Archiv
für
Geschichte der Philosophie.
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für
Geschichte der Philosophie
in Gemeinschaft mit
Hermann Diels, "Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann
und Eduard Zeller
herausgegeben
von
Ludwig Stein.
Band VII.
Berlin.
Druck und Verlag von Georg Reimer.
1894.
J3
ßcL-7
I n h a 1 1.
Seite
I. Gedankengang von Piatons Phaedon. Von Gustav Glogau 1
IL Die Autonomie des Denkens, der konstruktive Rationalismus
und der pantheistische Monismus nach ihrem Zusammenhang
im siebzehnten Jahrhundert. Von Willi eint Dilthey . . . 28
III. Zur orphischen Kosmologie. Von Ferdinand Dümmler . 147
IV. Ueber Demokrits Dämonenglauben. Von H. Di eis . . . . 154
V. Patristische Herakleitos-Spuren. Von Johannes Dräseke . 158
VI. Die Kontinuität im philosophischen Entwicklungsgange Kants.
Von Harald Höffding 173
VII. La philosophie de l'action au Ve siecle av. J. Ch. par A. Es-
pinas 193
VIII. Sur la Composition de la Physique d'Aristote par Paul Tan-
ne ry --'
IX. Der Einfluss Demokrifs auf Galilei. Von Löwenheim . . 230
X. Giordano Bruno und Spinoza. Von Wilhelm Dilthey . . 269
XI. Ammonius Sakkas und Plotinus. Von E. Zeller 295
XII. Aus dem Leben des Cynikers Diogenes. Von Hermann
Diels 313
XIII. Aus der Zeit der Spinoza-Studien Goethe's. Von Wilhelm
Dilthey 317
XIV. Zur Methode der Geschichte der Philosophie mit spezieller
Rücksicht auf die Metaphysik des Cartesius. Von Benno
Erdmann 342
XV. Das erste Auftreten der griechischen Philosophie unter den
Arabern. Von LudwigStein 350
XVI. Bibliographische Bemerkungen. Von J. P. N. Land. . . . 362
XVII. Die Kontinuität im philosophischen Entwicklungsgänge Kants.
Von Harald Höffding 376
VI Inhalt.
Seite
Will. Die Kontinuität im philosophischen Entwicklungsgange Kants.
Von Harald Höffding 449
XIX. Neuere Philosophie der Geschichte: Hegel, Marx, Cornte. Von
F. Tönnies 486
XX. Zu Descartes' Briefen. Von Johannes Kretzschmar . . 51(>
Jahresbericht
über
sämmtliche Erscheinungen auf dem Gebiete der Geschichte
der Philosophie.
I. Die deutsche Litteratur über die sokratische, platonische und
aristotelische Philosophie. 1892. Von E. Zell er 95
II. La Storia della filosofia moderna in Italia. 1888 — 91. Per
Feiice Tocco 113
III. Jahresbericht über die Kirchenväter und ihr Verhältnis zur
Philosophie. 1889—1892. Von Paul Wendland .... 287
IV. Jahresbericht über die Kirchenväter und ihr Verhältnis zur
Philosophie. 1889—1892. Von Paul Wendland .... 405
V. Bericht über die neuere Philosophie bis auf Kant für die Jahre
1890 his 1893. Herausgegeben von Wilh. Windelband.
I. Descartes und Schule. Bericht von Benno Erd mann . 521
VI. Comptes-rendus d'ouvrages sur rhistoire de la philosophie
publies en francais pendant les annees 1892 et 1893. Par
Paul Tannery 535
VII. Gli Studi sulla Storia della Filosofia antica in Italia, 1890—
1891. Per Alessandro Chiappelli 552
Neueste Erscheinungen auf dem Gebiete der Geschichte der Philo-
sophie 293. 447. 568
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für
Geschichte der Philosophie.
VII. Band 1. Heft.
I.
Gedankengang' von Platons Pliacdon.
Voll
Gustav Glogau in Kiel.
Einleitung.
Irre ich nicht, so wird das geistige Leben der Zukunft, das
sich aus dem langen Ringen der besten europäischen Dichter,
Denker und Forscher entbindet, wesentlich durch eine vertiefte
Anschauung der Geschichte bedingt sein. Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft gewinnen ein sehr verändertes Aussehen, sobald
die Einheit des menschlichen Geistes innerhalb der Mannigfaltigkeit
seiner Schöpfungen ernstlich erfasst ist. Diese erscheinen dann als
die charakteristischen Stufen und Richtungen — und freilich weiter
auch als Abartungen und hoffnungslose Verquickungen — der
einen in innerer Notwendigkeit sich auswirkenden Gedankenwelt.
Damit aber tritt die Gegenwart aus der Vereinsamung heraus, in
welcher sie sich zu ihrem Vortheile und gelegentlich wohl auch zu
ihrem Nachtheile weit von der Vergangenheit getrennt wähnt.
Die Vergangenheit erhält vielmehr ein ewiges, unverlierbares
Recht, sich in aller Folgezeit noch als ein anregender, ja in hohem
Maasse schöpferischer Faktor geltend zu machen. Andererseits
aber wird phantastischen Reformatoren, die in Politik, Kunst,
Arohiv f. Geschichte d. Philosophie. VII. 1
2 Gustav Gl ogau,
Wissenschaft, Religion, auf von ihnen zum ersten Male gefundenen
Grundlagen plötzlich ein neues Reich der Zukunft errichten wollen,
der Boden unter den Füssen entzogen — sie worden in ihrer ge-
haltlosen Leere und nichtigen Eitelkeit sofort erkennbar.
Eine wahrhafte Anschauung der Geschichte beseelt und läutert
den geistigen Besitz des spätgeborenen Enkels. Erlöst von dem
Drucke einer interessanten Vielwisserei, deren Werth zu einem guten
Theile in dem schwierigen Zugange und der Mühe des Erwerbes be-
schlossen liegt, gleicht ihm der Reiz, geschichtliche Zusammenhänge
aufzudecken, nicht mehr etwa dem Reize des Schachspiels, dessen
verschlungene Züge als solche für uns doch sinnlos und ohne Bedeu-
tung sind. Indem er mit Ehrfurcht an den Gegenstand herantritt,
sucht er vielmehr in den längst entschwundenen Anschauungsfor-
men und Redeweisen nicht nur ein besonderes antiquarisches oder
Sprach-Problem, sondern zugleich den ringenden Geist der Mensch-
heit selbst, der auch in uns spricht. Das Verständniss dieses
Ursprünglichen und relativ Einfachen aber, das für alle späteren
Zeiten die Grundlage, ja oft die massgebende Richtschnur für die
weitere vielseitigere und umfassendere Ausgestaltung bedeutet, er-
fordert nun ein erhöhtes Selbstvertrauen zu der eigenen einge-
borenen Kraft. Um für die politischen, religiösen, erkenntnisstheo-
retischen Thatsachen der Geschichte den ursprünglichen Lebenspunkt
zurückzugewinnen, von dem her diese erstarrten Gebilde ihren
Sinn und ihre partikulare Berechtigung uns wieder erschliessen,
muss man. von allem Conventionellen sich lösend, in die dunkeln
Regungen des eigenen allgemeinen menschlichen Bewusstseins zu-
rückgehen und dieses rückhaltlos den in der Erfahrung gegebenen
Sondergestaltungen hingeben. Dann baut sich in und über dem
endlichen Individuum des Forschers ein neuer Mensch in ihm auf.
Jedes neue Gebiet, jedes neue Volk, das wir wahrhaft nachschaffen,
nimmt Binden von dem durch den Zeitgeist befangenen geistigen
Auge weg, und der persönliche Lebensprocess vertieft und erweitert
sich so zum Ganzen der Menschheit, in welchem sich alle Zeiten
gegenseitig einander verbürgt zeigen. Diese eigentliche Höhe der
Wissenschaft aber hält nicht nur die Ungeweihtcn von ihr ferne;
sie steigert auch die Anforderungen an die Gelehrsamkeit, die
Gedankengang von Piatons Phaedon. 3
wissenschaftliche Spürkraft und die peinlichste Akribie. Es is1 ein
veraltetes, für den todten Alexandrinismus aber freilich bequemes
Vorurtheil, dass eine philosophische Durchdringung des Gegenstandes
denselben ins Unbestimmte verblassen müsse. —
In dieser Zeitschrift, welche der Sammlung und Bearbeitung
des Materiales der Philosophie gewidmet ist, habe ich nun nicht
mehr zu zeigen, auf welchem Wege die Schätze, welche Kritik und
Archäologie in dem letzten Jahrhundert über alle Völker und
Zeiten des Orients und Occidents an das Licht gebracht haben,
zu einem inneren Besitzthume zumachen sind; noch mich gar des
modernen anthropologischen und ökonomischen Vorurtheils zu er-
wehren. Ich will vielmehr hier nur eine schlichte Vorarbeit für eine
längst von mir übernommene ähnliche Aufgabe (vgl. Abriss der
philos. Grundwissensch. I, S. 1(>) veröffentlichen, welche der Titel
dieses Aufsatzes angiebt. Wir alle wissen, was die griechische Kunst
der modernen Culturentwiekelung bedeutet. In Plato aber sehe
ich den Knoten sich schürzen, durch welchen die Philosophie des
Occidents ein für alle mal von dem eigenartigen Geistesleben des
' Mients sich abgeschnürt hat, das ahnend die letzten Tiefen schon
ausspricht. So ist er mir auch für die Gegenwart von lebendigem
unmittelbarem Interesse. Um aber in Ursprung und Sinn der
Ideenlehre wirklich einzudringen, hat man zuerst die einzelnen
Dialoge sorgfältig zu erfassen. Auch diese aber darf man nicht
eher auf ihre Echtheit, Zeitfolge u. s. w. hin prüfen wollen, als man
sich des genauen Gedankengehaltes derselben bemächtigt hat. Aus
Gründen, die sich später von selbst ergeben werden, wähle ich nun
zunächst den Phaedon und den Timaeus für eine solche Analyse.
Diese beiden Dialoge werden uns inhaltlich und methodisch einen
ersten sicheren Anhalt gewähren, um nach ihnen das corpus Pla-
tonicum sachlich zu beurtheilen. Nur unmassgeblich bemerke ich
noch, dass ich, je tiefer ich in Plato eindrang, um so conservativer in
der Platonischen Frage geblieben oder geworden bin. — Für heute
also haben wir es lediglich mit dem Gedankengange des Phaedon
zu thun, an welchen ich einige Erläuterungen und Ausblicke an-
schliesse. — —
1
4 Gustav Glogau,
Der Gedankengang des Phaedon.
Wie fast alle Dialoge Piatons an ein wichtiges Ereigniss des
äusseren und inneren Lebens angeknüpft sind, so handelt der Phae-
don — der Schwanengesang des Socrates p. 85 — aus Anlass der
Darstellung von Socrates' Tode über Tod und ewiges Leben. Er
entwickelt eine Auffassung des Lebens überhaupt und damit einen
Umriss der gesarnmten Socratisch-Platonischen Philosophie. Die
folgende Skizze dieses Dialoges sieht von dessen stilistischem Zauber,
den scherzenden Antithesen wie p. 64 b— 65 a und von der Ver-
theilung der einzelnen Aeusserungen des wiedererzählten Gespräches
au die betheiligten Personen ab, um allein die Gliederung des
Ganzen scharf herauszuheben. —
A. Einleitung, p. 57— 61e.
I. Einführung. Echekrates fragt Phaedon, der in Phlius bei
ihm weilt, nach den letzten Worten und Thaten des Socrates
(p. 58 c), bei dessen Tode dieser zugegen gewesen zu sein bekennt.
Das ihm und seinen Freunden (vgl. p. 57 b, 58 d, 102 a) nun wie-
dererzählte Gespräch scheint so dem Echekrates gewidmet. Zu-
gleich aber bieten die Fragen eines Fremden die objektive Veran-
lassung dar, auch die (in Athen wohl allgemein bekanuteu)
Vorgänge von der Verurtheilung des Socrates an bis zu seinem
Todestage zu berichten. Phaedon also erzählt zuerst die Ursache
der Verzögerung der Hinrichtung; dann die gehobene Haltung des
Socrates an seinem Todestage und die gemischte Stimmung der
anwesenden Freunde, mit denen er die folgenden Gespräche führt
und welche ziemlich vollständig aufgezählt werden; endlich die
früheren Besuche derselben und die Ereignisse am Vorabend des
Todes und am letzten Morgen. Die damals mit ihrem jüngsten
Kinde im Gefängnisse anwesende jammernde Xantippe wird gleich
entfernt, p. 57 — 60 b.
IL Vorgespräche, a) Das angenehme Gefühl, welches So-
crates nach Lösung der Fesseln durch die Elfmänner empfindet,
lässt ihn den sonderbaren Zusammenhang von Lust und Schmerz
erörtern; Aesop würde daraus eine Fabel gemacht haben, b) Dies
Gedankengang von Piatons Phaedon. 5
Wort erinnert Kebes an dos Dichters Euenos Frage, wie es komme,
dass Socratcs sich jetzt zuerst im Gefängnisse mit der Dichtkunsl
befasse. Socratcs erwidert, er habe einem häufigen Traumbefehl,
Musik zu machen, dem er bisher durch die Philosophie zu ent-
sprechen gemeint habe ibc cpiXoco<pta; ouctjs us-,^-/]; [lOüQitxrjs, in
seiner jetzigen Müsse auch im wörtlichen Sinn zu seiner Sicherheit
nach Kräften geniigen wollen. Euenos möge ihm recht bald in das
Jenseits folgen, wenn er ein Philosoph sei; nicht jedoch auf dem
Wege des Selbstmordes, p. 60 b — Gld.
III. Uebergang zum Hauptgespräch. Der Widerspruch,
dass ein wahrer Philosoph sich zwar keineswegs seihst entleiben,
doch aber einem Sterbenden solle bald folgen wollen, fordert eine
Aufklärung und veranlasst Socratcs zur Erörterung des Wesens des
Todes, die sich für seine Lage besonders schickt, p. Gld — öle.
B. Das Hauptgespräch, p. 61e — 115a.
I. Die Erledigung des erhobenen Widerspruches be-
reitet das Hauptgespräch vor p. 61 e — 64a.
a) Nach der Goheimlehre sind die Menschen auf einer Wache,
der sie nicht selbst sich entziehen dürfen. Sie gehören den
Göttern und müssen deren Befehl abwarten, p. 61 e— 62c.
b) Obwohl die Götter für die Menschen bienieden als die
besten Herren sorgen, stirbt der Philosoph doch gerne, weil er
nach dem Tode zu den abgeschiedenen weiseren Menschen zu
kommen hofft, sicherlich aber zu sehr guten Göttern und in einen
seeligeren Zustand. Der nähere Erweis dieser kühnen Hoffnung
soll Socrates' Abschiedsgabe an seine Freunde sein, eine Apologie
dafür, dass er sie und seine guten Herren, die Götter, gerne ver-
lasse, p. 62c — 63 d.
c) Die Warnung des Dieners (6 [jiXXcuv uot owasiv xo cpapjjLaxov),
sich nicht zu erhitzen, weist Socratcs zurück und formulirt heiter
das Thema für diese seine zweite Verteidigungsrede, p. 63d — 64a.
II. Erster, ethischer Thcil, Socrates' Apologie: Die
sittliche Gesinnung setzt den Unsterblichkeitsglaubcn
voraus, p. 64a — 69 e.
a) Der wahre Philosoph strebt nach nichts anderem, als nach
G Gustav Glogau,
dem Tode (etTroOviqöxeiv -t xott isüvavat), denn er verlangt nach
möglichster Lösung der Seele von der Gemeinschaft mit dem Leibe,
welcher dem Streben nach eiteler Siuneulust unterliegt, p. 64a
bis 65 a.
b) Der Körper hindert die Gewinnung der Wahrheit, welche
rein nicht mit den Sinnen, sondern nur im Denken erfasst wird,
das eben der Leib und die Sinnlichkeit hemmt und verdunkelt.
Vorandeutung der Ideenlehre, p. 65a — 66 b.
c) Daher stellen die Reden der wahrhaften Philosophen zu
einander die Loslösung uud Reinigung von der Sinnlichkeit als den
einzigen Pfad zur Wahrheit hin. p. 66 b — 67 b.
d) Sie können folglich die völlige Loslösimg aus den Fesseln
des Leibes und d. h. die Erfüllung ihrer langen Bemühungen,
welche der Tod bringt, nicht fürchten. Wenn irgendwo, so kann
die Seele, vom Leibe gelöst uud in sich selbst gesammelt, im
Hades die reine Wahrheit erhoffen, p. 67 b — 68b.
e) Wer dagegen den Tod fürchtet, der war nicht ein Weis-
heits- sondern ein Körperfreund. Er erträgt Uebel nur aus Be-
sorgniss vor grösseren, ist also „tapfer" aus „Furcht"; „enthaltsam"
aus „Unenthaltsamkeit" — weil er nämlich durch Feigheit und
Unmässigkeit im gegebenen Falle einer grösseren Lust verlustig zu
gehen fürchtet. Ein solcher Tausch aber von Lust gegen Lust
oder Furcht gegen Furcht ist in Rücksicht der Tugend nicht der
wahre, weil die Tugend die sinnlichen Güter nur für die wahren
eintauscht und vertauscht, nämlich für die Erhöhung der Weisheit.
Es ist vielmehr deren Gegensatz, eine blosse axio^pacpia. p. 68b
bis 69c.
f) Dies deuten auch die Weihen an. Die wahrhaft Geweihten
aber sind die Philosophen. Schluss der hoffentlich überzeugenden
Apologie p. 69c — 69e.
III. Zweiter, metaphysischer Theil, Ideenlehre: Der
voll-giltige Erweis der in dieser Apologie dargelegten Zu-
versicht auf ein Weiterleben der vom Leibe gelösten
Seele bedarf als Grundlage der Ideeulehre. p. 69e — 107b.
1. Erkenutnisstheoretischer Nachweis der Ideen als
der immanenten Erkenntnisskräfte des Geistes, die jedoch
Gedankengang von Piatons Phaedon.
'6
zu bewusster Wirksamkeil ersi gelegentlich der sinn-
lichen Erfahrung kommen (\tr\ ocMoöev otöto Evvevo>)xsvcH prfik
Suvaxov sTvott IvvoTjaai dXX5 rj Ix tou tösiv r( atyao&at rt ex ttvos a/././r-
T(ov otfoft^aeuiv p. 75a). p. 69c — 77b.
a) Gegen diese Apologie wendel Kebes ein, sie lasse aoeh zu
erweisen a) dass die Seele nach der Trennung vom Leihe über-
baupl weiter existirt und nichl etwa sieh auflöst; ß) dass sie alsdann
auch Kraft und Erkenntniss besitze, p. 69e — 70c.
b) (a) Nach den Mythen, welche das Wahrscheinliche erfassen
(öiauuiK/.'v/oyiv z'{-z e?xös outo)? I)(eiv eits ;xr] p. 70b; rcaXaiös ////-;
p. 70c), gehen die Seelen von der Erde in den Hades und kom-
men aus dem Totenreiche hierher zurück: sie müssen also dort
sein. — Indessen nicht blos die menschliche Seele, sondern alles
Werdende (oaaireo zyz>. y^vsöiv) entsteht nirgend anders woher als
aus seinem Gegensätze und vergeht wieder in denselben: das
Grössere wird aus dem Kleineren, das Stärkere aus dem Schwäche-
ren, das Schnellere aus dem Langsameren, das Bessere aus dem
Schlechteren, das Gerechtere aus dem Ungerechteren u. u. Ebenso
entstehen die beiden Thätigkeiten, durch welche die entge^en-
-■•^etzten Zustände gewirkt werden: Zunehmen und Abnehmen,
Soudern und Miseheu u. s. w., je aus einander. Nun aber sind,
wie Wachen und Schlafen, auch Leben und Totseiu entgegenge-
setzte und daher wechselnd aus einander hervorgehende Zustände
und Thätigkeiten. eioiv apa ai tyoyal {jpuov iv A1800. dvcq-
y.y.W; ~y.; :mv Tsüvsiu-rur; 'l'r/y.: Eivai ttou, oöev oq 7caX.1v ^vss^ai. —
Indirect beweist dies auch die Unmöglichkeit des Gegentheils: ohne
einen solchen Kreislauf würde zuletzt alles in einem dauernden
Endzustande verharren müssen, p. 70c — 72e.
c) (J3) Socrates' Grundbehauptung ijtaib/jaic = ava(xv7jat5 setzt
ein vorher vorhandenes Wissen und damit nebenher auch die Exi-
stenz der Seele vor der Geburt voraus. Diese etuottjjit] Ivouöa wird
aber erwiesen einmal durch die Spontaneität des Erkcnnens (ocütoI
\ifooat iravta v, ^'/}'-)'- zweitens durch die Zergliederung *\cs ver-
wickelten Vorganges bei der Wiedererinnerung. Gelegentlieh der
durch Wahrnehmung gegebenen sinnlichen Vorstellungen werden
wir nämlich einer nicht gegebenen anderen wesentlich von diesen
8 Gustav Glogau,
verschiedenen Gesetzlichkeit inne (eav xi's tt r, üowv tj dxouaas ^ -iva
oXXtjv aia&rjöiv Xctßwv ^r; fiovov sxstvo 7va>, dXXa xal üsTspov . . .), auf
welche wir das Sinnliche, das ihr entsprechen will, beziehen (iravta
-A iv ataör^eatv ixsivoo xs ops-j'siai tou o scjtiv ujov xal olutoo evSeearcspa
iottv). Es hatte also die Seele srplv sTvoci iv avöpw-ou siost. Kraft
und eine ihr zugehörige (oixeiav) Erkenntniss rcspl a-av-wv 01;
s~ts<ppGqtCrV£^a "oSxo o ecreiv p. 72 e — 77 b.
d) Dass die vor der Geburt vorhandene Seele nun nicht etwa
im Tode vergeht, folgt einstweilen aus dem früheren Zugeständniss,
dass sie nur aus dem Totenreiche in das Leben hat treten können,
p. 77b— 77 d.
2. Die Verwandtschaft der Seele mit den einfachen
und eingestaltigen Ideen erweist ihre Unzerstörbarkeit.
Recapitulation des ersten Theils. p. 77 d — 84b.
a) Den uns dennoch natürlich anhaftenden Glauben an ihre
Zerstörbarkeit (ibtos svi tis xal Iv r^Xv toT?) widerlegt vor allem
die vertiefte Selbstbesinnung (C/jxetv j(p7j auxou? txet c/.XX-qXiov, osl
rt\iä: ocvspsaöai locuxouc). — Das Zusammengesetzte nun lässt sich
aullösen, nicht aber das Unzusammengesetzte ; was sich immer in
gleicher Weise verhält, scheint aber am ehesten (p-aXiaia sr/.o?) un-
zusammengesetzt. Die im Denken ergriffenen Formen des Seins
(«utö tö i'öov, auTo tö xctXov, auTo sxctaxov 8 eöti, to ov) sind nun
immer sich selbst gleich, ohne Wandel, einartig; das Viele dagegen,
welches die Sinne erfassen, das nach jenen benannt ist, ist in
stetem Wandel begriffen, p. 77 d — 79a.
b) Danach setzen wir zwei Gattungen des Seienden: das Sicht-
bare und das Unsichtbare; letzteres immer sich gleich bleibend,
ersteres aber nicht, Von uns selbst nun scheint dem letzteren die
Seele, dem ersteren der Leib verwandter. Daher eben geräth die
Seele, wie früher gezeigt ist, in Verwirrung und Schwindel, wenn
sie mit Hilfe des Leibes, d. h. der Sinne, erkennt. Stellt sie je-
doch, die Betrachtung allein für sich an, so erfasst sie die unver-
änderliche Wahrheit, der sie verwandt ist. In der Verbindung
aber von Seele und Leib herrscht naturgemäss die Seele als das
Göttliche und der Leib als das Sterbliche gehorcht, p. 79a — 80b.
c) Nach der Trennung beider käme folglich dem Leibe Zer-
Gedankengang von Piatons Phaedon. '.!
störbarkeit zu, der Seele dagegen schwerlich. Wenn nun selbsl
der Leib nach dem Tode noch geraume Zeit bestehen bleibt, wie
solltr die Seele im Hades sofort verfliegen?! [sl sie durch wahre
Philosophie wirklich vom Leibe gereinigt und in sich gesammelt,
so gehl sie vielmehr zu der ihr verwandten Gottheit, um fortan
seelig zu leben. Im entgegengesetzten Falle dagegen scheut sie
den Hades und schweift, durch ihren Umgang seihst leihartig
geworden, als sichtbarer Schatten um die Grabstätte, bis sie
durch die ihr noch anhängende Begierde endlich wieder in einer
derselben je entsprechenden Weise verkörpert wird : als Esel, Wolf,
Habicht, Geier; oder andrerseits als Biene, Wespe, Ameise, Mensch.
p. 80b -82 h.
d) Wer also für seine Seele sorgt, lässt den Leib mit seinen
Sorgen gänzlich fahren und denkt allein an die Reinigung und
Lösung der Seele aus der Fessel der Begierden, die sie in der tief-
sten Unwissenheit und Selbsttäuschung festhalten, an den Leib
festnageln und zu schlimmen Wiedergeburten bereiten. Die Philo-
sophie dagegen führt sie zur Selbstbejahung ihres unsichtbaren
Wesens (zi—s'jsiv fiijSsvl akkio 7././.' rt «uttjv au'qj) und damit zur
Gemeinschaft des Reinen, Einartigen, Göttlichen. Die wirklichen
Weisheitsfreunde heherrscht die Rücksicht auf das zukünftige Leben,
nicht wie die Menge der augenblickliche Vortheil (vcrgl. II, e). Da-
mit sind sie der Befreiung von den menschlichen Uebeln und des
ewigen Lebens gewiss, p. 82b — 84b.
3. Einwendungen, welche sich ausserhalb des Stand-
punktes der Ideenlehre erheben, werden theilweise wider-
legt, p. 84b — 95a.
A. Die Einwendungen, p. 84b — 88b.
a) Sokrates ermuntert die Anwesenden, uhne Rücksicht auf
seine gegenwärtige Lage die sich regenden Einwendungen auszu-
sprechen, und so eine genauere Darlegung zu veranlassen (auxa ?xa-
vw; o-E;'.EV7.t). Episode über den Schwanengesang. p. 84b — 85c.
h) Simias hält in der Speculation nur annähernde Wahrheit
für möglich, es sei denn, dass man göttlicher Offenbarung (Xo-you ftsioo)
theilhaftig würde. Socrate>' Ausführungen aber scheinen ihm zu
weit, da sie auch von der Harmonie gelten im Verhätnisse zu dem,
XO G ustav Glogau ,
woraus sie hervorgeht, nämlich zur Leier und deren Saiten: jene
ist unsichtbar, unkörperlich, herrlich, göttlich; diese sind körperlich,
zusammengesetzt, irdisch. Dennoch bleibt die Harmonie nach Zer-
störung der Leier nicht bestehen. Allen aber erscheine wohl die
Seele gewissermaassen als die Harmonie des richtig gemischten
Leibes und somit wäre sie vergänglich, p. 85c— 86 d.
c) Kebes scheint wohl das Dasein der Seele vor der Geburt,
nicht aber ihr Weiterbestehen nach dem Tode erwiesen (vcrgl.
III, 1 d). Sie mag stärker sein als der Leib und viele Leiber über-
dauern, ähnlich dem Weber, der viele Gewänder überdauert, die
er gewebt hat; endlich aber könnte sie dabei ihre Kraft verzehren
und wie dieser vor Verbrauch des letzten Gewandes zu Grunde
gehen. Dann aber bliebe uns stets die Furcht, dass dies im be-
vorstehenden Tode geschehen werde, p. 86 d — 88 b.
B. Der Eindruck dieser Einwendungen veranlasst
Sokrates zu der Warnung, den Glauben an die Vernunft
nicht einseitiger Erfahrung zu opfern, p. 88b — 91 e.
a) Wie auf die damals Anwesenden, so machen diese Ein-
wendungen auch jetzt auf Echekrates einen mächtigen Eindruck.
Wenn eine so überzeugende Darlegung sich als hinfällig erweist,
welchen Gründen darf man noch trauen?! p. 88b — 88e.
b) Sokrates erfasst diesen Eindruck ganz, ohne aus seiner
scherzenden Seelenruhe zu gerathen. Doch ermahnt er vor der
Erwiderung seine Freunde, sich durch erfahrene Enttäuschungen
niemals zum Vernunfthass verführen zu lassen, dem grossesten
Uebel. Wie Menschenhass aus dem vorschnellen Vertrauen der
Jugend entstehe, so der Vernunfthass. Nicht die Vernunft (xou?
Xo^ou?) — sich selbst und seine Unerfahrenheit, seinen Mangel an
Kunst müsse man anschuldigen, p. 88 e — 90 e.
c) Er erscheine indessen vielleicht jetzt selbst als ein un-
gebildeter Rechthaber, da ihn allerdings vorwiegend sein gegen-
wärtiges Interesse bestimme, der Wunsch, die Anwesenden zu
überzeugen, aber nur nebenher. Sie sollten sich also nicht be-
trügen lassen und bei ihrer Zustimmung und ihrem Widerspruch
geringe Rücksicht auf ihn, grosse dagegen auf die Wahrheit neh-
men, p. 90 e — 91c.
ö
Gedankengang von Piatons Phaedon. 11
(1) In knapper Schärfe recapituliri er darauf die erhobenen
Einwände, p. 91 c — 91 e.
C. Widerlegung des ersten Einwandes. p. 91e — 95a.
a) Da alle Anwesenden die Lehre von der Anamnesis und so-
mit etwelche Präexistenz der Seele auch jetzt unerschütterlich fest-
halten, so kann die Seele unmöglich eine Harmonie sein: ausTheilen
eines zunächst noch gar nicht bestehenden Körpers könnte sie ja
ohne inneren Widerspruch nicht hervorgehen! Diese Meinung ergab
sieh auch nur aus einer gewissen Wahrscheinlichkeit und äusse-
ren Gefälligkeit, welche auf allen Gebieten vielfach täuschen;
jene Lehre dagegen wurde aus einer einleuchtenden Hypothesis
zur Erklärung der der Seele thatsächlich zugehörigen Erkenntniss
gewonnen, p. 91 e — 92c.
h) Jede Harmonie ferner entspricht demjenigen genau, woraus
sie hervorgeht und ist folglich bald mehr bald weniger Harmonie.
Die Seele aber ist nicht bald mehr bald weniger Seele, p. 92e
bis 93 b.
c) Weiter besitzt die Seele entweder Vernunft und Tugend
oder Unvernunft und Schlechtigkeit; diese könnte man allerdings
Harmonie und Disharmonie nennen. In einer Harmonie jedoch
kann nicht eine zweite Harmonie oder Disharmonie stattfinden.
Wäre also die Seele selbst Harmonie, so könnte keine Seele an
der Schlechtigkeit theil haben, p. 93 b — 94b.
d) Endlich setzt sich die Seele den Affecten des Leibes als
die von ihnen verschiedene Herrin entgegen — eine Harmonie aber
kann zugestaudenermaassen den Theilen, aus deren Spannung,
Erschlaffung, Schwingung sie erst hervorgeht, nicht gebieten.
p. 94 b — 95 a.
4. Die "Widerlegung des zweiten Einwandes erfordert
eine weitere (metaphysische) Entwickelung der Idcen-
lehre: die Ideen existiren transscendent und sind damit
zugleich die objektiven Gesetze des endlichen Seins,
p. 95 a — 103 a.
A. Die empirische Forschung und Anaxagoras' allge-
meine Einführung des vo-jc erklären das Wesen der Diu-.'
nicht, p. 95a — 99d.
12 Gustav Glogau.
a) Socrates warnt, infolge der gelungenen Widerlegung des
ersten Einwandes, nicht allzu grosses Zutrauen zu fassen und re-
capitulirt nochmals den zweiten Einwand p. 95a — 95 e.
b) Die Widerlegung desselben setzt die Erforschung der Ur-
sache des Entstehens und Vergehens voraus (womit III, 1, b weiter-
entwickelt wird). Socrates hat sie als Jüngling mit Enthusiasmus
in der Naturforschung (-spi 'fussoK faxopia) gesucht, nur um zu-
letzt auch hinsichtlich der scheinbar sichersten alltäglichen Kennt-
nisse seiner vollen Unfähigkeit inne zu werden. Denn Mischun-
gen, Stoff und äussere Combinationen desselben, wie Zusetzen und
Fortnehmen, erklären ein vorher nicht schon vorhandenes wesent-
lich Neue nicht, das aus solchem Zusammentreten hervorgehen soll.
Die Entstehung des Lebens, das Dasein und die Entwickelung des
Denkens, Ernährung und Wachsthum, ja selbst einfache Grössen und
Zahlverhältnisse werden aus blos empirischen Relationen (xaxa toütov
töv tpo7:ov x9js fisöooou) niemals verständlich, p. 95e — 97b.
c) Anaxagoras' ordnende Welt-Vernunft schien freilich die in-
neren Beziehungen der Dinge erklären zu wollen. Statt nun aber
in den Formen und Einrichtungen der Dinge und der Welt über-
haupt wirklich den Zweck aufzuweisen, aus dem sie gedacht sind, be-
ruft auch er sich lediglich auf materielle Elemente, auf die gegebenen
Bestandteile der Dinge, deren Eigenschaften und mechanischen
Zusammenhang, ohne den Sinn derselben und die leitende Macht
für ihr Verhalten und Sein anzugeben. Das nun, ohne welches die
wahre Ursache (xo «ixiov xw ö'vxi) allerdings nicht wirken könnte
(oux avso ou = die wirkende Ursache), gilt nur durch Verwechse-
lung für diese selbst. Der ganzen Naturphilosophie bleibt die
innere Ursache (oatjxovta tcy/6c) verborgen — xo a-yaöov xat 8sov
c-jvostv xal Suvr/siv ouosv oiovxat. Socrates inusste sich seinen eige-
nen Weg bahnen, p. 97 b — 99 d.
B. Die Ideen sind transcendente Mächte an sich, die
auch den Dingen irgendwie einwohnen, p. 99d — 103a.
a) Mit völliger Umkehr ung suchte er nun statt in der empi-
rischen Anschauung in den dem Geiste eingeborenen Voraussetzungen
(vergl. III, 1, c) und deren consequenter Entwicklung die Wahr-
heit der Dinge (xtöv ovxu>v xyjv aXr^etav) p. 99 cl — 100 d.
Gedankengang von Piatons Phaedon. 1.",
b) Mit der fundamentalen Annahme, die als subjektiver Be
sitz des Geistes nachgewiesenen Ideen existirten an sich (&rco&sp.evo;
stW ti xaXöv abxb xaf}' a&xö xal 7.-tod)ov xai pi^oi xal xaXXa -a'vxot)
ist einmal eine transscendente Quelle für dieselben vorausgesetzt.
Dann aber sind auch weiter die wandelbaren sinnlichen Dinge
nicht durch sich selbst oder irgend etwas anderes als durch die
Theilnahme oder Gegenwart jener ursprünglichen Wahrheit (abxh
•/.7.H' ot&To) — d.h. durch die Wirksamkeit der ewigen Ideen,
die so drittens eine kosmische Bedeutung gewinnen — schön,
gross u. s. w. Nicht durch äussere Relationen ist etwas grösser
oder kleiner als ein anderes, sondern [xsxaayov x9js töi'as oücrtas.
Die Sinnendinge also sind nicht sui juris, sondern völlig abhängig;
sie haben von den Ideen auch ihre Benennung empfangen (p. 102 b).
Doch lässt Plato sowohl die Art der Wirksamkeit dieser kosmischen
Mächte (das Verhältniss von Wesen und Erscheinung) als auch ihr
Verhältniss zu den wirkenden Ursachen mit Absicht und mit be-
sonderem Nachdruck gänzlich im Dunkeln, p. 100 b — 101 d.
c) Die Rechtfertigung und Erklärung der Ideen selbst aber —
d. h. eben die nähere Bestimmung ihres transcendenten Daseins und
ihrer letzten gemeinsamen Quelle — würde weitere höhere Vor-
aussetzungen nothwendig machen, die in strenger Folge zu ent-
wickeln sind, bis man auf eine voll genügende Ursache (im xt
ixavov) kommt, p. 101 d — 102 a.
d) Bei dieser Sachlage nun bezieht sich jede besondere
Untersuchung nicht sowohl direkt auf die ihr unterliegenden sinn-
lichen Gegenstände, als vielmehr auf die an ihnen gerade er-
scheinende kosmische Gesetzlichkeit (o xo^ydvBi sytov), z. B. auf die
geometrische (xb sv fjfnv [ji-j'siloc); nach dieser werden dem Gegen-
stande seine Eigenschaften beigelegt. Wird dies beachtet, so ver-
schwinden alle Widersprüche, welche für die an die Scheinwelt
sich haltende Reflexion bestehen (vergl. III, 4, A, b), da weder
die reine noch die erscheinende Idee Widersprüche zulässt. Ein
jedes an einem Gegenstande nachgewiesene Verhältniss bildet viel-
mehr einen bestimmten Inhalt für sich, der nicht wie die sinn-
lichen Dinge fliesst, sondern immer nur das ist, was er ist: ein
ewiges Vernunftverhältniss. p. 102 a — 103 a.
14 Gustav Glogau,
e) Dies scheint der III, 1, b vorgetragenen Lehre zu wider-
sprechen, dass die Gegensätze je aus einander hervorgehen. Damals
aber war noch von den materiellen Ganzen (irpayfia) die Rede,
welche die Gegensätze an sich tragen (iyovxw ~a cvavtiV); jetzt
dagegen reden wir von diesen Verhältnissen selbst und an sich.
p. 103 a — 103 c.
5. Anwendung der so gewonnenen Metaphysik zur
Widerlegung des zweiten Einwandes: die Ewigkeit der
Ideen verbürgt die Ewigkeit auch gewisser Grund-
attribute der Dinge, p. 103 c — 107 b.
a) Die sinnlichen Dinge wie Schnee, Feuer, haben gewisse
Grundeigenschafteu, von denen sie selbst noch verschieden sind,
ohne die sie aber nicht sein könnten, wie: kalt, warm. Wenn nun
die diesen Grundeigenschaften entgegengesetzten anderen [aus dem
transscendenten Orte der Wahrheit heraus und] an sie herantreten,
so weichen die Dinge entweder aus, oder sie gehen zu Grunde.
Nicht nur die Idee an sich selbst also hat eine ewige Natur, son-
dern [in sekundärer Weise] auch das, was ihre Gestalt an sich hat,
solange es nämlich existirt (äste jat] jaovov auxo to eTöos «qiouailcu
tou sautou ovoixato; si; xov öfei ypovov, aXXa xai akXr, xt, o laxiv iisv
oöx exeivo, l'/si 3s ttjv exstvou [xopcprjv dsi, oxav rzzp "(]). [Vergl. die
unmittelbar vorher gegebene Darlegung mit III, 2, b c, das hier
weiter entwickelt wird, ohne dass doch die die Widersprüche lö-
sende Intuition der Monadenlehre hervorbricht.] p. 103c — 103 e.
b) Wie bei Plato üblich, wird dies Yerhältniss von Ding und
Grundeigenschaft an elementaren mathematischen Verhältnissen
verdeutlicht. Nicht nur die Idee des Ungraden und Graden, auch
die verschiedenen Zahlen, welche das Grade und Ungrade als
Eigenschaft an sich haben, würden zu Grunde gehen [in das tran-
scendente Sein oder das Wesen zurücktreten] oder ausweichen,
wenn die entgegengesetzte Allgemeinheit selbst oder eine sie an
sich habende Zahl an sie heranträte, p. 103 e — 105 b.
c) Eine Eigenschaft nämlich wird einem Sinnendinge mit-
getheilt nicht nur unmittelbar durch seine Theilnahme an der
ihr Wesen ausdrückenden Idee [ursprüngliche Schöpfung], sondern
auch mittelbar durch ein anderes Ding [die bestehende WTeltord-
Gedankengang von Piatons Phaedon. 1 .".
nung]: Wärme wird sekundär auch durch Feuer mitgetheilt, Krank-
heit durch [Ansteckung /.. B. an] Fieber, Ungradheit durch die
Eins. So nun wird Leben dem Leihe durch die Seele mituethcilt.
deren [einziges] unmittelbares Grundattribut eben das Lehen ist.
Also kann die Seele das Gegentheil dessen, was sie dem drs Lebens
an sich untheilhaftigen Körper aus ihrem Eigenthume erst bringt
(dei o'jtcoc i'/z\ cjwfia £5>v stv?-.. cp äv '/'-»yr, if^ivqTai. iz'.^ion dei),
nicht seiher aufnehmen: sie ist un-sterblich. p. 105 b — 105 e.
d) (iahe es nun Gründattribute, die unzerstörbar sind (dvtoXsdpov,
aiöiov, äo'.a'^öopov) [die als ursprüngliche Attribute der Schöpfung
überhaupt nie in die Transscendenz zurücktreten können], so fiele
für diese die /.weite der oben unter a) aufgestellten Miiolichkeiten
fort: bei Herantritt des Gegentheils könnten sie nicht zu Grunde
gehen, sondern müssten sie ausweichen. Nun hindert freilich
nichts, dass das Ungrade, Warme, Kalte vernichtet wird und an
seine Stelle (j-hz sxeivou) die entgegengesetzte Bestimmung tritt:
[sie sind nicht Grundattribute, nach deren Verschwinden das end-
liche Sein überhaupt aufhören müsste!]. Die Seele aber oöS5 iazat
Te&v>jxuTa. Das Ln-sterbliche muss ewig sein, wenn überhaupt [in
der endlichen Welt] Unzerstörbarkeit da ist. Nach unmittelbarer
Gewissheit (~otpä ~ocvt<uv dtv OfAoXo-pjdeo] dvdpcuirwv xi ~;z xccl
Ett fj.5XA.ov, oje i-(juau icapä f>£u)v) ist der Gott und die Idee des
Lebens unvergänglich. Ist nun die Seele un-sterblich, so [hat sie
ursprünglich an der Idee des Lebens theil, deren unmittelbare
-Mittheilung an das Endliche bleibend ist, weil sie zum Wesen der Idee
selbst gehört (man vergl. neben Plotin Spinoza's ewige Modifieatio-
nen). Folglich] ist sie unzerstörbar. Der Träger des Lebens weicht
heim Herantritt des Todes, der das Sterbliche auflöst, dem Tode
aus und fährt heil und unzerstört von hinnen, p. 105 e — 107a.
e) Trotz dieser überzeugenden Darlegung bleiben Simias in
Folge der menschlichen Schwäche Zweifel, und Socrates selbst
spricht es aus, dass zu einer völligen Gewissheit ein schärferer
Ausbau der Ideenlehre von ihren ersten Voraussetzungen an er-
forderlich wäre. p. 107 a — 107 b.
IV. Dritter, eschatologischer Theil: vexuia. p. 107b
bis 115 a.
16 Gustav Glogau,
1. Das Schicksal der Abgeschiedenen, a) Ist die
Seele unsterblich, so fordert nicht nur unser zeitliches, sondern
das ewige Leben ihre sorgfältige Bildung und Erziehung, mit der
allein sie ja in den Hades geht, b) Die Abgeschiedenen aber unter-
liegen zuerst am Versammlungsorte der Seelen einem Gericht,
worauf die Reinen unter dem Geleite von Göttern den ihnen zu-
kommenden Ort erreichen, c) Die Unreinen treiben sich dagegen
erst lange um den sichtbaren Ort herum, gelangen dann wider-
strebend an den Versammlungsort, wo jeder sie flieht, und endlich
werden sie gewaltsam in ihre Behausung gebracht, p. 107 b
bis 108 c.
2. Die äussere Gestalt der Erde, a) Entsprechend ihrer
Bestimmung, Sitz der sehr verschiedenartigen endlichen Geister zu
sein, ist der Bau und die Grösse der Erde höchst wunderbar. Ein
runder Körper, verharrt sie infolge ihres Gleichgewichts in der Mitte
des überallhin sich selbst gleichen Himmels, da sie nach keiner Seite
hin vorwiegend sich wenden kann. Der Umkreis des Mittelmeeres
bedeutet auf ihr nur etwa einen Sumpf, b) Ihre Oberfläche zeigt
zahlreiche, an Gestalt, Grösse und Tiefe (p. 111 c) verschieden-
artige Höhlungen, in welche der Bodensatz des Aethers: Wasser,
Nebel, Luft sich sammeln, während die Erde selbst rein im reinen
Aether liegt. — Wir nun wohnen in diesen Höhlungen. Wie auf
dem Grunde des Meeres die Sonne und die Gestirne getrübt er-
scheinen würden, so sehen wir die Gestirne durch die Luft ge-
trübt: den wahren Himmel und das wahre Licht und die wahre
Erde kennen wir nicht. Alles bei uns ist vielmehr verdorben und
zerfressen, ähnlich wie im Meere das, was uns für schön gilt, von
der Salzfluth hässlich zerstört ist. c) Von oben angeschaut gleicht
dagegen die Erde einem Balle aus zwölf Lederstücken von glänzend
bunten verschiedenen Farben. Dem entsprechen die Bäume,
Blüthen, Früchte, die Berge und Steine, wovon nur Splitter in
den Edelsteinen bei uns sich finden, ein Anblick für Seelige.
Den Lebewesen dort ist die Luft, was uns Wasser und Meer ist;
der Aether aber, was uns die Luft ist. Bei der herrlichen Mischung
der Jahreszeiten leben die Menschen ohne Krankheit viel länger
als wir und sind an Sinneskraft und Einsicht uns soweit überlegen,
Gedankengang von Piatons Phaedon. 17
wie Luft das Wasser, Aether die Lufl an Reinheil übertrifft. Sie
stehen in wirklichem Verkehr mit den Göttern, sehen die Gestirne
in ihrer wahren Gestalt und gemessen alle Glückseligkeit, p. 108«
bis 111 c.
3. Das Erdinnere, a) Unter der Erde sind die Höhlungen
sämmtlich in mannigfacher Weise mit einander verbunden, so dass
das Wasser aus der einen in die andere lliesst. b) Im Erdinnern
befinden sich ungeheure Ströme von warmem und kaltem Wasser,
viel Feuer und grosse Feuer- und Schlammflüsse, wie z. 15. die sici-
lischen Krater beweisen; sie füllen die je von ihnen durchflosse-
nen Räume. Alle aber entspringen und münden im Tartarus, der
die ganze Knie durchbohrt und die zahlreichen Ausgangs- und Mün-
dungsstellen dieser Flüsse in bestimmter geometrischer Anordnung
(p. 112 d — 113 c) aufweist. Ihr besonderer Charakter hängt von
dem durchflossenen Räume des Erdinneren ab (vergl. auch 113 c).
c) Im Tartarus hat die Flüssigkeit keine Stütze und [da sie, wie
die Erde, nach keiner Seite hin fallen kann] wogt (sie) oscillirend
auf und ab. Die ihr je nachfolgende Luft erregt die Stürme; der
wechselnde Stand der Flüssigkeit aber bewirkt das wechselnde Ein-
und Auslliessen der Ströme und der von denselben gebildeten Becken
und Ausläufer. Sie fliessen sämmtlich an einer tieferen Stelle [dem
Mittelpunkt näher] in den Tartarus zurück, als diejenige ist, aus
welcher sie ausflössen, d. h. sie senken sich beim Rückfluss [von
den Polen] zur Mitte hin, welche sie nicht überschreiten können,
weil sie sonst bergauf fliessen müssten. [Die Flüssigkeit im Tartarus,
welche eine bestimmte Mächtigkeit hat, muss sich nämlich über
beide Stellen bereits entweder erhoben haben oder unter sie gesun-
ken sein, wenn ein Fluss zurück in den Tartarus fliesst und damit
versiegt. Ein einfaches Schema kann dies verdeutlichen.] Ihre
bange und ihre Windungen sind sehr verschieden, d) Die vier
Hauptflüsse sind der Okeanos, der Acheron, der Pyriphlegethon,
der Kokytus. Die beiden ersteren sind die äusseren, die beiden
letzteren die inneren. Die letzteren beiden nähern sich dem vom
Acheron gebildeten Acherusischen.See von der entgegengesetzirn
Seite her, ohne doch ihre Flüssigkeit mit ihm zu vermischen.
1». 111c— 113 d.
Archiv f. Geschiebte <l. Philosophie. VII. 2
18 Gustav Glogau,
3. Das jenseitige Leben, a) Nach jenem ersten Richter-
spruche empfangen diejenigen, welche ein mittleres Leben geführt
haben, am acherusischenSee die gebührende Vergeltung, b) Die Unheil-
baren dagegen werden für immer in den Tartarus geworfen, c) Dies
geschieht zwar den noch Heilbaren ebenfalls; doch wirft sie nach
einem Jahre die Welle in den Kokytos oder Pyriphlegethon. wo sie
solange umhergetrieben werden, bis sie am acherusischen See
durch ihr Flehen endlich die Vergebung derjenigen erlangen, an
denen sie einst gefrevelt haben. Dann dürfen sie ebenfalls dort
verweilen, d) Die Reinen aber bleiben von diesen Gefängnissen
frei und gelangen auf die obere Erde; ja theils leben sie ohne
Leib in noch herrlicheren Wohnungen, e) Ist also der Siegespreis
gross, so muss man um seinetwillen die ganze Kraft zur Er-
langung der Tugend und Weisheit einsetzen, p. 113 d — 114 d.
4. So etwa muss man sich das Bild der Abgeschiedenen vor-
stellen, wenn die Seele unsterblich ist, und mit dergleichen Be-
sprechungen gegen alle Versuchungen des Sinnenlebens sich waff-
nen. p. 114d — 115 a.
T. Schluss p. 115a— 118.
I. Ausklingende Nachgespräche, a) Kriton's Frage nach
seinen letzten Aufträgen beantwortet Socrates mit der Aufforderung,
seine Freunde möchten im Sinne seiner Gespräche für ihr wahres
Beste sorgen. Dann sei ihm wie ihnen am besten willfahrt, b) Auf
die fernere Frage nach der Art seines Begräbnisses meint er scher-
zend, er habe seine lange Rede vergebens gehalten, wenn man immer
noch ihn selbst zu begraben meine. Seinen Leib möge man nach
der Sitte bestatten, p. 115a — 116a.
II. Vorbereitung zum Tode, a) Darauf geht Socrates mit
Kriton, um den Weibern die lästige Reinigung des Leichnams zu
ersparen, in das Badegemach und nimmt nach dem Bade dort von
seinen Kindern und den Frauen Abschied, b) Bald nach seiner
Rückkehr meldet der Diener der Elf, es sei nun Zeit, das Gift zu
trinken. Dabei zeigt er sich von Socrates' Persönlichkeit tief er-
griffen, der ihn auch seinerseits freundlich lobt, c) Kriton's Bitte,
mit dem Trünke wie andere bis zum vollen Sonnenuntergänge zu
Gedankengang von Piatons Phaedon. 19
warten, lehnt er mit dem Bemerken ab, es wäre lächerlich für ihn,
mit dem schon entschwundenen Leben zu geizen. |>. 116a 11Ta.
III. Der Tod. a) Den Ueberbringer des Giftbechers Tragt
Socrates nach dem richtigen Verfahren. Ohne die Miene zu än-
dern, empfängt und trinkt er den Becher, nachdem er um glück-
liche Uebersiedelung gebetet. I>) Den nun fassungslosen Freunden
giefrl sein mahnendes Wert die Haltung wieder, c) Wie ihm ge-
beissen, geht er so lange umher, bis die Heine ihm schwer werden.
Dann legt er sich nieder und kurz ehe die schnell nach oben fort-
schreitende Erstarrung das Herz erreicht, befiehlt er Kriton, dem
Asklepios den ihm geschuldeten Hahn zu opfern. Er zuckt noch
einmal auf — dann brechen ihm die Augen, die Kriton schlicsst.
p. 117a— 118.
IV. Epilog. So, Echekrates, endete unser Freund, der ge-
rechteste und einsichtigste unter den Menschen, p. 118. — —
Erläuterungen.
1. Ueber die Symmetrie und die weise Oekonomie im Aufbau
dieses Gespräches giebt die bis in's Einzelne herausgehobene Glie-
derung dem aufmerksamen Betrachter einen genügenden Nachweis.
Das ganze Gewebe zeugt von der vollen Herrschaft des Verf. über
seinen Stoff, ohne dass doch in den entwickelten Gedanken eine
üeberreife hervorträte. Indem Plato absichtlich sowohl die Be-
kämpfung der Sophistik wie die weitere Ausgestaltung der Ethik
zur Staatslehre in dieser Verherrlichung seines Lehrers bei Seite
lässt, die sonst einen so breiten Raum in seinen Werken einneh-
men, vollzieht er allein die vollständige Entwickelung des speeifisch
somatischen Elements, bis zur Metaphysik des ewigen Lebens.
Die allerdings stark hervortretende Beziehung zum Pythagoreismus
hat doch selbst im dritten Theile mehr nur eine negative Bedeu-
tung; denn sie führt nirgends zur Aneignung wirklich neuer Motive.
In dem (späteren) Entwürfe des Gesammtsystems dagegen ist das
anders. Im Timaeus ist die Naturphilosophie zur Grundlage auch
für die Betrachtung der sittlichen Welt geworden und von dieser
Seite her haben sich nun die pythagoreischen Ideen zum eigen t -
2*
20 Gustav Glogau,
liehen Complement der Sokratik entwickelt. Ja auch für die beiden
verschiedenen zusammenhängenden Darstellungen der Staatslehre,
die icokneia und die vopoi, bildet der Timaeus so zu sagen die
Wasserscheide. Doch unterlasse ich es für jetzt, diese Andeutun-
gen des Näheren zu verfolgen. —
2. Mit Beiseitesetzung also sowohl allgemeiner entwicke-
lungsgeschichtlicher wie besonderer stilistischer Betrachtungen (dem
entsprechend ich auch die kleinen Verschiebungen und gelegent-
lichen Vorwegnahmen zu kennzeichnen unterlasse, welche sich
namentlich in der zweiten Hälfte des Gespräches nicht ganz selten
finden) wende ich mich gleich zu dem Inhalte der drei Theile des
Hauptgespräches und ihrem Verhältnisse zu einander. — Der erste,
die Apologie, ist der fundamentale Theil. Obzwar in anderem
Pathos bietet derselbe auf griechischem Boden den Seufzer des
Paulus: „Ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich erlösen aus
diesem Leibe des Todes?" Das unmittelbare (prophetische) Be-
wusstsein der Seele von ihrer ewigen Bestimmung, das diese Zer-
rissenheit erzeugt, hat aber auch Socrates im wesentlichen genügt,
Seine logische Thätigkeit geht darin auf, es immer mehr zu ver-
deutlichen und darauf weiter den Weg zu finden, auf welchem ihre
ewigen Forderungen sich durchsetzen können. Seine Ethik also zeigt
den Ausweg aus dem Leiden der Welt, über dessen Entstehung
sie nicht speculirt, in einem Leben des Geistes. So ist die Frage
des Selbstmordes gleich Anfangs (stilistisch sehr weise) eliminirt. —
Den Anlass zum zweiten Theile, welcher das prophetische oder reli-
giöse Bewusstsein in das philosophische überführt, bilden die Ein-
wendungen des Verstandes, welche hier die pythagoreischen Freunde
erheben. Die zu genauerer Orientirung dem Menschen überall not-
wendige Zergliederung eines unmittelbar sich darbietenden Thatbe-
standes führt nämlich zunächst zu einer Schwächung oder Zerstörung
der Selbstgewissheit des in sich ruhenden Prophetismus. Daher gilt
es, an die Stelle der sich erhebenden Zweifel und vorschneller
Theorien eine Unterscheidung und abgesonderte Behandlung der
einzelnen letzten Fragen zu setzen. So aber wird die innere per-
sönliche Erfahrung und die dieselbe anregende (gelegentlich auch
wohl ersetzende) Autorität reiferer und höherer Menschen schein-
Gedankengang von Piatons Phaedon. 2]
bar vod einer im Denken allein gewonnenen höheren Wahrheit
abgelöst, deren eindeutige, von jedem kräftigen Geiste selbstthätig
erfassbare Grandfaden dann den Gegensatz und zugleich den be-
stimmten Zusammenhang einer Well des Scheines und der Wahr-
heit biosiegen. Es is1 bemerkenswerth, dass den Mittelpunkt schon
des ersten Theiles die Vorandeutung der Ideenlehre hatte bilden
müssen (B. II b). Damit nun setzt sich das Geistesleben des
Occidents demjenigen des Orients ein für allemal ent-
gegen, wozu die gewaltigen vorsocratischen Leistungen doch mir
erst die Vorhalle bilden, welche ohne die entscheidende platonische
That wiederum zerbröckelt wäre. In diesem metaphysischen Ausbau
des allgemeinen prophetischen Bewusstseins, welcher die innere, und
die äussere Erfahrung beide anerkennt und sie mittels der Thätig-
keit des Verstandes in Harmonie setzt, liegt aber alles bei weitem
verwickelter: namentlich ist, wie gezeigt, sein Verhältniss zu den
ursprünglichen Quellen der Wahrheit, die rein persönlich lliessen,
leicht zu verschieben. — Der dritte Theil endlich entwickelt die
transscendenten Dinge. Da diese sowohl der sinnlichen Anschauung
wie auch dem Denken unfassbar bleiben, so kann die platonische
Dichtung leicht als ein Rückfall in die Phantasiegemälde des
Orients erscheinen. Das ist sie aber gar nicht, sofern die mythische
Wirklichkeit hier zum Gleichniss, die prophetische Vision zum
Bilde ausdrücklich herabgesetzt wird. Bilder und Gleichnisse aber
sind dem endlichen Geiste zu einem gesunden Leben ganz unent-
behrlich: auf dieser Brücke allein tritt ihm die kfcciq us^a/,/, (p. 114c),
das nachirdische Leben, fortwährend sinnlich erregend nahe (eiradetv).
Zweitens aber sind diese Bilder auch wahr, sofern in ihnen die
altvertraute mythische Deberlieferung durch das sicherste Wissen
— die ethisch-religiösen Postulate — gereinigt und verklärt ist.
Lässl man sie, um keinerlei Concession an das menschliche Bedürf-
niss zu machen, völlig bei Seite, so hat man die eben nachgewie-
sene sekundäre Bedeutung der philosophischen Kritik vergessen.
Aus einer Leben-erhöhenden Macht muss sie zur Leben-zerstörenden
Hyperkritik und endlich zum Skepticismus und Positivismus herab-
sinken. Die den Sinnen und dem Verstände an sich selbst unfass-
bare innere Quelle hör! aber dann auch auf. rein zu lliessen.
22 (> ustav Glogau,
3. Da Kant ausserhalb des Kreises der alles umstürzenden
Neuerer immer nocli das verdiente Ansehen geniesst, so mag, ehe wir
auf Einzelnes eingehen, ein flüchtiger Vergleich mit seiner Philosophie
das e\vis;e Recht der Platonischen Gedanken etwas näher erhärten. —
Piaton geht, wie Kant, auf einen ursprünglichen Erwerb des Geistes
zurück, um in den gegebenen sinnlichen Erscheinungen Noth-
wendigkeit zu entdecken und sie damit zu Erkenntnissen zu
erheben. Und zwar weist er principiell das Apriori umfassender
und zarter nach wie Kant dies thut (vgl. III, 1, c), ohne doch in
dessen logische Systematisirung und breite Scholastik in der Ein-
zelausführung zu verfallen. Kant's „Kopernikanische Umkehr"
lindet sich p. 99 d — lOOd (III, 4Ba) sogar wörtlich bezeichnet. Die
Basis für Kaut's ethisch-religiöse Lehren aber ist hier ähnlich in den
Analysen des ersten Theiles vorgebildet, nur dass der Kantische
Rationalismus die innere Erfahrung viel weiter sublimirt hat. Den-
noch aber ist der Boden der beiderseitigen Weltanschauung aller-
dings ein anderer. Statt sich im lebendigen Gefühle der wesen-
haften Einheit des All's auf Plato's kosmischen Standpunkt (III,
4, B, b) zu schwingen, begnügt sich vielmehr Kant, gegebene sinn-
liche Erscheinungen mittels rein logischer Bänder zu regelmässigen
Erfahrungsreihen zu binden. So wird einerseits die Erkenntniss
von ihm auf dem immanenten Standpunkte der sinnlichen Erschei-
nungswelt festgehalten, von dem aus ihm Plato wie die leichte
Taube in den reinen Aether zu verschwimmen scheint. Anderer-
seits aber sieht er sich aus den in der vorhergehenden Erläuterung
bezeichneten Motiven dennoch gezwungen, ein verblasstes Analogon
wenigstens unseres dritten Theiles in den Postulateu zu schaffen.
Iudem vor seiner Hyperkritik die Selbstironie des Platonischen
Mythos nicht bestehen kann, ist ihm Plato's hohe Wahrscheinlich-
keit (III, 2, a fiaXtatta süxoc) ein leeres Wort. Analytik und Dia-
lektik treten in feindlichen Gegensatz zu einander und die Einheit
der Seele löst sich in eine transscendentale Funktion auf. Der Primat
der praktischen Vernunft erzeugt eine Wahrheit, welche mit den
Erkenntnissen der theoretischen Vernunft keinerlei wirkliche Ver-
bindung zulässt, woran dann beide hinsiechen müssen. Zu Gun-
sten sauberer und kritisch vollkommen haltbarer Positionen bleibt
Gedankengang von Piatons Phaedon. 23
also die leichte Brücke ins Jenseits anbetreten, die Speculation ist
\ öllig verworfen. Das aber heissl : die Seite des menschlichen \\ esens
ist von Kant übersehen, nach der es, als ein unvollendetes, stetig
aus dem Endlichen in das unendliche hinüber zu schon gezwun-
gen ist. Hierin hat die Platonische [ronie ihre ewige Bedeutung.
4. Zu den mannigfaltigen Untersuchungen des zweiten Theiles
bemerke ich, dass die Conception der erkenntnisstheoretischen und
metaphysischen Begriffe überall ans der Behauptung des ethisch-
religiösen Bedürfnisses gegen den fliessenden Sinnenschein hervor-
geht. Keineswegs aber sind dieselben schon abgeschlossen, auch
das ewige Sein der Seelen hat noch nicht zur Monadenlehre ge-
führt, der Plato vielfach sich nähert, am meisten im zehnten Buch
der Gesetze. Vielmehr tritt der Begriff des Bleibenden, der Sub-
stanz, und damit weiter die Ewigkeit der Seele zunächst, nur un-
bestimmt als der nothwendige Gegensatz zu den ewig wechselnden
Zuständen in unmittelbarer Gewissheit heraus (III, 1 b). Die
nähere Vermittelung dieser kühnen Behauptung mit der bestehen-
den Weltordnung und der ursprünglichen Schöpferthätigkeit Gottes
aber wird später wohl zögernd versucht (III, 5c und d: e deutet
selbst das Ungenügende dieses Versuchs an); aber erst der Timaeus
zeigt den entscheidenden Fortschritt. Noch nämlich ringt Plato müh-
sam nach der Fixirung der notwendigen Mittelbegriffe, namentlich
der Unterscheidung bleibender und vorübergehender Eigenschaften
(III, öa), welche für jene Vermittelung die Voraussetzung bilden. So
klare Unterscheidungen wie diejenigen Descartes' zwischen modus
und attributum fehlen noch gänzlich. Auf ihnen aber beruhen
Spinoza's und zum Theil auch Leibniz' Gedanken. Und als der
letztere weiter von der unendlichen Substanz die relativen end-
lichen Substanzen als für sich seiende Träger der äusseren und
inneren Modificationen unterschied, so war damit auch ein klares
Verhältniss zwischen der transscendenten Idee und den Ideen in
der Erscheinungswell angebahnt, das Plato hier (III.;")) verfehlt und
erst in Timaeus einigermassen erreicht hat. — Dagegen sind der
Nachweis des Apriori als einer dem Geiste immanenten ewigen
■i/.liehkeit (III, 1 c) und des geistigen Wesens der Seele ihrer
Grundlage nach tiefer und umfassender als irgendwo sonsl geführt.
24 Gustav Glogau,
Auch die kosmische Wendung, die Plato den Ideen giebt (III,
4 B d), begründet allein die tiefere und wesentliche Bedeutung der
Wissenschaft. Der erkennende Geist, als Schlüssel des All, inuss
ihm in seiner Wurzel durchaus commensurabel sein. Das ist die
Grundbedingung für die Möglichkeit der Erfahrung.
5. Im Besonderen erinnere ich rücksichtlich der lichtvollen
Widerlegung der von Simias und Kebes gemachten Einwendungen
an zweierlei. Einmal kommt in ihnen die innere Selbstgewissheit
des Geistes, die Intuition und logische Consequenz, zu vollem Rechte,
wofür ich neben der wundervollen Rede III, 3 Bb an III, lc; III,
2aundd; III, 5 d erinnere und weiter an Sätze wie ei 21 xtc auxr,c
zrt: utzoMozu); s/oixo, xaiP£lv HTi; "v 'mi °"x dtooxpivaio eö>s äv xa
aic sxstvr^ opfAYj&svxa dxe^aio, U sot aXX^Xoi? tjojwptovei rt öiccfomT
(p. 101 d). Dann aber muss man sich, wie wir heute uns aus-
drücken würden, in Platon's Seminar und die geistige Atmosphäre
seiner Schüler versetzen, um die mathematischen Beispiele III, 4Ab;
Bb; Bd; III, 5b, c, d ganz zu würdigen. Dem in sinnlichen Vor-
stellungen und geistreichelnder Sophistik völlig befangenen Jüngling
ging an dieser einfachen, leicht überschaubaren Thatsache immanenter
absoluter Logik die Aufgabe des Denkens auf. Uns, die wir zudem
an entwickeltere mathematische Vorstellungen gewöhnt sind, wer-
den diese Schulbeispiele namentlich dadurch schwierig, dass sie nur
ganz knapp angedeutet aber nicht näher entwickelt sind, so dass
das wahre Weseu der Zwei u. s. w., worauf Plato anspielt, über-
haupt bei Seite bleibt. Immerhin dürften meine Andeutungen im
Gedankengange dem sorgfältigen Leser die sachlichen Schwierig-
keiten heben. Freilich aber würden bei einer tieferen Auffassung
des Verhältnisses von Wesen und Erscheinung die Ideen wie die
Zahlen nicht dinglich sondern dynamisch genommen worden sein
(vergl. III, 4Bb; III, 5a), womit dann die Schwerfälligkeit der Bei-
spiele wie des Gedankens in Fortfall käme.
'6. Der dritte Theil beruht wohl neben dem einheimischen
Mythos mit auf orientalischem Einflüsse: ttoXXyj fjiv rt 'EXXas
-rroXXa os xal ta xä>v ßapßapiov yivvj ouq Ttavxcc? y[ji] Stepsuvac&ai
Cr;xouvxa; xotouxov stkooov (p. 78a); seine Gestaltung aber ist
durchaus occidental. Die Forderung nämlich, welche er an Ana-
Gedankengang von Piatons Phaoil.ni. 25
'o""e
xagoras ordnende Weltvernunft vergeblich gestellt hatte (III, IAc),
ist hier von Sokrates stillschweigend in ihrem vollen I mfange
ausdrücklich erfüllt (vergl. IV, 2 und 3): wir erhalten ein Vorspiel
zum Timaeus, in welchem das Weltall von den feinsten Theilen
der Materie und deren Veränderungen hör bis zur Bewegung dos
Fixsternhimmels lückenlos nach il>n höchsten göttlichen Zwecken
zusammenstimmend erbaut wird. — Die ungeheuere Grösse der
Erde nun nimmt nicht nur dem griechischen Gesichtskreise ent-
rückte Kultursitze wie China und Mexico vorweg: die Erde reprä-
sentirt vielmehr, als einziger Sitz der endlichen Wesen, die Gesammt-
heit aller Planeten und enthält obenein zugleich Hölle und Himmel,
soweit wenigstens die Seeligkeit noch einen sinnlichen Charakter
trägt (IV, 3d). — Lehrreich ist ferner der Vergleich der von den
Menschen bewohnten Erdhöhlungen mit der Höhle im VII. Buche
der Republik; beide stimmen in wesentlichen Zügen überein: den
trübenden Medien, der Schwäche der menschlichen Natur (p. I09d, e)
u. a. — Das Erdinnere weiter habe ich durch Einschaltungen im
Gedankengange bereits genügend erläutert. Der Widerspruch, dass
die Ströme ihren besonderen Charakter erst von der durchflossenen
Gegend erhalten, während sie zugleich umgekehrt die durchflossenen
Räume je mit ihrem besonderen Inhalt erfüllen, ist deswegen nur
scheinbar, weil der Vorgang ein ewiger ist. Kur bleibt zu ergänzen,
dass die in den Tartarus zurück fliessende Masse sich dort sofort
nentralisirt. ein chemischer Vorgang, welcher die Höllenqualen ge-
wiss ausserordentlich erhöht. Beim Austluss aus dem Tartarus
aber berührt dann die gleichartige Masse sofort verschiedenartige
Gebiete, wodurch sie ihren besonderen speeifischen Charakter ge-
winnt. — Da endlich die Rückkehr vom acherusischen See in die
Menschenwelt nicht mehr erzählt wird, so widerspricht unser My-
thos auch nicht der III. 2c erwähnten Wiedergeburt der Menschen
als Esel, Biene u. s. w.
7. Zum Schlüsse mache ich auf die Lücken aufmerksam, die
Plato selber als solche bezeichnet hat: die Ideenlehre und beson-
ders die Art. der Theilnahme der endlichen Dinge an *\rw Ideen
ist in dieser Gesammtdarstellung in wesentlichen Punkten noch
dunkel gelassen (vergl. Erläuterung -1). Schon die Vorsicht dos
26 Gustav G log au.
Ausdrucks ist zu beachten, z. B. p. 80b <Vj-/yj rcpoö^xst xo irapaitav
a8taXux<p elvat r( 3776s xt xouxou, zumal im Hinblick auf Timaeus
p. 41; uml ebenso die scherzhafte Berufung auf göttliche Offen-
barung p. 85b; endlich am Schlüsse des zweiten Theiles p. 107b
der Hinweis auf eine nöthige schärfere Fassung, p. 100 d aber heisst
es ausdrücklich: xouxo airXais xat d-iyyi»; xat ibo>? bu^Dids i'/w itap'
£[xauT(o ort oöx aXXo xt -otEt auto xotXov tj t, exetvou xou xaXou etxe
rcapooöt'a sixe xoivtovta eixs otcyj otj xai "j~u>; jrpoöifipofisvov oö "fap
In touto ouay'jrj'Xou.au Seine allgemeine Behauptung einer
Theil nähme des Endlichen an den Ideen nennt er mit Selbstironie
p. 105c 7.:r6xptcJiv aaadvj und lehnt für jetzt die unerlässliche Forde-
rung ab, das Verhältniss derselben zu den wirkenden Ursachen
anzugeben osotd>c «v, xo Xsyo[asvov, tyjv kaoxoo öxtav xat tt(v aiceiptav
(p. 101c, d). Das Alles hängt aber damit zusammeu, dass der er-
kenntnisstheoretische Ausgangspunkt der Ideenlehre (III, 1)
und die spätere objektive Wendung derselben (III, 4B) die
beiden entgegengesetzten und dennoch gleich sicheren und festen
Pole dieser Lehre geworden sind, deren wirklicher Ausgleich zu-
nächst völlig unmöglich scheint. Nach dem ersteren sind die Ideen
immanente Erkenntnisskräfte des endlichen Geistes; nach derletz-
teren aber sind sie die formenden Weltmächte: in diese Lücke
kann die anschaulich von aussen wirkende mechanische Ursache als
eine wissenschaftliche Erklärung natürlich nicht treten! So wird
der Ausbau der Ideenlehre nach ihrer transscendenten Seite und
der letzten gemeinsamen Quelle der Ideen hin zwar gefordert (III,
4Bc); auch führt die vertiefte erkenntnisstheoretische Schau [im
Symposion und in mythischen Vorstellungen im Phaedrus] direct
über die endliche Welt und ihre Unvollkommenheit hinaus — doch
eine rationale Vermittelung weder der einzelnen Ideen unter
einander noch auch ihrer aller mit einem wahrhaften txctvov und
ferner die Erklärung der endlichen Causalität will Plato nirgends
gelingen, in wievielen tiefsinnigen Dialogen er auch den Ansatz
dazu gemacht hat. Wie die uiÜsct; des Endlichen an den Ideen,
so bleibt ihm die Gottheit in unsicheres Zwielicht gehüllt. Um es
aufzuhellen, dazu nämlich müsste man statt in einer Vielheit ein-
zelner intuitiv erfasster Strahlen der Wahrheit, den Ideen, die sich
Gedankengang von Piatons Phaedon. 27
Plato zur ursprünglichen Wahrheil verfestigt haben, vielmehr direct
in dem Schauen des göttlichen Urlichts den Ausgangspunkt finden
und dann weiter zur Emanation (oder tiefer und schärfer zum
Schöpfungsbegriffe) zu gelangen wissen. Ich erinnere an Plotin,
aber auch an Spinoza's cognitio intuitiva und weiter an Leibniz.
Wie nun Plato selbst in hohem Alter doch noch zum wahrhaft
ursprünglichen vorgedrungen ist und von ihm aus das gesetzliche
Dasein der Welt und die Erkenntniss des Menschen begreifen ge-
lernt hat. immerhin mit manchen ungelösten Bedenken (vergl. z.B.
den Ir^v/ny-',;): das soll uns in Bälde eine nähere Betrachtung
d^s Timaeus erweisen.
IL
Die Autonomie des Denkens, der konstruktive
Rationalismus und der pantheistische Monis-
mus nach ihrem Zusammenhang im
17. Jahrhundert
von
Wilhelm Diltliey in Berlin
I.
Hinter uns liegt die Befreiung der neueren europäischen Völ-
ker, der dritten Generation von Nationen, welche wir geschicht-
lich klar unterscheiden können, im 16. Jahrhundert durch Re-
naissance und Reformation. Ihr Inhalt war die freudige Bejahung
des Lebens und der Welt in deni heroischen und künstlerischen
Schaffen der Renaissancezeit, die intuitive Erkenntniss des Lebens
in der Kunst derselben, entsprechend innerhalb der Sphäre der
christlichen Religiosität das Unabhängigkeitsbewusstsein der reli-
giösen Person, die Emancipation der Gemeinde vom päpstlichen
System und des religiösen Prozesses von Papstmacht und Scholastik,
die Erfassung des religiösen Selbstwertes von Familie, Beruf, Ge-
sellschaft sowie das Wirken der neuen Religiosität als eines Prin-
zips, das Leben und die Gesellschaft von innen neu zu gestalten.
Lioiiardo, Raphael, Michel Angelo, Dürer, Ariost, Copernicus, Eras-
mus, Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin, Hans Sachs, Tizian,
Rabelais, Camoens, Tasso, Montaigne, Shakespeare, Cervantes,
Lopc gehören diesem Einen, unermesslichcn Jahrhundert an. Es
klingt aus in das 17. in Baco, Kepler, Galilei und Rubens. Und
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. 2!'
dennoch hat dies grosse Jahrhundert in dem Humanismus und
der Reformation nicht die zureichenden Mittel besessen, die
schweren Probleme zu lösen, welche nach dem Untergang der
IVudalitat. der katholischen Einheit und der kirchlichen Vernunft-
wissenschaft der europäischen Gesellschaft aufgegeben waren. Der
Humanismus zerfloss in haltlosem Litteraten tum , consolidirte sich
als Altertumswissenschaft oder vermischte sich mit der protestan-
tischen Bewegung. Diese aber hatte ihr Ziel einer einmütigen
Reform der christlichen Kirche nicht erreicht; Spaltungen, kon-
fessioneller Hader, Secten- und Religionskriege erfüllten Europa;
hatte Luther in seinen grossen Jugendschriften durch das neue
Christenthum die weltliche Gesellschaft und deren Ordnung zu
reformiren gehofft: gegenüber der lebendigen Fülle tiefsinniger
lilaubensweisen und radikaler Forderungen, welche auf dem Grunde
des echten Evangeliums von den Täufern, den revolutionären
Bauern und den städtischen Spiritualisten erhoben wurden, wusste
er dann doch nur das unzureichende und kahle Schriftprinzip und
den harten Grundsatz vom göttlichen Rechte der Obrigkeit geltend
zu machen. Es erwies sich, dass die biblischen Schriften, wie sie
einst im Zusammenhang mit den Lebensverhältnissen des Imperium
entstanden waren, das politische und soziale Leben dieser ger-
manischen Welt nun nicht mehr zu regeln vermochten. Es zeigte
sich ferner, dass die zentrale Lehre von der Rechtfertigung allein
durch den Glauben all die metaphysischen Dogmen zu ihrer Be-
gründung zurückrufen musste, durch welche sie einst ihre univer-
sale Formulirung erhalten hatte. So war über Nacht eine neue
protestantische Scholastik wieder aufgeschossen, enger und kümmer-
licher, als je die katholische gewesen war. Neue Formen der
christlichen Lebensvcrneinung traten hervor, um so unerträglicher,
weil sie eben das Höchste im Menschen, wissenschaftliches Denken,
freie künstlerische Kraft, religiöse Gemeindcgestaltung mit ihrem
Banne belegte.
Unter diesen Umständen führte, wie ich nachgewiesen habe,
das zunehmende Gefühl der LTnerträglichkcit des Streites der Con-
fessionen zu der Anschauung eines Gemeinsamen, in welchem der
Friede gefunden werden könne. Mit unwiderstehlicher Macht er-
30 Wilhelm Dilthey,
hob sich der Gedanke einer den Kern aller Religionen enthaltenden
Wahrheit. So entstand der Begriff der natürlichen Religion. In-
dern dann das auf das Schriftprinzip gegründete protestantische
Glaubenssystem sich mit humanistischer Klarheit aller historisch
kritischen Hilfsmittel zu reiner Feststellung des inneren Zusammen-
hangs der biblischen Sätze bediente, erhob sich im Socinianismus
die vernichtende innere Kritik aller theologischen Halbheiten und
Compromisse zwischen biblischen Sätzen und altkatholischen Sym-
bolen. Und indem Melanchthon in ehrlicher Arbeit mit gründlichem
Wissen die allgemeinsten Voraussetzungen für eine der neuen
Bildung genügende Grundlegung der Glaubenslehre aufsuchte, ge-
langte er zu dem Prinzip des natürlichen Lichtes, der naturalis
ratio, zu einem eingeborenen Gottesbewusstseiu , dem Sittengesetz
in der Brust des Menschen, der Freiheit des Willens, der Würde
des Menschen; und so wurden noch neben Luther die Grundlinien
des Rationalismus gezogen, welche dann das nachfolgende Jahr-
hundert allmählich ausfüllte. Noch tiefer aber reichte die in d.-er
transcendentalen oder spiritualistischen Richtung der Theologie aus-
gebildete Ueberzeugung von der Universalität des göttlichen Geistes
und der Offenbarung in der Geschichte: von diesem Standpunkte
aus haben Vives, Bodin, die grossen niederländischen Philologen,
Giordano Bruno die Religionen verglichen: so gelangten sie zu
dem Begriffe einer allen Religionen gemeinsamen, das Menschen-
"i schlecht vereinigenden Wahrheit. Die Vernunft übernimmt es,
die Religionen zu vereinigen. Von ihr allein hofft das von Blut,
confessionellem Hader und Verfolgung erfüllte Europa, dass sie
dem Prinzip der Toleranz Geltung verschaffen werde. Und zwar
ist diese Vernunft das von Plato, Cicero und Seneca vertretene
Vermögen des Menschen, die Erfahrungen durch eingeborene
Leistungen zu verknüpfen und das Leben durch sie zu regeln.
So hofft von ihr auch das Zeitalter immer ausschliesslicher, dass
sie die Neuordnung der Gesellschaft herbeiführen werde.
Herbert von Cherbury (1581— 1648) ') hat die Autonomie
J) De veritate 1G24, de religione geutilium 1645. Ich benutze de ver. ed.
III. 1656.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. ;'>1
des religiösen Bewusstseins zuersl in dein christlichen Buropa
durch eine Zergliederung des religiösen Brkenntnissvermö-
ls begründet. In dieser gründlichen Analysis hat er die traditio-
aelle aominalistische Ansieht von der ünmöglichkeil der Erkennt-
niss transcendenter Wahrheiten und von der Mitwirkung der Offen-
barung für das Zustandekommen jeder die Natur überschreitenden
Erkenntniss verworfen und die religiös- sittlichen Wahrheiten als in
der Vernunft begründe! nachzuweisen versucht: so hat er den für
das Mittelalter unlösbaren Streit /wischen fides und ratio beigelegl
und die Vernunft in ihrer autonomen Herrlichkeit zum ersten Male
hingestellt. Hierdurch tritt er als ein ebenbürtiger Geist neben
Hugo Grotius.
Die Vernunft besitzt in sich seihst das Vermögen aller, auch
der religiös-moralischen Wahrheiten. Diesen seinen Hauptsatz ver-
tritt er mit der Sicherheit intuitiv gewonnener Ueberzeugung, ohne
ausführliche Widerlegung der gegenteiligen Meinungen. Die Offen-
barung tritt ihm für die Erkenntniss der Wahrheit an die zweite
Stelle, und auch das nur mit Restriktionen und vielen Cautelen,
im Grunde gegen den Geist seines Systems. Denn die auf Auto-
rität beruhende Offenbarung unterliegt unserer Prüfung und hat
nur den Wert der Wahrscheinlichkeit. Und nur insofern eben
die Offenbarung mit unserer Vernunft identisch ist — denn in
gewissem Sinn ist ja alles, was überhaupt göttlicher Art in uns
ist, Offenbarung2) — ist sie uns gleichfalls unzweifelhaft gewiss.
Dieser ganze Appendix von der Offenbarung entbehrt des uotwendi-
gen Zusammenhangs mit der Untersuchung Herberts, und der Be-
griff derselben wird aus Scheu, ihn gänzlich zu verwerfen, in einem
seiner Leberzeugung von autonomer Vernunft und lumen naturale
entsprechenden Sinne umgebogen. So ist und bleibt immer wieder
die Vernunft die einzig wahre und zuverlässige Richterin. Alles
bedarf ihrer Billigung, und was vor ihrem Richterstuhle nicht
bestehen kann, ist von vornherein verworfen3).
Diese Position musste in seiner Zeit gegen orthodoxes Luther-
2) De vor. 291: „Ul paucis dicam, omnis novus sensus divinus, beatus
(qui in foro interno excitatur) revelatio est".
'■"■) De caus. err. 71.
32 Wilhelm Dilthey,
tum, Calvinisten, Puritaner gehalten werden: sie alle sind darin
einig, dass die Natur verderbt, zu nichts Gutem geeignet, die
Vernunft durch die Sünde verdunkelt sei. Kurzerhand gebietet er
diesen naturae sugillatores Schweigen und verwirft die exscriptores
miseros, welche unsere geistigen Fähigkeiten von sinnlichen und
leidenschaftlichen Begierden verdunkelt sein lassen4).
Die Untersuchung selber über das sittlich-religiöse Erkenntniss-
vermögen des Menschen wird von dem gründlichen Nachweis der
Suffizienz der Vernunft eingeleitet. Und hier sind es nun nament-
lich zwei Momente, denen er sein Augenmerk zuwendet und welche
seiner Arbeit die grosse Bedeutung verleihen: die neue Stellung
des Problems und die durch dessen Lösung bedingte Auffassung
vom Zustandekommen der Erkenntniss überhaupt.
Da er seine Zeit sich in Zweifeln über die Möglichkeit
wahrer Erkenntniss verzehren sieht, ohne dass sie doch das be-
freiende Wort fände: geht er auf die Frage zurück, was denn
überhaupt Wahrheit sei. Er ist sich der neuen Wendung, welche
er hier der Forschung giebt, vollauf bewusst. Mehr als einmal
können wir von ihm hören, dass niemand vorher ex professo die
Lösung in dieser Art versucht habe5). Er beginnt seine Unter-
suchung, indem er sieben mit mathematischer Prägnanz formulirte
Lehrsätze an die Spitze stellt, welche Wesen und Eigenschaften
der Wahrheit näher bezeichnen. Energisch wendet er sich im
ersten gegen die den mittelalterlichen Nominalisrnus überspannende
Skepsis mit der Behauptung einer realen objeetiven Wahrheit,
deren Existenz nur insani und seeptici bezweifeln können. Und
daran reihen sich nun die Bestimmungen über Constanz, Umfang,
Deutlichkeit, Differenzirung und allgemeine Verbreitung der Wahr-
heit. Er sondert weiter vier verschiedene Arten derselben, sofern sie
4) „Taceant Naturae sugillatores neque penitus depravatam praedicent,
quae nullo non saeculo doeuit horrere scelus." De ver. 132. „Valere interea
iubeinus exscriptores miseros, qui faeuhates nostras noeticas in inferiori ani-
mae parte uua cum coneupiseibilibus et iraseibilibus posuere." De ver. 148.
5) „Veritatem investigandi ratio, quae quam ardua sit, vel ex eo conicias,
quod uullo in publicum prodierit saeculo, qui argumentum istud ex professo
traetaverit." Lcct. ing. De ver. „Facultatum humanarum terminos et metas
primi, quod seimus, posuimus". p. 195.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. ;;.",
das Ding, die Erscheinung, den Begriff und den Intellekt betrifft.
Allen aber ist gemeinsames Merkmal — und hier beweg! er Bich
ganz in dem durch die Jahrhunderte ausgefahrenen Geleise scho-
lastischer Tradition — die Conformität6), die er nur nicht in dem
engen Sinne der Uebereinstimmung von Intellekt und Ding fasst7).
Soweit die Eintheilung der Wahrheit und die Beschreibung ihrer
charakteristischen Merkmale.
Al>er weitaus bedeutender für die Folgezeit als diese meta-
physische Begriffsbestimmung wurde nun derjenige Teil von
Herberts Werk, in welchem er die Möglichkeit wahrer Erkennt-
niss zu erweisen unternahm. Schon die sich gegen die Skepsis
wendenden Merkmale der realen Objektivität, Konstanz und all-
gemeinen Verbreituno der Wahrheit, sofern sich darin die That-
sache eines providentiellen Zusammenhangs in der Natur andeutet,
lassen vermuten, dass sich Herbert nicht mit der Erkenntniss-
theorie, welche vom Problem des Nominalismus ausgeht, begnügen
werde, sondern dass er einen gesetzlichen Weltzusammenhang an-
nimmt, welcher die Möglichkeit einer wahren Erkenntniss der
Dinge verbürgt. Indem er die Bedingungen für die oben unter-
schiedenen Arten der Wahrheit sucht, kommt er für die Wahr-
heiten des Intellekts zu dem folgeschweren Satze, dass es im ge-
wöhnlichen Sinne für sie gar keine Bedingungen giebt; ja nicht
genug, dass sie von Erfahrung und Beobachtung nicht abgeleitet
werden können, bilden sie im Gegenteil die Voraussetzung und Be-
dingung jeder möglichen Erfahrung und Erkenntniss8). Soweit
reichen die Wurzeln der Kantschen Erkenntnisstheorie zurück.
Fragen wir. was denn jene Wahrheiten des Intellekts seien, so er-
halten wir die sich an Cicero und die römische Stoa anschliessende
6) „Est igitur omnis veritas nostra conformitas." De ver. 16.
7) Thom. „Quuui veritas intelleetus sit adaequatio intellectus et rei."
Summa cont. gent. I c. 49.
s) .Tantum abest, ut ab experientia et observatione deducantur elementa
siye prineipia ista sacra (sc. die notitiae commuues), ut sine eorum aliquibus
Bive filtern aliquo neque experiri neque quidem observare possimus." De
ver. 35. Ohne diese würden wir nuda spectra, portenta et terrorea wahr-
nehmen.
Archiv f. Geschichte il. Philosophie. VII. ;>
34 Wilhelm Dilthey,
Erklärung: es bestellen notitiae cominunes in jedem gesunden und
verständigen Mensehen, welche unserem gleichsam vom Himmel
her erfüllten Geist die Erkenntniss der Dinge dieser Welt ermög-
lichen9). Hierdurch tritt nun Herbert in entschiedenen Gegensatz
gegen diejenige Anschauung, welche im Intellect nur ein leeres,
unbeschriebenes Blatt, eine tabula rasa sieht und alle Erkenntniss
auf dem Wege diskursiven Denkens entstehen lässt10). Sein ganzes
Werk ist ein fortlaufender Protest gegen diese nominalistische
Theorie.
Im Gegensatz gegen diese Lehre begründet er die Möglichkeit
der menschlichen Erkenntniss durch das Zusammenwirken von
natürlichem Instinkt, äusserer und innerer Erfahrung und dis-
kursivem Denken11). Hierbei wird der Irrtum dem letzteren Ver-
mögen zugeschrieben12). Andrerseits muss aber nach dieser Be-
trachtungsweise selbst dem Irrtum stets ein Keim von Wahrheit
zu Grunde liegen13), Im Mittelpunkt seiner Begründung steht der
natürliche Instinkt als dasjenige Vermögen, welchem certitudo
mathematica zukommt. Er ist ihm anklingend an die mystisch theo-
sophischen Lehren14) vom Lebensprinzip, dem Archeus, die ange-
borene Grundkraft alles Creatürlichen, welche sich als Streben nach
Erhaltung der eigenen Individualität, der conservatio sui, in allem
Seienden offenbart, in der Stufenfolge der Schöpfung zu immer hö-
9) „Sunt autem veritates istae notitiae quaedam coramunes in omni homine
sano et integro existentes, quibus tamquam caelitus imbuta mens nostra de
obiectis hoc in theatro prodeuntibus decernit." De ver. 35, vgl. auch p. 37 u. f.
10) De ver. 68: „Apage igitur istos, qui mentem nostram tabulam rasam,
sive abrasam esse praedicant, quasi ab obiectis haberemus, ut in illa denuo
agere possimus." 144: „Apage igitur veteratoriae scholae rasam tabulam."
n) de ver. p. 47.
12) „Discursum esse infinitum vulgo creditur et nulluni dari dubiorum
terminum, sed falso" 202. „Quod tarnen discursum paulo acrius perstrinxi-
mus, in causa est: quia nullus nisi a discursu solennis error; quod ex innu-
meris illis absurditatibus, quae substructionibus notitiarum communium inni-
tuntür, satis constat." 201 f.
13) „Veritatem enim non solum veritatis, sed ipsius etiam erroris basin
esse quodammodo supra observavimus." 202.
14) Die Vorliebe für die Theosophen geht' aus der angelegentlichen Em-
pfehlung des Paracelsus, Patrizzi und Telesio hervor, welche sich in der seiner
Selbstbiographie eingeflochtenen pädagogischen Unterweisung für Knaben findet.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert.
herer Vollkommenheil emporsteigt und endlich im menschlichen In-
tellekt als dem Vermögen der allgemeinsten, allem Denken zu Grunde
liegenden Begriffe und Axiome gleichsam ein Teil jener das ganze
Weltall durchwirkenden, universalen göttlichen Providenz isl '■'); da-
her er auch durch den Tod nielit vernielitet werden kann16). Hie-
mit tritt seine neue, auf gesetzliches Welterkennen sich gründende
Auffassung in das hellste Licht. Eben weil eine die ganze Well
ewig durchwaltende Vorsehung existirt, giebt es von Zeit und Raum
anabhängige, darum auch unsterbliche, jede Erfahrung überschrei-
tende Grundgesetze des menschlichen Geistes, welche in sittlich-
religiöser Hinsicht eine geurdnete Lebensführung des Menschen er-
möglichen"). Die Kräfte, welche in einer Rose zu Pergamon vor
Jahrtausenden wirkten, wirken heute noch ebenso18); und die
gleichen Fähigkeiten sind in allen Menschen zu allen Zeiten die-
selben gewesen 19). So beruht auf dem ewigen Wirken göttlicher
Providenz der consensus universalis, und andrerseits ist dieser der
Erkenntnissgrund für solches Wirken20).
Die allgemeine Uebereinstimmung ist das Merkmal der
ewigen Wahrheiten. Weil sie allgemein sind, müssen sie angeboren
sein81). Dass wir nichts Näheres über ihr Entstehen wissen, darf uns
nicht zu ihrer Leugnung veranlassen; so wie Geschmack, Geruch,
Gefühl u. s. w. beruhen auch sie auf unmittelbarer Erfahrung und
15) ,Est provideutiae divinae universalis instrurnentum proxirnum eiusque
pars aliqua iu ipsa mente signata." De ver. 5G.
"') „adeo denique necessaria, ut nee morte tolli videatur." II». 57.
'') „In hoc quoque navabis operam, ut verum aeternum, quod semper
praesens et parabile a praeterito sive verisimili, a futuro denique sive possibili
distinguas." Ib. 65.
18) „ Vires easdem, quae Pergami olim, modo obtinet rosa." Ib. .'».
,9) „Easdem facultates in foro interiori hominis cuiuscumque sani et integri
etiam ab omni aevo descriptas fnisse (tamquam notitiam aliquam cotaumuem)
proponimus." Ib. 5.
■>0) „Unieam veritatis normam in necessariis faeimus consensum istum uni-
■ dein, qui sine Providentia divina non instituitur." Ib. 51.
*'') „Consensum universalem tamquam doctrinam instinetus naturalis et
necessarium provideutiae divinae universalis opus habemus." [b. 50. „(I»eus)
notiones commuues tamquam media providentiae suae divinae universalis nullo
non saeculo hominibus impertivit." 51.
3*
36 Wilhelm Dilthey,
schöpfen aus dieser ihre Gewissheit. Allerdings kann sie der Mensch
trotzdem leugnen, aber er thut es dann ebenso, wie er wohl die
Augen schliesst, um nichts wahrzunehmeil22). Sie sind eben in sich
selbst gewiss, und wenn sie auch dem Menschen ohne eine äussere
Mitwirkung von Objekten, Worten oder Zeichen nicht deutlich sind,
so werden sie doch mit deren Hülfe sogleich klar23). Ihr Wert
hängt von der Schnelligkeit der Auffassung und Zustimmung im
Erkenntnissvorgang ab, daher die ohne Verzug innerlich bestätig-
ten Allgemeinbegriffe den ersten Rang behaupten24).
Indem er nun seine Theorie vom natürlichen Instinkt ver-
bunden mit der von der allgemeinen Uebereinstimmung als höchster
Norm der WTahrheit, anwendet: ergeben sich ihm aus der Bezie-
hung des gemeinsamen inneren Sinnes, wie er im Gewissen
repräsentirt wird, zu seinem Objekt, dem höchsten Gut, die un-
ser sittlich-religiöses Leben constituirenden Prinzipien. Sofern
Glückseligkeit in dem vollen Umfang des Guten und Ewigkeit in
dem vollen Umfange der Zeit besteht, vollzieht er die Gleichung
zwischen dem höchsten Gute und der ewigen Glückseligkeit, dem
ewigen Heile25). Die Erreichung dieses Heils wird uns gewähr-
leistet durch die unserem Gewissen innewohnende Anerkennung
eines höchsten Wesens, die Zuversicht zu einer Vorsehung sowie
zu der lohnenden und strafenden Vergeltung, welche durch die
göttliche Forderung eines streng sittlichen Lebenswandels ver-
bürgt ist26).
22) P. 66 f.
23) „Notitia communis, etsi hominem latere possit, quatenus nonduin ex-
plicatur, si tarnen ab obiectis vel rerum vel verborum vel quidem signorum
excitata fuerit, communem notitiam futuram existimandum est." 59.
24) „Inter communes igitur illae primum obtinent locum, quae ex omni
obiecto nulla interposita mora conformantur." 62.
25) „Cum autem beatitudo sit omne bonum et aeternum sit omne tempus,
summum illud bonum erit beatitudo aeterna." De ver. 139.
26) „Est igitur in omni actione egregius conscientiae usus. Primo, ut
supremura aliquod numen agnoscamus, quod ut ubique existat, nullibi tarnen
luculentiore indicio deprehenditur. Secundo, ut de Providentia eius certiores
facti ad illam nos totos componamus. Tertio, ut compertum habeamus, nisi prae-
minm et poena nos maneret, Deum a nobis rigidam et duram illam virtutem
etc. minime exacturum." De ver. p. 137. Ad salutem tarnen aeternam com'pa-
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. :;<
So ist hier der eigentliche Or1 der Religionsphilosophie
in seinem System. Die später gegebenen fünf Grundprinzipien
sittlich religiöserj Handelns97), die notitiae communes, auf denen
die wahre katholisch»' oder universale Kirche beruht28), sind im
Wesentlichen in jenen drei im Gewissen gegründeten Sätzen
enthalten. Er hat sie immer noch gehalten. Schon in zwei Ju-
gendgedichten,9) sprach er die sichere Zuversicht eines künf-
tigen Lebens aus und wiederholte bei jeder Gelegenheit dies sein
Glaubensbekenntniss: als ein Schriftsteller, der nicht für die Schu-
len schrieb, sondern seiner Zeit helfen wollte80). Dies aber
vollbrachte er. indem er durch eine ungeheure Reduction, welche
er am Dogma vornahm, gleichsam die ersten Richtlinien wieder
herzustellen suchte, welche der Baumeister dieser Welt jedem
Herzen eingegraben.
Hieraus erklärt sich nun auch der Charakter seiner Haupt-
schrift. Er lässt sieh in keine persönlichen Debatten ein; höchstens
weisl er ganze Richtungen, die ihm nicht conform sind, kurz ab.
Durch den Eindruck seiner eigenen originalen Gedanken hofft er
den Gegner schweigen zu machen. Er sagte wohl einmal, dass er,
verzweifelnd an der Belehrung aus Büchern, diese endlich abthat
(dehine abiectis libris); dennoch können wir aus seinen vielen
Citaten hervorragender Schriftsteller ein einsehendes Studium der
gleichzeitigen Gelehrten entnehmen31). Das Meiste mag allerdings
randam non sufficere perhibebunt nonnulli. Ceterum qui ita locutus fuerit,
nae ille quidein audax, nedum sacrum temerariumque effatum (mea sententia)
protulerit; cum uulli satis explorata sinl indicia divina." De rel. gent. Auist.
1700 p. --;!)3.
-7) De ver. 268 ff.
De ver. 2
--9) The life p. 31.
3°) Remusat: L. H. de Cherb. p. 114. Life p. 65, 322. Raigne of Ileury
VIII. Ilaered. ac nepot. praeeept. p. 1 u. f.
3I) Eigentümlich ist, unter der Menge von Herbert eitirter Namen jenen
Italiener nicht zu finden, welcher, so weit ich sehen kann, der einzige vor
ihm, das Vermögen des natürlichen Instinctes in dein Sinne angewendet hat,
wie er selbst Es ist Franciscus Puccius aus Floren/. Vermutlich c. 1 "»10/1
geboren, aus vornehmer Familie, wird er angesichts der religiösen Kämpfe in
Lyon von dem Drange nach Klarheit zum Studium der heiligen Schritten ge-
38 Wilhelm Dilthey,
der von Seimsucht nach Erweiterung seiner Anschauung von frem-
den Ländern, Leuten und Sitten getriebene, leicht bewegliche
Weltmann im lgbendigen Verkehr mit den bedeutenden Gelehrten
der NiederlaiKie, Frankreichs, Italiens gelernt und erörtert haben;
seine Beziehungen erstreckten sich überall hin; die Remonstranten
Daniel Tilenius und HugoGrotius ermunterten ihn zum Druck seiner
Sl'!u-ift de veritate 1624; sein Werk de religione gentilium verrät
die eingehende Bekanntschaft der ähnlichen, aber viel umfangreiche-
ren Schrift von Joh. Gerh. Vossius: de origine et progressu idolola-
triae, in welcher der Altertumsforscher und Ethnograph mit erstaun-
licher Fülle der Gelehrsamkeit ein grosses Material angehäuft hatte.
trieben; in Oxford und London liegt er dann eifrig weiteren Studien ob, ver-
wickelt sich hier aber in Disputationen mit den Calvinisten. In Basel be-
freundet er sich nun mit Socinus, sieht sich aber wegen seiner freien religiösen
Aeusserungen wieder genötigt, die Stadt zu verlassen, wird in England aus
ähnlichem Grunde eingekerkert und entkommt nach Holland, wo er mit den
wiedertäuferischen Sekten in Verbindung tritt. Und wie er sich nun aber-
mals zu Socin nach Krakau begiebt, macht seine Art, in Disputationen Be-
weisgründe mehr aus Natur und Vernunft als aus der Schrift zu schöpfen,
es doch auch den bibelgläubigeren Socinianern unmöglich, seine Gemeinschaft
/u ertragen. Schliesslich soll er, wie Lucas Osiander berichtet, in Salzburg
o-efangen genommen und in Rom verbrannt worden sein.
Dieser Lebensbericht beruht auf einem Briefe Socini ad Dudithium 3. Non.
Dec. 1580 Bib. Unit. Oper. Socini Tom. 1,495. Sein eigenes Hauptwerk ist
selten. Der vollständige Titel desselben ist De efficacitate Christi servatoris
in omnibus et singulis hominibus, quatenus homines sunt, Assertio catholica
aequitati divinae et humanae consentanea, universae sacrae scripturae et
sanctorum Patrum consensu, spiritu discretionis probata, Adversus scholas
asserentes quidem sufficientiam Servatoris Christi, sed negantes sanitärem effi-
caciam in singulis per Franciscum Puccium Filidinum Dei et Christi servum
(1592 Goudae in Hollandia). Dieser Titel lässt den freien Standpunkt
des Verfassers erkennen. Da das Buch nicht zu - erreichen war, seien aus
einer sich gegen den Puccianismus richtenden Streitschrift von Haas (1712)
die uns interessirenden Daten entnommen. Danach hat bereits Puccius
diese Reduction des Dogmas vorgenommen und in dem einfachen Glauben
an Gott, einem der stoischen Anschauung entsprechenden vernünftigen Lebens-
wandel und der Nächstenliebe die Bedingungen für das ewige Heil gefunden.
Ja, um dieses zu erlangen, braucht man nicht getauft zu sein und nicht der
Kirche anzugehören. Für diese unerhörte Lehre verweist er u. a. auf das
Beispiel des Hauptmanns Cornelius, welcher nur durch „natürlichen In-
stinkt-' Gott angerufen hätte.
Die Autonomie des Denkens im IT. Jahrhundert. 39
Die Lehre Berbert's ist in ihrem Kerne der Versuch, das
Problem des Erkenntnissvermögens, insbesondere des religiösen
Erkenntnissvermögens durch die Lein«' der Stoa von dem Lnstinctus
naturalis und den notiones communes aufzulösen. Alle darge-
stellten früheren Versuche, vom römischen Stoicismus aus einen
allgemeinen Religionsglauben dem Christentum unterzulegen, wer-
den nun hier überboten durch die ganz freie Entwicklung eines
allgemeinen Religionsglaubens im Sinne der Stoa, unabhängig von
jeder einzelnen positiven Religion. Er überschreitet die Stoa. in-
dem er der unmittelbaren Wahrheit, dem intuitiven Auffassen der
veritas einen Nachdruck und eine Färbung giebt, welche rückwärts
au die Vertreter der intellektualen Anschauung, vorwärts an
Jacobi gemahnt. Hieraus entsteht ihm das Bewusstsein, in der
Erkenntnisstheorie original zu sein. Seine Verwerfung der Kraft
des diskursiven Denkens, sein tiefer Glaube an die Macht des
instinetus naturalis, das menschliche Leben zu regeln: darin liegt
seine Grundstimmung. Hierdurch erwartet er, der Theologie eine
feste, unerschütterliche Grundlage zu geben3'2). Die Sonderung der
33) Er geht von einer dem discursus der schola entgegengesetzten Anf-
ing aus. Ans diesem ist aller Irrtum entsprungen, so haben seine Ver-
teidiger nur den Zweifel gross gezogen; dem gegenüber gilt es, eine ab-
solut gewisse Grundlage zu finden. Eine solche gewährt ihm, wie später Kant,
i den 4 Erkenntnissquellen nur das Apriorische, aber im stoischen Sinne
als teleologischer Lebenszusammenhang aufgefasst. Cf. p. 72: obicientibus
antem, quid novi ex doctrina ista notitiarum communium adferam, respoudeo:
certitndinem in rebus etiam mathematicam. Diese Stelle erweist, dass Herbert
in dein Nachweis der Bedeutung des instinetus naturalis, den Montaigne,
Charron und Bacou im engeren Sinn aus der römischen Stoa entnommen
hatten, für das ganze menschliche Erkenntnissvermögen Originalität in An-
spruch nimmt. Und wie fest er von der Richtigkeit und Wichtigkeit seiner
Lehre überzeugt ist, das zeigt auch p. 204: restat, ut ex hac methodo nostra
verum a falso in propositioue quacumque datasepares: alia enim ad veritatem
aon superest via. Zwar bezieht sich diese Stelle zunächst auf die Prädika-
mente. Da aber diese Methodus zur Lehre vom discursus gehurt und der
discursus nur auf Grund der notitiae communes operiren kann, so bezieht
sich jene obige Stelle wesentlich auf seine Lehre von den communes notitiae
und deren unumstösslicher Gewissheit. Auch p. 195 behauptet er, dass er zu-
• i>t diese diundlage und diese gesammte Ausführung der Erkenntnisstheorie
gegeben habe.
40 Wilhelm Dilthey.
vier Faktoren der Erkenntniss, die Bestimmung der überwiegenden
Bedeutung des instinetus naturalis, als welcher die höchste und
absolut unantastbare Instanz bildet: diese Lehre begründet den
moralischen Rationalismus des 18. Jahrhunderts bis zu Kant
und Jacobi.
Das Problem der Erkenntniss konnte er aber im Sinne ob-
jektiver Giltigkeit derselben nur dadurch auflösen, dass er, wiederum
im Einverständniss mit den Alten, die Gewähr für die objektive
Bedeutung der Evidenz und der Allgemeingeltung in der Ver-
wandtschaft der menschlichen Vernunft mit der objektiven
Vernunft des Universums fand. Und hier erscheinen weitere Ver-
wandtschaftsverhältnisse des Herbert mit anderen Philosophen.
Zunächst tritt hier seine Verwertung der Aehnlichkeit oder Korre-
spondenz (similitudo) auf, und diese ist in der ganzen antik an-
gelegten metaphysischen Tradition gegründet, wofür auf Thomas
und Agricola33) verwiesen sein mag. Indem er aber diese Ver-
nunft als Leben und Natur auffasst, tritt er nunmehr auf den
engeren Boden der römischen Stoa. Ist ja doch die stoische cpuöis
die Energie, welche den elementarischen Körpern die Kraft ihres
inneren Zusammenhanges giebt und sich immer höher entwickelt
zu verschiedenen Vermögen, und ihr Grundwesen ist die conser-
vatio sui34); ist doch in diesem Zusammenhang das höchste der
Vermögen in der Natur die mens, der die allgemeinsten Begriffe,
und das sind die religiösen, angeboren sind35). So verbinden sich
die stoisch - platonischen Lehren der römischen Philosophie bei
Herbert sehr natürlich mit den Begriffen von Beseelung, Verwandt-
schaft, Sympathie, Stufen und Graden, welche in dem neuplatoni-
sirenden Panpsychismus und der Theosophie des Zeitalters ihn um-
geben, daher er den Telesio, Patrizzi und Paracelsns liebt und be-
nutzt. Der instinetus naturalis ist ihm die angeborene Kraft,
deren Wesen Selbsterhaltung, diese wohnt jedem Seienden inne,
den. Elementen sowohl wie den Pflanzen, Thieren und Menschen.
33) Agric. dial. C. 6, p. 51, 52, 55, 57.
3i) Cic. de fin. V 9, 24. III 5, 16.
:)5) Cic. de fin. V 21, 59. deor. nat. II 4, 21. Tuscul. I 2, 27, bes. 'I2,
53 ff. 24, 57.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. II
Im den Elementen ist ihm- instinctus naturalis auf die unterster] Funk-
tionen beschränkt, er steigert sich in Bezug auf dieselbeu so, dass er
im Menschen das Vermögen der höchsten und allgemeinsten Be-
griffe ist. Entsprechend gebraucht1 Herberi echt stoisch für Pro-
videntia universalis divina gern den Ausdruck natura (905'.;)'").
Hics alles ist ihm lebendige Literatur87); sie begründel seine stoische
•(;) Cf. Cic. nat. deor. II 29, 73 u. 32, 81 u. 5. Auch Varro ist von ihm
benutzt worden.
:;r) Er erwähnt Aristoteles: p. 69. 147. 159. 161.242. Varro (bei August,
civ. d. 19) p. 264, einen non obscurus auetor p. 273. Anspielungen p. 79:
\1vl1iain1s; p. 13: oratorum prineeps [Cicero), p. 40 Z. 1: radii aniinae cf.
. V L6,2; p.58: mentis fenestrae cf. Cic. Tusc. I 20, 46; p. 62, p.85: Spiritus
emissarii cf. Gell. V 16,2; p. 305: Cic. de tat. c. LO, 20ff. p. 310, Z. 4: Cic.
de div. I .")T. 129; 30, 63ff. ('0: p. 74: stoisches Fatum zurückgewiesen.
In de causis errorum erwähnt er p. 8, 90: Cornelius Dribel. p. 23:
Lnatomisti; p. 24: philosophi; p. 45, 46, 48: medici; p. 137: medicus celeber-
rimus; p. 61: seepticus; p. 63: Empirici; p. 63, 137, 110, 120: auetores; p. 105,
112, 116, 122, 123, li'."): percelebris opticus: p. 79, 80, 102: Neoterici (=schola);
p. 104: primaria schola; p. 41. 82, 87, 127, 128, 135, 140, 141: schola; p. 113,
115, 127. 12S. 136: Aristoteles; p. 122: architecti; p. 114: mathematici; p. 125,
127, 137: quidam; in de religione G. Vossius p. 14 — 15. IG— 17. 24. 25.
27. 30. 33. 34. 35. 36. 40. 41. 42. 43. 44. öl. 52—53. 56.64. 69. 70. 72. so.
-I. 86. 87. 88. 90. 93. 95. 97. 102. 103. 104. 108. 111 ff. 116. 120. 12:;. L26.
137. 138. 139. 111. 1.'.;;. 164. 166. 181. 18:1202. Cicero: 17. 24. 28. 2:». 30.
33. 39. 40. 41. 43. 44. 48. L9. 54. 56. 59. 60. 61. 64. 69. 71. 72. 73. 79. 101.
102. 105. IOC 110. 111. 112. 114. 117. 119. 120. 124. 125. 126. 128. 129.
130. 132. 133. 136. 137. 141. 143. 144. 145. 148. 149. 150. 152. 153. L59.
0:0. 162. 184. 185. 1S6. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 196.
l:i7. 199. 201. 201. 2ii5. 206. 213. 215. 216. 227. 228. Varro: 10—12. 38.
12. 17. 48. 59. 71. 77. 78. 92. 94. 95. 96. 101. 103. 114. 116. 119. 133. 141.
11c. 148. 149. 152. 154—155. 156. 18t;. 187. 227. 229. 230. [Der Anfang der
rifl ist vielleicht eine eigene Verarbeitung Ciceronischer (de deor. nat. 112.
4ff.) und Varronischer Gedanken.] Galilei: 6. 32. 48. 83. Jelden: 33. 38. 12.
"7. 133. Garcilasso de Vega: 20.34.42. Philastrius: 35. Gesner: 35. Auetor
Christ: 40. Thomas Aquinas: 40. 228. Jesuita: 40. Cartarius: 11. t:i. II.
16. 71. 72. 85. 88. 122. 121. 136. 140. 111. 156.208. Eutbynius Zingabenus :
12. Mersennius: 42. 50. Copernicus: 43. 51. Seueca: 43. 47. 64. es. 78.
120. 137. 187. 196. 198. 204. 206. Vincentius Bellov.: II. Kepler: IC 17.
18.49.56. Scheiner: 46. 47. 48. 56. 57. Sauford: 47. 138. Acosta: 53 54.
92. Tubus: 56. 1'. Mexias: 57. Avicenna: 166. Permonchus: 58. Fr. Leo
1.: 65. Carpentarius : 66. Glycas: 70. Lipsius : 72. 74. 76. 109. Heinsius:
110.2hl'. Jo. Leo: 76. Dausquius: 80. A. Piccolomini: so. Licetus: 87.
42 Wilhelm Dilthey,
Lehre von der universalen Vernunftreligion; wieviel er auch, zu-
mal terminologisch, aus der scholastischen Schultradition übernimmt,
so hat doch seine Bezeichnung schola für dieselbe etwas Abschätziges,
er bekämpft insbesondere ihre nominalistische Neigung und ihre
Beschränkung der Vernunft auf den discursus38).
II.
Diese Hoffnungen auf eine Religion der Vernunft empfingen
schon seit dem 15. Jahrhundert eine immer zunehmende Stärke durch
die Erfolge dieser Vernunft in der Unterwerfung der Natur durch das
Wissen. Die Epoche der Erfindungen und Entdeckungen war bedingt
durch die Veränderungen in der bürgerlichen Gesellschaft. Die fort-
schreitenden praktischen Ziele dieser Gesellschaft in der städtischen
Industriearbeit, im Handel, in der Medizin enthielten überall neue
Aufgaben. Was konnte diese Gesellschaft, deren zunehmende städ-
tisch unruhige Bevölkerung nach verbesserten Produktionsmitteln und
rascherem Seeverkehr verlangte, mit den scholastischen Disputir-
künsten an den alten Universitäten anfangen? Nur auf dem Wege
des Versuchs, der Rechnung, der Entdeckung, der Erfindung konnte
Theodorus Gaza: 89. Patricius: 57. 78. 81. Petr. Aponensis: 48. Hugo
Grotius: 15. 202. Roger Baco: 48. Tycho de Brahe: 50. 78. Jos. Scaliger:
51. 53. 102. 116. 140. Bullinger: 22S. Boccatius: 89. Wilibald: 91. Demste-
rus: 98. Christopha Castro: 116. Füller: 122. Fabricius: 122. Budaeus:
123. Caelius Rhodig. : 123. Vives: 123. 145. Bullin: 167. G. Choul: 181.
214. 227.
38) Es ist wichtig, den Begriff der schola festzustellen. Er spricht über
sie in de veritate: p. 18. 25. 29. 40. 41. 64. 67. 75. 78. 92. 95. 105. 109. 110.
116. 118. 122. 127. 131. 136. 138. 141. 144. 147. 156. 164. 166. 168ff. 193.
197. 198. 201. 203. 205. 206. 207. 208. 211. 225. 229. 230. 232. 238. 246.
218. 249. 254. 255. 257. 259. 261. 262. 263. 268.- 270. 271. 282. 305. 311.
Zuweilen für schola: authores. Er stimmt der schola zu in der Lehre vom
Makrokosmus und Mikrokosmus p. 116, von den humores p. 110, den ein-
zelnen sensus externi p. 168ff., von der Eintheihmg des Seienden p. 141. Fer-
ner operirt er mit denselben Begriffen: facultates p. 40. 41. 197 ff., conditio-
nes p. 29, obiectum p. 25, differentia (-facultas) p. 40, analogia p. 201, princi-
pium individuat. p. 198, conformitas (conscientiae) p. 138. llauptdifferenzpunkte :
Nominalismus p. 164, tabula rasa p. 68. 144. 168, discursus p. 64. 68. 75. 78.
95. 131. 193. 197 f. 201 u. ff.. Für das Verhältnis* der Schule zu Aristoteles be=
weisend p. 127. 197. 204.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. |."»
das Denken den Forderungen dos Lebens genügen. Und mm lagen
in derselben neuen bürgerlichen Gesellschaft, aus welcher diese
modernen Aufgaben entsprangen, auch moderne Mittel ihrer Auf-
lösung. Denn in ihr bildete sich nun im Gegensatz zu der antiken
Trennung der arbeitenden Hand von dem wissenschaftlichen Geiste
die schöpferische Verbindung der [ndustriearbeil mit dem wissen-
schaftlichen Nachdenken. Diese Verbindung der Arbeit mit
dem forschenden (»eiste im Schoosse einer freien bürger-
lichen Gesellschaft hat das Zeitalter der Autonomie
und Herrschaft der Vernunft heraufgeführt. Es entstanden
Hilfsmittel der experimentellen und messenden Wissenschaft, Er-
findungen im Dienste der Herrschaft der Arbeit über die Natur,
wie der Compass, das Schiesspulver, die Buchdruckerkunst, die
fortschreitende Technik Gläser 7.11 schleifen. Bald haben dann
diese Erfindungen zu Ergebnissen geführt, welche eine ausserordent-
liche Steigerung der Souveränität des Menschen gegenüber der
Natur zur Folge hatten. Hierbei verwoben sich überall die Ideen
d^v Alten mit dem vordringenden construetiven Geist der neuen
Zeit. Als in wenigen, Jahren hintereinander, von jenem 12. Ok-
tober 1492 bis 1522, die Entdeckung Amerikas, die Auffindung des
Seeweges nach Ostindien, die Erreichung des stillen Oceans und
die erste Erdumsegelung einander folgten, hatte sich die mensch-
liche Vernunft den Erdball unterworfen und begann sich auf ihm
einzurichten. Und indem so die Kugelgestalt der Erde definitiv
festgestellt war, that sich ein unermesslicher astronomischer Hori-
zont auf: von der zunächst liegenden Hypothese der Axendrehum>'
aus gelangte Copernicus zu der endlichen Feststellung der grössten
Hypothese der antiken Welt. Die Bedürfnisse der Seefahrt haben
den astronomischen Arbeiten Interesse und Hilfsmittel zugewandt.
Dunkle und nicht ganz verstandene Nachrichten über die helio-
zentrische Hypothese haben Copernicus zu der grössten Erweite-
rung hingeleitet, welche die Welterkenntniss jemals erfahren hat:
zu derselben Zeit, in welcher der alternde Luther im Symbol-
glauben sich vergrübelte, entstand in dem Kopf eines katholischen
Domherrn dieses wichtigste wissenschaftliche Werk der Menschheit.
Die Erschliessung des Universums durch das rechnende Denken
44 Wilhelm Üiltliey,
wurde dann durch Kepler und Galilei fortgeführt. Und unter
dem Einfluss derselben socialen Bedürfnisse der neuen bürgerlichen
Gesellschaft wurde endlich auch der erste entscheidende Schritt ge-
than, die complexen Phänomene dieses Universums einer wirklichen
Analysis zu unterwerfen, welche die einfachen gesetzlichen Ver-
hältnisse heraushob.
Diesen Schritt that Galilei durch die Aufstelluno; der Ge-
setze der Bewegung. Die Arbeit in den Werkstätten der Städte,
die an die Erfindung des Schiesspulvers sich knüpfenden Auf-
gaben und die Festungstechnik, die Förderungen der Schifffahrt
in Kanalbau, Schiffsconstruction und Schiffsausrüstung machten
die Mechanik zu einer Lieblingswissenschaft der Zeit; zumal in
Italien, den Niederlanden und England waren diese Bedürfnisse
sehr lebendig und riefen Fortsetzungen der statischen Arbeiten
der Alten und erste Versuche auf dem neuen Felde der Dynamik,
insbesondere bei Liouardo, Benedetti und Ubaldi hervor. Galilei
kam. In ihm folgte auf mehr als zwei Jahrtausende von Be-
schreibung und Formbetrachtung der Natur, die nun in dem
Weltbild des Copernicus einen Abschluss gefunden hatte, das
Stadium einer wirklichen Analysis der Natur. Dieses ist einge-
leitet durch Copernicus, Bacon und Kepler. In Bacons dissecare
naturam, seinem tiefsten Begriff, war die Formel dieser Analysis
gegeben. Kepler war bei seinen Forschungen von dem Prinzip
der Harmonie des Universums geleitet, nach welchem die Schön-
heit die Erscheinung einer Zweckmässigkeit ist, die in Zahl und
Maass besteht. Gott ist nach ihm an die Gesetze der Geometrie
gebunden. Die erste Eigenschaft der Substanz ist die Quantität,
und, nur soweit qualitative Bestimmungen auf quantitive zurück-
geführt werden können, kann ein Erkenntnisszusammenhang ge-
funden werden; ut oculus ad colores, auris ad sonos, ita mens
hominis non ad quaevis sed ad quanta intelligenda condita est.
Das Maass unserer Erkenntniss liegt in ihrer Annäherung an die
nudae quantitates. Hiermit ist der methodische Grundsatz des
modernen Naturerkennens gefunden, nach welchem nur soweit,
als die Thatsachen gleichsam auf dieselbe Fläche gebracht und so
gänzlich vergleichbar gemacht werden können, also nur in der ma-
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. 45
thematischen Naturwissenschaft strenge Naturerkenntniss möglich
ist. Diese Sätze werden von Galilei fortgeführt. Die Philosophie
ist nach ihm nicht ein Buch aus der Phantasie des Menschen wie
die Hins und der Orlando furioso; vielmehr ist „das wahre Buch
der Philosophie das Buch der Natur, welches immer aufgeschlagen
vor unsern Augen liegt, es ist aber in andern Lettern geschrieben
als in denen unseres Alphabets; die Lettern .sind Triangeln. Qua-
drate, Kreise. Kugeln, Kegel, Pyramiden und andere mathe-
matische Figuren39)". Kurz „dies Buch kann nur gelesen werden
mit Hilfe der Mathematik*40), und für diese Ansicht von der Be-
deutung der Mathematik für die Philosophie wird Plato als Ge-
währsmann citirt41). Vermittelst jener Vergleichbarkeit und Mess-
barkeit von Kaum, Zeit und Bewegung versucht nun Galilei,
seinem Principe folgend „alles messen, was messbar ist, und ver-
suchen messbar zu machen, was es noch nicht ist." die Natur
zu konstruiren. Diese Aufgabe war nur dadurch lösbar, dass er
die Gleichförmigkeiten in den Bewegungsvorgängen auffand. Die
entscheidenden Ausgangspunkte hierbei waren die zwei aus den
^tatsächlichen Bewegungsvorgängen abstrahirten Gesetze, durch
welche ihm die Anwendung der Mathematik auf die dynamischen
Probleme erst möglich war: 1) die Wirkung jeder einfachen Kraft
ist eine Bewegung in gerader Linie; sonach ist jede Bewegung in
einer Kurve das Produkt aus der Zusammensetzung von Kräften.
2) Wie ein ruhender Körper in seinem Zustand zu beharren strebt,
so tendirt ein bewegter Körper in geradliniger Bewegung mit gleich-
massiger Geschwindigkeit zu verbleiben, und diese Tendenz kann
nur durch äussere Kraft aufgehoben werden. — So war sein Ver-
fahren, wie das erste Princip zeigt, die erste wirkliche Analysis
der sich verbergenden Komplexität der Natur in Kräfte als Kom-
ponenten, es war zugleich überall eine Unterordnung der Er-
fahrungen unter allgemeinste im Denken gegebene logisch ma-
thematische Beziehungen. Dementsprechend war auch er ein
Vertreter des a priori, durch welches die Erfahrungen konstruirt
39) Galilei opere, ed. Alberi, VII 354ff.
40) Opere XI 21.
") Opere XIII 93.
40 Wilhelm Dilthey,
werden. Das Korrelat dieser ganzen Lehre42) war die Erkeuntniss
der Subjektivität der sinnlichen Qualitäten, sofern sie zur mathema-
tischen Konstruktion der Natur nicht erforderlich sind. So wurde
durch die grossen Entdeckungen von Copernicus, Kepler und Galilei
und die sie begleitende Theorie von der Konstruktion der Natur
durch a priori gegebene logisch mathematische Bewusstseinselemente
definitiv das souveräne Bewusstseiu der Autonomie des menschlichen
Intellekts und seiner Macht über die Dinge begründet: eine Lehre,
welche zur herrschenden Ueberzeugung der am meisten fortgeschrit-
tenen Geister wurde.
III.
So gewann die menschliche Vernunft auch zunehmenden Mut,
die am meisten verwickelte und schwierige aller Aufgaben sich
zuzutrauen: die Regelung der Lebensführung und die Ordnung der
Gesellschaft.
Die Autonomie der menschlichen Vernunft in Bezug auf die
sittliche Lebensführung der Einzelperson ist zuerst von einem
onedischen Weltmann und einem französischen Priester nachdrück-
lieh geltend gemacht worden. Beide stellten diese Autonomie zu-
nächst auf dem Wege der Loslösung einer autonomen, auf das Ge-
setz der Natur gegründeten Moral von dem religiösen Glauben fest;
beide stützten sich in der Darstellung der selbständigen Kraft der
Menschennatur auf die alten Schriftsteller, insbesondere auf Cicero
und Seneca.
Ich habe früher auf die ersten Regungen einer unabhängigen
Moral in der stoisch humanistischen älteren moralischen Schule von
Florenz hingewiesen. Die Richtung auf eine autonome Moral wird
in Italien fortgesetzt von Telesio und Giordano Bruno, in Frank-
reich, wie ich nachgewiesen habe, von Montaigne und Bodin. Die-
ser Bewegung gaben nun einen populären Ausdruck von grosser
Kraft Bacon in England und Charron in Frankreich.
In Bacon manifestirt sich der unbändige Lebens- und Gestal-
tungsdrang der Menschen der Renaissance in einer wissenschaftlichen
42) Für das Nähere verweise ich vorläufig auf die ausgezeichnete Abhand-
lung von Natorp, Galilei als Philosoph, in den philosoph. Monatsheften. 1882.
1 He Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. 4<
Phantasie, weicht' die Herrschaft des Menschen über die gesamrnte
Natur durch die Erkenntniss der Gesetze derselben herbeizuführen
unternimmt. Diese Phantasie ist aber ganz positiv: die Imagination
eines von Realitäten erfüllten Kopfes. Er construirt von diesem
Wirklichen aus seine Methode wie eine ungeheure Maschine, welche
die Last der ganzen Erfahrung liehen soll. So tritl in ihm der Ty-
pus des Menschen der Renaissance in einer ueuen Modifikation auf:
es ist der Mensch, welcher seinem Willen, zu leben, zu herrschen
und zu gestalten, ein Feld unbegrenzter Erweiterung durch Erkennt-
niss der Kräfte der Natur und durch Herrschaft über sie erobert.
Die mittelalterliche Nachdenklichkeit über das Elend der Menschen-
natur bedarf nach ihm der Ergänzung durch das Studium der Prä-
ativen desselben. So betont er im Denken das schaffende Ver-
mögen, im Willen die Verwirklichung der allgemeinen Wohlfahrt.
Langsam steigen diese neuen mächtigen Beweggründe neben den
kriegerischen und religiösen Aü'ecten der feudalen Zeit auf und
bemächtigen sich der Menschen. Von diesem neuen Standpunkte
aus hat nun Bacon auch die Autonomie der moralischen Kraft
und der sittlichen Erkenntniss zur Geltung gebracht.
Auch im Verhält niss zur moralischen Welt ist Bacons Grund-
stellung eine praktische, herrscherliche, im höchsten Sinne utili-
1 arische; daher er sich schon hierin mit der römischen Stoa be-
gegnet. Und zwar entnimmt er dieser antiken Tradition die Lehre
von einer obersten Regel, welche in der moralischen Welt zu herr-
schen hat. Er macht sich den Boden frei für sein Moralgebäude in
diesem neuen Stil, indem er das moralische Leben und die mora-
lische Wissenschaft loslöst von der Theologie43). Die sittlichen
43) Den klarsten Einblick in Bacons Stellung zur theologia naturalis bietet
de augin. IX p. 596—599 und III p. 185. Die Principien der Religion unter-
stehen nicht der Vernunft, sie sind als solche in sich gefestigt: erst aus
Hinen hat die Vernunft Sätze herzuleiten. B. weist der theologia naturalis
und dem lumeu naturale die Aufgabe und das Vermögen zu, diu Atheismus
zu widerlegen. Herbert erweist die Gewissheit des Daseins Gottes aus dem-
selben Vermögen, hütet sich aber jene auf die christliche Religion auszu-
dehnen, für denn Gewissheit er ja die relevatio einstehen lässt. (Jebrigens
dehnt Bacon p. 597 die Fähigkeit des lumen naturale nur auf die Klink aus.
wenigstens spricht er nur von dieser; doch müsson wii sie auch für den Er-
48 Wilhelm Dilthcy,
Ordnungen stehen unter einem Naturgesetz. Er sagt44): habere
homines etiam ex lumine et lege naturae notiones nonnullas virtutis,
vitii, iustitiae, iniuriae, boni, mali id verissimura est. notandum
tarnen lumen naturae duplici significatione accipi. Im eisten Sinne
deckt sich das lumen naturale mit dem, was Herbert in den sensus
externi. interni und dem discursus betrachtet; im zweiten Sinne
ist es das, was er intellectus oder instinctus nennt; denn auch
Bacon spricht von dem iustinctus internus in der Menschenseele.
Dies innere Licht ist natürlich angeboren, es sind reliquiae pri-
stinae et primitivae puritatis. Herbert und Bacon unterscheiden
sich insofern, als Herbert gerade die Wahrheit der Religion auf
dies innere Licht stützt, Bacon aber das entschieden abweist. Das
lumen naturale ist, als göttliche Naturanlage, einerseits das innere
Licht, der intellectus oder instinctus, welches die höchste natürlich
erreichbare Wahrheit in sich schliesst und sie verbürgt, andererseits
auch zugleich das Licht, welches Wahrnehmung, Induktion, Schluss
u. s. w. bedingt. Von jenem Naturgesetz ist jedem Menschen ein
Bewusstsein mitgegeben, welches freilich verdunkelt sein kann.
Das äussere Merkmal dieses Gesetzes ist der consensus. Alle
diese Bestimmungen sind aus der stoischen Tradition. Die Herr-
schaft des Naturgesetzes begreifen und fördern, heisst es psycho-
logisch auffassen, sonach muss es auf die in ihm wirkenden
Kräfte zurückgeführt werden. So erwächst ihm zunächst die
schöne Aufgabe, nicht bloss die Regeln des sittlichen Lebens auf-
zustellen, sondern über die Mittel der Unterordnung unserer Affekte
unter das natürliche Gesetz praktische Sätze abzuleiten. Auch
hierin folgt er dem Weg der Stoa und bezeichnet Aufgaben für
Hobbes und Spinoza. Demgemäss fordert er zunächst eingehendes
Studium der Affekte; aus diesem gewinnt er den Satz, dass ein
Affekt nur durch einen anderen gebändigt werden kann: ein Ge-
weis des Daseins Gottes in Anspruch nehmen, wenn doch, wie er will, die theol.
nat. den Atheismus widerlegen soll. Der ganze Unterschied besteht hier also
darin, dass ßacon den Wert dieses lumen naturale möglichst herunterdrückt
zu Gunsten der revelatio, während Herbert die Bedeutung dieses instinctus
nicht hoch genug anzuschlagen weiss.
") De augment. IX p. 597.
Die Autonomio dos Denkens im 17. Jahrhundert. 49
setz, das Spinoza and Hume übernehmen und für ihr ethisches
System weiter nutzbar machen. Ebenso erwägl Bacon Gewohnheit,
Umgang, Erziehung, Lektüre u. s. w. als psychologische Mächte für
das Wachsthum des Sittlichen. Er ist in alle diesem moralischer
Realist. Durch dasselbe Princip ist dann sein Bauptfortschriti
ermöglicht, die Regel selbst als einen psychologischen Kräfte-
zusammenhang zu lassen. So ist die sittliche Kultur nach ihm
beding! durch Kräfte der sittlichen Welt. Die lex naturalis er-
scheint bei Bacon als socialer, auf das Wohl der Gesammtheü
gerichteter Trieb des Einzelmenschen, welcher sich mit dem Trieb
der Selbsterhaltung auszugleichen hat ,f'). Aber auch von die-
ser neuen Grundlegung kann erwiesen werden, dass sie ihre Wur-
zeln in der römischen Stoa hat4"). Die wichtigste Belegstelle hier-
*5) De augment. VII p. 434, Iff.; 435, 15.
iti) Stoische Lehren und überhaupt alte Schriftsteller werden von B. citirt:
VII p. 428: reeta ratio = XdYos dp&o's. p. 430: Sen. ep. 52, 14; p. 132, L3ff.:
Sen. ep. 66,5. 95,10. Gic. off. I 3, 7— 9f. 5,17. 1112,7. 143,152. 1125,
8Sff.: p. 437, 18ff.: Cic. off. I 2,6. de fin. V 8,23. de leg. I 13, 37 ff. acad. pr.
1! 15, 139. de off. III 33, 116. acad. pr. II 4-.', 129; p. 440, 17: Cic. off. I 4, 11.
p. 440, 8—9: Varro b. August, civ. D. VII 28: p. 444, 10: Cic. fin. V 13, 37 ff
II! 91, 31. off. III 3, 13. Seneca de vit. beat. 8, 2 ff; p. 445, 7: Sen. ep. 85, 18;
p. 139: Aristoteles; p. 439: Diogenes; p. 445,3: Plat. Pbaedon c. 9 p. CIA. ff
Seneca ep. 4, 12, 23, 24, 30, 32, 70, 77, 78, 80, 82, 98, 99, 101, 102 u. s. w.
p. 1 16, 7: Cic. off I 7, 20; p. 447, 14: Hecaton b. Cic. off. III 23, 89 u. s. u.:
p. 152, 4; Hecaton b. Seneca de benef. II 18, lff 21, 4. III 18, lff Cic. de off.
III 15, 63. Seneca ep, 94: p. 453, 12: Cic. off. III 4, 18; p. 456, 17: die bekannte
stoische Auffassung (als Krankheit): p. 456,5: cf. Posid. b. Galen 280 M. (Ba-
con hat Galen auch gelesen cf. p. 220); p. 457, 6ff.: cf. Cic. off. I 30, 10711'. 31,
UOff. 32, Hoff: p.459,5ff.: Cic. off. I 34, 122 u. 124. 32, 115: p.459: Aristot.
rhet.; 461, 13: Seneca de ira. ; p. 463, lff: cf. Cic. off. I 31, 110; p. 464, 12:
Aristot.; p. 465, 17: Arist. Nie. eth.; p. 468, lOff: cf. Cic. off. I 31, 110 u.
114; p. 4C9, 11 ff. : Aristot. ; p. 469, 17: Plinius paneg; p. 470, 15: Xenophon;
p. 472, 10: Unheil über Stoa.
buch VIII. p. 474,4: Cic. ad. Att.; p. 474, 15: Pindar; p. 476, 7: Cic. ad
Quint. fratr.; p. 476, 1: Cic. ad Att.; p. 477, I2ff.: Livius.; p. 480, 11 u.ff.:
Cic. de orat. 11133,1331V.: p. 481, 7 f. : Cic. de petit. cons. ; p. 510, 12: Cic. ad
Att.; p. 516, 20: Q. Cicero.: p. 521, 10: Epictet.; p. 531, 6: Cic. ad Att.; p. 538, 9:
Aristoteles.
buch III. p. 180,4: z. B. Cic. off 1.43,153. Sen. ep. 89,5.; p. 180.5:
Aristot. Nie. eth.; p. 187, 2ff: Bomer.; p. 189, lff: Cic. Acad. II 10, 32.
Diog. 1X72; p. 189, 13: erinnert an d. Unterabteilung der Physik bei Seneca
\ i ■ luv f. Geschichte d. Philosophie. VII.
50 Wilhelm Dil they,
für ist Cic. de oft'. 1,4,11: principio generi animantium omni est
a natura tributum, ut sc vitam corpusque tueatur . . und 12:
eademque natura vi rationis hominem conciliat et ad orationis et
ad vitae societatem irnpellitque, ut hominum coetus et celebratio-
nes et esse et a se obiri velit.
Auch die Weisheit, welcher die berühmte Schrift Charrons
gewidmet ist, ist schliesslich in ihrem positiven Kern die der Stoa.
Wie berühmte Hermen des Altertums ein doppeltes Gesicht zeigen.
so sieht man in Montaignes Essays den Skeptiker, dreht man aber
den Kopf um, den römischen Stoiker. Auch hierin ist Charron
dem älteren Freunde ähnlich. Ja, er hebt noch entschiedener als
dieser den positiven Gehalt seiner Weisheit hervor. Wer nun
aber auszusprechen vermöchte, was über alle antiken Schriftsteller
hinaus Charron rückwärts mit Montaigne verbindet, vorwärts mit
Descartes und besonders mit Pascal: romanische Vitalilät, kühles
Geltenlassen der Passion und kühles Abschätzen der Kehrseite
des Lebensglanzes, unermesslicher Verstand ohne Tiefe, persönliche
freie Lebenshaltung innerhalb einer regimentalen kirchlich poli-
tischen Ordnung: der würde den ganzen Gegensatz der edelsten
Geister dieser romanisch -kirchlichen Welt zu der germanisch pro-
testantischen damit ausdrücken. Charron wird uns geschildert als von
ausserordentlicher animalischer Lebendigkeit. Man bemerkte, dass
der Ausdruck seines Gesichtes eine beständige überallhin aus-
strahlende Fröhlichkeit zeigte. Seine Stimme und seine Geberden
waren von südlicher Beweglichkeit. Und nun lesen wir, wie dieser
Mensch, nachdem er Doktor der Rechte zu werden und die Ad-
vokatencarriere versucht hatte, enttäuscht über sie Theologie stu-
dirte, ein berühmter Prediger zu Paris wurde, gern vom Hofe ge-
hört ward, dann aber nach siebzehn- oder achtzehnjähriger Thätig-
keit doch von Begierde nach der Einsamkeit ergriffen in den Cister-
zienserorden einzutreten beschloss. - Daran wurde er dann freilich
durch seine vorgeschrittenen Jahre gehindert. Er verliess Paris,
89, IG ; p. 198, 10: Cic. divin. II 46, 97. I 19, 36; p. 213, 8 : Ps. Plutarch. doxogr.
p. 214: Lactantius, Philo, Philostratus, Theophrastrus, Paracelsus, Telesius,
Patricius, Venetus ; p. 220: Galen.; p. 224: Ileron; p. 224: Agricola.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. .~>|
zu dieser Zeil ist er Montaigne begegnet und schloss mit ihm
die innigste Freundschaft. Nun ersl schrieb er sein Werk. Aus
diesem spricht die Lebenskenntniss des Romanen und Ars Priesters.
Wo er von der Macht der Gewohnheil und der Zeit spricht, sagt
er einmal: „Die Galeerensclaven weinen, wenn sie die Galeere
/.uerst betreten, nach 3 Monaten singen sie".
Die trefflichste und nützlichste Absicht, so beginnt sein Werk.
doch die am schlechtesten ausgeführte, ist. sieh seihst zu studiren
und sich kennen zu lernen. Dies ist ihm das Fundament der
Weisheit. So will er denn nichl aus Büchern lernen, sondern von
sich selbst, doch besteht diese Selbsterkenntniss zunächst in einer
Zergliederung des Seelenlebens, welche das damals (Jebliche nir-
gend überschreitet. Die ausführliche Schilderung der Passionen
entspricht der stoischen und der kirchlichen Tradition. Nun aber
wird er ganz er selbst, wenn er über die Eigenschaften des Lebens
zu sprechen beginnt. „Dummheit und Blindheit herrschen über
den Anfang unseres Lettens. Die Mitte ist mühsame Arbeit, das
Linie Schmerzen, das Ganze ein Irrtum."
Das ist für ihn nun die Bedingung der wahren "Weisheit, dass
ihr Mensch seine moralische Gebrechlichkeit und seine mise-
rable Lage erkenne. Hierdurch wird er fähig, die notwendigen
Heilmittel zu suchen, welche der grosse Arzt, die Weisheit, vor-
schreibt. (IL preface.) „Ich gebe hier ein Gemälde und Lehren
der Weisheit, die vielleicht Manchem neu und fremdartig erschei-
nen werden und die noch Niemand in dieser Manier gab und be-
handelte." (Ebds.)
Aber wie priesterlich auch diese ganze Disciplin ist, sein
grosser Arzt, die Weisheit, ist nicht die Kirche, sondern, nachdem
der Patient durch die Erkenntniss der Passionen und die Loslösung
von ihnen in einen Zustand der vollen und universellen Freiheit
gelangt ist. empfängt er nun Generalregeln der Weisheit von der
Natur selber (II c. 3 Anfang). Befreiung von den Irrtümern und
den Fehlern der Welt und den Leidenschaften: so lautet das vor-
bereitende CapiteL
In ciuer Stelle, welche in den späteren Auflagen verschwand,
spricht er dasPrincip der Unabhängigkeit der Moral von Ete-
4*
59 Wilhelm Dilthey,
ligion und Kirche in Worten aus. die Marc Aurel hätte schreiben
können. „Man sei sittlich, weil Natur und Vernunft es gebieten,
die allgemeine Ordnung der Welt, deren Teil die Einzelperson ist,
es verlangt. Man sei sittlich, werde daraus, was wolle." Moralist
ist das Erste, Religion nur ihre Ergänzung und Vollendung. Sic
bringt die Moralität nicht hervor, „welche mit und in dem Men-
schen geboren ist und von der Natur in ihn gelegt wurde".
Von den Leidenschaften befreit zunächst eine gewisse
Stumpfheit der Seele, dann kann bei der verschiedenen Stärke der
Leidenschaften jedesmal die schwächere von der stärkeren überwun-
den werden, oder man wendet den Kunstgriff an, den Zufällen des
Lebens auszuweichen und sich vor ihnen zu verbergen. Das beste
Mittel aber liegt in der Festigkeit der Seele, welche mit den Zu-
fällen kämpft. Die Freiheit der Seele wird alsdann befördert
durch den Geist allgemeiner Prüfung und Beurteilung aller Dinge.
(Buch 2 Kap. 2 No. 2 S. 324.) So manifestirt sich die raison-
nirende Natur des Menschen. — An diesem Punkte vernimmt man
schon Descartes. — Sie wird alsdann befördert durch die kühle und
leidenschaftlose Suspension des Urteils, endlich durch eine Uni-
versalität des Geistes, in welcher der Weise auf das ganze Weltall
blickt, sich wie Sokrates als Weltbürger fühlt und das Menschen-
geschlecht mit Neigung umfasst. Auch muss der Weise seine
Affektion möglichst wenigen Dingen und Objekten zuwenden,
sonst wird sein Handeln einseitig und affektiv und sein Denken
vorurteilsvoll. Und nun noch ein rechtes Wort des Romanen
und des Priesters. (Ebds. No. 13 S. 349.) „Schliesslich muss
jeder sich selbst zu unterscheiden wissen in seiner öffentlichen
Rolle. Denn jeder von uns spielt zwei Rollen und besteht aus
zwei Personen; die eine äusserlich, die andere wesenhaft. Er
muss die Haut vom Hemde zu unterscheiden wissen. Der ge-
schickte Mensch wird seine Rolle gut spielen und nicht urteilen
lassen über die Dummheit, die Tollheit, die in ihm ist. Man
muss sich der Welt bedienen, wie man sie vorfindet, inzwischen
aber sie als etwas sich Fremdes ansehen." So wird nach Charron
der Schüler der Weisheit vorbereitet, um deren Regeln zu em-
pfangen.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. .">">
Jetzt tritt der Grundbegriff seiner Schrifl auf. Es ist der
tische Weise in Färbung und Gewand eines Franzosen des
17. Jahrhunderts. Die wahre Weisheit des Menschen bezeichnet
er mit einem alten französischen Ausdruck für den biederen,
tapferen Manu, durch welchen schon Froissarl sein Lebensideal
bezeichnete, nämlich als preud'homie oder prud'homie. (Buch 2
Kap. 2 No.4S. 353). Die wahre prud'homie isl männlich und
edel, lachend und freudig, immer sich selbst gleich und beständig;
sie LCoht mit festem, stolzem Tritt, sie hält immer ihren Kurs
imie. sie blickt nicht seitwärts, nicht rückwärts, sie ändert ihren
Schritt und ihre Weise nicht nach Wind, Zeit und Gelegenheiten.
So sagt auch Seneca Ep. mor. 1. VI ep. 7 (59) Haase III p. 129:
„Sapiens plenus est gaudio, bilaris et placidus, Lnconcussus. Si nun-
quam maestus es, nulla spes animum tuum i'uturi exspeetatione sol-
licitat. si per dies noctesque par et aequalis animi tenor erecti et
placentis tibi est, pervenisti ad humani boni summam." „Gaudium
hoc non nascitur nisi ex virtutum conscientia. Non potest -andere
nisi fortis, nisi justus, nisi temperans." cf. de vita beata c. 4.
Die Sprungfeder dieser prud'homie ist die Natur, welche jeden
Menschen verpflichtet sich nach ihr zu bilden und zu regeln. Sie
ist unsere Herrin, welche uns diese Weisheit vorschreibt. Es giebt
eine natürliche innere und universelle Verpflichtung für jeden Men-
schen brav, gerade und ganz zu sein gemäss der Intention seines
Schöpfers. Der Mensch darf keine Ursache, Verpflichtung oder Kraft
für seine prud'homie suchen und kann niemals eine gerechtere, mäch-
tigere und ältere haben, denn diese i-t so alt als er selbst, nämlich
mit ihm geboren. Jeder Mensch muss brav sein wollen, weil er
Mensch ist. Wer sich nicht darum kümmert es zu sein, ist ein
Monstrum, verzichtet auf sich selbst. Die prud'homie muss in ihm
aus ihm selbst entspringen, d. h. aus der inneren Sprungfeder,
welche (iott in ihn gelegt hat, nicht aus einer äusseren un^l ihm
fremden Kraft. (354.) Der Mensch will all seine Habseligkeiten
in gutem und gesundem Zustande haben, Körper, Kopf, Augen,
Urteil, Gedächtniss, Stiefel: wie sollte er nicht auch Wille und
Gewissen in gutem Zustande haben wollen? p. •'>.'>•"». Dies stimmt
überein mit Cic. de flnibus I. V c. 12.
54 Wilhelm Dilthey,
Und hier hebt er besonders hervor, dass die Beobachtung der
äusseren Regeln nur eine äusserliche und nichtsnutzige prud'homie
zur Folge hat. „Ich will aber für meinen Weisen eine vvesenhafte und
unbesiegliche prud'homie, die in sich selbst und aus ihrer eigenen
Wurzel Festigkeit hat und die man so wenig ausreissen und ab-
trennen kann als das Menschsein vom Menschen." S. 355. Dieser
Zusammenhang beruht aber darauf, dass in uns „die allgemeine
Vernunft", raison universelle, durch die Natur gelegt ist („equite
et raison universelle"). Sie ist wesenhaftes Gesetz und Licht in uns.
So kann es auch als Gesetz der Natur bezeichnet werden, dass wir
als homme de bien zu leben uns getrieben finden47).
,, Daher sagt die Doktrin aller Weisen aus: wohl leben heisst
secundum naturam leben: das höchste Gut ist mit sich überein-
stimmen." (1. II c. 3 no. 7 p. 359.) Für diese Formel citirt er
dann Seneca. „Die Natur ist für jeden von uns die genügsame
und milde Herrin und regelt alles, wenn wir nur auf sie hören."
Es verkünden Priester und stoische Philosophen zugleich das Evan-
gelium von der Natur also: „Um zufrieden und glücklich zu leben,
braucht man weder Weiser, noch Hofmann, noch sonst ausgezeich-
net zu sein. Alles ist eitel, was über das Gemeinsame und Natür-
liche hinäusreicht." 48)
Alles im Werden. Aber zwischen 1600 und 1625 ist nun
eine fruchtbare Epoche , in welcher diese stoisch - römische Lehre
von mehreren grossen Schriftstellern, und zwar von ganz verschie-
denen Seiten aus, zur Aufrichtung eines natürlichen Systems be-
nutzt wird. Dies in einer Fassung, welche noch der antiken sich
anschliesst, und vom aufdämmernden Naturwissen, vom Bedürfniss
einer Construction der äusseren Wirklichkeit noch nicht in der
Bestimmung der mit uns geborenen Elemente oder Triebe beein-
llusst ist. 1601 Charrons Schrift, Bacons Arbeiten 1605 — 1620,
Herbert's de veritate 1624, Hugo Grotius' Hauptwerk 1625: diese
47) Charron, Sagesse II c. 7.
48) Dieser teleologische Zusammenhang der Teile zu einem seinen Zweck
verwirklichenden Ganzen, welcher dann natura, ratio naturae, lex naturae ist,
bildet den tiefsten und originalsten Punkt der Stoa. cf. Zeller p. 209 ff.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. 55
Werke charakterisiren die unabhängige Darstellung der
moralischen Welt.
[V.
Die /.weite grössere Aufgabe war die Ordnung der europäischen
Gesellschaft.
Die Genossen des Bundschuhs, einer der geheimen Bauernbünde,
welche die Revolution von 1524 and 1525 vorbereiteten, hallen auf
die Kraue „Loset, was ist nun für ein Wesen?" als Erkennungszeichen
die Antwort: ..Wir mögen vor lM'atl" und Adel nicht genesen."
Hierin lag das Problem der neuen bürgerlichen Gesellschaft.
Die unwandelbar vorgestellten Berrschaftsverhältnisse und Arbeits-
formen d.'s Mittelalters in Ackerbau und Handwerk, in band und
Stadt waren von wissenschaftlicher Reflexion nicht berührt worden;
jetzt forderte die ungemein rasch anwachsende Bevölkerung in den
Städten Fortschritte in den Produktionsmitteln und Auffindung neuer
Absatzquellen, und gerade in dem Zeitalter vor der Reformation
hatte das soziale Problem der Zeit durch die Geldentwertung, die
grossen Kaufmannsgesellschaften, den Import neuer Genussmittel
ein,' erhebliche Verschärfung erfahren. Ueber den Druck der
Feudalherren sagt Luther: „Und wenn der Acker eines Bauern
soviel Thaler wie Aehren trüge, er würde nur die Ansprüche der
Herren vergrössern." Und sein Eindruck von der ganzen sozialen
Ordnung der Zeit ist: „Wenn man die Welt jetzt ansieht durch
alle Stände, so ist sie nichts anderes denn ein grosser weiter Stall
voll grosser Diebe.'- Dasselbe vernichtende Urteil, das Luther
über die deutschen sozialen Zustände ausspricht, hat Thomas
MortfS in seiner Utopie, einer der wertvollsten Quellen der sozialen
Geschichte, über die sozialen Zustände Englands ausgesprochen.
Das- schon 1516, wenige Jahre vor der Ausbildung der religiös-
spiritualistischen politischen Phantasien, aus dem tiefen Gefühl der
Inhalt barkeit der sozialen Zustände eine philosophische Utopie
sozialistischer Richtung hervorging, bezeichnet die ganze Lage.
Wertvolle Vorschläge waren doch auch in ihr enthalten. lud
ebenso waren in den Bauernmanifesten viele Forderungen, welche
die spätere Zeit verwirklichen musste: Abschaffung der Leibeigen-
schaft und der drückenden Feudallasten, Besserungen in Rechtspflege,
56 Wilhelm Dilthey,
städtischem Steuersystem und Armenwesen, Einschränkung der
grossen Kaufmannsgesellschaften.
Nun erwies sich aber, dass die in der Bibel enthaltenen Prin-
cipien unfähig waren, die erforderliche Neuordnung der Gesellschaft
zu leiten.
Die Grundsätze des neuen Evangeliums waren ganz verschie-
dener Auslegung fähig. Sie wurden in Wittenberg anders verstanden
als in Zürich, in Augsburg und Nürnberg anders als in Strassburg.
Ja in den grossen städtischen Zentren lagen die verschiedensten
Auffassungen im Kampf miteinander. Grenzenlose Erwartungen
waren durch das Princip der christlichen Freiheit und das soziale
Vorbild des apostolischen Zeitalters hervorgerufen. Aus der christ-
lichen Gleichheit und Bruderliebe wurden Gütergemeinschaft, wur-
den Aufhebung der Zinsen und Zehnten abgeleitet. Aus der
Freiheit im Geiste, aus der Selbstbestimmung der Gemeinden
wurden neue politische Principien von unermesslicher Tragweite
gefolgert. Insbesondere das Gemeinderecht der reformirten Kirchen
erwies sich als der fruchtbare Boden für neue politische Gefühle
und Ideen. Aber wurden so die Gefühle insbesondere in den re-
formirten Gebieten überall für politische Freiheit gestimmt, wurde
in dem Gemeinderecht ein Vorbild für politische Gestaltungen ge-
geben, wurden die sittlichen Kräfte wachgerufen, welche jedes
freie politische Leben erfordert: dies alles bedurfte doch der Ergän-
zung durch ein politisches Denken, welches aus dem Zusammenhang
der ganzen Kultur der Zeit dem rechtlich staatlichen Leben seine
selbständigen Grundlagen und Aufgaben bestimmte. Aus den
Principien der biblischen Schriften war nur Ein folgerichtiges
Ideal des Gemeinlebens abzuleiten: eine auf Bruderliebe und Ge-
meinsamkeit des Besitzes gegründete theokratische Ordnung. Der
Widerspruch derselben mit den thatsächlichen Lebensbedingungen
erwies sich. So fand man sich auf die politische Philosophie an-
gewiesen. Hierbei war das juristische und politische Denken der
Körner und der von ihnen bedingten griechischen Autoren, wie
des Polybius, überall leitend.
Macchiavelli hat, wie ich zeigte, als der erste Romane, den
r<'t;iipeutalen Gedanken der römischen Welt unter den neuen Be-
Die Autonomie dos Denkens im 17. Jahrhundert. ."><
dingungen der modernen Völker zur Geltung gebracht; in ihm
lebte in urwüchsiger Kraft der Herrschaftsgedanke und die poli-
tische Technik, welche auf diesem italischen Buden von den Zeiten
der Gründer Roms bis zu denen der Borghias, seiner Zeitgenossen,
immer gewaltet hatte: die mit Thatsachen rechnende positive
Phantasie, welche dem politischen Körper wie einem Mechanismus
durch Benutzung der vorhandenen Triebkräfte das Maximum von
Energie und Dauer zu geben strebt, wirkte aus seinen Schriften.
Die Schriften Macchiavellis haben die Souveränität der politischen
Technik des weltlichen Verstandes, wie sie in den italienischen
Staaten eine Realität war, auch in der Theorie zur Geltung ge-
bracht, und die Staatsraison der folgenden Zeil zumal in den ]wu
aufkommenden fürstlichen Gewalten beschaute sich doch wie in
einem Spiegel in den Sätzen da> grossen Florentiners. Derselbe
Boden zeitigte dieselben Früchte, nur von milderer Art, iu den
Werken des Guicciardini, Paruta und Botero. Sie bedienen
sich wie Macchiavelli in erster Linie der Weisheit des römischen
Scipionenzeitalters, um die Staatskunst von Florenz und Venedig,
in welcher sie mitwirkend leiten, zum wissenschaftlichen Bewusst-
sein zu bringen. Wie merkwürdig, dass es dauu im Norden zwei
von der römischen Stoa genährte und erfüllte Schriftsteller ge-
wesen sind, welche diesem echt römischen Princip der Staatsraison
eine mehr systematische und lehrhafte Gestalt gegeben haben.
Scioppius in seiner Schrift über die Methode der Politik (Paedia
Politices, von Coming 1613 herausgegeben) erweist, ohne den
Namen des Macchiavelli auch nur einmal auszusprechen , indem
er den Aristoteles und Thomas zu Hülfe ruft, sonach hinlänglich
macchiavel listisch, dass das politische Denken und Handeln nur
auf die Autarkie und die Wohlfahrt des Staates gerichtet ist, also
seine Beweggründe von denen der Moral zunächst ganz getrennt,
nur in mittelbarem Verhältniss zu ihr sind. Daher hat der poli-
tische Denker — und diesen Satz konnte später Spinoza nur er-
weitern — über die Tyrannis und über die Revolutionen nur zu
sprechen, wie ein Arzt über Fieber und Entzündungen redet. Justus
Lipsius in seiner vielgeleseucu, doch recht unbedeutenden politischen
ü'il't (Politica 1G12), welche er mit ausserordentlichem Selbst-
58 Wilhelm Diltliev.
gefühl allen Fürsten gewidmet hat, entwickelt allerdings in den bei-
den ersten Büchern die moralischen Eigenschaften, welche er seinem
Fürsten wünscht, dann aber giebt er vom dritten Buche ab einen
Inbegriff der Regeln der Staatsraison (prudentia), und hier erteilt er
seinen Fürsten den Rat, ein wenig Täuschen. Betrug und Lüge ohne
moralische Skrupel in ihr Verhalten zu mischen. „Mögen es mir
auch die Zenonen abstreiten, sonst hör1 ich gewiss gern auf sie,
wie kann ich es aber hier? Sie scheinen mir das Zeitalter und
die Menschen nicht zu kennen. Denn unter was für Menschen
leben wir. Schlau, schlimm, aus Betrug, Hinterhalten, Lügen
scheinen sie ganz zu bestehen, die Fürsten selbst, mit denen wir
zu thun haben, gehören meist zu dieser Klasse."49) Ueberwiegl
doch in ihm der stoische Rhetor und Sammler über den römischen
Geist. So dürfen die Schrift des Paolo Sarpi über die veneti-
anischen Regierungsniaximeu (1615) und das Testament des
Richelieu (veröffentlicht 1667) als wahre Fortbildung der Staats-
raison des Macchiavell durch aktive Staatsmänner von grossem
Genie angesehen werden. Die Schrift des Sarpi50) entwickelt mit
eisiger Kälte Principien und Technik der oligarchischen Regierung
von Venedig. Gerade durch diesen Geist kalter Rechnung wirkt
die Darlegung der Mittel. Solche sind ihm: die Herrschaft all-
mählich in der Hand des Rates der Zehn und des Senats zu
concentriren, die anderen Adligen durch Armuth zu schwächen,
innerhalb des venetianischen Besitzes auf dem festen Lande Fak-
tionen, Konfiskationen, Verheiratung der Erbinnen mit Veneti-
anern zu fördern, in den auswärtigen Besitzungen Brot und Stock
anzuwenden. Das Testament Richelieus zeigt die höhere Aus-
bildung, welche das Princip der Staatsraison in den grossen erb-
lichen Monarchien erfahren musste. Als sich, zwei Jahre vor Riche-
lieus Tode ein Aufstaue! gegen ihn erhob, wurde unter dessen
Zielen hervorgehoben, man wolle die alte Achtung gegen die Geist-
lichkeit und den Adel wieder herstellen. Das war in der That die
1;|) Lipsii Politicorum L. IV c. XIII.
") Opiuioue del Padre Paolo servita, come debba govenorsi la Republica
veuo/.iaua per havere il perpetuo douiiuio, geschrieben 1615, gedruckt 1681.
Die Autonomie <lcs Denkens im 17. Jahrhundert. 59
grosse Grundrichtung der Politik Richelieus: der Staatsraison all«
Interessen zu unterwerfen, auch die der katholischen (irisiliclikc.il
uiul des Adels. Den kirchlichen [nteressen und Lehren gestattete
er keinen Einfluss mehr auf die Geschäfte. Denselben Geisl atmel
auch sein Testament. Aber es zeig! nun auf höchsl belehrende
Weise, wie tue Macchiavellistischen Ausschreitungen der Staats-
raison in der erblichen Monarchie durch die Würde des Königs
und die moralische Continuitäl zwischen Erbfolgern eingeschränkl
wurden. „Ich weiss wohl", sag! das Testament, „dass viele poli-
tische Schriften das skrupulöse Festhalten an den eingegangenen
Verträgen in Frage stellen. Aber ein grosser Fürst muss lieber
>eine Person und selbst das Staatsinteresse wagen-, als sein Wort
zu verletzen, wodurch er seine Reputation und dadurch die grösste
Kraft des Souveräns einbüsst51)".
Aber lauge vor diesem Uebergang der von Macchiavelli begründe-
ten romanischen Politik der Staatsraison in das politische Denken
der grossen Monarchien haben die Vorgänge in Frankreich, welche
seit der Mitte des 1(5. Jahrhunderts durch die Diktatur der Guisen,
die Verfolgungen der Protestanten, die Politik der Katharina von
Medici und den Verlauf des Bürgerkriegs seit 1562 die Augen von
ganz Europa auf sich zogen, einen zweiten grossen Fortschritt
in der politischen Wissenschaft zur Folge gehabt. Ja in diesem
Kampfe stiess gerade Macchiavellis Politik der Staatsraison. in
deren (leiste Katharina von Medici handelte, mit dieser neuen
Evolution der politischen Wissenschaft feindlich zusammen. Die
eine wie die andere politische Richtung bediente sich der in der
griechisch-römischen philosophischen und juristischen Litteratur über-
lieferten Ideen. Die politische Schriftstellerei der Protestanten vor
dieser Zeit hatte i\u> Recht der Fürsten auch über Religionsange-
legenheiten und den Ursprung der fürstlichen Gewalt aus Gott
vertheidigt. Die Bartholomäusnacht vom 24. August 1572 brachte
hierin eine entscheidende Veränderung hervor. Von dieser Zeit
:il> untersuchten die protestantischen Schriftsteller das Verhältniss
des Rechtes der Fürsten zu dem der Unterthanen, die Grenze der
H) Tot. polit. _•• pari. i'. 6.
ßO Wilhelm Dil they,
fürstlichen Gewalt und die Befugniss der Unterthanen zum be-
waffneten Widerstand, ja selbst bis zum Fürstenmord.
Franz Hotomanus war 1524 zu Paris geboren. Er war ein
Zeitgenosse und ein ebenbürtiger Mitarbeiter der zwei grössten
Juristen dieser Epoche, des Cujacius und des Doriellus; er wurde
in Bourges der Nachfolger des ersteren und der befreundete Mit-
arbeiter des zweiten. Die Bartholomäusnacht vertrieb ihn aus
Frankreich, machte ihn zum Gegner der absoluten Monarchie,
und so hat er von Basel aus in der Schrift „De jure regni
Galliae libri tres. Bas. 1585" die Einschränkung der Monarchie
durch Volk und Stände geschichtlich als das zu Recht bestehende
fransösische Staatsrecht aufzuzeigen versucht. Die französische
Monarchie ist nach ihm ihrem Ursprung nach ein Wahlreich.
Die Frauen sind von der königlichen Würde durch französisches
Staatsrecht ausgeschlossen. Die staatsrechtliche Stellung der Stände
giebt diesen eine entscheidende Stellung zwischen dem Volk und
dem Monarchen. Indem der Kampf gegen dies Königtum der
Bartholomäusnacht zu einer Rechtfertigung des Hugenottischen
Widerstandes aus den letzten Principien des Staatsrechts vordrang:
entstand der Fortschritt im modernen Staatsrecht, welcher für diese
ganze Epoche entscheidend war. Dies geschah durch Hubert
Languet in seiner Schrit „Viudiciae contra tyrannos" 1569. In ihr
wird der griechisch - römische Begriff des Staatsvertrags als der
Quelle der Staatsordnung und des Staatsrechtes benutzt, um das
Recht des Widerstandes im Falle der Verletzung der göttlichen
Gesetze durch den Monarchen oder der Unterdrückung des ATolkes
durch denselben zu rechtfertigen. Diese Theorie sollte bis zur
französischen Revolution hin die Grundlage aller politisch -juristi-
schen Konstruktionen für die Neuordnung der modernen Staaten
bilden. Auch sie war eine Schöpfung des Altertums. Sie war
entstanden in der Epoche der griechischen Aufklärung während
der Gewaltzustände, gleichsam der permanenten Revolution, welche
die hellenischen Politien zur Zeit des peloponuesischen Krieges
verwüstete. Die klassische Darstellung dieser Theorie gab Plato
in seinem politischen Hauptwerk, nach seiner Weise eine syste-
niatisirende Zusammenfassung alles dessen, was vor ihm darüber
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. (>1
geschrieben war, als Grundlage seiner eigenen Polemik. Dieses
Naturrecht gehl aus von dem Kampf der Individuen gegen einander,
einem gesetzlosen Leben als dem Naturzustände; es lässl die
setzliche Ordnung im Staate vermittelst eines Vertrages entstellen.
Dieselbe Lehre vom Herrschaftsvertrag war nun das Mittel der
Konstruktion des Staates auf der Höhe des Mittelalters bei Mar
silius von Padua, Occam und Nicolaus von Cusa, sie blieb in den
folgenden Jahrhunderten unerschütterl ein wesenhafter Bestand-
teil der gesammten naturrechtlichen Staatslehre, und so wurde
sie auch im 16. und 17. Jahrhundert von Juristen, Politikern, Theo-
logen und Philosophen benutzt.58) Das aber war nun der ausser-
ordentliche Fortschritt in dieser protestantischen Bewegung, dass
sie vermittelst dieser Lehren in einem demokratischen Sinne die
schwebenden grossen Fragen des Staatsrechts aufzulösen und das
Kecht des Widerstandes zu begründen unternahm. Die Souveräni-
tät des Volkes wurde von diesen Schriftstellern aus der Vertrags-
lehre abgeleitet: unmöglich habe die Gesammtheit bei einer ver-
tragsmäßigen und vernunftmässigen Einsetzung des Herrschers eine
volle Veräusserung ihrer Freiheit beabsichtigen können. Ja die
Majestätsrechte sind nach Althusius die unveräusserliche Seele des
sozialen Körpers. Auch historische Deduktionen aus der Rcchts-
schichte der einzelnen Staaten werden von dieser politischen
Schuh' bereits gegeben. Selbst die später für das Naturrccht des
Hobbes und Spinoza so charakteristische geometrische Methode
wird von Lauguet als die seine bezeichnet; er will nach der
geometrischen Methode verfahren, die vom Punkt zur Linie, von
dieser zur Fläche, von der Fläche zum Körper fortschreitet.
Ebenso fordert der protestantische deutsche Schriftsteller Henning
in seiner Schrift de lege naturae methodus apodictica 1562, dass
K) Die mittelalterliche Ausbildung dieser Lehre uud ihre Uebertragung
\<<in Mittelalter auf das 16. und 17. Jahrhundert ist in dem klassischen Werke
von Otto Gierke über die Staats- und Corporationslehre des Altertums und
des Mittelalters (1881), sowie in dessen Althusius zuerst dargestellt; über die
aittlungen, welche von dem Naturrecht und der Vertragslehre der So-
phisten zu den mittelalterlichen Lehren hinüberführen, werde ich mich au
einem anderen Orte aussprechen.
62 Wilhelm Dilthey,
die Methode der mathematischen Wissenschaften auf das Natur-
recht angewandt werde. Seine eigene Anwendung dieser Methode
ist freilich noch höchst unvollkommen.
Die Ergänzung dieser Lehre vom Rechte des Widerstandes
lag in der Ausbildung der Theorie vom Rechte jedes Glaubens auf
Toleranz. Schon von Thomas Monis ist die Forderung der Tole-
ranz aufgestellt worden; auf seiner idealen Insel wohnen verschie-
dene Glaubensbekenntnisse friedlich nebeneinander. Dasselbe Princip
der Toleranz wurde von den protestantischen Sekten überall geltend
gemacht. In den Niederlanden ist es dann von Kornhert ausführ-
lich begründet worden. Hier hat es überhaupt infolge des Zusam-
menlebens der Sekten zuerst die Geltung eines unverbrüchlichen
staatlichen Grundgesetzes erhalten. Auch dies Princip empfing
erst seine theoretische Begründung durch die Lehren des Staats-
vertrages und des Naturrechtes, nach welchem die Freiheit des
Gewissens ein unveräusserliches menschliches Recht ist, sonach nie-
mals durch den Unterwerfungsvertrag an den Fürsten übergehen
kann.
Nicht minder stark waren die Gründe für die Ausbildung
eines allgemeingültigen , mit dem Richteramt der Vernunft aus-
gestatteten Naturrechts, welche zu dieser Zeit in den sozialen und
politischen Gegensätzen und Forderungen enthalten waren.
Die neue bürgerliche Gesellschaft suchte nach Principien ihrer Recht-
fertigung und Durchbildung. Dieselben konnten nicht in dem
theok ratischen Gedanken des Mittelalters gefunden werden. Wen-
dete man sich zum Altertume, insbesondere zur römischen AVeit:
so lagen in der Sklaverei, im Religionszwang, im imperialistischen
Verwaltungssystem überall Schranken des Denkens, welche das
Jahrhundert nicht mehr anerkannte. Es galt sonach die antiken
juristischen und politischen Grundbegriffe fortzubilden. Schon bei
Thomas Monis wird der Gedanke von der rechtlichen Gleichheit
aller Staatsbürger zu Grunde gelegt. Denselben Gedanken spricht
unter der Einwirkung der Stoa La Boetie, der Freund des Montaigne,
aus. „Die Natur hat uns allen dieselbe Form mitgeteilt, sie hat
uns allen gemeinsam die ganze Erde zur Wohnung gegeben und uns
so in demselben Hause einquartirt: man kann nicht zweifeln, dass wir
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. (>.">
alle von Natur frei sind: es kann niemand einfallen, dass die Natur
einige von uns in Sklaverei gegeben habe."58) Ferner hatten die reli
giöseii Kämpfe die Feststellung unveräusserlicher Rechte aller Men-
schen gefordert. Bndlich verlangten die grossen Monarchien die
Concentration politischer Machtbefugnisse zum Wohle des Ganzen
in der Hand der Staatsgewalt. Diesen Anforderungen an ein der
Zeil entsprechendes staatsrechtliches uwA politisches System haben
nun drei grosse Werke für das Zeitalter entsprochen: die Staats-
lehre tles Bodin 1577. die Politik des Althus 1603 und das Völ-
kerrecht des Hugo de Groot 1625.
Bodin ist der grosse Theoretiker der absoluten Monarchie,
welche die Gewissensfreiheit achtel und die Wohlfahrt des Ganzen
zu verwirklichen strebt. Er vertritt diejenige Politik', welche als-
dann durch Heinrich IV. in Frankreich zum Siege gelangte und
nur zu Frankreichs Unglück nach dessen Ermordung wieder ver-
lassen wurde. Dieser wahrhaft philosophischen Schuh» von Po-
litikern, welche zugleich Hoyalisten, Vertreter des historischen
Rechts und der Gewissensfreiheit waren, gehörte von Katholiken
der Kanzler de l'Hopital an, welcher die Politik der Guisen in
der Schrift über Ziel des Krieges und des Friedens (1570) als eine
grausame Blutpolitik im wahren Interesse der Monarchie bekämpfte.
Andere katholische Anhänger dieser Schule waren Etienne Pasquier,
de Pithou und die Verfasser der satyre Menippee. Von Protestanten
gehörten zu ihr de La Noue und Duplessis-Mornay. In der Richtung
dieser politischen Denker und Schriftsteller, welche das grosse Re-
gierungsprincip Heinrichs IV. ausgesprochen haben, liegt nun die
politische Formel des Bodinus, welche von unermesslicher Wirkung
gewesen ist. Die allgemeinen Grundlagen alles geselligen Lebens
der Menschen sind die göttlichen und natürlichen Gesetze; „alle
Fürsten der Erde sind den göttlichen Gesetzen unterworfen, und es
Bteht nicht in ihrer Befugniss diesen entgegen zu handeln:" die im
römischen Geiste autoritativ gestaltete Familie, die persönliche
Freiheit, das Privateigentum, die Geltung der privatrechtlichen Ver-
pflichtungen der Person sind solche Grundlagen des gesellschaftlichen
53) Boetie in seiner Schrift de la servitude volontaire.
ß4 Wilhelm Dilthey,
Lebens. Daher liegen in den göttlichen und natürlichen Gesetzen
und in den privatrechtlichen Verhältnissen, als auf welchen erst
jeder Staat sich aufbaut, auch die Schranken seiner Gewalt. In
diesem Sinne leugnet Bodin die Pflicht des Gehorsams gegen den
Souverain, wo das göttliche Gesetz und die Grundgesetze der Natur
verletzt werden, und er fordert im Namen der Freiheit als eine
notwendige Reform die Sonderung der Rechtspflege von der Re-
gierung. Auf diesen Grundlagen entsteht die Regierangsgewalt
vormittelst des Staatsvertrags. Dieser ist ihm wie allen grossen
Juristen und Politikern der Zeit die selbstverständliche Grundlage
des Staatsrechts54). Der Zeitgenosse der grossen französischen
Romanisten, der Vorkämpfer der kommenden Monarchie Hein-
richs IV. hat nun — ein geschichtlich denkwürdiger Fortsehritt
im Staatsrecht — den Begriff der Souveränität zuerst construirt
und vermittelst der Merkmale ihrer Einheit und dauernden Macht-
fülle in allen ihren Konsequenzen mit unerbittlicher Logik ent-
wickelt. Er schliesst jede Teilung der Staatsgewalt, sonach auch
jede staatsrechtlich bestimmte Mitwirkung anderer Faktoren mit
dem Souverän aus. Jenen Begriff der gemischten Staatsformen,
welchen zuerst der grosse politische Denker Dicäarch in seinem
Tripolitikus entwickelt und den Polybius und Cicero vertreten
hatten, bekämpft er als Korruption des Staatsrechts. Wo der
Fürst beschränkt ist, ist in Wirklichkeit das Volk souverän.
Was für eine Tragweite hatten diese Sätze, nach welchen der
Fürst zwar unbedingt beratender Körperschaften bedarf, die ihn
über das Gemeinwohl unterrichten, niemals aber an deren Be-
schlüsse gebunden ist55)! Er entwickelte den römischen Satz: „prin-
ceps legibus solutus est" als das wesentliche Kriterium der wahren
Souveränität. Aber darin kommt nun die Vielseitigkeit dieses
reichen Geistes erst zum Ausdruck, dass er die staatsrechtliche
Konstruktion mit der descriptiven aristotelischen Lehre von den
Staatsformen verknüpft. Er hat mit der antiquarischen Gelehrsam-
keit des Jahrhunderts die von Aristoteles geschaffene Lehre von
54) Bodinus de republica c. 8.
55) De rep. I, e. 2. II e. 1. e. 5. C, 7. VI. ('. t.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. li.'i
der Monarchie, der Aristokratie und der Volksherrschaft weiter
entwickelt. Im Sinne des Aristoteles, Theophrast, Dicäarch und
Galen gehl er dem Einfluss des Bodens, der Atmosphäre, der
psychologischen Anlagen bei der Ausbildung der Staatsverfassungen
nach: hier wie in seinem grossen Werk aber die Religionen ein
vergleichender Forschor grossen Stils, der Vorgänger <\o> Moni
quieu. Die Gründe, durch welche er die politische Ueberlegenheil
der Monarchie erweist, sind von echtestem geschichtlichen Tief-
sinn. Die Monarchie allein ist im Stande das demokratische Prin-
cip der Gleichheit und das aristokratische der Abmessung von
Funktionen und Rechten im Staate zu verbinden, zugleich die
Bevölkerung an der Regierung teilnehmen zu lassen und doch die
notwendige Einheit derselben aufrecht zu erhalten, zugleich die
Vorzüge der Aristokratie und Volksherrschafl in gewissen Grenzen
sich nutzbar zu machen und doch eine wirkliche Teilung der
Gewall zu vermeiden.
Der zweite grosse politische Denker, welcher den kommenden
Bewegungen der europäischen Gesellschaft die Bahn vorzeichnete,
war Johann Althus. Er war 1557 in einem Dorf der Grafschaft
Witgenstein -Berleburg geboren, wurde 1585 an die Nassauische
Universität Herborn berufen, und dort veröffentlichte er 1603 seine
politica methodice digesta. Dieses Werk und das des Suarez de
legibus, welches 6 Jahre danach, 1609, erschien, schlicssen die
grosse naturrechtliche Bewegung der reformirten und jesuitischen
Schriftsteller in der Lehre von der Volkssouveränität ab. Aber
während Suarez wie Molina die Uebertragung der Herrschaft vom
Volk auf den Souveraiu sowohl ohne Vorbehalt als mit Vorbehalt,
selbst geteilt für möglich erklärten, hat Althusius im klaren
Anschluss an Bodin und im klaren Gegensatz zu ihm die aus-
schliessliche, einheitliche und unveräusserliche Souveränität des
Volkes als Princip alles Staatsrechtes ausgesprochen. Er zuerst
proklamirte die „Majestät1' dos Volkes. Milton hat auf diese
Lehre von der fundamentalen Gewalt des Volkes seinen Begriff
der Regierung gegründet, nach welchem diese stets nur im Auf-
trag und Namen des Volkes geführt wird. Von diesen Voraus-
setzungen aus schrieb Althus in jedem Staate der Volksversamm-
\r.im f. Geschichte d. Philosophie. VII. .>
G6 Wilhelm Dil they,
Jung als ihr unzerstörbares Recht die Ausübung der parlamentari-
schen Befugnisse zu. In demselben Sinne haben Milton und
Locke die parlamentarische Repräsentation als eine auf Vollmacht
beruhende wahre Stellvertretung aufgefas.st.
