I've  just  been  tryiny 
ayain.  Cats  eat  tneaf  and  t/tost  anythink,  speshuUy  where  you  can't  aff'ord. 
This  is  all  about  cats. 

Aus  einem  Aufsatze  'Poliieness'  S.  78  ff.  sei  das  Folgende  angeführt: 
It  is  not  jJolite  to  fiyht  Utile  boys,  e.vcept  they  thron-  stones  at  you.  Then 
you  «an  run  after  theiti,  and  irheti  yaa'ce  c^ught  thein,  just  do  a  little  bit 
at  them,  that's  all.  Remetnber  that  all  litth  boys  are  sitnjjlelotis.  or  they 
it'otddn't  do  it.  ...  If  a  yirl  Scratches  you  on  the  cheeL  or  spifs  in  your 
face,  doti't  punch  her,  and  doti't  teil  her  mother.  That  would  be  ttiean.  Just 
hold  her  tt'ghi  behind  by  her  arms  for  a  tninute  or  tiro,  tili  she  feels  you 
could  gi've  it  her  if  you  had  a  mind  to.  Theti  say  to  her  kindly,  'Don't  you 
do  it  ayain,  for  it  is  trrong';  yive  her  a  shake  or  two,  and  let  her  yo.    This 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  169 

is  far  better  than  being  unkind  to  her.  ond  she  niU  thanJ:  you  for  yonr 
politeness.  if  she's  amjthhuf  of  a  yirl. 

Das  Thema  'Daniel  in  fhe  Lian's  Den'  gab  einem  Schüler  Anlafs  zu 
der  folgenden  Schilderung  (S.  82):  In  that  wild  cmmtry  they  l-eep  limis  in 
dark  Seilers  under  tlie  yroiind,  je^t  the  same  as  ymir  fathers  wnd  mothers 
keep  cocks  and  ftens.  They  catch  these  limis  in  the  woods  rarnd  abarf,  jnU 
theni  in  bays.  hriny  thetn  Inune  on  doitkys  trlnd  they  c<dl  nndes,  and  drop 
fheni  out  of  thf  hay  dxirn  the  hole,  und  then  they  put  u  hiy  stone,  orer  the 
hole.  How  thankful  shud  ire.  he  fhrd  there  is  no  lion.s  in  this  country :  uhy. 
yofur  fathers  couldnt  hare  no  hran  feasts,  and  the  teaehers  noodnt  yet  no 
childern  to  yo  unth  theru  in  tkeir  cans  eeery  yenr.  In  our  fields  and  u-oods 
theres  only  foxs  and  robbits.  so  they  dont  count. 

Höchst  eigentümlich  ist  der  Anfang  eines  Aufsatzes  -The  Family  of 
the  Patriarch  Jaeob'  S.  87.  'Fhe  man  Jacob  aas  by  trade  a  patriorch.  Bat 
he  didn't  briny  up  his  sons  to  be  patriarchs  cox  they  didn't  take  to  it.  except 
■loseph.  He  had  12  sons,  and  behold  there  aas  a  famine  in  the  land.  In 
thetn  days  peopde  lived  on  com,  like  horses  do  now;  not  on  vittles  and  tea. 
People  ivere  fond  of  eaiing  tvheM,  speshuUy  Jacob's  sotis.  These  bad  sons 
likcd  iheir  com  best  on  Surulays,  eox  they  coidd  walk  abcvrt,  etitin  it,  doiny 
nothing.  And  behold  there  was  a  famine  in  the  land.  Necer  steal  com,  for 
it  is  a  sin;  bat  you  can  yo  yleanin,  and  you  often  yets  a  lof  that  way. 
Don't  quarret  uhen  yer  yleanin,  but  think  of  yer  mothers  and  ."isters,  praps 
dyiny.     Be  fair. 

Auch  von  dem  nächsten  Schriftstück  'The  Bofjin  Eedhreast'  S.  89  fT. 
stehe  hier  der  Anfang :  I  see  a  robin  redhreast  for  the  first  tinte  this  year, 
and  I  see  the  seeond  one  in  Whitsun,  eise  Easter.  Tkem's  the  fwo  I  see. 
Boys  and  girls  thinks  as  sparrows  i-s  niced  birds,  but  I're  tolcl  them  nearly 
fwenty  times  as  they  dont  know  nothin  at  all  abart  it.  ^Vhy.  they  can'f 
sing,  and  they  ha  reu' i  yof  a  bä  of  red.  not  ecen  white  (inywheres  ahart 
there  bodies.  They' re  Just  worth  nothin.  They  oidy  perlend  they're  uorth 
something  by  flyiny  away  when  you  try  to  catch  them.  It's  all  per- 
tendiny.  Why,  tJtey  can't  build  picter  nests,  and  can  only  lay  nasty  mucky 
egys.  Even  police  u-on't  catch  them,  cor:  they  know  same  as  yer  fathers.  that 
they're  no  yood. 

Rührend  sind  die  zahlreichen  Yer  woodnt  Meere,  mit  denen  ein  Knabe 
•J.  Day  in  the  Country  schildert  (S.  98  fT.).  A  Day  in  the  Country  is  wot 
I  has  to  gir.  0  the  country  is  so  niced.  Yer  woodnt  beleere.  I  hare  i^^ed 
it  ö  or  6  times.  It  was  like  a  graie  big  green  sea.  Yer  woodnt  belcerc 
I  only  s-ee  it  wunee  a  yere,-  when  our  Supintendunt  taks  the  Sunday  School 
childern  all  for  nothin,  an  girs  9(s  a  tea  an  all  sorts  of  nieed  thinys.  This 
timc  it  was  to  Ashsted.  . . .  When  we  got  to  Ashsted,  yer  woodn't  beleere 
wot  a  niced  place  it  was ;  why,  I  feil  yer,  its  yreen  all  rarnd  rite  to  the  -iky. 
an  fo.vglurs,  an  roses,  an  hulldayvis  all  abart.  There's  no  roads,  an  no 
walis,  an  no  tre.spsin  boards,  an'  there's  no  pleecemen  lires  there.  They 
harnt  foutid  it  arf. 

Originell  ist  manches  in  dem  Aufsätze  über  'Postmen'  S.  ll<»tt'.    No- 


170  üciirtciliinjrcri   iirifl   kurze   Aiizcijrcn. 

fioilif  fii>il(l  hp.  Ifu/rp/j  in  ihr  niyrlil  n.rcopt  for  fhe  iiHrfnJ  ueiitlfjunv  irhnt  vp  ^nll 
fi  pofsftucin,  J'hi'  hon'  n'imld  ijint  nn  u'lirthnr  Ihosr  rtn/f-s  ninl  nnrles  r,f  ijouri* 
who  liee  'fiffid  acrosf.  thc  prkis  mid  n'i'p.rs  »ms  ihod.  if  ihe  ifevfhmm^  f)id 
not  hriny  a  henvehjpa  with  hkirh  nU  nmiiirf  Yon  inndd  IbinU  thny  wan  .still 
uHve.  and  yon'd  keep  all  on  ivrüimj  lo  thmi.  That  /.s  n-hy  postmen  are 
nllis  litth  Ihin  men  trMf/ut  bcards  ctiz  thry  harf  to  hcrp  on  tpalking  qniek 
all  day.  They  are  not  dressed  np  so  flnr  as  notdnrs  in\  they  harn't  to  yo 
and  fajht  aerost  fhe  sca.  Von  netter  me  postmcn  fiyht.  not  even  iiith  their 
pufs,  for  they  harn't  yot  no  tinie  irith  all  fhose  Mtf^r.s  to  take  round.  .  . . 
If  the  postman  doesn't  hn'ny  yoar  letters,  yon  ran  snmmons  hini.  that's 
ichy  theyre  so  friyhtonetl.  . . .  Maivy  boys  becon/e  postmen  eux  they  think 
it  is  a  yood  trade.  I  don't  think  they  yet  yood  dinners,  same  us  nieu  who 
hasw't  to  dress  up.  . . .  Never  be  et-uel  1o  them,  for  they  have  to  take  eure 
of  their  clothes  inore  fhan  yon,  and  are  not  so  bly  as  they  wonld  like. 

Ein  Mädchen*  fäugt  seinen  Aufsatz  'The  Life  of  Noah'  so  an  {S.  11:'.): 
When  the  yentleniaa  ealled  Noah  lired,  (dl  the  people  in  the  norld  aas  so 
fall  of  sins  and  marryiny.  that  the  tand  stnelt  of  niekidness  and  nndean- 
ness.  It  ivas  so  bud  that  the  hreath  of  tln;  sntell  n-ettt  up  tonards  Heaven. 
Noah  sucht  die  schlechte  Welt  zu  bessern,  indem  er  von  heaps  of  stones 
herab  jiredigt.  Bat  they  only  laiujht  at  hiai,  and  piished  him  off  the  stones, 
and  husslcd  the  poor  man  about.  jast  like  I've  seen  peopk  yo  on  at  the  Sal- 
vation  Änny  ii-hen  they  are  talkin  yood  thinys  to  ns  nmler  the  biy  blup  flog. 
The  people  u.sed  to  .stand  at  tlie  doors  of  their  tents,  and  boo  and  lioot  at 
Noah,  the  saine  as  the  Arnvy  nwn  and  wonien  is  Imajht  und  whissled  at 
by  genthfnen  standing  at  their  doors  and  winders.  My  father  says  he 
is  shamed  to  be  ealled  an  Inylishnmn  when  he  sees  hmv  the  ScUcation 
is  hnocked  about  and  prossecnded.  He  says  people  will  hold  a  drimkin 
man  up,  bat  will  knock  a  Salmtion,  doivn.  Mother  says  the  j>oliee  is 
as  bad  as  the  idliers,  cause  they  pitcnd  not  to  see  anythink  of  it.  Der 
Schlufs  lautet:  Noah  lived  to  be  950  years  old.  Hon-  nire.  I  don't  knon- 
trhetJier  ladies  lired  as  long  as  gcntlenien,  hid  I  shouhl  think  that  they  did 
netirly.  What  a  long  time  to  be  married.  I  shoiüd  like  to  think  tlwt  my 
yran mother  wonld  live  on  like  that;  but  it's  no  nse^  spite  of  hoir  nmeh 
I  hve  her.  . . .  Tfie  lesson,  I  think,  we  otigt  to  learn  from  these  things  is,  to 
take  Öftre  that  ne  are  living  as  we  knmr  Ood  wishes,  and  not  to  jossle  and 
prossecute  the  Salration  Artny,  just  cause  they  -won't  yet  drnnk,  and  they 
like  to  teil  aJ)oaf  Ood  cd  all  chfint.ses. 

Die  Auszüge  mag  der  Anfang  eines  Aufsatzes  über  'Beenk  Holiday' 
beschliefsen  (S.  139).  They  call  this  hapjty  day  Bank  holiday,  hecose  the 
Banks  sind  np  shop,  so  as  people  eant  pnl  their  money  in,  bat  has  to  spend 
it.  People  Imjin  talking  about  Bank  holiday  a  long  time  afo)-e  it  contes,  but 
they  don't  fjegin  to  spree  abont  mach  tili  the  night  afore.  Bank  holidays 
are  the  happie.st  days  of  all  your  life,    beeose  yoa  can    do  nearly   n:hat  yon 

*  Der  VoifHs.'ser  bemerkt:  As  a  rula,  die  exer'-ist<  i>f  ^/Irl.--  are  nol  ncttrhj  .^o 
ji/(jii<inl  «.-•'  those  h;i   boy.^.' 


Beurteilungen  niul  kurze  Anzeigen.  171 

like,  and  ihe  perlice  flön't  iahe  no  notU-e  of  yo».  You  can  fjo  info  fields, 
and  mähe  your  horses  and  dmrkcyR  yo  qittrh.  and  shotd  oft  ahoui  as  hard 
as  you  like.  and  larf  at  peop/e,  nnd  dress  np  in  all  different  colour.s  wHh 
ywys  on  ymtr  faces,  and  you  ^an  do  eirrythmk  but  steal  and  hrake  uinders. 
Niiver  steal  or  brake  winäers,  for  it  is  written  in  ihe  Bible. 

Diese  Proben  werden  eine  hinlängliche  Vorstellung  von  der  Fülle  Uü« 
freiwilliger  Komik  geben,  welche  die  Aufsätze  enthalten,  ebenso  aber  auch 
von  den  grellen  Streiflichtern,  die  gelegentlich  auf  das  Leben  der  unteren 
Volksschichten  daraus  fallen.  Aber  auch  in  sprachlicher  Hinsicht  sind 
die  Stiliibungeu  der  Kinder  nicht  ohne  Interesse.  Die  Kleinen  bemühen 
sich  natürlich,  ihre  Gedanken  in  der  Schriftsprache  auszudrücken.  Die 
Fehler,  die  sie  dabei  machen,  haben  zum  Teil  in  der  un phonetischen 
Orthographie  des  Englischen  ihren  Grund,  zum  Teil  kommt  aber  auch 
ihr  natürlicher  Dialekt  zum  Durchbruch.  Was  Avir  hier  von  diesem  er- 
fahren, ist  unmittelbarer  als  die  Londinismen,  die  Schriftsteller  bei  ihnen 
auftretenden  Personen  in  den  Mund  legen.  Indem  ich  nun  daran  gehe, 
die  Abweichungen  zusammenzustellen,  welche  die  Aufsätze  vou  der  Schrift- 
sprache zeigen,  sehe  ich  natürlich  von  solchen  Punkten  ganz  ab,  wie  Ge- 
brauch kleiner  und  grofser  Anfangsbuchstaben,  Anwendung  des  Apo- 
strophs u.  s.  w.  Mit  'Storm'  wird  auf  dessen  'Englische  Philologie  P 
(Heilbronn  1881),  mit  'Baumanu'  auf  dessen  'Londinismen'  (Berlin  1887), 
mit  'Franz'  auf  dessen  Aufsatz  in  den  Englischen  Studien  XII,  197  ff. 
'Die  Dialektsprache  bei  Oh.  Dickens'  verwiesen. 

I.    Lautlehre. 
A.  Vokale. 

Ich  gehe  vom  Schriftenglischen  aus. 

1.  a  a)  betont  vertreten  «)  durch  das  gleichwertige  ai.  ay  aa)  bei 
der  allgemeinen  Aussprache  crJ  in  tailf!  lo  für  fales  (feil  fail>^);  bb)  bei 
vulgärer  Aussprache  ec'  (für  aa)  in  hoorayW  iin  hurra (h)  (vgl.  Storni  ■2><''^); 
ß)  durch  e  sowohl  aa)  in  Fällen,  wo  die  Aussprache  der  (rebildeteu  ff 
ist:  then  im  than  {longer  then  pcople  think)  71,  set  für  sat  {T  shauld  have 
set  dotvn:  oder  ist  hier  Vermeuguug  A'on  to  sit  und  to  set  anzunehmen? 
cf.  Stonn  318,  Franz  221)  1'2M,  als  auch  bb),  wo  diese  ee.'  ist:  kein  für 
canie  (I  kern  anay  cryin)  17,  yer  für  yare  (Sauisoit  .  .  .  yer>  it  >tich  a  crack 
Muixt  ifs  eyes)  18.  II.  Der  erste  dieser  beiden  Fälle  erklärt  sich  aus  dem 
Zusammenfallen  von  '■  und  «■'■  in  der  Vidgärsprache  (vgl.  Storni  28<i) ;  ketu 
und  yev  aber  lassen  wohl  auf  vulgäre  Kürzung  des  Vokals  schlieisen ; 
v)  der  Aussprache  gemäfs  durch  o  aa)  bei  der  Aussprache  d :  uot  für  u-hat 
(z.  B.  Ter  uood'nt  beleeve  wot  a  niced  pkwe  it  uas  09;  vgl.  §  83),  aulscr- 
dem  u-obblin  für  uabbling  42  {He  was  allns  a  ■wobblin  abnut:  freilich  fängt 
man  schon  an,  der  phonetischen  Schreil)ung  to  irobhlr  Kingang  in  die 
Schriftsprache  zu  gestatten;  vgl.  Skeats  Etymol.  Dictionary  luid  \V.  E. 
Norris,  My  Friend  Jim  |Tauchn.J  1-32  I'oor  Pcrseux,  uho  nobhled  />prcep- 
tibly);  bb)  bei  der  Aussprache  w.-  wokeil  für  iralked.  ]'o.vhole  für  Vau.rhalt 
{We  all  woked  . , ,  to   Voxhole  Station)  98. 


17'_'  r.cnrti'iliMifreii   und  kur/.i'  Anz-cigen. 

b)  uubetuut  vertreten  «)  durch  t  (meist  vor  /):  sdlers  82  für  cella^s, 
mllerii  121  (Sai/ors  don't  irarc.  r-oVcrs),  LanyoronR  40,  iti/lers  20.  21 ;  ofdudly 
101,  fUphcut  II  ff.  101,  Siphirrh  UO  für  Happhiro ;  ■■()  durch  er  (meist  im 
Auslaut  und  vor  //):  emwerteener  119.  l.")(»  (liier  aucli  der  Plural  in  aVjge- 
kürzter  Form  t&:ners)  für  concertina,  Dcliler  l!t  für  Deliluh,  Jwkr  88  f.  für 
,luda(h};  muerl  19.  70  für  usucU;  y)  durch  *  oder  im  Auslaut  durch  y: 
Ameriky  14,  Annimm  140  für  AncMiHts,  lienjimun  88  f.,  cabhiye  4<»,  imiye 
17  ff.  84,  kerrin  100  für  cnrrant,  m-in(je  :!7,  o/y///<  }»2.  143.  149,  passige 
40.  41,  Rewbiii  88  f.  für  Ueuhen,  suviije  140,  ^SiphircJi  140  für  Happhiro. 
sossiyc  ;'.0  für  sausage;  ^)  durch  </.-  Annint'tc«  110  für  ^««/mV/ä,  Eflifunt  9S 
(=  Elcplmnt  and  Castle),  speshnlly  18.  Ol.  72  u.  ("t.  für  (eispecially,  supin- 
tcmlunt  98  ff.  für  superi/itendaut  (oder  -dent). 

c)  unbetont  weggelassen  «)  im  Anlaut:  6-a««<  113  für  o«  a^coimt,  kar- 
di/im-  149  für  aecordion,  sJtumed  81.  114  für  ushamcd;  ß)  im  Inlaut:  mtllly 
114.  115  und  actshuUy  17  für  actuaUy,  caniye  lOo.  110  f.,  yeiieUy  'ih  ff. 
und  ^P«/y  07  f.  für  generali y,  trespsin  für  (respassing  99;  vgl.  yiV^/ßs  20. 
30.  87  und  vk-tles  103  für  eicfimls:  ebenso  entspricht  /v«7.-  89  für  Isauc 
der  Aussprache. 

2.  «/  a)  betont  vertreten  «)  durch  das  ja  nur  graphisch  davon  ver- 
schiedene ay :  bulldayxis  99  für  btdldaisies ;  ß)  durch  das  häufig  denselben 
Laut  bezeichnende  a:  parc  {a  big  pare  uf  sixxcfs)  19;  y)  in  Übereinstim- 
mung mit  der    auch  bei   Gebildeten   üblichen  Aussprache  durch  c:   ayen 

18.  2ii.  43  u.  ö.,  ayenst  88,  ivestcutt  99  für  ivaistcoai:  <V)  nach  der  vulgären 
Aussprache  des  e  (vgl.  Storni  289,  Franz  21(i)  durch  /:  agin  19;  t)  infolge 
der  extremen  diphthongischen  Aussprache:  strite  für  straight  102. 

b)  unbetont  vertreten  durch  i:  captin  121  f.,  certin  110,  tnomdiiig  für 
niountaiii  117,  PI.  mountins  122. 

3.  au  a)  betont  vertreten  «)  bei  der  Aussprache  öd  aa)  durch  das 
lautlich  vor  gh  oft  gleichwertige  ou :  cought  (He  was  coagid  ivitli  a  fishing 
hook)  102,  toiight  (for  haaing  fonght  liim  a  lessan)  102;  bb)  durch  o:  cote 
(z.B.  Santson  just  tote  it  by  tbe  chin)  18.  52.  123  (vgl.  la/bb);  sossige  o^ 
für  samage  (in  diesem  Worte  kürzt  die  Vulgärsprache  den  Vokal;  vgl. 
sassage  bei  Storm  289  und  Baumann);  ß)  bei  zwischen  öd  und  ö  schwan- 
kender Aussprache  aa)  durch  o:  becose  83.  84.  122  u.  ö.,  noch  häufiger 
aber  dafür  coz  17.  18.  19.  40.  41  u.  ö.  (vgl.  cos  bei  Franz  213  und  237)  und 
selbst  bb)  «««-  25.  110.  111  wohl  wegen  einer  durch  die  Tonlosigkeit  im 
Satz  herbeigeführten  vulgären  Modifikation  der  Aussprache;  y)  bei  der 
Aussprache  aa  durch  ar:  arnfs  für  awds  110,  larf  18.  Ol.  83  u.  ö.  für 
faiigk,  Prät.  larft  30. 

b)  unbetont  vertreten  durch  o:   Voxliols  98. 

4.  aw  betont  vertreten  durch  o  (vgl.  la/bb  und  3a« bb):  jobone  19. 

5.  ay  a)  betont  vertreten  durch  das  nur  graphisch  verschiedene  ai: 
pfaid  (TFe  plaid  leapfrogs)  99,  wie  die  Grammatik  ja  laid,  paid,  said  ver- 
langt. 

b)  unbetont  «)  durch  i:  allis  99.  HO  f.  für  altcays;  ß)  durch  u :  aihts 

19.  4(1.  41  u.  ö.  ebenfalls  für  alnays. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  17?> 

tj.  e  a)  betont  «)  bei  der  Aussprache  il  durch  das  gleichwertige  ee 
vertreten:  reeol  \^.  124,  uee'd  für  ire  had  99;  ß)  bei  der  Aussprache  w 
durch  das  oft  gleichwertige  ei:  fheir  für  therp  21.  Iu2;  v)  bei  der  Aus- 
sprache ('  durch  u:  turriers  101;  das  scheint  auf  eine  Verdumpfung  vor  r 
hinzudeuten,  welche  die  mafsgebeude  englische  Aussprache  in  solchem 
Falle  nicht  kennt,  wohl  aber  die  amerikanische  (Storm  a.  a.  O.  340);  vgl. 
umgekehrt  kerrm  für  currant  (24a/?aa);  S)  bei  der  Ausspi'ache  /  in  pho- 
netischer Schreibung  durch  /;  bifilishinan  114. 

b)  unbetont  sehr  häufig  durch  i,  auch  in  Wörtern,  wo  es  in  der 
Sprache  der  Gebildeten  stumm  ist:  angil  84,  kornit  149,  cruellist  ö2, 
drunkin  114,  eliphent  44  ff.  101,  Elliftint  98,  funnil  126,  garding  für  garden  18, 
Japhü  115  für  Japheth,  niissis  140. 14?>.  150  für  mistress,  nicetist  für  nieest  47, 
profits  für  praphets  49,  Betvbin  für  Retiben  88.  89,  stupidist  67,  nichid  115, 
u'iekidness  114;  hijoyed  124,  pitetid  114  für  pre^e^w/.  Hier  sei  auch  gleich 
mit  y  erwähnt  rightyess  114  für  righteous. 

c)  unbetont  zum  Teil  mitsamt  konsonantischer  Nachbarschaft  weg- 
gefallen: ea?<se  114.  115.  117  und  cox,  cux  (vgl.  §  .Sa,5)  für  heeanse,  hleeve 
45.  115  für  helieve,  braclng  50  für  embraeing,  lastiks  140  für  elasties,  genly 
67  f.  für  generaUy,  gnmior  141  für  governor  (vgl.  Baumanu  XC,  Franz  212), 
hmndrin  90  für  Immd^ring,  praps  42.  60.  84.  88  nach  der  auch  von  Sweet 
im  Elementarbuch  gegebenen  Aussprache  von  perhaps,  die  andere  für 
vulgär  erklären  (vgl.  Baumann  144  b),  sm-rins  61  für  sorereigus,  sitpinten- 
dtmt  98  ff.  für  superintendant,  whispring  148,  yesday  25  (vgl.  Franz  21."). 
Vgl.  teeners  150  für  coneertinas. 

d)  stummes  e  wird  oft  nicht  geschrieben  a)  in  der  Endung  des  Prä- 
teritums und  passiven  Participiums  der  schwachen  Verba:  askt  124,  arskt  18. 
20.  25  u.  Ö.,  droicnd  10.3,  langht  114.  123,  larft  36,  /o«y/ 83,  wjfxi;  142,  past  91, 
jo/rt/rf  99  für  played;  so  auch  in  den  Neubildungen  groicd  93.  142,  knowd  18. 
20.  141;  /5)  in  anderen  Fällen:  kern.  47  für  r-aiue,  chants  71  für  chmiee,  co\ 
und  «a  (§  3a/S)  für  Iwcanse,  cum  40.  43  für  fo/»^,  r»;«.«  43  für  comes, 
fernst  83  für  fierce,  foxghivs  99,  .ye«?  18.  44  für  gare,  girraffs  45,  git  98,  sr/yÄ 
98,  ?H«Ä-  99,  minit  20.  47  für  minute,  mi  für  07«e  und  uns  für  o««?  (vgl. 
§  nhßee),  Phillistins  17.  18.  20,  picter  44.  90.  92  für  picture,  pleters  A\. 
45.  90,  por r >j  S8  für  parridge,  qniet  117  für  ^«t^,  scarstly  147  für  scarcely, 
sum  93  für  .so>;<e,  skweex  45  für  squeexe,  tak.  42,  /oA.v  98,  ^a//.«  40  für  /«/es, 
tlghtning  79,  ^er  17.  18.  45  u.  ö.  für  ye  have.  Abweichend  von  der  Schrift- 
sprache wird  häufig  e  nach  einem  einfachen  Konsonanten  gesetzt,  wenn 
die  übliche  Bezeichnung  des  davor  stehenden  langen  Vokals  geändert 
worden  ist;  vgl.  imre  für  pair,  cote  für  caught,  brake  für  break-,  grate 
für  great,  wäre  für  trear,  yerc  für  year,  thcre  für  their,  cote  für  coat, 
pore  für  poor,  iwse  für  knoivs  (wegen  der  Belege  siehe  die  einzelneu 
Vokale).  Ebenso  steht  stummes  e  zur  Bezeichnung  der  Tjänge  des  be- 
tonten Vokals  bei  Wegfall  des  gh  in  rite  99  für  /•//////.  fite  121  für  figid 
and  strite  102  für  straight  (vgl.  auch  sins  92  =  sighitig);  ebenso  bei 
Wegfall  des  thc  in  elose  18.  89.  90  u.  ö.  (für  c/ofltes).  Vgl.  ferner  noch 
noen  44  für  knoten    und  nach    kurzem  Vokid   dnsent   125.    was    wohl    ein 


171  l'KMirt<'iliiiij;cii   1111(1    k'ui'/c  Aiizoiiicii. 

hlofsef«  Vorsehen  für  dofnnl  ist.  Die  Hinzufügnn«;  von  r  in  tilllis  und 
r.ictUs  (s.  1  e,*)  ist  durch  Annlogie  veranlafst.  Es  sei  aneh  Winniipldini 
99  für  Wimhii'doii  erwähnt. 

7.  ca  betont  a)  bei  der  Aussprache  cc  durch  das  gleldi wertige  a  mit 
nachfolgendem  stummem  r  vertreten:  brahr  VM">.  \H\,  iirnte  08,  wäre  121; 
b)  bei  der  Aussprache  //  n)  <hirch  das  gleicli wertige  er.:  meef  102,  neer/y 
loO.  122.  \2'.',  fcfisc  71;  ß)  durcli  das  gleichwertige  e  mit  nadifolgendem 
stummem  r :  i/erp  OS.  100;  c)  bei  der  Aussj)raciie  r/a  durch  das  gleicli- 
wertigc  a :  hnii  8:'>,  s/rrrtftrf  141.  1 1.">,  mrcctnrt.^  110.  II?,;  d)  bei  der  Aus- 
sprache '"'  phonetisch  durch  r:  (Irrdful  ll(i,  Imh  00,  imhrlihtf  7),  liernj 
12:5,  kther  tjß  (vgl.  Letherhend  141),  Ashsted  08  f.,  Hamsfefl  *.)0,  msiefl  150; 
ob  T/orr/  BekonsfieM  S.  40  hierher  gehört  oder  mit  t/erp  bA'  zusammen- 
zustellen ist,  läfst  sich  nicht  entscheiden,  da  der  betoute  Vokal  in  Bpneotis- 
field  bald  //.  bald  f  gesprochen  wird;  e)  bei  der  Aussprache  xj  «>  durch 
das  gleichwertige  e:  lienis  für  mrnit  150  (Iirrus  hnl.f  fnther'H  irarjes).) 
fJ)  durch  ee:  herrd  als  Prät.  {I  hfrrd  lihn  feil  nnj  wnfhf^r)  150  und  als  Part. 
{Tre  Itcpfd  on  if)  122:  da  die  vulgäre  Aussprache  den  Vokal  als  //  hören 
lälst  (Baumann  XCVI ;  vgl.  auch  heerd  bei  Dickens  zur  Charakterisierung 
der  Sprache  Sam  Wellers  [s.  Franz  218]),  .so  ist  diese  gewifs  an  der  Schrei^ 
bung  heerd  für  heard  schuld. 

8.  eau  durch  das  einfachere  pav  vertreten:  Iwuiifvl  142.  U4. 

9.  ee  der  gewöhnlichen  Aussprache  gemäl's  durch  /  vertreten  in 
th f ipiie.nee  147;  aber  auch  in  nriiif/f  pill  :>7  für  ormitje  peel :  liegt  hier  ein 
blofses  Verseheu  vor  (etwa  Verwechselung  mit  pHl)  oder  vulgäre  Verkür- 
zurig  in  dem  minder  betouten  zweiten  Teil  des  Kompositums? 

10.  pA  a)  betont  «)  mit  der  Aussprache  //  (Avonebeu  freilich  auch  ai 
vorkommt)  vertreten  durch  gleichwertiges  pp  in  nepther  42;  ß)  mit  der 
Aussprache  li  durch  gleichwertiges  p  mit  nachfolgendem  stummem  e  in 
therp  00  für  thpir:  b)  unbetont  der  Aussprache  gemäi's  durch  /  in  snrring 
Hl  für  sovereif/ns. 

11.  PO  der  Aussprache  gemäl's  verti-eten  durch  ee :  pepple  90.. 

12.  eu  durch  das  gleichwertige  etr  vertreten:  Renbin  88  f. 

i;5.  etc  scheint  durch  mr  vertreten  in  mmr  (Cats  also  inoic)  71,  aber 
möglicherweise  ist  moir  (Aussprache  moo"'^)  ein  ganz  anderes  Wort  als  mew. 

14.  pji  unbetont  vertreten  durch  das  gleichwertige  //;  rhitnblij  48, 
donkys  82. 

15.  /'  a)  betont  «)  bei  der  Aussprache  a!  vertreten  durch  das  (im 
Auslaut)  gleichwex'tige  ie :  qttiet  117  für  qidte  (She'x  quiet  as  (jood  as  those 
ladks);  ß)  bei  der  Aussprache  ii  durcli  das  gleichwertige  ee:  poheecmw  41, 
pollepceman  111,  plpeccinen  00,  couppriccnpr  140  f.  und  teener  150  für  cmicer- 
fina;  y)  vor  r  bei  der  südlichen  Aussprache  o,y  durch  das  vor  /•  gleich- 
wertige c:  shcrf  Ol,  .sk/t-ert  52  für  sqtdrf,  sk/rcrts  52. 

b)  unbetont  «)  durch  das  gleichwertige  ;/  vertreten :  casi/er  149,  ecvsyest 
140,  pypttypst  142;  auch  soldyer  42,  wo  auch  in  der  Aussprache  der  Ge- 
bildeten di  gewöhnlich  Palatal  ist  (vgl.  riyldyess  114);  ß)  durch  ei 
pudden  88.  122.  125  f.  für  pudding  (nach  vulgärer  Aussprache:  Baumann 


Beurtoiliiiifion   und  kurze  Anzeigen.  175 

s.  V.  puddeu);  y)  durch  ii :  Bevjhmm  SS.  S9  (vgl.  Storni  290);  <^)  nicht 
zur  besonderen  Darstellung  gekommen,  aa)  indem  für  ei,  sei  und  ssi'  der 
gewöhnlichen  Aussprache  gemäfs  f<h  oder  ssh  geschrieben  wird :  speshaUy  l(i, 
apeshulhf  87.  88.  itO.  110  u.  ö.,  jiresJw.i  50,  eemshenses  59,  misshiuaries  17 
(wo  das  zweite  /  für  o  steht);  bb)  wohl  infolg-e  ungenauer  Lautaualyse 
in  sin^  92  für  sighing  {All  the  birds  in  tUe  air  went  a  sine  aiul  a  sohbin). 

16.  ie  a)  betont  vertreten  «)  bei  der  Aussprache  oi  durch  das  gleich- 
wertige y:  ert/d  84.  9'i.  150,  ty  122;  ß)  bei  der  Aussprache.//  aa)  durch 
das  gleichAvertige  ee:  heleeve  98  ff.  122  f.  125,  bkeve  45.  115;  bb)  durch 
das  gleichwertige  e.o .-  feorsf  8'^  für  perce:  y)  der  Aussprache  gemäfe 
dui-ch  e:  frend  81. 

b)  unbetont  «)  vertreten  durch  das  gleichwertige  /.•  Imlldayzis  99, 
matTid  18.  19.  115;  ß)  durch  das  gleichwertige  y :  htiryd  84,  marryd  lä'l, 
worrys  37;  7)  entstellt  in  hnndkerehers  99.  122  für  liondkeir-hieß  (vgl. 
Storm  297). 

17.  o  a)  betont  vertreten  «)  bei  der  Aussprache  00'  durch  das  pho- 
netische Ott:  hmild  99;  ß)  bei  der  Aussprache  ««/  durch  das  gleichwertig-e 
00:  too  71  für  two;  y)  vor  r  bei  der  Aus.sprache  9d  aa)  durch  das  gleich- 
wertige u :  fvr  für  f(w  {for  nothiny)  100,  wurshipped  17,  ivurshippiny  20; 
bb)  durch  das  gleichwertige  <?.-  werkhoxen  100;  5)  bei  der  Aussprache  a 
phonetisch  durch  ?/.-  e«/m  40.  4?>  für  come,  cumin  41,  eums-lS,  fox-gliws  99, 
gucnor  141,  \dher  19.  115,  lähers  40.  71.  114,  amdher  18.  41.  84,  ■«?<»*  93, 
tuppence  15(»  (nach  der  gewöhnlichen  Aussprache  für  Uropenee),  minm  9?', 
uttnder  115.  Wegen  lo^  —  one  im  engen  Anschlufs  an  ein  Adjektiv  siehe 
unten  b/?ee. 

b)  unbetont  «)  vor  der  Tonsilbe  aa)  vertreten  durch  er  (vgl.  Storm 
292):  petiice  20.  \?j9,  perliceman  00.  61,  pertaters  für  potafoes  66,  terbacea 
112;  bb)  weggefallen  in  pleeeemen  99  (vgl.  Storm  292),  feemrs  für  eoncer- 
tinas;  ß)  nach  der  Tonsilbe  vertreten  aa)  durch«/  terhaeea  l\2;  bb)  durch 
P-:  ehariet  49,  faetery  141,  /y«te-  142  für  liqum;  si%xers  19  für  seissors: 
cc)  durch  er  (vgl.  §  23  b):  piwierl 49.  150;  oug/da-  71  und  «//"er  27  für 
oj/^rAi  to;  zugleich  unter  AVegfall  von  /'.•  thinker  [What  do  ymi  think^r 
that?)  83,  hindser  {all  kindser  colows)  89;  vgl.  pertaters  66;  dd)  durch  /.• 
inisshinwrics  17;  ee)  durch  a:  kordiiin  149  für  aeeordion,  seewid  20, 
Wimmeldiin  99  für  Wimbledon,  a  badmi  (=  a  had  mie)  18,  tJie  baduns  42, 
Uttluns  'II,  //«e  besfuns  43. 

18.  of/  vertreten  a)  betont  durch  das  gleichwertige  o  nebst  nachfol- 
gendem stummem  o:  cota  143;  b)  unbetont  durch  u :  ice^teutf  99  (vgl. 
Storni  292).  -    mI).!)!--.!./-  u-.u;-.: 

19.  oe  betont  vertreten  a)  bei  der  Aussprache  utt  durch  fläs  gleich- 
wertige 00:  skookther  60;  b)  bei  der  Aussprache  <>  «)  durch  das  gleichwertige 
?/.-  rf8/>?  99;  ß)  wohl  nur  durch  ein  Versehen  durch  o  mit  nachfolgendem 
stummem  e  in  dosen' f  125  statt  dnesn'f.     \Vegen  poHaters  00  vgl.  17b,c?cc. 

20.  or  vertreten  a)  betont  durch  das  nur  graphisch  verschiedene  oy : 
joyti9H;  b)  unbetont  durch  //.•  forPassJ/el/ ~9  {\g\.  15b;',  da  die  Aussprache 
der  Gebildeten  fod'tix  ist). 


170  Beurteil iiM>i<'ii  mid  km/c  Anzeigen. 

21.  o<>  ))etont  vertreten  durch  o  der  vidf^ären  Ausspnielie  ^cniäiK 
(Storni  293):  pore  92,  jwrcr  42. 

22.  Oll  a)  betont  vertreten  «)  bei  der  Aussprache  an  durch  ur  (vgl. 
23a«):  ohart  für  almU  17.  10.  20.  82.  81.  87.  88.  00.  Ol.  0.^..  00,  <y//v«/ 82. 
8:1.  81.  09,  uH  99;  diese  seltsame  Lautbezeichnung  mufs  ihren  Grund  in 
der  vulgären  Au.ssprache  des  Lautes  haben;  ß)  bei  der  Aussprache  66 
oder  in  London  gewöhnlich  öö  phonetisch  durch  o:  porin  116  ^.iyXip&iiriny; 
-/)  bei  der  Aussprache  o6  durch  af  in  öfter  27  oiai^d  to  (  H>  öfter  aluayfi 
he-  forefiU);  vgl.  unten  §  ^'.2  und  Fälle  wie  .^orcy  für  sai(ct)  bei  Storni  289; 
Harker  meint  freilich  S.  28,  öfter  stünde  für  höre  to:  S)  bei  der  Aus- 
sprache ou  aa)  durch  e  vor  r:  ijer  für  your  10.  I.").  .52.  71  u.  ö.  Die« 
entspricht  der  schwachstufigen  Aussprache  j^r  in  Sweets  Eleaientarbuch 
XXXII;  bb)  im  Auslaut  durch  er:  yer  für  ymi  17.  18.  20.  21.  41  u.  ö. 
Dies  entspricht  ebenfalls,  abgesehen  vom  r,  der  schwachstufigen  Aus- 
sprache jo  bei  Sweet  a.  a.  O.  Es  ist  aber  zu  beachten,  dals  yer  auch  für 
you're  geschrieben  wird:  TJiufs  jmt  wlterc  yer  wrony  17;  When  yer  flyi/iy 
yer  kites  .52 ;  When  yer  yhanin  88.  Dafür  findet  sich  you  geschrieben  84 
(vgl,  §  39).  s)  bei  der  Aussprache  a  phonetisch  durch  v:  ynng  143,  ruff 
141  für  rough;  ^)  bei  der  Aussprache  o  phonetisch  durch  o:  coff  72  für 
cough;  t])  bei  der  Aussprache  u  aa)  durch  oo  nach  Analogie  von  good, 
stood,  wood  u.  s.  w. :  icood  für  uoiM  18.  83.  84  u.  ö.,  ooodn't  99;  bb)  durch 
u:  skud  82;  dies  entspricht  wohl  der  schwachstufigen  Aussprache  fod  bei 
Sweet  a.  a.  O.  XXXIII. 

b)  unbetont  vertreten  «)  durch  e:  porler  151,  rightyess  114;  ß)  durch 
u:  preshus  50. 

23.  otv  a)  betont  vertreten  «)  bei  der  Aussprache  oh  durch  or  (vgl. 
22 aa):  dam  üir  dornt  82.  83.  98.  99;  ß)  bei  der  Aussprache  oo"  durch 
das  gleichwertige  o  oder  oe:  rto  für  Imow  41.  42.  45.  84.  110.  111.  112, 
nose  40  für  hwivs,  noen  44  für  hioioi, 

b)  unbetont  vertreten  durch  er  der  vulgären  Aussprache  gemäfs  (Storm 
292):  fcllers  124,  folhrin  123  für  foUowimj,  holler  102,  sicallered  36,  wimler 
41.  48,  wimiers  41.  99  u.  ö.,  yeUer  44.  126,  gellerer  141. 

24.  u  a)  betont  «)  bei  der  Aussprache  jmi  oder  im  vertreten  durch 
das  gleichwertige  eiv :  mensik  84,  creu-el  67 ;  ß)  bei  der  Aussprache  a 
aa)  der  vulgären  (Storm  294),  aber  auch  von  Sweet,  Elementarbuch  44  b, 
gelehrten  Aussprache  entsprechend  durch  e  in  jesf  49.  82  (Jest  llke  fire- 
ivorks;  jest  the  same  as);  aufserdem  findet  sich  kerriu  100  für  currant  als 
Gegenstück  zu  tiirriers  (vgl.  6ay);  bb)  durch  /  in  sich  18.  21  ebenfalls 
der  vulgären  Aussprache  gemäfs,  die  hier  den  älteren  /-Laut  erhalten  hat 
(Storm  294). 

b)  unbetont  a)  vor  der  Tonsilbe  bei  der  Aussprache  u  durch  oo  ver- 
treten (vgl.  22a<;aa):  hooray  für  hurra(h)  00;  ß)  nach  der  Tonsilbe  aa)  mit 
der  Aussprache  im  durch  er  (vgl.  22atV):  qiufdrerped  47.  66  ff.;  instrer- 
ments  149;  bb)  vor  r  in  dem  Suffix  -itre  durch  e  (vgl.  Franz  203): 
piefer  44.  90.  92,  picters  44.  45.  90;  cc)  der  Aussprache  gemäfs  durch  * 
in    mimt  20.  47    für   mimite;    dd)   (bei  ähnlichem  Lautübergang   in    der 


?Vurteiliiii<;tMi  mul  kurze  Anzeigen.  177 

V^ilgärsprache  ?)  ebenfalls  durch  *  iii  adilly  111.  115;  ee)  der  Aussprache 
gemäfs  nicht  geschrieben  in  vittles  20.  ".6.  87  und  i^ictlcs  lOf,  für  rietuals: 
ff)  unterdrückt:  reylar  ISO  (Storm  294). 

25.  m  betont  vertreten  durch  das  gleichwertige  nr :  biete  P>5  für  blne, 
Teivsdmj  71,  trew  81. 

26.  ui  betont  phonetisch  durch  /  vertreten:  bild  115,  bildiny  111. 

27.  y  betont  durch  das  gleichwertige  /  vertreten:  hhn  für  hymn  loi». 

B.    Konsonanten. 

28.  b  ist  vorhergehendem  m  assimiliert  worden  in  Wimmelduti  99  für 
Wimbledon,  eingeschoben  in  ehimbly  1:^.  für  chimney  (vgl.  Storm  295, 
Franz  210,  Baumann  XCI). 

29.  c  und  ch  mit  der  Aussprache  /.■  werden  /.■  geschrieben :  Afrika  42, 
Ameriky  44,  Amerikan  147,  Bckonsfiehl  19,  hak  89,  .kriko  82,  kage  44  flf'., 
kern  47  für  came,  kerrin  100  für  eurrant,  konlinn  149  für  aceardion,  kornit 
149  f.,  tos^^7^f  140  für  elasties,  meivsik  84,  publik-liouse  142,  skampering  117. 
Für  f  und  sc  mit  der  Aussprache  .s  tritt  s  ein :  sellers  82  für  cellars,  con- 
shenses  59  für  cmisciences,  fearst  8?»  für  fieree,  scarsely  V2P>  und  scarstly 
147,  <««se  102,  sir,%ers  19  für  seissors;  ts  in  chants  71  und  chantscs  117 
für  chatu-e,  chances.  Für  '•/  und  .sc/  wird  .sA  der  Aussprache  gemäfs  ge- 
schrieben in  speshally  40,  spesimlly  87.  88.  99.  116  u.  ö.,  conshenses  59; 
aber  für  das  ebenso  gesprochene  ee  steht  infolge  von  Verwechselung  oder 
ungenauer  Lautanalyse  rhe  geschrieben  in  ocheant  122  fF.  125  f.  Der  Aus- 
sprache gemäfs  fehlt  c  in  vittks  20.  :'0.  87  und  in  dem  sich  sonst  genauer 
an  die  etymologische  Schreibung  anschliefsenden  vituals  79,  ferner  in 
exppt  .50.  88.  92.  112. 

."0.  Für  dg  steht  das  gleichwertige  J  in  porrij  88.  Nach  der  Aus- 
sprache auch  der  Gebildeten  wird  für  d  im  Auslaut  t  geschrieben  in  aski 
124,  arskt  18.  20.  25.  30.  47,  arsket  89.  91.  92,  lauglit  114.  123,  larft  36, 
mixt  142,  pasf  91.  Dagegen  beruht  wohl  auf  vulgärer  Aussprache  beJiinf 
18.  20.  44.  Für  and  ist  an  geschrieben  98  {a.n  //yV.s-  ns  n  fm  an  all  sa/is 
of  niced  tkinys  und  up  an.  dam).  i>9  [yircn,  ait  yrccn,  an  yircn  u.  ö.,  auch 
an  a  big  ehain).  100  (vgl.  Sweets  Elementarbuch  XXXI).  Vulgär  ist  der 
Aus-  oder  Abfall  von  d  in  hans  98,  stau  41,  stanniu  41,  gmnmoiher  117 
(vgl.  Storm  S.  295).  Zugesetzt  ist  der  vulgären  Aussprache  gemäfs  d  in 
droumd  114,  drownded  116,  drmmding  103  (vgl.  Storm  295,  Franz  208). 
Dagegen  die  häufig  vorkommende  Schreibung  niccd  für  nicc  25  f.  16.  iSC*. 
90  ff.  98.  100.  122.  123.  125  u.  ö.  giebt  die  vulgäre  Aussprache  gewils 
weniger  gut  wieder  als  nicrl  (s.  unten  41). 

31.  f  wird  der  vulgären  Aussprache  gemäfs  (vgl.  Baunuinn  p.  Jli 
arter)  nicht  geschrieben  in  arter  {arter  bis  ditmer)  83  und  arternoon  20; 
vgl.  ferner  thinker  83  für  fhink  of,  kind.fer  89  für  kinds  of 

32.  g  fehlt  der  allgemeinen  Aussprache  gemäfs  in  sovrins  61  für 
socereigns,  aufserdem  aber  aufserordentlich  häufig  der  vulgären  Aussprache 
gemäfs  (Storm  296,  Franz  200)  bei  der  Endung  iny,  namentlich  beim  Particip 
und  Verbalsubstantiv:  courtin  17,  yoin  a  nnirtin   \X,  Jokin   IS,  tliinkin   18, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  12 


17!^  FirMirfoiliiiiüni   iitid  kurze  An/.Hgcti. 

Ii(jlifiii  11',  ni'jijlht  1'.',  comiii  ■_'(),  Irlliii  2<i,  tjcftiii  2",  sn>ns//i)i  21,  n-asl/in  20, 
akisshi  2(1,  rv////*  2^,  finhlin  i'.T  u.  s.  w. ;  femer  herrin  02,  herrins  -12, 
pal/'ns  Ol,  s/o('I:r?/s  12,  ihkIiIpii  "^S.  122.  12-')  f.,  Wftshinfon  117;  vgl.  auch 
itofhhi  II.  <;n.  Oll.  02.  OS  u.  8.  w.  Aber  es  zeigt  .sich  auch  umgekehrt  w^ 
für  ft/>?,  'w;  moiintinii  117,  finrdinii  If^.  Wir  finden  aber  auch  (vgl.  Storni 
S.  20."),  Franz  8.  200)  rrrn/fhwl:  T>().  l:W,  oii>/fM,>l:  72.  Sl.  IN.  111.  112. 
Stumme!»  .'///  wird  nicht  geschrieben :  r//^  00  für  >/V/A/.  xfroif  121  und  .s^r//^ 
102  für  stfraif/hf,  tltr  121  für  lifilit.  shir  02  für  sifiliinfi  und  ebenda  das 
seltsame  .s/>;^^/  für  ><itj]i€.(l.  Für  ////  mit  der  Aussprache  /'  wird  f  oder  ff 
gesetzt:  larf  \'f^.  (!1.  80  u.  ö.,  /^//■/'/  .''G;  ooff  72  für  r-owjh,  ruff  111  für 
roufjli.  Die  Schreibung  ^/"/^r  27  für  w/r/Ä/  ^o  ist  offenbar  durch  c/z-^v  für 
aftrr  (§  .'^.1)  veranlafst:  /"ist  also  als  stumm  anzusehen. 

3:^  //  wird  in  Übereinstimmung  mit  der  gewöhnlichen  Au.ssprache  in 
Südengland  nicht  geschrieben  nach  ir :  necl  20  für  ivheeK  icether  So.  lOo. 
Ill2  für  lihrfitrr.  irielievcr  00,  irislcrs  2.';,  irhpprcfJ  0],  irot  17.  IP-.  10.  20.  40. 

II.  A'2  u.  s.  w.  Von  dem  in  der  Vulgärsprache  so  beliebten  'dropping'  des  h 
giebt,  abgesehen  von  pfops  für  perhapft  (vgl.  Oc)  und  emiürhem  (—fitem: 
vgl.  §  18),  nur  ein  Aufsatz  Belege,  und  zwar  auch  nur  in  einem  Wort: 
fticeetarf  141.  1  If!,  s/rcpfarfs  140. 1 1.0 ;  zugesetzt  findet  es  sich  in  henrelope  llu, 
he.rns  150  für  earn^  und  hod  (il  für  odd.  Vgl.  Deh'kr  10  für  Drlikdi,  aber 
umgekehrt  SipJiireh  1  Iß  für  Sapphira.  Wegen  der  AVeglassung  des  fjh 
oder  des  Ersatzes  desselben  durch  f  oder  ff  s.  §  32 :  nur  //  ist  weggelassen 
in  straigt  84,  im  ougt  117.  '' 

:li.  ^"  wird  der  Aussprache  gemäfs  vor  «  Üicht '  geschrieben :  nee  17 
für  hnee,  ndf  99  für  /,wlf,  neir  .50.  ßl.  8?.  für  l.nen;  no  41.  42.  4.5.  84.  110. 

III.  112  für  /:)wii\  nose  40  für  ki>o/rs.  noen  44  für  knoioi. 

35.  ^  wird  der  Aussprache  gemäfs  nicht  geschrieben  in  eood  09, 
shnd  82,  ^row/  18.  8:^).  84  u.  ö.  statt  cmdd.  shoidd.  trmdd :  ferner  in  rrtrfGl, 
can-es  45.  46.  67  für  calf,  cahes. 

36.  n  wird  der  Aussprache  gemäfs  nicht  geschriebeu  in  hi»i  100  für 
hy))in.  In  /  ist  es  in  der  Vulgärsprache  (vgl.  §  28)  verwandelt  in  chimbhj 
43.  Die  Form  sined,  92  (SJie  nrshct  fnfher  hon-  hirds  sincd  and  sohbed)  ist 
wohl  nur  ein  durch  das  vorhergehende  All  f.he  birds  !)>  fhp  nfr  /rruf  n  sine 
(für  si(//iinf/)  anif  a  sohbin  herbeigeführtes  Versehen. 

37.  p  wird  der  Aussprache  gemäfs  weggelassen  in  Hrnnsted  Oo  für 
Hampstead  und  in  SipJmrh  146  für  Sapphira.  Für  ph  ist  das  gleich- 
wertige f  getreten  in  profits  40  statt  j)rophets  und  Jafit  115  statt  Japheth. 

38.  Für  qii  erscheint  einigemal  phonetisch  liv:  h/reer  115,  shweex  45, 
skivert  52  für  sr/niit,  stimis  52;  für  r/a  init  der  Aussprache  /.■  einmal  cl:: 
licher  142  für  fiqifor. 

39.  Nach  vokalisches  r  ist  nicht  geschrieben  in  bnsfin  Si  U\r  bnrsfinf/.- 
t/ou  ebenda  {Yott  Jusf  a  sayin  if)  für  ijou'rr.  das  ebenso  wie  //o?«  oft  durch 
yer  vertreten  wird  fvgl.  §  22a(Vbb);  endlich  in  ijesdaij  25  für  yesterday 
Zwischenvokalisches  /•  fällt  weg  in  geneUy  35  ft'.  und  fienly  67  f.  für  getie- 
rally  und  in  sitpinfendnnf  08  ff.  Vorvokalisches  /•  endlich  ist  geschwunden 
in  pitend  IM    für  pretend  und  in  missis  (ohne  Namen)  143.  151,  missis's 


B(Mirtoiliing»'ii  iiiid  kurze  Aiizoigeu.  170 

110,  mis/^iscs  l|(i  (vgl.  Baumaun  KiOb).  Zugesetzt  ist  r  in  offer  für 
<mght  to,  arnfs  110  für  oimts,  ard-  92,  arskmff  40.  4C>,  arsld  18.  -20.  2,";.  ?,ß. 
17,  ors/.et  89.  9].  92,  nrter  83  für  a/if^y,  arfernoon  20,  <^^-ffr/'  07,  carrrs  4'\. 
IH.  07,  coitcerteener  149.  1.50  und  ieenfm  1")0  für  concertiua  und  den  Plural, 
Deliier  19  für  DelUah.  fhrnir  11  für  rZ/r^^r,  frirfit  52  für  fast, ,fpUers  124  für 
felloics,  foUeriu(j  123  für  foUmv'nui,  hnller  102  für  holloir,  insfrennents  119 
für  instnnuents.  .hirlrr  88.  89  für  .Jiidnlh),  hhuher  89  für  /■///r/.«  o/J  /ar/"  18. 
Ol.  83  u.  ö.  für  laufjh.  larff  ^"0  für  IniKjlirf],  oiighter  71  für  wi-f/Ä/  /o,  ^j^;'- 
/?V?e  20.  139  iiiT  poliee,  i)erliceman  00.  Ol,  perfafcrf  00  iür  jiofaftws,  piaiier 
149.  löO  für  piftno,  qt/adrerpecl  17.  00  ff.  für  quailrnpeil,  sicallered  30  für 
sHcilloued,  terbaecn  112  für  tobaccn,  think/'r  83  für  ^A/??/.-  o/'.  usiierl  19.  7o 
für  tisital,  iricherd  17.  83,  irinder  41.  13  für  irindou;  winders  41.  99  u.  o., 
//e/Z<'/-  44.  120  für  yclloir,  yellerer  111  für  ijrUoicer,  yer  17.  18.  20  u.  ö.  für 
yo?/.  Wegen  abarf.  nrf.  rnr»d  für  nbniit.  nid.  rnund  s.  §  22a«,  wegen 
f/(7.r«  für  doivn  23  a«. 
,f._  ,.  40.  Für  s  mit  der  Aussprache  t  wird  ■.  geschrieben  in  eo;,  und  «/v 
(vgl.  §  3a;5)  für  becanse,  Izok  89  für  Isriac,  ditx  99  für  rfo^'s,  bnllday.iis  99 
für  bidldm'sies:  ebenso  in  dem  gleichen  Falle  'xx.  für  ss  in  sixxers  19  für 
scüsors.  Stimmlosigkeit  des  auslautenden  s-  in  vulgärer  Aussprache  ist 
wohl  der  Grund  der  Schreibung  pleacr  41  statt  please.  Für  ssi  mit  dei- 
Aussprache  .s7/  steht  ssb  in  »n's.shi)iaric><  17,  .sä.s.  für  sb  in  Äs/n^fed  98  f. 

11.  /  ist  der  allgemeinen  Aussjjrache  gemäfs  nicht  geschrieben  in 
nposi<le  140.  147,  biissled2ö,  bussle  115,  hussled  \\i,  jossle  117,  ickissled  114; 
dagegen  nur  der  vulgären  Aussprache  entspricht  missis  (s.  oben  39)  statt 
mi'stress  ohne  folgenden  Xamen.  Vgl.  aufserdem  kerrhi  100  für  curranf 
(Storm  belegt  297  n  oder  ei/  iür  n'f  not)  und  yesday  25  für  yesterday. 
Zugefügt  ist  t  der  vulgären  Aussprache  gemäfs  (vgl.  Storm  297,  Bau- 
mann XCIV,  Franz  208)  in  arroHf  71.  110,  fearst  83  für  ftcrce.  nicet  17. 
20.  45.  47  für  nie«,  nicetly  19.  37.  42,  niceter  30,  nicctisf  47  (vgl.  niepd 
oben  §  30),  ocheant  122  f.  125  f.,  scarsüy  147.  Ob  das  t  in  ebanfs  71  und 
fbnni.'ies  117  auf  vulgärer  Aussprache  oder  auf  ungenauer  Lautanalyse 
beruht,  weifs  ich  nicht  zu  sagen.  Palatalisiertem  f  ist  s//  zugefügt  in 
actsbully  17.  In  clo.^e  18.  89  ff.  122.  125  für  fdotbrs  fehlt  das  fh  in  Über- 
ein.stimmung  mit  der  bequemeren  auch  von  Gebildeten  häufig  augewen- 
deten Aussprache.  Für  ik  ist  wohl  infolge  ungenauer  Erinnerung  /  ge- 
schrieben in  Jafd  115  für  Japbefb. 

42.  ic  fehlt  der  allgemeinen  Aussprache  gemäfs  anlautend  in  roth.SS. 
89  für  irroth  und  inlautend  in  fno  71  und  tuppenee  150.  Die  vulgäre 
Aussprache  (vgl.  Baumann  3a,  Franz  2(^8)  giebt  (dlns  19.  40  ff.  47.  88  f. 
und  (dlis  99.  110.  111  U\r /dirays  wieder.  Tn  Übereinstimmung  mit  der 
allgemeinen  Aussprache  ist  geschrieben  iniiifc  98  für  o)H'c. 

43.  Verdoppelungen  von  Konsonanten  finden  öfter  abweichend  vom 
Schriftenglischen  statt:  noboddy  147.  148,  evcryboddy  14~.  118;  nllicays  5(i. 
51.  00.  07.  102  u.  ö.  (vgl.  rdliis  und  aW/s  §42);  polleecemon  \\\,  Pkillisiiiis 
17.  18.  20,  fttiin'ii/dls  115.  117,  Anninins  140  für  Anaiilas  (sfaiiiiiii  II  für 
Standing  folgt  der  Eegel),   tuppenee  150,  thrippenee  117,    bunied  117,  ////- 

12* 


180  I>»Mir(('ilimjr<'n   und   Iriirzc  Aiizci«:»'!!. 

rafl'a  Jö,  -io.s.siye -^G  für  sniisnijr,  iimssfciitr  117,  prossuciitPAl  IN,  ojjoaale  140. 
1-17,  bmskff  20,  ////aä/^  llö,  IniKsIrd  ll|,  y«.«.«/^  117,  irlnssled  IM,  /«»W.« 
(s.  oben  oO),  rifihiifr.ss  III  für  rl<ihimnx,  Jirrnj  Vl'.\  für  //^y////.  Meisten« 
handelt  es  sich  um  Fälle,  wu  auch  die  Aussprache  der  Gebildeten  kurzen 
Vokal  hat.  Wegen  itollppcnmin  vgl.  phefmnen  Of,  wegen  plll  s.  §  0,  wegen 
sossiyc  §:^)a'^bb;  nlhrniis  könnte  sein  //  nll  verdanken,  aber  vgl.  auch  die 
von  Baumann  :'.a  angegebene  vulgäre  Aussprache  W»v.  Auch  /^/W  60.  Ol» 
sei  erwähnt,  eine  Neubildung  statt  foUl.  ■—  T'nigekehrt  einfache  Kon.so- 
nanten  statt  der  von  der  üblichen  Orthographie  geforderten  Gemination 
erscheinen  im  Wort-  oder  Silbenauslaut  in  (johh'n  'M  für  r/oUih'/iy,  Iml  Ol 
für  o(hL  erat  11,  i/rJ:  100,  hUsiih  KXi,  )nlssls  (s.  oben  §  ^f).  Vgl.  ferner 
acro.st  71.  110  für  nf-ross,  öfter  27  und  oufjhtcr  71  für  ouylit  to,  u^.nlij  07  f. 
für  (jpneralhj.  hnnrat)  ÖO  für  hurra(li).  (re.ytsin  W  für  trespassinij. 

II.  Umstellung  ist  der  Vulgärsprache  gemäls  eingetreten  in  peHcnd  it<i 
für  prctend,  pcrtended  10,  pertendiny  P.7.  0(i  (vgl.  Franz  21 1)  und  in  chiJdeni 
00.  82.  98.  10.S.  140.  141.  142.  UZ.  Die  Aussprache  ffikhni  wird  vielfach 
von  Deutschen  angewendet:  sie  wird  z.  B.  in  dem  vielgebrauchten  Wörter- 
buch von  Jame.s  gelehrt. 

II.     F  o  r  m  e  n  1  e  h  r  e. 
4.5.    Der  unbestimmte  Artikel  lautet  auch   vor  Vokalen  a  (vgl.  Bau- 
mann las.  V.  a):    a  elipheid  44,    a  apple  corf  man  4ö,    a  orgln  man  02, 
a  ark  114;    vgl.  auch  a  hod  pennii  Ol    für  an  odd  pernnj:   o  hpvrdope  llo 
für  an  enrelopp.     Wegen  f/mn  als  Artikels  s.  §  .'>0. 

46.  Der  Analogie  von  Wörtern,  wie  tirief.  leaf  u.  s.  w.,  folgt  hnof  mit 
seinem  Plural  hoores  07.  Xach  xt  tritt  Ps  statt  .*  an  (vgl.  Franz  200): 
beastes  84,  ncstes  0?..  Ein  Versehen  ist  wohl  nur  foxs  82.  Doppelte  Plural- 
bildung liegt  vor  (vgl.  Storm  276,  Franz  222)  bei  clmcses  71,  Iheses  71, 
hoyses  2-j  {/  wish  my  head  iias  samc  as  other  hoy.ses,  doch  wohl  —  hoy^'. 
nicht  etwa  "hoys's).  Statt  My  fafhcr  yke  hpr  foitr  pe» nies  92  verlangt  die 
Grammatik  fot/rpencp  (vgl.  ^fy  tnoilipr  ijirp  him  fotirppncp  02). 

47.  Aus  dem  nicht  blofs  bei  Shakspere,  sondern  auch  gelegentlich 
bei  neueren  Schriftstellern  vorkommenden  dopijelten  Komparativ  norspr 
(vgl.  Storm  214  f.),  der  18  und  25  zu  belegen  ist,  hat  sich  ein  Positiv 
u'orse  entwickelt:  Ikd  copyiny  sums  is  as  tcm-se  as  stealhiy  apples  60  (vgl. 
Franz  231).  Der  Superlativ  Httlest-  kommt  zweimal  vor:  Benjimun  tca^ 
the  littlest  son  88;  Tts  nose  has  yof  fhp  liftlest  slin  nvpr  it  (vgl.  Storm  277, 
Franz  201), 

48.  Nicht  blofs  in  der  Vulgär-,  sondern  auch  in  der  Umgangssprache 
(Vgl.  Storm  207  fl'.  2o:'..  2H  ft",  Franz  224)  werden  me,  him,  her,  ks  als 
Nominative  gebraucht  (wegen  them  siehe  §  öO).  Die  Kinderaufsätze  bieten 
die  folgenden  Belege:  He.  ...  is  a  lot  fafter  than  me  125;  Father  wanted 
to  yo  to  the  top  nf  the  Hill,  hut  Mr.  Binn  said,  'Xoi  me:  it's  good  enonyh 
iiere!'  \\'.\;  There's  only  my  mother  and  me  41;  My  mother  and  me  thcu 
sat  down  47;  Elijah  was  tahen  up  to  Heaien  uithout  dyin  in  bed,  same  as 
you  and  me  »rill  Imre  to  40;    Me  and  .somc   morc  boys    was   a  lookiny   at  a 


Bcurtcilungtri  und  kürzt*  Anztigcn.  181 

posfman  lln  f.;  J//-.  Binii  iold  nnj  faflicr  tltat  liiiit  '(ikJ  inothcr  and  baby 
aml  me  could  all  yo  a-ith  htm  in  hin  eanige  io  Box  Hill  oii  the  Mmiday 
140;  I  shouMn't  have  }iocn  it  ivas  him  AA;  Hitu  and  some  inore  yoimg  men 
sotndimes  takes  a  walk  into  the  coimtry  150;  That  was  her  2(i;  There  is 
some  pcople  wot  lii-cs  on  the  saine  floor  as  iis,  ouly  tJiey  are  purer  than  us, 
and  (hat's  why  they  have  the  huek  of  oar  floor  12.  Nur  einmal  (abgesehen 
von  eatchetn  aXive  papers  52:  s.  Hoppe)  habe  ich  mir  das  'familiäre  und 
vulgäre'  (Storm  205,  Franz  223  f.)  em  für  theni  augemerkt:  They  have 
little  tails,  but  the  yirraffs  is  so  big,  that  yoii'd  say  as  tliey  coiddii' t  ivay 
cm  15. 

19.  Vulgäre  Formen  des  Reflexivpronomens  sind  hisself  und  their- 
selves  (Storm  25ö.  264,  Franz  225):  He  feit  hisself  yett in  miyhty  strong  20; 
A  thinking  to  hisself  103;  Currimts  and  his  sweetart  went  Walking  away 
hy  tlieirselves  143. 

50.  Vulgär  ist  ferner  thon  für  fhose  im  Nom.  und  Acc.  (vgl.  Storm 
277,  Franz  22*J):  Them's  the  tn-o  I  see  9u;  Them's  Newfoundlands  as  you 
sec  ivith  thcir  tonyues  hanying  out.  bigger  than  bull-dogs  l()3 ;  T)te  ships  are 
vcry  niced  to  look  at,  bnt  them  with  sails  on  scarsely  yo  at  all  123;  Excepi 
theni  as  is  ahvays  tclliny  stories  148;  /  am  one  of  them  boys  as  makes  a 
eroaky  sort  of  noise  uhen  I  sing  149;  /  askt  Die  teacher  what  all  them 
fnnny  mucky  men  was  124  ;  This  yoiing  tvoman  actshuUy  wurshipped  them 
ityly  little  imiges  icot  yev  seed  Misskinaries  bring  in  bags  17;  He  tuggcd 
them  tiro  big  pillers  riglit  down  21 ;  In  them  dnys  people  lived  on  com  87. 
Auch  als  Artikel  erscheint  them  (vgl.  Franz  22G) :  His  tyiny  them  300 
foxcs'  tails  together  with  straw  19;  Tliem  ukl  Phillist  ins  was  pum-slied  at 
last  20;  Them  spatrows  don't  stop  long  enongh  in  one  place  93;  If  it 
hadn't  have  been  for  them  steamers  124 ;  T/iem  steamers  without  paddles  go 
quick  too  124;  Round  them  steamers  12(3;  It  ts  only  them  niggers  as  plays 
hanjos  151.  Vulgär  ist  ferner  die  Hinzufüguug  von  there  zu  Demonstra- 
tiven (Storm  277,  Franz  225) :  //"  you  can't  do  them  there  sums  called  pro- 
blenis.  Scratch  your  heads  and  try  6(i;  Look  at  them  there  children  103;  He 
had  more  Trufhfidnejss  than  nearly  erery  other  boy  in  that  there  place  where 
he  lived  148. 

51.  Auch  die  Umgangssprache  kennt  who  als  Acc.  (vgl.  Storm  211, 
Franz  220):  /  was  oncc  runniny  after  a  man  who  a  j)erlice>nan  was  a  tak- 
ing  to  the  Station  for  stealing  00.  Vulgär  ist  what,  häufig  wot  geschrieben 
(§  1  a;),  als  Eelativum  nacli  einem  Beziehungswort  (Storni  278,  Franz  228): 
Turkeys  lay  very  dear  eggs  tchat  you  cont  afford  37 ;  The  Hon  is  ycllcr.  but 
not  so  ycller  as  in  the  picter  book  what  the  Board  yev  me  44  ;  The  lessons 
what  you  Icarn  51;  Them  ugly  little  imiges  wot  yev  seed  Misskinaries  bring 
in  bags  17 ;  He  arskt  the  little  boy  wot  hekl  him,  to  lead  him  where  the  two 
higgest  pi.lkrs  /tos  20;  The  dark  passige  wot  is  by  the  side  of  our  housr  10; 
The  little  girl  wot  lices  up  the  vext  passige  41  u.  s.  w.  Ebenso  beliebt  ist 
aber  das  gleichfalls  vulgäre  as  als  Relativ  (Storm  279,  Franz  228  f.):  The 
big  poleeceman  as  pushrs  them  on  41;  They  want  to  ftyht  the  womeii  as  is 
stannin  at  the  doors    1 1  ;   .lest   like  fireworks   as    I  once   seed  at   the  Crystnl 


182  I'curtciliiiijivn   uinl  kurze  Anzeigen. 

I'(tlii(r  (!•;  //  nas  Ijiird  lirbiiislirld.  iml  Klijdli.  its  ij))/!  sfcil  hhiiifd  iiji  !!•; 
TIkii  IUI  Ihr  oiic  (IS  loses  52  u.  s.  w.  Vnlgär  ist  endlich  auch  der  Gc- 
braucli  von  irlilrli,  um  relativen  Auschlufs  im  allgeraeiuen  anzudeuten 
(Storm  278,  Franz  228) :  Sht:  (die  Katze)  scruffcrs  hiin  (den  Hund)  in  the 
nosr,  irhlch  ijoti  Liioir,  uf  all  parls  of  llir  ilui/'s  p^sh.  ils  t/osr  )ifis  (jot  Ihr 
littlrsl  slrii/  nrcr  il  1  (('_';  .1///  ftilhrr  j)iill(il  iinj  hiiir  iiiorc  llitni  hoifs  pull, 
ich  Ich   if  1(1  s(i/(l  l'il  iloiic  il.   [  sliiiiikl  li(irc  ijitt  cliiin  (<lf  for  Tnilhfiilnrss  118. 

52.  Was  die  Stamniformbilduug  starker  Verhcn  anlangt,  so  sind  (jrc 
18.  1-1  für  ficiKC  und  Iccni  47  für  cwnic  nur  phonetische  Abweichungen  von 
der  Schriftsprache  (§  la,-?).  Der  Vokal  des  passiven  Particips  ist  ins  Prä- 
teritum eingedrungen  in  hri/iiii  5(i.  !•!.  !>".  111  (vgl.  Baumanu  XCVIj, 
(Inml-  \2",  rtni  111,  sprianj  18.  19,  sirii;/ ^^2.  loO.  Ausgleichung  des  Vokals 
dfes  Präteritums  zugleich  mit  dem  Präsens  und  dem  passiven  Participium 
hat  stattgefunden  bei  cuiite  (vgl.  Storm  207)  öU  (//  cowc  to  pas.'i).  02;  (jice 
(vgl.  Franz  210)  Gl.  00.  02  {TItr  n-oinan  (jka  him  a  cup  of  trM ;  Mij  fatlirr 
'live  lirr  fotir  pennies);  see  (vgl.  Storm  20'7,  Franz  210)  80  (/  see  a  rnhhi 
redbreast  for  Ihe  first  time  this  year,  mul  I  see  tlm  second  one  in  Whitsun). 
00.  91.  02.  100.  Von  der  Schriftsprache  weicht  durch  Abwerf ung  des  n 
ab  das  Particip  fju-e  61  (^1  liltle  hoy  as  liad  teil  soerins  <jire  hiin  hy  u 
yentirniaii;  vgl.  Franz  210);  durch  Ausgleich  mit  dem  Präteritum  took 
(Storm  281,  Baumaun  XCIV,  Franz  218)  0(t  {My  father  Inal  took  nie  and 
niy  sister  a  loinj  irall,)  und  irrole  (Baumaun  XCVT,  Franz  218)  118  {They'rr 
all  ivroie  doioi  in  o  liool.-). 

5o.  Schwachgebildet  kommen  abweichend  von  der  Schriftsprache  in 
den  Aufsätzen  die  folgenden  Präterita  vor:  draiced  {I  dirrwed  mir  cat  on 
some  n-hife  lou  jKipnr)  71  (vgl.  Franz  218);  foryired  (Samson  ncver  forgived 
Ihr  imiye  n-onian)  18;  l.noud  18.  20.  111  {Yellin  to  diffcrcnl  folhs  in  the 
.^freet  as  he  knofvd;  vgl.  Franz  218);  seed  {Samson  /ras  thr  ironderfnilest 
tnnn  yon  r.rer  seed)  17.  10.  60.  83.  112.  126.  112  f.  (vgl.  Storm  281,  Bau- 
mann XCVI,  Franz  21!»);  und  die  folgenden  Participien :  hion-ed  10.  50 
{Elijah  was  bloired  ap  on  Mount  Sinai;  vgl.  Storm  281,  Baumann  XCVI) ; 
yrowd  {graied-np  people)  03.  142  (vgl.  Storm  284,  Franz  218);  seed  17.  18. 
45.  47.  52.  84.  08.  09.  122.  12:5  (You  shonid  harc  seed  theni  spit  it  out  like 
lightnin). 

54.  Mit  schwacher,  aber  doch  vom  Schriftenglischen  abweichender 
Bildung  kommen  die  folgenden  Präterita  vor:  catclied  5U  {His  nianlle. 
which  Elisha  catclied  hold  of;  vgl.  Storm  267);  heerd  150  {I  heerd  him  teil 
my  niother  as  it  was  his  baby;  vgl.  Baumann  XCVI,  Franz  218);  telld  60 
{He  telld  Ihe  perliccman  to  drive  tis  back),  99;  thinlced  61  (/  thinked  like 
mad);  thrnsted^^j  {Thentheythrnstedthestoneoff:  Stormonth  führt  fhriisfed 
neben  thrnsl  als  Participium  an).  Was  das  Participium  anlangt,  so  ist 
nur  heerd  122  (frc  heerd  on  it)  anzuführen  (vgl.  Franz  218).  In  ealched 
sieht  Storni  die  erhaltene  ältere  Form:  es  könnte  aber  ebenso  gut  Neu- 
bildung sein,  wie  die  übrigen  Formen. 

55.  Beim  Verbum  substantivum  gilt  is  auch  für  den  Plural  (vgl." 
Franz  210),  nicht  blofs  in  Sätzen,   wie   There  is'  bottks  all  round  26  (vgl. 


Beurteiluugt'ii  und  kurze  Anzeigen.  183 

12.  40.  GG.  82  u.  s.  w.),  sondern  auch  in  solchen,  wie  Hcadacke.s  ii>  not 
dmiyewus  26;  The  reason  u-hij  thc  Itoiises  ht  aar  sfrecf  /.s  so  hlack  4:3  (vgl. 
45.  47.  90  u.  s.  w.) ;  was  auch  für  den  Plural  des  Indikativs  und  für  deu 
Konjunktiv  (vgl.  Storni  283,  Franz  219) :  /  . .  .  ueecr  icoke  up  tili  ue  tcas 
Ivome  144;  The  PlillUstins  was  all  eaiiiKj  tlteir  diniitrs  ronitd  hiin  18;  How 
Üiey  wood  larf  whilc  tlicy  was  a  carryimj  theju  home,  speshuUy  whcii  they 
nas  tryiny  thein  on  18;  Hp  hiUed  abart  a  fhofisa/td  <>f  fliet)i  ju.sf  as  if  they 
was  flies  u.  ü. 

."»G.  Was  die  Euduugeu  anlangt,  so  ist  *■  nicht  auf  die  3.  Sing.  Präs. 
beschränkt  (vgl.  Storni  28U,  Franz  221):  I  yucs  30,  I  has  17.  98,  I  learns 
91,  /  lores  53,  /  uosc  40  (für  knows),  I  . . .  teils  25;  you  (inda  ÖO,  you  . . . 
yets  87,  you  hcars  20,  you  knows  Ol,  you  sees  00;  all  yentiles  calls  50,  yer 
mother.^  . .  .  chucks  bits  of  Lloyds  and  cabbiyc  leaves  in  thc  middle  of  the 
load  40;  they  daresut  141;  wich  rieh  people  eat's  08;  yiiis  fears  rats  71; 
they  ßnds  0(» ;  pertaters  yrows  CO ;  they  . . .  keeps  GO ;  so/ite  people  wot  lives 
42;  alt  Ijoys  ...  says  no'Ih;  tlte  nien  nearly  allus  says  41;  some  boys  steeds 
littlc  thinys  59 ;  yowr  conshenses  teils  you  59 ;  some  boys  thinlcs  00 ;  Twrkeys 
never  piek  nor  woirys  37  u.  s.  w.  —  Umgekehrt  fehlt  *•  in  liow  it  sinell  40. 
Auch  die  gebildete  Umgangssprache  kennt  do)it  (Storm  283)  für  does  not  : 
The  sKii  don't  seent  fo  shitic  so  niretly  down  oar  .street  as  in  the  tyiy  streeis  42. 

57.  Die  Adverbia  zeigen  iu  der  Vulgärsprache  öfter  als  iu  der  Sprache 
der  Gebildeten  gleiche  Form  mit  dem  Adjektiv  (vgl.  Storm  215,  Franz 
231):  It  killcd  them  alt  tliere^  as  easy  as  flies  21 ;  They  can  [way  their  tails], 
just  as  easy  as  a  little  doy  cofn  45 ;  You' II  eaf  fhe  nieaf  and  potatoes  easy 
enouyli  after  79;  He  was  so  niiyläy  .^itrony  17,  vgl.  19.  20  und  Franz  233; 
They  look  at  you  so  nicet  15;  //  i/itide  nn-  reytar  rited  125;  Last  Bank  lioli- 
day  was  a  regulär  yood  unc  IlO;  If  was  reyulor  jolly  143;  They  run  so 
silly  40  u.  s.  w. 

58.  Sonst  seien  als  Vulgarismen  erwähnt:  af'ore  statt  bef'ore  (Storm 
27;;  und  Franz  230),  anywheres  (Franz  232),  sontetime  (arch.)  für  some- 
tinics  und  niost  im  Sinne  von  almost.  If  you  . .  .  say  yec  iward  anytltink 
l,ike  it  aforeSi;  The  niyhf  afore  139;  The  weck  afore  140.  There  was  ...  not 
n  bit  of  vorn  anyirhercs  round  89;  Tiiey  liaoen't  yot  a  bit  of  red.  not  eren 
white,  anywheres  abart  there  bodies  00;  They  eouldn't  inake  np  their  niinds 
fo  stoji  for  lony  anyir/wres  124.  I  sonietinte  feel  friyhtcncd  11.  Doefors 
hare  most  always  nieed  blaek  wiskers  at  thc  sidc  25;  The  /ro/nen's  feef  nas 
little  and  ivhite,  and  niost  allways  nicc  and  ctean  ÖO;  Tliis  is  vcry  eruel 
Sport,  niost  as  bad  as  rat  catchin  52;  Cats  eut  nwxd  and  niost  anythink  72; 
Tlicy  arc  very  clean  nien  niost  any  tinie  you  like  to  look  112. 

59.  Was  die  Präpositionen  anlangt,  so  sei  auf  den  in  der  Vulgär- 
sprache so  häufigen,  iu  der  Schriftsprache  jetzt  archaistischen  Gebrauch 
von  a  vor  dem  Gerundium  hingewiesen  (vgl.  Storm  27<»  iW,  Franz  239). 
Nur  einmal,  falls  ich  nichts  übersehen  habe,  steht  of  dahinter:  Ue  eant 
sce  what  iie's  a  doiny  o/'103;  vgl.  sonst  He  yot  a  courtin  a  young  wonian  17; 
Samson  ?ias  yoin  a  courtin  18;  Delilcr  was  allus  a  worrying  Sanisoii  19; 
Here  they  are  a  camin  19;    The  nasty   ironian  ...  cried  ont  a  gigglin  19; 


|?!1  ßourtoilunfTfri   iirid  kurze  Anzeigen. 

Ml/  iiKilhrr  n(is  ri  hissiiifj  nie  fiiifl  nij'ni  2'i;  77/''  ///'/•/.«  (irr  nihis  ti  nrsking 
Hin  tri  fr//  /hnii  im/  J  nonr  10;  Thcy  arr  n  a/hi.t  hartnff  herrins  fo  thfir 
fihwrrs  am/  siipprrx  12  u.  s.  w.  Besonder.«  merkwürdig  sind  die  folgenden 
Fälle,  die  zeigen,  wie  das  n  mit  dem  Gerundium  im  Sprachgefühl  ver- 
wachsen ist:  Thr  flonr  (ßven  a  r-raek  cox  of  the  boarth  n  mochvj  11;  7V>c 
(ox  .  . .  ifffi't  irorfJi  o  /oolcin  af  cvx  of  ifs  sixe  16.  —  rrn  .steht  für  (-//"(Storm 
27:',  Franz  23t  f.):  We'V  irn/Ir  fhronyli  thf  nihhl/r  an  ner  11;  J' vr  heerd 
nn  it  122.  —  Verkürzungen  sind  eingetreten :  cox  für  /)efMHHe  {f;ox  of  hh 
fying  theni  300  foxcs'  faüs  together  19;  cox  of  the  boatrls  a  moring  41;  all 
rm  of  fht's  hloomrn  kagc  15;  eor  of  its  sk^i  AQ;  cor,  of  Chrisfimiity  71); 
counf  für  on  acooimi  {If  yoii  thinh  they  fthe  Netvfotmdlanfh]  cant  swim 
counf  nf  fhem  nalkimj  a  btt  Inrnr,  U  in  not  irvr)  lOo.  Ich  erwähne  ferner 
in  pottrsr  17  für  of  coiirae  (vgl.  in  coomr.  bei  Baumaun  82  a) ;  JIr  bfigon  of  fhem 
figiii  10;  hl  Wkifswi,  r/sr  Eiislrr  itd;  Qu  ihr  Zop  of  liim  öd.  Vor  einem 
Infinitiv  steht  das  in  der  heutigen  Schriftsprache  veraltete  for  to  (Storni 
2(38,  Franz  238)  für  fo :  He  used  for  fo  say  fhem  {hi.s  praycrfs)  in  the  middh 
of  the  day  83 ;  If  is  a  shnme  for  fo  see  140. 

60.  Auch  als  Konjunktion  wird  before  durch  r/forr  vertreten :  Samson 
hadnf  bcrn  morrid  Imvj,  afm-c  hr  began  of  them  agiu  19;  Aforr  nriybody 
f'ould  sfop  hilft  21;  Jitsf  nfore  he  bi/ried  ine  26;  J^fsf  afo-rr  I  atartfid  from 
home  122;  A  /ong  fiinr  aforr  if  comes  139;  Äforr  Für  117.  —  Für  fhaf 
tritt  in  der  Vulgärsprache  ns  ein  (Storm  280,  Franz  236):  They  thought 
OS  thmj  was  safe  20;  (hie  said  as  I'd  gromi  fat  since  yesterday  36;  Now 
you  can  say  as  yov've  seen  a  Hon  11 ;  Ymi  think  as  ymt  can  flght  15  u.  s.  w. 
So  steht  auch  so  ns  für  so  that :  Drunken  men  . . .  turn  their  trotisers 
porkffs  inside  out  so  as  a/i  fhcir  money  ran  fall  out  aniongst  the  ehildren  11  ; 
The  Spider  .  .  .  sktrerts  sonir  more  jnicc  on  fo  the  fly's  irings  so  as  if  rant 
f/y  array  52;  It  cocks  tip  its  fail  likc  a  rvlcr.  so  as  you  can't  gef  no  furfher 
l\  ;  vgl.  102.  139.  —  Sehr  beliebt  ist  like  as  (vgl.  Storm  285,  Franz  237): 
If  dropped  doini  dead,  like  as  yec  seed  cous  behint  biächers  shops  18;  It 
just  opened  its  moidh  aide,  like  as  yev  seed  men  sittin  af  their  doors  and 
(I  gaping  15 ;  They  irou/d  he  good  unto  him,  like  as  they  iras  to  Benjininn 
HVt ;  Them  sparroics  don't  sfop  lang  enougli  in  one  p/are  and  liwe  n  good, 
try,  /ike  a^  robins  do  93;  vgl.  102.  115.  Seltener  kommt  so  blofses  like 
vor  (vgl.  Storm  281  f.,  Franz  237):  In  them  days  people  lired  on  com, 
like  horses  do  noic  87 ;  /  ironder  wether  Heaven's  like  that  was  100 ;  Tfiey  . . . 
hussled  the  poor  vmn  about,  just  like  Tve  seen  people  go  o?i  at  the  Salvation 
Army  114.  Furnivall  hat  in  der  Academy  vom  15.  Januar  1887  p.  44  c 
dagegen  Protest  erhoben,  dafs  ein  Kritiker  in  der  vorhergehenden  Nummer 
p.  16  a  ein  so  gebrauchtes  like  als  ndgarisni  bezeichnete.  Erwähnt  sei 
ferner  /ike  as  if  oder  like  as  tcot  oder  blofses  /ike  für  as  if:  The  Turkey 
makes  a  qiieer  iwise  ealled  gobiin.  like  as  if  there  iras  bits  of  halls  a  ratflin 
in  its  neck  37 ;  The  reason.  why  sailors  like  to  get  drnnk  is  becosv.  it  makes 
them  roll  about  like  as  if  they  was  on  the  ocheant  122  (vgl.  Franz  237); 
He  [the  Lion)  looks  at  yer  throufjh  the  bars  like  as  not  he  u-as  saying  'you 
think  as  you  can  ßghf  44  ;    The  poor  king  sat  on   the  stone  cryin  likc  his 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeijren.  185 

harf  wood  break  88.  Vulgär  ist  ferner  satne  as  (vgl.  Baumann  10-5  s.  v. 
.<>ame) :  /  u-ish  my  heacl  was  same  as  oflifr  hoyses  25 ;  The  smoke  doesnt  go  .  .  . 
into  the  clonds  same  as  in  nked  sfreds  i3;  Elijah  was  faken  up  to  Heaven 
withoid  dyin  in  be(/^  same  as  you  and  nie  will  fiave  to  49;  They  {the  Spi- 
ders) M  some  threiid  come  mit  of  their  hodies,  just  same  as  ymi  do  tvheii 
yer  fyiny  yer  kites  52;  Then  they  sktrert  jmee  on  to  il  to  make  it  stifky, 
same  as  fotcliem  alive  papers  irhot  you  Iniy  51;  vgl.  90.  111.  123.  111.  Auch 
the  samr  as  kommt  vor :  hi  that  vild  country  Üicy  keep  lions  in  dark  seihrs 
under  the  yroimd,  jest  the  smnc  as  your  fafkers  and  mothers  keep  cocks  and 
hens  82 ;  The  people  used  to  . .  .  boo  and  hoot  at  Noah.  the  same  as  the  Army 
men.  and  warnen  is  lauyM  and  whisded  at  114.  —  Wegen  der  abgekürzten 
Formen  cause,  cor,  cux  s,  §  Sa,?  und  Oc.  Hier  sei  endlich  erwähnt  das 
zur  Konjunktion  gewordene  fe/ir  für  for  fear:  I  was  rathcr  friyhfened  of 
talking  fear  I  shoukl  slip  off  (vom  Elephanten)  46. 

III.    Syntax  und   Stil. 

61.  Nach  Analogie  von  half  fehlt  der  unbestimmte  Artikel  bei 
quarter:  He  (der  Löwe)  isn't  qtmrter  as  big  as  a  eliphent  44. 

62.  Silly,  das  die  Schriftsprache  nur  als  Adj.  kennt,  wird  in  der 
Volkssprache  als  Substantivum  verwendet  (Baumann  178  a  'Einfaltspinsel, 
fig.  Rindvieh'):  The  l)iy  silly  (vom  Elephanten)  won't  try  44. 

63.  Appositionsverhältnis  (wie  bei  unserem  'bifschen'j  tritt  ein  statt 
des  Genitivs  bei  bit:  When  you  have  yot  a  bit  way  down,  there  they  are 
all  round  you  44  (vgl.  im  Dialekt  von  Westmoreland  bei  Mrs.  Huniphry 
Ward,  Robert  Elsmere  I,  36  Äa  tuke  yur  bit  paper  ta  BandaH's  und 
Stevenson,  The  Master  of  Ballantrae  168  If  ever  you  emne  hy  this  spof, 
though  it  uns  a  hundrcd  years  henee.  and  you  canie  with  the  gayest  and  the 
highest  in  the  kind,  I  woidd  sfep  aside  and  remembcr  a  bit  prayer], 

61.  Das  Subjekt  wird  durch  ein  persönliches  Pronomen  aufge- 
nommen, wie  auch  in  der  Umgangssprache  (Storm  223):  Hei-  name  it  was 
Dehler  19;  Lixa  Ann  ....  she  says  41;  The  man  he  goes  ahout  sellin  fish, 
rnostly  herrins  42;  My  teaeher,  wlu)  stood  necri  to  me,  she  sfarted  rryin 
a  bit,  she  did  100;  Those  poor  sinfnl  people  ...  they  luidnt  tinie  to  fhink 
now  115. 

65.  Vermengung  von  Verbalsubstantiv  und  (Jerundium  (vgl.  Storm 
269):  /  should  have  sct  down  and  donc  a  cry,  onhj  I  had  to  keep  foüerin  of 
the  teacher,  so  I  hadn't  got  fime  123;  Sugar  is  just  as  good.  as  block  pudden, 
so  uhy  canf  they  send  you  to  the  Training  ship  for  sfealing  of  it  126  (vgl. 
das  erste  §  59  angeführte  Beispiel). 

66.  Das  auch  in  der  Umgangssprache  übliche  yo  and  (vgl.  Hopj>o 
s.  V.  go  6,  Storm  218  f.)  erscheint  wiederholt:  Then  that  naaty  iniigp 
noman  trent  and  told  them  not  it  was  18;  Ymt  iroodnt  think  this  strong 
man  wood  hare  gone  and  got  marrid  ayen  to  anuther  imige  uoman  18; 
Same  boys  steals  little  things  and  such,  and  yet  they  go  and  think  they're 
got  hauest y  59;  If  you  go  and  .lay  yev  heard  any think  like  it  afore  84; 
They  havn't  to  go  and  fight  acrost  the  sea  ll(i;    You' II  gn  and  get  summoned 


180  I')f'uitciliiiiL'<ii   iiihI   kui/c  Anzeigen. 

for  snioLiii  yrr  faihrr'fi  iiipc,   ifoii  nill.  112;    /'///  surr  fis  fror/irr  uouldvi't  (jo 
and  teil  ti  slor//  12 f. 

.  »)7.  Doppelte  Negutioii,  die  sicli  iiii«  älterer  Zeit  in  der  Vulgärsprache 
erhalten  hat  (Storni  271  L),  ist  in  den  Aufsätzen  aulserordentlich  beliebt: 
They'd  never  hava  to  hiiij  no  morc.  iii-tv  rlosc  1,S ;  Ik  iioodnt  Im  tnarrid  lo 
her  HO  langer  18;  Poitr  Smnmn  louklu'l  do  imHihiii  Ihis  iimc  20;  Amerüy 
ran'l  hr  nothin  to  it  44;  Hc  (der  Löwe)  kasit't  (jot  no  irnnh  44;  /  d(»n't 
love  nohody  eise  lue  her  47 ;  He  wonhlnl  neier  liace  been  fonnd  oul  Sn ; 
Nobodij  caii'f  'ninujine  8<S;   I' rc  never  .seeil  the  sea,  nor  nerer  t^hnll  122  u.  s.  w. 

08.  So  treten  auch  Negationen  zu  Wörtern  mit  negativem  Sinn:  T)ie 
little  boy  did.  so,  ir/ithout  thinkiny  nothiny  at  all  abart  it  20;  Banjos  alivays 
look  diriy,  and  they  ean'f  only  male  a.  fanny  noise  151 ;  Nothiny  to  pay 
only  a  shillmy  122;  /  hare  never  seen.  a  planer  only  in  shops  löo  (wegen 
only  vgl.  Storni  227) ;  The  patriarch  Jacob  ncrer  eat  seareely  nothin,  exept 
nhen  tlierc  iras  a  fan/ine  88.  Einen  solchen  Fehler,  wie  in  dem  letzten 
Satz,  habe  ich  mir  auch  aus  Thackerays  Pendennis  (London  1877)  p.  i:U 
angemerkt :  In  the  Book  Chib  . . .  t/iey  bickered  so  mneh  thut  nohody  scarccly 
was  ever  seen  in  the  readiny-room. 

09.  Natürlich  finden  wir  manche  Wörter,  welche  die  Scliriftsprache 
überhaupt  nicht  oder  wenigstens  nicht  in  derselben  Bedeutung  anwendet. 
Es  sei  hier  kurz  auf  Wörter,  wie  to  kid  'hänseln'  12o,  to  rilr  'ärgern'  80. 
121.  12?>.  125.  120,  speshtdly  (§  lb<)'  und  29)  für  espcciedly,  ttriddle  'drehen', 
'bewegen'  70,  hingewiesen,  die  bei  Baumauu  verzeichnet  sind.  Es  folgen 
hier  nur  Belege  für  solche  Wörter,  die  bei  ihm  felilen.  Neecr  strokc  the 
hairs  (einer  Katze)  aerost,  as  it  makes  all  cats  scrat  like  mad  71 :  fo  serat 
geht  auf  me.  scratfen  zurück,  ist  also  archaistisch.  Eine  Weiterbildung 
davon  ist  to  se ratter,  das  S.  102  zweimal  vorkommt,  einmal  in  der  Bedeu- 
tung von 'kratzen' :  She  {die  Katze)  scratters  hini  (den  Hund)  in  the  nosc: 
das  zweite  Mal  zur  Bezeichnung  einer  raschen  Bewegung  (vgl.  unser  'aus- 
kratzen') :  If  fhcir  is  a  free,  the  cat  scrattcrs  up  it.  Halliwell  und  Lucas 
führen  nur  ein  dialektisches  und  vulgäres  to  scrattk  =  to  Scratch  an.  Nach 
beiden  ist  to  sorani  {Little  thinys  that  ...  scrawl  ahoUt  51)  dialektisch  ^^  to 
ermvl.  To  .screet  dient  zur  Bezeichnung  eines  unangenehmen  Geräusches: 
Then  they played  all  kinds  of  nieirsik  to  hin),  bid  it  only  niadc  hi)t/  nild,  and  he 
yof  up  and  fohl  theni  to  yo  rnvay  uith  thcir  svrcetin  84.  ]Mit  SCREET.  1)  Haff 
a  quarter  of  a  shcet  of  paper;  2)  Flexible;  suppk  (vgl.  SCRETE]  bei  Halli- 
well hat  das  Verbum  wohl  nichts  zu  thun.  Derselbe  giebt  aber  das  51 
zu  belegende  Verbum  SGRIQGLE;  Tu  ivrithe;  to.  strugyk:  When  I  feit 
thcm  (some  hestks)  all  scrigyk  in  niy  hrnid,  I  fainted,  1  did.  Er  hat  ferner 
SKITTLE.  To  ent;  to  hack;  in  anderer  Bedeutung  steht  dieses  Verbum 
S.  140:  Eeerybody's  riyht  (auf  einer  Landpartie  bei  schönem  AVetter),  and 
boys  don't  yet  skittkd  aroiind.  To  sumntons  bezeichnen  die  AVörterbücher 
als  selten  oder  unrichtig,    Franz  215  als  familiär:'"    If  the  postman  doesn'i 

*  Summons  me  for  tliat  when  yoti  please  E.  Lyall,  We  Two  (Taucbiiitz)  II,  124 
(es  spriclit  ein  Arzi);  J'erliopa  lu'll  siiiii7nons  j/n/i  ebenda  125  (ps  spricht  eine  Sclirift- 
stellerin). 


Beurteiluugeu  und  kürzt'  Anzeigeu.  187 

hriny  your  letters.  you  can  summons  hiiii  111.  Möglicherweise  mit  dem 
von  Lucas  angeführten  archaischen  to  yolp  =  to  yelp  (vgl.  auch  YOPPUL. 
Unneeessary  fall:  bei  Halliwell)  identisch  ist  to  yope:  It  (der  Löwej  yopcd 
no  louder  thnn  n  opple  cart  man  d-oes  45.  Whitsun  89  für  Whitsuntidc 
und  ymj  193  in  der  Bedeutung  'groteske  Maske'  finde  ich  nirgends  au- 
geführt. Ich  merke  auch  noch  den  Pleonasmus  a  Mml  of  n  sort  of  a  nice 
feeliny  61  au  (vgl.  zu  Guy  of  Warwick   1310). 

70.  Logischer  Unsinn  findet  sich  in  den  Aufsätzen  sehr  häufig,  sprach- 
licher dagegen  verhältnismäfsig  selten.  S.  67  in  dem  Satze:  Hau-  would 
your  mothers  Hke  you  to  be  caUed  trespass'^  hätte  das  letzte  Wort  natür- 
lich trespassers  sein  sollen.  Ein  überflüssiges  have  hat  sich  zweimal  auf 
S.  121  eingeschlichen :  If  it  hadn't  have  been  for  ihem  steamers  I  shouldn't 
have  iirjoyed  myself  a  bit,  barrin  the  meat  tea  und  //'  anybody  eise  had  have 
told  nie  that,  1  notddn't  have  beleeved  it. 

Am  Schlufs  dieser  etwas  lang  gewordenen  Besprechung  sei  das  Büch- 
lein nochmals  bestens  empfohlen. 

Berlin.  J  uli  us   Zupitza. 

Robert  Elsmere.    By  Mrs.  Humphry  Ward.    In  8  Vols.    Leipzig, 
Tauchnitz,  1888    (Collection  of  British  Authors,  Vols.  2544, 
2545,  2546).     .3.34,  327  und  336  S.  kl.  8.     M.  4,80. 
John  Ward,   Preacher.     Bv   Margaret   Deland.     Leipzig,  Tauch- 
nitz, 1889  (Collection' of  British  Authors,  Vol.  2577).   416  S. 
kl.  8.     M.  1,60. 
Wc  Two.    A  Novel  bv  Edna  Lvall.    In  2  Vols.    Leipzig,  Tauch- 
nitz, 1889   (Collection    of   British    Authors,   Vols.  2611  and 
2612).     296  u.  302  S.  kl.  8.     M.  3,20. 
Von  den  in  der  letzten  Zeit  erschienenen  Bänden  der  Tauchnitz  Col- 
lection wähle  ich  zu  gemeinschaftlicher  Besprechung  drei  empfehlenswerte 
Romane  aus,   deren  Haui^thandlung  sich  gleichmäfsig  um    religiöse  Kon- 
flikte dreht.     Sie  sind  alle  drei  von  Frauen  geschrieben.     Oben  sind  sie 
in  der  Reihenfolge  der  deutscheu  Sammluug  aufgeführt:   das   au  letzter 
Stelle  verzeichnete  ist  in  der  Originalausgabe  schon  1884,  die  beiden  an- 
deren 1888  erschienen. 

Robert  Elsmeir  ist  ohne  allen  Zweifel  das  bedeutendste  unter  den 
drei  Werken  und  gelnut  überhaupt  zu  dem  Besten,  was  in  den  letzten 
Jahren  auf  dem  Gebiet  der  Prosadichtung  in  England  erschienen  ist. 
Robert  Elsmere,  der  nach  Vollendung  seiner  Universitätsstudien  in  den 
geistlichen  Stand  getreten  ist  und  dann  drei  Jahre  lang  in  seiner  Alma 
mater  Oxford  Unterricht  erteilt  und  Vorlesungen  gehalten  hat,  sieht  sich 
durch  seine  infolge  übergrol'ser  Anstrengung  angegriflene  (Tesundhcit  be- 
wogen, die  gerade  frei  gewordene  Pfarrerstelle  in  seinem  (leburtsort  Mure- 
well in  Surrey  anzunehmen,  die  ein  Verwandter  zu  vergeben  hat  und  die 
einst  sein  Vater,  den  er  früh  verloren,  innegehabt.  Ehe  er  aber  sehi 
Amt  antritt,  lernt  er  bei  einem  Besuch  in  ^Vestmoreland  Catherine  Ley- 


lÄX  rk'urt<iliiii<rcii  iirifi  kiir/.c  Aii/.iijrcn. 

)'uru  kennen,  die  älteste  Tochter  eines  verst«jrbenen  Schuldirektors,  die  jetzt 
mit  ihrer  Mutter  und  zwei  Schwestern  in  dem  Farmhaune  lebt,  aus  dem 
ihr  Vater  hervorgegangen.  Bald  verbindet  die  beiden  eine  innige  Xeigung, 
aber,  ganz  in  den  strengen  religiösen  Grundsätzen  ilires  Vaters  aufgehend, 
glaubt  Catherine  anfangs  ihre  Mutter  und  Schwesteni  nicht  verlassen  zu 
dürfen,  da  sie  über  ihrem  Seelenheil  wachen  müsse,  und  so  eutschlieüit 
sie  sich  erst  nach  schweren  Kämpfen,  der  Stimme  ihres  Herzens  zu 
folgen.  Das  junge  l'aar  verlebt,  von  der  ganzen  Gemeinde  geliebt  und 
gesegnet,  eine  kurze  glückliche  Zeit.  Aber  nicht  allzu  lange  nach  der 
Geburt  eines  Tijchterleius  bringen  Robert  histoiische  und  theologische 
Studien,  deren  Wirkung  noch  durch  den  Umgang  mit  einem  Nachbar, 
Roger  Wendover,  beschleunigt  wird,  zu  der  Überzeugung,  dafs  der  Stifter 
der  christlichen  Religion  nur  ein  Mensch  war,  und  er  fühlt  sich  daher 
im  Gewissen  verpflichtet,  auf  seine  Stelle  zu  verzichten.  S^'ein  Unglaube 
ist  ein  harter  Schlag  für  Catherine,  die  es  niemals  verwindet,  dafs  der 
Mann,  den  sie  so  herzlich  liebt,  zum  Verräter  au  ihrem  Heiland  wird, 
und  sie  braucht  erst  längere  Zeit,  ehe  sie  an  Robert*  neuem  Wirken 
wenigstens  äufserlich  Anteil  nimmt.  Robert  widmet  nämlich  nun  seine 
ganze  Kraft  der  geistigen  und  sittlichen  Hebung  der  Arbeiterbevölkerung 
im  Ost«n  Londons:  in  Kreisen,  die  von  dem  Christentum  der  nichtkon- 
formierteu  Orthodoxen  ebensowenig  wissen  wollen ,  wie  von  dem  der 
Staatskirche,  versteht  er  es,  ein  liebevolles  Verständnis  zu  erwecken  für 
die  historische  Bedeutung  des  Menschen  Jesus,  und  es  gelingt  ihm,  unter 
dem  Xamen  'Neue  Brüderschaft  Christi'  eine  religiöse  Vereinigung  ins 
Leben  zu  rufen,  deren  Bestehen  auch  von  seinem  bald  durch  Schwind- 
sucht herbeigeführten  Ende  nicht  gefährdet  wird. 

Der  Roman  ist  nicht  ohne  Fehler.  Vor  allem  leidet  er  an  über- 
grofser  Länge,  die  einmal  in  der  Absicht  der  Verfasserin  ihren  Grund  zu 
haben  scheint,  dem  Helden  mannigfaltige  Typen  aus  dem  religiösen  Leben 
Englands  gegenüber  zu  stellen,  aufserdem  aber  in  dem  Wunsche,  den 
letzten  Teil  nicht  ganz  ohne  Liebesgeschichte  zu  lassen.  Auch  fällt  die 
Verfasserin,  meine  ich,  gelegentlich  aus  dem  Tone  eines  Romans  in  den 
einer  Abhandlung,  indem  sie,  statt  sich  mit  der  Erzählung  der  Hand- 
lungen ilires  Helden  zu  begnügen,  uns  viel  zu  viel  von  seinen  Ansichten 
mitteilt.  Auch  die  Schwindsucht  ist  als  de/ts  ex  vHichina  nicht  glücklich 
ersonnen.  Andererseits  aber  verdient  das  Werk  das  gröfste  Lob.  Die 
Charaktere  sind  alle  mit  liebevoller  Sorgfalt  gezeichnet.  Viele  ergreifende 
Schilderungen,  so  die  des  Todes  der  unglücklichen  Mary  Backhouse,  die 
der  Epidemie  in  Mile  End,  die  von  Elsmeres  Auftreten  im  Osten  Lon- 
dons, prägen  sich  dem  Gedächtnis  unauslöschlich  ein.  Dafs  aber  die 
Verfasserin  auch  über  Humor  verfügt,  zeigen  besonders  die  beiden  Brüder 
Backhouse,  die  das,  was  bei  der  Gesellschaft  der  Mrs.  Thornburgh  den 
Glanzpunkt  bilden  soll,  in  der  Stadt  wohl  bestellen,  aber  dann  mitzu- 
nehmen vergessen.  Hoffentlich  werden  die  Freunde  der  englischen  Litte- 
ratur  der  Verfasserin,  die  vorher  nur  einen  einzigen  Roman  ('Miss  Brether- 
ton',  1884)  veröffentlicht  hat,  noch  recht  oft  begegnen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  189 

John  Want  ist,  .soviel  ich  weifs,  der  erste  Eoman  von  Mrs.  Deland 
(der  Ton  liegt,  wie  mir  ein  persönlicher  Bekannter  der  Schriftstellerin 
sagt,  auf  der  zweiten  Silbe  des  Namens).  Ich  kenne  sie  sonst  nur  als 
Verfasserin  von  Gedichten,  die  1887  unter  dem  Titel  The  OM  Garden,  and 
nther  Verses  erschienen  sind.  Sie  ist,  was  auch  gelegentlich  ihre  Sprache 
verrät,  eine  Amerikanerin:  in  Amerika  spielt  auch  ihr  Roman.  Helen 
Jeffrey,  die  Nichte  des  der  bischöflichen  Kirche  angehörigen  Pfarrers  von 
Ashurst,  Dr.  Howe,  heiratet  den  presbyterianischen  Prediger  John  Ward 
zu  Lockhaven.  Trotz  der  Verschiedenheit  der  religiösen  Ansichten  sind 
die  beiden  miteinander  sehr  glücklich.  Da  trifft  es  sich,  dafs  ein  Trunken- 
bold, Tom  Davis,  bei  einem  Brande  sein  Leben  verliert,  da  er  ein  Kind, 
das  man  irrtümlich  gefährdet  glaubt,  zu  retten  versucht.  Ganz  Lockhaven 
ist  überzeugt,  dafs  er  geraden  Wegs  für  immer  in  die  Hölle  gefahren  sei. 
Helen  giebt  aber  Toms  Witwe  und  anderen  gegenüber  ihrer  Überzeugung 
Ausdruck,  dafs  dies  nicht  wahr  sei.  Dies  veranlafst  nun  die  Kirchen- 
ältesten, bei  Ward  über  den  Unglauben  seiner  Frau  Klage  zu  führen 
und  ihre  Vorladung  zu  verlangen.  Er  geht  auf  ihr  Begehren  nicht  ein, 
will  aber  seinerseits  alles  thun,  um  Helens  Seele  zu  retten.  Da  ihm  klar 
ist,  dafs  seine  Vorstellungen  in  Zukunft  sie  ebensowenig  bekehren  würden 
wie  bisher,  greift  er  zu  dem  seltsamen  Mittel,  ihr,  da  sie  sich  gerade 
zu  einem  Besuche  in  Ashurst  befindet,  die  Rückkehr  zu  verbieten,  bis 
sie  'die  Wahrheit'  gefunden  habe.  Aber  auch  der  Schmerz  über  ihre 
Trennung  von  John  ändert  ihre  Ansichten  nicht.  Sie  sieht  John  nur 
wieder,  um  ihm  die  Augen  zuzudrücken,  da  er  infolge  eines  Blut- 
sturzes stirbt. 

Das  einförmige,  behagliche,  altmodische  Leben  in  Ashurst  ist  nicht 
minder  anschaulich  geschildert  als  die  Geschäftigkeit  und  religiöse  Auf- 
geregtheit von  Lockhaven.  Die  Charaktere  sind  im  allgemeinen  mit  Ge- 
schick gezeichnet.  Doch  möchte  ich  bezweifeln,  ob  ein  wirklicher  John 
Ward  eine  ungläubige  Frau  geheiratet  hätte.  Sein  Blutsturz  gefällt  mir 
nicht  besser  als  Robert  Elsmeres  Schwindsucht.  Auch  ist  Mr.  Denner  zu 
sehr  Karikatur,  als  dafs  mir  sein  tragisches  Ende  künstlerisch  gerecht- 
fertigt schiene.  Indessen  thuu  solche  kritische  Bedenken  dem  Vergnügen 
an  dem  Buche  keinen  Abbruch. 

Fruchtbarer  als  bisher  Mrs.  Ward  und  Mrs.  Deland  ist  die  Verfasserin 
des  dritten  der  oben  verzeichneten  Bücher,  Edna  Lyall,  deren  wirklicher 
Name,  wenn  ich  nicht  falsch  unterrichtet  bin,  Miss  Bayly  ist.  Vor  \Vc 
Two  ist  von  ihr  1882  Donovan  erschienen,  seitdem  1885  In  thc  Oolden 
Days,  1887  Knight  Errant,  1889  A  Eardi/  Xorseinan.  Aufser  IVe  Tiro  er- 
freut sich  besonders  Donovan  einer  ziemlichen  Beliebtheit  in  England : 
der  Held  des  älteren  Romans  erscheint  in  We  Tiio  als  Nebenfigur  wieder. 
Während  in  Robert  Elsmerc  und  John  Ward  die  religi()sen  Konflikte  zwi- 
schen Mann  und  Frau  spielen,  handelt  es  sich  in  We  Tico  um  Vater 
und  Kind. 

Luke  Raeburn,   der  Sdlni    eines  schottischen  Gcistliciien   der  biscIiiW- 


lOii  P.ciirtciliiiijrcii   iiikI   kiii/c  Anzeigen. 

liehen  Kiiclif,  winl  nls  Stdflfiit  in  Cambriilgc  ungläubig.  Sein  Vater 
sucht  ihn  vorgel)li('h  zum  Glauben  zurückzubringen  und  verstöfst  ihn. 
Er  wird,  da  er  durch  seine  Persönlichkeit  leiclit  grolsen  Kinflufs  auf  alle 
gewinnt,  die  mit  ihm  in  l'erühruug  koninicn,  ])ald  der  Führer  der  'Seeu- 
laristen',  freilich  aber  aucii  die  Zielscheibe  des  Hasses  und  roher  Angriffe 
seitens  rechtgläubiger  Fanatiker,  die  ihn,  obgleich  sein  Leben  völlig  rein 
ist,  alier  Verstölse  gegen  die  zehn  Gebote  1)eschuldigen.  Seine  einzige 
Tochter  Pirica  igt  ganz  in  seinen  atheistischen  Ajischauungen  aufgewachsen 
und  hält  die  Bezeichnung  Christ  für  gleichbedeutend  mit  allem  Abscheu- 
lichen, bis  einmal  der  Rev.  C'harles  Osmond  ihren  Vater  aufsucht,  um 
ihn  vor  einem  gewissenlosen  Gegner  zu  warnen,  der  durch  gedungenen 
Pöbel  eine  von  Raeburu  berufene  Vei-sammlung  zu  stören  beabsichtigt. 
Angeregt  durch  den  so  angebahnten  Verkehr  mit  die.sem  weitherzigen 
Geistlichen,  kommt  Erica  nach  mehreren  Jahren  zu  der  Überzeugung, 
dafs  das  wahr  sei,  was  ihr  Vater  bekämpfe.  Da  sie  ihm  bekennt,  dafs 
.sie  zum  Christentum  übertreten  wolle,  ist  er  zwar  aufser  sich,  allein  seine 
Liebe  zu  Erica  und  die  Erinnerung  an  die  L^ngerechtigkeit,  die  er  in 
seiner  Jugend  von  seinem  Vater  erfahren,  besiegen  seineu  Zorn.  Aber 
freilich  hat  Erica  von  den  Anhängern  Raeburns  manches  bittere  Wort 
anzuhören,  während  es  andererseits  vielen  ihrer  neuen  Glaubensgenossen 
anstöfsig  ist,  dafs  sie  sich  von  ihrem  Vater  nicht  ganz  lossagt.  Da  Rae- 
burn  von  einem  halb  wahnwitzigen  Strafseuprediger  zu  Boden  geschlagen 
wird  und  infolge  einer  inneren  Verletzung  nach  einigen  Tagen  stirbt, 
kommt  Erica  selbst  dem  Tode  nahe :  doch  erholt  sie  sich  und  willigt  nun 
darein,  die  Gattin  von  Charles  Osmonds  Sohne  Brian  zu  werden,  der  sie 
schon  seit  vielen  Jahren  liebt  und  vorher  schon  einmal  vergeblich  um 
ihre  Hand  geworben. 

Die  Verfasserin  erzählt  leicht  und  angenehm.  Kleine  Genrebildchen, 
z.  B.  wie  Brian  und  Erica  mit  ihren  aufgespannten  Regenschirmen  in 
Gower  Street  zusammenstofsen,  oder  die  Idylle,  die  Erica  mit  ihrem  er- 
holungsbedürftigen Vater  in  Milford  imder  the  Oak  lebt,  sind  vortrefTJich 
gelungen.  Die  Charaktere  sind  nicht  ungeschickt  gezeichnet,  wenn  auch 
gelegentlich,  wie  der  von  Ericas  Onkel,  Mr.  Fane-Smith,  etwas  karikiert. 
Schwach  ist  aber  die  Motivierung  von  Ericas  Übertritt  zum  Christentum 
und  der  religiöse  Standpunkt  von  Charles  Osmond  mit  Unrecht  ganz 
verschwommen  gelassen.  Nicht  klar  ist  mir  geworden,  was  die  Figur  des 
Anarchisten  Eric  Haeberlein  in  dem  Romane  soll:  wir  erfahren  zwar, 
dafs  Erica  ihm  ihren  Vornamen  verdankt,  aber  von  seinem  Thun  und 
Treiben  erhalten  wir,  trotzdem  er  mehreremal  auftritt,  keine  deutliche 
Vorstellung.  Auch  manches  andere  wäre  ohne  Schaden  weggeblieben:  so 
die  Lebensgefahr  Raeburns  und  seiner  Tochter  auf  dem  Meere,  vor  allem 
die  Abprügelung  des  Sir  Algernon  Wyte  durch  Brian.  An  Tiefe  der 
Auffassung  kann  sich  dieser  Roman  mit  den  beiden  anderen  nicht  messen, 
aber  er  bietet  eben  darum  eine  an  den  Leser  weniger  Anforderungen 
stellende  Lektüre. 

Berlin.  Julius   Zupitza. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  191 

The  CouDty.     A  Novel.     Leipzig,  Tauchnitz,  1889  (Collection  of 
British  Allthors,  Vol.  2613).     ;{27  S.  kl.  8.     M.  1,60. 

Die  beiden  verwaisten  Schwestern  Esme  und  Frances  Xugent  leben 
in  Billington  in  'Loamshire'  bei  ihrem  Oheim  Frank  Nugent.  Da  dieser 
aber  plötzlich  ihre  Kammerjuugfer  heiratet,  glauben  sie  sich  gezwungen, 
andei-swo  einen  Unterschlupf  zu  suchen,  den  sie  denn  auch  bei  Sir  Joseph 
Yarborough,  der  eine  Verwandte  ihrer  Mutter  zur  Frau  hat,  finden. 
Esme  und  Allan  Vaudrey  lieben  und  verstehen  sich,  ohne  dafs  eine  förm- 
liche Aussprache  stattfindet.  Nun  stirbt  Allans  Vater  und  hinterläfst 
ihm  als  dem  jüngeren  seiner  beiden  Sidme  von  seinem  ungeheuren  Ver- 
mögen nur  10  000  Pfund.  Frances,  die  aus  egoistischen  Gründen  durch- 
aus verhindern  will,  dafs  Esme  einen  armen  Mann  heirate,  redet  Sir 
Joseph  vor,  dafs  Esme  ihn  bitte,  Allan  zu  sagen,  er  solle  sich  nicht  erst 
einen  Korb  holen.  Empört  über  Esmes  Herzlosigkeit,  geht  Allan  nach 
Indien ;  Esm^  hinwiederum  ist  dadurch  aufs  tiefste  gekränkt,  dafs  er 
England  ohne  ein  Wort  der  Erklärung  verlassen.  Da  ihr  nun  noch  dazu 
der  Aufenthalt  im  Hause  des  Sir  Joseph  unangenehm  wird,  reicht  sie 
ihre  Hand  einem  Börsenmanne,  Bryan  Mansfield,  der  in  dem  Rufe  einer 
jährlichen  Einnahme  von  20000  Pfund  steht.  Dieser  erwirbt  alsbald  eine 
Besitzung  in  ihrer  alten  geliebten  Grafschaft  und  stattet  ihr  Haus  aufs 
teuerste  aus,  so  dafs  die  Einrichtung  des  Gesellschaftszimmers  allein 
4500  Pfund  kostet.  Einige  Monate  nach  der  Hochzeit  kommt  Allan  zu- 
rück und  zwar  als  Baronet  und  doppelter  Millionär,  da  inzwischen  sein 
älterer  Bruder  gestorben  ist.  Vergeblich  sucht  Frances  eine  Aussprache 
zwischen  ihm  und  Esme  zu  verhindern.  Esme  hoff't,  sie  können  als 
Freunde  miteinander  verkehren:  er  erklärt  dies  aber  für  unmöglich  und 
will  sie  bereden,  mit  ihm  zu  fliehen.  Da  sie  darauf  nicht  eingeht,  ent- 
fernt er  sich  im  Zorn.  Einige  Wochen  später  stellt  sich  heraus,  dafs 
Bryan  Mansfields  Verhältnisse  durchaus  zerrüttet  sind.  Um  nicht  wegen 
Unterschlagung  ihm  an  vertrauter  Gelder  belangt  zu  werden,  will  er  nach 
Buenos  Ayres  flüchten:  Esme  will  ihn  begleiten.  Allein  der  Zug,  der  sie 
beide  zum  Schift'  bringen  soll,  entgleist:  Bryan  kommt  dabei  um.  Sir 
Allan  übernimmt  seine  Verbindlichkeiten  und  heiratet  schliefslich  Esmt'. 
Die  Beziehungen  zwischen  den  beiden  Schwestern  werden  ganz  abge- 
brochen, da  weder  Sir  Allan  Frances  in  seinem  Hause  sehen  will,  noch 
Major  Johnstone,  den  Frances  in  Ermangelung  eines  Besseren  inzwischen 
gekapert,  eine  Berührung  mit  Esme  wünscht. 

Wir  haben  es  wohl  mit  dem  Erstlingsroman  einer  Dame  zu 
thun.  Er  zeigt  keine  besondere  Originalität  und  hinterläfst  keinen  tie- 
feren Eindruck,  und  die  Charakterzeichnung  verrät  manche  Schwäche. 
Allein  der  Stil  ist  gewandt  und  der  Aufbau  nicht  ungeschickt,  so 
dals  man  mit  seiner  Lektüre  die  Zeit  immerhin  nicht  unangenehm 
hinbringt. 

Berlin.  .Tu  lins   Zupitza. 


192  l'(Mirt<'ilmi<!,«'ii  und  km/.«-  An/ei«roii. 

The  Master  ol  l^>alluntrae.  A  Wiuter's  Tale.  By  Robert  J^juIs 
Stevenson.  Leipzig,  Tauchnitz,  1889  (Collection  of  British 
Authors,  Vol.  2014).     808  8.  kl.  8.     M.  1,60. 

Robert  Louis  Stevenson  gehört  zu  den  am  meisten  gelesenen  jüngeren 
>^chrit'lstellorn  Englands.  Wie  H.  Rider  Haggard,  der  Verfasser  von 
Kimj  Solonion's  Minrs  und  von  S/ir,  und  wie  der  Verfasser  von  Deof/ 
Man's  Bock,  der  seinen  Namen  hinter  dem  Buchstaben  Q.  versteckt,  wan- 
delt er  auf  dem  von  Defoe,  Swift,  SmoUet,  Marryat  betretenen  Wege 
weiter  und  will  seinen  I^esern  vor  allem  eine  an  überraschenden  Aben- 
teuern reicbe  Handlung  bieten.  Wemi  man  von  der  in  ihrer  Art  vor- 
trefflichen allegorischen  Erzählung  Dr.  Jeki/ll  and  Mr.  Hijdc  absieht,  die 
einer  anderen  (iattung  angehc'ut,  inufsten  bisher  'l'rcasiire  Island  (1883) 
und  Kidnapped  (188<j)  als  seine  besten  Leistungen  gelten.  Sein  neues 
Buch  scheint  mir  aber  selbst  diese  zu  übertreffen. 

Der  Verfasser  bezeichnet  seine  Erzählung  als  A  Winters  Tale.  Er 
dachte  dabei  wohl  an  die  Erklärung,  die  Shakspere  von  dem  Titel  seines 
Dramas  giebt.  .1  sad  tale's  be.sf  for  iviriter,  läfst  er  bekanntlich  Mamillius 
sagen.  Eine  düstere  Familiengeschichte  Avird  uns  von  Stevenson  vor- 
geführt: wir  ei'halten  eine  neue  Variation  über  das  Thema  von  den  feind- 
lichen Brüdern. 

Da  der  junge  Prätendent  174.j  in  Schottland  ankommt,  bestimmt  der 
Familienrat  in  Durrisdeer  an  der  Solwayküste,  dafs  der  eine  von  den 
beiden  Söhnen  des  Lord  Durrisdeer  sich  dem  Aufstande  anschliefsen,  da- 
gegen der  Vater  und  der  andere  Sohn  zu  Hause  bleiben  und  sich  so  für 
alle  Fälle  die  Gunst  des  regierenden  Hauses  erhalten  sollen.  Der  ältere 
Sohn,  James  Durie,  der  by  courfesy  den  Titel  Master  of  Ba/lanfrae  führt, 
giebt  es  nicht  zu,  dafs  sein  Bruder  Henry  aus  freien  Stücken  zu  den 
Rebellen  stöfst,  sondern  läfst  es  auf  die  Entscheidung  eines  in  Drehung 
versetzten  Goldstückes  ankommen,  die  seinem  Wunsche  gemäfs  ausfällt. 
Nach  der  Schlacht  von  Culloden  kommt  die  Nachricht,  dafs  James  in 
dieser  sein  Leben  verloren  habe,  und  zwei  .Jahre  später  vermählt  sich 
Henry  mit  einer  Verwandten,  Miss  Alison  Graeme,  die  früher  James  zur 
Frau  bestimmt  gewesen  war.  Kurze  Zeit  aber,  nachdem  ihnen  ein  Töchter- 
ehen geboren  worden,  bringt  ein  Waftengefährte  von  James  die  Kunde, 
dafs  dieser  aus  der  Schlacht  von  Culloden  lebend  entkommen  sei  und 
nach  abenteuerlichem  Umherschweifen  sich  in  Frankreich  aufhalte.  James 
stellt  nun  beständig  Geldforderungeu  an  Henry,  dem  der  Vater  alle  Ge- 
schäfte vollständig  überläfst,  während  er  selbst  am  Kamin  seinen  Livius 
studiert.  Da  aber  einmal  auf  James'  Wünsche  nicht  eingegangen  wird, 
erscheint  er  etwa  zehn  Jahre,  nachdem  er  weggegangen,  plötzlich  im 
Hause  seines  Vaters.  Er  läfst  die  Seinigen  in  dem  Glauben,  dafs  er 
dabei  sein  Leben  gefährde ;  allein  es  stellt  sich  heraus,  dafs  er  der  Regie- 
rung als  Spion  Dienste  geleistet  und  daher  nichts  zu  fürchten  habe.  Um 
ihn  loszuwerden,  willigt  Henry  in  einen  Landverkauf.  James  schickt  das 
so  erprefste  Geld  nach  Fr.ankreich  und  trifft  heimhch  Vorbereitungen  zur 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  193 

Abreise.  Am  Abend  vor  derselben  (am  27.  Februar  1757)  versetzt  er  aber 
durch  seinen  Hohn  und  namentlich  durch  seine  lügnerische  Hindeutung 
auf  Alisons  eheliche  Untreue  Henry  in  solche  Wut,  dafs  es  zwischen  den 
Brüderu  zu  einem  Zweikampf  kommt.  James  merkt  bald,  dafs  ihm 
Henry  au  Geschicklichkeit  in  der  Führung  des  Degens  überlegen  ist,  und 
faTst  tückischerweise  dessen  Klinge  mit  der  linken  Hand,  um  ihn  dann 
niederzustofsen.  Allein  Henry  springt  zur  Seite,  James'  Degen  geht  in 
ilie  Luft,  und  er  selbst  fällt  auf  die  Knie  nieder  und  wird  durchbohrt, 
ehe  er  sich  bewegen  kann.  P>  bleibt  für  tot  liegen,  da  Henry  und  der 
einzige  Zeuge  des  nächtlichen  Duells  mit  der  traurigen  Kunde  ins  Schlots 
zurückkehren.  Als  dann  aber  der  Vater  auf  dem  Kampfplatze  erscheint, 
ist  die  gesuchte  Leiche  verschwunden:  wie  später  herauskommt,  haben 
Schmuggler,  mit  denen  James  seine  heimliche  Abreise  verabredet  hatte, 
ihn  gefunden  und  aufs  Schiff'  gebracht,  wo  er  sich  bald  erholt.  Henry 
aber  verfällt  in  eine  langwierige  Krankheit:  er  übersteht  sie  zwar,  doch 
mufs  sie  in  seinem  Gehirn  irgend  etwas  zerst<)rt  haben;  denn  er  ist  von 
nun  an  ein  ganz  anderer  Mensch.  Der  Vater  geht  langsam  ein.  So  wird 
Henry  Lord  Diu-risdeer,  und  seine  Frau  beschenkt  ihn  auch  bald  darauf 
mit  einem  Erben.  Es  vergehen  nun  wieder  mehrere  Jahre :  da  taucht  im 
Frühjahr  1761  James  abermals  in  Durrisdeer  auf,  diesmal  in  Begleitung 
des  Inders  Secundra  Dass.  Henry  flieht  mit  seiner  Familie  nach  Nord- 
amerika auf  eine  Besitzung  seiner  Frau.  Aber  James  kundschaftet  mit 
Hilfe  des  Inders  ihren  Schlui^fwinkel  aus  uud  folgt  ihnen.  Indessen 
Henry  läfst  sich  weder  durch  das  Erscheinen  seines  Bruders  noch  durch 
den  Umstand,  dafs  dieser,  um  seinen  Stolz  zu  kränken,  sich  in  New- York 
als  Flickschneider  niederläfst,  zu  weiteren  Geldopfern  bewegen.  Da  aber 
in  einer  Broschüre  behauptet  wird,  dafs  James  seine  verwirkten  Rechte 
wiedererlangen  solle,  so  dafs  Henrys  Sohi\  Alexander  leer  ausgehen  müfste, 
treibt  Vaterliebe  den  jüngeren  Bruder  zu  einem  nur  unter  der  Annahme 
einer  geistigen  Störung  erklärlichen  Schritte:  er  besticht  einen  übelst- 
beleumundeten  CaiJtain  Harris,  James  aus  dem  Wege  zu  räumen,  wäh- 
rend er  mit  ihm  nach  dem  Norden  zieht,  wo  James  einen  Schatz  holen 
will,  den  er  vor  beinahe  zwanzig  Jahren  da  versteckt  hat.  Allmählich 
merkt  James,  dafs  es  auf  seinen  Tod  abgesehen  ist.  Da  alle  seine  Ver- 
suche, seinen  Begleitern  zu  entkommen,  mifsliugen,  greift  er  auf  den  Rat 
des  Inders  zu  einem  seltsamen  Mittel,  um  sich  zu  retten.  Er  stellt  sich 
krank  und  'verschluckt'  dann  'seine  Ziuige'.  Im-  wird  für  tot  gehalten 
und  begraben.  Seine  Reisebegleiter  erliegen  aber  alle  mit  Ausnahme  des 
Inders  und  eines  gewissen  Mountain  dem  Skalpiermesser  der  Indianer. 
Da  sich  nuu  Henry,  der  inzwischen  sein  Gewissen  durch  übermäfsiges 
Trinken  zu  betäuben  gesucht,  von  Mountain  an  die  Stelle,  wo  James  be- 
graben worden  ist,  führen  läfst,  um  sich  zu  überzeugen,  dafs  sein  Feiml 
Avirklich  beseitigt  sei,  lindet  er  schon  den  Inder  damit  beschäftigt,  das 
Grab  zu  offnen.  Nach  aufserordcntlichcu  Bemühungen  desselben,  den 
Begrabenen  wieder  zum  Leben  zu  bringen,  öffnet  dieser  in  der  That  die 
Augenlider  und   macht  Anstrengungen  zu  sprechen:   da  Heury  dies   be- 

Arcliiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  13 


194  Ht'intf'iliuiijvn   niid    kurze   An/,ei<;oii. 

merkt,  briclit  er  tot  ziisitnnm'ii.  AIxt  iuicli  .fuincs'  I^ben  ist  ilaliin, 
trot7,<1oni  <lor  Imlcr  ihm  noch  hiiigo  dio  (xliedor  reibt  unfl  in  den  Mund 
liaiu'ht:  er  nuils  zuletzt  einsehen,  diifs  etwas,  was  im  warmen  Indien  {.ge- 
linge, durch  die  Kälte  Amerikas  vereitelt  worden  sei.  Ein  Ciral)  um- 
schlierst nun  die  beiden  feindlichen  T?rüder. 

Der  Verfasser  hat  die  Erzählung  dem  Steward  des  Hauses  Durris- 
deer,  Ephraim  Mackellar,  in  den  IMund  gelegt.  Er  empfand  dies  nach 
einer  Andeutung  in  der  Widmung  selbst  als  eine  Fessel.  Er  liel's  sich 
dadurch  aber  auch  verführen,  der  Sprache  einen  Anstrich  von  Altertum - 
lichkeit  zu  geben,  wobei  er  nach  meiner  Ansicht  zuweilen  zu  weit  znrück- 
gegriflen  hat.  Aber  abgesehen  von  diesem  nel)ensächliclieu  Punkte  ver- 
dient die  Erzählung  grofses  Lob.  Sie  ist  vf)ller  Spannung.  Die  mannig- 
faltigen Abenteuer,  die  James  nach  der  Schlacht  von  Culloden  erlebt, 
geben  ein  fesselndes,  wenn  auch  düsteres,  Bild  von  dem  damaligen  Treiben 
auf  dem  Meere.  Der  nächtliche  Zweikampf  der  Brüder  beim  Seheine 
zweier  Lichter,  die  der  Erzähler  hält,  verrät  eine  ^leisterhand.  Grofsartig 
ist  auch  der  Schluls  des  (Ganzen.  Niemand  wird  das  Buch  unbefriedigt 
aus  der  Hand  legen. 

Berlin.  Julius   Z  u  p  i  t z  a. 

The  Day  will  come.  A  Novel  by  M.  E.  Braddoii.  In  2  Yols. 
Leipzig,  Taiiclmitz,  1889  (CoUectiou  of  British  Authors,  Yol.s. 
2615  and  2616).     328  u.  294  S.  kl.  8.     M.  3,20. 

Mrs.  Maxwell,  wie  die  Verfasserin  im  bürgerlichen  Leben  heilst,  kann 
zwar  nach  Ausweis  mancher  ihrer  äufserst  zahlreichen  Werke  (ich  nenne 
besonders  Vixen  und  Ishmael)  auch  sehr  unterhaltende  Romane  ohne  einen 
geheimnisvollen  Mord  schreiben:  aber  ihr  neuestes  Buch  bewegt  sich  doch 
wieder  auf  der  Bahn,  die  sie  mit  ihrem  Erstlingswerk,  Lmhj  Audlen'^ 
Secref,  betreten,  an  welches  auch  geradezu  der  Schlufs  von  The  Day  iti/f 
come  anklingt,  da  auch  hier  die  Mörderin  in  einer  Irrenanstalt  unschäd- 
lich gemacht  Avird.  Dreiundzwanzig  Jahre,  ehe  dies  geschieht,  hatte  ein 
aus  1)escheideueu  Verhältnissen  stammender  Jurist,  James  Dalbrook,  nach- 
dem er  mit  Evelyn  Darcy,  die  ihrem  rohen  Manne  davongelaufen,  längere 
Zeit  zusammengelebt,  dieser  erkläi't,  dafs  er  sich  mit  einem  jungen  Mäd- 
chen verlobt  habe.  Da  hatte  ihm  Evelyn  zugerufen,  dafs  der  Tag  kom- 
men würde,  wo  es  ihm  leid  thäte,  sie  im  Stiche  gelassen  zu  haben. 
Dalbrook  kauft  mit  der  Mitgift  seiner  Frau  Cheriton  Chase,  das  Gut 
von  Evelyns  Vater,  und  wird  nicht  lange  darauf  zum  Lord  Cheriton  er- 
nannt. Sterben  auch  seine  Sr)hne  in  jugendlichem  Alter,  so  bleibt  ihm 
doch  wenigstens  eine  Tochter  .Tuanita,  die  einen  .Jugeudgespielen,  Sir 
Godfrey  Carmichael,  heiratet,  auf  welchen  Lord  Cheriton  dereinst  den 
Lordstitel  vererben  zu  können  hofft.  Mit  der  Ankunft  der  Neuvermählten 
in  Cheriton  Chase,  wo  sie  die  P'^litterwochen  verleben  wollen,  beginnt  der 
Itoman.  Ehe  noch  der  Monat  abgelaufen  ist,  wird  Sir  Godfrey  in  ge- 
heimnisvoller  Weise  erschossen.     Das   Suchen    nach    dem    Mörder   bildet 


Beurteil migoii  und  kurze  Anzeigen.  195 

(leu  Hauptinhalt  des  Buches.  Nach  eiueni  Jahre  wird  beim  Reiuigeu 
eines  Brunnens  ein  Revolver  gefundeu,  den  Lord  Cheriton  als  früheres 
Eigentum  von  Evelyns  Gatten  erkennt:  so  stellt  es  sich  heraus,  dals  die 
Mörderin  Evelyn  war,  die  unter  dem  Namen  Mrs.  Torter  an  der  einen 
Ausfahrt  des  Parkes  von  Cheriton  gewohnt  hat. 

Der  Roman  ist  mit  dem  bekannten  Geschick  der  Verfasserin  aufge- 
baut und  wird  ohne  Zweifel,  wie  ihre  früheren  Werke,  einen  grofseu 
T^eserkreis  finden. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

Youug  jVIi".  Aiuslie's  Courtship.  By  F.  C.  Philips.  Leipzig, 
Tauchnitz,  1889  (Collection  of  British  Authors,  Vol.  2617). 
271  S.  kl  8.     M.  1,60. 

Philip  Ainslie  verlobt  sich  kurze  Zeit,  nachdem  er  seine  Studien  in 
Cambridge  beendet,  mit  Florence  Keane,  der  Tochter  eines  reichen  Lon- 
doner Banquiers.  Vergeblich  bemüht  sich  eine  Tante  der  Braut,  Miss 
Letitia  Firbank,  ihre  Nichte  zu  bewegen,  dafs  sie  Philip  den  Laufpal's 
gebe  und  lieber  Lord  Helsham  ihre  Hand  reiche.  Da  trifft  Philip  das 
T'nglück,  dafs  beim  Schiefseu  sein  Gewehr  zerspringt  und  ihn  unwieder- 
l)ringlich  des  Augenlichts  beraubt.  Florence  hat  nicht  den  Mut,  die  Frau 
eines  Blinden  zu  werden,  und  löst  ihie  Verlobung.  Den  Tag  darauf  wirbt 
T..ord  Helsham  um  sie  und  erhält  ihr  Jawort.  Philip  erfährt  das  nicht 
mehr;  denu  in  der  Nacht,  nachdem  er  den  Absagebrief  bekommen,  er- 
schiefst er  sich.    Florences  Ehe  wird  unglücklich. 

Der  Inhalt  dieser  zuerst  in  der  Monatsschrift  Time  erschienenen  Er- 
zählung ist  etwas  dürftig:  viele  Seiten  werden  mit  Berichten  von  Essen, 
Jagen,  Schlittenfahrten  u.  dergl.  gefüllt;  aiich  fehlt  es  nicht  an  trivialen 
Bemerkungen,  bei  denen  einem  einfällt,  was  der  Verfasser  S.  11".  von 
einem  Bischof  sagt:  Thr  bishnj}  r.rpanflcfl  Iris  cliesf  »k  if  he  had  said  some- 
thing  remarkobltj  original  nnil  profo/nid.  Statt  auf  diese  Weise  die  Ge- 
schichte auszudehnen,  hätte  uns  der  Verfasser  lieber  so  weit  in  den  Cha- 
rakter seiner  Hauptpersonen  blicken  lassen  sollen,  dafs  wir  ihre  Hand- 
lungsweise begriffen.  Nach  allem,  was  man  von  Philip  erfährt,  würde 
man  nicht  erwarten,  dafs  er  sich  umbringt.  Vollends  aber  ist  man  über 
Florences  Herzensroheit  aufs  hr)chste  überrascht.  Was  die  Darstellung 
l)etrif!'t,  so  fallen  gelegentlich  Wiederholungen  auf.  y'I/eir  is  an  end  to 
ei'ergtliing,  crcn  to  thr  longesf  dag's  mit  in  o.risfpnee  lesen  wir  S.  5.^,  und 
Their  is  an  end  to  all  institidionn,  rven  to  afternomi  fea  S.  V-\h.  Lord 
Helsham  schreibt  S.  220  an  Miss  Firbank :  Tn  xag  that  I  »ras  dimjtpointed 
and  griered  at  getting  gonr  fetter  nonld  hr  /tat  to  faintlg  conreg  to  gon  mg 
feelings  at  its  reecijit,  und  in  der  Antwort  darauf  heilst  es  S.  2?.:^;  To  sag 
that  J  am  flattercd  l>g  Ihr  ron/idencr  gon  hare  tlioaght  ircll  to  repose  in  n/e, 
iroald  l)r  l>at  faintlg  to  conreg  mg  appreeiation  of  Ihr  honoar  gnn  hare  done  me. 
Im  übrigen  ist  gerade  der  Stil  wegen  seiner  einfachen  Eleganz  sehr  zu  loben. 

Berlin.  J  u  1  i  u  s   Z  n  p  i  t  z  a. 

13* 


lOß  Bi'iirtfiliiri'icii   und   kiir/c   .\\i/.ci^(-i\. 

Froncli  and  EngHsli.  A  (•omparison  Ity  l'liilip  Gilbort  Hanierton. 
In  2  Vols.  r.oi])zi«i',  Tauclinit/,  1889  (CoUection  of  British 
Authors,  YoLs.  2(118  and  261J)).    280  u.  270  S.  kl.  8.    M.  ;.;,20. 

Das  Buch  ist  oiiio  rmarbeitung  uiul  ErAveiteriinfj  von  sieben  Artikeln, 
die  188G  luid  1S87  im  Athinfic  Mouthhi  crscliienoii  sind.  Der  Verfasser 
dieser  völlvorpsycholoj^^isclicn  Studien  ist  ein  JCujrländer.  der  seit  einem 
Vierteljalirhuudert  in  Frankreich  lebt.  Er  schreibt  mit  anerkennenswerter 
Unparteilichkeit  und  erweist  vieles  als  unbegründetes  V^orurteil,  was  in 
dem  einen  Lande  von  dem  anderen  geglaubt  wird.  Sein  Buch  ist  aber 
auch  geeignet,  gar  manche  falsche  Vorstellung  /u  berichtigen,  die  man 
srch  in  Deutschhuid,  sei  es  von  französischen,  sei  es  von  englischen  Zu- 
ständen und  Verhältnissen  macht.  Es  ist  jedem,  der  sich  an  der  Hand 
eines  unbefangenen  Führers  über  das  lieutige  England  und  Frankreich 
unterrichten  will,  aufs  wärmste  zu  empfehlen.  Sein  Inhalt  gliedert  sich  wie 
folgt:  I.  Edtmition  {\.  Pkysical  E.,  'i.  Infellcctiial  E.,  ^.Artwtic  E.,  {.Moral 
Trainmg,  -5.  The  E.  of  thc  Fcelings,  (>.  E.  and  Rani:).  II.  Patriotkm  (1.  Pa- 
triotic  Tendfirurss.  2.  /'.  Pride,  o.  P.  .h/iloioiji,  I.  /'.  Didi/j.  III.  Pnlifics 
(1.  Revohäion,  2.  Lihertji,  H.  Conserrattsm,  I.  ,Sfah/lifi/).  IV.  licliyion 
(1.  State  Establishment  of  Belif/ion,  2.  Disestofdishtnent  in  France  and  Eng- 
land, ?>.  Socml  Poirer,  A.  Faifh,  5.  Formalis  in).  V.  Virtms  (1.  Tridh. 
2.  Justice,  ?}.  Pnritjf,  -1.  Temperance,   5.  Thrift,   G.  Cteanliness,   7.  Courage). 

VI.  Custom  (1.  Chronohgy,  2.  Com  fort,  :).  Lnxm-g,  4.  Manners,  h.  Becoruni). 

VII.  Society  (1.  Gaste,  2.  Wealth,  ?>.  Alliances,  4.  Intercoiirse).  VIII.  Snccesf 
fi.  Personal  S.,  2.  National  S.  at  Home,  .">.  Xafinnal  S.  Aliroad).  IX.  Va- 
riety  (1.   V.  in  Britain,    2.    T'.  in  France).  .1.  Z. 

For  One  and  the  World.  A  Novel.  By  M.  Betham-Edwards. 
Leipzig-,  Tanchnitz,  1889  (Colleetion  of  British  Authors,  Vol. 
2()20).     296  S.  kl.  8.     M.  1,60. 

Mary  Ann  Harpfield  ist  Vormünderin  von  Philip  Snmmerhill,  dessen 
Mutter,  wie  sie  selbst,  dem  dienenden  Stande  angeh<>rt  hatte,  bis  ihre 
Schönheit  einen  alten  reichen  Witwer  bewog,  sie  zu  heiraten.  Philip,  der 
nur  an  epileptischen  Krämpfen  leidet,  wird  von  ihr  für  einen  Idioten 
ausgegeben,  da  sie  so  auch  nach  seiner  Volljährigkeit  die  Verfügung  über 
sein  Vermögen  zu  behalten  hoftt,  mit  welchem  sie  übrigens  aufs  leicht- 
sinnigste umgellt.  Eine  junge  Eussin  Nadine,  die  in  Frankreich  Dr.  med. 
geworden  ist  und  Philip  eine  Zeit  lang  mit  Erfolg  liehandelt,  sucht  ver- 
geblich einen  Friedensricliter,  Sir  Vornon  Vernon,  zum  Einschreiten  zu 
bestimmen,  bis  plötzlich  beim  Durchsehen  alter  Papiere  ein  bis  dahin  uur 
geöflTnetes  Schriftstück  zum  Vorschein  kommt,  nach  welchem  Sir  Vernon 
Mitvormund  ist.  Inzwischen  hat  sich  das  ungetreue  Weib  verheiratet: 
ihre  Hochzeitsreise  will  Philij»,  der  das  Hausmädchen  Fanny  Farthiug 
für  seinen  Plan  gewonnen,  zur  Flucht  nach  einem  anderen  Erdteil  be- 
nützen. Aber  kurz,  ehe  sein  Schill'  nach  Liverpool  abgeht,  holt  ihn  Nadine 
zuiiick.     Er  erhält  nun  regelmäisiffen  t^nterricht,  bezieht   die  Universität 


Bcurteihiugeii  und  kurze  Anzeigen.  197 

Cambridge  und  beschlielst  sein  Studium  als  Senior  Wraugler.  Dann  hei- 
ratet er  (wenn  ich  die  Verfasserin,  die  sich  nicht  ganz  deutlich  ausspricht, 
recht  verstehe)  die  etwa  zehn  Jahre  ältere  Nadiue,  die  sich  unterdessen 
eine  selbständige  Wirksamkeit  in  Petersburg  geschafleu  hut,  welche  sie 
auch  in  Zukunft  beibehält:  sie  wollen  leben  for  one  and  the  workl. 

Die  Geschichte  ist  zwar  nicht  uninteressant,  aber  doch  im  ganzen 
und  in  vielen  EinzelJieiteu  recht  unglaublich  und  die  Charaktere  fast  alle 
ganz  unwahrscheinlich.  In  stilistischer  Hinsicht  ist  mir  Vorliebe  für  ge- 
lehrte Ausdrücke  aufgefallen,  wie  rejuveiuäion  'Verjüngung'  102,  turrentkü 
•'strömend'  (vom  Regen)  237.  Das  Verbum  to  exuberate,  das  die  Wörter- 
bücher als  veraltetes  Sj'nonym  von  to  abound  anführen,  braucht  die  Ver- 
fasserin im  Sinne  von  'frohlocken',  'jubeln'  S.  127:  Does  the  cackoo  exu- 
berate ocer  the  Ijreaking  tip  of  icy  winterV  S.  189  scheint  connice  mit  eon- 
spire  verwechselt:  Time  enough  for  Jiim  to  plot  and  conuive  before  her  return. 

Berlin.  .Julius   Zupitza. 

Praktischer  Lehrgang  ziir   schnellen    und  leichten  Erlernung  der 
dänischen   Sprache,   hauptsächlich    zum   Selbstunterricht    für 
Kaufleute   und  Touristen,  mit   einem  Anhang   norwegischer 
Redewendungen.    Von  E.  Funk.    Leipzig,  Brockhaus,  1889. 
266  S.  8.     M.  3. 
Das  Buch  ist  praktisch  angelegt   und   kann   solchen   empfohlen  wer- 
den, die  in  möglichst  kurzer  Zeit  sich  der  dänischen  Sprache  zum  Zwecke 
der  Reise  oder  des  Handelsverkehrs   bemächtigen    wollen.     Nach  einem 
methodisch  verständigen  Plane  werden  in   dreilsig  Lektionen  die  wichtig- 
sten   und    einfachsten    Spracherscheiuuugeu    vorgeführt   und    an    zweck- 
mäfsigeu,   zum   gröi'sten  Teil    dem   Verkehrsleben    entnommenen   Stoffen 
eingeübt.    Der  durch  die  Übungen  gewonnene  Vokabelschatz  ist   reich- 
haltig   und    entspricht    den    nächstliegenden    Bedürfnissen    des    täglichen 
Lebens  und    Umgangs.     Der  grammatische  Stoff'  wird   am  Schlüsse  der 
dreilsig  Übungslektionen  nochmals  systematisch  zusauuneugestellt.    Hier- 
auf folgt  ein  Lesebuch,  Prosa  und  Poesie  bietend.     In  dem  ersteren  Teile 
hätten   wir  statt  der  AUerweltsanekdoteu,  welche   sich  seit  Meidinger  in 
den   Lehrbüchern    sämtlicher  Sprachen    der  Welt   herumtreiben,   Gegen- 
stände aus  der  skandinavischen  Welt,  Kunde   von  Land    und  Leuten   in 
Dänemark  und  Norwegen  u.  dergl.  gewünscht.     Ein  Wörterbuch  und  eine 
für  die  Reise   bestimmte  Phrasensammluug  machen    den  Beschluls.     Wir 
empfehlen  das  Buch  solchen,   die  im  Sommer  eine  Fahrt  nach  dem  Nor- 
den  unternehmen   wollen,   als  Studium    für   den    \orhergehenden  Winter. 
Gotha.  Chr.  Rauch. 

Henrik    Ibsen    von    Henrik    Jäger,    deutsch     von    H.    Zschalig. 
Dresden,  :Mindcns  Verlag,  1889.     216  S.  8.     M.  3. 
Bei  dem  Interesse  für  H.  Ibsen,   das   von   dem  kleinen,    litterarisch 
vereinzelten  Norwegen  aus  immer  weitere  Kreise  über  die   Kulturländer 


I!i8  r.tMirtciliiiiiicii   iiiid  kiirzf  Aiizci^'cii. 

Kurojtiis  ziclif,  ist  vhu-  ssu  tVsscliid  gi-scliricbenc  und  gut  übersetzte  Bio- 
grai)}iie  aurh  deueu,  welche  nicht  Ib.senianer  strengster  Obedieuz  «ind, 
höchst  willkoninien.  Ein  Fehler  des  Buches  bleibt  es  nur,  dafs  die  Jugend- 
zeit und  dichterische  Anfäugerschaft  Ibsens  allzu  breit  und  behaglich 
geschildert  werden  und  somit  für  die  Werke  des  norwegischen  Dich- 
ters, durch  welche  er  seinen  Namen  in  Deutschland,  Frankreich,  Eng- 
land u.  a.  O.  bekannt  niuchtc,  zu  wenig  Ivaum  l)leibt.  Einen  originalen 
Dichter  sich  entwickeln,  kämpfen  und  ringen  zu  sehen,  hat  eine  unleug- 
bare Anziehungskraft,  aber  die  innere  Eutwickelung  tritt  um  so  deutlicher 
hervor,  je  mehr  sie  von  äulserem,  wenig  charakteristischem  Beiwerk  be- 
freit wird.  Nelken  den  biograi)hischen  hätten  auch  die  allgemein  litte'rar- 
historischen  Beziehungen  eingehender  und  aufmerksamer  geschildert  werden 
sollen,  doch  H.  Jägers  Gesichtskreis  geht  nicht  viel  über  die  nordischen 
und  besonders  norwegischen  Interessen  hinaus,  und  so  erfahren  wir  z.  B. 
über  Ibsens  Verhältnis  zum  Darwinismus,  zur  naturalistischen  Schule 
Frankreichs  u.  a.  nur  Gelegentliches  und  Dürftiges.  Dafür  entschädigt 
uns,  wenn  wir  dankbar-bescheidener  Gemütsart  sind,  das  mancherlei  Neue, 
welches  wir  über  Ibsens  Sturm-  und  Drangzeit  und  frühe  Jugend  hören. 

Die  deutschfeindliche  Gesinnung  Ibsens,  die  sich  besonders  in  den 
Jahren  I8(il  und  187n  kundgab,  hat  H.  Jäger  stark  betont;  glücklicher- 
weise wird  dadurch  der  Absatz  des  Buches  bei  uns  wenig  Schaden  erleiden. 
.  Der  Übersetzer  hat  dem  Werke  Jägers  durch  eine  Reihe  schätzens- 
werter biographischer  und  bibliographischer  Angaben  erhöhte  Brauchbar- 
keit verliehen,  auch  einiges  ans  seinem  Briefwechsel  mit  dem  Verfasser 
und  Ibsen  selbst  mitgeteilt.  Selbstredend  hat  er  sich  in  den  Ergänzungen 
dem  vorherrschend  panegyrischen  Standpunkt  Jägers  anschliefsen  müssen. 
Die  ästhetischen  Gesichtspunkte  der  Beurteilung  von  Ibsens  Werken 
möchten  wir  nicht  immer  teilen,  glauben  aber,  dals  die  Zeit  für  eine  ob- 
jektiv-abschliefsende  Würdigung  des  nordischen  Dichters  erst  dann  ge- 
kommen ist,  wenn  sein  Name  aufgehört  hat,  das  Feldgeschrei  von  un- 
ebenbürtigen Dichterlingen  und  Kritikastern  zu  sein. 

In  einer  Anmerkung  erwähnt  der  Übersetzer,  dals  bei  einer  hiesigen 
Aufführung  der  'Stützen  der  Gesellschaft'  ein  Geistlicher  in  —  einen 
Oberlehrer  verwandelt  sei.  Darin  scheint  aber  die  Dresdner  Regie  mü- 
dem Beispiele  Weimars  gefolgt  zu  sein;  denn  vor  etwa  10  Jahren  sali  ich 
bei'eits  jenen  theologischen  Oberlehrer,  von  einem  Weimaraner  Schauspieler 
dargestellt,  auf  den  unebenen  Brettern  des  Hall  eschen  Stadttheaters 
geschickt  balancieren. 

Dresden.  R.  Mahren  hol  tz. 

Grundrils  der  Geschichte  der  französischen  Litteratur  von  ihren 
Anfängen  bis  zur  Gegenwart.     A^on  Dr.  Heiniich  P.  Junker, 
ord.   Lehrer   an   der  Realschule   zu    Bockenheim.      Münster, 
Schöningh,  1889.     VIII,  436  S.  gr.  8. 
In  der  von  der  Verlagshandlung  dieses  Werkes  begonnenen  Samm- 
lung von  Kompendien   für   das  Studium   und   die  Praxis  erschien   zuerst 


Beuitciliiuaeii  uud  kurze  Auzeigt'D.  199 

Körtiugs  üriiudrils  der  Geschichte  der  euglischeu  Litteratur.  Da«  vor- 
liegeude  Buch  eines  Schülers  Körtiugs  bietet  uuu  dazu  das  frauzösische 
Gegenstück.  Da  Junker  die  provencalische  Litteratur  ganz  ausschliefst, 
fordert  seine  Arbeit  zunächst  eine  Ergänzung  nach  dieser  Seite  hin,  die 
hoffentlich  nicht  lauge  auf  sich  warten  lassen  wird.  Wenn  auch  nicht 
wissenschaftlich,  so  wäre  es  praktisch  doch  wohl  richtiger  gewesen,  dem 
Buche  einen  orieutiei-eudeu  Abrils  der  proveucalischen  Litteratur  alter 
uud  neuer  Zeit  schon  jetzt  mitzugeben.  Der  Verfasser  schrieb  für  die 
Zwecke  der  Studierenden  der  französischen  Philologie.  Für  ein  solches 
Unternehmen  besitzt  Junker  dreierlei,  eine  achtuugswerte  Beleseuheit  auf 
dem  ungeheuren  Gebiete  nach  der  Seite  des  Inhalts,  eine  ausgebreitete 
Kenntnis  der  einschlägigen  gelehrten  Litteratur  und  einen  soliden  Fleils. 
Aber  eines  fehlt  ihm :  die  Fähigkeit,  die  Masse  des  rohen  Stoffes  zu  mei- 
stern, von  überschauenden  grofseu  Gesichtspunkten  ausgehend  das  weit- 
verzweigte Material  eiuheitlicli  zu  gliedern,  die  Einzelerscheinungen  aus 
ihrem  gemeinsamen  kulturgeschichtlichen  Boden  erstehen  zu  lassen.  Was 
er  giebt,  bleibt  uotizenhaft:  eine  erdrückende  Fülle  von  Namen,  Titeln, 
Daten,  kürzesten  Inhaltsangaben,  summarischen  L'rteilen.  So  nützlich 
dem  Studenten  das  Werk  als  Nachschlagebuch  werden  kann  uud  als 
bibliographisches  Hilfsmittel,  so  gefährlich  wird  es  ihm  werden,  wenn  er 
daraus  lernen  will,  etwa  mit  Rücksicht  auf  seiu  Staatsexamen.  Die 
Hohlheit  so  erworbener  Keuntni.sse  würde  jedem  E.xaminator,  der  den 
Sachen  auf  den  Grund  zu  gehen  gewohnt  ist,  bald  klar  werden. 

In  dem  Wunsche,  vollstäudig  zu  sein,  behandelt  Junker  alles  mit 
ungefähr  gleicher  Wichtigkeit  und  verzeichnet  auch  das  Wertlose.  Der 
Inhalt  der  noch  nicht  edierten  Handschriften  des  Glrberi  de  Mcs  und 
des  Aiitte'ls  fils  ik  Oliherf  (S.  51  f.)  aus  der  (»V-s/e  loniiliie  ist  mit  der- 
selben Gewissenhaftigkeit  erzählt  wie  der  von  Molieres  Tartitfj'e  oder  dem 
Miscüii/irope,  und  der  Inhalt  der  Echecs  aiiumreux  nimmt  mehr  Baum  ein 
als  der  Cid  Corueilles.  Während  der  altfranzösischen  Litteratur  etwa 
ItiO  Seiten  eingeräumt  sind,  mui's  sich  die  Zeit  von  Corueilles  Auftreten 
bis  zu  A.  de  ÖMusset  (S.  '210 — ;157)  mit  112  Seiteu  geuügeu  lasseu.  Wel- 
ches Mifsverhältnisl  Welche  Verwechseluug  des  sprachgeschichtlichen 
und  des  litterarischen  Wertes!  Gebühren  wirklich  der  einzigen  Geste  de 
Bkiifies  drei  Seiteu  Text,  wenn  für  den  ganzeu  Rabelais  zwei  genügen? 
Entspricht  es  der  beiderseitigen  Bedeutung  für  die  liUtwickelung  der 
französischen  Litteratur,  wenn  Du  Bellay  und  der  uuglüekliche  Ronsard 
zusammen  auf  zwei  Seiteu  abgefertigt  werden,  so  viel  etwa  wie  dem  h'ooni 
de  Cauihrai  und  dem  Beiwon  d' IJaiisfonc  zugemessen  ist,  dessen  Ausgabe 
Stimming  erst  vorbereitet? 

Die  Anordnung  des  Stoffes  ist  nicht  immer  glücklicli;  sie  führt  un- 
nütze Wiederholungen  herbei  und  zerreilst  auch  wohl  Zusammengehöriges. 
Adam  de  la  Halle  steht  (S.  137  f.)  an  der  Spitze  der  Lyriker  und  fehlt 
in  der  Dranuitik  des  Zeitalters  ganz.  Weshalb  sind  die  Angaben  über 
das  Hotel  de  Raud)ouillet  (S.  '2UT)  getrennt  von  dem  raragraphen,  der 
die    aristokratischen    Salons    behandelt   (S.  ^'i'»)?      Der    Xofrr    Datnr    von 


200  ]'Kurtciliiii^<'ii  iiml  kurze  Aiizoi;rfii. 

V.  Hugo  ist  mit  fast  gleichen  Worten  auf  S.  HM  und  auf  S.  o-V)  ge- 
dacht. Aus  einer  Materialiensammlung  ein  einheitliches  Werk  zu  machen, 
ist  dem  Verfasser  noch  nicht  gelungen. 

Junker  dehnt  seine  Darstellungen  bis  auf  die  jüngste  franzosische 
Schule  der  Defaiknls  (Icliquescents  aus.  In  diesen  letzten  Abschnitten  des 
Buches  (Kap.  LXXTV— IvXXVII)  sind  seine  Mitteilungen  neu  und  wert- 
voll; viele  werden  namentlich  die  bibliographischen  Angaben  mit  Dank 
begrüfsen.  Dals  im  Flufs  der  Entwickelung  Einzelnes  schon  jetzt  über- 
holt ist,  kommt  nicht  in  Betracht;  ebensowenig  dafs  bei  dem  kaum  zu 
übersehenden  Stoffe  hier  und  da  ein  Irrtum  in  den  Angaben  unterläuft, 
und  dafs  Licht  und  Schatten  ungleich  verteilt  sind.  In  der  Gegenwart 
ist  jeder  Partei. 

Bei  der  Sorgfalt,  welche  der  Verfasser  den  bibliograi>hischen  Notizen 
zugewandt  hat,  fallen  einzelne  Lücken  auf.  Neben  dem  veralteten  Büch- 
lein von  Atzler  mufste  S.  4  E.  Mackel:  Die  germanischen  Elemente  in 
der  französischen  und  provenjalischen  Sprache  (Heilbronn  1887,  Frz. 
Stud.  VI,  1)  stehen ;  dazu  käme  der  Artikel  von  G.  Paris  in  der  Romania 
XVII,  318.  Bei  den  Bestiaires  fehlt  M.  F.  Mann:  Das  Bestiaire  divin 
des  Guillaume  Le  Clerc  (Frz.  Stud.  VI,  2) ;  bei  Mairet :  Studien  zu  J.  de 
Mairets  Leben  und  Werken  von  Danuheifser  (Münchener  Diss.  1888).  In 
den  Litteraturangabeu  zu  Rabelais  habe  ich  vermifst:  die  sogen.  Editio 
variori/m  in  neun  Bänden.  Dann  A.  Meray :  La  Vie  au  temps  des  Obres 
prMieurs  ou  Ics  Demnciers  de  Luther  et  de  Rabelais;  P.  Souquet:  Les 
Eerivaim  pedagogites  du  XVI'  siede;  Arnstadt:  Rabelais  als  Pädagog, 
dazu  G.  Paris  in  der  Berue  eritique  vom  P.  November  1872;  Ch.  Lenor- 
mant:  Babelms  et  l'arfhiteeture  de  la  Renaissance;  Ed.  Bourciez:  Jjes  Mneurs 
polies  et  la  Litterafure  de  Com-  sous  Henri  IL 

Alles  in  allem:  ein  fleifsig  gearbeitetes,  sehr  nützliches  Nachschlage- 
buch, aber  keine  französische  Litteraturgeschichte. 

Berlin.  S.  Waetzoldt. 

Geschichte  der  frauzösisclien  Nationallitteratur  von  ihren  An- 
fängen bis  auf  die  neueste  Zeit.  Von  Fr.  Kreyfsig.  Sechste 
vermehrte  Auflage  in  zwei  Bänden,  gänzHch  umgearbeitet 
von  Dr.  A.  Ki-elsner  und  Prof.  Dr.  J.  Sarrazin.  II.  Band. 
BerHn,  Nicolaische  Verlagshdlg.,  1889.     402  S.     M.  6. 