Der einflussreichste dieser drei grossen politischen Schriftsteller
war Hugo de Groot. In ihm gelangte die grosse Tendenz dieser
Epoche zum klassischen Ausdruck, für die Neuordnung der Gesell-
schaft bestimmende allgemeingültige Begriffe rechtlich politischer
Art zu entwickeln. In den drei ersten Decennien des 17. Jahr-
hunderts tritt eine Reihe von Werken hervor, welche alle auf eine
autonome Constituirung und philosophische Grundlegung der mora-
lischen, rechtlich politischen Welt gerichtet waren. Hierbei be-
dienen sich aber einige der wichtigsten unter ihnen, darunter auch
Grotius, ganz vorwiegend der stoisch-römischen Lehren. Aus dem
Material derselben bauen sie ein natürliches System der mora-
lischen Welt auf. 1601 erschien die Schrift von Charron de la
sagesse, von welcher ich zeigte, dass sie überwiegend auf stoischer
Grundlage beruht. Dann folgten von 1605 — 1620 die Arbeiten
Bacons, deren moralisch -politischer Theil erheblich vom stoischen
und römischen Denken beeinflusst ist. 1624 erschien dann das
Werk des Herbert von Cherbury de veritate, in welchem ich eben-
falls den Einfiuss dieser mächtigen Strömung aufwies. Und
1625 folgte dann das grosse juristisch -politische Werk des Hugo
Grotius. Alle diese Werke versuchen eine unabhängige Consti-
tuirung der moralischen Welt. Dann erst, von den vierziger Jah-
ren ab, unter dem Einfiuss des Galilei und Descartes, erfolgte jene
Evolution des Naturwissens, in deren Verlauf das natürliche System
der moralischen Welt nunmehr einer umfassenden Naturerkenntniss
eingeordnet wurde. Auch die Begriffe von angeborenen Tendenzen
der Menschennatur, auf welche bis dahin im Sinne der Stoa dies
unabhängige System der moralischen Welt begründet worden war,
erhielten jetzt eine Fassung, durch welche sie den Grundbegriffen
des Naturwissens angepasst wurden.
Hugo de Groot ward geboren am 10. April 1583 zu Delft. Er
gehörte der grossen humanistischen Epoche der Niederlande an;
seine ganz universelle Gelehrsamkeit stand im Dienste der Auf-
l>ic Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. i>,
gäbe, die Neuordnung der Gesellschaft unabhängig von den Reli-
gionen auf die Vernunft zu gründen und den Kampf der Kon-
fessionen zu mildern und womöglich zu beendigen. In dieser Ab-
sicht entwickelte er eine allgemeine Jurisprudenz, ein Naturrechl
und ein Völkerrecht. Seine theologischen Werke wollen die kon-
■ Hineilen Gegensätze durch die historische Erkenntniss des wählen
Christentums überwinden. Sie lassen die Opferidee fallen; Gott,
Unsterblichkeit, die Würde des Menschen bilden die Grundlage einer
Seligkeitslehre, welche ihm der Kern des Christentums ist. So
lebt und wein Hugo de Groot in den Ideen des Friedens: einer
der reinsten, edelsten und wirksamsten Menschen dieses grossen
17. Jahrhunderts, vom reellsten, solidesten Wissen, aufrichtig über
die Quellen seiner Gedanken, überall vermöge der praktischen Rich-
tung seines Geistes auf das l Inanstössige, Acceptable, Gemässigte
gerichtet.
Er geht von dem Begriff einer allgemeinen Jurisprudenz
aus. Hierin ist er von der grossen Richtung der Zeit auf ein univer-
selles, sowohl das private als auch das öffentliche Recht einschliessende
Etechtssystem bedingt; insbesondere wird hierin Althusius ihn be-
einflusst haben, da er diesen auch sonst augenscheinlich berück-
sichtigt5'5). Von dieser allgemeinen Jurisprudenz aus entwickelt
Groot für das Völkerrecht die konstituirenden Begriffe. So gelaugt
er zu denjenigen Begriffen, welche selber eine weitere Ableitung
'*'•) Wenn Groot I c. 3 die Ansicht derer eifrig bekämpft, welche die
uveränität als Quellpunkt jeder Staatsgewalt ansehen, so scheint sieh
diese Polemik besonders gegen Althusius zu richten, dessen Behauptung, die
igkeit, also auch die Könige seien nur aduünistratores consociationis uni-
salis, er in § 8, 14 zu widerlegen sucht. Insbesondere nimmt Gr. die
ichstellung der Eerrscher mit Vormündern des Volkes auf. welche Althu-
- behauptet und in ihren rechtlichen Folgerungen klar gelegt hatte: na-
türlich erhält dabei die Ansicht des Althusius die Korrekturen, welche der
Vertretet des gemässigten Absolutismus vornehmen muss. Cf. Groot. 1 c. 3
11. Auf weitere Beziehungen zwischen beiden hat Otto Gierke, Johannes
Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien (Breslau
1880 p. 29, lol. 251 u.U. aufmerksam gemacht. — Sein Verhältnis zu seinen
Vorgängern aul dei I des Völkerrechts hat Grotius in den Proleg. §36
u. ff. bestimmt.
5*
GS Wilhelm Dilthey,
nicht mehr gestatten, gleichsam zu den allgemeinsten Bestand-
teilen der Jurisprudenz. „Ganz besonders kam es mir darauf an,
die Erörterungen naturrechtlicher Fragen auf feste Begriffe zurück-
zuführen, die niemand ableugnen kann, ohne sich selber Gewalt an-
zuthun. Sind doch die Grundsätze dieses Rechts für den genauen
Beobachter ebenso klar und evident wie die sinnlichen Erschei-
nungen, die ja auch nicht täuschen, wofern die Sinnesorgane ge-
sund sind und das übrige Notwendige vorhanden ist57)." —
Die Methode, deren sich Grotius bedient, ist hiernach von ihm
selbst als die der Deduktion der einzelnen völkerrechtlichen Sätze
aus allgemein giltigen Begriffen bestimmt. So ward später die
Verbindung dieser Methode mit der von mathematischer Konstruk-
tion in Hobbes und Spinoza möglich. Seine Methode ist juristische
Konstruktion. Demnach musste Groot sich die Aufgabe stellen,
die wichtigsten der allgemeinen Rechtsbegriffe aus den positiven
Rechten auszulösen und sie nach ihrem Ursprung und Gehalt zu
bestimmen. Hätte dies Streben nicht ohnehin in seiner Geistes-
ric.htung gelegen, so würde das Problem des Völkerrechts ihn auf
dasselbe geführt haben. Denn wie er selber ausdrücklich hervor-
hebt, sind die Hauptbestimmungen des Völkerrechtes aus dem Na-
turrecht zu schöpfen58).
Dasselbe Verhältniss hat er nun auch in einer denkwürdigen
Erörterung59) von einer Gliederung des Rechtes aus verdeutlicht.
Er geht von der Unterscheidung in natürliches und positives Recht
bei den Alten aus. Das Naturrecht bestimmt er durch die Merk-
male seiner Unveränderlichkeit und der Uebereinstimmung aller
Völker in ihm. Das positive Recht bezeichnet er als das will-
kürliche, durch die Setzung im Willen bedingte. Das willkürliche
menschliche Recht entspringt im engeren Kreis aus dem Willen
") Gr. proleg. § 39. — Cf. Cic. de leg. I, 10. Acad. I, 40. Seil. ep.
120,4 ff. etc.
58) Gerade dahin bestimmt er seine Aufgabe. Cf. Proleg. § 30. Er will
die natürlichen Bestimmungen innerhalb des Völkerrechts in ein System brin-
gen. Da sie immer dieselben bleiben, sind sie der Darstellung in einer
wissenschaftlichen Form fällig.
59) I c. 1 § 3 ii. ff.
Die Autonomie des Denkens im IT. Jahrhundert. 69
des Vaters oder des Herrn, im weiteren aus dem der bürgerlichen
Obrigkeil and im weitesten aus dem gemeinsamen Willen, d. h.
dem völkerrechtlichen (Jebereinkommen mehrerer Nationen. Daher
beruhl alles Recht, welches über das natürliche hinausreicht, auf
der Uebereinkunft, diese aber hat ihre verpflichtende Kraft aus
dem natürlichen Kocht. Sonach ist: „die aus der Uebereinkunft ent-
springende Verbindlichkeit die Mutter des bürgerlichen Rechtes"60).
Und diese Ä.bhängigkei1 jedes positiven Rechtes vom natürlichen
reicht noch weiter. Die Institute des Eigentums, der Obligatio-
nen etc. sind schliesslich in Lebensverhältnissen gegründet, welche
von der Willkür des Menschen anabhängig sind. So ergiebl sich
also, dass die gesammte Jurisprudenz letzte Begriffe oder Sülze in
sich enthält, die unveränderlich, bei allen Völkern gleich und in
der Natur der Sache gegründet sind; auf ihnen beruht die sichere
Geltang der Rechtsordnung61).
Sonach concentrirt sich das Problem des Hugo Grotius dahin,
die unveränderlichen, allgemein giltigen, in der Natur der Sache
»rundeten und darum notwendigen Begriffe und Sätze des Natur-
rechts aufzufinden. Den schärfsten Ausdruck für den Charakter
dieser Kegrille und Sätze enthält I c. 1 § 10: „Das Naturrechl ist
so unveränderlich, dass es selbst von Gott nicht verändert werden
kann ... So wenig Gott bewirken kann, dass zwei mal zwei nicht
vier ist, ebensowenig kaun er bewirken, dass das, was seiner in-
neren Natur nach schlecht ist, nicht schlecht sei"")".
«°) Proleg. § IC.
6I) Die von ihm angestrebte Generalisation bezeichnet Gr. durch ein
Bild, an welches eine berühmte Stelle des Spinoza anklingt. C\\ Proleg. § '>s:
gestehe, ich habe nach Art der Mathematiker, welche die Figuren ge-
■iiit von den Körpern behandeln, bei der Behandlung des Rechts die Auf-
merksamkeil von jedem wirklichen Einzelfall abgelenkt".
Einen ähnlichen Gedanken hatte bereits Gabriel ßiel (f 1495) ausge-
sprochen: -i per impossibile deus non esset, qui est ratio divina, aut ratio
[IIa divina essel errans: adhuc si quis ageret contra reetam rationem angeli-
cam vel humanam aut aliam aliquam, si qua esset — peccaret. ... Im
17. Jahrhnndeii i^t auch der mittelalterliche Gedanke, dass die Pursten Stell-
vertreter Gottes seien und ihre Macht und ihre Rechte von'diesem zu Lehen
Italien, von dem erneuerten Naturrechl völlig zurückgedrängt worden.
70 Wilhelm Dilthey,
Diese Begriffe sind nun aber Lebensbegriffe, nicht Denkkate-
gorien. Sie sind weder mit den logischen noch mit den mathe-
matischen Axiomen zu vergleichen, vielmehr sind sie im Ganzen
des Lebens angelegt und schöpfen aus diesem ihre Ueberzeugungs-
kraft. Indem Groot von diesen Lebensbegriffen ausgeht, erneuert
er nur die wahre Intention der römischen Jurisprudenz. Und es
ist in den Zeiten des Grotius ganz so wie damals, als die römische
Civilrechtswissenschaft entstand, die Stoa gewesen, aus welcher
man ein Verfahren entnahm, solch allgemeine Begriffe und Sätze
tiefer zu begründen. Dies führt auf denjenigen Punkt, an welchem
die notiones communes der Stoa in ihrem wahren Verstände, die
Lebensbegriffe des römischen Rechtes und die Grundbegriffe der
allgemeinen Jurisprudenz des Grotius mit einander zusammen-
hängen.
Das xotTaXrjTrTixov und die Selbigkeit ist ein Gegebenes, hinter
welches nicht zurückgegangen werden kann; alle Garautie der
Wirklichkeit ist nur hierin gelegen. Hierdurch ist die formale
Seite des römischen Naturrechts und der Grotiusschen allgemeinen
Jurisprudenz bedingt. Seneca ep. 117, 6: apud nos veritatis ar-
gumentum est, aliquid de omnibus videri. Die inhaltliche Kon-
ception aber, von der auszugehen ist, liegt in dem teleologi-
schen Zusammenhang der Triebe, Funktionen und Glieder, ver-
mittelst deren ein lebendiges Wesen sich selbst erhält. In die-
sem sind Kraft, Leben, Teleologie und ratio identisch; in diesem
ist ratio Leben, und das Leben ist ratio. Die xotval evvotai,
welche in ihm entstehen, sind nicht das Ergebniss der Erfah-
rung: denn die lebendige teleologisch wirkende Kraft ist als Sub-
jekt des Erkennens da, ehe dieses ins Spiel tritt. Diese sind
auch nicht angeboren (vielmehr aupi^utot), da sie sich doch erst
entwickeln müssen.
Für die Feststellung dieser Lebensbegriffe hat Grotius ent-
sprechend den stoisch - römischen Arbeiten zwei Methoden: die
direkte Methode leitet aus der Natur des Menschen und der Ge-
sellschaft ab, die indirekte beweist den allgemein giltigen natur-
rechtlichen Charakter eines Begriffs oder Satzes aus seiner Unver-
änderlichkeit und Selbigkeit bei allen Völkern oder doch bei allen
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. . I
gebildeten Völkern63). Die so festgestellten Rechtsbegriffe haben
nach ihm ihre Geltung unabhängig von dein Glaubeo an ihre Be-
gründung in einer auf Gotl ruhenden teleologischen Ordnung
„Auch wenn es keinen Gotl gäbe", würden die Sätze des Natur-
rechts ihre independente Allgemeingiltigkeil haben. Die klare Er-
kenntniss dieses Gedankens ist der grösste Fortschritt, den die
Rechtslehre dieser Epoche besonders durch die Autoritäl des Gro-
tius aber die römische Stoa hinaus gethan hat, welche jenen theo-
logischen "der metaphysischeu Zusammenhang festhielt.
Die analytische «'der indirekte Methode ist die eigentlich
stoisch -römische. Auch begründel sie Grotius auf die Sätze des
Cicero and Seneca. Cicero sagt: „Die Uebereinstimmung aller Völ-
ker in einem Tunkt ist das Zeichen des Naturrechts6*)". Die Ein-
schränkung dieses consensus auf die (Jebereinstimmung aller nor-
malen gebildeten Menschen beweist Grotius aus Aristoteles, Andro-
oikus von Rhodus und Plutarch.
Die synthetische Methode ist nach llroot schwerer zu hand-
halten, doch tiefer reichend65). Ganz ausdrücklich schliess! sich
Grotius in ihrer Anwendung an das antike Denken an66). Er
knüpft so gut wie Cicero an die von Carneades hervorgerufene Dis-
kussion an. In der Menschennatur liegt ohne Frage das Streben
G:i) Interessant isl es zu beobachten, wie Gr. .'inen consensus verschie-
dener Rechtsansichten durch zum Teil willkürliche Auslegung der Ueberlie-
ferung herzustellen sieh abmüht. Bei der Frage nach dem Rech! des Privat-
krieges stützt er sich auf Ciceros Wort: ,Das Schwert zu führen, wäre gewiss
nicht erlaubt, wenn man es in keinem Falle gebrauchen dürfte" — gleich als
wäre daraus zu entnehmen, dass die Führung des Sehweites aichl bloss im
atlichen, sondern auch im Privatkii stattet sei. Noch freier ist die
Interpretation einiger christlichen Sätze, die dem Recht des Privatkrieges zu
widersprechen scheinen, cf. I, 3 § 3 u. IT. Das biblische Gebol der Nächsten-
liebe steht in der engen Begrenzung des Wortes seiner Ansicht entgegen.
Diese Begrenzung will er durch den antiken Gedanken: tarn omnibus parcere
crudelit quam nulli, aufheben cf. Sen. de (dement. I c. 2. Dass sieh
übrigens Gr. der Frei! oer Auslegung bewussl ist. gehl aus I c. 3
I :'. hervor.
<■'*) Cf. de fii.it». V, 06.
6S) Cf. I c. 1 § 10, 1.
Proleg. § •">.
72 Wilhelm Dilthey,
nach dem Nützlichen. Carneades hatte nun auf das utilitarische
Princip Recht und Moral gegründet. Aus diesem hatte er gefolgert,
der Nutzen bleibe stets das Kriterium für die Geltung eines Recht
DS-
satzes. Im Gegensatz zu ihm sucht Groot in Anlehnung an die
Stoa67) einen unerschütterlichen Grund allgemein giltiger Rechtsele-
mente und findet ihn in dem gesellschaftlichen Trieb des Men-
schen, welcher mit den Mitteln der Sprache und mit der Fähigkeit,
Regeln zu entwerfen und nach ihnen zu handeln, ausgerüstet ist.
In demselben sind nun die einzelnen Regeln oder Verbindlichkeiten
enthalten: Enthalte dich des fremden Gutes oder ersetze es, wenn
du in seinem Besitz bist; ersetze den durch deine Schuld entstan-
denen Schaden; endlich Strafvergeltung. Als sekundäres Princip
erkennt Groot alsdann den Nutzen an und bestimmt die wirkende
Kraft dieses Princips aus der Ausrüstung desselben mit dem ab-
messenden, die Zukunft berechnenden Denken.
Die einzelnen Grundbegriffe oder Grundsätze des Naturrechts
werden nun von Groot, wie sie als Grundlagen für das Völkerrecht
erforderlich sind, entwickelt. In einer Darstellung des Systems
von Grotius müssten diese Hauptsätze ausgelöst, gesammelt und
als die Elemente seiner allgemeinen Jurisprudenz hingestellt werden.
Unser Zusammenhang forciert nur, einige dieser elementaren Rechts-
begriffe herauszuheben, um die Abhängigkeit des Grotius von den
römischen Schriftstellern auch hierin darzulegen.
Der erste Grundbegriff der allgemeinen Jurisprudenz,
das Recht zu privater Notwehr, folgt aus der allgemeinen Regel,
dass der Zweck der Gesellschaft ist, mit gemeinsamen Kräften jedem
das Seine zu erhalten, demnach der Trieb der Selbsterhaltunjj und
die aus ihm entspringende Anwendung von Gewalt nur an dem
Recht der Anderen seine Grenzen hat68).
Die Lebensbegriffe, auf welche dieser Satz sich gründet, ent-
nimmt Grotius der Darstellung der stoischen Lehre bei Cicero de
lin. III, 5 ff. Hier treffen wir auf ein höchst wichtiges Verbindungs-
glied zwischen der Stoa und Hobbes und Spinozas Naturrecht. Groot
,;7) Proleg. § 5-7. Cf. Seu. ep. 47, 3.
"') I c. 2 §5. Cf. Cic. de off. I 11.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert l'.\
entwickelt aus Ciceros Darstellung der Stoa, dass in dem mensch-
lichen Grundtrieb der Selbsterhaltung, der sich im Kampf der In-
dividuen um ihre Interessen manifestire, ein Princip der allgem
iu'ii Jurisprudenz, insbesondere des Natur- und des Völkerrechts
gelegen sei. Hobbes isolirt dieses Princip, Spinoza erweiterl es
nur. sofern er ihm die ratin. dann die cognitio adaequata folgen
lässt: von Grotius wird es mit genauem Anschluss an die römische
Stoa in seinem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen und ver-
nünftigen Anlagen der Menschennatur definirt. Mit dem Natur-
trieb, mit dem sich das lebendige Wesen zu erhalten strebt, ist
zugleich gegeben: Festhalten dessen, was der Natur entspricht, und
Fortstossen des Anderen. Dieses Streben muss aber in Ueberein-
stimmung mit der Vernunft bestehen; hierauf beruht der sittliche
und rechtsgiltige Charakter dessen, was zum Zweck der Selbster-
haltung vollbracht wird, zumal der gerechten Notwehr und dr-,
•ehten Krieges. So entsteht der Rechtssatz: „Kein Natur-
trieb ist dem Krieg entgegen, alle sind ihm vielmehr günstig etc."
Auch dieser einschränkende Satz wird in der Formel Ciceros69)
ausgedrückt: „Die Natur gestattet nicht, dass wir mit fremder
Beute unsere Macht und Kraft vermehren".
Ich löse einen zweiten Rechtssatz 70) aus. Das Privateigen-
tum entsteht aus dem ursprünglichen Gemeineigentum durch Ver-
trag; denn bei der Teilung liegt ein ausdrücklicher Vertrag vor.
bei der Besitzergreifung ein stillschweigender Kontrakt. Diese "Ver-
tragstheorie begründet Grotius mit Cic. de off. 1 II c. ö: concessum
est, sibi ut quisque malit. quod ad vitae usum pertinet, quam alteri
acquiri uon repugnante natura. Von derselben Theorie aus leint
Grotius: die Grenze des Privateigenthums ist das ursprüngliche
Recht, nach dem jeder das zur Erhaltung seines Lebens Notwen-
dige von anderen nehmen darf, da das Privateigentum nur mit
dieser Beibehaltung des ursprünglichen Rechtes eingeführt zu sein
scheint. AI-" Not geht vor Recht. Das beweist Grotius aus Seneca
und Cicero.
69) de oiT. III c. 5.
w) II 2 § -'
74 Wilhelm Dilthey.
Nach eiüeni dritten Rechtssatz (II, c. 5. §1) werden Per-
sonenrechte unter Anderem erworben durch Zeugung. Durch die
Zeugung erwerben die Eltern ihre Rechte gegen ihre Kinder. Der
Vater darf, wenn das bürgerliche Recht es nicht verhindert, seinen
Sohn verpfänden oder, wenn nötig, selbst verkaufen. Wieder ist
die Grundlage dieser Rechtsverhältnisse das römische Recht sowie
Sätze der Stoa und des Aristoteles.
Nach einem vierten Rechtssatz (II, c. 20. §5) darf Zweck
der Strafe nicht die Befriedigung der Rachlust sein. Denn dieser
Trieb ist an sich so unvernünftig, dass er sich auf das stützt, was
keine Strafe verdient; er entspricht also nicht dem vernünftigen
Teil, welcher dem Affekt gebieten soll, und daher auch nicht dem
Naturrecht, welches nur die Gebote der vernünftigen Natur als
solcher enthält. Man vergleiche Seneca de ira II c. 12: exsequar,
quia oportet, non quia dolet, ferner II c. 2G u. I c. 5, um die An-
lehnung der Grotius'schen Straftheorie an die der römischen Stoa
zu erkennen.
V.
Alle diese Bewegungen in der Theologie, den Naturwissen-
schaften, der Moral, Jurisprudenz und Politik hatten die Tendenz
auf die Herbeiführung eines in naturgegebenen evidenten Begriffen
und Sätzen gegründeten natürlichen Systems. Die Vernunft
wurde nunmehr als ausreichend angesehen, die Natur zu begreifen,
das Leben und die Gesellschaft zu ordneu. Es gab seit dem Ende
des 16. Jahrhunderts schon einen grossen Kreis gelehrter und gebil-
deter Personen, welche ihr Denken und ihr Leben auf die Autonomie
der Vernunft gründeten. Und während des 17. Jahrhunderts nahm
die Zahl dieser Personen beständig zu. Diese fortschreitende Be-
*ö
wegung hebt sich von dem Hintergrunde der andauernden Herr-
schaft des dogmatischen Glaubens der verschiedenen Konfessionen
und der Theologie derselben ab. Noch in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts wurden metaphysische Fragen in der Regel durch
theologische Dogmen beantwortet. Aber da die Zahl der Sekten
und der theologischen Parteien beständig im Wachsen war, erwies
sich doch schliesslich auch zwischen ihnen die Vernunft als die
einzig mögliche Richterin. So bestand die herrschende Meta-
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. ,.">
physik bis tief in das 17. Jahrhundert aus einem Compromiss zwi-
schen Dogmenglaube und Vernunftwissenschaft. Hervorragende
Forscher wie Paracelsus, Campanella, Kepler, Newton, Grotius,
Althus haben an den Eauptdogmen dos Christentums festgehalten.
Negative, zersetzende Geister wie Charron, Sanchez und Pierre Bayle
Iialicn das Princip der Offenbarung nicht aufgegeben. Undurch-
dringlich in Bezug auf ihre Ueberzeugungen in dieser Rücksicht
stehen die grössten positiven Forscher ausser Newton: Galilei, D^s-
cartes und Leibniz vor uns: sie verraten dies letzte Geheimniss
jeder Intelligenz dieser Epoche nicht. Dem entsprechend ist die
herrschende metaphysische Richtung der Zeit, der christliche Theis-
mus, die Halbheit des rationalen Supranaturalismus. Der Fort-
schritt aber vollzieht sieh in der Durchführung eines autono-
men rationalen Systems: der Konstruktion des Universums
durch die Vernunft. Dieser Rationalismus bestand in zwei Formen.
Die deistische Lehre von einem Universum, das unabhängig
von seinem Baumeister besteht und konstruirt werden kann, wurde
durch den Begriff des Descartes von der Maschine der Well be-
gründet. Sie war die metaphysische Projektion der grossartigen
Willensstellung dieses Zeitalters der Mechanik. Der ganze ma-
terielle Mechanismus ist nach ihr nur Instrument für die
construktive Vernunft in der Gottheit und der Einzelperson.
Die pantheistische oder panentheistische Lehre war
angelegt in dem Panpsychismus, welcher nach Aufgabe der sub-
stanzialen Formen vom antik mittelalterlichen Vernunftsystem als
Erklärung de^ Lehens in der Natur aus einwohnenden psychischen
Kräften übrig blieb. Er wurde schon von den Okkamisten Pierre
d'Aüly (1350—1425), Joh. Charlier Gerson (1363—1429), Ray-
mund von Sabunde (geboren gegen Ende de^ 11. Jahrhunderts,
t 1437) und Nikolaus Cusanus (1401— 1404) vertreten. Er wurde
in Verbindung mit der [deenlehre von Ficino, Pico etc., mit phan-
tastischer Naturerklärung von Reuchlin, Agrippa, Paracelsus. mit
alexandristischem Naturalismus von Pomponazzi ausgebildet, lud
wie die Vertiefung in die Natur und in die allgegenwärtige Gött-
lichkeil innerhalb des Menschendaseins zunahm, machte sich im-
mer mächtiger als fortschreitender Zug der Zeil diese Lehre von
76 Wilhelm Dilthey,
der Immanenz geltend. Die Bejahung der höheren Natur des
Menschen in Gott, die universale Immanenz Gottes in allen from-
men Seelen war das Grundgefühl der Spekulation von Sebastian
Frank, Jacob Böhme, Weigel. Die Weltseele, der durch das Uni-
versum verbreitete beseelte Aether oder der beseelte Wärniestoff
war der Mittelpunkt der Spekulation der Renaissance in Cardano
und Telesio. So gelangte das metaphysische Denken der Renaissance
zu seinem Höhepunkt in dem pantheistischen Monismus von Gior-
dano Bruno, Spinoza und Shaftesbury n). Die Bejahung des
Lebens, der Natur und der Welt, welche die Renaissance
ausspricht, wird in dem pantheistischen oder panen-
tlieistischen Monismus dieser drei Denker zur meta-
physischen Weltformel. Und auch darin ist nun dieser pan-
theistische Monismus Renaissance, italienische, niederländische, eng-
lische Renaissance, dass sie von der autiken philosophischen Tra-
dition, insbesondere Lucrez, der Stoa und dem stoisch gefärbten
Neuplatonismus völlig erfüllt und durchdrungen ist. In der Kom-
71) Ich bezeichne den Standpunkt Shaftesburys als panentheistischen Mo-
nismus. Er deckt sich in dieser Beziehung bis auf die Worte mit Formeln
des Giordano Bruno. Wie nun aber seine Lehre von den beiden Grund-
trieben durch Vermittlung des Bacon auf die Alten zurückgeht (vgl. bei Bacon
die Cicerostelle), wie der feinste Duft platonischen Gefühls für die Schön-
heitsherrlichkeit des sittlichen Virtuosen und des Universums durch sein
Werk weht, wie er in den moralischen BegrüTen von Symmetrie, Propor-
tion etc. platonisirt: so ist, wie ich an anderer Stelle genauer zeigen werde,
die berühmte Darstellung seines Panentheismus in der Rhapsodie durchweg
von der Tradition stoischer Gedanken bedingt. Vgl. Rhaps., Uebersetzung
von 1777, II 349 bis 365, besonders 351, 353, 354, 355, 360, 363, 364. (Be-
sonders der beseelte Weltäther, die Entstehung der Welt aus ihm und der
Rückgang der Welt in ihn, die Unterordnung der "Gesinnung unter den er-
kannten Naturzusammenhang, das Naturideal). Andererseits haben die Stellen,
die beginnen mit: „0 herrliche Natur! über alles schön und gut! allliebeud
etc.", zweifellos dem Verfasser des Aufsatzes über die Natur im Tiefurter
Journal vorgeschwebt, welcher ja, auch nach den belehrenden Mitteilungen
von Steiner im letzten Goethejahrbuch p. 393—398, in irgend einer Art
Goethe war. Auch in den bei der Lektüre Spinozas niedergeschriebenen
Sätzen Goethes, deren Veröffentlichung wir neuerlichst Suphan verdanken, tritt
uns nicht einfache Anhängerschaft, sondern zugleich Gegensatz gegen Spinoza,
und zwar auf Grund der Uebereinstimmung mit Shaftesbury, entgegen.
r> i o Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. ,,
bination der Arbeiten von Telesio, Giordano Bruno, Hobbes, Geu-
linXj Spinoza und Shaftesbury ist ein Vorgang von wahrhaft dra-
matischem Zusammenhang enthalten, welchen auf dem Grunde der
antiken Tradition in Zusammenhang mit der modernen Kultur
und dorn Naturwissen zu erfassen eine hinreissende Aufgabe ist.
Gehen wir hierfür von Spinoza als der centralen Person dieser
Bewegung aus. in welcher die Richtung der Weltbeseelung zusam-
mentrifft mit der Richtung des universalen Rationalismus72).
Ich weise zunächst nach, dass die ganze eigentliche Ethik
Spinozas, das Ziel seines Werkes, auf die Stoa gegründet ist und
zwar in solchem Umfang und mit solchen (Jebereinstimmungen im
Einzelnen, dass die Benutzung irgend welcher der zumeist gele-
senen, die antike Tradition verarbeitenden niederländischen huma-
nistischen Schriften z. B. Lipsius de constantia anzunehmen un-
vermeidlich scheint73).
7") Indem ich an dem wichtigen Punkte meiner Darstellung anlange, an
welchem es gilt, meine Behauptung Archiv V 4 p. 484 in diesem und in den
folgenden Heften zu erweisen, dass „die Abhängigkeit von der römischen
Stoa tief iu die Psychologie und Politik von Hobbes und Spinoza, in den
Pantheismus von Spinoza und Shaftesbury hineinreiche", sowie mein Ver-
sprechen zu erfüllen, den Einfluss der römischen Stoa in der Entstehung des
ganzen natürlichen Systems, also des erkenntnistheoretischen, theologischen,
moralischen und politischen, aus den Quellen darzuthun: muss ich, obwohl
ich ja seit vielen Jahren besonders für Spinoza und die Affektenlehre ge-
sammelt habe, doch ausdrücklich bitten, die Unvollkommenheiten eines solchen
ersten Versuches entschuldigen zu wollen. — Eben, indem ich das Manuskript
abschliesse und in den Druck gebe, erhalte ich das letzte Heft des Archivs
und freue mich, dass meine Darlegung im Ganzen in Bezug auf Telesio mit dei
des Herrn Prof. Stein in der Anzeige des Buches von Heiland übereinstimmt.
73) Zwinger, morum philos. 2 tom. 1575: Just. Lipsius, de constantia
1582, (»olitica 1583, manuduetio ad Stoicam philos. 1004, physiologia Stoi-
corum HilO; Scioppius, element. Stoicae philos. mor. 160G; Daniel Eeinsius,
"Utiones (bes. XV) 1G27, 'Avöpovhtou 'PoStou Ethicorum Nicomach, paraphrasis,
cui subiungitur libellus itepl iradüv; Jul. Caes. Scaliger, exotericarum exerci
tationum 1. 15 de subtilitate ad Gardanum 1620; Hugo Grotius, de iure belli
pacis 1625; Gerh. Joh. Vossius, de theologia gentili (enthält eine Affekten-
lehre), institutiones oratoriae et poeticae; Gataker, de diseiplina Stoica cum
sectis aliis collata vor der Edition des Antonin Cantabr. 1653; Salmasius, com-
meutarius Simplicii in enchiridion Epicteti mit disputatio de philos. Stoica
1640.
78 Wilhelm Dilthey,
Die ausdrückliche Bemerkung über seine Vorgänger in der
Vorrede zum dritten Buch der Ethik74) bezeugt die Benutzung
älterer Moralisten, und die Vergleichung dieser Bemerkung mit
der Vorrede zu Buch V, in welcher die Stoiker wegen ihrer An-
nahme eines imperium absolutum des Willens über die Affekte
getadelt, dagegen wegen ihrer Darlegung, wie viel Gewöhnung und
Studium zur Bändigung der Leidenschaften nötig sei, gelobt wer-
den, lässt die Beziehung von praef. III auf die Stoiker als die na-
türlichste erscheinen. Ueber Spinozas klassische Kenntnisse ge-
ben Auskunft die Stellen : tract. pol. X, 1 und ethic. III äff. def. 44
(Cicero), ethic. 111,31 cor. und IV, 17 seh. (Ovid), tract. polit. C\ II
§ 5 (Sallust). Die humanistischen Schriften über stoische Ethik wie
die des Lipsius und Daniel Heinsius hatte er wol schon in der Zeit
des Verkehrs mit van der Ende kennen zu lernen Gelegenheit. Den
Grundsatz, dass das Wesen eines jeden Dinges Selbsterhaltung ist
(ethic. III prop. 4 — 8), hat er aus der stoischen Tradition geschöpft.
Macht er doch in der Sonderung von appetitus und von cupiditas als
appetitus cum eiusdem conscientia denselben Unterschied wie Chry-
sipp bei Diogenes 7, 85: zpÄrov otxeiov elvat Xs-ftuv jravxt £ü<d ttjv
autou aua-ocatv jeal ~r)v xauxr^ auvEior^aiv. Nächstliegend ist hierbei die
Benutzung von Grotius. Vgl. ferner ethic. IV pr. 18 schob mit Sen.
ep. 121, 14 und ethic. IV, 19 mit Stob. II, 126. Ganz stoisch ist fer-
ner die Ableitung der gesellschaftlichen und staatlichen Verbindun-
gen daraus, dass die vernunftmässig lebenden Menschen das einan-
der Verwandteste sind, daher sich gegenseitig das Nützlichste. Vgl.
ethic. IV, 18 schob, 19. 20. 29—34. 35 u. coroll. 73, app. 7. 9. 12,
tract. th.-p. c. V p. 436 (Vloten-Land) 35 mit Zeller III, 1 3. 287.
Marc Aurel 9, 8. 12, 20. Ferner erkennt Spinoza ebensowenig wie
die Stoa ein Rechtsverhältniss zwischen Mensch und Thier an,
vgl. Zeller 286 und Sen. de ben. 4, 5 mit Spin. IV 37 seh. 1.
app. 26. Wie die Stoa, so steht auch Spinoza auf kosmopolitischem
7i) Non defuerunt tarnen viri praestantissimi (quorurn labori et industriae
nos multum debere fatemur), qui de reeta vivendi ratione praeclara multa
scripserint et plena prudentiae consilia mortalibus dederint: verum affectuum
naturam et vires, et quid contra mens in iisclern moderandis possit, nemo
quod sciam, determinavit.
Die Autonomie des l'enkens im 17. Jahrhundert. 7'.'
Standpunkte, vgl. Zeller 298 f. und ethic. IV L8 seh. 36. Eine
Stelle Spinozas über die Ehe zeigt mit einer des Seneca l"'i Hie-
ronymus solche wörtlichen Heimlichkeiten, dass Spinoza sie wohl
bei einem der humanistischen Darsteller der Stoa gelesen haben
muss; Son. de matr. fr. 81 (Haase): amor formae rationis oblivio
esl e1 insaniae proximus und ethic. l\' app. XIX. XX: amor me-
retricius — species delirii; tnatrimonium cum ratione convenire,
si cupiditas — nun ex sola forma — ingeneretur u. s. w. Die
Auflassung der Affekte bei den Stoikern als eine Art von Wahn-
sinu und Aussersichsein kehri in der Bezeichnung derselben bei
Spinoza als Arten des Wahnsinns wieder: IV, 44 schol. und Chry-
sipp bei Galen IV, 6, 409. Plut. virt. mor. 10. Der stoischen Un-
terscheidung von -di)^ und s'j-atk'.cu entspricht die spinozistische
in passiones und actiones: ethic. IV app. 2, der bekannte Gedanke
von der Knechtung des Menschen durch die Affekte75) wiederholt
sich in eth. IV praef. Chrysipp erklärte als Merkmal des Affekts
die Störung der natürlichen Symmetrie der Triebe; dieses die Teleo-
logie berührende Verhältniss hat Spinoza IV, 39 beibehalten, aber als
blosse Thatsächlichkeit, indem er uuter dem Schädlichen das ver-
steht, was das natürliche Verhältniss vou Ruhe und Bewegung der
Körperteile aufhebt, uuter dem Nützlichen, was dies Verhältniss
bewahrt, und nach diesem Grundsatz werden nun in IV, 40 ff. die
einzelnen Affekte beurtheilt. Ueberhaupt stimmen ja Stoa und
Spinoza im tiefsten darin überein, das Weltall und so auch den
.Menschen als ein Kraftsystem aufzufassen; hierin lag ja in erster
Linie, was das stoische Denken mit dem dieser Epoche verband:
nur dass der teleologische Zusammenhang der Stoa nun seit Ga-
lilei sich in einen mechanischen umwandelte. So interpretirt ja
auch Spinoza die antike Lehre vom Mikrokosmus und Makrokos-
mus rein mechanisch: postul. von II propos. 13, besonders propos. 16.
Amh die Anordnung der Affekte in de deo et nomine ist stoisch76),
doch zugleich von Dcscartes beeinflusst. In seiner Erörterung über
den Selbstmord polemisirt er gegen die Stoa. Diese hatte den
Zellei p. 250 Anm. 4. Marc Aurel 'J, 21. II, 23.
;") Cf. Zeller p. 230ff.
80 Wilhelm Dilthey,
freiwilligen Austritt aus dem Leben damit begründet, dass „in ne-
cessitate vivere nulla neeessitas est"77). Dagegen wendet Spinoza
IV 18 schob ein, dass der Selbstmord dem Princip der Selbst-
erhaltung widerspricht: sequitur eos, qui se interficiunt, animo esse
impotentes eosque a causis externis, suae naturae repugnantibus,
prorsus vinci. Tugend ist bei Spinoza IV prop. 24 nichts anderes
als Erkenntniss durch Vernunft. Diese Identität entnahm er der
Stoa78). Beide lehren auch, dass wir ohne Tugend, aber zur Tu-
gend geboren werden79). Wie Panaetius bei Cic. de off. I 4, 11
es als Eigentümlichkeit des vernunftbegabten Menschen bezeich-
net, die Zukunft zu erwägen und sich nicht wie das Thier ganz
vom Eindruck des Gegenwärtigen leiten zu lassen, so verlangt auch
Spinoza die vernunftgemässe Abwägung gegenwärtiger und zukünfti-
ger Güter und Uebel gegeneinander: ethic. IV, 63. Q6 ff. Wie die
Stoa80) verwirft auch Spinoza81) die gewöhnlichen Lebensgüter als
Selbstzwecke. Der dies darstellende Anfang von de int. emend.
stimmt genau überein mit Marc Aurel 8, 1. Das höchste Gut ist
nach Spinoza die cognitio unionis, quam mens cum tota natura
habet82). Dies entspricht der stoischen Lehre, nach der das
höchste Gut dasjenige ist, was mit dem Gang und Gesetz des
eine geschlossene Einheit bildenden Universums übereinstimmt und
aus der Erkenntniss dieses allgemeinen Gesetzes hervorgeht83). Die
Gegenüberstellung des Erkennens als eines agere gegenüber dem
Wahrnehmen als einem pati fand Spinoza bei der Stoa; vgl. Zellcr
[>. 77 mit den bekannten Stellen Spinozas, besonders quatenus Deum
contomplamur, eatenus agimus 84). Ebenso ist stoisch, dass nun
77) Seneca ep. 12, 10.
78) Cic. Acad. I, 10, 38. Tuse. IV, 15, 34: ipsa virtus brevissime reeta
ratio dici potest. Seil. ep. 113, 2.
") Spin. IV, G8; IV, 66 schol. et". Zeller p. 269.
8°) Diogen. VII, 103. Seil. ep. 72. 91.
81) Track de intell. einend.
82) Ebend.
s:i) Cic. de fin. III 6, 21. Diog. VII 88. Marc. Aur. 12, 12. Sen. ep. 31.71.
st) Die Uebereinstimmuugen in der Erkenntnisstheorie zwischen der Stoa,
Descartes, Spinoza und Ilobbes werden hier noch übergangen, weil sie erst dar
zustellen sind, wo Descartes als Vermittler älterer Philosophenie behandelt wird.
Die Autonomie d«1^ Denkens im 17. Jahrhundert. 81
die Erkenntniss die Herrschaft über die Affekte dadurch herbei-
führt, dass sie den ununterbrochenen, Zufall und Freiheil aus-
schliessenden Kausalzusammenhang, in welchem die Gottheil gegen-
wärtig ist, erfassen und folgerechl verehren, ihm sich unterordnen
lehrt: vgl Zeller 303 f.; eth. II. 49 schol. bes. Ende; [V, 28. 50 seh.
73 seh. app. 32; V. 10 seh. 27. 31 seh. 12 seh. Wie hierdurch
Elass, Zorn u. s. w. aufgehoben werden, lehrl genau wie Spinoza
Marc Aurel 8, 1 und 3. 10, 20. 23. 27. 11. 18. Sen. ep. 91. Dass
wir als pars totius universi in der Unterordnung unter dieses
unser höchstes Gut haben, Maie Aurel 8,5. Dass wir die Dinge
sub specie aeterni auffassen müssen, Marc Aurel 7, 33. so^xciTa-
&sot? als der Beifall, mit dem wir den Weltlauf begleiten, sonach
eine Erkenntniss- und Willensseite enthaltend; vgl. Stein, Erkennt-
nissth. d. Stoa S. L95. So stimmen die Stoiker und Spinoza in
der tiefen Art überein, wie sie aus der Netwendigkeitslchre eine
Ethik ableiten: ebenso an der anderen tiefsten Stelle der stoischen
Ethik: Tugend ist Thun. Kraft, fortitudo, gaudium. In dieser
Verbindung von fortitudo mit der Kindheit dein Aeusseren gegen-
über und dem Bewusstseiu hiervon in dem freudigen Lebensgefühl,
in der Identifizirung dieser seelischen Form mit virtus liegt die
dauernde stoische Tiefe, welche von Spinoza zur Anerkennung
gebracht wurden ist; hieraus fliessi seine Polemik gegen die reli-
giösen Tauenden der Demut, der Reue und des Mitleids, in wel-
cher er ebenfalls mit den Stoikern übereinstimmt. Ganz stoisch ist
in Bezug auf den Gegensatz der ignari und sapientes und die
animi aequiescentia der letzteren — ■ die Selbstzufriedenheit, wie
sie Kant in dem schönen neu gefundenen moralischen Fragmenl
ganz stoisch schildert — der Schluss der Ethik.
Das Bild des Weisen wird von Spinoza mit durchaus stoi-
schen Zügen gezeichnet, die er in den Zusammenhang seines
Systems eingeordnel hat. Vgl. Sen. de const. 13,5. 75, L8 ep. 29,
12. Stob. flor. 7, 21 mit eth. IV, 63 und schol. V, 10 schol. 38
und schol. (der Weise fürchtet niemand, auch den Tod nicht);
Sen. ep. 9, 13. 29, 12 mit Spin. IV. 52 (Selbstgenügsamkeil des
Weisen); Sen. ep. 36. 41. 59, L4ff. 72. Man- Aurel 8,1 u. 3 mit
eth. IV. 41. 42. 44. 45 cor. 2. 50 seh. 73 seh. V. LO seh. (gleich-
Archiv f. Geschichte d. Philosophie. VII. I'i
82 Wilhelm Dilthey,
massige Heiterkeit, Tapferkeit und Ruhe des Weisen); Zeller 235
mit eth. IV, 51 seh. (er straft ohne Nachsicht, aber ohne Erregung);
Cic. Tusc. III, 9, 20 f. Sen. de dem. II, 5 f. Diog. 7, 123 mit eth.
IV, 50 cor. u. seh. (er bemitleidet niemand, aber ist wohlwollend);
Cic. off. I, 7, 20 u. eth. IV, 37 (Aufhebung der Affekte im Weisen);
Marc Aur. 8, 28. 11, 16. Zeller S. 234 mit eth. IV, 45 cor. 1 (er
ist frei von Hass, Neid, Verachtung, Zorn); Zeller S. 250 f. mit
eth. IV, 37 seh. 1 (er lässt sich von Gerechtigkeit, Ehrenhaftigkeit
und Billigkeit durch niemanden abbringen); Zeller S. 250*. Sen.
ep. Gl u. 88 mit eth. IV, 66 seh. 98 (er ist allein frei); Zeller
S. 202 ' mit Eth. IV, 38 ff. (er erlangt die Unsterblichkeit). Auch
dass zwischen den ignarus und sapiens als Zwischenstufe das Leben
nach der ratio gestellt ist, ist in Uebereinstimmung mit der be-
kannten stoischen Lehre von den TcpoxoTTTovies.
Die Uebereinstimmung, wie diese Stellen sie erweisen, zwingt
zur Annahme der Vermittlung der echten Stoa durch die nieder-
ländischen Philologen, und dies ist ja auch mit vielen echt nieder-
ländischen Zügen in Spinozas Leben und mit seinen persönlichen
Relationen in Einklang. Ein Buch wie Coornherts Sittenlehre zeigt
die damalige Verbreitung stoischer Moralgedanken in den Nieder-
landen.
Der früheste der Schriftsteller, welche selbständig die
stoische Tradition umgeformt hatten und den Spinoza be-
einflussten, ist Telesio gewesen. Dass derselbe vermittelst des
von ihm bedingten Hobbes auf Spinoza wirkte, unterliegt keinem
Zweifel. Die nachfolgenden Vergleichungen scheinen mir aber auch
einen direkten Einfluss der Lektüre des Telesio selbst auf Spinoza
höchst wahrscheinlich zu machen. Und dies ist nun für die all-
gemeine geschichtliche Position des Spinoza von grösster Tragweite:
zumal wenn, wie ich glaube, der schöne Fund Sigwarts von der
Uebereinstimmung des Spinoza mit Giordano Bruno die Annahme
einer Lektüre dieses abschliessenden Renaissance-Philosophen, wel-
cher die metaphysische Weltformel der italienischen Renaissance
aussprach, durch Spinoza wahrscheinlich macht. Denn aus dieser
Benützung des Telesio wird deutlich, wie in Spinoza der Geist
der Renaissance fortlebt, welcher in der Verbindung von
Die Autonomie dos Denkens im 17. Jahrhundert.
Selbsterhaltung, Stärke, Ehre, Lebensfreudigkeit, Tugend sich ausser!
(Ausdruck dieses Renaissancegeistes Telesio IX p. 363), daher Spi-
uoza auch in dieser Rücksicht der reife Abschluss dieser Epoche ist.
Wie die Stoa von der Formen- und Begriffslehre in einer
freien Kombination der vorhandenen Natureinsichten zu einem
Ganzen überging, so verfuhr auch Telesio. Er legte dabei den
zweiten Teil des parmenideischen Gedichtes zu Grunde, zugleich
aber in demselben Umfang die biologische Lehre vom Zusammen-
hang von Wärmestoff, Beseelung, beseelter Luft, Atmungsprozess
und Lebensvorgang. Er erneuerte den Grundgedanken des antiken
pantheistischen Monismus, nach welchem kraft und Stoff, Körper
und Geist identisch ist":'). Das göttliche Pneuma naturalisirl sieh
in der Weltentwicklung, und aus der Beziehung von Luft und
Körper destillirt sich in Lunge, Herz, Arterien und Gehirn wiedei
- lenstoff. Diesem so schaffenden Ganzen ist die Zweckmässig-
keit immanent, mit welcher jedes sich zu erhalten strebt, wobei
Vernunft der bewusste Ausdruck und das Instrument dieser Er-
haltung ist. Diese stoische Lehre, auf welcher die ganze Biologie
des 17. Jahrhunderts beruht, erhielt ihre beste Ausführung durch
Telesio. Seine Hauptquelle für die dabei zu Grunde liegende
psychophysische Theorie war Galen"6). Mit ihm stimmt er über-
ein in der Grundauffassung, dass in den physisch bedingten Lebens-
geistern der Erklärungsgrund der geistigen Vorgänge bis zum
Schliessen hin liegen könne. Wahrt hierbei Galen den Stand-
punkt des Empirikers, indem er die Möglichkeit der Mitwirkung
eines besonderen Xus offen lässt, so entscheidet sich Telesius für
85) Der Himmel ist das Werk der nach dem Willen Gottes wirk.
Wärme. Ueber die Zweckmässigkeit seiner liewegung freut sieb der Himmel
(Allbeseelung).
s6) Vgl. /.. B. Gal. III Ö41K. „Die von aussen eingeatmete Luft empfängl
in dem Fleische der Lunge die erste Bearbeitung, hierauf im Herzen und in
den Arterien, namentlich denen des netzartigen Geflechts die zweite, dann
die vollkommenste in ^-\\ Ventrikeln des Gehirns, wo sie nun völlig p
chisch \\nd.- Tel. VIII p. 351 ff. - Telesius Bekanntschaft mit den alten
izinern beweisen die I III c. 29 (Hippocr. de nat. hoi
I Gal. •!' convuls. ei rig.j, VII c. 21 (Gal. de causis sympt. und de usu
part.), ■ !. de plac. Hipp. e1 Plat.).
6*
84 Wilhelm Dilthey,
eine Trennungslinie zwischen dem von der physischen Teleologie
der Selbsterhaltung getragenen Denken und einer platonisirend
entworfenen intellektuellen Anschauungskraft87). Der erstere, aus
dem Samen gezogene Geist ist körperlich und der Thätigkeit der
körperlichen Dinge unterworfen. Wie die Stoa vor ihm88) und Spi-
noza nach ihm, so lehrt auch Telesius89), dass der Geist nur die
Dinge empfindet, von welchen er leidet und geändert wird, indem
sie ihn bald in einen engern, bald in einen weiteren Raum bringen,
so dass seine Substanz bald zusammengezogen, bald ausgedehnt
wird. Merkwürdig ist. wie er hierbei die moderne Entwicklungs-
theorie antieipirt durch den Gedanken, dass Geschmack-, Geruch-
und Gesichtssinn nur Tastsinn von ausgezeichneter Art seien90).
Die stoische Lehre vom Gedächtniss. welche den Zusammenhang der
weissen Tafel, der darauf geschriebenen Wahrnehmungen und der
Entstehung der Erfahrung durch Wiederholung gleichartiger Phan-
tasiebilder darlegt, erhält durch Telesio die mechanisch gedachte
Fortbildung, dass die Bewegungen eine Disposition zu ihrer Wieder-
holung zurücklassen: „es bleiben beinahe die Bewegungen selbst
zurück". Es liegt nahe anzunehmen, dass Telesio, welcher die
aristotelisch -stoische Lehre von der t-j-ujcjic91) vermutlich aus
Galen schöpfte92), sie dem Descartes vermittelte. In demselben
S7) Vgl. Galen de plac. Hipp, et PI. 643: „Soll man sich aber auch über
die Seelensubstanz aussprechen, so muss man entweder diesen gleichsam
Schimmer- und ätherartigen Körper (das vom Gehirn /-um Sehnerv gelangende
Pneuma — es ist gerade von der Physiologie des Sehens die Rede) für die
Seele erklären, worauf, wenn auch gegen ihren Willen, die Stoiker und Aristo-
teles konsequenter Weise kommen müssen; oder man muss sie selbst als eine
unkörperliche Substanz, als ihr erstes Fahrzeug (o/r^a) aber diesen Körper
betrachten, durch dessen Vermittelung sie in Verbindung mit den übrigen
Körpern tritt." Tel. VIII p. 232 ff. c. 6. Dass er die Galenstelle kannte, wird
besonders wahrscheinlich durch das wörtliche Citat einer benachbarten Stelle
derselben Schrift (Tel. VII, 28 = Gal. de pl. 618).
88) Stein, Erkenntnissth. d. Stoa S. 156.
89) VII 277 ff. VIII 341 f.
90) VII 280 f.
91) Aristot. An. post. 2, 14, 99b, 36; de anima 3, 4; dox. 400.
''-') ..Der anschaulich vorstellende Teil der Seele ist offenbar auch der
Sitz des Gedächtnisses. Wenn er nun bei den anschaulichen Vorstellungen
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert 85
Zusammenhang stehl Spinoza, der in de int. em. fcr. 11,83 das
Gedächtniss rein stoisch definirt; vgl. ferner ebend. 11, 85. 82.
eth. II post. 5. Den Kern dc± weiteren Erkenntnissverlaufes bil-
del bei Tel. die epikureische Bestimmung des methodischen Er-
kennens, von «lern Bekannten auf das Unbekannte zn schliessen;
vgl. Diog. 10, 33. Tel. VIII, 314 ff. Das Verstehen gehl aus der
Vergleichung vergangener und gegenwärtiger Bewegungen hervor
(VIII. 354—356). Ans der Erfassung des Aehnlichen in den Em-
pfindungen entstehen Wahrnehmungen93) und Schlüsse. Telesius
• j. scientiarum omnium principia a sensu haberi vel proxima
eorum, quae sensu percepta sunt, similitudine et conclusiones
omnes ex eis pendere (VW, 4; ähnlich Hobbes). Für die weitere
Entwicklung der Erkenntnisstheorie ist von Bedeutung seine Ab-
leitung der Verbindung von Eigenschaften eines Dinges aus der
regelmässigen Aufeinanderfolge9*). Die Ableitung der Unterschiede
. istiger Eigentümlichkeiten (Tel. VIII, 28 und 29) ans körper-
lichen Verschiedenheiten kann ebenfalls durch Galen95) vermit-
telt sein und kehrt geuau bei Spinoza (eth. II, 39) wieder. Stoisch
(ebenso Lucrez) ist auch die Bestimmung des Telesio (IX, 365 — 367).
dass die Erkenntniss der Natur und der Kräfte des Inbegriffs der
Dinge die Weisheil und diese die Tugend sei (Spinozas cognitio
adaequata). Die Tugendlehre des Telesius verbindet die aristote-
lische Lehre von der Mitte mit der Ableitung aus Selbsterhaltung
(IX. 376 ff.). Tugend ist die fortitudo, welche das der Selbsterhal-
tung Dienende realisirt (VIII,356 — 358). Dieser Gleichung zwischen
Kraft und Tugend entspricht die zwischen Traurigkeit und Laster
(IX. 376 — 382). In allen diesen Lehren weht derselbe lebens-
freudige Geis! der Renaissance, welchem wir in Spinozas Polemik
n das christliche Ideal der meditatio mortis (eth. IV. 67. 41)
deutliche Eindrücke (xÜTtooc) empfangt, so bewahrt er sie für immer, und dies
ist das Gedächtniss; wenn aber unklare und ganz oberflächliche, so bewahrt
e nicht, und dies ist das Vergessen." Gal. IY4-15K.
») VIII 319. 320. Zellei S. 73. Vgl. Herberts similitudo.
Vlll 3U-316.
'■' ) Vgl. /. B. Gal. I 322: Scharfsinn ist das Zeichen einer feinteiligen
m/, Langsamkeil des Verstandes einer grobteiligen, Schnelligkeil
im Lernen einer bildsamen, Gedächl rke einer beharrlichen.
gß Wi lhelm Dilthey,
wieder begegnen. Das Tugendideal der sublimitas (EX, 383 f.) wirkt
auf Descartes und seine Zeit.
Die Entstellung der beiden Grundaifekte aus dem Selbsterhal-
tuiiü'striel) ist von der Lehre der Stoa bedingt, wird aber so fort-
gebildet, «lass die Stellen darüber (VIII, 314-316. VI, 276— 279)
zum Teil wörtlich an Spinoza anklingen. Affekte und Tugenden
sind wie in der Stoa (Zeller 226) bedingt durch die Intelligenz
(IX, 365—367). Lust und Schmerz als Bewusstsein von Förde-
rung und Störung der Selbsterhaltung (IX, 362 f.) hat Telesio mit
Spinoza gemein; aus ihnen werden bei beiden weitere Affekte ab-
geleitet (IX, 363 f.). Auch hier bereitet Telesio über die Stoa
hinausgehend die mechanische Vorstellung von seinem naturalisti-
sehen Denken aus vor. Die Ableitung von Hass und Neid als
gesetzmässig und unvermeidlich, die Selbsterhaltung als Princip
für die Abwägung der gegenwärtigen und zukünftigen Uebel (Tel.
IX. 1; eth. IV, 66), und die Erklärung der Affekte des Mitleids
u. s. w. sowie der gesellschaftlichen Tugenden aus dem Princip der
Ärmlichkeit kehren bei Spinoza wieder. (Tel. IX, 365. 367. Spin.
III, 35. 37. IV, 18 schob 35 seh. app. 28). Die Unsicherheit und
das Elend des vorgeschichtlichen Lebens nötigen zu den auf
gegenseitiger Unterstützung der einander Aehnlichen beruhenden
uvsidlschaftlichen Verbindungen des status civilis.
Ausser Telesio übertrug dann stoische Gedanken auf Spinoza
der schon durch Telesio bedingte Hobbes. Dass Hobbes den Spi-
noza sehr stark beeinflusst hat, bedarf keines Nachweises. Wohl
aber ist zu zeigen, in welchem Grade doch neben anderen antiken
Ideen die der Stoa in Hobbes eingingen. Hobbes ist, wie die aus-
gezeichneten Untersuchungen von Tönnies gezeigt haben, von den
moralisch politischen Problemen ausgegangen. Er war lange Poli-
tiker und Humanist, ehe er durch Euklid der naturwissenschaft-
lichen Richtung gewonnen wurde. Ich habe in der Einleitung in
die Geisteswissenschaften die beiden Fraktionen des antiken Natur-
rechts unterschieden; Hobbes schloss sich der Gewaltrechtslehre an,
wie sie die späteren Sophisten entwickelten und wie sie bei Thu-
kydides, Plato, Euripides, Aristophanes ihre erste Darstellung fand.
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. 8*3
In natürlicher Verbindung hiermit, im Zusammenhang mii seiner
Gemütsverfassung gründete er dieselbe auf den Atomismus, Ma-
terialismus uml Animalismus der Epikureer, des Lucrez. Nun
aber führten ihn seine humanistischen Studien, seine juristisch
politischen Beschäftigungen, seine Bekanntschaft mit Telesio zu-
gleich auf die Stoa, und zwar glaube ich an der Affektenlehre
nachweisen zu können, dass er auf die stoischen Quellen selber
zurückgegangen ist.
Zenos Definition des Affekts als einer perturbatio aversa a
reeta animi contra naturam animi (bei Cic. Tusc. IV. '.'. vgl. Diog.
VII, 1 10 u. ff.) hat Hobbes in de homine cap. XII, 1 völlig aeeep-
tirt. Jeder Affekt beziehl sich auf den appetitus oder die aversio
I. de hom. cap. 6 mit Diog. \ II. L04. Stob. ecl. II p. 142. Plut.
mor. 1037. Cic. Acad. 11,24). Hobbes' Erklärung der misericordia
(de homine c. XII. 10. Leviath. de hom. c. VI): dolere ob malum
alienum. i. e. condolere sive compati, id est malum alienum sibi
aeeidere posse imaginari, misericordia dicitur, stimmt überein mit
der stoischen bei Diogen. VII, 111. Stob. ccl. II. Cic. Tuscul. IV,
17u.lV. Die desperatio ist bei Hobbes Leviath. de hom. cap. VI:
appetitus sine opinione obtinendi, bei Cic. Tusc. IV, 175 eine
Tritudo sine ulla rerum expeetatione meliorum, vgl. ausserdem
i'-. Andron. Nach Hobbes de hom. cap. XII, 3 (Leviath. c. VI)
ist Furcht die Vorstellung, dass wir ineumbente bono coneipi-
mus modum aliquem quo amittatur, nach Diogen. VII, 11*2 '-f^ßoe =
irpoaSoxia xaxoo, vgl. ausserdem Cic. Tuscul. IV, 14; Ps. Androni-
kus; Stob. ecl. II. 88, 17. Hobbes lehrt, dass der Affekt der Freude
entsteht durch die Vorstellung eines bonum adveniens sine com-
pensatione ullius mali consequentis, der Affekt des Hasses durch die
• •II • _ setzte Vorstellung. Dasselbe behauptet Cicero Tusc. IV,
II: aegritudo est opinio recens mali praesentis, in quo demitti
contrahique animo rectum esse videatur. Hierzu vgl. Hobbes" I )> -
linition der Affekte in de hom. cap. XII, 1: consistunt autem
affectus in diversis motibus etc. Der All'ekt der Niedergeschlagen-
heit wird voii Hobbes Leviath. c. VI rein stoisch definirt, vgl.
Cic. Tusc. IV. 17. Dei Affekt der pietas naturalis, der dem Be-
griff des Aberglaubens entspricht, ist von Hobbes Leviath. c. VI
88 Wilhelm Dilthey,
de hom. c. XII, 5 aus der stoischen SetGiSaifiovia abgeleitet, vgl.
Stob. ecl. II; Ps.-Andron. Der stoische Begriff der CqXoToma (vgl.
Cic. Tusc. IV, 8, 18. ad Attic. 10, 8 § 1) wörtlich von Hobbes ent-
lehnt in de hom. c. VIII, der der iatjvic (vgl. Stob. ecl. II, Ps.-An-
dronikus, Cic. Tusc. IV, 21) in de hom. c. XII, 4. Ebenso iden-
tisch ist der pudor bei Hobbes de hom. c. XII, 6. Leviath. de hom.
c. VI mit der alay6\>rt bei Diogen. VII, 112. Stob. ecl. II, aemu-
latio und invidia bei Hobbes de hom. c. XII, 11. Leviath. c. VI
mit dem C^Xo; und cpöovo? bei Diogen. VII, 111. Cic. Tusc. IV, 17.
Stob. ecl. II. Die Einteilung des amor bei Hobbes de hom. c. XII, 8
in amor pecuniae und amor potentiae entspricht der Einteilung der
£~ti)u[j.t'a in <ptX'j/_pr/tj.7.n'a und cpdoxifxta vgl. Cic. Tusc. IV, 21, die
Erklärung der ira in de nomine c. XII, 4 der bei Diog. VII, 113.
Stob. ecl. IL Ps.-Andron. Cic. Tusc. IV, 21 etc.96)
Der dritte unter den selbständigen Denkern, welche eine Zu-
fuhr antiker Gedanken dem Spinoza vermittelten, war Descartes.
In welchem Umfang die ethischen Gedanken des Descartes stoisch
sind und Spinoza mitbestimmen, hat Trendelenburg nachgewiesen.
Die Schrift über die Passionen beruht auf Galen, Telesio etc.
Alier auch die Erkenntnisstheorie des Descartes ist von an-
tiken Gedanken erheblich bedingt.
Ihr Verhältniss zu dem definitiven System Spinozas wird erst
deutlich durch die Einsicht, dass die erkenntnisstheoretische Grund-
legung in de intellectus emendatione dauernd das Fundament der
Ethik Spinozas bilden sollte, Eth. II prop. 40 schol. sagt Spinoza,
dass er den Ursprung der notiones communes übergehe, quoniam
haec alii dicavi tractatui. Dass daneben zugleich die Grundlinien
der Erkenntnisstheorie auch in der Ethik selbst von dem zweiten
Buch ab bis zu ihrem Schluss gezogen werden, ist ja durch die
Beziehung des Erkenneus zum psychologisch ethischen Zusammen-
96) Hobbes TugencUehre erwächst zumeist aus einer Polemik gegen Aristo-
teles cf. de nomine c. XI, 4 (Leviath. c. VI u. Diog. VII, 85); de cive c. III,
(! mit Aristot. eth. Nie. V 3, 1130 a u. 1T., ferner de cive III, 32. Leviath. de
hom. c. XV (Leviath. de hom. c. VIII u. Cic. Acad. I 10, 38). liegen die
Stöa wendet sich IL in de hom. c. XI, 8.
Die Am mir des Denkens im 17. Jahrhundert. 89
hang bedingt. Dem Geist der Zeil entsprechend sollte diese me-
thodische Grundlegung durch de emendatione intellectus l>is zu den
universalen Definitionen und Axiomen am Anfang der Ethik füh-
ren: dies zeigl Spinoza ed. Gf. |>. 504: dicam ;; ceteris omnibus etc.
Kür den Nachweis der antiken Materialien für die Erkenntniss-
theorie des Descartes muss man von den beiden erkenntnisstheore-
tischen Jugendschriften ausgehen97). Seine Lehre von der sinn-
lichen Wahrnehmung stimm! in der Grundlage mit der römisch stoi-
schen überein. Nach ihm täuschen die Sinue niemals, wofern sie
nicht krank oder von dem sinnlichen Objekl zu weit entfern! sind:
inq. verit. ed. Amstel. L566 p. 78; vgl. damit Cic. de leg. 1,7. Acad.
N.T. [1,27,87. Sen. nat. quaest. 1, 2, 3. [11,7,9. Die Mittel der Er-
kennt niss sind imaginatio und sensus: regul. ad direct. rg. VIII, vgl.
damil Diog. VII, 1'.'. Philo de mundi opif. c. 59, 1, 40. Hobbes Leviath.
c II. Näheres über die imaginatio bei Cartes. medit. de pr. ph.
med. VI. Aber nur die intelligentia allein (regul. XII) ist fähig,
die Wahrheit zu begreifen; vgl. Chalcid. in Tim. c. "217 Mull.; (das
fjsu.ovixov wird von den späteren Autoren, besonders von Plutarch
>nvni mit vous gebraucht), ferner Galen, de plac. Hipp, et
rhu. V 219 K. Die Frage, wie die Wahrnehmung mittelst der
Sinne zu Stande kommt, beantwortet Descartes regul. XII ebenso
wie dii Stoa: Wir bringen unsere äusseren Sinne durch unsere
Aktion an die Objekte heran, wir sind hei der Empfindung völlig
ssiv, ..wie das Wachs den Kindruck des Siegels empfängt". Die
Form des empfindenden Körpers wird dabei durch das
Objekl in Wirklichkeil verändert, wie die Oberfläche des Wachses
durch das Siegel. In demselben Augenblick, wo der äussere Sinn
durch das Objekt in Bewegung gesetzl wird, wird das Bild zu
einem andern Körperteil getragen, zum sens commun. Dieser spiel!
die Rolle des Siegels, welcher eindrückt in die imaginatio etc.
Nach Baillet lautet der Titel der ursprünglich französisch aiederge-
riebenefl achung der Wahrheil durch das lumen naturale: la recherche
par les lumieres uaturelles qui ä •■l!-s seules ;>i saus le secours
ligion '•! de la philosophie determinenl les opinions que doil avoii
im bonneti bomme sur toutes les chöses qui doivenl faire l'objel de ses pen
trenl 'laus les secrets des sciences les plus abstraites.
90 Wilhelm Dilthey,
Vgl. damit die Darstellung des Wahrnehmungsvorganges bei Sextus
Emp. adv. Math. VII, 228; II, 70; VIII, 401 u. ff. Cic. Acad. I,
11. 11,27. Philo, quod deus s. immut. 19 p. 279 Mang. Procl. iu
Parm. Plat. ed. Cous. p. 74 etc. cf. Hobbes Phys. e. XXV, 10;
ferner Desc. diso, de la methode einq. partie. Diese so geartete
Lehre von einer tabula rasa findet sich auch, wie bereits im Vor-
hergehenden dargethan ist, bei Cartes. iuq. verit. p. 74; regul. IV
p. 9 Z. 12 ff. und p. 10 Z. 1 erinnern beide au Cic. de fin. V, 21,
59 ff.; speziell der Ausdruck semina u. s. w. stammt von den Stoi-
kern cf. Cic. de leg. I, 8, 24. Iu reg. IV p. 11 Z. 3 sind sicher
auch die Stoiker gemeint; denn die Ethik, tue er rühmt, ist die
stoische, bezw. diejenige, welche Cicero in de off. behandelt; denu
dort wird gezeigt: honestum utili praeferendum esse. Ferner reg. X
p. 30 Z. 2 ff. : der Einwand des Carneades gegen den Syllogismus
cf. Sext. hyp. Pyrrh. II, 194 ff. Ueber die Wertschätzung der
Dialektik vgl. reg. II mit Stob. ilor. 82, 7—15. Diog. VII, 161
IV, 18. Bezüglich des Ziels unserer geistigen Thätigkeit vgl. reg. I
mit Diog. VII, 165. Epict. diss. IV, 8, 12. Die wichtigen Stellen
über das lumen naturale in reg. I, IV, VI, XII vgl. mit Cic. de
fin. V, 21, 59. Tusc. I, 24, 57. nat. deor. II, 4, 12.
Für das fortdauernde Verhältniss der römischen Stoa und
der Akademie zum discours sind folgende Stellen zu vergleichen:
1. Abschn.: „Ich überlegte, wie vielerlei verschiedene Meinungen
über einen Gegenstand von den Gelehrten verteidigt werden, wäh-
rend doch die wahre nur eine sein kann", cf. Cic. Acad. 11,23,
72 ff. 36, 115. — 1. Abschn.: „Selbst bei der Betrachtung der Sitten
anderer fand ich nichts Zuverlässiges ; ich sah hier beinahe dieselben
Gegensätze wie früher iu den Meinungen der Philosophen". Dies
ist ein berühmtes Argument der Skeptiker cf. Cic. rep. III, 7, 14 ff.
ib. 12, 21. Cic. Tusc. I, 45, 108 ff. Horteusius frg. 29. Sext. hyp.
Pyrrh. I, 145 ff. III, 190—238. Cic. de div. II, 46, 96. - - 2. Abschn.:
„Ich hatte bereits in dem College gelernt, dass man nichts so Frem-
des und Unglaubliches sich ausdenken könne, was nicht ein Philo-
soph behauptet hätte" vgl. Mommsen, röm. Gesch. III p. 590. —
3. Abschn.: „Es ist ein richtiger Spruch, dass, wo man das
Rechte nicht mit Gewissheit erkennt, man dem Wahrscheinlichen
Die Autonomie des Denkens im 17. Jahrhundert. 91
zu folgen habe" vgl. Cic. Acad. II. 31, 99 ff. 32, KM IV. - - 3. Äbschn.:
„Ich wollte damit nicht etwa den Skeptikern folgen, welche nur
zweifeln um zu zweifeln und eine stete ünentschlossenheit vor-
spiegeln. - cf. Cic. Acad. IL 25, 79; 7. 19. Sext. byp. Pyrrh. I.
I2ff. [1,79. — 4. Abschn.: „Deshalb nahm ich. weil die Sinne
uns manchmal täuschen, an. dass es nichts gebe, was s<» beschaffen
wäre, wie sie es uns bieten" ct. Cic. Acad. II, 2;"), 7 '.MV. Sext. hyp.
Pyrrh. 11. l'.MV. 1. 40ff. — 1. Abschn.: „Dieselben Gedanken wie im
Wachen können uns auch im Traume kommen, ohne dass im ersten
Falle ihre Wahrheil begründe! istu cf. Cic. Acad. II, 27, s7. Sext.
hyp. Pyrrh. 1. 104 1V. 113 n. ö. — 4. Abschn.: „Die. Gestirne er-
scheinen weit kleiner, als sie in Wahrheit sind" cf. Cic. a. a. 0.
26, 82. — 4. Abschn.: „So sehen die Gelbsüchtigen alles gelb"
cf. Sext. a. a. (>. 1. 44: 104 u. ö. Cic. a. a. 0. II, 27, 87 IV. Für
die Meditationes sind folgende Stellen zu beachten: I. conti-
nuata rerum series cf. Cic. de div. I, 55, 125. de lato !), 20. —
II. pergam, donec aliquid certi vel, si nihil aliud, saltem hoc ipsum
pro ertn nihil esse certi cognoscam cf. Cic. Acad. II, i), 28. —
l\. inv ullum de hac re dubium superesset, nisi inde sequi vide-
ar me errare ounquam posse cf. Cic. nat. deor. III, 31, 77 ff.
— IV. oecurrit mm unain aliquam creaturam separatim, sed oninem
rerum iiniversitatem . . . cf. Cic. de nat. deor. II, 34, 87. — VI. oempe
imprimis hie adverto magnam esse differentiam inter meutern et
corpus. . . . cf. Cic. Tusc. I, 29, 71. vgl. auch reg. ad. direct. XII.
Wie aus diesen stoischen und stoisch gefärbten Ideenmassen
der glänzende klargeschliffene Krystall des Spinozistischen Systems
zusammenschoss, nach welchem Gesetz er sich bildete, das kann
ersl dargelegt werden, wenn man nun Spinozas Verhältniss zu der
naturwissenschaftlichen Bewegung und zu Giordano Bruno ins Auge
fasst.
Jahresbericht
über
sämmtliche Erscheinungen auf dem Gebiete der Geschichte
der Philosophie
in Gemeinschaft ra i t
Clemens Baeumker, Ingram Bywater, Alessandro Chiappelli, Hermann Diels,
Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann, Andrew Seth, Paul Tannery,
Feiice Tocco und Eduard Zeller
herausgegeben
Ludwig Stein.
I.
Die deutsche Iitteratnr über die sokratische,
platonische und aristotelisclie Philosophie.
1892.
Von
E. Zellcr.
Erster Artikel.
N irden, En.. Beiträge zur Geschichte der griechischen Philosophie.
Sep. -Abdr. aus den Jahrbb. f. cl. Philologie. Supplc-
mentb. XIX. 367—462. 1892.
Von den fünf wertlivollen, aus tüchtigen Studien hervor-
angenen Abhandlungen, welche N. unter diesem Titel ver-
einig! hat, fallen zwei vollständig, zwei andere theilweisc in den
Rahmen dieses Berichts, und so mag das Ganze hier besprochen
werden. — Nr. 1: „Ueber einige Schriften des Antisthenes"
(368 ff.) sucht zuerst für die -. cjocpiat&v den Nebentitel: yuaio'fvui-
•//>; zu erklären, und wendet sich dann den beiden Büchern
zu. welche nach Diog. VI, 18 im 10. Band von Antisthenes'
Werken standen und bei Cobet Kupos rt IptDjisvos, Kupos Jj xaTct'oxo-
irot betitelt sind. X. zeigt, dass die besseren HSS statt Kupo?
beidemale „xupios" geben, und bezieht die beiden Titel darauf,
dass der Weise nach cynischer Lehre der geborene Herr der Un-
weisen, dass er allein iSiepaötos, und er von den Göttern zum
'■i-.'jz/.'-.',: und i-'.z//-.',: der menschlichen Bandlungen verordnet
ist; und seine eingehenden Xachwei.se geben wirklich dieser Ver-
i)(; E. Zoller,
muthung, die sich zunächst last zu künstlich ausnimmt, eine er-
hebliche Wahrscheinlichkeit. — In Nr. 2: „Zu de* Briefen des
Heraklü und der Cyniker" (S. 386ff., 457f.), weist X. überzeugend
nacli. dass Bernays kein Recht hatte, in dem 4. Heraklitischen
und dem 28. Diogenes - Briet' jüdische oder christliche Interpola-
tionen zu vermuthen, indem er mit umfassender Belesenheil die
vielen Berührungspunkte zwischen dem späteren Cynismus und
dem Christenthum, insbesondere dem christlichen Mönchsthum, be-
leuchtet. Ein kleiner Nachtrag hiezu findet sich in den Sitzungs-
berichten der Berliner Akademie 1893, S. 129ff. S. 395 war als
Beweis dafür, dass Odysseus t)"(uv Stcvou war. vor allem an den
verhängnissvollen Schlaf Od. K. 31, S. 399 unter den Schriften
über Stoicismus und Christenthum an Baur's „Seneca und Paulus"
zu erinnern; Phileb. 15 E spricht Plato nicht (nach S. 398. 1) von
Reden über Thiere und Barbaren, sondern von Reden an die-
selben. — Nr. 3: „Philosophische Ansichten über die Entstehung
des Menschengeschlechts, seine kulturelle Entwicklung und das
goldene Zeitalter" (S. 411 tV.) zeigt, dass schon die Sage von
Prometheus statt des goldenen Zeitalters einen Zustand der Hoheit
und Hülfsbedürftigkeit als Urzustand der Menschen voraussetze;
und dass dann neben einem Archelaos und Demokrit namentlich
die Sophisten, und in der Folge, durch Theophrast gefördert.
Epikur darzuthun suchten, wie die Menschen Schritt für Schritt
zur Kultur gelangten, während die Cyniker Lobredner des bedürf-
nisslosen Naturzustandes waren. Unter dem sorgfältig gesammel-
ten Material, aus dem X. sinne Darstellung aufbaut, habe ich nur
Xenophanes" 10. Fragment (Stob. Floril. 39,41. Ekl. 1.224) ver-
misst, in dem der Gedanke eines allmählichen Erwerbs der mensch-
liehen Bildung, anscheinend im bewussten Gegensatz zu den
Mythen über die Erfindung der verschiedenen Künste durch Götter,
zuerst auftritt. — Nr. 4: „Die varronische Satura Prometheus, ein
Kapitel aus der Lehre von der icpovota" (S. 428-439. 153f.) geht
in Anknüpfung an die Ueberbleibsel des varronischen Prometheus
den Spuren der Verhandlungen nach, welche in philosophischen
Kreisen über die Frage gepflogen wurden, ob die Natur den Men-
schen so zweckmässig gebildet habe, wie Plato. Aristoteles und
Die deutsche Litteratui fibei die sokratische etc. Philosophie. \\'t
die Stoiker, öder so unvollkommen, wie Epikur und die Skeptiker
behaupteten. In Nr. 5: „Ueber den Streit des Theophrasl und
Zeno bei Philo ir. atpöapaias >c6o|xoo" (S. 140 152) widerlegt N.
mit überzeugenden Gründen Arnim's Versuch, das, was a. a. 0.
aus Theophrasl mitgetheilt wird, einem späteren Peripatetikei
zuzuweisen; und wenn schon hieraus folgt, dass nur Zeno der
hier bestrittene Stoiker sein kann, so führt er auch den Nachweis,
dass die von Theophrasl zurückgewiesenen Einwürfe gegen die
Ewigkeit der Welt bereits Epikur bekannl waren und von ihm
Im sich benützt wurden.
Mit Xenophon und seiner Darstellung des Sokrates be-
schäftigen sich die nachstehenden drei Schriften, von denen die
/weite noch 1892, die dritte allerdings erst im Februar 1893 er-
schienen ist:
1. Richter, E., Kenophonstudien. Jahrbb. f. «dass. Philologie
L9. Supplementb. 59—154.
2. Joel, K.. Der ächte und der Keno phontische Sokrates. Berlin,
Gaertner, L893. VII u. 554 S.
:;. Birt, Tu.. De Xenophontis Commentariorum Socraticorum
compositione. (Marburger Proömium für d. Sommer 1893).
XXU S. 4".
Die Verfasser dieser Schriften begegnen sich nun in einem
Zuge: sie halten sich nicht für berechtigt, das. was ihnen in den
lophontischen Berichten über Sokrates zum Anstoss gereicht,
nach einer neuerdings beliebten Methode, Xenophon kurzweg ab-
zusprechen; in der Kritik seiner Schriften conservativ, machen sie
ihn selbsl dafür verantwortlich, und fragen, wie wir uns diese
Dinge bei ihm zu erklären haben. Sie gewinnen aber hiebei weit
genug auseinandergehende Ergebnisse.
Nr. 1 und 3 sind zwar darüber einig, dass Mein. I. 1. '2 ur-
iprünglich ''ine in sich abgeschlossene und für sich herausgegebene
Verteidigung 'I''- Sokrates gegen die Anklage bildeten, welche
Polykrates dem Anytus in den Mund Lieleut hatte. Aber gleich
i»'i 1, 3 beginnen ihre Wege sich zu scheiden. Richter glaubt,
sj 1—1 dieses Kap. haben ursprünglich hinter <■. 1,9, oder es habe
'■■. VII. |
98 E. Zeller,
19, §5 — 14 hinter c. 2, 5 gestanden; c. 4 soll mit IY, 3. 5. 6 zu-
sammen eine eigene Apologie gebildet haben; I, 5. 6. 7. II, 1
nebst III, S. 9 ebenfalls ein Ganzes für sich sein, eine dritte
Apologie, von der ein Theil, I, 5, in IV, 5 wiederkehre; II, 2 bis
10 (über die tptXia) und III, 1 — 7 (über die axpctTr^'ia) seien zwei
weitere selbständige Werkchcn. Auch die zwei Gespräche IV, 2
und IV, 4 sind nach R. vereinzelte, erst nachträglich in die
Memorabilien aufgenommene Aufzeichnungen; B. III, 10 — 14 „rein
apomnemoneumatisch" und aphoristisch, IV, 1 vielleicht eine Ein-
leitung zu einem besonderen, jetzt verlorenen Werk, IV, 7 ein
(wie R. meint zu der bisherigen Schilderung des Sokrates nicht
passender, in Wahrheit mit seinem Utilitarismus ganz zu ihr
stimmender) Zusatz, IV, 8 ein Schluss, der bei der Vereinigung
der verschiedenen Bestandteile unserer Schrift unter Benützung
der Apologie beigefügt wurde. Nachdem sodann R. S. 90 — 123
gezeigt hat, dass Xenophon's eigene philosophische Darstellungen
mit dem, was die Memorabilien Sokrates in den Mund legen, nach
Inhalt und Ausdrucksweise durchaus, und bisweilen fast wörtlich,
übereinstimmen, zieht er S. 124 ff. aus dieser und andern Wahr-
nehmungen den Schluss, dass Xenophon's Berichte über sokratische
Gespräche freie Erfindungen seien, und dass diess auch von solchen
Unterredungen gelte, die er mit einem yjxouov oder olooc und ähn-
lichem anführt, da er diess ja auch bei Stücken thue, die offenbar
selbsterfunden seien, wie der Oekonomikus und das Gastmahl.
Mem. IV, 2, Stf., wo Sokrates mit Euthydem allein ist, und III, 5,
wo § 4 Verhältnisse vorausgesetzt werden, wie sie erst nach der
Schlacht bei Leuktra eingetreten seien. Zeigen uns aber die
xenophontischen Darstellungen zunächst nur die eigenen Ansichten
des Schriftstellers, so können wir aus diesen, wie R. (S. 133 ff.)
glaubt, auf die des Sokrates um so weniger schliessen, da beide
Männer gar nicht in dem nahen Verhältniss standen, das man
zwischen ihnen gewöhnlich voraussetzt. Diese Behauptung ist aber
freilich nicht allein durch das, was R. zu ihrer Begründung bemerkt,
nicht bewiesen, sondern sie wird sich auch überhaupt nicht be-
weisen lassen. Dass Xenophon weder von Plato noch von Ari-
stoteles genannt wird, hat nichts auf sich; denn die wenigen Ge-
Die deutsche Litteratur über die sokratische etc. Philosophie. (.üi
legenheiten, bei denen Plato einzelne von seinen Mitschülern
oenni (Apol. 20 E. 32Ef. 38B. Krito 15 B. Phädo 59 Äff. 54A,
39A f. Theät. Anf. Symp. Eingang und Schluss), sind lauter solche,
bei denen Xenophon gar oichl genannl werden konnte; Aristoteles
vollends erwähnl von somatischen Schülern ausser Plato überhaupl
nur des Antisthenes und Aristippus, alle anderen: Aeschines, Sim-
mias, Kebes, Phädo ii. s. w., werden von ihm übergangen, selbst
Euklides Metaph. IX.. "> nur unter dem Collectivnamen der Mega-
riker berücksichtigt. Im übrigen rechnel das ganze Alterthum
ophon einstimmig zu dem engeren Kreis der sokratischen Schülei
um! er selbsl macht offenbar gleichfalls diesen Anspruch, wenn er
Mem. I. 3, 1 u. 5. aus eigener Erinnerung zu berichten behauptet,
und selbsl wenn er eigene Erfindungen in dieser Form einfuhrt,
- doch immer voraus, dass er als Genosse des sokratischen
Kr kaum war. Nur unter dieser Voraussetzung können auch
Denkwürdigkeiten, so viel wir wissen, von Anfang an Rh-
eine urkundliche Quelle der sokratischen Lehre gehalten worden
sein. — Mit 1.'.'- Vermuthungen über Xenophon's persönliches Ver-
hältnis zu Sokrates hängl es nun zusammen, dass er sich (S. 13GfF.)
die Uebereinstimmung zwischen Aeusserungen des platonischen und
des xenophontisehen Sokrates. deren er noch manche weitere hätte
anfuhren können, nur aus einer Benützung der platonischen Schriften
durch Xenophon zu erklären weiss. Standen dagegen Xenophon
und Plato Jahre lang und gleichzeitig mit Sokrates in nahem Ver-
kehr, so Isl es nicht „ein Zufall, mit dem nicht zu rechnen ist"
140), sondern die natürlichste Sache von der Welt, wenn nicht
allein solche Auseinandersetzungen, welche die leitenden Gedanken
kratischen Philosophie betrafen und desshalb mit ihrer Be-
gründung und den sie erläuternden Beispielen gewiss oft wieder-
holt wurden, sondern wenn auch einzelne überraschende Wendungen
und Behauptungen (wie Mem. IV. 1. 6. Gorg. 491 Af. Mem. IV. 2,
I9f. Hipp. min. 365Cff.) -ich der Erinnerung der beiden Sokra-
tiker in der Hauptsache gleichlautend einprägten. Um eine schrift-
llerische Abhängigkeil des einen von dem andern zu beweisen,
mosfl ihre l reinstimmung Bolchea betreffen, was sich aus der
-< haltlich, m Quelle nicht ableiten lässt, wie diess /.. I». bei
V
100 E. Zeller.
der Berücksichtigung des platonischen Gastmahls im xenophonti-
schen der Fall ist. Ob Xen.. wie R. glaubt, im Iliero den Isokrates
De pace benutzt hat, will ich hier nicht untersuchen; dass Mein.
I, 6 von Isokrates' Sophistenrede beeinflusst sei, hat er mir (S. 145f.)
nicht wahrscheinlich gemacht. Ueber die Entstehung der Memora-
bilien und der meisten xenophontischen Schriften stellt er S. 1491V.
(nach S. 00. 152 von Di eis hiezu angeregt) die Vermuthung auf.
Xen. habe, bereits alternd, durch den Verlust seines Gutes in
Skillus (um 370) sich genöthigt gesehen, durch den Vortrag seiner
Werke sein Brod zu verdienen, und daher haben wir uns die viel-
fachen Variationen der gleichen Themata und den Umstand zu erklä-
ren, dass so viele Stücke ohne Einleitung mit einem os und o.Wj.
anfangen, indem nämlich erst bei ihrem Vortrag für die jeweilige
Zuhörerschaft die geeignete Einleitung vorangestellt worden sei. Ob
Xen. freilich seit seiner Vertreibung aus Skillus sich dauernd in
einer so bedrängten Lage befand, wissen wir um so weniger, da
wir zu der Annahme keinen Grund haben, bei seiner Verbannung
aus Athen sei sein dort befindliches Vermögen eingezogen worden,
und da seine Söhne, wenn sie 362 in der attischen Reiterei dienten,
der zweithöchsten Vermögensklasse angehört haben müssen.
Aus verschiedenen Bestandtheilen, die in verschiedenen Zeit-
punkten niedergeschrieben wurden, denkt sich auch Birt (Nr. 3)
die Memorabilicn zusammengesetzt; aber seine Erklärung des Tat-
bestandes, den uns diese Schrift in ihrem jetzigen Zustand zeigt,
ist einfacher als die von Richter. Xen. setzte, wie er glaubt,
bald nach seiner Heimkehr aus Asien der Klagrede des Polykrates
die Apologie des Sokrates entgegen, welche B. I, c. 1. 2 enthält.
Diese Apologie erhielt in der Folge in I, 3 — 7 und B. II Zusätze,
in denen X. das, was sie über Sokrates ausgesagt hatte, im ein-
zelnen näher ausführte und namentlich mit sokratischen Gesprächen
belegte, die er jetzt nach dem Vorgang anderer Sokratiker dar-
stellte. In der Anordnung dieser Zusätze hielt sich Xen. an die
Disposition von I, 1. 2; nur dass er durch die nachträgliche Ein-
legung von I, 4 auf die I, 3 — 4 allzu summarisch abgemachte
Frage über Sokrates' Religiosität noch einmal zurückkam. Mit
dieser Erweiterung wurde die Apologie nochmals veröffentlicht, so
Die deutsche Litteratui über die sokratische etc. Philosophie. HU
dass jetzl die beiden ersten Bücher unserer Memorabilien fertig-
stem waren. (Was B. bei dieser Gelegenheil S. XI!'.. mir aichl
recht einleuchtendes, aber den Grund dafür bemerkt, dass Ken.
nur [, 3, 8ff. sich selbst als Mitunterredner einführt, muss ich hier
übergehen.) Einer neuen Ausgabe seiner Schrill fügte X. nach
längerer Zeit in B. 111. ohne strengere Disposition, vier Nachträge
bei: c. 1 7: c. 8. 9; c. 10—12; c. IUI'. Kino eigene, mit dem
Gastmahl und dem Oekonomikus auf einer Linie stehende, und
mit den früher erschienenen Memorabilien (B. 1 — 3) eben so lose,
wie jene; verknüpfte Schrift ist unser viertes Buch, das last ganz
•ms Gesprächen mit Euthydem besteht: sein Thema bildet die so-
kratische jratiSsia, welche nach zwei einleitenden Erörterungen un-
ter vier (3,1 angegebenen) Gesichtspunkten geschildert wird, dass
nämlich Soki S aüler 1) craxppovas in Beziehung auf (bit-
ter (c. 3) and Menschen (c. 4). 2) jcpaxtixob? (c. 5), 3) Xsxtixw;
(c. 6), 4) ;ir(-/r."./vj: (c. 7) gemacht habe; woran sich dann als
Epilog anschliesst, was c. 8 über eleu Tod des Sokrates als wohl
vereinbar mit der ihm zutheilgewordenen dämonischen Weissagung
ausgeführt ist. Die Apologie muss, falls sie acht sein sollte, nach
Mem. [V, vielleicht auch nach dem Gastmahl und Oekonomikus
verfasst sein. Von Xenophon's geschichtlicher Zuverlässigkeit hat
15. kein,' hohe Meinung; er geht aber hier auf diese Frage nicht
naher ein.
Dagegen i-t eben dieses die Aufgabe, welche sich Joel in sei-
n-'in unter Nr. 2 verzeichneten, erst zur Hälfte erschienenen Werke
stell! hat: \ oophon's Schilderung des Sokrates auf ihre Glaub-
würdigkeil zu prüfen, und statt des von ihm überlieferten das
wahre Bild des Philosophen und seiner Lehre wiederherzustellen.
\ • isl nun allerdings viel zu weitschichtig und wortreich
ausgefallen, ihre Ausdrucksweise nicht selten zur Uebertreibung
aufgebauscht, und sie muthet durch leides der Geduld des Lesers
mlich viel zu; aber sie ruht auf einem fleissigen und umfassen-
den Studium der hergehörigen Litteratui und behandelt ihren Ge-
-tand eindringend genug, um auch dann Beachtung zu ver-
len, wenn man dem Verfasser in vielem nicht beizustimmen
•I. will den xenophontischen Sokrates von dem geschieht-
102 E. Zeller,
liehen streng unterschieden wissen und weiss in jenem zunächst
nur eine Schöpfung des Schriftstellers zu sehen. Was er zur Begrün-
dung dieser Ansicht in seiner ausführlichen Einleitung (S. 1 — 68)
sagt, ist nun freilich von ungleichem Werthe. Dass z. B. Aristo-
teles Poet. 1. 1447 b 11 „die Xo-pt Stoxpcmxol zu den Werken der
Dichtkunst stellt", ist ohne alle Bedeutung, denn er thut diess nur
um sie von ihnen zu unterscheiden: sie Hessen sich, sagt er, auch
dann, wenn man ihnen eine metrische Form gäbe, mit den Mimen
eines Sophron nicht unter demselben Gattungsnamen zusammen-
fassen, was er doch unmöglich behaupten könnte, wenn er beide
gleichsehr für -oir^as'.c hielte; er scheint aber überdiess bei den
kratischen Reden" hier wie Polit. 11,6. 1265a 12. Rhet. III, 16.
1417a 20. Fragm. Gl (72) nur an die platonischen zu denken. Dass
Mem. III, 6. 7 eine „Kritik Plato's in politischer Hinsicht" enthal-
ten, ist eine ganz aus der Luft gegriffene Behauptung, lieber mein
Verständniss geht ferner die Beweisführung, mittelst deren J. S.62f.
aus Mem. IV, 3, 2 ein Selbstzeugniss Xenophon's für den fiktiven
Charakter seiner Mittheilungen herauszulesen weiss. Auch von
Mem. I, 4, 1 gibt J. S. 52 eine grammatisch unmögliche Erklärung;
denn X. sagt hier: „wenn aber manche, gestützt auf das, was
Einige über Sokrates schreiben und sagen, der Meinung sind"
u. s. w., er unterscheidet also die vo;j.i"Cov-s; nicht, wie J. sagt, von
den Texfiaip6(i£voi, mit denen sie vielmehr zusammenfallen, sondern
von den -p^ovTsc xal Xi-pvtsr. Aber darin hat J. Recht, dass
diese Stelle das Vorhandensein von Schriften voraussetzt, in denen
Sokrates, nach Xenophon's Meinung zu ausschliesslich, als Pro-
treptiker dargestellt war; und es ist möglich, dass wir bei diesen
Schriften mit J. zunächst an den Protreptikos des Antisthenes zu
denken haben. Auch das muss ich Joel (S. 36. 63), wie oben
schon Richter, einräumen, dass Xenophon's Versicherung, ein Ge-
spräch sei' ist angehört zu haben, zum Beweis dieser Thatsache
nicht ausreicht, da uns die gleiche Behauptung auch im Eingang
des Oekonomikus und des Gastmahls als eine stehend gewordene
Wendung begegnet; und nimmt man dazu, dass nach so langer
Zeit, wie sie zwischen Xenophon's Abschied von Athen und der
Abfassung der Memorabilien jedenfalls in der Mitte liegt, eine ge-
Ii utsche Litteratur über die sokratische etc. Philosophie. 103
aaue Erinnerung an Gang und Inhalt einzelner sokratischer Unter-
haltungen /war nicht anmöglich, aber dooh für die Mehrzahl der
Fälle kaum zu erwarten war, so wird mau sich dem Zugeständnis
schwer entziehen können, dass Kenophon'a sokratische Gespräche
nur seine Auffassung der sokratischen Philosophie als unmittelbare
Urkunden bezeugen, dass dagegen ersl durch weitere Untersuchun-
gen ausgemittell werden muss, inwieweit diese mit Sokrates' eige-
ner Lehre übereinstimmte. Hiefür >tellt nun J. S. 64f. zwei Kri-
terien auf: einerseits die Aussagen des Aristoteles über die Lehre
des Sokrates, andererseits 'las. wovon wir aus Kenophon's übrigen
Schriften sehen, dass es seinem eigenen Gedankenvorrath angehörte.
Was mit Aristoteles' Darstellung nicht übereinstimmt, ist Sokrates
abzusprechen, was über Kenophon's sonstigen Gedankenkreis hin-
ausgeht und sich mit dem acht Sokratischen verträgt, ihm beizu-
'.: wo aber die Memorabilien mit Kenophon's übrigen Schriften
zusammentreffen, i-t nach Wahrscheinlichkeitsgründen darüber zu
entscheiden, -'I» ein Satz eher Sokrates als Kenophon zuzutrauen
ist "I' J. bei der Anwendung dieser Regeln mit der nöthigen
Vorsicht verfahren ist, werden wir noch zu untersuchen haben;
schon jetzt aber muss daran erinnert werden, dass noch ein wei-
teres, von .1. viel zu wenig beachtetes Hülfsmittel zur Prüfung der
senophontischen Darstellung in ihrer Vergleichung mit der plato-
nischen liegt: denn so weit diese beiden Sokratiker in ihren Aus-
u übereinstimmen, wird man ihnen doch wühl Glauben schen-
ken müssen.
J. bespricht nun in dem vorliegenden Bande nach den ange-
inen Gesichtspunkten A. „die religiösen Anschauungen", B. „die
Individual.'thik" des Sokr.; jene S. 69 — 170. 547 — 554, diese
8. 171—545. Den ersten Abschnitt eröffnet S. 70 — 89 eine Er-
iber das Dämonium, aus der sich aber schliesslich, wenn
wir in Kenophons Aussagen oicht mehr hineinlegen als darin steht,
doch nichts « ergibt, als dass dieser Schriftsteller, der frei-
lich aui Vorzeichen und Wahrsagerei übermässig viel hielt . auch
den Weissagungsglauben seines I. ehreis seinem eigenen vielleicht
su nahe gerückt, ihm vielleicht (denn beweisen lässl es
da und dort (wie IV. 7. 10 oder 11,6,8) eine Aeusse-
1Q4 E- Zeller,
rang in den Mund gelegt hat, die er so nicht gethan haue. Da
aber Sokrates unstreitig an Mantik geglaubt, den Aussprüchen
des delphischen Orakels hohen Werth beigelegt, ausser seinem
Dämonium auch nach Plato's Zeugniss (Apol. 33 (') Offenba-
rungen aller Art zu erhalten gemeint hat, kann es sich hier
jedenfalls nur um einen unwesentlichen Gradunterschied handeln.
Mem. I, 1, 2 hat J. (S. 72) missverstanden: die Stelle bezieht
sich, wie das SisTeöpuXtojTO 77.0 zeigt, nicht auf Opferschau u. s. w.;
sondern eben auf das Dämonium; Arist. Fr. 4 (1) bei Plut. adv.
Col. 20, 2, woran J. S. 80 erinnert, wiederholt nur, was Phädr.
229 E steht, und man kann fragen, ob A. dieses in eigenem Na-
men gesagt oder als eine platonische Aussage über Sokrates an-
geführt hatte. Aber Plato's Zusammentreffen mit Mem. IV, 2,
24 ff. beweist, dass sich Sokrates wirklich für die Notwendigkeit
der Selbsterkenntniss auf den delphischeu Spruch berufen hatte.
Dass die Grundsätze, welche Sokrates in Betreff der Frömmig-
keit und des Kultus Mem. I, 1, 16. 3, 1-3. IV, 6, 2—4 ausspricht,
nur von ihm selbst, nicht von Xenophon herrühren können, er-
kennt J. (S. 89 — 106) an und bestätigt es durch erschöpfende
Nachweise über Xenophon's Auffassung und Behandlung dieser
Dinge. Dass aber das, was wir Mem. I, 4, 10. 13. 18. II, 1, 28.
III, 8, 10. IV, 3, 13. 16. 17 lesen, nicht sokratisch, sondern nur
xenophontisch sein könne (S. 97), hat er nicht erwiesen. IV, 6,
2 — 4 die v6jj.ijj.oc irepi xouc ftsobs auf die Ritualien zu beschränken,
gibt der Ausdruck hier so wenig, wie etwa bei Plato Krito 53 C.
Gore. 504 D und in vielen andern Stellen ein Recht: und wenn
es J. S. 103 zum Anstoss gereicht, dass Xen. Mem. I, 1, 17 So-
krates' Verhalten im Arginusenprocess als Beweis seiner Eidestreue
und Frömmigkeit anführt, hätte er ebensogut Plato darüber tadeln
können, dass sein Sokrates Apol. 35 C die Heliasten an ihren
Richtereid erinnert. Wem es mit dem Glauben an die Götter so
ernst ist wie Sokrates, für den hat der Eid eben noch seine reli-
giöse Bedeutung. — In der hieran sich anschliessenden aus-
führlichen Erörterung über das „Wesen und Wirken der Götter"
(S. 106—170) zeigt .1. zunächst mit reichlichen Belegen, wie Xeno-
phon selbst sich zu diesen Fragen stellt. Er findet sodann S. 11411".,
deutsche Litteratur über die sokratische etc. Philosophie. 105
das8 die Grundidee von Mem. IV, 1. 19 25 (über die ungeschrie-
benen Gesetze der Götter) /.war sokratisch sein möge, die nähere
Ausführung aber sicherlich Xenophon angehöre. Was ich seiner
Begründung dieser letzteren Behauptung entgegenzuhalten hätte,
kann ich hier nicht auseinandersetzen; dass Sokrates nichl der
ste war, der von ungeschriebenen Gesetzen der Götter gesprochen
hat, hätte J. auch mit Arist. Rhet. 1. 13. 15 belegen können; um
mehr wird aber die Begründung Moni. a.a.O. ihm angehören,
und mag uns manches darin noch sc mangelhaft erscheinen, so
<r[ daraus doch noch lange nicht, dass es nichl sokratisch sein
kann: in Wahrheil ist Kaufs hölzerne Definition der Ehe im letzten
Jahrzehend des L8. Jahrhunderts, sind Plato's Vorschläge über die
Züchtung der Staatsbürger im Mund eines so idealen Erotikers viel
auffallender als was Sokrates sagt, um die Unzulässigkeit der Ehe
zwischen Eltern und Kindern zu beweisen. Dieser hält sich darin
nur an die griechische Auffassung der Ehe: ist der wesentliche
Zweck derselben die Erzeugung von Kindern, so wird die natür-
lich-' Strafe für eine unsittliche ehliche Verbindung darin bestehen,
dass dieser Zweck schlecht erreicht wird. — Der Versuch (S. 118
bis 166), in den theologischen Erörterungen I. 4. IV. 3 Sokratiscb.es
und Xenophontisches zu scheiden, bringt zwar manche treffende
Bemerkung s gen die neueren Athetesen dieser Kapitel, entbehrt
aber in -einen eigenen Ergebnissen nicht selten einer genügenden
Begründun Was xenophontisch ist. braucht darum nicht unso-
kratisch zu -ein. es muss vielmehr in jedem einzelnen Fall beson-
ders untersuchl werden, wie es sich damit verhält. Und da zeigl
sich, dass /.. B. die Unterscheidung zwischen dem Feuer und dem
Licht ..Um. IV. 7. 7. .1. 121) auch Plato Tim. 45 B nicht fremd
licht hin. Mem. I. 1. 7 (.1. 129), sondern auch Tim. 90 Ef.
der Geschlechtstrieb auf eine göttliche Einrichtung zurückgeführt
wird; dass die Idee einer göttlichen Natur der menschlichen Seele.
die .1. 130 Sokrates abspricht, sogeläufig sie auch der griechischen
war, nichl blos für Plato die höchste Bedeutung hatte.
sondern Phileb 29 \il. von Sokrates auch genau so begründet wird.
wie .Mem. I. 1. 8; dass endlich die ganze teleologische Naturerklä-
ning ch Plato als der allein wahren huldigt, sich als ein
106 E. Zeller,
meinsamer Besitz der sokratischen Schule darstellt, und desshalb in
ihren leitenden Gedanken nur von dem Stifter dieser Schule, nicht
(mit J. 123 ff. 147) von einem Xenophon hergeleitet werden kann,
vollends wenn man anerkennen muss, dass dieser (wie J. 1471V.
gegen Dümmler nachweist) auch unter den Zeitgenossen des So-
krates keinen nennenswerthen Vorgänger auf diesem Wege gehabt
hätte. Aus ähnlichen Gründen ist es verfehlt, wenn J. die Unter-
scheidung des Weltbildners von den übrigen Göttern, Mein. IV, 3,
13, welche ja gleichfalls bei Plato wiederkehrt und welche von J.
selbst S. 132 als sokratisch anerkannt war, nachher (S. 136f.) wied< r
für xenophontisch erklärt. Dümmler's Behauptung, dass das be-
rühmte Wort über die Bedürfnisslosigkeit I, 6, 10 von Antisthenes
entlehnt sei, wiederholt J. 166 f. ohne etwas neues dafür beizu-
bringen; ob auch Plato den Satz (Gorg. 492 E), dass die Bedürf-
nisslosen glückselig seien, von dem Cyniker hat, sagt er uns nicht.
S. 547 ff. sucht J. unter Beschränkung früherer Ergebnisse darzu-
thun, dass auch in Mein. I, 4. IV, 3 manches von Antisthenes
herrühre, und ebenso der Mythus des Protagoras ihm angehöre;
seine Begründung dieser Annahmen ist aber (wie hier freilich nicht
näher nachgewiesen werden kann) sehr ungenügend ausgefallen,
sie ist überwiegend ein Rechnen mit unbekannten Grössen, und be-
weist u. a. den antisthenischen Ursprung des Satzes von der gött-
lichen Natur der Seele daraus, dass Plato diesen Satz Phädr. 230A
in einer Stelle ausspricht, von der J. vermuthet, er polemisire
darin gegen Antisthenes. Dass Plato Rep. II, 364 C. Hesiod "E. x.
'H. (i. 285f. „als ein pädagogisch gefährliches Lügenwort" anführe
(J. 168), ist nicht richtig. PI. erwähnt, dass die Gegner jenes Wort
für sich verwenden, aber er deutet mit nichts an, dass sie ein Recht
dazu haben, und er selbst ist ja mit Hesiod ganz einverstanden,
denn dass die wahre Tugend nicht bei der grossen Masse zu suchen
sei, und dass ihr Erwerb Mühe koste, sagt er oft genug. — Den
zweiten Theil unseres Bandes eröffnet S. 171—202 ein Abschnitt,
worin des Breiteren ausgeführt wird, dass die sokratische Philoso-
phie Rationalismus, dass sie im besondern „attische Geistesphilo-
sophie", und dass sie die historisch erste Form der Geistesphilo-
sophie sei. Im einzelnen wäre auch hier, neben vielem richtigen,
deutsche Litteratur über die sokratische etc. Philosophie. 107
meisl aber nichl neuen, dieses und jenes zu beanstanden. Nichl
blos bei Xenophon (bei dem diess J. 177 ein „ Witzeln" nennt!)
sondern auch bei Plato (Apol. 36 C. Gorg. 521 D) versichert So-
krates, dass er durch sittlich-politische Erziehung seiner Mitbürger
der Stadt mehr zu nützen glaube, als wenn er Belbsl Politik triebe.
Der Versuch Protagoras trotz dem tox'vtcuv j(prj|xaxa)v jxetpov avfrpojitos
and Gorgias trotz seiner Tugendlehre von den jüngeren Sophisten
desshalb zu trennen (bezw. jene Lehren ihrer späteren Zeil zuzu-
weisen), weil die anthropocentrische Betrachtungsweise erst Athen
and dem mittleren Griechenland angehöre (J. 186f.), ist ein ab-
schreckendes Beispiel apriorischer Geschichtsconstruction; und ebenso
verfehl! isl die Behauptung (J. 198), dass die merkwürdige Aeusse-
rung über Tragödie und Komödie am Schluss des platonischen Gast-
mahls ..a priori dem Sokrates zugesprochen werden könne". —
- 202 —312 bespricht .1. die bekannten Aeusserungen der aristo-
telischen Klinken über die Timendlehre des Sokrates und ihr Ver-
hältniss zu Kenophon. Aber so sorgfältig er hiebei in alles ein-
zelne eingeht, so vielen Bedenken lassen doch seine Ausführungen
noch Kaum. Bei der Frage nach den Quellen, denen Aristoteles
le Kennt niss der sokratischen Philosophie verdankt, durfte er
sich weder auf Khet. 1-417 b 1 stützen, wo mit dein Aeschines allem
aach nicht (wie er S. 206 mit Andern annimmt) der Sokratiker
sondern der Redner gemeint ist, noch (S. 204) auf Khet. 1398 b 31,
das mit der „historischen Kritik über Sokrates" absolut nichts zu
thun hat. Dagegen hätte er die Quelle für soph. el. 183 b 7 (J. 207)
im Tb L50C linden können, für Et h. 1 145 b 21 11". (J. 237)
Prot 352 B l. 357 C, für Eth. 111G b 2 IV. Eud. 122») a 15 (von J.329
völlig missverstanden) Prot. 349 E f. Neben Aristoteles und Eude-
mus auch die grosse Moral als selbständigen Zeugen zu behandeln
hatte .1. kein Recht; diese erweist sich vielmehr in ihren Aussagen
aber Sokrates wie in allem andern lediglich als eine überarbeitende
mpilation aus jenen beiden, und wo sie aber dieselben hinaus-
sind ihre Aussagen ohne allen Werth und dürfen nicht (wie
von .1. S.214. 218. 222f. 243f.) zur stütze geschichtlicher Beweis-
führung verwendel werden. Bei der Vergleichung der aristotelischen
und der xenophon tischen Angaben über Sokrates' Tugendlehre räumt
108 E. Zeller,
J. (S. 207) zwar ein, dass die Zurückführung der Tugend auf das
Wissen oder die Weisheit (welche beide auch Euthyd. 279 B ff. als
gleichbedeutend gebraucht werden) und der Satz von der Unüber-
windlichkeit des Wissens auch Xen. (III, 9, 4f.) bekannt ist; um so
unversöhnlicher findet er dagegen den Widerspruch zwischen ihm
und Aristoteles in Betreff der dxpaoia, deren psychologische Möglich-
keit Sokrates nach Aristoteles leugnete, während er bei Xenophon
1,5,4 die frptpateta die Grundlage der Tugend nennt und IV, 5 die
Verderblichkeit der dxpaoia ausführlich darthut. Allein Aristoteles
sagt Eth. VII, 3. 1145 b 21 nicht, dass Sokrates die Möglichkeit der
Akrasie direkt und ausdrücklich bestritten, sondern nur, dass er
sie durch die Behauptung, das Wissen könne nicht von der Be-
gierde überwältigt werden, thatsächlich aufgehoben habe; erst
die grosse Moral macht daraus 1200 b 25: oux ecpirj dxpaotav slvai.
Folgt aber auch aus jener Behauptung, dass Sokrates das für un-
möglich erklärte, was Aristoteles dxpaoia nennt, eine neben der
besseren Einsicht hergehende und ihr widerstreitende Herrschaft
der Begierden über den Menschen (was aber etwas anderes ist.
als das dvatpstv des rcafros, womit es die grosse Moral 1182 a 20,
das Aufheben störender Mächte neben dem denkenden Geist, wo-
mit es J. 233 verwechselt), so folgt doch keineswegs, dass Sokrates
auch die Thatsache bestreiten musste, dass viele Menschen von
ihren Begierden beherrscht werden, und dass er diese Erscheinung
nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch gemäss als dxpaoia bezeich-
nen konnte; erklären konnte er sie sich freilich, wenn er ihre Er-
klärung überhaupt versucht hat, nicht aus einer üeberwältigung
der Einsicht durch die Begierde, sondern nur aus dem Fehlen
«lieser Einsicht, aus Unwissenheit. Jene behauptet aber Sokrates
auch bei Xenophon nicht, selbst Mem. III, 9, 6 sagt er nur, die
Menschen lassen sich oft zum Schlechten verführen auch wenn sie
eine Empfindung davon haben (aio&avofievoo?), was gut und schlecht
ist, "aber er sagt nicht, dass es ihnen begegne, wenn sie diess
wissen. Das letztere erklärt er vielmehr III, 9,4 für unmöglich,
und wenn Jemand seine Begierden nicht zu beherrschen weiss,
schliesst er daraus mit Plato (Prot. 357 E), dass er ein dooepo? sei.
Der Widerspruch zwischen Xenophon und Aristoteles zeigt sich
hie deutsche Litteratur über die sokratische etc. Philosophie. lo'.i
daher weil anerheblicher als .1. es darstellt. Xenophon hai den
sok ratischen Standpunkt, namentlich im Ausdruck, nicht im r
streng festgehalten, aber er hai ihm nirgends direkl widersprochen.
Was .!. S. 230 über eine Aeusserung von mir Ph. d. Gr. IIa, 164
;. ist ein auffallendes Missverständniss: es handelt sich dorl
nicht um die Willensfreiheit, sondern um die innen' Unabhängig
keil des Menschen. Dass erst die Schüler des Sokrates diesen
„etbisirt" und zum sittlichen Reformator gemacht haben, Sokrates
„nicht Ethiker sondern Dialektiker" sei (J. 253 ff.), dass sich
„ein bewusster Beruf zu sittlicher Erziehung und Charakterbildung"
bei ihm „mit der von Aristoteles dargestellten Sokratik nicht ver-
einigen lasse" (266), dass (wie später, S. 476f. u. ö. ausgeführt wird)
nur Xenophon seinem Lehrer Ermahnungen zur Tugend beilege,
diesem selbst eine protreptische Tendenz fremd sei, sind Behaup-
tungen, um deren Begründung sich zwar J. eifrig bemüht, die aber
sammt dieser Begründung doch eher geeignet sind, sein ganzes
Verfahren ad absurdum zu führen. .T. kennt natürlich alles das
auch, was man seinen Annahmen entgegenhalten kann: alier er ist
befangen von der Vorstellung, die er sich über Sokrates als
blossen Dialektiker gemacht hat, dass er alles ausser Acht lässt,
umdeutet oder als unglaubwürdig beseitigt, was ihn nöthigen würde,
sie zu berichtigen: die Erklärungen Plato's in der Apologie, im
Euthydem, im Ladies, im Gastmahl, die für sich allein ausreichten.
wie die Schilderung Xenophon's, die aristotelische Aussage
Bi .runder der Ethik wie das Zeugniss der Geschichte,
•(tätigt. Er fragt auch nicht, was jene sokratischen Schüler.
Meister erst ethisirt haben sollen, was vollends die un-
philosophischen Naturen, an denen es unter den Freunden des So-
krates nicht fehlte, zu ihm hingezogen haben soll, wenn er nur
dialektische Theoretiker war, zu dem er ihn machen möchte.
Er sagt uns nicht, was diesen trockenen Dialektiker bestimmen
konnte, rtatt der Physik -ich au!' die ethischen Untersuchungen zu
werfen, die doch auch er ihm zuschreibt. Er meistert die <ie-
Bchichte, statt sie zu begreifen, mit derselben Gewaltsamkeit wie
i Antipode Krohn sie gemeisterl hatte, nur dass dieser den Phi-
losophen, er den Ethiker aus dem Bilde des altischen Weisen aus-
HO E- Zeller,
tilgt: und wer es so macht, mit dem ist es schwer sich über
historische Fragen zu verständigen.
Der Raum fehlt mir, um noch weiter in's Einzelne einzugehen
und um über den Rest unseres Bandes auch nur so ausführlich
zu berichten, wie bisher. J. behandelt in demselben die Darstel-
lung der sokratischen „Individualethik" in den Memorabilien, und
zwar S. 313 — 449 die Tugendlehre, 450—545 die Wirksamkeit des
Sokrates. In dem ersten von diesen Abschnitten geht er vor allem
darauf aus, diejenigen Stellen, welche die Tugend streng auf's
Wissen beschränken, von denen zu scheiden, welche „eine Wil-
lenstugend mit den Principien der Mässigung, Selbstbeherrschung,
Uebung u. dgl. verkünden"; nur jene sollen den Standpunkt des
Sokrates, diese nur den seines unphilosophischen Schülers wieder-
geben. Aber wenn auch der letztere ohne Zweifel in den Reden
des xenophontischen Sokrates sich nicht verleugnet, so darf man
doch andererseits (wie schon Ph. d. Gr. IIa, 163 f. bemerkt und von
J. 230 ff. nicht widerlegt ist) nicht voraussetzen, dass Sokrates in
seinen Gesprächen immer mit der gleichen wissenschaftlichen
Strenge verfahren sei, dass er in jenen protreptischen Reden, die
ihm J. zwar abstreitet, in denen ihn aber Xenophon und Plato
und selbst Halbgegner wie der Verfasser des Klitophon einstimmig
als Meister anerkennen, in jenen Unterhaltungen, worin er die
Menschen zwang, sich über ihren moralischen Zustand Rechen-
schaft zu geben (Plato Apol. 29 D ff . 31 B. Lach. 187 E. Symp.
215 E ff.), immer nur den Satz, die Tugend bestehe im Wissen, mit
lehrhafter Einförmigkeit wiederholt habe. Gieng er aber auf die
persönlichen Zustände und die praktischen Bedürfnisse der Men-
schen ein, so musste er sich auch der ihnen verständlichen Begrün'
bedienen, wollte er sie dazu bringen, tyoyr^ £7ri[xsXsTai)ctt , aps-Tp
£-i[xsXsi3i)ott (Apol. a/a. 0. Euthyd. 275 A), so konnte er sich nicht
mit einem Tugendwissen ohne Tugendübung begnügen. Aber er
rechnet ja (auch bei Plato Prot. 349 E f. Arist. Eth. 1116 b 2 ff.)
zum „Wissen" selbst solche Fertigkeiten, die ganz und gar auf
Uebung beruhen; was hätte ihn da nöthigen sollen, das Wissen,
in dem eine Tugend besteht, für etwas zu halten, das ohne jede
eigene Erfahrung über die Natur und den Werth derselben ge-
Die deutsche Litteratur aber die sokratische etc. Philosophie. 1 1 |
wonnen werden könne? Nach dem gleichen Gesichtspunkt, wie die
Lehre des Sokrates, wird von J. folgerichtig auch seine Wirksam-
keil behandeil und Xenophon's Berichten darüber nur so weil
Glauben geschenkt, als sie mit J.'s Voraussetzungen übereinstim-
men. Mit dieser Kritik Kenophon's verbindel aber .1. uoch eine
Fülle von weiteren, näher oder entfernter mit ihr zusammenhängen-
den Hypothesen, dir ihm sein.' fruchtbare Phantasie an die Hand
gibt, mit deren Begründung es aber theilweise recht schwach be-
stelll i-t. „Plato bekämpft im Protagoras wesentlich seinen (.
ner Antisthenes" ; von den Gründen, mil denen diess S. 357 ff. dar-
than wird, ist keiner überzeugend, mehr als einer ähnlichen Ka-
libers, wie dei- scharfsinnige Schluss (S. :'>.">*. 48<>), dass Protagoras
den Antisthenes bedeute, weil dieser von Plato im Sophisten ö^t-
scholten wird, und Protagoras in dem Gespräch dieses Na-
qs ein älterer Mann isl (der freilich nach Meno '.»1 E schon in
nein .">»>. Jahr als Lehrer aufgetreten, also nichts weniger als
war). .). selbst behandelt seine Hypothese im weiteren
(z. B. S. 189. 445 f.) natürlich wie eine Thatsache, mit der man
wieder andere Thateachen darthun kann; wie er überhaupt stark
in der Kunst ist. ein Unbekanntes mit einem andern zu beweisen.
Derselbe Antisthenes, der im Protagoras bekämpft wird, soll aber
(S. 480f. 503) über Plato in der ersten Zeit nach dem Tode des
Sokrates (wo dieser indessen in Megara bei Euklid war) eine solche
Gewalt ausgeübt haben, dass er unter seinem Binfluss in der Apo-
logie seinen Lehrer zu dem Protreptiker machte, den er in ihm
kennen zu lernen nach .1. während eines achtjährigen vertrauten
Verkehrs keine Gelegenheit gehabt hatte; ein schlagender Beweis
dafür Ist es S I81f.), dass der Klitophon und Dio Chrysostomos
sich mit der (natürlich von ihnen benutzten) Apologie berühren.
Noch unbedingter i-t Plato (S. 507. 495 flf.) im I Alcibiades (den
.1. schliesslich, nach starkem Schwanken, für acht nimmt) dem
Hinllu- antisthenes „unterlegen". Im Klitophon Freilich (auch
dieser -"II nach s. 182 ff. 507 ächt sein, und was Klitophon an So-
krates tadelt, eigentlich von Plato dem Antisthenes vorgehalten,
d.h. es -^11 von Plato auf Sokrates geschlagen werden um An-
tisthenes zu treffen!) und im Euthydem wendet sieh Plato ebenso
112 E. Zeller, Die deutsche Litteratur etc.
wie im Protagoras wieder gegen seinen Mentor, und auch im Char-
mides soll (S. 488 ff.) sowohl Charmides als Kritias (die sich beide
zu dieser Kelle gleich schlecht eigneten) den Antisthenes vertreten,
und wenn sich eine Stelle der Memorabilien mit einer solchen der
Cyropädie berührt, lässt sich diese Uebereinstimmung (S. 518i'.) nur
daraus erklären, dass Antisthenes in beiden benützt ist. Eine so-
phistische Eristik hat es nicht gegeben: Demokrit's Klage darüber
geht auf Sokratiker (S. 370) ; von den zwei Helden des platoni-
schen Euthydem ist Dionysodor eine erdichtete Persönlichkeit. Eu-
thydem der Sokratiker, der bei Xenophon so oft auftritt, von Plato
nur Symp. "222 B genannt wird, der aber (J. weiss diess) ein Lieb-
lingsschüler des Antisthenes war und in seinem Protreptikos die
leitende Rolle spielte, und aus diesem stammen auch die eristi-
schen Sätze und Schlüsse, die Plato und Aristoteles von Euthydem
anführen (S. 370ff. ; ebd. eine ganz unbegreifliche Behauptung über
die angebliche Seltenheit des Namens Euthydemos). Plato soll
(S. 416f. vgl. 390f.) im Euthydem gegen die Protreptik des An-
tisthenes polemisiren. während Xen. Mein. IV, 2 diese wieder-
hole; in Wahrheit stimmt er (vgl. Arch. V, 446 f.) mit Xenophon
in der Sache durchaus überein, und setzt seine Protreptik 278 D.
282 D nicht einer solchen entgegen, die so, Avie er und der xeno-
phontische Sokrates, zum Tugend- und Weisheitsstreben ermuntert,
sondern den unfruchtbaren Spitzfindigkeiten der beiden Sophisten.
Schliesslich mag noch erwähnt werden, dass J. S. 398 ff. sich be-
müht, auch die oi<7./i;sic ^ötxat einem Antistheneer zuzuweisen:
ich glaube aber nicht, dass er viele davon überzeugen wird.
IL
La Storia della filosofia moderna in ltalia.
1888—91.
Pietro Ragnisco — Nicoletto Vernia, studi storici nella seconda
meta de] secolo decimoquinto (atti del R. Istituto Veneto
di scienze lettere ed arti tom. II scric VII) Venezia Anto-
nelli 1891.
Documenti inediti e rari intorno alla vita ed agli scritti di
Nicoletto Vernia e di Elia del Medigo (atti e memorie
della R. Accademia di scienze lettere ed arti in Padova
vol. 7 Disp. :'.) Padova Randi 1891.
Qaesti due scritti importanti si riferiscono principalmente ad
un prol re Chietino, che per trentatre anni tonne la cattedra
di fisica oell' univereita Padovana, e crebbe in tanta fama da
meritarei la cittadinanza di Vicenza, dove possedeva casa e ville.
Avea Dome Nicoletto Veruia (il diminutivo e a cagione della pic-
cola statai - sondo i giusti calcoli del Ragnisco dove entrare
iK'll" insegnamento >in dal 14G5 come supplente di Gaetano Thiene.
im altro | 38ore che dopo quaranta anni d' inseguamentu mori
ael 1466 9 . la tradizione Averroistica, che da Pietro D'Abano
in poi ii"ii tu mai interrotta oell' Universita Padovana, e il vc-
■ " Barozzi dice di lui, che disputando e insegnando sull' unitä
dell' intelletto, fu principale causa che questo fatale errore si diffon-
per tuiia ltalia. <ili scritti <lel Vernia sono ben pochi. II
trattato suo De intellectu citato dal Nifo non esiste piü. I
mmentarii, che avea stesi alla Fisica e agli altri libri naturali
di Ariatotele, oon !i pubblicö, nun essendit<r|i bastatu il tempo per
l'hil (itiie. VII. 8
114 Feiice Tocco,
correggerli quando, come ora diremo, si ritrasse dall' Averroismo.
Non restano adunque se non sei dissertazioui. La prima porta
la data del 1480 ed e: quaestio an ens mobile sit totius
philosophiae naturalis subiectum; la seconda riguarda la par-
tizione della filosofia: la terza utrum medicina jure civili sit
nobilior, entrambe del 1482; la quarta de gravibus et laevi-
bus, d' incerta data ma senza dubbio anteriore all1 altra, che ha
per titolo: quaestio an dentur universalia realia, che e
dunque la quinta, compiuta il Giugno 1492; la sesta infine De
unitate intellectus del 18 Settembre 1492, e la piü nota, come
quella in cui 1' autore sconfessa le sue opinioni Averroistiche. Tra
le ultime due dissertazioui non corrono piü di tre mesi, ma la
contradizione non potrebbe essere maggiore. Nella quistione degli
universali accanto ad Aristotele mette, come sempre, il fido commen-
tatore Averroe, e quelli, che dall' uno e dall' altro si dipartono,
fieramente combatte. Per lui come per Averroe, l'universale iu
re esiste, ed e appunto quell' inchoatio formae, quel germe
specifico, che si occulta nella materia e da lei stessa e prodotto.
Invece nel De unitate intellectus combatte la dottrina Aver-
roistica dell' Iutelletto uuico; ammette come vera teoria Aristo-
telica non la produzione delle forme dal seno della materia, ma
la creazione ex nihilo; pone tante anime individuali quanti
souo i corpi che inforniano, e ciascuna d'esse crede creata da Dio
ed infusa nell'atto della generazione nel corpo. La ragione di
questa rapida mutazione il Ragnisco la trova nell'editto, che il
vescovo Barozzi pubblicö il 4. Maggio 1489 contro la dottrina della
unitä dell'Intelletto, vietando sotto pena di scomunica di sostenerla
e difenderla. Veramente anche dopo questo editto il Vernia se-
guitö a pensare e scrivere nel senso Averroistico, come lo prova
la quaestio de universali bus; ma probabilmente quest' ultima
pubblicazione fu quella, che avea spinto il vescovo ad insistere
presso il Vernia per la ritrattazione delle sue dottrine (me monere
et hortari non destitit) e a minacciarlo in caso d'inobbedienza
di applicargli immediatamente la pena della scomunica, a termini
dell'editto (si non obtemperarem, flagitium non mediocre pu-
tavi). Oltreche egli sperava un canonicato dal nuovo patriarca
La Storia della Glosofia moderna in ftalia. 1888—91. 11,")
Grimani, che dod avrebbe potuto concederlo a chi professasse aper-
tamente l'incrednlita Averroistica. M;i piii che tuttn. .•ij.'Lriunir«» u>.
avrä potuto sul suo animo la difficolta intrinseca della tesi di
Averroe. Nicoletto, a confessione dello stesso Ragnisco, qod fu
maj im Averroiata tatto d'un pezzo, ma cercö Bempre di conciliare
Averroi con Alberto Magno. Ma che la eonciliazione non po-
se nun apparente, egli stesso nun doveva stentare rnolto
a convincersene. Coei a parer mio si possono risolvere le con-
traddizioni stridenti del testamento stesso de] Vernia, pubblicato
dal Elagnisco. I vi infatti dopo aver detto: Disputavi et tenui
quod opinio unitatis intellectus Averrois fuerit opinio
Aristotelis, soggiunge: Deum testor quod nunquani credidi
tali opinioni. Intese alle lottere queste affermazioni si esclu-
dono a vicenda a tal segno ehe mal si compreiide come abbia
potnto scriverle an vecchio venerando sulF orlo della tomba1) in
un atto solenne, dove non aveva nessun interesse di nascondere
la verita, Ma se in quel contrasto di espressioni ei adoperiamo
a I . il ricordo doloroso di lotte coinbattute nell' intimo pen-
sii po, tutto si fa chiaro. Poiche ben si comprende come il Vernia,
addetto 'pial pubblico insegnante alla scuola Averroistica, ne difen-
le dottrine non meno calorosamente dei suoi predecessori,
Ben: -vre a pieno convinto della verita sua. Di qui dubbii,
incertezze e desiderio di mettersi per altre vie, che doveano per
renne riescire al Tomismo, se tanto caso faceva egli di Alberto
Magno, il quäle boIo in punti secondarii dilferisce dal suo grande
diseepolo, Tommaso d'Aquino. Sarebl)e interessante entrare nei
particolari di questa pretesa eonciliazione tra Averroe ed Alberto
Magno, principalmente neUa quistione an coelum sit anima-
imii. intorno alla quäle il Bagnisco pubblica dal cod. Marciano
\ nei I lasse \ I n. CXLIX uno scritto di Alessandro Sermoneta,
che riproduce le argomentazioni de! Vernia suo maestro. Ma sn
qoesta pubblicazione c'e poco da fidare, perche l'cditore ha „cer-
to alla meglio di aecomodare lo scritto in modo che si possa
') II testamento ba la data :>. Agosto 140'.» pochi mesi prima della morte
del I
8*
HG Feiice Tocco,
trovare il senso, perche l'inchiostro e talmente sbiadito, che in
alcuni luoghi non si puö leggere" (Documenti p. 21). Dell' esat-
tezza di questa restituzioue io non posso dir nulla, non avendo
sott" occhi il manoscritto; rna certo l'editore avrebbe fatto meglio
a riprodurre il testo quäl e, lasciando pure in bianco i luoghi sva-
niti, anziehe raffazzonarlo a modo suo sulla scorta delle citazioni.
Nel lavoro del Ragnisco oltre a questo studio sul Vernia c7 e, anche
un capitolo importante sui Tomisti e gli Scotisti a Padova, e due
altri su Elia del Medigo, un ebreo padovano, maestro di Pico della
Mirandöla, e nei documenti e un' appendice, dove si correggono
gli errori di Giulio Dukas, che illustre- un manoscritto di Elia del
Medigo sulla Fisica di Aristotele conservato nel N°. 6508 fondo
latino della Nazionale di Parigi. Giosef del Medico, pronipote di
Elia, in alcuni cenni biografici intorno a costui, pubblicati dal Gei-
ger, dice che fu eletto „arbitro per la sua sapienza ed acutezza
tra due partiti di studenti filosofi, divisi fra loro, i quali erano
una turba di molte centinaia, armati di spada, pronti a combat-
tersi, perche non potevano separarsi Pud Faltro con le argomen-
tazioni": Nessun altro scrittore conferma questa notizia, la quäle
del resto e cosi vaga da permettere moltissime congetture. II Ra-
gnisco, raecostando insieme molti fatti, crede verisimile che il dis-
sidio tra gli Scolari patavini abbia avuto luogo per le discussioni sulla
unitä delF intelletto tra i professori di Fisica come il Vernia e il
Nifo, e quelli di Metafisica come il Trombetta. II dotto ebreo, che
non ostante la sua religione, era da tutti rispettato per la sua
dottrina e le sue alte relazioni, sarä stato invitato non dalP Uni-
versita, ma piuttosto dal Senate a intervenire per calmare gli
animi, se pure non si sia offerto da se medesimo a dare un parere,
che dovea mostrare i torti e le ragioni delle due parti. Inno a
nuovi documenti non oserei dire che mi paiano molto probabili
codeste ipotesi per quanto fondate su fatti veri e bene accertati.
Cicchitti Suriani Filippo. I Sopra Raimondo Sabunda — Teo-
logo, Filosofo e medico del secolo XI. Aquila 1889.
II Melchiorre Cano teologo c filosofo del secolo XVI. e la sua
npposizione al' Aristotelismo della Scolastica. Aquila 1890.
La Storia della filosofia moderna in Italia. 1888 91. 117
111 Ottavio Colecchi filosofo e matematico abruzzese e i pii-
mordi del kantismo in Italia — Aquila L890.
II primo lavoro >ul Sabunda »• molto all'rettato. Anche nella
parte <li semplice erudizione occorre qualche errore, che era ben
facile di evitare. Coai l'Autore dice che la prima edizione della
Theologia Naturalis e de! 1496, mentre i! Fabricio giä citava
una editione s. 1. de! 1487, innanzi alla quäle se ne dovrebbero
contari - >ndo lui. ahn' due o tre. Süll' ultra opera De na-
tura ei obbligatione hominis dialogi sive Viola animae,
che alcuni, non il solo Labanca, credono sia im rifacimento della
Theologia naturalis fatto dallo stesso Raimondo, ed altri invece,
na i quali il Cicchitti, l'attribuiscono ad im frate domenicano
Pietro Aurato. ua-unwa. come su tutti i punti controversi , im
maggiore studio. Solle quaestiones theologicae disputatae,
che l'Autore afferma di aver trovate in im codice della Vaticana,
dopo questo breve cenno, non torna piu, neanche per dirci somma-
riamente il contenuto del libro. Ma lasciando pur da parte queste
minuzie, l'esposizione critica della Teologia naturale lascia molto
a desiderare. 1/ Autore si perde in molte digressioni inutili.
si a proposito delT argomento del Sabunda, che si debba credere
quello che piu giovi all' anima, stima opportuno di trattare
dell' atilitarismo di Carueade e del Mill. Nel toccare la dottrina
di Raimondo intorno all' amore di l)io si crede obbligato di risalire
al Convito platonico; ma quello che piu importa di sapere, cioe in
qua! rapporto stia la conoscenza coli' amore di Dio, l'espositore
qod dice. E pure era oecessario fermarsi so questo punto per
deeidere quanta ragione abbiano aleuni storici della filosofia a
mettere il Sabunda tra i mistici. In luogo di esporci le idee proprie
Sabunda intorno alla giustifieazione dei principali dommi del
Cristianesimo, e al rapporto che corre tra il Libro della Natura
ai'll" della Rivelazione, l'Autore fa una inutile e vertiginosa
- sui padri e dottori della Chiesa, mettendo insieme dottrine
ed Indirizzi affatto disparati. In rapporto poi alle quistioni filo-
Bofiche, \a!.- ;, dire al contrasto fra Realisti e Nominalisti, che pur
juitava al tempo del Sabunda, l'Autore n lice verbo, e mal
si saprebbe indovinari - lesto filosofo debba mettersi tra i seguaci
118 Feiice Tocco,
o gli avversarii delF Occaui. Non dico nulla del posto che spetta
al Sabunda nella storia della Medicina. II uon aver creduto
all' Astrologia e alla Demonologia nel tempo iu cui parecchi ci
credcvano, e eerto un merito, nia non basta per distingucre il Sa-
bunda dagli altri, che prirna e dopo di lui, non ci credevano
del pari.
Nel secondo lavoro su Melchiorre Cano riconosco ben volentieri
il merito delF Autore di rivolgere il suo studio a scrittori ingiusta-
meute dimenticati. Ma pur troppo anche in questo gli accessori
e le digressioni vincono rargomento priucipale. Fin dal prirno
capitolo in luogo di esporre il modo come il Cano combatta i Ge-
suiti, cd in che si distingua dagli altri polernisti, fa una lunga di-
gressione sui Socini, che certamente e fuor di posto. E quando
pare che piü si accosti all' argomento suo, e allora che piu sc ne
allontana. Cosi per determinare il concetto, che il Cano si forrnava
dell' autorita papale o dei suoi rapporti con la civile, FAutore
espone succintamente le dottrine del Cusano. col quäle il Cano
s'accorderebbe, rna della dottrina del Cano non dice niente altro
se non questo: che secondo il Döllinger „S. Tonimaso, il cardinal
Gaetano e Melchiorre Cano sono i tre principali fondatori della
niiova dottrina intorno all' autorita del Papa: aggiungendo che i
luoghi teologici del Cano furono sino al Bellarmino la fönte prin-
cipale, alla quäle attinsero i cattolici" (p. 37). Tutto questo e
cosi vago e indeterminato , che ci lascia al buio sulle opinioni
proprio del Cano. Ma se una cosa e chiara, e che egli propenda,
come S. Tommaso, per la supremazia del Papa incondizionata, il
che c proprio il contrario di quel che voleva il Cusano nel De
concordantia, dove sosteneva ad oltranza la superiorita, del Con-
cilio. Anche Fesposizione dei luoghi teologici, che e Popera priu-
cipale del Cano, lascia molto a desiderare. Vi si afferma che la
Teologia „propugnata e vagheggiata dal Cano, potrebbe dirsi irenica
o conciliatrice" ; ma in che stia questa conciliazione, e quali modi-
iicazioni abbia apportato il Cano alle dottrine di S. Tommaso per
renderle adatte ai nuovi tempi, Fautore non dice. Ne della filosofia,
che prcdilige il Cano, ci da notizie piü precise. Quello che
sappiarno solo e, che nei luoghi teologici sono enumerati dieci
La Storia della filosofia modema in [talia. 1888— :u. 1 l'.l
errori di Aristotele, e che al di 9opra di Ajristotele e posto Pia-
tone, il quäle sugli argomenti che piii premono ai cristiani,
come sulla provvidenza, Bulla immortalita dell' anima ccc. in-
jna molte verita. II che e troppo poco per apprezzare qua!
posto spetti aJ Cano tra i platonici a lui contemporanei , sc pur
platonico possa dirai. tili Ultimi due capitoli riguardano molto
indirettamente il Cano, ed anche il paragone col quäle si chiude
il volume, tra il Cano e il Rosmini e molto imperfetto; perche
l'autore non ci ha esposto in nessun luogo quali fossero i pensieri
de] Cano sulla riforma da introdurre nel Cattolicesimo per opporsi
piü ef&cacemente alla protesta, ne ci dice se in tutto o in parte
s'aecordino colle idee Rosminiane. II Cano combatte quegli stessi
Gesuiti che furono e sono tuttora i piii implacabili nemici del Ro-
smini; ma i due teologi vdssero in tempi cosi diversi, che forse 1c
discrepanze tra loro due la vincono sulle analogie.
I..i studio sul Colecchi ha maggior valore dei due precedenti.
Raccogliendo da varie parti le opportune notizie PAutore ha saputo,
per quanto si poteva, ricostruire la storia di questo filosofo, che
aacque a Peseopagano il 19 Settembre 1773, e mori a Napoli
il 25 Agosto 1847. Da giovane eutro nell' online Dominicano,
ma l»cn presto ne usci all1 epoca della soppressione, per rientrarvi
per poco tempo ancora dopo il 1815. Mandato, pure per missione,
in Russia, \i resto quattro anni, c al ritorno in Italia ebbe una
cattedra di matematica nel Liceo di Aquila, che perdette dopo
i in- »t i de] LHl'1. Riduttusi nel 1830 in Napoli, vi tonne lino alla
sua morte un insegnamento privato, mantenendo in mezzo alle piü
gravi strettezze sempre integra la fierezza dell' aninio e l'indipen-
denza del pensiero. Era uno dei pochi Kantiani in Italia, che
entravano ben addentro oel pensiero del filosofo tedesco, e lo cri-
tiche che Egli moveva al Cousin <• al Galluppi per avere Eraintesi
i concetti Kantiani. si possono ripetere anche oggi. Perö del
Kant non accettava tutto, anzi pare che del Fenomenismo de]
Konisberghese fosse scontento. „Non vorremmo, dice egli in un
pa8so riportato da] Cicchitti, che altri ci reputasse partigiani nclle
irvazioni che saremo per fare. Protestiamo anzi che lc cate-
120 Feiice Tocco,
gorie dichiarate impotenti da Kant a rilevare FEssere, le leggi del-
riütelligeuza diveuute leggi della natura fenomenica, il grande
abisso che separa questa natura dall' altra invisibile e reale, souo
cose che ci rivoltano nel suo sisteina. Noi pensiamo colle proprie,
e sol quando si accordano con le nostre, adottiamo le idee altrui".
Ma questa protesta dovea restare sterile, e non ben si rileva
dall' esposizione del Cicchitti, come il Colecchi riescisse a pensare
il noumeno.
Pietro De Nardi. Abbozzo di una storia filosofica della filosofia.
Foligno 1889.
— Genesi Dialettica dei Nominalisti, Realisti e concettualisti.
Voghera 1890.
— Fonti logiche del Soggetivismo teoretico di E. Kant. Fi-
renze 1880.
II primo lavoro o abbozzo di una storia filosofica della filoso-
fia c un capitolo di filosofia della storia. L'Autore cerca di deter-
minare la legge di sviluppo del pensiero filosofico, e nell' attuazionc
del suo disegno s'ispira al Cousin, benche non lo citi. Secondo
l'Autore „tutti i sistemi filosofici si ponno ridurre a tre fondamen-
tali, sensistico, idealistico, seusistico - idealistico, o sistema della
vcrita, secondoche i filosofi nella ricerca delle ragioni ultimo
dell' essere tolgono a loro guida o il solo senso, o la sola ragione,
od il senso e la ragione insieme" (P. I p. 61). A questi tre
sisterni si aggiunga il quarto, che comprende „i sistemi di reazione,
di negazione della filosofia" vale a dire „misticismo, tradizionalismo,
e sopranaturalismo", che non sono in fondo se non „scetticismo
mascherato", e cosi si avranno i quattro sistemi, che con varia
ibrtuna si avvicendano nel corso della storia. Siffatti sistemi filo-
sofici „si succedono con quest' ordiue, obbediscono a questa legge.
Primo sensismo ed idealismo, poi la loro dialettica conciliazione,
terzo lo scetticismo. Sensismo ed idealismo, quando succedentisi,
quando contemporanei, segnano il periodo di fondazione della
filosofia .... La dialettica conciliazione .... segna il periodo
della fioritura della filosofia. Lo scetticismo, negazione del senti-
mento e dell' idea e della loro dialettica conciliazione, segna il
La Storia .Ulla filosofia moderna in [talia. 1888—91. 121
periodo della Bofistica. Questo movimento quasi circolare dei si-
stemi ßlosofici appare esattamente verificato nella filosofia greca ed
antica colle sette antesocratiche, jonica o sensistica ed eleatica od
idealistica, con Socrate e piu con Piatone, dialettici e conciliativi;
e colle sette postsocratiche, che finiscono oello scetticismo. Appare
eziandio verificato oei tre periodi per cui passo la scolastica, uelle
te Dominalistiche, realistiche e concettualistiche, in S. Tommaso,
dialettico econciliativo; all' ultimo oello scetticismo c nel misticismo.
II medesimo dicasi della filosofia moderna, che s'inizia con Locke
sensista e con Cartesio idealista, si sviluppa col grande Leiboizio
dialettico e conciliativo, precipita con Kant ncllo scetticismo, cou
Jacobi ed altri oel misticismo, coli' Hegel nel nullismo" (Gvi p. 67)
- condo dunqne l'Autore, come secondo il Cousin, la vicenda dei
quattro sistemi ricorre in tutti i periodi della storia della filosofia.
E per questo verso la filosofia medievale dovrebbe staccarsi dalla
filosofia moderna precisamente nella stessa guisa come a sua volta
si staccö dalla filosofia greca. Se non che all' Autore non garba
questa conseguenza; poiehe egli considera la filosofia cristiana come
im tutto unico, che si puö dividere in quattro epoche della pre-
parazione, rappresentata dai padri apologisti e controversisti, della
sistemazione rappresentata in ispecie da S. Agostino, della deca-
denza, rappresentata della scolastica schiettamente Aristotelica, ed
inline «lel Risorgimento , rappresentato dalla filosofia moderna, il
.in püi illustre rappresentante e il Rosmini (P 2a p. 34). Secondo
questo altro modo di vedere il Medio Evo e l'Eta moderna dovrebbero
formare un periodo solo, in cui domina un pensiero unico e pro-
Bsivo. E ciö confessa esplicitamente l'Autore, quando dice che
il Cristianesimo aprendo una „fönte inesausta di luee intellettuale",
impossibili quelle cadute, che si operaronu nell' antichitä pa-
gana. Anche nei tempi moderni si notano arresti, regressi, ma sono
fatti accidentali e passeggeri. ..II movimento circolare della filosofia«
pagana divenne per le uazioni cristiane un movimento progressivo,
benche Bpesso intennittente". Queste due vedute sul corso della
storia ßloaofica non sono bene d'aecordo fra loro. Secondo la teoria
dei quattro sistemi ricorrenti, S. Tommaso appare come un filo-
n-iliativu. che avrebbe lo stesso posto di Piatone nel periodo
122 Feiice Tocco,
greco e di Rosmini uel modemo. Secondo la teoria dell' uuica
iilosofia cristiana, FAquiuate con tutta la scolastica segna un regresso
e uiia decadenza, e non e lui il filosofo conciliativo ma bensi S. Ago-
stino. E lasciando da parte queste contraddizioni, certo e che l'Autore
non ha ricavato la presente legge, come cgli dice, a posteriori o in-
duttivamente, nia invece ha contorti stranameute i fatti per adattarli
alla legge, della quäle, se dimostraziouc adduce, e affatto a priori,
e ricavata dal cosiddetto principio psicologico „Lo spirito umano
si affissa priruamento uella seusazione, che fa una cosa sola
coli' idea; poi la seusazione distiugue dall' idea, s'avvede dell' idea
di cui la uso, e colpito dalla magnitudine di essa, iu essa esclusi-
v;i Diente si affissa, dispregiando la sensazione. Iu progresso s'affissa
e uella sensazioue e uell' idea, uei caratteri dell' uua e dell' altra,
ne conosce i diversi, eppur connessi ufüci, all' ultimo abbandona,
oblia e l'una e 1' altra". Senonche dato pure che il processo psi-
cologico sia quello descritto dall' Autore, uon si capisce la ragione
di quell' oblio, di quell' abbandono, che nulla giustilica quaiido la
meute abbia couseguito l'armouico temperameuto , in che deve
riposare.
Iu una costruzione cosi arbitraria ed artificiale e ben naturale
che gli errori storici abboudino. Lasciamo pure quelle fallaci elo-
cubrazioni sul corso delle tre civilta, camitica, semitica e giapetica,
dove non c' e posto per la civilta cinese, uon certo inferiore
all' indiana e alla persiana. Ma come mai si afferma che la stirpe
camitica „iniziö e creö uua civilta grandiosa, impoueute, ma spicca-
tameute materiale", mentre poi si ritiene che l'Egitto fu la culla
delle scienze e non si dubita „che Licurgo, Salomoue, Pitagora e
Piatone erauo stati della sapieuza egizia discepoli? (P. II p. 3. 5).
E che vuol dire che „fra i sistemi ebraiei asiatici e celebrc la
Cabala, ma non ebbe commentatori?" (Ivi p. 6). Citerö altri
pochi esempi di simiglianti errori storici. „Piatone, specialmente
uei Parmenide, avea esposta la dottrina di questo filosofo".
(P. 1 p. 14). Gli scolastici erano „inteuti a servirsi di Aristotelc
per combattere Averroe" (Ivi p. 15). II Locke „per riflessione
intendeva il lavoro delle facolta dello spirito umano sulle sensa-
zioni" (Ivi p. 37). Hume avrebbe detto che il priucipio di causa
La Storia della filosofia moderna in Italia. L888- 91« L23
..;■ falso ed illasorio, perche la causa non puö mai essen' una sen-
sazione, ma deve essere un ente attivo, ora La sensazione non e
an ente, ma la modifieazione di un ente" (p. 38) 11 gran merito
dello Stagirita" e oscurato dall' avere egli aella teorica delle idee
abbandonato il suo maestro Piatone, retrocedendo ai Pitagorici
äteriori" (P. II p. 14). Dopo i Jonici „vennero i Dorici e videro
che bisognava creare questo ente al di lä dei sensibili .... con-
temporaneamente i Pitagorici erano pervenuti all' esistenza dell' uno
ii, -i moltij poi ai numeri aveano aggiunte lc forme" (Ivi p. 15).
do XVI cominciö nel clero La cura dei beni terreni"
(Gvi p.36). „La chiave dei pensieri dei Brano si fcrova nel libro
Delle ombre delle idee . . . E su questa dottrina torna sovente
in alt ri suoi scritti, come nella Cabala dei Cavallo pegaseo"
|\i p. 54). 11 Leibnitz „ridusse le üleo innate a piecolissimi sen-
timenti, uon avvertiti dall" anima" (Ivi p. 57). Kaut „lo forme
innate ridusse a due per il senso, a dodici per 1' intelletto, a tre
per la ragiuiK'*" (Ivi \>. 5S). E parmi che basti.
L altro lavoro ha per iscopo di mostrare la genesi delle
scuole medievali dei nominalisti, realisti e concettualisti. L'autore
aon oega che il noto passo dell' Isagoge Porfiriana fu la causa
della controversia, che s' agito nei primordi della Scolastica, ma
la ilicr causa occasionale per distinguerla dalla vera causa
reale, ehr aecondo lui sta nell' obblio della dottrina Platonica,
alla quäle sottentra senza rivali l'Aristotelica. Questo stesso con-
cetto ripete in uno scritto polemlco, mdirizzato contro 1' introduzione
dell' Eresia nel Medio Evo (Monde di storia della filosofia —
primo periodo della scolastica — di Feiice Toceo — Voghera
1890 . ml quäle scritto adduce l'autorita dei Rosmini per mo-
strare che il Medio Evo oltre il cenno di Porfirio intorno alla na-
tura delle idi rea di piu la soluzione data da Boezio sia nel
primo Dialogo sulT Introduzione di Porfirio, tradotta da Vittorino,
sia nel libro primo dei Commentarii sulla traduzione propria della
medesima Introduzione". Se non ehr L'Autore nun fa ehr sfondare
porte aperte; poiehe uessuno storico della filosofia ha mai negato
I i 1 1 ll li — . di Boezio, e questo solo concordemente si afferma da
124 Feiice Tocco,
tutti, che nellc scuole dcl Medio Evo, quaudo di Aristotele uou
erano aucor note altre opere oltre alle logiche, usandosi l'Isagoge
Porfiriana coi cornmenti Boeziaui, da questa traevano origine le
dispute interniinabili sugli Universali. Che Pobblio del Platonismo
dovesse entrarci ben poco in quel battagliare, si puö argomentare
da ciö, che i libri di S. Agostino erano letti e studiati da tutti,
e nella rnancanza del testo di Piatone potevano fornire una discreta
inlbrrnazione della dottrina delle idee. Del resto la parte realistica
affermando la realta degli Universali, piegava appunte verso il
Platonismo, e platonico piü che Aristotelico si puo dire Scoto
Erigena. Secondo l'Autore invece Piatone conobbe che „le idee
socio obbietti propri della rnente iudipendenti dai reali (sie) e dai
sensibili", Aristotele invece pur facendo immateriali le idee „le
realizzo, confondendo l'orcline ideale coli1 ordine reale". E di qui
anche il realismo del Medio Evo e pretto Aristotelico, e l'unico
che si puo dire seguace di Piatone e S. Agostino. S. Anselrno
di Aosta e per l'Autore un' eeeezione, anzi un anacronismo.
Siffatta interpretazione della filosoiia Platonica ed Aristotelica non
e suffragata da prova aleuna, e fra tutti gli studiosi di filosoiia
greca neppure uno vi si aeconcerebbe. In questo stesso scritto
l'Autore cornbatte nie, che avevo proposta una interpretazione del
nominalismo (del resto non mia), la quäle avea per fine di dare
un senso all' espressione flatus vocis usata da Roscellino. La
mia congettura all' autore non garba; poiehe ritiene che per
Roscellino gli universali erano puri nomi, a cui non rispondc un
coucetto neanche arbitrario. Beato il De Nardi, che intende o
dice d'intendere quello che nessun altro saprebbe! Di tutte le
altre obbiezioni che mi move, non e questo il luogo di far meu-
zione. Voglio solo notare, che mi rimprovera di non aver eulto
Tcrrore cardinale di Gilberto Porretano (che l'Autore chiama
Gilberto della Porretta, come sc fosse nato vicino a Bologna), e
poi ripete in un modo iuvoluto quello stesso, che io avevo detto
in una forma piü chiara.
Nel terzo scritto l'Autore si propone di mostrare le fonti
logiche immediate c mediate del prineipio supremo del Kantismo.
La Storia della filosofia moderaa in ftalia. 1888 91. [25
II quäl principio sarebbe lasoggettivitä della forma dell' timana
intelligenza, quindi dell'umane cognizio.ni, quindi della
Scienza. II Kant sarebbe stato condotto a far soggettiva la forma
della mente umana 1" per reazione all' Bume. In che stia questa
reazione l'autore dod dice. Forseche l'Hume avrä sostenuta
l'obviettivita della forma della mente, e per reazione a lui Kant
la dichiara subbiettiva?
2 Per concessione al Locke, poiche dal Locke il Kan1 accetta
il pregindizio materiale e cieco (sie), il postulato arbitrario, che
ciö che nun viene dall' esperienza sensibile, viene dal soggetto
umano intelligente, od anche che due soli sono le Conti delle
amane cognizioni, la sensazione e l'uomo (sie).
per isviluppo immediato de] sistema di Reid. Chi mai
avrebbe potuto supporre codesto? Eppure e cosi secondo l'Autore,
che attinge la dimostrazione non dal testo di Kant, come dovrebbe,
ma da an magnifico brano dello schizzo delle filosofia moderna
del Rosmini. Secondo il Reid l'affermazione dell1 esistenza dei
corpi non puö venire dalla sola sensazione, ma da una facolta dello
spirito „che e primitiva, e un istinto dell' anima, una suggestione
della natura intelligente, e da un complesso di leggi de! soggetto umano
intelligente, leggi misteriose, inesplicabili. Ora, seguita l'Autore,
il Kant si avvide che l'inesplicabilitä di questa legge conti uceva allo
tticismo. Ammise quindi il fatto, ma aggiunse che sc non si
poteva spiegare interamente, si poteva perö analizzare, discernere,
esplicare, determinare". Etl eeco come il Kant e diseepolo e con-
tinuatore de] Reid!
1 per isviluppo immediato del sistema del Leibnitz. Anche
questo e da notare. Secondo il Leibnitz „le idee prima che cadano
oella nostra coscienza psicologica . . . . si rappresentano successiva-
mente all' anima come una serie di sue modifieazioni, di suoi istinti,
di sue virtualita, di abiti naturali, di abbozzi, rudimenti, tracce
*erissime d'idee . . . Li; idee concenite cosi sono tuttc innate.
Differiscono dalle forme de] Kant nun per la sola natura, ma per
il numero e per l'origine". Povero Leibniz esposto e storpiato ;i
'li"'' modo, e povero Kant il cui criticismo nun e piu l'opposto
del dommatismo Leibniziano, ma invece la continuazione!
12G Feiice Tocco,
5° per influsso di Aristotele. Questo e poi il colrao, e vale la
pena di riferirlo colle parole stesse dell' Autore, per mostrare como
conosca a foudo e Aristotele e Kant. „Le categorie souo prodotte
in noi da una nostra ingenita facoltä di conoscere, dette Intelletto
agente, che e tavola rasa, ma che, per una certa virtü astrattiva le cava
dai fautasmi. Senonche 1' Intelletto agente di Aristotele nou puo
cavare le categorie dalle sensazioni, che il particolare, il finito, il
contingente non puo fornire l'universale, l'infinito, l'immutabile, il
necessario. Uopo e quindi, conchiuse il Kant, che le nozioni
prime o categorie non siano inerenti ai sensibili, ma che scaturiscano
dal fondo dell' anima umana all' occasione delle sensazioni". Ma
l'aütore si e guardato bene dal riferire im luogo solo o di Ari-
stotele o di Kant, che conforti quella strana interpretazione
dell' intelletto agente, e quelF assimilazione delle categorie Ari-
stoteliche alle Kantiane. II De - Narcli , benche se la prenda coi
Neo - Kantiani. non ha letto neppure uno degli scritti di costoro,
e Finterpretazione che egli da del Kantismo e tolta di peso dal
Rosmini, non tenendo alcun conto di tutte le critiche che vi sono
state fatte. II suo linguaggio iracondo e quello stesso, che im
tempo tenevano il Gioberti e i Giobertiani contro il Cartesio e lo
stesso Rosmini, accusato anche lui di subbiettivismo o psicologismo,
come allora si diceva, e la conoscenza che egli ha clella storia
della filosofia non e superiore a quella dei peggiori Giobertiani.
Uno scrittore, che espone Kant come se le idee di Dio, dell' anima
e del mondo fossero tre forme della mente umana da aggiungere
alle due della sensibilita e alle dodici dell' Intelletto (p. 9 — 10), o
come se „la forma delle umane cognizioni fosse una produzione
dell' umano soggetto (p. 11)", non ha letto un rigo solo della Cri-
tica della Ragione pura, e poträ bene montare in pergamo e
scagliare anatemi, dipingendo il sistema Kantiano come scettico,
ateo, panteistico, spiritualistico e materialistico (p. 23); ma ripro-
durre esatto il pensiero del Conisberghese e criticarlo non e
affar suo.
I. Storia della Bloaofia moderna in Italia. 1888—91. 127
Pügua FkedinandOj II Risorgimento Filosofico in Italia. Napoli
Anfossi 1891.
II concetto informatore di questo libro i lettori lo cono-
Bcono; perche tu svolto dall' autore stesso in questo Archivio. Giä
da im pezzo in Italia va facendo strada questo concetto, che e il
rovescio di cib che sostenevano i restauratori della filosofia italiana.
I quali ispirandosi al Vico, pretendevano che fino dai primissimi
tempi esistesse una tradizione filosofica italiana, la quäle raccolta
da Pitagora e Parmenide, fu conservata da Piatone, c per il tramite
dei Padri della Chiesa, tornö in Italia, ondc non si parti piü, con-
servandosi nei piu insigni filosofi oazionali, il Vico in primo
luogo, e dietro a lni il Rosmini, il Gioberti c il Mamiani. Gli
rici recenti dod oegano quest' aurea tradizione, raa sostengono
che dod e quäle ce la descrissero i restauratori, ina tutto l'opposto
di quel che essi credevano. II pensiero nazionale non fu dualistico,
ma beu piuttosto rigorosamente monistico. Monisti furono Pitagora,
Parmenide, monista il grande poeta filosofo Lucrezio, monisti i
rinnovatori della filosofia ael Risorgimento , come il Bruno. E sc
J i piu insigni pensatori italiani tornano al Monismo, non fanno sc
qod rinverdire una tradizione filosofica, che indarno s'e tentato di
- iirare. Per dimostrare il suo assunto, il Puglia comincia dal negare
che la storia della filosofia possa dividersi in periodi ben netti e
definiti, come il greco-romano, il medievale e il moderno. Poiclie
- ndii il pensiero filosofico sottoposto anche esso alla grande legge
dell1 evoluzione, si deve ammettere nel suo corso tale continuita,
che mal Bapresti dire dove il vecchio si chiuda e dove si apra il
dqovo periodo. II che appare evidente nclla storia del pensiero
italiano, che forma un tutto omogeneo e continuo dall' antichitä
piu remota fino all' eta, che giustamente fu detta del Risorgimento.
Ne tal< continuita si rompe o Lntermette per colpa della Scolastica,
come lia creduto il Trezza; poiehe la filosofia scolastica s'ha da
tenere come im fiore esotico nel nostro cielo, e non in quelle
Bpeculazioni piu teologiche che filosofiche s'ha da cercare la tra-
(li/.i"ii" del aoatro pensiero nazionale, ma ben piuttosto negli studi
dei (üuii>ii. che conservano intatto col Diritto romano quella massa
di pensieri ed idee filosofiche, che l'infonnano. Le quali idee sono
128 Feiice Tocco,
attinte specialmente allo stoicismo, che insieme coli' Epicureismo
sono le due filosofie grecbe a preferenza dclle altre trapiantate a
Roma. E qucste due filosofie risorgono quando ai glossatori succe-
dono i iilologi e gli umanisti. Tra i quali se il Filelfo inchina
alle idee stoiche, Lorenzo Valla riproduce invece le epicuree. Ed
in questa risurrezione clel pensiero dell' antica Roma, quäle fu
cantato dalla musa di Lucrezio, sta tutto il merito del Valla,
non certo iu quel teutativo di accomodameuto del sistema Epicureo
alle intuizioni cristiane. Poiche quel teutativo non dev' essere
preso sul serio, ne s'ha da credere sull' antorita del Fiorentino
che r ultima parte del dialogo De voluptate esprima il vero
pensiero dell' autore. Sarebbe strano che cercasse di accomo-
darsi colla Chiesa chi avea scritto contro la donazione di Costau-
tino, ed inaugurata la critica biblica. Quell' ultima parte serve
di baudicra per far passare la merce di contrabbaudo, artifizio,
non insolito in quei filosofi, che speravano di farsi perdonaro le
loro arditczze in grazia di qualche concessione al sentimento
religioso.
A nessuna di queste considerazioni io saprei acconciarmi, e
dico schietto e franco l'avviso mio; perche questo nuovo indirizzo,
che in grazia di una tesi nega quello che v'e di meglio accertato,
mi sembra pericoloso e rovinoso, risuscitaudo quistioni che sem-
bravano per sempre risolute. Che 1' Autore stesso abbia bisogno
di una partizione comechesia del corso storico, lo mostra quando
ai periodi storici vuole sostituire le fasi evolutive. A lui,
evoluzionista convinto, non dovea sfuggire la legge della divergenza,
che nel corso dell' evoluzione cresce con tale rapidita, che un
grado o uua fase superiore dell' evoluzioue e per nulla rassomi-
gliante al grado o fase inferiore. E che sono altro i periodi
storici? che la fine di un periodo digradi insensibilmente nel prin-
cipio di un altro non v'ha chi neghi; ma ciö non toglie che
ciascun periodo, determinato da uu nuovo stato della coltura e del
pensiero, abbia uua fisonomia propria da non confoudersi con
altra. Che poi appartenga all' Italia la filosofia della Magna Grecia
e uu vero errore storico, che non si sa come rinasca fra noi, dopo
che tanti e tanti lo hanno vittoriosamente confutato. Per dire
I S1 ria della aiosofia moderna in [talia. 1888—91 129
italica la ßlosofia di Pitagora da Samo, bisognerebbe supporre che
oella Magna Grecia fosse nata ima ßlosofia oostrana prima
dell' immigrazione Dorica, e che Pitagora avesse cominciato a filo-
Bofare solo quando venuto in [talia pote attingere a questa antica
gente. Tutte supposizioni3 giä fatte da] Vico, l'una piii gratuita
e improbabile doli" altra. Peggio ancora quando si sconosce il
carattere mistico dell' istituzione pitagorica, la quäle e strettamente
connessa coli' Orfismo, e oon si pone differenza alcuna non pure
fcra la ßlosofia Pitagorica e l'Eleatica, ma neanche tra l'Eleatica <•
l'Ei clea. Nessuno storico del a iilosofia greca potrebbe accettare
strane confusioni.
V divi - giudizio si puö portare di quel che dice l'Autore
sulla ßlosofia del Medio Evo. Ma con qua] dritto si chiama esotica
una ßlosofia, che fu elaborata da grande iii^r^ni italiani. coine
S, Anselmo, S. Bonaventura, S. Tommaso, e addottata e rivestita
della pin smagliante forma da! piu grande dei nostri poeti nazio-
ualir E dato pur«' die in [talia manchi per tutto il Medio Evo il
vero pensiero ßlosofico, come puö sostituire al suo difetto la col-
tura giuridica, ehe sopratutto oe] periodo dei glossatori non e certo
informata a larghe vedute? Ne si potrebbe dire die nel risorgimento
rifiorisse l'antico nostro pensiero nazionale, perche tornarono in
iv i sistemi stoico od epicureo. Ma l'Accademia platonica non
appartiene anche a quell' eta? E non le appartiene parimente il
Peripatetismo Averroistico della scuola Padovana? II restringere il
pensiero italiano nei confini cosi angusti segnati dall' Autore, e uno
la larghezza, la varietä di quel pensiero. E per tanti
altri ßlosofi, che sono trascurati, l'Autore ne esalta alcuni oltre
all.t giusta misura. II dire ehe l'opera del Valla „e uno dei piü
udi tentativi fatti in quell' epoca per la ristaurazione della vera
ßlosofia, '-i lila ßlosofia che si emanripa dal um^u della toolo-
giaa e im manifesta. II Valla nun e un filo9öfo, e
un letterato, e benche se la pigli con Cicerone, tratta i problemi
filosofici con la stessa disinvoltura e leggerezza, con cui li soleva
trattare I'oratore romano. E foree il !)<• \roluptate non e sc mm
episodio della grande lotta, che il Valla sostiene contro Cicerone
•■ i ' uiani. Certo <■ «•he il carattere proprio dell' Etica epi-
V||. «I
1B0 Feiice Tocco,
curea, che la distingne dalla Cirenaica, egli non sa cogliere. E
della fisica e della Teologia Epicurea, che sono i presupposti e i
fondainenti dell' Etica, face affatto. Bei modo di far risorgere
una data (ilosofia, sopprimerne le parti piü uotevoli. Ne posso
accettare che il discorso del Niccoli non riproduca il vero pensiero
del Valla. Ma perche mai? Lo serivere contro la donazione di
Costantino, e l'inaugurare la eritica e l'Esegesi biblica, vuol dire
forse negare affatto il Cristianesimo, e rinunziare al dritto d'inter-
pretarne gl' insegnamenti in modo diverso di quel che facessero i
Teologi scolastici?
Tarozzt Giuseppe. I principii della natura secondo Gerolamo
Cardano. Rivista Scientifica. Milano Dumolard 1891
pp. 35.
Questa monografia riguarda alcuni punti soltanto della filosofia
del Cardano, vale a dire: l'opposizione di forma e privazione, i
concetti della materia, del moto, del luogo o spazio e dell' anima.
Si puo dire in generale, secondo l'Autore, che il Cardano muove
pur sempre da Aristotele, dal quäle si stacca, come a dire, senza
volerlo, per influsso principalmente del Neoplatonismo, e clei nuovi
bisogni scientilici, dei quali nessun altro sente piü acutamente il
pungolo, benche non sappia meglio degli altri dar loro soddisfazione
alcuna. Anche il Cardano come il Telesio, non puo accettare il
concetto Aristotelico della privazione, perche mal si concepisce „il
contrasto i'ra una sostanza e un altro principio che non puo asso-
lutamente essere sostanziale". A proposito degli elementi il Car-
dano „invece di porre come qualitä attiva il caldo e il freddo, e
passiva il secco e l'umido, scorge un' azione effectrix nel caldo
e nell' umido" e il freddo e il secco ripugnandogli di considerarli
come mere privazioni „e costretto a dare a queste qualitä Tazione
d'impedimento" (p. 15). Neanche la materia prima, sa concepirla
al inodo di Aristotele come pura potenza, poiche egli Tintende
„come apparisce al senso" vale a dire concreta e determinata, se
non altro come quantita. Fin qui il Tarozzi. Ma egli non ha
nsservato che Aristotele se da una parte considera le difl'erenze
dei quattro elementi come eterne al pari del mondo , däll' altra
La Storia della filosofia moderna in ftalia. lssv< 91. I .". I
aminette una oontinua mutabilita degli elementi, l'uno Dell' altro.
La contraddizione tra queste due vedute l'una che oega, l'altra
che afferma an proci »smogonico, il Cardano sa ben rilevare.
\mh e dunque perche la materia appaia cosi al senso, ma perche
il modo come Aristotele l'intende e contradditorio, che il Cardano
b allontana dallo Stagirita. Ed e per questo che egli cerca di
rappresentarsi il mutamento dei quattro elementi come un processo
di condensazione <> di rarefazione. La stessa quantitä di materia
stretta in pio angusti coofini e acqua, dilatata in piu ampii e
aria. Se l'Autore fosse entrato piu addentro oella teoria degli
elementi de! Cardano, sarebbe riescito senza dubbio a qiiesti risul-
tati. Nella teoria del moto e de! luogo il Cardano non s'allontana
gran fatto da Aristotele, e dagli interpreti scolastici, come S. Tom-
maso. Se ne allontana nel concetto dell' anima. Egli e .,;nl ora ad
ora Averroista, Alossnmlrista, neoplatonico: mm appartiene in modo
assoluto ;i tieesuna di queste scuole, ma in questa incertezza oon
consiste un difetto de! suo pensiero, perche prendendo elementi
delle divei*se scuole, risultava alla sua mente la caratteristica
assenziale di un sentimento vago dell' infinito vivente .... L'uni-
vereo e un' anima immensa, eeco il pensiero grandioso e capitale
che costituisce l'importanza storica di questi filosof (p. 28)".
Alcune di queste conclusioni, specie quella dell' Alessandrismo
del Cardano doveano essere suffragate da prove, che mancano affatto.
Ed anche intomo al concetto dell' animazione uniyersale l'Autore
avrebbe dovuto mostrarci se e in qua] modo si concilii con le pro-
fonde differenze ehr il Cardano stabilisce tra gli Esseri, dei quali al-
coni sono sostanze corporee altre ineorporee, e delle incorporee al-
cune sono incorruttibili, altre corruttibili, e delle corruttibili alcune
viv li per se, altre traggono la vita dal di füori (p. 10).
I elice) Le opere inedite 'li Giordano Bruno. Memoria letta
all' Accademia di Scienze morali e Politiche della Societä
Reale di Napoli - Napoli, Tipografia della Regia Univer-
1891.
I." Bcopo di questa memoria e t'esposizione delle opere inedite
del Bruno, contenute nel codice di Mosca, e recentemente pubbli-
ü*
132 Feiice Tocco,
cate. Una di queste opere, che per la sua ampiezza si puo
dire la principale, e chiamata Lampas triginta Statuarum, e
non e altro se non un' amplificazione dell' arte inventiva del
Lullo. In luogo dei nove soggetti e dei nove predicati Lulliani
qui si distinguono trenta categorie trenta soggetti, trenta predicati e
trenta modi di predicazione. L'Autore ha tanta fcde nell' efficacia
dell' arte sua, che ne mostra il valore applicandola alla soluzione di
uno dei piü intricati problemi metafisici, quäle e quello della sostan-
zialitä dell' aniina. Quest' opera non ha valore ne per il congegno in-
ventivo, ne per Fapplicazione che se ne fa, ma ben piuttosto per
la copia d'idee e per il vigore d'imagini, che rischiarano di nuova
luce le dottrine gia note del Nolano. Seguono i commentarii alle
opere fisiche di Aristotele scoperti dallo Stölzle. Senza dubbio
sono lezioni date dal Bruno sul testo Aristotelico nei collegio di
Carabray c a Vittemberga. Non tutta la tisica Aristotelica abbracciano
ma solo i primi quattro libri, il primo dei quali a preferenza e
largamcnte commentato, laddove gli altri tre sono alle voltc
cosi stroncati da non riconosccrsi piü. Rispetto a questo punto
il compendio della fisica Aristotelica, che avevamo gia per le
stampe, e piü compiuto, poiche nessuno degli otto libri trascura;
ma nei Commentarii oltre alla fisica sono studiati alcuni testi del
De Generatione et corruptione, e il quarto libro dei
Mctcreologici. — Tutti gli altri scritti inediti formano per cosi
dire un' opera sola con continui richiami da uno all' altro scritto.
Trattano di Magia, che va divisa in naturale o fisica e in mate-
matica. La magia fisica, colla sua ricapitolazione nelle Theses
de Magia, riguarda quei fenomeni della natura, come i magnetici
e gli elettrici, che non si possono spiegare dälle qualita attive o
passive della materia, quali erano secondo Aristotele il caldo e il
freddo, l'umido e l'asciutto. La spicgazione del Bruno e attinta a
Lucrczio, le cui teorie sono perö profondamente modificate secondo
l'intuizione animistica. La Magia matematica non e un' opera
originale, ma degli excerpta da diversi autori, come Pietro
d'Abano, Tritemio, il pseudo Alberto, e principalmente Agrippa.
Ai quali excerpta tien dietro un trattato, che tenta giustificare
i presupposti della Magia matematica, e che e intitolato: De
La Storia della filosofia mmlenia in Italia. 1888- Dl. [33
rerum principiis, elementia ei causis. Come oompimento,
o vogliam dire applicazione dei principii esposti nei precedenti
trattati, abbiamo la medicina Lulliana, dove si mostrano gl' influssi
de] Cielo sulla genesi e 8ulla cura delle malattie. Anche
quest' opera non e originale, Dia degli excerpta da opere de)
Lullo, principalmente dal De regionibus sanitatis et infir-
mitatie e dal Liber principiorum medicinae. L'ultima
delle opere magiche e intitulata De vinculis in genere, ed e
strettamente connessa colla Magia fisica. Ma si puö dire senza
errore, che ha tutt' alt 10 carattere; poiche lasciando da parte lc
Fantasticherie magiche, entra aello studio, sarei per dire, naturali-
o di quelle attrazioni tra gli uomini', onde nascono gli affetti.
L'opera sfortunatamente e incompleta, ma quello (die c'e rimasto
\ al^ certo a farci rimpiangere che l'Autore abbia dovuto troncarlo
a mezzo. Tatte queste opere sono autentiche, perche l'una cita
l'altra e prese insieme formano come un tutto. Non aggiungono
molto di quovo a quello che giä sapevamo delle dottrine dcl
Bruno, ma giovano a chiarire qualche punto rimasto ancor
dubb
\ Giovanni. 1" La cosa in se. Milano Dumolard 1888. 2° La
metafisica e la teorica della conoscenza del Leibnitz. Pa-
dova Drucker e Senigaglia 1888. 3° 11 Fenomenismo
dell' Hobbes. Fratelli Dracker Padova- Verona 1891.
Di questi tre lavori, il primo l'u pubblicato nella Rivista di
Filosofia scientifica serie _ anno V vol. V. ed ha un doppio (ine,
teoretico. Lo storico e mostrare le coutraddizioni, in cui
>i sarebbe involto il Kant nella dottrina della cosa in sc: il teo-
retico, Fermare quello ehr resta di questa dottrina, c che forma
„parte integrante <li ogni filosofia, ehr voglia basarsi sulle saldo
fondamenta dell3 esperienza e sull' elaborazione critica dei dati di
Trascurando affatto la parte teoretica, che dod e oostro
compito discutere qui, ci restringeremo a quella che piii diretta-
mente appartiene alla storia della filosofia. L'Autore, ehe sul
Criticismo ha scritto finoi-a [»iti di dieci lavori, conosce a fondo
la letteratura Kautiana, e aessuna pubblicazione trascura, dalle
134 Feiice Tocco,
piü antiche dello Zwanziger e dello Schnitze alle piü recenti del
Lehmann e del Drobisch. Le sue opinioni rispetto al Kant si sono
alquanto mutate dai primi lavori sin oggi; ina mantiene sernpre
fermo essere la Critiea travagliata da una profunda contraddizione
tra il punto di partenza cd il punto di arrivo. „II Kant, scrive
il nostro, ammise tacitamente a base della sua dottrina delle
teorie senza esaminarle prima criticamente; ma nell' elaborarle
e nel progredire nell" edificio critico arrivo a risultati tutto del
opposti, che lasciö coesistere coi punti di partenza" (p.18). Le teorie
ammesse tacitamente senza esaminarle, sono quella della cosa in
se, qnal" e intesa nell' Estetica trascendentale, e l'altre del Nou-
meno e dell' oggetto trascendentale, svolta nell" Analitica. Tra
queste due teoriche, soggiunge l'Autore „ben a ragione si vide
un" opposizione, giacehe cio che e problematico e la cni realta
non si puö affermare, non si puö dire che sia la causa oggettiva
delle nostre sensazioni, e qnesta ultima non puö essere im concetto
problematico" (p. 11). Ma io credo che qni e attribnito all' espres-
sione Kantiaua im senso non volnto dall' antore, il quäle nel chia-
mare il Noumeno im concetto problematico, voleva dire non che
si potesse dubitafe della realta del Noumeno stesso, ma solo fosse
una perenne esigenza della Ragione, im problema, che sempre si
pone, e non si pub a meno di porre, e mai si rivolve. Questo io
tentai di dimostrare im da dodici anni or sono in uno scritto in-
titolato Fenomeni e Noumeni, che l'Autore non ha sott' occhi, ne
cita ne discute. Anche oggi mantengo tutte le mie opinioni antiche,
cd affermo che tra l'Estetica e l'Analitica non v'ha contraddizione
di sorta. Neil" estetica scomponendo il fenomeno nei suoi fattori
s'incontra im resto, il materiale sensibile, che non si puo rivolverc
in elementi formali. Abbiamo dimqne im limite. Neil' Analitica
risalendo di causa in causa, di sostanza in sostanza. di condizione
in condizione abbiamo tanti altri limiti, quante sono le serie che
si vogliono e non si possono chiudere. Li e il limite piu basso,
<[iii il piü alto, ed entrambi bisogna ammctterli, se si vuol restare
Qdi alla teoriä, anche dal Cesea ammessa, della relatMtä della
cognizione. In qualche punto i due limiti s'incontrano e ne for-
mano uno solo. Cosi se noi dimaudiamo in che stia la materia.
La Storia della filosofia moderna in [talia. 1888 91. 135
v;,!,. a dire quell' elemento, che abbiamo indarno tentato di risol
\,,-,. in fattori formali, la possiamo pensare come formata da atomi
.. sostanze semplici (Leibniz), o come an essere di sim natura com
posto, il cui attributo fondamentale sarebbe l'essere una parte
fuori deir altra o l'estensione (Cartesio). Nessuna delle due alter-
native appaga la mente, onde si conchiude che il Noumeno della
materia e impensabile. Si vede quindi come a torto il Cesca com-
batta quegl' interpreti de! Kantismo, che fanno coincidere il Nou-
[o deir Analitica coli' Idea trascendentale. [mperocche quegli
ultimi anelli dai quali pendono le catene dei fenomeni o fisici o
psichici che siano, non possono essere se qoii im prodotto della
Ragione Speculativa, un Noumeno iuteso non uel senso negativo,
che vuole l'Analitica, di concetto limite, bensi.nel positivo della
Dialettica, che chiude la serie, ponendo l'idea che dovrebbe coin-
cidere colla Realtä qua! e in se stessa.
Questo scambio de] Noumeno positivo col negativo produce i
parologismi e le antinomie.
II secondo lavoro sulla metafisica e gnoseologia »le I Leibnitz,
uon e aeanche esso del tutto storico, poiche la critica vi primeggia,
una critica attinta il piu delle volte non alle contraddizioni interne
della dottrina Leibniziana, ma ben piuttosto al contrasto tra questa
e le teorie dalT autore preferite. S'e tanto scritto e discusso snl
Leibnitz, che nou si puö certamente pretendere molto di quovo,
e l'Autore stesso uei punti piü importanti, specie nella gnoseologia,
cita i predecessori, ;ii quali piu deve, come per esempio Kuno
Fischer, Zeller, Erdmann wv. Ma talvolta da essi dissente e li
combatte, vittoriosamente a parer mio. Cosi egli non puö accettare
resposizione 'li Kuno Fischer secondo il quäle l'armonia prestabilita
sarebbe una teoria rigorosamente scientifica, fondata su due con-
dizioni, una negativa, che e la materialita o la limitazione degli
ii. e P altra positiva, che e la continuitä o la gradazione delle
<litl>':.'ii/..- impercettibili. L'autore nou accetta il primo punto
perche „la connessione esige una limitazione reale dipendente
dalle mutue azioni <• reazioni tra le c,,sr. e perciö uon si potrebbe
dire ehr le monadi sono in armonia, perche sono liraitate, ma
136 Feiice Tocco,
perche sono in continua azione reciproca tra loro" (p. 26). Non
accetta il secondo, poiche l'armonia „sta nell' accordo che nelle
monadi v'e tra i loro continui cangiarnenti e nell' adattazione
mutua iTello mouadi, e perciö non puö avere per base le differeuze
Lnfinitesimali tra le monadi, ammesse le quali si puö avere una
disposizione seriale continua, ma mai un accordo tra le azioni e
le passioni delle diverse monadi" (p. 26). La conseguenza e che
l'armonia prestabilita non deriva dalla natura stessa delle monadi.
ma e qualche cosa di estrinseco e di avventizio. E in questo punto
avrebbe potuto scoprire la ragione, che indusse il Leibnitz ad
ammettere la monade delle Monadi. Se l'armonia fosse stata una
conseguenza necessaria del rapporto o di limitazione o di gradazione
tra le monadi, non ci sarebbe piii posto nella metafisica Leibnitziana
ue per la Creazione, ne per il Dio previdente e provvidente, e non
solo la metafisica, ma benanche la teodicea del Leibnitz ne an-
drebbero spiantate dalle fondameuta. Sulla teoria delle cognizioni
ci sarebbe qualche cosa da notare. Non e esatto che per Cartesio
le idee sono belle e formate, mentre il Leibnitz le tiene per sem-
plici disposizioni (p. 32). Anche Cartesio, stesso alle strette non
s'espresse diversamente, ed il Liard, per non citare altri, lo ha ben
rilevato. Ne si puö dire che per Leibnitz il principio di ragion
sufficiente serva per la verita di fatto, e quello di contraddizione
per le verita necessarie (p. 33). E tanto meno si puö accettare la
dottrina del Lewes, che „tutte le verita sono si necessarie che
contingenti, necessarie se si considerano come verificate e se si
manteugono i termini sempre omogenei, contingenti in quanto non
si' sono osservati tutti i casi, cui si possono applicare" (p. 37).
Ma per compenso si puö accettare senza mutar sillaba l'acuta
critica, che l'Autore fa della Gnoseologia Leibniziana confrontandola
con la metafisica „Se la monade e del tutto chiusa, non puö
conoscere nulla al di fuori; ammesso poi possibile per l'armonia
prestabilita un' azione ideale tra le sostanze, queste potrebbero
conoscere soltanto la reazione che i'azione delle altre desta in loro;
in seguito poi alla diversitä nella disposizione originaria delle
monadi, ognuna potrebbe avere soltanto una conoscenza doli" üni-
verso relativo a lei" (p. 43). In altre parole le teorie metäfisiche
La Storia della filosofia moderna in Italia. ivvs 91. L31
avrebbero dovuto menare il Leibnitz ad una gnoseologia relativistica,
raentre il Qlosofo tedesco afferma senz' ambagi che si possano
conoscere le cosi come sono in se, mm soltanto quali paiano a uoi.
II terzo lavoro, che dobbiamo esaminare e quello sul Feno-
menismo dell' Hobbes. Diversi altri scritti ha pubblicato il uostro
Autore, •• parecchi di essi, come l'idealismo critico de] Cohen
Napoli 1886, Lo spiritualismo de] l.otze Napoli 1887,
L'idealismo critico de] Cohen Napoli 1887, II transub-
biettivismo del Volkell Napoli 1S^T. L'animismo de]
Womit Milano 1891 dovrebbero entrare nellc mia Rassegna, se
iiuu fossero prevalentemente polemici e critici, anzieht' storici.
v'entra di pieno dritto questa memoria sul fenomenismo
dell' Hobbes, dove l'antore tratta della gnoseologica del filosofo di
Malmesbury, che e la parte piii trascurata della costui filosofia,
mentre a giudizio del Cesca e la [>iii notevole. e [>iii ehe sufficiente
,ritenere l'Hobbea come uno dei principali precursori de] Criti-
cismo". L'Hobbes senza dubbio alenno e nominalista; poiehe per
lui i concetti stessi aniversali uon nascono, se non dopo ehe l'ar-
bitrio Qmano ha creato i nomi per significare le cose. Lavorando
sui nomi, ehe sono segni compendiati delle cose. si puö sotto im
Dome solo comprendere piii cose; ma come arbitrario e il mnne,
si arbitraria e la signifieazione universale che noi sogliamo dare.
E il Dominalismo dell' Occam spinto alle ultimo conseguenze sue.
Ma oltreche nominalista L'Hobbes e anche soggettivista o feno-
she dir si voglia, poiehe t'a sue rendendole piü rigorose
le dottrine dei Galilei e del Cartesio, che ritengono le cosiddette
qnalita dei corpi, come gli odori, i sapori, i suoni non essere altro
doq affezioni oostre, che nun hanno nulla ehe fare con quel
che accade oei corpi, quando in noi snscitano quelle tali affezioni.
I. Hobbes conobbe il Galilei, e dichiarö ehe fu lui che gli apri la
porta della fisica, e per mezzo del padre Mersenne fu in relazione
col Cartesio. Nun e quindi strano che anche egli sostenne non
rvi alcuoa equazione tra quello che noi diciamo sensazione, che
an mutainento interno o una reazione propria de] senziente, e
quello die in realta u<>u e altro se uon un moto o ondulatorio o
138 Feiice Tocco,
oscillatorio o che altro sia del corpo. Auzi va piü in la del Car-
tesio stesso, perche non riconosce la distinzione fatta da lui tra
qualita primarie e secondarie „e cosi riesce ad una dottrina critica
superiore a quclla che indipendentemente da lui costrtu piü fcardi il
Locke" (p. 12). Qui parmi che il nostro Autore esageri. L'Hobbes,
come il Cesca rnedesimo riconosce, ammettcndo l'obbiettivitä del
inoto non toglie di mezzo la distinzione tra qualita primarie e
secondarie; nel quäl caso avrebbe dovuto sostcnere che anche il
raovimento non e se non un fenomeno subbiettivo, quäle il colore
e l'odore. Ecco perche l'Hobbes „ammette un realismo, ma noD
pensa in nessun modo ne di conciliarlo col fenomenismo, ne di
giüstificare la sua ammissione". Di questa giustificazione l'Hobbes
non avea bisogno, perche il suo fenomenismo e parziale e non
totale, e non oltrepassa la sfera delle qualita sensibili, o delle
sensazioni, ne attinge quella dci corpi a cui erroneamente si
attribuiscono, o dei moti che le provocano. Del resto bisogna bene
intendersi su fenomenismo e fenomenismo. Anche i dommatici
piü risoluti possono bene ammettere, clie la cognizione sensibile,
fönte di errori e d'illusioni, non coglie Pessere come e: ma questo
non e un vero fenomenismo, poiche non esclude che per altra via
lo spirito umano possa cogliere quello che sfugge alla sensazione.
Ne solo Piatone argumenta cosi, che oltre al senso ammette la
räg'ione speculativa indipendente da esso, ma lo stesso Democrito
non dice diversamente, benche per lui come per l'Hobbes, Punica
fönte della cognizione non e se non il senso. Imperocche si puö
distinguere senso da senso, lo spontaneo e volgare dal piü raffi-
nato e controllato, e ciö che sfugge al primo non c'e ragione che
il secondo non lo colga. Comunque sia, certo e che Democrito
accanto al suo fenomenismo costruisce ün dommatismo mate-
rialistico, senza addarsi della contraddizione. II che vuol dire
che il suo fenomenismo non e di buona lega. E lo stesso si deve
dire'delP Hobbes, che risuscita l'antica dottrina materialistica. cd
ha una convinzione ben ferma sulla natura dello spirito. che mm
e altro se non un' attivitä, una iünzione diremmo oggi della ma-
teria. Ne mi convince quel che dice il nostro Autore dell' Hohles,
il quäle „non vuol dare una spicgazione ontologica delle cose come
La Storia della filosofia moderna in [talia. 1888 -91. 139
sono in 8e, ne dire che queste si riducono a materia e movimento,
ma soltanto cerca di coordinare i fatti della bostra esperienza e
di dare una teoria valida soltanto entro il campo dei aostri feno-
nu.,,r Q>. 16). L'Autore, che e cosi scrupoloso in citazioni, non
oe adduce neppure una per giustificare questa audace inter
pretazione.
I Baro i e R. Sabbadini. Studi sul Panormita e sui Valla
^Pubblicazioni de! R. [stituto di studi superiori). Firenze
Le Monnier 1891.
Lo studio sulle opere de] Valla e una tesi di laurea, presen-
tata nel 1873 dal rimpianto Barozzi, che L'anno dopo immatura-
mente mancö, portando seco nel sepolcro im tesoro di ben fpndate
sperauze. II Prof. Sabbadini, gia condiscepolo de] Barozzi, e
autore «li pregevoli scritti sugli (Jmanisti, si assunse la malagevole
impresa di curare l'edizione di un lavoro, eh*1 per quanto merito
avesse, era pur sempre vecchio di parecchi anni, e mal rispondente
allo stato attuale degli studi sul Risorgimento. A codesto incon-
veniente l'editore pensö di riparare in doppio modo, da un lato
col sopprimere le pai'ti piii difettose, sostituendovi un lavoro de]
tutto uuovo; dair altro coli' apporre alcune note per rettificare o
compiere il testo de] Barozzi, quando le nuove ricerche lo richiede-
vano. lo per parte mia sarei stato piü radicale. <• in luogo di ri-
produrre il testo errato, correggendolo in nota, lo avrei senz' altro
modificato, come avrebbe fatto l'Autore stosso, sc avesse potuto
tornare sul -u<< lavoro a tanti anni di distanza. E parecchi altri
luoghi oltre quelli uotati dal Sabbadini avrei corretti. Cosi ad
mpio aon avrei lasciato correre periodi quali i seguenti; p. 190:
..I.' »orie Aristoteliche . . . erano state ridotte a quattro dagli
Stoici (sostanza, essenza, maniera d'essere, maniera d'essere rela-
tivamente) e da IIa scuola teologica a due comprendenti le dieci
dello Stagirita"; p. 201: „Lo stoico ci dice che questo (il sommo
bene) e l'onesto, poiche la natura pose in noi i germi di molti
niali ecc.u; p. -l'.vi: „Nel secolo Will In scetticismo cominciö
di eccessi della critica, i quali provocarono la reazione della, scuola
teologica"; p. 249: „questo spirito pratico e concetto semplice che
140 Feiice Tocco,
avea della natura umana, che mostro nelle sue opere filosofiche,
domina eziandja m tutta questa dissertazioue „ecc. ecc. Dobbiamo
ricordare che il lavoro del Barozzi era opera affatto giovanile, e
l'Autorc stesso avrebbe riconosciuta la necessitä di limarlo piü e
|)iii volte prima di darlo alla luce.
In quanto alla dissertazioue del Sabbadini intitolata: Crono-
logia della vita del Panorrnita e del Valla, io profano in molta
parte a questi studi, non posso portare sicuro giudizio, ma parmi
che gitti nuova luce su punti assai oscuri, ed abbia il merito
di fondarsi sopra im materiale talvolta inedito. Mi basti citare ad
esempio le importanti lettere, giä indicate dal Barozzi, che Ambrogio
Traversari, Leonardo Aretino e Carlo Marsoppini scrissero al Valla
per ringraziarlo delF opera De vero bono. E notevole che TAretino
loda la forma, ma fa le sue riserve delle idee, delle quali non sa nem-
meno quali TAutore abbracci; poiehe i dialoghi sono scritti apposta
per nascondere i propri pensieri. Ed anche qui come neir Isago-
gicon Leonardo si da per Aristotelico sehietto. Citero ancora
la lunga lettera del Valla al Serra (creduta perduta dal Vahlen),
dove lo scrittore si difende dalle aecuse dei suoi nemici, e prin-
cipalmente contro chi lo rimprovera di aver combattuto Aristotele
esclama: Quid? Si hoc lieuit Theophrasto, quanto magis
aliis sectis liceat, quanto magis et mihi qui nulli seetae
me addixi? Molte altre lettere dovrei citare, se pur non tutte;
poiehe da tutte il Sabbadini sa trarre argomenti per fissare l'incerta
cronologia.
A queste ricerche cronologiche segue il lavoro espositivo del
Barozzi, dove e ben rilevato il carattere critico del celebre uma-
uista, clie piü di tutti seppe addentrarsi nel magistero della lingua
laiina, e della filologia si serve per mover guerra a lettcrati, a giu-
risti, a storici, a Iilosoii, che si credono gli eredi della sapienza
antica, mentre ne ignorano perfino il linguaggio. „II lato piü
caratteristico del Valla, scrive il Barozzi, era l'attitudine critica,
per la quäle i'u terribile ai suoi tempi...Per mezzo della filologia
sepp»' scliiudersi la via ad ardue quistioni risguardanti varie disci-
pline .... Egli volea provare che Iilosoii. grammatici, teologi c
giuristi cadevano in molti errori e versavano in grande ignoranza,
I. Storia della filosofia moderna in [talia. 1888- 91. III
perche oulla sapevano di latino (p. 166)". A questo lavorio critico
il Barozzi tien dietro. e De rfleva con molto acume la oovita e
l'arditezza, ma noo di rado si desidera maggiore pienezza di espo-
sizione. Cosi per dod escire dai libri filosofici, della riforma che
il Valla tenta della sillogistica dod si fa se dod questo coDfuso ed
errooeo coddo „Riguardo ;il sillogismo sostieoe che dei 19 modi
otto sodo comodi, cioe coDcludenti, e la c ilusione d'uD sillogismo
e oecessaria, possibile" (p. 190) Dell' opuscolo De libero arbitrio
e fatta im* aualisi iocompleta, <i foDdandosi sopra im solo passo si
attriboisce al Valla il merito di precorrere i determioisti moderni,
che l'opera dell' aomo derivano „dalla cooformazioDe de! suo or-
gauismo, dalla razza, dall' ambiente in cai si trova" (p. 219).
Tali vuoti il Barozzi avrebbe certamente riempiti, tornaDdo
sul bqo lavorOj al quäle avrebbe aggiuoto lo studio, che ora manea,
delle Adnotatiooes in uovum Testamentum. Ma difficilmeDte
avrebbe cambiato il suo giudizio sul trattato De vero bono „ove
nuii sa beue il lettore se debbasi ammirare la porteutosa erudizioue
filologica, la oovita della materia o l'ordioe de! peosiero" (|). 195).
Ed avrebbe forse sempre seguitato ad attribuirgli uu iütcndimenlu
aoticristiano; poiehe se vi si finge „di lasciar la vittoriä al Cristia-
oesimo, sebbeue con qualche concessioDe all' Epicureisoio, lo fa
per nna di (juelle precauzioni prudeuti, couformi al carattere dei
tempi". Eppure a me sembra, o io m'iugauDO, che qui il Barozzi
sia fuor di strada. Non v'ha dubbio che il Valla muova aspra
guerra alla tradiziooe religiosa, oe sappia perdoDarle di accettare a
occhi chiosi il testo delle scritture sacre, auche quando sia errato;
b di credere Dell' autoritä di tutti i documenti, auche se mani-
festamente apoerifi, cöme la douazioue di Costantino; e di fare
violeoza alle leggi di natura glorificaudo il celibato e la verginitä,
e mcitaodo gli Domini a segregai-si dal moodo. Ma tutto questo
dod e far guerra al Cristianesimo, si a quella trasformazioue che
subi per opera dell' ascetismo medievale. Se il Valla fosse stato
del tutto aoticristiaoo , avrebbe scritto in altro tono, De gliene
maoeava il modo, aoehe seuza compromettersi. iDvece il Barozzi
gli Diostra nna specie d'uggia coutro la filosofia
„perche voleva sig eggiare la religiooe, meDtre In sempre causa
142 Feiice Tocco,
di eresie" (p. 196). Curioso incredulo costui, che „insiste in pa-
recchie opere su questa idea" e park come tutti i mistici antichi e
moderni, che per amore della fede hanno in sospetto la filosofia!
Non diversamente nel De libero arbitrio il Barozzi stesso nota:
„Beuche si scagli contro gli Scolastici ed Aristotele (io avrei detto
invece: appunto perche si scaglia) contro il pseudo-razionalismo degli
scolastici, di cui nulla v'ha di piü superbo ed odioso, pur egli rac-
eomanda che si freni l'irrequietezza della mente umana. quasi tra-
ducendo quei versi dell" Allighieri: State contenti umana gente al
quia. Yolgesi dunque alla fede per conciliare queste sue dottrine
colla bonta di Dio, che e misericordioso, e tale essendo si dee nutrire
fiducia in lui, che vuole non la morte del peccatore, raa la sua con-
versione" (p. 219). Per quanto si attenui il valore di queste diehia-
razioni, non si puö ne si deve sconoscerue il significato, come fa
il Barozzi. quando poche righe piü su scrive: „Se i tempi l'irreti-
rono di nuovo nei lacci teologici, sieche intrica piü il nodo della
(juistione, e ciö da attribuir a circospezione piuttosto che a vero
intendimento".
Mancini Girolamo. Vita di Lorenzo Valla. Firenze Sansoni 1891.
E un libro di erudizione, ben meditato e meglio scritto, dove
TAutore sa mettere nella debita luce il principe dei critici del
Quattrocento. Ed accanto al Valla illustra altri minori, rieavandone
da manoscritti le opere a ben pochi note. Cosi del giurista Catone
Sacco espone succintamente il primo libro delle Origini (cod. Naz.
di Napoli V. B. 21 f°. 41), dove s'attacca direttamente Aristotele,
contrapponendo all' eternita del mondo da lui sognata, il prineipio
della creazione. secondo il quäle „le cose ebbero origine dal sommo
Artefice, e quando a lui piacerä, anderannö in dissoluzione". Di
Maffeo Vegi, „scrittore elegante in prosa, eccellente artefice di
versi", riporta un carme da lui diretto ai maestri di teologia
perche vietino „nelle chiese le orgie dette feste vesperie, solem-
nizzate con mascherate, spettri, schiamazzi, gozzoviglie, giuochi,
canzoni turpi ed atti da arrossire a ricordarli. Se non l'ascolte-
ranno, espellerä col flagello i sacerdoti dal tempio , si rechera a
Basilea. dove s'aduna il Concilio generale, per chiedere che sieno
La Storia della filosofia moderna in Itali.i. 1888—91. 1 1:'.
vietate profanazioni simili, e riuscendo vano il tentativo, abbando-
Dorä il sacro buoIo di Pavia e toraerä alla patria Ravenna" (Cod.
Laur. 55 XXXIV Fol. 79). Di Leonardo Aretino sa apprezzare
giustamente l'Isagogic aoralia philosophiae, dialogo che
,i,,n i'u certo „scritto per conciliare le dottrine pagane con le
cristiane; poiche a queste oon vi si accenna nemmeno da lontano,
I concetto cristiano che gli uomini devono praticare in terra la
virtä per conseguire il bene eterno oella vita tnondana noo si fa
minima allusiom ". ma ben piuttosto e indirizzato a conciliare le
diverse s< uöle (Uosofiche, delle quali cod buona pace del Mancini,
all' Aristotelica qod alla Stoica e »lata la preferenza.
Del dialogo de! Valla 1»»' voluptate ac de vero bono il
Mancini pote vedere l'antica edizione di Lovanio del 1483 c con-
frontarla cod quella «li Basilea del 1519.*) Le diflferenze tra i due
a stampa uoo sono rilevanti, e si riducouo tutte ai nomi
degl' interlocutori (Antonio Berneri. Antonio da Rokindido Docembri,
Giovanni Marchi, Matteo Vegio, Antonio d'Ambrogio Bossi, il
Guarino, Catone Sann, e Ginseppe Brissi secondo il testo di Lo-
vanio; Leonardo Aretino, il 1'oggio, il Loschi, il Rustici, lo Scri-
bani, Rinuccio, Antonio Arena, Niccolö Niccoli e il Panormita
indo i! testo di Basilea). Anche il luogo, ove si suppone tenuto
il dialogo, e differente; il portico Gregoriano di Pavia secondo l'uu
• il palazzo vaticano secondo l'altro. A parte qneste diffe-
renze, i due testi combaciano, il che fa sospettare che la primitiva
redazione, la quäle a confessione del Valla stesso era piu breve
della seconda, fosse una cosa affatto differente da loro3). Ke varia-
- I. rti ss Mancini nelT opuscolo recente, dove pubblica alcune letl
■ li Lorenzo Valla [Giornale Btorico della Lett. ital. vol. XXI p. 27) crede che
1 dialogo De vero bono Bia indiretta risposta al dialogo De felicitate di
rminato il 19 ottobre 1400 e stampato a Padova dal
1 1655.
*) II Sabbadini aella r< . che fece del libro del Mancini (Giornale
della letteratura italiana vol. XIX p. M)8) combatte questa ipotesi. Dia
_ oni del •• r it i<-< . furono vigorosamente oppugnate dal Mancini medesimo
iddetto vol. XXI p. 20). Certo e che la redazione primitiva
del diaJ dimidio brevior, •• frequentemente \i si ripeteva il n
Loscbi. V. poiche le due redazioni, che abbiamo ora, Bono di eguale
144 Feiice Toc co,
zioni maggiori hanno clovuto aver luogo nel secoudo libro, dove
il Panormita, traeudo all' estreme conseguenze le dottrine di Epi-
curo, condanna tutto quello che frappone ostacolo alla soddisfazione
degli umaui appetiti, e dello stesso arnor di patria fa strazio.
Probabilmente il Valla offri a Papa Eugenio VI la prima edizione
del suo dialogo, dove mancavano siffatte aniplificazioni, do-
vnte all' influsso del Panormita. in bocca al quäle non suonavan
male quelle sentenze cinicamente scandalose, ben degne dell' au-
tore delF Ermafrodito *). Certo e che questi concetti non esprimono
l'intimo pensiero del Valla: poiche egli comprendeva b'enissimo la
preferenza da darsi al bene morale sul materiale, ammirava l'abne-
gazione degli uomini ed i pericoli incontrati per il bene dei loro
simili, e delle molteplici forme di sacrifizio onorate dal rispetto
c dalla venerazione dei popoli, faceva grou conto a cominciare dalla
magnanimita del soldato pronto a perder la vita per la patria, per
linire alla virtü della propria madre Caterina, rimasta vedova per
educare i suoi figli (p. 55). Meno importante e l'altra opera del
A ;illa intitolata Dialecticarum disputationum libri tres. Vi
si mostra scontento delle teorie Aristoteliche, accettate concordemente
nelle scuole, e cerca di semplificare le categorie riducendole a tre
sole, sostanza, qualita, atto. Elimina il fuoco dagli elementi, ed
afferma che sopra di noi esiste il solo fuoco sidereo. „Nega che
Dio sia come lo concepi Aristotele motore immobile della natura,
lunghezza, e il nome del Loschi o non vi apparisce affatto, o e solo ricordato
per incidenza, ragion vuole che nessuua di esse sia la piü antica. L'indica-
zione data dal Valla stesso e cosi precisa, che mal potrebbe convertirsi in
una fräse uu pö esagerata come vuole il Sabbadini.
4) Di quest' ultima conghiettura io dubito assai; poiche secondo la lettera
de] Valla ad Eugenio IV (che e la prima delle 20 pubblicate dal Maneini
stesso nel citato scrittö p. 29) fu offerto al Papa non tutto il trattato 1'''
vero bono, ma il terzo libro solo: tertium dumtaxat De vero bono
libruin, partem operis non totum opus, ne forte longior lectio
plus afferat. inolestiae til)i quam voluptatis, quod ego minime
velim. C ö da scommettere che la vera ragione della mutilazione non sia
questa addotta dal Valla, ma invece l'altra, che per non mettere sotto gli
occhi del Papa il secondo libro, scandaloso pareccbio, si sopprime anche il
primo, contentandosi ili mandare il terzo soltanto, (luve e la descrizione del
Paradiso.
La Storia della filosofia moderna in Italia. 1888—91. 14.">
attaccato al delo neJ modo stesso che favoleggiano d'Issione avvinto
alla raota" (103). II Valla „era natu critico, quindi analizzatore,
mapossede limitate facoltä creative . .. fcrasportato della vivacitä
de! oarattere pecco di precipitazione, e come altri riformatori
distrusse, non sostitui cose nuove e migliori (109)". Neil' opuscolo
De libero arbitrio il Valla combatte Boezio, che nel libro V
De consolatione philosophiae pose beiie il quesito come s'ac-
cordi la liberta umana con la prescienza divina, ma lo risolve male
o almeno oscuramente. Secondo l'opuscolo la prescienza non
restringe il libero arbitrio; poiche Iddio col prevedere le buone e
le malvage azioui degli uomini. non li obbliga a risolversi iu im
modo o nelP altro. Presente alle deliberazioni loro, le inteode, ma
non vi prende parte. „Le dottrine svolte uel dialogo, conclude il
Mancini, distruggono dalle fondamenta l'accusa d'eresia. Per un
quattrocentista sono vero miracolo d'ortodossia". Le altre opere
de! Valla piü letterarie che filosofiche non e qui il luogo di esami-
nare. Faremo un eccezione per il trattato sulla donazione di Costan-
tino. che il Valla scrisse per rintuzzare le pretese della Curia Ko-
mana sul regno di Napoli. Altri prima del Valla aveano dubi-
tato della famosa donazione, e il Mancini avrebbe potuto risalire
sino alla lettera di im Arnaldista al Wezel, dove si parla della
donazione come di una favola da comari. Ma senza dubbio nessuno
primo del Valla avea saputo esporre tutte le ragioni storiche e
filologiche, che ora si adducono contro l'apocrifo documento. „Le
liere parole del Valla piü gravi, che non lo consentisse La rive-
reuza delle somme chiavi, come Topinione che il dominio
temporale sia un' usurpazione, ed il non possederlo segnalato beni-
iizio per la Chiesa, affinche i pontiüci esercitino con maggiore
liberta la sola autorita ecclesiastica , non alterano in Lorenzo le
convinzioni religiöse o diminuiscono la venerazione sempre pro-
fessata verso le dottrine cristiane". Citeremo infine le Collatio-
nes „lavoro coscienzioso , profonäo, quäle pochi quattrocentisti
avrebbero osato di tentare senza speranza di riescire egualmente.
Lorenzo, versatissimo nelle lingue greca e latina, abbastanza esperto
nell' ebraica, poteva francamente accingersi a correggere il testo
della Volgata, confrontandolo coli' originale greco, applicandovi i
Ar'tiiv f. Geschichte d. Philosophie. VII. 10
146 F- Tocco, La Storia della filosofia moderna in Italia.
criteri della filologia, per riescir meglio a giudicarne la proprietä ed
eleganza. Pose uello studio comparativo la maggior diligenza, per
il solito confrontava sei codici, tre latini e tre greci, e se li ravvi-
sava poco corretti ne consultava altri . . . Nei luoghi dubbiosi,
se i codici erano discordi, s'ajutava con esempi desunti dal Testa-
mente vecchio dai Padri e dai teologi, esaminava poi se quei testi
erano citati da S. Cipriano, da demente Alessandrino, dei SS. Ago-
stino, Girolamo ed Ambrogio, da Remigio, da Graziano, e da S.
Tommaso. Certamente avea la maggior familiaritä con questi
scrittori per citarli con tanta frequenza". „II trattato, conchiude
il Mancini, non contiene una parola di censura allo spirito della
Bibbia . . . esamina la lingua non il cuore, la forma non il
senso, le parole non le cose".
Archiv
Dir
Geschichte der Philosophie.
VII. Band 2. Heft.
III.
Zur orphischeu Kosmologie.
Von
Ferdinand Dünunler in Itasei.
Die Frage nach dem Alter der orphischen Theogonieen, welche
für die Geschichte der griechischen Philosophie von grundlegender
Wichtigkeil ist, isl durch Otto Kerns Untersuchungen jedenfalls
von neuem in Fluss gekommen, wenn auch der Zeitpunkt der
Eünigang auch nur der competenten Beurtheiler noch fern sein
mag. Während noch in der neuesten Auflage seines klassischen
Werkes Zeller für hellenistischen Ursprung der sog. rhapsodischen
Theogonie eintritt, hat Kern neuerdings in Gomperz einen Bundes-
genossen erhalten, welcher in seinen griechischen Denkern S. 74 ff.
mit beachtenswerthen Gründen für das Alter jener Theogonie ein-
tritt. Amli der Hinweis von Gomperz auf wahrscheinliche orien-
talische Einflüsse, durch welche jene theogonische Spekulation be-
frachtet worden >'•!. i-t durchaus beachtenswerth und geeignet.
manches auffällige, das zu späterer Datirung verleiten könnte, na-
turgemäss zu erklären. Nur die eigentlich klassische Zeit dv> V.
und IV. Jahrhunderts zeigt bewusste nationale Abgeschlossenheit,
während die Jugendzeil des griechischen Volkes ebenso wie die
hellenistische durch i><_r''n Cultur- and Gedankenaustausch mit dem
Orient ausgezeichnel ist.
VII. 11
148 Ferdinand Dümmler,
Es liegt mir fern, mich gegenwärtig an der principiellen Er-
örterung der Streitfrage zu betheiligen; nur auf einen nicht zu
vernachlässigenden Seitenweg möchte ich von neuem die Aufmerk-
samkeit lenken. Diesen Weg, die Verfolgung der Anklänge an
das orphische Gedicht, hat Kern, wie mir scheint, mit Erfolg ein-
geschlagen in seinem Aufsatz Empedokles und die Orphiker, Ar-
chiv I S. 498 ff., freilich ohne den Beifall Zellers zu finden. Kern
folgt hier der Anregung von Diels, welcher in Kerns Schrift de
theogoniis p. 52 darauf hinweist, dass in Parmenides Prooemium
V. 14 dem orphischen Verse fg. 125 Abel nachgebildet ist, ein
Hinweis der nicht genügend beachtet ist. Das Verhältniss der Nach-
ahmung umzukehren dürfte wenigstens in diesem Falle schwer sein.
Mir sind auch von den Empedokleischen Anklängen Kerns
einige überzeugend und scheint der Einwand, dass dann das or-
phische Gedicht dem Empedokles seine vier Elemente vorweg-
genommen habe, nicht unüberwindlich. Dass diese vier Elemente
keine bahnbrechende Hypothese waren, sondern eine einfache Sum-
mirung der einzelnen vpyou der Monisten, ist ja wol allgemein zu-
gestanden, und da der orphische Theologe auch nicht Monist war,
so lag dieser Schritt für ihn schon ausserordentlich nahe, ebenso
begreiflich ist es, dass Aristoteles den mythischen Sophisten igno-
rirte und so kam Empedokles zu der ganz unverdienten Würde
eines Vaters der Chemie. ')
Wenn ich nicht irre, bietet eben jenes orphische Fragment,
in welchem die Elemente vorkommen (123), noch anderweitige
Kriterien unzweifelhafter Altertümlichkeit. Mit prophetischem
Schwünge wird geschildert, wie Zeus nach Verschlingung des Pha-
nes wieder alles in sich vereinigt. Der Dichter begnügt sich aber
nicht, dies zu versichern und verschiedentlieh zu umschreiben, son-
dern er sucht es auch anschaulich zu machen, wie sich alle Theile
der sichtbaren Welt dem Zeus unterordnen. Dies wird im einzel-
nen ausgeführt S. 13 ff.: „Als sein Haupt und schönes Antlitz ist
der strahlende Himmel zu sehn, welchen die goldnen wundervollen
Haare der funkelnden Sterne rings umflattern, und zwei Stierhörner,
') Vgl. Kern Archiv I S. 502.
Zur orphischen Kosmologie. 1 19
Aufgang and Niedergang, sind auf beiden Seiten, Wege der himm-
lischen Götter, Augen aber sind die Sonne und der glänzende Mond
und das untrügliche Ohr des Königs isi der unvergängliche Aether,
durch welch. Mi er alles hört und weiss so ist sein unsterb-
liches Haupt und seine sinne beschaffen. Sein Körper aber
ist aui folgende Weise gefügt: Schultern und Brust und breitei
Rücken des Gottes isi die gewaltige Luft und Flügel sind ihm
darausgewachsen, mit welchen er überallhin fliegt, und ein heiliger
Leib wurde ihm die Allmutter Erde und die steilen Häupter der
Berge und mittelster Gürtel die Fluth des tieftönenden Meeres und
des Pontes, und unterster Stand das. wo die Wurzeln der Erde
und der dunkle Tartarus und die äussersten Enden der Erde. Nach-
dem er das alles verborgen hat, wird er es zum erfreulichen Lichte
wieder aus seinem Haupte hervorbringen in göttlichem Thun."
Dies die Beschreibung eines Weltzustandes, der offenbar nicht
der jetzi herrschende ist, sondern eines concentrirtcren einheit-
licheren, in welchem Zeus allein existirt. Dieser Zustand würde
etwa der Anaximandrischen Rückkehr ins aursipov, dem Herakliti-
schen Weltbrande oder dem Empedokleischen Sphairos entsprechen.
Aber der theologische Dichter ist conservativer als jene Denker,
behält den alten mensehenuestaltigen Zeus bei und macht die
Theile der sichtbaren Welt in phantastischer Weise zu seinen Glie-
dern umgekehrt wie tue Edda aus den Gliedern des toten Riesen
die AVeit entstehn las
Leider besitzen wir nicht die entsprechende Schilderung des
andern Weltzustandes, in welchem die AVeit wieder aus dem Gott
heraustritt, jedenfalls liess der Dichter den Vorgang sich nicht
udig wiederholen, sondern erzählte wie Eesiod eine einmalige
Theogonie, aber dir innere Verwandtschaft mit den philosophischen
Theorieen vom wechselnden Weltzustande liegt auf der Hand. Mir
wäre nun schon gewissermassen aus stilistischen Gründen diese
phantastische Conception zwischen Anaximander und Empedokles
^reiflich, in hellenistischer Zeil durchaus nicht. Allerdings ist
eine gewisse Verwandtschaft mit dem stoischen Pantheismus nicht
zu verkennen, aber daraus folgt noch nicht, dass dieser das Vorbild
ist, Bondern rie erklärt -ich daraus zur Genüge, dass da- Vorbild
11*
150 Ferdinand Dümmler,
der stoischen Naturphilosophie, das Buch Heraklits, in zeitlicher
Nähe und zum Theil in Opposition zu unsrer theologischen Spe-
culation entstanden ist. Der stoische Gott ist bekanntlich sine
capite sine praeputio. Das orphische Fragment gehört also in die
Entstehungszeit des philosophischen Pantheismus, der sich bei den
Milesiern vorbereitet und bei Heraklit vollzieht, es bildet eine Art
Reaction gegen diese Denkweise, oder besser einen Comprom iss-
versuch zwischen dem ionischen Hylozoismus und der Volksreligiou,
die Heraklit so bitter zu schmähen pflegte.
Nun richten sich allerdings Heraklits Angriffe grossentheils
gegen den wirklich geübten Cultus und die populären Vorstellun-
gen von den Göttern, und ebenso beschäftigt sich Xenophanes in
den erhaltenen Versen vornehmlich mit den Propheten des Volkes
Homer und Hesiod; aber wenigstens ein Fragment, das man längst
mit Recht dem Xenophanes zugetheilt hat, scheint mir deutlich
Bekanntschaft mit unsern orphischen Versen zu verratheu. Es ist
das zweite bei Karsten:
ouXoc opa ouX.05 6s vosT ouXoc os x' dxoust.
Der orphische Zeus sah mit Sonne und Mond, hörte und dachte
mit dem Aether, in seinem Haupte allein sassen Sinne und Ge-
danken, sein Bewegungsvermögen war in der Luftschicht localisirt.
alles was darunter war, war schwere tote Materie. Gegen diese
Ansicht richtet sich der Xenophanische Vers, sein Gott ist der
runde Kosmos ohne menschliche Glieder, überall gleich göttlich,
aber wie es Reformatoren zu ergehen pflegt, er bleibt auch noch
zum Theil in den Banden seines Vorgängers befangen, indem er
diesem unpersönlichen Gotte menschliche Sinne, nur ohne die dazu
gehörigen Organe lässt. Das nachdrücklich anaphorische ou/.oc drängt
von selbst den Gedanken an eine Polemik auf, hier kann aber der
Gegner nicht der Volksglaube sein, denn eine so abenteuerliche
Vorstellung, dass der v.6a\if^ mit bestimmten Theilen sehe, mit
andern höre, fand sich wol nirgends als in unserm orphischen
Gedicht. 2)
2) Dass in andrer Beziehung X. den Orphikern manches verdankt, wie
Freudeiithal Die Theologie des X. nachzuweisen sucht, soll damit nicht ge-
leugnet werden.
Zur orphischen Kosmologie. 151
In der Polemik gegen den anthropomorphen Kosmos schl
sich nun auch Empedokles an Kenophanes an, wie überhaupt das
Xenophanische fv in seinem Sphairos wieder auflebt. Ohne die
orphischen Verse werden die Verse 344ff. (Stein) weit weniger
verständlich:
oö u3v ;-)/> ßpote^ v.zyj.):^ y.777. pta xsxaaxai,
oö osv 7.-at vuYcoio 860 xXaSot aiffCfovToct,
OÖ IC08e< OÖ iK'}. '//JV . O'J [A7]8sa Ä7./V/;3VT7.
7././.7 9pi]V 130t; xat dösacpatos sirXeto [jlouvov,
ppovti?, xoafiov awma xaxataoouc« oVflötv3)
Er vermeidet den Fehler des Xenophanes, seinem Gotte Sinne zu-
zuschreiben. Er ist eine Eep)] yprjv und nicht mit Flügeln, sondern
mit schnellen Gedanken durcheilt er die ganze AVeit. Mag Em-
pedokles die Verse auch von einem bestimmten hellenischen Gotte,
dem Apollon wird überliefert — gesagt haben, so liegt darin
doch eine radicale Verwerfung, nicht nur der anthropopatbischen,
Mindern auch der polytheistischen Vorstellungen. E. kann etwa
a sagl haben Apollon Isl nicht, wie ihr ihn euch vorstellt, sondern
ist die Welt in ihrer vollkommensten Form, der Sphairos oder die
Weltvernunft und dasselbe würde er wol von jedem Volksgotte
gl halten, wofern er ihn nicht zum \)th; SoXt^aituv, d. h. zum
Dämon degradirte4). Dass die Verse dem Kosmos oder vielmehr
seiner Vernunft galten, verbürgt schon ihre Xenophanische Fär-
bung. Im Sphairos ist diese Vernunft jedenfalls mit der OiXöt^s
identisch, welche ganz in ihm enthalten ist, deshalb kann Empe-
dokles vom Sphairos sowol monotheistisch in der Art des Xeno-
phanes wie pantheistisch in der Art des Heraklit sprechen'), aber
auch nur vom Sphairos. denn die ihn beseelende OiX6t7js ist ja
■/»y/.zri^ sie wird periodisch allmählich durch d^n Hass ausgetrie-
*) Auch vnii Kern a. a. 0. S. 504 werden diese Verse mit den orphischen
in Verbindung gebracht , doch scheint er die beträchtlichen Unterschiede zu
überseht
4) E. kann aber auch ebenso, wie er den Elementen Götternamen gab,
Sphairos wegen der in ihm herrschenden Harmonie Apollon genannt
v ;; der Heraklitischen Weltvernunfl ist xaxetfaoeiv entlehnt.
1 Y_> .i Dämmler,
1.,-n. Verführerisch ist es den von der Liebe geeinigten and sie
umfassenden Sphairos in Parallele zu setzen mit dem Orphischen
Zeus, der den Phanes verschlungen bat.
\\ ir sind hier leider auf Combinationen angewiesen, aber ich
glaube auch dazu verpflichtet Dass die Empedokleische Theologie
so zusammenhangslos war. wie Zeller I S. 813 ff. Bie darstellt,
glaube ich nicht. Freilich isl das System des E. ein buntschillern-
des und überall ist die Benutzung der Vorgänger sichtbar, aber
die Vorarbeitung des entlehnten isl nicht unselbständiger al> bei
Anaxagoras. Es isl ein ganz allmähliches Fortschreiten in der
Entmenschlichung und Entstofflichung des Gottesbegriffes zu beob-
achten. Die Entmenschlichung ist bei Heraklit bereits vollzogen,
die Entstofflichung hal einen weiteren Weg. Der orphische Zeus
suchl uoch Menschlichkeil und Stofflichkeil im höchsten Grade zu
vereinigen. Xenophanes nimmt ihm alles Menschliche ausser den
Sinnen, Empedokles auch diese, sein Goti isl eine lepy\ tpp^v, die
aber in der vollkommensten Weltperiode in schwer auszudenken-
der Weise mit dem Stoffgemenge verbunden isl und nur in der
schlechtesten Periode ihm ganz isolirl gegenübersteht . endlich
Anaxagoras macht den vom Stoff getrennten vou? zum Weltordner,
aber auch nicht ohne Unklarheiten zu vermeiden. Dass der •
den Dingen beigemischl sei. eri rt an die Empedokleische OiXottjc,
seine ganze weltordnende Thätigkeil an den orphischen Demiurgen.
Es isl eine Entwicklung, die zum guten Thei] eine Verwitterung
ist, eine fortschreitende Abstraction. Der Schritt, den auf diesem
Wege Anaxagoras gethan hat, wurde von Piaton und Aristoteles
überschätzt und wird es vielfach uoch.
Da nun aber spiritualistische Weltanschauungen trotz Piaton
und Aristoteles dem griechischen Geiste eigentlich fremd waren.
wurde in der Stoa, die in der Theologie entschieden die Führer-
rolle übernahm, der göttliche vous wieder immanent und aufrich-
materiell. Man kehrte zum vernünftigen Weltfeuer Heraklits
zurück. Daneben war aber für eine grotesk phantastische, anthro-
pomorph-pantheistische Conception wie den Orphischen Zeus kein
Platz; die antlu-mimi-plicn Vorstellungen waren in der Philosophie
seit Xenophanes abgethan; wenn unsere Verse nicht vorxenopha-
Ferdinand Dämmler, Zur orphischen Kosmologie. 153
oisch sein könnten, so miisste man, um ihre Entstehung zu be-
greifen in eine weil spätere Zeil hinabsteigen, als die Deberliefe
rang und die Form zulassen.
Es scheint mir somil festgestellt, dass der interessante Ver-
such zwischen Pantheismus and Volksglauben zu vermitteln späte-
stens ins VI. Jahrhundert fällt, und jedenfalls gehören die Verse
der rhapsodischen Theogonie an.
Den letzten Nachklang des orphischen Weltzeus glaube ich in
Piatons Kratylos, in der allegorischen Deutung des Namens und
der Gestalt des Gottes Tan (= x6 rcav)6) zu finden. Aber sc)
der, welcher hier parodirt wird, nach meiner Ansicht Antisthenes,
macht keinen Versuch mehr zwischen Pantheismus und anthropo-
morphem Volksglauben zu vermitteln, sondern sucht letzteren als
tiefsinnige pantheistische Allegorie zu retten. Allegorie und Volks-
glaube gehen dann in bunter Mischung in dem II. orphischen
Hymnus durcheinander. Dieser Tan ist zugleich das Weltall und
der Spielgenosse der Nymphen.
6) Vgl. meine Ä.kademika S. 133.
IV.
lieber Deinokrits Däuionenglauben.
Von
H. Diels in Berlin.
Das Gebiet der griechischen Philosophie ist von dem frucht-
baren Regen, den uns die wunderbaren Papyrusfunde der letzten
Jahre gebracht haben, nur wenig berührt worden. Doch hat
der Londoner medicinische Papyrus 137, der soeben im dritten
Bande des akademischen Supplementum Aristotelicum veröffentlicht
worden ist, sowohl für die spätere Zeit (Stratons Physik) wie für
die Vorsokratik (Hippon, Philolaos und besonders für einige mit
Diogenes von Apollonia zusammenhängende Schriften des Hippo-
kratischen Corpus) neues Material und damit auch besseres Ver-
ständnis des Bekannten gebracht. J) Bis uns daher Aegypten ein-
mal ein Buch Demokrits oder einen Dialog des Aristoteles schenkt
(beides liegt nicht ausserhalb des Bereiches der Möglichkeit), gilt
es die vorhandene Litteratur bis auf das letzte Stäubchen auszu-
klopfen. Und da findet sich an verstecktem Orte wol hier und
da noch eine übersehene Kleinigkeit.
Freilich das neue Parmenidesfragment, das Hr. P. Couvreur in
der Revue de philologie 1893 S. 108 aus Proklos in Cratylum p. 36
') Da ich hierüber an leicht zugänglichen Orten gehandelt habe (Sitzungs-
ber. d. Beil. Akademie 1893 S. 101 — 127: lieber das physikalische System des
Straten und Hermes XXVIII 407 — 434: lieber die Excerpte von Menons Iatrika
in dem Londoner Papyrus 137), so verzichte ich darauf diese Dinge hier zu
wiederholen. Doch bitte ich in dem Hermesaufsatz S. 420 in dem Fragmente
aus Hippon auf Grund neuer Lesung Z. 29 ff. zu verbessern oti ywpis uypoTTjTos.
dvaXdytus 07) ia 7^Xfj.axa dvata&rjTa, oti xxX.
üeber Demokrits Dämonenglauben. 155
Boiss. hervorgezogen hat, ist weder neu noch von Pannenides. Es
heisst da: e<JTi S' oü Ttav xo ösa>v \ivoc ovojiast&v ' 6 jasv fip iir&tsiva
xu)v SXeav, oti appijros, xott 6 llap|i.evi§i]g f^as &{ii|j.vij<jev ' „oute 77.0
övofiata otötou, ynjoiv, oute ko^os lorlv ouSefe". Die \ rerstechnik des
Parmenides geniesst bereits im Altertum keinen besonderen Ruf
und wir dürfen nicht allzuviel erwarten. Aber einen so schlechten
Vers, wie den von Hrn. Couvreur gebauten:
„ooxe 77.0 o'jvoaotT' oüt' aötoö y5 isttv Xoyos oöSets"
wird Niemand dem alten Eleaten zutrauen. Und der Inhalt? ..//
convient fort bim ä Vidde que Parmenide se faisait de VEtre su-
preme", wird versichert. Ich behaupte das Gegenteil. Parmenides
kann wol sagen: Die Gottheit ist nicht mit Worten zu fassen, aber
auch nicht mit dem Xoyoc? Dann wäre Parmenides mit raschem
Schritte zum Nihilismus des Gorgias oder wenigstens zum Scepti-
cismus des Protagoras fortgeschritten. Daher hat denn auch schon
Karsten in seiner Fragmentsammlung des Parmenides S. 209 das
angebliche Fragment des Proklos als Misverständniss des Neupia-
tonikers zurückgewiesen. Es ist auffallend, dass diese bis jetzt
allein brauchbare Sammlung Hrn. Couvreur unbekannt geblieben
zu sein scheint.
I ebrigens erledigt sich die Sache noch einfacher als Karsten
annahm, indem Proklos, wie Zeller mich erinnert, gar nicht den
Eleaten, sondern den Parmenides des Piaton meint, wo es p. 142 A
vom zv heisst : oöS' apa ovojxa eotiv aötiu oö8s /.oyoc kxK.
Dagegen liefert ein anderer christlicher Neuplatoniker, der wol
dem sechsten Jahrhunderte angehören dürfte, der anonyme Ver-
fasser des Dialoges Hermippos ein neues und, wie ich glaube, ech-
tes Demokritfragment. -') Da Blochs Ausgabe (Hauniae 1830) sich
nur in wenigen Händen befinden dürfte und der auch sonst inter-
essante Schriftsteller3) fast ganz unbekannt ist, so setze ich den
betreffenden Abschnitt I c. 16 S. 22—24 zur Charakteristik her.
2) Ich verdanke den Hinweis darauf meinem Freunde Professor Frau/.
Cumont in Gent, dessen Gelehrsamkeit meiner Fragmentsammlung schon man-
chen wertvollen Beitrag aus entlegner Litteratur beigesteuert hat,
3) Z. B. der Anfang des zweiten Buches, den J. G. Schneider wegen der
dort gegebenen Unterscheidung des männlichen und weiblichen Geschlechtes
156 H. Diels,
Kai &<nrep ö vornjö; xtSöpios xöv ateöijxdv TOpir/mv TiXigpÖi auxöv (Jyxiöv tat;
-otxt'Xai; xal 7ravxofj.dp<pots PAcac- &? 54 xal ö 5jXios iv t<Ij x(fopwp jrdvxa nepisywv
öyxoi 7ravT<üv ras ysvdaet? xai fa^upOTroteT, xaptö'vTojv xs xai puEvxtov dTroS^ye-rat
rds auaxaaets. xal yopot xtvcuv OstoxE'pujv olptat ouva'jj.Eiuv EaxäJxE; nepl aüxöv £<po-
po)Gt xä T(üv ävHpd'jTccov, axpaxia xivt iotxdxES. exEpoi oe aü ü~ö -rot; xtöv daxEptov
7rXtv!h'oa; rexaypivot, ixdaxtp xoüxwv tadpiöpiot bmrjpETOÖai xd rrpöcroopa. xal pisxä
xoütous Ixipa -t; S6vap,i? Seoxepa xal bcpeipt^vT) xal ofov xrjv cp'iatv [mxxtj. bjtoxdxu)
OE X06XU)V E^ETtEGSV 6 XtÜV ivaspt'lOV 7TVEU{ACtX(UV Elp.0?. TToXXol OE O'JXOt xal 7iaVX0-
Sarcol xal 7coix£Xot, o'tv orj öatp.ovs? xsxXnjvxai epiaiv e/ovxsc xyjv ivEpyEtccv. oöxoi xtjv
S-Tjpäv xal bypdv -/.ai ivae'piov Äv^tv otaÄayovTc? xux&oiv aöxijv -/.cd xapdxxouoiv.
ixdaxoi» oe Ttöv im yrjs 7rpaypLdxa>v dfp/Eiv Ja^uptCdfAEvoi xal äyeiv, of ßo6Xoivxo,
jcotxi'Xous 9op6ßoos xal xapa^ds ev te toXegi xal I&veaiv ÖXot? xal töt'a Exdaxip
xuiv äv9pu)7T(ov EpydCovxat, xal Siä ;j.ev xö öXri; [aexe/eiv üAata 7tve6piaxa auxoi>s
<5vofidCouai, otd oe xö cpafvsaiku TuoXXdxis xai cptovrjv dcpisvat EtStuXa. xal oöxds
saxtv 6 EiiiyEto; ofxetos xo'tioc auxotc, dpwptxvscp^s xe xal xdpxapos 4) xal rcäv xotoüxov
xaXoifievos. ei oe xi« xai aixd jtoo xtjs yrjc x6 jieaafxaxov d>e Cocptoosoxaxov dvsla&ai
xotixot? tpVjöEi, oi>x otTro oo;ei xoü uxoiTOÜ ßdXXsty. 5tä xoüxo xaXöis %tv i}etoi xal
Upol dvSpEg i&ESTTiaav iiraXXdxxsiv xä xöv drat)(op^va>v övo'piaxa, o~io; xsXwvouv-
xas aüxoü? xaxd xöv ivaiptov xottov Xav^dvEtv ££fl xal ötsp-/£CJi}at. dTtaxrjXol ydp
övxe; xal ßdaxavoi lir-npsdCstv xal xaxä»s ttoieiv Trspt TrXsfoxou TceTrofyvxai, xal Äav-
&dvouatv £'!) oxe xal aüxol a7rax(i)piEVOt. xö (jlevxoi xoü A rj [a o x p t x o u (oü) ■') xaXü>;
äv E^ot TOxpaXiTTEiv, ö?EtO(uXa aüxoü? <5vop;dC<ov(i.saxdv xe e?v«i xöv dspa
to6x(ov cprjat, xal vsupot? xat [aueXo!; iyxa97][AEVous dveyei'petv xal
äva-Xdxx£tv xä? fyuyoK; Tjp.wv Et? aüxou? ötd xe cp A e ß ä> v xat dpxT)-
ptdiv xal auxoü xoü EyxscpdÄou xat fAE/pt xwv auXcty^viuv öt^xovxa;-
TTjv äpy/jv xe sxasxov yEVo'fAsvov xal '^u/to&Evxa TiapaXapißdvstv xou?
xax"1 IxeTvo xfjs y£vi<j£cos ÜTTTjpixas, xävxsü&sv xrjv Itt^eiov xaüxrjv
ötotxrjatv öt' öpya'viov xüiv rj[A£XEp(juv atufxdxtov ötotxEtv.
Aus der Fassung des ganzen Stückes ergiebt sich von selbst,
dass man hier kein wörtliches Citat vor sich hat,6) aber die ma-
terialistische Anschauung, die so stark von der des Verfassers selbst
abweicht, ist doch treu bewahrt und das vsupois xal fiusXot^ ipca-
Ö7j[iivou? avs-fetpsiv xat avaTiXatrsiv xa? fyuya; Yjpv eis auxouc oia xs
cpXeßÄv xal. apx7]piwv xal auxou xou i-yxeipdXou xal p-s^pt xaiv stiXgc^vcdv
der Pflanzen aus Laur. 86,28 edirt hatte, enthält auch eine merkwürdige (teil-
weise auf Deraokrit zurückgehende) Kosmogonie, welche mit Recht die Auf-
merksamkeit Eduard Nordens auf sich gezogen hat (Beiträge z. Gesch. d. gr.
Phil. (J. f. cl. Phil. XIX Suppl. B) S. 423.
4) So, wie Fabricius conjicirt, hat der Laur. 86,28 S. XV, dessen Colla-
tion ich Freund Vitelli verdanke: xdpaxxo; (woraus Bloch xa'pajros) der Vatic.
5) oü fügte Fabricius zu.
6) Mit i)7irjplxas am Schlüsse vergl. c. 5 p. 7.
üeber Demokrits Dämonenglauben. I.'iT
StTQxovta? erinnerl stark an das iyxaTaßucfcfoucföat ta EiStoXot 8to täv
rcoptov 3tc T7. 5u)[jLaxot, wie Demokril sieb nach Plutarch Quaest.
conv. VIII L0,2 über die traumerzeugenden Bilder geäussert hatte.
Wir erhalten also mil dem neuen Fragmente eine genauere Aus-
führung zu dem locus classicus über Demokrits Dämonenlehre bei
Sextus adv. Math. I\ 19 [Zeller I5 937 ']: A^öxpitos Ei&iuXd nva
^vjcjiv ifiirsXaCeiv ~r>U av&p<uirois xat toutcuv ~A fisv Etvai aYaftoicoia,
ta 02 xaxoitoia. evdev xai ep^exc« suXo'y^wv ') ru^siv ei3o>Xü>v. eTvcu os
rauta fis^aXa ts xat O—ou^ü)/; xai Buccp&ocpta p.sv, oöx acp&apxa 8s,
rcpoarj}xatvEiv xs tot p.eXAovTa tois avfrptoTroi?, &sa>pou[ieva xcxl epouva?
iftptsvTa.
Demokrit, der über alles nachgedacht, dem nichts mensch-
liches fremd geblieben, hat. wie es scheint, der Nachtseite der
menschlichen Natur eine bei seinem Rationalismus auffallende Vor-
liebe zugewandt. Ernst Maass hat in der Anzeige von Heegers
Dissertation De Theophrasti q. f. üspi S7]{aeiu)v libro in den (lött.
gel. An/. L893, 624 den wenigstens in der Hauptsache, wie mir
scheint, gelungenen Beweis geliefert, dass die unter Theophrasts
Namen gehenden 2-np.sTa und Arat auf ein ausführliches Wetter-
buch Demokrits zurückgehen. Der grosse Ruf, den diese Bücher dem
al identischen Philosophen in weitesten Kreisen verschafften, erklärt
die Unmasse von Fälschungen, die auf diesem Gebiete der Litteratur
von Bolos an bis auf die traurigen Verfertiger der Goldmacherkunst
sich an Demokrits Namen angehängt haben. Aber es wäre voreilig
nun deswegen alles derartige Schrifttum für apokryph zu erklären.
Ein Stamm muss jedenfalls echt gewesen sein, aus dem das Spätere
sich entfaltete Mau' in diesen Schriften ein noch so krasser Aber-
glaube geherrscht haben, einzelne Beispiele, wie das, was über
seine Theorie der Träume und der Opferschau (Cic. Div. I 57, 131.
II 13, 30) bekannt ist, zeigen, dass er auch in dem sinnlosen Wüste
i\i'<. Volksglaubens das Walten seiner Naturgesetze nachzuweisen
bemüht, dass er auch als Mystiker Rationalist geblieben ist.
7) Diese Lesart steht auch durch die Analogie des Epithetons ot'Xoy/o;
fest, womit Kratinos in den Bparrai Fr. SO die thrakische (!) Bendis bezeich-
net hatte. Vgl. Ko.k Com. Att. I 37. III 711.
V.
Patristische Herakleitos- Spuren.
Von
Dr. Johannes Dräseke in Wandsbeck.
Keines alten Philosophen Lehre und schriftstellerische Hinter-
lassenschaft ist seit Sokrates' Tagen so oft der Dunkelheit geziehen,
keine weniger verstanden , keine schiefer beurteilt und in ihrem
innersten Kern und Wesen mehr verkannt worden als die des
Herakleitos. Erst den scharfsinnigsten Denkern unserer Zeit,
wie Schleiermacher, Bernays, Lassalle, Zeller u. a., war
es beschieden, je länger je tiefer in die oft so widerspruchsvoll
erscheinende Gedankenwelt des Ephesiers einzudringen und dieselbe,
wenn auch in Einzelheiten vielfach von einander abweichend, zur
Darstellung zu bringen. Grössere Uebereinstimmung in den An-
sichten der Forscher über die Philosophie des Herakleitos hat sich
aber erst anzubahnen begonnen, seitdem es Schuster und beson-
ders By water gelang, die weit versprengten Bruchstücke der
Schrift desselben zu sammeln und zu ordnen. Einen überraschend
tiefen und glücklichen Blick in den Gedankenzusammenhang der
letzteren hat, soviel ich sehe, in jüngster Zeit auf Grund der ge-
nannten Leistungen A. Patin gethan. Ihm verdanken wir „Quel-
lenstudien zu Heraklit" (Würzburg 1881), in denen er den zwin-
genden Nachweis erbrachte, dass die fälschlich des Hippokrates
Namen tragende Schrift irspl TpowYJs, besonders aber die rcepl
oigutt]? durchaus von Herakleitos' irspi cpoosio? abhängig ist. Noch
wichtiger und bedeutender aber ist seine Schrift „Heraklits Einheits-
lehre, die Grundlage seines Systems und der Anfang seines Buches"
l'at i ist ische Uerakleitos-Spuren. 159
•
(München 1885). In ihr gewährt er uns einen vortrefflichen Ein-
blick in Herakleitos' Grundgedanken and legt mich Beseitigung
aller [rrtümer und verkehrten Anschauungen der Früheren zum
ersten Male den last lückenlos wiedergewonnenen Anfang seines
berühmten Buches vor (S. 92). Der Beweiskraft der scharfsinni-
gen, tief eindringenden Erörterungen dieser Schrifi Patin's sich zu
entziehen, dürfte recht schwer sein, ja ein etwaiger Versuch, die
tn'iniinerhafte Ueberlieferuug anders und hesser als er zu erklären,
erscheint mir fast völlig aussichtslos. Thatsache ist, dass die Schrift
und ihre Ergebnisse bisher nicht widerlegt, ja leider sogar vielfach
noch gar nicht einmal beachtet worden sind. Gefördert und be-
festig! hat Patin die wissenschaftlichen Ergehnisse beider genann-
ten Schriften durch eine dritte: „Heraklitische Beispiele. 1. Hälfte"
(Neuburg a. I). 1892). Er kehrt hier, wie er schon am Schluss
seiner Erstlingsschrifl andeutet, zu der grossen Beispielsammlung
des Hippokratikers zurück, von der sich einzelne Teile auch bei
Philo u finden. Dort hatte er die Möglichkeit der endgültigen
Beurteilung jenes Beispiel -Abschnitts erwiesen, „weil die Einheit
desselben und die Idee, auf der diese beruht, Heraklits unbestrit-
tenes Eigentum, weil die Benutzung einer Vorlage und diese selbsi
so gewiss ist. dass es ganz gleichgiltig und für den Charakter des
ganzen Abschnitts völlig belanglos ist, ob sich eine als solche er-
kennbare Abweichung als Eigentum des Kompilators oder als an-
derweitige Reminiscenz oder gar als Anlehen bei einem anderen
Philosophen herausstellt" (Herakl. Beisp. S. 18). Hier erhebt er
in sehr sorgfältigem Nachweise die aus mehreren Gründen sich
aufdrängende Vermutung, dass der Diätetiker seinen aus Hera-
kleitos' Schrift begonnenen Auszug getreulich bis zu Ende durchge-
führt hat, zur unanfechtbaren Gewissheit und verschafft uns die
frohe Ueberzeugung, „dass wir in diesen Beispielen die Kette hera-
klitischer Gesetze nach ihrem äusserlichen Bestände geschlossen
und vollständig vor uns haben, mögen noch so viele Glieder schwer
geschädigt, verstümmelt und verschrumpft vorliegen" (a. a.O. S.104,
Anm. 140).
Einen weiteren, bedeutungsvollen Fortschritt, wenn auch nicht
in der Erklärung und Aufhellung der Philosophie des Herakleitos,
IßQ Johannes Dräseke,
•
so doch in der Frage des Nachweises, in welcher Weise seine
Schrift mit ihren tiefsinnigen Gedanken und packenden Beispielen
fortgewirkt, machte Edmund Pflei derer in seinem Werke „Die
Philosophie des Heraklit von Ephesus im Lichte der Mysterienidee;
nebst einem Anhang über heraklitische Einflüsse im alttestament-
lichen Kohelet und besonders im Buche der Weisheit, sowie in
der christlichen Literatur" (Berlin, 1886). Er führte dies Werk
selbst ein durch einen in den Jahrb. f. prot. Theol. XIII, 8. 177
bis 218 erschienenen Aufsatz „Heraklitische Spuren auf theologi-
schem, insbesondere altchristlichem Boden inner- und ausserhalb
der kanonischen Literatur". Besonders wies er hier auf die er-
kennbaren Einwirkungen des Herakleitos bei einer Reihe bekannter
Gnostiker hin und gab zudem in seinem Werke über Kohelet,
Buch der Weisheit, Evangelium Johannis und Epheser-
brief Gesagten weitere Ausführungen. Mögen nun Pfleiderer's
Ergebnisse auch immerhin vielfachen Widerspruch erfahren haben,
so ist es doch sehr erfreulich und erhöht auf dem betretenen Ge-
biete das Gefühl der Sicherheit, dass ein so genauer Kenner des
Ephesiers, wie Patin, Pfleiderer unbedingt zugiebt, richtig erkannt
zu haben, „w7ie weit, wie unglaublich weit diese Spuren Heraklits
führen". Ja er rechnet seinen Nachweis, dass Kohelet 3 herakli-
1 isiert, „trotz des Widerspruchs der Recensenten unter seine sicher-
sten Resultate" (Herakl. Beisp. S. 5, Anm. 6) und weist über ihn
hinaus auf das stark heraklitische Gepräge von Jacobus 3, 3 hin.
Ich theile Pfleiderer's „ganz unmassgeblich" geäusserte Meinung1)
durchaus, „dass es für alle mitzählende Wissenschaft, zumal in
unserer auf konkrete Bestimmtheit dringenden Zeit denn doch ein
kleiner Unterschied ist, ob man, wie im gegenwärtigen Fall, nur
mit vager Unbestimmtheit von irgend welcher philosophischen An-
regung gewisser theologischer Schriftsteller wusste, oder ob das
auf den klaren, bestimmt nachweisbaren Ausdruck gebracht wird".
Und in dieser Lage befinden wir uns zur Zeit durch Pfleiderer's
und Patin's Bemühungen. Mit oberflächlichem und leicht fertigem
Absprechen ist es daher jetzt auf keinen Fall mehr gethan, die
') Jahrbücher für protestantische Theologie XIII, S. 218.
Patristische Herakleitos-Spuren. 161
angeregten Fragen der Abhängigkeil der Späteren von Berakleitos
lassen sich nicht mehr kurzer Sand aus i\cv Well schaffen.
Es ist unstreitig Pfleiderer's Verdienst, auf eine ganze Reihe
von Beziehungen und Zügen aufmerksam gemachl zu haben
(a.a.O. s. 183if.), welche die Gestall und Lehre des Weisen von
Ephesus altchristlichen Kreisen, sofern sie iiberhaupl philosophi-
sches Bedürfnis empfanden, mehr als irgend einen anderen Philo-
sophen empfehlen und anziehend erscheinen lassen mochten. ..Mehl
wie die Stoiker und Platoniker jener Tage als Verächter und Feind
des neuen Glaubens, und zusammenhängend damit nicht als kon-
servativer Apologel des heidnischen Polytheismus, vielmehr als
dessen urwüchsig schroffer Gegner, sonst aber in parteiloser Ferne
und Vorzeii stund er zu freier Benützung der mannigfachsten Art
in mystischem Halbdunkel da." Wenn Pfleiderer annimmt. Hera-
kleitos sei in der Urschrift und namentlich in vielen Auszügen
„ohne Zweifel bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts n.Chr.
vorhanden und weitverbreitei gewesen", und auf Justinus den
Märtyrer und Clemens von Alexandria verweist, so können
wir. wie ich denke, noch erheblich darüber hinausgehen. Nicht
bloss Hippolytos hat für sein Werk gegen alle Ketzereien
('\j.v;-/'j; xaxd -7.5(T)v «-yipssctov) Iierakleitos noch gelesen und, —
es i>t last wörtlich zu nehmen — den Finger auf dem Buche,
ausgesehrieben, nein, sogar Gregorios von Nazianz am Ende
des vierten Jahrhunderts, zeigt, wie Patin zuerst bemerkt zu haben
seheint (llerakl. Beisp. S. 84, Anm. 94) und nur im Einzelnen
gezeigt zu werden braucht, in seinen Gedichten so starke herakli-
ti-chc Einflüsse und Anklänge, dass ihm die Schrift des Ephesiers
seihst noch unmittelbar zur Hand gewesen sein muss.
Dasselbe scheint mir der Fall zu sein bei dem Verfasser der
beiden fälschlich bisher dem jugendlichen Athanasios beigelegten.
thatsächlich um 350 abgefassten Schriften „Gegen die Hellenen"
und „Von der Menschwerdung des Logos", als welchen ich Euse-
bius von Emesa mit lieber Wahrscheinlichkeit glaube nachgewiesen
zu liaben.'-) Auf die gründliche philosophische Schulung dieses in
Vgl. meine Abhandlung „Athanasiana" in den Theol. Sind. n. Krit.
162 Johannes Dräseke,
Alexandria gebildeten Mannes, besonders auch seine Vertrautheit
mit den Gedanken Platon's, habe ich a. a. 0. aufmerksam gemacht.
Dass er aber, über Piaton, ja über die vier Elemente des Empe-
dokles hinaus philosophisch bewandert, mit Herakleitos selbst noch
vertraut erscheint, dürfte das Folgende zeigen.
Die Stellen, welche hierfür in Betracht kommen, finden sich
sämmtlich im ersten Buche (Kaxa cEXXtjv<ov, Kap. 27 — 42) und be-
ziehen sich auf physikalische bezw. kosmogonische Verhältnisse und
Vorgänge. Wir lesen Kap. 27: pj ok oux crf' eocuxtj? sp7jpsi3xat,
d)X stti txsv TTjV T<ov uodxu>v ouaiav auvssxrjxev, sjxTrspt^exat 8s xal
aoT7] xaxa xo [liarov auvosösTaa xou Travxo?. Dazu treten ergänzend
folgende Sätze aus Kap. 36: Tic optov xrjv -pjv ßapuxdx7jv ouaav ttjj
cpuaei, Sri xo uStup sopaaösTaav xal dxiV/jxov |xsvouaav stcI xo cpuaet
xivoujj-svov, oü oiavor^rjasxai sivat xivct xov xaux/jv oiaxacducvov xod
irorrjaavxa Osov; und wenige Zeilen später: yj fisv -^ ßapuxdx7j saxi,
xo o' au iraXiv uoojp xou©oxepov suxi tocuxtjC" xat OfiuK um x«>v IX.a-
cppox£pa>v to ßapuxspov ßaaxdCsxat xal oo xaTacpspexai, dXA' sottjxsv
axivTjxoc. "fj -(Tj. — Im ersten und zweiten Satz ist die Ansicht deut-
lich ausgesprochen, dass die Erde auf dem Wasser gegründet ist,
ein Satz, der nach Theophrastos3) auf Thaies und Hippon
zurückgeht (x-Jjv pjv £cp' uooixoc d7rscpr|Vavxo xsiöOat). Jener aber
erweiterte nur Aristoteles,4) und bei den Späteren, wie Hippo-
lytos5) und Hermias6) kehrt der Satz einfach wieder: f; -p) eVt
1893, S. 251— 315, besonders S. 294 ff. Titel der Schrift Katä louSoucov xat
TAXtjvüjv, entsprechend dem von Hieronymus (Vir. ill. XCI) angeführten „Ad-
versum Iudaeos et gentes" (a. a. 0. S. 313). Vielen werden meine Ergebnisse
überraschend sein, weil sie mit dem Herkömmlichen einmal wieder gründ-
lich brechen. Ich darf darum wohl auf das Urteil eines sehr sachkundigen
Kenners verweisen, Victor Schnitze's, der über meine Untersuchung im
Theol. Literaturbl. XIV, Nr. 17, Sp. 191 u. a. schreibt: „Die wichtigsten Er-
gebnisse, dass die beiden Schriften dem Eusebios von Emesa angehören und
lim die Mitte des vierten Jahrhunderts entstanden sind, sind meines Erachtens
unerschütterlich."
:!) ^Etc töüv cpusrx&v So^iüv bei Diels, Doxographi Graeci, S. 475,9.
4) Aristot. Metaph. A3, p. 983^21 und de caelo II, 13, p. 294«29.
5) Hippol. 1,7,4, in Miller's Ausgabe S. 12, bei Diels, Doxogr. Gr.
S. 561,4.
c) Diels, Doxographi Graeci, S. 653,22.
Patristische Berakleitos-Spuren. 163
xto; u-/z\-i.l Nur die erste Stolle enthält eine gewisse Schwie-
rigkeit, insofern sie die Lehre ausspricht, dass das Innere der Erde
aus Wasser besteht. Sie erinnert an Anaxagoras, der nach
Bippolytos7) lehrte: tob? 81 itoTafx.005 xal dito xa>v oaßpcuv X.a(ißavetv
t/v friroaraaiv xal i; 58atü>v T(ov iv tyj -fit' eivai y«p «uttjv xoiXtjv
xal ;/3'.v 58o)p iv tois xoiXu>p.aaiv — und an den Elcateu Zenon,
der nach Epiphanios 8) t))v ^v dxiv>jTov }A-;z<. xai txyjoiva to-ov xev&v
/:. l'ass derartiges auch von Jleraklcitos gelehrt sei, dürfte
sich, wie mir scheint, schwer beweisen lassen. Der Inhalt des
dritten Satzes aber bringt zu dem Bisherigen etwas Neues hinzu.
Eusebios nennt daselbst die Erde sehr schwer, das Wasser dagegen
leichter als diese, „und gleichwohl", sagt er, „wird das Schwerere
vom Leichteren getragen, und die Erde sinkt nicht abwärts, son-
dern steht unbeweglich". Erinnert nicht Inhalt und Ausdruck
hier an llerakleitos? Ist er es nicht, nach dessen Kosmogonie
sich die Erde ebenso wie dort in und unter dem Wasser festet,
so dass sie das alleranterste ist, als das Schwerste unten bleibt
und den Weg abwärts abschliesst, der von ihr aus aufwärts
umbiegt? Dass in jenen Sätzen des Eusebios nach der Andeu-
tung de> letzten llerakleitos irgendwie beteiligt ist, lässt sich
zwar nicht mit voller Sicherheit nachweisen, erscheint mir aber
um der Umgebung willen, in der jene Sätze sich finden, sehr wahr-
scheinlich.
Achten wir nunmehr auf diese Umgebung. llerakleitos'
erstes Gesetz ist bekanntlich die Harmonie der Gegensätze, das
zweite deren Umschlagen und Auseinanderhervorgehen. Wenn sich
nun. dies folgt daraus mit innerster Notwendigkeit, die tiefgreifeud-
sten Gegensätze, die trennendsten Grundursachen der Besonderung
vereinen, so entspringt der Einheit eine Vielheit, der Vielheit eine
Einheit (Brachst. 59. Byw.): auvctysias oSXa xal w/\ o3Xa aujxcpepo-
[aevov Siacpepojxevov aruv^Sov 8uj8ov zca sx iravxeov 2v xal i; ivo^
iräVta. Diese Satz. • hat llerakleitos nachweislich auf kosmogonische
Vorgänge angewendet. Aber um ihn recht zu verstehen, scheint
7) Hippol. 1, s,.'). in Miller's Ausgabe S. 14, bei Diels, Doxogr. Gr.
562,11.
*) Epiphan. Pauar. III, 2,8. Ed. Oehler Bd. III, S. 498.
im- i. Geschichte d. Philosophie. VII. 12
164 Johannes Dräseke,
es mir durchaus uiclit überflüssig, au diejeuigeu Einschränkungen
zu erinnern, die Patin9) unbedingt hervorheben zu müssen geglaubt
hat, einmal, „dass seine Naturphilosophie eine sekundäre Rolle
spielt und wenn auch nicht ohne Beobachtung, doch auch nicht
aus theoretischer oder unabhängiger Beobachtung geworden ist" ;
sodann, dass Herakleitos „für die Einzelgebilde der Natur, für die
, Spiele seines Götterkindes' gar kein unmittelbares Interesse hatte,
sondern sich nur damit beschäftigte, um die stete Veränderung
und das geteilte Eine, die unsichtbare, doch zu erschliessende
Harmonie in ihnen nachzuweisen"; und endlich, dass er nicht so
oberflächlich war, „die unendliche Vielheit durch die Verände-
rungen des Kühl-, Trocken-, Feucht-, Warmwerdens oder seineu
Fluss durch eine in jedem Moment fertige Umwandlung der Ele-
mente erklären zu wollen".
Indem wir uns diese Gedanken gegenwärtig halten, wenden
wir uns zu Philon, der wie Patin10) bewiesen, in seinen „Qnae-
stiones in Genesin" III, 5 stark von Herakleitos abhängig ist, so
zwrar, class auch ihm „das ungeheure von Heraklit gesammelte
Beweismaterial nicht der speciellen Physik, der naturwissenschaft-
lichen Forschung dienstbar war, sondern nur der Lehre von den
Gegensätzen und ihrer welterfüllendeu, weltbeherrschenden Harmo-
nie". Wenn wir bei Philon lesen: t<5 -yap ovet irotvö' oaa. h xoajxip
a^EOov svavxia sivat TTECpuxöv. «pxTEov os aro töjv irpanauv. öspaov
svavTiov <];uypm xocl £r]pov u-;p(p xai xoucpov ßapsT xal Cxotos cpum xal
vu£ vjjxspa — und Patin aus dieser und den ihr folgenden Stelleu
(a. a. 0. S. 8 ff.) den zwingenden Beweis erbringt, 1. class ihm die
sogenannten Elemente nur die von Herakleitos (Brachst. 21, 39,
68) gemeinten Elementarstufen, die grossen Teile oder Schichten
der werdenden und gewordenen Welt bedeuten und diese ihm
andrerseits wieder zu Elementen werden, 2. dass dort bei Philon
die ersten heraklitischen Gegensätze, wie sie im 39. Bruchstücke
verzeichnet sind, mit der einzig deutlich erkennbaren Beziehung
auf den Menschen und die Unterschiede seiner Eigenart erschei-
9) Patin, Heraklits Einheitslehre, S. 98. 99.
10) Patin, Heraklitische Beispiele, S. 3— 17.
Patristische Herakleitos-Spuren. IC.")
neu. und 3. dass Licht und Dunkel, Naclri und Tag von Hera-
kleitos' Standpunkt und zwar nur von diesem elementare Bedeu-
tung haben: so ist damit die Grundlage gewonnen, von der aus
auch auf die kosmogonischeu Sätze des Eusebios helleres Licht
l-illt.
Tragen wir die Stellen zusammen, die hier besonders in Be-
tracht ktunmen, mit Weglassung derjenigen, in denen Eusebios
seiner a. a. 0. S. 261/2(12 näher gekennzeichneten Gewohnheit ge-
mäss, sieh einfach wiederholt. Kap. ."><> g. E. heisst es: To '^r/oöv
xq> hsouui) ivavxt'ov icTi, xai to ofpöv xiji £vjo(o [iayexar xai oara,'
aoveXöovxa oö a-rJ.j'.rJ.'lv. noöc iaoxa, -xXX' s; ofiovotas sv aä>ti.a xai Tr//
rcavxtuv yeveatv drcoxeXoöatv. Erinnern diese Worte in ihrer Fassung
schon an Philon bezw. Herakleitos, so weisen die folgenden, wie
bei Philon, trotz der ausdrücklichen Erwähnung der vier Elemente,
noch weit mehr auf kosmische Entwicklungsstufen hin, wie sie
Herakleitos im Sinne hatte (Kap. 27 a. Schi.): llepi -{äp ~<ov xec-
aoepcov arxot^eicuv, i- &v xai soveöTTjxsv f( t&v a<o;j.aTU)v <puais, tt)V
&epjjir)v ä£y(0 XGtt "V f\}y/!/^K S^pav ts xai ö^pdv ouatav, ti'c xocooxov
ötirsaxpairxat ttjv Siavotav, «o^ts ur( stosvai, oxt gjxou jasv aov^txusva
xaöxa soviGxavxai, Staipoujieva os xat xafr' iaoxa -j-ivoiAsva, Xoitcov xäi
aXXy]X«>v etalv avatpsxixd t7.0t7. xaxd T7;v tou TrXsovaCovxo? sv auxots
iTrixpaxstav ; öspjiov xs 77.0 Gzo 'I/j/ovj TTÄsova'aravTo? dlvaipeTxat • xat
'Vj/pov rcaXiv 6iro tt(c Bsp^f^ txcpavt'Csxat ouva'usco:; • S>jp6v ts au Giro xou
&Ypoo §toYpatvsxat, xai xouxo Giro toü sxspou SirjpaivsTai. Ja unmittel-
bar hinein in den heraklitischen Streit der Urstoffe versetzt uns
die Ausführung des 37. Kapitels. Ei \ir\ xpetxxovt rcpocxa'&t — sagt
Eusebios, die persönliche Fassung dieses Ausdrucks werden wir
gleich näher betrachten - i^ovst xoöxoav (d. h. der am Schluss
viin Kap. 36 genannten Grundstoffe ^o^pov, ösppiov, Eyjpov, u-ypov)
;j.i7. xpaois, jcS? av xo ßapu -<\> IA.acpp<j>, •?; to ctjoov t<i~> uyptp, yj xo
iteptcpspe? t<o öpd(5, ^ xö irop x(j5 ^o^pä), 5] oXok r( öa'Xaasa rjj -,/,.
?l 6 tjXios rfl ffsXrjVig, rj T7 asxpa xq> 0007.'/«}. xai 6 arjp xats ve<pgXat<;
sot'-;// xai sovTjXfrev, avofioibo ouarjs x^s exadxoo rcpbs to Ixepov 'fjjscos;
l,o.s/./.s 77.0 xai \it'[rJ.i:r[ 3T7^'.; -(rlvs^!t7.'. rcpös otuxa, xou o.sv xatovxo?,
xou os 'Vj/ovto;. xai xou fiev ßapeios xaxto, xou os xo&poo sx t(T>v
evavxt'tov aveo IXxovxos, [vorher Kap. 36 biess es: to p.sv ydp 58a>p
12*
Ißß Johannes Dräseke,
cpuast ßapb xal xaxea peov eöxiv, ai 5s vetpsXat xoifyai xal x«ov sXa-
cppuiv xal tö»v öcvaxpeptov xuy/avouai] xal xou fxev tjXiou cptoxi'Covxoc,
xou oe aipos oxoxtCovxos" xal -yap xal x« acxpa eaxaöi'affav av -po;
sauxa, oxi xa <xsv öcva>xepa>, xa os xaxtoxspco xyjv Oeciv s/ei- xal
7) vu$ o= oux av Tcapex«up?Jöe "TJ ^spa dXXa Sfievev av toxvxws jia/o-
jxevt! ~poc auxTjv xal axaaia'Couaa. Touxtov os -j'qvofiivwv, Xoitcov y>
i'osiv ouxsxt xocp-ov aXX' axocJfitav, oöxexi xa£tv aXX' dxaEtav,
ouxext ausxacriv dXX' dauaxaxov xo oXov, ouxsxt {isxpa aXX' dfie-
xpiav. Tg -,ap Exaöxou ata'ssi xal p-a/Tj tj Tcdvxa äVgpoövxo, r, xo
xpaxouv aovov icpaivsTO, xal xouxo toxXiv X7jv xou -rravxo? dxoöfuav
eoei'xvue. Hier haben wir die für Herakleitos so bezeichnenden
Gegensätze, hier auch die beiden Formen des Werdens, das Ent-
stehen und Vergehen, in jener seiner oooc avo> xaxco.
Greifen wir nunmehr auf Herakleitos' erstes Gesetz, die
Harmonie der Gegensätze zurück. Ist bei der Vereinigung der
Gegensätze dem Ephesier der Oslo? vojxos, der Aai'«x«>v, die r-fviuix/j
beteiligt, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir bei dem spä-
teren Diätetiker zwar gleichfalls die Erwähnung jenes heraklitischen
Wzluz voaoc, daneben aber unvermittelt den Satz finden: cpuatv 8s
iravxwv Osol Sisxoajxrjsav, während Herakleitos, dem die Götter weder
Bildner noch Ordner der Welt (Bruchst. 20), noch die Lehrer des
Menschen (Bruchst. 121) waren, gewiss niemals gesagt hat, dass
Götter die Natur des Alls gestalteten. Wenn endlich ein Scholiast,
zwar der Zeit nach jünger, aber dem Geiste nach älter, den Ord-
ner der Welt wenigstens noch „Gott" nennt und damit die einst
so unstatthafte Verpersönlichung des Göttlichen einführt, so sind
wir damit unmittelbar auf der Linie angelangt, auf der die christ-
liche Anschauung nur einzusetzen brauchte, um sich von hier aus
aller Gedanken des alten Ephesiers rückhaltlos zu bemächtigen.
Es bedurfte ja nur einer ganz leichten Umformung oder Umbe-
nennung des letzten Grandes. Und diesen Schritt that, wie mir
scheint, und zwar mit vollem Bewusstsein, Eusebios von Emesa.
Der Ordner des Alls, der Versöhner der Gegensätze ist der Logos:
'AfaJlou ^ap roxxpöc dyaOoc X070S uTrapywv, sagt er Kap. 40, auxö?
xyjv twv iravxtov oiexos^se oiaxaStv, xa [xsv svavxta xots ivavxtois öuv-
aixxtuv, ex xoux<wv 81 p-iav oiaxoajxäiv app-oviav. Der Logos ist es,
Patristische ETerakleitos-Spuren. 1 ( > 7
der (Kap. 42) tas ts dp^A? iraaijc atoÖTj-rijs oöat'ac, afirep 3'.7; &ep(i7]
xat 'Vj/o7 xal S^pä xal E*jpa, efc iv 3u*pcepavvu(üv iroisi p.7] dvxtaxa-
r;tv, C/././.7. [itav xoti (jujicpiüvov t£iroxeX.siv 4p|xovtav (ebenso Kap. 12
i. A.). Bekanni ist, wie Herakleitos zur Veranschaulichung des
Satzes, dass in der Zusammenhaltung and Ausgleichung der Gegen-
sätze, in welche sich das Weltleben spaltet, dien ihre Einheil be-
stehe, sich des Gleichnisses von der Harmonie des Bogens und
der Leier bedient. Den oämlichen Vergleich linden wir bei Euse-
bios (Kap. 42): OFov 77.0 ei tu: Xupav [xoootx&s apfiocrafisvos xal xot
ßapsa ~<>\z S^sat xal xa fjiaa xois aXXois 7 7, "ri/vr, tJüva^a-ytuv Iv 70
37j|xaiv6p.evov aiÄoc diTOxeXo«}' vj'710 xai y, xou &sou croepta, xö o/.ov u>s
/.'J07V ETTSYtOV, Xal 77 SV (XSpi XOt? ETtI ",">,; SUVa^a^tUV, Xal 17. sv oö-
pavej) xot? iv aspt, xat xä oXa xois xaxa [xspo? auvaTrxü>v xal Trspwqcov
x(u iauxou vsöfiaxt xal ösXTjfiaxt, Iva xov xoajxov xal puav xtjv xouxou
xa'civ dixoxsXsT xaXw; xat ^pfioapsvaK, 7'jtöc |xsv axivujxos [livtov irapa
7«} -770'.'. itavxa 8s xivSv rjj Iauxou a'jaT753'.. <ik äv sxaaxov xtp
Iauxou iraxpl Sox^j). xö yap jtapa'8o£ov auxou xSjs ösoxr^xos xouxo sjtiv,
oxt svt xal T(ö aöxtp vcijaat' itavxa 6p.ou xal oux Ix 8iaaxrjp.axtov, 7/./.'
aöpoto? oXa xa 73 öpfta xal xa irepi<psp^, xa ava>, xa fjicja, 77 xaxto,
77. uypd, xa 'l'y/yJ.. xa &spp.d, xa cpatvop.eva x7.i 77. aopaxa rapid-fei
xat oiaxoo|xei xaxa xtjv Bxaaxou cpuatv.
Hier wird man kein Redenken tragen dürfen, die Abhängig-
keil der Darstellung des Eusebios von Herakleitos anzuerkennen.
Wollte mir der Hinweis auf den Ephesier bei meinen ersten Aus-
zügen aus Eusebios nicht zwingend genug erscheinen, so dass ich
nur auf die heraklitische Umgebung, in der jene ersten Sätze
standen, mich berufen konnte, so wird das Folgende den Eindruck,
dass wir heraklitische Weisheit vor uns haben, verstärk! haben.
In unmittelbarer Verbindung mit der oben aus Kap. 36 angeführten
Stelle linden wir — ein deutliches Zeichen, dass mich bei Eusebios
dvv in seiner Vorlage, d.h. doch wohl Herakleitos selber, vor-
handene Zusammenhang mit der Lehre vom Menschen noch nicht
verwischl ist — folgende Stelle: Kai xb ;j.ev appev oö xauxov 3371
7<<J &7jXet, xal 0[xto? zU iv auvdfsxai, xal fita jcap5 d[icpoxspo>v ofocoxe-
XeTxat Yeveais xou ojaoiou £a>ou. Ob dies nur eins von den vielen
dem Menschenleben entlehnten Beispielen ist, durch welche Hera-
168 Johannes Dräseke,
kleitos die Vorgänge jenes als Nachahmungen der grossen Natur-
vorgänge betrachten lehrte, ist zweifelhaft. Es könnte auch an
jenen Satz des Diätetikers gedacht werden, den Patin (Herakl.
Beisp. S. 35 ff.) als heraklitisches Beispiel nachgewiesen hat, dessen
u. a. sich der Ephesier etwa behufs Schilderung der Logik (S. 38)
bediente: Der Mensch erkennt aus dem Sichtbaren (sinnlich Ge-
wissen) das Gegenteil, da er nach der Vermählung ein Kind er-
wartet, czv7]p yuvouxl £u"fj,sv6(ucv<x iraiStov iizoiiqas' xa> cpccvc^oj to
ao7)Xov yivaxjxsiv oti oG'xtu? eatai. Das Sichtbare und Unsicht-
bare sahen wir zum Schluss der soeben aus Kap. 42 mitgeteilten
Stelle betont. Doch wie dem auch sei, jedenfalls finden wir noch
andere Spuren des Ephesiers bei Eusebios, die ihren Ursprung
nicht verleugnen können.
Durch Patin 's Untersuchungen, besonders in seinen „Herakli-
tischen Beispielen" haben wir jetzt erst eine lebendige Anschauung
von der Fülle derjenigen Beispiele gewonnen, durch welche Hera-
kleitos dieselben Gesetze, welche das kosmische Leben beherrschen,
auch in den menschlichen Verrichtungen nachwies. Die Hand-
werke und Künste ahmen der Natur nach. Das ist der Satz
des Ephesiers. Wir linden ihn zweimal auch bei Eusebios,
Kap. 18: Ttjv 77.fi -iyyrp xai al tcoXXoI Xi^ooai cpuasoK auTYjv eTvoci
fii(jfif)|j,a und Kap. 20: [xovtj Se rt ;j.öt' ir^xr^r^ ts^vtj zb Usiov ixxa-
Xsitou, rJzt ovj ji-iti-r^Aa ty(? cpuasoK ctuTrj -u-f/avo-js?.. Von allen jenen
Beispielen, die in ihrem geschlossenen Zusammenhange aus Pseudo-
Hippokrates Patin in musterhafter Weise entwickelt, ist kaum
eines berühmter als das von der Musik, den hohen und tiefen
Tönen und der Harmonie.11) Dasselbe war, wie es urkundlich
gewiss ist, von Anfang an bei Herakleitos mit dem von der
Schreibkunst verbunden, erscheint aber frühzeitig auch von
diesem getrennt. Aus Herakleitos entnommen, wie Patin gezeigt
]1) Wie lange und wje oft dieses Beispiel des Herakleitos verwendet,
nachgebildet und immer wieder zur Veranschaulichung herangezogen worden
ist, dürfte schwer zu sagen sein. Ich finde einen der spätesten Nachklänge,
gerade ein Jahrtausend nach Eusebios, bei Nikephoros Gregoras (111,3).
Der Geschichtschreiber hat im Hinblick auf einen bestimmten Fall die fast
völlige Unvereinbarkeit der theologischen Beschaulichkeit mit dem thatkräftigen
Patristische Eerakleitos-Spuren. It/j
hat,18) findel sich das Beispiel von der Musik bei Pseudo-Ari
teles (-ev. KOöfiou 5 p. 396) und Pseudo-Hippokrates (irepl
I. p. 643). I'li gebe es in der von Patin (Herakl. Beisp. S. 63)
wiederhergestellten Fassung: äpfiovfyv crovxccxxouaiv i/. tou ö£eos xal
tou ^oso;. ovdu.axt ;j.zv Ofioitov, 'fi^o",";".' °^ o0X Sp10"0^ ouvxa£eis ix
xfiiv ototcov o'j/ a{ aüxai. x« -Lzij-'j. Sta^opa piaXtaxa Sop<pspet xat
tä i/.7./'.7T7. Siofyop« TJxtaxa £up^>spei. 3; os Spioia icavxa itonjoei u?
oux i'vi -rio'V.c. a( irXeiaxai piexaßoXa? xat ai iroXuei8s<Jxaxai paXiaxa
xspicouoiv. Patin verweis! auf Platon's Philebos, aus dem der Grund-
bestand der heraklitischen Lehre längsi gesichert ist, und vergleicht
insbesondere 17C, 8uo oe S)aju.ev ßaph xal ö£u xal xpi'xov ou-oxovov,
„wo sogar die Form den Zusatz Platon's vom alten Bestand noch
deutlich unterscheiden lässt'1. Dass dort aber (Abschn. 18 beim
Diätetiker und auch Abschn. 23) die ältere, vorplatonische, also
heraklitische Stufe vorliegt, dafür führt Patin mit Recht als haupt-
sächlichsten Grund den Umstand an, dass beide Male die Zweizahl
des Gegensatzes (in Abschn. 18 Hochton Tieften) als das Festbe-
grenzte erseheint, während bei Piaton von zahlreicheren, zwar
streng unterschiedenen, aber nicht gerade gegensätzlichen Arten
die Rede ist. Das aber erklärt er (a. a. 0. S. 62. Anm. 80) für
„die spezifische Differenz zwischen beiden, dass für Heraklit nicht
die Bestimmtheit der Zahl, sondern der einige Gegensatz, für Piaton
eine erschöpfende Unterscheidung der Arten, also die Klassifikation,
die fast eine Vorstufe der Entdeckung einer förmlichen Kategorien-
lehre heissen möchte, das wesentliche Merkmal wissenschaftlicher
und technischer Erkenntnis bedeutet." Nun finden wir das P>ci-
spiel von der Musik bei Eusebios an mehreren Stelleu, eine
derselben (Kap. 42) ist zuvor schon angeführt. Im 31. Kapitel
Eingreifen in <l. iebe des staatlichen Lebens behauptet: i\t.oi 8' dpeaxei,
fährt er fort, xpäaw iz dpupoxäpiuv S}(eiv, Saxis rcoxi Isxiv h ßouXdpievos dp^eiv,
xaOctTtep xdv tot? pouaixotc öpäipiev öpydvois ~o;j; aötöäv äiuax^pova? jrpdxxovxac
ob ydp laoxdvou« xd« veupds xadiaxüatv drcdffas' aptoosov ydp t;j xoioüxov xal ix-
[iz/.i;- dXXä xds |.<iv jrpös xö ßap6xepov xefvavxec, xds 6e -po; xö ö^j-rspov, xal xds
luv [läXXov, zäz 8' ^xxov, o8xoi itotxCXqv rtvi xal £p.p.ooaov -/.aittjtciüa'. X7]\
appovfav.
'-) Quellenstudien z.u Heraklit, S. I ff. Heraklitische Beispiele, S. 62 ff.
170 Johannes Dräseke,
heisst es: 'ßc ydp at sv Xupa veupal fxasxou jasv e^ouöi xov föiov
cpdoyyov, yj txöv ßapuv, yj os o£uv, yj os jxecfov, yj os öCuxovov, y] os
dXXov dSiaxpixos os saxiv aux&v yj dpjzovi'a xal dSidfVöxjTOs yj auv-
Osstc /(opl? toü sTrtaxYjtAovoc' tote *;dp xal yj apfxovta aöxSv Betxvoxai
xal yj oovxafo äp(hg, oxav 6 xaxs^wv xyjv Xupav tcXy]£]() xdc veupds
xal apftoSuoc IxdöXYjs dtyrjxaf xouxov xov tpoicov xal xa>v aiaÖTjxSiv sv
xu5 cftofiaxi oje Xupac Yjp[i.oö[X£va)V, oxocv 6 STCtatYjjxcuv vouc auxwv YJ
M
e-
[lOveüTQ' totö xat öiaxpivei yj '^u/yj xal oiosv o tcoisT xal Tcpdxxei. —
Kap. 32: xal yap oux s'cwösv, dXX' ev8o&sv auxrj (d. h. yj ^o/yj) x(3 3u>=
|iaxt, öjc 6 [jlougixoc rg Xöpa svyj/si xd xpei'xxova. — Am schönsten und
reinsten klingt der Vergleich von der Lyra und dem Musiker im 38.
Kapitel aus : Ka&a-sp 77p ei xtc Ttoppcodsv dxouet Xupac ix tcoXXäv xal
Siacpopcöv veopSv aoyxeijiivYjs, xal &aojidCoi xouxcuv xyjv dpftoviav xyjc
soji/pumac, oxi jay] [xovyj yj ßapeta xov yj/ov diroxsXeT p.Y}8s uovrj yj ö£eia
fiYjSI jjlovyj yj [a£5yj, dXXd Tuaaai xaxd xyjv isyjv dvxiaxaaiv dXXYJXais suv-
ijjfouai' xal irdvTios ix xooxa>v ivvost ouy §aoxY] xivstv xyjv Xupav,
dXX ouSs utto icoXXtov auxYjv xuTrxssilcu, Iva os sivai uouaixov xov
i/aaxYjc vsopdc yjj^ov Ttpo; xyjv Ivappioviov auji/pumav xspdaavxa xyj
EICiaTYjflYj, xdv ptYj TOUTOV ßXiinQ' OUXtl) TCaVapfAOVlOU OU(JYJS XYJC X«';£U)C
sv xij) y.o3ix(o nravxi, xal [AYjxs xäv d'vo) Ttpös x6 xdxcu U./JXE xÄv xdxcu
~poc xd dvcu öxaaia£6vxu>v, «XXd [uas xtöv -dvxiuv dTcoxeXoofiEVYi? xd-
c-sojc, sv« xal [xyj ttoXXouc voetv dxoXouftov iöxt xov dpyovx« xal ßaaiXea
xyjc TcdafYjs xxisetos, xov x<5 iauxou cpcuxl xd icdvxa xaxaXdjUTtovxa xal
xivo5vx7. Man wird hier trotz der in der Weise des Philebos über
die beiden Grundtöne hinaus genannten Klangfarben der Saiten
nicht an Abhängigkeit von Piaton denken dürfen, am wenigsten
an die Stelle des Symposion (p. 187), wo Piaton den Eryximachos
ziemlich oberflächliche Einwendungen erheben lässt gegen Hera-
kleitos' Satz, dass das Eine, eben indem es auseinandergehe, mit
sich selber zusammengehe, wie die Fügung eines Bogens und einer
Leier. Vielmehr erinnert in dieser Stelle, ganz wie in der aus
dem 42. Kapitel mitgeteilten, die Betonung des einigen Gegensatzes,
die Schaffung der harmonischen Ordnung in den teils abwärts
(xdxoj), teils aufwärts (dvco) strebenden Teilen der Welt an Hera-
klei tos. Doch zeigt sich die christliche Umbildung der philoso-
phischen Grundanschauung des alten Ephesiers, wie ich zuvor schon
Patristische fferakleitos-Spuren. 17 1
hervorhob, gerade darin, das Eusebios begeistert auf den einen
Herrscher und Schöpfer der Welt, Gott, den grossen Musiker, hin-
weist, „der mit seinein Lichte alles erleuchtel und bewegt", wäh-
rend in den ersten beiden Verwendungen des Gleichnisses die den
Körper beherrschende und die widerstrebenden Regungen desselben
einigende Macht der Seele den Grundzug bildet.
Patin war bei seinen Berakleitos-Forschungen in der glück-
lichen Lage, die reiche Bilderwelt, deren sich der Ephesier be-
diente, in der Schrift des Hippokratikers gewissermassen neu zu
entdecken und aus dieser in seinen „Heraklitischen Beispielen"
(deren zweite, erst im Laufe dieses Jahres (1893) erschienene
Hälfte zum Zwecke dieser meiner Nachweisungen durchzuarbeiten
und zu verwerten mir nicht möglich war) zum ersten Male ein
trotz aller Entstellungen und Verstümmelungen jener lebendiges
Abbild eines Teiles des Buches irepi <pucjs<i>s zu entwerfen. Das
schriftstellerische Abhängigkeitsverhältnis war dort ein einzigartig
und ist für uns Spätgeborene, die wir mit den Trümmern der Ge-
danken jenes Alten uns begnügen müssen, von hohem Werte. Eine
gleiche Annahme ist durch die Natur der Sache bei der apo-
logetischen Schrift des Eusebios völlig ausgeschlossen. Dass aber
der letztere wahrscheinlich Herakleitos' Werk selbst noch gekannt
und benutzt hat, das, denke ich, werden die vorstehenden Mit-
teilungen, zu denen mir Patin's scharfsinnige Untersuchungen zu-
nächst unmittelbaren Anstoss gaben, zur Genüge haben erkennen
lassen. Vielleicht veranlassen dieselben nunmehr auch philoso-
phische und philologische Leser, der vortrefflichen, tiefsinnigen
Schrift des Eusebios. deren zweiter Teil (IIspl t^c ivav&pcoTrqaea)?
tvj X6700), leider allein, kürzlich von Archibald Robertson (St.
Athanasius on the Lncarnation, edited for the use of students with
;i brief introduetion and notes. London, David Nutt. 1891) in
einer Sonderausgabe leichter zugänglich gemacht wurde, näher zu
treten. So lange die Schrift für ein Werk des Athanasios galt,
war sie den Theologen ein Rätsel, das zu erklären bisher vergeblich
versucht worden ist. Nachdem ich aber jene durch jahrhunderte-
lange Gewöhnung fast zum Wert einer feststehenden Thatsache
aufgerückte Annahme beseitigt und Eusebios von Emesa als
172 Johannes Dräseke, Patristische Herakleitos-Spuren.
wahrscheinlichen Verfasser (a. a. 0.) nachgewiesen und damit das
Werk erst der Möglichkeit einer richtigen Beurteilung teilhaftig-
gemacht habe, wird es sich verlohnen, der philosophischen Begrün-
dung der Gedanken neben der theologischen noch weitere Aufmerk-
samkeit zu schenken. Die Geschichte der Philosophie des Alter-
tums wird dadurch unmittelbare Förderung und Bereicherung zu
erwarten haben.
VI.
Die Kontinuität im philosophischen Entwick-
lungsgänge Kants.
Von
Harald Ilött'rtiiig in Kopenhagen.
Ei nleitung.
1. Dem Hauptwerke Kants, der „Kritik der reinen Vernunft"
(1781) geht bekanntlich eine lange Reihe von Jahren voraus, wäh-
rend deren die grossen Ideen, die mittels dieses Werkes auf das
Geistesleben des folgenden Jahrhunderts so bedeutenden Einfluss
erhalten sollten, langsam zur Entwicklung gelangten. Kant wurde
deshalb oft als ein Beispie] später Reife angeführt. Er war 57 Jahre
alt, als die „Kritik der reinen Vernunft" erschien. Ol »schon er
nun seine Bedeutung und seinen Ruhm zweifelsohne besonders
diesem Werke verdankt, würde es doch eine falsche Annahme
sein, dass seine vorausgehenden Schriften nur als vorbereitende
Glieder seiner Entwicklungsgeschichte von Werl sein sollten und
ihre Bedeutung verlören, seitdem das Hauptwerk das Licht er-
blickte. Wie sie seiner Zeit Kant bereits einen so hoch ange-
sehenen Namen verschaffte n. dass er ihretwegen sogar mit Lessing
verglichen wurde, ehe er als Verfasser der „Kritik der reinen Ver-
nunft" dastand, so bieten sie noch jetzt etwas mehr als ein rein
historisches Interesse dar. Sie enthalten Gedanken, deren Zeil
noch nicht zu Ende ist. Viele dieser Gedanken hat Kant — zum
Teil mit Metamorphosen, die durch seinen späteren Standpunkt
bedingt waren — in seinen späteren Werken stets behauptet und
aufs neue entwickelt; und vorzüglich mit diesen wird sich die
174 Harald Höffding,
Aufsatz beschäftigen. Es finden sich in den früheren Schriften
aber auch Gedanken, die in den späteren Werken mit Unrecht
verdunkelt oder gänzlich verlassen wurden. Nicht in allen Be-
ziehungen war es ein Fortschritt, den Kant machte, als er seinen
definitiven Standpunkt erreichte. Besonders was die Form betrifft,
besitzen die früheren Schriften entschieden den Vorzug. In diesen
tritt Kant als klarer und eleganter Schriftsteller auf, was sich keines-
wegs von allen Teilen seiner späteren Werke sagen lässt.
Es war natürlich, dass das Neue, Grossartige und Bedeutende
des Hauptwerkes sowohl bei Kaut selbst als bei seinen Schülern
und Auslegern die früheren Schriften überschatten mussten. Erst
während der letzteren Jahre hat man sie aus rein historischem
Interesse hervorgezogen. Dann war es vorwiegend nur darum
zu thun, die Uebergangsglieder zum definitiven Standpunkt nach-
zuweisen. Dieses Studium hat — in Verbindung mit den Kanti-
schen Manuskripten, die während der letzten Jahre zum erstenmal
uns Licht gezogen wurden — in mehreren Beziehungen Klarheit
über Kants Entwicklungsgang verbreitet, indem es sich zugleich
an einigen Punkten als unmöglich erwies, ein bestimmtes Resultat
zu erzielen. In diesem Aufsatze werde ich einige Hauptpunkte im
philosophischen Entwicklungsgange Kants zu erhellen suchen, so
zwar, dass ich namentlich dessen Kontinuität und die dauernde Be-
deutung ansehnlicher Teile der früheren Schriften darlegen werde.
Kaut selbst äusserte gelegentlich wiederholt, dass seine Ent-
wicklung bestimmte Wendepunkte gehabt habe. In einem Brief
au Mendelssohn vom 18. August 1783 schreibt er von der Weise,
wie die Kritik der reinen Vernunft ausgearbeitet worden war:
„Das Produkt des Nachdenkens von einem Zeiträume von
wenigstens zwölf Jahren hatte ich innerhalb etwa 4 bis 5 Mo-
naten zu stände gebracht."1) Diese Aeusserung deutet auf das
Jahr 1769 als den Zeitpunkt, da die direkt zur Kritik der reinen
') Eine ganz ähnliche Aeusserung findet sich schon in Kants Briet an
Garve vom T.August 1783: „Den Vortrag der Materien, die ich mehr als
12 Jahre hintereinander sorgfältig durchdacht hatte.... brachte ich in
etwa 4 bis 5 Monaten zu stände." (Dieser Brief ist abgedruckt in Alb. Stern:
üeber die Beziehungen Chr. Garves zu Kant, S. 33 u. f.)
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. ^75
Vernunft führende Gedankenreihe eingeleitet wurde. Und hiennil
stimmt überein, was Kant weil früher (2. September 1770) an
Lambert geschrieben hatte: „Seil etwa einem Jahre bin ich, wie
ich mir schmeichle, zu demjenigen Begriffe gekommen, welchen
ich nicht besorge jemals ändern, wühl aber erweitern zu dürfen,
und wodurch alle Art metaphysischer Quästionen nach ganz sichern
and leichten Kriterien geprüft and, inwiefern sie auflöslich sind
oder oicht, mit Gewissheit kann entschieden werden." In den von
Benno Brdmann unter dem Titel „Reflexionen Kants" herausgeg
benen Aufzeichnungen von Kant, die mehrfache interessante Bei-
träge zu seiner Entwicklungsgeschichte enthalten, heissl es in dem
wahrscheinlich dem Entwurf einer geplanten Vorrede zur Kritik
der reinen Vernunft angehörenden Fragmente: „Das Jahr lTi.'.t gab
mir grosses Licht."3) Und als einer der Schüler Kants eine Samm-
lung von dessen kleineren Schriften veranstalten wollte, wünschte
Kant, dass keine alteren Schriften als von 1770 aufgenommen V
würden (Brief vom 6. Februar 1798 an Tieftrunk).
liier hat man also ein Datum für den Anfang der letzten IV
riode von Kants Forschen und einen Beweis, dass er selbsl dieses
als ein zusammenhängendes Ganzes auffasste. Ein Wendepunkt
-eine- Entwicklung! n lies ist festgestellt, und mithin wird es die
Aufgabe sein besonders, wenn mau die Kontinuität des Ent-
wicklungsganges zeigen will — zu erklären, wie dieser Wende-
punkt durch die vorausgehende Periode vorbereitet wird und mit
derselben im Zusammenhang steht.
Ein anderes Problem hat Kant selbst denjenigen, die sich mit
seinem Entwicklungsgang beschäftigen, gestellt, indem er darauf
hinweist, was er David llume verdanke. „Ich gestehe frei",
heisst es in der Vorrede zu deu „Prolegomena", „die Erinnerung
des David llume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren
zuersl den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Un-
tersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz an-
") Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie. Aus Kants handschrift-
lichen Aufzeichnungen herausgegeben ?on Benno Brdmann. 11. Leipzig
1884. S.4. (No 4.)
176 Harald Höffding,
clere Richtung gab".3) Hier wird also ebenfalls auf eine Unter-
brechung hingedeutet, indem ein äusserer Impuls eingreift und der
Denkarbeit eiue ganz neue Richtung verleiht. Es entsteht nun
zunächst die Frage, auf welchen Punkt in Kants Entwicklung
diese Erweckung zu beziehen ist, Diese Frage hat trotz aller darauf
angewandten Gelehrsamkeit und Scharfsinnigkeit keine überein-
stimmende Beantwortung der Kantforscher gefunden. Es gibt keinen
Punkt in Kants Gedankenentwicklung, an welchem ein derartiger
Sprung zu finden wäre, dass das entschiedene Eingreifen eines
fremden Gedankenganges eine unerlässliche Voraussetzung genannt
werden müsste. Ueberall lässt sich das Fortschreiten sehr wohl
als Fortsetzung der vorhergehenden Thätigkeit erklären. Einer der
hervorragendsten Kantforscher nahm an, das Jahr 17G9, in wel-
chem nach Kants ausdrücklicher Erklärung der Grundgedanke sei-
ner definitiven Philosophie entstand, möchte auch der Zeitpunkt
sein, da die Erweckung aus dem dogmatischen Schlummer statt-
fand.4) Die Sache würde allerdings am einfachsten liegen, wenn
die beiden von Kant selbst erwähnten Wendepunkte zusammen-
träfen. Ob es sich so verhält, lässt sich erst nach näherer Unter-
suchung der 1769 eingetretenen Veränderung entscheiden. An und
für sich ist es nicht nothwendig, dass die beiden Zeitpunkte zu-
sammentreffen. Eine Erweckung ist etwas anderes als eine Ent-
deckung; eine neue Richtung etwas anderes als ein neues Ergebnis.
Was im Jahre 1769 geschah, kann ein Fortschritt gewesen sein,
der nur dadurch ermöglicht wurde, dass die Erweckung vorausge-
gangen war und zwar vielleicht seit langer Zeit. Das Licht, das
Kant in jenem Jahre erschien, hat er möglicherweise lange suchen
müssen, bis er es fand. Und dies wird teils dadurch bestätigt,
dass er in den Briefen an Garve und Mendelssohn von „mehr als
zwölf Jahre durchgedachten Materien", von „dem Produkt von we-
nigstens zwölf Jahren" spricht, teils dadurch, dass er in den
„Prolegomena" äussert, die [in der „Dissertatio" (1770)] aufge-
stellte Unterscheidung der Elementarbegriffe der Sinnlichkeit von
3) Prolegouiena zu jeder künftigen Metaphysik. Riga 1783. S. 13.
4) Friederich Paulsen: Versuch einer Entwicklungsgeschichte der
Kantischen Erkenntnistheorie. Leipzig 1875. S. 12.6 u. f.
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. 177
denen dos Verstandes sei ihm erst „nach langem Nachdenken"
gelungen. 5)
Es wäre sicherlich von nicht geringem Interesse, wenn sich
der Zeitpunkt der Erweckung bestimmt angeben Hesse. Kants Be-
ziehung zu Bume ist ein Hauptpunkt in der Geschichte der neue-
ren Philosophie. Man wird diese Geschichte als einen grossen Dialog
darstellen können, in welchem Bumes Replik und deren Erwide-
rung durch Kant als die bedeutendsten Aktenstücke dastehen. So-
wohl wegen ihres Kontrastes als wegen ihrer Verwandtschaft ist das
Studium ihrer Werke eine Quelle stets neuer Orientierung mit Be-
zug auf philosophische Prinzipienfragen. Es würde nun von grossem
Interesse sein, zu erfahren, an welchem Punkte seiner Entwick-
lung Kant so recht eigentlich Bumes Replik gehört hatte. Dass es
nicht damals war, als er den Humc zum erstenmal las, liegt in
seiner Aeusserung: „die Erinnerung des David Hume". Es
würde zugleich von allgemeinem psychologischen Interesse sein,
wenn diese Frage sicli näher erhellen Hesse; wir würden hiermit
ein klassisches Beispiel erhalten, wie ein entscheidender Einfluss
auf eminent selbständige Weise angenommen werden kann.
Eben in den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, den
Zeitpunkt der Erweckung nachzuweisen, erblicke ich aber einen
Beweis der Kontinuität in Kants Entwicklung. Eben weil Kants
Denken in fortwährender Entfaltung blieb, — gerade wegen seines
unablässigen Strebens und seiner unermüdlichen Selbstkritik (we-
nigstens bis der ihm definitive Standpunkt erreicht war), ist es
schwer zu entscheiden, wann und wie die äusseren Impulse, die
unseres Wissens an einzelnen Punkten bestimmend waren, zum
Eingreifen kamen. — Diese Bemerkungen gelten übrigens uicht
nur von dem Einfluss David Bumes, sondern auch von der Ein-
wirkung, die ein anderer grosser Zeitgenosse auf Kant ausübte,
und die auf dem moralphilosophischen Gebiete nicht, weniger tief
in Kants Entwicklung eingrifi als jener auf dem erkenntnistheo-
retischen, — die Einwirkung des Jean Jacques Rousseau nämlich.
Auch auf diese würde man nicht au l'merksam geworden sein, wären
5) Prolegomena. Riga 1783. S. L19.
178 Harald Höffding,
nicht zufällig hierauf bezügliche Aeusserungen Kauts aufbewahrt
worden.
Die hier erscheinende Schwierigkeit kehrt bei der Unter-
suchung eines Entwickelungsprozesses, besonders auf geistigem Ge-
biete, häufig wieder. Die genaue Bestimmung des Verhältnisses
zwischen innerer Entfaltung und äusserem Einfluss kann, wenn von
Anfang an grosse Kräfte in Bewegung sind, leicht zur unlösbaren
Aufgabe werden. Es kann hier oft scheinen, als vermöchte die
innere Entfaltung alles, wenn sie nur günstige Bedingungen erhält,
ohne dass ein besonderer äusserer Impuls nötig wäre. So geht es
uns gerade mit Humes und Rousseaus Einfluss auf Kant; nur die
äusseren Zeugnisse bewegen zu dessen Untersuchung. Wo die
Kantforscher uneinig sind, wenden sie in der Debatte denn auch
die Methode an, dass sie zeigen, wie der Fortschritt um den be-
stimmten Zeitpunkt, der vom Gegner als Zeitpunkt der Erweckung
angenommen wird, ohne äussere Einwirkung verständlich ist. Diese
Methode lässt sich um so leichter durchführen, als die Einwirkung
auf die Entwicklung eines bedeutenden Geistes ihren Einfluss sehr
oft auf indirekte Weise üben wird, indem sie vielmehr in der
Auslösung der eignen, bisher gebundenen Kraft als in der Mit-
teilung neuen Stoffes besteht. Was dann das Resultat der Er-
weckung wird, braucht der erweckenden Einwirkung nicht ähnlich
zu sein. Das erweckende Wort hat oft ja gar nichts mit der Hand-
lung zu schaffen, zu der man erweckt wird.
Obgleich ich mir im Folgenden gelegentlich eine Vermutung
über den Zeitpunkt der Erweckung gestatte, lege ich dem Streite
hierüber das grösste Interesse doch darum bei, weil derselbe den
Eindruck der Kontinuität in Kants Entwicklung bestätigt hat.
Kant selbst war übrigens auch nicht der Meinung, dass seine vor-
kritischen Schriften gänzlich ihre Bedeutung verloren hätten. In
einem Entwürfe zur Vorrede der Kritik der reinen Vernunft sagt
er: „Durch diese meine Abhandlung ist der Wert meiner vorigen
metaphysischen Schriften völlig vernichtet. Ich werde nur die
Richtigkeit der Idee noch zu retten suchen."6) Es wird also
6) Reflexionen. II. S. 5 (No. 7).
k iiiinuitiit im Entwicklung« Kants. 1 ,'.»
trotz der Erweckung and des Wendepunktes doch eine Gedanken-
verwandtschafl anerkannt. Diese isl es, die im vorliegenden Auf-
satz besonders bebandell werden soll.
Der EJebersicht wegen teile ich die Darstellung in vier Ab-
schnitte, so dass wir innerhalb jedes derselben »las Verhältnis
zwischen dem früheren und dein späteren Standpunkte mit Bezug
auf einen einzelnen bestimmten Punkt untersuchen.
I.
Der K a usa 1 begriff.
'2. Kants Interesse wurde während seiner Studienjahre vor-
züglich von Wolfs Philosophie und Newtons Physik gefesselt. Beiden
jenüber nahm er eine selbständige Stellung ein. was schon des-
wegen notwendig war. weil sie sieh im Zwiespalt befanden, da
Wolf noch der Cartesianisch-Leibnizischen Physik huldigte und
Newtons Attraktionslehre bekämpfte. Schon dieser Zwiespalt musste
das Nachdenken erregen, und wir sehen denn auch in der ersten
selbständigen Periode Kants (17"):") — 1761) 7) Versuche hervortre-
ten, seine philosophische Grundlage dergestalt zu ändern, dass
Newtons Physik zu ihrem Hechte gelangen könnte. Kant stand
mit seiner Anerkennung Newtons in der Wölfischen Schule nicht
allein"). Er trat aber selbständiger auf als andre Wolfianer. und
zwar nicht nur Wolf, sondern auch Newton gegenüber. In seiner
berühmten Jugendschrift „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie
des Himmels" (ITT).")) nimmt er das Problem von dem natürlichen
Zusammenhange d^ Weltalls an dem Punkte auf, wo Newton
7) Dieser Periode voraus gehen nur eine Abhandlung über die Schätzung
der lebendigen Kräfte (1747) und zwei kleine naturwissenschaftliche Abhand-
lungen.
Kants Lehrer, Martin Knutzen, hatte es bereits versucht, Newtons
Physik mit Wolfs Philosophie zu verbinden, und er führte seinen Schüler in
das Studium dieser Forscher ein. Vgl. Benno Erdmann: Martin Knutzen
und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der Wolfischen Schule und ins-
besondere zur Entwickelungsgeschichte Kants. Leipzig 1876. — In Däne-
mark erklärte sieh der Wolfianer Jeus Kraft. Professor zu Sorö, in seiner
„Kosmologie" (Kopenhagen 1752) wider die Cartesianische und für Newtons
Physik.
Archiv f. Geschichte d. Philosophie. VII. 13
180 Harald Höffding,
dasselbe nicht nur verlassen, sondern auch als unlösbar erklärt
hatte. Trotz seiner grossen Ehrerbietung vor Newton konnte Kant
sich nicht mit dessen Aeusserung zufrieden geben, dass sich kein
natürlicher Grund finden Hesse, weshalb die Planeten sich in der
nämlichen Richtung und ungefähr in der nämlichen Fläche in kon-
zentrischen Bahnen um die Sonne bewegen und dasselbe Verhältnis
in betreff der Trabanten stattfinden solle. Kant betrachtete die
Appellation an eine übernatürliche Ursache als nicht wissenschaft-
lich und versuchte zu zeigen, dass dieselbe gesetzmässige Ordnung,
die jetzt alle Körper und Elemente zu einem grossen Ganzen vereint.
auch bei der Entstehung der Weltsysteme gewaltet habe. Somit
wurde er zu einer kosmogonischen Hypothese geführt, mittels deren
er zu zeigen suchte, dass die Entstehung des Sonnensystems (und
analog diejenige anderer Weltsysteme) durch die Thätigkeit von
Kräften, die noch jetzt wirken, verständlich sei. Er wandte das
Aktualitätsprinzip, die von Newton aufgestellte Forderung der vera
causa, auf das zeitlich Entfernte an, während Newton dieses nur
auf das räumlich Entfernte angewandt hatte.
Kants Eifer für die Durchführung einer mechanischen Natur-
auffassung steht in enger Verbindung mit einem philosophischen
Gedankengang, der sich schon damals in ihm entwickelte. Man
gehe von einer falschen Voraussetzung aus, meint er, wenn man
glaube, die Natur würde, sich selbst überlassen, nur Unordnung
und Chaos erzeugen. Nicht durch Zufall, sondern zufolge ihrer
eignen Gesetze bringe die Natur das Zweckmässige hervor. Und
eben die Thatsache, dass die verschiedenen Elemente solchergestalt
von Anfang bis zu Ende zusammenwirken und von einer und
derselben Naturordnung umspannt werden, bezeuge, dass sie ihrem
Wesen und Ursprünge nach nicht von einander unabhängig seien.
Der mechanische Zusammenhang zwischen allem in der Welt führe
also gerade zur Annahme eines Einheitsgrundes für alles. Zwei
Auffassungen bekämpft Kant — einerseits diejenige Atomistik,
welche voneinander unabhängige Atome annimmt, die nur durch
Zufall zusammenwirken sollten, — anderseits die Physikotheologie,
die ein äusseres Eingreifen der Gottheit in die Weltmaschinerie
annimmt. Die drei Begriffe: Element, Gesetz und Kraft wollte
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. [81
er nicht auf äussere Weise getrenul wissen"). Diese Betrach-
tung erhielt besondere Bedeutung bei dem Problem des I rsprungs
der in der Welt herrschenden Harmonie und Zweckmässigkeit.
Kant bedauert, dass ein fasl allgemeines Vorurteil die meisten
Forscher eingenommen habe, so dass sie das Vermögen <\^\- Natur.
aach ihren allgemeinen Gesetzen ein Geordnetes zu erzeugen, oichl
erblickten. In seinen Augen sind gerade die Ordnung und die
Harmonie, die in dem erscheinen, was nach den Gesetzen der Natur
erzeugl wird, ein Zeugnis, dass das Wesen aller Dinge einen ge-
meinschaftlichen Ursprung in einem Urwesen halte. Die gemein-
schaftliche Verbindung deute auf gemeinschaftliche Abhängigkeit.
Je mehr man die Natur kennen lerne, um so mehr werde man
aberzeugt, dass die Dinge der Welt ihrem innersten Wesen nach
nicht voneinander getrennt und einander oichl fremd seien.
In dieser seiner Jugendschrifi finde! Kant die Verbindung
wissenschaftlicher Erkenntnis und religiösen Glaubens also nicht
durch Unterbrechung des Zusammenhanges, den erstere in der
Natur findet, sondern gerade, indem er von diesem Zusammenhang
ausgeht. Und er fasst Teleologie und Mechanismus nicht als Gegen-
sätze auf, sondern verlangt, dass das Zweckmässige als das Ergeb-
nis eiuer den allgemeinen Naturgesetzen gemäss stattgefuudeneu
Entwicklung erklärt werde.
3. Den nämlichen Gedanken, den Kaut in seiner astrono-
mischen Hypothese zur praktischen Verwendung gebracht hatte,
sprach er gleichzeitig in seiner Habilitationsschrift über die Prin-
zipien der Erkenntnis10) in abstrakter Form aus. Hier nennt er
denselben das Prinzip der Koexistenz. Wollte man annehmen,
— dies ist Kants Gedankengang — dass die einzelnen Dinge
(Substanzen) der Welt jedes für sich, voneinander unabhängig,
9) Den innigen Zusammenhang der Begriffe: Element und Kraft behan-
delt besonders ein Aufsatz von Kant aus dem folgenden Jahre: Monadologia
physica (175G), in welchem die Atome (die absoluten Atome) als Kraftpunkte
aufgefasst werden, ähnlich wie in neuerer Zeit Fechner sie in seiner „Atomen-
lehre- aull'asste.
,0) Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio.
(Sämll. Werke, herausg. von Rosenkranz und Schubert. I. S. 1— 44.)
13*
182 Harald Hoff ding,
existieren, so würde mau nicht von einem einzelnen derselben auf
die Existenz der anderen schliessen können. So verhalte es sich
aber nicht. Wegen des gegenseitigen Zusammenhanges aller Dinge
der Welt könne man von dem einen auf das andere Schlüsse ziehen.
Dies sei nicht der blossen Koexistenz der Dinge zu verdanken,
sondern müsse auf Gemeinschaftlichkeit des Ursprungs, auf gemein-
schaftlicher Abhängigkeit von einem und demselben Wesen beruhen.
In der Naturordnung selbst liege also ein Beweis einer höchsten
Ursache. Diesen Nachweis eines gemeinschaftlichen Ursprunges
aller Dinge der Welt als Voraussetzung der Wechselwirkung nach
allgemeinen Gesetzen glaubt Kant zuerst gegeben zu haben (primus
evidentissimis rationibus adstruxisse mihi videor).
Wir haben hier einen Gedanken vor uns, dem Kant nicht nur
in seinen ersten Schriften grosse Bedeutung beilegte, sondern auf
den er später stets wieder zurückkehrt, und der für seine Behand-
lungsweise der Probleme charakteristisch ist. Wo Kant sich einem
grossen Prinzip (wie hier z. B. der mechanischen Naturauffassung)
gegenüber befindet, nimmt er dasselbe in seiner ganzen Tragweite
und sucht entweder zu zeigen, dass es bei näherem Nachdenken
ganz andere Konsequenzen herbeiführt, als die anfänglich erschei-
nenden, oder auch, dass die gesamte Sphäre, welcher es gilt, nicht
die absolute Wirklichkeit, sondern nur eine Seite derselben aus-
drückt. Ersteren Verfahrens bedient er sich in seiner früheren,
des letzteren in seiner späteren Periode. Dieses Verfahren besitzt
eine gewisse Erhabenheit; es zeichnet sich vorteilhaft vor dem so
häufigen Halbieren der Begriffe und der Kurzsichtigkeit aus, die
lieber in scheinbaren Ausnahmen ein armseliges Versteck sucht
als das Prinzip resolut zu Ende denkt. Es enthält aber auch
seine Gefahren, wie Kants eignes Beispiel uns später zeigen wird.
4. Sieben Jahre nach der Habilitationsschrift und nach dem
Erscheinen der kosmogonischen Hypothese wurde derselbe Gedanken-
gang, der diese Abhandlungen beseelte, von Kant in der Schrift
„Einzig möglicher Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins
Gottes" wieder aufgenommen (17G2).
Hier wird die schon in der „Allgemeinen Naturgeschichte und
Theorie des Himmels" eingeleitete Kritik der Physikotheologie mehr
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. 183
im einzelnen durchgeführt-, Kant macht derselben den Vorwurf,
sie betrachte die Harmonie und die Zweckmässigkeit der Natur als
Zufälligkeiten und suche deshalb deren Ursache ausserhalb der
Natur. Hierdurch werde sie unwissenschaftlich und habe sie oft
die Fortschritte der Erkenntnis gehemmt, indem Nutzen und Voll-
kommenheit als Anzeichen betrachtet würden, dass ein dieselben be-
sitzendes Ding keinen natürlichen Ursprung habe, weshalb man alles
fernere Forschen unterlasse. Und selbst wenn man auf den physiko-
theolotdschen Gedankengang eingehe, führe dieser doch Dicht zu
dem. was der religiöse Glaube verlange. Er erkläre nämlich nur
die Ordnung, nicht aber den Ursprung der Elemente. Die Gottheit,
auf deren Dasein sich nach diesem Gedankengange schliessen lasse,
werde dann nur der Baumeister, nicht aber der absolute Urheber
der Welt11).
Auch die anderen landläufigen Beweise von dem Dasein Gottes
linden keine Gnade vor Kants Augen. Schon in der Habilitations-
schrift hatte er sich Crusius' Kritik des ontologischen Beweises an-
chlossen. Crusius hatte dargelegt1"), dass dieser Beweis, auf
welchen die vorhergehenden methaphysischen Systeme (namentlich
das Cartesianische und das Wolfische) so grosses Gewicht gelegt
hatten, auf einem falschen Schlüsse beruhe. Kant führt Crusius'
kritischen Gedankengang weiter, ähnlicherweise wie er dies in der
bekannten Entwicklung in der Kritik der reinen Vernunft aus
dem Unterschied zwischen Begriff und Existenz später fortsetzt. —
Ebensowenig lässt er den kosmologischen Beweis gelten. Ein Schluss
aus der in der Erfahrung gegebenen Welt könne nicht zur An-
nahme eines absolut notwendigen Wesens führen.
Diejenige Kritik der natürlichen Theologie, die später in der
u) Es hat sein Interesse, zu bedenken, dass Kants Kritik der Physiko-
theologie bereits aus den Jahren 1755 und 17(!2 herrührt. l)enn den Haupt-
zügen nach stimmt sie mit Humes Kritik in den „Dialogues on natural iv-
Iigion" überein, die 1779 erschienen, zwei Jahre vor der Kritik der reinen
Vernunft (obsehon sie seit vielen Jahren ausgearbeitet waren). Kants Selb-
ständigkeit ist also festgestellt. AN er später die „l>ialoguesu kennen lernte,
schätze er sie hoch.
'-) Chr. Aug. Crusius: Entwurf der aotwendigen Vernunft-Wahrheiten.
Leipzig 1745. § 235. (Hier nach der dritten Ausgabe citiert.)
L84 Harald Höffding,
Kritik der reinen Vernunft so grosses Aufsehen erregte, findet sich
also schon im „Beweisgrund". Bliebe man bei Kants Hauptwerken
stehen, so würde man die bedeutungsvolle Thatsache übersehen,
dass mehrere der wichtigsten Abschnitte weit früher entstanden sind.
Jedoch hatte Kant 1762 noch nicht jeden Versuch einer theo-
retischen Begründung der natürlichen Theologie aufgegeben. Aller-
dings sieht er Beweise nicht für notwendig an, da der religiöse
Glaube eine andere Grundlage als die der Beweisführung habe.
Da er aber den Versuch, wie weit man auf dem Wege der
Vernunft gelangen könnte, als wertvoll ansieht, stellt er fol-
gende Abänderung des ontologischen Beweises auf: „Alle Mög-
lichkeit setzt etwas Wirkliches voraus, worin und wodurch alles
Denkliche gegeben ist. Demnach ist eine gewisse Wirklichkeit,
deren Aufhebung selbst alle innere Möglichkeit überhaupt aufheben
würde. Dasjenige aber, dessen Aufhebung oder Verneinung alle Mög-
lichkeit vertilgt, ist schlechterdings notwendig. Demnach existiert
etwas absolut notwendigerweise" 13). Besonders deutlich ist dieser
Gedankengang nicht, und Kant gibt ihn auch nicht als Beweisfüh-
rung, sondern nur als Beweisgrund, den einzigen, den er für mög-
lich hält. Kann dieser nicht zum Ziele führen, so kann keiner
es, sagt er. — Dass derselbe nicht zum Ziele führt, liegt darin,
dass auch wenn jede Möglichkeit ihren Grund in etwas Wirklichem
haben muss, dieses Wirkliche doch nicht absolut notwendig zu sein
braucht; es selbst kann seinen Grund in einem anderen Wirklichen
haben — und so weiter.
Was Kant bei dieser versuchten Umwandlung des ontologi-
schen Beweises hauptsächlich interessiert, ist jedoch, dass dieselbe
den völligen Abschluss des aus seinen früheren Schriften bekannten
Gedankenganges ermöglichen würde, der wegen des mechanischen
Zusammenhanges der Natur zu einem Einheitsgrunde für alles
führte. Hätte jedes der Dinge der Welt seine besondere Notwen-
digkeit, so würde es ein Zufall sein, wenn sie so zusammenpassten,
13) Einzig möglicher Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins
Gottes. Königsberg 1763 (1762) S. 29. — Schon in der Habilitationsschrift
findet sich dieser Gedankengang (Sectio II, Prop. 7), nur in mehr dogmati-
scher Form.
Kontinuität im Km« icklung Kants. 1 85
dass 'in Ganzes aus ihnen entstehen könnte. Damit Wechselwir-
kung möglich werde, müssten die Dinge von Anfang an ein System
bilden and alle von einem gemeinschaftlichen Grunde abhän
sein. Es müsse ein Prinzip geben, in welchem alles Verschieden-
artige verbunden sei und alles Mannigfaltige sich in Einheit befinde.
Dieser Einheitsgrand, aus dem die ersten Möglichkeiten der Dinge
entsprängen, müsse zugleich der Grund aller Weisheil und Güte
sein; nur hierdurch werde es möglich, dass das gesetzmässige Zu-
sammenwirken der Dinge mit den Forderungen der Weisheit und
der Güte übereinstimmen könnte.
Dies ist der kühnste Aufschwung, den Kants Henken in spe-
kulativer Richtung nahm. Weit über den gewöhnlichen anthropo-
morphistischen Gottesbegriff hinaus greift er auf eine Grundlage
zurück, aus welcher sowohl die sieh in der Welt kundgebende
Weisheit als die in der Welt zusammenwirkenden Elemente ent-
springen. In seinem Eifer, die letzte Konsequenz aus dem Grund-
faktum zu ziehen, von welchem er ausgeht, — aus dem mecha-
nischen Naturzusammenhang nämlich und dem inneren Zusammen-
hang aller Weltelemente, den dieser voraussetzt. — verliert sich
sein Gedanke zuletzt in mystische Tiefe. Hatte er hier unten
seinen dauernden Sitz aufgeschlagen, statt an das Tageslicht des
rationellen Bewusstseins zurückzukehren, so würde er unter den
wenigen Denkern, die sich in dieser Dämmerung bewegen, Jakob
Böhme und Spinoza erblickt haben. Denn wenn Kant bei seiner
ersten Aufstellung des Gedankenganges, dessen letzte Konsequenz
er hier zog. mit Sell.»tgeftihl erklärte, er sei dessen erster Urheber,
so war dies historisch nicht richtig. In mystischer Form findet
sich derselbe bei Böhme, und in klarer Verbindung mit der mecha-
oischen Naturauffassung und als deren Konsequenz bei Spinoza,
dessen ganzes System eigentlich eine Durchführung des Gedankens
ist. der Kausalzusammenhang sei unverständlich, wenn die einzel-
nen Diuge der Welt als selbständige und unabhängige Wesen (als
Substanzen im strengsten Sinne) betrachtet würden. In seiner
Abhandlung „de emendatione intellectus" stellt Spinoza eben den
gesetzmässigen Zusammenhang der Erscheinungen als die l'rthat-
sache auf, von welcher das Denken seinen Ausgangspunkt nehmen
186 Harald Hoff ding,
müsse. Spinozas einzige Substanz entspricht dem Einheitsgrunde
Kants. — Kant hat Spinoza nie aus erster Hand gekannt und
wäre gewiss in hohes Erstaunen geraten über die Uebereinstim-
mung, die zwischen ihm und dem einsamen Denker sich eingestellt
hatte, für dessen Verständnis die Zeit noch nicht gekommen war.
als Kant seine Habilitationsschrift und seinen „Beweisgrund" ver-
fasste.
In neuerer Zeit haben zwei geistreiche Denker in ihrem
Streben, eine idealistische Weltanschauung zu behaupten, ohne der
Konsequenz der mechanischen Naturauflassung etwas zu vergeben,
einen ähnlichen Gedankengang entwickelt wie jenen, dessen erster
Urheber Kant zu sein glaubte. In Fechners und Lotzes philo-
sophischen Anschauungen spielt derselbe eine wichtige Rolle. Be-
sonders hat Lotze seinen idealistischen Monismus mit grossem Scharf-
sinn auf die Analyse des Begriffes des Mechanismus gestützt14).
5. Es lässt sich schwer denken, dass Kant einen Gedanken
von solcher Tiefe und solchem Interesse wieder hätte fallen lassen,
nachdem er ihn erst einmal zur Welt gebracht hatte. Derselbe
durchflicht denn auch unter verschiedenen Formen seine spätere
Philosophie, obschon der veränderte Gesichtspunkt ihm andere
Stellung und Form gibt. — In dem nämlichen Jahre, das den
„Beweisgrund" entstehen sah, trat (wie wir später zeigen werden)
eine wichtige Aenderung in Kants Interessen ein. Von den ob-
jektiven Problemen hinweg wandte er sich der Untersuchung einer
Methode ihrer Behandlung zu. Auf diesem Wege war es, dass
Kant sich dem oben erwähnten Wendepunkte näherte, au welchem
die kritische Philosophie ihrem Prinzipe nach entstand. In der
Schrift, die dieses Prinzip aussprach (Dissertatio de mundi seusi-
bilis et intelligibilis forma atque prineipiis. 1770), treffen wir
(Kap. 4) den aus den älteren Schriften bekannten Gedankengang
wieder an. Ausser dem Zusammenhange der Dinge der Welt, der
in den Formen der Zeit und des Raumes erscheint, wird ein ob-
u) Drei Bücher der Metaphysik. Leipzig 1879. S. 135 u. f. (Schon im
Mikrokosmus Drittes Buch. Kap. 5.) In der jüngsten Zeit hat Fr. Paul-
sen sich dieser Betrachtung angeschlossen (Einleitung in die Philosophie.
Berlin 1892. S. 212—224).
Kontinuität im Entwicklung Kants. 1 - ,
jektives Prinzip der realen Wechselwirkung postuliert, welche die
Well als eio Ganzes ermöglicht. Die Frage lautet: „Wie isl
möglich, dass mehrere Substanzen in einer wechselseitigen Gemein-
schaftstehen und auf diese Weise zu einem und demselben Ganzen
gehören, das man Well nennt?" (§16). Und es wird geantwortet,
liirs sei nur dann möglich, wenn sie alle einen und denselben
Ursprung hätten, mithin keine Substanzen in absolutem Sinne
seien i:').
Als Kant die Dissertation an Lamberl sandte, äusserte er
Brief an Lamberl vom 2. Sept. 1770), das Kapitel, in welchem
sich dieser Gedankengang finde, könne als unerheblich übergangen
werden. Es vorhielt sich nämlich so, dass jetzt ein ganz anderes
Problem in den Vordergrund getreten war. indem Kant die Ueber-
zeugung gewonnen hatte. Kaum und Zeil seien mir subjektive Au-
schauungsformen, so dass die Dinge, insofern wir sie zeitlich und
räumlich auffassen, nur als Erscheinungen erkannt würden. Noch
jetzt nahm er allerdings noch an, wir könnten mittelst des Kausal-
begriffes und anderer Yerstaudesbegriffe die Dinge an sich erken-
nen (Noumeua). Gleich nach dem Erscheinen der Dissertation fühlte
er jedoch die grossen Schwierigkeiten dieser Ansicht. Indem er
diese zu überwinden suchte, kam er nun (wie wir später etwas
eingehender zeigen werden) zu dem Ergebnis, dass alle unsere
wissenschaftliche Erkenntnis nur die Erscheinungen, nicht aber die
Dinge an sich betreffe.
Es ist klar, dass er jetzt nicht mehr ebenso wie früher aus
dem Naturmechanismus auf einen objektiven Eiuheitsgruncl schliessen
konnte. Das Prinzip des festen Zusammenhanges in der Welt der
Erscheinungen wurde ein rein subjektives Prinzip, die vereinende
Kraft des Bewußtseins. Der Einheitspunkt der Weltanschauung lag
jetzt nicht mehr in einem mystischen Urgründe, sondern eben im
erkennenden Subjekte. So heisst es in einer Aufzeichnung, die
aus den siebziger Jahren herzurühren scheint (aus dem Zwischen-
1S) Totum e substantiis neces>ariis est impossibile (§ ls\ l'iritas in
conjunetione substantiarum um conseetarium dependentiae oinnimn
ab Uno (§ 20 ,
188 Harald Höffding,
räum zwischen der Dissertation und der Kritik der reinen Ver-
nunft): „Die Exposition desjenigen, was gegeben ist, beruht, wenn
man die Materie J als unbestimmt ansieht, auf dem Grunde aller
Relation und der Verkettung der Vorstellungen (Empfindungen).
Die Verkettung gründet sich .... nicht auf die blosse Erscheinung,
sondern ist eine Vorstellung von der inneren Handlung des
Gemüts Vorstellungen zu verknüpfen, nicht bloss bei ein-
ander in der Anschauung zu stellen, sondern ein Ganzes der Materie
nach zu machen .... Die Exposition der Erscheinungen ist also
die Bestimmung des Grundes, worauf der Zusammenhang der Em-
pfindungen in denselben beruht16)."
Mit diesem Gedanken war die kritische Philosophie vollendet.
Sie stützt sich auf den Grundgedanken, dass unsere gesamte Welt-
anschauung das Gepräge der Thätigkeitsart unseres Geistes trägt.
Die Gesetze unserer Vernunft gelten allen möglichen Erscheinun-
gen, weil diese nur dadurch von uns erkannt werden, dass unsere
Vernunft sie auf ihre Weise und ihren Gesetzen gemäss anschaut
und denkt. Die Kontinuität in Kants Denken kommt hier nun
aber zum Vorschein, denn auch für die kritische Philosophie
ist der Kausalzusammenhang (neben dem räumlichen und zeit-
lichen Zusammenhange) das Grundfaktum, aus welchem auf das
Einheitsprinzip geschlossen wird, — nur dass das Eiuheitsprinzip
nun, wie gesagt, subjektiv, nicht mehr objektiv ist. Der Grund-
begriff der Kritik der reinen Vernunft, die Synthese als Ausdruck
der Erkenntnisthätigkeit auf allen ihren Stufen, ist das subjektive
Abbild des objektiven Einheitsgrundes, den Kant in seinen Jugend-
schriften aufsuchte. Nachdem er den Grund gesucht hat, der die
Welt zusammenhält und zu einem objektiven Ganzen macht, geht
er nun zum Aufsuchen des Grundes über, der das Weltbild zu-
sammenhält und zu einem subjektiven Ganzen macht. Nach sei-
nem innersten Wesen als verbindende Einheitsthätigkeit, als Syn-
these, ist der erkennende Geist dann ein Vorbild alles dessen, was
zu erkennen sein soll, da dieses stets das Einheitsgepräge tragen
muss. Wie Kant sagt: „Ich bin das Original aller Objekte", oder:
16) Lose Blätter aus Kants Nachlass. Mitgeteilt von Rudolf Reicke.
Erstes Hei't. Königsberg 1889. S. 16.
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kant--. [QQ
„Das Gemüt [das Bewusstsein] ist sich selbst das I rbild der Syn-
fchesis."17) — Nicht die Substanz, sondern die Synthese ist
nuiniH'lir der Grundbegriff. Hierdurch wird der Gegensatz der kri-
tischen und der dogmatischen Philosophie bezeichnet.
I). In der Kritik der reinen Vernunft findet sieh, was die
Kritik der .sogenannten Beweise des Daseins Gottes betrifft, nichts
eigentlich Neues im Vergleich mit den vorkritischen Schriften. Das
Neue i>t hier ein Negatives: die Auslassung des Gedankenganges,
der für Kant seiner Zeit (noch in der Dissertation) eine Brücke
zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem religiösen
Glauben gebildet hatte. Diese Brücke zerfiel, als die Anwendung
der Verstandesbegriffe auf die Welt der Erfahrung beschränkt wurde.
Denn nur mittels eines Sprunges ist es jetzt möglich, aus der
bedingten Welt der Erfahrungen zu dem unbedingten zu gelangen.
das der religiöse Glaube sucht, und dieser Sprung geschieht aus
praktischen, moralischen Motiven, nicht aus Erkenntnisdrang. Die
Erfahrung, die stets bedingt ist, kann den Gedanken einer unbe-
dingten Ursache nicht begründen.1") Mithin lässt sich nicht mehr
aus dem Kausalzusammenhang der Welt auf einen absoluten Ein-
heitsgrund schliessen. 19)
Das grosse Interesse für die Kausalerkenntnis und für deren
konsequente Durchführung in ihrer streng wissenschaftlichen Form
fällt jedoch nicht weg, weil ihre Anwendbarkeit auf die Welt der
Erscheinungen begrenzt wird. Es kommt wieder zum Vorschein
17) Lose Blätter I. S. 19. 20.
,8) Kritik d. r. Vera. 2. Aufl. S. 665. — Auch den Gedankengang, mittels
dessen Kant einst (siehe § 4) den ontologischen Beweis umzuwandeln sucht'',
hat er jetzt als nichts beweisend verlassen. Die Idee des absoluten Wesens
als Grund aller Möglichkeit ist aber nicht zugleich weggefallen. Diese tritt als
„das transcendentale Ideal" auf, als höchst« r Massstab alles dessen, welchem
man Realität beilegt. Siehe Kritik d. r. Vera. 2. Aufl. S. 600. 606. Schon in
der Dissertation ist die höchste theoretische Idee exemplar aliquod, omnium
aliorum, quoad realitates mensura communis (§ 9). liier ist also eine der Sub-
jektivierung des „Einheitsgrundes" analoge Metamorphose vor sich ge
19) Das Problem der Wechselwirkung wird indes erwähnt in den Prole-
gomena S. 98 u. f. und in der Kr. d. r. Vera. 2. Aufl. S. 265, Note, 292 u. f.,
428, so zwar, dass zu ersehen ist, wie Kant seinen alten Gedanken nicht ver-
gessenhat. Vgl. auch Reflexionen Kants II. s. 219 u f. Lose Blätter 1. S. 274,
II
in « 1t- 1 VVeise, wie Kant alle verschiedenen Grandsätze, welche die
glichen Erfahrung enthalten, auf das Gesetz
der Kontinuität zurückführt. Die vier Klassen von Grund-
sätzen, die in Kam- - m den vier Klassen v.'ii Kategorien ent-
sprechen - iwie letztere wieder den vier Klassen von logischen
ilen . werden in vier Mottos resümiert: l) In Mundo oon datur
hiatus. '_' In Mundo neu datur saltus. •"• In Mundo oon datur
casus. I In Mundo non datur fatum. Und als gemeinschaftliches
Merkmal aller gilt es, dass sie ausschli essen, was den kontinui
liehen Zusammenhang unterbrechen würde.' Kam bal an dieser
merkwürdigen Stelle seine ganze Erkenntnistheorie im <i der
Kontinoitäl zusammengefasst. Hätte er diesen Gesichtspunkt zu
Grunde gelegt statt die logische Systematik zu befolgen, deren
Konstruktion ihm zu seiner Freude gelungen war, so würde seinen
Grundgedanken ihr Hecht mehr geworden sein. Es finden sich
Spuren, wonach er diesen Weg zu betreten gedachte, indem er in
einer Aufzeichnung aus den siebziger Jahren das Kausalgesetz aus
dem allgemeinen Kontinuitätsgesetz herzuleiten versucht: „Dass
alles Zufällige oder was entsteht, seinen Grund habe, Biessl daraus,
weil ohne prius keine Kontinuität der Phänomene, und ohne Regel
keine Identität derselben sein würde."*1)
Der zu Grunde Liegende Gedanke ist hier, dass das, was wir
im Verständnisse einer Erscheinung Midien, nicht «leren rein aus
Zusammenstellen mit anderen Erscheinungen ist, sondern eine
so enge und bestimmte Verbindung derselben, dass diejenige Er-
scheinung, welche wir zu verstehen suchen, als Portsetzung der
vorausgehenden Erscheinungen dastehen und mit diesen eine kon-
tinuierliche Reihe bilden kann. I>a> Zusammenhangslose und Iso-
lierte ist uns unverständlich. Diese wichtige Betrachtung hat Kant
nur angedeutet; sie ist aber als Keim in der Auffassung und An-
wendui Kausalbegriffs enthalten, der er von Jugend an das
Wort redete. Der scharfsinnigste seiner nächsten Nachfolger bat
diesen Gedanken klar ausgesprochen.")
Kritik d. r. Vera. 2. Aufl.
»') Reflexionen Kants 1 - No. 1074 Vgl. S. 514 No. 1747 50).
Salomou tfaimon: Versuch über 'li<' philosophie.
Kontinuität im Entwicklung Kants. 191
Den ununterbrochenen Naturzusammenhang behauptet Kanl
energisch inbetreff der Erscheinungswelt, [n dem interessanten
Abschnitte von der „Disciplin der reinen Vernunfl in Ansehung
der Hypothesen" verlang! er, dass keine Erklärungsgründe ange-
wandt werden sollten, die nicht nach bestimmten Gesetzen mit
den gegebenen Erscheinungen zusammenhingen. Dies ist das Prin-
zip der vera causa, das er selbsl in seiner kosmogonischen Hypo-
these auf so grossartige Weise zur Verwendung gebracht hatte.
Auch in seiner Methodenlehre wird es von Bedeutung, und vor-
züglich verlangt er dessen Anwendung da, wo sich die grösste Ver-
keilung zu seiner Uebertrelung gezeigt hat, nämlich bei der Er-
klärung der Ordnung und Zweckmässigkeit der Natur. „Ordnung
und Zweckmässigkeit in der Natur", sagt er, „muss wiederum aus
Naturgründen und nach Naturgesetzen erklärt werden, und hier
sind selbst die wildesten Hypothesen, wenn sie nur physisch sind,
erträglicher, als eine hyperphysische, d. i. die Berufung auf einen
göttlichen Urheber, den man zu diesem Behuf voraussetzt." 2S)
7. Noch entschiedener kehrt Kant in seinem letzten "Werk
auf dem Gebiete der theoretischen Philosophie zu dem grossen Ge-
danken seiner Jugend zurück. Die „Kritik der Urteilskraft" (1790)
stellt sich gewissermassen dieselbe Aufgabe wie die „Allgemeine
Naturgeschichte" und der „Beweisgrund", die Untersuchung näm-
lich, wie die Schönheit und Zweckmässigkeit der Welt zu erklären
seien. Kant kommt nach vielen kritischen Bedenken zu dem
Ergebnis, dass der Unterschied, den wir in unserer Betrachtung
der Welt zwischen mechanischer und teleologischer Auffassung
machten, die Meinung nicht berechtige, dass eine analoge Doppel-
heit der Prinzipien im Wesen der Dinge bestehen sollte. Er sucht
zu zeigen, dass wenn wir bei gewissen Naturerscheinungen ihrer
Berlin 1790. S. 140: „Die Ursache der Erscheinung [aufzusuchen, heisst] das
stetige in derselben aufzusuchen und die Lücken unserer Wahrneh-
mungen auszufüllen, um sie dadurch zu Erfahrungen zu machen. Denn
versteht mau sonst in der Naturlehre unter dem Wort Ursache als die
Elitwickelung einer Erscheinung und Auflösung derselben, so dass man /.wischen
ihr und der \urhergehenden Erscheinuug die gesuchte Stetigkeil finde."
-■•) Kr. d. r. Vera. 2. Aufl. S. 800.
[92 Barald Höffdinj I. Eutwiekelungsg. B
speziellen Eigentümlichkeil wegen bewogen wurden, einen Zweck
al> erklärenden Grund anzunehmen, während wir bei einfacheren
, kein solches Bedürfnis fühlten, dies durch die
tur unseres Verstandes begründet sei und keine absolute Be-
deutung verdiene. Das sogenannte teleologische Problem ist Kant
mir eine Form des allgemeinen Problems, das unsere gesamte Er-
fahrung uns stellt: \\i<- das Vielfache mittels gemeinschaftlicher
Gesetze könne zur Einheil verbunden werden, — mit welchem
Problem Kant sich während seines ganzen philosophischen Ent-
wicklungsganges bei l od obwohl er allenfalls inbetreff
der Ausdrucksweise der natürlichen Theologie die möglichst
ssen Zugeständnisse macht, deutet er dennoch die Möglichkeit
als sein eigentliches Resultat an, „dass in dem uns unbekannten
Grunde der Natur selbst die physisch-mechanische und die Zweck-
verbindung in einem Prinzipe zusammenhängen könnten, nur dass
uns* Vernunft sie in einem solchen zu vereinigen nicht anstände
wiiiv. •') Der aus den Jugendschriften bekannte Gedanke einer
den letzten Möglichkeiten der Dinge und der göttlichen Weisheit
ueinschaftlichen Grundlage erweist sich hier als durchaus nicht
aufgegeben, obgleich er tnit noch grösserer Vorsicht und, von kri-
tischen Korrektiven eingehegt, auftritt. Kant hat von Beinen ersten
naturphilosophischen Abhandlungen aus durch das kritische I •
feuer hindurch bis zu dm tiefsinnigen Andeutungen, mit welchen
Beine Denkarbeit endigt, einen Bogen beschrieben. Trotz der ver-
änderten Gesichtspunkte behauptet sich dennoch eine Kontinuität
der Weltauffassung, deren Beachtung hier von besonderem fn-
teresse ist.
) Kritik der Urteilskraft § Tu [vgl. g 76, 80,
VII.
La Philosophie de l'action au Ve siecle av.J.Ch.
par
A. Espinas ä Bordeaux ')•
Rapports de l'Art avec la Nature. — Voilä donc l'art,
st-ä-dire l'ensemble des ceuvres fabriquees par rintelligence hu-
maine ei des intelligences elles-memes, pari'aiternent distinct de la
Datare, c'est-ä-dire de l'ensemble des etres et des clioses incapables
d'aetions deliberees. Mais l'activite humaine se meut au milieu
de la nature: n'est-il pas necessaire quelle en tire des secours ou
qu'elle y rencoutre des obstacles? Cornmeut les rapports de l'art
avec le milieu cosmique ont-ils ete coneus par la technologie na-
turaliste?
Nous discernons trois Solutions, les seules possibles d"ailleurs;
ou l'art se passe de la nature, ou il s'efi'ace et s'annihile devant
eile, ou il la prend pour alliee. D'apres les deux premieres theses
l'art n"a rien de commun avec la nature; ils tendent ä s'exclure
peeiproquement. D'apres la troisieme Tun et Tautre sout quelque
chose de reel, mais d'aualogue et leur parente facilite leur con-
cours. Hätons nous de remplir ces divisions abstraites avec les
realites historiques d'oü elles nous paraissenl >e degager.
A. Souverainete de l'art. — Nous avons dit qu'au point de
vue oü nous nous sommes necessairement place, le caractere general
de toute cette periode etait la diffusion dans les foyers de eulture
les plus avances, d'une coneeption naturaliste de l'action, c'est-ä-
') Voir le coiumeucement du preseut travail dans cette revue, Baml \ I,
Befl 4.
194 ^ Espin
communemenl acceptee qu'il j u dea moyens determinea
d'atteindre im but donne ei que celui qui emploie ces moyena
atteinl süremenl le bul sana avoir besoin de compter avec une
iuterventioo surnaturelle. Cette assurance implique, <!<' la pari
eux qui la profeasent, la croyance plus ou moina explicite dan8
l'exü - loia de la natura et dana la possibilite pour resprit
liuiiKiin de conna 3 lois avec certitude. Or, parmi les hommea
ii vne ;i cette epoque dana 1<- monde grec, parmi ceux
ijui participenl le plus activemenl au mouvemeul d'idees que nous
exposons, ßgurenl de8 sophistes, lea G lea Protagoras, connu8
pour leur scepticisme ei qui nierenl soil l'exiatence, >■ -i 1 l'accessi-
bilite d'une verite objective. Nou8 ne l'ignorona pas. Mais uous
croyons que lea doctrines sophistiques au sena moderne du mo1
I im elemenl important, uon l'elemenl easentiel de la pem
cque au \ siecle. C'esl au nom de aa confiance dana la science
en general el dana sa Bcience personnelle que Protagoras revendique
tout d'abord le oom de Bophiste. < 'esl dana cette tentative d'ex-
plicatioo ei de refection rationnellea dea institutions religieus
politiques ei morales dont noua venona de parier que gil pour lea
contemporaina la caracteristique de l'espril oouveau ei il j a des
exemples que dea poetea ei dea ecrivaina de toutea sortea aienl ete
appeles «!<■ ce oom dea qu'on lea supposail precuraeurs ou partisana
de ce1 esprit. Plus tard, an fori de la lutte engagee par lea
cratiques et de la reaction qui accompagne lea malheurs d'Athenes,
le sena du mol Be restreignit; im sophiste tut, en meme tempa
qu'uu novateur, an professeur retribue de connaissances frelal
e1 plu8 particulieremenl un rheteur qui abusail de la parole; ei
alore, Piaton, qui nous parail Lei le meilleur guide ä suivre, pre^-
cisemenl parce qu'il se place ä un poinl de vue symetriquemenl
oppose, ue se serl plua comme le uai'f Kenophon du mol 'I«' so-
phiate pour designer sea adversaires: il lea designe comme d'habilea
gena 3090I avSpec, ou plua simplemenl comme une multitude
-'j:>-',i i<,\. -',//•,'. II entend par la lea innombrablea eaprita en-
trainea dana le meme couranl de critique ei de libre reforme ei
croyanl ä l'efficacite de l'experience pour l'etablissemenl dea prin-
cipea de la c luite. „Noua aommea tombea sana aoua en aperce-
La philosophie de l'action Ml V äifccle av. J. Ch. 195
vöir, dit au K« livre des Loia l'interlocuteur qui repr&ente la pensee
de Piaton (TAthenien), uous sommes tombes sur une doctrine ex-
traordinaii*e. — Laquelle? — üne doctrine qui passe aux yeux
de bien du monde icapok jmXXoi;, pour la plus sage de toutes
sootuTorcov äicavtcuv. — Designe-la-moi plus clairement. — II v a
des gens qui pretendent que toutes les choses qui existent, qui
existeronl ou qui ont existe doivenl leur origine les unes ä la
nature, d'autres a l'art, d'autres au hasard. — N'out-i!s pas rai-
sons — 11 0st vraisemblable quc des horamcs aussi eclaires, arocpous
avBpac, nese trompent point. Suivons-les cependant ä la trace et
voyons ä quelles conceptions arrivent les personnes qui partenl de
cette diyision. — " Suit le passage que nous avons cite et qui
donne comme traii dominant du groupe la constraction de la science
et de la morale d'apres le type des dvapccu ou connexions meca-
niques. On voit au XII livre du memo dialogue quc Piaton con-
sidere ce grand mouvement comme pres de sa liu: il le regarde
pour ainsi dire de loiu. corame un phenomene historique, et ee qui
l'j frappe, ce nc sont pas les abus de la dialeotique, ce n'est pas
l'eristique bien qu'encore vivante, c'esl la physique mecaniste qui
exclut 1'intelligence de Toriginc des choses et uaturalise de proche
en proche jusqu'aux Institutions religieuses. „La foule, dit-il, 01
icoXXoi imagine que quand on etudie ces questions (de l'existence
des dieux et du principe du dcvoir) du point de vue de l'astro-
Qomie et des autres sciences necessaires, dva-)fxaiais atlr/x; -i/yjx;.
on devieni athee, en voyant, autant que cela se peut, que les
choses sont engendrees par ^^ mecanismes, dvoqxais, et nun pur
les reflexions d'une volonte qui a le bien pour but. II en est tout
autrement. De la, ceux qui ont concu ainsi un ciel saus äme
(ötyox°0 ont soupconne qu'il y avait la dessous quelque mystere,
(i)7.'j;i7T7.) et devine ce qu'on admel maintenant que des corps sans
äme ne seraient pas capables d'aussi exacts raisonnements; si bien
que quelques-uns, meme en ce temps la — au temps de Leucippe
et d'Anaxagore — se sonl risques jusqu'ä dire que c'etail I Espril
qui avait iutroduit l'ordre dans le ciel. Malheureusemenl ils ont
cm pouvoir expliquer tout le detail des phenomenes par des causes
physiques. D'oü le discredit jete sur la philosophie ei les aecu-
biebte (1. Philosophie. VII. 14
196 \.
ions i1 philosophes' B Voila pour :i i n-i dire le
P lila 1<- probleme 'ju'il recommande avanl
mir ; rdiena il>- la cite. El dans lea dialogues qui
,i le poinl culminanl de sa carriere, la Republique ei I G
fail |»l 11- intervenir lea sophistes pour les railler de leucs
mais pour <li- i m laquelle vaul mieux <!<• la
vie naturelle qui eal oecessairemenl immorale ou de la \i<' morale
qui esl necessairemenl relig La Bophistique au sens restreint
n'esl donc pour nous qu'une brauche prematuremenl deviee de la
Philosophie oaturaliste. A quoi on objecto le peu de sophh
propremenl dits qui aienl etc physiologues. Assurement lea habi-
lites verbales onl ßni chez eux par absorber toutes les autres;
mais, saus parier d'Hippias, d'Antiphon ei de Prodicus qui on1 <'ii
une culture scientifique plus ou moins serieuse') il ne faul pas
croire que ceux-lä memes auxquels les sciences positives restaienl
etn • i pour cela moins uaturalistes aus yeux de leurs
contemporains. Protagoras traitait en oaturaliste de l'origine
societes *) * ei de la vertu. Enseigner la Strategie ei l'oplomachie,
puis la morale comme L'onl fail Euthydeme ei Dionysodore, expli-
quer les origines de la religion ei du langage, precher pendanl la
\i«' la vertu ei la tranquillite en face de la morl comme le fail
Prodicus; exposer comme Critias les moeurs des differents peuples
*) I 7 a. Platon rappeile i>-\ formellemenl li
intre les philosophes; en effet Aristophane a dii
tre les nataralistes plus qu itre les disputeurs. Socrate, type populaire
du sophiste, y est ridiculise pour ses recfaerches en physique e1 en me'teoro-
logie. sciences im pies, plus que pour ses subtilites logiques. Dans l'Apolog
de Platon, qu ume les griefs du peuple contre lui, berches
der rang; rimmoralite* dialectique ue \ i»- n t qu'en derniei bleu.
Le philosophe esl d'abord l'habile bomme qui s'occupe des phen aea '■•'■-
herche ce qui se passe sous la terre; qui ue croil pas ;i l'exi-
e des Dieux. Dans leBanquel de Kenophon VI, 7. Socrati esl ei
appi ensuite qu'on lui reproche _'!>• reudre
fori le discours faible „18b; cf. 26d, ?. 331 el suiv. Voir l'Ari-
de M. iü toul cel ordre d'i ■ >l" la maniere la
|ilu> vivante; surtoul les p I
Poui Bippias voir Protagoras 315,c — 318 Hippias 285, b.
Le donl le Prol a g oras de Platon semble re|
Qt uii passage tait : II. ;:w;.
La philosophie de l'action au V« siecle av. J. Ch. 1 '. * T
et la genese de la morale, faire comme Hippiaa l'histoire des grands
hommes, toul cela rentrait dans la meme methode ei tendail au
meme Resultat: constituer iine science el une morale lai'que, or-
ganiser la vie en dehors des croyances traditionnelles: prendre en
toul la natiiiv comme guide. II \ a plus: les sceptiques donl qous
allons parier, qui pensaienl vaincre la aature par les prestiges de
l'art, appareinment croyaienl encore que L'artiste devail obeir ä
certaioes lois ei que Le succes oe s'obtenail pas au basard5). Jl >
avait douc encore quelque chose d'objectif dans leurs recherches
litteraires et grammaticales. Eriger l'eristique en art (Protagoras)
sl la fonder sur l'observation, c'est la traiter en chose serieuse;
en toul cas, c'esl renoncer ä la priere et aus sacrifices pour ob-
tenir la persuasion. Socrate inaugure une periode nouvelle, parce
qu'il y revient.
II n'v a rien et s il y a quelque chose, ou ne peut ni le
penser ni l'exprimer. Tel est le paradoxe soutenu par Gorgias au
nom des principes Eleatiques. Jl n'impliquait evidemment pas la
negation des apparences et nc tendait qu'a substituer la cuiisidera-
tion de la vraisemblance ä la recherche de la verite absolue. Dans
quel but? Pour laisser ä 1'aetion comme il la concevait un plus
libre jeu. Sa these sceptique n'est qu'une forme aigue de l'opiniou
tres generaJement admise alors que la science n'a pas sa fin en
eile meme et qu'elle ne sert en liu de compte qu'ä guider la pra-
tique, ou plutot, comme nous le verrons, que la science et la pra-
tique ne i'ont qu'un. L'une et l'autre lui paraissaient dieses emi-
nemment relatives; la mesure de leur valeur, il la trouvait, comme
plusieurs de ses contemporains, dans le sucobs.
Thrasymaque, un autre sophiste, dit ä Socrate dans la Re-
publique:6) „Tu crois que les bergers pensent au bien de leurs
troupeaux, qu'ils les engraissent et les soignent dans une autre vue
que celle de leur Lnteret et de celui de leurs maitres! Tu t'ima-
gines encore que ceux qui gouvernent, j'entends toujours ceux qui
gouvernent veritablement, sont dans d'autres sentiments a l'egard
s) Cf. Phedre 263b.
6) L. I, 34^a.
14 =
a. E aplna
sujets iju«' lefi bergen ä L'egard de leura troupeaux et que
jour el nuit ils sonl ocoupes d'autre chose que de leur avant
pers i'l.'"" II en est '!<■ meme da medecin <■: ']<• tous les autres
praticieiis. Tous recherchenl avant toul ou le gain ou le pouvoir
ei toul esl bien quand ils obtiennent l'un ou Pautre. L'art confere
im.- < :i ] «ii. -i t » ■, ihm . une superiorite; il o'a pas d'autre bu1 ni
d'autre [ue 'I' y reussir ei de reculer !<■- Limites de l'activite
»■ii chaque ordre d'actiona. II <->i souverain uu |>lui<"'t l'interet de
celui qui L'exerce ue se subordonnea rien qu'aux conditions mei
du succes Toul praticien doil se considerer comme le centre des
choses considerer l<- monde comme im ensemble de moyens.
Par suite, les difterents ans De se subordonnent les ans aui
autres qu'au poinl de vue de leur utilite pour celui qui I rce.
Le meilleur est pour chacun celui qui confere la puissance la plus
grande. Or, pourvu qu'on ait les aptitudes necessaires, l'art qui
ouvre a ses adeptes le plus large acces vers Les richesses et les
honneurs, o'est la rhetorique. Sa vertu essentielle et exclusive
de produire la persuasion; eile est ouvriere de persuasion itetfti
Sr^toup^o;; par cela meme ''11«' a des avantages propres qui sont
d'assurer ä l'homme eloquent La securite et le pouvoir par son action
^ur Les assemblees; mais eile a aussi des avantages indirects con-
siderables. D'abord La plupart des arts se servent de La parole ei
Lliabilete ;i discourir double leur effet '); mais il y a jilus: BLe talent
de la parole, dit Gorgias, t'asservit et le medecin et le professeur;
et il se trouve que l'homme d'affaires s'esl enrichi nun pour lui
meme, mais pour toi qui possedes l'art de parier et de persuader
la multitude." 8) En faisant des hommes qui eultivent les divers
arts autant d'instruments dont L'orateur politiqu serl a son
-n;, la rhetorique reunit en eile meme les ressources de tous les
arts. A cel orateur, -"il possede pleinement Les ressources de son
art, eile donne l'omnipotence. Elle en fall im candidat permanenl
a la tyrannie.
Par quei serait-il arrete? Par son incompetence? Mais il
7) ( . 156 b.
152 e.
La philosophie de Paction au V« siecle av. J. Ch. l'.i'.i
n'y a pas de verite absolue. A plus forte rais [uand on parle
devanl une foule est-il inutile de s'en preoccuper. L'apparence,
le vraisemblable suffit. C'esl l'aifaire de L'ari de fournir sur
tun- les sujets, en laissanl de cote les choses meines, quelque
truc qui enleve l'adhesion des ignorants. 9) Les creations de l'arl
oratoire s'etendenl sur an champ illimite comme celles du peinrte
et du poete: los unes ei les autres sonl puremenl ßctives10).
D'autanl plus qu'il s'agil de faire croire aus gens ce qu'on souhaite
qu'ils croient, non de les instruire! Pour cela prenez comme poinl
de deparl leurs illusions: chaque foule a ses prejuges: leur poids
suffil pour ecraser l'adversaire n). L'orateur s'embarassera-t-il da-
vantage des idees qui ont cours sur la justice? La rhetorique n'est
par elle-meme nijuste ni injuste; olle est uu enscmble de moyens,
uuo machine a persuader et ce n'est pas a eile, c'est ä celui qui
s'en serf qu'il taut s'en prendre s'il vient ä heurter les opinions
recues en matiere de bien et de mal. La rhetorique est indepen-
dante de la moralc eomrue l'escrime. 12) D'ailleurs l'orateur sait
la justice, comme le reste, c'est a dire qu'il peut la ramener a
une illusion. 11 peut soutenir victorieusement que la justice est
l'avantage du plus fort, c'est a dire le sien propre, qu'elle con-
sacre et suit la vraie superiorite, ä savoir celle de l'artiste eu parole.
C'esl a son instigation que la justice sanetionne en chaque ville
les actes du pouvoir dominant, aristoeratie, demoeratie ou tyrannie.
La iu>tice est donc un Instrument de l'eloquence, comme le reste13).
L'orateur habile peut donc tout ce qu'il veut; mais c'est ä la
condition qu'il ose tout ce qu'il peut et ne fasse rien a demi. Ce
n'est pas assez de violer la justice vulgaire pour les petites choses;
il faut s'assurer l'impuuite en se mettant au dessus des lois, en
9) aj-ra piv yao -A npcEfftara oö8lv Set afrrijv stoevai O7tio; ejrei, [j.7)yav7]v o£
Tiva t.vM'/k e&pTjx^vai uiste tpa(veaöai tot« ofoe eioodi (xötXXov eioevou :wv eioorouv.
Gorgias 459c.
10) Tioieiv —ott op'äv jxta te/vt) Sova-avTct. Sophiste 233 d.
") Gorgia^. 171, e.
'-) Gorgias. 456, a.
u) Gorgias. 461, c. Gorgias ne so vantait pas comme les autres sophistes
d'enseigner la vertu a ses eleves; il leur promettail seulement de les rendre
tres forts, irresistibles, 5eivo6c
\. Espin
aparant du pouvoir souverain. Celui la seul qui fail la l>»i n"a
rifii ä craindre d'elle. II laut aller jusque-lä >i l'on veut eprouver
dans sa plenitude le pouvoir de l'art. Toul "/• sl donc eu
i'ait et pratiquemenl an candidat a La tyraonie eu ce qu'il doit
s'affranchir <!>• toute regle ei a im] sa volonte am
autres sei« ses 1 - *)
. sali commenl Protagoras tiraii de la philosophie du devenir
ou de la Sensation an relativisme qui lui paraissail rendre inutile
la recherche d'une verite objective. Des lore, Belou le momenl
la disposition, le pour ei le contre etanl aussi fain ou auasi vrais
Tun que l'autre, l'art de la parole conquerail une liberte absolue.
1 »".»11 l'Erisl ique, donl Protagoras a I'ait la theorie, montranl par
quela pro© a generaui Les tl - pouvaient alternative-
menl etre attaquees ei defendues. Mais un passage du Pr ras
aur le caractere objectif des lois sociales que uous aurons a invoquer
plus loin uous avertil de oe pas conclure hätivemenl de ces faits
que le plus illustre des sophistes all professe Le subjectivisme sans
restriction. Tandis que pour lui La connaissance esl subjective, la
pratique ne l'esl pas. S'il esl vrai que toul o mouvemenl ei
.11 changement, < jii>- chacun de dous esl la mesure des choses, que
ses s ' telles pour les particuliers ei les Etats qu'elles leur
paraissenl e1 que par consequenl il n'\ a pas de verite en soi, il
ne l'esl pas in- »ins que ces opinions des particuliers e1 des Etats
Bönl oecessairemenl avanta ou uuisibles a ceux qui les ont,
t dire propres a consolider ou ebranler la Constitution des
uns ei des autres15). L'art de La politique reposerail donc uon
sur L'illusioQ ei la jonglerie, mais a an certain degre sur la aature
des choses, ei l'orateur verse dans L'Eristique e1 la Rhetorique serail
veritablemenl Le medecin ei L'educateur des cites, en taut que seul
capable de donner aui citoyens des opinions plus conformi -
leura interetSj plus saines, salutaires. L'arl ici dependrail .1.' la
oature.
II faul de plua reconnaitre que par l'etablissemenl de la Rhe-
' i:
dvantes.
La philosopbie de l'action au V« siede av. .1. Ch. 201
torique les sophistes onl temoigne implicitemenl de leur confiance
dans les lois de l'esprit humain. Le tyraii esl au dessus des lois
de son pays; il n'esl pas au dessus des lois du discours. Les
Gorgias, les Protagoras, les Prodicus qui onl fail les premiers ma-
ti utls de Rhetorique ei de Grammaire onl du, pour remplir l'arsenal
des futurs sophistes, beaucoup emprunter ä la Psychologie positive
individuelle et sociale"'). C'etaü encore reveDir ä la oature: on
voi< ainsi que ceux qui soutenaienl la souverainete' < !«■ I ar1 eo
reconnaissaient tacitement les limites. lls admettaienl d'ailleurs
ei ue pouvaient guere sans etre taxes de folie sc dispenser d'ad-
mettre que „s'il est de certains arts comme la peinture ei la
musiijuc". comme la Legislation elle-meme, ..<|iii en un sens n en-
pruntenl rien ä la nature, il y en a d'autres dont-les produetions
sonl plus solides et que ce sunt ceux qui joigneiif leur puissance
a edle de la nature. comme la medecine, l'agriculture et la gyin-
nastique." Piaton ledit17)etle fail esl vraisemblable: il est donc
a croire qu'il a lui-meme, selon sa method 'dinaire, pousse a
l'cxtreme rartificialisme '^ des premiers techniciens de la Rhetorique.
II nous a du moins permis par la <U' mieux comprendre l'esprit
de leur siecle.