Kreyfsigs  Litteraturgeschichte,  oder  vielmehr  Schul-  und  Übersetzungs- 
buch,  hat  zwar  fünf  Auflagen  —  faute  de  mietix  —  erlebt  und  war  auch 
in  der  fünften  von  Lamprecht  wesentlich  umgestaltet  worden,  aber  erst 
jetzt  hat  sie  eine  Form  erhalten,  die  den  wissenschaftlichen  Ansprüchen 
genügt.  Dieser  IL  Teil  beginnt  mit  Malherbe  und  reicht  bis  zu  den 
neuesten  Erscheinungen  der  Pariser  Litteratur,  so  dafs  er  also  schon 
seinem  äufseren  Umfange  nach  vollständiger  ist  als  irgend  ein  anderes 
Kompendium  der  französischen  Litteraturgeschichte.  Die  Abschnitte  über 
das  19.  Jahrhundert  sind  des  Bearbeiters  eigenstes  Werk,  die  älteren  Auf- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  201 

lagen  beschränkten  sich  für  diese  Zeit  auf  dürftige  Notizen.  Ist  der 
Herr  Verfasser  für  diesen  Zeitraum  besonders  kompetent,  wie  er  denn 
auch  das  französische  Drama  des  10.  Jahrhunderts  und  Victor  Hugos 
Lyrik  in  besonderen  Schriften  behandelt  hat,  so  sind  auch  seine  Studien 
über  das  17.  und  18.  Jahrhundert  recht  sorgfältig  und  eingehend.  Be- 
sonders ist  die  fleifsige  Benutzung  der  neueren  vSpecialschriften  ein  Vor- 
zug und  die  reiche,  aber  sorgsam  ausgewählte  bibliograijhische  Übersicht 
eine  Zierde,  die  das  Buch  von  den  vorhergehenden  Auflagen  günstig 
unterscheidet.  Die  naheliegende  Befürchtung,  dal's  ein  Franzose  von  Ge- 
burt über  manche  Eigentümlichkeiten  des  französischen  Geisteslebens  zu 
günstig  urteilen  möge,  trifft  glücklicherweise  hier  nicht  ein,  vielmehr 
urteilt  der  Herr  Verfasser  auch  über  die  klassische  Tragödie  weit  mehr 
vom  deutschen  als  vom  französischen  Standpunkte.  In  Inhalt  und  Form 
kann  also  die  Neubearbeitung  nicht  nur  als  Vervollkommnung  und  Er- 
weiterung der  älteren  Vorlage,  sondern  auch  als  ein  selbständiges  Werk 
in  völlig  eigenartigem  Geiste  bezeichnet  werden. 

Natürlich  ist  Referent  über  einzelne  französische  Litteraturerschei- 
nungen  etwas  abweichender  Ansicht.  So  würde  er  Emile  Zola  viel  gün- 
stiger, Victor  Hugo  viel  ungünstiger  beurteilt,  Molieres  Avare  nicht  unter 
Plautus  gestellt  haben,  u.  a. ;  doch  sind  das  Verschiedenheiten  rein  sub- 
jektiven Charakters.  Positivere  Ausstellungen  haben  wir  nur  wenige  zu 
machen.  S.  5(JA  ist  die  Bemerkung  'W.  Kreiten,  Molil^res  Leben  und 
Werke  . . .  (mit  einseitig  polemischer  Tendenz)'  nicht  ganz  verständlich. 
Man  könnte  dabei  an  Polemik  gegen  Moli^re  selbst  denken,  doch  ist  die 
Verketzerung  der  von  Kreiten  geplünderten  deutschen  Moliere-Forscher 
wohl  gemeint?  Paul  Lindau  hätte  in  der  bibliographischen  Übersicht  der 
Molifere-Biographen  wohl  überhaupt  gestrichen  werden  können,  da  sein 
Büchlein  nichts  Eigenes,  höchstens  einige  romanhafte  Ausschmückungen, 
sondern  nur  eine  angenehm  unterhaltende  Popularisierung  französischer 
Forschungen  bietet.  S.  57  taucht  die  unbewiesene  Mitreise  Molieres  nach 
Narbonne  als  Ludwigs  XIV.  Kammerdiener  wieder  auf.  S.  101  wird  der 
Vater  des  grofsen  Mirabeau  einfach  als  'sittenlos'  bezeichnet.  Mit  dem 
Mafsstabe  seiner  Zeit  gemessen,  war  er  nicht  sittenloser,  wohl  aber  geistig 
viel  höher  stehend,  als  die  meisten  seiner  Standesgenosseu.  S.  381 A  wird 
ein  Artikel  von  G.  Brandes  über  E.  Zola  (Deutsche  Rundschau,  Jan.  1888) 
sehr  mit  Unrecht  als  'das  Beste'  über  den  französischen  Romancier  be- 
zeichnet, hier  hätten  vor  allem  Hellers  Besprechungen  in  der  Zeitschrift 
für  neufranzösische  Litteratur  hervorgehoben  werden  sollen.  Für  Brandes 
hat  der  Herr  Verfasser  überhaupt  die  in  Deutschland  zur  Mode  gewor- 
dene, aber  keineswegs  berechtigte  Sympathie.  Ist  doch  der  internationale 
Schriftsteller  neuerdings  in  einem  Aufsatze  des  Herrigschen  Archivs  als 
ein  ziemlich  dreister  Freibeuter  gebrandmarkt  worden.  Doch  sind  das 
im  Grunde  kleine  Mängel,  die  dem  Werte  der  Bearbeitung  und  ihrer 
unzweifelhaften  Überlegenheit  über  die  älteren  Auflagen  keinen  Ab- 
bruch thun. 

Dresden.  R.  Mab  renhol  tz. 


2'»'2  lU'iiik'iliinjrcii   und  kiiiz«'  Aii/cigni. 

Französische  Grammatik  für  den  Schulgcbrauch  von  Prof.  Dr. 
Gustav  Lücking.  2.  verbesserte  Auflage.  Berlin,  Weidmann- 
sche  Buchhandlung,  1889. 

Die  zweite  Auflage  des  mit  lieelit  geschätzten  Buches  ist  das  Ergebnis 
einer  bis  ins  kleinste  gehenden  sorgfältigen  Durcharbeitung  des  Textes 
von  1883,  wobei  der  Verfasser  die  Wünsche  und  Ausstellungen  der  Kritik, 
soweit  dieselben  mit  seinen  eigenen  Anschauungen  vereinbar  waren,  be- 
rücksichtigt hat. 

Der  Vergleich  mit  der  ersten  Auflage  ergiebt  daher  eine  nicht  unbe- 
deutende Zahl  von  kleineren  und  gröfsereu,  zum  Teil  wesentlichen  Ver- 
änderungen. Zunächst  ist  die  Seitenzahl  von  281!  auf  o08  angewachsen, 
und  zwar  teils  infolge  zahlreicher  Erweiterungen  des  Textes,  besonders 
auch  durch  Anmerkungen  und  Noten,  teils  durch  eine  bedeutende  Ver- 
mehrung der  Beispiele,  im  ganzen  um  etwa  anderthalb  hundert.  Manche 
Beispiele  sind  durch  andere  ersetzt,  welche  nach  Form  und  Inhalt  gröfsere 
Beweiskraft  besitzen.  Au  den  meisten  Stellen,  wo  es  nicht  schon  der  Fall 
war,  ist  das  reichlichere  Anschauungsmaterial  nach  den  im  Text  aufge- 
führten einzelnen  Punkten  geordnet  und  mit  Hilfe  von  griechischen  Buch- 
staben gegliedert  worden.  Gelegentliche  Übersetzungsaudeutungeu  erhöhen 
die  Deutlichkeit  und  helfen  Mifsverständuisse  vermeiden.  Man  vergleiche 
z.  B.  die  §§  220,  21.j  und  210,  o08  und  300,  120,  um  den  bestimmten  Ein- 
druck zu  gewinnen,  dal's  der  Verfasser  sich  mit  der  grölsten  Liebe  der 
Arbeit  unterzogen  hat,  seinem  Buche  den  möglichsten  Grad  von  Vollkom- 
menheit und  Zuverlässigkeit  zu  geben.  Selbst  die  Vorrede  bringt  zu 
einigen  Paragraphen  Ergänzungen  und  für  das  Verständnis  von  cc  und 
ccla  ein  recht  umfassendes  Material. 

Der  fettere  Druck  ist  häutiger  zur  Verwendung  gekommen  als  in 
der  ersten  Auflage,  die  Hinweisung  auf  verwandte  Paragrai)heu  ist  überall 
erweitert  und  ergänzt. 

Die  Anordnung  des  Stofles  ist  die  gleiche  geblieben.  Xur  siud  die 
früher  als  Anhang  bezeichneten  §§  425— 4o4,  welche  von  der  Stellung  des 
Subjekts  zur  Personalform  handelten,  neuerdings  unter  Umkehrung  des 
Titels  als  ein  Zusatz  zu  den  §§  132—130  (Übereinstimmung  der  Persoual- 
form  mit  dem  Subjekt)  bezeichnet  worden,  womit  das  Verhältnis  zwischen 
Personalform  und  Subjekt  jedenfalls  einheitlicher  zum  Ausdruck  kommt. 
In  dem  Texte  der  genannten  Paragraphen  ergeben  sich  daraus  die  ent- 
sprechenden Veränderungen.  Sie  an  der  zugehörigen  Stelle,  hinter  §  135, 
unterzubringeu,  hinderte  die  Rücksicht  auf  Lamprechts  Übungsbuch, 
welches  sich  paragraphenweise  au  die  Grammatik  von  Lücking  aa- 
schliefst. 

Die  §§  102  (Übersicht  der  Zahlen)  und  10:>  (Zahlen)  sind  zusammen- 
gezogen, wodurch  sich  die  Paragraphenzahlen  verschieben.  Indem  aber 
mit  §  108  eine  Übersicht  über  die  Eigentümlichkeiten  der  Pronomina  neu 
hinzutritt,  stimmen  beide  Auflagen  von  §  100  an  wieder  überein.  In 
§  115  A  sind  differents,   divers,    mnlid   und  phisienrs   mit  Eecht  aus   der 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  203 

Reihe  der  indefiniten  Pronomina  weggefallen  und  dafür  in  §  IUI,  Anm. 
sowie  in  §  240,  1,  Anm.  2  als  unbestimmte  Kardinalzahlen  aufgeführt. 
Damit  ist  in  der  Syntax  des  Pronomen  §  299  überflüssig  geworden,  eine 
Veränderung,  die  durch  Trennung  des  übermäl'sig  langen  §  ^^Ol  (tont)..in 
zwei  Teile  (§  oOO  tuid  von  der  Zahl,  §  :}ul  tout  vom  Malse)  ausgeglichen 
wird.  Endlich  sind  die  beiden  Zusätze  des  §  o89,  welche  früher  zwei 
neue  Paragi-aphen  ausmachten,  in  einen  (390)  zusammengezogen,  und 
statt  dessen  ist  ein  neuer  §  o91  gebildet  worden,  den  die  früher  unter 
§  378 C,  5  zu  findenden  Konjunktionen  a  mesurc  que  und  ä  pfoportion 
quc,  nunmehr  durch  die  Beziehung  von  qiie  auf  n  niesure  und  ä  pro- 
portion  erklärt,  für  sich  in  Anspruch  nehmen. 

Im  ersten  Teil  (Lautlehre)  finden  wir  in  der  neuen  Auflage  die 
Transskriptiou  für  eh  und  J,  sowie  die  Häkchen  zur  Bezeichnung  des 
hohen  und  tiefen  a.  In  §  lö  werden  'fallende'  Diphthonge  wenigstens  in 
einer  Anmerkung  erwähnt.  Die  Konsonanten  werden,  der  neueren  Pho- 
netik entsprechend,  als  stimmlos  und  stimmhaft  statt  klanglos  und  klin- 
gend unterschieden.  Die  Beispiele  für  die  Aussprache  sind  überall  ver- 
mehrt (s.  z.  B.  in  §  36  les  eehees  mit  'lautendem'  c).  Während  in  §  41, 
Anm.  3  die  erste  Auflage  bei  dem  Personalpronomen  hinter  der  Personal- 
form den  Vollvokal  von  dem  tonlosen  e  der  Enklitiken  Je  und  ce  unter- 
scheidet, geht  der  neue  Text  von  dem  Gesetz  der  betonten  Endsilbe  aus, 
von  dem  nur  Je  und  ce  ausgenommen  sind.  In  §  45  ist  in  3  der  Redeton 
erwähnt.  In  dem  Anhang  zu  diesem  Teile  ist  der  §  47  von  der  Silben- 
trennung auf  Grund  der  neueren  Gepflogenheiten  der  Academie  umge- 
arbeitet worden. 

Im  zweiten  Teil  (Formenlehre)  finden  wir  beim  Verbum  z.  B.  die 
doppelte  Schreibweise  der  Formen  von  patjer  (§  58).  In  §  00  ist  statt  Je 
f}eu(u)rissais  die  dritte  Person  gesetzt;  bei  rouloir  (§  ü5)  sind  die  Impe- 
rativformen cetiil/oiia  u.  s.  w.  als  Hauptformen  in  den  Text  aufgenommen, 
die  übrigen  in  eine  Note  verwiesen.  In  §  80  hat  die  Anmerkung  über 
das  Geschlecht  von  gens  eine  knappere  und  klarere  Form  erhalten.  In 
§  93  ist  das  von  Tobler  beanstandete  livre  tournols  (sowie  livre  parisis) 
in  Wegfall  gekommen.  Auf  Veranlassung  desselben  Kritikers  ist  in  §  10 1 
der  Superlativ  als  ein  Komparativ  im  Vergleich  mit  allen  anderen  Wesen 
der  gleichen  Gattung  erklärt  und  demzufolge  bei  ahic  ältere  und  pii'nir 
jüngere  der  deutsche  Superlativ  hinzugefügt.  Von  den  unbestimmten 
Kardinalzahlen  war  weiter  oben  die  Rede;  inille  cei/f.  Ir  niille  ccnfientc 
u.  s.  w.  haben  Aufnahme  gefunden. 

In  der  Syntax  (Teil  III)  des  Verbums  ist  in  §  128  der  Begriff'  der 
Hilfsverben  der  prädikativen  Beziehung  aufgegeben  und  faire  nicht  mehr 
als  kausatives  Hilfsverbum  l)ezeichnet.  ij  129  zeigt  eine  andere  Anordnung 
der  Verben,  die  mit  aroir,  rfn:  oder  beiden  konjugiert  werden,  wobei  be- 
sonders Chassangs  Autorität  gegenüber  der  Academie  für  die  ^'erben 
partir,  sortir,  rester,  toniher  betont  wird.  Die  Beziehungen  des  Infinitivs 
und  des  Particips  zu  den  Verhältnissen  der  Gegenwart  unil  \'ergangenheil, 
Avie  der  realen  und  idealen  Handlung  finden  in  Aninerkungen  der  §§  18m 


204  Rciirtciliinircii  iiinl  kiirzr  .\iizri;r<'ii. 

und  l'*^.'!  Berücksichtigung.  Das  Verzeichnis  der  Participien  und  Adjek- 
tive in  §  IHC)  zeigt  sich  vervollständigt.  Beim  Substantiv  sind  in  §  202 
die  gebräuchlicheren  Formen  (irdtKl-Ondiv  de  B(tik  und  nnckn  royanttte  de 
Najtfpü  für  Bficft;  und  N(tj)lc.s  augeführt.  Die  Wiederaufnahme  des  als 
absolutes  Satzglied  vorangestellten  Substantivs  (_§  222)  wird  durch  Nen- 
nung von  //,  eile,  ils,  elles,  le,  la,  les,  de  lä  erweitert  und  das  wiederaufge- 
nommene Substantiv  als  logisches  Subjekt  u.  s.  w.  bezeichnet.  Die  Be- 
nennung 'elliptisch'  für  Substtuitive  und  Infinitive  im  Ausruf,  Titel  u.  s.  w. 
(§§  221,  22'))  ist  vermieden  und  durch  'ohne  Persoualform'  besser  ersetzt. 
Die  Beziehung  des  Particips  auf  ein  vorangehendes  absolutes  Substantiv 
im  Sinne  eines  Konzessivsatzes  fehlte  früher  und  ist  in  §  2>U  nachgeholt.  — 
§  252  (über  den  Gebrauch  von  en)  zeigt  seinen  Inhalt  wesentlich  klarer 
und  übersichtlicher  geordnet;  ein  Gleiches  gilt  z.  B.  von  §  264  (das  be- 
tonte Possessivum).  Bedeutend  erweitert  ist  §  28<»,  indem  das  Verhältnis 
des  Relativs  zu  seinem  Satze  und  des  Relativsatzes  zu  dem  regierenden 
Satze  erörtert  wird.  Andere  Erweiterungen  beziehen  sich  auf  Icquel, 
(§  282),  dant  (§  286)  u.  s.  w.  In  §  302  ist  die  einigermafsen  seltsame 
Auffassung  des  qnelqtie  als  Gradbestimmung  vor  dem  'Adjektiv'  aufge- 
geben worden.  —  Bei  den  Adverbien  findet  sich  zu  Anfang  (§  306)  eine 
längere  Erörterung  über  die  Stellung,  welche  in  der  ersten  Ausgabe  ganz 
fehlt.  Überhaupt  ist  die  'Syntax  der  inflexiblen  Wortarten'  besonders 
reich  mit  Ergänzungen  und  Veränderungen  sowie  mit  neuen  Beispielen 
bedacht  worden,  wenn  auch  mit  Ausnahme  der  oben  angeführten  ab- 
weichenden Behandlung  des  Anhangs  der  Haujittext  sich  meist  gleich- 
geblieben ist. 

So  zeigt  sich  überall  in  der  neuen  Aullage  das  Streben,  den 
Spracherscheinungen  möglichst  vollkommen  gerecht  zu  werden  und 
einen  möglichst  einfachen  und  einleuchtenden  Ausdruck  dafür  zu  ge- 
winnen. 

Es  erscheint  durchaus  gerechtfertigt  und  ist  ganz  im  Sinne  unserer 
Zeit,  wenn  der  Verfasser  für  die  Behandlung  der  modernen  Kultursprache 
an  unseren  höhereu  Schulen  ein  ebenso  tiefes  und  gründliches  Eindringen 
in  Anspruch  nimmt,  wie  es  für  die  klassischen  Sprachen  verlangt  wird. 
Zur  Zeit  freilich  wird  dieses  Verlangen,  selbst  an  unseren  Realgymnasien, 
bei  der  Fülle  der  mit  gleichen  Ansprüchen  auftretenden  Lehrfächer 
und  der  knapp  bemessenen  Stundenzahl  schwerlich  Befriedigung  finden, 
und  es  kann  daher  das  Buch  trotz  seiner  Vortreft  lichkeit  eben  wegen 
seiner  Ausdehnung  und  Vollständigkeit  als  'Schulbuch'  im  engeren  Sinne 
kaum  betrachtet  werden.  Für  den  begabten  und  strebsamen  Schüler 
jedoch,  dem  daran  liegt,  was  er  treibt,  nicht  oberflächlich,  sondern 
gründlich  zu  betreiben,  besonders  wenn  er  sich  für  spätere  philolo- 
gische Studien  vorzubereiten  wünscht,  ist  das  Bucli  ein  unschätzbares 
Besitztum,  und  wir  haben  in  diesem  Sinne  dem  Verfasser  für  die  auf 
die  zweite  Auflage  verwendete  grofse  Mühe  und  Sorgfalt  aufrichtig  zu 
danken. 

Berlin.  Fr.  Bachmaun. 


BeurteÜHngen  und  kurze  Anzeigen.  205 

Le  Friiuyais  Park^.  Morceaux  choisis  a  l'usage  des  etraugers 
avec  la  prononciatiou  figuree  par  Paul  Passy.  Deuxienie 
Edition.    Heilbronn,  Henninger,  1889.    VIII,  122  S.  kl.  8. 

Das  Büchlein,  das  schon  früher  mit  vielem  Nutzen  gebraucht  wurde, 
darf  in  seiner  neuen  Gestalt  noch  weitere  Erfolge  hoffen. 

Vor  allem  hat  die  Transskrijjtion,  die  nach  dem  Urteil  des  \'erfassers 
selbst  nur  leicht  geändert  ist,  in  mehr  als  einer  Hinsicht  eine  entschie- 
dene Verbesserung  erfahren.  Schon  allein  die  Unterdrückung  der  Binde- 
striche zwischen  den  Wörtern  des  einzelnen  Sprechtaktes  ist  ein  Gewinn, 
denn  die  Schrift  erscheint  klarer  und  einfacher,  und  sie  ist  sicherer  zu 
lesen,  weil  jedes  Wort  als  einheitliches  Lautbild  erhalten  ist.  Die  Sprech- 
takte sind  durch  gröfsere  Zwischenräume  genügend  gegeneinander  abge- 
grenzt. Die  stih-enden  Gedankenstriche,  die  das  Satzende  anzeigten,  sind 
ebenfalls  weggeblieben,  indem  der  Punkt  auf  der  Linie,  der  früher  Länge- 
zeichen war,  in  sein  natürliches  Amt  wieder  eingesetzt  wurde.  Eine  wei- 
tere Neuerung  haben  wir  in  der  Bezeichnung  des  tonischen  Accents  durch 
ein  '  hinter  der  betreffenden  Silbe;  früher  war  derselbe  ganz  unbezeichnet. 
Doch  fehlt  das  Zeichen  auch  jetzt  in  drei  Fällen:  1)  hinter  der  letzten 
Silbe  mehrsilbiger  Wörter,  bezw.  hinter  deren  vorletzter  Silbe,  wenn  die 
letzte  ein  tonloses  e  enthält;  2)  wenn  der  Tonsilbe  unmittelbar  ein  Inter- 
punktionszeichen folgt ;  ."))  hinter  der  letzten  bezw.  vorletzten  Silbe  eines 
Verses.  Mit  Bezug  auf  den  ersten  Fall  dürften  wir  uns  positiver  so  aus- 
drücken :  das  Accentzeichen  wird  in  Prosa  nur  dann  gesetzt,  wenn  der 
Ton  auf  einem  einsilbigen  Worte  liegt,  und  wenn  er  in  mehrsilbigen 
Wörtern  eine  andere  als  die  letzte  tonfähige  Silbe  trifft.  Indessen  gesteht 
Referent,  dafs  er  nur  diese  letztere  Bedingung  als  zwingend  für  die  gra- 
phische Bezeichnung  des  Accentes  ansehen  kann ;  denn  das  einsilbige  be- 
tonte Wort  ist  durch  seine  Stellung  am  Ende  des  Sprechtaktes  hinreichend 
markiert.  Übrigens  ist  der  Verfasser  hier  auch  gar  nicht  konsequent, 
er  hat  sich  vielfach  mit  dem  blofsen  Spatium  begnügt.  In  der  Poesie 
finden  wir,  was  Verfasser  nicht  ausdrücklich  hervorhebt,  am  Ende  eines 
jeden  Sprechtaktes  aufser  dem  letzten  im  Vers  das  Accentzeichen,  ohne 
dafs  darum  auf  das  Spatium  verzichtet  wäre.  Diese  häufige  Wiederkehr 
desselben  Zeichens  wirkt  zwar  infolge  ihrer  Regel mäfsigkeit  nicht  verwir- 
rend, aber  einen  rechten  Nutzen  davon  vermag  Referent  nicht  abzusehen. 
Das  Streben  nach  Mäfsigkeit  zeigt  sich  indessen  auch  hier,  indem  das 
Versende  vom  Accentzeichen  frei  gehalten  wird;  und  dieses  Malsvolle, 
das  die  ganze  phonetische  Behandlung  des  Textes  charakterisiert,  mufs 
mit  Freude  und  Dank  anerkannt  werden. 

Neu  ist  die  Angabe  der  Intonation.  Der  Verfasser  hat  sich  aber 
bei  dieser  Neuerung,  zu  der  er  sich  niu*  auf  dringenden  ^^'unsch  an- 
derer entschlossen,  nicht  verhehlt  qii'aicc  /'/'wpcrfcction  de  iiox  <oii- 
nm'ssancfs  et  de  nos  moyemt  de  representathn,  ces  signes  soiit  ahsoho/ie/tt 
insnffismits  po>tr  donnrr  nnc  idH  exactc  de  l'ii/foxafion  fra/icaise  (S.  IV). 
Wir  kfhinen  diesen  Worten  nur  durchaus  b(>istimmen,   sehen  aber  gleich- 


20(5  Beurteilungen  niid  kiir/c  An/eifreii. 

wohl  in  <lor  Nenciimg  eine  Verbossernng,  wi<*  unfrefüge  die  Zoidion  aiioli 
an  sich  sind. 

Auch  die  Lautzeichen  haben  durch  die  Bemühung  des  Verfassers, 
sein  phonetisches  System  dem  internationalen  System  der  phonetischen 
Transskrij>tion  anzupassen,  einige  Veränderungen  erfahren.  Eine  Ände- 
rung aber,  die  nicht  auf  dieses  Streben  zurückzuführen  ist,  sondern  die 
einen  schweren  Fehler  der  ersten  Auflage  ausmerzt,  liegt  in  der  graphi- 
schen Scheidung  des  r  sourd  und  des  offenen  ö-Lautes.  Früher  waren 
z.  B.  h  und  (cur  vokalisch  gleichgestellt:  /o  und  \q.r.  (Der  Punkt  hinter 
dem  n  in  /o.r  war  nur  Länge-,  nicht  Lautzeichen.)  Jetzt  lesen  wir  /> 
und  \a>r. 

In  der  Liste  der  phonetischen  Charaktere  hat  jetzt  jeder  Vokal  zwei 
Musterwörter,  einerseits  wohl  um  denselben  Wert  in  verschiedener  orthor 
graphischer  Wiedergabe  zu  zeigen,  andererseits  um  die  Einflufslosigkeit 
des  folgenden  Konsonanten  zu  erweisen,  der  doch  z.  B.  im  Deutschen 
den  Klang  des  Vokals  oft  modifiziert.  Weggeblieben  ist  die  ehemals  hier 
folgende  Tabelle,  welche  dieselben  Zeichen  mit  den  annähernden  Werten 
in  den  verschiedenen  germanischen  Sprachen  angab.  Diese  Gegenüber- 
stellung konnte  leicht  nachteilig  wirken,  indem  sie  zu  germanischer  Aus- 
sprache des  Französischen  verleitete.  Es  ist  entschieden  zu  billigen,  dafs 
Verfasser  an  dieser  Stelle  lieber  einige  Specialwerke  über  französische 
I>autbildung  empfiehlt. 

Auch  die  Bemerkung  über  die  Skausion  französischer  Verse  begegnet 
uns  in  der  zweiten  Auflage  nicht.  Sie  war  mehrfach  nicht  bestimmt 
genug  gefafst  und  hatte  vielleicht  einen  zu  breiten  Raum  erfüllt.  Aber 
ihre  gänzliche  Unterdrückung  ist  doch  zu  bedauern. 

Dagegen  hat  das  Buch  als  Zuwachs  ein  Inhaltsverzeichnis  auf  der 
letzten  Seite  erhalten.  . 

Was  die  Texte  anlangt,  so  finden  wir  Änderungen  in  Auswahl  und 
Reihenfolge.  Nr.  2  Le.s  deux  puhniers  und  Xr.  0  L'öfoh  amdiealnf  sind 
gefallen,  weil  der  Verfasser  für  diese  Stoffe  nur  geringes  Interesse  zu 
finden  glaubte.  Von  den  Gedichten  fehlt  La  Hiauson  de  Foitnnio.  Dafür 
sind  neu  hinzugekommen :  La  iimison  qui  mnrche,  eine  kleine  humo- 
ristische Erzählung  von  Saint-Simon,  und  Ijcs  parlers  fran^-ms,  ein  etwas 
umfänglicher  Abschnitt  aus  einer  Rede  von  Gaston  Paris.  Die  Zahl  der 
Prosastücke  ist  also  die  gleiche  geblieben  (12),  während  wir  ein  Ge<licht 
weniger  hal)en  (8  statt  0).  —  In  der  Orthographie  ist  Verfasser  konser- 
vativer geworden :  loitfjtcvts.  orucnifHS,  pnrens  und  dergleichen  Wörter  sind 
wieder  durch  lonytemps,  onie>»e)i/.<<,  parents  u.  s.  w.  ersetzt.  —  Die  R^'ihen- 
folge  der  Stücke  ist  geändert,  um  einen  allmählich  vom  Familiären  bis 
zum  Oratorischen  und  Poetischen  aufsteigenden  Stil  verfolgen  zu  lassen. 
Demgemäfs  ist  auch  die  Aussjjrache  der  ersten  Stücke  ganz  familiär, 
zeigt  alle  Elisionen,  Kontraktionen  und  Assimilationen  der  familiären 
Ausdrucksweise,  um  sich  dann  nach  und  nach  zur  Feinheit  des  litte- 
rarischen, des  oratorischen  und  des  deklamatorischen  Stils  zu  entwickeln. 
Dies   Verfahren   ist   unserer   Meinung  nach    mit   lebhafter  Genugthuung 


Beurteilungen  nnc]  kurze  Anzeigen.  207 

zu  begrülsen;  denn  so  erst  wird  uns  ein  wahres  Bild  der  lebendigen 
vSprache  entworfen.  Übrigens  tritt  das  gleiche  Bestreben  aueh  schon  in 
der  ersten  Auflage,  dort  nur  weniger  entschieden,  hervor.  —  In  Einzel- 
heiten der  Aussprache  soll  hier  nicht  eingegangen  werden,  doch  sei  ge- 
sagt, dal's  Verfasser  jetzt  in  einsilbigen  Wörtern  vor  s  ein  geschlossenes  e 
hört:  mes,  les,  ees,  e'est  a  dire  erscheinen  als  vie,  le,  se,  nefadin-  w.  s.  f. 
Die  Neigung,  das  tonlose  e  im  Wortauslaut  nach  Kons.  -|-  r  oder  -\-  I 
zu  tilgen,  ist  mäfsiger  geworden ;  viel  häufiger  erscheinen  die  fraglichen 
Wörter  mit  dumpfem  oder  halb  verstummendem  End-f. 

Viele  alte  Druckfehler  sind  gebessert,  manche  neue  haben  sich  aber 
eingeschlichen  sowohl  in  den  Text  wie  in  die  Transskription.  Einige  nur 
seien  hier  angemerkt:  interieurenient  (S.  24, 19),  c-rmnolt  (S.  o2,  28),  rafral- 
chit  (S.  34,  26),  deerire  (S.  66,  20),  m'eeriai-je  (S.  70,  9),  on  appelle  ces 
peüples  romans  st.  on  appelle  ces  petiples  les  peuples  rmnaiu  (S.  82;  21),  lA^ 
st.  left  (S.  90,  19),  c'est  histairc  st.  cest  /'histoire  (S.  98,  16),  aercep  st.  oerop 
(S.  89,  15)  u.  s.  f.  Die  Transskription  ist  übrigens  viel  sorgfältiger  be- 
handelt als  der  Text. 

Alles  in  allem  genommen  dürfen  wir  die  zweite  Auflage  des  beliebten 
Werkchens  als  eine  wesentliche  Verbesserung  betrachten  und  somit  wei- 
teren Kreisen  angelegentlich  empfehlen. 

Berlin.  Fr.  Speyer. 

Neue  französische  Grammatik  für  den  Kaufmann  und  für  Gewerb- 
treibende.  Zum  Gebrauch  in  Handels-  und  Gewerbeschulen, 
sowie  zum  Selbstunterricht.  Yon  M.  E.  Mey,  Chef  der  Firma 
Mey  &  Edlich  in  Plagwitz-Leipzig,  und  Prof.  Dr.  Kud.  Thum, 
Direktor  der  Kealschule  zu  Reichenbach  i.  V.  Sechste  Auflage. 
Leipzig,  G.  A.  Glöckner,  1889.    VIII  u.  2G1  S.    M.  2,25. 

Aus  den  vor  dieser  sechsten  Auflage  abgedruckten  Vorworten  zu  den 
erstell  fünf  Auflagen  ist,  da  dieselben  weder  Unterschrift  noch  Datum 
haben,  nichts  über  die  Zeit  ihres  Erscheinens  zu  ersehen.  Auch  spricht 
in  denselben  auffälligerweise  immer  nur  ein  Verfasser,  während  der  Titel 
zwei,  Mey  und  Thum,  aufweist.  Es  scheint  aber,  als  ob  die  erste  Auf- 
lage vor  nicht  mehr  als  etwa  zehn  Jahren  erschienen  ist;  und  das  beweist 
hinlänglich  die  Brauchbarkeit  des  Buches  für  seinen  Zweck.  Dasselbe 
bildet  einen  Teil  von  Trof.  Dr.  R.  Timms  Sprachlehrbüchem'  und  soll 
die  erste  Arbeit  des  Kaufmanns  leiten,  der  vom  Französischen  durchaus 
nur  das  lernen  will,  was  er  zur  Handelskorrespondenz  nötig  hat.  Weitere 
Übung  bietet  dann  derselbe  Verlag  in  einer  'Konversationsschule'  in  zwei 
Stufen  und  'Gesprächen  aus  dem  Geschäftsleben'.  Von  den  261  Seiten  des 
Buches  sind  8.")  Seiten  tlbungsstücke,  durchweg  mit  Interliiiearversion, 
und  dadurch  für  den  Kaufmann,  der  seine  vielleicht  wenig  umfangreiche 
^^u^se  zur  Aneignung  des  ihm  notwendigen  Französisch  anlegen  will,  sehr 
brauchbar,  da  er  nie  nach  einer  Vokabel  zu  suchen  hat.  Jedes  der 
dreifsig  Kapitel  bietet  zuerst  einen  Teil  <!ramni:uik.   der   nur  das  Unent- 


208  JJeurtoiluiiircM  und  kiir/c  Anzeigen, 

behrlichstc  aus  jedem  Al)sc'lmitt  enthält;  dagej^en  enthalten  liintcr  jedem 
Übungsstück  ziemlich  umfangreiche  Anmerkungen,  auf  welche  durch 
Zahlen  im  Stück  verwiesen  ist,  die  zum  l'berblick  nicht  erforderliehen 
Punkte  grammatischen  Wissens  niit  Eiuschluls  stilistischer  Bemerkungen. 
Besonders  zu  rühmen  ist,  abgesehen  von  der  Wahl  des  Unterrichtsstoffes, 
die  Behandlung  der  Fräpositioneu,  denen  15  Seiten  gewidmet  werdea, 
und  zwar  so,  dafs  auf  0  Seiten  zuerst  die  französischen  Präpositionen  in 
ihren  geläufigsten  Verbindungen  alphabetisch  gegeben  werden  und  dann 
auf  (!  Seiten  ebenso  die  deutschen;  dies  letztere  ähnlich  wie  in  Plötz' 
Schulgrammatik.  Diese  Art  wäre  mancher  Schulgrammatik  zu  wünschen, 
da  in  diesem  Punkte  die  Lektüre  unmöglich  alles  bieten  kann,  was  dieses 
Kapitel  erfordert;  denn  ohne  die  Präpositionen  in  richtiger  Verwendung 
ist  das  eigentliche  Kolorit  einer  fremden  Sprache  nicht  zu  erlangen.  — 
Über  die  oft  recht  dilettantenhafte  Fassung  der  Regeln  und  Erklärungen 
soll  mit  dem  Verfasser  hier  nicht  gerechtet  werden ;  vielleicht  ist  dieselbe 
für  den  vorausgesetzten  ziemlich  niedrigen  Bildungsstandpunkt  des  Schü- 
lers ganz  praktisch.  Aber  Verfasser  mufs  es  dann  auch  unterlassen, 
über  Anordnung  grammatischen  Stoffes  und  über  Kunstausdrücke  der 
französischen  wissenschaftlichen  oder  Schulgrammatik,  die  er  für  falsch 
oder  unpraktisch  hält,  Ausdrücke  zu  gebrauchen  wie  'sinnlos'  oder  'ich 
begreife  die  pädagogische  Weisheit  nicht'  u.  ä.  Namentlich  mufs  er  es 
nicht  'sonderlich  finden,  dafs  es  noch  Deutsche  giebt',  die  zwischen  der- 
jonlfje,  irdchcr  ein  Komma  setzen,  wenn  er  selbst  es  diirchgehends  thiit. 
—  Ich  habe  beim  Durchlesen  des  Buches  das  Gefühl  gehabt,  dafs  ein 
junger  Kaufmann,  der  dasselbe  nach  den  S.  1 — 1  gegebenen  Vorschriften 
benutzt,  an  demselben  einen  sicheren  Wegweiser  und  nach  jeder  Stunde 
Arbeit  das  ermunternde  Gefühl  hat,  eine  hestimmte  i\Ieuge  von  Dingen 
gelernt  zu  haben,  die  er  sofort  verwerten  kann;  doch  hätte  es  sich  dazu 
vielleicht  noch  mehr  empfohlen,  den  ganzen  Unterricht  wesentlich  auf 
dem  Übungsstück  aufzubaueu,  wie  dies  Toussaint-Langeuscheidt  so  ge- 
schickt und  erfolgreich  gethan  haben.  —  Schliefslich  kann  ich  meinen 
Zweifel  nicht  unterdrücken,  ob  Handels-  und  Gewerbeschulen  sich  awf 
ein  so  eng  begrenztes  Gebiet  des  Lehrstoftes  beschränken  dürfen;  es  sei 
denn,  dafs  sie  Fachschulen  im  ausschliefslichsteu  Sinne  des  Wortes  sein 
wollen,  d.  h.  dafs  sie  nur  Schüler  haben,  welche  über  das  Alter  des  all- 
gemeinen Schulzwanges  (11  Jahr)  hinaus  sind.  Für  jüngere  wäre  eine 
solche  Beschränkung  des  Lehrstoffs  bedenklich  und  aufserdem  weder  nötig 
noch  wünschenswert.  Denn  ein  Schüler,  der  bis  zum  vollendeten  vier^ 
zehnten  Lebensjahr  Französisch,  etwa  in  der  Weise  und  in  der  Ausdehr 
nung  unserer  Berliner  Höhereu  Bürgerschulen,  gelernt  hat,  wird  mit 
Leichtigkeit,  wenn  er  Kaufmann  wird,  die  Handelskorrespondenz  erlernen, 
bis  sie  ihm  frühestens  anvertraut  werden  wird.  —  Die  Ausstattung  und 
Drucklegung  verdienen  alles  Lob;  ich  habe  an  Druckfehlern  nur  ein 
äant  S.  173  und  ce  moi  (ohne  »)  S.  241  gefunden;  S.  140  Z.  4  v.  u.  fehlt 
dem  pour  das  p,  S.  128  Z.  1  v.  o.  der  Futurendung  (ü  das  /. 

Berlin.  Otto  Kabis  eh. 


Beurteilnno:eii  und  kurze  Anzeigen.  209 

Die  Aussprache  des  französischen  imbetonten  e  im  Wortauslaut. 
Von  Dr.  Adolf  Mende.  Zürich,  Jacques  Meyer,  1889. 
126  S.  gr.  8. 

Indem  der  Verfasser  dieses  Werkes  feststellt,  dais  neuerdings  die  Er- 
örterung über  das  unbetonte  e  wieder  lebhaft  geworden  ist,  erhebt  er  — 
und  das  mit  vollem  Recht  —  Klage  über  die  Behandlung,  die  seiner 
schon  im  Jahre  1880  erschienenen  Efnde  sur  Ui  Prononciofio»  r/e  VE  muef 
ä  Paris  (Londres,  Trühner  rf;  Co.)  widerfahren  ist.  Wiewohl  die  Kritik 
sich  seinerzeit  über  diese  Arbeit  überaus  anerkennend  ausgesprochen  hat, 
ist  dieselbe  doch  von  keinem  der  Forscher,  die  inzwischen  das  gleiche 
Gebiet  angebaut,  auch  nur  mit  einem  Worte  erwähnt  worden.  Im  Tone 
ernster,  aber  sachlicher  Beschwerde  weist  Verfasser  darauf  hin,  dals  er 
eine  Beachtung  um  so  mehr  verdient  zu  haben  glaube,  als  z.  B.  das 
Werk  von  Lubarsch  'Über  Deklamation  und  Rhythmus  der  französischen 
Verse',  Leipzig  1888,  in  einer  ganzen  Reihe  von  Sätzen  dieselben  Beob- 
achtungen mitteilt,  die  Mende  schon  vor  acht  .Jahren  als  besonders  wichtig 
hervorgehoben. 

Während  aber  in  der  Etüde  die  Forschung  nur  auf  moderne  Ver- 
hältnisse beschränkt  war,  sucht  der  Verfasser  nun,  indem  er  seine  alten 
Resultate,  freilich  vielfach  erweitert,  wieder  in  Erinnerung  bringt,  zugleich 
auch  die  frühere  Aussprache  des  betreffenden  Lautes  durch  die  Jahrhun- 
derte der  Sprachentwickelung  zu  verfolgen.  Diese  Arbeit  ist  mit  einer 
Gründlichkeit  durchgeführt,  die  noch  höhere  Anerkennung  verdient  als 
das  methodische  Geschick  der  Forschung  und  das  feinsinnige  Urteil,  das 
den  Verfasser  überall  auszeichnet.  Im  grofsen  Ganzen  muls  die  Kritik 
der  Methode  und  den  Resultaten  rückhaltlos  zustimmen;  zum  Einzelnen 
kann  erst  mit  der  Zeit  durch  eine  genaue  Nachprüfung  Stellung  genom- 
men werden.  Zweckvoller  als  eine  Recension  erscheint  daher  in  diesem 
Augenblick  ein  Referat  über  Gang  und  Ergebnisse  der  wichtigen  Unter- 
suchung Mendes. 

Die  Beobachtung  der  Pariser  Aussprache  führte  den  Verfasser  zu  der 
überraschenden  Erkenntnis,  dafs  das  tonlose  <>  ganz  allgemein  —  nament- 
lich aber  im  Wortauslaut  —  in  zwiefach  verschiedener  Weise  behandelt 
wird.  Es  wird  bald  gesprochen,  bald  nicht.  Gebildete  Franzosen  hielten 
die  Unterdrückung  des  Lautes  für  eine  Nachlässigkeit.  Selbst  wenn  der 
Verfasser  dem  beipflichten  könnte,  mülste  er  doch  eine  nachweisbare 
Ursache  annehmen.  Wenn  ferner  diese  sogenannte  Nachlässigkeit  all- 
gemein verbreitet  ist,  mufs  sie  im  Geiste  der  französischen  Sprache  l>e- 
gründet  sein. 

So  scheinen  sich  für  diese  wissenschaftUche  Arbeit  drei  Zielpunkte 
zu  ergeben : 

1)  der  Nachweis,  dals  die  Pariser  Aussprache  mustergültig  und  die 
eigenartige  Behandlung  des  tonlosen  c  darin  allgemein  gleichniäl'sig  ist; 

2)  der  Nachweis,  dals  in  der  That  die  Unterdrückiuig  des  >■  sich 
durch  alle  Epochen  der  französischen  Sprachgeschichte  verfolgen  lälst; 

Arcliiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  1-1 


210  l'.oiivtf'üimirfMi  iiinl  kurze  Aiizoijron. 

:'»)  ilie  Aufstelluiif^  der  Fülle,  in  »lonoii   riitenlnickung  (stattfindet; 

4)  Angabe  der  j)liOMetis(lien  Ursachen  für  diese  Erscheinung. 

Der  letzte  Punkt  ])edurf'te  keiner  eingehenden  Bearbeitung,  denn 
jeder  einzehie  Fall  ist  deutlich  genug  erkennbar  dem  Strebeu  nach  Kr- 
leichterung  der  Aussprache  entsprungen.  Der  erste  Punkt  wird  durch 
Berufung  a\if  sieben  Autoritäten  erledigt.  Die  Punkte  2  und  ^5,  die 
natürlich  in  der  Behandlung  vielfach  zusaninienfallen,  bilden  den  eigent- 
lichen Kern  der  Arbeit.  Jeder  einzelne  Absc^hnitt  derselben  erfüllt  den 
h<)heren  Zweck,  die  aufgestellten  Begeln  als  im  Sinn  und  (4eist  der  fran- 
zösischen Sprache  liegend  zu  beweisen. 

Die  Arbeit  zerfällt  in  zwei  Hauptteile :  der  erste  behandelt  die  ein- 
silbigen, der  zweite  die  mehrsilbigen  Wörter.  Jeder  Hauptteil  ist  wieder 
dreifach  gegliedert,  indem  zuerst  das  Verhalten  der  betreffenden  Wörter 
vom  9.  bis  16.  Jahrb.,  dann  vom  1(5.  bis  1'.'.  Jahrb.,  zuletzt  im  19.  Jahrb. 
untersucht  wird.  Das  erste  Drittel  des  ersten  Hauptteils  mül'ste  diesem 
ICinteilungsprincip  geniäfs  ebenfalls  in  zwei  Abschnitte  zerfallen: 

1)  '  nach  Vokalen,  und  zwar  a)  vor  Vokalen,  b)  vor  Konsonanten ; 

2)  '  nach  Konsonanten,  und  zwar  a)  vor  Vokalen,  b)  vor  Konsonanten. 
Aus   inneren  Gründen  ist  aber  diese  symmetrische  Anordnung  hier 

nicht  durchgeführt.     Wir  haben  vielmehr: 

1)  '  nach  Vokalen,  a)  vor  Konsonanten,  b)  vor  Vokalen; 

2)  nach  Konsonanten  und  vor  Vokalen ; 

3)  nach  und  vor  Konsonanten. 

Das  unbetonte  e  ist  durchweg  mit  '  bezeichnet. 

Wir  verzeichnen  im  Folgenden  kurz  die  Ergebnisse  Mendes,  soweit 
sie  die  gegenwärtige  Aussprache  des  tonlosen  e  betreffen. 

Mende  studierte  dies  '  1)  in  einer  beträchtlichen  Zahl  von  Vorstel- 
lungen im  Th^ätre  Franjais  und  im  Od^on,  und  zwar  von  versifizierten 
und  prosaischen  Stücken ; 

2)  in  den  Vorlesungen  einer  ganzen  Reihe  von  bedeutenden  Gelehrten ; 

3)  in  den  Gottesdiensten  der  berühmtesten  derzeitigen  Kanzelreduer 
von  Paris; 

4)  bei  und  nach  der  Unterhaltung  mit  gebildeten  Parisern.  —  Die 
Beobachtungen,  die  Mende  hierbei  machte,  hat  er  schon  in  seiner  EtinJe 
mitgeteilt;  er  druckt  jetzt  die  betreffende  Stelle  jener  Schrift  wieder  ab. 
Er  fand  allerdings,  dafs  die  Schauspieler  das  e  unserer  Monosyllaben  — 
von  gewissen  Ausnahmen  abgesehen  —  etwas  häufiger  hören  lassen  als  in 
der  Konversation;  aber  das  geschieht  nach  seiner  Meinung  nicht  um  des 
Verses  willen,  den  sie  lediglich  durch  stärkere  Betonung  seiner  vorletzten 
Silbe  markieren,  sondern  unbeabsichtigt,  indem  der  Ernst  des  Gegenstandes 
und  der  Zwang,  sich  einem  grol'sen  Auditorium  verständlich  zu  machen, 
sie  zu  langsamerem  Sprechen  bringen.  In  öffentlichen  Vorlesungen 
an  der  Sorbonne  und  am  Coll(^ge  de  France  werden  die  c  der  Mono- 
syllaben ganz  wie  in  der  Konversation  behandelt.  Welches  aber  ist  diese 
Behandluugsweise?  Welches  sind  ihre  Regeln?  Vier  Hauptregeln  werden 
von  Mende  aufarestellt. 


Benrteilungen  niifl  kurze  Anzeigen.  211 

Das  '  iu  einsilbigen  Wörtern. 

1)  Xie  können  zwei  aufeinander  folgende  Silben  ilir  '  verlieren;  es 
sei  denn,  dafs  das  erste  '  einem  proklitischeu  Worte  angehört,  das  zweite 
lautlos  in  der  ersten  Silbe  eines  mehrsilbigen  Wortes  steht:  jen'  d'mertre 
jws  la. 

2)  Nur  ec,  je.  Je  (Artikel  und  Pronomen),  nie,  se.  ne  und  gelegentlich 
auch  de  und  ie  können  enklitisch  sein,  aber  auch  nur,  wenn  das  vorher- 
gehende W^ort  auf  betonten  Vokal  endigt  und  nicht  mehr  als  zweisilbig 
ist,  oder  wenn  es  eins  der  Monosyllaben  ist,  dessen  '  wie  ni  ausgesprochen 
wird :  que  f  parle. 

3)  Zwei  dieser  Wörter  am  Anfang  eines  Satzes  geben  das  erste  ' 
dumpf,  das  zweite  lautlos.  Im  Inneren  des  Satzes  ist  die  Sache  umge- 
kehrt, sobald  die  Bedingung  unter  2  erfüllt  ist.  Dasselbe  ist  der  Fall, 
wenn  mehr  als  zwei  solcher  Wörter  einander  folgen:  jeir  n'leii  r'trouve  pas. 

-1)  Proklitisch  sind  ce.  de,  je.  que  und  zuweilen  te.  Proklise  kann 
stattfinden,  wenn  das  vorhergehende  Wort  nicht  mit  '  schlielst  und  das 
folgende  iu  erster  Silbe  kein  lautloses  *■  hat,  und  wenn  der  Anfangskon- 
sonant dieses  Wortes  nicht  zu  hart  ist,  um  mit  dem  proklitischeu  Konso- 
nanten gesprochen  zu  werden :  j'lhe. 

Das  '  in  mehrsilbigen  Wörtern. 

1)  '  lautlos  nach  einf.  Kons.,  immer  in  Prosa,  beinahe  immer  im 
Vers,  aspiriertes  h  ausgenommen:  faif's  mi  nioins  le  reste. 

2)  '  oft  ausgesprochen  in  der  Poesie,  selten  in'  Prosa,  nach  einem 
Konsonanten,  dem  ein  Vokal  vorangeht :  en  grand'  pom])'. 

3)  '  immer  stumm  in  Vers  und  Prosa  nach  einem  Doppelkousonauten, 
ausgenommen  /  monillee  und  ff:  un    flamm'  toidc  divine. 

4)  '  nicht  stumm,  sondern  wie  e  im  deutschen  Wort  'Liebe'  lautend, 
also  gleich  ganz  schwachem  a:  vor  einem  oder  mehreren  Konsonanten 
und  nach  bestimmten  Konsonantengruppen  (und  zwar  iu  Prosa,  Vers  und 
Kanzelvortrag).  Diese  Konsonantengruppen  sind  sowohl  mut.  c.  liqu.  als 
liqu.  c.  mut.,  liqu.  c.  liqu.,  mut.  c.  mut.  —  Dieser  Kegel  folgen  I)  die 
Endungen  c  und  es  in  Subst.,  Adj.,  Adv.,  Präpos.  vor  konsonantischem 
Anlaut,  und  die  Endung  e.s  auch  vor  Vokalen;  2)  die  Verbaleudungen  es 
und  enf  vor  Vokalen  und  Konsonanten,  und  e  nur  vor  Konsonanten.  Sie 
findet  namentlich  in  der  Frageform  häufige  Anwendung. 

Indem  nun  Mende  gegen  einzelne  Autoritäten,  die  einen  mehr  oder 
minder  hörbaren  Laut  des  '  nach  Konsonant  behaupten,  polemisiert,  macht 
er  die  interessante  Bemerkung,  dafs  die  hauptsächlichsten  Konsonanten, 
die  hier  in  Betracht  kommen,  p,  f,  qu,  h,  d,  g,  i;  x  mit  einer  ganz  ähn- 
lichen Mundstellung  auslauten,  wie  die,  welche  zur  Hervorbringung  des  ' 
nötig  ist,  also  leicht  eine  Täuschung  des  Hörers  verursachen  können. 
Hierauf  zeigt  3fendc,  dals  ein  ',  Avelches  nach  den  unter  Regel  I  ge- 
nannten Konsonanteugruppeu  hörbar  ist,  einen  bedeutenden  Einflul's  auf 
die  Quantität  des  Vokals  der  vorhergehenden  Silbe  ausübt.  Dieser  Vokal 
erseheint  nämlich  stets  kurz  aulser  vor  bl,  oft  auch  vor  fr  und  ir.  Der 
Vokal,  der  den  Hauptton  trägt,  hat  also  ein  Quantum  seiner  Tonfülle  ah 

14* 


212  P.ciiit('iliiii^(Mi  mimI  kiir/f  Aiizeij^cii. 

»las  '  !il)gegeben.  Hier  tiiidct  sich  iukIi  ein»'  weite«'  selir  feine  lienier- 
kurig.  Wo  (las  "  npokopiert  wird,  da  haben  wir  ungemein  häufig  in  der 
Pänultinia  lauge  Vokale.  Es  scheint  nun  dem  Verfasser,  dals  die  Sprache 
hier  eine  durch  das  Verstummen  des  '  erlittene  P^inbul'se  an  Klangfülle 
durch  Längung  jenes  Vokals  ersetzt  habe.  In  diesem  Umstand  erkennt 
Mende  die  Hauptursache  des  ewigen  Streites  über  die  Aussprache  des  ' 
im  Vers,  liei  vielen  '  wird  das  Ohr  getäuscht,  indem  durch  stärkere 
Dehnung  des  Vokals  dieselbe  Zeit  in  Anspruch  genommen  wird,  die  zur 
Aussprache  des  weniger  gedehnten  V^)kals  mitsamt  dem  •  nötig  wäre.  In 
der  minder  nachdrucksvollen  ]*rosa  fällt  aber  jene  Dehnung  weit  weniger 
auf.  —  Auch  auf  die  Aussprache  der  vorangehenden  Konsonanten  wirkt 
das  '  iu  bedeutendem  Umfang  ein :  man  vergleiche  z.  Ti.  rrtif  mire,  sec 
s^ehe,  dmix  douce,  bas  hasse,  roisin  mn'mne. 

Nun  folgt  eine  grofse  Reihe  von  Belegstellen  zur  Aussi>rache  des  ' 
nach  Doppelkonsonanz,  aus  denen  der  Verfasser  die  oben  angegebene 
Regel  abstrahiert  hat.  Alle  augeführten  Beispiele  beweisen,  dafs  das  ' 
auch  noch  im  Neufranzösischen  ein  euphonischer,  d.  h.  die  Aussprache 
erleichternder  Laut  ist. 

Mende  glaubt  nunmehr  durch  seine  ganze  Abhandlung  uachgewieseu 
zu  haben:  1)  die  grolse  Bedeutung,  welche  die  richtige  Behandlung  des 
unbetonten  '  im  Wortauslaut  stets  hatte  und  noch  heute  hat;  2)  die  Mög- 
lichkeit, in  der  scheinbaren  Regellosigkeit  der  Aussprache  dieses  '  be- 
stimmte Regeln  auffinden  zu  köuneu ;  o)  die  Gewifsheit,  dafs  die  Mehr- 
zahl dieser  Regeln  sich  durch  die  ganze  Geschichte  der  französischen 
Aussprache  verfolgen  läfst.  Ob  indessen  Mende  iu  seiner  Polemik  gegen 
die  Ansichten  von  Tobler  und  von  Thurot  überall  glücklieh  ist,  möchten 
wir  bezweifeln. 

Wir  dürfen  jedoch  sagen,  dals  es  dem  Verfasser  gelungen  ist,  über 
die  formellen  Resultate  hinaus  auch  wertvolle  materielle  Aufschlüsse  zu 
geben.  Dieselben  sind  in  teilweise  leicht  veränderter  und,  wie  Referent 
glaubt,  etwas  klarerer  Passung  auf  S.  211   f.  dieses  Berichtes  dargestellt. 

Berlin.  Fr.  Speyer, 

Französisches  Lesebuch  für  Real-  oder  Mittelschulen  und  ähn- 
liche Anstalten.  Herausgegeben  von  H.  Breitinger  und 
J.  Fuchs.  Zweites  Heft.  Dritte  Auflage,  neu  bearbeitet 
von  J,  Gutersohn,  Prof.  an  der  Grolsh.  Realschule  in  Karls- 
ruhe i.  B.  —  Frauenfeld,  J.  Huber,  1889.    VHI  und  112  S: 

Die  vorliegende  dritte  Auflage  ist  fast  zur  Hälfte,  S.  1— 17,  vollkom- 
men neu.  Das  auf  diesen  Seiten  gebotene  Material  ist  zunächst  auf  elf 
Seiten  ein  Resunie  ile  1' Histoire  de  France,  nach  Blanchet-Piuard  in  tabel- 
larischer Kürze  und  besonders  einfacher  Sprache  als  SitjeU  de  concer- 
satioHs  zurecht  gemacht.  Da  auch  der  übrige  Lesestoff'  sich  wesentlich 
um  die  (ieschichte  Frankreichs  dreht,  so  wird  man  an  jeder  beliebigen 
Stelle  der  Lektüre  auf   dieses  lUsume  als  KonversationsstofF  zurückgehen 


Beiirteilungon  und  kur/A'  Anzeigen.  213 

können.  Weiteren  Stoff  bieten  dann  auch  die  am  ?]nde  des  Buches  be- 
findlichen fünf  Seiten  Anmerkungen,  die  in  gutem  und  leicht  verständ- 
lichem Französisch  geschrieben  sind.  Diese  beiden  Punkte  bilden  keinen 
geringen  Vorzug  des  Buches.  Auch  die  übrigen  Lesestücke  sind  aus 
guten  französischen  Schriftstellern  geschickt  ausgewählt;  namentlich  seien 
Nr.  14  und  lö  hervorgehoben,  welche  nach  knappen  geschichtlichen  Ein- 
leitungen über  Louis  XL  (nach  Maginj  und  Louis  XII.  (nach  Hanriot) 
je  ein  Gespräch  zwischen  einem  dieser  Könige  und  einem  bedeutenden 
Zeitgenossen  (nach  Fenelon,  DiakxjKPs  des  tuortsj  geben  uud  jedenfalls 
sehr  anregend  auf  die  Schüler  wirken  müssen.  Die  beschreibende  Prosa 
kommt  auf  17  Seiten  zu  ihrem  Kecht.  —  Die  Auswahl  der  Gedichte  (20) 
sagt  mir  weniger  zu.  Mag  man  immerhin  meinen,  von  dem  charakte- 
ristischen Zuge  der  französischen  Dichtung  zur  Eührseligkeit  und  Em- 
pfindelei, sowie  zu  aufdringlichem  Moralisieren  in  den  Jugendgedichten 
müsse  auch  der  Schüler  praktische  Anschauung  gewinnen,  so  sind  doch 
sechs  oder  sieben  Gedichte  dieser  Art  unter  zwanzig  ein  zu  grofser  Teil. 
Lafontaine  hat  zu  viele  gute  Fabeln  geschrieben,  als  dals  man  eine  so 
schwache  wie  Le  Heran  zu  nehmen  brauchte;  N.  Grozelier,  Le  perc  iii- 
strumtnt  ses  enfants  ist  ledern ;  von  Florian  giebt's  viel  Besseres  als  Le 
danseur  de  carde  et  le  balancier;  V.  Hugo,  Poi/r  les  pauvres  und  Prihre 
ponr  tous  sind  nicht  für  den  fünfzehnjährigen  Knaben ;  freilich  noch  viel 
weniger  Jean  Reboul,  L'antje  et  Venfmü.  Der  Bäckermeister  von  Nimes, 
dessen  dichterische  Begabung  nicht  bestritten  werden  soll,  nimmt  mit 
seinen  Gedichten,  die  er  zu  seiner  Erholung  machte,  wenn  er  seine  Sem- 
meln gebacken  hatte  (aber  nicht  abends,  wie  in  der  Anni.  steht ;  denn 
Bäcker  haben  am  Tage,  namentlich  vormittags,  ihre  Mulse),  doch  nicht 
die  Stellung  in  der  französischen  Litteratur  ein,  dals  ein  Gedicht  von 
ihm  unter  einer  so  kleinen  Auswahl  (20)  eine  Stelle  finden  müfste.  — 
Form  und  Inhalt  des  gebotenen  Lesestoffs  entspricht  seiner  geringen 
Schwierigkeit  nach  dem  Standpunkte  beider  Tertien  oder  allenfalls  noch 
einer  Untersekunda  einer  höheren  Lehranstalt,  aber  nicht  'der  (^»beren 
Klassen',  wie  im  Vorworte  steht;  freilich  steht  dabei  als  Altersgrenze 
1-1  — 10  Jahr,  und  die  schliefst  die  Prima  ohnehin  aus.  Aber  auch  für 
Obersekunda,  wo  das  Durchschnittsalter  !(•  Jahr  ist,  palst  der  Stoff 
nicht  niehr,  und  sollte  man  wohl  auch  von  einem  Lesebuchc  abseilen,  es 
sei  denn,  dals  mau  das  in  Tertia  benutzte  zur  Wiederholung  wieder  her- 
vorsucht. Was  der  Verfasser  als  die  Hauj»taufgabe  eines  Lesebuches  l)e- 
trachtet,  'in  die  Geschichte,  Volkskunde,  (tcographie  und  Kulturgeschichte 
des  betreffenden  Landes  einzuführen',  ist  so  allgemein  anerkannt,  dals  die 
Behauptung,  es  seien  bis  jetzt  nur  wenige  französische  Lehr-  (!)  und 
I.iesebücher  erschienen,  welche  in  bewulster  uud  ausgesprochener  Weise 
diesen  Zielen  zustreben,  etwas  überraschend  wirkt.  Es  haben  w(»hl  die 
meisten  guten  Lesebücher  diesem  Ziele  zugestrebt;  dals  sie  es  im  Vor- 
wort nicht  jedesmal  ausdrücklich  gesagt  haben,  ist  kein  Fehler;  dafs  sie 
es  unbewufst  gethau,  kann  Verfasser  gewils  nicht  beweisen ;  und  wenn 
er  es  könnte,   so  träfe  die  Verfasser   kein  Vorwurf.     Es   i.st   schade,   daCs 


211  r)(.'iirt('iliiiij;v[i  1111(1  km/c  Anzeigen. 

so  viele  HeiHUsgebcr  von  Sdiulhüciierii  gliiu)>en,  die  ExiHteiy/j-  oder  Kr-. 
scheinmjjrsberochtiguug  ihres  Buches  suis  dem  ITinstandc  herleiten  zu  sol- 
len, dafs  alle  vorliaudeueu  Bücher  gleicher  Art  einen  oder  viele  erheb- 
liche j\Iängel  haben,  denen  ihr  Buch  allein  abzuhelfen  vertnag.  Die  Zahl 
der  in  Deutschland  erforderlichen  Schulbücher  ist  so  grols,  dais,  wenn 
jedes  neu  erscheinende  nur  berechtigt  sein  s<jllte,  wenn  es  Epoche  macht, 
bald  fühlbarer  Mangel  oder  schreckliche  Einförmigkeit  eintreten^müfste. 
Es  kann  gar  nicht  anders  sein,  als  dafs  jedes  Buch,  wenn  es  nur  überr 
haupt  mit  solcher  Hingabe  und  praktischen  Erfahrung  gearbeitet  ist,  dafs 
e.s  einen  Charakter  hat,  auch  Lehrer  findet,  die  sich  durch  den  selben 'an- 
gezogen fühlen  und  gern  nach  demselben  unterrichten  wollen.  —  Die 
Drucklegung  des  Buches  ist  sorgfältig;  der  Druck  könnte  weiter  und 
gröfser  sein,  ist  aber  leidlich  klar.  Man  wird  das  Buch  mit  guteni  Er- 
folge verwenden  können. 

Berlin.  Otto  Kabi. seh. 

Album  poetique,  d^di^  ä  la  premiere  jeunesse  par  Marie  Meyer 
(M.  Senz),  avec  un  mot  de  pr^face  de  W.  Stieffelius,  ancien 
pasteur  franc^ais;  6'""  edition.  Berlin,  H.  Sauvage,  Libraire, 
1889. 

Wie  sich  aus  dem  Titel  und  dem  Vorworte  ergiebt,  ist  das  Buch, 
welches  teils  zur  Lektüre,  teils  zu  Gedächtnisübungen  dienen  soll,  für  das 
zartere  Alter,  und  zwar  etwa  für  das  7.  bis  13.  Lebensjahr,  bestimmt. 
Damit  rechtfertigt  W.  StiefTelius,  dafs  die  Verfasserin  es  nnternommen 
hat,  die  lange  Reihe  der  französischen  Gedichtsammlungen  um  eine  neue 
zu  vermehren ;  denn  jene  sind  für  das  reifere  Alter  bestimmt  und  bewegen 
sich  daher  entweder  nur  im  klassischen  Jahrhundert,  oder  bezwecken, 
Musterbeispiele  aus  allen  Litteraturepochen  zu  geben,  oder  sie  berück- 
sichtigen hauptsächlich  den  Fortschritt  des  Stils  und  der  Verskunst  des 
modernen  Französischen. 

Um  die  Fassungskraft  des  genannten  Alters  nicht  zu  überschreiten, 
hat  die  Verfasserin  eine  Auswahl  von  Fabeln  und  kleinen  sinnreichen 
Erzählungen  getroffen,  deren  Moral  den  Kindern  verständlich  sein  soll. 
Dazu  gesellen  sich  Geburtstags-  und  Neujahrswünsche,  Morgen-  und 
Abendgebete.  Eingestreut  sind  aufserdem  eine  Reihe  von  Pieees  de  sur- 
prisc,  welche  zugleich  die  Neugierde  der  Kinder  erwecken  und  Lachen 
erregen  wollen;  denn,  sagt  der  Vorredner,  'pourquoi  iie  pas  les  aiuftsrr 
cn  les  insfnt/sant'r'  ein  pädagogischer  Grundsatz,  dem  wir  gern  beipflichten. 
Unter  den  Verfassern,  denen  die  Gedichte  entlehnt  sind,  finden  wir  zu- 
nächst La  Fontaine  mit  IG  und  Florian  mit  7  Fabeln.  Es  sind  die  be- 
bekanntesten und  gebräuchlichsten.  Soll  aber  eine  F^bel  dem  Kinde 
mehr  als  ein  blofser  Scherz  sein,  der  seine  Aufmerksamkeit  erregt,  weil 
er  sich  in  ein  auffallendes  Gewand  kleidet;  soll  ihre  tiefere  Betleutung 
dem  kindlichen  Verständnis  näher  gebracht  werden  können,  so  mufs  sich- 
dieselbe  an  Vorgänge  aus  der  Umgebung  des  Kindes,  aus  dem  Leben  und' 


Beurtciluugeu  und  kurze  Anzeigen.  215 

der  Geschichte,  soweit  dieselbeu  ihm  bereits  zugänglich  sind,  ankuüpfeu 
lassen,  und  das  dürfte  bei  Fabeln  wie  La  grenouük  qui  cetd  se  faire  aussi 
grosse  que  le  boeuf,  L'wne  vetn  de  la  peau  du  Hon,  oder  gar  Le  singe  qu4 
monfre  la  kinterne  inayique  schwer  zu  erzielen  sein,  wenigstens  dem  Alter 
gegenüber,  welches  die  Herausgeberiu  im  Auge  hat.  Ebenso  werdeii 
Stücke  wie  L'enfant  qai  dort  und  La  toinbc  et  la  rose  von  Victor  Hugo, 
oder  Les  olseaax  von  Berauger  wegen  ihres  Bilderreichtums  und  ihrer 
Gedankentiefe  als  ungeeignet  erscheinen  müssen,  und  ähnliche  Bedenken 
lassen  sich  noch  gegen  manches  andere  der  aufgenommenen  Stücke  gel- 
tend machen.  Eeizend  sind  dagegen  manche  Sachen  von  Mlle.  Almstedt 
(z.  B.  ,1  )iia  ponpeej,  Adelaide  Moutgolfier  (bes.  La  inaryuerite),  Mme. 
Desbordes-Valmore,  sowie  die  Liedchen  Le  dindon.  Le  hannetön,  Le  pa- 
pillon  et  l'abelllc,   Charit  de  mal  und  anderes. 

Wenn  somit  auch  die  Auswahl  der  Gedichte  im  ganzen  als  zutreffend 
und  geschickt  bezeichnet  werden  mufs,  so  lassen  sich  doch  einige  schwere 
Bedenken  gegen  die  Anwendung  des  Buches  etwa  in  IMädchenschuleu 
nicht  unterdrücken.  Auf  den  ersten  11  Seiten  nämlich  finden  wir  alte 
Bekannte,  elf  unserer  schönen  alten  Kiuderfabelu  von  Wilhelm  Hey,  in 
d€r  Übersetzung  von  Gubitz.  Da  das  Bucli  in  der  Anordnung  des  Stoffes 
allmählich  mit  dem  Alter  fortschreitet,  so  werden  diese  Gedichtchen 
gerade  der  zartesten  Jugend  dargeboten.  Ohne  näher  erörtern  zu  wollen^ 
aus  welchen  guten  Gründen  die  Lektionspläne  der  höheren  öffentlichen 
Lehranstalten  den  Beginn  des  französischen  Unterrichts  in  das  achte  oder 
gar  neunte  Lebensjahr  verlegen,  und  ohne  im  übrigen  der  Übertragung 
von  Gubitz  entgegentreten  zu  wuUeu,  der  es  trefflich  verstanden  hat,  den 
deutschen  Stoff  der  französischen  Auschauuugsweise  anzubequemen,  fühlen 
wir  uns  zu  der  Frage  veraulal'st,  ob  denn  das  Buch  wirklich  für  die 
'deutsche'  Jugend  bestimmt  sei.  Sollen  unsere  'deutscheu'  Kinder  die 
Perlen  der  deutschen  Jugendlitteratur  wirklich  zuerst  oder  mindestens 
gleichzeitig  mit  dem  Original  in  französischer  Fassung  kennen  und  lieben 
lernen?  Den  Schülern  einer  höheren  Klasse  können  solche  Übertragungen 
gelegentlich  Vergnügen  macheu  und  sie  über  die  Verschiedenheit  der  An- 
schauung und  Auffassung  l)eider  Völker  wirksam  belehreu.  L^usere  uu- 
befangenen,  für  jeden  Eindruck  gleich  empfänglichen  Kleiner^  verschone 
man  damit  und  reiche  ihnen  lieber  die  reine,  unverfälschte  Kost,  die  dem 
deutschen  Gemüte  doch  besser  zusagen  und  bekommen  dürfte. 

Nicht  minder  gerechtfertigt  erscheint  die  obige  Frage,  wenn  wir  die 
Neujahrs-  und  Geburtstagswüusciie  ins  Auge  fassen,  die  den  Schluls  des 
Buches  bilden.  Es  sind  im  ganzen  uicht  weniger  als  7-4,  für  jedes  Alter 
bestimmt,  teilweise  offenbar  für  ein  noch  zarteres  Alter  als  dasjenige  der 
untersten  Schulklassen.  Sollte  ein  deutscher  Vater,  eine  deutsche  Mutter 
wirklich  Freude  daran  haben,  wenn  ihre  'petite  fillc,  asse\  nih/nonne,  assex 
'jcntille'  ihnen  bei  den  erwähnten  festlichen  Gelegenheiten  ein  paar  fran- 
zösische Verschen  hersagt?  nebenbei  vielleicht,  als  Beweis  ihrer  Fort- 
schritte in  der  Schule,  aber  als  Ausdruck  ihrer  eigeneu  Empfindung,  ihrer 
kindlichen  Liebe ?—  schwerlich !    Die  ganze  Sammlung  mag  aulserordent- 


216  Beurteilungen  utkI  kurze  Anzeigen. 

licli  geeignet  sein  für  die  französische  Jugend;  für  unsere  Kinder  enthält 
sie  nichts  als  ■wohltönende  Phrasen,  die  das  Herz  kalt  lassen.  So  schätzens- 
wert das  Bestreben  ist,  unsere  Jugend  beizeiten  zu  einer  gründlicheren 
Erfassung  des  Geistes  der  modernen  Kultursprachen  zu  gewöhnen,  so 
bleibe  doch  das  alte  Wort  vSchenkendorfs  bestehen: 

Aber  soll  ich  beten,  danken, 
Geb  ich  meine  Liebe  kund. 
Meine  seligsten  Gedanken, 
Sprech  ich  wie  der  Mutter  Mund. 
Berlin.  Fr.  Bach  mann. 

A.  Ehrhard :   Moliere   en   Allemagne,   le  Th^ätre   et  la  Critique. 
Paris,  H.  Oudin  et  Lecfene,  1889.    XXVIH  u.  442  S.    Fr.  8. 

Ein  auf  gründlichen  Vorstudien  ruhendes,  die  bisherige  Forschung 
mannigfach  erweiterndes  Werk,  dem  leider  nur  die  Vorliebe  für  franzö- 
sischen Legendenkram  und  die  Antipathie  gegen  das  neugeschaffene 
Deutsche  Reich  den  Wert  der  Unparteilichkeit  nehmen.  Schon  die  Ein- 
leitung, ein  an  sich  geschickter  Überblick  des  Einflusses  der  französischen 
Litteratur  und  Kultur  auf  Deutschland,  läfst  Schlimmes  ahnen.  Karl 
der  Grofse  wird  darin  als  souverain  de  ki  donce  France  bezeichnet,  den 
Rhein  haben  wir  erst  187u  den  Franzosen  'entrissen'.  Die  Schmach  des 
westfälischen  Friedens  hat  nur  die  Überlegenheit  der  französischen  Diplo- 
maten, die  doch  hinter  den  schwedischen  Eisenfressern  und  Grofssprecheru 
vorsichtig  zurücktraten,  gebracht.  Die  aus  Frankreich  eingewanderten 
Hugenotten,  meist  Handwerker  und  Industrielle,  haben  den  Sieg  der 
französischen  Litteratur  vollendet,  und  auf  das  neue  Deutsche  Reich  liefse 
sich  in  Hinsicht  auf  Kultur  das  Grcecia  eapta  ferum  rictorem  cepit  an- 
wenden. iSapienti  sat!  Aber  auch  Herrn  Ehrhards  Kenntnis  der  fran- 
zösischen Litteratur  ist  für  einen  Professor  der  Litteraturgeschichte 
recht  ungenügend.  Über  den  Irrtum,  dafs  Voltaires  Schriften  auch  in 
Deutschland  überall  gekannt  und  gelesen  worden  seien,  möge  er  sich 
durch  Marquis  de  Luchet  und  durch  das,  was  die  Corrcsponflance  litfer. 
phihs.  et  critique  über  die  erstaunlich  geringe  Verbreitung  kleinerer  Ab- 
handlungen des  Philosophen  sagt,  belehren  lassen ;  Moliere  als  den  'kosmo- 
politischsten aller  Dichter'  7,u  bezeichnen,  ist  ein  unverantwortlicher  Mifs- 
grifF.  Andererseits  hat  Herr  Ehrhard  viele  jetzt  längst  vergessene  deutsche 
Dichter  des  18.  Jahrhunderts  gelesen,  ihre  Stücke  mit  denen  Molieres 
verglichen  und  manche  bisher  unbeachtete  Übereinstimmungen  heraus- 
gefunden. Allerdings  ist  vieles,  was  er  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen 
scheint,  längst  von  französischen  und  deutscheu  Gelehrten  entdeckt  wor- 
den, z.  B.  die  Beziehungen  von  Lessings  Jugenddichtungen  zu  Moliere 
und  das  Verhältnis  von  Gutzkows  'Urbild  des  Tartuffe'  zum  Tartuffe 
.selbst.  Andere  Abschnitte  enthalten  nur  hinlänglich  Bekanntes,  wie 
der  über  Gottsched  und  seine  Frau,  wo  Herr  Ehrhard  nicht  aus  den 
Quellen,  sondern  aus  Reden-Esbeck,  Schienther  u.  a.  schöpft,  und  der 
über  Goethes   Moli^re-Schätzung,   worin  aber  die  Leipziger  Dichtungen 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  217 

unseres  Altmeisters  ganz  einseitig  als  Xachahmungen  Molieres  hingestellt 
werden.  Am  lesenswertesten  sind  die  Bemerkungen  über  Itflands  und 
Kotzebue*  Ausnutzung  des  grofsen  französischen  Vorgängers.  Die  deut- 
schen Molieristeu  sucht  Herr  Ehrhard  zu  Fanatikern,  Pedanten  etc.  zu 
machen,  während  er  deren  französische  Lehrmeister  nur  sehr  vorsichtig 
streift:  der  Deutsche  ist  eben  für  diesen  deutschen  Renegaten  stets  der 
Prügelknabe.  Nach  seiner  Ansicht  sind  Paul  Lindau,  Grofs  und  Kreiten 
die  Hauptführer  der  deutschen  Moli^re-Forschung,  die  übrigens  vielfach 
unnütz  sei,  da  eine  Aufführung  in  der  Comcdie  frant^alse  den  Dichter 
besser  kennen  lehre,  als  lange  Kommentare  und  Biographien.  Wozu  dann 
aber  Herrn  Ehrhards  eigenes  Werk?  Von  den  deutschen  Dichtern  stehen 
ihm  Heine  und  Börne  natürlich  höher,  als  G.  Freytag  und  P.  Heyse; 
einzelne  Randglossen  über  Leipzig  lassen  V.  Tissots  Einwirkung  erkennen. 
Dresden.  R.  Mahren  hol  tz. 

Victor  Duruy:  Histoire  de  France  de  1789  ä  1795.  Mit  Ein- 
leitung und  Anmerkungen.  Leipzig,  E.  A.  Seemann,  1889 
(M.  Hartmanns  Schulausgaben  französischer  Schriftsteller, 
5.  Bändchen). 

Das  Werkchen  schliefst  sich  an  die  1880  erschienene  Schulausgabe 
von  Duruys  Le  Siede  de  Loiu'.s  XIV  an.  Wieder  verfolgt  der  Heraus- 
geber den  Zweck,  den  oberen  Klassen  unserer  höheren  Lehranstalten  ein 
einheitliches,  jedoch  nicht  zu  umfangreiches  Ganzes  zu  bieten,  welches 
ein  abgerundetes  Bild  einer  bedeutenden  und  lehrreichen  Zeit  zu  vermittelu 
im  Stande  sei  und  zugleich  als  Schullektüre  sich  ohne  besondere  Schwie- 
rigkeiten und  ohne  zu  grofsen  Zeitaufwand  bewältigen  lasse. 

In  drei  Büchern,  im  Umfange  von  81  Seiten,  sind  die  Kapitel  -iP — Gl 
von  Duruys  Histoire  de  France  ohne  Veränderung  abgedruckt.  Auch  die 
Xoten  unter  dem  Texte  des  Originals  sind  bis  auf  fünf  kleinere  und 
weniger  wichtige  aufgenommen  worden.  Voran  geht  ein  kurzer  Lebeus- 
abrifs  Duruys.  Beigegeben  ist  aufserdem  in  einem  besonderen  Heftchen 
(7.")  Seiten)  eine  ziemlich  lange  Reihe  von  Anmerkungen,  welche  teils 
weitergehender  Erläuterung  dienen,  wo  der  französische  Text  etwas  zu 
knapp  gehalten  erscheint,  teils  aus  der  Vergleichung  des  Originals  mit 
den  Ergebnissen  der  neueren  Geschichtsforschung  unter  besonderer  Be- 
rücksichtigung von  Ranke,  Sybel,  Taine,  Sorel,  Aulard  und  H.  Gautier 
entsprungen  sind  und  sowohl  für  das  tiefere  Verständnis  wie  für  die  Auf- 
rechthaltung  der  geschichtlichen  Wahrheit,  soweit  dieselbe  zur  Zeit  fest- 
steht, eine  nicht  unwichtige  Ergänzung  bilden. 

Die  kurze,  kernige  Schreibweise  des  geschätzten  französischen  Schrift- 
stellers, welcher  im  Gegensatz  zu  manchem  seiner  liandsleute  ohne  Um- 
schweif,  Bilderpomp,  überflüssige  Gefühlsergüsse  mit  wenigen  klaren  und 
bezeichnenden  Worten  alles  Wichtige  sagt  (man  vergleiche  z.  B.  I,  -'4 
Fnite  du  roi  und  HI,  '2  Murf  de  Loui^s  XVIj,  entspricht  durchaus  den 
Absichten  des  Verfassers  und  eignet  das   Büchlein   ganz   besonders   zur 


218  lU'iirteiliiiiLMii   und   kurze  Aiizcijrcn. 

Lektüre  uuscrer  Primaucr;   uud  su  darf  deuii   auch  das  5.  BänddiCB   der 
M.  Hartmannsclien   Schulausgaben  willkoninien  geheiften   werden. 

Berlin.  Fr.  Bach  mann,      '. 

Stndj  di  filologia  roiiianza  pubblicati  da  Ernesto  Monaci.  Fase.  8, 
C  De  Lollis,  H  Cauzouiere  provenzale  A  (conti auazione). 
Roma,  Ixßscher.     338  S.     I^ire  11.  , 

Der  verdienstliche  Abdruck  dieser  von  Bartsch  uiclit  mit  L'urecht 
am  höchsten  geschätzten  aller  proveucalischeu  Liederhandischriftün  erfährt 
hier  seine  Fortsetzung  im  Anschlul's  an  die  von  A.  l'akselier  im  7.  Heft 
der  Studj  erfolgte  Veröffentlichung  der  38  ersten  Blätter.  Der  Druck 
wird  bis  Blatt  1 12  gefördert,  so  dafs  nunmehr  zwei  Drittel  der  Hantl- 
schrift  vorliegen.  Die  Art  der  Herausgabe  ist  die  gleiche  geblieben.  Der 
Text  wird  genau  wiedergegeben,  die  nicht  häufigen  und  einfachen  Ab- 
kürzungen zwar  aufgelöst,  ihre  Stelle  aber  durch  kursiven  Druck  kennt- 
lich gemacht.  Für  die  irgend  erreichbare  Genauigkeit  bürgt  die  wieder-- 
holte  Vergleichung  der  Druckbogen  mit  der  Handschrift  selbst.  Herr 
De  Lollis  verspricht,  das  letzte  Drittel  der  Handschrift  uns  bald,  zu  lie- 
fern und  es  mit  einer  Einleitung  und  einem  Inhaltsverzeichnis  zu  be- 
gleiten; als  besonders  wertvolle  Beigabe  will  er  schliefslich  auch  die 
Varianten  der  Handschrift  B  hinzufügen,  so  dafs  wir  dann  beide  Hand- 
schriften zugleich  besitzen  werden. 

Königsberg  i.  Pr.  C.  Appeh 

Francesco  Zambaldi:  Vocabolario  etimologico  italiauo.  Citta  di 
CasteUo,  S.  Lapi,  1889.  XC,  1440  S.  8.  L.  7,50. 
Sicher  wird  das  unter  vorstehendem  Titel  erschienene  klein,  aber 
sauber  gedruckte  Buch  manchem  willkommen  sein  und  gute  Dienste 
leisten.  Über  ungefähr  ISOüO  mehr  oder  weniger  italienische  Wörter  — 
so  viel  weist  der  vorangestellte  alphabetische  Iudex  auf  —  etymologische 
Auskunft,  d.  h.  Aufklärung  über  ihr  Zusammenfallen  nach  ihrem  Laut' 
bestände  und  ihrem  Sinne  mit  früher  dagewesenen  AVörtern  anderer 
Sprachen  oder  über  die  Art  uud  Weise,  wie  sie  aus  W^örteru  der  gleichen 
Sprache  durch  Ableitung  gewonnen  sind,  wie  neue  Verweudungsarten  au 
ursprünglichere  sich  angeschlossen  haben,  —  welchem  zum  Nachdenken 
über  die  eigene  Rede  geneigten  Italiener  oder  welchem  gebildeten  Lieb- 
haber des  Italienischen  sollte  das  nicht  erwünscht  sein?  fnd  im  ganzen, 
das  darf  mau  wohl  sagen,  ist  die  hier  dargebotene  Belehrung  von  einer 
Beschaffenheit,  die  sie  der  Empfehlung  nicht  unwert  macht.  Mit  Fleifs 
und  Umsicht  hat  der  Verfasser  gesammelt  und  geordnet,  was  seinem 
Plane  gemäfs  in  seinem  Buche  Aufuahme  finden  mufste,  und  mit  Teil- 
nahme und  nicht  ohne  Förderung  wird  der  bisher  derartigen  Dingen 
ferngebliebene  Leser  vernehmen,  welche  lateinischen,  griechischen,  deut- 
scheu, arabischen  W^örter  in  den  italienischen  Wortschatz  übergegangen 
sind,  und  die  mächtigen  Sippen  überblicken,  die  in  zahlreichen  Fällen  in 
je  eineni  Stammwort  ihren  Ursprung  haben.    Wer  freilich  die  bezüglichen 


Beiirteiluugeii  und  kurze  Auzeigen-  219 

Forechuugen  selbst  verfolgt  hat,  wird  nicht  eben  viel  Neues  in  dem 
Buche  finden  und  wird,  auch  wenn  er  es  nur  als  bequemes  Repertorium 
der  bisherigen  Aufstellungen  benutzen  möchte,  beklagen,  dafs  die  Ge- 
lehrten, von  denen  sie  ausgegangen  sind,  nicht  regelmäisig  genannt,  die 
Stelleu,  wo  man  ihre  Äulserungen  und  ihre  Beweisführungen  findet,  nie 
augegeben  werden.  Nicht  selten  wird  er  auch  neuere  Aufstellungen  ixn- 
verwertet  fiudeu,  neben  denen  ältere  kaum  mehr  Geltung  behaupten 
können,  so  etwa  Flechias  Deutung  von  fmna,  Atkinsons  Deutung  von 
feUo.  die  in  der  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  X,  .">7H  gegebene  von  roreUo,  die 
ebenda  IV,  18:»  ausgesprochene  Vermutung  über  die  Herkunft  von  oyyio, 
das  elienda  III,  568  über  oskujyio  Vorgetragene.  Unbedenklich  durften 
dagegen  der  Vergessenheit  überlassen  bleiben  eine  Reihe  von  ganz  un- 
haltbaren Vermutungen,  die  auch  Zambaldi  sich  nicht  aneignet,  die  aber 
durch  die  Erwähnung  in  einem  Buche,  das  doch  keineswegs  eine  Fund- 
grube für  alle  Ausgeburten  zuchtloser  \yortdeutuug  sein  will,  den  Schein 
einer  gewissen  Annehmbarkeit  erhalten ;  man  findet  dergleichen  unter 
accmcco,  oddobhore,  brexx<i,  ayyeccliirsi,  uyio,  cdbayia,  ium.  sixio,  hietta  ii.  a. 
Schlimmer  noch  giebt  sich  ein  gewisser  Mangel  an  klarem  Urteil  in  der 
unbedenklichen  Annahme  einiger  Deutimgen  zu  erkennen,  die  gar  keiner 
Prüfung  standhalten,  wie  z.  B.  der  von  alom  Mondhof  aus  aki.  der  von 
akrione  aus  a kr.  von  alkyro  aus  frz.  hakiiyre.  von  acciullre  aus  lat.  ««8^- 
dere,  von  nttrewo  (wovon  attraxxo  ein  Pejorativum  sein  soll)  aus  aftrcc- 
tare.  von  heeern  aus  einem  lat.  hibtr.  oder  solcher  Deutungen,  die  wie  ein 
sehr  grol'ser  Teil  der  von  Oaix  herrührenden  nur  ganz  geringe  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich  haben,  aecerito  von  cern'hts,  scaraventare  von  trans- 
ventare,  ramcda  von  ia»ie.  makscio  von  nudoise.  aecionnare  von  ayino, 
aUuire  von  arfus.  branda  von  ahd.  brafo. 

Wollte  der  Verfasser  weiteren  Kreisen  Einblick  ei'ött'uen  in  die  Gesetz- 
mälsigkeit,  die  im  geschichtlichen  Lautwandel  herrscht,  in  die  Fülle  der 
Mittel,  die  die  italienische  Sprache  verwendet,  um  aus  ererbten  oder  ent- 
lehnten Wörtern  neue  zu  gewinnen,  in  die  Ungleichartigkeit  der  Bestände, 
aus  denen  der  Wortschatz  des  litterarischen  Italienischen,  wie  der  jeder 
Kultursprache,  .sich  zusammensetzt,  so  mul'ste  er  freilich  ganz  anders  ver- 
faliren:  er  mufste  Erb-,  Lehn-  und  Fremdwörter  nach  bestem  Vermögen 
scheiden,  eine  Übersicht  der  Änderungen  geben,  denen  die  Wörter  der 
Quellensprachen  unterliegen,  je  nachdem  sie  in  die  eine  oder  die  andere 
jener  drei  Scharen  eintreten,  die  Präfixa  und  Suffixa  des  Italienischen 
vorführen  und  etymologisch  erläutern ;  in  jedem  einzelnen  Falle  aber,  wo 
die  Erinnerung  an  diese  einleitungsweise  vorgetragenen  Dinge  nicht  aus- 
reichte, um  die  Identität  eines  italienischen  Wortes  mit  einem  älteren 
fremden  glaublich  oder  die  Art  seiner  Bildung  aus  vorhandenem  Stofte 
begreiflich  zu  machen,  mufste  er  das  zur  Aufklärung  Nötige  aussprechen 
oder  sich  zum  !\Iangel  völligen  Verständnisses  bekennen.  Den  dafür 
nötigen  Raum  hätte  er  reichlich  zur  Verfügung  gehabt,  wenu  alles  bei- 
seite geblieben  wäre,  was  jetzt  über  den  Ursprung  und  die  Verwandtschaft 
lateinischer    imd  griechischer  Wörter  in   diesem   etvmologischen  Wörter- 


220  ficuitcilmiL'cii   iiiid  kurze  Ariz<i«roii. 

buche  des  Italienischen  steht,  ganz  und  gar  nicht  an  der  richtigen  Stelle, 
erschwerend  den  Einblick  in  den  Sachverhalt,  der  dargelegt  werden  soll. 
Nicht  nur  ist  es  bei  dem  Verfahren  Zambaldis  ganz  unmöglich,  das,  was 
man  etwa  wissen  möchte,  anders  als  mit  Hilfe  des  Index  aufzufinden, 
sondern  es  führt  zu  ganz  irrigen  Vorstellungen,  wenn  der  Verfasser  in 
je  einem  und  demselben  Artikel,  somit  als  zusammengehörig  und  ver- 
wandt, folgende  Wörter  vorführt:  'parallclppijmto  und  pölipo  unter  pikde: 
epimlio  unter  (u-Hdia;  'qypopöiamo  und  ossnjeiid  unter  m-ti^s;  eth-ro  und 
stivale  unter  cedes;  ärin,  vento  und  rag/ idre  unter  (irre;  drrluo  unter  li/hero: 
prendere  und  Zubehör  imter  edera ;  (hht/ero  unter  inverno;  comimmre 
und  pretare  und  purete  und  efä  unter  Ire;  emiKhixo  und  minchwne  unter 
mento;  es  ist  nicht  allein  unpraktisch,  es  ist  falsch,  an  die  Spitze  von 
Artikeln  griech.  ecliein,  eryoti,  oder  einen  griech.  Stamm  ager  zu  setzen, 
die  sämtlich  mit  italienischen  Wörtern  in  keinerlei  unmittelbarer  Be- 
zielumg  stehen;  es  ist  falsch,  ab,  prfpter,  sub  Artikel  zu  widmen,  die  vom 
Italienischen  als  Präfixa  gar  nicht  verwendet  werden.  Was  das  Wörter- 
buch übrigens  an  Etymologien  lateinischer  oder  griechischer  Wörter  giebt, 
ist  im  ganzen,  was  man  im  kleinen  Vanicek  oder  ähnlichen  Kompendien 
findet;  natürlich  ist  nach  dieser  Seite  hin  von  Ergebnissen  eigener  For- 
schung oder  von  Eintreten  auf  Zweifelhaftes  noch  weniger  die  Rede  als 
da,  wo  es  sich  um  die  eigentliche  Aufgabe  des  Verfassers  handelt,  und 
fern  sei  es  von  uns,  darüber  zu  klagen;  im  Gegenteil,  es  wären  auch 
solche  Hinweise  auf  Wurzeln,  wie  man  sie  unter  abomindre,  acervo.  d<ino, 
acüstica  findet,  besser  weggeblieben.  Warum  ist  nicht  statt  von  latei- 
nischen Präfixen  lieber  von  italienischen  Suffixen  gehandelt  worden,  von 
uecio,  ifcio,  or,\o.  atto,  eggiare,  abilc  und  eeolc  und  dergleichen ? 

Erscheint  hiernach  das  Buch  nicht  gut  angelegt  und  durch  diesen 
Fehler  und,  was  mit  ihm  zusammenhängt,  die  gute  Wirkung,  die  eine  der- 
artige Arbeit  sonst  wohl  hätte  thun  können,  beeinträchtigt,  so  soll  ihm 
damit  das  L<jb  einer  gewissen  Brauchbarkeit  doch  nicht  vorenthalten  sein. 
Noch  sei  bemerkt,  dafs  die  zur  Sprache  gebrachten  italienischen  Wörter 
mit  Accentuation  und  dabei  Unterscheidung  der  Qualität  der  beiden  c 
und  0  versehen  sind ;  es  wäre  nützlich  gewesen,  auch  die  beiden  x  und  s 
durch  diakritische  Zeichen  vor  Vermengung  zu  schützen;  S.  15  wäre  wohl 
urexxo  nicht  auf  'aurltiuni  zurückgeführt,  noch  auch  für  brc\\a  ein 
*frictia  (!)  als  Grundlage  denkbar  gefunden  worden,  wenn  man  sich  der 
Qualität  des  x.^  erinnert  hätte. 

Berlin.  Adolf  Tobler. 

Italienische  Bibliothek.  Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  J.  Ulrich. 
Band  I.  Ältere  Novellen.  Herausgegeben,  mit  Einleitung 
und  Anmerkungen  versehen.  Leipzig,  Rengersche  Buch- 
handlung, 1889.     XX,  158  S.  8.     M.  2,80. 

Das  Werk,  von  dem  unter  vorstehendem  Titel  ein  erstes  Bändchen 
in  hübscher  Ausstattung  vorliegt,  soll  eine  grofse  Chrestomathie  werden, 


Beurteilungeil  und  kurze  Anzeigen.  221 

darin,  wer  von  der  Geschichte  der  italienischen  Litteratur  eine  nicht  blofs 
oberflächliche  Kenntnis  gewinnen  will,  reichliche  Proben  des  Bedeutendsten 
finden  möge,  was  in  jeder  Gattung  zu  verschiedenen  Zeiten  innerhalb 
dieser  Litteratur  vorhanden  gewesen  ist.  Jedes  Bändchen  soll  die  Pflege, 
die  je  eine  Gattung  in  einer  bestimmten  Zeit  gefunden  hat,  zur  Anschauung 
bringen.  Über  Umfang  und  Gliederung  des  Ganzen  ist  vorderhand  noch 
nicht  viel  zu  sagen ;  doch  sei  bemerkt,  dafs  von  den  zehn  auf  dem  Um- 
schlag zunächst  in  Aussicht  gestellten  Bäudchen  nur  eines  Erzeugnissen 
gewidmet  sein  soll,  die  nicht  dem  1:'..  oder  dem  14.  Jahrhundert  ange- 
hören, dal's  das  zweit«  Novellisten  des  1-1.  Jahrhunderts  kenneu  lehren 
wird,  welchem  letzteren  ohne  allen  Zweifel  auch  viele  der  ins  erste  Bänd- 
chen aufgenommenen  augehören,  das  zehnte  der  'Prosa  des  18.  und  des 
14.  Jahrhunderts'  eingeräumt  werden  soll,  also  sich  hinsichtlich  seines 
Stoftes  auch  nicht  eben  deutlich  vom  ersten  und  vom  zweiten  sondert. 
Was  dieses  erste  selbst  betrifft,  so  ist  sein  Inhalt  etwas  ungleichartig  und 
nicht  immer  so  ausgewählt,  dafs  der  Leser  eine  zutreffende  Vorstellung 
von  der  gesamten  Haltung  eines  ^Verkes  bekäme.  Es  ist  nicht  zu  mil's- 
billigen,  wenn  der  Herausgeber  auf  Verwendbarkeit  seines  Buches  auch 
zu  sagen  geschichtlichen  Studien  Gewicht  gelegt  hat;  «aber  er  durfte  z.  B. 
nicht  die  aus  dem  römischeu  Altertum  oder  aus  der  Bibel  stammenden 
Erzählungen  des  Novellino  ganz  ausschliefsen,  wenn  seine  Proben  eine 
ausreichende  Anschauung  von  dem  Wesen  des  wichtigen  Buches  geben 
sollten;  und  besser,  scheint  mir,  hätte  er  von  den  Geschichten  ganz  ab- 
gesehen, die  mau  nur  gelegentlich  didaktischen  Werken  einverleibt  findet, 
es  Aväre  denn,  dafs  jedesmal  auch  gleich  ein  tüchtiges  Stück  umgebenden 
Textes  mitgenonuuen  worden  wäre.  Hinwieder  ist  nicht  recht  ersichtlich, 
welchen  Gewinn  es  bringen  soll,  wenn  die  Erzählungen  aus  den  'Sieben 
Weisen'  vier  verschiedenen  Versionen  entnommen  sind,  aber  lauter  un- 
gleiche Erzählungen,  so  dal's  ein  Vergleich  der  Fassungen  doch  nicht  mög- 
lich wird. 

Der  Abdruck  der  Texte  ist  im  ganzen  sorgfältig  nach  den  angegebe- 
nen Büchern  ausgeführt  (Ungedrucktes  ist  nicht  aufgenommen) ;  doch 
bleiben,  abgesehen  von  den  durch  Ulrich  selbst  in  seinen  Anmerkungen 
berichtigten  Fehlern,  immer  noch  einige;  so  habe  ich  auf  den  ersten  Seiten 
bemerkt  1,  1  Ihesn  für  Ihesn,  1,  19  partie  f.  parti,  o,  22  limperadore  f. 
hnpermlotr,  4,  4  pes-catore  f.  pe-scatore,  4,  12  die  f.  di,  4,  29  tie  f.  //, 
-j,  Titel  hdlisium  f.  bellissima,  h,  17  Beltrnme  f.  Beltrm/io.  i>,  7  die  f.  di, 
7,  9  ces-eoro  f.  ee-scovo,  8,  15  ^xt/-//  f.  pnrf),  \^^,  18  wir  f.  n(/'f  (Fehler 
D'Anconas),  \",  ^^  opparceckiarno  f.  -arono.  II,  IS  arerehhe  f.  nrerrebbe, 
14,  3o  si  f.  */,  14,  41  sinis-calco  f.  siiti-scalco,  15,  2^  abandond  f.  abban- 
dono,  16,  4  groM  wiederholt. 

Die  Einleitung  giebt  in  Kürze  einige  Auskunft  über  die  in  der  Samm- 
lung vertretenen  Werke,  die  besten  Ausgaben  und  die  Stellen,  wo  ge- 
nauere Nachrichten  zu  finden  seien.  Vielleicht  cmpfieldt  es  sieh,  in  spä- 
teren Bäudchen  noch  gröl'sere  Kürze  des  Ausdrucks  anzustreben  und  sich 
mit   blofsen   Titelangaben    zu    begnügen,   bei    denen   dann    Vollständigkeit 


022  Beurteil II iifjon  uixl  kurze  Anzeigen. 

erreichbar     würde     (etwa    wie    in    Försters     und    Koschwitzens    T;l)nn<p<- 
bnche). 

Die  Anmerkungen  l)efriedigen  mich  nicht  recht;  sie  sind  viel  zu  sehr 
allgemein  sprachgeschichtlicher  Belehrung  gewidmet,  die  sich  b(^i  hundert 
anderen  Anlässen  gleich  gut  würde  anbringen  lassen  und  folgerichtig  in 
den  sämtlichen  angekündigten  neun  Bändcheu  immer  wiederkehren  müfste, 
und  lassen  dafür  vieles  ungesagt,  was  der  Leser  zu  vollem  Verständnis 
der  einzelnen  Stellen  erfahren  mufs  und  kann,  und  nicht  so  leicht  in 
landläufigen  Handbüchern  findet;  und  sie  schweigen  oft  auch  da,  wo  man 
ihm  wenigstens  sagen  mülste,  es  liege  eine  Schwierigkeit  vor,  bezüglich 
deren  der  Avünschbare  Aufschlufs  zunächst  nicht  zu  geben  sei.  So  ver- 
mifst  man  Bemerkungen  zu  1,  3,  wo  es  heilst,  Jesus  habe  gesagt  flella 
baldanza  del  ctmre  parla  la  limjiia ;  zu  2,  23,  wo  ohne  Zweifel  der  Text 
verderbt,  a  ehi  statt  et  chi  zu  schreiben  und  eine  starke  Interpunktion 
nach  hrmiade  statt  nach  veniavo  zu  setzen  ist  (wie  in  Carbones  Ausgabe 
steht) ;  zu  2,  28,  wo  die  Lesart  keinen  befriedigen  kann ;  zu  3,  3,  wo  die 
Vergleichung  der  Hagelköruer  mit  'Stahlhüten'  doch  höchst  wunderlich 
ist  und  die  Meinungen  der  Gelehrten  anzuführen  waren ;  zu  3,  7,  wo  über 
die  bekannte  geschichtliche  Person  das  Nötige  zu  sagen  war;  zu  3,  U», 
wo  Mifsverständnis  nahe  liegt;  zu  A,  12,  wo  man  über  die  Person  des 
Helden,  und  zu  A,  14,  wo  man  über  das  'Rühmen'  als  eine  Art  Gesell- 
schaftsspiel etwas  zu  hören  wünschen  darf;  und,  da  die  ersten  Seiten  so 
viel  Lücken  des  Kommentars  zu  bemerken  ^Vnlafs  geben,  so  wird  wohl 
auch  im  Folgenden  die  Erklärung  manches  schuldig  bleiben.  Was  an- 
dererseits au  Bemerkungen  geboten  wird,  ist  nicht  allein  oft  nicht  an  der 
rechten  Stelle,  da  es  mehr  in  eine  zusammenhäugende  italienische  Gram- 
matik gehört,  sondern  häufig  auch  von  sehr  zweifelhafter  Richtigkeit  oder 
andere  Male  so  unzulänglich  ausgesprochen,  dafs  es  selbst  wieder  einer 
Erklärung  bedarf:  'der  Erklärer  meint  . . .,'  'der  Ausleger  will  nicht 
sagen,  was  er  wirklich  sagt,  sondern  seine  Meinung  ist  .  .  .'.  Für  unrichtig 
mufs  ich  die  Bemerkung  zu  1,  22  halten,  das  n  von  fosseno  sei  'aus  an- 
deren Tempora  analogistisch  herübergenommen',  oder  die  Bemerkung  zu 
2,  7,  der  Text  Pauciatichi  erweitere  hier  den  Text  Gualteruzzi,  da  das, 
was  jeuer  mehr  hat,  ein  lange  überlieferter  und  sicher  ursprünglicher  Zug 
der  Erzählung  ist;  für  unannehmbar  die  zu  2,  12  vorgetragene  Herleituug 
von  ofto,  die  zu  2,  20  gegebene  Aufklärung  über  eoperto  und  coverto;  die 
Zurückführung  von  sahämio  (2,  28)  auf  salnfarnfo:  die  Auffassung,  als 
sei  aecifire  (A,  4)  von  cibus  abgeleitet  (s.  Diez,  Wb.  unter  cJ/ef);  die  Deu- 
tung der  Form  maftero  (4,  27);  das  'bekannte  Lautgesetz',  nach  welchem 
sich  ar  in  er  verwandelt  (gemeint  ist  vermutlich,  vor  Vokal  und  vortonig), 
und  das  in  Dteran'ijUa  aus  marac'KjlUi  wirksam  sein  soll,  in  sarö,  barone 
man'to  u.  dgl.  sich  jedenfalls  nicht  als  bestehend  erweist;  für  unannehm- 
bar ein  paar  Seiten  später  die  Erklärung  des  Staiumvokals  von  (jettnre 
(I3e)  imd  vollends  dessen  von  piegare  (denn  dafs  das  e  von  pieijo  offen 
ist,  steht  der  Herkunft  von  ^^/«fo  so  wenig  entgegen,  wie  die  gleiche 
Qualität  des  e  von  pleno  hindert,   dieses  gleich  plenum  zu   setzen);    die 


BeHrteiluugen  und  kurze  Anzeigen.  22?> 

Übersetziiug  der  Worte  per  la  tinrere  mularr  (15,  1),  wo  die  so  häufige 
Verwendung  von  dorere  mit  dem  Infinitiv  zur  Bezeichnung  eines  in  die 
Zukunft  fallenden  Thuns  verkannt  ist ;  die  Deutung  des  (keineswegs  mehr 
üblichen)  haire  und  shaire  und  die  Verknüpfung  derselben  mit  sbigotfirc 
(It),  oö).  —  Fast  noch  mehr  ist  aber  der  Mangel  an  Genauigkeit  des 
Ausdrucks  zii  bedauern,  der  das  Richtige,  was  gesagt  werden  soll,  zum 
Falschen  macht  oder  zur  ünverständlichkeit  entstellt.  So  heilst  es  zu 
1,4  'et  z=  e,  ist  blofs  orthographisch  und  durch  das  häufige  Abkürzungs- 
zeichen lierbeigeführt' ;  zu  1,  8  'wenn  zwei  Wörter  zusammengehören,  so 
wird  der  anlautende  Konsonant  des  zAveiten  häufig  verdoppelt';  zu  1,  10 
(aus  Anlafs  von  piue  für  piii)  'nach  Vokalen  wird  oft  ohne  etymologischen 
Grund  ein  e  angefügt';  zu  2,  20  (avioio)  'der  Wandel  des  a  in  e  ist  in 
dem  vorausgehenden  i  zu  suchen';  zu  17,  10  'aspettare  a  ...  ist  vielleicht 
durch  den  (französischen)  Text  beeinflufst  worden'.  Dergleichen  Nach- 
lässigkeiten stehen  einem  zu  Unterrichtszwecken  bestimmten  Buche  be- 
sonders übel  an. 

Ulrichs  Italienische  Bibliothek  kann  ein  Hilfsbuch  werden,  dessen 
sich  Studierende  und  Lehrer  gern  bedienen.  Dazu  ist  aber  erforderlich, 
dafs  nicht  allein  das  Aufzunehmende  mit  Bedacht  ausgewählt,  sondern 
auch  der  Abdruck  mit  gröfster  Sorgfalt  vollzogen  werde,  und  dafs  der 
Herausgeber,  wenn  er  überhaupt  auch  Erklärer  sein  will,  was  ich  nur 
loben  kann,  auf  die  Ausführung  eines  iuhaltreicheu  Kommentars  so  viel 
Mühe  verwende,  wie  erforderlich  ist,  wenn  derselbe  für  die  Lernenden  ein 
Muster  gründlichen  Eindringens  und  wahrhaft  wissenschaftlichen  Aus- 
legens  werden  soll. 

BerUn.  Adolf  Tobler. 

Eighth  Anuual  Report  of  the  Dante  Society.  May  13,  1889. 
Cambridge,  John  Wilson  and  Sou,  University  Press,  1889. 
98  S.  8. 

Zum  achten  Male  —  wer  einmal  der  früh  entschlafenen  Deutschen 
Dante-Gesellschaft  angehört  hat,  wird  es  nicht  ohne  Neid  vernehmen  — 
ist  der  Vorstand  des  amerikanischen  Dante- Vereins  in  der  Lage,  einen 
Jahresbericht  zu  erstatten.  Er  blickt  mit  berechtigter  Genugthuung  auf 
die  durch  ihn,  allerdings  mit  Unterstützung  eines  opferwilligen  G<»nTiers, 
bewirkte  Veröffentlichung  der  sehr  verdienstlichen  Coneordance  of  ihr  Di- 
rina  Comniedla  von  Fay  und  auf  die  bevorstehende  Vollendung  des  von 
Lane  ausgeführten  Verzeichnis-ses  der  in  der  Bibliothek  des  Harvard  Col- 
lege in  Cambridge  Mass.,  in  den  Bostoner  öffentlichen  Sammlungen  sowie 
im  Besitze  von  Professor  Norton  in  Cambridge  und  im  Nachlasse  von 
G.  Ticknor  befindlichen  Dante-Litteratur.  l>er  erstgenannten  Bibliothek 
wendet  die  Gesellschaft  einen  Teil  ihrer  freilich  nicht  bedeutenden  Ein- 
künfte zum  Zwecke  der  Vervollständigung  der  Danto-Sammlung  zu  und 
sucht  ihr  in  gleicher  Richtung  auch  durch  bezügliche  Bitten  an  die  Ver- 
fasser und  Besitzer  fehlender  Scliriften    zu  nützen;   mit  welchem  Erfolge, 


224  Benitf!ilmii>on  iiixl  kiuv.c  Anzeigen. 

zeigt  eine  T.istc  der  vom  1.  Mai  1888  bis  1.  Mai  1880  der  Daiite-Biblio- 
thek  neu  einverleibten  Schriften.  Die  Gesellschaft  ist  durch  einen  Gönner 
in  stand  gesetzt,  auf  längere  Zeit  jälirlich  einen  Preis  von  loo  Dollars  an 
einen  Studierenden  oder  frisch  Graduierten  der  Harvard-Universität  für 
die  beste  auf  Dantes  Leben  oder  Werke  bezügliche  Arbeit  zu  erteilen. 
Sie  hat  ihn  durch  einen  besonderen  Ausschufs  für  das  verflossene  Jahr 
einem  Herrn  G.  R.  Carpenter  für  die  Abhandlung  The  episode  of  tlie  Donna 
piefosa,  heim/  an  attempf  fn  rcroiifik  the  staienwnfs  in  fhe  Vitn  nuova  and 
fhe  CmrrUo  nmenn'nui  Doiife'ff  11  fr  in  fhr  yejir»  äff  er  the  ficath.  of  Beatriee 
nnd  hcfore  the  hrfilnninr/  of  fhr  Dimna  Conunedia  zuerkannt,  welche  Ab- 
handlung dem  Jahresbericht  im  Drucke  beigefügt  ist.  Eine  Dante-Biblio- 
graphie für  1888  l)ildet  den  Schlul's  des  Heftes.  Wir  wünschen  der  Ge- 
sellschaft ein  weiteres  kräftiges  Gedeihen.  —  Die  Arbeit  Carpenters  tritt 
mit  erwägenswerten  Gründen  für  die  Auffassung  ein,  nach  welcher  die 
donna  pietosa  der  Vita  nuova  wirklich  die  weltliche  Philosophie  ist,  als 
welche  sie  im  Convivio  gedeutet  wird,  und  nicht  Gemraa  Donati  oder 
sonst  ein  irdisches  Weib.  Die  Vita  nuova  glaubt  er  der  Hauptsache  nach 
ins  Jahr  12!il,  den  Schlufs  aber  in  die  Zeit  1204 — 1206  setzen  zu  sollen, 
wie  er  denn  auch  jene  vorübergehende  heftige  Neigung  zu  aufserreligiöser 
Philosophie  in  die  Jahre  von  September  1291  bis  1295  fallen  läfst;  der 
Convivio  ist  ihm  1P.06— 1.^.08  entstanden.  A.  T. 

La  storia  di  Apollonio  di  Tiro,  versioue  tosco-veneziaua  della 
metä  del  sec.  XIV  edita  da  Carlo  Salvioni  (Nozze  Solerti- 
Saggini  XXIV  Aprile  MDCCCLXXXIX).  Bellinzona,  Tipo- 
grafia  Salvioni.     IX,  50  S.  4.     100  Exemplare. 

Zu  den  seit  einiger  Zeit  in  erfreulich  wachsender  Zahl  bekannt  ge- 
wordenen Denkmälern  der  Mundarten  des  nordöstlichen  Italiens  gesellt 
sich  durch  Salvionis  Bemühung  hier  ein  Jieues,  das  aus  mehr  als  einem 
Grunde  bedeutsam  erscheint.  Der  in  einer  Turiner  Handschrift  (N.  V  G ; 
Pasini :  CCI.  1.  I  97)  erhaltene  Text  ist  nach  des  Herausgebers  Urteil  um 
die  Mitte  des  11.  Jahrh.  niedergeschrieben,  und  zwar  in  einer  Spi'achform, 
die,  obschon  nicht  völlig  rein,  sondern  von  toscanischeni  Einflüsse  bereits 
berührt,  im  ganzen  venezianischen  Charakter  aufweist;  eine  zweite,  nicht 
viel  jüngere  Hand  hat  ihn  zu  verbessern  getrachtet,  indem  sie  in  nicht 
geringer  Zahl  weitere  toscanische  und  andere  nicht  venezianische,  jedoch 
gleichfalls  nördliche  Formen  einführte;  sie  ist  dabei  aber  zum  Glücke  so 
verfahren,  dafs  sich  der  Umfang  ihrer  Eiugrifle  ziemlich  deutlich  erkennen 
und  der  angerichtete  Schaden  mit  Sicherheit  gutmachen  läl'st.  Der 
Herausgeber  giebt  in  seiner  kurzen  Einleitung  Kenntnis  von  den  Ände- 
rungen, welche  jene  zweite  Hand  auskratzend,  überschreibend,  Buchstaben 
umformend  stetig  vollzogen,  und  die  er  in  seiner  Ausgabe  rückgängig 
gemacht  hat;  auch  führt  er  in  Anmerkungen  am  Schlüsse  die  weiteren 
einzelnen  Formen  an,  die  er  genötigt  gewesen  ist,  mit  den  echten  zu  ver- 
tauschen.    So   bleibt   denn    kaum    ein   Zweifel    au   der   Glaubwürdigkeit 


Beiirteiluii<;oii  iiiid  kurze  Auzeigen.  :  225 

dessen,    was   uns  jetzt  gedruckt  vorliegt.     Anhangsweise    giebt    Salvioni 
eine  kurze,  aber  alles  Wichtige  berührende  Übersicht  der  lautliehen,  flexi- 
vischen  und  syntaktischen  Erscheinungen,  die  in  dem  Denkmal  besondere 
Beachtung  verdienen,  und  ein  vortreffliches  Glossar,   das  nicht  allein   die 
bemerkenswerten  Wörter  aufführt  und  erklärt,  sondern   auch    auf  andere 
Denkmäler    reichlich   hinweist,    wo    sie    sich    gleichfalls    finden,    und    auf 
Stellen,   wo  von   ihnen   bereits  gehandelt  ist.     Vermifst   habe  ich   darin 
kaum  etwas  als  in  pe  im  Sinne  von  'an  Stelle,  anstatt',  das  sich  35,  l<i 
m,  10;  •?,!,  .SB   findet  und  von  Mussafia,  Beitrag  zur  Kunde  der  nordital. 
Mundarten  S.  7«  i  behandelt  ist ;  und  auch  von  anfechtbaren  Aufstellungen 
weifs  ich  nur  wenig  namhaft  zu  machen :  folare  scheint  mir  mit  infuriare 
nicht  zutreffend  übersetzt  zu  sein,  sondern  blofs  'wehen'  zu  bedeuten,  wie 
denn  auch  tose,  folafa  dl  renfn  keineswegs  ein  Orkan,  sondern  ein  Wind- 
stofs,  Windeshauch  ist;   so   spricht   mich  denn   auch   die  Herleitung  von 
follc  wenig  an,  und  ich  möchte  eher  an  *fkibulore  denken,  das  sein  erstes  / 
durch  Dissimilation   verloren   hätte  (fafmfa  ist  venez.  tolaj   und  vielleicht 
auch  in  dem  dunkelen  frz.  froler  steckt,    charefjla  wird  sein  /  nicht  einem 
Deminutivsuffix   verdanken,   sondern   einer   Dissimilation,    die    nicht    gut 
ausbleiben    konnte,    wenn    eine  Kontamination    der  Formen    ratei/ra    und 
cafrega  ins  Werk  gesetzt  wurde.     Sehr  ansprechend  scheint  mir  die  Deu- 
tung von  nomeva  'er  hiefs'  aus  itmnc  (nera ;   auf  den  Umstand,  dafs  von 
da  aus  ein  Präsens    }mrno,  nom'ni,  nomc   gebildet  wurde,  das  sich  zu   no- 
meva verhielt  Avie  vewh,  rrndis.  rpude  zu  cendero,  wird  sich  gern  berufen, 
wer  noch  an  meiner  Deutung  von  estwt  festhält.    Die  Übersetzung  schliefst 
sich  an  einen  lateinischen  Text  ziemlich  eng  an ;  doch  ist  dieser  nicht  ohne 
weiteres  mit  dem  von  Riese  hergestellten  eins ;  auch  ist  dem  Übersetzer  hier 
und  da  begegnet,  nicht  zu  verstehen,   wie  z.  B.  da,   wo   er    aus  dem   lenu 
Ninus  einen  roffian  In  quäle  notucm  Lcnmonln  macht,  oder  wo  aponati<t< 
juvenis  wiederum  so  verstanden  ist,  als   wäre  das   erste  Wort  ein  Eigen- 
name.    Bei   der  Forschung    nach    der  lateinischen  Vorlage,  worauf  hier 
nicht  eingegangen  werden  soll,  da  Salvioni  selbst  bezügliche  Darlegungen 
hoffen  läfst,  wird  der  Umstand  sich  vermutlich  bedeutsam  erweisen,   dals 
an  Stelle  der  acht  Rätsel  bei  Riese  bei  dem  Venezianer  nur  sieben   auf- 
treten, von  jenen  sphc^m,  specnlvm,  scala:  fehlen   und   durch  mnua  und 
ancora  ersetzt  sind. 

Berlin.  Adolf  Tobler. 

Die  Frau  als  Schlange.  Eiu  tragikomisches  Märchen  in  drei 
Aufzügen  von  Carlo  Gozzi.  Aus  dem  Italienischen  über- 
setzt von    Volkmar  Müller.     Dresden,   v.  Zahn  <.t  Jaensch, 

1889.     79  S.  8. 

Der  Übersetzer,  welcher,  wie  auf  dem  Umschlag  zu  lesen  steht,  be- 
reits vier  andere  Stücke  C.  Gozzis  in  deutscher  Übertragung  hat  erscheinen 
lassen,  wird  mit  seiner  Wiedergabe  der  Donna  .^crpentr  wenigstens  den 
Verehrern  der  Muse  Richard  Wagners  willkommen   sein,  der   aus   dieser 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  l.j 


226  IV'urtoiliiniicMi  mid  kiirzf  An/.('itr<Mi. 

•I'iiiIki  Iritlnilr  h-iiiiiiiiiiiii;i'  {\c\\  StofI'  /.ii  sciiirr  ()|hm-  'I)ic  l'Von'  jicwoniicii 
hat.  Im  ühripon  luit  (iozzis  \V(>rk  nicht  viol  Anziolioudt's;  os  koinnil  (1er 
ScliJiuliist  «Mticr  woniii:  ücltildotoM  McMipr  dienst ft-rtiu  cnttri'^i:*'!!,  hiotof  ahcr 
doiii  fast  nichts,  der  inncrhalh  einer  dem  Natur<iesetz  entrückten  Weh 
woiiigstons  Teihiahnie  erweckende  nnd  in  ihrem  Haiuh'ln  verständliche 
Menschen  möchte  sich  bewegen  sehen;  dabei  ist  es,  wie  die  rasch  hinge- 
worfenen Stücke  (lozzis  beinah  alle,  nichts  weniger  als  fein  nnd  rein  im 
Ausdruck,  gleichmälsig  farblos,  wo  ICrhabenheit.  wie  da.  wo  schlichte 
Natürlichkeit  hingehört.  Her  Hbersetzcr,  welcher  sich  an  das  lloch- 
deutsche  auch  da  hält,  wo  der  Oicliter  dem  Italienischen  die  Venezianer 
MuTnlart  gegenüberstellt,  nnd  der  ausgeführt  auch  die  Auftritte  gicbt, 
für  welche  den  angenu^ssenen  Wortlaut  aus  dem  Stegreif  zu  finden  jener 
deu  Schauspielern  überläfst.  erhebt  sich,  wo  er  mit  Versen  zu  thun  hat, 
über  den  Strich,  der  für  (lozzis  Vornelunheit  die  obere  rjrenze  bildet; 
sein  Vers  ist  wohlklingender,  seine  Sprache  reiner  (wie  viel  hat  auch 
Turandot  durch  Schiller  gewonnen  I  dafür  ist  sie  auch  ins  Italienische 
zurückübersetzt  worden).  Hagegen  ist  die  ungesuchte  Natürlichkeit,  der 
leichte  Flufs  nicht  erreicht,  den  die  Prosareden  des  Tantalone,  Trutlal- 
dino,  Brighella  verlangen,  und  durch  Absdiwächung  des  Derbkomischen 
der  gewollte  und  wirksame  (Gegensatz  gemindert,  der  zwischen  dem  Pathos 
der  einen  und  der  ])latten  .Mltäglichkeit  der  uudereu  bestand.  jMil'sver- 
standen  ist  die  Vorlage  ein  {)aar  Mal,  so  S.  '10  d'inia  saetfo  che  hi  possa 
sroar  rio,  S.  "21  Crrjni  per  /'(i>/inn\  S.  U'  Sf  noji  >i/i  t((i/h'(ii>n  Ic  fiaiiihi' : 
doch  ohne  schwere  Folgen. 

Berlin.  A.lolf  Tob  1er. 


l'roijranimschciu. 

Zur  Di6position:j.l<.'liro.  1\.  \ov\  Oberlehrer  Dr.  E.  8ehuippel. 
Pi'ogramni  des  Realgvnuia.siuni.s  zu  O.sterode  O.-P.  1888. 
S.  21)— 51. 

Die  Abhandlung  ist  eiuc  Fortsetzung  des  Prograuuns  von  ISSii,  und, 
wie  das  letztere,  darf  auch  diese  auf  allgemeine  Anerkennung  i-echnen. 
Wie  vom  I^eichtcreu  zum  Schwereren  fortzuschreiten,  wie  der  StotV  zu 
finden  und  zu  ordnen  ist,  hat  der  N'erfasser  auch  hier,  wo  es  sich  un> 
die  Klas.sc  01)ersekunila  lunub'lt,  gut  gezeigt;  eine  ausgedehnte  Bekannt- 
schaft mit  wohl  allen  Werken  und  .Aufsätzen,  welche  denselben  Uegen- 
stuud  behandeln,  schützt  ihn  vor  Wiederholungen  und  Einseitigkeiten. 
Was  er  zunächst  von  den  vei"sclnedenen  Formen  des  ifcniis  IihtoiiciDii 
sagt,  ül)er  Inhaltsangaben,  /usamnienstelluugen  aus  der  Ijektüi"e,  über 
Vergleiche  und,  worauf  da  das  Augenmerk  zu  lichten  ist,  die  gegebenen 
Muster,  ist  alles  verständig.  Historische  .Aufgaben  müssen  nur  richtig 
gewählt  werden,  um  vor  einem  albernen  .absprechen  zu  hüten;  richtig 
gewählt  erregen  sie  vor  allem  die  I.ust  uiul  Liebe  des  Schülers,  und  das 
geschichtlirlie  Kmptinden,    welches    vor   zwanzig  . Fahren   so    lebendig   war. 


Beurteil  11  n geil  und  kürzt'  Auzeigeu.  227 

zu  stärken,  ist  auch  jetzt  nicht  überflüssig  und  eine  würdige  Aufgabe  des 
deutschen  Aufsatzes.  Auch  geographische  Themata,  immer  mit  Rück- 
sicht auf  (Tcschichte,  z.  B.  der  Bosporus,  der  Rheiu,  Rheiu  und  Donau, 
finden  in  ausgedehnterem  Mafse,  als  der  Verfasser  annimmt,  in  Ober- 
sekunda Anwendung.  Über  Einleitung  und  Schlufs  giebt  der  Verfasser 
beachtenswerte  Regeln.  Die  noch  nicht  verschwundenen  Gegner  der  so- 
genannten allgemeinen  Themen  werden  sich  durch  des  ^''eI■fassers  ruhige 
Bemerkungen  versöhnen  lassen.  Die  Form  des  Dialogs  möchte  über- 
haupt für  den  vSchüler  zu  schwierig  sein ;  etwas  anderes  ist  es  mit  der 
Briefform . 

Über  Zweck  und  Ziel  des  deutscheu  Aufsatzes.  Von  Prof.  Dr. 
Konrad  Koch.  Programm  des  Gymnasiums  Martino-Catha- 
rineum  zu  Braunschweig  1889.     24  S.  4. 

Die  Abhandlung  enthält  beachtenswerte,  durch  eine  langjährige  Er- 
fahrung bewährte  Winke  in  Beziehung  auf  die  Wahl  und  Behandlung 
der  Aufgaben.  Das  durch  den  gesamten,  nicht  blofs  durch  den  deutschen 
Unterricht  augeregte  Interesse  in  entsprechenden  Arbeiten  möglichst  zu 
verwerten,  zu  fördern  und  zu  steigern,  wird  auch  als  Zweck  des  deutschen 
Aufsatzes  bezeichnet;  danach  bestimmt  sich  die  Wahl  der  Aufgaben, 
sowie  das  Ausgehen  von  der  Anschauung;  gegen  die  Fassung  mancher 
Aufgaben,  wie  sie  z.  B.  bei  Cholevius,  auch  bei  F.  Schultz  vorkommt, 
mufs  sich  der  Verfasser  erklären.  Nach  der  Vorbesprechung  sollen  die 
Dispositionen  vorher  eingereicht,  dann  nochmals  die  Aufgabe  ausführlich 
erörtert  werden ;  mag  auch  dieser  bedeutende  Aufwand  von  Zeit  und 
^lühe  für  die  Vorbereitung  bedenklich  erscheinen.  sf>  rechtfertigt  ihn  doch 
der  Verfasser  mit  dem  grol'sen  Nutzen  desselben. 

Plan  für  den  deutschen  Unterricht.  Von  Dir.  Dr.  Faltin.  Pro- 
gTamm  des  Gymnasiums  zu  Xcu-Ruppin  1888.     1 8  S.  4. 

Auch  dieser  Plan  ist  aus  den  Lehrerkonferenzen  hervorgegangen, 
ausführlich,  beachtenswert.  Es  sei  daraus  hervorgehoben,  dal's  auch  für 
die  obersten  Klassen  für  die  freien  Arbeiten  verlangt  wird,  dafs,  wenn 
auch  fler  Lehrer  nur  die  richtigen  Gesichtspunkte  andeute,  er  docb,  ehe 
die  Ausarbeitung  erfolgt,  von  den  Ergebnissen  der  Meditation  Kenntnis 
nehmen  mufs.  Das  Nibelungenlied  soll  gelesen  werden  mit  Beschränkung 
auf  die  nach  Lachmanns  Bestimmung  echten  Lieder,  doch  nur  in  einer 
Übersetzung;  für  die  liier  vorgeschlagene  vcm  Henke  ist  noch  mehr  die 
von  Kamp  zu  empfehlen.  Bezüglich  der  Aufsätze  in  Prima  wird  noch- 
mals gewarnt  vor  Aufgaben,  welche  sowohl  ihrem  stoftlichen  Umfang 
nach  als  infolge  der  hohen  Anforderungen,  welche  sie  an  das  l'^rteil  der 
Schüler  stellen,  deren  geistige  Kraft  weit  überragen ;  namentlich  werden 
die  für  den  Lehrer  höchst  wertvollen  Hilfsbücher  von  Laas,  Wendt, 
F.  Schultz  als  reich  an  solchen  Aufgaben  bezeichnet. 

15' 


228  Ht'iirtf'iliiiijif'M  iiihI  kurze  A7izei^eti. 

Die  A^oriirlberger  Dialektdichtimg.  2.  Teil.  Von  E.  Winder.  Pro- 
gramm des  Gymnasiums  /u  Innsbi-iick  1888.    47  S.  gr.  8. 

Der  erste  Teil  hat  seinerzeit  hier  Anzeige  gefuuden.  Im  zweiten  Teil 
wird  zuerst  ein  ehrsamer  Handwerksmann  vorgeführt,  Gebhard  Weils  aus 
Bregeuz  (1800 — 1874),  der  sich  bis  an  sein  Knde  kümmerlich  durchschlug 
(hierzu  eine  Bemerkung  für  den  Verfjisser.  Er  meint,  der  'blaue'  Star, 
der  als  Leid  des  Dichters  l>ezeichnet  werde,  sei  offenbar  ein  Schreibver- 
sehen, da  weder  die  Wissenschaft  noch  der  Volksmund  diesen  Ausdruck 
kenne;  und  er  änderte  daher  in  'grauer'  Star;  das  ist  nicht  richtig,  viel- 
mehr kennt  der  Volksmuud  den  Ausdruck  'blauer'  Star,  unterschiedlich 
vom  'grauen'  Star;  die  Wissenschaft  nennt  jenen  Glaukom,  ylav-Acoua,  cf. 
Pape,  Lex.),  aber  immer  seinen  volkstümlichen  Humor  behielt;  an  poe- 
tischem Wert  stehen  seine  Gedichte  bedeutend  nach  denen  des  Dr.  med. 
Franz  Joseph  Vonbun  (1824—1870),  dessen  Leben  der  Verfasser  ausführ- 
lich beschreibt;  er  ist  durch  seine  an  Hebel  erinnernden  lyrischen  und 
seine  epischen  Gedichte  in  weiteren  Kreisen  weniger  bekannt  geworden, 
als  durch  seine  trefflichen  Sammlungen  der  Sagen  und  Märchen  seiner 
Heimat,  die  .Takob  Grimm  gewidmet  sind. 

Über  den  Eifeldialekt.  Von  Theodor  Busch.  Programm  des 
Progymnasiums  zw  Malmedy  1888.     23  S.  4. 

Eine  sehr  sorgfältige,  eingehende  Untersuchung  über  den  Dialekt 
einer  eng  begrenzten  Gegend,  nämlich  der  Gegend  östlich  von  Prüm  bis 
an  die  Grenze  der  vulkanischen  Eifel  oder  bei  dem  Dorfe  Büdesheim. 
Es  ist  ein  mittelfränkischer  Dialekt  an  der  Grenze  des  Niederdeutschen, 
dessen  Einflul's  jedoch  nicht  so  bedeutend  gewesen  ist,  wie  man  erwarten 
sollte.  Den  Dialektforschungen  hat  der  Verfasser  ein  sorgsames  Studium 
zugewendet;  auf  eine  anziehende  Weise  zeigt  er,  wie  öfters  die  heimische 
Mundart  auf  auffallende  dialektische  Erscheinung  örtlich  weit  entlegener 
Gegenden  ein  Licht  wirft,  wenn  auch  nicht  alle  seine  Erklärungen  auf 
Zustimmung  rechnen  dürfen. 

Beiträge  zu  einem  vogtländischen  Wörterbuche.  Von  Oberlehrer 
O.  Böhme.  Programm  der  Realschule  zu  Reichenbach  1888. 
22  S.  4. 

Die  Abhandlung  des  um  das  heimatliche  Vogtland  vielfach  hochver- 
dienten Verfassers,  sehr  gründlich,  ist  nicht  blols  für  die  vogtländische 
Mundart,  sondern  für  alle  oberdeutschen  Dialekte  von  grofsem  Wert. 
Aber  auch  für  die  Schriftsprache  bietet  sie  manche  belehrende  Ausbeute. 
Dahin  gehört  die  Auseinandersetzung  über  das  Wort  Enkel;  J.  Grimms 
Einwürfe  gegen  die  Ableitung  von  utui  (Ahn)  werden  schlagend  zurück- 
gewiesen ;  Enkel  bleibt  der  kleine,  wieder  auflebende  Grofsvater ;  mit  die- 
ser Erklärung  stimmen  auch  die  slavisch-litauischen  Formen.  Ein  anderes 
Beispiel  ist  das  Wort   nijyprn    in   der  Bedeutung  einschlafen,  ehwijypen, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen-  229 

wobei  wir  den  mehrfachen  Wandel  der  Konsonanten,  noch  mehr  der 
Vokale  in  den  zahlreichen  von  derselben  Wurzel  ausgehenden  Wörtern 
anschaulich  dargestellt  finden. 

Zu  Neidhart  von  Reuenthal;  das  Lebeu  und  Treiben  der  Bauern 
Südostdeutschlands  im  13.  und  14.  Jahrhundert.  Von  Mar- 
tin Manlik.    Programm  des  Gymnasiums  zu  Weifsenkirchen 

1888.     53  S.  gr.  8. 

Es  liegt  hier  nicht  eine  kritische,  aber  die  ausführlichste  und  die 
Quellen  und  Bearbeitungen  des  genannten  Gegenstandes,  die  Belegstellen 
mitteilende  sehr  fleifsige  Arbeit  vor.  Sie  nimmt  nicht  blofs  auf  Neid- 
hart, sondern  auch  auf  Meier  Helmbrecht,  Seifried  Helbling,  Hugo  von 
Trimberg,  Berthold  von  Regensburg  u.  s.  w.  Rücksicht  und  führt  in  an- 
schaulicher Weise  das  Bauernleben  vor. 

Ulrich  Boner  als  Didaktiker.  Von  Oberlehrer  Dr.  Spölgen.  Pro- 
gramm des  Realgymnasiums  zu  Aachen  1888.    24  S.  4. 

Mit  Benutzung  der  über  Boner  erschienenen  Schriften  handelt  der 
Verfasser  über  dessen  Quellen,  teilt  viele  der  beliebten  Sprüche  desselben 
mit  und  geht  dann  einen  Teil  der  Fabeln  durch,  um  zu  zeigen,  welche 
Lehren  er  mit  denselben  in  Verbindung  bringt,  also  auf  welche  sittliche 
Zustände  er  besonders  seine  Aufmerksamkeit  gelenkt  hat. 

Eine  deutsche  Bearbeitung  des  Selbstpeinigers  des  Terenz  aus 
dem  16.  Jahrhundert.  A^on  Prof.  Dr.  F.  Straumer.  Pro- 
gramm des  Gymnasiums  zu  Chemnitz  1888.     35  S.  4. 

Das  Gedicht,  von  dem  in  der  Abhandlung  die  Rede  ist,  ist  in  einer 
Zwickauer  Handschrift  erhalten.  Der  Verfasser  schickt  eine  übersicht- 
liche Geschichte  der  lateinischen  Schulkomödie  in  Deutschland  und  ihres 
Zweckes  voraus.  Der  merkwürdigste  Versuch,  die  lateinische  Schul- 
komödie durch  deutsche  Bearbeitung  auch  dem  gröfseren  Publikum  ver- 
ständlich zu  machen,  ist  eben  in  jeuer  Handschrift  erhalten,  die  eine 
Charakteristik  der  auftretenden  Personen  des  Euuuchus  und  des  Heauton- 
timorumenos  des  Terenz  samt  Prolog  und  Epilog  enthält  uud  in  die 
Charakteristik  eine  Inhaltsangabe  der  Stücke  verflicht.  Diese  Hand- 
schrift stammt  nicht,  wie  man  gewöhnlich  annimmt,  aus  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts,  .sondern,  wie  der  Verfasser  aus  den  geschichtlichen  An- 
spielungen beweist,  aus  der  zweiten  Hälfte  des  IG.,  auch  nicht  aus 
Zwickau,  sondern  aus  Freiberg,  und  der  Urheber  derselben  ist  der  Rek- 
tor der  Freiberger  Schule,  Valentin  Apelles  (Apel),  über  den  wir  hier  ge- 
nauer unterrichtet  werden.  Er  hat  sein  Talent  auch  in  deutschen  \'erseu 
erprobt  uud  zwar  zunächst  bei  der  Aufführung  von  Schulkoniödien.  Eine 
Aufführung  des  Eunuchus  wird  in  den  Freiberger  Akten  ausdrücklich  im 
Jahre  1572  erwähnt,  nicht  des  Heautontimorumenos,  diese  hat  aber  h<>chst 


230  P)tMirtdliing('ii  uiul  kurze  Auzeigx-n. 

wahrscheinlich  l-")!^'!  stattgofuufk'ii.  Wie  auf  die  ganze  Zeit,  zeigt  f:ich 
auch  bei  ihm  der  Einflufs  des  NarreuschifTs  des  Sebastian  Rrant;  wie 
Hans  Sachs  und  Fischart,  folgt  auch  Apelles  dem  Sebastian  Brant  im 
Versbau,  im  sogenannten  Knüttelvers,  noch  mehr  im  Inhalt,  in  dem 
satirisch-didaktischen  Ton,  in  Sprichwörtern  und  sprichwörtlichen  Redens- 
arten, in  der  Neigung,  das  Treiben  der  Gottlosen  nicht  als  Sünde,  son- 
dern als  Thorheit  und  Narrheit  aufzufassen.  Also,  ehe  die  lateinische 
Aufführung  begann,  erschienen  die  Personen  des  Stückes  der  Reihe  nach 
auf  der  Bühne  und  wurden  von  einem  besonderen  Aktor  vorgestellt  und 
ausführlich  geschildert,  und,  da  der  Dichter  in  den  Terenzischen  Personen 
Personen  seiner  eigenen  Zeit  und  Umgebung  schildert,  so  wird  die  Be- 
arbeitung ein  belehrendes  Sittenbild  der  Zeit,  bietet  auch  in  sprachlicher 
Hinsicht  manches  Neue.  Waren  also  die  Zuschauer  iu  den  Stand  ge- 
setzt, auch  ohne  Kenntnis  der  lateinischen  Sprache  den  Gang  der  Handlung 
zu  verstehen,  so  folgte  die  lateinische  Aufführung  selbst,  an  bestimmter 
Stelle  noch  unterbrochen  durch  Einschaltung  kürzerer  Dialoge  in  deut- 
scher Sprache.  Es  ist  sehr  dankenswert,  dafs  der  Verfasser  den  Text  der 
Handschrift  wörtlich  mit  Beobachtung  der  alten  Orthographie  und  Inter- 
punktion in  Typen  der  Druckwerke  des  ItJ.  Jahrhunderts  wiedergegeben  hat. 

Zur  AVürdiguug  des  Dichters  Andreas  Gryphius.  Eine  litterar- 
historische  Studie  von  Dr.  Gust.  Breucker.  Programm  des 
Progymnasiums  zu  Trarbach  1889.     20  S.  4. 

Die  böse  Zeit  des  Dreilsigjährigen  Krieges,  seine  besonderen  Schick- 
sale mufsten  den  Dichter  Gryphius  ernst  stimmen.  Diese  trübe  Stim- 
mung spiegelt  sich  ab  in  seinen  Dichtungen.  Das  ist  der  Inhalt  dieser 
Abhandlung. 

J.  A.  Poysels  Gedichte  wider  Ludwig  XIV.  und  die  Franzosen. 
Von  M.  Pfeifer.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Altenburg 
1889.     16  S.  4. 

Auf  den  patrioti-schen  Dichter  J.  Alb.  Poysel,  den  bayrischen  Augu- 
stiner, der  trotz  seines  entschieden  katholischen  Glaubens  als  mannhafter 
Deutscher  der  französischen  Aumafsung  entgegenkämpfte,  ein  leider  nicht 
beachtetes  Vorbild  für  die  Jetztzeit,  machte  Ditfurth  iu  seiner  Sammlung 
historischer  Volkslieder  zuerst  aufmerksam.  Poysel  starb  am  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts.  Sein  Nachlafs  befindet  sich  iu  der  Münchener  Biblio- 
thek, daraus  entlehnte  Ditfurth  einige  Proben.  Genauer  beschreibt  die 
vorliegende  Abhandlung  diesen  Nachlafs;  sie  bringt  aber  zunächst  aus 
der  vorhergehenden  Zeit  einige  gegen  Frankreich  gerichtete  geharnischte 
Volkslieder,  dann  eine  gröfsere  Anzahl  von  Versen  Poysels,  die  in  ihrer 
Kraft  und  Aufrichtigkeit  einen  tiefen  Eindruck  gemacht  haben  müssen; 
sie  geben  vortrefflich  die  in  den  besten  Kreisen  herrschende  Volksstim- 
mung  wieder;  dem  Abdruck  hat  der  Verfasser  erklärende  Anmerkungen 
hinzugefügt. 


Beurteilungeu  uikI  kurze  Auzeigen.  231 

Daniel  Caspar  vou  Lohensteiii  Jils  Dramatiker.  Vom  ord.  Lehrer 
Willner,      Programm    des   Realprogymnasiums    zu    Dirschaii 

1888.     31  S.  4. 

Die  Abhandlung  bringt  eine  sehr  ausführliche  Inhaltsangabe  der 
schwülstigen  Trauerspiele  Lohensteins  mit  allen  ihren  Greueln;  die  Aus- 
malung aller  dieser  groben  ünsittlichkeiten  scheint  für  ein  Schulprogramm 
nicht  recht  passend  zu  sein.  Die  schon  überreiche  Litteratur  über  den 
Dichter,  z.  B.  die  Arbeiten  von  W.  A.  Passow,  Prutz,  Konr.  Müller  u.  a., 
ist  von  dem  Verfasser  nicht  berücksichtigt,  so  dafs  die  Wissenschaft  kei- 
nen neuen  Gewinn  zieht. 

Ewald  Christian  von  Kleist  als  Idyllendichter.  Vom  ord.  Lehrer 
van  Haag.  Programm  der  Realschule  zu  Rheydt  1889. 
17  S.  4.  •       ' 

Der  Verfasser  hebt  die  Vorzüge  Kleists  vor  Gel'sner  hervor;  Kleists 
Personen  äul'sern  tiefere  und  wahrere  Emi)findungen.  Aber  auch  er  wird 
weit  überragt  von  J.  H.  Vol's  und  Hebel. 

Johann  Nikolaus  Götz,  die  Winterburger  Nachtigall.  Ein  Bei- 
trag zur  deutschen  Litteraturgeschichte.  I.  Von  Gymnasial- 
lehrer Dr.  Hahn.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Birken- 
feld 1889.     32  S.  4. 

Während  die  Ivebensgeschichteu  seiner  dichterischen  Genossen,  Gleinis, 
Uz',  Ramlers,  längst  geschrieben  sind,  hat  man  Götz  bisher  vernachlässigt. 
Die  Ehrenschuld  hat  der  Verfasser  mit  dieser  überaus  sorgfältigen  Ab- 
handlung abzutragen  angefangen.  Schwerlich  ist  ihm  irgend  eine  auf 
den  Dichter  bezügliche  Notiz  entgangen,  und  so  ist  es  durch  unermüd- 
lichen Fleil's  dem  Verfasser  gelungen,  soweit  es  bei  den  erhaltenen  Daten 
möglich  war,  ein  vollständiges  Lebensbild  zusammenzustellen.  Mancher- 
lei ungünstige  Umstände  verschulden,  dafs  Götz  in  der  Würdigung  der 
Gegenwart  zurückgeblieben  ist;  bei  seinen  Zeitgenossen  stand  er  in  höch- 
stem Ansehen.  Die  Zeugnisse  dafür  hat  der  Verfasser  aufs  fleilsigste 
vereinigt,  mit  Begeisterung  reden  von  Götz  Gleim,  Knebel,  Karoliue 
Flachsland,  Goethe,  den  ausführlichen  schönen  Brief  Herders  au  den 
Dichter  teilt  der  Verfasser  vollständig  mit.  Merkwürdig  ist  das  anerken- 
nende Urteil  Friedrichs  des  Grofsen ;  Kamler,  Vol's,  Lavatcr,  auch  I^ssing 
stimmen  bei.  Wir  erfahren  durch  die  sorgfältigen  Untersuchungen  de^ 
Verfassers,  wie  es  gekommen  ist,  dafs  wir  bisher  ein  vollständiges  Lebens- 
bild des  Dichters  nicht  erhalten  haben;  eine  grol'se  Menge  wichtiger 
Zeugnisse  ist  dem  unermüdlichen  Fleifse  des  Verfassers  gelungen  aus  der 
Vergessenheit  zu  ziehen ;  anderes  wird  vielleicht  Professor  Kürschner  in 
Stuttgart,  der  Besitzer  des  Restes  des  haudschriftlichen  Nachlasses  des 
Dichters,  bringen  können.  —  Ciötz  ist  geboren  zu  Worms  9.  Juli  1721, 
gestorben    zu   Winterburg    I.  November    1781.      Von   Wiuterburg,   wo   er 


232  liourtoiluiigcn  und  kurze  Anzeigen. 

die  letzte  Hälfte  seines  Lebens  zugebracht  hat,  wird  er  die  Winterburger 
Nachtigall  genannt;  das  Dorf  liegt  wenige  Stunden  von  Kreuznach  auf- 
wärts in  der  hinteren  Grafschaft  Sponheim ;  von  der  ihm  bekannten  Ge- 
gend entwirft  der  Verfasser  ein  anmutiges  Bild.  Der  Vater  des  Dichters 
war  Pfarrer  in  Worms.  Wir  erfahren  viel  von  der  Familie,  den  Freunden 
derselben,  der  Jugendzeit,  dem  Leben  in  Halle,  welche  Universität  Götz 
I7;?9  bezog.  Er  wurde  mit  Gleim,  Uz,  Ramler  bekannt,  Mitglied  des 
preufsischen  Dichterkreises.  Sein  Leben  wurde  bewegt,  wir  finden  ihn 
bald  in  der  Heimat,  als  Prediger  in  Forbach,  auf  Reisen  im  Elsafs  und 
in  Lothringen,  er  ward  mit  Voltaire  bekannt,  Prediger  in  Hornbach,  in 
Meisenheim,  endlich  in  Winterburg;  sein  Landesherr  war  zuletzt  der  Mark- 
graf von  Baden-Durlach.  Dort  führte  er  ein  friedlich  stilles  Leben,  der 
schönen  Natur  und  öfteren  Besuches  von  Freunden  sich  erfreuend.  Seine 
Sehnsucht  aber,  in  eine  geistig  anregendere  Umgebung  zu  kommen,  in 
Berlin  oder  dessen  Nähe  als  Prediger  angestellt  zu  werden,  sollte  nicht  in 
Erfüllung  gehen,  so  dafs  er  immer  mehr  dem  Trübsinn  verfiel.  Von  seiner 
Persönlichkeit,  von  seinen  Familienverhältnissen  giebt  der  Verfasser  genaue 
Kunde;  der  Sohn  Gottlieb  Christian  wurde  Inhaber  der  Schwanschen 
Buchhandlung  in  Mannheim  und  Schillers  treuer  Freund  und  Verleger. 
Ein  allgemeiner  Überblick  über  Götz'  dichterische  Thätigkeit,  sowie  über 
Ramlers  Redaktion  der  Gedichte  schliefst  die  verdienstliche  Abhandlung. 
Der  zweite  Teil  wird  eine  genauere  Betrachtung  über  die  Gedichte  bringen. 

Bekämpfung  und  Fortbildung  Lessingscher  Ideen  durch  Herder. 

Von  Franz  Kunz.     Programm   der   Realschule    zu   Teschen 

1888.  31  S.  gr.  8. 
Der  Verfasser  legt  die  Abhandlungen  Herders  'Wie  die  Alten  den 
Tod  gebildet'  und  des  Laokoon Wäldchens  und  die  sich  auf  Lessings  Fabel- 
theorie und  Epigram nidefinition  beziehenden  Schriften  zu  Grunde,  und 
durch  eingehende  Untersuchung  gelangt  er  zu  dem  Ergebnis,  dafs  Herder 
öfters  ohne  triftigen  Grund  I^essing  widerspricht,  aber  auch  öfters  Les- 
sings Behauptungen  treftend  berichtigt,  aber  aufser  dieser  negativen  Seite 
seine  Kritik  auch  den  Nutzen  hat,  dafs  er  einzelne  Ideen  Lessings  vertieft 
und  weiterbildet.  Der  Verfasser  hat  noch  nicht  die  vortreffliche  Arbeit 
von  G.  Kettner  'Herders  erstes  kritisches  Wäldchen'  im  Pförtner  Programm 
von  1887  benutzen  können,  welche  an  Gründlichkeit  die  seinige  übertrifft. 

Die  tragische  Katharsis  in  der  Auffassung  Lessings.  Von  Ober- 
lehrer Feller.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Duisburg 
1888.     24  S.  4. 

Die  neueste  Litteratur  zur  Erklärung  der  Aristotelischen  Poetik, 
sowie  die  neueren  philosoiihischen  Werke  über  das  Wesen  der  Tragödie 
sind  dem  Verfasser  wohl  bekannt;  die  verschiedenen  Erklärungen  geht  er 
durch,  findet  mit  ihnen  Lessings  Deutung  der  Poetik  nicht  in  jedem  Worte 
richtig,  seine  unbedingte  Verehrung  des  Aristoteles  aber  gerechtfertigt.    ' 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeiprcu.  233 

Zu  den  Quellen  der  Emilia  Galotti.  Von  Dr.  L.  Volkmanu. 
In  dem  Festprogramm  des  Realgymnasiums  zu  Düsseldorf 
1888.     S.  23.3—259.     gr.  8. 

Nicht  neue  Quellen  hat  der  Verfasser  aufgefunden,  er  wollte  vielmehr 
die  sicheren  Vorlagen  zu  dem  Zwecke  ausbreiten,  um  daraus  erkennen  zu 
können,  wie  weit  sie  der  Dichter  bei  seiner  dramatischen  Thätigkeit  hat 
benutzen  können  und  benutzt  hat.  Diesen  Weg  hat  er  sehr  genau  ver- 
folgt, die  Ergebnisse  sind  höchst  beachtenswert,  die  Abhandlung  ist  ein 
sehr  dankeswerter  Beitrag  zur  Lessing-Litteratur.  Von  dramatischen 
Arbeiten  kommen  hier,  als  Lessing  bekannt,  in  Betracht  die  Virginia  des 
Montiano,  des  Campistron,  und  wegen  technischer  Anregungen  die  Be- 
arbeitungen der  Geschichte  des  Grafen  Essex.  Jene  beiden  sind  es,  die 
aus  dem  überlieferten  Stoff  das  Schicksal  der  Virginia  zur  Hauptsache 
gemacht,  die  politische  Seite  also  zurückgedrängt  haben.  Eine  Mutter 
der  Virginia  hat  erst  Campistron  hinzugedichtet,  der  auch  die  Plebejer 
zu  Patriciern  gemacht,  also  dem  Appius  gleichgestellt  hat.  Diesen  Vor- 
bildern wollte  Lessing  unmittelbar  folgen,  von  diesem  Versuch  ist  eine 
Scene  erhalten.  Dann  aber,  ohne  sich  um  die  Staatsaktion  zu  kümmern, 
behandelte  er  das  Schicksal  der  Virginia  für  sich,  diese  Virginia  in  drei 
Akten  ist  nicht  erhalten.  In  Emilia  Galotti  nun  ist  das  ursprüngliche 
Verhältnis  zwischen  Patriciern  und  Plebejern  hergestellt,  die  von  Cam- 
pistron erfundene  Mutter  beibehalten,  neu  die  Gräfin  Orsina  hinzuge- 
dichtet. Im  einzelnen  sind  im  Gange  der  Handlung  des  Franzosen 
Neuerungen  gröfstenteils  benutzt,  wogegen  für  die  Entwickelung  der 
Charaktere  der  Spanier  mehr  in  den  Vordergrund  tritt.  Montianos  Vir- 
ginia und  Virgiuius  sind  Lessiugs  Emilia  und  Odoardo  im  Charakter  ähn- 
lich. Auch  bei  den  übrigen  Personen  weisen  Einzelheiten  auf  das  spanische 
Vorbild  hin :  Appianis  bange  Stimmung  kehrt  in  Montianos  Icilius  wieder, 
ebenso  ist  IMontianos  Claudius  ein  gröfserer  Bösewicht  als  sein  Herr,  wie 
Lessings  Marinelli.  Am  meisten  originell  ist  der  Prinz  bei  Lessing.  Wäh- 
rend der  Appius  seiner  Vorgänger  von  Anfang  von  frevelhafter  Begier 
beherrscht  wird,  wird  des  Prinzen  anfänglich  wahre  Liebe  erst  stufenweise 
zu  verzehrender  Leidenschaft.  In  dieser  Beziehung  hat  er  ein  Vorbild  in 
dem  im  05.  Stück  der  Hamb.  Dram.  besprocheucu  Grafen  Essex  eines 
spanischen  Dichters,  wie  eben  dies  Gedicht  für  die  Schlufssceue  seiner 
Emilia  von  ihm  benutzt  ist  (vgl.  Hamb.  Dram.  Stück  67,  68,  55). 

Herder  und  die  Volkspoesie.  Von  Dr.  Fr.  Zurbousen.  Pro- 
gramm des  Gymnasiums  zu  Arnsberg  1888.  15  S.  4. 
In  warmen  Worten  stellt  der  Verfasser  Herders  unsterbliches  Ver- 
dienst um  die  Volkspoesic  dar,  er  weist  nach,  wie  dadurch,  also  aucli 
durch  Herders  Verdienst,  die  ästhetischen  Anschauungen  der  Zeit  über- 
haupt sich  änderten,  die  Poesie  zur  Natur  zurückkehrte,  wie  vor  allem 
durch  ihn  Goethe  angeregt  wurde.  Die  Abhandlung  war  wohl  geeignet, 
die  Jugend  mit  Verehrung  für  Herder  zu  erfüllen. 


23'1  JUnirti'iliiiijiX'ii   imd  kurze  Aiwcigcii. 

Die  Ortlielikeit  in  Goethes  Herniaun  und  Dorothea.  Vou  Ober- 
lehrer Dr.  O.  Liusenbai"th.  Programni  des  Gymuaeiums  zu 
Kreuznach  1889.     S.  ]  7— 30.     8. 

Die  Örtlichkeit  in  Hermann  und  Dorothea  ist  eine  beliebte  Aufgabe 
für  Schulaufsätze.  In  einem  anderen  Sinne  aber  behandelt  obige  Ab- 
handlung die  Örtlichkeit.  In  Lyons  Zeitschrift  für  den  deutscheu  Unter- 
richt hat  nämlich  Dr.  Huther  in  Kottbus  zu  beweisen  versucht,  die  der 
Dichtung  zu  Grunde  gelegte  Örtlichkeit  entspreche  aufs  genaueste  der- 
jenigen des  thüringischen  Städtchens  Artern,  in  diesem  Orte  sei  nach  der 
Tradition  Goethe  oft  gewesen,  und  die  im  Gedichte  vorkommenden  Orts- 
angaben liefsen  sich  leicht  noch  jetzt  dort  Avieder  finden.  Dr.  Huther  ist 
nicht  selbst  in  Artern  gewesen,  wohl  aber  der  Verfasser,  der  sich  mit 
allem,  was  auf  die  Geschichte  des  Ortes  sich  bezieht,  genau  bekannt  ge- 
macht hat.  Danach  stellt  sich  heraus,  dafs  nicht  die  geringste  Spur  vor- 
handen ist,  dafs  Gtjethe  jemals  in  Artern  gewesen  sei;  die  Tradition  mag  sich 
gebildet  haben,  weil  Goethes  Grolsvater  dort  geboren  wurde;  ohne  vor- 
gefafste  Meinimg  findet  man  unschwer  heraus,  dafs  sich  in  keinem  Punkte 
die  Örtlichkeit  Arterns  mit  der  des  Gedichtes  in  Einklang  bringen  läfst. 
Man  mufs  sich  zu  der  Ansicht  bekennen,  dafs  Goethe  kein  bestimmtes 
Städtchen  vor  Augen  hatte,  wenn  er  auch  bei  Einzelheiten  reale  Örtlich- 
keiten abgemalt  haben  kann. 

Der  Bau  des  Goethescheu  Torquato  Tasso.  Von  Dr.  Ferd,  Höfer. 
Programm  des  Gymnasiums  zu  Seehausen  1888.     20  S.  4. 

Man  mufs  dem  Verfasser  darin  beistimmen,  dafs  der  Streit  Tassos 
mit  Antonio  den  Höhepunkt  des  Dramas  bezeichne.  Es  bedurfte  aber 
wohl  nicht  der  langen  Auseinandersetzung  mit  denjenigen,  welche  einen 
anderen  Stufengang  annehmen,  eine  unbefangene  Lektüre  des  Dramas 
führt  auf  den  rechten  Weg.  Einen  vortrefilichen  Wegweiser  dazu  finden 
wir  in  einer  älteren  Abhandlung,  welche  dem  Verfasser  unbekannt  ge- 
blieben zu  sein  scheint,  in  dem  Buche  von  G.  F.  Eysell  'Über  Goethes 
Torquato  Tasso',  Rinteln  1849;  es  hat  dann  einige  Jahre  später  Eckardt 
Vorlesungen  über  den  Tasso  erscheinen  lassen,  noch  bedeutend  umfang- 
reicher, aber  das  kräftige  und  gesunde  Gericht  Eysells  nur  verdünnend. 

Goethes  Quellen  und  Hilfsmittel  bei  der  Bearbeitung  des  Reiueke 
Fuchs.  Von  Dr.  M.  Lange.  Programm  des  Gymnasiums 
zu  Neustadt-Dresden  1888.     17  S.  4. 

Es  ist  sicher,  dafs  dem  Jahre  1793  Goethes  Gedicht  entstammt; 
rasch  wurde  es  vollendet.  Daraus  folgt,  dafs  wegen  der  Kürze  der  Zeit 
ein  eingehenderes  QueUeustudium  nicht  möglich  Avar.  Die  Vergleichung 
lehrt,  dafs  die  Grundlage  des  Goetheschen  Werkes  Gottscheds  Über- 
setzung ist;  aber  trotz  dieser  grofsen  Abhängigkeit  hat  er  dem  Ganzen 
einen  echt  epischen  Charakter  gegeben.    Er  hat  aber  auch,   wie  sich  aus 


Beurteiluiigeii  und  kurze  Auzeigeu.  235 

Versen  ergiebt,  die  Gottsched  übergangeu,  den  niederdeutschen  Text  be- 
n'utzt;  Ob  er  den  holländischen  Reinaert  vor  sich  gehabt,  ist  schwer  zu 
entscheiden ;  in  manchen  Stelleu  stimmt  er  mehr  mit  der  üelfter  Ausgabe 
als  mit  Reineke,  aber  doch  zeigt  sich  nirgends  eine  gründlichere  Kenntnis 
jenes  Buches,  nirgends  ist  es  zur  Verbesserung  von  Irrtümern  des  Reineke 
benutzt,  es  ist  wahrscheinlich,  dafs  er  dasselbe  erst  uach  Vollendung 
seines  Gedichtes  kennen  gelernt  und  nachträglich  gebraucht  habe.  An- 
dere Hilfsmittel  sind  hier  und  da  eingesehen,  wie  sich  aus  eingehenden 
Untersuchungen  ergiebt.  In  der  Einleitung  teilt  der  Verfasser  das  un- 
gemein lobende  Urt«il  Viktor  Hehns  über  Goethes  Hexameter  mit.  I\Iit 
demselben  stimmt  Herder  in  dem  Briefe  an  Gleim  vom  1.  Mai  1793  über- 
ein, welcher  (nach  der  Ausgabe  von  Düntzer)  schliefslich  hier  einen  Platz 
finden  möge:  'Die  erst«  und  gröfseste  Epopöe  deutscher  Nation,  ja  aller 
Nationen  seit  Homer,  die  Goethe  sehr  glücklich  versifiziert  hat,  ist  Reineke 
Fuchs.  Das  ist  der  Aufschlufs  des  Rätsels.  Das  Gedicht  ist  seit  Homer 
die  vollkommenste  Epopöe,  wie  Sie's,  lieber  Gleim,  in  Goethes  glücklichen 
Hexärrietern  sehen  werden ;  sie  ist  deutscher  Nation ;  denn,  wenn  ihr 
Grund  gleich  aus  einem  französischen  Roman  genommen  sein  mag,  so 
ist  doch  ihre  epische  Einrichtung  einem  Deutscheu,  dem  Heinrich  von 
Alkmar,  zuständig,  und  in  Goethes  Versifikation  gehört  sie  den  Deut- 
schen auf  eine  eigentümliche  Weise  mehr.  Das  Gedicht  ist  ein  Spiegel 
der  Welt.' 

Über    Euripides'    Iphigenie    unter    den    Tauriern    und    Goethes 
Iphigenie   auf  Tauris.     Von   Dir.   Dr.   Wittich.     Programm 
des  Realgymnasiums  zu  Kassel  1888,     16  S.  4. 
Die  Abhandlung  bringt  eine  Inhaltsanzeige  der  beiden  Gedichte  und 

betont  dabei  den  höheren  Wert  des  deutschen  Dramas.     Sie  ist  Abdruck 

eines  Schul  Vortrags  und  macht  keinen  Anspruch  darauf,  etwas  Neues  zu 

bringen. 

Mitteilungen  über  Goethe  und  seinen  Freundeskreis  aus  bisher 
unveröffentlichten  Aufzeichnungen  des  Gräflich  Egloifstein- 
schcn  Familien -Archivs  zu  Arklitten.  Herausgegeben  von 
Dr.  Joh.  DemboM'ski.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Lyck 
1889.     34  S.  4. 

Die  hier  mitgeteilten  Briefe  stammen  aus  dem  Nachlasse  der  Gräfin- 
nen Karoline  und  Julie  Egloffstein  und  ihrer  ^lutter,  der  Frau  von 
Beaulieu-Marconnay;  sie  sind  geschrieben  von  Karoline,  Hofdame  der 
Grofsfürstin  Maria  Paulowna,  der  Gräfin  Julie,  welche  bei  ihrer  Tante, 
Oberkammerherrin  Frau  von  Egloffstein,  wohnte  und  seit  1824  Hofdame 
der  Herzogin  Luise  war,  der  Frau  von  Beaulieu,  die  mit  ihrem  Gatten 
erst  in  Misburg  bei  Hannover,  dann  in  Hildesheim  wohnte,  der  Ober- 
karamerherrin  Frau  von  EglofTsteiu,  dem  Kanzler  Müller  und  Soret.  Sie 
reichen   von  1817  bis  zu  Goethes  Tode,  in   den   ersten  Jahren    weit  aus- 


236  r>curt<'iliii),i:fij   und  kiirzv  Aiizcijien. 

lührlicher  als  in  den  letzten,  wo  sie  aphoristisch  werden,  und  haben  ihren 
besonderen  Wert  dadurch,  dafs  sie,  wie  wenige,  die  ungewöhnliche  Liebe 
und  Verehrung  treu  wiederspiegeln,  deren  sich  Goethe  in  seiner  nächsten 
Umgebung  erfreute;  beide  Gräfinnen,  Julie  wie  Karoline,  leben  eigentlich 
nur,  wie  Karoline  einmal  schreibt,  in  dem  Glück,  Goethe  zu  sehen  und 
zu  hören.  Ergreifend  ist  besonders  die  Darstellung  der  Angst,  welche 
alle  bei  Goethes  schwerer  Erkrankung  182:!  ergriffen  hatte,  der  wachsen- 
den Freude,  als  die  Anzeichen  der  Besserung  immer  günstiger  wurden, 
der  Begeisterung,  als  er  wieder  gestärkt  vor  ihnen  erschien.  Aber  mehr, 
wir  sehen,  wie  er  seine  ganze  Umgebung  in  die  poetische  Stimmung,  über 
die  Interessen  des  äufseren  Lebens  erhebt;  es  ist  ein  Kreis  feingebildeter 
Menschen,  in  dem  wir  uns  bewegen,  die  an  allem  Schönen  in  Kunst  und 
Xatur  ihre  wahre  Freude  haben.  Schöne  Schilderungen  mancherlei  Art 
finden  sich  vor.  Und  dann  wiederum  aus  alltäglichen  Anlässen  erheben 
sich  die  Unterredungen  zu  den  wichtigsten  Angelegenheiten  der  Menschen, 
überall  giebt  Goethe  die  Anregung,  und  das  macht  sich  immer  von  selbst. 
Die  Gröfse  des  Mannes  tritt  somit  auch  aus  diesen  Mitteilungen  hervor, 
und  darum  verdient  die  Veröffentlichung  Dank. 

Philologisches  aus  Friedrich  Rückerts  Briefen  an  J.  A.  Härtung, 
mitgeteilt  von  Oberiehrer  Dr.  F.  Härtung.  Programm  des 
Dom-Gymnasiums  zu  Magdeburg  1888.     39  S.  4. 

Von  Neusefs  aus  stand  Rückert  in  naher  Beziehung  zu  J.  A.  Här- 
tung, der  damals  in  dem  unfern  gelegenen  Schleusingen  Gymnasialdirektor 
war;  schon  in  Erlangen,  avo  Rückert  Hartungs  Lehrer  war,  hatte  die  Ver- 
bindung angefangen.  Härtung  war  oft  Tage  lang  zum  Besuch  bei 
Rückert,  da  wurden  gemeinsam  philologische  Studien  betrieben.  Beide 
haben  gemeinsam  die  Tugend  unablässigen  Fleifses  und  die  Liebe  beson- 
ders zu  den  griechischen  Dichtern,  von  denen  bekanntlich  viele  Härtung 
und  nicht  blofs  kritisch  behandelt  hat.  Um  diese  gemeinsamen  Studien 
bewegte  sich  nun  der  Briefwechsel.  Die  Verbindung  dauerte  fort,  als 
Härtung  nach  Erfurt  übergesiedelt  war.  Die  Briefe  gehen  von  18  i'^  bis 
1805,  der  grölste  Teil  der  vorhandenen  -il  Briefe  ist  mit  geringen  Aus- 
lassungen hier  abgedruckt.  Wo  Privatverhältnisse  erwähnt  sind,  zeigen 
auch  sie  uns  den  Dichter  in  liebenswürdigem  Lichte.  Es  ist  eine  wahre 
Herzensfreude  für  ihn,  in  seinen  orientalischen  Studien  immer  wieder  bei 
den  Alten  Erholung  zu  suchen,  die  griechischen  Tragiker,  Theokrit,  Horaz 
sind  seine  Lieblinge;  aber  mehr,  Härtung  schickt  ihm  seine  Bearbeitun- 
gen zu,  Rückert  studiert  sie  aufs  genaueste,  er  teilt  dem  Freunde  seine 
kritischen  Bedenken  mit,  er  ist  hier  ganz  Philologe.  Vor  allem  ist  er  der 
scharfsinnige  Metriker,  metrische  Gespräche  machen  einen  grofsen  Teil 
der  Briefe  aus,  über  die  Piudarischeu  Metnr  läfst  er  sich  viel  aus.  Sein 
feines  Sprachgefühl  tritt  überall  hervor,  auch  bei  den  Prosaikern ;  bei  dem 
Isokrates  ist  er  erstaunt,  dafs  derselbe  den  Hiatus  sogar  viel  strenger 
vermeidet  als   die  Tragiker,  er  stützt   sich  bei  diesem  Urteil  keineswegs 


Beurteilungen  iinrl  kurze  Anzeigen.  237 

auf  ihm  schon  bekannt  gewordene  ältere  Ansichten.  Aber  nicht  blois 
den  Kritiker  lernen  wir  aus  diesen  Briefen  kennen,  sondern  auch  den 
Dichter;  wir  erhalten  von  Bückert  Übersetzungen  aus  Theokrit,  auch 
griechische  Verse.  —  Dieser  Spende  aus  dem  Xachlafs  seines  Vaters  hat 
der  Herau.sgeber  viele  erläuternde  Anmerkungen  hinzugefügt;  auch  für 
diese,  wie  für  das  Ganze,  gebührt  ihm  Dank.  Eine  unbedeutende  Be- 
merkung sei  gestattet.  Rückert  erwähnt  181G  eine  ihm  liebe  Übersetzung 
des  Theokrit  von  Bindemann  als  vor  40  Jahren  erschienen;  sie  erschien 
aber  schon  171>n  (nicht  1707),  ist  also  mehr  als  oO  Jahre  früher  veröffent- 
licht, und  eben  diesem  Bindemann  hat,  wie  der  Herausgeber  bemerkt, 
Rückert  seine  Übertragung  verschiedener  Idyllen  Theokrits  gewidmet,  die 
Widmung  kann  sich  also  nur  auf  Bindemanns  Manen  beziehen. 

Zar  Feier  deutscher  Dichter.  21 — 23.  Feier.  Von  Direktor 
K.  Strackerjau.  Programm  der  Ober-Realschule  zu  Olden- 
bui-g  1888.     -4. 

Die  Berichte  über  die  in  der  Realschule  zu  Oldenburg  gefeierten 
Dichterabende,  d.  h.  über  die  Vorträge  der  Schüler  aus  einem  bestimm- 
ten Dichterkreise  haben  durch  die  Charakteristiken  des  Direktors  Stracker- 
jan .sich  einen  guten  Ruf  erworben.  Das  vorliegende  Programm  bringt  nur 
eine  eingehendere  Charakteristik,  nämlich  ühlands,  welche  bei  der  hundert- 
sten Geburtstagsfeier  gesprochen  ist.  Sie  ist  kurz,  sie  hebt  aber  die 
wichtigsten  Seiten  hervor.  In  Uhlaud  verehren  wir  den  Dichter,  den 
Deutschen,  den  deutschen  Dichter.  Den  Dichter,  denn  seine  Lieder  sind 
waldfrisch  und  duftig,  weich  und  kraftvoll,  immer  die  kr)stlichsteu  Erinne- 
rungen dichterischer  Stimmungen  weckend,  seine  epischen  Gedichte  brin- 
gen frische  Bilder  und  Gestalten  mit  tiefem  Hintergrunde.  Er  ist  ein 
Deutscher;  das  stolze  und  feste  Bürgertum  ist  ihm  das  Ideal  der  deut- 
schen Nation ;  auf  dem  Felde  der  Wissenschaft  hat  er  sich  nach  der  Art 
seines  Arbeitens  wie  nach  der  Wahl  des  Stoffes  als  echter  Deutscher  be- 
währt. Er  ist  ein  deutscher  Dichter,  auch  als  Dichter  hat  er  eine  Er- 
ziehung zu  vaterländischem  und  volkstümlichem  Geiste  im  Auge. 

Herford.  Ludwig  Kölscher. 


Verzeichnis 

der  vom  1.  Jaouar  bis  zuni  13.  Februar  1890  bei  der  Redaktion 
eingelaufenen  Bücher  und  Zeitschriften. 


The  Pariah.  By  F.  Anstev.  In  ?,  Vols.  Leipzig,  Tauchnitz,  189o. 
287,  287  u.  288  S.  kl.  8.     M.  4,80. 

Kussisclie  Chrestomathie  für  Anfänger.  Accentuierte  Texte  mit  voll- 
ständigem Wörterverzeichnis.  Von  Dr.  Oskar  Asboth,  a.  o.  Prof.  der 
slav.  Sprachen  au  der  l^niversität  in  Budapest.  I^eipzig,  Brockhaus,  1800. 
VIT  u.  188  S.  8. 

Litteraturhlatt  für  germanische  und  romanische  Philologie.  Heraus- 
gegeben von  Prof.  Dr.  Otto  Behaghel  und  Prof.  Dr.  Fritz  Neumann. 
X.  Jahrgang  Nr.  12,  XI.  .Jahrgang  Nr.  1.     Heilbronn,  Henninger. 

The  Bell  of  St.  Paul's  bv  Walter  Besant.  In  2  Vols.  Leipzig, 
Tauchnitz,  1890.    28tJ  u.  28(»  S.  kl.  8.    M.  ;5,2o. 

Les  Plaideurs.  Comedie  par  .Jean  Racine.  With  Introduction  aud 
Notes  by  E.  G.  W.  Braunholtz,  M.  A.,  Ph.  D.,  University  Lecturer  in 
French.  Edited  for  the  Syndics  of  the  Universitv  Pi'ess.  Cambridge, 
University  Press,  1890.     XXVI  u.  118  S.  kl.  8.     Sh'.  2. 

Wilhelm  Teil.  Schauspiel  von  Friedrich  Schiller.  Edited  (with  Intro- 
duction, English  Notes,  Maps,  etc.)  by  Karl  Breul,  M.  A.,  Ph.  D.,  Uni- 
versity Lecturer  in  German.  Edited  for  the  Svndics  of  the  University 
Press.    Cambridge,  University  Press,  1890.    LXXVI  u.  2(17  S.  kl.  8.    Sh.  2/C.. 

The  Opeu  Court.  A  Weekly  Journal  devoted  to  the  Work  of  con- 
ciliating  Religion  with  Science  [ed.  Dr.  Paul  Carusj.  Nos.  111 — 12:! 
(October  10,  1889  —  Januarv  2,  1890),  Chicago,  111. 

Blind  Love  by  Wilkie  Coli  ins.  With  a  Preface  bv  Walter  Besant. 
In  2  Vols.     Leipzig,  Tauchnitz,  1890.     287  u.  287  S.  kl."  8.     M.  B,20. 

L^ntersuchungen  zu  Schillers  Aufsätzen  'Über  den  Grund  des  Ver- 
gnügens an  tragischen  Gegenständen',  'Über  die  tragische  Kunst'  und 
'Vom  Erhabenen'  ('Über  das  Pathetische').  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  von 
Schillers  Theorie  der  Tragödie  von  Dr.  Karl  Gneifse,  Oberlehrer. 
Wissenschaftliche  Beilage  zum  Programm  des  Gvmnasiums  zu  Weifsen- 
burg  i.  E.  1889.     VIII  u.  :'.7  S.   I. 

Les  Precieuses  ridicules  von  Moliere.  Für  den  Schulgebrauch  erklärt 
von  Dr.  Paul  Gold  Schmidt,  Prof.  am  Friedrichs-Gymnasium  in  Berlin. 
Mit  einer  Nachbildung  der  Carte  de  Teudre.  Berlin,  "Sprmger,  1890.  IV 
u.  75  S.  8.    M.  1. 

English  Letters.  CoUected  for  the  Use  of  Schools  by  Dr.  Günther, 
Rektor  der  höheren  Töchterschule  zu  Dirschau.  Danzig,  A.  W.  Kafe- 
mann,  1889.     III  u.  4(J  S.  8.     M.  1. 

Ursprung  und  Verbreitung  der  Pyramus-  und  Thisbe-Sage  von  Georg 
Hart,  Assistent  für  neuere  Sprachen.    Teil  einer  Münchener  Inaugnral- 


Verzeichnis  von  Biiclicrii  und  Zeitsohrifton.  239 

Dissertation.  Beilage  zum  .Taliresbericht  der  Ic.  Kreisrealsclmle  in  Passau 
pro  1889.     r,7  S.  8. 

Kurzgefafste  Grammatik  für  den  französisciien  Anfangsunterricht  von 
Jacobs,  Dr.  Br  ine  leer,  Dr.  Fick,  ord.  wissenschaftlichen  Lehrern  der 
neuereu  Sprachen  an  der  Neuen  Höheren  Bürgerschule  zu  Hamburg. 
Leipzig  u.  Itzehoe,  Otto  Fick,  1889.     IV  u.  5r,  S.  gr.  8. 

Geschichte  der  schwäbischen  Mundart  im  Mittelalter  und  in  der  Neu- 
zeit mit  Textproben  und  einer  Geschichte  der  Schriftsprache  in  Schwaben 
dargestellt  von  Dr.  Friedrich  Kaufmann,  Privatdoz.  an  der  Universität 
Marburg.     Strafsburg,  Trübuer,  1890.     XXVIII  u.  355  S.  8. 

Zeitschrift  für  vergleichende  Litteraturgcschichte  und  Renaissance- 
Litteratur.  Herau.sgegeben  von  Dr.  Max  Koch  und  Dr.  Ludwig  Geiger. 
Neue  Folge.  Dritten  Bandes  erstes  und  zweites  Heft.  Berlin  1889/90, 
A.  Haack.  170  S.  gr.  8.  (G.  AVitkowski,  Die  Vorläufer  der  anakreon- 
ti.schen  Dichtung  in  Deutschland.  E.  v.  Lilieukrou,  Die  Insassen  des 
vierten  Danteschen  Sünderkreises.  F.  Zschech,  Ugo  Foscolos  Ortis  und 
Goethes  "Werther.  J.  C.  Eiedl,  Huon  de  Bordeaux  in  Geschichte  und 
Dichtung,  (t.  Witkowski,  Ein  ungedrucktes  Gedicht  von  Martin  Opitz. 
H.  Holstein,  Reuchlins  Gedichte.  C.  Schüddekopf,  Ein  Gedicht  Ludwig 
Drin^enbergs.  L.  Geiger,  Scherze  Chamissos.  H.  v.  Wlislocki,  Drei  Lieder 
der  siebenbürgischen  Zigeuner  aus  der  Kurutzenzeit.  K.  Sudhoff,  Bene- 
dict Aretius.     Besprechungen.     Nachrichten]. 

Logares  selectos  dos  Classicos  Portuguezes  e  Brasileiros.  Portugie- 
sisches Lesebuch  mit  Anmerkungen  von  G.  C.  Kordgien,  Universitäts- 
professor a.  D.,  vorm.  Direktor  eines  brasilianischen  Gymnasiums  u.  s.  w. 
Leipzig,  Bädeker  fo.  J.)  [Vorrede,  Hamburg  im  Herbst  1889].  X  und 
249  S.  8.  ■ 

Franco-Gallia.  Kritisches  Organ  für  französische  Sprache  und  Litte- 
ratur.  Herausgegebeu  von  Dr.  Adolf  Krefsner  in  Kassel.  VII.  Jahr- 
gang, Nr.  1.     Januar  189(i.     lO  S.  4.  ' 

Das  Naturgefühl  der  Altfranzoseu  und  sein  Einflufs  auf  ihre  Dich- 
tung. Von  Max  Kuttner  [Berliner  Doktordissertation  vom  29.  Juni  1889|. 
Leipzig,  G.  Fock.     III  u.  88  S.  8.     M.  -2. 

Die  Dialektmischung  im  magdeburgischen  Gebiete.  Mit  einer  Karte. 
Von  Richard  Loewe  [Leipziger  Doktordissertation].  Norden,  Druck  von 
Diedr.  Soltau,  ]«89.  V  u.  52  S.  gr.  8.  [zum  gröfsten  Teile  —  Jahrbuch 
des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung.  Jahrgang  1888  (XIV) 
S.  U— 52]. 

Mount  Eden:  a  Romance.  By  Floreuce  Marrvat.  In  2  Vols. 
Leipzig,  Tauchnitz,  1890.    288  u.  287  S.  kl.  8.    M.  ;'.,2(V 

Bhnd  Justice  and  'Who,  l)eing  Dead,  yet  speaketh'.  By  Helen 
Mathers  (Mrs.  Henry  Reeves).    Leipzig,  Tauchnitz,  1890.    288  S."  M.  l,tJO. 

Die  Hauptsachen  aus  der  französischen  Grammatik  und  Synonymik. 
Zum  Gebrauch  für  Schüler  zusammengestellt  von  Dr.  A.  Mohrbutter, 
ord.  Lehrer  an  der  Oberrealschule  zu  Oldenburg.  Oldenburg  u.  Leipzig, 
Schulzesche  Hofbuchhandlung  (A.  Schwartz)  (o.  J.)  [Vorrede  Nov.  1889 1. 
IV  u.  59  S.  kl.  8.     M.  0,50. 

Grundrifs  der  germanischen  Philologie,  herausgegeben  von  Hermann 
Paul,  ord.  Prof.  der  deutscheu  Sprache  u.  Litteratur  an  der  Universität 
Freiburg  i.  B.     Stral'sburg,  Trübner,  189o. 

I.  Band,  -u  Lieferung  (Bogen  ?.:> — 10;  V.  Abschnitt :  Sprachgeschichte 
[Forts.],  i.  Geschichte  der  nordischen  Sprachen.  Von  A.  Noreen 
[SchlufsJ.  5.  Geschichte  der  deutschen  Sprache.  Von  O.  Behaghel.  ti. 
Geschichte  der  niederländischen  Sprache.  Von  J.  tc  Winkel  [noch  nicht 
vollendet]). 

II.  Band,  1.  Abteilung,  2.  Liefrg.  (Bogen  9-](;;  VIII.  Abschnitt: 
Litteraturgeschichte  I  Forts.].  2.    Nordische  IJttrraturcn  |Schlurs|:  a.  nor- 


2-iO  VerzeichuiK  von  Biiclu-ni  und  Zoitschrifteu. 

Avegisch-isläiidische.  Von  E.  Mogk  fRchlnfs].  1).  schwedisch-dänische. 
Von  H.  Schuck.  :'..  Deutsche  Litteratur:  a.  althocli-  und  niederdeutsche. 
Vou  R.  Köefol.  1).  mittelhochdeutsche.  \'on  F.  Vogt  [noch  nicht  voll- 
endet]). 

II.   Band,    2.  Abteilung,    2.  Liefrg.    (Bogen   !•— KJ;    XI.  Abschnitt: 

Recht.    Von  K.  v.  Amira  [Schlufs].     XII.  Abschnitt:  Kriegswesen.   Von 

A.   Schult/.     XIII.    Abschnitt:    Sitte,     1.    skandinavische  Verhältni.sse. 

Von    F.  Kalund.     2.  Deutsch -englische  Verhältnisse.     Von  A.  Schultz 

[nur  der  Anfang]). 

Schweizerisches  Idiotikon.  Wörterbuch  der  schweizerdeutschen  Sprache. 

XVII.  Heft  (des  zweiten  Bandes  achtes  Heft).    Bearbeitet  von  Fr.  Staub, 

L.  Tobler,    R.  Schoch    und    H.   Bruppacher.     Frauenfeld,  Huber, 

189(1.     1169—1328.  Sp.  4. 

Das  Archiv.  Bibliographische  Wochenschrift.  Unter  Mitwirkung  vou 
Fachgelehrten  herausgegeben  von  Julius  Steinschneider.  Berlin, 
O.  Liebmaun,  1890.     No.  1—1. 

Das  psychologische  Rroblem  in  der  Hamlet-Tragödie.  Von  Dr.  Her- 
mann T  ü  r  c  k  [Leipziger  Doktordissertation].  I^eipzig  -  Reudnitz,  Max 
Hoffmaun,  1890.     84  S.  8.     ^ 

Phonetische  Studien.  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  und  praktische 
Phonetik  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Reform  des  Sprachunterrichts 
herausgegeben  von  Wilhelm  Victor.  III.  Band,  1.  Heft.  Marburg  i.  H., 
Elwert,  1890.  12' »  S.  8.  [G.  Karsten,  Sprecheinheiten  und  deren  Rolle 
in  Lautwandel  und  Lautgesetz.  W.  Victor,  Beiträge  zur  Statistik  der 
Aussprache  des  Schriftdeutschen  IV.  W.  S.  Logeman,  Darstellung  des 
niederländischen  Lautsystems  I.  W.  Victor,  Aus  C.  F.  Hellwags  Xach- 
lafs  IL  H.  Hoffmann,  Die  Unterrichtsreform  auf  neusprachlichem  Ge- 
biete vom  Standpunkte  eines  Taubstummenlehrers.  A.  Kadler,  Eine  kurze 
Bemerkung  über  den  grammatischen  neusprachlichen  Unterricht  in  der 
Prima.  P.  Passy  und  W.  Sünninghausen,  Gegenvorschläge  zu  Kuhns 
Lautschrift.     Recensionen,  Erwiderungen,  Notizen]. 

Revue  de  l'Enseignement  des  Langues  Vivantes.  Directeur:  A.  AVol- 
fromm,  Professeur  au  Lycee  Louis-le-Grand.  Paris.  O  ann^e,  Decembre 
1889,  no.  18  &  Janvier  1890,  no.  11. 


Steinhöwel  und  das  Dekameron. 

Eine  syntaktische  Untersuchung. 
(Schlufs.) 


Der  Versuch,  auf  syntaktischem  Gebiete  die  Trennungslinieu 
zu  gewinnen,  die  es  ermöglichen,  das  deutsche  Dekameron  von  den 
Werken  Heinrich  Steinhöwels  loszulösen  (Archiv  LXXXIII,  S.  167  ff.), 
hatte  mitten  in  der  Darstellung  der  Partikeln  abgebrochen  werden 
müssen  und  soll  nunmehr  zum  Abschlüsse  kommen.  Wir  stehen  an 
der  Partikel  nun. 

Nun  scheint  sich  bei  Steinhöwel  keiner  besonderen  Beliebtheit 
zu  erfreuen;  die  entgegengesetzte  Neigung  des  Dekameron  berechtigt 
uns  daher,  die  einzelnen  Gebrauchstypen  dieser  Partikel  näher  ins 
Auge  zu  fassen.  Oben  (I,  S.  202)  ^  haben  wir  beobachtet,  dafs  lat. 
nunc  bei  Steinhöwel  dui'ch  do  wiedergegeben  wird.  Daneben  hat  nun 
auch  in  der  Partikel  iecx  eine  scharfe  Konkun-enz  zu  bestehen,  iecx 
vertritt  die  Gegenwart  als  absolute  Zeitangabe,  Avährend  nun  stets 
die  Beziehungen  nach  vor-  und  rückwärts  durchschimmern  läfst: 
G.  U.  107,  3  so  mich  nun  die  mynen  zwingen  ...  so  ist  sie  iecx 
uff'  dem  wege  =  iamque  in  via  est  gegen  Äsop  43,  27  er  hat  durch 
synen  list  das  hrot  genomen,  das  ivir  mit  esxen  mindern.  Nu  n  gaut 
er  ler  (nunc);  G.  U.  109*  uns  ich  dir  nun  vnd  hin  für  allweg  waisi 
ze  tvillen  werden.  Die  Entwickelungsfähigkeit,  die  sich  aus  diesen 
und  ähnlichen  Verwendungen  heraus  für  unsere  Partikel  ergab,  ist 
jedoch  von  Steinhöwel  nur  wenig  ausgenützt  worden.  Wir  finden 
sie  allerdings  einigemal  an  Stellen,  wo  die  Darstellung  den  geraden 
Lauf  unterbricht  und  Einwürfe,  Einschiebsel  aufnimmt:  im  Äsop  in 
42,  25  Nuon  hat  er  doch  . . .  nie  ain  so  ungestalten  kör  gel  gekouffet 


'  I  für  den  ersten  Teil  der  Abhandlung  (Archiv  LXXXIII). 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  IG 


242  Stciiiliöwcl  lind  das  Dolcameron. 

(ßuon  .  ..  Jicmd  emerä);  49,  18  für  igitur ;  03,  25  für  enim ;  in  G.  U. 
etwa  lOo,  25  du  kenst  ivol  ivin  du  liereyn  in  das  husz  homen  bist  ... 
Nun  bist  du  mir  Wir  vnd  lieh  genuog  /  aher  myncn  edeln  iiit  (Milti 
quidem).  Diese  Belege  sind  jedoch,  wie  gesagt,  spärlich;  vor  allem 
ven-aten  sie  nichts  von  der  Neigung  früherer  und  späterer  Stilisten, 
Demonstrativformen  als  Träger  des  Zusammenhangs  mit  der  Partikel 
nun  hervorzuheben.  Steinhöwel  begnügt  sich  hier  mit  dem  einfachen 
Pronomen,  ob  dieses  nur  den  ruhigen  Flufs  der  Darstellung  begleitet 
(Äsop  57,  8  Durch  die  red  ivard  der  herr  schmollen  =.His  dictis  u.a.), 
ob  es  ihn  aus  seiner  Bahn  lenkt  (G.  U.  lOG,  1  Soll  ich  versucJien 
synes  wybes  teer  dem  strengsten  eman  gnuog  gewesen..  Aber  es  synd 
ettlich  =  poterant  .  .  .  hec  experimenta  sufficere  u.  a.),  oder  in  eine 
vorher  verlassene  Strömung  wieder  einführt  (G.  U.  101,  5  Gegen  der 
iunkfrowen  liesz  der  walther  . . .  syne  ogen  schiessen  =  In  hanc  rir- 
gunculam).  Auch  die  so  beliebte  Anlehnung  der  Partikel  an  unter- 
ordnende Partikeln,  welche  das  Satzgefüge  eröffnen,  ist  bei  Stein- 
höwel nur  spärlich  zu  belegen.  Wir  finden  sie  hier  einigemal  an 
Stelle  eines  lat.  itaque  oder  ergo,  wobei  in  einem  Belege  (G.  U.  lOG, 
24  Da  nun  zwelf  iar  ivaren  verloffen  t=  Itaque  cum  iam)  die  Grund- 
bedeutung noch  unverkennbar  ist.  Ähnlich  G.  U.  168/:?,  1  Do  er 
nun  hört  das  volk  . . .  komen  {Audito  ergo);  104,  2  wie  wol  nun  die 
frow  ...  verstuond  {itaque);  100,  20  (neben  so  für  itaque  quando). 
Ohne  entsprechende  Andeutung  in  lat.  Texten  erscheint  diese  Par- 
tikel nur  zweimal:  Äsop  42,  35  So  ir  aber  nuon  all  arhaitend,  so 
ist  ouch  ==  Ctcm  vos  omnes  laboretis,  ebenso  G.  U.  107,  1. 

G.  D.  scheint  sich  schon  für  die  zeitliche  Verwendung  unserer 
Partikel  nicht  an  so  grundsätzliche  Normen  zu  binden,  wie  Stein- 
höwel. Es  führt  für  relative  Zeitangaben  neben  min  auch  iczund 
ein,  wie  das  Dekameron  an  Stelle  des  Steinhöwelschen  iecz  durch- 
w^eg  schreibt.  So  finden  wir  icxiind  auch  neben  dem  Präteritum, 
um  auf  dieser  Zeitstufe  Momente  als  gleichzeitig  hervorzuheben : ' 
neben  660,  23  des  der  margraffe  besunder  freüde  nu  het  =  fece 
gran  festa  auch  663,  38  Der  .  .  .  des  alwegen  gewart  het  daz 
iczund   der   tochter   zuo   gestanden    was   =   dl   qnesfo    caso  aspet- 

'  Steinhöwel  hat  hier  stets  mm;  nur  einmal,  im  formelhaften  Wechsel 
mit  denn  für  modo  ...  modo  ist  auch  iecx,  zu  belegen:  G.  U.  109/3,  13 
daz  sie  ir  lob  allxyt  selber  vszsprach  /  ieo,  drr  ianlfmu-eu  /  denn  des 
iünglings  {meissim.  modo  . . .  modo). 


Steiuliöwel  und  das  Dekameron.  243 

tando,  ebenso  664,  5*.  Für  die  rein  zeitliche  Verwendung  tritt 
an  Stelle  von  mm  im  Dekameron  gerne  die  ihm  eigentümliche  Kom- 
position nudalest  ein:  666,  6  Es  ist  nudalest  wol  zeit  das  du 
[tempo  c  omai).  Auch  darin  unterscheidet  sich  G,  D.  von  dem  Stile 
Steinhöwels,  dafs  es  die  Partikel  noch  unmittelbar  •  Nebensätze 
unterordnen  läfst  (658,  30  Vnd  nu  die  zeit  Icomen  ist  euch  zuo 
halten  . . .  Danimh  gedencket  =r=  e  perciö  venuto  e  il  tempo),  während 
Steinhöwel  mit  der  Partikel  so  vermittelt:  Äsop  47,  36  und  nnon, 
so  es  not  ist,  so  Jcanst  du  nichtz  sagen  {nunc  uhi).  Dagegen  liebt  es 
auch  G.  D.  nicht,  Demonstrativformen  an  AVendepunkten  der  Dar- 
stellung mit  nu  hervorzuheben,  auch  G.  D.  stellt  die  Partikel  an  die 
Spitze  des  Satzes,  verwendet  sie  aber  hier  gerne,  namentlich  an  Stelle 
ital.  Kopula:  658,  5  ei)i  swere  ding  ist  ein  fraiven  ze  finden  die  sich 
gancze  zuo  ires  manns  . . .  ivillen  schicke  . . .  Nu  mag  es  ye  . . .  ein 
sweres  hertes  dinge  sein  ivo  ...  czwey  eleüte  . . .  vngeleich  sein  (e  quanto 
del  contrario  sia  grande);  ebenso  664,  12  (e  tu  sai);  ähnlich  658,  19 
{Erano  a  Gualtieri). 

so.  Die  Partikel  so  hat  sich  bei  Steinhöwel  im  Gegensatze  zu 
G.  D.  die  gesteigerte  Verwendungsfähigkeit  erhalten,  welche  die  nihd. 
Sprache  auf  der  ursprünglich  komparativen  Grundlage  entwickelt 
hatte.  Einfache  Beiordnung  (Äsop  45,  9  Das  wäre  uns  ungehört, 
sprach  Xanthus,  s  o  ist  ouch  tnyn  ivyb  so  zart,  das  ir  kain  dienst  von 
aim  solchen  knecht  empfänglich  wäre  für  atque;  ebenso  G.  U.  99/?,  25 
für  que)  wie  das  Verhältnis  des  Gegensatzes  wird  so  in  komparative 
Formen  umgesetzt;  vgl.  Äsop  46,  14  Bas  ist  der  kouff'er,  so  ist  diser 
der  verkouffer  {ille  vero)  oder  G.  U.  Iü9,  6  Ich  wolle,  dax  die  iunk- 
frow  . . .  lohlich  werde  empfangen  ...so  hob  ich  gebrust  an  frowen!  die 
dar  zuo  dogenlich  syend  . . .  dariimb  (=  tanicn)  u.  a.  G.  D.  macht  in 
entsprechenden  Fällen  von  unserer  Partikel  keinen  Gebrauch,  ~  und 
auch  die  Verwendung  im  hypothetischen  Gefüge,  wo  so  bei  Steinhöwel 
an  der  Spitze  des  nachgestellten  Hauptsatzes  nur  selten  fehlt  (s.  S.  258), 
ist  in  G.  D.  nicht  Regel.  Dagegen  hat  sich  die  Partikel  dort  noch 
als  Bindemittel  auch  nach  anderen  Nebensätzen  als  hypothetischen 
erhalten.    Einem  Beleg  aus  Äsop  wie  41,  18  imd  darumb  daz  du 


•  So  auch  noch  Hütten;  vgl.  Werke  IV,  S.  190,  37. 
-  Vgl.   die  Parallelstelle  zu  G.  U.  109,  G   aus  G.  D.  (664,  12)  Nun 
tceistu  wol  das  in  meinem  hausxe  nyemant  von  frawenn  pildc  ist. 

16* 


244  Steiuhöwcl  iiiid  das  Dekaineiou. 

ain  schalclchaflar  sehwäcxer  Inst,  so  will  ich  dich  ye  verkouffen  {quia 
linguax  nequam  es,  omnino  le  venwndari  velim)  treten  aus  G.  D.  zur 
►Seite  658,  12  Doch  seyfmale  ir  ...  wollte,  so  will  ich  (e  io  voylio), 
063,  13  (so  sol  es  =  e  a  me  dee).  Das  Gleiche  finden  wir  nach 
Absichtsätzen:  neben  Mul.  3,  11  Vnd  daz  wir  vsx  vil  anderen 
ieren  geschichten  /  aiiies  nit  . . .  verhalten  /  s  o  sagt  man  (extollentes 
dicamus),  ebenso  8/:?,  4  u.  a.  auch  G.  D.  658,  14  vnd  damit  ich  weder 
über  euch  noch  yemant  anders  liahe  zuo  klagen  /  dann  .  . .  mich,  s  o 
ivill  ich  {io  stesso  ne  voglio).  Nach  Zeitsätzen  (vgl.  Äsop  42,  15  Als 
er  aber  in  das  konfhusz  gieng,  s  o  senken  zvai  klaini  knäblin,  ebenso 
46,  14  und  auch  hier  neben  histor.  Präsens)  ist  für  G.  D.  keine 
Parallele  zu  belegen,  wohl  aber  für  elliptische  Konstruktionen,  wo 
die  Partikel  vor  Imperativen  oder  anderen  Formen  erregter  Rede 
auf  unterdrückte  Gedankenverbindungen  hinweist:  Äsop  42,  37  sprach 
Esopus  . .  .  ist  onch  nit  ximlich,  daz  ich  dem  lierrn  allain  unnücz  ge- 
senhen  werde.  Da  sprachend  sie  . . .  So  nim,  was  du  wilt  (Quod  vis, 
cape);  G.  D,  659,  36  so  rvill  ich  dich  für  mein  ...  frawen  Jmben 
(e  io  voglio). 

Die  Ausbreitung  unserer  Partikel  als  Bindemittel  zwischen  Par- 
tikeln jeglicher  Art  und  dem  entsprechenden  Hauptsatze  ist  bei  G.  D. 
nicht  mehr,  bei  Steinhöwel  nur  in  seinen  älteren  Werken  zu  belegen : 
G.  U.  99/?,  10  vnd  nun  so  sol  (et  nunc);  G.  U.  103/j,  3  doch  so 
wolt  ich  (enim  uero);  ebenso  105 /i,  8  [nunc  etiam);  Mul.  3,  22 
{Gaterum);  desgleichen  5,  16;  vgl.  Pforr  26,  26.  —  G.  U.  99 /i,  27* 
s  und  er  so  muosz  iedernian  sterben.  —^  G.  U.  103/i,  4  darumb 
so  wil  ich  {volo  autem);  ebenso  109,  7  {i^roinde);  107,  14  darumb 
so  sag  ich. 

also  hat  als  verstärkte  Form  für  so  vorwiegend  dessen  kom- 
parative Funktionen  übernommen.  So  tritt  die  Gradpartikel  bei 
Steinhöwel,  wie  später  bei  Luther,  nur  noch  in  Anlehnung  an  nomi- 
nale Formen  in  der  einfachen  Form  auf,  während  sie  vor  dem  Verb 
der  Verstärkung  bedarf;  vgl.  Äsop  44,  18  als  sie  sachen  Esopmn  so 
ser  lachen  und  in  dem  lachen  die  xend  also  enplccken  {ita  effuse 
ridere  ac  ridendo  dentes  aperte  ostendere);  45,  29  darwnb  hat  er  vor 
so  innerlich  gelachet  {tarn  largiter);  einzige  Ausnahme  G.  U.  109/?,  7 
also  zierlich  {ita  ut).  G.  D.  dagegen  verwendet  die  vollere  Form 
also  auch  durchweg  vor  nominalen  Formen:  663,  32  Damit  sy  ... 
nicht  also  schentlich  . . .  ausx  seinem  hausx  ginge  {cosl  p'overamente); 


Steiuhöwel  uud  das  Dekauieron.  245 

661,  29  (si  duramente);  658,  3  ivie  es  also  ein  sicere  ding  ist  (come 
dura);  661,  8  do  die  züchtig  frawe  den  knecht  ...  mit  also  pösem 
angcsicht  sache  (vedendo  il  viso  del  famigliare). 

Überaus  reichlich  verwendet  Steinhöwel  die  Partikel  neben  Aus- 
sageverben zum  Hinweis  auf  folgende  direkte  Rede.  Doch  da  diese 
Verwendung  nur  in  seinen  früheren  Schriften  zu  belegen  ist,  im 
Äsop  aber  nur  noch  in  63,  6  und  gang  morn  in  den  raut  und  red 
also  mit  dem  volk:  Ir  mann  von  Samia  (hujusmodi),  so  ist  auch 
auf  die  Abneigung  von  G.  D.  gegen  diesen  Gebrauch  der  Partikel 
(nur  einmal  in  660,  31  also  sprah)  weiter  kein  Gewicht  zu  legen. 

In  konjunktionaler  Entwickelungsfähigkeit  steht  also  hinter  so 
beträchtlich  zurück.  Allerdings  für  satzeröiFnende  lateinische  Kom- 
parativformen tritt  auch  im  Deutschen  gerne  also  ein;  vgl.  G.  U. 
102,  5  Also  fuort  er  sie  vsz  dem  husx  =  Sic,  ebenso  102/?,  29; 
102 /i',  14  (in  hunc  modum),  während  bei  Verschiebung  der  Satz- 
grenze die  Partikel  gern  der  Kopula  zum  Opfer  fällt  (G.  U.  100/:/,  4 
desx  sie  all  willig  enpfiengen  v  n  d  schieden  von  im  :i^  edictum  alacres 
suscep&i'e.  Ita  e  colloquio  discessum  est).  Manchmal  werden  um- 
ständliche lat.  Verbindungen  im  Deutschen  durch  einfaches  also  er- 
setzt: Äsop  39,  5  Also  ivurden  die  fygen  alle  von  in  geeszen  (atque 
ita  interloquendo) ;  54,  28  (für  His  dictis). 

Das  Gebiet,  auf  das  sich  also  vom  komparativen  aus  am  reich- 
lichsten übertragen  liefs,  ist  das  logische.  Hier  bildete  schon  das 
lateinische  itaque  eine  bequeme  Brücke;  vgl.  G.  U.  99,  34  Ei'  tvas  ... 
in  allen  dingen  ühertreffenlich  (für  rnübertr.).  Wann  allain  daz  er  ... 
nit  gedacht  vff  kiinfftig  guot  zegewinnm.  Also  lag  er  ouch  ob  dem 
vogel  '  lagen!  . . .  daz  er  vil  syner  sachsn  da  mit  versomet  (Itaque 
venatui  aucupioque  deditus);  des  weiteren  tritt  dann  die  Partikel  für 
igitur  ein ;  vgl.  Äsop  57,  9  Durch  die  red  ivard  der  herr  schmollen 
und  schuo/f  in  ledig  ze  laszen.  Also  ging  Esopus  in  das  bad (igitur); 
ähnlich  Äsop  40,  23,  wo  es  mit  igitur  die  kausale  Bedeutung  zu 
Gunsten  rein  konjunktioneller  Funktion  abstreift. 

In  G.  D.  überschreitet  die  Partikel  das  reiu  komparative  Ge- 
biet nicht. 

als.  Für  Unterordnung  von  Vergleichsbestinmuuigen  ist  an 
der  Partikel  also  die  Apokope  bei  Steinhöwel  durchgeführt,  in  G.  D. 
könnte  in  658,  31  Vnd  nu  die  zeit  komen  ist  euch  zuo  halten  als 
ich  geret  hab,   also   ich  auch  von  eudi    unll  gehabt  haben.  da\  ir  viir 


246  Steiuliöwel  imd  das  Üekanierou. 

haltet  als  ir  mir  vcrsi^rochen  liabt  . . .  Dariiinh  (e  che  io  voglia)  noch 
ein  Rest  nichtapokopierter  Form  vorliegen. 

Im  eigentlichen  Vergleichssätze  ist  ah  noch  wenig  durch  wie 
eingeengt.  Letzteres  taucht  erst  im  Äsop  in  schüchternen  Anfängen 
auf,  wir  finden  5,  6  *  umb  . . .  by  dein  text,  ivie  oben  stat,  xu  helyhen; 
54,  38  lüie  vor  {quo  antea),  ähnl.  55,  3;  dann  Asop  5,  35  wie  sich 
der  wur7n  krümet  ...  also  stat  dem  alten  mangerlay  ungemaclus  zu 
und  endlich  Äsop  6,  1 9 *  %e  glycher  wys  ...  9fie  ...  also  ebenso 
49,  15  {quemadmodum  . . .  eodem  modo).  G.  D.  hält  hier  an  als  fest 
(vgl.  660,  6  in  masse  als  sy  schöne  ivas  also  auch  züchtig  . . .  was 
■=■  cosi  come  . . .  tantö).  Zusammenstellung  von  als  und  wie,  wie  sie 
heute  noch  im  Dialekte  üblich  ist,  finden  wir  in  Äsop  46,  5  du  bist 
diser  kouffmanschaß  gar  tmwiszend.  Xanthus  sjyrach:  Als  ivie? 
{Ecquid  isla  dicis),  während  die  beiden  Partikeln  in  G.  D.  660,  3 
getrennte  Funktion  erfüllen. 

Für  den  Fall,  dafs  der  verglichene  Satzinhalt  hypothetischer 
Natur  ist,  prägt  sich  diese  bei  Steinhöwel  neben  als  stets  in  der  Par- 
tikel ob  aus:  G.  U.  103/?,  28  da  geschwig  er  als  ob  er  etivas  ...  ivölt 
verschwigen  =  quasi  exprimens;  genau  so  105,  29;  109/?,  16,  ebenso 
110/?,  4  =  vehit;  106,  26*;  109/?,  14*;  im  Äsop,  wo  hypothetischer 
Vergleichssatz  überhaupt  nur  zweimal  belegt  ist,  53,  21  Er  gebaret 
aber  nit,  als  ob  er  es  wiszte  (idque  nescire  simulans);  ebenso  67,  19 
s.  u.  G.  D.  macht  von  dieser  Partikel  nur  in  662,  33*  (m  masse  als 
0  b)  Gebrauch,  sonst  zieht  es  die  Inversion  als  Form  des  Konditional- 
satzes vor  (660,  2  Nicht  minder  als  wer  Gresedia  eins  grossen 
fürsten  . . .  tochter  geivesen  r=  non  altramenü  che  se  presa  avesse, 
ebenso  664,  19  für  co7ne  se;  660,  4*  und  664,  17*),  während  nach 
excipierendem  dan  als  Vergleichspartikel  ivie  eintritt,  dessen  indefinite 
Grundbedeutung  wohl  nicht  als  Träger  des  hypothetischen  Momentes 
anzusehen  ist;  vgl.  664,  22  Alle  dise  wort  . . .  nicht  anders  ivaren 
dann  wie  ir  ein  swert  ir  hercze  durch  ginge  [fossero  tutte  coltella  al 
cuor),  ebenso  das  oben  berührte  als  wie  in  660,  3;  vgl.  Äsop  67,  19 
nit  anders,  wann  ob  er  syii  aigen  kind  ...  iväre  [non  secus  ac  si). 

Die  Übergriffe  der  Partikel  als  in  das  Zeitgebiet  (I,  S.  204)  und 
in   das  kausale  (S.  256)  haben  anderwärts  ihre  Erledigung  gefunden. 

Hier  sei  zunächst  auf  die  Verwendung  des  Satzes  mit  als  als 
einer  beliebten  Form,  retardierende  und  treibende  Momente  der 
Haupthandlung  einzuschieben,  hingewiesen;   vgl.  G.  U.  100,  20  So 


►SteinhOwel  uad  das  Dekamerou.  217 

ich  nun  j  als  i'iv-cr  wil  ist  ain  wyb  nemen  so!  /  als  ich  ouch  tuon 
ivil  I  vnd  b/j  guoteii  früiven  vnuerzogenlich  iich  das  verJiaysz  zetuon 
{Itaque  qiiando  vobis  ita  'placitum  ...  id  vobis  bona  fide  polliceor), 
doch  überwiegen  bei  Steiiiliöwel  für  diese  Fälle  die  eigentlichen 
Relativformen  (vgl.  I,  S.  183),  während  G.  D.  die  komparative  Form 
gerade  gerne  an  Stelle  des  Relativsatzes  verwendet:  659,  7  reiche 
Jdeynet  als  dann  einer  neuen  preüte  xuo  gehört  (e  tutto  cid  che);  661, 
25  Aber  sich  nicht  bemiigen  (sie!)  Hesse  als  er  der  fraiven  . .  .  gethon 
hette  (non  bastandogli  quello  che);  ähnlich  658,  31  etcch  zuo  imlten 
als  ich  geret  hab  {la  promessa),  wozu  G.  U,  vielleicht  in  108,  27  so 
tuet  er  alsz  getvonlich  ist  vnder  dem  adel  stost  sie  vsz  dem  husz 
(more  nobilium)  ein  Seitenstück  liefert. 

Die  Entwiekelung  der  Partikel  zur  Umschreibung  unbequemer 
lateinischer  Annominativfügungen  fördert  keine  durchgreifende  Ver- 
schiedenheiten zu  Tage.  G.  D.  steht  hier  zwar  natürlich  quantitativ 
zurück,  bietet  jedoch  für  beides  Belege,  die  denen  bei  Steinhöwel  ent- 
sprechen. Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Partikel  wie  und  der  Form 
ivie  ivol  als  üblicher  Einleitung  koncedierter  Thatsachen, 

d.    Die  Partikeln  für  bestimmte  SatzverMltnisse. 

'  Die  Pronominalpartikeln,  die  wir  bis  jetzt  einzeln  nach  Grimd- 
bedeutung  und  Verwendungsmöglichkeit  untersucht  haben,  boten  uns 
zugleich  Gelegenheit,  die  auf  räumlicher,  zeitlicher  oder  komparativer 
Grundlage  entwickelten  Satzbindemittel  im  allgemeinen  zu  erledigen. 
Nun  bleiben  aber  noch  Satzbindemittel  übrig,  die  sich  dieser  Glie- 
derung nicht  einfügen  lassen;  aul'serdem  konnten  bei  den  Pronominal- 
partikeln manche  Verwendungen  nur  gestreift  werden,  welche  vollere 
Beleuchtung  erst  im  Zusammenhange  mit  den  anderen  Mitteln  empfan- 
gen, die  demselben  Zwecke  dienstbar  geworden  sind.  Wenn  wir 
somit  für  diese  Erscheinungen  als  Ausgangspunkt  der  Untersuchung 
den  ZAveck,  dem  die  Form  dient,  ins  Auge  fassen,  das  Satzverhältnis, 
dessen  Exponent  sie  ist,  so  mag  diese  Veränderung  des  Ausgangs- 
punktes dem  Verfasser  vielleicht  als  Mangel  an  Methode  ausgelegt 
werden ;  einsichtige  Beurteiler  werden  jedoch  anerkennen,  dafs  hier 
gerade  die  Methode;  nicht  in  einer  einfachen  ei:iseitigen  Anwendung 
eines  Einleilungsgrundes,  sondern  in  einer  möglichst  vielseitigen  Er- 
schöpfung des  Stoffes  beruhen  mul-s. 


24S  Hteinlii)\vcl  und  das  Dekameron, 

1)  Äsyndetische  Beiordnung. 

Das  einfachste  Satz  Verhältnis  ist  das  der  Beiordnung,  das  wir 
uns  unter  der  arithmetischen  Vorstellung  der  Addition  verständ- 
lich zu  machen  pflegen.  Die  einfachste  und  natürlichste  Form  dieses 
Verhältnisses,  die  asyndetische  Parataxe,  wird  von  der  Sprache  der 
verschiedenen  Vorlagen  unserer  beiden  Stilisten  nicht  begünstigt,  es 
ist  daher  von  Interesse,  bei  Steinhöwel  und  G.  D.  die  äsyndetische 
Parataxe  eingehender  Untersuchung  zu  unterwerfen.  Im  ruhigen 
Flusse  der  Darstellung  folgen  sich  namentlich  bei  gemeinsamem 
Subjekte  die  Sätze  in  asyndetischer  Form.  Steinhöw'el  kommt  so  zu 
Satzbildern,  wie  in  Apoll.  87,  8  fT.  wir  2> flogen  kaines  krieges,  wir 
trinkemvasser ,  unsxre  hiiser  wachsen  mit  uns  uf,  ivir  handkaincr- 
lai  ivauffen,  unser  spisz  ist  weder  flaisch  brot  noch  win,  wir  liand 
weder  stett  noch  merkt,  wir  eren  kain  ahgott,  wir  brennen  in  weder 
wiroch  noch  mirren,  sunder  eren  wir  got  mit  rainem  gemuet  u.  a. 
Vgl.  auch  G.  U.  101,  2  Sie  lag  vff  herten  betten!  ^=  durumque  ciibi- 
culum  sternebat  u.  a. 

Eine  besondere  Rolle  spielen  sodann  die  Demonsferativformen 
als  Träger  der  Asyndesis,  nicht  nur  in  den  einzelnen  Kasus  der 
Pronomina,  sondern  auch  in  erstanden  Partikelformen,  wo  die  tempo- 
ralen den  Löwenanteil  davongetragen  haben  (s.  I,  S.  202  u.  203), 
worauf  die  komparativen  folgen  (S,  243),  während  die  lokalen  nur 
in  G.  D.  etwas  häufiger  anknüpfen. 

Auf  einem  anderen  Momente,  einer  parallelen  Wortstellung  ent- 
sprechender Formen  beruht  wohl  zu  grofsem  Teile  die  auffallend 
reichliche  Asyndesis  in  G.  D.,  auf  die  die  Vorlage  höchstens  mittels 
der  aufzulösenden  absoluten  Participien  fördernd  wirkte.  Die  ver- 
schiedenen Faktoren,  die  sich  hier  durcheinander  mischten,  lassen 
sich  am  besten  entwiiTen,  w^enn  Avir  ein  grofses  Satzgebäude  in  seine 
Teile  zerlegen,  wie  etwa  661,  7  ff.  do  die  züchtig  frawe  den  knecht 
vernam  vnd  mit  also  pösem  angesicht  sacke  sere  erschracke,  vnd 
on  cxweyfel  gelaubet  im  rvere  als  er  saget,  mind  das  kint  zuo  töten  im, 
von  den  (sie!)  m^argraffen  befolhen  wer,  da%  kint  palde  aus  der  wigen 
name  halset  vnd  küsset  im  iren  segen  gäbe  on  vnuerkertes  ange- 
sichte  es  dem  knecht  in  sein  hende  gäbe,  diemütiglichen  ztio  im 
sprach  (La  donna  udendo  le  parole  e  vedendo  il  viso  del  famigliare 
e  delle  parole  dette  ricordandosi  comprese  che  a  costui  fosse  imposto 


Stoinhöwel  und  das  Dekamcrnn.  240 

che  cgli  l'uecidesse;  per  che  iirestamente  p-esala  della  culla  e  hascia- 
tala  e  benedettala  . . .  senza  mutar  viso  in  bracdo  la  jjose  al  famigliarc 
e  dissegli).  Von  den  asyndetischen  Fällen  bietet  661,  10  daz  kint 
palde  aus  der  ivigen  name  einen  der  wenigen  Belege,  die  bei  fort- 
schreitender Handlung  vor  dem  Objekte  die  Kopula  entbehren,  wir 
finden  ähnliches  sonst  nur  noch  in  659,  29  im  Wechsel  mit  Syndesis: 
Nach  dem  nackent  ausziehen  schuff'e  vnd  ir  die  reichen  kleyde  anlegen 
tJiet,  ein  gülden  krönen  auff  ir  hauht  secxet,  des  sieh  nyemant  ver- 
wundern mocht  (e  ...  la  feee  vesiire  ...  e  sopra  ...  le  fece  mettere  una 
cwona  vgl.  8.  250  unter  659,  4);  wobei  zu  beachten  ist,  dafs  der  asyn- 
detisch angeschlossene  Satz  sich  hier  auch  auf  einen  Nebensatz  stützen 
kann,  mit  dem  zusammen  er  den  beiden  syndetisch  verbundenen  ein 
gewisses  Gegengewicht  bietet.  Viel  häufiger  fehlt  die  Kopula  vor  Prä- 
positionalverbindungen,  ^  wie  659,  27  Nach  dem  sy  der  marckgraffe 
pey  ir  hende  nam  ausz  dem  heiiszlein  füret  (la  menö  fiiori);  ebenso 
659,  38  Des  er  ir  zuo  der  stunde  einen  guldin  ringe  anstiesse,  auff 
zuo  rosse  seczst  heym  in  den  fürstlichen  palast  füret  (E  fattala  . . . 
montare  onorevolmente  ...la  si  menö) ;  ebenso  bei  Adverbien,  wie  schon 
659,  38  (heym),  aufserdem  659,  27  ausz  dem  heiiszlein  füret  gegen- 
wärtig aller  menge  sy  mechlet  vnd  zuo  der  ee  nam  (e  in  p'esenzia). 
In  allen  diesen  Belegen  ist  übrigens  nicht  nur  das  Subjekt,  sondern 
auch  das  Objekt  beiden  Sätzen  gemeinsam,  vgl.  auch  661,  11  daz 
kind  palde  aiis  der  uigen  nam  halset  vnd  küsset,  wobei  sich  die 
Beobachtung  aufdrängt,  dafs  synonyme  Ausdrücke  auch  in  solchen 
Fällen  mittels  der  Kopula  eine  engere  Verbindung  eingehen  (vgl, 
auch  659,  27  sy  mechlet  vnd  zuo  der  ee  nam  =:  sposo;  661,  6  Er 
schafft  vnd  gepeut  das  ■=  Egli  m'Jm  comamlato  u.  a.). 

Diese  syndetisch  angereihten  Synonyma  dienen  dann  leicht 
wieder  als  Stützpunkt  für  asyndetische  Anreihungen  (vgl.  oben  661,  1 1 
halset  vnd  küsset  im  Iren  segen  gäbe),  während  Momente,  die  die 
Handlung  gleichmäfsig  weiterführen,  in  der  Fonn  des  Anschlusses 
Übereinstimmung  lieben:  vgl.  659,  17  Ber  marckgrane  abe  von  rosse 
sasse  yd  er  man  gepote  nyemant  sich  verrüren  sölte  allein  in  das 
heuszlein  ginge  (smontato  e  comandato  . . .  solo  se  n'entro),  genau  so 
661,  16  (für  e  fatto),  sodann  mit  gemeinsamem  Obliquus  neben  eben 


'  Vgl.  auch  G.  101,  1    vnd  huetet  ouch   der  icenigen  schauff  ierc^  raf- 
ters  ...  an  den  haingang  samelt  sie  krüter  (vicissimqiie  domum  rediens). 


250  8tciiiliü\V('l   und  das  Dekaiuerou. 

solchem  Subj.  601,  11.  12  (s.  o.  im  iren  segen  gäbe  —  sprach),  ebenso 

658,  15,  26.  Hieraus  erklärt  sich  auch  die  Kopula  in  659,  4  Nach- 
dem sy  alle  hereyten  ein  köstlich  hochxsit  . . .  vnd  er  alle  seine  freunde 
dar  zuo  lüde,  v  n  d  vil  herlicher  reicher  kleyder  . . .  schneyden  Hesse  (e) ; 
denn,  nachdem  einmal  der  zweite  Satz  mit  der  Kopula  angeschlossen 
Avar,  weil  er  ein  neues  Subjekt  einführte  (vgl.  G.  U.  100,  4  daz  du  ... 
nit  ahgangest  on  lyh  erben!  vnd  dyn  volk  belyb  =  tu  . . .  abeas  . . . 
ipsi  . . .  remaneant  u.  a.),  war  auch  für  den  dritten  Satz  die  An- 
schlufsform  gegeben,  der  er  nur  bei  ungleichartigem  Inhalt  widersti-ebt 
hätte.  Aufserdem  ist  ja  bei  vorgestelltem  Objekt  die  asyndetische 
Anreihung  nicht  beliebt  (S.  249),  viel  häufiger  sind  persönliche  Da- 
tive in  ähnlicher  Weise  als  satzeröffnend  belegt,  so  in  dem  oben  er- 
wähnten 661,  11,  dann  in  658,  23  nicht  weiter  suchet  im  gancx  für- 
name  {costei  propose);  058,  26  (e  disse  loro);  659,  33  (e  ...  le  disse); 

659,  15  (chiamatala  .  ..  domandö);  658,  24  mit  im  der  sache  eins 
warde  (con  lui  si  convenne)  u,  a.;  ebenso  661,  16  tcege  ginge  dem 
margraffen  .. .  zuo  ivissen  thet,  ähnl.  659,  17  (S.  249). 

•■  '  Die  in  dem  oben  angeführten  Belege  aus  G.  D.  auftretenden 
Bindepartikeln  lassen  sich  alle  daraus  erklären,  dafs  die  verbim- 
denen  Sätze  inhaltlich  enger  sich  zusammenschliefsen  und  sich  damit 
von  den  anderen  gemeinsam  abheben.  So  weisen  z.  B.  661,  8  sere 
erschracke  vnd  on  czweyfel  gelaubet  oder  ebenda  do  die  züchtig  frawe 
den  knecht  vernam  vnd  mit  also  pösem  angesicht  sache  je  ein  Paar 
von  Verbalthätigkeiten  auf,  die  den  anderen  Momenten  der  Haupt- 
handlung als  ein  gleichzeitiges  gegenübertreten.  Ähnlich  mag  auch 
in  661,  6  das  ich  euer  iunge  .  .  .  tochter  nem  die  weg  trag  vnd  ab 
der  tvelt  dilge  (che  io  p^-etida  ...  e)  der  Zusammenhang  der  beiden 
letzten  Sätze  vom  Redenden  enger  gefühlt  sein,  als  er  in  der  Wirk- 
lichkeit ist,  was  auch  zum  Teil  wohl  damit  zusammenhängt,  dafs  die 
Gedankenentwickelung  in  ihrem  Beginne  die  einzelnen  Momente 
mehr  auseinanderzuhalten,  gegen  den  Schlufs  hin  sie  enger  zusammen- 
zufassen liebt,  ein  Umstand,  der  sicher  auch  auf  unser  heutiges 
Schema  (Polyasyndesis  mit  schliefsender  Syndesis)  fördernd  einwirkte. 
Steinhöwel  zieht  für  diese  Form  noch  die  Polysyndesis  vor:  G,  U. 
101,  32  begegnet  ir  der  ivalther  mit  synem,  volk  /  vnd  nennet  sie  by 
ierem  na.men  /  vnd  tvard  sie  fragen  [eanique  compellans  nomine  . .. 
rogauit);  ebenso  Äsop  42,  11  u.  a. 

Während  somit  der  Gedankengang,  der  in  Synonyma  sich  aus- 


8teinliöwel  imd  das  Dckameron.  251 

einanderlegt,  die  Kopula  bevorzugt,  pflegen  Sätze,  die  eine  allgemeine 
Andeutung  im  besonderen  ausführen,  unverbunden  sich  anzuschlie- 
fsen,  so  G.  U.  108,  27  so  tuot  er  alsz  gewonlich  ist  vnder  dem  adel 
stost  sie  vsz  dem  Imsz  [vt  . . .  more  nobilium  superbus  abiceret)  oder 
in  positiver  Ausführung  negativer  Andeutung  G.  D.  658,  22  nicht 
weiter  suchet  i  m  gmicz  fürname  {senza  piü  avanti  cercare  costei  2wo- 
pose  s.  S,  250),  ebenso  661,  25  (non  bastandogli  . . .  con  maggiore 
puntura  trafisse),  während  die  Paralleldarstellung  eines  Gedankens 
in  negativer  und  —  daran  anschliefsend  —  in  positiver  Form  sich 
durchweg  des  erstarrten  Adverbs  sunder  (vgl.  S.  253)  zu  bedienen 
pflegt,  s.  G.  U.  29 ß,  26  vnd  ist  nieman  begäbet  für  in  sunder  so 
muosx  iederman  . . .  sterben  (nulli  iimnunitas  datur  eque  omnibus 
moriendum  est),  ebenso  Äsop  43,  27;  G.  D.  657,  31  Des  er  nicht 
dest  weyser  gehalten  was,  s  u nder  seine  arme  leüte  des  grossen  mimut 
hetten  {di  che  egli  era  da  reputar  molto  savio.  La  quäl  cosa  a'suoi 
uomini  non  piacendo). ' 

Von  jener  asyndetischen  Parataxe,  die  sonst  so  gerne  in  leb- 
hafter Rede  (nach  Imperativformen  u.  ähnl.)  logische  Beziehungen 
verschleiert,  finden  wir  bei  Steinhöwel  wenig.  Belegen  wie  Äsop  75, 
23  Nuon  tryb  die  esel,  sie  iverdent  dich  selber  in  die  stat  filren  (nam), 
wo  die  Bindefähigkeit  des  Pronominalsubjekts  mitspielt,  und  Äsop 
41,  17  Nu>on  bist  du  in  mainem.gewalt,  der  herr  hautt  dich  mir 
aigen  ergeben  stehen  andere  gegenüber,  wie  G.  U.  103 /i,  24  verwyse 
mir  nit  das  ich  ...  muos  volbringen!  wann  nach  dyner  wyszhait  waist 
du  {Scis  sapientissime)  oder  Äsop  41,  36  som  mich  nit  an  dem  goun, 
ivann  du  magst  kainen  nucz  an  mir  erliolen  für  quippc  u.  a.  Da- 
gegen unterwirft  sich  Steinhöwel  nicht  gern  dem  Zwange  der  latei- 


'  Dafs  auch  die  Partikelu,  mit  denen  der  lat.  Stilist  die  einzelnen 
Momente  der  Darstellung  begleitet,  im  Deutschen  nicht  innner  beachtet 
werden,  wurde  schon  unter  do  u.  a.  hervorgehoben,  dort  auch  schon  der 
Einflufs  berührt,  den  der  Wechsel  der  Wortstellung  hierbei  ausübt  (s.  I, 
S.  203).  Hier  sei  noch  hervorgehoben,  dafs  dem  aul'ser  (mic  auch  lat. 
At  gerne  zum  Opfer  fällt:  vgl.  Äsop  88,  37  Antivnrt  er  {Ät  Hie  inquit); 
44,  16;  44,  31.  32;  ebenso  Äsop  40,  36  {Sprach  der  herr);  41,2  u.  a.;  des- 
gleichen Äsop  41,  35  Der  knufl')tiaii  sprach  {At  mercator  inquit);  42,7.20; 
43,15  u.a.  So  auch  Et:  Äsop  11,1  Anficiirt  Zenas  {Et  Zenas);  41, 7  u.a. 
Nur  Personen,  die  länger  nicht  genannt  waren,  werden  mit  einer  auf  die 
Situation  hinweisenden  Demonstrativpartikel  eingeführt:  Äsop  38,  35  Da 
sprach  syn  gesell,  ähnl.  10,  11  {aro);  42,  ;)3  (.1/);  43,  2  {AO;  42,  34  {Ef)  u.  a. 


252  Stcinhinvcl  luirl  das  Dokamcn»). 

rischen  hypotaktischen  Fügungen  (s.  unter  Kausalpartikeln)  und  hoi 
solcher  parataktischer  Auflösung  mufs  die  lat.  Partikel  manchmal 
ganz  auf  eine  Vertretung  im  deutschen  »Satze  verzichten:  G.  U. 
106/?,  26  Nun  sich  ich  an  dir  die  warJmit!  dax  alles  zergenklicJi 
ist  {Nunc  quoniam  video). 

2)  Die  Bindepartikeln  für  Beiordnung. 

In  den  Mulieres  begegnen  in  Anlehnung  an  lat.  prceterea  oder 
cceieruni  noch  viel  häufiger  Formen  wie  Vher  das  (Mul.  3,  29  =  jnvc- 
terea;  8/y,  7  =  insuper  u.  a.)  mcr  {Mul.  6/?,  20  Mer  sagen  sie  wie  = 
Huic  preterea,  ähnl,  3/9,  12;  7,  28;  Och  mer  Iß,  11  [et\  aber  me 
7,  31*  Noch  mer  so  S  ß,  28  [Gaterum]),  sonst  herrscht  bei  Steinhöwel 
die  den  lateinischen  Formen  et,  que  etc.  entsprechende  Partikel  und 
vor,  über  deren  Abgrenzung  von  der  Asyndesis  bereits  ausführlich 
gehandelt  wurde.  Gelegentlich  tritt  die  Kopula  auch  für  lateinische 
Adversativformen  ein,  sofern  letztere  weniger  einen  Gegensatz  als 
den  Fortschi-itt  der  HandWtag  hervorheben,  vgl.  G.  U.  99/?,  31 
enpfach  da%  gehet  dines  Volkes  ...  vnd  enpfilh  vns  dir  ze  suochcn 
{Querende  autem  coniugis  Studium  nohis  linque),  während  in  Äsop 
39,  2  so  würt  er  geschlagen,  vnd  iverden  ivir  unsern  tust  mit  den  fygen 
erfüllen  {nos  vero),  ähnl.  41,  12  (mit  Asyndesis),  der  auf  dem  Sub- 
jektwechsel beruhende  Gegensatz  unterdrückt  wurde.  Neue  Satz- 
gefüge eröffnet  Steinhöwel  nicht  gerne  mit  der  Kopula,  am  ehesten 
noch,  wenn  sie  mit  einem  Nebensatz  beginnen  (Mul.  8/?,  3  Vnd  daz 
söllichs  . . .  gelouht  werden  onöchte  für  Gui;  Äsop  39,  21  Und  so- 
bald im  die  gegeben  rvard  für  exnide),  wobei  er  aber  nicht  entfernt 
an  Pforr  reicht,  der  vor  jeder  ähnlichen  Zeitpartikel  die  Kopula  auf- 
Aveist  (s.  Pforr  7,  22;  8,  9.  12;  11,  9.  26;  12,  12.  14.  18.  32;  13, 
5.  22;   14,  7.  25.  27.  34;   15,  29.  35  u.  a.). 

Die  Beiordnung  ungleichwertiger  Teile,  wie  z.  B.  unvollständiger 
Sätze,  konnte  ich  nur  in  G.  D.  658,  2  des  ich  %e  thon  gar  kleinen 
tvillen  habe,  vnd  das  darumb  wann  ich  bedenck  {considerando)  belegen. 

In  G.  D.  wurde  durch  die  Kopula  auch  einmal  ein  finales  Mo- 
ment unterdrückt:  658,  36  gedencket  das  wir  ein  fröliche  hochzeit 
machen  vnd  ir  sy  mit  freüden  enp fangen  müget,  vnd  ich  eüers  ver- 
sprechen müge  frölich  . . .  leben  {acciocche).  Hierher  gehört  auch  das 
oben  (I,  S.  199)  besprochene  Anakoluth. 


Steiuhüwel  und  das  Dekauierou.  253 

atich.  Die  Partikel,  für  die  der  lateinische  Stil  am  wenigsten 
in  Rechnung  kommt,  ist  sowohl  bei  Steinhöwel  als  in  G,  D,  beliebt. 
Schon  rein  adverbial,  Verhältnisse  der  Artgleichheit  hervorhebend, 
läfst  sie  sich  in  beiderlei  Schriften  belegen :  Äsop  39,  27  daz  er  syne 
dargebe)'  och  also  hiesz  {pari  modo);  G.  D.  664,  5*  Also  auch 
icximd  thet  u.  a. 

Als  Satzbindemittel  schmiegt  sich  auch  bei  Steinhöwel  gern  an 
Personalpronomina  an;  auch  hier  kommt  seine  Grundbedeutung,  die 
Hervorhebung  des  Gleichartigen,  zur  Geltung.  Letzteres  beruht  hier 
in  den  für  beide  Sätze  gemeinsamen  Personen,  vgl.  G.  U.  100/?,  4  imd 
schieden  von  im.  Er  enpfalch  ouch  (et  ipse),  ganz  ähnlich  108/?,  11  ; 
ebenso  Mul.  3,  21;  ähnl.  Äsop  41,  11  er  redt  über  menschlich  Wolt- 
er gibt  mir  ouch  Scheltwort  {mihi  quideyrv  contumeliosa  dicit).  G.  D. 
dagegen  bevorzugt  die  satzeröffnende  Partikel,  die  mehr  in  der  Verbal- 
thätigkeit  oder  deren  Bestimmungen  das  Gleichartige  sucht:  659,  24 
Doch  von  erste  von  ir  verneme^i  ivölte  ...  ob  ...  auch  vil  mere  ander 
sach  an  sy  begeret  {e  simili  altre  cose  assai),  ebenso  660,  12  (e  simil- 
mente),  665,  28;  ähnlich  662,  11  Auch  sein  arme  leüte  nicht  anders 
gelaubten  {I  sudditi  suoi),  desgleichen  665,  13.  Diesen  letzteren  Be- 
legen hat  Steinhöwel  höchstens  G.  U.  103,  3  Och  was  die  flissig 
brüt  nit  allain  sorgfeltig  in  wyplichen  sachen  . . .  sunder  in  dem  ab- 
wesen  des  mannes  versach  sie  alle  empiter  {Neque  vero),  ähnlich  Mul. 
7/?,  11  (s.  S.  252)  Och  mer  für  et  entgegenzusetzen,  wähi-end  in  Äsop 
41,  12  er  schtnächet  dich  mit  tvorlen  ouch  alle  gött  und  göttin,  das 
doch  ain  . . .  übel  ist,  scJdltet  er  {te  vero  ae  deos,  man  vergleiche  die 
Stellung  der  Partikel  in  Vorlage  und  Übersetzung  als  bedeutsam 
für  die  beiderseitigen  religiösen  Anschauungen)  durch  das  Über- 
raschende, das  in  der  Gleichartigkeit  der  Momente  liegt,  eine  Steige- 
rung erzielt  wird. 

3)  Adversativpartikeln. 

Für  das  Adversativverhältnis  kommen  zunächst  zwei  Partikeln 
in  Betracht,  deren  Trennungslinien  vor  allem  bei  dem  Gegensatze 
von  Position  und  Negation  zu  Tage  treten,  sunder,  i  das  an  nega- 
tive Formen  die  positive  Fassung  anzuknüpfen  pflegt  (zu  G.  D.  vgl. 


•  Die  adverbiale  Grundbedeutung  unserer  Partikel  ist  in  G.  D.  660, 28 
Des  sy  alle  ser  übel  acdiuIc  ircrcn,  sunder  se/jtnude  sg  secJieii  (=  spexial- 
wciifc)  noch  rein  erhalten. 


254  Steiuhöwel  und  das  Dekamerou. 

S.  251),  erleidet  bei  Steinhöwel  Konkurrenz  durch  über:  Äsop  41,  5 
Nain  herr,  derer  kains ;  aber  unser  sclialckhafter  knechf  Esopiia  Jtaitt 
angefangen  . . .  %iio  reden  (sed).  AVeniger  auffallend  ist  Äsop  40,  15 
Ich  kann  nit  süsxenlichen  geschlaffen,  aber  mir  hat  ain  über  schöner 
träum  getraumet  (sed),  weil  sich  hier  beide  Sätze  nicht  als  negative 
und  positive  Fassung  eines  Gedankeninhaltes  gegenüberstehen,  viel- 
mehr deutlich  an  das  Konzessivverhältnis  anklingen. 

aber  *  ist  bei  G.  D.  mit  entschiedener  Abneigung  behandelt, 
während  Steinhöwel  für  die  ganze  Entwickelungsreihe  unserer  Par- 
tikel eine  Fülle  von  Belegen  aufzuweisen  hat.  Besonders  gern  — 
teilweise  in  Anlehnung  an  lat.  autem  —  reihen  sich  so  die  einzelnen 
Momente  einer  Darstellung  unter  adversativem  Gesichtspunkte  an, 
vgl.  G.  U.  101,  16  imd  was  nieman  den  desx  nit  nmnderte.  Er  Hesz 
aber  die  wyl  machen  giddin  ring  {Ipse  interim)  u.  a.  In  G.  D.  kommt 
hier  mehr  die  zeitliche  Folge  der  einzelnen  Momente  zum  Ausdruck, 
wobei  sich  nur  zweimal  hinter  das  beliebte  nachdem  (s.  I,  S.  205) 
die  Adversativpartikel  einschiebt:  661,  21  Nachdem  aber  nicht  lange 
verging  Die  von  neuem>  . . .  s wanger  wurde,  ebenso  660,  28.  Der  Sub- 
jektwechsel wird  nur  einmal  adversativ  markiert:  662,  4  Die  gute 
frawe  aber  gedult  het  (La  donna  con  paziente  animö)  gegen  665,  16 
u.  a.  Eine  ausgesprochene  Vorliebe  für  unsere  Partikel  zeigt  nun 
Steinhöwel  in  den  Fällen,  für  die  wir  bei  ihm  das  zeitliche  nun  ver- 
mifst  hatten  (S.  242),  nämlich  in  Anlehnung  an  Nebensatzpartikeln,  die 
neue  Satzgefüge  eröiFnen.  Einmal  nur  tritt  sie  hier  entsprechend  einem 
Sed  cum  selbst  an  die  Spitze  des  Satzes  in  Äsop  39,  29  Aber  als 
der  mag  von  der  iverme  des  ivaszers  wart  entschicket,  da  schütet  er  die 
fygen  mit  dem  tvaszer  usz  im,  während  sonst  auch  vorgestelltes  sed 
die  Stellung  von  aber  nicht  zu  ändern  vermag:  Äsop  40,  24  Als 
aber  der  bunmaister  (sie)  wider  uff'  den  acker  kam  {Sed  cum),  ebenso 
G.  U.  100/5,  9.  Ähnlich  tritt  es  in  anderen  Belegen  für  lat.  igitur 
ein,  vgl.  Äsop  39,  1  So  sich  aber  Esopus  von  trägi  wegen  syner 
Zungen  nit  kan  versprechen,  so  würt  er  geschlagen,  desgl.  39,  6.  11 
u.  a. ;  in  anderen  erscheint  es  ohne  jede  Vorlage  im  lat.  Text;  vgl. 
hingegen  aus  G.  D.  659,  14  vnd  do  sy  der  marckgraffe  ersacJie  ir 
rüffet  [La  quäle  come  Gualtieri  vide). 


1  In  der  adverbialen  Grundbedeutung  bei  beiden  Stilisten  belegt  (vgl. 
G.  D.  662,  1). 


SteinhÖwel  uud  das  Dekamerou.  255 

Dafür  hat  G.  D.  zahlreiche  Belege  für  einschränkenden  Gegen- 
satz aufzuweisen,  wofür  aus  Steinhöwel  nur  Äsop  41,  24*  er  fiinde 
all  da  kain  pfärd  ...  aber  er  het  ivol  ain  aignen  knecht  hierher- 
gehört, dagegen  aus  G.  D.  658,  9*  das  gib  ich  euch  %uo  aber 
an  euch  ein  grosse  torheit  ist  also  zuo  gelauben;  C59,  35*  ]i.er 
ich  2>in  geschicket  %e  tlion  euer  gefallen ;  Ab  er  ich  imwirdige  . . . 
ziio  der  götlichenn  ee  uicht  ivirdig  j^Jm;  G61,  24  Des  der  niarck- 
graffe  von  gancxem  herczenn  froe  was;  Aber  sich  nicht  bemügen 
liesse  (ma). 

Die  letzten  Belege  haben  sich  als  Eingriffe  unserer  Partikel  in 
das  Gebiet  der  Partikel  doc h  charakterisiert,  die  im  Grunde  nur  als 
Demonstrativ  auf  das  thatsächlich  Gegebene  der  Situation  hinweist 
und  so  auch  bei  Steinhöwel,  nicht  aber  in  G.  D.,  noch  gern  in  be- 
wegter Rede  Bedürfnissen  des  deutschen  Stils  Rechnung  trägt,  die 
der  lateinische  weniger  empfindet,  vgl.  Äsop  4,0,  16  Ni^n  wavj  ich 
kan  doch  reden  (Ecce);  bei  Imperativen  als  Exponent  der  Energie; 
vgl.  Äsop  45,  23  Sag  doch  u.  a. ;  in  Kausalsätzen  ohne  und  neben  der 
Partikel  (Äsop  42,  13  tvann  ich  rcaisz  doch  wol  =  Nam  certe  scio, 
ähnl.  42,  25  Nuon  hat  er  doch  u.  a.).  Adversative  Bedeutung  ge- 
winnt diese  Partikel  in  Belegen  wie  Äsop  40,  29  richtest  du  uns  mit 
dinen  schlegen  an  ursach  in  den  tod  und  würckest  doch  du  selber 
nichtz  {nihil  ipse  opere  faciens),  wobei  die  gesteigerte  Betonung  sich 
meist  auch  durch  Voranstellung  der  Partikel  äuTsert.  Äsop  40,  29 
Das  ist  dain  hertikait  über  uns,  doch  wil  ich  dar  zuo  tuon  (videre), 
ähnl,  G.  U.  101  ß,  3  und  noch  deutlicher  einschränkend  Äsop  45,  31 
Das  stat  zu,  dir,  nieman  zwingt  dich,  doch  ist  es  dir  ze  sinn,  so  zi'tch 
die  riemen  und  zel  das  gelt,  mehr  noch  G.  U.  104,  13  hob  s&rg  des 
zarten  lyblins  ...  doch,  so  ferr  als  es  vnserm  herren  nit  wider  sye 
{ita  tarnen)  u.  a.,  ebenso  G.  D.  für  wa^  G59,  21.  658,  12;  660,  23. 
661,  13  Nym  hin  das  unschuldig  plute  ...  Doch  pitte  ich  dieJi  {nia) 
u.  a.  Von  hier  aus  führt  auch  die  Brücke  in  das  Konzessivgefüge, 
in  welchem  die  Partikel  nicht  mehr  als  Einleitung  des  Nebensatzes 
belegt  ist ;  vgl.  neben  G.  U.  1 00,  1 0  dem  willen  myncr  vndertan  icil 
ich  mich  macJien  . . .  vnderwürfßg  ...  DocJi  die  sorg  . . .  wil  ich  selber 
han  {Illam  vobis  curam  . . ,  remitto)  solche  wie  G.  U.  99/*;?,  24  wie 


1  Für  ma  hat  G.  D.  auch  einigemal  Altfr  eintreten  lassen,  vgl.  oben 
CGI,  24,  aufserdem  663,  34;  665,  10. 


256  öteiuhüwcl  und  das  Dekameron. 

wol  du  bist  in  hlüender  zyl  /  docJi  luiifulich  . .  .  still  dir  dax  alter 
[continue  tarnen)  u.  a. 

oder  wird  noch  nicht  mit  einer  anderen  Partikel  in  Korrelation 
gesetzt  (bei  Pforr  eiinnal  mit  sich  selbst  26,  9  oder  . .  .  oder).  Die 
excipierende  Verwendung  der  Partikel  läfst  sich  nur  in  G.  U.  110,  4 
belegen,  hier  in  Anlehnung  an  lat.  aut:  du  rnöchtest  mit  Icainer  in 
ruo  und  in  sün  Jtan  gelebt  /  oder  aber  mit  diser  belibst  du  in  selig- 
kait  (cum  nulla  unquam  aut  cum  Jiac).  Dem  deutschen  Stil  würde 
hier  eher  für  den  ersten  als  für  den  zweiten  Satz  die  excipierende 
Einkleidung  nahe  liegen;  vgl.  Paul,  Mhd.  Grammatik ^  §  349. 

4)  Die  Kausalpartikeln. 
Die  parataktische  Tendenz  des  deutschen  Stils  kommt  mit  be- 
sonderem Nachdruck  auf  dem  Kausalgebiete  zur  Geltung.  Steinhöwel 
bringt  das  Verhältnis  von  Grund  und  Folge  mit  Vorliebe  im  konse- 
kutiven Hauptsatze  zum  Ausdruck  und  scheint  hieran  auch  wenig 
durch  seine  Vorlage  gehindert  zu  werden,  wenigstens  steht  in  G.  U. 
den  Belegen  für  igitur  (vgl.  103//,  8  du  bist  vnszer  herr!  vnd  ich  vnd 
die  Main  tochter  syen  dyn  aigen!  darumb  leb  mit  dynem  aigen  guot 
als  dii  will  =  tue  sumus,  de  rebus  igitur  facito,  ebenso  99/j,  29; 

107,  14)  und  ergo  (G.  U.  105,  15;  106,  5),  resp.  proinde  (109,  7)  nur 

108,  9  für  quamobrem  und  110,  9  gegenüber  (wan  sie  ist  jünger  . . . 
darumb  für  nam  qiiod). 

Wo  dem  Vorhergehenden  Momente  entnommen  werden,  die  eine 
Aussage  begründen  oder  stützen  können,  ordnet  sie  auch  Steinhöwel 
gern  unter,  und  zwar  meist  mit  so  (S.  260);  vgl.  G.  U.  100,  20 
So  ich  nun  ...  ain  wyb  nemen  sol  {Itaque  quando);  G.  U.  107,  1 
(cum),  ebenso  Äsop  42,  35;  Äsop  45,  25  So  dise  %wen  myn  gesellen 
sagen,  sy  künnent  alle  ding,  so  haben  sie  (quoniam)  u.  a.  Seltener 
dafs  auch  Momente,  die  im  Zusammenhange  noch  nicht  erwähnt 
waren,  als  Erfahrungsthatsachen  in  diese  Form  gekleidet  werden, 
wie  in  Äsop  39,  1  So  sich  aber  Esopus  von  trägi  ivegen  . . .  nit  kan 
versprechen,  so  würt  er  geschlagen  (Esopus  cum  . . .  nequierit).  Aul'ser 
von  der  Partikel  so  macht  von  den  Formen,  die  vorhergehende  und 
spätere  Zeiten  dem  Kausalverhältnisse  dienstbar  gemacht  hatten,  der 
begründende  Satz  bei  Steinhöwel  wenig  Gebrauch;  die  wyl  ist  bei 
ihm  noch  rein  zeitlich  (G.  U.  109,  14  vnd  sol  . .  .  nümer  treg  oder 
müd  werden  I  die  tvyl  die  sei  in  mir  ist  =  dum),  nur  aJs  spielt 


Steiuhöwel  imd  das  Dekamerou.  257 

manckmal  vom  Zeitgebiet  herüber  in  Belegen  wie  Äsop  39,  15  uml 
als  er  von  unscliicldihaitt  syner  ximgen  sich  nicht  verantunirten  kundt. 
betrachtet  er  in  im  die  sachen  (cum),  ebenso  G.  U.  106/?,  6  (ut). 

Aufserdem  gliedert  Steinhöwel  begründende  Momente  gern  als 
Substantivsätze  an,  einmal  mit  instrumentalem  damit  dax,  in  Asop 
71,  31  hat  ...  Licuro  schaden  gethan,  damit  dax  sy  im  ain  ... 
iMmpffhanen  . . .  hat  erivürget  {Nam),  sonst  mit  timb  dax  ^  (G.  TT. 
101  ß,  4  ward  ich  allweg  . . .  selige  . . .  geliaissen  /  vm,h  dax  ich  ains 
solchen  mans  . . .  gemahel  bin  gewesen  =  que  viri  talis  vxor  fuerim, 
s.  I,  S.  182;  ebenso  Äsop  44,  3  für  quia)  oder  darumb  dax  (G.  U. 
109,  23  sprachen  der  ivalther  het  wol  . . .  getoechsclt !  darumb  das 
die  . . .  edler  were  =  quod,  desgl.  Äsop  46,  6;  ebenso  41,  18  =  quia). 

Alle  anderen  begründenden  Sätze  setzt  Steinhöwel  mit  dem  oben 
beBprochenen  ivan  parataktisch  dem  begründeten  nach.  Die  Zahl 
solcher  Sätze  ist  bei  Steinhöwel  eine  sehr  ausgedehnte,  Avir  zählten 
(I,  S.  209)  auf  den  ersten  vier  Seiten  des  Äsop  10  Belege  und 
können  aus  G.  U.  ca.  20  beibringen.  Meist  lehnt  sich  unsere  Form 
an  lat.  enim  an,  vgl.  G.  U.  99  ß,  32  enpfilh  vns  dir  xesuochen  ainen 
gemahel  /  loan  wir  wellen  dir  aine  schaffest  (talem  enim),  ebenso 
99^,  22;  103/y,  9;  105,  12;  106,  11  u.  a.  Mul.  1,  27  u.  a.;  einige- 
mal tritt  sie  für  nam  ein  in  G.  U.  106,  17  het  syne  kind  lassen  xuo 
dem  tod  bringen I  wann  man  sach  der  kind  nit,  ebenso  110,  9;  in 
G.  IT.  105,  16  für  nempe;  quippe  scheint  der  lateinische  Text  von 
G.  U.  nicht  zu  lieben,  aber  vgl.  Äsop  41,  36  tvan  für  quipjje  u.  a. 
Nicht  gar  so  häufig  tritt  die  Partikel  ohne  Anlehnung  an  lateinische 
Vorlage  auf,  so  für  Relativsatz  G.  U.  101/?,  15  (s.  I,  S.  182)  und 
sonstwie  (104,  2*;  109,  10  u.  a.). 

G.  D.  führt  zimächst  in  den  Fällen,  in  denen  Steinhöwel  mit 
so  unterordnet,  das  alte  seytmale  ein,  das  bei  Steinhöwel  nicht  zu 
belegen  ist:  65.S,  12  Doch  seytmale  ir  mich  mit  disen  keten pinde 
wollte,  so  will  ich  (poiche);  663,  12  Seytmale  nu  euer  gefallen  ist 
euch  mir  tvider  xe  nemen;  so  sol  es  (Piacevi);  aufserdem  auch  an 
Stelle  sonstiger  Unterordnung  660,  28  Des  sy  alle  ser  übel  zemute 
weren,  sunder  seyt  male  (vgl.  darumb  dax  bei  Steinhöwel)  sy  sechen 
dax  sy  kinder  trüg  =  poiche. 

darumb  (ital.  perciö)  benutzt  auch  G.  D.  als  An  knüpf  ungsmitt^l 


'  Einmal  neben  Interjektion  einfaches  dax,,  s.  I,  S.  182. 
Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  17 


258  Steinhöwel  und  das  Dekameron. 

an  begründende  Haujitsätze,  doch  zieht  hier  die  AVortetellung  unsere 
Aufmerksamkeit  auf  sich.  Während  aus  G58,  34  Darumb  gedeiicket 
das  (percid)  Schlüsse  überhaupt  nicht  gezogen  werden  können,  scheint 
die  Partikel  sonst  teilweise  ganz  ohne  Einflufs  auf  die  Wortstellung 
zu  sein  (666,  15  Darumb  mein  syn  ist  dir  . . .  %uo  gehen  [intendo]; 
664,  25*  dariimh  mit  mir  schafft  rnd  gejuetet;  664,  14),  teilweise 
Inversion  hervorzurufen :  663,  2  Darumb  ist  mein  syn  das  dii  (per- 
cid); 664,  16  Darumb  gib  Ordnung  (perciö),  genau  so  666,  17,  wäh- 
rend in  663,  10*  dann  mir  ivol  ingedenck  ist  dax  ich  nackent  %uo 
euch  kom;  darumb  ir  mir  nicht  schuldig  seyt  zuo  geben,  ebenso  in 
661,  31  darumb  l-cJi  besorg  (di  che)  wohl  Nebensätze  vorliegen. 

Neben  darumb  verwendet  G.  D.  auch  r7nb  des  willen.  Wir  finden 
es  in  662,  10*  E)'  kette  gesprocJien  die  kinde  nit  ire  hitide  geivesen 
weren,  vmb  des  loillen  sy  ir  klein  acht  hett;   663,  38  iüx perclu'. 

An  Stelle  von  loann  hat  G.  D.,  wie  I,  S.  207  schon  bemerkt 
wurde,  bereits  dann  eingeführt.  Die  Zahl  der  Belege  ist  jedoch  ver- 
hältnismäfsig  klein,  9  im  ganzen.  Allerdings  hat  auch  der  italienische 
Text  nur  dreimal  entsprechende  Form  {che,  perehe,  pm'cioche) ;  zwei- 
mal bietet  er  Komparativformen  (660,  33  ;  664,  22,  s.  I,  S.  207),  sonst 
einfache  Asyndesis. 

5)  Die  Konditionalpartikeln. 

Weder  Steinhöwel  noch  G.  D.  bedürfen  durchaus  der  Partikeln, 
um  Kouditionalverhältnisse  zum  Ausdruck  zu  bringen,  beide  bedienen 
sich  reichlich  der  aus  der  Mannigfaltigkeit  der  deutschen  Wortstel- 
lung entwickelten  Inversionsform,  in  der  freilich  die  Partikel  so  be- 
reits ein  fast  unentbehrliches  Mittelglied  geworden  ist. 

Allerdings  läfst  sich  die  auf  jussiver  Grundlage  ruhende  Inver- 
sion auch  in  Steinhöwels  Vorlage  nachweisen,  Äsop  58,  36  Kere 
myn  widertail  die  anderen  ivaszer  . . .  so  ivill  ich  {avertat  . . .  et  egö) ; 
Äsop  38,  35  Laust  du  mich  mit  dir  eszen,  so  gib  ich  {Uiia  teeum 
numducare  me  velis,  viam  dabo),  aber  die  ganze  Form  hat  Steinhöwel 
doch  weniger  der  Vorlage  als  vielmehr  der  alten  Tradition  entnom- 
men, das  beweist  schon  die  durchgängige  Verwendung  der  Partikel 
so  (vgl.  S.  243),  1  die  bereits  der  eigentliche  Träger  des  hypothetischen 

'  Ohne  die  Partikel  so  knüpfen  nur  einige  Sätze  mit  Pronominal- 
subjekt an,  in  G.  U. :  105,  20  wilt  du  dax  ich  sterh  ich  stirb  mit  irillen 
{rolens  moriar),   desgl.   Äsop  4^,  36.     G.  U.  105/9,  14   hei  er  nit    ...    ge- 


Steinhöwel  und  das  Dekameron.  259 

Momentes  geworden  ist,  während  die  invertierte  Verbalform  nur  die 
verschiedenen  Nuancen  andeutet,  in  denen  die  Realität  des  bedin- 
genden Satzinhaltes  das  Interesse  des  Redenden  fesselt.  Jussiver 
Art  sind  hier  Belege  wie  Äsop  43,  33  Für  sie  in  die  stat  Satmim, 
so  magst  du  {Si  ...  deferas  . .  .  venumdäbis) ;  optativer  solche  wie 
G.  U.  105,  16  wisset  ich  vor  liin  dijnen  .. .  ivillen!  so  wölt  ich  (si), 
ähnl.  Äsop  57,  1  schow,  oh  vil  menschen  in  dem  bad  syen;  ivann 
wäre  nit  ml  darinn,  so  wölt  ich  (si  ...  sit)  und  mehr  konzessiv 
G.  U.  102,  2  vnd  tuost  ouch  nümer  nichcx  (vnd  hiessest  mich  in 
den  tod  gan)  das  mir  schwer  werde  =  etsi  . . .  iusseris,  während  viele 
andere  Belege  sich  leicht  auf  direkte  Fragen  zurückführen  lassen : 
G.  U.  101/?,  30  aber  ist  es  dyn  will  ...so  ivill  ich  (si);  ebenso 
Äsop  45,  31  (si)  oder  Äsop  44,  35  Witt  du  ain  stinckendsr  bock  ge- 
Imisxen  werden,  so  frag  in  (Si);  42,  12;  ebenso  49,  4;  57,  19;  end- 
lich Äsop  50,  11  Ist  die  linsen  gesotten,  so  bring  sie  (si),  ganz 
ähnlich  56,  16  (si). 

Von  diesen  Grundlagen  aus  hat  sich  die  invertierte  Wortstellung 
ja  schon  frühzeitig  zu  einer  blofsen  Form  ausgestaltet,  die  auch  an- 
ders geartete  Konditionalverhältnisse  in  sich  aufnehmen  konnte.  Wir 
finden  Belege  hierfür  in  Äsop  63,  11  Wnrd  ich  dann  etwas  rauten, 
damit  ich  . . .  gnuog  tuon,  so  erlangst  du  eer  und  dank  (si),  ebenso 
das  formelhafte  Äsop  56,  32  Ist  es  das  du  dyn  dienst  fürbas  wol 
dienest,  so  will  ich  (si),  verhältnismäfsig  mehr  aus  G.  D.  661,  5  Dann 
ivill  ich  nicht  sterben  so  musz  ich  (se  io  non  voglio);  ganz  ähnlich 
()61,  31 ;  auch  658,  15  (se  da  voi  non  fia  . . .  onorata,  voi  proverete). 
Innere  Gründe  wirken  auf  die  Form  des  Konditionalsatzes  nur 
insofern  ein,  als  Sätze,  deren  hypothetisches  Moment  nur  im  Zeit- 
punkte der  Verwirklichung  liegt,  nicht  leicht  in  Inversion  treten  (ein- 
zige Ausnahme:  Äsop  52,  34  den  fmt  sy  nit  lieb,  ivann  würt  sie  in 
dem  minsten  von  im  gelecxet,  so  . . .  lestert  sy  in  =  si) ;  mehr  Gewicht 
jedoch  hat  die  Verbalform  des  Nebensatzes,  insofern  nur  zusammen- 
gesetzte Formen  gern  invertieren  *  und  aufserdem  konjunktive  nur 
in  Optativ-  oder  Jussivfällen  (s.  oben)  beliebt  sind.     Auch    nach- 


iciszt  ...  er  IV er  (suspicari  possd);  ebenso  G.  D.  662,  8  vnd  icer  nitt  ge- 
nr.^rn  das  er  . . .  irestc  . . .  Er  hefte  (jcsj)roc//en  {/ei  arrebbe  credutö);  einmal 
mit  Dativ  Asop  47,  17. 

»  Vgl.  S.  200  unter  Asop  42,  7. 

17* 


260  Bteinhöwel  und  das  Dekaineroii. 

gesetzte  Nebensätze  invertieren  nicht  leicht  (einzige  Ausnahme:  Asop 
57,  19  das  würdst  dti  mir  bekennen,  will  du  mich  hören  =  quotl, 

si  me  audis  . . .  fateberis). 

ob.  Der  alte  Exponent  hypothetischer  Momente  zeigt  sich  hei 
Steinhöwel  noch  lange  nicht  so  eingeschränkt,  als  kaum  50  Jahre 
später  bei  Luther  oder  gar  als  in  dem  wohl  gleichzeitigen  G.  D.,  das 
die  Partikel  überhaupt  nur  einmal,  und  zwar  in  einem  hypothetischen 
Vergleichssatze  aufweist  (s,  S.  24G).  Sie  tritt  vorwiegend  in  den 
Fällen  ein,  die  die  Realität  des  Nebensatzinhaltes,  ohne  sie  zeitlich 
oder  räumlich  zu  fixieren,  einfach  auf  das  hypothetische  Gebiet  ver- 
legen, ob  nun  dabei  ein  eigentliches  Urteil  des  Redenden  unterbleibt 
oder  durch  den  Modus  angedeutet  wird;  vgl.  Äsop  42,  5  Ob  du  mich 
kaufest,  es  ivirt  dir  nit  scJiaden  (Si  me  merccdieris,  nihil  oherit),  genau 
so  45,  34;  ähnl.  63,  9  {si).  Äsop  42,  1  irann  oh  ich  di/-h  erkouffte, 
so  hiesz  man  mich  (si  ie  e-mcrem  ...  apeUarcr),  genau  so  G.  IT.  100,  3; 
Äsop  46,  15  (quod  si  . . .  denegat),  und  für  lateinische  Parataxe  Asop 
42, 1  Ob  du  in  diner  woyiung  . . .  tnuotwillige  kinder  heftest,  so  kouff 
mich  (Non  hohes  . . .  pueros  . . .  lasciventesve  ?  7ne  emas).  Aufser  sol- 
cher Verwendung  bleibt  unserer  Partikel  unbestritten  die  Einleitung- 
hypothetischer  Konzessivsätze'  (Äsop  63,  12  Ob  ich  aber  nit  gnuog- 
tuon  würde,  so  bist  du  dannoeh  schmachred  vertragen  rz;  quod  si  non 
satisfecero,  tu  über  ab  infamia),  während  der  Übergang  auf  das  Ge- 
biet konzessiver  Thatsachen  bei  Steinhöwel  durch  wie  wol  gehemmt 
scheint  (s.  S.  247). 

so  haben  wir  schon  oben  in  hypothetischen  Verwendungen  be- 
trachtet, seiner  vermittelnden  Stellung  neben  invertierten  Sätzen 
wurde  unmittelbar  vorher  gedacht;  fast  ebenso  ausnahmslos  wie  dort 
tritt  es  auch  nach  Konjiuiktionalsätzen  ein,  nur  nicht  nach  denen 
mit  ob.  Wie  andere  Demonstrativpartikeln  ist  nun  so  auch  in  den 
Nebensatz  selbst  übergegangen,  wo  es  jedoch  in  G.  D.  nicht  zu  be- 
legen ist:  es  weist  auf  die  gegebene  Situation  mit  leicht  hypothetischer 
Färbung  zurück  und  wird  hier  von  Steinhöwel  namentlich  gern  für 
kausales  cum  verwendet  (S.  256).  Als  eigentliche  Konditionalpar- 
tikel dient  es  mehr  im  nachgesetzten  Nebensatze,  wo  wir  es  in  Apoll. 
86,  6  dann  wirt  üch  Ällexander  gi'mstig  sin,   so  er  sieht,  ähnl.  Äsop 


Über  hypothetische  Vergleichssätze  s.  obeu  S.  246. 


Öteinhöwel  und  das  Dekainerou.  261 

C,  23  oder  Mul.  10,  29  mainten  sie  /  die  ...  sölte  nach  irem  todc  oiwh 
begird  dar  xuo  hohen  /so  er  ir  geopffei't  wurde  finden. 

wo  hat  sich,  obwohl  es  eigentlich  eine  räumliche  Unbestimmt- 
heit als  den  Träger  des  hypothetischen  Momentes  hervorhebt,  gerade 
für  Sätze  eingebürgert,  die  die  Realität  der  Verbalthätigkeit  in  Frage 
stellen:  Äsop  G5,  20  ica  sie  das  tuond,  so  haust  du  Samios  in  dyner 
hend  (quod  si  faeiunt),  ebenso  67,  10;  desgl.  Äsop  47,  19  menglich 
wurde  hinusz  fliehen,  iva  man  dich  an  sehe  (ctim  te  viderenf);  67,  14. 
Hierfür  sind  auch  aus  G.  D.  drei  Belege  beizubringen,  was  bei  der 
spärlichen  Ajizahl  der  dort  zu  belegenden  konjunktionalen  Neben- 
sätze (sechsmal  Konditionalpartikeln)  bemerkenswert  ist.  658,  6* 
Nu  mag  es  ye  nicht  anders  dann  ein  . . .  hertes  dinge  sein  ico  ... 
exivey  eleüte  . . .  einander  vngeleich  sein;  659,  21  (für  togliendola, 
ähnlich  wie  Äsop  47,  19);  659,  32  tt7  0  s?/  mich  anders  für  iren  man 
haben  wille  (dove). 

u-ann  hebt  zunächst  zeitliche  Unbestimmtheit  als  den  Träger 
des  hypothetischen  Momentes  hervor  und  tritt  für  entsprechendes 
lat.  cmn  ein:  Äsop  41,  9  dax  vil  der  menschen,  ivann  sy  erzürnent, 
cor  xorn  nicht  reden  kündent,  und  wann  der  xorn  erlischt,  dax  sie 
u.  a.  Nicht  ohne  Interesse  ist,  dafs  G.  U.  im  Gegensatze  zu  den 
Belegen  für  ivo  aus  G.  D.  sogar  lat.  vhi  mit  ivann  übersetzt:  101/?, 
23  wann  das  gesciticht  /  dax  alsbald  ivärt  (vbi  ...  fuerit);  106,  3 
wann  sie  angefahen  die  künden  kain  end  machen  (vbi). 

In  konjunktivische  Belege  kommt  wann  auf  dem  Wege  über 
die  optativischen,  die  es  schon  frühzeitig  einleitet,  wo  Inversion  un- 
thunlich  war.  Bemerkenswert  ist  der  Wechsel  von  ob  und  wann  in 
Äsop  45,  34  ff.  Xanthus  sprach  ...  ob  ich  dich  kouffe,  ivilt  du  nit 
hin  weg  louffen  ?  Antwurt  Esopus  .  Wa n n  ich  das  thucni  wolle,  ich 
ivürde  dyns  rautes  nit  pflegen  (si  te  emero  . . .  Si  id  facere  vellcm). 
G.  D.  verwendet  die  Partikel  tvenn  nur  in  rein  zeitlicher  Bedeutung, 
meist  für  absolute  Participien:  664,  20  vnd  wenn  vnser  hochzeit  ein 
ende  liatt  so  magst  du  [poi  fatte  le  noxxe);  ähnlich  664,  18*,  auch 
658,  2  [considerando). 

Die  Wortformen.    1.  Die  Nominalfonnen. 

Der  Genitiv  in  seinen  wenigen  Resten  alter  freier  Verbindungen 

und  in  seinen  dem  Lateinischen  entlehnten  Verwendungen  ist  schon 


262  öteiuhüwel  iiud  das  Dekamerou. 

gelegentlich  der  Präpositionen  (T,  S.  18U)  erledigt  worden;'  vom 
Dativ  wurde  ebendort  erwähnt,  dafs  er  keine  der  lateinischen  Ablativ- 
konstruktionen mehr  ohne  Zuhilfenahme  entsprechender  Präpositionen 
ersetzen  kann,  Nora,  und  Acc.  sind  bei  für  und  als  zur  Besprechung 
gekommen.  Hier  erübrigte  noch,  die  reichliche  Verwendung  des  per- 
sönlichen Dativs  zu  erwähnen,  der  auch  gegen  die  lateinische  Vor- 
lage immer  wieder  auf  die  Person  hinweist,  in  deren  Interessensphäre 
die  Verbalthätigkeit  liegt.  Doch  stimmt  hierin  auch  G.  D.  mit  Stein- 
höwel  überein,  vgl.  Äsop  52,  24  Berüff  mir  ainer  Esopum  für  ad 
me,  genau  so  39,  11;  sodann  Äsop  71,  31  da^i  sy  im  ain  ...  kmnpff- 
hanen  . . .  hat  erwürget  =  occidit  . . .  yallum,  oder  gar  Äsop  50,  29 
nam  er  itn  ainen  fuos%  dem  liafen  =  imum  c  pedibus  traxit  ex  olla 
(mit  doppeltem  Dativ);  ebenso  G.  D.  658,  32  ich  Jmb  tnir  ein  schöne 
iunckfrawen  . . .  funden  (lo  ho  trovata). 

Die  im  Dialekt  später  so  stark  verbreitete  Verwendung  des  per- 
sönlichen Dativs  2  neben  Possessivpron.  scheint  in  Belegen  aus  G.  D. 
vorbereitet,  wie  in  664,  22  dann  wie  ir  ein  swert  ir  hercze  durch 
ginge  (Come  che  queste  parole  fossero  tutte  coUella  al  ctior  di  Gri- 
selda).    Nominaler  Dativ  ist  hier  noch  nicht  belegt. 

2.    Die  Verbalformen,    a)  Die  Tempora. 

Die  Bildung  der  Tempora  und  Genera  beansprucht  bei  Stein- 
höwel  durchweg  die  im  Nhd.  übliche  Reihe  von  Hilfsverben.  Wenn 
unter  diesen  die  Entwickelung  von  sein  und  haben  schon  im  Mhd. 
abgeschlossen  scheint,  so  hat  werden  sein  Gebiet  erst  um  diese  Zeit 
weiter  ausgedehnt.  Zur  Bildung  eines  Futurum  tritt  es  sogar  gegen 
lat.  Vorlage  ein:  Äsop  53,  24  Xanthus  der  natürlich  maister  ivirt 
morn  ain  wyb  nemen  (=  ducit),  auch  erscheint  es  nunmehr  neben 
Partikeln,  die  bisher  eine  feinere  Unterscheidung  der  Zeitstufen  eher 
hemmten  als  begünstigten,  vgl.  Apoll.  87,  1   so  lang  bisx,  ain  rö- 


1  Als  frei  bestimmenden  Genitiv  werden  wir  Mul.  5/3,  1  sie  ward 
geboren  ainer  gehurd  mit  dem  iitpiter  für  eodem  (vdita  j^nrtu  auffassen 
müssen,  noch  weiter  geht  hierin  Apoll.  SC,  5  ir  sollend  frölich  sifxen  mit 
geschribner  sfimen  min  er  namen  lofh  He  Vau:  dann  icirtücli  Allexamlcr 
günstig  sin,  so  er  eicere  höbter  mit  diser  geschrift  gevieret  sieht. 

'■^  Grimm,  Gr.  IV,  351.  Binz,  Zur  Syntax  der  Baselstädtischen  IMund- 
art,  Stuttgart  1888,  §  99. 


Steiuhöwel  und  das  Dekameron.  263 

mischer  kiing  ufferstan  wirf;  doch  Apoll.  86,  34  darumh  sie  untz 
an  die  xuokunft  des  endcrist  beschlossen  sin  müssen:  dann  Jcommen 
sie  her  ausz.  Auch  in  abhängige  Sätze  dringt  das  Hilfsverb  ein, 
obwohl  der  Futurbegriff  hier  schon  durch  den  Zusammenhang  ge- 
nügenden Ausdruck  erhält:  Äsop  40,  30  doch  ivil  ich  dar  xuo  tuon, 
daz  das  myn  herr  wiszen  werde  [ui  nota  sit).  Nur  zu  passiven  Kon- 
struktionen, sofern  sie  mit  iverden  gebildet  werden,  tritt  das  Hilfs- 
verb noch  nicht  in  doppelter  Gestalt,  wir  finden  vielmehr  Apoll.  87,  3 
der  an  siner  stnrnen  den  namen  Cristi  in  gold  geschriben  tragen  ivirt : 
von  dem  werden  sie  gedämbt  und  erschlagen  u,  a.,  oder  modale 
Hilfsverben. 

Neben  iverden  sind  natürlich  für  modale  Färbungen  des  Futur- 
begrifFs  noch  immer  modale  Hilfsverben  beliebt,  so  überwiegt  für  die 

1.  Person  Sing,   noch  durchaus   das  Verb  wollen,   während  für  die 

2.  Person  einmal  mugen  belegt  ist:  Äsop  43,  33  Für  sie  in  die  stat 
Samum,  so  ynagst  du  sy  nach  allem  willen  verkouffen  (venumdabis); 
sollen  tritt  vor  allem  für  passive  *  Konstruktionen  ein:  Äsop  39,  35 
Welcher  under  ikh  . . .  understat  ze  veruntrüwen,  desselben  hut  sol 
mit  sölichem  Ion  . . .  begäbet  werden  =  erit  ornatum. 

Das  Passiv  wird  durchweg  mit  werden  ^  gebildet.  Es  läfst  sich 
auch  kein  Bestreben  mehr  nachweisen,  passiven  Konstruktionen  aus- 
zuweichen, denn,  wenn  auch  hier  und  da  lat.  Passivkonstruktionen 
aufgelöst  werden  (vgl.  Äsop  43,  22  daz  sie  in  nicht  erlcennen  mochten 
[quod  dinosci  iam  nequiebat],  Äsop  42,  1  so  hiesz  man  mich  für 
appellarer ;  Äsop  41,  23  Sprach  Zenas  zuo  im,  er  fiinde  all  da  kain 
pfürd  [reperiri  non  posse\,  ganz  ähnlich  G.  U.  106/:^,  13),  so  stehen 
diesen  wieder  Übertragungen  in  das  Passiv  gegenüber,  wie  Äsop 
39,  5  Also  wurden  die  fygen  alle  von  in  geeszen  =  ita  interloquendo 
ßcus  omnes  comederunt,  ganz  ähnlich  43,  19.  In  beiden  Arten  von 
Belegen  ist  das  Entscheidende  viel  weniger  eine  Abncigimg  gegen 
das  eine  oder  andere  Genus  als  vielmehr  ein  feines  Gefühl  des  deut- 
schen Übersetzers  für  das  handelnde  Subjekt. 


'  Aber  auch  sonst,  vgl.  G.  D.  058,  8  nie  wol  er  mir  eine  gcbetm 
■iiieii/d,  die  mir  liehe)i  nid  gefallen  sol  (piacerä). 

■^  Nur  in  G.  D.  noch  Belege  wie  663,  21  Dilncket  eueh  dan  da\  der 
leijhe  der  von  eueh  kinde  enpfangen  ...  hat  vor  aller  meng  »aekeiif  \e  hause 
gen  gesechen  sy  (sia  . . .  reduto). 


264  ■StciuhiJWfl  uud  das  Dckameron. 

Das  Präteritum  von  werden  neben  dem  Infinitiv  (d.  h.  der  ah- 
geschlifFenen  Participialform),  das  Pforr,  Wyle  und  G.  D.  nur  im 
Konjunktiv  und  für  hypothetische  Fälle  verwende«,  ist  bei  Steinhöwel 
auch  im  Indikativ  sehr  beliebt,  und  zwar  erscheinen,  Avie  auch  sonst 
bei  ihm  Participium  Präsentis  und  Infinitiv  formell  sich  berühren 
(Asop  53,  27  scliryen  und  raffend  lief  sie),  einigemal  noch  un- 
verkürzte Participialformen  neben  dem  Verb:  Asop  74,  12  ward  .sie 
schryend  und  klagen;  G.  U.  108/?,  14  Der  graf ...  ward  naii.end 
=  jrropinquabat.  Sonst  verwendet  Steinhöwel  die  abgeschliffene,  dem 
Infinitiv  assimilierte  Form,  deren  Participialcharakter  aber  noch  in 
Belegen  wie  G.  U.  103,  12  darumh  das  volk  fr  öl  ich  ward  imd 
begirliclt  erbieten  der  zyt  der  geburd  (subdito.s  anxia  expectationc 
suspendit)  durchbricht. 

Steinhöwel  macht  von  solchen  Zusammensetzungen  auch  für 
die  einfache  Erzählung  Gebrauch,  doch  lassen  noch  eine  Anzahl  von 
Belegen  die  Grundbedeutung  hervortreten,  die  auf  den  Beginn  einer 
Thätigkeit  den  Hauptnachdruck  legt:  wir  finden  G.  U.  106,  13  Es 
ward  . . .  uffstan  =  Ceperat  crebrescere,  ähnlich  Apoll.  89,  21  und 
ward  tmeh  im  regnieren  sin  sun.  So  kleiden  sich  vor  allem  Verbal- 
thätigkeiten,  die  mehr  als  eine  Zeiteinheit  umspannen,  in  diese  Form, 
vgl.  Äsop  47,  4  Da  das  der  frowen  dienerin  erJiorten,  mainten  sie,  c.b- 
wäre  war  . . .  und  tourden  under  ainander  hadern  (contendere  ceperunt). 
G.  U.  1 1 0,  1 2  Do  er  die  . . .  ersach  . . .  do  tvard  in  erbermd  vmbfahen 
(miseratus) ;  ^  Äsop  40,  26  Als  aber  der  ...  uff  den  acker  kam,  da 
ward^  er  einen  buwknecht  gar  Jmrt  schlaehen  (cederef);  von  geistigen 
Thätigkeiten  gehören  namentlich  solche  hierbei',  die  in  eine  sinnliche 
Äufserung  ausmünden,  vgl.  aufser  den  beiden  eben  angeführten  Be- 
legen in  G.  U.  110,  12;  Apoll.  102,  24,  in  denen  ein  innerer  Vor- 
gang in  einem  sinnlichen  dargestellt  wird,  der  sich  selbst  schon  in 
mehrere  Momente  gliedert,  einen  Beleg  wie  Äsop  42,  16  die  erschra- 
cken  ser  und  wurdent  .schryen  und  fliehen  (territi  vocifera/runt),  dann 
bei  lachen  Äsop  44,  17  Do  das  Esopus  höret,  ward  er  ser  lachen 
(risit),  genau  so  44,  33 ;  ebenso  46,  1 6  *,  auch  bei  fragen  G.  U.  101  /?,  1 
■nennet  sie  by  ierem  naynen  /  vnd  ward  sie  fragen  iva  ir  vatter  were 
{i'ogauit)',  Äsop  46,  11  desgleichen  {querunt).  Ähnlich  scheint  Stein- 
höwel auch  Thätigkeiten  aufzufassen,  die  sich  ganz  innerhalb   des 


Vgl.  Apoll.  1()2,  2J   tmd  ward  im  sin  J/opt  sinken  von  (ruren. 


Steinhöwcl  imd  das  Dekameron.  265 

Subjekts  abspielen,^  vgl.  Asop  40,  31  Do  das  der  buivrnaister  . . .  er- 
höret, er  ivard  ser  wundern  von  der  red  Esopi  {adtniratus),  so  gedenken 
Apoll.  102,  22  u.  a. 

Die  Formen  für  die  Vergangenheit  bieten  sonst  wenig  des  Be- 
merkenswerten. Steinhöwel  beweist  seine  Selbständigkeit  gegenüber 
der  Vorlage  auch  durch  seine  Abneigung  gegen  das  historische  Prä- 
sens, das  im  lat.  Texte  sehr  häufig  begegnet.  Wir  finden  Äsop  39,  4 
In  den  ivylen,  als  sie  der  ding  aines  wurden,  auszen  sie  die  fygenn  ... 
uml  sprachen  [dum  ...  manducant  inter  se  inquiunf)  u.  a.  Nur 
bei  sprechen  und  sehen  ist  das  Präsens  vereinzelt  auch  in  den  deut- 
schen Text  gedrungen,  ohne  sich  jedoch  im  speciellen  Falle  immer 
gerade  an  die  Vorlage  anzulehnen:  Äsop  46,  14  Die  tvyl  aber  der  ... 
und  Xanthus  . .  .  anlegten  . . .  so  sj)  r  i e h  t  Esojms  (emn  . . .  compo- 
nunt  ...  inquit),  55,  21  Uiid  als  er  mangen  an  dem  weg  sach,  %e  letst 
sieht  er  ainen  groben  puren  dort  siezen  und  sprach  zuo  im  {in- 
tuens),  ebenso  42,  15  [so  senhen  zwai  klaini  knäblin  Esopum  = 
ut  viderunt). 

Einige  trennende  Momente  gewinnen  wir  für  unsere  beiden 
Stilisten  noch  aus  dem  Wechsel  zwischen  einfachem  Präteritum  und 
Zusammensetzungen  des  Part.  Prät.  mit  Formen  von  shi  oder  haben. 
Verbindungen  mit  dem  Präsens  dieser  Verba  werden  bei  Steinhöwel 
durchaus  unter  dem  Gesichtspunkte  einer  in  die  Gegenwart  als  Zu- 
stand fortwirkenden  Verbalthätigkeit  eingeführt,  vgl.  Äsop  39,  9 
da  gieng  er  hin  yn  vnd  haut  on  alle  Vernunft  die  fygen  alle  geeszen 
=  ingrediens  manducamt  u.  a.  In  G.  D.  finden  wir  Schwankungen, 
die  sich  im  Grunde  nur  aus  der  Vorlage  erklären  lassen,  wobei  für 
eine  etwaige  lateinische  Vorlage  die  Konservierung  der  italienischen  zu- 
sammengesetzten Formen  durch  den  lat.  Stil  nichts  Auffallendes  böte. 
Da  die  Hauptsätze  vorwiegend  die  treibenden  Momente  der  Darstellung 
enthalten,  finden  wir  hier  sowohl  in  dem  italienischen  wie  im  deut- 
schen Texte  nur  selten  eine  zusammengesetzte  Form ;  die  beiden  Be- 
lege: wie  658,  32  dann  ich  ftab  mir  ein  schöne  iunckfraiven.  ...  funden 
{lo  ho  trovata);   659,  20  Ich  pin  komen  (lo  sono  venuto)  entsprechen 


'  Vielleicht  wirkte  hier  wie  dort  jdas  Bedürfnis  mit,  Vorder-  und 
Nachsatz  nach  ihrem  Umfang  etwas  auszugleichen,  in  diesem  Falle  also 
den  Nachsatz  etwas  auszudehnen.  ' 


266  Steinhüwcl  und  das  Dckamerou. 

durchaus  der  Grundbedeutung  der  gewählten  Formen.  Anders  liegt 
die  Sache  in  den  Nebensätzen.  Im  Neben  Satzgefüge  wird  von  Verbal- 
thätigkeiten  der  Vergangenheit  viel  häufiger  auch  die  Gegenwart 
zuständlich  berührt  und  G.  D.  läfst  dementsprechend  hier  gern  zu- 
sammengesetzte Formen  eintreten,  so  übereinstimmend  mit  der  ital. 
Vorlage  658,  30  Vnd  nu  die  zeit  komen  ist  (venuto  e),  ganz  ähnlich 
659,  8;'G63,  20  daz  der  leybe  der  von  euch  Jcinde  enp fangen  vnd  ge- 
tragen hat  vor  aller  meng  nackent  ze  hause  gen  gesechen  sey  {io  ho 
poriati),  ähnl.  658,  28;  ebenso  aber  auch  ohne  Anlehnung  an  die 
ital,  Vorlage,  wobei  jedoch  nur  zweimal  italienischer  und  deutscher 
Text  im  Verb  übereinstimmen  (658,  29  vnd  nachdem  ir  mdr  versjyrochen 
Imht  iÜY  prometteste;  662,8  iixr  faceva),  in  den  anderen  Fällen  jedoch 
überhaupt  eine  durchgreifende  Verschiedenheit  zwischen  beiden  Texten 
walu'zunehmen  ist,  die  eventuell  schon  einem  lateinischen  Bearbeiter 
angehört:  658,  31  als  ich  geret  hob;  658,  32.  38.  Daneben  finden 
wir  in  der  Rede  der  Griseldis  von  der  Ehescheidung  (S.  663)  eine 
Reihe  von  ungewöhnlichen  Verwendungen  beider  Formen,  die  jedes- 
mal mit  dem  ital.  Texte  übereinstimmen,  was  wohl  nicht  leicht 
ein  Zufall  sein  kann:  663,  15  nennet  hin  eüern  ringe  mit  dem  ir 
mich  mschlet  (sposaste),  ebenso  663,  18.  23.  Und  in  derselben  Weise 
werden  wohl  auch  die  Schwankungen  in  663,  8  ff.  zu  erklären  sein: 
das  ich  mein  slehte  nydere  gepiirt  stäcz  wol  erkant  hob  [io  conohhi 
sempre)  vnd  das  ich  eüers  adels  vnwirdig  ...  was  (non  convenirsi) 
vmid  die  zeit  die  ich  pey  euch  gewesen  pin  {che  io  stata  sono 
con  voi)  ...  euch  mje  mein  sehaczet  noch  euch  für  mein  hielte; 
Sunder  euch  mir  als  einen  geleichen  man  geacht  hat  (ne  mai 
come  donatolmi,  mio  il  feci,  o  tenni,  7na  sempix  ebbi  come 
prestatom,i). 

Das  Präteritum  von  sm  resp.  haben  als  Vertreter  des  lat.  Plus- 
quamperfekts ist  bei  Steinhöwel  in  die  mit  do  eingeleiteten  Zeitsätze 
noch  nicht  eingedrungen:  vgl.  Äsop  39,  8  da  Esopus  Jieut  von  acJcer 
kam  (veniens),  ebenso  41,  21  (cum  obviasset);  G.  XJ.  106/?,  15  (cum 
pervenisset)  u.  a.  Die  einzige  Ausnahme  bietet  G.  U.  101,  20  vnd 
da  der  gesaczt  tag  komen  was  vnd  nieman  hört  von  keinem  ge- 
mahel  . . .  ward  das  wonder  vil  vester  [Instabat  . . .  dies  . . .  nemo  no- 
uerat),  wo  jedoch  die  zusammengesetzte  Form  dazu  dient,  die  Zeit- 
unterschiede in  den  beiden  koordinierten  Sätzen  zum  Ausdruck  zu 
bringen.    Einen  präciseren  Ausdruck  für  die  relative  Zeitstufe  ihrer 


Steiuhöwel  luul  das  Dekameron.  267 

Verbal thätigkeit  verlangen  dagegen  die  mit  als  eingeleiteten  Sätze, 
weil  hier  das  Zeitverhältnis  nicht  unter  dem  Gesichtspunkte  einer 
losen  Berührung,  sondern  unter  dem  vollkommener  Gleichwertigkeit 
dargestellt  wird.  Wir  finden  Äsop  39,  11  Als  er  aber  komen  was 
sprach  der  Jierr  {cum  venissef),  ebenso  39,  28  u.  a.,  ja  auch  für  Imperf. 
Äsop  40,  9  und  als  die  grosz  hicz  des  tages  worden  icax,  leget  er 
sich  schlauffen  {cum  esset),  desgl.  43,  20;  ebenso  für  Particip  39,  6; 
40,  14. 

Die  Fälle,  in  denen  nach  als  die  relative  Zeitstufe  nicht  zur 
Geltung  kommt,  sind  selten.  Sie  mögen  sich  teils  aus  Analogie- 
wirkung der  Konstruktionen  mit  do  erklären:  vgl.  Äsop  39,  31  Als 
der  herr  das  ersah,  keret  er  {sentiens)',  42,  23  sogar  für  inspecto, 
während  in  Passivkonstruktionen  formelle  Momente  gegen  das  Plus- 
quampf.  zu  wirken  scheinen;  vgl.  Äsop  43,  20  als  sie  %e  morgen 
ketten  geeszen  und  der  korb  gancz  ler  ward,  fiirgieng  Esopiis 
die  andern  {vacuo  caniströ),  wo  zugleich  das  Verhältnis  der  beiden 
koordinierten  Verba  mitwirkte,  dann  Äsop  64,  31  Als  aber  dise  brief 
in  dem  senat  gelesen  wurden,  und  menglich  erschraken  ivas  ... 
dannocht  was  ir  aller  beschlusz  {His  litteris  in  senatu  recitatis);  G.  U. 
103,  16  {cum  oblactata  esset). 

Auch  hier  ist  G.  D.  im  wesentlichen  von  seiner  Vorlage  ab- 
hängig, die  wh-  hierin  dem  italienischen  Texte  gleich  ansetzen  dürfen. 
Da  es  den  Wechsel  von  do  und  als  nicht  kennt,  wäre  für  seine 
Temporalsätze  durchweg  das  einfache  Präteritum  anzusetzen.  Dieses 
tritt  auch  stets  für  das  absolute  Particip  des  Präsens  {udendo)  ein 
(660,  30  Do  die  fraive  des  hern  rede  vername  ...  also  sprah,  genau 
so  661,  7;  663,  6;  ähnl.  661,  35*),  während  für  absolutes  Particip 
des  Präteritums  das  Plusquamperfekt  einü-itt:  659,8  Do  nun  der 
tage  die  hochzeit  zuo  machen  komen  was,  der  marckgraffe  ... 
zuo  rosse  sasz  {yenuto  il  d>),  genau  so  664,  32,  ähnl.  (564,  7  {Come 
Gualtieri  questo  ebbe  fatto). 

b)  Die  Modi. 

1)  Der  Imperativ  wird  von  Steinhöwel  viel  und  oft  gegen  lal. 
Konjunktivformen  eingeführt;  vgl.  Äsop  42,  8  .so  kovffmich  {cmas); 
42,  24  .so  trag  och  nicht  {nihil  feras)  u.  a.  Beibehalten  wird  der  lat. 
Konj.  nur  in  Grufsformeln,  die  ohnedies  mehr  an  das  Optative  Ge- 
biet streifen.    Hier  tritt  er  auch  für  lat.  Imperativ  ein  (Äsop  40,  36 


268  SteiuhOwel  und  dai«  Dekameron. 

Herr,  du  syesl  ser  gegrüsxet  =.  plurirmim  salve;  42,  22  iüi  salveie). 
Andererseits  uniechreibt  Steinhöwel  den  Imperativ  gern  durch  den 
Indikativ  von  Modalverben:  wollen  umschreibt  zunächst  den  Jussiv 
der  ersten  Person :  Asop  43,  4  wir  ivöllens  im  wol  (jünden  -=.  viorem 
sibi  geramus,  ebenso  44,  23.  Für  eigentlichen  Imperativ  bedarf  es 
eines  umschreibenden  Satzes,  um  wollen  im  Nebensatze  einfükren  zu 
können,  G.  U.  100,  23  so  ivil  ich  hcrwidernmb  I  das  ir  J  mir  ouch 
verlmissen  vnd  halten  wellen  =  vnum  vos  mihi  uersa  vice  promittitc 
ae  seruate.  Um  so  häufiger  ist  sollen  zu  belegen,  namentlich  an  Stelle 
lateinischen  Konjunktivs:  Äsop  55,  28  Du  soll  nit  in  übel  u/f- 
niemen  {feras),  ebenso  49,  25  du  soll  die  krüier  vmb  sus  haben 
(habeas),  desgl.  46,  27;  doch  auch  für  Imperativ  69,  3  Sun  du  solt 
mynen  worten  . . .  uffmerken  (attendito),  69,  7  (und  so  noch  zehnmal 
auf  S.  69).  42,  27  Ir  sollen  truren  (gemite)  als  einziger  Beleg  der 
Umschreibung  beim  Plural  der  2.  Person,  müssen  finden  wir  in 
Asop  42,  28  darumb  miisxen  ir  ...  tailen  (dividite);  ähnl.  49,  33 
Hut  miesxen  ir  linsen  mit  mir  eszen  (prandebitis).  laszen  lehnt 
sich  zunächst  an  lat.  jubere  an,  so  in  Äsop  47,  8  Lausz  in  zuo 
uns  kommefi  (lube)  u.  a.  in  Imperativform,  in  der  es  (Äsop  39,  1 1 
Bald  laszen  mir  Esojmni  berüffen  r=:  Quispiam  ad  me  evocet)  auch 
lateinischen  Jussiv  umschreibt,  während  die  Indikativform  in  Äso]) 
38,  35  Laust  du  mich  mit  dir  eszen,  so  gib  ich  {Una  tecum  man- 
ducare  me  velis)  für  den  Optativ  von  velle  einti-itt. 

G.  D.  läfst  einem  Imperativ  der  Vorlage  stets  auch  deutschen 
entsprechen,  nur  in  eingeschobenen  Formeln  finden  \Wr  Umschrei- 
bungen, so  sollen  in  662,  36*  du  solt  wissen,^  genau  so  663,  8*; 
664,10*;  aufserdem  das  bei  Steinhöwel  nicht  belegte  werden:  661,4* 
frawe  ir  wert  gedult  haben.  Dann  will  ich  nicht  sterben  so  niusz  i^-h 
{madonne,  se  io  non  voglio),  ähnl.  664,  14*. 

2)  Der  Konjunktiv  Präsentis.  Die  3.  Person  des  Konj.  Präs.  ist 
im  einfachen  Satze  nur  ganz  spärlich  belegt.  Willensäufserungen 
wenden  sich  vorwiegend  an  die  2.  Person,  und,  wo  sie  nach  einer 
dritten  Person  zielen,  wird  meist  mit  Indikativ  des  Hilfsverbs  sollen 
operiert:  Äsop  53,  31  die  wyl  ich  leb,  so  sol  mir  kain  ander  wyb 
über  den  tür schwellen  komen  (intrabit);   49,  33  ^vann  under  fründeu 

'  Vgl.  Asop  68,  14  darumb  so  icisx. 


Steinhöwel  imd  das  Dekamerou.  269 

sol  man  nit  die  kostharkait  der  traclitcn  . . .  ansenken  (spectanda  est); 
ähnl.  G.  D.  663,  IS  so  sol  es  auch  mir  lieben  vnd  mein  gefallen  sein 
{e  a  nie  dee  piacere).  Konj.  ist  hier  im  ganzen  Leben  Äsops  nur 
58,  36  Kere  myn  undertail  die  andern  icasr^er  ...so  ivill  ich  [avertat) 
und  genau  so  in  59,  15  belegt,  die  beide  kaum  mehr  dem  einfachen 
Satze  zuzurechnen  sind,  aufserdem  mehr  konzessiv  in  66,  27  Sie 
syerul  ahgelasxen  (Remittanfur).  Aus  G.  D.  ist  gar  kein  solcher  Konj. 
zu  belegen,  denn  661,  37  nit  bekümer  euch  mein,  wenn  auch  for- 
mell unpersönlich  konstruiert,  ist  doch  persönlich  gedacht  und  somit 
zu  den  Imperativen  zu  rechnen.  Optative  Momente  werden  im  Konj. 
Prät.  dargestellt,  der  Konj.  Präs.  ist  hier  mehr  noch  in  Formeln  er- 
halten, wie  in  G.  D.  665,  34  gott  gebe  eitch  gelücke,  wofür  aus  Asop 
kein  Beleg  zu  erbringen  ist.  Potential  tritt  der  Konj.  Präs.  nur 
noch  im  zusammengesetzten  Satze  auf,  s.  S.  271. 

Dort  wirkt  neben  den  eben  schon  besprochenen  Faktoren  auch 
noch  der  Zusammenhang  zu  Gunsten  des  Konjunktivs.  Allerdings 
ist  gerade  die  letztere  Wirkung  in  unserer  Periode  schon  bedeutend 
eingeschränkt,  andererseits  aber  erhält  sie  speciell  aus  der  lateinischen 
Vorlage  nach  anderer  Richtung  hin  wieder  neue  Nahrung.  Das  Er- 
gebnis dieses  Gegenstreits  der  verschiedenen  Strömungen  darf,  wenn 
es  auch  nicht  in  jedem  einzelnen  Falle  zur  Lösung  unserer  Aufgabe 
beiträgt^  doch  vielleicht  Interesse  beanspruchen. 

Die  Indikativtendenx  beruht  schon  auf  dem  mit  jedem  Zeit- 
abschnitt fortschreitenden  Verfall  der  Flexionsfornien,  der  für  unsere 
Schriftsteller  bereits  in  der  Mehrzahl  der  Formen  die  Unt.erschiede 
zwischen  Indikativ  und  Konjunktiv  verwischt  zeigt,  ein  Umstand, 
der  naturgemäfs  der  häufiger  verwendeten  Form  auf  Unkosten  der 
selteneren  zu  statten  kam.  So  zeigt  sich  zwar  der  Einflufs  des  Impe- 
rativs oder  entsprechenden  Konj.  auf  untergeordnete  Relativsätze 
u.  a.   in   Belegen  wie  Äsop  53,  34   kouff,   wax  liepliche  sye^  (sit), 


'  Man  könnte  Wer  an  indefinite  Konzession  denken.  Doch  ist  gerade 
für  diese  der  Indikativ  am  breitesten  durchgedrungen.  Der  Konjunktiv 
hält  sich  hier  fast  nur  in  Formeln  wie  G.  658,  15  scy  ner  sie  wolle  (cui 
che),  659,  1  {Josse  chi  vol  esse).  Ersatz  durch  Indikativ  von  ntugen  ist 
ebenfalls  selten:  G.  U.  103,5,  14  vnd  ist  mich  (dies  das  »mit  tinm  mag 
iniufliclier  xe  beschenlien  {(ni/nia  prius  fieri  passiinf).  Dagegen  nun  G.  I^. 
105,  15  in  allen  sachen  uns  du  irilt  da\   iril   ich   auch   (quicquid  tu  eis); 


270  Steinhöwel  und  diis  Dekaiiierou. 

Apoll.  95,  34  ob  du  leben  wällest,  so  sa/j  mir,  genau  so  104,  21; 
aber  Sätze,  die  das  indefinite  Moment  schon  durch  die  Wahl  des 
Verbums  oder  der  Pronominalform  zum  Ausdruck  bringen,  erscheinen 
im  Indikativ:  Äsop  41,  14  tuo  mit  im  ivaz  du  tviltt  [quod  vis); 
genau  so  42,  37;  G.  U.  103/^,  9  leb  ...  als  du  ivilt  {sicut  Übet);  Äsop 
49,  29  koch  sie  so  bald,  du  magst  (quam  potes).  Allerdings  dürfte 
hier  auch  der  lateinischen  Vorlage  einiger  Einflufs  einzuräumen  sein. 

Eine  Willensthätigkeit  kann  nun  auch,  ohne  im  Imperativ  oder 
entsprechenden  Konjunktiv  zum  Ausdruck  zu  kommen,  aus  dem 
Hauptsatze  in  den  Nebensatz  herüberwirken.  Von  dieser  Wirkung 
werden  zunächst  Relativsätze  und  Substantivsätze  ergi'ifFen.  Kon- 
ditionale Nebensätze  entziehen  sich  in  unserer  Periode  zumeist  sol- 
cher Wirkung,  eine  Ausnahme  bildet  G.  U.  108,  9  dar  rmb  ob  es  dir 
ain  gefallen  sye  ...  so  bit  ich  (si  tibi  placet),  wo  der  Konjunktiv  der 
Willensbethätigung  eine  höflichere  Prägung  verleiht.  Von  Relativ- 
sätzen gehört  hierher  G.  D.  658,  4  ein  swere  ding  ist  ein  frawen  ze, 
finden  die  sich  gancze  zuo  ii'es  manns  . . .  willen  schicke  (cht  .. .  si 
convenga)  gegenüber  G.  U.  99/?,  32  wir  ivellen  dir  aine  schaffen  . . . 
die  dyn  ivirdig  ist  (que  te  merito  digna  sit);  ebenso  G.  U.  100,  5 
daz  . . .  nit  . . .  dyn  volk  belyb  on  ain  hobt  dar  zuo  sie  begird  hand 
{sine  votiuo  rectore).  Die  Substantivsätze  weisen  unter  dem  Einflufs 
eines  Willens  oder  Wunsch verbs  noch  durchweg  den  Konjunktiv 
auf,  s.  S.  271. 

Ein  Nebensatzinhalt  kann  durch  den  Zusammenhang  auch  der 
Unwirklichkeit,  Irrealität  genähert  oder  ganz  in  diese  übergefühlt  wer- 
den, was  meist  durch  Negation  im  Hauptsatze  oder  durch  entsprechende 
Verben  vor  Substantivsätzen  geschieht.  Auch  hier  hat  die  Indikativ- 
tendenz verhältnismäfsig  wenig  Raum  gewonnen.  *  Anders  in  Neben- 
sätzen, deren  Inhalt  an  und  für  sich  keine  reale  Existenz  hat  und 


(so  wohl  auch  in  G.  U.  100,  24  weihe  ich  erwele  [qnamcitnque  delegero], 
genau  so  G.  D.  658,  29)  und  ebenso  auch  G.  U.  99/^,  23  wie  wol  du  bist 
in  blüender  iK/yt  =  qua.mqtiam  florida  sis  etate.  Um  so  auffallender  Apoll. 
101,  9  w&r  sieh  tvöl  tväsciien  und  salben  . . .  dem  wirt  gewartet  scJion. 

'  Nur  die  Darstellung  in  präteritaler  Zeitform  begünstigt  hier  den 
Indikativ,  vgl.  G.  U.  110/5,  20  dax  nietnan  icas  dem  sgiie  ugeii  nit  nasx 
wurden.  Aber  G.  U.  103/?,  15  vml  ist  och  alles  das  man  tuon  maxi  müg- 
licher  %e  besclienhen  iran  dax  der  myn  teilt  milg  rerwandt'lt  werden  (amnia 
prius  fieri  possunt  quam  hie  anitnus  mutari). 


Steinhöwel  uud  das  Dekameron.  271 

die  in  den  Zusammenhang  nur  eingeschoben  werden,  um  Begriffe  zu 
umschreiben,  Vergleiche  zu  ermöglichen  u.  a.  In  der  alten  Sprache 
tritt  die  nur  relative  Realität  dieser  Sätze  in  ihrer  grofsen  Empfäng- 
lichkeit für  Konjunktiv  zu  Tage;  die  neueren  Sprachperioden  be- 
günstigen den  Indikativ.  Wir  finden  allerdings  noch  Belege  wie 
G.  U.  101/?,  14  Ich  soll  nichtz  ...  wellen  wem  das  dir  gefeilig  sye 
=  nisi  quod  placitum  tibi  sit,  wo  auch  an  Einflufs  der  Vorlage,  an 
Übertragung  des  Konjunktivs  nach  Willensverben  oder  nach  Negation 
gedacht  werden  kann.  Aber  auch  Mul.  5,  19  so  mügen  icir  has  er- 
zelen  ivas  ir  von  grossem  gelück  zuo  gestanden  ist  tvan  dehainerlay 
iverck  . . .  das  der  gedechtnüs  wirdig  sye  (memorabilem  dictu)  gehört 
wohl  hierher,  da  für  indefinite  Konzession  der  Konjunktiv  sonst 
nicht  beliebt  ist;  vgl.  S.  269,  Anm. 

Dagegen  hält  sich  der  Konjunktiv  fester  in  Nebensätzen,  die 
einem  konjunktivischen  Substantivsatze  untergeordnet  werden,  ohne 
eigentlich  in  dessen  Modalsphäre  eingetreten  zu  sein:  G.  D.  661,  31 
ich  besm-g  ivölle  ich  aiiders  mit  in  mit  fride  sten  ich  müsse  (se  io 
non  ci  vorrö  esser  cacciato);  ebenso  G.  U.  101/5,  27  vnd  ivas  ich  mit 
dir  schaffen  ivölle  dax  mir  daz  zime  (quidquid  ...  roluero),  101/?,  7 
vnd  main  /  was  mir  ge fellig  sye  j  duz  das  oiich  wellest  (queeunque 
mihi  placeant). 

Die  Konjunktivtendenz  macht  sich,  vom  lateinischen  Text 
aus  gefördert,  nach  der  potentialen  Seite  hin  bemerklich  und  wirkt 
vorwiegend  auf  den  Substantivsatz  ein.  Vielleicht  ist  hieraus  der 
Konjunktiv  in  G.  U.  99/9,  28  vnd  alsz  gewisz  ist  daz  er  käme  /  so 
vngewisz  ist  die  stund  syner  zuokunft  zu  erklären,  jedenfalls  ge- 
hören hierher  die  indefinit  anknüpfenden  Sätze,  die  fast  ausnahmslos 
den  Konjunktiv  aufweisen:  Äsop  45,  21  Das  frag  ich  auch  nit,  sonder 
beger  ich  von  dir,  an  welchem  end  du  geboren  syest  (sis  natus); 
45,  23;  51,  16  u.  a.;  genau  so  Apoll.  95,  1  so  wil  ich  dir  sagen  . .. 
ivas  ich  ivölle;  104,  17;  108,  32;  gegen  Äsop  63,  10  Der  ivi/rt 
üch  bedüten  waz  das  wondcrwerk  des  adlers  uff  im  tregt  {significst) 
und  G.  D.  658,  3  ich  bedenek  tvie  es  also  ein  sivere  ding  ist  (sia). 
Sonst  halten  hier  nur  Thatsachen  der  Vergangenheit  am  Indikativ 
fest:  Äsop  45,  22  Myn  tnuter  hat  mir  nye  gesagt  in  welcher  kamer 
sie  mich  gebar  (peperit)  u.  u.,  während  Momente,  die  in  präteritaler 
Darstellung   die  Gegenwart  repräsentieren,   an  der  Konjunktivform 


272  Bteiuhöwel  und  das  Uekameron. 

festhalten,  da  ihre  Realität  nur  eine  relative  i&t:  Äsop  4G,  12  als  sie 
von  dem  kouff  horten  sagen  /  wurden  sie  kluoglich  fragen,  welcher  der 
houffer  oder  verJcouffer  wäre  (quis  esset),  ebenso  Apoll.  88,  30;  G.  U. 
109/^,  8  daz  alle  gest  über  ivwruler  natnen  /  wannen  die  herlichen 
Sitten  . . .  vnder  so  ainem  schnöden  geu-and  verborgen  lägen  (vnde). 
Hierher  gehört  auch  G.  U.  109,  24  sprachen  /  der  ivaWier  het  irol  . . . 
gewechselt!  darumb  daz  die  nüive  spons  i  lilnger  rml  edler  ivere, 
Avährend  der  Konjunktiv  in  Sätzen  wie  G.  U.  108/?,  9  iSVe  was  ..  i 
in  grosser  gedult  vnd  demuot!  etlich  tag.'  das  nie  kain  mensch  kain 
zaichen  . . .  von  ir  s  e  h  e  (Ita  ut)  entschiedener  Latinismus  ist. 

3)  Der  Konjunktiv  Präteriti  hat  zunächst  für  das  Präteritum 
diejenigen  Funktionen  übernommen,  die  dem  Konj.  Präs.  für  letzteres 
Tempus  zukommen,  zugleich  aber  ist  er  als  Exponent  rein  modaler 
Verhältnisse  auch  losgelöst  von  seiner  temporalen  EigensclTaft  zu 
betrachten,  und  hier  sind  es  Optative  und  hypothetische  Fassungen 
der  Verbalthätigkeit,  die  in  Frage  kommen.  Die  letzteren  lassen  sieh 
im  einfachen  Satze  nicht  leicht  belegen,  höchstens  in  der  Form,  die 
Wünschen  und  Behauptungen  ein  milderes  Gepräge  verleiht,  vgl. 
G.  U.  109,  1  Ich  walte  ...  da%  (Cujno);  G.  U.  110,  10  darumb  {als 
ich  main)  so  möcht  sie  es  nit  erlyden  =  quantum  ego  auguror  non 
valeret.  Häufiger  dient  jedoch  zur  Milderung  der  Behauptung  das 
Hilfsverb  mugen  im  Indikativ:  G.  D.  658,  5  Nu  mag  es  ye  nicht 
anders  dann  ein  sweres  hertes  dinge  sein  (considerando  . . .  come 
dura  ..  .  sia),  namentlich  auch  für  Fragen  (Äsop  44,  21  Was  mag 
er  gesenhen  han  [Quid  vidii]),  denen  der  Konj.  Prät.  einen  durchaus 
hypothetischen  Charakter  aufprägt:  Äsop  42,  7  Waur  inn  möchtest 
du  mir  gut  syn  (prodesse  quires).  Das  Hypothetische  ist  überhaupt 
das  eigentliche  Element  des  Konj.  Prät.,  das  vor  allem  im  Kon- 
ditionalgefüge  zum  Ausdruck  kommt,  während  es  in  sonstigen  Neben- 
sätzen nur  selten  (vgl.  G.  U.  107,  1  so  kenn  ich  ouch  duz  mir  nit 
zimlich  ist  das  ainem  iglichen  akermayi  zeme  =:  licet),  im  einfachen 
Hauptsatze  überhaupt  nur  in  Äsop  43,  7  zu  belegen  ist:  Der  ist  nit 
trag  zu  der  arbait  ...  er  trüge  den  esel  zu  der  bürdin  (portaret). 
Für  ausgesprochene  Irrealität,  sofern  sie  nicht  im  Konditionalgefüge 
hypothetische  Färbung  gewinnt,  ist  der  Konj.  Prät.  noch  nicht  durch- 
gedrungen ;  wir  finden  aufser  den  oben  berührten  Belegen  solche  wie 
G.  U.  9  9  /?,  1 2  so  sol  myn  stimm  /  den  . . .  willen  des  volkes  dinen 


SteinhÖwel  uud  das  Dekanieron.  273 

oren  fürbringen  nit  I  äarumb  dax,  ich  ...  sye  mer  ivan  die  andern 
(non  quod  singulare  aliquid  haheam).  Auch  im  Konditionalgefüge 
selbst  ist  noch  nicht  durchweg  der  Parallelismus  der  !Modi  festgelegt, 
sofern  er  nicht  innerlich  begründet  ist.  Vor  allem  in  konzessiven 
und  exceptionellen  Gefügen  stehen  die  einzelnen  Glieder  sich  sehr 
selbständig  gegenüber,  vgl.  Mul.  3  /?,  2  Doch  so  synd  dise  ding  . . . 
lohlich  . . .  ivann  sie  nit  mit  ainer  vnsiibern  lyhs  wolnust  von  ir  ver- 
malget  iveren  {CcBterwn  hcec  omnia  . . .  laudabilia  . . .  unä  ohscoena 
mulier  fcedauit  illecehra). 

Dagegen  ist  das  Präteritum  in  allen  Aussagen  zur  Regel  ge- 
worden, die  einem  Präteritum  untergeordnet  sind:  Asop  41,  23  Sprach 
Zenas  xuo  im,  er  fünde  all  da  kain  pfärd,  57,  13  u,  a,  G.  U. 
109,  22  die  sprachen  /  der  walther  het  ivol  vnd  ivyszlich  gewechselt 
(permutasse),  ebenso  G.  D.  660,  15  7iicht  sprachen  .  .  .  wie  der 
niarckgraffe  so  vnweiszlich  gethon  hette;  Sunder  sprachen  er  pasz 
imd  weisxlicher  dann  kein  7nan  gethon  hette  (che  egli  era  il  piü 
savio)  u.  a. 

4)  Modalpartikeln  und  Modalverben.  Partikeln  und  adverbiale 
Bestimmungen,  die  dem  Indikativ  die  apodiktische  Schärfe  beneh- 
men, sind  bei  SteinhÖwel  nur  sehr  sparsam  verwendet,  vgl.  Äsop  42,  9 
tvann  oun  zivyfel  sy  werden  mich  fürchten  =  quippe  reformidabimt, 
oder  Apoll.  108,  2  dar  durch  er  den  klingen  ivol  %e  glichend  ist. 
Aus  G.  D.  lassen  sich  hier  trotz  des  beschränkten  Umfanges  mehr 
Belege  entnehmen.  Zunächst  erscheinen  die  fraglichen  Formen  in 
ihrer  eigentlichen  advei-vialen  Funktion:  G66,  3  das  Uriseyda  on 
czweyfel  gelauhet  {die  ella  fertnamente  credeva)  oder  660,  35  der 
marckgraff  . . .  wol  erkante  (conoscendo),  genau  so  663,  8  u.  a. ;  den 
Übergang  zu  modaler  Venvendung  mag  schon  664,  12  Ntm  weistu 
wol  {e  tu  sai)  oder  658,  10  Dann  vater  vnd  muter  mügee  ir  ivol 
kennen  aber  irer  kinder  nichtt  [conciö  sia  cosa  che)  darbieten,  voll- 
ständig modal  jedenfalls  ist  die  Partikel  in  G65,  25  den  nuirckgraffenn 
nun  wol  genug  dauchl  (^pareva  pienamente  aver  veduto)  und  666,  23 
Ich  mich  des  w  o  l  rümen  mage  {credendomi  poter  dar  vanto).  Auch 
Optative  und  jussive  Partikeln  sind  bei  SteinhÖwel  selten  und  treten 
nur  als  Verstärkung  zum  Konjunktiv  hinzu,  G.  D.  dagegen  zeigt  sie 
auch  beim  Indikativ :  663,  21  so  ivill  ich  aber  gern  also  nackent  von 
euch  gen  (io  me  n'andrö  ignuda). 

Aielüv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  18 


274  Steinhöwcl  und  das  Dekameron. 

Interessanter  ist  das  Verhältnis  der  Modalverben  zur  entsprechen- 
den Vorlage:  tvollen  dient  schon  in  eigentlicher  Verbalfunktion  dazu, 
die  verschiedensten  lateinischen  Korabinationen  zu  vertreten,  vgl. 
G.  IT.  100,  12  die  ir  vff  üch  nemen  wollen  für  ojfertis ;  100,  13  wil 
ich  selber  hau  {ipse  subeo);  100,  10  aber  dem  willen  myner  vmlertan 
wil  ich  mich  machen  begirlich  vnderwüi-fflg  (me  sponte  subiciö)  u.  a.; 
ebenso  G.  D.  658,  12  Doch  seytmale  ir  mich  mit  disen  keten  pinde 
ivöllte  {vi  piace),  ähnl.  G.  D.  659,  32  (intendo  che).  Modal  tritt  wollen 
zunächst  zur  Umschreibung  des  Futurums  in  der  1.  Person  ein  (S.  263), 
sodann  in  Substantivsätzen,  wo  es  nach  Verbis  dos  Begelirens  die 
Willensregung  kräftig  hervorhebt:  G.  U.  100,  24  teil  ich  das  ir  j  mir 
ouch  verhaissen  ...  tv eilen  ...  da%  ir  die  ...  wellen  verogen  han 
[promittite  . . .  vt  . . .  prosequamini) ;  Mul.  4  /?,  1 1  begereten  von  dem 
küng  atalo  ...  das  er  inen  ain  bild  opis  ...  senden  wölte  [simu- 
lacrum  eins  expetitum  precibus  est);  ebenso  G.  U.  99 ß,  22  das  ist 
daz  du  dich  vermelielst  ...  vnd  daz  du  das  schier  tuon  iceliest  (idque 
quam  primum  fatias). 

sollen  dient  seltener  zum  Ersatz  anderweitiger  Konstruktionen 
(G.  D.  659,  6  die  sein  weyb  sein  sölte  =  la  quäle  aveva  proposto  dl 
sposare),  meist  erfährt  es  modale  Verwendung  (S.  2  03).  Im  Substantiv- 
satze vermag  es  dem  schon  im  regierenden  Verb  enthaltenen  Willens- 
moment einen  erneuten  parallelen  Ausdruck  zu  verleihen  (vgl.  Asop 
45,  4  es  ist  ain  gesaczt  in  unser  stat,  das  niemant  kain  aigen  mensch 
so  tiir  s  0 1  kouffen  =z  ea  lege  cautum  aptul  nos  est,  quod  . . .  non  po- 
test),  ähnlich  hebt  es  in  anderen  Sätzen  finale  Momente  hervor  (G.  D. 
657,  35  erputen  im  eine  . . .  zuo  finden  die  von  solchem  vater  ...  soll 
geporn  sein  =  di  sl  fatto  padre  . . .  discesa),  sein  Hauptgebiet  ist 
jedoch  das  Konditionalgefüge  im  Hauptsatze,  avo  es  die  aus  der 
Prämisse  hypothetisch  gezogenen  Folgerungen  als  Forderungen  der 
Moral  oder  des  Verstandes  einführt. 

mugen  hebt  sich  von  kiinnen  wenig  mehr  in  seiner  ursprüng- 
lichen Grundbedeutung  ab,  die  kürzlich  von  Krahl,  Ztschr.  f.  d.  Ph. 
22,  1  fF.,  eingehend  und  treffend  entwickelt  worden  ist.  Wir  finden 
wohl  Äsop  39,  1  So  sich  aber  Esopus  von  trägi  ivegen  syner  zungen 
nit  kan  versprechen  gegen  41,  36  du  magst  kainen  nucz  an  mir  er- 
holen, daneben  aber  finden  wir  Belege  von  mugen  in  Präteritalformen, 
die  den  Eindruck  machen,  als  ob  gegen  das  Präteritum  von  kan  Ab- 
neigung bestünde  (einziger  Beleg  Äsop  39,  16  und  als  er  ...  sich  nicht 


Steiühöwel  und  das  Dekameron.  275 

verankmrten  kundt).  Wir  finden  Äsop  43,  22  furgieng  Esopus  die 
andern  ...so  vil,  das  sie  in  nicht  erkennen  mochten  {quod  dinosci 
iam  nequiebat);  39,  20  und  so  vil  er  herusz  bringen  mocht  begeret 
er  {ut  potuit).  In  modaler  Verwendung  tritt  nur  rnugen  ein,  es  mil- 
dert die  apodiktische  Schärfe  des  Indikativs  (G.  D.  658,  5  Nu  mag 
es  ye  ...  ein  sweres  hertes  dinge  sein  [considerando  . . .  come  dura  vita 
sia  quella]),  verleiht  im  Konj.  Prät.  dem  Potentialis  eine  noch  hypo- 
thetischere Fassung,  weshalb  es  hauptsächlich  in  Fragen  und  Kon- 
ditionalprämissen beliebt  ist,  aufserdem  bringt  es  optative  Momente 
zum  Ausdruck,  nicht  nur  im  eigentlichen  Absichtssatze  (Mul.  8  /?,  4  * 
Und  daz  söllichs  /  völiclicher  gcloubt  werden  möchte  j  so  Imbend  sie 
erdichtet),  sondern  auch  in  anderen  Sätzen  (G.  D.  657,  35  die  von 
solchem  vater  vnd  muter  sölt  geporn  sein  das  man  ir  grosse  hoffnung 
haben  möchte  =  che  buona  speranza  se  ne  potrebbe  aver).  In  allen 
diesen  Beziehungen  zeichnet  sich  Steinhöwel  durch  sparsame  Ver- 
wendung des  Modalverbs  vor  anderen  Schriftstellern  aus,  während 
G.  D.  hier  so  ziemlich  seiner  Vorlage  zu  folgen  scheint. 

c)  Infinitiv  und  Participium. 

Beide  sind  im  lateinischen  Stile  eine  Reihe  von  Verbindungen 
eingegangen,  die  in  der  deutschen  Sprache  künstliche  und  meist 
wenig  lebensfähige  Gebilde  erzeugten.  Am  reichsten  hat  sich  das 
Gerundium  in  der  Dativform  mit  Zuhilfenahme  der  Präposition  zi 
entwickelt,  das  in  unseren  Texten  fast  durchweg  in  der  abgeschliiFe- 
nen  Form  eines  unflektierten  Infinitivs  erscheint  und  daher  mit  dem 
Infinitiv  behandelt  werden  soll. 

1)  Der  Infinitiv. 

Die  eben  besprochene  Form  lehnt  sich  an  lat.  ad  mit  Gerun- 
divum  an  in  Äsop  43,  14  Qib  deneio  ze  eszen  ::=  ad  tnatiducan- 
dum,  ebenso  50,  27;  65,  35;  G.  U.  101,  29;  an  sonstiges  Gerun- 
divum  G.  U.  100,  12  die  sorg  . .  .  mir  ain  gemachel  ze  suochen  = 
querende  curam  coniugis,  an  Supinum  in  Äsop  49,  5  so  ist  es  mir 
lycht  ze  tuond  =  factu  (diese  Form  ist  sonst  nur  noch  in  Apoll. 
108,  2  tvol  ze  glichend  belegt),  während  es  in  Äsop  38,  25  sendet 
er  in  yn  das  göu,  das  feld  zebuwen  (pro  fossore)  für  finale  Prä- 
positionalverbindung  und  in  Äsop  48,  25  wann  ich  hob  dich  koufl 

18* 


276  Steinhöwc'l  und  das  Dekanierou. 

%e  dienen,  nit  %e  haderv.  {te  emi,  ut  servias)  für  lat.  Finalsatz 
eintritt  u.  a. 

Auch  neben  dem  Verbum  substantivum  entspricht  diese  Form 
zunächst  lateinischem  Gerundivum,  vgl,  Mul.  q  ß,  28  vnd  vil  andere 
ding  I  die  has  zeverspotten  I  synd  wan  xegelouhen  {ridenda 
potius  quam  eredenda);  doch  liebt  Steinhöwel  so  wenig  als  andere 
gute  deutsche  Stilisten  solche  unpersöailiche  Darstellung  (wir  finden 
Apoll.  108,  2  dar  durch  er  den  klingen  wol  ze  glicJiend  ist  und  Äsop 
42,  29*  was  ze  tragen  ist),  er  zieht  vielmelir  ein  persönliches  Subjekt 
aktiver  Verbalthätigkeit  vor  und  umschreibt  mit  Hilfsverben,  und 
zwar  nicht  nur  in  Fällen  wie  Äsop  42,  30  wann  wir  wellend  uff 
morn  in  die  stat  .  . .  gon  {eunduni  est);  G.  U.  100,  1  dax  wir  billich 
guotez  sollen  darvon  hoffen  (spes  optima  sit  hahenda),  sondern  auch 
in  solchen  wie  G.  IT.  109 /i,  15  Als  man  ze  tisch  siezen  tvolt  {tem- 
jjore  quo  assidendum  mensis  erat);  G.  U.  99/;,  27  so  muoz  ieder- 
man  sterben  [moriendum  est). 

Aber  auch  ohne  Anlehnung  an  die  Vorlage  dient  solcher 
Infinitiv  zum  Ausdruck  der  verschiedensten  Verhältnisse. '  Auf  die 
Anschauung  einer  Zielbestimmung  liefsen  sich  zur  Not  appositio- 
nelle  Lifinitive  zurückführen,  wie  in  Äsop  41,  22  hat  in  umh  pfürd 
ze  mieten,  oder  40,  2  fraget  in  hütende  des  rechten  ivegs  in  die  stat  z  e 
gan  {ut  que  du^it  in  urheni  viain  stratani  sihi  demonstraret),  ebenso 
G.  D.  (J58,  2  des  ich  z,e  thon  gar  kleinen  willen  hahe  (qicello  che 
io  . .  .  aveva  disposto  di  non  far  mai) ;  ebenso  Infinitive,  die  ein  Ad- 
jektivprädikat  ergänzen,  wie  Äsop  G,  28  die  ...  mü glich  sind  ze 
beschechen  oder  G.  U.  103 /i,  14  {fleri  pos'sunt)  u.  a. ;  endlich  auch 
objektvertretende  Infinitive.  Die  meisten  der  Belege  jedoch  ent- 
halten gar  kein  zielbestimmendes  Moment  mehr,  die  Präposition 
zi  ist  auf  sie  rein  nur  als  bequemes  Anknüpfungsmittel  über- 
tragen, das  bei  Steinhöwel  nur  ganz  selten  fehlt  (G.  U.  109,  IG 
fieng  sie  alsbald  an  schaffen  vnd  ordnen  =  cejjerat  bietet  ein- 
fachen Infuiitiv,  ebenso  G.  U.  103/?,  27  [Jussus  sum  accipere]   und 

'  Nur  ganz  selten  jedoch  verwendet  sie  Steinhöwel  in  Fällen,  wo  das 
Subjekt  des  Infinitivs  sich  nicht  deutlich  aus  dem  Subjekt  oder  Objekt 
des  Verbum  finitum  ergänzen  läfst.  Wir  finden  nur  Äsop  4,  16  .\e  lob 
und  ere  . .  .  herren  Sigmunden,  hnrcxogen  xuo  Ost&rrieh,  etliche  ergecfdikalt 
dar  tisz  fie  etip  fachen  und  AsojiBO,  19*  Als  im  aber  der  herr  die  Idaider 
hiesx  abrJelien,  in  mit  riioten  %c  schlalioi. 


Steinhöwel  und  das  Dekameron.  277 

Asoj)  55,  30*  ich  ...  miige  ...  lernen  die  andern  kneeht  viuler- 
täniger  syn). 

G.  D.  bewahrt  hier,  obwohl  der  Ital.  Text  von  Infinitivkonstruk- 
tionen mit  di  und  a  überreich  durchsetzt  ist,  eine  auffälh'ge  Zurück- 
haltung, die  entschieden  wieder  auf  eine  lat.  Zwischenstufe  zurückweist. 
Neben  dem  Verbum  substantivum  läfst  sich  der  Infinitiv  nicht  in  der 
bei  Steinhöwel  besprochenen  Verbindung  belegen,  wir  finden  nur  Fälle 
wie  658,  3  wie  es  also  ein  swere  ding  ist  ein  fratven  %e  finden 
(quanto  grave  cosa  sia  a  poter  trovare).  Den  objektvertretenden  Infinitiv 
knüpft  es  an  eine  weit  gröfsere  Anzahl  von  Verben  ohne  jede  Prä- 
position :  658,  8  ivie  wol  er  mir  eine  gebenn  meinet,  die  mir  lieben  ... 
sol  (crediate  conoscere);  659,  14  (a  veder  venire  neben  658,  34  die  ich 
in  liurcxen  tagen  meine  zuo  hcmsz  xefürn  [cÄe]);  660,  32  für  che, 
ebenso  658,  30  nachdem  ir  mir  versprochen  habt  iceliche  ich  nyme 
dieselben  in  eren  ...  halten  (für  di  c.  Inf.),  während  659,  12  Do  er 
sie  fände  .  .  .  mit  einem  kruoge  mit  ivasser  kamen  mehr  auf  eine 
abgeschliffene  Participialform  deutet  (S.  278).  Als  Zielbestimmuug 
liefse  sich  der  Infinitiv  neben  gen  hierherziehen  in  664,  21  so  magst 
du  lüider  zuo  hause  gen  deinem  geschejfte  ansx  ivarten  (a  casa  tua. 
tornare),  der  nicht  wohl  dem  mugen  unterzuordnen  ist;  ähnlich  der 
frei  bestimmende  Infinitiv  in  658,  25  m,it  im  der  sacke  eins  ivarde, 
die  tochter  für  sein  weyb  wollen  (si  convenne  di  torla  per  moglie). 

Bei  Steinhöwel  hat  andererseits  die  Übertragung  der  zielbestim- 
menden Form  des  Infinitivs  mit  %i  auf  andere  Verhältnisse  für  die 
eigentlichen  Zielbestimmungen  bereits  die  Präposition  umbc  einge- 
bürgert, die  wiederum  bei  weit  späteren  Schriftstellern  (Luther  z.  B.) 
noch  keinen  Eingang  gefunden  hat:'  vgl.  Asop  5,  5  Hie  tcirt  ouch 
allain  die  gcmain  uszlegnng  . . .  geseczet  ...  timb  vil  xuogelegte  wort 
zemyden;  65,  34  daz  die  hund,  umb  allen  argiron  xe  vermyden, 
den  u:olffen  würdent  xe  gysel  gesetxet  (ad  mit  Gerund.)  und  Äsop 
55,  20*  Esopus  gicng  umb  xe  suchen. 

Der  Acc.  c.  Inf,  den  Wyle  überreichlich  verwendet,  ^  erscheint 
bei  Steinhöwel  nur  ganz   selten  und  unter  bestimmten   Einschräu- 


'  Ich  finde  sie  bei  Luther  nur  einmal  in  der  Krlauger  Ausgabe  Bd.  ."Il, 
S.  257,  2.  Die  Präposition  mag  von  Konstruktionen  aus,  wie  wir  sie  oben 
im  Asop  belegten  (11,22  bat  in  vdiIj  pfärd  -.e  »tiefe»)  eingedrungen  sein, 

2  Vgl.  Keller  a.  a.  0.  S.  :?67. 


278  Steinhöwcl  und  diis  Dekanieron. 

kungen.  AVlr  finden  ihn  zunächst  in  Fälh'ii,  in  denen  es  streitig 
bleiben  könnte,  ob  er  als  Infinitiv  oder  abgeschliffene  Parti cipialform 
aufzufassen  ist:  Äsop  43,  23*  Do  in  aber  syii  gesellen  sahen  so  ivyl 
vor  gan;  G.  U.  101/?,  19  vnd  fundett  du  maid  schaffen  in  dem 
hüszlin  (jmellam  . . .  satagentem  . . .  iniienere),  ebenso  auch  G.  U. 
100,  19  der  würt  mir  bescheren  '  das  er  myner  ruo  ...  waist  aller 
nüczlichst  ivesen  {quod  ...  seit  expediens),  genau  so  G.  U.  109,  13 
und  ähnlich  Apoll.  100,  5  m-achest  du  mich  nackenden  ...  hi  dir 
st  an.  Als  Infinitive  dagegen  kennzeichnen  sich  schon  durch  die 
Form  sin  (vgl.  oben  G.  U.  100,  19  wesen)  die  Belege  in  Apoll.  101,  21 
des  spiles  kennest  du  dich  maister  sin,  genau  so  Äsop  54,  27  (quod 
hoc  facinus  secus  putasti);  Äsop  46,  16  so  sag  ich  mich  seiher  fry 
syn  {me  liberum  fore).  Wir  sehen,  alle  Belege  lassen  den  Accu- 
sativ  deutlich  als  vom  Hauptverb  regiert  erscheinen,  der  Infinitiv 
tritt  rein  appositioneil  hinzu.  Genau  so  präsentiert  sich  der  Nom. 
c.  Lif.  Äsop  41,  31  er  bedachte  mich  sksz  ain  erblausner  schluch 
syn  (iitrum  esse  putarem);  61,  16.  Die  eigentlich  lateinischen  Accu- 
sative  c.  Inf.,  deren  Accusativ  dem  Hauptverb  nicht  leicht  als  Ob- 
jekt sich  vmterordnet,  hat  Steinhöwel  durchweg  in  Dafssätze  aufgelöst 
(I,  S.  200).  G.  D.  bietet  überhaupt  gar  keinen  Acc.  c.  Inf.,  ein  Moment, 
das  jedenfalls  nicht  zu  Gunsten  unserer  Annahme  einer  lat.  Bearbei- 
tung spricht,  sich  aber  andererseits  diu'ch  die  oben  besprochenen 
Infinitivkonstruktionen  leicht  erklärt.  Wenn  der  lat.  Bearbeiter  in 
die  italienischen  Konstruktionen  versäumte  Subjektbezeichnungen 
einzuschieben,  Avar  ihr  Fortbleiben  auch  im  Deutschen  gegeben. 

2)  Partieipialformen. 