B. Souverainete de la Nature. D'autres soutenaient en par-
tant des memes prineipes des doctrines logiquement opposees, mais
conduisanl aux memes applications pratiques. Nous venons de 1>' voir;
si l'art est tout, tout est fiction et apparence, on peut f'ouler aux
pieds les lois de la nature et les lois de la morale: l'interel individuel
de l'artiste devient le seul criterium du bien et du mal. Mais
d'autre part si l'art n'esl rien, >i la nature est tout. les freies barrieres
opposees par le travail de la civilisation au dechainement des con-
16) .11 esl donc evidenl que Thrasymaque ou toutautre qui voudra enseig
serieusement la rhetorique decrira d'abord 1'äuie avec exaetitude" comme le
fait Bippoerate pour le corps. „Ceux qui ont ecrit de nos jours des traites
de rhetorique sont des fourbes qui dissimulent la parfaite connaissance qu'ils
ont de l'äme." Phedre. 271, a.
,7) Lois X. 889, d.
1S) Qu'on nous pardoune ce mot barbare, nous ne trouvons pour exprimer
l'idee que celui lk ou un autre j > 1 1 1 ~- barbare peut-etre: instrumentalisme. Le
mot falirication pourrait etre egaletnent utilise; mais il na pas d'adjectif.
V Bspi i.
voitises tombenl sous l'efforl « i < * la cntiqae ei La societo se traus-
forrae bientol •■!! une melee "ii la victoire est promise an moins
Bcrupuleux. Quelqu'un a-t-il pris la responsabilite de cette doctrine?
II oe semble paa qu'on puisse L'attribuer a an auteur ou ;t an
maitre connus. L \ Biecle o'a paa eu bod Hobbea, Piaton mel
cette these dana la bouche d'un politique donl l'existence meine
donteuf dana celle d'un sophiste, Thraaymaqne,
donl nous n'avons aucun ouvrage; noua la trouvona encore expoj
dana un fragmeni etenda d'une tragedie de Critiaa, peut-etre d'Euri-
pide ei le | parail Pavoir pretee a un personnage sacrifie, plutol
qu'il oe l'enseigne en son propre oom. El c'esl tont Mais i! eel
tain encore qu' eile avail un large coura, e1 dous La voyons dans
les Lois19) attribuee ä des hommea instruita du oouveau regime
qui oe sonl paa des philosophea de profeaaion*0), ei | tea.
Personne ae l'aurail donc priae ä son compte parmi les repreaen-
tants autorises de la philosophie natnraliste. N'avons oous paa vu
de dos joura certaines consequences Lmmorales attribuees a La
philosophie de l'evolution sans qu'aucun philosophe du groupe les
all prol
Ici toutes les institutions humainea, religion, morale, langag
legislation, hierarchie sociale, droil de cite, famille, Bonl consid« i
comme des Conventions puremenl arbitraires ei o'ayanl aucun
fondemenl dans la oature. Blies Bon1 düferentes Belon les lieux
ei changeantes: donc elles oe sonl pas naturelles. Au dessoua
d'elles il oe reste de ree] que L'ensemble des lois ei des forces nn;-
caoiques, necessaires, aveugles, Lrresponsables. Le monde social
comme le ode physique o'esl donc au fond qu'un conflil tumul-
tueux d'impulsions brutales. Ecoutons Piaton lui-meme exposer
V 890, a. < f. Republique. 358, c ei 363, d. La coincidence da
avec celui des Luis eal curieuse: sauf Tbraaymaque aucon
philosophe u'esl citi; ce ^"iii encore des amateurs el des poetes qui Bonl
Incriminös. II faul aussi tenir compte des passages du Qorgias 192, d et
de la Rep. 349, a oü il esl insinue que Callicles et Tbraaymaque vonl pi
au delä de leur pensee e( que les theories qu'on leur prete sonl
des types de Convention.
Ucibiade peut-i la jeunesse dorde qui les environnait
La philosophie de l'action au V- siecle av. J. Ch. 203
l'idee generale de ce singulier Systeme e1 ses principales applica-
tions. „II y a toute apparence que la nature ei le basard Bonl
les auteurs de ce qu'il y ;i de plus grand e1 de plus beau dans
l'univers et quo les choses de moindre Importance sonl produites
par l'art qui, recevanl de la nature les oeuvres les plus grandes oees
les premieres, s'en serl pour former ei fabriquer tous les ouvraj
les plus melius tjue dous appelons kous artificiels. (Suil le passage
sur la genese des astres ei des etres animes selon les lois de la
mecanique). L'art, posterieur ä la nature ei au tiasard, donl il
tieut sod existence, invente par des etres mortels et mortel lui-
meme, a'donne plus tard aaissance ä ces vains jouets qui onl ;i
peine quelques traits de la verite...; tels sont les ouvrages qu'en-
fantent la peinture et la musique et les autres arts de Dieme
sorte La politique elle-meme a tres peu de chose de commun
avec la nature et tient presque tout de l'art et, par cette raison,
la legislation tout entiere est le produit non de la nature, mais de
l'art, dont les creations sont purement arbitraires. — Comment
cela? — A l'egard des Dieux tout d'abord, ils pretendent, mon
amij qu'ils n'existeut point par nature, mais par art et en vertu
de certaines lois (ou regles conventionnelles); qu'ils sont differents
chez les differents peuples, selon les inventions intervenues parmi
les legislateurs, que l'honnete est autre suivant la nature et autre
selon la loi, que pour ce qui est du juste, rien absolument n'esl
tel par nature, mais que les hommes vivent dans de perpetuellcs
discussions a ce sujet et fönt dans ce domaine d'incessantes modi-
ticaüons: que ces modifications sont la mesure du juste pour autant
de temps qu"elles durent, tirant leur origine de l'art et des lois
(contrats), et nullement de la nature""1). CallieK-s. dans le dis-
cours bien connu que lui prete Piaton au cours du Gorgias,
explique la tendance de toutes les legislations vers Pegalite par la
coalition des faibles contre les forts. La reprobation qui s'attache
aux violations de la loi vient de la meme source: „Voila poui-
quoi, dans l'ordre de la loi, il est injuste et hontcux de chercher
ä Temporter sur les autres et pourquoi ils donnent a cela le nom
L-.i-. X., 889 — 890. Gorgias. 483, b.
204 \- '
dinjusti Mais la natura elle-meme demontre que la justice
cod8 elui '|tii vaul mieux ail plus qu'un autre qui
v;iut moins." Od voil ce partag avanta^ - - ciaux propor-
tionnellemenl aux forces prevaloir dana lea rapports de toua lea
- vivants, bommea ei animaux. La regle entre lea 'li\<
paa autre que la prepotence «In superieur sur l'inferieur.
le principe deruier de cette loi, c'eai l'irresistible impulsioo de
tous lea etres vivants ä satisfaire leura appetits, ä ne s'appuyer lea
uns sur lea autres que pour s'assurer cette satisfaction , .1 grandir
leur pouvoir indefinimenl pour ecarter toua lea obstacles. La vertu
le bouheur reposenl ä la foia aur ce principe").
La religioo est venue a L'aide des faibles dans cette conapi-
ratioD contre les forts. Elle a invente la conscience morale. La
croyance aus Dieux est devenue ainsi le gardien interieur des Con-
ventions: le maintien de la morale a ete sa Beule raison d'etre:
eile est un artifice ajoute a im autre. C'eai ce qui esl exp
longnemenl «laus la tragedie de Sisyphe attribuee .1 Critias: ..II
j'ut un tempö "ii la vie de l'homme <;iait sans regle ei bestiale,
.i sous l'empire de la Force. Alors il n \ avail nul avantage pro-
pose a l'emulation <\r- bons, nulle punition pour lea mauvais. I
posterieurement, ce me semble, que lea bommea onl etabli les loia
repressives, afin que la justice Fül maitresse ei tinl la violence
- sa sujetion. Ceux qui enfreignaienl la l"i Furenl des lora
punis. Mais comme ce que les Lois interdisaienl par la Force de
Faire ouvertement, on le Faisail en cachette, alors, je le crois, un
bomme lin ei babile inventa un epouvantail a l'usage dea mortels,
pour que lea mechants ressentissenl encore quelque crainte, alors
meine <|ii<' leura actions, leure parolea ei leurs pensees resteraient
etes. C'esl ainsi <|u"il introduisil la religion; a savoir qu'il j
a un daimön ßorissanl d'une vie imperissable, donl l'espril entend,
voit, connail ei surveille toutea choses, ayanl une uature divine-,
«|ui peul entendre toul ce <|u<' disenl les bommea ei voir toul
qu'ils Font. El si vou8 meditez en silence quelque mefait, cela
n'echappera paa aux dieux, car il- onl la pensee. En disanl
G01 ;iaa 191, 1 192, a, b, c.
La philosophie »le l'action au V« siecle av. J. Ch. 205
choses, cel homme a introduil le plus agreable des enseignements,
cachanl la verite soua uu langage trompeur. Pour frapper davan-
tage lea esprits des hommes, il dil que les dieux habitaienl lä
(1*0(1 il savait que viennenl aux mortels ei les plus terribles craintes
ei les bienfaits les plus precieux au milieu de leur malheureuse
vio, (laus la regioE des mouvements superieurs, oü il savail que
resident les eclairs ei les horribles grondements de la foudre, dans
la splendeur constellee du ciel, chef-d'oauvre du temps, ce grand
artiste, d'ou s'eleve la masse en feu du soleil ei d'oü tombe sur
la fcerre la pluie rafraichissante. Teiles sont les craintes qu'il
inspira de toutes parts aux hommes. C'est ainsi que, sc reglanl
sur elles, il assigna au daimön la demeure qui lui convenait 1c
mieux ei etouffa le desordre sous l'empire des lois. Voilä com-
ment. ä mon avis, un homrue persuada pour la premiere fois aux
mortels qu'il y a uue race de genies divins."
Le langage resulte comme la murale et la religion dune in-
tervention individuelle acceptee par eontrat: c'esl la these soute-
nue, ce semble, par Prodicus dans son traite respl övou-atojv öoDo-
njxos et que nous voyons mise dans le Cratyle en Opposition avec
celle de Petablissement divin. L'une se rattache a la doctrine de
la relativite enseignee par Protagoras, tandis que lautre etait,
comme nous l'avons vu. uue derivation de l'Heracliteisme. Her-
mogene qui. dans le dialogue de Piaton, represente la theorie de
la Variation arbitraire, Tenonce ainsi: „Pour moi. apres bien des
discussions avec notre ami (Cratyle) et avec beaucoup d'autres,
je Qe puis croire que les noms aienl d'autre propriete öp&otr^, que
edle qu'ils doivent a la Convention '-■j-A)flv:ri, et au consentemenl
des hommes (60.0X0710:). 11 me semble que, dl's que quelqu'un a
attribue uu nom ä une chose, c'esl la le moi propre; et si, cessant
de se servir de celui-lä. il le remplace par un autre, le nouveau
nom ne me parait pas avoir moins de propriete que le premier.
-1 ainsi que, s'il vous arrive de changer le nom d'un de vos
esclaves, le nouveau nom n'esl pas moins propre, öp&o?, que le
precedent. C'est ainsi que je vois dans differentes villes les memes
choses porter <\e^ noms differents, soil de Grecs a Grecs, soil de
Grecs ä Barbares. Car la nature n'a donne aucun nom a quoi
\. Es|
qu< it: les ii« • f 1 1 — on( Lablis par la loi vouac, ei la con-
tume, au g bommes4"').
• tu ae pouvail conclure de ce qu'on vienl de Lire que la li-
berte illimitee «In oeologisme. II \ ;iv:iit des consequences pra-
tiqaes bien autremenl graves .1 ürer du mol fameux d'Hippias sur
la vanite des distinctiona legales entre lea populationa des cites
diverses: „Vous tous qui etes i< i. je vous regarde tous comme pa-
rents, allies ei concitoyens selon la oature, >i ce o'esl selon la l"i.
semblable, en eflfet, ;i une affinite naturelle avec le semblable;
mais la loi, ce tyran des bommes, fail violence a la oature en bieu
des circonstances*"4). La oature voulail donc l'abolition <!«■> pa-
tries particulieres! Elle n'approuvail pas ooo plus les difßcultea
considerables donl la loi positive entourail l'admission d'un etran-
.111 droil de cite. Eo realite, ce droit n'etail confere que par
la oais8ance. Gorgias demande Lroniquemenl de qui les premiers
citoyens de chaque <-ii<: onl tenu ce droil ei >'il faut, puisque la
oaissance o'a pas pu le leur transmettre, imaginer <|u'ils on1 ete
fabriques par des ouvriers speciaux, comme les mortiera sonl fa-
briques par les fabricants de mortiers").
L'esclavage n'echappail pas davantage ä la critique. Un au-
teur donl Aristote oe qous a pas conserve le oom declarait, <lu
meme poinl de vue que Callicles, que l'esclavage estcontre oature:
„car, disait-il, la distinction entre l'homme libre ei l'esclave
l'ceuvre de la loi; la oature oe fail entre eux aucune difference.
L'esclavage n'esl donc pas juste, etanl fonde sur une violence que
fail la loi a la oature" '
Toutes ces doctrines sonl revolutionnaires. Elles ruinenl le
droil antique fonde sur la tradition religieuse. Elles tendent, par
L'exaltation de la volonte arbitraire <1>' l'individu, ä nur Subversion
*») Cratyle. 384, .1: 385,e; ei 13
u) Prol a Lr" ras. 337, d.
Po in ique. III. i,9.
kristote. Politique. 1,1,3. Dans les Nuees, on voitun fils battre son
lui dämontrer qu'il :i raison du poinl de vue de la natura, parce que
battent l'-ur pere des qu'ila son! les plus forts. vers 1410.
La philosophie de l'action au Va siede av. J. Ch. 201
complete de l'ordre social etabli. Blies ae vonl pas seulemenl
contre le droit Bellenique, tel qu'on le concevail au V siecle.
Elles renversent toul droit ei sonl Lncompatibles avec toute societe.
Le droit est pour l'homme im ensemble d'idees avanl d'etre im
Systeme de Forces: en niant le role de l'idee dans le monde lui-
main, en substituant la violence et la rapine ä la justice, les demi-
philosophes, comme Callicles, s'i] y en a eu de tels, enfantaient
une monstruosite d'autant plus digne de reprobation qu'ils ne pre-
naient pas meme la peine de montrer commenl les impulsions indi-
viduelles en conflit pouvaient d'elles-memes aboutir ä im mini mum
d'ordre. lls lächaienl la bride au caprice; ils proclamaient le chaos
et s'en tenaient la. C'est l'individualisme absolu. Cependant, ils
n'avaient pas besoin de pousser bien loin leurs reflexions pour voir
sortir l'ordre du desordre, le droit de la lutte. Piaton leur ob-
jecte deux fois87) que si les faibles, coalises contre les forts pour
leur imposer le respect de la justice et maintenir l'egalite, out re-
ussi dans cette entreprise, c'est que les faibles, somme toute, dis-
posent, ä cause de leur nombre, pourvu qu'ils s'accordent, d'une
force irresistible, et qu'ainsi dans toute societe le triomphe des po-
litiques selon la uature, c'est ä dire des scelerats, ue saurait etre
qu'un accident . que l'injustice absolue equivaut enlin pour une
societe ä l'impuissance absolue et a la dissolution. N'est-il pas
vraisemblable quo c'est aux livres et aux conversations de ses ad-
versaires quo Platon a empruute cette idee si bieu d'accord avec
leur naturalisme? Quand Socrate dit ä Thrasymaque, dans la Re-
publique. „Fais-moi la gräce de me dire si un Etat, une armee,
une troupe de brigands, de voleurs ou toute autre societe pourrait
reussir dans ses entreprises injustes, si les membres qui la compo-
sent violaient les uns ä Fegard des autres toutes les regles de la
justice", quand le Socrate de Platon tient ce langage, uous pou-
vons croire qu'il n'ctait pas le premier a le fcenir et que, parmi
taut d'esprits si clairvoyants, si capables de Gne dialectique, quel-
qu'un s'etail rencontro pour reconcilier au moins jusque la la loi
-7) ßepubl. 351, a, et la Buite jusqu'ä 352, d, ei Gorgias 488, c:
OÖXOÜV -a TOJTuuv vrffilfxa /.nz'J. tpuoiv xoXd, xpecrttfvow ys tfvTUIV.
\. Espi 11
instituee, la regle des interets el des moeurs avec la na iure18).
Heureusement, Piaton lui-meme oous montre que cel homme s'etait
fall entendre ä Athei - la premiere beure da regne <!<■ la
phistique: c'esl Protagoras. II esl temps d'utiliser ce temoign
qui ramene ä leur valeur les portraits sinistres des oaturalis
»lutionnaires traces avec tanl de vigueur dans 1<' Qorgias et
la Republique.
Mais reconnaissons auparavanl que, dans la mesure ou cette
these: que les institutions sociales les plus augustes sonl des Con-
ventions modifiables, que le droit et la morale sonl des Oeuvres
arbitraires ei passageres de L'humaine Industrie comme la forme
des bateaux ei des vetements, dans la mesure, disons-nous, oii cette
these a ete pronee ei accueillie au sein des cites grecques du \
siecle, eile esl venue ä propos pour combattre par un exces en
sens contraire l'attachemenl a des dogmes uon moins excessifs qui
consacraienl comme divines e1 immuables des formes caduques de
justice et de moralite, ei ne tendaienl ä rien moins qu'ä paralyser
luutc initiative individuelle. La religion des Dieux de la cite n'etail
que trop souvenl sans vertu. Piaton lui-meme reconnail qu'elle
avail engendre la j>lu> detestable des li\|iucri>ic>- . L'organisation
politique de la pluparl des cites, qui reposail sur cette religion,
admettail une trop grande pari d'inegalite ei d'injustice. II etail
Im, 11 que l'une ei l'autre fussenl remplac£es. Et, pour cela, il fal-
lait qu'elles recussent le choc de ces uegations ei de ces affirma-
tions audacieuses, qui, sans trouver aueun interprete de genie,
eurenl pourtanl leur momenl de popularite'. Lern- forme la plus
sensible esl la uegation du caractere mural de la technique poli-
tique, ei l'affirmation que L'ideal de la conduite est, en cel ordre
d'aetions comme en toutes les autres, le succes de l'habilete indi-
viduelle. Cette glorification de la tyrannie consacrail l'existence
de pouvoirs revolutionnaires ei destruetifs en un sens, mais ue-
i me bienfaisants ä un autre poinl de vue, puisque
Cf. Democrite, Fragm. mor. 199. \,ith ■ ■ rot \uf<£ka Ipyo
i Suvatöv xarepycfaaa&ai, £XÄu>( 8 o&.
i:, ,,. um, n. 364, b • I Loi K 885 c
La pbilosophie de l'action au V« siecle av. J. Ch. 209
le tyran populaire «M&il alors l'unique instrumenl possible des re-
formes e1 lo progres.
C. Conciliation de l'Art avec la nature. Od n'a paa
a examiner ici dans quelle mesure Protagoras s'esl contredil en
soutenant, d'une part, que les opinions des cites sur le bou ei le
mauvais, lejusteel l'injuste sonl relatives ei subjectives, et, d'autre
part, que ces opinions sonl salutaires ou nuisibles, ei interessenl
leur existence meme. Peut-etre, alors qu'il declarail que ces opi-
nions, qu'il appelle encore sensations 30), ue sont ni vraies ni fausses,
avait-il le pressentiment que les tendances ei les emotions, facteurs
du vouloir, ne sonl pas de l'ordre speculatif ei doivenl etre di-
stinguees des Operations intellectuelles pures, perceptions, jugements,
raisonnements, dans lesquelles seules resident La verite ei l'erreur.
Si cette suppositiou etail exacte, ou comprendraü fort bien que
ces etats toul subjectifs de bien-etre ou de malaise decelenl ei
meme constituenl la sante ob la maladie chez les individus et
dans les societes. Quoi qu'il en soit, il est incoutestable que Fidee
dominante du mythe oü Protagoras retrace la genese de la societe
es< qu'il y a une certaine Constitution, une certaine structure des
corps sociaux comme des corps individuels, qu'ils ne peuvent sub-
sister que sous certaines conditions et si certaines fonctions vitales
leur sont devolues, qu'enfin la justice et la moralite comptent au
premier rang parmi les conditions de l'existence sociale, en d'autres
termes parmi les fonctions vitales de l'humanite. Aucune doctrine
u'esl plus objective").
Kjiiinethee et l'roniethee sonl charges par les dieus de tirer
des entrailles de la terre les etres mortels. Epimethee commence.
11 distribue aux divers animaux les divers dons necessaires au
M) II les compare aux sensations des animaux et des piantes que l'eleveur
et le cultivateur changenl ;'t propos pour le salul des uns ei des autres.
Theetete. 167, a.
■;1) Protagoras qui n'etait pas religieux, n'accordail pas que la vertu
et la saintete aienl une existence en sc.i, transcendante comme nous dirions
(ü>; ojy. .--.<. -y'j-jii abx&w oö84v obalav eaotoü lyov . Voilä pourquoi Piaton
l'accuse dans le Theetete de leur refuser toute realite: c'esl le sens de la
protestatio]] vigoureuse en l'honneur du divin modele qui remplit la di-
ion ! 72, a ä 177, c.
210 A. E-piuas,
maintien il<- chaque »Tijpfav: ici la force Bans \ i t • — .
la la \ in- force, armes redoutables aas audacieax, Lnstincts
reaser des demenres soaterraüies aux timides, ailes aus ans,
masse imposante aux autres. ... „II combina toul cela en prenanl
bien garde qu'aucune espece ue puisse etre detruite." II donna ä
tous d< j ins oaturels de protection contre les intemp6ries e1
leur assigna une Dourritore speciale. Les races predatrices furenl
creees peu fecondes et les races destinees a leur servir de proie
- prolifiqaes ei pai ce moyen La conservation de celles-ci 5o»t>jj
tut assuree. Promethee arriva alors ponr voir comment Epimethee
iit acquitte de sa tache. ..II tronva L'homme toul au, u'ayanl
ni armes, oi chaussures, ni couvertures"; ne Bacbanl „de quel moyen
d'existence le pourvoir" ijvnva 3u>T7jpiav top dvdpcoicm supot, il de-
roba a Vulcain ei a Minerve L'habilete dans les artB avec le feu
ävvov jocpuxv z'-y- icopi, ei voilä commenl l'homme enl une res-
source pour entretenir sa vie. II pul ainsi creer une religion, un
langage; il se bätil des maisons, se fil des habits, des chaussures,
des Lits ei tira Bes aliments du Bein de la terre. Mais un arl Uli
manquait, la politique. Jupiter s'en etail reserve le secrel ei eile
restail au fond des cieux, inaccessible. C'esl pourquoi nos ancetres
n'eurenl pas l'idee de ><> rassembler en groupes uomtyreux e1 de
bätir des villes. „L'art de la guerre, partie de Pari politique" leur
manquait, ils furenl decimes par 1»'- animaux. II- essayerenl de con-
struire des cites, l'injustice de tous contre tous les dispersa ei ils reste-
renl toujours exposesä ladenl des betes feroces. Alors „Jupiter, crai-
gnanl que la race humaine ne fül bientol erterminee, envoya Mercure
avec ordre de donnei aux hommes l'honneur e1 lesentimenl dujuste,
afin qu'ils fussenl l'ornemenl des villes ei le lien des cobuts.0
Unequestion Be presentail : commenl distribuerces uouveaux dons?
Les autres arts avaienl ete partagea entre un petil uombre d'indivi-
«lu-. chacun en exercail un pour plusieurs desessemblables; fallait-il
.•il faire de meine pour L'honneur ei la justice? Jupiter oe le voulul
pas; il attribua ces capacites a tous les I imes indistinctement, quoi-
que ä des degres divers „car sans cela il n'j aurail paseude villes" *).
«) Protagoras,320, c. Od voii que aous ne partageona pas l'opinion de
..; .Im vol. 1 (trad. Franc). »Le r&ultal final est done le meme
La philosophie de I'action au V« siecle av. .t. C'h. 211
II est impossible de dire plus clairement que La morale ei
la vertu politique sonl des facultes essentielles a l'homme, uei
saires ei correlatives ä l'existence des societes. La uature e1 l'arl
- rapprochenl ici au poinl de Be rencontrer, car, bien que don-
- par Jupiter, les vertus sociales u'eo sonl pas moins appe]
des arts ei leur acquisition n'en forme pas moins la derniere etape
du progres humain. i il en meme temps des impulsions spon-
tanees, naiiws ei des conquetes de l'activite reflechie 8a). La con-
ception primitive du plus illustre des Sophistes, u'etait donc pas
celle d'un divorce irremediable entre la naturc et la loi, entrc
le hasard et l'arl humain; les diverses technes constituaient dans
la pensee de Protagoras de veritables fonctions caracteristiques de
L'espece humaine comme les moyens d'attaque, de fuite ou de
tief« - - ml les fonctions caracteristiques' des especes animales.
Elles sunt, bien que capables de culture, notre nature meme. Mais
cette doctrine est presentee par prudence sous le voile du mythe:
nous en pouvons trouver une autre forme plus scientifique, quoique
malheureusement ecourtee et mutilee. vers la fin de la periode que
nous etudions: les fragments de Democrite nous en fournissent les
ligi - äsentielles.
On ne peut dire que Democrite partage les tendances scepti-
- de Protago] Nous savons qu'il les a combattues. Son
-•eine est un mecanisme cohereut et ce que nous avons dit
au debut de la sürete de Faction fondee sur la science, a cer-
tainement repu une notable confirmation de la facon dont il con-
- ience qu'il ramene ä la connaissance des mouvements
jsaires. Nous l'avons indique. Mais ce mecanisme ne l'em-
peche pas d'accorder aus phenomenes de conscience, au monde
moml l'importance qui leur appartient. L'äme, saus etre autre
ici qne dans les considerations theoriques du monde, c'est la subjectivite ab-
La formale de la page 545 ne nous parait pas moins inexacte. La
divergeuce yient de ce que Zeller prend pour essentiel dans la technologie
ce que nous prenons pour accidentel, ä savoir I
Thrasymaque et de Callicles.
I: plus liaut oü Protagoras expose ce que
la vertu politique doit ä l'daxTjoi«, ;i l'inui&eia et ä la 8i8av^, Cf. le Eragment
Mullach: z'jiuu; xal dtoxV)oeu>{ 8i5acxaX(a Selten.
VII. l.j
• >]•> A. Espin
choae qu'une fonction du corps, jouif eo fail d'une preeminence in-
• pour 1<- corps une sauvegarde: ses - sont
divins comparea ä ceiu du corps. Non-seulemenl eile peul gou-
verner le corps, mais ••ll»' |»<-ut se vaincre elle-meme, c'est-a-dire
mouvements desordonnes. < 'est en eile <|in' resident le
bonheur ei !<■ malheur*4).
Avant donc de .-•• demander ce qu'on peul attendre de la
natinv. il laut voir ce que Fäme peul pour sou bonheur par
propres ressourci s. Le bonheur depend avanl toul du calme, de
l'equilibre ei de l'harmonie, appovta, qu'on reussil
etablir dans L'äme; e1 ces biens sonl assures .1 celui qui sail dis-
cerner les plaisirs des Bens dea autres, choiair des plaisirs durab
moderes ei honnetes, borner ses desirs au possible eviter l'envie, la
rivalite ei la haine, les plus grands fleaus de la rie. „Celui
i|iü se porte vaillammenl au\ actiona honnetes ei permisea eprouve
iasque dans son Bommeil an sentimenl de force, de serenite ei
de joiea,s).
Mais enfin le monde esl la: qu'est-ce que l'arl humain doil
redouter ou esperer de lui? II semblerail qu'un monde livre au
hasard dea chocs mecaniques dul pour la freie creature
entrainee «laus sou tourbillon la source de froissements oruels.
Ou es1 3urpri8 de constater que Democrite apprecie cette action
de la uature rar l'homme avec une parfaite serenite. Les objets
sonl eo grand nombre indifferente, en ce sens qu'il depend de ooua
de tirer de noa rapporta avec eux dea biena ou des maux: ainsi
l'eau profonde, si noua y tombons, opus engloutira; mais l'arl de
la natation ä ete invente pour la traverser ei on y oage mieux.
La pluparl sonl plutöl favorables que auisibles; c'esl decidemenl
la faute de notre aveuglemenl ei de ootre Ignorance si uous ae
savons pas en tirer parti. Un homme sobre, qui s'observe e1 se
i,,. ä prop presque bjot de vivre en saute. II es1 vrai. la
fortune esl Lnoonsistante dana ses dons, mais le genie uaturel de
l'homme doil savoir 3e Buffire ei se defendre dea deeeptiona
qui suivenl Lee granda espoira par la mesure ei la Bolidite* des
Ät) Pragm. 5, 6, 7, 75, 76, TT.
Fragm. mor. 1. 2. 3, IT. 37, 82, 20, 118.
La philosophie de l'action au V« siicle av. J. Ch. 213
avantages qu'il poursuil La richesse esl relative au desir; on
toujours pauvre quand on souhaite plus qu'on n'a ei riche quand
ou se contente de peu. Eu somme „la Fortune es1 nn fantome
que le> hommes on1 imagine pour s'excuser de leur temerite, car
la Fortune oe resiste guere a la reflexion e1 la pluparl du temps
dana la vie l'äme avisee ei perspicace atteinl son but". Voilä ane
Philosophie de l'action bien differente du pessimisme pratique des
theologiens: comparez ce ton joyeux a l'accenl navre des Solon ei
des Theognis: que] contraste! Ein face des Dieux, L'homme se sentail
menace ei paralyse; en face de la nature, fori de son genie, il esl
allegre e1 plein de confiance '"').
La nature esl memo notre guide dans le perfectionnemeul des
arts par lesquels nous luttons contre les souffrances ou ameliorons
notre sort. Nous o'avons eu qu'ä observer les animaux pour
trouver a leur exemple les arts les plus varies: nous avons pris le
tissage aux araign es, la construction aux hirondelles, le chant
aux cyg - I aux rossignols ol aiusi de suite; les animaux savent
s - igner eux meines et notre medecine n'esl qu'une Imitation de
la leur. L'ouvrier dans l'atelier est comme Tabcille dans la ruche;
il travaille avec resignation „comme s'il devait vivre toujours".
En general les societes animales et les societes humaines sont les
efifets d'uu meme principe qui regit tous les groupements de choses
ou d'etres similaires. L'union des sexes n" a rien d'arbitraire;
eile resulte d'une loi universelle dans tout le domaine de la vie:
de meme l'elevage des jeunes et l'education: par consequent toute
la famille. L'esclave doil y etre employe comme nos organes, a
div< octions. La societe politique n'esl pas moins naturelle. Elle
implique la Subordination du faible au fort, ou au plus intelligent.
Et« ibordination esl an avantage pour le faible 37). La societe
Fragm. mor. 11. 12, 13, 22, 24, 26, 27, 29, 36, 15, 66, 14; il Faut
i compte du Fragment 89 qui semble indiquer nur moindre
et du Fragment -11 qui insiste sur les maus de la
i tle l'homme qu'il borne Bon ambition et se contente du
3T) II serail possible que le discours de Callicles dans le Gorgias tut
icature malveillante de la theorie de Dei :ritu; comparez 483d avec
L93, 484c, d avec F. m. 140 ei 1 12, 486a a
15*
l'l 1
ig les interets bumains: si eile se dissout,
la perl ses meml La loi est l'instru-
• g bienfaits. La loi a pour raison d'etre la o de
refrener ou «!<• prevenir le desordre: 1<n sacrifices qu'elle demande
a la liberte n'onl pas d'autre but: <1 1»- ae peui subsister que si
toyena lui obeissenl ou lui pretenl main forte volontaire
mont. Tous les citoyens doivenl concourir aux affaires publiques.
I»u reste les bommes bien nes onl un respecl ei an amour na-
turel pour la vertu; malgre la difference des goüts, la jus
la verite sonl assureea de leurs bommages. I • qui fall que
lea bommea des divera pays s'accordenl sans peine: le monde entier
esl la patrie d'une äme bien faite, ••! il faudrail que partoui !<•>
scelerats fussenl poursuivis e1 mia ä mort comme les betes Pen
et les Berpents18).
D'oü \i>'nt donc ce merveilleux accord de l'Arl bumain ai
l'ensenible des chosea sur lesquelles il s'exera \ \ quelle cause
attribuer ce bon naturel de l'homme <'t de tous les etres doues
d'äme comme lui? Commenl se fait-il que !<• basard, non -lui
qui exclul les causes determinantes, mais celui du moins qui aurail
le droil <!<• rester Indifferent aux interets des etres vivants ei con-
scients, conspire en quelque sorte avec la providence bumaine pour
le bonheur des Individus ei le maintien des cites? C'esl que i.
a pris dans la philosophie de Democrite un sens nouveau; sans
Ber d'etre regie dans ses phenomenes elementaires par des lois
mecaniques, la mauere selon lui s'esl degagee ä un certain momenl
elf la rencontre tumultueuse des atomes pour adopter une marche
plus reguliere e1 plus definie, et c'esl ainsi que les etres vivants on1
vulejour, avec leurs tendances determinees qu'on retrouve jusque
dans leurs germes, „car <!<' tri germe nail un olivier, «le t.'l autre
201, 218, 214. * I • 1> — t ro äp^eiv oix^'i'ov nji » f. KM, Berail le centre des
attaquea de Piaton. Democrite Berail um' pierre de toucbi 186d,
pour l;t pens4e <i'- Piaton, parce que c'esl dan que la doctrine
politique et morale naturalis! ouverail le plus completement exposeV La
rencontre d'un tel exp ai1 en effel pour le philosopbe metaphysicien
sincere um' ve*ritable trom S, e.
Plutarque: !»<• L'habilete* des animaux 974, b el fragm. mor., de
crite IM. 210, 212, 189, 193, 196, 197, 226, 238, 225, Ml. S
La philosophie de l'action au \ •• siecle av. J. Ch. 215
im homme"'9). C'esl cette oature qui travaille au sein des or
uismes pour les douei des appareils oecessaires ä la vie. C'esl
eile qui forme les societes animales ei qui donne aux hommes leurs
instincts bienfaisants. II o'esl donc paa surprenanl que la vo-
lonte ei la pensee de rhomme, que la culture ei l'arl soienl d'ac-
cord avec cette oature quand Us entreul en commerce avec eile!
II \ a entre les deux principes one parente: „La oature ei la cul-
ture sonl bien pres l'une de l'autre, car la culture iotroduil l'ordre
dana l'humanite, e1 en y mettanl l'ordre, eile y continue l'oBuvre
de la oature." II ©uois xcu r, StSa^-J] TCapairX^oiov iati, xai 7/0 ri
5i8aj(l fiexa^pu&u.ot r;>v av&pcoicov, fieTo$po{)[j.ouaa 8s tpuaiOTtoisei4 ).
Mais en substituanl ainsi au mouvement Lmpose le libre con-
cours, Democrite depasse l'horizon de son siecle e1 de son groupe:
il annonce une oouvelle philosophie pratique. Les individus re-
trouvenl dans sa conceptiou de la politique et de la morale le Eovov
d'Heraclite: c'esl le centre moral autour duquel ils gravitent, c'esl
l'interei collectif de la famille ei de la cite. Dans le toul oature!
qu'ils forment ainsi, la persuasion »'1 l'affection les tienneni assem-
bles, non la force et la crainte seules. L'education n'a seule le
pouvoir de former a la vertu que parce qu'elle persuade et deter-
mine les hommes ä agir selon le devoir en secret conimc en pu-
bb'c; ei encore son succes suppose la bonne volonte initiale de
l'enfant La crainte engendre la flatterie: eile ne saurait creer
l'affection. Ce qui la foude, c'est l'accord des interets et des i<l
si l'abstention de reproches inutiles, c'est la renonciation aux
rivalites et aux lüttes, c'est la generosite accompagnee de delica-
-1 la pitie, c'esl l'indulgence, c'est en un mot l'affection
meme: il faut aimer si l'on veul etre aime. L'homme ne sc juge
si olemenl par ses oeuvres: il laut tenir compte de ses inten-
39) Un fragm. d'Epicharme (556 — 160) attribuail ä la nature l'instincl de
la poule qui couve les oeufs ipioique eu appareuce inanimes: „la aature seule
rvoyance; cas c'esl eile qui instruil L'oiseau." II
1 la one trace de l'influence Pythagoricienne. .Mais I » 'inocrite est il abso-
1 u 1 : ette influence? Les termes employes par lui pour exprimer
le calme de l'äme (voir plus baut) sonl Pythagoriciens: il en esl de meme de
I l'ordre d'idees que nous parcourons.
Physique I96,a, 24. Dimocrite fragm. mor. 133.
216 A- '-":
tions, de ra volonte, <!• tte opjA^ rcpo? •i/./.r,-
vertu. La conspiration des volonl -
voilä le vrai fondement de la et da bonheur public auquel
lie Le bonhenr individuel. Si a rmule n'est pas de D
. tel est incontestablemenl L'esprit des fragments de -
ouvragi z uombreux qui qous onl - sur la |">li-
üque ei la morale41). Tont cela \;i plus loin et plus avant dam
l'etude de ootre oature pratique que la Technologie de rinstnunenl
Classification des arts. Lee termes Platoniciens dont qous
oous sommes servi pour distinguer Part <1«' la oature laissent croire
que les sophistes, tout en distinguant le delibere de l'indelibere, la
reflexion de la necessite, ne faisaient pas plus que Piaton la di-
stinction indispensable entre la volonte et l'intelligence. M;ti>
LI est rapp ser que -i nous possedions leurs ouvrages, uous j
trouverions au moins L'ebauche d'une theorie <l«' la volonte. La
question de l'independance de la volonte par rapport ä L'intelligence
etait frequemmenl agitee et on se demandail dans les milieux
philosophiques au temps de Socrate commenl La p vraie pou-
vail laisser place ä une conduite mauvaise, ou une conduite -
^ister avec l'erreur"). L'opinion dominante etait que la clarte
<lr In connaissance peut etre tenue en ecb.ec par des Forces etran-
ss residant dans l'äme meme „tantöt la colere, tantöt I«' plaisir,
tantöt la douleur, quelquefois l'amour, souvent La crainte", et
forces avaient, comnu le voit, La plus grande affinite* avec Le vou-
l«>ii-*3). „Le plus grand oombre, Lisons-nous dans le Protagoras44),
n'est pas en cela de ton avis ni du mien, que la science esl bou-
veraine dans les ämes et ils disent que beaucoup de gens, connais-
sanl le meilleur, ue Le veulent pas faire, quoique cela soit en
•") Fragm. i '. 240 „Dans le poisson commun (collectif) ;•->•«•}. il n'y a pas
d'ai fragm. 92. Poui l'ensemble des idees i
dans ['ordre adopt^ ici, les fragm. 135 (tres important) 150, 235, 152, 153,
146, 117. 160, 167, 243 11'.'. 161, 171, 1. 241.
on, dialogu i phon . Cyro pid i e
l,iv. III eh. I „Tu pretends donc que la esl une affection de l'ame
comme la douleur, el qod une science acquise?" etc.
| Prota b.
152 d.
La philosophie de l'action au V» siecle av. J. Ch. 217
leur pouvoir, ei fonl toul autre chose." Le mol i^i'f.z'y es! Lei
entoure d'expressions qui en soulignenl I«- sens. Protagoras, dil
Piaton, n'etail pas de l'avis de la majorite des philosophes (des
sophistes tres probablement) qui soutenaienl cette these de I inde-
pendance du vouloir. Mais son intellectualisme souffrail mainte
attenuation. II expliquail l'echec des meilleurs rnaitres en fail de
vertu par le defaul d'aptitudes natives chez leurs disciples: les
enfants des meilleura joueurs de flute ne profitenl de meme des
lecons de leurs peres que s'ils sonl bien doues. Premiere condition
du succes dans l'art*5). Nous avons vu quo le futur praticien en
quelque arl que ce soit, la morale comprise3 doil apporter ä l'etude
um- perseverante application, qu'il lui faut, pour reussir, des exer-
cices prolonges, que l'eflfort, par consequent, ei le temps ou l'habi-
tnde doivent se joindre ä l'intelligence instantanee des notions
fcheoriques. S mde e1 troisieme conditions de succes46). II semble
donc que le groupe des facultes pratiques ai1 commence des la
periode premiere de la sophistique ä se degager et a si distinguer
de l'ensemble des fonetions mentales. Prodicus allait meme jusqu'ä
distinguer la volonte du desir"). Democrite enfin insistait sur le role
des dispositions naturelles eultivees par l'education qu'il opposail
a l'action du temps et ä la pretendue souverainete de la connais-
sance abstraite. .,11 y a, disait il, des jeunes gens sages et des
vieillards depourvus de sens; ce n'est pas le temps qui enseigne
la prudence, c'esl l'education donnee a son heure et l'aptitude na-
turelle." Et ailleurs: „Beaucoup de gens munis de connaissances
multiples sonl deraisonnables" — „Xe vise pas ä tout savoir de
r de tout ignorer „ — " C'est ä avoir des aptitudes multiples
aon des connaissances multiples qu'il faut travailler." — „La vertu
n'esl pas dans les paroles, mais dans l'action." — „Le; hommes
d'un heureux naturel connaisseut le bien (sans etude) et y ten-
denl spontanement48)." Toutes ces indications prennent un sens
plus oel >i un les groupe autour de l'assertion significative d'Ari-
4S) Protagoraa 327, a.
(Jialugiic .) K >, ;i ßoüXeaftat xai en'.ibwilv otatpei; tu; oj toüt<
. 140, il-.-. in. 99, in:;. KU. 226.
A Bspin .
: >|u- mait dans l'ame dem fonctions, la
fonction m< et la 1 et que la fonction motrice
sa fon< . I.'.-u! iparail donc pas seule-
menl de la oature; il tendail a parer de la seien ce; maia
Separation n'etail pas |
Quelques Bophistes avaient une predilection pour ies seien
distingnaienl par lä des autres maitres en vogue qui p
ttaienl surtoul d'armer leura disciplea pour la vi« S ayanl
presente an eleve (Hipp ä Protagoras, celui-ci sl Piaton
qui mel la cl a scene — raille a cette d Bippias de
methode. „Hippocrate, dil il. n'eprouvera poinl en s'adreasanl
<•«• qui lui serail arrive s'il 3'etail attache a toul autre
Lea autres abusenl des jeunea lvu~. Quelque aversion
que ceuxci temoignenl pour lea sciences, il lea j jettenl malgre eux,
leur apprenanl le calcul, rastronomie, 1-' geometrie e1 In musique
(od disanl ces mots, il jetait lea yeux snr Bippias); au lieu
qu'Hippocrate u'apprendra ä mon ecole que oe qu'il vienl j
apprendre . .'"')" ä savoir l'arl de gouverner sa maisoo >'t celui
de parier «'t d'agii pour lea interets de l'Etat. Noua avons 'lit
sciences: >'t c'esl bien de sciences qu'i] s'agit. Piaton ecril -iy
ce mol a donc voulu dire au dela meme du V siecle a la fois
action methodique e1 science. La distinetion ne s'aehevera qu'avec
Aristote.
A cote ilc ce groupe des quatre te< hniquea plus propremenl
spekulatives qui parail avoir ete constitue par les Pythagoriciens
et formera plua tard le quadrivium, se placenl la grammaire, la
49) De l'ame, 103, b, 29.
**) Les mots Ixobatoz, dxoüato;, - i).vjtiipiii se trouvenl pour la
liere t"i- dans les oeuvres '!«• Democrite :i\<-'- un Bens psychologique in-
contestable. „Les travaua volontaires Ixoüatoi itdvoi aous fonl suppoii
facilemenl les travatu force*8 it I uous en dalassend fr. 86, B7. L'e'du-
cation ne rdussit qu'avec 'I'-- enfants capables d'eßbrts spontanes fexouc
tiv fr. 2 £Eooafr]v fr. 196. Le parier franc est le -
de la liberl fr. 124. ci fr. ü»7: 8tav od u, s'ils com
ulenl \!
l'.'i.ut du l'rni. Dans le pr. Hippias la m£me divi-
sion
La philosophie de l'action au N J. Ch. 219
rhctorique et l'histoire, melange de Bciences ei de pratiqu
Mais l'education, la morale ei la politique, encore confondu
apenl au dessus de cea dein groupes iine place preponderante.
On a vu que d'apres le mythe du Protagoras la politique
jusqu'au demier momenl de la genese des societes renfermee chez
Jupiter. I-;i maniere donl les Sophistes ei Democrite parlenl i
affaires publiques montre assez la dignite exceptionnelle qu'ils
ordenl a l'arl correspondanl . . Parmi les autres arts la mede-
cine parait emprunter quelque lustre ä la comparaison faite si
tre eile ei la politique ou la morale. Protagoras dil que
la politique esl la therapeutique des cites") et Democrite que la
si la medecine de l'äme"). Nous verrons ces comparai-
Bons - »ntinuei - affinites se soutenir dans la periode alte-
rieure. Quanl aux arts manuels, ils formenl un groupe plus
humble*4). Mais i] ne faul par oublier quo depuis la politique
jusqu'ä l'agriculture ei la cordonnerie, bien que l'ordre <le ces ele-
ats ne soil pas encore determine, tous les arts sont consideres
comme formant un tout, comme appartenant ä la meme famille
et comme soumis aux memes conditions generales. L'unite de la
-i/yrt dan- son ensemble n'esl pas douteuse. D'une part les
relevenl les arts manuels en se glorifiant d'en parier
rtinemment et meine d'y reussir. Hippias se presente ä Olympie
• un costume dont toutes les pieces sont faites de sa main et
Protagoras invente an coussinel pour les portefaix. D'autre part
ils sentenl que l'arl de se conduire et de conduire les autres est
un art au meme titre que la navigation et l'agriculture, c'est a
dire qu'il sert comme les autres a assurer le salut de la race
humaine. Les p mtemporains ne manquent pas de les men-
tionner tous ensemble, lüen que dans un ordre incertain. Et le
bumain, lai'que de ces conceptions est accentin'' par leur
Opposition finale avec des doctrines de plus en plus repandues
<pii montraienl le principe de l'activite humaine dans l'existence
<fun Dien- Pro videni celle d'une äme separee du corps, et
• l 166, a.
l i ... mor. •
150, b.
•j-ji i A. Es|
j'hii.-aifiit l'interel de la vie presente dans la preparation d'une
vie olterieure. Tandis que lea doctrines qu'il nous reste ä exp
scindenl les affaires humalni lea a< tea humains en dem
•u\ <jui assurenl le bien-etre tempore] ei ceux qui assu-
renf l«- I beur veritable, fonde stur le commerce avec des realites
transceudantes, lea doctrines oaturalistes impliquenl formellemenl
l'unite de la pratiqae orientee vers des avantages concrets, com-
pris 'laus l'horizon de cette vie. „C'esl nur folie que de oe pas
rejouir de la vie.a — „Si le corpa faisail bod proces a l'äme
pour le mal qu'elle lui fait, il aurail gain de cause.0 „Quelques
hommes, ignoranl la dissolution finale de uotre oature mortelle,
il q'j :i d'eternel que les aton - des Fautes
commises par eux au cours de la vie, assombrissenl chacuu de
leurs jours par de miserables angoisses; c'esl qu'ils se forgenl des
idces mensongeres sur le temps qui doil Buivre leur mort.a Ainsi
parle Democrite '*). A moins que nous ue uous trompions de toul
au toul sur La Bignilic;itiun de ce» j • .- 1 ^ - . _■ - . qous sommes ici eu
presence d'un uaturalisme pratique arrive ä la pleine conscience
de Lui-meme.
Passe e1 avenir des arts: Tous sortenl de la meme souche,
ils onl pour bul de satisfaire aus besoins de l'homme. On com-
mence ä comprendre que loin d'avoir ete donnes ä l'etat d'acheve-
ment, il- onl ete commc L'avail dil Kenophane une penible ei lente
conquete de l'homme sur la uature ei sur lui-meme. Critias dans
sod Sisyphe fail allusion ä im 6ta1 primitif, abjecl de L'hnmanite
ei le mythe de Protagoras, confirme parplusieurs mythes de Piaton,
temoigne dans le meme sens. Les sophistes on1 conscience des
progres accomplis depuis ces lointaines origines: ils se aentenl
entrainea dans la meme evolutiou que l'univers: im passage lto-
□ique de Platou dous l'apprend. Hippias raconte que s'il n'esl
") Pragm. mor. 51, 23, 11!». — Chez les philosophea d( mps
arts oe Bonl null.- pari distingues des arts atiles.
II esl ä remarquer que cette confusioa n'esl pas faite par les | dans les
äuumeYations d'arts qu'ils dous onl laissdes. Od oe la rencontre ni dans le
Suppliant« iripide au vera 199, ni dans celui
d' \ n i igone que dous donnerons toul ä l'heui
La philosophie de L'action au V" siecle av. J» Ch. 221
pas venu depuis longtemps a Athenes, c'esl qu'il a ete depute par
l'Elide cii differentes villes pour des missions politiques Lmportantes.
Socrate lui dit: „Voilä ce que c'est, Hippias, d'etre an bomine
vraimenl sage ei accompli, car d'abord tu es en etat, comme
bomme prive, de procurer aux jeunes gens des avantages bien
autremenl precieux que l'argenl qu'ils te donnenl en grande
quantite, et ensuite tu peux rendre ä ta patrie, comme citoyen,
de ces Services capables non seulemenl de mettre im homme au
dessus «In mepris, mais de lui acquerir de la renommee. Mais, dis-
moi, quelle peuf etre la cause pour laquelle les anciens donl les
ooms son< >i celebres pour leur sagesse, im Pittacus, un Bias, im
Thaies de Milel ei ceux qui sonl venus depuis jusqu'ä Anaxagoras,
- sonl tous "ii presque tous ölöio;m's dos allaiivs publiques? —
Quelle autre raison, Socrate, penses-tu qu'on puisse alleguer, si ce
n'esl leur unpuissance ä embrasser ä la fois les affaires de l'Etal
ei celles des particuliers? — Quoi donc! au nom de Jupiter, est-
ce que comme les autres arts so sont perfectionnes et que los
ouvriers du temps passe sont bien chetifs aupres de ceux d'aujour-
d'hui, nous dirons aussi que votre art, a vous autres sophistes, a
lair les memes progres et que ceux des anciens qui s'appliquaient
ä I - 3 ss a'etaient rien en comparaison de vous? — Rien n'esl
plus vrai. — Ainsi, Hippias. si Bias revenait maintenant au monde,
il paraitrait ridicule aupres de vous, ä peu pres comme los sculp-
teurs dix'iit que Dedale se ferait moquer, si de nos jours il faisail
des ouvrages tels que ceux qui lui ont acquis toute sa celebrite?
— Au fond, Socrate, la chose est comme tu dis; cependant j'ai
coutume de louer les anciens et nos devanciers plus que les sages
de ce temps, car si je suis en garde contre la Jalousie dos vivants,
je redoute aussi la colere des morts56)."
Nous touchons Ici une dos raisons qui ont empeche les pMlo-
Bophes naturalistes de montrer a ciel ouvert leur legitime orgueil
pour les progres recemment aecomplis et une foi plus ferme dans
l'avenir*7). Une partie de Popinion etail deja persuadee que le
l'r. Eippias 281,6.
:' dit, il est vrai, au fragmenl 205, que dans l'etal actuel i
... xarcorecüTi y->~;>-<i ■ les chefs des Etats peuvenl difficilen
222 ^ Espina
1 » 1 1 * u etail 1«' plus parfait; et deprecier le passe eüi parn
un sacrili - une bardiesse qae de dire que les lois
religiös - produits r de l'arl <'t des contrats.
Piaton tera dans les Lois contre S l'on admettail
\"l que les astres ei la oature inanim montaienl ä l'<>ri-
-t parce qu'on les regardail comme divins
qu'oa croyail la des dieux >•! celle da monde contempo-
raines. Quand on entendil dire nettemenl que la matiere brüte
i anterieure ä la pensee ei que l'arl etail posterieur a la na-
ture, bien des esprits en fiirenl troubles; "ii o'eül pu in- saus
peril sur l'idee que la perfection devail trouver place a la liu des
temps, bien que l'idee contraire u'ait pas encore decidemenl |
valu. Mais il«' plus l'idee d'une accumulation graduelle <-t necessaire
Qnaissances au cours <!<• Devolution sociale ae ß'etail encore
formulee 'lau- l'espril de personne '-t qu] n'avait, meme dans
pensee, affirme de l'avenir ce progres auquel on croyail tacitemenl
pour le passe. On u'en avail pas une experience assez ancieune.
El puis im nc voyail autour de soi aucune d< grands ei ine-
branlables etablissements politiques qui fonl croire a leur < t < in ir . •
.•1 a l'eternite de l'oeuvre bumaine qui se poursuil a leur "in1
On etail seulemenl beureux du presenl e1 tres satisfail 'I.- penser
que c'etail au genie bumain qu'on devail toul cela. Les poetes dra-
matiques dn siecle onl celebre la civilisation grecqu - bienfaits
en termes qui prouvenl combien peu les doctrines que dous venons
d'analyser etaienl des curiosites d'ecole etrangeres au public: voici
que ilit le choeur dans rAuti^une de Sophocle; dous termine-
rons par la: „Le monde esl plein de merveilles <•( la plus grande
de cea merveilles, c'esl l'homme. II franchil la mer ecumante
et, pousse par les venl jeux, il a'ouvre un chemin a travers
les \a'_ru<'> qui mugissent. La terre, la plus venerable <lrs divinil
la terre incorruptible, infatigable, il la fouille d'annee en annee
avec les socs recourbes; c'esl le cheval qui creuse le sillon. La
r de toute injustice ei qu'il taut installer un ordre de cboses non-
i un I'- justi contre toutes !<■- attaques, poun fidele il
prin da lation du prdsenl i espoir dana l'avenir
ml pas, ä propremenl parier, une thjorie du progres.
La philosopbie de l'action au V« Biecle av. J. Ch. 223
race etourdie des oiseaux, [es betes feroces, lea especes maritimes,
il les chasse ei les enferme dans des Gilets, cel homme avise! II a
des ruses pour s'emparer dans les montagnes de leurs habitants
sauvages: le cheval ä la belle criniere qu'il plie au joug et le
taureau indompte. II s'esl forme a la parole, a la peiisee au
rapide que le vent, aus decisions regulatrices des cites ei il sail
preserver sa demeure de l'atteinte importune de la pluie et <lu
froid. Fecond eu ressources de toul genre, il va saus trouble vers
l'avenir. II y a une chose qu'il ae peul eviter, l'Hades, mais du
in. miis il a trouve l'art de conjurer les maladies58)."
" Antig □ . vers 332- 363.
VIII.
Sur La Compositum de La Physique d'Aristote.
Paul Tanner} Paris.
1. Je desirerais appeler ['attention sur ane difference de ter-
minologie, qui n'esl pas sans importance, entre lea livres III el V
de la Physique d'Aristote.
Au livre V. eh. 1 ei 2. la ootion la plus generale du chan-
gemenl esl « 1 * - — I i_i 1 1 * *- < ' par L'expression [iSTaßoXij transition). Le
concepl n'en esl pas il<:lini. mais il es1 explique qu'i] peul y avoir
trois sortes de transitions: celle d'ua etal oegatif ä im « • t : 1 1 positif
(ex ■/ri uiroxeipivou i;: &irox£i[isvov), qui esl la ; la transition
inverse, qui esl la cpöopa; enfin la transition d'un etal positif .1
im autre Hut positif (i: uTtoxeijiivou :■': u7toxeijjL6vov), qui esl la
xivrjatc Le devenir ei le cesser (yeviais ei ipÖopa" 8on1 ainsi nette-
menl distingues des mutations (xtv^oei?) ei il esl specialemenl nie
qu'ellea rentrenl sous cette derniere appellation, car elles concer-
oenl la categorie de l'oöcfa. Les mutations se rapportenl an oon-
traire aus trois categories du itotov, du irocrov ei du tötco?; de la
la triple distineti le la mutation en qualite (dMoiWi?, modifi-
cation), eu quantite (aureus e1 ipdiaic, accroissemenl ei de'croiss
ment), en lieu (translation, ^opa, mol auquel Axistote ddclare
attribuer an sens g^neral qu'il n'avail pas ••innre dans le lang:
de son temps, \ . 2, 226b, 33).
Au livre III. eh. 1 e1 2, le concepl general du changemenl
esl designe" par !<■ terme de > celui de fwtoßoX^ esl employe
ondairement comme synonyme exaet Ce concepl gön^ral ro-
Sur la l tion de la Physique d'Aristote. 225
coit sa celebre definition: la realisation du possible (/, toö Sova'fxei
ovxos IvteXe^eio, (j rotootov). Comme especes differentes de la xt-
vr(7u-. sonl » l i » t i 1 1 u 1 1 < - « ■- : l'dXXouucric, l'aufcTjais e1 la cpdiats, la •, .'-
ei la tp&opa, enfin la tpopct (mol introduil sans remarque particu-
liere ei comme d'un usage courant). Aristote ne voit, cette fois,
aacune difficulte ä parier de xivtjcis selon le t68s ti, c'esl ä dire
selon L'essence.
La difference des deux points de vue ressorl oettemenl si l'on
compare lea dernieres lignes de Phys. III. 2. ou il esl parle de
/"./:•:. lorsque rhomme en acte l'ait an homme de ce qui ue l'esl
qu'en puissance, avec V, 1. 225b. 15 oii lc passage du nou-blanc
an blanc esl qualifie de yheais du blanc et ainsi, ä prendre les
choses ä la lettre, exclu du concepl general de la xtvrjcris et par
suite du concepl particulier de l'dXXoi'axxis.
2. Dira-t-on qu'Aristote, apres avoir. de prime abord, dans
la redaction de sa Physique, confondu les teraies de xivtjgis et de
[ietoßoX^, aura voulu, en poursuivant son ouvrage, les distinguer
par ane analyse plus profonde? J'estirne au coutrairc qu'il y a
en dans sa doctrine (et non seulement daus sa terminologie), une
lutiou sensible, mais qu'elle s'est produite dans le seus Lnverse
de celui qu'indique l'ordre apparenl de ses livres, je veux dire qu'-
Aristote esl passe, au beut ^\\\\ laps de temps peut-etre conside-
rable, du point de vue du livreV a celui du livre III.
Si les deraiers chapitres du livre XI de la Metapbysique pou-
v.nt etre consideres comme representant une premiere redaction
de Phys. III. 1. 2. 4. V, 1, 2, 3, je n'ai pas ä rechercher un ar-
gumenl plus decisif; car il est precisement tres remarquable que
dans cette redaction, le point de vue soit exaetement celui du livre
\ . 1 1 * la Physique; qnoique le chapitre Metaph. XI, 9 (= Phys.
III. 1. •_',. contienne dejä le definition de la xtvr^ais comme reali-
Bfttion du possible, on n'y tronve aneun des develuppenients qui,
dans la Physique, fonl expressement rentier sous cette definition
le changement d'essence, la liv&avz et la cpöopa. A cette date, la
pensee d'Aristote esl donc encore arretee dans sa marche logique;
eile se trouve entravee par des distinetions qu'il a precedemment
admises <'t auxquelles il lui repugne encore de renoncer.
q] Tanne'
Mi -. - fourni pai iction pri-
mitive, il vue du livre III
[ue que celui da livre V
ud progrcs philosophique ü stable.
distinction du livre \ la xivi;
puremenl logique ei w icune realite effe< eile
par la consideration des cal ei n<- s'ada]
Dullemenl aux conceptions devel Phys. I sur les principes
de la oature, la matiere ei la forme. La trän« tei-
i l'uirox . concevable dialectiquement, ible
physiquement, car il y a toujoura un urcox« . une mati
meme toujoura une matiere ayant deja forme. Le germe qui de-
vient plante change continüment, par modification, accroissemenl
ei mouvements locaux; peut-ou saisir ud momenl precis, une trans-
formatioD instantanee, ; i j > 1- » * ^ laquelle l'eföoc, auparavanl absei
desormais presente? Quel mi tii scientifique peut-il donc j
avoir de distinguer la des autres chaogemeDts qui l'accom-
pagnenl ei la determinenl toujoura, quelle raison philosophiqui
a-t-il de maintenir dans L'etude de la oature une Separation <K'
cooeepts qui ue repose en derniere aoalyse que sur des habitui
de laogagi
II es1 evidenl qu'Aristote ue s'esi qu'ä la longue
habitudes d'esprit 411c lui avait imposees L'enseignemenl de Piaton;
or la coDceptioD de ce dernier est precisemenl opposee au poiul
de vue scientifique que je vieus de rappeler; il demeure sur le
terrain dialectique; l'eföos esl immuable ei transcendanl (^opiorcov);
3a presence (irapooaia) daos un sujel esl donc un fall d'un toul
autre ordre que le simple mouvement. Cette position esl oette
ei logiquemenl irreprochable; Aristote o'en a senti le defaul qu'en
s'appliquanl a l'etude de la oature, e1 il a conclu a l'immanence de
maifi il oe 8'esl pas entieremenl debarrasse de la tradition
de son maitre; c'esl ainsi que pour maintenir l'immuabilite de la
forme, il insiste sur ce que le changemenl doil etre attribue* au
Bujet, a la matiere, e1 que la forme esl le terme (ef; 8 xivettat) du
changemenl re'alise; formule incontestablemenl peu commode ei
qui oe l'empeche par de parier d'autre pari d< k« m\ -
Sur la Com position de la Physlque d'Arisl 227
/ (formes naturelles ei perissables). En toul cas, il es! clair
que la doctrine de l'immanence conduil ä ramener toua lea chan-
gement8 ä im seul c :ept, celui de la realisation du possible ou
de la xi'vTjatc; que l'exclusion de la yiveais ei de la cpdopa bors de
concepl esl ane concession, au moins de forme, aux distinctiona
resultanl de la doctrine de la transcendana
Si des lors la redaction actuelle du livre III de la Phy-
sique es1 posterieure ä celle du livre V, peut-on admettre qu'Ari-
te, ayant commence a corriger son ouvrage pour le mettre au
poinl d'apres ses idees definitives, aura laisse cette revision inache-
. eu ae touchant pas au livre V? Je ae pense pas que cette
bypothese puisse etre serieusemenl soutenue.
■Festime que les livre-; V et VI (pour ne pas parier du livre
VII. au snjel duquel la question est dejä tranchee) n'appartien-
nent nullement au plan general de la Physique. Qs constituent
an ecrit auterieur: itspl xiv7j<Teu>c, probablement dejä communique
dans le cercle des disciples, sinon effectivemeni publie, qu'Aristote
par suite ne pouvail guere remanier, au moment oü il a concu
le remarquable ensemble constitue par les livres I ä IV (cpuaixa)
par le livre VIII (rapl xiv^ceios).
Concevanl la nature corarae ayant le changement (xivtjcjis) pour
caractere essentiel, Aristote a commence par exposer (Livre I)
quels sont les principes ä considerer dans ce qui change; il a
distiogue ensuite les differentes causes des changements (Livre II);
au Livre III il l'ait ressortii brievemenl les caracteres generaux
de la /•'•//- reconnail la necessite de traiter de l'espace et du
temps, a| iir au prealable, elucide le concept de l'infini.
Apt ir accompli ce programme et termine ce qu'il a ä dirc
du temps (IV, lin: y.7i itepl ukv j^povou xcct aötou xal xoiv rcepl aöxov
otxeuov r/, z/.ilz'. Efp7)xai), il trouve une transitioii toute naturelle
pour revenir au changemenl ei ä la determinatiou du premier
moteuj dire a La question annoncee ä la lin du Livre I.
'ii taut du moins qu'elle peul etre traitee en dehors de la npioxri
cpiXoooofot.
Livre VIII, comm.: „Mais es jue le changemenl a com-
„mence a im certain momenl sans avoir existe auparavanl et
Philosophie. V 1 1. IG
228 v-
mais absolumeul ou bien an contraire n'a-t-il
i ae peul -il , a-t-il toujoura et< ra-t-il
ijoure?
I. ia d avec les cbapitres consacres an temps eatfrapparj
lis que dana cel ensemble, les livrea \ et VI apparaissenl comme
im hors d'ceuvre sans relation |ui pr< • <|iii suit,
hors d'oeuvre im I par lai-meme, mais inutile de fail au de-
ppement «lo la pens
On oe doil pas se laissei tromper par I«- renvoi qui semble
fail Phya. \lll.."». 257a, 34 a Phya. 71,1—4. La phrase oii
trouve ee renvoi ) est plua que BU8] :ij>t brusquem
le ül dea idees, sans la moindre utilifc I Interpolation
evidente, venue de la marge au eile ae rapportail probablemenl
an endroil passable] loigne (Phys. VIII, 5, /><
.'/v avcqxatov slvai aov&yis). La forme du renvoi: iv
xadoXou icepl cpuaeio? n'eat an reste nullemenl «laus lea habitu
du langage d'Aristote.
Od autre renvoi de Phys. \ III. B, 263 11. ä Phys. \ 1,2,
corrobore an contraire l'opinion qne j'ai avancee. Aristote revient
Bur uii.- aporie relative an monvemenl donl il a donne la Solution
iv T'.r: JrptüTOl? '/.'',■/.:: -.',:: r.z'A XtVqGetoq cette SOlatiOD 681 incom-
plete (~'/'jz ro -yr^yj. xa\ tjjv iXijdetav f-0y fxavä>{); il doil donc
reprendre la question.
L'expression Sv -'.:: irpcutoic >.v,v.: marque clairemenl qu'Ari-
Btote oonsidere le livre VIII comme im oouveau ).•',■/.: rcepl xi
aecuc. maia anssi que lea traites precedents (Phys. V et VI), donl
il oe dissimule pas lea imperfections, avaienl ete redigea bien
anparavant. v)
4. La questioD oe ferail evidemmenl aucuo doute, ai Eudfeme
\ . , rrocv zhi: 8(0 <• toüt
■/.T'/i ry , toi; /.otDo/vj n rräv to . itvov
• ' o ime preuve que le livre \ III ae fail oullemenl Buite ä V— VI. od
que VIII, I. aristote fail la distinction dea moteura ei
mobiles pai • - ainsi qu
oaturel.
Sur la Composition de la Physique d'Arisl 229
n'avail pas dejä commente les livrea V ei VI de la Physique ä
[eur place. Aiusi les disciples immediats d'Aristote avaienl juge
ä propos, pour completer le cours de Physique de leur maitre, d'j
intercaler ä la place qui leur semblail la plus naturelle, un ecril
anterieur, doni l'etude etail evidemment utile. Peut-etre ä ce
momenl eu ont-ils supprime le commencement, qui faisait double
emploi avec le debut du Livre III. s'il reproduisait la redaction
Metaph. XI, 9. 10.
On peat meme supposer que le rattachement du deruier /.v,o:
-3v v.v^'tio; aux precedents, et de toiit l'ensemble aux iposixa,
avail ete admis par Aristote lui-meme ä la lin de sa vie 'laus un
lau didactique, malgre les differences de dates et de doctrine.
sl co que semblerait indiquer le renvoi de Metaph. VIII, 1 liu
a Phys. V, 1 (iv toi; »umxois) au lieu de la designation qu'on
attendrait: £v tois jrspl xtv^asu>?.
Mais sans aller plus loiu dans le dornaine des conjectures, on
peut s'eu tenir au fait que je crois avoir mis eu lumiere, ä savoir
quo la redaction des livres V et VI do la Physique est auterieure
ä celle du reste de Touvrage et qu'il en resulte une certaine in-
coherence.
1(>*
I\.
Der Kintliiss Demokrit's auf Galilei
Voll
Dr. Löwenheim in Berlin.
Die Auffassung der Geschichte der neueren Philosophie hat in
der letzten X<it dadurch einen wesentlich anderen Character
wonnen, dass man an die Spitze derselben nicht mehr Bac ler
Cartesius, sondern Galilei stellt, der nicht nur als Naturforscher,
lern auch als Philosoph Epoche machend gewirkl bat. Der Er*
der meines Wissens diese neue Auffassung vertreten hat. Isi Tönnies,
der bereits im Jahre L879 schrieb:1) „Die traditionelle Bistorio-
phie der Philosophie bat Galilei nnter den Tisch geschoben.
Ein künftige] Geschichtsschreiber dieser Historiographie mag unter-
suchen weshalb." In ähnlicher Weise sprach sich Natorp einige
Jahre später folgendermaassen aus:'-') „Am Ende isi nichl der-
jenige der Philosoph, der überkommene Anschauungen für den
Schulgebrauch in ein bequemes System bringt, sondern der, welcher
die entscheidenden, zu seiner Zeil oder überhaupt neuen Gedanken
selbständig concipirl und mit dem Bewusstsein ihrer Bedeutung
ausspricht. Dies aal Galilei hinsichtlich der Grundzüge derjenig
Naturansicht, welche bis heute ihre Geltung unerschütterl behauptet,
in Bahn brechender Weise getan, obwohl er den Nachfolgenden
noch Manches zur Vollendung des mächtigen Haue-, zu tun übrig
gelassen hat. lud so wird man ihm denn einen Platz unter den
I onii . Anmerkungen über die Philosophie des Bobbes; Vierteljahrs-
scbrifl fü ascbafüiche Philosophie III. Leipzig 1879, p. 155.
■ Natorp, Galili 'hilosoph; philosophische Monatshefte KVIII, Heidel-
p. 224.
Der Einfluss Demokrit'8 auf Galilei. •_':'. I
Gründern der neuera Philosophie nicht länger verweigern dürfen."
\\ .im aber Galilei eine solche Bedeutung zukommt, so muss es
von höchstem Interesse sein, etwas von dem Entwicklungsgang
dieses merkwürdigen Mannes zu erfahren. Denn die Frage nach dem
Entwicklungsgange Galilei's ist gleichbedeutend mit der Frage nach
dem Ursprung unsrer modernen Kultur. Während aber über den
Entwicklungsgang Kant's fasl jedes Jahr neue Bücher erscheinen
sieht, Isl über den Entwicklungsgang Galilei's bisher nur sehr wenig
schrieben; nnd das reiche Material, welches Männer wie Alberi
und Favaro zur Aufklärung dieses Gegenstandes herbeigeschafft
haben, isl bisher noch wenig benutzt worden. Dm diese Lücke
auszufüllen, habe ich mich seil einer Reihe von Jahren mit dem
Entwicklungsgange Galilei's beschäftigt und werde die Früchte dieser
Studien in einem grösseren dreibändigen Werke niederlegen, möchte
mir aber erlauben, hier vorläufig die wichtigsten Resultate, zu
denen ich gelangl bin, mitzuteilen.
Allgemein bekannt ist. dass Galilei seine Laufbahn mit der
Opposition gegen Aristoteles begann, der damals, wenn auch nicht
mehr so unwidersprochen wie ein Jahrhundert früher, noch allge-
mein als unfehlbare Autorität ualt. Da man nun früher die Aui-
fassung hatte, dass Aristoteles die ganze vorangegangene Wissen-
schaft der Griechen zusammen gefasst habe, und daher den
Aristoteles als den eigentlichen Repräsentanten der griechischen
Wissenschaft ansah, so betrachtete man Galilei's Lossagung von
Aristoteles als eine Lossagung von der griechischen Wissenschaft.
Diese Ansicht \ ler Bedeutung des Aristoteles muss aber heute
als veraltet gelten. Es hat sich jetzt weiter Kreise die Anschauung
bemächtigt, dass in der griechischen Wissenschaft zwei einander
en'_ zte Richtungen vorhanden waren, wovon die eine
durch Demokrit, die andere durch Plato und Aristoteles vertreten
ward; ja, diese neue und. wie mir scheint, richtigere Auffassung
der griechischen Philosophie hat sogar schon in einem Lehrbuch
ihren Ausdruck gefunden3). Es liegt demnach der Gedanke nahe.
*) Windelband, Geschichte der griechisches Philosophie; Iwan Muller,
b <k-r klassischen Altertumswissenschaft V, 1.
. Ii e i ia ,
les nur eine ( Opposition gegen
die eine Rieht u - iechischen Wissenschaft und eine Anlehnung
an die andere Richtui Iben bedeutet. Eil \
gleichu \ hten Demokrit's and Galilei's ergiebt in der
Tat in fielen wichtigen Punkten eine merkwürdig instim-
mung. Dies hat bereits Natorp richtig erkannt, der sich darüber
• nd.Tii. ausspricht4): ...Mit keiner früheren Philosophie hat
lei's Denkart entschiedenere Verwandtschaft als mit derjenig
lenn auch nicht Ku verwundern ist
seine SVeltansicht inhaltlich mit der d leriten in so vielen
wichtigen Zügeo zusammentrifft.0 Gleichwohl glaubt Natorp jeden
Einfluss Demokrit'a auf Galilei entschieden in Abrede stellen zu
müssen. Denn in demselben Artikel Natorp's In .. Es
wahr, dass die Zeit auf die Erneuerung der Demokritischen Denk-
se hindrängte. Schon war Lucrez in Aller Bänden; und uoch
zu Lebzeiten Galilei's versuchte Gassendi die Wiederherstellung der
Lehre Epikur's, der ja seine Naturphilosophie wesentlich von De-
mokrit entlehi ^ber ganz verschieden von solcher Restauration
vergessener Systeme war die Leistung Galilei's, der dieselben
grossen Grundanschauungen mit weit haltbarerer Begründung und
bestimmterer Ausprägung der ein/einen Züge nicht aus einer halb-
verschollenen Tradition hervorholte, sondern wesentlich aus den
Forschungen seiner Zeit, vor Allem aber aus -einen eigenen Grund
aden Entdeckung Ibständig gewann." Fragen wir, wie
die Ansicht, dass Galilei von Demokrit nicht beeinftusst
worden ist, begründet, so erhalten wir die Antwort, da— er dafür
nur ein einziges Argument anführt, das aber entscheidend zu sein
scheint. Dasselbe besteht nämlich darin, dass Galilei selbst auf
den Vorwurf, dass er ein Schüler Demokrit's und Epikur's sei,
antwortete, dasa er Demokrit und Epikur garnicbl kenne). Auf
die Autorität Natorp's bin ist dies allgemein geglaubl worden; und
0 p. 213.
. 0. p. 213 21 1.
.i"i|i a. a. 1 >. p, .'1 I Ainnri ;.
Der Einfluss Demokrit's auf Galili 233
lesen wir bei Deberwcg-Heinze7): „Ohne Demokrit, wie er selbst
versichert, gekannt zu haben, gelangte er (Galilei) zu einer ähn-
lichen Weltanschauung wie dieser." Wenn wir aber in den
Werken Galilei's die von Natorp angezogenen Stellen Dachschlagen,
so findet sich, dass Galilei hier nur sagt, dass er Epikur nicht
kennt Wenn ihm aber vorgeworfen war, dass er eiD Schüler
Demokrit's und Epikur's sei, und er darauf nur erwidert, dass er
Epikur nicht kennt, so giebt er damii indirekt zu, dass er Demo-
krit sehr wohl könnt. In der Thal konnte er dies auch nicht in
Abrede stellen, da er in der damals bereits erschienenen Abhand-
lung über die schwimmenden Körper nicht nur Demokrit wieder-
holt erwähnt, sondern denselben an einer Stelle auch ausdrücklich
über Aristoteles gestellt hatte, wodurch sich eben der erwähnte
Vorwurf erklärt. Die interessante Stelle lautet folgendermassen8):
„Ihn (Demokrit) damit zu bekämpfen, dass man saut. dass. wenn
die aufsteigenden warmen Körper diejenigen wären, welche die
feinen Platten in die Höhe heben, ein solcher fester Körper noch
weit mehr in der Luft gestossen und in die Höhe gehoben werden
müsste, das zeigt bei Aristoteles den Wunsch. Demokrit zu Boden
zuschlagen, der ihm hinsichtlich der Feinheit des gediege-
nen Philosophirens überlegen ist." Diese Stellung Galilei's zu
Demokrit ist durch eine vor einigen Jahren aufgefundene Jugend-
schrift Galilei's bestätigt worden, in welcher es folgendermassen
heisst9): „Ueber das Leichte haben wir bis jetzt kein Wort gesagt,
sondern nur über das Sclrwere und weniger Schwere; deswegen
haben wir hier Veranlassung zu untersuchen, ob dies von uns mit
Recht oder mit Unrecht geschehen ist. Wenn also Aristoteles und
die übrigen Philosophen damit zufrieden wären, als leicht das an-
zunehmen, was wir weniger schwer nennen, so würden auch wir
keine Beschwerde dabei finden, diese Benennung „leicht" zuzu-
T) Ueberweg, Grundriss der Geschichte der Philosophie, bearbeitet von
Ueinze, 3. Band, 7. Auflage, Berlin 1888, p. 40.
®) Opere di Galileo Galilei, herausgegeben von Alberi, Florenz 1842 —
1856, XI 1 p. 88.
9) Favaro, Alcuni scritti inediti di Galileo Galilei, Roma 1SS1, p. 55.
l. prenbeim,
■!i. Abei da sie wollten, das - d leichten
I. der dies Bchlechthin wäre und jeder Seh*
tbehrte, so haben wir versucl \ cht, die wir als geradezu
seh rabscheuen, auf jedi W - rund aus l>is
auf das tz au in. Deswegen werden wir hinsichtlich
Meinung der Alten, welche Arisl gebens
im vierten Buch seiner Schrift über das Himmelsgebäude
zu widerlegen Bucht, das von Ai les Zurückgewiesene
behaupten, das von ihm Behauptel r zurückweisen and in
diesei Weise seine an diesem Orte folgenden Zurückweisungen und
Behauptungen einer Kritik unterwerfen."
Aus dem vor Kurzem erschienene] - d Bande der neuen
Favaro veranstalteten Ausgabe von Galilei'a Werken ergiebl
sich, d lilei im ersten Stadium seiner wissenschaftlichen Ent-
wicklung ganz ausserordentlich für Archimedes schwärmt« - er-
wächst somit das Problem, zu erklären, wie Galilei durch Beine
Beschäftigung mit Archimedes auf Demokril hii werden
konnte, den er in der 1 hoch stellt, das ntschieden
Demokrit's Partei gegen Aristoteles ergreift, [ch glaube dies
Problem folgendermaassen lösen zu können. Demokril lehrte, dass
alle Körper schwer sind und dass das Aufs mancher Körper
\\i'' des Feuers, welches da- ganze Altertum für einen eigenen
Körper hielt, sich dadurch erklärt, da-- die weniger schweren Atome
von deu schwereren in die Höhe getrieben werden. Di iebl
sich deutlich aus folgender Stelle des Simplicius10): „Die Anhäi
Demokrit's und später Epikur behaupten, dass all'' Atome gleich-
artig, und zwar schwer seien ; dadurch aber, dass gewisse von ihnen
schwerer seien, sänken diese nieder; und die leichteren würden von
ihnen 3 in und so in die Höhe getrieben; und • en sie,
scheine es, als ob die einen leicht, die andren schwer seien." Aris
teles setzte dii 31 1 Lehre die Behauptung entgegen, da- alecht-
hin leichte und schlechthin schwere Körper giebt und da— die natür-
liche Bewegung der ersteren nach oben, der letzteren nach unten
Sil iplii as zu ad Preller, historia philo-
■ L49B
Der Einfluss Demokrit's auf Galilei. 235
gerichtet ist. Eine Consequenz dieses verschiedenen Standpunktes war
es, dass die aufsteigenden Körper nach Demokril um so schneller,
nach Aristoteles dagegen um so langsamer in die Böho steigen, je
grösser das specifische Gewichl des Mediums ist, durch welches das
Aufsteigen geschieht; denn nach Demokril liegi beim Aufsteigen die
treibende Kraft in dem Medium, durch welches der Körper auf-
steigt, während nach Aristoteles die treibende Krall in dem auf-
steigenden Körper selbsl liegt und das Medium dem Aufsteigen
einen Widerstand entgegensetzt, der natürlich un rösser sein
muss, je dichter das Medium ist. Nun lautet bekanntlich das
Archimedische Princip, dass ein fester Körper in einem flüssigen
Medium so viel an Gewicht verliert, wie das Gewicht der ver-
drängten Flüssigkeil beträgt, dass er also um so mehr an Gewichl
verliert d.h. um so schneller aufsteigt, je grösser das spezifische
Gewicht des flüssigen Mediums ist. Galilei fand daher, dass das
System Demokrit's auf's Beste mit den Theorieen des Archimedes
stimmt, das System des Aristoteles dagegen denselben diametral
entgegengesetzt ist. Und so ward aus dem Schüler des Archimedes
ein Schüler Demokrit's.
Nun lehrte aber Demokrit weiter, dass im leeren Raum alle
Körper gleich schnell fallen. Denn das müssen wir trotz der ent-
jenstehenden Behauptung Zeller's aus folgender Stelle des Theo-
phrast schliessen "): „Vom Warmen und Kalten ist es
wahrscheinlich, dass sie eine gewisse Natur haben: wenn aber von
diesen, so auch von den anderen Dingen. Nun aber nimmt er (De-
mokrit) zwar vom Harten und Weichen und vom Schweren und
I. ehten. von denen man doch, wie es scheint, ebenso gut sauen
könnte, dass sie nur in Bezug auf uns existieren, an. dass sie eine
gewisse Existenz hätten, vom Warmen und Kalten aber und den
andern Dingen nicht. Und doch müssen, wenn man das
Schwere und Leichte nach der Grösse unterscheidet, not-
wendig alle einfachen Körper denselben Antrieb der Be-
wegung halien. so dass sie aus demselben Stoff und von der-
selben Natur >ein dürften." Demokrit unterschied bekanntlich das
") Theophrast de sensibus 71.
: uihI daraus folgl nach Tl •
phrast n< i A sich hinsichtlich der durch
I »keil hi rufenen Bewegung lt K ■ i < • 1 1 ver-
halten. \ Theorii Behauptung eni
□ Raum überhaupt nicht giebl und dass im
lufterfüllten Kaum die Fallgeschwindigkeit der Körper ihrem G
wichte proportional deden gr — Körper aus
demselben Stoff um so schneller fallen sollen, ind.
Galilei überzeugte sich zunächst durch folgende einfache Betrach-
tung davon, dass hinsichtlich der aus demselb - henden
Körper Demokrit Recht und Aristoteles Unrecht hal Wenn
i in jeder Beziehun he Körper zu derselben Zeit von der-
selben Höhe aus zu fallen beginnen, so werden sie zu derselben
' am Boden ankommen. Dies kann Bich auch nicht ändern,
an beide Körper zu einem einzigen verbunden sind. Zwei
Körper aus demselben Stoff, von denen der eine doppelt si
wie der andere, müssen also gl« shnell fallen, und das-
selbe wird gelten, wenn der eine Körper dreimal, viermal u. s. w.
-i wie der andere. Galilei leinte also, da— alle Körper
von demselben spezifischen Gewichl gleich schnell lallen. D
sich sehr wohl bewusst war. sich dabei in CTebereinstimmung mit
den griechischen Atomisten zu befinden, ersehen wir ausfolgender
Stelle einer seiner Jugendschriften12): „Es ist also nicht wahr, dass
ein Körper sich schneller bewegt als ein kleiner, wenn sie
von demselben Stoffe sind, was Aristoteles in dem ganzen Verlauf
des vierten Buches seiner Schrift über das Himmelsgebäude gegen
die Alt eii als bekannt voraus setzt."
Während also Galilei schon sehr früh lehne, dass alle Körper
von demselben spezifischen Gewicht gleich schnell lallen, hielt er
lange Zeit an *\c\- Behauptung fest, dass Körper von verschiedenem
spezifischem Gewichl mit verschiedener Geschwindigkeit lallen.
Dass er diese Behauptung endlich aufgab, wurde wiederum da-
durch bewirkt, dass er sich um einen weiteren Schritt Demokrit
näherte. Schon in der eben erwähnten Jugendschrift linden wir
XI p. I
Der Einfluss Demokrit's auf Galilei. 237
folgende Stelle18): „Ich wüsste keine andere Ursache (für eine
ihe Ordnung, dasa das Schwere unten und das Leichte obon
ist) anzugeben, als dass die Dinge in irgend eine Ordnung zu
bringen waren, es der Natur aber gefiel, sie in diese Ordnung zu
bringen, wenn wir nicht vielleicht sagen wollen, dass das Schwer
deswegen dem Mittelpunkte Daher sei als das Leichtere, weil
wissermaassen das schwerer zu sein scheint, was auf engerem Raum
mehr Materie enthält." Galilei betrachtet es also bereits hier als
eine nicht schlechterdings zu verwerfende Hypothese, dass Körper
von verschiedenem spezifischem Gewichl nicht aus qualitativ \
schiedener Materie bestehen, sondern sich nur dadurch unterschei-
den, dass eine qualitativ gleichartige Materie in den Körpern mit
grösserem spezifischen Gewicht im gleichen Raum sich in grösserer
Menge befindet. Was hier als Hypothese erscheint, das spricht
Galilei in einer späteren Schrift mit voller Bestimmtheit aus. wo
es folgendermaassen heissl '*): „Wir wollen Schwere jene Neigung,
sich auf natürliche Weise nach unten zu bewegen, nennen, welche
in den soliden Körpern sich durch die grössere oder geringere
Menge von Materie verursacht findet, von der sie constituirt wer-
den." Könnte es noch zweifelhaft sein, durch wen Galilei zu dieser
Ansicht von der Constitution der Materie bestimmt worden ist, so
würde jeder Zweifel durch die folgende Stelle aus der Abhandlung
über die schwimmenden Körper beseitigt werden15): „Er (Aristo-
teles) versucht . . . , Demokrit zu widerlegen, weil er sich nicht
mit dem blossen Namen begnügt hatte, sondern spezieller hatte
erklären wollen, was denn die Schwere und die Leichtigkeit d. h.
die Ursache, warum die Körper nach unten und nach oben gehen,
■ntlich wäre, und das Volle und das Leere eingeführt hatte."
Galilei wusste also sehr gut, dass die von ihm arfgenommene An-
sicht über die Constitution der Materie, wonach die spezifisch
leichteren Körper in demselben Volumen mehr leeren Raum und
und daher eine geringere Quantität der in allen Körpern gleich-
>3) Opere XI p. 19.
ipere XI p. 90.
lä) Opere XII i». 88.
\ von I i it herrührt I >ass Galilei
Ansicht \ i onstitution
- üe Ma-
i und im wandeil \ sammeng -
\\ u Galil - . w enn wir uns
V tur des V und der
üb] :i bequemen wün . so wurden wir vielleicht
itution ihrer Theile derart i>t. d - -
uicht allein der Teilung nicht widerstreb! lern «1 nichts
ss ler Widerstand, den man
rkt, wenn man sich im Wasser 1 ähnlich demjeni^
welchen wir empfinden, wenn wir durch eine
ii. wo wir uns gehindert fühlen nicht
in I der Schwierigkeit, welche wir bei der Teilung
haben, da ja Niemand von denen geteilt wird, ans denen
nsel /' . sondern nur dabei, die
Pers iznrS u schieben, welche schon geteilt und
nicht verbunden sind." Dieses Einl Galilei's für di< AI
ii Demokrit's Lsl von grundlegender Bedeutung für die Chemie
rorden. Denn von dem Augenblick an, wo die durch Aris
verl Anschauung von der Verwandelbarkeit der Elemente in
ander durch Galilei's Zurückgehen auf di \ mistik Demok
.ir. wurde die unv baftliche Alchemie durch die
- schaftliche Chemi« tzt Da sich nun Galilei schon früher
klar - alle Körper aus demselben Stoff gleich schnell
lallen, und nun annahm, dass auch Körper \"ii verschiedenem spe-
zili- rieht a . überall gleichartigen Materie be-
zu dei [uenz gedrängt werden, dass
imtliche Körper gleich schnell lallen. Als er dies S /. aus-
spn er auf die stärkste Opposition von Seiten der Peri-
patetiker, da er dan ien Bruch mit der Aristotelischen Welt-
anschauung aufs Deutlichste dokumentiert hatte. Er verwies
il die Erfahrung und stellte vom schiefen Turm in I
Fallversuche an, welche im lufterfüllten Raum die annähernde
Der Einflusa Demokrit's auf <"J n.1 i l ■ -^'.Vj
Richtigkeit des Satzes ergaben, dass alle Körper gleich schnell
fallen. Dagegen hütete er sich wohl, wieder die Autoritäl Demo-
krit's gegen diejenige des Aristoteles auszuspielen; «leim da die
demokritisch- epicureische Philosophie als gottlos galt, so hatte
die Abhandlung über die schwimmenden Körper, worin er sich
deutlich als Anhänger Demokrit's zu erkennen gegeben hatte, .-inen
solchen Sturm heraufbeschworen, di lilei in seinen späteren
S hriften nie wieder den Namen Demokrit's erwähnt hat.
Ganz unabhängig von der Entdeckung, dass alle Körper gleich
schnell fallen, hat Galilei die Untersuchung geführt, wie die Fall-
geschwindigkeit und der Fallraum von der Fallzeit abhängen. Und
hier ist er nicht von Demokril abhängig, der sich mit diesen
Fragen, soweit unsre Kenntnis reicht, überhaupt nicht beschäfl
hat. Dagegen hat er bei einem andren wichtigen Satze der
Mechanik sich wieder an Demokrit angeschlossen, nämlich beim
Beharrungsgesetz, dessen Aufstellung nicht selten als die bedeu-
tendste Leistung Galileis hingestellt wird.
Für den nicht wissenschaftlich geschulten Menschen legi die
unmittelbare Erfahrung die Ansicht nahe, dass eine einem Körper
erteilte Bewegung eine gewisse Zeit anhält, um dann aufzuhören,
dass also für eine längere Zeit andauernde Bewegung eine Reihe
von Ursachen zu suchen sind, welche dem in Bewegung begriffenen
Körper immer wieder neue Anstösse erteilen. Im Gegensatz zu
dieser Anschauung des ungeschulten Denkens hat zuerst Demokrit
das Prinzip aufgestellt, dass wir nicht für die Fortdauer, sondern
nur für die Aenderung eines bestehenden Zustandes eiue Ursache
zu suchen haben. Denn in den Scheuen zu Aristoteles lesen
wir17): „Er (Aristoteles) billigt es nicht, wenn Demokrit die
natürlichen Ursachen auf das Princip zurückführt, dass auch der
frühere Zustand so war. indem er (Demokrit) es nicht für richtig
hält, von dem. was immer in gleicher Weise ist, noch einen An-
fang und eine Ursache zu suchen." Dass Demokrit dieses Prinzip
auch auf die Bewegung angewandt hat, ersehen wir aus folgender
Scholia in Aristotelem, coli ndis, ed. academia regia Bi
Berlin L836, p. I
240 im,
„Di< l ■ •■ rsuchung aber darüber, woher
mint, haben auch diese (die
den Anderen leichtsin Wie
le za verstehen Lsl . bl sich aus 5ti lle
Demokril meint ) diese Bewegung der Atome
müs keinem Princip, rn dari standen werden, i
r Zeil besteht." \> ~ Uen müssen wir uns
wärtig halten, wenn wir di ade wichti
in ihre I verstehen wollen10): ..I len führen
e mythisch 'S twendigkeil dafür ein, dass der Bimmel nicht
lallt ben bleibt und seinen Umschwung macht . . . .
Die Andren aber in eine physische Notwendigkeil dafür an,
dass der Wirbel nicht herniederfällt, indem er - a Gewicht,
das gering . überwinden soll, wie Empedokles sagl und Anaxa-
... Alicr was die Sage über den Atlas betriffl . . . .
Aber mich das lsl nicht richtig, dass durch den schnellen Wirbel
ätherischen Korpers, da die der i Schwere folgende Be-
wegung des Himmels . . . gering i, die Kreisbewegung des
Himmels . . . ewig beharre, wie Empedokles zu sagen schien und
Anaxagoras und Demokrit. Sie behaupten nämlich, wenn auch
der ätherische Körper .... schwer sei, so werde doch, da seine
Kreisbewegung schneller sei als seine der eigenen Wucht uach
unten folgende Bewegung und daher jene diese überwinde
der Himmel .... an seinem Orte beharren, gerade so wie das
Wasser in der Trinkschale nicht ausfliesse, wenn die Schale im
Kreise herumgeschwungen werde, wenn nur die Kreisbewegung
schneller gescbiehl als die Bewegung des Wassers nach unten."
Es Ist zunächsl bemerkenswert, dass an der Stelle, wo nur von
Empedokles und Anaxagoras die Rede ist, die Kreisbewegung des
Himmels nicht als ewig bezeichnet wird, sondern dass dies nur an
der Stelle geschieht, wo auch von Demokrit die Rede ist. Wir
müssen danach annehmen, dass Empedokles die Theorie aulstellte,
r. M< 1. 1,4 i tter u. Preller § 1 19.)
in. I.e. IT.
p. 167 b
Der Einflusa Demokrit's auf Galil 241
dass die Himmelskörper deswegen nicht herniederfallen, weil die
Kraft, welche sie antreibt, sich im Kreise zu bewegen, stärker ist
als die Schwere, welche sie nach unten zieht, dass Anaxagoraa
diese Theorie unverändert annahm, Demokrit aber hinzufügte, dass
diese Kreisbewegung ewig beharrt. Diese- eine Wor1 „ewig" isl
al>er von ausserordentlicher Wichtigkeit. Denn daraus ersehen wir,
dass Demokrit aus seinem Princip, dass wir nicht für die Zustände,
sondern nur für die Aenderungen der Zustände Ursachen zu suchen
haben, dass also für die Fortdauer einer einmal vorhandenen Bewegung
keine Ursache zu suchen ist, bereits den Schluss gezogen hat, dass
eine einmal vorhandene Bewegung, wenn keine Ursache vorhanden
ist. welche sie ändert, ewig in gleicher Weise fortdauert. Demokrit
hat also nicht nur zuerst das Beharrungsgesetz aufgestellt, sondern
dasselbe auch genau in derselben Weise begründet, wie es unsre
heutige durch Kirchhof! und Belmholtz repräsentirte Physik im
Gegensatz zu Newton tut, der dasselbe aus einer Eigenschaft der
Materie herleitete, welche man später als Trägheit bezeichnete,
eine Herleitungsweise, die sich noch heute in unsren populären
Handbüchern der Physik lindet. wo das Gesetz im Gegensatz zu
dvn von Kirchhoff und Helmholtz vertretenen Anschauungen als Er-
fahrungssatz bezeichnet zu werden pflegt, (deichzeitig ersehen wir
aber auch aus unserer Simplicius-Stelle, inwiefern das Beharrungs-
!/. Uemokrifs sich vom Beharrungsgesetz der modernen Natur-
wissenschaft unterscheidet. Demokrit glaubte nämlich, dass ein in
Kreisbewegung befindlicher Körper, auf den keine Kraft wirkt, in
Folge des ßeharrungsgesetzes sich ewig im Kreise fortbewegen wird.
Demokrit lehrte also in Uebereinstimmung mit der heutigen Natur-
wissenschaft, dass ein in Bewegung begriffener Körper, auf den keine
Kraft wirkt. >eine Bewegung nicht ändert, weder in Bezug auf
-chwindigkeit noch in Bezug auf Richtung, glaubte aber, ab-
weichend von der heutigen Naturwissenschaft, dass die Kreislinie
eine ebenso einfache Linie sei wie die gerade Linie und dass daher
• in in Kreisbewegung befindlicher Körper, wenn er seine Richtung
nicht ändert, fortfährt, sich im Kreise zu bewegen. Dieser Theorie
!>■ imokrit'a stellte nun Aristoteles eine Lehre entgegen, welche von
der dem ungeschulten Denken nahe liegenden Anschauung nach
abweicht \\ i < ■ die Lehre Demokril
ine einem Körper mitgeteilte Bewegung
nicht nur nie ohält, sondern auch nicht km
dern nur einen '. blick nnd dass, wenn ein geschleuderter
die ihm erteilte Bewi eine Zeit lang beizubehalten
Bcheine, dies nur daher komm das Medium, durch welches
er sich b< ihm immer wieder neue Ansl ile. I1
Theorie d wurde im Mittelalter während der Herr-
schaft d telischen Naturphilosophie unverändert beibehalten.
Ende des Mittelalters kehrten einige selbständiger den-
kende Gelehrte wie Nicolaua i les, Leonardo da Vinci, Tartaglia,
Cardanus, Scaliger, Telesius, Giordano Bruno zu der Anschauung
des gewöhnlichen Denkens zurück, d für die Fortdauer einer
einem Körper mitgeteilten Bewegung der Vermittlung des Mediums
nicht bedürfe, sondern die ihm mitgeteilte Kraft (vis impi eine
Zeit langandaure, um sich dann allmählich zu verlieren'1). Einen
Schritt weiter ging Benedetti, der in L585 erschienenen
Schrift zum ersten Mal den Gedanken aussprach, dass die Richtung
einer krummlinigen Bew< durch die Tangente an die Bahn
bestimmt wird, und daher lehrte, dass «'in in Kreisbewegung be-
findlicher Körper das Bestreben hat, sich eine Zeit lang in der
Richtung der Tangente weiter zu bewegen, ein Bestreben, da- er
.vidi aber ebenso wie seine Vorgänger allmählich abnehmend
dachte"). Was nun Galilei betrifft, so lassen sich in seinem I
wicklungsgang hinsichtlich des Beharrung. deutlich drei
dien unterscheiden. Im ersten Stadium, das durch die Jugend-
schrift de motu gravium repräsentiert wird, polemisirt er nur des-
weg< n gegen Aristoteles, weil dieser die Fortdauer einer mitgeteilten
trog sich von der Mitwirkung des Mediums abhängig denkt,
mid macht d in ganz gleicher Weise wie seine unmittelbaren
Vorgäi Itend, dass eine mitgeteilte Bewegung eine Zeil lang
beharre. Im zweiten Stadium steht er ganz auf dem Standpunkt
Wohlwill,
und Sprache KI\ p.
Wohlwill a. ... 0. p
luss Demokrit'8 auf Galilei. 2 \'-'<
Demokrit's und lehrt, dass eine einmal vorhandene Bewegung,
wenn keine Kraft sie abändert, ewig in gleicherweise beharrt, und
schliessl daraus, dass ein in Kreisbewegung befindlicher Körper,
auf den keine Krafl wirkt, sich ewig im Kreise weiter beweg
wird. Dieses Stadium wird repräsentirl durch den Brief an Velser
über die Sonnenflecken, worin es heisst'8): „Wenn alle äussereu
Hindernisse beseitig! sind, so wird ein schwerer Körper auf einer
Kugeloberfläche, welche der Knie concentrisch ist, indifferenl gegen
Ruhe und gegen Bewegung in irgend einer Richtung des Hori-
zontes*4) sein und wird sich in demjenigen Zustand erhalten, in
welchen er einmal versetzt ist; d. h. wenn er in den Zustand der
Kühe versetzt ist, so wird er diesen beibehalten, und wenn er in
Bewegung gesetzt ist, z. B. nach Westen, so wird er in demselben
Zustand beharren. So würde z.B. ein Schiff, das ein einzig
Mal auf ruhigem Meer irgend einen Anstoss erhallen hat, sich be-
ständig um die Erdkugel bewegen, ohne jemals aufzuhören: und
wenn es daselbst ruhig hingesetzt wäre, so würde es beständig in
Ruhe sein, wenn sich im ersten Fall alle äusseren Hindern'
beseitigen liessen und im zweiten Falle keine äussere Bewegungs-
ursache plötzlich auf dasselbe einwirkte." Der Brief, in welchem
diese Stelle vorkommt, ist datiert aus dem Jahre L612, also aus dem-
selben Jahre, in welchem Galilei die Abhandlung über die schwim-
menden Körper verfasst hat, aus welcher deutlich hervorgeht, dass
er sich gerade damals eingehend mit Demokrit beschäftigte. Wir
dürfen also, wenn auch in unsrem Brief der Name Demokrit's
nicht erwähnt wird, als sicher annehmen, dass Galilei zu dem zwei-
ten Stadium durch den Einfluss Demokrit's gelangt ist. Im dritten
Stadium endlich, welches durch Galilei's astronomisches Haupt-
werk, die Dialoge über das Ptolomäische und das Koperni-
kanische Weltsystem, repräsentiert wird, verbindet Galilei die An-
schauung Demokrit's mit derjenigen Benedetti's und gelangt so zum
en Male zum Heharrungsgesetz der modernen Naturwissenschaft.
23) Opere III p. 418.
Offenbar versteht Galilei hier unter dem Korizonl nicht die Horizontal-
Ebene, sondern eine mit der Krde concentrische Kugeloberfläche.
Philosophie. VTL 17
24 l .heim,
in der von Wohlwill vertretenen Ansicht, dass Galilei das Be-
liarni!._ ■ nie "hur eine j bränkung ausgesprochen
habe, während «in so untergeordn< i Ist wie Baliani genügt
haben boII, am den Worten des Meisters eine Verallgemeinerung
zu entnehmen, welche dieser selbst nichl zu finden vermocht babe
B ich nichl zuzustimmen. Wenn Wohlwill betont, dass l
lilei das Beharrung* nicht so hervorgehoben hat, wie wir es
voo dem Begründer der neueren Physik erwarten" . so wird Jeder,
der die Darlegung gehört oder gelesen hat, in welcher Helmholtz
bei der Feier Beines 70. Geburtstages auseinandersetzte, wie er zum
Prinzip von der Erhaltung der Kraft gelang! ist, die Ueberzeugung
sonnen haben, dass gerade wichtige Prinzipien von ihren Ent-
deckern für so selbstverständlich gehalten werden, dass ßie gar
nicht auf den Gedanken kommen, sie besonders hervorzuheben,
wenn sie nicht durch Widerspruch gegen dieselben auf ihre Be-
deutung aufmerksam gemachl werden. Und wenn Wohlwill meint,
dass man bei einer Stelle aus Galilei's astronomischem Hauptwerk
glauben könnte, eine Stelle aus Aristoteles de coelo zu lesen'
so verkennl er, dass Galilei in diesem Werk mich einander die
verschiedenen Stadien auseinandersetzt, die er selbsi durchgemachl
hat, und dass daher die Stelle, in welcher er das erste Stadium
klarlegt, keineswegs die Anschauungen des Verfassers zur Zeil der
Abfassung der Schrift wiedergiebt. Indem Wohlwill hervorhebt,
dass man zur allgemeinen Formulierung des Beharrungsgesetzes
dadurch gelangt Bei, dass die ersten Leser der Auseinandersetzung
Galilei's über diesen Gegenstand von einer Beschränkung des Prin-
zips nicht- bemerkt haben'8), legt er damit selbst die Ansicht
nahe, dass er diese Beschränkung nur künstlich in die Worte
Galilei's hineingelegt hat. Wohlwill setzt dann weiter auseinander.
dass Cartesius /war indirect durch Galilei vom Beharrungsgesetz
Kenntnis erhalten hat'*"), ahm' zuersl den Versuch einer phili
Wohlwill a. a. 0. KV p. 134 135 u. 359 3G2.
Yohlwill ... ... 0. W p. 127 u. 346.
Wohlwill ... a. 0. XV ,,. 346.
• Wohlwill ;.. a. 0. X\ p.350.
Wohlwill a. ;.. <». \\ p 364 367.
Der !unt1u>» Demokrit's auf Galilei. 245
phischen Ableitung des Gesetzes machte, indem er die Lehre vom
Beharren der Beweguog als speziellen Fall der allgemeinen Er-
kenntnis hinstellte, dass Alles, was ist, in seinem Zustande unver-
ändert beharrt, so lange oichl äussere Ursachen eine Aenderung
bedingen, und dadurch die Bedeutung des Beharrungsprinzipes zu
allgemeiner Anerkennung gebrachl hat80). Gartesius wird diese
philosophische Begründung des Beharrungsgesetzes Demokril ent-
l.'lmt haben. Und wenn der bereits verurteilte Galilei bei der
Ausarbeitung seines mechanischen Hauptwerk sorgfältig ver-
mieden hat, das Beharrungsgesetz damit zu begründen, dass wir
nicht für die unveränderte Fortdauer, sondern nur für die Verän-
derungen eines bestehenden Zustandes Ursachen aufzusuchen haben,
was in einer Zeit, in welcher die Komentare zu Aristoteles noch
mehr gelesen wurden als heut zu Tage, eine Erneuerung des alten
Vorwurfes, dass er ein Schüler des Atheisten Demokrit sei. zur
notwendigen Folge gehabt hätte, so dürfte dies einen ganz anderen
Grund haben, als 'Wohlwill vermutlich Allerdings hat Wohlwill
in überzeugender Weise nachgewiesen, dass Galilei das Beharrungs-
itz niemals zur Ableitung der Fallgesetze angewandt hat: und
s isl ein grosses Verdienst Wohlwill's, die bis zum Erscheinen
seiner Abhandlung allgemein geglaubte Legende, dass Galilei bei
den Fallgesetzen zum Beharrungsgesetz gelangt sei. gründlich zer-
stört zu haben. Vielmehr ist Galilei genau ebenso wie Demokrit
zum Beharru] gsg setz durch astronomische Theorieen gekommen,
ein deutlicher Beweis, dass weder Demokrit noch Galilei durch
die Erfahrung zum Beharrungsgesetz gelangt sein kann. Wenn
aber Wohlwill daraus, dass Galilei das Beharrungsgesetz nicht zur
Ableitung der Fallgesetze angewandt hat. den Schluss zieht, dass
er die volle Bedeutung desselben noch nicht erkannt habe, so scheint
mir dies ein Fehlschluss zu sein. Denn die Anwendung des Be-
harrungsgesetzes zur Ableitung der Fallgesetze liegt nur dann nahe,
wenn man weiss, dass die Schwere nicht eine dem fallenden
Körper inne wohnende Kraft ist. sondern vielmehr ein spezieller
lall einer allgemeinen Anziehung, welche für irdische Fallhöhen
Wohlwill a. a. (i. xv p. :;t;,-:;77.
17
■ . Ii e i m ,
sse hat. und gerade diea bal Galilei, wie Wohl-
will selbsl hervorhebt'1), nichl gewusst, was freilich um so auf-
fallender ist, als Bein Lehrer Demokril diese Erkenntnis nach*
bar BchoD gehabt hat.
Trotzdem beschränkt Bich der Einfluss I1 mokrit's anf Galilei
nicht auf das Gebiet der Mechanik, sondern erstreck! sich in glei-
cher W uch auf das astronomische Gebiet Demokril lehrte,
dass der Weltraum anendlich gross Bei, und dachte sich denselben
erfüllt von unendlich vielen Welten, von denen er annahm, dass
sie gelegentlich zu Grunde gehen können, da er dem Grundsatz
huldigte, dass am Bimmel ebenso wie auf Erden Alles im fort-
währenden Wechsel begriffen ist. Wir ersehen dies aus der fol-
genden Stelle Hippolyt's"): ..1 r Demokrit) sagte dass der
Welten unendlich viele seien und sich durch ihre Grösse von einan-
der unterscheiden; in einigen aber existiere kein«' Sonne und kein
Mond; in einigen aber Beien sie (Sonne und Mond grösser als bei uns;
und in einigen existieren deren mehrere. Es seien aber die Ent-
fernungen der Wehen von einander ungleich; und an diesem
Orte seien mein-, an jenem weniger Welten. Er sagte ferner, dass
die einen sieh Vi rn . die anderen ihren Höhepunkt erreicht
hätten, die dritten abnehmen und dass hier welche entstehen, dorl
welche verschwinden; sie gingen aber unter durch einander,
indem sie auf einander stiessen. Einige Welten aber entbehrten
der Thiere und Pflanzen und aller Flüssigkeit." l>a-> Demokril
leinte, dass einige Welten ohne Tiere und Pflanzen, also unbe-
wohnt seien, isl namentlich deswegen interessant, weil wir daraus
Bchliessen müssen, dass er sich die meisten bewohnt dachte. I nd
ist wiederum deswegen bedeutungsvoll, weil wir daran- ersehen,
dass Demokril sich unsre Welt in keiner Weise vor den übrigen
ausgezeichnet dachte. Damil hat er aber den geocentrischen Stand-
punkt bereits prinzipiell überwunden. Wenn er also innerhalb
unsrer Well die lade in den Mittelpunkt stellte, so ha1 das keine prin-
zipielle Bedeutung, sondern lediglich die, dass diese Anordnung bei
Wohlwill a. a. 0. W p. 122 123.
Hipp. R( i. hat r. I.. L3 [Ritter u. Preller § 151 B.]
Der Einfluss Demokrit's auf Galilei. 2 I ■
den damaligen astronomischen Kenntnissen die Erscheinungen am
besten zu erklären schien. Diesen Anschauungen Demokrit's stellte
nun Aristoteles die Theorie entgegen, dass das Weltall begrenzl sei,
dass es our eine Well gäbe, in deren Mittel punkl die Erde stehe,
so dass man im ganzen Weltall von einem Oben und Unten
sprechen könne, da man einen Orl böher zu nennen habe als einen
anderen, wenn er vom Mittelpunkt der Erde weiter entfern! sei,
dass ferner zwar auf der unvollkommnen dunklen Erde Alles im
fortwährenden Wechsel begriffen sei. dagegen in den vollkommnen
lichten Bimmelsräumen Alles ewig and unabänderlich sei und nur
bei den Bimmelskörpern untei dem blonde die Erdnähe sich schon
dadurch bemerkbar mache, dass sie nicht mehr ganz so vollkom-
men und in jeder Beziehung gleichbleibend seien wie diejenigen
in ilfii höheren Regionen. Diese Anschauungen des Aristoteles
blieben während des ganzen Mittelalters bis tief in 'las IG. Jahrb.
hinein herrschend. Sie liegen nicht nur Dante's Divina comedia
zu Grunde, sondern auch noch dem Werke des Kopernikus: denn
auch Kopernikus lehrte, dass es nur eine Welt giebl und dass
diese kugelförmig, also endlich ist33), lud sein berühmter Satz,
das- nicht die Erde, sondern der Himmel ruht, ist nichts Anderes
als die letzte Consequenz der aristotelischen Weltanschauung.
Denn unter den Gründen, die er seihst zur Begründung dieses
Satzes anführt, befindel sich auch d^v. dass der Zustand der l'nbe-
weglichkeit edler und göttlicher sei als derjenige der Veränderung
und [nconstanz, der daher eher der Knie zukomme34)- Galilei hat
bekanntlich das heliocentrische System mit grosser Begeisterung
aufgenommen. Wie er sich aber im Uebrigen zu der aristotelisch-
kopernikanischen Weltanschauung stellte, das sollte sich zeigen, als
im Jahre lii<>4 im Steinbild des Schlangentreters ein neuer Stern
entdeckt wind''. \\;is Galilei damals tat, teilt uns sein Schüler
\i\iani in folgenden Worten mit35): „Da mittlerweile durch eine
seltsame und wunderbare Bimmelserscheinung im Sternbild des
pernicus, de revolutionibus orbium coelestium libri sex., IIb. I cap. 1.
3«) A. a. 0. lib. I cap. 8.
3S) Viviani, Vita di Galileo; Opere di Galileo Galilei, herausgegeben von
Alberi, XV p. 338.
248 iit-iui.
IG 'l - Igte, wurde von
Herrn Galilei in drei langen and sehr gelehrten Vorlesungen öffent-
lich iü erhabenen gehandelt, in denen er
iiiKti war zu der li' 51 rn sich ausserhalb der
elementaren Region und an einer sehr hohen Stelle ober allen
Planeten befand gegen die Meinung der peripal q Schule und
des Philosophen < remonino, der damals bemühl war.
B genteilige Meinung aufrecht zu erhalten und den unverän-
derlichen und von jeder zufälligen Veränderung freien Bimmel
Aristoteles zu vertheidigen." Dass diese Handluj
nicht aus einer augenblicklichen Aufwallung, sondern aus einer
dauernden (Jeberzeugung entsprang, siehl man daran-, da-- Galilei
in seinem '_'s Jahre später erschienenen astronomischen Haupt-
werke die Gesprächspersonen Simplicius, welcher die aristotelischen
sichten vertritt, Salviati, welcher die Ansichten des Yerfae
vertritt, und Sagredo, welcher meist Salviati unterstützt, folg
sprach fuhren lässt"): „Simplicius: I >!<• Körper, welche erzeug-
bar, vergänglich, veränderlich u.s. w. Bind, sind durchaus verschie-
den von denen, welche nicht erzeugbar, unvergänglich, anverän-
derlich u. -. w. sind .... Die Sinneswahrnehmung zeigt uns. wie
auf Erden fortwährendes Entstehen, fortwährendes \ ergehen, fort-
währende Veränderung u. s. w. stattfindet, Dinge, wovon weder
durch unsere Sinne noch durch die Ueberlieferung oder durch
das Gedächtniss unsrer Alten irgend etwa- am Himmel gesehen
wurden ist; also i-t der Himmel unveränderlich u. -. w. und
die Erde veränderlich u. s. w. und deswegen verschieden vom
Himmel. Das /weite Argumenl entnehme ich einer principiellen
und wichtigen Tatsache, uämlich folgender. Derjenige Körper, der
nach seiner Natur dunkel und des Lichtes beraubt ist, i-t ver-
schieden von den leuchtenden und glänzenden Körpern; die Erde
i-t dunkel und ohne Licht: und die Himmelskörper sind glänzend
und erfüllt von Licht ; also u. s. w
Salviati: Was den ersten Punkt betrifft, dessen Beweiskraft
Ihr aus der Erfahrung entnehmt, so vermisse ich, dass Ihr mir
ipi re l p. .".1 •
Der Einflu8S Demokrit's auf Galilei. 249
bestimmter die Veränderungen angebt, welche Lhr auf der Erde
und nicht am Elimmel sich vollziehen seht, weswegen Ihr dir Erde
als veränderlich bezeichnet und den Bimmel nicht.
Simplicius: Ich sehe auf der Erde beständig Sträucher, Pflan-
zen, Thiere erzeugt werden und zu Grunde gehen, Regengü
niederstürzen, Winde, Ungewitter, Stürme sich erheben und über-
haupt den Anblick der Erde eine beständige Verwandlung zeigen,
Alles Veränderungen, von denen man keine an den Bimmelskör-
pern bemerkt, deren Constitution und Aussehen ganz genau damit
übereinstimmt, wie es alle Deberlieferung beschreibt, ohne dass
dort irgend etwas neu erzeugt wäre oder etwas von dem Alten zu
Grunde gegangen wäre.
Salviati: Aher. da Ihr Euch bei diesen sichtbaren oder, um
es besser auszudrücken, gesehenen Erfahrungstatsachen beruhigt.
so müsst Ihr China und Amerika zu den Himmelskörpern rechnen,
weil Ihr da sicher niemals diese Veränderungen gesehen habt, die
Ihr hier in Italien seht, und meinen, dass sie, soweit es sich um
Eure Wahrnehmungen handelt, unveränderlich sind und
warum habt Ihr es nicht, ohne darauf zurückzukommen, den Be-
richten Andrer Glauben schenken zu müssen, selbst mit Euren
eignen Augen beobachtet und gesehen?
Simplicius: Weil jene Länder .... so entfernt sind, dass
das Gesicht nicht so weit reichen würde, solche Veränderungen
wahrzunehmen.
Salviati: Seht ihr nun, wie Ihr ganz von selbst zufällig das
Trügerische Eures Argumentes aufgedeckt habt! Denn wenn Ihr
. da— Ihr die Veränderungen, welche man auf der Erde in
unsrer Nähe sieht, wegen der zu grossen Entfernung nicht sehen
könntet, wenn sie in Amerika geschehen sind, so könntet Ihr sie
noch viel weniger auf dem Monde sehen, der so viele hunderte
.Male weiter ist. Und wenn Ihr die mexikanischen Veränderungen
auf die Nachrichten hin glaubt, die Euch von dort gekommen sind,
welche Berichte Bind Euch vom Monde gekommen, um Euch anzu-
zeigen, dass auf ihm keim' Veränderung statthat? .... Schwerlich
wird Herr Simplicius ein wenig die Auffassung der Texte des
Aristoteles und der anderen Peripatetiker modificieren, welche
thei m .
ii. dass len Bimmel deswegen für anveränderlich halten,
! man an ihm niemals irgend einen Stern erzeugl werden oder zu
Grunde gehen gesehen hat, der vielleicht ein ; et Teil vom
II mmel ist als eine Stadt von der Erde; und doch sind anzahlige
derselben in einer Weise zerstört worden, dass auch nicht einmal
die Sparen davon ans geblieben sind . . . Ich behaupte, dass wir
in im-, nn Jahrhundert neue Ereignisse and Beobachtungen von
der An haben, dass ich durchaus Dicht zweifle, data Aristoteles,
wenn er in unsrem Zeitalter lebte, seine Meinung ändern wurde,
was handgreiflich aus der Art seines Philosophierens folgt; denn da
er schreibt, dass er die Bimmel als anveränderlich u. s. w. be-
trachtet, weil man dort nicht« v les sich erzeugen oder etwas
Altes -ich auflösen gesehen bat, so läast sich implicite erkennen,
dass er, wenn er eines dieser Ereignisse gesehen hätte, die ent-
tzte Meinung aufgestellt hätte .... Nun .... be-
haupte ich. dass die zu unsrer X.*i t in den Bimmeln entdeckten
Dinge derart sind und gewesen sind, dass sie allen Philosophen völlig
ögen können; denn sowohl an besonderen Körpern wie am
universellen Himmelsraum sind gesehen worden und werden be-
ständig Ereignisse gesehen, welche denen gleichen, die wir Lei ans
Entstehen und Vergehen nennen, da es eine Tatsache i>t. dass
von ausgezeichneten Astronomen viele Kometen beobachtet worden
sind, welche entstanden sind und in Teile zerstoben sind, obgleich
sie höher waren aN die Mondbahn, und ausserdem zwei neue
Sterne vom Jahre 1">T-J und vom Jahre 1604, die ohne allen
Widerspruch -ein- hoch aber allen Planeten standen; und im Aus-
sehen der Sonne selbst bemerkt man dank dem Teleskop dichte
und dunkle Massen sich bilden und sich auflösen, die dem An-
scheine nach grosse Aehnlichkeit haben mit den Wolken auf der
Erde'7) .... Was habt Ihr. Berr Simplicius, gedacht diesen
unbequemen Flecken entgegenzusetzen, die da gekommen sind, den
Hiernach Bebeint bereits Galilei, dei Entdecker dei Sonnenflecken,
dieselben als Woll nnenball angesehen zu haben, eine \n-
«reiche Bp&ter verlassen wurde, bis in unsren Tagen Kirchoff in-
einer Bpektral-analytischen Untersuchungen wieder darauf zurückkam.
Der Einfluss Demokrit'a auf Galili 251
Bimmel zu verdüstern und mehr aoch die peripatetische Philo-
sophie? . . .
Sagredo: [ch kann oichl ohne grosse Verwunderuüg . . . hören,
wie man Naturkörpern, die integrirende Teile des Universums
sind, wegen grossen Adels und grosser Vollendung diesen Zustand
zuschreibt, allen Einflüssen unzugänglich, keiner Modifikation fähig,
unveränderlich u. s. w. zu sein und es dagegen als eine grosse Un-
vollkommenheit betrachtet, veränderlich, erzeugbar, rinn- Modifi-
kation fähig u. s w. zu sein: ich meinerseits betrachte die Erde als
sehr edel und bewunderungswürdig wegen so vieler und so ver-
schiedener Veränderungen, Modifikationen, Erzeugungen u. s. w.,
welche auf ihr unaufhörlich vor sich gehen; und wenn sie, ohne
irgend einer Veränderung unterworfen zu sein, ganz und gar eine
grosse Sandwüste wäre oder eine Jaspismasse oder wenn sie zur
Zeit der Sintflut, als die Gewässer, welche sie bedeckten, gefroren,
eine ungeheure Eiskugel geworden wäre, wo niemals irgend etwas
entstände oder sieh veränderte oder modificierte, so würde ich sie
für einen elenden Körper halten, welcher für die Welt unnütz
wäre, voller Müssiggang und, um es kurz zu sauen, überflüssig und
gleich als ob sie in der Natur nicht vorhanden wäre: und ich
würde jenen selben Unterschied machen, der zwischen dem leben-
den und dem toten Tiere besteht; und dasselbe sage ich vom
Monde, vom Jupiter und von allen übrigen Weltkörpern ....
Jene, die so sehr für die Unvergänglichkeit, Unveränderlichkeil u. s.w.
schwärmen, würden, glaube ich, .... verdienen, einem Medusen-
haupt zu begegnen, welches sie in eine Bildsäule von Jaspis oder
Diamant verwandelte, um vollendeter zu werden, als sie sind."
Diese /eilen sind recht geeignet, uns einen Blick in die
Kämpfe des 17. Jahrhunderts tun zu lassen, die von den üblichen
Darstellungen der philosophischen Bewegung de- 17. Jahrhunderts,
wie mir scheint, gar zu sehr vernachlässigt werden. Was nun
weiter Galilei's Ansicht filier die Unendlichkeit des Weltalls betrifft,
spricht ersieh darüber in einem Brief an Ingoli folgendermassen
aus3"): „Wisst Ihr nicht, da-- es mich unentschieden ist (und. wie
38) Opere II p. 84.
heim.
ich glaube, innerhalb der menschlichen ^ issi nschaften immer
unentschieden bleiben wird), ob das Universum endlich oder un-
endlich tzt, d in Wahrheil unendlich wäre,
dass d l der Fixsternsphäre in k.i-
nem richtigen Verhältnis zu der grossen Bahn stehe,
wenn - Ibsl im Vergleich zum Universum weniger sein würde
als ein Hirsekorn im Vergleich zu ihr?" Was endlich die Lehre
von der Mehrheil der Welten betrifft, so deutel Galilei seine An-
sicht über diesen Tunkt nur an, wenn er in seinem astronomischen
Hauptwort „Man sieht dass Aristoteles andeul
dass der Welt nur eine Kreisbewegung und Folglich nur ein
Centrum zukommt, auf das allein die gradlinigen Bewegungen Dach
n und nach unten sich beziehen .... Ich werde Bagen, dass
in der Gesammtheit der Natur tausend Kreisbewegungen vorhan-
den sein können und Folglich tausend Bewegungen nach oben und
Dach unten.- Wir sehen also, dass in allen principiellen Punkten
der astronomischen Betrachtung, \\" Aristoteles im Gegensatz
steht zu Demokrit, Galilei stets Für Demokril gegen Aristoteles
Partei nimmt. Doch hat Galilei auf diesem Gebiete einen \
ganger gehabt, nämlich Giordano Bruno, heim das astronomische
em, welches Galilei in seinem astronomischen Hauptwerk \
teidigt, isl keineswegs, wie der Titel vermuten lässt, das koperni-
kanische System, sondern vielmehr dasjenige System, welches
Giordano Bruno durch Verbindung des kopernikanischen Syst
jnit den Anschauungen der demokritisch-epikureischen Philosophie
hallen hat. lud wenn Galilei hier nicht direel von Demokrit
beeinflussl 3ein .-"Ute. so würde er es doch jedenfalls indirect sein.
Denn ohne Zweifel hat Galilei von den Modifikationen Kenntnis
gehabt, welche Giordano Bruno mit dem kopernikanischen System
genommen hat. V'>n Giordano Bruno aber wissen wir, dass
zo diesen Modifikationen durch die Lektüre des Lucrez gelangt ist
Lucrez aber hat das System Epikur's dargestellt; und Bpikur
schliessl Bich in -'inen Anschauungen über die Einrichtung des
Elimmelsgebäudes ganz an Demokril an.
1 p.20.
Der Einfluss Demokrit's auf Galilei. 253
Der Einfluss Demokrit's auf die astronomischen and auf die
mechanischen Ansichten Galilei's hängt aufs [nnigste mit einander
zusammen. Es hat sich im LT. Jahrhunderl ein Umschwung der
äammten Weltanschauung vollzogen, denn es sind zwei einander
diametral entgegengesetzte Waltanschauungen, von denen im
17. Jahrhunderl die eine durch die andere überwunden ward.
Nach der mittelalterlichen Weltanschauung, welche einsl von l'l
und Aristotel ründel wurde, ist der Himmel das Gebiet des
ewig Unverändlichen und die Erde das Gebiel des dem steten
Wechsel Unterworfenen; und ob ein Körper seine Bewegung bei-
behält oder verändert, häng! daher in erster Linie davon ab, ob
er sich am Bimmel oder auf Erden befindet. Nach der modernen
Weltanschauung dagegen isl jede Veränderung des bestehenden
Zustandes die Wirkung einer Kraft: und jeder Körper, auf den
keine Kraft wirkt, muss daher, mag er sieli nun am Himmel oder
auf Erden befinden, seine Bewegung so lange unverändert beibe-
halten, bis eine auf ihn ausgeübte Kraft dieselbe abändert. Diese
Weltanschauung ist von Demokrit begründet und von Galilei mit
Consequenz durchgeführt worden; und gerade hierin erblicke ich
den wichtigsten Einfluss Demokrit's auf Galilei.
Endlich giebt es noch ein wichtiges Gebiet, auf dem sich ein
Einfluss Demokrit's auf Galilei constatieren lässt, nämlich hinsicht-
lich der Subjektivität der Sinnesqualitäten. Bekanntlich lehrte
Demokrit. dass das Süsse und das Bittere, das Warme und das
Kalte, die Farbe und der Schall nicht tpuaet, sondern vojjwjj existie-
ren40), dass sie nur Namen für unsere Zustände sind4'); und er be-
gründete dies damit, dass die Empfindungen durch die Affektionen
uns* es Körpers zu Stande kommen42) und daher für jedes Individuum
andere sind43). Ob Demokrit der Erste ist, der diese Ansicht ver-
treten hat ob oder dieselbe bereits von seinem Lehrer Leucipp her-
rührt, ist eine noch strittige Frage. Ich bin der Ansicht, dass diese
40) Sext. Math. VII, 135 (Ritter u. Preller § 157). Stob. ecl. lib. 1
ed. Wachsnmth vol. I p. IT
41) Sext. Log. VIII, 184.
*■) Stob. ecl. lib. I eap. 50, ed. Wachsmuth vol. I p.473.
4:i) Tkeophra»t de sensibus 63 (Kitter u. Preller § l'r2).
25 1
Leh k ri t aufgestellt worden \-\. Allerdings isl
richtig, das Alten hon dem Leucipp beile§ Im
die Alten haben <\'\<x Lehren Leucipp's and Demokrit's ni<ht
auseinander zu halten gewuse Theophrast aber, der sich ein-
onder mit Leucipp beschäftigt hat, Bchreibl in dem erhaltenen
.inriit de sensibus diese Lehre dem Demokril zu, ohne Leucipp
Gelegenheit überhaupt zu erwähnen. Dazu kommt,
Lehre dei AI i isten von der Subjektivität <I<t Sinnes-
qualitäten in UD8rer Ueberlieferung immer im Zusammenhang
mit der Unterscheidung zwischen tpuoic und yopoc erscheint.
Diese Unterscheidung aber rührt von den Sophisten her. Nun
konnten <ii<' Sophisten zwar schon auf Demokrit, aber noch
nichl auf Leucipp wirken. Aus diesen beiden Gründen nehme
ich an, dass Demokril es i-t. welcher zuersl die Subjektivität der
Sinnesqualitäten behauptel hat. Er begnügte sich aber nichl mit
der allgemeinen Behauptung, sondern suchte bereits im Einzelnen
restzustellen, welche objektiven Verhältnisse unsren subjektiven
Empfindungen zu Grunde liegen. Was den Geschmack betrifft, so
dachte er sich den scharfen Geschmack hervorgebracht durch
kleine und reine, eckige und stark oe Atome, den süssen
schmack durch runde, nichl allzu kleine Atome, 'l<'ii Bauren
G schmack durch grosse polygonale Atome, den bittren Geschmack
durch kleine, glatte und runde Atome, den salzigen Geschmack
durch grosse, hockrige Atome, den beissenden Geschmack endlich
durch kleine Atome, die sowohl rund als <•« k iij: sind**). Was den
Schall betrifft, so führte er ihn auf eine Bewegung der Lufl zurück,
wodurch sich die Lufl verdichte, eine Bewegung, welche sich zwar
unsrem ganzen Körper mitteile, am besten aber dem Ohre*'). Die
|';nl rklärte er aus der Oberflächenbeschaffenheil der gesehenen
Körper; bo dachte er sich z. I!., dass eine glatte Fläche weiss
aussieht*6), eine Ansicht, welche nicht nur Aristoteles gelten
Iäs8l indem welche sich erhalten hal bis unmittelbar vor der
Tbeophi 67.
*■-) A. a. <).
' \ ii. I j.. 1029 b.
Der Einfluss Demokrit's auf Galilei. 255
Entdeckung Newton's, dass das weisse Licht sich aus den verschie-
denen Regenbogenfarben zusammensetzt48). Sicherlich wird er
auch angegeben haben, welche äusseren Verhältnisse die Empfin-
düng der Wärme in uns hervorrufen. Es ist aber darüber oichts
überliefert. Wir können jedoch indirekt erschliessen, was er hier-
über gelehrt hat. Wir lesen nämlich bei Aristoteles*9): „Er (De-
mokrit) saut, dass von den verschiedenen Gestalten die kugelför-
mige am leichtesten beweglich sei; derart aber sei sowohl der
Denkstoff wie das Feuer." Bekanntlich lehrte Demokrit, dass die
verschiedenen Stoffe sich nur durch die Grösse und Gestall ihrer
Atome unterscheiden. Er nahm also an, dass das Feuer, das er
wie das ganze Alterthum als einen eigenen Körper betrachte
aus solchen Atomen bestehe, welche in Folge ihrer Gestall die
grösste Beweglichkeil besitzen. Dies wird bestätig! durch Demo-
krit's Theorie der Träume, über welche Plutarch folgendermassen
berichtet50): „Demokrit sagt, dass die Bildchen durch die Poren
iu die Körper eindringen und bewirken, dass während des Schlafes
Gesichte aufsteigen. Diese Bildchen aber gehen unstät umher.
nachdem sie von allerwärts sich abgelöst haben, von Geräthen, von
Kleidern, von Pflanzen, besonders aber von Tieren und Menschen
in Folge der starken Bewegung und der Wärme." Demo-
krit muss sich also gedacht haben, dass die höhere Temperatur
der warmblütigen Tiere dadurch hervorgebracht wird, dass in ihrem
Körper die Feuer-Atome stärker vertreten sind und dass diese hier
wie überall sich in lebhafter Bewegung befinden, welche bewirkt,
dass die von jedem Körper sich fortwährend ablösenden Bildchen
hier mit besondrer Energie fortgeschleudert werden51). Wir finden
demnach bei Demokrit die Theorie, dass die Wärme eine lediglich
subjektive Empfindung i-t und dass das Objektive, das ihr ent-
spricht, Atome sind, welche sich in Folge ihrer Gestall stets in
Spinoza, Brief 27.
<9) Ar. de an. I. •_' p.405a.
M) Plut. Quaest. conv. VIII. LO, 2.
5I) Vergl. Hart. Zur Seelen- and Erkenntnislehre des Demokrit, Gymna-
sial Programm, Mühlhausen 1886, p. 9.
.heim,
lebhafter I Wii sehen also, dass Demokrit nicht
mir in inen die Lehr der Subjektivität der Sini
qualitäl stellt hat, - - auch unternommen hat, die-
selbe im Einzelnen durchzuführen. Eine solche nüchtern« W Bsen-
Bchaftlichkeit, welche d ön< W farblos erscheinen li
rief aber begreiflich» bei dem \ tisch Griechen-
k eine Reaktion hervor. Dnd in ganz ähnlich das
mpört war über die Newton I arben-
lehre und der Dichter-Philosoph Schopenhauer empör! war aber
die ündulationstheorie des Lichtes, so war auch Plato, den man
nicht mit Dnrechl den griechichsten aller Philosophen genannt hat
iL Ii. den am meisten charakteristischen philosophischen Vertri
des kunstbegabtesten aller Völker, empörl aber die Lehre Demo-
krit's. Hatte Demokrit gelehrt, dass wir uns täuschen, wenn wir
an die objektive Existenz des Weissen, des Ton - un<l der Wärme
glauben, und dass diese Täuschung dadurch hervorgerufen wird.
dass verschieden gestaltete und verscljieden I" Uome existie-
ren, •/.!(• Plato dem die Lehre entgegen, da— wir uns täuschen,
wenn wir an »li'1 objektive Existenz weisser, tönender und warmer
Körper glauben, und da-- diese Täuschung dadurch hervorgerufen
wird, dass die eigenschaftslose Materie vorübergehend teilnimmt an
den objektiv existierenden und sich stets gleich bleibenden Ideen des
Weissen, des Tones und des Warmen, und Aristoteles, der in viel
höherem Maasse, als man gewöhnlich annimmt, der Schüler Plato's
nichl nur dein auch sti lieben ist, schloss sich
dieser Lein.- an. Mochte auch Plato die Ideen ausserhalb der
Dinge, Aristoteles dagegen in den Dingen suchen, so stimmten sie
doch darin iiberein, dass die Ideen das einzige sich stets Gleich-
bleibende sind, was objektive Existenz hat. I nd zu den Ideen
rechnete Plato da- Warme und Kalte"), Aristoteles das Weisse**).
Phädon p. 103 D- E. Dass hier das Wort M mit Begriff, -<>n-
dern mit Idee zu übersetzen ist, geht daraus hervor, dass p. I"l B, wo noch
von demselben die Rede ist, was vorh lannt war. ausdrücklich
Woi ;ebraucht wird.
\e \i. t. \ 111,5 p. 1044b; X.:: p. 1054b.
Dtfr Einflusa Demokrit'a auf Galilei. •_'.",,
Und so polemisierte denn sowohl Plato") als Aristoteles gegen
die Ansicht von der Subjektivitäl der Sinnesqualitäten. Epikur,
der sich im Grossen and Ganzen an Demokrit anschloss, tral für
die Suhjektivitäl der Sinnesqualitäten ein. Als aber die platonisch-
aristotelische Philosophie herrschend geworden war. ging die Er-
kenntniss von der Subjektivitäl der Sinnesqualitäten verloren.
Der Erste unter den Neueren, der wieder für dieselbe eintrat, war
Galilei. Derselbe schreib! Dämlich56): „Dass in den ausser ans
befindlichen Korpern, um in uns die Geschmacksempfindungen, die
Geruchsempfindungen und die Tonempfindungen zu erregen, etwas
Anderes erforderlich ist als Grösse, Gestalt, Menge und langsame
"der schnelle Bewegung, das glaube ich eicht; und ich halte dafür,
dass, wenn man Ohr. Zunge und Nase beseitigt, wühl Gestalt,
Anzahl und Bewegung bleibt, aber nicht mehr die Geruchsempfin-
dungen, die Geschmacksempfindungen oder die Tonempfindungen,
von denen ich nicht glaube, dass sie ausserhalb des leitenden
Tieres etwas Anderes sind als Namen." Wenn wir nun bedenken,
dass wir Galilei schon in verschiedenen Punkten sieh haben Demo-
krit anschliessen sehen und dass er hier nicht nur dieselbe Ansicht
vertritt wie Demokrit, sondern sich auch sogar desselben Aus-
drucks bedient, dass die Empfindungen nur Namen sind, so
werden wir unmöglich bezweifeln können, dass er auch in dieser
Beziehung von Demokrit abhängig ist. Von (ialilei alier haben die
Lehre von der Subjektivität der Sinnesqualitäten Hobbes und Car-
tesius' aulgenommen. Durch Cartesius i-t sie zu Spiuoza gekom-
men: und durch Hobbes ist sie zu bocke und von diesem zu Hume
gekommen. Und was Kanl betrifft, dessen Lehre, dass wir nicht
Dinge an sich, -endern nur Erscheinungen wahrnehmen, sich der
Hauptsache nach auf den zuerst von Demokrit ausgesprochenen
anken stützt, dass unsre Empfindungen nur durch die Verän-
derungen bedingt sind, welche die Aussendinge in unsern Sinnes-
werkzeugen hervorrufen, so kann es nur zweifelhaft sein, ob er die
Theätet p. 153E— 154 B.
Ar. de sensu Kap. IV. p. 442a; de gen. et com I, 8 p. 326a; II. 2
29b; Met IV,:, ,,. 1009b u. LOlOb; IX.:; p. 1047a.
*) Opere IV p.336.
heim,
Lehre vod der Subjektivität der Sinnesqualität Locke, von
II 11 i vielleichl von Spinoza erhalten hat. - Galilei's Erneue-
run. itischen Lehre von der Subjektivität der Sini
qualita aber nicht nur für die Philosophie, sondern auch für
die Physik grundlegend geworden. Wenn Demokrit, wie wir sahen,
lehrte, dass die Schallempfindung durch eine Luftbe^ bervor-
ufen wird, so bat Galilei des Weiteren ausgeführt, wie unsre
Gehörsempfindungen dadurch zustande kommen, dass Luftwellen
an unser Ohr schlagen '), und hat dadurch die Qndulationstheorie
3 balls begründet. Die Undulationstheorie des Schalls ist aber
später das Vorbild geworden für die Undulationstheorie des Lichts.
Alter auch Demokrit's Ansichten über das Wesen der Wärme
wannen einen weittragenden Einfluss. Wir sahen, dass nach De-
mokrit 'las Objektive, das der subjektiven Wärmeempfindung ent-
spricht, Atome sind, die sich stets in lebhafter Bewegung befinden.
Und ganz in demselben Sinne lässt sich Galilei in seinem Saggia-
tore über das Wesen der Wärme folgendermassen aus '): „Nachdem
wir schon gesehen haben, wie viele Affectionen, von denen man
annimmt, dass'es Eigenschaften sind, welche in den äusseren Ob-
jekten ihren Sitz haben, in Wahrheit keine andere Existenz bäben
als in uns und ausser uns nichts anderes sind als Namen,
ich, ilass ich sehr dazu neige, zu glauben, dass die Wärme
dieser Art sei und dass jene Stoffe, welche in uns das Warme
hervorbringen und empfinden lassen, die wir mit einem allge-
meinen Namen Feuer nennen, eine Menge ganz kleiner Körper-
chen sind, die in der und der Weise gestaltet sind und mit der
und der Geschwindigkeit Bich bewegen, welche, wenn sie auf un-
sern Körper treffen, ihn mit ihrer sehr grossen Feinheil durch-
dringen, und dass ihre Berührung, die bei ihrem Durchgang durch
unsern Körper hervorgebracht und von uns empfunden wird, die
Affection ist, welche wir Wärme nennen U>er dass ausser
der Gestalt, der Menge, der Bewegung, der Durchdringung und
Berührung im Feuer noch eine andere Eigenschaft existiere und
■.in p. 11
Opere l\ p. I
Der Einfluss Demokrit's auf Galilei. 259
dass diese das Warme sei, das glaube Leb durchaus nicht; und ich
glaube, dass dieses Warne' so sehr uns angehört, dass nach Bes
tigung des belebten und empfindenden Körpers die Wärme nichts
Anderes isl als ein einfaches Wort, und wenn dem so ist, dass
diese Affektion in uns bei dem Durchgang und der Berührung der
kleinsten Feuerteilchen durch unsern Körper hervorgebracht wird,
so liegi es auf der Hand. dass. wenn jene still ständen, ihre Wir-
kung sich auf Null reduzieren würde. Ebenso sehen wir eine
Menge Feuer, wenn es in den Poren und engen Höhlungen von
ungelöschtem Kalk zurückgehalten wird, uns nicht erwärmen,
wenn wir es auch in der Hand halten, weil es in Ruhe bleibt; aber
wenn man den Kalk in Wasser wirft, so geraten die
kleinsten Feuerteilchen in Bewegung, treffen auf unsre Hand und
durchdringen sie; und wir empfinden das Warme. Deswegen
nügi also, um die Empfindung dr> Warmen hervorzurufen, nicht die
äjenwart der Feuerteilchen; sondern es ist auch ihre Bewegung
notwendig, da es mir scheint, dass es nur ganz richtig gesagt wäre,
dass die IWegung die Ursache der Wärme ist." Dass diese Stelle
in der That auf die Zeitgenossen Galileis den Eindruck gemacht
hat, dass Galilei damit sich der Ansicht Demokrit's über das
W esen der Wärme anschloss, ersehen wir daraus, dass der Pater
Grassi, der unter dem Pseudonym Sarsi eine Schrift gegen Galilei
veröffentlichte, in dieser Schrift sich folgendermassen ausdrückt59):
„Nun komme ich zu der Abschweifung über die Wärme, in wel-
cher sieh (ialilei als ein Anhänger der Schule Demokrit's und
Epicur's bekennt." Die citierte Erörterung Galilei's über das Wesen
der Wärme Lüdet aber die Grundlage der modernen mechanischen
Wärmetheorie. Freilich pflegt man die Anfänge dieser Theorie in
eine viel spätere Zeit zu setzen. Aber wir lesen bereits bei Baco
von \erulam60): „Man verstehe wohl, wir sagen: die Bewegung
verhalte sich zur Wärme als eine verwandte Beschaffenheit; nicht
dass die Wärme wirklich eine Frucht der Bewegung sei, dass sie
die Bewegung hervorbringe, wenngleich es zuweilen eintrifft, son-
b9) Lotbarius Sarsius, ratio ponderum librae ac simbellaej Opere di I
herausgegeben von Alberi, IV p. -186.
X'.vum Organum II, 20.
. f. Geschieht« d. Philosophie. VII. ]S
n e n li e i m .
:i ,ia-- Wärme selbst nicht- anderes als Be*
!>;.• wahre hiernach gefunden« Definition der
\\ ... wäre nun die Wärme isl eine expansive,
. die kleineren Teile durchdringende Bewegung." Liebig
l,a! i die Gründe, welche Baco für si isicht anfuhrt,
unmöglich diejeni in können, welche zn Ansicht vom
Wes o der Wärme geführt haben"). Offenbar Ist also Baco zu
. sieht über das Wesen der Wärme dadurch gekommen,
,1a-- er sich Galilei angeschlossen hat. Allerdings ist die Schrift
. in welcher «li«- citi< Stelle vorkommt, schon 1620 er-
schienen, während Galilei's Saggiatore erst L623 erschien. Aber
wir wissen, dass Galilei die Gewohnheit hatte, in Vorlesun-
auch -eine noch nicht veröffentlichten Ansichten vorzutragen,
and dsu Vorlesungen Galilei's zu .-einen Lebzeiten über alle Län-
der Europa's verbreitet waren. Die Ansicht Galilei's und Baco's über
das Wesen der Wärme blieb nicht ohne Wirkung auf die un-
mittelbar folgende Zeit. So schreibt Spinoza6'): „Wenn /.. 1'.. die
Ruhe sich vermehrt and die Bewegung Bich vermindert, so wird
dadurch dann der Schmerz, oder die l'nlu-t verursacht, welche
wir Kälte nennen. Wenn aber in der Bewegung das Gegenteil
schient, so wird dadurch der Schmerz, den wir Hitze nennen,
verursacht." Auch Hooke, der Rivale Newton's, Fasste die Wärme
als eine Art »hr Bewegung auf"), und Locke spricht sich über diesen
enstand folgendermassen aus ' : „Die Wärme ist eine -ehr lebhafte
Bewegung der anwahrnehmbaren kleinsten Teile eines Gegenstandes,
welche in uns diejenige Empfindung hervorruft, wegen deren wir
den Gegenstand al.- wann bezeichnen. Was in unsrer Empfindung
als Warne 'eint, ist also am Gegenstande selbst nur Be-
i o und die Geschichte der Naturwissenschaft; Reden und
Abhandl L . B 1874, p.
□ Auerbach, II. Bd., 2. Aufl., Stutt
1871, p.
H Physü von if die u< ueste Zeit,
II. Band. Stuttgart 1884, p. 731.
Tyndall, die Wann,' betrachtel als eine Art der Bev deutsch
von Elelmholtz u. Wiedemann, Braunschwi p. 33.
Dei Einflusa Demokrit's auf Galilei. 26]
wegung." Und io Deutschland lesen wir bei einem Geologen aus
der Mitte des vorigen Jahrhunderts folgende Auseinandersetzung65):
„Metalle schmelzen demnach; das ist, sie werden durch die ein-
dringenden elastischen Feuerteile ausgedehnt; es trennt sich der
feste Zusammenhang ihrer Teile; und sie werden dadurch weich.
Ein Satz, der durch nichts besser kann bewiesen und klar gemachl
werden als durch die Erkenntnis des Feuers .... Die ganze
Sache kommt also kürzlich darauf an, dass man wisse, was das
Feuer sei. zum Anderen, dass man die Metalle in ihrer Zusammen-
setzung kenne. Dass das Feuer grösstenteils a us e i n er elastischen
Bewegung zart saurer im höchsten Grade aufgeschlossener Teile be-
stehe, ist gewiss." Vergegenwärtigen wir uns nun. dassRumford
am Mnde des vorigen Jahrhunderts die moderne mechanische Wärme-
theorie begründete, so glaube ich die Kontinuität von Galilei bis zum
Begründer der modernen mechanischen Wärmetheorie nachgewiesen
zu haben. Und da nun Galilei's Theorie der Wärme, wie wir
sahen, auf diejenige Demokrit's zurückgeht, so haben wir Demokrit
als den ersten Begründer unsrer heutigen Theorie der AYürrne an-
zusehen. — Endlich ist Galilei's Erneuerung der demokritischen
I.' hre von der Subjektivität der Sinnesqualitäten auch für die
Physiologie von grosser Bedeutung geworden; denn die Konse-
quenzen welche die Physiologen aus der Lehre von der Subjekti-
vität der Sinnesqualitäten gezogen haben, führten zur Entdeckung
des Gesetzes von der spezifischen Energie der Sinnesorgane; und
- - _e\\is- kein Zufall, dass gerade ein Physiuloge, der eine so
tiefe philosophische Bildung besass wie Johannes Müller, zum ersten
Mal da- Prinzip von der spezifischen Energie der Sinnesorgane mit
voller Klarheit aussprach. lud iudem Helniholtz dieses (iesetz
bis in seine letzten Knn>e<[uenzen durchführte, gelangte er zu seiner
Entdeckung von der Bedeutung der Corti'schen Fasern für das
Hören and zu seiner Ausbildung der Young'schen Theorie von den
drei Grundfarben.
Nach alledem werden wir nicht umhin können, der Philosophie
65) Lehmauu, Abhandlung von den Metallmüttern und der Erzeugung dei
Metalle, Berlin llbö, p. 23 24.
18*
1..", u enhelm,
zuzuerkennen, als man ihr im
all. gesteht Nehmen wir hinzu, dass Demokril auch in
der Mathematik sehr bedeutend war' . während die Anschauung,
js Plato für die Entwicklung nematik \ Bedeu-
tung gewesen Bei, lediglich *im- unhistorische Leg ide ist67) und
jsend in der Mathematik war. dass Galilei schon
in »in gendschriften ihm diese Unwissenheit in den
stärksten Ausdrück» n vorzuwerfen wag id später den Simplicius,
der in den Diali ( Immer die Anschauungen des Ari-
teles vertritt, wiederholt als einen Mann hinstellt, der nichts von
Mathematik versteht6 . berücksichtigen wir weiter, dass, wir im
n Halbbande meines i rwähnten W erk< a
werden wird, die Kant-Laplace'sche Theorie, die ueu
das Prinzip von der Erhaltung der Kratt und die Darwinsche
Theorie nachweisbar auf Demokril zurückgehen, und /war in der
Weise, dass sich die kontinuirliche Entwicklung von Demokril bis
Laplace, Werner, Belmholtz und Darwin deutlich verfolgen I
vergegenwärtigen wir uns ausserdem, da— Demokrit bereits die
experimentelle Methode in solcher Weise handhabte, dass uns be-
richtet wird, er habe sein ganzes Leben unter Experimenten zu
bracht " ). während Plato es als eine unwissenschaftliche Methode
betrachi inf das Zeugnis der sinn.' zu vertrauen, und sein
Schüler Aristoteles, soweit iinsre Kenntnis reicht, kein ein*
Experiment angestellt hat. bringen wir damit in Zusammenhang,
dass Demokrit schon die richtige Ansicht hatte, dass die höheren
tentätigkeiten aus der Sinneswahrnehmung hervorgehen, während
Plato und Aristoteles die Ansicht vertraten, dass die Vernunft
eine von dir Sinneswahrnehmung völlig getrennte Geistesfunktion sei,
eine Ansicht, welche durch ihre Autorität so lange herrschend blieb,
dass selbst Kant dieselbe uoch nicht völlig überwunden hat, ziehen
wir dann in Betracht, dass Demokrit es ist, welcher die berühmte
i .. i . p. 122—123.
i p. 132 133, T
Opere M p. 63.
ipere I p.36, 218, 224 10; XIII p.93, ■•
P( tro arbiti r, ed. Bi
Einfluss Demokrifs auf Galilei. 263
Theorie vom Gesellschaftsvertrag aufgestellt hat71), und dass, da
Lucrez, der diese demokritische Theorie auseinandersetzt, im 17. und
18. Jahrhunderl sehrviel gelesen worden ist, Hobbes und Rousseau
diese Theorie schwerlich, wie Gierke behauptet78), aus dem wenig
bekannten Schriftsteller Althusius, sondern aus Lucrez geschöpfl
haben werden, tragen wir weiter der Thatsache Rechnung, dass
die Ethik Epicur's, der in der Ethik ebensowohl wie in der Physik
sich an Demokrii anschliesst"), nicht ohne Einfluss auf die christ-
liche Ethik geblieben ist7*), ja dass sogar die Ethik Demokrifs
höchsl wahrscheinlich direkten Einfluss auf die christliche Ethik
ausgeübt hat, da einige Aussprüche Demokrifs an das Evangelium
erinnern75), die Evangelien wahrscheinlich in Aegypten geschrieben
sind und die christlichen Dogmatiker der alexandrinischen Schule
sich eingehend mit der Ethik Demokrifs beschäftigt haben76), fügen
wir endlich hinzu, dass Demokrit unsres "Wissens der erste Kos-
mopolit war77) und dass er in dieser Beziehung auf die Cyniker
gewirkt hat, die Cyniker auf die Stoiker und die Stoiker auf die
Christen, so werden wir uns nicht länger der Erkenntnis ver-
schliessen können, dass die Lehre Demokrifs eine grössere Beach-
tung verdient, als die üblichen Lehrbücher der Geschichte der Phi-
losophie ihr beizumessen pflegen.
In der That spricht Vieles dafür, dass die alexandrinischen
Gelehrten Demokrit höher gestellt haben als Plato und Aristoteles.
Hatte doch Archimedes in Alexandrien studiert, welcher dereinst
ri) Lucrez, De natura rerum V, 1017 — 1025, 1141—1148. Diese Lucrez-
■11 in einer Erörterung über die Entwicklung des Menschen-
Uechts, welche nachweisbar auf Demokrit zurückgeht.
'-) Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen
Staatstheorie, Breslau 1880.
73) I ■ Epicureische Schriften auf Stein; Rheinisches Museum, neue
Fol. 17, p. 425.
74) Zeller, Die Philosophie der Griechen, [IIa3 p.464, Ahm.-.
75) Man vergleiche Fragmenl 160 der ethischen Fragmente Demokrit's mit
Math. VI, 1, Fragment 1 mit Math. VI, 25, Fragment 94 u. 95 mit Math. MI.
3—5.
76) Lortzing, üeber die ethischen Fragmente Demokrit's, Programm
Sopl Gymnasiums, Berlin 1873, p. 20 — 21.
I gmenl 225 der ethischen Fragmente Demokrit'-.
.v e n h e i m .
das Echo Ute, das die Stimme Demokrit's duroh die
Jahrhui hindurch bis zu den Ohren Galilei's dringen liess.
- halt ans den Händen der Alexandriner in die
Hände ing, wurde die Sache anders. Der bekannten
Thal bei der Eroberung von Syrakus Archimedes von
einem römischen Soldaten ermorde! wurde, kommt eine geradezu
bolische Bedeutung zu; durch die römische Militärmacht wurde
die griechische W issenschafl ertötet. Boraz sagt einmal, dasa das
rwältigte Griechenland seinerseits den wilden Sieger überwältigte,
in. Irin es seine Kultur zu den Latinern brachte1 Diese Behaup-
tung is1 seil den Zeiten des Soraz anendlich ofl wiederholt worden;
und doch ist Bie nur in sehr bedingtem Masse richtig. Gewisa
sind die Römer durch die griechische Kultur beeinflussl worden.
Aber sie haben auch ihrerseits wiederum die griechische Kultur be-
einflusst. Nicht nur in politischer, sondern auch in kultureller
Beziehung wurde die griechische Well von römischen Anschauungen
abhängig. Dies fand seinen prägnantesten Ausdruck darin, dass jetzt
auch die Griechen Plato und Aristoteles höher stellten als Demokrit.
Mit besonderem Eiferwandten Bich die Römer dem Studium des Aristo-
teles zu, dm- ihnen schon deswegen sympathisch war. weil er keine
mathematischen Kenntnisse besass. Denn vielleicht bestehl der
wichtigste unterschied zwischen der griechischen und der römischen
Kultur darin, dass in der höheren Bildung der Griechen die Ma-
thematik eine sehr grosse Rolle spielte, in der Bildung der Römer
dagegen so gu1 wie gar keine. Dazu kam, dass Aristoteles über
die liedensten Wissensgebiete geschrieben hatte und man daher
glaubte, durch Auszüge aus Aristoteles in der bequemsten W
das ganze Wissen sich in kurzer Zeit zu eigen machen zu können.
wurden denn in den von Römern besuchten Schulen die Haupt-
werke des Aristoteles zum Inbegriff alles Wissens. \ on dem Schick-
sal dieser Werke wusste man eine sehr romantische Geschichte
zu erzählen. Danach kamen sie nach dem Tode des Aristoteles
zunächst in den Besitz de. Theophrasl und nach dessen Tode in
den Besitz seines Erben Neleus aus Skepsis in Kleinasien. Dieser
piatel il. I, 156.
Der Einflu88 Demokrit's auf Galilei. 265
w.-ir ein eifriger Zuhörer des Aristoteles and des Theophrasi ge-
wesen. Aber Beine Nachkommen besassen keine philosophische
Bildung. Sie hatten daher keine grössere Sorge als ihren Bücher-
schatz vor den Nachstellungen der pergamenischen Könige zu be-
wahren, welche bei der Begründung der pergamenischen Bibliothek
eifrig Dach wertvollen Büchern fahndeten. Sie verbargen daher die
Schriften des Aristoteles in einem dunklen Keller, wo sie durch
Moder und Metten zum Teil zerfressen wurden. Endlich verkauften
sie dieselben an Apelliko aus Tees, der sie Dach Athen brachte.
Er war mehr Bücherliebhaber als Philosoph, füllte die Lücken, so
gul es ging, aus und stellte neue Exemplare her. Diese fielen,
nachdem die Römer Athen erobert hatten, dem Sulla als Kriegs-
beute in die Hände. Sulla brachte sie nach Rom. Und hier er-
hielt Tyrannio die Erlaubnis, sie zu benutzen. Von ihm erhielt
sie Andronicus von Rhodus, welcher die erste Ausgabe der Ilaupt-
schriften des Aristoteles veranstaltete, wodurch diese Schrillen erst
einem grösseren Publikum zugänglich wurden. Es besteht heutzu-
tage kein Zweil'el mehr darüber, dass diese Geschichte unhistorisch
ist. Man hat alter meines Wissens noch nicht versucht, die Ent-
stehung dieser eigentümlichen Legende zu erklären. Diese Erklä-
rung schein! mir sehr nahe zu liegen. Den Römern musste es
aullallen, dass der Mann, den sie für den grössten Philosophen der
Griechen hielten, hei den Griechen selbst so wenig Beachtung ge-
funden hatte: und sie suchten daher nach einer Erklärung dieser
l'ür sie befremdlichen Thatsache. Seit den Zeiten des Andronicus
von Rhodus stand nun bei den Römern Aristoteles im Mittelpunkt
des philosophischen Interesses. Allerdings erhielt auch die Philo-
sophie Demokrit's in der verwässerten Gestalt, welche Epikur ihr
l>en. durch da- Lehrgedicht des Lucrez bei den Römern eine
gewisse Verbreitung. Doch trat seit dem Beginn der Kaiserzeil
die demokritisch -epikureische Philosophie immer mehr zurück.
und mit dem Siege des Christentums und der damit im Zu-
sammenhang stehenden Schliessung der öniversitäl Athen verschwand
sie ganz vom Schauplatz. So blieb sie während des ganzen
Mittelalters vollständig verschollen; und Aristoteles galt daher im
Mittelalter als der Meister derer, die da wissen. Die demokritisch-
266 '.v e n h e i m ,
epicureische Philosophie wurde aber zu oen kt, al<
••ii IIa: - 15. Jahrhunderts ein italienischer Philolo
inl1 land ein Exemplar des Lucrez entdeckte. Die erste Wir-
k ii i nng war die Erneuerung der Lehre vom S
Wichtiger« dass die Lektüre des Lu< - q Ein-
druck auf Giordano Bruno macht Wie dieser infolge davon in
schaftliche Entwicklung eingegriffen hat, haben wir oben
ben. Sein Tod, den <t auf i Scheiterhaufen als Märtyi
ong erlitt, i.:illt in das letzte J hr des 16. Jahr-
hunderts. In diesem Jahrhundert hatte die vnn den Arabern nach
Europa gebrachte mathematische Wissenschaft immer weitere Aus-
dehnuc innen. Und in demselben Masse wie dies geschah,
wuchs die Abneigut ?en Arisf Aber all«- Stimmen,
weli li im L6. Jahrhundert Aristoteles erhoben, ver-
mochten seine Autorität Dicht zu brechen, Bondern nur zu er-
schüttern. Erst Galilei blieb es vorbehalten, die Autorität des
Aristoteles für immer zu vernichten, indem er mit allen Mitteln
Beines reichen Geistes, durch philosophische Deduktionen, durch
mathematische Rechnungen and durch Beobachtung der Natur zu
zeigen versuchte, dass man auf dem Sandboden der aristotelischen
Philosophie kein wissenschaftliches Gebäude errichten könne, son-
dern dass die erste Vorbedingung für einen Fortschritt der Wissen-
schaft darin bestehe, von Aristoteles oichl auf Epikur, sondern auf
Demokrif zurückzugehen. \ ron den gewaltigen Kämpfen, welche
dieses Vorgehen Galilei's hervorrief, können wir uns nur schwer
eine Vorstellung machen, ich bin überzeugt, dass die Verurteilung
Galilei's ihren tieferen Grund darin hat, dass er das System des
Atheisten Demokrif erneuerl hatte; dass das von ihm verteidigte
heliocentrisch m mit einer Bibelstelle im Widerspruch steht,
war nur ein Vorwand, den man brauchte, weil Galilei so vorsichtig
gewesen war. nur in solchen Punkten seine Zustimmung zu dem
System Demokrit's auszusprechen, die vollkommen unverfänglich
wann. Nachdem alle Einsichtigen sich davon überzeugt hatten.
dass Galilei gegen Aristoteles Recht behalten musste, war die not-
wendige Folge davon, dass man allgemein Demokrif über Aristo-
bei Ite, Wenn Baco von Verulam zu den Ersten gehört,
Der Einfluss Demokrit'a auf Galilei. 26*3
weicht- dies aussprachen, so liegl dies nur daran, dass er sich früh
von den Anschauungen Galilei's zu unterrichten wusste; denn aus
einem an Baco gerichteteten Brief wissen wir, dass er sich Galilei's
Abhandlung über die schwimmenden Körper, welche, wie wir oben
sahen, Demokril als dein Aristoteles hinsichtlich der Feinheil seines
gediegenen Philosophierens überlegen bezeichnet, zu verschaffen
wusste, bevor er seine philosophischen Werke verfasste T9). Ebenso
spricht CaTtesius von den „grossen Männern Epikur, Demokril und
Lucrez", deren Autoritäl er als einen Grund gegen seine Ansicht
vod der Nichtexistenz eines leeren Raumes anführt, während er
die Thatsache, dass diese Ansicht mit derjenigen des Aristoteles
übereinstimmt, nicht einmal für der Erwähnung wert hält"), und
Spinoza, der mehr von Galilei abhängig ist, als man gewöhnlich
annimmt"1), sagt, dass er auf die Autorität eines Plato, Aristoteles
und Sokrates nicht viel gebe, während er von Demokrit mit _
Achtung spricht88). Die Autorität, welche Demokrit im 17. Jahr-
hundert erlangt hatte, wurde von Bedeutung für die Geologie. In
der Geologie besteht nämlich der Unterschied zwischen Demokrit
und .Aristoteles darin, dass Demokrit lehrte, dass das Meer in
langen Zeiträumen allmählich abnimmt, während Aristoteles hier
ebenso wie auf allen übrigen Gebieten im Natur- und Menschen-
leben annahm, dass nur Schwankungen um einen sich ewig gleich-
bleibenden Gleichgewichtszustand stattfinden *3). Im 17. Jahrhundert
nahm man nun die Theorie Demokrit's an und führte sie bis zu
der Konsequenz, dass ursprünglich die ganze Erdkugel von Wasser
liedeckt war, wodurch die schon im 16. Jahrhundert angenommene
oeptunistische Theorie eine prägnantere Gestalt erhielt und nun
für die gesammte folgende Geschichte der Geologie von massgeben-
79) Lil>ri. Histoire des sciences mathematiques IV, Halle 18(;.'), p. 4G6.
«>) Lettres de Descartes, Paris 1657, p. 331. (Brief'
Spiuoza's Unterscheidung zwischen Erkenntnis zweiter Art und Er-
atnis dritter Art (Ethik II prop. 40 schol. 2) sehliesst sich anmittelbar an
an Galilei'- Unterscheidung zwischen menschlicher und göttlicher Erkenntnis
re 1 |'. 116 — 117) und kann nur unter \ <>iaussetzung dieser Stelle in Ga-
lilei's Werken Oberhaupt verstanden werden.
Spinoza, Brief GO gegen Schluss.
83) Ar. Meteor. 11,3 p. 356 b— 357 a.
1. «renheim, I'er Einflosa Demokrit's auf Galilei.
dem Einfluss ward. l>m Kampfe des IT. Jahrhunderts, welche dazu
öhrt hatten, Demokrif aber Aristoteles zu stellen, ten im
18. Jahrhundert, 9 das >i<-li durch einen ausserordentlichen Mangel
an historischem sinn auszeichnet, allmählich in \ senheit
Immerhin i Wleland's „Abdorrten" and Lafontaine's Fabel
von Demokril und den Abderiten, dass sich im 18. Jahrhundert
\ ratellung erhalten hat, dass Demokril ein sehr bedeu-
tender Gelehrter war. Im Anfang des 19. Jahrhunderts aber be-
herrschte die Romantik alle Gebi< I »ens. Und so
kann es ans nichl wundern, dass man sowohl die romantische
Philosophie der Neuzeit, deren Hauptrepräsentanl Hegel ist, wie
die romantische Philosophie des Altertums, deren Repräsentanten
Plato und Aristoteles sind, höher stellte als diejenigen Richtung
der Philosophie, welche mehr Fühlung mit der Naturwissenschaft
haben, da die romantische Richtung ihre Spitz« in das natur-
wissenschaftliche Denken richtete. So isl es gekommen, dass man
im Zeitalter der Romantik die Philosophie Demokrit's alles Ern
für «'im' anwissenschaftliche Entartung der Systeme des Empedol
and Anaxagoras erklärte. In dem Masse nun. wie mau sich von der
Romantik emanzipierte, hal man Demokril allmählich wieder immer
höher schätzen lernen. I<'li glaube aber Dicht, dass dieser Prozess be-
reits beendel ist; und vielleicht kann der hier versuchte Nachweis
von dem grossen Einflüsse Demokrit's auf Galilei, welcher die beiden
Brennpunkte in der bisherigen Entwicklung < 1«t menschlichen Kultur,
nämlich das 5. vorchristliche und das IT. nachchristliche Jahrhun-
dert, in die innigste Beziehung zu einander setzt, etwa- dazu bei-
tragen, der Lehn' Demokrit's in der Geschichte der Philosophie
eine höhere Bedeutung beizulegen, als es j«'t/.i üblich ist.
Giordano Bruno und Spinoza.
Von
Wilhelm Dilthey in Berlin.
Erster Artikel.
Giordano Bruno ist das erste Glied in der Kette pantheistischer
Denker, welche durch Spinoza und Shaftesbury, durch Robinet,
Diderot, Deschamps und Buffon, durch Hemsterhuys, Herder, Goethe
und Schelling zur Gegenwart geht. So bildet seine Stellung in dies
Entwicklung und sein geschichtliches Verhältniss zu dem pantheisti-
schen Monismus von Spinoza und zu der Monadologie von Leibniz
ein erhebliches geschichtliches Problem. In dem Zusammenhang,
welchen diese Aufsätze in der Entstehung der neueren Philosophie
aufzuzeigen suchen, hat aber seine Person eine noch viel weiter
ifende Bedeutung. Auf Grund der Entdeckung des Copernicus
hat er zuerst den Widerspruch des wissenschaftlichen Bewusstseins
■n die Dogmen aller christlichen Confessiönen aus einem grossen
sichtspunkt gezeigt und den modernen Ideen und Lebensidealen
einen ersten ganz universalen philosophischen Ausdruck in einem
von der Autonomie des Denkens erfüllten System gegeben. Seine
erklärenden Naturbegriffe gehören noch der Vergangenheit an: aber
der Athem, der sie beseelt und verbindet ist moderner Geist: dieser
kündigt sich in ihm wie in einer Morgendämmerung an, in
welcher die Schatten der Nacht sich noch mit dem Licht der auf-
gehenden Sonne mischen.
Wir zergliedern zunächst das in Giordano Bruno gelegene
270 Wilhelm Dilthej .
schichtliche Problem. Giordano Bruno ist der erste monisti-
sche Philosoph der oeueren Völker; denn ihm ist die göttliche
mg um die andere and anabtrennbare S der Materie:
bilden beide S die Eine anendliche Welt, deren Zu-
imenhangGotl ist, DerB dies s Monismus ist eine neue ast
aoi Ansichl and deren metaphysische Verwerthung im Sinn-'
i\rv Schönheitsherrlichkeil der Welt, entsprechend dem Be
wusstsein der italienischen Renaissance. Das praktische Ziel desselben
ist die Lehre vom heroischen Affekt, in welch« i uiiber «lein
Christ enth um die Seelenstimmung der Renaissance zur moralischen
mel erhoben wird. So 1 * • 1 » i in den Grundideen Brunos <I<t * i.i-t
der Renaissance. Giordano Bruno isl zugleich, aach der Seite der
Form angesehen, der erste welcher innerhalb der Deueren europäi-
schen Völker die Kunstform der Philosophie wiederfand, aach der
langen Herrschaft der scholastischen Architektonik sowie nach der
mystischen und humanistischen Erschlaffung des philosophischen
3. Es muss nun einen Einheitspunkt geben, anter welchem G
halt und Form des Dichterphilosophen gänzlich verständlich werden,
ine Person dieselbe Frage als die Piatos. Aber ein
reiches Material gestattet uns. diese Frage, die in Bezug auf Plato
vielleicht immer nur in einem gewissen Nebel von Allgemeinheit
wird beantwortet werden können, in Bezug auf Giordano Bruno
wirklich zu entscheiden. Giordi Bruno war der Philosoph der
italienischen Renaissance, [hr künstlerisches Lebensgefühl und
ihr«- Lebensideale wurden durch ihn zu einer Weltansicht und zu
einer moralischen Formel erhoben. Dieser Geisl der Renaissance
steigerte sieh aber hier darum zn philosophischen Schöpfungen von
entscheidender Bedeutung, weil er sich in Bruno mit dem wissen-
schaftlichen Bewusstsein von An inhaltlichen und methodischen
Tragweite der Entdeckung des Copernicus verband. So belebte
sich in ihm das ganze Material der europäischen Metaphysik,
au sieh grossentheils eine nun schon todte Masse, zur Lehre vom
Einen, unendlichen und göttlichen Universum. Das ästhetische
Vermögen der Renaissance liess auch in seinem Verfall zur Künst-
lichkeit und I eberladung <\<n-\\ in ihm ooeh den ersten philo-
»hisohen Künstler der modernen Welt erwachsen.
Giordano Bruno und Spinoza. 271
Giordano Bruno isl im Jahre L548 geboren. In Nola, einer
wahrscheinlich von GriecheE gegründeten Provinzialstadl am nord-
westlichen Fuss des Vesuv, um welche alle Zauber tropischer Lebens-
fülle ausgebreitel sind. Tasso sag! einmal „die Erde brächte über-
all die ihr ähnlichen Bewohner hervor" (La terra simili a se gli
abitator' produce). Bruno war der Sohn dieses Landstrichs zwischen
Vesuv uml Mittelmeer. Feurig wie der Vesuv und das brennende
Luftmeer über diesem Lande, gleichsam eine Aeusserung der Natur-
kraft die dort in der üppigen Vegetation waltet und von Con-
trasten launisch bestimmt, wie der Landstrich sie zeigt. Er erzählt
im lateinischen Gedichl l>e Inunenso (III, 1) wie dem Knaben,
im Contrast zu den mit Kastanien, Lorbeeren und Myrten bedeck-
ten Umgebungen Nolas, der Vesuv als eine düstere, unfruchtbare
Masse erschien: als er sich ihm aber näherte, umgaben ihn auch
hier Reben und tropische Naturfülle: damals zuerst habe er erkannt,
dass die Natur überall schön sei.
In den Jahren seiner Kindheit und ersten Jugend lag noch
der eiste Glanz der Renaissance über Italien. Michel Angelo und
Tizian waren noch am Leben. Aber schon gelangte der Jesuiten-
orden unter seinem zweiten General Lainez zum Bewusstsein seiner
welthistorischen Mission und das Trientcr Conzil sammelte alle
innere Kraft des Katholicismus. Man könnte sich denken, dass
er sich in heiterer Lebensfülle zu einem grossen Dichter entfaltet
hätte wie sein älterer Zeitgenosse Tasso und der jüngere Ariost.
War doch eine mächtige Einbildungskraft in ihm. Aber sie war
wie in Lionardo und Galilei verbunden mit einem ausserordent-
lichen Vermögen wissenschaftlicher Combination und einem feinen
tiefdringenden Verstände. Da entschied es nun über sein Leben.
dass er nach dem gewöhnlichen humanistisch scholastischen ünter-
richl jener Tage in seinem 1 1. oder 15. Jahre (1562 oder 1563)
in den homiuikanerorden eintrat. Im Kloster des heiligen Donii-
nicus zu Neapel, wo einsl Thomas von Aquino gelebt und gelehrt,
hatte, verweilte er zueilt, empfing die Priesterweihe 1572, dann
hielt er sich an verschiedenen benachbarten Orten zeitweise zu
272 Wilhelm Dill
kirchlichen l1 auf, bis 157< r im Orden geblieben. In
15 Jahren bis zu seinem "_'s. Lebensjahr legte er den
ind zu selten ausgebreiteten philosophischen Belesenheit
bronomischen Kenntnissen, wodurch ihm dann.
Id er das Kloster verliess, ermöglicht wurde, in der Philosophie
und der Astronomie zu unterrichten. Zugleich versuchte er sich
im Kloster in tragischer und in komischer Dichtung. Er schrieb
wahrscheinlich schon dort in erstem Entwurf das Lustspiel II Can-
delajo, dessen derber Cynismus nach Klosterlufl riecht, und eine
verlorene Allegorie Parca di N den Rangstreit der Thiere und
die Wind-' des Esels gewiss in demselben burlesken Ton behandelt
hat: wie denn auf diesem Boden derbe Stoffe und Spassmacherei
heimisch waren. Doch müssen den genialen Jüngling damals die
-.ii kirchlichen Streitigkeiten auch ernsl berührl haben. Denn
schon der Novize entfernte aus seiner Zelle die Heiligenbilder und
behielt nur das Kruzifix. Er empfahl einem Genossen, statt der
sieben Freuden der Madonna das Leben der heiligen Väter zu lesen.
Mit achtzehn Jahren fasste er dann Zweifel an der Trinität, der
theil Christi und der Verwandlung im Messopfer. Solche Ketze-
reien nahm die neue katholische Restauration ernster als das in
den guten alten Zeiten Leos X. üblich gewesen war. So entwich
Giordano Bruno aus dem Kloster. Er stand nun im 28. Jahre, seine
Lehrjahre waren zu Eni
Vergebens suchl man in der eintönigen düstern zurückhalten-
den Erzählung seines Lebens vor dem venetianischen Inquisitions-
tribunal nach einer Spur von dem, was die Seele des genialen
Jünglings, den über -eine Klostermauern weg das bunte Treiben
der lärmendsten Stadt der Welt und alle Zauber des Golfs von
Neapel anlachten, in diesen schönsten Jahren des Lebens erfüllt
haben mag. Sicher begann er als Anhänger des Aristoteles. Die
Dominikaner schworen auf Aristoteles und dessen Fortsetzer Thomas,
der ja der Philosoph des Klosters war. Die tiefdringende Kennt-
nis- des Aristoteles, welche Bruno später überall zeigt, die be-
ständige Gegenwart dieses Denkers vor seinem Geiste, gleichviel
welche Frage er Bpäter erörtert, weisen auf eine Längere Herrschaft
• Iben über sein Denken mit grosser Wahrscheinlichkeit hin.
Giordano Bruno und Spinc •_',:'■
Und von den astronomischen Ansichten des Aristoteles erwähnl er
ausdrücklich an mehreren Stdlcn .seiner Werke, er babe in seiner
Jugend ihnen angehangen. Wie kurz oder lang diese Herrschaft
der üblichen Schule aber seinen jungen Geisl gedauert haben mau:
ct wandte sich von ihr ab. Er berichtet selber von sich, dass er nun
eine lange Zeit hindurch Anhänger des Naturalismus gewesen sei.
Auch diese Entwicklungsepoche muss man zweifellos in seine ita-
lienischen Lehrjahre verlegen. Er spricht von der Theorie nach
welcher die Formen zufällige Zustände der .Materie .sind, diese
Materie selbl aber die Substanz der Dinge, die göttliche Natur ist.
Er nennt Demokrit und die Epikureer als ihre Repräsentanten,
dann die Stoiker und Avicebron. „Ich bin lange dieser Theorie
sehr zugethan gewesen, und zwar nur darum, weil ihre Grund-
lagen der Wirklichkeit mehr entsprechen als die des Aristoteles1)."
Frag! man nach den Schriften, deren Einfluss in dieser Wendung
zur Geltung kam, so ist zunächst an Lucrez und vielgelesene Nach-
bildungen desselben, wie das Gedicht des Capicius de natura rerum,
sowie au seinen Landsmann Telesio zu denken. Telesio hatte
nach dem Erscheinen seines Werkes de natura rerum 1565 dem
Andringen seiner Verehrer nachgegeben, er lebte in Neapel und
hielt dort allgemein gehörte und bewunderte Vorträge, dort ent-
stand auch unter seiner Autorität die Akademie, welche den
Aristoteles zu stürzen und das Naturwissen zu begründen beab-
sichtigte. Bruno hat das Recht dieser naturalistischen Philosophie,
und besonders des Telesio auch damals noch anerkannt als er 1484
seine reden Ansichten darstellte-). Aber sein künstlerischer tief-
sinniger <ieist bedurfte einer idealen Ergänzung dieses Standpunktes.
In dem citirten Bericht fährt er fort: „Doch nachdem ich reiflicher
erwogen und mehrere Thatsachen berücksichtigt hatte, fand ich
nothwendig, in der Natur zwei Arten von Substanzen, Form die
eine und Materie die andere, anzuerkennen3)." Mit diesen Worten
will er die platonisirende Ergänzung des Naturalismus bezeichnen,
welche seine Schrift über die Ursache und das Eine näher eiit-
') De la causa, dialogo terzo ed. Wagner p. 250.
'-■) So im dritten Dialug de la cau
*) ebendaselbst.