Der  lateinische  Stil  verwendet  mit  Vorliebe  Partieipialformen, 
die  natürlich  von  hier  aus  auch  zahlreich  in  das  deutsche  Gefüge 
eingedrungen  sind,  Steinhöwel  gestattet  sich  jedoch  auch  hier  Ände- 
rungen: bald  ordnet  er  mit  der  Kopula  bei  (Äsop  38,  26  samelt  der 
mayer  des  hofes  zytig  fygen,  und  antwurt  die  dem  herren  und  sprach 
=:=  presentavit  inquiens  u.  a.,  ebenso  G.  D.  657,  34  u.  a.),  bald  mit 
Pronomen  (Äsop  74,  33  Ain  froiv  hett  ain  tochter  ...  die  bat  die 
gütt  emsiglich  =  habens  . .  .  orabat  u.  a.),  noch  häufiger  ordnet  er 
unter,  am  liebsten  mit  der  Zeitpartikel  (Äsop  38,  38  Esopus,  als  er 
von  acker  kommen  ist,  haut  die  fygen  alle  geesxen  =  veniens;  39,  6 
u.  a. ;  G.  U.  101,  6  liesz  der  walther  so  er  spacieret  ~=  illac  transiens), 


Steinhöwel  und  das  Dekameron.  279 

gern  auch  mit  dem  Relativjjronomen  (I,  S.  182  unten).  Manchmal 
kehrt  Steinhöwel  auch  die  lateinische  Gliederung  um  (Äsop  38,  31 
kam  . . .  xe  holen  =  veniens  . . .  petiit ;  G.  U.  101  /:?,  12  erschrak  . . . 
da%  er  nit  bald  antwurten  kund  =■  stupefactus  .  .  .  ohriguit).  Auch 
die  absoluten  Participien  löst  Steinhöwel  durchweg  auf  (meist  mit 
do  oder  als).  Nur  in  den  Mulieres  begegnet  1  ß,2%  Dise  ding  alle 
augesenhen  /  mit  andern  vnzalbern  vrsachen  ,  waisz  ich  nit  (Qui- 
bus  inspectis  und  cum).  Auch  G,  D,,  das  vom  Part.  Präs.  überhaupt 
nur  einmal  Gebrauch  macht  (665,  11  Do  des  margraffen  gancze  lant- 
schaft  der  neuen  preiite  ivartent  ivas  =i  attendevan),  hat  von  den 
zahlreichen  absoluten  Participialformen  des  italienischen  Textes,  die 
vermutlich  schon  in  einer  etwaigen  lat.  Bearbeitung  Einbufse  erlitten 
haben,  nur  die  wenigsten  erhalten.  Wir  finden  nur  6Q6,  22  Also 
gesprochen  sy  mit  seinen  armen  vmb finge  {E  cosl  detto),  daneben 
659,  30  Dax  der  herre  gethon  hett,  Nachdem  er  . . .  sprach  (e  apresso 
questo  . .  .  disse).  In  den  meisten  Fällen  ordnet  G.  D.  sonst  mit 
Nebensatzpartikeln  unter  wie  Steinhöwel:  658,  25  do  er  das  gethon, 
het  (Fatto  questo),  ähnl.  659,  8  {E  venuto  il  di);  659,  12;  661,  7  u.  a., 
oder  659,  21  wo  er  sy  für  sein  elich  Jiauszfrawen  neme  ob  sy  sich 
vleissen  ivölt  [togliendola  egli  per  moglie);  einigemal  tritt  auch  Bei- 
ordnung ein  (659,  26  Nachdem  sy  der  marckgraffe  pey  ir  hende  nam 
ausz  dem  heusxlein  füret  =  presala  per  mano  la  menö  fuori;  ähnl. 
657,  31  u.  a.). 

Die  Wortstellung. 

Für  die  Wortstellung  hat  die  deutsche  Prosa  schon  bei  den 
ersten  Versuchen  der  ahd.  Übersetzer  ein  besonders  feines  Gefühl 
verraten ;  selbst  der  abhängigste  Nachahmer  wagte  hier  von  der  Vor- 
lage abzuweichen ;  da  kann  es  uns  nicht  wunder  nehmen,  wenn  ein 
so  selbständiger  Stilist  wie  Steinhöwel  auch  hier  seine  eigenen  Wege 
geht.  So  räumt  er  mit  künstlichen  Voranstellungen  untergeordneter 
Bestimmungen,  die  das  Subjekt  einleiten  sollten,  zu  Gunsten  der 
natürlichen  Wortfolge  auf,  vgl.  Äsop  38,  15  Es  opus  ist  alle  %yt 
synes  lebens  über  flyszig  . . .  gewesen  (Qui  per  otmiem  vitam  vite  stu- 
diosissimus  fuit  ...  Esopus  u.  a.)  oder  Äsop  39,  5  0  du  armer  Esopc, 
wee  dynen  schultern  {Ve  tibi  seapulisque  tuis  miser  Eso])e).  So  treten 
im  Hauptsatze  vor  anderen  die  satzverbindenden  Pronomina  au  die 


2S()  Stcinhöwel  und  das  Dekameron. 

Spitze,  iiiclit  mir  wo  die  Subjektfunktioii  sie  vordrängt  (G.  U.  100,  "> 
Die  gütigen  gehet  bewegten  =  Moverunt  preces  oder  Äßop  45,  H 
Das  wäre  uns  ungehört  =  Absurdum  id  esset),  sondern  auch  in  an- 
deren Fällen  (Äsop  39,  14  Von  den  selben  irortten  erzittert  Eso- 
2)ns  =z  Esojms  his  dictis  trcpidus;  G.  U.  104/>,  0  Jn  den  zyteu 
marhte  der  Jierr  offt  das  angesicJä  =■  Walthcrns  interra).  In  kon- 
junktionalen  Nebensätzen,  die  mit  ähnlichen  Foi'men  an  das  Vor- 
hergehende anknüpfen,  treten  letztere  gegen  die  lateinische  Vorlage 
hinter  die  unterordnende  Partikel:  Äsop  39,  1  So  sich  aber  Eso- 
pus  ...  nit  kan  versprechen,  so  ivürt  er  geschlagen  {Esopus  cum  ... 
nequiverit);  39,  29;  42,  23  u.a.  Äsop  64,  31  Als  aber  dise  hrief 
in  dem  senat  gelesen  wurden  (His  litteris  in  senatu  recitatis).  Nur 
zweimal  ist  im  Äsop  hier  an  der  lateinischen  Stellung  festgehalten; 
38,  32  Agatopus ,  dem  die  fygen  ivaurend  hefolhen,  als  er  zwo  . . . 
versuocht  Jiet,  sprach  er  (Agathopus,  cuius  custodie)  und  46,  10  Die 
zolner,  als  sie  von  donkouff  horten  (Telonarii  . . .  cum  acceperunt). 
Ebenso  wie  das  Subjekt  ti-eten  im  Nebensätze  natürlich  auch  andere 
Bestimmungen  hinter  die  Partikel  zurück  und  an  dementsprechend 
weiter  rückliegende  Plätze:  Äsop  39,  3  M  den  tvylen,  als  sie  der 
ding  aines  ivurden  (His  inter  se  compositis);  Äsop  48,  35  Do  Xan- 
thus  dise  nat ü r liehe  frag  vernam,  (Hanc philosophicam  questionem 
cum  Xanthus  accejnt);  68,  5  u.  a.  Nur  das  pronominale  Neutrum 
hält  sich  —  vermutlich  begünstigt  durch  die  unscheinbare  Form  — 
auch  als  Objekt  hier  vor  dem  Subjekt:  Äsop  40,  30  Do  das  der 
buwmaister  . . .  erhöret  (Hec  audiens);  65,  9  (Hec  cum  audissent);  44,  32 ; 
49,  24;  64,  23;  Äsop  44,  16  Do  das  Esojms  höret  (quod  cum  audi- 
vit);  46,  19;  55,  5;  71,  13;  Äsop  39,  10  (quo  audito);  73,  37;  44,  33*; 
ähnlich  Äsop  73,  24  Do  aber  des  Esopus  offenlich  lögnet  (Quod  cum 
Esopus).  Die  Nachstellung  des  Pronomens  ist  hier  nur  sehr  selten 
zu  belegen:  Äsop  65,  13  Do  Cresus  das  erhöret  (Cresus  his  cognitis); 
64,  6  Do  aber  Xanthus  sich  des  widert  (Id  dum,  Xanthus  se  facturum 
negaret).  Durch  beiordnende  Partikeln  lassen  sich  die  Pronominal- 
formen nicht  so  leicht  zurückdrängen.  An  Stelle  der  Kopula  tritt 
hier  gern  die  Partikel  ouch  ein,  die  nur  in  G.  U.  101,  10  E-  det  oucli 
das  innerlich  vor  die  Pronominalform  tritt.  Rivalität  zwischen  Pro- 
nominalpartikel  und  Pronomen  läfst  sich  nur  selten  erkennen,  jeden- 
falls tritt  dann  das  letztere  zurück  (Äsop  70,  13  Also  schluog  Enus 
von  diser  ler  in  sich  selber  =  Af  Enus  Ulis  monitis). 


Steinhöwel  und  das  Dekameroii.  281 

Die  Voranstellung  des  Verbs  vor  das  Subjekt  in  einfacher  Aus- 
sage wird  bei  Steinhöwel  schon  durch  die  lat.  Vorlage  sehr  begün- 
stigt, von  der  er  sich  auch  manchmal  gegen  das  deutsche  Sprach- 
gefühl leiten  läfst  (vgl.  G.  U.  101,  13  Es  nahet  der  hochzyflich  tag 
=  Instahat,  Mul.  6/?,  24  Es  ist  ouch  ain  andere  ceres  gewesen),  ohne 
jedoch  hierin  Stilisten  wie  z.  B.  PfoiT  zu  erreichen.  Die  meisten  Be- 
lege jedoch  lassen  sich  auf  gute  innere  Gründe  zurückführen.  Wo 
z.  B.  Eede  und  Gegenrede  wechselt,  kann  das  Hauptgewicht  eben- 
sowohl auf  die  einander  regelmäfsig  ablösenden  Subjekte  fallen,  als 
auf  die  Verba,  mit  denen  jedesmal  ein  neues  Moment  einsetzt.  Stein- 
höwel steht  hier  in  Übereinstimmung  mit  den  verschiedensten  deut- 
schen Stilisten  (vgl.  meine  Untersuchungen  über  den  Satzbau  Luthers 
I,  S.  27),  wenn  er  diese  Mannigfaltigkeit  der  Betonung  ausnützt  und 
durch  die  Abwechselung  in  der  Wortstellung  eine  Menge  lat.  Par- 
tikeln erspart  (vgl.  I,  S.  203);  vgl.  z.  B.  Äsop  44,  15  ff.  Do  sp-ach 
XantJms  (Et  Xanihus)  Waz  kanst  du  schaffen?  Äntwurt  er  (At 
nie)  Alles,  da^  du  icilt;  44,  25  Sprach  Esopus  [Ei  inquit  Esopus): 
Du  hüler!  Do  sprach  er:  Was  hülers  hin  ich  (Bombax  ait  ille)? 
Esopus  sp-ach  (Tum  inquit  Esopus):  Gee  an  galgen  u.  s.  w.,  und 
so  noch  oft  im  Äsop,  während  die  Griseldis  bei  Steinhöwel  hierfür 
keine  Belege  aufzuweisen  hat  (wohl  aber  Pfon-  21,  16;  23,  13.  19; 
24,  35  u.  a.). 

Auf  der  besonderen  Beschaffenheit  des  Subjekts  l)eruht  dann 
die  Voranstellung  des  Verbs  in  anderen  Fällen  (vgl.  Untersuchungen 
S.  28  ff.).  So  tritt  unbestimmtes  Subjekt  zurück,  vgl.  x\sop  41,  1 
Herr,  es  ist  ain  wundencerck  nülich  uff  dynem  acker  heschenhen  {Nu- 
perrime  in  agro  tuo  res  longe  monstruosa  contigit)-,  G.  U.  100/?,  7 
Es  was  V'Uferr  von  dem  palast  a  i  n  dörflin  (Fuit  haud  p'oeul) ;  ähnl. 
106,  13  Es  ward  von  dem  walther  nffstan  ain  höser  lürnd  (Ceperat) 
(ebenso  Pforr  12,  34  u.  a.).  Hierher  gehört  auch  G.  U.  106,  3  Aber 
es  synd  etlich  (Sunt  qui);  Äsop  48,  12  Es  sint  gar  mang  er  lag 
stürm  vnd  vngestürmy  des  meres  [Permulti  sunt).  Desgleichen  tritt 
auch  negiertes  Subjekt  gern  zurück:  G.  U.  101,  14  Es  wisxt  aber 
niemand;  Äsop  60,  3  Es  ist  nieman,  dem  (Nemo  est);  70,  10; 
vielleicht  auch  G.  U.  107,  7  es  mag  nieman s  glük  .  .  .  iceren  (vgl. 
PfoiT  25,  28;  Wyle  14,  16).  Endlich  tritt  natürlich  auch  der  Sub- 
jektsatz hinter  das  Verb  zurück:  Äsop  45,  3  es  ist  ain  gesacxt  in 
unser  stat,    das  u.  a.,   auch  60,  10   Es   ist   ain  grosxe  sitnd,   den 


282  Steinhöwel  und  das  üekamcron. 

n\  cn  scheu  unv  er  schult  beschwur  en  {Scelus  est  ultro  inferre 
molestiam),  ähiil.  69,  34.  Hier  allein  bietet  auch  G.  D.,  das  in  Be- 
legen wie  658,  19  [Nun  gut  zeit  was  das  dem  graffen  eines  armen 
pauern  toehter  sere  geliehet  hette  =.  Erano  a  Gualtieri  buona  pezxa 
piaciuti  i  eostumi  d'una  povera  giovinetta)  das  Subjekt  sogar  vor- 
geschoben hatte,  Beispiele  für  Nachstellung,  allerdings  in  Anlehnung 
an  die  Vorlage,  vgl.  658,  27  es  ist  euer  . . .  gefallen  das  {egli  v'e  pia- 
ciuto  che). 

Die  "Voran Stellung  des  Verbs  in  Frage  und  Wunschfällen  ist 
gelegentlich  der  Konditionalformen  schon  zur  Sprache  gekommen,  es 
erübrigt  also  nur  noch,  die  Voranstellung  des  Verbs  in  Anlehnung 
an  Partikeln  zu  erledigen.  Steinhöwel  bietet  hier  teils  in  der 
Ausdehnung,  teils  in  der  Beschränkung  dieses  Inversionsgebrauches 
Bemerkenswertes.  Wir  finden  die  Inversion  sehr  häufig  nach  und, 
wenn  ein  neues  Subjekt  einsetzt:  Äsop  67,  25  und  sendet  die 
dem  künig,  und  hieltend  dieselben  hrieff  so  vil  mw  {quibus); 
G.  U.  109/5,  7*  vnd  was  das  husz  also  zierlieh;  108,  24; 
110^,  22.  In  Äsop  61,  24*  und  waren  yngegraben  nit  wort  sonder 
allain  buochstahen  erklärt  sich  die  Rückstellung  aus  der  BeschaiFen- 
heit  des  (schwer  belasteten)  Subjekts.  Nach  sunder  ist  die  Rück- 
stellung des  Subjekts  bei  Steinhöwel  durchaus  Regel:  G.  U.  106,  4 
die  kunnen  kain  end  maclien  s  und  er  suochen  sie  fürhas 
(ymmo  incumbant),  ebenso  Mul.  Aß,  \  (quinimd);  Äsop  4,  19  die 
der  . . .  färben  nit  acht  Jiabent,  s  und  er  suochent  sie  die  süssikait 
des  honigs;  45,  20;  46,  24;  66,  4.  22;  69,  24  u.  a.  Apoll.  86,  4. 
Ebenso  invertiert  doch,  wie  aus  Äsop  40,  30  doch  wil  ich  dar  zuo 
tuon,  desgl.  G.  U.  103//,  26;  106/?,  24;  107/?,  3;  Mul.  9/?,  5; 
Apoll.  86,  21  hervorgeht;  wälirend  die  Partikel  in  anderen  Belegen 
einer  ohnedies  invertierenden  Bestimmung  vorangeht.  Der  Inversion 
widerstreben  vorwiegend  leichte  Pronominalformen,  vgl.  Äsop  42,  9 
ivann  oun  zwyfel  sy  werden  mich  fürchten  als  ain  fastnachtbuczen. 
Manche  Sätze  erhalten  hierdurch  den  Charakter  eines  Nebensatzes, 
und  in  der  That  läfst  einigemal  auch  der  Satzinhalt  die  Entschei- 
dung schwer  werden;  wir  müssen  z.  B.  in  Apoll.  86,  33  sie  lebten  ... 
on  alle  gesatzt,  dai'umb  sie  %mtz  an  die  zuokunft  des  endcrist  be- 
schlossen sin  müssen  den  zweiten  Satz  doch  wohl  als  Nebensatz  auf- 
fassen, ebenso  Äsop  38,  21  er  hett  ain  Überträge  xungen,  darumb  er 
ser  staczget  {lingua  tardus  atque  blactero),  namentlich  wenn  wir  auch 


8teinhöwel  uud  das  Dekameron.  283 

Rückstellung  des  Verbs  hinter  ein  Nominalsubjekt  finden  :  G.  U. 
106,  18  icisxt  oiich  nieman  wa  sie  ivaren  in  der  weit!  danimb  der 
selb  walther  ...  sich  machet  ...  arg  wonig  (quo);  ebenso  106/?,  12 
[fania  vndiqne  diffusa).  Anders  nun  die  Hemmung  der  Inversion  im 
nachgesetzten  Hauptsatze.  Hier  ist  es  nicht  die  leichte  Form  der 
Pronominalsubjekte,  sondern  ihre  satzverbindende  Kraft,  die  sie 
zwischen  Inversionsbestimmung  und  Verb  drängt:  Asop  40,  31  Do 
das  der  buwmaister  . . .  erJiöret  e  r  iv  a  r  d  ser  tvundern  (genau  so 
Beheim,  Math.  8,  10  Do  Ihesus  dix  gehörte  her  umondirte  sich  u.  a.), 
genau  so  Apoll.  110,  4;  113,  18;  116,  2.  24;  117,  11  u.  a.  Die 
Belege  im  Konditionalgefüge  s.  S.  258,  Anm.  Selten  tritt  im  Nach- 
satze eine  neue  Inversionsbestimmung  vor  das  Verb,  wie  in  G.  U. 
110/?,  14  Do  sie  dax  höret  /  vor  grossen  fr  öde  n  I  icere  sie  schier 
amechtig  worden  {Hec  illa  audiens  pene  gaudio  exaninius  [sie !]). 

Die  sonstige  Wortstellung  im  Hauptsatze  entspricht  bei  Stein- 
höwel  durchweg  dem  deutschen  Sprachgefühl,  er  läfst  Zeitbestim- 
mungen vor  Ortsbestimmiuigen  treten,  wenn  nicht  besonderer  Ton 
auf  letzteren  liegt,  und  schiebt  das  Objekt  am  liebsten  in  deren  Mitte 
(vgl.  Äsop  40,  23  der  enpfahet  allweg  guote  lioffnung  in  synem 
gemütt  [is  spes  optimas  animo  semper  agit]  u.  a.).  Auch  die  Stellung 
der  Negationspartikel  knüpft  an  deutsche  Überlieferung  an,  wenn 
sie  in  Belegen  wie  Apoll.  86,  21  doch  hielt  Porus  nit  sin  trew  an  ... 
Ällexandro  von  der  nhd.  Folge  abweicht  (in  Äsop  53,  12*  Nibon 
siehst  du  . . .  daz  dich  dyn  wyb  nit  sonder  das  hündlin  recht  lieb  hat 
liefse  sie  sich  aus  einer  Änderung  der  ursprünglich  geplanten  Fassung 
leicht  erklären).  An  den  lateinischen  Stil  erinnert  nur  selten  eine 
undeutsche  Stellung,  wie  z.  B.  die  Einschaltung  von  Partikeln  iu 
annominative  Verbindungen,  vgl.  Äsop  39,  1  von  trägi  wegen 
syner  xmigen,  ebenso  4,  13,  was  an  lateinisches  gratia  erinnert  (vgl. 
Wyle  14,  18  Welche  aber  menschen  ■=  Qui  autem  homines). 

Im  Nebensatze  giebt  die  schon  im  späteren  Ahd.  Avesentlich 
durchgeführte  Schlufsstellung  des  Verbs  keinen  Anlal's  zu  Erörte- 
rungen. Hilfsverba  treten  noch  immer  vor  das  Verbura  finitum  (Äsop 
71,  32  damit  dax  sy  im  ain  adelichen  Jcampffhanen  ...  hat  er  wür- 
get), Präpositionalbestimmungen  und  ähnliche  andere  hinter  das 
Verb,  wenn  sie  besonderen  Ton  gewinnen  oder  auf  das  Nachfolgende 
überleiten.    Auffallend  ist  hier  Äsop  40,  21  Ich  gedenke  die  gütikait, 


284  Stoinbiiwol  und  djis  Dokaincron. 

die  ich  alle  xyl  hab  gelmht  zu  den  geslen,  sye  den  (jötten  enpfeiic)- 
lich  gewesen  {qua  in  hospites  plu7'ima  sum  usus),  wo  vielleicht  die  Kh- 
neigung  einwirkte,  Zeit-  und  Ortsbestimmung  unmittelbar  aufein- 
ander folgen  zu  lassen. 

G.  D.  giebt  uns  nun  auch  hier  wieder  deutliche  Kennzeichen 
seiner  Sonderstellung.  Haupt-  und  Nebensätze  lassen  dort  ohne 
Unterschied  das  Verb  an  das  Ende  des  Satzes  treten, '  eine  Erschei- 
nung, für  die  ich  in  dieser  Ausdehnung  höchstens  in  der  Urkunden- 
sprache Beispiele  wüfste.  Die  italienische  Vorlage  ist  hieran  ziemlich 
unschuldig,  wir  finden  zwar  in  658,  1:  Ä'quali  Gtialtieri  rispose 
{Der  marckgraue  seinen  leüten  antwort)  und  auch  sonst  diese  Stellung 
in  relativ  anknüpfenden  Sätzen;  ähnlieh  661,  28  {Syder  du  disen  .  . . 
geparest  ich  mit  meinen  leüten  nye  habe  mi'igen  nie  haben)  per  niuna, 
giusa  con  questi  miei  viver  son  potuto,  aber  die  meisten  Belege  haben 
im  ital.  Text  keine  Stütze,  vgl.  659,  35*  Aber  ich  vnivirdige  euer 
genaden  zuo  der  götlichenn  ee  nicht  ivirdig  pin;  659,  8*;  660,  10* 
u.  a.  Da  die  Fälle  selten  sind,  in  denen  der  deutsche  Stilist  gegen 
die  italienische  Vorlage  in  einem  aus  Subjekt  und  Verb  bestehenden 
Satz  eine  Pronomin alfoi-m  einschiebt  (vgl.  658,  18  die  erbern  seine 
leüte  im  antivorten  ==:  /  valenti  uomini  risposon),  während  der  latei- 
nische Stil  zu  solchen  Einschaltungen  viel  leichter  Anlafs  giebt,  so 
darf  man  wohl  in  ähnlichen  lateinischen  Gebilden,  die  im  Deutschen 
den  Anschein  der  Nebensatzstellung  gewinnen,  den  Ausgangspunkt 
unserer  Erscheinung  vermuten.  Auf  das  Lateinische  sind  auch  Wort- 
stellungen zurückzuführen,  wie  ich  sie  in  der  Einleitung  besprochen 
habe  (über  658,  4  s.  I,  S,  169),  ebenso  geht  ein  Beleg  wie  666,  18 
die  du  mein  tveybe  meinest  sey  eher  auf  qua^n  conjugem  putas  esse 
als  auf  che  tu  mia  sposa  credi  zurück. 

Die  Stellung  der  Sätze  untereinander.  Den  Einschaltungen  und 
Einschachtelungen  der  lateinischen  Perioden  widerstrebt  das  deutsche 
Sprachgefühl  Steinhöwels.    Er  knüpft  an  eine  alte  Überlieferung  an, 

1  Selbst  in  subjunktiver  Parataxe  herrscht  in  G.  D.  diese  Wortstel- 
lung vor  (060,  17  Sünder  sprachen  er  pasx,  vnd  iceisxlichcr  dcmn  kein  man 
(jethon  Jiette  für  aver  fatto  u.  a.),  nur  einmal  in  665, 23  alle  geleiche  spraclienn 
der  margraffe  het  einen  yuoten  iveclisel  gdJion  =  che  Onaltisri  avera 
fatto  biion  cambio  ist,  vielleicht  in  Anlehnung  an  die  Vorlage,  die  übliche 
Stellung  durchgedrungen. 


Steinhöwel  uud  dats  Dekamerou.  285 

■wenn  er  z.  B.  dem  Dafssatze  einen  etwa  untergeordneten  Nebensatz 
voranschickt  (gern  hilft  er  sich  auch  mit  Parataxe,  I,  S.  198),  vgl. 
G.  U.  100,  15  Och  tvaysx  ich  !  was  guotes  in  dem  menscJien  ist  / 
daz  es  von  got  ist;  100,  24  u.  a.  So  auch  vor  indirekten  Fragen 
G.  U.  101  ß,  23  ain  frag  ...  wann  das  geschieht  /  daz  alsbald  würt! 
ob  du  mit  guotem  ivillen  /  berait  syest  {ubi  hoc  peractum  fuerit  . . . 
an  . .  .  j^at'O'ici'  sis  =  lat.);  G.  D.  659,  21  verneinen  ivölte  ivo  er  sy  ... 
neme  ob  sy  sich  vleissen  ivölt  {se  ella  seinpre  togliendola  egli  per  moglie, 
s'ingegnerebbe);  und  vor  Relativsatz  in  G.  U.  106,  3  Aber  es  sytid 
etlich  wann  sie  angefahen  i  die  künden  kain  end  machen  (Sed  sunt  qui 
vbi).  Nur  mit  so  eingeleitete  Sätze  schieben  sich  leicht  in  ein  Neben- 
satzgefüge ein  (G.  U.  101/9,  9  ob  du  mich  dynen  herren  /  so  ich 
dy7i  toehter  neme  /  gern  wellest  haben  :=:  An  me  . . .  data  michi 
hac  . . .  filia  generum  velis),  andere  treten  dann  in  Paranthese,  wie 
G.  U.  100,  3  erledige  dyn  volk  von  kümmernusz  /  daz  du  (ob  dir 
V  Uly  cht  vncz  w  iderfür)  nit  abgangesl  =  ne  si  quid.  Aber 
auch  in  dem  Hauptsatze  liebt  es  der  Deutsche  nicht,  Sätze  oder  ähn- 
liche Bestimmungen  einzuschieben.  So  stellt  Steinhöwel  meist  für 
zwischengeschobenes  lat.  inquit  ein  deutsches  Verb  vor  die  oratio 
recta,  vgl.  G.  U.  99/i,  5  und  ir  ainer  ...  sprach  also  ...  Allerliebster 
Jierr,  dyn  gütikait  {Tua  inquit  humanitas)  u.  a.,  einmal  wird  das  Verb 
dem  Satze  nachgestellt  in  G.  U.  101/9,  3  Jiaisz  in  herusz  komen  zuo 
m,ir  sprach  er  [lube  inquit  ad  me  veniat),  ebenso  103/9,  23  und 
einige  wenige  Male  in  G.  U.  dringt  die  lateinische  Stellung  auch  in 
den  deutschen  Stil  ein:  G.  U.  101/9,  29  Myn  herr  sprach  sie  I  ich 
ivaisz,  ebenso  109,  11;  110,  2.  15. 

Nebensätze  liebt  der  deutsche  Stil  dem  Hauptsatz  nachzustellen. 
Steinhöwel  trägt  dem  auf  Kosten  der  lateinischen  Vorlage  Rech- 
nung: vgl.  G.  U.  109/9,  8  daz  alle  gest  über  wunder  namen  /  ivannen 
die  herlichen  sitten  {ita  ut  onines  . . .  unde  ea  maiestas  . . .  miraren- 
tur).  So  werden  namentlich  auch  Relativsätze  hinter  den  Bezugsatz 
gedrängt  und  in  denselben  nur  eingelassen,  wo  sie  vom  Bezugworte 
sich  nicht  leicht  trennen  lassen  und  letzterem  die  Stellung  am  Ende 
des  Satzes  verwehrt  ist,  vgl.  Asop  65,  17  es  sye  dann,  das  Esopus, 
desz  raut  sie  allweg  volgen,  von  danne  gebracht  iverde  (ni  Esopu.'i  cuius 
consilio  ...  utuntur,  prius  inde  amoveatur),  und  71,  32  hat ...  schaden 
gethan,  damit  daz  sy  im  ain  adelicJien  kampffhanen,  der  im  die 
stund  der  nacht  bezöget,  hat  erwürget  {Nam  occidit  galt  um  . . .  genero- 


286  Steinhövvel  und  dna  Dekamero». 

sumve  . .  .  qui).  G.  D.  scheut  natürlich  auch  hier  nicht  vor  den 
ungewöhnlichsten  Einschaltungen  zurück.  AVir  finden  661,  16 
dem  margraffen  was  im  die  fraive  het  7mo  anttvortt  (jehen  im  zuo 
wissen  thet  (e  fatto  a  Oucdtieri  sentire  cid  che  detto  avea  la  donna, 
wo  wiederum  lateinische  Verraittelung  anzunehmen  ist),  und  gar 
658,  29  ff.  vnd  nach  dem,  ir  mir  versprochen  habt  welicJie 
ich  nyme  dieselben  in  eren  . .  .  halten,  Und  nu  die  zeit  komen  ist 
euch  zuo  halten  als  ich  geret  hab,  also  ich  auch  von  euch  will  gehabt 
haben,  daz  ir  mir  haltet  als  ir  mir  versprochen  habt,  dann  ich  Jmb 
mir  ein  schöne  iunckfraiven  nicht  ferr  von  hier  fimden,  vnd  mir  zuo 
einem  weyb  erwelet  die  ich  in  kurczen  tagen  meine  zuo  hausz  zefürn. 
Dar  um  b  gedencket  das  wir  ein  fröliche  hochzeit  machen  =  Voi 
sapete  quello  che  voi  mi  prometteste,  cioe  d'esser  contenti  e  d'onorar 
come  donna  qualunqiie  quella  fosse  che  io  togliessi:  e  perdö  veniito 
e  il  tempo  che  io  sono  per  servare  a  voi  la  promessa,  e  che  io  voglia 
che  voi  a  nie  la  serviate.  Io  ho  trovata  una  giovane  . . .  la  quäle  io 
intendo  di  tor  per  moglie  e  di  menarlami  fra  qui  a  pochi  dl  a  casa; 
e  perciö  pensate. 

So  haben  wir  die  hauptsächlichsten  Gebiete  der  Syntax  durch- 
messen und  fast  überall  durchgreifende  Verschiedenheiten  zwischen 
G.  D.  und  dem  Sprachgebrauche  Steinhöwels  wahrgenommen.  Die 
nächste  Frage  ist  nun  die,  inwieweit  die  für  G.  D.  gewonnenen 
Merkmale  in  den  übrigen  Teilen  des  Dekameron  zu  belegen  sind. 
Eine  erschöpfende  statistische  Beweisführung  würde  die  vorliegende 
Untersuchung  auf  das  mehr  als  Zwanzigfache  anschwellen  lassen, 
ohne  damit  besonderen  Nutzen  zu  erzielen.  Ich  beschränke  mich 
daher  darauf,  die  markantesten  Erscheinungen  in  G.  D.  aus  dem 
gröfseren  Zusammenhange  heraus  zu  vervollständigen  resp.  zu  be- 
richtigen, wobei  für  etwaige  Belege  in  erster  Linie  die  letzten  zwei 
Tagereisen  (Keller  S.  545 — 671)  Berücksichtigung  finden. 

Es  ist  nur  natürlich,  dafs  Erscheinungen,  die  ich  für  Stein- 
höwel  als  häufig  belegen  konnte  und  für  G.  D.  ganz  ausschliefsen 
mufste,  in  dem  um  das  Zwanzigfache  erweiterten  Zusammenhange 
der  letzten  zwei  Tagereisen  doch  einigemal  wiederkehren.  Die 
(S.  245)  angeführte  Abneigung  von  G.  D.,  eine  folgende  direkte 
Rede  neben  dem  Aussageverb  durch  das  demonstrative  also  einzu- 
leiten, erhält  nur  eine  weitere  Stütze  durch  die  Beobachtung,   dafs 


Steinhöwel  uud  das  Dekameron.  287 

die  Partikel  also  in  den  angezogenen  126  Seiten  achtmal  und  nicht 
weiter  in  solcher  Verwendung  zu  belegen  ist  (562,  1;  569,  12;  573,  9; 
575,  9;  587,  21;  601,  24;  608,  21;  642,  2),  jedesmal  zur  Einlei- 
tung einer  Erzählung,  wogegen  die  übrigen  zwölf  Erzählungen  un- 
eingeleitet  blieben,  wie  sie  auch  in  der  ersten  Tagereise  zu  be- 
legen sind. 

Von  einschränkender  Wirkung  auf  die  Schlüsse,  die  wir  aus 
G.  D.  gezogen  haben,  ist  die  Durchprüfung  des  weiteren  Zusammen- 
hanges nur  in  wenigen  Fällen  geworden.  Hierher  gehört  die  Beob- 
achtung, dals  im  Dekameron  die  Verbindung  des  zur  Participial- 
form  abgeschliffenen  Infinitivs  mit  dem  Ind.  Prät.  ward  viel  häufiger 
ist,  als  G.  D.  vermuten  liefs  (dort  ist,  vgl.  S.  264,  kein  Beleg  zu  finden). 
Wir  finden  546,  28  des  sy  ir  gewissen  straffen  ivarde,  ebenso 
563,  1;  563,  4;  576,  10;  593,8;  610,22;  612,8;  613,  16;  622,38; 
623,  2;  627,  20.29.30;  629,  19;  637,  18;  638,24;  640,33;  644,7; 
646,  37;  650,  7,  überwiegend  bei  Verbis  geistiger  Thätigkeit,  meist 
bei  hedericken.  Im  italienischen  Text  ist  hier  immer  nur  einfaches 
Präteritum  zu  belegen.  Sodann  wären  den  (I,  S.  189)  für  Stein- 
höwel belegten  Genitiven  neben  der  Neutralform  tvas  anzureihen: 
Dek.  555,  22  was  angesichts ;  555,  23  uaz  Irancheit;  648,  30  von 
was  landenne.  Zu  I,  S.  196  wäre  ergänzend  nachzutragen,  dafs 
auch  das  Dekameron  einigemal,  aber  ganz  selten,  mit  doj^pelter 
Negation  verneint.  Die  Fälle  mit  keiner  sind  allerdings  von  vorn- 
herein auszuschliefsen  (550,  36  an  ir  keinen  nicht  mer  begern  irülte  ; 
577,  31;  612,  22),  da  keiner  im  Dekameron  auch  noch  als  Indefini- 
tum  zu  belegen  ist  (24,  32)  und  nur  in  668,  34  durch  den  italieni- 
schen Text  {niuna  .  . .  n'c)  verdächtigt  wird.  Sonst  läfst  sich  aus 
den  angezogenen  126  Seiten  nur  555,  9  [des  ensag  ich  dir  nicht) 
beibringen. 

Für  die  Partikel  so  in  adversativem  Gebrauche  (S.  243)  kann 
nui*  635,  30  er  ist  eyn  Athener,  so  bin  ich  eyn  Eömer  =^  et  io  ange- 
zogen werden.  Dem  für  Steinhöwel  einigemal  belegten  vmb  neben 
dem  finalen  Infinitiv  mit  xuo  (S.  277)  reiht  sich  Dek.  565,  23  an: 
also  vmb  %e  laffen  ieczund  vmb  wasser  zuo  dem  prune,  iczund  vnib 
ivein  alleine  sein  mensche  zuo  sechen  (per  veder). 

Zu  ah  sind  ebenfalls  zwei  Einschränkungen  nachzutragen. 
Oben  (S.  246)  hatte  ich  für  G.  D.  belegen  können,  dafs  als  dort 
noch  keine  Einbufse  durch   icie  erlitten  habe.    Die  ganz  spärlichen 


288  Steinhöwcl  iiud  das  ])ekRmc'rou. 

Belege  in  den  letzten  12G  Seiten  des  Dekameron  bestätigen  nur 
diese  Beobachtung.  Wir  finden  575,  8  dann  gancx  wie  er  gesecJien 
kette  aich  erginge,  ebenso  579,  36;  597,  28;  549,  23  {als  wie).  Und 
ähnlich  wenn  die  oben  (S.  246)  für  G.  D.  belegte  Neigung  hypo- 
thetische Vergleichssätze  in  die  invertierte  Form  zu  kleiden,  später 
einigemal  durch  als  oh  gekreuzt  wird  (549,  18  vnd  ligen  heleyhe  als 
oh  er  der  tote  wer;  554,  24;  570,  7;  597,  4),  sind  das  Ausnahmen, 
die  die  Regel  bestätigen. 

Wie  reichlich  lassen  sich  dagegen  die  Hauptmerkmale  unseres 
G.  D.  im  übrigen  Dekameron  belegen.  Gleich  die  Neigung  für 
Standes-  und  Geschlechtsbezeichnungen  unter  Beifügung  von  Prädi- 
katen (I,  S.  174)  kehrte  durch  alle  Teile  so  oft  wieder,  dafs  ich  nur 
auf  Belege  wie  620,  4  Der  guot  ire  alt  vatter  =  II  padre  di  Lei, 
620,  18  der  schönen  krancken  iunckfrawen  =  della  giovane 
verweisen  möchte,  oder  auf  das  oftmalige  küng  in  619,  25 — 28,  das 
durch  kein  italienisches  Be  gestützt  wird.  Die  Differenzierung  des 
Relativpronomens  durch  nachgesetztes  do  und  vorgesetztes  als  (s.  I, 
S.  186)  finden  wir  565,  36;  573,  1  u.  a.;  565,  25;  567,  19;  568,  1; 
613,  29  u.  a.;  das  iczund,  namentlich  im  Präteritalsatze  (S.  242),  in 
568,  19  Es  was  iczund  nit  dein  Tesse;  569,  11;  608,  9  u.  a.; 
ebenso  nun  als  Einleitung  des  Nebensatzes  (593,  19).  Die  volle 
Form  also  im  Nebensatze  (S.  246)  läfst  sich  in  607,  22  vnd  also 
ferr  er  von  aller  hoffnung  ivas  . . .  so  vil  dester  grösser  sein  freud 
was,  desgleichen  565,  23  (vgl.  42,  24)  belegen.  Die  meisten  Er- 
scheinungen sind  jedoch  so  häufig,  dafs  jeder  Versuch,  sie  einzeln 
zu  belegen,  die  Beweisführung  belasten  würde;  hierher  gehört  die 
Vorliebe  für  sölich  (I,  S.  179),  für  des  an  Stelle  von  do  (I,  S.  185); 
nur  im  parataktischen  Konditionalsatze  (I,  S.  194),  damit  im  Ab- 
sichtsatze (I,  S.  201),  nachdem  für  darnach  (I,  S.  205);  seider 
(I,  S.  206),  seytmale  (S.  257),  ferner  Modalpartikeln  (S.  273).  Hier- 
her gehört  vor  allem  die  durchgängige  Bewahrung  des  do  im 
zeitlichen  Nebensatze  (I,  S.  206),  das  dann  für  wann  (I,  S.  207) 
und  die  charakteristische  Wortstellung  (S.  284).  Auch  die  nega- 
tiven Aufstellungen  für  G.  D.  haben  sich  im  übi'igen  Dekameron 
meist  bewährt:  so  die  Abneigung  gegen  unorganische  Erweiterungen 
des  Demonstrativpronomens  (I,  S.  185);  gegen  partitiven  Genitiv 
(I,  S.  190);  gegen  die  Umschreibung  des  Superlativs  durch  über 
(I,  S.  192);    gegen    die  Form   da  (I,  S.  202);    gegen  aber  (S.  254); 


Steinhöwel  und  das  Dekameron.  289 

gegen  so  als  Konditionalpartikel  (S.  260)  und  endlich  gegen  Acc. 
c.  Inf.  (S.  278). 

So  glaube  ich  den  sicheren  Beweis  dafür  erbracht  zu  haben, 
dafs  die  Dekameron  -  Übersetzung  unmöglich  von  Steinhöwel  her- 
rühren kann,  womit  meine  Aufgabe  zunächst  gelöst  ist.  Es  sei 
jedoch  gestattet,  noch  einige  Bemerkungen  daran  zu  knüpfen  und 
eine  weitere  zweite  Frage  ins  Auge  zu  fassen. ' 

Ich  hatte  in  der  Einleitung  (I,  S.  169)  auf  die  starken  An- 
klänge an  den  lateinischen  Stil  aufmerksam  gemacht,  welche  die 
Dekameron-Übersetzung  verrät.  Ich  könnte  dem  noch  viele  weitere 
Belege  beifügen,  so  z.  B.  das  solicitirt  in  546,  26  (für  stimolata), 
das  stark  an  solliciius  erinnert,  oder  die  domine  583,  23  (für 
Donno),  socie  563,  15.  16  u.  a.  (für  socio,  wofür  in  563,  26  gar 
socie  Jcarissime).  An  das  Lateinische  gemahnt  auch  614,  32  sub- 
tilen (für  sottilissimo),  und,  wenn  das  Dekameron,  das  noch  vom 
excipierenden  dann  Gebrauch  macht  (I,  S.  194),  in  619,  6  das 
italienische  se  non  mit  ausxgenomen  etlich  die  übersetzt,  so  er- 
innert auch  das  eher  an  ein  lateinisches  exceptis  Ulis  qui.  Gegen 
eine  etwaige  lateinische  Zwischenbearbeitung  würde  auch  der  Um- 
stand nicht  sj)rechen,  dafs  sie  vorläufig  nirgends  aufgefunden  wurde, 
da  ja  auch  die  lateinische  Hilfsübersetzung  verschollen  ist,  die 
sich  Laurens  du  Premierfait, '  der  erste  französische  Übersetzer  des 
Dekameron,  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  bei  einem 
Franziskanermönche  bestellt  hatte,  weil  er  des  Italienischen  zu  wenig 
kundig  war.  ^  Immerhin  jedoch  mufs  unser  Übersetzer  neben  einer 
etwaigen  lateinischen  Hilfsübersetzung  auch  eine  italienische  Fassung 
vor  Augen  gehabt  haben,  wenn  er  z.  B.  in  42,  5  der  des  guoten 
mans  . . .  reichtum  vnd  siveren  seclcel  vernomen  het,  schnelle  cum 
fustihus  et  gladiis  ein  hert  severe  procesz  ivider  in  machet 
{cum  gladiis  et  fustihus  imjjetiiosissimamente  corse  a  fornuD'gli 
un  processo)  nur  die  auch  im  italienischen  Originale  in  lateinischer 
Fassung  erhaltenen  Worte  in  solcher  beliefs. 


'  Siehe  Landau,  Boccaccios  Leben  und  Werke  (Stuttgart  1877)  S.  156. 

^  Die  Übersetzung  des  Laurens  du  Premierfait,  von  der  mir  durch 
die  Güte  des  Herrn  Dr.  Bremer  in  Paris  einige  Proben  nach  dem  Drucke 
von  1485  zu  teil  wurden,  weiclit  in  den  eutscheideudeu  Dift'ereuzpuukteu, 
welche  imsere  Dekanicron-Bearbeitung  vom  italienischen  Originale  trennen, 
von  der  unserigen  ab. 

Archiv  f.  ii.  Spiaclicn.    LXXXIV.  19 


290  Steiuhüwrl  und  das  Dekiiineroii. 

Die  Frage  nach  dein  Übersetzer  selbst  bedarf  noch  weiterer 
Erörterungen.  Vom  syntaktischen  Standpunkte  aus  habe  icli  alle 
bis  jetzt  durchgemusterten  Ulmer  Schriftsteller  jener  Zeit  ablehnen 
müssen.  Wir  müssen  uns  wohl  vorderhand  damit  begnügen,  das 
Denkmal  zeitlich  und  räumlich  bestimmter  abzugrenzen,  wozu  die 
Lautverhältnisse  einer  genauei-en  Prüfung  bedürfen, '  als  ihnen  bis 
jetzt  zu  teil  geworden  ist.  Vielleicht  wird  es  dem  Verfasser  möglich, 
auch  dieser  Aufgabe  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  sich  zu  unterziehen. 

'  Auch  die  haudschriftlicheu  Überlieferungen,  von  denen  Keller  in 
seiner  Ausgabe  keine  Notiz  nimmt,  dürften  hier  von  Interesse  sein,  schon 
weil  sie  über  die  Verbreitung  unserer  Übersetzung  Aufschlufs  geben.  Aus 
der  Wiener  Hdschr.  (Cod.  2792  der  kaiserl.  Hofbibliothek)  sind  mir  von 
Herrn  Dr.  v.  Weilen  einige  Proben  freundlichst  mitgeteilt  worden,  die 
deutlich  eine  stark  kürzende  Bearbeitung  unserer  Übersetzung  erkennen 
lassen. 

Heidelberg.  H.  Wunderlich. 


Zum  Haager  Bruchstück. 


Auf  eine  Frage,  die  beinahe  für  erledigt  galt,  inwieweit 
nämlich  das  Haager  Bruchstück  auf  eine  chanson  de  geste- 
Dichtung  im  10.  Jahrhundert  zu  schliefsen  berechtige,  lenkte 
neuerdings  der  dritte  Band  von  Eberts  Geschichte  der  Litteratur 
des  Mittelalters  (1887;  S.  350  f.)  ^\'ieder  die  Aufmerksamkeit. 
Eberts  entschiedene  Ablehnung  jenes  Schlusses  verlangt  um  so 
ernstere  Beachtung,  als  seine  Auffassung  des  Haager  Bruch- 
stücks auf  einer  Kenntnis  der  lateinischen  Litteratur  des  IViittel- 
alters  beruht,  wie  sie  kaum  noch  jemand  zur  Verfügung  steht. 
Fällt  aber  jenes  Zeugnis  für  die  französische  chanson  de  c/este- 
Dichtung  im  10.  Jahrhundert,  so  bleiben  fast  nur  Erwähnungen 
von    zum    Teil    zweifelhaftem    Sinne '    übrig,    die    auf    epischen 


•  Solcher  Art  ist  z.  B.  die  bei  G.  Paris,  Hist.  poet.  de  Guirlemagne, 
S.  50  mitgeteilte  ßeischrift  zu  Einhards  Vita  Karoli  mayni  iu  einer  Hs. 
des  11.  Jahrhunderts:  rrliqua  riciuum  ejtcs  (Caroli)  cjesta  seu  ea  qua  in 
carminibus  vulgo  canuntur  de  co,  die  über  eine  frühzeitige  'Bildung  der 
epopcc  carolinr/iciinc'  keinen  i\.ufschlufs  giebt,  da  der  Zusatz  nicht  er- 
wiesenermafsen  älter  ist  als  die  Hs.,  und  daher  zunächst  nur  von  einer 
chanson  de  geste-Dichtung  des  11.  Jahrhunderts,  in  der  Weise  des  Rolands- 
liedes, verstanden  werden  kann,  das  selbstverständlich  nicht  das  einzige 
epische  Gedicht  von  Karl  d.  Gr.  in  französischer  Sprache  im  Ausgang 
des  11.  Jahrhunderts  mehr  gewesen  ist.  Derart  ist  aber  auch  eine  der 
ältesten  Stellen,  die  gewöhnlich  auf  epischen  Volksgesang  in  Frankreich 
bezogen  wird,  die  Stelle  beim  Poeta  Saxo  (Pertz,  Scr.  1,  208  f.)  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts: 

Est  rjiioq/ie  Jam  iiolinn,  vuUjaria  rnrminn  ... 
I'ippmos,   Cnrolos,   Illudovicos  et   'fheodtricoK 
Kl   Korlomunnm,   /llolhariosque  c  a  n  u  n  l , 

wobei  vielmehr  an  die  panegyrischen  Gedichte  der  lateinischen  Hofpoeteu 
der  ersten  Hälfte  des  9.  .Jahrluuulerts  zu  denken  ist,  die  mit  Recht  'ver- 

19* 


292  Zum  Haager  Bruchstück. 

Yollvsgesang  in  Frankreich  bezogen  werden,  sowie  innere  Gründe, 
gegen  deren  schwächere  Beweiskraft  man  sich  verschhefsen  kann. 
Erwägt  man  ferner,  dafs  hier  mögliclicrweise  auf  einen  neuen 
Fall  für  den  üblichen  weitherzigen  Gebrauch  von  Ausdrücken  wie 
'Volkslied'  und  'Sage'  aufmerksam  gemacht  ist,  durch  die  die 
französische  Litteratur  zur  Zeit  ihrer  ältesten  Denkmäler  ein 
ganz  besonderes  Aussehen  erhält,  so  werden  die  nachfolgenden 
Erörterungen,  zugleich  als  ein  Versuch  einer  Klärung  dieser  Be- 
griffe, vielleicht  nicht  überflüssig  erscheinen.  Überdies  drängte 
es  den  Verfasser,  nachdem  er  mehrfach  für  das  hohe  Alter  der 
chansoii  de  (/esie-Dichtung  eingetreten  und  unerwartet  mit  seinem 
verehrten  Lehrer  in  Widerspruch  geraten  ist,  seine  Ansicht  ein- 
gehender zu  begründen :  mögen  seine  Auseinandersetzungen  einer 
freundlichen  Nachprüfung  dort  teilhaft  werden,  wo  er  sie  am 
meisten  beachtet  zu  sehen  wünscht. 

G.  Paris  berief  sich  a.  a.  O.  bei  der  Annahme  einer  fran- 
zösischen Grundlage  für  das  Haager  Bruchstück  darauf,  dafs  der 
lateinische  Dichter,  der  die  Hexameter  baute,  nicht  die  Eigen- 
schaften eines  erfindenden  Originaldichters  hätte  haben  können; 
dafs  der  lateinischen  Dichtkunst  des  10.  Jahrhunderts  die  Be- 
fähigung selbst  zur  Ausführung  eines  Gedichtes  nach  Volks- 
erzählungen gefehlt  hätte;  dafs  der  im  Haager  Bruchstück 
bearbeitete  Stoff  zu  sehr  mit  dem  der  uationalepischen  franzö- 
sischen Gedichte  übereinstinmie,  als  dafs  man  sich  versagen  könne 
anzunehmen,  es  sei  nach  einem  solchen  gearbeitet  (vgl.  auch 
S.  84  ff.);  die  Namen  der  an  der  Belagerung  der  sarazenischen 
Stadt  im  Haager  Bruchstück  beteiligten  Personen  fänden  sich 
zudem  in  auffälligem  Zusammenhange  in  der  Geste  des  Aimeri 
de  Narbonne  wieder,  deren  epische  Aufgabe  in  der  Bekämpfung 
der  Sarazenen  an  der  südfranzösisch -spanischen  Grenze  bestand, 
und  zwar  gleichfalls  in  Verbindung  mit  der  Einnahme  einer 
sarazenischen  Stadt;  die  Benennung  des  Bertrand  im  Haager 
Bruchstück  als  palatinus  imd  der  gleiche  Beiname,  den  Bertrand 


breitete'  heifsen.  Denn  dies  ist  der  gewöhnliche  Sinn  von  ruhjarift,  während 
es  im  Sinne  von  'Sprache  des  Volkes'  in  jener  Zeit  nirgends  nachzuweisen 
ist.  Vgl.  dazu  die  ähnliche  Stelle  in  Notkers  leoninischen  Hexametern 
auf  den  h.  Otmar  (Pertz,  Scr.  II,  54,  v.  A\):  Quis  canat  Ekkehardos  Not- 
keris  non  7)iaye  tardos,  die  natürlich  nur  lateinische  Gedichte  auf  den  ge- 
nannten gleichstehende  Gelehrte  andeutet. 


Zum  Haager  Bruchstück.  203 

in  den  Aimeri-Epen  führt,  le  jjalasin,  behebe  jeden  Zweifel  an 
der  Gleichheit  der  Personen  im  lateinischen  und  in  den  franzö- 
sischen Gedichten;  auch  Boreis  Söhne,  deren  einen  Wibelinus  im 
Haager  Bruchstück  tötet,  kehren  mit  diesem  in  dem  französischen 
Epos  von  Aimeri  de  Narbonne  wieder  (s.  jetzt  Demaison,  A^Tneri 
de  Narbonne,  I,  Einl.  131,  208).  Ein  Gedicht  der  Epengruppe 
von  Aimeri  de  Narbonne  bilde  daher  die  Grundlage  des  latei- 
nischen Dichters,  die  Erinnerungen  an  die  Befreiung  des  fran- 
zösischen Südens  waren  bereits  im  10.  Jalirhundert  in  poetischer 
Form  vorhanden,  Karl  IMartel  mit  Karl  d.  Gr.  verschmolzen  u,  s.  w. ' 
Auch  der  lateinische  Waltharius  der  ersten  Hälfte  des  10.  Jahr- 
hunderts sei  so  aus  der  Volkssprache,  dem  Deutscheu,  übersetzt 
worden;  bei  dem  lateinischen  Ruodlieb  aus  dem  Anfange  des 
1 J .  Jahrhunderts  sei  derselbe  Ursprung  vorauszusetzen ;  lateinische 
Bearbeitungen  volksmäfsiger  Gedichte  aus  späterer  Zeit  stünden 
diesen  zur  Seite:  der  Bericht  des  Metellus  von  Tegerusee  (um 
1160)  nach  einem  Gedicht,  das  einen  Teil  des  Ogier  le  Danois 
bildet,  das  auf  der  Chanson  de  Roland  beruhende  Carmen  de 
proditlone  Grienonis,  12.  Jahrhundert,  sowie  das  Bruchstück  einer 
Übertragung  des  Wilhelm  Wolframs  von  Eschenbach  aus  dem 
1 3.  Jahrhundert. 

Gewisse  Züge  der  Darstellung  im  Haager  Bruchstück  erinnern 
in  der  That  auch  Ebert,  a.  a.  O.  HI,  349  f.,  an  die  späteren 
französischen  Epen;  in  anderen  weichen  dieselben  nach  ihm  da- 
gegen vom  Haager  Bruchstück  ab,  indem  da  für  den  gelehrten 
lateinischen  Dichter  die  Nachahnumg  der  antiken  Epopöe  mafs- 
gebend  war;  entgegen  steht  ferner  der  Herleitung  des  lateinischen 
Gedichts  aus  einem  französischen  der  übertriebene  schwülstige 
Stil,  der  nicht  die  entfernteste  Verwandtschaft  mit  den  chansons 
de  geste,  am  wenigsten  mit  den  älteren  zeige;  überhaupt  konnte 
einem  Gelehrten  des  10.  Jahrhunderts  nicht  der  Gedanke  kom- 
men, ein  in  der  Volkssprache  verfalstes  Epos  in  die  exklusive 
Sprache  der  Wissenschaft  zu  übersetzen;  es  ist  ebensowenig 
an  die  Existenz  eines  in  der  französischen  Volkssprache  des 
10.  Jahrhunderts   verfafsten   Epos^    zu   glauben.      Die    überein- 

1  Bei  Nyrop,  Storia  dell'  Epopea  francrsc,  fracl.  di  E.  Gorra,  S.  '^1  fi". 
Wiederholung  dieser  Gründe;  s.  auch  1*.  Rajna,  Orir/ini  dell'  Epopea  firn/- 
cese.  S.  477  f. 

-  Die  franz.  Ausg.  fügt  bei:  in  der  Art  der  clicois.  de  i/rsfc. 


294  Zum  Haager  Bruchstüclc. 

stininieudcu  Züge  im  altfrauzösisclieii  Natioualcpo.s  und  dem 
Haager  Bruehstüek  aber  erklären  sieh  aus  dem  nationalen  Genius, 
der  in  der  mittellateinisclien  Diehtung  Frankreichs  ebensogut  wie 
in  französischer  seinen  Ausdruck  finden  konnte;  der  gelehrte 
Verfasser  konnte  das  Material  aus  der  volksmäfsigen 
Überlieferung  nehmen,  Avie  Ermoldus  Nigellus  und  der 
Dichter  des  Walthari;  im  Haager  Bruchstück  hat  die  bereits 
zur  Sage  gewordene  Geschichte  Karls  des  Grofsen  eine  Be- 
handlung gefunden  in  einem  ähnlichen  StUe,  wie  ihn  die  histo- 
rischen Epen  des  Ermoldus  Nigellus  (Li  honorem  Hludorcici 
lihri)  und  des  Abbo  (De  hello  parisiaco)  zeigen. 

Dies  die  Gründe  für  die  beiden  sich  entgegenstehenden  Auf- 
fassungen.    Scheinbar  findet   eine  Gegnerschaft   in  einer  grofsen 
Zahl  von  Punkten  statt.     G.  Paris  traute  dem  Mönche,   der  die 
Hexameter  schrieb,  nicht  zu,  ein  lateinisches  Gedicht  nach  Yolks- 
überlieferungen  zu  verfassen;   Ebert  spricht  ihm  die  Befähigimg 
zu.     G.  Paris   erkennt   der  lateinischen   Dichtung   des    10.  Jahr- 
hunderts  die   für   eine   epische   Originaldichtung  nötigen   Eigen- 
schaften ab;   Ebert   legt   sie   ihr  vermöge   des  in  ihr  wie  in  der 
Volksdichtung  wirksamen  nationalen  Genius  bei.    Der  im  Haager 
Bruchstück  behandelte  Stoff  stimmt   nach  G.  Paris   zu  sein-  mit 
dem  in  Gedichten  in  der  französischen  Volkssprache  behandelten 
überein,  um  nicht  vom  lateinischen  Dichter  aus  einem  von  diesen 
geschöpft  zu  sein ;  nach  Ebert  wird  diese  Übereinstünmuug  erklär- 
lich diu-ch  die  bereits  zur  Sage  gewordene  Geschichte  Karls  des 
Grofsen;   aus   ihr  würde  demgemäfs  auch  eine  etwaige  Dichtung 
in  französischer  Sprache  von  einem  Kampfe  der  Söhne  Aimeris 
mit  Borel   und   seinen  Söhnen,   wie   sie   von   G.  Paris   vermutet 
wird,   hervorgegangen   sein,   die   aber   im    10.  Jahrhundert   noch 
nicht  vorhanden  sein  konnte,   da  eine  so  frühe  Existenz  franzö- 
sischer  Epen   nicht   glaubhaft   ist.     Dieser   Überzeugung   gemäfs 
beruhen    lateinische   Dichtungen    wie   Ruodheb    oder    wenigstens 
Waltharius  für  Ebert   auch   nicht  auf  deutschen  Volksepen,  wie 
für  G.  Paris,   sondern   auf  'Volkssage'   und  'Überheferung'  (vgl. 
Gesch.  d.  Litt.  d.  :Mittelalters  HI,   274),   so  dafs  mit  diesen  Ge- 
dichten kein  Analogiebeweis  zu  Gunsten   der  entgegenstehenden 
Ansicht  zu  führen  ist. 

Einige    der   streitigen   Pmikte    lassen    sich   nun    freilich    bei 
näherer  Betrachtung,  wie  es  scheint,  unschwer  beheben  und  damit 


Zum  Haager  Bruchstück.  295 

ihre  Zahl  vermiDdern.  Wenn  nämlich  eine  Volkserzählung  von  den 
iin  Haager  Bruchstück  dai-gestellten  Ereignissen  vorhanden  war, 
so  ist  einem  INIonche,  der,  wie  der  Verfasser  des  Haager  Bruch- 
stücks, nach  den  seltensten  Ausdrücken,  den  gewagtesten  Bildern 
imd  der  gezwungensten  Wörterstellung  geradezu  Jagd  macht,  und 
der  darin  nach  meiner  Kenntnis  in  seiner  Zeit  nicht  seinesgleichen 
findet,  nicht  wohl  die  Fälligkeit  abzusprechen,  eine  Kampf- 
schilderung zu  entwerfen,  \ne  sie  fi'anzösischen  Nationalepen- 
dichtern von  geringerer  Erfahrung  imd  Schulung  in  der  Dar- 
stellungskunst immer  gelungen  ist,  denen  für  derartige  Schilde- 
rungen auch  Kämpfe  und  Kampf  weisen  ihrer  Zeit  zm-  Richtschnur 
dienen  muTsten.  Andererseits  dürfte  jedoch  der  Gedanke,  in  der 
von  jedem  geistlichen  Zuge  freien  Weise  Kämpfe,  wie  sie  das 
Haager  Bruchstück  schildert,  vorzuführen,  einem  Mönche  oder 
einem  Manne  von  geistlicher  Erziehung,  der  der  Verfasser  des 
Haager  Bruchstücks  aus  dem  10,  Jahrhimdert  doch  wohl  gewesen 
ist,  nicht  haben  kommen  können,  ohne  dafs  ihm  dazu,  sei  es 
Volksüberliefenmg  oder  Volksdichtung  aus  Laienkreise,  den  Weg 
gewiesen  hätte;  er  müfste  sonst  im  stände  gewesen  sein,  ohne 
einem  erkennbaren  Zwange  zu  unterliegen,  die  gewöhnten  geist- 
lichen Anschauungen  von  den  Dingen  gänzlich  zu  verläugnen 
und  abzustreifen.  Geistliche  Originalerzähler  weltlicher  Gescheh- 
nisse, wie  Abbo  oder  Ermoldus  Nigellus,  oder  solche  selbst 
jüngerer  Zeit,  verläugnen  jedoch  ihre  geistlich-christliche  Denk- 
art, die  als  berufene  Richterin  über  alle  Dinge  immer  zu  Worte 
konunen  darf,  nirgendwo;  der  nationale  Genius  aber  hat  sich 
jederzeit  gegenüber  gleichartigen  Begebnissen  bei  Geistlichen  und 
Laien  vermöge  der  verschiedenen  Gedaukenrichtung  beider  ver- 
schieden geäufsert;  das  reine  Interesse  lediglich  an  der  Kamjif- 
schilderung,  das  im  Haager  Bruchstück  nach  seiner  stofflichen 
Seite  hervortritt,  ist  eine  dem  geistlichen  Verfasser  desselben 
schwer  zuzuerkennende  Eigenschaft,  die  er  kaum  in  einer  Origiual- 
schrift  zu  bewähren  vermocht  hätte,  und  demgemäls  nur  als 
Nachbildner  eines  gleichbeschaffenen  Musters  scheint  angenommen 
haben  zu  können. 

Aber  es  handelt  sich  in  Wirklichkeit  ja  auch  in  keiner  der 
beiden  Auffassungen  um  die  Annahme,  als  sei  das  Haager 
Bruchstück  eine  Originakliclitung  über  die  Eiuuahuie  einer  sara- 
zenischen Stadt  unter  Karl  dcui  CJrolscn;    der  Gedanke    an   eine 


296  Zum  Hnagor  Bniclistiick. 

Originaldichtung  ist  unter  G.  Paris'  Gründen  nebensächlich.  Der 
AVidcrstreit  der  Meinungen  beschränkt  sieh  darauf,  dafs  die  un- 
geistUche  Art  der  Bericliterstattung  und  Darstellung  im  Haager 
Bruchstück  und  ein  Erzeugnis  der  lateinischen  Dichtung  solcher 
Art  in  dem  einen  Falle  in  der  zur  'Sage'  gewordenen  Geschichte 
Karls  des  Grofsen  eine  hinlängliche  Begründung  fände,  im  an- 
deren nur  durch  eine  französische  Dichtung  weltlichen  Ursprungs 
über  den  Gegenstand  befriedigend  soll  erklärt  werden  können. 
Die  ^olksüberlieferung'  hätte  mithin  nach  der  ersteren  Ansicht 
alles  das  bewahrt,  was  G.  Paris  als  in  der  französischen  Dichtung 
gegeben  voraussetzt  und  in  später  überlieferter  altfranzösischer 
Ependichtung  wiederfindet  (s.  S.  292  f.),  die  Namen  der  an  der 
Belagerung  teilnehmenden  Personen,  die  Benennung  Bertrands 
als  pcdasin,  die  feindlichen  Begegnungen  des  Borel  und  seines 
Sohnes  mit  den  christlichen  Feldherren,  die  Auffassung  des  der 
Geschichte  nach  christlichen  Fürsten  Borel  als  Gegners  Karls  des 
Grofsen  u.  s.  w. 

Was  aber  rät  nun  zur  Annahme  solcher  zm*  Sage  gewor- 
denen Geschichte  von  Karl  dem  Grofsen  als  Grundlage  des 
lateinischen  Gedichts  im  gegebenen  Falle,  und  was  widerrät  die 
Annahme,  alles  Stoffliche  am  Haager  Bruchstück  sei  in  einer  fran- 
zösischen Dichtung  bereits  zusammengefafst  gewesen?  Zunächst 
wäre  es  (s.  o.  S.  293  f.)  der  Umstand,  daß?  im  Haager  Bruch- 
stück vom  altfranzösischen  Epos  abweichende  Züge  vorhanden 
sind,  die  die  Nachahmung  der  antiken  Epopöe  als  mafsgebend 
für  den  lateinischen  Dichter  zeigten;  ferner  der  übertriebene 
schwülstige  Stil,  der  nichts  mit  jenem  Verwandtes  habe;  sodann 
die  Unmöglichkeit,  dafs  ein  Gelehrter  des  10.  Jahrhunderts  ein 
Volksgedicht  in  die  exklusive  Sprache  der  Wissenschaft  über- 
setzte; überdies  sei  das  Verfahren  des  Verfassers  des  Haager 
Bruchstücks,  wenn  er  das  Material  aus  der  volksmäfsigen  Über- 
lieferung nahm,  dasselbe,  wie  es  Ermoldus  Nigellus  und  noch 
mehr  der  Dichter  des  Walthariliedes  angewandt  habe  (Ebert, 
Gesch.  HI,  351). 

Den  ersten  dieser  Einwände  mrd  man,  ohne  damit  die  fran- 
zösische Dichtung  zuzugeben,  fallen  lassen  dürfen;  denn  ein  latei- 
nischer Dichter,  der  einmal  beschlofs,  volkstümliche  Überlieferung 
zu  bearbeiten  und  dieselbe  in  der  Sprache  der  Gelehrten  darzu- 
stellen,   nuilste   notwendig   eine    der  entsprechenden   lateinischen 


Zum  Haager  Bruchstück.  297 

Dichtgattuug  und  den  Überlieferungen  der  lateinischen  Dichtung 
gemäfse  Darstellungsweise  wählen,  wenn  sein  Werk  als  lateinische 
Dichtung  gewürdigt  werden  sollte.  Ohne  Entlehnungen  und  An- 
klänge an  die  erzählende  lateinische  Dichtung  wäre  dieser  Zweck 
nicht  erreicht  worden,  daher  war  mit  der  lateinischen  Sprache  auch 
die  sonstige  unfranzösische  Einkleidung  des  behandelten  Stoffes 
gegeben.  Dieselbe  anzuwenden  war  der  lateinische  Dichter  des 
10.  Jahrhunderts  aber  jedenfalls  auch  nicht  mehr  behindert  durch 
ein  französisches  Gedicht  als  durch  eine  Sage,  die  ihm  das 
Material  gleichfalls  nur  in  der  Ausdrucks  weise  des  Volkes  zur 
Verfügung  stellte. 

Hierfür  und  zugleich  gegenüber  dem  zweiten  Bedenken  läfst 
sich  aufserdem  das  Carmen  de  jproditioiie  Guenonis  geltend 
machen,  wofür  der  Dichter  zwar  aus  dem  zu  Grunde  hegenden 
französischen  Gedicht  Gestalten,  Handlungen,  Scenen  in  glei- 
cher Aufeinanderfolge  n.  s.  w.  entnahm,  ohne  sich  dabei  an  den 
spraclilichen  Ausdruck  der  Grundlage  für  gebunden  zu  erachten, 
den  er  verläfst,  ohne  ihn  gänzlich  vergessen  zu  machen  und  ohne 
die  clinnson  de  ^esf e - mäfsige  Haltung  des  Ganzen  verkennen 
lassen  zu  können.  Der  Wortlaut  aber  des  von  ihm  benutzten 
Rolandgedichtes  hat  auch  ihn  nicht  gehindert,  einen  abweichen- 
den Stil  zu  wählen,  in  bedeutender  Ausdehnung  lexikalische 
Wortspielereien  zu  treiben,  wie  Allitteration  wirkende  Wieder- 
holung desselben  Wortstammes  —  die  wichtigste  Quelle  für  seine 
stilistische  Formgebung '  —  in  seinen  Distichen  anzuwenden  und 
in  gezierter  Weise  sich  vöUig  den  Gebrauch  von  est  und  sunt  zu 
versagen  zum  Zeichen  dafür,  dafs  auch  er  seine  Grundlage  in 
eine  andere  Sphäre  zu  heben  suchte,  dafs  er  anderen  Mustern 
für  die  Darstellung  folgte  als  dem  Volksgedicht,  dafs  er  ein 
gröfseres  Interesse  für  den  sprachlichen  Ausdruck  als  für  den 
behandelten  Gegenstand  hatte,  der  ihm  fertig  zur  Verfügung 
stehen  mufste,  um  ihm  eine  so  verkünstelte  sprachliche  Ein- 
kleidung zu  gestatten.2    An  Wendungen  der  klassischen  Sprache 


'  Z.  B.  V.  79:   Ctimqiie  ttmore  novo  timor  illkis  renovattir 
Kt  limet  ei  tlmidum  reddet  uterque  timor. 

^  Der  Verfasser  wird,  nebenbei  bemerkt,  ein  Spanier  gewesen  sein. 
Den  Franzosen  schlierst  der  Umstand  aus,  dal's  neben  einmaligem  Fran- 
eigence  472,  das  irrelevant,  niemals  Franci  angewandt  wird,  wie  aus- 
schliefslich   von    den  Tjateinern  Frankreichs  im  12.  Jahrhundert,   sondern 


298  Zuiii  HaagiT  HriR-listik-k. 

fehlt  es  auch  hei  ihm  nicht,  vgl.  Mars  =  piMjna  229,  233,  248, 
273,  351  u.  a.,  f'ortuna  314,  sua  fata  450,  quirltes  385;  er 
spricht  auch  in  eigner  Person,  um  sich  wegen  der  Kürze  seiner 
Mitteilungen  zu  entschuldigen,  nimmt  aber  gleichwohl  in  der  Art 
seiner  Vorlage  Ton  imd  Miene  des  Augenzeugen  an.  Auch  wört- 
licher oder  sinnentsprechender  Anschlufs  an  die  französische  Vor- 
lage begegnen  bei  ihm  noch  mitunter,  vgl.  v.  203  judicat  =  Rol. 
742,  751,  vgl.  V.  39;  v.  15  annis  sejjtem  =  Hol.  1;  v.  137 
extrahit  ensem  =  Eol.  443  f.;  v.  339  ff.  =  Rol.  1652  ff.; 
v.  373  —  4  rmapiintur  veuce  capitis  .  .  .  rare  craor  manat 
—  Rol.  1763  f.;  v.  393  regi  dextram  secat  —  Rol.  1903;  v.  403 
orhus  =  Rol.  1992;  v.  449  Circuinquaque  legens  fert  corpora 
patriciorum  =  Rol.  2180  f.;  v.  458  mniam  supplice  voce  rogat 
=  Rol.  2364;  v.  480  dilaceratur  eqiiis  —  Rol.  480  ff.  u.  a.  m. 
Trotz  der  selbstgewählten,  vom  Rolandslied  sehr  erheblich  ab- 
weichenden litterarischen  Gestalt  und  sprachlichen  Wiedergabe 
ist  hier  ein  Zweifel  an  der  Benutzung  einer  Dichtung  in  fran- 
zösischer Sprache  ausgeschlossen,  weil  diese  selbst  oder  wenig- 
stens eine  ihr  verwandte  französische  Bearbeitung  derselben  uns 
vorliegt.  Wäre  dies  nicht  der  Fall  und  sollten  in  der  Frage  die 
Anlehnung  des  carmen  an  Sprache  und  Darstellung  der  latei- 
nischen Dichtung,  nicht  aber  die  anderen  aus  den  latei- 
nischen poetischen  Überheferungen  unerklärbaren  Züge  des 
Carmen  den  Ausschlag  geben,  so  würde  auch  hier,  statt  auf  eine 
altfi'anzösische  clianson  de  geste,  auf  die  Sage,  und  doch  irr- 
tümlich, als  Grundlage  geschlossen  werden.    Mindestens  ebensoviel 


stets  Oalli  (271,  355,  465),  die  Bezeichnung  der  Franzosen  durch  die 
Nachbarn,  und  ebenso  nur  Gallia  (195  f.,  357,  467),  nie  Franeiu.  Nostri 
243  besagt  nur  Parteigenossen,  Christen.  Sprachliche  Hispanismen  des 
Textes  scheinen  v.  89  das  Verbum  epaciarc,  lustwandeln  =  spau.  espaciar, 
das  ital.  und  franz.  eine  andere  Bedeutung  hat  (umherschweifen,  sich  ent- 
fernen ;  ital.  spaxxarc,  räumen) ;  v.  429,  459  fjentäis,  Heide  =  span.  gentil 
(anderwärts  in  dieser  Bedeutung  ungebräuchlich) ;  wohl  auch  v.  202  quserit 
quis  qucerat  ire,  fragt,  wer  gehen  ivolle  =:  span.  qiierrer  =  velle,  und  viel- 
leicht das  vom  Dichter  bevorzugte  }nirari,  schauen  :-  span.  mirar  469 
u.  a.  —  Ist  V.  69,  78  Sirie,  73  Sin'nrum  vom  Gebiet  der  Bewohner,  das 
Guenelon  durcheilt,  bevor  er  Machilies  erreicht,  etwa  aus  Slser  (Sisre)  des 
Rolandslieds  entstanden?  [Spatinri  finde  ich  nachträglich  bei  Salimbene 
zum  Jahre  1233  und  bei  Lambert  v.  Ardre  (Pertz,  Scr.  XXIV,  035)  c.  147 
im  fraglichen  Sinne.] 


Zum  Haager  Brudistiick.  209 

Freiheit,  auch  gröfsere,  in  der  sprachlichen  Darstellung,  als  der 
Dichter  des  carmen,  konnte  sich  aber  der  Verfasser  des  Haager 
Bruchstücks  gegenüber  einer  altfranzösischen  Dichtung  genommen 
haben,  so  dafs  von  derselben  in  seiner  Bearbeitung  —  wenigstens 
für  den  ersten  Blick  —  nur  noch  wenig  durchschimmerte  (siehe 
jedoch  darüber  S.  309  ff.),  weniger  als  im  carmen.  So  weit  stehen 
sich  das  carmen  und  das  Haager  Bruchstück  jedenfalls  gleich, 
dafs  diese  MögHchkeit  einzm-äumen  sein  dürfte.  Die  Sprechart 
der  beiden  lateinischen  Gedichte  kann  hierbei  keinen  Unterschied 
machen;  der  Dichter  des  10.  Jalu'hunderts  bewegt  sich  in  der 
schwülstigen  Ausdrucks  weise  jener  Zeit,  wo  der  des  12.  in  reim- 
artigen An-  und  Gleichklängen,  wie  sie  das  12.  Jahrhundert  liebt, 
sich  gefäUt. 

Dem  dritten  Einwände  würde  mit  dem  Walthari  -  Epos  des 
10.  Jahrhunderts  zu  begegnen  sein,  wenn  Ebert  die  Auffassung 
von  Grimm  u.  a.  teilte,  wonach  auch  hier  Beai'beitung  einer 
Dichtung  in  der  Volkssprache,  füi-  die  zuletzt  noch  in  der  Aus- 
gabe von  Scheffel  und  Holder  (Stuttgart  1874,  S.  lU  ff.)  Be- 
weisstücke gesammelt  wurden,  stattgefunden  hätte,  während  Ebert 
auch  Ekkeharts  Dichtung  aus  der  Volks  sage  hervorgehen  läfst, 
die  dem  lateinischen  Dichter  den  Grimdrifs  der  Handlung  und 
die  Charaktere  der  Haupthelden  bot  (S.  274),  und  die  als  münd- 
liche Prosaerzählung  (nach  das.  S.  35)  zu  denken  wäre.  Dieser 
Auffassung  ist  das  Vorhandensein  von  Bruchstücken  eines  älte- 
ren alt  englischen  Gedichts  von  Waldere  (s.  Ebert  S.  39),  das 
ein  solches  auf  dem  Festland  in  deutscher  Sprache  vorauszusetzen 
berechtigt,  nicht  günstig ;  allein  der  Einwand  legt  den  Nachdruck 
wohl  auf  die  Annahme,  dafs  das  Haager  Bruchstück  eine  blofse 
Übersetzung  eines  französischen  Volksgedichts  von  der  Art 
der  chanson  de  geste  sei  in  die  exklusive  Sprache  der  Wissen- 
schaft, und  von  einer  solchen  kann  bei  den  Wendungen,  deren 
sich  der  Verfasser  des  Haager  Bruchstücks  bedient,  allerdings 
nicht  die  Kede  sein.  Immerhin  aber  spricht  seine  Ausdrucks- 
weise, wie  bemerkt,  weder  für  eine  zu  Grunde  gelegte  Sage, 
noch  gegen  ein  französisches  Gedicht  über  den  Gegenstand 
als  seine  Quelle. 

Mit  alledem  kann  die  fi'anzösische  clinnson  de  geste  natür- 
lich noch  keineswegs  als  nachgewiesen  gelten,  üud  wenn  aus 
Volkssage  ein  Gebilde  wie  das  Haager  Bruchstück  sich  erklären 


300  Zum   Ifiiiigor  IJnirlistück. 

lielse,  so  läge  keiu  Grund  vor,  über  dieselbe  hiiiauszugreifen  bis 
zur  Annahme  epischer  Gcdiehte  von  Karl  dem  Grofsen  im  10.  Jaln-- 
hundert,  füi*  die  hier  und  bisher  höchstens  die  Möglichkeit  dar- 
gethan  worden  ist.  Das  Beispiel  des  Ermoldus  Nigellus,  auf  das 
sich  zur  Erklärung  dafür,  wie  aus  volksmäfsiger  Überlieferung 
ein  litterarisches  Erzeugnis  von  der  Art  des  Haager  Bruchstücks 
entstehen  konnte,  Ebert  beruft  (s.  o.  S.  296)  neben  dem  Waltharius, 
den  wir  aber  hierfür  wegen  der  älteren  altenglischen  Dichtung 
als  zweifelhaft  aufser  Betracht  lassen  müssen,  würde,  Avenn  zu- 
treffend, hinreichen,  um  sich  auch  für  das  Haager  Bruchstück  bei 
der  Volkssage  genügen  zu  lassen.  Eberts  Vergleichung  des  Haa- 
ger Bruchstücks  mit  des  Ermoldus  Gesta  Hludowici  Ccesavis 
(um  827)  nach  Ursprung,  Stoff  und  Behandlung,  erfährt  ihre  be- 
sondere Erläuterung  in  der  Gesch.  d.  Litt.  d.  Mittelalters  H,  178  f., 
Avonach  bei  Ermoldus,  Buch  I,  'sich  zum  erstenmal  im  Abend- 
land als  Gegenstand  der  Epik  der  Kampf  mit  den  Sarazenen 
(Eroberung  von  Barcelona)  zur  Zeit  Karls  des  Grofsen  findet, 
also  das  Sujet  des  volkstümlichsten  der  grofsen  Sagenkreise  der 
nationalen  Weltlitteratur,  und  zwar  schon  auf  Grund  mündlicher 
Überlieferung,  der  'Sage',  wie  der  Dichter  selbst  bemerkt  (I,  65  ff.): 

Oidmina  terrarum  vel  quot  cartella  perayrans  (sc.  Imdovicus) 

Subdidit  imperiis  arnia  ferente  deo 
Sunt  mihi  nota  tninus,  vel,  si  modo  nota  fuissent, 

Non  poterat  stolidus  ciincta  notare  stilus: 
Sed,  qua,  fam,a  reeens  sttipidas  perrexit  ad  aures, 

Ineipiam,  eanere;  ecetera  linguo  catis.' 

Von  der  Berechtigung  nach  dieser  Stelle,  Ermoldus  mit  dem 
Verfasser  des  Haager  Bruchstücks  hinsichtlich  ihres  Verhältnisses 
zu  den  Quellen  gleich  zu  stellen,  ist  es  mir  jedoch  nicht  gelungen, 
mich  zu  überzeugen.  Des  Ermoldus  und  seiner  Zeit  Sprechweise 
selbst  scheint  mir  vielmehr  darzuthun,  dals  sein  Werk  ein  Ge- 
dicht auf  geschichtlicher  Grundlage,  ausgeführt  unter  Anlehnung 
in  Sprache  und  DarsteUuug  an  Virgils  Dichtung  ist,  die  dem 
Mittelalter  als  Vorbild  auch  für  geschichthche  Dichtung  galt, 
weil  es  Geschichte  darin  sah,  ein  Gedicht,  das  zwar  nicht  der 
'mündlichen  Überlieferung',  wohl  aber  der  'Sage'  fern  steht. 
Denn  dem  fama  reeens^  das  jene  Auffassung  stützt,  soAvie  das 
bei  Ermoldus  oft  begegnende  fama  schliefst  nicht  sowohl  den 
Sinn   von  'Sage'   in   sich,   sondern   besagt  'Nachricht',   'Neuigkeit 


Zum  Haager  Bruchstück.  301 

nach  mündlichem  Bericht'.  Dies  erhellt  aus  der  augeführten  Stelle 
selbst,  da  der  Dichter  sagt,  er  wolle  nicht  von  den  Höhen  und 
Festen  erzählen,  die  Ludwig  dem  Reiche  unterthan  gemacht, 
denn  diese  seien  ihm  zu  wenig  bekannt,  und,  wenn  sie  ihm 
bekannt  wären,  würde  sein  unbehilflicher  Griffel  sie  nicht  alle 
bezeichnen  können;  er  wolle  sich  beschränken  auf  das,  was 
die  fama  recens,  die  noch  frischen  Nachrichten,  Nachrichten  aus 
neuerer  Zeit,  zur  Kenntnis  gebracht  hätten.  Das  Ereignis,  das 
hiernach  berichtet  wird,  ist  die  Einnahme  von  Barcelona  durch 
Ludwig  den  Frommen  vom  Jahre  80  L  Ermoldus  hatte  dem 
Ausdruck  zufolge  (quce  fama  recens  stujjidas  pervexit  ad  aures) 
daran  zwar  nicht  selbst  teil  und  konnte  darüber  vermutlich  auch 
nicht  wie  über  Miterlebtes  sprechen;  aber  was  er  darüber  be- 
richtet, macht,  weil  Ludwig  selbst  vorgetragen,  dem  er  seine 
Dichtung  sendet,  doch  Anspruch  darauf,  auf  zuverlässiger 
mündlicher  Kunde  zu  beruhen.  Dazu  kommt,  daCs  im  gleichen 
Sinne  fama  recens  bei  Ermoldus  I,  545  steht:  Fama  recens 
totam  commiscuit  ocius  atdam  Coisareas  aiires  mox  pene- 
travlt  ovans,  von  der  Neuigkeit  gesagt,  die  Karl  dem  Grolsen 
über  die  Erfolge  Ludwigs  bei  Barcelona  eiligst  durch  Bigo, 
n  u  n  t  i  a  loita  ferens^  v.  544,  übermittelt  wird.  Man  sieht  aus 
den  beiden  Stellen  zugleich,  welche  verschiedene  Dauer  unter 
recens  gedacht  werden  kann.  Fama  allein  steht  noch  öfter  in 
diesem  Sinne  bei  Ermoldus  (z.  B.  I,  259,  461,  565:  fama  est, 
d.  h.  es  wird  berichtet,  dafs  der  Patriarch  Pauhnus  zu  Karl 
dem  Grofsen  gekommen  —  was  wirklich  der  Fall  gewesen 
war;  II,  103,  245,  III,  3)  von  verbürgter  Nachricht.  Und 
dementsprechend  enthält  auch  seine  Dichtung  weder  Sagenhaftes 
noch  Episches.  Ermoldus  hebt  einzelne  hervorragende  That- 
sachen  aus  dem  Leben  Ludwigs  des  Frommen  heraus,  mit  dem 
sich  die  beabsichtigte  Lobpreisung  desselben  verbinden  läfst,  und 
belebt  die  Erzählung  mit  den  überlieferten  Darstellungsmitteln 
der  gelehrten  Kunst  (Reden,  Ansprachen,  Schilderungen).  So- 
weit es  die  Dinge,  die  er  vorträgt,  erlauben,  gestaltet  er  sich  das 
Bild  von  denselben  nach  Virgil;  dafs  er  in  der  Belebung  des 
Gegenstandes,  abweichend  von  dem  Verfahren  der  Sage,  sich 
hütet  zu  weit  zu  gehen,  zeigt  u.  a.  sein  vorsichtiges  fortasse 
I,  171:  Immer is  fortasse  recumhens  Vilheltni  comitis  luve 
dicta  dahat  (vielleicht  zu  Willielm  sich  niederbeugend  sprach 


802  Zum  Haiiger  Bruchstück. 

er  diese  Worte).  Eine  Schilderung,  wie  die  der  Heeresversamm- 
lung  (I,  283  ff.),  stützt  sich  auf  Vorkommnisse,  die  der  Dichter, 
der  selbst  an  einem  Kriegszug  teilnahm,  mehrfach  vor  Augen 
gehabt  haben  wird.  Die  Episode  von  Datus  (I,  207  ff.),  der, 
nachdem  er  seine  Mutter  den  Sarazenen  preisgegeben  hatte,  die 
That  bereuend,  Mönch  wurde,  enthält  in  Wahrheit  heroische  Züge, 
wie  sie  dem  Epos  unentbehrlich  sind;  aber  auch  hier  handelt  es 
sich  nicht  um  Sage,  sondern  um  eine  verbürgte  Nachricht  (vgl.  I, 
259  fama  pervenit  ad  aures  pii  regis ;  I,  214  adfirmant)^  da 
Conca,  dessen  erster  Insasse  Datus  war,  erst  unter  Ludwig  dem 
Frommen  gegründet  wurde  und  819  unter  seinen  Schutz  gestellt 
worden  ist.  Gewifs  sind  des  Datus  heroischer  Verzicht  auf  die 
Freigebung  seiner  Mutter  oder  Wilhelms  von  Toulouse  Ver- 
spottung durch  Sarazenen  und  die  Rolle,  die  dabei  sein  Pferd 
spielt  (Ebert  II,  1 74),  Züge,  denen  man  im  altfranzösischen  Epos 
begegnet;  aber  auch  sie  wurzeln  darum  nicht  in  der  Sage;  sie 
würden  sich  im  Epos  nicht  finden,  und  dasselbe  wäre  überhaupt 
nicht  vorhanden,  wenn  derartige  Züge  vom  wirklichen  Leben  nicht 
selbst  in  der  einen  oder  anderen  Form  dargeboten  worden  wären. 
Wenn  nun  aber  des  Ermoldus  Dichtung  nicht  auf  die  Sage 
zurückführt  und  auch  andere  erzählende  lateinische  Gedichte  aus 
früherer  oder  späterer  Zeit  nicht  bekannt  sind,  die  auf  der  Sage 
beruhten,  so  ist  schwer  einzuräumen,  dafs  das  chanson  de  geste- 
artige Haager  Gedicht  Anspruch  habe,  aus  solcher  Quelle  ab- 
geleitet zu  werden.  Allerdings  dringt  Sage  in  die  mittelalter- 
liche Chronik  ein;  die  fränkischen  und  longobardischen  Geschichts- 
bücher und  ebenso  die  Legende  legen  Zeugnis  dafür  ab;  aber 
nicht  alles  ist  dabei  nur  Sage;  auch  Volksdichtung  kam  darin 
zur  Geltung.  Man  begegnet  beiden  z.  B.  in  der  bekannten  Chronik 
von  Novalese  (Pertz,  Scr.  VII),  in  die  das  Walthariusgedicht  des 
Ekkehard  Eingang  fand.  Die  Ausführhchkeit,  mit  der  der 
Chronist  von  den  Ereignissen,  die  den  Gegenstand  der  Waltharius- 
dichtung  bilden,  erzählt,  und  die  mannigfachen  Einzelheiten, 
die  er  daraus  berichtet,  deuten  gegenüber  seineu  kargen  Angaben 
über  sagenhafte  Vorgänge  in  anderen  Fällen  allein  schon  an, 
dafs  ihm  hier  eine  litterarische  Quelle  zur  Verfügung  stand ;  und 
auf  gleiche  Weise  giebt  der  Mouachus  trium  fontium  (13.  Jahr- 
hundert) durch  Anführung  zahlreicher  Einzelheiten  zu  erkennen, 
dafs    er   für   die  Zeit  Karls    des  Grofsen    aus    den    französischon 


Zum  Haager  Bruchstück.  30P> 

chansons  de  geste  und  nicht  aus  der  Sage  schöpfte,  was  als 
thatsächhch  erwiesen  istJ  Wo  die  Berichterstatter  über  eine 
lunrifsartige  Wiedergabe  von  Hauptpunkten  sagenhafter  Er- 
eignisse und  über  Nenniuig  von  Haupthelden,  auf  die  Ebert  ge- 
wifs  mit  Recht  den  Begriif  der  Volkssage  beschränkt  (s.  o.  S.  299), 
nicht  hinausgehen,  wie  so  oft  z.  B.  Paulus  Diaconus,  fehlt,  treten 
nicht  sicherere  Anzeichen  hinzu,  ohne  Zweifel  die  Berechtigung 
von  Volksdichtung  zu  sprechen;  wo  sich  dagegen  anschau- 
liche Ausführung  des  einzelnen  zeigt,  gewinnen  Grundlagen  von 
litterarischer  Form  oder  gleichartige  Vorbilder  dafür  einen  hohen 
Grad  von  Wahrscheinlichkeit.  Und  in  diesem  Falle  befindet  sich 
sowohl  das  Haager  Bruchstück  mit  seiner  ausgeführten  chanson 
de  gaste  -  artigen  Schlachtschilderung,  wie  das  Walthariusgedicht 
mit  seiner  Fülle  von  der  Virgilschen  Epik  fremden  Handlungen, 
Scenen,  Gestalten,  Charakteren  u.  s.  w.,  die  zugleich  viel  zu  grofs 
erscheint,  als  dafs  sie  von  einem  einzelnen  hätte  erdacht  werden 
können. 

Aber  zur  Anerkennung  dieser  Folgerung  ist  es  vor  allem 
erforderlich,  über  den  Begriff  von  Sage  einer  Meinung  zu  sein. 
Er  ist  dehnbar  und  nirgends  genauer  bestimmt,  und  gewifs  ist 
es  eben  nur  der  verschiedene  Umfang,  in  dem  die  eine  Sage 
ausmachenden  'Hauptpunkte'  oder  der  'Grundrifs  einer  Handlung' 
und  die  'Charaktere  der  beteiligten  Haupthelden'  gedacht  werden, 
der  einen  Widerstreit  der  Anschauung  im  vorliegenden  Falle  her- 
vorrufen konnte.  Wenn  jedoch  die  Sage  weder  Personen  noch 
Zeiten  auseinanderzuhalten  vermag  und  Gleichartiges  miteinander 
vermischt;  wenn,  je  welter  das  zu  Grunde  liegende  Ereignis  zeit- 
lich zurücktritt;  um  so  weniger  von  dem  ursprünglich  Thatsäch- 
llchen  übrig  bleibt  (schliefsHcli  nicht  viel  mehr,  als  was  dem, 
der  sie  aufnimmt  und  mitteilt,  daran  wert  ist,  während  alles 
übrige  sich  verwischt,  zerfhelst,  unter  den  Eindrücken  einer  neuen 
Zelt  sich  ausgleicht,  oder  etwa  noch  als  idealer  Gegensatz  zu  der- 
selben sich  aufrecht  erhält);  wenn  die  Sage  von  vergangeneu 
Dingen    allein   im   Gedächtnis    ruht    und    zwar    als    dunkle   ver- 


*  Auch  die  Historia  rerum  Francorwn  Jiioiiasterii  Saudi  Dionysii  (bis 
1108  reichend),  bei  Pertz,  Scr.  IX,  100,  aus  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts enthält  einen,  wie  es  scheint,  auf  einer  verlorenen  cliaiisoii  de 
geste  beruhenden  Bericht  von  Ludwigs  des  Frommen  Zug  nach  Spanien 
im  Jahre  800, 


304  Zum  Haager  Bruchs^tück. 

schwommene  Erinnerung,  gewissermafseii  abstrakt,  ^vc'il  sie  nichts 
Selbstgeschautes  und  Selbsterfalirenes  ist,  wofern  ihr  nicht  äufsere 
Wahr-  und  Merkzeichen  die  Frisclie  desselben  verleihen;  wenn 
das  Gedächtnis  sich  sogar  eigenen  ereignisvolleren  Zeiten  niemals 
entfernt  gewachsen  zeigt;  wenn  endlich  der  eine  in  diesem,  der 
andere  in  jenem  Wortlaut,  was  die  Vorfahren  den  Vorfahren  zu 
berichten  wul'sten,  immer  niu"  nach  Mafsgabe  der  Deutlichkeit 
seines  Wissens  weiter  übermittelt:  so  bleibt  unverständhch,  wie 
die  geschichtlichen  Gestalten,  die  das  Haager  Bruchstück 
mit  der  Belagerung  einer  sarazenischen  Stadt  verknüpft,  mehr 
als  etwa  150  Jahre  in  der  Helligkeit  fortbestehen  konnten,  in  der 
sie  das  Bruchstück  vorführt,  und  wie  sie  in  der  für  Frankreich 
so  ereignisreichen  Zwischenzeit  nicht  mit  so  vielen  anderen 
bedeutsamen  Vorgängen  derselben  aus  der  Erinnerung  fort- 
geschwemmt worden  sein  sollten.  Unsere  Märchen  bezeugen  die 
Wandelbarkeit  der  blolsen  Sage  mit  ihrer  unbegrenzten  Ver- 
schiebung von  Motiven,  Gestalten,  Orten  und  Zeiten,  imsere 
Burgsagen  ebenso,  soweit  sie  nicht  nachträgliche  Deutungen  von 
Verwunderung  erregenden  örtlichen  Eigentümlichkeiten  sind,  in 
denen  die  Sage  gewissermafsen  plastisch  dargestellt  vorliegt; 
ebenso  unsere  Erinnerungen  an  Vorgänge  unserer  eigenen  Ver- 
gangenheit, die,  wofern  wir  nicht  persönlichen  Anteil  au  ihnen 
hatten,  viel  geringere  Klarheit  und  Deutlichkeit  behalten,  als 
alles,  was  wir  uns  künstlich  einprägen  und  absichtlich  im  Ge- 
dächtnis befestigen.  Oder  mit  welchen  Einzelheiten  wissen  wir 
unseren  Kindern  den  Bericht  über  die  Schlacht  von  Sedan, 
über  die  Gefangennahme  Napoleons  HI.,  die  den  Fall  einer 
Dynastie  und  eines  Reiches  und  die  Erhebung  des  eigenen  Vater- 
landes zur  Folge  hatte,  oder  den  Kampf  um  Königgrätz  auszu- 
statten, die  Avir  einst  diese  Vorgänge  bis  zu  den  geringsten  Nebeu- 
umständen  herab  kannten?  Oder  wer  kann,  ohne  aus  Büchern 
zu  schöpfen,  anschaulich  heute  noch  von  den  Thaten  unserer 
Voreltern  aus  den  Befreiungskriegen,  wer  von  den  Helden  unter 
Friedrich  dem  Grofsen,  wer  vom  Dreifsigj ährigen  Kriege  erzählen? 
Und  im  Mittelalter  sollte  es  dem,  was  in  der  Vergangenheit 
Grofses  geschehen  und  gewesen  war,  anders  ergangen  sein?  In 
einer  Zeit,  wo  die  Kunde  hervorragender  Thaten  sich  weniger 
leicht  verbreitete,  die  Empfänglichkeit  dafür  weniger  allgemein 
und  der  Bhck  beschränkter  war?    Oder  wäre  die  Saue  im  Mittel- 


Zum  Haager  Bruchstück.  305 

alter  von  festerer  Form  und  Fügung  darum  gewesen,  weil  mau 
ein  und  dasselbe  wieder  und  wieder  und  in  derselben  Weise  er- 
zählt hätte,  etwa  wie  eiue  alte  Märchenerzähleriu,  die  in  den 
Worten,  in  denen  sie  es  selbst  wiederholt  vernalmi,  das  iln'  ge- 
lehrte Märchen  weitergiebt,  oder  wie  die  Bänkelsänger  unserer 
Jahrmärkte,  die  von  dem  einmal  gewählten  Vortrag  über  das 
schreckliche  Ereignis,  das  sie  verbreiten,  nicht  mehr  abweichen, 
so  dafs  die  Sage  dadurch  einen  Halt  erhielt,  wie  die  Göttersage 
einen  solchen  am  priesterUchen  Kultus  oder  au  der  mederkehren- 
den  Naturerscheinung,  oder  die  religiöse  Sage  am  Unterricht,  au 
der  Predigt  und  am  Gottesdienst  der  Kirche  hatte?  Aber  wäre  es 
dies,  was  unter  Sage  verstanden  werden  soll,  eine  Darstellimg  in 
festgefügter  Form,  so  käme  in  der  That  der  Widerstreit  fast 
auf  einen  verschiedenen  Wortgebrauch  hinaus,  denn  die  in  Wor- 
ten gefestigte  Sage  oder  die  in  Worte  gef afste  Überlieferung 
aus  der  Zeit  Karls  des  Grofsen  wäre  so  doch  ein  volksgeschicht- 
licher Bericht  über  Ereignisse  der  Vergangenheit  in  littera- 
rischer Gestalt,  imd  es  bliebe  lediglich  die  Frage  offen,  ob 
mit  ihr  der  Vers  verbunden  zu  denken  sei  oder  nicht,  wonach, 
wäre  das  erstere  der  Fall,  in  der  Latinisierung  der  im  Haager 
Bruchstück  behandelten  'Sage'  in  der  That  die  Bearbeitimg  eines 
Teiles  einer  altfranzösischen  chanson  de  geste  gegeben  sein 
müfste.  Denn  festgestellt  ist,  dafs  der  lateinische  Dichter  den 
Stoff  nicht  erfunden  hat  und  ohne  chanson  de  geste-avtige  Vor- 
bilder nicht  so  gestalten  konnte,  wie  er  es  that;  ebenso,  dal's  er 
nicht  einen  aller  Einzellieiten  entbehrenden  Bericht  von  der  Be- 
lagerung einer  sarazenischen  Stadt,  die  imter  Karl  dem  Grofsen, 
mindestens  150  Jahre  vor  seiner  Zeit,  sich  ereignet  hatte,  in 
chanson  de  geste -artiger  Weise  und  in  der  Sprache  lateinischer 
Ependichtung  bearbeiten  konnte;  ebenso,  dafs  aus  dem  Genius 
des  Volkes  die  unlateiuischen  Züge  seiner  Darstellung  sich  nicht 
vollkommen  erklären,  weil  sie  die  geistliche  Bildung  des  Ver- 
fassers verläugnet;  ebenso,  dais  die  litterarische  Form  einer  Volks- 
sage einen  lateinischen  Dichter  nicht  hindern  konnte,  seine  Sprach- 
künste zu  zeigen  und  den  Gegenstand  in  die  Sphäre  der  gelehrten 
Dichtung  zu  heben. 

Mithin  besteht  mu-  die  doppelte  Möglichkeit:  entweder  der 
Dichter  des  Haager  Bruchstücks  entnahm  die  Einzelheiten,  die 
er  vorträgt,   einer  durch  häufige  Wiederholung  in  den  nämUchen 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  20 


306  Zum  Haafrt-T  Bruchstück. 

Worten  im  (iedächtnis  der  Zeitgenossen  oder  von  Geschichten- 
erzählern gefestigten  Erzählung,  die  freilich  mehr  enthalten  hätte, 
als  Ebert  der  Sage  zugesteht  (s.  S.  303),  oder  diese  Erzählung  war 
in  Verse  gekleidet,  hatte  dann  aber  die  Form  der  chansou  de  geste, 
weil  sie  in  objektiver  Haltung  eine  über  mehrere  Tage  sich  er- 
streckende Handlung  vorführte,  deren  Darstellung,  nach  dem 
Umfang  des  Haager  Bruchstücks  zu  schliei'sen,  mehr  als  einige 
Hundert  Verse  erforderte;  im  anderen  Falle  dagegen  wäre  die 
Prosagrundlage  des  Haager  Bruchstücks  auch  als  Vorstufe  der 
späteren  chanson  de  ^e.sfe -Dichtung  aufzufassen,  deren  eigene 
Anfänge  höchstens  in  das  11.  Jahrhundert  fielen. 

Treten  wir  der  Frage  nunmehr  in  dieser  Form  näher,  so  ist 
vornehmlich  auf  die  Familienähnlichkeit  aufmerksam  zu  machen, 
die  zwischen  chanson  de  geste  und  Haager  Bruchstück  be- 
merklich wird  in  Darstellung,  Schilderung  und  Ausdruck.  Der 
Dichter  des  Haager  Bruchstücks  giebt  keinen  Bericht  nach  die- 
sem oder  jenem  Gewährsmann,  der  fama  u.  dgl.,  wie  Ermoldus 
Nigellus,  sondern  er  stellt  die  Geschehnisse  wie  Selbstgesehenes 
gleich  den  chansons  de  geste  vor.  Seine  Menschen  haben  Fleisch 
und  Blut,  sind  deutlich  angeschaute,  von  Kampfesingrimm  erfüllte 
Krieger,  wie  die  Roland,  Olivier  u.  a.  im  altfranzösischen  Epos, 
und  sie  M^erden  durch  charakterisierende  Beiwörter  Avie  dort  von- 
einander unterschieden  (Wibelimis  —  agilis  et  audax;  Bertran- 
dus  —  palatinus ;  Carolas  —  imperator).  Ebenso  fehlt  dem 
Haager  Bruchstück,  das  wiederum  darin  dem  nationalen  franzö- 
sischen Epos  gleich  ist,  eine  deutliche  Vorstellung  von  Zeit  und 
Ort  der  Handlung,  die  Ermoldus  anzugeben  weifs  und  in  voller 
Helligkeit  erblickt,  welche  aber  dem  Dichter  des  Waltharius 
ebenfalls  nebelhaft  sind.  Es  ist  ferner  eine  heroische,  zu  Lei- 
stungen über  Menschenmais  hinaus  befähigende  Zeit,  in  der  die 
Gestalten  des  Haager  Bruchstücks,  wie  die  der  chanson  de  geste, 
wurzeln:  daher  die  gewaltige  Kampfeswut  und  Körperkraft  bei 
Freund  und  Feind,  die  hohen  Ziffern  von  im  Kampf  Erschlage- 
nen (Haag.  B.  jprcestant  mille  maniis  suffragia  homini),  die 
den  lateinischen  Nachbildnern  des  lateinischen  Epos  im  Mittel- 
alter fremd  sind.  Weniger  Gewicht  ist  darauf  zu  legen,  dafs  im 
Haager  Bruchstück  und  den  chansons  de  geste  die  Veranschau- 
lichung einer  Schlacht  durch  Schilderung  von  Einzelkämpfen  und 
des   Eingreifens   einzelner   in    den   Kampf  zu   erreichen   gesucht 


Zum  Haager  Bruchstück.  307 

wird,  uud  die  Belagerung  hier  verläuft,  wie  sie  dort  zu  verlaufen 
pflegt.  Denn  ähnliches  findet  sieh,  annähernd  wenigstens,  auch 
in  geschichtlichen  Gedichten  uud  in  der  Chronik.  INIit  der  Be- 
lagerungsschilderung des  Haager  Bruchstücks:  Sihilat  {ruber 
telorum  susj^ensns  aere  et  instat  quantnm,  magis  evalet  im- 
l)ulsus  manu.  Hotatur  suhlimior  ordo  in  fossa  suis  vulneri- 
hus  et  dat  graves  lapsus  posteriori  .  .  .  dum  recrearet  spirittis 
jam  suffitiens  sihi  lassos  artus^  a  longe  impingit  alternus  furor 
et  urguet  Ccesarias  aties,  qidhus  erat  negatus  omnis  aditus  in 
arte  et  armis  .  .  .  et  strepit  liherior  sihi  per  propugnacida 
et  per  murales  latehras.  Resultatque  aligerum  semen  super 
tegmina  clipeorum,  ut  sit  grando^  et  deservit  ferro  comes  .  .  . 
nee  tmquam  plus  satiaverat  suas  mentes  cmde  .  .  .  Prope  facit 
mucro  omnes  dextras  intentas  sihi,  repetitque  Cwsarius  miles 
propiora  menia  fosscp.que  redvndans  cepit  in  suhlime.  De 
sursum  distillat  acutus  palus  .  .  .  degeritque  pugnans  molaris 
Corpora  suheuntia  confusis  armis,  vergleicht  sich  u.  a.  Erraol- 
dus  Nigellus  I,  498: 

Bex  Franeique  simul  easfra  vctata  j)efu7it. 
Machina  densa  sonat,  pulsantur  et  undique  muri  . . . 
Crebra  sagitta  cadit  vi  funda  retorta  fatigat . . . 
Jam  Mauri  miseri  tiee  muros  seandere  celso 

Audent,  luc  turri  cernere  castra  volent  . . . 
Non  aliter  Mauros  timidos  fugitando  per  urbeui 

Insequitur  gladiiis  undique  niorsque,  pavm: 
Tum  rex  ipse  pius  erispans  hastile  lacerto 

Inque  urbem  adversaui  conpulit  ire  celer  u.  s.  w. 

oder  Abbo  De  hello  paris.  I,  85  ff.,  99  ff.: 

Prcelia  derotis  iaciunt  inmania  valde; 
Pila  volant  hine  inde,  eaditqiie  per  aera  sanguis, 
Conmiscentur  eis  fundte  lacerteque  baliske;  ... 
Ad  turris  nocturna  gemit  dardis  tcrebrata  . : .  — 
Qiii  vcro  cupiunt  uiurum  succiderc  musclis, 
Addif  eis  aJeum  ccraniquc  piccmqnc  »iinistrans, 
Mixta  sinnd  liquefacta  foco  ferventia  valde, 
Quce  Danis  ccrvice  comas  urunique  trahuntque. 

Einzelkämpfe,  ^^^e  sie  das  Haager  Bruchstück  vorführt: 
lllic  et  2)ertonat  ardens  miles  Krnoldi  ad  muros,  et  ipse 
tenens  pilum  scienter  anhelat  ante  suos  .  .  .  Plene  fructificat 
Juventus  Bernardi  experta  in  adversis  rebus  . .  .  It  gravis 
fremitus  Bertrand i  qua   eminet  fort ior  pars  urbis  fossa  et 

20* 


308  Zinu  Haager  Bruchstück. 

muro  .  .  .  trucidatque  jjugiles   u.  s.  w.   begegnen    ebenso,   wenn 
aiu^h  weniger  ausgeführt,  bei  3^>moldus  I,  362: 

IHlthiberth  arcum  corripit  ecce  mmni. 
Dcniqne  clammäi  contra  stetit  ocius  liosti 

Cornea  plectra  tenens  et  trahit  atqiie  plicut. 
Acta  sagitta  volans  ccrebro  se  contulü  airo 

Inqice  os  Tociferimi  mcrsit  harundo  noccns. 
nie  cadens  niuros  invitus  deserit  altos  . . . 
Tum  varii  varios  demitttmt  funeris  Orco, 

Vilhelm  Habimdar,  at  Lduthardus   Urix. 
Lancea  Zabirixtm,  ferrum  forat  actile  Lhaeioti  . . . 

bei  Abbo  95  ff.,  107  ff.: 

Plus  ali'is  fortes,  alter  eomes,  alter  et  ahba: 
Alter  Odo  vi  clor,  bellis  invictus  ab  idlis 
Conforta')ido  fatigatis  vires  revocabat  . . . 
Fortis  Odo  innumeros  tutudit.     Sed  qiiis  fuit  alter? 
Alter  Ebolus  huic  socius  fuit  aquijjeransquc ; 
Septenos  una  potuit  terebrare  sagitta  . . . 

und  selbst  bei  Guillelmus  Tyrius,  Hist.  rer.  in  part.  transmnr. 
i)estarum,  z.  B.  V,  6  versus  pontem  civitatis  certattm  conten- 
dunt.  Sed  praevenerat  eorum  molimina  in  hujusmodi  assuetus 
negotiis,  LotJiaringa;  dux  illustris;  et  locum  qui  ante  pon- 
tem  eorum  erat  aliquantulum  emlnentior,  cum  suis  occupat  .  .  . 
et  . .  .  aut  gladiis  obtruncat  . .  .  aut  compelUt  peritnros.  Instat 
comes  Flandrensium,  tanquam  vir  strenuus  ...  Jwstluin 
prosternit  agmina  ...  Normannorum  vero  nihilominus  eo- 
mes ...  stremie  nimis  in  eodem  desudat  opere.  Com. es  quoqae 
Tolosanus ,  zelo  dei  succensus,  Hugo  etiam  magnus  ... 
eomes  Eustachius  u.  s.  w.;  vgl.  auch  VI,  18  die  auf  Anseimus 
de  Riburgismonte  bezügliche  Stelle  u.  a.  Die  Erzähler  beschreiben 
hier  eben  Kampfes-  und  Angriffsweisen  ihrer  Zeit,  von  denen 
sie  selbst  Zeuge  gewesen,  und  stimmen  darum  in  der  Darstellung 
zusammen. 

Aber  weiter  lassen  sich  auch  auf  Gleichheit  der  Vorstellung 
von  der  Sache  beruhende  Einzelheiten  der  Schüderuug  imd  Ahn- 
Hchkeit  des  Ausdrucks  im  Haager  Bruckstück  uud  den  chansons 
de  geste  inmitten  der  geschraubten  und  verstiegenen  Redewen- 
dungen des  lateinischen  Dichters  bemerken,  von  solcher  Art,  ^vie 
sie  uns  bereits  in  dem  carmen  de  prodiüone  Guenonis  begegneten. 
Eine  Reihe  in  den  chansons  de  geste  zum  Teil  sogar  t^^isch  gc- 


Zum  Haager  Bruchstück.  3U9 

wordener  Wendungen,  die  sich  als  Grundlagen  für  Beschreibungen 
des  Haager  Bruchstücks  darstellen,  anderen  Arten  erzählender 
französischer  Dichtung  aber  fremd  sind,  sind  vorhanden,  die  hier 
nicht  übergangen  werden  dürfen.^  Haag.  Br.  De  sursum  distillat 
acutus  p  al  u  s  ...  degeritque  pugnans  molaris  corpora 
snheuntia  coufusis  armis:  Aimeri  de  N.  v.  1019  Gietent  (frans 
pierres  Et  pieus  aguz  contreval  en  lanqant ;  vgl.  auch 
das.  V.  1091.  —  H.  Br. ^>?'cesfay«i  mille  manus  suffragia  Jiomini: 
Rol.  V.  147  Moerent  paien  a  milliers  e  a  cenz.  —  H.  Br. 
Gradivus  notans  s anguinolenta  brachia:  Rol.  v.  1343 
Sanglent  en  ad  e  l'osberc  e  le  hrace;  vgl.  das.  v.  1711.  — 
H.  Br.  Et  alternat  equum  commissus  totis  viribus:  Rol. 
v.  1197  Sun  cheval  brocket,  laisset  curre  a  csforz.  —  H.  Br. 
Effecerat  solaris  orbita  prceclarum  orbem :  Rol.  v.  1 002 
Clers  fu  li  jurz  e  bels  fut  li  soleilz,  u.  a.  m.  —  H.  Br. 
Perfunditque  sudor  ubique  proruptus  ducem:  Rol.  v.  2100 
Mais  le  cors  ad  tressuet  et  mult  ehalt.  —  H.  Br.  Con- 
crescunt  spumai  per  ora:  Alisc.  6837  Par  mi  la  bouche  li. 
.'iaut  hors  l'es  cumee.  —  H.  Br.  Trucidatque  irugiles,  vgl. 
Rol.  1340  Des  Sarazins  lor  fait  mult  grant  damage.  — 
H.  Br.  lam  r u mp uiit  u r  ferrea  flagella  p  ortar  u  m  cum 
toto  poste:  Aimeri  de  N.  v.  1154  Eist  a  la  porte  un  fort 
assaiit  plenier ,  Car  tant  i  fierent  et  devant  et  derrier  Que 
les  ais  fönt  totes  fondre  et  per  der  Et  par  devant  fönt 
le  flael  brisier.  —  H.  Br.  Uiidique  stat  fusus  cruor, 
undique  rubescunt  stagna,  vgl.  Rol.  v.  1342  Le  sanc  tut 
der  gl  a  der  par  cele  place.  —  H.  Br.  Turne  scunt 
aera,  incubat  atra  nox  per  urbem,  vgl.  Rol.  v.  717 
Tresvait  li  jorz,  la  noit  est  aserie.  —  H.  Br.  Stupet 
terra  .  .  .  potuisse  urbem  teuere  tantos  viros  extraqxie  fudisse: 
Rol.  v.  1467  Quant  Franceis  veient  que  paiens  l  ad  tant, 
De   tutes  parz   en   sunt   cuvert   li  camp,  vgl.  Rol.   1399,  1464, 


'  Als  eine  aus  französischer  Grundlage  geflossene  Wendung  bezeichnete 
G.  Paris  a.  a.  O.  S.  46G  favet  fortuna  suui»  rrllc.  Die  Substantivierung 
von  vcUp.  ist  im  Mittelalter  jedoch  eine  so  allgemeine,  dafs  sie  hier  nicht 
erwähnt  werden  kann.  ]\Ian  vgl.  die  noch  un  lateinischere  Konstruktion 
bei  Gotfried  v.  Viterbo  (c.  10! il)  in  den  ihm  beigelegten  (iesta  Hoinrici  VI. 
(Pertz  XXII,  S.  234,  v.  87)  Goada  (die  KiUiigin)  vclle  ikiIIc  iintlmil  in 
C'injiaiit  —  sie  senden  sie,  gezwungen,  ob  sie  wollte  oder  nicht,  in  ein  Boot. 


810  Ziiui  Haugcr  Bruclistiick. 

Aimeri  de  N.  17,  45  u.  a.  —  H.  Br.  (Jurolus  imijeratnr  ut 
fortis,  fix  US  pietate  Toyiantis,  ([uem  semper  sciebat 
lorces entern  largumque:  Aimeri  de  N.  v.  93  Pseudoni  ja 
Carl  es  a  la  harhe  florie^  Graut  vertuz  fist  dex  por 
lui  en  sa  vle;  v.  101  Mainte  miracle  li  fist  dex  en 
sa  vie;  vgl.  Rol.  2458.  —  H.  Br.  (Carolas)  instif/atque 
ardentes  iiianus  amori  bellorum:  Hol.  v.  3405  Li  emperere 
re  da  im  et  ses  Franceis;  vgl.  das.  3391,  3396.  —  H.  Br. 
Tollit  (Carolus)  lumin a  ad  sidera,  soluta  mananti 
rare  lacrimarum,  humectatque  genas:  Rol.  v.  2532 
Carl  es  guardat  amunt  envers  le  ciel;  Rol.  v.  840 
Carl  es  li  magnes  ne  puet  iiiuer  n' en  ^jlurt,  das.  1409, 
2856,  2894.  —  H.  Br.  Ke  tripudiet  gens  offensa  sujjerno  rei, 
vgl.  Rol.  1932  Quant  Rollanz  vit  la  contredite  gens; 
Rol.  V.  2630  Granz  sunt  les  Jwz  de  cele  gens  averse.  — 
H.  Br.  Unuvi  e  nat  is  Borel  (warum  unflektiert?):  Rol.  v.  1388 
Esperviers  i  fut  li  filz  Borel.  —  H.  Br.  Exil  ort  ans  que 
equu  m  talo  mo  n itore,  vgl.  Rol.  v.  1245  Sun  che  v a  l 
brocket  des  esperons  d'or  fin.  —  H.  Br.  Cervicem.  .  . 
totamque  medullat  utrimque,  vgl.  Rol.  v.  3617  Trenchet  la 
teste  pur  la  cervele  esp andre ^  vgl.  auch  1205.  —  H.  Br. 
Ilaud  secus  famelica  rabies  leonis  grassatur,  vgl.  Rol.  v.  1888 
Purco  sunt  Franc  si  fier  cuine  Hon,  vgl.  noch  v.  1874  f.  — 
H.  Br.  Quo  ictu  impellitur  corpus  inilitis  longius  decem  cubitis; 
sicque  excussus  equo  vit  am  demiserat  orco,  vgl.  Rol. 
V.  1902  Pleine  sa  lance  l'abat  de  l'auferant;  Aim.  v.  1704 
Pleine  sa  lance  del  cheval  l'abat  mort,  Rol.  1229,  1250 
u.  a.;  Rol.  V.  1509  L'ame  de  lui  en  portat  l'avers  ier.  — 
H.  Br.  Dextra  namque  palatini  (Bertrandi  sc):  Alisc.  v.  4 
li  palasin  Bertr ans.  —  H.  Br.  Xamque  terribile  fulgur 
gladii  per  medium  capitis ,  gutturis  an  tr  um  que 
pectoris  umbilicique  recepjit  ...  negat  quippe  trilex 
tunica  atiei  repjonere  obstacula  .  .  .  veruin  etiam  equus  vita 
invcnitur  privatum:  superfuit  enim  ensi  spinas  par- 
tire  caballi  (sie)  ...  vgl.  Rol.  v.  1326 

L' helme  li  fraint  ü  li  carbuncle  luisent  ... 
Trenehet  la  coife  et  la  chereleure, 
Si  li  trenchat  les  oilx  e  la  faiture, 
Le  hlanc  osberc  dunt  la  maille  est  vienuc, 


Zum  Haager  Bruchstück.  311 

E  tut  Ic  cors  tresqu' en  la  furcheure, 

Em  cn  la  sele,  qui  est  a  or  batue, 

El  cheval  est  l'espee  aresteue, 

Trenchet  l'esjjtne,  trnc  n'i  out  quis  jidnture  ... 

vgl.  V.  1539^  u.  a.   —    H.  Br.  rumptintur   fortia  pliale- 
rarum   vincula  et  cingula   hr atteolis  crepitantia:   Rol. 

V.  1601 

lÄ  cuens  le  fiert  tant  vertimsement, 
Tresqu'al  na-sel  titt  le  helme  le  fent, 
Trenchet  le  nes  e  la  buche  et  les  denx, 
Trestut  le  cors  et  l'osbere  jaxerenc, 
De  l'orie  sele  les  dous  alves  d'arfjent 
E  al  cheval  le  dos  parfundemcnt. 

lu  Worten  hütet  sich  der  Verfasser  des  Haager  Bruchstücks, 
ohne  es  ganz  vermeiden  zu  können,  mit  dem  schUchten  Aus- 
druck seines  Vorbildes  zusammenzutreifen;  aber  sachlich  geht  er 
in  den  Einzellieiten  der  Schlachtschilderung  so  vöUig  mit  den 
chanson  de  _i7fs^e  -  Dichtern  zusammen,  dals  kein  Zug  der  Schil- 
derung ihm  eigentümhch  ist;  und  dabei  sieht  auch  er  alle  Dinge 
durch  den  epischen  Schleier  und  fafst  sie  in  der  epischen  Ver- 
gröl'serung  auf  und  zeigt  denselben  Sinn  für  die  rohe  Kraft- 
äufserung  wie  jene,  verschieden  darin  von  Abbo,  so  sein*  auch 
dieser  die  Dinge  zum  Wunder  zu  stempeln  bestrebt  ist.  Auch 
dies  deutet,  wie  es  scheint,  darauf  hin,  dals  der  Verfasser  des 
Bruchstücks  einen  sachlichen  Anteil  au  seinem  Werke  nicht  hatte, 
dafs  vielmehi-  das  StofFHche  bis  in  die  Einzelheiten  hinein  ihm 
aus  seiner  Quelle  zuflofs,  gerade  so  wie  dem  Dichter  des  carinen 
de  proditione  Guenonis  aus  dem  Kolandepos. 

Gesetzt  nun  aber,  diese  Quelle  \A'äre  eine  Prosaerzähluug, 
Avie  sie  oben  vorauszusetzen  versucht  wurde,  gewesen,  so  würde 
in  derselben  hiernach  die  nämliche  Erzählweise,  wie  im  Haager 
Bruchstück  und  den  chansons  de  geste,  es  würden  in  ihr  auch 
jene  in  den  chansons  de  geste  wieder  begegnenden  zahlreichen 
typischen   Euizelheiten    der  Scliilderuug    bereits    vorhanden    und 


•  Viel  zahmer  kliiigeu  die  bcgeisterteu  Berichte  in  geschichtlicher 
Darstellung  von  ähnlichen  Kraftliieben,  vgl.  Guillelmus  Tyr.  V.  (J  Dur 
vero  Lotliarinfiu.^  .  .  .  postquam  multorum  capita  loricatorum,  sine  actus 
repetitione,  solita  virtute  amputavit,  unum  de  hostibus  protervius  instan- 
tem, licet  lo?-ica  itulului»,  per  medium,  dinsit.  ita  ut  pars  ab  umbilico 
supcrior  ad  tcrram  deciderat.    Ohstupuit  populus,  tisa  facti  iwritatc  (sie)  . . . 


312  Zum  HaHger  Hruchstück. 

in  nationalen  Prosasagen  des  10.  Jahrliundcrts  durchgebildet  ge- 
wesen sein,  in  Erzählungen,  die  die  Grundlagen  gewesen  sein 
Avürden  für  die  späteren  chan.'ions  de  rjastc  mit  geschichtlichem 
Kern  vmd  geschichtlichen  Gestalten  und  vielleicht  schon  nocli  in 
anderen,  die  diesen  uacherfunden  wurden.  ]\Iit  solchen  Erzäh- 
lungen würde  man  dann  unsere  aus  dem  Volksmund  aufgenom- 
menen Prosamärchen  mit  ihren  typischen  Gestalten  von  wunder- 
barer Schönheit  und  Kraft  oder  auch  absonderHcher  Bizarrerie, 
mit  ihren  gleichartigen  Motiven,  ihren  phantastischen  Lösungen 
von  Schwierigkeiten  und  Konflikten,  ihren  stehenden  Wendungen 
zu  vergleichen  haben,  da  Ähnlicheres  sich  nicht  darbietet;  und 
längere  Märchen,  die  in  einer  Reihe  von  Episoden  das  Schicksal 
ihrer  Hauptfiguren  entwickeln,  würden  heranzuziehen  sein,  um  zu 
zeigen,  dafs  es  des  Verses  nicht  bedarf,  um  einen  Stoff,  wie  er 
im  Haager  Bruchstück  bearbeitet  vorliegt,  mit  allen  seinen  Ein- 
zelheiten im  Gedächtnis  jahrhundertelang  zu  festigen.  Möchten 
immerhin  die  Gradverschiedenheit  im  Typischen  des  Märchens 
und  der  chanson  de  geste  und  der  Unterschied  zwischen  Sage 
und  Märchen  und  ihrer  Erzählweise  gegen  solche  Gleichstellung 
betont  werden,  und  mögen  auch  die  S.  303  f.  gegen  längeren 
Fortbestand  geschichtlicher  Einzelheiten  in  der  Sage  erhobenen 
Bedenken  ihre  Kraft  behalten,  man  kann  zugeben,  dafs  das  eben- 
falls jahrhundertelang  mündlich,  öfter  wesentlich  gleichartig,  wie 
es  scheint,  fortgepflanzte  Märchen  der  Annahme,  es  müsse  eine 
chanson  de  geste  die  Grundlage  des  Haager  Bruchstücks  gebildet 
und  eine  chanson  de  (/e.s^e-Dichtung  im  10.  Jahrhundert  bestan- 
den haben,  allerdings  im  Wege  steht. 

Freilich  ist  der  Unterschied  zwischen  einer  Prosasage,  die 
sich  in  der  Darstellung,  Schilderung  und  in  ty[iischen  Wendungen 
oder  Auffassungen  des  Gegenstandes  mit  den  chansons  de  geste 
völlig   deckte,^    und   der    chanson  de  geste   ein   verschwindender. 


>  Die  Nachrichten  des  Monachus  S.  Gallensis  über  Karl  den  Grofsen 
und  seine  Zeit  kommen,  abgesehen  von  ihrem  verschiedenen  Charakter, 
für  die  'Prosasage'  nicht  in  Betracht,  weil  sie  Berichte  der  zweiten  Gene- 
ration sind  und  auf  einen  Zeitgenossen  Karls  des  Grolsen  zurück- 
gehen, der  Selbsterlebtes  und  Selbsterfahrenes  mitteilte.  Das  vereinzelte 
Sagenhafte  an  einigen  der  Berichte  entstammt  epischer  Überlieferung  älterer 
Zeit  und  der  heroisch-epischen  Auffassung  der  Vergangenheit;  es  hat  nie 
die  Züge  einer  ausgeführten  Prosasage. 


Zum  Hanger  Bruchstück.  318 

da  in  dieser  nur  der  Vers  hinzutritt;  aber  hält  man  Prosasage 
in  dem  angegebenen  Sinne  und  von  der  zur  Erklärung  des  Haa- 
ger Bruchstücks  erforderlichen  Form  für  möglich,  so  ist,  aller- 
dings nur  in  diesem  Falle,  einzuräumen,  dafs  die  Zergliederung 
des  Haager  Gedichts  über  Prosasage  nicht  zwingend  hinaus- 
führt, und  die  Berechtigung  felilt,  aus  ihm  auf  eine  cJianson 
de  ^res^e  -  Dichtimg  im  10.  Jahrhundert  zu  schliefsen.  Gesetzt 
jedoch,  es  lieise  sich  eine  epische  Laiendichtung  in  Frankreich 
für  jene  Zeit  auf  anderen  Wegen  nachweisen  oder  wahrscheinlich 
machen,  so  Avürde  die  lediglich  auf  die  immerhin  unsichere  Ana- 
logie des  ausgeführteren  Märchens  gestützte  ausgefülu'te  Prosa- 
sage von  t\i)ischer  (litterarischer)  Gestaltung  wohl  erheblich  au 
Wahrscheinlichkeit  verlieren,  und  die  Benutzung  einer  chansnn 
de  geste  durch  den  Dichter  des  Haager  Bruchstücks  mit  gutem 
Grunde  nicht  beanstandet  werden  können.  Auf  diesem  Wege 
mufs  somit  die  Untersuchimg  der  Frage  zu  Ende  zu  führen  ge- 
sucht werden. 

Da  von  germanischen  Heldengedichten,  wie  W^aldere,  Beowulf 
oder  Hildebrand,  und  von  Zeugnissen  dafür  aus  der  Zeit  Karls 
des  Grofsen  nicht  ohne  weiteres  auf  französische  Heldenlieder  in 
derselben  Zeit  geschlossen  werden  kann  (man  ^nirde  sonst  mit 
gleichem  Recht  solche  auch  für  Italien  oder  Spanien  in  Anspruch 
nehmen  dürfen,  wo  jedwede  Spur  davon  fehlt),  so  sind  die  ein- 
zigen unzweideutigen  Stellen  für  französische  Heldendichtung  vor 
dem  Rolandslied  die  bekannten  Erwähnungen  von  Gedichten  in 
der  Volkssprache  Frankreichs  bei  Ordericus  Vitalis  (vor  1141; 
V  u  l  g  0  canlt  u  r  a  j  o  culatorih  u  s  de  illo,  d.  i.  Guillaume 
de  Gellone,  cantilena,  Ubr.  VI,  3)  und  in  der  Vita  von  Guil- 
laume de  Gellone,  die  jetzt  ins  erste  Viertel  des  12.  Jalirhunderts 
gesetzt  wird  (qni  cliori  juvennm,  q^ii  conventus  ijopuloram, 
jprcecipue  militum  ac  nohilium  virorum,  quai  vigüice  sanctorum 
didce  non  resonant  et  mo  d  ulatis  vocibtis  decantant 
qiialis  et  qnantus  fuerit,  quam  gloriose  sub  Carolo  glorioso 
militavit  .  .  .),  über  die  Thaten  des  Guillaume  d'Orange.  Allein 
nach  dem  einen  von  diesen  Zeugnissen  fanden  französische  Hel- 
dengedichte in  den  ersten  Jahrzehnten  des  12.  Jahrhunderts  be- 
reits eine  gewerbsmäfsige  Verbreitung  durch  die  Jongleurs;  sie 
sind  demnach  nicht  erst  in  der  Zeit  jener  Berichterstatter  ent- 
standen.    Man    wird    aber   weiterhin    auch    in    der  Anwendung 


314  Zum  Haager  Bruchstück. 

des  alteu  /ehnsUbigen  Verses  des  französischen  Heldengedicht« 
für  die  ans  Volk  sich  wendende  Alexiuslegende  aus  der  Mitte 
des  11.  Jahrhunderts,  deren  Verfasser  doch  schwerUch  den  zehn- 
silbigen  Vers  erfunden  und  m  die  chanson  de  yetste  übergeführt 
hat,  der  vielmehr,  wie  die  geistliche  Dichtung  der  späteren  Zeit, 
sich  einer  die  Hörer,  die  er  erbauen  wollte,  durch  Neuheit  nicht 
befremdenden,  leicht  auffafsbaren,  ihnen  bereits  geläufigen  Vers- 
form bedient  haben  wird,  um  wie  in  Worten,  so  auch  in  der 
Gliederung  derselben  allgemeiner  verständlich  zu  werden,  eine 
Hindeutuug  dai'auf  erblicken,  dafs  der  bevorzugte  Vers  des  fran- 
zösischen Heldengedichts  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  11.  Jahr- 
hunderts vorhanden  und  verbreitet  war,  und  in  der  Verw'endung 
des  volkstümlichen  zehnsilbigen  Verses  in  der  Alexiuslegende  den 
eigentümlichen  Umstand  erklärt  finden,  dafs  nur  sie  und,  soweit 
wir  wissen,  keine  andere  französische  Legende,  selbst  solche  nicht, 
die  von  französischen  Heihgen  handelten,  der  Umbildung  in  die 
Form  der  chanson  de  geste  teilhaft  geworden  ist.  Und  ^wd 
solche  Volksmäfsigkeit  des  zehnsilbigen  Verses  eingeräumt,  der, 
wenn  er  eine  lateinische  Grundlage  hatte,  doch  von  jeder  heran- 
ziehbai'en  lateinischen  Versart  unendhch  \-iel  weiter  als  h-gend 
ein  anderer  romanischer  Vers  lateinischen  Ursprungs  vom  Grund- 
schema (weil  es  in  ihm  nicht  entfernt  mehr  sichtbar  ist)  ab- 
gCAvichen  wäre  (was  doch  wieder  nur  durch  Einmischimg  un- 
geübter Laienhand  erklärbar  würde),  so  berechtigt  die  Anwen- 
dung des  Zehnsilbners  in  Verbindvmg  mit  der  Th-adenform '  und 

'  Sie  ist,  soweit  mir  bekannt,  in  der  lateinischen  Dichtung  des  Mittel- 
alters niemals  zur  Anwendung  gekommen.  Das  Bruchstück  auf  Faro  von 
Meaux  bleibt,  weü  es  sich  selber  als  Nachbildung  einer  Dichtung  für  das 
Volk  ausgiebt,  aufser  Betracht;  es  ist  überdies  zu  kurz,  und  sein  Ver- 
hältnis zur  Grundlage  zu  wenig  bestimmt,  um  als  lateinisches  Gedicht 
in  Tiradenform  angesehen  werden  zu  können.  Augustins  Abundautia- 
Hymnus  ist  durchgereimt  und  geht  in  seinen  267  Versen  durchaus  auf 
unbetontes  e  aus.  Durchreimung  des  betonten  weibUchen  Wortausgangs 
hat  statt  in  dem  Planctus  (Pertz,  Scr.  XI,  51)  auf  Herzog  Friedrich  von 
Österreich  (f  124(J),  dessen  23  Verse  auf  -isti  ausgehen.  Ein  Aaelleicht 
noch  dem  11.  Jahrhundert  angehöriges  Lobgedicht  auf  den  Bischof  Gode- 
hard  von  Paderborn  (t  1038)  zeigt  in  den  beiden  Absätzen  von  12  und 
22  Versen,  aus  denen  es  besteht,  einmal  den  durchgeführten  Reim  in 
avit,  das  andere  IMal  in  afitr  (Pertz,  Scr.  XI,  221),  auch  hier  liegt  nicht 
entschieden  Tirade  vor,  und  wenn,  so  aus  späterer  Zeit,  als  in  der  Volks- 
sprache des  südlichen  Frankreichs.     Dasselbe  gilt  von   der  Reimchronik 


Zum  Haager  Bruchstück.  ol5 

dem  assonierenden  Reim  im  altproveu9alischeii  gleichfalls  für  die 
Laien  berechneten  Boethiusgedichte  des  10.  Jahrhunderts,  den 
Zehusilbuer,  die  Assonanz  imd  selbst  die  Tirade  der  chanson  de 
geste  in  der  epischen  Laiendichtung  sogar  schon  wenigstens  für 
die  Zeit  des  Haager  Bruchstücks  selbst,  für  das  10.  Jahrhundert 
also  vorauszusetzen. 

Ferner  ist  die  Formgebung  der  ältesten  chanson  de  geste, 
des  Rolandsliedes  in  seiner  pliilologisch  erreichbaren  ältesten 
Gestalt  (um  1100),  von  der  Art,  dafs  es  die  chanson  de  geste- 
Dichtung  bereits  auf  der  Stufe  des  Verfalls  vor  Augen  führt; 
denn  die  in  vollster  Deutlichkeit  darin  hervortretenden  Spm'en 
gedankenloser,  mit  Pln^asen  sich  begnügender,  gegen  die  gröbsten 
Widersprüche  gleichgültiger  Bearbeitung  imd  Nacharbeit  weisen 
auf  die  flu-  Gedichte  über  Guillaume  d'Orange  bezeugte  gewerbs- 
mäfsige  Verwertung  und  Verbreitung  auch  anderer  chansons  de 
geste  bereits  im  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  hin,  die,  wie  jeder 
Geschäftszweig,  zur  Ausbildung  ilirer  HaudgriiFe  und  Gewohn- 
heiten aber  wiederum  längerer  Zeit  bedurfte  und  nicht  das  älteste 
Stadium  der  chanson  de  ^es^e  -  Dichtung  darstellen  kann.  Die 
eigentliche  Blütezeit  der  französischen  Heldendichtung,  in  der  die 
epische  Formel  noch  nicht  den  Reim  macht,  den  der  Hörer  vom 
Jongleur  verlangte,  in  der  das  zu  Sagende  nicht  blofser  Wieder- 
hall der  Worte  anderer  ist,   sondern   aus   dem   mit   den  entspre- 


(nach  1268)  bei  Pertz,  Scr.  XXV,  o50  ff.  Die  Durchreimuug  in  regel- 
mäfsigen  drei- bis  vierzeiligen  Strophen,  der  man  schon  frühzeitig,  aber 
vereinzelt,  in  der  lateinischen  Hymne  begegnet,  erklärt  die  Tiradenform 
nicht.  Dieselbe  war  leicht  nur  in  Sprachen,  die  viele  betonte  Ablei- 
tungs-  und  Flexionssilben  besitzen,  wie  das  Französische  und  Pro- 
venyalische  (in  den  einreimigeu  Strophen  der  Passion  des  Id.  Jahrhunderts, 
z.  B.  LS,  14,  50,  121,  und  in  den  vierstelligen  Reimreijien  des  Leodgar, 
z.  B.  12,  28,  überwiegen  immer  die  betonten  Flcxionssilben ;  in  dem  er- 
wähnten lateinischen  Planctus  und  Ijobgedicht  reimt  die  nämliche 
Verbalendung),  durch  welche  die  Bildung  beliebig  langer  ein  reimiger  Ab- 
sätze erleichtert  wird.  Es  verdient  jedenfalls  Beachtung,  dafs  in  den 
proparoxy tonen  romanischen  Sprachen,  wie  Italienisch,  Spanisch  u.  a., 
die  Tirade  unbekannt  ist,  in  dem  oxytoucu  (und  paroxytoueu)  Französisch 
und  Proven^alisch  dagegen  besteht,  und  hier  gerade  den  Erzeugnissen 
volksmäfsiger  Dichtung  eigentümlich  ist.  Auch  in  dem  proparoxytoncn 
Lateinisch  war  sie  erschwert  und  wird  sich  deshalb  nicht  schon  in  dieser 
Sprache  ausgebildet  haben;  sie  wäre  somit  französischen  Ursprungs  und 
jünger  als  die  Unterdrückung  der  nachtonigen  Vokale  iu  Frankreich. 


316  Zum   Haager  l'>ni(lislii(k. 

cheuden  Vorstelluugen  ausgestatteten  Kopf  und  dem  ergriffenen 
Herzen  hervorquillt,  in  der  die  Sache  und  nicht  schon  das  Wort 
als  poetisch  gilt,  und  um  der  Sache,  nicht  um  der  Worte  willen 
gedichtet  Avird,  in  der  der  Ausdru(;k  der  Ergriffenheit  und  der 
Teilnahme  für  den  Gegenstand,  -wie  sie  noch  in  gar  manchen 
Versen  des  Rolandsliedes  zu  uns  spricht  und  die  Fähigkeit  mit 
wenigen,  das  Darzustellende  an  seinen  wesentlichen  Seiten  packen- 
den Worten  anschauliche  Bilder  von  Personen,  Schauplätzen  und 
Ereignissen,  wie  gleichfalls  mehrfach  im  Rolaudslied  geschieht, 
vor  Augen  zu  führen,  dem  Ependichter  noch  zur  Verfügung 
steht,  mufs  also  bereits  spätestens  in  die  erste  Hälfte  des  11.  Jahr- 
hunderts fallen,  wegen  der  vielseitig  mangelnden  Einheitlich- 
keit der  Darstellung  im  Rolandsliede  erheblich  vor  die  Zeit,  wo 
es  seine  uns  bekannte  Gestalt  erhielt.  Da  nun  aber  die  cliansons 
de  geste  nicht  Nachbildung  oder  Fortführung  einer  epischen  Dich- 
tung in  fremder  —  lateinischer  oder  deutscher  —  Sprache  sind, 
.sondern,  weil  jedwede  materielle  und  formelle  Ähnlichkeit  mit 
deutscher  oder  lateinischer  Heldendichtung  fehlt,  ein  selbständiges 
Erzeugnis  der  französischen  Laiendichtung,  das  im  französischen 
Boden  wurzelte  und  dort  seine  Anfänge  hat,  so  müssen  der 
Blütezeit  tastende  Versuche  vorangegangen  sein  in  der  Richtung 
auf  die  im  11,  Jahrhundert  bereits  gefestigte  und  mehrere  Jahr- 
hunderte hindurch  imverändert  gebliebene  Form  epischer  Dar- 
stellung und  epischen  Gesanges,  mit  denen  wir  wiederum  in  die 
Zeit  wenigstens  des  Haager  Bruchstücks,  also  ins  10.  Jahrhundert 
gewiesen  werden.  Kaum  ist  zu  befürchten,  dals  man  mit  solchem 
Zurückgreifen  auf  eine  frühe  Entstehungszeit  der  nationalen  fran- 
zösischen Epik  zu  weit  gehen  kann,  wenn  man  die  Ständigkeit 
dichterischer  Form  und  Richtung  in  litterarischen  Gattungen  be- 
denkt, die  auch  in  neuerer  Zeit,  z.  B.  in  Roman,  Drama,  Lyrik 
auffällt,  worin  von  einer  Generation  zur  anderen  nur  leise  Ände- 
rungen, gewöhnlich  nur  im  Interesse  der  Erreichung  einer  klassi- 
schen Form  (wenn  nicht  etwa  Originalität  der  litterarischen 
Schöpfung  oder  Formenwechsel  Grundsatz  des  schriftstellerischen 
Schaffens  wm'de),  eingetreten  sind.  Man  denke  beispielshalber 
an  die  langsame  Entwickelung  des  französischen  Romans,  an 
das  moderne  Trauer-  und  Lustspiel,  die  noch  so  viele  Bestand- 
teile in  Inhalt  und  Form  mit  ihren  Vorläufern  im  16.  und 
17.  Jahrhundert  gemein  haben,  an  die  Eintönigkeit  des  proven9a- 


Zum  Haager  Bruchstück,  317 

lisch en  Minnegesaugs,  der  altfranzösischen  Abenteuerdichtung,  der 
lateinischen  Legende  des  Mittelalters  u.  a.  m.  Die  Ständigkeit  der 
Form,  der  Gestalten,  der  Motive,  der  JSlittel  der  Darstellung,  des 
Aufbaues  und  der  Gliederung  eines  dichterischen  Ganzen,  die 
I-(angsamkeit  und  Alhnählichkeit  der  Abänderung  des  Überliefer- 
ten und  Hergebrachten  im  Schrifttum  eines  Volkes  ist,  wie  die 
Allmählichkeit  in  der  Entwickelung  des  Wissens,  der  Sitten, 
Staatseinriehtungen  und  aller  anderen  geistigen  Bethätigung,  eine 
einfache  psychologische  Notwendigkeit,  die  der  Schaffende  gegen- 
über der  empfangenden  Masse,  auf  die  er  zu  wirken  sucht,  nicht 
aufheben  kann.  Das  Gegebene  und  Überlieferte  ist  es,  was  die 
Grundlage  seines  geistigen  Inhalts  ausmacht,  an  dem  er  wü-d, 
in  dem  er  sich  bewegen,  au  das  er  anknüpfen  muls,  wenn  er  das 
Persönliche,  zu  dem  er  durch  eigenartige  innere  und  äufsere  Er- 
fahrung in  der  Dauer  seines  Lebens  etwa  gelangt  ist,  zum  Besitz 
anderer  machen,  der  Menge  darin  verständlich,  von  ihr  gewür- 
digt und  anerkannt  werden  Avill.  Die  Langsamkeit  und  Allmäh- 
lichkeit der  Veränderung  im  Denken  imd  Dichten  ist  es,  die  es 
möghcli  macht,  einem  wissenschafthchen  Gedanken  und  einem 
schriftstellerischen  AVerk  seinen  Platz  in  der  Zeit  anzuweisen, 
die  berechtigt,  es  für  undenkbar  zu  erklären,  dafs  Jean  Jacques 
Rousseau  ohne  die  englische  Aufklärung,  Mallierbe  ohne  die  Ple- 
jade,  Rabelais  ohne  Folengo,  die  altfranzösischen  Prosaromane  ohne 
Volksepen,  die  Chronik  ohne  die  Annalen,  das  Rolandslied  ohne 
vorangegangene  Epen  von  weniger  festem  Gefüge,  geringerer 
Vielfältigkeit  der  Darstellungsmittel  und  minderer  Häufung  von 
Gemeinplätzen  möglich  gewesen  wären.  Auch  in  der  Litteratur 
ist  alles  nur  Glied  in  einer  Kette  von  Eutwickelungen,  und  die 
chansou  de  Eoland  ist  teils  zu  vollkommen,  teils  zu  entartet, 
um  das  erste  Glied  in  der  Kette  der  nationalfrauzösischen  Hel- 
dendichtung sein  zu  können.  Wir  nähern  uns  auch  bei  dieser 
Erwägung  der  Epoche  des  Haager  ]^ruchstücks  und  erkennen 
sie  als  eine  Zeit,  der  epische  Dichtung  für  das  Volk  schon  nicht 
mehr  fremd  gewesen  sein  kann. 

Noch  weiter  zurück  führt  die  Betrachtuns;  der  stofflichen 
Seite  der  ältesten  chanson  de  geste.  Man  wird  bezweifeln  diü'- 
fen,  dafs  heute  ein  Volksschriftsteller  aus  der  Idee  des  Epos 
und  den  im  Schulunterricht  etwa  erlangten  Kenntnissen  und 
Vorstellungen  vom  Dreilsigjährigen  Kriege  heraus,  ohne  Einblick 


318  Zum  lla:ij<er  linichstück. 

I 

iu  die  Quellen  und  deren  Bearbeitungen,  im  stände  wäre,  eine 
anschauliche  Darstellung  von  den  Kämpfern  und  Kämpfen  oder 
von  einer  Reihe  zusammenhängender  Schlachten  des  Dreif'sig- 
jährigen  Krieges  zu  entwerfen,  die  auch  nur  annähenid  ohne 
Zuhilfenahme  von  Keminisceuzen  aus  gleichartiger  Dichtung  den 
Grad  von  Lebendigkeit,  Leibhaftigkeit,  Bestimmtheit  und  ver- 
hältnismälsiger  Treue  besäfse,  wie  die  clianson  de  Roland  aus 
dem  Ende  des  IL  Jahrhunderts,  die  den  geschilderten  Ereig- 
nissen noch  ferner  steht,  als  es  eine  solche  angenommene  Dich- 
tung sein  Avürde.  Die  Krieger  des  Rolandsliedes  sind  nicht  die 
Soldaten  oder  Führer  des  ersten  Kreuzzuges;  eine  Gestalt  wie 
Kaiser  Karl  bot  dem  Dichter  seine  Zeit  nicht;  das  Verhältnis 
der  Heerführer  zum  Kaiser,  sowie  ihr  Charakter  und  trotziger 
Kampfesmut  sind  von  anderer  Art,  als  das  Verhältnis  der  Für- 
sten Frankreichs  im  IL  Jahrhundert  zu  ihrem  Könige  und  deren 
Denk-  und  Handelsweise;  das  Rolandsgedicht  kennt  Karl  den 
Grofsen  als  Beherrscher  des  Abendlandes;  es  zeigt  eine  an- 
nähernd richtige  Vorstellung  von  dem  Schauplatz  der  Kämpfe 
im  nordöstlichen  Spanien  und  seiner  topographischen  Verhält- 
nisse; es  bewahrt  in  seinen  Gestalten  und  Ereignissen  eine  An- 
zahl geschichtlicher  Thatsachen,  und  seine  Anachronismen  sind 
archaisiert,  an  die  alte  Überlieferung  angeglichen,  nicht  ist  nach 
ihnen  die  Erzählung  und  Schilderung  umgebildet  oder  moderni- 
siert worden;  der  Dichter  beschreibt  die  Ereignisse  gleich  einem 
Augenzeugeu,  er  fühlt  mit  seinen  sterbenden  Landsleuten  und 
seinem  leidenden  Heldenkaiser,  und  bekundet  eine  Wärme  der 
Anteilnahme,  wie  sie  bei  Selbsterlebtem  nur  gewöhnlich  ist;  man 
fragt  sich,  woher  kamen  einem  Dichter  am  Ende  des  IL  Jahr- 
hunderts diese  Kenntnisse,  dieses  Mitgefühl,  diese  FüUe  ai'chai- 
scher,  der  Vergangenheit  entsprechender  Anschauungen,  diese 
Festigkeit  in  der  Auffassung  des  Charakters  seiner  Figuren,  die 
überraschende  Gestaltungskraft  gegenüber  Dingen,  die  300  Jahre 
hinter  ihm  zurücklagen?  Durch  Geschichtsunterricht  oder  Lesen 
lateinischer  Bücher  natürlich  nicht,  denn  diese  boten  von  alledem 
nichts,  und  jener  war  nicht  vorhanden.  Durch  von  altersher  fort- 
geführte Prosaerzählungen  oder  Prosaepen  gewils  aber  ebenso- 
wenig, denn  sie  erklären,  wenn  sie  nicht  in  feststehende  Worte  ge- 
fafst,  das  Archaische  und  die  Stimmung  des  Rolandsliedes  nicht, 
da  sie  beständiger  Modernisierung    in    dieser  Hinsieht  durch  die 


Zum  Haager  Bruchstück.  319 

veränderte  Auffassung  der  Dinge  bei  den  Xacherzählern  jüngerer 
Generationen  ausgesetzt  waren;  wenigstens  zur  Erklärung  der 
Stimmung  des  Rolandsliedes,  des  darin  so  deutlich  sich  aus- 
sprechenden Mitgefühls,  würde  die  S.  312  herangezogene  Paralleli- 
sierung  mit  dem  ausgeführten  Märchen  nicht  mehr  genügen  kön- 
nen. Also  doch  wohl  nur  aus  einer  durch  den  Reim  und  Vers 
gefestigten  Erzählung,  die  der  Veränderung  Schranken  zog,  wer- 
den die  stoiflichen  Archaismen  des  Rolandgedichtes  zu  verstehen 
sein.  Nicht  im  mindesten  soll  dabei  bezweifelt  werden,  dafs 
solcher  Darstellung  in  Versen  mündliche  Berichte  über  die  Er- 
eignisse bei  Ronceval  in  jedermanns  Sprache  und  Berichtweise 
einst  vorangingen;  aber  es  kann  nicht  Generationen  gedauert 
haben,  bevor  ihnen  die  Fessel  des  Verses  angelegt  wurde,  wenn 
etwas  von  den  schmerzlichen  Eindrücken,  die  das  Ereignis  her- 
vorrief, sich  noch  in  unserem  Rolandsliede  wiederspiegeln  konnte, 
wo  doch  bei  Geschichtschreibern  und  Dichtern  der  Zeit  Karls 
des  Grofsen  jedwede  Erwähnung  des  Ereignisses  entweder  fehlt 
oder  in  nüchterner  Sachlichkeit  davon  gesprochen  wird  wie  bei 
Einhart,  der  einer  tieferen  Nachwirkung  auf  Karl  den  Grofsen 
und  niu"  mit  einer  Zeile  gedenkt.  Welcher  Art  und  von  welcher 
Form  jene  Erzählungen  in  Versen  gewesen  sein  mögen,  ist  für 
unsere  Frage  ohne  Bedeutung;  es  ist  genug  zu  AAissen,  dafs  sie 
vermocht  haben  müssen,  die  im  Rolandslied  enthaltenen  ge- 
schichtlichen Thatsachen,  die  Hauptcharaktere  und  zutreifenden 
topographischen  Angaben  desselbea,  sowie  den  Ton  erschütter- 
ten Mitgefühls  der  Rolanddichtung  zu  vermitteln,  dafs  mithin 
Grund  vorhanden  ist,  die  Anfänge  der  karolingischen  Epen- 
dichtung  (romanzenartig  war  sie  jedenfalls  nicht)  schon  in  die 
Zeit  bald  nach  Karls  des  Grofsen  Tode  zu  verlegen. 

Oder  hätte  es  andere  und  geeignetere  Zeiten  gegeben,  um 
Keime  der  karolingischen  Heldendichtung  zur  Entwickelung  zu 
bringen?  Einer  ihrer  Grundzüge  ist  das  Gefühl  der  Sioghaftig- 
keit  und  der  Überlegenheit  ül)or  die  Feinde  des  Vaterlandes  und 
der  Christenheit  an  den  Grenzen  Frankreichs,  die  Überzeugung 
von  dem  Beruf  der  Franzosen,  unter  göttlichem  Schutze  und 
göttlicher  Hilfe  die  Widersacher  des  Christentums  zu  vernichten. 
Jenes  Gefühl  und  jener  Glaube  konnten  aber  imter  keinem  fran- 
zösischen Herrscher  nach  Karl  dem  (irofsen  mehr  entstehen,  da 
sie   ihr  Volk   nicht  mehr   zum    Siege   führen,   ihre   Machtsphärc 


B20  Zum  Haagcr  Briutlistück. 

sich  mehr  und  mehr  verringert,  die  Feinde  Frankreichs  oder  der 
Christenheit  an  den  französischen  Grenzen  verschwunden  sind 
oder  sich  innerhalb  derselben  behaupten.  Die  Zeit  für  Ent- 
stehung des  nationalen  Stolzes,  der  imponierende  Erfolge  zur 
Voraussetzung  hat  und  den  die  geringste  chansoii  de  fjaste  atmet, 
hat  kamu  die  Regierung  Karls  des  Kahlen  überdauert,  und  nui' 
eine  Zeit  nationaler  Grofsthaten  konnte  jene  Vorstellung  von  der 
eigenen  Heldenhaftigkeit  und  die  Neigung  zu  nationaler  Selbst- 
verherrlichung unter  den  Franzosen  wecken,  die  von  den  Epen 
mit  geschichtlicher  Grundlage  ausgehend,  vermöge  der  Ständigkeit 
dichterischer  Darstellung  in  den  spätesten  und  schwächlichsten 
Nachahmungen  derselben  festgehalten  worden  ist.  Nicht  aus 
blofser  Erinnerung  spätester  Geschlechter  an  die  einstige  Gröfse, 
den  einstigen  Ruhm  und  Glanz,  der  v^on  Karl  dem  Grofsen  her 
auf  das  französische  Volk  fiel,  konnte  die  die  Nation  verherr- 
lichende Heldendichtung  Frankreichs  erwachsen,  weil  das  Be- 
wufstseiu  der  verlorenen  Gröfse  und  die  Klage  darüber  sich  nir- 
gends mit  dem  der  unfehlbaren  Sieghaftigkeit  in  ihnen  mischt, 
was  doch  erwartet  werden  müfste,  Menn  vielleicht  die  Empfin- 
dung der  Kleinheit  der  Gegenwart  und  ihr  Gegensatz  zu  der 
grofsen  Vergangenheit  eine  spätere  Zeit  zur  nationalen  Helden- 
dichtung hätte  hinleiteu  sollen.  Und  hätten  wohl  Prosaerzählungen 
über  Karls  des  Grofsen  Thaten  den  hohen  Ton,  auf  den  Dich- 
tungen, wie  die  chanson  de  Roland,  gestunmt  sind,  das  Echo 
jenes  nationalen  Selbstgef  ülils,  in  Versbearbeitungen  aus  dem  Ende 
des  11.  Jahi'huuderts  überzuleiten  vermocht?  Es  scheint  nicht 
glaublich,  da  \äv  stets  den  Berichten  über  Geschehnisse  unserer 
Zeit,  die  uns  von  verschiedenen  Seiten  zukommen,  den  Stempel 
der  Persönlichkeit  der  Erzähler  aufgedrückt  sehen,  da  sich  der 
Novellenstoff  in  den  Bearbeitungen  verschiedener  Zeiträume  und 
Länder  ganz  verschiedenen  Absichten,  Gesinnungen  und  Anschau- 
ungen fügt  mid  der  nämliche  'Sagenstoff^  bald  tragische,  bald 
komische  Venvertung  erfahren  hat. 

Der  Zustand  der  Volkssprache  Frankreichs  im  9.  Jahr- 
hundert kann  eine  französische  Laiendichtung  epischeu  Inhalts 
bald  nach  der  Zeit  Karls  des  Grofsen  nicht  unwahrscheinlich 
machen.  Die  Verfügungen  Karls  des  Grofsen  über  die  An- 
wendung der  Volkssprachen  in  der  Predigt  lassen  erkennen,  dafs 
das  damahge  Französisch    schon    nicht   mehr   als   ein   ungelenkes 


Zum  Haager  Bruchstück.  321 

Patois   gegenüber   dem   Lateinischen   angesehen  wurde,   denn   es 
sollte    abstrakte    religiöse    Vorstellungen    zu    verdeutlichen    im 
Stande    sein.      Die    Sprache    der    Eide    von    Stralsburg    ist    un- 
beholfen   vermutlich  ja   nur   deshalb,    weil    sie    sich    einer   latei- 
nischen Vorlage  anzuschmiegen  hatte.     Den  Reichtum  des  Fran- 
zösischen an  Wörtern,   an  Wort-  und  Satzverbindungsmitteln  zu 
jener  Zeit  erfahren  wir  aus  der  Menge   der   alt-   und  neufranzö- 
sischen Erbwörter,   in  denen  wesentlich  auch  das  Rolaudsgedicht 
noch  geschrieben  ist.    Die  deutschen  Sprachdenkmäler  des  9.  Jahr- 
hunderts   in   Versen    berechtigen,    in   französischer   Sprache   eine 
gleiche  Entwickelung   litterarischer  Darstellungskunst   zur  selben 
Zeit  vorauszusetzen;  als  Publikum  für  französische  epische  Dich- 
tungen   im    9.   Jahrlumdert    mul's    man    natürlich    nicht    unterste 
Volkskreise  denken,  denn  sie  bildeten  nicht   allein  die  des  La- 
teinischen Unkundigen:   die  Fürsten,   die  Heerführer,  Verwalter, 
Beamte,   Baumeister,    Künstler   u.   s.   w.,   die   Karls    und    seiner 
Nachfolger  Kriege  führten  oder  ihre  Hofhaltung  leiteten  und  zu 
einer  glänzenden  zu  machen  verstanden,   hoben  sich  aus  der  des 
Lateinischen  unkundigen  Laienmasse   durch   geistige  Bedürfnisse 
und  Intelhgenz  genugsam  ab,  um  für  Dichtung  in  ihrer  Sprache, 
soweit  jene  erweckt  sein  konnte,  empfänglich  zu  sein.    In  ihrem 
Kreise  selbst  wird  französische  Dichtung  sich  gebildet,  aus-  und 
umgestaltet  haben,  ehe  sie  an  die  Spielleute  überging;   noch  das 
Kolandslied   zeigt   zuviel  Hoheit   und  zu  wenig  von   dem  plebe- 
jischen   Sinn  jüngster   chansons   de   geste,   als    dal's    es   niederen 
Ursprungs  sein  könnte.     Und   da   für   das  geringste  litterarische 
Erzeugnis,   auch   für  das   sogenannte  Volkslied,  ein   wenn   auch 
noch    so    geringer   Grad    sprachlichen    Bewufstseins    und    littera- 
rischen Verstandes  erforderlich   ist,    würden    diese  Eigenschaften 
auch   den   ersten  Bewunderern  Karls   des  Grolsen,  die   das  An- 
denken an  ihn  im  Gedicht  verewigen  lialfen,   nicht  abgesprochen 
werden  können.     Der  Volkssänger  trug  dann  dazu  bei,  Karl  die 
Popularität  zu  verschaffen,  die  er  über  die  Zeit  hinaus,  wo  man 
seine    Thaten    in    chansons    de   (feste    pries,    in-    und    aulserhalb 
Frankreichs  im  Mittelalter  besal's. 

Diese  Erwägungen  sind  es  vor  allem,  die  in  dem  Verfasser 
die  Überzeugung  von  dem  hohen  Alter  nationalepischer  Dichtung, 
dem  Vorhandensein  einer  clianson  de  </('ö/<;- Dichtung  lange  vor 
dem  Rolandslicd   und   einer  französischen  Grundlage  des  Haager 

Aichiv  f.  n.  Spraehcu.     LXXXIV.  21 


822  Zum  Haager  Bnicliistück. 

Bruchstücks  erweckteo.  Sind  die  Gründe  für  die  Anwenduni^ 
des  zehnsilbigen  Verses  und  der  Tirade  im  10.  Jahrhundert  für 
die  Langsamkeit  der  Entwickelung  der  Darstellungskunst  in  der 
ohne  Mitwirkung  eines  fremden  Vorbildes  ins  lieben  getretenen 
nationalen  französischen  Epik  u.  s.  w.  haltbar,  so  wird  man  der 
doch  wenig  gesicherten  Annälime  ausgeführter  Prosaerzählungen 
als  Grundlagen  französischer  chansons  de  geste  mit  geschicht- 
lichen Bestandteilen  frühestens  des  11.  Jahrhunderts  vielleicht 
meinen  entraten  zu  können.  Ist  doch  die  ausgeführtere  Prosa- 
erzählung epischen  Inhalts  keine  irgendwo  gebrauchte  Bestim- 
mung des  Begriffes  der  'Sage',  die  Ebert  vielmehr  gleichfalls  auf 
einen  Grundrifs  der  Handlung  und  die  Charaktere  der  Haupt- 
helden beschränkt  (s.  o.  S.  297),  sondern  nur  ein  in  dem  Be- 
streben, irreführenden  Folgerungen  aus  dem  Haager  Bruchstück 
zu  entgehen,  hier  angenommener  Hilfsbegriff,  ein  Versuch,  die 
eigentümliche  litterarische  Art  des  lateinischen  Gedichts  ohne  Zu- 
hilfenahme epischer  Volksdichtung  zu  begreifen,  die  wir  für 
frühe  Zeit  auf  andere  Wege  uns  gezwungen  sehen  anzunehmen  — 
anzunehmen  aus  Wahrscheiulichkeitsgründen.  Aber  andere  stehen 
iu  Fragen,  wie  die  vorliegende,  um  eine  Anschauung  von  den 
Dingen  zu  gewinnen,  nicht  zm"  Verfügung,  da  wir  von  der  Be- 
schaffenheit der  Quelle  des  Haager  Bruchstücks  weder  durch  eine 
glaubhafte  Aussage  aus  der  Vergangenheit  Nachricht  erhalten, 
noch  die  Quelle  selbst  besitzen.  Immerhin  fallen,  so  möchte  es 
dem  Verfasser  scheinen,  jene  Wahrscheinlichkeitsgrüude  ins  Ge- 
wicht gegenüber  einer  Herleitung  der  lateinischen  Dichtung  aus 
einem  nicht  reelleren,  ja  wohl  ungleich  Aveniger  wahrscheinlichen 
Gebilde,  wie  es  die  Gleichsetzung  von  'Sage'  mit  ausführlicher 
litterarisch  gefestigter  Prosaerzählung  epischen  Inhalts  in  aller 
Augen  sein  wird. 

Strafsburg  i.  E.  G.  Gröber. 

Nachschrift.  Aus  brieflichen  Mitteilungen  Eberts  läfst  sich  erselien,  dafs 
er  nicht  abgeneigt  ist,  für  das  10.  Jahrhundert  episch-lyrisclie  Dichtung  in  fran- 
zösischer Sprache  anzunehmen  und  damit  das  Haager  Bruclistück  in  Zusammen- 
hang zu  bringen,  dafs  er  diese  Anscliauung  zu  erkennen  zu  geben  nur  keine  Ver- 
anlassung bei  Besprechung  des  Haager  Bruchstücks  in  seiner  Litteraturgeschichte 
zu  haben  meinte,  und  dafs  er  dort  nur  die  Annahme  von  chansons  de  (jeste  von 
der  Art  des  Rolandsliedes  im  10.  Jahrhundert  sowie  den  Gedanken  ablehnen 
wollte,  das  Haager  Bruchstück  sei  die  Übersetzung  eines  solchen  (s.  o.  S.  299). 

..i'l    'i^ui  , 


Kleine   Mitteilungen. 


Altenglische  Miseellen. 

I. 

In  der  Hs.  Aiict.  F.  3.  6  der  Bodleiana  befinden  sich  auf  Fol.  1 
und  Fol.  2''  folgende  xivei  Zaubersprüche  aus  dem  11.  Jahrhwidert,  die 
ich  hier  geyiau  nach  der  Hs.  mitteile.  Die  aufgelösten  Abkürzungen 
sind  durch  Kursivdruck  kenntlich  gemacht. 


(Fol.  1)  7  thebal  guttatim  auru;«  &  thus  de  .f  Abra  iesus 
.  -f  alabra  iesns  .  j  Galabra  iesus  .  j  wid  pone  dworh  •  .  on  .m. 
oflietan  writ. 

Var  7  thebal  ist  eine  Zeile  ausradiert.  Etwas  toeiter  unten  auf  der- 
selben Seite  steht  THEBALGUTTA,  dahinter  Rasur  von  einigen  Burhstahen. 
•  dworh  u-ohl  für  dweorh,  rgl.  Jjeechdoms  I,  364  und  III,  38,  ivo  es  Cockayne 
mit  'convulsious'  übersetxt.  Leechd.  III,  42  hat  Cockayne  Wid  weorh  ye- 
drucld,  die  Hs.  hat  aber  aurh  hier  dweorh,  ryl.  WiÜker-  Orein  I,  404  nnd 
Widkers  Grundrifs  S.  354. 

b. 

(Fol.  2  ^)  Gif  men  lerne  blöd  of  nebbe  to  swide  sume  '  pis 
writad,  f  ser  grin  -  thonn  struht  fola  .  v&v  grenn  tart  strut  onntria 
enn  piathu  ^  Morfona  onnhel.  ara  carn  leow  gruth  ueron  .in.  *  fil 
cron  diw  .  (x^ .  inro  cron  aer  crio  an*  mio  an?r  leno  ge  horsse  ge  men 
blöd  seten. 

Vyl.  Leechdonis  II,  51,  no  derselbe  Zauberspruch  mich  einer  anderen 
Hs.  mitgeteilt  i-sf.  '  vor  sume  Easur  ron  S.  -  g:nnj  hinter  g  Rasur 
van  e;  das  g  hat  in  rliesem  Stück  die  alfenyl.  Form.  -^  >nau  kann  auch 
wiathu  lesen.        ^  ni  //;  der  Hs.  durchstrichen. 

II. 

Folgenden  Segen  gegen  Fieber  fand  Herr  Hofrat  Schenkl  auf 
einem  leeren  Blatte  am  Ende  der  Hs.  Quarto  ')  der  Kathedralbibliothek 
rrw  Woi-eester  und  stellte  mir  seine  überaus  sorgfältige  und  korrekte 
Abschrift  (ich  habe  seitdem  Gelegenheit  gehabt,  sie  mit  der  Hs.  x%i  ver- 

21* 


324  Kleine  Mitteilungen. 

gleichen)  auf  das  liebenswürdigste  zur  Verfügung.  Der  Segen  statnmt 
von  einer  Hand  aus  dem  Ende  des  10.  oder  Anfang  des  11.  Jahrliun- 
derts  her.  Die  Interpunktion  und  die  Worttrennung  der  Hs.  hohe  ich 
unberücksichtigt  gelassen;  die  Abkürzungen  sind  aufgelöst  und  in  den 
englischen  Teilen  durch  kursiven  Druck  atigedeutet,  in  de7i  lateinischen 
Teilen  dagegen  sind  sie  imbezeichnet  geblieben.  Im  Gebrauch  der 
grofsen  und  kleinen  Buchstaben  folgt  mein  Abdruck  genau  der  Hs. 
Das  g  hat  in  dem  englischen  Teil  die  altengl.  Gestalt. 

Dis  ma'.g  ■\vict  gedrif.  genim  .ix.  oflietan  7  gewrit  on  ajlcere  on 
J)as  wisan :  iesws  chtistus,  7  sing  {)a3rofer  .ix.  patcr  nostcr  7  syle 
ietan  '  »nne  d:i3g  .111.  7  o(terne  .111.  7  driddan  .111.  7  cwede  .'et  telcon 
sidan  |)is  oicr  J)one  mann.  In  nomin^  doraini  nostri,  iesu  christi,  et 
in  nomine  sancte  et  indiuidu^  trinitatis  et  in  nomine  sanctorum  .vu. 
dormientium,  quorum  nomina  hec  sunt:  Maximianus,  Malchus,  Mar- 
tinianus, Johannes,  Serai)liion,  Constantinus,  Dionisius  .  ita  sicut  re- 
quieuit  dominus  sviper  illos,  sie  requiescat  super  istum  famulura  dei  N. 
coniuro  uos,  frigora  et  febres,  per  deum  uiuum,  per  deum  uerum,  per 
deum  sanctum,  per  deum,  qui  uos  in  potestatf  habet,  per  angelos, 
archangelos,  per  thronos  et  dominationes,  per  principatus  et  potestates, 
per  totum  plebem  dei  et  per  sanctam  mariam,  per  xn  apostolos,  per 
xn  prophetas,  per  omnes  martires,  per  sanctos  confessores  et  sanctas 
uirgines  et  per  un'^'^'  euuangelistas,  Matheum,  Marcum,  Lucam,  lohan- 
nem,   et  -per  xx**  nu^''  seniores  et  per  cxbiii*"^  niilia,   qui  pro   christi 

nomine  passi  sunt,  et  per  uirtutem  sancte  crucis  adiuro  ^ tor 

uos  diabolicum t  non  habe  . . .  s  ullum malum. 

>  Eetan]  das  n  über  der  Zeile.  ^  cxluii]  Itinter  dem  c  Rasur  von  1. 
^  Der  untere  Teil  des  Blattes  ist  ganz,  sehivarx,  wodurch  der  Schlufs  un- 
leserlich geivorden  ist. 

III. 

Unter  einer  Anzahl  von  beschriebenen  Papier-  und  Pergament- 
fragmenten, die  von  alten  Buchdeckeln  abgelöst  jetzt  zu  einem  Bande 
vereinigt  sind,  befindet  sich  ein  Pergamentblatt,  auf  dessen  Vorderseite 
nachfolgende  ae.  Rezepte  von  verschiedenen  Händen  des  11.  Jahrhun- 
derts geschrieben  stehen.  Auf  der  Rückseite  desselben  sind  einige  latei- 
nische Wörter  als  probatio  pennce  gekritzelt.  Die  Kenntnis  dieser 
ae.  Fragmente  verdanke  ich  der  Freundlichheit  des  Herrn  Ällnutt,  assis- 
tant  in  the  Bodleian  Library,  der  sie  entdeckte  und  mich  darauf  auf- 
merksam machte.  Der  Band  befindet  sich  im  Besitze  des  Lord  Ro- 
bartes,  der  mit  liebenstvürdigster  Bereitwilligkeit  mir  die  Erlaubtiis 
erteilte,  alles,  was  mir  wünschenswert  erschiene,  daraus  zu  veröffent- 
lichen. Die  in  dem  Bande  sonst  enthaltenen  Fragmente  sind  gröfsten- 
teils  lateinisch,  ich  sah  aber  darunter  zwei  mittelenglische  Bruchstücke: 

1)  Fragmente  der  längeren  mittelengl.  Fassung  der  Partonopeus- 
sage  (herausg.  von  Buckley,  London  1882,  für  den  Roxburghe  Club). 


Kleine  Mitteilungen.  S25 

jyiese  Fragmente,  die  von  einer  Hand  aus  der  Mitte  des  15.  Jahrh. 
herr Uhren,  sind  inzwischen  von  Wiilker  in  der  Anglia  XII,  607  ff. 
veröffentlicht  tvorden. 

2)  Ein  Bruchstück  einer  bisher  ungedruckten  metrischen  Homilie 
aus  derselben  Sammlung,  xu  welcher  die  von  Small  herausgegebenen 
English  Metrical  Homilies,  Edinburgh  1862,  gehören.  Die  betreffende 
Ilomilie  steht  in  der  Hs.  Ashmole  42  auf  Fol.  132''.  Der  Schrift 
nach  scheint  das  Fragmet? t  atis  der  Zeit  um  1400  zu  stammen. 

Das  Blatt,  auf  dem  die  ae.  Bexepte  stehen,  ist  aus  dem  Einbände 
eines  Exernjüars  der  Fabulse  de  schematibus  et  tropis  P.  Mosellani 
Jierausgenommen  worden,  die  im  Jahre  1558  in  Antwerpen  gedruckt 
ivorden  sind.  Die  Hs.,  der  es  ii7-spr anglich  angehörte,  tvird  wohl  eine 
derjenigen  gewesen  sein,  von  denen  Bishop  Bale  neun  Jahre  früher  in 
der  Vorrede  zu  'Leland's  New  Yeares  Gift  to  King  Henry  \1I1.  1549' 
berichtet  hatte:  'Some  they  sold  to  the  grossers  and  sopesellers,  and 
some  over  see  to  the  bokebynders,  not  in  small  nombre,  but  at  tymes 
whole  shyppes  fülle,  to  the  wonderynge  of  the  foren  nacyons.' 

Die  Rezepte  rühren  von  drei  verschiedenen  Händen  des  11.  Jahrh. 
her,  indem  die  erste  Hand  a,  die  zweite  b,  d,  e,  die  dritte  c  geschrieben 
hat.  In  dem  ersten  Rezept  erscheinen  die  Buchstaben  f,  g,  r  in  der 
fränkischen  Form,  in  den  übrigen  haben  sie  die  altenglische  Gestalt. 
Das  zu  II  über  die  Einrichtung  des  Abdruckes  Bemerkte  gilt  auch  hier. 

a. 
Wid  heortsece.  genim  brade  bisceopwyrt  7  feldbisceopwyrt  7  greate 
wyrt  7  galluc  7  gagul  7  hindeha^le{)an  7  organan  7  ;of)e]ferj5incwyrt 
7  harehunan  7  saluian  7  hofan  7  garcliuan  7  fifleauan  7  hanierwyrt 
7  f^rwyrt '  7  mucgwyrt  7  suderne  wudu  7  cnuca  ealle  tosomne  7  du 
ealu.    drinc,  {lonne  de  |)earf  si. 

Wi|)  lungenadle,  hennebelle-  moran  7  harehunan,  betonican, 
wylle  on  ealo|)  7  drince  Jia  hwile,  |)e  him  {)earf  si.  Supe  syJ)jKin 
ane  hennescille  •'  fülle  gemyltere  buteran,  wreo  hinc  sy{)J)an  vvearme 
7  beo  \\\ni  sy{3f)an  stille. 

c. 

Hat  wyrcean  J)e  sylf  wennsealfe.  man  sceal  niman  ebene  hunig, 
swylc  man  to  blacan  briwe  de{),  7  wyllan  hit  neah  briwes  |)icnesse 
7  niman  raedic  7  elenan^  fillan  7  hrefnesfot;"*  cnocian,''  swa  man  betst 
maege,  7  Avringan  \)o\\ne  J)a  wyrta  7  geotan  ]}<rt  wos  {)irrto  7,  |)on»/5 
hit  beo  forneah  gewylled,  enucian  godne  du'l  garleaces  7  don  pKrfco 
7  piperian,  swaswa  |)e  I)ince. 

d. 

f  wij)  wennas "'  sealf.  hwerhwettan  **  moran  7  ane  handfulle 
sperewyrte  7  wildne  n^p  7  wuduwexan  moran  wylle  on  mealtealoj), 
wringe  J)urh  linenne  cla{),  wylle  on  hunigteare.    nime  |)on?/f  "  clfenuc 


326  Kleine  Mitteilungen. 

lengtenbere  7  griiule  011  handcwynia;  niuie  sej)l)an  iiia!deran  7  drige 
on  haiidcwyrna '"  7  grinde  veades  caules  sa;des  ane  handfulle  on  pipor- 
cwyrna, '1  wylle  hit  cal  togsedere,  na  to  hearde.  I)yge  on  wucan 
'[)riwa,  swa  hhn  bets{)  to  onhagige.  {)eos  sealf  deah  wi|)  wennas 
7  wij)  J)one  flowendan  fic.  {)eah  heo  styriende  '2  sy,  ue  onscunige  he 
hi  for  ])am. 

e. 

Wi|)  liferadle,     nim  liferwp't'^   7  bere  hi   man  haw  onder'* 
cneowe  7  wylle  on  anes  hiwes  ^^  cumeolee,  mengge  buteran  to. 

'  ferwyrt  ist  mir  sotisf  nicht  hchannt:  Leechdoms  II,  154  kommt  ein 
ferdwyft  vor.  *  Die  Form  hennebelle  findet  sich  Leechd.  I,  94,  6  als  Ace. 
Sing.;  sonst  ist  es  ein  schw.  Fem.,  vgl.  LeecM.  III,  60.  ^  hennescille  ist 
irohl  rerschriebcn  für  hennesegscUle.  Vgl.  Leechd.  I,  37(3  de  win  twa  seg- 
scille  fülle.  "  Mit  elenan  schliefst  die  Zeile  in  der  Hs.  Es  ist  wohl  dahinter 
7  cyr  ;. «  ergünxen,  das  am  Zeilenschlufs  leicht  an.sfallen  krmnte.  Die  Ur- 
handschrift  icird  elenan  7  cyrfillan  gehabt  haben :  vgl.  Leechd.  III,  12.  ^  Hinter 
hrefnesfot  steht  von  anderer  Hand  über  der  Zeile  nsep.  "  Neben  cnucian 
komnd  die  Form  cnocian  mehrfach  vor;  vgl.  Kluge,  Luiicia  monasterialiaSd 
(Techmers  Zeitschrift  II,  12.5);  Leechdoms  1,  Ms.  B;  vgl.  ferner  Reimann, 
Die  Sprache  der  mittelkentischen  Erang.,  Berlin  1883,  S.  19.  "^  Wegen  an- 
derer Mittel  gegen  wennas  vgl.  Zupitxa,  Zeitschrift  für  deictsches  Altertum 
XXXI,  46  u.  49.  Vor  wij)  steht  in  der  Hs.  ein  Kreiix.  •*  hwer]  das  w 
über  der  Zeile.  ^  J)n  Hs.  '•>  Statt  dieses  xiveiten  handcwyrna  tvird  das 
Original  irgend  ein  anderes  Wort  gehabt  haben,  etwa  'im  Ofen'.  Das  vor- 
hergehende handcwyrna  n-ar  die  Veranlassung,  dafs  der  Schreiber  es  auch 
hier  anstatt  des  richtigen  Wortes  setzte.  '•  piporcwyrn  ist  mir  .sonst  nicht 
bekannt.  '^  styriende]  y  aus  eitlem  anderen  Buchstaben.  "  liferwyrt  ?rfrr 
bisher  im  Ae.  nicht  belegt.  ''  So  die  Hs.  für  ander.  '■'  ane.s  hiwes  be- 
xieht  sich  natürlich  nicht  auf  cumeolee,  sondern  auf  ein  dem  Schreiber  ror- 
schuebendes  cu,  vgl.  Leechd.  III,  24  set  anes  heowe(s)  cy  'a  cow  all  of  oue 
colour'. 

IV. 

a.  Ae.  cystian,  ne.  to  diest  =  in  einen  Sarg  legen.  Der  älteste 
Beleg  für  ne.  to  ehest  in  der  angegebenen  Bedeutung,  den  Murray 
in  dem  unlängst  erschienenen  fünften  Hefte  seines  Wbs.  anführt, 
stammt  aus  dem  Jahre  1473;   doch  kommt  das  Wort  schon  in  ae. 

Zeit  vor.    Vgl.  Wulfstan  S.  119  Utan fordferede  pearfan  mild- 

heortlice  cestian  (var.  cystian)  and  sydäan  bebyrian.  Vgl.  auch  meine 
Dissertation  'Über  die  Werke  des  ae.  Erzbischofs  AViüfstan',  Weimar 
1882,  S.  70. 

b.  ae.  cryppan.  Zu  den  in  Engl.  Studien  XI,  64  (Anm.)  ge- 
gebenen Belegen  ist  noch  ein  weiterer  aus  Leechdoms  II,  276  hin- 
zuzufügen :  (jecrypte  hand  fülle. 

c.  In  Wright-Wülker  497  '^»^  steht  die  Glosse  strue,  fine,  wo 
Wülker  füie  für  lateinisch  hält  und  demgemäfs  kursiv  druckt.  Auch 
im  Wortverzeichnis  steht  es  unter  den  lateinischen  Wörtern.  Es  ist 
aber  ein  gutes  englisches  Wort;  vgl.  Erfurter  Gl.  [Sweet,  Oldest 
Texts]  1169  fm  r=  rella  liynaria  und  11.S6  fm  —  lignarium,  ligneum 


Kleine  Mitteilungen.  .'^27 

(siehe  auch  Goetz,  Index  schol.  hibern.,  Jena  1>*SS — 9,  p.  V).  Dazu 
kommen  auch:  Wr.-Wülker  150^0  ivudefine  =  strues  und  Hpt.  Gl. 
464  icudufine  =  siriie,  congerie. 

d.  Ae.  oll  =  'Hohn,  Schmach'  u.  s.  av.  Nach  den  Wörter- 
büchern soll  dieses  Wort  nur  im  Dativ  vorkommen,  und  zwar  in 
Verbindung  mit  der  Präposition  mid  (vgl.  Bosworth-Toller  S.  744 
und  auch  das  Glossar  zu  Sweets  Anglosaxon  Reader).  Indessen  be- 
gegnet das  Wort  auch  sonst:  vgl.  Hpt.  Gl.  453  on  ol  =  nequicqtiam, 
frnstra,  inaniter,  wo  Bouterwek  hoUnga  ergänzen  wollte,  sowie  auch 
Ms.  ßodl.  340,  Fol.  148*^  on  oll  -j  on  echcit. 

Oxford.  A.  Napier. 

Eine  weitere  Aufzeichnung  der  Oratio  pro  peccatis.  Anglia 
XII,  499  ff.  hat  H.  Logeman  nach  xicei  Handschriften  des  British 
Museum,  B  =  Royal  2  B  V  und  T  =  Tiberius  A  3,  ein  altenglisches 
Gebet  veröffentlicht,  das  in  B  die  freilich  nicht  ganz  passende  Über- 
schrift Oratio  pro  peccatis  führt.  Dieses  Denkmal  steht  auch  in  der 
Handschrift  Kr.  391  (frülier  K  IQ)  des  Corpus  Christi  College  in 
Cambridge  {==  C),  die  aus  Worcester  stammt  und  um  1064  geschrieben 
ist  (vgl.  Wanley  S.  110).  Ich  teile  diese  Aufzeichmmg  hier  mit.  Die 
Abkürzungen  der  Handschrift  sind  aufgelöst,  aber  durch  kursiven 
Druck  angedeutet;  die  Worttrennung  uml  der  Gebraueli  grofser  und 
kleiner  Buchstaben  ist  stillschtreigend  geregelt,  InterjJunktion  in  der 
jetzt  üblichen  Weise  gesetzt.  Die  abweichenden  Lesarten  von  B  und  T, 
die  ich  Logeman  entnehme,  habe  ich,  von  ein  imw  Fällen  abgesehen, 
nur  dann  atigeführt,  wenn  sie  über  das  rein  Formale  hinausgehen. 

Angliee. ' 
Drillten,  ^  for  I)inre  J)a're  miclan  mildheortnesse  and  for  ealra 
|)inra  haligra  Inf  an  and  geearnimga-^  gemiltsa*  me  synfulhu^i^  swa 
swa  pin  ma3ra  willa  sy,  and  min  mod  to  |)inu7»  willan  gestranga 
and  gestadela.  Atid,  min  driht^w,  ne  liKt  me  na^fre  fairlicu??;  deafte 
of  J)issuw  earman  life  gewitan,  ac,  lochwjenne  min  tima  beo  and  Jmu 
willa  sy,  ]^(et  ic  f)is  hhtne  ^  lif  forla?tan  scyle,  livt  me  mid  gedefenesse 
mine  dagas  geendian.  Eac  ic  bidde  J)e,  min  driht€«  leof,  for  ^  |)ines 
sylfes"  naman  and^  godnysse,  l:)cet  |)u  me  of  {)isse  weorulde  ne  hrte, 
XT  ic  I)ui-h  dine  mycclan  mildheortnysse  forgifenysse  h;vbbe  ealles 
f)aes,  de  ic  aifre  ongean  {)inne  majran  willan  geworhte  dasges  odde 
nihtes,  gewealdes  odde  ungewealdes,  on  worde  oMe  on  weorce  odde 
on  minuw  |)ystrum  gejiance.    Heofona  heahcyning  and^  ealles  mid- 

*  Die  Überschrift  ateht  in  C  rot  am  Ende  der  2kile  hinter  Jiiure, 
fehlt  T,  oratio  pro  peccatis  B.  •  D  blau  in  C,  Min  drihten  leof  BT. 
•'  earnuncga  T.  •*  dahinter  scheinen  \wei  Bnchf<tabeu  radiert  C.  ^  laene 
mit  besserer  Schreibung  BT;  vgl.  Anw.  21.  22.  "  for  fehlt  T.  '  1  in 
svlfes  aus  einon  anderen  Bufhstabrn  C.  "  uaman  and  jfehlt  BT.  ^  and 
fehlt  BT. 


328  Kloinc  Mitteilungen. 

daneardes  alysend,  '"^  gemiltpa  me  earniinc:o,  swa  swa  J^in  ni:vra  willa 
sy,  1'  and  syle  me  minra  f?ylta  arfullo  foi-frifeiiysse  gc  on  f)ii<8u?H  lif(! 
ge  on  |)am  toweardan.  And,  iiiiii  drillten,  forgif  me  sode  hreowe 
and,  andetnesse  and  böte  rainra  gylta, '-  and  ahwyrf  me  fram  minum 
unrihtwisnyssuwi  to  J)inm?i  willan  a)Ld  to  minre  {)earfe.  And,  min 
drihteW;  forgif  me  rihtne  geleafan  and  sode  lufe  and  eadmodnyspe 
and  arfa^stnysse  and  cla^nnysse  and  onbryrdnesse  and  strengdo  wid 
deofles  costnunge  and  gejjyld  on '■'  earfolmysse '*  awf/ gemetf«?Rtnysso 
on  gesundfulnysse.  '•*  And,  min  driht^??,  gehnexa  da  heardnysse  "' 
minre  pa^re  sta^nenan  ^'^  heortan,  and  forgif  me  teara  genihtsum,  "*  ]}tet 
ic  majge  |)a  misda'da  bevvepan  and  behreowsian,  |)e  ic  earming  da^g- 
hwamlice  ongean  |nnne  willan  wyrce.  '^  And,  min  drihtew^  '■^*^  on- 
hliht  21  minre  heortan  ge{)anc  mid  lifes  andgite,  and  onhliht^^  mine 
Word  and  dajda  ond-'^  minne  lichoman  and  sawle  and^^  min  lif  mid 
gastlicum  andgyte,  and,  forgif  me  J)ine  mildheortnesse  ge  on  J)isu?rt 
life  ge  on  J)am  toweardan.  Min  -"^  drihte?/^  admihtig  god,  sy  de  lof 
and  wuldor  and  J)anc  a  on  ecnesse  and  eaWuni  ])mnni  halgnm  ealra 
J)ara  gyfena  and  mildsa  and,  goda,  \)e  du  me  sefre  forgeafe,  and 
ealra  J)fera  ara,  |)e  du  me  synfullu??i  to  forliete.  26  Ic  bidde  de,  min 
drihtew,  eadmodlice,  ^cet  du  me'-^^  gehelpe-^  and^"^  ealra  minra 
freonda  and  maga  an/l  eallra  dasra,  {)e  to  minre  gebedra^ddene 
dencad  and  hihtad,  libbendra  and  f ordgewitenra ;  and  forgif  J)awi 
libbenduwi  gesundfulnesse  on  {)isum  life  ge  on  J)am  towardan  ece 
myrhde,  and  syle  |)am  fordgewitenum  ealra -^  heora  gylta  arfuUe 
forgifenysse  and  heofona  ^o  rices  gefean  a  on  ecnysse,  Eac  ic  bidde 
de,  min  drihten,  ])at  du  gemildsige  eallu???  ])am,  de  me^'  god  dydon 
and  god  taehton,  and  syle  ece  ■*-  forgifenysse  ealkwi  J)am,  de  me  '^■^ 
yfel  cwfedon  odde  ge{)ohtan'^'*  odde  gyta  to  donne  dencad.  Drihten, 
heofona  heahcyning,  •'•"'  gestranga  hi  to  dinum  willan,  and  gemildsa 
eallu»?  cristenur»-  folce  libbenduw?  and  fordgewitenuw?;,  ealluw  J)ara, 
de  3^  fulluhtes  bajd  underfengon,  ^7  for  dinum  naman.^*    Amen. 

B  und  T  stehen  einander  bedeutend  näher,  als  C  einer  von  diesen 
Handschriften.    In  den  beiden  gleichfalls  in  der  Anglia  XII,  501  ff. 


1°  onlysend  BT.  "  swa  swa  J)u  wille  and  J^urh  J)a?t  J)fBt  du  wille 
BT.  '^  synna  BT.  '''^  on  tcpg(jerissen  T.  '"^  eardfodnyssum  BT.  '^  gg. 
sundfulnyssum  BT.  '•"'  heardheortuysse  BT.  ^'^  stsenenran  (erstes  n  nvf 
Basur  B)  BT.  '«  geuihtsiimnysse  BT  wohl  richtig.  "^  gewyrce  BT. 
■■"  dahinter  leof  BT.  ^'  richtiger  on  liht  BT;  rgl.  Anm.  5  u.  22.  ""^  uu- 
liht  BT.  ^^  die  AhMlrxnng  für  and  undeutlich  C.  ^  dahinter  eall  BT. 
'^^  davor  and  B  T.  '^  f orlete  (lete  TJ  mit  richtigerer  Schreibung  B T.  ^'  me 
und  and  fehlen  mit  Recht  in  BT.  -«  helpe  BT.  -'^  fehlt  BT.  *"  heofo- 
nan  B,  heofenan  T.  3'  dahinter  vier  Bnchstaben  radiert  C.  •'^  ece  (ece  T) 
auch  BT,  aber  das  AdJ.  scheint  nicht  7m  dem  Subst.  %u  passen:  ist  vielleicht 
eac  XU  lesen?  ^'■>  dahinter  sefre  BT.  •*'  ])ohton  BT.  ■'■  Dr.  heof.  h.] 
and  BT.  ^"  dahinter  £efre  BT.  ■''  der  von  derselben  Hand  über  der  Zeile 
nachgetragen  G.      ^*  for  —  naman]  si  J)e  lof  and  wuldor  a  butan  ende  BT. 


Kleine  Mitteilungen.  329 

und  504  ff.  nach  B  und  T  als  Nr.  XI  und  XII  von  Logeman  ver- 
öffentlichten Stücken  zeigt  T  die  in  B  von  einer  anderen  Hand,  als  der 
des  ursprünglichen  Schreibers,  aus  sprachlichen  Gründen  vm- genom- 
menen Änderungen,  mufs  also  hier  auf  B  direkt  oder  imlirekt  zurück- 
gehen, und,  soviel  ich  sehe,  hindert  nichts,  das  gleiche  Verhältnis  auch 
für  das  obige  Gebet  anzunehmen.  Jedenfalls  scheint  mir  unzivcifel- 
haft,  dafs  B  und  T  gegenüber  C  nur  eine  Stimme  haben,  da  sie 
gegenüber  heardnysse  in  G  (vgl.  Anm.  16)  heardheortnysse  haben,  das 
durch  das  folgende  heortan  als  falsch  ertviesen  wird:  auch  genehxa 
und  stsenenran,  wie  B  T  an  jener  Stelle  statt  gehnexa  und  stsenenan 
lesen,  sind  zu  beachten.  Andererseits  ist  auch  C  nicht  ohne  Fehler ; 
vgl.  die  Anm.  18  und  27.  Bei  den  meisten  Abweichungen  zivischen 
B  T  und  C  ist  es  schiver  zu  entscheiden,  welches  die  ur.sprünglichere 
Lesart  sein  dürfte,  solange  man  nicht  das  jedenfalls  vorauszusetzende 
lateinische  Original  hat.  Dafs  alle  drei  Handschriften  vielleicht  einen 
gemeinschaftlichen  Fehler  bieten,  ist  Anm.  32  ausgesprochen. 

Berlin.  Julius   Zupitza. 

Kardinalzahlen  als  Multiplieativa  im  Mittelenglischen. 
In  den  York  Plays  86,  308  ist  überliefert  We  sali  garrc  feste  pam 
foure  so  fast.  Die  Herausgeberin,  Miss  Lucy  Toulmin  Smith,  wollte 
fare  für  foure  schreiben  ;  Joseph  Hall  bei  Besprechung  ihrer  Ausgabe 
in  den  Englischen  Studien  IX,  450  four  tymes:  aber  schon  vorher 
glaube  ich  in  der  Deutschen  Litteraturzeitung  1885,  Sp.  1305  die  Über- 
lieferung als  keiner  Änderung  bedürftig  erwiesen  zu  haben  durch 
Beibringung  zweier  Stellen  aus  dem  Sir  Amadas  ed.  Weber  746  fF. 
Yette  icas  y  ten  so  glad,  When  that  thou  gaffe  all,  that  thou  had,  My 
btvones  for  to  grave  und  besonders  350  fF.  Sadyll,  brydyll  and  oder 
geyre,  Fowre  so  gud  thoffe  hit  were,  I  tvoch  hit  save,  bi  sen  Jon,  wo 
ebenfalls  Kardinalzahlen  ohne  einen  Zusatz  von  tym.es  oder  einem 
Synonym  in  multiplikativem  Sinne  stehen.  Es  scheint  mir  nicht 
unangebracht,  auf  diese  Erscheinung,  die  selbst  einem  so  vortrefT- 
lichen  Kenner  des  Mittelenglischen,  wie  Joseph  Hall  es  ist,  unbekannt 
war,  hier  nochmals  hinzuweisen,  indem  ich  ein  paar  weitere  Belege 
dafür  gebe.  Sir  Degrevant  (Thornton  Romances  ed.  Halliwell  S.  218) 
V.  980  fT.  Wenus  thou,  I  be  wode  To  do  syche  a  foly  To  love  my 
lordys  enemy,  TJiow  he  were  to  so  dowghty  ?  Lybeaus  Disconus 
(Ritson  II)  V.  744  A  leman  to  so  bryght  und  1356  Now  am  y  two 
.so  lyght;  The  King  of  Tars  ed.  Krause  (Englische  Studien  XI,  41) 
Auchinleck-Text  347  f.  1'  vouche  saue  on  him  mi  blöde,  pei  sehe 
irere  ten  so  bright  =3  Vernon-Text  329  f.  To  him  hco  nis  not  to  good, 
paugh  heo  weore  ten  so  briht.  Immer  folgt  ein  von  so  begleitetes  Adj. 
oder  Adv.  auf  das  Zahlwort. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

Eine  angebliche  Grille.  Bei  Besprechung  von  Kents  Ameri- 
kanisierung meiner  Ausgabe  von  Cynewulfs  Elene  sagt  Wülker  in 


330  Kleine  Mitteilungen. 

der  Anglia  XII,  631  u.  a. :  'Über  die  Anlage  des  Wörterbuchs  sei 
bemerkt,  dafs  Kent  praktischerweise  das  J),  wo  man  es  zu  suchen  ge- 
Avohnt  ist,  nach  t  stellt  und  nicht  der  Grille  Zupitzas  folgt,  p  ganz 
an  das  Ende  zu  stellen,'  Danach  könnte  es  scheinen,  als  habe  vor 
mir  niemand  im  Englischen  p  an  das  Ende  des  Alphabets  gesetzt. 
Das  ist  aber  keineswegs  richtig.  Ohne  erst  Zeit  mit  Suchen  zu  ver- 
lieren, begnüge  ich  mich,  drei  Vorgänger  namhaft  zu  machen :  J.  Bos- 
worth  im  Dictionary  of  the  Anglo-Saxon  Language  (London  1838), 
H.  Leo  im  Glossar  zu  seinen  Altsächsischen  und  angelsächsischen 
Sprachproben  (Halle  1838)  und  J.  Grimm  in  dem  Register  zu  seiner 
Ausgabe  von  Andreas  und  Elene  (Kassel  1840).  Also  läge  jeden- 
falls keine  mir  besonders  eigene  Grille  vor,  selbst  wenn  sich  ein 
Grund  für  das  von  Wülker  verurteilte  Verfahren  nicht  anführen 
liefse.  Was  meine  Vorgänger  dazu  bestimmt  hat,  kann  ich  natürlich 
nur  vermuten:  was  mich  anlangt,  so  habe  ich  mich  einfach  an  das 
gehalten,  was  Grammatiken  und  Lexika  der  einzigen  germanischen 
Sprache,  welche  das  p  in  allen  Perioden  ihrer  Entwickelung  zeigt, 
von  jeher  gethan  haben.  Schon  der  älteste  isländische  grammatische 
Traktat  hat  p  am  Schlufs  der  Konsonanten  (vgl.  Holtzmann,  Alt- 
deutsche Grammatik  I,  60.  64),  und  weder  die  Grammatiken  von 
Wimmer  und  Noreen  noch  die  Wörterbücher  von  Egilsson  und 
Vigfusson  bringen  p  unmittelbar  nach  t.  Man  mag  den  Grund 
meinetwegen  nicht  stichhaltig  finden,  aber  man  hat  darum,  meine 
ich,  kein  Recht,  von  einer  Grille  zu  reden. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 


Jahresbericht 

der 

Dresdner  Gesellschaft  für  neuere  Philolog^ie. 


1889. 


Die  bereits  seit  Januar  1878  bestehende  Gesellschaft  für  neuere 
Philologie  zu  Dresden  zählt  zur  Zeit  27  ordentliche  und  7  auswärtige 
Mitglieder ;  Ehrenmitglieder  sind  Prof.  Dr.  K  a  d  e  -  Dresden  und  Prof. 
Dr.  G.  Körting-  Münster.  Der  gegenwärtige  Vorstand  besteht  aus 
Oberlehrer  Dr.  Thiergen  als  Vorsitzendem ;  Oberlehrer  Dr.  Franz, 
Stellvertreter;  Oberlehrer  Dr.  Boerner,  Schriftführer;  Oberlehrer 
H  e  r  c  h  e  r ,  Kassenwart. 

Die  bei  Gelegenheit  des  dritten  allgemeinen  deutschen  Neuphilo- 
logentages zu  Dresden  (28.  bis  30.  Sept.  und  1.  Okt.  1888)  den  Fest- 
teilnehmern übermittelten  Jahresberichte  der  Dresdner  Gesellschaft 
(Sonderabdruck  aus  dem  Archiv  LXXXI,  S.  209  ff.)  reichten  bis 
Februar  1888;  laut  Beschlufs  sollten  alle  bis  Michaelis  stattfindenden 
Sitzungen  den  Vorarbeiten  für  den  Neuphilologentag  gewidmet  sein. 
Über  die  beiden  letzten  Sitzungen  des  Jahres  1888  (Vorsitz  Prof. 
Dr.  Schef  f  1er)  ist  nach  den  Aufzeichnungen  des  damaligen  Schrift- 
führers Dr.  Sahr  noch  folgendes  zu  berichten. 

Den  2.  November  1888  sprach  Dr.  Ziolecki  über  seinen  Auf^ 
enthalt  in  England  und  über  seine  Schriften. 

Den  S.Dezember  1888  erörtert  Dr.  Thiergen  die  pädagogische 
Frage,  ob  bei  dem  Lesen  von  Schriftstellern  in  der  Schule  anstöfsige, 
besonders  auf  das  Geschlechtliche  bezügliche  Stellen  weggelassen 
werden  sollen.  Der  Vortragende  widerlegt  die  einzelnen  Gründe, 
welche  manche  Herausgeber  und  Gelehrte  zur  Beibehaltung  der  an- 
stöfsigen  Stellen  bestimmen.  Treten  in  einem  litterarischen  Werke 
anstöfsige  Stellen  so  zahb-eich  und  so  wesentlich  auf,  dal's  ohne 
Schaden  für  das  Ganze  nicht  gekürzt  werden  kann,  wie  in  Shak- 
speres  Heinrich  IV.,  so  können  solche  Werke  überliaupt  auf  der 
Schule  nicht  gelesen  werden. 


3.')2     Jahresbericht  der  Dresdner  Gesellschaft  für  neuere'  Philologie. 

Dr.  Mahren  holt  z  verliest  seine  Besprechung  des  Werkes 
Dr.  Joseph  Sarrazins,  Da.s  moderne  Drama  der  Franzosen  in  seinen 
Hauptvertretern,  Stuttgart  1888  (vgl.  Magazin  f.  d.  Litt.  d.  In-  und 
Auslandes,  24.  Nov.  1888). 

Dr.  Schumann  berichtet  über  Prof.  Gustav  Karstens  Auf- 
satz 'Sprecheinheiten  und  deren  Rolle  im  Lautwandel  und  Laut- 
gesetz' (aus  den  Transadions  and  Proceedings  of  the  Modern  Langvagr 
Association  of  America,  III,  1887).  Der  Berichterstatter  bemerkt  zu 
dem  trefflichen  Aufsatze,  dafs  derselbe,  wie  viele  Aufsätze  der  Sprach- 
physiologen, daran  leide,  dafs  diese  sich  nicht  bemühen,  vollkommen 
verständlich  auch  für  Nichtphysiologen  zu  schreiben.  Die  Verständ- 
lichkeit könne  sehr  leicht  gefördert  werden,  wenn  die  betreffenden 
Gelehrten  stets,  sei  es  auch  nur  ganz  kurz  in  Klammern,  Beispiele 
für  ihre  Gesetze  und  Beobachtungen  anführten  und  weniger  Fremd- 
wörter anwendeten. 

In  der  ersten  Sitzung  des  neuen  Jahres  (1889)  wurden  einige 
wichtige  Beschlüsse  gefafst:  1)  der  bisher  bestandene  Lesezirkel, 
welcher  Vereinssache  gewesen,  wird  zur  Privatsache  gemacht;  2)  an 
Stelle  der  bisherigen  einmaligen  Zusammenkünfte  im  Monat  sollen 
in  Zukunft  zwei  Sitzungen  monatlich  abgehalten  werden,  deren  zweite 
vornehmlich  der  Erörterung  grammatisch-pädagogischer  Fragen  ge- 
widmet sein  soll;  3)  ein  unter  Leitung  des  Mitgliedes  Baron  von 
Locella  stehendes  italienisches  Kränzchen  soll,  getrennt  von  den 
Vereinssitzungen,  den  Mitgliedern  Gelegenheit  bieten,  ihre  Kennt- 
nisse der  italienischen  Sprache  und  Litteratur  zu  vertiefen.  Im  Ver- 
lauf des  Jahres  1889  wurden  folgende  Vorträge  gehalten. 

Den  11.  Januar  1889:  Prof.  Dr.  Scheffle r  berichtet  über 
Schmeding,  Aufenthalt  im  Auslande. 

Den  1.  Februar  1889:  Dr.  Sahr  über  eine  neue  Übersetzung 
des  Robert  Burns.  Erst  seit  1830  tauchen  umfänglichere  metrische 
Verdeutschungen  seiner  Werke  auf,  zum  Teil  infolge  von  Goethes 
Aufforderung  dazu.  A^on  1830  bis  1889  haben  etwa  25  bis  30 
Deutsche  mehr  oder  weniger  Gedichte  von  Burns  ins  Deutsche  über- 
tragen; indessen  sind  darunter  nur  etwa  12  Übersetzungen,  die  sich 
entweder  durch  gröfseren  Umfang  oder  durch  dichterischen  Wert 
oder  durch  beides  auszeichnen.  Es  mögen  unter  den  älteren  genannt 
werden  Freiligrath  1838  und  1844  (17  Gedichte  von  Burns),  Fiedler 
1846,  der  in  einem  noch  heute  gi'undlegenden  Werke  die  gesamte 
volkstümliche  schottische  Liederdichtung  bis  auf  seine  Zeit  behan- 
delt, und  Heintze  1846  und  1859,  der  den  vollständigsten  deutschen 
Burns  lieferte  (von  etwa  550  Dichtungen  übersetzte  er  etwa  330). 
Aber  alle  diese,  ja  auch  alle  neueren  Übersetzer,  wie  Bartsch,  Laun 


Jahresbericht  der  Bresduer  Gesellschaft  für  neuere  Philologie.     333 

Baisch,  übertrifft  an  wisseiiscbaftliclier  Bedeutung  wie  an  formellem 
und  dichterischem  Werte  die  Übersetzung  des  Herrn  Gymnasial- 
direktors Dr.  Gustav  Legerlotz  zu  Salzwedel,  der  in  dem  Werke 
'Aus  guten  Stunden.  Dichtungen  und  Nachdichtungen'  (Salzwedel 
188G,  8^)  und  in  dem  Bändchen  'Robert  Burns'  Gedichte  in  Aus- 
wahl' (Leipzig  1889,  Spamer.  XXIV,  188  Seiten)  weitere  129  Dich- 
tungen von  Burns  bietet.  Beide  Werke  müssen  zur  AnschaiFung  in 
Familien  und  Schulen  aufs  wärmste  empfohlen  werden.  Die  Aus- 
wahl ist  geschickt  und  fein  getroffen,  sie  vereinigt  die  köstlichsten 
und  schöjisten  der  Balladen  und  Lieder  von  Burns.  Das  erste  Werk 
ist  überdies  noch  durch  die  ebenfalls  meisterhaften  Nachdichtungen 
nach  Beranger,  Wordsworth,  Moore,  Byron,  Tennyson,  Longfellow, 
sowie  nach  alten  deutschen  Dichtungen  von  hohem  Werte.  Ein 
zweiter  Band  soll  weitere  Dichtungen  und  ein  Lebensbild  von  Robert 
Bm-ns  bringen.  Noch  sei  erwähnt,  dafs  Legerlotz  diejenigen  Stellen 
und  Gedichte,  die  bei  Burns  in  schottischer  Mundart  oder  in  einer 
schottisch-englischen  Mischsprache  erscheinen,  auch  in  einem  Deutsch 
wiedergiebt,  worin  Hochdeutsch  mit  ober-  und  niederdeutschen  Wort- 
formen zumeist  auf  das  glücklichste  gemischt  ist.  So  erhält  diese 
Übersetzung  den  Reiz  der  Neuheit  und  unterscheidet  sich  von  allen 
bisherigen  Verdeutschungen  des  Burns. 

Prof.  Dr.  Scheffler  gedenkt  noch  des  30.  Januars,  des  100. 
Geburtstages  eines  Vermittlers  englischen  und  französischen  Geistes 
in  Deutschland,  des  Grafen  v.  Baudissin. 

Den  1 5.  Februar :  Dr.  M  a  h  r  e  n  h  o  1 1  z  widmet  dem  verstorbenen 
Prof.  Dr.  Ludwig  Herrig  in  Berlin  einen  warmen  Nachruf,  in  wel- 
chem der  fruchtbaren  Thätigkeit  des  weithin  bekannten  Gelehrten 
und  allverehrten  Lehrers  gedacht  wurde.  Die  Anwesenden  elu'en 
durch  Erheben  von  den  Sitzen  das  Andenken  an  den  Verstorbenen. 

Sodann  spricht  Dr.  Z  schal  ig  über  metrische  Übertragungen 
fremdsprachlicher,  besonders  französischer  Gedichte  für  den  Schul- 
gebrauch. Der  Gedanke,  metrische  Übersetzungen  im  Unterricht  zu 
verwerten,  ist  keineswegs  neu;  nur  näher  erwogen  oder  ausgeführt 
hat  man  ihn  bis  jetzt  noch  nicht  allseitig.  Der  Vortragende  tritt  leb- 
haft füi-  die  Ausführung  dieses  Gedankens  ein,  indem  er,  von  allge- 
meinen unterrichtlichen  Grundsätzen,  litterarischen  Gesichtspunkten 
und  eigener  Erfahrung  geleitet,  in  Kürze  zeigt,  wie  und  mit  welchem 
Nutzen  solche  Übersetzungen  zu  verwenden  sind.  Die  Hauj^taufgabe, 
welche  sich  der  Lehrer  bei  der  Behandlung  von  Dichtwerken  zu 
stellen  hat,  besteht  darin,  die  Schüler  zum  verständigen  und  warmen 
inneren  Erfassen  der  fremden  dichterischen  Gedanken-  und  Empfin- 
dungsweit zu  bringen.  Blofse  natürliche  Übersetzungen  und  bei- 
gefügte Erklärungen  fremdsprachlicher  Gedichte  genügen  nicht,  um 
dieses   Ziel  zu  erreichen.    AVeit  mehr  trägt  dazu  die  zweckuiälsige 


334     Jahresbericht  der  Dresdner  Gesellschuft  für  uoucre  Philologie. 

Benutzung  guter  metrischer  Nachdichtungen  bei,  besonders  wenn  die- 
selben nicht  nur  den  Gedanken-  und  Gefühlsgehalt,  sondern  auch 
die  Form  der  Urgedichte  treu  Avicdcrsjiiegeln,  weil  im  deutschen  Ge- 
wand das  Fremde  den  Schülern  anschaulicher  und  ansprechender 
entgegentritt.  An  Übersetzungen  selbst  fehlt  es  nicht  (es  wären  z.  B. 
allein  gegen  40  oder  mehr  Übersetzer  französischer  Lyrik  zu  nennen), 
nur  vollständige,  für  die  Schule  brauchbare  Sammlungen  oder  (etwa 
im  poetischen  Teile)  doppelsprachige  Schullese-  und  Litteraturbücher 
sind  noch  nicht  vorhanden.  Als  Beitrag  dazu  teilte  der  Vortragende 
am  Schlufs  einige  ansprechende  Proben  eigener  Übertragungen  fran- 
zösischer Gedichte  alter  und  neuer  Zeit  mit.  Erwähnt  seien  die 
Nachdichtungen  einer  Stelle  aus  der  Chanson  de  Roland,  einiger 
Fabeln  von  Marie  de  France,  Rundgedichte  und  Lieder  von  Charles 
d'Orleans  und  aus  neuerer  Zeit  die  Übertragungen  einzelner  Ge- 
dichte von  B^ranger,  Laprade,  Victor  Hugo  und  vor  allem  eine  wohl- 
gelungene, in  Alexandrinern  abgefafste  Nachdichtung  von  Casimir 
Delavignes  Trois  joiirs  de  Christophe  Colomh.  Auch  eine  reiche  Aus- 
wahl englischer  Proben,  namentlich  von  Longfellow  und  Tennyson, 
stehen  dem  "^Vortragenden  zur  Verfügung. 

Den  I.März  1889:  Dr.  Mahrenholtz  über  Therese  Levasseur 
und  ihre  Beziehungen  zu  Jean-Jacques  Rousseau  vom  Standpunkte 
kritischer  Forschung.  Th.  Levasseur,  1721  zu  Orleans  geboren  und 
1801  in  der  Nähe  von  Paris  gestorben,  Tochter  eines  ohne  Schuld 
abgesetzten  Münzbeamten,  lernte  Rousseau  etwa  1745  in  dem  Pen- 
sionate  St.  Quentin  zu  Paris  kennen,  wo  ersterer  seit  Ende  1744 
wieder  wohnte  und  sie  selbst  als  Nähmädchen  angestellt  war.  Ihre 
Bildung  war,  dem  Stande  des  damaligen  Volksschulunterrichts  ent- 
sprechend, gering,  namentlich  mit  der  französischen  Rechtschreibung 
lebte  sie,  wie  die  einzige  von  ihr  bekannt  gewordene  Schreibübung, 
ein  Brief  an  Rousseau  aus  dem  Jahre  1762,  beweist,  in  hartnäckiger 
Fehde.  Rousseau  nahm  sie  seiner  eigenen  Aussage  nach  aus  Grün- 
den, die  mit  Liebe  fast  nichts  gemein  haben,  zur  Lebensgefährtin ; 
nur  die  Phantasie  französischer  Dichter  und  des  ihnen  folgenden 
H.  Hettner  hat  dieses  gewöhnliche  Verhältnis  in  ein  entzückendes 
Idyll  des  Glückes  umgeschaffen.  An  der  Aussetzung  der  fünf  Kinder 
Rousseaus  ist  sie  aber  schuldlos  gewesen,  hat  vielmehr  diesem  Ver- 
gehen anfangs  Widerstand  geleistet.  Ihre  Treue  gegen  Rousseau  er- 
scheint schon  1754  auf  einer  gemeinsamen  Reise  nach  Genf  in  etwas 
verdächtigem  Lichte,  in  den  Jahren  1756  und  1757  hat  sie  durch 
unbegründete  Eifersucht  und  boshafte  Verleumdung  Rousseaus 
Freundschaftsbund  mit  der  Marquise  v.  Epinay  gestört.  Sie  beglei- 
tete ihren  Ernährer  meist  auf  den  Irrfahiten  durch  Frankreich,  die 
Schweiz  und  England.  Dafs  sie  Urheberin  jenes  rohen  nächtlichen 
Überfalls  der  abergläubischen  Bauern  von  Motiers  (1746),  durch  den 


Jahresbericht  der  Dresdner  Gesellschaft  für  neuere  Philologie.     335 

Rousseau  zur  Flucht  aus  dem  Kanton  Neufchatel  veraiilafst  wurde, 
gewesen  sei,  ist  ein  spät  auftauchendes  Weibergeschwätz,  welches 
neuere  Darsteller,  z.B.  Hettner,  kritiklos  wiederholen.  17G8  erklärte 
sie  Rousseau  in  Gegenwart  zweier  Freunde  für  seine  eheliche  Gattin, 
auf  kirchliche  und  bürgerliche  Formen  dabei  verzichtend.  Sein  Mifs- 
trauen  gegen  sie  kündet  ein  Brief  des  folgenden  Jahres  an,  in  wel- 
chem er  von  ihr  für  immer  Abschied  nehmen  und,  wie  es  scheint, 
sein  Leben  gewaltsam  enden  will.  Doch  lebten  beide  bis  zu  Rousseaus 
plötzlichem  Tode  (3.  Juli  1778)  wieder  in  äufserer  Eintracht  zusam- 
men. Dafs  Therese  zu  Rousseaus  angeblichem  Selbstmorde  durch 
ihr  Liebesverhältnis  mit  einem  Reitknechte  des  Marquis  Girardin,  in 
dessen  Hause  Rousseau  starb,  x-Vnlafs  gegeben,  ist  unbegründetes 
Gerede,  da  weder  der  Selbstmord,  noch  das  Liebesverhältnis  sicher 
bezeugt  ist.  Die  spätere  Heirat  mit  jenem  Reitknecht  ist  dagegen 
ohne  Grund  angezweifelt  woi'den.  Gegen  Rousseaus  Wohlthäter,  den 
Marquis  Girardin,  benahm  sie  sich  undankbar  und  verleumderisch, 
erbettelte  von  der  französischen  Nationalversammlung  ein  Jahres- 
gehalt als  'Witwe'  Jean- Jacques  Rousseaus  und  bot  auch  die  Hand- 
schrift seiner  Confessions  zum  Verkauf  aus.  Mirabeau  schrieb  ihr 
im  Auftrage  der  Nationalversammlung  einen  unverdient  ehrenvollen 
Brief.  Was  von  ihrer  Trunksucht  und  Verkommenheit  in  den  spä- 
teren Lebensjahufen  erzählt  wird,  ist  aus  unlauteren  Quellen  geflossen. 
Die  von  den  meisten  Rousseau-Biographen  arg  mitgenommene  The- 
rese ist  somit  etwas  besser  als  ikr  Ruf,  aber  ihr  Verhältnis  zu 
Rousseau  leistet  jedem  Versuche  unwahrer  Idealisierung  entschie- 
denen AViderstand. 

Den  15.  März  1889:  Dr.  Franz  berichtet  des  längeren  über 
Darmestetter,  La  vie  des  mots  etudiee  dans  leurs  signiflcations. 
Paris  1887. 

Den  5.  April  1889:  Dr.  Thiergen  über  die  englische  Bühne 
zu  Shaksperes  Zeit.  Es  giebt  insgesamt  sechs  Abbildungen  des  älte- 
ren englischen  Theaters  vor  und  zu  Shaksperes  Zeiten,  doch  alle 
geben  nui*  das  äufsere  Bild  wieder.  Das  Verdienst,  über  die  Shak- 
speresche  Bühne  neues  Licht  verbreitet  zu  haben,  gebührt  Dr.  Gae- 
dertz,  der  1887  in  Utrecht  einen  glücklichen  Fund  machte,  indem  er 
in  den  Reiseberichten  des  Johann  de  Witt  eine  Zeichnung  aus  dem 
Jahre  1597  entdeckte,  welche  das  Innere  des  gröfsten  Londoner 
Theaters,  des  Schwanentheaters,  'The  Sw'an',  wiedergiebt.  Durch 
diese  Abbildung  sind  viele  Konjekturen  betreffs  des  Shakspereschen 
Theaters  widerlegt,  vieles  ist  aufgeklärt  und  bcAvahrheitet  worden. 

Den  10.  Mai  1889:  Dr.  Z  schal  ig  über  Maibräuche  in  Eng- 
land (vgl.  Magazin  f.  d.  Litt,  des  In-  u.  Auslandes  Nr.  20  u.  21). 


o3G     Jahresbericht  der  Dresdner  Gesellschaft  für  oeuere  Philülogie. 
Den  24.  Mai:  Dr.  Mahrenholtz  über  die  Pariser  Theater. 

Den  13.  September  1889:  Dr.  ]Mahrenholtz  berichtet  über 
die  jüngst  erschienenen  Verhandlungen  des  3.  allgemeinen  deutschen 
Neuphilologentages  zu  Dresden. 

Dr.  Z  i  0 1  e  c  k  i  über  die  provencalische  Lyrik  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Streitgedichte. 

Den  26.  September  1889  :  Graf  de  Meri  n  d ol  aus  Paris  sprach 
als  Gast  der  Gesellschaft  über  Alfred  de  Musset,  und  zwar  in  fran- 
zösischer Sprache. 

Den  4.  Oktober  1889:  Prof.  Dr.  G.  Körting-Münster,  welcher 
in  der  Sitzung  vom  26.  September  zum  Ehrenmitglied  der  Dresdner 
Gesellschaft  für  neuere  Philologie  ernannt  worden,  sprach  über  den 
gegenwärtigen  Stand  der  romanischen  Wortforschung.  Das  Haupt- 
werk auf  dem  Gebiete  der  romanischen  Wortforschung  ist  noch 
immer  das  etymologische  Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen  von 
F.  Diez,  welches  bei  aller  Grofsartigkeit  der  Anlage  und  trotz  des 
anregenden,  belehrenden  Inhalts  doch  nicht  ohne  i\Iängel  ist.  Alles, 
was  neben  Diez  geschrieben  worden,  ist  entweder  nebensächlich  oder 
auf  einzelne  Sprachen  beschränkt,  oder  endlich  zu  schwer  zu  be- 
nutzen, so  das  einen  wahren  Schatz  etymologischen  Wissens  bietende 
italienische  Archivio  glottologico  von  Ascoli.  Ein  etymologisches 
Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen,  unter  dem  Titel  Lateinisch- 
romanisches Wörterbuch  von  Prof.  Körting,  ist  im  Druck.  Darin 
wird  von  den  lateinischen  Grundworten  ausgegangen  und  die  Ent- 
wickelung  derselben  in  den  romanischen  Sprachen  dargelegt.  Der 
lateinische  Wortschatz  ist  derjenige,  von  dem  die  Romanisten  aus- 
gehen und  auf  den  sie  zurückgehen  müssen,  darum  mufs  jeder 
Romanist  den  lateinischen  Wortschatz,  soweit  derselbe  überliefert  ist, 
übersehen.  Die  Hauptaufgabe  für  die  Zukunft  wird  es  sein,  das 
Verhältnis  zu  erforschen  1)  des  lateinischen  Wortschatzes  zum  roma- 
nischen, 2)  des  Wortschatzes  der  romanischen  Sprachen  unterein- 
ander und  3)  des  romanischen  Wortschatzes  zu  den  fremdsprach- 
lichen Wortschätzen. 

Den  1,  November  1889:  Dr.  Mahrenholtz  über  die  poe- 
tischen Darstellungen  der  Jeanne  Darc- Legende.  Gestützt  auf  die 
Vorstudien,  welche  der  Vortragende  für  eine  demnächst  erscheinende 
Biographie  der  französischen  Heldin  in  der  Nationalbibliothek  zu 
Paris  gemacht  hat,  besprach  er  zunächst  die  Entwickelun^  der  an 
Johanna  sich  anreihenden  Legendenbildung,  die  sich  schon  in  einem 
drei  Monate  nach  ihrem  ersten  Auftreten  geschriebenen  Briefe  eines 
französischen  Kammerherrn  zeigt.  Der  letztere  läfst  die  Hähne  von 
Domremv  vor  Freude  über  Johannas  Geburt  von   früh   1)1?   abends 


JahresTaericlit  der  Dresdner  Gesellschaft  für  neuere  Philologie.     3oY 

laut  krähen,  die  Wölfe  ihre  Herden  verschonen,  die  Vögel  des 
Feldes  Brot  aus  ihrem  Schofse  nehmen,  lauter  nicht  ganz  ungewöhn- 
liche Vorkommnisse,  in  denen  der  Briefschreiber  aber  Ankündigun- 
gen der  von  den  Heiligen  auserwählten  Jungfrau  sieht.  1436,  fünf 
Jahre  nach  Johannas  Verbrennung,  trat  eine  falsche  Jeanne  Darc 
auf;  an  ihr  Erscheinen  knüpft  sich  eine  weitere  Fortbildung  der 
Legende.  Nachdem  die  'falsche  Jungfrau'  von  den  französischen 
Behörden  standesgemäfs  verheiratet  war,  hörte  der  ganze  Spuk  auf. 
Die  glänzende  Rehabilitation  der  1431  verurteilten  Jeanne  im  Jahre 
1456,  die  dabei  gemachten  abergläubischen  und  fabelsüchtigen 
Zeugenaussagen  der  Freunde  und  Landsleute  Johannas  lieferten  der 
Legendendichtung  reichen  Stoff.  Mit  der  aus  den  Chroniken  und 
Briefen  des  15.  Jahrhunderts  zu  ersehenden  Legendenentwickelung 
hält  die  fromme  Dichtung  gleichen  Schritt.  Sie  beginnt  mit  dem 
Lobgedichte  einer  einsamen  Nonne,  Christine  von  Pisan  (1429), 
und  erreicht  einen  gewissen  Kulminationspunkt  in  dem  rund  3000 
Verse  zählenden  Epos  eines  Abbeviller  Dichters  über  'Johanna, 
die  Jungfrau  Frankreichs'  (1516).  Der  aufgeklärte  Sinn  der  Huma- 
nistenzeit und  die  religiösen  Parteikämpfe  des  16.  Jahrhunderts 
liefsen  die  Verherrlichung  Johannas  auch  in  Frankreich  nicht  auf- 
kommen; erst  Kardinal  Richelieu  kam  auf  den  Gedanken,  für 
seinen  Gegensatz  zu  England  und  den  Hugenotten  die  Erinnerung 
an  Jeanne  Darc  wieder  ins  Leben  zu  rufen.  Er  beauftragte  seinen 
Hofdichter  Chapelain  mit  der  Schöpfung  eines  patriotischen  Epos, 
zu  welchem  Chapelain  dreifsig  Jahre  gebrauchte,  um  das  ihm  zu- 
fliefsende  Jahresgehalt  des  Kardinals  und  des  Herzogs  von  Longue- 
ville  recht  lange  zu  beziehen.  Von  dem  langatmigen  Machwerke 
erschienen  1655,  also  13  Jahre  nach  dem  Tode  Richelieus,  12  Ge- 
sänge und  wurden  Gegenstand  heftigster  Anfeindung.  Chapelain 
liefs  die  zweite  Hälfte  seines  Epos  im  Pulte,  erst  vor  etwa  10  Jahren 
hat  sie  ein  ulti'amontaner  Schriftsteller  herausgegeben,  um  dadurch 
die  von  Dupanloup  angestrebte  Heiligsprechung  Johannas  zu  för- 
dern. Voltaire  dichtete  zur  Parodierung  Chapelains  sein  burleskes 
Epos  La  Pucelle  d' Orleans,  wobei  es  ihm  weniger  auf  Verunglimpfung 
Jeannes,  welcher  er,  wie  allen  Opfern  der  kirchlichen  Ketzergerichte, 
Mitleid  schenkte,  ankam,  als  auf  Verhöhnung  des  gesamten  mittel- 
alterlichen Aberglaubens.  Die  katholische  Kirche  stellte  er  unter 
dem  Bilde  eines  Esels  dar,  in  den  Johaniui  sich  leidenschaftlich  ver- 
lieben mufs.  Mit  einem  Blicke  auf  die  aufserfranzösische  Johanna- 
Dichtung,  namentlich  auf  den  nach  dem  Zeugnis  der  ersten  Folio- 
ausgabe von  Shakspere  herrührenden  ersten  Teil  Heiinüchs  VJ.  und 
auf  Schillers  Tragödie,  schlofs  der  Vortrag. 

Den  16.  November  1889:   Dr.  Sahr  über  Dr.  Thiergens   eng- 
lische Schulausgaben  (Sliaksperes  Macbeth,  Walter  Scotts  Lady  of 

Arcliiv  f.  n.  Sniaclioii.    LXXXIV.  22 


338     Jahresbericht  der  Dresduer  (Gesellschaft  für  neuere  Philologie. 

the  Lake,  Marmioii  und  Dickens'  Christmas  Carol)  nebst  einer  Ein- 
leitung über  Shakspere  in  Deutschland  vor  hundert  Jahren, 

Den  G.  Dezember  1889:  Prof.  Dr.  Wilh.  Scheffler  über  die 
geschichtliche  Entwickelung  der  Pariser  Weltausstellung  und  die 
neue  Bastille.  Sämtliche  einzelne  Abteilungen  des  Vortrages  wurden 
durch  Vorführung  eines  reichen  Bildmaterials  unterstützt,  welches 
Redner  in  Paris  oft  (wie  die  grofsen  Plakatbilder  der  Bastille)  unter 
grofsen  Mühen  sich  verschafft  hatte. 

Blasewitz-Dresden,  Januar  1890. 

Dr.  Otto  B  o  e  r  n  e  r ,  Schriftführer. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Geschichte    der    deutschen    Litteratur    von    Dr.    Ferd.    Schultz, 
Dir.   des  Augusta-Gymnasiums   zu  Charlottenburg.     Dessau, 

1889.    287  S.  8. 

Die  Geschichte  der  deutschen  Litteratur  von  Ferd.  Schultz  ist  ein 
Hilfsbuch  für  den  Schulunterricht,  das  sich  in  Namen  und  Zahlen  mög- 
lichst beschränkt,  eine  Verbindung  zwischen  Litteratur  und  Geschichte 
anstrebt,  in  einleitenden  Abschnitten  die  für  jede  Epoche  mafsgebendeu 
Zeitrichtungen  schildert  und  in  der  Form  von  Andeutungen,  Übersichten 
und  Besprechungen  den  Entwickelungsgang  der  deutschen  Litteratur 
darstellt. 

Das  Buch  empfiehlt  sich  durch  seine  geschickte  Auswahl  und  ange- 
messene Hervorhebung  des  Wichtigsten,  nicht  minder  durch  den  warmen 
Ton,  der  Interesse  weckt  und  den  Gegenstand  darstellt,  ohne  überflüssige 
Polemik  einzumischen,  der  freilich  auch  stellenweise  ein  rhetorisches  Ge- 
präge annimmt. 

Für  einen  höhereu  Standpunkt  als  den  des  Gymnasiums  ist  das  Buch 
nicht  brauchbar.  Es  fehlen  in  ihm  alle  Angaben  über  Handschriften, 
Ausgaben,  Abhandlungen,  Neudrucke  u.  s.  w. ;  es  ist  überhaupt  in  ihm 
jede  Beziehung  auf  die  moderne  Germanistik  gemieden.  Von  Darstellern 
der  deutschen  Litteratur  sind  Gervinus,  Vilmar,  Koberstein,  Scherer, 
Hettner  und  Jul.  Schmidt  S.  278  genannt.  K.  Goedekes  Grundrils  der 
Geschichte  der  deutschen  Dichtung  ist  nicht  genannt,  und  Schultz'  Buch 
zeigt  auch  keine  Spuren  der  Benutzung  dieses  wichtigsten  aller  Hilfs- 
mittel. Ebensowenig  ist  die  Brief  litteratur,  die  allgemeine  deutsche  Bio- 
graphie u.  s.  w.  benutzt.  Das  Biographische  ist  meist  sehr  kurz  abge- 
than  und  eine  Entstehungsgeschichte  des  einzelnen  Litteraturwerkes  nur 
selten  gegeben.  Über  wichtige  Fragen,  wie  den  Ursprung  der  Runen,  die 
Herkunft  des  Reims,  das  Verhältnis  der  Nibelungenhandschriften,  den 
Einflufs  des  Alexandriners,  Hexameters  u.  s.  w.  ist  nichts  gesagt,  über- 
haupt ist  das  Quelleumatorial,  mit  dem  Schultz  arbeitet,  ein  sehr  be- 
schränktes. 

Aber  für  den  Schulunterriclit,  in  floiu  das  vornehmste  Ziel  die  1m-- 
weckung    des   Interesses    für   die    Sache   ist,    dürfte   Schultz'    Bucli   ein 

22* 


340  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

geeignetes  Hilfsmittel  sein.  Nur  bedarf  es  vorher  noch  einer  genauen 
Durcharbeitung;  denn  leider  haben  sich  viele  Ungenauigkeiteu  und  Irr- 
tümer eingeschlichen,  Avie  aus  den  folgenden  Proben  zu  ersehen  sein  dürfte. 
S.  18  'Das  Ludwigslied  feiert  den  König  Ludwig  IIL,  den  Salin  Lud- 
wiys  des  Ücutsclicn' .  Nicht  ein  Sohn  Ludwigs  des  Deutschen,  sondern 
ein  Sohn  Ludwigs  des  Stammlers,  geb.  zwischen  86t>  und  8ti5,  König  seit 
879,  gest.  882,  ist  im  Ludwigslied  besungen.  —  S.  18  'Der  Mönch  P^cke- 
hard  von  St.  Gallen  brachte  um  das  Jahr  930  die  Reckenkämpfe  Walthers 
von  Aquitanien  ...  in  lateinische  Hexameter'.  Nicht  der  Mönch  Ecke- 
hard,  sondern  der  Klosterschüler  Ekkehard  I.  übersetzte  für  seinen  Lehrer 
Geraldus  (didamen  inagistro)  eine  deutsche  Vorlage  ins  Lateinische, 
Geraldus  verbesserte  die  Arbeit,  Erchenbald  benutzte  sie  für  die  Strals- 
burger  Klosterschulen  und  Ekkehard  IV.  arbeitete  sie  metrisch  um.  — 
S.  18  Walther  und  Hildegunde  gelangen  'unangefochten  in  das  Buryundcr- 
land  an  den  Vogesen'.  Im  Waltharius  ist  die  Gegend  der  Kämpfe  das 
Frankenland,  nicht  das  Burgunderland.  —  S.  18  'Walther  erlegt  an  meh- 
reren aufeinander  folgenden  Tagen  einen  nach  dem  anderen'.  Die  Kämpfe 
mit  den  elf  Helden  Günthers  finden  vielmehr  an  einem  Tage  statt  (V.  53"2 
bis  ll;3U).  —  S.  2o  'Mhd.  Part.  Perf.  uorfen.  Das  Particip  lieiTst  ge- 
worfen. —  S.  65  'Die  berühmten  Töne  und  Weisen  erhielten  eigene  Namen 
und  wurden  entweder  nach  dem  Erfinder  benannt,  wie  "der  Ton  Eegen- 
bogens",  oder  mit  anderen  oft  recht  seltsamen  Namen  bezeichnet,  wie  "die 
geblümte  Nufsblüh"  . . .  weise'.  Alle  Meistertöne  tragen  den  Namen  des 
Erfinders,  einen  Ton  Regeubogens  giebt  es  nicht,  sondern  einen  kurtzen 
Thon  Regenbogens;  ebensowenig  giebt  es  eine  geblümte  Nui'sblühweise, 
sondern  eine  Rot-Nufs-Blüh-weis  M.  Ambrosii  Metzgers,  auch  nicht  eine 
Weber-Kratz-weise,  sondern  die  Weber-Kretzen-Weifs  M.  Ambrosii  Metz- 
gers u.  s.  w.  —  S.  90 — 91  'Martin  Opitz  .  . .  ein  vielgewandter  und  ge- 
schmeidiger Manu,  welcher  in  den  Stürmen  des  Krieges  bald  bei  pro- 
testantischen, bald  bei  katholischen  Fürsten  Dienste  nahm,  die  ilin  nach 
Siebenbürgen,  Sch/ceden  und  Polen  führten'.  Opitz  hat  nur  einem  katho- 
lischen Herrn,  dem  Präsidenten  der  Kaiserlichen  Kammer  in  Breslau 
Karl  Hanuibal  von  Dohna  1Ü26 — o2  gedient;  in  Schweden  ist  Opitz  nie 
gewesen.  Im  Dienste  schlesischer  Herzöge  war  er  1633  in  Frankfurt  bei 
Oxenstierna  und  1634  in  Böhmen  bei  Bauer.  —  S.  102  'Erst  spät  erfährt 
der  Knabe,  dafs  er  . . .  der  Tochtersohn  des  Kommandanten  ist'.  Sim- 
plicius  ist  der  Schwestersohn,  nicht  der  Tochtersohn  des  Herrn  von  Rani- 
say.  —  S.  115  'Die  Fabel,  welche  durch  Hagedorn  und  Geliert  groi'se 
Beliebtheit  erlaugte,  baute  auch  Lichtwer  . . .  an,  nach  ihm  PfefFel,  dessen 
Fabel  die  Tabackspfeife  . .  .  noch  öfters  gehört  wird'.  Wie  man  die 
Tobakspfeife  (so  lautet  die  Überschrift  bei  Pfeflfel  selbst)  als  eine  Fabel 
bezeichnen  kann,  ist  mir  unverständlich.  —  S.  135  Von  Lessings  Aufent- 
halt in  Meifsen  sagt  Schultz :  'Von  deutschen  Dichtern  las  er  eifrig  Klop- 
stocks  Messias,  den  er  ins  Lateinische  zu  übertragen  dachte.'  Die  ersten 
Gesänge  des  Messias  sind  1748  erschienen,  und  Lessing  verliefs  Meifsen 
IT'IG.  —  S.  h\d  'Appiani  wird  bei  einem  Überfall  erstochen'.    Bei  Lessing 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  .'Ul 

wird  er  erschossen.  —  S.  176  'Warte  nur,  baldc  ruliest  auch  du'.  Viel- 
mehr: 'Warte  nur,  balde  ruhest  du  auch.'  —  S.  273  'In  neuester  Zeit  er- 
freut sich  Rudolf  Lindau  . . .  und  Ernst  von  Wildenbruch  . . .  grofser  Be- 
liebtheit. Ferner  die  Schweizer  Heinrich  Meyer  und  Gottfried  Keller'. 
Gemeint  ist  wohl  Knnrad  Ferdinand  Meyer. 

Berlin.  "  C.  Th.  Michaelis. 

NibeluDgen  uiul  Kiidruu  in  Auswahl  und  mittelhochdeutsche 
Grammatik  mit  kurzem  Wörterbuch  von  Dr.  W.  Golther 
(Sammhmg  Göschen  10.  B.).  Stuttgart  1890.  TV,  160  S. 
k].  8.     Geb.  80  Pf. 

Der  Herausgeber  will  mit  diesem  Büchlein  dem  Schüler  eine  Auswahl 
aus  den  Xibeluugeu  und  der  Kudrun  in  einem  gefälligen,  leicht  zugäng- 
lichen Bändchen  liefern,  da  die  Lektüre  beider  Gedichte  in  ihrem  ganzen 
Umfange  auf  der  Schule  doch  nicht  möglich  sei.  Gleichzeitig  will  er 
dem  Lehrer  entgegenkommen,  wenn  dieser  nicht  selbst  als  Fachmann  die 
richtige  Auswahl  zu  treffen  vermöge.  Diese  letztere  Eücksicht  wird  man 
dem  Herausgeber  im  Interesse  der  Sache  gewifs  gern  erlassen.  Im  übri- 
gen ist  es  erstaunlich,  was  für  einen  so  niedrigen  Preis  in  dem  hübsch 
ausgestatteten  Büchlein  geboten  wird.  Aber  die  Art  der  Auswahl  erweckt 
einige  Bedenken.  Golther  bringt  aus  den  Nibelungen  äventiure  1,  2,  etwas 
aus  o,  ferner  5,  6,  7,  14,  15,  Iti,  37.  Dagegen  ist  zwar  nichts  einzuwen- 
den, aber  es  reicht  entschieden  nicht  aus,  besonders  für  die  zweite  Hälfte 
des  Gedichtes,  aus  der  nur  üoentiure  37,  der  Tod  ßüdegers,  aufgenommen 
ist.  Im  ganzen  ist  kaum  der  vierte  Teil  des  Gedichtes  zum  Abdruck 
gebracht.  Schwieriger  ist  es,  aus  der  Kudrun  eine  geeignete  Auswahl  zu 
treffen.  Golther  druckt  nicht  ganz  vollständig  Müllenhoffs  echte  Teile  ab, 
bemerkt  jedoch,  dafs  er  nicht  ganz  auf  dessen  kritischem  Standpunkt  stehe. 
Ob  aber  der  Herausgeber  damit  für  die  Schule  das  Richtige  getroffen 
hat,  scheint  dem  Referenten  doch  fraglich.  Für  beide  Gedichte  sind  aus 
praktischen  Gründen  die  Ausgaben  von  Bartsch  zu  Grunde  gelegt.  Der 
Abrifs  der  Grammatik  schliefst  sich  an  O.  Brenners  grannnatische  Ein- 
leitung zur  vierten  Auflage  von  Engelmauns  mhd.  Lesebuch  an.  —  Einige 
Versehen  sind  zu  berichtigen.  S.  6  mufs  es  heifsen  d'vyÜTr,^  st.  Ih-yari^o; 
S.  13,  Z.  7  fehlt  dem;  V.  425,  2  Nib.  fehlt  sin;  V.  232,  1  K.  1.  boten  st. 
böte.  Im  Wörterverzeichnis  fehlen  alröt  435,  2  N.;  ccsteneit,  (Jü5,  l  K,  ; 
bercsfencn  1013,  2  K.;  rcsfc  lOGO,  4  K. 

Keilhau  l)ei  Rudolstadl.  ,.     Ütto  Wächter. 

Die   deutsche   Bibehibersetzung  des   jMittckdters    durgestcHt   von 

Wilhehn  Walthcr.     Erster   Teik     Der   erste  Ubersetzerkreis. 

Braunschweig,   Hellnmth   Wollermann,  1889.     208  S.  4  (mit 

drei  Kunstbeilagen).     JVf.  8. 

Die  Aufmerksamkeit/ler  Theologen    wie  der  Sj)rachforscher   hat  sieh 

seit  einiger  Zeit  der  vorlutherischen  Bibelübersetzung  besonders  eifrig  zu- 


342  Ik'iirü'iliiiigcn  uml  kiirzf  Anzeigen. 

gewandt,  angeregt  durch  die  Ausgabe  der  deutschen  Bibelhandschrift  des 
böhmischen  Prämonstratenserstiftes  Tej)!  (Der  Codex  Teplensis  enthaltend 
die  Schrift  des  neweu  (lezcuges.  Augsburg-München  1884).  L.  Keller 
(Die  Eeformation  und  die  älteren  Reform parteien.  Leipzig  18'^.'>)  knüpfte 
die  Hypothese  des  waldensischen  Ursprungs  der  deutschen  Bibel  daran, 
die  zu  einem  lebhaften  litterarischeu  Streit  führte.  Aber  sichere  Ent- 
scheidung konnte  nur  die  Untersuchung  des  ganzen  vorhandenen  Ma- 
terials in  Drucken  und  Handschriften  bringen,  und  deshalb  entschlofs 
sich  Pfarrer  W.  Walther  in  Cuxhaven  zu  dem  Werke,  dessen  erste  Liefe- 
rung uns  vorliegt. 

Herr  Walther  hat  die  Übersetzungen  von  grölseren  oder  kleineren 
Bibelstückeu,  so  auch  die  Perikopensammlungeu  (Plenarien)  von  seiner 
Aufgabe  ausgeschlossen  und  sich  auf  die  Übersetzung  der  ganzen  Bibel 
oder  wenigstens  ganzer  Bücher  derselben  (namentlich  der  Psalterien)  be- 
schränkt. Er  hat  das  nach  dieser  Richtung  vorhandene  Material  an  Hand- 
schriften möglichst  vollständig  zu  sammeln  sich  bemüht  und  dasselbe 
in  Übersetzungskreise  geteilt:  den  hochdeutschen,  die  übrigen  selbstän- 
digen deutschen  und  den  der  Psalterien.  Im  vorliegenden  ersten  Heft 
wird  der  erste  (hochdeutsche)  untersucht,  für  welchen  14  hochdeutsche 
Bibeldrucke,  5  Psalterien,  Dürers  Offenbarung  und  der  deutsche  Job, 
ferner  18  deutsche  Bibelhandschriften  vorliegen,  die  zum  Teil  ganz  neu 
gefunden  sind. 

Die  Handschriften  sind  teils  Abschriften  von  Drucken,  teils  ältere 
Arbeiten.  Diese  älteren  Handschriften  werden  mit  der  ersten  gedruckten 
Bibel,  d.  i.  der  von  Mentel  zu  Strafsburg  1466  gedruckten,  verglichen, 
wobei  sich  ergiebt,  dafs  diese  erste  Druckbibel  auf  einer  Handschrift  be- 
ruht, die  von  allen  vorhandenen  Übersetzungsrecensionen  dem  verlorenen 
Original  am  nächsten  stand.  Auf  Grund  der  beiden  Nürnberger  Hand- 
schriften zeigt  der  Verfasser,  dafs  die  Eroberung  Konstantinopels  durch 
die  Türken  jene  Urübersetzuug  veranlafst  hat,  und  dafs  die  Annahme  der 
waldensischen  Herkunft  der  vorlutherischen  deutschen  Bibel  mindestens 
unwahrscheinlich,  wenn  nicht  ganz  irrig  ist.  Der  Originalübersetzung  lag 
eine  Vulgatarecension  zu  Grunde,  welche  reichliche  Zusätze  zum  gewöhn- 
lichen Text  hatte,  und  die  sich  in  einer  wahrscheinlich  aus  Böhmen  stam- 
menden Handschrift  der  gräflichen  Bibliothek  in  Wernigerode  erhalten  hat. 
Nach  diesen  Ausführungen  reicht  die  vorlutherische  deutsche  Biliel 
nicht  über  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  hinauf.  Es  ist  also  ungenau, 
wenn  der  Herr  Verfasser  selbst  auf  dem  Titel  seines  Werkes  von  der 
deutschen  Bibel  des  Mittelalters  spricht.  Das  1-5.  Jahrhundert  gehört 
sprachlich  genommen  nicht  mehr  zum  Mittelalter. 

Ein  volles  Urteil  wird  sich  über  das  Werk  erst  nach  seiner  Voll- 
endung fällen  lassen.  Fleifs  und  Mühe  hat  Herr  AValther  sichtlich  nicht 
dafür  gescheut. 

Geschmückt  ist  das  erste  Heft  mit  einer  verkleinerten  Nachbildung 
des  schönen  Furtmayerschen  Titelbildes  zur  Mayhinger  Bibelhandschrift. 
Ferner  ist  eine  zweispaltige  Seite  aus   der  ersten  gedruckten  Bibel  nach- 


Beurteilungeu  und  kurze  Anzeigen.  843 

gebildet,  und  in  Liclitdruclc  werden  zwei  vSeiten  aus  der  Freiberger  Hand- 
schrift des  Neuen  Testamentes  vorgelegt. 

Möge  das  Unternehmen  die  erforderliche  Teilnahme  finden! 

Berlin.  K.  Wein  ho  Id. 

Dr.  E.  AVilke,   Einführung    in    die    englische   Sprache.     Leipzig, 
Reiisner,  1889.     199  S. 

Seine  1887  erschienenen  'Stofte  zu  Gehör-  und  Sprechübungen',  die  er 
neben  einem  anderen  Lehrbuche  gebraucht  wissen  wollte,  hat  Herr  Wilke 
mit  vorliegender  Arbeit  zu  einem  dem  Anfangsunterricht  dienenden  Lehr- 
buclie  des  Englischen  erweitert.  Er  ist  seinem  ursprünglichen  Plane,  mit 
Gehörübungen  anzufangen  und  denselben  500  germanische,  in  der  Form 
vom  Deutschen  wenig  abweichende  Wörter  zu  Grunde  zu  legen,  treu  ge- 
blieben ;  indessen  bietet  er  jetzt  diese  500  Wörter  nach  Vorausschickung 
von  Lauttafelu  zunächst  im  Gewände  einer  Lautsclirift,  dann  erst  in 
ihrer  liistorischen  Schreibung,  in  neun  Gruppen  geteilt,  z.  B.  1)  Familie, 
o)  Körperteile,  5)  Haus  u.  s.  w.  Die  Lautschrift,  deren  Erscheinen  über- 
haupt uns  gefährlich  dünkt,  verschwindet  dann  aus  dem  Buche  und  ist 
nur  dem  Wörterverzeichnis  am  Ende  wieder  beigegeben  worden.  Statt, 
wie  früher,  vom  Wort  zu  Einzelsätzen  fortzuschreiten,  bringt  der  Ver- 
fasser auf  Anregung  seiner  Beurteiler  analytischer  Tendenz  sogleich  nach 
jenen  500  Wörtern,  die  noch  einmal  nach  Lauten  gruppiert  erscheinen 
und  Leseübungen  zur  Wiederholung  bieten  sollen,  zusammenhängende 
Stücke  und  Verschen,  die  sich  inhaltlich  an  die  aufgestellten  neun  Wort- 
gruppen anschliefsen.  Was  in  diesen  Stücken  an  grammatischem  Stoft' 
sich  findet,  ist  dann  nach  Redet«len  geordnet  und  nach  den  Grundsätzen 
von  W.  Victors  Engl.  Schulgrammatik  (Leipzig  1879)  behandelt.  Mit 
Übungen,  die  sich  an  die  gegebenen  Stücke  anschliefsen,  die  Übersetzung 
aus  dem  Deutschen  aber  vermeiden,  endet  die  erste  Abteilung  des  Buches. 

Der  Inhalt  der  zweiten  Abteilung  ist  fast  unverändert  aus  dem  alten 
Buche  übernommen.  In  neun  Abschnitten  sind  an  kleine  zusammen- 
hängende Stücke,  die  zu  den  ursprünglichen  neun  Wortgruppen  wieder 
inhaltlich  in  Beziehung  stehen,  englische  Fragen  angereiht,  aul'serdem 
Sprichwörter  und  idiomatische  Wendungen  (mit  deutscher  Übersetzung) 
und  je  ein  Gedicht.  Dann  folgt  wieder  ein  grammatischer  Teil,  der  den 
ersten  grammatischen  Abschnitt  zur  Voraussetzung  hat  und  aus  dem 
Sprachstoft'  der  zweiten  Abteilung  herausgezogen  ist.  Dieser  neue  Sprach- 
stoff wird  schlielslich  noch  zu  zahlreichen  Übungen  verwertet,  unter  denen 
auch  Übersetzungen,  Aufgaben  zu  Briefen  und  selbst  zu  kleinen  freien 
Arbeiten  erscheinen. 

Wenn  man  die  Anlage  des  Ganzen  überschaut,  so  wird  man  erken- 
nen, dafs  ein  fester  wohldurchdachter  Plan  zu  Grunde  liegt;  daher  wird 
jeder,  der  den  vom  Verfasser  vertretenen  allgemeinen  Grundsätzen  des 
Sprachunterrichts  beipflichtet,  sich  mit  Vertrauen  seines  Buches  bedienen. 
Der  Berichterstatter  steht  aber  principiell  auf  anderem  Hoden  und  nimmt 


344  Bcuitcilim.LTij  und  kurze  Anzeigen. 

daher  Abstand  von  einer  eigentlichen  Kritik.  Er  niüciile  nur  eins  er- 
wähnen, was  bei  den  Schülern  Verwirrung  erzeugen  inul's,  weil  es  eine 
Vermeugung  verschiedener  Standpunkte  bedeutet.  S.  iJ?  sind  die  Regeln 
über  die  Steigerung  auf  die  Schrift  gegründet,  während  die  Regeln  über 
die  Verbalflexion  S.   19  und  5U  vom  Laute  ausgehen. 

Der  Unterzeichnete  benutzt  deu  gebotenen  Anlafs,  um  seinen  persön- 
lichen Standpunkt  in  Fragen  des  neusprachlichen  Unterrichts  mit  wenig 
AVorten  zu  kennzeichnen.  Ein  Übertritt  zu  einer  neuen  Lehre  soll  stets 
nur  der  Ausflufs  reinster  Überzeugung  sein.  Da  nun  dem  Unterzeich- 
neten trotz  seines  guten  Willens  die  Überzeugung  von  der  alleinselig- 
machenden Kraft  der  neuen  Methode  bisher  nicht  aufgegangen  ist,  so  ist 
er  auch  noch  nicht  in  die  Gemeinde  der  Reformer  eingetreten,  vielmehr, 
ohne  unversöhnlicher  Gegner  zu  sein,  auf  deu  Stixndpunkt  eines  abwar- 
tenden Skepticismus  gedrängt  worden.  Theoretisch  hat  ihn  die  Flut  von 
Broschüren  und  Abhandlungen,  welche  die  Reformbewegung  in  die  Welt 
geschickt  hat,  nicht  davon  überführen  können,  dals  der  bisherige  Sprach- 
unterricht mit  seinen  viel  idealeren  Grundanschauungen  kein  besseres 
Los  verdiene,  als  gänzlich  zu  Grunde  zu  gehen;  er  harrt  der  Zeit,  dafs 
ihm  die  glänzenden  Resultate  der  neuen  Schule  in  greifbarer  Form  vor- 
geführt werden.  Liefert  die  vom  Nützlichkeitsprincii)  ausgehende  Methode 
wirklich  bessere  und  tiefere  Sprachkenntnisse  nach  allen  Seiten  hin,  ge- 
währt sie  daneben  tüchtige  geistige  Schidung,  wie  die  alte  Methode,  dann 
wül  er  gern  über  die  letztere  den  Stab  brechen,   aber  auch  nicht  früher. 

Berlin.  R.  Palm. 

L.  Sevin,  Elementarbuch  der  englischen  Sprache  (nach  der  ana- 
lytischen Methode  bearbeitet).  Teil  II.  Karlsruhe,  Bielefeld, 
1890.     238  S. 

Über  die  Art,  wie  das  durch  seinen  zweiten  Teil  zum  Abschlufs  ge- 
langte und  zu  einem  bedeutenden  LTmfange  (ungefähr  P^r^O  Seiten)  ange- 
wachsene Elementarbuch  benutzt  werden  soll,  giebt  der  Verfasser  keinen 
näheren  Aufschlufs.  Offenbar  verlangt  er  nicht,  dafs  der  im  Lehrbuch 
gebotene  SprachstofF  'nach  allen  Seiten  hin  durchgearbeitet  werden  soll', 
wie  es  manche  Analytiker  dringend  fordern.  Die  StofFmenge  ist  zu  grofs, 
als  dafs  sie  auf  diese  Weise  in  zwei  Jahren  auch  nur  zur  Hälfte  bewäl- 
tigt werden  könnte.  Herr  Sevin  möchte,  wenn  wir  die  Anlage  seines 
Buches  für  ihn  selbst  reden  lassen  dürfen,  wohl  nur  das  Lesestück  au 
den  Anfang  und  in  den  Mittelpunkt  des  Unterrichts  stellen,  ohne  dem- 
selben jeden  Tropfen  grammatischen  Gehalts,  der  darin  steckt,  auspressen 
zu  wollen.  Er  erscheint  als  ein  Analytiker  sehr  gemäfsigter  Observanz. 
Von  der  Verwerflichkeit  des  Übersetzens  aus  der  Muttersprache  ist  er 
ebensowenig  überzeugt,  als  er  eine  Heilung  aller  bisherigen  Schäden  davon 
erhoff't,  dafs  man  vom  Laute  und  der  Lautschrift  ausgeht;  denn  die  deut- 
schen Übuugssätze  sind  sogar  sehr  zahlreich,  und  die  Phonetik  sieht  nur 
sehr  schüchtern  in  das  Buch  hinein. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  345 

Der  zweite  Teil  ist  genau  nach  dem  Vorbild  des  ersten  eingerichtet. 
.Jeder  der  26  Abschnitte  enthält  viererlei:  Lesestoff,  Aussprache,  Gram- 
matik, Übungen.  Der  Lesestoff  ist  verschiedener  Art.  A  und  B  enthalten 
auf  England  bezügliche  geschichtliche  und  geographische  Lesestücke; 
C  bringt  kleine  Erzählungen,  Gespräche,  Briefe.  Die  Auswahl  ist  im 
ganzen  augemessen,  doch  dürfte  vieles  von  dem,  was  unter  A  steht,  den 
Schülern  eine  zu  schwierige  Aufgabe  bieten.  Die  Aussprachelehre  handelt 
nur  von  der  'unregelmäfsigen  Orthographie'  der  englischen  Laute,  mit 
deren  regelrechtem  Schriftbilde  der  I.  Teil  bekannt  gemacht  hat.  Der 
Verfasser  geht  dabei  von  der  schiefen  Ansicht  aus,  dafs  jedem  Laut  nur 
ein  regelmäfsiges  Zeichen  entspricht,  und  kommt  so  zu  der  verkehrten 
Folgerung,  dafs  wir  es  z.  B.  in  berjin  und  (ji're  mit  einer  unregelmäfsigen 
Schreibung  des  ^-Lautes  zu  thun  haben.  Auffallend  ist  es  auch,  dafs, 
nachdem  der  I.  Teil  phonetische  Umschrift  verschmäht  hat,  dem  Wörter- 
verzeichnis des  IL  Teiles  die  Sweetsche  Lautschrift  vielfach  beigefügt  ist. 
Was  nützen  diese  Zeichen,  wenn  sie  in  der  Klasse  nicht  eingehend  be- 
sprochen und  geübt  sind?  Der  grammatische  Teil,  der  aufser  Vervoll- 
ständigung der  Formenlehre  (vornehmlich  des  Verbs)  das  wichtigste  Syn- 
taktische über  die  Teile  des  einfachen  Satzes  und  über  den  zusammen- 
gesetzten Satz  enthält,  dürfte  der  mindest  gelungene  des  Buches  sein. 
Die  Dosis  von  Wissenschaftlichkeit,  die  man  in  ein  Elementarbuch  thuu 
darf,  wird  allerdings  immer  nur  klein  sein.  Aber,  da  das  Operieren  mit 
schwierigeren  grammatischen  Begriffen  einmal  nicht  zu  umgehen  ist,  so 
hätte  der  Herr  Verfasser  vor  der  Verwendung  solcher  Unterscheidungen, 
wie  die  von  logischem  und  grammatischem  Subjekt,  von  schwachen  und 
starken  Verben,  von  Participium  und  Gerundium  nicht  zurückschrecken 
sollen.  Eine  Inkonsequenz  liegt  darin,  die  Form  auf  infj  als  Gerundium 
zu  bezeichnen  (S.  126),  wenn  sie  von  einer  Präposition  abhängt,  sie  aber 
Particip  zu  nennen  (S.  21  u.  102),  wenn  sie  als  Subjekt  oder  Objekt 
des  Satzes  auftritt.  Die  unregelmäfsigen  Verben,  für  welche  jede  Defi- 
nition fehlt,  sind  auf  sechs  Abschnitte  verteilt.  Sie  hätten  aber  zu  besse- 
rem Verständnis  der  Abweichungen  und  zu  leichterer  Erlernung  gruppiert 
und  nach  irgend  einem  leicht  verständlichen  Princip  eingeteilt  werden 
müssen.  Bei  Erklärung  der  granmiatischen  Erscheinungen  läuft  manche 
Unbeholfenheit  mit  unter.  Man  lese  S.  1  ( l :  'Wenn  die  mit  dem  Sub- 
stantiv man  zusammengesetzten  Völkernamen  im  Plural  mit  dem  be- 
stimmten Artikel  verbunden  sind  und  das  Volk  als  solches  oder  als  Partei 
bezeichnen  sollen,  so  fällt  das  men  im  Plural  weg  und  das  Adjektiv  dient 
(ohne  Pluralenduug)  als  Substantiv.'  Als  ein  Beispiel  mangelhafter  For- 
mulierung der  Regeln  sei  die  auf  S.  35  stehende  angeführt:  'Wenn  die 
defektiven  Hilfsverben  im  zweiten  K(mditionalis  stehen  sollten  (wofür  wir 
im  Deutschen  das  Plusquamperfekt  Konjunktiv  setzen,  wie  ''hätte  sollen" 
u.  s.  w.),  so  steht  statt  des  deutschen  Plusqu.  Konj.  mit  nachfolgendem 
Infin.  Präs.  im  Englischen  das  Imperf.  mit  nachfolgendem  Infiu.  Perf.' 
Manche  Regeln  müssen  in  ihrer  allgemeinen  Fassung  den  Schüler  auf 
Irrwege  führen,  z.  B.  S.  126:  'Wenn  das  Reflexiv-Pronomen  eine  Präpo- 


346  Ik'iirtciliiiigcii  uikI  kurze  Anzeigen. 

sition  vor  sicli  hat,  so  steht  statt  desselben  das  blofse  Personal-Pronomen.' 
Dafs  nach  nerer  eine  einfaclie  Zeit  des  Verbs  mit  do  umschrieben  zu 
werden  pflegt,  stimmt  nicht  zu  dem  heutigen  Sprachgebrauch.  Das 
Unterlassen  der  Umschreibung  gilt  vielmehr  als  veraltet.  Dal's  die  Verben, 
welche  tu  beim  Dativobjekt  nicht  entbehren  können,  dem  höheren  Stile 
angehören  (S.  111),  diese  Behauptung  ist  gleichfalls  nicht  zutreffend. 

Doch  genug  der  Einzelheiten,  die  übrigens  nicht  so  schwerwiegend 
sind,  dafs  sie  das  nach  wohlüberlegtem  Plane  angelegte  Buch  in  seiner 
Brauchbarkeit  erheblich  schädigten,  besonders  nicht,  wenn  es  sich  in  den 
Händen  eines  selbständig  auftretenden  und  für  die  analytische  Methode  be- 
geisterten Lehrers  befindet;  letzterer  pflegt  ja  den  Ehrgeiz  zu  haben,  das 
gedruckte  Buch  durch  seine  Person  fast  ganz  ersetzen  zu  wollen  oder 
die  Grammatik  durch  die  Schüler  selbst  entstehen  zu  lassen. 

Berlin.  K.  Palm. 

The  English  Pronunciation  von  Dr.  M.  Maafs.    Zweite  Ausgabe. 
Berlin,  Siegfr.  Cronbach,  1889.     VI  u.  150  S.  8. 

Der  neue  Verleger  des  Buches,  Herr  Cronbach,  hat  es  für  geeignet 
gehalten,  die  unverkauften  Exemplare  der  ersten  1881  bei  Horrwitz  (Berlin) 
erschienenen  Auflage  mit  einem  neuen  Titelblatt  bekleben  und  mit  einem 
neuen  Umschlag  versehen  zu  lassen  und  das  so  verjüngte  Werk  als  'zweite 
Ausgabe'  in  die  Welt  zu  senden.  Die  alte  Ware,  die  unter  neuer  Flagge 
segelt,  ist  so  abgelagert  und  verfehlt  ihre  Bestimmung,  ein  praktischer 
Ratgeber  zu  sein,  so  völlig,  dafs  man  mit  jedem  Worte  der  Empfehlung 
zurückhalten  mufs. 

Berlin.  K.  Palm. 

Wilh.  Swoboda,  Englische  Leselehre  nach  neuer  Methode.    Wien, 
Holder,  1889.     58  S. 

Der  in  Österreich  weilende  Verfasser  hat  seine  Arbeit  der  Öffentlich- 
keit übergeben,  damit  sie  der  Reform  des  neusprachlichen  Unterrichts 
nach  der  praktischen  Seite  hin,  welche  sich,  hofft  er,  auch  in  seinem 
Lande  bald  vollziehen  werde,  ihre  Hilfe  leisten  könne.  Das  besondere 
Ziel,  welches  er  seinem  Buche  gesteckt  hat,  ist,  'korrektes  und  unbe- 
fangenes Lesen  englischer  Texte  zu  lehren  und  dem  geAvöhnlichen  Sylla- 
bieren,  d.  h.  Wort  für  Wort  lesen,  abzuhelfen'.  Gleichzeitig  hofft  er 
damit  das  Verstehen  des  von  Eingeborenen  Gelesenen  und  Gesprochenen 
anzubahnen.  Mit  unerlaubter  Verallgemeinerung  einzelner  Beobachtungen 
konstruiert  Herr  Swoboda  —  da  er  ja  von  dem  'gewöhnlichen'  Sylla- 
bieren  spricht  —  einen  allgemeinen  Übelstand  der  Schulaussprache  und 
schiebt  diesen  Übelstand  der  Grammatik  in  die  Schuhe.  Er  redet  (S.  M) 
von  Leuten,  die  eine  fremde  Sprache  'blofs  auf  grammatischem  Wege 
und  nur  so  Wort  für  Wort  lernen';  damit  kann  er  eigentlich  nur  Auto- 
didakten meinen,  denn  schwerlich  wird  er  eine  deutsche  Schule  nach- 
weisen können,    wo   auch   das   Lesen   auf  grammatischem  Wege  gelehrt 


Beurteilungeu  iiiul  kurze  Anzeigen.  347 

wird  und  wo  nicht  vom  Lehrer  ganze  Sätze  und  Stücke  vorgelesen  werden. 
Selbstverständlich  wird  vielfach  beim  Anfangsunterricht  mit  einzelnen 
Worten  (manchmal  wolil  nur  mit  Silben  und  Buchstaben)  operiert,  wie 
es  beim  Lesenleruen  in  der  Muttersprache  geschieht.  Aber  ebenso,  wie 
sich  im  Deutschen  aus  dem  Lautieren  und  Syllabiereu  ein  flielsendes, 
korrektes  Lesen  fast  ganz  von  selbst  entwickelt  (rationelle  Anleitung  vor- 
ausgesetzt), so  wird  auch  in  der  fremden  Sprache  der  Flufs  der  Worte, 
ihr  sinngemäfses  Zusammenschliefsen  zu  Sprechtakten,  resp.  ihre  Abson- 
derung und  richtige  Betonung,  sich  ohne  besondere  Leselehre  unbewufst 
einstellen,  w^enu  der  Lehrer  es  an  einem  tadellosen  Vorlesen  nicht  fehlen 
lälst.  Wo  dieses  mustergültige  Vormachen  jedoch  fehlt,  werden  die  treff"- 
lichsten  phonetischen  Anleitungen  besten  Falles  zu  einer  automatenhaften, 
manierierten  Weise  des  Lesens  führen.  Die  Aussprache  kann  als  eine 
Kunst  gelten.  Sie  enthält,  wie  andere  Künste,  etwas,  was  jenseit  des 
Lehrbaren  liegt,  dem  auch  die  Phonetik  mit  ihren  anerkennenswerten 
Errungenschaften  nicht  beikommen  wird,  und  was  nur  von  Beanlagten 
rein  erfafst  und  wiedergegeben  werden  kann.  Das  bei  einem  Durch- 
schnittsschüler aber  überhaupt  erreichbare  und  erstrebenswerte  Mafs  von 
Korrektheit  beim  Lesen,  resp.  Sprechen  läfst  sich  sicherlich  gewinnen  auf 
dem  Wege  praktischer  Nachahmung.  Wenn  der  Lehrer  englische  Texte 
wie  ein  geborener  Engländer  vorliest,  wenn  er  unermüdlich  im  Üben  und 
peinlich  genau  im  Verbessern  ist,  dann  wird  sich  das  Verständnis  des 
von  Eingeborenen  Gelesenen  von  selbst  ergeben,  dann  kann  das  'pho- 
netische Gespenst'  auch  'im  schlichtesten  Gewände'  der  Schule  erspart 
bleiben,  ebenso  wie  die  Lautschrift  mit  ihren  Hieroglyphen.  Dem  Lehrer 
vermag  wohl  die  Phonetik  mit  Leselehre  und  Lautschrift  eine  Stütze  und 
ein  Stab  zu  werden  bei  seiner  eigenen  Vervollkommnung,  für  den  Schüler 
sollte  sie  unseres  Erachtens  als  unnützer  Ballast  über  Bord  geworfen 
werden.  Wenn  beim  Schüler  die  wünschenswerte  Fertigkeit  im  Lesen 
und  Verstehen  bisher  nicht  immer  erreicht  wurde,  so  liegt  der  Grund 
darin,  dafs  die  Laute  der  fremden  Sprache  genau  so,  wie  sie  aus  dem 
Munde  der  Nationalen  kommen,  nie  an  sein  Ohr  gefallen  sind. 

Was  den  Inhalt  des  vorliegenden  Heftes  angeht,  so  stützt  sich  der- 
selbe auf  'Svveets  Elementarbuch  des  gesprochenen  Englisch,  Leipzig  188(j' ; 
indes  hat  der  Verfasser  sich,  was  sehr  zu  billigen  ist,  bemüht,  alles  Pho- 
netische möglichst  klar  und  einfach  zu  geben.  Nach  der  Behandlung  der 
einzelnen  accentuierten  und  nichtaccentuierten  Laute  wird  die  Aussi)rache 
der  Laute  im  Zusammenhang  der  Rede  besprochen  mit  Berücksichtigung 
des  Wort-  und  Satzaccentes,  der  Sprechtakte  und  Pausen,  der  enklitischen 
und  proklitischen  Wörter,  des  Tones.  Der  zweite  Teil  enthält  Texte  zum 
Lesen,  und  zwar  sind  zunächst  den  phonetischen  Texten  die  orthogra- 
phischen parallel  gedruckt;  letztere,  den  Lesestückeu  1 — 12  beigegeben, 
sollen  dem  Anfänger,  'der  das  Buch  sonst  mutlos  beiseite  werfen  würde, 
als  Krücke  dienen'.  In  der  Lautschrift  ist  zu  besserer  Orientierung  die 
gewöhnliche  Worttrennung  wenigstens  angedeutet. 

Demjenigen,  der  einen  Sweet  in   vereinfachter  Form   wünscht,  kann 


348  Heur(ciluii;r<'ii  und  kurze  Anzeigen. 

(las  Buch  rocht  nützlich  sein ;  darüber  hinaus  bietet  es  nichts  Beachtens- 
wertes. Der  Herr  Verfasser  hat  seiner  Benutzung  selbst  engere  Grenzen 
gezogen  dadurch,  dafs  er  vielfach  auf  den  risterreichischen  Dialekt  exempli- 
fiziert. —  Obwohl  S.  2  die  Subtilität  der  Unterscheidung  so  weit  getrieben 
wird,  dafs  eine  Verschiedenheit  von  deutschem  und  englischem  f,  I.;  p,  t 
konstatiert  und  daran  die  allgemeine  Bemerkung  geknüpft  wird,  dafs  kein 
englischer  Laut  phonetisch  vollkommen  dem  korrespondierenden  deutschen 
entspreche,  wird  doch  bei  der  Beschreibung  der  Laute  und  ihrer  Erzeu- 
gung häufig  auf  das  Deutsche  verwiesen  (S.  7  '?'  wne  im  deutschen  sitzen', 
'ti  Avie  deutsch';  S.  8  '««7  wie  deutsches  w/  in  Engel');  ja  sogar  die 
Sprache  der  Kinder,  der  Schüler,  affektierter  Österreicher,  uordmährischer 
Gebirgler  und  (Inst,  not  leasf)  das  Blöken  der  'heimatlichen  Schafe'  wird 
(S.  6)  zur  Vergleichung  herangezogen.  Die  S.  3  erwähnte  Anstandsregel, 
beim  Sprechen  die  Lippen  so  wenig  als  möglich  zu  öffnen,  dürfte  den 
meisten  Engländern  etwas  Neues  sein.  Unglaublich  aber  wird  es  ihnen 
erscheinen,  dafs  man,  wie  Herr  Swoboda  S.  5  erzählt,  aus  dem  Auf  und 
Ab  ihrer  Kinnbacken  schon  von  weitem  erkennen  kann,  wenn  sie  den 
Vokal  in  all  oder  sau-  sprechen.  Die  genaue  Darstellung  der  Hervor- 
bringung gewisser  Laute  (S.  4  n  in  Udter,  S.  5  0  in  noi)  ist  für  Schüler 
schwer  zu  verstehen;  noch  viel  schwerer  aber  dürfte  ihnen  die  praktische 
Befolgung  der  gegebenen  Anweisungen  werden,  weil  sie  über  ihre  Sprach- 
werkzeuge durchaus  nicht  die  Herrschaft  besitzen,  die  als  selbstverständ- 
lich vorausgesetzt  wird.  Wo  einfaches  Vor-  und  Nachsprechen  nicht 
zum  Ziele  führt,  da  thut  es  die  Beschreibung  erst  recht  nicht. 

Schliefslich  sei  bemerkt,  dafs  das  aus  Sweets  Elementarbuch  entlehnte 
Lesestück  Nr.  8  dort  nicht  Toitm-tmlk,   sondern  Coimtry-walk  betitelt  ist. 

Berlin.  R-  Palm. 

English  Letters.  Collected  for  the  Use  of  Schools  by  Dr.  Günther, 
Rektor  der  höheren  Töchterschule  zu  Dirschau.  Danzig, 
Kafemann,  1889.     HI  u.  46  S.  S.    M.  1. 

Dafs,  wer  Englisch  treibt,  auch  lernen  soll,  wie  ein  englischer  Brief 
aussieht,  ist  selbstverständlich.  Ob  es  aber  zu  diesem  Zwecke  einer  be- 
sonderen Zusammenstellung  von  Briefen  bedarf,  kann  zweifelhaft  sein. 
Und,  wenn  auch  zugegeben  werden  soll,  dafs  die  meisten  von  den  in  die 
oben  verzeichnete  Sammlung  aufgenommenen  Stücken  an  sich  lesenswert 
oder  wenigstens  aus  praktischen  Gründen  nützlich  sind,  so  mufs  doch 
andererseits  bemerkt  werden,  dafs  Günthers  Auswahl,  sofern  sie  etwa  ein 
Bild  von  der  litterarischen  Epistolographie  Englands  geben  will,  sehr  ein- 
seitig ausgefallen  ist.  In  ilir  sind  nur  vertreten  Lady  Mary  Wortley 
Montagu  durch  drei  Briefe,  Lord  Chesterfield  und  B.  Franklin  durch  je 
einen,  Lord  Byron  durch  sieben,  Ch.  Dickens  durch  zwanzig:  hierzu 
kommen  noch  einige  erfundene  Briefe,  die  der  Herausgeber,  ich  weifs 
nicht,  mit  welchem  Rechte,  faney-leUers  nennt.  Es  fehlen  also  so  be- 
rühmte Briefschreiber,  wie  z.  B.  Pope,  Gray,  Lamb. 


Beurteilungeu  uud  kurze  Anzeigen.  849 

Ferner  hätte  sich  der  Herausgeber  natürlich  streng  an  die  englische 
Sitte  halten  sollen.  Er  hat  aber  dem  englischen  Gebrauch  entgegen  hinter 
die  Anrede  stets  in  deutscher  Art  ein  Ausrufungszeichen  statt  eines  Kom- 
mas gesetzt.  Wiederholt  hat  er  sodann  (S.  19.  20.  31)  als  Unterschrift 
ein  einfackes  Dickens  drucken  lassen :  Dickens  hätte  sich  aber  so  ohne 
Vornamen  nur  unterschrieben,  wenn  er  ein  Lord  gewesen  wäre.  Ein  Ver- 
stofs  gegen  die  übliche  Titulatur  ist  ferner  sowohl  Lady  Wortley  Montayu 
S.  9  als  auch  Lady  Montayu  auf  derselben  Seite  und  11.  14:  es  darf  nur 
heifsen  Lady  Mary  Wortley  Montagu,  da  der  Mann  der  Schriftstellerin  ein 
einfacher  Mr.  Wortley  Montagu  war  und  sie  den  Titel  Lady  nur  als 
Tochter  des  Herzogs  von  Ivingston  und  deshalb  vor  ihrem  Vornamen 
führte.  Unenglisch  sind  endlich  die  Abkürzungen  a.  s.  o.  (S.  9)  statt  etc. 
und  f.  i.  (S.  38)  statt  e.  y. 

Unter  dem  Texte  finden  sich  Erläuterungen,  die,  ebenso  wie  das  Vor- 
wort, englisch  geschrieben  sind.  Mir  scheint  gutes  Deutsch  mäfsigem 
Englisch  vorzuziehen.  A  faniihj  acquainted  to  Dickens,  wie  es  Anm.  2  auf 
S.  ü  heifst,  ist  wohl  als  Germanismus,  nicht  etwa  als  Archaismus,  zu 
fassen.  Die  Anmerkungen  zeigen  mehrfache  Versehen  und  Mifsverständ- 
nisse.  Die  zweite  auf  S.  4  lautet  z.  B. :  Dickens  used  to  converse  ivith 
cpery  sort  of  j^eople.  Some  days  after  his  arrival  at  Shanklin  the  post-man 
told  Dickens  that  he  icas  sure  Dickens's  family  irouJd  hare  a  good  passayc. 
Dies  soll  zur  Erläuterung  der  folgenden  Stelle  in  einem  Brief  von  Dickens 
an  seine  Frau  dienen :  T/ie  man  irifh  the  post-hag  is  sicearing  in  the  j)«^- 
saye,  d.  h.  'er  flucht  im  Hausflur',  weil  er  so  lange  auf  den  Brief  warten 
muls :  Jtist  yot  back  and  post  going  out,  sagt  Dickens  am  Anfange  seines 
Schreibens.  —  Mrs.  Hogarth  (S.  7,  Anm.  2  u.  3)  war  nicht  die  Schwester, 
sondern  die  Mutter  von  Mary  Hogarth  und  Mrs.  Dickens.  —  Wenn  Byron 
S.  11  schreibt:  Paar  M.,  in  his  letter  of  Friday,  speaks  of  his  intoidrd 
contest  for  Cambridge,  so  bezieht  sich  das  darauf,  dafs  M.  sich  zum  Ab- 
geordneten für  Cambridge  wählen  lassen  wollte.  Der  Herausgeber  nuicht 
aber  hierzu  die  Bemerkung:  Alludcs  to  a  scientific  disptdatiun.  —  Barnard 
Castle,  wo  Dickens  nach  S.  13  einen  Empfehlungsbrief  abgeben  will,  kann 
nicht  gut,  wie  Anm.  2  behauptet,  a  school  sein,  da  es  dann  heifst  All  the 
schools  are  round  abend  the  place,  and  a  dor.cn  old  abbeys  besides.  —  Zu 
thrnugh  in  dem  Satze  auf  S.  17:  Did  yrni  never  hear  of  my  protesting 
throngh  good,  better,  and  best  report  that  he  aas  not  a)i  open  or  eandid 
man  . .  .'C  wird  bemerkt:  'gestützt  auf.  Aber  throiiyh  steht  hier  in  zeit- 
lichem Sinne  'durch  . . .  hindurch',  'bei' :  man  vgl.  Mouut  Eden  by  Flo- 
rence  Marryat  (Tauchn.)  II,  IIG  'Is  tliat  the  thing',  she  asked  her  heart, 
'which  yoii  have  been  cherishing  and  u-eeping  orer,  and  remaining  faithfid 
to,  tlirough  good  report  and  evil  report,  for  ten  long  years'f  —  S.  2)5  be- 
richtet Dickens  von  Broadstairs  aus,  dafs  er  täglich  von  9  bis  1  Uhr 
sitze  in  a  bay-ivindow  in  a  one-pair.  Anm.  2  des  Herausgebers  ei'klärt 
'bay-ivindow  Fenster  nach  der  Bucht  hin':  oftenbar  hat  ihn  der  Umstand 
dazu  verführt,  dafs  Dickens  vorher  sagt,  dafs  das  Haus,  in  dem  er  wohne, 
in  the  centre  of  a  tiny  semicircular  bay  stehe,  imd   das  Meer  vnder  the 


35Ö  Beurteilungeii  und  kurze  Anzeigeu. 

Windows  Wellen  schlage.  Aber  hay-utndov  bedeutet  natürlich  hier,  wie 
sonst,  'Erkerfenster'.  Ganz  unverständlich  ist  mir  die  dritte  Anmerkung: 
^one-pair  zweisitzig':  wie  hat  der  Herausgeber  die  Stelle  konstruiert? 
Hehon  die  ein  paar  Zeilen  weiter  stehenden  Worte  After  that  he  may  hf 
Seen  in  anot/ier  bay-icinJoiv  on  the  yronnd-floor  hätten  ihn  darauf  bringen 
sollen,  dafs  in  a  one-pair  (vgl.  Hoppe  s.  v.  pnir)  'in  einem  Zimmer  im 
ersten  Stock'  bedeutet.  —  S.  25  wird  in  Anm.  2  by  itself  in  kept  on  a 
little  shelf  by  itself  durch  das  schiefe  'beiseit'  statt  durch  'für  sich',  'allein' 
wiedergegeben.  —  Der  dritten  Anmerkung  auf  derselben  Seite  widerspricht 
der  Zusammenhang.  Es  heilst  im  Texte:  Forster  is  out  again;  and  if  he 
dmi't  go  in  again,  after  tlie  manner  in  ivliicli  we  have  been  keeping  Clirist- 
Tnas,  he  must  be  vcry  strong  indeeil.  Der  Herausgeber  erklärt  'to  be  out 
mifsgestimmt  sein,  to  go  in  guter  Laune  werden'.  Wie  hat  er  dann  strong 
verstanden?  Es  kann  hier  nur  'gesund'  bedeuten  und  zeigt,  dafs  Forster 
krank  gewesen  sein  mufs :  somit  kann  der  Sinn  von  is  oid  nur  sein  'geht 
aus',  'besucht  Gesellschaften'  u.  s.  w.,  und  daraus  ergiebt  sich  auch,  in 
welcher  Bedeutung  Dickens  hier  to  go  in  anwendet.  —  Das  fabelhafte 
Kiesenland  heifst  nicht  Brohdingnagia,  wie  S.  28,  Anm.  1  zu  lesen  ist, 
sondern  Brobdingnag.  Auch  hätte  doch  erwähnt  werden  sollen,  dafs 
Swift  der  Schöpfer  desselben  ist. 

Auch  sonst  vermifst  man  öfters  Erklärungen.  Das  Verzeichnis  der 
Eigennamen  S.  45  f.  giebt  z.  B.  keineswegs  in  Bezug  auf  die  Adressaten 
oder  die  gelegentlich  in  den  Briefen  erwähnten  Persönlichkeiten  alles  zum 
Verständnis  Erforderliche.  Auch  sind  vorkommende  Citate  nicht  nach- 
gewiesen worden.  So  fehlt  z.  B.  S.  28  zu  Ecerything  'is  in  a  concatenation 
accordingly'  der  Hinweis  auf  Ol.  Goklsmiths  She  Stoops  to  Conqner  I,  2, 
wo  wir  lesen  //'  so  be  that  a  gentleman  bees  in  a  concatenatimi  accordingly. 
Dafür  hätte  manche  Worterklärung  unter  dem  Texte  ruhig  wegbleiben 
können. 

Nicht  klar  ist  mir  geworden,  nach  welchen  Grundsätzen  der  Heraus- 
geber bei  der  Aufnahme  von  Vokabeln  und  Eigennamen  in  sein  Wörter- 
verzeichnis u.  s.  w.  verfahren  ist.  Von  den  Unrichtigkeiten,  die  mir 
darin  aufgestofsen  sind,  seien  hier  nur  einige  erwähnt.  Coeked-hat  ist 
kein  'Hut  mit  Hahnenfeder  oder  Federbusch',  sondern  ein  'Stülphut',  ein 
'dreieckiger  Hut',  der  bei  uns  scherzhaft  auch  'Dreimaster'  oder  'Drei- 
decker'  genannt  wird.  Court-circidars  sind  nicht  'Hofkreise',  sondern 
etwa  'Hofberichte'  (vgl.  Hoppe).  Flirt  ist  durch  die  Übersetzung  'sich 
liebenswürdig  unterhalten'  doch  harmloser  gemacht,  als  es  ist.  Hostler 
bedeutet  wohl  bei  Chaucer  (in  der  Schreibung  hostiler)  'Wirt',  aber  bei 
Dickens  'Stallknecht'.  Instalment  'Anstellung'  pafst  für  S.  25  durchaus 
nicht  (Countless  hxxppy  years  to  you  and  yours,  my  dear  Feiton,  and  some 
instalment  of  them,  however  sligfd,  in  Englaml);  der  Sinn  des  Wortes  ist 
hier  'Teil'.  Posf-boy  wird  nur  in  dem  Sinne  von  'Postkutscher',  nicht 
auch  in  dem  von  'Briefträger'  gebraucht.  Bock  ahead  ist  nicht  'über- 
hängender Fels,  über  dem  Haupte  hängender  Fels',  sondern  ein  'Fels  vor 
dem  Scliiffe',   au   dem   das  Schiff  ohne  Änderung  der  Fahrtrichtung  zer- 


Beurteiluugeu  uud  kurze  Anzeigen.  351 

schellen  mufs.  Seediness  ist  nicht  'Gemisch',  sondern  'Schäbigkeit'.  Slare- 
nphoMer  kann  natürlich  nicht  gleich  slave-holder  sein,  sondern  mufs  im 
Gegensatz  zu  aholiiionist  (S.  17)  im  Sinne  von  upholder  of  slarei-y  ge- 
braucht sein.  Für  sjM  ist  'stofsen  gegen'  zu  schwach  statt  'scheitern'. 
Auf  einem  seltsamen  Mifsverständnis  beruht  die  Wiedergabe  von  tenanti-y 
durch  'umgebender  Landbesitz'  für  eine  Stelle  auf  S.  19:  Oh,  fiotc  I  hol: 
foru-ard  across  that  rolling  tvater  to  home  and  its  small  tenantrij!  Dickens 
versteht  unter  tenanb-y  natürlich  seine  Kinder.  Der  Brief  ist  an  Feiton 
gerichtet,  von  dem  es  S.  45  heilst  'professar  of  Cambridge,  ein  Freund  des 
Dickens,  wohnhaft  in  Amerika' :  die  Fassung  läfst  nicht  erkennen,  ob  der 
Herausgeber  weifs,  dafs  Feiton  nicht  Professor  in  dem  englischen,  son- 
dern in  dem  amerikanischen  Cambridge  war. 

An  Druckfehlern  habe  ich  mir  die  folgenden  notiert.  S.  6  heilst  es 
When  I  think  it  likely  that  I  may  meet  xjou  (perhaps  at  Ainsicorth's  an 
Friday)  ?  /  shall  u.  s.  w. :  das  Fragezeichen  gehört  vor  die  Schlufsklammer. 
S.  13  ist  gedruckt  whifh  we  shall  risit  hy  means  or  other :  natürlich  fehlt 
smne  vor  means,  aber  auch  das  Wörterverzeichnis  setzt  den  Fehler  voraus, 
da  es  hier  S.  89  b  heilst  'hy  means  or  other  auf  irgend  welche  Weise'. 
S.  14  unten  ist  extend  verdruckt  für  extcnt,  S.  15,  Z.  13  v.  o.  devided  für 
divided,  S.  20,  Z.  4  v.  o.  Georg  für  George  und  Z.  20.  22  oystercellars  und 
oysteropeners  für  oyster-cellars  u.  s.  w.  S.  28  müssen  Anm.  4  iind  5  ihre 
Stellung  vertauschen.  S.  28,  Z.  22  v.  o.  steht  this  statt  these,  S.  30,  Z.  28 
v.  o.  fork  statt  park. 

Berlin.  Julius   Zupitza. 

AVörterbuch  der  englischen  und  deutschen  Sprache.  Von  WilUam 
James.  Einunddreifsigste  Auflage.  Vollständig  neu  be- 
arbeitet von  C.  Stoffel.  Englisch -Deutsch  und  Deutsch- 
Enghsch  in  einem  Bande.  Leipzig,  Tauchuitz,  1890.  XII, 
524  u.  485  S.  8.     Geb.  M.  5. 

Die  Neubearbeitung  des  vielgebrauchten  Wörterbuches  von  James 
ist  in  gute  Hände  gelegt  worden,  da  C.  Stoffel  sich  wiederholt  als  treu- 
lichen Kenner  des  Englischen  bewährt  hat.  Schon  rein  äul'serlich  hat  die 
neue  Auflage  sehr  gewonnen,  indem  durch  fetten  Druck  der  Stichwörter 
und  anderweitige  typographische  Verbesserungen  das  Aufsuchen  bedeu- 
tend erleichtert  worden  ist. 

Was  den  englisch-deutschen  Teil  betrifft,  so  ist,  wie  der  Bearbeiter 
S.  VII  auseinandersetzt,  'der  englische  Wortschatz  bedeutend  erweitert  und 
die  gröfste  Mühe  aufgewendet  worden,  denselben  mit  der  gebildeten  Um- 
gangs- und  Litteratursprache  der  Neuzeit  möglichst  in  Einklang  zu  bringen 
und  durch  Berücksichtigung  zahlreicher  Neubildungen  der  letzten  Jahr- 
zehnte zu  vervollständigen.  Der  zu  diesem  Zwecke  nötige  Raum  ist  teil- 
weise geschaffen  durch  die  Ausnierzung  eine  Anzahl  solcher  ganz  veralteter 
Wörtßr,  denen  man  nur  bei  Autoren  untergeordneten  Ranges  begegnet'.  Man 
findet  in  der  neuen  Auflage  in  der  That  vieles,  was  man  in  den  frühereu 


352  Beurteilungen  uiul  kurze  Anzeigen. 

vergeblich  suchen  würde.  Aber  es  liegt  in  der  Katar  der  Sache,  dal's 
auch  die  Neubearbeitung  noch  Lücken  zeigt.  Es  fehlen  z.  B.  die  folgen- 
den der  heutigen  Schrift-  oder  Umgangssprache  angehörigen  Wörter,  die 
ich  in  der  letzten  Zeit  Anlals  gehabt  oder  genommen  habe,  darin  nach- 
zuschlagen: to  best  'übervorteilen'  (vgl.  Iksaut,  The  Bell  of  St.  Ptmi'.s 
|Tauchnitz]  1,  85  Ile  spent  his  biisineas  liours  in  overreavJtiny  his  elients, 
bestiiiy  his  friends,  yriiidiny  ths  noses  of  the  poor,  etc.:  s.  Murray  1,824); 
yaxebo  'Aussichtspunkt'  (Besant  a.  a.  O.  I,  28  Forminy  a  ya^ebo  or  belve- 
dere  from  whieh  to  ciew  the  rirer  and  to  take  the  air :  Webster  hat  yaxeebo); 
holystone  'eine  Art  weicher  Sandstein'  und  to  holystone  'mit  holystone  das 
Deck  scheuern'  (vgl.  Besant  a.  a.  O.  I,  8  Would  our  ycdlant  Tars  continue 
to  holystone  tlie  decks  if  tJieir  officers  ceased  to  require  of  thein  that  duty? 
s.  Webster  und  Lucas) ;  shue/c  'Hülse',  'Schale'  (vgl.  Besant  a.  a.  O.  I,  222 
Tinere  still  liiujers  in  the  air  the  frayrance  of  cruslied  cabbaye-stalks,  Jyniised 
onions,  pea-shucks,  decayiny  apples  and  the  like;  II,  112  It  is  as  if  lifc 
ivere  henceforth  to  be  spent  amony  the  shucks  and  shards,  tlie  duds  and  rays, 
tlm  broken  bits.  the  scraps,  and  the  tised-tip  thinys  of  life :  s.  Webster  und 
Lucas) ;  silver-side  'gepökeltes  Bumpfstück  vom  Rinde'  (kalt  gegessen ; 
vgl.  F.  C.  Philips,  Youny  Mr.  Ainslie's  Courtship  [Tauchn.]  159  His  coni- 
plexioii  asstimed  all  diversified  hiies  of  a  silver-side  of  bcef  in  yood  eut. 
I  am  told  that  with  siher-side  of  beef  some  people  eat  liam,  and  tlie  otlier- 
wise  dead  tint  of  his  features  tvas  lit  up  with  little  flecks  of  ham-colour; 
Braddon,  Cut  by  the  County  [Tauchn.]  170  Wlien  I  am  an  a  job  like  this 
I  usually  ftnd  myself  introduccd  to  a  cold  sirloin,  or  a  silver-side:  in  den 
Wörterbüchern,  die  mir  zur  Haud  sind,  finde  ich  das  Wort  nicht) ;  sobersides 
etwa  'Philister'  (Tlie  Mishioe  Bonyh  ed.  M.  E.  Braddon  1886,  p.  51a  It  is 
writiny  to  such  a  sobersides  as  you  that  suyyests  these  doubts:  auch  diesen 
Ausdruck  finde  ich  in  meinen  Wörterbüchern  nicht).  —  Auf  einem  Versehen 
beruht  es  natürlich  nur,  wenn  ein  so  gewöhnliches  Wort  wie  yiraffe  fehlt. 

Dafs  veraltete  Wörter,  die  nur  bei  Schriftstellern  niederen  Ranges 
vorkommen,  in  einem  Wörterbuch,  wie  das  Jamessche,  weggelassen  wer- 
den, ist  natürlich  zu  billigen;  indessen  andererseits  erwartet  man  doch, 
dafs  es  bei  der  Lektüre  Shaksperes  nicht  im  Stiche  läfst:  aber  manche 
Wörter,  die  dieser  braucht,  sucht  man  vergeblich. 

Ferner  ist  nicht  zu  billigen,  dafs  Wörter,  die  etymologisch  ganz  ver- 
schieden sind,  weil  sie  formell  zusammenfallen,  in  demselben  Artikel  be- 
handelt werden:  ear  'Ohr'  u.  s.  w.  ist  natürlich  ein  ganz  anderes  Wort 
als  cur  'Ähre',  und  von  beiden  ist  dann  als  drittes  Wort  zu  trennen  das 
bei  James-StoflPel  fehlende  Verbum  to  ear,  das  bei  Shakspere  und  in  der 
Bibel  vorkommt. 

Bisher  war  in  James'  Wörterbuch  die  Aussprache  der  englischen 
Wörter  durch  das  Walkersche  System  bezeichnet  worden.  Dafs  der  Be- 
arbeiter dieses  aufgegeben  hat,  ist  begreiflich;  aber  es  wird  schwerlich 
allgemeine  Billigung  finden,  dafs  er  dafür  im  Avesentlichen  die  ziemlich 
elementare  Transskription  von  Stormonth  angenommen  hat.  Jedenfalls 
hätte  Stoffel  gut  gethan,   sich  in  vielen  Punkten   von  »Stormonth  zu  ent- 


Beurteilungen  uud  kurze  Anzeigen.  S5S 

fernen :  er  unterscheidet  z.  B.  ebensowenig  wie  Stormonth  die  beiden  r, 
schreibt  ng  für  das  gutturale  n  u.  s.  w.  Vor  allem  aber  hätte  mehr  die 
südenglische  Aussprache  zur  Geltung  kommen  sollen,  als  es  geschieht: 
abweichend  von  Stormonth  schreibt  Stoffel  zwar  päs  (ä,  wie  in  far,  ■=  pass, 
Stormonth  päsj,  aber  äs  (=  ass),  äsk,  cäst  u.  s.  w.  Er  bezeichnet  den 
Vokal  in  malt,  soll  u.  s.  w.  durch  äw,  also  als  laug,  während  schon  zu 
Smarts  Zeit  Kürzung  eingetreten  war.  In  manchen  Fällen  sind  die  Aus- 
spracheangaben nicht  vollständig  genug.  Es  genügt  nicht,  dafs  Wörter, 
wie  long  und  sträng,  durch  long  und  strong  umschrieben  werden :  weit 
wichtiger  wäre  die  Bemerkung,  dafs  im  Komparativ  und  Superlativ  liinter 
dem  gutturalen  n  auch  das  g  gehört  wird.  Ferner  vermifst  man  die  An- 
gabe, dafs  die  auslautenden  Konsonanten  von  hou^e,  hatli,  oath,  path  u.  s.  w. 
im  Plural  stimmhaft  werden,  umgekehrt  aber  s  in  to  use,  wenn  es  'pflegen' 
bedeutet,  im  Präteritum  stimmlos.  Auch  bei  dose  ist  die  Aussprache 
klöz  allein  angegeben,  die  nur  für  dose  als  Verbum  und  zum  Teil  als 
Substantivum  richtig  ist.  Warum  wird  für  com  die  Aussprache  eäwrn, 
für  hörn  aber  hörn  angegeben  ?  Druckfehler  haben  wir  jedenfalls  nur  zu 
sehen  in  den  Umschreibungen  durn'bels  (st.  düm'beh  =  dumb-bdls),  hät'- 
fool  (st.  hät'fobl  =  Imtefnl),  »ns'tizism  (st.  mts'ftstxm  =  mysticmn)  u.  s.  w. 
Für  cBsthetic  u.  s.  w.  giebt  er  im  Anschlufs  an  Stormonth  als  Aussprache 
exthet'tk  an:  nach  Murray  I,  147c  sind,  um  mich  Stoffels  Umschreibung 
zu  bedienen,  esthet'U;  esthet'lk,  esthe'ttk,  esthe'tzk  nebeneinander  üblich,  in 
London  aber  die  an  zweiter  Stelle  gegebene  Aussprache  die  gewöhnlichste. 
Stimmhaftes  s  scheint  man  bei  diesem  Worte  in  London  nicht  mehr  zu 
hören :  vgl.  Storm,  Engl.  Philologie  I,  95.  Unbekannt  ist  mir  disxern'  (statt 
dtzzern'  =  discern).  Bei  Wörtern  wie  examination  mufs  der  Nebenaccent, 
der  bei  examination  auf  der  zweiten  Silbe  liegt,  angegeben  werden  u.  s.  w. 

Bei  dem  deutsch-englischen  Teil  ist  namentHch  als  eine  glückliche 
Neuerung  der  Umstand  zu  erwähnen,  dafs  Bedeutungsschattierungen  durch 
Anführung  von  sinnverwandten  Ausdrücken  oder  durch  anderweitige  Er- 
läuterungen angegeben  werden.  Auch  hier  ist  die  Aussprache  wenigstens 
der  betonten  Vokale  bezeichnet.  Dafs  mitunter  kleine  Fehler  unterlaufen, 
ist,  da  der  Herausgeber  kein  Deutscher  ist,  zu  entschuldigen :  so  wird  der 
betonte  Vokal  in  Viertel,  vierzehn,  vierzig  als  lang  bezeichnet  und  ie  in 
Dnieper  und  Dniester  als  ein  Laut.  Für  Algier  wird  als  Aussprache 
dlsdiir  angegeben. 

Berlin.  Julius   Zupitza. 

How  the  wyse  man  taiight  hys  sone.  In  drei  Texten  heraus- 
gegeben von  Rudolf  Fischer.  Erlangen  u.  Leipzig,  Deichert, 
1889  (Erlanger  Beiträge  zur  englischen  Philologie  heraus- 
gegeben von  Hermann  Varnhagen  11).  VII  u.  64  S.  8. 
M.  1,20. 

Das  kleine  mittelenglische  Lehrgedicht  Ihm  thr  wyse  man  taught  hys 
sone  war  bisher  aus  drei  Handschriften   bekannt,    die   au    verschiedenen 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  23 


354  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Orten  gedruckt  waren.  Wir  sind  nun  R.  Fischer  zu  Dank  verpflichtet, 
dafs  er  uns  die  Lesarten  sämtlicher  bisher  aufgetauchten  sechs  Hand- 
schriften bequem  zugänglich  gemacht  hat.  Auch  verdient  er  Anerkennung 
für  den  Nachweis  mannigfacher  Anklänge  an  den  Inhalt  des  Gedichtes 
und  für  die  Beibringung  von  Parallelstellen.  Er  hat  die  sechs  Hand- 
schriften richtig  in  drei  je  zwei  Handschriften  umfassende  Gruiipen  «,  ß,  y 
geordnet  und  gezeigt,  dafs  /  der  Gruppe  «  näher  steht  als  der  Gruppe  ß. 
Aber  leider  hat  er  hier  Halt  gemacht.  Auf  den  Versuch,  das  ursprüng- 
liche Gedicht  möglichst  zu  rekonstruieren,  hat  er  verzichtet,  und  selbst 
die  leichtere  Aufgabe,  a,  ß,  y  herzustellen,  hat  er  nicht  in  Augriff  ge- 
nommen. Er  hat  sich  vielmehr  darauf  beschränkt,  die  im  ganzen  beste 
Handschrift  jeder  Gruppe  abzudrucken  und  nur  ganz  offenbare  P^ehler 
aus  der  anderen  zu  bessern. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

Treutalle  Sancti  Gregorii,  eine  mittelenglische  Legende.  In  zwei 
Texten  herausgegeben  von  Albert  Kaufmann.  Erlangen  und 
Leipzig,  Deichert,  1889  (Erlanger  Beiträge  zur  englischen 
Philologie  herausgeg.  von  Hermann  Varnhagen  III).  V  u. 
57  S.  8,    M.  1,20. 

Unter  dem  Trental  des  heihgen  Gregorius  verstand  man  dreifsig  in 
bestimmter  Reihenfolge  gelesene  Seelenmessen.  Wie  die  beiden  mittel- 
englischen  Erzählungen  berichten,  erscheint  die  in  Sünden  gestorbene 
Mutter  eines  Papstes  ihrem  Sohne  und  giebt  ihm  an,  dafs,  wenn  er  für 
sie  je  drei  Messen  innerhalb  der  Oktave  der  zehn  Feste  Weihnachten, 
Epiphanias,  Lichtmefs,  Maria  Verkündigung,  Ostern,  Himmelfahrt,  Pfing- 
sten, Trinitatis,  Maria  Himmelfahrt  und  Maria  Geburt  lese,  ihre  Seele  in 
den  Himmel  kommen  werde.  Der  Sohn  erfüllt  natürlich  den  Wunsch 
der  Mutter,  und  diese  erscheint  ihm  dann  noch  einmal,  um  ihm  zu 
danken,  und  zwar  in  so  herrlicher  Gestalt,  dafs  er  anfangs  glaubt,  die 
Himmelskönigin  zu  sehen. 

Die  englischen  Gedichte  gehen  auf  eine  bisher  noch  nicht  aufgefun- 
dene französische  oder  lateinische  Vorlage  zurück.  Das  ältere,  das  Kauf- 
mann noch  in  die  erste  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  setzt,  ist  in  vier  Auf- 
zeichnungen auf  uns  gekommen;  zwei  von  diesen  waren  schon  früher 
gedruckt,  von  einer  dritten  wenigstens  die  cMef  variations  mitgeteilt. 
Kaufmann  hat  den  anerkennenswerten  Versuch  gemacht,  auf  Grund  der 
gesamten  Überlieferung  einen  kritischen  Text  herzustellen.  Er  scheint 
mir  dabei  aber  den  Wert  der  von  ihm  zu  Grunde  gelegten  Handschrift, 
die  er  M  nennt,  überschätzt  zu  haben.  Wenn  er  S.  7  sagt,  dafs  sich  aus 
dem  Stammbaum  ergebe,  dafs  M  dem  Originale  am  nächsten  stehe,  so 
mufs  ich  das  bestreiten.  Der  Stammbaum  beweist  nur,  dafs  M  nicht 
aus  ß,  der  Quelle  von  «L,  und  nicht  aus  «,  der  Quelle  von  V,  und  V, 
geflossen  sei.  Zwischen  y,  der  Quelle  aller  vier  erhaltenen  Handschriften, 
und   M    kann    au    sich    eine   weit  gröfsere  Anzahl   von  Zwischengliedern 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  355 

liegen,   als  zwischen  y  und  V,  oder  Y,.    Jedenfalls  hätte  sich  Kaufmann 
in  der  Schreibung  weit  öfter  von  M  frei  machen  sollen. 

Von  dem  zweiten  Gedicht  sind  zwei  Aufzeichnungen  bekannt.  Die 
eine  in  einer  Edinburgher  Handschrift  hat  Turnbull  18 IP.  verr)ffentlicht. 
Kaufmann  hat  eine  Kollation  des  Druckes  mit  der  Handschrift  benutzt, 
doch  schien  ihm  diese  nach  S.  22  'nicht  überall  über  jeden  Zweifel  er- 
haben zu  sein',  und  so  hat  er  sich  mit  dem  Abdruck  der  zweiten  bisher 
uicht  benutzten  Handschrift  begnügt.  Er  hofft,  'in  nicht  allzu  langer 
Zeit  eine  von  kompetenter  Hand  angefertigte  Abschrift  zu  erhalten',  die 
er  dann  in  einer  Zeitschrift  veröffentlichen  will.  Nach  meiner  Ansicht 
hätte  er  doch  besser  gethan,  alles  zusammen  zu  geben:  die  später  not- 
Avendigen  Berichtigungen  hätte  sich  dann  jeder  leicht  eintragen  können. 

Ich  erlaube  mir  noch  Bemerkungen  zu  einigen  Einzelheiten.  S.  9 
sagt  Kaufmann:  'V.  111/12  stellt  M  gegen  «L  um,  doch  ist  die  letztere 
Stellung  mit  Rücksicht  auf  die  Chronologie  der  Feste  vorzuziehen.'  Er 
schreibt  demgemäfs  Tl/re  of  Maries  Natirite  And  of  the  Assumpcioun  othur 
thre.  Aber  so  ist  ja  gerade  die  Chronologie  in  Unordnung;  denn  Maria 
Geburt  ist  erst  am  8.  September,  dagegen  Maria  Himmelfahrt  schon  am 
15.  August.  Vgl.  auch  den  jüngeren  Text  73  f.  Thre  of  the  Assumpcijon 
of  our  lady,  Thre  of  here  Nativite  und  die  S.  50  aus  dem  Bolce  of  Brome 
citierte  Stelle  ///  of  the  Assumpeion  of  oivre  lady,  III  of  the  Nateuite  of 
oure  lady.  So  ist  also  gegen  die  Reihenfolge  in  M  Ami  of  our  ladyes 
Assumpcioun  othur  thre  And  of  her  joyfidl  Natiuite  thre  nichts  einzuwenden. 
ß  hat  Assumpcioun  hinter  Natiuite  gesetzt,  «  aber  diesen  Fehler  bemerkt 
und  dadurch  gebessert,  dafs  es  Concepcioun  für  Assumpcioun  schrieb :  die 
Chronologie  (8.  September  und  8.  Dezember)  ist  hier  wieder  in  Ordnung; 
aber,  wie  in  M,  macht  auch  an  den  vorhin  angeführten  Stellen  Maria 
Geburt  den  Beschlufs.  —  Die  Bemerkungen  über  Sprache  und  Dialekt 
des  älteren  Gedichts  S.  10  f.  sind  nicht  vollständig  genug:  man  erfährt 
z.  B.  nichts  über  das  Verhalten  von  ae.  ä  (vgl.  besonders  mo  172  : 
do),  über  das  durch  den  Reim  gesicherte  Pronomen  she  97.  159  (:  be). 
Im  Text  V.  32  steht  nicht,  wie  man  nach  S.  11  vermuten  sollte,  das 
Participium  knou-e,  sondern  der  Infinitiv  beknowe.  —  S.  45  lesen  wir  als 
V.  42  der  jüngeren  Bearbeitung  To  teile  my  state  nntli.  sloirthe.  Kaufmann 
bemerkt  S.  55  mit  Recht  dazu,  dafs  with  dowthc  fehlerhaft  scheint.  Wenn 
er  aber  dafür  I  will  not  slouihe  vermutet,  so  ist  es  fraglich,  ob  sich  sloicfheu 
als  einfaches  Verb  noch  so  spät  nachweisen  läfst  (mit  for-  kommt  es  ja 
allerdings  bei  Chaucer  und  WiUiam  Langland  vor).  Ich  glaube,  dafs  für 
ivith  zu  schreiben  ist  withoirten.  —  S.  4(3,  V.  79  ist  or  doch  wohl  Kon- 
junktion :  or  ye  syng  'ehe  Ihr  die  Messe  leset' ;  nach  78  ist  nur  ein  Komma 
zu  setzen.  —  Zu  S.  47,  V.  98  Men  hyt  call  stalc  ccly  bemerkt  Kaufmann 
S.  55,  dafs  stalc  ccly  keinen  Sinn  gebe  und  vermutlich  ein  Schreibfehler 
für  scala  celi  oder  Stella  ccli  sei.  Aber  die  zweite  Konjektur  ist  über- 
flüssig; vgl.  z.  B.  Statious  of  Rome  (In  Verse  from  the  Vernon  MS.)  ed. 
Furnivall  117  ff.  In  that  place  (Rom)  a  chapel  is,  Scala  celi  elepet  hit  is: 
'Laddere  of  heuene'  men  clepefh  hitte  und  das  bei  Furnivall  a.  a.  O.  abge- 

23* 


856  BeiirteiluDgeu  und  kurze  Anzeiger». 

druckte  Prosastück  p.  81  And  ther  ys  a  chappelle,  tluit  oien  ealle  sclialla 
cely,  that  ys  of  oure  lady.  —  Die  für  S.  48,  V.  160  vorgeschlagene  Ände- 
rung rafte  für  raffe  ist  wohl  abzuweisen :  raffe  ist  entweder  als  Inter- 
jektion zu  fassen  oder  :=  in  raff  'schnell'  (vgl.  Tristrem  328?).  —  S.  49, 
V.  188  ist  wohl  zu  schreiben  Hys  sowie  for  thys  in  peyn  schal  lye:  statt 
tkys  hat  die  Hs.  kys.  —  S.  49,  V.  190  send  ist  in  fend  zu  ändern. 
Berlin.  Julius  Zupitza. 

IJl)er  das  Fehlen  des  Auftaktes  in  Chaucers  heroischem  Verse. 
Von  Markus  Freudenberger.  Erlangen  u.  Leipzig,  Deichert, 
1889  (Erlanger  Beiträge  zur  englischen  Philologie  heraus- 
gegeben von  Hermann  Varnhagen  IV).  VII  u.  92  S.  8. 
M.  1,60. 

Schon  Tyrwhitt  hat  behauptet,  dafs  Chaucer  seinen  heroischen  Vers 
nicht  ohne  Auftakt  gebraucht  habe.  In  neuerer  Zeit  hat  sich  besonders 
entschieden  ten  Brink  für  diese  Ansicht  ausgesprochen.  Ich  habe  sie 
niemals  für  richtig  gehalten,  und  es  freut  mich,  dafs  der  Verfasser  der 
oben  verzeichneten  Schrift  ebenfalls  zu  dem  Ergebnis  gelangt  ist  (S.  83), 
dafs  'Chaucer  auftaktlose  heroische  Verse  ebensogut  aus  der  Feder  ge- 
flossen sind,  wie  auftaktlose  vierhebige'. 

Berlin.  Julius   Zupitza. 

Die  Historia  Septem  Sapientum  nach  der  Innsbrucker  Handschrift 
vom  Jahre  1342.  Nebst  einer  Untersuchung  über  die  Quelle 
der  Seuin  Seages  des  Johne  RoUaud  von  Dalkeith.  Von 
Georg  Buchner.  Erlangen  und  Leipzig,  Deichert,  1889  (Er- 
langer Beiträge  zur  engHschen  Philologie  herausgegeben  von 
Hermann  Varnhagen  V).     IV  u.  117  S.  8.     M.  2. 

Die  Zeit  für  eine  kritische  Ausgabe  der  Historia  Septem  Sapientmn 
auf  Grund  sämtücher  Handschriften  und  Drucke  hält  Buchner  noch  nicht 
für  gekommen,  weil  er  (und  gewifs  mit  Recht)  der  Ansicht  ist,  dafs  die 
ihm  bekannt  gewordenen  IG  Handschriften  nur  einen  kleinen  Bruchteil 
der  überhaupt  vorhandenen  bilden.  Da  indessen  das  Werk  für  litterar- 
historische  und  sagengeschichtliche  Untersuchungen  von  sehr  grol'ser  Wich- 
tigkeit ist,  Handschriften  und  alte  Drucke  desselben  aber  nur  wenigen 
zur  Hand  sind,  hat  uns  Büchner  durch  den  Abdruck  der  ältesten  be- 
kannten Handschrift  in  der  That  zu  Dank  verpflichtet.  Zur  Besserung 
von  Fehlern  in  derselben  hat  er  vier  Münchener  Codices  und  einige  alte 
Drucke  benutzt.  In  einem  Anhange  beweist  er,  dafs  die  Quelle  für  John 
RoUands  schottische  Versifizierung  der  Geschichte  von  den  Sieben  Weisen 
Meistern  die  von  Wynkyn  de  Worde  gedruckte  englische  Prosaerzählung 
gewesen  sei,  die  vor  einigen  Jahren  (1885)  G.  L.  Gomme  unter  dem  Titel 
The  History  of  the  Seven  Wise  Masters  of  Romc  für  die  Villon  Societj'  neu 
herausgegeben  hat. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  357 

Marlowes  AVerke.  Historisch -kritische  Ausgabe  von  Hermann 
Breymann  und  Albrecht  Wagner.  H.  Doctor  Faustus  her- 
ausgegeben von  Hermann  Breymann.  Heilbronn,  Henninger, 
1889  (Enghsche  Sprach-  und  Litteraturdenkmale  des  16., 
17.  und  18.  Jahrhunderts  herausgeg.  von  Karl  A^ollmöUer  5). 
LV  und  198  S.  8.    M.  4. 

Die  älteste  bekannte  Ausgabe  von  Marlowes  Doctor  Faustus,  A',  ist 
vom  Jahre  1604.  A^  vom  Jahre  1609  ist  ein  zum  Teil  verbesserter,  noch 
mehr  aber  verschlechterter  Abdruck  von  A'.  Dasselbe  Verhältnis,  wie 
zwischen  A-  und  A',  wird  auch  wohl  zwischen  A^  und  A-  vorhanden 
sein:  leider  aber  ist  es  Breymanns  vieljährigen  Bemühungen  nicht  ge- 
lungen, den  gegenwärtigen  Aufenthalt  des  einzigen  bisher  aufgetauchten 
(früher  Heberschen)  Exemplars  von  A^  aus  dem  Jahre  1611  zu  ermitteln. 
Von  dem  uns  also  vorläufig  nur  aus  A'  und  A^  bekannten  A-Text  weicht 
der  B-Text,  den  die  späteren  alten  Drucke  bieten,  bedeutend  ab:  B'  er- 
schien 1616,  B=  1619,  B*  1620,  B"  1621,  B^  1631,  B^  1663.  B^  ist  im 
wesentlichen  ein  Abdruck  von  B',  B^  ein  Abdruck  von  B-  u.  s.  w. ;  B" 
aber  ist  zum  Teil  eine  Umarbeitung  von  B\  Das  Hauptverdienst  der 
Breymannschen  Ausgabe  besteht  darin,  dafs  er,  abgesehen  von  B",  aus 
dem  er  in  den  späteren  Scenen  nur  die  wichtigeren  Sinnvarianten  an- 
führt, die  gesamte  Varia  lectio  der  alten  Drucke  verzeichnet.  Links  giebt 
er  den  A-Text,  rechts  den  B-Text,  was  für  die  Vergleichung  natürlich 
weit  bequemer  ist,  als  wenn,  wie  bei  früheren  Herausgebern  des  Doctor 
Faustus,  soweit  diese  überhaupt  von  den  zwei  Texten  Notiz  genommen 
haben,  dieselben  hintereinander  stehen. 

Über  sein  Verfahren  äufsert  sich  Breymann  S.  LIV  so :  'Ich  bin  . . . 
bestrebt  gewesen,  den  Text  der  beiden  ältesten  Quartos  so  genau  als 
möglich  wiederzugeben  mit  Ausnahme  dessen,  was  sich  als  absoluter  Un- 
sinn oder  andere  oifenbare  Verderbnis  herausstellt.  Es  sind  daher  nur 
diejenigen  Fehler,  welche  meines  Erachtens  auf  Rechnung  des  gedanken- 
losen Interpolators  oder  des  nachlässigen  Setzers  kommen,  verbessert, 
dagegen  die  Inkonsequenzen  der  alten  Orthographie  und  der  Interpunktion 
beibehalten  worden;  jede,  auch  die  geringfügigste  Abweichung  von  den 
ältesten  Texten  wird  durch  ein  nachgesetztes  *,  jeder  Zusatz  durch  [  ] 
bezeichnet.'  Ich  mufs  gestehen,  dafs  mich  die  vielen  Sternchen  und 
Klammern  einigermal'sen  in  der  Lektüre  stören,  und  wie  mir  wird  es  wohl 
noch  manchem  gehen.  Vielleicht  wäre  es  doch  das  Beste  gewesen,  wenn 
Breymann  A'  und  B'  mit  allen  ihren  Fehlern  abgedruckt  und  unter  den 
Text  die  Varianten  der  übrigen  Ausgaben  gesetzt  hätte.  Namentlich 
beim  B-Text  scheint  er  mir  sehr  oft  in  seinen  Änderungen  zu  weit  ge- 
gangen zu  sein  und  nicht  blofse  Fehler  der  Überlieferung,  sondern  den 
oder  die  Umarbeiter,  dem  oder  denen  wir  den  Text  B  verdanken,  korri- 
giert zu  haben. 

Aufser  den  Varianten  der  alten  Drucke  hat  Breymann  auch  die  Ver- 
besserungsvorschläge  der   späteren  Herausgeber   und  Erklärer   sorgfältig 


358  Iknirtcilungen  und  kurze  Anzeigen. 

verzeichnet.  Auf  einen  solchen,  den  Breyniaiui  in  beide  Texte  aufgenom- 
men hat,  erlaube  ich  mir  hier  einzugehen.  Die  alten  Ausgaben  (A  2h<>, 
B  215)  bieten  in  M'esentlicher  Übereinstimmung  (ich  regle  die  Interpunk- 
tion und  die  Initialen)  Ignei,  äerii,  aquatani  (aqiiitayii  W  6)  spiritus,  sal- 
uete.  K.  J.  Schröer  hat  nun  in  seiner  Ausgabe  von  Goethes  Faust  I ', 
XXV,  Anm.  und  Anglia  V,  1B5  ff.  mit  Recht  geltend  gemacht,  dafs  Mar- 
lowe  alle  vier,  nicht  blofs  drei  Klassen  von  Elementargeistern  hier  ange- 
führt haben  wird.  Schröers  Vorschlag  aber,  lynls,  aeris,  aquee,  terrae 
Spiritus,  salude,  ist  gewaltsamer  als  nötig  ist.  Gleich  beim  Erscheinen 
des  erwähnten  Heftes  der  Anglia  bemerkte  ein  klassischer  Kollege,  der 
nicht  genannt  sein  will,  mir  gegenüber,  dafs  Ignei,  aerii  natürlich  zu 
lassen  und  nur  für  aqnatani  zwei  Adjektiva  zu  schreiben  seien :  am  näch- 
sten liegt  wohl  aquatiei,  terreni.  In  den  Text  B  Avürde  ich  au  dieser 
Stelle  diese  Konjektur  nicht  setzen;  denn  offenbar  ist  bei  der  Umarbei- 
tung die  Lesart  aus  A  unbeanstandet  übernommen  worden. 

Unbekannt  geblieben  zu  sein  scheint  Breymann  die  Marlowe- Ausgabe 
in  der  Mennaid  Series.  Sie  führt  den  Titel  Christopher  Marlowe  edited 
by  Havelock  Ellis.  With  a  General  Introduction  mi  the  Emjlish  Drama 
during  the  Reigns  of  Elizabeth  and  James  I.  by  J.  A.  Sgmonds.  London, 
Vixetelly  cO  Co.,  1887.  Auf  die  freilich  aufserordentlich  schwierige  Frage, 
was  von  dem  überlieferten  Doctor  Faustus  Marlowe  zuzuschreiben  sei, 
was  dagegen  von  fremder  Hand  herrühre,  ist  Breymann  nicht  eingegangen. 
Auch  fehlen  die  sonst  bei  der  VoUmöllerschen  Sammlung  üblichen  Er- 
läuterungen. Doch  wollen  wir  dem  Herausgeber  daraus  keinen  Vorwurf 
machen,  sondern  ihm  lieber  herzlich  dafür  danken,  dafs  er  es  nun  jedem 
ermöglicht  hat,  sich  über  die  Lesarten  der  alten  Ausgaben  und  späteren 
Herausgeber  und  Erläuterer  des  für  uns  Deutsche  ja  doch  interessantesten 
von  j\Iarlowes  Dramen  bequem  zu  unterrichten. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

Marlowes  Werke.  Historisch -kritische  Ausgabe  von  Hermann 
Breymann  und  Albrecht  Wagner.  IH.  The  lew  of  Maha 
herausgegeben  von  Albrecht  Wagner.  Heilbronn,  Henninger, 
1889  (Englische  Sprach-  und  Litteraturdenkmale  des  16., 
17.  und  18.  Jahrhunderts  herausgeg.  von  Karl  Vollmöller  8). 
XIV  u.  111  S.  8.     M.  2. 

Diese  Ausgabe  des  Jew  of  Malta  ist  schon  deshalb  mit  Freuden  zu 
begrülsen,  weil  sie  der  erste  Neudruck  ist,  der  die  Schreibung  der  Editio 
princeps  nicht  modernisiert  hat.  Freilich  das  Modernisieren  und  Regu- 
lieren ist  bei  der  Herausgabe  von  Denkmälern  aus  dem  Anfang  des  Neu- 
englischen so  lange  für  ganz  selbstverständlich  angesehen  worden,  dafs 
auch  solche  Gelehrte,  die  grundsätzlich  dagegen  sind,  doch  in  einzelnen 
Fällen  die  allgemeine  Übung  mitmachen.  Auch  Wagner  ist  hiervon  nicht 
ganz  frei.  So  schreibt  er  z.  B.  154;'>  Seuill  statt  der  überlieferten  Form 
CiMill.    Aber  so  wurde  der  Name  von  Sevilla  in  älterer  Zeit  auch  sonst 


Beurteiluugeu  und  kurze  Anzeigen.  359 

geschrieben;  vgl.  Murray  II,  4-17 a,  wo  freilich  noch  keine  Belege  gegeben 
sind,  und  das  u.  a.  bei  Shakspere  in  Much  Ado  Ahout  Nothing  II,  1,  304 
vorkommende  Sprichwort  Ciuil  as  an  orange.  Auch  Scituation  2207 
brauchte  nicht  in  Situation  geändert  zu  werden,  da  mau  in  älterer  Zeit 
öfter  sc  schrieb,  wo  jetzt  nur  s  gilt. 

Da  der  Jew  of  Malta  nur  in  einer  einzigen  alten  Ausgabe  vorliegt,  ist 
das  kritische  Verfahren  einfach.  Man  mufs  sich  eben  an  die  überlieferte 
Lesart  halten,  falls  man  nicht  einen  triftigen  Grund  hat,  in  der  Über- 
lieferung einen  Fehler  zu  vermuten.  Dafs  in  dieselbe  sich  Verderbnisse 
eingeschlichen  haben,  ist  nicht  zu  verwundern,  da  das  Stück,  obgleich 
schon  wahrscheinlich  1588  entstanden,  erst  1633  von  dem  Dramatiker 
Thomas  Hey  wood  durch  den  Druck  veröffentlicht  worden  ist.  Eine  grofse 
Anzahl  von  Fehlern  hat  bereits  Dyce  verbessert,  den  einen  oder  anderen 
auch  andere  Herausgeber.  Indessen  ist  die  Nachlese,  die  Wagner  nament- 
lich von  metrischen  Gesichtspunkten  aus  gehalten  hat,  keineswegs  unbe- 
deutend. Die  Anmerkungen  gehen  ebenfalls  vorzugsweise  auf  metrische 
Sch^\^erigkeiten  ein.  jVIitunter  kommt  es  mir  vor,  als  ob  Wagner  den 
Standpunkt  seiner  Leser  sich  etwas  zu  niedrig  vorgestellt  hätte.  S.  Ol, 
Anm.  zu  178  hätte  er  nicht  die  falschen  Formen  tidian,  tidede  (statt  tklan, 
tidde)  ohne  Berichtigung  aus  Mätzner  entlehnen  sollen.  W^enn  er  S.  109 
zu  1974  zur  Empfehlung  der  Konjektur  von  Bullen  bemerkt,  dafs  sich 
der  Fehler  masty  statt  musty  einfach  und  leicht  durch  die  Aussprache 
erkläre,  so  ist  daran  zu  erinnern,  dafs  u  zu  Marlowes  und  selbst  zu  Hey- 
woods Zeit  noch  keineswegs  die  «-ähnliche  Aussprache  hatte,  die  es  jetzt 
im  Munde  der  Südengländer  zeigt. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

Percy^s  Reliques  of  Ancieut  Euglish  Poetiy  nach  der  ersten  Aus- 
gabe von  1765  mit  den  Varianten  der  späteren  Original- 
ausgaben herausgegeben  und  mit  Einleitung,  Anmerkungen 
und  den  erhaltenen  Singweisen  versehen  von  M.  M.  A.  Schröer. 
l.  Hälfte.  Heilbronn,  Henninger,  1889  (Englische  Sprach- 
und  Litteraturdenkmale  des  16.,  17.  und  18.  Jahrhunderts 
herausgeg.  von  Karl  Vollmöller  6).  V  u.  524  S.  8  nebst 
einer  Musikbeilage.     M.  8. 

Percys  Reliques,  die  so  aufserordentlichen  Einfluls  gehabt  haben  auf 
die  Entwickeluug  nicht  blofs  der  englischen,  sondern  auch  der  deutschen 
Litteratur,  in  einer  den  gegenwärtigen  Bedürfnissen  der  Wissenschaft  ent- 
sprechenden Weise  herauszugeben,  war  ein  guter  Gedanke.  Über  die 
Ausführung  desselben  wird  sich  erst  urteilen  lassen,  wenn  auch  die  zweite 
Hälfte  erschienen  sein  wird.  Der  vorliegende  erste  Teil  enthält  den  Ab- 
druck des  ersten  und  zweiten  von  den  drei  Bänden  der  ersten  Ausgabe 
vom  Jahre  17(35.  Der  zweite  Teil  wird  den  iVbdruck  des  dritten  Bandes 
bringen,  die  Variauten  der  drei  späteren  Originalausgaben  der  Reliques 
und  die  Beigaben  des  Herausgebers.    Hoflbntlich  giebt  uns  das  Erscheinen 


360  Iknirtfiliingen  iiiul  kurze  Aiizeigeu. 

des  Bchlufsbandcs  bald  Gelegeuheit,  auf  das  ganze  Werk  einzugehen ; 
vorläufig  sei  nur  auf  ein  paar  Druckfehler  aufmerksam  gemacht,  die  sich 
in  den  Abdruck  der  Widmung,  der  Vorrede  und  der  Abhandlung  über 
die  Minstrels  eingeschlichen  haben:  1.  6,  11  yenius  st.  yeuius;  7,  S  pos- 
session  st.  prossession;  12,  7  Brilons  st.  Baritons;  13,  28  und  14,  2  which 
st.  ivich.  J.  Z. 


Programmschau. 

Friedrich    Rückert    in    Erlangen.     Von    Oberlehrer    Fr.   Reuter. 
Programm  des  Gymnasiums  in  Altona  1888.     64  S.  gr.  8. 

Zum  Andenken  an  den  hundertsten  Geburtstag  Rückerts  sind  diese 
Blätter  geschrieben.  Sie  haben  einen  vorzüglichen  Wert.  Sie  atmen 
durchweg  die  hingehendste  Liebe  zu  dem  Dichter,  sie  bringen  viel  Neues. 
Es  stammt  aus  Erzählungen  im  Elternhause,  aus  dem  Munde  Döderleins 
und  des  Schulrats  Elsperger,  der  dem  Rückertschen  Kreise  nicht  fern 
stand,  von  Kindern  und  Enkeln  Rückerts,  aus  Familienpapieren,  beson- 
ders aus  dem  Nachlafs  Jos.  Kopps,  bei  dem  eben  für  das  Verständnis 
der  Rückertschen  Lyrik  der  beste  Aufschlufs  zu  finden  ist.  Danach  hat 
der  Verfasser  den  Dichter  in  seiner  ersten  Erlanger  Periode  und  seine 
Umgebung  zu  zeichnen  versucht;  dort  macht  er  uns  ganz  heimisch;  alle 
Personen,  mit  denen  er  in  nähere  Berührung  kam,  sein  amtliches,  sein 
häusliches  Leben  lernen  wir  genau  kennen,  und  damit  gewinnen  wir  den 
besten  Kommentar  für  die  Gedichte  dieser  Periode.  Es  ist  ein  aufser- 
ordentlicher  Sammelfleifs,  dem  wir  hier  begegnen,  für  uns  sehr  wertvoll 
und  den  Wunsch  nach  Mehr  und  Ahnlichem  anregend;  zu  bescheiden 
spricht  der  Verfasser  im  Nachwort  von  sich  selbst.  Eine  kurze  Andeu- 
tung des  reichen  Inhalts  mag  dies  Urteil  bestätigen.  Nach  der  knappen 
Übersicht  über  das  Vorleben  des  Dichters  erfahren  wir  die  Verhandlun- 
gen übfer  die  Anstellung  in  Erlangen  und  die  erste  Einrichtung,  dann 
erhalten  wir  einen  Überblick  über  das  Leben  des  Dichters  1826 — 1833  und 
die  Beziehungen  darauf,  auf  Zustände  und  Personen,  in  den  Gedichten. 
Genauer  wird  der  Boden,  auf  dem  sich  der  Dichter  bewegte,  in  dem  Ab- 
schnitt über  Erlangens  politische  Schicksale  und  die  Anfänge  der  religiösen 
Bewegung  geschildert,  besonders  eingehend  die  Kollegen  Rückerts,  der 
Mediziner  Henke,  der  Theologe  Engelhardt,  der  Naturforscher  Schubert, 
der  Mathematiker  Pfaff,  Döderlein,  Schelling  und  seine  Frau,  Karl  von 
Raumer,  Hermann  Olshausen,  vor  allen  Joseph  Kopp,  der  mehr  als  alle 
Rückert  innerlich  nahe  gestanden  hat :  seine  Aufzeichnungen  sind  bei  der 
Darstellung  von  Rückerts  Erlanger  Verhältnissen  als  denen  des  Dichters 
selbst  nahezu  gleichartig  zu  betrachten.  Auf  Kopps  Leben  geht  der  Ver- 
fasser genau  ein;  Kopp  hat  Rückert  zu  F.  H.  Jacobis  und  Schellings 
Philosophie  hingeführt,  auf  Kopp  beziehen  sich  Anklänge  in  Rückertschen 
Gedichten.  Mit  gleicher  Liebe  werden  Frau  und  Kinder  Rückerts  vor- 
geführt,   manches   Gedicht   erhält   neue_  Beleuchtung.     Dann   folgt   eine 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  361 

Schilderung  des  Alltagslebens  und  des  geselligen  Verkehrs,  immer  mit 
Ausbeute  für  das  Verständnis  von  Gedichten,  schliefslich  aber  der  dem 
Dichter  so  teuren  Familie  Kopp,  und  mit  einem  Gedichte  Rückerts  au 
eine  Tochter  Kopps,  Emilie,  einem  Schwanengesang  von  1865,  endet  der 
Verfasser  die  schönen  Gaben  aus  dem  reichen  Füllhorn. 