27 \ Wilhelm Dilti). \.
wickelt hat: sonach den (Jebergang zu seinem definitiven Stand-
punl Es erscheint min aus mehreren Gründen als das Natür-
lichste anzunehmen, dass er auch diesen definitiven Standpunkt
im Prinzip gefunden bat, ehe er aus m Kloster entfloh, ob-
wohl es nicht erwiesen werden kann.
welchem Punkte dieser Entwicklung die Bekanntschaft mit
sehen System eingriff, weiss ich nicht anzugeben.
isl aber gewiss, dass sich dii ändern 1er Naturan-
sichl ziemlich früh in diesen Lehrjahren zugetragen hat Er hatte
der aristotelischen Astronomie angehangen, in zartem Jünglings-
alter schon wurde er dann von der Wahrheit des copernicanischen
ems überzeugt. „Edler Copernicus, dessen Schriftdenkmale in
/arten Jahren meinen Geisl in Bewegung versetzten4)." Und ebenso
sich.r ist, dass Copernicus in ihm eine Revolution hervorbrachte,
aus welcher der originale Grundgedanke sein,- Systems hervor-
ging und sich allmälig in all seinen Consequenzen entwickelte.
Die Stimmung in welcher er das Kloster und die Enge des
ptolemäisch -kirchlichen Weltbildes verliess und. ein neues Welt-
bild in der Seele, in das Leben trat, spricht aus folgendem Sonett:
o dunklen Knker nun entronni
Wo langt mich der Irrthum hielt gebundi
B t. ilie mich gebundi
l»;i ich die Busse Freiheil mir gewonnen.
ailnn' ich in d< - neuen I. Ura
Denn, der den Python schlug mit edlem Muthe
i der d irbt mit dessen Blute,
Er hat auch mir verscheuchel die Meg
Dir weih' ich all' mein Berz, erhab'nea Wesen!
Die kranke Seele lassest Du genesen,
Dir will ich lauschen, meine holde stimme!
Du rufest, dass dem Abgrund ich entklimi
Dir dank ich, gottlich Lieht. Du m ine,
Die Du mich fuhrest in dass Haus der Wonne!
II.
Wehh ein Kontrast jedoch! Als Luther das Kloster und
Mönchthum verliess, war er festgewurzelt in seiner Beimath und
l. 1 1 1 e. 9, eil. Piorentino I 1 . 380. I.
Giordano Bruno and Spino 275
wirkte in dem neuen Geiste anter seinem Volke. Giordano Bruno
hat von dem Jahre der Flucht (1576) ab bis zu jenem 23. Mai
1592, an welchem er zu Venedig von der Inquisition ergriffen
wurde, also durch sechzehn Jahre, heimathlos in der Schweiz,
Frankreich, England, Deutschland wechselnd gelebt, nirgend wur-
zelte er fest, auch wo das Glück ihm zu lächeln seinen, niemals
vergass er seine Beimath, diese „Erzieherin und Berrscherin über
die anderen Geschlechter der Menschen, Berrin, Amine und Mutter
aller Tugenden, Wissenschaften, Humanitäten und leinen Sitten"5);
bis die unwiderstehliche Sehnsucht ihn dahin zurück in den Tod
trieb. Sein ganzes Wesen war geformt für dies Italien der Re-
naissance, dessen strahlendes Licht nun ausgelöscht war von der
katholischen Restauration. Er fühlte sich überall als Fremdling
in den nordischen barbarischen Landstrichen. Krieg, Religionshass,
scholastischer Universitätsbetrieb umgaben ihn überall wie ein nor-
discher Nebel. Wohl war die lateinische Sprache an den Uni-
versitäten damals immer noch ein Band, das die Angehörigen aller
Nationen verknüpfte und ihnen eine europäische Breite des Lebens
ermöglichte. Die Freiheiten der Universitätsordnungen jener Tage
gestatteten den Gelehrten ein europäisches Wanderleben. Dasselbe
war nichts Ungewöhnliches. Paracelsus vertheidigte es mit den
Worten: ..keinem wächst sein Meister im Haus noch hat Einer
seinen Lehrer hinter dem Ofen", „die hinter dem Ofen bleiben,
n RebhühnerT die den Künsten nachgehen, essen eine Milch-
suppe". Auch genoss in dieser Epoche von Aneignung der ita-
lienischen Renaissance kein Fremder soviel Sympathie, zumal in
England, als ein gebildeter und vom Geiste der Renaissance er-
füllter Italiener. Als Vertreter der lullischen Denkmaschine hatte
zudem Giordano Bruno einen besonderen Zugang zu den Universi-
täten. Seile' Verse, sein immenses Gedächtniss, sein Wissen und
sein sprühender Witz, sein vom Schönheitssinn der Renaissance er-
füllt^ Wesen eröffneten ihm die vornehme höfische Gesellschaft.
Ä.ber -eine vulkanische Natur, die stürmischen Kontraste in ihr, die
Ausbrüche \un masslosem Selbstgefühl, von mönchischem, cyni-
5) de la causa, dialogo primo, ed. Wag. ^l'l'.
Archiv f. Geschichte d. Philosophie. VII. \{J
■j-,; Wilhelm Dilth«
>w literarische Widersacher und vod burlesker
politanischer Poss und kata-
phen hervor. Die thatsächliche Superiorität seines philosophi-
sch« ? ndpunktes über die Menschen seiner Zeit machte ihn
einsam mitten in dem Lärm der philosophischen Disputationen,
die damals noch Mode waren, mitten in dem geschäftigen Betrieb
von Pari-. Oxford, Wittenberg und Helmstädt. 5 aähungen,
läumdung, fremde Bosheil und eij chtmässige Furcht wer-
den dich vertreiben aus deiner Heimath, deinen Freunden dich
entfremden und dich in wenig freundliche Gegenden verbannen."
er sich selber an, und sein Trost ist - Resignation.
.. W irke, mein Fleiss, dass dies ein ruhmvolles Exil für mich werde
und mir die Ruhe erkämpfe, dies bessre Vaterland6)."
Zunächst vertrieb ihn aus der Beimath mehr al> die momen-
tane Gefahr die monotone Armseligkeit und Dürftigkeit im Leben
eines entlaufenen Mönchs, der in den Winkeln durch Privatunter-
richt und Korrekturen 3ein Dasein fristete. Das war sein Loos in
Genua, Turin, Venedig und Padua. Als er der französischen Grenze
zuwanderte, geschah es in einer Dominikanerkutte aus feinem
weissen Tuch, die er sich in Bergamo hatte machen lassen, dar-
über da- Skapulier: das hatte er bei der Flucht aus Rom mil
nommen. Er rechnete auf die Klöster Beines Ordens. Lyon war
sein nächsti - Ziel. Aber der kalte Empfang, mit dem man dem
falschen Mönche auf der Reise begegnete, liess ihn nun einen Ent-
schluss ganz anderer Art fassen. Die Stadl des grossen Calvin
war die Freistätte für alle katholischen Flüchtlinge der romanischen
Welt. Indem er die Richtung dorthin einschlug, löste er sich wie
mit Einem Ruck aus allen bisherigen Verhältnissen.
Dort fand er eine ganze italienische Kolonie. Das Haupt der-
selben, der neapolitanische Marchese von Vico, uahm sich seiner
freundlich an. Da er nun seine Kutte ablegte, stattete man ihn mit
Hut und Degen aus. Aber Alles das geschah doch unter der \ oraus-
zung, dass er sich dem protestantischen Glauben anschliessen
winde. |)as furchtbare Schicksal der Hypokrisie und Doppelzüngig-
■ de la bestia trionf. im Ei al des Pei
irdano Bruno und Spin. -_> j ,
keit, das auf dem monistischen Denker in dieser Well von Glaubens-
streitigkeiten lastete, dies Schicksal, unter dem er schon im Kloster
so -«'litt.'!! and welches der Bestandteil moralischer Grösse in seiner
tischten Natur abzuschütteln trachtete, begleitete ihn auch hier-
her. Er hat der Inquisition gegenüber behauptet, oichl zum Calvi-
uismus übergetreten zu sein. Das mag in irgend einem zweideu-
tigen Verstände wahr sein. Jedenfalls findel sich sein Name in
den Listen der italienischen evangelischen Gemeinde. Nur als zu
dieser gehörig hatte Bruno Mitglied der Genfer Akademie werden
können. Ja es findet sich ausdrücklich, dass er wegen seiner Irr-
thümer in der Lehre und seiner Schmähungen gegen Geistliche vom
Abendmahl ausgeschlossen wurde und auf seine Abbitte hin diese
Ausschliessung wieder aufgehoben wurde. All diese neuen Zwei-
deutigkeiten waren doch nutzlos für ihn. Nur vom Frühjahr bis
zum Herbst 1579 hat er in der Atmosphäre Calvins ausgehalten.
Armuth. geistlicher Zank, Correkturen, Heuchelei, moralische Ker-
kerluft: Elend, nichts als Elend!
Aber was für den Menschen Giordano Bruno von Nola sich
so darstellt, das hatte für den philosophischen Genius, welcher
über alles, was das Europa dieser Zeit von Ansichten über das
Leben enthielt, hinausgehen sollte, eine ganz andere Seite. Dies
Europa, wie es damals war, nahm ihn in seine Schule. Der
Unterricht begann, welchen die Hauptsitze der geistigen reli-
a sen und moralischen Kultur dieses Europa, die Hauptsekten
äselben und seine Hauptländer ihm ertheilen sollten. Ein sol-
cher Hauptsitz war Genf und eine solche Hauptsekte war der
Calvinismus. Die Lehre von dem Unvermögen der christlichen
Parteien, eine edle Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft
herbeizuführen, ward von Bruno durch sehr intensive Erfahrungen
erwarben. Sie war in dem Geiste der Renaissance enthalten. Aber
jetzt, in diesem Wanderleben, eben in der Epoche der katholischen
Restauration und des protestantischen Dogmenglaubens, in dem
Kloster von Neapel, in den Universitätssälen von Paris, in
der höfischen Gesellschaff von London, unter den Calvinisten
Genfs und den Lutheranern Wittenbergs empfing diese Lehre
ihre Begründung und ihre Vertiefung. I>a~ rein philosophische
1!'
278 Wilhelm Dilthe
,1 des - wurde gesättigt gleichsam mit dem erfahrenen
europäischen Welt. Er hatte eine starke Sympathie für
das Seroische im Protestantismus, welcher * 1 * ■ n Kampf führte gegen
„mit der dreifachen Tiara geschmückten dreiköpfigen Böllen-
hund". Im Gegensatz gegen den „wahnsinnigen katholischen Kul-
tus" respektirte er die reineren Formen der protestantischen Gott
Verehrung. Aber er fand -i<di angeekelt von dem Missbrauch des
philologischen Apparates in den Synopsen, Bibelschlüsseln und
Commentaren dieser Schriftorthodoxie. Er bekämpfte leidenschaft-
lich die Lehre von der Unfreiheit des Willens, der Prädestination
und der Wertlosigkeit der Werke, und er durchschaute, wie di
neu.- Dogmatik eine angeheure Vermehrung des Kirchenzwanf
und der Dogmenstreitigkeiten zur Folge haben tnusste. Je mehr der
Calvinismus jede Silbe des alten Testamentes in den Wortglauben
an 'li'' einheitliche Schrift aufnahm, desto ablehnender verhielt
dieser Wortglaube Bich gegen 'li'1 copernikanische Astronomie und
jeden Fortschritt des Naturwissens über die niedrige Naturansicht
des alten Testamentes hinaus. Das alte Testament, das Volk, wel-
che- es hervorgebracht hatte und die Calvinisten, welche sich an
dasselbe hielten, waren Gegenstand des gleichen Basses für den
italienischen Philosophen.
Derselbe hat seine gründliche Auseinandersetzung mit dem
Calvinismus in der Schrift über die triumphirende Bestie vollzogen.
Unter dem Schutz der antiken Göttermasken wird hier die ganze
evangelische Geschichte als „ein gewisses tragisches Mysterium aus
Syrien" einer höhnischen Kritik unterworfen. Vermittelst eines
issartigen Apercus wird die ganze Dogmatik des Christentums
als anthropocentrisch, jüdisch particular, im Scheingegensatz des Jen-
seits und Diesseits befangen und das Jenseit Belbsl versinnlichend,
dem Standpunkt des Sinnenscheins und der Imagination
untergeordnet. Diesem gegenüber wird das philosophische IV-
wusstsein, welches diesen Schein auflöst, zur Geltung gebracht In
derselben Schrifl schildert erdannmil einer ausnehmenden Bitterkeit
die besonderen Mängel, welche in den protestantischen Confeasionen
hinzutreten. Sie ertödten das heroische Lebensgefühl, welches für
das Gemeinwohl mit löblicher Freude am Ruhm zu leben fähig ist.
Giordano Brunn and Spinoza. 279
Sic betrachten dies löbliche Streben als sündhaft und eitel. Der
Mensch soll sieh nur „ich weiss nicht was für einer tragödia cabba-
listica rühmen". „Es i-i anwürdig profan und lächerlich zu glau-
ben, die Götter brauchten Dankbarkeit, Furcht, Achtung, Liebe
und Verehrung der Menschen zu anderem Zweck als um der Men-
schen selbsi willen." Die Lehre von der Rechtfertigung durch
den Glauben verdirbl unter dem Vorwand, die deformirte Religion
zu reformiren, was an ihr noch gu1 war. Mit dem Grusse „Fri
-ei mit euch" verbreiten ihre Prediger nur Zwietracht, sodass von
diesen eingebildeten Pedanten schliesslich jeder seinen besondern
Katechismus in petto hat. Zur Erlangung unsichtbarer Dinge, die,
sie selbsi nicht begreifen, bedarf es nach ihnen nur einer unab-
änderlichen Gnadenwahl, und diese ist schliesslich von den Leiden-
schaften der Gottheil abhängig. Die Menschen werden nicht durch
ihre Handlungen selig, sondern durch Anpassung an den Kate-
chismus 7).
III.
Von 1578 — 1583, fünf Jahre hindurch verweilte Bruno nun
im katholischen Frankreich. Zwei ruhige Jahre hindurch hielt
er in Toulouse als ordentlicher Lehrer der Philosophie insbeson-
dere über Aristoteles Vorlesungen. Da er nun als Doktor und
ordentlicher Lehrer der Philosophie zur öffentlichen Lehrthätig-
keit an der Pariser Universität berechtigt war, trat er alsdann
an diesem Centrum des philosophischen Unterrichtes auf. Er fand
in der Hauptstadt der katholischen Philosophie einen neutralen Vor-
lest! n ^gegenständ in der Lullischen Kunst. Das Aufsehen, welches
er durch seine selbstständige Benutzung derselben im Dienst der
ichtnisskunst und der Redekunst machte, liess ihn hier nun
endlich in Verhältnisse eintreten, welche seinen Gaben entsprachen
und ihm zuerst den Blick in die grosse Welt eröffneten. Da der
König Heinrich III. von den wunderbaren Gedächtnissleistungen
des Italieners vernommen hatte, unterhielt er sich mit ihm und
r) bestia triouf. im ersten I>ialag zerstreut und im Anfang des zweiten.
Es ist unmöglich in der Kürze einen Begriff vom Hass Bruno's gegen den Cal-
vinismus zu geben.
Wilhelm D i 1 1 h •
— für Beine Gedächtnisswissenschaft. Brano durfte
ihm Beine gedankenreiche Schrift »von den Schatten der Ideen*
widmen. Er erhiell eine Anstellung als besoldeter ausserordent-
licher Lehrer. Er fand Müsse zu grösserer schriftstellerischer
Thätigkeit Vier Arbeiten von ihm Bind L582 gedruckt. Aber
\\:ii nun die Widerstände, die ihm entgegentraten, war
die schaftliche Unruhe, welche auch andere bedeutende Männer
jener Z'dt öfter als nötig den Orl wechseln liess, Ende des
Jahres L583 verliess er Paris and begab sieh mit Empfehlungen
des Königs Heinrich an seinen Gesandten oach London.
Diese fünf Jahre in der katholisch französischen Welt, zumal
im Mittelpunkl der ganzen katholischen Philosophie waren für
Brunos endgültige Philosophie von anermesslicher Bedeutung. Mit
dem Mönchthum und 'lein vulgären Katholicismus war er fertig
!■ das tlloster verliess. Der Protestantismus lag mit
'Irr Sta.lt Genf definitiv hinter ihm. Jetzl studirte er in allen
ihren Lebensäusserungen die Verbindung der Katholicitäl mit dem
jtoteles, welche auf allen philosophischen Kathedern jener Ti
ooch herrschte und die selbsl von den protestantischen Lehrstuhlen
Besitz genommen halte. Aristoteles, Ptolemäus und das kirchliche
Dogma, verkoppell miteinander: das war die dreiköpfige Katheder-
bestie, die ihn wo er auch aultrat angrinste, ihn anfuhr und zauste.
[n Toulouse, in Paris, in Oxford. Dieser machte er nun den Krieg.
Er war der erste unter den grossen Philosophen, welche sich ausser-
halb dieser theologisirenden Kathederathmosphäre eine Existenz
suchten. Und /.war musste er in seiner Zeit ooch diese Stellung
durch einem erbitterten und äusserlich anglücklichen Krieg be-
haupten. Schriften gegen die aristotelische Schule waren damals
Handlungen. Wie Bruno seihst haben mehrere von denen, welche
diese Kathedertradition angrüfen in Klöstern dieselbe kenneu \
lernt und auf theologisch eingeschränktes Kathedern Aristoteles
vorgetragen. Der Kampf, den Bruno fahrte gehl durch alle seine
Schriften. Wie ein irrender Kitter hat er ihn an ihn verschi«
denen europäischen Universitäten durchgefochten, insbesondere griff
er wie Telesio und Campanella gerade die Naturphilosophie des
Aristoteles an. Er durchschaute, dass die doppelte Well des Arial
rdano Bruno and Spino 281
fceles, die himmlische and sabluoare, in Verbindung mit der Centri-
rung des Weltlaufe auf der Erde, die wissenschaftliche Grundlage des
ganzen Gebäudes der Dogmen war. Er hasste in Aristoteles den
Senker der anderen göttlichen Philosophien: ähnlich wie Bacon sagte,
Aristoteles habe seine Brüder umgebracht, um sichrer zu herrschen,
nach der Manier der Sultane von Constantinopel. Der schulmässige,
magistrale Geist, der von Aristoteles ausging, wurde von seiner
freien Seele drückend empfunden. Aber der Bekämpfer des Aristo-
teles war weit entfernt, bei den Humanisten jener Tage Bundes-
genossenschaft zu .-liehen. Von seiner Jugendkomödie ab war sein
komisches Ideal der Pedant, und dieser erhält in den grossen Dia-
logen seine Züge von den leeren grammatischen Worthelden jener
Tage. Dagegen schloss er sieh an die lebendige Renaissancebil-
dung an, welche in der vornehmen Gesellschaft und an den Höfen
bestand. Ein Virtuose der Unterhaltung, überfliessend von Fröh-
lichkeit. Witz und Laune, als Meister spielend mit seinem Wissen,
wie er in dieser Gesellschaft erschienen sein muss, erlangte er in Paris
die Gunst des von der Renaissance lebendig berührten Königs, auf
diesen Zusammenhang mit der neuen vornehmen gesellschaftlichen
Bildung stützte er sich, und hierauf gründete sich nun seine Stellung
in England.
IV.
Bruno's Aufenthalt in England von 1583—1585 bildet den
Höhepunkt seines Lebens. In Paris vordem und nun in London
fand er etwas von dem Glück, nach welchem seine Irrfahrt
ging, Ruhm, Gunst der Könige und der Grossen, Neigung der
hauen. Die italienische Renaissance war das gesellschaftliche und
ätige Element, dessen feiner durchdringender Duft das höfische
und dichterische Leben jener Tage ganz erfüllte. Welchen Zauber
Giordano Bruno's Unterhaltung besass, geht daraus hervor, wie er
über die Köpfe der angesehensten und achtbarsten Gelehrten hin-
weg seinen Weg zum Hof und der ersten Gesellschaft fand. Er
war durch Heinrich III. an dessen Gesandten von Castelnau em-
pfohlen worden, und nach einem UniVersitätstournier in Oxford, in
welchem er für das coperuikanische Weltsystem wieder eines seiner
Wilhelm Dilthey.
fruchtlosen Kampfspiele b n hatte, lebte er im Hau-.' des
französischen Gesandten als einer • i I valiere desselben. Er war
mit Philipp Sidney innig befreundet. Dieser Neffi Leicesters and
Liebling der Konigin war das Musterbild vornehmster höfischer
Sitte, ritterlichen Muthes nnd kunstvoller vornehmer Poesie. I
Durchdringung des kraftvollen und exentrischen englischen G
mit dem der italienischen Renaissance kam in ihm zur glänzendsten
Erscheinung. Er war Platoniker. Wenn er in seinem Sonettenkranz
lih. wie die Tugend die Gestall Stellas angenommen habe, „sie
jenen Bimmel sehen lassend, den heroische Seelen infolge iL
inneren Fohlens Beben0 inner! dieser I el rgang ler persön-
lichen Liebesleidenschafl in das [deelle und Mystische an den 8
nettenkranz des Giordano Bruno aus der Zeil Beiner Freundschaft
mit ihm. Ueberhaup! bildet die Verwandtschaft des Sonetten-
kranzes von Bruno, «los anderen von Sidney und des dritten von
Shakespeare, welche an demselben Il"l und in derselben Epoche
nacheinander entstanden sind, eines der fesselndsten Probleme der
Literaturgeschichte. Dem Philipp Sidney waren auch zwei
Beiner schönsten philosophischen Kunstwerke gewidmet. Die \
oehmsten Engländer jener Tage hat Giordano Bruno gesehen
und kennen gelernt. Die Königin Elisabeth selber hörte ihm mit
Vergnügen zu und er hat ihre Freundlichkeil mit Lobsprächen von
einer besonders übertriebenen höfischen Ueberschwänglichkei! er-
wiedert. In der feinsinnigen Geselligkeit im Mau-.' Castelnau's er-
weiterte sich seine Seele zu den ihr natürlichen Massverhältnissen.
Nun erst fühlte er sich seihst. Und so traten in dieser glücklichen
Zeit, in einem Zeit räum von weniger als zwei Jahren hinter ein-
ander in italienischer Sprache die sechs philosophischen Kunst-
werke hervor, welche ihn zum grössten philosophischen Schriftsteller
Beines Jahrhunderts gemacht haben. Man bemerk! öfter, wie «ine
glückliche Lage des Gemütes in einer bestimmten
Lebensepoche den Leistungen eines Schriftstellers eine Kraft und
Harmonie verleiht, welche er hernach nie wieder erreicht,
gin damals Bruno in dem England der Elisabeth und des
Shakespeare. Hierzu trat aber eis inhaltliches Wachsthum Beiner
grossen Seele in dieser grossen I Umgebung. Nirgend anders als in dem
Giordano Bruno und Spinoza. 283
Vaterlande Shakespeare's and Carlyle'a hätte er die herrliche Schrift
über „den Beiden Wahnsinn" so schreiben können. In diesem
Lande, im vertrauten Umgang mit Sidney, in der Anschauung
dieser heroischen Well welche auch den Gesichtskreis Shakespeare's
ausmachte, steigerte sich der Enthusiasmus des Plotin in ihm zum
activen heroischen Lehensgefühl, ward sein dichterisch philosophi-
scher Geisl aller Fesseln schulmässiger Tradition ledig, and
überliess er sich in der Sprache seiner Heimat zum ersten Male
ganz den Einleitungen seines Genius, in tiefsinnigen wissenschaft-
lichen Combinationen, in ungestümer Polemik und in ausgelassenem
Scherz. Und so i>t es gekommen, dass dieselbe Regierui
zeit der grossen Königin neben den grössten Dramen aller Zeiten
durch einen Fremden an ihrem Hof die vollkommensten philo-
sophischen Kunstwerke des Jahrhunderts hervorbrachte. Beide
Klassen von Werken haben dieselbe Yer>chwenduug im Reichthum,
dieselbe Verbindung von Melancholie und Humor — wie das Motto
seiner Cömödie lautete: in der Melancholie heiter, iu der Heiter-
keit melancholisch (In tristitia hilaris, in hilaritate tristis) — und
denselben excentrischen und überladenen Styl des ausgehenden
Jahrhunderts. Die italienischen Werke dieser Londoner Jahre,
hingeworfen in fliegender Eile, mit der Sicherheit des Genies, be-
zeichnen die Reife der Jugend. Nach der ungedruckten italieni-
schen Schrift Purgatorio del Inferno folgen einander: La Ccna de
le Ceneri 1584, De la Causa, Principio et Uno 1584, De L'In-
finito, L'nivers eo Mondi 1584. Spaccio de la Bestia Trionfante
1584, Cabala del Cavallo Pegaseo 1585, De gli eroiei furori 1585.
Jahresbericht
aber
sämmtliche Erscheinungen auf dem Gebiete der Geschichte
der Philosophie
in Gemeinschaft mit
Clemens Baeumker, Ingram Bywater, Alessandro Chiappclli, Bermann Diels,
Wilhelm Dilthey. Benno Erdmann, Andrew Seth, Paul Tannery,
Feiice Toeco und Eduard Zeller
herausgegeben
Ludwig Stein.
III.
Jahresbericht über die Kirchenväter und ihr
Verhältnis zur Philosophie. 1889—1892.
I. Teil
von
Paul Weildlaild in Berlin.
Ich erwähne zunächst mehren' Werke von allgemeiner Bedeu-
tung. Nach langer Zeit ist in Möllers Lehrbuch der Kirchen-
geschichte (1. Bd. Die alte Kirche. Freiburg i. B. 1889) ein Werk
erschienen, das die Resultate der neueren Forschungen zu einem
kunstvollen Gesamtbilde vereinigend, nicht nur als Nachschlagebuch
benutzt, sondern als Ganzes gelesen und genossen sein will.
Loofs' Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte (2. Aufl.
Halle 1890) ist durch übersichtliche Anordnung des Stoffes, gute
Auswahl der Quellen und scharfe Fassung der Lehrbegriffe ausge-
zeichnet. Er ist nicht nur dem Laien zur Orientirung zu empfehlen,
sondern wird auch dem Kundigen zur Klärung seiner Anschauung
dienen.
Näher gehe ich ein auf den ersten Teil von
UseneEj Religionsgeschichtliche Untersuchungen. Bonn 1889,
da derselbe die ältesten Probleme des christlichen Denkens be-
handelt. Usener geht aus von der Frage, wie das Tauffest zum
Geburtsfest werden und mit diesem vereint werden konnte. In
der Geschichte der Evangelientexte spiegelt sieh ihm die Geschichte
der Auffassungen von Christi Person, der Versuche, die göttliche
and menschliche Natur in eins zu setzen, wieder, Versuche, die
h aufdrängen mussten, nachdem der Glaube an das Göttliche in
Hand,
Chi auf die Auferstehung, dann auch auf die Verklä-
re ündet war. Der eine und zwar der ältere judenchrist-
lich suche ist die Geschichte von der Taufe, die Dach
ihrem ursprünglichen Sinn.- (der älteste I'- \; Luc. 3,22 i-t nach
• v je, aber Johannes - • auch den
beiden andern synoptischen Evangelien lieg! dies« Vorstellung zu
Grund« S. 50 göttlich« i irl ist, durch die der als Mensch
Geborene unter Feuererscheinung (stoische Lehre vom feurig G iste
den Geisl G mpfangt. Der anden Versuch, den Ur-
sprung der Göttlichkeit zu erklären, isl die Geschichte von der
wunderbaren Geburt. Die zu Grunde liegende Vorstellung ist, wie
I sener an einer Fülle mythologischer Parallelen zu zeigen sucht
und wie die begleitenden Züge des .Mythus (Erscheinung des Ster
Auftreten der Magier, Kindermord) zu bestätigen scheinen, „der
naturnotwendige Widerschein der Göttlichkeit Christi in den Seelen
bekehrter Griechen", also auf griechischem Boden erwachsen. „Der
jüdische Monotheismus zieht im Bewusstsein die scharfe Grenze
zwischen der Gottheil und dem Menschenleben; der Bellenismus
kennt diese nicht" Weizsäcker). Dass Jordantaufe und jungfrau-
liche Geburt aus demselben Bedürfnis, die Göttlichkeit Christi
schichtlich abzuleiten, erwachsen sind, dass sie sich gegenseitig
ausschliessen (S. L28), isl zwar auch yon andern gefühlt und aus-
prochen. üsener hat das Problem schärfer gefasst und geschicht-
lich begründet. Der durch die älteste Litteratur verfolgte Bestand
der evangelischen Geschichte giebt ihm ein Bild des allmählichen
Zuwachses an neuen Bestandteilen des Evangeliums, der Umbil-
dungen und neuen Fassungen, der Verschiebungen und Verstüm-
melungen, die dann wieder diese zu erfahren halten. Marcion
''und die Quellenschrift des Lucas) und die Gründer der ältesten
^tischen Sekten wissen nichts weder von der Taute noch von
der wunderbaren Geburt, Christus isl ihnen der auf Erden erschie-
nene Gott; und Karpokratee lässl durch Kombination altevangeli-
scher Auffassung und platonischer Gedanken Arn Menschen Jesus
durch eigene Kraft vergottel werden. Ersl Kerinth, der Nachfolger
ßndet, kennt die Taufgeschichte und lässl in Anlehnung an sie
den himmlischen Aeon in den Menschen Jesus eingehen. Auf
Jahresbericht 5ber die Kirchenväter etc. 1889 1892.
Grand der Jordantaufe verbindel er so die auf lebendiger Erinne-
rung an das menschliche Dasein Christi rahende judenchristliche
Anschauung mit der hellenistischen Vorstellung des vom Himmel
herabgekommenen Christus, aber die wunderbare Geburl kennl er
noch Dicht. Justin setzt Geburl and K im lli.ii als Bestandteile
des Evangeliums voraus, and die dann folgende Litteratur müht
sich mil mehr oder weniger Glück an der Aufgabe ab, diese oeue
Bereicherung des Stoffes mit der Taufe in Einklang zu bringen.
l»i. älteste Entwicklungsstufe des Evangelienstoffes wird auch durch
Paulus bezeugt, der Taufe und Geburl nicht kennt, die weitere
Stute bezeichnet die Apostelgeschichte, welche bereits die Tauf-
;hichte (nicht wunderbare Geburt) voraussetzt.
Auf einen ruhen Abriss des Inhaltes nur des ersten Teiles
muss ich mich hier beschränken. Auf die Punkte einzugehen, die
»Bedenken wecken, ist hier nicht möglich, scheint mir auch noch
wenig an der Zeit. Die Kritik hat sich mehr gegen die Aussen-
werke gerichtet, und die für Usener besonders wichtige These, dass
die Spekulation der Gnostiker den ihnen vorliegenden Evangelien-
stoff erkennen lasse, ist in manchen Fällen mindestens unerweisbar.
Aber in Hauptresultaten könnte Usener nur widerlegen, wer durch
ein gleich gross angelegtes geschichtliches Gesamtbild eine befrie-
digendere Lösung der in ihrem Zusammenhang scharf gefassten
Probleme zu geben vermöchte. Im übrigen sei hier hingewiesen
auf die schöne Besprechung des Werkes durch Weizsäcker Preuss.
Jahrb. LXIY S. 389—407.
In Useners Spuren wandelt A. Dieterich, Abraxas, Studien zur
Religionsgeschichte des späteren Altertums. Leipzig L891.
An der Ifand der ägyptischen Papyrusurkunden giebt der Verf.,
der sich schon durch seine Abhandlung in den Suppl. zu den
Neuen Jahrb. I. Philol. 1888 um dies Gebiet verdient gemacht
hatte, wertvolle Beiträge zum Verständnis des religiösen Synkre-
tismus der späteren Zeit, durch die z.B. die orphische, gnostische,
hennetische Litteratur vielfach neu beleuchte! wird. Für uns hier
sind unter anderen von besonderem [nteresse die Bemerkungen aber
den Einfluss der pantheistischen Vorstellungen der Stoiker und
P a 11 1 W en dl a n d .
ihrer Anlehnung an den Volksglauben auf die ELeligionamischui g,
r das Eindrinj ischer Vorstellungen in religiöse Urkunden
33 ff.), die Behandlung der orphischen Th< o, die
Besprechung eines Bymnus, den der Verf. auf eine den Essäern
ipeuten verwandte Sekte zurückzuführen sucht, [ch \\'
im übrigen auf meine Besprechung I». LZ. 18 2 - 1131.
\.\. Der romische Staal and die allgemeine Kirche bis auf
Diocletian l. Bd. Leipzig L890.
Das Werk behandeil in gründlichster Weise Dicht nur das
Verhältniss der Kirch«' zum Staut, sondern auch des Christentums
in >.'in<T geschichtlichen Entwickelung zu den gesellschaftlichen
Formen und Lebensanschauungen des Beidentums. Einige Ab-
schnitte Beien hier besonders hervorgehoben. 8. 'Uli. behandelt
Neumann die heidnischen urteile über die Christen (über Tacitus
s. Zeller Z. f. w. Th. L891 S. 356 ff. Die Stelle des Aristidea wird
jetzt von Norden Fleckeis. Jahrb. 19. Suppl. Bd. S. (04ff. und
auch von Neumann mit Recht auf die Eyniker bezogen), S. I13ff.
i. s. r. >< > iv.) die Ansichten des (hui. Alex. (Paedag.) und
Tertullian über die Stellung dir Christen zur Welt und heidnischen
Gesellschaft (S. 117. 132 Wissenschaft). Eine nicht anwichtige
Quelle für dies Gebiet ist jetzt gewonnen in den oft mit Clemens
-ich berührenden Sprüchen des Sextas (s. den 2. Teil des Berichtes).
257 ff. bespricht der Verf. das Schisma des Hippolytus, S. 265 ff.
setzt er die Abfassungszeit der Bücher des Origenes gegen <'e|-u> ins
Jahr 248 und sucbl nachzuweisen, dass Origenes durch den in diesem
Jahre gefeierten tausendjährigen Bestand des römischen Reiches
und das durch die Feier gesteigerte nationale und religiöse Gefühl
der Heiden zur Abfassung der Schrift bestimmt wurde. In das-
selbe Jahr will er auch die Apologie des Minucius Felix rücken
(S. 242). Deber sie fei jetzt auch zu vergleichen De Lagarde,
Septuagintastudien. Göttingen 1891 S. 85.
A. StöckLj Geschichte der christlichen Philosophie zur Zeit der
Kirchenväter. Mainz 1891.
Zunächst ist es scharf zu rügen, dass der Verf. mit keinem
Worte das Verhältnis dieses Werkes zu seinem Früheren (Gesch.
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 L892. 291
d. Philos. der patristischen Zeit. Würzburg 1859), mit dem es in
grossen Partien fasl wörtlich übereinstimmt, andeutet. Mit dem
principiellen Standpunkt des Verfassers zu rechten, wäre fruchtlos.
Wer das spätere Heidentum für moralisch und intellektuell ban-
kerott erklärt, um eine christliche Philosophie ganz aus dem Nichts
geboren werden zu lassen — gerade umgekehrt scheu wir die ethi-
schen und religiösen Tendenzen im spätem Heidentum immer
stärker werden und dasselbe sich damit dem Christentum uähern
— , wer sich ganz der Erkenntnis verschliesst, dass gerade die grie-
chische Philosophie das Fermenl der christlichen Dankbarkeil ge-
wesen ist und dass die Entwicklung des christlichen Denkens
wesentlich durch äussere Faktoren, wechselnden Einfluss <\<>> Stoi-
cismus, Piatonismus, Neuplatonismus bestimmt ist, für den ist eine
geschichtliche Auffassung unmöglich. Was der Verfasser giebt, ist
eine aus fleissiger Lektüre hervorgegangene Blumenlese der Haupt-
gedanken der einzelnen Autoren oft mit auffallender Vernachlässigung
der Ethik (s. z. B. Clem. u. Tert.), aus der aber kaum jemand wird
ersehen können, „wie die Eutwickolung des christlich philosophi-
schen Gedankens bei ihnen Schritt für Schritt vorwärts schreitet".
Wie naiv die Methode des Verfassers ist, zeigt z. B. die Aeusserung
S. 388: „Wir verfolgen hier nicht die Zwecke der Kritik, sondern
wir schreiben eine Geschichte der Philosophie", womit er die Frage
der areopagitischen Schriften in der Schwebe lässt (s. dagegen das
frühere Werk S. 498). Wer ratlos ist, ob er ein Werk wie dieses
an den Anfang oder ans Ende der christlichen Lehrentwickelung
setzen II. wie kann der im Ernste sich einbilden, diese Entwicke-
lung begriffen zu haben? Die gesamte Forschung der protestan-
tischen Theologie existirt für den Verfasser nicht. Für die Erklä-
rung der Genesis des Gnosticismus hat der Verf. nur eine Bemerkung'
O
über den jüdischen Philonismus (S. 2»'). 31). Die Auswahl der
Quellen ist hier völlig willkürlich. .Marcion z. B. wird nur nach
den Philosophumena behandelt, die wieder beim Valentinianismus
ganz vernachlässigt sind. Lipsius und Hilgenfelds Forschungen
kennl Stöckl nicht. Für den Manichäismus ist Augustin sein
einziger Gewährsmann. Apollinarius wird ganz kurz abgefertigt,
Marius Victorinus und Leontius von Byzanz nicht erwähnt. \
iv f. Geschieht« d. Philosophie. VII. ->l )
292 Paul Wendland, Jahresber. üb. d. Kirchenvater 1889—18
den neueren Quellenforschungen zu Clemens Alex., Nemesius, Ter-
tullian, Minucius Felix, Lactantius weiss der Verf. nich Pro-
bleme, die andern Gelehrten Muhe gemacht haben, vermag er auf
Beinern Standpunkt gar nichl zu fassen; bo z. B. bemerkt er ober
die Consolatio des Boethius, dasa es nicht die heidnische, Bondern
die christliche Philosophie war, die ihm als Trösterin entgegenkam
- 120). I>ic spätere heidnische Philosophie nennt er eine Nach-
äflung des Christentums (S. 1-) ohne zu wissen, dass die von ihm
bemerk ineinsamen Züge schon vor dem Christentum in der
heidnischen Philosophie sich nachweisen Lassen.1)
K. Gräfe, Das Verhältnis der paulinischen Schriften Schriften zur
Sapientia Salomonis. Theologische Abhandlungen C. von
Weizsäcker gewidmet. Freiburg i. B. 1892. 2i 3 8.
Die viel erörterte Frage wird hier mil Umsicht von neuem
behandelt. Der Verf. macht, nachdem er die belanglosen Parallelen
ausgeschieden hat, es wahrscheinlich, dass Paulus Rom. 9,19—22,
wo die Uebereinstimmung zum Teil eine wörtliche ist, von Sap. L2,
L2. 20. 1"'. T abhängig, dass seine Beurteilung des Götzendienstes
und die Schilderung der Folgen derselben, seine Vorstellung des
Verhältnisses des Leibes zur Seele (U Kor. 5,1. I b toi sx^vei
xreva'Copev [kpoufievoi Sap. 9, 15) durch die Sap. bestimml ist. Dazu
kommen andere Parallelen, die für sich nichl Ausschlag gebend,
aber, wenn die Benutzung einmal erwiesen ist, beachtenswert sind.
Jedenfalls isl das bleibende Resultat der Untersuchung, „dass Bich
Paulus mit bedeutsamen Gedanken und Gedankenverbindungen des
Griechentums auch im Ausdrucke vielfach berührt". Zu S. 261 über
Verwendung der von Kampfspielen hergenommenen Bilder verwebe
ich auf meine Arbeit über Philos Schrill über die Vorsehung S. 17.
esandl zur Bespi ist uns Nikel, Die heidnischen Kultur-
völker des Altertums und ihre Stellung zu fremden Religionen. Leobscbütz.
• 0/91. I die Bemerkung, dass auf 11 S. China, Indien,
\ in-. Babel, i Griechen, Römer abgehandelt werden.
Neueste Erscheinungen auf dem Gebiete <ln*
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Archiv
Im r
Geschichte <1<t Philosophie.
VII. Band 3. Heft.
XL
Amnioiiius Sakkas und Plotinus.
Von
E. Zollcr in Berlin.
Die Qeuplatonische Schule betrachtete als ihren Stifter von
Anfang an jenen Alexandriner Ammonius, der sich vom Lastträger
zu einem angesehenen Lehrer der Philosophie emporgearbeitet, und
von seinem früheren Beruf den Beinamen Saxxäk erhalten hatte.
Nach dem Tode dieses -Mannes waren, wie Porphyr (Plot. 5) er-
zählt, seine Schiller Herennius. Origenes und Plotinus überein-
gekommen, seine Lehre nicht unter die Leute zu bringen (fjurjosv
ixx<zXu7rc£iv TrTjv O.OXOO BoYp-axtov); da aber zuerst Herennius und
dann auch Origenes dieser Verabredung untreu wurde, fand sich
auch Plotin nicht länger durch sie gebunden und eröffnete in Kein
eine Schule, in der er die ihm von Ammonius überlieferten Lehren
vortrug (Ix zrfi A|ajiu>viou tjovoocias iroioujievos täc Siatptßas, ähn-
lieh ^ 14 i. ohne doch während der ersten zehn Jahre etwa- davon
in Schriften niederzulegen. Porphyr hält demnach die Lehre Plo-
tin's nur für eine Wiedergabe dessen, was dieser Philosoph von
Ammonius gehört hatte. Ebenso urtheileu auch spätere Mitglieder
der Schuh-. Hierokles, der Schüler Plutarch's, der um 430—440
blieben haben mau. sagt in einer durch Photius1) auf uns
') Cod. 251, S. 461a, 30. Cod. 214, S. 173a, 32.
Philosophie. VII. 21
E. Zell
meueu Stelle seiner Schrift über die Vorsehung: Bis auf Am-
iii"i lehrten8 haben Akademiker und Peripatetiker
sieh befehdet, indem sie behaupteten, dass Plato und Aristoteles
bei den wichtigsten Fragen (xorra rol xatjpiet) einander widersprechen;
i. welcher die Lehren jener beiden Philo-
sophen richtig verstanden und in ihnen ein und dasselbe System
erkannt habe (o /'/• töv stöt i»), jenen reinen
Piatonismus (t^j nXatcoi Kexadappevi x), durch den er,
wie Hierokles versichert, l>ei seinen Nachfolgern, einem Plotin und
Origenes, Porphyr und Jamblich und den andern Männern der I
x bis auf Plutarchos herab jedem Streit der Meinungen ein
Ende machte (aoxaoiaoxov rijv cpü • irapaoeScuxe). Dies« N
platoniker setzen mithin voraus, dass Plotin seinen Schülern und
Lasern die Lehre des Ammonius im wesentlichen unverändert
überlieferl habe. Audi Plotin selbst scheint diese Voraussetzung
zu bestätigen. Seine oben besprochene Verabredung mit Orig<
und Herennius lautet so, als ob keiner von ihnen ausser 'lern
System ihres Meisters und über ihn hinausgehend Eigenes vorzu-
tragen gehabl hätte. Aber daraus folgt doch noch lange nicht,
dass Plotin die Lehren, durch welche er den Standpunkt der frü-
heren Platoniker und Pythagoreer, eines Numenius und seiner
Vorgänger überschritt, oder wenigstens die wichtigsten von ihnen
dem Ammonius zu verdanken hatte. Denn wir wissen, für's erste,
niclii im geringsten, wann er diese Lehren entdeckt, ob er nicht
ade in den 1<> ersten Jahren seiner römischen Lehrthätigkeit,
die eifriger Forschung gewidmet waren (Porph. •'»). von denen
uns alier Kein,' seiner Schriften Kunde gibt, sein System aus dem
Ammonius herausgebildet, und daher beim Beginn dieses Zeit-
raums sich naturgemäss erst als Schüler dieses Philosophen gefühlt
hat. Sollte er aber auch sein Leben lang an der Identität seiner
Philosophie mit der seines Lehrers festgehalten haben, so hätte er
iiir ebenso gemacht, wie es Plato und Kenophon, Antisthenes
und Buklides vor ihm gemacht hatten. Alle diese Männer waren
überzeugt, dass ihre Philosophie die ächte Sokratik, sie die
treuen Ausleger ihres Meisters seien. I nd wir wissen doch, wie
weil sie über diesen hinausgegangen, oder auch hinter ihm zurück-
Ammonius Sakkaa und Plotinus. •_".!,
geblieben waren. Wenn Plotin zu der Lehre des Amn iua in
dem gleichen Verhältniss zu stehen glaubte, so könnte man sich
darüber, wie viel er auch zu ihr hinzugethan haben möchte, bei
ihm gerade am wenigsten wundern. Wer in Plato so viel peri-
patetisches und stoisches, aeupythagoreisches und neuplatonisches
hineinzulesen wusste, wie er, den konnte es noch viel weniger
kosten, zu der ihm so nahe stehenden Lehre des Ammonius alles
das zu rechnen, was er selbst in weiterer Verfolgung der Gedanken
gefunden hatte, die er ihr verdankt«'. Vollends selbstverständlich
war dies für seine Schüler und Nachfolger, «'inen Porphyr, Hie-
rokles u. b. w. Sie wussten, dass Ammonius Plotin's Lehrer ge-
wesen war. sie hatten wohl auch gehört, dass dieser selbsl bezeugt
hatte, er folge in seiner Erklärung Plato's (und Platoerklärung
wollte ja der ganze Neuplatonismus sein) seinem Lehrer. Wie
weil die Uebereinstimmung beider gehe, kennten sie nicht unter-
suchen, denn Ammonius hatte keine Schriften hinterhosen. Sie
konnten aber auch «las Bedürfniss dieser Untersuchung nicht em-
pfinden; denn da sie zum voraus überzeugt waren, dass alle ächten
Philosophen in allen Hauptpunkten einverstanden seien, konnte
bei ihnen die Frage gar nicht auftreten, oh dieses Einverständnis
auch zwischen Plotin und Ammonius bestehe: sondern was sie als
die Ltdire ihrer Schule anerkannten, das führten sie auf Ammonius
als den Stifter derselben ebenso zurück, wie man in diesen Kreisen
schon längst gewohnl war alles pythagoreische und akademische.
mochte es noch so spät und apokryph sein, auf Pythagoras und
Plato zurückzuführen. Ergibt sich daher auch aus Porphyr's und
Bierokles1 Zeugniss, «las- Plotin auf dem Grund fortbaute, den sein
Lehrer gelegt hatte, und werden wir Ammonius namentlich das
Bestreben zuschreiben dürfen, die wesentliche Uebereinstimmu
des Plato und Aristoteles nachzuweisen, so lassen uns die Aus-
n jener .Manier doch darüber ganz im Dunkeln, wie die ge-
meinsame Lehre des Plato und Aristoteles von Ammonius gefasst
worden war. und sie . uns kein Recht zu der Behauptui
dass Plotin die unterscheidenden Züge seines Systems, die Er-
hebung des 1 rwesens über das Sein und das Denken, die Lehre
vom Btufenweisen Herabsteigen der göttlichen Kräfte, die Ab-
21*
E. Zell
leitung der Matei P w., Amnionitis zu ver-
danken ha
Bestimmter scheint dies aus N sius hen eben. Dies
christlishe $< iplatooiker, der seine Schrift über die menschliche
N bl bald nach 150 verfassl bat, .l'li. «I. Gr. [IIb, 158,1
»ahnt in derselben des Ammonius an zwei Stellen. I>h' erste
v liesen, c 2, - 1 69,12 72,14 Matth.)*) beweist aller-
dings nichts. \ sius beruft sich hier zur Widerlegung des
psychologischen Materialismus auf eine Ausführung monius
und Numenius. Diese enthält jedoch nichts, was die eigentüm-
lichen Zug aeuplatonischen, d. li. des plotinischi - stems
erkennen liesse; da vielmehr der Anfang S eile oichts weiter
isl als eine etwas freie Paraphrase des von Eusebius pr. ev. XV,
IT mitgetheilten Bruchstücks aus Numenius 1. Buch itep k>5,
so ist zu vermuthen, auch das weitere stamme ebendaher, und
Ammonius werde hier nur desshalb genannt, weil der Verfas
der Paraphrase, wenn nicht Nemesius selbst, so doch ein anderer
Neuplatoniker war. welcher das von Numenius entlehnte seinen
Schulgenossen durch 'li«- Bemerkung empfehlen wollte, dass auch
die Lehre ihrer Schule, die des Ammonius, damit übereinstimme.
Etwas anders verhält es sich mit der zweiten Stelle, in der Am-
monius Y"ii Nemesius genannt wird. In seiner Erörterung über
die Verbindung der Seele mit dem Leibe berichtet dieser c
- 5l 59 ^129,9- 137,4 M.), wie „Ammonios der Lehrer Plotin's"
«li*- Frage gelöst habe. I>a- Qebersinnliche (tä votjto . habi
könne sich mit den Dingen, die zu seiner Aufnahme
int .sind, so < li. verbinden, wie vollkommen gemischte Stoffe (tä
suvecpöapfieva; über diesen Ausdruck Ph. d. Gr. [IIa, Il'T.I) sich
mit einander verbinden, ohne sich darum mit ihnen zu vermischen
r sich zu verändern; das gleiche müsse daher auch \ ler
i nämlii I ütal aus '• ius und Ammoi
- erhellt, dass es Ni mit < 1 •- 1 1 Wo
m IlAw und daraul
. 2, I ■"> M. absch
n .
Ammonius Sakkas und Plotinus. 299
\ erbindung der Seele mit dein Leibe gelten. Sie sei mit ihm
ohne Vermischung zu Einem Wesen verbunden, sie durchdringe
ihn ganz und sei vollständig in jedem seiner Theile, bleibe aber
dabei von ihm geschieden and werde in ihrem einheitlichen Wesen
nicht verändert, sei (im Unterschied von den 3uve<pöapuiva) d8ia-
pdipos . . . xai to xaD5 lauT/jv sv 8iaau>Couaa . . . xat ;j./( rpsirouivr] ;
sie sei in ihrem Leibe nicht wie in einem Gefäss, sondern viel-
mehr der Leib in ihr, -ei ihm nicht räumlich gegenwärtig, sondern
nur dadurch, dass sie sich ihm zuwende (-/, j/.^s'- xat "(i ~'/':
loirfl xat Bia&ecrei) und von ihm gefesselt werde wie der Liebende
von der Geliebten; es wäre daher richtiger, nicht zu sagen: „sie
i-t hier", sondern ..sie wirkt hier". Alles diese- findel sich dem
Sinne mich, und theilweise auch mit den gleichen Ausdrücken und
Wendungen, bei Plotin gleichfalls3). Ebenso Iässl -ich der Satz
(Nem. 185,6 . da— die votjtq: entweder in sich selbsl <»\ry in den
höher stehenden vorjta -(den, die Seele /.. 15. entweder in sich oder im
Nu-, nur aus der Lehre, die im Mittelpunkt de- plotinischen Systems
steht, vom Hervorgang des Abgeleiteten aus dem Ersten und der
Immanenz des Niederen in dem Höheren, verstehen. (Vgl. Phil.
d. Gr. IUI.. 502ff.3 507 f. Plotin V,5, <) u.a.) Wenn daher Ne-
mesius -'inen Berichl aus einer glaubwürdigen üeberlieferung über
3) Dass die Seele, wie alles ünkörperliche, unveränderlich sei (Nem.
-. 130. 133 M.), und daher /.war Ursache, aber nicht Subjekt von Veränderun-
gen -ein könne, zeigt Plotin in einer eigenen Schrift, 111,0; er spricht ihr
(z. B. c. 1) die xpoTtai und dXXotwaetg ab, nennt sie «ttociK,; und axpETtros.
Wenn sie nach Nein. 133 den Leib vollständig durchdringt, aber -•• xaJF
jccj-:t(v h SiaawCouaa, -" da>- sie überall ganz ist, sagt auch Plotin, sie
iräat [xepeai des Beseelten, aber o/.r, Iv -Az<. xai h Sttpoüv airoS ö'Är, denn
auch in dem n Leibe ota itfiazarai toü eIvoi [xt'a (IV, 2, 1. S. 195, 17 ff. Md.
VI,4,3). Dass die Seele, als unkörperlicb, dem Leibe und seinen ein-
zelnen Theilen uicht räumlich, sondern nur durch ihre Wirksamkeit, nur in-
sofern gegenwärtig sei, al- sie dieselben zu ihren Werkzeugen macht, (Nem.
135,3- 137,4] lehrt auch Plotin (VI, 4.:;. 16 S. 435,28. 146,8. [V,3,20f.
8. 211,47ff. 212, 45 ff. c. 23 S. 214,19), inde r sieh, wie jener (135,2), da-
gegen verwahrt, dass d - im Leib -ei <!j; i; dyjfeup (S. 212,4), und ihre
Anwesenheil in demselben mit der des Lichts in der Luft vergleicht, zugleich
134,5 ff.) den Unterschied beider bemerkt, dass die Wirkung
Lichts an .'in,; im Raum befindliche Lichtquelle gebunden, die der -
schlechthin unräumlich i-t \ I. 1. '■'*.
F.. Zeller.
Lehre des Amnionitis Sakkas entnommen hat, so müssten wir
;it bloa die lrit.-n.lrn Gedanken der plotinischen Psycho!
:i auch di o ihr ohnediess antrennbaren des ganzen
neuplatonisch 3; sterns bereits Plotin's Lehrer zuschreiben. Allein
wer bürgl uns dafür, dass Nemesius wirklich eine auf Ammonius
zurückgehende zuverlässige Darstellung seiner Lehre vor sich
habt hat?
Ammonius selbst hatte oach dem einstimmigen Zeugniss seiner
Schüler keine Schriften hinterlassen. Longinus b. Porph. Plot
liess ausdrücklich, Plotin, Origenes und Herennius bestä-
m es durch ihr Verhalten; denn ihre obenberührte Verabredung,
Ammonius' Lehren nicht bekannl zu machen, wäre sinn- und
Qstandslos gewesen, wenn er, selbst sie schon in Schriften be-
kannt gemacht hatte. \ sius könnte demnach das, was er über
diesen mittheilt, nur durch Dritte, Bei es auf mündlichem oder
auf schriftlichem W rfahren habe. Aber dass ein ver-
wickelte wissenschaftliche Erörterung, wie die, welche Nemesius
uii- vorlegt, von Ammonius' Tod bis zur Abfassung von V •.. jius'
Schrift, volle 200 Jahre lang, sich in mündlicher Ueberlieferung
wesentlich unverändert fortgepflanzt haben sollte, wie diess Va-
cherot*) anzunehmen geneigt ist, erscheint ganz undenkbar. v
mesius müsste mithin einen schriftlichen Bericht über Ammonius
benützt haben, und zwar einen, der von einem persönlichen Schüler
selben herrührte; denn nur ein solcher konnte aus eigener
Kenntniss und von späteren Lehrbildungen nicht beeinflussl über
den Inhalt seiner Vorträge berichten. Finden sich nun Spuren
von dem Dasein rinn- solchen aus Ammonius' Schule hervorj
gangenen Darstellung seiner Lehre, und würde sich die Annahm.'.
dass sie dem Bericht des Nemosius zu Grunde liege, mit dem ver-
tragen, was uns anderweitig über Ammonius und seine Schüler
bekannt ist?
Die erste von diesen Fragen glaubl II. v. Arnim6) bejahen
zu können. Priscian der Lyder nennt in seinen um 530 ver-
; Bist, de l'ecole <l' W- - 16) I. 349ff.
le der Ueberlieferung über Ammonius Sakkas" Rhein. Mus. M.ll
Ammonius Sakkaa und Plotinus, ;;i)|
fassten Solutiones ad Chosroem (Supplem. Arist. tb) S. 12,15
unter den von ihm benützten Schriftstellern einen im- nicht weiter
bekannten Theodotus, von dem er sagt: aestimatus est autem ei
Theodotus nobis oportunas occasiones (oi<popu-Äc) la/rgiri ex Collectiom
. I \monii scholarum (ix ttjs Sovoqfwpjs tcov 'Au-fiumou syoXSiv) <v
Porphyrius ea Commixtis Quaestionibus. Mit diesem Ainmonius,
glaubl nun A.. sei kein anderer gemeint, als der Lehrer Plotin's,
und mit dem Theodotus der Platoniker dieses Namens, der von
Longinus b. Porph. Plot. 20 als ein athenischer Diadoche seiner
Zeit genannl wird: an denselben isi aber A. geneigl auch bei Por-
phyr s Wollen Plot. i: 9so8oaiou tou 'A[X}mdviou ysvojasvou statpou
zu denken, und diesen desshalb in einen Theodotus oder auch
(was alter viel weniger passte) den Theodotus Priscian's in einen
Theodosius zu verwandeln. — Allein diese Combination verliert
seilet den Schein einer Begründung, sobald man unter dvu Daten,
mit denen sie rechnet, /.wischen dem. was überliefert, und dem.
was blosse Vermuthung ist. schärfer unterscheidet. Priscian nennt
Theodotus' Sammlung der von Ammonius vorgetragenen Lehren.
Aber er theilt uns nicht blos über die Person und die Lebenszeit
des Theodotus nichts mit. sondern er deutet auch mit keinem
Wort an, dass mit dem Ammonius der Lehrer Plotin's gemeint
sei, so QÖthig diess auch gewesen wäre, wenn seine Leser an ihn.
und nicht an den gleichnamigen Sohn des Hermias, den berühm-
testen Vertreter der Schule seit Proklus, den Lehrer des Dama-
scius, Simplicius, Asklepius, Olympiodorus, Philoponus. denken
sollten, welcher den Zeitgenossen dieser Männer ungleich näher
lag und bekannter war als Ammonius Sakkas, und von dem auch
Asklepius Vorträge (über Aristoteles' Metaphysik) herai ben
hat. Lässl sich aber von diesem Theodotus weder erweisen noch
wahrscheinlich macheu. sondern nur nicht gerade als unmöglich
darthun, dass er über Ammonius Sakkas geschrieben hat. so stelri
es von dem athenischen Diadochen, dessen Longinus erwähnt und
den Arnim mit dem Theodotus Priscian's identificirt, fest, dass er
diess nicht gethan hat. Denn Longin sagt nicht blos nichts von
einer Verbindung di ["heodotus mit Ammonius, sondern er
rechnet denselben auch ausdrücklich zu denjenigen Philosophen,
E. Zei:
- triften hinterlassen, Bondero sich mit der mündlichen
Mittheil ong ihrer Ansichten begnügt hal D nselben zählt er
nun allerdigs auch Origenes nnd Eubulus zu, wiewohl diese ein
i hatten, weil dieses zu unbedeutend nnd nebensächlich
und so könnte man denken, auch von Theodotus
möge wohl eine Schrift vorhanden gew« in. Aber von ihm
mginus diess eben nicht, und es i-t auch sehr unwahrschein-
lich, dass er eine Darstellung der Lehre des Ammonius, dessen,
\\:t- Longin und seinen Mitschülern für den ächten Piatonismus
galt, unter die oöx iyi;; t>a, seinen \ erfasser unter dii inet
hätte, welche es verschmähten, 5id - rd 8ox<
: doppelt unwahrscheinlich, wenn diese Darstellung alles
das, was Nemesius als die Lehre des Ammonius Sakkas bezeichnet,
und ebendamit, wie wir gesehen haben, die leitenden Gedanken
plotinischen Systems enthalten hätte. Lässt sich aber hier-
nach weder von dem Theodol Priscian's noch von dem Longin's
darthun, dass er ein Schüler des Ammonius Sakkas war und -<-i in*
Lehre dargestellt hat, so i-t es verlorene Mühe, dieser Annahme
durch die Vermuthung aufhelfen zu wollen, der von Porphyr als
Ammonius1 Schüler genannte Theodosius sei mit einem von den
zwei Theodotus, oder noch besser mit beiden und sie mit ein-
ander, dieselbe Person. Denn 8eo86aio? und 8e68oxo; sind nun
einmal zwei Namen und nicht einer, und diesen Umstand durch
eine T< Ktesänderung unschädlich zu machen, wäre nur dann zu-
lässig, wenn die Identität der Personen, die mit beiden bezeichnet
werden, d. h. wenn eben das schon erwiesen wäre, zu dessen Er-
weis man sich gerade durch jene Textesänderung ersl die Mittel
schaffen müsste.
Viel werthvoller als diese Vermuthungen isl der von Arnim
geführte Nachweis, dass die Darstellungen des Nemesius und Pri-
scianus auf Porphy'rius als ihre Quelle zurückgehen. Im Anschluss
an -eine oben besprochene Erörterung über die Verbindung der
e mit dem Leibe bemerkt Nemesius: die gleichen Bestimmungen
lassen sich mich auf das Verhältniss der zwei Naturen in Christus
anwenden, und er führt in diesem Zusammenhang S. 139, I M.
aus dem 2. Buch von Porphyr's jö|ip.txxa '.i-i^T.-) die Worte an:
Ammonius Sakkas und Plotinus. ,",i (3
oöx a7co"yvö)OTSov ouv, huiyzz\)rd nva oöaiav icapaX,7j<pö5jvai :•- lOfi*
TrX^pcuaftv Itspcts ouai'a? xcd eIvgu pipo; oüaia», [xsvouöav xorci rrjv
EctutTjS cpuoiv fiötä t;j juixTrXrjpouv aXXr(v oöaiav, ?v ts juv aXXu) yev<1"
uev/(v xal to xaS'' laux'Jjv Sv 8iaaa>Cooaav xal, xo [xsTCov, (und,
was noch mehr ist) aöt'fyv uzv jitj tpeTcofisvKjv tpiiroucav ^s
ixeiva £v ots äv Y'TV7Jxat £'-^ "V'' £äottjs Ivlp^siav xtjj napou-
sia. Von diesen Worten linden sich die, welche im Druck hervi
gehoben sind, theils genau so, theils mil wenigen unerheblichen
Abweichungen auch in dem vorangehenden Berichl des Nemesius
über die Lehre des Ammonius von An- Verbindung der Seele und
dos Leibes S. 133,4 — 6 (s. o. S. 299), und es wird dadurch erwiesen,
dass dieser Berichl mittelbar oder unmittelbar ans Porphyr's „Ver-
mischten Untersuchungen" entlehnt ist. .Mit dem Kapitel des Ne-
mesius, von dein er einen Theil bildet, trifft aber, ohne Ammonius
zu nennen, (wie Arnim a.a.O. S. 279ff. zeigt) auch Priscian
in dem auf das Verhält niss von Seele und Leib bezüglichen
Abschnitt seiner „Solutiones" S. 50,25— 52,9 Byw. in dem Inhalt
und der Gedankenfolge und vielfach auch in den ^Yorten so auf-
fallend zusammen, dass man sich der Annahme nicht entziehen
kann, beide baben aus einer gemeinsamen Quelle geschöpft; denn
dass der christliche Bischof seinerseits die Quelle Priscian's gewesen
sein sollte, ist theils an sieh höchst unwahrscheinlich, theils würde
- h diese Annahme damit schlecht vertrauen, dass Priscian bei der
Aufzählung der von ihm benützten Schriften (von denen er freilich
viele nur aus fremden Anführungen gekannt haben mau) zwar die
von Nemesius citirten „Vermischten Fragen" Porphyr's, nicht aber
Nemesius nennt, dass er ferner im Vergleich mit diesem einmal
(S. 51, 32) das ursprünglichere gibt, und da.-s er durch Erweiterung,
Verkürzung und veränderte Ordnung vielfach von ihm abweicht.
Wie sollen wir uns nun diesen Sachverhalt erklären? Haben Ne-
mesius und Priscian Porphyr's Schrift unmittelbar oder nur mittel-
bar benutzt? und hat Porphyr selbsl eine Darstellung der Lehre
des Ammonius Sakkas vor sich gehabt? Weder Nemesius rjoch
Priscian gibt uns darüber Auskunft. Ihre Uebereinstimmung wie
ihre Abweichungen von einander können ebensogut davon her-
rühren, dass sie verschiedenen Bearbeitungen des gleichen Textes
K. Zelli
•Igt sind, als davon, dass sie selbst diesen Text verschieden
iahen. Keiner von beiden ins ferner, woher er
Mittheilungen bezogen hat Nemesius will in dem Abschnitt
137,4 aber die Ansicht des Ammonius Sakkas vom \
hältniss der Seele and des Leibes berichten. Aber dass Porphyr's
/ seine Quelle seien, verräth er mit keinem Wort,
und auch im folgenden 139,4 ff.), wo er ein 5. 133,4
benützt W ■• aus dies - Inil'i anfuhrt, erinnert er nicht da-
ran, dass er sie kurz vorher Bchon gebrachl hat; andererseits al
tzt er 133,2 die Anfangsworte der Stelle, die er 139,4 aus
phyr anfährt, durch andere, und 133,6 hat er statt < a S. 1 10,5
enden, durch Priscian S. 51,32 al- acht erwiesenen Ivs
Dieses Verhältniss der beiden Texte lässt es nichl blos
als möglich erscheinen, sondern es empfiehll sogar die Annahme,
- beide aus verschiedenen Vorlagen entnommen seien, dass Ne-
mesius den Bericht über Ammonius (129,9- 137,4) nicht von
Porphyr selbst, sondern von einem Andern entlehnt habe, der
seinerseits diesen benützt, aber Dicht genannt hatte; noch ein
weitere Gründe für diese Vermuthung werden sich uns später
ii. Priscian seinerseits sagt S 50,25 ff. überhaupt nichts da-
von, dass er sich an eine fremde Vorlage hält; in der ber
- 301) angeführten Stelle seiner Einleitung stellt er Tl lotus'
Mittheilungen aus den Vorträgen des Ammonius und Porphyr's
Vermischte Untersuchungen in einer Weise zusammen, welche
allerdings die Vermuthung begünstigt, er habe entweder die Schrift
des Theodotu8 bei Porphyr, oder die Porphyr's bei Theodotus an-
geführt gefunden; aber zwischen diesen zwei Möglichkeiten mit
Sicherheit zu <■ni-.-liri.lrn. fehlen uns die Mittel, und der Umstand,
Schrift des Theodotus als besonders werthvolles Hülfe-
mitte] vorangestellt, Porphyr dagegen nebst Jamblich Alexander
und Themistius nach ihm nur kurz genannl wird, macht eher den
Eindruck, Th lotus' Aufzeichnungen aus den Vorträgen des Ammo-
ii i u - (d.h. des Ammon. 'Epjtsfou) seien Priscian's nächste Quelle
gewesen, und die Titel von Schriften des Porphyr n. s. w. ihm nur
durch diese an die Hand gegeben worden.
!.'■ ichen aber «Ii»- Mittheilungen des Nemesius und Priscianus
Ammonios Sakkas und Plotinus. 305
nicht aus um darüber zu entscheiden, ob ihren and Porphyr's Aus-
führungen ein authentischer Bericht über die Vorträge des Ammo-
nius Sakkas zu Grunde lag oder nicht, so bleibl uns nur übrig,
für die Beantwortung dieser 1 ra.e allgemeinere Erwägungen zu
Hülfe zu nehmen und zu untersuchen, was sich aus unserer ander-
weitigen Kenntniss der ueuplatonischen Schule und ihrer Litteratur
in dieser Beziehung ergibt. Und da kann ich nicht umhin, auf
zwei Punkte zurückzukommen, auf die ich schon längsl aufmerk-
sam gemacht habe'"'): dass es 1) in der Litteratur aussei- den un-
sicheren Andeutungen die man bei Nemesius und Priscian zu fin-
den geglaubt hat, an jeder Spur von dem Dasein der angeblichen
Aufzeichnungen aus der Schule des Ammonius fehlt; und dass
2) Plotin's Mitschülern < frigenes und Longinus Lehren von eingrei-
fender Bedeutung, die nach Nemesius schon Ammonius angehört
halirn müssten, nachweislich noch fremd waren. Ich will dies
etwas naher begründen.
Wenn es eine Darstelluni; der Lehre des Ammonius Sakkas
von einem seiner Schüler gegeben hätte, so hätte diese für die
Späteren, welche in ihm den Stifter ihrer Schule verehrten, und
welche keine andere geschichtliche Urkunde seiner Philosophie be-
-"ii. doch sicher das höchste Interesse haben müssen. Man
müsste daher erwarten, sie in den zahlreichen Schriften und Bruch-
stücken neuplatonischer Philosophen, die wir haben, erwähnt zu
linden: nur von Plotin gilt dies nicht, da er seinen Lehrer über-
haupt nie nennt, und die Kenntnis- seiner Ansichten auch nicht
erst einem Andern zu entnehmen nöthig gehabt hätte. Aber diese
Erwartung wird vollständig getäuscht. Abgesehen von der Theo-
dotusschrift Priscian's, deren Beziehung auf Ammonius Sakkas sich
uns bereits unerweislich gezeigt hat. wird auch nicht einmal eines
Werkes über die Leine dieses Philosophen gedacht. Porphyrius,
auf den Nemesius' Bericht über Ammonius zurückgeht (s. o.). nennt
in keiner seiner Schlitten und keinem seiner zahlreichen Bruch-
stücke einen Schüler des Ammonius. der über ihn geschrieben
hätte, und den Ammonius selbst auch nur im Leben Plotin's:
*) Philo-. .1. Gr. III b, S. << :;)ff.
306 K. Zeller.
r auch in Schrift, welche er nach 60 Jahre
- I . rwähnt er keiner solchen Dar-
u Anlass auch die von ihm berichtet n Verhand-
lungen zwischen den Schülern des Ammonius dafür geboten hätten,
und so wird: die Aussagen eines Ohrenzeug
fnhall seiner Vorträge zu vernehmen. Bei Jamblich
uns der Name des Ammonius oirg und auch in den
ausführlichen I bten über die psychologischen Annahmen
ler \ oi . die uns Sl obäus Ekl. 1. ; 358 926. 1056
bis 1068 von ihm erhalten hat, kommt er oichl vor; und doch
sind es gerade die hier besprochenen psychologischen Fragen, mit
denen nicht allein die Mittheilungen des Nemesius ül \ monius
sich beschäftig ndern die auch (nach Phot. L72b, I9ff. 461b,
1 f. I''. .i in Hierokles1 angeblich auf Ammonius zurückgehendem
Werk über die Vorsehung besonders eingehend besprochen waren.
Nicht anders verhält es sich mit Proklus. Auch er verweist nie
auf 'In- Schrift über Ammonius, <lie doch, wenn sie seinen Zeil
jsen Hierokles und Nemesius bekannt war. seiner umfassenden
Gelehrsamkeil unmöglich hätte entgehen können. Er wundert sich,
dass Ol . der Mitschüler Plotin's, von dem Einen des
kens und Seins nichts wisse7); wie sich Ammonius in seinen
Vorträgen dazu verhalten habe, sagt er nicht. Ebensowenig be-
rücksichtigt einer von den neuplatonischen Erklärern des Aristoteles
dies« \ so wenig es auch. /.. B. in Simplicius' und Philo-
ponus1 Commentaren zu den Büchern von der Seele, an Geleg
heil dazu gefehlt hätte. Nicht einmal Hierokles und Nemesius
berufen sich auf sie: weder dieser noch jener sagt uns, w <in er
seine Kenntniss der Lehren verdankt, die er Ammonius zuschreibt.
Die angebliche Aufzeichnung seiner Vorträge hat in den Schriften
der neuplatonischen Schul. • I sichtbare Spur zurückgelassen.
\\ ie wäre diess möglich, wenn diese Aufzeichnung schon seil Plo-
tin's Zeit vorhanden war? Mochte auch Plotin keinen Gebrauch
von ihr machen, so wäre sie doch für alle Späteren der einzige
bichtliche Bericht über die Lehre des Stifters ihrer Schule
DI ol. Plat II. 1 Anf. vgl. I'h. d. Gr. [IIb,
Ammonius Sakkaa urul Plotinus. 307
wesen; und dass auf einen solchen Berichl im Laufe von drei
Jahrhunderten von allen den Gelehrten, welche einander die I'
inen und die Geschichte dieser Schule überlieferten, kein einziger
zurückgewiesen haben sollte, oder dass uns alle ihre derartigen
Aeusserungen verloren gegangen sein sollten, isl doch höchsl un-
wahrscheinlich.
Dazu koininl aber, wie bemerkt, noch ein zweites. Dürften
wir Nemesius' Ausführungen c. •"> S. I29ff. M. auf Ammonius Sak-
kas zurückführen, so müssten wir schon diesem Philosophen, wie
oben gezeigl ist, mit Plotin's Psychologie auch die Grundlehre
seiner Metaphysik, die Lehre von der herabsteigenden Stufenreihe
der göttlichen Erzeugungen, und insbesondere von der Aufeinander-
folge des Nu- und der Seele beilegen, die hier (S. 135, 7) bereits als
etwas feststehendes und anerkanntes erscheint; und da- diese Lehre
eben nur dazu dienen soll, die Gesammtheil des Endlichen, bis zur
Materie herab, streng monistisch aus Einem transcendenten, in
seiner Unendlichkeit auch über den Nus hinausliegenden Princip
abzuleiten, so könnten wir uns nicht weigern, auch diese monistisch-
emanatistische Construction des Universums wenigstens in ihren
leitenden Gedanken für die Schöpfung des Ammonius 7.11 halten.
Allein Plotin's Mitschüler, Longinus und Origenes, können dies -
System noch nicht als das ihres Lehrers gekannt haben. Longinus
(b. Porph. Plot. 19) erklärt offen, dass er mit den meisten von
Plotin's Annahmen nicht einverstanden sei; einen Streitpunkt
zwischen beiden bildete (Porph. a.a.O. §18.20 u.a. vgl. Phil.
d. Gr. [IIb, 464f.) namentlich die Frage, ob die Ideen ausser oder
in dem Nus seien: jenes behauptete Longin im Anschluss an
Plato, dieses Plotin, für dessen System der Satz, dass die Well
der übersinnlichen Wesenheiten oder der Ideen im Nus befassl sei,
die grösste Bedeutung hat. Origenes Hess die Unterscheidung des
1 rwesens von dem Nus, und die bei Plotin daraus folgende, wenn
auch zunächst von Numenius übernommene, des Weltschöpfers
(der bei Plotin eben der Nus i-t vom höchsten Gotte uicht gelten
(Ph. d. Gr. Mb, 462f. vgl. 633,3). Diesen Schülern des Ammonius
waren daher gerade diejenigen Lehren, durch welche Plotin den
bisherigen Standpunkt der platonischen Schule überschritt, so fremd,
K. Zell
ilben sogar ausdrücklich entgegentraten. Baben aber
Männer in der Schule des Ammonius nichts von denselben
nommen, - ch nichl annehmen, dass sie diesem Philo-
sophen überhaupt schon angehörten. Wenn uns daher in der
Folge Darstellungen l u, in denen diese und die mit
ihn sammenhängenden Bestimmungen Ammonius Sakkas bei-
können diese Darstellungen nichl auf Quellen
beruhen, «reiche Ammonius1 Lehrvortrage ihrem [nhall nach treu
\\ iedergaben.
Blicken wir nun von hier aus auf die oben besprochenen
- Ilen des Priscian und Nemesius zurück, so machl der erstere
überhaupl nicht den Anspruch, < 1 i * ' Lehre des Ammonius Sakkas
wiederzugeben; hat sich uns andererseits gezeigt, dass der hei
hörige Abschnitl seiner Schrift die freie Bearbeitung eines Kapitels
aus Porphyr's 3ufj.ji.ix-a './-r^'v-v. ist, so kann man nur fragen, ob
diese von ihm selbst oder von einem Anderen herrührt; und da
spricht allerdings die Zusammenstellung von Porphyr's Schrift mit
Theodotus' Collectio Ammonii scholarum im Eingang seines Buchs,
wie bereits bemerkt wurde, für die Vermuthung, er habe Porphyr
nicht direkt, sondern durch Vermittlung der Collectio benützt,
deren Verfasser von seinem Lehrer Ammonius, dem Sohne des Her-
mias, einen an Porphj r anknüpfenden \ ortrag über das \ erhältniss der
Serie zum Leibe gehört und aufgezeichnet hatte. Es ist ja be-
kannl und es lag in der Natur der Sache, dass in diesen späten
Jahrhunderten das Lesen und Besprechen philosophischer Schrillen
im l nterrichl einen breiten Raum einnahm; ein Beispiel gibt
Porph. Plot. 1 I.
Nemesius betreffend habe ich schon S. 304 bemerkt, dass die
Vergleichung der zwei Stellen, in denen er Porphyr's jutt|j.ixTa
777 benützt hat, die Annahme begünstigt, diese Benützung sei,
wenn eicht bei beiden, jedenfalls bei der ersten derselben eine
blos mittelbare gewesen. Diese Vermuthung wird nun noch durch
einige weitere Anzeichen uuterstützt. Nemesius und Hierokles
sind die einzigen Schriftsteller, von denen un> bekannl ist, dass
^e über die Lehre des Ammonius Sakkas berichtel hatten, während
kein anderes Mitglied der neuplatonischen Schule, auch ihre
Lmmonius Sakl l Plotinus. 31 >9
grössten Gelehrten nicht ausgenommen, etwas über sie mittheilt.
Dieses weisl daraufhin, dass diese Lehre nichl zu dem Gemeinbesitz
der Schule und der Schulüberlieferung gehörte, sondern nur Einzelne
etwas von ihr zu wissen glaubten; und wenn uns nun als solche,
die diess glaubten, nur zwei gleichzeitig lebende Männer bekannt
sind, so spricht alles für die Vermuthung, der eine von
diesen habe sein Wissen dem andern zu verdanken gehabt. Dass
es nun in diesem Fall nicht der Vorsteher der platonischen Schule
in Alexandria von dem christlichen Bischof entlehnt haben kann.
sondern nur dieser von jenem, versteht sich zwar eigentlich von
selbsl : es gehl aber auch daraus augenscheinlich hervor, dass Ne-
mesius nur zweimal, aus Anlass besonderer psychologischer Fragen,
des Ammonius erwähnt, während Hierokles (nach Phot. 172a.
2ff. 173a, 32. 461a, 24ff.) diesen Philosophen ganz allgemein als
den Wiederhersteller der wahren Philosophie gepriesen, und das
ganze 7. Buch seiner Schritt von der Vorsehung der Siatpißr] rou
'.W'Kov.'vj gewidmel hatte. Entweder in einem Abriss seines
Systems, den dieses Buch enthielt, oder im Verlaufe der psychog-
nen Ausführungen, deren Photius 172b, 2011'.. 463b, 14 ff. er-
wähnt, mag Hierokles im Anschluss an Porphyr, aber unter Berufung
auf „die Lehre des Ammonius", d. h. die der platonischen Schule,
jene Erörterungen über das Wesen der Seele und ihr Verhält niss
zum Leibe gebracht haben, die Nemesius, wie ich annehme, von
ihm geborgt hat.
Für ein jüngeres Alter der Schrift, aus der sie Nemesius entnommen
hat. spricht auch seine psychologische Terminologie. Um den Gedan-
ken auszudrücken, dass die Seele trotz ihrer engen Verbindung mit
dem Leibe durch dieselbe keine Veränderung ihres Wesens und
ihrer Eigenschaften erfahre, nennt sie Plotin (z.B. 111,6,1 vgl.
S. 299) otüaÖTjs und r/.-yz- -.',;: dagegen wird, so viel ich sehe, jene
Verbindung von ihm nie als dz^yy-^; bezeichnet, so treffend auch
dieses Worl ausdrückt, dass die Vereinigung der Seele mit dem
Leibe uim mich des hier auch für die Neuplatoniker massgebenden
stoischen Sprachgebrauchs zu bedienen) keine ady/pais sei8). Fehlt
l eber die Begriffe dei itapcföeai;, [AZU« und &üy)ru3« und ihre An"
E. Zel:
aber diese Bezeichnung Plotin noch, so wird sie auch seinem Lehrer
hlt haben us dagegen bedien! sich neben dem dh
\ irli - . nicht blos S. 138, 5. 10. 11 1. 2 um
i rbindung der Naturen in < hristus, für welche di mel in
Chalcedon stellt war, Bondern auch um das Verhältniss des
zu bezeichnen, das jener, \\i<- er meint, so voll-
kommen anal S. L39f. Worte Porphyr's, von denen
ehen eigentlich a 3 und Leib, (die S
angeführten) trotzdem als ein Zeugnis* s Christenf - für die
Wahrheil der kirchlichen Christologie verwerthet Nach Nemesius
soll Ammonius Sakkas gelehrt haben S. 129, 1" - S. 4): Die
.',f-'j. können mit den Dingen svouaöat xadarcep td juvetpdapfisva
um :v7 pieveiv iaöy/o-za xai tzStacpdopa r.,.- ra -
(wie ausser einander befindliche Dinge); dauf^oTox jjva>xai -«)
<-)-.'. ij '>j/r( . . . dooy/u-os ;j. £ v ; • S. 131,4); tzacojxaTo;
■/-'j xs^cupTjxev <■<: ta auve^8otpu^va, (livouaa aöiacp&opo?
ta vz'j\yj-.r/. xoti t;> xaö eaurrjv Sv 8iaoa»Couoa u. s. \\ . (S. 133, 2,
wozu das oben, S. 303, aus Porphyr angeführte zu vergleichen \t
w i<' ja auch «las Licht in der Luft sei, ä.aoyy6xws Hpa xai xsr/u-
,"iv" S 134,2). Die gleichen Ausdrücke (inconfusi unita\ incon-
■ unitur et per totum diffusa est; incorporales esseni poribus
u unnit it r ,i iiiiimiit inconfusae; lux unitur acri sicut ea quat sunt
concorrupta et inconfusa manei ad eum) gebraucht Priscian indem
Abschnitt seiner Solutiones, der ebenso, wie der entsprechende des
Nemesius, auf Porphyr's „Vermischten Untersuchungen" beruht,
- 1. 1". •_'."». 30. 52,] Byw. Auch Hierokles kennl diese Termi-
dung auf die Anthropologie habe ich Ph. d. Gr. lila, I26f. I95f. gesprochen,
über Plotin'a Tl rie ebd. [IIb, 580f.
I • - • Gleichstellung von zwei bo verschiedenen Fragen, wie die nach
der Vereinigung einer menschlichen Seele mit einem menschlichen Leibe und
aach der Vereinigung eini r absoluten Persönlichkeil mit einer vollst
chlichen Natur, hal für uns allerdings etwas auffallendes; aber
äth uns den Weg, auf dem die Theologie des 5. Jahrhunderts zu ihren
christologischen Formeln gekommen ist. Dieser i>«'-iaiiil eben darin, <la>s man
timmungen, durch welche die Zeitphilosophie die Möglichkeil einer
.ii erklären suchte,
Anthropologie in die Christo
Ammooius Sakkas und Plotinus. '.\\\
uologie, w .mim er bei Phot. 172 a, 39, in seinem Abriss der „Lehre
des Amnionitis", ober den Zusammenhang der drei Klassen von
Vernunftwesen, die es gebe, bemerkt: sie seien /.war mit ein-
ander verknüpft, dcu7XUT0V 'J- ~"(i -'"•>'jZ' xal tfj 7//y/>/;>/
T7jv /.7T-) cpuoiv exut&v Btaxpiatv suvi^peiaöai. Als den l rheber
dieser Terminologie, welche erst bei den Neuplatonikern dann
bei den christlichen Theologen, dorl in der Psychologie, hier in
der Christologie, allgemein in Gebrauch kam. werden wir Porphyr,
die gemeinsame Quelle des Nemesius, des Priscian, und ohne
Zweifel auch des Hierokles, anzusehen haben10); so dass dem-
nach in der christologischen Formel des Concils von Chalcedon
das axpsTrceus schliesslich von Plotin, das acruYxuTtus von Porphyr
herstammt.
Nach allem diesem scheinl es sich mit den Schriften, die uns
bisher beschäftigt halten, so zu verhalten. Porphyr hatte in seinen
„Vermischten Untersuchungen" Plotin's Bestimmungen über das
Verhältniss der Seele zum Leihe in einer seihständigen Bearbeitung
wiedergegeben, von der wir werden annehmen dürfen, dass sie, wie
andere Arbeiten dieses Philosophen, die eigenen Ausführungen
seines Lehrers an Fasslichkeit und Uebersichtlichkeil übertraf.
D se Darstellung fand bei den späteren Neuplatonikern solchen
Beifall, dass sie dieselbe ihrer Behandlung des gleichen Lehr-
stücks mit Vorliebe zu Grunde legten. An sie hielt sich Hierokles
in seinem Abriss der neuplatonischen Lehre, oder wie er sagt:
10) Das Wort '/.TJyyjTo;, vielleicht stoischen Ursprungs, finde! sich, wie-
wohl nicht oft, auch bei Plutarch und Anderen, (so auch non confusus bei
tull. adv. Prax. 27) aber die combinirte Formel: oh'jyy/JTU); Ivoüa&ot, Ivuist;
dauy^UTOs, und ihre Anwendung auf die Einheit von Seele und Leib, scheint
nicht vor Porphyr vorzukommen. Den Stoikern, welche die Seele für ein
Feuer oder Pneuma hielten, konnte zur Bezeichnung ihres Verhältnisses zum
Leibe der Begriff der |J.t;'.: und das stehende Beispiel derselben, das glühende
Bisen, genügen. Die Neuplatoniker dagegen mussten sich bei ihrem spiritua-
listischen Dualismus und ihren Bedenken gegen die Durchdringung der Kör-
per (Plot. IV, 7) nach anderen Bestimmungen umsehen; wesshalb denn auch
Porphyr (s.o. S. 303) die seinigen nieht allgemein für die oöofott sondern nur
für die voijtd gibt
phie. vii. 22
K. .
der Lehre des Ammonins Sakkas; and ebenso 50 Jahre spater
a Hermias Sohn in den Lehrvorträgen, die Theo-
:> oiederechrieb. Jener ist von N riua, - sind von
Priscian benutzt worden. Dass i rinn,, \,,n diesen Schrift-
lern ein Werk vorlag, in dem ein personlicher Schuler des
Ammonius Sakkas über die Lehre desselben berichtel hatte, 1
sich nichl annehmen.
XII.
Aus dem Leben des Cynikers Diogenes.
Von
II« ■ rill a im Diels in Berlin.
..Aus der Jugendzeit des Diogenes wissen wir nichts weiter
als dass er aus Sinope gebürtig war. dass sein Vater Hikesias
Wechselgeschäfte trieb und den Sohn früh zu demselben Geschäfte
anhielt. Der Vater scheute sich nicht neben dem Geschäfte des
Wechslers auch das eines Falschmünzers zu betreiben und den
Sohn in dasselbe hei Zeiten einzuweihen. Diesem scheint nun
freilich gleich anfangs nicht ganz wohl zu Mute gewesen zu sein
hei dieser geheimen Hausmünze, aber er beruhigte sich darüber
und hatte später sogar die Schwäche, sein Gewissen auf eine wahr-
haft perfide Weise durch jesuitische Auslegung eines Götteraus-
spruchs zum Schweigen zu bringen. Als fertiger Falschmünzer
kam er nämlich auch nach Delphi in den Tempel des Apollon.
Dort hätte er sich nun. als er in den Vortempel trat und die
Sprüche überlas, die dort standen, an den klaren Spruch: „Erkenne
Dich selbst" halten sollen; aber sein Leichtsinn mit dein Humor
-•paart, der ihm von jeher eigen war, haftete mit Vergnügen auf
.1 doppelsinnigen Spruche „Auf die Münze präg" den eignen
51 mpel". Er überredete sich der Spruch enthalte eine offenbare
Billigung seines Falschmünzergeschäftes und so durch seine falsch-
münzerische Interpretation *\*'> Götterspruches scheinbar beruhigt,
kam er wieder nach Sinope und münzte mit -einem Vater fort,
bis die Strafe über beide hereinbrach. Der Vater starb im Ge-
fängnis, der Sohn suchte das Weite; die Achl ward über dem Flie-
henden ausgesprochen, der sich nach Athen wendete."
■>■)*
:;i | ü .• ! m
AJso lautet ungefähr der Roman, den Göttling, der Biograph
. \..n dessen Jugendleben zu berichten weiss Sehn-
lich, nur etwas confuser erzählt Laertios I1 s, und ähnliches
müssen auch bereits die alexandrinischen Litteraten gefabelt haben.
Nun i>t es ja heutzutage unzweifelhaft, dass weder im Tempel
zu Delphi noch ZU Del08 der Spruch -nyjyiyj-'.; -
standen haben kann. <la er in seiner eigentlichen Bedeutung sinn-
los und in übertragener jedenfalls für * 1 1 * - heiligen Stätten, die
(itzer und Bewahrer d< - len
davon, dass eine solche Sentenz vor « l«'in fünften Jahrhunderte
überhaupl undenkbar wäre und van/ abgesehen von den metrischen
Spielereien, die Göttling'), nicht zu seinem Ruhme, mit den an-
geblich Pythischen Sprüchen getrieben bat. Aber der Kern der
Erzählung, dass der Cyniker in seiner Jugend Falschmünzer
wesen sei, wird trotz der scharfsinnigen Bedenken, die bereits
Steinhart , dagegen vorgebrachl hatte, :h immer aufrechl erhal-
ten; wie ich glaube, mit Unrecht.
Zunächst ist es lediglich eine Vermutung Göttlings, dass jener
Falschmünzerspruch zu den altberühmten, in der Vorhalle zu Del-
phi angeschriebenen, gehöre. Vielmehr behauptet die alexandri-
uische Biographie, von der Diokles Laertios . Julian und Suidas
abhängig sind, ausdrücklich, der Orakelspruch sei dem Diogenes
persönlich auf seine Anfrage erteilt worden. Diokles bringt nun
in dem Wirrwar streitiger Nachrichten über die angebliche Falsch-
münzerei des Diogenes "der seines Vaters, die wertvolle Notiz, dass
Diogenes sich selbst in seinem Dialoge Pordalis4) zur Falschmün-
l) I du Philosophü des griechit /' lariats in
Abhandlungen aus •!< m class. Altertum I (Halle 1851 251 ff.
a. 0. S. 221 tl'.
3) Ersch u. Gruber Encyclop. S. I. B. \\\ 1834 -
Laert. VI20 iv t(j! IlopSdXet. Die 1 1 < 1 — . . hier rcop8cEXq>. Das rieht
WCii gibt der K D Schriften zweimal § su als [lcEpfaXtc,
aeben dei Form - tltdialectische, vermutlich äolische Nebenfi
stehen bleiben kann. Welche Symbolik Diogenes an den Namen
fleckten Bestie geknüpft hat, weiss ich nicht, aber dass der Titel wirklich di
mein dei Dialoge \/< i ; K im K i
taloj
iua dem Leben des Cynikers Di i'.l 5
zerei bekannt habe (u>s irapa/apaSott r& v<5|iiop.a). Dies Bekenntnis
scheint mir eine andere als die wörtliche Erklärung nichl nur zu
tatten, sondern zu fordern.
Verstehen wir nemlich «lies Sündenbekenntnis wörtlich, so
mag ja das Prahlen mit Dingen, die nach der gewöhnlichen Moral
infam, Dach der cynischen Adiaphora sind, der Persönlichkeit des
Diogenes zugetraut werden, alter anverständlich wäre dann die
Verbindung mit dem delphischen Gotte, zu der ja doch diese in
Sinope begangenen Jugendsünde gar keine Veranlassung gab, in
der antiken Biographik. Wir werden daher jene Selbstbezichtigung
i twas anders verstehen müssen.
Wie Sokrates sich als Sohn einer Hebamme der Maieutik
rühmte und zur Bestätigung seines Berufes sich auf den delphi-
schen Gott berief, der ihn durch das Orakel ik'+ Chairephon wie
durch den alten Spruch Vviofa ueautov, zur Selbstprüfung und Men-
schenprüfung autorisirt habe, so wird Diogenes, die Caricatur des
rates, sich mit Beziehung auf den Beruf seines Vaters, des Tra-
peziten Bikesias mit seiner Falschmünzerei aufgespielt haben, die er
im Auftrage des Pythischen Gottes treiben müsse. Er wird es als -eine
heilige Aufgabe hingestellt haben, das Naturgesetz an die stelle der
Menschensatzung, das Wissen an die Stelle des Glaubens, die Phi-
losophie an die Stelle der traditionellen Bildung zu setzen, mit
einem Werte: die gültige Moral umzuwerten. Trapcc^apa&at xh vou.i<jfia.
Das isl das Schlagwort des Cynismus, ja man kann sagen der
. izen Sokratik. So hat das Worl schon Julian verstanden und
mit Sokrates in Beziehung gesetzt5), und offenbar schwebte es auch
5) Or. VII p. -11 I! xl os etrav 6 &e<$s äp t(J|J.ev; Sti ttjs täv noXXtBv aotqi
h'j'-r^ i-zrrj.;z-< bmpopäv v.al itapayopcrtreiv oO t))v dX^detav dXXd rö •<r'j\v.-j\i.%
(=Td voptiCrffieva p. 211c) und VI p. 188Dff. vergleicht er in dieser Beziehung
schauung des Sokrates (Kriton p. 44c). Auch die alten Biographen
halten teilweise noch die Ahnung des wirklichen Sachverhaltes Laert. VI 20
toü ii ~yj-; /<>i', it lavto; tö icoXitixov v<5{j.iapia, ob aovefc, rö v.i'/yx IxtßS^Xeuae, wo
das Misverständnis i yniker selbsl in die Schuhe geschoben wird, einfäl-
. Verständig dagegen Diokles (denn M-inc Art spricht sich hier i
\'l 71: roioüta ' tevo« Eteiske) xcd zotüv, StpafosTo ö'vtid; v(5(Aiap.a
icapayapdrTuiv ;",":' oStcu tot« xaxd v<$pwv tu? toi« xaxd tpüdw 5t5o6?. Was das
Wort nap«rj(opdTT€iv betrifft, so beisst es allerdings gewöhnlich die Münze t'al-
:\\i\ an Diels, Aas den i des Cynlkers D
Friedrich N tzsche noch von Beinen Laertiosstudien her vor der
- le, als er dii - sse moralische Revolution, <li'' nach Beiner
Meinung durch Sokrates and die Juden hervorgerufen worden ist,
al> „Umwertung der Moral" bezeichnete, die nun »einerseits wieder
auf ili'- richtige Währung „jenseits von Gut und Böse" zurück.
_• werden mtU
:■/, kann aber wie i« zunächsl nur die oeul
Bed '■'. durch A.nwi - /^/:
rn, habi tardner I v VII, 1893, S.
XIII.
Aus der Zeit der Spinoza-Studien Goethe's.
Von
Wilhelm Dilthey in Berlin.
Im Goethe-Archiv fanden sich oeuerdings drei zusammen^
hörige Bogen vod der Band der Frau von Stein. Sie enthalten
einen kleinen Aufsatz, dictiri und mit augenscheinlicher Beziehung
auf Spinoza. Suphan hat diesen Aulsat/ im Goethe-Jahrbuch (1891)
unter dem obenstehenden Titel herausgegeben und mit einer ge-
schichtlichen Erläuterung begleitet. Nun ist er auch in die Wei-
marer Goethe -Ausgabe aufgenommen.
Deber den Verfasser und die Zeit dieses Aufsatzes konnte
unter Goethe-Kundigen kein Zweifel sein. Wir wissen, dass Goethe
im Winter 1784/85 zuerst den Spinoza gelesen hat1). Er las
ihn gemeinsam mit Frau von Stein. Er suchte zur seihen Zeit
in Gesprächen mit Berder sich philosophisch mit Spinoza ausein-
anderzusetzen. Hierzu hatte ihn die vertrauliche Mittheilung des
I ssing'schen Gesprächs durch Fr. H. Jacobi und dann dessen Be-
such im September 1784 angeregt. Dass diese Anregung ein an-
haltend.'- metaphysisches Interesse für Spinoza zur Folge hatte,
war tiefer durch das voraufgegangene und auch damals fortdauernde
Symphilosophieren mit Herder bedingt. Auf den so vorbereiteten
Boden fiel der Eindruck aus der Lektüre Spinoza's. Diese Lek-
türe war schon Mitte November in vollem Gang. Am 11. No-
vember 1784 schreibt Goethe an Knebel, da>s er mit der Frau
von Stein Spinoza's Ethik lese, und er ii'i-t hinzu: ..Ich fühle mich
_■!. u. u. den folgenden Brief Herders an Jacobi 20. Di
318 Wilhelm Diltb«
ihm sehr nah.-. < . t .;_rl . • i <•] i -.in (i.i-t viel tiefer and reiner im als
der mein ig Sie lasen zunächst die deutsche U< ang, dann
brachte Goethe aus Jena ein geliehenes Exemplar des lateinischen
Spinoza mit, and zu Weihnachten 1784 erhielt er von Herder aus
Bibliothek einen lateinischen Spinoza zum Geschenk,
schreibl Herder 20. Dezember 1784 an Jacobi, ..hat
seil I>u weg bist, den Spinoza gelesen, and es ist mir «'in grosser
Probirstein, dass er ihn ganz - standen, wie ich ihn verstehe.0
Dnd Goethe selbst schreibt am 12. Januar 1785: „Ich lese und
ilm wieder." In dieser Bpoche hat zweifellos Goethe der
Frau v. Stein den Aufsatz dictirt. Dass ihn Goethe verfast
dass er ihn damals verfasste, dafür sprechen, neben den angej
benen ooch andere äussere [ndicien, welche alle Suphan in seiner
Erläuterung sorgfaltig zusammengestellt hat; es wird aber auch
bestätigl durch innere Merkmale des Styls, der seelischen Stim-
mung sowie des Verhältnisses der hier geäusserten Gedanken zu
den Dichtungen Goethe's aus der entsprechenden Bpoche; dies \ - ir-
hältniss wird sich im Folgenden ergeben.
So entstehl die Aufgabe, das merkwürdige Dokument Ihr das
Verständnis^ Goethes zu verwerten. Da das niemand bisher >
-ncht hat. möchte ich zu einer solchen Verwertung durch die fol-
genden Bemerkungen anregen. Mehr als das beabsichtigen diese
Bemerkungen nicht, [ch lasse nun zuerst, am mich verständlich
zu machen, den Aufsatz selbsl folgen und füge nur Ziffern zu den
einzelnen Sätzen hinzu.
Der Ä.u f 8 at z ' 1 o e th eJ s.
i Der Begriff vom Daseyn und der Vollkomenheit i-t ein und eben der-
Ibe; wen wir diesen Begriff so weil verfolgen als es uns möglich isl
■■li wir dass wir uns das Unendliche dencken.
Das Unendliche aber oder die volständige Existens kau von uns nicht
dachl werden;
Wir können nur Dinge dencken die entweder beschränckl sind
die sich unßn beschränkt. Wir haben also in so fern einen Begriff
i \ Unendlichen ;il- wir uns dencken können ila-- es eine volständige
be welche aufer der Faßungsk rafft eines beschräncktei
d.
m in kau nicht sagen dass das Unendliche Theile habe.
Aus der Zeil der Spinoza-Studien Goethe's. 319
Alle beschränkte Existenzen sind im Unendlichen, Bind abei keü
Theile des Unendlichen sie nehmen vielmehr Theil an der Unendlichkeit. '
Wir können uns nichl denken dass etwas Beschräncktes durch sich 8
selbsl existire, und doch existirl alles würcklich durch sich selbst, ob gleich 9
die Zustände so verkettel sind dass einer aus den andern sich entwickeln io
dquss und es also scheint dass ein Ding vom andern I t werde, n
welches aber nichl ist; sondern ein lebendiges Wesen giebl dem andern 12
Aula-- u seyn und nöthigl es in einem bestimmten Zustand zu existiren. 13
Jedes existirende Ding hat also sein Daseyn in sich, und so auch die 11
Uebereinstimmung nach der es existirt.
Das Messen eines Dings isl eine grobe Handlung, die auf lebendigi
Körper nicht anders als höchst unvolkommen angewendet werden kau.
Ein lebendig existirendes Ding kau durch nichts gemessen werden was
aufer ihm ist, sondern wenn es ja geschehen solte, müfte es den Maasstab
seihst da/u bergeben, dieser aber isl höchsl geistig und kau durch die
Sinne nicht gefunden werden; schon beym Zirckel lässl sich das Maas de
Diameters nichl auf die Perieferie anwenden. So hat man den Menschen
mechanisch meßen wollen, die Mahler haben den Kopf als den vornehmsten
Theil zu der Einheil des Maafes genommen, 1 - lässl sich aber doch das-
selbe nicht ohne sehr kleine und unaussprechliche Brüche auf die übrigen
Glieder anwenden;
In jedem lebendigen Wesen sind das was wir Theile nennen dergestall
unzertrennlich vom Ganzen dass sie nur in und mit denselben begriffen
werden können, und es können weder die Theile zum Maas des Ganzen 17
noch das Ganze zum Maas der Theile angewendet werden, und so nimt
wie wir oben gesagt haben ein eingeschränktes lebendiges Wesen Theil 18
an der Unendlichkeit oder viel mehr es hat etwas unendliches in sich, wen ig
wir nicht lieber sagen wollen dass wir den Begriff der Existens und der Vol-
kommenheit des eingeschränektesten lebendigen Wesens nicht ganz faßen 19
können und es also eben so wie das Ungeheure Ganze in dem alle Exi-
stenzen begriffen sind, für unendlich erklären mäßen.
Der Dinge die wir gewahr werden ist eine ungeheure Menge, die Ver-
hältuille derselben die unsre Seele ergreifen kau sind äuferst manigfaltig
Seelen die eine innre Krafft haben sieh auszubreiten, langen an zu ordnen
um sich die- Erkentniss zu erleichtern, fangen an zu fügen und zu verlan-
den um zum Genuss zu gelangen.
Wir müssen also alle Existens und Volkommenheit in unßre Seele y\'\-
gestalt beschräneken dass sie unßrer Natur und unßrer Art zu dencken und jt
zu empfinden angemeßen weiden: dann sagen wir erst dass wir ein -
begreifen oder sie g<
Wird die S q Verbältniss gleichsam im Keime gewahr deßen Har-
monie wen sie ganz entwickelt wäre, sie nicht ganz auf einmahl überschauen 22
oder empfinden könte, so nennen wir diesen Eindruck erhaben, und es ist
der herrlichst.' der einer menschlichen Seele zu theile werden kau.
Wen wir ein Verhältniss erblicken welches in seiner ganzen Entfaltun
Wilhelm Dilthey,
a hinreicht,
Eindrucl
Bindruck ab? irohl ein - in
• r nur aus i!
■\alir und 9 theilfi :mf
und in
• zu uni rer ifen
in u.
•
' iiihI nunmehr den Ki>
ken, u "riu Bie ein
können, für da te halten, ja man wird d
thi ich nicht
und ii aschlicher I » i 1 1 ^ • uni
mit einem zun i< ^ I i 1 1 o i < I ansehen
aheil i n trotzig merken laßen d im Wahren i
runden welche über allen Bi ind Vers!
ii nichl the Ruhe und 1 üh-
len und diese Glückseeligkeil einem jeden als das lei ten.
Da Bie aber weder klar zi ken im Stande Bind auf welchem W<
zu dieser Ueberzeugung gelangen, mich was eigendlich sel-
bigen idern bloss von Gewissheit als ( sprechen, so bleib!
auch dem lehrbegierigen wenig Trost bey ihnen indem er immei
muss, das Gemahl müße immer einfältiger und einfältiger w< sich nur
auf einem Punckl hinrichten, Bich aller manigfaltigen Verwirrenden Verhält-
niße entschlagen und nur alsdenn könne mau aber auch um desto sich
in einem Zustande Bein Glück finden, der ein freywillig :henck und
ein ' labe l •
Nun mögten wir /.war nach äußrer Art zu dencl ränekung
e nennen weil ein Mangel aichl als eil len
kau, wohl aber mögten wir es als eine Gnade der Natur ansehen da
da dei Mensch nur meist zu unvolständigen Begriffen langen im
inde ist, sie ihn doch mit einer Bolchen Zufriedenheil in -
rgl bat.
Goethes Pantheismus in seiner Ausbildung vor der
\\ e i iii;i rer Ze it.
ethe hal zu jeder Zeil seines Lebens bezweifeil . dass ein
allgemeingiltige8 metaphysisches System im Bereich menchlichen
Erkennens liege Er sonderte Btets ein Qnerforschliches von dem
was wir denkend erreichen können. „Der Mensch isl nichl geboren
Las der Zeit der Spinoza- Studiei 321
die Probleme der Well zu lösen, wohl aber zu Bachen, wo das
Problem angeht, und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen
zu halten"'). Die Energie, mit der wir ans dem Dnerforschlichen
in der Sphäre des Begreiflichen nähern, isl bedingt durch den Zug
in ans, im Bandeln and Bilden zu ihm in Beziehung zu treten.
Durch das Leben seihst erfahren wir am besten was an ihm sei.
Wie er in die männlichen Jahre kam, dehnte sich ihm die Sphäre
des Begreiflichen, Fassbaren, dessen was wir langen und erreichen
können, weiter aus. Im Ahn- gewann «las Gefühl der Unerforsch-
lichkeil des Wirklichen wieder mehr Macht über seine Seele. Wie
dies der natürliche Gang der Lebensalter ist.
Alter dies lebendige Sinnen und Denken über die Natur und
den Menschen war von einer Grundstimmung getragen, welche
seinem dichterischen Naturell entsprang. Das lebendigste Gefühl
des eignen inneren Zustandes war immer in ihm. Dasein und
Lebensgefühl desselben waren in ihm ungetrennt. Wo das freu-
dige Bewusstsein seiner Selbst gehemmt war. da war mitten im
Schmerz die Zuversicht, dass die Dissonanz sich lösen müsse. Alles
was er darstellte war Zustandsbild, Lehen, das auch durch Schuld
und Kampf zur Läuterung und einem verklärteren, milderen, von
Resignation erfüllten Glückszustand führt. So war ihm auch die
Welt immer vom Licht der eigenen Lebensfreudigkeit bestrahlt.
Die sinnliche Schönheit alles Wirklichen empfand er beständig.
Wirklichkeit war ihm so der Sitz der Vollkommenheit. Er suchte
keine vollkommene Welt ausser der. von welcher er ein Theil
war. Sir erschien seinem Dichtergeiste als höchst lebendig, schön,
unerforschlich. Diese Gemüthsverfassung und ihre Darstellung in
einem Weltbild während dieser versehirdenen Stadien nenne ich
seinen Pantheismu-.
Das älteste Dokument seiner Weltansichl sind die Epheme-
riden, sein Tagebuch von 177n. l. Es zeigl mannichfaltige Lek-
türe von Schriften, welche der Menschenkenntniss dienen konnten.
ein besondres Intere>se für das Onausschöpfbare des Lebens, für
Mystiker wir Agrippa und Paracelsus. Kr notirt aus Cicero: ..und
■0 Eckermann I 156.
322 Wilhelm Dilthey,
da Alles durchdrungen und erfüllt von ewigem Sinn und gött-
lichem Geist ist, müssen durch die Verwandtschaft mit den gött-
lich stern auch die Mensch« • Alles
M\- - lit ihn an. l>a fuhrl ihn nun aber Bayle auf Gior-
dano Bruno, und er vertheidigl eine von Bayle citii
•i der Renaissam q den Philosophen der Zerrissen-
heit. ,Das Eine, lendliche, das Seiende und das was im Gan-
und durch das Ganze hin ist, daa ist dasselbe überall. Daher
die unendliche Ausdehnung, weil sie keine Grösse Ist, mit dem In-
dividuum zusammenfallt. \\ rie ja auch die unendliche Vielheit, w « - i 1
sie keine Zahl ist, mit der Einheit zusammenfallt.'4) Er selbst spricht
sich emanatistisch oder pantheistisch aus. .Getrennt über Gott und
über ili'' Natur der Dinge handeln ist schwierig und gefahrlich,
wie wenn wir über Körper und Seele einzeln denken. ImV Seele
erkennen wir nur vermittelst des Körpers, Gott nur durch den
Einblick in die Natur. Daher scheint mir thöricht, die der Thor-
heil zu zeihen, welche acht philosophisch Gott mit d< r Well
knüpft haben. Denn Alles was ist muss zum Wesen Go1
hören, da Gott das einzige Wirkliche ist und Alles umfasst.' Das
ganze Alterthum isl für Goethe Zeuge dieser Denkart, er bezeichnet
sie als Emanatismus, wie dieser ja auch thatsächlich zum Pan-
theismus hinüberführt, und er beklagt nur. dass ,dieser so reinen
Lehre im Spinozismus ein so böser Bruder erwachsen ist', wobei
er offenbar wiederum aus Bayle seinen Begriff von Spinoza
schöpft hat. Die Weltseelen-Lehre der Stoa, der Naturalismus des
Lucrez, insbesondere aber der Pantheismus des Bruno klingen in
dieser Ansicht an.
Das zweite Dokument ist der Wert her. Sehen 177*_' schrieb
Goethe: „was die Natur uns zeigt, ist Kraft, die Kraft ver-
schlingt; nichts gegenwärtig, Alles vorübergehend, tausend Keime
zertreten, jeden Augenblick tausend geboren, gross und bedeutend,
mannigfaltig in's Unendliche, schön und hasslich, gut und böse,
alles mit gleichem Recht aeben einander. Die Kunst entsprii
\us Cic. de divinatione.
• De la causa, prin aemiale epistola.
Aus der Zeil der Spinoza -Studien Goethe 323
aus den Bemühungen des Individuums, sich gegen die zerstörende
Krafl des Universums zu erhalten." Der ganze Werther 1771. ist
dann aufgebaul auf das Princip der Natur im Gegensatz zur Con-
vention, fn diesem isl aber die Zusammengehörigkeil der Menschen
untereinander und mit dem unermesslichen Naturganzen enthalten.
Die Heimlichkeil der Einschränkung des Daseins, das befriedigte
Gefühl der Enge des Lebens, in welchem wir uns doch von dem un-
ermesslichen Ganzen, wie von einem Horizont umgeben und zu ihm
hingezogen finden: das ist der Grund-Akkord, mit welchem da-
Werk anhebt. Man kann sagen, dass das Verhältniss der einge-
schränkten Intelligenz zum Universum bei Goethe nur der Reflex
dieses Lebensgefühls in der Sphäre des Erkennens ist. „Die thätigen
und forschenden Kräfte des Menschen sind eingesperrt." „Alle
Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschens ist nur eine
träumende Resignation, da man sich die Wände, zwischen denen
man gefangen sitzt mit bunten Gestalten und lichten Aussichten
bemalt." (Werther I. Buch 22. Mai.) So entstellt mitten im heim-
lichen Gefühl des nächsten Zusammenhangs mit der nächsten Natur
das Streben, das Unendliche sich anzueignen. „Wie oft habe ich
mich mit Fittichen eines Kranichs, der über mich hinflog, zu dem
Ufer des ungemessenen Meeres gesehnt, aus dem schäumenden Becher
des Unendlichen jene schwellende Lebenswonne zu trinken und
nur einen Augenblick in der eingeschränkten Kraft meines Busens
einen Tropfen der Seligkeit des Wesens zu fühlen, das Alles in
sich und durch sich hervorbringt."5) Dann am 18. August: Dies
Unendliche ist nicht ein Jenseitiges, sondern ..das innen' glühende,
heilige Leben der Natur" selber, „die unendliche Welt". Und sie
wird nach dem (leset/. Arv eigenen Phantasie als Quellen, als Kei-
men, als ewiger Wechsel, Gebären und Vernichten aufgefasst. Ja
unter dem Druck des Leiden- erscheint dasselbe Universum natu-
ralistisch als „ewig wiederkäuendes Ungeheuer", welches vordem in
der freudigen Kühe der Anschauung pantheistisch als göttliches Le-
5) \ ftesbury II. S. 429. Wie oft macht ich nicht den Versuch, wie
"ti \\;i'_rt ich mich mil schnellem Schwünge in den tiefen Ocean der Welten.
i 127. Vollkommen bol dieser Grundstimmung Faust, Spatziergang.
324 Wilhelm
ben sich darstellte. Aue - Grundgeiuhl stammt der Protest
Transcendenz im Prometheus, durch dessen Leetüre
Leasings Bekenntniss zu dem ,Eins und Alles1 im Gespräch mit
sst wurde. Aus ihm ist gleichzeitig mit dem Werther
dei schrieben worden. Darin in Einem gros«
Win! die Verkündigun emanatistisch angeschauten Alleinen
.. \\ ie Alles sich zum Ganzen webl vgl. das Religionsgespräch),
gleich aber die Darstellt! - Unvermögens der menschlichen
Erkenntniss, auch nur die Kraft, die das Brdganze durchwaltet, zu
stehen (Weltgeist, Erdgeist und Faust).
Der A u fs atz N at u r.
Das nächste Dokument ist der Aufsatz Natur, welcher 1782
im Tiefurter Journal erschien.
Nachdem dieser Aufsatz lang -und höchster Bewun-
derung und eine Hauptquelle für die Entwicklung der Naturansicht
gewesen ist, erfahren wir durch die scharfsinnigen Aus-
einandersetzungen Rudolf Steiner's, von welchem wir auch die bei-
den musterhaften Ausgaben der naturwissenschaftlichen Schriften
fche's besitzen, dass derselbe höchst wahrscheinlich von Tobler
nach Gesprächen Goethe's im Sommer 1781 niedergeschrieben ist.
Tobler war im Sommer 1781 in Weimar. Er genoss als philosophi-
scher Kopf da ein ausserordentliches Ansehn. Goethe hatte ..mit
ihm über diese Gegenstände oft gesprochen". Er führte offenbar
selbst auf diesen intimen geistigen Verkehr mit Tobler den Inhalt
Aufsatzes zurück und fand nur. dass er selber dem Aufsatz
vielleicht diese Leichtigkeit und Weichheit nicht hätte geben können.
Im Uebrigen müsste Tobler als Verfasser die-- Aufsatzes auch sti-
listisch sich ganz nach Goethe geformt haben, dessen Einfluss auf
Beine I mgebung damals ja ausserordentlich war. Nun muss aber ein
ander,- Moment hinzugenommen werden, das Steiner nicht berück-
sichtigt hat. Tobler als Verfasser des Aufsatzes muss zunächst
\"ii der Rhapsodie Shaftesbury's inspirirl gewesen sein. I ml so
ergiebt -ich als wahrscheinlichste Annahme, dass Tobler nach dem
Vorbild der Rhapsodie von Shaftesburj einen Hymnus auf die
Ahn iI.t Zeil der S Studien Goethe :'r_'."i
Natur abfasste and in demselben die verwandten und ihm ver-
trauten Goethe'schen Anschauungen vereinigte.
Suphan hat bereits feinsinnig mehrere Berührungen des Auf-
satzes Natur einerseits mii Shaftesbury, andererseits mit Herder her-
ausgehoben.6) Shaftesbury hat aber iiberhaupl auf dies ganze ästhe-
tische Zeitalter, auf Wieland, Herder, Goethe und Schiller einen Ein-
fluss geübt, welche!- dem von Spinoza ganz gleichwerthig gewesen
ist. Heide Denker leiten dann aufGiordano Bruno zurück. Herder
hatte auf die hier entscheidende Partie in Shaftesburj Rhapsodie
frühe seine Aufmerksamkeit gerichtet. Befindet sieh doch seine
dichterische Behandlung dieser Partie, der Lobgesang auf die Natur,
schon in dem „Buch der (irälin" von 1773 handschriftlich, sonach
fällt die Aufnahme des Pantheismus von Shaftesbury in Her-
der's Gedanken vor die Einwirkung Spinoza's auf ihn.
Der Einheitspunkt so verschiedener Einwirkungen liegt in
Shaftesbury's Auffassung der Natur unter dem Gesichtspunkt
des künstlerischen Vermögens. Die ursprüngliche allverbrei-
tende, alles belebende Seele des Universums, das unermessliche We-
- . das durch ungeheure Räume eine unendliche Menge von Kör-
pern ausgestreut hat, wirkt in ihnen als eine künstlerisch bildende
Kraft. Hierdurch ist die von Shaftesbury angewandte Personifica-
tion der Natur bedingt. Er redet sie an. Darin folgt ihm der
Naturhymnus.
Ich hebe nun einige Belege für die Uebereinstimmung zwischen
Shaftesbury und dem Aufsatz über die Natur aus meiner Samm-
lung heraus. Herder hat dann den Aufsatz Natur immer zur
Hand gehabt und benutzt; durch ihn wirkte zunächst Goethe auf
ihn. dann trat für die Kenntnis* der einzelnen in der Technik der
Natur enthaltenen Verfahrungsweisen seit August 1783 die vertraute
Freundschaft mit Goethe hinzu. Ueber das Verhältnis- Schiller's
zu Shaftesbuy werde ich an andrer Stelle handeln.
6) Suphan: Goethe und Spinoza S. 13. 26, ders.: Goethe und Herder in
der D. Rundschau S. 69. Ders.: in der Anmerkung zu Herder's Werke B.22
S. -"'00 vergl. B. 12 S. 130. Lei i [täte waren mir entgangen, als ich Ar-
chiv Q,45 auf dir Verwandtschaften einzelner Stellen aufmerksam machte.
Wilhelm Dill
hlichkeit der Natur.
»D< un-
lieb. In
-ich
alle !n' ich
nicht d< \ will, w'n- oft wagt' ich
schnellem Schwünge io den
sobald
ktli r ich nicht in mich selbst zurü
■
'■'• ii-. und der Fülle
tdli< Ihm. aich
nicht länget \\
in den fürchterlichen Abgrund
schauen, 01
zu ergründi S. '< -
In einer l n< odlichkeit von Din-
lie in wechselseitig B( i iehung
unter einander stehen, kann i in i leist,
der nicht die Dnendlichkeil durch-
schaut, unmöglich etwa- völlig sehen.
S. lölff. 157.
Näherer Beweis : 1 unsre Kennt-
ni-- der Bewegungen reicht nichl in's
Innen dei Körper, 2 die Zeil i-t als
unmerklicher Punkt für unsere Fas-
ii klein. als Ewigkeil ü
schreitet sii .;>.-. 3 Di i Raum
ülerfüllenden göttlichen
Wesens Newton ist ein Abgrund für
die Erkenntniss. 1 Wie Gedanke aus
Materie und Bewegung oder diese
Gedanke entspringen könne, ist uner-
forschlich.
über die Natur.
itut ' Wir Bind V"n ihr umgeben
und umscblu unvermögend, aus
ihr In ra . und um ml.
ukommen.
\\ ir leben mitten in ihr uud sind
ihr fremde. t unaufhörlich
mit nn- und verräth uns ihr Geheim-
nis8 nicht. Wir w it auf
und ha' iit über
- ■ lebt in lauter Kindern, und
. wo i-t 5 - n keine
Sprache ihm I
.1- l. vi erscheint sie in
neu t i estalt. S -ich in tau-
l Namen und Firmen und ißt imo
Ibe.
Sie hüllt den Menschen in Dumpf-
heit ein und spornt ihn ewig zum
Licl - macht ihn abhängig zur
Erde, trag und Bchwer, und schüttelt
ihn immer wieder auf."
- hilderung der Natur im
Aufsatz durch Widersprüche. Alles
neu und immer da- Alte, lieblich und
schrecklich, veränderlich und
lieh, ganz und immer unvollendet, um
und in uns und fremd. Jedem
seht .it.
Vergl. < i ■<■ thea Aufsatz über den
Granit, naturw. Sehr. 9, I
Die Natur ist überall von einem einheitlichen Princip beseelt und göttlich,
die Mutter allei Dinge.
Shaftesbury.
_\\'ie können « ir den
sen allgemeinen V
geisl verwei fen ? W ie kön-
nen wir ><i unnatürlich
sein, die göttliche Natur.
gemeinschaftliche
Mutter, zu verläugnen und
un- weigern, den höch-
sten allbeseelten, allre-
gierenden Genius zu -li-
ehen und zu ei kennen."
Aufsatz über die Natur. Herder.
„Sie lebt in lauter Ein- Erster Entwurf der
dem, und die .Mutter. Ideen 13, 147: ,Gi
wo i-t si .Mutter. Deine Kraft im
Gedachl ba1 sie und überall ganz und unend-
sinnt beständig ; aber lieh."
nicht aisein Mensch, son-
dern als Natur."
17.'».
Vergl. Granit S. IT."..
Aus der Zeil der Spinoza- Studien Goethe's.
327
Einheit in allen tndividuis der Natur.
Sliat'trslilll \
Beweis eh bäl-
genden geistigen Prin-
cips in der Natur s. I l.'HV.
Aufsatz über die Natur.
„Jedes ihrer Werke
li.it ein eigenes Wesen,
jede ihrei
den isolirtesten
und doch macht Alles
eins aus."
inungen
Begriff
Hi rder.
„Jedes Deiner Werke
uz
macbtesl l>u
Eins mal siel
HUI
und
selbsl
gleich; l>u schufst
gleichsam von innen her-
aus.
Grosse -Mutter! Dei
Kraft ist überall ganz und
unendlich ; allenthalben
hast 1 > t l compensiret."
Shaftesbury.
Sie wird von
ihm nur durch die
rotirenden Blassen
im Universum, ins-
idere durch die
i ira\ itationslehre
erwiesen.
Gleichartigkeit des
Aufsatz Natur.
Die einheitliche
Technik derEünst-
lerin Natur in den
inismen wird
überall aufgewie-
sen. „Auch das
Unnatürlichste ist
Natur."
Vi i gl. Granit S.
17:;.
ganzen Universums.
Goethe.
Grundstimmung
im W er t h e r. vgl.
Hempel'sche Aus-
gabe 1 1,19. Eben-
so in den Worten
des Erdgeistes.
M n nolog „Wald
und Hohle": „Du
führst die Reihe
der Lebendigen
\un mir vorbei und
lehrst mich meine
Brüder im stillen
Busch, inLuft und
Wasser kennen."
Herder.
Entwurf der er-
sten drei Bücher
der Iiheu, Band
L3S.445: „Vorzi
des Menschen vor
seinen Brüdern den
Erdthieren".
S. 44C : „Welche
Unendlichkeit um-
fasst mich , w
ich, überzeugt und
betroffen von tau-
send Proben dieser
Art, Natur! in Dei-
nen heiligen Tem-
pel trete. Kein
Geschöpf bist Du
vorbeigegangen :
Du theiltest Dich
Allem in Deiner
Unermesslichkeit
mit undjeder Punkt
der Erde ist Mittel-
punkt Deines Krei-
ses." S. 447: „Der
Mensch ist ein Thier
der Erde."
Die Natur hat sich aus einander gesetzt, um sich seihst zu geniessen und zu
fühlen. Neue Form des Pantheismus, vgl. in. Darstellung Archiv II, 1.
Shaftesbury. Aufsatz über die Natur. H rder.
neuen Ankömm- „Sie liebt sich selber „Die Schöpfung ist da-
linge schauen das Lieht, und haftet ewig mit zu geschaffen, dass sie
damit auch andere Zu- Augen und Herzen ohne auf jedem Punkte genos-
schauer der herrlichen Zahl an sich selbst. Sie sen, gefühlt, gekostel
Scene werden und gros- bat sieh auseinanderge- werde; es mussten also
Uengi I ■■ setzt, um sich selbst zu mancherlei i : tio-
schenks der Natur genies- g u. Immer lässt neu sein, sie überall zu
v,-n. S. 156.) sie neue Geniesser er- fühlen und zu kosten.
Arilin f. Geschiebte d. Philosophie. VII. 23
328
Wilhelm I>il t i
;tml i mit
ii Anfai liebt
S|
und 'i
und theologisch formel-
haft tsthe-
tiscbe Leben
.Diese höheren Scenen,
dieses edlere Schauspiel."
S. I -
Aufsatz ül'cr die Natur.
wachs« a, unersättlich,
b mitzutheili
S
; : ,,i, sie es selbst
D wir nicht.
uiul doch spielt -
im uns. die wir in der
Den.
Ich Borach Dicht von
ilir. Nein, was wahr i-t
and was falsch i-t. Alles
hat - prochen, al-
les i-t ihre Schuld, Al-
les i-t ihr Verdienst
Ihr Schauspiel i-t immer
neu, weil Bie immer neue
Zuschauer schafft"
Herder.
. . . wenn sie von Mil-
lionen Geschöpfen auf
allen ihren Seiten durch-
durebempfun-
den wird."
Die Natur als Künstlerin.
Shaftesbury.
„Können wir aus dein, was uns
sichtbar ist. anders schliessen, als dass
Alles, wir in einem harmonischen
Kunstwerke, Zusammenhang! " S. 131.
ji. herrliche Natur! über Alles Bchön
und '.rut ! Allliebend, allliebenswürdig,
allgöttlich I deren Blicke so unwidersteh-
lich reizt ad, so unendlich bezaubernd
sind: (Irren Erforschung bo viel Weis-
heit, deren Betrachtung soviel Wonne
gewahrt: denn k! Werk eine
shere Scene, ein edl« : bauspiel
darstellt, als Alles was je die Kunst
erfand I"
„Die Quelle und Orgrund aller
Schönheit und Vollkommenheit" S. 128.
.Nicht weniger vor theilhafl können
wir von jener höchsl vollkommenen
Kunst urtheilen, die sieh in allen Wei-
Natur offenbart ün
Augen, durch mechanische Kunst ge-
kt, entdecken in diesen Werken
eine verbot i ue von Wundern;
Welten in Welten, unendlich klein
und doch an Kunst den ich,
und Bchwanger \ on Wundei a, die dei
Bchärfste Sinn, mit Bten Kunst
oder durchdringendsten Vernunft ver-
bunden, nicht ergründen "der ent-
fallen kann.- (S. 1
Sie ist allenthalben wohltbätig
und gütig". i i
Ulfsatz über die Natur.
„Sie ist die einzige Künstlerin : aus
dem simpelsten Stoff zu di «ten
Kontrasten; ohne Schein der Lnstren
gung zu di i grösstt a Vollendung zur
. nisten Bestimmtheit immer mit et-
wa- Weichem überzogen."
Sie wird als Genie bezeichnet.
spielt ein Schauspiel.
„Sie macht Ules was Bie giebt zur
Wohlthat" „Si< ist gütig."
\us der Zeit der Spinoza- Stadien Goethe's.
Hin
Shaftesbury.
S. !Ti stoisch gedacht
unsichtbare ätheri-
sche Substanz ist durch
das Weltall verbreitet."
■: kalten,
trägen, festen Klumpen,
und erwärmt Ihn bis zum
Mittelpunkt Sie bildet
Minerale, giebt Leben und
Wachsthum den Pflai
facht in der Brust leben-
diger Geschöpfe eine
sanfte, unsichtbare, bele-
bende Flamme an, baut,
elt und nährl die un-
endlich mannichfall
Formen." Sie erhält ilie
Harmonie „ihren eigen-
thümlichen Gesetzen ge-
Dann löst sie
dieselbe wieder in den
Zustand auf. in welchem
Alles Gott ist. L708 war
die einheitliche Technil!
der Natur nur in der
Astronomie nachgewiesen.
Die Gravitationslehre des
ton (1687) liegt der
Darstellung der Einheit
und Gleichartigkeit in
der Technik der Natur
Off. zu Grunde. Das
gleichende Studium
der Organismen entstand
erst später. Vorbereitend:
S. 351 ff. -ein allgemeines
m, i in zusammen-
hängender grosser Plan
der Dinge". Wie das
all, so ist auch jeder
inismus ein System,
• Ichem dieTheile zum
• tanzen durch die Kiuheit
des Zweckes geordnet
sind, l'ies System ist be-
dingt durch das Milieu,
in dem es sich befindet.
Das Studium dieser Be-
ziehungen ist Gegenstand
der Zoologie u. Botanik.
Zu 1. .. 3. \'_rl. nächstes
Citat Zu5.Tgl.S.283:die
enschaften „die g
ten Betrüger der Welt"
heitliche Technik der Natur.
Aufsatz über die Natur.
Der Nachweis der ein-
heitlichen Technik hat
hier die vergleich«
achtung des thie-
risch - menschlichen Le
ä . ur Unterlage, ist
aber unbestimmte Divi-
nation. Dies entspricht
dem Jahr 1782.
1) Sie erweck! nach
unwandelbaren < lesetzen
beständij nderung.
Mies auf ln-
di\ idualitäl an .aus dem
simpelsten Stoff zu den
grössten Contrasten, zur
genauesten Bestimmt-
heit, immer mit etwas
Weichem überzo
3) L'm sich mitzuthei-
leu, lässt sie immer w
Geniessererwachsen. I ' e r
Tod ist ihr Kunstgriff,
viel Leben zu haben.
4) Sie hat wenige
Triebfedern.
5) Sie freut sich an
der Illusion.
6) Die Geschöpfe sol-
len nur laufen. Die Hahn
keimt sie.
7) Sie giebt Bedürf-
nisse, weil sie Bewegun-
gen liebt; diese erreicht
sie mit wenigen.
Qerdei ,
Herder giebt dl
Stellungen von dei I
uik der Natur, in den
dem Gott und
der Kalligone. 1 dieselben
sind vcin Shaftesburj be-
dingt, er hat offenbar den
Aufsatz Natur immer zur
Hand, und er hat den
Umgang mit
nutzt.
Kalligone, 1800, 22
S. 126. „In allem näm-
lich, WO \iele und man-
cherlei .Mittel angewandt
werden, um Werke bei
vorzubringen, die als treu-
liche Zusammensetze □
in's Auge fallen, in di
bei einem System von
Regeln ein offenb
Zweck erscheint, nennen
wir mit Recht die Natur
eine Künstlerin."
Entwurf der Ideen 13,
417: ,Allenthalben hast
Du compensiret.'
22, 127. „Sie schafft
indem sie zerstört und
zerstört indem sie schaffet.
Individuen lässt sie sinken
und erhalt Geschlechter."
23
330
Wilhelm Dilti
Vielheit, Wechsel and Tod als Mittel der N sich mitzutheilen.
sbury.
-I ist all-
rtheilt and von anendlich ab-
tfannichfaltigkeit ; siedorch-
inäle der Well
und v< ends. alles lebt,
kehrt durch )el iui-
mer in's Le i Sek. 1 1
liehen Wesen verlassen ihi
und treten die Elemente U
Substanz immer neuen Ankömmlinj
at>. - di( Reihe an sie kommt,
in's I das
Licht und vergehen im Schauen, damit
auch andere Zuscha i herrlichen
'•■ werden, freigebig und gross,
theilt sie sich bo vielen als möglich mit,
und vervielfältigt die Gegenstände
ihrer <üite in'- unendliche. Nichts
thut ihrer geschäftigen Band Einhalt
Keine Zeit geht verloren, keine Sub-
Btanz. rmen gehen in's Dasein
hervor, und werden gleich den alten
'>"-rt , so bleibt doch die Materie,
woraus sie zusammengesetzt waren.
nicht ungenützt, selbst in der Verwe-
sung. Dieser verworfene Zustand ist
bloss di i Weg "der l'ebergang zu
einem ren."
Aufsatz über die Natur.
,Wii Bin I von ihr umschluu
.Es ist ein ew :. V. den
und I Für's B iben
hat sie keinen Begriff."
BSie lebt in lauter Kindern." .lm-
mei lässt sie i erwach-
„Ihre Kinder sind ohne Zahl."
.Di i ■• ihr Kunstgriff, viel Leb
zu haben."
Die Bildung8krafl in der organischen Welt in dem Instinkt.
Shaftesbury. Aufsat/ über die Natur. II< rder.
„Sie sprit/t ihre Ge-
Bchöpfe aus dem Nichts
hervor und BSgl ihnen
nicht, wober sie kom-
men und wohin Bie
hen. Sie Bollen nur
lauten: die Kahn keimt
sie."
510ff. Bi weis l aus
dei Entstehung der < >rga-
nismen aus den Keimen.
"2) aus dem Instinct S. 511.
Merkmal ist. dass
in ihm die Natur uns
ohne Erziehung belehrt
'.'•, aus der Vorempfindung
und demGenuss des S
neu oder Gut» □ im Men-
Bl hell.
Kalligone, Werke 22,
S. 126: Die Natur .eine
li bendige Wirkerin." „Die
Werke der Bienen , B.
den Hau der Biber IL f.
jedermann kunst-
reich, wenn ihren Arbei-
tern gleich menschliche
Vernunft und Freiheit
fehlet. Wie Ihr auch die
Kräfte, durch welche
hervorgebracht sind, nen-
nen mög< t : die Werke
seihst sind kunstreich."
Liehe und Enthusiasmus
ala höchste Aeusserung der Individuen im Universum.
Shaftesbury.
Die Rhapsodie gipfeil in dem die
Selbstsucht überwindenden Enthus
mus S. 19G. 532. Weise ist der, wer
als Baumeister -eines eigenen Lehens
Aufsatz aber die Natur.
„Nile Kr. Hie i8l die l.i'he. \lil
durch sie kommt mau ihr nahe. Sie
macht Klüfte /wischen allen Wesen,
und \lh s u ill sieh verschlingen.
Lua der Zeil der Spinoza- Studien Goethe :;:',]
Shaftesbury. Aufsatz über die Natur,
und Glücks dessen Schönheil verwirk- bal Alles isolirt, am Alles zusammen-
licht. S. 539: Befreiung von der Scla- zuziehen. Durch ein paar Züge aus
verei der Selbstsucht und Leidenschaft, dem Becher der Liebe hall sie für ein
Aussöhnung mit der herrlichen Ord- Leben voll Mühe schadlos,
nung les Weltganzen, Barmonie mit Sie hat mich hereingestellt, sie
der Natur, in Freundschaft leben mit wird mich auch herausführen. Ich ver-
tl und Menschen. Vgl. Brief über traue mich ihr. Sie mag mit mir
den Enthusiasmus W. I s. Iff. S. 70: schalten."
Enthusiasmus bedeutel göttliche Ge-
wart, alles Erhabene in den mensch-
lichen Leidenschaften. Weltfreudigkeit
Merkmal des wahren Enthusiasmus.
Entstehung des Spinozaufsatzes.
Am 28. August 1783 hol) Goethe's Bund mit Herder an. Das
Problem, das von nun ab für die Entstehung der Ideen von Her-
der und der Naturansicht von Goethe erwächst, kann nur aus den
Manuskripten gelösl werden. Eiuige Sätze können doch ans dem
Bekannten abgeleitet werden. Das erste Buch der Ideen ist ausser
Frage, das Problem selbst hebt mit dem zweiten an; nun las
Herder erst December 1783 die ersten Capitel <\r± ersten Buchs
vor: sonach war, als sein Bund mit Goethe anhob, höchst wahr-
scheinlich das /.weite Buch noch im Fluss. Dieser Thatbestand
Isi im besten Einklang mit Goethe's Aeusseruug: „In dem ersten
Bande sind viele Ideen, die mir gehören". Goethe's ernstes Natur-
studium war aber damals schon auf seiner Höhe. Seine leiten-
den Gedanken waren vorhanden. Er liess sich schon 1780 seine
mineralogische Sammlung ordnen, begann die Granitabhandlung,
begann 17sl bei Loder ein methodisches anatomisches Studium,
-uejite nach vergleichender Methode in die Technik der Natur ein-
zudringen und entdeckte auf diesem Weg Frühling 1784 die
Existenz des Zwischenkieferknochens beim Menschen, wovon er
gleich Herder Mittheilung machte. Er besass schon den Gedanken
des Typus, welcher der ästhetischen Auffassung der Technik der Natur
zur wissenschaftlichen Morphologie den Weg öffnete: einen Ge-
danken, welche!- von dem des allgemeinen Begriffs logisch gänzlich
verschieden ist. und der für Naturforschung, Geschichte, Gesell-
schaftswissenschafl und Poesie eine dauernde Bedeutung gewinnen
muss. In dieses Fortschreiten fällt die Aufzeichnung zu Spinoza.
Wilhelm Dilth«
ist bei Gelegenheit der Leetüre Spinoza's entstanden,
welohe im Winter L784 s"> stattfand. Nun zuerst li the den
Spinoza. Auch damals war «li«>.- Leetüre weder systematisch noch
vollständig G ethe bekannte Jacobi (19. Juni IT r habe nie-
mals die Schriften Spinoza's in einer Folge gelesen; das ganze
seiner Gedanken habe ihm nie völlig überschaulich vor
der Seele gestanden: „aber wenn ich hineinsehe, glaube ich ihn
zu verstehen". Wahrscheinlich beziehl sich auf diese Lektüre die
Bemerkung der italienischen Reise, dass die Süchtige Lesung eines
Buches sofort eine entscheidende Einwirkung zur Folge haben
könne, zu welcher dann Wiederlesen und ernstlich« trachten
in der Folge kaum etwas hinzuthun können. Was war nun
natürlicher, als dass er mit den Augen Herder's den Spinoza
ansah. Dieser hatte in seiner An seit längeren Jahren den Spinoza
sich assimilirt Er las ihn nun von neuem und fand seinen ers
Eindruck bestätigt'). Er theilte Goethe seine brieflichen Ausein-
andersetzungen an Jacobi mit und es scheint, dass Goethe
den Februarbrief eigenhändig abgeschrieben hat. ..Wir sind —
schrieb Goethe im Mai 1787 an Herder — so nah in unsern Vor-
stellungsarten, als es möglich ist, ohne eins zu sein, und in den
Hauptpunkten am nächsten" ").
Aber es gab eine Differenz /.wischen beiden, welche die Art
ihres ganzen wissenschaftlichen Verfahrens betraf und daher ihre
Wirkung überallhin äusserte. „Ich fühlte mich zu sinnlichen Be-
htungen der Natur geneigter, als Herder, der immer schnell
am Ziele sein wollte, und die Idee ergriff, wo ich kaum noch
einigermaassen mit der Anschauung zu Stande war. wiewohl wir
grade durch diese wechselseitige Aufregung uns gegenseitig förder-
ten." Herder war der Metaphysiker. Goethe setzte die Einheit
und Gleichartigkeit de- l niveraums voraus und ging nun von dieser
Annahme aus vergleichend, anschauend und induktiv der einheit-
lichen Technik der Natur nach. „Willst du ins I nendliche
7) II I i 20. Dezember 1784. Ki theill Goethe seine Briefe
an Jacobi mit.
I al. Reise s. 306 fg. 17. Mai 1787.
\u- der Zeil der Spinoza- Studien Goethe's. 333
schreiten, geh nur im Bildlichen nach allen Seiten." Hierbei ge-
wahrte er, dass das Unendliche, wie der Horizont, vor dem Vor-
wärtsschreitenden bestandig zurückweicht. Durch diese Gedanken
war er von Herder getrennt, aber noch schärfer von Spinoza. Da
isl es nun vom höchten Interesse, dass gerade diese Differenz
fches von Spinoza und Herder durch die vorliegende Aufzeich-
nung auf das hellste erleuchtet wird. Goethe war niemals Spi-
Qozist. Auch nicht ein Spinozisl von Leibnizischer Observanz. Leibniz
war. wie Spinoza, ja nach seiner schaffenden Theilnahme an der
Begründung einer construktiven mathematischen Naturwissenschaft
viel tiefer und kernhafter als dieser von der construktiven Auf-
gabe des Denkens bestimmt. Er unterwarf Alles der Mach! der
Ratio, dem Satz vom Grunde. Dagegen (Joethe erkannte im Uni-
versum, ja in jedem Individuum ein Unerforschliches an. Nicht
als Kantianer, sondern als Dichter, wie seine ganze Entwicklung
uns gezeigt hat. Seine Erkenntniss der Schranken des Intel-
lekt war nur der Reflex seines ganzen lebendigen Verhal-
tens. Er sann als ein Poet über die Welt. Am nächsten standen
ihm Shaftesbury und Herder, weil deren Verhalten dem seiuigen
verwandt war.
Interpretation des Aufsatzes.
Der Aufsatz läuft gleichsam der Ethik Spinoza\s entlang sei-
nem Ziele zu. Sein Gegenstand ist die einheitliche Lebendig-
keil des Universums, des Individuums uud des auffassenden Ver-
mögens, daraus folgend die Unerforschlichkeit des Weltganzen.
Goethe sucht sich bei der Lektüre Spinoza's, möglichst im Sinne
dieses Denkers, die Vorbegriffe klar zu machen, welche der Er-
kenntniss der Natur nach ihrer einheitlichen Technik und der Ver-
wirklichung von Typen in ihr, allgemeiner aber welche überhaupt
der Auffassung und künstlerischen Darstellung de- Wirklichen zu
Grunde liegen. I)ic leicht erkennbaren vier Theile handeln 1. von
Dasein, \"llkommenheit und dem unendlichen, '2. von dem Ver-
hältniss des beschränkten Einzeldings zum unendlichen. :'>. vom
Einzelding, insbesondere den organischen Wesen. 4. von der ästhe-
tischen Auffassung und der Erkenntniss des Wirklichen.
Wilhelm Dilta« > .
1.
1» gangspunkt Goethes bildet der Satz, mit welchem der
nitt des Au: 1 — 4) anhebt: „der Begriff vom
und der Vollkommenheit ist ein und eben dereell
riefe des J . nnl
hall das gan; Syst - - zusammen, glicht den
mechanischen und naturalistischen Begrifts Verzeich-
nungen zu einem Pantheismus, der eine Ethik gestattet. L. I.
p. 1 1. zweit ätration potenti L. I. prop. 3 1.
1.: aus dem Elementarbegriff von causa sui folgt: Dei potentia
ipsa ipsius essentia. Macht isl aber Vollkommenheit ; Prop. 1 1 Si hol.:
pert litas. Daraus ergiebt rieh dann: Tugend ist Thun
G gensatz zur passio), Kraft, fortitndo, gaudium. In'
ze Zusammenhang war schon in der Stoa ang gl Archh VII, 1
- 1$ F.).
Das gemeinsame Denken \<>n Herder und Goethe assimilirl
sich di Satz in einer durch die ästhetisch« sve.r-
fassung bedingten Modifikation. Herder hatte von dem Kant
Jahres 1765 >i<-h ang 3 Philosophie al> Analysis auf un-
analy sirbare Begriffe treffe: sin, Kraft, Raum und X
ästhetisc ies Naturell und sein Nachleben des Dichterischen erfüllten
ihn aber mit dem lel e sn Bewusstsein, wie Dasein überall Gefühl
seiner Selbst, I ade, Genuas und Vollkommenheit a S Eitstand
ihm. in Gegensat d Kant, doch auch unterschieden von Spi-
rkettung des Modus, der Selbsterhaltung und des Will
die inni rbindung zwischen dem Lebensgefühl und den Be-
griffen von Dasein und Kraft. Dasein war seinem Dichternaturell
ohne quellende Kraft, Gefühl Beiner Selbst und Trieb der nach
Entwicklung drängt, unfassbar. Shaftesbury ward ihm das Organ,
I: Zasammi nstellui I und Kraft
wird durch Kant als sein Eigenthum schon in: „Man-
kritiseben Invasion" 1- . i n< 1 i<-i r t
tiriftlicbeo Nach atisch erwiesen in den
Erdmann II 123. 124. 158. Dadurch auch ; Baym,
Hei iff.
An- der Zeit der Spii 3t ethe's.
diese Gemuthsverfassung in ästhetischen Pantheismus umzusetzen10).
S war sein Pantheismus schon da, war von Kant, Shaftesbury
und Leibniz schon zu bestimmtem Bewusstsein gebracht, als er
Spinoza kennen lernte. Mit seinem ausserordentlichen Assimila-
tionsvermögen ek er sieh nun diesen an. Der Goethe wohl-
bekannte Brief an Jacobi vom 6. Februar L784 gehl vom Begriff
des Seins als dem Grundbegriff au-. Ausser der Welt kann nun
kein Sein existiren, denn der Raum i-f eine A.bstraction aus den
Erscheinungen der Welt, daher i>t ein Gotl ausser der Well Non-
sens. Auch ist ein eingeschränkter Gott kein Gott mehr. Gott i-t
also entweder garnicht oder er ist der 'Welt immanent"). Nach
dem ebenfalls Goethe bekannten Brief Herders vom 20. Dec, 17^1
an Jacobi schliesst dann göttliches Dasein überall Genuss seiner
Selbst ein. „Spinoza's einzige Substanz ist da- ens realissimum, in
welchem sich Alles, was Wahrheit, inniges Lehen undDasein
ist. intus und radiealiter vereinigt." „Was sollte Dir der Gott,
wenn er sich nicht in Dir als in einem Organ seiner tausend Mil-
lionen Organe geniesset." ..Kr wirkt aus allen edlen Menschen-
- ■•dien "-}••. Und nun durfte Herder erklären: „Goethe hat den
Spinoza ganz so verstanden wie ich ihn verstehe13)." In
diesem geschichtlichen Zusammenhang schrieb Goethe den ersten
Satz des Aufsatzes und wiederholte ihn an Jacobi 9. Juni 1785.
..Du erkennst die höchste Realität, welche der Grund des ganzen
Spinozismus ist, woraus alles übrige fliesst. Das Dasein ist
Gott."
2. :>. In diesen Sätzen trennt sich (roethe von Spinoza. Herder
und allen .Metaphysiken), zugleich ist er in ihnen ganz einstimmig
10) Vgl. die frühe Umdichtung der entsprechenden Stellen der Rhapsodie
in seinem Naturhymnus und an Merk 12. Sept. 1770.
") Aus Herders Nachlass II 251.
12) Entsprechend Herders Gotl I7V7 Suph. S. 502: „der reelle Begriff,
in« welchem alle Kräfte gegründet sind, ist das Dasein." 536ebd.: „Dasein ist
in Gott und in jed( ienden Ding Grund und Inbegriff alles
552: „alli Vollkommenheit eines Dings isl seine Wirklichkeit; das Gefühl
der Wirklichkeit ist der einwohnende Lehn seines Daseins, -eine im
13) In Herders Nachlass 11 261 ff.
Wilhelm Dilthey,
mit obigem Brief. Er äussert sich in diesem Brief ungern und nur
„Vergieb mir, dass ich ne schweige, wenn von
■ •im tlichen Wesen die Rede i-t. das ich nur in und aus den
rebus singularibus erkenne, zu deren nähern und tiefern Betrach-
tung niemand mehr aufmuntern kann, als Spinoza selbst, obgleich
vor seinem Blicke alle einzelne Dinge zu verschwinden scheinen.0
„Hier bin ich auf und unter Bergen, suche das Göttliche in berbis
ei lapidibus."
[ch entwickle das Gemeinsame, welches Brief und Sätze
(2. :'.. 1 und 17. 18) aussprechen. Verfolgen wir den in der An-
schauung gebildeten Begriff von Dasein und Vollkommenheit so weit
uns möglich ist, bo entsteht der Gedanke der vollständigen
Existenz oder des Unendlichen: ein Grenzbegriff für unseren
beschränkten Geist, der seine Fassungskraft übersteigt. ..Willst da
ins Unendliche schreiten, so geh nur ins Endliche nach allen Sei-
ten." Unser anschauendes Wissen geht von Zusammenhang zu
Zusammenhang, erreichl aber niemals das Ganze. Diese Sätze
Goethe's nehmen einen Begriff Spinoza's auf, setzen sich aber dann
doch dem rationalistischen Zug seines Denkens entgegen. Goethe
übernimmt nämlich von Spinoza die cognitio intuitiva, welche sich
über die res singulares ausbreitet. Quo magis res singulares intel-
ligimus, eo magis Deum intelligimus V 24. Aber diese intuitive
Erkenntniss des Singularen ist bei Spinoza (und in andrer Art bei
Herder) durch ein Begriffsgerüst getragen, welches die unendliche
Substanz und aus ihr das einzelne Ding definirt und bestimmt.
Dies - let sich Goethe nicht an. Das Unendliche li«'Lri ausser-
halb der Fassungskraft eines beschränkten Geistes (4. 2). Das In-
dividuum und das vollständige Ganze haben etwa- Unerforschliches
in sich (18. 1!»). So widersprechen Goethe's Sätze der rationa-
listisch construktiven Lehre des Spinoza \<m der «-n^niiin adae-
quata14), und sie sind in Uebereinstimmung mit dem ganzen ju-
gendlichen Goethe.
Prop. 171: Mens buroana adaequatam habet Cognitionen] aeterna
intii, • oliae I »ei.
\u^ der Zeil >l<'i Spinoza-Studien Goetb :'.:'.i
Vod ") — L3 reichl der /weite Abschnitt des Aufsatzes,
er handelt über das Verhältniss des Einzeldings zu diesem
vollständigen Ganzen, [ch bestimme zunächsl das Verhält-
niss dieser Sätze zu Spinoza. Satz 5: .man kann nicht 9a
dass das Unendliche Theile habe', ist ans Spinoza I. 12 und 15
Schol.; er verwirf! dort, ,substantiam posse dividi', und zeigt
die Widersprüche, die ans dem Begriff von partes der Sub-
stanz entstehen. Satz •>: .alle beschränkten Existenzen sind im
Unendlichen' ist aus Spinoza's Begriff des modus geschöpft. I. Def.
."> per modum intelligo id quod in alio est. Dies Andere ist aber
das Unendliche. I. prop. 18. Doch schon der nächste Satz (7):
.die beschränkten Existenzen nehmen vielmehr Theil an der Un-
endlichkeit' biegt von Spinoza ah: .Theilnehmeif ist etwas ganz
Anderes als in Dco esse; ein rationales Verhältniss ist hier durch
ein unerforschliches ersetzt. Ebenso steht es mit 8. 9. Zwar ist
zunächst: .wir können uns nicht denken, dass etwas Beschränktes
durch sich seihst existire" aus Spinoza entnommen; lib. I. prop. 15
Demonstratio: .Modi sine substantia nee esse nee coneipi possunt.'
Entsprechend sagt auch Jacobi im Spinozabuch S. 17: .wir sind
nicht im Stande uns von einem für sich bestehenden Wesen' (näm-
lich Einzelding) .eine Vorstellung zumachen.' Auch der Ausdruck
beschränkt' für dr\i Modus ist aus dem Sprachgebrauch Spinoza's;
1. prop. 25 , durch die res particulares exprimuntur Dei attributa
certo et determinato modo.' Aber der folgende Satz (9) ,und doch
-tirt Alles wirklich durch sich selbst" ist wie 6 und 14 von
S linoza abweichend und einer anderen Denkweise angehörig.
snso verhält sich 13: .ein lebendiges Wesen giebt dem anderen
Anlass zu sein.' Spinoza's berühmtes Axiom I, 1 omnia quae sunt
vel in se vel in alio sunt ist unter der Voraussetzng der louischen
Bestimmbarkeil des Unendlichen richtig; in Wirklichkeil zerschnei-
det es i]en Punkt, in welchem das Leben sitzt, nämlich das Le-
bensgefühl des Individuums, das sich zugleich selbständig und be-
dingt findet. Dagegen Goethe's Ausdrücke für dies Verhältniss des
Einzelnen zum unendlichen Ganzen setzen Spinoza die beben-
Wilhelm Dilth,
digkeil and Unerforschlichkeil des Wirklichen entgegen.
n ;im lebendigen Einzeldasein den Charakter von imma-
nenter Zweck] - keil and Einheil (14), das unendliche und Uner-
anihm 18. 19 , Das Verhältniss zum unendlichen Ganzen
tritt aus dem von in Be und in alio ss in das der Theilnahme
an der Unendlichkeit (7. 18). Hierdurch entstehen dann in 10-13,
welche au- Spinoza, besonders aus I. prop. 26—28 und I •'•: una
substantia i potesi produci ab alia substantia entnommen sind,
Modi6kati n. durch welche sie von den Propositionen des Spinoza
leise abweichen.
Diese Abweichungen von Spinoza sind min andrerseits Ver-
wandtschaften u ! i t der Vorstellungsart von Herder. Nach Her-
ders Gott ist der Grundfehler Spinoza's, dass er die Ausdehnung zur
Eigenschaft Gottes macht (446); geschieht dies, so können Aus-
dehnung und Leben als angleichartig nicht innerlich verbunden und
die Theil barkeit Gottes kann nicht vermieden werden 148. 4 19).
Spinoza's System wird in sich einig, wenn man dem Raum den-
selben blos symbolischen Werth für die innere Einheit substan-
tieller Kräfte zutheilt, welchen bei ihm dir Zeit hat (451. 153).
Der dritte Abschnitt, 14— 19, handeil vom Einzelding, insbe-
sondere de 'ganischen Wesen. Verwandt sind Schaftesburj
»53ff. und Herders Got1 456: »Das Ewige ist an sich selbst
kein. - Mass« - fähig; in jedem Punkt seiner Wirkung trägt es Beine
ganze Unendlichkeit in sieh.- Vgl. 457. 189 f. Nach diesem Ab-
schnitt hat das Einzelding die „Uebereinstimmung, nach der
existirt" in sich seihst. Alis diesem Prinzip weist Goethe die
Messungen der Proportionen des lebendigen Körpers ah. wie sie in
der Anatomie seiner Zeit angestellt wurden. Damalige Anatomen
glaubten am Knochengerüsl Proportionen in einfachen Zahlen
nachweisen zu können. Insbesondre aber nahmen die über Kör-
perschönheil grübelnden Künstler seil Polyklet an. die [dealschön-
heil müsse sich in einfachen Proportionen ausdrücken lassen; hier-
bei legten Bie vorwiegend das Verhältnisa des Kopfs /um ganzen
\u- dei Zeit der Spinoza-Studien Goethe's.
Körper zu Grunde. ' 6) Eben damals waren Auszüge aus Vorlesungen
Campers in der Amsterdamer Maler-Akademie erschienen (kleinere
Schriften 1784). Da Goethe Aehnliches versucht hatte, mochten
sie ihn interessiren. Sie beschäftigten sich ebenfalls mit Messun-
gen. Sie unterwarfen einige herkömmliche Ergebnisse von solchen
der Kritik, und sie gaben zugleich Grundzüge jener Lehre vom
Gesichtswinkel, welche dann in der berühmten Schrift von 1 7 '. » ij
ausfuhrlich dargestelll wurde. Murinen nun dies.' Schriften der
Anlass sein oder lag dieser in der ganzen herkömmlichen Lehre:
Goethe wendet sich in diesem Aulsatz zur Ueberraschung des Lesers
plötzlich gegen die Messungen am lebendigen Körper. 1» zen
einen räumlichen und von Aussen herangebrachten Massstab vor-
aus, der lebendige Körper aber hat nur in sich selber seinen .Mass-
stal», und dieser ist ein höchst geistiger. So lässt sich auch das
Verhältniss des Kopfes zum ganzen Körper nicht in einem einfachen
Zahlenverhältniss ausdrücken. Der Abschnitt gipfelt in der posi-
tiven Darlegung, dass jedes eingeschränkte Ding im Verhältniss
seiner Theile zum Ganzen etwas Unendliches, ganz Lebendiges und
Unerforschliches hat. So hat der Abschnitt seinen Kern in der
Auffassung des Individuums, seiner inneren geistigen Einheit, der
nur ihm eigenen Beziehung seiner Theile zum Ganzen, schliesslich
seiner Unerforschlichkeit. So klärt er die genialen Blicke des Auf-
satzes über die Natur auf.
Der letzte Abschnitt, 20 — 26, handelt von der Erkenntniss
und der ästhetischen Auffassung. Sonach correspondirt er dem
fünften Buch der Ethik über die adäquate Erkenntniss und die in-
tellektuale Liebe zum Universum. Er gelaugt durch ein in Spinoza
lä) Ueber die Messungen des Knochengerüstes durch Anatomen in dieser
orientirt Mayer, Beschreibung des menschlichen Körpers 17s;; I s. I45ff.
»er die Proportionen der Schönheit vgl. das anonyme Schriftchen von der
Ausmessung des menschlichen Körpers 1759, dann die Disputatio qua pro-
batur mensuram et proportionem membrorum corporis bumani summam per-
fectionem ei rigorem mathematicam aon admittere und Nicolai von der Schön-
heil des menschlichen Körpers 1746.
\0 Wilhelm Diltbej .
enthaltenes Princip vermittelst Bpinozistischer Begriffe zu der Er-
kenntniss der subjektiven gestaltenden Energie im ästhetischen
und intellektuell _;m_. welche Goethe ganz eigen i-t. Das aus
Spinoza hervorgehende Princip i-t: Die denkende Anschauung des
Wirklichen ist eine Aeusserung der Selbstmachl der Seele and i>t
daher von einem freudigen Gefühl begleitet. III L: Menf nostra
quaedam agit, quaedam vero patitur, oempe quatenus adaequatas
habet ideas, eatenus quaedam oecessario agit l\ def. B: Mentis
virtus esl ipsa hominis essentia quatenus potestatem habet quaedam
efficiendi. I\ 28: Est igitur mentis absoluta virtus intelligi
\ ■_'."•: Summus mentis conatus summaque virtus est, res intelli-
ertio cognitionis genere. Diese dritte Stufe der Erkenntnis«
ist das Begreifen der res Bingulares in ihrer Gesetzmassigkeit, und
da jede Aeusserung der Macht zn handeln (fortitudo) mit Freude
iidium) verbunden ist, so i-t diese Anschauung ganz mit einem
Gefühl des Glückes erfüllt and von ihm gesättigt. S enthält dies
Princip die Möglichkeit, die ästhetischen Begriffe abzuleiten. Dazu
bietet sich die Stelle im Anhang des ersten Buches über den Ur-
sprung des Begriffes der Schönheit dar. I App.: ea oobis prae
ceteris grata sunt, quae facile imaginari possumus etc. In diesen
einfachen tiefen und ästhetisch folgenreichen Begriffen Spinoza's
lebt (iuethe. Aber diese thätige freudige Fassungskraft isl nun
naili ihm anfahig, sich des Universums anders zn bemächtigen als
indem sie dasselbe beschränkt. So entstehen aus den verschiedenen
Verhältnissen einer selbstmächtigen Seele zum Wirklichen die ästhe-
tischen Stimmungen des Erhabenen, Grossen und Schönen. Im
Gebiel der Erkenntniss isl die Auffassung eines Gegenstandes wahr,
wenn „der Eindruck aus dem vollständigen Dasein desselben ent-
springt". Höchst merkwürdig also wie hier die Unendlichkeit, Le-
bendigkeil und I aerforschlichkeit des individuellen Ganzen dem
Begriff von Wahrheit seien subjektiven Charakter aufprägt. Wie
anbedingt muss hiernach Goethe die adäquate Erkenntniss des l ni-
ums ablehnen. Er endigt so mit der völligen Aufhebung
jeder Metaphysik and Theologie. Jede philosophische oder re-
ligiöse Metaphysik erklärt das für das Gewisseste, was sie am I»'-
quemsten denken und worin sie einen Genuss linden kann. Seine
Aus der Zeil der Spinoza-Studien Goethe's. ;; | ]
Darstellung steigerl sich zum leidenschaftlichen Ausdruck gegenüber
den anmasslicheD Meinungen über die Gottheit, welche ihm in der
Person von Lavater und Jacobi soviel zu schaffen gemacht hatten
und Doch machten. Gegen sie isi der Schluss seines Aufsatzes
richtet Hier klingl denn auch nochmals Spinoza an mit den be-
kannten Stellen gegen die Vertheidiger der göttlichen Personalität.
So ha1 Goethe die aus seiner Phantasie quellende Grundvor-
stellung durch ernste Gedankenarbeit zur Lebendigen Anschauung
eines göttlichen, in sich verwandten und unerforschlichen Univer-
sums entwickelt, welche als verborgene Seele allen seinen Dich-
tungen Leben giebt. Das Ringen des beschränkten Geistes, zu Er-
kenntniss und Genuss dioes Unendlichen zu gelangen, isi naiv im
ersten Faust ausgesprochen. Es ist in dein nun entstehenden
/weiten mit bewusster Klarheil dargestellt. Der Monolog in Wahl
und Höhle ist der Ausdruck dieser neuen Stufe.
XIV.
Zur Methode der Geschichte der Philosophie
niii spezieller Rücksichl aal die Metaphysik
des Ca rl esi us.
Benno Erdmann in Halle a 3
I.
- 11 der Begriff der Philosophie eine Nm-in für die Lehrmei-
oungen Liefern, die ihr in den einzelnen Perioden ihrer Entwick-
lung zugewiesen werden müssen, so wird man etwa sagen können:
Philosophie i>i wissenschaftliche Gesamtauffassung des
Wirklichen. Die herrschenden Züge dieser Gesamtauffassung Mini
den Voraussetzungen über ihn Bestand des Wirklichen zu ent-
uehmen, die aus der praktischen Weltanschauung unbesehen in
die theoretische Auffassung der Einzelwissenschaften einzufiiessen
pflegen. Die kritische Untersuchung dieser materialen Voraus-
ungen unseres Erkennena bildet die Aufgabe der Erkenntniss-
theorie oder Metaphysik. Denn eben diese Probleme haben der
unglücklich sogenannten Metaphysik stets ihr eigentliches Thema
geliefert. Je mehr demnach die Problemlösungen der übrigen phi-
losophischen Wissenschaften, der Logik, Ethik und Aesthetik sowie
der Psychologie, mit denen der materialen Fundamentalwissenschafl
zu einem Ganzen verknüpf! werden, um so mehr wird diese zur
le der Philosophie.
Wie jede Wissenschaft, so isl auch die Philosophie ihrem W<
-'•n uach systematisch. Sie sucht das Wirkliche als ein begriff-
lich bezogenes Ganze unseres Erkennena als Kosmos zudeuten.
Das Bedürfnis zu dieser metaphysischen Systematik tritt ein,
Zur Methode der Geschichte der Philosophie. 343
sobald die einzelwissenschaftliche Erkenntnis hinreichend fort-
geschritten ist. um den Versuch einer wissenschaftlichen Gesamt-
auffassung wagen zu hissen. Da das Bedürfnis einer religiösen
Gesamtauffassung sich früher entwickelt, als das metaphysische, so
ist schon der Anfang der Philosophie durch eine Wechselwirkung
zwischen Religion und Metaphysik charakterisirt. Die Grund)
iles metaphysischen Bedürfnisses ist die iinserm Vorstellen imma-
nente Systematik, die jedes Vorgestellte zum Glied einer Vorstel-
lungsreihe werden, und auf dem gleichen Wege die einzelnen Reihen
als Glieder in eine Gesamtreihe einordnen lässt. Da unser Vor-
stellen, auch das begriffliche Denken, mit unserm Fühlen unlösbar
verknüpf! ist, und aus diesen beiden Elementen sich unser Wollen
auferbaut, so ist das metaphysische Bedürfnis ein Seitentrieb des
religiösen. Der Mutterboden der Metaphysik ist daher in letzter
[nstanz die tatsächliche Einheit unseres Seelenlehens.
Niemals hat sieh die Philosophie in wesentlich anderer Weise
entwickelt als die übrigen Wissenschaften. Sie hat stets die Pro-
bleme „geschichtlich aufgenommen und weitergeführt". Die Be-
dingungen ihrer Entwicklung sind nur mannigfaltigere, als die der
speziellen Disciplinen. Eben weil sie wissenschaftliche Gesamt-
auffassung ist, spiegelt sie in jeder Periode den gesamten Wissens-
stand und überdies wie das sittliche Bewusstsein so auch die reli-
giösen Oeberzeugungen ihrer Zeit. Dass ein jedes philosophische
System zugleich in besonderem Maasse die Individualität seines
Urhebers wiederstrahlt, liegt vornehmlich an den unzureichenden
Erkenntnismitteln, die der Metaphysik für die hypothetische Bewäl-
tigung ihrer Aufgaben zu Gebote stehen.
In dem Lehrbestand eines philosophischen Systems lassen sieh
demnach verschiedene Problemlagen scheiden.
Fürs erste drängt sich auch dem Philosophen eine Reihe von
Voraussetzungen aus der Qeberlieferung auf, die er unbesehen
festhält, die ihm also selbstverständlich scheinen, weil er auf die
Probleme nicht aufmerksam wird, die sie bergen. Wir beachten
im allgemeinen nur, was wir vorbereitet sind zu erkennen. Durch
diese unterste Problemlage isl das System in die breiten Schichten
der allgemeinen Deberlieferung eingebettet.
Archiv i. Geschichte d. Philosophie. VII. '1A
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Zur Methode d< lachte d
stellt worden, hängen nicht nur sys - - lein
fliessen mannig - in einander üt'er. N - . wir
ennt, «ras . so v< - n, und verbanden,,
dem gelernt haben. Es ist des S s
jene Probleme im Einzelnen zu - u.
Der hü - he Takt hängt in allen -
auch in der eben bezeichi. uletzt an sachlic i ti-
li t. Diese li . an Philosophen nicht wenig Maass
e l'iir die Erkenntnis der Probleme und den Erkennt:. -
ihrer Lösungsversuche, als etwa dem Mathematiker, dem Chemiker
r dem Historiker. Gerade weil diese Ma sss lel-
3S -ehalten im allgemeine:. - - od als in der Philosophie,
bedeutet die sachliche Einsicht für den Historiker der Philosophie
- ,ar mehr als für denjenigen, der die Geschichte einer Eiuzel-
as schaft verfolgt Unvermeidlich wird allerdings eben deshalb
die Färbung des Grrundriss - der Geschichte nach der systemati-
sehen Parteistellung des Forschers abgetönt, werden sogar die
Linien des Grundrisses selbst verschoben. Aber selbst ein
- —.-mansche Befangenheit ist mehr dazu angetan, die
-entlichen Gedanken eines Inbegriffs von Lehrmeinungen zu T. s
zu fordern, als die sachliche Unkunde derjenigen, denen die Phi-
sophie in der Geschichte aufgeht.
Nur ansnahms s< kann die historische Gliederung der 1
bleme unmittelbar dem Gefüge entnommen werden, in dem der
Philosoph seine Lehren selbst darstellt. Der sachliche Zusammen-
hang, durch welchen der Denker das Recht zu seinen Aufstellung
B sichert findet, deckt sich nur selten mit dem historischen,
dem sie tatsächlich hei - s i. Wir suchen tmsys - ien
iiken nicht u:.- - lern die Sache. Was uns in den .
allgemeinen Ueberli« _ s ilt. sind wir verurteilt zu übersehen.
Bande, mit denen wir an unsere Zei: gefesselt s
wir nicht zu fühlen, weil wir - Jug ad au! g i, und
Frohgeruh] weiter zu sehen, als diejenigen, auf d< . v hultern
wir stehen, unserer Eiu-lk - meichelt Aus z hen l s
1 wir g - - S - _ . - unsern /.
--ii zu äberschätsen. I nsere Denkgewohnheiten endlich hin-
3 [Q Ben no Erd ma an,
ken vielfach unsern methodologischen I gongen nach,
rade dann, wenn die letzteren begrifflich ausgearbeitet sind.
- bwierig< Verwicklungen entspringeD daraus, dass wir die
philosophischen Systeme, auch die wenigen, die uns in einer einzig
relativ abgeschlossenen Darstellung gegeben Bind, als sich ent-
u i ekelnde Ganze auffassen müssen. Diese immanente Entwicklung
der : verläuft, auch wenn wir \"ii den Unterschieden der
litterarischen Qeberlieferung absehen, in Behr verschiedenem Sinuc
Glücklicher W< • selten bo wie etwa bei Fichte oder Comte, Gior-
dano Bruno oder Schelling, dass wir mehrere wesentlich von ein-
ander verschiedne Systemversuche scheiden müssen. Häufig in
der Ali. wie bei Piaton, Spinoza, Leibniz, Kaut. <la-- wir mehr
oder weniger Entwicklungsstufen der Gedankenmassen bis zur Ab-
lösung von der Zeitphilosophie und der Aufstellung eines originalen
Lehrgebäudes zu trennen haben. Häufiger uoch bo, dass wir
von der ursprünglichen Form des Systems eine spätere, modifi-
cirte abtrennen müssen, wie in aufsteigender Reihe bei Hume, Scho-
penhauer, Lotze, Piaton, Kaut. Es isl klar, dass diese Entwicklungen,
deren fliessender Zusammenhang auf der Hand liegt, nicht aus-
schliesslich, Bondern nur vorwiegend immanente sind, der Reg< I
nach allerdings in grösserem blasse, als die landläufigen historischen
Rekonstruktionen erscheinen lassen. Mehrfach sind in allen den
hierhergehörigen Systemgruppen selbst die tiefer fortbildenden An-
triebe andere als die ursprünglich entscheidenden. Nicht selten
treten Momente hinzu, die einer Reaktion gegen die wissenschaft-
liche Aufnahme des Systems zuzuschreiben sind.
Vorausgesetzt ist bei dem allen, dass die üeberlieferung der
Lehre in der Hauptsache vollständig ist. Die mannigfaltigen me-
thodologischen Schwierigkeiten, die je nach dem Grad und der
An der ünvollständigkeil der unmittelbaren und mittelbaren
'.»uellen entstehen, sollen hier ausser Betracht bleiben.
Die Richtung dieser historischen Untersuchung gehl auf die
objektiven Bedingungen der Problementwicklung. Aehnlich wie
in allen Gebieten der Geschichte des Menschen müssen wir hier
in der Regel darauf verzichten, die psychologischen Bedingungen
der Entwicklung eines Systems im Geiste seine- l rhebers aufzu-
Zur Methode dei Geschichte der Philosophie. :; |7
>l»iin-ii. Wer jemals einen grösseren Zusammenhang selbständig
durchdacht hat, weiss, wie hoffnungslos es ist, im Einzelnen fest-
zustellen, wann, wo und wie die Gedanken zu einem neuen -
bilde zusammenschiessen, und welche unter ihnen den Abschluss
herbeiführen. Es liegt zwar eine feinsinnige Beobachtung in der
paradox zugespitzten Behauptung, dass die Begriffe selbst sich be-
wegen. Niemals jedoch ist der Denker ein blosses Gefäss für seine
Gedanken. Und es ist weder der kleinere noch der geringere Teil
der geistigen Arbeit, der sich unterhalb der Schwelle des Bewusst-
seins, also auch ausserhalb der Sphäre des eigentlichen Denkens
vollzieht. Wir vermögen wo! gelegentlich die eine und die andere
jener psychologischen Bedingungen so zu bestimmen, dass sie ein
leidlich sicheres Hilfsmittel der Rekonstruktion wird. Aber selbsl
dann reicht ihr konstruktiver Einfluss auf die psychologische Genesis
weder so weit noch so tief, dass er es möglich machte, dn\ ver-
schlungenen Wegen der geistigen Arbeit auch nur in einem klei-
nen Zusammenhang ernstlich nachzugehen.
Wir müssen jedoch nicht nur. wir sollen auch auf solche
psychologisirende Rekonstruktion verzichten. Sie ist nur dazu an-
ai. die Aulgaben der Geschichte zu verwirren. Denn diese
liegen in den objektiven Bedingungen der Entwicklung, nicht in
dem zufälligen Spiel ihres psychologischen Zusammenwirkens. Die
stige Energie der historischen Persönlichkeiten ist eine wesent-
liche unter jenen objektiven Bedingungen. Ihr gebührt sogar eine
grössere Beachtung, als ihr zumeist zu Teil wird. Aber sie kommt
hier nur soweit in Betracht, als sie sich in dem Inhalt und
der Form des Gedachten wirksam erweist. Die Art. wie diese
Wirksamkeit im Einzelnen zu Stande kommt, bedeutet für die hi-
ische Rekonstruktion gar nichts. Der Zug einerseits muh dem
ziellen, andrerseits nach Zusammenhäufung alles möglichen Ma-
terials, der unsere alternde Zeit bewegt, hat nicht bloss in der
literarhistorischen, sondern auch in der philosophischen Einzelfor-
schung manche abschreckende Beispiele solcher psychologisirenden
Methode erzeugt. Wenn irgend eine Selbsterkenntnis die tieferen
Grunde unserer Arbeitsmängel auf dem Felde der Geisteswissen-
schaften blosslegt. >o ist es die. das. wir über der notwendig ge-
348 Benno Kr dmann .
wordenen Kleinarbeit die umfassenden Gesichtspunkte verloren
haben, welche die kühnen Konstruktionen des siebzehnten and
nden neunzehnten Jahrhunderts möglich machten.
Wie es scheint, hat schon Knut diese Methode objektiver
historischer Rekonstruktion im Auge gehabt Er sagt in seiner
Architektonik der reinen Vernunft, «leren tiefsinnige Systematik
allerdings begriffen sein will, mit deutlichem Rückblick auf Beine
ne Entwicklung: „Die Systeme scheinen .... aus dem blossen
Zusammenfluß von aufgesammelten Begriffen anfangs verstümmelt,
mit der Zeit vollständig gebildet worden zu sein, ob sie gleich
alle insgesamt ihr Schema als den ursprünglichen Keim in der
sich bloss auswickelnden Vernunft hatten, und darum nicht allein
ein jedes für sich nach einer Idee gegliedert, sondern ooch da/u
alle untereinander in einem System menschlicher Erkenntnis wie-
derum als Glieder eine-. Ganzen zweckmässig vereinigt sind . . .
Dm deswegen muss man Wissenschaften, weil sie doch alle aus
dem Gesichtspunkte eil wissen allgemeinen Im
dacht werden, nicht nach der Beschreibung, die der Urheber der-
selben davon gibt, - lern nach der [dee, welche man aus der
natürlichen Einheit ^\^v Teile, die er zusammengebracht hat, in
der Vernunft Belbsl gegründet findet, erklären und bestimmen."
Der Wortlaut dieser Stellen sowie der Zusammenhang der ganzen
Ausführung zwingt allerdings zu der Annahme, dass der Philosoph
zugleich Bachliche Aufgaben im Sinne hatte, die mit denen einer
lediglich nachbildenden, historischen Rekonstruktion nicht vermischt
werden dürfen.
Nur der hauptsächliche Gewinn der objektiven historischen
Untersuchung isl im wesentlichen schon von Kant zutreffend cha-
rakterisirt. sie allein macht es möglich, in dem Wechsel der
Standpunkte den Portgang zum Höheren zu erkennen. Ein solcher
Fortgang muss in <\*'r Geschichte der Philosophie dem in das
Ganze <l'\' Entwicklung Schauenden ebenso, also auch mit der
gleichen Beschränkung durch das Widereinander von Aktion und
Reaktion, deutlich werden, wie etwa in der Geschichte der Einzel-
wissenschaften, des sittlichen Bewusstseins und der Religion. Ge-
wisa i-t die Geschichte aller materialen Disciplinen, d.i. aller
Zur Methode der Geschichte der Philosophie. 349
Wissenschaften von Tatsachen, eine Geschichte unserer Irrtümer.
Aber sie isl eine Geschichte der Irrtümer, die auf dem Wege zur
Wahrheit liegen.
Eine Vorbedingung für die Lösung der allgemeinen histori-
schen Aufgabe der Philosophie ist, dass die Geschichte der philo-
sophischen Systeme durch Monographien über die Entwicklung der
einzelnen Probleme ergänzt werde. Denn wer in der beschriebenen
Weise zu rekonstruiren versucht, soll einerseits die Gleichför-
migkeit der Problemlage unter den verschiedenen systematischen
Umhüllungen zu erkennen wissen, die den Problemen und ihren
Lösungen als Bestandstücken verschiedener Systeme zu Teil wei-
den. Er soll andrerseits die Unterschiede der Problemgestaltung
linden, die sieh mehrfach hinter dem ähnlichen und selbst dein
gleichen Wortlaut verbergen. Verfehll wäre es jedoch, an die
Stelle der Geschichte der Systeme eine blosse Zusammenfassung
der Geschichte der Probleme treten zu lassen. Nicht nur die sub-
jektiven Einheiten der Geschichte der Philosophie, die Individua-
litäten der führenden Geister, gehen bei einem solchen Versuch
verloren, sondern auch die objektive, die wissenschaftliche Gesamt-
auffassung des Wirklichen.
Es wird zweckmässig sein, diese allgemeinen Bemerkungen
an einem speziellen Fall, der Problemlage in der Metaphysik (]os
Cartesius zu erläutern.
(Fortsetzung folgt.)
w.
Uns erste Auftreten der griechischen
Philosophie unter den Arabern.
Von
Ludwig Stein in Bern.