Ein  Beitrag  zu  einer  Biographie  Max  von  Schenkendorfs.  Von 
Dr.  Drescher.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Mainz  1888. 
35  S.  4. 

Die  auf  genauer  Kenntnis  der  hierher  gehörigen  Litteratur  beruhende 
Darstellung  des  äufseren  Lebensganges  des  Dichters,  durchwoben  mit 
manchen  Belegstellen  aus  seinen  Gedichten,  führt  uns  aus  seinem  Vater- 
hause nach  Königsberg  in  das  Auerswaldsche  und  Barkleysche  Haus  und 
in  seine  ersten  schriftstellerischen  Versuche  in  der  von  ihm  und  Ferd. 
von  Schrötter  herausgegebenen  Zeitschrift  Vesta.  Wir  hören  von  dem 
geistig  regsamen  Leben  in  dem  'poetischen  Männerbund',  von  dem  ver- 
hängnisvollen Duell,  dann  von  seiner  Übersiedelung  nach  Karlsruhe  und 
seiner  Vermählung,  von  seinem  Eintritt  ins  Heer  181o,  endlich  von  seinem 
Koblenzer  Aufenthalt.  Manche  sonst  noch  ;nicht  verwertete  Mitteilung 
hat  der  Verfasser  der  Koblenzer  Zeitung  entlehnt,  auch  die  ausführliche 
Erzählung  von  Fouqu4  über  sein  Zusammenleben  mit  Schenkendorf 
wiederholt.  Mit  vorurteilsfreier  Liebe  charakterisiert  der  Verfasser  den 
edlen  begeisterten  Dichter.  Im  Anhange  bringt  er  drei  in  Hagens  Bio- 
graphie fehlende  Briefe  aus  Karoline  von  Wolzogens  Nachlafs  (1849),  einen 
Brief  von  1815  an  dieselbe  und  aus  Bädekers  Autographensammlung 
zwei  Briefe  an  den  befreundeten  Land  rat  Baersch;  eine  dankenswerte  Bei- 
lage ist 'auch  das  Faksimile  der  Namensunterschrift  Schenkendorfs  aus 
einem  Aktenstück  der  Koblenzer  Regierung. 

Zur  Geschichte  des  Arminius-Kultus  in  der  deutschen  Litteratur. 
Eine   Ktterarhistorische  Abhandlung   von   Dr.   P.   von   Hof- 
mann-Wellendorf.    3.  Teil   (Schkifs).     Programm   der   Ober- 
^  realschule  zu  Graz  1888.     42  S.  gr.  8. 

Wie  die  früheren  Teile,  so  zeugt  auch  dieser  Schlufsteil  von  einer 
ganz  ungewöhnlichen  Belesenheit  in  der  überaus  reichen  Litteratur;  aber 
nicht  blofs  der  Fleifs  des  Verfassers,  der  uns  auch  ungedruckte  Schätze 
vorführt,  sondern  auch  sein  verständiges  Urteil  verdienen  alles  Lob.  Von 
dem  grofsen  Reichtum  der  Litteratur,  die  uns  der  Verfasser,  zum  Teil  in 
Auszügen,  vorführt,  mag  eine  Übersicht  der  besprocheneu  Werke  eine  Vor- 
stellung geben.  Es  beginnt  dieser  Teil  mit  dem  Zeitalter  Friedrichs  des 
Grofsen.  Aus  Gottscheds  Schule  stammt  das  lobenswerte  Trauerspiel  von 
Joh.  El.  Schlegel  1741,  Hermann,  au  welches  sich  Joh.  Andr.  Cramers 
Ode  Hermann  1744  schliefst.  Darauf  bespricht  der  Verfasser  zwei  Opern- 
bücher, Arminio  vom  sächsischen  Hofpoeten  Pasquini  (Musik  vou  Hasse) 


1362  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

von  1715,  Thusnelda  vom  dänischen  Hofkapellmeister  Scheibe.  Matter 
als  Schlegels  Hermann  ist  Justus  Mosers  Tragfklie  Arminius  17If».  Hier- 
her gehört  auch  des  Freiherrn  von  Schönaich  Heldengedicht  Hermann 
oder  das  befreyte  Deutschland  1751,  in  dem  zuerst  das  Bardentum  her- 
vortritt; von  demselben  rührt  auch  her  das  Trauerspiel  'Thusnelda  und 
Hermann'  1754,  dem  verwandt  ist  das  1773  in  Salzburg  aufgeführte 
Schuldrama  'Hermann'.  Aus  der  Bodmerschen  Schule  stammt  Wiclands 
epischer  Versuch,  erst  neuerdings  bekannt  geworden.  In  dem  Anhang 
zu  seiner  Streitschrift  'Ankündigung  einer  Dunciade  für  die  Deutschen' 
brachte  er  gegen  Schönaich  einen  'verbesserten  Hermann'.  Durch  das 
von  Lessing  in  der  Hamburgischen  Dramaturgie  besprochene  Stück  Du 
Bellays  'Sifege  de  Calais'  wurde  Cornelius  von  Ayrenliofi"  zu  seinem  nüch- 
ternen Drama  'Hermann'  veranlafst,  doch  ist  die  patriotische  Gesinnung 
anerkennungswert.  Desselben  'Tumelicus  oder  der  gerächte  Hermann' 
1744  zeigt  schon  die  Einwirkung  der  Klopstockschen  Bardiete.  Es  folgen 
nun  Klopstocks  Arminius-Dichtungen ;  hier  spielen  bekanntlich  die  Bar- 
den eine  grofse  Rolle.  Langweilig  ist  Bodmers  Drama  'Die  Cherusker' 
1778,  wunderlich  Willamovs  Dithyrambus  17G6.  Der  Barde  Rhingulph 
oder  Kretschmann  verherrlichte  von  1768  an  Hermann  in  mehreren  episch- 
lyrischen Dichtungen,  die  viel  Anerkennung,  aber  auch  Gegner  gefun- 
den haben;  sein  drittes  Herrn  an  nsbardiet  hat  er  erst  1802  veröffentlicht. 
Zu  den  Barden  kann  auch  gerechnet  werden  Fr.  Dav.  Gräter,  er  ist  der 
kräftigste  derselben.  Weckung  des  vaterländischen  Sinnes  bezweckte  auch 
die  Zeitschrift  'Der  Deutsche'  1771 — 1774.  Eine  verworrene,  formlose 
Biographie  ist  des  H.  W.  von  Beris  'Hermann  der  Cherusker  Fürst  und 
Nationalheld  der  Teutschen'  1777.  Auch  die  Göttinger  Dichter  feierten 
Hermanns  Freiheitskampf,  so  L.  v.  Stolberg,  Vofs,  in  merkwürdiger 
Weise  Leisewitz  mit  der  dramatischen  Scene  'Der  Besuch  um  Mitter- 
nacht' 1775,  auch  Kästner  1774  in  'Hermann,  Varus  und  Thuisto'.  Eine 
typische  Gestalt  hat  Arminius  in  der  Lyrik  des  Jahrhunderts  gewonnen, 
er  wird  zu  Vergleichen  zwischen  einst  und  jetzt  benutzt,  von  Uz  in  sei- 
nen Gedichten,  von  Schink  1781  in  einem  Epigramm.  Aber  er  wird  auch 
mifsbraucht  zum  Preise  fürstlicher  Personen,  die  neben  ihm  sehr  hervor- 
gehoben werden,  namentlich  Joseph  II.  besonders  durch  österreichische 
Dichter,  aber  auch  von  Schubart  in  der  'Deutschen  Freiheit'  178<J.  Selten 
gedenken  seiner  Ramler  imd  Gleim  in  ihren  patriotischen  Liedern.  Wie 
Hermann  mehr  und  mehr  zum  Typus  des  deutschen  Befreiers  geworden, 
die  Sehnsucht  nach  ihm  gewachsen  ist,  zeigt  sich  im  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts, so  bei  Fr.  Chr.  Schlenkert  1800,  bei  Venturini  in  der  Erzäh- 
lung 'Hermann  der  Sassen  Herzog',  einer  bewufsten  Tendenzschrift,  einer 
Kulturgeschichte  des  altdeutschen  Landes  und  Volkes.  Denselben  Zweck 
verfolgt  1805  die  Zeitschrift  Alruna,  1808  Th.  Heinsius'  Bardenhain  für 
Deutschlands  edle  Söhne  und  Töchter.  Als  Verkörperung  des  germani- 
schen Thatendrauges  erscheint  Hermann  in  der  Lyrik  der  Befreiungs- 
kriege, bei  Stägemann,  Arndt,  Schenkendorf,  auch  bei  geringeren  Dich- 
tern, so  in  'Des  teutschen  Volkes  feurigem  Dank-  und  Ehrentempel'  1815. 


Beurteihiugeo  und  kurze  Anzeigen.  363 

Vor  allen  Dichtungen  der  Zeit  ragt  herv'or  H.  von  Kleists  'Hermanns- 
schlacht', 1808  entstanden.  Doch  ist  nicht  ganz  ohne  Wert  Lommers 
Schauspiel  'Hermann  der  Cherusker  oder  die  Waldschlacht  der  Teutschen' 
1813.  Ein  Tendenzstück  ist  Aloys  Schreibers  'Marbod  und  Hermann  oder 
der  erste  deutsche  Bund'  1814,  ebenso  Kotzebues  heroische  Oper  'Her- 
mann und  Thusnelda'  1813.  Fr.  Förster  hat  sein  'Hermanns-Fest'  1815 
dem  Andenken  Th.  Körners  gewidmet.  Eine  wackere  Empfindung  ist 
auch  dem  Epos  Jos.  von  Hinsbergs  'Armin  der  Cheruskerfürst'  1814  nicht 
abzusprechen;  ^^ele  Schönheiten  bewahrt  Fouques  romantisches  Helden- 
spiel 'Hermann'  1818.  Ladislaus  Pyrker  gedenkt  in  seiner  'Tunisias'  neben 
den  anderen  Helden  auch  Hermanns.  Der  erste  Schmuck  in  des  Königs 
Ludwig  von  Bayern  Walhalla  ward  die  Gestalt  Hermanns.  Aber  auch 
nachher  wird  der  Cherusker  noch  gefeiert  in  den  Gedichten  Ffizers  und 
Hoffmanns  von  Fallersleben.  In  der  epischen  und  dramatischen  Dich- 
tung hat  er  seine  Anziehungskraft  nicht  verloren,  denken  wir  nur  an 
Grabbe.  Zu  den  Gedichten  der  letzten  Jahrzehnte  sei  schliefslich  hier 
noch  hinzugefügt:  O.  Reichardt:  Hermann,  Drama,  5  Akte,  Herford  1877, 
welches  eine  Bühnenaufführung  erfahren  hat. 

Wilhelm  Jordans  Bedeutung  für  den  Jugendunterricht.  Ein  Vor- 
trag von  Dr.  Georg  Bünger.  Programm  des  Gymnasiums 
zu  Baden  1888.     25  S.  4. 

Der  Verfasser  gehört  zu  den  begeisterten  Verehrern  des  Dichters,  er 
wünscht,  dafs  mit  dessen  Dichtungen  durch  die  Schule  die  deutsche 
Jugend  genau  bekannt  gemacht  werden,  dafs  dieselben  die  Stelle  der  alten 
überlieferten  Dichtungen  vertreten  mögen.  Einzelnes,  was  er  gegen  die 
letzteren  einwendet,  findet  seine  Erledigung  durch  angemessene  Ausgaben, 
unter  denen  ihrer  ganzen  Einrichtung  nach  die  von  Kamp  hervorzuheben 
ist.  Den  ungemein  hohen  Wert  der  Dichtungen  Jordans,  den  einheit- 
lichen Gesichtspunkt,  unter  den  er  die  seltsamen  Verschiebungen  der 
Überlieferung  zu  bringen  verstanden  hat,  die  Naturwahrheit  in  seinen 
Schilderungen,  sei  es  der  äulseren  Vorgänge,  sei  es  der  Bewegungen  der 
Seele,  die  vorzüglichen  Charakteristiken,  die  stete  Beziehung  der  Ge- 
danken auf  die  Gegenwart,  so  dafs  er,  der  glühende  Vaterlandsfreund, 
wie  ein  Mahner  und  Berater  des  grofsen  deutschen  Volkes  erscheint,  hebt 
die  Abhandlung  gut  hervor. 

Lokalfärbung  in  Shaksperes  Dramen.  2.  Teil.  Von  Dr.  K.  Phi- 
lips. Programm  der  höheren  Bürgerschule  zu  Köln  1888. 
31  S.  4. 

In  derselben  eingehenden  Weise  wie  in  Teil  I.  fährt  der  Verfasser 
fort,  die  Dramen  Shaksperes  zu  behandeln;  nur  ist  der  Plan  dahin  er- 
weitert, dafs  die  Quellen  verglichen  sind,  aus  denen  der  Dichter  den 
rohen  Stofi"  entlehnte,  um  so  besser  zu  erkennen,  wie  viel  auf  Rechnung 


864  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

seiner  eigenen  Genialität  zu  setzen  ist.  So  zeigt  sich  z.  !>.,  dafs  für 
Romeo  und  Julia  die  Quelle  ihm  manchen  entwickeluugsfähigen  Keim 
bot.  Ausführlich  wird  jetzt  das  Jugendwerk  Titus  Andronicus  betrachtet. 
Den  Mangel  an  Motivierung  und  Charakteristik,  das  Hinausschweifen  ins 
Mafslose,  das  Schwelgen  in  Schauern  und  Lastern  giebt  alles  der  Ver- 
fasser zu,  aber  einen  ungemeinen  Reichtum  herrlicher,  wahrer  Einzel- 
bilder weist  er  in  den  Vergleichen  nach.  Im  König  Lear  feiert  die  Kunst 
der  Lokalfärbung  ihre  höchsten  Triumphe,  Handlung  und  Charaktere 
tragen  ein  nichts  weniger  als  idyllisches  Gewand,  überall  eine  naturalistisch 
heidnische  Anschauung;  die  Naturbehandlung  ist  hier  des  Dichters  aus- 
schliefsliches  Eigentum.  Die  Grofsartigkeit  derselben  ist  durch  Eingehen 
aufs  Einzelste  dargelegt. 

Shaksperes  Julius  Cäsar.     Von  Dr.  H.  Böttclier.     Programm  des 
Gymnasiums  zu  Graudenz  1889.     26  S.  4. 

Die  schon  so  viel  erörterte  Frage :  wer  ist  in  dem  Drama  der  tragische 
Held?  bespricht  ausführlich  noch  einmal  der  Verfasser  und  entscheidet 
sich  dahin,  dal's  es  nicht  Cäsar,  sondern  Brutus  sei. 

Herford.  L.  Kölscher. 


Verzeichnis 

der  von  Mitte  Februar  bis  Ende  März  d.  J.  bei  der  Redaktion 
eingelaufenen  Bücher  und  Zeitschriften. 


Lehrgang  der  englischen  Sprache,  Von  Andreas  Baumgartner, 
Professor  an  der  Kantonsschule  Zürich.  I.  Teil.  Dritte  verbesserte  Auf- 
lage.   Zürich.  Orell  Füfsli  &  Co.,  1890.    X  u.  1-17  S.  8.    Fr.  1,80. 

Litteraturblatt  für  germanische  und  romanische  Philologie  herausgeg. 
von  Otto  Behaghel  und  Fritz  Neumann.  XI.  Jahrg.,  Nr.  2,  Februar 
1890.    Leipzig,  O.  R.  Reisland.     Sp.  49—88.    4.     HalbjährUch  M.  5. 

Congreve  und  M  obere.  Litterarhistor.  Untersuchung  von  Alexander 
Bennewitz,  Dr.  phil.    Leipzig,  Hassel,  1890.    III  u.  159  S.  8. 

The  New  Prince  Fortunatus.  By  William  Black.  In  2  Vols.  Leip- 
zig, Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  Vols.  2635  and  263H). 
32U  u.  303  S.  kl.  8.  „M.  3,20. 

Aufgaben  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Englische.  Nebst 
einer  Anleitung  zu  freien  schriftlichen  Arbeiten  von  Prof.  Ludw.  Herrig. 
14.  Auflage.  Neu  bearbeitet  von  George  Bovle.  Leipzig,  Jul.  Bädeker, 
1889.     VIII  u.  365  S.  8. 

Les  Precieuses  ridicules  par  J.-B.  P.  Moli^re.  With  Introduction  and 
Notes  by  E.  G.  W.  Braunholtz,  M.  A.,  Ph.  D.,  University  Lecturer  iu 
French.  Edited  for  the  Syndics  of  the  University  Press.  Cambridge, 
University  Press,  1890.    XXXV  u.  100  S.  8.     Sh.  2. 

Poets'  Corner.  Auszüge  aus  Shakspere,  Burns,  Scott,  Byron,  Moore, 
Tennyson.  Zum  Schulgebrauch  zusammengestellt  von  Dr.  Broder  Car- 
stens, ord.  Lehrer  an  den  Unterrichtsanstalten  des  Klosters  St.  Johannis 
zu  Hamburg.     Leipzig  und  Itzehoe,  Otto  Fick,  1890.     IV  u.  180  S.  8. 

The  Open  Court.  A  Weekly  Journal  devoted  to  the  Work  of  con- 
ciliating  Religion  with  Science  fEd.  Dr.  Paul  Carus],  Chicago.  No.  124 
[Feüx  L.  Oswald,  Problematic  Traditions.  Prof.  Max  Müller,  The  Ixsson 
taught  by  the  Science  of  Language].  125  [Max  Müller,  Thought  Thicker 
than  Blood.  Mrs.  Susan  Channing,  Goethe  as  a  Celibate  and  as  a  Moral 
Guide].     126.  128. 

Modern  Language  Notes:  A.  Marshall  El  Hot,  Managing  Director; 
James  W.  Bright,  Hans  C.  J.  von  Ja^emann,  Henry  Alfred  Todd, 
Associate  Editors.  Baltimore,  MD.  Vol.  V.  January,  1890.  No.  1. 
[H.  C.  G.  von  Jagemann,  Separate  Compound  Verbs  in  German.  Albert 
S.  Cook,  The  House  of  Sleep :  a  Study  m  Comparative  Literature.  Post- 
script to  the  Elizabethan  Invocations  to  Sleep.  C.  Fontaine,  Les  Po&tes 
fran9ais  de  nos  Jours.  Franyois  ("oppeej.  February,  1890.  No.  2  [E.  Henry 
Shepherd,  Robert  Browning.    Alcöe  Fortier,  La  Comedie  eu   France  au 


?)6C  Verzelc'linis  von  Bücliorii  und  ZoilHclirltten. 

XVIII'"  Siede.  Chas.  Davidson,  Diffiienccs  Ijctwoen  the  Scribes  of  'Beo- 
wulf .  J.  M.  Hart,  Binit  in  Tatian  (der  Verfasser  sieht  in  birut  eine 
Form  von  heran,  wälirend  es  natürlich  zum  Verbum  substantivum  ge- 
hört!). W.  James  Bright,  An  Addiliouid  Note  on  tlie  Etymology  of 
(jospel]. 

Litterarische  Blätter.    Herausgeg.  von  Franz  Evers  und  Alb.  Kohl. 

1.  Jahrg.,  Nr.  7.  1.  Jan.  I8I10  (S.  25—32  gr.  4).  [Erscheint  in  Goslar  a.  H. 
am  1.  jeden  Monats,  Preis  halbjährl.  2  M.  F.  Evers,  Neujahr.  V.  P.  Hubl, 
Über  die  moderne  Lyrik  in  ihren  Beziehungen  zum  Volke.  A.  Friedmann, 
Unersetzlich.  A.  Pichler,  An  Maria.  O.  Bergener,  Auf  den  Tod  einer 
Greisin.  H.  Lingg,  Über  Ruinen.  H.  Zeise,  Meeresbrandung.  K.  Speck- 
bacher, Schützentod.  A.  Brieger,  In  der  Dämmerstunde.  F.  Maser,  Die 
Nonne.  K.  Telmann,  Allein.  A.  Kohl,  Frisch  auf!  Besprechung  der 
5.  Auflage  von  Martin  Greifs  Gedichten.] 

Echo  der  französischen  Umgangssprache.  I.  Teil.  Aus  der  Kinder- 
weit  von  R.  Foulche-Delbosc.  Mit  einer  vollständigen  deutschen 
Übersetzung  von  Dr.  phil.  F.  Booch- Arkossv.  Leipzig,  Rud.  Giegler, 
1890.     I  u.  98  S.  8.  _  Geb.  M.  1,20. 

Echo  der  französischen  Umgangssprache.  IL  Teil.  Von  R.  Foulche- 
Delbosc.  Mit  einem  vollständigen  Wortregister  von  Dr.  phil.  F.  Booch- 
Arkossy.    Leipzig,  Rud.  Giegler,  1890.     V,  120  u.  58  S.  8.    Geb.  M.  2. 

Zeitschrift  für  deutsche  Philologie,  begründet  von  Julius  Zacher, 
herausgeg.  von  Hugo  Gering.  XXII.  Band,  Heft  IV.  Halle  a.  S.,  Buch- 
handlung des  Waisenhauses,  1890.  IV  u.  S.  385 — 508  [E.  Joseph,  Zwei 
Versversetzungen  im  Beowulf.  J.  Bolte,  Liederhandschriften  des  Iti.  und 
17.  Jahrhunderts.  Das  Liederbuch  der  Herzogin  Amalia  von  Cleve.  San 
Marte,  Über  den  Bildungsgang  der  Gral-  und  Parzivaldichtuug  in  Frank- 
reich und  Deutschland  (Schlurs).  Th.  Siebs,  Bericht  über  die  Verhand- 
lungen der  deutsch-romanischen  Sektion  der  XXXX.  Versammlung  deut- 
scher Philologen  und  Schulmänner  in  Görlitz.  Miscellen  und  Litteratur 
(nach  S.  504  wird  Prof.  Dr.  Oskar  Erdmann  in  die  Redaktion  eintreten)]. 

English  Syntax.  Translated  from  the  'Grammatik  der  englischen 
Sprache'  by  Dr.  F.  W.  Gesenius.  Second  Edition.  Revised  and  adapted 
to  the  Latest  Edition  of  the  Grammar  by  Dr.  C.  E.  Aue.  Halle,  Her- 
mann Gesenius,  1889.    VI  u.  184  S.  8. 

Allan's  Wife  and  other  Tales  by  H.  Rider  Haggard.  Leipzig, 
Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  Vol.  2634).  260  S.  kl.  8. 
M.  1,60. 

The  Heritage  of  Dedlow  Marsh  and  other  Tales  by  Bret  Harte. 
Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  Vol.  2631).  272  S. 
kl.  8.    M.  1,60. 

Italienische  Dichter  seit  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts.  Übersetzungen 
und  Studien   von    Paul   Heyse.     IV.   Band.     Lyriker  und  Volksgesang. 

2.  Auflage.    Berlin,  Wilhelm  Hertz,  1889.    XX  u.  348  S.  8.     M.  5. 

Zeitschrift  für  vergleichende  Litteraturgeschichte  und  Renaissance- 
Litteratur.  Herausgegeben  von  Dr.  Max  Koch,  Prof.  an  der  Univers. 
Breslau,  und  Dr.  Ludwig  Geiger,  Prof.  an  der  Univers.  Berlin.  Neue 
Folge.  Dritten  Bandes  drittes  Heft.  Berlin,  A.  Haack,  1890.  S.  171 
bis   268.     gr.   8.     [Ludwig  Fränkel,    Untersuchungen    zur  Entwickelungs- 

feschichte  des   Stoffes   von   Romeo  und  Julia.     Wolfgang  Golther,  Zur 
rage  nach  der  Entstehung  der  bretonischen  oder  Artus-Epen.     Siegmund 
Fraenkel,  Die  Scharfsinnsproben.     Besprechungen.     Nachrichten.] 

Englische  Studien.  Organ  für  englische  Philologie  unter  Mitberück- 
sichtigung des  englischen  Unterrichts  auf  höheren  Schulen.  Herausgeg. 
von  Eugen  K  öl  hing.  XIV.  Band,  1.  Heft.  Leipzig,  O.  R.  Reisland, 
1890.  164  S.  8.  Jährlich  M.  15  [L.  Kellner,  Zur  Textkritik  von  Chaucers 
Boethius.  E.  T.  Oliphant,  The  Works  of  Beaumont  and  Fletcher.   H.  Kling- 


Verzeichnis  von  Büchern  und  Zeitschriften.  367 

hardt,  Die  genetische  Erkh'iruug  der  sprachlichen  Ausdrucksformen  im 
Unterricht.   "Litteratur]. 

Lateinisch-romanisclies  Wörterbuch.  Von  Gustav  Körting.  Erste 
Lieferung.     Paderborn,  Ferd.  Schöningli,  1890.     I  S.  u.  128  Sp.  4.    M.  2. 

Franco-Gallia.  Kritisches  Organ  für  französische  Sprache  und  Litte- 
ratur.  Herausgeg.  von  Dr.  Adolf  Krefsner  in  Kassel  (Verleger  Julius 
Zwilsler  in  Wolfeubüttel).  VII.  Jahrgang,  Nr.  2:  Februar  1890.  S.  17 
bis  32  [A.  Krefsner,  Unsere  französischen  Schulausgaben].  Nr.  3:  März 
1890.     S.  33—18.     Halbjährl.  M.  4. 

A  Historv  of  the  Four  Georges.  Bv  Justin  McCarthv.  Vol.  II. 
Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Coli,  of  British  Authors,  Vol.  2637)'.  351  S.  8. 
M.  l,üu. 

Die  Kunst  der  Polyglotte.  23.  Teil:  Die  arabische  Sprache.  Von 
B.  Manassewitsch.  VVien-Pest-Leipzig,  A.  Hartleben  [o.  J.].  VIII  u. 
184  S.  8.    M.  2. 

A  Life's  Remorse.  A  Novel.  By  the  Author  of  'Molly  Bawn'. 
In  2  Vols.  Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  Vols. 
2(J32  and  2G33).    295  u.  280  S.  kl.  8.    M.  3,20. 

Studj  di  filologia  romanza  pubblicati  da  Ernesto  Monaci.  Fase.  12. 
P.   Eajna,    Un   frammento   di   un    codice   perduto   di   poesie   provenzali. 

E.  Monaci,   Lo   romans    dels   auzels   cassadors.     Roma,  Loescher  &  Co., 

1889.  192  S.  8.    L.  6. 

Echo  der  niederländischen  (liolländischen)  Umgangssprache  von  W.  F. 
Oostveen,  Schuldirektor  zu  Lei,den.  jMit  einem  vollständigen  AVörter- 
buche  von  Dr.  phil.  F.  Booch-Ärkossv.  Leipzig,  Rnd.  Giegler,  1890. 
III,  103  u.  50  S.  8.    Geb.  M.  2,50. 

Auswahl  deutscher  Gedichte  für  höhere  Mädchenschulen  von  Dr.  Ferd. 
Otto,  ord.   Lehrer   an   der  Charlottenschule  zu   Berlin.     Berlin,   Herbig, 

1890.  178  S.  8.    M.  1,20. 

M.  Seamer.  Shakspere's  Stories  für  Schulen  bearbeitet  und  mit  An- 
merkungen versehen.    Von  Dr.  Heinrich  Saure.    Zweite  Auflage.    Berlin, 

F.  A.  Herbig,  1890.    VIII  u.  148  S.  8.    M.  1,50. 

Französisch-etymologisches  Wörterbuch.  Von  H.  A.  Schoetensack, 
Professor.     Zweite  Abteilung.    Heidelberg,  Winter,  1890.    S.  193—384.    8. 

Die  Kunst  der  Polvglotte.  22.  Teil :  Die  japanische  Sprache.  Von 
A.  Seidel.  Wien-Pest-Leipzig,  A.  Hartlöben  [o.  J.].  VIII,  198  S.  und 
10  Schrifttafeln.     M.  2. 

Echo  der  englischen  Umgangssprache.  Erster  Teil.  Aus  .der  Kinder- 
welt von  R.  S bind  1er.  Mit  einer  vollständigen  deutschen  Übersetzung 
von  Dr.  phil.  F.  Booch-Arkossv.  Leipzig,  Rud.  Giegler,  1890.  I  u. 
102  S.  8.    Geb.  M.  1,20. 

Das  Archiv.  Bibliographische  Wochenschrift.  Herausgegeben  von 
Julius  Steinschneider.  III.  Jahrgang.  Nr.  (J — 12  [Dr.  W.  Kämpf, 
Schiller  und  die  Schwestern  Lengefeld,  nach  dem  Briefwechsel  dargestellt. 
L.  Fränkel,  Richard  Gosche,  ein  deutscher  Musterbiograph.  R.  Götte, 
Julius  Wolffs  Dichtung  und  ihre  Stellung  im  geistigen  Leben  der  Zeit. 
H.  Schönfeld,  Englische  und  französische  Dichter  in  Canada]. 

Elementarbuch  der  französischen  Sprache  von  Dr.  G.  Strien,  Ober- 
lehrer am  Herzogl.  Friedrichs-Gvmnasium  zu  Dessau.  Halle  a.  S.,  Eugen 
Strien,  1890.     IV  u.  97  S.  8.     Geb.  M.  1. 

Echo  der  schwedischen  Umgangssprache  von  Dr.  Alfred  Svensson. 
Mit  einem  vollständigen  Wortregister  von  Dr.  phil.  F.  Booch-Arkossv. 
Leipzig,  Rud.  Giegler,  1890.     I  u.  102  S.  8.    Geb.  M.  2,50. 

A  Yankee  at  the  Court  of  King  Arthur  by  Mark  Twain  (Samuel 
L.  Clemens).  In  2  Vols.  Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British 
Authors,  Vols.  2638  and  2639).     287  u.  270  S.  8.     M.  3,20. 

Revue  de  l'Enseijiuenient  des  Langues  Vivantes.    Directeur:  A.  Wol- 


368  Verzeichnis  von  Büchern  und  Zeitschriften. 

fromm.  Paris.  (Je  annee,  Fevrier  lx<)o,  No.  12  [Bessert,  Comniission 
pour  r^tude  des  am^liorations  ä  introduire  dans  le  regime  des  Etablisse- 
ments d'Enseiguement  secondaire.  Ue  »Sous-Commission.  Enseignement, 
m(5thodes,  progranimes.  Rapport  sur  la  niethode  des  Laugues  Vivantes 
pr<^8ent6  ä  la  Sous-Commission.  C.  Eglin,  Les  Ecoles  supErieures  de 
jeunes  filles  en  Allemagne  (suite  et  lin).    E.  Lombard,   Shakspere  et  les 

Srincipaux  chefs-d'neuvre  de  son  Th^ätre  (suite)].  7*-  annee,  Mars  1890, 
\o.  1  [Roger  de  Goeij,  Les , Litteratures  contemporaines  de  la  Race 
Auglo-saxonne.  E.  Debray,  Etüde  sur  les  Verbes  forts  et  les  Verbes 
irr^guliers.  T.,  Quelques  Remarques  sur  la  Formation  et  l'Emploi  de 
rinfinitif  en  Anglais.  E.  Lombard,  Shakspere  et  les  principaux  chefs- 
d'oeuvre  de  son  Th^ätre:  Macbeth,  les  Caractferes]. 


Berichtigung. 

Infolge  von  bedauerlichen  Umständen,  deren  Auseinandersetzung  zu 
weit  führen  würde,  sind  leider  die  S.  139  und  143  f.  gedruckten  Verzeich- 
nisse der  Ehren-  und  korrespondierenden  Mitglieder  der  Berliner  Gesell- 
schaft für  das  Studium  der  neueren  Sprachen  nicht  ohne  Lücken.  Es 
fehlen  unter  den  Ehrenmitgliedern  die  Herren  Hofrat  Prof.  Dr.  Mussafia 
in  Wien  und  Freiherr  von  Tauchnitz  in  Leipzig,  unter  den  korre- 
spondierenden die  Herren  Dr.  D.  Asher  in  Leipzig  und  Direktor  Dr. 
Brunnemann  in  Elbing.  Für  jede  weitere  Ergänzung  und  Berichtigung 
werde  ich  dankbar  sein. 

Berlin  SW.",  Kleinbeerenstr.  7.  Julius  Zupitza. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Greorg  Forsters 

aus    ungedruckteu   Quelleu. 


I. 

'Vou  der  Parteien  Gunst  und  Hafs  vermrrt 
Schwankt  sein  Charakterbild  in  der  Geschichte.' 

AVohl  von  keinem  Geisteshelden  gilt  dies  Schillersche  Wort 
mehr  als  von  dem  Manne,  dem  die  folgenden  Blätter  gewidmet 
sind,  von  Georg  Forster.  Ein  Jaln-li ändert  ist  daliingegangeu 
seit  seinem  Leben  und  seit  den  Käm})feu  der  französischen 
Eevolution,  in  die  ein  tragisches  Geschick  den  Leidenschaftlichen 
hineinrifs,  und  in  denen  er,  verzweifelt  über  den  schreienden 
Widerspruch  zwischen  seinem  theoretischen  Ideal  von  Yölker- 
befreiung  und  der  Praxis,  die  die  Avii'kliche  Welt  ihm  zeigte, 
unterging:  aber  noch  sind  wir  nicht  zu  einer  historisch  -  psycho- 
logischen Auffassung  imd  einer  unbefangenen  Bem-teilung  seines 
Lebens  und  Schaifens  dm-chgedruugen,  noch  besitzen  wir  keine 
Darstellung,  die  uns  den  Mann  zeigte,  wie  er  war,  wurde  und 
werden  muiste,  sondern  nur  Tendenzschriften,  die  ihn  vorschnell 
und  einseitig  loben  oder  tadeln.  Den  Tadlern  bendun  ihre  Ent- 
rügttung  über  Forsters  Beteiligung  au  der  französischen  Bewegung 
meist  auch  den  unbefangenen  Blick  und  das  Literesse  für  seine 
früheren  Leistungen  und  Schicksale.  Zuerst  war  es  sciue  Witwe, 
TJberese, Huber,  die  im  Jahre  1829  durch  Herausgabe  seines 
Briefwechsels  die  Aufmerksamkeit  auf  ihn  zu  lenken  versuchte: 
im  Eingang  des  ersten  Bandes  findet  sich  von  ihi-er  Hand  eine 
Skizze  seines  Lebens,  diu"ch  die  man  überhaupt  zuerst  genaueres 
erfuhr;  jedoch  ist  Darstellung  und  Beurteilung  immer  nur  mit 
Kritik  zu  gebrauchen.     1843  stellte  Gervinus  die  psychologische 

Archiv  f.  n.  Spraclien.    LXXXIV.  24 


370  Bciträfifc  zur  Kenntnis  Georj^  Försters. 

Entwickelung  Forsters  zum  erstenmal  in  ihren  Hauptpunkten 
richtig  dar.  König  verarbeitete  ihn  zu  einer  Romanfigur.  Mole- 
schott gab  zuerst  in  seiner  gut  geschriebenen  Biographie  eine 
klare  Übersicht  über  Forsters  wissenschaftliche  Grundprüicij)ien 
und  die  Ergebnisse  seiner  Geistesarbeit,  wenn  auch  manches  dem 
]^lick  des  Materialisten  sich  verschob  und  veränderte.  Endlich 
gab  1863  Klein  eine  Behandlung  von  Forsters  fünf  letzten 
Lebensjahren  in  einem  grölseren  verdienstlichen  Buche,  ohne 
jedoch  in  der  Auffassung  des  Gegebenen  und  dem  Versuch  einer 
psychologischen  Darstellung  überall  zu  befriedigen.  Ich  kann  hier 
auf  Vorzüge  und  Mängel  der  einzelnen  Schriften  über  Forster, 
von  denen  ich  hier  um*  die  wichtigeren  genannt  habe,  nicht  näher 
eingehen.  Eine  künftige,  allseitig  genügende  Biographie  des 
Mannes  wh*d  am  besten  durch  Veröffentlichung  unbekannter 
Dokumente  seines  Lebens  vorbereitet.  1877  gab  Hettner  den 
überaus  wichtigen  Briefwechsel  Forsters  mit  Sömmerring  voll- 
ständig heraus;  manche  einzelne  Briefe  wurden  an  verschiedenen 
Stellen  gedruckt;  auch  im  folgenden  soll  aus  ungedruckten  Brie- 
fen Forsters  mitgeteilt  werden,  was  zur  näheren  Kenntnis  seines 
Sehis  und  Werdens  dient. 

Das  Material,  aus  dem  ich  schöpfe,  ist  eine  gröfsere  Anzahl 
von  Briefen  Georg  Forsters  an  den  Berhner  Buchhändler  Johann 
Karl  Pliilipp  Spener  (1749 — 1827),  im  einzelnen  vielfach  er- 
gänzt und  erläutert  durch  eine  ebenfalls  stattliche  Reihe  von 
Briefen  seines  Vaters  Reinhold  Forster  an  denselben.  Die 
Manuskripte  hat  mir  ihr  Besitzer,  Herr  Wilhelm  Künzel  in 
Ijeipzig,  in  freundlichster  Weise  zu  litterarischer  Benutzung  zur 
Verfügung  gestellt,  wofür  ich  demselben  auch  an  dieser  Stelle 
meinen  herzlichen  Dank  sage.  Die  Briefe  reichen  von  1775  in 
ziemHch  ununterbrochener  Folge  bis  1791,  beginnen  also  drei 
Jahre  vor  den  ersten  im  gedi'uckten  Briefwechsel  stehenden  und 
erstrecken  sich  fast  über  Forsters  ganze  Lebenszeit.  Bei  weitem 
die  meisten  liegen  im  Originale  vor  mir;  nur  einige  wenige  sind 
in  Abschriften  beigefügt. 

Forster  und  Spener  lernten  sich  bereits  vor  CVjoks  Ausfaiu-t 
zur  zweiten  Reise  um  die  Welt  (1772)  in  England  kennen. 
Welche  Beziehungen,  namentlich  welches  Herzensverhältnis  zwi- 
schen  beiden    bestand,   zeigen    die    folgenden  Briefe.     Ich  citiere 


Beiträge  zur  Keuutuis  Georg  Försters.  371 

hier  noch  drei  briefliche  Urteile  Forsters  über  Spener:  'Er  ist 
noch  immer  der  alte,  der  ehrliche  edle  Mensch,  den  wir  lieben 
müssen  imd  der  sich  täglich  mir  von  einer  verehrnngs-  und 
liebenswürdigeren  Seite  zeigt'  (an  Sömmerring  31);  'Spener  ist 
durchaus  ein  grundguter  Mensch,  der  sich  selbst  mit  der  streng- 
sten Disciplin  behandelt,  um  anderen  alles  oder  doch  so  viel  als 
möglich  sein  zu  können.  Bogen  müfst  ich  schreiben,  wenn  ich 
ihn  dir  recht  rühmen  sollte,  wie  er's  verdient.  Ich  halje  bei  dem 
Umgang  mit  ihm  deuthch  gesehen,  was  ich  selbst  in  fünf  Jahren 
an  Erkenntnis,  Ausbildung  des  Herzens  und  Verstandes,  an  Er- 
fahrung und  Gefühl  gewonnen  habe;  jetzt  habe  ich  ihn  erst  recht 
fassen  und  verstehen  und  lieben  können;  damals  war  ich  es  nicht 
fähig'  (an  Sömmerring  50);  'übrigens  ist  er,  wenn  er  nur  kein 
Buchhändler  wäre,  einer  der  vortreiflichsten  Männer,  die  ich 
kenne,  zu  gut  für  diese  Welt,  zu  edel  für  seine  Sphäre,  zu  ge- 
wissenhaft, das  drückt  noch  nicht  genug  aus,  zu  ängstlich  für 
den  Vorteil  des  Publikums  besorgt,  um  den  seinigen  in  Acht  zu 
nehmen'  (an  Heyne,  Briefw.  I,  596);  vgl.  auch  Briefw.  I,  203. 

I.   London  (1775  —  1778). 

Am  30.  JuU  1775  kam  Cooks  Expedition  nach  dreijähriger 
Reise  in  Spithead  wieder  au.  Vom  September  dieses  Jahres  ist 
der  erste  uns  erhaltene  Brief  Forsters. 

1. 
Mein  bester  Freund. 
Ein  einziger  Trait  de  Bonte  kann  bey  mir  eine  unsägliche 
menge  Fehler  verlöschen !  —  Dafs  Sie  micli  mit  einem  Schreiben, 
und  ZAvar  einem  so  gütigen,  vollständigen,  beehret  haben,  ist  hin- 
länglich Ihre  bisherige  Sprachlosigkeit  mir  gänzlich  aus  dem 
Kopfe  zu  bringen.  Möchte  nur  alles  dasjenige,  so  das  schmeichelnde 
Pai^ier  mir  einbilden  m\l,  wirklich  aus  dem  edlen,  dem  gefühlvollen 
Herzen  fliefsen,  dafs  ich  so  sehnlich  und  so  aufrichtiger  weise  wün- 
sche für  mich  mit  ungleichgültigen  Gesinnungen  eingenommen  zu 
seyn!  Möchte  es  doch  ohne  Eigenliebe  möglich  seyn,  dafs  ich  mich 
überreden  köinite,  Sie  hätten  endlich  die  beständige,  ungeheuchelte 
Freundschaft  erkannt,  die  für  Sie  in  meinem  Herzen  seit  unserer 
Trennung  unaufhörlich  geflammt  hat !  Ihr  Stillschweigen  bis  zu 
meiner  Abreise  ist  vollkommen  zu  entschuldigen,  und  ich  bin  viel- 
mehr der  Scriblerus  gewesen,  der  sich  gerechter  Verweise  zugezogen 

24* 


372  J5eiti;i\ü;e  zur  K'ciiiitiiis  (Jofiri^  Forstors. 

lial,  iiuleiH  er  seinen  Freuncl  mit  wnnüzzem  Gewäsche  und  unnöthigen 
Ausgilben  überscliwenmit  hat;  clai's  ich  aber  bei  meiner  rückkehr  am 
C'ap,  oder  in  England  keinen  Brief  von  Ihnen  fand,  dafür  kann  icli 
warlich  nicht;  —  indefs,  Ihrer  langsamen  Eile  ohngeachtet,  kann 
eine  Zeile  aiie  zu  spät  bey  mir  ankonnnen,  und  auch  nie  fehl  schla- 
gen mir  glückliche  stunden  zu  machen;  doch  kränkt  es  mich  dafs 
ich  je  in  einem  Tone  mich  ausgedrukkt  hätte,  der  Ihnen  bitter  schei- 
nen sollte;  und  eben  so  sehr  thut  es  mir  leid  dafs  ich  es  in  HE. 
Zumbrocks  macht  gestellt  habe  sich  an  Ihnen  so  unerhörter  weise  zu 
vergreifen ;  er,  der  mir  jetzt  dieselbe  Rolle  spielt  die  er  an  Ihnen  so 
sehr  zu  mislnlligeu  pflegte,  und  der  seitdem  er  aus  England  ist,  und 
ich  wieder  in  London  bin,  mir  noch  nicht  eine  sylbe  hat  zukommen 
lassen  —  (Hievon  könnten  Sie  im  allenfalls  in  Leipzig  etwas  ins 
Ohr  sagen,)  —  Ich  dächte  ich  erriethe  Ihre  räche,  die  durch  C.  D.  K. 
soll  an  mir  ausgeübet  werden,  und  wo  ich  nicht  irre  so  Avollen  Sie 
mir  Ihr  Herz  noch  von  der  grofsmüthigen  Seite  bekannt  machen ; 
ohne  vielleicht  zu  bedenken  wie  viel  mehr  demüthigend  für  mich 
Ilii'e  Güte,  denn  Ihr  gerechter  Zorn  seyn  mufs. 

Sie  Avundern  sich,  mein  werthester  S.  dafs  ich  mich  in  der  Deut- 
schen Litteratur  umsehe,  und  dafs  ich  Usong^  in  der  Grundsprache 
(denn  er  ist  übersetzt.)  gelesen  habe,  als  wäre  ich  ganz  zu  einem 
übermüthigen  Engländer  geworden,  der  nirgends  als  unter  seinen 
eignen  Landsleuten  das  Verdienst  erkennen  will,  und  nicht  zugiebt 
dafs  andere  Völker  eben  so  grofs,  eben  so  richtig  und  eben  so  wizzig 
denken  als  das  seinige:  Nein,  so  einer  bin  ich  nicht;  Ich  verehre  die 
Si^rache  Thuiskons,  und  den  göttlichen  Mann  der  Sie  für  Averth  hält 
darinn  den  Wettlauf  der  Dichtkunst  anzustellen !  Sie  ist  reich,  har- 
monisch U2id  männlich,  und  Ihre  besondre  Fähigkeit  zu  allen  arten 
von  Sylbenmaafsen  gielit  ihr  einen  grofsen  Vorzug  vor  allen  Euro- 
paeischen  Sprachen.  Die  blofse  erzählung  von  Klopstocks  Wettlauf 
der  Deutschen  und  Englischen  Muse  -  hat  mich  völlig  in  einen  enthu- 
siastischen fit  gesetzt;  und  hätte  dieser  Grofse  Dichter  sonst  keinen 
andern  Verdienst,  so  würde  dieser  Gedanke  ihn  allein  verewigen 
können.  Ich  habe  Zeit  genug  gehabt,  mit  den  Musen  Almanachs 
(darinn  manches  schöne  gewifs  vorkommt)  ziemlich  bekannt  zu  wer- 
den, und  Schach  Bambo's  Töchter  3  sont  des  morceaux  pour  la  bonne 
bouche;  Nicolai's  Magister  Sebaldus^  hat  auch  schon  herhalten 
müfsen  und  der  zweyte  Theil  wird  mit  Schmerzen  aus  Deutschland 
erwartet;  Sulzer's  Theorie  der  Schönen  Künste  (a- — i)-»  ist  schon 
durchblättert,  Niebuhrs  reise*»  gröstentheils  durchgelesen,  und  man- 


1  Von  Haller,  Bern  1771.  -  Die  beiden  Musen  Klopstocks  Od.  I,  108 
Minicker- Pawel.  ^  In  Wielands  Neuem  Amadis,  zuerst  1771.  ^  Sebal- 
dus  Nothauker,  erster  Teil  177P.,  ^  Erschienen  1771.  '■  C.  Niebuhr 
{n^V>  — 1815),  Keisebeschreibung  nach  Arabien  und  anderen  umliegenden 
Ländern,  Kopenhagen  1774. 


Beiträge  zur  Keuntuis  (loorg  Furstens.  373 

dies  kleine  Büchlein  oben  ein  untersuchet  worden.  Was  nun  mein 
bisheriges  alltägliches  Fach  betrift,  so  ist  Forskäl,"  Jacquin,^  Aublet,^ 
etc.  auch  schon  bey  mir  revüe  pafsirt,  imd  Avas  Ihnen  sub  rosa  an- 
verti'auet  wird,  so  sind  die  Characteres  derer  Generum  Plantaruni  so 
wir  auf  unsrer  Reise  entdeckt  haben, 'o  schon  ziemlich  weit  avancirt: 
Der  Text  dazu  wird  wie  die  Linnaeischen  Genera  Plantarum,!'  (aber 
in  i  to)  gedrukkt,  und  jedes  Genus  durch  eine  Platte,  die  den  Tourne- 
fortischen'2  gleichet,  erläutert.  Die  Geschichte  unsrer  Reise  wird 
meinem  Vater  anvertrauet,  der  denn  aus  seinem  eignen  und  Capt. 
Cooks  Journalen  ein  ganzes  macht;  (was  die  anmerkung  in  HE. 
Büschings  Nachricht  betrift  ■•^  so  kann  ich  Ihnen  versichern  dafs  Sie 
ungegründet  ist,  wie  denn  auch  manche  Umstände  deren  er  erwähnet, 
unrichtig  sind :)  Meine  Anmerkungen  sind  ganz  allgemein  und  aus 
einem  besondern  Gesichtspunkte  gezogen,  waren  auch  nie  für  das 
publicum,  sondern  für  meine  Freunde  allein  bestimmt,  und  sollten 
mich  glücklich  machen,  wenn  es  möglich  wäre  sie  a  1 1  h  i  e  r  Ihren 
Augen  zu  unterwerfen.'^  Die  Reise  auf  Befehl  der  Admiralitaet 
publicirt,  wird  zween  starke  quart  Bände  machen,  mit  mehr  als  GO 
intressanten  Kupferstichen  versehen,  und  gewiss  den  Landschaften, 
Aussichten  und  auch  Einwohnern  der  Süd  See  mehr  ähnlich  als  jene 
italiänische  Zeichnungen  eines  Cipriani,!^  der  aus  der  Fülle  seiner 
Einbildungskraft  eine  Meiige  Europaeische  Charactere  in  ein  wildes 
neuentdecktes  Land  versetzte;  wemi  aber  alles  dies  fertig  seyn  soll, 
ja  dass  ist  eine  frage,  die  ich  nicht  beantworten  kann:  dass  die 
Admiralitaet  es  meinem  Vater  und  Capt.  C'Ook  überlassen  hat  die 
Unkosten  des  Drukks  zu  tragen  und  sich  hernach  in  den  Gewinst  zu 


■  Eeisegefährte  Niebuhrs  (1732 — 1763),  der  aus  seinem  Xachlafs  her- 
ausgab: Dcscriptiones  roini/aliiun,  Kopeuliageu  1775,  Flora  ffi/i/pfiaco- 
armica  1776,  Icunes  renini  iiiemorabmuin  1776.  ^  N.  J.  v.  jacquiu 
(1727  — 1817),  Sclectaruin  stirpitou  amerieananmi  historia,  Wien  176:'; 
Observationen  bofainecc  1764  fF. ;  Horfas  hotanicus  vimhbonotsis  177(1  ff.; 
Fhra  austriaca  1773  ff.  Vgl.  Briefw.  II,  7u2;  I,  371.  -131.  600.  756;  an 
Sömm.  106.  113.  114.  127.  "  Aublet  (1723  —  1778),  Eistoire  des  pla nies 
de  la  Guianc  franQaisc,  Paris  1775.  '"  Im  Dezember  vollendet  (Brief 
Keinliolds  vom  22.  Dez.),  erschienen  sie  Ijondon  1776:  Characteres  t/enernn/ 
})lanfarn,in,  qiias  in  itinere  ad  insnlaji  n/aris  anstralis  collegernnt  descripsrrnnt 
delincaruiü  aniiis  1772 — -1775  Jo.  R.  F.  et  Georg.  Forster.  Vgl.  noch 
Briefw.  II,  686.  7()2.  721.  7;'.7;  I,  24J.  "  Leiden  1737.  '-  Listifutionrs 
rci  herbar iiv,  Paris  170U.  '•'  Cook  solle  ;uif  der  Reise  mit  dem  älteren 
Forster  unzufrieden  gewesen  sein :  Büsching,  Wikrheutl.  Nachr.  v.  neuen 
Landcharten,  geogr.,  statist.  u.  histor.  Buch.  u.  Sachen  III,  2:i5  (vom 
24.  Juli  1775);  das.  IV,  123  (vom  8.  April  1776)  ündeu  sieh  wörtliche  Aus- 
züge aus  Briefen  Bcinholds  au  Spener.  '^  Sparrmann  erwartete  sogar 
Poetica  Georgs  in  der  Reisebesehreibuug  zu  fuiden:  Brieiweelisel  II,  688. 
'•'  Giamb.  Cipriani  1 1727 — 1785),  1769  eins  der  ersten  Mitglieder  der  ueu- 
gestifteten  Londoner  Akademie,  bekannt  wegen  der  Kupferstische  zu 
Ariosts  Orlando  fnrioso;  vgl.  Förster,  Sämmtl.  Schritten  (1813)  III,  150. 
488.  490. 


374  Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Försters. 

theilen,  kann  ich  Ihnen  gewiss  versichern,  es  wird  also  keine  beson- 
dere Reisebeschreibung  von  Cook  herauskommen.  —  Und  so  habe 
ich  alle  Ihre  fragen  in  Ansehung  der  Reise  beantwortet. 

Sie  fragen  nach  meiner  Aussicht  in  London;  soll  ichs  Ihnen 
sagen,  sie  ist  ziemlich  luftig:  ich  sehe  nemlich  aus  meinem  fenster 
über  Tottenham  Courtroad  hinweg  sogleich  in  die  grünen  Felder 
und  Wiesen  die  sich  bis  nach  Thompsons  geschwisterteu  Hügeln"» 
(Hampstead  und  Highgate)  erstrecken,  auf  einer  seite  des  Prospects 
ein  Waisenhaus,  auf  der  andern  ein  Hospital!  Für  einen  der  Verse 
mächtig  ist  eine  solche  vista  sehr  bedenklich,  wie  aus  den  Schriften 
des  HE.  Le  Sage  vielfältig  erhellet.  —  Ohne  länger  im  Labyrinthe 
der  Gleichnisse  zu  verharren,  so  hat  sich  noch  nichts  gezeiget  dass 
mich  an  London  binden  könnte;  Ihre  Majestäten  haben  zwar  auf 
die  allergnädigste  Weise  so  Avohl  mit  meinem  Vater,  als  mit  mir, 
(bey  Überreichung  einiger  raren  lebendigen  Thiere  aus  den  Inseln 
der  Süd  See  und  vom  Cap  der  guten  Hofnung)  gesprochen,  allein 
wer  darauf  rechnung  macht,  kann  sich  nur  gar  zu  leicht  betriegen: 
fürs  erste  habe  ich  auch  noch  alle  Hände  mit  dem  Arrangement 
unserer  Naturalien  Sammlung,  unsren  Beschreibungen  und  Zeich- 
nungen voll,  ist  also  noch  an  keine  andere  Beschäftigung  zu  denken. 
Da  die  Hrn.  Banks  und  Solander  ^^  schon  über  550  Pflanzen  in 
Kupfer  gestochen  haben,  und  ohngefähr  noch  ein  mahl  so  viel  zu 
stechen  gedenken,  überdem  auch  fast  alle  unsre  Entdeckungen  auf 
Ihrer  reise  ebenfalls  gemacht  kaben,  so  Aväre  es  unbillig  die  AVeit 
mit  doppelten  Ausgaben  zu  beschweren;  das  werk  also  (das  nach 
unsren  Generibus  Plantarum  gleich  soll  vorgenommen  werden  und) 
welches  die  Beschreibungen  aller  unsrer  neuen  species  enthalten 
wird, ^9  soll  keine  andre  Kupferstiche  enthalten,  als  nur  von  den- 
jenigen Pflanzen  die  in  der  Banksischen  Sammlung  sich  nicht  be- 
finden. —  Sagen  Sie  mir  mein  theurester  warum  Sie  denn  nicht  noch 
dies  Jahr  zu  uns  kommen  wollen?  So  spät  als  künftigen  May;  je 
nun,  vielleicht  kömmt  uns  der  paroxysmus  noch  eher  an,  auf  Ihre 
Seite  der  Grofsen  Pfütze  zu  kommen:  eilen  Sie  lieber  jetzt  zu 
uns  wenn  es  auch  nur  auf  eine  kurze  Zeit  wäre,  jetzt  da  das  gewirre 
der  geschäfte  des  morgens  und  jeden  Abend  nach  dem  Freunde  seh- 
nen lässt,  in  dessen  armen  wir  unsern  erschöpfeten  Geist  wieder  er- 


'6  The  sister-hllls,  Thomsons  Summer  1410.  Die  Strafse  Tottenham 
Courtroad  verläuft  senkrecht  auf  Percystreet  etwa  von  Norden  nach 
Süden.  Hampstead  und  Highgate,  etwa  2  —  3  Kilometer  nördlich  von 
Percystreet,  sind  jetzt  fast  auf  allen  Seiten  mit  London  verwachsen. 
'^  Über  Forsters  poetische  Versuche  vgl.  Briefw.  II,  676.  688 ;  an  Sömm.  26. 
i8_  J.  Banks  (1743—1820)  u.  D.  Solander  (1736—1782)  waren  Cooks  natur- 
wissenschaftliche Begleiter  auf  der  ersten  Reise  1769 — 1771;  über  Banks' 
Verhältnis  zu  Forster  vgl.  an  Sömmerr.  342.  343;  Briefw.  II,  8.  90.  123. 
'"  Es  sollte  den  Titel  führen  Desa-iptio  plantarum  maris  pacifici  (Briefw. 
II,  690.  096). 


Beiträge  zur  Keuutuis  Georg  Forsters.  375 

muntern  könnten!  Gewiss  es  lässt  sich  nichts  gescheutes,  zusammen- 
hängendes schreiben  wenn  man  den  Tag  über  mit  unaufhörlichen 
fragen  ermüdet  wird  und  Sie  mein  lieber  werden  dies  am  mehresten 
büssen  müssen,  dem  ich  mein  undeutsch  so  Bogenweise  zuschikke. 
Nicht  eine  Zeile  sondern  einen  ganzen  langen  Brief  voll  Dank  ver- 
dient Ihre  gütige  Freundschaft  gegen  meinen  Bruder  Carl ;  20  ^vas  das 
Papier  Ihnen  nicht  ausdrükkt  steht  doch  mit  unauslöschlichen  Buch- 
staben in  meinem  Herzen  geschrieben,  Sterne's  Memoirs,-*  schon  so 
lange  angezeiget,  sind  doch  noch  nicht  publicirt  worden ;  Ihre  übrige 
Ordre  habe  ich  bey  mir  liegen  und  wird  mit  der  ersten  gelegenheit 
an  HE.  Zumbrock  den  Jüngern  und  durch  ihn  an  Sie  abgehen. 
Meine  Schwestern  machen  Ihr  Compliment,  sie  haben  aber  noch 
nicht  Zeit  gehabt  spielen  zu  lernen,  —  Ich  bitte  um  Göthens  Götze 
von  Berlichingen  und  jungen  Werther:--  —  was  ist  von  Claudius?  — 
Ich  habe  zu  lang  geplaudert,  doch  nichts  rechts  gesagt,   und  bin 

ewig  Ihr  _,  „ 

George  Forster. 

London  den  19ten  Sept.  —  Die  post  ist  weg.  ihr  brief  liegt 
also  bis  Freytag. 

[Am  Rande:]  Glücklich  ja  ter  et  ampHus  felix,23  wäre  ich 
wenn  ich  mich  auf  ein  paar  Wochen  zu  Ihnen  begeben  könnte.  — 
H.  D.  Martini"^'  hat  geschrieben.  — 

Heute  nur  empfieng  ich  Ihren  Brief,  und  beantworte  ihn  schon, 
denken  Sie  wie  theuer  ich  ihn  schätze!  Darf  ich  mich  wohl  Ihren 
werthen  Angehörigen  emi)fehlen  denen  wir  in  Ansehung  unsers  Carls 
gewis  unendlich  viel  schuldig  sind! 


London  Novemb.  9\i>  1775. 
Geliebter  Freund 

Ihr  sehnlich  erwünschter  Brief  hat  uns  mit  wahrem  Vergnügen 
beschenkt  —  Nicht,  the  happiness  eines  Engländers!  —  Nein,  etwas 
mehr  ecstatisches,  das  ein  Englischer  Freund  nie  fühlt,  und  ohne 
welches  die  Freundschaft  doch  wenig  mehr  als  ein  leerer  Nähme 
wäre.  Ich  bin  in  dem  Stükke  schon  immer  ein  Deutscher.  Kein 
anderes  Volk  hat  dies  ächte  Gefühl,  der  Engländer  ist  zu  phlegma- 
tisch, der  Franzc  zu  flatterhaft,  der  Italiäner  zu  falsch  dazu  —  So- 
viel zur  Dissertation  über  die  Freundschaft. 

Ihr  Sterne's  Letters  gehen  heute  oder  Morgen  für  Sie  ab.  — 
Als  die  Briefe  eines  unbekannten  Mannes  betrachtet,    würden   sie 


^  Derselbe  befaud  sich  in  Berlin  im  Geschäft  eines  gewissen  Schliisser 
(Brief  Reinholds  vom  13.  Januar  1778).  -'  Wohl  8terne.s  Letters  fo  ///*• 
»lost  Intimate  Friciuls.  London  1775;  vgl.  Nr.  2.  ^  Erschienen  1773  imd 
1774.  =°  Horaz,  Carm.  I,  13,  17.  ^  F.  H.  W.  Martini  (1729  —  1778), 
Naturforscher  in  Berlin. 


376  Beiträfjje  zur  Komilnis  Crcor^  ForsterH. 

eben  nicht  viel  interessantes  enthalten,  sondern  vielincln-  verdinicii, 
ein  catchpenny  genannt  zu  werden:  allein  als  die  Briefe  des  Welt- 
berühmten, des  beliebten  und  liebenswürdigen  Yorick  sind  sie  alle- 
jnahl  ein  Schatz,  indem  sie  ein  starkes  Licht  auf  den  Avahren,  den 
grundehrlichen  Character  eines  Mannes  werfen,  um  dessen  Her/ens 
und  Gemüths  Beschaffenheit  man  höchst  neugierig  und  so  gar  un- 
ruhig (uneasy)  ist  —  Und  wo  könnte  man  wohl  anders  die  Eigen- 
schaften des  Herzens  besser  schöpfen,  als  aus  demjenigen  was  er 
nur  an  seine  Freunde,  und  nie  für  die  Welt  schrieb  —  Doch  mein 
enthusiasmus  vertieft  sich  zuweit  —  und  Ich  lenke  ein. 

Ermuntern  Sie  mich,  klopfen  Sie  mir  auf  die  Schulter,  und 
machen  Sie  dass  ich  in  meinem  Unternehmen  Beharre !  Die  wenigen 
Augenblikke  die  mir  allein  zugehören  wende  ich  dazu  an,  mich  mi( 
Deutscher  Litteratur,  und  hauptsächlich  schönen  AVissenschaften  so 
viel  als  möglich  bekannt  zu  machen,  und  in  der  Folge  einmahl  die- 
sem von  sich  selbst  eingenommenen  stolzen  Volke  zu  lehren,  dass 
wahres  Genie,  gründliche  Kenntnisse  und  achter  Wiz  auch  in  Deutsch- 
land anzutreffen  sey,  einem  Lande  das  mancher  Britte  nicht  einmahl 
dem  Nahmen  nach  kennt.  ^  Hauptsächlich  ist  mir  aber  darum  zu 
thun,  dass  die  Deutsche  Poesie,  die  hier  unbekannt  und  deswegen 
verachtet  wird,  in  grössere  Achtung  gesetzt  werde,  und  den  Ruhm 
auch  hier  erlange,  den  ihre  grossen  Schönheiten  reichlich  verdienen. 
—  Dass  schlimmste  ist  wohl  hierbey  die  penuria  temporis  die  mir 
nicht  zulassen  will  in  dem  Fach  zu  arbeiten  —  wenigstens  nicht  mit 
euer  zu  arbeiten.  —  „Und  wer  sagt  denn,"  hör'  ich  jemand 
mir  zurufen,  „dass  du  dem  unternehmen  gemessen  bist''? 
Ja,  das  ist  ein  Zweifel,  den  ich  mir  noch  nicht  hatte  einkommen 
lassen,  und  der  mir  eben  jetzt  viel  zu  schaffen  machen  wird.  —  Ich 
wäre  wenigstens  nicht  der  erste,  der  über  etwas  raisonnirt,  das  er 
nicht  vei'steht!  — • 

Noch  ein  paar  Worte,  und  ich  erwarte  Sie,  dies  gewäsche  by 
Word  of  mouth  zu  beantworten.  Ich  sehe  den  abgebrochnen  Aus- 
drükken  der  Seele  Werthers  mit  Sehnsucht  entgegen:  mich  dürstet 
nach  seinen  gefü  hl  reichen  (apropos  ist  das  nicht  bey  nah  so  gut 
als  empfindsamen)  Schilderungen,  und  ich  möcht'  wissen  wie 
seine  abbreviaturen  abgefasst  sind.  Ich  dächte  so  ein  glooniy  book 
wäre  Avas  im  englischen  gusto  und  ich  wundre  mich  dass  es  nicht 
übersetzt  ist.  —  Ist  es  nicht  schade,  dass  ich  so  viel  von  dem  Werk- 
chen weis  und  es  doch  nicht  kenne?  —  Klopstocks  Messias  und 
seine  Neuen  Oden; 2  Weissen's  Schauspiele,^  Wieland's  Merkur,''  und 


'  Über  die  Bekanntschaft  der  Eugläuder  mit  deutscher  Litteratur  vgl. 
Braudl  Goethejahrb.  III,  27.  '^  Klopstocks  Messias  4.  Band  erschien  Halle 
1773,  seine  Sammlung  der  Oden  Hamburg  1771,  im  selben  .Jahre  auch  die 
Darmstädter  Ausgabe.  '  Weisse,  Beytrag  zum  deutschen  Theater,  Leij)- 
zig  1750— 08.     17H7— 71.      '*  Erschien  zuerst  177:>. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Försters.  377 

einige  andre,  sind  Büclier  die  ich  begierig  zu  lesen  bin  —  Doch  so- 
viel vergnügen  ich  mir  auch  von  dieser  Lecture  verspreche,  so  kommt 
es  doch  nicht  an  die  Freude,  die  ich  in  dem  Beglükkten  augenblikk 
mit  lebhaften  färben  vorstelle,  wenn  Ich  Sie  in  meine  Arme  schliessen, 
und  Ihre  Freundschaft  in  Ihren  Augen  lesen  werde;  alsdann  hoffe 
ich  Ihnen  zu  beweisen,  dass  die  Hochachtung  die  ich  für  meinen 
Freund  in  meinen  Briefen  bezeuge  auch  wahrhaftig  aus  meinem 
Herzen  fleusst  —  indess  glauben  Sie  es  dass  ich  ewig  der  Ihrige  bin, 

der  ehrliche  George  Forster. 

PS.  HE.  Zumbrock  sen.  verdient  Brav  gescholten  zu  werden.  — 
Er  verlangt  Briefe  von  uns,  ehe  er  auf  den  geantwortet  hat  den  ich 
vom  Cap  aus  ah  ihn  schrieb.  Ihre  Geschäfte  verdienen  mehr  Nach- 
sicht. —  Vergeben  Sie  dass  ich  so  elend  gekriezelt  schreibe  —  ich 
bin  in  grosser  Eile. 

Einem  Briefe  seines  Vaters  vom  22.  Dezember  1775  fügt 
Georg  folgendes  bei: 

2  a. 

Hier  hört  der  Doctor  auf,  und  fängt  der  (M  a  g  i  s  t  e  r  a  n  d  u  s) 
an.'  Nachdem  ich  bei  meinen  Freunden  in  Wales  und  Wanüngton 
frische  Luft  geschöpfet  habe  bin  ich  endlich  wieder  in  die  Londoner 
Atmosjihäre  von  Kohlen  Dampf  zurück  gekommen,  und  fühle  die 
Schmerzen  welche  Sie  ausstehen  müssen,  um  desto  stärker,  da  ich 
jetzt  eben  von  einem  ehrlichen  ächten  Deutschen  verlassen,  und  also 
recht  in  der  Gemüthsvervassung  bin  wo  man  sich  ängstlich  und 
recht  melancholisch  nach  den  Gegenständen  seiner  Freundschaft 
sehnet.  Ich  tröstete  mich  noch  mit  der  Hofnung  zween  rechtschaffene 
Männer  miteinander  bekannt  machen  zu  können,  aber  da  ich  mir 
eben  reich  zu  werden  schmeichelte,  blieb  ich  allein  und  ohne  Freunde 
sitzen.  —  Doch  hievon  ein  mehreres  wenn  Sie  in  Percystreet  an- 
gekommen sind.  Beinahe  möchte  ich  wünschen  class  dieser  Brief  zu 
spät  ankäme,  wenigstens  hoffe  ich,  Sie  werden,  gleich  einem  Irrlaeii- 
der,  der  Überbringer  Ihrer  eignen  AntAvort  seyn.  Eben  so  sehidicli 
verlangt  mich  nach  den  Büchern  welche  Sie  für  mich  bestimm I, 
haben,  und  wovon  Ihre  Herrn  Spediteurs  deren  Gang  den  Schild- 
kröten oder  sonst  einem  trägen  Thiere  abgeborgt  ist,  mir  noch  ausser 
den  beyden  Bändchen  von  Sebaldus  N.  nichts  haben  zukonunen 
lassen.  Wofern  es  noch  zeit  ist,  so  sey  Ihnen  hiemit  zu  Avisscn  ge- 
than  dass  das  Päckchen  an  HEn.  Ritter  v.  Linne,-^  durch  die  arabus- 


1  Eeiahold  hatte  kurz  vorher  von  Oxford  den  juristischeu  l)oktor- 
titcl  und  Georg  die  Aussicht  iuif  den  Titel  eines  v/o(/hfrr  ar/iinn  erhaUen 
(Brief  Reinholds  vom  gleichen  Datum).  -  Es  enthielt  ein  Buch,  Zeich- 
uungeu  und  Pflanzen  nebst  einigen  Manuskripten  (Brief  Reinholds  vt)m 
[).  November). 


378  Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Förster«. 

cade  Captii  Plowman,  iia{;li  Hamburg  abgegangen  ist,  Dun^h  HPjn 
Zumbrocks  nachlässigkeit  aber  ist  keine  Enveloppe  darüber,  an  Hie 
dirigirt  worden,  sondern  er  hat  HEn  Kauffman  geschrieben,  es  Ihnen 
zuzuschikken,  und  Ich  hoffe  also  dass  es  längst  bey  Ihnen  wird  ein- 
getroffen seyn.  Da  ich  heute  selber  nicht  an  Carl  schreiben  kann, 
so  seyn  Sie  doch  so  gütig  ihm  von  meinetwegen  die  Hände  zu  drük- 
ken  (shake  hands)  und  ihn  zu  grüssen.  Dem  glücklichen  HEn 
Doctor  Brähmer  bitte  auch  meine  Empfehlung  zu  machen.  —  Und 
damit  wollen  wir  es  diesmal  bewenden  lassen,  denn  ich  habe  diese 
ganze  Seite  im  finstern  geschrieben  und  wenn  Sie  es  lesen  können, 
eris  mihi  magnus  Apollo  I^  — -  Adieu,  leben  Sie  1000  mahl  wohl.  — 
Der  Doctor  F.  hat  vergessen  seinen  Nahmen  zu  unterzeichnen  und 
ist  drüber  ausgegangen;  darum  nehmen  Sie  diesmal  allein  vorlieb  mit 

Ihrem  getreuen  George  Forster. 


Percy  Street.  April  d.  9tcn  1776. 
Bester  Freund 
—  Sunt  quibus  in  Satp-ä  videor  nimis  acer,  et  ultra  Legem 
intendere  opus.^  —  Nicht  wahr  Sie  rathen  mir  ins  künftige  lieber 
stille  zu  schweigen,  als  den  Leuten  die  Wahrheit  so  gerade  weg  zu 
sagen,  wies  vorhin  geschehen  ist.  —  Und  was  müst'  ich  denn  thun, 
wenn  ich  nicht  mit  meinem  Spener  schwatzen  darf.  —  verum  nequeo 
dormire !  2  —  Ich  schwatze  also,  und  ist  Er  mün-isch,  und  will  nicht 
antworten,  denn  muss  ich  Ihn  ja  plagen  bis  Er  es  thut,  und  Bis  Er 
es  aus  dem  vergnügten  Ton,  der  Ihm  sonst  eigen  war,  thut.  Das 
waren  ja  rechte  traurige  Noten  womit  Sie  Ihr  letztes  Klagelied  an- 
stimmten, und  wenn  Sie's  nicht  mit  dem  köstlichen  Tetrastich  (O 
Forster !  Bester  Freund  etc.  etc.)  beschlossen  hätten,  so  hätte  ich  Bei- 
nahe bef  urcht,  Sie  möchten  in  Berlin  einen  Engländer  agiren  wollen ; 
so  aber,  bin  ich  für  diesmahl  gesichert,  und  glaube  fest  dass  Sie 
diese  Zeilen  mit  ächter  Spenerischen  munterkeit  und  scherzhaften, 
aufgewecktem  wesen  übersehen  werden.  —  Doch  zur  Sache.  Die 
Commission  von  Aurikel-Saamen  habe  ich  zu  Bestellen  gesucht,  und 
muss  Ihnen  melden,  dass  nach  genauer  Erkundigung,  Ich  endlich 
erfahren  habe,  es  seyen  100  Ursachen  warum  Sie  jetzt  keine  säen 
können ;  die  ich  Ihnen  nach  der  Ordnung  ihrer  Wichtigkeit  vorlegen 
will.  — •  Erstlich,  ist  hier  jetzt  kein  Auricul  -  Saamen  zu  haben !  — 
Halt,  nicht  wahr,  die  Ursache  verdient  ja  wol,  dass  Sie  mir  die  99 
übrigen  zu  Gnaden  halten?  Doch  zu  Ihrer  innerlichen  Befriedigung 
kann  ich  Ihnen  noch  dazu  sagen,  dass  wenn  Sie  auch  jetzt  den  Saa- 
men bekommen  hätten,  es  dennoch  dies  Jahr  zu  spät  seyn  würde 


»  Vergil,  Ecl.  III,  104;  dasselbe  Citat  Briefw.  I,  170.      '  Horaz,  Sat. 
II,  1,  l.      2  Horaz,  Sat.  II,  1,  7. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters.  379 

Ihn  zu  säen,  welches  nach  Aussage  eines  hiesigen  Gärtners  (dessen 
Worte  in  diesem  Fall  Orakelsprüche  sind)  im  Januar  geschehen 
muss,  weil  die  Saaraen  so  bis  jetzt  aufbewahrt  worden  sind,  alle  Ihre 
keimende  Kraft  verlohren  haben,  AVas  die  andre  Commission  wegen 
Kanten  angeht,  darüber  habe  ich  schon  in  meinem  vorigen  Schreiben 
vom  2ten  dieses  gesucht  Ihren  Wünschen  ein  Gnüge  zu  leisten.  — • 
Und  nun  verstumme  ich,  (wo  kein  wiedriger  Zufall  es  anders  ver- 
hindert) bis  Ich  Sie  in  London  in  meinen  Armen  halte,  und  münd- 
lich sagen  kann,  wie  gewiss,  wie  ganz,  und  wie  ewiglich  Ich  der 
Ihrige  bleiben,  wie  stolz  ich  auf  Sie  bin,  und  wie  ich  werth  bin  mich 
dieses  Namens  zu  nennen 

George  Forster. 

Zwischen  diesem  und  dem  folgenden  Briefe  liegt  ein  persön- 
liches Wiedersehen  der  Freunde  in  London.  Auch  brach  in  die- 
ser Zeit  der  Streit  Reiuhold  Forsters  mit  der  Admiralität  um  die 
xA_bfassuug  der  Reisebeschreibuug  aus  und  der  Sohn  machte  sich 
aus  Werk,  seinerseits  mit  Benutzung  der  Tagebücher  des  Vaters 
den  Verlauf  und  die  Ergebnisse  der  Reise  darzustellen  (vgl.  dar- 
über Brief  w.  I,  18  Anm.). 


London,  d.  17ten  September  1776. 

Nochmals,  liebster  Spener  setz  ich  die  feder  an,  um  mit  Ihnen 
mir  ein  paar  zufriedne  Augenblicke  zu  machen.  Kann  auch  wohl 
etwas  mich  glücklicher  machen,  als  dieser  Umgang  mit  meinem 
Herzlich  geliebten  Freunde,  in  so  fern  es  mir  jetzt  auf  eine  geraume 
zeit  versagt  ist,  Ihm  die  Hand  zu  drükken,  und  ein  ehrliches  how 
de  you  do  now,  nicht  ganz  ohne  Bedacht  zu  sagen?  Endlich  kann 
ich  Ihnen  die  Nachricht  mittheilen,  dass  Ihre  Kisten,  so  wie  auch 
Mr  Elmslys  päckchen  vorige  woche  abgegangen  sind.  Die  Bley- 
federn  aber,  und  die  verlangte  Abschrift  aus  meines  Vaters  jom*nal, 
werden  nebst  dem  von  Heydingern  besorgten  Hute  diese  Avoche  einem 
Ballen  beygefügt,  den  Heydinger  an  HEiv  Nicolai  in  Berlin  ver- 
senden wird.  Ich  schicke  Ihnen  auch  hiemit  das  Väsgen,  welches 
ich  gezeichnet  und  Miss  Lane  gearbeitet  hat.  Wenn's  Ihnen  gefällt 
soll's  mir  recht  lieb  seyn:  Miss  L.  aber  sagte  sie  wäre  der  mey- 
nung  es  liessen  sich  solche  Blumen  nicht  wohl  mit  Haar  aus- 
drukken. 

Ich  bin  wieder  einmal  erbärmlich  krank  gewesen,  wie  gewöhn- 
lich war's  eine  Indigestion  — ■  mein  arn^er  Magen,  der  von  Pökel- 
fleisch und  verfaulten  Zwieback  in  grund  verdorben  ist  —  Doch 
davon  wollen  wir  nichts  sagen;  es  sollte  anders  nur  zum  pro-cemio 
dienen,  dass  mir  auf  diese  Art,  eine  neue  Hiuderniss  in  weg  gekom- 


380  Beiträge  zur  Kcniilnis  fJoorg  Förstern. 

meii,  die  mich  vom  Schreiben  der  Reise  sehr  abgehalten  hat.  — ' 
Gott!  was  wird  daraus  werden?  Wenn  ich  den  niuth  sinken  liesse, 
welches  eben  kein  wunder  Aväre,  und  auch  wenn  ich  wiirklich  bey 
Leib  und  Seelenkrät'ten  frisch  und  gesund  bliebe,  welches  wohl  nach 
jetzigen  aussiebten  sonderbar  genug  wäre,  sagen  Sie  was  wird  dar- 
aus werden?  Ich  fürchte  warlich,  demzufolge  was  mein  Vater  mir 
schreibt,  dass  wir  an  keine  französische  Übersetzung  denken  dürfen; 
und  dann;  —  bis  das  original  Englisch  herauskommt  sollten  wir 
doch  solidere  speise  als  Geister  bi-auchen?  Auch  hiervon  schweige 
ich  weil  ich  zum  voraus  sehe,  dergleichen  gedanken  müssen  mich 
zur  arbeit  unfähig  machen.  —  Gewis,  gewis,  mit  einer  dumpfen, 
Unstern  Gleichgültigkeit,  die  mir  keinesweges  eigen  ist,  sollte  ich  jetzt 
mehr  wie  jemals,  das  quid  sit  futurum  cras  fuge  quserere,^  zur  regel 
meiner  Aufführung  machen  und  ganz  wüste,  und  gedankenlos  in 
den  tag  hinein  leben  —  Leben!  —  kein  leben  ist  das;  so  was  leeres 
ist  ärger  als  —  ja  vielleicht  als  der  tod.  Dem  sey  nun  wie  ihm 
Avolle,  es  ist  der  trost  des  elenden  jetzt  mein,  wenn's  am  schlimmsten 
geht  —  etc.  —  und  dass  unser  Schicksal  eine  schleunige  Wendung 
nehmen  muss  ist  unvermeidlich  gewiss.  —  Warum  tröstet  mich  mein 
Freund  nicht  mit  ein  paar  Zeilen :  Ich  bin  nicht  unbillig,  nicht 
gierig;  ich  will  nur  ein  paar  zeilen:  wo  sind  Sie;  Avie  gehts  Ihnen? 
was  für  neue  erschein ungen  haben  Sie  an  der  menschlichen  Seele 
wargenommen?  u.  s.  w\ 

Ich  meines  theils  habe  aus  10  selten  des  Journals  70  gemacht, 
nicht  dass  ich  etwa  gew^ässert  hätte;  dafür  soll  Ihnen  Dr.  Raspe -^ 
stehen;  ■ —  aber  eben  diese  Ausführung  kostet  zeit,  und  zehn  mal 
mehr  nachdenken  als  alle  andre  art  der  Composition.  Ich  W'ill  glau- 
ben dass  das  Deutsche  publicum  (vielleicht  auch  das  hiesige)  billig 
genug  wird  seyn,  den  unterschied  zwischen  mir  und  den  gewöhn- 
lichen Reisebeschreibern  zu  erkennen,  wenn  es  mir  auch  nicht  nützen 
sollte.  NB.  Unter  uns,  wässen  wdr  was  dies  bedeutet,  und  mit  wie 
wenig  Eigenliebe  dies  gesagt  wird;  aber  in  Büschings  nachrichten 
möchte  es  abscheulich  klingen,  und  einer  unausstehlichen  prahlerei 
ähnlich  sehcJi.  —  Sapienti  sat. 

Schreiben  Sie  mir  bald.  Ich  will  meines  theils  nicht  säumen, 
darauf  zu  antworten;  des  abends  ist  das  noch  delassement;  wenn 
ich  nicht  im  Montesquieu,  Pauw,'*  und  classischen  Schriftstellern 
lese.    Hier  ist  nichts  neues  aus  America.    Dass  in  meiner  Seele  in 


'  Hoi-az,  Carm.  I,  9,  lo.  -  R.  E.Raspe  (1737—1794)  war  wegen  Ver- 
luitreuungen  von  Kassel,  wo  er  Professor  war,  nach  England  geflohen 
(Brief  Reniliolds.  vom  22.  Dezember  1775);  er  war  dauu  Mitarbeiter  au 
der  deutschen  Übersetzung  der  Reise;  vgl.  Mittler  Weim.  .Tahrb.  III,  1. 
^  C.  V.  Pauw  (1739 — 1799),  Recherches  philosophiques  sur  les  Americains, 
Berlin  1768;  Reeherches  philosophiques  sur  les  Egyptiens  et  les  Chinois, 
Berlin  1773. 


Beiträge  zur  Keuutuis  Georg  Försters.  381 

Ansehung  Ihrer  auch  nichts  neues  vorgehen  kann,  wissen  Sie  schon 
lange;  doch  sage  ich  es  Ihnen  gerne  noch  einmal  dass  Sie  wahr- 
haftig in  meinem  Herzen  unauslöschlich  eingegraben  sind ;  und  siehe 
da!  eine  Thräne  versiegelts.  — 

George  Forster. 

5.  (Abschrift.) 
London,  Dienstag  d.  22.  October  177G. 

Da  lieber  Freund  haben  Sie  wieder  einen  Brief  von  Ihrem 
kranken  Georg!  Immer  das  vertrakte  Kopfweh,  den  verdorbenen 
Magen,  und  die  hässliche  Hypochondrie!  Ich  werd'  doch  warlich 
nicht  wieder  gesund  bis  ich  eiimial  brav  auf  einem  Deutschen  Post- 
Avagen  gerüttelt  und  geschüttelt  werde.  Und  das,  ja  wenn  geschieht 
das  ?  Ich  sehe  mit  Verlangen  der  Stimde  entgegen,  die  mich  von 
Brod- Arbeit  befreien  soll.  Wird  sie  auch  kommen,  die  gewünschte 
Stunde  ?  Wird  nicht  immer  neue  Arbeit  mir  die  Hände  Füsse,  etc.  etc. 
binden  ?  Halt'  ein,  es  wird  schon  wieder  schwarz  vor  meinen  Augen, 
und  das  sollt's  doch  just  nicht  seyn.    Also  —  to  business. 

Sie,  armer  Mann,  sind  jetzt  hofientlich,  nach  der  unangenehmen 
Reise  ohne  frevuidlichen  Pelz,  wieder  in  Berlin  angekommen,  und 
pflegen  den  schmächtigen  Körper,  der  manchen  Stoss  hat  aushalten 
müssen.  Dahin  also  schreib'  ich,  in  der  Hofnung,  dass  wenn  Sie  in 
Ruhe  gerathen,  wir  dann  auch  wieder  von  Ihnen  was  zu  hören  be- 
kommen. Gestern  habe  ich  mehr  als  -/^  oder  fast  die  Hälfte  meines 
MS.  nach  Oxford  zur  Correctur  geschickt,  und  den  Isten  Nov.  gehts 
zur  Presse.  Ich  gedenke  indessen  tout-doucement  fortzufahren,  und 
zugleich  sobald  der  Druck  anfängt  zu  übersetzen.  —  Unsre  Charte  ist 
auch  schon  in  band,  und  Sie  sollen  zeitig  davon  ein  mehrers  hören 
und  sehen.  Aus  der  französischen  Uebersetzung  wird  nichts,  Avie 
ich's  mir  denn  immer  vorgestellt  hatte.  Pancouke  Avar  in  London 
ohne  dass  Avirs  Avusten.  Den  Tag  vor  seiner  Abreise  si3rach  ich  mit 
ihm:  Er  versprach  den  Abend  bey  uns  zu  seyn,  reiste  aber  ohne  uns 
ein  wort  zu  sagen  Aveg. 

Dass  Cook's  Averk  schon  im  November  erscheinen  sollte,  ist  war- 
scheinlicher  weise  nichts  als  bravade  gcAvesen ;  jetzt  Avird  nicht  mehr 
dran  gedacht.  Dass  aber  Freund  Rasjie  oder  irgend  ein  andrer 
Freund,  von  Hodges,^  oder  auderAveitig,  Abdrükke  der  Platten  be- 
kommen könnte,  ist  wie  ich  zum  Voraus  sehe,  unmöglich. 

d.  25ten  Octob. 

Meine  Krankheit  nahm  vorigen  Posttag  so  stark  zu,  dass  es 
mir  unmöglich  Avard  diesen  Brief,  und  die  Einlage  zu  schliessen. 
Jetzt  da  ich  mich  Avieder  ein  Avenig  besser  befind(!,  Avill  ich  nocli  das 


'  Der  Maler  auf  Cooks  zweiter  Reise :  vgl.  Forster,  Rämmtliehe  Sehr. 
III,  483. 


382  Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters. 

übrige  hinsetzen.  Sie  werden  wissen,  dass  der  Ballen  Bücher  aus 
Leipzig  (nehmlich  von  letzter  Ostennesee)  noch  nicht  angekommen 
ist;  Wie  das  zugegangen  weis  ich  nicht.  Die  Deutschen  schönen 
Bücher  die  mich  Ihre  Güte  erwarten  liess,  habe  ich  also  noch  nicht 
gesehn,  unter  andern  auch  nicht  Klopstocks  Oden.  Mit  dem  letzten 
Päckel  (welches  meinem  Vermuthen  nach  rectä  aus  Berlin  gekommen, 
weil  Briefe  von  meinem  Bi-uder,  nebst  der  Geschichte  des  festins  bei 
Aufnahme  des  Grossfürsten  2  drinne  waren,  item  ein  Diplom  von 
HE.  Dr.  Martini)  habe  ich  empfangen  den  Landprediger  von  Wake- 
field,3  den  ich  noch  nicht  im  original  gelesen  hatte,  und  also  höchst 
angenehm  fand;  die  Soldaten,*  Belphegor,^  Situation  aus  Dr.  Faust's 
Leben,6  und  noch  so  eine  Scharteke;  Auch  französische  Bücher  von 
Marquis  D'Argens  &  Co.  Ich  bitte  mir  als  eine  besondere  Gefällig- 
keit Dr.  Starks  Hephästion  ^  aus  —  mit  nächster  Gelegenheit.  — 
Sie  sehen  es  fehlt  mir  nicht  ganz  an  gutem  Muth,  und  wenn  Sie 
mich  in  Athem  erhalten  wollen,  müssen  Sie  mir  von  zeit  zu  zeit 
amusement  verschaffen.  Ich  bin,  ich  kann  wol  sagen,  lange  nicht  so 
elend  krank  gewesen  als  diese  Woche;  das  anhaltende  einsitzen,  be- 
ständige Anstremmung  [Anstrengung  ?],  dazu  das  precaire  und  bittere 
unsrer  Umstände  und  überdem  noch  meine  eigne  privat  Ärgerniss 
die  ich  zuweilen  ausstehen  muss ;  kurz  ich  bin  ganz  hingewesen,  und 
bin  jetzt  sehr  wohl  versichert,  dafs  ich  behutsam  zu  werke  gehen 
muss,  wenn  ich  anders  das  Köstlichste  was  der  Mensch  hat,  Gesund- 
heit behalten  will.  —  Hören  Sie,  ich  denke  immer  ein  Stükk  trokken 
Brod,  und  Gesundes  Leybs  dabey,  ist  besser  als  Eeichthum,  Übei-flus, 
Ehre,  Euhm  etc.  etc.  und  Krankheit!  —  Doch  tr^ve  de  morale. 

Die  Stadt  Neu  York  ist  von  General  Howe  endlich  eingenom- 
men und  zwischen  7000  und  8000  Amerikaner  in  der  Flucht  er- 
schlagen worden.  Die  Amerikaner  haben  sich  jetzt  auf  den  Anhöhen 
jenseit  Kings  bridge  auf  festen  lande  verschanzt,  aber  man  sagt  sie 
sollen  da  kein  Wasser  haben,  und  unsre  Truppen  werden  ihnen  bald 
aufs  feil  kommen.  Der  ganze  Brittische  Hof  freut  sich  darüber  als 
wälzten  sie  sich  schon  im  Blute  der  Säuglinge! 

Trösten  Sie  doch  den  aimen  Carl  über  die  bösen  Scheit  -  Brief  e 
die  er  von  mir  und  unseim  alten ^  Bekommen  hat;  ich  glaube  er 
wird  wol  ein  bischen  Trost  von  nöthen  haben.  Grüssen  Sie  mir  doch 
den  guten  redlichen  Dr  Bremer  aufs  Herzlichste,  und  bitten  Sie  ihn 
zu  glauben,  dass  jeder  Mann  der  so  empfindet  und  denkt  wie  er, 


*  Wohl  des  nachherigen  Kaisers  Paul,  „der  sich  1776  mit  einer  würtem- 
bergiscben  Prinzessin  vermählte.  ^  Die  Übersetzung  ist  von  Bode,  Leip- 
zig 177C  (Mitteilung  R.  Köhlers).  '^  Von  Lenz,  1776.^  '-  B.  oder  die 
wahrscheinlichste  Geschichte  unter  der  Sonne  (von  J.  K.  Wezel),  Leipzig 
1776  (Mitteilung  R.  Köhlers).  "  Vom  Maler  Müller,  1776.  '  Am  14.  April 
1778  bittet  der  Vater  um   dasselbe  Buch  für  Georg.      «  Mehrere  Briefe 


Beiträge  zur  Keuntnis  Georg  Forsters.  383 

natürlicher  Weise  eo  ipso  an  mein  Herz  wächst,  dicht  an  die  Stelle 
wo  Sie  grünen,  blühen  und  Früchte  tragen.  Wenn  trage  ich  Ihnen 
Früchte  ?  Ich  fürchte  der  Kalte  Winter  wird  mich  verti-ocknen.  Gott 
grüsse  euch  und  bewahre  euch,  und  habe  euch  so  lieb  wie 

G.  Forster, 
Cadell   bekommt  £  200  Sterl.  für  die  Bogen  von  Robertson's 
History  of  America,^  von  dem  französischen  Uebersetzer. 

Nachschrift  zu  einem  Briefe  Reinhokls  vom  5.  November  1776: 

5a. 

Si  vales,  bene  est  —  Ego  —  convalesco.  —  Mehr  kann  ich  ja 
nicht  sagen  wenn  ich  auch  das  ganze  Papier  vollmachte;  und  doch 
ist's  so  eine  Versuchung  so  viel  weis  Papier  vor  sich  zu  sehn !  — 
Wenigstens  will  ich  die  Gelegenheit  nicht  aus  den  Händen  lassen, 
wenn  ich  meinem  Freunde  SiJener  sagen  kann  dass  Ihn  sein  Georg  F. 
lieb  hat.    Vale. 

6. 
London  Perey  Street  d.  12 tf"  Noverab.  177(!. 
Liebster,  Bester  Freund! 
Prrecipe  lugubres  Cantus,  Melpomene !  ^  sagte  der  philosophische 
Horaz,  als  er  mit  seinem  Virgil  um  den  geliebten  Quintilius  trauren 
wollte.   Er  wusste  dass  der  trockne  Ton  der  strengen  Moral  bey  dem 
kummervollen  Herzen  keinen  Zutritt  findet,  wenn  es  auch  sonst  noch 
so  richtig  denkt,  Avenn  es  auch  zu  jeder  andern  Zeit  der  kühlen  Ver- 
nunft gehör  giebt!    Ich  weine  also  in  ihren  Busen  eine  mitleidsvolle 
Zähre,  ich  fühle  mit  Ihnen  den  Verlust  der  Holden  Mädchen,  die 
gewis  an  Ihnen  einen  zärtlichen,  belehrenden,  Freund  hatten  — 

'Ach  klage  nur!  ganz  sind  sie  deiner  Schmerzen, 
Ganz  deiner  unumschränkten  Trauer  werth: 
Welch  Antlitz!     O!  welch  Bild  der  Besten  Herzen! 
Das  nun  der  Wurm  verzehrt! 
Ihr  Holder  Reiz!  der  Tod  nahm  ihn  zum  Raube; 
Ihr  schöner  Mund !  nicht  mehr  für  deinen  Kuss !  — 
Doch  nur  entfloh  ilir  schöner  Geist  dem  Staube, 
Zu  himmlischem  Genuss!'* 

Ich  kann  nicht  davor  dass  ich  Sie  mit  den  Gesängen  Iln-er 
eigenen  Dichterinn  zu  trösten  suche,  ich  kenne  Jiichts  schöners  in 
der  Art  als  ihre  Gedichte.  Lassen  Sie  mich  immer,  mein  guter,  ge- 
fühlvoller Freund,  wenn   wir  ausgeweint  und  lange  genug  geklagt 


9  Robertson  (1721 — 1703),  IJidary  of  America,  London  1777. 

1  Horaz,  Cann.  I,  24,  2.  -  Zweite  und  vierte  Strophe  aus  einem 
Gedichte  der  Karschiii  (Auserles.  Ged.  IM.  IIT),  Berlin  171)1)  an  Herrn 
Professor  Sulzer  über  das  Bild  seiner  verstorbeneu  (lattiu.  Varianten: 
Zeile  1  ist  sie,  :'.  vom  besten,  (J  der  schöne,  7  aus  ihm  entfloh. 


384  Beitrüge  zur  Konnliiis  (ioorg  Foi-Ht^rs. 

liaben,  lassen  Sie  mich  Iliiieii  jenen  letzteji  beruh  igen  den  Gedanken 
der  Karschin  vorhalten,  woraus  Sie  mehr  als  jemals  ersehen  können 
wie  nöthig  unsrer  Natur  der  Eigennutz  ist.  Die  Versicheriuig,  dass 
die  Persohnen  um  welche  wir  sonst  unauflicirlich  leid  tragen  möchten, 
glücklich  durch  den  Tod  gew^orden  sind,  ist  weit  thätiger,  unsre  Ruhe 
und  Zufriedenheit  wieder  herzustellen  als  das  blosse  innere  Gefühl, 
(w^enn  es  eins  ist,)  dass  es  Recht  ist  ruhig  und  heiter  zu  seyn.  Wenn 
Sie  sich  mit  etwas  Schwännerey  den  bittern  Verlust  um  ein  geringes 
erti'äglicher  gemacht  haben,  und  hierinn  hat  die  Schwärmerey  wirk- 
lich ihren  Nutzen,  alsdenn  mag  Zeit  und  Geduld  bey  Ihnen  allmäh- 
lig  den  übrigen  Schmerz  verlöschen,  und  Sie  auf  das  allgemeine 
Schicksal  der  Menschheit,  und  auf  die  unerforschlichen  Rathschläge 
des  Himmels  verweisen.  Levius  fit  patientia,  quicquid  corrigere  est 
jiefas!^ 

Sie  haben  mich  bekannter  Ursachen  willen,  von  langem  Briefe- 
schreiben freigesprochen ;  erwarten  Sie  also  nicht  viel  mehr  als  kurae 
Antworten  auf  Ihre  Commissions.  Ich  bin  Gottlob !  wieder  besser, 
und  habe  warlich  meiner  Gesundheit  in  diesem  Leben  so  sehr*  von 
nöthen,  als  irgend  jemand  der  sich  keines  andern  Guten  zu  erfi'euen 
hat.  Die  Aussicht  hier  zu  Lande  bleibt  noch  immer  wüste  und  öde 
für  uns,  und  selbst  unermüdlicher  Fleiss  verfehlet  seines  Zwecks.  — 
Dr.  Morton  ist  zum  ersten  Bibliothekar  am  Br.  Museo  ernannt  wor- 
den; die  zwote  stelle,  die  durch  seine  promotion  vacant  gewordeji, 
ist  noch  nicht  vergeben. 

Herr  Elmsly  lässt  seinen  ergebensten  Empfehl  machen;  er  ist 
mit  dem  Commentaire  de  Voltaire  schon  versehen  sonst  hätte  er 
Ihnen  gewis  den  Vorzug  gegeben. 

Uebereilen  will  ich  mich  nicht,  eilen  aber  wol.  Sie  wissen, 
Bester  S.  wie  es  in  der  Welt  geht ;  anstatt  des  1 .  Novembers  hab' 
ich  heute  mein  MS.  erst  corrigirt  bekommen:  doch  ich  bins  zufrieden, 
denn  ich  finde  es  besser,  als  ich  es  weggeschickt  habe.  — 

Übrigens  ermannen  Sie  sich,  danken  Sie  dem  gütigen  Himmel 
dass  das  Loos  nicht  Bire  eigene,  älteste,  Beste  geti'ofFen  hat,  und 
trösten  Sie  sie,  Besser  als  ichs  Ihnen  gethan  habe;  mit  wärmerm 
Herzen  wäre  es  wohl  nicht  möglich.   Adieu,  ich  umarme  Sie  im  Geiste. 

George  Forster. 

[Folgt  eine  Nachschrift  von  Raspe.] 

Auf  denselben  Todesfall  im  Spenerschen  Hause  bezieht  sich 
ein  Kondolenzbrief  von  Reinhold  Forster  vom  15.  November  1776, 
aus  dem  ich  folgenden  Passus  aushebe,  weil  er  uns  in  das  ge- 
mütliche und  religiöse  Leben  des  Mannes  einen  Einblick  gewährt. 


3  Horaz,  Carm.  I,  24,  19. 


Beiträge  zur  Keuutuis  Georg  Forsters.  385 

Ich  kan  Iknen  nicht  beschreiben,  wie  sehr  uns  alle  der  Ver- 
lust den  Sie  so  plözlich  erlitten  gerührt  hat.  Ich  kenne  Ihr  edles, 
gefühlvolles  Herz;  ihre  weiche,  zärtliche  Seele;  Ich  stelle  mir  Hu' 
ganzes  Haus  eine  Scene  von  Verwirrung,  Betrübniss  und  Kummer 
vor.  Ich  sehe  die  trostlose  Mutter  vor  meinen  Augen,  den  Verlust 
zwoer  geliebten,  hofnungsvollen  Töchter  bejammern.  Ich  fühle  den 
stummen  Schmerz,  der  sich  im  Auge  des  gebeugten  Vaters  ausdrükket, 
Allein  mein  Herz  wird  ganz  dahingerissen,  Avenn  es  seinen  Freund 
siebet  unvermuthet  in  diese  traurige  Scene  hineintreten,  ohne  sie  zu 
erwarten.  Sein  Brüderl:  Herze  hatte  schon  ein  angenehmes  Ge- 
schenke, ein  liebreiches  Compliment,  ein  liebkosendes  zärtliches  Ge- 
spräche für  diese  Schwestern  bereitet.  Er  sieht  schon  im  Geiste,  da 
er  seiner  Vaterstadt  sich  nähert  diesen  muntern  Kindern  entgegen, 
imd  ilu'e  Lebhaftigkeit  und  schmeichlende  schAvesterliche  Liebe  ist 
ihm  wie  gegenwärtig;  Allein  welch  ein  Auftrit!  Alles  ist  öde,  still, 
und  traurig;  L^ngewis  wen  das  Schikksahl  hinzureifsen  droht,  eilt 
sein  beängsteter  Geist  ins  Zimmer,  wo  diese  kleine  Schlachtopfer 
liegen,  wo  Mutter,  Vater,  Schwester,  bange  Seufzer  abschikken  und 
heisse  Thränen  vergiessen.  Schon  ist  der  Tod,  der  König  der  Schrekk- 
nisse  mit  allen  seinen  fürchterlichen  Vorboten  so  deutlich,  so  ent- 
scheidend auf  den  verstellten  Antlizen  dieser  kleinen  Engel  gemahlt! 
Er  kommt,  jedes  Wort  der  sterbenden  dringt  bis  ins  innerste  der 
Seelen,  jeder  Augenblikk  wird  allen  schrekklicher,  und  nun  sind  Sie 
dahin  auf  ewig  von  Ihnen  geschieden  I  Hie  werden  Sie  dieselben 
nie,  nie  wiedersehen!  O  welch  ein  Schmertz!  Allein  es  sind  ja  nur 
noch  wenige,  wenige  Tage  dieser  kurzen  Lebens  Zeit,  auch  flu-  uns 
bestimmt,  da  wir  aufhören  sollen  zu  trauren.  Freund  schaue  auf 
zu  jenen  gestirnten  Gefilden,  den  Sonnen  die  sich  in  stiller  Majestät 
um  den  Thron  Gottes,  des  Vaters  aller  erschaflenen  Geister,  wälzen; 
dort  sind  die  Versammlungen  aller  derer,  die  Ihm  eigenthümlich  an- 
gehören, die  der  Blutbürge  erkauft,  gewaschen  von  aller  anklebenden 
Schwachheit,  und  nun  zu  einer  Herrlichkeit  verklährt,  die  kein  im 
Staube  noch  wandelnder  Sterblicher  kennt;  dort,  dorthin  hat  der 
Glaube  an  diesen  Erlöser,  auch  diese  zwo  jungfräiüiche  Seelen  hin- 
versetzet, dort  waiideln  sie  unter  den  Verklährten  Vorfahren  und 
Freunden;  die  hohen  BegiüfiTe  von  Seeligkeit  und  Wonne  fliessen  in 
ihre  anbetenden  Herzen  hinein,  im  Antlize  jedes  Seeligen  und  Engels 
ist  Unterricht  von  Gott  und  seiner  wunderbaren  Kegierung  der  Welt, 
von  den  Wundern  seiner  Werke  der  Natur  und  den  noch  herrlicheren 
Wundern  der  Gnade  zu  lesen;  ihr  blödes  schüchternes  Auge  scheuel, 
die  Dinge  welche  dort  nur  geglaubet  gehofiet  worden,  und  ein  Blikk 
in  die  Liebe  des  Allmächtigen  hineingcsand  füllt  sie  mit  unaufhth-- 
licher  Wonne  und  Seeligkeit.  Und  wir  Freund,  wir  sind  noch  im 
Staube,  in  der  Vergänglichkeit  dahinten,  noch  hängt  unsere  unvoll- 
kommene Seele  oft   an  diesen   eitel n   Dingen,    noch   vergiessen   wir 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  25 


386  licitrüge  zur  Kenntnis  flcfunr  Forsters. 

Thräneii!  Misgüiiiieii  wir  die  Secligkeit  den  abgeschiedenen  Unsrigen, 
das  wäre  ja  elend !  Wie  solte  das  mit  unserer  Liebe  und  Zärtlichkeit 
übereinstimen  ?  Allein  wir  sind  ja  schwache  Menschen,  wir  können 
ja  den  Abgeschiedenen  nicht  den  Tribut  der  Menschlichkeit  versagen  I 
Gut!  Allein  lassen  Sie  uns  auch  klagen  als  solche  die  Jiicht  ganz 
ohne  ITofnung  sind.  Wir  versehen  uns  dass  die  Unsrigen  der  Seelig- 
keit  geniessen;  es  ist  unsere  Pflicht  die  nie  aus  dem  Auge  zu  lassen, 
uns  zu  derselben  zu  bereiten,  und  durch  einen  vernünftigen  AVandel, 
eine  aufgeklährte  Hofjiung,  und  starkes  auf  den  Allmächtigen  ge- 
gründetes Vertrauen  der  Seeligkeit  und  des  Wiedersehens  unsrer 
vorausgegangenen  Freunde  zu  versichern.  i 

Die  folgenden  Monate  waren  Vater  und  Solm  unausgesetzt 
bei  der  Arbeit,  und  die  Bogen  der  englischen  Ausgabe  sowie 
das  Manuskript  der  deutschen  Übersetzung  gingen  päckchenweise 
nach  Berlin  ab.  Zu  dem  immer  drückender  werdenden  finan- 
ziellen Notstande  in  Forsters  Familie  kamen  nun  auch  Anfang 
1777  infolge  der  übermäfsigeu  Anstrengungen  Krankheiten, 
namentlich  Georgs:  'George  ist  sehr  schwach;  der  gute  Junge 
verdienet  gewiss  Gottes  besten  Lohn  für  seine  Treue  an  mir 
und  seinen  Geschwister'  schreibt  der  Vater  am  9.  Januar  1777. 
Von  Spener  kam  längere  Zeit  keine  Nachricht  über  richtigen 
Empfang  der  Manuskriptsenclungen :  ein  Brief  Georgs  vom 
28.  März  (7)  fragt  in  dringlichster  Weise  nach  den  Gründen  des 
langen  Stillschw'eigens :  er  ist  nicht  privatim  an  den  Freund, 
sondern  officiell  au  die  Buchhandlung  gerichtet;  ebenso  der  fol- 
gende vom  1.  Juli  (8).  Einem  Briefe  des  Vaters  vom  29.  Juli 
ist  folgender  Brief  Georgs  beigefügt: 

9. 
London  d.  29*^"  .Tul.  1777.   Dienstag. 

Ihren  Brief,  Liebster  Freund,  D.  Dodd  ^  betreflend,  habe  ich 
vorigen  Sonnabend  richtig  erhalten.  Der  Welt-Beseegler,  der  Natur- 
kündiger  und  Geschichtschreiber  dieser  gi'ossen  Reise,  soll  also  zum 
Biographen  umgeschaffen  werden,  und  wessen  Biographen!     Doch 


'  Man  vergleiche  hierzu  die  Äufseruugen  Georgs  über  ein  AViederseheu 
nach  dem  Tode  in  einem  Briefe  an  Heyne,  Briefw.  II,  105. 
f9)  I  W.  Dodd  (1729  geboren),  Verfasser  der  Brmities  of  Slialesjjeare.  kgl. 
Hofprediger  in  London,  wurde  wegen  Wechselfälschung  am  27.  Juni  1777 
in  Tyburn  hingerichtet.  Forster  schrieb  sein  Leben  (?^ämtl.  Sehr.  V,  W), 
das  aber  erst  1779  erschien:  vgl.  Briefw.  I,  241.  245. 


Beiträge  zur  Keimtiii.s  Georg  Forsters.  887 

Sie  "wollens  haben  und  ich  will  nichts  einwenden.  Ich  verstehe  voll- 
kommen was  Sie  in  ansehung  dieses  Doktors  von  mir  verlangen,  und 
obgleich  der  Pultrach  -  den  Sie  anführen  keinen  Helden  von  Tyburn 
vorgenommen,  will  ich  mich  wol  heranwagen.  Nur  schreibe  ich  was 
ich  heute  darüber  vernommen,  zur  vorläufigen  Notiz,  Avornach  Sie 
sich  zu  richten,  und  mir  fernere  Befehle  zu  ertheilen  haben.  Ausser 
den  Zeitungs-Ehapsodieen,  sind  zwo  Nachrichten  von  Dodds  Leben 
heraus,  die  nach  aussage  eines  unpartheyischen  Mannes,  beyde  in 
Ansehung  der  Facta  richtig  sind,  und  worauf  man  sich  verlassen 
kann.  Die  dritte  Beschreibung  soll  auf  den  Winter  publicirt  werden, 
und  wird  von  D.  Dodds  Bruder  und  D.  Butler,  seinem  Freunde,  ge- 
schrieben. Hier  wird  freilich  alles  ausführlicher  stehen,  und  natür- 
licher Weise  eben  das  was  Sie  vermeiden  wollten,  nemlich  die  Pathen, 
und  die  Hosen  seh — reien  angemerkt,  die  gute  Seite  des  Delinquenten 
in  den  glänzendsten  Farben  gemahlt,  seine  Fehler  und  Laster  aber 
schön  bemäntelt  werden.  Scharteke  oder  Catchpenny  wird  maus 
aber  wohl  nicht  nennen  können.  Mir  kömmt  es  vor,  als  wollten  Sie 
das  Leben  Dodds  auf  die  nächste  Leipziger  Messe  fertig  mitnehmen. 
Wenn  dem  also  ist,  sehe  ich  kein  ander  Mittel  als  dass  ich  auf  ihren 
Plan  das  Dingelchen  ausarbeite,  welches  höchstens  vier  ä  fünf  Bogen 
oder  auch  wohl  sechs  Bogen  betragen  könnte.  In  Ermangelung 
dessen,  müssen  Sie  damit  bis  auf  die  nächste  Oster  Messe  warten. 
Mir  ist  der  Auftrag  in  so  ferne  angenehm,  weil  ich  aus  Ilu*em  Briefe 
sehe,  Ihre  Grundsätze  kommen  w^as  Dodd  betrift  völlig  mit  den  Mei- 
nigen überein.  Ich  bin  beständig  der  Meinung  gewesen,  dass  mau 
ihm  nicht  das  Leben  schenken  müsse;  und  Sie  Avissen  ich  bin  das 
Gegentheil  der  Hartherzigkeit  und  Grausamkeit,  ohne  Ruhm  zu 
melden;  weil  das  vielleicht  an  meinem  Temperamente  liegt.  Frei- 
lich müssten  Beschreibungen  der  Institute  und  ihre  Entstehungs 
Geschichten  eingewebt,  wie  auch  Moralische  Reflexionen  hin  und 
wieder  cum  grano  salis  angebracht  werden.  Ich  will  tliun  als  hätte 
ich  jiositive  Ordre  fortzuarbeiten ;  kommt  denn  au  retour  du  C^ourier 
ihre  Antwort  dass  ichs  nicht  liefern  soll,  so  hals  nichts  zu  bedeuten  — 
Hingegen  wollen  Sies  nach  obiger  AVarnung  doch  haben,  so  ists 
desto  besser  dass  ichs  fertig  habe.  Bildnisse  die  Dodd  ähnlich  sahen 
giebts  gar  nicht;  es  ist  nur  ein  Mezzotinto,  der  wie  man  sagt,  auch 
nicht  viel  ähnlichkeit  hat;  —  M?  Dodd  aber  hat  ein  Porti-ait 
welches  ihm  vollkonmien  gleich  sieht;  allein  die  Erlaubnis  es  co- 
jiiren  zu  düi^fen,  und  denn  die  Kosten  der  Copey!  Was  sagen  Sie 
dazu  mit  umlaufender  Post?  Kann  ich  inzwischen  etwas  von  der 
Art  auftreiben  ehe  Sie  wieder  darüber  sclireiben,  so  will  ich  nicht 
ermangeln  es  Ihnen  zu  schicken.  —  So  weit  über  den  D.  Dodd, 

Mit  heutieer  Post  crehen  acht  Bösen  MS.  von  der  Reisebeschrei- 


Entstelluug  von  Plutarch? 


388  I'citräge  zur  Kenntnis  Georg  Försters. 

billig  an  die  Herren  Breitenfels  und  Gregory  ab,  um  Ihnen  zu- 
spedirt  zu  werden.  Es  bleiben  noch  36  Bogen,  davon  ich  schon  14 
fertig  habe,  aber  jetzt  nicht  schicken  kann,  weil  Rasjjc  die  sechs 
nächst  folgenden  nocli  nicht  gemacht  hat.  Sie  hätten  überhaupt  das 
ganze  schon  lange  erhalten,  wenn  er  mich  nicht  beständig  aufge- 
halten, und  mit  Hofnungen  amüsirt,  bis  es  endlich  Ernst  werden  und 
ich  selber  Hand  an  legen  musste,  welches  ich  doch  lieber  veniiieden 
hätte  weils  immer  besser  aus  einer  Feder  kommt.  Indessen  habe  ich 
gesucht  meinen  Styl  dem  seinigeii  ähnlich  zu  halten,  und  fehlt  ja 
hin  und  wieder  etwas,  gehts  lahm,  u.  s.  w.  so  werden  Sies  zurecht- 
hammern  müssen.  Wo  es  nur  möglich  ist  will  ich  mit  künftiger 
oder  gewis  spätestens  mit  der  Dienstags  Post  wieder  acht  bis  zehn 
Bogen,  dann  den  folgenden  Posttag  zuverlässig  wieder  zehn  Bogen, 
und  den  nächstfolgenden  alles  schicken.  Sie  müssen  unterdessen  so 
drukken  wie  wir  hier  in  England  an  der  Engl.  Ausgabe,  nehmlicli 
a  raison  de  deux  ou  trois  feuilles  par  jour.  sonst  stelle  ich  mir  nicht 
vor  wie  Sie  zur  Messe  fertig  werden  wollen.  Ich  versichre  Ihnen 
auf  das  Wort  eines  ehrlichen  Mannes,  wenn  H.  Raspe  mich  nicht 
so  ausserordentlich  desappointirt  hätte,  würde  ich  Sie  nicht  in  die 
Verlegenheit  gesetzt  haben,  die  ich  in  aller  ihrer  Stärke  und  Un- 
annehmlichkeit empfinde.  Was  ich  in  der  Sache  überhaupt  thue, 
würde  sehr  unrecht  ausgelegt  werden,  wenn  maus  irgend  einem  an- 
dern Beweggrunde  als  meiner  wahren  aufrichtigen  Freundschaft  zu- 
schriebe ^  denn  au  foiid  de  l'afFaire,  ists  meine  Sache  nicht;  ich 
habe  nichts  davon,  und  der  Contract  ist  nicht  mit  mir  geschlossen 
worden;  ich  habe  mich  auch  zu  nichts  anheischig  gemacht.  Allein 
so  ein  Nothfall  biethet  meine  Hülfe  auf,  und  bei  jeder  andern  ähn- 
lichen Gelegenheit  stehe  ich  meinem  Freunde  zu  Dienste  —  Thätig 
und  uneigennützig  mus  Freundschaft  seyn  sonst  kann  sie  nur  das 
Wortspiel  eines  Franzosen  oder  Engelländers ,  aber  nicht  wahres 
edles  Gefühl  heissen.  —  Vielleicht  wundern  Sie  sich  dass  ich  die 
Bogen  des  MS.  nicht  recta  (ohne  den  Umschlag  an  B  und  G.)  nach 
Berlin  schicke;  Allein  ich  habe  verschiedne  Ursachen.  —  Erstlich 
kein  Geld  soviel  Postgeld  zu  zahlen.  —  Zweitens  weil  ich  wie  mich 
däucht  gehört  habe,  die  Kaufleute  in  Amsterdam  zahlen  ans  Postamt 
eine  jährliche  Summe  ein-  für  allemahl.  —  Man  ist  hier  zu  Lande 
so  sehr  des  elendsten  Eigennutzes  gewohnt,  und  man  hat  so  selten 
mit  edlen  Seelen  zu  thun,  dass  man  kaum  glauben  kann,  es  gäbe 
noch  Leuthe  die  über  Kleinigkeiten  sich  wegsetzen  können.  Man 
denkt  sogar  dass  die  grosse  Auslage  die  Sie  jetzt  an  Postgelde  machen 
müssen,  übel  genommen  werden  könnte  —  Ich  will  hier  nicht  noch 
einmal  anführen,  dass  das  kleinere  Uebel  dem  grösseren  immer  vor- 
gezogen werden,  und  dass  man  lieber  ein  paar  guineen  Postgeld 
zahlen  müsse,  ehe  man  drüber  die  Messe  versäumte;  ich  will  blos 
sagen   dass  falls  Sie  es  nicht  tragen  Avollen,  Sies  mir  von  den  ver- 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters.  389 

sprochenen  ten  guineas  abziehen  mögen,  weil  der  Schritt  auf  lu  e  i  n 
risico,  auf  mein  ernstliches  Anrathen,  u.  s.  w.  geschieht.  Kommt 
D.  Dodds  Leben  nicht  aus  meiner  Feder,  so  bleibe  i  c  h  Ihnen  dies 
Postgeld  schuldig,  und  Sie  sind  so  gut  mir  auf  mein  ehrliches 
Gesicht  so  lange  zu  trauen  bis  ich  bezahlen  kann.  —  Ich  setze  jetzt 
noch  einige  Sachen  her,  die  dem  Deutschen  Leser  meiner  Reise  ent- 
weder unentbehrlich,  oder  doch  wenigstens  nüzlich  seyn  könnten. 

. . .  Schreiben  Sie  mir  doch,  welche  Platten  Sie  stechen  lassen  ? 
und  wie  Ihnen  mein  Buch,  welches  Sie  jetzt  vermuthlich  ganz  ge- 
lesen haben,  im  Ganzen  gefällt.  Ich  kenne  die  Fehler  selbst  viel- 
leicht besser  als  sonst  jemand;  Wiederhohlungen,  unbestimmte  Re- 
flexionen, und  viele  unausgeführte  Punkte  wo  ich  \'iel  zu  sagen  ge- 
habt hätte.  Allein  man  bedenke,  dass  ich  auf  der  Post  schrieb,  und 
oft  2  Bogen  par  jour  componirte.  Wäre  es  wieder  zu  corrigiren,  so 
könnte  ichs  besser  machen ;  doch  wer  hat  je  ein  vollkommnes  Buch 
gesehn '?  Zwar  Raspe  droht  mir  dass  es  das  beste  ist  welches  ich  je 
schreiben  werde  —  Ich  bin  auch  das  zufrieden,  wenns  nicht  anders 
seyn  kann. 

Es  ist  wieder  ein  Buch  geschrieben  das  seinen  Meister  lobt.  — 
The  Spirit  of  Athens,  by  William  Young  Esq.  ^  Der  Autor  ein 
junger,  feuriger  Mann,  den  man  für  blödsinnig  gehalten  bis  die  ver- 
borgne Glut  aufloderte  und  lichte  Flammen  sclilug.  Nicht  die  Ge- 
schichte Athens,  sondern  Blicke  in  die  Springfedern,  die  eine  Repu- 
blik zum  grössten  Herrlichsten  System  von  Politischer  Verfassung 
machen,  die  Griechenland  der  Nachwelt  so  gross  und  wichtig  machen, 
die  Künste  und  Wissenschaften  so  hoch  empor  hoben,  die  auch 
wieder  den  Sturz  dieses  edlen  Gebäudes  verursachen.  Die  Geschichte 
Griechenlands  mus  man  schon  verstehen  und  inne  haben ;  Alsdenn 
folgt  man  den  Adlerblicken  unsers  Youngs,  seinem  forschenden,  tief- 
denkenden, und  immer  richtig  urtheilenden  Geiste,  seinem  recht- 
schafnen  Herzen,  —  mit  Vergnügen  und  Theilnehmung  im  höchsten 
Grade  —  Raspe  hat  an  Boden  desfalls  geschrieben,  und  ihm  ge- 
rathen  es  zu  übersetzen.  Wenn  ers  nicht  thäte,  was  meinen  Sie? 
Wollten  Sies  übernehmen?    Ich  möchte  mich  dran  probiren.  — 

Noch  nichts  gewisses  aus  Amerika.  Das  hiesige  Ministerium 
ist  mit  Neuigkeiten  heindich  und  hält  zurück.  Mit  Frankreich 
scheints  nicht  recht  klar  zu  seyn;  vielleicht  giebts  wirklich  bald 
Krieg  mit  dieser  Macht.  Die  Minorität  schreit,  weil  die  Amerika- 
nischen Kaper  an   der  Küste  von  Engelland   viele  Schifte  nehmen. 


^  Erschienen  London  1777;  eine  Neubearbeitung  oder  zweite  Auflage 
davon  erschien  17S()  als  Tlic  Instory  of  Athens  poHt/calh/  and  philosoplii- 
cnlhf  coHsidcred  in'tli  flic  Vicic  to  an  Lnrstigation  of  tlic  Innncdinfc  Caitsrs 
nf  Elevation  and  of  De^Une  Operative  in  a  Free  and  Coniniercial  State 
(Mitteihmg  G.  Roethes);  eine  dritte  Auflage  18U4. 


390  Beiträge  zur  Kcimliiis  (icurg  Försters. 

Was  daraus  werden  wird   weis  kein  Menseh,   und  weniger   als  alle, 
Ihr  treuer  Freund  und  crge1)enst,er  George  Forster. 

[Am  Rande:]  Ihr  ehrlicher  Dähne  der  mit  seinem  Grafen  Düji- 
hoff*  schon  lange  hier  ist,  lässtSie  recht  herzlich  grüssen.  Es  ist  ein 
kreuzbraver  Deutscher,  und  der  Graf  ein  allerliebster  Junger  Herr. 
Meinen  Bruder  bitte  ich  versichern  Sie  meiner  Liebe  und  Freund- 
schaft, und  entschuldigen  mich  bei  ihm  (denn  Sie  wissen  waruinj 
dass  ich  nicht  geschrieben.  Empfehlungen  mit  Versicherung  der  auf- 
richtigsten Hochachtung  an  den  guten  Gelehrten  D.  Martini,  eben- 
falls bei  ihm  entschuldigen  Sie  mein  Stillschweigen. 

Bald  darauf  war  der  Druck  der  englischen  Reise  beendet 
und  Reiuhold  Forster  beauftragt  am  1.  Septeml^er  1777  Spener 
für  Dedikationen  an  den  König  von  Preulsen  \md  an  den  Fürsten 
von  Anhalt -Dessau  (vgl.  auch  Brief w.  I,  208)  zwei  Exemplare 
von  der  deutscheu  Reise  fein  binden  zu  lassen.  Im  Oktober 
und  November  desselben  Jahres  machte  Georg  die  Reise  nach 
Paris  (Brief w.  I,  23).  Reinhold  Forster  ist  für  die  übrige  Zeit 
von  Georgs  Aufenthalt  in  England  nun  der  Hauptkorrespondent, 
während  von  Georg  selbst  nur  noch  ein  uudatierter  Brief  aus 
London  erhalten  ist,  der  ins  Jahr  1778  gehört  und  jedenfalls 
nicht  lange  vor  seiner  Abreise  uach  Holland  geschrieben  ist,  die 
am  23.  Oktober  von  Harwich  aus  stattfand. 

10. 
Geliebtester  Freund 
Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  dies  Blatt  abgeschnitten,  und 
nur  für  Ihr  Auge  aufbewahrt  werden  muss.  Oh!  wie  vielen  Dank 
bin  ich  Ihrem  warmen  Herzen  schuldig,  das  für  mich  in  der  Ent- 
fernung sorgt,  wenn  alle  Welt  mich  verlassen  hat.  Zwar  weis  ich 
wie  gross  die  Beruhigung,  bald  hätte  ich  gesagt  die  AYollust  ist, 
welche  man  bei  Ausübung  guter  Handlungen  empfindet,  und  folg- 
lich dürfte  ich  Sie  glücklich  preisen,  dass  Sie  gelegenheit  gefunden 
am  Wohl  eines  redlichen  Jungens  zu  arbeiten ;  allein  dieser  Lohn  der 
im  Bewusstseyn  eines  Tugendhaften  Wandels  besteht,  ist  doch  nicht 
Ihren  Verdiensten  angemessen,  und  gewds,  es  wird  die  Zeit  kommen, 
Avo  auch  noch  die  Sonne  Ihnen  scheinen,  und  Ihr  trübes  Auge  er- 
heitern wird.  Ich  bete  eifrigst  dass  der  Augenblick  der  Ihre  Trüb- 
salen  endigen  soll,  nicht  lange  ausbleiben  möge  und   dass  wir  zu- 

^  Vgl.  Briefw.  I,  2U3. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters.  391 

sammcn    noch    iniinchen    fröhliclien   Tag   erleben   mögen.   —    Jetzt 
zur  Sache. 

Stellen  Sie  sich  vor,  welch  einen  Kampf  in  meiner  zerschlagenen 
Brust  Ihr  letzter  Brief  erregt  hat  —  einen  Kampf  zwischen  dem 
principio  das  für  meine  Selbsterhaltung  wacht,  und  der  Liebe  gegen 
meine  Eltern  und  Geschwister.  Grosser  Gott!  in  welcher  schreck- 
lichen Lage  soll  ich  diese  unglücklichen  Verlassen!  Es  ist  wahr, 
ich  bin  hier  ganz  müssig  und  unnüz;  allein  ich  kenne  meinen  Vater; 
er  wird  mir  zuverlässig  vorwerfen,  dass  ich  ihn  im  Unglück  verlassen 
will,  und  nur  für  mich  sorge,  ohne  Gefühl  für  fremde  Leiden,  und 
was  der  Beschuldigungen  mehr  sind,  die  den  Unglücklichen  niemals 
fehlen.  Uebrigens  werde  ich  meine  jNIutter  und  Geschwister  ganz  und 
gar  seiner  üblen  Laune  überlassen,  und  es  wird  keiner  seyn,  der  ein 
tröstliches  Wort  spräche,  um  ihr  Leiden  zu  erleichtern.  Werden  sie 
endlich  nicht  selbst,  auf  die  Vermuthung  fallen,  dass  ich  weggegan- 
gen, um  mich  dem  Elende  zu  entreissen,  ohne  für  ihre  Erhaltung 
Sorge  zu  tragen,  und  oh !  Avie  weh  wird  dieser  Verdacht  mir  thun 
müssen,  da  ich  unschuldig  bin?  —  Die  einzige  Aussicht,  die  mir 
hier  noch  übrig  bleibt,  steht  auf  so  wankenden  Füssen,  dass  ich  als 
ein  verständiger  Mensch  nicht  darauf  rechnen  sollte:  Aber  werden 
meine  Verwandte  mirs  nicht  vorwerfen,  wenn  ich  den  Erfolg  nicht 
wenigstens  abwarte.  In  meinem  letzten  Briefe  vergas  ich  zu  sagen 
worinn  diese  Hofnung  bestünde.  Es  ist  ein  Vorschlag,  im  Anfang 
Novembers  öffentliche  Vorlesungen  über  Naturgeschichte  ankündigen 
zu  lassen  —  ä  3  Guineen  den  halbjährigen  Cursum.  Bei  der  jetzigen 
verwirrten  Lage  der  Sachen,  ist  aber  nicht  wahrscheinlich  dass  ich 
eine  hinlängliche  Zahl  von  Zuhörern  erhalten  würde,  da  überdies 
Naturkunde  nicht  mehr  Lieblingswissenschaft  ist,  und  ein  Anfänger 
auch  nicht  gleich  grossen  Fortgang  erwarten  darf.  Daneben  erwarte 
ich  aus  Paris  von  Panckoucke  ein  noch  nicht  publicirtes  Werk  des 
Hrn.  V.  Büffon,  les  epoques  de  la  Nature, '  ein  Quai'tband,  der  von 
jedermann,  dem  er  daraus  vorgelesen,  als  sein  chef  d'oeuvre  ange- 
sehen wurde.  Ich  speculire  auf  eine  Englische  LTebersetzung.  Allein 
wenn  ich  bedenke,  dass  während  dem  Kriege,  der  noch  dazu  sehr 
unglücklich  für  England  ablaufen  mögte,  der  Buchhandel  ganz  und 
gar  darnieder  liegt,  so  muss  ich  befürchten,  dass  mein  Vorschlag 
dies  Buch  hier  zu  übersetzen,  schlechterdings  nicht  einmal  ange- 
nommen, und  auf  allen  Fall  gewis  nicht  gehörig  bezahlt  werde.  Der 
einzige  Buchhändler  der  jetzt  noch  was  macht  is(  Cadell,  der  in 
der  Hof  und  Ailmiralitäts  Parthei  ist,  ein  Scliotthlnder  ist,  Cooks 
Werk  verlegt,  und  folglich  auf  alle  Art  und  ^V'eise  unser  Feind 
ist.  —  Habe  ich  nun  recht,  wenn  ich  diese  zwo  ungewisse,  höchst 
unscheinbare    x^LUSsichten    gegen    die    geringe    Berliner    Gewissheit, 

'  Vgl.  Briefw.  I,  2'29.  24«i. 


392  Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Försters. 

(denn  so  inuss  ich  sie  billiger  Weise  im  Gegensaz  nennen,)  ver- 
tausclie  ? 

Nach  der  reifsten  Ueberlegung,  deren  mein  jetzt  schwacher  Kopf 
fähig  war,  und  nach  Anhörung  aller  Gründe,  damit  eine  andre  Per- 
son mich  zum  Hierbleiben  zu  bewegen  suchte,  —  bin  ich  doch  ent- 
schlossen zu  Ihnen  zu  kommen,  und  das  nicht  sowohl  um  des  gegen- 
wärtigen, sondern  des  Zukünftigen  willen.  Ich  vermuthe  dass  es 
mir  nicht  schwer  werden  wird  in  Berlin  mit  der  Fortsezung  des 
Büffons  und  des  Naturlexikons  2  jährlich  lOU  Guineen  zu  verdienen, 
wofür  ein  einzelner  Mensch  dort  ganz  gut  sein  Auskommen  haben 
kann.  —  Nebenher  glaube  ich  noch  Zeit  zu  andern  Beschäftigungen, 
als  einer  Art  von  delassement  überflüssig  zu  haben ;  und  dies  möchte 
mir  auch  noch  eine  Kleinigkeit  einbringen,  welche  ich  an  meine 
Mutter  zu  übermachen  schon  im  Voraus  bestimmt  habe.  Stürbe 
denn  in  der  Zwischenzeit  der  alte  brave  Sulzer,  ^  welches  ich  doch 
gewis  nicht  wünsche,  so  wäre  ich  gleich  zur  Hand,  und  kriegt«  viel- 
leicht mit  wenigerer  Mühe  den  botanischen  Garten,  als  wenn  ich 
hier  bleiben  sollte.  Alsdenn  hätte  ich  alles  was  ich  mir  wünschen 
dürfte,  und  könnte  den  grössten  Theil  von  meines  Vaters  Familie 
von  dem  Meinigen  ernähi'en.  —  Lachen  Sie  nur  über  den  hof- 
nungslosen  Menschen,  der  Ihnen  lezthin  und  heute  noch  solche 
Jeremiaden  sclu'ieb,  vuid  jetzt  schon  Luftschlösser  baut.  Ach  mein 
Freund,  so  ists  doch  wenigstens  möglich  dass  uns  mit  der  Zeit 
geholfen  werde,  aber  wenn  der  erste  Schritt  nie  gethan  wird,  wie 
kann  man  da  was  ferneres  erwarten  ?  Ich  habe  ^'iel  zulange  umsonst 
geharrt  und  gehofft,  als  dass  ich  mich  jetzt  auf  entfernte  Aussichten 
verlassen,  und  mit  imaginairem  Glücke  schmeicheln  sollte  —  Allein 
ich  denke  ich  muss  das  Meinige  thun  und  nach  meinem  Gewissen 
handeln,  es  komme  daraus  was  Gott  der  Herr  fügen  wird.  — 

Sie  werden  sehen,  dass  ich  in  meinem  ostensiblen  Briefe  Ihre 
Formul  genau  befolgt  habe.  Ich  kann  nicht  von  meiner  Geschick- 
lichkeit zu  der  vorgeschlagenen  Arbeit  sprechen  —  ich  glaube  auf- 
richtig und  ohne  Prahlerei  dass  ich  ihr  gewachsen  bin  —  Sie  kennen 
mich  bester  Freund  — -  und  dies  ist  genug. 

Zur  Reise  sind  1.50  -^^  stipulirt.  Es  wird  freilich  etwas  spät 
im  Jahre  seyn  nach  Hamburg  zu  reisen,  inzwischen  mus  es  gewagt 
seyn,  denn  zu  Lande  kostete  selbst  auf  dem  Postwagen  die  Reise 
wol  zu  viel  ?  nicht  wahr  ?  Schi'eiben  Sie  mir  hierüber  ausführlich.  — 
100  ^f  sind  ganz  gut;  allein  mein  Freund,  ich  habe  ein  12  Guineen 


^  Martini  hatte  eine  Übersetzung  von  Buifons  Allgemeiner  Natur- 
geschichte und  Naturgeschichte  der  Vögel  sowie  ein  Naturlexikon  be- 
gonnen, die  Forster  nach  jenes  Tode  (1778)  fortsetzen  sollte;  vgl.  zum 
Buffon  Brief w.  I,  183.  214.  218.  221.  243;  II,  747;  an  Sömm.  (J.  10;  zum 
Naturlexikon  Briefw.  I,  181.  183.  18").  249;  an  Sömm.  lo.  ^  Er  starb 
am  27.  Februar  1779;  vgl.  auch  Briefw.  I,  201. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters.  393 

hier  zu  bezahlen  ehe  ich  weggehe.  Werfen  Sie  mir  nicht  vor  dass 
ich  Schulden  gemacht  habe.  Die  Noth  hat  mich  gezwungen,  zuweilen 
im  Stillen  zur  Wirthschaft  eine  Cleinigkeit  zu  geben,  um  nur  den 
Hausfrieden  zu  erhalten,  und  diese  Kleinigkeit  war  geborgt.  —  Ge- 
wisse Kleidungsstücke  werden  auch  unumgänglich  nöthig  seyn,  ehe 
ich  mich  auf  den  Weg  mache  —  ich  denke  nicht  mich  ganz  hier  zu 
kleiden,  da  solches  in  Deutschland  wolf eiler  ist  —  ich  sage  nur  un- 
entbehrliche Stücke.  Ein  anderer  Vorschuss  von  100  „-^  wäre 
also  noch  unentbehrlich  und  wo  kriege  ich  den;  und  wie  muss  ich 
mich  hernach  einschränken  um  mit  300  „-^  ein  ganz  Jahr  kümmer- 
lich zu  leben?  —  Ich  nehme  meines  Vaters  Observations*  mit, 
um  die  Uebersetzung  zu  vollenden,  wo  ich  sie  in  der  ZAvischenzeit 
nicht  fertigkriegen  sollte.  Fällt  Ihnen  ein  kleine  Arbeit  bei,  die  ich 
für  Sie  unternehmen  und  bald  endigen  könnte,  so  schlagen  Sie  mir 
nur  gleich  vor,  ich  nehme  das  Buch  mit,  und  übersetze  unter  Ihrer 
Aufsicht,  nicht  mehr  in  böses  englisches  Deutsch,  sondern 
gutes,  reines,  etc.  etc.  —  Dafür  käme  dann  die  unterthänige  Bitte 
und  Zumuthung  —  mir  auf  eine  Zeitlang  die  verlangten  1 00  «^  vor- 
zustrecken, bis  ich  sie  entweder  abgearbeitet,  oder  wieder  bezahlt 
habe.  Im  Ernst,  ich  schäme  mich  Lanen  diesen  Vorschuss  zuzu- 
muthen,  Ihnen,  dessen  Lage  ich  kenne,  der  schon  so  vieles  unent- 
geltliches für  uns  Armen  gethan,  der  schon  längst  im  Vorschusse  bei 
uns  steht,  und  nicht  sobald  herauskommen  wird  — -  Aber  was  ist  zu 
thim?    Schlagen  Sie  mir  was  bessers  vor  — 

Noch  eins  —  Sie  verlangten  von  mir  einen  ostensiblen  Brief.  — 
Jetzt  verlange  ich  dass  ihre  Antwort  hierauf  gleichfalls  ostensible 
sey  —  damit  der  Hausfrieden  nicht  leide  — .  Sie  richten  Ihn  also 
ein,  „als  geschähe  mir  der  Antrag  nun  zum  ersten  und  letzten 
male,  und  als  wüsste  ich  noch  nichts  davon,  und  sie  verlangen  cathe- 
gorisches  Ja  oder  Nein.  Um  alles  Dingens  überhoben  zu  seyn, 
hätten  Sie  selbst  alles  aufs  genaueste  zu  meinem  Vortheile  bedungen, 
namentlich  —  (wie  die  Bedingungen  denn  lauten  mögen.)  und  da 
wäre  nun  auch  nichts  ab  oder  zuzusetzen,  weil  das  Ding  pressire, 
und  ich  Ja  oder  Nein  sagen  müsse."  Das  alles  so  süss  und  rüh- 
rend, und  vortheilhaft  für  die  ganze  Familie  vorgestellt,  dass  es 
seine  Würkung  ja  nicht  verfehlen  möge,  und  vor  allen  Dingen  mit 
einer  Hofnung  für  meinen  Vater  auf  künftige  Zeiten  begleitet. 

Noch  einmal  dank'  ich  für  alles  Gute  an  uns  in  Percystreet 
und  Breslau  ausgeübte.  Ich  nehme  meine  Vorwürfe  an  meinen 
Bruder  auch  wieder  zurück.    Gott  lohn  Ihnen  Ihre  Sorge.    Die  Fr. 


''  Observations  mmle  during  a  Vbijage  round  the  World  on  Physich 
Geography,  Natural  Ilisfonj,  and  Etliic  Pkilosopl///,  London  1778;  vgl. 
Briefw.  II,  708.  7?.l ;  zur  Übersetzung  an  Sömm.  10.  Briefw.  I,  301.  318. 
312.  346,  3.55.    Sämtl.  Sehr.  VII,  2(io.    Die  Übersetzung  erschien  erst  1783. 


394  Reiträpje  zur  Krnufnis  Cleorg  Forsters. 

und  Eng].  Flotten  haben  sich  derb  geschlagen,  und  beiderseits  reti- 
rirt,  ohne  den  Sieg  davoii/Aitragen.  Die  Fr.  flotte  ist  noch  am  wenig- 
sten zerstreut  gewesen,  denn  Sie  ist  en  ordre  de  bataille  geblieben, 
ohne  von  Keppel  von  neuem  angegriffen  zu  werden.  Oh!  wie  sind 
die  Zeiten  seit  1762  verändert!  —  Icli  umarme  Sie  theuerster  Freund 
und  hoffe  schon  Sie  in  B.  zu  umarmen.    Adieu.  G  F. 

[Am  Rande:]  Wenn  Sie  an  mich  besonders  schreiben,  so  richten 
Sie  nur  immer  Ihre  Briefe  sous  Enveloppe  an  Elmsly;  denn  sind 
sie  nicht  sous  enveloppe,  so  könnten  die  Postträger  sie  doch  nach 
Percy  Street  bringen  ohnerachtet  at  M';    Elmsly's  drauf  steht. 

II.    Reise   nach  Deutschland   (1779). 

Am  23.  Oktober  1778  trat  Georg  seine  Reise  nach  Holland 
und  Deutschland  an,  den  Blick  auf  die  ihm  von  Spener  er- 
öffneten Aussichten  gerichtet  und  mit  dem  Wunsche,  seinem 
Vater  durch  deutsche  Vermittelung  Erlösung  aus  seiner  uner- 
träglichen Lage  und  eine  Anstellung  in  Deutschland  zu  ver- 
schaffen, die  seinen  wissenschaftlichen  Verdiensten  und  seiner 
Begabung  entsprach.  Die  Briefe  aus  dieser  Zeit,  die  ersten  des 
gedruckten  Briefwechsels,  schildern  die  stille  gläubige  Ergeben- 
heit, die  frohe  Sicherheit,  die  reine  herzliche  Pietät  des  edlen 
Jünglings.  Zuerst  reiste  er  über  Rotterdam,  Haag  und  Amster- 
dam nach  Düsseldorf,  wo  ihn  Jacobi  freundlich  aufnahm,  und 
traf  Ende  November  in  Kassel  ein.  Hier  Avurde  er  im  Dezember 
als  Professor  der  Naturkunde  am  Carolinum  angestellt,  erhielt 
jedoch  gleich  Urlaub,  um  nach  Berlin  reisen  und  die  eingegan- 
genen buchhändlerischen  Verpflichtungen  neu  regeln  zu  können. 
Die  Reise  ging  über  Göttiugen  und  Braunschweig,  von  welchem 
letzteren  Orte  drei  Briefe  an  Spener  erhalten  sind. 

11. 
Braunschweig  d.  11.  Januar  1770. 

Ihr  lezter  Brief,  vom  29.  ult.  mein  bester  Herzens  Spener,  fand 
mich  gestern  Abends  bei  Prof.  Ebert.  ^  Es  war  grosse  Gesellschaft, 
die  theils  stand,  theils  auf  und  ab  gieng  und  ich  konnte  in  eine 
Ekke  treten  mich  mit  Ihnen  zu  unterhalten.  Ach  ich  kam  nicht 
Aveit.     Ehe  ich   die  erste  Seite  durch   war,  stürzten  mir  die  hellen 


1  J.  A.  Ebert  (1728 — 179.^),  Professor  und  Hofrat  am  CaroUnum. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters.  395 

Thränen  ins  Auge,  und  ich  sclilos  das  Papier  wieder  mit  der  heftig- 
sten Bewegung,  die  zum  Glück  niemand  gewahr  ^vard.  Doch  glaub' 
ich  dass  M"®  Jerusalem  ^  etwas  davon  gemerkt  haben  mag.  Ich 
hatte  ein  Kopfweh,  wie  ichs  in  London  zu  bekommen  jiflegte,  denken 
Sie,  ob  ich  Linderung  bekam.  Ich  musste  eine  Zeitlang  einsam  auf 
und  ab  gehen,  eh  ich  mich  wieder  fassen  konnte.  0  lieber,  theurer, 
bester  Freund,  Avenn  Sie  gewusst  hätten  was  ich  den  ]\Iorgen  für  Briefe 
aus  London  bekommen  hatte,  Sie  müssten  nichts  anders  von  dem 
Ihrigen  gehoft  haben,  als  dass  er  mir  in  Gnaden  den  Rest  geben 
würde.  —  Wenn  ich  Ihnen  einst  zeige,  was  schreckliches,  todtdrücken- 
des  in  jenen  Briefen  steht  —  zeige,  das  traurige  ganz  abgespannte, 
verzweiflungsvolle  Blatt,  auf  dem  ich  in  kleiner  Schrift  um  12  Uhr 
Mitternacht  eine  Antwort  an  Sie  hinwarf,  —  bald  hätt'  ichs  Ihnen 
mitgeschickt;  aber  heut  früh  bin  ich  Gott  sei  Dank,  etwas  heitrer, 
und  da  bekommen  Sie  dies  Gekritzel  an  die  Stelle  des  eben-beschrie- 
benen. 

Wenn  nicht  die  alles  erhaltende  Liebe  wäre,  die  mich  in  Ihrem 
Schoose  trägt,  und  mich  wo  ich  hinkomme  mit  den  bunten,  lieblichen 
Bildern  der  Freundschaft  spielen  lässt,  ich  gienge  schier  zu  Grunde 
über  den  Eräugnissen  die  alle  meine  vorsichtigen  und  vermeinten 
klugen  Schritte  vereiteln.  Ich  wiederhole  es  Ihnen,  das  einzige 
woran  ich  mich  halte,  ist  das  Wolgefallen  das  die  Menschen  an  mir 
haben ;  ich  habe  keine  andre  Stütze  als  die  Freundschaft.  Bei  all  den 
trüben  Gedanken,  die  während  dem  ersten  Durchlesen  Ilu'es  Briefes 
aufwallten,  welch  ein  wahrer  Trost  blieb  mir  nicht  an  den  Aus- 
drücken Ihrer  edlen,  mir  ewig  schäzbaren  Seele !  Mein  Bester,  warum 
musste  es  nicht  seyn,  dass  wir  zusammen  an  einem  Orte  lebten! 
Kann  denn  der  Himmel  auch  jenseits  der  Glücksgüter  noch  seine 
Hand  ausstrecken,  und  fürchterlich  dem  Unglücklichen  zurufen: 
Auch  diesen  lezten  Trost  versag'  ich  dir!  —  Mein  Gott!  alles  ist  so 
recht,  —  ich  darfs  nicht  tadeln !  Deine  AVege  sind  im  Verborgenen, 
aber  ich  wandle  darauf  mit  Thränen!  —  Was  halfs  dass  ich  die 
Stelle  in  Cassel  annahm,  Avenn  der  Zweck,  der  einzige  Grund,  Avaruni 
ich  es  that,  gleich  jezt  wegfällt,  wenn  nehmlieh  das  Unglück  der 
meinigen  mir  zu  schnell  über  den  Hals  kommt,  ehe  noch  die  Flucht- 
stätte bereit  ist,  oder  ich  das  Leiden  lindern  kann !  Zwar  schien 
alles  dahinaus  abzuzielen,  dass  es  bald  ausbrechen  müsse ;  aber  docli 
wagte  ichs  zu  hoffen,  dass  einige  unvorhergcseheiu^  Umstände  sich 
noch  zu  unserm  Vortheil  vereinigen  könnten,  inn  den  Ausbruch  so- 
lange zu  verhüten  —  bis  ich  —  Ich  kann  nicht  mehr  daran  denken 
sonst  bricht  dies  aime  Herz. 

Ich  will  suchen  mich  zu  fassen.    Ich  will   dies  traurige  Blatt 


"  Über  die  drei  Töchter  des  Abts  Jerusalem  vgl.  Leisewitzens  Brief 
an  seine  Braut,  Herrigs  Archiv  XXXI,  ^^9\. 


396  Beiträge  zAir  Kenntnis  Ctcurg  Försters. 

\V('glegcn,  denn  ich  bin  unvcnncrkl,  wieder  wo  ich  gestern  Nachf 
anfieng,  —  will  etwas  anders  schreiben,  luid  dann  wieder  zu  Ihnen 
zurückkommen,  um  noch  vorläufig  von  Geschäften  etwas  zu  be- 
stimmen. 

Wie  ich  den  Ausdruck  brauchte:  „Bringen  Sie  das  Hrn  Pauli 
in  einem  Säftgen  bei" :  war  ich  wohl  eben  so  ernsthaft  als  AVerther 
dem  ich  ihn  entlehnt  habe.  ^  Stossen  Sie  sich  nicht  daran,  und  be- 
fürchten Sie  keinesweges,  dass  ich  mit  Hrn.  Pauli  leichtsinnig  fahren 
werde.  Ich  will  vielmehr  mit  der  grössten  Gewissenhaftigkeit  han- 
deln, und  kann  ich  ihm  den  Zeit  Verlust  nicht  ersetzen,  so  will  ich 
wenigstens  machen  dass  er  dadurch  nicht  noch  länger  vexirt  und 
an  seinem  Profit  gehindert  wird.  —  Ich  erkläre  mich.  —  Hr.  Prof. 
Lichtenberg,  *  mein  verehrungswürdigster  Freund,  ein  Mann  den  ich 
so  lieb  habe,  wie  meinen  Spener,  und  meine  Seele  —  ein  Mann,  dem 
mein  Spener  nicht  angestanden  hat,  meine  Reputation  als  Schrift- 
steller in  die  Hände  zu  liefern,  der  folglich  fast  der  einzige  Mann 
in  seiner  Art  seyn  muss,  weil  er  ein  so  grosses  Vertrauen  verdient  — 
soll  mir  rathen  was  ich  bei  dieser  Gelegenheit  zu  thun  habe.  Ich 
schicke  ihm  Ihren  Brief,  nicht  etwan  dass  ich  Ihre  Gründe  misbil- 
ligte,  sondern  weil  ich  mir  zu  wenig  Gerechtigkeit  gegen  mich 
selbst  zutraue.  Ich  würde  es  auch  alsdenn  nicht  gethan  haben, 
wenn  eine  Möglichkeit  gewesen  wäre,  vor  Ostern  einen  Strich 
am  Lexikon  oder  auch  nur  am  Büfl^on  zu  machen.  ^  Dies  ist  aber 
nunmehr  platterdings  unmöglich,  und  es  gesellt  sich  eine  zwote 
Schwürigkeit  hinzu,  nehmlich  dass  Ihr  Brief  mir  deutlich  zu  ver- 
stehen giebt,  ich  müsse  geschwind  von  der  Faust  weg  arbeiten  — 
ein  Punkt  von  dem  mir  zuvor  nie  etwas,  am  wenigsten  beim  Natur 
Lexicon  in  Sinn  gekommen  ist.  Ich  glaubte  aus  dem  N.  L.  ein 
ganz  ander  Ding  zu  schaflfen ;  —  ich  kann  und  muss  hinzusetzen,  — 
man  erwartet  ein  ganz  ander  Ding  von  mir  als  vom  Seel.  Martini. 
So  verschieden  als  die  Arbeiten  des  jorak tischen  von  denen  des 
theoretischen  Naturkundigers  seyn  können.  Blosser  Compilator  seyn, 
wie  es  Martini  war,  das  kann  ich  nicht.  Wenn  aber  das  N.  L.  ein 
Objekt  von  2000  a  3000  ^  jährlich  für  Pauli  seyn  und  alle  Messe 
ein  Band  davon  erscheinen  soll,  so  müsste  ich  es  Fabriken - 
massig  genug  traktiren.  Und  ob  ich  das  kann?  Ich  hatte  mir 
vielmehr  geschmeichelt  man  würde  mehr  auf  Güte  als  auf  Bogenzahl 
sehen.  Und  ist  meine  Reputation  gar  für  nichts  zu  rechnen?  Mar- 
tinis Verdienste  waren  anderweitig  und  auch  in  andern  Fächern  be- 
kannt. Er  konnte  —  nun  ja  es  muss  hei'aus,  dem  redlichsten  Mann, 
und  dem  Märtyrer  für  seine  Familie  unbeschadet,   seine  Asche  ruhe 

3  Der  nm^e  Goethe  III,  316.  "  G.  Chr.  Lichtenberg^ (1742—1799), 
Professor  der  Physik  in  Göttingen;  Urteile  Forsters  über  ihn  Brief w.  I, 
222.  267.  306.  713;  an  Sömm.  336.       ■>  Vgl.  Nr.  lU,  Aum.  2. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters.  397 

in  Frieden!  —  er  konnte  ein  schlechtes  Buch  schreiben,  und 
man  verzieh  es  ihm;  ich  darf  auf  diese  fast  sträfliche  Nachsicht  des 
Publicums  nicht  Rechnung  machen!  —  Eine  Uebersetzung  könnte 
allenfalls  noch  fertiger  ausgearbeitet  Averden  —  aber  muss  einem 
das  Herz  im  Leibe  nicht  weh  thun,  wenn  man  den  Styl  des  ersten 
französischen  Schriftstellers  in  der  deutschen  Vertolpatschu  ng  so 
gänzlich  vemiisst?  O  sagen  Sie:  uns  Deutschen  ists  um  Sachen, 
nicht  um  Redner  Blümchen  zu  thun.  —  Ganz  wohl,  aber  nehmen 
Sie  Büffon  die  Grazie  seines  Styls,  und  wieviel  bleibt?  —  End- 
lich, haben  Sie  schon  vergessen  dass  ich  Ihnen  noch  vor  Michaelis 
einen  ganzen  Quartband  Uebersetzung  schuldig  bin?  Haben  Sie 
Ihren  oft  wiederholten  freundschaftlichen  Zuruf  vergessen:  cura  ut 
valeas  —  und  wissen  Sie,  dass  meine  Gesundheit  auf  schlechtem 
Füssen,  als  jemahls  steht?  Mit  dem  A^'orschlag  vor  Ostern  etwas 
vom  Büffon  zu  liefern  hat  es  folgende  Bewandnis.  Ohne  Bücher 
kann  ich  nicht  arbeiten,  und  solang  ich  reise  ist  jede  Minute  fast 
mit  Besuchen  und  Bekanntschaften  angefüllt.  —  Sonnabend  früh 
um  zehn  d.  23ten  Januar  79.  fahre  ich  mit  der  ordinairen  Post  nach 
Berlin.  Sie  bleibt  von  Sonntag  Morgens  um  zehn  bis  Montags  Nach- 
mittags um  4.  in  Magdeburg  liegen,  und  giebt  mir  Zeit  meines  Vaters 
besten  Freund,  den  Abt  Resewitz«  zu  besuchen,  d.  27.  bin  ich 
also  erst  in  Berlin.  Zu  Ende  Februars  muss  ich  wieder  in 
Cassel  seyn.  Ein  Monath  wird  mit  Einrichtungen  und  Vorberei- 
tungen auf  die  Collegia  hingehen ;  und  alsdenn  ist  Ostern  vor  der 
Thür,  —  Was  ich  thun  kann?  Bedauern,  und  es  mir  herzlich  leid 
seyn  lassen,  dass  mein  Glück  auf  Paulis  Unkosten  gemacht  wird.  — 
Mehr  können  wir  Menschen  gewöhnlicher  Weise  nicht:  wie  selten  ist 
man  so  glücklich  einander  den  verursachten  Schaden,  und  vor  allen 
Dingen  Zeitverlust  ersetzen  zu  können.  Sie  kennen  mich,  und  lassen 
mir  Gerechtigkeit  wiederfahren.  Ich  fühle  tief  alle  den  Verlust  den 
ich  Pauli  verursacht  habe;  aber  kann  ich  ihn  ersetzen,  ohne  mich 
aufzuoi3fern,  ohne  meine  Stelle  in  Cassel  zu  resigniren?  —  Wenn 
ich  bei  Ihnen  tiefer  in  Vorschuss  gerathen  darf,  —  dumm  Zeug  — 
ich  muss  es  ja  doch;  und  ich  brauche  noch  viel  Geld  wovon  münd- 
lich mehr  —  so  thue  verzieht  auf  die  100  v,j'  Reisegeld  —  und  kün- 
dige Hrn  Pauli  den  Handel  auf,  ehe  er  durch  neue  Zögerung  noch 
um  einen  halbjährigen  Profit  kommen  sollte.  Einer  oder  melirere 
von  den  Gelehrten,  die  Sie  mir  nannten,  können  noch  vor  Michaelis 
einen  Band  jeder  Art  liefern,  und  ihn,  vielleicht  zum  Vortheil  des 
Verlegers,  dem  schon  hcrausgekonnnenen  gleichförmiger  machen,  als 
ichs  mich  getraue.  —  Dies  alle  sind  Borat hschlagungen,  Fakta  und 
Positionen,   die   ich  Ihnen   zur  Beherzigung  überlasse.    Nach    Ihrer 


ß  F.  G.  Resewitz  (1725— 18()(i),  Abt  zu  Klosterbergeu  bei  Magdeburg; 
vgl.  Briefw.  T,  195.  200. 


398  Beiträge  zur  Kenntnis  (Jeorg  Forsters. 

Vorschrift  schreibe  ich  indessen  doch  an  Pauli,  mit  einer  ostensiblen 
Einlage  an  Sie ;  und  übrigens  erwarte  ich  meines  unvergleichlidien 
Lichtenbergs  Entscheidung.  Ich  be(e  den  Menschen  an,  und  ihr 
Leute  sollt  mich  in  meiner  Abgötterei  nicht  stören. 

Ich  rechne,  dass  ich  Paulis  100  «f  eingerechnet  Ihnen  etwas 
über  350  «^  schuldig  bin  —  denn  für  die  60  £  Sterl.  hofTe  ich  noch 
die  Observations '^  liefern  zu  können,  die  bringe  ich  daher  auch  nicht 
in  Anschlag.  Einem  Engländer  der  mir  auf  der  Reise  30  ::^j:  ge- 
liehen, muss  ich  Sie  in  Berlin  abzahlen.  Ich  mache  also  Staat  dar- 
auf bei  Ihnen,  wie  auch  auf  fernere  Reisekosten  bis  Cassel.  Nur 
noch  einen  Freund  habe  ich,  den  ich  ansprechen  würde,  wenn  ich 
Ihnen  zu  lästig  fiele;  aber  auch  nicht  eher  als  in  diesem  Nothfall. 
Ich  will  Ihnen  nicht  das  hochmüthige  Compliment  machen,  dass  ich 
Ihnen  einen  Beweis  meiner  Freundschaft  gebe,  indem  ich  bei  Ihnen 
Geld  borge  —  aber  Freund  es  dringt  doch  etwas  bittres  in  die 
Seele  bei  dem  Gedanken,  dass  ich  mich  auf  die  elendeste  Art  in 
der  Welt  forthelfen  muss.  O  wäre  nicht  jene  Rücksicht  auf  Pad- 
dington !  ^  —  Halten  Sie  meinem  zerrütteten  Herzen  dies  Gewäsche 
zu  Gut. 

Warum  ich  solang  in  Braunschweig  bleibe?  Um  an  meines 
Vaters  Erlösung  zu  arbeiten !  ^  Ich  habe  hier  die  ganze  fürstl  Fa- 
milie gesprochen,  bei  der  Erb  Prinzessin  gespeist,  und  des  Herzogs 
Ferdinands  Gunst  gewonnen.  Vielleicht!  —  0  ich  wiege  mich  nicht 
mit  Hofnungen !  Wenn  ich  nur  die  ausgemahlten  Zeichnungen  ver- 
kaufen könnte,  um  meinem  Vater  etwas  baar  Geld  zu  schicken! 
Oh!  —  Leben  sie  1000  mahl  glücklich  —  Ich  umarme  Sie  bald  als 

Ihr  redlichster  aber  t     ■,  ^.  ^      -r-.         i  ^  -n 

ganz  unglücklicher  J^reund  G  Jborster. 

[Am  Rande:]  Du  lieber  Herzens  Spener!  ich  habe  mich  anders 
besonnen,  und  will  den  armen  Lichtenberg  nicht  mit  dem  Handel 
behelligen.  Er  ist  schwach  und  kräiiklich,  und  Sie  würden  ihm  auch 
die  Sache  vorstellen  wollen.  Mit  einem  Wort  es  war  so  ein  ver- 
zweifelnder Einfall  wie  man  von  meinem  kranken  Hirn  vermuthen 
konnte.  Sie  kriegen  an  mir  einen  ganz  unbrauchbaren  Menschen 
zu  sehen.  Die  Herrlichkeit  des  Herrn  ist  dahin!  Ich  bin  betäubt, 
und  weis  nicht  was  ich  schreibe.  Der  Brief  ist  Spiegel  meiner  Seele. 
Halten  Sie  mir  vieles  zu  Gut.  Sie  werden  mir  doch  wohl  eben  so 
treu  seyn  als  Paulien?  Nochmals  Adieu.  Sie  kriegen  noch  einen 
Brief  von  mir.    Sehe  ich  Sie  in  Potsdam,  oder  wie? 

Das  mehrere  sollen  Sie  in  der  ostensiblen  Einlage  an  Pauli  be- 
kommen.   Gruss  und  Kuss  an  Bremer. 


7  Vgl.  Nr.  10,  Anm.  4.      «  Westlicher   Stadtteil  Londons  am  Hyde- 

fiark,  wo  Reinhold  Forster  wohnte:   vgl,  Briefw.  I,  170.      ^  Vgl.  Briefw. 
,  200. 


Beiträge  zur  Kenutuis  Georg  Forsters.  399 

12. 

Braiinschweig  d.  15  Januar  1770. 
Geliebtester  Freund. 
Endlich  nähere  ich  mich  Ihnen !  —  Nach  langer,  langer  Ab- 
wesenheit, denke  ich  d.  27.  dieses,  Sie  fest  in  meine  Arme  zu 
schliessen,  und  an  diese  treue  Brust  zu  drücken.  Mit  jedem  Augen- 
blicke, den  ich  länger  warten  muss,  steigt  meine  Sehnsucht.  Wie 
manche  Freudenthräne  habe  ich  mit  Ihnen  zu  theilen,  wie  manches 
Glücks  mit  Urnen  mich  zu  freuen,  wie  manches  traurigen  Gedankens 
mich  bei  Ihnen  zu  entlasten !  Ich  finde  Sie  wieder !  Den  redlichen, 
lieben  Spener,  den  ich  so  ganz  kenne,  mit  dem  ich  in  Percystreet  so 
manche  Stunde  im  innigsten  Gefühl  der  Freundschaft  genossen 
habe,  der  meinen  Kummer  dort  schon  lindern  half,  mein  bestürmtes 
Herz  zu  besänftigen  suchte,  und  ihm  Hofnung  einflösste !  —  O  mein 
lieber,  ich  will  allerlei  Leid  und  Aerger  vergessen,  und  in  dem  Augen- 
blick dass  ich  Sie  sehe,  ganz  der  Freude  mich  ergeben.  Den  Tag 
soll  kein  trüber  Gedanke  bewölken,  an  dem  ich  mein  verlohrnes 
Gut  wiederfinde.  Wie  traurig  ist  nur  das  Loos  der  Menschheit,  nie 
auf  eine  lange  Zeit,   und  nie  in  vollkommnem  Maasse  glücklich  zu 

seyn !  —  0  mein  Freund,  ich  schweige ! Doch  nein ;  wozu  soll 

ich  Ihnen  ein  Geheimnis  aus  einem  Umstände  machen,  den  Sie  über 
kurz  über  lang  erfahren  müssen,  und  der  Ihnen  von  mir  noch  immer 
leidlicher  als  durch  einen  andern  Canal  vorkommen  wird.  Unsere 
Freude  sollte  nicht  ganz  rein  seyn !  Unsere  Wiedervereinigung  muss 
schon  mit  dem  schmerzhaften  Gedanken  der  Trennung  geschwängert 
seyn.  Ich  bleibe  nicht  in  Berlin.  Ich  habe  in  Cassel  eine  Stelle  als 
Professor  der  Naturkunde  angenommen,  nachdem  ich  mich  gegen 
die  Vorschläge  des  Hrn.  v.  SchliefTen '  eigensinnig  genug  gesträubt 
hatte.  Ich  wollte  zu  Ihnen,  und  meinen  Vater  wollt'  ich  nach  Cassel 
l)erufen  lassen.  Aber  man  hörte  mich  nicht,  und  um  nicht  ganz 
muthwillig  meinem  Glück  den  Stuhl  vor  die  Thüre  zu  setzen,  musst' 
ich  es  annehmen.  Ende  Februars  muss  ich  in  Cassel  se}Ti  und 
d.  27.  dieses,  komm'  ich  in  Berlin  an.  —  Und  was  wird  aus  all  den 
schönen  Planen  die  wir  uns  gemacht  haben  ?  Was  wird  aus  den 
Arbeiten  die  ich  unternommen  hatte?  —  Mein  Bester,  Sie  kennen 
mich ;  ich  brauch'  Ihnen  nicht  zu  sagen,  wie  sehr  es  mich  kränkt, 
wenn  ich  nicht  Wort  halten  kann.  Herr  Pauli  wird  durch  Zeit- 
verlust vielen  Schaden  gelitten  haben,  und  ich  bin  nicht  im  Stande 
ihn  zu  ersetzen.  Bin  ich  einmahl  in  meinem  Stübgen  in  Cassel, 
werde  ich  fleissig  arbeiten  können ;  ohne  die  Abhaltiuigen  und  Unter- 


'  M.  E.  V.  Schliefleu  (17;'.2— 1825),  Minister,  der  Mäoonas  am  Kasseler 
Hofe,  kannte  Forster  von  England  her  (Briel'w.  I,  180) ;  Urteile  Forsters 
über  ihn  Briefw.  I,  178.  18tJ.  190.  :;21 ;  an  Sümni.  2.  5.  34.  141.  257. 
204;  Bämtl.  Sehr.  III,  119;  VllT,  217. 


400  Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters. 

brecliuiigen  zu  befürchten  die  in  Berlin  unvermeidlich.  Ausser  Dohni  ^ 
der  in  demselben  und  Casparson  3  der  im  nächsten  Hause  wohnt, 
habe  ich  keinen  Umgang  in  Cassel.  Es  giebt  dort  sowenig  Männer 
die  Menschen  Verstand,  als  Frauenzimmer  die  Sehöiiheit  und  gesel- 
lige Reize  besitzen.  Die  schöne  Bibliothek  in  Göttingen  kann  ich  in 
Zeit  von  sechs  Stunden  gemächlich  consuliren.  Ein  gi'osser  Punkt 
den  ich  in  Berlin  entbehren  musste.  Auch  die  Professoren  kann  ich 
zuweilen  zu  Rathe  ziehen,  und  wo  findet  man  eine  auserlesenere  Ge- 
sellschaft grundgelehrter  Männer?  Nach  allem  Anschein  werde  ich 
folglich  das  Werk  in  Cassel  weit  vollständiger  und  besser  aus- 
arbeiten, als  in  mancher  andern  Lage.  Nur  Sie  muss  ich  entbehren, 
dessen  Verlust  mich  am  meisten  schmerzt?  O  lieber  Spener  lassen 
Sie  mir  doch  die  Gerechtigkeit  wiederfahren,  und  bedenken  Sie  dass 
ich  Sie  keinem  neuen  Freunde  hindansetze,  sondern  dass  ich  mich 
in  eine  Einsamkeit  als  Opfer  der  Unglücks  Stünne  hingebe,  weil  ich 
meine  eignen  Freuden,  meine  behagliche  Rvdie,  meine  Gesundheit 
gar,  dem  einzigen  Gegenstande,  dem  Wohl  meines  Vaters  imd  der 
Seinigen,  die  in  England  so  ungerechte  Behandlung  gelitten,  gänz- 
lich und  mit  dem  Innern  Bewusstseyn  dass  ich  recht  thue,  auf- 
opfern muss.  Ein  Gefühl  mus  Ersaz  für's  andre  seyn.  Zuviel 
hievon ! 

Hr.  Pauli  wird  Ihnen  diesen  Brief  einhändigen.  Ich  habe  ihm 
mit  dieser  Post  geschrieben,  und  von  meiner  Bestallung  Nachricht 
gegeben.  Da  ich  zwischen  seinem  Schaden  und  dem  Verlust  meines 
eignen  Glückes  zu  wählen  hatte,  konnte  ich  nicht  billiger  verfahren 
als  ilm  mir  vollkommen  gleich  stellen,  und  in  Betracht  meiner  selbst 
gar  keine  Partheilichkeit  statt  finden  lassen.  Sobald  ich  dieses  that 
kam's  lediglich  darauf  an,  das  kleinste  Uebel  zu  wählen.  Der  Ver- 
lust den  Hr.  Pauli  durch  Zögerung  erleiden  kann,  ist  doch  am  Ende 
durch  Fleis  an  meiner  und  seiner  Seite  einzuholen.  Aber  wenn  ich 
die  Gelegenheit  die  mir  das  Glück  darbot  vorbeigelassen  hätte, 
könnte  ich  vielleicht  nie  wieder  eine  ähnliche  Anerbietung  hoften. 
Er  ist  gewis  viel  zu  billig  dies  nicht  einsehen  und  mein  Betragen 
genehmigen  zu  wollen.  In  wenigen  Tagen  sijrechen  wir  uns,  und 
gleiten  leicht  über  alle  Schwürigkeiten  dahin.  Ich  lasse  mich  nie 
unbillig  finden.  Wie  aber,  wenn  Hr.  Pauli  izt  befürchten  sollte 
dass  mir  bei  meinen  obschon  geringen  Collegial  Arbeiten,  das  N. 
Lexicon  nicht  geschwind  genug  von  Statten  gehen  mögte?  Ich  weis 
keine  andre  Antwort,  als  dass  ers  mir  wegnimmt,  und  mir  den 
Büffon   lässt.    Für  allen  ferneren  Zeitverlust  wäre   auf  einmal   ge- 


2  Chr.  W.  v.  Dohm  (1751—1820),  bis  1779  am  Carolinum  in  Kassel, 
dann  in  ]>reursisclien  Diensten;  vgl.  Brief w.  II,  127;  an  Sömm.  109;  Sämtl. 
Bohr.  III,  9r..  119.  3  J.  W.  Chr.  G.  Casparsou  (1729—1802),  Lehrer  am 
Carolinum  und  der  Kadettensehule;  vgl.  an  Sömm.  142.  148.  278.  4.58.  405. 


Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forsters.  401 

sorgt!  —  Das  war  so  ein  Einfall  zur  Beherzigung.  Ich  lasse  mir 
alles  gefallen,  was  Sie  und  Hr.  Pauli  festsetzen.  Adieu  bester  Freund 
leben  Sie  glücklich,  bald  sehen  Avir  uns. 


Ihr  ewiggetreuer  G  Forster. 


13. 


Braunschweig.  Donnerstags  früh.  d.  21.  Januar  1779.  In  einigen 
Stunden,  liebster  Spener,  fahr  ich  zu  Hrn.  v.  Veitheim '  iji  Harbke 
bei  Helmstädt.  Dort  bleib  ich  Morgen,  oder  den  ganzen  Freitag 
und  gehe  Sonnabend  ab  nach  Magdeburg.  Beim  Abt  Eesewitz  bring' 
ich  den  Sonntag  zu.  Und  Montag  früh  25ten  Januar  geh'  ich  mit 
der  Clevischen  Post  nach  Potsdam.  -  Wenn  Ihre  Geschäfte  Ihnen 
erlauben  mir  bis  dahin  entgegen  zu  reisen,  und  die  Herrlichkeit  des 
Orts  zu  zeigen,  soll's  mich  sehr  freuen,  und  mir  früher  als  ich's  hofte, 
einen  heitern  Tag  machen.  Aber  nichts  muss  meinetwegen  versäumt 
werden.  Find'  ich  nicht  Sie  auf  dem  Posthause  in  Potsdam,  sollte 
ich  doch  vielleicht  wol  eine  Zeile,  oder  ein  Wort  von  Ihnen,  sehen 
oder  hören.  Leben  Sie  lOOOmahl  wohl.  Der  Raum  schwindet  schon 
zwischen  uns.  Bald  ist  er  nicht  mehr,  und  unsre  Herzen  schlagen 
sympathetisch  aneinander  Schlag  auf  Schlag,  wie  unsre  Seelen  bisher 
in  der  Entfernung  gethan!  Hofnung,  ich  bitte  dich,  lächle  mir 
Avieder!  Siehe,  ich  verwelke,  wenn  du,  Sonne,  mich  nicht  bescheinsl ! 
Führe  mich  an  den  treuen  Busen  meijies  Freundes  und  lass  mich 
sagen:  nunmehr  hab'  ich  ausgelitten!  —  q  Forster 

Bis  Anfang  März  blieb  Forster  in  Berlin.  Alsbald  machte 
man  seinem  Vater  den  Antrag,  als  Professor  nach  Halle  zu 
gehen  (Brief  desselben  vom  16.  März  1779),  welchem  Rufe  er 
aber  erst  1780  folgte.  Die  Rückreise  ging  dann,  nachdem  zum 
zweitenmal  Resewitz  in  Klosterbergen  besucht  war,  über  Dessau, 
wo  er  im  Verkehr  mit  der  fürstlichen  Familie  zwei  idyllische 
Wochen  verlebte  (vgl.  Brief w.  I,  195.  197.  205);  den  Fürston 
hatte  er  früher  in  London  kennen  gelernt  (es  ist  der  Freund 
Goethes  und  Karl  Augusts,  dem  im  Park  zu  Weimar  ein  Denk- 
ftial  gesetzt  wurde:  vgl.  Goethes  Werke  XXI,  80.  107  Hempel). 


>  A.  F.  Graf  v.  Veitheim  (1711—1801),  Mineraloge,  legte  in  Harbke 
einen  botanischen  (iarten  an;  derselbe  Veltlieini,  der  an  ^^önun.  -iriB.  Ad^) 
erwähnt  M'ird?  -  Daher  ist  der  Brief  ans  GiUtingon  Briel'w.  I,  191  vom 
24.  Januar  falsch  datiert;  vielleicht  ist  er  vom  4.  Drei  Tage  nacli  der 
Ankunft  ist  er  gesclirieben,  der  Aufenthalt  dauerte  vierzehn  Tage  (Briefw. 
I,  200). 

Archiv  f.  n,  Spraclien.    LXXXIV.  2Ö 


402  Beiträge  zur  Kenntnis  (tCftrfi;  Forsters. 

II  (Abschrift). 

Dessau,  d.  15  März  1770. 
Liebster  bester  Freuiul. 

Endlich  schreil)'  ich  wieder  an  Sie;  aber  wahrliaftig  nur  in  der 
grössten  Eile.  Einlage  ist  an  Nicolai,  für  sein  Geburtsfest  d.  IH.  März. 
Dank  für  den  Brief  von  Schlieifen,  er  war  gut  und  wie  ich  ihn  Avön- 
schen  konnte.  Machen  Sie  doch  dass  ich  bald  möglichst  alles  aus 
Berlin  nach  C'assel  kriege,  was  ich  brauche;  und  auch  die  Sachen 
aus  Martinis  Auction.  —  besonders  erbitte  mir  den  französischen 
Büffon,  damit  die  Uebersetzung  gleich  fortgesetzt  werden  könne.  Es 
niuss  mir  aber  sogleich  angezeigt  werden  (wenn  ich  die  gedruckte 
Uebersetzung  nicht  zu  gleicher  Zeit  erhalte)  mit  welcher  pagina  Mar- 
tini geschlossen  hat,  damit  ich  nichts  2mahl  übersetze.  — -  Auch 
wünschte  ich  genau  zvi  wissen,  wie  viel  Bogen  Uebersetzung  jedes- 
mahl  in  einen  Band  gebracht  werden,  damit  ich  mich  im  Arbeiten 
darnach  richten  könne.  Ueber  die  für  Hr  Banks  erstandenen  Bücher, 
erbitte  mir  ein  Verzeichnis  nebst  den  Preisen,  Für  Pauli  sezen 
Sie  mir  doch  ein  Avertissement  auf,  und  schicken  es  mir 
damit  ichs  ihm  nach  Ueberlesung  zurückschicken  könne.  Ich  will 
sie  heute  nicht  dafür  strafen,  dass  sie  der  göttlicheji  Madonna  in 
Parma  (davon  ich  eine  ganz  ausnehmend  schöne  Copie  bei  Peters  in 
London  gesehn)  den  Schimpf  angethan,  sie  mit  der  Frau  Lieutenant 
oder  gewesenen  Maitresse  des  Herrn  Lieutenant  Mengs,  einer  gel- 
ben b  1 0  n  d  i  n  e  mit  grauen  Augen  zu  vergleichen.  Nicht  w^ahr  es 
ist  ganz  unbegreiflich  wie  man  sich  bisweilen  vergaffen  kann.  Und 
denn  der  Klotz  der  zu  allem  Ja  und  Nein  nur  sagen  koimte!  Da 
wollte  ich  doch  alle  Physiognomik  verschwören,  wenn  das,  und  die 
geistigen  Züge  des  Riposo  unsers  C'oreggio  '  beisammen  sein  könnte !  — 
Forster  ist  auch  ein  mahl  bei  guter  Laune.   Eins  erzähl  ich  Ihnen  noch. 

Ich  blieb  eine  Nacht  in  Zcrbst.  Man  hatte  mirs  anbefohlen, 
einen  Hrn.  Hofrath  Lankhavel  zu  besuchen  der  ein  schönes  Kunst 
und  Naturalien  Cabinet  haben  soll.  Ich  gieng  hin  lies  mich  an- 
melden als  Prof.  Forster  aus  Cassel,  fand  einen  dicken  fast  hollän- 
dischen Wanst  von  68  Jahren,  ganz  phlegma  und  Unwissenheit.  Es 
war  zwar  8  L^^hr,  allein  ich  bat  es  mir  doch  aus  einen  flüchtigen  Blick 
über  seine  Sammlimg  werfen  zu  dürfen.  Er  gestattete  es  mir,  und  ich 
fand  eine  schöne  eonchylien  Sammlung,  aber  beiweitem  nicht  voll- 
ständig in  Gattungen,  sondern  von  einer  Gattung  oft  100.  Er  frug 
mich  bald  ob  noch  in  der  Welt  ein  besseres  Cabinet  existire,  er  sei 
nicht  stolz,  aber  er  hätte  es  bisher  von  allen  gehört,  das  seinige  sei 
das  beste.    Ich  liess  ihn  glauben  was  er  wollte.    „Wenn  einer  die 


'  Gemeint  ist  Correggios  Gemälde  Ruhe  auf  der  Flucht  nach  Ägypten 
(Madonna  de/ki  sfodclla)  in  der  Pinalcotliek  zu  Parma ;  vgl.  J.  Me\er,  Cor- 
regiü  20;'..  :)11. 


Beitrüge  zur  Kouiituis  Georg  Forsters.  40o 

Stücke  am  längsten  Sommertage  nur  zählen  kann,  will  ich  Ihm 
das  Cabinet  schenken" ;  Ich  bin  sicher  ich  zählte  es  zweimahl,  aber 
freilich  zählte  ich  geschwinder  wie  Mynheer  Mastschwein.  Er  prahlte 
auch  mit  seiner  Sammlung  von  Mahlereien.  Von  allen  grossen 
Meistern  habe  er  Stücke,  nehmlich  von  den  Wouvermans,  Kaphael 
Urbino,  Ostade  und  Titian.  —  Wie  gefällt  Ihnen  diese  Rang-Ord- 
nung? Ich  kam  dazu  vom  Magen  zusprechen:  für  einen  schwachen 
Magen  sagte  er  sei  nichts  bessers  als  Rhabarber  mit  Oleum  Tartari 
per  L  i  p  ium  (deliquium).  Niebuhr  habe  ihm  eine  Mumie  mitgebracht, 
es  sei  das  Kind  Pharaonis,  und  habe  Hieroglyphen  auf  den  Wickel- 
bändern gehabt,  die  seyn  aber  vom  Seewasser  weggewaschen  worden. 
Er  hatte  Africanische  und  Asiatische  Producte  die  gewis  nie  jene 
Länder  gesehen  hatten,  und  vice  versa.  Egyptische  Schue  in  Deutsch- 
land gemacht  u.  s.  w.  Ich  bin  von  ihm  gegangen,  ohne  ihm  wissen 
zu  lassen,  dass  ich  eine  Reise  um  die  Welt  gethan  hätte.  So  ein 
Schlingel  verdient's  nicht;  hatte  auch  wohl  sein  leben  nicht  von 
Engl.  Seereisen  gehört. 

Adieu,  nächstens  mehr.  Gruss  und  Kuss  an  Bremer.  Grüssen 
Sie  auch  Ihre  werthen  Angehörigen  von  mir,  bestellen  Sie  übrigens 
an  alle  Freunde  meine  beste  Empfehlung.  Adieu  nochmals,  mein 
lieber  bester,  guter,  Herzens  Spener.  jj^^.  q  Forster 

Erst  am  31.  März  kam  Forster  in  Kassel  weder  an. 

15. 

Kassel  d.  31.  März  1779. 

Nur  mit  zwei  Worten  melde  ich  meine  heutige  Ankunft  am 
Orte  meiner  Bestimmung.  Sie,  mein  Bester,  ersuche  ich  zugleich  mir 
alle  Briefe,  die  etwan  für  mich  angekommen  seyn  mögten,  sogleich 
hieher  zu  schicken,  —  falls  einige  schon  nach  Weimar  oder  Gotha  • 
gegangen  bitte  zu  veranstalten,  dass  ich  sie  hieher  bekomme,  indem 
ich  diesmahl  jene  mir  wichtigen  Oerter  nicht  habe  besuchen  können. 
Eine  noch  wichtigere  Ursach,  die  Freundschaft  des  guten  Fürsten  in 
Dessau  hat  mich  abgehalten.  Er  hat  mir  für  meinen  armen  Vater 
ein  ansehnliches  Präsent  gegeben  2  (gewis  ist  es  ansehnlich  im  Ver- 
gleich mit  den  10  Louisd'or  wovon  an  Prinz  Ferdinands  Hofe  einst 
die  Rede  war.)  —  und  überdies  hat  er  an  seine  Freunde  in  London 
die  dringendsten  Empfehlungs-Schi'eiben  ergehn  lassen,  von  denen 
sich  allenfalls  etwas  vortheilhafte  Folgen  erwarten  lassen.  Konnte 
ich  so  einem  Manne  abschlagen  mich  länger  bei  ihm  aufzuhalten, 
da  ich  ohnehin  AVeimar  und  Gotha  nur  im  Vorübereilen,  mithin  auf 


'  Die  Rückreise  sollte  über  diese  Orte  gehen;  vgl.  Brief w.  I,  171.  205. 
Vgl.  Briefw.  I,  108. 

26* 


404  Beiträge  zur  Kenntnis  Georg  Forster». 

eine  unbefriedigende  Art,  hätte  besuchen  können?  Es  ist  mir  übri- 
gens wohl  dabei  worden,  und  die  Bekanntsehaft  mit  einigen  doitigen 
wackern  Männern  hat  mir  recht  grosse  Freude  gemacht. 

Noch  vorigen  Sonntag  sind  von  hier  aus  Briefe,  die  für  mich 
aus  England  angekommen  waren,  mir  bis  Berlin  nachgeschickt  wor- 
den. Darf  ich  nochmals  bitten  —  wie  auch  an  die  Punkte  in  mei- 
nem Vorigen  von  neuem  erinnern.  —  Ich  bin  hier  wie  ein  »Schuster 
ohne  seinen  Leisten  —  doch  Gedult! 

—  Von  Dessau  grüsst  Professor  Wolke  -^  Sie  und  Ihren  lieben 
Bruder  —  Gott  grüsse  und  erhalte  Sie  beide !  Allen  Freunden  Ihres 
Forsters  empfehlen  Sie  doch  den  ehrlichen  Jungen,  dessen  ganzes 
Tichten  und  Trachten   dahinaus  läuft,   gut  und    bieder  zu  werden ; 

obschon  der  leidige oft  sein  Spiel   mit  ihm  hat,  und   ihm 

viel  Schaden  thut.  —  Leben  Sie  wohl,  recht  wohl  —  mein  bester 
Spener;  ich  bin  von  Herzen  Ihr  treuer  Georg  Forster. 

PS.  An  Pauli  schreibe  ich  nächstens.  In  der  Zwischenzeit 
grüssen  Sie  ihn  nur  frisch  weg.  Die  Augen  fallen  mir  zu,  es  ist 
spät.    Gute  Nacht. 


-  Chr.  H.  Wolke   (1741—1825),   am   Philanthropin  in   Dessau,  später 
iu  Petersburg. 

Halle  a.  S.,  21.  Januar  1890.  Albert  Leitzniauu. 

(Fortsetzung   folgt.) 


Chaucer  und  Innocenz  des  Dritten  Traktat 

De  Contemptu  luudi  sive  De  Miseria  Coiiditioiiis  Hiiiimnae. 


Dafs  Chaucer  die  Schrift  des  Papstes  lunocenz  III.  'De 
Miseria  Conditionis  Humauae'  (MCH),  um  den  übHchereu  zweiten 
Titel  beizubehalten,  übersetzt  hat,  wissen  wir  von  ihm  selbst. 
In  dem  Prolog  der  'Legend  of  Good  Women',  und  zwar  nur  in 
der  aller  AV^ahrscheiuhchkeit  nach  älteren  Form  dieses  Prologs, 
welche  in  einer  einzigen  Handschrift  erhalten  ist,  *  lesen  wir  in 
der   Liste    seiner  Werke  (cf.  Skeats  Ausgabe  S.  34,   v.  413  ff.): 

He  hath  in  prose  translated  Boece; 

And  of  the  Wreched  Engendring  of  Mankynde, 

As  man  may  in  pope  Innocent  y-finde. 

Man  hat  bis  jetzt  keine  Spur  dieser  Übersetzung  gefunden. 
Der  Stand  der  Forschung  läfst  sich  iu  wenige  Citate  fassen. 
Skeat  1.  c.  p.  XVH:  In  liis  enumeratioa  of  liis  former  works, 
he  [Chaucer]  left  out  one  loork  ivhich  he  had  previousli/  me)i- 
tioned.  This  ivork  is  noio  lost,  and  was  i)rohahl!i  omitted  as 
heing  a  mere  translation,  and  of  no  great  account.  Lei  ns 
hojpe  that  the  2>oet's  good  sense  told  him  that  the  original  was 
a  miserable  production,  as  it  must  certainly  he  allowed  to  he, 
if  loe  employ  the  word  'miserahle  witli  its  literal  meaning. 
Ib.  Notes  p.  147:  This  is  the  onhj  notice  we  possess  of  a  loork 
by  Chaucer  which  is  no  longer  extant.  We  gather  from  it 
that  he  made   a  prose  translation    of  the  Latin  prose  treatise 

'  Vgl.  'Chaucer.   The  Legend  of  Good  Women.'   Ed.  by  W.  W.  Skeat 
(Oxford,  Clar.  Press  1889);  p.  XII  ff. 


40ß  Chaiicor  iiihI   Iiniocciiz  des  Drittni  Traktat 

hij  Pope  IiDwceut  IlL,  entltled  ^Da  MCH\  a  t/loom/j  cnume- 
ratioii  of  human  tvoes  tvithout  a  Single  alleviating  touch  of 
hope,  fiercely  and  nnrelentinglfj  set  forth.  B.  ten  Brink  'Ge- 
.schichte  der  englischen  Litteratur'  II,  S.  62:  ^Es  ist  sehr  denkhar, 
dafs  jene  Phase  ernst  rehgiöser  Stimmung,  von  der  w'iv  reden, 
noch  andere  litterarische  Produkte  hervorgerufen  hat.  Eine  Prosa- 
schrift, von  der  uns  nur  der  Titel  erhalten  ist,  würde  in  diesem 
Zusammenhang  gar  avoU  ihre  Stelle  gefunden  haben.  Es  >var 
die,  sei  es  vollständige,  sei  es  fragmentarische,  Bearbeitung  der 
berühmten  Schrift  des  dritten  Inuocenz:  De  MHC.  WüCsteu  wir 
es  nicht  von  Chaucer  selber,  Avir  würden  Mühe  haben,  es  zu 
glauben,  dais  er  sich  je  zu  solcher  Höhe  ascetischer  Gesinnung 
verstiegen.^ 

Wir  haben  aber  neben  Chaucers  eigenen  Worten  noch  an- 
dere, verstecktere,  aber  nicht  minder  untrügliche  Zeugnisse  dafür, 
dafs  sich  der  Dichter  mit  dieser  Schrift,  welche  dem  Leser  alle 
süfseu  Früchte  des  Lebens  in  bittere  Asche  wandeln  will,  eingehend 
beschäftigt  hat.  Es  ist  bis  jetzt  nicht  beachtet  worden,  dal's  uns 
von  seiner  Übersetzung  Bruchstücke  erhalten  sind,  die  Chaucer 
in  Verse  gebracht  und  in  beliebter  Weise  späteren  Dichtungen 
eingefügt  hat.  Ich  gebe  im  folgenden  eine  Zusammenstellung 
der  von  mir  in  den  'Canterbury  Tales'  bemerkten  Fragmente 
des  innocentischen  Traktats. 

L     The  Mau  of  Lawes   Tale. 

Jedem  aufmerksamen  Leser  Chaucers  müssen  die  ersten 
Strophen  des  Prologs  des  Man  of  Lawe  auffallen.  Die  Klage 
über  die  Leiden  des  Armen  steht  in  keinem  Zusammenhange 
mit  dem  Inhalt  der  folgenden  Erzählung;  der  Dichter  springt, 
um  eine  Überleitung  herzustellen,  urplötzlich  zum  Lob  der  rei- 
chen und  klugen  Kaufleute,  deren  einem  der  Rechtsgelehrte  seine 
Erzählung  verdanken  soll. 

B.  ten  Brink  (1.  c.  S.  162  f.)  vermutet,  Chaucer  habe  diese 
Geschichte  ursprünglich  selbst  erzälden  wollen.  'Eine  ganz  beson- 
dere Stütze  findet  diese  Annahme  in  dem  befremdenden  Eingang 
mit  seiner  —  vom  Zaun  gebrochenen  —  pathetischen  Schilderung 
der   Leiden    der  Armut.     So  konnte   Chaucer   in   irgend   einem 


De  Miseria  L'uucUtioui.-!;  Huiiiause.  i07 

leicht  (lenkbaren  Zusammenhaug  aus  eigener  Erfahrung  reden ; 
weshalb  aber  redet  der  Rechtskonsulent  so,  und  welche  Gedaukeu- 
reihe  bringt  ihn  auf  dies  Thema  ?^ 

Die  Autwort  auf  diese  Frage  ist,  dals  Chaucer  der  Ver- 
suchung nicht  widerstehen  konnte,  hier,  au  nicht  ganz  passender 
Stelle,  ein  Fragment  einer  fi-üheren  Arbeit  zu  verwerten.  Die 
Klage  über  die  Leiden  des  Armen  entstammen  der  MCH.  ]Mau 
vergleiche  v.  99 : 

O  hateful  harml  condition  of  pouerte! 

With  thurst,  with  cokl,  with  hunger  so  confounded  I 

To  asken  help  thee  sliameth  iu  thyn  herte; 

If  thou  noon  aske,  with  nede  artow  so  woimded, 

That  verray  need  imwrappeth  al  thy  wounde  hidl 

Maugre  thyn  heed,  thou  most  for  indigence 

Or  Stele,  or  begge,  or  borwe  thy  despencel  '  = 

I,  16  Paujjeres  enim  'jjremuntiir  media,  cruciantur  cvrumna, 
favie,  siti,  friqore,,  nuditate:  vilescunt,  tahescunt,  sper- 
nuntiir,  et  confunduntur.  0  in  is  er  ab  ilis  mend  ican- 
tls  conditio;  et  si  petit,  pudore  confunditur,  et 
si  non  petit,  egestate  consumitur ,  sed  ut  mendicet, 
neces sitate   co mp ellit  u r.  ^ 

V.  106:  Thou  blamest  Crist,  aud  seyst  fiil  bitterly, 
He  misdeparteth  richesse  temporal; 
Thy  neighebor  thou  wytest  sinfully, 
And  seist  thou  hast  to  lite,  and  he  hath  al. 
'Parfay,'  seistow,  'somtyme  he  rekne  shal, 
Whan  that  his  tayl  shal  brennen  in  the  glede, 
For  lie  noght  helpeth  ueedfuUe  in  her  nede'  = 

ib.  Den  ni  ca  u  sat  u  r  i  n  i  q  u  u  m ,  quo  d  u  o  n  rede  d  i  v  i  - 
dat;  proximnm  er  im  i  natu  r  mal  i  (j  nn  m  ,  qund  nnn 
plene  subven  iat.  Indignatur,  viurmurat,  iinprecatur.  Zu 
V.  110  f.  vgl.  noch  folgende  Stellen  der  :MCH.:  II,  18  Dives 
nie,   qui   epulabatur    quotidie  splendide,   sepultns    in    inferno. 

II,  37  Dives  ille,  qui  induebatur  purpura  et  bi/sso,  sepultuti 
est  in  inferno. 


'  Vgl.  Skeats  'The  Prioresses  Tale'  etc.  (Oxford,  Clar.  Press  1880). 
Bei  tfkeat  Fehlendes  ergänze  ich  aus  Morris. 

-  De  Contemptii  Miindi  sive  De  3Iiseria  Couditionis  Humaufv  Libri 
Tres;  ed.  Migue  (Patrul.  Lat.  tom.  217,  cul.  7Ul  sqq.). 


408  Chaucer  luul  Tnnocenz  des  Drillen  Traklat 

V.  113     Herkae,  what  is  llic  senteuce  of  the  wyse : 
'Bet  is  to  dyen  than  haue  indigence; 
Thy  seine  ueighebor  wol  thee  despyse' ; 
If  thou  be  poure,  farwel  Ihy  reuerence! 
Yet  of  the  wyse  man  tak  this  sentence:  — 
'Alle  the  dayes  of  poure  men  ben  wikke ;' 
Be  war  therfor,  er  thou  come  in  that  prikke !  = 

ib.    Adverte   super   hoc   sententiam    sap  lentis:   ^Me- 
lius   est',    inquit,   'mori   quam    indigere.'    —   'Etiam 
proxim  o  suo  pauper  odiosus  erit.'    —    'Onines   dies 
p  a up  eres  mal i.' 

V.  120     If  thou  be  poure,  thy  brother  hateth  thee, 
And  alle  thy  frendes  fleen  fro  thee,  alas ! 
O  riche  marchauntz,  ful  of  wele  ben  ye,  etc.    = 

ib.  'Fratres  hominis  pauperis  oderunt  mim.  Iti- 
super   et    amici  procul   recesseruut    ab   eo! 

Aber  nicht  nur  in  diesen  auffälligen  Strophen  des  Prologs, 
sondern  auch  in  der  Erzählung  des  Man  of  Lawe  selbst  kommt 
der  Einflufs  der  MCH.  wiederholt  zur  Geltung.  Wir  stofsen  auf 
mehrere  Fragmente  der  päpstlichen  Schrift,  die  mit  weit  mehr 
Geschick,  ohne  klaffende  Fuge  eingefügt  sind: 

V.  421     O  sodeyn  wo!  that  euer  art  successour 

To  worldly  blisse,  spreynd  with  bitternesse; 
Thende  of  the  ioye  of  our  worldly  labour; 
Wo  occupieth  the  fyu  of  our  gladnesse. 
Herke  this  conseyl  for  thy  sikernesse, 
Vp-on  thy  glade  day  haue  in  thy  myude 
The  vnwar  wo  or  härm  that  comth  bihynde. ' 

Tyrwhitt  (vol.  IV,  p.  218)-  bemerkt  zu  dieser  Stelle:  'l  shall 
transcribe  the  following  passage  from  the  Margin  of  Ms.  C.  1, 
though  I  know  not  from  xohat  author  it  is  borroiced,  as  it 
confirms  the  readings  adopted,  in  the  text.  ^^Semper  mundanm 
Icetitice  tristitia  repentina  succedit.  Mundana  igitur  felicitas 
omdtis  amaritudinibus  est  respersa.  Extrema  gaudii  luctus 
occupat.      Audi  ergo    salubre    consilium;    in   die   bonormn   ne 

'  Vgl.  Skeats  'The  Tale  of  the  Man  of  Lawe'  etc.  (Oxford,  Clar.  Press, 
1879).    Fehlendes  ist  aus  Morris  ergänzt. 

^  Vgl.  The  Canterbury  Tales  of  Chaucer;  with  an  Essay  upon  his 
Language,  etc.,  by  T.  Tyrwhitt;  London  1822,  5  Vols. 


De  Miseria  Conditionis  Humanfe.  409 

immemor  sis  malorum."  Skeat,  Notes  p.  129:  '^Iii  the  margin 
of  Mss.  E.,  Hn.,  Pt.,  and  Cp.  Is  the  following  note:  Nota,  de 
inopinato  dolore  [folgt  Citat  wie  oben].  These  maxims  seem 
to  be  scraj)s  taken  from  different  authors."  Die  Randglosse 
ist  luuoceuz'  Sclirift  entnommen,  vgl.  I,  23:  Semper  enim 
mundauce  Icetitice  tristitia  repentina  suc  cedit. 
Et  qiiod  incipit  a  g audio,  desinit  in  moerore. 
Mundana  quippe  felicitas  multis  amaritnd  inibus  est 
respersa,  Noverat  hoc  qui  dixerat:  ''Risus  dolore  miscebi- 
tur,  et  extrema  gaudii  luctus  occupat."  ...  Attende 
salubre  consilium:  ''In  die  bonorum  non  immemor 
sis  malorum."  v.  423  entspricht  den  in  der  Glosse  fehlenden 
Worten:  Et  quod  —   moerore. 

V.  771     O  messager,  fulfild  of  dronkenesse, 

Strong'  is  thy  breeth,  thy  lymes  faltren  ay, 
And  thou  biwreyest  alle  secrenesse. 
Thy  mynd  is  lorn,  thou  janglest  as  a  jay, 
Thy  face  is  turned  in  a  newe  array! 
Ther  dronkenesse  regneth  in  any  route, 
Ther  is  no  conseil  hid,  with-outen  doute. 

Tyrwhitt  1.  c.  p.  219:  Quid  turpius  ebrioso,  cui  fcetor  in  ore, 
tremor  in  corpore;  qui  promit  stidta,  prodit  occulta ;  cui  mens 
alienatur,  facies  trans formatier ^  nulhim  enim  latet  secretum 
ubi  regnat  ebrietas.  Marg.  C.  1.  Skeat  1.  c.  p.  134:  There 
is  nothing  ansioering  to  it  in  Trioet.  Vergleiche  MCH.  II,  19: 
Quid  turpius  ebriosof  cui  fetor  in  ore,  tremor  in  cor- 
pore, qui  promittit  midta,  prodit  occulta ,  cui  mens 
alienatur,  facies  transformatur)  'Nullum  enim 
secretum ,  ubi  regnat  ebr ietas.' 
""'  Morris  n,  198,  827: 

O  foule  luste,  o  luxurie,  lo  thin  ende! 

Nought  oonly,  that  thou  feyntest  manne«  mynde, 

But  verrayly  thou  wolt  hls  body  sehende. 

The  ende  of  thyn  werk,  or  of  thy  lustes  blynde, 

Is  compleynyng 

Tyrwhitt  1.  c.  p.  219:  0  extrema,  lihidinis  turpitudn^  qucc  nmi 
solum    mentem    effeminat,    sed    etiam   corpus   enervat:    semper 


>  Vgl.  S.  413,  Anm.  2. 


410  Chaiicer  inid  Iiiiioct'iiz  (lt\<  Dritton  Ti-;iktat 

secuntnr  dolor  <:t  pcjemtentia  post,  etc.  Marc].  C.  I.  Vgl.  MCH. 
11,21:  0  extrema  lihldinls  turjpitudo ,  qua:,  nun  solum, 
m entern  effeminat,  sed  etiam  corpus  enervat  ... 
sequuntiir   semper   dolor   et  p cen i teilt ia. 

V.  1132    But  litel  whyl  it  lasteth,  I  yow  hete, 

loye  of  this  world,  for  tyme  avoI  nat  abyde; 
Fro  clay  to  nyght  it  changeth  as  the  tyde. 
Who  lyued  euer  in  swich  delyt  o  day 
That  him  ne  inoeued  other  conscience, 
Or  Ire,  or  talent,  or  som  kin  aflfray, 
Envie,  or  pryde,  or  passion,  or  oflfence? 

Tyrwhitt  1.  c.  p.  220:  In  Marg.  C.  1.  A  mane  usque  ad  vespe- 
ram  mutahitur  tenipus.  tenent  tympamim  et  gaudent  ad  sonum 
organi,  etc.  Ibid.  Quis  unquam.  unicam  diem  totam  in  sua 
dilectione  duxit  jocundamß  quem  in  aliqua  parte  diel  reatus 
conscientice,  viz.  impetus  irce,  vel  motus  concupiscentice  non 
turhavit;  quem  livor,  vel  ardor  avaritice,  vel  tumor  superhice 
non  vexavit,  quem  aliqua  jactura,  vel  offensa,  vel  passio  non 
commoverit,  etc.  Skeat  1.  c.  p.  139 :  This  corresponds  to  nothing 
in  the  French  text.  Vergleiche  MCH.  I,  22:  Quis  unquam 
vel  unicum  diem  totum  duxit  in  sua  delectatio  ne 
j u cundum ,  que m  in  aliqua  parte  diei  reatus  conscien- 
t ice ,  V el  i mp  etus  iroe,  vel  motus  conc up  iscentim 
von  turbaveritf  Quem  livor  invidice,  vel  ardor  ava- 
riticB,  vel  tumor  s  iL  per  him  non  vexaverit?  quem  ali- 
qua jactura,  vel  offensa,  vel  passio  non  commo- 
verit?  ...  Audi  super  hoc  sententiam  sapientis :  ^A  mane 
u  s  q  u  e    a  d   v  e  sp  e  r  a  m   i  m  vi  u  tah  i  tur   te  mpj  u  s.' 

Die  Geschichte  der  Kaisertochter  Koustanze  trägt  somit  un- 
verkennbar den  Stempel  des  tiefen  Eindruckes,  Avelchen  Chaucer 
von  der  Schrift  Innoceuz'  lU.  empfangen  hatte.  Hieraus  er- 
geben sich  mir,  indem  ich  von  v.  414  f.  der  ersten  Form  des 
Prologes  der  'Legend  of  Good  Women'  ausgehe,  für  die  Chrono- 
logie der  Werke  Chaucers  folgende  Vermutungen.  Als  der 
Dichter  die  erste  Form  des  Prologs  niederscluieb,  war  er  mit  der 
Übersetzung  der  MCH.  beschäftigt  und  lebte  der  festen  Zuver- 
sicht, dals  er  sie  zu  Ende  führen  würde,  weshalb  er  sie  in  der 
Liste  seiner  AVerke  erwähnte.    Begreiflicherweise  wurde  er  jedoch 


De  Miseria  Couditionis  Hiimaiife.  411 

dieser  freudenlosen  Arbeit  überdrüssig,  die  Übersetzung  blieb, 
wie  so  gar  manches  Werk  Chaucers,  Fragment.  Infolge  dessen 
unterdrückte  er  bei  der  Umarbeitung  des  Prologs  die  von  dieser 
nicht  ausgeführten  Arbeit  sprechenden  Zeilen  und  verwertete 
gleichzeitig  Bruchstücke  der  MCH.  in  der  Dichtung,  mit  welcher 
er  eben  beschäftigt  war,  in  der  Geschichte  der  Konstanze.  Die 
Annahme,  dafs  die  Abfassung  dieser  Erzählung  in  dieselbe  Zeit 
fällt,  wie  die  Umarbeitung  des  Prologs,  wird  noch  dadm'ch  ge- 
stützt, dafs  Chaucer  eine  Metapher,  welche  in  den  ausgemerzten 
Zeilen  des  ersten  Prologs  zweimal  vorkommt,  in  einer  Strophe 
der  Konstanze  verwendet  hat:  Prol.  A,  v.  311  f.: 

But  yit  I  sey,  what  eyleth  thee  to  wryte 
The  draf  of  stories,  and  forgo   the  corn? 
V.  529     Let  be  the  chaf,  and  wryt  wel  of  the  corn; 

vgl.  Man  of  Lawes  Tale  v.  701  f.: 

Me  list  uat  of  the  chaf  nor  of  the  stree 
Maken  so  long  a  tale,  as  of  the  corn. 

n.    The  Pardoneres   Tale. 

In  der  Predigt,  welche  der  Ablafskrämer  seiner  Geschichte 
vorausschickt,  bemerken  wir  folgende  Bruchstücke  des  päpst- 
üchen  Traktats. 

V.  483    The  holy  writ  take  I  to  my  wituesse, 

That  luxurie  is  in  wyn  and  dronkenesse. 

Dieses  Bibelwort  könnte  Chaucer  an  und  für  sich  natürlich  aus 
der  Quelle  selbst  geschöpft  habeu,  der  Zusannuenhang  macht  es 
jedoch  wahrscheinlich,  dalis  er  sich  bei  der  Verwendung  desselben 
der  MCH.  auschlofs,  vgh  II,  19  Propterea  dielt  (qjostolHs :  'No- 
lite  inehriari  inno ,  in  quo  est  luxuria.'  Als  abschreckende 
Beispiele  der  Völlerei  erwähnt  Chaucer  in  den  folgenden  Versen 
488  ff".  Herodes,  der  von  Wein  trunken  den  Täufer  enthaupten 
liefs,  und  Adam,  vgl.  MCH.  H,  18  Gula  ji  arad isum  clausit  . . . 
decollavit  B  ap  t  ist  am  mit 

V.  505     Adam  our  fader,  aud  bis  wyf  also, 

Fro  Paradys  to  labour  and  to  wo 

Were  driueu  for  that  vice 

V.  491     To  sleen  the  Baptist  lohn  ful  giltelees.  — 


412  rhaucer  und  luuocenz  des  Dritten  Traktat 

V.  513     O,  wiste  a  man  how  many  maladyes 
Folvven  of  excesse  and  of  glotonyes, 
He  wolde  been  the  more  mesurable 
Of  bis  diete,  sittinge  at  bis  table  .... 

V.  521     Of  tbis  matere,  o  Paul,  wel  canstow  trete, 

'Mete  vu-to  wombe,  and  wombe  eek  vn-to  mete, 
Shal  god  destroyen  botbe',  as  Paulus  seith; 

vgl.  MCH.  n,  17  Inde  non  salus  et  sanitas,  sed  morbus  et 
mors.  Audi  super  Jioc  sententiam  saplentls :  ^Noli  avidus  esse 
in  omni  epulatione,  et  non  te  ejfundas  super  omnem  escam. 
In  multis  enim  escis  erit  infirmitas  ,•  et  ^^ropter  crapulam 
multi  perierunt.'  'Esca  ventri,  et  venter  escis,  Dens 
autem   et   hunc   et   Tianc   destruet.' 

V.  517     Alias!  the  shorte  tbrote,  the  tendre  mouth, 

Maketh  that  est  and  west,  and  north  and  south. 
In  erthe,  in  eir,  in   water   men  to  swinke 
To  gete  a  glotoun  deyntee  mete  and  drinke! 

vgl.  MCH.  II,  17  A^unc  auteln  gulosis  non  sufficiunt  fructus 
arhorum,  non  gener  a  leguminum,  non  radices  herbar  um,  nou 
pisces  mar  IS,  non  bestice  terrce,  non  aves^  coeli. 
Der  auffällige  Ausdruck  the  shorte  throte  erklärt  sich  aus  ib. 
tarn  brevis  est  gulce  voluptas,  ut  spatio  loci  vlx  sit  qua- 
tuor  digitorum,   spatio    temporis   vix  sit  totidem  momentorum. 

V.  534  (vgl.  Morris  m,  92,  72) 

O  wombe,  o  bely,  o  stynkyng  is  thy  cod, 

Fulfild   of  dong  and  of  corrupcioun; 

At  eyther  ende  of  the  foul  is  the  soun; 

vgl.  MCH.  II,  18  Quanto  sunt  delicatiora  cibaria,  tanto  fm- 
tidiora  sunt  stercora.  Turpius  egerit,  qui  turpiter  in- 
gerit,  super  ins  et  inferius  horribilem  flattim  exprimens, 
et   abominabilem    sonum   emittens. 

V.  537     How  gret  labour  and  cost  is  thee  to  fynde! 

Thise  cokes,  how  they   stampe,   and  streyne, 

and  grynde. 
And  turnen  substaunce  in-to  accident, 
To  fulfille  al  thy  likerous  talent! 
Out  of  the  harde  bones  knokke  they 
The  mary,  for  they  caste  nought  a-wey, 


jDe  Miseria  Conditionis  Hunianse.  413 

That  may  go   thurgh   the  golet  softe   and   swote; 

Of  spicerye,  of  leef,  and  bark,  and  rote 

Shal  been  liis  sauce  ymaked  by  delyt, 

To   make  him   yet   a  newer  appetyt; 

Vgl.  MCH.  II,  17  Quceruntur  jrjigynenta,  coTivparantur  aro- 
mata  .  .  ._,  qucp  studiose  coquuntur  arte  coquornon  .  .  . 
Alius  cont^mdit  et  colat,  alius  confundit  et  cnn- 
ficit,  suhstantiam  convertit  in  accidens  . .  .,  ut 
fastidium  revocet  appetitum,  ad  irritandam  gu- 
lam.^ 

V.  551     O  dronke  man,  disfigured  is  thy  face, 

Sour-  is   thy   breeth,   foul  artow  to  embrace  ... 
V.  560     In   whom   that  drinke  hath  dominaciou  n , 

He  can   no  conseil  kepe,   itisno  drede; 

Vgl.  MCH.  II,  19  Qtnd  turjntis  ebrioso?  cui  fetor  in 
ore  ...  cui  ...  facies  tr  ans  forma  turf  'Kuli  um 
enim.    secretum ,  ubi  regnat   ebrietas.' 

Von  diesen  sicheren  Brnehstücken  der  MCH.  abgesehen, 
werden  wir  in  Chancers  Werken  noch  oft  genng  an  die  Schrift 
Innocenz'  HI.  erinnert,  ohne  daf's  sich  in  allen  Fällen  mit  voller 
Gewifsheit  bestmimen  läfst,  dals  Chaucer  bei  den  betreifenden 
Stellen  die  MCH.  im  Auge  hatte. 

m.    The  Wyf  of  Bathes  Prologe. 

Die  zahlreichen  Übereinstimmungen,  welche  sich  zwischen 
diesem  Prolog  und  MCH.  I,  18  feststellen  lassen,  erklären  sich 
aus  der  gemeinsamen  Quelle.  Innocenz  hat  diesem  Kapitel  einen 
Teil  der  Invektive  Theophrasts  gegen  die  Frauen  einverleibt, 
welche   sich    bei  Hieronymus  'adversus  lovinianum'  I,  47   findet. 

»  Die  von  W.  W.  WooUcombe  (The  Sources  of  the  Wife  of  Bath's 
Prologue;  Publ.  of  the  Chaucer  Soc,  See.  Ser.  X,  p.  298  sqq.)  citierte 
Stelle  aus  dem  'Polycraticus'  des  Johannes  von  Salisbury  hat  somit,  wie 
WooUcombe  richtig  vermutet,  mit  Chaucers  Versen  nichts  zu  thun. 

-  Wahrscheinlich  haben  wir  auch  in  der  'Man  of  Lawes  Tale'  v.  772 
(s.  oben  S.  409)  für  das  überlieferte  strmuj  zu  lesen :  sour.  Chaucer  hat 
sich  gerade  in  diesem  Verse  dem  lateinischen  Texte  eng  angeschlossen, 
welchem  strowj  gar  nicht,  sour  vollkommen  entspricht. 


414  Ch-'iucer  und  Inuoceuz  des  Dritten  Traktat 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dafs  Chaiicer  haiiptsächlioh  ans 
Hieronymus  schöpfte;  er  bringt  vieles,  was  bei  llieroiiymus, 
nicht  aber  bei  Inuocenz  zu  lesen  ist.  An  einer  einzigen  Stelle 
steht  er  dem  Texte  des  Papstes  näher  als  dem  des  h.  Hierony- 
mus, und  diese  einzige  Stelle  läfst  uns  erkennen,  dafs  er  neben 
Hieronymus  auch  Innocenz  vor  sich  liegen  hatte.  Hieronymus 
J,  28'  sagt  nach  Prov.  XXVH,  15:  StilllcUlia  ejiclunt  liomi- 
nem  in  die  liiemali  de  domo  sua,  shailiter  et  rnulier  nialedica 
de  propria  domo.  Innocenz  erweitert  das  Bibel  wort,  indem  er 
als  drittes  Verjagungsmittel  den  Hauch  erwähnt:  I,  18  THa 
aunt  eiiim  qiioi  non  sintiut  hominem  in  domo  permanere, 
fninus,  still icidium  et  mala  uxor  —  und  dementsprechend 
sagt  Chaucer  Morris  H,  214,  278: 

Thou  saist,  that  droppyng  hous,  and  eek  suioke, 
And  chydyng  wyves  maken  men  to  fle 
Out  of  here  ousrlme  hous ^ 


'  Vgl.  Adversus  lovinianum  Libri  Duo;  ed.  Migne  (Patrol.  Lat. 
tom.  2:'.,  eol.  221  sqq.). 

-  Über  die  Hieronynius-Anklänge  des  Prologs  vgl.  im  übrigen  WooU- 
combe  1.  c.  Ich  habe  nur  noch  zu  bemerken,  dafs  ein  von  WooUcombe 
erwähntes  Bibelcitat,  das  bei  Innocenz  und  Chaucer  erscheint,  auch  bei 
Hieronymus  zu  lesen  ist:  Hier.  I,  9  Melius  est  enim  nuherc  quam  uri  = 
Inn.  I,  18  =  Ch.  II,  207,  52  Bei  is  to  be  weddid  than  to  brynne.  Aufser- 
dem  sind  zur  Ergänzung  des  WooUcombeschen  Aufsatzes  noch  folgende 
Stellen  zu  beachten:  II,  207,  47 

Whan  myn  housbond  is  fro  tbe  world  i-gon, 
Some  cristne  man  schal  wedde  me  anoon, 
For  than,  thapostil  saith,  that  I  am  fi-e 
To  wedde,  a  goddis  half,  wlier  so  it  be     = 

Hier.  I,  10  Audi  eundem  apostohmi:  ^Midier',  inquit,  'alligata  est,  quanto 
tempore  vir  ejus  vivit;  quod  si  dorm,ier'it  vir  ejus,  liberata  est;  eiii  vuli 
nubat,  tantum  in  domino'  id  est,  Ghristiano. 

11,210,148     Let  hem  be   bred    of  pured   whete   seed, 
And  let  us  wyves   eten    barly   breed     = 

Hier.  I,  7  Bonum  est  triticeo  pane  vesci,  et  edere  purissimam 
similam.  Tarnen,  ne  quis  compidsits  fmne  eamedat  stercus  bidndum,  con- 
ceilo  ei,  id  vescatiir  et  Itordeo. 

210,  153      Whan  that  him  list  com  forth  and   pay   bis   dette. 
An  housbond  wol  I  have,  I  wol  not  lette, 
Which  schal  be  bothe  my  dettour  and  my   thral, 
And    have    bis    t  )•  i  b  u  1  a  c  i  o  u  n    w  i  t  h  a  I 


De  Miseria  Couditionis  Huiiianpe.  415 

Nicht  so  sicher  ist,  ob  220,  464  And  after  wyn  on  Venus  most 
I  thinke  beruht  auf  MCH.  II,  21  Venter  enhn  oppipare  satur 
libenter   Venerem   amplexatur. 

Wurde  Chaucers  Aufmerksamkeit  durch  das  betreftende  Ka- 
pitel der  MCH.  auf  Hieronymus  adversus  loviuianum  geleukt? 
Besteht  ein  euger  zeitlicher  Zusanuiieuhaug  zwischeu  der  'IVIau 
of  Lawes  Tale',  in  welcher  der  Dichter  Bruchstücke  seiuer  Über- 
setzung der  MCH.  verwertete,  und  dem  Prolog  des  Wife  of 
Bath,  für  den  er  Hier.  adv.  lov.  benützte?  Gewifs  ist,  dafs  in 
mehreren  Handschriften  der  Prolog  der  Frau  von  Bath  unmittel- 
bar auf  die  Erzählung  des  Rechtsgelehrten  folgt.  ^  Beachtens- 
wert ist  ferner,  dafs  sich  in  den  unterdrückten  Versen  der  ersten 
Form  des  Prologs  der  'Legend  of  Good  Women'  eine  Erwäh- 
nung der  Schrift  Hier.  adv.  lov.  findet: 

V.  281     What  seith  Jerome  ageyns  Jovinian? 

welche  in  dem  Prolog  der  Frau  von  Bath  wiederkehrt: 

II,  226,  673    And  eek  thay  say,  her  was  som  tyme  a  clerk  at  Rome, 
A  cardynal,  that  heet  seint  Jerome, 
Tliat  made  a  book  ayens  Jovynyan; 

Upon    bis  fleissch,  whil  that  I  am  bis  wyf. 
I   have    the   power   duryng  al  my  lif 
Upon    bis    propre    body,    and  not    be. 

Vgl.  Hier.  I,  11  Etimn  si  habes  ...  tixorem,  et  Uli  aUigatus  es,  et  solvis 
debituvi ,  et  non  habes  tili  corporis  jjotestatem  alque  ...  ser- 
vus  uxoris  es,  noli  propter  hoc  habere  tristitiam;  I,  13  Tr ibulatio- 
nem  tarnen  carnis  habebunt  hujusinodi;  und  das  Citat  aus  T.  Cor. 
VII  bei  Hier.  I,  7.  —  Die  Frau  von  Batli  sagt  von  ihrem  vierten  Gatten, 
dessen  irdisches  Fegfeuer  sie  war: 

221,  491     For,  God  it  wot,  he  sat  ful  stille  and  song, 

Whan  tbat    bis    scho    ful    bitterly    bim    wrong. 

Hieronymus  I,  48  berichtet,  ein  vornehmer  Römer  habe  auf  die  Frage, 
warum  er  seine  schöne,  keusche  und  reiche  Gattin  verstofsen  habe,  .seinen 
Futs  erhoben  und  gesagt:  'M  hie  socciis  quem  cernitLs,  ridetur  vubis 
'Hovu^  et  elegans :  sed  nemo  seit  prceter  me  ubi  me  premat.'  —  Der  Ver- 
weis auf  den  König  Salomo  v.  35 — 43  stammt  aus  Hier.  I,  24 ;  vgl.  ferner 
2U8,  77  f.  mit  dem  Citat  aus  Matth.  XIX,  11  sq.  bei  Hier.  I,  12;  21ti, 
341—5  mit  dem  Citat  aus  I.  Tim.  II,  9  bei  Hier.  I,  27 ;  229,  778  f.  mit 
dem  Citat  aus  Prov.  XXV,  24  bei  Hier.  I,  28. 

'  Vgl.  Tyrwhitts  Introductory  Discourse  §  XVI:  The  'Man  of  Lawes 
Tale'  in  the  best  Mss.  is  followed  by  the  'Wife  of  Bathes  Prolotjuc  and  Tale', 
and  therefare  I  have  placcd  thein  so  here  (Morris,  Chaucer  I,  p.  227). 


416  Chaucer  und  Inuocenz  des  Dritten  Traktat 

dafs  sich,  wie  wir  eben  gesehen  haben,  in  dem  Prolog  der  Frau 
von  Bath  der  Einflnf's  der  MCH.  erkennen  lä/st,  und  dafs  sich 
andererseits  in  der  Pi-edigt  des  Ablafskrämers  mitten  in  den  der 
MCH.  nachgeliildeten  Stellen  eine  Reminiscenz  aus  Hier.  adv. 
Tov.  findet.  ^  Hierdurch  wird  jedenfalls  bewiesen,  dais  es  eine 
Zeit  gab,  in  welcher  Innoceuz  und  Hieronymus  vereint  eine  be- 
deutende Rolle  in  Chaucers  Gedankenwelt  spielten. 

IV.    The   Monkes   Tale. 

Vielleicht  erklären  sich  in  den  Versen  HI,  202,  17  ff'.: 

Lo  Adam,  in  the  feld  of  Damassene 

With  Goddes  oughne  fynger  wrought  was  lie, 

And  nought  bigeteu  of  inanues  sperma  unclene 

die  letzten  "Worte  aus  MCH.  I,  1  Formatns   est   liomo   de  jmJ- 


1  Vgl.  Skeats  Notes  p.  152  f.,  wo  für  Migne  II,  H05  zu  lesen  ist 
II,  310.  Wir  haben  aber  anfser  dieser  bekannten,  durch  eine  in  mehreren 
Handschriften  erscheinende  Randglosse  gesicherten  Erinnerung  an  Hiero- 
nymus adv.  lov.  noch  ein  anderes  beachtenswertes  Zeugnis  dafür,  dafs 
Chaucer  bei  der  Abfassung  der  Predigt  des  Ablafskrämers  hin  und  wieder 
einen  Blick  in  diese  Schrift  des  Kirchenvaters  warf.  Zwischen  den  mit 
V.  54(i  schliefsenden  und  v.  551  wieder  beginnenden  sicheren  Bruchstücken 
der  MCH.  (vgl.  S.  9)  sagt  Chaucer 

V.    547     But  certes,  he  that  haunteth  swich  delices 
Is  deed,  whyl  that  he  lyueth  in  tho  vices. 
A  licorous  thing  is  wyn,  and  dronkenesae 
Is  ful  of  stryuing  and  of  wrecchednesse. 

Diese  Verse  bieten  den  Inhalt  zweier  Bibelstellen:  I.  Tim.  V,  G  Kam, 
qiiiB  in  delieiis  est,  vivens  mmiua  est;  Prov.  XX,  1  Luxuriosa  res  rinnm, 
et  tumiiltuos  a  eh-ietas  (cf.  Skeat,  Notes  p.  153).  Das  letztere  Citat  er- 
scheint, dem  Texte  der  Vulgata  entsprechend,  bei  Innocenz  MCH.  II,  19, 
in  demselben  Kapitel,  welchem  sich  Chaucer  für  die  folgenden  Verse  an- 
schliefst. Beide  Citate  erscheinen  bei  Hieronymus,  nicht  unmittelbar 
hintereinander  (II,  9  und  10),  aber  in  derselben  Eeihenfolge  wie  bei 
Chaucer.  Damit  wäre  freilich  noch  nicht  bewiesen,  dafs  sich  Chaucer 
bei  der  Verwendung  derselben  an  Hieronymus  anlehnte.  Aber  Hierony- 
mus citiert  Prov.  XX,  1  in  einer  von  dem  Wortlaut  der  Vulgata  ab- 
weichenden Fassung,  er  hat  Luxmiosa  res  i-innm,  et  eontumeliosa 
ebrietas,  und  am  Band  der  Handschriften  E.  und  Hn.  steht  ebenfalls 
Luccm-iosa  res  vin'um,  et  contttmeliosa  ebrietas.  Ich  bezweifle  nicht, 
dafs  diese  Randglosse  von  dem  Dichter  selbst  herrührt. 


De  Miseria  Conditionis  Humanse.  417 

vere,  de  Udo,  de  chiere:  quodqiie  vilius  est,  de  spurcissimo 
spermate. 

Y.     The  Persones   Tale. 

In  dem  Absclmitt,  der  von  den  Schrecknissen  des  jüngsten 
Gerichtes  und  den  Qualen  der  Hölle  handelt  (Morris  HI,  270  ff. 
The  thridde  cavse  etc.),  erscheinen  viele  Bibelstellen,  welche 
auch  Innocenz  in  dem  dritten  Buche  der  MCH.  bei  der  Be- 
handlung derselben  ]Materie  seiner  Darstellung  einfügte:  p.  271 
We  schuln  yive  rekeuT/nc/  of  every  ydel  word  ■=  MCH.  IH,  17 
==:  Matth.  Xn,  36;  p.  272  Änd  therfore  saith,  Joh  to  God  .  .  . 
that  ever  schal  laste  =  MCH.  HI,  8  =  JobX,  20— 22;  p.  275 
And  touchyng  of  al  here  hody  .  . .  hy  the  mouth  of  Ysaie  = 
MCH.  HI,' 2,  4,  I,  19  =  Is.  LXVI,  24;  p.  276  And  therfor 
saith  seint  Joh  an  .  .  .  fee  fro  hem  =  MCH.  HI.  9  =  Apoc. 
IX,  6.  Vgl.  ferner  in  dem  Abschnitt  De  Avaritia :  p.  331  And 
thei'fore  saith  seint  Poule  .  .  .  ydolatrie  =  MCH.  H,  12  = 
Eph.  V,  5;  die  französische  Quelle  dieses  Teiles  der  'Persones 
Tale^  scheint  dieses  Citat  nicht  zu  bieten. ' 

Alle  diese  Bibelstellen  beweisen  jedoch  selbstverständlich 
nichts  für  die  Benutzung  der  ^ICH.  Es  läfst  sich  im  Gegenteil 
leicht  feststellen,  dafs  Chaucer  den  Text  der  Vulgata  selbst  und 
nicht  Innocenz^  Citate  vor  Augen  hatte.  Bei  Innocenz  IH,  8 
lautet  das  Citat  aus  Job  X,  21:  Antequam  vadam  ad  terrani 
tenehrosam,  in  der  Vulgate :  Anteqnavy  vadam  et  non  re- 
vertar,  ad  terram  tenehrosam,  und  ebenso  Chaucer  p.  272 
07-  /  yo  10  ithoute  retonrny  ncje  to  the  derke  lond ;  das 
Citat  aus  Eph.  V,  5  lautet  bei  Innocenz  11,12:  Avar  itia  est 
servitus  idolorum,  in  der  Vulgata:  Avarus  quod  est  ido- 
lorum  servitus,  und  ebenso  Chaucer  p.  331  An  averous  man 
is  in  the  thraldnm  of  ydolatrie. 

Etwas  beachten SM'erter  ist  die  Übereinstimnuuig  der  fol- 
genden Stellen:  p.  272  f.  The  derke  light,  that  schal  come  ottt 
of  the  fnyr,  that  ever  schal  brenne,  schal  torne  hiw  to  peyne, 
that   is    in  helle,   for    it    schewith    him    to    tho  rrihle  develes, 


'  Vgl.  W.  Eilers,  'Die  Erzählung  des   Pfarrers'  etc.  (Erlaugeu  1882), 
Magdeburg;  S.  20. 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    LXXXIV.  27 


418  Chaucer  und  lunocciiz  des  Dritten  Traktat  De  MCH. 

fJiat  hihi  tormenten  —  MCH.  III,  4  De  ]j<jßnis  inferni  diver- 
sis:  octava  [poßna] ,  horrihilis  visio  dannonum,  qui  vide- 
huntur  in  excussione  scintillarum  de  igne  ascendentium.  Aber 
Chaucer  sagt,  clafs  die  Glut  der  Hölle  den  Sünder  den  Teufeln 
zeigt;  lunocenz,  dals  die  Funken  den  Sündern  die  Teufel  zeigen. 
Als  sicherer  Beweis  eines  zwischen  der  Tersones  Tale'  und  der 
MCH.  bestehenden  Zusammenhanges  können  somit  auch  diese 
Stellen  nicht  gelten. 

München.  Emil  Koeppel. 


Manzonis  Grraf  von  Carmagnola 

und   seine   Kritiker. 


In  einem  Artikel,  der  1820  im  zweiten  Hefte  des  zweiten 
Bandes  der  Zeitschrift  'Ul^er  Kunst  und  Altertum'  erschien,  aber 
schon  zwei  Jahre  vorher  geschrieben  war,  nennt  Goethe  bei  der 
Besprechung  des  kurz  zuvor  in  Italien  ausgebrochenen  Kampfes 
zwischen  Klassikern  und  Romantikern  zuerst  den  Namen  Man- 
zoni  und  ei'wähnt  zugleich  dessen  Grafen  von  Carmagnola  als  ein 
noch  ungedrucktes  Trauerspiel.  Bald  nachher  bringt  dieselbe  Zeit- 
schrift (Bd.  II,  Heft  3)  eine  ebenso  gründliche  wie  anerkennende 
Besprechung  der  inzwischen  veröifentlichten  Tragödie.  Schon  die 
1809  erschienenen  Inni  sacri  hatten  Goethes  Aufmerksamkeit 
erregt;  von  nun  an  aber  wurde  Manzoni  sein  erklärter  Liebling 
unter  den  zeitgenössischen  Dichtern,  dessen  weiterer  Eutwicke- 
lung,  wie  sie  in  der  Ode  auf  den  Tod  Napoleons,  dem  Trauer- 
spiel Adelchi,  endlich  dem  Roman  'Die  Verlobten'  uns  entgegen- 
tritt, er  mit  gröister  Teilnahme  folgte.  Aber  keinem  der  späteren 
Werke  (der  früheren  gedenkt  er  nicht)  hat  er  doch  ein  so  ein- 
gehendes Studium  gewidmet  und  so  ungeteilten  Beifall  gespendet 
wie  dem  Grafen  von  Carmagnola.  Bei  der  allgemeinen  Ver- 
ehrung, deren  er  damals  als  der  anerkannt  grölste  Dichter  der 
Zeit  genofs,  erregte  sein  Urteil  groi'ses  Aufsehen  in  ganz  Europa. 
Überall  lielsen  sich  beifällige  oder  widersprechende  Stimmen  ver- 
nehmen, und  der  Graf  von  Carmagnola  wurde  zum  Mittelpunkt 
des  Streites  zAvischen  Klassikern  und  Romantikern,  der  damals 
in  Italien  herrschte  und  Frankreicli  zu  ergreifen  begann.  Als 
die  streitenden  Stimmen  schwiegen,  bliel)  die  Thatsache  bestehen, 

27* 


420  Manzonis  (^raf  von  Carmaguola. 

dafs  das  Stück  den  Anstofs  zu  einer  ganz  neuen  Richtung  der 
dramatischen  Litteratur  in  ItaUen  und  zum  Teil  aucli  in  Frank- 
reich gegeben  hatte.  Es  lohnt  sich  deshalb  wohl,  das  Trauerspiel 
und  seine  Kritiker  noch  einmal  aus  dem  Staube  der  Vergangen- 
heit hervorzuziehen  und  zu  beleuchten. 

In  der  Vorrede  zu  seinem  bereits  1817  begonnenen,  aber 
erst  1820  erschienenen  Conte  di  Cannagnola  rechtfertigt  Man- 
zoni  die  Abweichungen  desselben  von  den  in  Italien  bisher  all- 
gemein anerkannten  Vorschriften  der  Dramaturgie.  Er  beruft 
sich  zunächst  darauf,  dafs  einige  moderne  Schriften  über  die 
dramatische  Poesie  neue  und  wahre  Ideen  von  so  umfassender 
Anwendbarkeit  (apidicazione)  entliielten,  dafs  ein  Versuch,  die- 
selben pi'aktisch  zu  verwerten,  schon  dadurch  hinlänglich  be- 
gründet erscheine.  Übrigens  enthalte  jedes  Drama  in  sich  selbst 
die  zu  seiner  Beurteilung  notwendigen  Elemente,  nämlich,  welches 
die  Absicht  des  Autors  gewesen,  ob  diese  Absicht  eine  ver- 
nünftige sei,  und  ob  der  Verfasser  sie  erreicht  habe.  Goethe 
giebt  ihm  darin  vollkommen  recht,  indem  er  sagt  (Kunst  und 
Altertum  II,  S.  35),  ein  echtes  Kunstwerk  müsse  wie  ein  ge- 
sundes Naturprodukt  nur  aus  sich  selbst  bem'teilt  werden.  Es 
ist  das  derselbe  Standpunkt,  den  Scherer  in  seinem  nachgelasseneu 
Werke  über  die  Poetik  im  Gegensatze  zu  Schlegel,  Hegel,  Vischer 
und  allen  denen  einnimmt,  welche  ein  gemeinsames  ästhetisches 
Ideal  aufstellen,  an  dem  jedes  einzelne  Kunstwerk  gemessen  wer- 
den soll. 

In  Bezug  auf  die  Einheit  der  Zeit  und  des  Ortes  schliefst 
sich  Manzoni  ganz  der  Auffassung  A.  W.  Schlegels '  an,  dafs  die 
sogenannten  Regeln  des  Aristoteles  keine  Vorschriften  geben, 
sondern  nur  eine  Thatsache  bestätigen.  Die  Einheit  des  Ortes 
erkläre  sich  schon  aus  der  Einrichtmig  des  griechischen  Theaters. 
Der  Einwand  der  Unwahrscheinlichkeit  des  Ortswechsels  für  den 
Zuschauer  beruhe  auf  der  ganz  falschen  Voraussetzung,  dafs  der- 
selbe gleichsam  ein  Teilnehmer  der  Handlung  sei,  während  er 
doch  für  die  handelnden  Personen  gar  nicht  existiere.  Aufser- 
dem  fehle  es  dieser  Auffassung  an  aller  Folgerichtigkeit.    Wenn 


'  A.  W.  Schlegel,  Kursus  der  dramatischen  Litteratur.    Zehute  Vor- 
lesung. 


Manzonis  Graf  von  Carmagnola.  421 

zwei  Personen  in  Gegenwart  des  Publikums  sich  auf  der  Bühne 
die  gröfsten  Geheimnisse  mitteihen,  so  finde  mau  darin  nichts 
AuffäUiges.  'Wenn  der  Zuschauer/  sagt  Goethe  zustimmend, 
'beim  ersten  Aufgehen  des  Vorhangs  sich  leicht  imd  willig  nach 
Rom  versetzen  läfst,  warum  sollte  er  nicht  Gefälligkeit  genug 
haben,  interessante  Personen  nach  Karthago  zu  begleiten?'^  — 
Ahnlich  verhalte  es  sich  mit  der  Einheit  der  Zeit,  welche  selbst 
die  französischen  Dramaturgen  sich  genötigt  gesehen  hätten,  auf 
24  Stunden  auszudehnen,  worin  bereits  das  offenbare  Zugeständ- 
nis Hege,  dafs  das  Zusammenfallen  der  für  die  Handlung  an- 
genommenen Zeit  mit  der  wirldichen,  die  sie  bei  der  Vorstellung 
auf  der  Bühne  einnehme,  eine  thatsäcliliehe  Unmöglichkeit  sei.  — 
Für  uns  erscheinen  mm  zwar  Sclilegels  und  Manzonis  gründliche 
Auseinandersetzungen  als  ein  Kampf  gegen  Windmühlen ;  damals 
aber  war  das  Unternehmen  Manzonis  ein  Wagnis,  das  allgemeines 
Erstaunen,  bei  den  meisten  Lesern  und  Kritikern  starkes  Kopf- 
schütteln hervorrief  und  den  kühnen  Neuerer  den  heftigsten  An- 
griffen aussetzte,  SveU  er  die  Barbarei  des  nordischen  Theaters 
auf  den  altklassischen  Boden  versetzen  wolle'.-  Für  uns  bedarf 
es  ja  natürlich  einer  Widerlegung  dieses  Vorwurfs  ebensowenig 
wie  der  von  Manzoni  verheifsenen,  aber  unseres  Wissens  nie 
veröffentlichten  Widerlegung  der  Angriffe  J.  J.  Rousseaus,  Nicoles 
imd  Bossuets  gegen  die  dramatische  Poesie  überhaupt,  welche 
jedes  Drama,  wenn  es  nicht  kalt  und  interesselos  sein  solle,  für 
notwendig  unmoralisch  erklärten. 

Die  Anwendung  des  Chors  in  seiner  Tragödie  stützt  Man- 
zoni hauptsächlich  auf  Schlegels  Erklärung  des  altgriechischen 
Chors,  derzufolge  man  denselben  als  die  Personifikation  der  mora- 
lischen Gedanken,  welche  die  Handlung  einflöfst,  und  als  das 
Organ  der  Gesinnungen  des  Dichters  betrachten  müsse,  der  im 
Namen  der  Menschheit  spreche.  Der  Chor  soll  den  nationalen 
Genius  und  zugleich  den  Geist  tdlgemeiner  Humanität  vertreten, 
die  allzu  heftigen  Wirkungen  der  dramatischen  Handlung  mälsi- 
gen  und  die  Zuhörer   durch    die  Schönheit  und  Anmut  des  har- 


'  Über  Kunst  und  Altertum  III,  S.  58. 

'  Wir  kommen  unten  bei  Gelegenheit  des  Briefes  Manzonis  an  Ohauvet 
noch  einmal  auf  diesen  Gegenstand  zurück. 


422  .Maiuonis  (haf  von  (yarmagnola. 

inonischen  lyrischen  Ausdruckes  von  dem  leideuschaftliclien 
Schmerze  zur  ruhigen  Betrachtung  führen.  Manzoni  erkennt  an, 
(lals  der  aUgriechische  Chor,  von  bestimmten  Personen  dargestellt 
und  geAvisscrmafsen  an  der  Handlung  teilnehmend,  nicht  für  die 
moderne  Tragödie  passe  ;^  aber  er  meint,  die  Einschiebung  lyri- 
scher Stellen  im  Sinne  des  Inludts  jener  Chöre  sei  wohl  zulässig. 
Indem  sie  dem  Dichter  ein  Winkelchen  darbiete,  wo  er  in  eigener 
Person  reden  könne,  werde  er  die  lüippe  vermeiden,  selbst  durch 
den  Mund  seiner  Personen  zu  sprechen,  wie  man  das  so  häufig 
in  den  modernen  Dramen  wahrnehme.  Ob  seine  Chöre  sich  zur 
Recitation  eignen,  will  er  nicht  untersuchen;  er  bestimmt  sie  zu- 
nächst nur  zur  Lektüre. 

In  einer  historischen  Einleitung  (notizle  storiclie)  stellt 
Manzoni  alles  zusammen,  was  er  über  das  Leben  seines  Helden 
hat  in  Erfahrung  bringen  können,  und  teilt  uns  zugleich  von  den 
politischen  Verhältnissen  der  Zeit  so  viel  mit,  als  zum  Verständ- 
nis seines  Thuus  und  der  dramatischen  Handlung  überhaupt  er- 
forderhch  ist.  Wir  sehen  den  Sohn  eines  piemontesischen  Bauern 
durch  seine  wilde  Tapferkeit,  durch  imbezwingbare  Energie  und 
Ausdauer,  endlich  durch  sein  militärisches  Genie  zu  einem  der 
ersten  jener  Condottieri  aufsteigen,  die  auf  eigene  Rechnung 
Söldnerscharen  werben,  um  sich  mit  denselben  an  einen  Fürsten 
zu  verdingen  und  seine  Kriege  zu  führen.  Carmagnola  trat  in 
den  Dienst  Filippo  Marias,  des  Bruders  und  Erben  des  im  Jahre 
1412  ermordeten  Herzogs  Giovanni  Maria  von  Mailand,  der  aber 
den  grölsten  Teil  seines  rechtmäfsigen  Erbes  sich  erst  erkämpfen 
nuifste.  Es  war  hauptsächhch  Carmagnolas  Verdienst,  dal's  sich 
Filippo  Maria  zwölf  Jahre  später  wieder  im  Besitze  des  ganzen 
Territoriums  seiner  Vorfahren  befand.  Aber  neidische  Feinde 
und  das  argwöhnische  Gemüt  des  falschen  Herzogs  selbst,  der 
den  zu  mächtig  gewordenen  Feldherru  füi'chtete,  veranlafsten  die 
Ungnade  Carmagnolas,  der  sich  vergeblich  Gehör  bei  dem  Fürsten 
zu  verschafien  suchte.  Von  Zorn  und  Rachegedanken  erfüllt, 
bot  er,   nachdem   er   vergeblich   den   Herzog   von  Savoyen   zum 


'  Schillers  Abhaudlung  über  den  Gebrauch  des  Chors  in  der  Tragödie 
scheint  Manzoni  nicht  gekannt  zu  haben,  sonst  hätte  er  sich  ohne  Zweifel 
manches  aus  den  Deduktionen  unseres  Dichters  zu  eigen  gemacht. 


Manzouis  Graf  von  Carmagnola.  423 

Kriege  gegen  Mailand  aufzureizen  versucht  hatte,  der  Repubhk 
Venedig  seine  Dienste  an.  An  diesem  Punkte  seines  Lebens 
setzt  die  Handhing  unseres  Dramas  ein.  Der  venetianische 
Senat,  von  Florenz  ziu*  Allianz  gegen  Filippo  Maria  aufgefordert, 
ist  anfangs  schwankend.  Carmagnola,  um  seine  Ansicht  befragt, 
rät  dringend  zum  Kiüege;  die  Mehrheit  schliefst  sich  ihm  an, 
und  da  ein  milslungener  Mordversuch  gegen  ihn  sich  als  vom 
Herzog  von  Mailand  angestiftet  erweist  und  dadurch  die  Besorg- 
nis vor  einer  Wiederversöhnung  mit  seinem  früheren  Souverän 
wegfällt,  wird  der  Graf  zum  Oberfeldherrn  des  venetiauischen 
Heeres  ernannt  (1426).  Bald  zwingt  er  durch  seine  Siege  den 
Herzog  zu  einem  ungünstigen  Frieden,  und  als  Filippo  Maria 
denselben  unter  einem  Vorwande  bald  nachher  bricht,  schlägt  er 
das  überlegene  Heer  der  Mailänder  mit  Hilfe  einer  Kriegslist 
gänzlich  in  die  Flucht  und  macht  viele  tausend  Gefangene.  Diese 
Schlacht  ist  es,  auf  welche  sich  der  berühmte  Chor  des  zweiten 
Aktes  bezieht.  In  der  folgenden  Nacht  werden,  zunächst  ohne 
Vorwissen  des  Höchstkommandierenden,  die  meisten  Gefangenen 
von  seinen  Uuterbefehlshabern  freigelassen.  Als  die  venetia- 
uischen Kommissarien,  die  den  Feldherrn  und  seine  Kriegs- 
führung überwachen  sollen,  sich  darüber  beim  Grafen  beldagen, 
giebt  er  Befehl,  auch  den  Rest  der  Gefangeneu  freizugeben.  Bei 
der  damaligen  Kriegsführung  hatte  dieser  Vorgang  nichts  Auf- 
fälliges. Die  siegreichen  Söldner  waren  nicht  ^^^rkliche  Feinde 
ihrer  Gegner;  sie  wufsten,  dafs  ihnen  bald  ähnliches  widerfahren 
konnte;  so  waren  sie,  sobald  einmal  der  Sieg  entschieden  war, 
■wieder  gute  Kameraden.  Dafs  aber  durch  eine  solche  Kriegs- 
führung oft  der  Zweck  des  Krieges  selbst  verfehlt  wurde,  und 
dals  daraus,  wie  hier,  häufig  Konflikte  zwischen  den  Kegicrungen 
imd  den  Condottieri,  welche  sie  gedungen  hatten,  entstanden,  war 
natürlich.  Carmagnola  konnte  vielleicht  im  vorliegenden  Falle 
nicht  anders  handeln;  aber  in  Venedig  nahm  mau  es  ihm  sehr 
übel,  wenn  er  auch  zunächst  mit  Ehren  überhäuft  wurde.  FHippo 
Maria,  abermals  zum  Frieden  gezwungen,  brach  denselben  1431 
aufs  neue.  Diesmal  wandte  das  Glück  Carmagnola,  dem  aus- 
gezeichnete Feldherren  gegenüberstanden,  zum  Teil  auch  durch 
die  S(^huld  seiner  Untergebenen,  den  Rücken ;  mehrere  Unter- 
nehmungen  fechlugen   fehl.     In  Venedig  glaubte   man,   oder  gab 


424  Manzonis  Graf  von  Carmagnola. 

man  sich  doch  den  Anschein  zu  glauben,  es  Hei  Verrat  im  Sj^iele, 
er  stehe  heiralicli  mit  Mailand  in  Unterhandlung.  Unter  dem 
Verwände,  seinen  Rat  über  den  Friedenssehluls  hören  zu  wollen, 
Avurde  er  aufgefordert,  vor  dem  Senate  zu  erscheinen.  Kaum 
aber  war  er  in  den  Dogenpalast  gctreteu,  als  man  sich  seiner 
versicherte,  ihn  in  einen  der  berüchtigten  Kerker  warf,  folterte, 
zum  Verrätertode  verurteilte  und  mit  einem  Knebel  im  Munde 
am  5.  Mai  1432  zwischen  den  beiden  bekannten  Säulen  der 
Piazzetta  hinrichten  liefs.  —  Dafs  Carmagnola  wirklich  Verrat 
geübt,  ist,  wie  Manzoni  überzeugend  nachweist,  ebensowenig 
innerlich  wahrscheinHch,  als  durch  irgend  welche  äulsere  That- 
sachen  bezeugt.  Die  Akten  des  Prozesses  sind  nie  zu  Tage  ge- 
kommen. Bei  den  stets  argwöhnischen  Behörden  der  Republik 
mochte  wohl  der  Umstand,  dafs  der  bisher  stets  siegreiche  Feld- 
herr melu-ere,  wenn  auch  nicht  entscheidende,  Unfälle  nachein- 
ander erlitt,  wirklich  Verdacht  erregt  haben;  mafsgebender  aber 
war  gewifs  noch  die  Furcht  vor  der  allzugrofs  gewordenen  Macht 
des  Grafen.  Dazu  kam  sein  aufbrausendes  Wesen,  sein  herrisches, 
keinen  Widerspruch  duldendes  Auftreten  gegen  den  venetianischen 
Adel  und  die  Kommissäre  des  Senats.  Die  venetianische  Re- 
gierung verlangte  gefügige  Diener  und  unbedingten  Gehorsam; 
jede  Regung  von  Selbständigkeit  war  ihr  zuwider  und  verdächtig. 
Möglich  allerdings  auch,  dal's  der  ehrgeizige  Mann,  wie  so  viele 
seiner  glücklicheren  Berufsgenossen,  zugleich  eigene  Pläne  ver- 
folgte imd  die  Begründung  einer  eigenen  Herrschaft  ins  Auge 
gef aist  hatte ;  ja  unser  Dichter,  der  in  der  historischeu  Einleitung 
allerdings  nichts  Derartiges  erwähnt,  macht  selbst  eine  dahin- 
zielende  Andeutung    in    dem   Monologe    seines   Helden    (Akt  I, 

Sc.  4): 

—  E  cid  d'un  regno 

Fees  il  destin,  non  poträ  far  il  sito? 

Sein  Tod  erregte  ungeheures  Aufsehen  in  ganz  Itahen,  und 
in  Carmagnolas  Geburtslande  Piemont  den  heftigsten  Groll  gegen 
die  Venetianer,  einen  Groll,  der  sogar*  bei  der  bekannten  Liga 
von  Cambray  gegen  die  Lagunenrepublik  70  Jahre  nachher  noch 
eine  Rolle  gespielt  haben  soll. 

Die  hier  kurz  skizzierten  Ereignisse  von  dem  Augenblicke 
an,  wo  der  Krieg  gegen  Mailand  und  die  Ernennung  Carmagnolas 


Manzonis  Graf  von  Carmaguola.  425 

zum  Feklherm  der  Republik  beschlossen  wird,  bis  zu  seinem 
Tode  bilden  die  historische  Unterlage  des  Dramas.  Nur  erscheint 
in  demselben  alles  als  ein  einziger  Krieg;  die  längeren  oder  kür- 
zeren Unterbrechungen  durch  die  wiederholten  Friedensschlüsse 
pafsten  natürlich  nicht  in  die  Ökonomie  des  Stückes.  Zwischen 
dem  dritten  imd  vierten  Akte  liegt  ein  Zeitraum  von  vier  bis 
fünf  Jahren.  Die  einzige  thatsäcliliche  Abweichimg  von  der 
historischen  Wahrheit  besteht  darin,  dal's  Manzoni  den  Mord- 
versuch gegen  Carmagnola  von  Treviso  nach  Venedig  verlegt. 

Wir  kommen  nun  zunächst  auf  die  eingangs  erwälmte  Be- 
sprechung des  Dramas  durch  Goethe  zurück.^  Dem  Verlangen 
des  Dichters  in  seiner  Vorrede,  niu'  aus  sich  selbst  heraus  be- 
lu'teilt  zu  werden,  entsprechend,  hat  sich  der  Kritiker  den  deut- 
lichsten Begriif  von  seinen  Absichten  zu  verschaifen  gesucht, 
dieselben  löblich,  natur-  und  kunstgemäfs  gefunden  und  sich  zu- 
letzt nach  genauester  Prüfung  überzeugt,  dals  er  sein  Vorhaben 
meisterhaft  ausgeführt  habe.  Da  er  aber  voraussieht,  dafs  Man- 
zonis  Dichtart  in  Italien  viele  Gegner  finden  und  auch  nicht 
allen  Deutschen  zusagen  werde,  so  hält  er  es  für  seine  Pflicht, 
sein  unbedingtes  Lob  eingehend  zu  begründen. 

Nachdem  er  Manzonis  Polemilc  gegen  das  Princip  der  Ein- 
heit der  Zeit  und  des  Ortes  gebilligt  und  die  historische  Ein- 
leitung in  kurzem  Auszuge  wiedergegeben  hat,  entwirft  Goethe 
selbst  ein  Bild  der  Kriegsführung  und  des  Condottieroturas  der 
Zeit,  um  daran  nachzuweisen,  wie  richtig  'sein  Freund'  dieselbe 
aufgefafst  habe  und  welch  trefflichen  Stoff  zu  einer  tragischen 
Hauptfigur  ein  solcher  'MletshekF  bieten  mulste,  'der  wohl  seine 
liochsinnigen  Plane  haben  mochte,  dem  aber  die  in  solchen  Fällen 
liöchst  notwendige  Verstellung,  scheinbares  Nachgeben  zur  rech- 
ten Zeit,  einnehmendes  Betragen  und  was  sonst  noch  crfordei't 
wird,  vollständig  abging,  der  vielmehr  keinen  Augenblick  seinen 
heftigen,  störrischen,  eigenwilligen  Charakter  vcrläugnete'.  Zwi- 
schen einer  solchen  Willkür  und  der  höchsten  Zweckmäfsigkeit 
des  venetianischen  Senats  ahne  man  nun  alsbald  den  unvermeid- 
lichen Zusammcnstol's.  'Und  hier  wird  der  Einsichtige  den  voll- 
kommen prägnanten,  tragischen,  unausgleichbarcn  Stoff  anerkennen, 

'  Über  Kunst  und  Altertum,  Bd.  II,  S.  0.:— Ü5. 


426  Manzonis  Graf  von  Carmagaola. 

dessen  Entwickeluag  und  Ausl)i]dung  sicli  im  gegenwärtigen 
Stücke  entfaltet.  Zwei  entgegengesetzte  Denkweisen,  wie  sie 
Harnisch  und  Toga  ziemen,  sahen  wir  in  vielen  Individuen 
musterhaft  mannigfaltig  einander  gegenül)ergestellt  und  zwar  so, 
wie  sie  allein  in  der  angenommenen  Form  darzustellen  gewesen, 
wodurch  diese  völlig  legitimiert  und  vor  jedem  Widerspruch 
völlig  gesichert  wird/ 

Um  den  weiteren  Verlauf  seiner  Beurteilung,  wie  er  sich 
ausdrückt,  ordnungsgemäfs  einzuleiten,  giebt  Goethe  nun  den 
Gang  des  Stückes,  Scene  für  Scene,  kurz  und  prägnant  wieder.' 
Er  wendet  sich  dann  zunächst  gegen  einen  Tadel,  deu  er  gegen 
den  von  ihm  gezeichneten  Gang  des  Stückes  mit  Sicherheit  vor- 
aussieht. Es  fehlt  zumeist  an  jeder  äiü'serlichen  Verknüpfung 
zwischen  den  einzelnen  Scenen;  der  Zusammenhang  ist  nur  ein 
innerlicher,  während  die  Phantasie  des  Zuschauers  die  Lücken 
zwischen  den  einzelnen  Geschehnissen  ausfüllen  mufs.  Goethe 
giebt  zu,  dafs  die  Meinung  über  dies  Verfahren  geteilt  sein 
könne;  ihm  selbst  gefalle  dasselbe  sehr  wohl;  es  gestatte  bündige 
Kürze.  'Mann  folgt  auf  Mann,  Bild  auf  Bild,  Ereignis  auf  Er- 
eignis ohne  Vorbereitung  und  Verschränkung.  Der  einzelne  wie 
die  Masse  exponiert  sich  beim  Auftreten  gleich  auf  der  Stelle, 
handelt  und  wirkt  so  fort,  bis  der  Faden  abgelaufen  ist.^  Da- 
durch sei  dem  schönen  Talent  des  Dichters  eine  natürlich  -  freie, 
bequeme  Ansicht  der  sittlichen  Welt  gegeben,  die  sich  dem  Leser 
und  Zuschauer  sogleich  mitteile.  'So  ist  auch  seine  Sprache  frei, 
edel,  voU  und  reich,  nicht  senteuziös,  aber  durch  grofse,  edle, 
aus  dem  Zustande  herfliefsende  Gedanken  erhebend  und  er- 
freuend. Das  Ganze  hinterlälst  einen  wahrhaft  weltgeschicht- 
lichen Eindruck.^ 

Auf  die  Personen  des  Dramas  übergehend  tadelt  Goethe 
zunächst  die  Einteilung  derselben  in  historische  uud  ideale.  Er 
glaubte  —  irrigerweise,  wie  wir  sehen  werden  — ,  dafs  dieselbe 
gewifs  nicht  aus  des  Verfassers  Gefühl  und  Überzeugung  hervor- 
gegangen, sondern  nur  durch  ein  krittelndes  Publikum  veranlafst 
sei,  über  das  er  sich  erst  nach  und  nach  erheben  müsse.  'Für 
den  Dichter,'  sagt  er,  'ist  keine  Person  historisch ;  es  beliebt  ihm, 


S.  Hempel,  Bd.  XXIX,  633  flf. 


Manzouis  Graf  von  Carmaguola.  427 

seine  sittliche  Welt  darzustelleu,  uud  zu  diesem  Zwecke  erweist 
er  gewissen  Personen  aus  der  Geschichte  die  Ehre,  ihre  Namen 
seinen  Geschöpfen  zu  leihen.  Herrn  Manzoni  dürfen  wir  zum 
Ruhme  nachsagen,  dafs  alle  seine  Figuren  aus  einem  Gufs  sind, 
eine  so  ideell  wie  die  andere.  Sie  gehören  alle  zu  einem  ge- 
wissen politisch -sittlichen  Kreise;  sie  haben  zwar  keine  indi- 
viduellen Züge  (?);  aber,  was  wir  bewundern  müssen:  ein  jeder, 
ob  er  gleich  einen  bestimmten  BegriiF  ausdrückt,  hat  doch  ein 
so  gründlich  eigenes,  von  allen  anderen  verschiedenes  Leben,  dais, 
wenn  auf  dem  Theater  die  Schauspieler  an  Gestalt,  Geist  uud 
Stimme  zu  diesen  dichterischen  Gebilden  passend  gefunden  wer- 
den, man  sie  durchaus  für  Individuen  halten  wird  und  mufs.' 

Den  Charakter  der  handelnden  Personen  zeichnet  Goethe  in 
kiu-zen  Zügen  scharf  und  im  ganzen  treffend.  Die  alte  Forderung 
der  'Theoristen',  dafs  ein  tragischer  Held  nicht  vollkommen,  nicht 
fehlerlos  sein  dürfe,  finde  sich  hier  erfüllt.  'Vom  rohen,  kräftigen 
Natur-  mid  Hirtenstande  heraufgewachsen,  gehorcht  Carmaguola 
seinem  ungebändigten,  unbedingten  Willen;  keine  Spm*  von  sitt- 
licher Bildung  ist  zu  bemerken,  auch  die  nicht  einmal,  deren  der 
Mensch  zu  eigenem  Vorteil  bedarf.  .  .  .  Wir  müssen  auch  hier 
den  Dichter  höchlich  loben,  der  den  als  Feldherrn  uuvergleich- 
liclien  INIann  in  politischen  Bezügen  untergehen  lälst,  so  wie  der 
kühnste  Schiffer,  der,  Kompafs  und  Sonde  verachtend,  sogar  im 
Stiu'me  die  Segel  nicht  einziehen  wollte,  notwendig  scheitern 
müfste.^  —  Dafs  Carmaguola  keine  Spur  von  sittlicher  Bildung 
zeige,  scheint  uns  einem  Manne  gegenüber,  der  solche  Selbst- 
erkenntnis besitzt  (I,  5),  so  unerschütterlich  in  seinem  Rechts- 
l)ewufstsein  ist,  der  dem  Tode,  selbst  dem  Verbrecher tode  mit 
solcher  Fassung  entgegen  blickt,  der  seine  Tochter  tadelt,  als  sie 
seine  Feinde  Mörder  nennt,  und  sie  auffordert,  ihnen  zu  ver- 
geben, eine  unhaltbare  Ansicht.  —  Im  Dogen  erblickt  Goethe 
das  oberste,  reine,  unzerteilte  Staatsprincip,  das  Zünglein  in  der 
Wage,  das  sicli  selbst  und  die  Schalen  beobachtet,  einen  Halb- 
gott, bedächtig  ohne  Sorgen,  vorsichtig  ohne  Mifstrauen;  in 
Marino  das  der  Welt  unentbehrliche  scharfe,  selbstische  Princip, 
das  hier  untadelig  erscheine,  da  es  nicht  für  ein  persönliches 
Interesse  wirke,  und  dem  die  Menschen  wie  Carmaguola  ganz 
uud   gar   nichts  sind,  als  Werkzeuge  zum  Zwecke  der  Pe[)ublik, 


428  Manzonis  Graf  von  Carmagnola. 

die,  unnütz  oder  gefälu'lich  erscheinend,  sogleicli  zu  verwerfen 
seien.  Uns  scheint  allerdings  vielmehr,  dafs  Manz(3ni  in  diesem 
Manne  ein  lebendiges  Beispiel  hat  aufstellen  wollen,  wie  mora- 
lisch dcpraväerend  die  venetianische  Politik  auf  ihre  Vertreter 
einwii'ken  mufstc.  Marco  gilt  Goethe  als  der  Repräsentant  des 
löblichen  menschlichen  Princips,  welcher  das  Tüchtige,  Grofse 
und  Mächtige  verehrt,  aber  dadurch,  dafs  er  einem  Einzelnen  zu 
selir  zugethan  ist,  ohne  es  zu  ahnen,  in  Widerspruch  mit  seinen 
Pflichten  gerät.  Wir  möchten  statt  'Pflichten^  lieber  sagen:  mit 
der  venetianischen  Staatsraison.  Während  Goethe  ferner  die 
Feldherren  des  feindlichen  Heeres  und  zumal  die  beiden  Kora- 
missarien  genau  analysiert,  erscheint  es  wunderbar,  dafs  er  über 
die  beiden  Frauen,  die  im  letzten  Akte  in  den  Vordergrund  treten, 
die  Gattin  und  Tochter  des  Helden,  kein  Wort  verliert.  Liegt 
hier  eine  bestimmte  Absicht  oder  ein  blofses  Übersehen  vor? 

Schliefslich  wünscht  Goethe  dem  Dichter  Glück,  dafs  er, 
von  alten  Regeln  sich  lossagend,  auf  der  neuen  Bahn  ernst  und 
ruhig  fortgeschi'itten  sei,  dermafsen,  dafs  man  nach  seinem  Werke 
gar  wohl  A\'ieder  neue  Regeln  bilden  könne.  'Wu*  geben  ihm 
auch  das  Zeugnis,  dafs  er  im  einzelnen  mit  Geist,  Wahl  und 
Genauigkeit  verfahren,  indem  mr  bei  strenger  Aufmerksamkeit, 
insofern  dies  einem  Ausländer  zu  sagen  erlaubt  ist,  weder  ein 
Wort  zu  viel  gefunden,  noch  irgend  eines  vermifst  haben.  Männ- 
licher Ernst  und  Klarheit  walten  stets  zusammen,  und  wu*  mögen 
daher  seine  Arbeit  gern  klassisch  nennen.'  Gleich  hohes  Lob 
läfst  er  auch  der  sprachlichen  Form  des  Dramas  zu  teil  werden, 
indem  der  herkömmliche  elf  silbige  vei'so  sciolto  oder  Jambus, 
wie  ihn  Goethe  nicht  ganz  zutreffend  nennt,  durch  abwechselnde 
Cäsuren  dem  freien  Recitativ  ganz  ähnlich  und  noch  durch  das 
Übergreifen  von  Vers  zu  Vers,  so  dafs  der  eine  mit  Neben- 
worten ende,  während  der  folgende  mit  dem  Begriifsworte  be- 
ginne, vielbedeutend  werde.  'Ein  grofser,  mächtiger  Gang  des 
Vortrags  \vird  eingeleitet  und  jede  epigrammatische  Schärfe  der 
Endfälle  vermieden.'  —  In  einem  1820  in  Mailand  veröffent- 
lichten Verzeichnis  der  im  Jahre  1819  auf  der  Halbinsel  er- 
schienenen Bücher  waren  die  Tragödien  dieses  Jahres  m  Bausch 
und  Bogen  als  schwache  Nachahmungen  Alfierischer  Dramen  ver- 
urteilt;  von    dem  Grafen  von  Carmagnola   aber   nur  beiläufig  in 


Manzonis  Graf  von  Carmagnola.  429 

einer  Note  bemerkt,  dafs  er  sich  von  diesem  Fehler  freigehalten 
und  grofse  Schönheiten  habe,  aber  auch  nicht  ohne  grol'se  INIän- 
gel  sei.  Goethe  tadelt  diese  beiläufige  summarische  Behandlung' 
aufs  schärfste,  stellt  Manzoni  hoch  über  den  von  dem  italie- 
nischen Ki'itiker  als  unbedingtes  Muster  angenommenen  Alfieri 
und  fügt  hinzu: 

'AYäre  es  noch  gegenwärtig  mein  Geschäft,  der  Ausbildung 
eines  Theaters  vorzustehen,  so  sollte  Graf  Carmagnola  bei  ims 
wohl  aufgenommen  sein,  und  wenn  auch  nicht  als  Liebling  der 
Menge  oft  wiederholt,  doch  immer  auf  dem  Repertorium  als  ein 
würdiges  Männerstück  in  Ehren  bleiben.' 

Manzoni,  in  seiner  Bescheidenheit  ebenso  überrascht  wie  er- 
freut dm'ch  Goethes  Urteil,  schrieb  diesem  unter  dem  23.  Januar 
1821  einen  Brief,  in  dem  er  ilim  seinen  feiu-igsten  Dank  und 
seine  grol'se  Freude  darüber  ausspricht,  dafs  er,  der  Altmeister, 
ilm  und  seine  Absichten  vollkommen  erkannt  und  die  letzteren 
gebilligt  habe,  während  er  hn  eigenen  Lande  entweder  geradezu 
verhöhnt  oder  doch  so  verkannt  und  milsverstanden  worden  sei, 
dafs  man  das,  was  er  für  ganz  nebensächlich  halten  müsse,  über- 
mäl'sig  gelobt,  und  was  er  mit  vollster  Absicht  nach  reiflichstem 
Xachdenken  geschrieben  habe,  als  Unachtsamkeit  und  Vernach- 
lässigung der  bekanntesten  dramatischen  Regeln  getadelt  habe. 
Er  sei  zuletzt  selbst  imsicher  über  den  Wert  seines  Stückes  und 
die  Richtigkeit  seiner  Principien  geworden,  bis  nun  die  Worte 
des  grofsen  Meisters  ihn  von  allen  seinen  Zweifeln  befreit  hätten. 
Betreffs  jener  Einteilung  der  Personen  aber,  die  Goethe  fiu-  eine 
Konzession  an  sein  Publikum  gehalten  hatte,  fügt  er  hinzu:  'Ich 
muls  Ilmen  jedoch  gestehen,  dal's  die  Einteilung  der  Personen 
in  ideale  und  gesclüchtliche  ganz  meine  Schuld  ist  (e  un  fallo 
tutto  mio),  und  daJs  ein  allzu  gewissenhaftes  Kleben  (attacca- 
mento)  an  der  historischen  Genauigkeit  daran  schuld  war,  welche 
mich  bewog,  die  wirklichen  Menschen  (gli  nomlni  della  realtä) 
von  denjenigen  zu  trennen,  die  ich  ersonnen  (immagitiatl)  hatte, 
um  eine  Klasse,  eine  ^Meinung,  ein  Interesse  zu  vertreten.'  — 
In  einer  neuen  Arbeit  (der  Tragödie  Adelchi)  habe  er  die  Unter- 
scheidung schon  beiseite  gelassen. 


'  Über  Kuust  uu.l  Altertum,  Bd.  IIT,  Heft  1.     1821. 


430  Manzonis  Graf  von  Carmagnola. 

Kurze  Zeit,  Dachdem  er  Manzonis  Brief  erhalten  und  seine 
Freude  ausgedrückt  hat,  ^mit  einem  so  liebewerten  Manne  in 
nähere  Verbindung  zu  treten^,  kommt  Goethe  noch  einmal  auf 
das  Drama  zurück,^  um  den  Dichter  mit  warmem  Eifer  gegen 
die  AngriflPe  eines  Kritikers  in  der  Quarterly  Revieio  vom 
Dezember  1820  in  Schutz  zu  nehmen,  der  sich  ziemlich  gering- 
schätzig über  das  Stück  ausgesprochen  und  dasselbe  geradezu  für 
unpoetisch  erklärt  hatte.  Nachdem  er  den  Engländer  Punkt  für 
Punkt  widerlegt  hat,  giebt  er  doch  schliefslich  Manzoni  den  Rat, 
künftig  nur  Stoffe  zu  wählen,  die  an  und  für  sich  rülirend  seien. 

Wie  das  Urteil  Goethes  auf  den  Verfasser  der  Tragödie 
selbst  die  tiefe  und  anfeuernde  Wirkung  hervorbrachte,  von  der 
uns  sein  Brief  an  jenen  Kunde  giebt,  so  erregte  dasselbe  in  den 
litterarischeu  Kreisen  Italiens  wie  anderswo  grofses  Aufsehen, 
lenkte  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  den  Dichter  und  ver- 
anlalste  vielfache  Diskussionen  in  Zeitschriften  und  Broschüren. 
Besonders  beachtenswert  sind  die  Osserücizioni  sul  giudizio  di 
Goethe  von  N.  Tommaseo.- 

An  eine  Aufserung  Goethes  anknüpfend,  dafs  der  Total- 
eindruck des  Grafen  von  Carmagnola  ein  zugleich  ernster  und 
mannigfaltiger  sei,  wie  ihn  immer  die  grofsen  Gemälde  der 
menschlichen  Natur  zurücklassen,  weist  er  darauf  hin,  dals  die 
modernen  französischen  und  italienischen  Klassiker  besonders 
dadurch  gesündigt  und  die  Wirkung  ihrer  Werke  selbst  beein- 
trächtigt hätten,  dals  sie  darin  ein  einziges  Gefühl,  eine  allein 
dominierende  Idee  dargestellt  hätten  und  dadurch  unnatüi'lich 
und  unwahr,  unfähig,  das  -wirkliche  Leben  und  den  ^virklichen 
Menschen  in  seiner  komplizierten  Natur  zu  schildern,  geworden 
wären.  So  sei  bei  Corneille  der  Stolz,  bei  Racine  die  Liebe,  bei 
Voltaire  die  Philosophie  (wie  V.  dieselbe  verstand),  bei  Alfieri 
der  Tyrannenhafs  das  allein  hen'schende  Princip.  Infolge  dessen 
habe  sich  ein  feststehendes  künstliches  System  ausgebildet:  die 
Handhmgen,  die  Leidenschaften,  die  Ereignisse  seien  nach  ge- 
wissen konventionellen  unveränderlichen  Grundsätzen  beurteilt, 
welche,  durch  diese  übertriebene  Verallgemeinerung  einseitig,  ja 


1  Über  Kunst  inid  Altertum,  Bd.  III,  Heft  3.    1821. 

^  Opere  di  Alessandro  Manzoui.    Firenze  1828.    I,  95—120- 


Mauzouis  Graf  von  Cannagiiola.  431 

geradezu  falsch  geworden,  notwendig  seliädlich  wirken  ranisten. 
Zugleich  sei  dadurch  elue  unnatürliche  und  ermüdende  Einförmig- 
keit in  die  dramatische  Produktion  gekommen,  wie  denn  z.  B.  nach 
Manzonis  zutreffender  Bemerkung  Raciues  Andromaque  seinem 
Bajazet  aufs  Haar  gleiche,  weil  die  Liebe  das  einzig  bewegende 
Princip  in  beiden  sei,  obwohl  hier  mittelalterliche  Türken,  dort 
alte  Griechen  die  handelnden  Personen  sind.  Und  indem  alles 
von  einem  einzigen  auf  die  Spitze  getriebenen,  alle  anderen  Rück- 
sichten absorbierenden  Gefülile  geleitet  sei,  mufste  die  Wirkung 
mit  Notwendigkeit  jene  unmoralische  werden,  deren  Rousseau  und 
seine  Gesinnungsgenossen  die  moderne  Tragödie  beschuldigen. 

Ganz  anders  in  unserem  Drama.  Hier  kämen  hauptsächlich 
zwei  entgegengesetzte  Elemente  in  Konflikt:  der  Stolz,  das  Un- 
abhängigkeitsgefühl  und  die  Herrschematur  des  Grafen  mit  der 
eigensüchtigen,  vorsichtigen,  hinterhstigen  und  zugleich  despoti- 
schen Politik  der  venetianischen  Regierung.  Der  Held  stelle  sich 
dar  als  ein  Mann  von  dem  höchsten  Streben  und  den  reinsten 
Absichten;  aber  er  täusche  sich  über  sich  selbst,  wenn  er  sage 
imd  meine,  dafs  der  einzige  Lohn,  den  er  suche,  die  Achtung 
der  venetianischen  Regierung  und  jedes  edlen  Menschen  sei,  die 
er  voll  zu  verdienen  glaube:  in  erster  Linie  sei  es  vielmehr  die 
Rachsucht  gegen  seinen  undankbaren  früheren  Herrn  und  der 
gekränkte  Stolz,  welche  ihn  trieben,  und  zugleich  der  Ehrgeiz, 
eine  hohe  Rolle  zu  spielen,  die  geheime  Hoffnung,  vielleicht  selbst 
dereinst  ein  Fürstentum  zu  gewinnen.  Gerade  das  mache  ihn  ja, 
wie  Goethe  bemerke,  zu  einem  echt  tragischen  Helden,  dafs  Gutes 
und  Böses,  Uneigennützigkeit  und  Selbstsucht  sich  in  ihm  und 
seinen  Motiven  vermischen,  mehr  als  er  selbst  wisse  und  glaube. 

Ist  Tommaseo  soweit  mit  Goethes  Beurteihmg,  die  er  als 
glänzendes  Muster  einer  in  die  Tiefe  gehenden  wahren  und  un- 
parteiischen Kritik  hinstellt,  wesentlich  einverstanden,  so  verwirft 
er  dagegen  entschieden  den  Satz,  dais  es  für  den  Dichter  keine 
historischen  Personen  gebe,  sondern  derselbe  nur,  um  seine  sitt- 
liche Welt  darzustellen,  gewissen  Personen  der  Geschichte  die 
Ehre  erweise,  ihren  Namen  seinen  Geschöpfen  zu  leihen.  Der 
italienische  Kritiker  erklärt  es  zunächst  für  einen  LTtum  des 
deutschen,  wenn  dieser  meine,  Manzonis  Einteilung  seiner  Per- 
sonen  in   hiHtorischc   und    ideale   sei   in  Rücksicht   auf  die  Vor- 


432  Manzonis  Graf  von  Carmagnola. 

urteile  des  Publikums  geschehen:  gerade  im  Gegenteile  habe 
man  bisher  die  vollständige  Umformung  der  historischen  Per- 
sonen und  Ereignisse  in  der  italienischen  Litteratur  nicht  nur 
als  erlaubt,  sondern  als  notwendig  angesehen.  Er  selbst  sucht 
dagegen  in  eingehender  Deduktion  den  Beweis  ;5u  liefern,  da(s 
der  Dichter  entweder  rein  erfundene  oder  durchweg;  historische 
Personen  und  Begebenheiten  wählen  müsse;  im  Gegenfalle  laufe 
sein  Werk  auf  eine  Täuschung  des  Publikums  und  eine  höchst 
bedenkliche  Fälschung  der  Geschichte  hinaus.  Für  uns  ist  die 
Frage  längst  entschieden.  Hätte  Tommaseo  statt  I^cines  Phädra, 
Trissinos  Sofonisba  u.  s.  w.  den  Götz  oder  Egmont,  den  Wallen- 
stein oder  Maria  Stuart  vor  Augen  und  im  Sinne  gehabt,  so 
würde  sein  Urteil  wohl  auch  anders  gelautet  haben. 

In  einer  im  Journal  des  /Savants  1824  erschienenen  inter- 
essanten Kritik  des  Conte  di  Carmagnola  stellt  der  berühmte 
französische  Akademiker  Raynouard,  früher  selbst  dramatischer 
Dichter,  den  Satz  auf,  dafs  die  Verletzung  der  Einheitsregeln 
es  dem  Dichter,  dessen  Werk  er  übrigens  in  Bezug  auf  den 
Ausdruck  der  Empfindungen  wie  den  Glanz  und  die  Echtheit 
des  historischen  Kolorits  sehr  hochstellt,  unmöglich  gemacht 
hätten,  seinem  Gegenstande  das  ganze  dramatische  Interesse  zu 
verleihen,  das  derselbe  in  sich  trage.  Seine  Beweisgründe  dürf- 
ten allerdings  auf  den  deutschen  Leser  mehr  unterhaltend  als 
überzeugend  wirken.  Stichhaltiger  erscheint  ein  anderer  Tadel. 
Gattin  und  Tochter  des  Helden,  erst  im  letzten  Akte  auftretend, 
haben  thatsächlich  keinerlei  Auteil  an  der  Handlung  des  Stückes; 
sie  dienen  nur  dazu,  durch  ihr  Erscheinen  das  Mitgefühl  und 
die  Rührung  des  Zuschauers  zu  steigern,  und  durch  den  Gegen- 
satz ihrer  leidenschaftlichen  Klagen  zu  der  ruhigen  Fassung  des 
Mannes  dem  letzteren  ein  stärkeres  Relief  zu  geben.  Wenn 
Raynouard  meint,  der  Dichter  hätte  sie  schon  im  ersten  Akte 
einführen  müssen,  so  läfst  sich  darüber  streiten.  Wohl  aber  darf 
man  behaupten,  dafs  derselbe  wohl  gethan  hätte,  sie  entweder  in 
die  Handlung  selbst  zu  verflechten,  oder,  wenn  ihm  diese  nicht 
dazu  angethau  schien,  ganz  aus  dem  Spiele  zu  lassen,  statt  sie 
da  einzuführen,  wo  sie  dem  Zuschauer  entweder  kein  tieferes 
Interesse  mehr  einzuflöi'sen  vermögen,  oder  aber,  indem  sie  seine 
Aufmerksamkeit  von  der  Hauptperson   ablenken   und   neue,   mit 


Mauzouis  Graf  vou  Carmagnola.  433 

dem  ganzen  Chai'akter  des  Dramas  nicht  harmonierende  Empfin- 
dungen erregen,  den  grofsartigen  Gesamteindruck  nicht  unwesent- 
Hch  beeinträchtigen  müssen.  Der  Grund,  welcher  von  anderen 
Kritikern  gegen  das  frühere  Auftreten  der  Frauen  ins  Feld  ge- 
fülu't  wird,  dais  dasselbe  im  Widerspruch  mit  dem  Charakter 
der  Zeit  gestanden  haben  würde,  wo  die  Frauen  von  allem  Eiu- 
flufs  auf  das  Thun  der  Männer  ausgeschlossen  gewesen  seien, 
beruht  ebenfalls  auf  der  bereits  gekennzeichneten  falschen  Auf- 
fassung von  historischer  Treue  in  der  dramatischen  Dichtung. 

Indem  wir  die  anderen,  meist  ebenso  obei-fläclilichen  und 
verständnislosen  wie  übelwollenden  Kritiken  der  Anhänger  des 
alten  Pseudo-Klassicismus,  die  zumal  in  Frankreich  und  Itahen 
zahlreich  zu  Tage  traten,  hier  beiseite  lassen,  müssen  wir  noch 
diejenige  Chauvets  im  Lycee  francais^  erwähnen,  weil  Manzoni 
sich  von  seinem  Freunde  Fauriel  bewegen  lielis,  in  einem  be- 
rühmt gewordenen,  an  100  gedruckte  Oktavseiten  langen  Briefe 
an  den  Autor  derselben  ^  eine  Widerlegung  zu  schreiben.  Der 
Brief,  beiläufig  sogar  nach  französischem  Urteil  ein  Muster  des 
Stiles,  ist  zugleich  ebenso  sehr  ein  Beweis  der  grofsen  Bescheiden- 
heit seines  Verfassers  wie  der  merkwürdigen  Objektivität,  mit 
welcher  derselbe  sein  eigenes  Werk  zu  betrachten  vemiochte, 
und  seiner  klaren  Einsicht  in  die  Grundsätze  der  di'amatischen 
Komposition;  ja,  er  erweiterti  sich  endlich  zu  einer  lichtvollen 
Auseinandersetzung  des  wahren  Wesens  der  Dichtkunst  selbst. 

Chauvet  hatte  für  die  Notwendigkeit  der  Einheit  von  Ort 
und  Zeit  (oder,  wie  er  sagt.  Ort  und  Tag)  statt  des  landläufigen 
Grundes  der  Wahrscheinlichkeit  für  den  Zuschauer  ihre  enge 
und  notwendige  Verbindung  mit  der  Einlicit  der  Handlung  und 
der  Stätigkeit  der  Chai'aktere  hervorgehoben.  Gegen  diese  Auf- 
fassung wendet  sich  nun  Manzoni.  Er  weist  zimächst  nach,  dals 
auch  die  Einheit  der  Handlimg  in  dem  Wortsmne  des  Boileauscheu 

Qu'en  im  lim,  en  uii  jour,  un  seid  fait  accompli, 
Tienne  jnsqii'ä  la  fm  le  theätre  rempli  — 

ein  Unsinn  sei,  da  es  sich  bei  jedem  Drama  niclit  um  eine  ein- 
zelne Thatsache,   sondern   nur   um   die   Darstellung   einer  Reihe 


'  Bd.  l\,  S.  Gl  ff.   —  *  Lettre  de  M.  ä  M.  C  .  .  .  sur  l'unitc  de  temps 
et  de  Heu  dans  la  tnujCdic.  —  Werke  I,  142  —  230. 

Archiv  f.  11.  Sprachen.    LXXXIV.  28 


434  Manzouis  f  Jraf  von  Carmagnola. 

unter  sich  verbundener  Ereignisse  liandelu  könne.  Der  moderne 
Dichter  müsse  in  der  Geschichte  —  denn  auf  diese  l)eschränkt 
Manzoni  die  AVahl  des  Stoffes  —  eine  Reihe  von  Thatsachen 
suchen,  die,  in  engem  Zusammenhange  untereinander,  sicli  um 
ein  einzehies  Ereignis,  die  sogenannte  Katastrophe,  grup[)ioren, 
zu  dem  sie  sich  als  Mittel  oder  Hindernisse  verhalten,  das  man 
aber  nicht  mit  der  Handlung  selbst  verwechseln  düi'fe.  Bei  die- 
ser Auffassung  aber  sei  es  unmöglich,  aus  der  Einheit  der  Hand- 
lung die  Notwendigkeit  oder  auch  nur  die  Zulässigkeit  der  bei- 
den anderen  Einheiten  zu  deduzieren.  Um  Chauvets  These  zu 
widerlegen,  dafs  bereits  im  ersten  Akte  alle  Personen  vorgeführt, 
ihre  Stellung  und  ilu-e  Absichten  charakterisiert  werden  müfsten, 
führt  Mauzoni  ihm  die  Person  Hämons  in  der  Autigone  vor 
Augen,  die  erst  in  der  Mitte  des  Stückes  auftrete  und  zwar  mit 
gutem  Grmide,  weil  durch  ein  zu  frühes  Eintreten  desselben  in 
die  Handlung  das  ganze  Auftreten  der  Heldin  abgeschwächt, 
entstellt  und  profaniert  werden  würde.  —  Den  Vorwurf,  den 
Chauvet  seiner  Tragödie  gemacht,  dals  zwischen  dem  dritten  imd 
vierten  Akte  ein  ganzer  Feldzug  liege,  der  es  dem  Zuschauer 
immöglich  mache,  dem  Gange  der  Handlung  genau  zu  folgen, 
erkennt  Manzoni  als  berechtigt  an,  'aber'  —  fügt  er  hinzu  — ■ 
'die  Schuld  Hegt  ein  wenig  am  Gegenstande,  in  hohem  Grade 
am  Autor  und  gar  nicht  an  dem  System.'  —  Ein  genauer  Ver- 
gleich der  Motivierung  des  Eifersuchtsmordes  in  'Othello'  imd 
'Zaire'  bietet  Manzoni  Gelegenheit,  die  Überlegenheit  des  Shak- 
spereschen  Stückes  über  das  Voltairesche  auch  in  dieser  Beziehung 
zu  zeigen  und  dabei  den  Nachweis  zu  liefern,  dals  dieselbe  hier 
wenigstens  teilweise  darauf  beruhe,  dafs  Voltaire  durch  die  'Ein- 
heit der  Zeit'  genötigt  gewesen  sei,  seinen  Helden  nicht  nach  und 
nach,  wie  Shakspere,  sondern  durch  ein  einzelnes  Faktum  von  der 
Untreue  der  Gattin  zu  überzeugen  und  zum  Mörder  zu  machen. 
Nach  Chauvet  hätte  der  Graf  von  Carmagnola  erst  au  dem 
Punkte  beginnen  sollen,  wo  der  Held,  vom  Senate  berufen,  in 
Venedig  zurückerwailet  wird.  'Dann  hätten  24  Stunden  und 
eine  einzige  ürtlichkeit  genügt  und  der  Autor  hätte  Gelegenheit 
gehabt,  seinen  erfinderischen  Genius  zu  zeigen,  um  die  Peripetie 
des  Dramas  herzustellen  und  ein  wahrer  Schöpfer  zu  werden. 
Manzoni  halte  sich  überzeugt:  diese  Grenzen  überschreiten  heilst 


Mauzouis  Graf  vou  Carmagnola.  435 

nicht  die  Kunst  erhöhen,  sondern  sie  zur  Kindheit  zurückführen.' 
Manzoni  weist  nun,  indem  er  einen  litterarischen  Essa}'  seines 
Freundes  und  Gesinnungsgenossen  Hermes  Visconti  über  Macbeth 
zur  Hilfe  herbeizieht,  nach,  wie  kleinlich  und  ärmlich  und  zu- 
gleich wie  uuhistorisch  und  unwahrscheinlich  die  Handlung  nach 
diesem  Rezept  geworden  sein  würde.  Er  beweist  mit  Citaten 
aus  Corneilles  Schriften,  wie  schmerzhch  dieser  den  unnatürlichen 
Regelzwang  empfunden,  und  wie  sehr  seine  Stücke  darimter  ge- 
litten hätten  (wie  wenn  er  z.  B.  den  König  im  Cid  sagen  läfst, 
Don  Rodrigo  möge  sich  doch  nach  seinem  Kampfe  gegen  die 
Mauren  erst  1  —  2  Stunden  ausruhen,  ehe  er  zu  dem  Zwei- 
kampfe mit  Don  Sancho  schreite),  und  aus  Shaksperes  Richard  II., 
wie  unmöglich  es  sei,  den  Gang  grofsartiger  historischer  Tra- 
gödien mit  den  beiden  Regeln  zu  vereinbaren. 

Dann  setzt  er  seine  eigene  Auffassung  der  Aufgabe  des 
dramatischen  Dichters  in  klarer  und  bestimmter  Weise  ausein- 
ander. 'Das  Wesen  der  Dichtkunst,'  sagt  er,  'besteht  nicht  darin, 
Thatsachen  zu  erfinden:  diese  Erfindung  ist  das  Leichteste  und 
Gewöhnlichste  bei  der  geistigen  Arbeit,  was  am  wenigsten  Nach- 
denken, ja  sogar  am  wenigsten  Phantasie  erfordert.  .  .  .  Alle 
grofsen  Denkmäler  der  Dichtung  haben  geschichtliche  Ereignisse 
zur  Grundlage  oder  doch,  was  hier  auf  dasselbe  hinauskommt, 
solche,  die  einmal  als  geschichtlich  aufgefaist  worden  sind.'  Er 
zeigt  nun,  wie  weit  seiner  Überzeugung  nach  der  Dicliter  bei 
einem  historischen  Stoffe  im  selbständigen  Schaffen  und  Ertinden 
gehen  dürfe  und  müsse,  und  verteidigt  sodann  nach  den  auf- 
gestellten Grundsätzen  sein  eigenes  Verfahren  im  Carmixgnola. 
Er  beweist,  dal's  er  in  allem  Wesentlichen  der  geschichtlichen 
Wahrheit  treu  geblieben  ist  und  nicht,  wie  sein  Kritiker  gewollt 
hätte,  dem  Grafen  v(M-übergchend  das  Schicksal  Venedigs  in  die 
Hand  gegeben  hat,  um  den  Kampf  zwischen  Pflicht  und  Ehr- 
geiz in  ihm  aufs  höchste  zu  steigern  und  den  Sieg  der  erstereu 
um  so  glänzender  leuchten  zu  lassen.  Wir  bemerken  dabei,  daCs 
Manzoni  seinen  Helden  zwar  stolz,  störrisch  und  eigenwillig,  aber 
edel  und  grolsherzig  denkt,  dafs  er  also  sogar  die  Regungen  der 
Rachsucht  und  des  Ehi'geizcs,  die  doch  in  dem  Stücke  selbst 
sein  Auftreten  wenigstens  n)it  bestinnnc^n  helfen,  hier  ganz  bei- 
seite läl'st.     F'rau  imd  Tochter  sind  ilun  niu-  da,  'um  den  Anteil 

•28* 


4^G  Manzonis  Graf  von  Carmagnola. 

von  Glück  und  Leid  zu  empfangen,  den  ihnen  der  Mann  geben 
Avird  (fera),  von  dem  sie  abhängen'.  —  Die  ungUickhchen  Ein- 
heiten sind,  wie  er  schlagend  nachweist,  in  erster  Linie  schuld 
daran,  dafs  man  der  Liebesleidenschaft  einen  so  lier vorragenden 
Platz  in  der  modernen  Tragödie  gegeben  habe,  weil  dieselbe  und 
ihre  Folgen  die  geringste  Schwierigkeit  für  eine  rasche  Ent- 
Avickelung  an  einem  einzigen  Orte  darboten,  dafs  aber  eben  da- 
durch die  komplizierten  Motive  der  meuscliHchen  Handlungen, 
die  vielfachen  Ereignisse  fortwährend  mehr  oder  weniger  gefälscht 
Anu'den.  In  seinem  Kampfe  gegen  den  Regelzwaug  geht  er  auch 
auf  das  Epos  über,  für  welches  man  die  unverbrüchlichen  Vor- 
sclu'iften  aus  der  Ilias  herleiten  wolle,  wovon  dann  die  natürliche 
Konsequenz  sei,  dais  zwar  das  Befreite  Jerusalem,  die  Lusiaden 
und  die  Henriade  glücklich  imtergebracht  werden  konnten,  dals 
man  sich  aber  trotz  aller  Anstrengung  vergeblich  bemüht  habe,  die 
Göttliche  Komödie,  den  Rasenden  Roland,  das  Verlorene  Para- 
dies und  die  Messiade  in  das  Gebäude  dieser  Theorie  hineinzu- 
zwängen. Alan  habe  sich  kläglich  genug  damit  zu  helfen  gesucht, 
dafs  dem  Genius  ersten  Ranges  wohl  eine  Verletzung  der  für  die 
grofse  Masse  der  Dichter  geltenden  Regeln  gestattet  sein  könne. 
Es  folgt  nun  ein  historischer  Nachweis,  wie  sich  diese  aber- 
gläubische Anbetung  der  mifsverstandenen  aristotehschen  Poetik 
durch  d'Aubign<^,  INIairet  und  Chapelain  in  Frankreich  ein- 
gebürgert und  vaQ  noch  Corneille  sich  nur  mit  gröfstem  Wider- 
streben derselben  gefügt  habe,  während  sie  in  Italien  gleichsam 
auf  Treue  und  Glauben  von  den  Franzosen  übernommen  worden 
sei.  Die  nun  zuerst  von  ihm  selbst  —  nachdem  jedoch  in  der 
letzten  Zeit  schon  mehrfach  thatsächliche  Abweichmigen  vor- 
gekommen waren  —  auch  theoretisch  verfochtene  Verwerfung 
des  Regelzwanges  habe  in  Italien  einen  heftigen  Kampf  ent- 
zündet, der  aber  schlieislich  zum  Siege  der  neuen  Lehre  führen 
müsse  und  werde.  Er  prophezeit  —  und  ^\\r  Aussen,  mit  welchem 
Rechte  — ,  dals  auch  in  Frankreich,  wo  diese  Regeln  zu  einem 
Glaubensartikel  geworden  seien  und  mit  fanatischer  Hartnäckig- 
keit und  Blindheit  festgehalten  würden,  ihre  Niederlage  bevor- 
stehe, und  dafs  auch  dort  die  Erkenntnis  nicht  mehr  fern  sei, 
wie  unendlich  dadurch  die  Dramen  an  Bedeutung  und  Wii'kung 
auf  das  Publikum  gewinnen  mülsten. 


Manzuuis  Graf  von  Carmagnola.  437 

Wa«  Goethe  an  unserem  Trauerspiel  so  gefiel  und  ihm  die- 
sen 'wahrhaften,  klar  auffassenden,  innig  durchdringenden,  mensch- 
lich fülilenden,  gemüthcheu'  Dichter  ^  so  sympathisch  machte,  M'ar 
die  grofsartige  Einfachheit  der  Komposition,  die  einheitliche  Durch- 
führung der  Idee,  die  klare  und  dm-chgeführte  Charakteristüc,  die 
ruhige  plastische  Darstellung,  die  edle  Sprache,  einfach  natürlich 
und  doch  voll  vornehmer  Würde  und  vom  reinsten  Wohlklange. 
'Unsere  guten  deutschen  Jünglinge  könnten  an  ihm  ein  Beispiel 
sehen,  wie  man  in  einfacher  Gröfse  natürlich  waltet/  -  ]Mit  Recht 
nennt  er  den  Grafen  von  Carmagnola  ein  echtes  Männerstück, 
und  eben  diese  einfach  edle  Männlichkeit,  der  hohe  Ernst,  das 
strenge  Mafshalten  selbst  im  Ausdruck  der  Leidenschaft,  das 
Verschmähen  aller  der  beliebten  Mittelcheu,  um  auf  die  Thränen- 
drüsen  der  Zuschauer  zu  wirken  oder  ihre  Leidenschaften  zu 
entflammen:  alles  das  hefs  ihn  iu  dem  italienischen  Dichter  eine 
der  eigenen  wahlverwaudte  Natur  erkennen  und  dieselbe  um  so 
mehr  bewundern,  als  Manzoni  bereits  als  jüngerer  Mann  voll  zu 
besitzen  schien,  was  er  sich  erst  durch  jahrzehntelange  innere 
Kämpfe  erworben  hatte.  Aber  wie  Goethe  dachte  nicht  die 
Mehrzalil  der  Zeitgenossen.  Nicht  nur,  dafs  das  Stück  von  den 
Anhängern  des  Pseudo  -  Klassicismus  in  Italien  und  Frankreich 
aufs  heftigste  angegriffen  wm-de :  auch  wohlwollende  Beurteiler 
und  solche,  die  über  die  Principien  der  dramatischen  Kunst  mit 
dem  Dichter  in  der  Hauptsache  übereinstimmten,  fanden  mancherlei 
und  Wesentliches  daran  zu  tadeln.  Die  Abwesenheit  der  ge- 
wohnten, den  meisten  für  unentbehrlich  geltenden  Liebcsintrigue, 
das  Auftreten  der  Frauen  erst  im  letzten  Akte,  wo  sie  keine 
rechte  Teilnahme  mehr  zu  erwecken  vermögen  und  doch  plötzlich 
ein  rührendes  Element  iu  die  Tragödie  bringen,  das  in  schrotieni 
Gegensatze  zu  allem  Vorhergehenden  zu  stehen  scheint;  jene 
eigentümliche  lose  Aneinanderreihung  der  Sccnen,  die  es  dem 
Zuschauer  schwer  macht,  sich  in  die  nachfolgenden  Situationen 
zu  versetzen;  der  Mangel  an  dramatischer  Zuspitzimg,  an  leben- 
dig bewegten  Volksscenen,  an  rascher,  erregter  und  erregender 
Wechselrede;  jene  vornehme  Ruhe,   welche,  auch  den  Ausdruck 


'   Tages-    und    Jahresliefte ,    1821.     Werke,    Hempelsche   Ausgabe, 
Bd.  XXVII,  S.  275.  —  ^  Ebenda  S.  266  (1820). 


438  ."Miiiizoiiis  Graf  V(;n  (Jiiniiagnola. 

der  Leideuscluift  clänipfeiid,  den  Zuhörer  uicht  mit  sich  fortreiilsl, 
nicht  die  entsprechenden  Empfindungen  in  iiun  wie  mit  eineni 
elektrischen  Schlage  entzündet:  das  alles  gab  dem  Stücke  in  den 
Augen  der  meisten  etwas  Allzukühles,  zu  Verständiges,  zu  lleflek- 
tiertes,  dem  die  natürliche  Inspiration,  die  siegreiche  Genialität 
fehlte  —  kurz,  man  vermifste  jenes  Element,  'das  mit  urkräftigem 
Behagen  die  Herzen  aller  Hörer  zwingt'.  Auch  der  deutsche 
Kritiker  der  Gegenwart  kann  bei  aller  Hochachtung  für  das 
Urteil  Goethes  nicht  umhin,  diese  Ausstellungen  wenigstens  teil- 
weise berechtigt  zu  finden.  Der  theatralische  Erfolg  oder  viel- 
mehr Mil'serfolg  schien  den  Tadlern  gleichfalls  recht  zu  geben. 
Eine  Aufführung  in  Mailand  und  zwei  in  Florenz  mit  einem 
mehr  der  Persönlichkeit  des  Dichters  als  seinem  Werke  gelten- 
den Achtungserfolge  ■ —  dann  verschwand  der  Graf  von  Car- 
magnola  wieder  von  der  Bühne,  um  nicht  wieder  aufzutauchen. 
Auch  im  Auslande  hat  man  sich  unseres  Wissens  nirgends  an 
die  Darstellung  herangewagt.  Fauriels  Idassische  Übersetzung  ist 
in  Paris  nie  auf  die  Bretter  gekommen,  und  es  scheint  uns  mehr 
als  zweifelhaft,  ob,  wenn  Goethe  noch  in  der  Lage  gewesen  wäre, 
das  Stück,  wie  er  wünschte,  in  Weimar  zur  Aufführung  zu  brin- 
gen, der  Erfolg  ein  gröfserer  gewesen  und  das  Stück  auf  den 
deutschen  Brettern  festen  Fuls  gefafst  haben  wüi'de.  Und  den- 
noch hat  dasselbe  den  gröfsten  Einflufs  auf  die  dramatische 
I^itteratur  Italiens  geübt.  Der  Stoff  —  Ereignisse  und  Personen 
aus  der  vaterländischen  Geschichte ;  der  darin  herrschende  Geist  — 
Adel  der  Gesinnung  und  echte  Humanität;  die  Behaudlungs- 
weise  —  eine  edle  natürliche  Rhetorik  ohne  allen  gesuchten  und 
übertriebenen  Pomp  der  Sprache,  ohne  alles  gespreizte  Pathos: 
das  alles  hat  auf  die  italienische  Dramatik,  selbst  die  der  prin- 
cipiellen  Gegner,  reinigend  und  veredelnd  gewirkt.  Und  während 
die  herrlichen  lyrischen  Partien,  die  Chöre,  in  jedes  gebildeten 
Italieners  Munde  und  Gedächtnis  sind,  wird  überhaupt  vielleicht 
kein  modernes  Drama  jenseit  der  Alpen  so  viel  und  mit  solchem 
Interesse  gelesen  wie  der  Graf  von  Carmagnola  und  die  Tra- 
gödie Adelchi,  das  einzige  Schauspiel,  welches  ausserdem  aus 
Manzonis  Feder  hervorgegangen  ist. 

Kassel.  Otto  Speyer. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Englische  Parlanieutsreden  zur  französisclieu  Revolution,  heraus- 
gegeben und  erklärt  von  Dr.  Perle,  Oberlehrer  am  Real- 
gymnasium der  Frankeschen  Stiftungen  in  Halle  a.  S.  Zweite 
Auflage.  Halle  a.  S.,  Niemeyer,  1889.  X  und  126  S.  8. 
M.  1,50. 

Neben  den  Werken  der  Historiker  werden  neuerdings  vielfach  die 
oratorischeu  Leistungen  der  hervorragendsten  französischen  und  englischen 
Kedner  des  18.  und  l'J.  Jahrhunderts  in  den  Schulen  gelesen.  Nament- 
lich die  Reden  Mirabeaus  sind  eine  Lieblingslektüre  in  den  Berliner 
Schulen  geworden.  Mit  noch  gröfserem  Rechte  kann  man  die  Reden  der 
Staatsmänner  Englands  zur  Zeit  der  französischen  Revolution  und  kurz 
nach  derselben  zur  Lektüre  empfehlen,  da  sie  in  der  Form  vollendeter 
sind  als  die  französischen  und  ein  Teil  des  englischen  Lebens  und  der 
englischen  Geschichte  sich  in  ihnen  abspiegelt.  Reden  von  Pitt  dem  iU- 
teren  und  Pitt  dem  Jüngeren  sind  in  der  französischen  und  englischen 
Schulbibliothek  von  Otto  Dickmann  herausgegeben  und  von  Dr.  Winckcl- 
mann  (Leipzig  1883)  für  den  Schulgebrauch  erklärt.  Dieselben  Reden 
nebst  je  einer  von  Burke  und  Fox  enthält  das  in  der  Sammlung  von 
Pfundheller  und  Lücking  zu  Berlin  1886  erschienene  Bäudchcn  'lOnglische 
Parlamentsredeu  erklärt  von  Leo  Türkheim'.  Bereits  die  zweite  Auflage 
liegt  vor  von  den  englischen  Parlanieutsreden  zur  französischen  Revolution 
von  Dr.  Perle  als  Heft  1  der  Sammlung  geschichtlicher  Quellenschriften 
zur  neusprachlichen  Lektüre.  Der  Einwand  mancher  Pädagogen,  dafs 
die  Fülle  von  diplomatischen  Wendungen  und  technischen  Ausdrücken, 
welche  in  den  politischen  Reden  enthalten  seien,  dem  Schüler  das  Ver- 
ständnis erschwere,  ist  hinfällig,  wenn  eine  gediegene  und  passende  Aus- 
wahl getroflcu  und  das  Material  gesichtet  wird.  Dr.  Perle  ist  den  An- 
forderungen, welche  die  Schule  in  diesem  Sinne  zu  stellen  hat,  gerecht 
geworden  und  hat  in  sein  Buch  nur  das  aufgenonuneu,  was  allgemeinen 
Inhalts  ist  und  sich  direkt  auf  das  Thema,  hier  die  Beurteilung  der  fran- 
zösischen Revolution  und  die  Nützlichkeit  oder  Schädlichkeit  der  Koa- 
ütiuuskriege,  bezieht.    Statistische  Angaben  der  Redner  über  die  Handels- 


440  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

läge  Englands  und  dergleichen  sind  gestrichen.  Das  Büchlein  enthält 
eine  Rede  des  jüngeren  Pitt  über  die  Vorbereitung  Englands  zum  Kriege 
gegen  Frankreich,  eine  Rede  seines  Gegners  Fox  über  die  Kriegführung 
gegen  Frankreich,  eine  Rede  Sheridans  über  die  Sicherung  Englands  gegen 
äufsere  und  innere  Gefahren,  Pitts  Gegenrede  dazu,  Pitts  Verteidigung 
seiner  Bündnispolitik  im  Jahre  1800  und  zum  Schlufs  eine  Rede  Lord 
Liverpools  über  den  Vorfrieden  mit  Frankreich  1801. 

Von  sprachlichen  Anmerkungen,  welche  dieser  Stoff  mehr  als  jeder 
andere  entbehren  kann,  hat  der  Herausgeber  gänzlich  abgesehen;  er  hat 
sich  nur  auf  sachliche  Erläuterungen  beschränkt.  Es  war  gewifs  eine 
sehr  schwierige  Aufgabe,  immer  die  richtigen  Erklärungen  zu  den  sehr 
dunklen  Andeutungen  und  versteckten  Anspielungen  zu  finden  und  die 
rhetorischen  KunstgriflTe,  welche  die  Redner  anwenden,  zu  erraten,  um  so 
schwieriger,  als  dieselben  geflissentlich  mitunter  Thatsachen  verdrehten 
und  es  mit  der  Wahrheit  nicht  immer  genau  nahmen.  Der  Herausgeber 
hat  sich  dieser  mifslichen  Aufgabe  mit  Geschick  und  Sachkenntnis  ent- 
ledigt. Die  Erläuterungen  nach  dieser  Seite  hin  könnten  noch  vermehrt 
werden.    Eine  Fortsetzung  ausgewählter  Reden  ist  wünschenswert. 

Berlin.  G.  Völckerling. 

Campbell,  Gertrude  of  Wyoming,  A  Pennsylvanian  Tale.  Edited 
with  Introduction  and  Notes  by  H.  Macaulay  Fitzgibbon. 
Oxford,  Clarendon  Press,  1889.     IV  n.  187  S.  8.     Sh.  2. 

Thomas  Campbeils  erzählendes  Gedicht  Oertride  of  Wyomiiig  füllt 
nur  S.  39 — 67:  was  also  der  Herausgeber  hinzugefügt  hat,  nimmt  bei 
weitem  den  gröfsten  Teil  des  Buches  ein.  Den  Anfang  macht  eine  ziem- 
lich ausführliche  Einleitung  in  drei  Abschnitten,  deren  erster  das  Leben 
des  Dichters  darstellt  (S.  1 — 24),  während  der  zweite  (S.  24 — 28)  seine 
schriftstellerische  Bedeutung  würdigt  und  der  dritte  (S.  28 — 37)  sich  spe- 
ciell  mit  Gertrude  of  Wyoming  beschäftigt  und  in  dem  nach  meiner  An- 
sicht richtigen  Satze  gipfelt  (S.  37) :  It  is  a  seco'nd  or  third-rate  -poem,  co7i- 
taining  a  few  first-rate  things.  Die  Anmerkungen  umfassen  beinahe  hun- 
dert Seiten  (69 — 165).  Dann  kommen  vier  Appendices:  A.  Brief  History 
of  Wyoming  (S.  167—173);  B.  Extract  from  Lafontaine' s  Novel  'Biirneck 
utid  Saldorf,  von  der  nach  Beatties  unsicherer  Vermutung  Campbell  die 
Anregung  zu  seinem  Gedichte  erhalten  haben  soll  (S.  173 — 176);  C.  Letter 
to  Camphell  from  Lord  Jeffrey  (S.  176  f.);  D.  Letter  to  thc  Mohaivh  Chief 
AJiyonivoeghs  . . .  from  Tk.  Campbell,  den  im  Gedicht  erwähnten  Indianer- 
häuptling Brandt  oder  Braut  betreffend  (S.  178—186).  Den  Abschlufs 
bildet  eine  Early  Bibliography  of  'Gertrude  Wyoming'  (S.  187).  Das  Ge- 
dicht enthält  manche  Dunkelheiten,  an  denen  teils  die  vom  Dichter  ge- 
wählte schwierige  Spenserstrophe  schuld  ist,  teils  aber  auch  sein  bestän- 
diges Nachbessern,  von  dem  es  in  Jeffreys  Brief  (S.  177)  heifst:  You  have 
hammered  the  mrtal  in  sonie  places  tili  it  1ms  lost  all  its  ductility.  So  sind 
denn  Anmerkungen,  die  den  vom  Dichter  beabsichtigten  Sinn  klar  legen, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  441 

vielfach  wünschenswert.  Dazu  kommt,  dafs  auch  sachliche  Erläuterun- 
gen, die  schon  Campbell  selbst  öfter  hinzugefügt  hat,  nicht  zu  entbehren 
sind.  Hier  hat  aber  Fitzgibbon  ohne  allen  Zweifel  des  Guten  zu  viel 
gethan.  Die  Erwähnung  eines  Tieres  oder  einer  Pflanze  giebt  ihm  Anlafs 
zu  langen  naturwissenschaftlichen  Auseinandersetzungen.  Da  der  Dichter 
1,  8,  9  den  Ätna  in  einem  Gleichuis  braucht,  wird  über  diesen  Vulkan 
alles  mögliche  zusammengebracht,  u.  a.,  dafs  er  1722  zuerst  vom  Grafen 
D'Orville  bestiegen  worden  ist.  Durch  das  Streichen  oder  Kürzen  solcher 
zum  Verständnis  des  Gedichtes  wenig  oder  nichts  beitragenden  Bemer- 
kungen würde  der  Umfang  des  Buches  nicht  unbeträchtlich  verringert 
werden.  Durchaus  nicht  am  Platze  sind  ferner  die  ohne  Princij^  ge- 
brachten Etymologien,  die  übrigens  gelegentlich  zeigen,  dafs  der  Heraus- 
geber selbst  auf  diesem  Gebiete  nicht  besonders  zu  Hause  ist.  So  be- 
merkt er  z.  B.  S.  74  zu  1,  2,  2,  swain  sei  ae.  sivdn  und  mit  sicitican  ver- 
wandt: in  Wahrheit  ist  aber  ne.  stcain  nicht  sowohl  ae.  su-an,  als  viel- 
mehr altn.  sveinn,  und  sicinean,  dessen  *  aus  älterem  e  eütstanden  ist, 
hat,  soviel  man  bisher  beweisen  kann,  mit  sicain  nichts  zu  thun.  Zu 
loben  ist,  dafs  der  Herausgeber  auch  auf  minder  gelungene  Stellen,  hol- 
perigen Rhythmus  und  mangelhafte  Eeime  aufmerksam  macht.  Wenn 
er  aber  die  letzteren  S.  26  dem  had  ear  des  Dichters  zuschreibt,  so  scheint 
mir  dies  deswegen  bedenklich,  weil  sich  die  meisten  englischen  Dichter 
ähnliche  Freiheiten  erlaubt  haben  und  noch  erlauben,  wie  Campbell.  Auch 
geschieht  Campbell  insofern  ein  paarmal  unrecht,  als  manche  Reime  ge- 
tadelt werden,  die  zwar  nach  der  heute  mafsgebenden  Aussprache  ungenau 
sind,  für  den  Anfang  dieses  Jahrhunderts  aber  (das  Gedicht  ist  1809  er- 
schienen) durchaus  nicht  fehlerhaft  waren.  So  behauptet  der  Heraus- 
geber S.  78  zu  1,  3,  7,  'retelry'  hardly  rhi/nie^  u-ith  'sce\  'free',  'glec'. 
Walker  aber,  der  die  Hauptautorität  ist  für  die  Aussprache  an  der 
Grenze  des  18.  und  19.  Jahrhunderts,  sagt  in  §  182  seiner  Principles  of 
English  Prominciation,  die  vor  seinem  Pronoiincitig  Dictionary  stehen: 
'vanity',  'pleurisy',  etc.,  if  s(mml  alone  icere  considtcrJ,  might  he  irritteii  'i'a- 
nitee',  'pleurisec',  etc.  Manchmal  verstehe  ich  den  Tadel  des  Herausgebers 
nicht.  Wenn  er  z.  B.  S.  79  zu  1,4,8  sagt:  'shook'  is  another  bad  rhymc, 
so  weifs  ich  nicht,  was  er  an  der  Bindung  brook  :  shook  :  hook  auszu- 
setzen hat. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

The  Sketchbook  von  Washington  Irving.  Erster  Band.  Zweite 
Auflage  (Weidmannsehe  Saninüung  französischer  und  eng- 
lischer Schriftsteller).    Berlin  1889.'  XlII  u.  208  S.    M.  1,50. 

Direktor  Pfundheller  hat  in  der  zweiten  Auflage  des  ersten  Teiles 
des  Sketchhook,  der  bis  zur  Skizze  über  Wcstminster  Ahbcy  geht,  einige 
Änderungen  vorgenommen  und  namentlich  das  etymologische  Element 
der  Anmerkungen  verkürzt.  Er  hätte  noch  radikaler  zu  Werke  gehen 
sollen.    Die  Hinweise  auf  Grammatiken,  welche  früher,  als  der  neusprach- 


442  Bourteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

liehe  Unterrieht  noch  auf  einer  anderen  Stufe  stand,  am  Platze  gewesen 
sein  mögen,  bleiben  am  besten  ganz  weg  und  dem  Gutdünken  der  Lehrer 
überlassen,  wofern  nicht  Eigentümlichkeiten,  welche  dem  Schriftsteller  an- 
haften, eine  Erklärung  notwendig  machen.  Es  ist  überflüssig,  anzugeben, 
dafs  Iivould  'ich  {iflegte'  heifseu  kann.  Sämtliche  Grammatiken,  auch  die 
elementarsten,  geben  darüber  Aufschluls.  Ebenso  können  die  P^tymologien 
fehlen,  wenn  nicht  der  Sinn  einzelner  Stellen  durchaus  eine  Erläuterung 
bedarf.  Anders  ist  es  mit  den  sachlichen  Erklärungen.  Das  Slcetclibook 
enthält  viele  Reminiscenzen  und  Anspielungen,  welche  der  Erklärung  be- 
dürfen. Überdies  gilt  Irvings  Englisch  bei  den  Engländern  heute  nicht 
mehr  als  modern-mustergültig;  und  die  Sitten  und  Gebräuche  im  eng- 
lischen Leben,  welche  gerade  dieser  Schriftsteller  so  eingehend  und  humo- 
ristisch geschildert  hat,  sind  in  vielen  Punkten  schon  von  den  heutigen 
verschieden.  Nach  dieser  Richtung  hin  könnten  also  die  Anmerkungen 
noch  vermehrt  werden.  Übrigens  hat  der  Herausgeber  mit  grofser  Sorgfalt 
und  Genauigkeit  vieles  erläutert,  was  mit  Nutzen  verwertet  werden  kann. 

Dem  Text  sind  eine  Biographie  Irvings  und  eine  treffende  Charak- 
teristik der  Werke  und  des  Wirkens  des  Autors  vorausgeschickt. 

Berlin.  G.  Völckerling. 

The  Bell  of  St.  Paul's  by  Waltei*  Besaut.  In  two  Volurues. 
Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Collectiou  of  British  Aiithors,  Vols. 
2621  and  2622).     286  u.  280  S.  kl.  8.     M.  3,20. 

Walter  Besant  gehört  mit  Recht  zu  den  geschätztesten  englischen 
Romanschriftstellern  der  Gegenwart.  Nachdem  er  zuerst  von  1871  an  in 
Verbkidung  mit  James  Rice  eine  Reihe  von  glänzenden  Werken  geschrie- 
ben (ich  erinnere  an  Ready-Moncy  Mortiboy,  The  Golden  Butterfly,  The 
Monis  of  Thelema,  The  Chaplaiti  of  the  Fleet),  setzte  er  seine  Thätigkeit 
nach  dem  am  2tj.  April  1882  erfolgten  Tode  seines  Mitarbeiters  selbständig 
mit  nicht  geringerem  Erfolg  fort.  Ja,  der  erste  Roman,  den  er  allein  ge- 
schrieben, AU  Sorts  mul  CondiUons  of  Men  (1882),  hat  eine  Wirkung  ganz 
eigener  Art  geübt.  Hier  ist  nämlich  von  einem  'Volkspalaste'  die  Rede 
unter  der  armen  Bevölkerung  im  Osten  von  London,  wo  der  Arbeiter  für 
geringes  Geld  Erholung  für  Geist  und  Herz  finden  sollte.  Der  Gedanke 
fiel  auf  fruchtbaren  Boden :  das  erforderliche  Geld  wurde  bald  zusammen- 
gebracht, und  seit  1887  ist  der  'Volkspalast'  vorhanden. 

Auch  das  neue  Werk  wird  mit  grofsem  Vergnügen  gelesen  werden. 
Es  läfst  eine  Gegend  Londons  in  poetischem  Lichte  erstrahlen,  die  jeder, 
der  sie  gesehen  hat,  trotz  der  Erinnerungen  an  die  Dichter  unter  der 
Regierung  der  Königin  Elisabeth  und  Jakobs  I.  zu  den  prosaischsten 
rechnen  mufs.  Der  Roman  spielt  hauptsächlich  in  Bank  Side  südlich  von 
der  Themse.  Der  Verfasser  behauptet  (I,  80),  dafs  von  hier  aus  einzig 
und  allein  eine  wirklich  gute  Aussicht  auf  die  Paulskathedrale  zu  haben 
sei:  die  langsamen  und  würdevollen  Glocken  schlage  derselben  verkünden 
den  Bewohnern  von  Bank  Side  die  Zeit  (I,  lUG).    Das  erklärt  wohl   den 


Beurteilimgcn  und  kurze  Anzeigen.  443 

vom  Verfasser  gewählten  Titel :  doch  wäre  nach  meiner  Ansicht  etwa  Tlic 
Acadeuty  of  Bank  Sich  bezeichnender  gewesen;  denn  alle  Personen,  die 
in  dem  Roman  eine  bedeutendere  Rolle  spielen,  Avohnen  in  der  früheren 
schon  vom  Vater  ererbten  Academy  des  berühmten  Schulmonarchen 
Vicesimus  Cottle  oder  sind  doch  wenigstens  mit  den  Bewohnern  derselben 
durch  Verwandtschaft  oder  Freundschaft  verbunden. 

Der  Inhalt  ist  sehr  einfach.  Eine  Nichte  des  Mr.  Vicesimus  Cottle, 
Lucy  Holford,  deren  Gatte,  David  Waller,  es  vom  bankrotten  SchifFs- 
bauer  in  Rotherhithe  zum  Ritter  und  Premierminister  von  Neusüdwales 
gebracht  hat,  giebt  ihrem  zum  Vergnügen  nach  London  reisenden  Sohn, 
Laurence,  den  Auftrag,  sich  nach  den  Schicksalen  ihrer  Verwandten  zu 
erkundigen,  von  denen  sie  seit  etwa  dreifsig  Jahren  nichts  gehört.  Es 
triflTt  sich  nun  gerade,  dafs  er,  ohne  dafs  er  sich  anfangs  zu  erkennen 
giebt,  in  der  Academy  bei  dem  Sohne  von  Vicesimus ,  Lucius  Cottle, 
Wohnung  findet  und  so  bald  alles  ermittelt,  w^as  seine  Mutter  zu  erfahren 
wünscht,  dabei  aber  auch  sein  Herz  verliert  an  Althea  Indagine,  die  trotz 
der  Machinationen  eines  von  Dr.  Luttrel  adoptierten  von  Zigeunern  ab- 
stammenden Bösewichts  schliefslich  die  Seine  wird.  Da  Laurence  nach 
dreimonatlichem  Aufenthalte  im  September  1887  nach  seiner  Heimat  zu- 
rückkehrt, begleiten  ihn  nicht  nur  Althea  und  ihr  Vater,  sondern  auch 
ein  Teil  seiner  Verwandten. 

Das  Interesse  au  dem  Roman  beruht  nicht  sowohl  auf  der  Handlung, 
als  auf  den  Charakteren,  in  deren  Zeichnung  der  Verfasser  zum  Teil  echt 
Dickensschen  Humor  zeigt.  Köstlich  ist  Lucius  Cottle,  der  beständig 
seinen  Vater,  den  Schulmeister,  citiert,  selbst  aber,  wie  er  sagt,  dem 
höheren  Zweige  der  Jurisprudenz  angehört:  von  seiner  Tochter  erst  erfährt 
Laurence,  dafs  er  der  Clerk  eines  Barrister  ist.  Nicht  minder  gelungen 
ist  Lucius'  verwitwete  Schwester  Cornelia,  die  nach  dem  vVusdrucke  ihres 
Bruders  in  the  Ghurch  ist:  sie  ist  pew-opener  in  der  Kirche  St.  Leonard 
le  Size.  Eine  zweite  Schwester,  Claudia,  ist  'Prophetin'  in  einer  religiösen 
Sekte.  Weniger  originell  ist  die  nächste  Generation,  abgesehen  etwa  von 
Flavia  Cottle  (die  Gelehrsamkeit  der  Ahnen  lebt  wenigstens  noch  in  den 
Namen  von  Lucius'  Kindern,  Cassandra,  Flavia,  Sempronius,  weiter),  die 
auf  die  "25  Schilling  in  der  Woche  hin,  welche  sie  als  Telegraphistin  ver- 
dient, aus  Liebe  und  Bewunderung  einen  bettelarmen  ungarischen  Revo- 
lutionär heiratet,  der,  wie  sie  genau  ausrechnet,  nur  19  Jahre,  'J  Monate 
imd  20  Tage  älter  ist  als  sie. 

Aufserhalb  des  engeren  Kreises  der  Academy  sind  besonders  Althea 
und  ihr  Vater  interessant.  Althea  lebt,  bis  sie  Laurence  kennen  lernt, 
nur  in  dem  London  der  Vergangenheit.  Ihr  Vater  hat  vor  dreifsig  Jahren 
einen  Band  Gedichte  veröfl'cntlicht :  die  vernichtende  Kritik,  die  diese  er- 
fahren, hat  ihn  veranlal'st,  sich  ganz  in  die  Verborgenheit  zurückzuziehen. 
Da  ihn  aber  Laurence  aufsucht,  glaubt  er,  es  geschehe  dies,  weil  sein 
Ruhm  doch  bis  Australien  gedrungen  sei.  Laurence  benimmt  ihm  diesen 
Glauben  nicht,  ja,  er  nährt  ihn,  da  er  sieht,  wie  die  Freude  des  Vaters 
ihre   Wirkung   auf   die   Tochter   nicht   verfehlt,   so   dafs    er   sogar   einen 


444  Beurteil iiiigcii  und  kurze  Anzeigen. 

Clement  Indagines  Gedichte  lobenden  Artikel  schreibt,  woltei  or  es  so 
einzurichten  weifs,  dafs  der  Dichter  glaubt,  er  stehe  in  der  Safurflay 
Revie/r.  So  bekommt  dieser  Mut,  sich  vorläufig  wenigstens  die  Aufsen- 
seite  der  Stätten  wieder  anzusehen,  an  denen  er  vor  dreifsig  Jahren  mit 
gleichstrebenden  Genossen  verkehrt.  Die  Leute  auf  der  Strafse  rufen 
nun,  da  er  vorübergeht,  Tfie  Poet:  gerührt  bezieht  er  das  auf  sich,  ob- 
gleich ein  Preisringer  gemeint  ist,  dessen  voraussichtlicher  Sieg  die  Menge 
beschäftigt.     Natürlich  klärt  ihn  niemand  auf. 

Vortrefflich  gezeichnet  ist  auch  der  Charakter  des  Halsabschneiders 
Joseph  Mayes,  der,  weil  er  sich  nicht  darauf  besinnen  kann,  dafs  er  vor 
acht  Jahren  seine  Unterschrift  unter  das  Testament  seines  damaligen 
Prinzipals  gesetzt  (das  Testament  ist  gefälscht!),  an  Gehirnerweichung  zu 
leiden  glaubt  und  täglich  sechs  Guineas  für  elektrische  Behandlung  zahlt. 
Dagegen  die  Figur  von  Oliver  Luttrell,  eigentlich  Sammy  Stanley,  scheint 
mir  mehr  ausgeklügelt  als  beobachtet.  Auch  zweifle  ich  an  der  Lebens- 
wahrheit des  Charakters  der  unglücklichen  Florry,  der  Schwester  der 
Lady  Waller. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

Blind  Justice  and  "Who,  being  Dead,  yet  speaketh".  By  Helen 
Mathers    (Mrs.   Henry   Reeves).      Leipzig,    Tauchnitz,    1890 

r  (CoUection  of  British  Authors,  Vol.  2623).  288  S.  kl.  8. 
M.  1,60. 

Dem  Ansehen  der  Tauchnitzschen  Sammlung  hätte  es  nicht  geschadet, 
wenn  sie  diese  beiden  Novellen  nicht  gebracht  hätte.  Der  Inhalt  der 
ersten  ist  wenig  erquicklich,  der  Inhalt  der  zweiten  geradezu  widerwärtig, 
und  es  hätte  einer  weit  gröfseren  Erzählungskunst,  als  die  Verfasserin 
ihr  eigen  nennen  kann,  bedurft,  um  ihn  einem  Leser,  der  mehr  verlaugt 
als  blofse  Sensation,  einigermafsen  schmackhaft  zu  machen. 

Blind  Justice  ist  eine  Kriminaluovelle.  Seth  Treloar  kommt  nach 
längerer  Abwesenheit  nach  Trevenick,  einem  Dorfe  in  Cornwall,  zurück. 
Seine  Frau  Judith,  die,  nachdem  sie  von  ihm  sieben  Jahre  lang  nichts 
gehört,  mit  Stephen  Croft  eine  zweite  Ehe  eingegangen  ist,  giebt  dem 
plötzlich  wieder  aufgetauchten  Seth  ein  Betäubungsmittel  und  schafft  ihn 
dann  in  einen  Keller,  dessen  Thür  sie  aber  am  nächsten  Morgen  offen 
läfst,  da  sie  mit  Stephen,  wie  längst  beschlossen,  sich  auf  den  AVeg  macht, 
ixm  nach  Amerika  auszmvandern.  Seth  wird  nach  einigen  Tagen  tot  ge- 
funden und  bei  der  Sektion  in  seinen  Eingeweiden  Arsenik  entdeckt.  Der 
Verdacht,  ihn  umgebracht  zu  haben,  fällt  auf  Judith,  und  die  beiden 
Auswanderer  werden  zurückgebracht.  Judith  wird  zum  Tode  verurteilt, 
aber,  weil  sie  schwanger  ist,  die  Vollziehung  der  Strafe  verschoben.  In 
der  Zwischenzeit  stellt  sich  heraus,  dafs  Seth  sich  in  Steiermark  das 
Arsenikessen  angewöhnt  hatte  und  nun  infolge  der  plötzlichen  Entziehung 
des  Giftes  gestorben  ist,  da  Judith  das  Büchschen  mit  demselben,  als  es 
dem   bewulstloseu   Seth    aus   der  Tasche  gefallen,   eingesteckt   und   mit- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  445 

genommen  hatte.  Judith  hat  ein  totgeborenes  Kind,  wird  begnadigt  und 
schliefst  mit  Stephen  jetzt  eine  gültige  Ehe.  —  Seltsame  geographische 
und  linguistische  Kenntnisse  verrät  die  Verfasserin,  wenn  sie  Seth  S.  6t 
an  der  Küste  von  Steiermark  Schiifbrucli  leiden  läfst  (vgl.  Shaksperes 
böhmische  Küste)  und  wiederholt  von  einer  besonderen  'österreichischen' 
Sprache  redet  (z.  B.  S.  62  /  had  lired  a  good  pari  of  my  life  in  Vienna, 
and  had  almost  as  thorough  a  Imoivledge  of  Austrian  as  of  English;  S.  72 
'^Miirdered?'  barst  from  his  Ups  in  Austrian). 

Der  Titel  der  zweiten  Novelle  ist  mit  geringer  und,  wie  mir  vor- 
kommt, mindestens  überflüssiger  Änderung  dem  Brief  an  die  Hebräer 
entnommen,  wo  es  11,  4  heifst  He,  being  dead,  yet  speaketh.  Inhaltlich 
erinnert  sie  entfernt  an  den  SchluTs  der  Erzählung  'Wer?'  von  Ida  von 
Düriugsfeld  (Neuer  Deutscher  Novellenschatz  herausgeg.  von  P.  Heyse 
und  L.  Laistner  III,  1  ff.).  Während  hier  durch  einen  unerklärten  psy- 
chischen Vorgang  die  Seele  des  toten  Nebenbuhlers  auf  den  am  Leben 
bleibenden  übergeht  und  diese  Seelenwanderung  an  dem  Tode  der  un- 
glücklichen Frau  schuld  ist,  die  nicht  weifs,  wen  sie  geheiratet  hat,  wird 
in  der  englischen  Novelle  in  den  Körper  des  von  seinem  Nebenbuhler 
Jasper  gemeuchelten  Arthur  das  ganze  Blut  des  Mörders  durch  Trans- 
fusion gebracht,  und  der  so  wieder  zum  Leben  erweckte  Arthur,  der  selbst 
manchmal  glaubt,  er  sei  Jasper,  zeigt  anfangs  vollständig  das  Wesen  des 
Toten  und  stirbt,  sobald  er  das  fremde  Element  in  seinen  Adern  über- 
wunden, worauf  seine  Frau  Ninga  Arthurs  längst  von  ihr  geliebtem  väter- 
lichem Freunde  ihre  Hand  reicht.  Dafs  in  die  Novelle  auch  Übernatür- 
liches hineinspielt,  macht  sie  mir  nicht  annehmbarer, 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

Mouut  Eden:  a  Romauce.  By  Florence  Marryat.  lu  two  Yols. 
Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  Yols. 
2624  aud  2625).     288  und  287  S.  kl.  8.    M.  3,20. 

Die  Verfasserin  von  Mount  Eden,  Mrs.  Francis  Lean,  Captain  Marryats 
Tochter,  gehört  zu  den  fruchtbarsten  Romanschriftstellerinnen  Englands: 
in  der  Tauclmitzschen  Sammlung  füllen  ihre  Werke,  das  vorliegende  nüt 
eingeschlossen,  bereits  76  Bände.  Ich  mufs  aber  gestelien,  daCs  Moaiit 
Eden  das  erste  ist,  was  ich  von  ihr  gelesen  habe.  Es  handelt  sich  in 
dieser  Erzählung  um  die  Schicksale  dreier  Geschwisterkinder.  Hugh 
Caryll,  der  einzige  Sohn  eines  reichen  Kaufmannes  in  Liverpool,  läuft 
von  Hause  weg,  um  zur  See  zu  gehen,  und  ertrinkt,  wie  man  glaubt,  in 
der  Bucht  von  Callao.  Sein  Vater,  Roger  Caryll,  nimmt  nun  seineu 
Netten  William  C!aryll  in  sein  Geschäft  mit  der  Absicht,  sich  in  ihm 
seinen  dereinstigen  Erben  heranzuziehen :  allein  dieser  lälst  sich  \'er- 
nntreuungen,  ja  sogar  eine  Fälsi-hung  zu  schulden  kommen,  deren  stral- 
rechtlichen  Folgen  er  nur  durch  Flucht  nach  Amerika  entgeht.  Jetzt  wen- 
det Roger  Caryll  seine  Gunst  Evelyn  Rayue,  der  siebzehnjährigen  Tochter 
seiner  Schwester,  zu:   er  zieht  sich  von  den  Geschäften  zurück,  lebt  mit 


446  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ihr  auf  seiner  Besitzung  Mount  Eden  in  Hampshire  und  liintorlälst  ihr. 
da  er  stirbt,  sein  Vermögen  als  seiner  nächsten  Verwandten,  falls  niclit 
etwa  sein  verschollener  Sohn  wieder  auftauchen  sollte.  Dieser  ist  in  der 
Tliat  nicht  tot:  er  hört  von  dem  Hinscheiden  seines  Vaters  und  über- 
nimmt unter  dem  Namen  Captain  l*hilip  bei  Evelyn  das  Amt  eines  laiid- 
agent.  Einige  Zeit  darauf,  zehn  Jahre  nach  seiner  Flucht,  erscheint  auch 
der  frühere  William  Caryll  als  Jasper  Lyle  und  zwar  als  Verlobter  von 
Evelyns  Freundin  Agnes  Featherstone.  Evelyn  erkennt  ihn :  ihre  frühere 
Liebe  für  ihn  erlischt  jetzt  vollständig.  Nach  anfänglicheni  Schwanken, 
ob  sie  Agnes  nicht  über  seine  Vergangenheit  aufklären  mül'ste,  beschlieCst 
sie  zu  schweigen,  da  sie  sieht,  wie  das  Herz  ihrer  Freundin  an  ihm  hängt. 
Die  Vermählung  findet  statt,  und,  da  sich  Agnes'  Vater  gleich  darauf 
wegen  vollständig  zerrütteter  Vermögensverhältnisse  eine  Kugel  durch 
den  Kopf  jagt,  nimmt  Evelyn  das  junge  Ehepaar  bei  sich  auf.  William 
findet  so  Gelegenheit,  die  Beweise  seiner  Verschuldung  zu  stehlen,  und 
dies  verleiht  ihm  den  Mut,  Evelyn  ihre  Erbschaft  streitig  zu  machen. 
Natürlich  giebt  sich  jetzt  Hugh,  der  Evelyn  vom  ersten  Augenblick  an 
geliebt  hat,  als  rechtmäfsigen  Erben  zu  erkennen,  und  so  behält  Evelyn 
doch  Mount  Eden  als  seine  Frau.  William  und  Agnes  leben  fortan,  von 
Evelyn  und  Hugh  unterstützt,  in  Italien. 