Aul der arabischen and jüdischen Linie der Philosophie, <li«' sich
von Alexandrien abzweigen, um Dach und nach in Florenz anzulan-
gen, gibl es eine erkleckliche Anzahl von Zwischenstationen, an de-
nen sich politische and religiöse Interessen wunderlich genug beg
nen and kreuzen. Auf der byzantinischen Seite der philosophischen
Entwicklung hat man es in der Hauptsache doch nur mit einer
Nation zu thun, hier aber stossen wir auf eine buntscheckige Reihe
von Nationalitäten, <lic einander in der grossen Culturaufgabe,
die wissenschaftlichen und philosophischen Ideen der Griechen zu
hüten and künftigen Generationen zu übermitteln, ablösen. Syrer,
Perser, Armenier, Araber und Juden theilen sich hier in die Auf-
gabe, die hellenischen Traditionen fortzupflanzen. Antiochien, «las
als Musensitz schon Cicero bekannt war'), Apamea, Emesa, Laodicea
und andere syrische Städte, später besonders Berytus, Edessa, Nisi-
bis, Seleucia, Bagdad, Basra, Granada and Cordova heissen 'li<- vor
aehmlichsten Städte, in deuen die philosophische Tradition, genährt an
der gemeinsamen Mutterbrust der griechischen Philosophie, sich er-
hielt. Durch dieses bunte Völkergemisch erhält die hier zu skizzirende
Ri de pro Archia | ta cap. •"-
Das erste Auftreten d. griech. Philosophie anter d. Arabern. :'>.">1
Traditionskette Leben and Farbe. An die Stelle der einschläfern-
den Monotonie der Philosophie bei den Byzantinern tritl hier reges
Entfalten oeuer Gedankenkeime. Insbesondere bietel der jungfräu-
liche geistige Boden der mit rasender Geschwindigkeit emporsprossen-
den arabischen Cultur, die aber, wie wir bald sehen werden, nur
durch die Sonne der hellenischen Wissenschaft ihr belebendes Ele-
ment, ihre keimkräftige Triebfähigkeil empfängt, ein glückliches Ver-
suchsfeld neuer [deenbildungen. Es machl last den Eindruck, als ob
unter den Arabern eine Unsumme anverbrauchter und verhaltener
Geisteskraft aufgespeichert gewesen wäre, die nur des entscheiden-
den Moments harrte, durch ein elementares Ereigniss ausgelöst zu
werden, lud als Muhammed dieses erlösende Wort gefunden hatte.
da explodirte diese verhaltene Kraft zunächst in beispiellos kühnen
Religionskriegen. Ms aber diese mit märchenhafter Expansions-
kraft durchgefochten waren, da machte sich das Bedürfniss geltend,
dem strotzenden Kraftüberschuss ein anderes, edleres Ziel zu setzen.
Und so entstand bereits ein Jahrhundert nach der Hegira unter
der Herrschaft der Abbäsiden jenes plötzlich aber hell aufprasselnde
Feuerwerk der arabischen Philosophie, das einzelne prächtige Ge-
dankenraketen aufblitzen liess, um nach wenigen Jahrhunderten
schon kläglich zu verpuffen und in einem muhammedanisch-ortho-
doxen Schlamm zu versumpfen.
Seit den Eroberungszügen Alexanders des Grossen waren in
Syrien unter den Ptolemäern und Seleuciden griechische Sprache und
Sitte so -ehr eingedrungen, dass Antiochia mit dem ganz gräzisirten
Alexandrien zu wetteifern begann. Als Syrien nach schweren Schick-
salsschlägen im Jahre 64 v. Chr. dem römischen Reiche einverleibt
wurde, hielt es in seinen Institutionen, wie in Sprache und Sitte
die griechische Tradition aufrecht. Im zweiten christlichen Jahr-
hundert war die griechische Sprachtradition unter den Syrern noch
Lebendig genug, dass sieh Männer fanden, das neue Testament in's
Syrische zu übertragen. Dass sich die griechische Sprache in der
christlichen Liturgie der Syrer forterhielt, kann nicht Wunder neh-
men. Wichtiger ist, dass auch in der Profanlitteratur die griechische
Sprachtradition bis in das siebente Jahrhundert hineinwirkt. In
äem Jahrhundert hat nämlich imch Jacolm- aus Edessa aeben
Ludwig S t im n .
mehreren Kirchenschriftstellern auch di< logischen Schriften des
Aristoteles aus <1< m Griechischen in's Syrische übertragen *).
Dass in Syrien die neuplatonische Philosophie besondere Pfl<
fand, darf uns am so weniger auffallen, als ja zwei der bedeutend-
sten Häupter <li' - S Syrien entstammten. Porphyr Däm-
lich war zu Batanea in Syrien and Jamblich zu Chalkia in Cöle-
syrieo geboren. Audi der weniger bedeutende Schüler Jamblich's,
Sopater, den Constantin <l<r I hinrichten Hess, war ein Syrer
aus Apamea. Und so entsteh.1 eine eigene Schule von syrischen
Philosophen. Selbst der letzte Scholarch von Athen, Damascius,
war t'in Syrer. Dass die Syrer eine besondere Vorliebe für die
aus ihren Reihen hervorgegangenen Philosophen beeassen, wird
ihnen Niemand verdenken. Wesentlich diesem Umstände durfte
es daher zuzuschreiben sein, dass Porphyrius zu unverdient grossem
Ansehen und unverhältnissmässig weiter Verbreitung unter den
Arabern gelangt ist Da die Araber ihre Uebersetzungen fasl nur
durch Vermittlung syrischer Aerzte erhielten, so isl ea b greiflich,
dass diese alle Veranlassung hatten, den Schriften ihres Landsmanns
Porphyr eine möglichsl grosse Verbreitung zu verschaffen.
Au der Verschiebung des Schwerpunktes philosophischer Tra-
dition tiefer in den Orienl hinein sind politische Unduldsamkeil
und kirchliche Verfolgungssuchl gleichsehr betheiligt. Bai doch Kai-
ser .lustiiiian durch Verfolgung aller Nichtchristen und Schliessung
der freilich ohnehin nur noch kümmerlich dahinvegetirenden Phi-
losophenschule za Athen (529) den letzten Scholarchen derselben,
den Syrer Damascius, wie dm ausgezeichneten Commentator
des Aristoteles, Simplicius, genöthigt, mit einer Anzahl ueu-
platonischer Philosophen (Diogenes und Bermias aus Phönikien,
Lsidorus aus Gaza, Eulalius aus Phrygien, Priscianus) nach Persien
zu entfliehen '), woselbsl der Sassanide Chosroes Nuschirwan den
Musen ergeben war. Obgleich alle diese Philosophen aach dem
Friedensschluss zwischen Persien und dem römischen Reich (5
Vgl. Wenrich, De auctorum Graecorum versionibua ei commentariia
Syriacis Arabicis Armeniacis Persisque Commentatio Leipzig 1842 p. 7.
Vgl. Agatbias, de imperio ei rebua gestis Justiniani II. cap. SO 81,
buhr p. 131 IT.
Das erste auftreten d. griech. Philosophie unter d. Arabern. .">.">.">
wieder Dach Griechenland zurückkehrten, so hinterliessen sie doch
Spuren ihres Daseins. Am Hofe eben dieses Chosroes wirkte der
Syrer Uranius, der, anfGeheiss seines Gönners, dessen Lieblings-
schriftsteller Piaton und Aristoteles Ln's Persische übertrug4). Es
h;it indess für unsern Zweck wenig Bedeutung, diese persische
Auszweigung der griechischen Litteratur weiter zu verfolgen, zumal
dieses dürftige Bächlein bald genug versandete. Will man freilich
ein/einen fragwürdigen Berichten glauben, so wären auch durch
persische Uebersetzungen, die später von Abdullah ben Almokaffa
in"s Arabische übertragen wurden, einige medizinische und logische
Werke des griechischen Alterthums in die muselmännische Cultur
hinübergerettel worden. Aber einmal sind schon diese Berichte
wenig zuverlässig, andermal würden sie, wenn sie selbsl besser
beglaubigt wären, von nur geringem Belang für unsere Zwecke
-ein. Suchen wir doch nur jene Culturwege auf, die, wenn auch
nach vielen Krümmungen und zickzackartigen Windungen, immer-
hin vorwärts führen und mittelbar iu die Renaissance, weiterhin
in unsere philosophische Entwicklung einmünden. Das lässt sich
indess weder von der persischen, noch von der armenischen
Oebersetzer-Litteratur nachweisen, wenngleich die Perser ihre Aka-
demien in Nisibis und Gandisapora, und die Armenier schon
an der Wende des 5. Jahrhunderts einen so bedeutenden In-
terpreten des Aristoteles aufzuweisen hatten wie David den
Armenier5). Da ein merklicher Einfluss dieser beiden Culturen
auf den Entwicklungsgang der arabischen Philosophie nicht nach-
weisbar ist, so verlieren sie sich eben für uns in Sackgassen, die
weiter zu verfolgen dem Zweck dieser Untersuchungen durchaus
nicht entspricht.
Von desto einschneidenderer Bedeutung ist aber für uns die
syrische Linie, die unmittelbar in die arabische hinüberführt.
Dass die Syrer in den ersten christlichen Jahrhunderten im Gno-
stiker Bardesanes und in Ephraem Syrus eine bemerkens-
4) Ibid. II, cap. 28, p. 126.
5) Vgl. aber ihn C. F. Neumann, Memoire sur la vie et les ouvrages de
David, Paris 1829, p. 54. Seine Schriften sind i. Th. abgedruckt in Brandis1
Scholien^ainmluug des Aristoteles.
!t.
werthe litterarische Vertretung besassen, ist bekannt Weniger
bekannt ■- ss, dasa im fünften Jahrhunderl die griechische
Sprachtradition an der syrischen Akademie zu Edesaa noch -
kräftig oachwirkte, dasa die Lehrer dieser Akademie, Cumas und
Probus, sowie das Kirchenhaupt Hibaa eine Uebersetzung der
Schriften des Aristoteles in's Syrische veranstalten konnten6).
Doch sollte die Akademie zn Edessa sehr bald ein traurig
Ende nehmen. Die unseligen Kirchenspaltungen, die den ersten
christlichen Jahrhunderten eine so wenig anmuthende Physiognomie
verleihen, haben auch dieser Pflanzstätte hellenischen Geistes ein
jähes Ende bereitet. Als nämlich der Presbyter von Antiochien
und nachmalige Patriarch von Constantinopel, Nestorius, die
Jungfrau .Maria nicht als Gottesgebärerin, sondern nur als Christus-
gebärerin anerkennen wollte, beschloss das Concil zu Ephesos, die
Ketzereien des Nestoriua zu verdammen. Sogleich bildete sich im
aufgeklärten Edessa, wo durch die Pflege des griechischen Geü
eine etwas freiere Lufl wehte, eine nestorianische Gemeinde (43
welche die Ketzereien >\r> Nestoriua freudig jriff und für die
neue Lehre Propaganda zu machen suchte. Die orthodoxe Kirche
i rat jedoch diesen sectirerischen Gelüsten mit der ihr eigenen Schroff-
heit entgegen. Die Lehrer der Akademie zu Edessa, nestorianische
Christen, wurden verbannt, die Akademie selbst aufgehoben, und so
iiiu— ten die Süchtigen Nestorianer ebenso im gastfreundlichen Persien
eine Zuflucht suchen7), wie später die neuplatonischen Philosophen
vor der Verfolgungssucht Justinians. Die bitteren Lehren, welche
die christliche Kirche durch .Mark Aurel und Diocletian erhalten
hatte, waren in alle Winde zerflattert. Aus dem Verfolgten, der
noch kurz zuvor unter Julianus Apostata erproben kennte, ein wie
tiefes Weh die Religionsverfolgung hervorzurufen vermag, wurde
gleichwol ein noch grausamerer Verfolger.
Im heidnischen Persien konnten die verfolgten nestorianischen
Christen ebenso ungestörl ihrem Glauben leben, wie später an den
Höfen der Chalifen. Was die eigene Kirche nicht duldete, hat die
\ ■■ in. um. I'.ii'l. Orient Bd. III, Th. I, p.85; vgl. dazu Wenricb I.e.
p. 8.
Ebenda Bd. II. 102, und Bd. III. Th. I. 376 und 3'
l>;i» erste auftreten d. griecb. Philosophie anter d. Arabern. 355
feindliche unbedenklich gewähren lassen. I >!>• aus Edessa vertrie-
beneu uestorianischeu Gelehrten, die uach Mesopotamien, Arabien
und Persien geflohen waren, konnten an den persischen Akademien
zu Nisibis und Gaudisapora8) ihrer Uebersetzerthätigkeit ungehin-
dert obliegen. Zu Ihnen gesellten sich noch die gleichfalls ihres
Glaubens wegen von ihren eigenen Religionsgenossen verfolgten
Jakobiten, deren Patriarch, Athanasius II.. noch im 7. Jahr-
hundert unter Anderem Porphyrs [sagoge in's Syrische übersetzte.
Tutor den persischen Königen erfreuten sich diese Flüchtlinge
grosser Beliebtheit; sie wurden zu hohen Staatsämtern zugelassen
und zuweilen zu Gesandtschaften verwendet. Gau/, besondere
Schätzung aber besassen sie als Aerzte. Es ist uns eine statt-
liche Liste von syrischen Aerzten aufbewahrt, die ihre Kunsl an
den Höfen der Grossen mit Auszeichnung ausgeübt haben. Diesen
syrischen Aerzten war nun durch das Zusammentreffen weltge-
Schicht Hoher Ereignisse eine Culturmission ersten Ranges vor-
behalten.
Im siebenten Jahrhundert brauste nämlich der Sturmwind mos-
lemischer Begeisterung mit orkanartiger Wildheit über den Orient
dahin und fegte Alles fort, was sich ihm widersetzte, schonte jedoch
Alles, was sich ihm unterwarf. Schon wer vorsichtig genug war.
gleich beim Herannahen des Sturmwindes eine höfliche Kniebeugung
zu machen, blieb unbehelligt. Wenigstens finden wir die Nestorianer,
die sich jetzt chaldäische' Christen nennen, schon an den Höfen
der ersten Chalifen als Aerzte thätig, ohne dass sie ihres Glaubens
wegen Bedrückungen ausgesetzt gewesen wären.
Theologisches Schulgezänk blieb natürlich bei den Moslemin
so wenig aus wie bei den Christen. Noch ruhte das Schwert nicht
in der Scheide und schon entstanden im Schosse der kaum flügge
gewordenen Religion Meinungsverschiedenheiten über die starre
Prädestinationslehre des Koran9). Zu Anfang des 8. Jahrhunderts
(728) wurde denn auch schon eine Anzahl moslemischer Ketzer,
") Ueber diese Akademie vgl. Schulze, disputatio de Gandisaporä, in
Comment. societ. sei. Mit. Petropol. vol. XII, Wenrich p. 10.
9) Vgl. meine Willensfreiheil bei den jüd. Philosophen des Mittelalters,
Berlin 1882, S. 1.
356 L u d ■ 11 .
welche die Willensfreiheit Lehrten, gekreuzigt14). Auf einen völlig
anderen Boden wurden indess diese Debatten gestellt, als die Ara-
ber durch die Vermittlung der syrischen Aerzte die philosophischen
Schriften der Griechen kennen Lernten, and dies geschah bald genug.
Die Abbasiden, Nachkommen Abbas1 [., des Oheims Bfuham-
meds, mussten unter der Berrschafl der Omejjaden in Arabien,
Mesopotamien und Pereien ein Asyl vor den Nachstellungen ihrer
Feinde Buchen, and da diese Geg gerade von den Nestoria-
ii. in bevölkerl wann, macht« - sich von Belbst, dass die zur
Thatenlosigkeit verurtheilten Prätendenten sich den auf einer hö-
heren Culturstufe befindlichen Nestorianern anschlössen11). Und
als die Abbasiden 749 zur Berrechafl gelangten, da war nichts
uatürlicher, als dass sie die ehemaligen aestorianischen Freunde
als Aerzte an ihre Böfe zogen and in jeder Weise auszeichneten.
Gleich der zweite Abbaside, Abu Gafar L, bekannt unter dorn
Namen Almansor (der Siegreiche 704—77.")), nimmt einen mäch-
tigen Anlauf, die hellenische Cultur auf moslemischen Boden zu
verpflanzen. Er hatte seine Jugendjahre in Persien im Verkehr
mit Nestorianern verlebt Nach seinem Regierungsantritt zog er
die berühmtesten syrischen Aerzte an seinen IM und veranlasste
dieselben, die von ihnen ins Syrische übersetzten Werke der t iri.--
chen in- Arabische zu übertragen. Nach einem Berichte des J Im
Chaldün sollen die Elemente Euclid'a das erste ins Arabische
übersetzte Werk gewesen sein. Dass bei dieser Debersetzerthätig-
keit Astronomie und Philosophie ebensosehr betheiligt waren, wie
die Medizin, darf uns nicht Wunder nehmen. Der Arzt jener
Tage war eben nicht einseitiger Repräsentant Beines Faches, son-
dern Träger des Bildungsinhaltea seines Zeitalters. Die meisten
Philosophen der arabisch-jüdischen Epoche waren von Beruf Aerzte.
Es war daher ganz begreiflich, dass die .syrischen Aerzte, durch
Mäcene zu üeberaetzungen aufgemuntert, ebensosehr philosophische
Schriften wie medizinische bearbeiteten, oh diese Qebersetzer
I0) Vgl. Dngat, Pbilosophea et the'ologiens musulmans, Paris lsT'.'. p, i:;.
") 8o erklärt mit Behr einleuchtenden Gründen Jourdain, Rechercbes
criliquea sur \'< origine des traductiona latinea d'Ariatote, Paria 1848,
p. 81 den \ org u
Das 1. Auftreten d. griecb. Philosophie unter d. Arabern. 357
nur aus dem Syrischen oder auch direel aus dem Griechischen
ins Arabische übertragen haben, lässl sich schwer feststellen.
Wollte man Abu'lfarag glauben, dann hätte Theo phil aus Edessa,
der am Bofe Almahdi's, des Nachfolgers von AJmansor, gewirkl hat.
noch genügend griechisch verstanden, zwei Bücher 'In- Qias in's
Syrische zu übertragen"). Allein mögen auch einzelne dieser Ueber-
setzer aoeh leidlich griechisch verstanden haben, so dürften sie doch
in ihrer Überwiegendon Mehrzahl den syrischen Text ihren Ueber-
setzungen zu Grunde gelegt haben.
Die mit Almansor einsetzende bildungsfreundliche Tradition
wird von seinen Nachfolgern respeetirt. Der Chalif Harun -ar-
Raschid (der „Gerechte" 796 — 809) nimmt dieselbe in grossem
Stile auf. Es entstehen im neuen Musensitz Bagdad ganze üeber-
setzerschulen. Ihren Höhepunkt erreicht diese Bewegung unter
Almamün (813 — 833)13). In jenem Jahrhundert, das man als
das dunkelste der byzantinischen Culturent wicklung bezeichnet hat,
fasst Almamün den grandiosen Plan, allerorts wissenschaftliche
Manuskripte aufzuspüren, ja er soll an den Kaiser von Byzanz
mit der Bitte herangetreten sein, ihm sämmtliche philosophische
"Werke, die aufzutreiben seien, zu übersenden l4). Diese Liebe zur
Wissenschaft hatte unter den Abbäsiden nach und nach so tiefe
Wurzeln geschlagen, dass selbst ein so zügelloser und blutdürstiger
Geselle wie al Muttawakkel (847 — 861) nicht umhin konnte.
die litterarischen Traditionen seines Hauses nicht bloss zu behaup-
ten, sondern sogar noch zu steigern. Denn unter ihm und mit
seiner Unterstützung wirkte der erfolgreichste Uebersetzer, llonaiu
neu Isaac, der iu Alexandrien die griechische Sprache erlernt
hatte, daneben aber auch die syrische, persische und arabische
Sprache gleich gut beherrschte15). Ilonain und sein Sohn Isaac
haben eine geradezu staunenswerthe Uebersetzerthätigkeit entfaltet,
,s) Vgl. Abulfarag, bist, dynast. p. -'28 arab. Text, p. 148 lat. Uebers.
Wenrich 1. c. p. 14: über die Streitfrage, welche dieser Bericht hervorrief,
vgl. Wenrich ib. p. 7-i f.
,3) Vgl. Buhle, de studiis litterarum graecarum inter Arabes Initiis ei ra-
tionibus, in Comment. societ. Gott. Vol. XI. p. 216f.
u) Abulfarag, 1. C. p. 246 arab. Text. p. 160 lat. tJebers.
1 ') Ibid. p. 117.
Lud« :i.
and zwar Bowohl aas dem Griechischen in"> Syrische, wie aas dem
ii'fi Arabische. Das M ibern aus der
»
philosophischen Litteratar der Griechen, insbesondi i n den
Schriften des Aristoteles, bekannl geworden ist, rührt bereits von
dieser I ersetzerfamilie her. Es gab j;i später elegantere and
hmackvollere üebersetzer, wie Jahja ben Adi, Kosta ben
Laka, Thabel ben Korrah; aber EJonain ben [saac gebührt
doch die Palme. Denn einmal gehörte er zu den Bahnbrechern
dieser Richtung, andermal hatte er den Vorzug, dass er vortreff-
lich griechisch verstand, was seinen arabischen Debersetzunj
sehr zu Gute kam. Tritt nun noch hinzu, dass er auch an Umfang
der Leistungen alle Uebereetzer überragte, so wird man nicht
anstehen, Honain ben [saac trotz der an sich untergeordneten
[Jebersetzerthätigkeit mit Rücksicht auf die Continuitat der Geistes-
entwicklung eine centrale Stellung anzuweisen. Er hat aeben Al-
Kendi für die Araber etwa das geleistet, was der eine Zeitgenoss .
Photios, für die byzantinische, and der andere, Johannes Sco-
tus Erigena, für die christliche Scholastik vollbracht haben.
Wer die Continuitat des Geisteslebens im Mittelalter bezwei-
felt and zwischen der Antike auf der ''inen, der Renaissance auf
der anderen Seile nur «in _ rtiges Vacuum zu sehen geneigt ist,
der sollte auf folgendes merkwürdige Zusammentreffen achten. 1 m
die Mitte des neunten Jahrhunderts, das vielfach als eine dunkle
Epoche der Culturentwicklung ausgegeben wird, leben gleichzeitig
auf den drei Hauptlinien der Culturentwicklung mehrere Männer.
die, ohne dass der Eine von der wissenschaftlichen Existenz des
Anderen etwas geahnt hätte, ungefähr um dieselbe Zeil den
Anstoss zu neuen Gedankenbildungen geben. Es Ist wohl
ooch nicht auf den merkwürdigen Umstand hingewiesen worden,
dass Photios, Johannes Scotus Erigena, Al-Kendi und Honain ben
[saac Zeitgenossen waren, die «gleicherweise um die Mitte des neun-
ten Jahrhunderts ihre Wirksamkeit entfaltet haben. Photios bestieg
den Patriarchenthron im Jahre 857, Johannes Scotus war im Jahre
: schon ein berühmter Mann16), und Honain ben Isaac entfaltete
Wort» Staudenmaier's, Johannes Scotua Erigena u. die Wissenschaft
Frankfui i a. If. 1834, I. 156 t.
Das erste Auftreten d. griecb. Philosophie untei d. Arabern.
neben dem gleichzeitig lebenden Al-Eendi seine grandiose l eber-
setzerthätigkeit unter der Regierangszeil al Muttawakkel's (847 bis
861),T). Es steh! demnach Fest, dass Photios in Constantinopel,
Johannes Scotus in Paris, Al-Kendi und Honain in Bagdad fasl um
die gleiche Zeit, vielleichl gar im gleichen Jahrzehnt, aul allen
drei Linien der Culturentwicklung eine neue Epoche begründen.
Alle diese Reformatoren sind aber von der griechischen
Philosophie ausgegangen, und /.war ruhen alle diese Män-
ner, ganz unabhängig von einander, auf der gleichen aristotelischen
und neuplatonischen Basis. Photios geht auf Aristoteles zurück.
stützt sich aber in seinen dialectischen Arbeiten hauptsächlich auf
Porphyrios, Ammonios und Johannes von Damaskos18); Johannes
Scotus gehl gleichfalls auf Aristoteles zurück 19), daneben aber auch
vorzugsweise auf Dionys den Areopagiten, den er aus dem Griechi-
schen in's Lateinische übersetzt, und Maximus Confessor, den Com-
mentator des Areopagiten. Al-Eendi ist reiner Aristoteliker. Bonain
endlich übersetzt Aristoteles aus dein Griechischen in's Syrische20),
daneben aber auch Alexander von Aphrodisias8'), Porphyrs [sa-
. die sehr bald ein Lieblingsbuch der Araber werden sollte,
sodann in's Arabische Platon's Politik und Gesetze23), lerner lo-
gische, naturwissenschaftliche und ethische Schriften des Aristote-
. daneben aber auch Themistius85).
Diese Zusammenstellung beweist klärlich, dass um die Mitte
des neunten Jahrhunderts an den drei Culturzentren i\rs Mittelalters
— Constantinopel, Paris und Bagdad — die aristotelische und neu-
platonische Tradition in unmittelbarer Anknüpfung an die
griechischen Texte wieder aufgenommen und nunmehr in leb-
hafterem Tempo weitergeführt wurden sind. An einem anderen Orte
werde ich die Continuität der griechischen Philosophie bis in's neunte
Jahrhundert verfolgen und aufzeigen, dass der geistesgeschichtliche
,7) Abulferag, I.e. p. 263f. arab. Text. p. 171t. lat. üebers.
V*gl Krumbacher Gesch. der byzantinischen Litteratur S. 224.
51 ludenmaier a. a. 0. S. 288 u. 5.
Wenrich, a. a. 0. S. 69, 126, 129.
I. ada p. 275. ") Ebenda p. 2 Ebenda p. 117. [18
-') Ebenda p. 131, 134, 1- -5) Ebenda p. 287.
biebte d. Philosophie. VII. 25
Lud* n.
Zusammenhang bis zu diesem Jahrhundert keine Unterbrechung
ihren hat. und so darf i «1 1 es wol als Bestätigung des Haupt-
• iiki'ii-. von welchem diese Untersuchung beherrscht wird, an-
sehen, dass in diesem vielfach als anfruchtbar verrufenen neunten
Jahrhundert sich die entscheidenden Persönlichkeiten auffinden
liessen, welche — gleicherweise von der griechischen Philosophie
ausgehend — auf «hm drei Cultnrlinien des Mittelalters unabhängig
von einander die Continuität <I«t griechischen Gedankenwelt nicht
bloss aufrechthalten, sondern auch zur Fortbildung and Umbildung
derselben in durchgreifender Weise den Ansporn geben.
Je trager und seichter aber der nur dürftig gespeiste byzan-
dsche Gedankenstrom dahinfloss, desto frischer und lebendiger
entfaltete sich der arabische. Aus dem theologischen Schulgezänk,
das <li<' starre Prädestinationslehre des Koran, wie oben bereits
angedeutet, hervorgerufen hatte, wurde eine regelrecht ausgebildete
Philosophie, sobald den Arabern duroh die l ebersetzungen der
syrischen Aerzte der Zutritt zur griechischen Philosophie eröffnet
war. Hatte bisher der Widerstreit der von Muhammed dogmatisch
behaupteten Prädestination mil der von einzelnen Gläubigen gefor-
derten Willensfreiheit das wesentlichste Streitobjeot des sich d
matisch befestigenden and ausbauenden Muhammedanismus al
geben86), so erfuhr der [deenkreis der muhammedanischen Theologen
in ilom Augenblick eine gewaltige Bereicherung, als ihnen ein Ein-
blick in die reiche griechische Gedankenwelt erschlossen wurde. Wie
Früh »lies bereits der Fall war. dürfte folgende Combination ergeben.
Der erste Araber, von dem man, soweit ich es übersehen kann,
mit Sicherheit nachzuweisen vermag, dass er die griechischen Phi-
losophen bereits gelesen and mit Erfolg benutzt hat, war oeben
AI rlendi der Mu'ta/.ilii Ibrahim ben Sajjär an-Nazzam, dessen
Wirksamkeit um das Jahr *2l'<> der Hegira bezeugt ist"). Seine
Blüthezeit fallt demnach in <las Jahr835'8). Von an-Nazzäm aber
■'') VgL Steiner, die Mu'taziliten odei die Freidenker im Islam, Leipzig,
1865, 8. töff.
Vgl. Ainilin;ili;'iiiii l, |>. 656; Steiner a.a.O. S. 56.
Rechne! man zui li 622 die 220 muhammedanische Jahre hinzu
220 7), dies das Jahi 885 dei christlichen Zeitrechnung.
Das erste Auftreten d. griech. Philosophie unter d. Arabern. :>i;i
sagl Schahrestani ausdrücklich „er ha1 diese Meinung nur vmi
deD alten Philosophen entlehnt "'-'")• Wenn daher der am 835
lehrende an-Nazzäm bereits griechische Einflüsse in erheblichem
Umfange an sich erfahren hat, bo müssen ihm schon die ersten
Uebersetzungen zu Gesicht gekommen sein. Seinen Lehrsätzen, die
freilich nur in kümmerlicher Gestall auf uns gekommen sind, merkl
man indess selbsl in dieser ihrer dürftigen Form schon die läuternde
Wirkung griechischen Denken- an, was bei Abu-1-Hudail, einem älte-
ren Mutaziliten, noch nicht der Fall ist. Er verwirft alle anthropo-
morphischen und anthropopathischen Definitionen der Gottheit, die
seitens der orthodoxen Anhänger des Ealam aufgestellt worden .sind,
und beschränkt die Allmacht Gottes dahin, dass Got1 das Böse, auch
wenn er es wollte, nicht vollbringen könnte, weil eine so weit-
gehende Allmacht, die auch die Möglichkeit des Bösen einschlös
dem weit höheren Begriff der Allgerechtigkeit, den er als Mnta-
zilit natürlich in den Vordergrund stellt, widersprechen und ihn eben
damit aufheben würde. Er beschränkt also den göttlichen Willen
zu Gunsten der göttlichen Gerechtigkeit, aus welcher er alsdann Ge-
setz und Ordnung im Lauf der "Welt ableitet30) — ein Gedanken-
gang, der später bei Voltaire fast in derselben Fassung wiederkehrt. 31)
hie weitere Entwicklung der griechischen Philosophie unter
den Arabern bleibt einer späteren Untersuchung vorbehalten, liier
kam es nur darauf an. den ersten philosophirenden Araber auszu-
mitteln, der vielleicht noch früher als der um 870 gestorbene Ari-
stoteliker Al-Kendi die Einwirkung der griechischen Philosophie
nachweislich an sich erfahren hat.
Schahr ed. Coreton, 1842, I. r*v letzte Zeile:
Vgl. auch die deutsche Oebersetzung bei Eaarbrncker, [,54. Deber die Lehren
an-Nazzäm findet Bicb noch Einiges bei Mawäkif ed. Sörensen; vgl. Steiner
a.a.o. S. 56. Vgl. auch G. Flügel, Dissertatio de arabicis scriptorum Grae-
'•"iui]] interpretibu8, Misenae, 1841.
Vgl. Meiner a. a. 0. S. .'.7.
3I) Vgl. I». Fr. Strauss, Voltaire, S. 236.
25
XVI.
Bibliographische Bemerkungen.
.1. I*. V I ;mi«I in Loyden.
I. Louis de la Forge über den menschlichen Geist
I eber dem Andenken «In- Hauptschrift des Cartesianers de la
Forge \\ : 1 1 1 . • i ein eigenes Missgeschick. Seil 188? besitzen wir über
dessen Lehre eine Monographie von Dr. Heinrich Seyfarth1), die
gerade genügt am das Dürftige und sich Widersprechende in den
andläufigen Nachrichten rechl Fühlbar zu machen. Das ganze
Thema Dach Gebühr zu behandeln, dazu wäre allerdings nur ein in
Französischen Sammlungen Bewanderter in «In- Lage.
Der holländische Staatsmann, Gelehrte, Dichter and Musikei
Constantin Huygens schreibl am 21. Januar L666 an Monsieur de
Montmor in Paris, und erkundigt sich im Auftrag seines Sohnes
Christian (des berühmten Physikers) nach einem eben erschienenen
Buch de L'Esprit de l'Homme. Damit kann nicht, wie Jemand
vermuthete, Descartes' l'Homme gemeint sein, von dem die erste
gute Ausgabe durch Clerselier schon 1664 besorgt wurde, und in
dem la>i nur vom Körper die Rede ist; sondern nur der „Traitte*
von de la Forge.
Wer diesen nicht selbst zur Hand bat, wendet sich um das
Buch genau zu bestimmen, zu den bekanntesten Handbüchern.
') L. d. I. F. I jeine Stellung im Occasionalismus, ein Beiti
b d. Pbilos. ' lotha, Emil Behrend,
Bibliographische Notizen. 363
Francisqüe BouiLLiEE(Hist. de la revolution cartesienne, 1842
l>. 189, und Hist. de la philos. cart, 1854, I. p. 500) und
I'm. Damiron (Essai sur l'hist. de la philos. en France,
au XVII1 siecle, L846, p. 24) geben den Titel in zwei, resp.
drei verschiedenen Formen:
B. 1842: Traite de l'äme humaine, de ses facultes, de ses
fonctions (1854: de ses fac. et fonctions) el de son union
aveo le corps d'apres les principes de Descartes.
Daraus Kuno Fischer, Gesch. d. n. Phil. I. 2, S. "J<>.
I». 1846: Traite de. l'esprit de l'homme, de ses facultes, de ses
fonctions, de son union avec le corps, suivanl les prin-
cipes de Kene Descartes.
Noace (Philosophie-geschichtliches Lexicon, Leipz. 1879,
S. 527) schreibt de l'esprit de l'homme, folg! aber
im Uebrigen der ersten Fassung von Bouillier.
Nach B. erschien das Werk 1866 in Paris in Quart, und
wurde im nämlichen Jahr von Flayder ins Lateinische übersetzt.
D.. welcher die Seiten der französischen Originalausgabe anführt,
sie also in Händen hatte, setzt sie in 1661, und die üebersetzung
des Flayderus in 1666. Fischer gibt mit B. 1854 an. ohne die
Üebersetzung zu erwähnen. Noack mit Damiron ändert jedoch
dessen 1661 in 1664, und 1666 in 1(569.
Nachdem man das alles erfahren, sollte man meinen, des
Namens Flayder sicher zu sein, während der Titel und die Jahres-
zahlen noch ermittelt werden müssen. Jetzt kommt aber der alte
Jöchee (All-. Gelehrten-Lexicon IL Leipz. 1750, S. 675) noch
mit der Angabe: „Traite de l'esprit del'Homme, so J. Flender
lateinisch übersetzt". Also Flayder oder Flender?
Befragen wir die grossen biographischen Wörterbücher, so
mehrt sich, wenn noch möglich, die Verwirrung. Im Dictionnaire
nniversel von 1810 (D. im., historique et critique, d'apres
la huitieme ed. publiee par MM. Chaudon ei Delandine.
I.\ ed. revue, corrigee e1 augmentee etc.), t. VII, p. 84b,
wird das Buch nur als lateinischer Quartband, Parisiis L666,
Amstelodami 1669 und Bremae 1674 mit Commentaren und Re-
gistern erwähnt. Die Biographie universelle bei Michaud
.1. P. N. 1.
(1816 . i.W. p. 266a, welche Hr. Seyfartta S. 7 benutete, weiss
von einem französischen Original, lässt aber die Uebersetzung von
.1. Flayder in Paris 1666 zuerst, und später mehrere Male in
Deutschland drucken. Nach diesen beiden bedeutenden Nach-
schlagewerken war der \ ir Arzt in Saumur, aach dem
letzteren aber in Paris geboren. Nichl also nach der Biographie
Dr. Hoefei i.XWIII. Paris 1859), wo aus der France pro-
tante der Gebrüder Haag wiederholt wird, Louis de Laforg
ein protestantischer Theologe und aus Saumur gebürtig gewesen
v..il etail de Saumur"). Seine Schrift heisse Traitc de l'Esprit
de l'Homme, il« ses I acultes ei de son Union avec le Corps
(Paris 1666, Genf 1725, jedesmal in Quart).
So wüssten wir also nicht einmal, welchen Glaubens und
Standes unser Autor gewesen; nur scheinen die Herren Haag, als
Specialforscher auf ihrem Gebiel rühmlich bekannt, zunächst unser
Vertrauen zu verdienen. Freilich Bouillier 1^~>1 seinerseits,
daas er Ar/t gewesen, und, obgleich Katholik, sämmtliche protestan-
tischen Cartesianer, wie Goussel und Chouet, die der I nivereität
wegen nach Saumur kamen, freundlich empfangen und in .-einen
Schutz genommen habe. Das kann doch schwerlich bloss Ver-
muthung -ein , ht da: „OD le voil proteger ei accueillir ei
und 80 etwas „sieht man" doch oicht in der Einbildung sondern
in irgendwelchen Berichten.
Aus einem -flehen Wirrwarr kommt man nicht heraus ohne
aiil die er>ten (Quellen zurückzugehen. Mir standen anfangs nur
ein französischer Nachdruck und eine lateinische Bremer Ansehe
zu Gebote; dazu gesellten sich ersl später die erste von Paris und
zwei lateinische von Amsterdam. Ich wandte mich also au Herrn
Lucien Herr. Bibliothekar der Ecole Normale Superieure, dessen
Liebenswürdiges und sachverständiges Entgegenkommen mir au- den
Bücherschätzen in Paris die zuverlässigsten Angaben zur Verfügung
-teilte. Mit diesem Material gelingt es, in dieser gar zu nach-
lässig behandelten Reihe von Fragen die wesentlichen Punkte
zustellen.
Eine französische Ausgabe \"i 1666 "der eine lateinische vor
L669 lässl -ich in den Hauptbibliotheken Europas nirgends auf-
Bibliographische Bemerkung 365
weisen. In keinem bekannten Exemplar wird ein Flayderus
naimt: dagegen ein Johannes Flenderus besorgte eine neue Anil
der schon in Bande! befindlichen (Jebersetzung.
Weiter enthalten die Exemplare, welche ich aus eigener An-
schauung oiler den Berichten meines pariser Mitarbeiters habe
kennen lernen, das Folgende:
1. Französisch: Paris L666. Quart.
(Ex. bei mir, in Paris und Berlin.)
Titel: Traitte | de l'Espril | de l'Homme, I de | see facultez
ei fonetions | et de son union avec le corps. | Sui-
uant les Principes de Rene Descartes. | Par Louis de
la Forge, DocteuF en | Medecine demeuranl ä Sau-
mur. | [Emlilem.| | A Paris | chez Theodore Girard,
dans la Grand' Sülle | du Palais, du coste de la
('mir des Aydes, ä 1" En\ie. | — | M.DC.LXVI. | Avec
Privilege du Roy.
Rückseite des Titelblatts: Noös 6p9] voüc dxooet ta 8' aXXa
Ku)cpa xal xucpXot.
Epicharme chez Clement
Alexandrin.
3 Plaitei-.- A Monsieur de Montmor Conseiller du Roy en
tous ses conseils (u. s. \v.). Ueber den Seiten: Epistre.
Zuletzt: Pre- als Hinweisung auf das Folgende. Signatur ä.
15 Seiten: Preface | Dans laquelle l'Auteur fait voir la
conformite de la doctrine de Saint Augustin avec
les sentiments de Monsieur Descartes, | touchant
la nature de l'Ame. Dann 21/3 Seite Table des
Chapitres. (Bei mir fehlen diese Blätter, aber die Hin-
weisung Pre- ist vorhanden.) Signatur: e, I, ö. 5, ää,
T. 1 — 4">:J): Traitte de l'Esprit de l'Homme. Auf derselben
Seite folgt: Si l'absence de l'Autheur est cause qu' il
s'esl ^ 1 i — - ■ beaueoup de fautes, 1' ex amen exacl qu'on
en a fait les a icy suffisammenl reparees. Corrigez-
les dune s"il vous piaist, avanl que d'entreprendre
la Lecture de l'Ouurage. 41 Zeilen Druckfeh lerver-
zeichniss. Signatur A Z. Aa— Zz, AAa— LL1.
i. P. N. Land,
Rückseite \"n 453 und folgende S Privilege du Roj vom
tober l dann: Acheve d'imprimer pour I :i
premiere fois le 5 N ivembre 1665. Weiter: 1.' •■-
ii r le Livre de la Communaute dea [mpri-
urs ei Libraires de cel te Ville 'u. s. w.) 31. 0
1665. Endlich \\ir<l vermerkt, da&a der Verfasser Bein
Privilegium dem Buchhändler Th. Girard, und Dieser die
Hälfte davou seinen Fachgenossen Michel Bobin und Nicolas
le Gras überlassen habe.
Wirklich ßnden sich Exemplare mit der Adr.--.': .\ Paris,
chez Michel Bobin ei Nicolas !>• Gras, 3 Pilier de la
G Salle du Palais ä l'Esperance ei a 1- couronnee. Ein
solches besitzl die Nationalbibliothek. Hier fehlt, wie in dem mei-
oigen, ein wichtiges Blatt, welches d a in der Bibliothek
des [nstituts dem Buch vorgeheftel ist: ein Bildniss des Verfassers
mit sechs Verszeilen (s. dieselben bei Seyfarth S. 8, aus der Kön.
Bibl. in Berlin).
Offenbar isl dies also die erste Ausgabe, und deren Titel nichl
ganz so wie irgend einer der Neueren, die wir kennen lernten, ihn
abdrucken liess. De la Forge war Arzt und in Saumur bloss wohn-
haft. Auch war er Katholik, denn der Traitte achliessl wie folgt:
.. i I esl aussi louable ä im Chrestien de se soumettre (comme
ie l . 1 - ; 1 > toute ma vie) ä l'autorite de l'Eglise, qui es1
infaillible. Der von Hrn. Seyfarth (S. 6 — TN.) herbeigezogene
Jacques Gousset') weiss dass der Tractal schon Ende L665 Lr>'-
druckl war, und damil stimml Huygens1 Nachfrage im Januar 1666,
ade bei Hrn. de Montmor, dem er gewidmel war. Ferner die
Thatsache, dass der Verfasser in seinen Noten zu Descartes' I ' Homme
(Ausg. von Clerselier 1664) seinen eigenen Tractal über den mensch-
lichen Geisl als schon geschrieben aber noch ungedruckl citirl
Wir wissen aus Clerselier' s Vorrede, da— er die Bekanntschafl des
'-') Dieser lebte 1635 1704, und war seil Iti'.U Prof. in Groningen. Das
von Seyfarth benutzte Werk erschien in Leeuwarden 1 7 1 < ". .
In den lateinischen ausgaben Amsterdam l « '• 7 7 und 1686 S. 2, 59, 91,
95, 105, lll, L28, 137.
Bibliographische Bemerkung 36*3
Letzteren ersl dann gemachl hatte, als er ihm nach dem pyrenäi-
schen Frieden und dem Einzug der neuen Königin Maria Theresia
im Sommer (1660) seine Mitwirkung anbot. Er erhiell alsbald
eine eenaue Abschrifl des Textes, uuA lieferte dann innerhalb
Jahresfrisl seine Noten and Figuren dazu; auch einen ziemlich
ausführlichen Tractal über den menschlichen Geist, den Clerselier
anfänglich als Fortsetzung des physiologischen von Descartes drucken
lassen wollte. Also etwa li*)i')l war diese Arbeit fertig gestellt,
und Gousset, in jenen Jahren vor 1662 Studirender in Saumur,
kann Rechl haben wenn er behauptet, das System sei schon L658
völlig durchdacht gewesen. Das wäre also die Erklärung der Jah-
reszahl 1661 bei Damiron, wenn wir nicht, wie sieh unten zeigen
wird, eine weil einfachere in Bereitschaft hätten.
•J. Französisch: Amsterdam o. J. Duodez.
(Bei mir und in Paris.)
Titel: Traitte | de l'Esprit | de l'IIomme, | De ses Facültez
et Fonctions, | et de son uniou avec le Corps. J Sui-
vant Ies Principes de | Rene Descartes, | Par | Louis
de la Forge, | Docteur en Medecine demeuranl ä San
mur. [Emblem | | A Amsterdam, Che/. Abraham
Wölfgang.
Rückseite des Titelblatts: Griechisches Citat wie oben.
1 Blätter: A Monsieur de Montmor u. s. w. (Epistrc) wie
oben.
"in Blätter: Preface wie oben.
Ein Blatt: Table des Chapitres.
S. 1 — 462: Traitte de l'Esprit de l'IIomme.
Eine ? : Fautes, qui so sont glissees dans l'impression,
que l'Auteur desire, qu'on corrige, avant que
d'entreprendre la lecture de cet Ouvrage. Sämmt-
liche Verbesserungen (nur bis S. 77 gehend) sind schon am
Ende der pariser Ausgabe vermerkt.
Diese Auflage isl einlach Nachdruck der vorigeu. Das Druck-
fehlerverzeichniss war bis zu jenem Punkl vom Corrector unbe-
achtel geblieben, wurde dann aber gehörig befolgt, und die im An-
i. P Y Land,
fang sehenen Fehler am Schiusa des Bändchens aufgeführt. I >!»•
fehlende Jahreszahl aufzufinden geling! nicht etwa durch Verglei-
chung der folgenden Ausgabe, l»-i welcher <li>- Wolfgang'sche nicht
benutzt wurde.
:i. Lateinisch: Amsterdam 1669. Quart.
Bei Hrn. Prof. Spruyl in Amsterdam.)
Titel: Tractatus | de Mente Humana, | Ejus Facultatibus
et Functionibus, Nee dod de ejusdem unione cum
rpore; S< ;undum Principia Elenati Descartes,
A utor Ludovico de la 1 M adici nae ;i pud
lmurien8es Doctore [Emblem] istelodami,
Apud Danielem Elzevirium, I I ■■ I.M.V
Das griechische Cital und dir Epistre fehlen.
16 Blätter: Praefatio, in qua Autor ostendit con-
I SU 111 (u. s. w.)
1 Blatt: Index Capitum.
S. I 22 1 Tractatus de Mente II umana.
Keine Errata.
Die öebersetzung ist das Werk eines Ungenannten, vielleicht
eines der nach Holland schon damals vielfach ausgewanderten
Hugenotten. Von dem Verfasser selber könnte -i>' schwerlich gleich
Anfangs bezweckt worden sein, sonst hätte er sich zugleich
für sie das königliche Privilegium gesichert, wovon jedoch in der
Urkunde keine Rede ist. Ausgeschlossen ist also der angebliche
pariser Druck von L666; und der Elzevir'sche, zum Bedarf gelehr-
ter Ausländer veranstaltete, i-i der erste lateinische. Vorlage hier-
bei war nicht etwa der Nachdruck (dessen Zeitbestimmung dadurch
erleichtert würde), sondern der pariser Quartant. Denn es werden
allerdings die hinter beiden bemerkten Versehen U'riirk.»i<ditiLrt.
aber weiterhin bisweilen 'Irr unverbesserte Text übertragen, wo
der Nachdrucker ihn Bchon nach der Weisung seines Vorgang
stillschweigend verbessert hat. So Paris. S. 93 : 20, \\" der Nach-
druck '-'l statt palais schon palais enchante hat und der
Uebersetzei 18 einfach palatium schreibt, ohne etwa magicum
hinzuzusetzen. Ebenso Paria 276:20; der Verfasser wollte hin-
Bibliographische Bemerkung 369
beigefügl baben: et a laquelle la Nature l'a jointe; der Nach-
drucker 281)nimm1 die Worte auf. nichl aber der Lateiner (137).
Hingegen /.. B. Par. 101:28 und 197:18 ist die Correctur von
Beiden benutzl worden.
4-. Lateinisch: Bremen l^l'.\. Quart.
(Universitätsbibl. in Leyden.)
Titel: Ludovici de la Forge, Medicinae apud Salmuri-
ensis Doctoris, Tractatus | de | Mente Humana, |
.■jus Facultatibns ei Functionibus, | ncc non | de
ejusdem unione cum corpore, | secundum Principia
Renati Descartes, | emen,datus et auctus praeter
Qumeratam paragraphorum distinctionem Sum- |
mariis marginalibus, atque rerum primariarumque
quaestionum j Philosophicarum [ndicibus, | per | J.
F. | Emblem] Bremae, | Literis Arnoldi et Johan-
nis Wesselii Reipubl. Typogr. | Prostaut apud Jo-
hannem Wesselium. | — | cIo Ioc LXXIII.
Auf der Rückseite des Titelblatts: Anrede an den Stadtsyndicus
u. s. w. Johannes Wachmann und seine beiden Söhne,
welchen als seinen hochverehrten Patronen der Tractat ge-
widmet wird von der Hand ihres ergebensten Johann is
Fl enderi, Sigeno-N assavi.
Hin Blatt Widmung (ohne Nachricht über das Buch), unterzeich-
net Bremen 28. Oct. 1673.
»i Blätter Praefatio.
S. 1— 224 Tractatus de Mente Humana.
Eine Seite Index ('anitum, l1/, S. Index Rerum, 2 S. Index
Quaesl ionum.
Der üeberblick über den Inhalt dc^ Tractats wurde dadurch
etwas erschwert, dasa die Absätze innerhalb dvi theilweise recht
langen Capitel nicht numerirt, und orientirende Ueberschriften und
Randbemerkungen nicht beigegeben waren. Diesen Uebelstand be-
seitigt, sowie Such- und Fragenregister beigefügt zu haben, ist das
einzig Verdienst des Bearbeiters, welcher übrigens den lat. Text
von 1669 (bis S. 57 sogar Zeile für Zeile; wörtlich wiederholt.
i. P. N. Land,
rneuter Vergleichung mit dem Urtext Lsl keine Spur. Jo
hannes Elender war L653 in Siegen geboren, nnd also zn jung am
selber der Ueber« in. 1685 wurde er Rector und
liothekar in Zutphen, im folgenden Jahr von den Standen der
gleichnamigen Grafschaft zum Titularpr der Philosophie er-
nannt, in welch* Qschafl Bein Sohn Joh. Sebastian, Conrector
der Lateinschule, seit Anfang Juni 1 7 _' I Bein Nachfolger wurde.
In 1696 und 1709 war er auch bei den Ausgaben
Kthik betheiligt, ohne dafür etwas besonderes zu leisten.
•"). Lateinisch: Amsterdam L688. Quart.
Bibliothek der Mennonitengemeinde in Amsterdam.)
Titel, mit geringen Abweichungen in der Zeilen vertheilung, dem
der vorigen Aus gleich. Nur das Emblem ist hier an-
ders, sowie die Adresse : Amstelodami, \ K\ Typographia
Blaviana, M DC IAWVIII. | Sumptibus Societatis.
Der Inhalt ist Nachdruck der Bremer Ausgabe. Blaeu ent-
lehnte die Zusätze dem Brem< r Verleger, wie Dieser den T
dem Elzevir entnommen hatte. Sonst fand ich noch Ausgaben
Bremen 1674 und 1 T< > 1 und Amsterdam 1708 erwähnt, auch eine
französische, Genf 1725. Diesen weiter nachzuspüren hat für uns
kein \\ - Enteress müssen Nachdrucke nach No. 1. _ oder
I gewesen sein.
- mit wäre die Sache ins Reine gebracht. Nur fragt sich noch,
woher denn jene falschen Angaben kommen. Dm Jahreszahl 1664
kann von Noack oder einem Vorgänger aus Clerseliers erwähnter
Vorrede oder de la I Noten erschlossen Bein, wo unser
Tractat als soforl zu erwartender erscheint. 1661 stelll sich jetzt
heraus als Versehen eines Schreibers bei der Nationalbibliothek, der
das dortig Exemplar in d m Publicum in der Regel unzu-
gängliche) Inventar eintrug, und dabei etwa das V in der Eile
übersah. Jenes Inventar wurde dann wieder als bequemes rlülfs-
mittel zur Anfertigung bibliographischer Notizen beliebt und un-
vorsichtigen verderblich. Wie sorglos man dabei verrühr, ist
sc) daraus ersichtlich, tlass nirgendwo der Wortlaut des Titels
richtig mitgetheilt wird. Herr Seyfarth, der die erste Ausgabe vor
Bibliographische Bemerkungen.
Bich hatte, schreibl ihn nicht einmal aus, und behilf! sich, um die
Jahreszahl berauszu bekommen, mit dein Zeugniss von Gousset. In
(In- Folge fit i 1 1 er ohne Weiteres eine nicht näher bestimmte latei-
oische Ausgabe; nur aus der Anführung von Paragraphen ersiehl
man. dass es eine mit den Plenderschen Zusätzen war. Das sind
schon kaum verzeihliche Unterlassungssünden; was aber soll man
von selchen sauen, die als berufene Fachleute, statt sich die Quellen
in ihrer Nähe gehörig anzusehen, aus zweiter und dritter Hand
Falsches entlehnen und überliefern helfen? Das schlimmste Beispiel
i>t der Name Flayder. Die Nationalbibliothek besitzl den Tractal
eines gewissen Flayderus de arte volandi, während ihr Flender
und überhaupt die lateinischen Drucke unseres de la Forge zu Fehlen
scheinen. [rgend ein Compilator vor 1816 wird die Jöchersche
Notiz früher einmal gelesen und sie dann nach seinen verblichenen
Erinnerungen aus dem Inventar verschlimmbesserl haben.
Hellen wir. dass einer der tüchtigen Forscher, deren sich das
heutige Frankreich rühmen darf, die Figur des misshandelten alten
Schriftstellers einmal vollends zu ihrem Rechte verhelfe. Mir war
- diesmal hauptsächlich darum zu thun. bemerklich zu machen,
da— sein Occasionalisnus erst Ende Dil')."), zunächst in Paris, öffent-
lich bekannt wurde, während der Geulincx'sche sogenannte schon
in einei- Abhandlung erscheint, deren Widmung am 27. Juli des-
selben Jahres in Leyden unterzeichnet worden war, und sieh von
gemeinschaftlichen Bekannten oder sonstigem Zusammenhang keine
Spur findet.
II. Hobbes' Leviathan.
Di'- Universitäl Leyden besitzl in zwei ganz alten Pergament-
bänden die bekannte Ausgabe von Hobbes' sämmtlichen lateinischen
Werken hei Joannes Blacu in Amsterdam 1668. Nach den Signa-
turen zu urtheilen, ist dir Folge der Schriften vom Buchbinder
richtig beobachtet werden: nur sollten die Blätter G— K (Quadra-
tuni circuli) nicht erst hinter a-f, sondern gleich nach dem ersten
Alphabel A— F stehen, wenn nicht wegen der Verwandtschaft der
jenstände ein Versehen in der Signatur (G—K statt g—k) wahr-
scheinlich wäre. Zuletzl aber kommt der Leviathan mit einem
372 ■' !' N- Land,
ganz vollständigen Titelblatt und «rieder von vorne anfangender
iatur:
Leviathan, I sive | de Materia Forma, ef Potestate ' Civitatis
Gcclesiast et Civil I lioma Hobbes, ' Mal-
mesburiensi iblem] Amstelodami, | Apud Joannem
Blaeu M. DC. IA\.
Demnach wäre der lateinische Leviathan erst zwei Jahre nach
dem I tliNL.r''ii herausj en worden, was nicht ohne \N ichtigkeit
Bich fragt, ob Spinoza, dessen Tractatus theologico-poli-
ticus unstreitig im nämlichen Jahre 1»»7<> zuerst erschien, und
dem das englische Buch anverständlich war. die lateinische
Bearbeitung i\'»\i hatte lesen können.
Nun fand sich aber in der schonen Büchersammlung der Ver-
einigten Menno nitengemeinde in Amsterdam ein zweites Exemplar,
das nur den Leviathan enthält, diesmal ohne Adresse und Jahreszahl,
sodass das Titelblatt ganz so aussiehl wie diejenigen, welche in der
sammtausgabe »Im einzelnen Werken oder Gruppen vorgesetzt
Bind. Der Catalog giebt als Vermuthung L655 an, ein .fahr das
bei unserer heutigen Bekanntschaft mit Hobbes' Lebensgeschichte
nicht mehr in Betracht kommt. Könnt.' aber das leydener Exem-
plar vielleicht nur ein Sonderabdruck aus der vollständigen Blaeu-
schen Ausgabe sein, der Pur Bich verkäuflich sein sollte und des-
halb ein eigenes Titelblatt erhielt? Bei oberflächlicher Betrachtung
scheint dies allerdings der Fall zu sein, denn der Text stimmt in
beiden Exemplaren sogar Seite für Seite und Zeile für Zeih' überein.
Bald aber stellt sich heraus, dasa wir in dem yon 1670 einen
zweiten Druck der nämlichen Officio vor uns haben, welcher, bo
viel mir bekannt, nirgends verzeichnet stein. Dagegen gehört der
Band in Amsterdam unzweifelhaft der Gesammtausgabe an, und
er isl von den zweien der ältere. Die Signatur hat zu Anfang des
Bogens jedesmal die Angabe Leviat wie bei den übrigen Theilen
der Reihe, und fängt gleich mit aaa an, womit sie sich dem System
A-l. Aa Ti. Aaa Zzz, Aaaa— Llll, AA— LL, AAA ZZZ,
AAAA, a i. (i K (oder g -k), aa hli folgerichtig anschliesst.
Hingegen der Sonderdruck giebl in der Signatur keinen Titel an,
Bibliographische Bemerkungen. '.\~t'.'>
beginnl mi1 einem Sternchen statt des Buchstabens, und fährt
,|;iini beim Texl des Werkes fori mit A— X. A.i //., Aaa Bbb.
In diesem leydener Exemplar ist auf dem Titelblatt die zweite,
sechste, siebente, aohte Zeile etwas kürzer, die dritte und fünfte
ein wenig länger als in dem anderen. 8. s"_} ist der Schlusszierrath
derselbe, am Ende des Endes Capitum ein anderer. Die 65 Errata
sind weggelassen, während ganz zuletzt noch eines, das nur hier
vorkommt, falsch verbessert wird. Uebrigens sind die im älteren
Druck verzeichneten Fehler im jüngeren berücksichtigt worden:
nur steht noch zweimal (172: antipaenult. und 275:16) das alte
Wort, und lesen wir cognominen (58:8 cognomen 1. cogno-
minem) und eoertiono (90:29 euere ione 1. coercitione).
Beim Schluss der Widmung ist statt humilime, humillime
eingesetzt, und derartige Kleinigkeiten mag es noch mehrere geben.
Wirklich abweichende Lesarten linden sich meines Wissens an
drei Stellen. Pag. 84:4 „Multitudo autem quae securitatis suae
spem praestare potest, numero non certo, sed cum viribus hostium
com parato determinatus ut major sit quam ut excessus tanti
ei tum conspicui momenti ad Bellum finiendum sit, ut
hostis ad aggrediendum provocetur." Statt ei ist nach dem Ver-
zeichnis et zu lesen, und so steht es denn auch in der neuen
Ausgabe von Sir W. Molesworth (Hobb. Opp. Latt, III, 128). Das
leydener Exemplar vereinfacht den Satz: „ . . . quo major sit
quam ut excessu aliquo conspicui momenti ad Bellum
fin ie ndum , host is etc."
Pag. 1(>4 : 2(5 „Ignorantia autem, praesertim Civitati ipsi,
cujus culpa erat, quod melius docerentur imputanda si1
condonari vel levius puniri debet." Das Verzeichniss verbessert:
„pra — r t i in si partim Civitati ipsi etc." Molesworth [11,251
nimmt di.-s auf und verbessert seinerseits: „quod non melius
docerentur." Der Druck von 1670 hat gleichfalls die Negation.
giebi aber die Stelle wie folgt: „ . . . . cum praesertim ipsi
Civitati. quod non melius edocti, imputandum sit.
Pag. -71 :.j v. ii.: „Neque in Gvitate nun Romana quiequam
est Potestatia concessum homini externo oeque Archicum,
uequr Craticum, sed tantum Didacticum." Ebenso bei Moles-
;;; | J P. N. Land,
worth III. 122. Im leydener Exemplar stehl dafür sinnlos: sive
\ - , i Iral i-i "ii."
Aul diese drei Abweichungen der zweiten Auflage i-i offenbar
kein Werth zu legen; sie rühren nicht vom Verfasser, sondern von
einem halbgelehrten Corrector her. I»:i- vorhandene Exemplar mit
seinem coercione (90:19), debita ab aliis contractata
III: 15), Pharaohnis (205: 11) wurde nach Hobbes' eigener
Handschrift gedruckt, denn nur im Englischen schreibl man coer-
cion, debts contracted bj others, Pharaoh. Auch die Errata
hinter dem Index Capitum mögen noch von i In ler seinem G
hülfen in England herstammen. Jedenfalls isl aber der lateinische
Leviathan in Amsterdam der Schluss der von ihm selber veran-
stalteten Gesammtausgabe 1668, und «K-r in Leyden eine Separat-
ausgabe 1»'»7<», aus der wir weiter nichts lernen, als dass sie eben
vorhanden ist.
III. Spinozistisches.
In ilfii bald dreiundzwanzig Jahren, seitdem die Schrift des
Dr. A. van der Linde: Benedictus Spinoza— Bibliografie,
bei Mari Nijhoff im Haag erschien, sind nur wenige Nachträge zu
diesem nützlichen Verzeichniss nöthig geworden. Dass es (N. •»)
vier verschiedene Ausgaben des Tractatus theologico-politicus
mit «Irr nämlichen Jahreszahl 1670 giebt, habe ich schon 1882 in
der Vorrede zum ersten Band der Opera ausführlich genug erwiesen,
um die Bestimmung der einzelnen vorkommenden Exemplare zu
einer leichten Aufgabe zumachen; weitere Auszüge aus den damals
angelegten Collectaneen hier mitzutheilen, hätte keinen vernünf-
tigen Zweck.
Meinem Freunde Sir Frederick Pollock verdanke ich einen Titel,
der muh \. I 1 anzuführen wäre:
Tractatus j <lr j Miraculis. | Authore | spectatissimo. ; Lon-
dini MDCCLXIII. Duodez.
folgt eine lateinische Widmung: Davidi Hume armigero
von L M. Q. Dann eine Praefatio aus dein vorletzten
Absatz der Vorrede zum Tractatus theol.-polit., mit ge
Bibliographische Bemerkungen. 31 5
ringen Abweichungen; endlich als Texl ein Abdruck des
sechsten Capitels aus jener Abhandlung Spinozas.
Zu N. 22 wäre jetzl zu bemerken, dass die <>[>»> in Posthuma
von (i. II. Schuller besorgl worden sind. \ gl. dessen Brief an
Leibniz vom 29. März li>77 bei Ludwig stein. Leibniz und Spinoza,
Berlin L890, S. 287.
\. 182 „Carolus Tuinman" (vgl. den vollständigen Titel bei
van der Linde. S. 106) und 183 „Brief (daartegen) von Constantius
Prudens en Tuinmans Andwoord" sollten ersl hinter N. 185 kom-
men. Denn Constantius Prudens schrieb nicht gegen N. L82, son-
dern in Erwiderung auf N. 185. Dann kam „Tuinman's Andwoord",
d. Ii. \. 182, „de Liegende cn bedriegende Vrygeest", und hierauf
entgegnel Pius Fidelis mit N. 186.
Die Geringfügigkeil der hier gebotenen Mittheilungen wird
wohl Jeder entschuldigen, der uns eigener Erfahrung weiss, was
wir anscheinend unwichtigen aber zuverlässigen Notizen manch-
mal zu verdanken haben.
Leyden im Oct. 1893.
Hebte d. Philosophie. VII. "Jl'i
XVII.
Die Kontinuität im philosphischen Entwick-
lungsgänge Kants.
Von
ll.u;il«l lloirdiii^ in Kopenhagen.
II.
A im I \ se ii od K onsl ru k i ion.
8. Wir kehren nun zu einem Früheren Punkt in Kants Ent-
wickelung zurück, um eine andere Reihe seiner Gedanken zu ver
folgen, so wie wir dem Kausalbegriffe nachzuspüren suchten. I1
die verschiedenen Gedankenreihen während der Entwickelung in-
einander greifen, folgl von selbst; darum kann es aber dennoch
erspriesslich sein, jede für sich klar zu stellen. Die Kontinuität
tritt hierdurch um so deutlicher hervor. Und an den wichtigsten
Punkten werden wir «'ine Untersuchung ihrer Wechselwirkung
niiht unterlassen.
Das Jahr 1762 (und der Anfang des folgenden Jahres) isl
eines der fruchtbarsten in Kants Schriftstellerleben. Nicht weniger
als vier bedeutende Abhandlungen rühren aus diesem Jahre her.
das schon dieser -linken Produktion wegen die Aufmerksamkeit
auf sich lenkt. Die eine dieser Schriften kennen wir bereits: den
„Einzig möglichen Beweisgrund". Diese behandelte den Kausal-
begriff in seiner Bedeutung für die Naturwissenschaft und als das
die Naturerkenntniss und die Gotteserkenntniss verbindende Glied.
Als spezielles Beispiel enthielt Bie eine kurze l ebersicht der sieben
Jahre vorher aufgestellten kosmogonischen Hypothese. Die drei
Kontinuität im Entwicklunj Kants. ;;,;
anderen Schriften („Die falsche Spitzfindigkeil der Byllogistischen
urenB; „Ueber die Deutlichkeil der Grundsätze der natürlichen
Theologie und Moral"; „Versuch den Begriff der uegativen Grössen
in die Weltweisheil einzuführen") ') behandeln anscheinend ganz
andere Fragen. Dnd doch wurden die bierin angestellten l nter
suchuugeu gerade für die Auffassung desjenigen Begriffes entscheidend,
auf dessen Bedeutung für die Naturwissenschaft und die natürliche
Theologie Kant noch im „Beweisgrunde" so grosses Gewichl gelegl
hatte. Im genannten Jahre (dessen Produktivität sich vielleicht
eben hieraus erklären lässt) bewegten sich zwei Gedankenreihen
in Kants Bewusstsein, deren Zusammenstoss ihn einem wichtigen
Probleme gegenüberstellen musste.
In seiner Kritik der Schlussfiguren gehl Kant von dem Ge-
sichtspunkl aus, dass jedes urteil ein Vergleichen, sei. Urteilen
heisse ein Merkmal mit einem Dinge vergleichen und es als Re-
sultat diesi - \ srgleichens dem Dinge entweder zu- oder absprechen2).
Eine ähnliche Auffassung der Natur d<-< Denkens liegt der Abhand-
lung „Ueber die Deutlichkeit der Grundsätze" zu Grunde. Hier
wird der Unterschied zwischen der philosophischen und der rnathe-
matischen Methode eingeschärft. Die Methode der Philosophie sei
die Analyse, die der Mathematik die Konstruktion. Die Mathe-
matik vermöge sogleich fertige Begriffe zu bilden, mit denen sie
operiren könne. In der Philosophie aber, die ihren Stoff der Er-
fahrung entnehme, werde die Begriffsbestimmung ersl dann fertig,
wenn die Analyse des Gegebenen vollendet sei. Hier stelle sich
nun die Schwierigkeil ein, auf welche Weise man sich überzeugen
könne, dass die Analyse hinlänglich weil geführt sei, so dass keine
') InV vier Schriften Bind wahrscheinlich (vgl. R. Erdmann: Reflexionen
Kants. I. S. X \ 1 1 u. l.) in folgender Reihe erschienen: 1) Die Spitzfindigkeit;
'-', B lie Deutlichkeit; 4) Die negativen Grössen. — Für
das Verhältnis ihr« i ikeninhalts is1 die Reihenfolge des Verfassens and
des Erscheinens natürlich nicht massgebend.
„Etwas als ein Merkmal mit einem I>inge vergleichen heissi urteilen'
lie falsche Spitzfindigkeit. § I). — Vgl „Träume eines Geisterseh»
1766): „1 nsere Vernunftregel gehl mir auf die Vergleichung nach der Iden
tität und dem Widerspru 21 ',' [Kehrbachs ä
26*
Hara
anderen Merkmale mehr zu entdecken seien! In der Mathematik
bildeten Definitionen deshalb den Anfang, während sie in der Phi-
losophie ersl am Schlüsse kommen konnten. Die l nvollkommen
heiten der früheren Philosophie werden daraus hergeleitet, dass
man mit unfertigen Begriffen operiii und Bicfa auf voreilige Kon-
struktionen eingelassen habe. AU Beispiel eines Begriffes, mit < Km
man in der dogmatischen Philosophie ruhig operirte, als wäre er
Fertig und abgeschlossen, wird der Begriff „Geist" (denkende Sub-
stanz) genannt, der bei Descartes, Leibniz und Wolf eine so
Rolle spielte. Derselbe sei willkürlich konstruiert, stütze sich
ni.lit auf eine durchgeführte Analyse'). Kant erklärt es für weil
schwieriger, die Analyse verwickelter Erkenntnisse durchzufuhren,
als einfache Erkenntnisse durch Synthese zu verbinden und Schlu
auf dieselben zu stützen. Die Metaphysik Bei deswegen die schwie-
rigste aller Wissenschaften — es ->i aber auch noch keine Meta-
physik geschrieben! Es werde noch lange dauern, !>i> man in der
Metaphysik synthetisch verfahren könne. Dies werde ersl gesche-
hen können, wenn die Analyse zu deutlichen und ausfuhrlich ent-
wickelten Begriffen verholfen habe.
Es musste hier eine Konsequenz nahe liegen: Nur solche Ver-
hältnisse seien verständlich, wo das Denken auf dem Wege der
Analyse von dem einen Gliede des Verhältnisses zu 'lern anderen
hinüberfuhren könne. Diese Konsequenz zog Kant jedoch nicht in
der Abhandlung .. I -her die Deutlichkeit". Dagegen erhält die
..Ti iume eines Geistersehers" Bind eigentlich nur eine nähere Entwicke
lung dii u um /u zeigen, wohin das Operieren mit unfertigen B
fen fährt Der Begriff „Geist" (in Bpiritualistischem Sinne) wird hiei für
eim buchenen Begriff erklärt. Das Resultat dei geistreichen Schrift
„Die Pneumatologie dei Menschen Kann cm Lehrbegriff ihrer notwendi-
gen Unwissenheit in \ t > -- i •• ti t auf eine vermutete Art Wesen genannt weiden"
r. I. Hauptst.) (Kehrbachs Ausg. S. 13). VgL hiermit Kam- „Nachricht
\"n der Einrichtung seiner Vorlesui B6), wo es heisst, die empi-
,i nicht, ob dei Mensch eine Seele besitze. NN ie
man sieht, war an diesem Punkte der Entwickelung Kants nicht nur die tri
tik dei The» auch die Kritik der rationalen s. Bpiritualistischen)
Psy< hol sentlich fertig.
Kontinuität im Entwicklung Santa. 379
vierte Schrift, die Abhandlung aber die negativen Grössen In der
Philosophie, ihre grosse Bedeutung, weil hier diese Konsequenz mit
voller Klarheil gezogen wird. Indem Kanl in dieser Schrifl den
von den spekulativen Philosophen aller Zeitalter so ofl übersehenen
Unterschied zwischen logischer Negation und realem Gegensatze
einschärft, komml er ganz natürlich auch zur Untersuchung solcher
Fälle, in denen ein Etwas aufgehoben wird, weil ein anderes Etwas
eintritt: und hier tritt ihm nun das Kausalproblem entgegen. Aul'
dem Wege der Analyse oder der Vergleichung könne man nicht
die Notwendigkeil des Zusammenhanges /wischen dem Eintreten
des einen und dem Aufhören des anderen nachweisen, ebensowenig
wie überhaupt, dass etwas geschehe, weil etwas anderes geschehe.
Kam lässl die Präge angelöst dahingestellt sein. Nur dessen ist
er -icher. da— der Grundsatz des Widerspruches, auf welchen der
Dogmatismus alle Begründung zurückführen wollte, keine Erklä-
rung gebe*).
Kant hat hier das Kausalproblem so ziemlich in ähnlichen
Ausdrücken aufgestellt, wie schon Hume es aulstellte. Eigentlich
hatte er aber bereits in -einen früheren Schriften, zuletzt im „Be-
weisgrund" mit dem Kausalproblem zu schallen gehabt. Was dem
G dankengange zu Grunde lag, der ihm die Natur- und die Got-
rkenntniss verband, und den er zuerst betreten zu haben glaubte
he § 3), war ja die Unmöglichkeit, die Wechselwirkung, den
Kausalzusammenhang der Dinge der Welt zu verstehen, wenn man
nicht einen gemeinschaftlichen Grund ihrer aller annehmen wollte.
Solange sie in ihrer Verschiedenheit dastünden, sei ihr Kausalver-
hältnis unverständlich. Was in den merkwürdigen Aeusserungen
am Schlüsse der Abhandlung über die negativen Grössen geschieht.
*) Versuch den Begriff * 1 »• t negativen Grössen in die Weltweisheit einzu-
fübn erringen über das Kausalproblem finden sich in der Schluss-
anmerkung.) - Vgl. „Träume" (2. T. 3. Hauptst.): „Unsere Vernunftrege]
geht nur auf die Vergleichung nach der Identität und dem Widerspruche.
Sofern aber etwas eine Ursache Ist, so wird dadurch etwas gesetzt, und es ist
also k"in Zusammenhang vermöge der Einstimmung anzutreffen; wie denn
auch, wenn ich eben dasselbe nicht als eine Ursache ansehen will, niemals
ein Widerspruch entspringt" (Kehrbachs Ausg., S. 64).
Hara
i->t nun . -i^r*-iit 1 1«-l* nicht die Aufstellung eines ganz neuen Problems,
sondern <li'j l eines Problems, das bisher in me-
taphysisch-objektiver Form behandelt wurde, in erkennt-
istheoretisch-subjective Form. Es i-t zu verstehen, dasa
Kant, oachdem er nun die Gesichtspunkte, die er vor sieben Jahren
zum ersten Mal darstellte, von neuem durchgearbeitet hatte, und
indem er zugleich in rein logische und methodische Untersuchun-
riet, beim Zusammenstoss dieser beiden Gedankenreihen er-
blicken musste, dass das Kausalverhältnis nicht our ein objekth
sondern auch ein subjectives Problem stellt. Unter der *.. intensiven
und produktiven Denkarbeil dieses Jahres ist diese Umsetzung <li«'
wichtigste Frucht, allerdings «'in»- Frucht, die uoch nicht zur völ-
ligen Reife gediehen war. Derjenig« Begriff, den er selbsl bei
seiner Erforschung der Natur auf so geniale Weise angewandt hatte,
und der ihm noch vor kurzem die Brücke zwischen den Regionen
der Religion und denen der Naturwissenschaft bildete, erwies sich
nun plötzlich als ein grosses Problem enthaltend heim Aufwer-
fen der einfachen Frage, wie man von dem einen Gliede des durch
ihn bezeichneten Verhältnisses zum anderen korm
D. Für Kant einen derartigen Zusammenhang zwischen
dem Kausalproblem in dessen metaphysischer und in dessen er-
kenntnistheoretischer Form gab, ist deutlich aus einer Aeusserung
in den „Träumen eines Geistersehers" (Schlusskapitel) zu ersehen.
Hier wird von neuem auf das Kausalproblem aufmerksam gemacht
und zwar im Zusammenhang mit dem allgemeinen Problem von
der Natur der geistigen Wesen und ihrer Beziehung zur Materie.
Es wird gezeigt, wie die Probleme innerhalb der Spekulation an-
fangen, \\" man in aller Ruhe mit den „Grundverhältnissen" (Ur-
sache und Wirkung, Substanz und Handlung) operiere, wie man
al'er heim fortgesetzten Philosophieren schliesslich eben in den
Grundverhältnissen Schwierigkeiten linde. Und dieser Zusammen-
hang zwischen dem metaphysischen und dem erkenntnisstheoreti-
schen Problem tritt noch deutlicher in dem Brief an Mendelssohn
vom 8. April 1766 hervor, indem > i < 1 1 die allgemeine Frage, wie
etwas eine Ursache sein könne, hier aus der spezielleren auslöst,
Koutinuiiiit im Entwicklungsgänge Kants. 381
wie eine geistige Substauz das Vermögen besitzen könne, in der
Beziehung zur Materie zu wirken und leiden.
Auf Obiges mioh stutzend ßnde ich die Kontinuität in Kants
Eutwickelung an einem anderen Punkte als Friedrich Paulsen.
Dieser Forscher legt den Nachdruck darauf, dass Kaut bei näherer
Untersuchung des metaphysischen Gottesbegriffes, dem zufolge Gott
der Inbegriff aller Realitäten sein sollte, die Entdeckung machte,
dass es ja Realitäten gebe, die in reellem Widerspruch miteinander
stünden und sich also nicht vereinen liessen. Die Abhandlung über
die negativen Grössen wäre nun eine durch die theologischen Betrach-
tungen im „Beweisgrund" angeregte Spezialuntersuchung5). Dass
zwischen dein „Beweisgrund" und der Abhandlung über die nega-
tiven Grössen ein Zusammenhang stattfindet, stelle ich nicht in
Abrede. Schon im „Beweisgrund" wird, wie Paulsen nachwies,
der wichtige Unterschied zwischen logischer Negation und realem
Widerspruch behauptet. Mir ist die Hauptsache aber die plötz-
liche und eigentümliche Wendung, die Kant in der Schlussanmer-
kung der letztgenannten Schrift unternimmt. Er hätte das Pro-
blem der negativen Grössen ausführlich und gründlich erörtern
können, ohne gerade die Konsequenz zu ziehen, die er hier zieht.
Diese Wendung ist es, die ich mir nur dadurch zu erklären ver-
mag, dass Kant das Kausalverhältnis als das Wichtigste aller Er-
kenntnis vor Augen hatte. Es musste also zu einem Zusammen-
ss kommen.
9. Kants Gesamtstimmung am Ausgange des an Denkarbeit
reichen Jahres war entschieden antidogmatisch. Nach dem
sicheren Operieren mit bisher anerkannten Begriffen fühlte er sich
nun bewogen, einige der wichtigsten dieser Begriffe zu untersuchen,
und er fand sie unklar und unfertig. Er stiess jetzt auf grosse
Schwierigkeiten bei dem, was andere — und bisher auch er selbst
— leicht gefunden hatten. .Mit Ironie kehrt er sich gegen die
grundlichen Philosophen, deren täglich mehrere werden, mit dem Er-
suchen, ihm diese einfachen Fragen zu lösen, vor denen er Halt
•) Entwickelungsgescbichte der Hantiscben Erkenntnistheorie. S. 64 u. f.
Harald Höffdin
.acht batte \ ii stärker und kecker erscheint diese Stimmung
in den „Traumen eines Geistersehers", wo er der „Luftbaumeister"
spottet, 'li>' ihre Gebäude aus erschlichenen Begriffen konstruier-
ten, und denen gegenüber nichts zu thun Bei, als sich zu gedulden,
Bie ausgeträumt hatten.
der start asatz zwischen Konstruktion nnd Ana-
lyse bezeichnet einen Bruch mit der Philosophie der vorhergehen-
den Zeit. Kant fordert die Beschaffung einer ganz neuen Grund-
lage, ehe die Z>-it einer philosophischen Systematisierung kommen
könnte. Seine Aufmerksamkeit war von nun an auf die Methode
gerichtet, auf die Untersuchung der Grenzen der Erkenntnis,
wiss*) hat er schon am diese Zeit die antinomische Methode ein-
i am die Grenze der Erkenntnis nachzuweisen, indem er
eine solche Grenze dorl fand, wo Bich rücksichtlich des nämlichen
Problems einander widerstreitende Sätze begründen Hessen. „Ich
versachte es ganz ernstlich", Bagt er später7), „Sätze zu beweh
und ihr Gegenteil, nicht um eine Zweifellehre zu errichten, son-
dern, weil Ich eine Illusion des Verstandes vermutete, zu ent-
decken, worin sie stäke". In einem Briefe an Laudiert (vom
31. December 1765) sagt er, sein Streben gehe nun hauptsächlich
auf dir eigentümliche Methode der Metaphysik aus. Nach mehr-
jähriger Erwägung habe er jetzt eine Methode gefunden, die er an-
wende, um eingebildetes Wissen zu vermeiden. Bei jeder Unter-
suchung sehe er nach, was er wissen müsse, am das Problem zu
lösen, und welchen Grad der Erkenntnis das Gegebene gestatte;
hierdurch werde Bein Urteil ofl allerdings mehr begrenzt, aber auch
Wie von Benno Erdmann nachgewiesen in der Einleitung zu seiner
\ u -_'•* ' "• der Prolegomena. S. I.XWI u. £ and ausführlicher in den Reflej
aen Kants. II. S. XXXV— XI. VII.
:) Reflexi 11 Kants. II. S. I V . 1). Hiermit stimmt ein,. Aeusserung
in dem Briefe an G im 21. Sept. 1798 überein, es seien die kn>mnlo-
chen Antinomien der reinen Vernunft, >li'- .ihn aus dem dogmatischen
Schlummer ufweckten und zur Kritik der Vernunft selbst hintrieben,
um .i.i- Skandal des scheinbaren Widerspruchs der Vernuufl mil ihi selbst
zn beben". Dei Briet i-i abgedruckt in Albert Stern: üeber die Beziehun-
zu Kant)
Kontinuität im Entwicklungsgange Kants. 383
sicherer, als es gewöhnlich der Fall sei. In üebereinstimmung
hiermit äussert er in den „Träumen", die Metaphysik sei die Lehre
\nii den Grenzen der Erkenntnis, und in der „Nachrichl von der
Einrichtung Beiner Vorlesungen", die ..Kritik der Vernunft" sei
ihm eine Bauptaufgabe bei seiner Bearbeitung der Logik. Unge-
fähr in dieselbe Zeil gehör! gewiss auch ein Fragment, in welchem
es heisst: „Die Metaphysik ist die Kritik der menschlichen Ver-
nunft ... (sie) i>t subjeetiv und problematisch"8).
10. Diejenigen Kantforscher haben sicherlich recht, welche
nachzuweisen suchten, dass die Entwickelung, die 1762 und wäh-
rend der folgenden Jahre in Kants Gedankengang vorgeht, nicht
mit Notwendigkeil «'inen äusseren Einfluss voraussetze, Mindern
an und für sieh sehr wohl aus seiner vorhergehenden Entwicke-
lnng zu verstehen sei. Anderseits kenne ich keinen Zeit raunt in
Kants Entwickelung, für den der Ausdruck „Erweckung aus dem
dogmatischen Schlummer" so gut passte, als hier. Selbst Benno
Erdmann, der die Erweckung weit später ansetzt (so viel später,
dass mir scheint, fr gerate in Konflikt mit," Kants Aeusserung,
da>s die Erweckung „vor vielen Jahren" eingetreten sei), erklärt
die sechziger Jahre für die Epoche, in der die Kantischen Ge-
danken am meisten in Fluss waren. Aus dogmatischem Schlummer
erweckl werden will gerade heissen, dass die bisher festen Ge-
danken in Fluss kommen. Freilich, will man unter dem Ausdruck
„Erweckung aus dogmatischem Schlummer" den vollständigen
Uebergang zur kritischen Philosophie verstehen, so passt er nicht
für diesen Zeitpunkt. In diesem strengen Sinne nimmt ihn Benno
Erdmann, wenn er ihn erst dort anwendbar findet, wo die Hoff-
nung, die Dinge an sich mittels des Verstandes zu erkennen.
..niehi bloss bis auf die letzte Faser ausgehoben, sondern durch
eine konträr entgegengesetzte Auffassung ersetzt werden konnte"9).
Dies i-t doch gewiss zuviel von einer Erweckung verlangt. Kam
selbst hat in dem Entwurf einer Vorrede zur Kritik der reinen
Reflexionen Kants. II. S. 158 Nfo. 507
' Einleitung zu Proli g ma. S. 2LCII.
384 Sarai
\ imnri . n : J!> dauerte lange, bia ich die ganze dogma-
tische Theorie dialektisch fand Aber ich suchte etwas
in nicht in Ansehung des Gegenstandes, doch in Ansehung der
\ tur uml der Grenzen dieser Erkenntnisart" ,0). Wer so sucht,
ist wach. W i i- hörten ebenfalls, dasa er selbsl am diese Zeit
die Dogmatiker als träumend betrachtete. Ich vermag nichts an-
- zu sehen, als dass der scharfe Gegensatz zwischen Kon-
struktion und Analyse, der gr< — Nachdruck auf die Methode
und auf die Grenzen der Erkenntnis nebsl der geringen Mei-
nung von dem in der Philosophie bisher Erreichten Kant schon
/.u dieser Zeil entschieden ausserhalb des Kreises der Dogmatiker
-teilen. Nur von einem (in Kantischem Sinne) „hyperkritischen0
Standpunkte aus liesse sich sagen, da— er wahren. I dieser Periode
in dogmatischem Schlummer ruhte. Sollte Kant dennoch im Jahre
17s; die sechziger Periode zum Dogmatismus gezähll haben,
hat er Bich selbsl grosses Unrecht beigefügt. Seine eigne Defini-
tion des Begriffes „Dogmatismus0 ist ja, dieser bestehe „in der An-
massung, mit einer reinen Erkenntnis aus Begriffen nach Prinzi-
pien, so wie sie die Vernunft längsl im Gebrauche habe, ohne
Erkundigung der Art und des Rechts, wodurch sie dazu
gelangt sei, allein fortzukommen"11), oder wie es anderswo
beisst: in „dem allgemeinen Zutrauen zu ihren (s. der Metaphysik)
Prinzipien, ohne vorhergehende Kritik des Vernunftver-
mögens selbst""). Infolge dieser Definition war Kant nach 1762
nicht mehr zu den Dogmatikern zu zählen. Allerdings hatte er
nicht einmal in den ..Träumen eines Geistersehers" die Hoffnung
aufgegeben, beharrliches Arbeiten auf dem Wege der Analyse
könne dereinst eine konstruktive Erkenntnis ermöglichen. Die
Schwierigkeiten standen ihm jedoch klar vor Augen, und er traute
den landläufigen Prinzipien nur wenig, wie er auch bestimmt über-
Reflexionen Kam-. II. S. I (N. 3). - Ich betone .las Wort ,ganz".
") Kritik d. r. Vern. 2. Ufl. \ 3. XXXV.
''-') Uebei eine Entdeckung, nach der alle oeue Kritik der reinen \
nnnt't durch eine alte atbehrlicb gemacht werden soll. Königsberg 1790,
,s.
Kontinuität im Entwicklungsgange Kam-.
zeug! war, dass das Resultat, wenn ein solches zu erzielen sei, mii
einer Begrenzung onsrer Erkenntnis verbunden sein würde. Il;it
er selbst diese Periode später zur dogmatisohen Schlummerperiode
mii gerechnet, so müssen die Resultate der ..Kritik" ihm den
Blick für seine eigne Vergangenheil geblendel haben. — Die Frage
nach dem Zeitpunkt der Erweckung mit Sicherheil zu entscheiden,
das ist nach dein Vorliegenden indes nicht möglich. Ich sehe
nicht anders, als dass die Verlegung ins Jahr 1762— 63 IS) die
wahlscheinlichste ist. obschon SO hervorragende Kant lorscher wie
Fr. Paulsen und Benno Erdmann /.u anderen Ergebnissen ge-
langten. Wie wiederholt bemerkt ist die Unsicherheit in dieser
Frage ein Zeugnis von der Kontinuität in Kants Entwickelung.
11. Benno Erdmann14) glaubt aus Herders Aeusserungen aus
den Jahren, während welcher jener Kants Zuhörer war (1762 — <>4).
schliessen zu können, dass Kant um diese Zeit noch nicht von
llunie erweckt sein könne. Man müsste sonst, meint Erdmann,
an der Weise, wie Herder von llume spräche, etwas von der Be-
geisterung bemerkt haben, die Kant seinen Zuhörern zweifelsohne
für den englischen Denker eingeflösst habe.
Diese Annahme scheint mir keine zwingende zu sein, beson-
ders wenn mau bedenkt, dass die Erweckum}- höchst indirekten
Charakters gewesen sein muss, so dass sie wesentlich in der Aus-
lösung und völligen Klärung von Gedanken und Zweifeln bestand,
die schon im Begriffe standen, sich emporzuarbeiten. Es war nach
Kants Aussage, ..die Erinnerung des Hume", die ihn erweckte.
Folglich hatte Kant schon früher den llume gelesen (es handelt
-ich hier um des letzteren „Inquiry" in deutscher Uebersetzung).
der Gedanke an Humes Problemaufetellung hat ihn aber erst später
beeinflusst. Es isi leicht zu verstehen, dass diese Erinnerung an das
13) Auf diesen Zeitpunkt wird die „Erweckung" \<>u Kuno Fischer,
Rieh! niiil Vaihinger zurückgeführt (letzterer nimmt jedoch auch ''ine
spätere Erweckung an). Meine Motivierung unterscheidet sich indes von der
dieser Forscher.
w) .Kant und llume um 17fc_'.- Archiv für die Geschichte der Philo-
sophie. I. S. 62—77; 216—230.
Harald Söffdinf
Gelesene, das Beiner Zeil keinen besonders starken Eindruck -
macht batte, in Kant gerade in dem Jahre auftauchen konnte, in
li t in die beiden Gedankenreihen — das Kausalverhältnis als
sdruck der Verbindung verschiedener Elemente und das Denken
als Analyse, nur mit dem Grundsatze des Widerspruchs operierend,
— die sich bisher in seinem Bewusstsein nebeneinander beu
hatten, alle beide wieder zu neuer, eingehender Bearbeitung vor-
genommen mirden und ein Zusammenstoss leicht eintreten muaste.
Man darf annehmen, dass ..'li'' Erinnerung des Hume" diesen Zu-
sammenstoss entweder begünstigt oder doch dessen Wirkungen
verstärkt hat. Jedenfalls ist Knut sich aber wohl kaum sogleich
der Bedeutung dessen, was in ihm vorging, völlig bewussl gewor-
den; ilms konnte er erst, als der durch 'li'- Erweckung eingeleitete
Entwickelung8prozess sich dem zurückschauenden Blicke als durch-
aus fertig darstellte. Somit wird es auch verständlich, dass er die
Erweckung durch Bume erel viel später und, wie Erdmann selbst
darlegt, auf besonderen Aula-- in seinen Schriften erwähnt.
Es gibl keinen Grund, anzunehmen, dass Kaut während der
Zeit, die Herder unter seinen Zuhörern Bah, des Hume (als theo-
retischen Philosophen) in seinen Vorlesungen hätte anders
denken sollen, als er seiner >jiä t < t- stets erwähnt, nämlich als des
Skeptikers, der mit Bezug auf den Dogmatismus ein gesundes l
gengewicht und nützliches Ferment bildete. Bisher gebrach
Kant überdies ja noch an der „höheren Einheit", dem Kritizismus,
den <'i- später über den Dogmatismus und den Skeptizismus pflegte
triumphieren zu lassen, und er musste Bume vorwiegend als
einen zu überwindenden Widersacher betrachten. In den von
Erdmann angeführten Aeusserungen Herders erwähnt dieser des
Hume gerade so wie zu erwarten war. nämlich als eines Feinen
Kopfes, zugleich aber als eines Erzzweiflers; er beschuldigt ihn
sogar „eines erstrebten Zweifeins". Ich verstehe nicht, wie Erd-
mann aus diesen Aeusserungen zu schliessen vermag1 ;. Kant habe
— wenn man ->hdi auf Herders Zeugnis stütze wahrend dieser
Archiv. I S. 216,
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants.
Jahre an Bnme aichi den metaphysischen Zweifler, sondern nur
den Moralisten hochgeschätzt. Aul' den Zweifler Bume scheini
Herder doch zur Genüge aufmerksam gemachl worden zu sein*
Herder ha1 die Sache gewiss sogar übertrieben. Der Ausdruck
„erstrebt" i-t wahrscheinlich ihm, nicht Kaut auf die Rech-
oung zu schreiben16). Herders ganzem Naturell und geistiger
Richtung gemäss war es kein Wunder, dass Humes Zweifel ihm
abertrieben und willkürlich erscheinen konnte. Herder fand keine
Verwendung für denselben wie Kant, dessen Gedanken in stär-
keren Fluss dadurch gesetzt wurden, ja, Herder konnte wohl nicht
einmal verstehen, wie Kant ihn zu verwenden vermochte; sein
späteres Verhältnis zu Kant lässl dies vermuten. Was Herder um
die»' Zeit an Kant so hoch schätzte, war (nacdi der bekannten
Aeusserung in den „Humanitätsbriefen") der offene Sinn für alles
Menschliche sowohl als für die Natur, der lebhafte Geist und der
klare Verstand. Für den suchenden, auf einsamen und dornen-
vollen Wegen wandelnden Denker hatte Herder keinen Sinn.
12. Durch die klare Distinktion zwischen Konstruktion und
Analyse hatte Kant einen grossen Fortschritt gemacht. Der Fehler
der dogmatischen Systeme war der. dass sie zu eilig zur Kon-
struktion schritten, obgleich sie die Analyse natürlich nicht durch-
aus entbehren konnten, die — wenn auch noch so unvollständig
l6) Ein Brief Kants an Herder vom 9. Mai 17G7 (auf den ich erst durch
ein freundliches Geschenk des Herrn Bibliothekars Dr. R. Reicke in Königs-
berg aufmerksam wurde) zeigt, dass Kant um diese Zeit dennoch eine mehr
positive Auffassung des Huine hatte, als man aus Herders .Wasserungen ver-
muten machte. Kant wünscbl seinem jungen Freunde, er möge die (kein
fühllose) Ruhe des Gemüts erhalten, die dem Philosophen im Gegen-
zum My-tiker eigentümlich sei, und setzt darauf hinzu: „Ich hoffe diese
Epoche Ihres Genie- aus demjenigen, was ich von Ihnen kenne, mit Zuver-
sicht, eine Gemütsverfassung, die dem, so sie besitzt, und der Welt unter
allen am nützlichsten i-t. worin Montaigne den untersten und Huine, soviel
ich weiss, den obersten Platz einnehmen." Dieses in Kant- Kunde
-.1 bedeutende Lob muss nach dem ganzen Zusammenhange nicht dein -Mo-
ralisten" allein gelten. fl»er Brief i-t abgedruckt in der Altpreuss. Mon
schrift B. 28, Heft 3 und 4. 1891: Zu Berders Briefwechsel. Von Victoi
Diederichs.)
Harald Höffding,
uii' 1 anfertig — in der Thal Bteta die Vorbereitung bildet. Kant
erblickte vorläufig in der genaueren Analyse daa wichtigste Mittel
I ml — was /ur Behauptung der Kontinuität
seines Entwickelungsganges \"ii besonderem Interesse ist n i.-.
nicht einmal in der Kritik der reinen Vernunft, gab er eigentlich
die Beziehung der Analyse zur Konstruktion auf, die er in der
iiil't „über die Deutlichkeil der Grundsätze0 d 111 hatte.
In seiner Hervorhebung der Bedeutung der Analyse : rillt Kan1
mit Lamberts Bestrebungen zusammen. W ihrend Kant aber
die Konstruktion in blauer Ferne 1 i- -_r«-u sieht und meint, vor-
läufig sei es das Zeitalter der Analyse, nimmt Lambert an, dass
das Ziel Daher liege. Durch Vergleichung und Kombination der
einfachen Begriffe, zu denen die Analyse geführt hat, will letzterer
ohne weiteres Axiome und Postulate bilden (Brief an Kant. \
vember ITC».")). Zwar siehl er ein, dass eine oähere Prüfung der
verschiedenen Kombinati in notwendig seiIT); er (uhll aber oichl
das Bedürfnis, besondere Prinzipien zu finden, Dach denen di
Prüfung dn- möglichen Grundsätze stattfinden könnte. Er oäherl
sich dem in der merkwürdigen Brief an Kant, I
bruar 1766), in welcher er die Präge aufwirft, ob die Erkenntnis
der Form unseres Wissens zur Erkenntnis des Inhalts unseres
Wissens führe. Bei der prinzipiellen Schwierigkeil des Uebergangs
aus der Analyse der Grundbegriffe in die Konstruktion der Grund-
sätze hielt er sich aber oichl auf, wie er auch nicht die Analyse
in dm- bestimmten Richtung führte, durch welche Kant dahin
brachl wurde, die einzige Möglichkeit konstruktiver Erkenntnis in
der Philosophie ZU linden. Obschon Kant daher Lambert als seinen
Vorgänger so hoch ehrte, dass er ihm die Kritik der reinen Ver-
nunft gewidmet haben würde, wäre Lambert nicht vor Vollendung
des Weik,- gestorben1 ), so lautete doch sein I rteil über ihn da-
hin, dass er sich innerhalb der Analyse bewege, ohne den „kriti-
schen" Standpunkt zu erreichen ' ').
1 II. Lambert: inon. Leipzig ITiM. I, s. :;•_';; u. i.; 199.
ehe den Entwurl einei Widmung: Reflexionen Kants II. S. I u. f.
R aen Kants. II. S. 67 u. f. (No. ! . •-,:'.l).
Kontinuität in Entwicklung Kants.
Die Analyse, die in Kants definitiver Erkenntnistl rie von
so grosser Bedeutung ixt. betriff! die Weise, wie das Erkenntnis-
vermögen selbsl wirkt. Diese Richtung erhiell Kants Analyst
schon damals, als eine sorgfältigere r»*'st iiinnun^ der Grenzen dei
Erkenntnis sich ootwendig zeigte (siehe § '•). Sic führte aber ersl zu
entscheidenden Resultaten, als er nach 1769 zwischen der Materie
uuii der Form clor Erkenntnis zu unterscheiden begann. Wie dieser
Wendepunkl entstand, wird später zu untersuchen sein; hier soll
nur erörtert werden, welcher Art die Analyse war. mit (eist deren
Kant diese für sein definitives System so wichtige Distinktion be-
gründete.
Kant hat diese Analyse nirgends methodisch ausgeführt. Stets
setzl er sie voraus oder deute« sie in grosser Kürze an. In der
„Dissertation" heissl es, dass wir durch l'eobaehtung der Weise,
wie das Bewusstsein auf Anlass der Erfahrung wirke (attendendo
ad ejus actiones occasione experientiae) die Gesetze entdeckten,
nach denen dieses Wirken vorgehe. Wird nun hei der sinnlichen
Erkenntnis zwischen Stoff und Form unterschieden, so dass die
Form das Gesetz bedeutet, nach welchem das Bewusstsein den
empfangenen Stoff ordnet, so geht es aus den von Kant gebrauchten
Ausdrücken hervor, dasx die Form das Konstante, Unveränderliche
der sinnlichen Wahrnehmung, der Stoff dagegen das ins unendliche
Variierende ist. Die Analyse findet also einen unterschied zwi-
schen einem Konstanten und einem Wechselnden, einem Bestimm-
ten und einem Unbestimmten-'"). Die Form steht als unveränder-
liches Vofbild (typus immutabilis) da. das stets von neuem, jedes-
mal wenn ein neuer Inhalt zu ordnen ist, nachgeahmt wird. In
den Aufzeichnungen aus den siebziger Jahren findet sich derselbe
Zug. ..Die Exposition desjenigen, was gedachl wird, beruht bloss
auf dem Bewusstsein; desjenigen aber, was gegeben ist, wenn
M) Tempus est . . . subjeetiva conditio ihm- naturam inentix humanae
essaria, qvaelibet sensibilia oerta lege sibi coordinandi (I>ixS. § 14,5).
— Spatium est . . . subjeetivum ei ideale e natura mentis stabili h
proficiscens, veluti sebema, omnia omnino externe sensa xii,i coordi-
nandi Diss. j 15 D).
Harald Böffdin
man <li«- Materie als unbestimmt ansieht, auf dem Grunde
aller Relation and der Verkettung der Vorstellungen (Empfindun-
l ii. I wenn wir ans klar machen, nach welchen Gesetzen
diese Verbindung vorgeht, erhalten wir „das Original aller Objekte",
„das Urbild von jeder möglichen Synthesis, das sich anabhängig
von der Eiozelnheit, darin eben war", erkennen lässt").
Auch in der Kritik der reinen Vernunfl finden -i<h Spuren
der Analyse, mittels! deren die Form vom Stoffe getrennl wird.
Wenn Kant in ziemlich unglücklicher Ausdrucksweise -;iu't . wir
könnten die Form vor der wirklichen Wahrnehmung «mt-
decken, so Betzl er voraus, dass eine solche Analyse bereits
unternommen sei, und anter wirklicher Wahrnehmung verstehl <t:
jede bestimmte, besondere Wahrnehmung. Einige Beispiele
werden dies zeigen.
„Wenn ich von der Vorstellung eines Körpers das, \\;i- der
Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Teilbarkeil u. s. w.,
imgleichen, was davon zur Empfindung gehört, als Qndurchdring-
lichkeit, Barte, Farbe o. b. w. absondere, so bleibl mir aua
dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, uämlicfa A
dehnung and Gestalt Diese gehören zur reinen Anschauung, die
a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der sinne oder
Empfindung als eine blosse Form der sinnlichkeil im Gemüte
stattfindet." Ks wird hier eine Analyse, d. h. ein successives Bin-
wenden der Aufmerksamkeil auf die verschiedenen Seite ler
Elemente des Gegebenen beschrieben, and die Resultate der Ana-
lyse werden in drei verschiedene Klassen geteilt, die auf die drei
Vermögen des Verstandes, der Anschauungsform and der Sinnes-
empfindung zurückgeführt werden"). Wie die „Aussondern!
oäher begrundel wird, ist an anderen Orten zu ersehen. „Raum
und /cii sind die reine Form [der Sinnlichkeit], Empfindung aber-
Lose Blatter. S. 16; 19 21. (Vgl. oben § ■ > Ende.)
Sani Äussert -i'-li hier in dei Weise dei alten Abstraktionstheorie,
obgleich er diese an anderen Orten entschieden »erwirft Siehe „Kritik dei
i. Vera." -• Aufl. E lie Note zur ersten Antithesi B i Kants.
II. s. 126 V. 1 1 _- .
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kant-. 391
hanpl die Materie ... Jene hängen unserer Sinnlichkeil schlecht-
hin notwendig an, welcher Art auch unsere Empfindungen
sein mögen; diese können sehr verschieden sein." »Wir
nennen die Synthesis des Mannigfaltigen in der Einbildungskraft
transcendental, wenn ohne Unterschied der Anschauungen Bie
auf nichts, als bloss auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori
geht." „Die Apperzeption und mit ihr das Denken geht vor
aller möglichen bestimmten Anordnung der Vorstellungen
vorher M).a — Und wo Kant in den Prolegomena von der Ent-
stehung der Kategorienlehre spricht, sagt er: „Ich sah mich nach
einer Yctstaudeshandlung um, die alle übrige enthält, und sich
nur durch verschiedene Modifikationen oder Momente
unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit
des Denkens überhaupt zu bringen, und da fand ich, diese Ver-
standeshandlung bestehe im Urteilen24)."
Es stellte sich Kant zugleich die Aufgabe, gemeinsame Merk-
male der konstanten Elemente zu finden, die er auf diese Weise
in unserer Erkenntnis aussondern konnte. Dieser Teil der Analyse
ging mit der Nachweisung der konstanten Elemente Hand in Hand,
indem Kant erst recht auf letztere aufmerksam wurde, nachdem
er eine gemeinsame Grundbestimmung aller unserer Erkenntnis
gefunden hatte. Diese Grundbestimmuug war die Verbindung, die
Synthese, und da diese eine Function ist, betrachtete Kant es als
selbstverständlich, dass sie nicht mit dem blossen Eindruck gege-
ben sein könne. Diese Seite der Analyse wird im Kap. IV näher
besprochen werden. Hier verweilen wir nur bei der allgemeinen Be-
deutung, welche die analytische Methode fortwährend für Kant hatte.
Diese Analyse, die darauf ausgeht, die Thätigkeitsweise eben
des Erkenntnisvermögens zu finden, wird ausdrücklich unterschieden
von „dem gewöhnlichen Verfahren in philosophischen Untersuchun-
gen, Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalte nach zu zergliedern
und zur Deutlichkeit zu bringen". Die eigentliche Aufgabe der
kritischen Philosophie sei die Zergliederung des Verstandes vermö-
■*) Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl. S. 35, GO, 345; 1. Aufl. S. 118.
M) Prolegomena. Riga 1783. S. 119.
Archiv f. Geschichte d. Philosophie, vi I. 27
392 Barald Höffdin
s selbst, das Auffinden der Grundbegriffe an ihrem Entstehungs-
orte und die Nachweisung Ihres Gebrauchs. Und diese kritische
An welche die Form von dem Stoffe trenne, könne nicht
eher vorgehen, „als bia lange l ebung ans darauf aufmerksam und
zur Aussonderung dessen, was unser eignes Brkenntnisvermög
aus sich selb8l herausgebe, aus dem, was wir durch Eindrücke
empfingen, geschickt gemacht hat* Deshalb aal Kant auch
nichts dagegen, dem Mathematiker Kästner das Zugeständnis zu
machen, dass der Begriff des Raumes aus sinnlichen Vorstellungen
abstrahierl sei: „denn, ohne Anwendung onseres sinnlichen Vor-
Btellungsvermögens auf wirkliche Gegenstände der Sinne, wurde
Belbsl das, was in diesen [den Sinnen] a priori enthalten sein
mag, uns -.ir iiichi bekannt werden*.")
13. Die mit Bilfe der Analyse gefundene Grundlage der kri-
tischen Erkenntnislehre tritt in der ersten Auflage der „Kritik der
reinen Vernunft" stärker hervor als in den Prolegomena und der
zweiten Auflage'6). Dort entwickelt er auf eine in psychologischer
Beziehung Behr interessante Weise den Begriff der Synthese als
der allgemeinen Form der Bewusstseinsthätigkeil auf den verschie-
denen Stufen. Später begnügt er sich damit, ganz im allgemeinen
auf den verbindenden Prozess zu verweisen, namentlich auf dem
Gebiete des Verstandes87). Wegen der Missverständnisse in psy-
chologisch-idealistischer Richtung, denen die ..Kritik der reinen
Vernunft" BOgleich verfiel, Buchte Kant in den späteren Bearbei-
tungen die Aufmerksamkeit von der psychologischen Analyse des
Erkenntnisprozesses (von dem. was er in der Vorrede der ersten
Ausgabe die subjektive Deduktion nannte) abzulenken, weil diese
nur als Vorbereitung von Bedeutung war. damit seine Hauptauf-
gabe, die Konstruktion *\<v für alle Erscheinungen gültigen und
Di ert. § 15. Coroll. - Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl. S. 1 u. f.;
90. Willi. Dilthey: Au den i; Kanthandschriften. Archiv für
die Geschichte der Philosophie. III. S. VT.
Wii- \..|, Benno Erdmann in der: Einleitung zn Prologomena.
S. XXXII- XXXVIII nachgewiesen.
Vgl. ebenfalls den Brief an Tioftruni vom 11. December 1797 übei
den Begriff dei Zusammensetzung, die allen Kategorien zu Qrunde li<
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. 393
dennoch von denselben unabhängige]] Vernunftsätze um so schärfer
hervortreten könnte.
Don scharfen Gegensatz der mathematischen zur philosophi-
schen Methode, den Kant in der Abhandlung über die Deutlichkeil
der Grundsätze dargestelli hatte, behauptet er jedoch stets. In
dem interessanten Anschnitt. „Die Disciplin der reinen Vernunft
im dogmatischen Gebrauche" wird derselbe zum Teil in den näm-
lichen Wendungen ausgesprochen, wie in der last zwanzig Jahre
älteren Schrift. Auch hier wird gezeigt, dass die philosophischen
Begriffe, die mittels Analyse gewonnen würden, nicht aber wie die
mathematischen mittels direkter Konstruktion, sich nichl im streng-
sten Sinne definieren Hessen, da man keine apodiktische Gewiss-
heil habe, dass der Inhalt des Begriffes vollständig sei. Als Bei-
spiele werden die Begriffe Ursache, Recht, Billigkeit genannt. Es
könnten dunkle Nebenvorstellungen vorhanden sein, die wir bei
der Analyse übergingen, und die dennoch bei der Anwendung niit-
bethätigi seien, ohne dass wir es merkten28).
Der unterschied zwischen den älteren Schriften (17G2 u. f.)
und der „Kritik der reinen Vernunft" ist der, dass Kant, während
er früher nur zwei Arten von Begriffen unterschied, die empiri-
schen und die mathematischen, deren erstere durch Analyse, letz-
tere durch direkte Konstruktion gewonnen würden, später drei
Arten von Begriffen unterschied: 1) empirische, 2) apriorisch-
diskursive, 3) apriorisch -intuitive. Die ersten beiden Arten wür-
den durch Analyse, die letzte durch direkte Konstruktion gewonnen.
Die Analyse, mittels deren die erste und die zweite Art erzielt
werden, ist indes, wie im Vorhergehenden (siehe § 12) nachge-
wiesen, von verschiedener Beschaffenheit.
14. Für die Kritik der Kantischen Erkenntnistheorie ist
dieser Zusammenhang des älteren und des späteren Standpunktes
28) Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl. S. 756. — Vergl. hiermit die
iume eines Geistersehers". 1. T. 1. Rauptet (Kehrbachs Ausg. S. 6 Note),
wo die Beschreibung erschlichener 1;,,^, nr,. (|je angeführte Stelle der „Kritik"
lebhaft ins Gedächtnis ruh.
") Vgl. Bchon „Aenesidemns" (von G. E. Schulze). 1792. S. 401, 406.
27*
:; 94 Harald Hüffdii.
\„n grossem [nt Denn hiermit tritt die Frage nahe, ob
Kant wirklich eine ganz neue Klasse von Begriffen entdeckt bat,
die inmitten der empirischen and der konstruierten stehen sollten.
Zur Entscheidung dieser Frage braucht man nicht ober Kants
ie Aeusserungen hinaus zu gehen. Denn er erklart ja rund
heraus, dass die apriorisch-diskursiven Begriffe (>. die Kategorien)
nicht völlig fertig seien — und dennoch operirt er mit ihnen um
Grundsatze aufzustellen, als ob Bie völlig fertig wären! Betrachten
wir ihre Entstehungsweise, so sind sie denselben Bedingungen
unterworfen wie die gewöhnlichen empirischen Begriffe. W ie wir
sahen, sind sie die Frucht der Beobachtung konstanter Elemente
während des Wechsels unserer Erfahrungen. Die Annahme, wir
hätten hier die Natur des Erkenntnisvermögens selbsl (oder, wie
Kant zu sagen pflegt, „die Quellen*) vor uns, ist ein Schluss aus
dieser Konstanz oder deren Auslegung. Sie isl also eine Hypo-
these. In der Vorrede zur ersten Ausgabe der Kritik der reinen
Vernunft sagtEanl denn auch, die „subjektive Deduktion0 (s. den
Nachweis der Quellen der Erkenntnis mittels der Analyse) könne
als eine Hypothese aussehen, da sie ja auf die „Aufsuchung der
l raache zu einer gegebenen Wirkung" ausgehe; er meint indes,
dem sei nicht so. und verspricht, dies bei anderer Gelegenheit zu
zeigen. Dieses Versprechen hat er jedoch nicht -ehalten, im Gegen-
teil in seinen späteren Darstellungen diesen analytischen Teil be-
deutend reduziert.
Kant ist also in gewissem sinne auf seinem definitiven Stand-
punkte nicht weiter ^elainjt. als er 1 T < » li war. Die Möglichkeit
einer derartigen liostiininun^ der „Formen", dass die Genauigkeit
und Vollständigkeil der Bestimmungen völlig verbürgt wäre, hat er
oichl nachgewiesen. Eigentlich kann er sich also nicht von dem-
selben Vorwurf befreien, iU-n er Keilmiz und Wolf machte: dass sie
mit unfertigen und erschlichenen Begriffen operierten, und in dem
System von Formen, das er als Fundament unserer exakten Er-
fahrung aufstellt, ist ein bedeutendes hypothetisches Moment Er
meint mit Recht, das- wir. könnten wir ganz gewiss sein, dass
diese Formen hei all unserer Erfahrung, all unserer Auffassung be-
Kontinuit&l im Entwicklungsgänge Kants. :'»'.•.">
teiligt wären, auch von den Gegenständen der Erfahrung ein aprio-
risches Wissen besitzen würden. Eben diese völlige Gewissheil
l,:isst sich aber nicht darlegen'0).
Der Erkenntnistheorie bleib! kein anderer Weg übrig als das
Operieren mit der durch Analyse gefundenen (Wundläge wie mit
einer Hypothese, indem man der fortgesetzten Analyse die Berich-
tigung der Grundlage, von welcher man ausgeht, überlässt. Die
Sache ist die. dass die verschiedenen Operationen miteinander im
Wechselverhältnis stehen. Man kann nicht alle mögliche Kon-
struktion beiseite legen und sich ans Analysieren machen; dies
würde der Analyse selbst zum Schaden gereichen, da die Konstruk-
tion als unterstützender Prozess und als Experiment notwendig
sein kann. Kants eigne antinomischc Methode war eigentlich ein
Versuch solcher Konstruktionen, welche die Beschaffenheit der
Voraussetzungen erhellen sollten, wenn diese sich nicht direkt
analysieren Hessen. — Ebenfalls gilt natürlich das Umgekehrte, dass
die Konstruktion die Analyse voraussetzt, weshalb es sich bei
näherer Untersuchung ergibt, dass sogar die mathematischen Be-
griffe, die durch direkte Konstruktion aufgestellt zu sein scheinen,
eine vorhergehende Analyse voraussetzen. Kants Gegensatz zwi-
schen Mathematik und Philosophie ist also in der von ihm aufge-
stellten Form nicht haltbar.
Die Gewissheit, dass wir an den konstanten Elementen der
Erfahrung die notwendigen Formen unserer Bewusstseinsthätigkeit
halten, kann, wie weit die Analyse auch geführt werden möge, nur
30) Vgl. die Distinktion zwischen dem Angeborensein und dein ursprüng-
lichen Erwerben in der Dissert. § 8, Coroll. — Ueber eine Entdeckung u. s. w.
S. 68. — Kritik d. r. Vern. :.'. Aufl. § 27. — Brief an Hertz vom 21. Febr.
1772. — Von einem rein psychologischen Standpunkt aus inuss ebenfalls ein
Einwarf gegen Kants Distinktion des Stoffes und der Form erhoben werden.
Die Empfindungen sind nicht bloss passiv aufgenommener Stoff, sondern jede
Empfindung wird in ihrer Entstehung und Beschaffenheil durch den Gesamt-
zustand des Bewus8t8ein8 bestimmt. Hier findet in sofern, was die Empfin-
dungen Belbst betrifft, ein Formen und Verbinden, eine Synthese statt. Vgl.
meine Psychologie. Leipzig. 2. Ausg. S. 152 u. f. Dieser Einwurf hebt Kants
Distinktion nicht auf, führt sie aber weiter und anders durch, als er es that.
Harald Höffdin(
approximativ «rerden, and die Schlüsse, die sich auf diese Gewiss-
heil Btützen lassen, müssen natürlich deren Schicksal teilen. Kante
Neigung auf seinem definitiven Standpunkte, die Analyse beiseite
zn schieben, machte ihn wider seinen eignen Willen zum Dogma-
tiker. Richtiger Bah er 1762, da er die analytische Methode als
\\ Bfe gi gen die Dogmatiker benutzi
15. Dass die Analyse in Kants definitiver Philosophie das
- ikiml war. obgleich sie ihren Platz in ihr hat, zeigt sich
besonders darin, dass die Ableitung der „Formen" aus dem kon-
kreten Zusammenhang, in welchem sie Bich nach Kant anfänglich an
den Tag legen, oichl durchgeführt ist. Das gegenseitige Verhältnis
der beiden Sätze, die Kant alle beide anerkennt: „Alle Erkenntnis
hebl mit der Erfahrung an.- und: ..Nicht alle Erkenntnis ent-
springl aus der Erfahrung," hat er nicht deutlich Dachgewiesen.
Dies wäre nur dann geschehen, wenn er die verschiedenen Ent-
wickelungsstufen dargestellt hätte, welche die „Formen" von der
angeborenen Grundlage an bis zu der durch Uebung erworbenen
bewussten Klarheit durchlaufen müssten'1).
Alier oichl nur als völlig fertig setzl Kant die Formen vor-
aus; er setzl sie auch in einer idealen Vollkommenheil und Rein-
heil voraus, in welcher keine wirkliche Anschauung "der Erfah-
rung sie aufzuweisen vermag. Dass dies sich mit Bezug auf den
Raum und die Zeii bo verhält, bedarf keines näheren Nachweü
Newtons absoluter Raum und absolute Zeil sind bei Kant sozu-
sagen eingeschlagen, sind subjektive Formen geworden - ohne je-
doch ihre Absolutheft zu verlieren. So wird in der Dissertation
3I) Was die Zeil betrifft, machl Kant keinen Unterschied zwischen Zeiten)
pfindung, Zeitvorstellung und Zeitanschauung. \ gl. meine Psychologie. 2. Ausg.
11 und meine Abhandlung: »Lotze's Lehren über Kaum und Zeit"
ilos. Monatsb. 1890. S. 428 432). - Was den Raum betrifft, so drück!
Kau: Bich in anderen Schriften weil deutlicher aus als in der »Kr. d. r. Vera*.
in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft"
Riga i 3 u. f.: »Dei absolute Raum ist an sich nichts uml
kein Objekt, sondern bedeute! nur einen jeden andern relativen Raum, den
ich mir ausser dem gegebenen jederzeit denken kann". — S. 16: »Der abso-
lute Raum ist für alle mögliche Erfahrung nichts".
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. .">'.i(
jede der Anschauungsformer] als typua immutabilia bezeichne!
(§ 15, Coroll.)- K;mt denkt sich also Vorbilder, ideale Rahmen, auf
welche alles, was uns erscheine, zurückzuführen sei, am in einen
allgemeinen Zusammenhang verwoben zu werden")» Bin ähnliches
Vorbild (exemplar) werde, der Dissertation (§ 9) zufolge, auch
rücksichtlich der Verstandeserkenntnis gebildet und gebe den ge-
meinsamen Massstal) aller Realitäl ab. In der „Kritik der reinen
Vernunft" entsteht der Erfahrungsbegriff oder der Naturbegriff
eben durch eine ähnliche ideale Konstruktion. Die Parallele jenes
„unwandelbaren Vorbildes" tritt deutlich hervor, wenn es heisst:
„Es ist nur eine Erfahrung, in welcher alle Wahrnehmungen
als im durchgängigen und gesetzmässigen Zusammenhange vorge-
stellt werden, ebensowie nur ein Raum und eine Zeit ist.
in welcher alle Formen der Erscheinung und alles Verhältnis des
Seins oder Nichtseins stattfindet33)." „In dem Ganzen aller
möglichen Erfahrung liegen alle unsere Erkenntnisse." „Alle
Erscheinungen liegen in einer Natur und müssen darin liegen,
weil ohne diese Einheit a priori keine Einheit der Erfahrung, mit-
hin auch keine Bestimmung der Gegenstände in derselben möglich
wäre34)." — Die letzte Begründung, die Kant von dieser Einheit
der Erfahrung (oder der Natur) gibt, ist die, dass bewusstes Er-
kennen nur dann möglich sei, wenn die gegebenen Elemente mit-
tels Synthese vereint würden. Die synthetische Einheit sei das
Prinzip aller Verständnis. „Wenn eine jede einzelne Vorstellung
der anderen ganz fremd, gleichsam isoliert, und von dieser ge-
trennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, ent-
springen, welche ein Ganzes verglichener und verknüpfter Vor-
stellungen ist35)." Wir hätten deshalb an dem Begriffe des syn-
thetischen Charakters unseres erkennenden ßewusstseins ein Urbild
alles dessen, was wir erkennen könnten (vgl. § 5 Ende: § 12).
In welchem Masse befriedigen nun aber die wirklichen Wahr-
32) Kr. d. r. Vern. 1. Aul!. S. 110. 33) Kr. d. r. Veru. 2. Aufl. S. 185: 263.
3') Kr. .1. r. Vern. 1. Aufl. S. 97 (vgl. 2. Aufl. S. 103 .
3ä) Lose Blätter. I. S. 35, 136. — Reflexionen Kants. II. S. 307 (Xo. l(»Tl .
- Kr. d. r. Vern. 1. Aufl. S. 126; 2. Aufl. S. 303.
Harald Höffdinj
nehmungen die ideale Forderung, die von diesem Vorbild aus an
II wird? Hiervon kann man von vornherein offenbar
oichts wissen. Ein von unserer Erkenntnisthätigkeit durch Abstrak-
tion und Idealisierung gebildet \ rbild Eeigl seine Bedeutung da-
durch, dass es den Gedanken in Bewegung Betzt. Ob der Gedanke
aber adäquate Abbilder des Vorbildes findet, und ob er inmitten
der unübersehbaren Vielfachheil der Wahrnehmungen das Vorbild
durchzufuhren vermag, das i>t die grosse Frage, die nicht dadurch
beantwortet wird, dasa man nachweist, wir konnten nur. wenn
dies geschehe, die notwendige Erkenntnis haben.
Mitunter spricht Kant sich denn auch so aus, als ob durch
das Vorbild nur ein Suchen eingeleitet werde. So wird in der
Dissertation das Prinzip, dass alles, was geschehe, der Ordnung
der Natur gemäss geschehe, als ein subjektives Prinzip unserer
Forschung (principium convenientiae), dem Gesetze der Sparsam-
keil (§30) nebengeordnet aufgestellt. In einer Aufzeichnung aus
den siebziger Jahren wird von einer Präsumtion geredet, der zu-
folge sich alles nach einer Regel bestimmen lasse. In einer Auf-
zeichnung aus der ersten Zeit Ars Kritizismus wird gefragt: „Da
wir die Möglichkeil eines Realgrundes nicht einsehen, wie können
wir denn a priori sagen, dass es durchaus solche geben müsse?...
Gilt nicht dies Prinzipium als Antizipation, weil ohne Regel
wir auch keine Erfahrungen haben würden, diese Regel aber in
der Ordnung der Zeil und des Raums nach allgemeinen Gesetzen
besteht?" In einer Aufzeichnung aus den achtziger Jahren heisst
„Die Prinzipien der Exposition der Phänomena sind Prinzipien
der [ntellektion, nicht der Perspizienz derselben, Ursachen zu
suchen, aber nicht zu bestimmen.0 Und in der Kritik der reinen
Vernunft: ..her Verstand i-t jederzeit geschäftig, die Erschei-
nungen in der Absicht durchzuspähen, um an ihnen ir-
ad eine Regel aufzufinden". ..Der Verstand kann a priori
niemals mehr leisten als die Form einer möglichen Erfahrung
überhaupt zu antizipieren
Schon Salomon Maimon wies dieses nach. -Für midi ist Erfah-
Kontinuitäl im Entwicklungsgänge Kants. 399
Wäre Kani hierbei Btehen geblieben, so hätte er nicht mehr
behauptet, als er zu beweisen vermochte. Dann würde er aller-
dings aber keinen Grund gehabl haben, seinen scharfen unter-
schied zwischen Kategorie und [dee aufzustellen, da es sich dann
zeigen würde, dass schon die Kategorie ideale Ansprüche macht.
welche die reale Erkenntnis stets nur unvollkommen befriedigt").
Durch sein Vertrauen auf den „ Kopernikanischen" Gedanken,
worin (wie später zu erörtern) die Entdeckung von ITC»'.» bestand,
war Kaut übers Ziel hinaus geführt worden. Dasselbe verlieh ihm
den Mut, die synthetische Konstruktion zu unternehmen, die ihm
noch vor wenigen Jahren als ein fernes Ziel dastand. Von dem
Drbilde und der Präsumtion ging er ohne weiteres zum Ge-
/.c als ob letzteres sich aus ersteren ableiten Hesse. Die wirk-
liche Erkenntnis betrachtet er als mit dem Begriffe der Er-
kenntnis gegeben: der alte ontologische Gedankengang hat hier
«-einen grossen Gegner überlistet! Die transcendentale Deduktion,
die ihm so viele Mühe gekostet hatte, und auf die er so stolz
war. war in der That nur erkenntnistheoretische Alchymie. Wie
die Alchymisten aber oft bei ihrem Suchen nach dem Stein
der Weisen unterwegs neue chemische Beziehungen entdeckten, so
kam Kant während seines eifrigen Strebens, eine absolute Lösung
des Humeschen Problems zu finden, dazu, wertvolle Beiträge zur
Verständnis der Natur unserer Erkenntnis zu geben.
16. Nur ein einzelner Punkt sei noch zur Erhellung der
analytischen Methode Kants hervorgehoben. "Wie wir (§ 12) sahen,
geht er davon aus, dass die konstanten Elemente unserer Erfah-
rung von der Erkenntnisthätigkeit allein herrühren müssteu und
nur deren Gesetze ausdrücken könnten. Hätte Kant sich ein-
gehender auf die Analyse eingelassen, die ihm zur Aufstellung der
I ormen bewog, so miis>te er auch dazu gekommen sein, die Be-
rechtigung dieser Annahme genauer zu prüfen. Er geht ja vuu
rung im strengen Sinne kein in der Anschauung darstellbarer Begriff, son-
dern eine Idee.- Kritische Untersuchungen. Leipzig 1794. S. 154. — BDie
kritische Philosophie kann nur hypothetisch philosophieren.-* Die Kategorien
des Aristoteles. Berlin 1 T . > i . s. [33.
400 Barald 11 öffdin
Anfang an davon aus, dass das Bewusstsein, das erkennende Sub-
jekt, nichl das einzige Existierende, sondern nur ein Glied des
ganzen Daseins sei und mit dem übrigen Existierenden in Wechsel-
Verhältnis stehe. Die Weise, wie das Subjekt das I >:i-»in auffasst,
kann dann nicht durch dessen eigne Natur allein bestimmt sein,
sondern ebenfalls durch die Natur des Existierenden.
Ea liegen bei Kaut verschiedene nicht beachtete Andeutungen
in dieser Richtung vor. In der Kritik der reinen Vernunft (1. Ausg.
158) ist die Rede von „demjenigen Etwas, welches den äusseren
Erscheinungen zum Grunde liegt, was unseren Sinn bo affiziert,
dass er die Vorstellungen von Kaum. Materie, Gestalt n. & w. be-
kommt". „1 od mit Bezug auf «Im Frage, wie in einem denkenden
Subjekt überhaupt 'Im äussere Anschauung des Raumes möglich
.,i. wird bemerkt, hierzu lasse sich nur Bagen, 'Im Vorstellungen
.In- äusseren Erscheinungen hätten ihre Ursache in dem Dinge an
sich („dem transcendentalen Gegenstände") (ibid. S. 393). IM.'
Weise, wie ich »'in Ding auffasse, brauche dem Objekte, das 'Im
Auffassung Mm Sinnesempfindung oder die Raumanschauung) in
mir hervorrufe, gar nicht völlig ähnlich zu sein — heissl es in den
Prolegomena ^.i\\. Die Raumanschauung sei durch das Verhältnis
des Gegenstandes zum Subjekte bestimmt (Kr. d. r. Vern. 2. Aufl,
S. 66, 69). hie deutlichsten Aeusserungen finden sich an mehreren
Orten in dm- „Dialektik". Es ist unmöglich, heissl >■-. die Ant-
wort auf die Frage zu finden, „weshalb der transcendentale
Gegenstand unserer äusseren sinnlichen Anschauung
rade nur Anschauung im Räume und nicht irgend ''in-'
andere gebe". „Viele Kräfte der Natur, die ihr Dasein durch
gewisse Wirkungen äussern, bleiben für uns unerforschlich; denn
wir können ihnen durch Beobachtung nicht weit genug nachspüren.
Das den Erscheinungen /um Grunde liegende transcen-
dentale Objekt, und mit demselben der Grund, warum
unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als andere oberste
Bedingungen habe, sind und bleiben für uns unerforsch-
lich, obzwar dir Sache seihst übrigens gegeben, aber nur
nicht eingesehen ist" (2. Aufl. S. 585; 631 u. f.). — An den
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. 10 1
zuletzt angeführten Orten wird der Grund der Raumanschauung
sogar durchaus vorwiegend dem Dinge an Bich zugeschrieben.17)
Aus diesen Andeutungen ist zu ersehen, dass Kan1 nichl nur
den Stoff, sondern auch die Form aus dem Dinge an sich ableitete.
Wenn «lem aber so ist, wird es anberechtigt, dass er so off ein
Dilemma aufstellt, das die Wahl gibt, ob der Gegenstand die Vor-
stellung oder die Vorstellung den Gegenstand bestimme. In seiner
eignen Theorie wird in der That beides vorausgesetzt. Kant kann
konsequent daher nicht der strenge Apriorikcr sein, der er gern
sein möchte. Es giebt eine Grundvoraussetzung, die er nicht her-
vorhob, und auf die sich doch sein ganzes „System der Grund-
sätze" stützt: diejenige nämlich, dass das Ding an sich konstant
wirkt. Wäre dies nämlich nicht der Fall, so würden ja, die Na-
tur des Subjekts als unveränderlich vorausgesetzt, die konstanten
Elemente der Erfahrung, welche die wirkliche Grundlage von Kants
gesamtem erkenntnistheoretischem Aufbau bilden, Abänderungen
erleiden können, und alsdann würden die Grundsätze sich eben-
falls verändern. — Auch von dieser Seite zeigt es sich, dass „die
kritische Philosophie nur hypothetisch philosophieren kann". Kants
Glaube, eine Philosophie der Erscheinungen durchführen zu kön-
nen, ohne es nötig zu haben, irgend eine Voraussetzung vom Dinge
an sich aufzustellen, war falsch. Schon seine ersten Kritiker mach-
ten darauf aufmerksam, dass das Ding an sich, wenn er die Be-
griffe Ding, Existenz und Ursache von demselben gebraucht, doch
nicht absolut unbekannt sein könne. Es sei indes hinzugefügt,
dass er auch voraussetzt, dasselbe wirke auf regelmässige Weise.
Kant glaubte einen Beweis von der Gültigkeit des Kausalsatzes
geführt zu haben, was Wulf durchaus misslungen war. Während
Wolf denselben aus «lein Grundsätze des Widerspruchs herleiten
wollte, begründet Kant ihn als die Voraussetzung der Möglichkeit
der Erfahrung88). Kants Beweis stützt sich auf die Annahme, der
37) Vgl. den Brief an Reinhold vom 12. Mai 1789: „Das Realwesen von
Raum und Zeil und der erste Grund, warum jenem drei, dieser nur eine Ä.b
messung zukommt, isl uns unerforschlich".
3<) Kr. d. r. Vera. -'. Autl. s. 264.
102 H. Söffding, Kontinuität im Kntwuklin.. Kants.
Kausalbegriff sei eine dex subjectiven Formen, ohne die keine Er-
fahrnng im strengen Sinne entstehe. Ebensowenig aber wie der
Umstand, dass wir änseere Brscheinnngen in der Form dos Rau-
mes auffassen, sich ans der Natur des Subjektes allein herleiten
lässt, ebensowenig betrachtet Kant es als vom Dinge an rieh un-
abhängig, dass wir die Erscheinungen als 1 rsachen und Wirkun-
gen auffassen. Dies ist aus einer Aeusserung wie Folgender zu er-
sehen: ..Dem transcendentalen Objecto können wir allen Umfang
und Zusammenhang unserer möglichen Wahrnehmungen an-
schreiben . . . Die Brscheinnngen sind, ihm gemäss .... ge-
geben""). Hier wird also gesagt, dass die Erscheinungen nichl
mir. was den Stoff, sondern auch, was die Form betreffe, mit dem
Dinge an sich in Uebereinstimmung seien, indem auch ihr Zu-
^amiuenhang auf das.-elhe zurückgeführt wird. Das Ding an
sich musa also in seinem Wirken auf das Subjekt ebenso konstanl
-ein wie der Zusammenhang der Erscheinungen. Und hier treffen
wir nun eine Grundvoraussetzung vom Dinge an ßich an.
die Kant niemals formuliert hat. Es erweisl sich, dass zu
derjenigen „Möglichkeil der Erfahrung", welche die ganze Erkennt-
nistheorie Kants trägt, mehr gehört als die subjectiven Bedingun-
gen. Hierdurch wird sowohl der Apriorismus als der Phänomena-
lismua beschränkt. Die Möglichkeit, die Erscheinungen zu antizi-
pieren, und die Notwendigkeit, zwischen diesen und dem Dinge
an sich zu unterscheiden, werden auf bedeutungsvolle Weise be-
grenzt Namentlich fällt die Notwendigkeil weg, das Kausalprin-
zip von der Gültigkeil für das Ding an sich auszuschliessen. Ob-
gleich der Btrenge, apriorische Beweis des Kausalsatzes wegfallt,
wird doch der Vorthei] erreicht, da- die grosse Schwierigkeit, die
darin enthalten war. das^ Kan! das Ding an -ich als Ursache der
Erscheinungen auffasste, augenblicklich verschwindet Indem das
System in empirischer und realistischer Richtung abgeändert wird,
verlierl es zugleich auch seine grosse Inkonsequenz.
Kr. d. r. Vera. J. Auil. S. 522.
Jahresbericht
aber
sämmtliche Erscheinungen auf dein Gebiete der Geschichte
der Philosophie
in Gemeinschaft in i 1
Clemens Baenmker, Ingram Bywater, Alessandro Chiappelli, Hermann Diels,
Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann, Andrew Setb, Paul Tannery,
Feiice Tocco, Wilhelm Windelband und Eduard Zeller
herausgegeben
Ludwig Stein.
IV.
Jahresbericht über die Kirchenväter und ihr
Verhältnis zur Philosophie. L889-1892.
Von
Paul Wcmllaml in Berlin.
Gnosticismus und Manichäismus.
Bilgenfeld, Der Gnosticismus. Z. f. w. Th. 1890. S. 1—63.
Der Verl.. der eine Ableitung des Gnosticismus aus dem reli-
giösen Synkretismus ablehnt,") sucht dessen Geschichte aus der
überlieferten Succession der Gnostiker zu begreifen. Zum Teil von
einer Kritik der llarnackschcn Auflassung ausgehend schildert, er
als Anfang des Gnosticismus Simons Lehre, die durch Menander
dem Christentum mehr angenähert sei, und unterscheide! dann zwei
Richtungen, deren erste (gnostisches Christentum) vom unhaltbaren
Nomismus des Kerinth und dem libertinistischen Antinomismus des
Karpokrates zum ernst religiösen Antinomismus des Kerdon l'ort-
schreitend in Marcion abgeschlossen sei. deren zweite (christlicher
Gnosticismus) vom gestörten Monismus simonianischer Gnostiker zu
den dualistischen Systemen des Basilides und Saturnin führe, um
in Valentins Lehre seine Vollendung zu finden.
'-') In einzelnen Punkten wenigstens ist der Einfluss mythologischer Vor-
stellungen auf die Gnostiker durch üsener (a. 0. and in den Weizsäckei
widmeten Theol. Abbandl. S. 211) and Dieterich erwiesen.
406 dland,
II. Staehelin, Die gnostischen Quellen Hippolyta in seiner Haupt-
schrift gegen die Bäretiker. Texte and Untersuchungen zur
schichte der altchristlichen Litt VI, 3. Leipzig 1890.
Der Verf. begründet die jetzt allgemein anerkannte Ansicht,
daas die Bippolyi eigentumlichen Berichte im Verhältnis zu
dem \ "ii Justin and [renaeus Qeberlieferten den Charakter des
Spateren und Abgeleiteten tragen, sorgfältig, indem er das \ erhältnis
derselben (er zählt aeun Berichte zu dieser Kategorie) zur Schrift
untersucht, darauf hinweist, dass die ursprüngliche Verbindung der
Lehre mit den Sektennamen hier bereits mehr oder wenig - löst
ist, auf die Vermischung widersprechender Vorstellungen und die
Abweichungen von [renaeus und Clem. Alex, aufmerksam macht.
Es Lässt sich meisl eine ältere Grundlage erkennen, in die Fremd-
artiges hineingearbeitel i>t. Nur der Bericht über das valentinia-
oische System macht den Eindrack bc — rer Ordnung und grösserer
Einheitlichkeit
Weiter zeigen aber die Relationen anter sich die engste Ver-
wandtschaft, nicht nur in Grundanschauungen, wie sie vielen gno-
stdschen Systemen gemeinsam sind, sondern auch in den eigentüm-
lichen Begründungen und Dlustrationen dieser Grundgedanken, in
dem Bcweisapparat aus der Schrift (der Kontamination mehrerer
Bibelstellen), in der gesamten Methode der Beweisführung, vor
allem der Wiederkehr seltener Worte, der auffallenden Gast wörtlichen
Debereinstimmung ganzer Sätze in verschiedenen Berichten. I1
einheitliche Gepräge, meint Staehelin könne nicht erst durch 1 1 i [ >—
polyt geschaffen sein. Dagegen spreche die Thatsache, dass er,
wie sein Verhältnis zu [renaeus und Josephus (auch Sextus) be-
weist, fast wörtlich die Berichte seiner Quelle zu übernehmen
pflege. Diese Beobachtungen sind im ganzen richtig. Aber in der
letzten Lösung des Rätsels kann ich staehelin. nicht beistimmen.
Er meint, einen Gedanken Salmons (Hermathena [885) verfolgend,
dass die Berichte, abgesehen von ihrer älteren Grundlage, als Ganzes
freie Erfiadung seien, dass ein Fälscher den Hippolyt düpiert habe;
ja dieser Fälscher habe mit Absicht zum Bohn auf die Gnosis
manche Widersprüche der Systeme erst geschaffen. Die an und
Jahresbericht über die Kirchenvatei etc. ivvl 1892. |u,
für sich unwahrscheinliche Annahme, dass ein Fälscher, der selbst
der Gnosis fern stand, der vielköpfigen Hydra, mit der die Kirche
a Bohon genug zu schaffen hatte, neue Häupter hinzugefügt, wird
durch die Vermutung nicht wahrscheinlicher, dass die Hoffnu
auf Gewinn ihn bestimml haben könnte. Denn was berechtigl zu
der Annahme, es sei für Hippolyl so schwer gewesen, sich ein
Paar gnostische Papyri zu verschaffen, dass er sie mit Gold auf-
:i und dadurch die böse Lusl eines Fälschers erweckt hätte?
Analogieeo aus der Litteratur des religiösen Synkretismus geben
eher die S. 105 abgewiesene Lösung an die Hand. Wir haben in
den ägyptischen Papyri Urkunden, die das heterogenste Material
zu einem Ganzen verarbeitet, kontaminirt und interpolirt, mitunter
g gar den gleichen Text in verschiedenen Recensiorien neben ein-
ander überliefert haben (s. Dieterich Abraxas, für die frühere Zeil
Wiedemaun, Religion der alten Aegypter S. 47). Ich glaube, in
ähnlicher Weise hat der Gewährsmann Hippolyts, ein Anhänger
gnostischer Lehren, das Material, dessen er aus schriftlicher und
mündlicher Tradition habhaft werden konnte verbunden, Verwandtes
vereinigt, was er nicht besser unterzubringen wusste, an falschen
Stellen interpolirt. Daraus ergeben sieh für den Wert dieser Be-
richte folgende Konsequenzen:
1. Die freie Erfindung des Verfassers hat wesentlich in der
Verbindung der Kiemente bestanden. Diese Verbindung ist daher
mit Staehelin oft preiszugeben, die Systeme in ihrem Zusammen-
han- sind nicht immer als Realitäten zu betrachten. Nur Ver-
mutungen über die historische Grundlage sind möglieh.
2. Im G gensatz zu Staehelin glaube ich, dass sich die Erfin-
dung des Verfassers nicht auch auf einzelne Elemente und Lehren
erstreckt. Er wird alles einzelne oben tmen, nur vielfach falsch
eingeordnet, aber wenig aus eigenem hinzugethan haben.
3. Damit gewinnen wir zugleich einen Einblick in die Ge-
schichte der gnostischen Litteratur; es zeigt sich, dass die gnostische
itembildung die Bedürfnisse der gnostischen Gemeinden wenig
berücksicht -ich über denselben bewegte, das religiöse Leben
der Menge wohl wenig beeinflusst hat (vgl. Harnack, Dogmengesch.
I L96ff.
bil lit'- iL l'liil VII. iö
108 Paul Wendland,
Beigegeben sind zwei Aufsätze Harnacks, welche neue Bruch-
stücke der Syllogismen des Apelles, ferner eine deutsche üeber-
ung and allseiti schichtliche Würdigung der von Gwynn
entdeckten Fragmente des Caius und Bippolytus enthalten.
Bönig, Die Ophiten. Ein Beitrag zur Geschichte des jüdischen
Gnosticismus. Berlin 1889.
Die Gründe, mit denen der Verfasser nachzuweisen sucht, dass
die ophitische Lehre ursprünglich rein jüdisch gewesen sei und erst
später eine christliche Richtung Bich von Ihr abgezweigl habe, dass
der I rsprung der Gnosis überhaupt im Judentum zu suchen sei,
sind nicht überzeugend. Die enge Anlehnung an die mit all
rischer Willkür gedeutete Schöpfungslehre der Bibel und die An-
wendung hebräischer Namen ist bei christlichem Einfluss ebenso
begreiflich. Die Einschiebung eines Demiurgen i-t -^wi keinen
lall jüdisch. Die aus dem spätem jüdischen Schrifttum angeführten
Parallelen zur ophitischen Lehre betreffen zum Teil Vorstellungen,
die gerade nachweislich von der Philosophie stammen (Gotl als
Quelle <\<-s Lichtes. Urmensch, Mannweiblichkeil der pleromatischen
Wesen, Trichotomie <\<-^ menschlichen Wesens), und können schon
deshalb nichts beweisen, weil die Zeitbestimmung jener jüdischen
«.»Hellen meist durchaus unsicher ist. Indem der Verfasser die Lehre
vom Demiurgen und die Gnosis überhaupl aus der Beschäftigung
mit dem Problem des Bösen hervorgehen lässt und auf das Zeugnis
des Philo Q. o. pr. I. § 12 S. 458 t& kocvtcov \th ifabm n.<-
xotxou 'A [xrjSevö? wojxi'Ceiv elvai t;> l>zr',v hin annimmt, dass auch die
Essäer das Böse von einem von Gotl verschiedenen Princip ab
leitel hatten, rückt er beide Sekten in einen engen Zusammenhang,
ja spricht die kühne Behauptung aus, dass das Christentum sowie
der Gnosticismus in ihren Anfangen nur eine Verallgemeinerung
der esst aischen Ideen anstrebten. Man mag über das Verhältnis
und die Bedeutung der verschiedenen Faktoren, die im Synkretis-
mus der gnostischen Systeme zusammenwirken, streiten. Die Ein-
seitigkeit, mit der hier überall jüdischer Einfluss gesucht, die Ge
waltsamkeit, mit der das Nichtjüdische als sekundär ausgeschieden
wird, kann nicht gebilligt werden.
Jahresbericht über die Kircheny&ter etc. 1889 1892. 109
K. Kessler, Mani. Forschungen über die manichäische Religion.
Ein Beitrag zur vergleichenden Religionsgeschichte. I. Bd.
Voruntersuchungen und Quellen. Berlin, Reimer, 1889.
Der Manichäismus isl Dach der Auffassung Kesslers, die durch
seinen Aufsatz in Herzogs R. E. (vgl. Harnact Dogmengesch. r
S. 737 IV.) bereits in weitere Kreise gedrungen ist, auf dem Boden
der babylonischen Religion erwachsen, mit parsistischen, christlichen,
vielleicht auch buddhistischen Elementen durchsetzt, aber in seinen
Grundlehren und in seiner Genesis weder aus dem Christentum
31 in der Verbreitung nach dem Westen nahm die Lehre die
mehr christliche Gestall an, wie wir sie bei Augustin linden), noch
aus dem Parsismus noch aus dem Buddhismus zu begreifen. Die
Begründung dieser Ansicht im einzelnen wird Kessler im /.weilen
Bande seines Werkes geben und erst, wenn sie vorliegt, wird man
auch auf den jetzt nur hingeworfenen Gedanken, dass der baby-
lonische Semitismus auch der Boden sei. aus dem im letzten Grunde
Ebioniten und Neupythagoreer, Essener und Gnostiker hervorge-
wachsen seien (S. XIII. KV. 63. 491), ernstlich eingehen können.3)
Der vorliegende Band giebl aus den orientalischen Quellen die
Materialien, mit denen die zusammenfassende Darstellung ZU ope
riren haben wird. Der Verf. behandelt zuerst die Quellenberichte
über die Vorgeschichte und Entwickelung Manis. Wenn er hier
sich darauf beschränkt hatte, das Sagengewebe der griechischen
Quellen auf Grund der völlig widersprechenden und zuverlässigeren
orientalischen Tradition zu zerreissen, hätte er auf ungeteilten Bei-
fall rechnen Linnen. Alter er geht von der Voraussetzung aus.
dass die abendländische Ueberlieferung trotz ihrer Sagenhaftigkeit
sehr wertvolle historische Reminiscenzen bewahrt hat, dass durch
eine Kombination der Leiden Berichterstattungen die Wahrheit zu
3) Di^ Erfahrung, dass fort und fort viele Forscher die Lösung die
ssen Rätsel der Religionsgeschichte gerade auf dem Gebiete des Wissens
Buchen, das sie beherrschen, im Judentum (Philonismus !) oder in der Suci
Bionsliste christlicher Ketzerbestreiter oder im hellenistischen Synkretismus,
im Parsismus oder Buddhismus, macht von vornherein gegen ''im- Erklärung,
die einen einzigen Paktor vorwiegend geltend macht, misstrauisch.
28*
-Um l Wendland,
gewinnen sei. Die Möglichkeit, dass die abendländische Ueber-
lieferung ganz unabhängig entstanden und auch zp betrachten sei,
ss die Tendenz, durch * i i » * diese Dichtung beherrscht i-t. noch
zu erkennen sei (Hilgenfeld Z. f. w. Th. 189 8. 247 ff.) wird nicht
erwogen. Die Methode, mit der Kessler dieser Ueberlieferung
schichtliche Wahrheiten entlockt, darf wühl auch wer .-eine
sprachlichen Deduktionen zu beurteilen nicht im Stande i-t. willkür-
lich nennen, her Sxul ist nur missverstandener Eigenname,
thatsächlich Volksname und identisch mit Manis Vater Fatak.
Wird dieser al> Saracen bezeichnet, so wird damit dei Einfluss
der Saracenen auf Fatak angedeutel (S. 64, ähnliche Symbolisi-
rungeu S. 11.73). Durch ein - Hypothesengewebe wird weiter
der /weite sagenhafte Vorgänger Manis I i fiiv&os mit Mani selbst
identificirt. Zu solchen Hypothesen ist Kessler jedenfalls nur ver-
leitet worden durch seine Ueberzeugung, dass die Acta Archelai
eine I ebersetzung aus dem Syrischen seien, aber der S. 87 171
versuchte Beweis ist nach dem Urteil der kompetenten Richter
\ erunglückt.
Sein- viel wertvoller sind die folgenden Teile des Werk s
Hier werden zunächst die orientalischen Zeugnisse über die mani-
chäische Litteratur, die acht Hauptschriften, die zahlreichen Send-
schreiben, die den weiten Umfang der manichäischen Propaganda
erkennen lassen, die Gebetsformeln zusammengestellt. Weiter sam-
melt Kessler die orientalischen Berichte über Main und -eine Lehre,
indem er die noch nicht allgemein zugänglichen Quellen vollständig
mit Uebersetzung mittheilt. Für das Verhältnis zum Christentum
ist besonders wichtig Manis Bekenntnis S. L87 (317). Zu dem
Fragment S. 191 ist zu vergleichen Augustin C. epist. fund. c. 24
S. 221 Zycha, besonders Z. 12. L3.
A pol oget en.
Clemen, Die religionsphilosophische Bedeutung des stoisch-christ
liehen Eudämonismus in Justins Apologie. Leipzig 1890.
Nach principiellen Erwägungen, auf die ich hier nicht ein-
gehen kann, und Bemerkungen über .. Philosophisches im l rchristen-
i wiii -- bespricht der Verf. S. 55 ff. den Gottesbegriff Justins, der mir
Jahresbericht aber die Kirchenväter etc. 1889 1892. IM
dem platonischen nächstverwandl erscheint, auf keinen Fall als
Gegensatz gegen ihn gedachl Bein kann (s. Berl. Philol. Woch. 1891
Nr. 23), weis! die Unklarheiten nach, von denen die Aussagen über
den Logos und das Pneuma behaftet sind. Die Ethik Justins ist
im wesentlichen rationell. Wie er als Werk Christi die Offen-
barung der Sittenlehre ansiehl (daneben Bekämpfung der Däruone
so als Aufgabe des Christen, durch Annahme seiner Lehre und
Befolgung seiner Gebote die Gerechtigkeit zu erlangen. Wohl treten
.•in/. • 1 1 1 o paulinische Formeln auf. aber uiiv.M--~taiiil.Mi und in fremd-
artigem Zusammenhange. Den paulinischen Begriff der Recht-
fertigung oder der Wiedergeburl kennt .lustin nicht, die Sakramente
werden im allgemeinen geistig aufgefasst. Dieser Moralismus, der
(Ion Menschen auf seine Kraft verweist und daher seinen freien
Willen stark betont, findel in der Lehre von der Vergeltung uach
dem Tode einen natürlichen Abschluss. Wenn Justins Auffassung
des Christentums durch -eine philosophische Bildung bestimmt ist,
-•i ist es erklärlich, dass er im Gegensatz zu andern Apologeten
Anknüpfung an philosophische Lehren sucht (S. 141 ff.).
Besondere Sorgfalt wendet der Verf. darauf, Anklänge und
Ansätze zu Lehren Justins in der früheren Litteratur nachzuweisen
und hat namentlich mit Erfolg die spätem Schriften des X. T.
herangezogen. Unklar bleibt es dagegen, wie er sich Justins Ver-
hältnis zum Gemeindeglauben denkt. Dass Justin sich mit diesem
ein- wusste, dass er ihn in keiner seiner Schriften mit Bewusstsein
verkürzt ..der verdreht habe, brauchte kaum so oft und heftig be-
tont zu werden: aber darum wird man doch von seinen Schriften,
wie von allen älteren Versuchen, i\vi\ christlichen Glauben in zu-
sammenhängender Lehrentwickelung darzulegen, den Eindruck mit-
nehmen, das> die Verfasser nicht nur mit der Sprache ringen und
oft der religiösen Erfahrung den rechten Ausdruck nicht verleihen.
— die Lateiner halten das rascher gelernt uml besser verstanden
— , sondern auch hei dem Mangel fester Lehrnormen sich mit grosser
Unsicherheit in subjektiven und ofl widersprechenden Anschauungen
bewegen, kurz da-- Bie mit ihren Spekulationen gerade so hoch
über dem Gemeindeglauben standen wie auch heute irgend .ine
D gmatik. Es scheint mir daher bedenklich, wenn der Verfasser
Hl» Paul Wendland,
Justins platonischen Gottesbegriff (S. 67), seine Ansicht von den
Si kramenten (8. 81) für die (römische) Gemeinde in Ansprach
nimmt (s. auch S. 78. 79. '.'7).
Im übrigen verweise ich auf meine Besprechung a. 0.
I.. Paul setzt seine Untersuchung über die justinische Log -
lehre in den Jahrb. für prot Theol. l^'."1 - »78 und 1891
S. 124 1 18 fort, indem er eine scharfe Auslegung der einzelnen Aus-
ii des Dia) bt. Derselbe teilt in den Neuen Jahrb. f. Philol.
1891 S. 155ff. textkritische Bemerkungen zu den Apologieen mit.
— Usener a. 0 S, 101. 106 zeigt, dass vor der üblichen An-
setzung der Apologie um 150 die ältere Datirung (138) den Vor-
zug verdient; vgl. dazu Krüger Jahrb. f. prot. Th. I^'."1 S. 579
bis 593, der übrigens wieder für die Sonderung der beiden Apo-
logieen eintritt. Diels (Sitzungsberichte der preuss. Akad. d.
Wiss. l^'-'l S. 151— 153) widerlegt das Gerücht, Justins Schrift
Nr/- ''.>v/v sei in einer athenischen Hs. aufgetaucht, und zeig! auf
Grund von Mitteilungen Sakkelions, dass hier dieselbe Bpitome
aus Aristoteles vorliegt wie im Berliner Hamiltonianus .~>r_' und
diese mit dem Kompendium des Pachymeres identisch ist.
Die meines Wissens erste deutsche Uebersetzung des von .1.
I;. Harns entdeckten syrischen Textes der Apologie des Aristides
giebt Schönfelder in der Tab. Theol. Quartalschrifl 1892 S. 531
bis 557, eine üebersetzung mit textkritischen und sachlichen Er-
läuterungen Raabe in den Texten und Untersuch. I\ 1. eine Re-
konstruktion des Textes aus der syrischen, armenischen und Lrrir-
chischen öeberlieferung (im Roman Barlaam und loasaph) II en-
necke ebenda IV ■'>. l^'.1-''. Ih" Gliederung des oXtjUyjs ''''/■■' des
Celsus behandelt Koetsch au Jahrb. f. prot. Theol. 1892 S. 604
I is 632.
.1. Lehmann, Die Auferstehungslehre des Athenagoras. Inaug.-Diss.
Leipzig 1890.
Der Gedankengang der Schrift des Apologeten, welche das
Thema nur mit dialektischen Gründen, christliche Argumente fast
völlig ausschliessend, behandelt, i-t ein sehr klarer. Der Verfasser
• ihn in etwas breiter Darstellung dar. Die Auferstehung wird
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 18! H.-;
erwiesen aus dem Wesen Gottes, der die Toten I. auferwecken
kann und 2. : t u » ■ 1 1 will, aus dem Wesen des Menschen, der 1. zum
ewigen Leben geschaffen Ist, 2. In der zwiefaltigen Natur, in der
er geschaffen ist, auch fortdauern muss, '■'>. für Gerichl und Selig-
keil bestimml ist. Lehmann zeigt, wie die materialistische Auf-
erstehungslehre des Ath. zur gnostischen und alexandrinischen
Auffassung in Widerspruch steht. Sehr lohnend wäre es gewesen,
die Anlehnung einzelner Gedanken und Termini an die griechische
Philosophie nachzuweisen und das Verhältnis zu der S. 7 aufge
zählten Litteratur zu behandeln. Leider hal Lehmann auf eine
schichtliche Betrachtung in weiterem Zusammenhange verzichtet.
1 eber die textkritische Arbeit von Kronenberg zu Minucius
Felix (Minuciana Leiden 1889) s. meine Anzeige D. L. /. L890.
Grjllenberger, Studien zur Philosophie der patristischen Zeit.
Jahrb. f. philos. u. spekul. Theol. 1889 S. 104— 118. II»',
bis 161. 260—269. L891 S. 1—14.
Eine jetzl kaum noch vertretene einseitig protestantische Beur-
teilung des Minucius wird durch eine einseitig katholische hier
bekämpft. Mit seiner Apologie für das Christentum des Minucius
Felix isl der Verf. nur in einzelnen Punkten im Recht. Zu leicht
macht er sich z. B. den Beweis, wenn er zwar Berührungen des
Autors mit philosophischen, namentlich stoischen Lehren zugiebt,
diese Lehren aber als christlich in Anspruch nimmt, indem er sie
bei andern Kirchenlehrern nachweist. Der Erkenntnis, dass in das
kirchliche Lehrsystem zahlreiche Anschauungen aus der Philosophie
übernommen sind, verschliesst er sich. Missl man .Minucius nicht
an Bpäteren kirchlichen Normen, sondern am Urchristentum oder
auch nur an der gleichzeitigen Litteratur, so muss man zugeben,
dass die speeifisch christlichen Lehren bei ihm fast ganz zurück-
treten, wenn es auch verkehrt wäre zu meinen, dass er zu ihnen
im Gegensatz gestanden hätte. Uebel angebracht ist der Hohn
n Baehrens S.266, der für c. 36, ö aves sine patrimonio vivunl
ei in diem paseuntur Benutzung Senecas vermutete, nachdem
Wilhelm für diese Stelle in der Thal das Original bei Sen. Rem.
fort. 10,1 nachgewiesen. Mattb. 6,26 isl nicht benutzt. S. 112
Hl .1 W\n .IIa u.1.
wird gar Abhängigkeit des Minucius \"ii der späteren Cohortatio
ad Gn - angenommen.
In einer zweiten Abhandlung bespricht Grillenberger die Dn-
sterblichkeitslehre dea Arnobius, dessen Verhältnis zu Piatos Phaedon
er beleuchtet.
I renaeus.
.1. W Der Paulinismus dea [renaeus, Texte und Unter-
Buchungen zur Gesch. der altchristlichen Litt. \ I. "_'. Leip-
zig 1889.
Die scharfsinnige und gründliche Arbeil behandelt in ihrem
ersten Teile die Art der Verwertung einzelner paulinischer Stellen
und giebt dann eine ausführliche, sehr übersichtliche Darlegung der
irenaeischen Heilslehre, gemessen an dem Maassstabe der paulini-
schen Tl logie. I>.t Verf. zeigt 8. L22ff., dass [renaeus dem von
den Gnostikern ins Naturhafte hinabgezogenen Prädestinations-
gedanken gegenüber die sittliche Selbständigkeit und Selbstverant-
wortlichkeil des Menschen (vgl. auch S. 94) betont. Dieser mora-
listische Standpunkt, in dem das Ideal heidnischer Sittlichkeil
fortlebt, wird nicht aufgehoben durch die aus specißsch christ-
lichem [nteresse eingefügte Vorstellung des allgemeinen Ungehor-
sams i Gott, durch den das Menschengeschlecht als Ganzes zu
Gott in einen Zustand der Verschuldung gerät, den die erlösende
Thätigkei! Christi aufhebt. Der moralistischen und intellektuali-
stischen Gedankenreihe wird auch nichl das Gleichgewicht gehalten
durch die mystische Vergottungsidee, die freilich Anknüpfung^
punkte an den Paulinismus bot, aber im Grunde auch aus dem
Hellenismus Btammte: Der Mensch wird durch den Geist Gottes
stufenweise vergeistigt und vergottet, er nimmt Teil an Gott, lebt
in der ewigen Anschauung Gottes, ja wird selbst Gotl (S. l 15 ff. .
Auch der Leib wird zu ewiger göttlicher Fortdauer mystisch um-
jchaffen (s. auch S. 88 ff.). Das religiöse Leben „ist aus dem
Gebiet dea Religiös-Sittlichen in die Sphäre dea Substantiell-Natur-
haften übertragen". Es tritt hier hervor die „phantastische Sehn-
suchl der sterbenden Antike nach Teilnahme am Wesen Gott
S. 154). Daher ruhl auch der Hauptl ler Erlösungslehre darauf,
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. lsv'-' 12 U5
dass der Mensch gewordene Gotl dem Menschen die Vergottung
ermöglicht S. L79 ff. besprich! der Verf. die Gedanken des [re-
oaeus aber die göttliche Erziehung der Menschheit, die allmähliche
Entwickelung der göttlichen Heilsveranstaltungen.
Hingewiesen sei noch auf die mechanische [nspirationstheorie
des [renaeus (S. 29 ff.) ind seinen doppelten Begriff vom Leben
und Tod (S. 131).
Clemens A lex andrinus.
Scheck, De fontibus Clementis Alex. Augsburger Gymn. Progr.
Nach einer weitschweifigen, vieles oberflächlich berührenden
Einleitung redel der Verf. von den jüdischen Fälschungen, die
Clem. benutzte. Den Numenius hält er für einen .luden. Alexander
Polyhistors Schrift über die Juden für gefälscht, gegen Aristobuls
Schrift äussert er keinen Zweifel (s. dagegen zuletzt Freudenthal,
Arch. I S. 330). Clemens Abführungen über die Plagiate der
griechischen Schriftsteller werden ohne Grund auf Aristobul zurück-
geführt. Schürers Gesch. des jüdischen Volkes isi gar nichl berück-
sichtigt.
<>. Staehlin, Observationes criticae in dementem Alexandrinum.
Inaug.-Diss. Erlangen 1890.
Der Verl'. benandeH das Verhältnis der llss. (die für Protr.
und Paed, wichtige Oxforder Bs. ist von ihm neu verglichen),
berühr! die indirekte üeberlieferung und giebi eine Reihe beach-
tenswerter Verbesserungsvorschläge zu einzelnen St. dien.
I [. T e i 1.
Ich behandle zunächsl im Zusammenhang die Kirchenlehrer
des Abendlandes.
T er tu 1 1 i a n.
E. Noeldechen, Teil ulliau. Gotha 1890.
Genauer eingehen können wir auf dies Werk nicht. Der Verf.
verzichte! auf eine zusammenfassende Darstellung der Lehre und
Weltanschauung des Tertullian; er verfolgt, wie auch das letzte
II,; '. dl and,
Kapitel („Geistesart") zeigt, wesentlich geschichtliche and kultur-
;chichtliche Inten — n. Die dürftigen Nachrichten üJ>«i das äuse
Leben Tertullians werden durch Schlüsse aus seinen Schriften, die
freilich mit grosser Vorsicht aufzunehmen sind, ergänzt Das gilt
'.. von den Ausfohrungen über den römischen Aufenthalt, die
einstige Theilnahme am Mithraskulte 9 ine Reisetour
durch Griechenland kennt Noeldechen ganz genau S. 71). In die
Biographie ist die Besprechung der einzelnen Schriften eingelegt;
ihr Inhalt wird mit Hervorhebung besonders charakteristischere
danken skizzirt, der historische Hintergrund gezeichnet. Nicht
gründlich zeigt sich der Verf., wo er literarhistorische Probleme
berührt. Er spricht hier mit grosser Bestimmtheil Behauptungen
aus, die eines Beweises bedürfen. Nach ihm wäre Hermogenes
von Numenius beeinflusst S. 203 . hätte Tertullian Athenagoras
(S. 19. 386 . Justin S. Tl . Clemens (S. 95 und sonst oft] gelesen,
Celsus1 Streitschrift berücksichtigt (S. 55ff.). Nach S. 54 hätte er
sich unter Minucius1 Eiufluss gebildet, wählend neuerdings sehr
beachtenswerte Stimmen sieh für die Umkehrung dieses Verhält-
nisses ausgesprochen haben. Für die Beurteilung der Gelehrsam-
keit des Tertullian ist der Nachweis von Diels wichtig, dass Ter-
tullian in De anima Soranus ausgeschrieben hat.
Der Verf. verspricht das Verhältnis Tertullians zur griechi-
schen Philosophie zu behandeln. Zur Beurteilung der Ethik i>t
vor allem eine Berücksichtigung der stoisch -kynischen Diatribe
oötig. Die S. •"''-, 1 angeführte spottende Wendung /.. B. ist ein
kynisches Diktum. Unbequem ist es, dass der Verf. meist ältere,
wenig zugängliche Ausgaben der Kirchenväter citirt.
Von kulturgeschichtlicher Bedeutung ist auch der Aufsatz von
.1. Jung, Wiener Studien 1891 S.231 244, Zu Tertullians aus-
wärtigen Beziehungen.
Sehr wertvolle textkritische Beiträge giebt im Anschluss an
den ersten Hand der neuen Ausgabe Hartel in den Sitzungsber.
der Akad. d. Wiss. in Wien. L890. II. Wirth, l eher Am
Verdienstbegriflf bei Tertullian. Leipzig 1892, ist mir nur aus
Anzeigen bekannt, nach denen die Untersuchung Dicht tiei zu
gehen scheint; zur Sache vgl. Harnack, Dogmengesch. IM. s. 16 ff.
Jahresbericht ober die Kirchenväter etc. 1889 -1892. Mi
( ' \ p r i an.
MobgenstebNj Cyprian, Bischof von Carthago, als Philosoph, [naug.
Diss. Jona 1889.
unter den altern Kirchenschriftstellera wüsste ich keinen zu
nennen, dem jede philosophische Ader so sehr gefehlt hätte wie
Cyprian. Glücklich gewählt ist daher das Thema nicht. So findet
man denn /.. B. unter «K-in Titel „Theologie" dürftige Aussagen
über Gott statt eines scharfen GottesbegrifFes, unter dem Titel
„Kosmologie" die Gedanken über Verfall und Vernichtung der
Welt. Teufel und Dämonen zusammengestellt. Man vermisst auf
ethischem Gebiel jede Innere Verbindung und principielle Begrün-
dung der vom Verf. zusammengestellten Anschauungen. Und
doch hätte der Verf., wenn er über eine grössere Belesenheil verfügl
hätte, manche interessante Anklänge, namentlich an die stoische Er-
bauungsliteratur nachweisen können. Was mir auf diesem Gebiete
aufgestossen ist, trage ich nach. Wörtliche stoische Parallelen
halieu die Deklamationen gegen den Luxus S. 1(.»T. 202. 259 (auch
500, 15) llartel. das rechte Verhältnis des Christen zu den Leiden
wird S. 301ff. 36 1. 409 in einer mit stoischen Ideen sich auffallend
berührenden Weise geschilderl (was M. S. 36 im einzelnen hätte
zeigen müssen). Auch das S. 5. 9. 10 besprochene Bild von Gotl
als Zuschauer unserer Thaten und Leiden findel sieh bei Seneca.
3. 105, 13. 721,9 wird das erste Weinen des Kindes als Ahnung
all des künftigen Leides gedeutet (Epicurea S. 251, Tertull. !>>■
anima K. 19). S. 730,23 wird nach kynisch-stoischer Art das
Muster der Tierw eil den Menschen vorgehalten. 681,21 findel sieh
wörtlich hei Philo und Clemens. — Auch aus den unechten Schrif-
ten sei manches angeführt. De bouo \)\\i\. S. ls. 18ff. linden wir
die bekannten philosophischen Gründe für die Ehelosigkeit, K. 12
ähnliche Polemik gegen die Putzsucht wie hei Musonius und Cle-
mens. Zu !»'• speetac. S. 10, IT in tali certamine stare (est iacere)
vgl. meine Arbeit über Philo'a Schrift über die Vorsehung S. 12 .
II«» Paul Wendland,
I. ;t c 1 ;i 11 ! i u 8.
. lieber die dualistischen Zusätze und die Kaiseranreden
bei Lactantius. Nebst einer Untersuchung über das Leben
des !,;ict;intiiis und die Bntstehungsverhältnissc seiner Pr
Bchriften. Sitzungsberichte der Wiener Akademie Bd. 118.
119. 120. 125.
Der um die Echtheil der dualistischen Ausführungen and der
Kaiseranreden geführte Streit scheint durch die vorliegende, grund-
liche Untersuchung endgiltig entschieden. Der Verf. giel t zuerst
eine Darlegung des dualistischen Systems, wie es uns sonsl bei
Lactanz entgegentritt, zeigt dann, dass die in jedem Falle von einem
Verf. herrührenden dualistischen Zusätze nur in wenigen älteren
II--. erhalten sind, sich nicht natürlich in den Zusammenhang fügen
und Lehrabweichungen von Lactanz enthalten. Nach ihnen ist
von Gott <I<t gute und der böse Geist (nach einer anderen Stelle
das Gute und das Böse) ausgegangen, die mit einander kämpfen.
Lactanz redel nie v liesem Kampfe und Bucht auch nichl den
Ursprung des Bösen in Gott. Ebenso lässt der [nterpolator G tt
gute und böse Engel schaffen, wovon Lactanz nicht- weiss, und
scheidet nichl sorgsam moralisches und physisches üebel, brauchl
Arv asketischen Weltanschauung des Lactanz fernliegende, vom
Brettspiel und Cirkus hergenommene Bilder. Er huldigt einem
konsequenten Dualismus, der wohl in der Richtung der Lehre des
Lactanz liegt, dem dieser aber auszuweichen gesucht hat. Der
Verfasser der Zusätze wollte eben die Widersprüche im System
des Lactanz durch eine einheitliche Fortbildung desselben besei-
tigen. Die Zusätze Belbst ergeben für die Frage nach der Person
des Verfassers Folgendes: Derselbe kannte die 1 zweifellos echten
Schriften des Lactanz, die Epitome noch vollständig, schreibt einen
reinen Stil, ist rhetorisch gebildet, kennt Lucrez und Sallust, scheint
vom Mai)ich;'ii-inus beeinflusst, hat in einer grösseren Stadt, viel-
leicht Trier, wo Lactanz lebte, Cirkusspiele gesehen. Alles weist
auf frühe Zeil der Abfassung, nach Brandt -h I. Jahrhundert.
Die meisten Momente, die für die Unechtheil dieser Zusätze
sprechen, zeugen auch gegen die wahrscheinlich von gleichem Verf.
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 IS 419
herrührenden Kaiseranreden. Durchschlagend ist namentlich noch
der Grund, dass diese, wie mit Charakter und Weltanschauung
des Lactanz, so mit seinen Aussagen, nach denen die [nstitutiones
zur Zeil einer heftigen Christenverfolgung (nach V, 23 vor 310)
verfasst sind, in schroffem Widerspruch stehen. Dass sich derselbe
nicht durch die Annahme einer doppelten Ausgabe oder uachti
licher Dedikation ausgleichen lässt, zeigt der Verf. Die Beziehung
von Augustin De civ. dei V,21ff. auf die Kaiseranrede bei Lactanz
I. 1. 12 scheint mir nicht sicher erwiesen.
Ferner behandelt der Verf. die Lebensverhältnisse des Lactanz,
seine Namen, -eine Heimat (Afrika, nicht Italien). Er zeigt unter
anderm, dass Lactanz als Heide geboren ist und. obgleich Schüler
des Arnobius, zu diesem in gewissem Gegensatz«' stand.
In einer weiteren Abhandlung (Sitzungsber. Bd. 125) bespricht
Brandt die Entstehungsverhältnisse der Schriften des Lactanz, weist
die Echtheit der Epitome aus den [nstitutiones und die ünechtheit
der Schrift De mortibus persecutorum nach (vgl. Neue Jahrb. !'.
l'hilol. 1S93 S. 121—138. 203—223) und behandelt die Chronolo-
gie der Schriften und die verlorenen Schriften.
Derselbe, Lactantius und Lucretius. Neue Jahrb. f. Philol. 1891
S. -22."»— 259.
Der Verl', bespricht den Wert der wörtlichen Citate für (\cn
Text des Lucrez, zeigt, dass Lactanz mitunter durch ßeminiscenzen
aus Lucrez seiner Darstellung mehr Leben und Farbe verleiht,
auch manche Gedanken des Dichters beifallig anführt. Die die
Schriften des Lactanz durchziehende heftige Polemik gegen Epikur,
der in Lucrez bekämpft wird, erklärt sich nicht allein aus dem
christlichen Standpunkte des Autors, sondern auch daraus, dass er,
bevor er Christ wurde, jedenfalls auf stoischem Boden stand (vgl.
Sitzungsber. Bd. 120 S. 16).
De opif. 8, 12 ff. bekämpft Lactanz die Theorie des Sehens
bei Lucrez (III. 359ff.), indem er die von Lucrez bekämpfte An-
sicht, dass der Geist durch die Augen (wie durch Fenster) sich
auf die Gegenstände richtet, vorträgt. Dass diese Ansicht auf Il>-
raklil zurückgeht, schliessl Brandt aus der Debereinstimmung von
420 P»ul Wendlaud,
•. Emp. A.l\. in;ith. VII, l-'.Ml. mit Chalcidius zu Piatos Ti-
maeus S. 272,6 Wrobel (von Bywater überseh ler eine ähn-
liche, vielleicht aufVarro zurückgehende doxographische Zusammen-
stellnng giebl wie Lactanz und Gellius V, 16,3 s. den Exkurs
- 252 ff. . Bpikur's Ethik wird, wie sie auch Lucrez nur gelegent-
lich berührt, ganz kurz behandelt, um bo ausführlicher polemisirt
■!i die epikureischen Lehren von den Atomen, der Entstehung
Menschengeschlechts und der Lebewesen, der Kulturentwicke-
lang a die Ansicht, da— die Organe nichl zu einem bestimmten
Zwecke geschaffen seien, gegen die Vorwürfe, die der Vorsehung
wegen der Unzulänglichkeit und Armseligkeil der menschlichen
Natur gemachl werden, gegen die Psychologie und Götterlehre.
Brandt zeigt, dass Lactanz, in den Voraussetzung iner Welt-
iniscliauuiu: -an/, l'f i.-iiili.mi. für die Physik und besonders den Kau-
salitatsbegriff Epikurs k*in Verständnis zeigt, einzelne Stellen des
Lucrez ausserhalb des weiteren Zusammenhanges der Dichtung und
.1.- Systems betrachtet und darum missversteht, rieh oft Zirkel-
schlüsse zu Schulden kommen lässt. Bndlich macht er wahrschein-
lich, da- Lactanz die Angaben vom Wahnsinn und Selbstmorde
des Lucrez nicht kannte, dir Nachrichten bei Sueton also wohl
nicht allgemeine Tradition waren.
Derselbe, üeber dir Quellen von Lactanz' Schrift !»<• opificio dei.
Wiener Studien IM. 13 (1891 . S. 255 292.
Nach einer Darlegung des Gedankenganges der Schrift, in der
christliche Elemente völlig fehlen, stelll der Verf. dir direkten Ci-
tate aus Varro, meist Etymologieen \"ii Körperteilen betreffend,
und dir ohne Gewährsmann eingeführten Etymologieen zusammen,
welche wenigstens auf Varro zurückgehen könnten. Benutzt ist,
aber nicht direkt (S. 268), jedenfalls der Loghistoricus Tubero, !><•
origine humana (s. Diels Doxogr. S. I86ff.), auf den der ganze
Abschnitt !>>■ utero ei coneeptione" Kap. 12 zurückzuführen i~i (s.
auch 8. 288 Aber doch nur au einzelnen Stellen liegt diese
Schrift zu Grunde. Aul' eine andere Schrift als Hauptquelle führt
dir Beobachtung, dass der dir Behandlung der einzelnen Körp
teile bei Lactanz beherrschende doppelte Gesichtspunkt der Zweck-
Jahresbericht über die Kirchenvater etc. 1889—1892. 421
mässigkeit and Schönheil nach dem Zeugnis tost; II, 10,13 ra
einer hermetischen Schrift durchgeführt war, deren [nhall vielleichl
skizzirl ist im 5. Kap. des Poemander S. 14,10 45,8Parthej und
von der ein Rest bei Stob. Ecl. I. S. 295 W. erhalten zu sein
scheint.
Im zweiten Teile der Schrift des Lactanz, der psychologische
Fragen behandelt, muss eine andere Vorlage benutzt sein, der auch
die mit Aeusserungen der [nstit. und dem ersten Teile derSchrifl
im Widerspruch stehende skeptische (nicht teleologische) Tendenz
entlehnt ist. Die Ausführungen des Lactanz berühren sich hier
vielfach mitNemesius; vielfach gehen sie von doxographischen An-
gaben aus. sind aber zum Teil ausführlicher als Aetius oder weichen
von ihm ab. Beachtenswert ist auch die Polemik gegen stoische
Lehren. — Den Inhalt von Kap. 3 führt Brandt im wesentlichen
auf Cic. De rep., Kap. 4 zum Teil auf Sen. De inmatura morte
zurück. Das Verhältnis des Lactanz zu Nemesius verdiente eine
genauere Untersuchung (s. Brandt in der Vorrede seiner Ausgabe
partis II. fasc. I. S. VIII). zu der auch Clem. Recogu. Buch VIII
heranzuziehen wäre.
Fb. Mabbach, Die Psychologie des Firmiauus Lactantius, ein Bei-
trag zur Geschichte der Psychologie. Halle 1889.