Mount  Eden  darf  sich  unter  den  heutigen  Frauenromanen  wohl  sehen 
lassen :  es  ist  weder  langweilig  noch  irgendwie  abstofsend ;  freilich  läfst 
die  Motivierung  gelegentlich  zu  wünschen.  Wird  auch  durch  seine  Lek- 
türe kein  besonderes  ästhetisches  Interesse  befriedigt,  so  hat  man  docli 
immerhin  eine  angenehme  Unterhaltung.  Warum  die  Erzählung  als  Ro- 
mance  bezeichnet  wird,  ist  mir  nicht  klar;  denn  sie  enthält  nach  meiner 
Ansicht  keinen  Zug,  dem  man  nicht  schon  häufig  in  Novels  begegnet  ist 
oder  wenigstens  begegnen  könnte. 

Berlin.  Julius  Zupitza. 

PIo  Rajna,  Le  Corti  d'Amore.    Milauo,  Ulrico  Hoepli,  1890.   XX, 
100  S.  8.    L.  3,50. 

Das  zierlich  ausgestattete  Bändchen  giebt  einen  Vortrag  wieder,  der, 
ursprünglich  für  die  gemischte  Zuhörerschaft  der  Besucher  der  Turiuer 
Ausstellung  von  1884  bestimmt,  erst  am  8.  März  1888  vor  dem  Circolo 
filoloyico  zu  Mailand  gehalten  w^orden  ist.  Herrscht  in  dem  Vortrage, 
wie  es  der  erste  Zweck  mit  sich  brachte,  der  Ton  witziger  Plauderei,  so 
sind  die  über  den  Gegenstand  ausgesprochenen  Gedanken  darum  nicht 
minder  das  Ergebnis  ernster  Forschung  und  gewissenhafter  Überlegung, 
und  die  in  der  zweiten  Hälfte  des  Büchleins  hinzugefügten  Anmerkungen 
setzen  den  Leser  in  stand,  dem  Gange  der  Untersuchung  seinerseits  zu 
folgen,  und  zeigen,  dafs  auch  nach  1881  erschienene  Beiträge  zur  Lösung 
der  bezüglichen  Fragen,  wie  das  Buch  von  Trojel  und  dessen  Besprechung 
durch  G.  Paris  oder  die  in  Deutschland  erschienenen  Arbeiten  über  die 
Tenzonen  der  Trobadors,  nachträglich  verwertet  worden  sind.    Rajna  stellt 


BeiirteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  447 

das  baldige  Erscheinen  weiterer  zugehörender  Früchte  seiner  Beschäftigung 
mit  dem  Gegenstände  in  Aussicht,  Exkurse  über  Geremia  da  IVIontagnone, 
über  die  Zeit  der  Entstehung  von  des  Kaplans  Andreas  Buche  und  über 
dessen  Verbreitung  in  Italien,  Arbeiten,  von  denen  wir  uns  wertvolle  Er- 
weiterung unserer  Kenntnisse  sicher  versprechen  dürfen.  Im  ersten  Teile 
des  Vortrags  behandelt  er  das,  wofür  die  Bezeichnung  Corte  d'Amore  im 
Grunde  einzig  zutreffend  ist,  nämlich  dichterische  Darstellungen  eines 
Hofhaltes  oder  eines  Gerichtshofes  der  (männlich  oder  weiblich  gedachten) 
Minnegottheit.  Im  zweiten  zeigt  er  aufs  neue,  aber  mit  gerechtfertigter 
Abweichung  von  Diez  in  Einzelheiten,  wie  die  durch  J.  de  Nostredame 
aufgebrachte  und  noch  in  neuester  Zeit  nicht  völlig  verschwundene  Mei- 
nung, als  hätten  zur  Zeit  der  Trobadors  förmliche  weibliche  Gerichtshöfe 
zur  Schlichtung  von  Liebeshändeln  bestanden,  der  Begründung  entbehrt 
oder  der  Überlieferung  widerspricht,  während  ein  Hin-  und  Widerreden 
über  spitzfindig  ausgeheckte  Streitfälle  im  Minneleben,  ein  Suchen  und 
Finden  von  Urteilen  in  ausgedachten,  vielleicht  etwa  auch  in  wirklichen 
Händeln  als  ein  unterhaltendes  Spiel  höfischer  Kreise  nicht  in  Abrede  zu 
stellen  ist.  A.  T. 

H.  A.  Schoetensack,  Französisch-etymologisches  Wörterbuch.  Erste 
und  zweite  Abteilung.  Heidelberg,  Carl  Winters  Universitäts- 
buchhandlung, 1890.     384  S.  8. 

Von  dem  nämlichen  Verfasser  ist  188?»  ein  'Beitrag  zu  einer  wissen- 
schaftlichen Grundlage  für  etymologische  Untersuchungen  auf  dem  i\e- 
biete  der  französischen  Sprache',  G2G  S.  8,  erschienen,  den  verschiedene 
Beurteiler  (s.  Archiv  LXX,  455,  Deutsche  Litt.-Ztg.  188:'.,  I5U8,  Litt.-Bl. 
f.  germ.  u.  rom.  Phil.  1883,  405)  übereinstimmend  als  gänzlich  wertlos 
bezeichnet  haben.  Über  das  neue  Werk,  dessen  erste  zwei  Abteilungen 
von  abätardir  bis  ()ülc  reichen,  das  also  dem  früheren  an  Umfang  min- 
destens gleichkommen  wird,  läfst  sich  Günstigeres  nicht  aussagen.  Es 
gebricht  dem  Verfasser  nach  wie  vor  an  jedem  Anfang  von  Vorbereitung 
zu  einer  Arbeit,  wie  er  sie  unternommen  hat.  A.  T. 

Dr.  O.  Ulbrich,  Rektor  der  2.  stüdt.  Höheren  Bürgerschule  zu 
Berlin  (Verlag  von  R.  Gaertner  f  Hennann  Heyfeldcrj,  Berlin): 

1.  Elementarbuch  der  französischen  Spi-achc  für  höhere  Lehr- 
anstalten.    1887.     VIH  u.  210  S.     M.  1,(30. 

2.  Schulgrammatik  der  französischen  Sprache  für  h()here 
Lehranstalten.     1888.     IV  u.  220  S.     M.  2. 

3.  Übungsbuch  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  in  das 
Französische  für  die  mittleren  und  oberen  Klassen  höherer 
Lehranstalten.     1889.     IV  u.  177  S.     M.  1,G0. 

1.  Das  Elemeutarbuch  stellt  die  neuere  Methode  des  fremdspracli- 
lichen  Unterrichtes  dar.     Es  bietet  50  Übungsstücke,  welche  von  wenigen 


418  Beurteilungeii  und  kurze  Anzeigea. 

Zeilen  bis  zum  Umfang  einer  halben  Seite  allmählich  heranwachsen  und 
denselben  (mit  Ausnahme  von  49)  nicht  überschreiten.  Daran  schliefst 
sich  auf  62  Seiten  eine  kurzgefafste  Formenlehre,  in  der  das  Unentbehr- 
lichste aus  der  Syntax  seinen  Platz  an  geeigneter  Stelle  findet.  Darauf 
folgt  das  Wörterverzeichnis  für  die  Übungsstücke.  Den  Schluls  bildet 
ein  alphabetisches  Wörterverzeichnis,  welches  sowohl  französisch  -  deutsch 
als  deutsch  -  französisch  gegeben  wird. 

Die  50  Übungsstücke  schliefsen  sich  genau  an  die  50  Kapitel  der 
Formenlehre  an.  Jedem  Stück  folgt,  aus  dem  Inhalt  desselben  gewählt, 
eine  gröfsere  Anzahl  von  Übungssätzen,  deren  Beschlufs  das  Stück  in 
freier  deutscher  Wiedergabe  bildet.  Nachdem  das  französische  Stück  in 
bekannter  Weise  zum  sicheren  Eigentum  des  Schülers  gemacht  und  das 
entsprechende  Kapitel  der  Grammatik  gelernt  ist,  soll  jener  Übuugsstoff 
von  dem  Lehrer  für  die  verschiedensten  Übungen  benutzt  werden.  Für 
solche,  die  von  vornherein  auf  den  mündlichen  Gebrauch  der  Sprache 
hinarbeiten  wollen,  liefert  ein  französischer  Anhang  das  Wichtigste  aus 
der  Interessensphäre  des  Anfängers  (Schule,  Stadt,  Deutschland,  Europa, 
Naturgeschichtliches,  Familie,  Wohnung,  Mahlzeiten  u.  s.  w.). 

Die  Grammatik  berücksichtigt  für  die  Aussprachelehre  die  phone- 
tischen Anschauungen  in  richtiger  Beschränkung.  Die  Anordnung  der 
Formenlehre  sowie  der  Übungsstücke  ergiebt  sich  aus  dem  allmählich 
wachsenden  Bedürfnis  des  Gebrauches.  Die  Stoffe  der  Übungsstücke  sind 
meist  gut  gewählt;  einige  abgegriffene  Anekdoten  mögen  in  den  Kauf 
genommen  werden. 

Das  ganze  Buch  macht  einen  sehr  günstigen  Eindruck  und  erscheint 
durchaus  zweckgeeignet. 

2.  Die  Schulgrammatik  zerfällt  in  vier  Teile.  Der  erste,  Schrift  und 
Aussprache,  ist  zum  Nachschlagen  bestimmt.  Ihm  ist  eine  kurze  Vers- 
lehre, die  jedoch  alles  Wissenswerte  bietet,  beigegeben.  Teil  2,  die  Formen- 
lehre, schliefst  sich  in  konzentrischer  Erweiterung  genau  an  das  Elemeutar- 
buch  an.  An  die  Stelle  der  dort  eingefügten  syntaktischen  Bemerkungen 
treten  hier  passende  Beispiele,  die  im  dritten  Teil,  der  Syntax,  zunehmen 
und  den  gröfsten  Teil  des  Textes  bilden.  In  der  Syntax  ist  der  Verfasser, 
wie  er  im  Vorwort  verspricht,  überall  bemüht  gewesen,  den  kürzesten 
und  verständlichsten  Ausdruck  zu  wählen,  indem  er  sich  dabei  an  die 
neuerdings  allgemein  angenommenen  Bezeichnungen  hält  (s.  z.  B.  Die 
Lehre  vom  Tempus  und  Modus).  Die  gesamte  Sjnitax  umfafst  80  Seiten 
(gegen  64  S.  Formenlehre). 

Neu  und  dankenswert  ist  der  Versuch,  im  \'ierten  Teil  eine  kurze 
Stilistik  zu  geben  (35  Seiten),  die  in  zwei  Kapiteln  den  Gebrauch  der  Wort- 
arten und  Satzformen  in  der  Weise  bespricht,  dafs  vom  Deutschen  aus- 
gegangen wird.  Das  empfehlenswerte  Buch  erhält  durch  diesen  Teil  an- 
deren Büchern  derselben  Gattung  gegenüber  einen  besonderen  Wert. 

?>.  Das  Übungsbuch  enthält  zunächst  einige  zusammenhängende  Stücke 
zur  Wiederholung  der  unregelmäfsigen  Verba.  Den  Hauptinhalt  bildet 
der  Stofl'  zur  Einübung  der  Schulgrammatik,  an  die  zehn  Kapitel  derselben 


Beurteiluugeu  und  kurze  Anzeigen.  449 

angeschlossen ;  ein  kürzerer  dritter  Teil,  vermischte  Übungen  zur  Syntax 
und  zur  Stilistik,  tritt  hinzu. 

Es  werden  meist  zusammenhängende  Stücke  geboten ;  den  Anfang 
jedes  Abschnittes  bildet  allerdings  (Abschnitt  3  ausgenommen)  das  be- 
kannte IVIosaik  von  Sätzen  des  widersprechendsten  Inhalts,  das  wir,  da 
es  lediglich  auf  Form  abzielt  und  dem  Denkprozefs  Leben  und  Beweg- 
lichkeit raubt,  dem  Verfasser  gern  erlassen  hätten,  zumal  es  auch  ohne- 
dem nicht  an  brauchbarem  Stoffe  fehlt  (die  einzelnen  Sätze  machen  kaum 
ein  Fünftel  aus).  Am  Ende  der  meisten  Abschnitte  giebt  der  Verfasser 
ein  Stück  aus  Le  village  von  Feuillet,  dessen  wesentlicher  Inhalt  hier- 
durch bekannt  wird.  Mit  der  Wahl  der  übrigen  Stücke  wird  man  sich 
einverstanden  erklären  dürfen.  Doch  ist  es  dem  Verfasser  nicht  überall 
gelungen,  den  deutschen  Stil  von  gewissen  Eigentümlichkeiten  des  fran- 
zrisischen  Originals  zu  befreien.  So  dürfte  der  allerdings  echt  französische 
reichliche  Tempuswechsel  gleich  in  dem  ersten  Stück  schwerlich  als  Vor- 
bild für  deutsche  Arbeiten  gelten.  Ausdrücke  wie:  'Sie  erzählt  eine 
Anekdote  über  üiren  Vater';  'Sollte  er  uns  etAvas  langweilen';  'Was  sie 
noch  mehr  überraschen  wird,  ist,  dafs'  u.  s.  w. ;  'Der  stellt  alles  auf 
den  Kopf,  der  Barbar  da!'  und  ähnliche  sind  nicht  deutsch. 

Hiervon  abgesehen  liefert  auch  dieses  Buch  ein  überaus  schätzens- 
wertes, den  weitestgehenden  Anforderungen  genügendes  Material. 

Alle  drei  Bücher  des  Verfassers  bilden  ein  wohlabgerundetes,  in  sich 
geschlossenes  Ganzes,  von  dessen  Verwertung  sich  die  höhereu  Lehr- 
anstalten, hinreichende  Zeit  vorausgesetzt,  den  besten  Erfolg  versprechen 
dürfen. 

Berlin.  Fr.  Bach  mann. 

Lehr-  und  Lesebuch  der  französischen  Sprache  von  Dr.  Eugen 
Wolter,  ord.  Lehrer  an  der  1.  städt.  Höheren  Bürgerscliule 
und  Lehrer  an  der  Fortbildungsanstalt  im  Friedrichs -Gym- 
nasium zu  Berlin.  Zwei  Teile,  der  erste  Teil  in  zweiter, 
verbesserter  und  vermehrter  Auflage.  Berlin,  K.  Gaertner, 
1889.     246  S.  und  X,  510  S. 

Im  Gegensatz  zu  den  für  Gymnasien  und  Eealgymnasien  bestimmten 
Büchern,  deren  Zahl  der  Verfasser  nicht  zu  vermehren  wünscht,  ist  das 
vorliegende  Werk  ausschliefslich  für  Fortbildungs-,  Handels-  und  Real- 
schulen bestimmt.  Fällt  somit  das  Hauptgewicht  auf  zeitige  Erlernung 
des  mündlichen  Gebrauches  der  Fremdsprache,  und  zwar  in  möglichst 
vielen  praktischen  Lebensbezichungen,  so  folgt  daraus  eine  wesentliche 
Abweichung  des  Buches  von  anderen  in  Form  und  Inhalt.  Der  letztere 
ist  den  Gebieten  der  Geschichte,  Naturkunde,  der  Erfinduugeu,  dos  Han- 
dels und  Gewerbes  jeder  Art  entlehnt.  Kleinere  Briefe  und  V<nschriften 
zu  ihrer  Anfertigung  finden  sich  bereits  im  ersten  Teil,  während  der 
zweite  der  Handelskorrespondenz  einen  breitereu  Raum  gewährt. 

Jeder  der  beiden  Teile  besteht   aus  drei  gesonderten  Stücken:   einem 

Archiv  f.  n.  Si>iaclien.    LXXXIV'.  29 


450  Beurteilungen  und  kiirzc  Anzeigen. 

Übungsbuch,  einem  Lesebuch  und  einer  Grammatik.  Den  Hchlufs  bildet 
ein  Vokabularium  für  die  Übungsstücke,  woran  sich  ein  alphabetisches 
französisch-deutsches  Wörterverzeichnis  anschliefst,  welches  im  ersten  Teil 
für  das  Lesebuch  ausreicht,  während  das  Lesebuch  des  zweiten  Teiles  den 
Gebrauch  eines  Wörterbuches  voraussetzt. 

Das  Übungsbuch  des  ersten,  auf  drei  Klassenstufen  berechneten  Teiles 
besteht  aus  47  Abschnitten.  Jeder  derselben  beginnt  mit  kurzen  gramma- 
tischen Erörterungen;  es  folgen  franz()sische,  von  Abschnitt  7  an  auch 
deutsche  Übungsstücke.  P^rstere  nehmen  mit  Abschnitt  9  zusammen- 
hängende Form  an;  mit  Abschnitt  lo  beginnen  die  exercices  orales,  die 
bereits  auf  einen  freieren  Gebrauch  der  augeeigneten  Sprachformen  ab- 
zielen. Der  Stoff"  ist  hier,  wie  im  Lesebuch,  in  beiden  Teilen  geschickt 
gewählt;  die  unvermeidlichen  Anekdoten  sind  in  dankenswerterweise  auf 
das  geringste  Mals  beschränkt  worden. 

Die  Grammatik  nimmt  hier,  wie  im  zweiten  Teile,  von  der  Phonetik 
Abstand  und  überläfst  diesen  Teil  der  Arbeit  dem  Lehrer;  einige  Andeu- 
tungen für  diesen  wären  wohl  am  Platze  gewesen.  Der  grammatische 
Stoff  wird  nach  den  Wortarten,  vom  Verbum  ausgehend,  geordnet.  Die 
Scheidung  zwischen  Formenlehre  und  Syntax  unterbleibt  in  beiden  Teilen ; 
es  ergiebt  sich  hieraus  eine  sehr  erwünschte  Kürze  der  Darstellung,  nie 
denn  der  Verfasser  sich  bemüht  hat,  allen  grammatischen  Erörterungen 
eine  möglichst  knappe  und  bestimmte  Form  zu  geben  und  dafür,  beson- 
ders im  zweiten  Teil,  ein  möglichst  umfangreiches  Material  an  Beispielen 
zu  bieten.  Das  Übungsbuch  des  zweiten  Teiles  (der  Oberstufe)  zeigt  in 
70  Abschnitten  im  wesentlichen  dieselbe  Gestalt,  wie  das  des  elementaren 
Teiles.  Gröfsere  Originalstücke  beginnen ;  es  folgen  grammatische  Notizen, 
wiederholend  und  erweiternd,  und  sehr  reichliche  Übungssätze,  die  mit 
dem  Inhalt  des  einleitenden  Stückes  in  naheliegender  Gedankenverbindung 
stehen.  Das  Lesebuch  liefert  wertvollen  Stoff;  Verkehr,  Technisches  u.  s.  w. 
kommen  zu  weiterer  Entfaltung.  Die  Grammatik  erweitert  die  elementare 
in  bescheidenem  Mafse  und  hält  sich  von  rein  wissenschaftlichen  Enkte- 
rungen  frei. 

Das  ganze  Buch  macht  durchaus  den  Eindruck  einer  klaren  und 
zielbewufsten  Arbeit  und  ist  für  die  vorausgesetzten  Kreise  sehr  will- 
kommen zu  heifsen. 

Berlin.  Fr.  Bach  mann. 

Französisches  Lesebuch,  Erster  Teil,  für  Quarta,  Unter-  und 
Obertertia  der  Gymnasien  u.  s.  w.  Mit  einem  Wörterbuch. 
Zweite  vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  Von  Dr.  Karl 
Meurer,  Oberlehrer  am  Kgl.  Friedrich- Wilhelms-Gymnasium 
zu  Köln.     Leipzig,  bei  Fues.     XII  u.  204  S.     M.  1,60. 

Der  durch  eine  französische  und  englische  Synonymik,  sowie  durch 
Schulausgaben  englischer  Klassiker,  bekannte  Verfasser  hat  den  bisher 
nur  für  Quarta  und    Untertertia    bestimmten  ersten  Teil   seines  franzö- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  451 

sischen  Lesebuches  in  der  vorliegenden  zweiten  Auflage  für  Obertertia 
erweitert,  indem  er  den  sechs  Abteilungen  (Anekdoten,  Fabeln  und  Er- 
zählungen ;  Mythologie  und  Sagen  des  Altertums ;  Geschichte  und  Lebens- 
beschreibungen;  geographische  Bilder;  Naturkunde;  Gedichte)  unter  Num- 
mer V  eine  neue  hinzufügte:  'Frankreich,  Land,  Leute  und  Geschichte.' 
Sie  umfafst  24  Originalstücke,  die  in  geschickter  Auswahl  und  Folge 
ihrem  Zwecke  durchaus  entsprechen.  Auch  von  allen  übrigen  Abteilungen 
läfst  sich  das  Gleiche  sagen,  selbst  von  den  Anekdoten,  unter  denen  wir 
mit  Vergnügen  diejenigen  vermissen,  die  uns  in  den  Chrestomathien  aller 
Sprachen  begegnen,  aus  einem  Lesebuch  in  das  andere  überzugehen 
pflegen  und  durch  ihre  Abgegriffenheit,  so  oft  man  ihnen  von  neuem  be- 
gegnet, Verdrufs  erwecken. 

Das  Buch  liefert  mithin  den  Klassen,  für  die  es  bestimmt  ist,  einen 
durchaus  würdigen  Stoft'  und  darf  aus  voller  Überzeugung  empfohlen 
werden. 

Berlin.  Fr.  Bachmann. 

Französisches  Lesebuch   für   die   unteren   und   mittleren  Klassen 
der  Gymnasien  und  höheren  Bürgerschulen.    Mit  einem  aus- 
führhchen  erkLärenden  Wörterbuche  von  Dr.  L.  Süpfle.  Neunte 
Auflage,  verbessert  und  vermehrt  von  Dr.  A.  Mauron.  Heidel- 
berg, Groos,    XXIV  u.  383  S.     M.  3,10. 
Das  in  erster  Auflage  1852  erschienene  Buch  ist  1870  in  achter  Auf- 
lage von  A.  Mauron  herausgegeben  worden.    Während  diese  Auflage  von 
den  früheren  durch  bedeutende  Vermehrung  des  Stoffes  und  mancherlei 
Berichtigungen  wesentlich  abwich,  ist  in  der  vorliegenden  neunten  Auf- 
lage nur  auf  tadellose  Korrektheit  des  Textes  hingewirkt  worden,  sowie 
zu  den  Autorennamen   die  Zahlen   des  Geburts-  und  Todesjahres  hinzu- 
getreten sind. 

Das  Buch  bietet  zuerst  eine  Reihe  von  brauchbaren  Vorübungen  über 
die  Formenlehre  nach  Art  der  älteren  Übungsbücher;  Anekdoten  und 
Charakterzüge,  Fabeln  und  Parabeln,  Erzählungen,  Stoße  aus  der  Ge- 
schichte und  der  Naturkunde,  Briefe  und  Dialoge,  denen  sich  sechs  kleine 
Theaterstücke  auschliefsen  (worunter  altbekannte  von  Berquin),  bilden 
den  prosaischen  Inhalt.  Der  poetische  Teil  umfafst  4?>  gut  gewählte 
Stücke.  Das  Wörterbuch  ist  sehr  sorgfältig  ausgearbeitet.  Auch  in  der 
neuen  Auflage  wird  das  Buch  sich  seine  alten  Freunde  zu  erhalten  und 
neue  zu  gewinnen  wissen. 

Berlin.  Fr.  Bachmauu. 

R.  Wilcke,  Materialien   zum  Übersetzen  aus  dem  Deutscheu  ius 

Französische.     Zweite  sorgfältig  durchgesehene  Auflage  von 

A.  Klapp.     Berlin,  Weidmann,  1890.     VIII  u.  142  S.  8. 

Da  der  Bearbeiter   in   seinem   Vorworte  sagt,   dal's   er   sich   bemüht 

habe,   den  Text,   welcher   der   französischen  Wendung   zuliebe   manchen 

29* 


452  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

undeutschen  Ausdruck  uud  üftcr  falsche  Stellungen  enthielt,  in  ein  mög- 
lichst gutes  deutsches  Gewand  einzukleiden,  so  bedauert  der  Referent, 
dafs  er  die  erste  Auflage  des  Buches  mit  der  zweiten  nicht  hat  ver- 
gleichen köuueu,  um  zu  sehen,  inwieweit  der  Bearbeiter  dieses  Bemühen 
ausgeführt  hat. 

Abgesehen  davon ,  dafs  die  Bearbeitung  recht  viele  überflüssige 
Fremdwörter  enthält,  z.  B.  itispirierte  (S.  6),  Proscripticnisliste  (S.  7), 
Dokument  und  Argumente  (S.  8),  inthronisieren  (S.  25),  Protektion  (S.  39) 
u.  s.  w.,  ist  die  Sprache,  in  welche  die  Stücke  übersetzt  sind,  kein 
Deutsch.  Wie  soll  ein  Schüler  jemals  seine  Muttersprache  richtig  schrei- 
ben lernen,  wenn  er  sieht,  dafs  seine  Schulbücher  überall  undeutsche 
Wendungen  enthalten,  und  dafs  seiner  Muttersprache  Gewalt  angethan 
wird?  Daher  sollten  Stücke,  die  aus  einer  fremden  Sprache  in  das 
Deutsche  übertragen  sind,  um  von  Schülern  wieder  zurückübersetzt  zu 
werden,  sorgfältig  ausgewählt  oder  überarbeitet  werden,  damit  sie  nicht 
Stellen  enthalten,  die  dem  ursprünglichen  Wortlaute  zuliebe  in  einem 
Deutsch  erscheinen,  das  von  niemand  geschrieben  oder  gesi^rochen  wird. 
Was  soll  man  zu  einer  Satzstellung  sagen,  wie  sie  auf  S.  1  vorkommt: 
Weil  sie,  u-enn  sie  . . .?  Es  ist  nicht  Deutsch,  was  auf  S.  3  steht :  Das 
(jrofse  Verdienst  Homers  ist,  nach  Voltaire,  ein  erhabener  Maler  gewesen  'xu 
sein,  oder  weiter:  Wenn  er  den  Gürtel  der  Venus  beschreibt,  so  gieht  es 
kein  Gemälde  des  Malens,  das  sieh  dieser  lachenden  Schilderung  nähert;  oder: 
Li  einen  Käfig  icerfen  (S.  4);  Das  sind  Motive,  ein  erstes  VerbrccI/en  zu 
rcrmuten  (S.  9) ;  Den  Enthusiasmus  ausstreuen  (S.  25) ;  Hierauf  fing  die 
sonderbare  Debatte  der  Knechtschaß  und  der  Heuchelei  an  (S.  8);  Die 
Sehicierigkcit  der  Franzosen,  so  achtungsiverte  Namen  auszusprechen  (S.  39). 
(janz  besonders  reich  an  solchen  Wendungen  ist  Stück  QQ  (S.  90)  z.  B. 
Wo  er,  so  gut  als  man  es  in  diesem  Schlosse  sein  kann,  logiert  tnirde,  und 
Er  fand  Gefallen  an  einer  Wäsche  von  aufscrordentlichcr  Feinheit  u.  a.  m. 
Verstöfse  gegen  die  Zeiten  der  indirekten  Rede  kommen  fortwährend  vor, 
so  dafs  in  demselben  Satze  (S,  91)  wäre  und  habe  ruhig  nebeneinander 
stehen. 

Auch  der  französische  Ausdruck  ist  nicht  immer  richtig  verstanden. 
S.  26  ist  proposer  nicht  mit  vorschlagen ,  sondern  anbieten  zu  übersetzen. 
Das  Konditionen  (S.  39)  aurait  heifst  nicht  haben  icürde,  sondern  be- 
kf/inmen  sollte.  Statt  'Ausdrücke,  die  den  Schriftstellern  vertraulich  sind', 
soll  es  wohl  rertraiä  heifsen.  Agent  (S.  9)  ist  kein  Handlanger  (bei  einem 
Morde!),  sondern  Helfershelfer  u.  a.  m. 

Wenn  der  Bearbeiter  hofft,  'dafs  das  Buch  in  seiner  neuen  Gestalt 
den  an  ein  für  die  Oberklassen  der  Gymnasien  und  Realgymnasien  be- 
stimmtes Übungsbuch  zu  stellenden  Anforderungen  nunmehr  entspreche', 
so  bedauert  der  Referent,  diese  Meinung  nicht  teilen  zu  können.  Es 
wird  einer  sehr  sorgfältigen  Umarbeitung  bedürfen,  um  es  diesem  Zwecke 
dienstbar  zu  machen. 

Berlin.  Ad.  Müller. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  453 

Frauzösische  Briefe,  zum  Rückübersetzen  aus  dem  Deutschen 
ins  Französische  bearbeitet  von  H.  Breitinger,  Professor  an 
der  Universität  Zürich.  Dritte  durchgesehene  Auflage.  Zürich, 
bei  Fr.  Schultheis,  1889.     112  S.     M.  1,40. 

Das  Buch  enthält  7U  Originalbriefe,  darunter  Briefe  von  Friedrich 
dem  Grofsen,  Napoleon,  Frau  von  Stael,  Victor  Hugo,  Beranger  und 
George  Sand,  ferner  It  fingierte  Briefe,  von  denen  sich  neun  auf  das 
Leben  im  Gymnasium  beziehen,  und  zuletzt  französische  Briefschlü.sse 
(respektvolle,  vertrauliche,  gemessene  und  eine  grölsere  Anzahl  Original- 
Schlüsse). 

Wie  es  bei  der  Übersetzung  aus  den  fremden  Sprachen  längst  ober- 
ster Grundsatz  ist,  das  beste  Deutsch  zu  Tage  zu  fördern,  so  sollten  auch 
die  zur  Übersetzung  in  die  fremde  Sprache  dienenden  Stoffe  ein  durch- 
aus einwandfreies  Deutsch  bieten.  Dieser  Anforderung  genügt  das  Buch 
nicht,  wie  auf  jeder  Seite  hervortritt.  Wir  finden  z.  B.  folgende  Wen- 
dungen: 'Guten  Tag  imd  gutes  Jahr,  mein  Herr,  und  alles,  was  drauf 
folgt  (tmit  ce  qui  s'ensuü)' ;  'Hier  folgt  die  Geschichte';  'Es  fassen  mich 
^Momente  einer  so  tiefen  ^Melancholie  an,  dafs  ich  den  Tod  zu  empfangen 
bereit  bin',  statt  etwa:  'Zu  Zeiten  ergreift  mich  eine  so  tiefe  Melancholie, 
dafs  ich  am  liebsten  sterben  möchte' ;  'Ich  betrachte  mich  als  ein  Hinder- 
nis für  jedes  Glück  meiner  Kinder';  'Hier  meine  Reise';  'Meine  Frau 
kommt  nach'  (soll  heifsen :  'Kommt  später  an  die  Eeihe')  und  zahlreiches 
Ahnliche. 

Für  den  Gymnasiasten,  dem  das  Buch  vorzugsweise  bestimmt  sein 
dürfte,  liegt  im  lateinischen  Stil  schon  eine  grofse  Gefahr  zur  IMifshand- 
lung  der  Muttersprache,  die  zu  vermehren  die  Lehrer  der  lebenden  frem- 
den Sprachen  sich  wohl  hüten  sollten.  Der  deutsche  Brief  sollte  ebenso 
natürlich  klingen,  wie  der  französische,  aus  dem  er  entstanden  ist.  Es 
ist  durchaus  verwerflich,  die  deutsche  Ausdrucksweise  so  zu  wählen,  dafs 
die  Auffindung  der  entsprechenden  fremden  erleichtert  wird.  Jede  Sprache 
bleibe  bei  der  ihr  eigentümlichen  Gepflogenheit;  die  Aufgabe  des  Lehrers, 
der  die  Rückübersetzung  leitet,  mag  dadurch  erschwert  werden,  lohnender 
aber  ist  sie  jedenfalls. 

Wenn  daher  auch  der  Stoff  des  Buches  seinem  Zwecke  im  ganzen 
entspricht,  so  vermögen  wir  aus  dem  angedeuteten  Grunde  vou  seinem 
Gebrauche  einen  günstigen  Erfolg  nur  bei  grofser  Vorsicht  und  vielen 
Verbesserungen  von  selten  des  Lehrers  zu  erwarten. 

Berlin.  F  r.  B  a  c  h  m  a  n  n. 

Dr.  Emil  Seelmauu,  Bibliogra[)liic  des  altfranzösischen  Rolands- 
liedes mit  Berücksichtigung  nahestehender  Sprach-  und  Litte- 
raturdenkmale.   Heilbromi,  Henuingor,  1888.   XIU  u.  113  S.  8. 

Die  ursprünglich  als  Neubearbeitung  der  1877  in  gleichem  Verlage 
erschieneneu  BihUoyraphie  de  la  chanson  de  Roland  par  Joseph  Baitquier 


454  Beurteilungen  iiiul  kurze  Anzeigen. 

geplante  Schrift  ist  ein  völlig  neues  Werk  geworden,  das  dem  Verfasser 
als  Romanisten  wie  als  Bibliographen  gleich  viel  Ehre  macht.  Die  Anord- 
nung des  Stoffes  ist,  was  sehr  zu  billigen  ist,  systematisch-chronologisch; 
ein  ausführlicher  Index  erleichtert  die  Benutzung  des  Buches  erheblich. 
Wenn  wir  an  der  dankenswerten  Leistung  etwas  auszusetzen  haben,  so  ist 
es  das  Zuviel,  das  geboten  wird.  Seelmann  führt  nicht  nur  jedes  auf  das 
Rolandslied  bezügliche,  ihm  mit  seinen  —  in  seiner  Stellung  als  Custos  der 
Göttinger  Bibliothek  recht  bedeutenden  —  Hilfsmitteln  irgend  erreichbare 
litterarische  Produkt  auf:  er  nimmt  auch  Schriften  auf,  die  nur  gelegent- 
lich mehr  oder  weniger  eingehend  sich  mit  der  Chanson  de  Roland  be- 
fassen. Ja,  er  geht  so  weit,  dafs  er  gewisse  Arbeiten  nur  erwähnt,  um 
dem  über  ein  bestimmtes  auf  das  Rolandslied  bezügliches  Thema  Arbei- 
tenden die  Mühe  zu  ersparen,  sie  anzusehen.  Ein  Beispiel  genüge.  S.  Go 
liest  man  unter  V.  Grammatik,  a.  Lautlehre :  '  *  Waldner,  E. :  Die  Quellen 
des  parasitischen  i  im  Altfranzösischen.  In  Archiv  f.  d.  Stud.  d.  neuer. 
Spr.  u.  Litt.  Bd.  LXXVIII  (1887)  p.  421—56.  S'^  [Ling.  L-Z.].  Erschien 
auch  als  Diss.  v.  Freiburg  i.  B.  [Sva.]:  *  Waldner,  Eugen:  —  Braun- 
schweig. Druck  von  George  Westermann.  1887.  40  p.  8".'  Dazu  die 
Bemerkung:  'Führt  unter  den  Beispielen  nur  sehr  wenige  Formen 
aus  Rol.  an.'  Das  geht  doch  wahrlich  zu  weit!  Ich  denke  über  die 
Pflichten  des  Bibliographen  gewifs  nicht  gering,  aber  hier  scheint  mir  der 
Kraftaufwand  in  keinem  Verhältnis  zu  dem  zu  erhoffenden  Erfolge  zu 
stehen.  Wer  lautliche  Untersuchungen  über  das  altfranzösische  Rolands- 
lied anstellen  will,  kann  nicht  verlangen,  dafs  er  auf  alles,  was  über 
diesen  Gegenstand  irgend  einmal  gelegentlich  gesagt  ist,  aufmerksam  ge- 
macht werde,  ganz  abgesehen  davon,  dafs  ein  solches  Verlangen  doch 
in  vollem  Umfange  nicht  zu  erfüllen  ist.  Und  wird  sich  andererseits 
ein  gewissenhafter  Forscher  dadurch,  dafs  in  einer  Schrift  über  altfrau- 
zösische  Lautverhältnisse  im  allgemeinen  nur  wenige  Formen  aus  dem 
Roland  angeführt  werden,  der  Verpflichtung,  sie  zu  studieren,  überhoben 
glauben?  Seelmann  strebt  hier  nach  einem  Ziele,  dessen  Erreichung 
mir  weder  wünschenswert  noch  möglich  scheint.  Der  Bibliograph  des 
altfrauzösischen  Rolandsliedes  hat  meiner  Meinung  nach  nur  die  Pflicht, 
möglichst  alle  selbständigen  Schriften  und  Aufsätze,  in  deren  Titel  aus- 
drücklich auf  das  Rolandslied  Bezug  genommen  wird,  zusammenzutragen 
und  zu  ordnen.  Thut  er  in  dieser  Hinsicht  ein  Übriges,  indem  er,  wie 
Seelmann,  neben  sorgfältigster  Titelangabe  auch  auf  Recensionen  auf- 
merksam macht,  oder  bei  einer  Schrift:  'Franke,  Bemerkungen  zur  chan- 
son  de  Roland'  (Seelmann  S.  48 — 49)  ein  Wort  über  den  Inhalt  sagt,  oder 
gar  bei  nicht  ganz  leicht  zugänglichen  Schriften  bemerkt,  wo  das  Ange- 
führte etwa  zu  finden  ist,  so  darf  er  um  so  wärmeren  Dankes  seitens 
derer,  die  sich  Rats  bei  ihm  erholen,  gewifs  sein. 

Wenn  sich  die  Verlagsfirma  (jetzt  0.  R.  Reisland,  Leipzig)  nach 
einigen  Jahren  zu  dem  Opfer  einer  dann  jedenfalls  erforderlichen 
neuen  Auflage  entschliefsen  sollte,  so  wird  sich  vielleicht  aus  prak- 
tischen Gründen  für  Scelmann  von  selbst  die  Notwendigkeit  einer  Be- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  455 

schränkung  in  dem  angedeuteten  Sinne  ergeben.  Referent  würde  sie 
mit  Freude  begriU'sen,  obwohl  er  dann  selbst  aus  der  Bibliographie 
verschwände,  in  der  er  sich  zu  seinem  nicht  geringen  Staunen  ent- 
deckte. 

Berlin.  Alfred  Schulze. 

Aucassin  und  Nicolete.  Neu  nach  der  Haudsclirift  mit  Para- 
digmen und  Glossar  von  Hermann  Suchier.  Dritte  Auf- 
lage. Paderborn,  Ferdinand  Schöningh,  1889.  X,  118  S., 
1  Bl.  8. 

Die  neue  Auflage  des  so  manchem  lieb  gewordenen  kleinen  Buches 
zeigt  gleich  ihrer  Vorgängerin  an  vielen  Stellen  die  sorgsam  bessernde 
Hand  des  um  die  Kenntnis  altfranzösischen  Schrifttums  so  verdienten 
Herausgebers.  Der  Text  hat  weniger  durch  die  nochmalige  Vergleichung 
mit  der  Handschrift  als  durch  die  Aufnahme  einer  Reihe  von  Besserungs- 
vorschlägen Toblers  und  (1.  Paris'  gewonnen,  die  Anmerkungen  nehmen 
einen  breiteren,  obwohl  noch  immer  bescheidenen  Raum  ein,  und  auch 
die  Darstellung  der  Mundart,  sowie  das  Glossar,  weisen  hier  und  da  kleine 
Änderungen  auf,  die  ihren  Wert  nicht  mindern.  Da  es  vermutlich  auch 
bei  der  dritten  Auflage  sein  Bewenden  nicht  haben  wird,  so  seien  hier 
die  folgenden  Bemerkungen  gestattet. 

Dafs  10,  Ü — 9  (Or  ne  quidtes  voics  qu'il  j}ensast  n'a  blies  n'a  vaces  ' 

Xcnil  nicnt!)  jetzt  dem  Vorschlage  Toblers  gemäfs  nicht  mehr  als  Frage, 
sondern  als  Aufforderung  aufgefafst  wird,  ist  sehr  zu  billigen;  nur  war 
die  Änderung  des  vous  in  mies  nicht  erforderlich.  Mir  scheint  die  Stelle 
gleichartig  mit  10,  Gii  Or  m'afies  vos,  fait  Aucassins,  que,  a  nul  jor  que 
vos  aies  a  vivre,  ne  porres  inen  iJere  faire  honte  .  .  .  que  vos  ne  li  fa- 
cies'^  —  Sire,  por  diu,  fait  il,  ne  nie  yabcs  mie  . . .,  wo  freilich  an  dem 
Fragezeichen  bisher  niemand  Austofs  genommen  hat,  mir  aber  eine  Frage 
ebensowenig  am  Platze  scheint,  wie  an  der  ersten  Stelle.  —  22,  11  wird 
Toblers  Vorschlag  (dem  auch  G.  Paris  beistimmt),  savans  für  das  hand- 
schriftliche savions  zu  lesen,  nicht  auf  die  Dauer  abzulehnen  sein,  und 
auch  dem  weiteren  Vorschlage  Toblers,  in  os  (22,  15)  eine  Frage  zu  sehen, 
wird  sich  hoffentlich  eine  spätere  Auflage  nicht  verschliefsen.  —  o3,  (i 
scheint  es  mir  keine  Besserung,  dais  die  dritte  Auflage  eck  statt  tele 
aufweist,  zumal  da  die  Handschrift  beides  zu  lesen  gestattet.  Wegen 
des  in  diesem  Verse  begegnenden  cscolc,  das  den  Herausgeber  in  einer 
Anmerkung  beschäftigt,  sei  noch  auf  Claris  961  Quant  il  öirent  sa 
parole  Qui  dite  estoit  de  bone  escole  und  eb.  7710  Li  rois  enteilt  ccstc 
parole,  Bien  set  qu'ele  est  de  bone  escole  verwiesen;  auch  Claris  3t! 
Nus  de  leecc  ne  parole,  Tristci-e  les  ticnt  a  cseole  (beherrscht  sie)  ist  in 
diesem  Zusammenhang  nicht  uninteressant.  —  Im  Glossar  wird  faini, 
noch  immer  als  männlich  bezeichnet,  arrjoit  verweist  auf  nicht  vorkom- 
mendes ardre. 

Berlin.  Alfred  Schulze. 


456  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen, 

A.  Tobler,  Predigten  des  h.  Bernhard  in  altfrauzösischer  Über- 
iragung.  Sitzungsbcriclitc  der  königl.  preufs.  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Berhn.     1889.     Nr.  XIX.     18  S.  4. 

Unter  den  Schätzen  der  von  der  Berliner  Kgl.  Bibliothek  erworbenen 
Meermanscbeu  Handschriftensammlung  fand  Tobler  auch  einen  für  den 
romanischen  Philologen  höchst  bemerkenswerten  Band.  Die  Nr.  192.')  der 
Sammlung  bezeichnet  ein  Buch  von  mittlerem  Quartformat,  welches  auf 
211  Pergamentblättern  13  altfranzösische  Predigten  enthält,  die  von  Tobler 
sehr  bald  als  Übertragungen  lateinischer  Origiual2)redigten  des  h.  Bern- 
hard von  Clairvaux  erkannt  wurden ;  die  Schrift  gehört  nach  Tobler  dem 
Übergange  vom  12.  zum  13.  Jahrhundert  an. 

Das  Interesse  an  der  Handschrift  ist  natürlich  in  erster  Linie  ein 
rein  philologisches.  Wenn  auch  die  genauere  Umgrenzung  des  Dialektes 
der  Übersetzung  noch  eingehender  Untersuchung  bedarf,  so  genügt  doch 
schon  eine  oberflächliche  Prüfung  der  von  Tobler  mitgeteilten  Proben, 
um  zu  erkennen,  dafs  derselbe  in  den  Osten  Frankreichs  zu  verweisen 
ist,  zu  dessen  mundartlicher  Erforschung  für  so  frühe  Zeit  die  Quellen 
nur  spärlich  fliefsen.  Interessant  ist  aber  auch,  dals  es  gerade  Predigten 
sind,  die  uns  in  der  Berliner  Handschrift  überkommen  sind.  Die  homi- 
letische altfranzösische  Litteratur  ist,  von  dem  Jonasfragmeut  abgesehen, 
in  der  vor  der  Abfassung  unserer  Handschrift  liegenden  Zeit  weder  in 
Originalen  noch  in  Übersetzungen  vorhanden;  erst  das  13.  Jahrhundert 
bietet  spärliche  Reste  originaler  Predigten,  zu  denen  vielleicht  in  erster 
Linie  die  neuerdings  von  E.  Pasquet  in  den  Memoircs  couronncs  par  VÄca- 
dcmie  de  Belyiquc  t.  41  (1888)  bekannt  gemachten  Sermons  de  carc.mc  eii 
dialede  nrillon  gehören. 

Die  Berliner  Handschrift  ergäuzt  die  bekannte  Pariser,  welche  Förster 
im  zweiten  Bande  der  Romanischen  Forschungen  herausgegeben  hat,  in 
überaus  erwünschter  Weise,  da  die  in  der  Pariser  Handschrift  au  letzter 
Stelle  stehende  fragmentarische  Predigt  sich  in  der  Berliner  (als  Nr.  .3) 
vollständig  vorfindet.  Im  übrigen  sind  noch  die  Nrr.  1,  2  und  29  der 
Berliner  mit  den  Nrr.  43,  44  und  40  der  Pariser  Handschrift  identisch, 
nur  dafs  sonderbarerweise  die  Übereinstimmung  von  Berl.  Hs.  Nr.  29  und 
Pariser  Hs.  Nr.  40  sich  nur  auf  die  Vorlage,  nicht  aber,  wie  bei  den 
übrigen,  auch  auf  den  Wortlaut  der  Übersetzung  erstreckt. 

Berlin.  Alfred   Schulze. 

Li  tornoiemenz  Antecrit  von  Huon  de  Mery  nach  den  Hand- 
schriften zu  Paris,  London  und  Oxford  neu  herausgegeben 
von  Georg  Wimmer.  Marburg,  Elwert,  1888.  IV  u.  172  S.  8. 
(Ausgaben  und  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  roma- 
nischen Philologie.     LXXVI). 

Die  vorliegende  neue  Ausgabe  des  zum  erstenmal  1851  von  Tarbe 
n<ich  einer  Pariser  Handschrift  bekannt  gemachten  Gedichtes  des  Huon  de 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  457 

Mery  ist  recht  wenig  befriedigend  ausgefallen.  Die  Herstellung  des  Textes 
läfst  Sorgfalt  und  Sachkenntnis  in  gleichem  Mafse  vermissen,  und  das 
beigefügte  Glossar  bestätigt  durchaus  das  ungünstige  Urteil,  das  der  Text 
zu  fällen  nötigt.  Mussafia  hat  in  seiner  Anzeige  im  Litteraturbl.  f.  germ. 
u.  rom.  Philol.  1888,  4Uo— 408  der  Ungeheuerlichkeiten  bereits  eine  grofse 
Zahl  —  unter  ihnen  die  schlimmsten  —  hervorgehoben :  doch  bleibt  noch 
immer  eine  Nachlese,  die  reich  genug  ist,  um  das  Gesagte  zu  bekräftigen. 
.22  ff.  Pour  cc  que  mors  est  Crestiens  De  Troies,  eil  qui  tant  ot 
pris  De  troecr,  ai  hardenient  j)ris  [De]  (lies  Pour)  )not  a  »tot  meitre  en 
escrit  Le  tournoieinent  Antecrit.  Das  Glossar  bietet  luirdemeiU  adv. 
kühn  (24).  —  104  ff.  En  plus  clere  eve  Orestiens  Ne  re^ut  onques  jor 
bautesme.  Xe  setnbla  pas  que  ce  fust  cresme.  Der  Nachtrag  zum  Glossar 
sagt  cresnie  106,  Furcht.  —  114  ist,  wie  sehr  oft,  die  Lesart  von  AD 
ganz  ohne  Grund  durch  eine  weniger  gute  ersetzt.  —  203  ff.  lauten 
bei  Winimer  Taut  ont  cliante  en  lour  latin  Li  osciUon  [qiie]  plus  matiii 
(hü  fet  lever  [qu'ilj  ne  souloit,  Le  soleil,  pour  ce  qu'il  voloit  Oir  le 
chmü  des  oseillons.  Lies  Tant  —  oseillon,  qui  (mit  AD)  plus  matin  Ont 
fet  lever  que  (mit  AD)  ne  soidoit  Le  soleil,  pour  etc.,  d.  h.  'die  Vöglein, 
welche  die  Sonne  früher  hatten  aufstehen  machen  als  sie  zu  thuu  pflegte, 
weil  sie  (die  Sonne)'  etc.  —  272  ff.  Mes  qui  est  li  sires  qiü  vient  Apres 
toi  . . .'?  —  Jel  te  dirai,  noii  ferai  non!  Hinter  dirai  ist  ein  Fragezeichen, 
hinter  ferai  ein  Komma  zu  setzen.  —  312  weifs  der  Herausgeber  mit  vie 
tooilliee  nichts  anzufangen.  Er  vergl.  Försters  Anm.  zum  Löwenritter 
1170.  —  289  ...  qu'en  la  palu  d'enfcr  P,e<}ui  regeneracion,  1.  Regui  je  gene- 
racion,  wie  vermutlich  auch  einige  Hss.  lesen,  da  nach  der  varia  lectio 
regeneracion  nur  in  A  steht.  —  520  Lors  veisiex,  issir  arniee.  De  la  citc  la 
haronnie;  das  Komma  hinter  arniee  ist  natürlich  zu  streichen.  Im  Glossar 
liest  man:  armee,  520,  Heer.  —  708  hat  der  Herausgeber  die  gut  altfran- 
zösische in  AD  überlieferte  Wortstellung  zum  Schaden  des  Textes  und 
ohne  jeden  Grund  geändert,  wenn  er  statt  Et  molt  se  rest  bien  avanciee 
Haine  schreibt  Et  molt  bien  se  rest  avanciee;  ebenso  21G1.  —  894  ff.  De 
tiex  armes,  de  tel  eseu  —  Que  mts  a  son  ctd  ne  le  pende  —  [Diex]  tons  bons 
Crestiens  deffendc ;  dafs  der  Herausgeber  den  Vers  895  in  Gedankenstriche 
setzt,  beweist,  dafs  er  die  Konstruktion  nicht  verstanden  hat.  —  934  ff. 
Oangains,  qui  fti  filr^  le  roi  Lot,  jSTot  pas  taut  abatu  ne  pris  Chevaliers, 
com  [ilj  (sc.  Omicides)  a  ocis  Et  tot  sa;K  forfet  de  sa  mein.  Mir  scheint 
tot  sanx  forfet,  obgleich  nach  Wimmer  alle  Hss.  so  lesen,  unsinnig;  ich 
lese  tox,  seus  forfet.  —  996  ff.  lauten  bei  Wimmer  Glouternic  [ot],  qui  vint 
les  ambles,  [Armes]  de  geules  engoulees,  Transglouties  a  granx,  goidces  etc. 
Ot  hinter  glouternie,  das  ich  an  dieser  Stolle  für  uimiöglich  halte,  stützt 
sich  nur  auf  O;  ABC  DL  lesen  übereinstimmend  Glouternic  qui  rint  etc. 
Und  das  scheint  mir  denn  auch  die  richtige  und  recht  wohl  haltbare 
Lesart.  Man  hat  in  Vers  !Mt6  ein  Satzgefüge  der  Art  zu  sehen,  von  wel- 
cher in  Toblers  Beiträgen  Abschnitt  36  die  Rede  ist;  Armes  de  geules 
eng.  ist  absoluter  Kas.  obl.  (Nehry,  Gebrauch  des  absol.  Kas.  obl.  S.  49).  — 
1053  Diex  n'aime  gueres  ses  (viz.  EornicacionJ  acointes,  Ne  ne  doit  fere; 


458  Beurteilungen  uml  kurze  Anzeigen. 

(Uant  vi'cn  pas.  An  Stelle  von  doit  ist  sicher  mit  A  iloi  zu  lesen  und  hinter 
(tcointes  wenigstens  ein  Semikolon  zu  setzen.  —  1778  ist  statt  Non!  Nan.' 
zu  lesen  Non?  Non!  —  1948  ist  das  Komma  hinter  aviscx  zu  streichen, 
ebenso  2015  hinter  ce.  —  Mit  Bezug  auf  18ü2  Et  portoit  son  escu  denieine 
bringt  das  Glossar  die  Belehrung  'dctncine  eigenhändig' ;  unter  'jnis  negat. 
nicht'  wird  die  Stelle  angeführt  N'a  surgien  . . .  qui  pas  la  (sc.  la  poison) 
seust  contrcfcre.    Druckfehler  sind  zahlreich. 

Berlin.  Alfred  Schulze. 

Arnold  Krause,  Bemerkungen  zu  den  Gedichten  des  Baudouin 
und  des  Jean  de  Conde  (Wissenschaftliche  Beilage  zum 
Progranuii  des  Friedrichs-Werderschen  Gymnasiums  zu  Ber- 
lin). Berlin,  R.  Gaertners  Verlagsbuchhandlung  (Hermann 
Heyfelder),  1890.    32  S.  4. 

Der  Verfasser,  der  1881  in  der  Festschrift  zu  der  zweiten  Säkular- 
feier des  Friedrichs-Werderschen  Gymnasiums  nützliche  Beiträge  zur  Be- 
richtigung des  Textes  von  Adenets  Cleomades  hat  erscheinen  lassen,  ist 
seitdem  augenscheinlich  den  altfranzösischen  Studien  fleifsig  und  mit 
schönem  Erfolge  zugewandt  geblieben.  Er  berichtigt  in  dem  vorliegenden 
Programme  zwar  nicht  auf  Grund  einer  neuen  Prüfung  der  Handschriften, 
die  ohne  Zweifel  manches  Wichtige  ergeben  würde,  aber  auf  Grund  be- 
dächtigen Studiums  des  gedruckten  Textes  und  seiner  Varianten  eine 
lange  Kelhe  von  Stellen  der  Ausgabe,  welche  Scheler  1867  von  den  Wer- 
ken der  beiden  Dichter  aus  Conde  hat  erscheinen  lassen.  Auch  die  Her- 
ausgeber selbst,  Scheler  wie  sein  Vorgänger  vom  Jahr  1860,  würden,  an 
weiterer  Beschäftigung  mit  dem  Altfranzösischen  erstarkt,  sicher  heute 
manchen  Fehler  vermeiden,  den  sie  vor  dreiundzwanzig  und  vor  dreifsig 
Jahren  sich  haben  zu  schulden  kommen  lassen,  und  manche  Stelle  ver- 
stehen, die  ihnen  damals  dunkel  blieb.  Aber  darum  ist  Herrn  Krauses 
Berichtigung  ihrer  Arbeit  nicht  minder  verdienstlich,  und  sie  ist  um  so 
wärmeren  Dankes  wert,  da  gerade  die  Schelerschen  Ausgaben  um  ihrer 
reichlichen  Erläuterung,  auch  um  ihres  niedrigen  Preises  willen  von  An- 
fängern gern  zur  Hand  genommen  werden.  Niemand  sollte  künftig  die 
Gedichte  der  beiden  Hennegauer  mehr  lesen,  ohne  die  lehrreichen  Bemer- 
kungen Krauses  zu  Eate  zu  ziehen,  dessen  sorgsame  Erwägung  des  Ge- 
dankenzusammenhangs, Prüfung  der  Reimgewohnheiten,  der  vorkommen- 
den Hiate,  Flexionsfehler  u.  dgl.  der  Sicherstellung  des  echten  Textes  und 
der  Interpunktion  so  vielfach  zu  statten  gekommen  sind. 

Bezüglich  einiger  Stellen  erlaube  ich  mir  meine  von  der  des  Ver- 
fassers abweichende  Ansicht  auszusprechen;  eigene  Vorschläge  zur  Besse- 
rung solcher,  die  durch  Herrn  Krause  nicht  zur  Sprache  gebracht  sind, 
teile  ich  vielleicht  ein  andermal  mit.  Baudouin  50,  153  bedarf  es  keiner 
Änderung;  die  ist  soviel  wie  di  ie,  gerade  wie  209,  126  in  Ci  voi[s],  mes 
ame  aler  n'i  roie  das  letzte  Wort,  welches  mit  voie  'Weg'  reimt,  gleich 
voi  ic  'seh  ich'  zu  setzen  ist,  oder   lo4,  80  doie  keineswegs   als  ein   dem 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  459 

Reime  zulieb  an  Stelle  des  Indikativs  gesetzter  Konjunktiv,  sondern  als 
doi  ie  zu  gelten  hat.  Diese  Auffassung  der  ersten  Stelle  ist  schon  in 
meinem  Versbau  ^  125  ausges^irochen,  wo  man  weitere  Beispiele  derartigen 
Reimes  findet. 

Im  Beginne  von  XVI  stimme  ich  der  Auffassung  Schelers  für  das 
c'est  in  Z.  8  und  10  bei;  dagegen  hätte  der  Herausgeber,  wie  mir  scheint, 
besser  gethan,  nach  Z.  2  einen  Doppelpunkt,  nach  Z.  4  einen  Punkt  zu 
setzen,  das  Komma  nach  vis  in  Z.  5  zu  tilgen.  Dazu  sei  bemerkt,  dafs 
est  vis  sich  nicht  allein  mit  Subjektssatz,  sondern  auch  mit  prädikativem 
Substantiv  verbunden  findet:  Si  lor  iert  vis  merveille  graut,  Quant  il 
orrunt  de  lor  faiture,  M.  S.  Mich.  3511. 

Mifsverstanden  scheint  mir  von  Herrn  Scheler  und  Herrn  Krause 
(Progr.  S.  9,  Anm.  1)  der  Schlufs  der  Strophe  16(3  ff.  Die  Hds.  B  hat 
das  richtige  ravoias,  und  die  letzten  Zeilen  sind  zu  schreiben  de  vier 
pesme  en  tout  tempore,  Oü  jjerissiens  com  noncalu  De  dieu  qnant  au  port 
de  salu,  Notes  ravoias  a  si  douce  ore.  In  quant  hat  man  nicht  quando, 
sondern  quantum  zu  sehen:  'Von  Gott,  was  den  Rettungshafen  angeht, 
vergessen.' 

Bei  seinem  Vorschlag  zur  Besserung  von  209,  119  läfst  Herr  Krause 
unerwogen,  dafs  altfranzösisch  i  so  wenig  wie  ein  tonloses  Pronomen 
proklitisch  zum  Infinitiv  tritt  (es  wäre  denn  ein  prohibitiver).  Den  näm- 
lichen Fehler  hat  Scheler  218,  S3  begangen.  An  beiden  Stellen  ist  es 
leicht,  i  da  unterzubringen,  wo  es  einzig  stehen  darf.  Das  Gleiche  gilt 
von  Jean  I  11,  361,  wo  Schelers  von  Krause  gebilligter  Vorschlag  un- 
annehmbar ist. 

229,  731  ist  das  Überlieferte  tadellos.  Neben  dem  gewöhnlichen  eint 
a  la  matitiee  trifft  man  auch  Et  cant  ce  vient  la  inatinee,  Tr.  Belg.  I  2;'il, 
171 ;  vgl.  quant  ce  vendra  demain,  Meon  I  26!',  2167.  Der  Artikel  aber 
ist  hier  vor  viatinee  ganz  unentbehrlich. 

Die  für  den  Anfang  des  schlecht  überlieferten  Stückes  XIX  be- 
antragten Änderungen  scheinen  mir  wohl  entsprechend;  doch  würde  ich 
für  233,  7,  8  le  tienent  tout  (Nom.  jilur.)  a  ruse  (müfsiges  Gerede),  Ja  n'cst 
(oder  n'ert)  si  biaus  dis,  s'on  trop  l'use  vorziehen.  Der  Zwischensatz,  der 
mit  Ja  beginnt,  ist  einer  jener  negativen  si  oder  tant  enthaltenden,  zu 
denen  der  negative  Folgesatz  zu  ergänzen  bleibt,  s.  Verm.  Beitr.  llo. 

251,  282  wird  durch  die  Schreibung  Qu' i  nc  piiisscnt  dem  /  eine  Stelle 
angewiesen,  die  es  imter  keinen  Umständen  einnehmen  darf.  In  der  arg 
verunstalteten  Strophe  wird  vor  allem  das  moii<  der  7.  Zeile  weichen 
müssen.  Der  mit  281  beginnende  neue  Satz  wird  etwa  gelautet  haben : 
Se  en  leur  coiirs  escondit  sont,  Qive  n'i  puissent  droit  recourrcr,  E»  oprcs 
nes  doit  nus  blasmer,  S'il  sevent  manicre  trover  Del  leur  querre;  quo  sage 
fönt  (oder  en  fönt). 

256,  331.  Der  verkannte  Sinn  der  zweiten  Hälfte  der  Strophe  ist: 
'Wenn  der  schlechter  bediente  (von  den  zwei  Herren)  wahrnimmt,  dafs 
er  (der  Dienende)  seine  Sache  nicht  nach  Rechte  führt,  soll  man  ihn  dann 
nicht  billig  hassen?    Gewifs,  keiner  sollte,  da  er  einmal  gegen  das  Recht 


460  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

verstofsen  will,  der  Meinung  sein,  da«  Recht  dürfe  ihm  nicht  Böses  an- 
haben.' 

2b9,  109.  Auch  diese  Strophe  ist  von  beiden  Auslegern  mifsdeutet. 
Nach  Ntis  n'l  vunst  faire  vüonnie  ist  ein  Punkt  zu  setzen  und,  was  folgt, 
zu  übersetzen :  'Übermut,  Neid  und  Arglist,  jedes  (dieser  Laster)  hatte 
der  ihm  Ergebenen  so  wenig,  dafs  sie  (diese  Laster)  keine  Unterkunft  fan- 
den ;  Gebelust  und  höfischer  Sinn  hatten  (dagegen)  eine  so  wohl  aus- 
gerüstete Kammer,  dafs  ihnen  nichts  abging.' 

Die  für  2r)9,  428  vorgeschlagene  Änderung  ist  annehmbar.  Dagegen 
ist  die  folgende  Zeile  nicht  richtig  aufgefafst;  das  taut  ist  nicht  das  mit 
'noch  so'  zu  übersetzende,  von  dem  im  Glossar  meiner  'Mitteilungen'  die 
Rede  ist,  und  das  den  Konjunktiv  allerdings  verlangen  würde;  sondern 
weist  auf  den  vorhergehenden  Satz  zurück,  dessen  Inhalt  die  Folge  des 
Thuns  ist,  zu  welchem  taut  die  Mafsbestimmung  giebt.  Beispiele  des 
Gebrauchs  geben  meine  Verm.  Beitr.  112:  'Eine  Rede  ist  nicht  so  fein, 
dafs  sie  nicht  Widerwillen  hervorrufen  könnte;  so  lang  könnte  man  sie 
ausspinnen.' 

Die  S.  13  über  108,  37  gemachte  Bemerkung  wird  hinfällig,  wenn 
man  a  siervir  zu  einem  Worte  (assiervir  in  Knechtschaft  geraten)  ver- 
einigt. 

305,  106O,  wovon  S.  14  die  Rede  ist,  wird  zu  lesen  sein  Lors  tarne 
la  roe  amont  tant;  dem  tant,  das  auch  zum  Verbum  der  nächsten  Zeile 
gehört,  entspricht  das  Ix  in  Z.  1002. 

320,  1409  ff.  Der  Zusammenhang  der  Gedanken  ist  von  Herrn  Krause 
durchaus  richtig  erkannt.  Mit  geringerer  Änderung  am  Überlieferten, 
als  er  sie  vorschlägt,  schreibe  ich:  Primier  demaiider  me  deuisses  Se  cn 
quel  maniere  seuisse.  Dont  ceste  questions  venist  (Se  jel  sai)  comment  ü 
en  ist:  'Zuerst  hättest  du  mich  fragen  sollen,  ob  ich  wisse  in  welcher 
Weise.  Darauf  wäre  diese  zweite  Frage  gekommen  (wenn  ich  es  denn 
wirklich  wisse),  wie  er  herausgelangt.'  Dabei  mufs  ich  allerdings  an- 
nehmen, es  sei  das  auslautende  s  von  dcuisses  für  den  Reim  nicht  in  Be- 
tracht gekommen,  wie  denn  für  die  Gleichstellung  von  es  mit  e  in  meinem 
Versbau  ^  S.  110  Beispiele  gesammelt  sind.  Hat  der  Dichter  nicht  auch 
126,  186  den  Plural  rois,  um  üin  mit  dem  Singular  roi  reimen  zu  lassen, 
um  sein  s  gekürzt? 

326,  1691.     L.  Soit  escapes,  par  coi  me  die  Conmicnt  u.  s.  w. 

327,  1717.  Fast  ohne  Änderung  am  Handschriftlichen  schreibe  ich: 
Äins  vois  avant,  tout  auseme)it  Com  U  avueulcs  saus  nieneur.  Veiit  de  »loi 
faire  ademoieiir  Ma  dame?  dont  je  riens  ne  sai,  De  (;ou  dmit  me  met  en 
assai?    Das  zweite  dont  ist  natürlich  gleich  donc. 

Jean  I  9,  266.  Die  in  Vorschlag  gebrachte  Lesart  verträgt  sich  nicht 
mit  dem  Sprachgebrauch,  der  si  ('und')  nur  unmittelbar  vor  dem  Verbum 
oder  den  zu  diesem  proklitischen  Wörtern  duldet. 

86,  44  wird  abermals  eine  Stellung  von  /  für  möglich  gehalten,  die 
in  Frankreich  zu  keiner  Zeit  und  an  keinem  Orte  erlaubt  gewesen  ist. 

Der  richtige  Ersatz  für  das  mit  cJiiertains  2id,  12  reimende  chiertains, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  461 

wovon  S.  23  die  Rede,  wird  chitains  'Bürger'  sein.    Diese  zweisilbige  Form 
bieten  auch  Watriquet,  8.  Juliane  und  andere  Texte. 

159,  58.  Sicher  ist  Schelers  Lesart  abzuweisen;  aber,  was  Krause 
dafür  einführt,  befriedigt  nicht  besser.  Soll  mau  schreiben  Car  qtmnc  avient, 
tot  consent  deusi  Keinesfalls  darf  das  Et.  der  nächsten  Zeile  mit  *SV  ver- 
tauscht werden. 

269,  143.  Man  schreibe  ohne  alle  Änderung:  'Qiddes  tu  c'avoir  doie 
soingne  De  faire  a  t'ame  sa  besoingne?  Kant  n'en  pensas,  tant  que  vis  fus, 
Je  faiq  de  ti  (nicht  t'i,  s.  oben)  aidier  refi(s  Au  jour  d'iii.'  ensi  en  aviemt, 
Cid  des  amcs  pctit  sourient.     Ein  qu'i  für  ciii  ist  völlig  sprachwidrig. 

334,  997.  P^ine  Änderung  thut  nicht  not;  le  laissent  a  cnvis  heilst 
nicht  allein  'sie  lassen  ihn  wenn  auch  widerwillig',  sondern  auch  'es  wird 
ihnen  schwer,  sie  können  sich  nicht  entschliefsen  ihn  zu  lassen'. 

350,  1517.  Sa  maisnie  . . .  Qu'il  donna  eongie  braucht  man  nicht  zu 
ändern.  Von  dem  relativen  Adverbium  qtie,  das  an  Stelle  einer  prä- 
positionaleu  Verbindung  mit  dem  relativen  Pronomen  treten  kann,  sind 
öfter  Beispiele  gegeben  worden ;  s.  Verm.  Beitr.  103. 

352,  1595.  Hier  hat,  glaube  ich,  Herr  Krause  des  Dichters  Absicht 
verkannt.  Mir  scheint,  er  wolle  sagen:  wenn  einer  grausamen  Spröden 
gegenüber  jede  Arglist  gestattet  ist,  die  sie  zu  Falle  bringen  mag,  so  hat 
dagegen  ein  Ehrenmann  die  Pflicht^,  eine  wohlwollend  gesinnte  Frau  oder 
ein  wackeres  Mädchen  vor  einem  Schande  bringenden  Fehltritt  zu  be- 
wahren; wenn  sie  etwa  eine  Schwachheit  anwandelt,  so  soll  er  sich  be- 
zwingen. 

II  98,  30.  Der  Konjunktiv  tniisf,  den  ich  vor  Jahren  vorgeschlagen 
habe,  erscheint  mir  immer  noch  vollkommen  gerechtfertigt.  Es  ist  der- 
jenige, der  regelmäfsig  in  einem  Konditionalsatz  eintritt,  welcher  eine 
zweite  Bedingung  als  die  neben  einer  ersten  erfüllt  zu  denkende  vorführt, 
genau  entsprechend  dem  noch  heute  in  gleichem  Falle  üblichen  Konjunktiv, 
nur  dal's  jetzt  der  zweite  Satz,  ohne  dafs  darum  seine  Natur  sich  ändert, 
durch  que  eingeleitet  zu  werden  pflegt.  Dagegen  vermag  ich  nicht  zu  er- 
kennen, was  tenist  retraction  heifsen  sollte. 

Berlin.  Adolf  Tobler. 

TiGS  Prdcieuses  ridicules  von  Moli^re.  Für  den  Schule-ebrauch 
erklärt  von  Dr.  P.  Goldst^hniidt,  Professor  am  Friedrichs- 
Gymuasium  in  Berlin.  Mit  einer  Nachbildung  der  Carte  de 
Tendre.     Berlin,  Springer,  1890.     IV  u.  75  S.  8.     M.  1. 

Jetzt,  wo  die  für  den  Schulgebrauch  bestimmten  Ausgaben  fast  aus- 
schlielslich  in  den  bekannten  Sammlungen  erscheinen,  gehört  eine  ge- 
wisse Kühnheit  dazu,  auf  solchen  AnschluCs  zu  verzichten,  um  so  mehr, 
wenn  man  bereits  Vorgänger  hat,  die  denselben  Text  für  die  Schule  her- 
ausgegeben haben.  Um  unter  so  erschwerenden  Umständen  Aussicht  auf 
Erfolg  zu  haben,  mul's  die  zuletzt  auftretende  Nebenbnlderin  gewis.se  Vor- 
züge  besitzen,    die    sie  zum   Kampfe   nnis    Dasein    auf    dem   (Jebiete    der 


462  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Brauchbarkeit  für  den  Unterricht  besonders  geeignet  erscheinen  lassen. 
Und  das  ist  in  der  That  der  Fall.  Das  Vorwort  und  die  zwei  Einlei- 
tungen, die  biographische  über  Moliere  im  allgemeinen  und  die  litte- 
rarische über  die  FrcHoises  ridiculcs  im  besonderen,  geben  in  knapper 
Darstellung  ein  übersichtliches  Bild  von  dem  Lebensgauge  des  Dichters 
und  den  litterarischen  Zuständen  seiner  Zeit ;  die  Anmerkungen  beziehen 
sich  fast  ausschliefslich  auf  sachliche  Schwierigkeiten,  erschöpfen  die- 
selben aber  so  vollkommen,  dafs  nichts,  was  der  Erklärung  bedürftig  ist, 
unberührt  bleibt.  Es  ist  ein  gut  Stück  französischer  Kulturgeschichte, 
das  dem  Schüler  liier  in  der  anziehendsten  Weise  beigebracht  wird. 
Jedenfalls  hat  sich  der  Herausgeber  nichts  entgehen  lassen,  was  in  den 
hervorragenderen  der  bisher  erschienenen  Ausgaben  zur  Erläuterung  der 
zahlreichen  sachlichen  Schwierigkeiten  des  Stückes  beigebracht  worden 
ist.  Die  beigefügte  Carte  de  Tendre  nebst  der  unter  Anm.  24  gegebenen 
Beschreibung  aus  dem  ersten  Bande  der  Clelie  wird  nicht  blofs  den  Schü- 
lern Vergnügen  bereiten. 

In  der  Stelle  S.  51,  Z.  12  v.  o.  Ge  sont  fruits  des  veilles  de  la 
eour  et  des  fatigues  de  la  guerre  haben  sämtliche  Ausgaben,  auch  die 
neueste  von  Vitu  (Paris  1889),  dieselbe  Lesart,  wodurch  sie  allerdings 
nicht  weniger  auffallend  wird.  Die  Anmerkung  81  zu  S.  54,  Z.  1  v.  u. : 
'faire  durchmachen,  wie  in  faire  wie  maladk',  pafst  nicht,  da  faire  in  je 
me  tronre  mi  peu  incommode  de  la  reine  pnetique,  poiir  la  qiiantite  des 
saignees  qtie  j' y  ai  faites  ces  jours  passes  in  der  Grundbedeutung 
'machen,  anstellen,  veranstalten'  steht.* 

Berlin.  Fr.  Bischoff. 

Lamd-Fleury,  Histoire  de  la  d^couverte  de  FAm^rique,  im  Aus- 
zug herausgegeben  und  erklärt  von  Max  Schmidt.  (Bd.  42 
der  Dickmannschen  Schulbibliothek.)   Leipzig,  Renger,  1888. 

vin  u.  112  s. 

Wenige  Stoffe  dürften  zu  sprachlicher  Verarbeitung  in  Tertia,  teil- 
weise auch  bei  raschem  Fortschreiten  der  Lektüre  in  Untersekunda  ge- 
eigneter erscheinen,  als  eine  gut  geschriebene  Geschichte  der  Entdeckungs- 
reisen, da  ja  beim  geschichtlichen  Unterricht  über  diese  für  die  moderne 
Kultur  hochwichtigen  und  für  die  Knaben  sehr  interessanten  Abschnitte 
meist  rasch  hinweggeschritten  werden  mufs.  Es  ist  daher  ein  sehr  glück- 
licher Griff  vom  Herausgeber  gewesen,  die  alte  Ausgabe  von  Robolsky, 
die  im  gleichen  Verlage  vor  Jahren  erschienen  ist,  zeitgemäfs  umzuarbei- 
ten. Das  Werkchen  des  vortrefflichen  Lame-Fleury  zerfällt  hier  in  fol- 
gende Abteilungen :  I.  Ältere  Entdeckungsreisen ;  IL  Columbus ;  III.  Ame- 


*  [In  der  biogiaphisclieu  Einleitung  S.  1  sagt  der  Herausgeber,  Moliere  sei 
'am  15.  Januar  1622  geboren,  fast  zwei  Jabrzebnte  nach  dem  Tode  Sliaksperes': 
glücklicherweise  ist  aber  Shakspere  nicht  schon  1602,  sondern  erst  1616  gestorben. 

J.  Z.J 


Beurteilungeu  und  kurze  Anzeigen.  463 

rigo  Vespucci;  IV— VII.  Baiboa,  Las  Casas,  Cortes,  Magellan,  Pizarro; 
Vlll.  Neu-England;  IX.  Die  Erzeugnisse  Amerikas.  Angehängt  ist  das 
bekannte  Gedicht  Delavignes  Trois  joiirs  de  Christophe  Colomb.  Der  Text 
ist  leicht  lesbar  und  anziehend,  so  recht  für  die  Mittelstufe  geeignet; 
auch  läfst  er  sich  ohne  Mühe  zu  inhaltsvollen  Fragen  und  Antworten  ver- 
wenden, was  bei  einem  historischen  Text  nicht  gleichmäfsig  der  Fall  ist. 
Die  sachlichen  Anmerkungen  (12  Seiten  für  100  Seiten  Text)  halten  das 
richtige  Mafs  ein  und  bieten  ebenfalls  abwechselungsreichen  Gesprächs- 
stoff. Referent  kann  aus  eigener  Erfahrung  einen  Versuch  mit  Lame- 
Fleury  in  Obertertia  aufs  wärmste  empfehlen.  Von  Ostern  bis  Herbst 
wurden  etwa  50  Seiten  gelesen  und  mündlich  verarbeitet,  das  Übrige 
mufste  im  nächsten  Schuljahr  nach  Abschlufs  der  Untersekundalektüre 
(diesmal  Segur)  auf  Bitten  der  Schüler  wieder  aufgenommen  Averden. 
Selb.stverständlich  wurde  jeder  Abschnitt  auch  nacherzählt  und  zu  schrift- 
lichen Arbeiten  (nach  deutschem  Text)  verwendet.  Bei  einer  Neuauflage 
sollte  der  Revision  des  Textes  gröfsere  Sorgfalt  zugewandt  Averden,  da 
einzelne  Bogen  bis  an  fünf  Druckfehler  enthalten. 

Oftenburg  (Baden).  Joseph  Sarrazin. 

Charles  Marelle,   Affenschwanz  etc.     Variantes  orales   de  Contes 
populaires  fran9als  et  etrangers.    Braunschweig,  Westermann, 

1888.     72  S.  8.     2«  edition,  Berlin,  Asher,  92  S. 

Der  bekannte  Dichter  des  Petit  Monde  teilt  hiermit  eine  Reihe  neuer 
Fassungen  französischer  Volksmärchen  mit,  die  er  teils  aus  eigenen  Jugeud- 
erinnerungen  schöpft,  teils  in  seiner  Heimat,  der  Champagne,  erst  ge- 
sammelt hat.  Zum  Andenken  an  seinen  alten  deutschen  Lehrer  in  Paris, 
der  das  leichtsinnige  Volk  seiner  Zöglinge  'Affenschwänze'  zu  nennen 
pflegte,  giebt  Marelle  dieser  leichten  Ware  den  eigentümlichen  Titel.  Le 
pcre  Mangreant  (p.  13—24)  bringt  mit  etwas  aufdringlicher  Schlufsmoral 
die  verschiedenen  Lesarten  'Tischlein,  deck  dich,  Eselein,  streck  dich  und, 
Knüppel,  aus  dem  Sack!'.  Die  Wünsche  der  drei  biederen  Auvergnateu 
(21 — 24)  sind  recht  bescheiden  und  erheiternd;  letzteres  ist  in  erhöhtem 
Mafse  der  Fall  bei  dem  Boiä-d'-Canard  (25 — .S2),  den  die  Leser  von  Ma- 
relles  Manuel  de  Lectnre  (Frankfurt  188tJ,  2.  Aufl.)  bereits  kennen.  Dann 
folgt  das  'Goldkäppchen'  (le  Petit  Chopermi  d'or,  p.  37 — 13),  dessen  Aus- 
gang befriedigender  ist  als  beim  Rotkäpi)chen ;  hierauf  eine  von  einem 
Seemann  aus  Japan  mitgebrachte  Fabel  Les  dettx  Fais  et  leur  Oendre,  die 
offenbar  auf  dieselbe  morgenländische  Quelle  zurückgeht,  wie  La  Fontaines 
Fabel  IX,  7.  Le  Preneiir  de  Hat  (p.  51 — 59)  dürfte  eine  aus  dem  Elsafs 
herübergewanderte  Lesart  des  Rattenfängers  von  Hameln  sein.  Am 
Schlufs  der  interessanten  Sammlung  stehen  zwei  urkomische,  endlose 
Jiitaiirnelles,  welche  eine  treuliche  Zungenübnng  abgeben  müssen. 

Die  zweite  Auflage  ist  um  14  Seiten  vermehrt,  welche  in  neuer  Les- 
art uralt  urwüchsige  Legenden  in  Versen  bieten:  L'enfant  Jesus  et  les 
petits  gar^ons  de  Naxaretli,  Jesus  et  les  deux  dniers,   Le  Miracle  de  Saiiii 


464  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Nicolas  (vgl.  Archiv  LVI,  187  ff.),  Saint  Joseph  et  Sainte  Cecile.  Den  Be- 
schlufs  bilden  zwei  scherzhafte  Stücke  Lc  R'nard  et  l'Kcre^nsse  in  ur- 
sprünglicher Gestalt  und  die  Sch(")pfungsg('schichte  Qiiene-ü'rhat.  Es  ist 
eine  dankbare,  eines  Dichters  würdige  Aufgabe,  die  sich  Marelle  gesteckt 
hat.    Weiteren  Beiträgen  darf  man  gespannt  entgegensehen. 

OfFenburg  (Baden).  Joseph   Sarrazin. 

H.  Sabersky,  Zur  proven9alischeu  Tjautlehre  (Parasitisches  i  und 
die  damit  zusammeuhängendeu  Ersclieinungen).  Berlin^  Mayer 
u.  Müller,  1888.     100  S. 

Ohne  näher  auf  die  Frage  eingehen  zu  wollen,  ob  die  Bezeichnung 
'parasitisch'  wirklich  treflfend  sei,  und  ob  eine  Berechtigung  vorliege,  in 
allen  denjenigen  Fällen  von  parasitischem  i  zu  reden,  die  in  obiger  Ar- 
beit erörtert  sind,  mufs  Eeferent  bemerken,  dais  Verfasser  die  Beispiele 
zu  den  für  ihn  in  Betracht  kommenden  Erscheinungen  in  grofser  Zahl 
mit  Fleil's  und  Umsicht  zusammengestellt  hat.  Freilich  wäre  es  sehr 
willkommen  gewesen,  wenn  für  das  Altprovenyalische,  bei  dem  nur  die 
Trobadorsprache  Berücksichtigung  gefunden  hat,  die  vorhandenen  Ur- 
kunden —  gewifs  keine  leichte  Aufgabe  —   durchgeprüft  worden  wären. 

S.  13  heifst  es,  die  Verschmelzung  des  i  aus  c  mit  dem  vorhergehen- 
den i  sei  im  Nordfranzösischen  die  Regel;  dies  kann,  so  ausgedrückt, 
nicht  mit  den  Thatsachen  in  Einklang  gebracht  werden.  —  Das  S.  17 
angeführte  pais  ist  nicht  am  Platze.  —  Die  Behauptung  auf  S.  10,  dafs 
im  Nordfrauzösischen  das  sowohl  'primär  als  sekundär  in  den  Auslaut 
getretene  c  sich  als  solches  erhält',  ist  sehr  befremdend.  —  Auf  S.  32 
oben  ist  offenbar  die  Überschrift  ausgefallen :  'Parasitisches  i  nicht  ent- 
wickelt.' —  Die  Anordnung  ist  nicht  sehr  übersichtlich. 

Altenburg  (S.-A.).  Oscar   Schultz. 

E.  Cnyrim,  Sprichwörter,  sprichwörtliche  Redensarten  und  Sen- 
tenzen bei  den  proven9alischen  Lyrikern  (Ausgaben  und  Ab- 
handlungen ed.  Stengel  LXXI).  Marburg,  El  wert,  1888. 
62  S. 

Wenn  Verfasser  sich  einerseits  auf  die  Sprichwörter  beschränkt  hätte 
imter  genauer  Prüfung  dessen,  was  als  eigentliches  Sprichwort  anzusehen 
sei,  und  wenn  er  andererseits  die  gesamten  proven§alischen  Denkmäler 
herangezogen  hätte,  so  wäre  das  Avahrscheinlich  eine  recht  nutzbringende 
Arbeit  geworden.  Indessen  entbehrt,  auch  wie  sie  vorliegt,  obige  Ab- 
handlung nicht  eines  gewissen  Wertes,  insofern  als,  nach  umfangreicheren 
Stichproben  zu  urteilen,  die  Sammlung  eine  ziemlich  vollständige  ist. 
Immerhin  mufste  eine  strengere  Abgrenzung  vorgenommen  und  nicht 
mancherlei  vorgebracht  werden,  was  schwerlich  als  Sentenz  oder  sprich- 
wörtliche Redensart  gelten  kann;  jedenfalls  sind  auszuscheiden  Nr.  241 
und  !»(i3. 


Beurteil  an  geu  und  kurze  Anzeigen.  465 

Die  Behandlung  der  Texte  läfst  an  Sicherheit  und  Sorgfalt  zu  wün- 
schen übrig.  Verderbte  Stelleu  sind  selten  gebessert;  die  luterpuulctiou 
ist  inkonsequent,  so  dafs  mau  oft  nicht  weifs,  wie  uud  ob  Verfasser  ver- 
standen hat.  Nr.  4  ist  ofFeubar  falsch  aufgefafst  uud  zu  streichen.  In 
Nr.  581  1.  c'om  ...  sos  fallihnens;  in  Nr.  G25  ist  om  dici  gauz  siuulos,  es 
soll  heifseu  com  dia,  gehört  aber  zum  Voraufgehenden,  wie  MW.  III,  129 
richtig  steht;  in  Nr.  ÜQ^  1.  s'a  drec;  in  Nr.  707  1.  manja  lo  pan  qiie  non 
l'abati,  wie  wiederum  einfach  aus  Malm  zu  ersehen  ist ;  in  Nr.  768  stimmt 
der  Verweis  nicht;  Nr.  771  ist  sehr  schlecht  citiert:  1.  qiicd  und  im  übri- 
gen so  wie  bei  Mahn  steht,  nur  dafs  wahrscheinlich  nach  plus  noch  drrüz 
einzuschieben  ist;  in  Nr.  820  mufste  qtie  follors  fortbleiben,  oder  weiter 
citiert  werden :  que  follors  —  so  trob'om  eis  autors  —  aiiida  utantas  res: 
auch  Nr.  919  ist  unverständlich,  so  wie  es  dasteht,  und  vermutlich  zu 
lesen:  /to»i  que  o  fai  la  filla  gart  se  iio  fa%a  la  sitnüla. 

Unter  Abschnitt  XV  ist  \'ieles  angeführt  worden,  was  nur  stilistisch 
merkwürdig  ist  und  nicht  zum  Thema  gehört;  sonst  wäre  auch  das  häu- 
tige daurar  mon  ehan  und  hahjnar  in  übertragener  Bedeutung  zu  erwäh- 
nen gewesen. 

Von  'historischeu  Sprichwörtern'  kann  nicht  die  Rede  sein,  sondern 
nur  von  Personen  ii.  s.  w.,  die  sprichwörtlich  waren;  zu  diesen  durften 
aber  nicht  solche  gerechnet  werden,  die  nur  ein-  oder  zweimal  begegneu, 
wie  Segurs  und  Valensa  oder  Aimiers. 

Zu  der  Sammlung  selbst  gesellen  sich  noch  als  Sprichwörter  das 
oben  genannte  follors  aiuda  manias  res  (MG.  845,  Str.  4)  und  hngincs  ns, 
segmi  dreic  et  raisos,  si  convertis  e  natura  (Appel,  Prov.  luedita  S.  95, 
Z.  18—19). 

In  dem  üblichen  Nachtrage  ergänzt  Verfasser  seine  Arbeit  aus  der 
gleichzeitig  erschienenen  von  Peretz,  ein  Verfahren,  das  durchaus  zu  ver- 
werfen ist. 

,   Den  Sinn  der  Übersetzung,   welche   Stengel   von   einer  Stelle  giebt 
(S.  59,  Anm.),  ist  Eefereuten  nicht  gehmgeu  zu  ergründen. 

Altenburg  (S.-A.).  Oscar  Schultz. 

H.  Schindler,  Die  Kreuzzüge  in  der  altproven9alischeii  und  niittel- 
hoclideiitschen  Ijyrik.  Programm  der  Auneuschule  (Real- 
gymnasium) zu  Dresden.     1889.     49  S.  4. 

Es  empfalil  sich  wohl,  alle  auf  die  Kreuzzüge  bezüglicheu  Aulse- 
rungeu  in  der  altprov.  uud  mhd.  Lyrik  einmal  im  Zusammenhange  zu 
betrachten.  Verfasser  hat  dies  in  einer  Weise  gethau,  dais  seiue  Arbeil 
als  eine  durchaus  nützliche  gelten  muls;  seiue  Prüfung  ist  genau  und 
vorsichtig  und  das  Urteil  triift  fast  innner  das  Richtige. 

In  der  That  verlangten  die  Frauen  in  Frankreich  den  Kreuzzug  so 
wenig  als  einen  Beweis  der  Liebe  (S.  :'9),  dafs  die  Dame  den  Ritter  im 
Spotte  und  um  sich  seiner  zu  entledigen  fragt,  wann  er  übers  ISIeer  gehen 
werde;  so  wenigstens  in  einem  Liede  des  Auboin   de  Sezauue,  s.  Zs.  f. 

Arcliiv  f.  n,  Spiaclicii.     LXXXIV.  30 


466  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

deutsch.  Altertum  XXXT,  187.  —  Dafs  die  Trobadors  weit  mehr  in  den 
Kreuzzug.sliedern  die  Geistlichkeit  schmähen,  als  die  Minnesinger,  erklärt 
sich  aus  der  leidenschaftlichen,  sich  rückhaltloser  äulseiuden  Natur  des 
Südländers;  ob  man  deshalb  den  Deutschen  eine  'tiefere  Auffassung  der 
heiligen  Sache'  (S.  IG)  zuschreiben  darf,  ist  sehr  fraglich.  —  Gr.  öH,  1 
(S.  2)  ist  allgemein  moralischen  Inhalts  und  bezieht  sich  nicht  auf  einen 
Kreuzzug,  s.  Appel,  Prov.  Inedita  aus  Pariser  Hss.  S.  21.  —  Zu  der  Stelle 
cu  11011  tenc  ges  per  cavah'er  (S.  15)  fehlt  der  Verweis;  sie  steht  nicht  in 
282,  20.  —  Das  Lied  0,  10  ist  sehr  wahrscheinlich  nicht  1188  entstanden 
(S.  23),  da  A.  de  Belenoi  noch  gegen  1211  den  Tod  von  Nugnez  Sancho, 
Grafen  von  Roussillon,  betrauert;  s.  Zs.  f.  rom.  Phil.  VII,  210.  —  Mit 
dem  argen  bei  P.  Vidal  3(34,  4  (S.  23,  Anm.  3)  wird  vielleicht  eine  Kreuz- 
zugssteuer gemeint  sein.  —  Dafs  282,  23  lauge  nicht  so  spät  fällt,  als 
Diez  meint,  ist  gewifs  richtig;  Referent  hat  das  schon  in  Zs.  f.  rom.  Phil. 
VII,  218  dargelegt.  —  Wie  kommt  Verfasser  zu  der  Behauptung  (S.  39), 
dafs  Beatritz  von  Monferrat  im  Juli  1202  starb?  In  dem  angezogenen 
Liede  Raimbauts  392,  24  steht  nichts  von  ilii-em  Tode;  der  zu  Ehren  der 
lebenden  Beatritz  geschriebene  Carros  ist  wahrscheinlich  zwischen  dem 
25.  Juli  und  dem  Anfange  des  Oktober  gedichtet  worden;  s.  Prov.  Dich- 
terinnen S.  14,  Anm.  81.  —  Es  fehlt  das  Lied  76,  8  von  B.  d'Alamauon, 
das  Verfasser  nicht  recht  kennen  konnte,  und  das  jetzt  vollständig  bei 
Ai^pel,  Inedita  S.  55,  vorliegt;  es  Averden  hier  die  Könige  von  Frankreich 
und  Castilieu  zum  Kreuzzuge  aufgefordert.  Nach  Appel  fällt  es  gegen 
1257  (s.  Reg.  unter  impa).  —  Verfasser  hat  versäumt,  der  beiden  inter- 
essanten Strophenwechsel  Erwähnung  zu  thun,  welche  zwischen  Folquet 
de  Romans  einerseits  und  dem  Trouvfere  Hugues  de  Bersie  und  dem 
Trobador  Blacatz  andererseits  stattfanden  (Archiv  XXXIV,  403  u.  405), 
und  in  denen  je  einer  den  anderen  zur  Teilnahme  am  Kreuzzuge  auf- 
fordert; meines  Wissens  haben  sie  kein  Seitenstück  in  der  mhd.  Lyrik. 
Blacatz  will  nichts  von  der  Fahrt  übers  Meer  wissen  und  sagt,  er  werde 
seine  Bufse  in  der  Nähe  der  Geliebten  verrichten ;  s.  Zs.  f.  rom.  Phil.  IX, 
133  u.  1.34. 

Der  provengalische  Text  ist  nicht  frei  von  Druckfehlern  und  Un- 
genauigkeiten ;  ich  hebe  heraus :  S.  22  für  aclma  una  seiguorhi  lies  aclma 
Uli  sol  seignoriu.  —  S.  20,  Anm.  1  für  qiies  capienran  1.  qito's  c.  —  S.  35 
für  ressos  1.  resso,  das  ja  schon  der  Reim  fordert  (Appel,  Inedita  S.  140). 
S.  49  für  una  demessa  1.  itn'  esdemessa. 

Altenburg  (S.-A.).  Oscar  Schultz. 

L' Alighieri  Rivista  di  cose  dantesche  diretta  da  F.  Pasqiialigo. 
Anno  I:  Aprile  1889  Fase.  1,  Maggio  Fase.  2,  Giugno  Fase.  3, 
Luglio  Fase.  4.  Verona,  Leo  S.  Olsehki.  (Der  Umschlag 
ist  mit  Dantes  Bilde  nach  Giotto  geziert.)     128  S. 

P.  1—4  Ai  lettori.  Alles,  was  Dante  und  seine  Werke  betrifl't,  wird 
der  Ges^enstaud  der  Zeitschrift  sein.    P.  5 — 6  Fallo  e  annnemla.    Ehren- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  467 

volle  Erwähnung  der  Socidä  Dantesca  italiana  •istitjiita  in  sullo  scorcio 
deir  anno  passato'.  P.  7 — 20  Divina  Commedia  stille  jwstille  del  Tusso  alla 
D.  C,  dissefrta^ione  di  Stefano  Grosso  (gia  inserita  nel  Propugnatore  di 
Bologna  del  1881,  poi  rifaita  e  anipliata.  S/  n'feri-sce  alla  cd.  della  D.  C. 
postill.  da  Torq.  Tusso,  Pisa  1830  rol  TU  in  4").  Luigi  Maria  Eezzi  fand 
die  Postille  des  Tasso  am  Eande  von  drei  Ausgaben  jener  Zeit,  des  Gio- 
lito,  des  Sessa  und  des  Pietro  da  Fino,  und  Rosiui  veröfl'entlichte  sie  mit 
dem  Cruscatexte,  was  ein  arger  MifsgrifF  war,  statt  sie  mit  dem  Texte 
jener  Ausgaben,  d.  i.  dem  des  Tasso,  zu  verbinden.  Es  wird  gezeigt,  wie 
zugleich  auch  dieser  Text  den  Vorzug  vor  dem  der  Crusca  verdient. 
I.  Po  e  hei  posaio  iin  poco  il  corpo  lasso.  Diese  gut  beglaubigte  Lesung 
wird  unterstützt,  indem  die  Alten  ei  für  ebbi  kennen,  auch  liest  Buti  so 
und  erklärt  es  durch  ehhi.  Will  man  die  Form  nicht,  so  kann  man  mit 
anderen  Hss.  Poi  riposuto  mi  poco  lesen.  Die  Lesung  der  Crusca  giebt 
die  Euhe  als  zu  grofs  an.  IL  Clie  m'  ha  fcdto  cerear,  nicht  liun,  ist  die 
wahre  Lesung,  da  nur  amore  Subjekt  ist.  III.  Tasso  liest,  wie  auch 
Fanfani  billigt,  eon  doglia,  schlecht  die  Crusca  di  doglia.  IV.  Ch'cdla 
secoiida  morte  ciascwi  gridu,  Cnisca  Che  la  ... ;  das  Schreien  nach  dem 
Tode,  voll  Sehnsucht,  erkannte  Parenti.  Wunderlich  genug  tadelt  der- 
selbe Rosiui  dies  sein  Verfahren  bei  anderen,  welche  den  Commento  des 
Landiuo  mit  dem  Aldinischen,  nicht  Laudinischen,  Texte  druckten.  Tasso 
hat  ferner  in  seinen  Postillen  hübsche  Fragen,  auf  die  Rezzi  Anmerkungen 
schrieb  und  dem  Rosini  dies  ebenfalls  zu  thun  empfahl,  was  leider  unter- 
blieb. Einige  Abschweifungen  (u.  a.  wird  recht  unpassend  auf  Blaue  ge- 
scholten) und  der  Nachtrag,  dafs  Rosini  den  Vorzug  des  ha  vor  hau 
wohl  kannte,  zeigen,  dafs  der  treft'liche  Aufsatz  hier  und  da  kürzer  ge- 
falst  seiu  konnte.  P.  21 — 26  Eecensioni.  Cristoforo  Pasqualigo  (der  durch 
die  Prorcrhi  Veneti  wohlbekannte  Bruder  des  Rechtsgelehrten,  des  Heraus- 
gebers) bespricht  lobend  das  erste  Drittel  von  Tommaso  Casiiii,  Coniiii. 
alla  D.  C,  Fir.  1889.  Sonderbar  verlangt  er  gegen  den  Herausgeber 
sugger  dette  statt  snccedette  nach  Orosiiis  fdio  flagitiosc  concepto,  impie 
exposito,  inccste  cognito:  dazu  gehörte  doch  eine  gute  Erklärung  des 
sugger  dette!  Derselbe  macht  auf  Ang.  de  Gubernatis  (I),  //  Pur.  cd  il 
Fhirg.  dichiaratl  ai  giucani,  Fir.  1888 — 89,  aufmerksam,  eine  Art  Blumeu- 
lese  aus  dem  Gedicht;  man  mufs  dazu  lächeln,  fast  lachen:  La  prima 
Cuntica,  la  qucdc,  soltunto  perchc  prima,  snolsi  mcttcre  nelle  mani  dei  gio- 
vani,  mi  appare  come  Una  selva  selvaggia  cd  asjtra  e  forte  —  distrae  ed 
uffatiea  ogni  tranqidllu  lettura.  Ich  mufs  hierbei  an  das  Gegenstück,  das 
Urteil  des  sonst  trefflichen  Ideler  über  das  Paradiso,  denken.  Aus  den 
Anuunci  und  Noti:ie  (P.  29 — 31)  ist  das  Bemerkenswerteste  der  Hinweis 
axif  Monacis  Versuch,  die  Lesarten  der  Commedia  zu  verzeichnen  (Acc. 
dei  Lincei  1884  Rendic.  IV  8,  vgl.  Archiv  LXXXII,  171).  P.  31— :'.2 
Questioni.  Zu  Vita  N.,  Daune  ch'arete  wird  gefragt:  Comc  si  spiega,  che 
nmi  possa  aicre  mala  fne  colui,  eh' ebbe  la  fortuna  di  parlare  n  Beatrice? 
Ich  würde  antworten:  die  Griechen  glaubten,  wer  den  Zeus  des  Pheidias 
in  Olympia  gesehen,  der  stürbe  selig;   ähnlich  denkt  D.,  der  Liebhaber^ 

80* 


468  Beurteilungeu  und  kurze  Anzeigen. 

von  (lern  Glück  mit  Beatrice  gesprochen  zu  haben.  Man  vgl.  das  Lied 
Dantes  Poichc  sar,iar,  wo  es  heifst,  durch  das  Sehen,  wenn  er  die  Geliebte 
sähe,  könne  er  selig  werden.  P.  33 — 45  Tomm.  Vitti  /yc  oricpni  (MlaTJ.  C. 
(ikt-  Uli  lavoro  incdito  'Dante  e  Roma).  Es  ist  überraschend,  wie  deutlich 
und  zahlreich  man  Vorstellungen  von  Dantes  C'omniedia,  insbesondere 
dem  Inferno,  schon  in  dem  Sogno  des  Alberico  findet,  z.  B.  den  Pechsee, 
den  Blutstrom,  den  den  Dichter  hinauftragenden  Adler,  das  Eis,  in  wel- 
chem die  Sünder  stecken.  P.  45 — 47  Sopra  unri  postilla  dcl  Tasso  alla 
D.  G.  Zu  Purg.  XVII,  105—120  bemerkt  Tasso  gegen  den  Dichter,  dafs 
hier  weniger  der  Stolze  und  der  Neidische,  als  beidemal  der  Neidische 
geschildert  werde.  Dem  Verfasser  hat  Pagano  Paganini  den  Dante  so  ge- 
rechtfertigt, dafs  er  sagte,  der  Stolze  wünsche  des  anderen  Erniedrigung,  um 
selbst  oben  zu  stehen ;  der  Neidische  hasse  das  Gute  an  dem  anderen,  weil 
es  ihm  entzogen  sei.  P.  47 — 54  Becenswtri,  P.,  Dr.  Karl  Wotke  Leonardi 
Briini  Aretini  Dialogus  de  tribus  ratilnts  flwentinis.  Wien,  Tempsky,  1889,  ein 
verbesserter  Text,  besonders  nach  dem  Cod.  Chigiano  I,  VI,  215  f.  P.  54 — 59 
Ges.  Beccaria,  IjB  ecJoghe  lat.  di  Maestro  Otor.  del  VirrjUin  e  di  D.  Aliffhicn 
(Ed.  di  Gior.  del  V.  e  dt  D.  Ä.  annot.  da  anonimo  eoutemporaneo,  reeate 
n  viiglior  lexione,  nuovamente  ToJgari7,\ate  in  rer.^i  ."^eiolti  e  eommcntate 
da  Franc.  Pasqualigo.  r-on  Ulustrazioni  di  altri,  Lonigo,  1.  3).  P.  50 — (»3 
Kotizic.  In  Baltimore  ist  im  vorigen  Jahre  eine  Konkordanz  der  Com- 
media  erschienen,  von  Edw.  Allen  Fay,  durch  die  es  erleichtert  wird, 
jedes  Wort  sogleich  aufzufinden.  P.  63 — 64  Questioni :  Come  si  eone.illa 
la  grande  onestä  di  Beatrice  col  salntare  cli'ella  faceva  ^jf";*  via  jiersonc  ehr 
nnn  Je  erano  punto  famitiari? 

P.  65 — 81  Carlo  Negroni  giebt  Inf.  XV  mit  dem  von  ihm  ins  Ita- 
lienische übersetzten  Commento  des  Philalethes.  P.  81 — 89  //  'Vero'  rc- 
lato  nel  Canto  VIII  del  Purg.  (Nota  letta  all'  Ace.  di  Archeologia  Lettere 
e  Belle  Arti  di  Napoli  il  13  giugno  1888)  von  Alberto  Agresti.  Das  Wahre 
zu  erkennen  ist  hier  schwer,  deshalb  erinnert  der  Dichter.  Die  Schlange 
ist  nicht  die  Verführung,  sondern  die  Beilsende  (biscia  germ.  Herkunft), 
den  ewigen  Tod  Gebende,  sie  stellt  sich  ungefährlich,  um  unvermutet  zu 
überfallen.  Das  kleine  Thal  ist  ein  Bild  der  Welt  vor  dem  Tode,  der 
Abend  ein  nachträgliches  Bild  der  Todesstunde,  das  Gebet  ein  nach- 
feierndes, dankbares  Erinnern  an  das  rettende  Gebet  in  der  Todesstunde. 
P.  90 — 96  Pecensioni. 

P.  97 — 105  C.  Negroni  La  tomba  di  re  Manfredi.  p]s  wird  bewiesen, 
dafs  der  Bericht  des  Dante  und  seiner  alten  Ausleger  von  dem  Ende  und 
von  dem  Verbleib  der  Gebeine  des  Manfred  wahrheitsgetreu  ist,  und  dals 
eine  Behauptung  von  ghibellinischeu  Lügen  (Tomm.  Terrinoni  Somnii 
Pontefici  della  Camjjania  Pomaim,  Roma  1888)  nichtig  ist.  Die  Geschichte 
des  oder  der  Malispini  über  Giov.  Villani  zu  stellen,  diesen  zu  einem  Ab- 
schreiber von  jenem  zu  machen,  mufs  man  freilich  erinnern,  ist  heut- 
zutage nicht  mehr  zeitgemäfs,  wenigstens  darf  mau  es  nicht,  ohne  weiter 
sich  zu  rechtfertigen,  thun.  Eichtig  meint  der  Verfasser,  dafs  die  I'rne 
mit   Manfreds  Gebein   durch   ihre  lateinische  Inschrift   auf  eine  spätere, 


Beurteilungeu  und  kurze  Auzeigeu.  409 

klassisch  etwas  besser  gebildete  Zeit  hinweise  als  die  Zeit  Dantes  und 
des  Manfred.  P.  105— IIU  Luigi  Gaiter  II  -Vero'  nel  Cauto  VIII  del 
Piirgatorio.  Entgegnung  auf  den  frühereu  Aufsatz  über  denselben  Gegen- 
stand. Der  Hymnus  sei  eine  Warnung  für  die  Leser,  sich  nicht  den 
irdischen  Freuden  hinzugeben  und  so  gleich  den  hier  Vorgestellten  ins 
Purgatorio  und  ins  Vorfegefeuer  oder  in  noch  Schlimmeres  zu  geraten. 
P.  110 — 114  Gridano  la  seconda  viorte  von  Pier  Vinc.  Pasquini.  Die  Be- 
deutimg  scheint:  sie  sehnen  sich  ein  zweites  Mal,  nämlich  besser  als  sie 
schon  gethan  haben,  nämlich  als  Christen,  zu  sterben.  P.  115 — 120  Re- 
censioni:  Crist.  Pasqualigo,  Ad.  Bartoli,  La  D.  C.  I,  II,  Fir.  1887,  1889. 
Es  ist  dies  der  sechste  Band  der  Storia  della  Lett.  italiana  Bartolis,  der 
manches  Neue  enthält.  Der  Receusent  macht  u.  a.  auf  die  Frage  des 
Verfassers  aufmerksam:  warum  sind  die  ersten  Personen,  mit  welchen 
Dante  spricht,  Francesca  und  Ciacco?  In  Bezug  auf  erstere  meint  der 
Verfasser,  Dante  habe  seinem  Hals  gegen  die  Malatesta  Luft  machen 
wollen,  indem  er  sie  in  die  Hölle  versetzte.  Dafs  aber  Ciacco,  dieser 
Parasit,  ihm  hier  begegne  und  von  Politik  spreche,  sei  ein  Rätsel,  das 
nur  in  Zufällen  von  Dantes  Leben  seinen  Gruud  haben  könne.  Der  Ee- 
censent  fafst  die  Sache  so  auf,  dals  Dante  sein  Buch  durchaus  gelesen 
wissen  wollte,  deshalb  nehme  er  für  den  Anfang  diese  beiden :  die  erstere 
(t  128U)  war  in  ganz  Italien,  der  letztere  in  Florenz  in  aller  Munde. 
P.  12() — 12:3  P.,  Nicolö  de'  Claricini  Dornpacher,  Lo  studio  di  Torq.  Tusso 
in  D.  Ä.,  Päd.  1889.  Das  Büchlein  enthält  manches  auf  den  Titel  Bezug 
habende  Geschichtlein  und  zeigt,  dai's  Tasso  kein  blinder  Verehrer  Dante« 
war.  In  seinen  Werken  kommt  Tasso  auf  Dante  etwa  156  mal,  lobt  ihn 
27  mal  imd  tadelt  ihn  25  mal,  und  in  den  Postillen  ist  er  51  mal  Be- 
wunderer und  82  mal  mehr  oder  weniger  Tadler.  Das  Buch  ist  mit  Fleils 
gemacht  und  nützUch.  P.  123 — 125  Carlo  Negroni,  II  Baro>ie  Locdla  e  la 
esposixiotie  Dantesca  a  Dresda  [vgl.  Archiv  LXXXIII,  460J.  P.  125  f. 
Ant.  Fiammazzo  bemerkt,  aus  der  mehrfach  vorkommenden  Lesart 
Ouardai  in  alti,  nie  aus  anderem,  erhelle,  dais  altu,  nicht  altro,  zu  lesen 
ist.  P.  126—128  Xo(i\ie  e  appaiiti.  Die  Pariser  Roniauia  glaubt  nicht, 
dafs  Dante  ein  unerschöpflicher,  für  eine  Zeitschrift  ausreichender  Gegen- 
stand sei:  höchstens  wäre  es  passend,  einen  bibliographischen  Anzeiger 
der  Art  zu  machen.  Zeitschriften  Italiens  jauchzen  dem  'Alighieri'  zu. 
Friedenau  bei  Berlin.  H.  Buchhol tz. 

Pierre  de  Nollmo,  Manuscrits  a  ininiatures  de  hi  Bibliotheque  de 
P^trarqiic  (Extrait  de  la  Gazette  archeologiqiie  de  188J>). 
Paris  1889.     4«.     10  S.  u.  2  Tafeln  in  Heliotypie. 

Eugene  ]\Iüntz  gab  1887  in  der  Ciazette  arclu'H)logique  (Taf.  l;j,  dazu 
S.  99  ff.)  eine  heliotypische  Abbildung  des  TiteJblattes  der  berühmten 
Virgilhandschrift  der  Ambrosiana,  dcssei\  Miniatur  von  Petrarca  selbst  ge- 
schriebene Verse  als  Werk  Simones  (Martinis)  von  Siena  bezeichnen,  so  dals 
sie  von  selten  des  Malers  die  Freundschaft  bezeugt,   welche  der  Dichter 


470  Beurteilungen  uiul  kurze  Anzeigen, 

durcli  die  Sonette  Per  inirar  Policlelo  a  prova  ftso  und  Quanclo  giunse  a 
Simon  l'nlto  concctto  berülimt  gemaclit  liat.  Das  Bild  stellt  Virgil  in 
einem  Garten  sitzend  dar,  mit  der  Abfassung  eines  seiner  Werke  beschäf- 
tigt. Servius  zieht  den  Vorhang,  der  vorher  Virgil  nur  wie  durch  einen 
Schleier  hat  erkennen  lassen  müssen,  hinweg  und  zeigt  ihn  nun  einem 
Krieger,  einem  Hirten  und  einem  Landmann,  üafs  der  Krieger  Aueas 
sei,  ist  ein  merkwürdiger  Irrtum  Müntz',  der  die  ganze  Darstellung  falsch 
verstanden  hat.  Er  hält  die  drei  Gestalten  für  Personifikationen  der 
Aneide,  der  Georgica  und  der  Eclogen  (S.  102),  während  doch  zwei  bei- 
geschriebene Verse  den  Vorgang  deutlich  erklären:  SerciKs  altiloqui  rete- 
yens  archaiia  Maronis,  Ut  pateani  diicibu.s,  pasforibuf<,  utque  eolonis,  in 
denen  Müntz  allerdings  wunderbarerweise  poctis  statt  eolonis  liest.  Pierre 
de  Nolhac,  welcher  der  Bibliothek  Petrarcas  unermüdlich  nachforscht, 
bringt  jetzt  in  derselben  Zeitschrift  weitere  Zeugnisse  für  die  Teilnahme 
Petrarcas  an  bildender  Kunst  in  der  Wiedergabe  von  vier  ^Miniaturen  aus 
Handschriften,  welche  Petrarca  besafs  und  selbst  (so  nimmt  Pierre  de 
Xolhac  an  und  wird  seine  Gründe  dafür  haben)  hat  ausführen  lassen. 
Die  eine  Handschrift  ist  Paris  lat.  8580,  welche  vielerlei  lateinische 
Schriften  vereinigt  und  besonders  den  Über  seculariuni  Utterarum  des 
Cassiodor  mit  prächtigen  Miniaturen  begleitet.  Das  andere  Manuskript 
ist  Vatic.  lat.  2193,  ebenfalls  ein  lateinischer  Sammelbaud,  von  dessen 
künstlerisch  ausgeführten  Initialen  P.  de  Xolhac  uns  drei  vorführt.  Herr 
de  Nolhac  hält  für  sicher  qiie  Jes  deux  illustrations  ont  ete  cxicutccs,  sinon 
par  le  nienie  artiste,  an  moins  par  des  miniaturistes  de  kc  tnemc  ecole  et 
peut-etre  du  vieme  atclier,  und  er  ist  ein  viel  zu  gewissenhafter  Forscher, 
als  dafs  man  seinen  Folgerungen,  ohne  die  Handschriften  gesehen  zu 
haben,  entgegentreten  möchte.  Er  führt  auch  beiden  Handschriften  ge- 
meinsame Züge  an,  welche  seinen  Schlufs  wahrscheinlich  machen  würden; 
aber  diese  Züge  kommen  auf  den  mitgeteilten  Tafeln  nicht  zur  Erschei- 
nung; \'ielmehr  würde  man  aus  diesen  Proben  nicht  auf  den  Gedanken 
kommen,  beide  Illustrationen  derselben  Hand  oder  auch  nur  derselben 
Schule  zuzusprechen.  Die  Miniatur  aus  Paris  8580  ist  eine  ganz  aufser- 
ordentlich  fein  ausgeführte  Zeichnung  (zumal  der  Vogel,  welcher  der  Dar- 
stellung der  Orammatica  beigesellt  ist  [weshalb?  dafs  eine  Beziehung 
stattfindet,  geht  aus  den  anderen  Miniaturen  zum  Cassiodor  hervor],  ist 
bewundernswert).  Die  Gruppe  der  Granimatica  selbst  mutet  schon  wie 
ein  Werk  der  Renaissancekunst  an  (besonders  beachtenswert  sind  auch 
die  an  kufische  Schriftzeichen  erinnernden  Ornamente  des  Rahmens).  Der 
feinen  Linienführung  dieser  JVIiniatur  gegenüber  sind  die  Illustrationen 
zum  Vat.  2193  wie  mit  breitem  Pinsel  gemalt,  arbeiten  mehr  in  Flächen 
als  in  Linien.  Auch  die  Art  der  Figureuzeichnung  und  der  Ornamentik 
ist  eine  ganz  verschiedene.  Wir  befinden  uns  hier  einer  mittelalterlich 
anmutenden,  wenngleich  entwickelten  und  glücklich  realistischen  Kunst 
gegenüber.  Soll  nun  einmal  verglichen  werden,  so  scheint  mir  weit 
gröfsere  Ähnlichkeit  zwischen  Vat.  2198  und  dem  Virgil  der  Ambro- 
siana zu  sein,    als   zwischen   der   vatikanischen    und   der  Pariser  Hand- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  471 

Schrift,  wenngleich  auch  dort  der  Abstand  zu  grofs  ist,  als  dafs  sich 
nach  den  veröftentlichten  Proben  vorsichtigerweise  ein  Schlufs  etwa  auf 
gleichen  Ursprung  mh-de  ziehen  lassen.  Sollte  sich  Herrn  de  Nolhac  die 
Überzeugung  vom  gemeinsamen  Ursprung  jener  Illustrationen  noch  weiter 
bestärken,  so  würde  er  seine  schon  jetzt  sehr  wertvolle  Mitteilung  zu 
einer  solchen  von  gröfstem  kunst-  und  kulturhistorischen  Interesse  machen, 
gäbe  er  uns  die  Möglichkeit,  uns  ebenfalls  von  einer  so  merkwürdigen 
künstlerischen  Entwickelung  zu  überzeugen. 

Königsberg  i.  Pr.  C.  Appel. 

Paul  Heyse:  Italieuische  Dichter  seit  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts. Berlin,  Wilhelm  Hertz,  1889.  Band  3.  Drei 
Satirendichter;  Giusti,  Guadagnoli,  Belli.    IX  u.  336  S.    M.  5. 

Der  vorliegende  Band  (über  seine  beiden  Vorgänger  vgl.  Archiv 
LXXXIII,  4G1)  enthält  in  seiner  ersten  gröfseren  Hälfte  einen  Wieder- 
abdruck von  Heyses  1875  erschienener  Giusti-Übersetzuug  (Berlin,  Hof- 
mann &  Co.).  Dafs  Heyse  es  verstanden  hat,  die  infolge  ihrer  prägnanten 
Ausdrucksweise  und  ihrer  zierlichen  Form  überaus  schwer  zu  übertragen- 
den Scherxi  des  toscanischen  Satirikers  mit  wahrhaft  bewundernswerter 
Meisterschaft  wiederzugeben,  ist  bereits  damals  von  der  Kritik  gebührend 
anerkannt  worden  (vgl.  z.  B.  Magazin  für  die  Litteratur  des  Auslandes, 
44.  Jahrg.  [1875],  Xr.  45  und  46).  Die  neue  Ausgabe  ist  ein  wenig  ver- 
änderter Abdruck  der  ersten.  Hinzugekommen  ist  nur  das  Gedicht  'Re- 
signation und  Beschlufs,  einen  neuen  Menschen  anzuziehen'.  In  den 
übrigen  findet  man  hier  und  da  die  Spuren  einer  nachbessernden  Hund. 
S.  40,  letzte  Strophe,  Zeile  4,  ist  Tiberio  in  diciottcsimo  jetzt  statt  mit 
'ein  Tiber  von  neustem  Datum'  sehr  glücklich  wiedergegeben  mit  'ein 
Tiber  in  Miniatur';  in  dem  Gedicht  'An  San  Giovanni'  S.  48  ft'.  sind  die 
beiden  letzten  Strophen  umgestellt;  geändert  ist  ferner  S.  77  die  zweite 
Strophe  u.  s.  w.  Den  Beschlufs  des  Bandes  bilden  ein  launiges  Histörchen 
von  Giustis  älterem  Zeitgenossen  Antonio  Guadagnoli  und  :><»  Sonette  von 
Giuseppe  Gioacchino  Belli.  Auf  diesen  originellen  römischen  Dialekt- 
dichter (gest.  1863),  der  selbst  in  Italien  erst  neuerdings  bekannter  zu 
werden  beginnt,  hat  schon  1871  Schuchardt  in  der  Beilage  der  'Allgem. 
Zeitung'  Nr.  164  fl'.  aufmerksam  gemacht.  Heyses  Proben  genügen,  um 
erkennen  zu  lassen,  wie  Belli  einerseits  in  liumoristischen  Genrebildchen 
das  Leben  luid  Treiben  des  römischen  popolino  vor  1870  zu  fixieren  vor- 
stand und  andererseits  mit  grimmiger  Ironie  die  öfleutlichen  Zustände 
unter  dem  päpstlichen  Regimente  angriff. 

Berlin.  E.  Pariselle. 

Dr.  Adolf  Keller,  Professor  am  Colegio  dol  Porvcnir  in  Madrid, 
Altspanisches  Lesebuch  mit  Granmiatik  uud  Glossar.  Leip- 
zig, F.  A.  Brockhaus,  1890.     VIII,  192  S.  8. 

Eine  verständige  Auswahl  von  Proben  der  ältesten  Denkmäler  der 
spanischen  Litteratur,  Dichtung  und  erzählende  Prosa   umfassend,  auch 


472  Beurteilungen  imhI  kurze  Anzeigen. 

Rechtsquellen  und  Wissenschaft  nicht  ausschliefsend,  wie  sie  Keller  hier 
in  einem  sauber  gedruckten  Bändchen  1)ietet,  mag  manchem  willlcommen 
sein.  luedita  bietet  sie  zwar  nicht,  und  was  sie  aus  vorangegangenen 
Drucken,  zumeist  den  verbreiteten  Bänden  .M  und  57  der  Rivadeneyra- 
schen  Sammlung,  aber  auch  aus  anderen,  minder  leicht  erreich bareu 
Büchern  wiederholt,  ist  auch  nicht  neben  den  Handschriften  neu  durch- 
gesehen; darum  bleibt  das  kleine  Buch  doch  brauchbar.  Freilich,  Stu- 
dierenden der  romanischen  Philologie  als  Leitfaden  zu  dienen,  was  die 
Vorrede  als  seine  Bestimmung  bezeichnet,  ist  es  nicht  recht  angethan  ; 
wenigstens  werden  diese  des  Lehrers  und  Auslegers  daneben  nicht  ent- 
raten  können,  sofern  üinen  um  mehr  als  ein  verständnisloses  Übersetzen 
von  Wort  zu  Wort  und  Sammeln  veralteter  Wortformen  zu  thun  ist,  sofern 
sie  über  Natur,  Ursprung,  Zweck  oder  gar  Überlieferung  und  wissen- 
schaftliche Bearbeitung  der  aus  Proben  kennen  zu  lernenden  Denkmäler 
etwas  zu  erfalireu  begehren,  ja  sogar  in  vielen  Fällen,  wenn  sie  auch  nur 
den  Inhalt  der  Probe  erfassen  wollen.  Und  es  giebt  doch  immer  noch 
den  einen  oder  anderen,  der  den  Anfang  eines  Berichtes  'Sie  war  aber 
nicht  tot,  sondern  blofs  bewufstlos',  S.  22,  oder  'Als  Laurentius  den 
Bischof  wegführen  sah,  brach  er  in  Thränen  aus',  S.  39,  nicht  ohne  einiges 
Unbehagen  liest,  wenn  er  gar  nicht  weifs,  Avovon  die  Rede.  In  solchen 
Fällen  war  eine  kurze  Aufklärung  uuerläfslich ;  imd  nicht  minder  da,  wo 
mitten  in  einer  Probe  lange  Stücke  fehlen,  wie  S.  10,  wo  zwischen  Z.  0'.' 
und  Z.  101  keinerlei  Zusammenhang  besteht,  der  Leser  aber  aus  dem 
Umstand,  dafs  als  Z.  lUO  eine  Reihe  Punkte  gedruckt  ist,  immöglich  ent- 
nehmen kann,  dafs  etwa  700  Verse  übersprungen  sind ;  ähnlich  S.  27,  wo 
nach  Unterdrückung  eines  langen  Stückes,  dessen  Wegfall  zwischen  Z.  75 
und  Z.  77  eine  Reihe  Punkte  (Z.  70)  sehr  unzulänglich  anzeigt,  dem  Leser 
jede  Möglichkeit  des  Verstehens  benommen  ist. 

Der  Druck  ist  im  ganzen  sorgfältig  nach  den  spanischen  Ausgaben 
ausgeführt,  deren  sehr  ungleichmäfsige  und  teilweise  recht  nachlässige 
oder  geradezu  falsche  Interpunktion  mit  einer  folgerichtigeren  zu  ver- 
tauschen der  Herausgeber  leider  unterlassen  hat.  Von  Druckfehlern  führe 
ich  an:  nuiiqne  für  nunqua  18,  57;  cstos  für  esto  20,  139;  Tollte  iür  Tolliö 
24,  110;  sangtie  für  samjne  37,  10;  De  für  Do  25,  7;  querie  für  qucrrie 
32,  110;  real  für  rreal  95,  12,  wozu  manche  Accentfehler  und  Verwechs- 
lungen von  I  und  J  kommen. 

Eine  auf  wenig  mehr  als  einen  Bogen  zusammengedrängte  'Laut-  und 
Formenlehre',  die  noch  dazu,  wenigstens  was  die  Laute  angeht,  dem 
Spanischen  überhaupt,  nicht  etwa  den  Besonderheiten  der  älteren  Sprache 
gilt,  kann  freilich  nur  das  Allerwichtigste  geben,  verrät  übrigens  einen 
kundigen  Verfasser.  Auch  die  drei  Seiten,  auf  denen  die  Unterschiede 
der  vier  Hauptmuudarteu  im  Anschlüsse  an  die  sie  vertretenden  Denk- 
mäler zusammengestellt  sind,  können,  wenigstens  als  Ausgangspunkt  für 
genauere  Untersuchung,  genügen.  Ein  Glossar,  das  alle  der  Erklärung 
bedürftigen,  d.  h.  vom  heutigen  Gebrauche  abweichenden  Wörter  und 
Formen  durch  neuspanische  erklärt,  bildet  den  Schlufs. 


Beiirteilimgeu  und  kurze  Anzeigen.  473 

Dem  Zwecke  des  Buches  würde  es  wohl  entsprochen  haben,  wenn 
auch  über  die  jeweilen  zur  Anwendung  gebrachten  Versformen  etwas  ge- 
sagt worden  wäre;  bei  einem  beträchtlichen  Teile  der  Texte  wird  der 
weniger  erfahrene  Leser  Jlühe  haben,  die  angestrebte  Form  durch  eine 
irre  führende  schriftliche  Darstellung  hindurch  zu  erkennen,  zumal  da 
auch  das  falsch  Überlieferte  durch  nichts  als  solches  kenntlich  ge- 
macht ist.  A.  T. 

G.  C.  Kordgien,  Universitätsprofessor  a.  D.,  vonii.  Direktor  eines 
brasilianischen  Gymnasiums,  Verfasser  des  'Portugiesischen 
Kouversationsbuches^,  der  'Portugiesischen  Konversations- 
grammatik' etc.  etc.,  zur  Zeit  Direkt()r  des  'Handelswissen- 
schaftlicheu  Lelir- Instituts'  in  Hamburg,  I^ogares  selectos 
dos  Classicos  Portuguezes  e  Brasileiros.  Portugiesisches 
Lesebuch  mit  xVnmerkuugen.  Leipzig,  Verlag  von  Julius 
Bädeker  (ohne  Jahr).     X,  249  S.  8. 

Das  laut  der  Vorrede  'unter  Benutzung  der  in  Portugal  hoch- 
geschätzten Sammlung  von  A.  Cardoso  Borges  de  Figueiredo  zusammen- 
gestellte' Buch  will  'als  Übersicht  über  die  verschiedenen  Zweige  der 
lusitanischen  Litteratur  dienen'.  Verschiedene  Gattungen  der  Prosa  sind 
allerdings  vertreten,  Fabeln,  Beispiele,  Beschreibungen,  Sittenbilder,  Er- 
zählungen, Biographien,  Briefe  (aus  Briefstellern)  und  anderes;  etwa 
40  Oktaven  aus  den  Lusiaden,  vier  schwache  Sonette  auf  Camoes  und 
zwei  Kanzonen  von  G.  Diaz  und  einem  Ungenannten  kommen  dazu,  da- 
mit der  Dichtung  ihr  Recht  werde.  Es  fehlt  aber  an  allen  Angaben  der 
Zeiten,  denen  die  Verfasser  angehören  (neben  dem  Ki.  Jalirhundert  ist 
fast  nur  die  Gegenwart  berücksichtigt),  und  über  die  Werke,  denen  die 
Bruchstücke  entnommen  sind,  so  dafs  von  einem  Einblick  in  die  Schätze 
der  portugiesischen  Litteratur  keine  Rede  sein  kann.  Die  im  Titel  er- 
wähnten Anmerkungen  geben  ausschlielslich  Übersetzungen  einzelner 
Wörter,  wie  sie  im  ersten  besten  Taschenwörterbuch  auch  zu  finden  sind, 
nicht  selten  übrigens  irrtümliche,  schweigen  dagegen  allemal,  wo  ein 
weniger  unterrichteter  Leser  Beistandes  bedürfen  könnte  oder  über  die 
Verhältnisse  aufgeklärt  zu  sein  wünschen  m('>chte,  deren  Kenntnis  nicht 
missen  kann,  wer  dies  oder  jenes  Bruchstück  mit  Verstand  lesen  will. 
Der  Druck  ist  nicht  mit  ausreichender  Sorgfalt  überwacht.  A.  T. 

H.  KHnghardt,  Ein  Jahr  Erfahrungen  mit  der  neuen  Methode. 
Bericht  über  den  Unterricht  mit  einer  englischen  Anfänger- 
klassc  im  Schuljahre  1887  88.  Zugleich  eine  Anleitung  für 
jüngere  Fachgenossen.  Marbiu-g,  N.  G.  Elwert,  1888.  IV  und 
84  S.  8. 

Der  Verfasser  legt  in  dieser  Schrift  Krfaiuungcn  nieder,  die  er  wäh- 
rend eines  Jahres  mit  seiner   Uutertertija  gemacht  hat.    Er  benutzt  die 


474  BeurteiluJigen  uikI  kurze  Anzcigeu. 

ersten  acht  Stunden  seines  Unterrichts  zu  gymnastisclxen  Übungen  des 
Mundes  und  Ohres,  um  das  Gehörvermögen  der  Schüler  bis  zur  ver- 
ständnisvollen pjrfassuug  der  gröberen  Lautnuancen  zu  entwickeln,  und 
geht  dabei  von  dem  heimischen  Dialekt  der  Schüler  aus.  Alsdann  be- 
handelt er  während  des  Restes  des  ersten  Semest^ers  die  vier  ersten  Stücke 
aus  Sweets  Elementarbuch,  die  Satz  für  Satz,  da  das  Buch  nicht  in  den 
Händen  der  Schüler  ist,  in  phonetischer  Umschrift  vom  Lehrer  an  die 
Tafel  geschrieben,  vorgesprochen  und  interlinear  übersetzt  werden.  Diese 
Texte  werden  durch  immerwährende  Wiederholung  so  geübt,  dafs  jedes 
Wort  zum  festen  Besitz  der  Schüler  wird.  Nicht  blofs  im  Zusammen- 
hange mit  anderen  wird  jedes  Wort  geübt,  sondern  auch  durch  Ab- 
schreiben in  ein  nach  bestimmten  Gruppen  geordnetes  Vokabelheft  aus 
dem  Ganzen  herausgehoben  und  so  zu  freierem  Besitz  gemacht.  Fragen 
in  englischer  Sprache,  die  sich  eng  an  die  Texte  anschliefsen,  werden  so- 
bald als  möglich  an  die  Schüler  gestellt  und  von  diesen  englisch  be- 
antwortet. Von  diesen  giebt  der  Verfasser  ebenfalls  Beispiele.  Auch  zu 
schriftlichen  Übungen:  Diktaten,  phonetischen  Niederschriften  und  Um- 
formungen, geben  diese  vier  Stücke  genügenden  Stoff.  Der  Verfasser 
sucht  den  Schüler  dazu  zu  bringen,  dafs  er  auch  aulserhalb  der  Klasse 
den  Versuch  mache,  englisch  zu  sprechen,  und  die  Scheu  vor  der  frem- 
den Sprache  ablege.  Er  beschränkt  sich  daher  nicht  nur  auf  die  in  den 
vier  Stücken  enthaltenen  Vokabeln,  sondern  zieht  auch  neue  heran,  deren 
Bedeutung  er  womöglich  durch  Erklärung  in  der  fremden  Sprache  den 
Schüler  finden  läfst.  Der  Verfasser  giebt  (S.  39^ — 40)  drei  sehr  interessante 
Beispiele,  wie  er  in  englischer  Rede  teils  den  Sweetschen  Text  erläuterte, 
teils  die  dort  erwähnten  Erscheinungen  und  Vorgänge  auch  in  der  Um- 
gebung des  Ortes  (Reichenbach  i.  Schi.)  nachwies,  teils  die  auf  dem  Turn- 
platze gemachten  Funde  und  Beobachtungen  besprach.  Die  Grammatik 
wird  nur  au  die  Lektüre  geknüpft. 

Im  zweiten  Semester  werden  die  Erzählungen  von  Robin  Hood  imd 
Macbeth  (Abschnitt  1)  aus  Gesenius'  Elementarbuch  in  derselben  Weise 
wie  früher  Sweet  behandelt.  Da  diese  Stücke  in  der  gewöhnlichen  Ortho- 
graphie geschrieben  sind,  so  treten  orthographische  Schreibübungen  neben 
die  Hör-  und  Sprechübungen.  Ob  es  nötig  ist,  ein  ganzes  Semester  nur 
Texte  in  phonetischer  Schrift  zu  benutzen,  und  ob  der  Übergang  aus 
dieser  Schrift  in  die  gewöhnliche  wirklich  so  wenig  Schwierigkeiten  den 
Schülern  macht,  wie  der  Verfasser  behauptet,  ist  zweifelhaft.  Zwar  giebt 
die  phonetische  Umschrift  dem  Schüler  sofort  die  richtige  Vorstellung 
von  einem  Laute,  wenn  ef  ihn  erst  einmal  erfafst  hat,  aber  sie  hilft  ihm 
bei  einem  neuen  Worte  in  der  gewöhnlichen  Schrift  —  und  so  sind  doch 
bis  jetzt  alle  Schriftsteller  gedruckt  —  ebensowenig,  wie  die  Musterwörter, 
zur  Erkennung  des  richtigen  Lautes.  Ein  früherer  Beginn  mit  ortho- 
graphischen Texten  würde  den  Erfolg  in  der  Erlangung  einer  nationalen 
Aussprache  nicht  schmälern. 

Die  Leistungen  der  Schüler  des  Verfassers  sind  nach  dem  einen  Jahre 
Unterricht  ganz  vortreffliche  und  beweisen,  wie  zweckmäfsig  es  ist,  eine 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  475 

neue  Sprache  als  lebende  zu  behandeln.  Bedeutend  geringer  würden  sie 
aber  sein,  wenn  der  Verfasser  in  seiner  Klasse  statt  '2(1  Schüler  4U  bis  50 
hätte,  die  in  derselben  Weise  gefördert  werden  sollten. 

Jedenfalls  enthält  das  Buch  viele  vortreffliche  Winke  und  ist  auch 
denen  zu  empfehlen,  die  nicht  unbedingte  Anhänger  der  sogenannten 
direkten  Methode  sind. 

Berlin.  Ad.  Müller. 

Bemerkungen  über  das  Studium  der  deutschen  Philologie  und 
die  Prüfungsordnung  für  das  höhere  Lehramt.  Aus  einem 
Vortrage  des  Dr.  phil.  P.  Machule.  Leipzig,  Rofsberg,  1890. 
28  S.  8.     M.  0,60. 

In  dem  frisch  und  klar  geschriebenen  Vortrage  sjjricht  sich  der  Ver- 
fasser, zu  Gunsten  einer  Vertiefung  des  Studiums  der  deutschen  Pliilo- 
logie,  für  eine  Beschränkung  in  der  Breite  der  Anforderungen  für  das 
Oberlehrerzeugnis  aus.  Xach  einer  mitgeteilten  Statistik  der  letzten  acht 
Jahre  erreichte  nur  ein  Zehntel  aller  Kandidaten  sogleich  ein  Zeugnis 
ersten  Grades.  Der  Verfasser  ist  der  Ansicht,  dafs  die  Verbindung  von 
drei  philologischen  Fächern  für  die  Oberklassen  oder  von  zweien  für  die 
oberen  mit  zweien  für  die  mittleren  Klassen  eine  gründliche  philologische 
Bildung  verhindert  und  eine  sehr  bedauerliche  Verflachung  befördert.  Es 
wäre  besser,  das  Lehrerzeugnis  ganz  fallen  zu  lassen,  auf  das  hin  doch 
niemand  angestellt  wird,  und  dafür  überall  in  zwei  verwandten  pliilo- 
logischen  Gebieten  gründliche  Studien  zu  verlangen.  Der  Verfasser  hat 
meines  Erachtens  recht,  dafs  dadurch  die  pädagogische  Verwendbarkeit 
nicht  beschränkt  wird.  Wer  in  einem  Fache  wirklich  zu  Hause  ist, 
arbeitet  in  ein  verwandtes  sich  schnell  hinein. 

Berlin.  S.  W. 


Verzeichnis 

der  vou  Aufaug  April  his  zum   19.  Mai  1800  bei  der  Redaktion 
eingelaufenen  Bücher  und  Zeitschriften. 


Pjox  and  Cox.  A  Eomauce  of  Real  Life,  in  One  Act.  By  .John 
Mtiddison  Morton.  III.  Edition  (No.  71.  Modern  English  Comic  Theatre. 
AVith  Notes  in  German  by  Dr.  K.  Alb  recht).  Leipzig,  H.  Härtung  & 
Sohn.     83  S.  16.     M.  0,10. 

Im  Ausland.  IMitteilungen  des  Vereins  deutscher  Lehrer  in  Eng- 
land. London,  Selbstverlag,  1890  April.  30  S.  Jährlich  4  Hefte  M.  3,50 
|Dr.  W.  Borsdorf,  Über  die  letzten  autobiographischen  Schriften  Alphop.se 
Daudets.  Hugo  Bartels,  Die  Tudorausstelluug  in  London.  Mitteilungen 
des  Vereins.     Besprechungen]. 

Litteraturblatt  für  germanische  und  romanische  Philologie  herausgeg. 
von  Otto  Behaghel  und  Fritz  Neu  mann.  Nr.  3  März  und  Nr.  4  April. 
Leipzig,  O.  R.  Reisland,  1890.     Sp.  89—108.    4.     Halbjährlich  M.  5. 

The  Black -Box  Murder.  By  the  Man  who  discovered  the  Mur- 
derer.  Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  Vol.  2015). 
288  S.  kl.  8.     M.  1,60. 

Fräulein  vou  La  Seiglifere.  Lustspiel  in  4  Akten  von  Jules  Sandeau. 
Zum  Rückübersetzen  aus  dem  Deutschen  in  das  Französische  bearbeitet 
von  H.  Breitinger,  Prof.  der  neueren  Sprachen  au  der  Univ.  Zürich. 
2.  durchgesehene  Auflage.     Zürich,  Fr.  Schulthefs,  1890.     I(i2  S.  8. 

Die  Fragmente  der  Reden  der  Seele  an  den  Leichnam  in  zwei  Hand- 
schriften zu  Worcester  und  Oxford.  Neu  herausgeg.  nebst  einer  Unter- 
suchung über  Sprache  und  Metrik  sowie  einer  deutschen  Übersetzung  von 
Richard  Buch  holz.  Erlangen  und  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlags- 
buchh.  Nachf.  (Georg  Böhme),  1890  (Erlanger  Beiträge  zur  englischen 
Philologie.  Herausgegeben  von  Hermann  Varnhagen.  VI.  Heft).  4  Bl., 
LXXVI  u.  28  S.  8.     M.  1,80. 

Verzeichnis  der  Programm-Beilagen  der  schweizerischen  Mittelschulen. 
Mit  einem  Anhang,  umfassend  die  Programm-Beilagen  der  Acadeuiie  de 
Neuchätel  und  der  Eidgenössischen  Polytechnischen  Schule  in  Zürich. 
Zusammengestellt  vou  G.  Büeler.    Frauenfeld,  J.  Huber,  1890.   V,  6S  S.  4. 

The  Bondman.  A  New  Saga.  By  Hall  Caine.  In  2  Vols.  Leipzig, 
Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  Vols.  2647  and  2648).  296 
und  271  S.  kl.  8.    M.  3,20. 

The  Open  Court.  A  Weekly  Journal  devoted  to  the  Work  of  cou- 
ciliating  Religion  with  Science  [Ed.  Dr.  Paul  CarusJ,  Chicago.  No.  129 
[Prof.  Max  Müller,  The  Cradle  of  the  Aryas].  130—133.  134  [M.  Müller, 
The  Study  of  Sanskrit].  135—138.  139  '[L.  Noire,  The  Origin  of  Lan- 
guage].     140. 

Italienische  Chrestomathie.  Auswahl  geeigneter  moderner  Lesestücke 
mit  einem  Anhang  von  Musterstücken  der  bedeutendsten  älteren  Dichter 
und  Prosaiker  und  oineni  Verzeichnis  der  darin  vorkommenden  Redens- 
arten nebst  vollständigem  Wörterbuch  von  G.  Cattaneo,  Dozent[en]  der 
ital.  .Sprache  u.  Litt,  am  Kgl.  Polytechnikum   und  au  den  beiden  Königl. 


Verzeichnis  von  Büeheru  uud  Zeitschriften.  477 

humanistischen  Gymnasien  in  Stuttgart.  Heidelberg,  Julius  Groos,  189(i. 
VIII,  264  S.  8.     ' 

Die  Sprachschöpfung.  Versuch  einer  Embryologie  der  menschlichen 
Sprache  von  Theodor  Curti.    Würzburg,  A.  Stuber,  1890.     I,  74  S.  8. 

Theoretisch-praktischer  Lehrgang  der  englischen  Sprache  mit  genügen- 
der Berücksichtigung  der  Aussprache  für  höhere  Schulen  von  Dr.  Karl 
Deutschbein,  Oberlehrer  am  Gymn.  zu  Zwickau.  12.  Aufl.  Neue  Be- 
arbeitung.    Kötheu,  Otto  Schulze,'  1890.     XII,  440  S.  8.     M.  3. 

Chambers's  English  History.  Für  den  Schulgebrauch  herausgeg.  von 
Dr.  Georg  Dubislav,  ord.  L.  a.  d.  I.  Stadt.  Höh.  Bürgersch.,  und  Paul 
Boek,  ord.  L.  am  Königstädt.  Realgvmn.  zu  Berlin.  Berlin,  E.  Gaertuers 
Verlagsbuchh.  (Hermann  Hej'f eider), '1890.     III,  122  S.  8.    M.  1,20. 

Modern  Lauguage  Notes:  A.  M.  Elliot,  Managing  Editor:  Vol.  X. 
No.  o,  Baltimore,  Md.,  March  1890  [Herbert  Eveleth  Greene,  Seveuth  An- 
nual  Convention  of  the  Modern  Language  Association.  Frederic  Spencer, 
The  Legend  of  St.  Margaret:  IL  The  Cambridge  Text.  Alex.  Melville  Bell, 
The  'Nasal  Twang'.  Albert  S.  Cook,  Csedmou  and  the  Ruthwell  Gross 
(Übersetzung  einer  Partie  aus  Bugges  'Studien').  John  Phelps  Fruit, 
Materiam  superabat  opus.  Derselbe,  The  Nominative  Absolute  in  English. 
C.  Fontaine,  Les  Poetes  frangais  de  nos  Jours.  —  Les  Parnassiens].  No.  4, 
April  1890  [Henry  E.  Shepherd,  A  Study  of  Tenuyson's  English.  Albert 
S.  Cook,  Cicero  as  an  Authority  for  Gosson's  'School  of  Abuse'.  Walter 
B.  Scaife,  Brazil  as  a  Geograplaical  Appellation.  Frederic  Spencer,  The 
Legend  of  St.  Margaret:  III.  The  York  MS.  Alexander  R.  Hohlfeld, 
Two  O.  E.  Mystery  Plays  on  the  Subject  of  Abraham 's  Sacrifice.  M.  D. 
Learned,  Application  of  the  Phonetic  System  of  the  American  Dialect 
Society  to  Pennsylvania  German.  James  W.  Bright,  Lexical  Notes.  J.  B. 
Hennemann,  The  Interpretation  of  certaiu  Words  and  Phrases  in  the 
'Wars  of  Alexander'.  Charles  Fliut  McClumpha,  Differences  between  the 
Scribes  of  'Beowulf']. 

Catalanische  Troubadoure  der  Gegenwart.  Verdeutscht  uud  mit  einer 
Übersicht  der  catalanischen  Litteratur  eingeleitet  von  Johannes  Fasten - 
rath.    Leipzig,  Carl  Reifsner,  189(>.    LXXII,  502  S.  8. 

Die  lateinischen  uomina  personalia  auf  'o,  ouis'.  Ein  Beitrag  zur 
Kenntnis  des  Vulgärlateins.  Von  Dr.  phil.  Richard  Fisch,  ord.  Lehrer 
am  Audreas-Realgymn.  zu  Berlin.  Berlin,  R.  Gaertuers  Verlagsbuchh. 
(Hermann  Heyfelder),  1890.    VII,  198  S.  8. 

Graphische  Litteratur-Tafel.  Die  deutsche  Litteratur  und  der  Ein- 
flufs  fremder  Litteraturen  auf  ihren  Verlauf  vom  Beginn  einer  schrift- 
lichen Überlieferung  an  bis  heute  in  graphischer  Darstellung  von  Dr.  Cäsar 
Flaischlen.  Stuttgart,  G.  J.  Göschensche  Verlagsbuchh.,  1890.  Farbige 
Tafel  mit  8  Spalten  Text.     In  Karton  gefalzt  M.  2. 

Echo  du  Franjais  parle.  Premier  Tome,.  Conversatious  enfantines 
par  R.  Foulche-Delbosc,  Professeur  a  l'Ecole  J.-B.  Say  et  a  l'Ecole 
Colbert,  Paris.  Leipzig,  Rud.  Giegler,  18!i().  I  u.  18  S.  Kart.  I\I.  (».70 
[Textabdruck  aus  dem  S.  .H(i(i  verzeichneten  'Picho  der  frz.  Umgangssprache']. 

Über  den  Bedeutungswandel  lateinischer  Wörter  im  Französischen. 
Von  Dr.  Gerhard  Franz.  Sonderabdruck  aus  dem  l'rogr.  des  Wettiner 
Gymnasiums  zu  Dresden.   Leipzig,  Gustav  Fock,  1890.    I,  HO  S.  4.    M.  1. 

The  American  Journal  of  Philology  edited  by  Basil  L.  (tilder- 
sleeve,  Professor  of  (4reek  in  the  Johns  Hopkins  University.  Vol.  X,  I. 
Baltimore  1889.    V  und  S.  P.97— 558. 

A   Waif  of  the   Plaius   bv    Bret   Harte.     Leipzig,  Tauchiiilz,    ISüd 


478  Verzeichnis  vou  Büchern  und  Zeitschriften. 

Textile  Fabrics  of  Ancient  Peru  bv  William  H.  Holmes.  Washington, 
Government  Printing  Office,  1889.     17  S.  8. 

Vier  mitteleuglische  geistliche  Gedichte  aus  dem  KJ.  Jahj-hundert. 
Berliner  Dissertation  vom  18.  Januar  1890  von  Martin  Jacobv.  Berlin, 
Mayer  &  Müller.     48  S.  8. 

Piain  Tales  from  the  Hills.  By  Rudyard  Kipling.  Leipzig,  Tauch- 
nitz,  1890  (Coli,  of  British  Authors,  Vol.'2649).     -.',12  H.  kl.  8.     M.  l,(i(>. 

Realien  zur  Macaulay-Lektüre.  Vou  H.  Klinghardt.  jVIit  zwei  an- 
gehüngteu  Tafelu  (Abhandlung  zum  Jahresberichte  der  König- Wilhelms- 
Bchule  zu  Reichenbach  in  Schlesien,  Ostern  189(ij.  l}?,  S.  (abgesehen  von 
den  Tafeln)  4. 

Lateinisch-romanisches  Wörterbuch.  Von  Gustav  Körting.  2.  Lie- 
ferung.    Paderborn,  Ferdinand  Schöningh,  1890.     Bp.  129 — 250.  4.     M.  2. 

Die  Grammatik  Malherbes  nach  dem  'Commentaire  sur  Desportes'. 
Vom  Realgymnasial-Oberlehrer  P.  Kreutzberg.  Wissenschaftl.  Beilage 
zum  Jahresbericht  des  Realgymn.  zu  Neifse,  Ostern  1890.    32  S.  8. 

Histoire  de  Napoleon  et  de  la  Grande  Armee  pendant  l'Aunee  1812 
par  le  General  Comte  de  S6gur.  Unter  Mitwirkung  von  Dr.  Bernhard 
Hchmitz,  weil.  Prof.  d.  u.  Sprachen  an  der  Univ.  Greifswald,  erklärt  von 
Dr.  H.  Lambeck,  Prof.  am  Herzogl.  Ludwigs-Gymn.  in  Köthen.  1.  Band. 
Mit  einer  Karte  von  H.  Kiepert.  2.  verbesserte  Auflage.  Berlin,  Weid- 
mannsche  Buchh.,  1890.    VI,  178  S.  8.     M.  1. 

The  Dante  Collections  in  the  Harvard  College  and  Boston  Public 
Libraries.  By  William  Coolidge  Lane,  Assistant  Librariau.  Cambridge, 
Mass.:  issued  by  the  Library  of  Harvard  University,  1890  (Library  of 
Harvard  University.  Bibliographical  Contributions.  Edited  by  Justin 
Winsor,  Librarian.     No.  34).     116  S.  gr.  8. 

Italienische  Sprechschule.  Ein  HiLfsbuch  zur  Einführung  in  die  ita- 
lienische Konversation.  Für  den  Schul-  und  Privatgebrauch  herausgeg. 
von  Johann  Lardelli,  Prof.  der  ital.  Spr.  an  der  Kantonsschule  in  Chur. 
Zürich,  Fr.  Schulthefs,  1890.    III,  210  S.  8.    M.  2,40. 

Sonnenaufgang!  Die  Zukunftsbahnen  der  Neuen  Dichtung.  Von 
Alexander  Lauenstein  und  Kurt  Grotte witz.  Inhalt:  Was  kann  das 
deutsche  Volk  von  seinen  Dichtern  verlangen  ?  Von  A.  L.  —  Die  Weiter- 
entwickelung der  Sprache.  Von  K.  G.  —  Litterarisches  Maskenfest.  Von 
K.  G.    Leipzig,  Carl  Reifsner,  1890.     77  S.  4. 

Die  Sprache  des  Rituals  von  Durham,  ein  Beitrag  zur  altengUscheji 
Grammatik  von  Uno  Lindelöf.  Helsingfors,  Druck  a'ou  J.  C.  Frenckell 
u.  Sohn,  1890  (Doktordissertation  mit  Genehmigung  der  philos.  Fakultät 
der  Kaiserl.  Alexander-Universität  zu  Helsingfors  am  9.  April  1890  öffent- 
lich verteidigt).    Titel,  VI  u.  120  S.  8. 

fe  desputisoun  bitwen  J)e  bodi  and  {)e  soule.  Herausgeg.  von  Wil- 
helm Linow.  Nebst  der  ältesten  altfranzösischen  Bearbeitung  des  Streites 
zwischen  Leib  und  Seele.  Herausgegeben  von  Hermann  Varnhagen. 
Erlangen  u.  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlagsbuchh.  Nachf.  (Georg  Böhme), 
1889  (Erlanger  Beiträge  zur  englischen  Philologie.  Herausgeg.  von  Her- 
mann Varnhagen.  L  Heft).  VII,  209  S.  (aulserdem  Titelblatt  und  In- 
haltsangabe für  den  Heft  I— V  umfassenden  I.  Band)  8.    M.  8,60. 

Under  Salisbury  Spire  in  the  Days  of  George  Herbert,  the  Recollections 
of  Magdalene  Wydville.  By  Emma  Marshall.  Leipzig,  Tauchnitz,  1890 
(Collection  of  British  Authors,  Vol.  2040).    819  S.  kl.  8.    M.  1,00. 

Gottfried  Ebeners  französisches  Lesebuch.  Neu  bearbeitet  von  Adolf 
Meyer,  Dr.  phil.,  Dir.  der  Höh.  Töchterschule  I  und  des  Lehrerinnen- 
Seminars  u.  s.  w.  zu  Hannover.  Dritte  Stufe.  Neunte,  der  neuen  Be- 
arbeitung zweite  Auflage.  Hannover,  Carl  Mever  (Gustav  Prior),  1890. 
XI,  838  S.  8.    M.  3. 

A  Simplified  System  of  English  Stenography  ou  the  Principles  of 
W.  Stolze  bv   G.  Michaelis.    WMth   8  Autugraphic  Plates.    8J  Edition, 


Verzeichnis  von  Büchern  und  Zeitschriften.  479 

revised  and  improved.  Berlin,  Ernst  Siegfried  Mittler  &  Son,  1800.  H2  u. 
VIII  S.  gr.  8.    M.  1. 

Handbuch  für  den  deutschen  Sprachunterricht  in  den  oberen  Klassen 
höherer  Lehranstalten.  Von  Dr.  Georg  Müll  er- Frauen  stein.  II.  Teil. 
Zur  Vers-,  Stil-  und  Di.spositiouslehre.  Hannover,  O.  Goedel,  1890.  IV 
u.  180  S.  8. 

Grammatik  der  englischen  Sprache  nebst  Aufsatzübungen  und  deut- 
schen Übungsstücken.  Von  Dr.  E.  Nader,  Prof.  a.  d.  Koramuual-Ober- 
realschule  im  I.  Bezirke,  und  Dr.  A.  Würzuer,  Prof.  a.  d.  k.  k.  Staats- 
Oberrealschule  im  III.  Bezirke  in  Wien.  Wien,  Alfred  Holder,  1890 
(Lehrbuch  der  engl.  Sprache  von  Dr.  E.  Nader  und  Dr.  A.  Würzner 
IL  Teil).    XII,  200  S.  8.     1  fl.  15  kr. 

The  Language  of  the  Eushworth  Gloss  to  the  Gospel  of  St.  Matthew. 
Part  I:  Vowels.  Von  Dr.  Georg  Otten,  Gvmnasiallehrer  in  Nordhausen. 
Leipzig,  Gustav  Fock,  1890.     I  u.  24  S.  -1. '  M.  1. 

Svrlin  bv  Ouida.  In  3  Vols.  Leipzig,  Tauchuitz,  1890  (Coli,  of  Brit. 
Authors,  Vols.  2042—2644).     29.i,  287  und  271  S.  kl.  8.     M.  4,80. 

La  Litterature  francaise  au  moyen  Age  (XI*^  XIV^  Siecle)  par  Gaston 
Paris,  Membre  de  l'Institut.  Deuxieme  edition  revue,  corrigee,  aug- 
mentöe  et  accompagn^e  d'un  tableau  chronologique.  Paris,  Hachette  et 
C^S  1890.     XII,  816  S.  8. 

Über  englische  Zustände  im  18.  Jahrhundert  nach  den  Romanen  von 
Fielding  und  SmoUett.  Von  Johannes  Peronne  (Leipziger  Dissertation). 
Berlin,  Druck  von  W.  u.  S.  Loewenthal,  1890.     52  S.  8. 

A  Daughter's  Sacrifice.  A  Novel.  By  F.  C.  Philips  and  Percy 
Fendall.  Leipzig,  Tauchnitz,  1890  (Collection  of  British  Authors,  VoJ. 
2646).     279  S.  kl.  8.     M.  1,60. 

Bibliographv  of  the  Iroquoian  Languages  bv  James  Constantine  Pil- 
lin ^    Washington,  Government  Printing  Office,  1888.     VI,  208  S.  8. 

Bibliographv  of  the  Muskhogeau  Languages  by  James  Constantine 
Pilling.     Washington,   Government  Printing  Office,   1889.     V,  114  S.  S. 

Eaccolta  di  proverbi  e  modi  di  dire  tedeschi  e  italiani  del  Prof. 
F.  Pirrone  Giancontieri.     Palermo,  Carlo  Clauseu,  1890.    116  S.  8. 

English  Vocabulary.  Methodische  Anleitung  zum  Englischsprechen 
mit  durchgehender  Bezeichnung  der  Aussprache  von  Dr.  Gustav  Pla^tz. 
Dritte  vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  Berlin,  F.  A.  Herbig,  1S9(). 
VIII,  .",12  S.  8.    M.  2,25. 

PI cetz -Kares.  Kurzer  Lehrgang  der  französischen  i^prache.  Übungs- 
buch verfafst  von  Dr.  Gustav  PI  cetz.  Heft  III  (Syntax  des  Artikels, 
des  Adjektivs  und  des  Adverbs.  Die  Fürwörter).  Berlin,  F.  A.  Herbisj, 
1890.  _  IV,  79  S.  8.     M.  0,80. 

Fifth  Annual  Report  of  the  Bureau  of  Ethnologv  to  the  Secretary 
of  the  Smithsonian  Institution  (188.S— '81)  bv  J.  W^Powell,  Director. 
Washington  1887.    LIII,  564  S.  Lex.-8. 

Sixth  Annual  Report  of  the  Bureau  of  Ethnologv  to  the  Secretarv 
of  the  Smithsonian  Institution  (18H4— '8.'))  bv  J.  W.  Powell,  Director. 
Washington  1888.     LVIII,  675  S.  Lex.-8. 

Johann  Elias  Schlegel  als  Trauerspieldichter  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung seines  Verhältnisses  zu  Gottsched.  Von  Dr.  Johannes  Rentsch. 
Leipzig,  Paul  Beyer,  1890. 

Revue  des  Langues  romanes,  Octobre,  Novembre,  Ddcembre  1889 
[L.-E.  Pelissier,  Lettres  inedit^'s  de  dom  Claiido  de  Vic  A  fr.  Ant.  Marnu. 
Ch.  Revillout,  Voltaire  et  le  duc  de  Richelieu.  E.-Daniol  Graml,  Cuurs 
de  paleographie.  Leyou  d'ouverture.  C.  Chabaneau,  La  Prise  de  Jeru- 
salem (fin).  M.  Wilmotte,  Publications  folk-lori([Ucs  de  la  Socictc  lit^geoise 
de  litt,  wallonue.     Chronique]. 

Der  historisch-mythologisclio  Hintergrund  unil  das  System  der  Sage 
im  Cvklus  des  Guillaume  d'Orunge  untl  in  dcu  mit  ihm  verwandten  Saeeu- 


480  Verzeiclinis  vou  JÜichorii  und  /citschrifteD. 

kreiseu,  vom  Realgymnasiallehrer  Hugo  Saltzmaiiu  (Beilage /um  Jabros- 

bericlit  dos  städt.  Realprogymu.  7ai  Pillau,  Ostern   lH9i)).     :;0  S.  4. 

Neues  spanisches  Lesebuch  mit  Anmerkungen  herausgeg.  von  Carl 
Marquard  Sauer,  k.  k.  Regierungsrat  u.  s.  \v.,  und  Wilh.  Ad.  Röhr  ich, 
Lehrer  d.  spau.  Spr.  a.  d.  Höh.  Handelsschule  in  Stuttgart  u.  s.  \v.  Zweite 
Ausgabe  mit  Wörterbuch.  Heidelberg,  .1.  Groos,  ISlid.  YIII,'2!>2,  <S1  S.  x. 
Elemeutarbuch  der  englischen  Sprache  zum  Schul-  und  Rrivatuiiter- 
richt  vou  Dr.  Immanuel  Schmidt,  Prof.  a.  d.  Kgl.  Haupt-Kadetteuaustalt 
zu  Lichterfelde.  10.  veränderte  Auflage.  Berlin,  Haude-  u.  Speueröche 
Buchh.  (F.  Weidliug),  1890.    VIII,  335  S.  8.    Geb.  M.  2. 

Führer  durch  die  französische  und  englische  Schiülektüre.  Zusammen- 
gestellt von  einem  Schulmann.  Wolfenbüttel,  Zwii'sler,  1890.  G3S.  kl.8. 
Echo  of  the  Spoken  English.  First  Part:  Childreu's  Talk  by 
R.  Shindler,  M.  A.,  London.  Leipzig,  Rud.  Giegler,  1890.  I  u.  48  S. 
Kart.  M.  0,70  [Textabdruck  aus  dem  S.  3G7  verzeichneten  'Echo  der  engl. 
Umgangssprache  I']. 

Sprachsünden.  Eine  Blütenlese  aus  der  modernen  deutschen  Erzäh- 
luugslitteratur  von  Theodor  von  Sosnosky.  Breslau,  Eduard  Trewendt, 
1890.     III,  70  S.  8. 

Das  Archiv.  Bibliographische  Wochenschrift.  Herausgegeben  .von 
Julius  Steinschneider.  III.  Jahrg.  Nr.  13—18  [R.  Fr.  Kaindl,  Über 
ein  Beschwörungsbuch.  Gröpler,  Büchereien  mittelbarer  Fürsten  und 
Grafen  Deutschlands  und  Österreichs]. 

The  Problem  of  the  Ohio  Mounds  by  Cyrus  Thomas.  Washington, 
Government  Printing  Office,  1889.     54  S.  8. 

The  Circular,  Square,  and  Octogonal  Earthworks  of  Ohio  by  Cyrus 

Thomas.     Washington,   Government  Printing  Office,   1889.     V,  35  S.   8. 

Racine  und  Hellodor.    Programm  der  Kgl.  Studienanstalt  Zweibrückeu 

zum   Schlufs    des  Studienjahres   1888/89    verfafst  von  Aloys  Tücher t, 

K.  Studienlehrer,    51  S.  8. 

Ouvrages  de  Philologie  romane  et  Textes  d'ancien  Francais  faisant 
partie  de  la  bibliotheque  de  M.  Carl  Wahl  und  ä  Upsal.  Liste  dressee 
d'apres  le  Manuel  de  litterature  franyaise  au  moyen-äge  de  M.  Gastou 
Paris.  Avec  quatre  appendices  et  deux  tables  alphabetiques.  Upsal, 
Imprimerie  de  l'Universite,  Mai  1889.  XXII,  244  S.  8  ['Tire  a  ceut  ciu- 
quante  exemplaires,  et  non  mis  dans  le  commerce']. 

Französische  Grammatik  für  Mädchen.  Teil  I.  Mittelstufe.  Teil  IL 
Oberstufe.  Von  M.  Weils.  Paderborn,  Ferd.  Schöningh,  1890.  VIII, 
144  und  VIII,  244  S.  8. 

Französisches  Übungsbuch  für  Mädchen.  ..Teil  I  enthaltend:  Ge- 
mischte Übungen,  Übungen  zur  Vorschule  und  Übungen  zur  franz.  Gram- 
matik Teil  I.  Teil  IL  Zum  Gebrauch  für  Lehrer  und  Erzieher  sowie  fürs 
Haus.  Enthaltend:  Französische  und  deutsche  Sätze,  wie  auch  zusam- 
menhängende Stücke  in  beiden  Sprachen  als  Diktatstoft'.  Von  M.  Weil's. 
Paderborn,  Ferd.  Schöningh,  1890.     IV,  80  und  III,  80  S.  8. 

Inhaltsangabe  von  Torquato  Tassos  Befreitem  Jerusalem  von  dem 
Direktor  Dr.  Wilhelm  Wittich  (Beilage  zum  Jahresbericht  des  Real- 
gymnasiums zu  Kassel  für  1889/90).     Leipzig,  Gustav  Fock,  1890. 

Revue  de  l'Euseignement  des  Langues  Vivantes.  Directeur:  A.  Wol- 
fromm,  Professeur  au  Lycee  Louis-le-Grand.  7f  annee.  Avril  1890. 
No.  2.  S.  49—96  [J.  Mothere,  Rapport  sur  l'Agregation  d'Anglais  en  1889. 
E.  Debiay,  Etüde  sur  les  Verbes  forts  et  les  Verbes  irr^guliers  (suite  et 
fin).  A.  Biard,  Manfred  traduit  en  vers  fraugais.  —  Concours  de  1890, 
Avis.,  —  Revue  des  Cours  et  Conferences,  etc.]. 


PB  Archiiv  für  das  Studium 

3  der  neueren  Sprachen 

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