„Bei Marbach liegt der Fehler ... in seiner ganzen Arbeit
darin, dass er das Denken des Lactanz viel zu sehr als ein selb-
ständiges und einheitliches auffasst" (Brandt Wiener Studien 13
- 280). Dass es, um Lactanz' Verhältnis zur Philosophie zu ver-
stehen, vor allem einer scharfen Analyse seiner Schriften und
Untersuchung der Quellen bedarf, hat Brandt an De opif. vortreff-
lich gezeigt, freilich auch die grosse Unselbständigkeit und den
Mangel einer zusammenhängenden Weltanschauung bei Lactanz er-
wiesen. Für eigentlich theoretische Probleme, wie die Fragen nach
Substanz und Sitz der Seele, Verhältnis der Seelenkräfte, für
Theorie der Erkenntnis und der Sinne hat Lactanz, wie Marbach
selbst hervorhebt, kein rechtes [nteresse. In dem aber, was Lac-
tanz über den Vorrang der Se.de über den Körper (damit hängt
auch sein Kreatianismus zusammen), über Willensfreiheit (zu ver-
I •_>•_» ' dland,
gleichen war aocfa De opif. 19,7), aber den Unterschied von Mensch
und Tier, die Affekte (welche peripatetisch beurteil! werden), die
Unsterblichkeit der Seele ausführt, beschränkt er sich auf (meisl
stoische Gemeinplätze. Eine originale Idee Bucht man in Mar-
bachs Zusammenstellung vergebens, nur selten findet mau eine
specifisch christliche Ausprägung der Gedanken.
Das Verhältnis von anima und animus 8. I9ff. wäre am besten
erläutert worden durch die stoische Unterscheidung von <|»o^ und
. (8. auch Brandt, Wiener Studien 1"». S. 280). Im Uebrigen
ist zu vergleichen die Anzeige L. Steins (D. L Ztg. 1890 No.
und Brandt, Neue Jahrb. a. 0. 8. 255, 12. 233, I.
A m b r 08 i u s.
\1. Ihm. Studia Ambrosiana. Jahrb. f. kl. Philol. 17. Suppl.-ßd.
L890 S. 1—124.
Der Verf. giebt eine sorgfältige chronologische Debersicht aber
Ambrosius' Leben, untersuchl gründlich die Abfassungszeit und
Echtheit Beiner Schriften, wobei er zu wertvollen Resultaten kommt,
stellt die Zeugnisse für die verlorenen Schriften zusammen und
bespricht die Abhängigkeit des Ambrosius von andern Autoren,
namentlich Vergil. Auf das einzelne kann hier nicht eingegangen
werden.
\| a r i n a Vi et o r i n u s.
Im vorigen Berichte isl mir entgangen
ti. Geiger, C. Marius Victorinus, ein neuplatonischer Philosoph.
L.Teil. Beilage zum Jahresbericht der Studienanstalt Metten
1881 B8.
Ers1 neuerdings beginnt man die Bedeutung des Marius Vic-
torinus für die Dogmen- und Philosophiegeschichte, in der früher
von ihm nichl viel mehr als der Name erwähnt wurde, zu schätzen.
Durch seinen christlich umkleideten Neuplatonismus bat er mäch-
tig auf Augustin gewirkl und ist so neben Dionysius einer der
Ausgangspunkte für die neuplatonische und mystische Strömung
in der Kirche geworden. Die philosophische Terminologie des
Abendlandes scheint er wesentlich beeinilusst zu baben.
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 Lfi 123
Sein Got tosbegriff zeig! die beiden Seiten des aeuplatonischen.
AU absolute Kausalität i-t Goti der [nbegrifif alles Seins und Le-
bens, der Erkenntnis. Andrerseits wird seine absolute Transcen-
denz betont. Gott isl erhaben über alles Sein und alle besondern
Bestimmungen, nur durch negative Attribute annähernd zu be-
zeichnen. Er ist beides, öeberlülle d«'> Seins und Nichtsein
(S. 23 30). Indem die Gottheil ihr eigenes Sein konstituirt, bringt
sie zugleich den Xo-yos hervor, der in den drei Momenten der övto-
-r,:. Cojotkjs, vorjots gedacht wird. Vorwiegend aber wird der //'/,-
bezeichnet als Thun, Lehen. Bewegung, wie der Vater als Sein.
Weil alier beides untrennbar ist, so sind sie 6;j/joucjioi4). [hr Ver-
hältnis wird durch die bekannten Vergleiche mit dem kö-yos IvSiot-
öeros und rcpocpopixo; und mit der Ausstrahlung des Lichtes erläu-
tert. Als wesenhaftes heben Gottes ist der >/r,oc auch Princip
alles l.rh, ms ausser Gott; er isl der Weltschöpfer. Die (ewige)
Weltschöpfung, die mit der ewigen Zeugung des Myos zusammen-
fällt, ist im Grunde ein Emanationsprocess, der sich in der be-
kannten neuplatonischen Stufenfolge vollzieht. Der Akt der Zeugung
und Schöpfung ist zugleich Akt des Willens und der Intelligen/.
des )*''r{',;. Indem diese zweite Seite, die Intelligenz, als besondeer
Hypostase gedacht wird, gewinnt Victorin die dritte Person der
Gottheit. Genauer wird das Verhältnis so beschrieben, dass der
//'//>:. der im Schöpfungsakte gleichsam aus Gott herausgetreten
ist, im Erkenntnisakte, welcher der heilige Geist ist, sich zu seinem
Ursprünge zurückwendet. Wo Victorin sich streng fasst, lässt er
den drei Hypostasen eine oöota, nicht etwa die erste Hypostase den
beiden andern zu Grunde liegen. Wie Augustin veranschaulicht
auch er das Verhältnis der drei Hypostasen durch einen psycholo-
gischen Vergleich (S. 59. 60). Victorin verwahrt sich gegen den
Vorwurf des Pantheismus. Die Dinge haben nicht an Gottes Wesen,
sondern nur an seiner Aktualität, und auch das nur in beschränk-
tem und verschiedenem Maasse Teil. Wir linden hier den dyna-
mischen Pantheismus Plotins.
4) Haraack a. 0. S. 32 bemerkt, il;i>> der konsequente (panth eistische
Neuplatonismus der Lehre von <1lt II usie günstig ist.
Archiv f. Geschichte d. Philosophie, vi 1 29
)•_>{ llaml.
]> setzung der sorgfältigen Arbeit wird auch Viotorins
Verhältnis zu neuplatonischen Philosophen und vom Neuplatonia-
mus l inflns8ten Kirchenschriftstellern behandeln.
- \.i.. Tulliana ei Mario-Victoriana. München 1888. Programm
des K. Luitpold-Gymnasiuma 8. 12 60.
Im Anecdoton Holderi S. 59ff. bal Dsener oamentlich auf Grund
eini den der Verf. des von der Qeberlieferung dem
Boethius zugeschriebenen Schriftchens !>•• definitionibus auf seine
Uebersetzung und Bearbeitung von Porphyrius' I .■:-./•,<•>■/ irepl n
■ <~>s macht, der Subskription eines Vaticanua und ausdrücklicher
Citate oachgewiesen, dass diese Schrift von Marius Victorinus ver-
fasst Ist Die Sohrift, „welche zu den geschichtlich wichtigsten
Denkmalen der späteren römischen Logik-Rhetorik gehört und im
Mittelalter . . . viel gelesen and verwerte! wurde" (S. 13), wird
ans hier in sorgfältiger Ausgabe vorgelegt. Grundlage derselben
MIiKmi drei !!>>.. die Zeugnisse seiner Excerptoren auch für
jsiodor sind oeue Bss. benutzl worden - . endlich auch die
direkte Ueberlieferung der Gewährsmänner (besonders Cicero's To-
pik). Von besonderem Interesse sind die unter den Texl gesetzten
genauen Nachweise der Quellen und der Excerptoren des Victorin.
— Ein Aidiaii- giebl wertvolle Bemerkungen zum Texte Ars victo
rinischen Kommentars zu Cicero's Rhetorik.
A ugust in.
Die vortreffliche Charakteristik der Weltanschauung Auguatins
und ihrer geschichtlichen Bedeutung von Eucken, die Lebensan-
schauungen der grossen Denker S. 258 295 ist bereits im Archiv
V, 537 erwähnt. .Mit Augustin beschäftigt sich ausschliesslich der
erste Theil von
Habnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte. 3. Bd. Freiburg i.Br.
L889.
„Die Geschichte der Frömmigkeit und der Dogmen im Abend-
land Ist von Anfang des 5. Jahrhunderts bis zur Reformationszeil
so durchgreifend von Augustin beherrschl gewesen, dass man diese
ganze Zeil als eine Periode zusammenfasset! muss." Das Mittel-
Jahresbericht aber die Kirchenvater etc. 1889 18! 125
alter ist „die Periode der Auseinandersetzung der Kirche mit
Augustin und mit allen den zahlreichen von ihm gegebenen Im-
pulsen". Im 2. Kapitel bohandell Harnack «las abendländische
Christentum und die abendländische Theologie vor Augustin. Er
zeigt, wie Augustin eine von Tertullian und Cyprian bestimmte
Richtnng fortsetzt und weiterbildet, wie er aber durch Vermittelung
der von den Griechen beinflussten abendländischen Theologen viele
Elemente der griechischen Theologie iil>ernimin1 und sich innerlich
aneignet, so die allegorische Auslegung und mit ihr eine Fülle
wertvoller spekulativer Ideen, die Verbindung neuplatonischer Spe-
kulation mit dem kirchlichen Christentum (Marius Victorinus S. 3011'.).
die mönchische Lebensauffassung. Das 3. Kapitel schildert Augustin
als Reformator der christlichen Frömmigkeit, die Sünden- und Gna-
denempfindung als Grundstimmung, neben der als besonders
mächtige Momente seiner Frömmigkeit die Unterwerfung unter die
Autorität der Kirche, die Annahme sakramentaler (magischer)
Gnadenmitteilung, eine gewisse Unsicherheit über das Wesen des
Glaubens und der Sündenvergebung, die eschatologische Stimmung
genauer behandelt werden. Es folgt S. 84 — 215 das 4. Kapitel:
Die weltgeschichtliche Stellung Augustins als Reformator der Kirche.
In den einleitenden Bemerkungen zeigt Harnack, dass August in
neben einander in widerspruchsvollen Aussagen die Schrift und das
Symbol oder die Kirchenlehre als Normen hinstellt (s. auch S. 1 15),
ja einen über diese äussern Autoritäten erhabenen religiösen
Standpunkt kannte, dass er oft der Philosophie einen seiner Heils-
lehre widerstreitenden Einfluss gestattet, in der Ausführung seiner
Lehren oft entgegengesetzten Richtungen folgt. Nur aus der .Macht
der Persönlichkeit begreift es sich, wie alle diese Elemente doch
zu einem ganzen verbunden werden konnten, dosen Einheitlichkeit
wir nachzuempfinden meinen. Es ist aber auch natürlich, dass
diese nur im Bewusstsein des einzelnen verbundenen Elemente wie-
der auseinander streben mussten, und dass die verschiedensten
Richtungen, die von ihm ausgegangen oder beeinflusst sind, sich
auf ihn als ihren Meister oder eine Autorität beriefen und es mit
einem gewissen Rechte thun durften. Die Darstellung seiner
..I. ehren voii den ersten und letzten Dingen" (S. 94 \-l) weisl
•_".'■
}•_>.•, llaiul.
im einzelnen nach, wie neben dem Neuplatonismus and der kirch-
lichen Deberlieferung vor allem die feine psychologische Beobach-
tung als ein wesentlich neuer Faktor Augustin's Theologie bestimmt
hat, in der Bich Beine seelischen Zustände und inneren Erfahrungen
wiederspiegeln. S. 127 l ~ ■ 1 wird ausgeführt, wie sich im dona-
tistischen Streite Augustinus Lehre von der Kirche und ihren Punk-
tionen ausbildet, 8. 151—199, wie sich im Gegensatz zu dein aus-
ffihrlich behandelten Pelagianismns (desen Verwandtschaft mit
philosophischer Ethik 8. 156 hervorgehoben wird: s. auch 8. 159.
1 T-J. 179,4) seine Lehre von der Gnade und Sünde darstellt. Den
Schiusa bildet (S. 200—215) eine Analyse und geschichtliche
Würdigung der Darstellung der katholischen Religion, wie Bie
Augustin im Enchiridion giebt.
Nur noch das 5. Kapitel (>. 219—244) kommt für uns in
Betracht. Es zeigt, wie Bich im Semipelagianismus die alte An-
schauung der Kirchi die neue augustinische Doktrin erhebt,
aber dieser sich beugen muss, doch uichl ohne dass der Augusti-
nismus wesentlich gemilderl wäre. Es zeigt weiter, wie Gref
der Grosse die vulgärkatholischen Elemente des Augustinismus
einseitig betont und zu einem System verbindet, das die Kirche
des M. A. beherrscht. — Die Aufgabe, das innerste geistige und
religi s< Leben und Schaffen einer unendlich reichen Individualität,
da- Fortleben der zahlreichen, von dir ausgehenden und zum Teil
l,i> in die Gegenwart wirkenden Impulse zu schildern, ist mit
solcher Liebe und Kunst gelöst, dass dieser Abschnitl vielleicht
der anziehendste de- q Werkes ist, unzweifelhaft der, welcher
das allgemeinste Interesse beansprucht6).
Gbassmann, l>i' Schöpfungslehre des hl. Augustinus und Darwins.
Gekrönte Preisschrift. Regensburg 1889.
Der Verfasser giebl eine korrekte Darstellung der Ansichten
Augustins über die K\\ igkeil des göttlichen Entschlusses der Schöpfung
und den zeitlichen Anfang der Welt, den Willen Gottes als letzte
s) Unbekannt Bind mir die Werke von Specht, >li«' Lehre von der Kirche
nach dem bl. Aug. und Wörter, die Qeistesentwickelung des bl. Aul'. i>i- ra
i beide Pad< rl i I
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 1892. \J,
Ursache der Welt, der Auffassung des biblischen Schöpfungsbe-
richtes durch Augustin. Der zweite Abschnitl behandelt die Er-
haltung and Regierung der Well durch Gotl (S. 55ff. Erklärung
des Debels), die Entwicklung and Verbreitung der Organismen
S. 62ff. Entstehung der Seele, S.64ff. Entstehung der Arten durch
generatio aequivoca). In der Kritik der Lehre Augustina ist es
leider im letzten Grunde der sehr naive Standpunkl des Verfassers
zum biblischen Schöpfungsberichl (S. 87. 141). der, wenn dies auch
nur selten klar hervortritt, das Urteil bestimmt. Daraus erklärt
es sieh doch wohl auch, dass zwar die bekannten Einwände gegen
Darwins Descendenztheorie ausführlich reproducirl werden, dessel-
ben Theorie über die Verbreitung der Arien ohne weiteres als
vorzüglich adoptirt wird. — weil sie in das theologische System
passt. Die allegorische Auslegung, auch die des Schöpfungsberichtes
durch Augustin hat doch immer historisch den bleibenden Wert,
dass sie einen tiefem Ideengehalt an den alten geltenden Buch-
staben anknüpft und starkem Geistern Bahn bricht, die dann auch
die Macht des Buchstabens brechen. Der Verf. selbst hat diesen
weitern Schritt nicht gethan. Die „populäre Darstellungsari der
Schrift" zugeben und auf derselben Seite 87 behaupten, dass ..sich
ihre Darstellung immer mit der Wissenschaft vereinen lässt", ist ein
etwas starkes Stück. Die Schrift von Scipio (Archiv 1,642) hätte
benutzt werden können, Ausdrücke wie „weiters, fernere, trefflichst,
allenfalsig, einlässlichere Darstellung" sind unschön.
.1. Chbistinnecke, Causalität und Entwicklung in der Metaphysik
Augustins. I. Teil. Inaug.-Diss. Jena 1891.
Die zum Teil aus Anregungen Euckens entstandene Schritt
bespricb.1 zunächst die Beziehungen, unter denen Augustin das
Verhältnis Gottes zur Weh darstellt: < lott die absolute Causalität,
Grund alle- Seins, alle- Lebens und alles Schönen in der Welt.
Scharf hebt der Verf. die sich durchkreuzenden Aussagen und
Widersprüche bei Augustin hervor, der z. B. die [deen bald in
• hinein verlegt, bald durch Schöpfung aus ihm herausgesetzl
werden lässt, die \\'c|t bald als volles Abbild Gottes und liarmo-
uisches Kunstwerk betrachtet, in dessen Zusammenhang auch das
dland,
seine aotwendi - lle hat, oder das Böse ab Mittel ansieht,
sittliche Vollkommenheit, Beine Gute und Gerechtigkeit zur
■i bringen, bald wieder daa Böse auf eine besondere
< iausalität zurückfuhrt und damit einen bedenklichen
Dualismus statuirt, ohne doch den Grund des I • eis ganz von ( :<>it
fern halten zu können (vgl. auch 8. 40 und Eucken a. 0. 8. 278
schwer zu vereinen ist die Annahme eines ewigen Schöpfui
gedankens Gottes und zeitlicher Weltentstehung. — Das zweite
Kapitel behandeil die Lehre von den von <i"tt in die Qrmaterie
gelegten, die gesamte künftige stufenweise Entwickelung in Bich
schliessenden Keimen der Dinge. Auf diesem < • \\ i l: • - 1 1 Gesetze der
Entwickelung beruhl die Ordnung des Weltalls. Dieselbe offenbart
sich in den species, den Gattungstypen, diese wider können
sich in der Erscheinungswell nur darstellen in »Im modi, den
Einzelexistenzen. Wie die Weltschöpfung in einem Herabsteigen
des ordo durch die species zu den modi, so bestehl der Weltpro-
- in einem Zurückstreben der modi durch die species zum ordo.
Eine vollkom ne Darstellung des Schönen in der Well aber, wie
sie diese strenge Entwickelung nach .lern Causalitatsgesetze fordert,
wird gehindert durch die Materie. Die Entwickelung der in die
Materie gelegten Kräfte überlassl Gott nicht sich selbst, sondern
er wird als fort und fort schöpferisch, nicht nur transcendent, son-
dern zugleich geistig immanenl gedacht. Alles Geschehen und
Wirken wird in einer Weise auf ihn als letzten Grund zuruckge-
führt, dass für die Freiheit des Menschen kaum Raum übrig bleibt,
wenn diese auch behauptel wird. Wenn ferner Augustin, wo er
die ge8etzmässigi Naturentwickelung streng verfolgt, Lein Wunder
gelten lassen oder doch nur die übersinnlichen Gesetze alles Ge-
schehens als grösstes Wunder anerkennen kann, so wird auch hier
wieder der Zusammenhang des Systems durchbrochen durch die
Annahme einer höhern Naturordnung und eines göttlichen Causali-
tätsgesetzes, welche die Naturgesetze durchkreuzen und unserer
Kenntnis sich entziehen.
Jabresberichl über die Kirchenväter etc. 1889 1892. |-_»,i
E. Melzer, Die aagustinische Lehn' vom Causalitätsverhältnis
Gottes zur Welt. Ein Beitrag zur Gesch. der patristischen
Philos. Sonderabdruck aus dem 26. Bericht der wiss. G
„Philomathie" in Neisse. Neisse 1892.
Verf. behandell die Ideenwelt und den ewigen Schöpferwillen
Gottes als Voraussetzungen der Schöpfung, die Verwirklichung der
VVeltideen in der Schöpfung durch Gott, die Erhaltung der Well
durch Gott. Auf das einzelne brauche ich nichl einzugehen, da
M. kein neues Material beigebracht hat und seine apologetischen
Ausführungen anfechtbar sind. Er sucht Augustins Lehre als rein
theistisch zu fassen (S. 9. 22. 32; Civ. XII, 2 bezieht sieh fecit
nicht auf das esse, sondern auf die Materien), aber seine Polemik
trifft nur die Annahme einer Emanation als Mitteilung >\^^
Wesens, nicht die Annahme eines dynamischen Pantheismus (Zeller
III. 2 S. 507). S. 1411'. wird gegen Augustins ausdrückliche Aus-
n Wissen, Wollen. Schaffen Gottes differenzirt. S. 31 wird die
Schwierigkeit des Problems der Materie und Freiheit sehr bequem
durch einen dogmatischen Gemeinplatz beseitigt.
Bähnel, Verhältnis des Glaubens zum Wissen bei Augustin. Abh.
zum Jahresber. des Gymn. zu Chemnitz. 1891.
Wie das ganze System des Augustin ein auf der Entgegen-
setzung des Ewigen und Zeitlichen beruhender Dualismus der
theologischen Begriffe durchzieht, indem von ihnen bald die über-
sinnliche, bald die sinnliche Seite hervorgekehrt wird, so hat auch
der Glaube für ihn bald den höhern Sinn einer mystischen Ge-
meinschaft mit Gott, Kahl ilvn iU>s geschichtlichen Fürwahrhaltens.
Mit diesem historischen Glauben beschäftigt sich die sehr sorgfältige
Ahhandlung. Die Notwendigkeit desselben und seine Priorität vor
dem Wissen beweist Augustin, das Wort im weitesten sinne
fassend, daraus dass das Bedürfnis des Glaubens auf allen Gebieten
des I. ein. ns und Erkennens Bich zeige, dass durch die Sünde die
nunfl geschwächt und der Wille verkehrt sei, dass der Glaube
durch die Autorität <\<<v Schrift und >\r\- Kirche geforderl werde.
Der Glaube setzt in gewissem Sinne die Vernunft voraus (intellej
ut credam), aber nur insofern diese die Worte der Schrift und des
|:;o Paul Wendland,
Predigers rechl versteht, die Notwendigkeit des Glaubens erkennt
und den Weg des Glaubens einzuschlagen >i<h entschliesst. Sonst
wird der Glaube, der Geisl und Willen in beilsame Zucht nimmt,
als die notwendig Vorstufe der späteren Erkenntnis betrachtet.
Im'.' Reinigung durch den Glauben bereite! das Schauen der Wahr-
heit vor, und wer jenen verachtet, verschliessl - i < • h den Weg der
Erkenntnis (credo, ul intellegam). Denn unter I Beistande
soll der Glauben sich zum Wissen entwickeln; was im Glauben
Eigentum des Subjekts geworden ist, boII zur klaren Erkenntnis
werden, die niedere Stufe des Glaubens -"II überwunden werden.
Freilich sieht sich Augustin dann wieder genötigt, den Schwachen
«las Zugeständnis zu machen, dass für sie die Unterwerfung unter
den von der Kirche geforderten Glauben genügt, welche für die
Intelligenten nur ein Durchgangspunkt, wenn auch ein notwendiger
ist. Wie Augustin einen doppelten Glauben kennt . so steht bei
ihm audi oeben und über der vernunftmässigen die durch Con-
templation vermittelte Erkenntnis.
Der Verf. bat sich jeder Kritik enthalten. Aus S. 3 and IT
möchte mau schliessen, dass er der Augustinischen Theorie freund-
lich gegenüberstehe, was mitunter den Wen solcher ArbeiteD nicht
verringert, da der an der Ideenwelt des Kirchenvaters mit dem eige-
nen Herzen Teilnehmende dessen Gedanken wenigstens besser zu re-
produciren vermag als wer sich hier wie von einer fremden Welt ab-
■ ii fühlt Aber die richtigen Gesichtspunkte für eine Kritik
der von ihm vortrefflich entwickelten Lehre Augustins hätte er hei
Bücken a. 0. S. 285 (Harnack a. 0. 112) finden können. Indem
die mittelalterliche Kirche «Im oben entwickelten Gedankenreihen
herausgriff und einseitig fortbildete, die ein gewiss - G gengewicht
bildenden Aussagen (s. Reuter, Augustinische Studien S. 250 ff.) igno-
rirte, hat sie ihre Machtansprüche mit Lehren Augustins begründet,
Beiner Theorie folgend die Unterordnung des Wissens unter den
Glauben, der Wissenschaft unter die kirchliche Autorität gefordert
Ja Augustin ist dr\- ideelle „Hauptvorfechter der Glaubensverfol-
gungen, der Ketzerprocesse, der Inquisition" (Eucken) gewesen.
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. lss'-' 1892. I.">1
K. Kühneb, Augustina Anschauung von der Erlösungsbedeutung
Christi im Verhältnis zur voraugustin'schen Erlösungslehre
bei den griechischen und lateinischen Vätern. Theol. Diss.
Heidelberg L890.
Der Verf. zeigt, dass Augustin die verschiedensten Erlösungs-
auffassungen benutzt, zum Teil modificirl und ergänz! hat, ohne
sie zu einer abgeschlossenen, systematisch entwickelten Anschauung
verbinden zu können.
Die Autorität der augustinischen Heilslehre verfolgl durch die
Litteratur des Mittelalters Koch in der Tob. Theol. Quartalschrifl
1891. Ebenda 1889 S. 287— 317. 578— G48 behandelt derselbe
die Heilslehre des Fanstus von Riez. Das Hauptresultat der
sorgfältigen Untersuchung ist, dass Faustus in Debereinstimmung
mit den Massiliensern (Cassian) auf semipelagianischem Standpunkt
steht, nach dem „die sittliche Kraft zum Guten und der Glaube
vom Menschen selbsl stammt und nur zur Vollendung i\<'s Heils-
werkes die Gnade Gottes erforderlich", diese also das Sekun-
däre ist6).
[ch gehe über zu der griechischen Litteratur:
.1. Deäseke, Gesammelte patristische Untersuchungen. Altona und
Leipzig 1889.
Geber die 1. und 3. dieser früher in Zeitschriften veröffent-
lichten Abhandlungen ist bereits im Archiv I S. ()40 IV S. 162
berichtel worden. In der "2. Abhandlung nimmt der Verf. Hiplers
Ansicht über die dionysischen Schriften gegen Foss (Progr. des
Luisenstädt. Gymn. Berlin 1886) in Schutz. Er bietet ein grosses
Material von Gelehrsamkeit auf, um nicht nur einen Dion. im
letzten Viertel des 1. Jahrh. ausfindig zu machen, den er für den
Verfasser meint halten zu können, sondern auch die aposto-
lischen Namen, die man als Beweis der Dnechtheil meinte ansehen
zu müssen, auf Zeitgenossen dieses Mannes zu beziehen. Aber die
6) Nur aus Anzeigen bekannt sind mir Engelbrecht, Studien äbei
riften des Bischöfe von Eleu Faustus Wien 1889 und desselben Patristische
Analekten, die für die Zwecke unseres Berichtes nicht in Betracht kommen.
i;;-_< Paul Wendland,
Zusammenstellung der Namen Johannes, Jacobus, Petras, Titus,
Timotheus, Polykarp (Caius, Carpus^ wird stets bei dem unbefan-
genen den stärksten Verdacht erwecken. Und ohne Gewaltsam-
keiten komml doch auch Dr. nicht aus. Au den Worten De div.
nom. III.'-' - '-- laxmßo; xal llsTpoc nimml er
An- - mau riapTjaav zu erwarten hal - 38 . ist falsch
Kroger, Griech. Sprachl., Syntax' §63, 1. ebenso Hiplers von
Dr. wiederholte Behauptung, dass d8eX<pofteo« (Bruder des Herrn)
eine sprachlich unmögliche Bildung sei. Zu den von andern an-
geführten Beispielen t'ÜLre ich ein neu hinzugekommenes Byzant.
/. II S. 643 hinzu. Die Beschaffenheil des Texl s giebt also
keinen Aula— zu der Aenderung aöeX<po« jou (>c des Timotheus)
ristpos und der Ausmerzung des Jacobus, auch nicht die verein-
zelte Lesart a8e) .y'.:. die viel leichter aus a8eXcp6deo; entstehen
konnte als umgekehrt. (In der paläographischen Erklärung S. 36
lässt l>r. das o aus.) — Dionys ist nach Jerusalem gezogen bc) rijv
öeav (Dr. schreib! sonderbarer Weise ftstav nach den Ausgaben)
roo ütoapvixou xal &eo86)(ou 3a>(xaTO?. Dräseke liesl nach Hilduin
zr-'-j-',: und versteht das Kreuz, was '■inen guten Sinn geben
würde (Usener, her hl. Theodosios S. 170, Leben Sym is bei
Migne Bd. 93 S. L673 (nebsl Anm.), aber sich sprachlich nicht
rechtfertigen lässt. Eine neue Erklärung des scuuaxos hat Geizer
Jahrb. f. prot. Theol. 1892 S.457ff. versucht. Dass im 7. Briefe
mit den Worten njs Iv tq> aravnjpup orraupip YsT0Vüta» ^xXei<|«öK nur
eine Sonnenfinsterniss gemeinl sein kann (nicht eine Lichterschei-
nung, Hipler liesl mit einer Hs. exXafi<J/eaK), lehrt die weitere Schil-
derung. Langen, der dies an der gleich zu erwähnenden Stelle
richtig bemerkt, suchl durch die Deutung der Worte als Verfinste-
rung nicht bei der Kreuzigung, sondern in Kreuzesform die Bezie-
hung auf das Ereignis bei Christi Tod fortzuschaffen. — Wenn der
10. Brief an den Evangelisten Johannes auf Patmos gerichtet ist,
sieht Dr. die Bezeichnung „Evangelist" als Interpolation an,
vermutet, dass Johannes der ursprüngliche Name des Sierotheos,
Da sich Dr. auf bs.-liche Zeugnisse, deren Werl durchaus zweifelhaft
in!, beruft, bemerke ich, da Johannes Dam. schon für unseren Text zi
..■ Bd. 96 8. 7 1:
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 1892. 133
l'at 8 vielmehr Pithom, \- ■-/. wohin er zurückkehren soll, Cäsium
sei. Solchen Hypothesen würde ich das Radikalmittel vorziehen,
durch das Langen (Internationale Theol. Z. 1893 S. 590 609 die
Schule des Hierotheos) den Verdachl einer Fälschung abzuwehren
sucht, nämlich die Athetirung der anstössigen Stellen, die ihm den
Zusammenhang zu unterbrechen scheinen, wenn ein solches Mittel
nur nötig wäre. Wer die grosse Reihe der litterarischen Ealschun-
überblickt, welche die Anschauungen der spätem Zeil in das
apostolische Zeitalter übertragen wollen, wird die Fälschung der
dionysischen Schriften begreiflich finden8).
Weiter sucht Dr. zu erweisen, dass die „Grundlinien" des
Dion., deren Inhalt er uns seihst angiebt, in Hippolyts Schrift
[Ispi DeoXoYi'as xat arapxtoasos uns erhalten seien. Z. f. w. Th. 1892
S. 408 — 418 behandell er die Beurteilung der dionysischen Schrif-
ten in späterer kirchlicher Litteratur.
In der vierten Abhandlung zeigl Dr., dass die von Ryssel aus
dem Syrischen übersetzte und. was Ryssel übersehen, mit des Gre-
gor von Nazianz Schritt an Euagrius identische Schrifl Gregors an
Philagrius nicht yon Gregorius Thaumaturgus herrühren, noch
weniger dessen Schrift gegen Porphyrius sein kann, deren
Existenz überhaupt zweifelhaft ist (vgl. Preuschen in Harnacks
'i -di. der altchiistl. Litt. S. 432. 430). Aus inneren Gründen
macht er wahrscheinlich, dass die griechische Tradition mit Rechl
dem Gregor von Nazianz das Werk zuschreibe.
In der folgenden Untersuchung versucht Dr. zu beweisen, d
die beiden unter Athanasius' Namen überlieferten Streitschriften
q Apollinarius nicht von Athanasius. auch nicht von einem.
sondern von verschiedenen Verfassern herrühren, über deren Namen
er eine Vermutung äussert.
Mein urteil war im wesentlichen niedergeschrieben, bevor Nippold Z.
f. w. Th. 1S:>1 S. 306ff. and andere sich ähnlich äusserten. Für die weitere
ing der Frage vgl. De Lagarde Mitteil. IV. S. 19. 20 Dräseke Z. f. \\.
TL - 3.504- 509. Die Schrift des Dorotheos (S. 48) ist übrigens edirt;
B.Migne Patrol. Gr. LXXXVIII, S. L609. Ueber Eerennius 5. ffeitz in
dem Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1889 and meine Neu entd. Fragm. Philos
I I ff.
l.'-l Paul Wendland,
In Maren-' Lebensbeschreibung des Bischofs Porphyrius (ed.
M. Haupt Berlin 1875) ist ans ein höchst interessantes Kapitel
ans der Geschichte der Heiden Verfolgungen, eine Schilderung der
gewaltsamen Unterdrückung Heidentums and der Zerstörung
Marnasheiligtums zu Gaza — Johannes Chrys stomus wirkt im
Hintergrunde mit - aufbewahrt. Im Anschluss an den Bericht des
Augenzeugen entwirf! der Verf. in seiner letzten Abhandlung ein
lebensvolles Bild dieser Vorgänge, die in dem etwa ein Jahrzehnt
vorauf liegenden Vernichtungskampfe um das Serapeum in Alexan-
dria ihre Parallele haben.
Methodius.
Y Bonwetsch, Methodius von Olympia Bd. 1 Schriften. Erlangen
und Leipzig, Deichert 1891.
Das Wnk ist eine sehr wertvolle Bereicherung der altchrist-
lichen Litteratur.
Der Verf. giebl eine deutsche LJebersetzung eines in mehreren
H8S. erhaltenen altslavischen Corpus Methodianum (S). B. giebt
den Wortlaul der ziemlich sklavischen (öfters nur excerpirenden)
Uebersetzung möglichst wortgetreu wieder, wodurch dem mit dem
Gedankenkreise und der Sprache des Methodius Vertrauten ofl eine
Rekonstrukti les griechischen Textes ermöglicht wird. Verbunden
ist damit eine Ausgabe aller mit Ausnahme des Anfangs von |!
,-•[•,•> nur durch indirekte Qeberlieferung griechisch erhal-
tenen Stucke, mit Ausschluss des Symposions. Zahlreiche Hss. sind
neu verglichen, auch spätere Benutzer eifrig herangezogen, ich
gebe einen Deberblick über die jetzt vorliegenden Schriften des
Methodius:
1. ilepl tou ocÖTeEouaioo. Das Werk ist zum weitaus grössten
Teile griechisch erhalten, aber in seiner Anlage erst jetzl ver-
ständlich, nachdem die griechischen Stücke in s eingeordnel sind
s. 12. 51- 58.
2. I eber das Leben und die vernünftige Handlun
nur in 8. erhalten.
;'>. Di<' drei Bücher über die Auferstehung, die wesentlich aus
s vervollständigt sind.
Jahresbericht über die Kirchenvater etc. 1889 1892. j:;;,
I. Ueber die Unterscheidung der Speise etc. nur in S er-
halten.
5. Ueber den Aussatz (S), wovon nur kurze Fragmente des
Urtextes erhalten sind.
C). Eine Prov. 30, 15 ff. und Ps. 19, 25 erklärende und danach,
schwerlich richtig betitelte Schrift.
Es Folgen die griechischen Fragmente fiept t&v -/sw/pov und
K^Ti flopcpuptou, dann zum Teil neue Reste <\r± Hiobkommentars.
Welcher Gewinn namentlich aus den neuen, durch äussere
und innere Gründe sicher beglaubigten Stücken zu ziehen ist, wird
B. im zweiten Bande darlegen. Ich begnüge mich hier mit An-
deutungen. Des Methodius' polemisches Verhältnis zu Origenes
übersehen wir jetzt klarer als früher. In Nr. 4. .">. 6 lernen wir
ihn als Exegeten kennen, der in seiner allegorisirenden Methode
sieh von Origenes abhängig zeigt, so sehr er auch an anderer
Stelle liegen die Willkür neumodischer Ausleger eifert. Aber auch
die Geschichte der Philosophie geht nicht ganz leer aus. Nr. 2
und einzelne Abschnitte von 4 entwickeln die stoische Lehre vom
rechten Verhältnis des Menschen zu den Gütern und Uebeln; die
christlichen Zusätze lassen sich leicht absondern. Daraufgehe ich
vielleicht an anderer Stelle genauer ein (S. 67, 1 Anspielung auf
Kleanthes" Verse). Sehr oft finden wir die aus heraklitisirenden
Abschnitten bei Philo und Plut. (s. von Arnim, Quellenstudien zu
Thilo S. 95) bekannte Lehre von den verschiedenen Altersstufen
entwickelt, nach der der Mensch in seinem Wesensbestande einem
beständigen Wechsel und Fluss unterworfen ist. S. 73ff. linden
wir in der Ausführung >\r> Gegners die platonische Geringschätzung
- Leibes: für die /y.wz: 8epp.au vot war auf Bernays, Theophrasl
über die Frömmigkeit S. 143 zu verweisen (vgl. meine Neu ent-
deckten Fragm. Thilos S. 10t). 114). Interessant ist auch S. 297
(über Fleischenthaltung). Manches isl aus medicinischen Quellen
schöpft, S. 79 wird Aristoteles, S. 80 Eippocrates citirt. Zahl-
reiche oeue Zeugnisse kommen für die Benutzung Piatos hinzu.
Aus den schon bekannten Stücken hebe ich noch besonders hervor
den ausgeführten Mikro- und Makrokosmos S. 212. 213 und die
136 Paol Wendland,
Darstellung der christlichen Eschatologie unter der Form des Btoi-
Bchen ixTrupto|M( S. l.">'_'.
A t haua>iu 9.
Die Bedeutung des Mann.-, die tieferen Motive und religiösen
Interessen der von ihm vertretenen Sache Btelll K . Jahrb. f.
pr. Th. 1890 S :; <~> 356 in einem populären Vortrage dar.
Die Kappadocier.
1. Fb. Hui. Des h. Gregor von Nyssa Lehre vom Menschen.
Köln L890.
•_'. A. Krampf, her Urzustand des Menschen nach der Lehre des
h. Gregor von Nyssa. Würzburg 1889.
:'>. Hummer, Des h. Gregor von Nazianz Lehre von der Gnade.
Kempten 1890.
Der Verf. der ersten Schrifi beschreibt nach Gregors teleolo-
gischen Gesichtspunkten die Stellung des Menschen in der Well
and seine natürliche Ausstattung. AU Mikrokosmos isl er ein
Abbild des Universums, als geistig-leibliches Doppelwesen isl er
das Mittelglied der geistigen und der materiellen Welt Aul' dem
Gebiete der Anthropologie /ei-i der Nvssaner reges Interesse für
die landläufigen Fragen, behandelt die Stufenfolge der irdischen
Wesen, den Unterschied des Menschen muh Tiere, die zweck-
mässige Beschaffenheit der Glieder des Körpers, Existenz, Unsterb-
lichkeit, >ii/ und Einheit der Seele, ihr Verhältnis /.um Körper,
ihre Funktionen und deren Verhältnis zu einander, die \\ illen.x-
ireiheit (vgl. auch Krampf S. 25 ff.). In manchen Punkten schwankt
Gregor zwischen verschiedenen Anschauungen, .-<» zwischen Dicho-
tomie und Trichotomie, Kreatianismus und Traducianismus. I'i.
Schwanken wäre besser anerkannl als weggedeutel worden (S. 36ff.
51ff.). Xu der natürlichen Ausstattung des Menschen kommt im
paradiesischen Urzustände eine übernatürliche hin/u. als 6fiofa><jtc der
uübergestelll nach Gen. L, 26. Die Summe dieser durch
göttliche Gnade ^l^w ersten Menschen verliehenen geistigen und
körperlichen Vorzüge behandeln beide Schriften ausführlich. Die
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 1892. \'.\ (
Frage, ob man auf die Gnadengaben des Urzustandes den katholischen
Begriff der dona superaddita anwenden dürfe, ist deshalb unfrucht-
bar, weil die altkirchliche Theologie unsere scharfe Scheidung des
Natürlichen und Uebernatürlichen nichl kennt. Kr. hebl dies S. •">'.»
hervor. Die höhere Ausstattung des ersten Menschen muss durch-
aus in enger Verbindung mi1 der natürlichen Wesensbeschaffenheit
gedachl werden (s. auch Krampfs. Uli), einer Verbindung, die
der von voüs und ''yy/j, ähnlich gedachl werden kann. Wie könnte
sich anders die eix&v wieder zur opoiuxTic entwickeln?
Dureh den Sündenfall gehl die ojjloiuxji? dem Menschen ver-
loren. Der Begriff der Erbsünde isl bei Gregor nicht klar ausge-
sprochen, im Traktat über das Schicksal der Kinder nach dem
Tode ganz ignorirt. Denn diese Schritt ist nur verständlich von
der Voraussetzung aus. dass Gregor von ungetauften Kindern redet
und .-ich im Gegensatz zum griechischen Volksglauben setzte, der
diese in die Hölle gelangen 1 ioss und noch heute lässt. Im Gegensalz
zu llilt vertritt Krampf diese Auffassung, der dann aber die Unecht-
heil der Schrift anzunehmen geneigt ist (S. 45 4). Weiter behandelt
llilt die Lehre von der Erlösung, Heiligung und Rechtfertigung und
die Eschatologie. Die Erlösung wird von Gregor geistig und physisch
zugleich gedacht. Sie ist „eigentlich nur der Specialfall einer allge-
meinen kcismologischen Reconciliation" (S. 156). Durch die Auferste-
hung wird der Urständ wiederhergestellt. Durch die origenistische
Lehre von der Apokatastasis wird das Weltgericht ziemlich in deu
Hintergrund gerückt. Die Hölle ist nicht als Ort der Strafe, sondern
als Ort der Reinigung dargestellt. Durch den in ihr sich vollzie-
henden Läuterungsprocess wird alles Böse allmählich ausgeschieden.
ha- Böse als rein Negatives und als Gegensatz des Guten kann kei-
nen ewigen Bestand haben. Alles, nicht nur die bösen Menschen,
sondern auch die Teufel, kehren einst zurück zu der Einigung mit
Gott, zu der alles beständig hinstrebt. Die Versuche, diese Lehre
von der ontoxoixdaTa.au; wegzudeuten (der letzte bei Krampf S. •
hatten kaum 80 weitschweifig (S. 315 — 347) widerlegt werden
brauchen. Schwer zu begreifen Is1 nur, wie llilt S. 254 — 258
dem Gregor die hehr,' vom Fegfeuer neben der von der Hölle als
Reinigungsort zuschreiben kann. — Für «'ine geschichtliche Wurdi-
138 Paul Wendland,
gang des Gregor wäre übrigens vor allem Bein enges Verhältnis zn
Methodius, auf das Möller wiederholt hinweist, genauer zn unter-
suchen.
In der dritten Schrift tritt der Mangel geschichtlicher Auf-
fassun ders scharf hervor. Nachdem Bfimmer des Nazian-
zaners Lehre vom Urzustände, die mit der des Gregor vod Nyssa
übereinstimmt, dargestellt bat, behandelt er ausführlich die Erlösungs-
lehre und ordnet dabei nach deu Schemata scholastischer D
matik den Stoff in einer Art, die sogar die Benutzung des vod
ihm gesammelten Materials in höchstem Maasc tiwert.
.1. Bauer, Die Trostreden des Gregor von Nyssa in ihrem Ver-
hältnis zur antiken Rhetorik, [naug. Diss. Marburg 1892.
Die sorgfaltige Arbeit stelll die Theorie der alten Rhetorik
über die verschiedenen Arten des i^xtup-tov dar und zeigt, dass
Gregor in Auswahl und Anordnung des Stoffes in den Trauerreden
auf Meletius, Pulcheria, Plakilla mit der rhetorischen Theorie und
den nach ihr gearbeiteten Reden übereinstimmt, ja mitunter im
Anschluss an die hergebrachte Topik Gedanken vorträgt, die in
christlichem Mumie befremden. Auch wo er das Verhältnis zur
philosophischen Trostschrifl berührt (S. 25. 61. 79ff.), zeigt sich
B. gut orientirt, so dass man von der Fortsetzung seiner Arbeit,
die Inhalt und Zweck der christlichen Trostrede behandeln wird,
das Beste erwarten darf.
\ e liles i us.
Burkhard behandell in den Wiener Studien Bd. 1". II die
iis. -liehe üeberlieferung, geht auch auf die von Holzinger veröffent-
lichte lateinische Cebersetzung und auf die von ihm entdeckte
I ebersetzung des Burgundio ein, die wegen ihres engen Anschlusses
an das Original von Bedeutung ist. Eine Probe derselben ver-
öffentlicht er in der Beilage zum Jahresbericht des Meidlingenschen
Gymn. Wien L891/92.
Jahresbericht über die Kirchenvater etc. L889 1892. 139
A pollina r Los.
.1. Dräseke, Apollinarios von Laodicea. Sein Leben und seine
Schriften nebst einem Anhang: Apollinarii Laodiceni quae
supersunt dogmatica. Leipzig 1892. Texte und Unter-
suchungen zur Geschichte der altchristlichen Litt. \ll. 3. I
l'.'t S.
Der Verf. vereinigt seine zahlreichen in Zeitschriften erschie-
nenen Untersuchungen zu einem Ganzen, her erste Teil stellt
die dürftigen Nachrichten über «las Leben des Apollinarios zusam-
men, sucht die Schriften desselben in die verschiedenen Perioden
seines Lebens einzuordnen und das Lebensbild aus den Schrillen
zu ergänzen. Der zweite Teil beschäftigt sieh mit dem Schrifttum
des Apollinari Bekanntlich halten Anhänger des Apollinarios
dessen Schriften auf falsche Namen gesetzt, um unter orthodoxer
Etikette die Werke ihres verketzerten Meisters der Nachwelt zu
wahren. Der Verf. hat nach Caspari eine Reihe dieser Schriften für
Apollinarios in Anspruch genommen. Es sind dies im wesentlichen:
1) Die unter Justins Namen erhaltene Cohort. ad Graecos,
bei der man freilich nach meinem Gefühl eine durch die verschie-
dene Litteraturgattung verursachte auffallende Abweichung des Stils
von den dogmatischen Schriften annehmen müsste.
2) In dem sicher nicht von Basilius herrührenden Anhange
zu dessen drei Büchern gegen Eunomins findet Dräseke <l'> Apol-
linari".«,' Streitschrift gegen Eunomius wieder (vgl. Z. f. Kirchen-
jehichte L890 S. 22 ff.).
3) Die drei ersten (fiept tt(; dyias tpidSos betitelten) der sieben
durch die Ueberlieferung Athanasius oder Maximus Confessor zu-
ächriebenen, von Garnier für Theodoret in Anspruch genommenen
Dialoge hält Dräseke für eine (freilich nicht durch die Ueberliefe-
rung bezeugte) Streitschrift des Apollinarios gegen die arianische
Theologie; vgl. den Aufsatz in den Theol. Stud. u. Krit. 1890
S. 137—171.
4) Durch Citate wird ausdrücklich einem Briefe des Apolli-
uarios an Kaiser Jovian zugeschrieben ein kurzes unter dem Titel
ll:v rijs -'j',/.<!>-j--<>>: too &eou X.6700 iinti-r Äthan asius Werken über-
Arcbii f. Geschichte d. Philosophie. VII. »' -
I \i i Paul Wendland,
lieferten Bekenntnis, worauf Caspari hinwies. Ebenso sind <">) fünf
dem Julius von Rom zugeschriebene Stücke und die dem Grqgorius
Traumaturgus zugeschriebene Kotd fiepoc ictVri? bereits von Caspari
mit überzeugenden Gründen dem Apollinarioa vindicirt.
(')) In <lir kürzeren Version der als justinisch überlieferten
■ -i'j\ rpidoo« erkennl Dräseke das von Gregor
von Nazianz erwähnte Werk des Apollinarioa üep wieder.
Nachdem ein Fälscher dasselbe erweitert und es in <I«t uns auch
erhaltenen längeren Version auf Justins Namen gesetzt, wäre dann
auch der kürzere und echte Text mit Justins Namen versehen
(S. 181) — ein Process, für den freilich die innere Wahrscheinlich-
keit nicht spricht
Dazu kommen mehrere, namentlich bei Leontaua erhaltene
Citate. Den Zusammenhang der Reste der christologischen Hfaupt-
schrift auchl Dräseke S. L83ff. bes lers auf Grund der Gegen-
schrift des Gregor von Nyssa herzustellen. Diese Texte werden im
Anhange auf Grund der bisherigen Ausgaben abgedruckt, mit Aus-
nahme der Cohortatio. Damil ist ein Qeberblick über das Schrift-
tum des Apollinarioa und eine an manchen Punkten gewiss sehr
wünschenswerte Nachprüfung der Hypothesen Dräsekes erleichtert.
— Das Werk beschränkt sich auf literarhistorische Untersuchungen
zu einzelnen Schriften des Apollinarios, in denen freilich einzelne
besonders charakteristische Lehren wiederholl hervorgehoben werden.
Es fehlt leider uoch an einer zusammenfassenden Darstellung des
Lehrsystems, zu der freilich auch die in den exegetischen Sammel-
werken erhaltenen, dem Verf. nicht zugänglichen Fragmente heran-
zuziehen wären. Bemerkt Bei noch, dass S. 64fF. die Psalmen-
Metaphrase, S. 100 ff. der Briefwechsel des Apollinarioa mit Basiliua
als echt erwiesen wird. Mine eingehende Besprechung des Werkes
mit mancherlei Ausstellungen und Berichtigungen giebt Jülicher
Gott. gel. An/.. 1-'.':; Nr. 2.
1) i o n v s i u s A r e o i' a g i I a.
A. Jahn, Dionysiaca. Sprachliche und sachliche platonische Blüten-
lese aus Dionysius zur Anbahnung der philologischen Behand-
lung dieses Autors. Altona und Leipzig, Rehei l^s'.i.
Jahresbericht über die Kirchenvätei etc. lsS'.' 1892. III
Der Verf. giebl eine sorgfältige Zusammenstellung der plato-
nischen Redewendungen und Vorstellungen bei Dionysius, indem
er andere platonisirende Autoren zum Vergleiche heranzieht. Der
Beweis, dass Dionysius selbst Plato gelesen, schein! mir gelungen.
ha— /.. B. ei :</, xai IjiauToG l7tiXsX.Tjarjiae (cf. Phaedr. 288 A) oder
die Anrede ai x«Xe platonische Reminiscenzen sind (S. 52. 57),
lasst sich nicht leugnen. Die Beweisführung wäre überzeugender
und ein Urteil über den Umfang der Lektüre Plato's erleichtert,
wenn der Stoff anders gruppirt und solche Reminiscenzen an be-
stimmte Stellen geschieden wären von einzelnen Ausdrücken, die
nicht direkt aus Plato geschöpft zu sein brauchen. Diese wären
besser lexikographisch angeordnet worden. Meist lassen sie sich
auch in der sonstigen philosophischen Litteratur, namentlich der
neuplatonischen und in sehr grosser Zahl bei Philo nachweisen.
Die philosophische, ja die Sprache der Gelehrten überhaupt (s.
Schmid, Atticismus) hat sich so sehr an Plato gebildet und ans
seinem Schrifttum bereichert, dass sich aus einzelnen Ausdrücken
eigene Lektüre Piatos nicht sicher erweisen lässt, wenn auch hier
die Masse des Materials eine solche wahrscheinlich macht.
In diesem Zusammenhange sei erlaubt hinzuweisen auf
Usenek, Der heilige Theodosios, Schriften des Theodoros und K\-
rillos. Leipzig 1890.
Auf den kirchengeschichtlichen Wert dieser hs.lichen Publi-
kationen für die Lehrstreitigkeiten im Reginn des 6. Jahrhunderts
unter Kaiser Anastasius und auf das sprachliche Interesse, welches
diese Schriften gewähren, kann ich hier natürlich nicht eingehen.
Ueber beides giebt der reichhaltige Kommentar das wertvollste
Material. Wohl aber verdienen auch hier die Worte ihre stelle,
mit denen Usener den eigenartigen bei/ schildert, den diese Litte-
ratur für den religionsgeschichtlichen Forscher besitzt (S. \\l):
„Ich gestehe, dass gerade dadurch diese Geschichten auf mich
besonderen Reiz ausgeübt haben, weil sie mich an eine Stätte
führten, wo man die Wunderblume der Sage vor seinen Augen
wachsen sehen kann. Wir erkennen, wie rasch, wie unwillkürlich
und notwendig bei gesteigerter religiöser Empfindung ein Erlebnis
H-J "• .11:111.1.
sich in Mythus umsetzt" Die von Theodorus verfas« graphie
Zeugnis al> liir jene ans christlichen und oenplatonischen Vor-
stellungen zu Bammeng ^I> -Tik. welche, seitdem das Ifönch-
tum auf riii«' Th. a bracht und hellenisirl i-t (Athanasius, Chry-
stomos, die Kappadocier . 'Ii<- mönchische Litteratur beherrscht
und die durch Augustin einerseits, Dionysins Areopagita und Ma-
ximus Confessor andrerseits auf die Erscheinungen der mittelalter-
lichen Mystik bestimmend einwirkt. I);i finden wir die platonische
Schätzung des Korpers S. 100,16), die Forderung der awtöa
§ 16,17. 19,3. 24,19. 87,11), die Erhebung zum Himmlischen
8 31,22) and die verschiedenen Stufen derselben, unter dem
Bilde der Jakobsleiter vorgestellt (Usener S. 130), die fvcooic mit
Gotl v. 16,19. 100,15), cptXoao<peTv vom beschaulichen Leben des
Mönches. S. 183 sprichl Usener vom Verhältnis <l-< Dämonen-
und Beiligenglaubens. Vgl. auch das Register unter „Neuplato-
nisches".
9 hr wertvolle Ergänzungen zu Useners Schrift giebt Kram-
bacher, Studien zu den Legenden des II. Theodosios, München
1892. (Aus den Sitzungsber. S. 220ff.) Dort werden S.345ff.
mehrere mittelalterliche Traktate veröffentlicht, die die mit der
Zeugung des Menschen zusammenhängenden Probleme behandeln
und sich mit den Doxogr. S. I Ml. (Lactanz De opif. 12) mehrfach
berühren.
Christliche Floril e g i e u.
Ganz vorübergehen dürfen wir auch an den christlichen Plo-
rilegien nicht, da dieselben den letzten Niederschlag der phil<
phischen und tl logischen Bildung den breiteren Massen des
Volkes zu übermitteln bestimmt waren. Nachdem ich „Neu entd.
Fragm. Philos" S. L8 die verschiedenen hs.lichen Versionen des « l«-tn
Johannes Damascenus zugeschriebenen christlichen Urflorilegs be-
sprochen, hat Loofs das Verhältnis derselben und die Aufgabe der
Rekonstruktion des ursprünglichen Werkes gründlich behandelt
idien über <li'' 'l<in Johannes von Damascus zugeschriebenen
Parallelen, Halle 1892), auch L. Cohn in den Jahrb. f. prot. Theol.
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889 l- 143
L892 s. IT.MV. wichtige hs.liche Notizen mitgeteilt. Eine sehr wert-
volle Bereicherung dieser Litteratnr ist die 8chrif( von
Elter, Gnomica I. Sexti Pythagorioi, Clitarchi, Enagrii Pontici
sententiae. Leipzig 1892.
Waren bisher nur einzelne Sprüche des Sextus, namentlich
durch den Auszag des Klitarch, den Elter S. WWIIil. rekon-
struirt, im Urtext.' bekannt, so legi jetzl Elter den von ihm ent-
deckten vollständigen griechischen Text nach einer vatikanischen
und einer patmischen Hs. vor. Den theologischen Standpunkt
der in christlicher Ueberarbeitung erhaltenen Sentenzen habe ich
Theol. Litt. Z. 1893 Nr. 20 zu würdigen versucht (vgl. Berl. Philol.
Wbch. 1893 Nr. 8) und besonders auf die für die Zeitbestimmung
wichtigen Beruhrungen mit ('lern. Alex, hingewiesen. Zu vergleichen
ist noch 46 b txpiorov boauiax-qpiov i>s<ö xapSia xadapä /.-j.\ avajtap-
ttjtos und Minucius Felix 32, 2 cum sit litabilis hostia . . . pura
mens, auch das au beiden Stellen Folgende. S. XLVII ff. giebl
Elter einen Ueberblick über die weitverzweigte Ueberlieferung der
Gnomen des Euagrius (über den .Mann vgl. Dräseke Patrist. 1 nter-
suchungen S. 117 ff.), auf der die Ausgabe beruht. Schon hier
sei erwähnt
L. Stebnbach, Photii patriarchae opusculum paraeneticum. Appen-
dix gnomica. Excerpta Parisina. Krakau 1893.
Es liegen hier vor eine sorgfältige Ausgabe der von Hergen-
rother ungenügend edirten [Iapottvsats v.a p'tojioXoYta? Oam'ou (252
Nummern), ein mit der Wachsmuth'schen Wiener Apophthegmen-
- unlung und der Wiener Studien IX — XI veröffentlichten ver-
wandtes Florileg, Mitteilungen über den Inhalt von Par. 1168
gl Elter a. 0. XXXVil. XM'III Archiv V, 246) und Benutzung
von Beliodors Aethiopica in ßlorilegien, endlich eine Ausgabe der
Gnomen des Plutarch, Demokrit, Sokrates, Demonax in Par. 1168.
Hier sei auch bemerkt, dass Buresch im Anhange seiner
S Hu „Klaros, EJntersuchungen zum Orakelwesen des späteren
Altertums" Leipzig 1889 einen Auszug aus einer Deoaocpia veröffent-
licht, die nach den Bemerkungen Neumanns S. 89ff. in den Jahren
IT I 491 verfasst ist und von der bis jetzt nur kleine stück'1
1 1 1 I'au J Wendland,
edirt warm. D( II derselben umfasst Orakel, die /.um
Teil 'li>' Kenntnis des auch darch die Philosophie beeinflussten
religiösen Synkretismas fordern. Manch.- ist christliche Fälschung,
anderes wird christlich umgedeutet Es finden sich aber ausser
andern) Wertvollen z. ß. Heraklitfragmente [Hermes XV,605ff.),
B5 eine tendenziös N i/. über Porphyrius' Leben, eine zum Teil
originelle Gestall der Orphica I 6 Abel. Einig - - i auch er-
wähnt aus der voraufgehenden Abhandlung. S. t3. 63 wird mit
unten Gründen die Identität dea Freundes Luciana mit .lern Ver-
fasser d - Wahren Wortes behauptet, 63 ff. die Zeil des Oe naus
und die de« I1 monax bestimmt, S. 55. 59 über • :; und
-,:/.'/ gehandelt. Auch für «las Verständnis von Porphyrius1 Orakel-
schrifl sind manche Ausführungen wertvoll.
E. Hatch, Griechentum und Christentum. Zwölf Hibbertvorlesungen
über 'len Einfluss griechischer Ideen und Gebräuche auf die
christliche Kirch.'. Deutsch von E. Preuschen. Mit Beilagen
Nun A. Ilarnack und dem Uebersetzer. Freiburg i. I!. lv
Nachdem die Vorlesungen de- geistvollen englischen Theologen,
der der Wissenschaft zu früh entrissen i-t. uns nun auch in deut-
scher Sprache vorgelegt sind, benutze ich gern die Gelegenheit, auf
sie hinzuweisen. Ea ist der erste Versuch, ein Gebiet im Zusam-
menhang zu behandeln, das neuerdings von den verschiedensten
ichtspunkten beleuchtet i-t. nicht eine durchaus erschöpfende
Abhandlung, aber ein Versuch reich an neuen Anregungen und
weiten Ausblicken, wenn auch im einzelnen das Bild noch schärfer
und genauer zu zeichnen sein wird, hie grosse Frage, um di<
sich handelt, ist: Unter welchen Bedingungen hat sich die einlache
Lehre des Urchristentums zu einem metaphysischen Lehrsystem
entwickelt? lud die Antwort lautet: dass wir diese Entwickelung
nur aus den mannigfaltigen Einwirkungen griechischen Denkens
und Glaubens, griechischer Kultur begreifen können. Nach einlei-
tenden Bemerkungen über die Methode der Forschung behandeil
der Verf. I mfang und Begriff der griechischen Bildung, Stellu
Jahresbericht über die Kirchenväter etc. 1889- 1892. (|.">
der Lernenden und Lehrenden. I>i<> dritte Vorlesung führt in fein-
sinniger Weise aus, wie die von den Griechen an ihren ältesten
Dichtwerken geübte allegorische Auslegungsart von Juden und
Christen auf ihre heiligen Schriften übertragen wurde, wie sie sich
gen mancherlei Widersprüche behauptete. Bin Gesichtspunkt
hätte wohl noch hervorgehoben werden können. Es lässl sich,
glaube ich, zeigen, dass die Kritik eines Celsus und Porphyrius
zum Teil bestimmt ist durch die von Allegoristen geäusserten Be-
denken gegen den Wortsinn. — Nachdem er die Einwirkung der
griechischen Formen der Beredsamkeil gewürdigt (s. oben S. 438),
gehl llatch zur Philosophie über: Die Neigung zur Definition, so
führt er aus, Dialektik und Spekulation, Glaube an die Notwendig-
keit und Wahrheil der Metaphysik dringt allmählich durch. Wird
auch der Inhalt gnostischer Spekulationen verwürfen, in Princip
und Methode herrscht doch wesentliche Uebereinstimmung mit der
Gnosis. Der ursprüngliche Standpunkt des Christentums wird ver-
lassen. Die sittliche Reformation des späteren Heidentums, wie
sie in der Eochschätzung und in der grösseren Strenge der Sitten-
lehre, in ihrem Einfluss auf weite Kreise, in der Richtung auf As-
kese und Weltflucht, in der religiösen Fassung der Ethik hervor-
tritt (S. 101 — 116), kam dem Christentum entgegen. Freilich
wurden unter dem Einfluss griechischer Ethik die reinen Anforde-
rungen des Christentums immer mehr herabgestimmt und mussten
um so tiefer sinken, je mehr die Sittlichkeit dem Glauben unter-
_ rdnet, je mehr Gewicht auf die intellektuelle Seite gelegt wurde.
Wenn auch daneben unter dem Einfluss platonischer Ideen und
der Spannung der Zeitverhältuisse die asketische Richtung wuchs,
musste sie doch im Mönchtum von der Kirche sich zunächst
sondern und über dieselbe erheben.
In der Theologie sind es meist von der griechischen Philoso-
phie angeregte Probleme, die die christliche Lehrentwickelung zu
lösen und mit dem christlichen Glauben auszugleichen sucht:
Waren Piatonismus und Stoicismus bereits im spätem Synkretis-
mus angenähert, bo linden Bich dann auch im philonischen Schrift-
tum wie in den christlichen Lehrschriften platonische und stoische
Vorstellungen verbunden, wie au der Kosmogonie und Kosmologie
1 [i\ 1' tal w • ndland, Jahresbericht über die Kirchenväter.
gezeigt wird (7. Vorlesung). Mit der jüdischen [dee Gottes als
des Richten and des Gerechten verbindet sich der in der spätem
Philosophie immer mehr ethisch gefasste Grottesbegriff. Marcions
Ditheismus, durch den er sogleich des Problems des Bösen Herr
zu werden sucht, wird verworfen, dies Problem durch die Betonung
•In- Willensfreiheit in wesentlich stoischem Sinne -_'^1< >>t (s. Vorl.).
In den Erörterungen ober Transcendenz Gottes, -ine Offenbarung
durch Mittelwesen, die Unterschiede innerhalb seines Wesens wer-
den Probleme der griechischen Philosophie mit Hill' bischer
Dialektik auf christlichem Boden gelöst (9. Vorl.). In der Aus-
taltung des Kultus werden griechische, besonders vom Mysterien-
wesen entlehnte Gebräuche und Vorstellungen konservirt (10. Vorl.).
Der Glaube tritt aus der rein sittlichen 8phäre heraus und wird
/uin Glauben an ein durch neue Definitionen sich erweiterndes,
immer fester umschriebenes Lehrsystem. Weniger in der Sittlich-
keil als in der rechten Lehre bewahrt sich das Christentum (11.
und 12. Vorlesung).
Nur kurz konnte der reiche Inhalt angedeutet werden; ein-
zelne Punkte will ich genauer berühren. S. 44 war noch zu ver-
weisen auf Di.'ls' Doxogr. S. 88ff., S. 65 ist der Inhalt der Rede
Dios nicht richtig bezeichnet, die Ueberaetzung der Eleanthesverse
s. 11."» ist misslungen. Die z. B. S. \-'>\ (1591) geäusserte Ansicht
über das philonische Schrifttum, wonach Philo ein Sammelname
für W'eike verschiedener Verfasser war.', bedürfte doch der Begrün-
dung. Ansichten wie die s. L89, da— Basilides vielleicht das Er-
scheinen des Neuplatonismus befördert habe, und die S. L90 von
Clemens als Vorläufer Plotins wären modificirt wurden, wenn nicht
die neuere Dogmengeschichte den Piatonismus des 2. Jahrh. so ganz
ignorirte. I od doch könnte man von ihm aus dem Vergleich des
Berichtes in Justins Dialog mit Alkinus ein deutliches Bild ge-
winnen und würde dann vieles auf diesen (übrigens wohl in die
vorphilonische Zeit zurückreichenden) Piatonismus zurückführen,
was man jetzt von einem für uns ziemlich problematischen Helle-
nismus der jüdischen I liaspora ableitet.
Neueste Erscheinungen auf dem Gebiete der
Geschichte der Philosophie.
\. Deutsche Li 1 1 eral u r.
Apelt, ().. Die kleinen Schriften des Alexander von Aphrodisias, Rhein. .Mus.
V F. Bd. 19, II. 1.
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Brasch, M.. Die Politik des Aristoteles, übersetzl u. erläutert, Leipzig, Pfeffer.
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Gosattini, A., Epicuri „de natura- über XXVIII, Bermes, Bd. XXIX. II. 1.
Deichmann, C., Das Problem des Raumes in der griech. Philos. bis Arisl
les, Leip :ig, Fock.
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Diels, II.. Medizin in der Schule des Aristoteles, Preuss. Jahrb. Bd. 74, II.:;.
Dilthey, W., Die Glaubenslehren der Reformatoren, Preuss. Jahrb. Bd.75,H.l.
Falquera, Schemtob. b. Joseph, das Buch der Grade, herausg. von L. Venetia-
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für
Geschichte der Philosophie.
VII. Band 4. Heft.
Will.
Die Kontinuität im philosophischen Entwick-
lungsgänge Kants.
Von
Harald Hülttliiig in Kopenhagen.
III.
Theorie und Praxis.
17. Wir kehren jetzt von neuem zu Kants Standpunkte von
L762 und den folgenden Jahren zurück, um denselben von einer
neuen Seite zu betrachten. Kant hatte die Notwendigkeil einer
Reformation der Philosophie eingesehen und erwartete das Heil
vorläufig auf dem Wege der Analyse. Wenn aber so vieles un-
entschieden und unfertig dahingestellt blieb, und wenn wir mit Be-
zug auf einige der Grundbegriffe (/.. B. den Kausalbegriff) dem Un-
erklärlichen gegenüberstanden, kann der Inbegriff theoretischer
Philosophie, über den Kant um diese Zeit zu positiver Darstellung
verfügte, kein grosser gewesen -ein. In .-einem Streben, lieber
eine gründliche als eine weitläufige Philosophie zu besitzen, hatte
er reinen Tisch gemacht. Sogar im „Beweisgrund", der am mei-
i konstruktiven Schrifl aus dieser Zeit, erklärl er. es sei nicht
die Absicht, eine eigentliche Beweisführung zu geben, und Gottes
Dasein bedürfe auch gai keines Beweises. Darauf vertrauend, dass
Arclii. i Geschichte ii. Philosophie, vil. >_
Barald Eöffdinj
der religiöse Glaube eine ganz andere Grundlage als eine Beweis-
führung habe, Btürzte er die ganze Basis der natürlichen TheoL -
um. und ähnlicherweise ging er in den „Traumen" gegen die
Bpiritualistische Psychologie vor. Zugleich scheinen die kosmolo-
gischen Antinomien bei seinem Versuche, die Grenzen der Erkennt-
niss zu finden, von grosser Bedeutung für ihn gewesen zu sein.
I1 - Material desjenigen Teiles der ..Kritik der reinen Vernunft",
den er die Dialektik nennt, und der beim Erscheinen des Werkes
nicht zum wenigsten zu dessen Wirkung beitrug, war also wesent-
lich fertig.
Kants Philosophie musste somit im Gegensatze zu dem vor
Positivitäl strotzenden Dogmatismus ein gewisses negath
präge erhalten. Rani war sich dessen völlig bewusst. Er
braucht von seiner Philosophie den Ausdruck „die Philosophie der
Unwissenheit", auch „die negative Philosophie". Er findet diese
Philosophie die schwierigste unter allen, weil sie bis aui die Quellen
der Erkenntnis zurückgehen müsse um ihr Nicht-Wissen begründen
zu können.
„Wo der Irrtum verleitend und zugleich gefährlich ist, da
sind negative Erkenntnisse und Kriterien wichtiger als p »sitive,
machen <>!'t das eigentliche Objekl unserer Wissenschaft aus ...
Sokjates hatte eine negative Philosophie in Ansehnng der Speku-
lation, nämlich von dem ünwerl vieler vermeintlicher Wissenschaft,
und von den Grenzen unseres Wissens. Der negative Teil der Er-
ziehung ist der wichtigste (Rousseau)"1).
Diese Verweisungen aufSokrates und Rousseau sind für Kants
damaligen Standpunkt charakteristisch. I>a- Wissen des Sokrates
war ja das Wissen, dass er nichts wisse, ein Wissen, das sich auf
die klare Einsichl dessen -rundete, was dazu gehört, etwas zu
wissen, und Sokrates warnte ja ebenfalls vor unfertigen Begriffen
und suchte durch allseitige Erörterung richtige Begriffsbestimmungen
zu erzielen. Was Rousseau betrifft, so zieht Kant in der erwähn-
ten Aeusserung eine Parallele zwischen dessen , negativer Er-
ziehung" und seiner eignen negativen Philosophie. I nter negativer
') Reflexionen Kants. II. S. II u. f. (No. 1 18 -151
Kontinuität im Entwicklung K inte. 15 1
Erziehung verstand Rousseau „eine Erziehung, welche die Organe,
die Werkzeuge unserer Erkenntnis zu vervollkommnen strebe, be-
voi sie uns die Erkenntnis selbsl biete, und welche durch Debung
der sinn«' auf die Vernunft vorbereite. Die uegative Erziehung
lege nichl die Hände in den Schoss, im Gegenteil: siebringe keine
Tugend bei, baue aber dem Laster vor: sie lehre nichl die Wahr-
heit, verhüte aber den Irrtum." Begründel wird sie besonders
durch die Notwendigkeit, die Natur und den Charakter des Indi-
viduums kennen zu lernen, so wie diese sich unwillkürlich ent-
falten, bevor man allgemeinen und überlieferten Regeln gemäss
eingreift. In ihrer Sorge, den Irrtum fernzuhalten und die Gren-
zen der eigentümlichen Natur zu linden, isl sie eine schwier
Kunst — die Kunst: toul faire en ne laisant rien '"')• — In meh-
reren Beziehungen hat das Beste und Berechtigteste der kritischen
Philosophie dem Wesen nach sein Vorbild an Rousseaus Lehre
von der negativen Erziehung. An beiden Orten dienen die Nega-
tion und die Kritik der positiven Entfaltung des Lebens zum
Schutz, während der Dogmatismus sowohl in der Philosophie als
in der Pädagogik eifrig eingreifen und alles nach seinen „ewigen
"Wahrheiten" feststellen nnd regulieren möchte.
Es ist bekannt, in wie hohem Masse die Schriften Rousseaus
Kant interessierten. Als er den „Emile" empfing, hielt dieser ihn
von -einem gewöhnlichen Spaziergang ab. Wären Kants Aufzeich-
nungen und Glossen zu den „Beobachtungen über das Schöne und
Erhabene" aber nicht im äussersten Augenblick aus der Makulatur
eines Gewürzkrämers3) gerettet worden, so hätte man nicht er-
fahren, wie tief persönlich dieser Kindruck war. Bei Kant führte
er eine ganz neue Grundlage der Schätzung der .Menschen und der
menschlichen Verhältnisse herbei. Bisher war Knut Optimist, be-
trachtete die intellektuelle Entwicklung als das Höchste und sah
den Fortschritt durch diese entschieden. Von Rousseau lernte er
einen Massstab des Menschenwerts, der bis zu einem gewissen
Grade von der intellektuellen Entwickelung unabhängig war. Er
• L ttn M. de Bi fs d ceu> res de J. J. Rousseau. P
313. - Emile. Livre II. (Pa : a. f.; l
») Sämtl. W akranz u. Schubert. KI, 1. - f.
152 Rata]
lernte nun. dass der Pol tri zu verachten Bei, bloss weil
er nichts Er „lernte die Menschen ehren". Und er pries
au, weil er die tief verborgene Natur des Menschen anter
den Formen ivilisation, di allzu ofl kten, her-
vor^ a habe*). — Es war hier also tim- Faktische Grund-
menschlichen Lei 11. welche dieses davon unab-
hängig machte, wie di<- wissenschaftliche Erkenntnis des Daseins
und dessen Ursprungs sich 31 itze
für Kam. der ja soeben seine Kritik der natürlichen Th
und der spiritualistischen Psychologie begründel hatte. Ginji
die Gelehrten auch einiger Lieblingsdoktrinen verlustig, - verlor
„die grosse, für uns achtungswürdigste Meng doch oich
18. Es verhall »ich mit diesem Rousseauschen Einflüsse in-
des wie mit dem Humeschen: wäre er uichl durch äussere Zi
oisse sichergestellt, so wurden wir in Kants Schriften keinen zwin-
genden Aula— finden, denselben vorauszusetzen. An und für sich
würde man sehr wohl im Stande sein, au- Kant- Gedankengang,
wie dieser sich 1 T t *» li und während der folgenden Jahre entwickelte,
zu verstehen, dasa er zu derjenigen Distinktion zwischen The
und Praxis kommen musste, die von der Zeit an — also lan
bevor er sie in -einen Vernunftkritiken feststellte — von so grosser
Bedeutung für ihn wurde.
ben der Kritik der Beweise von Gottes Dasein musste auch
die Doppelheil der Motive, die zur Konstruktion des Gottesbegriffes
geführl hatten, zu Tage treten. Die ein,' Gruppe der Motive war
rein theoretischer Art und bestand hauptsächlich in dem Bedürfnis,
die Kaii-alivihe abzuschliessen , die arbeitenden Gedanken in der
Kontemplation eines ..in sich selbsl gegründeten" Wesens zur
Kühe kommen zu lassen. Die andere Gruppe war ästhetisch —
ethischer Art und bestand hauptsächlich in dem Bedürfnis, alles
Wertvolle der Welt in einem einzigen Begriffe zu konzentrieren.
Durch Verschmelzung beider Motivgruppen entstand in der dogma-
tischen Philosophie der Gottesbegriff des ens realissimum, des ln-
riffes aller Realität, 80 da-- Realität dasselbe bedeutete wie
itl. Werke. Ed. Rosenkranz u. Schubert XI. l. S. 240 248.
ki. d. i. \. ii. -'- Aufl. \ - X XXIII.
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kam-, 153
\ illkommenheit, indem Qu N tion und Begrenzung ausdrückende
Eigenschaften ausgeschlossen sein sollten. Schon im „Beweisgrund"
(I. I. 3) bekämpfte Kant die Vermengung der Begriffe Realität und
\ illkommenheit. Vollkommenheit drücke die von einem fühlen-
den und wollenden Wesen angestellte Wertschätzung aus. mithin
könne sie keine absolute Eigenschaft sein. Und in der Abhand-
lung über die negativen Grössen (III. 2. Anm.) macht Kam darauf
aufmerksam, dass man, da Unlust ebenso positiv und real sei als
Lust, den Inbegriff aller Realität nicht mit der höchsten Voll-
kommenheit eins machen könne. Soviel von der metaphysischen
- te. Von der psychologischen Seite aus wird die Sache in der
Schrift über die Deutlichkeit der Grundsätze behandelt, \\<
lieisst (IV, 2): ..Mau hat es nämlich in unseren Tagen allererst ein-
zusehen angefangen, dass das Vermögen, das Wahre vorzustellen,
die Erkenntnis, dasjenige aber, das Gute zu empfinden, das
Gefühl -ei. und dass beide ja nicht mit einander müssen ver-
wechselt werden. Gleichwie es nun unzergliederliche Begriffe des
Wahren, d. i. desjenigen, was in den Gegenständen der Erkenntnis
für sieh betrachtet angetroffen wird, gibt, also gibt es auch ein
unauflösliches Gefühl des Guten (dieses wird niemals in einem
Dinge schlechthin, sondern immer beziehungsweise auf ein em-
pfindendes Wesen angetroffen)." Die praktische Philosophie habe
ihre Grundsätze ebensowohl als die theoretische, und deren l'r-
sprung -ei noch zu erforschen, wovon Hutcheson und andere einen
guten Anfang gemacht hätten. — In der „Nachricht von der Ein-
richtung seiner Vorlesungen'' wird geäussert, richtige moralische
Urteile könnten ohne den Umschweif von Demonstrationen kraft
dessen, was man Sentimenl nenne, vom menschlichen Herzen
fällt werden. Es wird aul Shaftesburj . Hutcheson und Hume als
diejenigen verwiesen, welche im Aufsuchen der ersten Gründe der
Moral am weitesten gelangt seien. Kant verweisl hier aul Rous-
l£ Vorg An Rousseau selbst werden wir erinnert, sowohl
wenn Kant als Grundlage der Ethik ein Studium der mensch-
lichen Natur verlangt, dir unter der Mannigfaltigkeil der äusseren
Verhältnisse leicht verkannt werde, als auch, wenn es zur Auf-
gabe gemacht wird: zu entscheiden, welche Vollkommenheit dem
l.M Uura
im Zustande der natürlichen Einfalt, und welche ihm
in dem di d Einfall gebühre ), Aber mir. weil wir auf
and "• lousseaua Einflusa auf Kanl erfahren, werdeu
diese Spu atlich.
Kaut befand sich, wie man sieht, auf einem Wege, der ihn
dahin bringen m mit Rousseau zu sympathisieren. Der Ein-
lln>- des ! ' wahrscheinlich wie der des Hume erweckend,
nend g . h.it eine schnellere und entschiedenere Ent-
reita spriess odei Gedanken herbeigeführt, bestand aber
;it in positiver Mitteilung von einem das nichl als Mög-
lichkeil in ignen vort nden Entwickelung gelegen hi
Nicht zum w< i war es von Bedeutung »eau lehrte,
Menschen hätten auf dem intellektuellen sowohl als auf dem
materiellen Gebiete viele eingebildete Bedürfnisse. Noua pou\
hommes sans etre savants! — Jeune homme, sachez etn
aorant! — sagl der savoyische Vikar zu sein« : aüler. Indem
Kanl mm den Bruch mit der dogmatischen Spekulation vorberei-
tendem er die Grundlage der natürlichen Theologie und der
spiritualistischen Psychologie gestürzl hatte, musste er an Rous-
is Gedankengang eine Stütze linden. Im abschliessenden Ab-
schnitt der „Träume eines Geistersehers" isl dies deutlich zu spüren,
hdem er die spekulativen und visionären Versuche, die Geister-
well zu betreten oder zu erblicken, kritisiert hat, bricht er aus:
(Wieviel !• .loch, dir ich nicht einsehe!" — setzt aber
sogleich hinzu: „Und wieviel Dinge giebt es doch, die ich nicht
brauch«
Die Emanzipation der Ethik von der Metaphysik und der
Theologie war -"mit gegeben. Kanl erkennt aber nicht allein eine
\"ii der Tl rie unabhängige Grundlage des Ethischen an - er
geht noch einen Schritt weiter, indem er ausspricht, es würde so-
- n bedenklich sein, sollte da- moralische Handeln nur durch
den Glauben an da- .1 Qseits motiviert werden. Statt die Moral
aul die Religion zu -runden, müsse man umgekehrt die Religion
I Kanl weil spätei . unt
auf i Schriften, in Beiner Abhandlung: «Mutmasslicher
Kontinuität im Entwicklung Kants. 155
auf die Moral gründen. Diejenigen, «reiche von der künftigen
Weh Bescheid haben wollten, müssten warten, bis Bie dahin
kämen. Vorläufig wüssten sie, dass sie ihre Pflichl thun soUten,
und mehr brauchten sie nicht zu wissen. Kanl beschliessl seine
geniale Schrift wie Voltaire denCandide: Lassl uns m den Garten
gehen und arbeiten!
Auch ;m diesem Punkte ist also Kontinuität der früheren und
der späteren Werke. Der Schlussabschnitl der „Träume" wird
zwanzig Jahre später in der „Kritik der praktischen Vernunft"
weiter entwickelt. Und dass die erworbene Einsichl während der
Zwischenzeil behauptel wurde, ist daraus zu ersehen, da>> in der
Dissertation (§ 9) ausdrücklich zwischen dem höchsten theoreti-
schen und dem höchsten praktischen Begriffe gesondert wird.
L9. Mit Bezug auf die Grundlage, auf welche Kant die von
Metaphysik und Theologie unabhängige Ethik gründete, haben im
kaufe seiner Entwickelung bedeutende Abänderungen stattgefunden,
-i /war. dass ein gewisses Grundgepräge den verschiedenen von
seiner ethischen Auffassung durchlaufenen Stadien gemeinsam ist.
In den „Beobachtungen über das Schöne und Erhabene"
(17<U [1763]) wird die wahre Tugend schon von bestimmten
Grundsätzen abhängig gemacht im Gegensatz zur „adoptierten Tu-
gend*, die auf unmittelbaren natürlichen Neigungen, z. 1>. dein
Mitleid und der Gefälligkeit beruhe. Das Charakteristische für
diesen, den ersten ethischen Standpunkt Kants ist, dass die Grund-
sätze, aufweichen die echte Tugend beruhe „das Bewusstsein eines
ien, das in jedem menschlichen Busen lebe, . . . das Ge-
fühl von der Schönheil und der Würde der menschlichen Natur"7).
Durch das prinzipielle Hervorheben der Bedeutung der allgemeinen
Grundsätze trennt Kant sich von den englischen Ethikern, auf die
er sich übrigens während dieses Zeitraumes stützt. Die Grund-
sätze selbsl entwickelten -ich seiner Meinung nach dadurch, dass
man sich seines Gefühls von der Schönheil und Würde der mensch-
lichen Natur bewusst werde. Dieses Gefühl sei also das moralische
Beobachtungen übet Schönen und Erhabenen. Koni
1764. -
156 Sarai i II ffdin
ihl. Im diesem Bei, wie es in den „Träumen eines Geister-
seh. itwickelt wird, das Gefühl des Einzelnen an den allge-
meinen Willen gebunden: „Eine geheime Macht nötigt uns, uns
sieht zugleich auf andrer Wohl oder nach fremder Willkür zn
richten, ob dieses gleich öfters ungern geschieht and der eigen-
nützigen Neigung stark widerstreitet; — and der Punkt, wohin
die Richtungslinien unsere] Triebe zusammenlaufen, ist also nicht
bloss in uns, sondern es Bind noch Kräfte, die uns bewegen, in
dem Wollen anderer ausser uns . . . Dadurch sehen wir ums in
den geheimsten Bewegungsgründen abhängig von der Regel des all-
leinen Willens, und es entspringt daraus in der Well aller
denkenden Naturen eine moralische Einheil und systematische Ver-
fassung nach bloss geistigen 1 1 - ■< q"
Kants Ethik srdi! hier auf rein psychologischem Boden, v
sich in der einzelnen Stimmung und dem einzelnen Falle kund-
gibt, wird demjenigen untergeordnet, was die Rücksicht aut die
ganze Welt, der das Individuuni angehört, erheischt. Des erwei-
ten, durch die umschauendste Erfahrung bedingten Gefühls wer-
den wir uns in allgemeinen Grundsätzen bewusst und kontrollieren
diesen gemäss die Regung und das Bedürfniss des Augenblicks.
Durch diese Unterordnung des Begrenzten unier das Universelle
erhalt das ethische Gefühl den Charakter des Erhabenen, und eben
deshalb wird es von Kant in den „Beobachtungen" erwähnt.
20. Kant blieb bei dieser Verbindung der Psychologie mit
der Ethik nicht stehen. Seine Analyse bewog ihn auf dem
ethischen wie auf dem erkenntnistheoretischen Gebiete zu einer
scharfen Sonderung zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, zwi-
schen Form und Stoff. Ea Bcheint sogar, als hatte er diese
Distinktion früher im ethischen als im theoretischen Bereiche ge-
funden9). Die psychologisch-genetische Auffassung, die er in den
•) Traun G sehers. [, 2. Kehrbachs Ausg. S. 23.
Brief an M. Hei/ vom 21. Febr. 1772: „In der Unterscheidung des
SinnlicbeQ vom rntellektualen in dei Moral und den daraus entspringenden
Grundsätzen hatte ich es schon vorher [vor der Dissertation von 1770]
auch weil gebracht." Vgl. Briet an Herder, 9. Hai 1767, an Lambert
1770.
Kontinuität im Entwicklungsgang« Kants l.'n
„Beobachtungen" and den „Träumen" noch als mit der Ethik
vereinbar ansah , schob er beiseite, damit das Ethische seine Quelle
in der reinen Vernunft finden könnte. Der Einfluss des Dilemmas,
.las er nun zwischen Vernunft und Sinnlichkeil aufstellt, wird der,
dass alles Gefühl zum sinnlichen Teile unserer Natur gerechnet
wird'"), zum Stoffe, dem Empirischen, zu dem. wobei wir ans
passiv, nicht selbstthätig verhalten. In diametralem Gegensatze
zum Standpunkt der „Beobachtungen" sollen nun die Grundsätze
das Gefühl bestimmen, nichl alter umgekehrt. Das moralische Ge-
fühl wird nun das durch das Bewusstsein des universellen Gesets
bestimmte Gefühl der Achtung. Achtung vor anderen Persönlich-
keiten wird dadurch begründet, dass sie Organe des moralichen
- seien, des nämlichen Gesetzes, das wir selbst in unserem
Innern merkten. Und während Kant in den „Beobachtungen" «las
Gefühl von der Schönheil der menschlichen Natur neben dem Ge-
fühl von deren Würde nannte, ist dieses Schönheitsgefühl spätei
in seiner Ethik ganz weggefallen. Dieses Gefühl setzte eine Har-
monie der Elemente der menschlichen Natur voraus, die Kant
wegen seines scharfen Gegensatzes zwischen Vernunft und Sinn-
lichkeil nicht mehr annehmen konnte. Deshalb erregte Schillers
Zusammenstellung von „Anmut und Würde- so grosses Bedenken
in ihm. Obschon es seine Meinung war. die Pflicht müsse freudig
und freimüthig geübt weiden. >ollten doch keine sinnlichen Ele-
mente mitbethätigt sein. Der Freimut müsse ausschliesslich eben
durch die Entfaltung der inneren Kraft des Vernunftwillens I -
dingt .-ein. nicht aber zugleich durch das harmonische Verhältnis
zur sinnlichen Natur. Jedenfalls dürfe die Anmut nicht der Würde
vorangestellt werden: denn auch wenn das Pflichtbewusstsein die
Anmut zur Begleiterin Italien könnte, dürfte es diese doch ^ar nichl
berücksichtigen. Die Stimmung, die (las Pflichtbewusstsein erre
trage den Charakter des Erhabenen, nicht aber den des Schönen,
und wo es das ethische Handeln betreffe, müssten sich die Grazien
in ehrerbietiger fern,' halten. Erst wenn Herkules die' Ungetüme
„Alles Gefühl i-< sinnlich." Kritik der praktischen Vernunft. I
[Kehrbachs ,\
Harald Böffdinj
bezwungen habe, könne ei sich anter Musen and Grazien he-
gen1')•
barf auch der Gegensatz zwischen Kant- früherem und
i definitiven ethischen Standpunkt - in mag, sind wir dennoch
im stände, mit Bilfe der in den letzten Jahren veröffentlichten
utischen Aufzeichnungen den Obergang von dem einen Stand-
punkt zum anderen zu verfolgen.
21. Wenn Kaut seiner eigenen \ nach von Rousseau
„die Menschen ehren" lernte, und wenn er (in den „Beobachtung«
das moralische Gefühl als das Gefühl von der Würde der Mensch-
heit auffasste, worauf beruhte denn in seinen Augen diese Ehre
und Würde? — Es tritt hier schon früh ein Hauptzug in Kants
ethü Auffassung hervor, der dieselbe nie vi . obgleich
Kant ihn auf sehr verschiedene Weise philosophisch erklärte. Dies
ist der Wert, den er dem Vermögen beilegte, das Einzelne und
Wechselnde dem Allgemeinen und Unveränderlichen, Eindrücke
und Stimmungen dem trotz aller Geschicke festen Grundsatze,
passiv Empfangene <U'\- geistigen Aktivität unterzuordnen. Di
Zug bewirkte, das- er schon in den „Beobachtungen0 das moralische
uhl auf das Gefühl des Erhabenen zurückführte, ebenso wie er
auch später (siehe sowohl die „Kritik der praktischen Vernunft"
als die ..Kritik der Urteilskraft") diese beiden Gefühle nähr ver-
wandt fand. ,sn zwar, da— er das moralische Gefühl nicht mehr
zum Gefühl des Erhabenen rechnete, sondern vielmehr den ent-
tzten Weg einschlug, indem er das Gefühl des Erhabenen
dadurch erklärte, dass er ein Mitwirken des moralischen Gefühls
annahm.
Zum Verständnisse der Änderung in Kant- ethischer Theorie,
die im Zwischenräume von 1766 (den Träumen) bis 1770 (der
Dissertation) vorgegangen zu sein scheint, könnte vielleicht folgende
Betrachtung dienen. — Je mehr jenes gegensätzliche Verhältnis
des Einzelnen, Wechselnden, Passiven einerseits zum Universellen,
") Kants \nt .• \:imut und R iner
alb d< Vernunft". 2. Aufl. S. i<> u. f.
— \ \n!/' aai li dem Leset : hen A!>-
■• I Blätter I. S. 120; 126 u. t.
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kant-.. |.v. i
Pesten, aktiven andererseits betont wurde, um so mehr mnsste für
Kant etwas unbefriedigendes darin liegen, die Grundsätze als da-
durch entstanden zu denken, dass wir ans des moralischen Gefühles
bewussl würden. Sie scheinen hierdurch von Zufälligkeiten abhängig
zu worden. Ein durchaus sicherer Ausgangspunkt des Ethischen
wäre dagegen zu erreichen, wenn die Aktivität der Vernunft als
das Erste und Ursprüngliche gesetzt und das Gefühl mit- als deren
Produkt betrachtel würde. Das Verhältnis zwischen Grundsatz
und Gefühl wäre also umzukehren, wenn die Richtung, in wel-
cher Kants Ethik schon in den „Beobachtungen" und den „Träu-
men" ging, tlut durchgeführt werden sollte, und dass di
Tendenz durch Kants unermüdliches Bestreben, zwischen dem
„Reinen" und dem „Empirischen" zu -in. lern, verstärkt werden
musste, ist selbstverständlich. Vielleicht bekam der Begriff des
Keinen in Kants Augen unmerklich einen Anstrich des Morali-
schen. Es liegt allenfalls eine Zweideutigkeit in der Weise, wie er
von dieser Zeit an den Ausdruck „Sinnlichkeit'' von allen Ele-
menten der menschlichen Natur mit Ausnahme der Vernunft
braucht.
Er entlernte sich nun von den englischen Moralphilosophen,
auf die er früher verwiesen hatte, und betracht als einen
- i Fehler, dass diese die moralischen Kriterien auf das Gefühl
der Lust und Unlust zurückgeführt hätten. Er erblickt keinen
prinzipiellen Unterschied zwischen dem Standpunkte des Shaftes-
burv und dem des Epikur (Dissertatio § 9), was schon Mendels-
sohn (Brief an Kant 23. Dec. 1 770) mit Recht tadelte. Die mo-
ralischen Begriffe sullten jetzt nicht mittels der Erfahrung, sondern
mittels der reinen Vernunft erkannt werden, und die Moralphilo-
;iie gehöre mit Bezug auf die ersten Prinzipien der Wert-
schätzung (prineipia dijudicandi prima) zur reinen Philosophie
(Dis>. § 7: 9). — Wie Kam sich in dii Stadium die Begrün-
dung des Ethischen näher gedacht habe, ist nicht zu erfahren. Es
Jen ind serungen und Entwürfe vor. welche zeig lass
ethischen Theorie, die ei in der „Grundlegung zur Metaphysik
der Sitten" und in der ..Kritik der praktischen Vernunft" ent-
wickelte, eine Theorie vorhergeht, die Über-
Barald ll.tt.lii,
gangsglicd der älteren psychologisirenden und der jüngeren rationa-
lst ik bild
In den „Reflexionen" findet sich aus rinn- Zeit, die der
mng dei „Dissertation" nicht fern liegt: b sie nun auch,
;h Auffassung des II bers, vor dieser voraus liegt, eine
• Begrifl praktischen [dealismus, welcher
zufolge derselbe darin bestehe, dass die Glückseligkeit uicht von
der äusseren Welt abhänge, oder ausführlicher: „dass die Welt
nur da* ;. wozu wir sie machen, dass si< in fröhlichen
Gemütern heitere, and in trübsinnigen düstere Ansichten gel
- li Gründe eines glücklichen Zustandes in uns selbst zu suchen
m. Und diesen praktischen Idealismus nennt Kant ausdrücklich
ii [dealismus nicht des Hirngespinstes, sondern der Vernunft,
den [dealismus der W eisheit".18)
Nichl wenig mit dem solchergestall bestimmten praktischen
[dealismus ist die Auffassung verwandt, » l i * * in den von R. Reick<
hera en „Losen Blättern aus Kants Nachlass" in einem
ralphilosophischen Entwürfe zum Vorschein kommt. Bier wird
die Moralitäl definiert als „die [dee der Freiheit als ei
Prinzips der Glückseligkeit". ..Es ist wahr, die Tugend hat
den Vorzug, dass sie aus dem, was Natur darbietet, die grösste
-ill'alirt zuwegebringen würde. Aber darin besteht nicht ihr
hoher Wert, dass sie gleichsam zum Mittel dient. Dass wir
selbst sind, die als Urheber sie unangesehen der empirischen
Bedingungen (welche nur partikuläre Lebensregeln geben können)
hervorbringen, das Selbstzufriedenheil bei sich führe, das
ist ihr innerer Werl ..Nur der ist fähig, glücklich zu sein,
dessen Gebrauch seiner Willkür nicht den datis zur Glückseligkeit,
die ihm Natur gibt, zuwider ist . . . Glückseligkeil isl eigentlich
nicht die imme des Vergnügens, sondern die Lust aus
dein Bewusstsein seiner Selbstmacht zufrieden zu sein, wenig-
stens ist dieses die wesentliche formale Bedingung der Glückselig-
keit, eich noch andere materiell (wie bei der Erfahrung) er-
lerlich sin', Glückseligkeit muss von einem Grunde a priori,
aen Kants. 11. S. 119. No. ll 16; 1 1 1
Kontinuitäl im Entwicklung Kants. |f,|
den die Vernunft billigt, herkommen." „Freiheit ist an sich solbsl
ein Vermögen, unabhängig von empirischen Gründen zu thun und
zu lassen . . . Ich l>in frei aber nur vom Zwange der Sinnlich-
keit, aber nichl zugleich von einschränkenden Gesetzen der Ver-
nunft . . . Diejenige Ungebundenheit, dadurch ich wollen kann,
was meinem Willen seihst zuwider ist, und ich keinen sichern
Grund habe, auf mich selbsl zu rechnen, muss mir im höchsten
Grade missfällig sein, und es wird a priori ein Gesetz als not-
wendig erkannt werden müssen, nach welchem die Freiheil
auf die Bedingungen restringiert wird, unter denen der
Wille mit sich selbst zusammenstimmt. Diesem Gesetze
kann ich nicht entsagen ohne meiner Vernunft zu widerstreiten,
welche allein praktische Einheit des Willens nach Prinzipien
festsetzen kann." „Die Freiheit nach den Gesetzen einer durch-
gängigen Zus.ammenstimmung mit sieh seihst wird den Wert und
die Würde der Person ausmachen." 13)
Der diesen Äusserungen zu Grunde liegende ethische Stand-
punkt unterscheidet sieh von dem in den „Beobachtungen" zu Tag<
tretenden durch seinen rationalistischen und individualistischen
Charakter. Derselbe findet das Höchste in der Aktivität, durch
die der Einzelne der Schöpfer seines eignen Glücks zu sein ver-
möge, und findet als das wesentliche Gesetz dieser Aktivität., dass
,3) Lose Blätter. I. S. 10 — 15. Dieses Fragment war von dem Eera
geber, dem Berrn Bibliothekar Rudolph Reicke, den achtziger oder neunziger
Jahren zugeschrieben. Da es mir aus dem Inhalt klar war, dass es aus einer
Zeil herrühren müsste, die der 1785 erschienen „Grundlegung zur Metaphysik
der Sitten" vorausli te ich den Berausgeber um Aufschluss über die
Gründe, die ihm hei der Bestimmung des Ursprungs des .Manuskripts mass-
gebend gewesen wären. Herr !!<;rk. war so gütig, ii ie aufs neue zu
untersuchen und teilte mir in einem Privatbriefe vom 10. Nov. 1892 mit, dass
nichts verwehre, das Fragment den Siebzigern zuzuschreiben, dass ei es jedoch
nach den Schriftzügen I die achtziger setzen möchte; es in die ueun-
i zu s erlegen, sehe er nun für unmöglich an. Blöglicherweisi
Ende der siebziger oder Anfang der achtziger entstanden. Ich möchte glauben,
sei einige Zeil vor der letzten Redaktion d i „Kritik dei reinen Vernunft"
isst, da nichl die • ntschii dem Imperativische Ethik hat, die schon
in dei „Kr. d. r. Vera." angedeutet isl die Lehre von dem
intelligibeln Charakti r.
Sara
das Individuum mit voller Eonsequenz, in Uebereinstimmung mit
■d. ■':. handle. Es ist hierein wesentlicher Schritt in der Richtung
Lhan, das Hauptgewicht auf die formale Seite des Ethischen zu
legen. Dass ethisch« l tz müsse, vom Inhalt abgesehen, eben
aus der Freien Thätigkeil entspringen, und könne dann nur deren
istbegrenzung14) durch die Notwendig^ o, die Ueberein-
stimmung mit sich selbst zu behalten. Kant hatte hier einen
Hauptpunkt seiner Ethik erreicht: das innere Verhältnis zwischen
Handlung und Gesetz, ein Verhältnis, d h seiner Auffassung
nur dann das rechte werden könnte, wenn das Gesetz rein formal
wäre: nur dann könnte es apriorisch sein, von allem bestimmten
Inhalt absehen. In genetischer Beziehung ist jene- moralphil
phische Fragment daher äusserst inti t. Ein Problem bildet
wegen seines eudämonistischen und individualistischen Charak-
-. der es in Gegensatz zu dem früheren sowohl als dem späteren
Standpunkt stellt. Das Verhältnis zwischen Tugend und Glück-
seligkeit, das für Kants spätere Ethik eine so schwierige Fr;
wurde, dass nur religiöse Postulate sie erledigen konnten, enthielt
die>em „praktischen Idealismus0 gemäss keine prinzipielle Schwierig-
keit. Die .'in— eren Güter müssten aufgegeben werden, oder man
müs li jedenfalls bereit machen, auf solche zu verzichten;
dies wird aber durch das Freiheits- und Machtgefühl aufgewogen,
das hier als das höchste Gut dasteht, wie es auch dadurch be-
stimmt wird, was hier die höchste Tugend ist. Der Standpunkt
des Fragments bildet in Kam- moralphilosophischer Entwickli
einen Schwenkungsbogen analoger Art wie die „Dissertation" in
-einer erkenntnistheoretischen Entwickelung. Von | Wichtig-
■ war an beiden "neu die scharfe Distinktion zwischen Form
und Inhalt, /.wischen dem a priori und a posteriori. Diese wurde
für die Zukunft entscheidend. I >i<- schärlere Form, anter welcher
dieser Gegensatz in Kants definitiver Ethik auftritt, führte unter
anderem auch den Gegensatz der Tugend und der Glückseligkeit
Dei \u-'iHi.i de Fragments von der Begi Freiheit möchte
K i. d, r. V. i ii." ei innei n, l. Aufl. wo die I von „dem
l'nii p durch die Vernunft der an Freiheit Schran
setzt," und * als ethisches Ideal aufgestellt wird.
Kontinuität im Entwicklungsgange Kants. 163
herbei, der sich nur atff dem Wege des religiösen Postulats
lösen liess.
Wollte man sich denken, was Kant von dem Standpunkte
des Fragments zu seiner definitiven Ethik geführl haben kann.
Liegt es nähr, darauf hinzuweisen, wie er in seiner theoretischen
Philosophie dazu gelangl war. .las Allgemeingültige als das mit
der Natur aller vernünftigen Subjekte üebereinstimmende zu be-
stimmen. In Analogie hierzu wurde »las moralische Gesetz Dicht
nur der Ausdruck der (Jebereinstimmung des einzelnen Individuums
mit sieh seihst, sondern es drückte auch die Erhaltung des Ver-
nuuftzusammenhanges überhaupt, den Zusammenhang des Indivi-
duums mit der gesamten intelligibeln Well aus. So heissl es in
einer Aufzeichnung aus den siebziger Jahren: „Die intelligible
Well hat Gesetze, nach welchen ich für jede Well passe, nicht
bloss für diese oder die Sinnenwelt, in welche Einrichtung meiner
eigenen und äusseren Natur oder Gesellschaft ich auch komme . . .
Sic passl mit deu Regeln der Klugheit, wenn diese erweitert
wird.*15) Die letzten Worte scheinen eine Entwickeln!!- aus dem
früheren rationalistischen Standpunkt in den definitiven anzudeuten.
Mittels der Idee von der intelligibeln Welt hat Kant es trotz des
Formalismus erreicht, seiner rationalistischen Ethik einen sozialen
Charakter zu verleihen, den seine erste, psychologisch-motivierte
Ethik eben durch ihre Genesis besass.
Auch eiue ganz andere (iedankenreihe war wahrscheinlich hei
diesem Uebergange mitbetheiligt, und zwar eine Gedankenreihe, die
rade psychologisch-historischen Charakters war. und tue insofern
nur wenig mit dem rationalistischen Wem; übereinzustimmen scheinen
könnte, den Kant eingeschlagen hatte. Im Anfang der achtziger Jahre
war Kant mit dem Gedanken stark beschäftigt, die menschlichen
Naturanlagen, insoweit sie den Gebrauch der Vernunft beträfen,
könnten nur im Geschlechte, nicht aber im einzelnen Individuum
zur völligen Entwickelung gelangen, da die Entwicklung der Vei
nuni'i eine viel längere Zeit erfordere, als die Lebensperiode des
einzelnen Individuum- betrage. Das Ziel der menschlichen Ent-
Reflexiom □ Kants. II. S. :«! (No. 1158).
\i\\ II
vickelung könne daher kein individuelle odern müsse ein
uni - Ziel, 'in Ziel für alle, nicht bloss (ur diesen oder jenen
izelnen sein. Di I idankei liegl einer merkwürdigen
Abhandlung Kant- zu Grunde, der rIdee zu einer allgemeinen
schichte in weltbürgerlicher Absicht", die 1784, das Jahr vor
der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", erschien, in dem
angeführten Gedankengang hat man zum Teil die Erklärung zu
suchen, weshalb Kant das Moralgesetz nun nicht als die formale
■1 für das isolierte Streben des einzelnon Individuums auffat
lern als diejenige Regel, die das individuelle Streben mit dem
Streben aller Vernunftwesen in Uebereinstimmung bringe. Kant
selbst onbewusst ist es eine aus psychologisch -historischer Er-
fahrung abgezogene Idee, die seiner definitiven Ethik ausser dem
rationalistischen Charakter auch den universalistischen mitteilte.
Eben jene universelle Formel, die Kant zum Moralprinzip macht.
enthält gleichsam eine Erinnerung an eine Gesellschaft von [ndi-
viduen, deren verschiedene Willen in Harmonie zu
bringen sind; sie ist in eigentlichem Sinuc eine [dealisirung der
für den Verkehr persönlicher Wesen, welche die Erfahrung
uns zeigt16), her grosse Wert der Kantischen Formel beruht
rade hr Kant selbsl dies auch bestreiten möchte — auf
diesem ihrem krypto-empirischen Ursprung!
-'.>. Endlich hat auch eine erneute Untersuchung und Analyse
des anmittelbaren ethischen Gefühls grossen Einfluss auf die Ent-
stehung der definitiven Ethik Kants geübt Ebensowi sich
nachweissen liess, dass Analyse und Konstruktion bei der Grund-
legung der Kantischen Erkenntnistheorie zusammenwirkten, ebenso
linden wir auch beide Methoden bei der Grundlegung Beiner Ethik.
Es sind gerade die Nachwirkungen dieser unmittelbaren Berührung
mit dem Ethischen in der Praxis, die Kam- Schriften (vorzüglich
der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten") eine' so frische und
kräftige Farbe verleihen. In der „Grundlegung" bahnl Kant sich
ade den Weg zur eigentlichen Moralphilosophie durch Analyst
h bierübe] bereits bemerkte in
Grundlage dei humanen Ethik." (Bonn
K mtinuitäl im Entwicklungsgange Kants. 465
der „allgemeinen sittlichen Vemunfterkenntnis" — so «renig er
sonst auch der psychologischen Erfahrung Irgend welchen Einfluss
auf die ethischen Ideen zugestehen will. Durch diese erneute
Analyse fand er nun als einen Eauptzug des Ethischen, dass der
Einzelne sich in seinem Innern an ein Gesetz gebunden fühle,
welches der Ausdruck seines eignen innersten Wesens sei und ihn
zugleich einem grossen Vernunftreiche als Glied einverleibe. Das
moralische Kriterium werde nun dies, ob der durch die Handlung
ausgedrückte Grundsatz zu einem allgemeinen Grundsatze gemachl
werden könne. Diese Lehre bildel eine Analogie zur Lehre von
dem gesetzmäßigen Zusammenhang der Erscheinungen als Ausdruck
wirklicher Erfahrung.
Dem Gesetze entspricht die Kraft. Von dem moralischen Ge-
setz als einer sich in allem Pflichtbewusstsein kundgebenden That-
sache schliessl Kant auf diejenige reine Selbstthätigkeü der Ver-
nunft, die er Freiheit nennt (in einer der mehreren Bedeutungen,
in der er. hider, dieses Wort gebraucht). Denn unmittelbar lasse
sich die Freiheit, die Selbsthätigkeit nicht auflassen, und ebenso-
wenig könne sie aus der Erfahrung abgeleitet werden. Des mora-
lischen Gesetzes würden wir uns unmittelbar bewusst, und dasselbe
bewege zur Annahme der Freiheit als des Vermögens, von allen
sinnlichen Bedingungen unabhängig zu handeln. 17) Das moralische
Gesetz sei der Ausdruck der Autonomie der Vernunft. l8) Indem
der Einzelne dem Gesetze seines eignen Wesens gehorche, befolge
er zugleich das allgemeine Gesetz der geistigen Welt.
Hierdurch unterscheidet sich Kants Ethik von der früheren
rationalistischen Ethik, wie sie von den „Intellektualisten" des
17. Jahrhunderts und von Price ausgestaltet wurde. Wenn diese
l7) Kritik der praktischen Vernunft. §6. Aiim. (Kehrbachs Ausg. S. 53).
Vgl. Lose Blätter I, S. 120. — Wenn es an einzelnen Orten, z.B. in dei
undlegung" S. 107 heisst: rda>. was in ihm [dem Menschen] reine
Thätigkeil sein mag, gelangt unmittelbar zum Bewusstsein," so ist aach dem
Zusammenhange da- Wort „unmittelbar" als Gegensatz zu „durch Affizierung
der Sinne" zu verstehen.
„Das moralische Gesetz i>t das Gesetz der Autonomie der reinen
praktischen Vernunft.- Kritik der praktischen Vernunft. Kehrbachs S
■3.
Archiv f. Geschiebte d. Philosophie, vii od
Harald Hc ffdin
Ethische auf die Vernunft gründeten, verstanden sie hierunter
den objektiven, vernünftigen Zusammenhang der Dinge, «Im der
Mensch mittel« seiner Vernunft auffasse, und vor dem ersieh dar-
auf beuge. Die Vernunft als menschliches Vermögen hatte liier,
wir IV. Jodl sich treffend ausdrückt,") eine bloss rezeptive Wir-
kung auszufahren, sich Dämlich die Vernunft anzueignen, die man
sich in den Weltverhältnissen gegeben dachte, und >ie bei ihrem
Bandeln anzuwenden. Kam- praktische Vernunft dagegen ist, wie
seine theoretische Vernunft, der Ausdruck <i oen innersten
Wesens des Menschen, Bin [nbegrüf der Gesetze Pur die G
thätigkeit des Menschen. Der tiefeinnige Gedanke in Kam- defini-
tiver Ktilik ist der, <la» der Mensch, indem er sich des moralischen
setzes bewusst werde, sich bewussl werde, ein Bürger zweier
verschiedener Welten zu sein, die in seiner Person zusammenträfen:
,Das moralische Sollen ist also eignes ootwendiges Wollen als
Gliedes einer intelligibeln Welt and wird aur so fern von ihm als
Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt
betrachtet."80) In streng rationalistischer Form hat Kant hier aufs
neue einen Gedanken entwickelt, der unter empirischer Form in
in den „Beobachtungen" zum Vorschein kam. wo ei sich auf die
Würde der menschlichen Natur berief. Diese Würde ist es, die
er tiefer begründen zu müssen glaubte, als die Psychologie dies
vermochte. Die Idee der Würde des Menschen ist das kontinuir-
liche Element in Kam- Ethik; was aber variiert, ist die Be-
gründung.
rrotz ihre,- erhabenen Charakters stützt sich Kants rationa-
listische Ethik, als Glied seiner kritischen Philosophie betrachtet,
dennoch aui ein« ••• Inkonsequenz. Die Parallele der theore-
tischen und der praktischen Vernunft wird nicht festgehalten. Den
Feind, den Kant mit den Wallen der Kritik bekämpft, erblickt er
auf den beiden Gebieten als höchst verschieden. Aul' dem theore
tischen Gebiete ist es die Spekulation, der transcendente Gebrauch
der Begriffe, den er bekämpfen will. Die .Kritik der reinen Ver-
") Geschichte dei Ethik in der neueren Philosophie. 1. Mönchen l
121.
Grundlegung zui Metaphysik dei Sitten. 3. Aufl. Riga 1792. S. 113.
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. 161
nunt'r entspricht Ihrem Namen, denn sie ist wirklich eine Kritik
der Vernunft. Die „Kritik der praktischen Vernunft" isl aber gar
keine Kritik der Anwendung der Vernunft auf ethisch-praktischem
Gebiete, wie man aus dem Titel und der Analogie zu jenem Haupt-
werke vermuten möchte, und Kant selbst gibt dies eigentlich zu.
Die Aufgabe ist hier, sagt er (Einleitung. Von der [dee einer
Kritik der praktischen Vernunft), „die empirisch- bedingte Vernunfl
von clor Anmassung abzuhalten, ausschliessungsweise den Bestim-
mungsgrund dos Willens allein abgeben zu wollen".") Dagegen
untersucht er nicht die Anmassung der reinen Vernunft, der aus-
schliessliche Bestimmungsgrund sein zu wollen, sondern nimmt
ade an, dass das Ethische hierin allein bestehe. Er räumt nicht
ein, Jass eine kritische Untersuchung über die Berechtigung der
Vernunft auf dem praktischen Gebiete anzustellen sein könnte,
obschon er dennoch stark hervorhebt, wie unerklärlich es sei, dass
die reine Vernunft den Willen eines sinnlich -bedingten Wesens
bestimme. — Es rächt sich hier, dass die psychologische Grund-
lage beiseite geschoben ist.
IV.
Das Kopernikanische Prinzip.
24. Ich kehre zu Kants theoretischer Philosophie zurück, um
zu untersuchen, wie der Wendepunkt von 1769, der die eigent-
liche Grundlegung der kritischen Philosophie herbeiführte, sich dem
kontinuierlichen Entwickelungsgange Kants als Glied einfügen lässt,
und wie nach und nach die Konsequenzen dieses Wendepunkts
gezogen wurden.
Was 1762 erreicht war, bestand in der Erkenntnis, dass die
Begriffe, mit denen man bisher in der Philosophie operiert hatte,
unbrauchbar, unfertig seien: die Analyse sei nicht durchgeführt;
von philosophischer Konstruktion könne erst in ferner Zukunft die
Rede weiden. Kant hatte nicht die Hoffnung auf eine abschliessende
theoretische Philosophie aufgegeben, die über Fragen, welche ausser-
halb des Gebietes der Erfahrung lägen, Aufschluss zu geben ver-
'-'') Vgl. aähei hiernbei A. Fouillee: Critique des systemes de Morale
Paris 1883. S. 129—142.
33*
Harald Höffdinj
mocht Er kehrte sich aber mit Spott und Ironie gegen die
Dogmatiker, die von allen Schwierigkeiten anangefochten ihre
aufbauten und alle Problem« - hieden. Seine Auf-
merksamkeil richtete sich auf die Methode und auf die Bestim-
mung der Grenzen der Erkenntnis, and er hatte schon angefangen,
von einer Kritik der Vernunft zu reden. Im die Grenzen der
Vernunfterkenntnis zu finden, operierte er oach der Methode
der Antinomien, indem er in dem Widerspruche zweier, jeder rar
sich begründeten Gedankenreihen einen Beweis erblickte, dass die
Vernunft sich zu weil gewagt habe. „Ich suchte,"") si twaa
Gewisses, wenn nicht in Ansehung des Gegenstandes, doch in An-
sehung der Natur und der Grenzen dieser Erkenntnisart. Ich fand
allmählich, dass viele von den Sätzen, die wir als objektiv an-
sahen, in «Irr Thal subjektiv seien, «I. i. die Konditionen enthalten,
unter denen wir allein dm Gegenstand einsehen oder begreifen."
Von drni Inhalt des Bewusstseins Bich abwendend richtete Kant
also seine Aufmerksamkeil auf die eigene Thätigkeil des Bewusst-
seins und machte diese zum Gegenstand seiner Analyst l eber
das Verfahren dieser Analyse wurde oben (§6) geredet.
Es ist eine solche Analyse, dir ihn nicht nur zwischen Form
und Stoff, sondern auch zwischen Anschauen und Denken zu son-
dern bewog. So beissl es in den „Prolegomena" S. 119): „Bei
einer Untersuchung der reinen (nichts Empirisches enthaltenden)
Elemente der menschlichen Erkenntnis gelang es mir allererst nach
langem Nachdenken, die reinen Elementarbegriffe der Sinnlichl
(Raum und Zeit) von denen des Verstandes mit Zuverlässigkeil zu
unterscheiden und abzusondern." — Zugleich entstand die Ueberzeu-
gung in ihm. wir hätten an jenen Elementarbegriffen der Sinnlichkeil
nur den Ausdruck derjenigen Formen, anter denen wir der Natur
unseres sinnlichen Vermögens gemäss die Dinge auffassten, nicht
aher den Ausdruck des eignen Wesens der Dinge, und dass nur
deswegen mathematische Naturerkenntnis möglich sei. Dies waren
die wichtigen Schritte, dir Kant lTt'.'.i thal und in der Dissertation
von 1 T7<) entwicke]
aen Kants. II. S, i Ni
Kontinuität im Entwicklung Kants. Ii'i'.i
25. An- dem vorhergehenden Jahre haben wir eine kleine
interessante Abhandlung von Kant: „Vom ersten Grunde des
Unterschiedes der Gegenden im Räume." Er verteidigt hier New-
tons Auffassung, der zufolge der absolute Raum jeder einzelnen
Bestimmung des Raumes zu Grunde liege, gegen Leibniz' Auffassung
des Raumes als einer Eigenschaft öder eines Verhältnisses, das
durch die Natur und die Thätigkeü der Dinge bestimmt sei. Be-
sonders stützt er sich darauf, dass man mit Bezug auf ganz gleiche
und dennoch inkongruente Körper (wie z. B. die linke und die
rechte Hand) den Ort der Teile nicht bestimmen könne "Im«'
den Raum ausserhalb der Körper zu berücksichtigen. Bieraus
schliesst er, der Kaum als Totalität liege der Bestimmung des
einzelnen Ortes zu Grunde.
Im Laute des nächsten Jahres (1768 — 1769) muss es Kant
nun klar geworden sein, dass der „absolute Raum" nicht ein Ob-
jektives und Reales, sondern eine subjektive Form, ein Schema
unserer Auffassung der Dinge sei. Hirn- haben wir also ein Bei-
spiel de- Umsetzens aus objektiver Realität in subjektive Bedin-
gung, das er in der oben angeführten Aeusserung erwähnt. In
diesem Zusammenhange ist es von Interesse, zu bemerken, dass
Kant das nämliche Argument, dessen er sich in der kleinen Ab-
handlung von 1768 bediente, um Newtons Raumauffassung gegen
die Leibnizsche zu beweisen, später (Prolegomena § 13)a3) gebraucht,
um seine eigne Lehre von der Subjektivität des Raumes gegen die
-'wohnliche Annahme von dessen Objektivität zu beweisen. Es
i-r mithin deutlich, dass Newtons Anpassung eine Station auf
seinem Wege war. Wer sich so viel wie Kant mit dem Studium de»
Newton beschäftigt hatte, dem lag es auch nicht so fern, die Um-
setzung aus dem Objektiven ins Subjektive auszuführen. Newton
ste den Kaum als sensorium dei auf. ein Gedanke, mit dem
Kant sich augenscheinlich viel abgab"4). Es kam also nur darauf
an. statt „sensorium dei" „sensorium hominis" zu setzen, was denn
-3) Siehe hierübei „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft."
Riga L786. - 7 u. f.
her Benno Ei dmann in den „Reflexionen Kai
II. S. 104 u. f. (Anm.)
470 Harald Böffdin
ofalls einem ! • h damit ! • . die allgemeine
tur and Thätigkeil der menschlichen Erkenntnis zu untersuchen,
nicht s . konnte. — chwirkungen der Newton-
scheu Aufl findet mau in den psychologischen Schwierig
in welche Kants Theorie vom Räume sich verstrickt, weil sie <lic
Bestimmung des Raumes als eines I aendlichen beibehält und ihn
dennoch als Form der in der Erfahrung thätigen sinnlichen An-
schauung, deren Gi in Endliches sein muss, auf-
-;. — Schwierigkeiten, die Kant selbsl unterstreicht, indem
vom Räume als einer gegebenen Unendlichkeit sprich!
Die Beweisführung, mittels deren Kant Kanin und Zeit als
subjektive Anschauungsformen darzulegen sucht, besteht teils in
direkter Anal- ila in einem apogogischen Beweis. Der Kürze
wegen rede ich im Folgenden nur vom Räume, da Kants Räsonne-
ment hinsichtlich der Z oem Räsonnemenl von dem Kanin«'
durchaus parallel verläuft.
iVr Kaum müsse eine Form der Anschauung sein, weil
ans eine Ganzheit darstelle, deren wir uns durch successives Zu-
sanu jsen der Teile, durch Synthese bewusst winden. Ein
Verstandesbegriff dagegen zeige uns nur die Zusammensetzung der
Ganzheit als durch die Teile bedingt, ohne uns ihre Entstehung
zu zeigen. Für die Anschauung sei der einzelne Teil durch die
Ganzheit bedingt, umgekehrt aber für den Verstand (Diss. § l; 15
roll.). - Wenn anderseits der Kanm nicht eine Form der
schauung sondern ein Verstandesbegriff wäre, so würden die Be-
griffe der Kontinuität und der Unendlichkeit «'inen Widerspruch
enthalten, welcher wegfalle, sowie man dieselben auf das stetige
und, dem Principe nach, unaufhaltsame Fortschreiten von Teil zu
Teile stütze (Diss. § 1: 2, III).
Eine doppelte Beweisführung — eine direkte and eine apag
gische — wird ebenfalls angewandt um darzulegen, dass der Raum
nur eine subjektive Auffassungsweise sei.
B Erd in ann in den „Reflei
M'st hat in eil
I» i 1 1 Im- y im Anh. eh. d. Philosophie III
ii Abhandlun ifzuklärei bt
Kontinuitäl im Entwickluni Kants. 1 < 1
Fassen wir den Kaum als ein subjektives Schema auf, in
welchem wir alle in uns entstehenden Empfindungen ordneten
(schema coordinandi), so müssen die Gesetze des Raumes auch
für alle materiellen Erscheinungen gelten. Denn alles, was wir
sollen auffassen können, muss ein Gegenstand der ordnenden
Geistesthätigkeil (vis animi, omnes sensationes coordinans) werden.
Die Gesetze der Sinnlichkeil müssen deshalb notwendigerweise die
Gesetze der Na im- sein, und hierdurch wird die Anwendung der
imetrie in der Naturwissenschaft erklärlich: die nämliche An-
schauung, aus der die Geometrie entspringt, gebrauchen wir ja
allemal, wenn wir etwas mittels des äusseren Sinnes auffassen
wollen. Die Gültigkeil der angewandten Geometrie sei also ein
einfacher Schluss aus der Subjektivität der Form des Raumes
(I)iss. § 15 C — E.). — Anderseits: „Wäre nicht der Begriff des
Raumes durch die Natur des Geistes ursprünglich gegeben, so
würde der Gebrauch der Geometrie in der Naturwissenschart sehr
unsicher sein: denn man könnte ja noch zweifeln, ob dieser von
der Erfahrung entlehnte Begriff auch mit der Natur hinlänglich
übereinstimme" (Diss. § 15 E.).
Kants Beweisführung ist von Interesse, weil sie uns zeigt, wie
direkte Analyse und antinomische Schlussreihen Hand in Hand
ii. Nachdem er mittels der Analyse gefunden hat, der Raum
sei eine synthetische Anschauungsform, zeigt er, dass eine andere
Annahme uns zu Widersinnigkeiten führen würde. Und indem er
hierauf dazu übergeht, die ferneren Schlüsse aus dem solchergestalt
Dargelegten zu ziehen, untersucht er die beiden Möglichkeiten: der
Kaum sei subjektiv, oder er sei nicht subjektiv, und zeigt, dass
beide das nämliche Resultat ergeben, dass die Möglichkeit der an-
gewandten Mathematik nämlich an die Subjektivität der Au-
schaungsformen gebunden sei. Hier linden wir den Abschluss der
langen Reihe von Analysen und Antinomien, durch die sich Kaut
zu dem entscheidenden Principe seiner Erkenntnistheorie empor-
arbeitete.
Die>e> Prinzip können wir. mit Benutzung *U:s bekannten
Vergleichs in der Vorrede zur zweiten Auflage der „Kritik der
reinen Vernunft" das Eopernikanische Prinzip nennen. D
i;-_> Harald Hüffdin.
selbe Bprichl aus, dass unsere Erkenntnis der Welt durch ein»
Natur der Erkennte s< ist, und dass wir. wenn
deren uns bekannt sind, a priori entscheiden können,
welchen allgemeinen Gesetzen die Erscheinungen unterworfen -
müssen. — Prinzip offenbarte Bich Kant nicht sogleich in
er ganzen Trag« ch nicht r war. In
der Dissertation wird es nur auf die sinnliche Anschauung, nicht
mit den Verstand angewandt. Während dir sinnliche Anschauung
uns die Dinge nur als Phaenomena . d. b. bo, wi - sich
unserer Auffassung darstellten, die ihnen die Formen u zu-
sammenfassenden Anschauung verleihe, solle der Verstand noch in
■ •II reinen Begriffen (Substanz, Ursache, Möglichkeit, Wirklich-
keit, Notwendigkeit n. s. w.) zur Erkenntnis der Dinge an sich.
Inneren Wesens des Daseins führen können. Nach Kants eigner
Aussage hatte es ihm lang • N chdenken gekostet, den von der
gmatischen Philosophie verwischten Unterschied zwischen An-
schauung und Verstand festzustellen. Kein Wunder denn, dass
glauben konnte, diese beiden verschiedenen Zweige unseres Er-
kenntnisvermögens seien verschiedenartigen Bedingungen unter-
worfen, so dass die Subjektivität und die Begrenzung auf die Er-
scheinungen nur der Anschauung, aber nicht dem Verstände gölten.
Di.- ehrwürdige, von Piaton herrührende Distinktion zwischen dem
Phaenomena und den Noumena, die er nun auf eignem W
funden hatte'-'"), musste für ihn ganz natürlich dem Unterschied
zwischen Anschauung und Verstand entsprechen. Es liegt jedoch
nichts Neu.- in derjenigen Erkenntnis der Noumena, die er noch
auf dem Wege des Denkens für müidich ansieht. Dieselbe besteht
Dei Ausdruck „intelligible Welt" findel Bich schon in den „Träumt
l T. 2. Hauptst.), \\" er, offenbar mit Hinblick auf Leibniz1 Monadenwelt,
von der auf jen Substanzen bestehenden Well der „mystischen Ph
sophie" I dz selb druck „mundus
intelligibilis" \"ii der Monadenwelt (Epistola ad Banschium. Op. phil. ed.
Erdmann 8. 145 C), oder, was auf dasselbe herauskommt, von der Welt der
ZwecJ ■ \niin;i(l\. im Princip irtesiana. Phil. Sehr. Gerhardt [V,
B. Erdmann und R. Riedel wiesen nach, \\;i- durch d
!,- ausführlich bestätigt wird, dass Kants intelligible Welt die I
nizische Monadenwelt mit angemessener Modifikation ist
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kants. I * : *
wesentlich in dem aus dem „Beweisgrund* und älteren Schriften
bekannten Gedanken von dem Einheitsgrunde des Daseins als oot-
wendiger Bedingung der gesetzmässigen Wechselwirkung der Natur.
(Siehe oben §4.) Die Dissertation stehl hierdurch in kontinuir-
licher Verbindung mit Kants früherem Gedankengange, indem sie
zugleich mit ihrem Kopernikanischen Prinzip auf die „Kritik der
reinen Vernunft" vorwärts deutet.
Friedrich Paulsen, der die Erweckung in das Jahr 1769
verlegt, fassl die Dissertation als eine durch Humes Einfluss her-
beigeführte Reaktion gegen die skeptischen Neigungen der vorher-
gehenden Jahn- auf. Ich glaube, dass er ihr einen gar zu grossen
Gegensatz zu der zunächst vorhergehenden Periode beilegt. Kant
hatte niemals die Boflhung auf ein abschliessendes Resultat auf
dem Wege des Denkens aufgegeben, obschon deren Erfüllung einer
unbestimmten Zukunft überlassen wurde. In der Schrift, in der
er sich am meisten als Skeptiker zeigt, hatte er seihst erklärt, er
sei in die Metaphysik verliebt, und in einem gleichzeitigen Briefe
hatte er geäussert, es komme nur darauf an, die Metaphysik ihres
uatisehen Gewandes zu entkleiden. Psychologisch ist es ver-
ständlich, dass er glaubte, dem Zieh' näher gekommen zu sein,
nachdem er den Unterschied zwischen Anschauung und Verstand
und das Kopernikanische Prinzip in dessen Anwendung auf die
Erkenntnis der Sinnlichkeit entdeckt hat Einen Augenblick
glaubte er die mehrere Jahre lang gesuchte definitive Bestimmu
der Grenze gefunden zu haben. Hierzu kommt, dass diejenige Er-
kenntnis der Noumena, die Kant in diesem Stadium für möglich
hält, doch nur symbolisch ist, indem es an jeglichem Anschauui
datum gebricht. Wie streng Kant auch zwischen Anschauung und
Verstand sondert, so schärfl er doch schon jetzt ein (Diss. § 10),
äs aller Stoff unserer Erkenntnis durch die Sinnlichkeit aufge-
nommen werde. Und die Verstandesbegriffe nicht minder als die
Anschauungsformen werden als Ausdruck der Natur der erkennen-
den Geistesthätigkeil aufgefassl (Ibid. §8). Dies ist vielmehr eine
Begrenzung als eine Erweiterung des ooumenalen Wissens.
26. Was Kant uoch fehlte, um seinen definitiven Stand-
punkt zu erreichen, war die Durchführung des Kopernikanischen
IT | Harald II ffdin
Prinzips Lnbetreff allei \ »raussetzungen unserer Erkenntnis
nnd somit die Erweiterung des Phänomenalismus bis zur Gültigkeil
für all schaftliche Erkennte Daseins. Es könnte
ü. als wäre er dem Ziele nicht mehr fern, nachdem der erste
Schi ja am meisten zu kosten pflegt, ! a durch die
Grund! der kritischen Lehre vom Räume und von der Zeil
tan war. Es kostete Kant indes eine elfjährige Arbeit, den
ritt vollends zu machen. Ein Beweis dei in Gewissen-
haftigkeit des Forschers, und zugleich ein Zeugnis, wie höchst ver-
schieden sich die Sache dem mitten in den Problemen steckenden
Denker mnl dem zurückschauenden Historiker stellt! Schon aus
praktischen Gründen isl rständlich, dass Kant sich sträubte,
die Erkenntnis definith von dem Dinge an sich auszuschliesf
Die Durchführung des Phänomenalismus wurde ihm erst möglich,
als ithische Theorie sich bo ntwickell hatti js er in dem
ethischen Grundfaktum eine Möglichkeit erblickte, diejenige Well
zu betreten, die nun der theoretischen Erkenntnis abgesperrt wurde.
Das „Unbedingte", das er nicht mehr durch die Erkenntnis um-
fassen konnte, musste er jetzl im Glauben unterbringen; nun erst
sah er seine Aufgabe als gelöst an, indem er „praktische Data"
eine.- Begriffes gefunden habe, den er nicht aufgeben könne, dessen
theoretische Data er aber aufgelöst habe87). Die Hauptschwierig-
keit war indes, wie aus den „Reflexionen0 zu ersehen, ein« tl
retische. Es handelte sieh ja darum, ••inen Gesichtspunkt der
Verstandesthätigkeit zu linden, mittels dessen auch für diese gültig
werden könnte, was rücksichtlich der sinnlichen Anschauung nach-
gewiesen war, trotz des in der Dissertation so stark hervorgehobenen
(Jnterschiei
Dennoch entstand die eigentliche Kantische Philosophie mit
der Dissertation, - fasste Kant Belbst es auf. als er (in den
Briefen an Garve und Mendelssohn) die ..Kritik der reinen 7er
iiiinlt1' für das Produkl einer zwölfjährigen Arbeit erklärte, und
• „Kritil aen Vernunft" 2. \ut1. s. \ IX XXII,
praktischen Data* als Verifikation des „Kopernikanischcn Prinzips"
Gravitatioi v Bkation der
Kontinuität im Entwicklung Kants. 175
als er das Jahr 1770 zur Grenze der Schriften machte, die er
wieder gedruckt zu sehen wünschte. (Siehe oben § 1.) Ich ver-
mag nicht zu sehen, dass die von Benno Erdmann aufgestellte
Behauptung, die Erweckung habe erel gegen Mitte der siebz
Jahre stattgefunden, hiermil vereinbar ist. In diesen Jahren kam
es ja auf die Durchführung eines schon gefundenen Prinzipes an,
eines Prinzipes, das an und für sieh einen Bruch mit dem Dog-
matismus voraussetzt. Kant kann, als er 1783 die bekannten
Zeilen der Vorrede zu <hn\ Prolegomena schrieb, die dm Kant-
'forschern so viel Kopfzerbrechen verursachen sollten, denjenigen
Zeitraum nicht in zwei scharf gesonderte Teile Italien teilen wollen,
den er sonsl als eine Ganzheil betrachtete. Die definitive Sperrung
des Zutritts zu den Dingen an sich ist allerdings eine epoche-
machende Begebenheit. Der Ausdruck „Erweckung" passl aber
nicht für diese, wogegen derselbe sehr wohl für eine Aenderung
der Forschungsweise passt, die jene Sperrung als letztes Ergebnis
herbeiführte.
27. In der Dissertation wird unterschieden zwischen einem
blos logischen Gebrauch des Verstandes, der in Vergleichung,
Nachweisung der Identität und der Verschiedenheit bestehe, und
einem realen Gebrauch, der nicht näher charakterisiert wird, der aber
absolute Gültigkeit, nicht nur Gültigkeit für die Erscheinungen besitze,
während der logische Gebrauch nur zur Anordnung der Dinge diene.
Die zwischen der Dissertation und der ..Kritik der reinen Vernunft"
liegende Denkarbeit geht auf eine nähere Untersuchung ans. wie
ich mit diesem „realen Gebrauch"28) verhalte. Das Problem
stellte sich (wie aus Kants Briefen an Lambert und Hertz zu er-
sehen) sogleich nach dem Erscheinen der Dissertation ein. Wenn
die Verstandesbegriffe oder „intellektualen Vorstellungen", deren
wir uns bedienten, um auf dein Wege des Denkens in das Wesen
der Dinge einzudringen, die Thätigkeitsart unseres Geistes aus-
drücken, wie lass sich dann darthun, dass sie Gültigkeil für
das Dasein selbst besitzen? "der wie es im Briefe an Hertz \
Ausdruck „realei Gebrauch «Irr Vernunft", als
blos ler „Kritik dei rein» i Vernunft"
vor, jedenfalls in der Dialektik (2. Aufl.
176 Harald Höffdin
21. Februar 1772 li- Wenn solche intellektuale Vorstellungen
[in der 1' Q genannt: di iffe Möglichkeit, Wirk-
lichkeit, Nota Substanz, Ursache] auf unsrer innern
Thätigkeit beruhen, woher kommt die I instimmung, die
mii ständen haben sollen, <li<- doch dadurch nicht etwa hervor-
rachl werden, und d imata der reinen Vernunft über di •
jenstände, woher stimmen sie mit diesen überein, ohne dass
instimmung von der Erfahrung hat dürfen Bilfe entlehnen?"
Zmn Leitfaden dieser Untersuchung hatte Kant die Entdeckung
in der Dissertation. Es könne, was die mathematischen Grund-
verhältnisse betreffe, ein apriorisches Wissen von der sinnlichen
• ■li. weil die mathematischen Grundbegriffe 'li.- G
der synthetischen Konstruktion ausdrückten, die sich in jeder sinn-
lichen Anschauung an den Ti s Nun ist es klar, dass der
reale Gebrauch des Verstau Kant seine früher so kräftig
verteidigte Auffassung des Denkens als einer Analyse behaupte
als Rätsel dastehen musste. Es führte Kant einen grossen Schritt
vorwärts, als er so entschieden einschärfte, alles Urteilen sei Ver-
gleichen. („Ueber die falsche Spitzfindigkeit.") Nun kam es dar-
an, eine tiefer gehende Auffassung der Verstandesthätigkeit zu
rinnen, so da>> diese sich in Uebereinstimmung mit «Irr sinn-
lichen Anschauung finden könnte. Den Verstand geradezu als eine
Anschauung zu betrachten, würde zur .Mystik rühren. Welcher
Ausweg war hier zu finden?
An- den „Reflexionen" und den „Losen Blättern" kann man
sehen, wie unermüdlich Kant die verschiedenen Grundbegriffe be-
arbeitete, die den Inli.'ilt der älteren Ontologie ausmachten, bis er
dies nannte Wissenschaft dahin änderte, dass sie die „Ana-
lytik des Verstandes" wurde. Allerersl galt es, dieselben aui
wisse Hauptbegriffe zurückzuführen, um darauf in letzteren den
sdruck bestimmter Arten i\r\- Verstandesthätigkeit zu ßnden.
Schon in dem genannten Briefe an Hertz erwähnt er seines Stre-
bens, „alle Begriffe der gänzlich reinen Vernunfl in eine -
Zahl von Kategorien zu bringen, wir sie sich seilet durch einige
wenige Grundgesetze des Verstandes von selbsl in Klassen ein-
teilen". Zwei Wege waren liier einzuschlagen. Man konnte von
Kontinuität im Entwicklungsgänge Kam-. 1 < (
einer Analyse derjenigen Grundbegriffe ausgehen, mit denen der
Verstand operiert, am die Gesetze der Thätigkeit des Verstandes
zu finden, oder auch konnte man suchen, die Gesetze der Thätig-
keü des Verstandes direkt zu bestimmen, um hieraus wieder zu
finden, welche Hauptarten der Grundbegriffe der Verstand seiner
Natur gemäss auf den gegebenen Stoff anwendet. Kant scheinl
beide Wege benutzt zu haben.
Erst hat er sich mit verschiedenen Zusammenstellungen und
Einteilungen der „ontologischen" Begriffe vorgefühlt. Er verweilte
z. B. bei den Begriffen Vergleichung, Verbindung und Beziehung
(oder Zusammenhang), und besonders untersuchte er die Begriffe
Verbindung und Vergleichung und fand, dass durch alle beide
< 'Iterationen, die sie ausdrückten, eine Einheit zuwegegebracht oder
festgestellt würde: „Alle Einheit ist entweder der Vergleichung
oder der Verknüpfung. Die erste ist. sofern etwas mit viel an-
derem einerlei ist: die zweite, insofern viel in einem Grunde ver-
bunden sind-'1)." Er untersuchte die Begriffe Substanz, Ursache
und Wechselwirkung, die ihn offenbar besonders interessierten
Und auch hier war es der Begriff einer durch tue Denkform l>c-
wirkten Einheit des Vielfältigen, den er vorzüglich beachtete: „Der
Begriff Substanz und Accidenz gibt an sich selbst eine Synthesis,
ungleichen Ursache und Wirkung, und Menge in einer realen Ein-
heit [Wechselwirkung]. Nun muss die Natur nach den verschie-
denen Verhältnissen auf den innern Sinn durchaus unter einer
dieser Syntheses stehen30)." Den Begriff Synthese scheint er an-
fangs nur auf diese drei Verhältnisse angewandt zu haben, die er
früher unter dem Ausdruck „Relation" sammelte. So heisst es in
einer Aufzeichnung, die der Entstehung der eigentlichen Kategorien-
lehre vorausgeht: „Nur von der Relation gelten objektiv synthe-
tische Sätze der Erscheinung31)." Es kann uns (nach dem im
-'9) Reflexionen Kants. II. S. L43 (No. 461). Vgl. S. 164 ;No. 525 u. f.).
*>) Lose Blätter. I. S. 18 u. f. Vgl. Reflexionen Kants. II. S. 174 — 181
N i. 562—587).
31) Lose Blätter. I. S. 17. — Den Ausdruck „Relation" hal Kau:
der Aristotelisches Kategorientabelle entlehnt. Bi gebrauchte denselben mit
Bezug auf die obengenannte K ihn zur Bezeichnung
einer Klasse von urteilen anwandte, siehe hierüber Adickes: Kaut- Syste-
1 . - "
d Kapitel Abhandlung Entwickelten) nicht «rundern,
mtlicb diese Klasse der K i Kant g, den
grifl d 8 auf die Verstandest!] il auszudehnen und
lil zugleich zu entdecken, das Kopernikanische Prinzip
auch für diese gelten müsse. - Schon im An: D rtation
hatte er es als "•'nun gemeinsamen Gesichtspunkt aller unserer Er-
kenntnis angedeutet, dass diese teils auf »enen Elementen
ein Ganzes bilde, teils Totalitäten in ihre Elemente auflöse. II
durch entstanden zwei Grenzbegriffe: <la> absolul Einfache (simplei
b. pars quae oon est totum) und >la~ Weltganz* mundus s. totum
quod oon est pars] Es wurdi tuf die beiden jen Grund-
operatiom Synthes« and die Analyse hingewiesen, an
musste nun die Fraj stehen, welche derselben die primitiv
Im dei Dissertation wurde nun rucksichtlich der Anschauung
eilt, dass sie auf Synthese beruhe. Der grosse Fortschritt,
den Kant während der siebziger Jahre in der Psychologie der
kenntnis machte, war nun die Entdeckung, dass nicht nur ;ille»
whauen, sondern auch alles Denken in Synthese bestehe, wenn
man aui die Grundform der Denkthätigkeit zurückgehe, und d
die Analyse im Verhältnis zu dieser stets sekundär sei, da man
nur das bereits Verbundene auflösen könne. Es leuchtete Kant
nun ein, dass nicht nur die Anordnung in Raum und Zeit, son-
dern auch die innere Verbindung der Erscheinungen, die uns
Erkenntnis zuwegebringe, von einer „Verkettung" der Vorstellun-
herrühre, vom einer inneren Bewusstseinshandlung, die aus
den gegebenen Elementen ersl ein wirkliches Ganze herausbrii
Ohne solche Bewusstseinshandlung keine Erfahrung; also müi
Allgemeingültigkeit besitzen
matik al inbildender Faktor. Berlin 188*3 - — Vielleicht wurde
er durch den Begriff dei Relation dahin geleitet, lufmerksamkeil auf
,u richten. Vgl. Reflex N> Vernunft enthalt nichts
Relation i N i9l „Die Kati g orie des Verhältnisse
Einheit des B I die vornehmste untei allen. Denn
Einh lil betrifft eigentlich uui das Verhältnis, also macht di<
den Inhalt ile üb erb.au . und lasstsich allein apriori
1 im ml <l>- D
i Blattei i
Kontinuität im Entwicklung Kants. 1 79
Das Kopernikanische Prinzip stand also, soweit ersichtlich, in
seiner vollen Tragweite für Kanl fest, sobald er durch Unter-
suchung der Kategorien die Synthese als gemeinsame Bestimmung
aller Erkenntnisthätigkeil gefunden hatte, unser Geist, unser Ich
stand ihm daher als Urbild oder Vorbild aller zu erkennenden
Objekte da. (Siehe oben §5 Schl'uss; 12; 15.)
Die Untersuchung der gangbaren ontologischen Grundbegriffe
und die Nachweisung ihres Ursprungs aus einer synthetischen
Geistesthätigkeil war indes nicht ausschliesslich der Weg, auf wel-
chem Kant zu seiner Kategorienlehre gelangte. Diese war ihm
nur eine vorläufige Methode, die ihn nicht befriedigte, weil sie zu
empirisch war. Sic enthielt keine Garantie, dass alle Grund-
begriffe gefunden seien, und für Kant war es eine Hauptsache,
dass die Grenzen der Erkenntnis sieh a priori, nach vollständig
Untersuchung aller Grundformen der Erkenntnis abstecken liessen.
Dies glaubte er dadurch erreichen zu können, dass er die hehre
von den Urteilen zu Grunde legte, so dass jeder besonderen Art
der Urteile eine gewisse bestimmte Kategorie entspräche. Ehe er
aber diesen Weg einschlug, der ihn bekanntlich bewog, seine Dar-
stellung mit einem grossen scholastischen Gerüste zu beschweren,
stand ihm die allgemeine Idee von der Verstandesthätigkeit als
einer Synthese offenbar klar vor Augen. Dies ist aus den oben
. 'führten Citaten der „Losen Blätter" zu ersehen, wie es auch
durch die „Reflexionen" dargethan wird. So wenn es heisst (Reflex.
\ o. 600): „Die Einheit des Bewusstseins des Mannigfaltigen in der
Vorstellung eines Objekts überhaupt ist das Urteil. Die Vorstellung
eines Objekts überhaupt, insofern es in Ansehung dieser objektiven
Einheit des Bewusstseins bestimmt ist. ist Kategorie." Hier liegt
der Begriff der Synthese der Definition des Urteils zu Grunde.
Dieser musste als Grundbegriff gefunden sein, bevor es sich er-
blicken liess, dass alles Urteilen unter ihn gehörte. Die Dar-
stellung in der „Kritik ihr reinen Vernunft" bezeugl dasselbe.
lli.i- wird der Verstand zuersl als die Fähigkeil bestimmt, mittels
der Begriffe zu erkennen. Eine Erkenntnis durch Begriffe sei
km jetze also eine geistige Funktion voraus, und eine Funk-
fcion -ei zu verstehen als „die Einheil der Handlung, verschiedi
130 Bara
Illingen anter einer gemeinschaftlichen /.u ordnen0 [vgl. die
vis ooordinandi d Dissertation]. Von seinen Begriffen könne nun
der \ stand keinen an Gebrauch machen] als dass er urteile,
d. Ii. die Vorstellung eines Gegenstandes durch eine ändert \
lung bestimm^; nur «Ii«' Anschauung gehe unmittelbar auf den
•and. Die Funktionen des Verstandes könnten insgesamt
inden werden, «renn die verschiedenen Arten, wie in den Ur-
teilen die Einheil verschieden« \ Stellung Irückl würde,
dargestellt werden könnten"). Und dies glaubt Kam nun durch
eine verbesserte Ausgabe der gangbaren logischen Lehre von
teilen bewerkstelligen zu können'4). Hierauf werde ich mich
nicht näher einlassen. So bedeutend Kants allgemeiner Gedanke
von der Verstandesthätigkeit als einem Urteilen und von dein Ur-
teile als einer Synthese ist, so willkürlich ist die Anwendung im
einzelnen, obgleich sich auch hier sein grosses Genie in vielen
wertvollen Gedanken zeigt, die er in dem scholastischen Rahmen
anbringt. Bätte Kant, statl auf die Deduktion eines vollständigen
Systems von Kategorien und Grundsätzen so grosses Gewicht zu
legen, sieh an den allgemeinen Gedanken gehalten, dass die L<
sehen Grundsätze, welche die formelle Gültigkeil der Urteile be-
dingen, auch für alle Erfahrung, für allen Zusammenhang der Er-
scheinungen, die sich uns darstellen sollen, gültig sein müssen,
hätte er viele Unklarheit und Willkür vermieden, und die trans-
cendentale Analytik als die Lehre von der Möglichkeil der an-
wandten Logik würde dann der „transcendentalen Aesthetik"
als der Lehre von der Möglichkeit der angewandten Mathe-
matik lehrreich zur Seite gestellt sein.
28. Die „subjektive Deduktion" (d. h. die auf psychologische
Analyse gestützte Ableitung der Natur des Erkenntnisvermögens .
mittels deren es Kant gelang, die Synthese als Grundform der Er
kenntnis zu bestimmen und eine Uebersichl der speziellen Formen
zu geben, unter denen sich diese an den Tag legt, war für ihn
Kritik d. r. Vera. 1. \utl. S. 67—69 Von dem logischen Vei i
Wie Kant das System dei Urteile zu seinem „transcendentalen* Qi
iche ändert in adickes: Kants Systematik U.
Kontinuität im Entwicklungsgange Kants. |-*1
jedoch nicht die Hauptsache. Seine Hauptaufgabe war im Gegen-
teil die objektive oder transcendentale Deduktion, der Nachweis
der Gültigkeil und der Grenzen der Vernunfterkenntnis. Hier
bildet die analytische Untersuchung der Formen nur die Einleitung
und die Grundlage. Es war. wie er an Garve schreibt (T. Augusl
1783), seine Aufgabe, „eine ganz neue und bisher unversuchte
Wissenschaft" zu gründen, „nämlich die Kritik einer a priori ur-
teilenden Vernunft", die „aus dein blossen Begriffe eines Erkennt-
uisvermögens (wenn er genau bestimmt sei) auch alle Gegenstände,
alles, was man von ihnen wissen könne, ja selbst, was mau über
sie auch unwillkürlich, obzwar trüglich zu urteilen genötigt sein
würde, a priori entwickeln könnte". Mit Recht beklagt er sich,
dass er an diesem Punkte bei der ersten Beurteilung seines Haupt-
werkes so gröblich missverstanden sei, und dies hatte zur Folge,
dass die psychologische Analyse in seinen späteren Darstellungen
mehr in den Hintergrund trat. (Siehe oben § 13.) Das An-
ziehende der ersten Aullage der „Kritik der reinen Vernunft" be-
steht gerade in der Frische und Ausführlichkeit, womit der Begriff
der Synthese in seiner Bedeutung für die Funktionen der Erkennt-
nis, von der sinnlichen Anschauung an bis zu dem höchsten Denk-
akt, dargestellt wird. Es ist die Frage, ob nicht diese in der
2. Autlage bedeutend verkürzte Darstellung dasjenige ist, was in
Kants Lehre am tiefsten liegt und den anhaltendsten Wert besitzt.
Wie so oft ist es nicht der bewusste Hauptzweck, sondern die
untergeordneten Zwecke, deren Verfolgung zur Erreichung des
enteren notwendig war, die das bedeutendste Ergebnis herbei-
führten.
Die Bedeutung des Kantischen Synthesebegritls ist erstens die,
dass Kant uns hierdurch zeigt, was damit gemeint ist, ein
Ding zu verstehen. Seine Erkenntnislehre stützt sieh auf den
einlachen Gedanken, dass „etwas verstehen" soviel ist als es in
möglichsl engem Zusammenhange mit allem anderen uns Bekann-
ten erblicken. Eine verbindende Geistesthätigkeit muss sich bei
aller Erkenntnis geltend machen; nur wenn wir eine solche an-
wenden können, haben wir uns den gegebenen Stoff angeeignel
und fühlen wir die eigentümliche Befriedigung, die damit ver-
Arcln\ i hie VII, . '. 1
182 Harald Höffdin
bunden ist, dass einem Bedürfnisse abgeholfen wird. Was wir
nicht verstehen, das isl das [solierte und Zusammenhangs]
türlich L:il>t es viele Grade zwischen den beiden äussersten
Punkten: dem \ retehen und dem Nicht-verstehen, «lein Zusammen-
hang und der Zusammenhangslosigkeit, und, wie wir oben (§ ll
und 15) sahen, beging Kant den Fehler, diese Unterschiede des
Grades nichl zu beachten. l>a- isl aber Bein Verdienst, dass er
der erste war. der das Problem der Erkenntnis auf diese einfache
Weise betrachtete. Es isl ein Ei des Kolumbus, das er fand und
auf die Spitze stellte. Merkwürdigerweise hatte II nun- da--. 'ihr
Ei gefunden, li< h aber entrollen. In seiner „Treatise"
(welche Kant nicht kannte), kam llun. otlich zu demselben
Grundbegriffe, den Kant in der ..Kritik der reinen Vernunft"
reichte. Hier führte Hume nämlich das Problem der Erkenntnis
von den speziellen Problemen (vorzüglich dem Problem von der
realen Gültigkeit der Geometrie und von dem Kausalverhältiw
aui diejenige Grundschwierigkeit zurück, die für ihn - wegen der
atomistischen Psychologie, von welcher er ausging in der Ver-
bindung der Vorstellungen überhaupl lag. Das Rätsel lag
ihm schliesslich in dem Einheitsprinzipe (the uniting principL
Kaui zeigt nun. dass der Unterschied zwischen dem Verständlichen
und dem Rätselhaften darauf beruht, ob das Zusammenfassen in
kontinuierlichem Zusammenhange stattfinden kann, oder ob eine
solche Funktion nicht möglich Ist. Die verbindende Funktion kann
man min offenbar nur dann rätselhaft linden, wenn man entweder
davon ausgeht, dass das Zusammenhangslose das Verständliche
wäre, "dm- wenn man nach dem grösseren Zusammenhang fragt,
durch welchen unsere zusammenfassende Funktion wieder bedingt
ist. Ersterer Weg führt ins Sinnlose; letzterer führt zur Auf-
stellung des äussersten Problems, das die Erkenntnistheorie und
die Psychologie überall finden können, und das deren Grenzen be-
zeichnet: das Problem nämlich v lern Ursprünge der Erkenntnis
selbst oder des Bewusstseins überhaupt im Universum. Der Gedanke
of hun I. :;. 1 1 (ed. Selbj Oxford If
S. LI - I. Appendix, (ibid.
Kontinuität im Entwicklung Kants 183
ist sein eignes letztes Problem"). — Es wäre sicherlich von grosser
Bedeutung für Kants Entwicklung gewesen, hätte er in einem früh-
zeitigen Stadium seiner Laufbahn mit Humes Hauptwerke Be-
kanntschaft gemacht. Her Zusammenstoss der beiden grossen Den
ker würde dann eine noch mehr zentrale Frage betroffen haben,
und Kant wäre vielleicht bewogen worden, dir psychologische
Grundlage seiner Erkenntnistheorie vollständig durchzuarbeiten,
während er sich anderseits eine weitläufige scholastische Midie
hätte sparen können. Das Ei wäre früher und leichter auf dir
Spitze gestellt werden. Es war eine für die folgende Geschichte
der Philosophie unheilvolle Handlung, die Hume beging, als er.
missvergnügt über das geringe litterarische Glück, das sein Jugend-
werk machte, und verdrießlich über die ungeziemenden Angriffe,
denen es von theologischer Seite ausgesetzt wurde, dieses gro
artige Werk verleugnete37).
Während Kant mittels seiner beharrlichen Denkarbeit einen
Grundbegriff fand, der ihn über die atomistische Psychologie, die
dem Empirismus zu Grunde lag, hinaus führen konnte, hatte er mit
Hilfe desselben Grundbegriffes eine Auffassung vom Wesen des
Geistes erreicht, die ihn über die erschlichenen Begriffe des spiri-
tualistischen Dogmatismus hinaus führte (vgl. oben § 8). Gegen
den Empirismus, der die Einheit des Geistes mir als ein Resultat
der vielfachen Eindrücke betrachten wollte, behauptet er die ein-
heitliche Thätigkeit als das Grundgepräge des geistigen Lebens.
das sich nicht durch äusseren Einfluss allein erklären lasse; gegen
den Spiritualismus, der dieses Grundgepräge zwar erblickt, es aber
36) Vgl. meine Psychologie. 2. Ausg. S. 487.
") Eduard Grimm (Zur Geschichte des Erkenntnisproblems. Leipzig
1891 M siehl in diesei Verleugnung ein Eingeständnis des Einseitigen
„im Treatise" von seiten Humes Dass das Biotin abei entschieden das oben
führte war. is1 deutlich zu ersehen teils aus Humes Selbstbiographie,
• aus dem Briefe, in welchem Hume seinen Verleger ersuchte, die Er-
klärung, durch die er den „Treatise" verleugnete, der „Inquiry" als Bei
mitfolgen zu lassen. Letters ol David Hume to William Straban. Edited
i.y c. Birkbeck Hill. Oxforl 1888. S. 288 u.f. Aus letztgenanntem Grunde
Hume auch die „Dialoge" Dicht vor seinem Tode erscheinen. Ibid.
•
.;i
JM Bara
b auf eine mystische Substanz hinter dem Bewusstsein
zurückführen will, behaupte! er (in seiner Kritik der rationalen
1 '-> < li man habe nicht das riecht, von der Funktion auf
die Substanz zu schliessen, und ein solcher Schluss könne jeden-
falls nicht zu wirklicher Erkenntnis fuhren '). Kam- Synth
begriff druckt die Grundform und das Grundgesetz des geistigen
Lebens aus, so weil wir dieses auf dem W ler Erfahrung
kennen lernen. Er hat der Psychologie hierdurch einen wichtigen
Gesichtspunkt gegeben, einen Massstab für die Schätzung der Ent-
wickelung des geistigen Lebens, und zugleich einige ihrer wich-
sten Probleme, denn die geistige Einheil wird ofl durch die
Mannigfaltigkeil und den Widerspruch der Elemente bedroht B»
- uders interessant i-t es, zu sehen, wie hoch Kant wegen dj
Begriffes über die Zeit der Aufklärung emporragt, die das klar
Bewusste und das in Gemässheit des Verstandes Durchschaute
hervorhob. Denn die Synthese liegl allerdings dem Bewusstsein
zu Grunde, wird aber nicht notwendigerweise vom Bewusstsein
selbst bemerkt. Sie ist die unablässige Bedingung des Bewu
seins, nicht aber mit Notwendigkeil Gegenstand. Sie wirkt
blind, instinktmässig in unserm Inneren. Wenn Kant in der
..Kritik der Urteilskraft" (§ tu, das Genie definiert als ..die an.
borne Gemutsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst
die Regel gibt", so ist dies nur eine spezielle Anwendung von
Etwas, das allem Bewusstseinsleben gilt. Es gibt, wenn man s
will, in jedem bewussten Wesen etwa- Geniales, nur dass die*
in denen, welche vorzüglich Genies genannl zu werden verdienen.
unter den dogmatischen Philosophen komml Leibniz dem Begriffe
these am nächsten, z. li. wenn er (Monadologie § II; 'li'- ,perception" so
definiert: l'ltal passager qui enveloppe ei nte iine multitude dans
1 uiiin- ou dans la Bubstance simple. — Leibniz machte den Cartesianern
den Vorwurf, sie definierten nicht, was sie unter „Denken* [dem B
Bein inden. q< Definition war: das Bewusstsein ist
iii • ! inheil ausgedrückte Vielfachheit. Thilos. Sehr, berausg. von
; n n VII. S 551 .1 Mi des nun.'- el les Corps des mul-
titudes, mais les mm. > ne laissenl de re] i les multitudes , .
dans cette rdunion qui consiste la nature admirable du senti nt.
Kontinuitäl im Entwicklungsgänge Kar 185
in höchster Potenz auftritt. — Das Unmittelbare und unwillkür-
liche des geistigen Lebens wird also von der Kantischen Auffassung
in seinem Rechte und seiner Bedeutung als beständiger Grundlage
behauptet Kants Synthesenbegriff hal weil umfassendere Bedeu-
tung als die, welche er demselben in seiner Erkenntnistheorie bei-
legt, und ist jedenfalls von bleibenderem Werte als andere Be-
standteile seiner Philosophie, die von ihm vielleicht höher gestellt
wurden.
MX.
Nenere Philosophie (1<t Geschichte:
Hegel, Marx, Comte.
Von
F. Tdnnles in Kiel.
Das Stadium der gesammten Literatur- Historie is1 in einer
EvolutioD begriffen, durch die es einen wissenschaftlicheren Cha-
racter zu erhalten scheint; man kann auch sagen, es werde der
Philosophie der Geschichte untergeordnet, wenn man dieser die
nächste Aufgabe einer wissenschaftlichen Behandlung und
Erklärung historischer Pro ätellen mag; woraus ja, dass sie
Literatur und Kunsl in sich begreifen Bollte, von selber .-ich er-
giebt'). Durch Taine is1 in dieser Tendenz das Schlagwort
„Milieu" eingeführt worden, das vielleicht, wenn man zu bestimm-
teren Causalitäten fortschreitet, wieder verschwinden wird. Die
Wirkungen aber des Grundgedankens beginnen auch in der G
schichte der Philosophie sichtbar zu werden, and können ihr zu-
nächst und zuletzl nur vortheilhafl sein: Missbräuche und ln-
thümer liegen, wie immer, im Haufen dazwischen.
') Schillei schreibl an Körner (Briefe S „Eigentlich sollten
Kirchen-Geschichte, Geschichte der Philosophie, Geschichte der K n n >t und
Gescbichti des Bändels mit dei politischen in Eins zusammengefassl werden,
und die I kann Universal-Ilistorie sein." Bebbel, der den Briefwechsel
anzi lirl diese Stelle und bemerkt dazu: „Wann werden wir Geschicht-
Bchi rhalten, die konsequent von diesem Princip Werk« 10,
178. An j Ki min:
Neuere Philosophie der Geschichte: Begel, Marx. Comte. |^(
[.
Die Abhandlung dea l>r. Paul Barth9) weisl alle Vorzüge eines
wohlgerüsteten Denkers auf: Ernst, Sorgfalt, mannigfaches Wissen,
Scharfsinn, gewandte and sichere Darstellung. Aber als literar-
historische Leistung im eben bedeuteten Sinne kann sie kaum sich
geltend machen und als Kritik nicht in allen Stücken befriedigen.
Auch verraten schon Motto und Vorwort, dass sie es nicht sowol
auf Erklärung eines Phänomens als auf Widerlegung einer Ansicht
abgesehen hat. Die Neiden Zwecke streiten ja auch sonsl gar ofl
mit einander. An und für sich kann ich nichts dagegen einwen-
den, wenn Hr. B. seine Mühe darauf wendet, die Geschichtsphilo-
sophie Hegels u. s. w. als eine falsche zu bekämpfen, und in dieser
Absicht sie zu verstehen, mithin auch sie aus den Voraussetzungen
de- Hegelischen Systemes abzuleiten. Alter es giebt für alle histo-
rischen und literarischen Tatsachen eine objektive Ansicht, vor
deren Licht die Werturteile und polemischen Absichten erblassen.
Den Gedanken, dass alles Wirkliche vernünftig sei. hat Hegel
wol formulirt, aber nicht erfunden. Er verbindet ihn mit seinen
Vorgängern der historischen Schule, der romantischen Philosophie;
so sehr Hegel diesen wiederum entgegengerichtet ist, so verharrt
er doch in ihrer magnetischen Sphäre. Jeuer Gedanke bedeutet
Dtlich einen Willen, den historischen Dingen — und nur auf
diese ist seine Anwendung auffallend — auf andere Weise als die
bisherige gerecht zu werden, und die Meinung aufzugeben, dass
nur das Denken der Menschen, wol gar nur logisches und ab-
stractes henken, etwas Wahres und Gutes für Menschen hervor-
bringen könne. Er reicht aber noch weiter. Am Ende wird er
den Gegensatz von Ja und Nein, von Gut und Böse, Vernünftig
und Unvernünftig, völlig aufheben — wodurch dann der Satz -eine
Schärfe verliert, aber tiefer wird, und alsbald einen echten wissen-
schaftlichen Gedanken darstellt, denn das ist der wahre Geist der
Wissenschaft, qualitative Gegensätze in quantitative Unterschiede
-) ] bichtsphilosophii [legeis und der Hegelianer bis auf Marx und
Hartmann. Ein kritischei Versuch von Dr. I'. B. Leipzig. 0. K. Reisland
i. 148SS
188 P- Tönni<
aufzulösen. Es wurde bo der Zusatz entstehen: „aber mehr oder
weniger"; und „vernünftig0 würde Dicht mehr eine Eigenschaft
bedeuten, Bondern die Tendenz zu bestimmten Wirkungen. Und
damit tritt auch das Werturteil, das zuerel - stark darin sichtbar
st, zurück Der 1 *« :_: 1 i tt wird zuletzt verschlungen von dem Be-
griffe des Notwendigen, d. i. des aus Beinern Zusammenhange Ver-
standenen und Abgeleiteten; und dieser bleibt In seiner Vollkommen-
heil eine regulative Idee, der wir als Denkende immer näher zn
kommen versuchen, um ihre Entfernung immer neu zu empfinden.
Die Ableitung aus der Einheil des Universums und seinem Gesetze
ist das Ideal: aber jede Ableitung von Tatsachen aus einem I
sammtphänomen , aus einem lebendigen Organismus isl ihr v<
wandt Der Uebergang der Naturforschung, mit einem lt. -
Betrage ihrer Energie, auf die Erscheinungen des Lebens und des
socialen Lebens, gibl allen wissenschaftlichen Bestrebungen des
19. Jahrhunderts ihren Character. 1 fieser Uebergang ist ein not-
wendiger Fortschritt des wissenschaftlichen Denkens, das mit Aus-
dehnung von Handel und Verkehr, mit Vermehrung grosstädtischer
und internationaler Lebensformen, sich entwickeln muss und immer
complicirtere, damit zugleich immer näher liegende, und tiefer mit
naiven, phantastischen, religiösen Urteilen versetzte Erscheinungen
sich unterwirft. Eben darum hal diese Bewegung, die zugleich
eine Rückbiegung in Psychologie, und damit in die „Philosophie
des Geistes" bedeutet, mit ungeheuren Widerständen zu kämpfen,
und gelangl erst langsam zur klaren Besinnung und Erkenntniss
ihrer selbst. Mine unklare, ahnungvolle aber mit fremden Motiven
vermengte Phase wird durch die deutsche speculative Philosophie
bezeichnet. Die Verwandtschaft mit Spinoza, dem durch das
ganze Zeitalter der Aufklärung zurückgedrängten Denker, enthülll
ihre Tendenz zur Wissenschaft, die bei jedem folgenden ihrer
Scholarchen Btärker hervortritt, so fremd, ja feindselig Bie auch
■ ii die Erfahrung ßich gebärden. In die strenge Ausscheidung
der Werturteile aus der Analyse der Tatsachen und ihrer Causa
lität, setzt Spinoza seinen Stolz; und weiss auch, dass diese Aus-
scheidung gerade inbezug auf menschliche und sociale Tatsachen
um so mehr wissenschaftlich notwendig ist, als sie weniger ver-
Neuer»' Philosophie der Geschichte: Hegel, Marx. ('.»nur. [%Q
standen wird und schwerer durchführbar ist. In solcher Richtung
alier schreiten wir nun. trotz aller Hemmungen, unablässig fort.
Wenn wir Hegel richtig verstehen und aus seinen Bedingungen
erklären, so werden wir ihn am sichersten überwinden; denn die
Gedanken, die seinen Erfolg trugen, sind teils reiner gestaltet in
unser Denken übergegangen, teils werden sie durch ihren Ursprung
als Irrtümer klar, denen wir vielleicht andere Irrtümer, jedenfalls
al'er weiter entwickelte und unserem Wissen entsprechendere Ge-
danken entgegenstellen.
Die ganze Wuchl des Hegeischen Systemes liegt in der Philo-
sophie des Geistes; wie Hr. B. berichtet, hat Ed. von Hartmann
auch den „bleibenden Wert" des Systemes darin erkennen wollen,
und wir wissen, dass ein nachwirkender Einfluss, mehr vielleicht
im Auslande als in Deutschland, davon ausgeht. In diesen Ge-
danken über Geschichte, Kunst. Religion, liegt aber auch der Zu-
sammenhang mit der gesammten Geistesrichtung, die in unserer
(deutschen) klassischen Literatur sich ausprägte, aufs deutlichste
zu Tage. Alle deren Häupter glauben an „Ideen" als eine Art
von metaphysischen Wesen, deren Macht in allem geistigen Lei im
sich offenbare; nicht eigentlich platonische Ideen als die Realitäten
der einzelnen Dinge — wozu Hegel sie wieder umgiesst — son-
dern als Ziele des Strebens, als Objecte des Sinnens und Sagens.
als Ideale. Dieser Denkungsart, die bis heute, wenn auch abster-
bend. Gemeingut der höher gebildeten Kreise in Deutschland
lieben ist. hat Hegel nur die spanischen Stiefel seiner Logik
umgelegt, sie dadurch blutleerer und starrer, aber auch ihrer selbst
gewisser und lehrhaft-anspruchvoller gemacht. Wenn Hegel die
Geschichte als eine Selbst-Realisirung der Freiheit bestimmt, so
weicht die»' Definition nicht weit ab von dem Wege Herders.
der den Endzweck der menschlichen Natur in Humanität und den
Fortschritt der Menschheil in Vernunft und Gerechtigkeit setzt;
und beide haben doch nur einer seil lange umlaufenden Münze
das neue Gepräge verliehen.
Herr Barth erinnerl ferner (Anm. s;: „die Freiheit ist schon
bei Kant das Ziel der Geschichte, aber nur indirect, indem die
Erreichung einer allgemeinen das Recht verwaltenden bürgerlichen
F I ■ 1 1 11 1 -
tlichen Ziels der Geschichte, nur möglich
llschafl Freiheit, mithin einen durch-
oismus ihrer Glieder and doch di<- genaueste Be-
und Sicherung der Grenzen dies iheil lmi. damit
mit der Freiheil Anderer bestehen können« (Idee zu einer all-
aeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht Satz 5 ." Nun
denke man an die Rolle, welche der Begriff Freiheit in der
sammten publicistischen Literatur des 18 Jahrhun spielt; man
denke an den tiefen Einfluss den auf Kant wie auf Herder
Rousseau gehabt hat; man bemerke endlich <li<' Art wie Hegel
aui Montesquieu hinweist (Rechtsphilosophie § 3 Anm.) — so wird
man «las Gemeinsame and das Differente in den fdeen unsi
Deutschen zugleich für sich beleuchten. Man wird finden, dass
ihre Ansichten ober Geschichte wesentlich bedingl sind durch ihr
Verhältniss zur politischen Wirklichkeit, ihre Betonung des Staat
die bei Herder fast=0, bei Kant strenge begrenzt, bei Hegel fast
unendlich ist. Daher nennt der Hegelianer Gans Herders Philo-
sophie der Geschichte „eine Theodicee mehr des Gemütes und \
Standes als der Vernunft" (Vorrede zu Hegels Vorlesungen p. XI).
Bei Herder ist ferner keim- Spur von einem philosophischen
Systeme; Kant hat sein System, und so auch seine Philosophie
der Geschichte nicht ausarbeiten können, weil die Kritik des alten
Systemes zu seiner Lebensarbeit wurde, bei Hegel ist das System
alles und hat alle Kritik uberwuchi Es sind daher für das
■ uwärtige Thema die beiden Fragen von höchst« r Bedeutung:
1) was will Hegel mit seinem Systeme leisten in Bezug auf die
Probleme des socialen Lebens, also für das, was bei ihm „ob-
jektiver G ..'iianut wird? 2) wie kommt die Geschichte —
Hegel sagt emphatisch: die Weltgeschichte — - in das System,
wie ist also für Hegel Philosophie der Geschichte möglich? —
\\ s hierfür die beiden ersteu Kapp, der anliegenden Schrill
(\. Hegels Methode, II. Anwendung der Methode aut «hm Begriff
der Geschichte darbieten, bedarl einiger Ergänzung.
I Das Naturrecht (..und Staatswissenschaft im Grundrisse")
ist das einzige, was Henri zur Philosophie des Geistes als Compen-
dium — ausser dei Encyklopädie — überliefert hat; es enthält
\ r< Philosophie dei Geschichte: Hegel tyfarx, Comte l'Jl
die ganze Betrachtung des objektiven Geistes, und man kann die
Vorrede nicht lesen, ohne sich zu überzeugen, dass er in diesen
Teil des Systemes die ganze Autorität seines Denkens versenken
wollte; zeigen wollte, was die wahre Philosophie gegenüber allem
subjektiven Meinen und Besserwissen, wie auch gegenüber der
nackten und begrifflosen Historie zu vollbringen im stände sei.
Wenn man die dialektische Entwicklung lud Seite lässt, so ist
seine Absicht folgende: die antirevolutionäre "der konservative
Denkungsari in die Apotheose des bestehenden Staates binüberzu-
leiten. Die historische Jurisprudenz, die das Naturrecht verneinte,
verneinte auch in einigem Maasse den Staat, nämlich den St
in seinei- vollen Majestät, als Gesetzgeber und Schöpfer von Recht,
Segel will das alte Naturrecht vollends auflösen, aber zugleich ein
neues herstellen, das den Staat als die sociale Vernunft schlecht-
hin, als vollendete Idee der Sittlichkeit, als die Einheil und Wahr-
heit abstracten Rechtes und subjektiver Moralitäl darstellen soll.
Denselben Gedanken, den Hobbes auf logische Weise construirt
hatte, bringt Hegel mit seiner Dialektik aufs neue hervor: dass der
3 ia1 absoluter Richter über Recht und unrecht, über Gul und
Bös< -ei. die sittliche Substanz, das sittliche Universum sei: der
Staat allein und nicht die Kirche; diese ist nur eine Erscheinung
der Idee des Staates ..in der Form der Autorität und des Glau-
bens" — damit der Staat (lautet die sehr bezeichnende und merk-
würdige Stelle: Rechtsphil. §270 Anm.) ..als die sich wissende
sittliche Wirklichkeit des Geistes zum Dasein komme, ist seine
Unterscheidung von jener Form notwendig, diese Unterscheidung
tritt aber nur bervor, insofern die kirchliche Seite in sich selbst
zur Trennung kommt; nur so, über den besonderen Kirchen,
hat der Staat die Allgemeinheit des Gedankens, das Princip
seiner Form, gewonnen". Divide et impera! Und so tritt überall
hervor, dass der moderne Staat, in der genauen Gestalt wie er ihn
L820 in Preussen vorfand — mit leichten ständischen Hüllen um-
geben — Hegels Ideal bedeutet Wenn uns dies rast komisch
vorkommen mag, so ist es doch, was Hegel seine bistorische Stel-
lung gibt. Er ist — etwa wie Rousseau der Denker der franzö-
sischen Revolution — der Denker der Bpecifisch preussischen Re-
192 P. T ani<
stauration, welohe trotz aller Romantik and beiliger Alliance den
oken mit Zähigkeit zum Ausdrucke brachte; er ist (auf
allem osl bedeutet) der Philosoph eimen \l
ruDgsrathes, der Philosoph der preussischen Büreaukratie. Dies isl
der wahre sinn „den Staat als ein in sich Vernünftiges zu
greifen und darzustellen" (Vorr. S 18), und in diesem Sinne
ist auch, wie bekannt, Bein Einfluss am tiefsten und längsten
•i. Aus der Weite und Beschränktheil dieses Ideales er-
gibt sich aber auch notwendigerweise Bein Verhältnis« zur „ Welt-
schicht«
2) Ihrer Anlage nach hat Beine Philosophie kein Verhältniss
zur Weltgeschichte. Sie hat es überall nicht mit Vorgängen, die
in der Zeit Bich ereignen, zu tun. Sie isl ein« echte and rechte
Metaphysik, im alten sinne, aber mit neuem Inhalte und neuer
Form; sie beschränkt Bich auf Gegenstände der Erfahrung, und
will ihre Begriffe von diesen nicht bloa einteilen. Bondern aus ein-
ander entwickeln. Die eckige, logische Art des Denkens (der ..\
ätand") soll überwunden und durch flüssige Begriffe die Wirklich-
keit auf adäquate Weise beschrieben werden. Ihr näher zu
kommen kann man durch diese Behandlung von Begriffen in der
Tal lernen. Hegel aber täuschte sich - ein allzu gewöhnlicher
Fall — über Tragweite und Bedeutung dessen, was er vollbrachte.
Er meint.' die Notwendigkeit der Sache zu beweisen, wenn er
ihren Begriff alileitete. In Wahrheit würde — auch wenn sein
System der Begriffe ohne Fehler und Lücken wäre (was es keines-
wegs ist) — nur in dem sinne Causalität daraus folgen, dass
die Voraussetzungen des Begriffs auch Voraussetzungen des Gegen-
standes genannt werden können: für die Causalität irgendwelches
Geschehens i-i keine Erkenntniss daraus gewinnbar; denn die
Entwicklung des Begriffes ist keine Entwicklung des Dinges.
Allerdings aber können sich gewisse Berührungspunkte dieser Ent-
wicklungen ergeben. Die Entwicklung de- Begriffes i-t aotwendiger-
weise Fortschritt vom Allgemeinen zum Besonderen, und Hegels
Kunst besteh 1 darin, die jedesmal erste Besonderung zugleich als
die einfach. ■ und „abstract dt des Allgemeinen, die jedesmal
/.weite al- .v .itmir d.r eisten (-was sie jedenfalls ist insofern
Neuere Philosophie der Geschichte: Hegel, Marx, Comte. 193
sie eben die erste nichl ist)*) und damit zugleich als Besonderung
schlechthin aufzustellen, die nun jedesmal in der dritten wieder
sich aufhebl und eine Rückkehr ins Allgemeine wird, weil in
diese die specifischen Differenzen (»Momente") der zweiten und der
ersten verbunden werden; der Begriff vollende! sich in dieser
dritten Bestimmung, weil sie als eine Bewegung ins Allgemeine
aufgefasst wird, wie er beginnt in der ersten, weil die erste als
Bewegung aus dem Allgemeinen gedacht wird. Nun isl auch die
Entstehung jedes Dinges eine Absonderung und Besonderung — not-
wendigerweise, denn da kein Stoff entsteht, so muss es in einer an-
deren d. Ii. alter in «mimt allgemeineren Form vorher existirl haben —
und sein Vergehen ist Verlust dieser Besonderung; wenn man also
ihr Dasein hineinschiebt, so ergeben sich von selbsl die 3 Termini,
[sl diese Begegnung zufällig? Nein, denn Hegel hat den Grund-
gedanken seiner Dialektik aus der Bemerkung geholten, dass jeder
Begriff als entstehender und vergehender gefasst werden und dass
er durch diese Auffassung einem wirklichen Dinge gleich gemacht
werden könne. Den Grundgedanken hatte er bekanntlich von
Fichte überkommen, und Fichte war es um das Problem der
Aussenwelt zu tun, die bei ihm als Nichtich, bei Hegel als die
Idee in ihrem Aussersichsein definirt wird, von beiden richtig als
ein aus der Vernunft (dem „Bewusstsein") producirter oder pro-
jicirter, also gewordener und immer neu werdender Begriff. Der
Gebrauch der dialektischen Methode für die Betrachtung irgend
eines (materiellen oder geistigen) einzelnen Dinges liegt daher
mihe genug; er ist aber eine völlig andere Aufgabe, als ihre
Bewährung in der Bildung von Begriffen, und während diese
auf Erfahrung nur im allgemeinen Sinne, dass dem Denkenden ein
Inhalt bekannter Gegenstände gegeben ist. beruhl (was Hegel
sehr wohl weiss), so setzt jene eine ganz specielle Erfahrung,
nämlich Beobachtung und Erforschung von Vorgängen voraus.
II irr Barth meint (S. 10): dm Begriff der Geschichte und die gc-
sammte geschichtliche n<'\w<_runu zu construiren, sei eine der
kühnsten Anwendungen der Hegeischen Methode. Dies« Anwen-
3) Herr U. aennl dies: den contradictoriseben tsatz als einen con-
trären darstellen.
J'.lj 1'. 1
düng i£ kühn, dasa sie unmöglich ist Di< geschichtliche
Bewegui d überhaupt aus dem Systeme nicht herausgeklaubt
i. das es nur mit der Bewegung von Begriffen, also mit
durchaus Jen, metaphysisch in zu tun hat; und
wie der Begriff der Geschichte in das - . hineinkommt,
hatte unser Verf. zu untersuchen. Diese Untersuchung ist ihm
nicht gelungen. Er fahrt fort (a. a. 0 „Aber der Gegensatz von
: und Nichtsein . . . kann die ganze Welt erzeugen;" und [nach
der bekannten Entwicklung): „die zum Fürsichsein gelangte i
kann auch Geisl heissen, der gleichfalls das Absoluteist (Encyklop.
§384). Au- dem „Drange des Geistes das Absolute d. h. sich
selbst zu linden" ist die ^ i Lfen das. " Dann
werden die vier Stufen vorgestellt, in denen die „Phänomenologie8
den Geisl sich verwirklichen lasse, und (heissl es S 12), ..man
sollte nun erwarten, dass diese selbe Reihe von Momenten wie in
der Phänomenologie, einem der frühesten Werke Hegels, auch in
der von allen Teilen d< smes am spätesten entwickelten Gi
Schichtsphilosophie Anwendung fände, zumal .der Geist in der
Weltgeschichte in seiner concretesten Wirklichkeil ist1 (Philos. d.
Gesch. S. 21)." Aber, vielleicht wegen des empirisch-psychol
sehen Aussehens jener Vierteilung, vielleicht ans wachsender Vor-
liebe für die Dreiteilung, habe er jene ursprüngliche Darstellung
verworfen und durch dialektische Abhandlung eines neuen
schichte deducirt, des Gegensatzes von Frei-
heit und Unfreiheit. — Was zuerst die Stelle der Encyklopädie
betrifft, so hat Hr. B. sie missverstanden; es handelt sich da
um den systematischen Begriff der Geschichte nicht. Hegel
ma<dit nur muh dem Satze ..das Absolute ist der Geist" eine
Bich selbst bewundernde, emphatische Anmerkung, indem er ßagt:
„Diese Definition zu finden und ihren Sinn und Inhalt zu begreifen,
dies kann man sagen [NB.] war die absolute Tendenz aller Bildung
und Philosophie, aul diesen l'unkt hal Bich alle Religion und
Wissenschaft gedrängt, aus diesem Drang allein ist die Welt
schichte zu begreifen." Die Stelle wäre wichtig, wenn ausserdem
nicht in der Encyklopädie von Weltgeschichte die Rede wäre, wie
hiernach den Anschein hat. Was die Phänomenologie angeht,
Neuere Philosophie dei Geschichte: Begel Marx, Comto. 495
so kann man in ihr allerdings eine Philosophie der Geschichte
finden, wie denn jenes Werk ausserhalb des philosophischen
Systemes entstanden und geblieben isl Herr Barth hai sie aber
nicht gefunden. Er sprichl nur von einer Vierteilung in der hier
die [dee zu ihrem Fürsichsein gelange, welche Vierteilung ich
nicht darin linde: sie lasse auf Bewusstsein, Selbstbewusstsein,
Vernunft, den Geisl als einen objektiven Ausdruck der Vernunfl
folgen. Mir liegl vielmehr die Einteilung vor: A. Bewusstsein,
B. Selbstbewusstsein, C: AA. Vernunft, BB, der Geist, CC, die
Religion, DD, das absolute Wissen; die Vierteilung isl also von
ganz anderem Inhalte und bezieh! sich auf die vorher gesetzte
dritte Erscheinungsform des Geistes. Was hieran am meisten
merkwürdig, ist das völlige Zurücktreten des Staat.'-, von dem
kaum dem Namen nach die Rede ist. während er in der späteren
Darstellung die Wirklichkeil der sittlichen Idee und somit den
objektiven Geisl in seiner concreten Gestalt vorstellt. — Völlig
entgangen isl aber unserm Verf. die systematische Stellung,
welche in der Encyklopädie , und ausführlicherer Weise in der
Philosophie des Rechtes der Begriff der „Weltgeschichte" erhalten
hat; eine Stellung, die für das Verständniss der Sache viel wich-
i isl als die ganze Diatribe in den Vorlesungen, die der
Philosophie der Geschichte ausdrücklich gewidmet sind, und als
solche unvermeidlicher Weise eine exoterische Färbung erhalten
haheii. Die Bestimmungen jener beiden (von Hegel seihst heraus-
gegebenen) Werke werden zwar hier resümirt, aber ohne den stren-
gen systematischen Zusammenhang widerzuspiegeln, an dem uns
gel« in muss. In naher wenn amh keineswegs wörtlicher
Debereinstimmung geben diesen §536 der Encyklop. und § "i.V.i
der Rechtsphilos., wo die Idee des Staates entwickell wird als
a) Verfassung oder inneres Staatsrecht, b) Verhältniss zu anderen
Staaten - isseres Staatsrecht, c) allgemeine Idee als Gattung
und absolute Macht gegen die individuellen Staaten, der Geis! der
sich im Pr< ler Weltgeschichte seine Wirklichkeil gibt.
In der Encyklop. tritt „die Weltgeschichte" geradezu als dritte
Bestimmung neben das innere and das äussere Staatsrecht; aber in
erheblicher Abweichung stellt die Rechtsphil, in der Einleitung
496 l
(§ 33) den Staat „als die in der freien Selbständigkeit des beson-
der« w illens ebenso allgemeine and objektive Freiheit dar; —
welcher wirkliche and organische Geist i. eines Volkes sich ß. durch
das Verhältnis« der besonderen Volksgeister hindurch, -,. in der
Weltgeschichte zum allgemeinen Weltgeiste wirklich wird und
offenbart, dessen Recht das Höchste Ist." So auch im üel
auf die Abhandlung des Begriffs Belber §340): „Die Prin-
cipien der Volksgeister sind um ihrer Besonderheit willen in
der sie, als existirende Individuen, ihre objektive Wirklichkeil
und ihr Selbstbewußtsein haben, überhaupt beschränkte, und ihre
Schicksale und Taten in ihrem Verhältnisse zu einander sind die
erscheinende Dialektik der Endlichkeit dieser Geister, aus welcher
der allgemeine Geist, der Geist der Welt, als unbeschränkt
ebenso sich hervorbringt als er es ist, der sein Recht — und sein
Rechl ist das allerhöchste — an ihnen in der Weltgeschichte,
als dem Weltgerichte, ausübt." Man gewahrt leicht durch wel-
ches Kunststück der Vielgewandte das „ungeheure Schauspiel" (mit
Ed. Gans zu reden) fertig bringt „von der Höhe des Staates aus die
einzelnen Staaten, als ebenso viele Flüsse sich in das Weltmeer der
chichte stürzen" zu lassen! Die Begriffe ,Staat' und ,Welt
schichte' sind so heterogen als möglich; Hegel substituirl oach B<
lieben dem ersten den Begriff »Volksgeisf, dem anderen den Begriff
,Weltgeist', nimmt also dem Staate ebenso viele Bestimmtheil als
• r der Weltgeschichte hinzufügt und siehe sie Bind in dem flüssi-
gen Elemente des ,Geistes' auf bewunderungswürdige Art zusammen-
chmolzen. Er kann es, mit dieser Interpretation, wagen, die
Weltgeschichte als den allgemeinen und concreten Staat zu defi-
oiren, al> dialektisch vollendete Idee des Staat Man durfte
erwarten, -"Mir m einem universalen Staate, einer Welt-Republik
zu finden, die sich zum einzelnen Maat.- verhielte, wie der Staal
zur Familie. Dieser Begriff wäre ein Rechtsbegriff wie der Begriff
Staat Belber und dessen erste Entfaltungen: inneres und äusseres
Staats-Recht. Wie Hegel diesei Consequenz ausweicht, bezeichnet
wiederum die Stärke seines Willens, die Begriffe geradeso zu con
Btruiren wie sie seinen gewaltigen Zwecken Bich fügen (§259 Zusa I -
„Die Staaten als solche Bind unabhängig von einander, und das
tere Philosophie lei Geschichte: Eegel tfarx, Comte. I'.i'i
Verhältnis.-, kann also qut eio äusserlichea sein, bo dass ein
drittes Verbindendes über ihneo sein muss [vod mir her-
vorgehoben, wie 'las Folgende]. Dies Dritte isl mm der Geist,
der sich in der Weltgeschichte Wirklichkeil i_ci l » t und den abso-
luten Richter über sie ausmacht. Es können zwar mehrere
Staaten als Hund gleichsam ein Gericht über andere bilden, es kön-
nen Staatenverbindungen eintreten, wie z. B. die heilige Allianz,
alier diese sind immer nur relativ und beschränkt wie der ew
Frieden. Der alleinige absolute Richter, der sich immer und
.•n das Besondere geltend macht, ist der an und für sich seiende
Geist." Der konservative Professor und Bürger, der an das Gege-
bene und an die Erfahrung wenn auch mit grossen Worten sich
ängstlich hält, schneidet hier dem kühnen und konstruirenden
Denker seine Bahnen ab; ein Vorgang der bei Hegel überall ein-
tritt, wo s,.hu. Macht darin beruht, dass er, in dein erhabenen
Stile, der von der kritischen Philosophie her die Universitätsphilo-
sophen zu tönenden Propheten jener freien und mannigfachen, ich
möchte sagen Goetheschen Bildung machte, die zwischen Auf-
klärung und Romantik balancirend der damalige Nationalcharacter
des Volkes der Denker war — doch gerade an dem Punkte Halt
macht und einlenkt, wo die Philosophie das bürgerliche Bewusst-
sein zu verletzen und die enorme Furcht vor neuen Revolutionen,
die nach Napoleons Sturze die regierende Gesellschaft erfüllte, auf-
zuregen droht. An die Stelle des Phantoms der Welt-Republik
die „Idee" der Welt- Geschichte geschoben — und alles ist in
Ordnung — eine Chamade anstatt einer Fanfare. Die Ansicht
von der Geschichte und ihrem Endpunkte in gegenwärtigem Zu-
stande ist ganz trivial, wenn auch geistreich genug um die alberne
Trichotomie von Altertum-Mittelalter-Neuzeit zu überwinden. Der
Weltgeisl vertritt die Stelle der christlichen Vorsehung, und im
Widerspruch zur Reichten' Aufklärung, die am Gegensatze von
Aberglauben und Philosophie den Fortschritt der Civilisation ma
dieser Rationalismus die Theorie der Weltreiche Wiederauf-
leben (obzwar in einer form, durch die sie ihres Gehaltes an
Wahrheit entleert wird). Viel deutlicher und bedeutender als in
den Vorlesungen tritt dieser Gedanke was wiederum Hr. B.
vii. 35
K. Tt iini<
- ben hat — in der Rechtsphilosophie auf, \\" nicht anbe-
atalischen et ,Weltf s I wird, sondera ganz
- In'ickl. Nach sen vier Principien - der Gestaltan-
- Wi It-Si Ibstbevt - — >iml der welthistorischen Reiche
die Viere: 1) das orientalische, 2) da* i bische, 3] das römische,
\ las germanische." Innerhalb des germanischen dei
- weltlichen and des intellectueUen Reiches, der aber am Ende
„zur marl It g schwunden . ... so dass wahrfa
Versöhnung kl _ rden, welche den Staat zum Bilde and
zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet, worin das Selbst
wuss li Wirklichkeit seines substantiellen W - as and
Wollens in organischer Entwicklung, wie in der Religion das
5hl and die Vorstellung aer Wahrheit al> idealer
W< -• oheit, in der Wissenschaft aber die freie begriffene Erkennt-
Wahrheit als Einer und derselben in ihren sich ergän-
zenden Manifestationen, dem Staal r Natur und der ideellen
Welt, findet" (Schluss der Rechtsphilos. § 360). IL n B. \>
einmal treffend hin aul Begels „nie vei _ Bildersprache", in
der Tat i>t die Unverlegenheit, Kühnheit und. mit Schopenhauer
zu red it. womit er Begriffe und Worte, Glei
and Meinungen durcheinander spielen lässt, seini . etliche
Meisterschaft. Um so mehr muss man darauf acht geben, wo eine
wirkliche \ genheit zugedeckt wird. Man bemerke wohl: der
Weltgeist bezeichnet im Systeme den Debergang zum absolul
'i ist, der wiederum seine 3 Manifestationen als Kunst, als geoffen-
barte MV Religion, und als Philosophie hat; ja er isl dieser ab-
Boln -' - eil r — läse er als Weltgeschichte und in Beziehung
auf dei 51 I früher im Systeme and aoeh anter der Kategorie
,objektiven G auftritt, hat offenbar für Hegel selber, bei
'•■ - ligkeit seiner Methode, keine Bedeutung. — Nun aber
hat man gutes Rechl zu erwarten, dass der Weltgeisl nicht blos
Schicksal oder Vorsehung, sondern auch als Kunst, als Religion,
als Philosophie in der Geschichte wirksam gezeigt werde, und dass
die und Unzulänglichkeit seiner Tätigkeit als Kunst
und al> Religion, seine alleinige Wahrheit als Philosophie auch
in dei W< Itgeschichte dargestellt würde. Aber das len
lere Philosoph» schichte: Begel, Marx, }'.»'.'
protestantischen Staat, der doch immer als die Wirklichki
der sittlichen Substanz allein gemeint ist, vor den Kopl stossen.
Der Gedanke wird angewandt auf die Religion schlechthin; aber
nicht auf die ,geoffenbarte', die daher ganz inkonsequenter Wi
den Begriff im Systeme ausfüllen muss; und auch mit der geoffen-
barten Religion wird kurzer Prozess gemacht, um die „Sittlichkeit
im Staate" d.i. die protestantische Erhebung des bürgerlichen
über das geistliche Ideal, als ihre innere Befreiung und Wahrheit
zu feiern: diese eil s Gestaltung der religiösen Idee, das pro-
- antische Princip, wird dann aber viel höher, nämlich zu einer
definitiven, ewigen Bedeutung erhoben, als ihr nach dem Systeme
zukommt, sodass - - in der in dieser Hinsicht merkwürdig
Anm. zu § 552 der Encykl. sie, die Religion, -die Substantialität
der Sittlichkeit selbst und des S - - aannt wird.
Trotz aller schillernden Gruppirung von _ enden Hypo-
sen verharrt Hegel (und muss es) in wesentlicher Unklarheit
aber die wirklichen Pr< - les s ialen Lebens, schon desshalb,
weil er — jenem Bildungs-Standpunkte gemäss — an der Idee
einer geradlinigen Entwicklung und Vervullkommnung festhielt, die
der august iniseh- kirchlichen Philosophie der Geschichte und der
Aufklärung gemeinsam eigen war: jener weil sie da- Christentum
- Endziel der Menscheit ansehen musste, dieser weil sie die Ver-
mehrung der Wissenschaft, die Verdrängung des Aberglaubens, die
leineruug der Sitten allein ins Auge fasst und wertschätzt.
Hegel hätte — ohne sonst den Boden seine- historischen Wissens
intensiver anzuhauen — eine ganz andere Anwendung, als er ge-
tan, von der dialektischen Methode auf die Geschieht.' machen
können, ganz - a d deren Geist er sich hier beschränkt auf die
ähnliche Dichotomie (bei ihm vorstaatliche und staatliche Völ-
ker) und auf eine ziemlich äusserliche Tetrachotomie, neben der die
Trichotomie (Einer frei — Einige frei Alle frei — ) noch in-
haltleerer einhergeht Und doch lag eine tiefer« Trichotomie gleich-
sam in der Luft, m Rousseau mit s.. tiefreichendem Erfolge
eine Ueberwindung der Cultur durch Cultur, und Rückkehr zur
Natur a rt hatte: unter Rousseaus Einflüsse standen Kant.
- liller, Herder, Fichte, Iselin und andere: in die Denkungsari
Schellinga and der Romantik ging •■ - ^üick davon hinüber.
Dnd ganz zei siech mit Hegel Bammelte St Simon, der auch
auf Goethe Eindruck machte, am sich eine Gemeinde, aus der eine
tiefere and wahrere Ansichl der Kultur und ihrer Geschichte her-
vortönt, die sieh aber ohne Zwang in ein Hegelsches Schema liiirt:
anische Perioden treiben mil Notwendigkeil ihre » i l^* • 1 1 ■ \
aeinung, die kritische Periode hervor and diese muss sich er-
schöpfend in eine erneute and erhöhte organi» he Periode i linmün-
den. Hegels Philosophie der Geschichte ist ärmer als sein System,
selbsl wenn man vod den wesentlichen Mängeln seiner Erkenntniss
historischer Tatsachen und Causalitäten absieht.
Die Wirkung isl vielleicht am so stärkei gewesen, weil sie
von einem lange als die Philosophie angestaunten and zugleich als
unergründlich tief oder auch als abstrus gemiedenen Systeme das-
jenige war, was an vorherrschende und bequeme Ansichten
(alliger sich anschmieg . wenigsl dass die scharfen Kanten
sä eben diese Hegeische Philosophie sich selber als die
mtlich höchste Vollendung der Menschheil darstellt) ohne Dm-
stän rschliffen werden konnten.
II.
Das -ehr ausführliche :'>. Kap. der vorliegenden Schrifl be-
schäftigt sich mit der „allgemeinen Geschichtsphilosophie hei II.
Schülern"; als solche weiden durchgenommen Gans, Lassalle, Marx,
einige „Unselbständig eidlich Ed. \. Hartmann. Die drei fol-
genden Kapitel betrachten sodann die besonderen Entwicklun
der Religion, der Kunst, der Philosophie bei Hegel und seinen
Schülern, ein VII. stellt die Ergebnisse dar, endlich folgen zahl-
reiche Anmerkungen, deren hauptsächlicher Zweck Hegelianische
Irrtümer aach Ergebnissen neuerer Forschungen zu berichtigen ist.
Die An und Weise solcher Berichtigung geschieht etwas schema-
h und trocken, Bie trägl einige Züge von Pedanterie an sieh.
Gleichwol sind di< -•• Anmerkungen, und die Kapitel selber, durch-
aus verdienstlich und der Beachtung wert. -- Verdienstlich i-i
— Hr. Barth in diesem Zusammenhange dei h aen-
aenden materialistischen Geschichtsauffassung, und dem der für
Neuere Philosophie dei Geschichte: Segel, Marx, Comte. 501
sie verantwortlich gemaohl wird. Karl Marx, eine sorgfälti
Kritik gewidmel hat Vor einigen Jahren habe ich Gelegenheit,
gehabt (in den Philosophischen Monats-Heften), von dem literari-
schen Balbdunkel zu reden, »las die conventionelle Gutgesinntheil
die oft genug auch den Altar der Wissens. 'hart oichl zu gul für
ihre Decorationen hält, aber solche Gestalten, wie Karl Marx, aus-
gebreitet habe. In diesen wenigen Jahren hat aber solches Halb-
dunkel sich merklich gelichtet. Es wird oichl lange mehr dauern,
so wird, dass Marx in der politischen Oekonomie Epoche gemacht
habe, ebenso allgemein zugestanden werden, wie dies etwa von
Kant in der Erkenntnisslehre, von Darwin in der Zoologie als fest-
stehend gilt.
Wenn Hr. Barth, nach seinem Titelblatte, die „Hegelianer bis
auf Marx und Bartmann" behandeln will, so kann dies nicht
anders verstanden werden, als dass er diese beiden auch als He-
gelianer bezeichnen will. Ed. von Hartmann gehl mich hier nicht
an. In Bezug auf Marx aber niuss ich diese Bezeichnung für falsch
erklären. Herr B. erzählt selber (S. 40): „ein anderer Jünger der
Hegeischen Philosophie. K. Marx, hatte unter dem Einflüsse von
Feuerbachs Wesen des Christentums, dieselbe Schwenkung wie
dieser vollzogen". Dies ist richtig. Beide sind von der Hegeischen
Philosophie abgeschwenkt, haben sich, durch Aufgebung fundamen-
taler Dogmeu. davon getrennt; aus besonderen Gründen bekannte
sich dennoch Mars als „Schüler jenes grossen Denkers" (was er
doch auch nur im literarischen Sinne war) und beide dürfen als
„Jünger der Hegeischen Philosophie" wol in Anspruch genommen
werden. Aber ein „Hegelianer" sollte keiner der beiden Aposta-
ten heissen. Aristoteles war ein Jünger der Platonischen, Kant der
Wölfischen Philosophie, abei Aristoteles war kein Platoniker, Kant
kein Wolffianer. Herrn Barths Titelblatt ist demnach ein Missver-
ständniss zu erregen angetan. Er bemerkt im Anschlüsse an obig
Satz: „Gleichwohl bewahrte Mars in formaler Hinsich! so viel von
,1,1- Hegeischen Denkweise, da>> seine Geschichtsauffassung hier
ni.ht ausser Rücksicht gelassen werden darf-. Es i>> oeuerdings auf
vortreffliche Weise (durch lim. Freudenthal) gezeigl worden, dass
vnü der scholastischen Denkweise — gleich anderen Umsturz-
-,,»•> P. Tönni<
Philosophen — Spinoza in formaler Hinsichl gar Behr viel be-
wahrt hat; wir»! Herr B. ans diesem Grunde Spinoza einen Scho-
lastiker nennen? An einer späteren Stelle die Kritik ober
Marx erfüllt Dicht weniger als 20 Seiten — sagl Hr. B. v
„Die Geschichtstheorie von Man . . . isl das directe Widerspiel der
Hegeischen, in deren Schule M. sein« Bildung(?) empfangen
!,;,t!. \: dieser selbst hal sich gewissermassen jene dialektische
Bewegung vollzogen, der nach Hegel alles unterworfen ist, die Be
wegong zum Gegensatze. Von der absoluten Idee I" i Hegel selbsl
ial sie auf den durchaus oichl absoluten, sondern sehi relath
endlichen and empirischen ökonomischen P ess 1 M »
kommen." Zuletzt aber giebl er als Ursache, warum die Marxische
Theorie von ihm « -i ( i l^< -1 1 1 -n « 1 beleuchtel wurde, an, dass sie „inner-
halb einer über alle Kulturstaaten ausgedehnten politischen Partei
die unbedingt herrschende, also von actuellem Interes«
- ist also ein Gesichtspunkt, der mit Hegel und den Hegelianern
nichts zu tun hat. Die Theorie wird richtig dargestellt, nach dem
Vorworte der (wenig bekannten und selten gewordenen) Schrift
„Zur Kritik der politischen Oekonomie" (1859 ; die von ihm
tirten Sätze uennl Hr. I! „leider sehr unbestimmte, mit Bildern
zusammengeflickte Formulirungen der socialen Statik und Dynam
Er führt die historischen Beispiele an, durch welche Marx Beine
Theorie gelegentlich erläutert und begründel habe, er findet, dass
Marx sei bei und seine Anhänger den Beweis, dass ille Erscheinun-
eschichtlichen Lebens durch die ökonomische Structur be-
stimmt seien, nur mit sehr wenigen „Illustrationen" erbrachl ha-
ben4). Er versuchl alsdann die Theorie zu widerlegen und darzu-
») Dabi i vi rsäuinl der Kritik« utende S
alle falschen Anwendungen zu Boden schlägt, zi Kapital £
\iiin. 89: »Darwin hal das il r ch-
qoI( i nl.i. d. h. auf die Bildung di i '"' a- und I Pi •
duktionsinstrumente füi da Lebei dei Pflan en un I i v enl die
Bilcj chichte der produktiven Organe des Gesellschaftsmenschen, dei
materiellen Basis jeder besoi Gesi llschafts iche
Aufmerksamkeit? Und e uichl leichter zu liefern, da, wi( \
Uenschengeschichte sich dadurch von dei • eschichte unterscheidet,
wir die eine gemacht und di< andere uichl gemacht haben? [man be-
lere Philosophie der Geschichte: [Tegel, Marx, Comte. 503
tun: 1) dasa zwischen Oekonomie und Politik die engste Wechsel-
wirkung bestehe, der das Gleichniss von Basis and Üeberbau [wie
jene Formulirung inthält] nichl entspreche; 2) dass aucli das
Rech! nicht eine blosse Function der Oekonomie, sondern eine
selbständige, eigene, wenn auch nicht anabhängig« Existenz führe;
3) dass ebenso mit Unrechl „die Marxisten" Mural als blosse
Nebenerscheinung, gewissermassen Abfallsprodukt aus der Oekono-
mie hervorgehen lassen; 1) dass das Umgekehrte dessen, was Marx
behaupte, in Bezug auf Religion überall in der Geschichte hand-
greiflich sei. nämlich ihr tiefgehender Einfluss auf die Oekonomie;
5) dass sogar die Philosophie z. 15. in der Französischen Revolu-
tion die Politik und indirect durch diese auch die Oekonomie be-
stimmt halte. Endlich 6), was die historische Bewegung angeht,
vertrete Marx, durch die Hegeische Dialektik verführt, die Illu-
sion, dass mit derselben Geschwindigkeit, womit ein Urteil durch
eine Verneinung aufgehoben werde ein historischer Zustand „inn-
schiage''. sein (iegenteil erzeuge. — Offenbar hat dieser letzte Punkt
nichts mehr mit dem „materialistischen" Charakter zu tun, könnte
eher als ein Ueberlebsel des Gegenteiles betrachtet werden.
Im Vorbeigehen. Marx hat niemals öffentlich behauptet, in
jenen Sätzen einer Vorrede irgendwelche Theorie aufgestellt zu
halien. Ersl Engels bezeichnet (1878) die materialistische Ge-
schichtsauffassung als eine der beiden grossen Entdeckungen, durch
welche Marx den Sozialismus zu einer Wissenschaft gemacht oder,
wie der bessere Ausdruck lautet, den wissenschaftlichen Sozialismus
:i findet habe.
Wie steht es nun mit dem, was Marx gesagl hat, und mit
Herrn Barths Widerlegung davon? „„Die Gesammtheil der Pro-
duktionsverhältnisse" — lautet jene Stelle — (die einer bestimm-
ten Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte entsprechen)
bildet ilie ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis,
worauf sieh ein juristischer und politischer Üeberbau erhebt, und
merk''' Die Technologie enthüllt das ;ikti\.- Verhalten des Menschen zur
ir, den unmittelbaren Produktionsprozess seines Lebens, damit auch seiner
ellscbaftlichen Lebensverhälti md dei ihnen entquellenden geisti
tellungen."
F T D
welche] Ischaftliche Bewusstseinsformen entsprechen.
Produktionsweise des materiellen Lebens I mmühltt den sozialen,
politischen und geistigen U bensprocesa überhaupt Es ist nicht
das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, Bondern umgekehrt
ihr gesellschaftlii n. das ihr Bewussts stimmt."" Herr
Barth Bchliessl leider an sein richtiges Citat eine völlig falsche
iphrase. „Soweit hat Marx, wenn auch mit unbestimmten
Worten und Bildern, dasjenij stimmt, was Comte in seiner
chichtsbetrachtung die Statik der Gesellschafl nennt: die Mittel
dei Produktion, die Reproduktion «los unmittelbaren Lebens '
- an einer anderen Stelle heisst) bestimmen nach Marx
sellschaftliche Bewusstsein, die* seilschaftliche Bewusstsein
stimml wieder das ganz« Sein, den sozialen, politischen und
stigon Lebensprocess überhaupt." Der Gedanke isl hier auf
Kopl gestellt — ich denke, dass es mir durch Flüchtigkeit gesche-
x heh. ii ist. Dagegen beachtel der Kritiker nicht, dass in jenen
Sätzen zuerst eine Dreiteilung dei -«'/'ahn Phänomene vorgelegt
wird: ökonomische Struktur — juristischer und politischer l i
bau - ellschaftliche Bewusstseinsformen; sogleich aber die
Zweiteilung an die Stelle tritt: Produktionsweise des materiellen
Lebens = gesellschaftliches Sein — sozialer, politischer, geisl
Lebensprocess = gesellschaftliches Bewusstsein. Und doch genügt
Wahrnehmung, dass diese Diskrepanz nicht ausgeglichen
um zu verneinen, dass hier eine ausgearbeitete Tl rie vorlii
Gegeben sind, als Elemente einer Theorie der Geschichte, nur eine
Reihe Marxischer Aphorismen, von denen dies« \ irrede die am
meisten principiell gefassten enthält. Herr Barth fahrt in Beiner
Kritik fort: ,Das Bild von Basis und Ueberbau schliesst die Fol-
gerung in sich, dass die ökonomischen Verhältnisse die Urform,
das Erdgeschoss sind, die übrigen wie darauf ruhende Stockwerke
diese Formen nur wiederholen, als.. Recht, Politik und Religion
nur den Grundriss der wirtschaftlichen Verhältnisse wiederepie-
geln." Wenn Herr Barth das Stückwerk von Bildern bei Marx an-
klagt, so muss ich ihm vorwerfen, dass er au neu Mitteln diese
Bilder vermehrt Marx hat weder von Erdgeschossen und darauf
ruhenden Stockwerken, uoch von Wiederspiegelungon eines Grund-
Neuere Philosophie der Geschichte: Segel, Marx. Comte. ".n.
rissi a gesprochen. Seine eigene hier gegebene Ausdrucksweise halte
auch ich nicht eben für glücklich, sie isi jedenfalls sehr unbestimmt,
Meinung tritt doch klar genug hervor und bedarf keines
Umschriebenwerdens. Sie erscheint aoeh deutlicher durch die Art
wie das Gesetz der Bewegung dargestellt wird. „Auf einer gewissen
Stute — so oeht die citirte Stelle weiter — ihrer Entwicklung ge
raten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch
mit il'n vorhandenen Produktionsverhältnissen , oder, was nur ein
juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, inner-
hall) deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen
der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben
um. Es tritt dann eine Epoche socialer Revolution ein. Mit der
Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze
ungeheure üeberbau langsamer oder rascher um. In der Betrach-
tung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen
der materiellen naturwissenschaftlich treu zu konstatirenden Um-
wälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den
juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophi-
schen, kurz ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses
Conflictes bewusst werden und ihn ausfechten." Der Gedanke
wird deutlicher, obgleich der Ausdruck schillernder. Dem Gedanken
>e]her hätte Herr Barth mit einiger Hingebung nachgehen sollen.
anstatt ihn durch neue Gleichnisse zu entstellen, und mit mehr
um als Tiefe zu bestreiten. Der Gedanke lässl sich, wie
ncher andere, worin die zu viel suchen, die ihn völlig absolut
verstehen wollen, nur richtig deuten durch die Beziehung zu
seinem Gegensatze, woraus er erwachsen ist. Hegel war. wie
ich auszuführen versucht habe, der systematische Wortführer einer
allgemein herrschenden, noch heute vorherrschenden Denkungsarl
über die Geschichte der Menschheit. Fr. Engels (Anti-Dühring
0 bemerkt: „Die alte idealistische Geschichtsauffassung . . .
kannte keine auf materiellen Interessen beruhenden Klassenkämpfe,
überhaupl keine materiellen Interessen; die Produktion wie alle
ökonomischen Verhältnisse kamen in ihr nur so nebenbei, als
unterg 'dnete Elemente dei Kulturgeschichte vor." Er hätte
dürfen: „weder die wesentlich politische Geschieht
F. Tönnii s,
Schreibung Qoch die wesentlich idealistische Philosophie
der Geschichte . Denn es ist zweierlei. Die Historie
selber dient, parallel mit der Entwicklang moderner Staaten, der
herrlichung oder Kritik von Fürsten und ihren Leuten, oder
anderen Staatsmännern, daher vorzugsv ler Schilderung von
Kriegen und von Gesetzgebungen. Ursachen sind die Personen,
ihre Klugheit oder Dummheit, ihr starker oder schwacher Wille.
Die Philosophie hingegen vertritt schon das Volk, und erkennt in
den Schicksalen des Volkes das Problem. Aber sie verwechselt
das Volk mit der Gesellschaft d. h. mit deren Entwicklung in der
bürgerlichen Classe; der Fortschritt der Wissenschaft, die Aufklä-
rung erscheint als wesentlich bestimmendes Moment. Hierfür fin-
del Hegel den letzten grossen Ausdruck: die Gedanken selber be-
wegen sich als substanzielle in der „Weltgeschichte." I rsachen
sind die Ideen; und nur als Träger von Ideen haben die grossen
Männer ihre Bedeutung. Die öffentliche und gelehrte Mein'
haltet noch heute, zwar nicht am Ausdrucke, aber am Inhalte
dieser Sätze. Sie kann als die liberale jener politischen als der
mehr konservativen oder gouvernementalen Meinung entgegengesetzt
werden, richtiger aber als die gesellschaftliche der staatlichen
Bei Hegel i>t wie im alten Naturrecht, der Staat selber Idee, und
i-t bedeutend ohne Ansehen der Personen, die an seinei spitze
stehen.
l"iü die Causalitäl in der Geschichte zu begreifen, mu<s man
Klarheit besitzen, was man unter dieser Causalität verstehen wolle.
ohne Zweifel haben alle die Gruppen von Erscheinungen, welche
Marx „ideologische Formen" nennt, je ihre innere Geschichte und
innere Causalität; Hr. Barth scheint unbedachterweise anzunehmen,
da— Marx dies habe leugnen wollen. Marx würde dann wol nicht
-,, ungeheure Muhe nm di< Geschichte der politischen Oekonomie,
oinei vergleichungsweise untergeordneten Form des wissenschaftli-
chen Bewustseins, Bich gegeben haben. Es gibt auch keinen Grund,
ihn für -'» töricht zu halten, als ob er nicht gewusst hätte, dass
durch wissenschaftliche Theorien politische Acte bestimml werden,
und dass diese wiederum auf das Kelten gestaltend, /.um wenigsten
inodificirend, einwirken, ha- sind aber Betrachtungen, die nur
Neuere Philosophie der Geschichte: Segel, Marx, Comte. 501
Einzelheiten angehen. Werden dagegen die Tatsachen so zusam-
mengefasst, dass neben und über die Tatsachen des Lebens -
seilschaftliches Sein) die Tatsachen des Denkens (das Bewusstsein
der Menschen) gestelll werden, so lautet die einfache Frage: welche
Gruppe kann ohne die andere existiren und gedachl werden? be
ruht Leben im Denken oder beruh! Denken im Leben? wird das
Sein durch das Bewusstsein, oder wird das Bewusstsein durch das
Sein bestimmt? Der Streit muss dann verschwinden vor der
Wahrheit. Alle politischen und wissenschaftlichen Ideen bedürfen
notwendigerweise der .realen' Grundlage eine- .materiellen' Daseins:
alier diese bedarf nicht notwendigerweise des üeberbaus irgend
welcher Ideen. Insoweit genügt das architektonische Gleichni
das Hr. Barth talschlich dahin auslegt, dass die Formen „wieder-
holt", der Grundriss „wiedergespiegelt" gedachl werde. Hr. Barth
schiebt für die Basis das Erdgeschoss unter und stellt sich nun
eine grosstäd tische Miethskaserne mit schablonenmässiger Zimmer-
einteilung vor. Und doch ist sonnenklar, dass nur gemeint war:
das Haus bedarf eines Fundamentes; das Fundament bedarf keines
Hauses. So bedürfen die höheren Tätigkeiten dos Lebens der
niederen, aber die niederen bedürfen nicht der höheren. Wir
fügen hinzu und Marx hätte nicht versäumen sollen darauf hin-
zuweisen: des individuellen wie des sozialen Lebens. In der
Tat ist die biologische oder genauer: die anthropologische Analogie
hier unvermeidlich. Auch das menschliche Einzelleben ist denkbar
oder kann vorhanden sein ohne alle Mitwirkung von Sinnes- und
Bewegungs- geschweige denn von Denkorganen. als schiere- Y
tiren; in seinem nurmalen und gereiften Zustande ist es aller-
dings durch die-.' Organe mitbedingt. Dasselbe Verhältniss ist
evident im sozialen beben: aber die grosse Com plication, die hier-
aus sich ergibt, darf uns die einfache Rangordnung nicht verdun-
keln. Der höhere Rang ist eben dadurch der höhere, das- er von
i niederen en wird; so wird die höhere, die an Schätzen
und an Wissen reichere Classe gleichsam getragen und gehoben von
der Menge des arbeitenden Volkes; so die [deen selber, die in den
höheren Classen zur Blüte gelangen, durch die Muskel -Anstren-
gungen, die den Nahrungsafl des Stammes in frischer Circulation
F. Tönni ■
erhalten; die -- nach dem Manischen Ausdrucke — der „Repro-
duktion des unmittelbaren Lebens" dienen. Darum lässt sich der
Rai ' and der Wichtigkeit auch umkehren: das Aeltere
ere, Allgemeinere ist dann das Ehrwürdigere, sofern es ander
twendigkeil und an der produktiven oder tragenden Kraft
messen wird. — Ist nun so im sozialen Leben die Causalitäl der
ökonomischen Structur, der Produktionsweise des materiellen l>;i
seins zu den übrigen Lebensprozessen? Ist in dem \\;i- Marx be-
hauptet nichts anderes und nichts mehr enthalten? Es ist in seinen
Ausdrucken etwas anderes enthalten. Wenn da- Materielle dem
it-Materiellen und insbesondere dem Geistigen entgegengesetzt
wird, so ist es herkömmlich und scheinl unausrottbar, dass das
Materielle verstanden wird als ob es kein.' geistige Seite, und das
ds ob es keim- materielle Seite hätte. Wie irrtümlich
- ist, wird gerade durch d.i.- soziale Leben gleichsam in grossen
Buchstaben lesbar. Die Güterproduktion geht sichtlich, auf jeder
Stufe, in psychologischen Formen vor sich, und das soziale, poli-
istige Leben iiberhaupl kann niemals ohne ihm eigen«
nomische Ausdrücke vorhanden sein. Hier i>t nicht die tat-
sächliche Wechselwirkung der Organe und Functionen gemeint,
sondern die begriffliche Identität und Coexistenz objektiver und sub-
jektiver Phaenomene. Wenn wir alle Ursache Indien, da- niedere
und vegetative Leben wesentlich als objektive — in der sozialen
Sphäre als ökonomische — da- höhere, animalisch-mentale wesent-
lich als subjektive - dorl als ideologische Tatsachezu betrachten,
so fordert doch diese Betrachtung ihre beständige Correctur heraus,
um aufdringlichen Missverständnissen zu wehren. Vollkommener
und genauer würde das Verhältniss dargestellt werden als bestehend
/.wischen der Produktion allgemeinerer und der Produktion beson-
derter Weit.' (denn der Unterschied materieller und immaterieller
deckt Bich damit nicht) auf der einen Seite; auf der anderen:
zwischen dem geistigen Lehen da- auf jene und dem geistigen
Leben das auf diese sich bezieht. Hat etwa da- ökonomische
Wesen keine ideale Seite? Ist dir Liebe des Hauern zu seinem
Acker, di< ill der Hausfrau für Küche und Leinwand, ist der
Eifer de- Mechanikers, ja i-t nicht das banale Streben nach
Neuere Philosophie der Geschichte: Segel, Ifarx, Comte. 50iJ
wirthschafüicher Selbständigkeil und Begründung des eigenen
Herdes, ein geistiges Motiv? Und hat üichl wiederum die Kirche,
trotz aller asketischen [deale, einen guten Magen? gehl nicht die
Kunst demBrote nach? und heissl es nichl überall: primum vivere
deinde philosophari? — Durch solche Ansicht Bcheint die fast von
selbst verständliche These, dass die höheren Functionen durch die
niederen bedingt sind, viel von ihrer Paradoxie zu verlieren, die
ihr diese Anwendung zugefügt hat. Die Oekonomie, die für Nah
rungsmittel, Kleidung, Wohnstätten etc. sorgt, trügt und bcgriindc-i
die Oekonomie, deren Function die Herstellung und Erhaltung des
politischen Gebäudes, der Kunst. Wissenschaft und aller edleren
Kultur ist. Und das Gedankenleben selber muss sich notwendiger-
weise zuerst und im allgemeinen auf die Sorge ums tägliche Brot
hinwenden, worüber die grosse Mehrzahl des Geschlechtes immer
nur um weniges sich erheben kann, ehe es Einigen vergönnt ist,
ihre Ideen und ihren Willen ganz und gar in Politik und Hecht,
endlich gar auf das Schöne und Oute zu richten, und aus der
Praxis entfliehend in die Theorie und Spekulation sich zu vertiefen.
Und die Art wie das Höhere geschieht, bleibt durch die Art wie
und den Umfang in dem das Niedere geschieht, schon darum be-
dingt, weil nur in einer dichteren Volksmenge die Aussonderung
der Müssigen möglich ist. und weil die Dichtigkeit des Zusammen-
lebens nur durch die Menge und Vielfachheit der Produktion von
Gütern Ihm zunehmender Leichtigkeit des Verkehres und des Aus-
tausches möglich gemacht und vermehrt wird. Dies ist alles sehr be
kannte Wahrheit, wie ich denn früher erinnert habe (Ph. Monats-
hefte L892. S. 446), dass ihre Einsichl schon der hergebrachten Ein-
teilung und Folge von Jägern-, Nomade.n- und Ackerbauvölkern zu
Grunde liege, und in der ebensowenig aeuen Entdeckung sich wie-
derfinde, dass durch Gewerbfleiss und Handel das städtische Leben,
durch städtisches Leben aber alle höhere Bildung, als Knust und
Wissenschaft, wesentlich bedingt sei.
Die Bemerkungen des Kritikers über Unabhängigkeil und
Einflu8s von Politik. Recht Moral, Philosophie, möchten alle richtig
sein (vielleicht sind aber einige etwas leicht und oberflächlich
fasst), sie können doch den Kern des Problemes garnichl berühren.
510 1 i uni
richtig vendung richtigeD Grundgedankens der mate-
rial \ sichl historischer Verwandlungen wird sich als ein Fort-
schritt wissenschaftlicher Brkenntniss behaupten. Marx hatte <lu-
Kraft seines Denkens daraufgespannt, das Bewegungsgesetz
• Irr modernen Gesellschaft zu enthüllen; und am Verständnis^
»enwärtiger Zeitläufe ist auch uns am meisten gelegen, wenn
wir aus der Einsicht in die Boziale Bedingtheit menschlichen I1
kens und Wollens einen Nutzen für unser eigenes Denken und
w ollen abzuleiten wünschen Wir i rkennen hier — und d
der andere Theil der Methode - wie unterhalb aller Unterschi
nationaler, politischer, religiöser und sittlicher, ein gemeinsamer
Process durch alle Kulturländer hindurchgeht, auf jene mannigfi
ausgeprägten Formen des sozialen Lebens und Denkens in gleichem
oder sehr ähnlichem Sinuc wirkend, ohne dass er selber ander«
als in seinen accidentellen Erscheinungen durch diese Formen mo-
dificirt würde; und jener Process isl der ökonomisch-technische
Process, der durch die allgemeinsten und notwendigsten Bedürft]
des Menschen, durch materielle Bedürfnisse des Lebens und Wohl-
lebens, am entschiedensten bewegt wird, und seinen eigenen G
setzen, wenn auch nicht als absolul unabhängigen, so doch als
relativ am meisten unabhängigen folgt. Die herkömmliche Dar-
stellung lässt etwa die Kirche der „mittelalterlichen" Kultur ihren
Charakter verleihen, den Charakter der Gläubigkeit; und die Kirche
war von Gott selber begründet, sagen die Einen sie entsprang
der Herrschsucht und Habsucht einiger Menschen, die von Rom
aus die in Aberglauben befangene Well unter ihrem Einflu
hielten, sagen die Anderen. So werden die Vorgänge selber iil
all den entgegengesetzten Ansichten unterworfen, über denen, wie
\ Comte trefflich bedeutet hat, die positiv -wissenschaftliche An
sieht sich erheben muss: der theologischen und der revolutionären,
aber die Artungen beider sind viel mannigfachei als das einlach.
Schema Comte's erkennen lässt. Allen ist der Irrtum gemeinsam,
sie die Meinungen der Menschen als primäre Tatsachen be
trachten und daran.- di( Ereignisse herzuleiten versuchen: uur
dass die Einen beklagen, was die Anderen verherrlichen. Wir aber
lernen und werden lernen, dass sich hinter den Kämpfen der Mei
Neuere Philosophie der Geschichte: Begel, Marx. Coml ,'t| |
aungen, wenn sie durch ein Objektivglas gesehen werden, Kämpfe
sozialer Mächte oder Tendenzen verbergen; zwar nicht aul
einfache Weise, wie einige „Marxisten" sich dies vorstellen mög
an denen Herr Barth Anstoss nimmt. Aber als Ganzes isl es wahr:
die freie theologische Denkungsari und vollends die freie Natur
und Staatswissenschaft, die Alles zermalmende Philosophie, wären
nicht mächtig geworden, wenn nicht freie Individuen, freie Classen
oder doch die Elemente einer solchen, schon mächtig gewesen wären
und nach vermehrter Macht mit Ungestüm gestrebt hätten. Auch
hängen die neuen Meinungen, in vielen Stücken sogar aus
sprochener Massen, mit den neuen praktischen Tendenzen aufs
engste zusammen. Die neue Freiheit. Willkür. Kühnheit und
Macht von Individuen und Parteien beruht aber in der Geldwirt-
schaft, die rastlos um sich greift. Die Geldwirtschaft wiederum
isl die Stadt, und so ist der Fortschritt der Zivilisation, ihrem
Namen gemäss, Fortschritt der Verbürgerung, hiermit zugleich Fort
schritt des Gegensatzes von Reichen und Armen, von Geniessern
und Arbeitern. Nicht die Reformation oder der Liberalismus hat
die alten Produktions-Organismen und die feudalen Verfassui
formen aufgelöst, und den freien Handel erzeugt, sondern der freie
Handel und die gesellschaftliche Aullösung reflectiren sich in den
Tendenzen der Staaten-Absonderung, der Unterwerfung aller korpo-
rativen Gemeinschaften, daher zumal der Kirche: in den Bestre-
bungen alle Verhältnisse nach vernünftig erkannten Zweckmässig-
keiten, sei es der Einzelnen, die sich suchen und linden, sei es der
für Alle denkenden Gesellschaft seiher. die sich im liberalen Staat«
concentrirt, umzugestalten oder sich umgestalten zu hissen. Sicher-
lich wirkt die Denkungsart, wirken die Theorien aul' die Praxis
des Lebens, auf die sich bekämpfenden oder fördernden Willen
zurück. So wirkt auch im individualen Lehen bei den meisten
Menschen das Denken auf die Ausführung ihrer Arbeiten, ihrer
Geschäfte; den Geschäften selber liegen sie, um sich und um ihre
Familie zu erhalten, ob, und die Gedanken an sich seiher und an
ihre Liehen sind durch vegetative und animalische Antriebe, wenn
auch menschlich gestaltete, ganz und gar bedingt und gotrag»
Hunger und Liehe sind die Motoren — was anderes bat Marx
.'•iL' P. Tönnies
ii wollen? was anderes bedeutet die materialistische Philosophie
1 - schicht
Wie wir nun in diesem Zusammenhange Comti - gi achten,
der von einer idi hen Ansicht immer mehr in die realistische
und -lfi<'ii Zusammenhang mit der vie affective, hinubergeführt
wurde, so ist es uns erfreulich, hier am Schlüsse auf eine neue
Darstellung des gesammten „ Positivismus u hinzuweisen, die in
Deutschland bisher nicht ihre- gleichen hat und al> durchaus ver-
dienstlich ang hen werden darf*). \\* i « - merkwürdig, dass
Hegel und Comte zu gleichet Zeit in den benachbarten Ländern,
den innerlich so verwandten Staaten Preussen und Frankreich,
ihren Einfluss geübt haben: sehr verschieden gebrochene Strahlen,
aber doch eines Lichtes Zeugen. Beide sind encyklopädische Philo
sophen; aber Hegel spinnl nur Begriffe aus dem Begriff« — alle
Wissenschaf! ist sein eigenes Werk; Comte nimmt die Wisa
Schäften als gegebene Thatsachen, deren Inhall er beschreibend
vorlegt; sein besonderes Werk soll nur die Darstellung des not-
wendigen Ganges dieser Wissenschaften sein, und ihre Krön
durch die positive Philosophie der Geschichte, oder - was dasselbe
Bagt - - durch Erhebung der „Socioli t in ihr drittes Stadium.
Das ist ja aber auch Hegels .-im tiefsten gehende Unternehmung:
die Entwicklung der Menschheil zu deuten, lud beide suchen
eine Verbindung jener Gegensätze, die als Gegensätze von Auto-
rität und Revolution, von Glauben und Denken, von Gebundenheil
und Freiheil auch die Ansichten der Geschichte notwendigem«
bestimmen. Für Hegel ist dei Standpunkl der Idee seiner Natur
Dach diesen Gegensätzen überlegen; aber, wenn wir den mittleren
herausgreifen, so last zugleich keinen Zweifel darüber, dass
trotz aller Verachtung des seichten Verstandes, dieser Standpunkt
loch in der eigenen Bewegung des Denkens und nichl in der des
Glaubens liegt, wenn gleich dei Inhall der Philosophie nur eine
Dei I onus, asu b seil pi anglichen l t< lli und
teilt Von Dr. Maximilian ßrütt. Separat Vbdruck aus dem 0
Uambui | 188
phie der Geschichte: Eleg« I, Marx, «'Mint''. 5 | :;
Verdeutlichung der Wahrheiten sei, die auch in „der Religion" für
„die Menschen aller Bildung" vorhanden seien (Encyklop. Vorr.
zur 2. A.usg. i». XIX). A.us dieser verfeinerten Betrachtung ent-
springt aber auch die praktische Bewertung, also so zu sagen
die Parteistellung. Sie ist ihrer Absicht nach, indifferent; wir .las
Gouvernement oder wenigstens — einer verbreiteten Vorstellung
gemäss — das Königtum es sein will und soll, in Wirklichkeit
wird sie daher mehr nach der rechten oder mehr nach der linken
Seite sich hinneigen — wie diese Tendenzen denn in der Hegel-
schen ..Schule" rasch auseinander gehen. Hegel selbst ist im
Praktischen ohne Zweifel mehr konservativ als revolutionär zu
nennen, aber doch mit jener liberalen Färbung, die von Zeit zu
Zeil der konservativen Gesellschaft an dem höheren Staats-
beamtentum unangenehm auffällt. Comte war alles andere als
ein .offizieller Philosoph. Persönlich mehr ein Proletarier als ein
Würdenträger; im socialen Denken mehr Phantast und Prophet als
Verherrlicher der Wirklichkeit. und doch ist die Tatsache
leicht erklärbar, dass sich als Kritiker und Reformatoren der ge-
sellschaftlichen Zustände überall Comtisten mit Hegelianern be-
dien.6) Jene Gegensätze haben für Comte eine prominente
Bedeutung; sie bezeichnen ihm ja die notwendigen Phasen durch
die das sociologische Denken — wie alles wissenschaftliche Denken
— hindurchgehen musste; und so gewiss als alle früheren Wissen-
schaften endlich positiv geworden sind, um so später je besonderter
und komplicirter ihre Beschaffenheit ist, ebenso gewiss wird die
Soziologie positiv werden, ist im Begriffe es zu werden und eine
Politik aus sich zu erzeugen, die der konservativ-theologischen und
der revolutionär-metaphysischen so überlegen sein soll wie die Ko-
pernikanisch-Kepler'sche Astronomie den Chaldäern und Astrologen
sowohl als den ptolemäischen Konstruktionen und scheinbaren Er-
klärungen überlegen sei. „Mit der Disziplinierung des Denkens
und der Neubegründung der Sitten konstituirt -ich eine neue geist -
liehe Obrigkeit, welche das Organ für die endgültige Leitung
Hervorragende englische Comti hörten zu den Mitbegründern
der „Int male", d neral-Sei K. Marx war — was im J. 1864
ein sehr avancii tes D( i eichnet ! —
VII. •>' >
51 1 V. Tönnii
der Menschheit bilden wird" (Krim s. 47). Dies könnte ganz wo!
auch al> Formel dea Hegelischen Gedankens gelten, nur dass bei
Hege] die Forderung als eine ,niedrijge' und fasl erfüllte' sich dar-
stellen würde, l I tnte als ,höhere( aber auch »unerfüllte1; wir
beziehen uns lii«r auf einen Goethe'schen Sprach, der die höheren
lerungen, wenn auch unerfüllt, als „an sich schon schätzbarer"
bezeichnet Comte weiss so wenig von dem Zusammenhange seiner
Postulate, als Hegel von dem Zusammenhange Beines Staates als
des „an und für sich Allgemeinen" mit dem keimenden Sozialis-
mus oder den [deen der Arbeiterklasse, und doch stehl II
in einer ähnlichen Filialität zu dem ersten deutschen, \si<- Comte
zu dem ersten französischen Sozialisten, jener zu Fichte, dieser zu
St. Simon, auf den er „während seiner ersten Jünglingsjahre mit
schwärmerischer Verehrung emporschaute" (Hr. v. 52 .
waltig ist die Macht der Thatsachen ubei die Eigenwilligkeit des
D nkens, dass überall innerhalb des ungeheuren Rückschla gen
die Revolution, womil 'las Jahrhunderl anhebt, das bleiche Antlitz
des revolutionären Proletariates emportaucht, obgleich es erst am
Ende dieses selbigen Jahrhunderts sein Dasein als ein öffentlich
anerkanntes auf die Bühne gesetzl hat. Fasl ohne es zu wissen
hat .In- Staat von Anfang an in seinen grössten Actionen mit ihm
zu tun, sii sehr wie er mit Begünstigung der grossen Agricultur
und der grossen Industrie zu tun hat. und wie der Staat ober-
halb der beiden Klassen, die mehr und mehr mit ihren Id. tu die
Häupter dieser beiden Stämme des Kapitalismus repräsentiren, die
Tendenz der Neutralität und des Gleichgewichtes darstellt, bo
unterhalb ihrer jene rasch wachsende dritte Klasse, die beiden
den Krieg erklärt und. je nachdem Bie gerade die eine oder die
andere stärker bekämpft, mehr zu der jedesmal anderen sich hin-
neigt. Auch sie setzl sich als das Allgemeine allen streitenden
Int. der alten und neuen Stände entgegen; auch sie will
auf einer höheren Stufe wiederherstellen, was die alte Ordnung
der Naturalwirtschaft Positives in sich barg, was die Ivevolutiiui
die Geldwirthschaft an die sie doch mit allen Fäden sich an
knüpfen muss, zerstörl hat und ferner zerstört; auch sie verkündet —
wie Hege] - das zum Selbstbewußtsein Gelangen der historischen
\ aere Philosophie der Geschichte: Hegel, Ifarx, Comte. 515
\ ernunfl and die Freiheil ÄJler, auch Bie will wie Comte
ihre Ordnung begründeD in der exaeten Wissenschaft des sozialen
Lebens und in planmässiger Anwendung der schon im kapitali-
stischen Zeitalter zur Herrschaft gelangten Naturwissenschaften und
der mechanischen Technik. So finden wir viele verwandte Züge
in diesen von einander abgewandten Gestalten. Sie weisen den
Forscher darauf hin. dem Notwendigen und Gesetzmässigen in hi-
storischen Dingen durch Beobachtung der ihn umleitenden Strö-
mungen ti-'t'er nachzuspüren und die organische Einheit in den
mannigfachen Erscheinungen einer gleichzeitigen Kultur zu ent-
decken.
36
\x.
Zu Descartes' Briefen.
Vn|,
Johannes Kretsschmar in Marbi
Unter den Papieren des hessischen Ministers Johann Caspar
\. Döraberg (t 1680), welche jetzl im Staats -Archive zu Marburg
aufbewahrt werden, befindel sich eine Anzahl von Briefen (gleich-
zeitigen Abschriften) Descartes an die Pfalzgräfin Elisabeth,
sind zwar sämmtlich im 9. Bande der Ausgabe von Cousin (Paris
1825) schon gedruckt, liegen aber hier in ihrer ursprünglichen i
stall vor, die in manchen Punkten von der bisher bekannten ver-
schieden ist. Cousin hat sie alle nur annäherungsweise datier!
nach den Angaben des Unbekannten, welcher in dem Pariser Exem-
plare seine Eintragungen gemachl hat (vergl. Vorrede zu den Briefen,
Bd. 6 der Oeuvres); hier hat sich überall das volle Datum erhalten,
das doch immerhin um Monate gegen die jetzigen Ansätze differiert
Abweichungen und Ergänzungen dem Inhalte aach werden unten
angeführt, sie finden sieh nur bei 2 Briefen.
W ie diese Briefe unter die Papiere Dörnbi rgs gekommen
sind, lässl sieh niii Bestimmtheil nicht ermitteln. Da Dörnberg
aber in politischen Missionen häufig am Pfalzer Hofe zu verhan-
deln hatte er war einer der hessischen Unterhändler, welche
die traurigen ehelichen Zwistigkeiten zwischen dem Kurfürsten
Karl Ludwig von der Pfalz, dem Bruder der Prinzessin Elisabeth,
und seiner Gemahlin Charlotte von Hessen-Kasse] gütlich beilegen
sollten und da er zu den gebildetsten Diplomaten -einer Zeil
gehörte, ist es unschwer zu erraten, wie er in den Besitz jener
Zu Descartes1 Briefen. 51 <
Briefe gekommen ist Er war lebhaft an allen Bewegungen des
geistigen Lebens, vor allem des religiösen interessier!, wie er denn
zu den Hauptverfechtern der Einigungsversuche John Duruys
hörte, und ein Freund und Verehrer Charles Drelincourts war.
Es sind folgende 7 Schreiben:
1) d. d. d'Egmonl le 21 de Juillet 1645 (Cousin p. 207: ca.
20. April).
2) d. d. d'Egmonl le 4 d'AousI 1645 (Cous. p. 210 Anm.:
ca. 1. Mai).
3) d. d. d'Egmonl le 18 d'AousI 1645 (Cous. p. 215, vergl.
p. 210 Anm.: ca. 1."). Mai).
4) d. d. d'Egmonl le premier de Septembre 1645 (Cous.
|i. l'1'".'. vergl. p. "-MO Anm.: ca. 1. Juui).
5) d. d. d'Egmont 15. Septembre 1(545 (Cous. p. 230, vergl.
p. 210 Anm.: ca. 15. Juni). Am Schlüsse wird hier noch hinzu-
gesetzt: Lorsque je ferrnois cete letre, j'ay reccu celle de v. a. du
13 mais; j'y trouve taut de choses a considerer, que je n'ose entre
prendre d'y respondre sur le champ, et je massurc que V. A.
aymera mieux que je pren un peu de tems pour y penser.
ii) d. d. dl^gmont le 6 octobre 1645 (Cous. p. 236: vers le
mois de septembre). Auf p. 245 lautet der Anfang des zweiten
Absatzes anders:
.... dans les esprits qui vienent du coeur.
Voyla ce que ie pensois escrire il y a 8 iours ä vostre Altesse,
et muii dessein estail d'y adjoustcr une parti [cu] liere explication
de teilt'- h - |iassions, mais ayant trouve de la difficulte a les
denombrer, ie fus contraint de laisser partir le messager sans ma
letre. et ayant receu cepandant celle, que V. A. m'a fait l'honneur
de m'escrire, iay une nouvelle occasion de respondre, qui m'oblige
de remetre a une autre fois cet examen des passions, pour dire
icy, que toutes les Causes raisons (sie!), qui prouvent l'existence
de Dieu ....
7) d. d. d'Egmont le 3 novembre 1645 (Cous. p. 360: 1646
Kehr. 1).
Jahresbericht
über
sämmtliche Erscheinungen auf dem Gebiete der Geschichte
der Philosophie
i li G c m einschaft mit
Clemens Baeomker, Ingram Bywater, Älessandro Chiappelli, Hermann Diels,
Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann, Martin Schreiner, Andrew Seth,
Paul Tannery, Feliee Tocco, Paul Wendland, Wilhelm Windelband
und Eduard Zeller
herausgegeben
von
Ludwig Stein.
V.
Bericht über die neuere Philosophie bis auf
Kant für die Jahre 1890 bis L893.
Herausgegeben von Wilh. Windelband in Strassburg.
I.
Descartes und Schule
Berichl von
Benno Krdiuanu in Halle a. S.
Goldbeck, Emil. Descartes' mathematisches Wissenschaftsideal.
I. D. Halle 1892, 44 S. 8°.
In wenigen, aber scharfen, von gereifter Methode zeugenden
Strichen entwirft der Verf. die Umrisse von Descartes' Stellung zur
Mathematik sowie der Auffassungen des Philosophen vom Wesen
der Mathematik, der scientia universalis, den Axiomen dieser Wissen-
schaft, von Deduktion und Enumeration, und vom Naturzusam-
menhang.
Die unklare Stellung der Erfahrung in den methodologischen
Voraussetzungen des Philosophen wird nur im allgemeinen richtig
hervorgehoben. Bedenklich bleibt die Zurück führung der Enume-
ration oder Induktion auf den (formalistisch gedeuteten) indirekten
Du
Bedenklich sind auch die meisten Andeutungen des Verf.'s
aber die Entwicklungsgeschichte des Philosophen, insbesondere die
Annahme einer späteren Periode scholastischen Einfluss »wie
die Behauptung v*on der entscheidenden Kraft des religiösen Be-
dürfnisses auf die philosophischen Konceptionen des Denkers.
Benno Erdmann.
Hinsichtlich der Lehre von der [ndnktioa and damit auch
der Erfahrung überhaupt würde eine eingehende Erörterung der
telisch-Scholastischen Tradition Bowie der Art, wie tatsächlich
Erfahrung in die Konstruktionen des Philosophen hineingreift,
heileres Licht verbreitel haben. Die Fragen der Entwicklunesee-
Bchichte fordern hier wie in jedem Fall ein gründliches Eingehen
in die Problemstellungen, in die das Denken Descartes1 einsetzt.
Ludwig, ,1 gito ergo suma J. D. Leipzig 1890 ( Wies-
baden I». Bergmann) 58 5. - .
Eine historische Untersuchung über den Cartesianischen Be-
griff der cogitatio hätte die Bedeutungen festzustellen, in denen
Descartes das Wori gebraucht, den sachlichen und den entwick-
lungsgeschichtlichen Zusammenhang dieser verschiedenen Bedeu-
tungen darzulegen, und ihre historischen Verknüpfung mit den
zeitgenössischen und früheren Bestimmungen des Begriffs aufzu-
decken.
Auf die erstgenannten Feststellungen und Darlegungen geht
der Verf., der schon L889 einen Grundriss der Philosophie als
„Bestimmungslehre" veröffentlicht hat, mit Sachkenntnis and nicht
ohne kritische Schärfe .'in. Ein klares Bild der allerdings schwan-
kenden Bestimmungen des Philosophen erhalten wir jedoch nicht
Dazu i-t die Untersuchung des Verf.'s nicht speziell und eindrin-
gend genug. Immerhin gewinnl die spatere Forschung reinlicher
chiedene Grundlagen, als bisher vorhanden sein möchten. W<
niger Neues und gleichfalls nicht hinlänglich Abgerundetes bietet
die weitere Analyse de. Fundamentalsatzes. Die einleitenden Hin-
weise auf die Vorgeschichte des cogito ergo swm erhalten ein«, brei-
Ba nur dadurch, dass der Verf. nicht Btreng hei der Sache
bleibt.
Kalligo, II \n . Des Cartesius Ansicht aber den Ursprung unserer
Vorstellungen mit besonderer Berücksichtigung der eingebo-
renen Vorstellungen. .1. B. des K. Gymn. zu Vinzburg 91 92
2, Progr. 158). 19 S. I .
Der Verf. beschränkt sich in dem wesentlicheren Teil der Ab-
handlun 9 ■ !">) auf 'ine sorgsam (undirte und durchdachte
Bericht über die neuere Philosophie eto. L890 — 1€ 523
Zusammenfassung der zerstreuten Äusserungen des Philosophen
aber das Wesen and die Arten der angeborenen Ideen. Er zieht
manche von den früheren Darstellern unbeachtete Auslassungen
Descartes' heran. Weitergeführt sind allerdings die historischen
Streitfragen über diesen Teil der Cartesianischen Lehre nicht. Der
Verf. hat anscheinend von ihnen keine Notiz genommen. Er bätte
sonst die spätere, das Wesen der angeborenen tdeen verwischende
Deutung, zu der sich der Philosoph gezwungen sah, nichl als eine
Ergänzung der ursprünglichen Annahmen behandeln können. Auch
die historische Kritik, nieht bloss die sachliche, in die der Verf.
gar nieht eintritt, hat doch auf dieses Zurückweichen längsl auf-
merksam gemacht. I>ie historischen Bedingungen, die zu der über-
raschenden Wiederaufnahme der Lehre von den angeborenen tdeen
durch Berbert von Cherbury und Descartes geführt halten, bei
jenem im [nteresse des Deismus, lud diesem im Zusammenhang
der Annahmen des mathematisirenden Rationalismus, bleiben an-
erörtert.
Twabdowski, Kasimir, [dee und Perception. Eine erkenntnis-theo-
retische Untersuchung aus Descartes. Wien. Kunegen IS'. »2.
46 S. 8°.
Der Verlasser analysirt in methodischer, begrifflich scharfer
Erörterung Descartes' Kriterium der Wahrheit, dessen verschiedene
ssungen er aufzählt. Aus der Untersuchung der Begriffe der
pereeptio und der !<l<«. der pweeptio clara et distineta, der idea
•■Iura et dütineta sowie des iudicium gewiunt er das Resultat : die
klare und deutliche Idee ist für das richtige Urteil nur Bedin-
gung, die klare und deutliche Perception dagegen seine ratio.
Grundlegend für den Sinn dieser Scheidung ist die Bestim-
mung der pereeptio als Wahrnehmung im Sinne Brentanos. Sie hat
auch ausserhalb der Kreise Brentanos Zustimmung gefunden (Sey-
ring in diesem Archiv VI. 45ff.). Twardowski weicht in diesem
Punkte von der schon innerhalb der Cartesianischen Schule fest-
stehenden Ueberlieferung ab. Diese stützt sich auf die bündige
Erklärung des Philosophen (Trine, philos. I. 32): „omnes modi co-
gitandi, quo» in nobis experimur ad duos generales referri possunti
_' I I m b n d .
'•""' " itt, II, CtU8} „Iltis r, rO
Denn von bier aus erscheint die
/"/■■ - \ Stellung ler idea als dem stellten.
W 1a Tu. tinbedenklich macht, die Deutung Brentanos in Des
Ausfuhrungen hineinzulegen, ist die Scheidung des Philosophen
zwischen und 'Jectu percipi. Es stehen jedoch
dieser Schwierigkeit bei Beiner Interpretation enüber,
welche sich ergeben, sobald man von dem Begriff der cogitcüio
ausgeht, den Tw. nichl zum Ausgangspunkt wählt. Ich halte in
Rücksicht auf di Schwierigkeiten die Deutung Tw.'s für ver-
fehlt. Gerade «Irr Wechsel einerseits zwischen percipere, deprehen-
</-/•«. apprehendere > animadvertere, andererseits zwischen perci}
intettigm und concvpen dient in der Beleuchtung durch die Carte-
sianische Fassung der cogüaüo dazu, der Oeberlieferung Etechl zu
geben.
Reinlich allerdings wird die Zusammenfassung der Cartesiani-
schen Lehren auch auf diesem Wege nicht. Aber nur. weil die
Aristotelisch-Scholastischen Nachwirkungen, die bei historischer Prü-
fung gerade in der Lehre von der cogitatio, speziell in den schwan-
kenden Bestimmungen des sensus, der imaginatio ct. erkennbar
werden, sich auch in diesem Punkte als unausgeglichen erweisen.
Der historische Rekurs aber wird bei näherer Ausführung ebenfalls
eine Bestätigung der überlieferten Auffassung ergeben.
Müller, Bebmann, Joh. Clauberg und seine Stellung im Cartesia-
nismus, mit besonderer Berücksichtigung seines Verhältnis
zu der occasionalistischen ITieorie. I. I>. Jena 91, 77 s. B
Die Erörterungen über den Occasionalismus und sein Verhält-
nis zu der prästabilirten Harmonie, die in den Jahren L882 L894
angestellt worden sind, haben einen nachhaltigen litterarischen
Einflusa ausgeübt. Sie haben unser Wissen von <\<iv inneren und
äusseren Geschichte der Cartesianischen Schule mehrfach über den
Stand der grundlegenden Untersuchungen von Fr. Bouillier L854
hinausgeführt. Weniger ist ihr Einfluss, trotz des tüchtigen An-
laufs von König, bisher der Geschichte des Kausalproblems im
siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert zu gute gekommen.
Bericht aber die neuere Philosophie etc. 1890 1893.
Auch die vorliegende, etwas breite, aber verständige und
überall aus erster Quelle geschöpfte Darstellung bleibt durchaus
innerhalb des engeren Rahmens der erstgenannten Fragen.
Der Verf. weis! überzeugend oach, dass wir kein Rechl haben,
Clauberg den Occasionalisten beizuzählen, dass es auch nicht rieh-
tig war. einen Einfluss von Clauberg auf de la Forge zu kon-
struiren. Gegenüber früheren Darstellern i\i>* Cartesianismus und
dem Verf. wird anzunehmen sein, dass auch das Substanzprublem
keine Fortbildung durch Clauberg erfährt. Die Wendungen, die
für sieh betrachtet, Clauberg zu einem Vorläufer Spiimzas stem-
peln würden, vertrauen in dem Zusammenhang des Claubergschen
Cartesianismus sowie in Rücksicht auf verwandte scholastische Er-
klärungen eine solche Deutung nicht. Sie beweisen nur neben den
ungleich tiefergehenden analogen Wendungen l>ei Geulincx, Male-
branche und anderen, wie stark die neuen Atributsbestimmungen
der endlichen Substanzen, insbesondere der körperlichen, zu der
Spinozistischen Eonsequenz aus dem altüberlieferten Substanzbegriff
drängen.
Mit Recht weist der Verf. darauf hin, dass Claubergs histo-
rische Stellung vorzugsweise durch die Versuche charakterisirt
wird, die Impulse der Cartesianischen Methodenlehre für die scho-
lastische Logik fruchtbar zu machen. Leider geht er auf die logi-
schen Lehren Claubergs nicht so weit ein, dass ihr Verhältnis zu
der Logik von Port-Royal fester bestimmbar würde. Doch bleibt
der Anschein bestehen, dass Clauberg auch hier über den Bestand
der Oeberlieferung ungleich weniger hinaus gekommen ist, als
Pierre Nicole und insbesondere Antoine Arnauld.
Arnold] Geulini x Antverpiensis Opera philosophica recogn. J. P. V
Land vol. I— III. Hagae Coinitum 1891 — 93.
Die Anzahl der zuverlässigen Gesamt -Ausgaben, die wir von
den (uhrenden Philosophen des siebzehnten und achtzehnten Jahr-
hunderts besitzen, Ist gering. Von den philosophischen Schrillen
Bacons, Descartes' und Hobln-'. Malebranches und Lockes, ja selbsl
von denen Humes und Kants besitzen wir nur unzureichende
Sammlungen. Der Textbestand dieser aller auch der Ausgabe
. malt n.
der Philosophical Works von Same durch Green und Grose —
Ansprüchen Dicht; die meisten sind überdies un-
vollständig. Welch ein Unstern auch aber der neuesten, grossen
von Leibnizens Philosophischen Schritten gewaltet hat,
ist den Lesern dieser Zeitschrift bekannt Fräsers Ausgabe der
Werke \ >d Berkelej scheint eine rühmliche Ausnahme zn bilden.
Um so erfreulicher ist, dass Lands Ausgabe von Geulincx
Schritt. Mi sich würdig der Jubiläumsausgabe von Spinozas Werken
anreiht. Ich unterlasse, der vortrefflichen, nach dem Vorbilde
der Spinoza-Ausgabe glänzend ausgestatteten Sammlung gegenüber,
einzelne Bedenken über Anordnung und Umfang des Abgedruckten
auszusprechen. Kein Serausgeber vermag es in solchem Fall allen
Recht zu machen. .Manchen leicht zu Bndenden Einwänden stehen
auch in diesem Fall sicher Ueberlegungen entgegen, die der Seraus-
er überflüssig linden darf, ausfuhrlich darzulegen. Ueberdies
machte der eigenartige Bestand des Materials, den der Serausgeber
in Bd. I kurz, verzeichnet, den van der Saeghen in seiner Biblio-
graphit des oeuvres </• Geulincx sachkundig besprochen hat, die
Aufgabe des Herausgebers zu einer besonders schwierigen. Auf die
stimmungsvolle Würdigung des ersten Bandes der Ausg I . die
K. Bücken in den Philos, Monatsheften veröffentlicht hat, sei ins-
besondere hingewiesen. Man vgl. den Bericht des Serausgebers in
diesem Archh 86ff.
Novaeo, Mabio, Die Philosophie des Nicolaua Malebranche. Berlin,
Mayer u. Müller L893. \ u. 107 S. - .
Die Schrift von Novaro bringt eine sorgsame, auf eingehende
und selbständ Studien gestützte Reproduktion der philosophi-
schen Lehre des berühmten Oratorianers. Auf die Entwicklungs-
bedingungen für die Lehren des Philosophen geht der Verf. nur
kurz, und nicht ohne Unterschätzung des Einflusses von Augustin
ein; auch die Entwicklung der occasionalistischen Lehre in der
Cartesianiscben Schule Btreift er nur mit kurzen Bemerkungen.
Trotzdem kommt der Schritt eine tiefergehende Bedeutung für
die Frage nach der Entwicklung des Kausalitätsproblems bis aul
llllllie Z.U.
Berichl über die neuere Philosophie etc. 1890—18 .YJ,
[ch habe schon in der Besprechung von Koenigs Buch aber
das Kausalproblem angedeutet, wie sich mir diese Entwicklung
.larstollt. Es sei gestattet, sie hier kurz darzulegen.
In der Aristotelischen Kausalauflassung Lsl die Annahme eines
analytischen Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung
nicht bestimmt ausgesprochen, aber deutlich enthalten. Diese Auf-
Fassung wird (ebenso wie die Aristotelische Substanztheorie) in
der späteren Philosophie, auch in der Scholastik festgehalten. Sie
gehl von dieser aus unbesehen in die neuere Philosophie, in die
der Renaissance wie in die mechanischen Systeme ein, die um die
Mitte des siebzehnten Jahrhunderts entstehen. So kann Descartes,
der hier allein in Betracht gezogen werden mag, naiv behaupten:
„Jam vero limine naturali manifestum est, tantundem ad minimurn
debert in causa efßcienh et totali, quantum in eju&dem causae
tu: nam quaeso, undenam posset assumert realitatem suam
effectus nisi a causa? Et quomodo illam ei causa dare posset, nisi
etiam haberetf Rine autem sequitur, nee posse aliquid a nihilo
fieri, nee etiam id quod magis perfectum, hoc est quod plus realitatis
in se continet, ab co, quod 'minus" ct.
Aber Descartes' attributäre Scheidung der endlichen Substanzen
macht den analytischen Kausalzusammenhang für die Wechselwir-
kung zwischen den beiden wesensverschiedenen endlichen Sub-
stanzen im Grunde unmöglich. Die Macht der Ueberlieferung, die
Descartes das Problem ungeprüft aufnehmen lässt, ist jedoch so
stark, dass nicht der Gedanke eines analytischen Zusammenhangs
aufgegeben wird, sondern dass in seiner Schule wie bei seinen
Nachfolgern vorerst Versuche entstehen, auf Grund dieser Annahme
den Schein der Wechselwirkung zu erklären. Eben weil der attri-
butäre Kontrast der endlichen Substanzen keinen analytischen Ab-
hängigkeitszusammenhang zwischen ihren Modifikationen ergiebt,
wird der unmittelbare Causalzusammenhang zwischen ihnen, den
schon Descartes nicht reinlich mehr darzulegen vermag, von -einen
selbständigeren Schülern aufgehoben. Er wird nicht nur für die
endlichen Substanzen überhaupt, sondern auch insbesondere für
die wechselseitigen Modifikationen der ausgedehnten Substanz be-
stritten, weil sich mit der traditionellen Kausalvorstellung und
528 Erdmann,
dem n.u. ii \\ ,sitz zwischen denkender nnd ausgedehnter
Substanz die Cartesianische Bestimmung des Körpers verwickelt.
heim «ii«- geometrisch-mechanische Deutung der ausgedehnten Sub-
stanz lä&sl den Körper uichl als Ursache, sondern Lediglich als Ob-
jekt der Bewegung erscheinen.
Auf dieser Grundlage entstehen die Kau&altheorien einerseits
des Occasionalismus, andrerseits des Parallelismus der he-
terogenen Modifikationen bei Spinoza. Letzterer entwickelt den
überlieferten Gedanken des analytischen Zusammenhangs zwischen
äache and Wirkung in klassischer Schärfe. Die Immanenz der
Modifikationen in der Substanz, der Wesens atz zwischen den
Modifikationen des Denkens und der Ausdehnung, endlich «Ii.' Kon-
struktion des Zusammenhangs der [deen nach dem Muster des
metrischen Zusammenhangs der ausgedehnten Dinge: dies alles
führt ihn dazu, den realen Causalzusammenhang als einen rein
logischen, begrifflichen, analytischen zu formuliren. In diesem
Sinne, dadurch also, dass eine unbesehen \ ler oeueren Philo-
sophie festgehaltene Voraussetzung prägnant zu Tage tritt,
winnt das causari ab aliqua n die Bedeutung eines sequi ex ejus
deßnitioru .
[ndem die traditionelle Urteilslehre in jene Bestimmungen
hineinwirkt, kommt Spinn/.;! zu dem Axiom: „Effect \ cognitio <>
Cognition* causcu dependet <f eandem involvit."
Aus der gleichen metaphysischen Tradition heraus bildet Leibniz
den Occasionalismus zur prästabilirten Harmonie hui. Denn
die Voraussetzungen dieser seiner Kausaltheorie wurzeln in jener
Periode seiner Entwicklung, in der er die Entelechien, in Anlehnung
an die Scholastik, noch als substantielle Formen der Körper deutet.
Es zeugt lediglich von der Macht der Aristotelisch -Cartesianischen
I eberlieferung, da— er diese Voraussetzungen und die auf ihnen
erbaute Theorie des Kausalzusammenhangs Bpäter festhält. Audi
dann noch, als ihn seine mechanisch-physikalischen Untersuchunj
sowie die Entdeckungen der [nfinitesimalmethode dahin bringen,
den überlieferten Hylozoismus zu einem Spiritualismus fortzubilden,
der die Materie zu einem Inbegriff unendlich vieler, unendlich
kleiner, unendlich weni chi edener, unendlich viel darstellender
Bericht über die neuere Philosophie etc. 1890—18 529
geistiger Substanzen macht. Denn der Dualismus der Wesensbe-
stimmung des Endlichen, der zur Leugnung des unmittelbaren, als
analytisch gedachten Kausalzusammenhangs rührte ist fortgefallen.
Aber der Antrieb für diese Leugnung, der in dem durch jenen
Dualismus verschärften Substanzbegriff liegt, bleibl stärker, als die
Kraft des neuen spiritualistischen Monismus.
lu jeder dieser drei Theorien, oder, bei prinzipiellerer Schei-
dung, sowol in der des occasionell-prästabilirten als in der des Paral-
lelismus-Zusammenhangs, wird die Kausalverknüpfung /.wischen dem
Endlichen hergestellt, indem die unendliche Substanz, als Mittel-
glied eingeschoben wird. Die AHweisheit und Allmacht Gottes,
weiterhin seine omnitudo realitatis überhaupt, wird zum ultimum
refugium der analytischen Notwendigkeit. Bei den einen wird
dieser Zusammenhang ein vorwiegend extramundancr, bei Spinoza
Isl er ein rein immundaner; die religiösen Motive der üeberliefe-
rung, die jene mitbestimmen, bildet Spinoza auch hier mit scharfer
Konsequenz um.
Diese Problemlage komplicirt sich bei Berkeley mit dem
Empirismus Lockes, der zwar eine tiefgreifende Kritik des über-
lieferten Substanzbcgrill's gegeben hatte, hinsichtlich des Kausal-
problems jedoch nicht über die Tradition hinausgekommen war.
Sie liefert Berkeley die Grundlage für den Beweis, dass die Ideen
der körperlichen Dinge kein Moment von Kraft oder Tätigkeit ent-
eilt halten, dass also „Ausdehnung, Figur und Bewegung" nicht die
Ursachen unserer Empfindungen sein können. Erweist in dem Zu-
sammenhans dieses Beweises vielfach direkt auf den Occasionalis-
mus hin. So auf „the modern philosophers, u'/to though they allow
matter to exist, yet will have God ahne to be the immediate effi-
czent cause of all things. These men saw that amongst all t/u
objeets of sense there was none which had any power or activity
included in it" . . . Nicht bloss religiöse Antriebe sind es andrer-
seits, die ihn hindern, die Konsequenz der empiristischen Substanz-
kritik Lockes nur für die materiellen Objekte, die Ideenwelt zu
ziehen, die Geister dagegen in ihrer substantiellen Realitäl zu be-
lassen. Auch hier spielen vielmehr Gedanken aus der Kausali-
tätstheorie der selbständigeren Cartesianer hinein. Es isl oichl
Archiv f. Geschichte d. Philosophie. VII. .')(
Benno Brdmann,
schwer, von dem „principium eoidentusimum /»r se", dem Sai/.:
. id non facis" aus. den historischen
Zusammenhang zu der Behauptung zu finden, dass „tht of
d. i. der ■ . iL things) ie an meorporeal a*
v jh. words, will, soul, spirit? </<>
dl, bvi lometking which ü very
...<•< ing cm <"/< n
Von der durch Berkelej umgebildeten Problemlage aus kommt
Harne, in diesem Tunkt der Antipode Spinozas, zu der Erkennt-
nis, «reiche ihn zum Kritiker der überlieferten Kausalauffassung
macht. An die Stelle des analytischen Zusammenhangs zwischen
I reache und Wirkung tritt ein empirisch-associativer, d. i. \\i«' wir
ii können, ein synthetischer a posteriori. Er erklärt:
„The mind com never possibly find Hu effeci in t/u supposed cause,
by the mosi accuraU scrutiny <m<l examination. For Ü i i»
totaliy differeni from tht and consequently can never I»'
discovered in it."
Verwickelter gestaltet sich das Kausalproblem in der Leibniz-
Wolffischen Schule und in den Streitigkeiten, die ihre Zersetzung
herbeiführen. Wolffs schwächliche Abwehr der Einwurfe des Pie-
tismus die prästabilirte Harmonie giebl < I > ■ r Hypothese des
injhi.ins reaUs, die anscheinend längsl überwunden war. neue
Kraft. Von verschiedenen Gliedern der Schule wird Bie allmählich
zu der Annahme eines mfitucus idealü umgearbeitet Diese meta-
physischen Erörterungen stehen überdies in engen Zusammenhang
mit den Streitigkeiten, die das von Leibniz mehrdeutig formulirte
Prinzip des zureichenden Grundes, insbesondere seil Crusius' An-
grifl zur Folge hat. Aus diesem Zussammenhang heraus gelangt
Kant unabhängig von Hume (s. dieses Archiv [, 62ft, 216 ff.) und
vorerst ohne Bewusstsein seiner Qebereinstimmung mit ihm zu der
gleichen Erkenntnis des synthetischen Charakters der Kausalbe-
ziehung. Als Kant später, nach 1772. den Standpunkt gefunden
bat, der ihm das Verständnis für Humes Kaus.ilthc.nic eröffnet,
wird er nicht nur seiner Einstimmigkeit mit Bume in diesem
Punkte gewiss, sondern lernt auch nach langem Ringen von sei-
nem „Vorg die Kausalbeziehung lediglich in dem Ge-
Berichj über die aeuere Philosophie etc. 1890 18 531
biel möglicher Erfahrung objektive Geltang besitzt. Nur gegen
den Scliluss auf den empirischen Ursprung dieser Synthesis Isl er
hützt. da er bereits alle Synthesis als die ursprüngliche und
eigentliche Funktion des Verstandes erkannl hat. Der Zusammen-
hang zwischen Ursache und Wirkung steh! ihm als ein syntheti-
sch er a priori fest.
Novaros Darstellung im siebenten Abschnitt seiner Schrifl ge-
wahrt eine lehrreiche Bestätigung des eben umgrenzten histori-
schen Sachverhalts. Nov. irrt allerdings in der Behauptung, di
„kein Historiker der Philosophie in Malebranche den so offenlie-
genden Ursprung dos Humeschen und Kantischen Problems gesuchl
halic". Die „abstrakte Grundlage der Theorie" des Occasionalis-
mus hat Nov. gründlich verfehlt Es ist sogar nach dem Obigen
falsch, dass die objektiven Entwicklungsbedingungen für die Hume-
Kantische Entdeckung lediglich bei Malebranche gefunden werden
können. Nov. sieht, wie gleich zu zeigen ist, nicht einmal die Ge-
dankengänge im rechten Licht, die bei Malebranche vorliegen.
Aber er hat den historischen Zusammenhang des Occasionalismus
in der Formulirung bei Malebranche mit den Ausführungen Humes
selbständig in su weit getroffen, als er die Ausführungen des Phi-
losophen über das Kausalproblem last Schritt für Schritt mit Wen-
dungen des englischen Positivisten belegt.
Dass er hierbei die entscheidende Differenz zwischen dem
Occasionalismus und Humes Theorie der Kausalität verfehlt, den
tiefgreifenden Fortschritt der letzteren über den Problemstand des
ersteren und der verwandten Kausalitätstheorien nicht findet, hat
seinen Grund in einem wunderlichen Missverständnis.
Novaro stellt Malebranches Lehre von der Kausalität der
Humes viel zu nahe. Mit Recht zwar betont er, dass auch Hume
über die Grenzen der Erfahrung hinausgeht, sofern dieser vielfach,
im Treatise wie im Essaj . ein für uns unerkennbares Band zwi-
schen Ursache und Wirkung annimmt. Aber Humes häufige kri-
tische Erörterungen gegen den Occasionalismus, die X. zu ein-
seitig auf Melebranche bezieht, treffen doch auch diesen gerade in
der entscheidenden Voraussetzung Beiner Kausalitätstheorie. Diese
aber, die Annahme des analytischen Zusammenhangs zwischen
Benno Brdmann,
I rsache und Wirkung, würdig! Novaro so wenig, dass er >n
die ausdrücklichen Erklärungen, ja gegen den inneren Aufbau der
ganzen Lehre des Philosophen geradezu leugnet l n<l dies, ob-
gleich er die hierhergehörigen Ausführungen Malebranches sehr
wol gesehen hat Selbsl wenn es, \\i>- Novaro behauptet, nur zwei
her Ausführungen l"i Malebranche gäbe — Novaro Belbsl citirl
tatsächlich deren vier — , liessen sie >i«h doch oichl mit der Be-
merkung abtun: „Gegen die beiden einzigen Stellen, in denen
Malebranche" — dt uteil behauptet!
In der Tal aber wird es nach dem Obigen ausser Zweifel
sein, dasa wir die selbstverständliche Voraussetzung eines analyti-
schen, notwendigen Zusammenhangs zwischen Ursache und Wir-
kung lediglich als einen wesentlichen Bestandteil auch der Lehre
von Malebranche hinzunehmen haben. Die Selbstverständlichkeit
dieser Voraussetzung auch für ihn folgl schon aus dem Umstand,
< l.is- er nur gelegentlich Anläse findet, sie ausdrücklich zu formu-
liren, obgleich sie sein Denken durchweg beherrscht. Sie gehört
eben zu dem festen Schulbestande der Cartesianischen Lehren.
Eben dafür zeugt auch die Art, wie Malebranche sie zum Aus-
druck bringt. So in der sechsten der Miditations ChrHiennes:
..'»/■ il y a contradiction qut />i,u veuillt qut ton bras soü
r. Uni' ,t iju'il ,l,ni, in-, immobile: tu es sür qu'il y a um liaison
in entrt les oolontes d?un etre tout-puissant et leurs
,i tu ii, vois inil rapport entn les desvrs et leur esecution. Donc
la force qui produit le mouvement oient dt Dieu" . . . Und ebenso
in dem sechsten Buch der Recherche de la Viriti: „Mais non
seulement les hommes ne soni point les veritables cause* des mouve-
ments qu'ils produisent dans leurs corps, il semble mime </u'il
y ii it contradiction qu'ils puissent etre. Une caun v&'üable
est um entre laquelle et aon effet Vesprit apercoit um liaison
nicessaire, c*est ainsi </u< je Pentends. Or il n'y u que Vetn
i nii ii im, ni parfait entre la volonte" duquel ei les effets Vesprit aper'
coivi im- liaison necessaire. II n'y a donc qtu Dieu qui soit >;'-
ritable causi et qui ait veritablement In puissanct de mouvoir le
corps" . . . Ueber den Inhalt dieser Voraussetzung und -eine
Uebereinstimmung mit dem oben Gesagten kann kein Streu sein.
Bericht über die neuere Philosophie etc. 1S90 — 1893. 533
Der Sinn der vorausgesetzten liaison nicessain bleibt aller-
dings bei Malebranche notwendiger Weise bo unbestimmt wie bei
dvn übrigen Occasionalisten , bei Leibniz und bei Spinoza. Audi
in diesem Punkte seiner Kritik hat Hume Recht. Die 1 nbe-
stimmtheit liegt in dem Inhalt des Gottesbegriffs, der positive
Momente der Erkenntnis nicht enthält, sundern nur vortäuscht,
unsere rationale Unwissenheit mit dem .Mantel von Worten zu-
deckt, deren metaphysischer Gehalt, eben weil er ausserhalb <\rv
Grenzen unseres Brkennens liegt, für jode eindringende Kritik ver-
schwindet. Ader Malebranche ist einer der tiefsten metaphysischen
Henker seiner Zeit. Er hat sich so bestimmt wie kaum einer der
sonstigen Anhänger der alleinigen göttlichen Kausalität auch die
Frage nach dem Sinn der liaison necessaire gestellt. Seine Ant-
wort bestätigt jedoch nur wiederum die Stärke des metaphysischen
Vorurteils, die Selbstverständlichkeit der Voraussetzung eines not-
wendigen Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung. Novaro
führt selbst die entscheidenden Erklärungen des Philosophen an,
aber nicht vollständig genug und ohne zu sehen, dass sie die An-
nahmen, die er dem Philosophen abstreitet, auf das deutlichste
enthalten. In dem Entretien d'un philosophe Chretien avec un phi-
vphe Chinois erklärt jener: „Qui fait tout cela en moi et dans
tous les kommest C'est un etre infiniment intelligent et tout-puissant.
II le faii parce qu'il l< veut Mais quel rappori entre la volonte
dt Vetre souverain et la moindre de ses eß'etsf Je ne le vo/'s pas
clairementj ce rapport, mais je Je conclus de l'ide'e, </ue
j'ai de cet etre" (!). „Je sais que les volontes <l'un etre tout-
puissant doivent necessairement etre efficaces jusqu'ä faire
tout <■< qui n< renferme pas de contradiction.<t Gewiss ist
dieser Schluss ein charakteristisches Probestück eines Xv.isuoc vodog.
Muss doch Malebranche seinen christlichen Philosophen zugehen
lassen: „Quand je verrai Dieu tel qu'il est, ce que ma religwn m
j'oit esperer, je comprendrai clairement, en quoi consiste Veffic
de ses volontis;* und dementsprechend in den Miditations Chri-
tiennes erklären: Tu me demandes une idde ciain et distinete de
cette efjicace infimu qui donm et conservi Vetre ä toutes cho
Je rCai poini maintenant de response ä te /am qui soit capabh de
rdmann, Bericht üb. d. neuere Phi
... / iwriras
A v iitt,lli:: ,,//;
D qv?ü
qu'il y a unt raison
de Du . puisqtu tu
Dieu, um'
qu*il nt </"■ Dieu n it />n.s tout-puissani
lue* demeuraient inefficaces." Deutlicher
kann man kaum sagen, dass die Lösun Rätsels, die man zu
besitzen wähnt, nur darin besteht, dasa das Rätsel in die Allmacht
Gottes hineinverlegt ist: die notwendige Verbindung zwischen der
wahren Ursache and ihren Wirkungen ist zweifellos, selbstver-
ständlich, aber — sie folgl lediglich aus der Allmacht des gött-
lichen Willens, den wir nicht kennen!
In welchem Grade Novaro Malebranche aberschätzt, folgt aus
seiner Bemerkung: „Vor Kant zählt die moderne Philosophie bloss
drei Systeme: das von Hobbes, das von Bruno uml Spinoza, and
das von Malebranche." Die Geschichtsauffassung, welche diese
und verwandte Wendungen verraten, macht begreiflich, dass N
varo seine glückliche Einsicht in die Gleichartigkeil der Problem-
lage bei Malebranche und Bume historisch nicht zu verwerten
weiss. Hume hat die Kausalität, welche die Philosophie des
siebzehnten Jahrhunderts, soweil sie von Descartes beeinflusst
ist, in den Himmel verlegt hatte, wieder zur Erde herabgeholt,
und damit nicht nur ähnlich wie Kant, den Bann des vermeint-
lich analytischen Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung
gebrochen, sondern auch als der erste, fast an wissentlich, die
Grundlage für die logische Tl rie der Induktion gelegt. W o
Bacon von Induktion redet, Isl das Wort ein Schiboleth, dessen
Gebrauch davon zeugt, dass er nicht zu Descartes und Hobbes,
überhaupt oichl in die neuere Philosophie gehört, Bondern noch zu
eben den Begriffsphilosophen, gegen die er mit Paucken und Trom-
peten zu Felde zieht.
VI.
Comptes-rendus d'ouvrages sur l'liistoire de la
Philosophie publies eu franniis pendaut les
annees L892 et 1893.
Par
Paul Taimery ä Pari-.
Oi. r>i':N.\i:i>. riaton. Sa philosophie, precedee d'un apercu
de sa vie et de ses ecrits. Paris Alcan, L892. 546pages
in--.
L'ouvrage de M. Benard „ne s'adresse ni aux savants, ni
aus erudits de profession. mais au public eclaire et surtout ä la
jeunesse des ecoles". A ce point de vue c'est un bon livre qui
manquail en France, les volumes de Fouillee etant limites a la
doctrine des idees. M. Benard s'esl au contraire propose d'exposer
la philosophie de Piaton dans son entier, la physique et >urtout
l'ethique aussi bien que la dialectique. Cette exposition est claire,
completej bien fondee sur des textes; on n'y trouvera ni polemique
subtile, ni paradoxes vieux ou nouveaux; l'interpretation, pour les
idees, est donnee dans le sens theiste et spiritualiste, mais sans
exageration; M. Benard signale les difficultes, mais n'approfondit
pas leur discussion, ce qui aurait change le caractere de son travail.
Personne ne peut se vanter de connaitre tout Piaton '), disait
Origene contre Celse; personne non plus ne peut esperer d'ecrire
') C'est l'epigrapbe grecque du volume de M. Benard. .1 mal-
heureusement oblige de remarquer que la defectueuse accentuation d'un grand
nombre des mots grecs qu'il a inseres dans son texte est une preuve typique
de la difficulte qu'on eprouve en France, on dehora de quelques ateli(
ciaux, pour faire imprimer correcteinenl dans la Langue de Piaton.
Paul Tanne:
im volume sur Piaton Bans provoquer la contradiction. II est vrai
. dana le conflil dea opinions but des sujeta taut discutes, le
contradictenr n'a guerea de chancea lui-meme de voir accepter
onanimen bsen ationa.
Je im- bornerai es toul caa ä toucher dem oa troia ji"iut»
quij malgre toul ce qu' cril aur Piaton, auraienl besoin d'<
eclaircis ei me paraissenl Buaceptibles de l'etre. <»n repete couram-
ment, a prop - aombres ideaux dana la doctrine platoni-
cienne, i|u'ils sunt an l'ruii tardif <lu g^nie du Maitre, uo paa re-
trograde \ . r- le pythagorisme. 11 me semble qua la conolusion
recherchea de Zeller but le oeopythagorisme devrail etre que
• ■ invention dea dpidpoi etöi]Tixoi e8l au contraire un paa en
avanl dana une direction aettemenl differente de celle de l'ancien
pythagorisme. Nous connaisaona asaez bien par Aristote au moina
deux Qombreä ideaux de Piaton: l'eTv identifie a l'cqadov ei la
Buas doptatoc; evidemmenl ce sonl dea principea intelligiblea qui
n'onl da aombre quo le uom; Bi cea termea onl ete repria par le
oeopythagorisme, rien ue prouve qu'ilä appartiennent, 'laus le
meme Bena, ä an autre qu'ä Piaton lui-meme; il a depasse dans
le Philebe le poinl de vue de Philolao8; toul ce qui a ete ajoute
dana les afypcqpa '/'--MTa vienl soil de lui, soil de sea disciples, Bans
que la distinction aoil au reste facile ä faire.
Je penae d'aüleur8 que c'e8< par suite d'une meprise que
M. Benard fail dire ä Aristote que les oombrea ideaux tiennenl le
milieu entre les ideea ei les objets sensibles. Cette position inter-
mediaire, [leta^o, appartienl aus |xadr^|xaTixd, d'apres an pass
bien connu de la Republique, ei Aristote a'a pas dil autre ch
J'estime au contraire que, pour Piaton, les apiftpo) stöijTixoi sonl
des principea Buperieurs qu'il a essaye de constituer, d'ailleurs en
petil Qombre (a-t-il lui meme complete la decade donl parle
Aristote ei qu'il faudrail chercher a retablir?), et saus enseigner ja-
maia que toutea loa ideea fussenl des aombres.
La dimculte qui amene les divergences d'interpretation pour
la doctrine des ideea (en Dieu ou hora de IM aite* supreme) esl
evidemmenl insoluble, puisque Piaton ae s'etanl pas prononce ä
cel egard, Aristote a pa dire que, d'apres lui, lea ideea a'etaienl
Comptes-rendus d'ouvrageB but ITnstoire de la philosophie etc. 531
Dulle part; Speusippe ni Kenocrate u'on! eu la dessus ancune trar
ditioD e1 ils ii"nnt pu s'en ürer. Ed posanl les idees comme
condition necessaire de la science, Piaton s'etail volontairemenl
enferme dana une forteresse oü il pouvail resister ä toutes Les
attaques, maia donl il lui etail interdil de a'eloigner saus s'exposer
a im echec certain. II en avail conscience et au moins dans Lee
Dialoglies, il a fermemenl maintenu sa position. 11 ue faul donl
pas chercher ä lui attribuei dos deduotions qu'il s'esl refuse ä tirer.
C'esl ä pres peu pres la conclusion de M. Benard comme la
mienne; mais il me semble quo la difficulte esl aggravee par le
l'ait quo Ton place d'ordinaire loutes los idees platoniciennes sur
lc meme rang. Or je remarque tout d'abord que si Piaton a pose
Les s'.oY, [xa&7)p.ctTixct comme intermediaires entre le monde transcen-
ilant et 1«' monde sensible, les zlort physiques, les formes <|iii
jouent le plus grand role che/. Aristote (le froid, le chaud, le see,
l'humide) sont necessairement pour Piaton ä un degre encore iu-
ferieur, d'autant qu'il les l'ait resulter dans le Timee des figures
geometriques. L'idee du lit, dont il parle dans la Republique,
doit aussi saus doute appartenir au p.eta£u, comme au fond tout
ce qui peut s'apprendre et est susceptible d'une deünition ri-
goureuse.
Restent comme idees proprement dites, deux classes: d'une
pari les idees abstraites positives (le bon, lc vrai, le beau, le
meme, le grand etc.), les seules, de fait, dont Piaton lasse usage;
de Tautre les idees des especes (Phomme, le clieval, etc.) qui creentla
grande difficulte. Sil u'y avait que la premiere classe, on pour-
rait dire que les idees ne sont que les divers aspects de l'Unite
supreme, qu'eUes rentrent dans ce principe, qu'elles lui sont im-
manentes, et ne s'en distinguent que par les effets de leur commu-
nication avec la dyade indeterminee, la veritable matiere intelli-
giblede Piaton; »le cette communication resultent necessairemenl les
idees negatives opposees, et les differentes distinctions.
II me parait en tout cas impossible de soutenir que Piaton
ai1 jamaia place au meme rang les idees des especes; mais quel
degre de la hierarchie pouvait-il Imir reserver? les faisait-il descendre
dans le u.zt7;Ö? les mainteiiait-il au dessus? La question merite
Paul Tanner>.
um- longue diacussion que i<' ne puis aborder ici; mala il me semble
que l'on peul emettre des argumenta dans Les dem -
LJn autre point aar lequel j ette de me troaver en >rd
V. Bi aard, precisement parce qu'il a etudie avec amoar
l'etnique de Piaton, est relatif aux principea fondamentaux de La
morale da Maitre. L'ecole spiritualiste met volontiere dans l'ombre
la partie de la doctrine qui a la moindre appareoce de determiniame;
eile aime a dire que le moraliate contredil le theoricien, que le
sens moral rectifie L'erreur Bpeculative. J'estime tout an con-
traire que, sur le principe de l'action bumaine, Piaton a \u plus
clair que les deterministes en general ei aussi que leura adver-
saires, que la doctrine que Pignorance est la Beule cause da mal,
que nul a'esl volontairemenl mauvais, est la doctrine veritable, celle
;i laquelle od reviendra, quand L'imperatif categorique sera d
J'estime qu'un vrai platonisanl devrail avanl toul relever cette
doctrine ei La mettre dans sa pleine lumiere. Mais sur ce poinl
qod plus, je oe puia entrei plus avant dans la discussion.
Ihn (Chakii- . La \ir e1 l'cBuvre de Piaton, 2 vo\ in-8
(506—676 pages), Paris, Thorin, L893.
L'ouvrage de M. Unit represente, avec des augmentations
considerables, an memoire couronne en 1887 par L'Academie des
Sciences Morales ei Politiques. L'objel du concoura etail de
combler one lacune sensible dans la litterature philosophique
francaise bot Piaton, il s'agissail de reunir les documenls relatifs
a la vie ei aux ecrits «In Maitre, Bans entrer dans Les discussions
que peul soulever L'interpretation <lr La doctrine.
Programme ;i ete heureusemenl rempli par M. Unit: il a
t.iii oeuvre d'erudil ei <!<■ critique, ei montre que, -il etail capable
de defendre aabilemenl ane these plus ou moins paradoxale, comme
Q l'avait prouve dans plusieura de ses precedents essaia, il ne -;i\;iii
pas moins exposei fidelemenl les opinions d'autrui, Les apprecier
avec mesure ei oe se prononcer qu'avec circonspection.
350 pages sonl consacräes a la \ i<' de Piaton; Los titrea des
dix chapitres: — I. Introduction ; II. Athenes au cinquieme siecle
;i\;uii Qotre '-it. III. Piaton jusqu1 ;i la morl de Socrate. IN. Pia-
Comptes-rendus d'ouvrages sur l'histoire de la philosophie etc. 539
ton apres la morl deSocrate (sejour ä Megäre ei Voyages). V. Pla-
ton ä L'Academie. VI. Vieillesse e1 morl de Piaton. VII. Les
jngements des anciens sur Piaton. \ III. Rapports pers eis de
Piaton avec ses contemporains. I\. Piaton e1 la politique athe-
oienne. K. Traits dlstinctifs de l'esprü platonicien ■ — montrenl
assez que Ic sujei es1 traite sous toutes ses faces; \u le pen que
l'on sail en realite sur les evenements de la vie de Piaton, on doil
bien penser que ce long expose comporte d'assez oombreux hors
d'oeuvre. Le plus important a etc insöir m lsss ,iails les SJances
e1 travaux de l'Acad. d. sc. mor. et pol., et mentionne par Zeller
(Phil. d. Gr. I ed. II Th.. 1 Abth. p. 404, n. 1); il concerne la
question generale de l'influence de la philosophie Orientale sur celle
de la Grece; tout en refutant soigneusement les arguments par les-
quels on a pretendo prouver cette influence, M. Huit ne la reduil
pas absolument a un minimum lu^liuealile, [niisqu'il conclut en
disant que si Piaton est un Grec d'Athenes, c'est im Grec qui a
echauffe son imagination aux rayons du soleil de l'Orient; que s'il
est permis de comparer la philosophie platonicienne ä une <i'U\ re
d'art, le dessin du tableau n'a rien que d'hellenique, mais que,
daus les details de l'execution, un regard exerce decouvre saus
peine le reflet d'heureux emprunts faits ä d'autres races, ä d'autres
croyances, ä d'autres civilisations.
Cette conclusion aurait du ctre plus explicitement motivee;
daus les oeuvres de Piaton, en dehors du mythe de 1' Atlantide, il
y a quelques emprunts reels et bien connus faits aux Egyptiens;
pour les reconnaitre, il n'est nullement besoin d'un regard exerce,
puisqu'ils sont avoues; mais leur rarete et leur insigninance sont
plutot de nature ä nous faire croire que si Platon avait espere
trouv.r. sur les bords du Nil, l'occasion d'elargir le cercle de
pensees, il en sera revenu desillusionne. Sans son precieux juge-
menl sur le caractere cpiXo^pVjfiaxov des Egyptiens e1 des Pheniciens
(Civ. 436a), on pourrait meme etre porte a dire qu'il a voyage
plutöt en simple curieux qu'en veritable philosophe.
A-t-il l'ait au contraire a la pretendue „sagesse Orientale" des
emprunts Caches? ils sont en toui cas assez bien deguises pour
qu'il convienne de les faire ressortir. Dans la pensee de M. Iluit,
mprunts se bornenl probablemenl ;i quelques traite insi
daufl lea mythee platoniciena, et l'interel de la queation esl plutol
d'ordre litteraire que d'ordre philosophique; < sl qui explique
qu'il n'ait paa cherche ä l'approfondir. Mais la veritable origine
divers elementa mythiquea utilises par Piaton (par exemple,
lea Civ. \. 615 e) n'en reate paa moins un
Probleme encore a resoudre.
En resume, M. Jluit a reuni ei critique avec Boin ce qui a
deja iii sur la vie de Piaton; .1 ce poinl de vue son travail
peul etre eminemmenl utile; mais il n'a pn apporter aucun docu-
menl oeglige avanl lui, ni etablir aucun reaultal oouveau').
I.' - etudes aur l'oBuvre <!«• Piaton Bonl diviaees en fcrois partii
La premiere comporte deux chapitrea: but la production litte-
raire au Biecle de Pericles; sur la publicite donnee aux ecrita de
Piaton; la discussion y est menee de fa^on a faire re&sortir les
points faibles de la these de Grote, d'apres laquelle un canon
ecrits de Piaton aurail existe de fall aussitöl apres Ba morl ei
aurail permis aux anciens de reconnaitre exactemenl les dialogues
authentiques ei les apocrypb.es.
La seconde partie, sur l'authenticite des dialogues, esl la plus
etendue; M. Iluii commence par poser les regles de la critique
d'attribution, puis discute l'application aus ecrits de Piaton d'abord
du criterium externe ou des temoignages bistoriques, en second lieu
du criterium interne. II insiate sur l'incertitude plus ou moins
grande des resultats qu'il esl possible d'atteindre.
Le chapitre qui Buit, but lea travaux des critiques modernes,
est un des plus interessant» de l'ouvrage; il presente nur revue
li<l«'l«' ei Impartiale des opinions emises par les divers auteurs qui
onl traite de l'authenticite des dialogues depuis Brucker ei Meiners
au WIM sieclejusqu' aus contemporains les plus recents. Comme
conclusion, M. Unit constate que la queation a'exiate pas serieuse-
emarque toutefois qu'il a en raison de mettre en doute les don-
ne, visiblemenl inventees pour lui faire visiter le
metre The'od II est constanl que ce dernier s'etail etabli a Uhenes;
d'un aul ou Piaton faisail s< • voyages, Theodore o'avail
tainemenl plus rien a lui apprendre.
Comptes-rendus d'ouvrages sui l'histoire de la pbilosophie etc. ."> 1 1
nit'iit pour la Republique, le Timöe, le Gorgias, le Phedon,
le Protagoras, 1«' Theetete, le Phedre ei la Banquet. II
esl d'avia qu'on a attaque a tor< lea Luis, le Philebe, le Menon,
le Cratyle, l'Euthydeme, le Critias, mais avec raison le Par-
menide, le Sophiste ei le Politique (ainsi que lea Lettres).
Quant aus autres, \ compria meme les deux acephales du Juste et
de la Verta ei le Clitophon, il lea ränge suivant ane serie dans la-
quelle ledegrede probabilite ei d'authenticite decroil succeaaivemenl
de la preaque certitude ä la plus forte suspicion, mais pour l'en-
semble de laquelle il refuse de sc prononcer.
Le probleme a ete longuement discute sous toutes ses faces,
les opinions contraires mises en regard les unes des autres; c'esl
au lecteur ä reprendre Piaton et ä se decider d'apres son iiu-
pression personnelle.
L'ouvrage se termine par une partie consacree ä l'ordre chro-
nologique des dialogues; la question est developpec de la meme
facon, avec une critique approfondie des methodes proposees, mais
sans aboutir davantage ä une conclusion neuve ou precise.
Deux appendices tres interessants et constituant une innovation
heureuse dans les ouvrages de ce genre, sont consacres aux manu-
scrits de Platou et aux principales traductions de ses a?uvres.
En resume, le travail de M. Huit rendra d'incontestables ser-
vil vs et eparguera bien des peines a eeux qui commenceront par l'etu-
dier avant d'essayer de se former par eux-memes une opinion sur
Piaton; quanl a ceux qui ont deja leur siege fait, ils y trouveront
au moins une reunion commode de renseignements nombreux et
gencralement tri-s-siirs (ä part deux ou trois inadvertancee d'im-
pression, qu'il est facile de corriger). Le style est aise et agrcable
a lire, ce qui n'est pas a dedaigner pour les platonisants.
A. Bebthaüd. Sancti Augustini doctrinam de pulchro iu-
genuisque artibus e variis illius operibus excerp-
tam etc. Poitiers, Oudin, 1891. — 112 pagea iu-8.
S. Augustin qui, avant sa conversion au christianisme, avait,
a l'äge i\v viu_ri->ix ou vingt-sepl ans, ecril deux on trois livrea
perdua De pulchro et apto, parail avoir eu en esthetique quel-
5 [2 Paul ranne i j .
>iu>-- idees originales. Ed toul '-a». il avait evidemment profonde-
nitiit reflechi sur «■<• Bujet, ei les idees qu'il b emises dana
divers ouvrages, eo particulier dana les livres De musica, onl
lim- importance historique d'autanl plus grande qu'ellea onl
constitue au dix-huitieme siecle !<• fond de l'Essai sur le Beau
du P. Ami i it de la sorte passe dans le conrani moderne.
1 imme la plupart des theses latmes de doctoral soutenues <'n
France, celle de M. Berthaud est malheureusement trop peu <l<;-
veloppee. La matiere est ex] lairemenl ei methodiquement;
les questions d'origine sonl Lnsuffisammenl trau d vroil bien eu
quoi S. Augustin 9'ecarte de Plotin el aussi bien de Platou ei
d'Aristote; on oe voil pas autanl si sa conception <lu numerus
(comme rhytme) esl empruntee a quelque ueopythagoricien ou ä
quelque musicographe, si au contraire <'ll<- lni appartienl <'ii pro]
ce qui me parail |>>'ii probable. La questiou me semble donc a
reprendre, au poinl de vue historique; .M. Berthaud aura eu au
moins le merite de la poser uettement.
Berthaud (l'abbe). Gilbert de la Porree, eveque de Poitiers,
e1 sa philosophie. 349 pages in-8. Poitiers, Oudin, L892.
Ce1 ouvrage est une these, tres serieusemenl faite, pour le
doctoral de philosophie. En dehors d'une introductiou donnanl la
bibliographie des livres et manuscrits utilises et d'une conclusiou
• luiit l'objel esl d'etablir la liste authentique des oeuvrea theologiques
(la plupart inedites) de Gilberl de la Porree, le livre esl divise eu
sepl chapitres. I. Etudes de la Porree, ses maitres. - II. Le
professenr (avec une digressiou sur la philosophie scolastique du
temps). — III. I.'' logicien. Analyse ei critique du Liber box prin-
cipiorum. • IV. Le metaphysicien. Analyse et critique du Liber
«l<- causis, avec im excursus sur l'authenticite <!<• cel ouvrage. —
\. Analyse et critique des commentaires sur Boece. VI. L'eveque
;m\ conciles de Paris e1 de Reims. VII. Les dernieres annees
de l'eveque.
Ne ä Poitiers eu 1070, Gilberl de la Porree oommenca -
Etudes a l'ecole episcopale de sa rille uatale, les poursuivit a
Chartres, oü sou maitre Bernard exerca une grande Influence but
Comptes-rendus d'oxivrages sur l'hiatoire de la philosophie etc. 543
le developpemenl de ses idees, puia ä Paris, sous Guillaume de
Champeaux ei Abelard, enfin, pour la theologie, a Laon, sous An-
lehne. Vers L125 seulement, il remplace Bernard de Chartres
cemme professeur, devienl celebre par sa subtilite parmi les re'a-
listes, occupe ane chaire a Paris (1137—1140), puis esl rappele
a Poitiers poui en diriger l'ecole, donl il continua a s'occuper
activemenl apres avoir ete promu ä IVpiseopal cn 1142. Denonce
a Rome par deux de ses archidiacres pour ses opinions sur le
dogme de laTrinite, il est cite devanl im concile ä Paris en 1117.
se defend victorieusement, revient en 1148 devant im second con-
cile ä Reims e1 retourne dans son diocöse apres avoir au moins
desavoue les erreurs <|u"un lui attribuait et que continuerent ä
soutenir ceus que ilo son nom on appela les Porretaius. 11 mourut
Bis aus apres, en 1154.
M. Berthaud discute serieusement les temoignages contradic-
toires qui existent sur les actes de ces conciles et rejette nettement
celui de Geoffroy, le secretaire de S. Bernard, lequel pretend que
Gilberl tut condamne. Le plus clair est que le pape Eugene III,
qui presida lui-memc les conciles, chercha ä etre impartial et ä
assoupir le differend; que les adversaires de Gilbert se trouvaient
Burtout parrni ses collcgues franpais et que S. Bernard s'aeharna
contre lui; qu'il fut au contraire, au moins pour les questious de
forme, soutenu par les cardinaux Italiens. L'abbe Berthaud pense
neanmoins que, dans ses Commentaires sur Boece, l'eveque de
Poitiers s'est ecarte de la doctrine catholique, en adoptant certaines
formules realistes relatives au dogme de rincarnation.
|)es ouvrages laisses par Gilbert de la Porree, celui qui a joue
le role le plus importanl esl le petit Liber sex prineipiorum,
qui, cousacre aus six dernieres categories d'Aristote, eut l'honneur
d'etre pris dans les ecoles, jusqu' au XVI siecle, comme comple-
ineut de l'Isagoge de Porphyre, et comme tel, d'etre souvenl
commente, meme par Albert le Grand et S. Thomas d'Aquin.
La Liber de causis est, comme on sait, un extrail para-
phrase de la Stoi^ewook; BeoXoifix^ de Proclus; l'origine de ce traite,
celebre aa moyen age, reste an probleme a elueider. Pour en
attribuer la redaction a Gilbort de la Porree, M. Berthaud s'appuie
;, \ 1 Paul Tannei
sur la suscriptioD du plus ancien manuaciH connu, celui de Bru
(commencemenl da XIII* aiecle). II remarqae que Gilbert s&vail da
• qai ae suffil paa prouver qu'i] <■ ü t ete capable de faire one
tradaction; maia il ;i pa se Bervir >l«' veraiona latinee faitea bot ud
arabe qui aarail ete etabli aar le Byriaqae <\r David l'Ai
menien.
M .i 1 _t.- la valeur de l'argamentation <!<• M. Berthaud, In de-
monstration o'esl point faite; il faudrail evidemmenl retrouver
l'original arabe ei verifier juaqu' a quel poinl le Liber '!<• oausis
en est reellemenl une tradaction. Le probleme esl renda plus
difficile par le Iah* qu'i] semble y avoir eu pluaieura traitea arabea
differenta, maia anal Bur le meme Bujet. Enfiu .-i Alberl le
Grand attribue '■>■ traite a im David le Juif, inconnu d'ailleura, et
qui l'aurail compose d'aprea lea auteura arabee, il eal evidemmenl
hardi de vouloir i* hn t i li . • i- ce David avec ['Armenien, !>• diaciple de
Proclua; il vaudrait mieus rejeter ce temoignage, comme l'a lait
- Thomaa, qui a reconnu le premier la correlatiou entre la Ztoi«
'/'-''">'■-' öeoXoftx^ «'t le Liber '!<• cau8i8, maia n'a paa cru pou-
voir deaigner expreasemenl l'auteur de ce dernier traite.
I'.n toul cas, il semble bieu etabli que Gilbert de la Porree a
au moina contribue a faire connaitre uu ouvrage donl la doctrine
eal identique a celle dea commentairea sur Boece. L'etude du
Liber <!'■ causia est donc bieu a sa place 'laus uu volume con-
Bacre a l'eveque de Poitiera.
Ed somme, le travaiJ de M. Berthaud oflre uu interel veritable
comme contribution a l'hiatoire de la philosophie scolaatique; l'ex-
poaitioD ea1 claire, ei la partie critique temoigne d'un eapril juate;
lea renaeignementa biatoriquea sonl abondanta <•! parfoia curieux.
Monchamp (George). Galilee e1 la Belgique, essai hi>t<>-
rique Bur lea viciasitudea du Systeme de Copernic
eu Belgique (XVII6 ei WIN siecle). Saint-Trond, Moreau-
Schonberechta, 1892 246+76 pagea in-16.
— N "i j i i.;i t imi de la condamnatiou de Galilee datee de
Liege, 20 aeptembre 1633, publice par le ice de
logne dana lea paya rhenana ei la Baase-Alle*
Comptes-rendus d'ouvrages stir l'histoire de la philosophie etc. 545
maene. Saint-Trond, Moreau-Schonberechts, L893 —
■
30 pages in-8.
Le patienl ei judicieux auteur de l'Histoire du Cartesia-
nisme en Belgique (voir Archiv, III. p. 663 suiv.) a consacre im
Douveau volume ä qous retracer, sur im plan semblable, lea disputea e1
lea controversea auxquelles a donue lieu, dans son pays, le Systeme
de Copernic, depuis la condamnatioD de Galilee jusqu'au triomphe
definitif de la doctrine declaree suspecte d'heresie. Ce sujel inte-
ressant plus particulierement l'histoire des sciences que celle de la
philosophie, je ine contenterai de signaler la richesse des docu-
ments que contienl cel ouvrage sur l'enseigiiemenl dans les uni-
äites ei Colleges de Belgique, ä Pepoque oh la philosophie,
d'apres la langage courant, embrassait tous les cours de la Faculte
des Arts, c'est-ä dire l'ensemble des sciences experimentales et
rationneUes. Au reste le principal heros du livre de M. Mon-
champ es1 le cartesien Martin van Velden qui en 1691 s'attira im
curieux proces avec la Faculte, pour avoir laii soutenir malgre
eile au College du Faucon une these copernicienne, et finalemenl
dut faire amende honorable. Toutefois, il continua d'enseigner le
Systeme heliocentrique, sauf a prendre soiu de rediger ses thi
avec des formules subtilemenl calculees pour ne pas s'attirer de
oouveljles difficultes. Toute cette histoire est remplie de <l<:iails
piquants e1 de singuliers traits de meeurs.
Dans un opuscule posterieur, M. Monchamp a pul»li<:. d'apres une
copie manuscrite, ei avec quelques remarques interessantes, le texte,
jusqu' alors introuvable, de la piece imprimee sur le vu de laquelle
Descartes, craignanl 1»- sorl de <ialil<:r. renonca ä la publication
de -"ii .Monde. C'esl pour moi l'occasioD de presenter quelques
remarques personnelles qui onl pour bul de faire ressortir, sur
u n exemple topique, la difficulte d'une reedition de la Correspon-
dance de Descartes.
II a surtoul pari«' de la condamnation de Galilee «laus trois
lettrea ä Mersenne: A, Clers. II. 76, Cousin, VI, 242; B, Clers.
II. 106, Cousin VI,257; C, Clers. 11.77, Cousin, VI, 247; sur le
texte e1 la date des deux dernieres, il n"\ a pas d'incertitude; la
lettre C ('.' de la collection Lahire) d'Amsterdam, le l4aoü1 1634,
i-. i < tesi hi( . \'ll
546 Paul Tanner] .
tuellemenl co .1 la Bibliotheque Victor Cousin, ä Paris;
la lettre B, d'Amsterdam, le 15 mal 1634, 8 de la collection Lahire)
rui- lement, aux Archive« de I' Institut; mais la lettre A. que
I grand a supposee etre du lOjanvier 1634, n'a jamais figure dans
la collection Lahire <-\ eile a'esl connue que par Clerselier, c'est-a-
dire par les minutes de Descartes. M. Monchamp remarque qu'une
partie au moins de cette lettre doil etre posterieure ä la lettre B
du 15 in:ii. car dans cette derniere, Descartes fail offrir a im ecele-
siastique francais (probablemenl Boulliau, d'aprea M. Monchamp)
.|iii tinif pour le Systeme de Copernic, de lui fournir des arguments;
dans la lettre A. il retire cette öftre.
I.a conjecture de M. Monchamp esl completemenl confirmee
par ce fail que dans la ßn de la meme lettre, Descartes parle du
concours qui avail eu lieu recemment pour la chaire de Ramus
au College de France; or, nous savons que <•<■ concours se passail
t • ■ 1 1 — [es trois ans, vers Päques; la lettre ne peul donc etre, pour
cette partie, «In 1*» janvier; eile esl plus probablemenl de mai ou
de juin.
I.a premiere partie de la lettre A parail au contraire, a pre-
miere vue, quelque peu anterieure a la lettre B; Descartes \ parle
en effel des memes questions ei en des termes qu'il n'aurail pas
employes dans nur lettre posterieure ä celle du 15. mai. Rl Mon-
champ admel que, comme cela a certainemenl eu lieu dans d'autres
cas, Clerselier, par suite du desordre des minutes de Descartes,
aura rattache Tun a l'autre des Fragments de lettres differentee
Cette hypothese leverail la difficulte, mais «'II.' ne peul etre
aeeeptee -an- controle, parce que la lettre A est assez courte
pour que la minute im ecrite sur im.' meme feuille de papier; il
serail donc uecessaire de rechercher au prealable, par une discussion
minutieuse des cas non douteux, quelle esl la nature et la
limite des confusions resultanl de l'accidenl qui a mis en desordre
les minutes de Descartes. Cette discussion, qui devrail preceder
'"Uli' tentative de faire disparaitre ces confusions, n'a jamais
faite el il j a la im sujel de travail ä recommander.
En second lieu, lorsque 'lau- In lettre A, Descartes declare
qu il im- peul expliquer la raison pour laquelle un arc courbe se
Comptes-rendus d'ouvrages 3ui l'histoire <le la philosophie etc.
redresse sans exposer les principes de la philosophie „desquels il
pense etre > »1 > ! i l^ * ■ dorcnavanl de se taire"; lorsque dans la lettre B,
il explique au contraire le phenomene en parlanl des pores ei de
la matiere subtile; on peul se demander si cette lettre A a rcelle-
menl ete envoyee ä Mersenne, si eile n'esl pas au contraire (ei
serail assez ma croyance pour la lettre toul entiere) im premier
projel pour la lettre du 1"» mal, projel «l<»nt Descartes a'aura pas
ete satisfait, auquel il aura substitue une redaction toul ä fail
differente (savoir la lettre B), mais que cependanl il aura voulu
conserver dans ses minutes.
Kn publianl la correspondance de Descartes, Clerselier a cer-
tainemenl (il le declare lui-meme) modifie certaines expressions
trop vives qui pouvaienl blesser des personnes vivanl encore; peut-
etre s'est-il cru permis de faire quelques autres changenients; mais
d'autre part, malgre le soin extreme que parail avoir pris l)cs-
cartes de garder le texte de ce qu'il ecrivait, meme ä im ami in-
time, comme Mersenne, il parait incontestable qu'il a sur ses
lettres envoyees fall certains changenients ou certaines additions
a ses minutes. Je dis que de plus la question se pose, precisemenl
a propos de la lettre A precitee, de savoir si toutes les minutes
publiees par Clerselier ont correspondu de i'ait ä des lettres reelle-
meiit envoyees. Or cette questiou n'est certainement pas »les plus
aisees ä resoudre.
Paul Tannert. La Correspondance de Descartes dans les
inedits du fonds Libri, etudiee pour l'histoire
des mathematiques. Paris. Gauthier Villars, 1893. —
VII + U4 pages in-8.
J'ai reuni dans ce1 opuscule, en l'accompagnanl de commen-
taires, les parties interessanl les mathematiques dans les pieces
inedites de la Correspondance de Descartes que j'ai publiees dans
l'Archiv (IV. p. 442 449; .v_".i-556: V, 217 -222; 469—477).
J'j ai joinl um' lettre inedite de Roberval ;i Cavendish, touchant
demeles avec Descartes a propos <I<j> centres d'oscillation , ei
im.- serie de pamphlets mathematiques contre Descartes; Cousiu a
parle de ces pamphlets dans son article Etoberval philosophe,
::s*
j .
du Journal - Si vanta de man 1845, el les a attribues ä
rival de l'auteur de la Geometi - avoir demontre que
ittributioD est tout-a-fail errom que le veritable auteui
des pamphlel d< B od, «j n i j parle d'aüleurs de
.l'ai particulicremenl insiste sur les incidents de I ade
dispute D • Roberval (celle qui commenca eo 164
incidents qui, il faul l'avouer, oe sonl pas tous .:i l'honneur du
premier. Enfin, dans le preambule, j'ai discui detail les
questious relatives ä l'histoire de la collection Sahire, au oombre
des pieces qu'elle contenait, ä la determination de Celles qui sonl
encore ignorees. Les resultats de cette discussiou sonl ceux que
j'ai fail connaitre dans VA rchi \ .
Vhiii]; Delb Le probleme moral dans la philosophie
de Spinoza e1 dans l'histoire du Spinozisme. Paris,
Aican, 1893, 569 pages Lu 3.
i .: constitue une excellente etude bistorique, sous une
forme malheureusemenl un peu oratoire. II se divise eu deux
parties.
La premiere, apres une exposition des donnees ei <lu sens <lu
probleme moral, aborde les principes metaphysiques de la morale
de Spinoza; il traite de la methode ei de la doctrine, de la
distinctioo du bien ei du mal, <lu vrai ei du faux; de la oature
numaine, de la vie morale de l'homme (son esclavage e1 son
aflraDchissement), de la \i.' sociale (l'Etal sous le regime de la
libertc); « - 1 1 1 i 1 1 de la vie eternelle.
Apres une conclusion, nous passons a la seconde partie com-
prenanl dix chapitres consacres: au spinozisme eu Hollande ä la
lin du dix-septicmo siech ; ä 1'influence des doctrines ethiques de
Spinoza sur Leibniz ei sur Lessing; ä Herder; Schiller «'t Goethe;
..ilis ei l'Ecole romantique; Schleiermacher; Schelling; Hegel;
au Spinozisme eu Angleterre; au Spinozisme en France (Taine).
Cette seconde partie esl particulicremenl neuve ei remarquable-
MH'iii traitee. Les modifications qu'une doctrine aussi systematique
que cclle <!<■ Spinoza < 1 « » i t subir pour otre assimilee par les pen-
optes-rendua d'ouvrages sur l'histoire de la philosophie etc. 549
seurs qui s'en rapprochenl plus ou moins, sonl decrites clairemeni
ei exactement. Comme l'ethique constitue, ä vrai dire, le princi-
pal objel de Spinoza, od peul ainsi mesurer l'influence enorme
exercee par ce penseur sur la philosophie moderne, tandis que, si
on se borne au point de vue metaphysique propremenl dit, cette
Lnfluence apparait au contraire comme tres limitee. In Systeme
metaphysique digne de ce uom esl en effel ud tout bien ordonne,
dont on n * • peul changer quelqu' elemenl sans bouleverser l'en-
semble; une conception particuliere du probleme mural peul au
contraire se plier aisement ä dos vues originales et oouvelL
L'ouvrage de M. Delbos me paraii d'autant plus appele au
succes que je lui souhaite qu'il comble ä mon sens une veritable
Iacuue; aucun autre auteur, que je sache, n'avail jusqu' a presenl
aborde la meme question, au moins dans im livre. Si le pro-
bleme, dans l'histoire de la philosophie moderne, est en general
de decouvrir la pensee de „derriere la tete" des metaphysiciens,
ei si, le plus souvent, cette pensee concerne la morale, M. Delbos
a apporte une contribution impoi*tante. Comme exposition des
doctrines propres de Spinoza, malgre les lacunes voulues, son livre
aura d'ailleurs toujours la valeur que lui assure la fidelite el l'im-
partialitc de l'auteur.
Ch. Adam. La philosophie en France (premiere moitie du
\l\ siecle). Paris, Aican, 1894. 444 pages in-8.
M. Adam, qui s'esl A>\\i\ fail connaitre notamment par ud re-
marquable volume sur la Philosophie de Francois Bacon, a
trouve une imitiere encore mieux appropriee ä son talent d'expo-
sition et a sod jugemenl aussi forme que penetrant, quand il s'esl
propose de nous retracer le mouvemenl de pensee en France pendanl
la premiere moiti'; de siecle. Son ouvrage esl infinimeni superieur,
comme forme litteraire ei comme valeur de fond, ä celui que
M. Ferraz a dejä public sur la meme periode, quoiqu'il n'entre pas,
-..(i- certains rapports, dans autanl de details.
Dire que l'introductioa esl coosacree a Chateaubriand el ä
Madame de Stael, c'esl aononcer que M. Adam ue se borue |
avec raison, aux philosophes propremenl dits; ceux-ci n'apparaitront
Paul Tsnnei
qu'au livre II ' em de Main.' de Bir&n, de Royer-
Collard, de Viel Cousin, J 13 une place importanta *
Ampere. Le li> re aux catho
liques; Bona! stre, Lamennais, Lacordaire, Montalembert; le
[ivre III aux socialisl s, S t-Sii et a . Fourier, Pierre
id, Au 1 te.
mme le remarque M Adam, la periode' <|u'il a etudi
eile offre un commencement, im milieu «'t une lin: la
Revolution francaie ouverl une ere uouvelle el lea problci
politiquea aus passenl au premier plan. Lee evenements
,|iii nt deroules onl si peu repondu a l'attenti
aux promesses de la philosophie du dix-huitieme siecle que
celle-ci oe trouve plus de partisans; un retour marque Be fail
droite vera lea idees religieuses; ä gauche, dea uovateura revenl
une transformation plua profonde encore ei proposenl un ideal
qu'ila croienl plua ou moins prochainemenl realisable. Au
tre, "ii senl la necessite de marcher en avant, mais ob ne peul
leeider a suivre une direction bien nette; on aboutil ä l'ecl
tisme ■ mol d'ordre, on a des velleites de psycholoj
velleil metaphysique, on fail
on use dea talenta reels, on depense dea eflforta considerablea pour
des resultata insignifiai
La revolution de 1848 ei l'avenement du second Empire mar-
quenl la lin de cette periode qui, a son apogee vera 1830, sem-
blail promettre un meilleur avenir. Mais la divergence radicale
des troi8 ecoles, en dehora meme des tendancea en differenta sen8
.1 1'interieur de ehäeune d'elles, accusail malheu reusemenl en France
une desunion dea esprits qui ne pouvail aboutir qu'a un avorte-
ment. Bientöl apres la publication dea ouvragea de Darwin et de
Spencei I sur la pluparl des penseurs un effel que l'on peul
qualißer de veritable revolution intellectuelle; une ere uouvelle
mmencail e1 l""ii ae trouve maintenanl de fail assez cloigne dea
idees ol des coneeptions de la premiere moitie du aiecle pour pouvoir
lea juger aussi froidemenl ei aussi impartialemenl que Celles de
De8carte& ou de Montesquieu.
Ci [u'a lait M. Adam, en ayanl Boin d'ailleurs de faire
Comptes-rendus d'ouvrages sui l'histoire de la philosophie etc. 551
revivre devanl dous dod seulemenl la philosophie, mais encore les
bommes. II les a depeints de main de maitre; j'ignore si tous
les jugements qu'il a portes sur leur caractere ei sur leur puissance
intellectuelle seronl acceptes saDs protestation par les survivants
de la generation qui les a connus, aimes ei bai's; mais tous sonl
empreints non seulemenl du sceau de l'equite, mais encore de
celui de la bienveillance qui est due aus honnetes gens apres leur
mort, quels qu'aienl ete leurs fcravers ou leurs defauts. I'.n parti-
culier pour Victor Cousin. M. Adam a su trouver ei garder la
juste mesure, bieu difficile ä atteindre quand il s'agil d'uu homme
<|iii a ete aussi seduisanl comme ecrivaiu ei comme orateur, mais
donl l'influence a ete incontestablemenl facheuse, ei qui a sulii des
attaques donl le souvenir esl dans toutes les memoires. Dire ce
qu'il y a de vrai »laus les spirituelles boutades de Taine, lc dire
sous uui' forme presqu'aussi agreable, c'esl ce qui n'est pas donne
ä tuut le monde.
I'. K. Paülhan. Les caracteres, Paris, Alcan, 1894, 2'M paj
in-8.
Je signale cet ouvrage, parce qu'il reunit, d'une part, quel-
ques traits de divers philosophes, parce que, d'un autre cote, il
i'llrc une tentative de classificatioo des differentes manieres d'etre
des bommes süffisante pour servir de poinl de deparl a une etude
generale des penseurs sous le rapport de leur caractere. Pour
cette etude qui n'a jamais ete tentee, que je sache, il faudrait,
bien entendu, ecarter les anciens; mais sur les philosophes moder-
oes, uii possede assez de renseignements aneedotiques serieux et de
details biographiques pour trouver matiere saus doute ä d'inter-
essants rapprochements.
VII.
<üi Sliuli sulhi Storia della Filosofia antica
in ltalia, L890 1891
per
Ah'ssandro Chiappelll in Nap
II periodo storico della filosofia antica a cui <li preferenza
sembrano volgersi gli studiosi italiaui in questi Ultimi anni, b il
periodo prcsofistico. Certo I' Itulin qod ha im la\ mprensivo,
anche per questa parte, che delinei il movimento di tutte 1( scuol<
fi siehe greche secondo i resultati delle piü recenti ricerche, come
qod parlare della V ediziooe di questa parte della grande
i.-i dello Zeller) in Francis ba dato il Tannery, in Inghilterra
entemente il Burnetl (Earlj Greel Philosoph) London L892), e
com e per la Germania stessa la prima parte del lavoro, in corso <li
publicazione, del Gomperz (Griech. Denker I. II. Leipzig L893- '.'I
M.i non mancono i lavori monografici >u questo •• su quello dei
li>i«i antichi e delle scuole oaturalistiche, dopoche alla conoscenza
di esse hanno aperta tanta via le ricerche dossografiche <l*-l Diels.
Questa preferenza per il periodo piü antico devesi in generale
all' essore le ricerche sulle origini 'li per sc le |>in attraenti, e
alla sl ndizione frammentaria delle notizie che ne abbiamo,
la quäle invoglia ;i tentarne via via la ricostruzione.
I Ferbi. Sguardo retrospettivo >u IL- opinioni degl1 [taliani sulle
Origini del Pitagorismo, Nota. (Rendiconti della R. Acca-
demia dei Lincei VI. I. fasc. 12 I-'.1«' p. 532 ."-IT).
Non -■ proposito dell'A. ..'li rifarc in questa brevc Nota la
iria della scuola pitagorica i dol suo l latore". „II suo inten-
Gli Studi sulla Storia della Filosofia 1890 L891.
dimento, egli scrive, e soltanto di rilevare alcuni resultati, parte
certi, parte probabili, ottenuti dalla critica storica de) oostro tempo
circa le origini de] Pitagorismo, materia tanto oscura e tanto dis-
cussa sopratutto in [talia, ove ana schiera qod piccola di scrittori
le volle ad ogni costo italiane, e >\un<\ oe fece una questione d'onore
nationale". A questa tendenza risorgente in seno ai piii vari in-
dirizzi filosofici (v. Archiv. VII. 127) si oppone giustamento il Ferri,
che dopo aver rifatta in breve la storia della questione sull'origine
etrusca o italica di Pitagora presso di noi, dal Vico in poi, e condotto
oaturalemente ;i una questione piü larga, cioe „a dar«' uno sguardo
comprensivo alla critica delle fonti concernenti il Pitagorismo".
Come era da aspettarsi de] sapere dell' A. e da uno spiri
come il -un. Lontano da ogni intemperanza di critica. mentre rico-
Qosce come definitivamente fermata l'origine greca di Pitagora e del
suo istituto e il carattere ellenico delle dottrine pitagoriche, mal-
grado le analogie sporadiche e superficial] con dottrine e associa-
zioni orientali, le quali hanno, anche di recente, sedotto anche l'ra
noi qualche autorevole critico (Archiv V, 3, p. 424. s.), tuttavia
Don giunge ad escludere interamente la possibilitä d'influssi orientali,
e specie della cultura e della religione egizia sul Pitagorismo e
solla mente del suo fondatore. „Sembra difatti eccessivo il giudizio
dei Critici che conti" costanti tradizioni mettono in dubbio o ri-
guardano appena probalnlc il viaggio di Pitagora in Egitto, mentre
!«• relazioni dei Greci con quella regione a loro aperta ßno dai
tempi di Psammetico tolgono ogni ragione di cavillare su qn
punto", ne ..la vicinanza di Creta alla patria nun dubbia di Pita-
gora unita alla fama di quel centro religioso «die era il tempio di
vr [deo .... permettono senza eccesso di critica di mettere
in dubbio la verosimiglianza di qualcha visita di Pitagora a quella
isola e a quel tempio famoso". Parimente mentre ravvisa l'in-
nuenza dorica nell" organismo dell' istituto. aella larga parte
fattavi al sapere positivo e alla filosofia seuopre l'azione de] genio
ionico, e accanto allo spirito religioso de] sodalizio pitagorico, che
egli pure ripete principalmente dei contatti coli' Orfismo, sa far la
debita part< all indole c ai propositi di riforma politica e civile
che l'animarono e oe determinarano la dissoluzione.
A t •• - > .i ii .1 r < l'elli,
al Pitagorismo primitiv a Pitagora - risalga
ta dottrina '1<-I numero sostanza <• legge delle - . ime l'A.
tbra credere p. 545) <i par lecito dubitare, percfaö La noatra
3 enza della dottrina pitagorica ooo -i spinge probabilmcnte
;il <li lä tli Filol gli la metempsicosi, il concetto della
jpirazioD mica <• Uro che possiamo securamente referire
al Pitagorismo antii dod tutti consentiranno coli' A.
quando sembra che consideri i Pitagorici come conciliazione dei
lilosoil ionici e degli Eleati (II».)- ( ,,vi ,|"\'' l'A. enumera le b
raonianze piii antiche intorno ;i Pitagora prima <li Filolao, oon era
forse da dimeoticare le ootizie de) | ta Jone di Chios (Diog. I.
126 \ III. •'.. t Kiii. Strom IM. 333 A . contemporaneo d'Erodoto1);
anche se oon -i vuole riferire col Wilamowitz (Herakles I 28 e 53,
ondo Jambl. Vita Pyth. 196) ;i Pitagora il frammento che
va >"Hw il oome d'Euripide (Fr. 964 Nauck*), e chi
d'un poeta del quinto secolo (Diels, Archiv III. 458). N
dopo le testimonianze di autorevoli egittologi riferite dallo Schi
der, potremmo senza riserve äottoscrivere qoeste parole (p. 5
„malgrado le lunghe controvereie ora ridotte ;ii giusti confini di
spazio e di tempo, una critica oculata oon porra in dubbio la testi-
monianza d' Erodoto «• la sua allusione all'origine egiziaca della
dottrina pitagorica della metempsicosi". Ma qu vazioni
non bolgoa nulla al pregio di questa oota dovuta ad uno acrit-
tore, cosi reputato e cosi benemerito degli studi ßlosofici italiani.
Lo stesso giudizio conviene in sostanza anche allo scritto d'un
altro filosofo.
P. D'Ercole. L'origine Indiana del Pitagorismo, secondo
L. von Schröder. (Rivista ital. di Filosofia. Nov.- l>ic
1891. pp. 51).
Mentre im egregrio critico in Italia (cfr. Archiv \. .'. ha ripresa
in pari. la tosi dello Schröder, I' A. ba voluto discuterla di proposito,
aggiungendo ouovi argomenti a queili che altri ha gia portato
Gesch. d. Pytbagoras. (Sitzungs-
i. Berl. Mcad. XI. \ 18
ra chi üelloi 15 lv I
(ili Studi sulla Storia deUa Filosofia 1890 1891.
contro di essa'). Si puö dubitare Be oramai valesse il pregio d'una
cosi diffusa confutazione dello Schröder, in parte perche egli stesso
ba modificato piü tardi le sue opinioni su queata pretesa deriva-
zione della primitiva ölosofia greca dalla cultura Indiana, in parte
per la poca solidita dei suoi argomenti, facilmente riconoscibile.
M;i l'A. crede che l'opinione dello S. „non sia stata invincibil-
mente dimostrata falsa" e che „e ancor poco o punto aota fra
noi ed e bene conoscerla". A ogni modo !" A. -i giova molto
acconciamente dell' autorita d'insigni indianisti contemporanei
come il Max-Müller, Weber, Oldenberg, per dimostrare die i
testi indiani su cui In Schröder >i fonda, sono in generale
posteriori all' eta di Pitagora; e che in ogni ^aso, le ana-
logie e le concordanze fra le intuizioni brahmaniche e pitagoriche
sono assai vaghe ed insignificanti, non senza avvertire che in molti
casi e piii probabile la dipendenza della cultura indiana dalla greca
che di questa da quella. E alle testimonianze di autorevoli orienta-
listi la seguire (p. 25, ss) una serie di considerazioni sue proprio,
mol - onate e giudiziose, contro la tesi dello Schröder. Talora
forse conveniva notare che alcune dottrine circa le quali lo Sehr.
si sforza dimostrare che Pitagora le derivasse delV India, oon si
possono certo far risalire a Pitagora, corue quella dei cinque ele-
menti; talaltra che e assnrdo ripetere da una origine cosi lontana
quello che i Pitagorici trovavan ugiä nella letteratura nazionale,
come il dicreto pitagorico (Diog. VIII, 17) jtpös ^Xiov Texpafijxevov
art öur/sTv ehr >i trova giä in im imn sospetto yerso d'Esiodo (' »iq>.
ei I). 727).
S Feebabi. La Scuola e la Filosofia Pitagoriche (Rivista Italiana
di Filosofia L890), p. 11!).
bbene l'A.. a cui dobbiamo una serie di monografie sulle
antiche scuole italiche, delle quali a suo liioy dovremo dar
conto, oon si proponga di dare una esposizione completa de! Pita-
ismo antico ([». 4). tuttavia e condotto a trattare con sufficiente
larghezza di tut!.- le principali questioni concernenti questa antica
! Döring in Archiv V, p. 503— 531,
\ pelli,
!' oscura sua dottrina. E 1" fa cod molto ordine e con
i i ■ . i . ■ v . . K- chiarezza. Non si discosta molto, anche nella distribuzione
dello scritto, dalla "ii<- dello Zeller, ma dod m che dod
: studi anche piii recenti italiani e straneri, <• dod
lichi <-"ii cnta indipendanza e talora in seguito a studi Buoi
propri.
- dod si puö chiedere a<l dd antun- cid ch1 «'ltü dod intende
darci, coovieD teoer pr che il l \ iol solo „esporre, per quel
che v'e di piü certo, le idee foDdameatali dell la eotro i ter-
niiiii de] Bapere filosofico" (Ibid.). Ma da od lato anche tenuto il
lavoro eotro questi modesti coofini, corre l'obligo all' A. di rermar
bene il valore respettivo che egli attribnisce alle fonti, taute piü
quaodo la questiooe delle footi >i presenta, come ael oosti
di capitale importanza. < > i-; i quello che l'A. ae dice indiretta-
mente a p. 14 "_M e a p. 89s., e beo poco, e quanto ai fram-
menti di Filolao si mostra alquauto irresoluto. Dali' altro Lato
all'A. dod •• sfuggito che come il sistema pitagoi opera di
l»in generazioDi" , cosi a questo dovrebbe mirare la ricerca piü
fruttuosa che si potesse fai interDO a quest - _ _ -t t.i '). E
vero che egli a questa nuova ricerca reuunzia (p. 87); ma dod
tanto che talora qua «• la dod accenoi a qoalche punto in cui, a
parer suo, si puö ravvisare una trasformazione di dottrine ml seoo
della scDola. N solo a proposito d' alcune intuiziooj Bcieotifiche
I'. I06s8.)3 ma anche quanto al concetto foDdamentale. Egli sembra
credere (p. 31,8.) che meotre la primitiva riflessioDC pitagorica
dava al Dumero valore <li modello o <li legge delle - . solo a poco
.i poco il oumero diveDDe ..il vero intimo substrato delle
Del che c lecito dubitarc perche Aristotele attesta chiaramente,
quello che del r< - naturale aspettarsi da im peosiero incipiente
d immaturo, cioc che la ideotificazione sostanziale del Dumero colla
real tu sensibile e la prima forma e il puoto di partenza della me-
tufisica pitagorica. A ogoi modo qui appuoto bisognava approfoa
dire la ricerca piü che I A. dod abbia fatto.
I >a una serie d'osservaziooi che la lettura <li questo scritto «i
m
Gli Studi sulla Storia della Filosofia 1890 18
ha - ta, oe stralciamö qui qualcuna, I" spazio qod consenten-
doci d'estendersi piu oltre. A proposito dei Xpuoa i'-r( che iden-
tifica coli' tepos h'.y,; l'A scrive (p. 18) „nulla infatti \i si nota
d'alieno dall' antichita e dal pitagorismo", ciö che dopo le ricerche
de! Nauck, nonostante il tentativo del Wilamowitz-Möllendorf, (cfr.
Diels Archiv \ II. l.">7). non e forse lecito affermare. Cosi e ine-
satto parlare (p. 51) dell' „opposizione platonica dell' 5X>j all'idea".
L'attribuire poi l'idea d'una eternita reale del mondo ai Pitaigorici,
richiederebbe prove piü convincenti di quelle che l'A. da ;i p. 54,
o. u proposito di Filolao, riproduce a p. !>•".>.. comunque si giu-
dichi questa importante questione storico-critica. Del pari nun sap-
piamo in quäl senso si dica (p. 60) che il Fedro e il Filebo di
Piatone dimostrino propria dei Pitagorici l'idea dell" änima del
mondo. A proposito dei rrammenti di Filolao (p. 90) nun era da
dimenticare lo scritto del Bywater. AI coscienzioso e diligente
autore del lodevole scritto sieno questi appunti stimolo a nuove
ricerche.
Non diverso giudizio possiamo portare sull' altro scritto dell A.
h>. Empedocle. (Riv. ital. di Filosofia) Roma 189] pp. 121.
Anche qui lo stesso ordine e chiarezza d'esposizione, spiglia-
tezza e talora anche eleganza di dettato che oe rendono gradita
la lettura. L'A. non si propone novitä de ricerche. originilitä di
raffronti e di combinazioni ; vuol solo presentare una esposizione
nnaria ma completa delle dottrine empedoclee. Perciö egli trae
partito da quasi tutta la letteratura recente sull'argomento, discu-
tendo p. e a p. 70 ss. se allo Zeller o al Tannery debba darsi ra-
gione quanto alla causa della Btvij empedoclea, o a p. 98 riducendo
oei suoi giusti confini, come ci pare, 1' opinione del Kern (Archiv
L 498) sui rapporti fra Empedocle e 1' Orfismo. ha memoria,
dopo nn breve cenno sulla vita d' Empedocle (p. L — 12), si divido
in due parti: nella prima delle quali si tratta dei frammenti e
della loro probabile distribuzione (p. 12—31). alla quäle segue una
-,ii elegante versione d' essi in endecasillabi italiani (p. 32— 59);
nella seconda si espone la filosofia d1 Empedocle (p. 60— 121). Per
ciö <hr concerne i frammenti l'A. da la preferenza, nun del tutto
All ' i :i | > | " 1 I i .
giustificata, alla edizione del Mallach su qaella de] Karsten e anche
bu quella il«-ll" Stein, che per molti rispetti e la migliore, finche
la promessa edizione 'I.'i frammenti <l<'i filosofi presocratici del
Diels dod abbia veduto la luc< 0 . _ oeralmente riconoacinta
la insuflicienza critica dell Mullach, e pochi consentirebbero coll'A,
quando scrive (p. 18 b.) ..il Mullach e veramente riuscito nell'intento
che s'era prefisso, <\\ dare una Ita piu piu diligente
di tutte le anteriori, e oell'ordii nel componimento ha supei
senza dubbio mtii gli altri che nell' opera si eran provati."
A ogni modo nella veraione italiana l'A.. come il Tannery,
-i attiene al testo del Mullach. E poiche qui non e il lu<
d'estenderci in un esame della lezione che l'A. segue, ci conten-
teremo di far poche note >ul cosi detto Proemio, che piu proba-
bilmente, ;il meno in par.te, appartiene ai Katarmi, anziehe ;il
Poema. A. ;il \. 1 (369Stein) l'A. segue In lezione yyr/y- dove e da
adottarei la emendazione del ßernays p^fto (Diels, Archi\ 1,50
il ti? del v. 3 "-'~t\ St.) dev'essere unito al - de) v. 1. e
dev'essere omesso il v. 4 collo Knatz (Empedoclea, 1891 p.
come una glossa marginale dalla Teogonia Esiodea \. T'.1^. I". dubbio
"v. 12) significhi „mutou, o non piuttosto de ade
I" intensivo dioMco) „variopinto" (v. la oota del Burnett, Earlj Greek
Phil. p. 234). AI v. 43 era da aotare che qui il poeta si rivolge
a Pausania, ed appartiene certo al Proemio del Poema (v. Stein,
Emp. Pragm. |». 19 as.). Forse era meglio col Panzerbieter leggere
07ta>7rsv, anziehe opeupev. Anche I oscuro passo \. 53 •",,., (20 88. :
meritava una oota; giachhe non e ben chiaro perche l'A. traduca
con „epperö" una disgiuntiva (njte che ha la sua correlativa prece-
dente, mentre giovava awertire che il vöet e il voijaat sono asati qui
uell'ampio Benso originale. Quanto all' esposiziene della filosofia Em-
pedoclea, in generale fedele e chiara, come abbiamo detto, ci limi-
teremo a due sole oaservazioni. Che ..il mondo attuale corrisponde
a uno dei periodi ascendenti in cui l'amore ricompone ad armonia
sempre maggiorc le cose verso 1 unita dello sfero" (p. 68 . una
affermazione che avrebbe bisogno d'esser confortata di prove, perche
codesta opinione alla quäle inclina I" Zeller, ba contro <li se la
prei timonianza d'Aristotole (Gen. ed Corr. II I i 5 cfr.
Uli Studi BuJla Storia della Filosofia 1890- 1891 559
De Coelo lila. 301a 11) e la stessa descrizione che i frammenti
danno dei dolori e delle i « i i-> > ii. • de] mondo presente. In secondo
luogo la contradizione fra le dottrine ßsiche de] Poema e l'insegna-
mento religioso e forse minore di quello che reputan I" Zeller e
l'A. p. '.H». AJmeno im vestigio <li im loro uesso trasparisce dai
\. 33 ss. (:>T7 ss. St.).
I>i altre 'lue memorie dell'A. sulle scuole italiche dovremo
trattare oella prossima Rassegna. [ntanto, poiehe lo porta l'ar-
gomento, mi conviene annunciare uua mia Memoria.
CfflAPPELLi (Alessandro) Dei Frammenti e dottrina di Melisso di
Samo. (Memorie della R. Accademia dei Lincei vo] VI.
Part. 1" IS'. in) p. 377—413.
Mi par bene riferine lo sommario ehe io stesso ne ha datonei
Rendiconti della stessa Accademia (vol. V. 2 Sem.).
„La mia Memoria, presupponendo quello che e generalmente
noto sopra il fisico di Samo intende illustrare aleuni aspetti piü
oscuri o meno considerati delle dottrine di lui. anche depo gli
studi recenti dei Kern, de! Tannery, dell'Apell e de! Pabst, per
\ia d'un esame piü diligente dei frammenti c delle notrzie dos
fiche relative a Melisso, o per via di raffronti con altre dottrine.
In secondo luogo e diretta a ricercare a quali precedenti storici
si colleghi il pensiero di questo lisico e quali attinenze abbia rolle
altre scuole contemporanee, e cosi a spiegare i motivi de] severo
giudizio di Aristotele, contro cui stanno altre c solenni testimo-
nianze della Lmportanza ed efficacia storica che ebbero le dottrine
di Melisso.
„Nella prima parte e studiata la polemica di Melisso contro
le dottrine fisiche contemporanee, la <|iiale mentre e sfuggita agli
storici, rivela a parer mio, una notevole originalitä di pensiero.
A studiarla mi conducevano, oltre vari altri dati, im accenno carat-
teristico dei pueta Timone il sillugrafo, e una allusione al \6fos di
Melisso Dell'antico scritto pseudo ippoeratico !>■ Not. hominis, dove
si seuoprono le tracce delle dottrine di lui. II \6fos MeXicroo
la writa razionale confermata dalle conrtradizioni delle scuole
ßsiche poste in luce da Melisso, come apparisce da un frammento
All :..-lli.
che ci ha conservato Simplicio. II paragone dili-
ii questo frammento colle celebri aporie 'li Zenone, il Pala-
mede d'El ntro la molteplicita delle i - il moto, mostra
ratutto che la novita >li Melisso >ta nella contradizione maestre-
volmente rilevata fra la ipotesi della molteplicita delle qualitä
sensibili che implica la immutabilita loro, e il fatto empirico del
fluire perpetuo dell< elevato a legg< da Eraclito; o, in altre
parole, la inconciliabilita « l « - 1 1 " Eraclitismo col Pluralismo degli altri
Gsici. E mentre le antinomie 'li Zenone e le oegazioni di Gorgia
mantengano 1" stesso carattere realisl I obiettivo della dottrina
parmenidea, la ccitica «li Melisso piega ;i<1 una conclasione subiet-
tiv;i. ed e il primo seg l'una critica acuta della cognizione sen-
sibile e delle sue condizioni contradittorie.
..In altro resto 'li questa polemica, conservatoci oello scritto
pseudo aristotelico I >■ Melisi Xenoph,, G ci fa intendere
che Melisso doo -"I" dimostrava che la pluralita delle i - in-
compatibile colla loro mutabilita empirica, ma escludeva anche la
ipotesi d'una pluralita associata all'unita, che egli, come pare, esa-
minava nelle due forme che presenta la mescolanza, cioe la :
Deaic o composizione, e Vkn :■- zione. Anche qui la
conclusione e puramente formale, cioe che la percezione della plu-
ralita e illusoria.
„Nella seconda parte sono studiati alcuni punti della dottrina
ritiva propria <li Melisso, che in generale e piü nota. Nel ricer-
care in quäl modo debl I" i frammenti e le ootizie) inten-
dersi il passaggio logico dalla eternita alla infinita dell'Ente che
Aristo tele rimprovera a Melisso come illegitimo, sono stato condotto
a determinare piii precisamente il significato dell - o illiiui-
tato 'li Melisso. II paragone colla dottrina di Parmenide da ud
lato dimostra che 1 onreipov attribuito all'ente significa la negazione
dell'osistenza d'altri esseri al «li fuori «li esso, cioe la totalita delle
da • äe oello spazio, e perciö qod altra i
dal! ente che Parmenide rassomiglia ad una sfera * l"< «ui t i parte per-
fettamente equilibrata e che tutto circoscrive. Dal Tal tro lato come
per Anassimandi ngnifica il continuo reale, uniforme,
che C8clude perciö ogni distinzione o limitazione interna
Gli Studi sulla Storia della Filosofia 1S90— 18'.»l. 561
•
„Questo secondo aspetto di quest'idea, si collega alla critica
de] concetto de] vuoto, deUa quäle rimangono vestigi in alcuni
frammenti e dottrlne di Melisso. Per poter stabilire contro quali
scuole de] tempo sia diretta, ho delineata la storia de] concetto
de! vuoto (xev&v) nei punti principaü del suo svolgimento in questo
antico periodo, e per via deUa combinazione di rnolti indizi ho
creduto di poter concludere che ancora probabilmente all'antica c
rozza intuizione pitagorica de] vuoto aereo aspirato da] cosmo vi-
vente >i collegava Leucippo, e che il concetto scientifico de] vuoto
assoluto, sconosciuto ancora ad Anassagora, e fissato per la prima
volta da Democrito. La critica di Melisso, secondo ogni probabilita,
si riferisce ancora all'antica dottrina del vuoto aereo riprodotta
da Leucippo, e giä combattuta meno vigorosainente da Parmenide
ed Empedocle, e forse anche giä prima di Melisso da Anassagora.
E cosi indirettamente si ha un segno notevole d'uno svolgimento
dottrinale nella scuola atomistica da Leucippo a Democrito.
„Poiche l'aiteipov di Melisso esprime l'illimitato dello spazio e il
continuo esteso. viene a cadere da se l'opinione generalmente ac-
cettata dagb" storici che Tultimo degli Eleati, staccandosi dalla
tradizione della scuola, si sia rappresentatö l'essere uno come
qualche cosa d'incorporeo, e Funitä di esso come una unitä ideale.
Ma anche L'esame del frammento su cui si fonda questa interpre-
tazione, ci ha persuasi che quel l'rammento non contiene giä pa-
role proprie di Melisso, bensi una erronea affermazione di Simpli-
cio, derivata da una falsa interpretazione d'un luogo del pseudo-
Aristotele su Melisso. AH'incoutro e un altro l'rammento autentico,
e la testimonianza d'Aristotele ed altre notizie ci convincono che
Melisso non e un idealista come si crcde, ma rimane fedele al
realismo tradizionale della scuola e al naturalismo comune a tutti
i fisici anteriori all'eta dei Sofisti e di Socrate".
Come appendice al precedente riassunto. nun mi pari' inoppor-
t u 110 l'aggiungere qui due osservazioni in risposta ad alcuni appunti
critici che mi furono lätti a proposito della precedente Memoria,
dallo Zeller e dal Natorp. II primo (Phis. d. Gr. 1 ', 609) a str
rigore ha ragione dicendo che nel ragionamento di Meli—" pn
Aristot. Soph. El c. ■">. 167 b L3, il termine medio nun e gia il
Ar'iii\ i. Geachichte d. l'hii VII. O«?
562 Alessandro Cbiappelli,
•
tto <li ffirav, come io avevo «lein, (p. 22), bensft qoello «li
'io/rv Ma ciö dod esclude che il concetto di „Tutto"
<ia quello da cui tutta rargomentazione dipende, perche la premi
maggiore tatßu>v lr. 7. oö yckp «iel bTi rr&v
^ irav l<m) dod e che la cooseguenza d'un altro ragiona-
mento precedeote: dal dod ente aulla divieae (ix fäp \i
o&8ev äv -^vijii'y. ib.); ora il t m t<« dod ha fuori <li se che il dod
ente, danqae il tut: ijtov.
2. I" avevo detto che la deduzione di Melisso Bulla infinita
spaziale dod poggia -"I" sopra il paralogismo rimproveratogli da
Aristotele, ma sopra uoa pio forte ragione, cioe che il „Tutto"
dod i'iii. esser liiaitato, perche darebb'esser limitato da qaalche
altro, <• dod sarebbe piü il ..Tun..- (cfr. ora aache il Buraett,
Earlj greek Phil. 342). Questa argomentazione dod appariace,
\.'i-.i. de] IV. 7. ma de) im luogo aristotelico dove certo -i allude
a Melisso De Geo. I, 8 325 a L3 s. Che 1'uDiverso o il ..tun..-, dod
abbia nulla ;il di fori di se l'aveva giä detto d' altronde Parmenide,
e Mellsso dod fa che trarne l'opposata coosegaeoza „danqae e illi-
mitato." Questo resalta chiaro deU'altro luogo da me citato (p. 2 3
Phys. IM.'-.. 207 ;i. 11. ed e confermato dell' analogo ragionamento
di Melisso per provare Finita dell'essere Fr. 1<> (Simpl. Phys. 22 \.
103, 28 D).
3. Lo Zeller scrive 1. <•. <>14. „Chiappelli's Meinung, d
Mel. in onserem Bruchstück (p. 17) die Veränderlichkeit der
Sinnenwelt, in Anschlags an Heraklit, in eigenem Namen behaupte,
halte ich für «in entschiedenes Missverständniss". Oraameduole
il dire che l'illustre storico ha piattosto „decisamente frainteso"
il mio pensiero. lo miravo a dimostrare che, „a differenza deUe
aporie <li Zenone", la critica di Melisso piega verso dd senso
Babiettivo, rilevando piii che una inconciliabilita d'ipotesi aulla
natura delle cose, la contradizione fra due condizioni generali de]
senso i' della conoscenza aensibile" (p. 11). cioe la moltiplicita e
il moto, quali sono dati dai sensi. Si tratta danqae d'una critica
<l<'l bi oso fondata Bulla contradizione deUe Bue condizioni. Ma che
Melisso accettasse da Eraclito la mutabilitä* dell'essere, Lo dod ho
mai pensato * l i dirlo. All'incontro scrivevo p. 26": La mutabilita
GH Studi Bulla Storia della Filosofia 1890 I- 563
delle cose e per Meliso puramento fenomenica (8oxet ^fiTv): e an
dato del sen80 e dell' esperienza questo cangiarsi dell'una qualita
oelPaltra
„L'essere vVm qual'e colto dalla ragione (Xo^o?) e immutabile
e uno". —
II senso vero della mia dimostrazione ba invece colto il Na-
torp (Philos. Monatshefte 1891 p. 476) che dod solo riconosce con
me ael Fr. IT iina critica dell'antica dottrina ionica della muta-
liilita degli elementi (cl'r. Bäumker, Das Problem der Materie
p. 126), ma anche che la critica di Melisso si avvicina ad una
ricerca delle condizioni subbiettive della conoscenza. Mentre poi
riconosce meco che a Molisso qod possa attribuirsi Pimmaterialita
dell'essere, e sembra consentire che il Fr. 16 devesi a una inter-
pretazione di Simplicio, nega senz'altro che nel Pseudo-Aristotele,
De Mel. 976 a 11 sia direttamente espressa l'unitä dell'essere. Ora
io non ha asseverato tanto (v. pag. 37 della mia Memoria). Ho
detto solo ch'al Psendo-Aristotele qod repugna Pattribuire la cor-
poreita all'ente di Melisso 976 a 12 (Apelt) airsipov ei xal, u>? aöxös
).i\z'.. £v z?-.'.. xal toüto iwyj. Tii. 29. ei oz fi^ts fiTjxos i/y. [iijSsv,
-(ö; äv arceipov [äv] 3;.V(: E questo aspetta ancora dal Natorp la
coni'utazione.
I lettori dell'Archivio conoscono giä la mia memoria „Nuove
Ricerche snl natnralismo di Socrate" inserita in questa Rivista
(IV. 3 p. 369 — 413) la quäle fa seguito ad un altra precedente
pubblicata nei Rendic. della R. Accad. dei Lincei, 1886 (p. 28 1-303),
occassionata principalmente dalle obbiezioni mossemi dello Zeller
[1,2*. p. 136—141).
La chiarezza e l'ordine che pregiammo negli scritti de] Ferrari
(v. sopra), dil'ettano nei due seguenti del
Passamonti (E.). Le idee pedagogiche d'Aristotele (Riv. ital. di
Fih.s. Maggio-Guigno 1891) p. 1—24.
L'A. intende raccogliere specialmente del quarto e quinto libro
della Politica, i pensieri d'Aristotele sulla edueazione del cittadino.
Ma nel tentare di ricomporli ad unitä nun sembra seguire una
distribnzione ordinata e logica. Si limita piuttosto a porre una
564 iappelli,
dietro l'altra le varie sentenze aristo teliche, talora procedendo
anche saltuariamente; il che deriva, senza dubbio, oon dalla in-
suffizienza delle attitudini nell'A., <h<' qui abbiamo avuto a lodare
per im altin lavoro, ma della fretta in cui quesl bra composto.
ci spieghiamo espressioni come questa p. 12 „ma ili quesfc
d'altre siffath Aristotele promette trattare in appresc
- • l'lia fatto oella opera perduta intorno alla educazione della
quäle si hanno insignificanti frammenti (Pol IV 17. 1.". 6 ,;
Egualmente a |». 23 sembra credere che le trattazioni incompiute
oella Politica abbiano avuto il loro svolgimento oel trattat.. ,
duto. Ora qu tie non puo >- se oon lo scritto -. iraiS
(Rose Fr. 62 s. 1886 p. 73) e molto probabilmente im opera pre-
cedente alla Politica, mentre Aristotele in piu luoghi di questa pro-
mette ili trattare in seguito vari argomenti (p. e VII 15. L334b,
3; 17. L336 b. 20 e 24; I 13. L260 6. 8); ciö che trova la sua
spiegazione natural.' oella condizione imperfetta in cui e rimasta
l'opera aristotelica.
Id. Dicearco da Messina, oota, oei Etendic. '1. Acc. dei Liucei
Vol. VII sem. 2. l-'.'l p. 236—246.
Auche in questa monografia l'A. ba voluto raccogliere le scarse
ootizie sulle dottrine filosofiche 'li questo autico Peripatetico. Ma
anche in .|ii.'>ta scarsita di ootizie, manca in lui 1" sforzo di <■"-
gliere l'unita d'uo peosiero filosofico che spieghi le varie senteuze
che <li lui ci riroangono (cfr. Zeller II. "J. 891. s.). Per trapassare
dall'un ordine di peosieri all'altro all'A. basta ona riflessione come
questa (p. 242) „Perö, spirito acuto, (Dicearco) oon si lasciava
sopranare da queste maliocouie: (!) l'amore del sapere, la ricerca
dei latti lo richiamavauo presto ad altri pensien." Per que) che
concerne il puoto piu importante di ein che delle dottrioe di Di-
cearco ci e perveouto, la dottrioa dell'anima, <■ come ^i gossa con-
ciliare il materialismo di lui «-..IIa fede oella divioazione e oel ra-
pimentp che gli viene attribuita, I1 a. ammette senz'altro eh.' i
Placita (V, l. 1 come cita l'A. p. 242) congiungano qui Dicearco
con Aristotele; il che pub esser vero, ma ad ogni modo meritava
dimostratOj taoto piu „se alcuni luoghi del !><• Anima
Gli S1 di sulla Storia della Filosofia 1890- 1891. 565
d'Aristotele si prestano per riannodare alla dottrina aristotelica
quella di Dicearco sull anima" (p. 246). A ogni modo l'A. risolve
l;i difficoltä sopraccennata (che, giovava il notarlo, si ripresenta
identica anche per gli Stoici, materialisti e pure credenti nella di-
vinazione) ammettendo come applicabile a Dicearco la spiegazione
naturale della divinazione de'segni che trovasi ael trattato Aristo-
telico -. njs v/j.'S uirvov (lavttxr^ (di cui nun cita con precisione il
luogo). Acuta pero e la congettura dell'A. (p. 241) che il solutus
ei vaeuus, ut ei plant" nihil sit cum corpore, applicato
da Cicerone Divin. I )'>. 5 a Dicearco. non sia che una amplifieazione
dell1 ep>jfios xed ksvtj rcavxtov aristotelico.
Ciö die poi rende diffettosa questa Nota, oltre certe relazioni
assai vaghe che l'A trova fra questo Peripatetico e i Sofisti, sono
le citazioni talora inesatte, talalt ra incompiute. Cos] p. e e mal
citato Bermia [rris. a p: 238; a p: 239 le due citazioni Sext. Emp.
Adv. Mathen1.. VII e Sext. Emp. ad. Math. Jl vanno corrette cosj
Math. 711,349. Pyrrh. Byp. 11,31. Plutarc. Plac. II cosi Plac.
V 1,4. (di-. Diels Dox. 416). A p. 246. la citazione «li Temistio
dev'essere < »rat. XXIII, 285 c.
Assai oscuro per la distribuzione tlclle parti c per la dicitura,
ma senza dubbio di gran lunga superiore e per copia di dottrina c
conoscenza delle fonti e della recente letteratura e il lavoro de]
Giambelu (Carlo) Gli Studi Aristotelici e la Dottrina d'Antioco
nel „De Finibus" (dalla Iviv. di Filologia classica a. XIX)
1890 p. 109.
L'A., valente latinista e commentatore d'una edizione de! „De
finibus (Colleze dei Classici greci e Latini de! Loescher). si propone,
ae pare, aella prima parte di questo scritto (p. 1—37) di
mostrare che la conoscenza degli scritti aristotelici fosse in Cice-
rone nioltu maiiifiure di quello ehr da molti critici si suol credere.
E dico mi pare. poi che la sua ricerca e Lnterrotta a ogni mo-
mento da digressioni le quali, se attestano la molta dottrina dell'A..
estranee come sono talora al sogetto o almeno mal collegate con
i, reiid Itremodo faticosa la lettura. Quanto alla tesi soste-
nuta. crediamo che generalmente sia giusta, sebbene aon riguardi
alessandro Chiappelli,
che gli scritti popolari non gli scritti dottrinali di Ariatotele che
Qoi quasi esclusivamente conoaciamo. Per ciö appunto non sap-
piamo redere qua] rapporto \i abbia l'excursua dell'A. (p. LOss
sulla Dota storia delle ricende degli scritti aristotelici, tanto piii
che easa e intieramente ignota 8 Cicerone. Talora poi conviene
riconoacere che bj tratta d'un oao soltanto indiretto «li qnalche
Bcritto 'li Ariatotele pr< — Cicerone. 8e p. e l'A. (p. 20) trova
in De Off. II .">. 18 un;t imitazione de] frammento dell' Aristotelioo
- aperTjs preas 3 I egh' stesso ammette poi coll'Hirzel che ai
tratta d'un aao indiretto, per mezzo «li Panezio. Tal'altra inv<
['imitazione diretta e sicura, dove l'A. qod vede che an oao indi-
retto, come a proposito de! Protreptico d'Aristotele (p. 21), che
dopo la mirabile ricerca de) Diela (ignota foree alTA.) non puö du-
bitarsi e8aere stato imitato Qell'Hortenaius di Cicerone. Edel Diela
medeaimo oon sembra cono3ca I'altra oota Memoria sni )•',■/,•
tspixot, a proposito dei qnali pare aderisca ancora all'opinione de!
Bernaya (da Uli perö non citato), che e poi l'antica «li Cicerone,
intorno all'identita di essi coi Dialoghi. Anche cio che l'A. p. 34
dice de] Pseudo-Arist. I»«' Melisso, ch'egli crede noto a Cicerone,
e annovera fra i cosi detti scritti „ipomnematici" o commentari, <•
insufficiente e nun poco OSCUTO.
Dopo una digressione (§ III). che l'A. stesso riconosce estranea
al soggetto, sul Tiraeo e sul Filebo, e motivata solo della citazione
dell'IvSeAixeta (iv-z/.iyi'.y.) aristotelica presso Tusc. I 1". 19 ch'egli
crede derivata de] Commento d'Aristotele al Timeo platonico (Diog.
\. •_'.")_) e dopo aver cercato «li mostrare (p. 61—57) che auch«' il
Filebo non dove essere ignoto, almeno per mezzo dello studio che
gli Stoici «■ i Peripatetici oe avevano fatto, anche a Cicerone, l'A.
riprende a cercare negli scritti ciceroniani !«• fcracce della dottrina
Aristotelica della natura e della vita. «• dell'uso <l«'i libri naturali
d'Aristotele (p. 68—86). Ma anche qui la dimostrazione e Intral-
ciata «la tanii elementi estranei all'argomento, <-li«' e difficile il
ia.-<-..'jli« i« una conclusione chiara e determinata. Solo ootiamo
che l'A. crede gli i")fx<SxXta come una opera a parte d'Aristotele
(p. 728.) e ammette resistenza d'un opera esoterica «li lui it.
>v (p BO), <i" che difficilmente gli sara conaentito d'altri. Ma
GH Studi sulla Storia della Pilosofia 1890—1891. 5ß7
poi egli stessu sembra sospendere ogni conclusione definita, scri-
vendo (p. 81) „Fin dove si estendesse la cognizione delle opere
Aristoteliche in M. Tullio, ooi qui ae pössiamo dirlo, ue crediamo
opportune trattarne ". Ma che altro si propose TA. se non appunto
questo?
Assai piii chiaro e il soggetto se aon La trattazione, dclla ultima
parte (p. SG ss.), il<>\ o si parla della dottrina d'Antico „e de] lavorio
preparatorio" al sistoma di ijucsto eclettico. L'A. sembra inten-
dere a dimostrare che Antioco anziehe awicinare 1' Accademia alla
Stoa (Sext. Ilvpoth. 1,33) inclinö a congiungerla al Peripato, risa-
lemlo all'antica Accademia, non senza aver sentiti i contatti dello
Stuicisnio; „che il sistema di Antioco parteeipe in gran parte deDe
dottrine morali degli Stoiei, risale da una parte a quelle di Pia-
tone per niezzo degli Accademici antichi e delTaltra ad Aristotele"
(p. 107). Ora mentre questo non e stato ne puo essere revocato in
dubbio d'alcuno, si piii invece dubitare dell'utilitä di questa nuova
dimostrazione, e cos\ involuta per giunta, per quanta dottrina ci
dimostri e per quanta fatica vi abbia adoperato Tautore. Alla cui
diligenza non vorremmo fosse sfuggita la segnente espressione a
p. 106. „E parmi pure che a lui (Antioco) si debba se lo Scetti-
cismo della nuova Accademia dopo il suo maestro Filone non fece
guari progessi, ridotto a pochissimi settatori, due o tre, principe
Sesto Empirico (!)"
Mi sia lecito aggiungere infiue che nel mio articolo
Le donne alle Scuole dei filosofii Greci (Nuova Antologia 15
Guigno 1890).
II quäl' e naturalmente piü d'indole letteraria che scientifica,
io ho raecolte le sparse notizie di questa simpatia delle donne
colle varie scuole greche e cercatene le ragioni, rilevando special-
mente l'azione che Aspasia esercitö sopra il circolo Socratico, e le
ragioni dell'affluenza dell' elemento femminile alla Scuola platonica
e neoplatonica.
Neueste Erscheinungen auf (Ui\\\ Gebiete <1<t
Geschichte der Philosophie.
\. Deutsche Li n r.
ib Fr Vbel als Philosoph, Berlin, Trautwein.
Sal , I ."ii. Friedrieb Nietzsche in seinen Werk« a, w • o, K
\|..|i. "f.. Die kleinen Schriften des Alexander von Aphi
Bd. 19, II. 1.
Arnoldt, E., Zur Beurtheilung von Kant- Vernunftkritik und dei Prob
Altpreuss. Monatsschr. Bd. 30, II. 7 u
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University of Toronto
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